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German Pages [1041]
Historisch Theologische Auslegung
______________________________________________________________________________
Neues Testament Herausgegeben von Gerhard Maier ▪ Heinz-Werner Neudorfer ▪ Rainer Riesner ▪ Eckhard J. Schnabel
Der Brief des Paulus an die Römer Kapitel 6–16
Eckhard J. Schnabel
SCM R. BROCKHAUS, WITTEN BRUNNEN VERLAG, GIESSEN
© 2016 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, 58452 Witten Internet: www.scm-brockhaus.de | E-Mail: [email protected] Umschlaggestaltung: agentur krauss GmbH, Herrenberg Satz: E.J. Schnabel (Nota Bene Lingua Workstation Version 11) Druck: Finidr s. r. o. Gedruckt in Tschechien ISBN 978-3-417-29735-5 (SCM R.Brockhaus) ISBN 978-3-7655-9735-0 (Brunnen Verlag) Bestell-Nr. 229.735 Datenkonvertierung: Stephan Maier, Achern
INHALT Vorwort der Herausgeber ................................................................................................... 5 Abkürzungen ...................................................................................................................... 7 II. Auslegung .................................................................................................................... 13 2. 2.1 2.2
2.3 2.4
Die Realität der Rechtfertigung im Leben der Glaubenden 6,1–8,39 ................... 13 Das neue Leben in wirklicher Gerechtigkeit 6,1-23 .............................................. 16 1) Das neue Leben als Anschluss an Tod und Auferstehung Jesu 6,1-14 ............. 17 2) Das neue Leben als Freiheit und Gehorsam 6,15-23 ........................................ 67 Der Wechsel vom Sein im Fleisch zum Sein im Geist 7,1–8,17 .......................... 96 1) Der Wechsel der Herrschaftsgewalt vom Gesetz zu Jesus Christus 7,1-6 ........ 98 2) Die Vergangenheit: Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 ............................................................................................ 117 3) Die Gegenwart: Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 ........................................................................................... 186 Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 ................................................. 232 Der Triumph der Gläubigen 8,31-39 ................................................................... 262
3.5
Die Realität der Rechtfertigung in der Geschichte Israels 9,1–11,36 ................ 281 Die Fürbitte des Apostels für die ungläubigen Juden 9,1-5 ................................ 286 Gottes Gerechtigkeit in Israels Geschichte 9,6-29 .............................................. 298 1) Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 .......... 299 2) Gottes freies Erbarmen und das wahre Gottesvolk 9,14-29 ............................ 316 Israels Widerstand gegen Gottes Gerechtigkeit 9,30–10,21 ................................ 350 1) Das Evangelium als Stein des Anstoßes 9,30-33 ............................................ 352 2) Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 ......................... 367 3) Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 ............................................ 401 Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes und die Errettung Israels 11,1-32 .... 420 1) Die Erwählung eines Restes in Israel 11,1-10 ................................................ 420 2) Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 ................. 439 3) Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 ................... 487 Der Lobpreis von Gottes Gerechtigkeit 11,33-36 ............................................... 537
4. 4.1. 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Das Leben der Gerechtfertigten 12,1–15,13 ....................................................... 554 Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 ..................... 557 Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 ................................................................... 586 Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 ..................................................... 613 Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 .................................................. 665 Die Verpflichtung zur Nächstenliebe als Erfüllung der Gebote 13,8-10 ............ 702 Die endzeitliche Motivation christlichen Verhaltens 13,11-14 ........................... 711 Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 ........... 736
3. 3.1 3.2 3.3
3.4
4 Römerbrief ———————————————————————————————————— Schluss 15,14–16,27 ..................................................................................................... 807 1. Die Pläne des Apostels 15,14-33 .............................................................................. 809 2. Empfehlung der Phöbe 16,1-2 .................................................................................. 854 3. Grüße 16,3-16 ........................................................................................................... 866 4. Ermahnung zur Wachsamkeit gegenüber Irrlehrern 16,17-20 .................................. 902 5. Grüße aus dem Umfeld des Apostels 16,21-23 ........................................................ 914 6. Doxologie 16,25-27 ................................................................................................... 925 III. Verzeichnisse ........................................................................................................... 937 1. Literaturverzeichnis ................................................................................................... 937 2. Autorenverzeichnis .................................................................................................... 994 3. Verzeichnis griechischer Wörter .............................................................................. 1012 4. Stichwortverzeichnis ................................................................................................ 1013
Vorwort der Herausgeber Die Kommentarreihe „Historisch-theologische Auslegung des Neuen Testaments“ will mit den Mitteln der Wissenschaft die Aussagen der neutestamentlichen Texte in ihrer literarischen Eigenart, im Hinblick auf ihre historische Situation und unter betonter Berücksichtigung ihrer theologischen Anliegen erläutern. Dabei sollen die frühere wie die heutige Diskussion und neben den traditionellen auch neuere exegetische Methoden berücksichtigt werden. Die gemeinsame Basis der Autoren der einzelnen Kommentare ist der Glaube, dass die Heilige Schrift von Menschen niedergeschriebenes Gotteswort ist. Der Kanon Alten und Neuen Testaments schließt den Grundgedanken der Einheit der Bibel als Gottes Wort ein. Diese Einheit ist aufgrund des Offenbarungscharakters der Heiligen Schrift vorgegeben und braucht nicht erst hergestellt zu werden. Die Kommentatoren legen deshalb das Neue Testament mit der Überzeugung aus, dass die biblischen Schriften vertrauenswürdig sind und eine Sachkritik, die sich eigenmächtig über die biblischen Zeugen erhebt, ausschließen. Wo Aussagen der biblischen Verfasser mit außerbiblischen Nachrichten in Konflikt stehen oder innerhalb der biblischen Schriften Spannungen und Probleme beobachtet werden, sind Klärungsversuche legitim und notwendig. Bei der Behandlung umstrittener Fragen möchten die Autoren vier Regeln folgen: 1. Alternative Auffassungen sollen sachlich, fair und in angemessener Ausführlichkeit dargestellt werden. 2. Hypothesen sind als solche zu kennzeichnen und dürfen auch dann nicht als Tatsachen ausgegeben werden, wenn sie weite Zustimmung gefunden haben. 3. Offene Fragen müssen nicht um jeden Preis entschieden werden. 4. Die Auslegung sollte auch für denjenigen brauchbar sein, der zu einem anderen Ergebnis kommt. Unser Kommentar will keine umfassende Darstellung der Auslegung eines neutestamentlichen Buches in Geschichte und Gegenwart geben. Weder bei der Auflistung der Literatur noch in der Darstellung der Forschungsgeschichte oder der Auseinandersetzung mit Auslegungspositionen wird Vollständigkeit angestrebt. Die einzelnen Autoren haben hier im Rahmen der gemeinsamen Grundsätze die Freiheit, beim Gespräch mit der früheren und aktuellen Exegese eigene Akzente zu setzen. Die Kommentarreihe unternimmt den Versuch einer „geistlichen Auslegung“. Über die möglichst präzise historisch-philologische Erklärung hinaus soll die Exegese
6 Römerbrief ————————————————————————————————————
die Praxis von Verkündigung, Seelsorge sowie Diakonie im Blick behalten und Brücken in die kirchliche Gegenwart schlagen. Die Autoren gehören zu verschiedenen Kirchen und Freikirchen der evangelischen Tradition. Unterschiede der Kirchen- oder Gemeindezugehörigkeit, aber auch unterschiedliche exegetische Meinungen wollen sie weder gewaltsam einebnen noch zum zentralen Thema der Auslegung machen. Die Auslegung folgt einem gemeinsamen Schema, das durch römische Ziffern angezeigt wird. Leserinnen und Leser finden unter I eine möglichst genaue Übersetzung, die nicht vorrangig auf eine eingängige Sprache Wert legt. Unter II ist Raum für Bemerkungen zu Kontext, Aufbau, literarischer Form oder Gattung sowie zum historischen und theologischen Hintergrund des Abschnitts. Unter III folgt eine Vers für Vers vorgehende Exegese, die von Exkursen im Kleindruck unterbrochen sein kann. Abschließend findet man unter IV eine Zusammenfassung, in der das Ziel des Abschnitts, seine Wirkungsgeschichte und die Bedeutung für die Gegenwart dargestellt werden, soweit das nicht schon im Rahmen der Einzelexegese geschehen ist. Alle Auslegung der Bibel als Heiliger Schrift ist letztlich Dienst in der Gemeinde und für die Gemeinde. Auch wenn die „Historisch-theologische Auslegung“ keine ausdrückliche homiletische Ausrichtung hat, weiß sie sich dem Ziel verpflichtet, der Gemeinde Jesu Christi für ihren Glauben und ihr Leben in der säkularen Moderne Orientierung und Weisung zu geben. Die Herausgeber hoffen, dass die Kommentarreihe sowohl das wissenschaftlich-theologische Gespräch fördert als auch der Gemeinde Jesu Christi über die Konfessionsgrenzen hinaus dient. Im Frühjahr 2004 Bischof i. R. Dr. Gerhard Maier Dekan Dr. Heinz-Werner Neudorfer Prof. Dr. Rainer Riesner Prof. Dr. Eckhard J. Schnabel
Abkürzungen ABD AGAJU AGLB ALGHJ AnBib AncB ANRW AThANT BA BAR BASOR Bauer/Aland BBB BBR BDAG BDR BEThL Bib. BiKi Bill. BJRL BJS BK BNot BS BSLK BWANT Byz BZAW BZ BZNW CBQ CBQ.MS CIJ CIL CR CSEL
Anchor Bible Dictionary. Hg. v. D.N. Freedman. New York 1992 Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums Aus der Geschichte der lateinischen Bibel Arbeiten zur Literatur und Geschichte des hellenistischen Judentums Analecta Biblica Anchor Bible Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Hg. W. Haase / H. Temporini Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments Biblical Archaeologist Biblical Archaeology Review Bulletin of the American Schools of Oriental Research W. Bauer / K. Aland / B. Aland. Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. Berlin 6 1988 Bonner Biblische Beiträge Bulletin for Biblical Research W. Bauer / F.W. Danker / W.F. Arndt / F.W. Gingrich. A Greek-English Lexicon of the New Testment and Other Early Christian Literature. Third Edition. Chicago 2000 F. Blass / A. Debrunner / F. Rehkopf. Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. Göttingen 182001 Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium Biblica Bibel und Kirche P. Billerbeck (H.L. Strack). Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch. München 61986 Bulletin of the John Rylands Library Brown Judaic Studies Biblischer Kommentar Biblische Notizen Bibliotheca Sacra Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Byzantinischer Text (Mehrheitstext) Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Biblische Zeitschrift Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Catholic Biblical Quarterly Catholic Biblical Quarterly Monograph Series Corpus Inscriptionum Judaicarum. Hg. v. J.B. Frey. New York 1975 Corpus Inscriptionum Latinarum Corpus Reformatorum Corpus Scriptorum ecclesiasticorum latinorum
8 Römerbrief ———————————————————————————————————— DDD DJD DJG DLNTD DNP DNTB DPL DSD EB EDEJ EdF EKK Elb.Ü EtB ET EThL EÜ EvQ EvTh EWNT FilN FRLANT fzb GBL GN GNB HAL Hfa HNT HThK HThR HUCA HvS HWR ICC IEJ
Dictionary of Deities and Demons in the Bible. Hg. v. K. van Toorn B.Becking / P. W. van der Horst. Leiden 1995 Discoveries in the Judaean Desert (of Jordan) Dictionary of Jesus and the Gospels. Hg. v. J.B. Green / S. McKnight / I.H. Marshall. Downers Grove 1992 Dictionary of the Later New Testament and Its Developments. Hg. v. P.H. Davids / R.P. Martin. Downers Grove 1997 Der Neue Pauly. Hg. v. H. Cancik / H. Schneider / M. Landfester. Stuttgart 1996–2010 Dictionary of New Testament Background. Hg. v. C.A. Evans / S.E. Porter. Downers Grove 2000 Dictionary of Paul and His Letters. Hg. v. G.F. Hawthorne / R.P. Martin / D.G. Reid. Downers Grove 1993 Dead Sea Discoveries Echter Bibel Eerdmans Dictionary of Early Judaism. Hg. v. J.J. Collins / D.C. Harlow. Grand Rapids 2010 Erträge der Forschung Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament Elberfelder-Übersetzung. Revision 1985 Études Bibliques Expository Times Ephemerides Theologicae Lovanienses Einheitsübersetzung. Revision 1979 Evangelical Quarterly Evangelische Theologie Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Hg. v. H. Balz / G. Schneider. Stuttgart 1980–1983 Filologia Neotestamentaria Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Forschungen zur Bibel Das Große Bibellexikon. Hg. v. H. Burkhardt. Wuppertal 1987–1989 Gute Nachricht Bibel. Revision 1997 Good News Bible Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament. Hg. v. W. Baumgartner / L. Koehler / J.J. Stamm. Leiden 1967–1995 Hoffnung für alle. Die Bibel Handbuch zum Neuen Testament Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament Harvard Theological Review Hebrew Union College Annual H. von Siebenthal. Griechische Grammatik zum Neuen Testament. Gießen 2011 HistorischesWörterbuch derRhetorik. Hg. G. Ueding. Tübingen 1992–2011 International Critical Commentary Israel Exploration Journal
Abkürzungen 9 ———————————————————————————————————— IJudO Int. ISBE JAC JBL JBTh JETh JETS JGRCJ JIGRE JIWE JJS JSHRZ JSNT JSNTSup JSP JSPSup JThS KEK KG KJV KuD LEH LGPN LN LNTS LSJ LThK LÜ LXX LXX.D Menge MM MNT MT Muraoka
Inscriptiones Judaicae Orientis. Hg. v. D. Noy / A. Panayotov / H. Bloedhorn / W. Ameling. Tübingen 2004 Interpretation International Standard Bible Encyclopedia. Hg. v. G.W. Bromiley. Grand Rapids 1979–1988 Jahrbuch für Antike und Christentum Journal of Biblical Literature Jahrbuch für Biblische Theologie Jahrbuch für Evangelikale Theologie Journal of the Evangelical Theological Society Journal of Greco-Roman Christianity and Judaism Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt. Hg. v. D. Noy. Cambridge 1993/1995 Jewish Inscriptions of Western Europe. Hg. v. D. Noy. Cambridge 1992 Journal of Jewish Studies Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit Journal for the Study of the New Testament Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series Journal for the Study of Pseudepigrapha Journal for the Study of Pseudepigrapha. Supplement Series Journal of Theological Studies Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament R. Kühner / B. Gerth. Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Hannover 1898 (1992) King James Version Kerygma und Dogma J. Lust / E.Eynikel / K. Hauspie. A Greek-English Lexicon of the Septuagint. Stuttgart 1992–1996 A Lexicon of Greek Personal Names. Bände I–VA. Hg. v. P.M. Fraser / E.Matthews. Oxford 1987–2009 J.P. Louw / E.A. Nida. Greek-English Lexicon of the New Testament Based on Semantic Domains. New York 1988 Library of New Testament Studies H.G. Liddell / R. Scott / H.S. Jones / H. Stuart. A Greek-English Lexikon. Rev. Supplement Hg. v. P.G.W. Glare. Oxford 91996 (1940) Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Hg. v. W. Kasper Lutherbibel. Revision 1984 Septuaginta Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung. Hg. v. W. Kraus / M. Karrer. Stuttgart 2009 Die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments. Übersetzt von H. Menge J.H. Moulton / G. Milligan. The Vocabulary of the Greek Testament Illustrated from the Papyri and Other Non-Literary Sources. Grand Rapids 1982 (1930) Münchener Neues Testament. Hg. v. J. Hainz / M. Schmidl / J. Sunckel Masoretischer Text T. Muraoka. A Greek-English Lexicon of the Septuagint. Leuven 2009
10 Römerbrief ———————————————————————————————————— NA28 NEB Neot. NewDocs NGÜ NICNT NIDB NIDNTTE NIGTC NIV NovT NovTSup NPNF NRSV NSS NTA NTD NTOA NTS NW OCD OECS OLA ÖTK OTP PEQ PG PL Preisigke PW RAC RB RdQ RGG RNT
Nestle-Aland. Novum Testamentum Graece. Institut für Neutestamentliche Textforschung. 28. revidierte Auflage. Stuttgart 2012 Neue Echter-Bibel Neotestamentica New Documents llustrating Early Christianity. Hg. v. G.H.R. Horsley / S.Llewelyn. Macquarie University 1981–2002 Neue Genfer Übersetzung New International Commentary on the New Testament New Interpreter’s Dictionary of the Bible. Hg. v. K.D. Sakenfeld. Nashville 2006–2009 New International Dictionary of New Testament Theology and Exegesis. Hg. v. M. Silva. Grand Rapids 2014 New International Greek Testament Commentary New International Version 2011 Novum Testamentum Novum Testamentum Supplement Nicene and Post-Nicene Fathers. Hg. v. P. Schaff / H. Wace. Peabody 1995 [1885–1890] New Revised Standard Version Neuer sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament. Hg. v. W. Haubeck / H. von Siebenthal. Giessen 1994/1997 Neutestamentliche Abhandlungen Das Neue Testament Deutsch Novum Testamentum et Orbis Antiquus New Testament Studies Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Hg. v. G. Strecker / U. Schnelle. Berlin 1996–2008 Oxford Classical Dictionary. Hg. v. S. Hornblower / A. Spawforth. Oxford 3 1996 Oxford Early Christian Studies Orientalia Lovaniensia Analecta Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament Old Testament Pseudepigrapha. Hg. v. J.H. Charlesworth. Garden City 1983–1985 Palestine Exploration Quarterly Patrologia graeca Patrologia latina Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden. Hg. v. F. Preisigke. Berlin 1925–1931 A.F. Pauly / G. Wissowa u.a. Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft. Stuttgart 1894–1980 Reallexikon für Antike und Christentum Revue Biblique Revue de Qumran Religion in Geschichte und Gegenwart. Hg. v. H.D. Betz / D.S. Browning / B. Janowski / E. Jüngel. Tübingen 41998–2007 Regensburger Neues Testament
Abkürzungen 11 ———————————————————————————————————— RSV SB SBB SBLDS SBLMS SBL.SP SBLTT SBS SESJ SHCT SKKNT SNTSMS SNTU ST StANT StNT StUNT SÜ Syll. TANZ Tg THAT ThBeitr ThBLNT ThHK ThLZ ThPh ThR ThWAT ThWNT ThWQ ThZ TLNT TNIV TRE TU TynB VF VT VTSup WA
Revised Standard Version Schlachter Bibel. Revision 2000 Stuttgarter Biblische Beiträge Society of Biblical Literature Dissertation Series Society of Biblical Literature Monograph Series Society of Biblical Literature Seminar Papers Society of Biblical Literature Texts and Translations Stuttgarter Bibelstudien Suomen Eksegeettisen Seuran Julkaisuja Studies in the History of Christian Thought Stuttgarter Kleiner Kommentar Neues Testament Society of New Testament Studies Monograph Series Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Studia Theologica Studien zum Alten und Neuen Testament Studien zum Neuen Testament Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Schlachter-Übersetzung. Revision 2002 W. Dittenberger, Sylloge Inscriptionum Graecarum. 3. Auflage. Leipzig 1915-1924 Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter Targum Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament. Hg. v. E. Jenni / C. Westermann. München 1971–1976 Theologische Beiträge Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Neubearbeitete Ausgabe. Hg. v. L. Coenen / K. Haacker. 2 Bde. Wuppertal 21997 / 2000 Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament Theologische Literaturzeitung Theologie und Philosophie Theologische Rundschau Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament. Hg.v. G.J. Botterweck / H. Ringgren / H. J. Fabry. Stuttgart 1973-2000 Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Hg. v. G. Kittel / G.Friedrich. Stuttgart 1933-1979 Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten. Hg. v. H.-J. Fabry / U. Dahmen. Band I–II. Stuttgart 2011–2013 Theologische Zeitschrift Theological Lexicon of the New Testament. Hg. v. C. Spicq. Peabody 1996 Today’s New International Version Theologische Realenzyklopädie Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur Tyndale Bulletin Verkündigung und Forschung Vetus Testamentum Vetus Testamentum Supplements Weimarer Ausgabe: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe
12 Römerbrief ———————————————————————————————————— WBC WdF WMANT WUNT ZAW ZB ZBK ZECNT ZEE ZNT ZNW ZPE ZThK
Word Biblical Commentary Wege der Forschung Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Zürcher Bibel. Revision 2007 Zürcher Bibelkommentare Zondervan Exegetical Commentary on the New Testament Zeitschrift für evangelische Ethik Zeitschrift für Neues Testament Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik Zeitschrift für Theologie und Kirche
Weitere Abkürzungen sind S. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (Berlin 21992, 32014) zu entnehmen. Zur Zitierung von Kommentaren und der Sekundärliteratur s. die Erklärung zu Beginn des Literaturverzeichnisses in Band 1.
Die Realität der Rechtfertigung im Leben der Glaubenden 6,1–8,39 13 ————————————————————————————————————
II. Auslegung Die Realität der Rechtfertigung im Leben der Glaubenden 6,1–8,39 Paulus hatte in Zusammenhang mit seinem Nachweis, dass sowohl Heiden wie auch Juden Sünder sind und im Endgericht dem Zorn Gottes ausgeliefert sind (1,18–2,29), wenn sie nicht an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt glauben (1,3-4.16-17), zwei Gegenargumente zu Wort kommen lassen: 1. Die heilsgeschichtliche Priorität der Juden gegenüber den Heiden kann nicht annulliert worden sein (3,1-4); 2. die Gleichstellung von Heiden und Juden und die Eliminierung von Beschneidung und Gesetz aus dem Tatbestand des Gerechtseins macht Gott zu einem ungerechten Richter und führt zu Libertinismus (3,5-8). Paulus beantwortet das erste Gegenargument in Kap. 9–11. Er greift in Kap. 6–8 zunächst das zweite Gegenargument auf, weil es die Jesusbekenner in Rom unmittelbar und ganz praktisch angeht. In 3,5-8 hatte Paulus zunächst das Argument zurückgewiesen, Gott sei ungerecht, wenn er seinen Zorn verhängt (3,5): Diese Folgerung ist falsch, weil sie in ihrer Konsequenz bedeuten würde, dass Gott nicht der Richter der Welt sein kann (3,6). Das intensivierte Gegenargument in 3,7-8 behauptet, bei Paulus könne es weder ein Endgericht noch eine Ethik geben: Wenn Gott Sünder rechtfertigt, dann wird das Endgericht sinnlos, und es gibt keinen Grund, weshalb man nicht sündigen sollte, wenn in der Tat, wie Paulus sagt, das Tun des Bösen (was die Heiden kennzeichnet) zum Guten führt (Rechtfertigung des Sünders). Paulus kontert in 3,8c mit einem kategorischen „solche Leute trifft das Verdammungsurteil zu Recht“, ohne zu erläutern, wieso die Rechtfertigung des Sünders durch Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus den Unterschied zwischen Gut und Böse nicht aufhebt. Nachdem Paulus in 3,9-20 die Sündhaftigkeit auch der Juden mithilfe der Schrift erhärtet und in 3,21–5,21 das heilschaffende Handeln Gottes im Messias Jesus, durch das die Macht der seit Adam in der Welt herrschenden Sünde gebrochen wurde, erläutert hatte,1 formuliert er in 6,1 den Einwand von 3,5-8 neu, jetzt aus der Perspektive der gerechtfertigten Jesusbekenner: „Sollen wir bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunimmt?“ Diese Frage zeigt die Radikalität des Sündenverständnisses des Apostels: Wer zum ————————————————————
1
Zum Abschluss des zweiten Hauptteils 3,21–5,21 mit der zusammenfassenden Gegenüberstellung von Adam und Jesus in 5,12-21 s. die Einleitung zu 5,1-11 in Band 1.
14 Römerbrief ————————————————————————————————————
Glauben an den Messias Jesus gekommen ist, der hat die Vergebung seiner Sünden erfahren – der vergangenen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Sünden. In Kap. 6–8 beantwortet Paulus die Frage nach der Realität der Gerechtigkeit Gottes im Leben des einzelnen Christen, dessen Sünden im Anschluss an den Sühnetod Jesu von Gott vergeben wurden. Wenn man die Gnade richtig versteht, die Gott dem an Jesus den Messias und Retter glaubenden Sünder erweist, dann ergibt sich nicht etwa eine Relativierung der Sünde, sondern eine Befreiung von der Herrschaft der Sünde. Paulus erläutert die Wirklichkeit der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes durch Jesus Christus im Leben der Gläubigen in einem dreifachen Schritt.2 1. In der Biographie des zum Glauben an den Messias Jesus bekehrten Sünders hat eine alles entscheidende Wende stattgefunden (6,2-23). Das neue Leben des Gläubigen ist durch den Anschluss an Tod und Auferstehung Jesu bestimmt (6,1-14) und im Sinn von Freiheit und Gehorsam (6,1523) zu beschreiben. Der Glaube an den Messias Jesus, in dessen Sühnetod Gott Gerechtigkeit für Sünder geschaffen hat, bedeutet den Tod des Gerechtfertigten im Blick auf sein Leben als Sünder und setzt eine neue Wirklichkeit des Lebens (6,3-4). Die Teilhabe am Tod Jesu führt zur Freiheit von der Sklaverei der Sünde (6,5-7) und die Teilhabe an der Auferstehung Jesu resultiert in einem Leben für Gott (6,8-10). Da Jesusbekenner infolge ihrer Identifizierung mit dem Tod Jesu im Blick auf den Rechtsanspruch der Sünde gestorben sind, kann und soll die Sünde in ihrem Leben nicht erneut zur Herrschaft kommen; sie sind Werkzeuge der Gerechtigkeit und sollen es sein (6,11-14). Da Jesusbekenner von der Versklavung unter die Sünde befreit sind, sind sie aufgerufen, sich in ihrem Alltagsleben als Gerechte und Heilige zu erweisen (6,15-23). 2. Die Wende in der Biographie der Jesusbekenner ist ein Wechsel von einer von der Sünde beherrschten Existenzweise zu einer vom Geist beherrschten Existenzweise (7,1–8,17). Der Wechsel der Herrschaftsgewalt bedeutet, dass Jesusbekenner nicht mehr vom Gesetz beherrscht werden, das Sünder mit dem Tod bestraft, sondern von Jesus, durch dessen Tod Gott den Sündern neues Leben schenkt, das es ermöglicht, Gott Frucht zu bringen (7,1-6). Die Vergangenheit des Sünders als Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes (7,7-25) wurde abgelöst von der Gegenwart des an Jesus glaubenden Sünders – eine Gegenwart, die vom Gesetz des Geistes und des Lebens bestimmt ist (8,1-17). Paulus referiert die Funktion des Gesetzes vor der Bekehrung zum Glauben an Jesus, um zu zeigen, wie jetzt der Heilige Geist die von Gott dem Gesetz zugedachte Funktion übernimmt. ————————————————————
2
Es gibt in Kap. 6–8 in der Tat einen durchgehenden theologischen Spannungsbogen; vgl. Wilckens II 3-5; anders Wolter I 364.
Die Realität der Rechtfertigung im Leben der Glaubenden 6,1–8,39 15 ————————————————————————————————————
Von Gott gerechtfertigte Sünder, die an den Messias Jesus glauben, haben den Geist Gottes erhalten und sind deshalb in ihrem Leben nicht vom sündhaften Fleisch, sondern vom göttlichen Geist bestimmt, durch den Jesus seine das Leben verändernde Macht erweist. Die Identifikation des Glaubenden mit Jesus Christus bedeutet, dass die Sünde keine Macht über seine Lebenswirklichkeit besitzt, weil diese von der Gerechtigkeit Gottes bestimmt ist, die Leben bedeutet (8,9-11). Die durch Tod und Auferstehung Jesu Christi ermöglichte, von Gott geschenkte und vom Heiligen Geist realisierte neue Seinsweise ist zugleich Verpflichtung, nicht in die Seinsweise der von der Sünde beherrschten Existenz zurückzufallen (8,12-17). 3. Das Leben der Gläubigen in Gottes Schöpfung, die unter den Folgen des Sündenfalls leidet, ist vom Leiden gekennzeichnet, gleichzeitig jedoch von der Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes bestimmt. Paulus ist Realist: Er weiß, dass man als Jesusbekenner dem Leiden nicht entnommen ist, sondern infolge des Glaubens oft tiefer in das Leiden hineingeführt wird. Er erklärt das Leiden der Christen als Leiden, das am Seufzen der gefallenen Schöpfung partizipiert und gleichzeitig auf die Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit konzentriert ist (8,18-27), eine Zukunft, in der mit Sicherheit ihre Rechtfertigung vollendet werden wird (8,28-30). Paulus beschließt die Erläuterung der Wirklichkeit der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes durch Jesus Christus mit einem Triumphlied (8,31-39). Gott hat im Sühnetod Jesu Christi demonstriert, dass er für uns ist und uns in seinem Heilshandeln alles gewährt hat. Deshalb kann niemand mit Erfolg gegen die Jesusbekenner antreten. Gottes Gnade in Jesus Christus führt mit unerschütterlicher Gewissheit zu Herrlichkeit und Vollendung. Folgende Vokabeln gehören zu den Vorzugswörtern in Kap. 6–8, die die Hauptthemen des zweiten Hauptteils anzeigen: α� μαρτι' α [hamartia]: 6,1.2.6-7(3x).10-18(8x).20.22.23; 7,5.7-14(10x).17.20.23.25; 8,2.3(3x).103 σω ñ μα [sōma]: 6,6.12; 7,4.24; 8,10.11.13.234 σα' ρξ [sarx]: 7,5.18.25; 8,3(3x).4.5(2x).6.7.8.9.12(2x).135 θα' νατος [thanatos]: 6,3.4.5.9.16.21.23; 7,5.10.13(2x).24; 8,2.6.386 θανατο' ω [thanatoō]: 7,4; 8,13.36 α� ποθνη,' σκω [apothnēskō]: 6,2.7.8.9.10(2x); 7,2.3.6.10; 8,13.347 πνευñ μα [pneuma]: 7,6; 8,2.4.5(2x).6.9(3x).10.11(2x).13.14.15(2x).16(2x).23.26(2x).278 ζωη' [zōē]: 6,4.22.23; 7,10; 8,2.6.10.389 ————————————————————
3 4 5 6 7 8
3,9.20; 4,7.8; 5,12.13(2x).20.21. 1,24; 4,19 / 12,1.4.5. 1,3; 2,28; 3,20; 4,1 / 9,3.5.8; 11,14; 13,14. 1,32; 5,10.12(2x).14.17.21. 5,6.7(2x).8.15 / 14,7.8(3x).9.15. 1,4.9; 2,29; 5,5 / 9,1; 11,8; 12,11; 14,17; 15,13.16.19.30.
16 Römerbrief ———————————————————————————————————— ζα' ω [zaō]: 6,2.10(2x).11.13; 7,1.2.3.9; 8,12.13(2x)10 δουñ λος [doulos] Subst.: 6,16(2x).17.2011 δουñ λος [doulos] Adj.: 6,19(2x) δουλο' ω [douloō]: 6,18.22 δουλευ' ω [douleuō]: 6,6; 7,6.2512 δουλει' α [douleia]: 8,15.21 ε� λευθερι' α [eleutheria]: 6,21 ε� λευ' θερος [eleutheros]: 6,20; 7,3 ε� λευθερο' ω [eleutheroō]: 6,18.22; 8,2.21 Vokabeln, die auch in Kap. 1–5 und 9–14 eine wichtige Rolle spielen: νο' μος [nomos]: 6,14.15; 7,1-6(8x).7-9(5x).12.14.16.21-25(7x); 8,2(2x).3.4.713 χα' ρις [charis]: 6,1.14.15.17; 7,2514 δικαιοσυ' νη [dikaiosynē]: 6,13.16.18.19.20; 8,1015 δικαιο' ω [dikaioō]: 6,7; 8,30(2x).3316 δικαιο' ς [dikaios]: 7,1217
Das neue Leben in wirklicher Gerechtigkeit 6,1-23 Die in 6,1 und 6,15 gestellten Fragen betreffen die Folgen für das Leben der Jesusbekenner, die sich aus dem in 1,18–3,20 / 3,21–5,21 erläuterten Evangelium vom Messias Jesus ergeben, in dessen Sühnetod am Kreuz Gott seine heilschaffende Gerechtigkeit offenbarte (1,3-4.16-17). Paulus argumentiert in zwei Schritten: 1. Das neue Leben in wirklicher Gerechtigkeit ergibt sich im Anschluss an Tod und Auferstehung Jesu (6,1-14). 2. Das neue Leben in wirklicher Gerechtigkeit ist gleichzeitig von Freiheit und Gehorsam gekennzeichnet (6,15-23). Im Unterschied zu den vorausgehenden eher lehrhaften Abschnitten spricht Paulus die Adressaten jetzt direkt an (vgl. V. 1.15); zunächst dominiert die 1. Person Plural, ab V. 11 die 2. Person Plural.1 Der Einwand von 3,5-8 wird also nicht in Auseinandersetzung mit einem jüdischen Gesprächspartner beantwortet, sondern in direkter ————————————————————
9 10 11 12 13
14 15 16 17 1
2,7; 5,10.17.18.21 / 11,15. 1,17 / 9,26; 10,5; 12,1l; 14,7.8(3x).9(2x).11. 1,1. 9,12; 12,11; 14,18; 16,18. 2,12-15(9x).17.18.20.23(2x).25-27(5x); 3,19-21(6x).27-28 (3x).31(2x); 4,13.14.15.16 / 9,31(2x); 10,4.5; 13,8.10. 1,5.7; 3,24; 4,4.16; 5,2.15(2x).17.20.21 / 11,5.6; 12,3(3x).6; 15,16; 16,20. 1,17; 3,5.21.22.25.26; 4,3.5.6.9.11(2x).13.22; 5,17.21 / 9,30.(3x)31; 10,3(3x).4.5.6.10; 14,17. 2,13; 3,4.20.24.26.28.30; 4,2.5; 5,1.9. 2,17; 2,13; 3,10.26; 5,7.19. Elliott, Rhetoric, 236 spricht von „conversational reasoning“ und vergleicht mit der rhetorischen Figur der ratiocinatio „which by simulating dialectical reasoning lends to the speaker’s handling of a controversial subject the appearance of the self-evident“. Zur dia-
Das neue Leben in wirklicher Gerechtigkeit 6,1-23 17 ————————————————————————————————————
Zu-wendung zu den römischen Christen. Kap. 6 hängt mit 5,12-21 insofern zusammen, als Paulus in beiden Stellen den Zusammenhang zwischen Jesus und den Jesusbekennern behandelt, wobei Paulus jetzt die Gegensätze Sünde/Gnade und Tod/Leben auf die Lebenswirklichkeit des einzelnen Christen anwendet.2 Kap. 6 ist durch das Nebeneinander von Indikativen und Imperativen bestimmt, d.h. von der Wirklichkeit des von Gott am Glaubenden vollzogenen Werkes und dem, was der Jesusbekenner tun soll. Die Stellung von 6,12-14 ist umstritten. Manche interpretieren diese drei Verse als Überleitung zu bzw. Einleitung von V. 15-23.3 Andere verstehen V. 1-14 als zusammengehörenden Abschnitt.4 Wichtig ist die Überlegung, dass die Paränese V. 12-14 kein neuer Gedankengang ist, der einen Einschnitt in V. 12 notwendig macht. Schon in V. 4c wird die neue Lebensgestaltung der Jesusbekenner angesprochen. V. 12-14 stellt keinen Neueinsatz dar, sondern ist als Folgerung aus V. 11 zu verstehen. Die Wiederholung des Einwands von V. 1 in V. 15 ist das entscheidende Gliederungsmerkmal innerhalb V. 1-23.
Das neue Leben als Anschluss an Tod und Auferstehung Jesu 6,1-14 I 1 Was sollen wir nun sagen? Sollen wir bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunimmt? 2 Auf keinen Fall! Da wir der Sünde gestorben sind, wie könnten wir noch in ihr leben? 3 Oder wisst ihr nicht, dass alle, die in den Messias Jesus hineinversenkt wurden, in seinen Tod versenkt wurden? 4 Mit ihm wurden wir also begraben durch die Versenkung in den Tod, damit, wie der Messias durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln. 5 Denn wenn wir mit dem Abbild seines Todes zusammengewachsen sind, werden wir es auch mit seiner Auferstehung sein; 6 wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mit (ihm) gekreuzigt, damit der Leib der Sünde vernichtet wird, sodass wir nicht mehr der Sünde Sklavendienste leisten. 7 Denn wer gestorben ist, ist von der Sünde frei————————————————————
2 3 4
logischen Struktur von Röm 6 s. auch Hellholm, Argumentation, 138-179. Vgl. Michel 200, der daraus ableitet, 5,12-21 dürfe nicht von Kap. 6 getrennt werden. Lagrange 142; Kuss II 382-383; Käsemann 168; Dunn I 305; Fitzmyer 431-432; Wright 536; Hultgren 241.259; Wolter I 367.386. Cranfield I 297; Michel 199; Wilckens II 7-8; Zeller 123; Stuhlmacher 84; Moo 354-355; Schreiner 300; Légasse 390; Lohse 185-186; Penna 415; Jewett 393; Haacker 151.
18 Römerbrief ————————————————————————————————————
gesprochen. 8 Wenn wir aber mit dem Messias gestorben sind, glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, 9 denn wir wissen, dass der von den Toten auferweckte Messias nicht mehr stirbt; der Tod herrscht nicht mehr über ihn. 10 Denn was er gestorben ist, ist er ein für alle Mal im Blick auf die Sünde gestorben; was er aber lebt, lebt er im Blick auf Gott. 11 So auch ihr: Betrachtet euch im Blick auf die Sünde als Tote, aber im Blick auf Gott als Lebende im Messias Jesus. 12 Darum soll die Sünde in eurem sterblichen Leib nicht herrschen, dass ihr seinen Begierden gehorcht. 13 Und stellt eure Glieder nicht der Sünde zur Verfügung als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern stellt euch Gott zur Verfügung als Lebende aus den Toten und eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit für Gott. 14 Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. II Die Erläuterung des neuen Lebens als Anschluss an Tod und Auferstehung des Messias Jesus in 6,1-14 lässt sich wie folgt gliedern. 1. Wiederholung des Einwands von 3,5-8, der die Frage nach der Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes im Leben der Jesusbekenner thematisiert (V. 1). 2. Zurückweisung des Einwands mithilfe einer rhetorischen Frage, die eine Grundaussage formuliert: Jesusbekenner sind der Sünde gestorben und können deshalb Sünde nicht bewusst tolerieren (V. 2). 3. Erste Erläuterung der Grundaussage: Bekehrung zum Glauben an den Messias beinhaltet die Hineinnahme in seinen Tod und seine Auferstehung (V. 3-4). 4. Zweite Erläuterung: Die Teilhabe am Tod des Messias bedeutet Teilhabe an seiner Auferweckung und damit Befreiung von der Sklaverei der Sünde (V. 5-7). 5. Dritte Erläuterung: Die Teilhabe am Sterben des Messias bedeutet die Teilhabe an seinem Leben (V. 8-10). 6. Folgerung: Jesusbekenner sollen aus ihrer Hineinnahme in den Tod Jesu die Konsequenzen ziehen und für Gott leben (V. 11). 7. Konsequenz (V. 12-14): Jesusbekenner sollen der Sünde die Herrschaft verweigern und sich Gott zur Verfügung stellen als Menschen, die neues Leben haben und dem Gehorsam des Glaubens verpflichtet sind. Viele Ausleger behandeln den Abschnitt unter dem Thema der Taufe, wie die Überschriften in Kommentaren zeigen: „In der Taufe sind wir mit Christus gestorben, um fortan in Neuheit des Lebens zu wandeln“ (Kuss); „Der Sünde durch die Taufe gestorben“ (Käsemann); „Die Befreiung von der Sündenmacht in der Taufe“ (Schlier); „Die Wirklichkeit der Taufe im christlichen Leben“ (Wilckens); „Der Herrschaftswechsel in der Taufe“ (Stuhlmacher); „Freedom from Sin and Self Through Baptism“ (Fitzmyer);
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 19 ————————————————————————————————————
„Die Taufe bringt Tod und Leben“ (Wolter);1 „Der Tauftod: Ermöglichungsgrund neuen Lebens für Gott“ (Theobald). 2 Die Lutherbibel bestimmt mit der Überschrift „Taufe und neues Leben“3 für viele den Inhalt des Kapitels. Dies ist jedoch nicht durchgehend der Fall, wie die folgenden Überschriften beweisen:4 „Die Auferweckung der für die Sünde Gestorbenen“ (Schlatter); „Death to Sin, Alive to God“ (Cranfield); „Das neue Leben als Tod und Auferstehung“ (Michel); „The Believer Has Died to Sin“ (Dunn); „‚Death to Sin‘ Through Union with Christ“ (Moo); „Freedom from Sin’s Tyranny“ (Schreiner); „Die Befreiung von der Gewalt der Sünde“ (Lohse); „Dead to Sin, Alive in Christ“ (Keener); „Why Believers Should Not Remain in Sin“ (Matera); „Free and Alive in Christ: The Struggle against Sin“ (Hultgren); „Kein fauler Friede im Kampf mit der Sünde“ (Haacker); „Freedom from Sin’s Dominion“ (Kruse) – auch nicht bei katholischen Kommentaren: „Mit Christus der Sünde gestorben dienen wir Gott“ (Zeller); „La grâce n’autorise pas le péché: Premier stade“ (Légasse); „Superamento del peccato“ (Penna). Der Abschnitt ist für viele der locus classicus der paulinischen bzw. ntl. Tauftheologie, was nach G. Kretschmer allerdings erst nach dem 4. Jh. der Fall gewesen ist.5 Die Kommentare gehen durchweg und ohne Diskussion davon aus, dass die griech. Vokabeln βαπτι'ζω ([baptizō]; 6,3[2x]) und βα' πτισμα ([baptisma]; 6,4) die christliche Wassertaufe bezeichnen. Wir werden in der Kommentie————————————————————
1 2
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Siehe jedoch Wolter I 370: Paulus will „nicht die Bedeutung der Taufe erklären“. Theobald, Der Römerbrief, 230. Ähnlich viele Ausleger; jüngst z.B. Petersen, New Light, 3-28, der die Auslegung von Röm 6 von protestantisch-reformatorischen Annahmen retten will, aber ganz selbstverständlich meint, in Röm 6 gehe es primär um die Taufe, die anhand von der neueren Ritualforschung besser verstanden werden könne. Für Horn, Angeld, 176 geht Paulus „von der Erinnerung des Taufsakraments“ aus. Gemünden, Taufe, 129: Röm 6 ist das „Kapitel über die christliche Taufe“. Röhser, Stellvertretung, 241: „Paulus erinnert zum Zwecke der Normbegründung an die Taufe“; die Taufe wird „zur Grundlegung des neuen Lebens“. Schnelle, Aporien, 18 verweist als Beleg für seinen Satz: „Innerhalb der paulinischen Theologie haftet Gerechtigkeit zuallererst an Tauftraditionen“ u.a. auf Röm 6,3-4. Hellholm, Tauftradition, 469 spricht von den „ethischen Implikationen der Taufe“, die Paulus in Röm 6 entfaltet. Ähnlich EÜ: „Die Gemeinschaft der Getauften mit Christus“. Anders Elb.Ü: „Der Gläubige und die Sünde“; GN: „Durch Christus befreit zu einem neuen Leben“; NGÜ: „Mit Christus gestorben und mit ihm zu einem neuen Leben auferweckt“; ZÜ: „Freiheit von der Macht der Sünde“. Vgl. Luther 362-363 zu Kap. 6: „Inhaltsangabe (casus summarius): Der Apostel legt dar, daß man nicht in Sünden verharren dürfe und tugendhaft handeln müsse“. Halter, Taufe, 35-89 beginnt seine „Exegese ausgewählter Perikopen mit Taufverweisen“ mit Röm 6,1-23; die Bedeutung des Verbs βαπτι' ζω wird in der langen Studie nirgends eigens thematisiert; Agersnap, Baptism, 124-128.264-266 verzichtet ebenfalls auf eine Behandlung des Verbs, das er mit „taufen“ übersetzt und auf die christlicheWassertaufe bezieht. Zu Röm 6 in der frühen Kirchengeschichte vgl. Kretschmar, Geschichte.
20 Römerbrief ————————————————————————————————————
rung von V. 3 sehen, dass man die Grundbedeutung von βαπτι'ζω („versenken, eintauchen“) nicht außer Acht lassen darf und eine metaphorische Bedeutung der Vokabel in Betracht ziehen muss. Ein Bezug zur Wassertaufe ist damit nicht ausgeschlossen, aber vielleicht als sekundäre Bedeutung der Stelle zu interpretieren. Man darf nicht vergessen, was für Paulus fundamental ist: Das Evangelium ist „die Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt“, und die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes „aus Glauben zum Glauben“ (1,16-17), eine Gerechtigkeit, die dem Sünder zuteilwird „durch den Glauben an Jesus den Messias für alle Glaubenden“ (3,22), weil Gott infolge des Sühnetodes Jesu „den gerecht macht, der aus dem Glauben an Jesus“ lebt (3,26; vgl. 4,23-25; 5,1).6 Paulus betont in Anwendung der universal- und heilsgeschichtlichen Ausführungen von 5,12-21 auf den einzelnen Jesusbekenner, dass in der Biographie des zum Glauben an den Messias Jesus gekommenen Sünders eine grundsätzliche und folgenreiche Wende stattfand, der im Blick auf die Sünde eine ganz neue Situation geschaffen hat. Die neue Identität der Jesusbekenner macht es für diese unmöglich, Sünde zu verharmlosen oder zu tolerieren. Die Wende in der Biographie der Jesusbekenner ist mit der Bekehrung zum Glauben an Jesus gegeben und damit mit dem Ereignis von Tod und Auferweckung Jesu, an dem die Gläubigen Anteil haben. Paulus macht in V. 2-11 zwei Reihen von Aussagen, die zwischen dem vergangenen Ergehen des Messias und den Jesusbekennern eine Verbindung herstellen, die für die Identität und das gegenwärtige Verhalten der mit Jesus Verbundenen Konsequenzen hat, welche dann in V. 12-14 explizit angesprochen werden. Paulus verwendet mehrfach metaphorische Sprache, um die Realität des Todes und der Auferweckung Jesu und ihre Verknüpfung mit der neuen Identität der Jesusbekenner zum Ausdruck zu bringen. V. 2 V. 3 V. 4 V. 5 V. 6
Jesusbekenner α� πεθα' νομεν τηñ, α� μαρτι' α, ε� βαπτι' σθημεν ει� ς το` ν θα' νατον αυ� τουñ συνετα' φημεν δια` τουñ βαπτι' σματος η� μειñς ε� ν καινο' τητι ζωηñ ς περιπατη' σωμεν συ' μφυτοι γεγο' ναμεν [συ' μφυτοι] ε� σο' μεθα ο� παλαιο` ς η� μω ñ ν α» νθρωπος συνεσταυρω' θη καταργηθηñ, το` σω ñ μα τηñ ς α� μαρτι' ας τουñ μηκε' τι δουλευ' ειν η� μαñ ς τηñ, α� μαρτι' α,
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6
Jesus ο� θα' νατος [Χριστουñ � Ιησουñ ] ε� τα' φη (vgl. 1Kor 15,4) ο� θα' νατος [αυ� τουñ ] η� γε' ρθη ε� κ νεκρω ñν ο� θα' νατος αυ� τουñ η� α� ναστα' σις [αυ� τουñ ] [ε� σταυρω' θη]
Man denke auch an die Aussage in 1Kor 1,13-16, dass Paulus froh ist, dass er nur wenige Jesusbekenner in Korinth getauft hat; vgl. auch die Aussage in 1Kor 1,17: „Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkündigen“.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 21 ———————————————————————————————————— V. 8 V. 9 10/11
α� πεθα' νομεν συζη' σομεν
ειòναι νεκρου` ς τηñ, α� μαρτι' α, ζω ñ ντας δε` τω ñ, θεω ñ,
[α� πε' θανεν Χριστο' ς] ζηñ, (V. 10) ε� γερθει`ς ε� κ νεκρω ñν ου� κε' τι α� ποθνη,' σκει θα' νατος αυ� τουñ ου� κε' τι κυριευ' ει α� πε' θανεν τηñ, α� μαρτι' α, α� πε' θανεν ε� φα' παξ ζηñ, , ζηñ, τω ñ, θεω ñ,
Metaphern: α� ποθνη,' σκειν [apothnēskein], „sterben“: V. 2.7.8.10 ; im eigentlichen Sinn: V. 9.10 βαπτι' ζειν [baptizein], „in etw. versenken“: V. 3 βα' πτισμα [baptisma], „Versenkung“: V. 4 συνθα' πτειν [synthaptein], „begraben (mit)“: V. 4 συ' μφυτος [symphytos], „zusammenwachsen (mit)“: V. 5 συσταυρουñ ν [systauroūn], „kreuzigen (mit)“: V. 6 νεκρο' ς [nekros], „tot“: V. 11 ο« πλα [hopla], „Waffen“: V. 13
Textkritische Anmerkungen. In V. 1 lesen einige Textzeugen statt des Konjunktivs ε� πιμε' νωμεν (A B C D F G [L] Ψ [33] 81 104 u.a., ar sa bo) den Konj. ε� πιμει'νωμεν (L 33 630 [365 1739]) oder den Indikativ ε� πιμενουñ μεν (69 323 614 945 1505 2495, lat) bzw. ε� πιμε' νομεν ( אK P 330 [365] 424* 1175 1232 u.a., boms); die Lesart ε� πιμε' νωμεν ist aufgrund der besseren Bezeugung und aufgrund des Kontextes vorzuziehen.7 In V. 2 lesen einige Manuskripte den Konj. ζη' σωμεν (d46 C F G L Ψ 33 81 1241 2464) statt des Indikativs, den אA B D 1739 1881 Byz latt belegen und der aufgrund der besseren Belegung und Angleichung an den Konj. ε� πιμε' νωμεν in V. 1 vorzuziehen ist.8 In V. 3 lassen B 104c 326 das Wort � Ιησουñ ν aus, vielleicht in Angleichung an V. 4.8.9 wo nur Χριστο' ς steht. In V. 4 lesen 1506 und lat. Handschriften γα' ρ statt ουò ν, wohl wegen Unsicherheiten bezüglich der Verbindung von V. 3 und V. 4.9 In V. 5 lesen F G latt α« μα statt α� λλα' , wohl aufgrund der Verlesung der Buchstaben ΑΛΛΑ / ΑΜΑ.10 In V. 6 ist die Hinzufügung von και' vor τουñ το nur in B bezeugt und deshalb kaum ursprünglich. Die Ersetzung von δε' durch γα' ρ in V. 8 (d46 F G 945 pc vgmss) will wahrscheinlich an die Formulierung in V. 7 angleichen. Die Ersetzung des Indikativs συζη' σομεν durch den Konj. συζη' σωμεν (C K P 104 326 614) will vielleicht an ε� πιμε' νωμεν in V. 1 anpassen. Die Ersetzung von αυ� τω ñ, durch τω ñ, Χριστω ñ, (D* F G b vgst [syp]) ist eine sekundäre Verdeutlichung. In V. 11 lesen ειòναι d94vid *אB C 81 1506 1739 1881 pc; nach νεκρου` ς με' ν versetzen ————————————————————
7 8 9 10
Vgl. Jewett 390; Wolter I 365 Anm. 3. Cranfield I 298; Jewett 390; Wolter I 366 hält beide Lesarten für denkbar. Metzger, Textual Commentary, 453; Jewett 390. Aland/Aland, Text, 285; Jewett 390.
22 Römerbrief ————————————————————————————————————
א2 D1 ψ Byz lat, was weniger gut bezeugt ist; dies gilt auch für die Auslassung in d46vid A D*.c F G 33vid, die glätten oder den Kontrast stärker hervorheben wollen.11 Die Wendung τω ñ, κυρι'ω, η� μω ñ ν, die d94vid אC 33 1739c 1881 cl p Byz vg (sy ) bo hinter ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ lesen, will liturgische Vollständigkeit erreichen und an 5,21; 6,23 angleichen;12 die Formulierung ohne die Wendung ist gut belegt (d46 A B D F G Ψ 629 630 1739* u.a. it vgst syh sa). In V. 12 wird die gut bezeugte Lesart ταιñς ε� πιθυμι'αις αυ� τουñ ( d94 אA B C* 81 365 630 1506 1739 1881 u.a. lat syp co), die als lectio difficilior als ursprünglich zu gelten hat, ersetzt durch αυ� τηñ, (d46 D F G b), um den Bezug zur femininen Vokabel α� μαρτι'α zu gewährleisten; dasselbe Anliegen erklärt die Kombinierung der beiden Lesarten zu αυ� τηñ, ε� ν ταιñς ε� πιθυμι'αις αυ� τουñ in C3 Ψ [33] Byz syh.13 In V. 13 ersetzen d46 D* F G den Akkusativ ζω ñ ντας durch den Nominativ ζω ντες und schreiben damit einen unabhängigen, von ñ παριστα' νετε abhängigen Satz; der Akkusativ ist besser bezeugt. III
1 Die rhetorische Frage Was sollen wir nun sagen?14 leitet die Behand-
lung des Einwands ein, der bereits in 3,8 formuliert, dort jedoch ohne Erklärung abgewiesen wurde. Die Formulierung der zweiten Frage: Sollen wir bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunimmt? knüpft konkret an den vorausgehenden Satz 5,20-21 an.15 Der Sing. „die Sünde“ (η� α� μαρτι'α [hē hamartia]; s. zu 2,12; 3,9) bezeichnet die Gesamtheit der gegen Gottes Willen gerichteten Handlungen, die „Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit“ von 1,18, als Lebenswirklichkeit. Wenn Jesusbekenner „bei der Sünde“ (τηñ, α� μαρτι'α, ; dat. sociativus) „bleiben“ (ε� πιμε' νωμεν), würde das heißen, dass sie weiterhin sündigen, in „Gemeinschaft“ mit der Sünde leben, mit gottlosen und ungerechten Handlungen verbunden bleiben.16 Man kann den Dativ ————————————————————
11
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NA26-28 setzt ειòναι in eckige Klammern; vgl. Fitzmyer 439 (ειòναι ist schwierigere Lesart); Jewett 391 („the smoother reading“); Wolter I 366 (verdeutlicht die Prägnanz der Antithese). Zahn 308 Anm. 7 sieht die Schwankung in der Stellung als Argument für die Auslassung; Lohse 193 Anm. 35: ειòναι hinzugefügt wegen liturgischer Vollständigkeit. Jewett 391; Lohse 193; Wolter I 366; Metzger, Textual Commentary, 453-454. Zahn 309 Anm. 10; Cranfield I 317; Wilckens 20 Anm. 73; Lohse 196; Wolter I 385; Metzger, Textual Commentary, 454. Das Futur ε� ρουñ μεν in dem Satz τι' ουò ν ε� ρουñ μεν; (3,5; 4,1; 7,7; 8,31; 9,14.30) ist deliberativ (HvS §202c[b]) wie auch der Konj. ε� πιμε' νωμεν in der zweiten Frage in V. 1 (HvS §210d; 296a.3). Gemeinsame Vokabeln sind α� μαρτι' α, χα' ρις und πλεονα' ζω. Vgl. Philo, Sobr 69: ε� πιμε' νων τω ñ, α� δικειñν; Josephus, Ant 5,108: α� ν δ’ ε� πιμε' νητε τοιñς η� μαρτημε' νοις („wenn ihr aber mit dem Sündigen weitermacht“). BDAG s.v. ε� πιμε' νω 2 definiert die übertragene Verwendung des Verbs als „to continue in an activity or state“. H. Balz, Art. ε� πιμε' νω, EWNT II, 78 übersetzt in Fällen der übertragenen Bedeutung mit „bei etwas verharren, etwas weiterhin tun“. Dunn I 306 deutet das Verb ε� πιμε' νω als
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 23 ————————————————————————————————————
auch als dat. possessoris deuten: Wenn Menschen beim Sündigen bleiben, gehören sie der Sünde und erkennen sie als ihren Herrn an. „Gnade“ (χα' ρις [charis]; s. zu 1,5; 3,24) ist das Geschenk, das Gott infolge des Sühnetodes Jesu dem Sünder zuteilwerden lässt, konkret die Gerechtigkeit, die Gott dem Ungerechten schenkt, das Heil, das Gott dem Gottlosen gibt, die Rettung im Endgericht, die Versöhnung mit sich selbst. John Barclay zeigt in seiner neuen Behandlung von χα' ρις [charis] („Gnade/Geschenk“) in der griechisch-römischen Antike und im Frühjudentum, dass das Schenken ein komplexes Phänomen war (und ist), das nicht auf einen einzigen Grundgedanken reduziert werden kann.17 Das Konzept von „Geschenk“ in seiner „vollkommenen Form“ wird in konkreten literarischen und gesellschaftlichen Kontexten verstanden im Sinn von: 1. Überfluss bzw. Reichtum (im Hinblick auf Umfang, Bedeutung oder Permanenz des Geschenks), 2. Singularität (Schenken ist die einzige und exklusive Verhaltensweise des Schenkenden), 3. Priorität (Schenken erfolgt immer vor der Reaktion des Beschenkten), 4. Inkongruenz (Schenken ist nicht abhängig von der Würdigkeit des Empfängers und deshalb bedingungslos), 5.Wirksamkeit (Schenken soll eine intendierte Absicht erreichen), 6. Rückkoppelungslosigkeit (Schenken als unilaterales Geschenk, ohne Erwartung einer Erwiderung). Paulus betont im Gal und Röm vor allem die Inkongruenz der Gnade Gottes (Röm 3,21-26; 4,4-5.16-22; 5,6-8), die jedoch weder Singularität noch Rückkoppelungslosigkeit beinhaltet: Gott handelt nicht ausschließlich in Gnade als Vergebung der Sünde, sondern auch im Gericht über die Sünde (1,18–3,20; 11,7-10.17-24), und das Geschenk der Gnade beinhaltet die Erwartung des Gehorsams (1,15; 6,12-14.15-22; 12,1; 14,6-12; 15,1). Paulus betont an manchen Stellen die Priorität der Gnade (9,11; 11,2.35), die er jedoch immer voraussetzt; dasselbe gilt für den Überfluss der Gnade (5,12-21; 11,12.25); an manchen Stellen spielt die Wirksamkeit der Gnade eine Rolle (5,19; 11,17-24).18 Die Frage von V. 1 stellt sich deshalb, weil Paulus die Inkongruenz der Gnade im Kontext der Sünde betont: Wenn Gott einen Überfluss der Gnade angesichts der Sünde Adams und seiner Nachkommen gewährt (5,20-21), kann, ja muss man fragen, ob diese Inkongruenz nicht maximiert werden sollte, indem man weiterhin sündigt.
Weil Paulus wie in 1,18–5,21 dargelegt lehrt, dass Gott den gottlosen Sünder rechtfertigt und dass Gottes Gnade nicht nur so universal ist wie die Sünde, sondern „übergroß“ (ε� πλεο' νασεν) geworden ist (5,20), könnte man schließen, dass durch weiteres Sündigen die Gnade „zunimmt“ (πλεονα' ση, ). Der Einwand will die Aussage von 5,20 ad absurdum führen: Wenn Gott auf die vielen Sünden mit der Fülle seiner Gnade reagiert, dann könnten Menschen mit dem Sündigen ohne Bedenken fortfahren – Gott vergibt in jedem Fall, ganz buchstäblich: jedes Fallen in die Sünde, auch die bewusst begangene Sünde. ————————————————————
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„stubborn determination, neither good nor bad in itself“. F. Hauck, Art. με' νω κτλ., ThWNT IV, 578-593, behandelt ε� πιμε' νω nicht. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 513-514 behandelt bei 1Kor 16,7 nur die nichtabstrakte Verwendung. Barclay, Gift, 11-78.194-321; ebd. 331-574 zu Gal und Röm. Barclay, Gift, 562-574 (Zusammenfassung); für die folgende Bemerkung s. ebd. 496.
24 Römerbrief ———————————————————————————————————— Während Paulus in 5,20 vom Überfluss der Gnade Gottes im Aorist schreibt und auf den Sühnetod Jesu zurückblickt, richtet sich der Blick in 6,1 voraus: Es geht hier nicht um die Sünde, die dem Jesusbekenner infolge der heilschaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus vergeben wurde, sondern um die Sünde, die man in der Zukunft begeht. Der Fragesteller „tut so, als hätte er die Heilserfahrung des Christusgeschehens noch vor sich; nur darum kann er seinem Sündigen eine Heilsfolge zuschreiben und meinen, die paulinische Darstellung in 5,15-17.20-21 dadurch ad absurdum führen zu können (V. 1c)“.19 Der Fragesteller vermischt zwei unvereinbare Perspektiven: die Perspektive des Sünders, der die Gnade Gottes nicht versteht, und die des begnadigten Jesusbekenners, der von der Herrschaft der Sünde befreit wurde und Sünde nicht mit Absicht tolerieren kann und will. Genau dies wird Paulus in 6,2-14.15-23 erläutern. Der Fragesteller von 6,1 wird oft mit einem jüdischen oder judenchristlichen Gesprächspartner identifiziert.20 Nach jüdischem Denken bewahrt das Gesetz vor Sünde. Wenn Paulus die soteriologische Bedeutung des Gesetzes bestreitet, so das Argument, endet man in Gesetzlosigkeit, weil man ohne Gesetz nicht zwischen gerecht und ungerecht, gut und böse unterscheiden kann. Wenn die Gnade denselben universalen Geltungsbereich zugesprochen bekommt wie die Sünde, dann dient die Sünde – d.h. die Gesetzlosigkeit – der Gnade, und dies ist eine blasphemische Vorstellung. Da Paulus erklärt hat, dass das Gesetz für die Rechtfertigung (des Sünders) nicht zuständig ist und deshalb das Gesetz den (durch Buße und Gesetzeserfüllung) „gerechtfertigten Sünder“ nicht als Gerechten qualifizieren kann, bleibt der angeblich „gerechtfertigte Sünder“ in Wirklichkeit ein Sünder. Weil das Gesetz aus dem Heilsprozess entfernt und von Paulus als Maß der Gnade nicht zugelassen wird, fehlt der Gnade die Kraft, „Gerechtigkeit zu fordern und Gerechten Heil zu schaffen“. 21 Man vergleiche Jes 26,10: „Wird dem Gottlosen Gnade zuteil, lernt er nicht Gerechtigkeit“ (Elb.Ü). Die Möglichkeit, dass der Einwand vor allem aus jüdischer Perspektive formuliert wurde, ist plausibel. Andererseits ergibt sich die Frage, ob ohne Vorleistung begnadigte Sünder nicht weiter sündigen können mit durchaus menschlich-logischer Konsequenz, sodass Paulus die rhetorische Frage selbst gestellt haben kann, um das rechte Verständnis der Heilsoffenbarung Gottes in Tod und Auferweckung des Messias Jesus, der Sünder begnadigt, zu klären.22 Mit christlichen (gnostischen) Libertinisten,23 die eine theologische Rechtfertigung für das Sündigen wollen, hat der Einwand nichts zu tun: Sie können weder für Korinth noch für Rom nachgewiesen werden.24
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Wolter I 369; für die folgende Bemerkung s. ebd. Zahn 295; Kühl 101.201; Schlier 190; Michel 204; Wilckens I 9-10; Theobald I 74: „Wie Zuschauer im Parkett werden die Adressaten Zeugen einer Auseinandersetzung auf der Bühne des Briefes (dialogus com Iudaeo)“. Ähnlich Lohse 186, der zusätzlich zu Libertinisten „möglicherweise … Gesetzeslehrer“ vermutet; vgl. Lohse, Wandel, 316. Wilckens II 9. Dunn I 306-307; Wolter I 369. Haacker 151: Paulus setzt als „implizite Leser“ Judenund Heidenchristen voraus, „denen der Kampf gegen die Sünde ein ernstes Anliegen ist“. Lütgert, Römerbrief, 72-78.111; Käsemann 157; Cranfield I 297 Anm. 1; Lohse 186 nimmt Libertinisten an, „die sich auf Paulus berufen zu können meinten, um eine lockere Lebensweise zu legitimieren“. Ähnlich Gäumann, Taufe, 69; Tachau, Einst, 122; Gemünden, Taufe, 132; Hellholm, Tauftradition, 468. Vgl. Jewett 394; Wolter I 369 Anm. 14; Dettwiler, Enthousiasme, 285-289; zu Korinth s. Schnabel, 1. Korinther, 327.356-357.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 25 ————————————————————————————————————
2 Paulus weist mit einem entschiedenen Auf keinen Fall! die Schlussfolge-
rung konsequent ab, dass Sünder, die infolge des Sühnetodes Jesu von Gott begnadigt wurden, bedenkenlos weiter sündigen könnten, weil Gott in seiner Gnade alle Sünden vergibt.25 Paulus antwortet in V. 2b mit einer rhetorischen Frage, die eine Grundwahrheit formuliert: Da wir der Sünde gestorben sind, wie könnten wir noch in ihr leben? Die Formulierung in der 1. Person Plural formuliert eine Tatsache, die für alle Jesusbekenner gilt (οι«τινες [hoitines]).26 Wer als Sünder (1,18–3,20) von Gott infolge des Sühnetodes Jesu begnadigt wurde (3,21–5,21) und als Jesusbekenner die Gnade Gottes erfahren und Gottes Gerechtigkeit erhalten hat (5,21), für den stellt sich die Frage von V. 1, ob er bei der Sünde bleiben soll, nicht: Er hat mit der Sünde abgeschlossen, er hat nichts mehr mit ihr zu tun. Die Tatsache, dass Paulus den Einwand V. 1 zunächst mit einer rhetorischen Frage beantwortet, bedeutet nicht, dass er diesen nicht ernst nimmt. Im Gegenteil: Die Frage nach der konkreten Realität der Gerechtigkeit, der Gnade und des Heils im Leben des gerechtfertigten Sünders ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern muss für die Gemeinde der Jesusbekenner unbedingt geklärt werden. Nachdem Paulus in 3,21–5,21 Gottes Heilshandeln im Messias Jesus dargelegt hat, kann er den bereits in 3,5-8 geäußerten Einwand begründet widerlegen und die Bedeutung der Realität der Glaubensgerechtigkeit erläutern. Paulus zeigt in den folgenden Abschnitten, dass Jesusbekenner, die als Sünder durch die Gnade Gottes gerechtfertigt wurden und deshalb als „Heilige“ angesprochen werden können (1,7), wirklich gerecht sind. Die Gerechtigkeit der an Jesus Glaubenden ist infolge der Sündhaftigkeit der Menschen nicht nur die einzig mögliche Gerechtigkeit, sondern zugleich eine real-wirksame Gerechtigkeit. Paulus verwendet in V. 2b die erste von mehreren Metaphern, um die Lebenswirklichkeit der Glaubenden zu beschreiben: Sie sind gestorben (α� πεθα' νομεν [apethanomen]). In Anwendung der Definition der μεταφορα' von Aristoteles in Poet 1457b6 („das Übertragen [ε� πιφορα' , epiphorá] eines anderen Wortes, entweder von der Gattung zur Art oder von der Art zur Gattung oder von der Art zur Art oder gemäß der Analogie“) kann man definieren: „Die Metapher ist die Übertragung eines Wortes, das ‚von Haus aus‘ eine andere Sache bezeichnet“, oder „die doppelbödige Verwendung eines Wortes in einem Kontext, in dem es thematisch nicht daheim ist, wobei die (voraus-)gesetzte Analogie nicht ausdrücklich angezeigt ist“.27 ————————————————————
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Zu μη` γε' νοιτο s. 3,4; vgl. 3,6.31; 6,2.15; 7,7.13; 9,14; 11,1.11; 1Kor 6,15; Gal 2,17; 3,21. Das Relativpronomen ο« στις ist hier qualitativ-kausal gebraucht: „als solche, die“ bzw. „da wir“; vgl. HvS §142a(b); BDR §293.2b; NSS II 18. E. Eggs, Art. Metapher, HWR V, 1099-1183, Zitate 1103.1175; vgl. C. Walde, Art. Metapher, DNP VIII, 78-81; Ph. Löser, Art. Metapher, RGG4 V, 1165; Haverkamp, Metapher.
26 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Metapher des Sterbens28 betont: Wie der physische Tod das Leben beendet, so hat für Jesusbekenner die Sünde aufgehört zu existieren; wie der Tod dem Leben ein Ende setzt, hat im Leben der Glaubenden ein Ereignis stattgefunden, das der Sünde ein Ende gesetzt hat. Wie Tod und Leben radikal voneinander getrennt sind, ist die Existenz des von Gott durch Jesus gerechtfertigten Sünders radikal von der Sünde abgetrennt. Weshalb Paulus die Metapher des Sterbens verwendet, erläutert er in V. 3. Der Dativ der Sünde (τηñ, α� μαρτι'α, ) kann auf mehrfache Weise verstanden werden: 1. Als dat. incommodi: Das Gestorbensein der Glaubenden fand zum „Nachteil“ der Sünde statt, d.h., die Sünde hat infolge des Gestorbenseins der Glaubenden auf diese kein Anrecht mehr.29 2. Als dat. respectus: Das Sterben der Glaubenden fand mit Bezug auf die Sünde statt. 3. Als dat. possessoris: Das Sterben der Glaubenden beendete den Herrschaftsanspruch der Sünde.30 Paulus betont: Das Werk der Gnade Gottes im Sühnetod des Messias Jesus hat die Verbindung zwischen den gerechtfertigten Sündern und der Sünde durchtrennt. Die Sünde ist eine Größe, die infolge des Heilshandelns Gottes in Jesus Christus einen tödlichen Nachteil erlitten, den Bezug auf den Glaubenden eingebüßt, die Macht über ihn verloren hat. Der Aorist des Verbs beschreibt das „Sterben“ der Jesusbekenner als ein Ereignis, das stattgefunden hat. Wer gestorben ist, der lebt nicht mehr. Wer der Sünde gestorben ist, für den ist die Sünde keine bestimmende Lebenswirklichkeit mehr. Die Frage wie könnten wir noch in ihr leben? ist rhetorisch, die Antwort liegt auf der Hand: Wenn das Leben in der Sünde zu Ende ging, weil die Sünder gestorben sind, können diese nicht mehr in der Sünde leben wollen. Das Futur des Verbs (ζη' σομεν [zēsomen]) hat modalen, konkret voluntativen Sinn: Wer gestorben ist, lebt nicht mehr – wer der Sünde gestorben ist, kann nicht mehr in der Sünde leben wollen. Die Wendung „in ihr“ (ε� ν αυ� τηñ, ) beschreibt die Sünde als „Raum“, in dem man lebt. In 5,2 sprach Paulus davon, dass Jesusbekenner infolge ihres Glaubens „Zugang“ zur Gnade Gottes erhalten haben, in der sie „stehen“ (προσαγωγη` ν … ει� ς τη` ν χα' ριν ταυ' την ε� ν ηð, ε� στη' καμεν). In V. 10 wird das Getrenntsein vom Leben in der Sünde der unauflöslichen Verbundenheit im Leben für Gott gegenübergestellt: Wer der Sünde gestorben ist (τηñ, α� μαρτι'α, α� πε' θανεν), der lebt Gott (ζηñ, ————————————————————
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Es geht nicht um den Prozess des Sterbens, sondern um den Tatbestand des Sterbens, d.h. um den Tod. BDAG s.v. α� ποθνη,' σκω 1 definiert: „to cease to have vital functions“, d.h. das Erlöschen der Organfunktionen. NSS II 18 (dat. respectus als Möglichkeit). Wilckens II 10-11, ohne andere Interpretationen des Dativs zu erwägen; ebenso Lohse 186 (mit Verweis auf 14,7-8); Wolter I 369-370.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 27 ————————————————————————————————————
τω ñ, θεω ñ, ).31 Der Einwand in V. 1 sprach von der Sünde im Sinne der Lebensführung und stellte die Möglichkeit endlosen Sündigens in den Raum. Die Antwort in V. 2 spricht von der Sünde als Raum, in dem man lebt, mit dem man verbunden ist, zu dem man gehört – ein Raum, der Tod bedeutet und in dem Jesusbekenner nicht mehr leben. Mit „noch“ (ε» τι [eti]; vgl. 5,6.8) verweist Paulus auf die beiden Phasen des „Einst“ und „Jetzt“, die die Biographie der Glaubenden kennzeichnet. Der Übergang vom „Einst“ zum „Jetzt“ ist der Übergang vom Tod zum Leben, vom Leben für die Sünde zum Leben für Gott. Der Zeitpunkt dieses Übergangs ist die Bekehrung zum Glauben an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt. Das Wesen der Bekehrung zum Glauben an Jesus wird in V. 3-10 in drei Schritten erläutert. 3 Die erste Erläuterung der Grundaussage V. 2 erfolgt in V. 3-4: Die Bekehrung zum Glauben an Jesus beinhaltet die Hineinnahme in seinen Tod und seine Auferstehung. Die Wendung oder wisst ihr nicht (η� α� γνοειñτε) leitet keine zitierte Tauftradition ein,32 sondern betont die Selbstverständlichkeit der folgenden Aussagen. Das einleitende alle (ο« σοι) bedeutet, dass die von Paulus vorgelegte Erklärung für alle an Jesus Glaubenden gilt. Die mit alle, die in den Messias Jesus hineinversenkt wurden (ε� βαπτι'σθημεν ει� ς Χριστο` ν � Ιησουñ ν; V. 3b) übersetzte Wendung bezieht sich nur dann automatisch auf die Wassertaufe, wenn man βαπτι'ζω [baptizō] für einen technischen Ausdruck des Urchristentums zur Bezeichung des Ritus der Wassertaufe hält (bzw. im Englischen unübersetzt lässt und mit der Transkription „baptize“ wiedergibt). Dass das Verb im 1. Jh. für die ersten Christen eine technische Bedeutung hatte, kann man nur annehmen, wenn man die Bedeutungsbreite des Verbs und die konkreten Belege ignoriert, die auch in der Septuaginta und bei christlichen Autoren vorliegen.33 ————————————————————
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Parallelen der Formulierung α� ποθνη,' σκω/ζα' ω plus Dativ sind Röm 6,10-11; 7,4; vgl. 2Kor 5,15; Lk 20,38; 1Petr 2,24; außerbiblisch: 4Makk 7,19; AntBibl 28,10; Philo, Her 57.82. 111; Mut 213; VitMos 1,29; Dionysius v. Halicarnassus AntRom 3,17,3; Alciphro, Ep 4,10,5 (2. Jh.): Eine eifersüchtige Kurtisane schreibt über ihren Liebhaber und dessen derzeitige Favoritin: „Es kümmert mich wenig. Er muss entweder mir leben oder der Thettale sterben“ (δειñ γα` ρ αυ� το` ν η� ε� μοι` ζηñ ν η� τεθνα' ναι Θεττα' λη, ). Wolter I 369-370. Zitat einer Tauftradition nehmen an: Lietzmann 67; Käsemann 157; Wilckens II 11-12; Halter, Taufe, 41-42; Gäumann, Taufe, 73; Schnelle, Gerechtigkeit, 75-76; Tanghe, Vorlage; Theobald, Der Römerbrief, 233-234. Vgl. Wedderburn, Baptism, 39-69, der von Echos urchristlicher Lehre ausgeht. Kritisch im Blick auf die Annahme einer zitierten Formel sind Kuss I 297; Haacker 155 Anm. 32; Légasse 392-393; Penna 421; Wolter I 370-371; Dettwiler, Enthousiasme, 285-289. Es gibt in V. 3 keine unpaulinische Formulierung, was natürlich nicht ausschließt, dass den stadtrömischen Christen einige der von Paulus vorgetragenen Gedanken bekannt waren. Ähnliche Formulierungen: 6,16; 7,1; 11,2; 1Kor 3,16; 5,6; 6,2.3.9.15-16.19; 9,13.24. Viele folgen A. Oepke, Art. βα' πτω, βαπτι' ζω κτλ., ThWNT I, 528, der noch vor der Behandlung der ntl. Stellen schreibt: „Das Neue Testament braucht … βαπτι' ζω … nur im
28 Römerbrief ———————————————————————————————————— Vokabeln der βαπτ- [bapt-] Wortgruppe sind vor dem 2. Jh. n.Chr. über 650 Mal belegt.34 Das Verb βαπτι' ζω [baptizō] hat physische („buchstäbliche“) und übertragene Bedeutungen. Diese sind im Folgenden in einiger Ausführlichkeit und mit Beispielen zu skizzieren, weil die meisten Neutestamentler die Bedeutung von βαπτι' ζω schlicht voraussetzen und als technischen Ausdruck für die Wassertaufe betrachten. Die Grundbedeutung im physischen Sinn ist „in eine nachgebende Substanz (z.B. eine Flüssigkeit wie Wasser oder Färbemittel, die Wunde eines Menschen, das Fleisch eines Tieres) einführen“; als (Übersetzungs-)Glossen bieten sich je nach Kontext „hineinstecken, tauchen, eintauchen, eintunken, versenken, stechen“ an. Beispiele: Polybius 3,72,4: „Als sie aber über den Trebias-Fluss setzen mussten, der infolge eines Nachts in den Gegenden oberhalb der Lager gefallenen Regens noch angeschwollen war, so kamen sie kaum über denselben hinüber, da das Wasser den Fußgängern bis zur Brust reichte“ (οι� πεζοι` βαπτιζο' μενοι); Septuaginta 2Kön 5,14: „Und Naiman ging hinab und tauchte siebenmal im Jordan unter (ε� βαπτι' σατο ε� ν τω ñ, Ιορδα' νη, ε� πτα' κι) entsprechend dem Wort des Elisa“ (LXX.D); Plutarch, Caesar 49: „Dabei hatte er [Caesar], wie man erzählt, in der einen Hand eine Menge Papier, die er, ungeachtet wieviel nach ihm geschossen wurde, und wie oft er untertauchte (βαπτιζο' μενος), immer empor hielt, und konnte also nur die andere Hand zum Schwimmen brauchen“; Johannes Chrysostomus, Hom. in 1 Thess 5,3 (PG 62, 427): „Und wenn nun der Arzt sich nicht sträubt, seine Hand in einen fremden Körper zu stecken (βαπτι' σαι τα` ς ε� αυτουñ χειñρας)“. Aufgrund der konkreten Verwendung in diesem Sinn lassen sich sechs konkrete Verwendungen (extended meanings) bestimmen: 1a. Entfernung von Schmutz durch Eintauchen eines Gegenstandes in Wasser („waschen“); Aristoteles, Pol 1336a: „Viele Völker des Auslands pflegen deshalb die Kinder gleich nach der Geburt in kaltes Flußwasser zu tauchen (α� ποβα' πτειν)“. 1b. Eintauchen in Wasser als Symbol (oder zur Veranlassung) der Reinigung von moralischer oder geistlicher Verschmutzung („reinigen“; in späterer Kirchensprache: „taufen“35); LXX Sir 34[31],10: „Wer sich wäscht (βαπτιζο' μενος) nach (der Berührung eines) Toten und ihn (danach) wieder berührt, was hat er von seiner Waschung (λουτρω ñ, ) gehabt?“ (LXX.D); Justin, Dial 46,2: „Tryphon: Ich meine die Sabbatfeier, die Beschneidung, die Beobachtung der Monate und die Reinigung (βαπτι' ζεσθαι) dessen, der etwas berührt, was Mose verboten hat, oder der geschlechtlichen Umgang gepflogen hat“ (Übers. Ph. Häuser). 1c. Eintauchen eines Gefäßes in Wasser [Bach, Quelle, Brunnen] oder Wein zum anschließenden Trinken („schöpfen“); Euripides, Hippolytus 121-124: „Wasser vom Okean, sagt man, sendet ein Felsen hervor; zum Eintauchen (βαπτα' ν) des Krugs entströmt sprudelnd ein Quell der Bergwand“. 1d. durch Ersticken zu Tode kommen infolge von Einbzw. Untertauchen in Wasser bzw. unter Wasser verschwinden („ertrinken“ bei Menschen, „sinken“ bei Gegenständen wie Schiffen); vgl. Josephus, Bell 1,437: „Der junge Mann wurde in der Nacht nach Jericho geschickt und dort auf Befehl hin von den Galliern in ————————————————————
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kultischen Sinn, selten von jüdischen Waschungen (Mk 7,4 K für ρ� αντι' σωνται, Lk 11,38), sonst technisch = taufen. Schon dieser Gebrauch zeigt, daß die Taufe als etwas Neues, Besonderes empfunden wurde“. An der Vokabel βαπτι' ζω kann man das ganz sicher nicht ablesen. Zum Folgenden s. Schnabel, Meaning, 18-39 mit weiteren Belegen. Die Wortgruppe wurde häufig von Medizinern verwendet: TLG belegt ca. 450 Vorkommen der βαπτ- Wortgruppe in (sämtlichen) medizinischen Texten. Das gemeingermanische Wort (mhd. toufen, ahd. toufan, got. daupjan) bedeutet „tief machen“, d.h. „ein-, untertauchen“. Die Verwendung im christl. Sinn geht von got. daupjan aus (Der Große Duden). Das heißt, das dt. „taufen“ bewahrt die Grundbedeutung des griech. Wortes, auch wenn dies z.B. im Zusammenhang der Säuglingstaufe der westlichen Kirchen, bei der der Taufende Wasser über die Stirn des Täuflings gießt bzw. sie mit Wasser benetzt oder besprengt. In den orthodoxen Kirchen werden Säuglinge vollständig untergetaucht. E.J. Yarnold, Art. Taufe III. Alte Kirche, TRE XXXII, 674-696.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 29 ———————————————————————————————————— einem Teich untergetaucht (βαπτιζο' μενος ε� ν κολυμβη' θρα, ), bis er starb“ (Übers. Michel/Bauernfeind); Johannes Chrysostomus, Hom. in Joh 33,1 (PG 59, 187): „Überall bedarf es des Glaubens, Geliebte, des Glaubens, der eine Mutter der Güter und die Arznei unseres Heils ist. Ohne diesen Glauben können wir keine erhabene Lehre fassen, sondern gleichen denjenigen, die ohne Schiff das Meer zu befahren versuchen. Solche schwimmen eine kurze Strecke, indem sie sich der Hände und Füße bedienen, sobald sie aber weiter vordringen, werden sie schnell von den Wogen bedeckt (υ� πο` τω ñ ν κυμα' των βαπτι' ζονται)“ (Übers. F. Knors). 1e. ein Messer in das Fleisch eines Lebewesens hineinstecken („schlachten“ bei Tieren, „töten“ bei Menschen); Josephus, Bell 2,476: „Nachdem er [Simon] so mit seiner ganzen Familie zu Ende gekommen war, stellte er sich, nach allen Seiten sichtbar, auf die Leichen; er streckte seine Rechte aus, dass niemand sie übersehen konnte, stieß sich die ganze Klinge in den Leib [od. Kehle] (ο« λον ει� ς τη` ν ε� αυτουñ σφαγη` ν ε� βα' πτισεν το` ξι' φος) und gab sich so selbst den Tod“ (Übers. Michel/Bauernfeind). 1f. Stoffe in eine Flüssigkeit mit Farbpigmenten tauchen („färben“; diese Bedeutung ist für das Simplex βα' πτω [baptō] belegt).36 Papyrus, P.Cair.Zenon IV 59630 erwähnt einen βα' πτων („Färber“), gegen den Klagen erhoben wurden. Zwei metaphorische Bedeutungen sind belegt: 2a. „in eine abstrakte Wirklichkeit hineinversetzt und von dieser überwältigt werden“, z.B. von Schulden, Argumenten oder Gedanken („überwältigt werden“); Jes 21,4 LXX: „Mein Herz geht irre, und die Gesetzlosigkeit überschwemmt mich (η� α� νομι' α με βαπτι' ζει)“ (LXX.D; M. Silva übersetzt: „lawlessness overwhelms me“); Philo, All 3.18: „Und so setzt er über den Fluss jener Gegenstände, die die äußeren Sinne beeinflussen, die die Seele überfluten und überwältigen (βαπτι' ζοντα) durch das Ungestüm der Leidenschaften“; Plutarch, Galba 21,2: „Wie es scheint, würde er den Otho nicht einmal zum Erben seines Privatvermögens gewählt haben, da er ihn als einen ausschweifenden, verschwenderischen Menschen kannte und wusste, dass er unter einer Schuldenlast von fünfzig Millionen Drachmen steckte (ο� φλη' μασι βεβαπτισμε' νον)“ (Übers. Kaltwasser); Justin, Dial 86,8: „Als Elisäus ein Holz in den Jordan warf, holte er die eiserne Axt heraus, mit welcher die Söhne der Propheten Holz fällten für den Bau des Hauses, in dem sie das Gesetz und die Gebote Gottes lesen und betrachten wollten; so sind auch wir durch die gar schweren Sünden, welche wir begangen haben, untergesunken (η� μαñ ς βεβαπτισμε' νους ταιñς βαρυτα' ταις α� μαρτι' αις α� ς ε� πρα' ξαμεν), wurden aber von unserem Christus durch seinen Kreuzestod und durch die Reinigung mit Wasser (δι� υ« δατος α� γνι' σαι) erlöst und zu einem Hause des Gebetes und der Andacht gemacht“ (Übers. Häuser); Clemens Alexandrinus, Prot 1,4: „Stein und Holz aber sind die Unvernünftigen; ja noch gefühlloser als Stein ist ein Mensch, der in Torheit versunken ist (α� γνοι' α, βεβαπτισμε' νος )“ (Übers. Stählin). 2b. „von der Wirkung berauschender Flüssigkeiten überwältigt werden“ („betrunken sein“); Josephus, Ant 10,169: „Als nun Ismael bemerkte, dass der Weinrausch (βεβαπτισμε' νον) den Gastgeber unbeholfen und schläfrig gemacht hatte, erhob er sich plötzlich mit seinen Freunden vom Tische und brachte den Godolias samt seinen Gästen um“. Die Belege aus dem 1. Jh. n.Chr. (Philo, Josephus, Plutarch) und bei christlichen Autoren des 2.–4. Jh. (Justin der Märtyrer, Clemens, Chrysostomus) zeigen, dass das Wort βαπτι' ζω mit einer großen Bandbreite von Bedeutungen verwendet wurde und auch bei christlichen Autoren keine technische Bedeutung hatte. Besonders instruktiv ist Justin, Dial 86,8: Wenn er von der Taufe spricht, erwähnt er explizit „Wasser“ (υ« δωρ [hydōr]) und interpretiert den Vorgang im Sinn der „Reinigung“ (α� γνι' ζω [hagnizō]) – und verwendet das Verb βαπτι' ζω [baptizō] metaphorisch vom „Versinken“ in den (od. „Überwältigtsein durch die“) Sünden (α� μαρτι' αι [hamartiai]), eine Situation, aus der man durch den Kreuzestod Jesu im Zusammenhang der Wassertaufe gerettet wird. ————————————————————
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Wenn ein Gegenstand in eine entsprechende Flüssigkeit getaucht wird, bedeutet βα' πτω „versilbern“ oder „vergolden“; vgl. Ps-Democritus Alchemista 47B.
30 Römerbrief ———————————————————————————————————— Die ntl. Autoren verwenden βαπτι' ζω mit einem eingeschränkten Bedeutungsspektrum. Trotzdem hat das Verb keine „technische“ Bedeutung im Sinn der Wassertaufe.37 1. In Mk 7,3-4; Lk 11,38 bezeichnet βαπτι' ζω jüdische Reinigungsriten (EÜ übersetzt Mk 7,4 βαπτισμου` ς ποτηρι' ων και` ξεστω ñ ν και` χαλκι' ων „wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln“); vgl. Hebr 6,2. Weil das zeremoniale Waschen von Händen und Gegenständen auch mit den Verben νι' πτω und καθαρι' ζω beschrieben werden kann (vgl. Mk 1,44; Lk 2,22; 5,14; Joh 2,6),38 hat βαπτι' ζω auch in diesem Zusammenhang keine „technische“ Bedeutung, sondern den üblichen physischen Sinn von „untertauchen“. 2. In Mt 3,6.7.11.13; Mk 1,4.5. 8.9; Lk 3,3.7.12.16.21; Joh 1,25.26.28.31.33; 3,23.25-26 beschreibt βαπτι' ζω bzw. βα' πτισμα die Tätigkeit von Johannes, der als „Johannes der Täufer“ (� Ιωα' ννης ο� βαπτιστη' ς [Iōannēs ho baptistēs]) bezeichnet wird (Mt 3,1; 11,11.12; 14,8; 14,2; 16,14; 17,13; Mk 1,4; 6,14.24.25; 7,20.33; 8,28; 9,19; Apg 10,37; 13,24; 19,3.4), weil er Menschen im Jordan als Zeichen der Umkehr und des Wartens auf den Messias untertauchte. In Joh 3,22; 4,1-2 wird βαπτι' ζω für Jesus bzw. seine Jünger verwendet, die offensichtlich die Praxis von Johannes fortsetzen. 3. Im Missionsbefehl Jesu Mt 28,19, in der Apostelgeschichte und in den ntl. Briefen wird βαπτι' ζω für die Wassertaufe verwendet, die an Juden und Heiden vollzogen wurde, die zum Glauben an Jesus gekommen waren: Apg 2,38.41; 8,12.13.16.36.38; 9,18; 16,15; 1Kor 1,13.14.15.16.17; Eph 5,5; Kol 2,12; 1Petr 3,21. 4. An mehreren ntl. Stellen hat βαπτι' ζω eine nichtphysische, d.h. metaphorische Bedeutung: (a) Stellen, in denen vom „Taufen mit Feuer“ (βαπτι' σει πυρι' ; Mt 3,11; Lk 3,16) und vom „Taufen mit dem heiligen Geist“ (βαπτι' ζειν ε� ν πνευ' ματι α� γι' ω, ; Mt 3,11; Mk 1,8; Lk 3,16; Joh 1,33; Apg 1,5; 11,16) die Rede ist; in beiden Fällen kann man genauso gut, oder besser, mit „tauchen, versenken“ oder, um die metaphorische Bedeutung zu übertragen, mit „überwältigen“ übersetzen. (b) Sowohl das Verb wie auch das Substantiv beschreiben den Tod Jesu: Mk 10,38 το` βα' πτισμα ο� ε� γω` βαπτι' ζομαι βαπτισθηñ ναι; Lk 12,50 βα' πτισμα ε» χω βαπτισθηñ ναι; man könnte übersetzen: „könnt ihr … vom Untergang überwältigt werden, mit dem ich überwältigt werde?“39 (c) Erfahrung des Durchzugs der Israeliten durch das Rote Meer: 1Kor 10,2 ει� ς το` ν Μωυ¨ σηñ ν ε� βαπτι' σθησαν, was man mit „sie wurden in Mose eingetaucht“ übersetzen kann. (d) Ausdruck für die Einfügung in die Gemeinde: 1Kor 12,13 ει� ς ε� ν σω ñ μα ε� βαπτι' σθημεν: „wir wurden in den einen Leib hineingetaucht“. (e) Ausdruck für die Vereinigung mit dem Messias Jesus: Röm 6,3-4 (s. das Folgende).40 Weil βαπτι' ζω und βα' πτισμα weder automatisch auf Wasser verweisen noch auf einen bestimmten Ritus, ist es linguistisch nicht legitim, jedes Vorkommen des Verbs bzw. Substantivs im Neuen Testament als Hinweis auf die christliche Wassertaufe zu interpretieren. Die Griechisch sprechenden Leser in Rom, die man bei der Erklärung der Vokabel βαπτι' ζω ————————————————————
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Zu den ntl. Belegen s. Schnabel, Language, 217-246. Ysebaert, Terminology, 44 betont zu Recht, dass die ntl. Autoren die (Grund-)Bedeutung „eintauchen“ („immerse“) kannten, was sich an der metaphorischen Verwendung des Verbs ablesen lässt; zu dieser s. auch Dunn, Baptized; Sabou, Death, 95-109. Von einer technischen Bedeutung von βαπτι' ζω im Sinn der Wassertaufe gehen die meisten aus; vgl. Käsemann 156: „βαπτι' ζειν hat bereits technischen Sinn … Mindestens fragwürdig ist, daß die Bedeutung ‚eintauchen, untertauchen‘ noch mitgehört wurde“ (mit Verweis auf Larsson, Vorbild, 56; Fazekaš, Taufe, 307-308; Frankemölle, Taufverständnis, 48-49.51-52, ohne Begründung). Vgl. Feldman, Josephus: Judean Antiquities, Books XVIII–XIX, 81 Anm. zu Ant 1,117. Vgl. Marshall, Luke, 547; Turner, Power, 182; BADG s.v. βαπτι' ζω 3c: „perh[aps] the stark metaph[or] of impending personal disaster is to be rendered, ‚are you prepared to be drowned the way I’m going to be drowned?‘“. Bauer/Aland s.v. kommentieren nicht. Penna 422 mit Anm. 29, der eine metaphorische Bedeutung von βαπτι' ζω in V. 3 ausschließen will, steht für viele, die wie Penna auf eine Behandlung der Bedeutungsbreite der Vokabel verzichten.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 31 ———————————————————————————————————— in Röm 6,3-4 nicht vergessen darf, werden bei der Erwähnung des Verbs βαπτι' ζω nicht nur und nicht automatisch an die Wassertaufe gedacht haben, die anlässlich ihrer Bekehrung zum Glauben an Jesus an ihnen vollzogen worden war (und deren Vollzug mit βαπτι' ζω beschrieben wurde, aber auch, vielleicht gleichzeitig, mit α� γνι' ζω und καθαρι' ζω). In ihrem Alltag gab es zahlreiche Anlässe, bei denen sie Gegenstände (oder sich selbst) in Wasser tauchten oder ein Messer in einem zu schlachtenden Tier versenkten.
Die Formulierung ε� βαπτι' σθημεν ει� ς Χριστο` ν � Ιησουñ ν [ebaptisthēmen eis Christon Iēsoun] spricht nicht von der Wassertaufe: Dies würde wie bei Johannes mit ε� βαπτι'σθημεν ε� ν υ« δατι [ebaptisthēmen en hydati] formuliert (vgl. Mt 3,11; Mk 1,8; Lk 3,16; Joh 1,26). Wenn kein direkter Bezug zur Wassertaufe vorliegt, erübrigt sich die Behandlung der Frage, welche Entwicklung der „Taufformel“ Röm 6,3 anzeigt. Im NT und in der frühchristlichen Literatur sind unterschiedliche, mit βαπτι' ζω verbundene Wendungen belegt: 1. ει� ς το` ο» νομα τουñ πατρο` ς και` τουñ υι�ουñ και` τουñ α� γι' ου πνευ' ματος [eis to onoma tou patros kai tou hyiou kai tou hagiou pneumatos]: Mt 28,19; Did 7,1 2. ε� πι` τω ñ, ο� νο' ματι � Ιησουñ Χριστουñ [epi tō onomati Iēsou Christou]: Apg 2,38 3. ε� ν τω ñ, ο� νο' ματι � Ιησουñ Χριστουñ [en tō onomati Iēsou Christou]: Apg 10,48 4. ει� ς το` ο» νομα τουñ κυρι' ου � Ιησουñ [eis to onoma tou kyriou Iēsou]: Apg 8,16; 19,5 ει� ς το` ο» νομα (Χριστουñ � Ιησουñ ) [eis to onoma (Christou Iēsou)]: vgl. 1Kor 1,13.15 ει� ς το` ο» νομα τουñ κυρι' ου [eis to onoma tou kyriou]: Herm v III 7,3 ει� ς ο» νομα κυρι' ου [eis onoma kyriou]: Did 9,5 Die sog. Übereignungsformel („im Namen von …“)41 scheint sehr früh eine wichtige Rolle gespielt zu haben, wobei die Variationen andeuten, dass es nicht auf die „Formel“ ankam, die anlässlich des Untertauchens gesprochen wurde – eine „magische“ Wirkung von Formeln ist analog des Glaubens und der Praxis Israels auszuschließen –, sondern auf die gegenwärtige Wirklichkeit des Messias Jesus, durch dessen Sühnetod die Vergebung von Sünden möglich und wirksam wurde und auf den sich die zum Glauben Gekommenen für ihre Reinigung und Rettung verlassen. Die Annahme, die Verbindung von βαπτι' ζω mit ει� ς Χριστο` ν � Ιησουñ ν [eis Christon Iēsoun] in Röm 6,3 sei „wahrscheinlich eine verkürzende Variante“,42 lässt sich nicht beweisen, auch nicht die These, die ersten Christen hätten diese Formulierung verwendet, um den Unterschied zur Taufe von Johannes dem Täufer zum Ausdruck zu bringen. Der Verweis auf Gal 3,27 als Argument für die Verkürzungsthese ist nur dann stichhaltig, wenn βαπτι' ζω dort die Wassertaufe bezeichnet, was man nicht einfach annehmen kann, sondern beweisen muss. Eine metaphorische Bedeutung ist in Gal 3,27 näherliegend, wie die erläuternde Wendung in ————————————————————
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Vgl. Heitmüller, Im Namen Jesu, der die Formel „im Namen von“ aus dem griechischen Girowesen herleitet und als Metapher personaler Besitzverhältnisse deutet, sowie Hartman, Baptism, 37-50; Hartman, Usages, der wie H. Bietenhard, Art. ο» νομα κτλ., ThWNT V, 274-275 aus dem Hebräischen herleitet. Delling, Zueignung, 31-42 hält beide Herleitungen für unbefriedigend und will für die jeweiligen ntl. Kontexte zeigen, dass die ο» νομα-Wendung, auf Jesus bezogen, nicht den Täufling Christus zueignet, sondern andersherum das Heil dem Täufling zueignet (ebd. 70-71; 74-76 zu Röm 6,3; Gal 3,27). Vgl. Ruck-Schröder, Name, 11-63 für einen Forschungsüberblick. Zur Verwendung in der Apg s. Avemarie, Tauferzählungen, 26-43. Wilckens II 11; vgl. Schlier 192; Wolter I 371, ebd. zum folgenden Punkt.
32 Römerbrief ———————————————————————————————————— V. 27b (Χριστο` ν ε� νεδυ' σασθε; „ihr habt Christus [als Gewand] angelegt“; EÜ) zeigt. In 1Kor 10,2 (ει� ς το` ν Μωυ¨ σηñ ν ε� βαπτι' σθησαν) geht es nicht um die christliche Wassertaufe, sondern um die Erfahrung der Israeliten anlässlich des Exodus aus Ägypten. In Apg 19,3 (ει� ς το` � Ιωα' ννου βα' πτισμα) ist ει� ς nicht mit einem Namen verbunden, sondern mit dem Substantiv βα' πτισμα. Alle ntl. Wendungen, die sich im Kontext explizit auf den Vorgang beziehen, den wir mit „Taufe“ bezeichnen, formulieren mit ο» νομα [onoma], „Name“. Weil das Wort βαπτι' ζω nicht automatisch auf die Wassertaufe verweist, liegt die Schlussfolgerung näher, dass Paulus in Röm 6,3 keine Taufformel verwendet, sondern eine metaphorische Aussage macht.43
Paulus spricht weder von Wasser noch von einer anderen Substanz, in die die Jesusbekenner hineingetaucht bzw. versenkt werden, d.h., βαπτι'ζω wird metaphorisch verwendet.44 Die Vorstellung „hineintauchen, versenken“ wird vom physischen Bereich (wo ein Gegenstand in Flüssigkeiten wie Wasser oder Färbemittel getaucht oder in Substanzen wie Fleisch versenkt wird) auf die Beziehung zum Messias Jesus übertragen, der in 5,12-21 mit Adam verglichen worden war, weil er wie dieser Menschen repräsentiert und, anders als dieser, durch seinen Gehorsam deren Schicksal positiv bestimmt. Zum Glauben an Jesus bekehrte Sünder wurden „in den Messias Jesus hineinversenkt“, d.h., sie wurden mit ihm eins, ihm zugehörig, in ihn inkorporiert, in seinen Lebenslauf eingefügt, integriert in seine Herrschaft als neuer Adam, einbezogen in seinen Schutz und seine Herrschaft.45 Die Formulierung mit einem Aorist Passiv (ε� βαπτι'σθημεν) verweist auf ein Handeln Gottes, das in der Vergangenheit stattgefunden hat.46 Gott selbst verbindet den Sünder mit Jesus, wo und wann er zum Glauben an den Messias ————————————————————
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Richtig Lietzmann 65: „βαπτι' ζειν bedeutet für griechische Ohren nicht ‚taufen‘, sondern ‚eintauchen‘; vgl. Dunn, Baptism, 140-141. Nach Stettler, Heiligung, 443 Anm. 18 deutet im Kontext von Röm 6 nichts auf einen metaphorischen Sprachgebrauch von βαπτι' ζω hin, die vielen Metaphern in V. 2-13 verkennend (s. die Liste von sieben Metaphern in Abschnitt II). Stepp, Participation erklärt mit dem Gedanken der „corporate identity“; s. zu 5,12. Siehe jeweils Calvin 303; Lohse 187; Jewett 397; Byrne 190; Käsemann 157; Schlier 192 (stets im Hinblick auf die Taufe). Manche Ausleger schlagen ein sehr allgemeines Verständnis vor (z.B. Zeller 124: Die Taufe stellt „eine Beziehung“ zu Jesus Christus her; Kuss I 296 spricht etwas deutlicher von der besonderen „Innigkeit der Beziehung zwischen dem Bringer und dem Empfänger des Heils“) oder betonen die Schwierigkeit, die Formulierung zu verstehen (z.B. Kruse 260-261). Ausleger, die ausschließlich im Sinn des Ritus der Wassertaufe interpretieren, müssen das Passiv ε� βαπτι' σθημεν auf den Missionar oder die presbyteroi der Gemeinden beziehen, die die Täuflinge getauft haben. In den jüdischen Waschungen haben sich die Frommen, die sich von ritueller Unreinheit durch Waschungen reinigten, selbst untergetaucht. Johannes wurde offensichtlich nicht zuletzt deshalb als „der Täufer“ (ο� βαπτιστη' ς) bezeichnet, weil er es war, der die Bußfertigen untertauchte, eine Praxis, die von Anfang an in Jerusalem übernommen wurde, vgl. die tolerativen Passiva βαπτισθη' τω und ε� βαπτι' σθησαν in Apg 2,38.41. Zu Jerusalem s. Avemarie, Tauferzählungen, 177-213, der in seiner Behandlung der Taufe des Paulus nach Apg 9,18; 22,16 die 1. Person Plural von
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 33 ————————————————————————————————————
Jesus kommt. Die Stellung von Χριστο' ς vor � Ιησουñ ς ist bewusst gewählt: Die Vorstellung, mit dem Messias als Repräsentanten der Gerechten des Gottesvolkes vereinigt zu werden, ist einfacher als die Vorstellung, in eine konkrete Einzelperson „hineinversenkt“ zu werden. In den folgenden Aussagen erläutert Paulus, dass die Inkorporation der Gläubigen in den Messias Jesus sie mit dessen Tod identifiziert. Auch angesichts der metaphorischen Bedeutung von βαπτι'ζω [baptizō] ist nicht ausgeschlossen, dass Paulus an die Wassertaufe dachte, auch wenn sich dies infolge der Bedeutungsvielfalt des Wortes und der Verwendung anderer Verben zur Beschreibung des Taufgeschehens z.B. bei Justin nicht beweisen lässt. Wenn die stadtrömischen Christen mit dem Aorist ε� βαπτι'σθημεν an ihre Taufe erinnert wurden, hätten sie diese infolge der Verwendung gerade dieser Vokabel als Ereignis verstanden, das sie mit Jesus Christus vereinigt und an ihn bindet. Für Paulus ist es nicht das Wasser oder der Akt des Untertauchens, der die Verbindung mit Jesus herstellt,47 sondern der Glaube an Jesus bzw. an Gottes Heilshandeln in und durch Jesus (1,5.8.16.17; 3,22.25.26.27.28.30.31; 4,1-25; 5,1.2). Schlatter hat recht: „Die neuen Sätze sind vom ersten Teil des Briefs nicht ablösbar, und diese erlauben nicht, an ein anderes Verhältnis zu Jesus zu denken als an das, das durch den Glauben hergestellt ist“.48 In der Missionssituation des ersten Jahrhunderts (und auch später) „ist es selbstverständlich, daß nur Glaubende getauft werden“;49 die Taufe war immer eine Bekehrungstaufe, d.h. eine Taufe der Menschen, die die Lehre Jesu angenommen haben (Mt 28,19-20). Die in der Apg berichtete frühchristliche Praxis verband das Zum-Glauben-Kommen an Jesus unmittelbar mit der Wassertaufe (Apg 2,38-41: 3000 Menschen am Pfingstfest; 8,12-13: Samaritaner; 8,36-38: der Äthiopier; 9,18 (22,16): Saul/Paulus; 10,44-48: Kornelius und Freunde; 16,14-15: Lydia und ihr „Haus“; 16,33: Gefängnisaufseher in Philippi; 18,8: Korinther). Wie immer man die Sakramentalität der Taufe versteht: Ein magisches Verständnis im Sinn eines ex opere operato ist durch 1Kor 10,112 sowie durch die Tatsache ausgeschlossen, dass Paulus in seinen Briefen mit dem Herrschaftswechsel argumentiert (vgl. den unmittelbaren Kontext von Röm 6,3 in 5,12-21), der für Jesusbekenner stattgefunden hat, und mit deren neuer Identität als „Heilige“, nicht mit der vollzogenen Taufe. ————————————————————
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ε� βαπτι' σθημεν in 6,3 individuell-biographisch auswertet (ebd. 297-298). Gegen Wilckens II 12 u.a. Wenn die christl. Taufe die „Verlängerung“ der Taufe von Johannes d. Täufer ist, hat sie ebenfalls die Umkehr des Täuflings zur Voraussetzung. Schlatter 201. Wilckens II 27 (auch ebd. 53-54); vgl. Wolter I 384. Zur theologiegeschichtlichen Diskussion des Verhältnisses von Glaube und Taufe s. Wilckens I 27-31.
34 Römerbrief ———————————————————————————————————— Wenn man 6,3 als Hinweis auf die Wassertaufe versteht, stellt sich die Frage, ob das Handeln Gottes in und durch die rituelle Handlung geschieht oder von der rituellen Handlung dargestellt wird. Die Ankündigung Johannes des Täufers, der nach ihm Kommende werde im Gegensatz zu seiner Taufe „mit Wasser“ ([ε� ν] υ« δατι) die Menschen „mit Heiligen Geist und Feuer“ (ε� ν πνευ' ματι α� γι' ω, και` πυρι' ; Mt 3,11; Lk 3,16) bzw. „mit Heiligen Geist“ (ε� ν πνευ' ματι α� γι' ω, ; Mk 1,8; vgl. Joh 1,33; Apg 1,5; 11,16) „taufen“, macht die zweite Antwort wahrscheinlicher. Die Realität der Erfahrung des Heiligen Geistes Gottes ist primär, die Wassertaufe bildet sie ab als rituelle Reinigung und Sühnung von Sünde – analog den Waschungen im AT und Judentum 50 – und Ausdruck der Umkehr – analog der Johannestaufe.51 Was Paulus mit seinen Lesern in der römischen Gemeinde verbindet, ist die Bekehrung zum Glauben an Jesus, den Messias Israels und Retter der Welt, als Erfahrung der Gnade Gottes (Röm 5,17; 1Kor 1,4-5; 15,10; 2Kor 6,1; Gal 1,6) und der Gegenwart des Geistes Gottes (2Kor 1,21-22; Gal 3,3.5), der durch den Heiligen Geist vermittelten Liebe Gottes (Röm 5,5) und Freude (1Thess 1,6) – und als Erfahrung der Waschung, Heiligung und Rechtfertigung von Menschen, die unzüchtig waren, Götzen gedient haben, sexuell unmoralisch usw. lebten (1Kor 6,9-11). Die These, dass die römischen Christen bei der Vorstellung von der Vereinigung mit Jesus Christus, insbesondere mit seinem Tod, durch die Taufe an die Mysterienkulte dachten,52 wird heute kaum noch vertreten.53 Die Texte Apuleius, Met 11 (2. Jh. n.Chr.) und Firmicus Maternus, De errore profanarum religionem 22 (4. Jh.), auf die verwiesen wird,54 sind spätere Texte, die immerhin belegen, dass die Initiationsriten der Mysterienkulte weit komplexer waren als ein einfaches Tauchbad, dass die „Taufen“ vorbereitender Natur waren und nicht im Zentrum standen und dass man kaum von einer „Identifizierung“ mit Isis oder Osiris sprechen kann. Viele Ausleger teilen die Auffassung von D. Zeller: „Es läßt sich in Röm 6 keine bewußte Anlehnung an Praxis und Terminologie der Mysterienkulte nachweisen, noch sind die Gedanken des Kapitels von daher religionsgeschichtlich ‚abzuleiten‘. Paulus sieht sich wegen dieser Kulte nicht in seiner religiösen Identität in Frage gestellt, noch greift er in pädagogischer Absicht nach dem Modell ‚Anknüpfung und Widerspruch‘ auf sie zurück. Vielmehr werden Elemente des Taufritus und des urchristlichen Bekenntnisses neu gedeutet und aktualisiert. Dabei steht Paulus – ohne es zu wissen – in Übereinstimmung mit antiken Denkstrukturen“.55
Die Vereinigung mit dem Messias Jesus ist eine Vereinigung mit seinem Tod: Die Christen in Rom (sollen) wissen, dass sie in seinen Tod versenkt wurden (ει� ς το` ν θα' νατον αυ� τουñ ε� βαπτι'σθημεν). Die Zugehörigkeit zu Jesus beinhaltet eine „Versenkung“ in den Tod des Messias Jesus.56 In V. 6 wird ————————————————————
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Lawrence, Washing; Labahn, Waschungen, zu TestLev, Jub, Arist u. Qumrantexte. Backhaus, Jüngerkreise, 332; Labahn, Erinnerung. Heitmüller, Taufe und Abendmahl, 21-26; Bousset, Kyrios Christos, 107; Reitzenstein, Vorgeschichte; Reitzenstein, Mysterienreligionen; Gäumann, Taufe, 38-64; Theobald, Der Römerbrief, 235-237; Käsemann 152-153; Lohse 188-189. Siehe die Kritik von Wilckens II 56-59; Dunn I 308-310; D. Zeller, Art. Mysterien/Mysterienreligionen, TRE XXIII, 504-526, bes. 520-521; Wagner, Problem, 69-269; Zeller, Mysterienkulte; Wedderburn, Baptism, 90-163; Wedderburn, Traditions, 343-55; Betz, Ritual, 100-107; Agersnap, Baptism, 52-98; Légasse, Paul et les mystères; Graf, Baptism. Neben den Kommentaren vgl. NW II.1, 124-126. Zeller, Mysterienkulte, 186-187; zitiert auch von Wolter I 384 Anm. 73. V. 3b bestätigt die metaphorische Interpretation des Verbs βαπτι' ζω in V. 3a. In V.3b interpretieren auch Kuss I 298; Wilckens II 11 u.a. metaphorisch.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 35 ————————————————————————————————————
dies als „Mit-Jesus-Gekreuzigtsein“ (συνεσταυρω' θη), in V. 8 als „MitJesus-Gestorben-sein“ (α� πεθα' νομεν συ` ν Χριστω ñ, ) bezeichnet. Die Verbindung mit Jesus, die Gott den zum Glauben an Jesus kommenden Sündern gewährt, verbindet sie mit seinem Tod, und das heißt: Sie sterben gewissermaßen mit Jesus.57 Ihr Tod, den sie in der Verbundenheit mit dem Messias Jesus gestorben sind, beantwortet die in V. 1 gestellte Frage: Die Verbundenheit mit dem Tod Jesu, der ein die Sünden der Sünder sühnender Tod war, bedeutet für die von Gott durch den Tod Jesu begnadeten Sünder den Bruch mit der Sünde. Als mit dem Tod des Messias Jesus Verbundene bleiben die Jesusbekenner auf den Tod Jesu verpflichtet. Es gibt keinen triftigen Grund, den Verweis auf den Tod Jesu in V. 3b von der Überzeugung des Apostels zu trennen, dass der Tod Jesu ein Heilstod „für uns“ bzw. „für unsere Sünden“ (3,24-25; 4,25; 5,6.8-10; 1Kor 15,3) war. Auch wenn Paulus in V. 3b den Tod des Sünders betont und nicht die Bedeutung des Todes Jesu, ist diese vorausgesetzt, weil der Kreuzestod Jesu sonst seine fundamentale Bedeutung verliert: Weil Jesus „für uns“ starb, kann Gott veranlassen, dass wir in seinen Tod hineingezogen werden.58 Die Stellvertretung des Todes Jesu ist in V. 10 angesprochen: „Denn was er gestorben ist, ist er ein für alle Mal der Sünde gestorben“. In V. 3 (und V. 4-8) ist von Inklusion und Partizipation die Rede, in Analogie zu den sühnetheologischen Vorstellungen aus dem AT.59 Das Heil vollzieht sich in der Identifikation mit einem (stellvertretend) in den Tod gehenden „Mittler“ und in der realsymbolischen Partizipation an seinem Sterben, wobei das „Sterben“ für den Sünder eine „doppelte Wertigkeit“ besitzt: Der Tod ist die schuldige Unheilsfolge der Sünde (Röm 5,12.21; 6,21.23; 8,10) und er bedeutet den (symbolischen) Tod des sündigen („alten“) Menschen und das Hervorgehen zu einem Leben für Gott in Gerechtigkeit und Heiligkeit (Röm 6,6.11.19.22). Nach H. Gese findet durch die Handauflegung des Opferherrn auf den Kopf des Opfertiers (Lev 1,4) gleichsam eine Identifizierung von Opfertier und dem Opfernden statt; das Sterben wird dem Sünder nicht erspart, sondern „zeichenhaft“, d.h. realsymbolisch an ihm vollzogen; der Sünder wird nicht „vor“, sondern „aus“ dem Tod gerettet. Infolge der Identifikation mit dem Opfertier geht es beim Tod des Opfertiers um den eigenen Tod des Sünders.60
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Das „gewissermaßen“ ergibt sich aus dem ο� μοι' ωμα V. 5; Wolter I 372. Vgl. Käsemann 157; Wilckens II 14; Zeller 124; Cranfield I 303; Fitzmyer 433-434; Haacker 156. Anders Röhser, Stellvertretung, 241-252; Wolter I 372, die den Gedanken einer „inklusiven Stellvertretung“ ablehnen. Vgl. Hofius, Gottesknechtslied, 120; Hofius, Gesetz, 63. Zum Folgenden vgl. Gese, Sühne, 97, 100; Janowski, Sühne, 220. Röhser, Stellvertretung, 241-242 sieht das Problem, dass sich anders als in Röm 6 der Gedanke der „Inklusivität“ bei der stellvertretenden Sühne nicht konsequent durchführen lasse: „Anders als Christus lebt das getötete Opfertier eben nicht wieder auf, sondern bleibt endgültig (und exklusiv!) dem Tode verfallen“ (ebd. 241).
36 Römerbrief ———————————————————————————————————— Wer V. 3b im Sinn der Wassertaufe interpretiert, verweist auf die „tauftheologische Innovation, die Paulus vornimmt“.61 Man sollte Paulus allerdings nicht so interpretieren, dass er das Untertauchen des Täuflings als Akt versteht, in dem dieser in das Geschehen des Todes Christi hineingenommen wird.62 Die Verbindung mit dem Tod Jesu findet im Zum-GlaubenKommen des Sünders statt, das der Taufe vorausgeht und von Paulus vorausgesetzt wird. Die früheste Auslegung von Röm 6,1-14 bei den Vätern bestätigt dies. R. Schlarb schließt nach einer Behandlung der patristischen Auslegungen von Röm 6: „Die Taufe setzt Umkehr voraus; nicht umgekehrt … Eine Taufhandlung, die unabhängig vom Glauben des Täuflings Gottes Gnade herbeizwingt, kennt diese Zeit nicht. Zur gültigen Taufe bedarf es je der völligen Einwilligung des Menschen in das von Gott im Blick auf die Taufe Versprochene“.63
4 Paulus konkretisiert (ουò ν) das in V. 3c konstatierte Hineinversenktsein
der Jesusbekenner in den Tod des Messias Jesus: Mit ihm wurden wir also begraben durch die Versenkung in den Tod. Das vorangestellte „wir wurden begraben“ (συνετα' φημεν [synetaphēmen]) ist eine zweite Metapher, die das Wesen der Bekehrung zum Glauben an Jesus beschreibt. Die „Versenkung in den Tod“ des Messias Jesus (βα' πτισμα ει� ς το` ν θα' νατον [baptisma eis ton thanaton)64 bedeutet die Anteilhabe am Begräbnis Jesu. Die in V. 3 mit dem Aorist Passiv ε� βαπτι'σθημεν formulierte Metapher – wir wurden in den Messias Jesus hineinversenkt / wir wurden in seinen Tod versenkt – wird zu dem Substantiv βα' πτισμα [baptisma] verdichtet, das sprachgeschichtlich zum ersten Mal hier vorkommt. In Mk 10,38-39; Lk 12,50 ist βα' πτισμα [baptisma] eine Metapher für das „Versinken“ in Leiden und Tod65 und beschreibt den Tod Jesu bzw. der Zebedaiden.66 In den Evangelien und der Apg wird βα' πτισμα häufig zur Beschreibung der Tätigkeit Johannes des Täufers verwendet.67 In Eph 4,5; 1Petr 3,21 steht das Wort für die Wassertaufe, was die Verwendung bei späteren christlichen Autoren erklärt,68 jedoch nicht dazu verleiten darf, jedes Vorkom-
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Wolter I 372; vgl. Zeller 124; Wilckens II 23. So Wilckens I 12. Schlarb, Mit Christus begraben, 235-236; vgl. 244. Die Rede vom mysterium baptismi meint auch bei Origenes nicht den Ritus der Wassertaufe, sondern das christologische Geheimnis, die göttliche Wahrheit, die erfasst werden soll, die Erfahrung des Heils. Zu ergänzen ist von V. 3c her αυ� τουñ , d.h. Χριστουñ � Ιησουñ . Delling, Βα' πτισμα βαπτισθηñ ναι, 245; Marcus, Mark II, 747-748, mit Verweis auf die Verwendung in profan-griechischen Texten; vgl. Pesch, Markusevangelium II, 157, der mehrdeutig meint, „die Taufe bzw. die Tauchung, das Untertauchen, das im Getauftbzw. Getauchtwerden erlitten wird, ist Bild für ‚die Bedrohung, die über den Menschen hereinbricht, in tödlicher Gefährdung‘“ (mit Zitat von Delling) – das „Untertauchen“ ist Bild für die Bedrohung, nicht die Taufe. Wolter, Lukasevangelium, 469, meint, für den (später, nach Paulus) schreibenden Lukas dürfte die von Delling festgestellte Bedeutung „kaum mehr in Frage kommen“, ohne eine Begründung für dieses Urteil zu liefern. Wolter, Lukasevangelium, 469; Koch, Taufinterpretationen, 826. Mt 3,7; 21,25; Mk 1,4; 11,30; Lk 3,3; 7,29; 20,4; Apg 1,22; 10,37; 13,24; 18,25; 19,3.4. Barn 11,2; 2Clem 6,9; Did 7,1,1; 7,4,2; Ps.-Clemens, Hom 3,29; 8,22; 11,26-27; 13,1012.20; 14,2.8; Ignatius, Trall 2,2; Phld 5,1.8; Clemens Alexandrinus, Paed 1,6,30.32. 50.51; Strom 1,19,96; 1,21,136.145; Justinus, Dial 14,1; 19,2; 29,1; 43,2 u.a.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 37 ———————————————————————————————————— men des Wortes im Sinn der Wassertaufe erklären zu wollen, was z.B. in Mk 10,38-39; Lk 12,50 keinen Sinn ergibt. Paulus gebraucht in Röm 6,4 das Substantiv des in 6,3 metaphorisch verwendeten Verbs ebenfalls als eine Metapher, was durch die Präpositionalwendung ει� ς το` ν θα' νατον sichergestellt ist: Es ist nicht vom Untertauchen in Wasser (oder einer anderen Substanz) die Rede, sondern vom „Untertauchen“ oder „Versenken“ in den Tod, eine nicht physisch greifbare Wirklichkeit. Wenn die später schreibenden Markus und Lukas das Substantiv mit metaphorischer Bedeutung verwenden können, kann man dies auch für Paulus nicht ausschließen. Die später durchgängige Verwendung des Wortes zur Bezeichnung der christl. Wassertaufe ist später und darf nicht ohne Begründung in Röm 6,4 eingetragen werden. Wenn Paulus das Substantiv als Neologismus selbst geprägt hat, dann sicher im Sinn der metaphorischen Bedeutung des Wortes: Der Tod Jesu war für Paulus, der sich als Verkündiger des Evangeliums in missionarischen Pioniersituationen entschlossen hatte, „nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten“ (� Ιησουñ ν Χριστο` ν και` τουñ τον ε� σταυρωμε' νον; 1Kor 2,2), primär, die Wassertaufe gegenüber dem auf den Heilstod des Messias Jesus konzentrierten Evangelium sekundär (vgl. 1Kor 1,17).69 Die Art und Weise, wie Paulus über Jesus und seinen Tod am Kreuz spricht, bestimmt die Art und Weise, wie er über die Wassertaufe spricht. Die „metaphernspendende Wirklichkeit“ ist nicht die Taufhandlung,70 sondern der Tod, in den Jesus „versenkt“ wurde (Mk 10,38-39; Lk 12,50) – ein Tod, der ein Heilstod ist, in den die Jesusbekenner „versenkt“ werden (Röm 6,3.4). Das Untertauchen im Wasser bei der Taufe wird nicht als Symbol für Tod und Begräbnis verstanden.71 Wie bei der Verwendung des Verbs βαπτι' ζω ist auch beim Substantiv βα' πτισμα nicht ausgeschlossen, dass Paulus und seine Leser neben der metaphorischen Bedeutung des Wortes an den Ritus der Wassertaufe dachten.72 Wer dies betont, übersetzt βα' πτισμα am besten mit „Tauchbad“, um die Anklänge an die Metapher des Untertauchens zu bewahren. Die Präpositionalwendung δια` τουñ βαπτι' σματος kann dann unterschiedlich interpretiert werden. 1. Gott handelt durch das Ritual des Vollzugs der Wassertaufe: Vergebung der Sünden, Rechtfertigung, Heil ergeben sich aus dem Vollzug der Wassertaufe und sind an diese gebunden. Dies ist in den Großkirchen die traditionelle Auslegung (s. dazu unten im Abschnitt IV). Dieses Verständnis wäre gegenüber dem von Paulus in 1Kor 10,1-7 beschriebenen Missverständnis der Exodusgeneration abzugrenzen, die glaubte, durch die Erfahrung der Rettung im Schilfmeer und in der Wüste so „sicher“ zu sein, dass Götzendienst und sexuelle Unzucht belanglos und deshalb akzeptabel sind. Die Gefahr der „billigen Gnade“ besteht überall da, wo man sich auf eine persönliche Erfahrung beruft, die mit einem physischen Ereignis verknüpft ist, und noch mehr da, wo man sich an die Erfahrung und das Ereignis nicht erinnern kann, wie dies bei der Taufe von Säuglingen der Fall ist. 2. Die Taufe ist der „Ort“ bzw. der Anlass, an dem Gott handelt: Es ist nicht die Taufe, die agiert und etwas bewirkt,73 sondern Gott selbst, der die an den Messias Jesus Glaubenden in dessen Tod hineinversenkt: ε� βαπτι' σθημεν V. 3 und συνετα' φημεν V. 4 sind passiva divina. ————————————————————
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Schnabel, 1. Korinther, 97-101; Penna, Battesimo, 154. So Wolter I 373, der dann auch feststellen muss, dass diese „dabei arg strapaziert wird, denn normalerweise erfolgt die Bestattung nach dem Tod und nicht ‚durch‘ den Tod“. So Origenes 137.147; vgl. Schlarb, Mit Christus begraben, 154.164. Dunn I 313 meint, dies sei „most certainly“ der Fall, ist sich also doch nicht ganz sicher; vgl. ebd. 313-314 zum Folgenden. Gegen Schlier 191: „Die Taufe, die uns mit Christi Tod einigt, mit Christus sterben läßt, vereinigt uns auch mit ihm im Grab“ (vgl. Schlier, Taufe, 55); Wilckens II 15: „Die Taufe bezeugt nicht, sondern bewirkt die Teilhabe an Christi Tod“; G. Barth, Taufe, 103: „Die Taufe gibt Freiheit von der Sündenherrschaft und Anteil an der eschatologischen Gabe des Lebens, indem sie mir Christi Tod und Auferstehung ansagt und zueignet“.
38 Römerbrief ———————————————————————————————————— 3. Die Formulierung „durch das Tauchbad“ beinhaltet die Antwort des Glaubens, die der Täufling auf das Handeln Gottes (im Kreuzestod Jesu und in der Taufe) gibt, analog der auf das Handeln Gottes bezogenen Präpositionalwendung „durch den Glauben“ in 3,22.25.30: Die Taufe ist der Höhepunkt der Hingabe an Jesus Christus und der Selbstidentifizierung mit dem neuen Adam.74
Das Begräbnis Jesu wird von allen vier Evangelisten relativ breit geschildert (Mt 27,57-61; Mk 15,42-47; Lk 23,50-56; Joh 19,38-42) und in der von Paulus zitierten Tradition von Tod und Auferweckung Jesu erwähnt (1Kor 15,4). Die Vereinigung mit dem Tod Jesu ist deshalb eine Vereinigung mit seinem Begräbnis. Ein Begräbnis „dokumentiert“, dass der betreffende Mensch tatsächlich gestorben ist. Die Realität und Endgültigkeit des Todes zeigen sich in der Bestattung des Verstorbenen. Die Bekehrung zum Glauben an Jesus stellt eine Gemeinschaft mit dem Ergehen Jesu in Tod und Auferweckung Jesu her, wobei zwischen den beiden Heilsereignissen das Begräbnis steht. Dies wird durch das Präfix συν- [syn] unterstrichen, das in den folgenden Versen sowie in Kol 2,12-13 für die Teilhabe der Jesusbekenner an Tod, Begräbnis und Auferweckung Jesu verwendet wird: Tod: συ' μφυτοι (V. 5); συνεσταυρω' θη (V. 6) Begräbnis: συνετα' φημεν (V. 4); συνταφε' ντες (Kol 2,12a) Auferweckung: συζη' σομεν (V. 8); συνηγε' ρθητε (Kol 2,12b); συνεζωοποι' ησεν (Kol 2,13)
Paulus verdeutlicht seine Antwort V. 2 auf den Einwand V. 1: Wer zu Jesus gehört, ist gestorben, was die Sünde betrifft, und zwar wirklich und endgültig – wie ein begrabener Leichnam von den Lebenden getrennt ist.75 Ein zweiter Gedanke ist mit συνετα' φημεν angesprochen, wenn man auf die Praxis blickt, mehrere Verstorbene in einem einzigen Grab zu bestatten, oft als Zeichen besonders enger Verbundenheit: Das Mit-Jesus-Begrabensein bedeutet für Jesusbekenner, dass sie eng mit Jesus zusammengehören.76 Der Aorist Passiv συνετα' φημεν verweist, wie bei ε� βαπτι'σθημεν, auf ein Handeln Gottes in der Vergangenheit: einerseits auf das Begräbnis Jesu, andererseits ————————————————————
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Kertelge, Rechtfertigung, 263-265. Wenig überzeugend ist der Vorschlag von Taylor, Dying, 40-44, συνετα' φημεν mit „we have undergone funeral rites with him“ zu übersetzen: Begräbnisriten spielten bei der Grablegung Jesu aus naheliegenden Gründen nicht die Rolle, die sie bei normalen Begräbnissen spielten. Cranfield I 304; Wolter I 373; Stommel, Begraben, 6-8; Agersnap, Baptism, 270. Herodot 5,5: bei einigen Völkern wird der Lieblingsfrau eines verstorbenen Mannes „die Ehre zuteil, auf dem Grab getötet und mit dem Mann begraben (συνθα' πτεται) zu werden“; Charito von Aphrodisias, Chair 6,2,9: „Selig wäre ich gewesen, wäre ich in Syrakus mit der begrabenen Kallirhoe bestattet worden (συνετα' φην)“; vgl. Plutarch, Anton 84,7; Dio Chrysostomos, Or 13,1. W. Grundmann, ThWNT VII, 786; Wolter I 373; vgl. Beasley-Murray, Taufe, 175.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 39 ————————————————————————————————————
auf die Bekehrung zum Glauben an Jesus, bei der der Glaubende mit dem Heilsgeschehen von Tod und Auferweckung verbunden wurde. Der Finalsatz V. 4b formuliert Gottes Absicht mit der „Versenkung“ der Jesusbekenner in den Tod Jesu: damit, wie der Messias durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln. Die Bekehrung zum Glauben an Jesus verbindet mit Jesu Tod und – weil Jesus nicht im Grab geblieben ist – mit seiner Auferweckung. Diese Wahrheit wird nicht explizit ausgesprochen, sondern vorausgesetzt; sie ist dann Thema der zweiten Erläuterung in V. 5-7. Die Verbindung mit dem Geschick Jesu wird in V. 4b nicht durch συν- [syn] ausgedrückt, sondern mit ω « σπερ … ου« τως [hōsper … houtos], „wie … so“. Der Komparativsatz beantwortet die Frage, auf welche Art und Weise der Prädikatsinhalt der übergeordneten Konstruktion verwirklicht wird,77 d.h., der Satz erläutert, wie es vonstatten geht, dass Jesusbekenner ein neues Leben führen. Nachdem Paulus vom Tod (V. 3c) und vom Begräbnis (V. 4a) gesprochen hat, spricht er jetzt von der Auferstehung Jesu und entspricht damit der in 1Kor 15,3-4 zitierten urchristlichen Tradition, in der Tod, Begräbnis und Auferstehung Jesu (α� πε' θανεν, ε� τα' φη, ε� γη' γερται) als Stationen des Heilshandelns Gottes im Messias Jesus betont wurden. Da Jesusbekenner mit dem Tod Jesu verbunden sind, sind sie es dann auch mit seinem Begräbnis und seiner Auferstehung. Die Auferweckung des Messias von den Toten (η� γε' ρθη Χριστο` ς ε� κ νεκρω ñ ν)78 wurde von Gott bewirkt (pass. divinum). Die Wendung „durch die Herrlichkeit des Vaters“ (δια` τηñ ς δο' ξης τουñ πατρο' ς) beschreibt den die Auferstehung Jesu begleitenden Umstand: Jesu Auferstehung erweist die Macht von Gottes Herrlichkeit (δο' ξα [doxa]; s. zu 2,7). In 2Kor 13,4 führt Paulus das Leben, das Jesus nach der Kreuzigung hat, auf die Macht Gottes zurück (ζηñ, ε� κ δυνα' μεως θεουñ ), in Eph 1,1920 auf die „Wirksamkeit der Macht seiner Stärke“ (κατα` τη` ν ε� νε' ργειαν τουñ κρα' τους τηñ ς ι� σχυ' ος αυ� τουñ ). Die Bezeichnung Gottes als „Vater“ (πατη' ρ [patēr]) zeigt, dass die Verbindung der Glaubenden mit Jesus auch eine enge, persönliche Verbindung mit dem einen wahren Gott geschaffen hat.79 ————————————————————
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HvS §287a. Die Konj. «ινα bezieht sich auf περιπατη' σωμεν; der ω « σπερ-Satz ist Parenthese. 6,9: Χριστο` ς ε� γερθει`ς ε� κ νεκρω ñ ν; vgl. 4,24; 7,4; 8,11; 10,9; 1Kor 15,12; Gal 1,1; Eph 1,20; Kol 2,12; 1Thess 1,10; 2Tim 2,8, sowie Mt 17,9; 27,64; 28,7; Joh 2,22; 21,14; Apg 3,15; 4,10; 13,30; 1Petr 1,21. Andere Stellen formulieren mit α� νι' στημι (Mk 9,9; Lk 24,46; Joh 20,9; Apg 10,41; 13,34; 17,3.31) oder mit α� να' γω (Röm 10,7; Hebr 13,20). Zu Gott als „Vater“ vgl. 1,7; 8,15; 15,6; πατη' ρ ist neben κυ' ριος die einzige nominale Bezeichnung, die Paulus für Gott verwendet (Ausnahme ist παντοκρα' τωρ in 2Kor 6,18, wo auf 2Sam 7,14 LXX Bezug genommen wird); zu Paulus vgl. Zimmermann, Namen, 127-140; Fuchs, Gott; sonst Böckler, Gott als Vater; Strotmann, Vater; Tönges, Vater im Himmel; Zingg, Vater; Chen, God as Father; Pattarumadathil, Father.
40 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Verbindung der Jesusbekenner mit der Auferweckung Jesu bedeutet in V. 4b nicht, dass diese bereits jetzt mit Jesus auferstanden sind (so dann in Kol 2,12; Eph 2,6). Nach V. 5b.8b ereignet sich die existenzielle Teilhabe an der Auferweckung Jesu in der Zukunft. In 4,24 hatte Paulus die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit mit dem Glauben an Gott verknüpft, „der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat“. In V. 4b betont Paulus als Konsequenz der Verbindung mit Tod und Begräbnis Jesu, dass auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln. Die Formulierung „auch wir“ (ου« τως και` η� μειñς) verbindet das Leben der Jesusbekenner implizit mit Jesu Auferweckung von den Toten. Die Genitivverbindung „Neuheit des Lebens“ [kainotēs zōēs] ist epexegetisch zu deuten: Die an Jesus Glaubenden erfahren eine „Neuheit“, die als „Leben“ bezeichnet wird, d.h. ein Leben, das „neu“ ist in dem Sinn, dass sie es vorher nicht hatten. Man kann von einem „neuen Leben“ (καινη` ζωη' ) reden, wenn man beachtet, dass die Neuheit betont ist.80 Das Leben, das sie aufgrund ihrer Verbundenheit mit dem Messias Jesus jetzt neu haben, ist ein Leben, das nicht mehr unter dem Schatten des Zorngerichts Gottes (1,18) und der Herrschaft des seit Adam alle Menschen ergreifenden Todes (5,12.17.21) steht. Weil die Herrschaft des Todes die Folge der Sünde war, bedeutet die Verbindung der Sünder mit dem die Sünden sühnenden Tod Jesu die Befreiung von der Herrschaft der Sünde. Diese Neuheit von Leben bedeutet einerseits Vergebung der Sünden und Gewähr von ewigem Leben als Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes (5,2), andererseits eine Lebensführung, die die Wirklichkeit der angebrochenen „neuen Schöpfung“ (2Kor 5,17; Gal 6,15) reflektiert. Das mit „wandeln“ übersetzte περιπατη' σωμεν [peripatēsōmen]) bezeichnet den Lebenswandel. Die physische Bedeutung von περιπατε' ω [peripateō]81 ist „(umher-)gehen“. In 6,4 liegt metaphorischer Gebrauch vor, wie an den meisten paulinischen Stellen, wo das Verb vorkommt: 8,4; 13,13; 14,15; 1Kor 3,3; 7,17; 2Kor 4,2; 5,7; 10,2.3; 12,18; Gal 5,16; Eph 2,2.10; 4,1.17; 5,2.8.15; Phil 3,17.18; Kol 1,10; 2,6; 3,7; 4,5; 1Thess 2,12; 4,1.12; 2Thess 3,6.11. In der LXX wird περιπατε' ω selten in übertragener Bedeutung für den Lebenswandel verwendet: 2Kön 20,3; Koh 11,9; häufiger ist das Verb πορευ' ομαι („gehen“) in Verbindung mit ο� δο' ς („Weg“), „weil dadurch besser zum Ausdruck gebracht werden kann, daß sich der Lebenswandel in den von Gott gewiesenen Bahnen vollziehen soll“.82 ————————————————————
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NSS II 18 spricht im Blick auf καινο' της ζωηñ ς von einem seltenen Gegenstück zum gen. qualitatis (der, im eigentlich Sinn verstanden, als „lebendige Neuheit“ aufzulösen wäre). Vgl. HvS §162c: Wenn das nomen regens eine Eigenschaft der Genitivgröße nennt, tritt wohl die Eigenschaft – hier die „Neuheit“ – stärker ins Blickfeld. Bauer/Aland s.v. Art. περιπατε' ω 2a.δ: Der Zustand, in dem man lebt oder leben soll, wird mit ε� ν bezeichnet. Vgl. G. Bertram / H. Seesemann, Art. πατε' ω κτλ., ThWNT V, 940946; R. Bergmeier, Art. περιπατε' ω, EWNT III, 177-179; G. Ebel / R. Heiligenthal, ThBLNT II, 1872-1874. G. Ebel / R. Heiligenthal, ThBLNT II, 1872.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 41 ————————————————————————————————————
Die Antwort auf den Einwand von V. 1 lautet: Die Bekehrung zum Glauben an Jesus korrumpiert nicht etwa den Lebenswandel, indem das Sündigen freigegeben wird, im Gegenteil: Jesusbekenner sind mit Tod, Begräbnis und Auferweckung Jesu verbunden und damit dem Herrschaftsbereich der Sünde entrissen (V. 12-14). Jesusbekenner gehören zur angebrochenen neuen Schöpfung Gottes und haben ein Leben, dessen Neuheit darin besteht, dass sie andere Menschen sind – Menschen, die Gott gehorsam sind und sein können (V. 15-23). 5 In der zweiten Erläuterung der Antwort V. 2 auf den Einwand von V. 1 begründet (γα' ρ) Paulus in V. 5-7 die Aussage V. 4: Die Teilhabe am Tod des Messias bedeutet Teilhabe an seiner Auferweckung und beinhaltet deshalb die Befreiung von der Sklaverei der Sünde (V. 5-7). Paulus verwendet nach ε� βαπτι'σθημεν [ebaptisthēmen], „wir wurden hineinversenkt“ (V. 3), und συνετα' φημεν [synetaphēmen], „wir wurden begraben“ (V.4), eine dritte Metapher, um die Verbindung der Jesusbekenner mit dem Geschick des Messias Jesus zu beschreiben: wir sind … zusammengewachsen.83 Mit dem Wort συ' μφυτοι [symphytoi]) bezeichnet Paulus die Jesusbekenner als mit dem Abbild des Todes Jesu „Zusammengewachsene“. Das Verbaladjektiv συ' μφυτος [symphytos])84 ist von συμφυ' ω („zusammenwachsen lassen, vereinen“) abzuleiten, nicht von συμφυτευ' ω („zusammen pflanzen, neben etw. pflanzen“) und hat passivische Bedeutung. LSJ belegt folgendes Bedeutungsspektrum: 1. „Mit einem geboren sein, angeboren“ (z.B. Böses oder Leidenschaften: Plato, Resp 272E; Krankheiten: Hippocrates, Coac 502; Galen 6,3); im Sinn von „natürlich“ (z.B. der natürliche Urheber von Streit: Aeschylus, Ag 107; gemäß der eigenen Natur: Euripides, Andr 954; Aristoteles, Spir 482a3; von natürlichen Funktionen: Aristoteles, GenAn 753a17); 2. „zusammenge-wachsen“ (Aristoteles, HistAn 557b18: Milben vermehren sich in Wolle; Galen, De usu partium 8,9 von den Nerven im Gehirn; Plato, Phaed 81c von Seele und Körper; Plato, Phaed 246a von der Vereinigung von Pferden und ihrem Wagenlenker). 3. „dicht bewaldet“ (Polybius 1,74,6; Dio Cassius 40,29); „bebaut, kultiviert“ (P.Grenf. II 28,7; P.Lips. I 5; BGU IV 1120,36; P.Oxy. IV 729,22). In den Papyri überwiegen Beispiele aus der Landwirtschaft, sonst kommen die Belege meistens aus der Biologie. In der LXX liegen die Bedeutungen „angeboren“ (3Makk 3,22: τηñ, συμφυ' τω, κακοηθει' α, το` καλο` ν α� πωσα' μενοι, „als sie … das Gute mit ihrer angeborenen Boshaftigkeit verachteten“) und „dicht bewaldet“ (Am 9,13 LXX; Sach 11,2) vor; das Verb ist ein Mal im Sinn von „zusammengewachsen“ belegt (Weish 13,13: ξυ' λον σκολιο` ν και` ο» ζοις συμπεφυκο' ς, „krummes und knotiges Holz“); so auch Josephus, Ant 8,84 von den Löwentatzen und Adlerklauen am Wasserbecken des Tempels, die so perfekt aneinander gefügt wurden, „dass sie zusammengewachsen (ω� ς συ' μφυτα) schienen“ (Clementz: „dass alles nur ein Guss zu sein schien“). ————————————————————
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Der mit ει� eingeführte Konditionalsatz drückt hier eine erfüllte Bedingung aus. Bauer/Aland s.v. συ' μφυτος; LSJ s.v. συ' μφυτος; MM; Muraoka; vgl. W. Grundmann, ThWNT VII, 786; H. Balz, Art. συ' μφυτος, EWNT III, 694-695; C. Spicq, TLNT III, 321323; Kuss I 300; Wolter I 375-376; Kuss, Zu Röm 6,5a, 151-156; Dunn, Baptism, 141; Gillman, Study, 120-122.
42 Römerbrief ———————————————————————————————————— Es liegt nahe, den biologischen Horizont vorzuziehen und V. 5a im Sinn von „zusammengewachsen“ zu interpretieren.85 Wenn griechische und auch jüdische Autoren συ' μφυτος metaphorisch im Blick auf Menschen verwenden, bezeichnen sie mit dem Wort bestimmte Eigenschaften als Teil ihrer „Natur“ (φυ' σις). Beispiele: Dio Chrysostomos, Or 12,28: Die Menschen waren in der Urzeit mit dem Göttlichen „gewachsen, mehr noch: mit ihm zusammengewachsen“ (πεφυκο' τες, μαñ λλον δε` συμπεφυκο' τες ε� κει' νω, ); Philo, Her 272: „Es ist Gottes Wille, die Übel leichter zu machen, die seit unserer Geburt mit uns zusammengewachsen sind (τα` συ' μφυτα κακα` τουñ γε' νους η� μω ñ ν ε� πικουφι' ζειν; vgl. SpecLeg 4,16); Abr 160: die Begierde ist „das mit uns zusammengewachsene Haustier“ (το` συ' μφυτον η� μιñν θρε' μμα); VitMos 2,147: „mit jedem Geborenen … ist das Sündigen zusammengewachsen“ (παντι` γενητω ñ, … συμφυε` ς το` α� μαρτα' νειν ε� στι' ν); Josephus, Bell 3,72: Die römischen Soldaten erweckten den Eindruck, „als ob sie mit den Waffen zusammengewachsen sind“ (ω « σπερ συμπεφυκο' τες τοιñς ο« πλοις ου� δε' ποτε); Ant 6,36 spricht von der „angeborenen Gerechtigkeitsliebe“ (συ' μφυτον δικαιοσυ' νην) Samuels; CAp 1,42: den Juden ist es vom Tag ihrer Geburt angeboren (συ' μφυτον), den göttlichen Ursprung ihrer heiligen Schriften anzuerkennen. Grundmann schlägt vor, in Anbetracht der großen Bedeutungsbreite des Wortes in 6,5 von der Bedeutung „zusammengehörig, vereint mit“ auszugehen.86 Nicht auszuschließen ist, dass Paulus mit dem Wort συ' μφυτοι [symphytoi] in V. 5 auf die φυ' σις [physis] der „Neuheit des Lebens“ (V. 4) der Jesusbekenner anspielt. Mit dem Wort will Paulus nicht auf einen Wachstumsprozess verweisen, der sich aus der Verbindung mit Jesus Christus ergibt.87
Das Perfekt des Verbs (γεγο' ναμεν) beschreibt einen Zustand, der in der Vergangenheit eingetreten ist und in der Gegenwart anhält: Die Verbindung mit Jesu Tod, die Gott in der Bekehrung der Sünder zum Glauben an Jesus hergestellt hat, gehört zum Wesen der Jesusbekenner. Mit das Abbild seines Todes benennt Paulus die Größe, mit denen die Glaubenden zusammengewachsen sind.88 Das Wort ο� μοι'ωμα ([homoiōma])89 bringt Differenz und Gemeinsamkeit zum Ausdruck und ist im Bezug auf den Tod des Messias Jesus am besten mit „Abbild“ zu übersetzen. Das „Abbild“ ist der Tod des Jesusbekenners, von dem seit V. 3 die Rede ist. Die „Versenkung“ in den Tod Jesu ist ein Zusammenwachsen mit der effek————————————————————
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Von einer landwirtschaftlichen Metapher („hineinpflanzen“) gehen zumeist ältere Ausleger aus: Godet II 15-16; Sanday/Headlam 157; Leenhardt 160; Barrett 123; Michel 205 Anm. 11; Fitzmyer 435; Cullmann, Tauflehre, 9; M. Barth, Taufe, 236. Grundmann, ThWNT VII, 786; Käsemann 159 schließt eine metaphorische Bedeutung aus: Das Wort bezeichnet „bloß die Klammer zwischen zwei Größen“. Zum folgenden Punkt Wolter I 376. Frankemölle, Taufverständnis, 63 gegen Schwarzmann, Tauftheologie, 28-29. Die Dativwendung τω ñ, ο� μοιω' ματι τουñ θανα' του αυ� τουñ ist im Sinn eines dativus sociativus auf συ' μφυτοι zu beziehen (Lietzmann 68; Kuss I 300; Black 88; Käsemann 159-160; Wilckens II 13; Dunn I 316; Lohse 191; Wolter I 376 Anm. 45; Bornkamm, Taufe, 41-42; Tannehill, Dying, 54-57; Schnelle, Gerechtigkeit, 82; Gillman, Study, 208-211), nicht als dat. instrumentalis od. respectus, was die Hinzufügung von αυ� τω ñ, als Dativobjekt erfordert (Bauer/Aland s.v. ο� μοι' ωμα 1; Weiß 269; Kühl 204; Fitzmyer 435; Matera 150), jedoch als kompliziertere Lösung nicht den Vorzug verdient. Siehe zu 5,14, sowie Penna 430-431; Lohse 190; Wolter I 376-377; G. Barth, Taufe, 101102 Anm. 236; Vanni, � Ομοι' ωμα; Sabou, Note, 226-229; Sabou, Death, 70-78.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 43 ————————————————————————————————————
tiven Wirklichkeit des die Sünde sühnenden Todes Jesu, die den zum Glauben an Jesus Bekehrten erfasst hat. Die Differenz zwischen dem Tod Jesu und dem Tod der Jesusbekenner ist die Differenz zwischen dem physischen Tod Jesu am Kreuz und dem metaphorischen Tod des Jesusbekenners, der ihn real von der Sünde trennt (V. 2), aber nicht real-physisch stattgefunden hat. Die Gemeinsamkeit zwischen Jesus und den zum Glauben an Jesus Bekehrten ist der Tod – der Tod Jesu durchschneidet die von Adam in Gang gesetzte Verbindung von Sünde und Tod und vergibt Sünde mit effektivendzeitlicher Wirkung für die Jesusbekenner, die in diese Wirklichkeit hineinversenkt wurden.90 Die Gleichzeitigkeit von Differenz und Gemeinsamkeit kennzeichnet auch die anderen Stellen, in denen Paulus ο� μοι' ωμα verwendet. Röm 1,23: Die Heiden beten „die Gestalt des Bildes eines vergänglichen Menschen oder von Vögeln und Vierfüßlern und Kriechtieren“ an, d.h. das Abbild, die Darstellung vergänglicher Lebewesen. Röm 8,3: Gott hat seinen Sohn „in der Ähnlichkeit des sündigen Fleisches gesandt“, d.h., er war ganz Mensch, aber eben nicht ein wie andere Menschen der Herrschaft der Sünde unterworfener Mensch. Phil 2,7: Jesus wird der „äußeren Gestalt nach“ als Mensch erfunden; seinem Wesen nach ist er Gott gleich (2,6), sein Menschsein macht ihn nicht zum Menschen wie andere Menschen. Die folgenden Interpretationen von ο� μοι' ωμα sind weniger plausibel. 1. Das „Abbild“ des Todes Jesu ist die Taufe, durch die die Christen mit dem Messias Jesus zusammengewachsen sind.91 Die Syntax des griech. Satzes verlangt, dass συ' μφυτοι das Subjekt von τω ñ, ο� μοιω' ματι τουñ θανα' του αυ� τουñ ist, nicht βα' πτισα; das Perfekt von γεγο' ναμεν verweist auf einen kontinuierlichen Zustand, nicht auf vergangene Handlung, und das Futur ε� σο' μεθα in V. 5b passt ebenfalls nicht zur vergangenen Taufe. 2. Wenn man ο� μοι' ωμα als „Repräsentation“ deutet, kann man im Sinn der missionarischen Verkündigung von Tod und Auferweckung Jesu Christi interpretieren.92 Paulus verweist im Kontext nirgends auf die Verkündigung. 3. Mit ο� μοι' ωμα ist die „Gestalt“ des Todes Jesu gemeint.93 Die Aussage, dass der Jesusbekenner mit dem Tod Jesu „fusioniert“ wurde, hätte er ohne ο� μοι' ωμα formulieren können. 4. Keinen Anhaltspunkt im Text hat der Vorschlag, mit ο� μοι' ωμα sei der Leib Jesu gemeint, mit dem der Täufling in der Taufe zusammenwächst.94 Paulus macht keine ekklesiologische Aussage. 5. Manche kombinieren einen Bezug auf die Taufe mit der Beto————————————————————
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Vgl. Calvin I 306: non moriamur instar Christi, morte naturali, sed hanc nobis esse cum eius morte convenientiam („dass wir nicht wie Christus in natürlicher Weise sterben, sondern dass eine Gleichartigkeit besteht zwischen seinem und unserem Tod“); Godet 15; Zahn 300; Schlatter 206; Dunn I 317.330-31; Schreiner 313-314; Légasse 396; Penna 432; Hultgren 248; Wolter I 376; Vanni, �Ομοι' ωμα, 431-470; Gewiess, Abbild, 339-346; Tannehill, Dying, 38-39; Morgan, United, 267-302; Agersnap, Baptism, 283-288. Lagrange 146; Barrett 124; Kuss 301-302; Michel 206; Schwarzmann, Tauftheologie, 3234; Warnach, Taufe, 307-311; Schnelle, Gerechtigkeit, 82-83; Betz, Ritual, 115-116. Sabou, Note, 226-229; Sabou, Death, 92-94. Kritisch Jewett 401 Anm. 106 im Blick auf die Interpretation von Aristoteles, Pol 1340a-b; Plato, Leg 812b. Schlier 195; Kuss I 301; Wilckens II 14; W. Grundmann, ThWNT VII, 791; Bornkamm, Taufe, 42; Beasley-Murray, Taufe, 180; Gäumann, Taufe, 78-79; Frankemölle, Taufverständnis, 70; G. Barth, Taufe, 102; Theobald, Der Römerbrief, 239. Schrage, Abbild, 205-219; referiert von Schnelle, Gerechtigkeit, 211 Anm. 452; kritisch Morgan, United, 292-293.
44 Römerbrief ———————————————————————————————————— nung des Todes Jesu. So lehnt z.B. Käsemann eine Interpretation von ο� μοι' ωμα im Sinn der Taufe ab, betont dann aber den in der Taufe erfolgten Tod der Getauften, der weder bloßes Abbild des Kreuzestodes ist noch eine Analogie dazu: Paulus „spricht vom Tode Jesu …, der historisches und eschatologisches Ereignis zugleich ist … In der Taufe ergreift er den, der sich dieser Handlung unterzieht, und tut es dokumentarisch, sichtbar, Existenz wandelnd. ο� μοι' ωμα unterscheidet sich ebenso von dem Geschehen auf Golgatha, wie es damit verbindet … Die historische und theologische Prävalenz des Kreuzes wird nicht bestritten, die Taufe aber auch nicht zu dessen Wiederholung gemacht. Der abstrakte Sinn ‚Gleichheit‘ wird dem am ehesten gerecht“.95
In V. 5b formuliert Paulus die Aussage, auf die es ihm jetzt ankommt: Weil wir mit dem Todesgeschick Jesu verbunden sind, werden wir es auch mit seiner Auferstehung sein.96 Man kann das Futur (ε� σο' μεθα) als logisches97 oder als gnomisches Futur verstehen und im Sinn der gegenwärtigen Heilsteilhabe interpretieren: Die „Neuheit des Lebens“ von V. 4b ist die Wirklichkeit des Lebens des auferstandenen Jesus.98 Da mit dem Perfekt V. 5a (γεγο' ναμεν) bereits die Gegenwart der Gläubigen angesprochen ist, ergibt es besseren Sinn, das mit α� λλα` και' angeschlossene Futur V. 5b (ε� σο' μεθα) auf die Zukunft zu beziehen.99 Wer mit dem die Sünden sühnenden Tod Jesu verbunden ist, hat die Gewissheit, dass er auch an der Auferweckung Jesu teilhaben wird (vgl. 5,17-18.21). Die Teilhabe an der Auferweckung Jesu ist die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes (5,2). Wenn man V. 5b συ' μφυτοι τω ñ, ο� μοιω' ματι τηñ ς α� ναστα' σεως liest („wir werden auch mit dem Abbild seiner Auferstehung zusammenwachsen“), besteht die Differenz darin, dass die Auferweckung Jesu eine Auferweckung am dritten Tag nach dem Tod am Kreuz war, während die Auferweckung der Jesusbekenner in einer potenziell ferneren Zukunft stattfindet bzw. die unmittelbare Verwandlung der „Entrückung zum Herrn“ anlässlich des Erlebens der Wiederkunft Jesu (1Thess 4,17) bedeuten kann. Die Gemeinsamkeit des „Abbilds“ ist die vollständige Realisierung der Auferweckung Jesu in der Auferstehung der Toten (1,4; 1Kor 15,21; Phil 3,11). ————————————————————
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Käsemann 160. Zu α� λλα` και' vgl. BDR §448.6: „Hinzukommendes wird stark eingeführt“. Der Satz V. 5b ist unvollständig. Wenn τηñ ς α� ναστα' σεως parallel zu τουñ θανα' του V. 5a steht, kann man von einer Ellipse ausgehen und vor τηñ ς α� ναστα' σεως ist συ' μφυτοι τω ñ, ο� μοιω' ματι ergänzen: „Wir werden auch mit dem Abbild seiner Auferstehung zusammenwachsen“. Vgl. Wilckens I 15. Anders Schlier 195; Käsemann 159; vgl. Wolter I 377: Es ist möglich, dass τηñ ς α� ναστα' σεως direkt an συ' μφυτοι angeschlossen ist, da dieses mit folgendem Genitiv konstruiert werden kann (vgl. Plato, Phileb 51d; Philo, Somn 1,246): „Wir werden auch mit seiner Auferstehung zusammenwachsen“. Vom Blickpunkt der Vereinigung mit dem Tod Jesu in der Bekehrung (bzw. vom Blickpunkt der Taufe) aus gesehen liegt unsere Teilhabe an der Auferweckung Jesu, die sich in der Neuheit unseres Lebens äußert, in der Zukunft. Godet 17; Zahn 300-301; Cranfield I 308; Fitzmyer 435; Haacker 157; Frankemölle, Taufverständnis, 61; Eckstein, Auferstehung, 52-53. Tsui, Observations, 287-294. So viele der neueren Ausleger: Wilckens II 15; Moo 371; Dunn I 318; Légasse 397-398; Lohse 191; Jewett 402; Wolter I 377.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 45 ————————————————————————————————————
Die im Kontext vorzuziehende Interpretation als echtes Futur bedeutet nicht, dass man die Zeitreferenzen von V. 4 und V. 5 zu scharf voneinander trennen sollte, was die Parallelität der futurischen und dann präsentischen Verbformen von ζα' ω ([zaō], „leben“) in V. 8 (συζη' σομεν αυ� τω ñ, ) und V. 11 (ζω ñ ντας δε` τω ñ, θεω ñ, ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ) zeigt. Gleichzeitig gilt, dass die Gewissheit der zukünftigen Teilhabe an der Auferweckung Jesu Motivation ist, die Neuheit des Lebens (V. 4b) in der gegenwärtigen Lebensgestaltung Wirklichkeit werden zu lassen (V. 11-14). Diesen Zusammenhang legt auch der Kontext nahe, in dem Paulus den Einwand von V. 1 widerlegt: Jesusbekenner werden Sünde nicht als belanglose Sache abtun oder gar fröhlich praktizieren, weil sie wissen, dass die ihnen verbürgte Auferstehung der Erweis der Kraft der Gnade Gottes ist, die auch die Kraft ihres Lebens als mit Jesus Verbundene ist.100 6 Paulus erläutert die in V. 5 beschriebene Verbindung des Jesusbekenners mit dem Tod und der Auferweckung Jesu, indem er sich wie in V. 3 auf ein Wissen (γινω' σκοντες) der stadtrömischen Christen beruft. Paulus verwendet nach „sterben“ (α� πεθα' νομεν; V. 2), „hineinversenkt werden“ (ε� βαπτι'σθημεν; V. 3), „(mit) begraben werden“ (συνετα' φημεν; V. 4) und „zusammenwachsen“ (συ' μφυτοι; V. 5) die fünfte Metapher, die die Verbindung des Jesusbekenners mit dem Messias Jesus beschreibt: Wir wurden mit Jesus mitgekreuzigt (συνεσταυρω' θη). Das Präfix συ' ν- betont auch hier die Gemeinschaft mit dem Ergehen Jesu. Paulus formuliert bereits im Galaterbrief: „Ich bin mit dem Messias gekreuzigt worden“ (Χριστω ñ, συνεσταυ' ρωμαι). Weil Jesus am Kreuz gestorben ist, bedeutet die Vereinigung mit seinem Tod, dass Jesusbekenner „gekreuzigt“ wurden, als Jesus gekreuzigt wurde und als sie sich zum Glauben an Jesus, den Messias Israels und Retter der Welt, bekehrten. Wer noch nicht begriffen hat, dass der Tod das Leben beendet und dass das Begräbnis die endgültige Trennung von den Lebenden bedeutet, der wird durch den Hinweis auf die Kreuzigung begreifen, dass Paulus von einem endgültigen, unwiderruflichen Tod spricht, den die im Glauben mit Jesus Verbundenen erlitten haben. Das Leben in der Sünde, das der Einwand in V. 1 als Möglichkeit für Christen in den Raum stellt, ist infolge der Vereinigung mit Jesus undenkbar. Der Aorist verweist auf das vergangene Ereignis sowohl der Kreuzigung Jesu am 14. Nisan (7. April) des Jahres 30 als auch der Bekehrung zum Glauben an Jesus. Das Passiv verweist auf das Handeln Gottes, der den die Sünde sühnenden Kreuzestod Jesu eine Realität für die an Jesus Glaubenden werden lässt. ————————————————————
100
Vgl. Wilckens 16; Lohse 191.
46 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Wendung unser alter Mensch (ο� παλαιο` ς η� μω ñ ν α» νθρωπος) steht für das Leben vor der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus. Mit dem Adjektiv „alt“ verweist Paulus auf die Zeit seit Adam, in der die Sünde „zu allen Menschen“ (ει� ς πα' ντας α� νθρω' πους) gelangte und ihnen den Tod brachte. Das Personalpronomen „unser“ stellt fest, dass die Realität der Sünde, deren Herrschaft sich im Sündigen jedes einzelnen Menschen sowie im Tod jedes einzelnen Menschen zeigte, für Jesusbekenner eine Sache der Vergangenheit wurde.101 Zum Glauben an Jesus bekehrte Sünder gehören nicht mehr zu den gewohnheitsmäßig sündigenden Sündern (vgl. 1Kor 6,11: „das waren einige von euch“ [ταυñ τα' τινες ηò τε]). In 7,6 wird Paulus von der „Neuheit des Geistes“ (καινο' τητι πνευ' ματος) sprechen. Jesusbekenner gehören zu der mit dem Messias Jesus angebrochenen neuen Schöpfung: „Denn es kommt nicht darauf an, ob einer beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern darauf, dass er neue Schöpfung (καινη` κτι'σις) ist“ (Gal 6,15); „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung (καινη` κτι'σις): Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden (τα` α� ρχαιñα παρηñ λθεν, ι� δου` γε' γονεν καινα' )“ (2Kor 5,17 EÜ); Kol 3,9-10: „Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen (το` ν παλαιο` ν α» νθρωπον) mit seinen Taten abgelegt und seid zu einem neuen Menschen (το` ν νε' ον [α» νθρωπον]) geworden, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen“; Eph 4,22-24: „Dass ihr ablegen sollt, was euer früheres Leben (τη` ν προτε' ραν α� ναστροφη' ν) geprägt hat, den alten Menschen (το` ν παλαιο` ν α» νθρωπον), der zugrunde geht wie die trügerischen Begierden! Lasst einen neuen Geist euer Denken bestimmen, und zieht an den neuen Menschen (το` ν καινο` ν α» νθρωπον), der nach dem Willen Gottes geschaffen ist: in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit“ (ZÜ). Wenn wir Jesusbekenner von „unserem alten Menschen“ reden, meinen wir die vom Sündigen beherrschte Lebensweise, die uns den Tod eingebracht hätte, wenn wir uns nicht zum Glauben an Jesus Christus bekehrt hätten. Paulus erläutert mit der Wendung Leib der Sünde (το` σω ñ μα τηñ ς α� μαρτι'ας [to sōma tēs hamartias]). Der Genitiv τηñ ς α� μαρτι'ας (s. 2,12; 3,9) ist gen. qualitatis (der vom Sündigen charakterisierte Leib)102 oder gen. possessoris (der der Sünde gehörende Leib).103 Wer zum Glauben an den Messias Jesus kommt, erfährt, dass seine von der Sünde kontrollierte Existenz vernichtet (καταργηθηñ, , pass. divinum),104 d.h. von Gott beseitigt wird: ————————————————————
101 102 103 104
Zum zeitlichen Aspekt s. die Diskussion in Mauerhofer, Kampf, 72-76. So NSS II 18; HvS §126b; vgl. NGÜ: „unser sündiges Wesen“. Vgl. EÜ, ZÜ: „der von der Sünde beherrschte Leib“; GN: „unser von der Sünde beherrschtes Ich“. Vgl. Bauer/Aland s.v. καταργε' ω 1. „außer Wirksamkeit, Geltung setzen, entkräften“; 2. „vernichten, vertilgen, beseitigen“. Für die Papyri s. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 108.
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nicht die Möglichkeit des Sündigens, die immer noch gegeben ist, weil auch Jesusbekenner mit einem „sterblichen Leib“ (θνητο` ν σω ñ μα [thnēton sōma]; 6,12) leben, sondern die Macht der Sünde, die dem Sünder die Verurteilung im Endgericht einbringt. Der „Leib der Sünde“ ist identisch mit dem „Leib des Todes“ (σω ñ μα τουñ θανα' του [sōma tou thanatou]; 7,24), von dem Gott durch Jesus, den Messias und Kyrios befreit hat, wo immer Sünder zum Glauben an Jesus kommen, der mit seinem Leib (7,4) für Sünder gestorben ist. Paulus verwendet in V. 6 das Wort „Leib“ wie in 12,1 (vgl. Phil 1,20) als Ausdruck für die persönliche Existenz des Menschen, in dessen Biographie eine alles entscheidende Wende stattgefunden hat: Der Leib des „alten Menschen“, der als von der Macht der Sünde bestimmte Mensch, der sich in Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit (1,18) Gott versagt und deshalb von Gott gerichtet wird, wurde von Gott zum Gehorsam dem Schöpfer gegenüber befreit. In V. 6 spielt weder der Gegensatz zwischen Leib und Geist (8,10.13) noch der Gegensatz zwischen Leib und Seele (1Thess 5,23) oder zwischen sterblichem Leib und dem geistlichen Leib der Auferstehung (1Kor 15,44; Phil 3,21) eine Rolle. Wolter hat sicherlich recht, wenn er meint, Paulus spreche in V. 6 von Leib, weil er das Ergehen der Bekehrten mit „sterben“, „Tod“, „mitbegraben“ und „mitgekreuzigt“ werden beschreibt, alles „Widerfahrnisse des menschlichen Leibes“.105 Dass Paulus auf die hellenistische Tradition anspielt, nach der eine Trennung von der Bestimmung durch das Leibliche die Voraussetzung philosophischer Erkenntnis ist (vgl. Weish 1,4; Philo, Gig 14; CorpHerm 13,7), ist im Kontext nicht zu erkennen.
Die Befreiung von der Sünde wird mit einem Konsekutivsatz106 formuliert: sodass wir nicht mehr der Sünde Sklavendienste leisten. Paulus stellt fest: Jesusbekenner, die mit Jesus gekreuzigt und begraben wurden, sind der Sünde gestorben (V. 2) und können ihr deshalb nicht mehr als Sklaven dienen (δουλευ' ειν [douleuein]; zu δουñ λος s. 1,1). Die „Neuheit des Lebens“, die Gott den Glaubenden in seiner Gnade gewährt, ist ein Leben, das vom Zwang der Sünde und ihrer Todesfolge befreit ist. Zum Glauben an Jesus Gekommene gehören, was die Herrschaft der Sünde und des Todes betrifft, nicht zu Adam, sondern zu Jesus (5,12-21). 7 Der als allgemeingültige Aussage formulierte Satz denn wer gestorben ist, ist von der Sünde freigesprochen begründet V. 6. Ausleger verweisen ————————————————————
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Wolter I 379. Jewett, Terms, 292: Reflex der gnostischen Abwertung des Leiblichen; anders Jewett 403. Richtig Michel 207: „die menschliche Existenz der alten Weltzeit“. Der AcI τουñ μηκε' τι δουλευ' ειν η� μαñ ς ist konsekutives Adverbiale (vgl. HvS §221.225c); so die meisten Ausleger, die mit „sodass“ übersetzen (vgl. LÜ, Elb.Ü). Die Formulierung könnte auch finalen Sinn haben (so EÜ, ZÜ, GNB, NGÜ, die die Wendung an die finale Konjunktion «ινα anschließen; vgl. Moo 394; Schreiner 316). Wolter I 379: Paulus formuliert eine Seins-Aussage, Sollens-Aussagen folgen erst ab V. 12.
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zumeist auf einen vergleichbaren Satz im rabbinischen Judentum: „Alle Gestorbenen sind durch ihren Tod Entsündigte“,107 d.h., wer gestorben ist, der ist rechtskräftig aller Verpflichtungen ledig, denen er unterworfen war.108 Bei diesem Vergleich ist Folgendes zu beachten:109 1. Paulus spricht nicht von der Lossprechung von einzelnen Sündentaten, sondern von der Befreiung von der Macht der Sünde, was der Kontext V. 2.6 unterstreicht. 2. Paulus ist nicht der Meinung, Menschen würden nach ihrem Tod und infolge ihres Todes von der Sünde und ihren Folgen befreit. Es ist auch wenig plausibel, dass man dies im rabbinischen Judentum angenommen hat. 3. Paulus kommentiert nicht einen vorausgesetzten Tat-ErgehenZusammen-hang und die damit gegebene „Logik“ des Todes, sondern das Handeln Gottes im Sühnetod Jesu und in der Bekehrung des Sünders zum Glauben an den Messias Jesus. Wenn Paulus an einen solchen Grundsatz anschließt, dann betont er: Weil Tote nicht mehr versklavt werden können, sind Jesusbekenner, die mit dem Tod Jesu verbunden sind (V. 2-6), in dem das Todesurteil Gottes über die Sünde vollstreckt wurde, die Sünde los. Was Paulus im Kontext sagen will, ist klar: Der infolge der existentiellen Verbindung mit Jesus gestorbene Jesusbekenner wurde von Gott gerechtfertigt (δεδικαι'ωται); er ist damit frei von der Sünde und ihrer versklavenden Macht. Gott hat im Kreuzestod Jesu die Macht der Sünde gebrochen, die deshalb keinerlei Anspruch auf die Menschen erheben kann, die im Glauben den Tod Jesu als ihren eigenen Tod angenommen haben.110 8 In V. 8-10 formuliert Paulus die dritte Erläuterung von V. 2: Die Teilhabe am Tod des Messias Jesus bedeutet die Teilhabe an seinem Leben.111 V. 8 wiederholt im Wesentlichen V. 5. Der Bedingungssatz (ει�) formuliert einen ————————————————————
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Sifre Num §112 zu Num 15,31: כל המתים במיתה מתכפרים. Vgl. Sir 18,21-22: „Bevor du krank wirst, demütige dich (selbst), und im Augenblick der Verfehlungen zeige Umkehr (ε� ν καιρω ñ, α� μαρτημα' των δειñξον ε� πιστροφη' ν). Lass dich nicht hindern, ein Gelübde rechtzeitig einzulösen, und warte nicht bis zu (deinem) Tod (damit), gerecht zu werden (μη` μει' νη, ς ε« ως θανα' του δικαιωθηñ ναι)“ (LXX.D). Kuhn, Rm 6,7; Klaar, Rm 6,7, sowie die Kommentare. Michel 207 Anm. 16, der auch auf bShab 151b (R. Schimeon b. Gamaliel: „Wenn ein Mensch gestorben ist, ist er frei geworden von den Gebotserfüllungen“); bShab 30a; bNid 61b verweist, kommentiert: „Wir finden in der Antike oft die Anschauung, daß mit dem Tode bzw. der erlittenen Todesstrafe die Schuld abgebüßt und der Verbrecher von der Sünde befreit ist“. Vgl. Schreiner 318-319; Wolter I 380; Scroggs, Romans VI.7. Wilckens I 18: die Argumentation V. 7 ist nur dann verständlich, wenn Paulus die Sühnebedeutung des Todes Jesu voraussetzt; gegen Käsemann 162; Schnackenburg, Heilsgeschehen, 35; Thyen, Sündenvergebung, 205. Vgl. Dunn I 321; Wolter I 380. Die dritte Erklärung V. 8-10 weist mehrere Parallelen zur zweiten Erklärung V. 5-7 auf: V. 5/8 beginnen mit einem durch ει� eingeleiteten Bedingungssatz; in V. 6/9 folgt ein mit einem Ptz. formulierter Verweis auf das Wissen der Adressaten (γινω' σκοντες/ει� δο' τες); V.7/10 schließen mit einem begründendem γα' ρ-Satz.
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erfüllten Tatbestand: statt wenn wir aber mit dem Messias gestorben sind könnte man auch mit „weil wir mit dem Messias gestorben sind“ übersetzen. Die Aussage „wir sind gestorben“ (α� πεθα' νομεν [apethanomen]) wiederholt V. 2 und verbindet das Sterben „mit dem Messias“ (συ` ν Χριστω ñ, [syn Christō]). Dieser Tod fand in der Vergangenheit statt (Aorist) – zeitgleich mit dem Tod Jesu am Kreuz, sodann in der Erfahrung seines Todes in der Bekehrung zum Glauben an Jesus. Wer mit dem Messias verbunden ist, der ist mit seinem Tod verbunden (V. 3-5), gleichzeitig aber auch mit seinem Leben: wir werden auch mit ihm leben. Das „mit ihm leben“ (συζη' σομεν [syzēsomen]) ist im (echten) Futur formuliert: Die real-leibliche Teilhabe an der Auferweckung Jesu steht noch aus, ist aber durch die Tatsächlichkeit der Auferweckung Jesu gesichert. In 2Tim 2,11 formuliert Paulus: „Wenn wir mit dem Messias gestorben sind, werden wir auch mit ihm leben“ (ει� γα` ρ συναπεθα' νομεν, και` συζη' σομεν). Der Hinweis auf die Teilhabe am Tod Jesu und an der Auferweckung Jesu wird in V. 8 von einem Hinweis auf den Glauben der Jesusbekenner unterbrochen: wir glauben (πιστευ' ομεν [pisteuomen]; s. zu 1,5.8; 3,3). Paulus spricht damit die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gläubigen an: Sie sind mit Jesus gestorben (α� πεθα' νομεν, Aor.) und deshalb nicht mehr unter der Macht der Sünde; sie glauben (πιστευ' ομεν, Präs.) an die Wirklichkeit der Auferweckung des Messias Jesus und damit an die Sühnewirkung seines Todes am Kreuz; sie werden zusammen mit Jesus leben (συζη' σομεν, Fut.), wenn Gott seine Herrlichkeit offenbart und sie in der Vollendung in der Gegenwart Gottes leben. Dann gilt nach 1Thess 4,17: „Wir werden bei dem Herrn sein allezeit“ (πα' ντοτε συ` ν κυρι'ω, ε� σο' μεθα). Nach Phil 1,23 sehnt sich Paulus danach, „aufzubrechen und beim Messias zu sein (συ` ν Χριστω ñ, ειòναι)“. Die leibliche Gemeinschaft mit dem auferstandenen Messias steht noch aus. Sie wird sich dann ereignen, wenn Jesus wiederkommt, „der unseren nichtigen Leib verwandeln wird (μετασχηματι'σει το` σω ñ μα), dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe (συ' μμορφον τω ñ, σω' ματι τηñ ς δο' ξης αυ� τουñ ) nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann“ (Phil 3,21).112 In Röm 10,9 bezieht sich πιστευ' ειν ο« τι („glauben, dass“) auf die Auferweckung Jesu von den Toten, in 1Thess 4,14 auf den Tod und die Auferstehung Jesu. In Röm 6,8 ist der Blick auf die Zukunft der Auferstehung der mit dem Messias verbundenen Gläubigen gerichtet. Wolter kommentiert: „In allen drei Fällen bezeichnet πιστευ' ομεν ο« τι eine Wahrheitsgewissheit: in Röm 10,9 und 1Thess 4,14 als Wirklichkeitsgewissheit, in Röm 6,8 als Hoffnungsgewissheit “.113 ————————————————————
112 113
Vgl. 8,11.23; 1Kor 15,51-54; 1Thess 5,10. Wolter I 381; vgl. Röm 8,24-25; 2Kor 5,7 für die Parallelität von Hoffnung und Glaube.
50 Römerbrief ————————————————————————————————————
9 Paulus erinnert die Christen in Rom wieder an eine Tatsache, die ihnen
bekannt ist: denn wir wissen, dass der von den Toten auferweckte Messias nicht mehr stirbt. Der Messias, der am Kreuz gestorben ist (V. 6), wurde von den Toten auferweckt (Χριστο` ς ε� γερθει`ς ε� κ νεκρω ñ ν). Jesus hat das Sterben hinter sich: Es ist sicher, dass er „nicht mehr stirbt“ (ου� κε' τι α� ποθνη,' σκει). Die Auferstehung Jesu war anderer Natur als die Auferweckung eines Kindes in Zarpat (1Kön 17,17-24), des Kindes in Schunem (2Kön 4,18-37), des Mannes in Nain (Lk 7,11-17), von Lazarus in Betanien (Joh 11,1-45) und der Tabita in Joppe (Apg 9,36-42). Diese Menschen wurden durch ein Wunder vom Tod in ein irdisches Leben zurückgebracht, aus dem sie schließlich durch einen erneuten Tod wieder geschieden sind, weil sie alle immer noch einen sterblichen Leib hatten, was auch für die Jesusbekenner in der Gegenwart gilt (6,12; 8,11; 1Kor 15,53-54; 2Kor 5,4). Jesu Auferstehung führte ihn ins ewige Leben: der Tod herrscht nicht mehr über ihn. Jesus hat durch seinen Sühnetod am Kreuz und seine Auferstehung die seit Adam bestehende Herrschaft beendet, die der Tod (θα' νατος) infolge der Sünde über die Menschen ausübte (5,14.17). Weil der Messias Jesus infolge seiner Auferweckung Herr (κυ' ριος [kyrios]; 1,4; Phil 2,9-11) ist, herrscht (κυριευ' ει [kyrieuei]) der Tod nicht mehr über ihn. Jesus ist als Herr auch Herr über den Tod. Wenn Jesus der Herr über den Tod ist, dann triumphiert das Leben – und dann können die mit ihm Verbundenen die Sünde, die zum Tod führt, weder tolerieren noch bagatellisieren. 10 Paulus begründet die Aussage V. 9a, dass der Tod nicht mehr über den Auferstandenen herrscht: Denn was er gestorben ist, ist er ein für alle Mal der Sünde gestorben; was er aber lebt, lebt er Gott. Der physische Tod, den Jesus am Kreuz gestorben ist (ο� α� πε' θανεν [ho apethanen]),114 war ein Tod, den Jesus zum „Nachteil“ der Sünde115 gestorben ist, sodass die Herrschaft der Sünde beendet wurde. Das mit „ein für alle Mal“ übersetzte Wort (ε� φα' παξ [ephapax]) unterstreicht die Einzigartigkeit von Tod und Auferstehung Jesu, deren Wirkung sowohl universal (sie gilt allen Sündern, ob Heiden oder Juden) wie auch endgültig ist: Die Vergebung der Sünde und das ewige Leben nach dem physischen Tod hängen allein von Jesu Tod und Auferstehung ab. Jesus hat die Herrschaft der Sünde und des Todes beendet, weil er als einziger bis zum Tod Gott gehorsam war (Phil 2,8). So hat er „die Sünde auf ihrem eigenen Feld besiegt und damit ihre Gewalt endgültig zerbrochen“.116 In V. 12-14 wird deutlich, dass das „Ein-für-alle————————————————————
114 115 116
Das Relativpronomen ο« nimmt θα' νατος aus V. 9 auf. Der Dativ τηñ, α� μαρτι' α, ist dativus incommodi (vgl. V. 2), der Dativ τω ñ, θεω ñ, dat. commodi; vgl. NSS II 19. Wilckens I 19 interpretiert als dat. possessoris. Lohse 193. Zu ε� φα' παξ vgl. 1Petr 3,18; Hebr 7,27; 9,12; 10,10.
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Mal“ der Trennung von der Sünde für die durch den Glauben mit Jesus Verbundenen so nicht gilt: Sie haben im Anschluss an Jesus die Vergebung ihrer Sünden erfahren, aber das Sündigen ist immer noch eine Möglichkeit, vor der sie gewarnt werden müssen. Jesu Auferstehung bedeutet, dass das Leben, das er lebt (ο� ζηñ, [ho zē]), ein Leben zum „Vorteil Gottes“ ist. Der Auferstandene lebt in Gottes Gegenwart und tut – wie schon immer – den Willen Gottes.117 11 Die Folgerung liegt auf der Hand: Jesusbekenner sollen aus ihrer Hineinnahme in den Tod Jesu die Konsequenzen ziehen und für Gott leben. Mit der Formulierung so auch ihr (ου« τως και` υ� μειñς)118 überträgt Paulus das Geschick Jesu in Tod und Auferstehung auf die Jesusbekenner, die er jetzt in direkter Rede anspricht. Die Formulierung ist elliptisch: Paulus vergleicht das Gestorbensein und das Leben Jesu (V. 10) mit dem von V. 2-8 her vorausgesetzten Gestorbensein und dem Leben der Jesusbekenner in Rom.119 Mit betrachtet euch (λογι'ζεσθε ε� αυτου' ς; s. 2,3.26; 4,3.4) ruft er sie auf, aus ihrem theologischen Wissen (V. 6.9) im Blick auf ihr Selbstverständnis und ihre Praxis die grundsätzliche Bewertung vorzunehmen, dass sie im Blick auf die Sünde Tote (νεκρου` ς τηñ, α� μαρτι'α, ) sind, aber im Blick auf Gott Lebende (ζω ñ ντας τω ñ, θεω ñ, ). Der Imperativ Präsens unterstreicht, dass sie dieses Urteil in der Gegenwart und durch ihr ganzes Leben hindurch beherzigen sollen. Die Verbundenheit mit Jesus, die Paulus in V. 2-6 mit fünf Metaphern erläutert hat, bedeutet für den Einwand V. 1, dass auch (και') Jesusbekenner von der Sünde getrennt und mit Gott verbunden sind, wie das beim gestorbenen und auferstandenen Jesus der Fall ist. Die Verbundenheit mit Jesus ist eine Verbundenheit mit seinem Tod: Sie sind für die Sünde tot, wie Jesus für die Sünde tot ist, weil er in seinem Tod, den er stellvertretend für sie gestorben ist, der Sünde gegeben hat, was sie von ihnen als Sünder forderte; weil sie für die Sünde tot sind, leben sie für Gott, wie Jesus für Gott lebt. Paulus bezeichnet sie nicht im Anschluss an V. 9 als „Auferstandene“: Sie sind noch nicht, wie Jesus, leiblich sowohl gestorben als auch auferstanden; allerdings sind sie sich der Auferstehung, die in der ————————————————————
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Die Auskunft von Wolter I 382, dass α� πε' θανεν und ζηñ, am Anfang und am Ende der gedoppelten Formulierung je eine verschiedene Bedeutung haben – physischer Tod bzw. durch die Auferstehung gewonnenes Leben, sodann Trennung von Sünde bzw. Verbundenheit mit Gott –, scheint künstlich. Die Wendung leitet in den Evangelien bei Gleichnissen und Bildworten die Anwendung ein: Mt 23,28; Mk 13,29 / Mt 24,33 / Lk 21,31; Lk 17,10; bei Paulus vgl. 1Kor 14,9.12; Gal 4,3; Kol 3,13. Zahn 308, der betont, dass der Vergleichspunkt dadurch nicht in λογι' ζεσθε verlegt wird, „als ob ein entsprechendes λογι' ζεσθαι auch bei Christus stattfände“.
52 Römerbrief ————————————————————————————————————
Zukunft stattfinden wird (V. 5.8), gewiss. Ihr gegenwärtiges Leben ist es und kann es jetzt sein: ein Leben in enger Verbundenheit mit Gott. Die Wendung im Messias Jesus (ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ) markiert noch einmal den Grund der Wende in der Biographie der Jesusbekenner: Sie sind von der Sünde getrennt und zu einem Leben für Gott befähigt, weil Gott sich im Messias Jesus zur Rettung der Sünder, die unter dem Zorn Gottes standen, geoffenbart hat und durch den Messias Jesus die Vergebung der seit Adam die Menschen beherrschenden Sünden, Überwindung des Todes, Heil schaffende Gerechtigkeit, Frieden mit Gott und ein Leben im Stand der Gnade Gottes ermöglicht hat (1,18–5,21). An Jesus Glaubende sind mit Jesus verbunden und deshalb „im Messias Jesus“ – als Resultat der Tatsache, dass sie „mit“ Jesus gestorben sind und zusammen „mit“ ihm leben (V. 8), als Teilhabe an seinem Tod, die ihn von der Sünde trennt, und seinem Leben, das ihn mit Gott verbindet (V. 10).120 12 Nachdem Paulus erläutert hat, dass Jesusbekenner das Sündigen nicht bagatellisieren können, weil sie mit dem Tod und der Auferweckung des Messias Jesus verbunden sind, behandelt er in V. 12-14 imperativisch die Konsequenzen, die sich für das Verhalten der einzelnen Jesusbekenner aus V. 2-11 ergeben: Sie sollen sich weigern, der Sünde erneut die Herrschaft einzuräumen, und sie sollen sich Gott zur Verfügung stellen als Menschen, die neues Leben haben und dem Gehorsam des Glaubens verpflichtet sind. Die erste Ermahnung lautet: Darum soll die Sünde in eurem sterblichen Leib nicht herrschen, dass ihr seinen Begierden gehorcht. Dem Indikativ – der Messias Jesus hat die Macht der Sünde und des Todes gebrochen (5,12-21; 6,9-10) – folgt jetzt der Imperativ: „die Sünde soll nicht herrschen“. Die durch μη' verneinte Aufforderung formuliert ein Verbot (μη` βασιλευε' τω),121 das sich formal an die „Sünde“ (η� α� μαρτι'α) richtet, inhaltlich jedoch an die Leser gerichtet ist: Jesusbekenner dürfen nicht erlauben, ————————————————————
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Dunn I 324; vgl. Cranfield I 316. Rein lokal interpretiert Wilckens II 19. Zu ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ s. 3,24. Wolter I 383; Wolter, Paulus, 240-241 interpretiert im Sinn einer symbolischen Sinnwelt, „die mit der Wirklichkeitsgewissheit des Christus-Glaubens identisch ist und die durch ihn konstituiert wird“ (ebd. 241), was unnötig komplizierend klingt. Vgl. Bauer/Aland s.v. βασιλευ' ω 1. König sein, herrschen; a. von irdischen Fürsten (Mt 2,22; Lk 19,14.27); b. von Gott und denen, die ihm eng verbunden sind: Gott (Offb 11,17; 19,6); Christus (Lk 1,33; 1Kor 15,25); Gott und Christus (Offb 11,15); Jesusbekenner (Röm 5,17; Offb 5,10; 20,4.6; 22,5); c. übertragen vom Tod (Röm 5,14), der Sünde (5,21; 6,12), der Gnade (5,21). Vgl. K.L. Schmidt, βασιλευ' ω, ThWNT I, 592; P. Lampe, Art. βασιλευ' ς 5, EWNT I, 497-498; B. Klappert, ThBLNT II, 1481. In den ptolemäischen Papyri wird das Verb ausschließlich in Datierungsformeln der ägyptischen Könige und Königinnen verwendet (z.B. BGU XIV 23761,1.20); später bezieht sich das Verb auf römische Imperatoren (P.Coll.Youtie II 66 Verso,51; 258 n.Chr.) und erscheint als feminines Partizip als Titel Roms (P.Oxy.Hels. 25,44; 264 n.Chr.); Arzt-Grabner, 1. Korinther, 173.
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dass sie sich von der Sünde beherrschen lassen.122 Die Aufforderung, die Sünde nicht herrschen zu lassen, zeigt, dass die Sünde und das SündigenKönnen für Christen noch nicht beseitigt sind. Indikativ und Imperativ sind gleichzeitig gültig: Jesus hat die Macht der Sünde und des Todes gebrochen, und Jesusbekenner sind mit Tod und Auferweckung Jesu vereinigt, und deshalb sollen sie jetzt dafür sorgen, dass sie der Sünde keine Herrschaftsausübung gestatten. Der Imperativ ist die erste und grundlegende paränetische Ermahnung im Römerbrief.123 Die Präsensform des negierten Imperativs beschreibt die Aufforderung, mit einer in Gang befindlichen Handlung aufzuhören oder die angesprochene Verhaltensweise niemals zu tun.124 Im ersten Fall wäre die Bedeutung der Bekehrung angesprochen: Die Gläubigen können und sollen infolge des Zustandekommens ihrer Verbindung mit Jesus aufhören, der Sünde Herrschaftsrechte einzuräumen. Im zweiten Fall formuliert Paulus einen Grundsatz christlichen Verhaltens: Jesusbekenner dürfen die Sünde und ihre Begierden niemals willentlich oder fahrlässig zum Zug kommen lassen. Mit der Wendung in eurem sterblichen Leib (ε� ν τω ñ, θνητω ñ, υ� μω ñν σω' ματι) ist einerseits der Bereich angezeigt, in dem die Sünde herrschen will, gleichzeitig das Instrument, das die Sünde benutzen will, um im Jesusbekenner erneut ihre Herrschaft aufzurichten. Jesusbekenner wurden zwar mit dem Tod und der Auferweckung Jesu vereinigt, nicht aber ihr Leib, der immer noch sterblich ist und damit der Welt angehört, in der seit Adam die Sünde ihr Unwesen treibt (5,12-21) und die mit dem Messias Jesus vereinten Gläubigen erobern und beherrschen will. Sie sind der Sünde gestorben (V. 2.11) und leben für Gott (V. 11), sie haben aber denselben Leib wie vor ihrer Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus und sind deshalb der Versuchung durch die Macht der Sünde weiterhin ausgesetzt, die in der Welt herrscht, in der sie leben. Der sterbliche Leib wird erst in der Zukunft verwandelt werden: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, wird der, der den Messias aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen (ζω, οποιη' σει και` τα` θνητα` σω' ματα υ� μω ñ ν) durch seinen Geist, der in euch wohnt“ (8,11.21-23; vgl. 1Kor 15,53-54). Paulus verwendet den Ausdruck „sterblicher Leib“ (θνητο` ν σω' μα [thnēton sōma]) nicht im Sinn der dualistischen griechischen Anthropologie, derzufolge die unsterbliche Seele im ————————————————————
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Marcus, Sin, 386-395 will die Imperative in V. 12-14 analog Mt 6,10 als Gebetsbitte verstehen; der Kontext 6,1-14 legt diese Interpretation nicht nahe, was nicht ausschließt, dass Paulus entsprechende Bitten in seinen Gebeten formuliert haben könnte. 3,4 (γινε' σθω) ist keine Paränese, 6,11 (λογι' ζεσθε) nur indirekt. Vgl. Kertelge, Rechtfertigung, 263-275; Merk, Handeln, 28-33; Theobald, Der Römerbrief, 240-242. Zum durativischen Imperativ Präsens vgl. HvS §212e.
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sterblichen Leib eingesperrt ist und erst mit dem Tod von ihm befreit wird.125 Der Ausdruck ist also nicht synonym mit dem „Leib der Sünde“ (V. 6) oder dem „Leib des Todes“ (7,24), denen der in Jesus inkorporierte Jesusbekenner abgestorben ist (V. 2-8). Er beschreibt die irdische Existenz des Christen in ihrer Leiblichkeit, die im Raum der von der Macht der Sünde beherrschten Welt ihre Wirklichkeit hat. „Gerade auf sie erhebt Gott als Schöpfer, der seine Welt in sein Recht zurückholt, Anspruch“. 126 Jesusbekenner leben im Wirkungsbereich der Macht der Sünde, sie gehören jedoch, gerade auch mit ihrem Leib, dem Messias Jesus, der Kyrios ist (1,4; 4,24; 5,1.21). Jesusbekenner sollen gerade in ihrem Körper deutlich werden lassen, dass sie Jesus gehören und der Sünde gestorben sind. Die Wendung dass ihr seinen Begierden gehorcht (ει�ς το` υ� πακου' ειν ταιñς ε� πιθυμι'αις αυ� τουñ ) ist konsekutive Adverbialbestimmung zu „herrschen“ (βασιλευε' τω). Für Menschen, die in ihrer leiblichen Existenz von der Herrschaftsmacht der Sünde bestimmt sind, folgt, dass sie den sündigen Begierden des Leibes gehorchen. Es gehört zum Wesen der leiblichen Existenz, „Begierden“ (ε� πιθυμι' αι [epithymiai]; s. zu 1,24; 7,7) zu haben. Begierde ist allgemein das Verlangen, das zum Menschsein gehört, die Wünsche, die Menschen haben. Im Kontext des Herrschens der Sünde (V. 12a) ist Begierde negativ das Verlangen nach Verbotenem (vgl. 7,7). Von „Begierden des Leibes“ (ε� πιθυμι' αι τουñ σω' ματος [epithymiai tou sōmatos]) sprechen Plato (Leg 837c; Phaed 82c) und Aristoteles (EthNic 1149b25), neben anderen Autoren auch Philo (All 1,103; Mut 171). Nach Plato „ruft nichts anderes Kriege und Aufstände und Kämpfe hervor als der Leib (σω' μα) und seine Begierden (ε� πιθυμι' αι)“ (Phaed 66c). Für Philo erzeugt die Begierde „Durst und Hunger … nach Geld, Ruhm, Machtpositionen, Schönheit“ (SpecLeg 4,82). Griechische und jüdische Autoren verbinden die Begierden mit dem Gedanken der Herrschaft, Kontrolle und Unterwerfung. Plato spricht von τυραννικαι` ε� πιθυμι' αι (Resp 578a), Xenophon von „den Begierden des Leibes als Sklave dienen“ (δουλευ' οντα ταιñς τουñ σω' ματος ε� πιθυμι' αις; Apol 16), TestAss 3,2 vom Sklavendienst gegenüber den Begierden, um Beliar zu gefallen (ταιñς ε� πιθυμι' αις αυ� τω ñ ν δουλευ' ουσιν, «ινα τω ñ, Βελι' αρ α� ρε' σωσι), Philo von den Begierden – neben falschen Meinungen, Vergnügungen, Ungerechtigkeiten, Torheiten und falschen Vorstellungen – als Gebieterinnen, denen man als Sklave dient (δουλευ' σεις το` ν αι� ω ñ να χαλεπαιñς δεσποι' ναις, οι� η' σεσιν, ε� πιθυμι' αις, η� δοναιñς, α� δικι' αις, α� φροσυ' ναις, ψευδε' σι δο' ξαις; Cher 71,6). Paulus verwendet das Substantiv ε� πιθυμι' α in 1,24; 6,12; 7,7.8; 13,14, sowie Gal 5,17; Phil 1,23; 1Thess 2,17 (jeweils neutral); 1Kor 10,6; Gal 5,16.24; 1Thess 4,5 (jeweils negativ); das Verb in Röm 7,7; 13,9 (Zitat des 10. Gebots im Dekalog).127 Die im Römerbrief durchweg negative Bedeutung hängt mit der „normierenden Sprachkraft des biblischen Dekaloggebots“ zusammen,128 das in frühjüdischen Texten oft als Überschrift über die
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Plato, Tim 43e-44b; Isokrates, Nic 37; Xenophon, Cyrop 8,7,19; Dionysius Halicar-nassus, AntRom 5,4,3; 7,72,13; 27,2; sowie Philo, Migr 9; Her 273-274; Somn 1,138; Virt 9; Josephus, Bell 3,372. Käsemann 169, mit Verweis auf Bauer, Leiblichkeit, 154-155. Zu Paulus s. Räisänen, Torah, 158-167; Theobald, Concupiscentia, 267-274.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 55 ———————————————————————————————————— zweite Tafel des Dekalogs verwendet wird. Für Paulus werden die Begierden im Leib sichtbar, sie werden jedoch nicht vom Leib verursacht
Weil die Begierden eine anthropologische Gegebenheit sind, „die jeder Mensch in seinem ‚sterblichen Leib‘ vorfindet“,129 ist die Ermahnung, ihnen nicht zu gehorchen, notwendig. Menschen wollen, was dem Willen Gottes widerspricht und dem Nächsten zum Schaden gereicht. Auch für Jesusbekenner ist es möglich, diesem begehrlichen, gegen Gott gerichteten Wollen zu „gehorchen“. Die Herrschaft (βασιλευ' ω, [basileuō]) der Sünde besteht im Gehorchen (υ� πακου' ω [hypakouō]; s. zu 1,5) der Begierden. Weil die Herrschaft der Sünde im Gehorsam gegenüber den Begierden verwirklicht wird, verlangt Paulus, dass Jesusbekenner den Begierden widerstehen, was in ihrer Lebensführung deutlich wird. Die „Neuheit des Lebens“ (V. 4), die sich für die Gläubigen aus der Verbundenheit mit dem Tod und der Auferweckung des Messias Jesus als theologische Wirklichkeit ergeben hat, kann und soll in der Lebensweise des „sterblichen Leibes“ im Alltag sichtbare Gestalt bekommen. Die anthropologische Notwendigkeit der Ermahnung, den sündigen Begierden nicht mehr willfährig zu sein, weil so der Sünde wieder zur Herrschaft verholfen würde, ist gleichzeitig eine theologische Notwendigkeit: Die menschliche Existenz der Jesusbekenner, die das Sündigen immer noch möglich sein lässt, macht die Abweisung der sündigen Begierden genauso notwendig wie ihre theologische Existenz, deren Freiheit von der Macht der Sünde nicht theoretische Fiktion bleiben darf, sondern in dem neuen Leben für Gott im konkreten Handeln bewahrheitet wird. Jesusbekenner gehorchen Jesus, dem Herrn ihres Lebens. Die Wirklichkeit ihres Von-der-Sünde-Losgekommen-Seins zeigt sich im Alltag ihres Lebens für Gott. 13 Paulus erläutert konkretisierend die Aussage V. 12 mit einem zweifachen, dasselbe Verb wiederholenden Imperativ. Der erste Imperativ konkretisiert die Aufforderung, die Sünde nicht mehr zur Herrschaft kommen zu lassen, die zum Gehorsam gegenüber den sündigen Begierden drängt: Und stellt eure Glieder nicht der Sünde zur Verfügung als Waffen der Ungerechtigkeit. Der Leib (σω ñ μα) wird in den „Gliedern“ (τα` με' λη [ta melē]) konkret, d.h. den Körperteilen bzw. Gliedmaßen, mit denen der Mensch handelt.130 In 1Kor 12,12 schreibt Paulus, dass der Leib eine Einheit ist (το` σω ñ μα ε« ν ε� στιν), aber viele Glieder hat (με' λη πολλα` ε» χει), zu denen der Fuß, ————————————————————
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Theobald, Concupiscentia, 268. Wolter I 389; gegen Wilckens II 80, der vom „Tat-Charakter“ der Begierde spricht. Vgl. F. Horst, Art. με' λος, ThWNT IV, 559-572; M. Völkel, EWNT II, 995-997; H.G. Schütz / S. Wibbing, ThBLNT II, 1279-1280; Brockhaus, Charisma, 1164-175; Hainz, Ekklesia, 73-88; Borek, Unità, 29-46.
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die Hand, das Ohr, das Auge, der Geruchssinn, der Kopf und die Sexualorgane gehören (1Kor 12,14-26). Paulus fordert die Christen auf, die Glieder ihres Leibes nicht der Sünde „zur Verfügung zu stellen“ (μηδε` παριστα' νετε [mēde paristanete]). Analog der Aufforderung in V. 12, die Sünde nicht herrschen zu lassen (μη` βασιλευε' τω), beschreibt die Präsensform des negierten Imperativs die Aufforderung, mit der vor ihrer Bekehrung üblichen Seins- und Verhaltensweise aufzuhören, oder Paulus betont in einem grundsätzlichen Sinn, die angesprochene Verhaltensweise niemals zu tun. Christen sollen ihre Füße und Hände, ihre Augen und Ohren und die anderen Organe ihres Körpers der Sünde (τηñ, α� μαρτι'α, ) nicht (mehr) zur Verfügung stellen: Sie können und sollen der Sünde nicht erlauben, die Glieder ihres Körpers nach ihrem Gutdünken zu verwenden und sie als entscheidungsbefugte Instanz ihrer Urteile und ihres konkreten Verhaltens in den verschiedenen Bereichen des Alltags zu akzeptieren.131 Die Sünde will die Glieder des Leibes als „Waffen der Ungerechtigkeit“ (ο« πλα α� δικι'ας [hopla adikias]) einsetzen, d.h. die Füße und Hände, Augen und Ohren und die anderen Körperorgane zum ungerechten Handeln verwenden. Bei der Sünde Evas im Garten Eden (Gen 3,1-6) kamen die Ohren (sie hörte auf die Schlange), die Augen („sie sah“) und die Hände („sie nahm“ und „sie gab“; V. 6) und vermutlich auch die Füße (als sie zum Baum hinging) zum Einsatz. Das Wort ο« πλα kann im Sinn von „Werkzeuge“ verstanden werden, im Kontext der Metaphorik des ethischen Kampfes aber auch im Sinn von Waffen (2Kor 10,4; 1Thess 5,8; Eph 6,14-17; vgl. Röm 13,12 „Waffen des Lichts“; 2Kor 6,7 „Waffen der Gerechtigkeit“).132 Der Genitiv α� δικι'ας will Richtung und Absicht ausdrücken: Wenn die Sünde die Funktion der Glieder bestimmt, dann mit der Absicht, dass Unrecht geschieht. Paulus wird in 7,8-11 schildern, wie es der Sünde gelang, Adam zu täuschen und das Gegenteil von Leben zu bewirken. Mit α� λλα' wird die Aufforderung ins Positive gewendet: Sondern stellt euch Gott zur Verfügung als Lebende aus den Toten und eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit für Gott. Der Imperativ Aorist παραστη' σατε ————————————————————
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Das Verb παρι' στημι hat auch bei seiner theologischen Verwendung keine „Neigung zum ‚Offiziellen‘“ und Konnotationen vom altorientalischen Hofzeremoniell, wie B. Reicke, Art. παρι' στημι, ThWNT V, 838-839 annimmt und in den Kommentar zu Röm 6,12-13 einträgt. Zur juristischen Bedeutung „(dem Richter) vorführen“ vgl. Papathomas, Begriffe, 138-142 (mit vielen Beispielen). Die Formulierung „entscheidungsbefugte Instanz“ ist Arzt-Grabner, 1. Korinther, 309 entnommen. Lohse 196 verweist auf das Bild der geistlichen Waffenrüstung, das in den Texten der Qumrangemeinde verwendet wurde, „um den Streit der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis zu beschreiben. Er muß ausgefochten werden, um nicht den Bedrohungen zu erliegen, die von der bösen Welt ausgehen, um dem Gesetz treu zu bleiben“; vgl. Lohse, Militia Christi; K.G. Kuhn, Art. ο« πλον κτλ., ThWNT V, 297-300.
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([parastēsate]; „stellt euch zur Verfügung“) verweist, wenn er als ingressiver Aorist interpretiert wird („ab jetzt“),133 auf die Bekehrung, die eine neue Wirklichkeit setzt. Weil der Imp. Aorist jedoch die (unmarkierte) normale Befehlsform ist,134 ist die Formulierung als Aufforderung ohne Zeitbezug zu interpretieren: Jesusbekenner stellen sich Gott zur Verfügung, d.h., sie anerkennen Gott als entscheidungsbefugte Instanz für ihr Verhalten im Alltag. Weil sie der Sünde gestorben sind (V. 2), leben sie Gott (τω ñ, θεω ñ, ; vgl. V. 11). Dies ist möglich, weil sie „Lebende aus den Toten“ (ε� κ νεκρω ñν ζω ñ ντας) sind.135 Die Vokabeln „Tote“ und „Lebende“ beschreiben die Zeit vor der Bekehrung als Tod und die Bekehrung als Gewinn von Leben.136 Die mit „als“ übersetzte Partikel ω� σει' [hōsei] zeigt einerseits, dass Paulus metaphorisch redet, andererseits, dass er den Lebensstand der Christen mit dem eines vom Tod Erstandenen vergleicht, was zeigt, dass in V. 13 nicht genau dieselbe Vorstellung wie in V. 4-6.8.11 vorliegt: „Dort war von einem Sterben des alten Menschen die Rede, welcher nicht wiederaufleben soll (s. besonders V. 11); hier von einem Lebensstand, welcher gleichsam durch eine Auferweckung aus dem Tode hergestellt ist, und welcher sich von dem vorchristlichen Leben der Leser ebenso unterscheidet, wie das Leben eines Auferstandenen, welcher den Tod für immer hinter sich hat, von dem Leben eines Menschen, der das Sterben noch vor sich hat und schon vor diesem Lebensende in einem beständigen vergeblichen Kampf mit dem herankommenden Tode und seinen Vorboten steht, bis er ihm erliegt“.137
Jesusbekenner gehören als Lebende aus den Toten auf die Seite Gottes und stellen sich Gott (τω ñ, θεω ñ, ) zur Verfügung mit dem Ziel, dass Gott ihre Glieder (τα` με' λη υ� μω ñ ν) als „Waffen der Gerechtigkeit“ (ο« πλα δικαιοσυ' νης) einsetzt, d.h. als Waffen der „in Christus und mit der Rechtfertigung auf den Plan getretene[n] Gottesmacht, die in der Vorwegnahme der leiblichen Auferweckung neues Leben wirkt und in ihren Dienst stellt“.138 Vor allem ————————————————————
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Sanday/Headlam 161; Kuss II 383-384; Wilckens II 20; Lohse 196; Wolter I 389-390: „Sie sollen ab jetzt lassen, was ihr Leben vorher gekennzeichnet hat, und tun, was ihre neugewonnene Identität erkennbar macht“. Kritisch Mathewson, Verbal Aspect in Imperatival Constructions, 21-35. HvS §212d; vgl. Mathewson, Verbal Aspect in Imperatival Constructions, 27; jetzt auch Haacker 160 Anm. 60; Kruse 268 mit Anm. 34. Die Präpositionalwendung ε� κ νεκρω ñ ν ζω ñ ντας ist prädikative Apposition zu ε� αυτου' ς. Das substantivierte Partizip ζω ñ ντας wird hier ohne Artikel verwendet; vgl. HvS §237b. Wolter II 391, mit Verweis auf JosAs 8,9; 15,5; 27,10; Philo, Migr 122; Ps-Philo, De Jona 153; Lk 15,24.32; Eph 2,1; Kol 2,13. Zahn 312; vgl. Wolter II 391. Wolter betont zu Recht, dass die Diskussion, ob ω� σει' eher vergleichend (Wilckens II 21; Agersnap, Baptism, 370-371; vgl. NSS II 19) oder eher kausal (Kuss II 384; Cranfield I 318; Schlier 203; Moo 385; Jewett 411) zu verstehen ist, an der metaphorischen Redeweise vorbeigeht: „Die eine Deutung ist genauso ‚realistisch‘ wie die andere, und um Deutungen handelt es sich auf beiden Seiten“. Käsemann 169; vgl. Dunn I 339, mit Verweis auf Furnish, Theology and Ethics, 195-196. Wolter I 391-392 interpretiert δικαιοσυ' νη als „Grundtugend“ im Sinn der (griechischen) Kardinaltugend. Anders Käsemann 169: Paulus „überbietet den Gegensatz von recht-
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ethisch richtigen Handeln weiß der Jesusbekenner, dass er die Neuheit seines Lebens ganz der Gnade Gottes verdankt. Wenn man die militärische Metapher „Waffen“ in Betracht zieht, ergibt sich der Gedanke des freiwilligen, vollumfänglich abzuleistenden Dienstes, zu dem man sich verpflichtet hat.139 Die Wiederholung des Dat. „für Gott“ (τω ñ, θεω ñ, ) am Ende des Verses unterstreicht, dass wahre Gerechtigkeit immer zuerst Dienst an Gott ist, ehe sie sich als Dienst am Nächsten verwirklicht, wo dies dann allerdings ganz konkret im Gehorsam gegenüber Gott in gerechtem Verhalten geschieht.140 Das mit der Formulierung „im Messias Jesus“ (ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ; V. 11) markierte Wirklichkeitsverständnis wird in V. 13 im Sinn des Gegenübers von „einst“ und „jetzt“, von „vor der Bekehrung“ und „nach der Bekehrung“, von „Tod“ und „Leben“, von „Unheil“ (Ungerechtigkeit) und „Heil“ (Gerechtigkeit) erläutert.141 Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder sind die Menschen und ihre Glieder (τα` με' λη) auf der Seite der Sünde (α� μαρτι'α) und leisten als Waffen (ο« πλα) der Ungerechtigkeit (α� δικι'α) Vorschub, oder sie sind auf der Seite Gottes (θεο' ς) und dienen als Waffen (ο« πλα) der Gerechtigkeit (δικαιοσυ' νη). Weil Jesusbekenner Menschen sind, die mit dem Tod und der Auferweckung Jesu verbunden sind, gilt für sie nur die zweite Möglichkeit. Die Aufforderungen „stellt euch nicht der Sünde zur Verfügung“ und „stellt euch Gott zur Verfügung“ zeigen einerseits, dass der Mensch keine autonome Persönlichkeit ist, sondern immer in einem Herrschaftsbereich lebt. Wir gehören nicht uns selbst (vgl. 14,7; 1Kor 16,19) – wir gehören entweder der Sünde oder Gott. Andererseits zeigen die Aufforderungen, dass der Christ – anders als vor seiner Bekehrung – keinem Zwang unterliegt: Er kann sündigen, aber er muss nicht sündigen, eine Tatsache, die seiner „Entscheidung für Gott den Charakter der Freiheit gibt – einer Freiheit, die er umgekehrt unter der Herrschaft der Sünde nie hatte. Es ist die Befreiung von dieser, die den Christen frei macht, sich nunmehr selbst-verantwortlich gegen die Sünde und für die Gerechtigkeit zu entscheiden“.142 14 Paulus begründet die Aufforderung von V. 12-13 mit einer Zusage, die in der in V. 2-10 beschriebenen Vereinigung des Jesusbekenners mit dem ————————————————————
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schaffenem und unrechtem Handeln. Die Ungerechtigkeit ist für ihn, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, die Gottlosigkeit,“ die Gerechtigkeit aber die in Folge des Kommens Jesu Wirklichkeit gewordene Macht Gottes, die den Jesusbekenner in ihren Dienst stellt. Vgl. Michel 209 mit Anm. 25. Gerber, Waffendienst, 138; vgl. Stettler, Heiligung, 442. Hübner, Gesetz, 110-111. Gerechtigkeit als heilschaffende Macht Gottes und Gerechtigkeit als Gehorsam gegenüber Gott dürfen hier nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wolter I 391. Gegen Wilckens II 21, der im Sinn der Taufe interpretiert. Wilckens II 21; statt „selbstverantwortlich“ sollte man besser „Gott verantwortlich“ formulieren; so auch Dunn I 337.
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Messias Jesus gründet: Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Die immer wieder zu treffende Entscheidung, im Lebensvollzug des Alltags nicht der Sünde Vorschub zu leisten, sondern Gott und seiner Gerechtigkeit zu dienen, wird zwar nicht ohne Niederlagen erfolgen – die Imperative wären sonst nicht notwendig. Sie ist aber von der Verheißung getragen, dass die Sünde nicht wieder zur Herrschaft kommt. Damit ist nicht gemeint, dass Christen nicht mehr sündigen werden, sondern dass ihr Sündigen nicht mehr zum Tod führt, war es doch der Tod, zu dem die Sünde die Sünder zwang und so ihre Herrschaft ausübte (5,12.14.17). Weil Christen infolge ihrer Vereinigung mit dem Messias Jesus von Gott selbst gerechtfertigte Sünder sind, denen Gott im Sühnetod Jesu die Sünden vergeben hat (3,24-26; 4,78.24-25), weil sie Frieden mit Gott, Zugang zur Gnade Gottes und die gewisse Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes haben (5,1-2) und weil sie der Unheilsgeschichte seit Adam, in der Sünde zum Tod führte, im Anschluss an Jesus enthoben wurden (5,12-21), ist ihnen der Triumph der Gnade garantiert, der die Machtlosigkeit der Sünde beinhaltet. Das erste denn (γα' ρ) begründet die Aussage V. 14 mit der Tatsache, dass Jesusbekenner infolge ihrer Vereinigung mit Jesus „Lebende aus den Toten“ sind und im Dienst der „Gerechtigkeit für Gott“ stehen (V. 13). Die Sünde (α� μαρτι'α) wird jetzt und in der Zukunft nicht über euch herrschen (υ� μω ñν ου� κυριευ' σει [hymōn ou kyrieusei]),143 weil sie zur Herrschaft des Kyrios Jesus gehören, der die Macht der Sünde durch seinen Sühnetod am Kreuz und seiner Auferstehung gebrochen hat. Die Aussage entspricht V. 6, wo Paulus davon gesprochen hatte, dass für mit Jesus vereinigte Jesusbekenner „der Leib der Sünde“ vernichtet ist und sie deshalb der Sünde keine Sklavendienste mehr leisten. Der Indikativ „die Sünde wird nicht über euch herrschen“ (α� μαρτι'α υ� μω ñ ν ου� κυριευ' σει) ist die Begründung für den Imperativ „die Sünde soll nicht in eurem sterblichen Leib herrschen“ (μη` βασιλευε' τω η� α� μαρτι'α ε� ν τω ñ, θνητω ñ, υ� μω ñ ν σω' ματι; V. 12). Das Futur des Verbs beschreibt die Freiheit von der Herrschaft der Sünde als endzeitlichen status quo, der infolge der Vereinigung mit Jesu Tod und Auferweckung in der Gegenwart gilt und durch die Herrschaft des Auferstandenen auch für das Endgericht gesichert ist (vgl. 8,31-39). Die Freiheit von der Herrschaft der Sünde muss nicht durch einen erfolgreichen Kampf gegen das Sündigen erst noch errungen werden: Sie ist eine von Gott durch den Messias Jesus dem Sünder gewährte Heilstatsache. Die Herrschaft der Gnade hat die Herrschaft der Sünde (5,20-21) für die Menschen abgelöst, die mit dem Messias Jesus vereinigt sind (6,2-10, als Widerlegung des Einwands V. 1). Diese Heilstatsache der ————————————————————
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Verben des Herrschens (κυριευ' ω) werden mit Genitiv (υ� μω ñ ν) konstruiert; HvS §167h.
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Freiheit von der Herrschaft der Sünde gilt es im Alltag zu bewahren und zu bewähren.144 Die begründende Aussage denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade ist auf den ersten Blick überraschend, weil Paulus in V. 1-13 nicht vom Gesetz gesprochen hatte. In 5,13 hatte Paulus erläutert, dass der Nexus von Sünde und Tod unabhängig vom Gesetz ist, das seit Mose die Sünde als detaillierte Tatsünde in die himmlische Buchführung einträgt. In 3,20 hatte er betont, dass kein Mensch, weder Heide noch Jude, durch Werke des Gesetzes vor Gott als Gerechter dasteht, weil durch das Gesetz Erkenntnis der Sünde kommt, in 3,21, dass Gott seine den Sünder rechtfertigende Gerechtigkeit unabhängig vom Gesetz offenbarte (nach 3,24-26 durch den Sühnetod des Messias Jesus). Mit unter dem Gesetz (υ� πο` νο' μον [hypo nomon]) sein meint Paulus das mosaische Gesetz als Kriterium des Heils. Die Wendung „unter dem Gesetz“ (υ� πο` [το` ν] νο' μον [hypo [ton] nomon]) ist außerhalb der paulinischen Briefe sehr selten. Der exakte Ausdruck kommt nur noch zwei Mal vor: PsPlato, Definitiones 415c („eine Stadt ist die Behausung einer großen Zahl von Menschen, die sich an gemeinsamen Grundsätzen orientieren, eine große Zahl von Menschen, die sich unter demselben Gesetz [υ� πο` νο' μον το` ν αυ� το' ν] befinden“); Ps-Longinus, Sublim 33,5 (die Gedichte des Archilochus weisen einen Ausbruch göttlichen Geistes auf, „den unter ein Gesetz [υ� πο` νο' μον] zu bringen, schwierig ist“). Im Plural liegt die Wendung vor bei Aristoteles, Resp 1270a6-8 („man sagt, dass Lykurgos zwar versucht habe, die Frauen unter die Gesetze [υ� πο` του` ς νο' μους] zu bringen; als diese sich aber widersetzt hätten, habe er davon wieder Abstand genommen“); Demosthenes, Or 23,141 („lasst [die Angeklagten] sich nicht beschweren …, sondern bringt sie unter die Gesetze [υ� πο` του` ς νο' μους]“); Josephus, CAp 2,210 (Proselyten sind „alle, die mit uns unter denselben Gesetzen [υ� πο` του` ς αυ� του` ς η� μιñν νο' μους] leben wollten“). In allen Fällen geht es um das Gesetz oder gesetzliche Forderungen, die man zu erfüllen hat. Bei Paulus kommt die Formulierung „unter dem Gesetz“ (υ� πο` [το` ν] νο' μον) in Röm 6,14.15; 1Kor 9,20 (4x); Gal 3,23; 4,4.5.21; 5,18 vor. In 1Kor 9,20 beschreibt die Wendung Juden im Unterschied zu Heiden: Paulus will auch Juden, die das Gesetz haben, für den Glauben an Jesus gewinnen. Dieselbe Bedeutung liegt in Gal 4,4-5 vor: Gott sandte Jesus, seinen Sohn, „geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt“. In Gal 5,21 ist ebenfalls diese Bedeutung anzunehmen: Die galatischen Christen, die „unter dem Gesetz“ sein wollen, sind Heidenchristen, die sich beschneiden lassen, d.h. Juden werden wollen. In Gal 3,23 beschreibt die Wendung „unter dem Gesetz“ die Juden, die vom Gesetz verwahrt wurden (Elb.Ü, LÜ; EÜ, ZÜ übersetzen υ� πο` νο' μον ε� φρουρου' μεθα negativ interpretierend mit „im Gefängnis des Gesetzes“), bis durch den Messias die Gerechtigkeit aus Glauben kam (Gal 3,23-24). Die Aussage von Gal 5,18 („Wenn ihr euch aber vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz [ου� κ ε� στε` υ� πο` νο' μον]“) entspricht Röm 6,14 („ihr seid nicht unter dem Gesetz [ου� κ ε� στε υ� πο` νο' μον], sondern unter der Gnade“). ————————————————————
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Wolter I 392: „Hierauf, die Freiheit von der Herrschaft der Sünde nicht wieder aufzugeben, richtet sich die paränetische Weisung“; in der Terminologie von Sanders, Paulus und das palästinische Judentum: Die Weisung von V. 12 wird durch V. 14 als Aufforderung nicht zum „getting in“, sondern zum „staying in“ kenntlich gemacht.
Das neue Leben als Tod und Auferstehung 6,1-14 61 ————————————————————————————————————
Im Zusammenhang der Gegenüberstellung der Herrschaft der Sünde, die den Menschen in den Tod zwingt (V. 6.12.13.14),145 und der Herrschaft der Gerechtigkeit, die den Jesusbekennern Leben zuspricht (V. 13), scheint Paulus das Gesetz dem Herrschaftsbereich der Sünde zuzuweisen. In 5,20 hatte er das Gesetz mit der Multiplikation der einen Verfehlung Adams und mit der Entlarvung von Sünde als bewussten Ungehorsam (vgl. 7,13) verbunden und damit auf die Seite der Sünde gestellt. Paulus betont in V. 14: Nicht das Gesetz beendet die Herrschaft der Sünde, sondern die Gnade Gottes, und die Kraft des Gehorsams gegenüber Gott ist nicht das Gesetz, sondern „die Gnade ist die Kraft des Gehorsams“.146 Dass Paulus das Gesetz nicht mit der Sünde identifiziert, ergibt sich schon aus 3,31, wo er kategorisch erklärt, dass man aus seinen Aussagen nicht schließen kann und darf, dass er das Gesetz im Zusammenhang seiner Betonung des Glaubens an Jesus nicht aufhebt. In 7,7-12 wird er dieses Missverständnis abschließend klären und am Ende betonen: „So ist nun das Gesetz heilig und das Gebot heilig, gerecht und gut“. In diesem Gesamtzusammenhang kann man die Aussage „ihr seid nicht unter dem Gesetz“ deshalb auch dahingehend verstehen, dass Paulus betont: Wer durch die Vereinigung mit Jesu Tod und Auferstehung der Herrschaft der Sünde entrissen wurde, für den hat das Todesurteil, das das Gesetz gegen den Sünder ausspricht, keine Geltung mehr. In der Konfrontation zwischen Sünder und Gesetz muss das Gesetz das Todesurteil gegen den Sünder aussprechen, ein Urteilsspruch, der dem Willen der Sünde entspricht, die nicht das Leben, sondern den Tod will. Die Gnade Gottes hat im Sühnetod Jesu das Todesurteil des Gesetzes aufgehoben (vgl. 8,1: „Es gibt also jetzt keine Verurteilung für die, die im Messias Jesus sind“). Der Sühnetod und die Auferstehung Jesu haben die Herrschaft der Sünde beendet, das vom Gesetz ausgesprochene Todesurteil über den Sünder aufgehoben und das Gesetz als Kriterium des Heils außer Kraft gesetzt.147 Jesusbekenner sind unter der Gnade (υ� πο` χα' ριν; s. zu 1,5; 3,24: τηñ, αυ� τουñ χα' ριτι), d.h., sie sind von der Gnade Gottes bestimmt, die infolge des Sühnetodes und der Auferstehung Jesu, des Messias und Kyrios, dem Sünder Gottes Gerechtigkeit zueignet (3,24) und ihn zum ewigen Leben führt (5,21): die Gnade, zu der die mit Jesus verbundenen Gläubigen Zugang bekommen haben (5,2). Die Formulierung verweist auf die Tatsache, dass ————————————————————
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5,14.17: ε� βασι' λευσεν ο� θα' νατος; 5,21: ε� βασι' λευσεν η� α� μαρτι' α; vgl. 6,6.12; 6,14: α� μαρτι' α … κυριευ' σει; vgl. 3,9: υ� φ’ α� μαρτι' αν ειòναι. Barth 192, auch zitiert von Lohse 197. Vgl. Cranfield I 320; Wilckens II 22. Hübner, Gesetz, 115 spricht von der Beendigung der „Herrschaft des pervertierten Gesetzes“ und begründet dies mit dem Ausdruck „Gesetz der Werke“ in 3,27.
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Gottes Geschenk der Gerechtigkeit für den Sünder eine Beziehung zwischen dem begnadigten Sünder und Gott herstellt, die von der Verpflichtung gekennzeichnet ist, nach dem Willen Gottes zu leben.148 Paulus erläutert diesen Sachverhalt im folgenden Abschnitt mit der Metapher von Sklaven, die ihrem Herrn zum Gehorsam verpflichtet sind. IV Christen sind Sünder, deren Sünde Gott in seiner Heil schaffenden Gerechtigkeit gnädig vergeben hat. Die Frage, ob Christen dann nicht Sünde akzeptieren, tolerieren oder bagatellisieren können, stellt sich mit theologischer Schärfe und existentieller Dringlichkeit. Wenn Christen als von Gott gerechtfertigte Sünder fröhlich weiter sündigen könnten, weil Gott ihnen ihre Sünde im Sühnetod Jesu bereits vergeben hat, dann gibt es im buchstäblichen Sinn keine Theologie mehr: Wenn der heilige Gott Sünde akzeptiert und toleriert, dann ist er weder heilig noch der Gott der Bibel, der seit der Schöpfung das Zuwiderhandeln gegen seinen Willen verbietet und strafend ahndet. Wenn Christen sündigen dürfen, degeneriert biblische Theologie zu Polytheismus, weil Gott den Göttern der Griechen und Römer gliche, die sündigen lassen und fröhlich selbst sündigen. Paulus argumentiert theologisch und christo-logisch: Weil Jesusbekenner mit dem Tod und der Auferweckung des Messias verbunden sind, definiert Jesu Tod ihr Verhältnis zur Sünde und Jesu Auferweckung ihr Verhältnis zum Leben – Christen sind der Sünde gestorben und sie leben für Gott. Der Hinweisauf die Begierde (ε� πιθυμι'α [epithymia], lat. concupiscentia) ist die Grundlage für die römisch-katholische Concupiscentia-Lehre.149 Im tridentinischen „Dekret über die Ursünde“ vom 8. April 1546 heißt es: „Dass diese Begehrlichkeit – die der Apostel bisweilen ‚Sünde‘ [vgl. Röm 6,12-15; 7,7.14-20] nennt – Sünde genannt wird, hat die katholische Kirche, so erklärt das heilige Konzil, niemals (dahingehend) verstanden, dass sie in den Wiedergeborenen wahrhaft und eigentlich Sünde wäre, sondern dass sie aus der Sünde ist und zur Sünde geneigt macht“. Entscheidend ist, ob der Mensch der concupiscentia willentlich zustimmt oder nicht: „Dass aber in den Getauften die Begehrlichkeit bzw. der Zündstoff bleibt, bekennt und verspürt dieses heilige Konzil; da sie (d.h. die concupiscentia) für den Kampf zurückgelassen ist, kann sie denen, die (ihr) nicht zustimmen und
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Barclay, Gift, 497. E. Schockenhoff, Art. Konkupiszenz, LThK3 VI, 271-274; Theobald, Concupiscentia, 272 Am. 62; s. ebd. für das Folgende.
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mithilfe der Gnade Christi mannhaft widerstehen, nicht schaden“.150 Luthers Ausführungen zu Röm 7,7 enthalten eine Stelle, die im Anschluss an ein Augustin-Zitat (Contra Julianum 2,5,12) Ähnliches formuliert: „Aus diesem schönen Väterwort geht hervor, wie die sündliche Begier (concupiscentia) eben unsere Schwachheit zum Guten ist, die wohl an sich selbst strafwürdig (rea) ist, uns aber dennoch nicht schuldig macht (reos nos non facit), wenn wir nur nicht in sie einwilligen und Sünde tun (nisi consentientes et operantes). Doch folgt darauf der merkwürdige Zustand, dass wir schuldig sind und nicht schuldig. Denn jene Schwäche sind wir selbst (nos ipsi). Also ist sie selber strafwürdig (rea) und wir sind schuldig (rei), bis sie aufhört und geheilt wird. Aber wir sind nicht schuldig (rei), wenn wir nicht ihr gemäß handeln (dum non operamur secundum eam), weil Gottes Barmherzigkeit uns die Strafwürdigkeit unserer Schwachheit (reatum infirmitatis) nicht anrechnet, sondern nur die Strafwürdigkeit des Willens, der in diese Schwachheit einwilligt (reatum consentientis infirmitati voluntatis)“.151
Die Freiheit von der Macht der Sünde (Indikativ) bedeutet nun nicht, dass Christen in ihrem Lebensvollzug das Sündigen los sind, eine Tatsache, die der Grund ist, weshalb Paulus die Jesusbekenner aufruft, ihre Identität als „Lebende aus den Toten“ im Alltag zu bewahrheiten (Imperativ). Nach J. Barclay betont Luther – mit Paulus – im Zusammenhang von Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi, den Überfluss, die Priorität und die Inkongruenz der Gnade Gottes.152 Luther hat wenig Interesse an der Wirksamkeit der Gnade, obwohl sie bei ihm nicht fehlt. Er betont die Singularität der Gnade, allerdings nur im Blick auf die dialektische Beziehung zwischen Gnade und Gesetz. Anders als Paulus betont Luther die Rückkoppelungslosigkeit der Gnade: Der Gehorsam des Christen (obsequium), d.h. seine Werke, resultieren aus der empfangenen Gnade Gottes, aber sie haben weder instrumentale Bedeutung für die Rechtfertigung des Sünders, noch sind sie integraler Bestandteil des Glaubens des begnadigten Sünders. Christliche Ethik wird so losgelöst von der (rechtlichen) Sprache der Forderung. Luther beendet seinen Kommentar zu 3,28 mit einer langen Reflexion über die Sünde, die von Gott vergeben ist allein durch den Glauben an Jesus Christus, deren Realität aber auch Christen immer zu schaffen machen wird. ————————————————————
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Denzinger, Enchiridion, 1515: Manere autem in baptizatis concupiscentiam vel fomitem, haec sancta Synodus fatetur et sentit; quae cum ad agonem relicta sit, nocere non consentientibus et viriliter per Christi Iesu gratiam repugnantibus non valet … Hanc concupiscentiam, quam aliquando Apostolus ‚peccatum‘ [cf. Rm 6,12-15; 7,7.14-20] appellat, sancta Synodus declarat, Ecclesiam catholicam nunquam intellexisse, peccatum appellari, quod vere et proprie in renatis peccatum sit, sed quia ex peccato est et ad peccatum inclinat (Hervorhebung Schnabel). Luther 52-53 (WA LVI, 351). Barclay, Gift, 97-116. In diesem Zusammenhang ist Luthers Betonung des simul iustus et peccator zu verstehen. Für das Folgende s. ebd.
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Die Stelle, die eher zu 6,12-14 passt als zu 3,28, verdient, ausführlich zitiert zu werden: „Daß wir also Sünder sind, schadet nichts, wenn wir nur mit allen Kräften auf die Rechtfertigung bedacht sind. Demzufolge stellt uns der Teufel, der Tausendkünstler (diabolus mille artifex), mit einer erstaunlichen Verschlagenheit nach. Die einen bringt er vom rechten Weg ab, indem er sie in offenbare Sünden verstrickt. Andere aber, die glauben, sie seien schon gerechtfertigt, verleitet er dazu, daß sie stehenbleiben, lau werden und ihre Sehnsucht erkalten lassen. Davon redet Offb. 3,14 beim Engel von Laodizäa. Wieder andere – zum dritten – verführt er zu Überstiegenheiten und zu absonderlicher Sektiererei, daß sie als Leute von höherer Heiligkeit, wie wenn sie die Gerechtigkeit schon erlangt hätten, zwar nicht lau werden, sondern mit einem glühenden Eifer zu Werke gehen, abgesondert von den anderen, auf die sie hochmütig und wegwerfend herabsehen. Wiederum – zum vierten – treibt er andere dazu, daß sie mit törichtem Mühen versuchen, rein und heilig, frei von aller Sünde zu sein; und solange als sie merken, daß sie sündigen und irgendeine Schlechtigkeit sie unversehens überrascht, schreckt er sie so mit dem Gericht und setzt ihrem Gewissen so zu, daß sie nahe am Verzweifeln sind. Eines jeden einzelnen Neigung spürt er heraus und versucht ihn dementsprechend. Und weil jene vierten mit einem fieberhafen Eifer nach der Gerechtigkeit trachten, kann er ihnen nicht so leicht das Gegenteil einreden. Daher unterstützt er sie anfangs in ihrem Vorsatz, daß sie allzu hitzig darauf ausgehen, alle sündliche Begierde abzulegen. Und wenn sie das nicht fertig bringen werden, dann macht er sie traurig, niedergeschlagen, kleinmütig, verzweifelt und über die Maßen unruhig im Gewissen. Es bleibt also nichts anderes übrig: Wir müssen in Sünden bleiben und in der Hoffnung auf Gottes Erbarmen um Erlösung von ihnen seufzen; wie ein Genesender, der es allzu eilig hat gesund zu werden, sicherlich einen um so schwereren Rückfall erleiden kann. Also: allmählich müssen wir geheilt werden und mancherlei Schwächen noch eine Zeitlang ertragen. Genug, daß uns die Sünde mißfällt, auch wenn sie noch nicht völlig das Feld räumt. Denn Christus trägt alle Sünden, wenn sie uns nur mißfallen. Nun sind sie nicht mehr unsere Sünden, sondern die seinen, und hinwiederum ist seine Gerechtigkeit unser eigen geworden (sed ipsius sunt et iustitia eius nostra vicissim)“.153
Die Aussagen in 6,3-4 sind traditionell der locus classicus der Tauflehre. Viele Exegeten kommentieren weder die Bedeutung des Verbs βαπτι' ζω [baptizō] noch des Substantivs βα' πτισμα [baptisma]. Man übersetzt ganz selbstverständlich mit „taufen“ und „Taufe“; im englischen Sprachraum übersetzt man noch nicht einmal, sondern verwendet die aus dem Griechischen transkribierten Vokabeln „baptize“ und „baptism“. Die wenigen Ausleger, die auf die metaphorische Bedeutung der griechischen Vokabeln hinweisen, werden entweder ignoriert oder mit der Bemerkung abgetan, im Kontext weise nichts auf einen metaphorischen Sprachgebrauch hin, ohne die in V. 2-13 verwendeten Metaphern wahrzunehmen.154 Die ausführliche ————————————————————
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Luther 251-253 (WA LVI, 351). Neuere Beispiele für die Ignorierung metaphorischer Interpretationen sind die Kommentare von Lohse, Haacker und Wolter; ein neueres Beispiel für die Minimierung der Metaphern im Kontext ist Stettler, Heiligung, 443 Anm. 18, die Dunn kritisiert, ohne ihre Interpretation im Sinn der (Wasser-)Taufe semantisch-exegetisch zu begründen.
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Darstellung des lexikographischen Sachverhalts bei V. 3-4 sollte zum erneuten Nachdenken über das von Paulus Gemeinte führen. Wenn man im Sinn der Taufe interpretiert, ist mit E. Käsemann festzuhalten, dass Paulus in V. 3-4 keine explizite Tauflehre vorlegt, „so sehr er als locus classicus dafür gilt und [Paulus] sich nirgends ausführlicher zu diesem Komplex äußert. Wichtige Theologoumena der urchristlichen und paulinischen Anschauung von der Taufe wie die Geistverleihung als konstitutives Merkmal und die sakramentale Eingliederung in den Christusleib fehlen … Wir erfahren nichts über die doch wohl schon damals notwendige Vorbereitung der Taufbewerber und so gut wie nichts über den Ritus als solchen … Nicht erwähnt wird, ob er an die Versammlung der Gemeinde gebunden ist, von Beauftragten vorgenommen, von einer Anrufung des Namens Jesu, Gelübden, Hymnen und Handauflegung begleitet wird, als Immersion oder Aspersion erfolgt, ob mehrere oder Familien zugleich erfaßt werden, von der Kindertaufe zu schweigen“.155 Gleichzeitig ist zu erwägen, welche Folgen sich für die Theologie und die Praxis der Taufe ergeben, wenn U. Wilckens recht hat, wenn er schreibt: „In der Missionssituation des Urchristentums ist es selbstverständlich, daß nur Glaubende getauft werden“.156 Ähnlich M. Wolter, der betont, „dass die Taufe in paulinischer Zeit immer eine Bekehrungstaufe war“ und dass die Aussagen in 6,1-11 voraussetzen, „dass das Christentum in paulinischer Zeit noch eine Bekehrungsreligion war“.157 Wann haben Christen je in einer Zeit, in einer Kultur, in einer Gesellschaft, in einer Stadt oder in einem Dorf gelebt, wo sich die „Missionssituation“ aufgelöst hätte? Seit wann ist Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus nicht mehr notwendig? Implizit in solchen Formulierungen, die das „Heute“ von einem „Früher“ im Blick auf Mission und Bekehrung unterscheiden, ist zumeist die volkskirchliche Situation, in der das „Volk“ als missioniert und (infolge der Wassertaufe?) bekehrt gilt. Wenn in der paulinischen und apostolischen Mission im 1. Jh. Glaube und Bekehrung vor der Taufe geschehen, ist nicht einzusehen, weshalb sich die heute geändert haben soll, es sei denn, man findet eine Rechtfertigung dafür, dass man die Taufe vor Glauben und Bekehrung stellt. Dass dies in der Geschichte der Kirche so gekommen ist, liegt auf der Hand. Dass dies so bleiben muss, sicher nicht. Das Vorgehen von Karl dem Großen gegen die Sachsen mag ein „einmaliger Höhepunkt“ des herrscherlichen Willens zur Durchsetzung des ————————————————————
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Käsemann 156.157. Was die „Immersion“ betrifft, dürfte die Bedeutung von βαπτι' ζω sowie das Vorbild der jüdischen Waschungen in den Miqvaot diese Frage klären. Wilckens II 27. Wolter I 370.383 (Hervorhebung Wolter).
66 Römerbrief ————————————————————————————————————
Christentums, auch mit staatlichen Mitteln, gewesen sein.158 Wenn es in der achten Regelung der Capitulatio de partibus Saxoniae von 785 n.Chr. heißt: „Wenn künftig im Volk der Sachsen jemand unter ihnen heimlich ungetauft sich verbergen will, nicht zur Taufe erscheinen und Heide bleiben will, so soll er getötet werden“, dann ist dies sicherlich, was die dokumentarische Offenlegung von christianisierenden Zwangsmaßnahmen betrifft, ein „Höhepunkt“ (eher ein abgründiger Tiefpunkt), kann aber als durchaus symptomatisch für den gesellschaftlichen Zwang in Volkskirchen gelten, dass das ganze „Volk“ getauft ist, weil alle Neugeborenen, ausnahmslos, getauft werden, sodass es keine „Heiden“ mehr gibt. Es waren nicht zuletzt solche Zwänge, die immer wieder zu Übergriffen gegen Juden geführt haben, die eben nicht getauft waren. Wenn nun aber Getaufte weder an Gott noch an Jesus Christus glauben, wenn sie weder in dankbarem Gehorsam gegenüber Gottes gnädigen und heiligen Willen leben wollen, noch im Gottesdienst und Gemeindeleben Gemeinschaft mit Christen suchen und pflegen, stellt sich die Frage, ob man bekennen kann, „dass der Heilige Geist in der Taufe den Menschen mit Christus vereinigt, rechtfertigt und ihn wirklich erneuert“, wenn der durch die Macht der Sünde Angefochtene weder täglich noch jemals von Herzen (und nicht nur im Ritual) „Gott um Vergebung“ bittet (Nr. 28 der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre). Wenn die Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus infolge exegetischer und historischer Evidenz und aufgrund theologischer Notwendigkeit die Voraussetzung für die Taufe ist, dann sollte man die eigene Praxis mit dem Ernst, den die Frage nach dem Beginn des Lebens als Jesusbekenner verdient, überdenken. Nicht nur die neutestamentlichen Texte und die Geschichte sollten zum Nachdenken veranlassen, sondern auch und gerade die Existenz der Volkskirchen in säkularen Gesellschaften mit minimaler Beteiligung an den Gottesdiensten. Was benötigt wird, ist nicht die Erkenntnis, was man in der volkskirchlichen Taufe erhalten hat,159 sondern der Glaube an Jesus Christus, der, wenn man nie geglaubt hat, als Geschenk Gottes in der Bekehrung empfangen wird. Die Bereitschaft zu reformatorischer Veränderung darf nicht auf das 16. Jh. beschränkt bleiben. Hier ist in Erinnerung zu rufen, was Dietrich Bonhoeffer zur „billigen Gnade“ gesagt hat: Der „wachsame religiöse Instinkt des Menschen für den Ort, an dem die Gnade am billigsten zu haben ist“, verwandelt die biblisch wirklichkeitsgefüllte Rede von der Gnade Gottes in ein Prinzip der Kalkulation: „Ist aber Gnade prinzipielle Voraussetzung meines christlichen ————————————————————
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Nonn, Zwangmission, 63; für die folgende Bemerkung s. ebd. 64. Für einen Versuch, die (Säuglings-)Taufe zu verstehen, s. Rechberger/Kern, Taufe.
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Lebens, so habe ich damit im Voraus die Rechtfertigung meiner Sünden, die ich im Leben in der Welt tue. Ich kann nun auf diese Gnade hin sündigen, die Welt ist ja im Prinzip durch Gnade gerechtfertigt. Ich bleibe daher in meiner bürgerlich-weltlichen Existenz wie bisher, es bleibt alles beim Alten, und ich darf sicher sein, dass mich die Gnade Gottes bedeckt. Die ganze Welt ist unter dieser Gnade ‚christlich‘ geworden, das Christentum aber ist unter dieser Gnade in nie dagewesener Weise zur Welt geworden“.160 Glauben ohne Gehorsam, ohne den ersten Schritt des Gerufenen in die „Situation, in der allererst geglaubt werden kann“ hinein, ist Glauben ohne Rechtfertigung und darum „frommer Selbstbetrug, billige Gnade“; Glauben bedeutet, sich dem Gebot Christi ganz auszuliefern, „sich auf das Wort Jesu Christi zu verlassen, dieses Wort für einen tragfähigeren Boden zu halten als alle Sicherheiten der Welt“.161
Das neue Leben als Freiheit und Gehorsam 6,15-23 I 15 Was heißt das nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz sind, sondern unter der Gnade? Auf keinen Fall! 16 Wisst ihr nicht, dass, wem ihr euch als Sklaven zum Gehorsam zur Verfügung stellt, dessen Sklaven seid ihr, dem ihr gehorcht, entweder der Sünde zum Tod oder des Gehorsams zur Gerechtigkeit? 17 Gott aber sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid der Grundgestalt der Lehre, die euch übergeben wurde. 18 Befreit aber von der Sünde, wurdet ihr zu Sklaven der Gerechtigkeit gemacht. 19 Ich rede auf menschliche Weise wegen der Schwäche eures Fleisches. Denn wie ihr eure Glieder der Unreinheit und Gesetzlosigkeit zur Gesetzlosigkeit als Sklaven zur Verfügung gestellt habt, so stellt eure Glieder jetzt der Gerechtigkeit zur Heiligung als Sklaven zur Verfügung. 20 Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, wart ihr frei von der Gerechtigkeit. 21 Welche Frucht habt ihr denn damals gehabt? Dinge, über die ihr euch jetzt schämt, denn der Tod ist ihr Ergebnis. 22 Jetzt aber, da ihr von der Sünde befreit und zu Sklaven für Gott gemacht worden seid, habt ihr eure Frucht zur Heiligung, als Ergebnis aber ewi————————————————————
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Bonhoeffer, Nachfolge, 20.21. Vgl. Theobald, Freiheit, 457. Bei Bonhoeffer ist der Glaube des Menschen in der Taufe vorausgesetzt, die der Schritt in die Nachfolge ist: Jeder tut diesen Schritt allein, denn jeder ist allein gerufen (Nachfolge, 221.224.287). Vgl. Schmitz, Nachfolge, 132.135; zum folgenden Punkt ebd. 139. Bonhoeffer, Nachfolge, 53, 69.
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ges Leben. 23 Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ist das ewige Leben im Messias Jesus, unserem Herrn. II Paulus wiederholt in V. 15 den Einwand von V. 1 und beantwortet ihn im Kontext seiner Erläuterung, was es bedeutet, zum Messias Jesus zu gehören, in V. 16-23 noch einmal und in abschließender Weise. Er formuliert den Einwand im Anschluss an V. 14, wo er betont hatte, dass Jesusbekenner „nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“ sind. Paulus weist den Einwand, Christen könnten sündigen, weil sie „nicht unter dem Gesetz sind, sondern unter der Gnade“, mit größter Entschiedenheit zurück. In der Begründung V. 16-23 argumentiert Paulus wie in V. 2-14 mit der neuen Identität der Jesusbekenner, jetzt auf das Herrschaftsverhältnis konzentriert, das bei ihrer Bekehrung gewechselt hat. In V. 16-18 behandelt Paulus die Alternative zwischen der Herrschaft der Sünde, der sie vor ihrer Bekehrung Gehorsam schuldeten, und der Herrschaft der Gerechtigkeit Gottes, der sie nach ihrer Bekehrung Gehorsam schulden und die die Herrschaft der Sünde ausschließt. In V. 19-23 wechselt der Indikativ der Heilsaussagen wieder zum Imperativ christlichen Verhaltens im Alltagsleben: Paulus fordert die Christen auf, die von diesem Herrschaftswechsel gekennzeichnete Wende in ihrer Biographie sichtbar werden zu lassen, dass sie ein Leben der Heiligung führen, das der Heiligkeit Gottes und dem ewigen Leben entspricht. Die Gegenüberstellung der Herrschaft der Sünde und der neuen Situation der Jesusbekenner zieht sich durch den gesamten Abschnitt: V. 15 V. 16 V. 17 V. 18 V. 19 V. 20/22 V. 21/22 V. 23
Sünde / Einst α� μαρτη' σωμεν δουñ λοι … α� μαρτι' ας ει� ς θα' νατον δουñ λοι τηñ ς α� μαρτι' ας α� πο` τηñ ς α� μαρτι' ας δουñ λα τηñ, α� καθαρσι' α, και` τηñ, α� νομι' α, ει� ς τη` ν α� νομι' αν δουñ λοι τηñ ς α� μαρτι' ας ε� λευ' θεροι τηñ, δικαιοσυ' νη, ε� φ’ οιðς νυñ ν ε� παισχυ' νεσθε το` τε' λος … θα' νατος τα` ο� ψω' νια τηñ ς α� μαρτι' ας θα' νατος
Heil / Jetzt ου� κ ε� σμε` ν υ� πο` νο' μον υ� πο` χα' ριν [ε� σμε' ν] [δουñ λοι] υ� πακοηñ ς ει� ς δικαιοσυ' νην υ� πηκου' σατε … τυ' πον διδαχηñ ς ε� δουλω' θητε τηñ, δικαιοσυ' νη, δουñ λα τηñ, δικαιοσυ' νη, ει� ς α� γιασμο' ν δουλωθε' ντες δε` τω ñ, ñ, θεω ε� λευθερωθε' ντες α� πο` τηñ ς α� μαρτι' ας καρπο` ν υ� μω ñ ν ει� ς α� γιασμο' ν το` τε' λος ζωη` ν αι� ω' νιον το` χα' ρισμα τουñ θεουñ ζωη` αι� ω' νιος ε� ν Χριστω ñν ñ, κυρι' ω, η� μω ñ, � Ιησουñ τω
Das neue Leben als Freiheit und Gehorsam 6,15-23 69 ————————————————————————————————————
Der Abschnitt, der als „postkonversionale Mahnrede“ bezeichnet wird,162 beschreibt die Identität der Jesusbekenner als Begründung dafür, weshalb Christen nicht mehr sündigen wollen. Textkritische Anmerkungen. In V. 15 lesen 6 614 629 945 u.a. das Futur α� μαρτη' σομεν statt des Aor.Konj. α� μαρτη' σωμεν, der jedoch besser bezeugt ist; vermutlich liegt ein Hörfehler beim Diktat vor. Die Lesart η� μαρτη' σαμεν (F G lat; Ambst) ist wohl ein Schreibfehler. Die Hinzufügung von η» am Anfang von V. 16 (D* F G vgmss sams bo) ist wahrscheinlich Angleichung an V. 3 und Kap. 7,1. Die Auslassung von ει� ς θα' νατον (D 1739* r vgst syp sa) ist als Korrelativ zum folgenden ει� ς δικαιοσυ' νην notwendig und deshalb wohl unbeabsichtigte Auslassung.163 In V. 17 fügt A vor καρδι'ας das Adj. καθαραñ ς ein, was als den Sinn verdeutlichende Erläuterung als sekundär zu betrachten ist. In V. 18 ersetzen *אC 81 δε' durch ουò ν, was die Syntax glättet und deshalb sicher sekundär ist. In V. 19 ersetzen F G latt δουñ λα durch den Infinitiv δουλευ' ειν, was als stilistische Verbesserung zu bewerten ist. Die Präpositionalwendung ει� ς τη` ν α� νομι'αν fehlt in B syp, wahrscheinlich der Versuch einer stilistischen Vereinfachung.164 Stilistische Verbesserungen sind die Ersetzung von δουñ λα durch den Infinitiv δουλευ' ειν (F G latt) bzw. durch ο« πλα (A); beide Varianten sind nicht sehr gut bezeugt und nicht plausibel. In V. 21 fügen manche Zeugen vor γα` ρ τε' λος ein με' ν ein (d94vid א2 B D* F G 1505 u.a. syh), was ebenfalls als stilistische Verbesserung einzuschätzen ist; der Text ( *אA C D2 Ψ 33 1739 1881 Byz) ist gut bezeugt. III
15 Mit Was heißt das nun? (τι' ουò ν)165 leitet Paulus eine Frage ein, die die
falschen Konsequenzen aus seiner 3,21–5,21 dargelegten und in 6,1-14 verteidigten theologischen Position zieht, nach der es Sünder sind, die von Gott infolge des Sühnetodes Jesu am Kreuz gerechtfertigt werden, ohne Dazutun des Gesetzes (vgl. 3,21), allein durch den Glauben an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt. Wenn Paulus in V. 14 sagt, dass die durch den Glauben an Jesus gerechtfertigten Sünder „nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“ sind, könnte man die Schlussfolgerung für berechtigt hal————————————————————
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Wolter I 406 (für 6,12-23), mit Verweis auf Berger, Formgeschichte, 130, der allerdings nur für 6,17-19 „Restelemente“ konstatiert (so immer noch Berger, Formen und Gattungen, 191; ebd. 219) weist er Röm 6,1-11 / 12-14 der „begründeten Mahnrede“ zu, als „Begründung mit indikativischen Heilsaussagen“. Metzger, Textual Commentary, 454. Wenn Wilckens II 34 Anm. 122 die Auslassung als Versuch der Glättung versteht, um die Alternative „entweder der Sünde oder dem Gehorsam“ zu betonen, übersieht er die Wendung ει� ς δικαιοσυ' νην hinter υ� πακοηñ ς. Jewett 413. Man könnte auch mit „Was folgt darauf?“ übersetzen; vgl. 3,9; 11,7.
70 Römerbrief ————————————————————————————————————
ten, die Paulus als Frage formuliert: Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz sind, sondern unter der Gnade? Der Einwand nimmt den Einwand von V. 1 auf. Während dort das Wir aus nicht- bzw. vorchristlicher Perspektive formuliert, die die Erfahrung der Gnade Gottes noch vor sich hat, setzt das Wir in V. 15 die Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus voraus: Christen sind „unter der Gnade“ (υ� πο` χα' ριν; s. V. 14), sie haben „Zugang zu der Gnade“ (προσαγωγη` ν ει� ς τη` ν χα' ριν; 5,2) erhalten und erfahren, dass die Herrschaft der Sünde und des Todes als Folge der „Fülle der Gnade“ (περισσει'αν τηñ ς χα' ριτος) aufgehoben wurde und sie jetzt „im Leben herrschen durch den Einen, Jesus, der Messias“ (5,17). Wenn man als Jesusbekenner nicht „unter dem Gesetz“ (υ� πο` νο' μον; s. zu V. 14) lebt, könnte man erwägen,166 ob das Sündigen nicht mehr verboten, sondern erlaubt ist. Paulus antwortet wie in V. 1 mit einem energischen Auf keinen Fall! (μη` γε' νοιτο; vgl. 3,4.6.31; 6,2). Die Irrelevanz des Gesetzes im Blick auf die Offenbarung von Gottes Heil schaffender Gerechtigkeit (3,21) verschafft dem gerechtfertigten Sünder keine Lizenz zum Sündigen, weil das Gesetz nicht abgeschafft ist (3,31) und weil die Rechtfertigung durch die Gnade Gottes nicht die Abschaffung jeglichen Gehorsams bedeutet, sondern die Reorientierung des Gehorsams weg von der Sünde hin zur Gerechtigkeit, wie Paulus in V. 16-23 erläutern wird. 16 Mit der Wendung wisst ihr nicht, dass (ου� κ οι»δατε ο« τι) beschreibt Paulus die folgende Aussage als theologische Wahrheit, die für Christen eine Selbstverständlichkeit sein sollte; die Formulierung entspricht der gleich übersetzten Wendung (η� α� γνοειñτε ο« τι) in V. 3.167 Paulus beschreibt den Unterschied zwischen Jesusbekennern, die von der Gnade Gottes erfasst sind, und Menschen, die die Gnade Gottes nicht kennen, als Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Sünde als Realitäten, denen man jeweils Gehorsam leistet. In V. 12.14 war von der Herrschaft der Sünde die Rede, beschrieben mit den Verben βασιλευ' ω [basileuō] und κυριευ' ω [kyrieuō]; hier verwendet er den Komplementärbegriff Sklaven (δου' λοι [douloi]).168 Die mit wem ihr euch … zur Verfügung stellt (ω ð, παριστα' νετε ε� αυτου' ς) übersetzte Wendung greift auf den Gedanken von V. 13 zurück, wo Paulus ————————————————————
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α� μαρτη' σωμεν ist deliberativer Konjunktiv; HvS §210d: „in überlegenden oder zweifelnden Fragen, die die Sprechenden … an sich selbst (oder zugleich noch an andere) richten“. HvS §305g nennt V. 15-16 als Beispiel für die Diatribe. Bei Paulus kommt ου� κ οι»δατε ο« τι in Röm 6,16; 1Kor 3,16; 5,6; 6,2.3.4.9.15.16; 9,13.24 vor, im NT noch in Jak 4,4, in der LXX in Gen 44,15; 2Sam 3,38. Die Wendung ist sonst in der griech. Literatur nicht belegt. Vgl. Wolter I 394, 40. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 76-77. 155: Die „Formel“ will die Aufmerksamkeit der Angesprochenen in besonderer Weise wecken. Lohse 198.199 übersetzt mit „Knechte“ (vgl. LÜ), in der Auslegung dann von „Sklaven“.
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die Jesusbekenner aufgefordert hatte, ihre Glieder nicht der Sünde zur Verfügung zu stellen, sondern sich als Lebende aus den Toten Gott zur Verfügung zu stellen. Paulus könnte gleichzeitig auf die Praxis anspielen, dass sich jemand selbst, und freiwillig, einem anderen als Sklaven zur Verfügung stellt (παριστα' νετε ε� αυτου` ς δου' λους).169 Diese Vorstellung ist nicht so sonderbar, wie sie uns heute vorkommt: Manche verkauften sich selbst als Sklaven, meistens infolge einer wirtschaftlichen Notlage, manchmal auch aus Prestigegründen, um im kaiserlichen Haushalt oder für einen angesehenen Patron zu arbeiten, von dem man sich wirtschaftliche Vorteile und gesellschaftlichen Aufstieg erhoffte.170 Auch in diesen Fällen gilt, was für alle Sklaven gilt: Wer Sklave ist, der ist seinem Herrn171 zum Gehorsam (ει� ς υ� πακοη' ν) verpflichtet. Paulus unterstreicht diesen allgemein bekannten Sachverhalt mit der Wendung dessen Sklaven seid ihr, dem ihr gehorcht ([τουñ του] δουñ λοι' ε� στε ω ð, υ� πακου' ετε).172 Eine Spannung zum Begriff der „Gnade“ als Geschenk Gottes entsteht nur dann, wenn man verkennt, dass in der Antike, auch im Judentum, die konkrete Wirklichkeit des Schenkens sich durchaus eignet, sowohl Freiwilligkeit als auch Verpflichtung zu verbinden (s. V. 1 zu χα' ρις). Paulus hat keine Schwierigkeiten, in V. 11-23 die „Neuheit des Lebens“ als ein Leben zu beschreiben, das unter der „Herrschaft“ der Gnade gelebt wird.173 Paulus wendet die Metapher vom Sklave-Sein auf die menschliche Existenzweise an, für die es nur zwei Möglichkeiten gibt (η» τοι … η» ; entweder … oder):174 Entweder ist man Sklave der Sünde zum Tod (α� μαρτι'ας ει� ς θα' νατον). Jeder, der sündigt, ist Sklave der Sünde, d.h., er muss der Sünde gehorchen und ist ihrer Herrschaft unterstellt, die sie letztendlich durch den ————————————————————
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Zahn 316 meint, Paulus spreche bei παριστα' νετε „nicht von einer übernommenen Verpflichtung, sondern vom Gehorchen, also von wirklichem Dienen“. Wilckens II 34 Anm. 121 ähnlich: „Das Gleichnis ist vom Christwerden aus konstruiert“ und trifft auf wirkliche Sklavenverhältnisse nur zu, wenn Paulus an die freiwillige Sklaverei denkt; man beachte: Paulus erzählt kein Gleichnis, sondern verwendet eine Metapher. Wolter I 394395 interpretiert ohne Rückgriff auf freiwillige Sklaverei, auf die Dunn I 341; Haacker 161; Jewett 416; Lohse 199 hinweisen. Vgl. Dio Chrysostomus 15,23; Petronius, Satyr 57,4; Tribonian, Corpus Iuris Civilis Inst. I 3,4; Codex Justinianus VII 16,16. Vgl. Brockmeyer, Sklaverei, 100-105.150-159; Bradley, Slavery, 30-42 („slavery as upward mobility“); Kaser, Privatrecht I, 292; Demandt, Spätantike, 344. Mit dem ersten Relativpronomen ω ð, angesprochen. Die Ergänzung durch τουñ του (gen. possessoris) klärt die Syntax; BDR §29313 schlägt den Dat. του' τω, vor, Wolter I 395 Anm. 42 mit Verweis auf Gen. α� μαρτι' ας und υ� πακοηñ ς den Genitiv; vgl. NSS II 19 mit beiden Optionen. Vgl. Zahn 315-318, der die Ergänzung von τουñ του für überflüssig hält, weil Paulus nicht zwei Herren einander gegenüberstelle. Barclay, Gift, 498-499. Klassisch und hellenistisch statt η» … η» ; vgl. Bauer/Aland s.v. η» 1b; BDR §4463; Kühner, Grammatik II, 298.
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Tod als Konsequenz des Sündigens ausübt (V. 21.23; 1,32; 5,12.17.21; 7,13). Die Sünde ist als Macht vorgestellt, dem der Sünder gehorcht, weil er ihr gehorchen muss. Wenn Jesusbekenner meinen, sie könnten sündigen, weil ihnen Gottes Gnade gewiss ist, verkennen sie das Wesen der Sünde, die alle, die auf sie hören, hörig macht und ihren Sklaven den Tod einbringt.175 Die einzige Alternative besteht darin, dass man Sklave des Gehorsams zur Gerechtigkeit (υ� πακοηñ ς ει� ς δικαιοσυ' νην) ist. Wie der Tod die (Unheils-) Folge der Sünde ist, ist Gerechtigkeit die (Heils-)Folge, die Gott durch den die Sünde sühnenden Tod des Messias Jesus den an Jesus Glaubenden gewährt (1,16-17; 3,24-26). Die Antithese von Tod und Gerechtigkeit ist gerade im Kontext des Endgerichts (1,18; vgl. 1,32) verständlich, dem Paulus in 3,21–5,21 die Offenbarung der Heil schaffenden Gerechtigkeit Gottes gegenüberstellt, die dem glaubenden Sünder Gerechtigkeit gewährt. Nur auf den ersten Blick auffallend ist die Gegenüberstellung der „Sklaven der Sünde“ (δουñ λοι α� μαρτι' ας) und der „Sklaven des Gehorsams“ (δουñ λοι υ� πακοηñ ς). Die Schwierigkeit löst sich auf, wenn man die Formulierung „Sklaven des Gehorsams“ im Kontext der Gegenüberstellung von Gott und Sünde in V. 11.13 versteht, die in V. 20-21.22-23 explizit und mit der Metapher der Sklaverei aufgenommen wird. Weil Paulus in V. 16 von der Gerechtigkeit als Heilsfolge spricht, ist „Gehorsam“ im Sinn des Glaubensgehorsams von 1,5 zu verstehen. Christen, die zum Glauben an Jesus gekommen sind, durch dessen Tod Sünde gesühnt wurde und dem Sünder Gerechtigkeit zuteilwird, d.h., die, die mit Jesus im Glauben vereint sind (6,3-6), die lassen sich und ihre Lebensführung „konsequent und kompromisslos von ihrem Christus-Glauben bestimmt sein, wie das bei Sklaven in Bezug auf die Weisungen ihrer Herren der Fall ist“.176 Gehorsam ist ein Existenzial des menschlichen Lebens von Anfang der Schöpfung an: Es war gerade der Ungehorsam gegenüber Gott, der eine ————————————————————
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Wolter II 395 Anm. 43 beschreibt das Sündigen in V. 16 als Sachgrund für das Versklavtsein unter die Sünde – durch das Sündigen wird man zum Sklaven –, während das Sündigen in Joh 8,34 („Amen, amen, das sage ich euch: Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde“) „Erkenntnisgrund für das Versklavtsein unter die Sünde [ist] (am Sündigen erkennt man den Sklaven der Sünde)“. Wolter I 395. Thielman, Story of Israel, 187 will die Formulierung auf dem Hintergrund von Jes 60,17 erklären, wo es im Blick auf die kommende Heilszeit heißt: „Als deine Wache setze ich Frieden ein und als deine Obrigkeit Gerechtigkeit“ (Elb.Ü); wenn ein Echo auf diese Stelle vorliegt, dann ein schwaches: die hebr. Formulierung ֹנ ְגַׂשִיְך ְצָדָקה kann zwar „Sklaventreiber“ bedeuten (Ex 3,7; 5,10.13-14; HAL s.v. נגׂשqal 3 („Vogt“; HALOT hat „slave-driver“), bedeutet hier jedoch allg. „Obrigkeit“ (HAL qual 5b), „Herrschaft“ (W. Schottroff, THAT II, 468). In der LXX ist das Echo verhallt: Es wird nicht „Gerechtigkeit“ eingesetzt, die Herrschaft ausübt, sondern „Aufseher“, die „in Gerechtigkeit“ (ε� ν δικαιοσυ' νη, ) handeln.
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vollkommene Erde geschaffen hatte, der den Verlust des Paradieses und des Lebens in der unmittelbaren Gegenwart Gottes zur Folge hatte. Die falsche Vorstellung, dass man als Mensch autonome Freiheit besitzt, die freie Verfügungsmöglichkeit über das eigene Leben, gehört zum Wesen der Sünde und des Sündigens, wie die Geschichte des Sündenfalls in Gen 3 belegt. Menschsein ohne Gehorsam gibt es nicht: Entweder, so Paulus, gehorcht man der Sünde, die einem als Sklavenhalter am Ende immer den Tod einbringt, oder man gehorcht Gott, der Gerechtigkeit schafft und Gerechtigkeit will. Die Metapher der Sklaverei unterstreicht den Herrschaftswechsel, der in der Biographie der Jesusbekenner stattgefunden hat: Wer zum Glauben an den Messias Jesus gekommen ist, in dessen Tod und Auferstehung Gott dem Sünder Gerechtigkeit erwirkt hat, der gehört nicht mehr der Sünde, deren Verfügungsgewalt er infolge seiner Vereinigung mit Jesus gestorben ist (V. 2.6.7.10-14). Wer zum Glauben an den Messias Jesus gekommen ist, der gehört Gott, weil er zu Jesus gehört; er lebt in der „Neuheit des Lebens“ (V. 4); er stellt sich als Lebender aus den Toten Gott zur Verfügung mit seinem ganzen Leben, das er als Waffe der Gerechtigkeit für Gott einsetzt (V. 13), weil er unter der Gnade Gottes lebt und handelt (V. 14). Der Herrschaftswechsel von Gehorsam im Leben unter der Herrschaft der Sünde zum Gehorsam im Leben unter der Herrschaft der Gnade Gottes ist bindend: Wer diesen Herrschaftswechsel erfahren und die Heil schaffende Gerechtigkeit erlebt hat, der will nicht mehr sündigen – er will Gott gehorsam sein und die erlebte Gerechtigkeit im eigenen Leben sichtbar werden lassen.177 17 Die einander ausschließende Alternative: Sklave-Sein unter der Herrschaft der Sünde und Sklave-Sein unter der Herrschaft Gottes, entspricht dem Gegensatz des „Einst“ und „Jetzt“, ein zeitliches Nacheinander markiert durch die Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus. Die erneute Erläuterung der Bekehrung ist als Dankgebet formuliert, eingeleitet mit dem Ausruf Gott aber sei Dank (χα' ρις δε` τω ñ, θεω ñ, ), der in der LXX und sonst im Neuen Testament nicht, dafür aber bei Paulus mehrmals belegt ist (Röm 6,17; 7,25; 2Kor 8,16; 9,15; mit der Formulierung τω ñ, θεω ñ, χα' ρις in 1Kor 15,57; 2Kor 2,14).178 Grund und Inhalt des Dankes ist die Wende in der Biographie der Jesusbekenner vom Sklave-Sein gegenüber der Sünde zum ————————————————————
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Vgl. 1Petr 1,14: „Als Kinder des Gehorsams (τε' κνα υ� πακοηñ ς) lasst euch nicht von den Begierden leiten, die euch früher, als ihr noch unwissend wart, beherrscht haben“ (ZÜ). In der nichtjüdischen griech. Literatur gibt es einige wenige Parallelen: im Singular bei Epiktet, Diss 4,4,7; Crates, Ep 33,1; mit dem Plural χα' ρις τοιñς θεοιñς u.a. bei Xenophon, An 3,3,14; Diogenes, Ep 34,3; Lucian, DialMeretr 9,1; Aelius Aristides, Or 31; öfter in Papyrusbriefen: BGU III, 843,6; P.Hib. I 79,6; P.Cair.Zen. II 59160,1; P.Giss. I 17, 6-7; vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 503-504. Die Danklieder des AT (z.B. Ps 30; 66; 116; 138) verwenden weder diese noch eine andere Formel.
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Gehorsam gegenüber Gott und dem Evangelium. Für die Zeit vor ihrer Bekehrung gilt: Ihr wart Sklaven der Sünde (ηò τε δουñ λοι τηñ ς α� μαρτι'ας). Paulus hatte in 1,18–3,20 das Sünder-Sein von Heiden und Juden im Horizont des Endgerichts im Hinblick auf die Realität der Sünde beschrieben und in 5,12-21 die seit Adam bestehende Universalität der Sünde und die Realität des Todes als deren Unheilsfolge erläutert. Sklave der Sünde sein bedeutet, der Sünde zu gehorchen (V. 16). In 7,7-25 wird Paulus ausführen, wie es dazu kam und was es bedeutet, dass die Sünde im Leben des einzelnen Menschen herrscht. Die Bekehrung zum Glauben an das Heil schaffende Handeln Gottes in Tod und Auferweckung des Messias Jesus wird mit dem Aorist ihr seid gehorsam geworden (υ� πηκου' σατε [hypēkousate]) beschrieben. 179 Der Gehorsam ist der Glaubensgehorsam (s. zu 1,5; vgl. 10,16; 15,18; 2Thess 1,8). Die Schöpfung kannte von Anfang an Gottes Gebot (Gen 1,26; 2,1617): Gemeinschaft mit Gott als Geschöpf Gottes beinhaltet die Verpflichtung, seinem Willen zu gehorchen, weil auch seine Gebote und Verbote „sehr gut“ sind (Gen 1,31). Dies galt auch für die Erwählung Israels als Volk Gottes: „Neben der befreienden Errettung aus Ägypten stand die Verpflichtung durch Theophanie und Bund am Sinai, neben – aber nicht vor – dem Indikativ damit der ihm zeitlich wie vor allem sachlich nachgeordnete Imperativ [sic]“.180 Die adverbiale Bestimmung von Herzen (ε� κ καρδι'ας [ek kardias]; s. zu 1,21) erinnert an die atl. Wendung „aus ganzem Herzen“ (ְּבָכל־ְלָבב, ε� ξ ο« λης τηñ ς καρδι'ας), die die Aufrichtigkeit der Hingabe an Gott beschreibt.181 Der Gehorsam als „Sklaven der Gerechtigkeit“ (vgl. V. 18) ist kein erzwungener, sondern ein freiwilliger Gehorsam, der zusammen mit den äußerlich wahrnehmbaren Handlungen auch das Denken und Wollen bestimmt. ————————————————————
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Weil der Anfangspunkt des Lebens als Jesusbekenner im Blickfeld ist, d.h. das ZumGlauben-Kommen in der Bekehrung, spricht man von einem ingressiven Aorist (HvS §199d); vgl. Wolter I 396. Bultmann, Glossen, 283 hielt υ� πηκου' σατε δε` ε� κ καρδι' ας ει� ς ο� ν παρεδο' θητε τυ' πον διδαχηñ ς für eine Glosse, die erst nachträglich in einem „stupiden Zwischensatz“ eingetragen worden sei; aufgenommen von Zeller 127-128; Jewett 419; Schunack, EWNT III, 897; Schmithals, Problem, 205-206.209; Gäumann, Taufe, 96; Tachau, Einst, 117. Weder die handschriftliche Überlieferung des Textes noch die Syntax (V. 18 ist syntaktisch selbstständig, d.h., er setzt nicht V. 17a fort) zwingen zu einer solchen gewaltsamen Operation; die meisten Ausleger lehnen die Annahme einer Glosse ab; vgl. Schlier 209-210; Käsemann 172-173; Cranfield I ; 323-324; Dunn I 343; Fitzmyer 449; Haacker 162; Lohse 200; Penna 457; Wolter I 396. Preuß, Theologie I, 89; dort auch der Hinweis auf Gen 1,26; 2,16. Deut 6,5; vgl. 4,29; 30,2.10; 2Chron 15,12; Joel 2,12; Jer 3,10; 24,7. Mit anderer Bedeutung in 1Tim 1,5; 2Tim 2,22: ε� κ καθαραñ ς καρδι' ας; 1Petr 1,22. Eine griech. Parallele bei Aristophanes, Nu. 86. Zur Parallele mit Deut 30,14 vgl. Thielman, Story of Israel, 188.
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Der Gehorsam der Jesusbekenner richtet sich auf die Grundgestalt der Lehre, die euch übergeben wurde. Die Syntax der griechischen Formulierung kann unterschiedlich gedeutet werden. Manche Ausleger gehen von einer attractio inversa aus, bei der das Bezugswort (τυ' πον διδαχηñ ς) in den Relativsatz hineingenommen wird (υ� πηκου' σατε … ει� ς ο� ν παρεδο' θητε τυ' πον διδαχηñ = υ� πηκου' σατε … τω ñ, τυπω ñ, διδαχηñ ς ει� ς ο� ν παρεδο' θητε).182 Wenn man ει� ς … τυ' πον διδαχηñ ς mit παρεδο' θητε verbindet, ergibt sich die Schwierigkeit, dass die Jesusbekenner einem τυ' πον διδαχηñ ς übergeben wurden, was dem üblichen Gebrauch des „Traditionsterminus παραδιδο' ναι“ widerspricht, wo „umgekehrt dem Bekehrten das Credo ‚übergeben‘ wird“ und παραδιδο' ναι ει� ς die Preisgabe an ein Unheilsgeschick bezeichnet.183 Deshalb verbinden andere die Präpositionalwendung ει� ς … τυ' πον διδαχηñ ς mit υ� πηκου' σατε.184 Die Konstruktion von υ� πακου' ω mit ει� ς („annehmen, Folge leisten, sich einlassen auf “) ist in der griech. Literatur belegt.185 Der Relativsatz ο� ν παρεδο' θητε kann als attributive Erläuterung von τυ' πος διδαχηñ ς verstanden und passivisch interpretiert werden (analog Gal 2,7; 2Thess 2,15; 1Tim 1,11; Tit 1,3): „Nicht die Adressaten wurden dem τυ' πος διδαχηñ ς übergeben, sondern umgekehrt der τυ' πος διδαχηñ ς den Adressaten“.186 Diese Interpretation ist einfacher als der erste Erklärungsversuch und deshalb vorzuziehen.
Der Ausdruck Grundgestalt der Lehre (τυ' πος διδαχηñ ς [typon didachēs]) bezeichnet die Grundzüge, den Kern, den wesentlichen Gehalt der Lehre von Gottes Heil schaffender Offenbarung in Tod und Auferweckung des Messias Jesus, des Retters der Welt. Für die Bedeutung des Wortes τυ' πος [typos] (s. 5,14) gibt es mehrere Vorschläge: 1. Die christliche Lehre als „Abbild“ oder Schatten der Wahrheit: „Paulus „wusste, dass die Gestalt der Lehre weniger ist als die Lehre selbst … dass wir im gegenwärtigen Leben die Gestalt und den Schatten der Tugenden besitzen können, die Tugenden selbst aber erst dann, wenn das Vollendete gekommen ist“.187 2. Die bestimmte Gestalt einer Lehre, bes. die christliche Lehre im Unterschied zur jüdischen Gesetzeslehre.188 Mit „Gestalt“ übersetzen LÜ, ZÜ; Elb.Ü hat „Bild“. 3. Die paränetische Tradition der christlichen Lehre: „the pattern consisting of teaching [appositive genitive], which is to mould the lives of those who have received it“.189 Vgl. NGÜ: „Lehre … die uns als Maßstab für unser Leben gegeben ist“. 4. Die prägende Kraft der christlichen Lehre: „Die Lehre … ist das Muster und die Form,
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HvS §289f.bb; vgl. Bauer/Aland s.v. παραδι' δωμι 1b; Schlier 208; Cranfield I 324; Käsemann 174; Michel 213; Wilckens I 36; Gagnon, Heart, 670. Wilckens II 36 mit Verweis auf 1,24.26.28; 2Kor 4,11 u.a. F. Büchsel, ThWNT II, 173; Zahn 320; Kuss II 388; Penna 458; Wolter I 397. BDR §2949 und NSS II, 20 nennen beide Alternativen. Vgl. LSJ s.v. υ� πακου' ω II.2, II.6. Gegen Gagnon, Heart, 669. Vgl. Wolter I 397 für die Belege Josephus, Ant 14,60; Diodorus Siculus 20,40,6; 18,7,4; Brutus, Ep 31,3-4; vgl. bes. Ps-Lukian, Asin 48: υ� πη' κουον γα` ρ ευ� θυ` ει� ς α« παντα διδασκο' μενος. Wolter I 397-398. Origenes 209. Lietzmann 70. Cranfield I 324. Vgl. Lagrange 156: „présentent l’évangile comme contenant une morale, mais sans la forme redoutable des menaces de la Loi“; Murray I 232: „the ethical implications of gospel teaching“; Seeberg, Katechismus, 4-5;
76 Römerbrief ———————————————————————————————————— τυ' πος, die ihr Verhalten gestaltet, und sie spricht zu ihr mit gebietender Macht“.190 5. Ein formelhaftes Taufsymbol.191 6. Das negative Gegenstück der christlichen Lehre, z.B. das „negative Vorbild“ der christlichen Lehre, d.h. die „Lehre der Sünde“.192 7. Christus als Inhalt der Lehre: „Der Auferstandene selbst, der als solcher der ‚Typos‘, der entscheidende Inhalt der Tauf‚lehre‘ ist, so daß τυ' πος hier Urbild-Funktion hat, in das hinein die Christen verwandelt werden“ (vgl. Barn 12:10: „Siehe: Wiederum Jesus, nicht Sohn eines Menschen, sondern Sohn Gottes, durch ein Abbild aber im Fleisch offenbart. Da man aber sagen wird, dass Christus Sohn Davids ist, prophezeit David selbst, weil er den Irrtum der Sünder befürchtete und durchschaute: ‘Es sprach der Herr zu meinem Herrn, Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich deine Feinde niederlege als Schemel deiner Füße‘“).193 Viele dieser Vorschläge operieren mit einer etymologischen Ableitung der Bedeutung von τυ' πος im Sinn von „Prägung“, die an manchen, aber nicht an allen Stellen vorliegt, an denen die Vokabel verwendet wird. Im Kontext am plausibelsten ist die Bedeutung „Grundgestalt“ oder „Grundzüge“.194 Beispiele für diese Bedeutung von τυ' πος sind Aristoteles, EthNic 1104a1f: „Jede Abhandlung über das Tun muss in groben Zügen (τυ' πω, ) und darf nicht in Einzelheiten (α� κριβω ñ ς) vorgetragen werden; Plato, Resp 414a: „in den Grundzügen und nicht genau“ (ε� ν τυ' πω, , μη` δι� α� κριβει' ας); Plutarch, Rom 3,1: „in den Grundzügen geht sie [die Romulus-Sage] aber so …“ (τυ' πω, δ� ει� πειñν τοιουñ το' ς ε� στι); Jamblichus, VitPythag 23,105: einige markante „Kernworte“ (συ' μβολα) des Pythagoras sollen den „wesentlichen Gehalt der Lehre“ (το` ν τυ' πον τηñ ς διδασκαλι' ας) deutlich machen; ebd. 34,259: auf die Aussage „solcherart war der wesentliche Gehalt des Geschriebenen“ (ο� δε` τυ' πος τοιουñ τος τω ñ ν γεγραμμε' νων) folgt die Zusammenfassung eines Buches über die pythagoreische Philosophie in einem einzigen Satz.
Jesusbekenner erhielten, als sie zum Glauben an den Messias und Kyrios Jesus kamen, den wesentlichen Gehalt des Evangeliums vermittelt. Ohne die „Grundgestalt“ bzw. die Gründzüge des Evangeliums zu kennen, kann man nicht Jesusbekenner werden. Paulus bietet in 1Kor 15,1-5 eine solche Zusammenfassung des Evangeliums, verdichtet auf den Hinweis auf die ————————————————————
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Schlatter 218. Vgl. H. Müller / W. Pratscher, ThBLNT I, 180; Gagnon, Heart, 685, gefolgt von Jewett 418; Haacker 163; Kruse 282. Kürzinger, Τυ' πος διδαχηñ ς, 169-176; vgl. Schlier 209; Käsemann 173. Vgl. Stuhlmacher 88, der im Sinn der „Glaubenslehre“ interpretiert; daran anschließend Stettler, Heiligung, 449; vgl. Riesner, Taufkatechese, 316, mit einer Analyse der traditionsgeschichtlichen Ursprünge der Taufkatechese in den Worten Jesu und in judenchristlichen Kreisen Judäas (bes. 336-339). Borse, Abbild, 229-235. Vgl. Haacker 163, der die Interpretation im Sinn des „Einst“ für plausibel hält und den Ausdruck mit „prägende Lehre“ übersetzt und im Sinn unguter Traditionen interpretiert. Wilckens II 36-37. Vgl. Dunn I 344: „Christ as the pattern for Christian parenesis or the model for Christian conduct“. Vgl. LSJ s.v. τυ' πος VIII.2 „outline, sketch, general idea“ (mit Beispielen); diese Bedeutung ist weder in Bauer/Aland noch in BDAG verzeichnet. Vgl. Spicq, TLNT III, 385; Fitzmyer 449; Lohse 201; Penna 459; Wolter I 398; Kürzinger, Τυ' πος διδαχηñ ς, 172-173. Vgl. EÜ, GN, die τυ' πος unübersetzt lassen. Die folgenden Beispiele sind von Wolter ebd. übernommen. Spicq ebd. 386 interpretiert im Sinn von „Regel“, „Norm“ im Sinn der in den Papyri attestierten juristischen Bedeutung von τυ' πος als „Dekret, Befehl, Reskript“ (z.B. P.Lond. I 77,47) oder „Urteil, Entscheidung“ (z.B. P.Oxy. VI 893,1); dazu MM s.v. τυ' πος Bedeutungen 4-5.
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Rettung (σω', ζεσθε) durch den Messias Jesus, der „für unsere Sünden gestorben ist gemäß der Schrift“, der „begraben und auferweckt wurde am dritten Tag gemäß der Schrift“ und der „dem Kephas erschienen ist, danach den Zwölf“. Paulus hat diese Summe des Evangeliums den korinthischen Christen „überliefert“ (παρε' δωκα; 15,3), wie andere Missionare den römischen Jesusbekennern das Evangelium verkündigt hatten. Wenn Menschen das Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus und das von Gott den Sündern gewährte Heil annehmen und „zum Glauben kommen“ (ε� πιστευ' σατε; 15,2), werden sie dem Inhalt des Evangeliums gegenüber „gehorsam“ (υ� πηκου' σατε), wie Paulus in V. 17 formuliert. Wie hier bezeichnet Paulus in 16,17 die Botschaft von Jesus Christus als „Lehre“ (διδαχη' [didachē]). Weil es Gott ist, der im Evangelium redet, in dem von Jesus Christus die Rede ist, kann Paulus gleichermaßen vom Gehorsam gegenüber Gott (vgl. 15,18; 16,19), vom Gehorsam gegenüber Jesus Christus (2Kor 10,5) und vom Gehorsam gegenüber dem Evangelium (10,16; 2Kor 9,13; 2Thess 1,8) bzw. seiner verdichteten Grundgestalt sprechen (Röm 6,17). Es ist möglich, dass bei der Taufe von Neubekehrten eine Summe des Evangeliums oder ein auf die Grundzüge des Evangeliums zusammengefasstes Glaubensbekenntnis vorgetragen wurde. Beweisen lässt sich das für das 1. Jh. nicht, zumal die Zum-Glauben-Gekommenen häufig ohne zeitlichen Aufschub sofort nach der Annahme des Evangeliums von Jesus Christus getauft wurden (vgl. Apg 2,37-40.41).195 18 Paulus setzt seine erneute Beschreibung des Bekehrungsgeschehens fort: An Jesus Glaubende wurden befreit von der Sünde. Das Verb „befreien“ (ε� λευθερο' ω [eleutheroō])196 beschreibt das Herausholen aus einer Situation, in der man von Menschen oder einer Sache beherrscht wird, das Loskommen von einer schlimmen Lage, hier die Befreiung von der Macht der Sünde, d.h. von der die Gegenwart des Jesusbekenners kontrollierenden Sünde und vom Tod als zukünftige Unheilsfolge der Sünde. Paulus hatte in V. 2 die existenziellen Folgen beschrieben, die sich infolge der Vereinigung mit dem Messias Jesus und das heißt mit seinem Sühnetod und seiner Auferweckung ergeben: Sie sind der Sünde gestorben. Der Grund besteht in der Befreiung von der Sünde. ————————————————————
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Wenn Stuhlmacher 88 als „Glaubenslehre“ interpretiert, „die den Christen in Rom im Taufunterricht von den Missionaren gelehrt worden ist, die das Evangelium vor Paulus nach Rom gebracht haben“, dann wird mit „Unterricht“ eine zeitliche Distanz zwischen Taufe und Bekehrung postuliert, die im 1. Jh. wohl nicht sehr groß war. Vgl. H. Schlier, Art. ε� λευ' θερος κτλ., ThWNT II, 484-500; K. Niederwimmer, EWNT I, 1052-1058; S. Vollenweider, Art. ε� λευθερι' α, ThBLNT I, 499-505; Vollenweider, Freiheit, 323-338; Jones, Freiheit.
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Die Befreiung von der Sünde bedeutet keine selbstbestimmte Autonomie, sondern macht die Jesusbekenner zu Sklaven der Gerechtigkeit: Sie dienen nicht mehr der Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit (1,18), sondern sie dienen als Sklaven der Gerechtigkeit (ε� δουλω' -θητε τηñ, δικαιοσυ' νη, [edoulōthēte tē dikaiosynē]). Der Aorist verweist entweder ingressiv auf die Bekehrung als Anfang des Lebens als Jesusbekenner oder komplexiv auf die andauernde Wirklichkeit des christlichen Lebens. Die Passivform verweist auf Gott als Urheber des „Sklave-Seins“ der Gläubigen, d.h. ihrer Verpflichtung auf die Gerechtigkeit. Der Gegensatz von „Sklaven der Sünde“ und „Sklaven der Gerechtigkeit“ entspricht der Aufforderung in V. 11, sich im Blick auf die Sünde als Tote zu betrachten und die neue Identität als „Lebende im Messias Jesus“ ernst zu nehmen. Die Befreiung von der Sünde V. 18a bedeutet Sklavendienst gegenüber der Gerechtigkeit V. 18b, der in V. 17b als Gehorsam-Werden gegenüber dem Evangelium bezeichnet wird. Die ehemaligen Sklaven der Sünde, die gezwungen waren, den Willen der Sünde auszuführen, d.h. in Gottlosigkeit zu leben und Ungerechtigkeit anzustiften, sind jetzt, nachdem sie zum Glauben an den Messias Jesus bekehrt wurden, Sklaven der Gerechtigkeit geworden, die den Willen der Gerechtigkeit ausführen, d.h. dem Willen Gottes gehorchen. 19 Die Beschreibung der Jesusbekenner in V. 18b.19c.22 als „Sklaven“ (ε� δουλω' θητε, δουñ λα, δουλωθε' ντες) verwendet eine Analogie aus der zeitgenössischen Gesellschaft, in der ein Drittel bis zwei Drittel der Menschen Sklaven oder ehemalige Sklaven waren. Die Analogie passt nicht wirklich zu der Beziehung, die Jesusbekenner zu Gott haben, zu dem sie nach 8,15 „Abba, Vater“ sagen. Genau dies meint Paulus, wenn er in V. 19a schreibt: Ich rede auf menschliche Weise wegen der Schwäche eures Fleisches. Das Adverb „auf menschliche Weise“ (α� νθρω' πινον, [anthrōpinon]) verweist auf die Art des Redens (λε' γω), die Menschen im Alltagsleben verwenden. Dort gibt es Sklaven, die ihren Eigentümern gegenüber Gehorsam schuldig sind. Weil Jesusbekenner Menschen sind, die Gott und seinem Willen gehorsam sind, können sie, wenn man die Sprache des zeitgenössischen Wirtschaftslebens verwendet, als „Sklaven“ bezeichnet werden. Der Grund für diese menschliche Redeweise ist die „Schwäche eures Fleisches“ (δια` τη` ν α� σθε' νειαν τηñ ς σαρκο' ς). Damit ist nicht eine theologische oder ethische Schwäche der stadtrömischen Christen gemeint,197 auch ————————————————————
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Anders Hebr 5,12, wo die angesprochenen Christen „der Zeit nach schon Lehrer“ sein müssten, aber immer noch jemanden brauchen, der ihnen „die Anfangsgründe der Lehre von der Offenbarung Gottes beibringt“, weil sie „feste Speise“ noch nicht vertragen können, sondern immer noch „Milch“ nötig haben.
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nicht die Verwendung der Metapher des Sklaven – Geschenk/Gnade schließt Verpflichtung nicht aus –,198 sondern eine anthropologische Schwäche, an der alle Jesusbekenner leiden, die einen sterblichen Leib haben (V. 12), der dem theologischen Erkennen Grenzen setzt. Man kann mit Philo, Sacr 101, vergleichen, der im Blick auf Deut 1,31 („Da hat der Herr, dein Gott, dich auf dem ganzen Weg, den ihr gewandert seid, getragen, wie ein Vater seinen Sohn trägt, bis ihr an diesen Ort kamt“) erklärt, dass in dem Text nicht „in eigentlicher Weise über Gott gesprochen wird (ου� δε` το` ω� ς α» νθρωπος ε� πι` θεουñ κυριολογειñται), sondern es handelt sich um einen übertragenen Gebrauch von Wörtern, der unsere Schwäche behebt (κατα' χρησις δε` ο� νομα' των ε� στι` παρηγορουñ σα τη` ν η� μετε' ραν α� σθε' νειαν)“.199 Man vergleiche dazu die Aussage des Apostels Paulus in Gal 3,15: „Ich nehme einen Vergleich aus dem menschlichen Leben (κατα` α» νθρωπον λε' γω)“ (EÜ). Wie Jesusbekenner trotz ihres sterblichen Leibes „dessen Begierden und damit der Sünde widerstehen können (6,12f), so können sie auch im ‚menschlichen‘ Bild die Wahrheit des göttlichen Evangeliums und seine Forderung verstehen … Finitum capax infiniti“.200 Die Klärung betont, dass Sünde und Gerechtigkeit „nicht zwei Herren auf der gleichen Ebene (sind), wie es das Bild voraussetzt; sondern sie stehen sich im Verhältnis der Überlegenheit des einen Herrn gegenüber dem anderen einander gegenüber“.201 Paulus erläutert die Wende vom „Einst“ zum „Jetzt“ (V. 17-18) mit einem Rückgriff auf den Imperativ V. 13, wobei die Metapher der „Waffen“ durch die Metapher des „Sklaven“ (V. 16-18) ausgetauscht wird. Für das „Einst“ der Zeit vor der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus gilt (V. 19b): Ihr habt eure Glieder der Unreinheit und Gesetzlosigkeit zur Gesetzlosigkeit als Sklaven zur Verfügung gestellt. Die „Glieder“ (τα` με' λη [ta melē]; s. V. 13) sind die Organe des menschlichen Körpers, mit denen man handelt und mit denen man sündigt. „Unreinheit“ (α� καθαρσι'α
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Barclay, Gift, 498-499: Paulus verwendet die Metapher des Sklaven für sich selbst (1,1) und für die Beziehung der römischen Christen mit Gott (12,11; 14,4), sodass der Schluss, Paulus entschuldige sich in V. 19 für die Metapher als solche, nicht überzeugend ist. Wolter I 399. Wilckens II 37 verweist auf 1Kor 2,14: finitum infiniti incapax. Wilckens II 38. Paulus spricht nicht die angefochtene Situation christlicher Existenz an, weil er nicht gegen libertinistische Tendenzen von Enthusiasten schreibt (ebd. Anm. 138); gegen Käsemann 174 (α� σθε' νεια sei „der Trotz der Starken, welche alle Fesseln los sein möchten und deshalb gegen die Ausführung des Apostels protestieren“). Wilckens II 38, mit Verweis auf TestDan 6,10 als Hintergrund dieses Dualismus.
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[akatharsia]; s. zu 1,24) ist moralische Unreinheit,202 „Gesetzlosigkeit“ (α� νομι'α [anomia]; s. zu 4,7) allgemein Sittenlosigkeit und Gewalttätigkeit, im Blick auf Juden die Zuwiderhandlung gegen den in der Tora offenbarten Willen Gottes. Unreinheit und Gesetzlosigkeit sind nicht nur für Heiden zu konstatieren, sondern im Kontext des Arguments von 2,1–3,20 und 5,12-21 für alle Menschen, Heiden und Juden.203 Man vergleiche die Ankündigung in Hes 22,5: Die Völker spotten über Jerusalem und sagen: „Unrein (α� κα' θαρτος) ist die berühmte (Stadt) und voll von Vergehen (α� νομι' αις)“ (LXX.D); in 39,24 sagt Jahwe über Israel: „Entsprechend ihren Unreinheiten (α� καθαρσι' ας) und entsprechend ihren Gesetzlosigkeiten (α� νομη' ματα) habe ich an ihnen gehandelt und mein Gesicht von ihnen abgewendet“ (LXX.D); 1/3 Esr 1,47: „Auch die Führer des Volkes und der Priester aber taten viel Gottloses und übertraten das Gesetz (η� σε' βησαν και` η� νο' μησαν), sie übertrafen dabei alle Unreinheiten aller Völker (υ� πε` ρ πα' σας τα` ς α� καθαρσι'ας πα' ντων τω ñ ν ε� θνω ñ ν) und befleckten den geheiligten Tempel des Herrn in Jerusalem“ (LXX.D). Als „Sammelbegriffe für alle möglichen Übertretungen von Gottes Weisung, die Heillosigkeit und Gottesferne begründen“,204 ersetzen die beiden Substantive das Wort „Sünde“ von V. 13. Gesetzlosigkeit führt zu weiterer Gesetzlosigkeit (ει� ς τη` ν α� νομι' αν).205 Das im griech. Satz vorangestellte Verb (παρεστη' σατε [parestēsate]) unterstreicht, dass ihr Leben als Sünder nicht einfach Schicksal war: Sie haben erlaubt, dass ihre Glieder unter der Verfügungsgewalt von Unreinheit und Gesetzlosigkeit stehen, als Dauerzustand (komplexiver Aor.), der ihr ganzes Leben kennzeichnete. Das mit „als Sklaven“ (δουñ λα [doula]) übersetzte Adjektiv modifiziert „Glieder“: Vor ihrer Bekehrung waren die Glieder ihres Leibes der Unreinheit und Gesetzlosigkeit „untertänig“, d.h., sie bestimmten als Sklavenherren, auf welche Weise und mit welchen Folgen die Organe ihres Leibes im Alltag agierten. Die Wende in der Biographie der Jesusbekenner wird in V. 19c mit dem Wort jetzt (νυñ ν) markiert. Statt der Unreinheit und Gesetzlosigkeit sind Christen der Gerechtigkeit (δικαιοσυ' νη [dikaiosynē]; s. zu 1,17) verpflich————————————————————
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M. Frenschkowski, Art. καθαρο' ς, ThBLNT I, 904: „Generalnenner eines dem Verderben preisgegebenen Lebens“. In 6,19 kann man anders als in 1,24 nicht vom „Attribut des Heidnischen“ reden (ebd. 906; auch Hauck, ThWNT III, 432). Tachau, Einst, 123 spricht im Blick auf die beiden Substantive vom „Rest eines Lasterkatalogs“; vgl. Lohse 202. Die Frage, ob in V. 19b nur Heidenchristen gemeint sind, muss also nicht „offen bleiben“ (so Stettler, Heiligung, 451 Anm. 51, mit Verweis auf Käsemann, Römer 6,19–23, 265). Wolter I 400; vgl. Deut 31,29; Jes 27,9; Klgl 1,8-9; Hes 9,9; 36,17; Mi 2,10; Nah 3,6. Fitzmyer 451 übersetzt mit „iniquity which led to anarchy“. Käsemann 176: Der Ausdruck will sagen, „daß willkürliche und trügerische Freiheit ansteckend wirkt und sich einen irdischen Raum schafft“.
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tet. Der Imperativ stellt zur Verfügung (παραστη' σατε [parastēsate]) ist wie in V. 19b als komplexiver Aorist formuliert: Sie sollen sicherstellen, dass der „Sklavendienst“ ihrer Glieder (τα` με' λη υ� μω ñ ν δουñ λα) unter der Herrschaft der Gerechtigkeit eine permanente Wirklichkeit ist und bleibt.206 Die Erfahrung der Heil schaffenden, von Gott offenbarten und ihnen zugeeigneten Gerechtigkeit soll, wird und kann ihr Alltagsleben bestimmen. Im Gegensatz zu der Sünde, die den Tod zur Folge hatte (ει� ς θα' νατον; V. 16), und im Gegensatz zur Gesetzlosigkeit, die weitere Gesetzlosigkeit produzierte (ει� ς τη` ν α� νομι'αν; V. 19b), zieht die von Gott gewährte Gerechtigkeit die Heiligung (α� γιασμο' ς [hagiasmos]) nach sich.207 Paulus will mit dem Imperativ παραστη' σατε nicht sagen, dass Christen sich bemühen müssen, durch ein gerechtes Leben Heiligkeit zu erlangen. Als von Gott Berufene sind sie bereits „Heilige“ (α« γιοι [hagioi]; s. zu 1,7), denn sie haben von Gott seinen Heiligen Geist erhalten (5,5). In 1Kor 6,11 schreibt Paulus an die Christen in Korinth: „Ihr seid abgewaschen worden (α� πελου' σασθε), ihr seid geheiligt worden (η� για' σθητε), ihr seid gerechtfertigt worden (ε� δικαιω' θητε) im Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“. Paulus fordert die Jesusbekenner zum praktischen Nachvollzug der Wirklichkeit auf, die ihr Leben infolge der Gnade Gottes bereits kennzeichnet. Sie sollen ihr Handeln im Alltag der Gerechtigkeit zur Verfügung stellen und so in der Heiligung leben. Die Heiligung ist nicht moralische Vervollkommnung des Gläubigen, sondern umfasst, wie Paulus in Kap. 12 entfalten wird, „auch den leiblichen Gottesdienst, der sich in Taten vollzieht, die dem Nächsten erwiesen werden“.208 Paulus verbindet auf dem Hintergrund der Nennung von Unreinheit uund Sünde in V. 19b Gerechtigkeit und Heiligung so miteinander, dass das „Sklavesein“ im Dienst der Gerechtigkeit auf die durch den Tod und die Auferstehung Jesu ermöglichte Heiligung zielt. Hier ergänzen sich kultische und ethische Vorstellungen. ————————————————————
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Wolter I 399: παραστη' σατε in V. 19c ist ingressiver Aor. – es geht um die Bekehrung, für die wie in V. 13 das „ab jetzt“ der Aussage gilt. Paulus beschreibt in V. 19 die Bekehrung und deren Folge, spricht aber Leser an, die schon länger Christen sind, d.h., das „ab jetzt“ liegt für sie in der Vergangenheit. Es ist deshalb vorzuziehen, den Aor. in V. 19c analog zum Aor. in V. 19b als komplexiven Aor. zu interpretieren. α� γιασμο' ς ist bei Paulus in Röm 6,19.22; 1Kor 1,30; 1Thess 4,3.4.7; 2Thess 2,13; 1Tim 2,15 belegt; vgl. Hebr 12,14; 1Petr 1,2. In der LXX vgl. Ri 17,3; Hes 45,4; Am 2,11; sowie 2Makk 2,17; 14,36; Sir 7,31; 17,10; PsSal 17,30. Vgl. O. Proksch, α� γιασμο' ς, ThWNT I, 114-116; H. Balz, EWNT I 41-42: Das Wort wird oft mit Präpositionen verwendet „zur Bezeichnung des Gesamtzieles des neuen Lebenswandels der Glaubenden“. Vgl. Mauerhofer, Kampf, 107-116; zum Thema bei Paulus vgl. Stettler, Heiligung. Stettler, Heiligung, 451. Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 280-284.
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Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes, die dem Jesubekenner zugeeignet ist, manifestiert sich in ihren „Gliedern“, d.h. in ihrer leiblichen Existenz, konkret im Alltagsleben. Ein Leben der Heiligung ist ein Leben, das der Zugehörigkeit zu Gott würdig ist. Paulus ermahnt und ermutigt alle Jesusbekenner, „zu leben, wie es Gottes würdig ist (ει� ς το` περιπατειñν υ� μαñ ς α� ξι' ως τουñ θεουñ ), der euch zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit beruft“ (1Thess 2,12). „Lebende im Messias Jesus“ (V. 11), die nicht mehr der Sünde, sondern der Gerechtigkeit verpflichtet sind, erweisen deren Wirklichkeit in einem Leben gemäß dem Willen Gottes. Die Verpflichtung auf die Gerechtigkeit und deren Manifestation in der „Heiligung“ lassen den Einwand von V. 1.15 als absurd erscheinen. Jesusbekenner, die mit dem Messias Jesus verbunden sind und die erfahren haben, dass die Sklaverei der Sünde, die ihr Leben und ihre Zukunft bestimmte, mit dem Tod und der Auferstehung Jesu aufgehoben wurden, haben infolge der Gnade Gottes Anteil an Gottes Heiligkeit – sie wollen ein heiliges Leben führen, weil Gott heilig ist. Die theologische Begründung der Heiligung mit dem heilschaffenden Handeln Gottes, der in seiner barmherzigen Gnade den Sündern, die zum Glauben an Jesus kommen, den Messias Israels und Retter der Welt, Sünde vergibt, Gerechtigkeit schenkt, Frieden schafft und Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes vermittelt, entspricht der Struktur der Heiligkeit und Heiligung Israels. Das von Israel geforderte Tun des im mosaischen Gesetz offenbarten Willens Gottes wird in Lev 11,44-45 mit der Erwählung Israels und der Heiligkeit Gottes begründet: „Denn ich bin der Herr, euer Gott, und ihr sollt euch heiligen lassen und heilig sein (α� γιασθη' -σεσθε και` α« γιοι ε» σεσθε); denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott (ο« τι α« γιο' ς ει� μι ε� γω` κυ' ριος ο� θεο` ς υ� μω ñ ν), und ihr sollt euch nicht verunreinigen mit allen Kriechtieren, die sich auf der Erde bewegen; denn ich bin der Herr, der euch aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat, um euer Gott zu sein; und ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr (ε» σεσθε α« γιοι, ο« τι α« γιο' ς ει� μι ε� γω` κυ' ριος)“ (LXX.D); vgl. 19,2-3: „Sprich zur Versammlung der Israeliten und sage zu ihnen: ‘Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig der Herr, euer Gott. Jeder soll seinen Vater und seine Mutter fürchten und ihre sollt meine Sabbate bewahren. Ich bin der Herr, euer Gott“; 20,7-8: „Und ihr sollt heilig sein; denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig. Und ihr sollt meine Anordnungen bewahren und sie tun. Ich bin der Herr, der euch heiligt“. Weil Israel allein mithilfe des Gesetzes „seine Teilhabe an Gottes Heiligkeit, die ihm durch die Erwählung aus den Völkern geschenkt wurde, bewahren und zur Anschauung bringen
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kann, ist es gehalten, die ihm von Gott durch Mose gegebenen Weisungen zu erfüllen“.209 20 Der Imperativ von V. 19 wird mit dem Indikativ von Seins-Aussagen erläutert (γα' ρ), die noch einmal den Wechsel vom „Einst“ (V. 20-21) zum „Jetzt“ (V. 22) beschreiben. Der mit als (ο« τε [hote], „als, nachdem“) eingeleitete Temporalsatz beschreibt die Vergangenheit: Ihr wart Sklaven der Sünde (δουñ λοι ηò τε τηñ ς α� μαρτι'ας). In V. 16 beschrieb Paulus Christen vor ihrer Bekehrung zum Glauben an Jesus als „Sklaven der Sünde zum Tod“ (δουñ λοι' … α� μαρτι'ας ει� ς θα' νατον), in V. 17 als „Sklaven der Sünde“ (δουñ λοι τηñ ς α� μαρτι'ας); in V. 18 beschrieb er die Existenz „unter der Sünde“ (α� πο` τηñ ς α� μαρτι'ας), in V. 19 die Glieder ihrer leiblichen Existenz, die sie „der Unreinheit und Gesetzlosigkeit zur Gesetzlosigkeit als Sklaven (τα` με' λη υ� μω ñ ν δουñ λα) zur Verfügung gestellt haben“. Menschen, die nicht Gott und dem Messias Jesus gehören, tun, was die Sünde ihnen gebietet. Der Satz ihr wart frei von der Gerechtigkeit (ε� λευ' θεροι ηò τε τηñ, δικαιοσυ' νη, )210 ist ironisch formuliert und unterstreicht damit die Gegensätzlichkeit des „Einst“ und „Jetzt“. Das Versklavtsein unter der Sünde ist nicht Freiheit – diese gibt es nur in der Zugehörigkeit zu Gott und seinem Messias. Wenn man bei Sklaven von Freiheit reden kann, dann nur ironisch, indem man beschreibt, wovon sie „frei“ sind, d.h., was sie nicht haben.211 Wer nicht Gott und seinem Messias gehört, der ist „frei“ von der Gerechtigkeit, d.h., er kennt nur Sünde (V. 20a), Unreinheit und Gesetzlosigkeit (V. 19b), denen er als Sklave dient. Man kann nur der Sklave eines einzigen Herren sein: Wer nicht Sklave der Gerechtigkeit ist, der ist Sklave der Sünde. Gleichzeitig gilt: Wer Sklave der Gerechtigkeit ist, der ist nicht mehr der Sklave der Sünde und kann, soll und will dieser nicht mehr dienen.
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Wolter I 401. Der Dativ τηñ, δικαιοσυ' νη, ist dat. incommodi oder dat. respectus; NSS II 20. Die Erklärung von Wolter I 401 Anm. 71, weshalb man nicht von dat. respectus sprechen kann (den Kuss II 392; Cranfield I 327; Dunn I 347; Moo 405-406; Jewett 421 annehmen), ist nicht überzeugend, da der dat. respectus durchaus anzeigen kann, „wovon“ – in welcher Hinsicht – die Gläubigen früher „frei“ waren. Der temporale Haupt- und Nebensatz beschreiben hier Gleichzeitiges in der Vergangenheit; vgl. HvS §176g.aa. Zur Ironie s. Jones, Freiheit, 113-114.
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21 Paulus bewertet die vorchristliche Vergangenheit212 im Hinblick auf die
Wirklichkeit des Lebens vor der Bekehrung. Die Frage Welche Frucht habt ihr denn damals gehabt? erinnert die stadtrömischen Christen an ihr vergangenes Verhalten. Frühere Ausleger interpretierten oft den ganzen V. 21 als Fragesatz („Welche Frucht hattet ihr denn damals bei den Dingen, über die ihr euch jetzt schämt, deren Ergebnis der Tod ist?“), dessen Antwort („keine“ oder „eine schlimme Frucht“) zu ergänzen ist; so in wichtigen Vulgata-Handschriften (quem ergo fructum habuistis tunc in illis, in quibus nunc erubescitis).213 Die große Mehrzahl der Kommentatoren, einschließlich Nestle-Aland, interpretieren V. 21 im Sinn einer Frage (τι' να ουò ν καρπο` ν ει»χετε το' τε;), gefolgt von einer Antwort (ε� φ’ οιðς νυñ ν ε� παισχυ' νεσθε).214
Die Vergangenheit ihres Lebensvollzugs ist mit dem Adverb „damals“ (το' τε [tote]) angesprochen. Das Wort „Frucht“ (καρπο' ς [karpos])215 ist eine Metapher aus der Landwirtschaft, die beschreibt, „was dank der Verbindung mit dem Lebenskraft spendenden Baum oder Boden wie selbstverständlich wächst“.216 Die Metapher wurde in der Antike öfter verwendet.217 Paulus spricht hier von den natürlichen Konsequenzen menschlichen Verhaltens, ————————————————————
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Wolter I 402 konstatiert eine „ethische Abwertung der vorchristlichen Vergangenheit der Adressaten“; weil Paulus dieser Vergangenheit keinen für das Endgericht (vgl. 1,18) gültigen Wert beimisst, spricht man statt von „Abwertung“ eher von Bewertung. So interpretieren nach Auskunft von Kuss II 393 Chrysostomus, Bengel, Estius, Gutjahr, Kürzinger; Sanday-Headlam 169-170; Zahn 324-325; s. auch Murray 236; Schreiner 339. Kuss II 393 nennt u.a. Theodoret, Theodor v. Mopsuestia, Weiß, Althaus, Lagrange, Michel; vgl. Cranfield I 328; Schlier 212; Michel 251; Moo 406-407; Penna 464; Jewett 422. Neuere Kommentatoren wie Wilckens II 39; Lohse 203; Wolter I 402 behandeln das Problem nicht mehr. Reed, Indicative, 244-257 will τι' να nicht als Interrogativpronomen, sondern als Indefinitpronomen (τινα' ) verstehen, das καρπο' ν modifiziert, was zu der Übersetzung führt: „Consequently, you were having a certain kind of fruit of which you are now ashamed“. Die Stellung am Anfang des Satzes und die Verbindung mit ουò ν lässt kaum Zweifel, dass τι' να eine Frage einleitet; Penna 464 Anm. 182; Jewett 422. Vgl. Bauer/Aland s.v. καρπο' ς 2a (spricht im Blick auf V. 21 vom „Ergebnis des Lebens in Sünde u. Gerechtigkeit“; BDAG s.v. καρπο' ς 1b; vgl. F. Hauck, Art. καρπο' ς κτλ., ThWNT III, 617-619; H.-Th. Wege, EWNT II, 619-623; R. Hensel, ThBLNT II, 15241527. In Röm 1,23; Phil 1,22 (vgl. Kol 1,6) steht καρπο' ς für das Ergebnis missionarischer Arbeit, in 1Kor 9,7; 2Tim 2,6 für Anspruch auf Unterhalt durch die Gemeinden, in Röm 15,28 für die Kollekte der Heidenchristen für Jerusalem. Hensel, ThBLNT, 1526. Die Tatsache, dass in Gen 3,2 das Verbot Gottes, von der Frucht ( ְ ּפ ִרי, LXX καρπο' ς) in der Mitte des Gartens zu essen, mit der Androhung von Tod (ι«να μη` α� ποθα' νητε) verbunden ist, und dass Paulus in Röm 7,10-11 auf die Urgeschichte anspielt (wo allerdings nicht von „Frucht“ die Rede ist), kann kaum dazu verdichtet werden, dass Paulus in Röm 6,20-23 auf die Urgeschichte anspielt, wie Stettler, Heiligung, 452 Anm. 60 vermutet. Ps 1,3; 92,15; 127,3; Spr 1,31; 8,19; 11,30; Jes 3,10 ( ; ְ ּפ ִריLXX γενη' ματα); 14,29; 37,30 (LXX σπε' ρμα); Jer 12,2; 17,10; Am 6,12; Frühjudentum: Weish 3,13.14; Arist 260; Philo, Fug 176; Josephus, Ant 20,48; im NT: Mt 3,8.10; 7,17; Hebr 13,15; Offb 22,2.
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die sich ergeben, wenn man Sklave der Sünde (V. 20a) ist und seinen Leib der Unreinheit und Gesetzlosigkeit (V. 19b) zur Verfügung stellt. Meistens sind mit „Frucht“ positive Taten und ihre Auswirkungen gemeint (vgl. Lev 26,4.20; Deut 7,13; 28,28: Frucht als Segen Gottes, Abwesenheit von Frucht als Folge des Fluches Gottes). In 7,4 spricht Paulus vom Fruchtbringen (καρποφορε' ω [karpophoreō]) für Gott, in Phil 1,11 von der „Frucht der Gerechtigkeit“. Die Metapher kann aber auch in negativem Sinn verwendet werden. In 7,5 schreibt Paulus von den Leidenschaften der Sünde, die in den Gliedern dem Tod „Frucht brachten“ (καρποφορηñ σαι); in Gal 5,22 stellt er die „Frucht des Geistes“ (ο� καρπο` ς τουñ πνευ' ματος) den „Werken des Fleisches“ (τα` ε» ργα τηñ ς σαρκο' ς) gegenüber; in Eph 5,11 ist von den unfruchtbaren (α� κα' ρποις [akarpois]) Werken der Finsternis die Rede. Jesus spricht metaphorisch von Menschen, die einem Baum gleichen, der „gute Frucht“ (το` ν καρπο` ν καλο' ν) trägt, und von Menschen, die einem Baum gleichen, der „schlechte Frucht“ (το` ν καρπο` ν σαπρο' ν) bringt. Wie es eine „Frucht zur Heiligung“ gibt (V. 22), so gibt es auch eine „Frucht“ im Unheilsbereich.218 Der Singular „Frucht“ steht für die Gesamtheit der Handlungen und Verhaltensweisen und deren Auswirkungen; der Sing. wird in V. 21b mit Plural-formen aufgenommen (οιðς, ε� κει'νων). Paulus verweist hier auf keinen Lasterkatalog der Dinge, über die ihr euch jetzt schämt (ε� φ’ οιðς νυñ ν ε� παισχυ' νεσθε). Das Adverb „jetzt“ (νυñ ν [nyn]) unterscheidet die Gegenwart des Lebensvollzugs der Jesusbekenner von der Vergangenheit der Zeit vor ihrer Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus. Das mit „ihr schämt euch“ (ε� παισχυ' νεσθε [epaischynesthe]; s. zu 1,16) übersetzte Verb bezeichnet ein schmerzhaftes Gefühl als Folge eines Ereignisses oder einer Handlung, ausgelöst von der Verachtung durch andere infolge der Verletzung gesellschaftlicher Normen. Die Handlungen, die im Lasterkatalog von 1,29-31 genannt werden – Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habsucht, Bosheit; sie sind voll Neid, Mord, Streit, Tücke, Verschlagenheit: Intriganten, Denunzianten, Gotthasser, Gewalttätige, Angeber, Aufschneider; erfinderisch im Bösen, den Eltern ungehorsam, unverständig, unbeständig, lieblos, erbarmungslos – sind nicht alle bei allen Menschen anzutreffen, aber sie kommen vor, und von „Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habsucht“ ist kein Mensch frei. Im Lasterkatalog von 1Kor 6,9-10 – sexuell Zügellose, Götzendiener, Ehebrecher, Weichlinge, Homosexuelle, Diebe, Habgierige, Säufer, Lästerer, Räuber – kommen mehr Ver————————————————————
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Das Wort „Frucht“ wird deshalb in V. 21 nicht „widersinnig“ (Wilckens II 39) verwendet: Paulus redet metaphorisch – „natürliche Folgen“ hat sowohl die Gerechtigkeit, die zur Heiligung führt (V. 22), als auch die Gesetzlosigkeit, die weitere Gesetzlosigkeit aus sich hervorbringt (V. 19).
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haltensweisen vor, die in der zeitgenössischen Kultur akzeptiert waren, besonders sexuelle Zügellosigkeit, Götzendienst und Homosexualität. Manche dieser Handlungsweisen verletzten gesellschaftliche Normen und führten zu Scham, wenn sie öffentlich bekannt wurden. Die in der griechischrömischen Kultur akzeptierten Handlungsweisen, die Paulus in seinen Lasterkatalogen nennt, lösten für Jesusbekenner „jetzt“ Scham aus, weil für sie nicht mehr die in Rom akzeptierten gesellschaftlichen Normen gelten, sondern die Normen des Reiches Gottes (1Kor 6,10), von dem alle ausgeschlossen sind, die sich wie in dem Katalog von Handlungen in 1Kor 6,9-10 (und Röm 1,29-31 sowie 1,19-28) verhalten. Das Ergebnis (τε' λος [telos]), d.h. die Folge, das Resultat, von Verhalten, das dem Willen Gottes widerspricht, ist der Tod (θα' νατος).219 Mit „Tod“ ist hier nicht nur der physische Tod gemeint (5,12), sondern der Tod als Folge des Zornes Gottes, der im Endgericht alle trifft, die durch Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit (1,18) die Wahrheit Gottes unterdrücken und Gottes Rechtssetzung missachten (1,32). Jesusbekenner erkennen in ihrer Bekehrung, dass ihr früheres Verhalten sowohl häufig als auch insgesamt verwerflich war und der Norm des Willens Gottes widersprach, und sie erkennen, dass ihr früheres Verhalten ihnen das Todesurteil im Endgericht eingetragen hätte.220 22 Mit jetzt aber (νυνι` δε' [nyni de]) leitet Paulus zu einer Schilderung der Gegenwart der Jesusbekenner über.221 Er nennt vier Tatsachen. Erstens, an Jesus Christus Glaubende sind von der Sünde befreit (ε� λευθερωθε' ντες α� πο` τηñ ς α� μαρτι' ας). Der Partizipialsatz kann temporal („nachdem ihr von der Sünde befreit worden seid“) auf den Zeitpunkt der Bekehrung bezogen oder kausal („da ihr von der Sünde befreit worden seid“) verstanden werden.222 Die Formulierung, die V. 18 wörtlich wiederholt, betont, dass Christen von der Macht der Sünde, die ihr Verhalten bestimmte und ihre Verurteilung im Endgericht Gottes und damit ewigen Tod garantierte, losgekommen sind. Die Formulierung des Partizips mit dem Passiv verweist auf Gott als Urheber der Freiheit von der Sünde. Jesusbekenner werden nicht mehr von der Sünde kontrolliert. Zweitens, Christen sind zu Sklaven für Gott gemacht worden (δουλωθε' ντες δε` τω ñ, θεω ñ, ). Der Partizipialsatz kann ebenfalls temporal oder kausal verstanden werden. In V. 18 sprach Paulus davon, dass ————————————————————
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In 10,4 bedeutet τε' λος „Ziel“ (manche: „Ende“), in 2Kor 3,13 „Ende“. Wolter I 403 mit Hinweis auf das begründende γα' ρ in V. 20c. Das temporale Adverb νυνι' ist mit dem finiten Verb des Satzes (ε» χετε), nicht mit den beiden folgenden Partizipialsätzen zu verbinden; vgl. Cranfield I 328; Jewett 424. Die Übersetzungen interpretieren fast durchweg in kausalem Sinn; vgl. Michel 210; Wolter I 386. Viele Kommentatoren verzichten auf eine Entscheidung und übersetzen analog ZÜ: „Jetzt aber, befreit von der Sünde und in den Dienst Gottes gestellt“; vgl. Käsemann 163; Cranfield I 321; Wilckens II 33; Lohse 198; Jewett 413; Haacker 161.
Das neue Leben als Freiheit und Gehorsam 6,15-23 87 ————————————————————————————————————
Christen „Sklaven der Gerechtigkeit“ (ε� δουλω' θητε τηñ, δικαιοσυ' νη, ) wurden, während in V. 13 davon die Rede war, dass Christen die Glieder ihres Leibes Gott zur Verfügung stellen „als Waffen der Gerechtigkeit für Gott“ (ο« πλα δικαιοσυ' νης τω ñ, θεω ñ, ).223 Das Passiv des Partizips ist ebenfalls ein pass. divinum: Sünder, die von der Sklaverei der Sünde befreit wurden, haben sich Gott nicht selbst als neuen „Sklavenherrn“ ausgesucht – indem Gott sie von der Sklaverei der Sünde befreit hat, hat er sie in seinen Dienst gestellt. Jesusbekenner gehorchen Gott, nicht der Sünde. Drittens, für Christen gilt: Ihr habt eure Frucht zur Heiligung (ε» χετε το` ν καρπο` ν υ� μω ñ ν ει� ς α� γιασμο' ν). Paulus greift aus V. 21 das Stichwort „Frucht“ und aus V. 19 das Wort „Heiligung“ auf. Die natürlichen Konsequenzen ihres Verhaltens sind nicht Handlungen, derer sie sich schämen müssten, sondern Handlungen, die der Heiligkeit Gottes entsprechen. Weil Christen ihr Leben der Gerechtigkeit zur Verfügung stellen und in aller Versuchlichkeit im Kampf gegen die Sünde (V. 12.13.14) den Willen Gottes achten und erfüllen, leben sie im Alltag als solche, die Zugang zu der Gnade Gottes (V. 2) haben in der Heiligung, die die frühere Unreinheit und Gesetzlosigkeit (V. 19) ersetzt. Jesusbekenner wollen heilig sein, wie Gott heilig ist, und leben deshalb im Alltag in der Gegenwart des lebendigen und heiligen Gottes. Viertens, Christen wissen, dass das Ergebnis ihres Lebens nach dem Willen Gottes ewiges Leben ist (το` δε` τε' λος ζωη` ν αι� ω' νιον), das Gott infolge des Heilshandelns des Messias Jesus, mit dem sie durch den Glauben verbunden sind, gewährt (5,21; vgl. 2,7). Das ewige Leben ist die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes (5,2). Jesusbekenner wissen, dass dieses Leben nicht alles ist, weil das ewige Leben in der Gegenwart Gottes auf sie wartet. 23 Paulus fasst den Abschnitt mit einer letzten Gegenüberstellung von Sünde und Tod auf der einen und Gottes Gnade und Jesus Christus auf der anderen Seite zusammen. Das „Einst“ der Jesusbekenner wird in dem Satz der Lohn der Sünde ist der Tod mit drei Vokabeln geschildert. Von Sünde (α� μαρτι'ας) hatte Paulus in V. 2.6-7.10-11.12-14.16-18.20.22 gesprochen als Antwort auf die Frage V. 1, ob man Sünde akzeptiert und bagatellisiert, wenn man glaubt, dass Gott außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes den Sündern gnädig ist. Paulus hat mehrfach betont, dass diese Schlussfolgerung aus der Betonung der Gnade Gottes absurd ist: Sünde ist eine Macht, die den Menschen kontrolliert und ihm den Tod einbringt und deshalb nicht ————————————————————
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Käsemann 177 folgert aus der Tatsache, dass Gott erneut an die Stelle der Gerechtigkeit tritt, „daß Gerechtigkeit bei [Paulus] nicht auf das Rechtfertigungsurteil und nicht einmal auf die Gabe der Glaubensgerechtigkeit beschränkt werden darf. Regnum Dei im Zeichen der Gnade ist ihre Sachmitte, Rechtfertigung die Partizipation daran, in der man in das Regnum Christi als des gehorsamen Adam und in die nova oboedientia gestellt wird“.
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als Existenzweise akzeptiert werden kann und darf. Tod (θα' νατος) ist das Kennzeichen menschlicher Existenz seit Adam, durch den die Sünde in die Welt kam (5,12.14.15.17.21). Die Sünde bringt dem Menschen den Tod ein.224 Das Leben in der Sünde ist erfolgloses Leben: Es endet nicht nur mit dem physischen Tod, sondern mit dem ewigen Tod im Ausschluss von der Gegenwart Gottes. Lohn (ο� ψω' νια) bezeichnet allgemein die Entlohnung oder Vergütung für geleistete Arbeit. Die Vokabel ο� ψω' νιον [opsōnion]225 ist häufig und für viele Bereiche des alltäglichen Lebens belegt und darf nicht auf die Verwendung im militärischen Bereich eingeschränkt werden, wie die einflussreiche Wiedergabe mit „Sold“ in der Luther-Übersetzung nahelegt.226 Nach Pollux beschrieb die erste Verwendung des Wortes den Kauf von Nahrung und bezeichnet Proviant.227 C. Caragounis definiert als etymologische Grundbedeutung „victuals bought“ (gekaufte Verpflegung) und setzt diese Bedeutung durchweg für die Belege in den Inschriften und Papyri voraus: Wenn „Proviant“ nicht mit Naturalien, sondern mit Geld bezahlt wurden, konnte man die Bedeutung „Lohn“ annehmen, was in den „illiterate papyri“ geschehen sei; nur in manchen Kontexten bedeutet ο� ψω' νιον „Lohn“ (= μισθο' ς), wobei die Grundbedeutung von „Provisionen“ immer erhalten geblieben sei.228 In den Papyri wird das Wort neben dem Sold für Militärangehörige für Zahlungen an Wächter, Beamte, Polizisten und Priester verwendet; für den Lohn für Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft, für Gärtner und Ammen; für die Unterhaltszahlungen, die Eltern oder Vormünder für ihre Kinder oder Mündel zu leisten haben.229 Die Bedeutung „Lohn“ wäre in V. 23 im Zusammenhang der „Sklavensprache“ in V. 22 dann angebracht, wenn man an den Lohn denkt, den Sklaven manchmal erhalten haben (lat. peculium). Caragounis hält die Interpretation von ο� ψω' νια in V. 23 im Sinn von „Lohn“ ————————————————————
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Der Genitiv τηñ ς α� μαρτι' ας ist gen. subjectivus: α� μαρτι' α ist die handelnde Größe, die Subjektergänzung (Prädikatsnomen) θα' νατος beschreibt das Resultat ihres „Handelns“. LSJ s.v. ο� ψω' νιον: 1. „salary, reckoned in money“; 2. „pay“; 3. „allowance“; 4. „wages of labour“; 5. „fee“; 6. „gratuity“; BDAG s.v. ο� ψω' νιον: 1. „pay, wages (dominant usage)“; 2. „compensation“ (mit Verweis auf Röm 6,23); potentiell voreingenommen interpretierend Bauer/Aland s.v. ο� ψω' νιον, 1. „d[er] Sold, eigtl. die Ration, die der Soldat erhält, dann auch die Löhnung (diese Bed. überwiegt durchaus u. ist die einzige in LXX)“ – wenn dies der Fall ist, wäre als erste Bedeutung „Löhnung“ und nicht „Sold“ zu erwähnen; als 2. Bedeutung wird „Entgelt“ mit Verweis auf Röm 6,23 angegeben. Vgl. H.W. Heidland, Art. ο� ψω' νιον, ThWNT V, 591-592; H. Balz, EWNT II, 1358; O. Becker, ThBLNT II, 1341-1342; C. Spicq, TLNT II, 600-603; Caragounis, ΟΨΩΝΙΟΝ, 35-57. Für Inschriften und Papyri vgl. MM s.v. ο� ψω' νιον; Arzt-Grabner, 1. Korinther, 341-342; Horsley/Llewelyn, New Documents, 2:93; 8:51; Gegen Heidland, ThWNT V, 591, der meint, ο� ψω' νιον trete nur „gelegentlich … aus der militärischen Sphäre heraus“. Der Einfluss der LÜ („der Sünde Sold ist der Tod“; vgl. ZÜ; Elb.Ü Anm.) zeigt sich in dieser Bewertung (und in Bauer/Aland), die nicht zuletzt angesichts der zahlreichen Papyrusbelege nicht zu halten ist. Pollux, Onom 7,38 zu den Derivaten von ο» ψον, mit einem Zitat von Thugenides (5. Jh. v.Chr.): η» τησεν ει� ς ο� ψω' νιον τριω' βολον. Vgl. Hesychius, ο� ψω' νιον· δαπα' νη, κε' ρδος. Die Suda verzeichnet für den Plural ο� ψω' νια ebenfalls die Bedeutung κε' ρδη. Caragounis, ΟΨΩΝΙΟΝ, 37-41, 49. Preisigke s.v. ο� ψω' νιον; Spicq, TLNT II, 602; R. Kritzer in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 341 Anm. 440.
Das neue Leben als Freiheit und Gehorsam 6,15-23 89 ———————————————————————————————————— (engl. wages), d.h. Arbeitslohn, für nicht plausibel: 1. Tod würde kaum als „Lohn“ angeboten, geschweige denn angenommen; 2. es geht im Kontext nicht um Arbeiter, die einen Lohn verdienen, sondern um Sklaven, die zur Arbeit gezwungen werden; ein peculium wurde vielleicht an begünstigte Sklaven ausbezahlt, was jedoch für die große Masse der Sklaven kaum zugetroffen haben dürfte.230
Die Bedeutung „Proviant“ oder „Lebensmittel“ (im allgemeinen Sinn von „Mittel zum Leben“, d.h. nicht nur Nahrungsmittel) ergibt einen guten Sinn: Die Sünde bietet Mittel zum Leben an, gibt dann aber den Tod; d.h., die Sünde täuscht den Menschen (vgl. 7,11) durch das Angebot von Proviant für den Lebensunterhalt, bringt dem Sünder dann aber den Tod ein, den dieser ja nicht wollte. Man kann diese Bedeutung in dem Wort „Lohn“ mithören, wenn man es nicht im Sinn von „Arbeitslohn“ versteht, sondern im allg. Sinn von „Kompensation“ oder „Lebensunterhalt“. Wenn ο� ψω' νια zur Bestreitung des Lebensunterhalts gegeben werden, sagt Paulus: Die Sünde bietet Lebensunterhalt an; sie lügt jedoch, wenn sie Leben verspricht, da sie dem Menschen immer den Tod einbringt.231 Von letztgenannter Bedeutung gehen die meisten Ausleger aus: Der Tod, den die Sünde zuteilt, ist „der redlich ‚verdiente‘ ‚Lohn‘ für die Arbeits- und Dienstleistungen, die man dadurch für die Sünde erbracht hat, dass man ihr seine ‚Glieder‘ als ο« πλα (V. 13a) oder als δουñ λα (V. 19b) ‚zur Verfügung gestellt hat‘“.232 Diese Bedeutung ist nur möglich, wenn man Ironie annimmt: Niemand würde den Tod als Lohn anbieten, geschweige denn annehmen. Klar ist, was Paulus meint: Die Sünde bringt dem Sünder den Tod ein. Das „Jetzt“ der Jesusbekenner wird in dem Satz die Gnadengabe Gottes aber ist das ewige Leben ebenfalls mit drei Begriffen beschrieben. Der Sünde gegenüber steht Gott (vgl. V. 10-11.13.22). Menschen sind entweder von der Sünde beherrscht oder von Gott (θεο' ς): Sie sind entweder Sklaven der Sünde oder Sklaven Gottes; sie sind entweder entsprechend der Sünde unrein und ungerecht oder sie entsprechen in ihrem Leben der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes. Es gibt nur die eine oder die andere Möglichkeit. ————————————————————
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Caragounis, ΟΨΩΝΙΟΝ, 55-56; zum folgenden Punkt ebd. 56. So die erste Bedeutungsnuance, die Heidland, ThWNT V, 592 betont; sein zweiter Punkt ist Überinterpretation: Weil ο� ψω' νια nicht eine einmalige, sondern eine regelmäßige Leistung ist, ist mit „Tod“ nicht nur der physische Tod oder die endgerichtliche Strafe des Todes gemeint, sondern „der wirkende Schatten, den dieser Tod auf das Leben vorauswirft“; man kann dies weder aus dem Kontext noch aus dem fehlenden Artikel bei θα' νατος begründen. Kritisch zu Heidland ist Dunn I 349. Wolter I 404, der zu Recht die Engführung auf militärische Metaphorik vermeiden will, allerdings die von Caragounis vorgeschlagene Bedeutung nicht behandelt. Moo 408 Anm. 79 geht von einer militärischen Metapher aus: „Paul pictures ‚sin‘ as a commanding general paying a wage to its ‚soldiers‘“. Vgl. Käsemann 177; Wilckens II 40; Fitzmyer 452; Balz, EWNT II, 1358; Becker, ThBLNT II, 1342.
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Es gibt weder eine „goldene Mitte“ noch einen dritten Weg. In V. 2-14 hatte Paulus als Antwort auf die Frage nach der Tolerierung der Sünde V. 1 erläutert, dass Jesusbekenner mit dem Tod und der Auferweckung Jesu verbunden sind und deshalb von der Macht der Sünde befreit und in den Machtbereich Gottes versetzt wurden. In V. 15-23 hat er erläutert, dass Jesusbekenner, die im Bereich der Gnade Gottes leben, dem Willen Gottes gehorsam sind und dafür sorgen, dass sie der Herrschaft der Sünde nicht wieder anheimfallen. Jesusbekenner wissen, dass sie zu Gott gehören und Gottes Willen tun, weil er ihnen das Heil geschenkt hat. Was Gott gibt, wird mit dem Wort Gnadengabe (χα' ρισμα; s. zu 1,11) beschrieben. Das Wort hat hier die gleiche Bedeutung wie in 5,15-16: Gott vergibt dem Sünder seine Verfehlungen und spricht ihn gerecht. Während die Sünde die Menschen täuscht, indem sie Lebensunterhalt verspricht, aber ihnen den Tod einbringt, weil sie Sünder sind, hat Gott, der den Menschen Leben versprochen hatte, dem Sünder Leben ermöglicht, indem er durch den Messias Jesus die Vergebung der Sünden möglich gemacht hat und jetzt den mit Jesus verbundenen Sünder gerechtspricht. Gott bringt mit seiner Gnade Heil, nicht Unheil. Wer ο� ψω' νια im Sinn von „Lohn“ interpretiert, betont den Unterschied zwischen dem Geschenk der Gnade Gottes und dem „Verdienst“, der der Tod für die Menschen ist, die der Sünde dienen und von ihr „vergütet“ werden. Jesusbekenner wissen, dass das Heil der Sündenvergebung, der Rechtfertigung, der Gnade, des Friedens mit Gott und der Heiligung ein unverdientes Geschenk Gottes ist. Die Folge der Gnadengabe, die Gott schenkt, ist das ewige Leben (ζωη` αι� ω' νιος; s. V. 22; vgl. 2,7; 5,21). Menschen, die der Sünde dienen, enden im Tod, d.h. im qualvollen, ewigen Ausschluss von der Gegenwart Gottes. Menschen, die Gott dienen, erhalten infolge seiner schenkenden Gnade das ewige Leben, d.h. das Leben in der Gegenwart der Herrlichkeit Gottes (5,2). Als Abschluss des Abschnitts, in dem Paulus die Glaubenden aufruft, ihre Identität als mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Verbundene im Alltagsleben konstante und kontinuierliche Wirklichkeit sein zu lassen, weist Paulus auf die unterschiedlichen Konsequenzen menschlicher Existenz hin, „um bei seinen Lesern die beiden rhetorischen Leitaffekte der ‚Furcht‘ (metus) und der ‚Hoffnung‘ (spes) zu mobilisieren und dadurch sein paränetisches Anliegen zu unterstützen“.233 Glaubende wissen, dass sie infolge der Gnade Gottes in der sicheren Hoffnung leben, ewiges Leben in der unmittelbaren Gegenwart Gottes zu genießen. Die abschließende Wendung im Messias Jesus, unserem Herrn (ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ τω ñ, κυρι'ω, η� μω ñ ν) ist keine bloß feierliche liturgische Formulierung, sondern eine letzte Erinnerung an die Tatsache, dass die Befreiung ————————————————————
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Wolter I 404, mit Verweis auf Lausberg, Handbuch, §229.437.
Das neue Leben als Freiheit und Gehorsam 6,15-23 91 ————————————————————————————————————
von der Macht der Sünde, die dem Sünder den Tod einbringt, infolge des Todes und der Auferweckung Jesu geschehen ist, der Israels Messias und der Herr der geretteten Sünder ist. Das Personalpronomen „wir“ (η� μω ñ ν) bezieht sich auf die Menschen, die an Jesus als gekreuzigter Messias und auferstandener Kyrios glauben (vgl. 1,3-4) und infolge ihrer Vereinigung mit Tod und Auferweckung Jesu (V. 2-10) von der Macht der Sünde erlöst und zu einer Existenz als Lebende aus den Toten (V. 11) befreit wurden. Als Jesusbekenner wissen sie, dass diese von Gott durch Jesus Christus geschaffene Heilswirklichkeit in ihrem Alltagsleben sichtbare Wirklichkeit werden kann und soll. IV Paulus erläutert in 6,15-23, was er bereits in 6,12-14 und in 6,2-11 erläutert hat: Jesusbekenner wurden infolge von Tod und Auferweckung des Messias Jesus, mit dem sie im Glauben verbunden sind, von Gott von der Macht der Sünde befreit, mit der Konsequenz, dass sie Sünde weder tolerieren noch bagatellisieren, sondern im Gegenteil ein Leben der Heiligung führen, das der Zugehörigkeit zu Gott und zu Jesus entspricht, der ihr Herr ist. Paulus ist sein Text nicht aus dem Ruder gelaufen:234 Er weiß sich oft gerade nicht dem Ideal der brevitas griechisch-römischer Rhetorik verpflichtet (die auch dort oft eine Illusion war, wenn man sich die Bemühungen vor Augen hält, die Länge der Reden von Juristen zu kontrollieren). Die Frage, ob das Verständnis des Heilshandelns Gottes in Tod und Auferweckung Jesu im Sinn von Heil schaffender Gerechtigkeit für alle Sünder, Heiden und Juden, ohne jede Relevanz des Gesetzes, zur Tolerierung oder Bagatellisierung der Sünde führt, ist von zentraler Bedeutung. Paulus schreibt in diesem Abschnitt nicht komprimierte Theologie, sondern ausführliche, bewusst wiederholende Theologie, die mit „Anwendung“ gekoppelt ist. Wir finden Feststellungen (Indikative, Seins-Aussagen) und Aufforderungen (Imperative, Sollens-Aussagen), die aufeinander folgen und in vielfacher Weise aufeinander bezogen sind. Allgemeine Feststellungen finden wir in V.16.23, Feststellungen im Blick auf die Identität der Jesusbekenner in V. 17-18.20-22. Aufforderungen liegen in V. 19 vor, die die mit dem gleichen Verb formulierten Aufforderungen in V. 13 aufnehmen. Wenn man den Zusammenhang von Indikativ und Imperativ als „paradoxes Nebeneinander“ oder als „Antinomie“ charakterisiert,235 hat man ————————————————————
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So Wolter I 405, mit der Erklärung, dass Paulus infolge der nachgetragenen Begründung 6,14b, die auf 5,20-21 zurückgriff und den Gedankengang bis 6,18 bestimmt, sich offensichtlich gezwungen sah, die Aufforderung von 6,13 in V. 19 zu wiederholen, ehe er in V. 20-23 mit Antithesen abschließt. Bultmann, Jesus Christus und die Mythologie, 183; Bultmann, Ethik, 43; zum Folgenden
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Paulus missverstanden, und Charakterisierungen wie „Dialektik“236 und „Bewährung“237 sind ebenfalls nicht sehr hilfreich. Wenn Indikativ und Imperativ funktional und wesenhaft zusammengehören, dann kann man kaum von „Paradox“ sprechen, wenn man das Wort im Sinn von „unauflöslicher Widerspruch“ versteht, es sei denn, man geht von der umgangssprachlichen Bedeutung „etwas sehr Merkwürdiges“ aus. „Paradoxie“ und „Dialektik“ suggerieren, dass sich die Seins-Aussagen und die SollensAussagen widersprechen. Wenn man von „Bewährung“ spricht, muss jedenfalls die Vorstellung vermieden werden, dass Paulus meint, das neue Leben sei den Jesusbekennern nur „auf Probe“ gegeben worden. Die SeinsAussagen sind auch dann missverstanden, wenn man vom „sogenannten Imperativ“ spricht, der „in den Indikativ integriert“ sei.238 Wenn man sowohl die Seins-Aussagen (Indikativ) als auch die SollensAussagen (Imperativ) richtig verstehen will, ist auf die grundlegende Bedeutung der Bekehrung zu verweisen: Der Indikativ hat Bekehrungscharakter, der Imperativ Verweisfunktion auf die Bekehrung.239 Der Imperativ hat einerseits dieselbe Funktion wie die mosaische Tora, durch die Israel aufgefordert wurde, seine Identität als das erwählte Gottesvolk im Alltag darzustellen – Jesusbekenner wurden durch die Imperative aufgefordert, ihre Identität als die mit dem Messias Jesus verbundenen Lebenden aus den Toten in ihrer Lebensführung darzustellen. Andererseits dienen die Imperative des Missionars Paulus dem Ziel, die neue kognitive Identität der Jesusbekenner aus Juden und Heiden als soziale Identität einer handelnden, dem Willen Gottes verpflichteten neuen Gemeinschaft Wirklichkeit werden zu lassen. Identität ist immer mit einem bestimmten Ethos verbunden: Die neue, in der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus von Gott geschenkte Identität als Lebende aus den Toten setzt ein dieser Identität ent————————————————————
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Wolter I 406; Wolter, Identität und Ethos, 123-125.136-140, der zu Recht auf die Bedeutung der Bekehrung verweist. Schrage, Ethik, 161. Kuss II 396-432 (Exkurs „Heilsbesitz und Bewährung“); Käsemann 166: „Bewährung der Gnade“; Lohse, Ethik, 9. Käsemann 167; vgl. Lohse 201: Die Ethik ist „in die Rechtfertigungsbotschaft integriert“ (mit Zitat von Vollenweider, Freiheit, 333); vgl. Schrage, Ethik, 159-160. Wolter, Identität und Ethos, 136-139, mit Verweis auf Popkes, Paränese, 170, der von einer „Paränese der Lebenswende“ und von einer „Begleitung der Konversion bzw. Rückgriff darauf“ spricht; zum Folgenden Wolter ebd., der das Problem des Verständnisses von Indikativ und Imperativ darauf zurückführt, dass sich das Christentum „von einer Bekehrungsreligion in eine Traditionsreligion“ verwandelt hatte und man dann diese Aussagen von Paulus nicht mehr richtig verstand, und weil man die soziale Funktion des Imperativs, die bei Paulus „der Darstellung einer überindividuellen Gruppenidentität diente“, in den Hintergrund gedrängt und durch die Erbauung des frommen Individuums ersetzte“ (ebd. 139.140).
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sprechendes Ethos. Weil Gott, der für Juden und Heiden diese neue Identität möglich gemacht und geschaffen hat, ein heiliger Gott ist, der von den Gliedern seines Volkes, die in einer unheiligen Welt und Gesellschaft leben, ein heiliges Leben fordert, besteht das christliche Ethos nicht nur aus Feststellungen und Vorschlägen, sondern auch aus Imperativen. Man kann sich daran eigentlich nur stören, wenn man sich einen Gott ausdenkt, der keine Forderungen stellt. Vielmehr kann man die funktionale Zusammengehörigkeit von Seins-Aussagen und Sollens-Aussagen, von Indikativ und Imperativ in der paulinischen Ethik wie folgt verstehen.240 Erstens, grundlegend ist das Heilshandeln Gottes als theologische und theozentrische Grundlage der Identität der Jesusbekenner und der Motivation ihres Lebensvollzugs (Röm 14,6-7; 1Kor 6,20; 10,31). 1. Die christologische Motivierung betont die Vergangenheit des Todes und der Auferstehung Jesu Christi, die Gegenwart von Heil und Herrschaft Jesu Christi und die Zukunft der Wiederkunft Christi. Paulus schreibt dem heilschaffenden Sühnetod Jesu und seiner Auferstehung Macht und Autorität zu, auch im Hinblick auf die ethische Dimension der christlichen Existenz (Röm 6,1-23; 14,8-9; 2Kor 5,14-15; 15,30; Phil 2,5-11; Eph 5,25). 2. Die heilsgeschichtliche Motivierung verweist auf den Umstand, dass christliches Handeln in der „Zeit zwischen den Zeiten“ stattfindet, und zieht die Spannung zwischen dem „Jetzt“ und dem „Noch nicht“ in Betracht. Die Gegenwart ist das Heil, das sich in und mit Jesus Christus ereignet hat und das die den Glaubenden bestimmende Realität ist. Die Zukunft, in der Jesusbekenner in der Gegenwart der Herrlichkeit Gottes leben, wird sich erst noch ereignen. Diese Zukunft, die von der Gegenwart des Heils garantiert, aber eben noch Zukunft ist, bedingt die heilsgeschichtliche Grundlage und Begründung für die Notwendigkeit des Imperativs neben dem Indikativ. Die von der Sünde Adams bestimmte Zeit wurde vom Messias Jesus zu Ende gebracht, aber in der Gegenwart noch nicht endgültig beseitigt. Die neue Schöpfung hat bereits begonnen, aber noch nicht universale Fülle und Vollkommenheit erreicht (Röm 12,2; Gal 5,19-21; 1Thess 5,21; 1Kor 7,5; 10,23). 3. Die pneumatologische Motivierung betont die Gegenwart des Heiligen Geistes im Leben des Jesusbekenners. Die Gabe des Geistes ist die grundlegende, seine Existenz bestimmende und formende Macht als Kraft des neuen Lebens. Der an den Messias Jesus Glaubende wird durch den Geist erneuert. Der Geist Gottes versetzt ihn in die Lage, den Willen Gottes zu tun (Röm 8, 3-4; Gal 5,13-16.22-25). 4. Die ekklesiologische Motivierung betont den Lebensvollzug der Jesusbekenner in der Gemeinschaft der Glau————————————————————
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Schnabel, Ethik, 63-81 mit Aufnahme von Teil 2; der Aufsatz wurde übersetzt abgedruckt als Schnabel, Ethics, 267-297.
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benden. Grundlegende Argumente für richtiges Verhalten sind das Verhalten anderer Gemeinden, die gegenseitige Verantwortung der Gläubigen und die Auferbauung der Gemeinde (Röm 12,16; 15,5; 1Kor 8; 11,16; 12; Phil 2,2; 4,2). 5. Die eschatologische Motivierung verweist auf die Hoffnung der Jesusbekenner im Blick auf ihr zukünftiges Leben in der Gegenwart Gottes. Hinweise auf das kommende Gericht warnen vor aller Sicherheit und bekräftigen die Verantwortung des Einzelnen. Der Gedanke der Belohnung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle (Röm 13,11-14; 1Kor 3,11-14; 4,5; 9,24-25; 2Kor 5,9-10; Gal 6,7-10; Phil 3,14; 1Thess 5,1-11). Zweitens, Paulus geht bei der Begründung und Konkretisierung des christlichen Ethos von bindenden Normen aus. Die Voraussetzung bindender Maßstäbe im Verhalten der an Christus Glaubenden ergibt sich schon aus Begriffen wie α� να' γκη (Röm 13,5-8), δειñ (1Thess 4,1-2), ο� φει'λω (1Kor 11,10), κανω' ν (Gal 6,16). Ein Überblick über die paulinischen Aussagen zeigt, dass „Gerechtigkeit“ nicht die „einzige handlungsorientierende Norm“ ist.241 Konkret sind zu nennen 1. Das mosaische Gesetz. Paulus betrachtet die Tora in und durch Jesus Christus und seinen Sühnetod am Kreuz als erfüllt. Das Gesetz als conditio et via salutis ist außer Kraft gesetzt, bleibt aber als „Gesetz des Messias“ Offenbarung von Gottes gültigem Willen. Paulus ist überzeugt, dass in der durch Jesus Christus inaugurierten messianischen Zeit das mosaische Gesetz nicht annulliert, aber neu qualifiziert wurde. Da der Tod des Messias die Sünden der Welt sühnte und dem Sünder durch Identifikation mit diesem Tod im Glauben den Weg in den Heilsbereich Gottes hinein ebnete, wird das Gesetz im Licht des Todes und der Auferstehung Jesu Christi qualifiziert und modifiziert. Ein gewichtiger Hinweis auf die fortgesetzte Gültigkeit des Alten Testaments für das christliche Ethos ist die Tatsache, dass Paulus auf ganz natürlichselbstverständliche Weise einzelne alttestamentliche Texte übernimmt (Röm 8,1-4; Gal 6,1; 1Kor 7,19; 5,13; 6,12-20; 2Kor 8,15; 9,9). Paulus thematisiert an keiner Stelle, wie und in welchem Ausmaß das mosaische Gesetz durch den Tod und die Auferstehung Jesu berührt und modifiziert wurde. Es ist jedoch offensichtlich, dass zumindest die kultischen Bestimmungen des Gesetzes berührt sind, welche die Sühnung von Sünde regeln, sowie die zahlreichen rituellen Bestimmungen wie die Beschneidung und die Speisegesetze, die Heiligkeit und Reinheit herstellen und die Grenzen des Volkes Gottes markieren: Sühnung, Heiligkeit, Reinheit und Zugehörigkeit zum eschatologischen Volk Gottes werden jetzt durch das Heilshandeln Gottes in Tod und Auferstehung Jesu Christi erworben. 2. Die Worte Jesu: Herrenworte haben für Paulus verbindliche Autorität. Wo der Herr gespro————————————————————
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So Wolter I 407.
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chen hat, gibt es für die Gemeinde nichts mehr zu erwägen: Sie weiß, was sie zu tun hat (1Kor 7,10; 9,14; 11,23-24; 1Thess 4,15). 3. Die Weisungen der Apostel: Für Paulus sind apostolische Weisungen normativ. Er ist sich als Apostel Jesu Christi der Tatsache bewusst, dass er im Namen des Messias Jesus und im Namen Gottes spricht: Gott bzw. Jesus Christus sind die wahren Urheber der apostolischen Verkündigung und Ermahnung. Er erwartet, dass die Gläubigen seinen Anweisungen Folge leisten werden. Deshalb kann er auch zur Nachahmung seines Vorbilds aufrufen (1Thess 2,13; 4,1; 2Kor 2,9; 1Kor 4,16-17; 11,1; Phil 4,9; 3,17). 4. Die Ordnungen der Schöpfung. Paulus ist überzeugt, dass Gottes Heilshandeln in Jesus Christus den Kosmos wieder als Gottes Schöpfung erkennbar macht. Der Kosmos ist einerseits immer noch der von Gott abgefallene, vom Feind Gottes beherrschte Bereich des sündigen Menschen; er kann deshalb nicht unbedacht Norm christlichen Verhaltens sein. Andererseits wurde und wird der Wille des Schöpfers von, durch und in Jesus Christus erfüllt: Er ist die Manifestation der Weisheit Gottes und der Mittler der Schöpfung. Deshalb gehört die Erde in ihrer Totalität dem Kyrios, deshalb ist für den an den Messias Jesus Glaubenden alles rein (vgl. Röm 2,14-15; 14,20; 1Kor 8,6; 10,26; 1Thess 4,12; 1Kor 10,32). Es besteht ein partieller ethischer Konsens zwischen christlicher und nicht-christlicher Ethik. Normen christlichen Verhaltens im Kontext der Schöpfung und im Kontext heidnischer Ethik sind die Natur (mit Bezug auf Gottes ursprüngliche Ordnungen für die Schöpfung und auf geschichtliche Ordnungen wie Brauch und anerkannte Tradition), Ordnungen der Schöpfung wie Ehe, Staat und Arbeit, sowie Rücksichtnahme auf Konvention (Röm 1,26; 13,1-7.13; 1Kor 7,35; 11,13; 13,5; 14,40; 1Thess 5,14; 2Thess 3,6-7,11). Drittens, Paulus verbindet Seins-Aussagen (Indikativ) und Sollens-Aussagen (Imperativ) analog alttestamentlicher und jüdischer Weisheit mit einer Kategorie, die man „konkretisierende Orientierung“ nennen kann. Nach Paulus ist der einzelne Jesusbekenner für sein konkretes Verhalten im Alltagsleben verantwortlich. Diese Verantwortung hat zwei Aspekte: Der Glaubende hat den bindenden Normen des christlichen Ethos zu entsprechen, und er hat den „Gehorsam des Glaubens“ im Leben des Alltags konkret zu verwirklichen. Diese Verwirklichung christlicher Existenz wird von Kriterien bestimmt und geleitet. Zu nennen sind 1. Der Geist Gottes. Der Geist Gottes ist nicht nur die Grundlage und die Macht des an Christus Glaubenden, sondern auch ein Führer in das „Wie“ christlichen Verhaltens. Die im Gläubigen präsente Kraft des Geistes überwindet die sündige Neigung des Fleisches, wenn der Gläubige sich von ihr führen lässt. Der Geist hilft dem Glaubenden, den Willen Gottes zu erkennen, das richtige Verhal-
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ten in spezifischen Situationen zu erfassen und damit den Anspruch Gottes im Alltagsleben zu verwirklichen (Röm 8,4-5.9-13; Gal 5,16-17; Kol 1,910). 2. Die Liebe. Die in der Sendung des Sohnes offenbarte Liebe Gottes ist für den Gläubigen eine soteriologische Realität, der jetzt auch für die spezifische Realisierung des Willens Gottes im Alltag zentrale Bedeutung zukommt (1Kor 13). Die Liebe ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, neue Situationen zu meistern. Wahre Liebe des Glaubenden verleiht die Fähigkeit der Prüfung der Dinge, auf die es ankommt, und führt zu Erkenntnis und Erfahrung in der immer wieder gestellten Frage, wie man sich in einer konkreten Situation verhalten soll (Röm 12,9.10; 13,9-10; 14,15; 1Kor 7,4-5.36-38; 3,18; Phil 1,9-10). 3. Die bestehenden Ordnungen. Die Stellung des Gläubigen „im Herrn“ bedeutet einen potentiellen und effektiven Vorbehalt gegenüber den Schöpfungs- und Gesellschaftsordnungen, vor allem auf dem Gebiet der Konventionen: Die Schöpfung ist eine gefallene Schöpfung. Paulus hatte die Freiheit, Elemente der säkularen zeitgenössischen Ethik aufzunehmen. Diese traditionellen Ordnungen und Konventionen sind nicht eo ipso und auch nicht ständig identisch mit dem, was „angemessen“ ist. Der Prozess kritischer Auswahl und Sichtung gibt vielen traditionellen, zeitgenössischen Konzepten und Verhaltensweisen einen neuen Sinn und verändert oft ihre Substanz (Röm 12,2; 1Thess 5,15; 1Kor 10,32). 4. Die Vernunft. Paulus beruft sich für die Erkenntnis des Willens Gottes in den spezifischen Situationen des Alltags auch auf die kognitiven Fähigkeiten der Gläubigen. Der menschliche Verstand ist durch die Sünde unbrauchbar geworden, wird aber trotzdem als innere Instanz angesprochen, die richterlich zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Im christlichen Ethos geht es darum, dass der an den Messias Jesus Glaubende „in die (richtige) Erkenntnis gestellt“ wird (νουθετε' ω [noutheteō]), weil die Erneuerung des Menschen in Christus und im Geist Gottes auch den νουñ ς [nous] umfasst (Röm 1,28; 7,21-23; 8,5; 14,5; 15,14; 12,2; 2Kor 10,5; Eph 4,17; Phil 1,9-10; 4,8-9; Kol 2,18). 5. Das Gewissen. Für Paulus ist das Gewissen jene Instanz im Menschen, die nach vorgegebenen und anerkannten Normen das eigene oder (gelegentlich) das Verhalten anderer beurteilt und bewusst macht. Das Gewissen bezieht sich auf das Bewusstsein des Gläubigen, vor Gott schuldig oder schuldlos zu sein, d.h. richtige Entscheidungen getroffen, richtiges Verhalten an den Tag gelegt zu haben. Das Gewissen wird von der Liebe zum Bruder gelenkt und damit vom Glauben gesteuert (Röm 14,10.23; 1Kor 8,7-8; 10,25-27; 2Kor 5,10). 6. Die Sendung in die Welt. Eine nicht betonte, aber an manchen Stellen implizierte Motivierung ist die missionarische Wirksamkeit der Gemeinde (1Kor 10,32; Phil 1,27; 1Thess 4,12; 1Tim 2,2).
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Im Blick auf das paradoxe Beieinander von verpflichtenden Normen und auf individuelle Verantwortung drängenden Kriterien, von Gesetz und Geist, von Gehorsam und von Liebe, von Gottes Wille und von der Freiheit des Christenmenschen erweist sich die biblisch-jüdische Korrelation von Gesetz und Weisheit als relevant. Auch die von Gottes Heilshandeln im Messias Jesus Erfassten stehen unter dem Anspruch des heiligen Willens Gottes, leben aber gleichzeitig als vom Geist in die Freiheit der Kinder Gottes Geführte. Gesetz und Geist, Gebot und Liebe, Gehorsam und Verantwortung sind keine Gegensätze. Christliche Ethik ist für Paulus weder legalistisch motiviert, noch antinomistisch exekutiert, noch situationsethisch privatisiert. Gottes Heilshandeln in Jesus Christus schenkt den Glaubenden Gerechtigkeit und Heiligkeit, den Geist und die Liebe. Die Glaubenden antworten mit einem Leben nach Gottes Gebot, konkretisiert in der Kraft des Geistes und mit der Liebe Christi, in Verantwortung gegenüber dem Bruder und der Welt, mit dem Ziel der Verherrlichung Gottes.
Der Wechsel vom Sein im Fleisch zum Sein im Geist 7,1–8,17 Im ersten Abschnitt des zweiten Hauptteils (6,1–8,39), in dem Paulus erläutert, weshalb Jesusbekenner die Sünde und das Sündigen in ihrem Leben nicht tolerieren, beschreibt er das neue Leben der mit dem Messias vereinten Jesusbekenner als Leben in wirklicher Gerechtigkeit (6,1-23). Der Lebensvollzug der Jesusbekenner ist eine Konsequenz der Verbindung mit dem Tod und der Auferweckung des Messias Jesus, eine Verbindung, die von Gott in der Bekehrung (6,1-14) hergestellt wird. Die Verbindung mit dem Messias Jesus infolge der Bekehrung befreit von der Sklaverei der Sünde und bewirkt Gehorsam unter der Gerechtigkeit Gottes. Im zweiten Abschnitt (7,1–8,17) erläutert Paulus den Wechsel vom Sein im Fleisch, das an die Sünde verkauft ist, zum Sein im Geist Gottes, ein Wechsel, der sich in der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus ereignet. Die Beschreibung der Bekehrung in 6,1-14 und ihrer Konsequenzen in 6,15-23 war eine erste, grundsätzliche Antwort auf die Frage nach der Wirklichkeit der Rechtfertigung im Leben der Jesusbekenner: Die Wirklichkeit der Vereinigung mit Tod und Auferweckung des Messias Jesus bedingt für den Jesusbekenner den Lebensvollzug als Dienst unter der Herrschaft der Gerechtigkeit. In 7,1ff erläutert Paulus die Aussage 6,14 („Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“). Er beantwortet die Frage, inwieweit die „Entfernung“ des Glaubenden vom Bereich der Herrschaft des Gesetzes in der
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Realität des Alltagslebens eben nicht zur Gesetzlosigkeit führt. Wilckens fasst die argumentative Situation so zusammen: „Richtete sich doch der Einwand in 6,1f auf die in 5,20f betont an den Schluß gestellte These, daß die Gnade die Herrschaft über die Sünde angetreten habe, die ihrerseits ihre Herrschaft über alle Menschen durch das Hinzutreten des Gesetzes erlangt habe. Für den jüdischen Partner wird dadurch das Urteil bekräftigt, hier werde eine Außerkraftsetzung des Gesetzes propagiert (3,31) und zugleich zur Gesetzlosigkeit, also zur Sünde aufgerufen (3,8; 6,1).“1 Da die Frage nach der Bedeutung und Funktion des Gesetzes grundlegend ist, reflektiert Paulus auf die Existenzwirklichkeit des Menschen seit Adam, der nicht vom Heilshandeln Gottes im Messias Jesus erfasst ist. Paulus verweist auf die fundamentale Umkehrung in der Funktion des Gesetzes: Anstatt dem Menschen Leben zuzusprechen, spricht das Gesetz das Todesurteil über den Menschen aus. Im Durchgang von Kap. 7 zu Kap. 8 zeigt er, wie der Heilige Geist jetzt, auf der Grundlage des Sühnetodes Jesu Christi (8,3), die eigentliche, positive Aufgabe des Gesetzes erfüllt, als „Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus“ (8,2). Die Frage nach der Wirklichkeit der von Gott durch Jesus Christus gewährten Gerechtigkeit wird von Paulus so mit dem Verweis auf die Gabe des Heiligen Geistes beantwortet. Die Argumentation erfolgt in drei Schritten. Erstens, Christsein bedingt einen Herrschaftswechsel. Jesusbekenner gehören nicht mehr dem Gesetz, das durch sein Todesurteil über die Sünde die Sünder beherrschte, sondern sie gehören dem von den Toten auferweckten Messias. Dieser Herrschaftswechsel ist ein Wechsel von der Existenz unter der Kontrolle des „Fleisches“, d.h. der Sünde und ihrer Leidenschaften, hin zu einer Existenz unter der Herrschaft des Heiligen Geistes, die die neue Lebenswirklichkeit der Glaubenden bestimmt (7,1-6). Diese beiden Existenzweisen werden in den folgenden Passagen ausführlicher erläutert. Zweitens, die Vergangenheit der Glaubenden war eine Existenz unter der Herrschaft der Sünde und des Todes, eine doppelte Wirklichkeit, die das Leben der Menschen seit Adam kontrolliert. Das Gesetz trägt an der Versklavung des Menschen an die Sünde keine Schuld. Als von Gott gegebenes Gesetz ist es heilig, und das bedeutet, dass auch seine Einzelgebote heilig und gerecht und gut sind. Die Versklavung an die Sünde kann vom Menschen nicht durchbrochen werden, weil er im Grunde nicht mehr selbst handelt, sondern von der in ihm wohnenden Sünde gesteuert wird. Das Verkauftsein unter die Sünde hat für den Menschen tödliche Folgen, ein Verhängnis, aus dem der Mensch von sich aus nicht freikommt (7,7-25). ———————————-————————
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Wilckens II 63.
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Drittens, die Gegenwart der Jesusbekenner ist bestimmt von ihrer neuen Existenz im Geist Gottes, der ein Geist des Lebens ist und als von Gott geschenkter Geist dem zum Glauben an den Messias bekehrten Sünder die Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes schenkt. An Jesus Glaubende sind Menschen, die durch das Heilshandeln Gottes im Sühnetod seines fleischgewordenen Sohnes, des Messias Jesus, vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit wurden und deshalb nicht mehr dem Fleisch verpflichtet sind, sondern vom Geist geleitet sündige Verhaltensweisen nicht mehr praktizieren (8,1-17).
Der Wechsel der Herrschaftsgewalt vom Gesetz zu Jesus Christus 7,1-6 I 1 Oder wisst ihr nicht, Brüder – denn ich spreche doch zu Kennern des Gesetzes –, dass das Gesetz über den Menschen herrscht, solange er lebt? 2 Denn die verheiratete Frau ist durch das Gesetz an ihren lebenden Mann gebunden. Wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie vom Gesetz, soweit es den Mann betrifft, entbunden. 3 Also wird sie, solange ihr Mann lebt, Ehebrecherin genannt, wenn sie sich mit einem anderen Mann einlässt. Wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie frei vom Gesetz, sodass sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie einem anderen Mann gehört. 4 In diesem Sinn, meine Brüder, seid auch ihr dem Gesetz gegenüber zu Tode gekommen durch den Leib des Messias, sodass ihr einem anderen gehört: dem, der von den Toten auferweckt wurde, damit wir für Gott Frucht bringen. 5 Denn als wir im Fleisch waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz hervorgerufen wurden, in unseren Gliedern, sodass wir dem Tod Frucht brachten. 6 Jetzt aber sind wir entbunden worden vom Gesetz, weil wir dem gestorben sind, durch das wir beherrscht wurden, sodass wir in der Neuheit des Geistes als Sklave dienen und nicht in der alten Wirklichkeit des Buchstabens. II Paulus erläutert in diesem Abschnitt die Befreiung von der Herrschaft der Sünde, das Thema von 6,15-23, als Befreiung von der Herrschaft des Gesetzes. In 6,20-23 erklärte Paulus den Herrschaftswechsel, der sich in der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus ereignet, im Hinblick auf
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den Gegensatz von Sünde und schandhaften Taten auf der einen und Gott und Gerechtigkeit auf der anderen Seite, mit Tod bzw. Leben als „Frucht“ der jeweiligen Existenzweise. In 7,1-6 erklärt er den Herrschaftswechsel im Hinblick auf den Gegensatz von Sünde und den vom Gesetz hervorgerufenen Leidenschaften sowie der alten Wirklichkeit des Buchstabens auf der einen und Gott und der neuen Wirklichkeit des Geistes auf der anderen Seite, mit dem Tod als „Frucht“ des Fleisches bzw. der „Frucht“ für Gott als der jeweiligen Existenzweise. Die Verbindung des Jesusbekenners mit dem Tod und der Auferweckung des Messias Jesus (7,4) nimmt 6,3-8 auf. Manche Ausleger verbinden aufgrund dieser rückwärtigen Verknüpfungen den Abschnitt mit Kap. 6.2 Während es in Kap. 6 um die Befreiung von der Sünde und die neue Bindung an den Messias Jesus geht, steht in 7,1-6 das Gesetz im Mittelpunkt, was trotz der Ähnlichkeiten einen neuen Gedankengang anzeigt. Die Anrede mit „Brüder“ in 7,1, die zuletzt in 1,13 zu finden war, die Gesetzesthematik (νο' μος kam in 6,14.15 vor, in 7,1-6 acht Mal, in 7,7-25 14 Mal) und die Vokabeln „Fleisch“ (σα' ρξ in 6,19, sodann in 7,5.18.25 und 13 Mal in 8,1-13) und „Geist“ (πνευñ μα in 7,6 und 17 Mal in 8,1-17) verbinden den Abschnitt mit den folgenden Ausführungen und weisen ihn als Einleitung zum Folgenden aus.3 Paulus formuliert in V. 1 einen allgemein gültigen Grundsatz im Blick auf das Gesetz (ο� νο' μος), der in V. 2-3 anhand des Eherechts erläutert wird: Eine verheiratete Frau ist durch das Gesetz an ihren Ehemann gebunden und kann nur dann einem anderen Mann gehören, wenn sie zur Witwe geworden ist. In V. 4 wird das Prinzip, dass der Tod eine vom Gesetz verordnete Bindung aufhebt, auf die Jesusbekenner übertragen – zunächst auf die Christen in Rom („ihr“), dann auf alle Christen („wir“). In V. 5-6 stellt Paulus wie in 6,20-22 das „Einst“ (ο« τε; V. 5) der Existenz der Jesusbekenner dem „Jetzt“ (νυνι` δε' ; V. 6) gegenüber. Das Leben vor der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus wird V. 5 mit den Stichwörtern „Fleisch“ (σα' ρξ), „Leidenschaften“ (τα` παθη' ματα), „Sünden“ (α� μαρτι' αι), „Gesetz“ (νο' μος), „Tod“ (θα' νατος) charakterisiert; die Vokabeln „alte Wirklichkeit“ (παλαιο' της) und „Buchstaben“ (γρα' μμα) aus V. 6d gehören ebenfalls zu dieser Zeit. Das Leben seit der Bekehrung wird in V. 6 wird mit den Stichwörtern „entbunden“ (vom Gesetz; κατηργη' θημεν α� πο` τουñ νο' μου), „Neuheit“ bzw. ————————————————————
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Lipsius 135; Bultmann, Römer 7, 204; Kümmel, Römer 7, 8; Luz, Aufbau, 176-177; Gieniusz, Function, 389-400; Lambrecht, Wretched, 18-22. Käsemann 179; Schmithals 206; Fitzmyer 455; Lohse 205; Wolter I 409; Schnackenburg, Römer 7, 288-289; Hellholm, Funktion, 385-408: Röm 7,1-6 ist eine „Thematisierende Einleitung zum Folgenden“ (408). Manche Ausleger charakterisieren 7,1-6 als Überleitung: Wilckens II 63; Tachau, Einst, 126; Engberg-Pedersen, Construction, 481.
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„neue Wirklichkeit“ (καινο' της) und „Geist“ (πνευñ μα) gekennzeichnet. Die Beschreibung des Herrschaftswechsels in V. 5-6 mit dem antithetischen Begriffspaar Fleisch/Geist wird in 7,7–8,17 erläutert: Der Machtbereich des Fleisches (V. 5) ist Thema von 7,7-25, der Machtbereich des Geistes (V. 6) in 8,1-17.4 Textkritische Anmerkungen. In V. 3 dient die Hinzufügung nach τουñ νο' μου von τουñ α� νδρο' ς in 33 629 u.a. der Klärung und ist sekundär. In V. 6 ersetzen D F G it vgcl das Partizip α� ποθανο' ντες durch τουñ θανα' του; das Partizip ist besser bezeugt ( אA B C K u.a.) und verdient auch als schwierigere Lesart den Vorzug.5 Die Ersetzung von η� μαñ ς ( אA C D Ψ 33 1739 1881 Byz) durch υ� μαñ ς (1505 u.a.) ist Angleichung an υ� μαñ ς in V. 4 und scheidet aufgrund der Bezeugung als sekundär aus; die Lesart ohne Personalpronomen in B F G 629 ist schlechter bezeugt als η� μαñ ς und muss deshalb ebenfalls als sekundär gelten. III
1 Die Anrede Brüder (α� δελφοι'), die erste Anrede seit 1,13, die in 7,4 wiederholt wird, signalisiert, dass der folgende Gedankengang für Paulus von großem Gewicht ist. Der Einwand von 6,1, dass Paulus das Sündigen freigebe, folgte unmittelbar auf 5,20-21, wo Paulus das mosaische Gesetz mit dem Überhandnehmen der Sünde verbunden und die Herrschaft der Gnade betont hatte, die Gott durch den Messias Jesus gewährt. Nachdem Paulus schon mehrmals auf die Rolle und Funktion des Gesetzes zu sprechen gekommen war (2,12-15; 3,21.31; 4.13-16; 5,13.20), geht es jetzt grundsätzlich und entscheidend noch einmal um dieses Thema – jetzt nicht im Dialog mit einem Gesprächspartner, der Einwände erhebt (in 3,1-8 ganz grundsätzlich), sondern im Kontext der Behandlung der aktuellen Lebenswirklichkeit. Die rhetorische Frage oder wisst ihr nicht (η� α� γνοειñτε) verweist auf einen allgemein bekannten Sachverhalt (vgl. 6,3). Da Paulus in 7,1ff die Aussage 6,14 („Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“) erläutert, hat die rhetorische Frage folgende Bedeutung: „Wenn ihr das juristische Prinzip von ————————————————————
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Anders Nygren 211; Aune, Logos Protreptikos, 116; Rehfeld, Ontologie, 170, die 7,5 in 7,7-11 und 7,6 in 7,13-25 erläutert sehen. Diese Analyse ist nicht plausibel. Die These, die Sinaitora könne „trotz ihrer wesensmäßigen Güte (7,12) sub conditionibus peccati weder unmittelbar noch mittelbar etwas Heilvolles bewirken“ (Rehfeld, ebd.), macht die Aussage in 7,12 überflüssig und widerspricht sowohl dem Inhalt als auch dem Wesen der Tora, wie es u.a. in Lev 18,5; Deut 30,16 beschrieben wird, was Rehfeld, ebd. 198-199, in seiner Behandlung von Röm 7,12 nicht wahrnimmt. Metzger, Textual Commentary (1975), 524; Jewett 428.
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7,1 (und V. 2-3) kennt, und wenn ihr dann die Schlussfolgerung akzeptiert, die in V. 4-6 daraus gezogen wird, dann solltet ihr verstehen und akzeptieren, was ich in 6,14b ε� στε` υ� πο` χα' ριν zusammen mit 6,15-23 gesagt hatte“.6 Die Parenthese denn ich spreche doch zu Kennern des Gesetzes verstärkt die suggestive Wirkung der rhetorischen Frage. Weil sie das Gesetz kennen, können sie die Richtigkeit des folgenden Grundsatzes bestätigen. Paulus verwendet das Wort „Gesetz“ (νο' μος [nomos]) seit 2,12 immer als Verweis auf das mosaische Gesetz,7 eine Bedeutung, die auch in den folgenden Ausführungen in 7,2–8,17 vorliegt.8 Diese Bedeutung ist auch hier anzunehmen.9 Interpretationen im Sinn des römischen Gesetzes oder allgemein im Sinn von „Gesetz“10 sind weniger plausibel. Wenn Paulus die Adressaten auf ihre Kenntnis der Tora anspricht, bedeutet dies nicht, dass für Rom doch eine hauptsächlich judenchristliche Gemeinde anzunehmen wäre. Auch bei Heidenchristen müssen Kenntnisse der Tora angenommen werden: Ein großer Teil der frühen Jesusbekenner stammte aus den Synagogen (Juden, Proselyten) und ihrem Umkreis (Gottesfürchtige). Wenn Paulus sich auf Kenntnisse der Tora in der mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinde in Rom beruft, muss man in der Parenthese keine captatio benevolentiae annehmen, wie man dies im Fall eines Bezugs auf das römische Recht voraussetzen müsste.11 Viele Ausleger bezeichnen die Parenthese als captatio benevolentiae,12 die von D. Hellholm als „Appellelement“ charakterisiert wird, „durch welches der Autor den beabsichtigten Erfolg seiner Beweisführung bei den christlichen Adressaten erzielen möchte“.13 Weil die ————————————————————
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Cranfield I 332; vgl. Wilckens II 63. 2,12(2x).13(2x).14(4x).15.17.18.20.23(2x).25(2x)26.27(2x); 3,19(2x).20(2x).21(2x).31; 4,13.14.15(2x).16; 5,13.20 und nach unserer Auslegung auch in 3,27(2x), wo die Bedeutung allerdings umstritten ist. 7,2(2x).3.4.5.6.7(3x).8.9.12.14.16.21.22.25; 8,2b.3.4.7; die Bedeutung in 7,23 und 8,2a ist umstritten, ist aber auch im Sinn der mosaischen Tora zu interpretieren (s. unten). Zahn 328-329; Lietzmann 72; Schlatter 224; Kuss II 435; Cranfield I 333; Schlier 215; Wilckens II 63.66; Dunn I 359; Moo 412; Fitzmyer 455-456; Lohse 206; Penna 468; Jewett 430; Lichtenberger, Das Ich Adams, 110-112. Jülicher 269; Kühl 224 bzw. Weiß 293-294; Sanday/Headlam 172; Käsemann 179 („die gesetzlich geregelte Ordnung“); Haacker 167; Wolter I 410 („Gattung Gesetz“); Burchard, Römer 7,2–3, 447). Michel 220 lässt die Frage offen; ebenso Hellholm, Funktion, 401: Paulus appelliert „sowohl an allgemeine als auch an spezifische Kenntnisse bei gesetzeskundigen Judenchristen und bei Heidenchristen in Rom“. Lichtenberger, Das Ich Adams, 110 mit dem Hinweis, dass das römische Recht „üblicherweise ja ohnehin nicht über das Alltägliche hinaus bekannt gewesen sein dürfte; nicht jeder Römer war schließlich ein Rechtsgelehrter“. Kuss II 435 betont für die Parenthese die Höflichkeit, mit der Paulus die Heidenchristen behandelt. Kuss II 434; Schlier 214; Käsemann 179; Lohse 206; Wolter I 409. Hellholm, Funktion, 401.
Der Wechsel der Herrschaftsgewalt vom Gesetz zu Jesus Christus 7,1-6 103 ———————————————————————————————————— captatio benevolentiae zu Beginn des Vortrags bzw. der Figur eines Werkes steht, und da sie vor allem dann eingesetzt wird, „wenn der Redner wenig rationale Argumente zugunsten des von ihm vertretenen Falles anführen kann und er daher auf emotionale Beeinflussung setzen muß“,14 kann man diese Analyse hinterfragen. Wilckens schreibt: „Die Parenthese in V 1 ist nicht eine captatio im Blick auf die Rechtskunde der Adressaten, sondern behaftet diese bei ihrer Kenntnis der Tora, die als ‚Schrift‘ der normative Text der Kirche bleibt; und das Eheund Sexualrecht der Tora, verstärkt durch das Gebot des Kyrios (1Kor 7,10), ist in der Urkirche vollauf rezipiert worden“.15
Der in V.1c formulierte Rechtssatz lautet: das Gesetz herrscht über den Menschen, solange er lebt. Die Wendung „das Gesetz herrscht“ (ο� νο' μος κυριευ' ει) beschreibt die Macht des Gesetzes, menschliches Verhalten zu bestimmen. Die temporale adverbiale Bestimmung „solange“ (ε� φ’ ο« σον χρο' νον)16 markiert zeitlich begrenzte Dauer. Der Rechtssatz lautet: Das Gesetz hat verbindliche Gültigkeit für einen Menschen, solange dieser am Leben ist. Die adverbiale Bestimmung verweist bereits hier auf die Implikation, die in dem Beispiel in V. 2-3 explizit ausgesprochen wird: Die verpflichtende Gültigkeit des Gesetzes wird durch den Tod aufgehoben.17 Der Rechtssatz findet sich in der späteren rabbinischen Tradition. R. Jochanan (gest. 279) interpretiert die Wendung „unter den Toten frei“ (ַּבֵּמִתים ָחְפִׁשי, „ich bin zu den Toten hinweggerafft“ [EÜ]) in Ps 88,6 als Erklärung des Verhältnisses der Menschen zum Gesetz: „Sobald der Mensch gestorben ist, ist er frei von der Tora und von den Geboten“ (bShab 30a). Die Parallele zu Röm 7,1 ergibt sich nur, wenn man R. Jochanans Aussage vom Zusammenhang isoliert, in dem es um das Gesetzesstudium und die Gebotserfüllung geht, die im Tod nicht mehr möglich sind.18 bShab 151b und bNid 61b zitieren die Aussage von R. Jochanan. In bNid 61b ist die Parallele zu Röm 7,1 deutlicher: Das Gesetz, das das Tragen von Mischgewebe verbietet (Lev 19,19), gilt für den Toten nicht mehr.
2-3 Paulus erläutert (γα' ρ) anhand des jüdischen Eherechts, das als Analo-
gie in zwei Schritten angeführt wird.19 Der erste Schritt (V. 2) stellt die Aufhebung der Gebundenheit durch das Gesetz dar, ausgelöst durch den Tod: ————————————————————
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B. Wessel, Art. Captatio benevolentiae, HWR II, 121. Wilckens II 66. Bauer/Aland s.v. ο« σος 1 v. Raum und Zeit: ε� φ’ ο« σον χρο' νον „solange als“. Vgl. Wolter I 410 Anm. 5 für weitere Belege der Formulierung. Vgl. 6,7 im Blick auf die (rechtlichen) Folgen der Sünde. Vgl. W. Gutbrod, ThWNT IV, 1047 Anm. 135; Lichtenberger, Das Ich Adams, 113-114. Hellholm, Funktion, 402 spricht von similitudo ex iure, d.h. von einer Analogie aus dem Recht; vgl. Quintilian, Inst 5.11.32; Lausberg, Handbuch, 233-234. Lichtenberger, Das Ich Adams, 115 spricht von „Beispiel“ und lehnt zu Recht die Annahme einer „Allegorie“ (Schlatter 225; Althaus 72; Räisänen, Paul, 46) ab. Burchard, Römer 7,2–3, 448 und Wolter I 411 sprechen von Syllogismus, Hellholm, ebd. 404 von einem syllogistischen Beweis im modus ponens: „1. Prämisse: Wer tot ist, ist vom Gesetz frei; 2. Prämisse: Der Christ ist mit Christus gestorben; Konklusion: Der Christ ist vom Gesetz frei“.
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Denn die verheiratete Frau ist durch das Gesetz an ihren lebenden Mann gebunden. Wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie vom Gesetz, soweit es den Mann betrifft, entbunden. Den Ausdruck „die verheiratete Frau“ (η� υ« πανδρος γυνη' [hē hypandros gynē]) könnte man auch mit „die unter der Gewalt des Mannes stehende Frau“ übersetzen.20 In allen antiken Kulturen war die verheiratete Frau rechtlich an ihren Mann gebunden, unabhängig davon, ob er fürsorglich oder tyrannisch war. Das Verb „gebunden“ (δε' δεται [dedetai]) bringt diese rechtliche Bindung zum Ausdruck. Der Dativ „durch das Gesetz“ (νο' μω, [nomō]) ist dat. instrumentalis: Die Tora bindet die Ehefrau an ihren Ehemann. Man kann δε' δεται mit dem Dativ τω ñ, ζω ñ ντι α� νδρι' verbinden (so die meisten Ausleger), oder, weniger wahrscheinlich, mit dem Dativ νο' μω, .21 Jewett und Wolter interpretieren δε' δεται als intransitives Verb (wie in 1Kor 7,39): „Die Frau ist durch das Gesetz gebunden, solange der Mann lebt“.22 Das Argument, V. 2c.3d sprächen von der Befreiung vom Gesetz, nicht vom Mann, ist richtig. Andererseits ist die Konstruktion von δε' δεται mit dem Dativ weitaus häufiger als intransitives δε' δεται und deshalb vorzuziehen; in V. 2c wird die Frau nicht vom „Gesetz“ befreit, sondern vom „Gesetz soweit es den Mann betrifft“ (ο� νο' μος τουñ α� νδρο' ς).
Der Bedingungssatz „wenn aber der Mann gestorben ist“ (ε� α` ν δε` α� ποθα' νη, ο� α� νη' ρ; V. 2b) spricht vom Tod des Ehemanns, durch den für die verheiratete Frau eine neue Situation eintritt: Wenn ihr Mann stirbt, „ist sie vom Gesetz, soweit es den Mann betrifft, entbunden“ (V. 2c). Der Ausdruck das Gesetz, soweit es den Mann betrifft (ο� νο' μος τουñ α� νδρο' ς [ho nomos tou andros]) bezieht sich auf die konkrete Vorschrift des Eherechts, die die verheiratete Frau an ihren (lebenden) Ehemann bindet. Vergleichbare Formulierungen sind Ex 12,43 LXX: ο� νο' μος τουñ πασχα („das Gesetz des Pascha“; LXX.D); Lev 12,7: ο� νο' μος τηñ ς τικτου' σης α» ρσεν η� θηñ λυ („das Gesetz für die, die ein männliches oder weibliches [Kind] gebiert“; Lev 6,2: ο� νο' μος τηñ ς ο� λοκαυτω' σεως („das Gesetz der Ganzbrandopferung“); 6,7: ο� νο' μος τηñ ς θυσι' ας („Gesetz des Opfers“); 6,18: ο� νο' μος τηñ ς α� μαρτι' ας (Gesetz des Sündopfers); 14,2: ο� νο' μος τουñ λεπρουñ („das Gesetz für den Aussätzigen“); Philo, Abr 198: νο' μος τω ñ ν ο� λοκαυτωμα' των („Gesetz der Brandopfer“);
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Bauer/Aland s.v. υ« πανδρος. Vgl. in der LXX Spr 6,24.29; Sir 9,9; 41,23; auch Num 5,19.20.29; TestAbr B 12,2; TestRub 3,10; sodann Polemon Perieg Frag. 59; Claudius Aelianus, NatAnm 3,42; Plutarch, Pelop 9,4. Für das Nomen η� υ« πανδρος vgl. Aristoteles, Frag 285,5; Polybius 10,26,3; Aristophanes Gramm., HistAnim 1,103. Wolter I 413; zum folgenden Punkt s. auch Burchard, Römer 7,2–3, 413. Lohse 206 Anm. 4 spricht von der „herrschenden patriarchalischen Ordnung“. Vulgata: vivente viro alligata est legi; Luther: „die weyl der man lebt, ist sie verpunden an das gesetz“; WA.DB VII, 48; Spitaler, Reasoning, 726-727; Lambrecht, Newness, 116. Jewett 431; Wolter I 413.
Der Wechsel der Herrschaftsgewalt vom Gesetz zu Jesus Christus 7,1-6 105 ———————————————————————————————————— Josephus, Ant 17,241: νο' μος τηñ ς ε� ορτηñ ς („Gesetz des Festes“).23 Man könnte analog in Röm 7,2 ο� νο' μος τουñ α� νδρο' ς mit „Gesetz des Mannes“ übersetzen.
Sie ist von dieser Vorschrift „entbunden“ (κατη' ργηται [katērgētai]),24 wenn ihr Mann gestorben ist. Paulus spricht nicht von einer Aufhebung der Bindung an die Tora, sondern von der Aufhebung einer konkreten Einzelbestimmung im Fall des Todes eines verheirateten Mannes. In V. 2 betont Paulus die Freiheit von der Gültigkeit einer Gesetzesvorschrift. Der zweite Schritt (V. 3) führt die Argumentation weiter (α» ρα ουò ν): Nach der Entbindung vom Gesetz geht es jetzt um die Möglichkeit, eine neue Bindung einzugehen: Also wird sie, solange ihr Mann lebt, Ehebrecherin genannt, wenn sie sich mit einem anderen Mann einlässt. Wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie frei vom Gesetz, sodass sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie einem anderen Mann gehört. Wenn sich eine verheiratete Frau „mit einem anderen Mann einlässt“ (γε' νηται α� νδρι` ε� τε' ρω, ), d.h. wenn sie mit einem Mann, der nicht ihr Ehemann ist, eine dauerhafte eheliche Verbindung eingeht,25 wird sie eine „Ehebrecherin“ (μοιχαλι' ς [moichalis]) genannt.26 Der Ehebruch, d.h. das Eingehen einer ehelichen Beziehung zu einem verheirateten Partner, während der eigene Ehepartner lebt, galt in Israel als besonders schweres Vergehen und wurde mit der Todesstrafe geahndet.27 Philo bezeichnet den Ehebruch als das größte Unglück und als abscheuliche und gottverhasste Sache (Decal 121.131). Paulus zitiert das sechste Gebot des Dekalogs in 13,9. In Joh 8,5 ist die Todesstrafe für die ntl. Zeit belegt, die späteren Rabbinen erwähnen sie ebenfalls (Sifra Lev 20,10; mSan 11,1). Sie dürfte jedoch in römischer Zeit kaum angewandt worden sein (vgl. bSan 41a); meistens wurde sie durch die Entlassung der ehebrecherischen Frau mit Verlust des Scheidungsgeldes und ————————————————————
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Vgl. Lev 7,1.11; 14,57; Num 5,29; 6,13. Burchard, Römer 7,2–3, 451; Wolter 413. Bauer/Aland s.v. καταργε' ω 1. außer Wirksamkeit, Geltung setzen, entkräften; 2. vernichten, vertilgen, beseitigen; 3. aus der Verbindung mit jmdm. oder mit etwas gelöst werden (mit Verweis auf Röm 7,2.6); vgl. BDAG s.v. καταργε' ω 4. to cause the release of someone from an obligation (one has nothing more to do with it). Die Formulierung γι' νεσθαι α� νδρι' gibt hebr. ( ָחָיה ְלִאיׁשLev 22,12; Num 30,7; Deut 24,2; Rut 1,12.13; Jer 3,1; Hos 3,3) wieder. Der Dativ ist dat. possessoris. Der Konditionalsatz ε� α` ν γε' νηται α� νδρι` ε� τε' ρω, kommt hier einem Temporalsatz nahe; HvS §282d. Im eigentlichen Sinn hier und in 2Petr 2,14; in übertragenem Sinn als Adj. Mt 12,39; 16,4; Mk 8,38; als Subst. Jak 4,4; LXX: Spr 18,22d; Hos 3,1; Mal 3,5; Hes 16,38; 23,45; vgl. TestLev 14,6. Das Wort ist im außerbiblischen Griechisch, wo man üblicherweise von πορνη' sprach, erst spät belegt. Das männliche Äquivalent ist der μοιχο' ς: Lk 18,11; 1Kor 6,9; Hebr 13,4; LXX: Jes 57,3. Vgl. F. Hauck, Art. μοιχευ' ω κτλ., ThWNT IV, 737743; E. Plümacher, Art. μοιχευ' ω κτλ., EWNT II, 1073-1079; H. Reißer/W. Günther, ThBLNT I, 295-296. Lev 20,10; Deut 22,22; für die jüdische Tradition s. Jub 30,8; 39,6.
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Verbot der Heirat des Ehebrechers (mSot 4,3; 5,1) ersetzt. Griechen und Römer verurteilten Ehebruch ebenfalls, definiert als „der heimliche geschlechtliche Verkehr mit der freien Frau ohne Zustimmung ihres κυ' ριος“.28 Die Heirat der Herodias mit Herodes Antipas entspricht dem in 7,3 erwähnten Fall. Herodias ist mit Herodes Boethus verheiratet (γι' νεται � Ηρω' δη, ) und verheiratet sich mit Herodes Antipas (� Ηρω' δη, γαμειñται), dem Bruder des Mannes, „nachdem sie sich von ihm getrennt hatte, obwohl er noch lebte (διασταñ σα ζω ñ ντος)“ (Josephus, Ant 18,136).29 Lucretia beging nach ihrer Vergewaltigung durch Tarquinius Sextus Selbstmord, weil sie es für unerträglich hielt, dass man sagen könne, „sie sei, obwohl ihr Mann noch lebt, mit dem sie nach den Gesetzen verheiratet ist (ζω ñ ντος τουñ κατα` νο' μους συμβιουñ ντος), in gesetzwidriger Weise eines anderen Mannes Geliebte geworden (α� νδρο` ς ε� τε' ρου παρανο' μως ε� πειρα' θη)“ (Diodorus Siculus 10,21,4).
Der Ausdruck sie wird genannt (χρηματι'σει)30 verweist auf die rechtliche Einstufung und die gesellschaftliche Ächtung der Frau, die als Ehebrecherin identifiziert wird. Wenn sie jedoch „einem anderen Mann gehört“ (γενομε' νην α� νδρι` ε� τε' ρω, ) in dem Fall, wenn der Mann gestorben ist (ε� α` ν δε` α� ποθα' νη, ο� α� νη' ρ), d.h., wenn ihr Ehemann verstarb und sie Witwe ist, dann ist sie keine Ehebrecherin (τουñ μη` ειòναι αυ� τη` ν μοιχαλι' δα).31 Der Grund für diese Aussage ist der in V. 1 zitierte Rechtssatz, aus dem sich ergibt: Sie ist frei vom Gesetz (ε� λευθε' ρα ε� στι`ν α� πο` τουñ νο' μου [eleuthera estin apo tou nomou]), konkret von der in V. 2 erwähnten Vorschrift des Ehegesetzes, das die Ehefrau an ihren Ehemann bindet, solange dieser lebt. 4 Mit in diesem Sinn, Brüder (ω« στε, α� δελφοι' μου, και') wendet Paulus den Rechtssatz V. 1 und die Analogie aus dem Eherecht V. 2-3 auf die an den Messias Jesus Glaubenden an. Für sie ist Realität geworden, was mit der in der Analogie angesprochenen Ehefrau geschah: ihr seid dem Gesetz gegenüber zu Tode gekommen durch den Leib des Messias. Das mit „zu Tode gekommen“ (ε� θανατω' θητε [ethanatōthēte]) übersetzte Verb, das im ————————————————————
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K. Latte, PW XV/2, 2449; vgl. G. Schiemann, Art. Adulterium, DNP I, 134-135; B. Wagner-Hasel, Art. Ehebruch I. Griechenland, DNP III, 900-901; G. Delling, Art. Ehebruch, RAC IV, 666-677. Zu den Papyri vgl. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 229: Eheverträge machen deutlich, dass der Ehebruch (μοιχει' α) als „widerrechtliche, moralisch zu verurteilende Tat“ galt. Wolter I 414 mit dem Hinweis, dass Herodias in der Pseudo-Dorotheus-Rezension der Vitae Prophetarum als μοιχαλι' ς bezeichnet wird. Das folgende Beispiel ebd. Das Futur χρηματι' σει ist gnomisch. Vgl. Bauer/Aland s.v. χρηματι' ζω 2. einen Namen führen, benannt werden, heißen; LSJ s.v. χρηματι' ζω III.1: „to take and bear a title, to be called or styled“; 2. „generally, to be called“; MM s.v. χρηματι' ζω 2, mit Hinweis auf P.Oxy. I 100,1; II 268,2; P.Ryl. II 110,3. In Apg 11,26 für die „Benennung“ oder „Identifizierung“ der Jesusbekenner als Χριστιανοι' . Der Infinitiv mit τουñ hat hier deutlich konsekutiven Sinn; HvS §225c.
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Röm hier zum ersten Mal verwendet wird, entspricht dem Verb α� ποθνη,' σκω [apothnēskō], das in 6,2.7.8 (vgl. 6,11 νεκρο' ς) für das „Sterben“ des mit dem Messias Jesus verbundenen Gläubigen verwendet wurde.32 Das Passiv verweist als pass. divinum auf das Handeln Gottes, der Aorist auf die Bekehrung der Sünder zum Glauben an den Messias Jesus.33 Der Dativ „dem Gesetz gegenüber“ (τω ñ, νο' μω, [tō nomō]) ist dat. incommodi oder dat. respectus: Der von Gott veranlasste Tod des Sünders hat Konsequenzen für das Gesetz. In 6,2.11 hatte das Mit-Sterben des Glaubenden mit dem Messias Jesus Konsequenzen für die Sünde (α� μαρτια' [hamartia]). Das bedeutet, dass die Beendigung der Gültigkeit des „Gesetzes“ (V. 1) wie im Fall des Ehegesetzes, das eine Ehefrau an ihren Mann zu dessen Lebzeiten bindet (V. 2-3), sich nicht auf das Gesetz insgesamt bezieht, sondern auf eine konkrete Vorschrift des Gesetzes: Paulus spricht hier vom Gesetz, das Sünder betrifft, d.h. vom Gesetz, welches das Todesurteil über Sünder ausspricht. In 8,2 kombiniert Paulus die drei Begriffe „Gesetz“, „Sünde“ und „Tod“ und spricht vom „Gesetz der Sünde und des Todes“ (ο� νο' μος τηñ ς α� μαρτι'ας και` τουñ θανα' του [ho nomos tēs hamartias kai tou thanatou]; s. zu 8,2). Die Befreiung von der Herrschaft der Sünde (6,2-11.20-21) bedeutet die Befreiung von der Todesfolge der Sünde, die das Gesetz über den Sünder verhängen muss.34 Die Adverbialbestimmung „durch den Leib des Messias“ (δια` τουñ σω' ματος τουñ Χριστουñ [dia tou sōmatos tou Christou]) verweist konkret auf den am Kreuz gestorbenen Leib Jesu,35 gleichzeitig metonymisch auf den Tod Jesu und die von ihm ausgehende Heilswirkung, analog der Wendungen „durch sein Blut“ (3,15; 5,9) und „durch den Tod seines Sohnes“ (5,10).36 ————————————————————
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In 5,6.8; 6,9.10(2x); 8,34; 14,9.15 bezeichnet α� ποθνη,' σκω das Sterben Jesu; in 5,15; 7,10 das Sterben der Menschen seit Adam; in 8,13 das Sterben im Sinn der Trennung von Gott; in 14,7.8(3x) das physische Sterben der Gläubigen; 6,8; 7,2.3 einen allgemeinen Sachverhalt. Richtig Wolter I 415, unter Ablehnung der Interpretation des Aorists im Sinn der Taufe (e.g. Käsemann 179; Wilckens II 64), mit Verweis auf 3,25; 10,14; 13,11; 1Kor 3,5; 15,2.11; Gal 2,16: „Anders als durch den Glauben kann die Heilswirklichkeit des Todes Jesu sowieso nicht die hier geschilderten Folgen für eine menschliche Existenz haben“. Lichtenberger, Das Ich Adams, 118 spricht von „Machtwechsel von dem zum Tode verurteilenden Gesetz in die Zugehörigkeit zum Auferstandenen durch das Mitgetötetwerden im Tode Christi“. Lohse 207 spricht vom Tod Christi, „den er leibhaft und damit in aller Härte erlitt“. Auf den physischen Tod Jesu deuten Schlier 217; Michel 220; Wilckens II 65; Fitzmyer 458; Lichtenberger, Das Ich Adams, 118 u.a.; als metonymischen Verweis auf den Tod Jesu und seine Heilsbedeutung interpretieren Wolter I 415; Lambrecht, Newness, 119. Man muss hier keine Alternativen sehen. Wilckens II 65 will in der Formulierung sakramentale und ekklesiologische Bezüge erkennen: Paulus meint den Leib des Gekreuzigten „als den in Taufe und Eucharistie gegenwärtigen“. So schon Tertullian, De monogamia
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V. 4b formuliert die Folge37 des „Todes“, den Jesusbekenner infolge ihrer Vereinigung mit dem Tod des Messias Jesus erlitten haben: sodass ihr einem anderen gehört: dem, der von den Toten auferweckt wurde, damit wir für Gott Frucht bringen. Die Wendung „einem anderen gehören“ (γενε' σθαι ε� τε' ρω, ) ist der Analogie der Ehefrau V. 3 entnommen, die nur dann einem anderen Mann gehören kann, wenn ihr (erster) Ehemann gestorben ist. Von Ehemetaphorik sollte man im Blick auf die Bindung der Gläubigen an den Auferstandenen jedoch nicht sprechen:38 V. 3 ist eine Analogie für den Rechtssatz V. 1, keine für den weiteren Kontext relevante Metapher. Der Tod der Jesusbekenner als Folge ihrer Verbindung mit dem Tod des Messias Jesus (vgl. 6,3-8.11) verbindet sie mit „dem, der von den Toten auferweckt wurde“ (τω ñ, ε� κ νεκρω ñ ν ε� γερθε' ντι), d.h. mit Jesus, den Gott von den Toten auferweckt hat (pass. divinum). Die mit dem Tod Jesu verbundenen Gläubigen gehören dem Auferstandenen (dat. possessoris). In 6,5 sprach Paulus vom Zusammenwachsen mit Jesu Auferstehung (συ' μφυτοι … τηñ ς α� ναστα' σεως), in 6,8 vom „Mitleben“ (συζη' σομεν) mit Jesus, in 6,11 als „Lebende im Messias Jesus“ (ζω ñ ντας … ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ). Freiheit vom Gesetz, das dem Sünder den Tod einbringt, ist nur für den möglich, der sich an den Messias Jesus bindet. Gleichzeitig wird deutlich: Sowohl der Tod als auch die Auferweckung Jesu haben Heilsbedeutung. Der Tod der Jesusbekenner im Kreuzestod Jesu (V. 4a) und die Bindung an Jesus den Auferstandenen (V. 4b) zielt auf ein neues Leben: damit wir für Gott Frucht bringen (ι«να καρποφορη' σωμεν τω ñ, θεω ñ, ; V. 4c). Der Wechsel von der 2. Person Plural (ε� θανατω' θητε; V. 4a) zur 1. Person Plural unterstreicht die für alle Christen bindende Kraft der Verbindung mit dem Auferstandenen. In 6,22 hatte Paulus formuliert: „Jetzt aber, da ihr von der Sünde befreit und zu Sklaven für Gott gemacht worden seid, habt ihr eure Frucht zur Heiligung“. Ein Vergleich dieser Aussage mit V. 4 ist in mehrfacher Weise bedeutsam. 1. Der Tod der Jesusbekenner, der infolge der Verbindung mit dem Kreuzestod Jesu stattgefunden hat und vom Gesetz befreit (V. 4a), ist ein Tod, der von der Sünde befreit. Das heißt, die „Freiheit“ vom Gesetz ist die Befreiung vom Gesetz, das die Folgen der Sünde im Sinn der ————————————————————
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13: „Durch den Leib Christi, der die Kirche ist“; auch Theodor von Mopsuestia (Staab 124), der deshalb „Leib Christi“ allein im Sinn des Auferstehungsleibs interpretiert. Zu Recht kritisch Wolter I 415. ει� ς το' mit Infinitiv ist hier konsekutiv zu interpretieren. Wolter I 416, gegen Zeller 132; Fitzmyer 459; Dunn I 362; Haacker 169 (mit Verweis auf Joh 3,29; 2Kor 11,2; Eph 5,22-23; Offb 19,7.9; 21,2.9; 22,17); Jewett 434 („psychosexual union between believers and Christ“). Manche wollen in καρποφορη' σωμεν im Sinn von „Kinder bekommen“ interpretieren (Barrett 128; Black 94; Fitzmyer 459; dagegen Cranfield I 337 [„altogether grotesque“]; Dunn I 363; Wolter I 417 Anm. 33).
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Todesstrafe bestimmte. 2. Der Ausdruck „Sklaven für Gott“ entspricht hier der (rechtlichen) Bindung an den Auferstandenen: Von dem von den Toten auferweckten Messias Jesus und Gott kann in einem Atemzug gesprochen werden (vgl. 1,4). 3. Die „Frucht zur Heiligung“ (καρπο` ς ει� ς α� γιασμο' ν) ist das „Frucht bringen für Gott“, eine Existenz, die in 6,13 so beschrieben wird: „Stellt euch Gott zur Verfügung als Lebende aus den Toten und eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit für Gott“. Paulus beschreibt V. 4 den Bekehrungsvorgang:39 Sünder kommen zum Glauben an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt; der Anschluss an Jesus befreit den von der Sünde beherrschten Sünder von der tödlichen Wirkung des Gesetzes, weil der Tod Jesu zum Tod des Sünders wird, den dieser selbst hätte erleiden sollen; Gott selbst veranlasst einen Herrschaftswechsel, infolge dessen der Sünder nicht mehr an das Gesetz und das von diesem verhängte Todesurteil gebunden ist, sondern an den Messias Jesus; die Bindung an den gekreuzigten Messias ist zugleich eine Bindung an den Auferstandenen; die Identität als dem auferstandenen Messias Verpflichtete bedingt ein auf Gott ausgerichtetes Leben. Die Übertragung der Analogie aus dem Eherecht (V. 2-3) auf das Sein des Christen wird oft als problematisch betrachtet. Zuletzt hält E. Lohse das Bild und die daraus abgeleitete Folge für „nicht recht stimmig geraten. Eigentlich wäre folgende Argumentation zu erwarten gewesen: Im Eherecht tritt die Lösung von dessen bestimmender Gültigkeit durch den Tod des Gatten ein. Dann sollte gelten: Die Bindung an das Gesetz ist durch dessen Tod gelöst worden. Doch das wird so nicht gesagt, sondern als lossprechendes Ereignis wird der Tod Christi genannt und durch ε� θανατω' θητε auf den Tod der Glaubenden hingewiesen, den sie mit ihm gestorben sind“.40 Die Annahme inhaltlicher Spannungen zwischen V. 2-3 und V. 4 ist jedoch unnötig: Der Frau und den Christen ist gemeinsam, dass sie durch den Tod eines anderen von der ihr Leben im Hinblick auf eine konkrete Vorschrift des Gesetzes geltende Regelung befreit werden – die Ehefrau wird durch den Tod des Ehemannes vom „Gesetz des Mannes“ befreit, d.h. von der Vorschrift des Gesetzes, einem anderen als ihrem Ehemann gehören zu können; Christen werden durch den Tod des Messias Jesus vom „Gesetz der Sünde“ befreit, d.h. von der Vorschrift des Gesetzes, dass Sünden mit dem Todesurteil be————————————————————
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Wolter I 416, der mit 2Kor 5,15 vergleicht: „Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde“. Die Interpretation des Dativs τω ñ, θεω ñ, ebd. 416-417 im Sinne der atl. Opfer oder Weihegaben „für Gott“ (LXX Gen 4,3; Ex 30,20; 35,21; Lev 2,11; 17,4; Num 18,12) und der „Tradition, die eine ethisch einwandfreie Lebensführung als eine Handlung darstellt, die opferkultischen Darbringungen nicht nur äquivalent ist, sondern ihnen auch überlegen sein kann“ (vgl. Sir 35,1-2; 1QS IX, 5), liegt in Röm 12,1 vor, kann aber für 7,4 nicht nur mit dem Dativ τω ñ, θεω ñ, begründet werden (s. die anders gelagerten Bedeutungen von τω ñ, θεω ñ, in LXX Gen 5,22; 6,9; Jes 4,4). Lohse 207; ähnlich Lietzmann 71-72; Dodd 120 („the illustration … has gone hopeless-ly astray“); Kümmel, Römer 7, 38 („typisch orientalische, assoziierende Logik“); Gale, Analogy, 192-201; Little, Analogy, 84-86; Hellholm, Funktion, 403.
110 Römerbrief ———————————————————————————————————— straft werden.41 Hellholm geht von der Unstimmigkeit zwischen Bild und Sache aus, betont dann aber, dass sowohl „die Logik innerhalb der similitudo selbst formal einwandfrei“ ist, was auch für die Logik des Deutungsteils gilt, die seines Erachtens nach der Regel der Implikationen verfährt: „1. Prämisse: Wer [durch den Todesleib Christi] dem Gesetz gestorben ist, ist frei [dem auferstandenen] Christus anzugehören. 2. Prämisse: {Wer frei ist [dem auferstandenen] Christus anzugehören,} ist frei für Gott Frucht zu bringen; Konklusion: Wer [durch den Todesleib Christi] dem Gesetz gestorben ist, ist frei für Gott Frucht zu bringen“.42 Bei Wilckens finden wir eine einfachere Erklärung: V. 4 entspricht V. 2-3 nur in der parallelen Anwendung der Regel von V. 1, d.h., V. 4 ist nicht eine Anwendung von V. 2-3, sondern eine mit V. 2-3 parallele Anwendung des Grundsatzes V. 1, „der zweifellos deswegen so allgemein formuliert ist …, daß er auf beide voneinander verschiedenen Fälle paßt“. 43
5 Die Beschreibung des Bekehrungsvorgangs V. 4 wird in V. 5-6 noch einmal im Blick auf den Wechsel vom „Einst“ zum „Jetzt“ erläutert (γα' ρ) und jeweils in 7,5-25 sowie 8,1-17 entfaltet (s. Abschnitt II zu 7,5-25). In V. 5 und V. 7-25 steht die Herrschaft der Sünde im Mittelpunkt, in V. 6 und 8,117 die Herrschaft des Messias Jesus und die Leitung durch den Heiligen Geist. Sowohl in V. 5.6 als auch in 7,5-25 / 8,1-17 geht es gleichzeitig um die Funktion des mosaischen Gesetzes. Die temporale Konjunktion als (ο« τε) leitet die Beschreibung der Vergangenheit der Jesusbekenner ein. Vor der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus gilt: wir waren im Fleisch (V. 5a). Der durative Aspekt des Imperfekts (ηò μεν [ēmen]) unterstreicht die Lebenswirklichkeit des Menschen. Mit „im Fleisch“ (ε� ν τηñ, σαρκι' [en tē sarki]) ist hier nicht die leibliche Existenz gemeint,44 sondern die Wirklichkeit menschlichen Lebens unter den Bedingungen der Macht der Sünde (so auch in V. 14.18.25). In Gal 5,24 formuliert Paulus ähnlich wie in V. 5a-b: „Alle, die zu Christus Jesus gehören (οι� δε` τουñ Χριστουñ � Ιησουñ ), haben das Fleisch (τη` ν σα' ρκα) und damit ihre Leidenschaften und Begierden (συ` ν τοιñς παθη' μασιν και` ταιñς ε� πιθυμι'αις) gekreuzigt“ (EÜ). „Fleisch“ (σα' ρξ [sarx]; s. zu 3,20) ist eine Existenzweise, die das frühere Leben der Glaubenden kennzeichnete und die sie jetzt hinter sich gelassen haben. Christen, die Gottes Geist erhalten haben, leben nicht mehr „nach dem Fleisch“ (κατα` σα' ρκα; 8,4.12.13). Sie tun nicht mehr „die Werke des Fleisches“ (τα` ε» ργα τηñ ς σαρκο' ς): Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaf————————————————————
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Vgl. Wolter I 414-415, der allgemein vom „Gesetz“ spricht. Hellholm, Funktion, 406. Wilckens II 66; vgl. Käsemann 177-178; Cranfield I 334; Kümmel, Römer 7, 36-41. So 1,3 (Gottes Sohn wurde „nach dem Fleisch“ aus dem Samen Davids geboren); 2,28 (die Beschneidung, die am „Fleisch“ vollzogen wird); 3,20 („alles Fleisch“ wird nicht durch Werke des Gesetzes gerecht); 9,3 (die Juden als Verwandte „nach dem Fleisch“); 9,5 (Jesus stammt „nach dem Fleisch“ aus Israel); vgl. 1Kor 5,5; 2Kor 12,7; Gal 4,13. LXX: Ps 78,39; Spr 5,11; Jes 40,6.
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ten, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und Ähnliches (Gal 5,19-21). Die Bedeutung von σα' ρξ als eine Gott und seinem Willen feindlich gegenüberstehende Macht spielt in der Tradition eine wichtige Rolle.45 In 1QS XI, 9-10 heißt es: „Ich gehöre zur ruchlosen Menschheit ()ַוֲאִני ָלָאָדם ִרְׁשָעה,46 zur Menge des frevelnden Fleisches (ו ְּלס ֹוד ּבַׂשר )ָע ֶול. Meine Sünden, meine Übertretungen, meine Verfehlungen ( )ֲעו ֹונ ֹוַתי ְ ּפָׁשַעי ַח ּ ֹטאַתיsamt der Verderbtheit meines Herzens ( )ַנֲע ִוַּית ְלָבִביgehören zur Menge des Gewürms ( )ְלס ֹוד ִרָּמהund derer, die in Finsternis wandeln (( “) ְוה ֹוְלֵכי ח ֹוֶׁשְךÜbers. E. Lohse). Wer nicht zur Gemeinde gehört, der ist Teil der „Versammlung des Fleisches (( “)ִמּס ֹוד ְּבָׂשר1QS XI, 7). In 4Q418 Frag. 81 + 81a, 1-2 heißt es: „Als Heiliges hat er dich abgesondert von jedem Fleisch-Geist (ח ָּבָׂשרº ּ )רו, und du sondere dich ab von allem, was er hasst, und enthalte dich von allen Abscheulichkeiten“ (Übers. J. Maier; vgl. 4Q416 Frag. 1, 12; 4Q417 Frag. 2, I, 17).47 Philo spricht von der „Schande des Fleisches und der Leidenschaft (α� σχημοσυ' νη σαρκο` ς και` πα' θους)“ (All 3,158) und betont: „Jegliches Fleisch (παñ σα σα' ρξ) zerstört den vollkommenen Weg des Ewigen und Unvergänglichen, der zu Gott führt … diesen Weg hasst und verabscheut und sucht jeder Genosse der fleischlichen Dinge (παñ ς ο� σαρκω ñ ν ε� ταιñρος) zu vernichten, denn gegen nichts kämpft die Erkenntnis so, wie gegen die Lust des Fleisches (σαρκο` ς η� δονηñ, )“ (Imm 142-143). Die „Leidenschaften des Leibes (sind) Sprösslinge des Fleisches, in dem sie wurzeln (τα` σω' ματος ω� ς α� ληθω ñ ς πα' θη, σαρκο` ς ε� κπεφυκο' τα, ηð, προσερρι' ζωται)“ (Her 267-268). In Ps-Philo, De Sampsone 20 ist vom „Begehren des Fleisches“ die Rede, dem gegenüber die menschliche Seele sich als „schwach und allzu nachgiebig“ erweist. 48 In TestJud 19,4 heißt es: „Denn der Herrscher des Irrtums verfinsterte mich, und (darum) war ich unwissend wie ein Mensch und wie Fleisch, in Sünden verdorben (ω� ς σα' ρξ, ε� ν α� μαρτι' αις φθαρει' ς)“.
Das „Fleisch“ ist hier der Wirkungsbereich der Sünde im Sinn der „Feindschaft gegen Gott“ (8,8), eine Macht, die den Menschen dazu bringen will, ————————————————————
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Muraoka s.v. σα' ρξ 3b „as against the divine“ führt Deut 5,26; Ps 54[55],5; Dan 2,11 (Theod.) auf, die jedoch unter 3a „human being“ aufgelistet werden können. W. Baumgärtel, Art. σα' ρξ B. Fleisch im Alten Testament, ThWNT VII, 105-108 führt als übertragene Bedeutungen von בׂשרauf: a. die gesamte äußere Existenz des Menschen, b. die gesamte innere Haltung (Ps 62,3; 84,3: schmachten bzw. Sehnsucht des Fleisches nach Gott), c. menschliche Gebrechlichkeit und Ohnmacht (Gegensatz: der ewige Gott). Vgl. N.P. Bratsiotis, Art. ָּבַׂשר, ThWAT II, 866-867 (theologische Verwendung). Die folgenden Stellen bei Wolter I 418-419. Charlesworth, Rule of the Community, 49, übersetzt ַוֲאִני ָלָאָדם ִרְׁשָעהmit „and I (belong) to wicked Adam“. Zu Qumran vgl. E.J.C. Tigchelaar, Art. ָּבָׂשרIII. Theologische Aspekte und spezifische Texte, ThWQ I, 547; Frey, Antithese, 54-63, der im Blick auf die Frage der religionsgeschichtlichen Erklärung der absoluten Rede von „Fleisch“ und „Geist“ betont, dass Paulus „in seiner theologischen Terminologie zumindest teilweise – wenngleich nicht ausschließlich – von den Kategorien der palästinisch-jüdischen Tradition geprägt ist. Von hier aus läßt sich der theologische Sachverhalt besser verstehen, daß der Apostel weder von einem die Leiblichkeit abwertenden Sphärendenken noch von einer dichotomischen Anthropologie ausgeht, sondern den Menschen als Ganzen in Relation, ja unter der Herrschaft von ihn bestimmenden Mächten versteht“ (ebd. 77). Siegert, Drei hellenistisch-jüdische Predigten, 64.
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sein eigener „Herr“ zu sein und damit im Sinn von Gen 3 im aktiven Widerspruch gegen den Willen Gottes zu handeln. Das „Fleisch“ der Lebenswirklicheit des „Einst“ ist von Leidenschaften der Sünden (V. 5b) bestimmt. Man kann als gen. qualitatis interpretieren („sündige Leidenschaften“) oder, wegen des Plurals „Sünden“ wahrscheinlicher, als Gen. der Richtung bzw. Wirkung: Leidenschaften, die zu Sünden führen. Die „Leidenschaften“ (παθη' ματα [pathēmata])49 entsprechen den „Begierden“ (ε� πιθυμι' αι) in 6,12 und beschreiben die Neigung des „Fleisches“, die der Mensch an sich erfährt, während die „Begierden“ das aktive Streben kennzeichnen. Der Plural „Sünden“ (α� μαρτι'αι [hamartiai]; s. zu 2,12; 3,9) verweist auf die konkreten Einzelsünden.50 Die Leidenschaften sind hier böse, nicht weil sie „den Menschen auf seine Körperlichkeit fixieren, sondern weil sie Gottes Willen widerstreiten“.51 Die Leidenschaften wurden durch das Gesetz hervorgerufen (τα` δια` τουñ νο' μου ε� νηργειñτο). In 5,20 hatte Paulus geschrieben: „Das Gesetz ist jedoch hinzugekommen, sodass die Verfehlung sich vermehrt“. In 1Kor 15,56 schrieb Paulus nach Korinth (wo er sich gerade aufhält): „Die Macht der Sünde ist das Gesetz“. Aus der Aussage ergibt sich die Frage von V. 7: „Was sollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde?“, die mit „Auf keinen Fall!“ beantwortet wird; in V. 7d-11 erklärt Paulus, auf welche Weise und mit welcher Folge das Gesetz die Leidenschaften hervorruft, die zum Sündigen führen (s. dort). Deutlich wird in V. 5b, dass die Herrschaft der Sünde (V. 1; vgl. 6,14) mit den Leidenschaften zu tun hat, die den Menschen zu sündigen Handlungen veranlassen, wobei das Gesetz am Entstehen der Leidenschaften beteiligt ist. Die Wendung in unseren Gliedern (ε� ν τοιñς με' λεσιν η� μω ñ ν) verweist auf die Organe des Körpers, mit denen Menschen handeln (vgl. 6,13.19; 7,23). Sie wird meistens lokal verstanden: Die Leidenschaften der Sünden wirken (ε� νηργειñτο) in den Gliedern, d.h., sie lassen die Leidenschaften „in konkreten Handlungen empirisch wahrnehmbare Gestalt gewinnen“.52 Man kann aber auch instrumental interpretieren: Vor der Bekehrung wirkten sich die Leidenschaften der Sünde „durch unsere Glieder“ aus. Die Unheilsfolge der zum Sündigen führenden Leidenschaften wird in V. 5c mit dem Konsekutivsatz sodass wir dem Tod Frucht brachten (ει� ς ————————————————————
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Vgl. W. Michaelis, Art. πα' θημα, ThWNT V, 929-934; J. Kremer, EWNT III, 1-3; U. Heckel, ThBLNT II, 1293-1297. An vielen Stellen bezeichnen παθη' ματα die Leiden bzw. Bedrängnisse der Christen: Röm 8,18; 2Kor 1,6.7; Kol 1,24; 2Tim 3,11; 1Petr 5,9; Hebr 10,32, in 2Kor 1,5 die Leiden Jesu. Für die folgende Bemerkung s. Kremer ebd. 2. Vgl. 4,7; 11,27; 1Kor 15,3.17; Gal 1,4; Eph 2,1; 1Thess 2,16. Wilckens II 68-69. Wolter I 420. Zur folgenden Möglichkeit Lohse 208: Die Leidenschaften „bestimmen damit unsere leibliche Existenz“.
Der Wechsel der Herrschaftsgewalt vom Gesetz zu Jesus Christus 7,1-6 113 ————————————————————————————————————
το` καρποφορηñ σαι τω ñ, θανα' τω, ) formuliert. Vor der Bekehrung provozierten die Leidenschaften Handlungen, die mit dem Tod, d.h. der Trennung von Gott geahndet werden mussten. Jesusbekenner bringen „für Gott Frucht“ (V. 4). Dass Sünde dem Sünder den Tod einbringt, hatte Paulus in seiner Gegenüberstellung von Adam und Jesus betont (5,12.14.15.17) und in 6,2021 so beschrieben: „Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, wart ihr frei von der Gerechtigkeit. Welche Frucht habt ihr denn damals gehabt? Dinge, über die ihr euch jetzt schämt, denn der Tod ihr Ergebnis“. 6 Die temporale adverbiale Bestimmung jetzt (νυνι') leitet die Beschreibung der neuen Existenz des an den Messias Jesus Glaubenden ein. Für die Gegenwart des Jesusbekenners gilt: wir wurden vom Gesetz entbunden (V. 6a). Der Aorist Passiv des Verbs (κατηργη' θημεν) verweist auf das Handeln Gottes in der Bekehrung und beschreibt im Rückgriff auf V. 2 die Entbindung von der Wirkung des Gesetzes. In V. 2 ist die Bindung der Ehefrau an ihren Ehemann, die das „Gesetz des Mannes“ verordnet hatte, aufgehoben, wenn der Ehemann stirbt, sodass sie sich an einen anderen Mann in einer neuen Ehe binden kann. In V. 6a ist die Entbindung vom „Gesetz“ im Kontext von V. 5 konkret die Entbindung von der Todesfolge, die das Gesetz für die Leidenschaften der Sünden vorschreibt.53 Die Partizipialbestimmung α� ποθανο' ντες [apothanontes] kann temporal („nachdem wir [dem Gesetz] gestorben sind“) oder instrumental („indem wir gestorben sind“)54 verstanden werden, ist aber wohl am besten kausal zu interpretieren: weil wir [dem Gesetz] gestorben sind (V. 6b).55 Das Partizip bezieht sich zurück auf das Gesetz56 und entspricht V. 4 „ihr seid dem Gesetz gegenüber zu Tode gekommen“ (ε� θανατω' θητε τω ñ, νο' μω, ). Die Entbindung vom Gesetz, die Gott in der Bekehrung zum Glauben an den Messias veranlasst hat, geschieht, weil die Sünder „durch den Leib des Messias“ (V. 4) gestorben sind. Das heißt, es geht wieder um die Befreiung von der Todesfolge des Gesetzes, das die Sünden des nicht an Jesus glaubenden Sünders mit der Todesstrafe bezahlt. Das Relativpronomen des Satzes durch das wir beherrscht wurden (ε� ν ω ð, κατειχο' μεθα) ist nicht auf den in V. 5 beschriebenen früheren Zustand der Christen zu beziehen,57 sondern ————————————————————
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So der westliche Text (D F G it vgcl; Or lat.mss Ambst): νο' μου τουñ θανα' του. Wilckens II 62; Lohse 205. Wolter I 408; Elb.Ü. NGÜ übersetzt, semantisch unklar, mit „wo wir … gestorben sind“. Viele geben den Partizipialsatz als Hauptsatz wieder, z.B. EÜ: „Jetzt aber sind wir frei geworden von dem Gesetz, an das wir gebunden waren, wir sind tot für das Gesetz“; ähnlich GN, ZÜ, LÜ; Lichtenberger, Das Ich Adams, 119. Ergänze του' τω, bzw. τω ñ, νο' μω, , interpretiert als dativus incommodi. Zahn 335 (der von Dunn I 365 missverstanden wird: Zahn bezieht ω ð, ausdrücklich nicht auf σα' ρξ). Lagrange 164 interpretiert im Sinn von „Fleisch“ und dem „alten Menschen“.
114 Römerbrief ————————————————————————————————————
auf das Gesetz V. 6a. Die Wirkung des Gesetzes vor der Bekehrung wird mit einem Verb beschrieben, das eine große Bedeutungsbreite hat; in den dokumentarischen Papyri wird das Verb in unterschiedlichen Kontexten verwendet, z.B. „für die Beschlagnahmung oder Sperrung von Sach- oder Geldwerten, für die Gefangensetzung einer Person, als zwangsweise Verpflichtung zur Liturgie, im Sinne von ‚in Verwahrung nehmen‘, ‚in Besitz nehmen‘, ‚innehaben‘, ‚beanspruchen‘“.58 Im Kontext des Verbs „als Sklave dienen“ (δουλευ' ειν) in V. 6c ist an die „Sklaverei“ des Gesetzes zu denken, dass infolge der Leidenschaften der Sünden sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft des Sünders beherrscht. Das Imperfekt κατειχο' μεθα drückt wie in V. 5b ε� νηργειñτο die dauerhafte Herrschaft des Gesetzes über den nicht an Jesus glaubenden Sünder aus, über den es das Todesurteil verhängt. Die Konsequenz (ω « στε)59 der Entbindung vom Gesetz infolge des Todes, den Sünder infolge ihrer Vereinigung mit dem Messias erlitten haben (V. 4; vgl. 6,1-11), wird in V. 6c formuliert: sodass wir in der Neuheit des Geistes als Sklave dienen und nicht in der alten Wirklichkeit des Buchstabens. Die „Neuheit des Geistes“ (καινο' της πνευ' ματος [kainotēs pneumatos]) entspricht der „Neuheit des Lebens“ (καινο' της ζωηñ ς ; 6,4; so dort zu καινο' της). Die „Neuheit“ ist die Gegenwart des Heiligen Geistes (πνευ' μα [pneuma]) im Leben der Jesusbekenner – eine neue Wirklichkeit, die sie vorher nicht kannten.60 Vom Heiligen Geist schrieb Paulus in 5,5, dass er den Jesusbekennern von Gott gegeben wurde und diesen die Liebe Gottes vermittelt, der sich den Sündern im Sühnetod Jesu zugewandt (5,8-9) und ihnen Zutritt zu seiner Gnade und die gewisse Hoffnung auf die Teilhabe an seiner Herrlichkeit gewährt hat (5,2). Die Befreiung von der Herrschaft des Gesetzes, das den Sündern den Tod einbringt, bedeutet nicht Freiheit vom Gesetz schlechthin, sondern „Sklavendienst“ (δουλευ' ειν [douleuein]) – sie sind bestimmt von der neuen Wirklichkeit des Heiligen Geistes, sie gehören dem von den Toten auferstandenen Messias Jesus (γενε' σθαι τω ñ, ε� κ νεκρω ñν ε� γερθε' ντι; 7,4), sie sind „Sklaven Gottes“ (δουλωθε' ντες τω ñ, θεω ñ, ; 6,22) und sie sind „Sklaven der Gerechtigkeit“ (ε� δουλω' θητε τηñ, δικαιοσυ' νη, ; 6,18-19). Jesusbekenner sind in der Wirklichkeit ihres Alltagslebens Gott, Jesus und dem Heiligen Geist und damit der Gerechtigkeit verpflichtet. Die alte Wirklichkeit des Buchstabens (παλαιο' της γρα' μματος [palaiotēs gramma————————————————————
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Arzt-Grabner, Philemon, 216. Vgl. Bauer/Aland s.v. κατε' χω; H. Hanse, Art. κατε' χω, ThWNT II, 828-830; W. Trilling, EWNT II, 670-671; C. Spicq, TLNT II, 285-291. ω « στε leitet einen Infinitiv der Folge ein (konsekutive Funktion des AcI); HvS §221a. Der Genitiv ist wie in 6,4 gen. epexegeticus. NSS II 22 hält auch einen gen. auctoris für möglich: Die vom Geist geschaffene Neuheit wäre dann im Kontext von V. 4.5 das Fruchtbringen für Gott.
Der Wechsel der Herrschaftsgewalt vom Gesetz zu Jesus Christus 7,1-6 115 ————————————————————————————————————
tos]) bestimmt die Jesusbekenner nicht mehr. In 2,29 war bereits vom Gegensatz von Geist und Buchstaben die Rede (vgl. 2Kor 3,6-7 im kurz vor dem Römerbrief geschriebenen 2Kor); im Zusammenhang dieser Antithese ist „Buchstabe“ der Umgang mit dem mosaischen Gesetz abseits der Erfüllung der Geschichte Israels und des Willens Gottes im Messias Jesus.61 Die Kombination des Buchstaben mit dem Gegensatz von Fleisch und Geist sollte nicht so erklärt werden, dass der Buchstabe (das mosaische Gesetz) auf die Seite des „Fleisches“ gehört und deshalb Sünde ist: Die Frage, ob Paulus dies so meint, stellt sich durchaus, wird aber in 7,7 entschieden verneint, und am Schluss des folgenden Gedankengangs formuliert Paulus grundsätzlich: „So ist nun das Gesetz heilig und das Gebot heilig, gerecht und gut“ (7,12). Bereits in 3,31 hatte Paulus deutlich hervorgehoben, dass er das Gesetz nicht abschafft. Das von Israels heiligem Gott geschenkte und vom Heiligen Geist inspirierte heilige Gesetz ist dann „Buchstabe“, d.h. bloß „Geschriebenes“,62 wenn man es jetzt immer noch so liest und mit ihm so leben will, als ob die neue Heilszeit nicht angebrochen wäre – die Heilszeit, in der die verheißene Gegenwart des Heiligen Geistes Wirklichkeit geworden ist, in der Gott den Messias Jesus gesandt hat, der für die Sünden von Juden und Heiden am Kreuz starb, der mit der Auferstehung vom Heiligen Geist als Sohn Gottes in Macht proklamiert wurde (1,3-4), der jeden Menschen rettet, der an ihn glaubt, weil Gott in ihm seine Gerechtigkeit offenbart (1,16-17), und der den Heiligen Geist den Jesusbekennern gegeben hat (5,5; 8,4.9.11.14.15.16). Was „alt“ (παλαιο' τητι) geworden ist, ist nicht das Gesetz als solches, sondern die Todesfolge des Gesetzes als seine „Frucht“ für die Sünder (V. 5), d.h. die Fluchfunktion des Gesetzes (Gal 3,13). Der „Buchstabe“ des Gesetzes ist nicht das Gesetz schlechthin und insgesamt, sondern „die Kraft, mit der das Gesetz den Sünder als Sünder feststellt und ihn ‚buchstäblich‘-definitiv dem Tod als Folge der Sünde zuspricht“.63 „Neu“ (καινο' τητι) ist die Wirklichkeit des Geistes, der im Lebensvollzug der Jesusbekenner die Macht ist, die ihnen hilft, Gott Frucht zu bringen (V. 4). ————————————————————
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Anders Lohse 209, der Käsemann, Geist und Buchstabe, 258 zitiert: „Der Buchstabe tötet, weil er den Menschen in den Dienst der eigenen Gerechtigkeit zwingt, selbst wenn er es im Namen Gottes tut“. Wolter I 421; vgl. Wolter, Das Geschriebene tötet, 375-378. Die Aussage, dass wir vom Gesetz „beherrscht wurden“ (κατειχο' μεθα) in der „alten“ (παλαιο' τητι) Zeit des „Buchstabens“ erinnert an Gal 3,23-25, wo Paulus erklärt, dass wir „unter dem Gesetz verwahrt“ und „eingeschlossen waren“ (ε� φρουρου' μεθα συγκλειο' μενοι) und ihm als „Erzieher“ (παιδαγωγο' ς) Gehorsam schuldeten. Wilckens II 70.
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IV Die Beschreibung des Wechsels von der Herrschaft des Gesetzes zur Herrschaft des Messias Jesus gehört zur Antwort auf den Einwand 6,1, Paulus gäbe das Sündigen frei. Paulus stellt der Vergangenheit des „Einst“ in der Biographie der Jesusbekenner die Gegenwart des „Jetzt“ gegenüber. Vor ihrer Bekehrung „gehörten“ sie dem Gesetz (V. 4) im Sinn des Todesurteils, das die mosaische Tora über Sünder verhängt; sie waren vom „Fleisch“ bestimmt, d.h. von der Macht, die Gott und seinem Willen feindlich gegenübersteht (V. 5a); ihr Lebensvollzug war von Leidenschaften bestimmt, die sündige Handlungen provozierten (V. 5b) und zum Tod führten (V. 5c). Die Bekehrung zum Glauben an den gekreuzigten Messias Jesus vereinigt die Glaubenden mit Jesu Tod (V. 4a), sodass die Herrschaft des Gesetzes, die im Todesurteil Wirklichkeit wurde, abgelöst wurde durch die Herrschaft des Messias Jesus (V. 4b), die in einem Leben für Gott Wirklichkeit wird (V. 4c). Die Beendigung der Herrschaft des Gesetzes in dem Tod, den die Sünder im Anschluss an den Tod des Messias Jesus erfahren haben (V. 6a), ermöglicht die Herrschaft des Heiligen Geistes, dessen Gegenwart eine neue Wirklichkeit ist, die das Leben für Gott effektiv möglich macht. Nachdem Paulus in 6,1-23 die Befreiung von der Sünde durch die Vereinigung mit dem Sühnetod und der Auferstehung des Messias Jesus beschrieben und die Verpflichtung zur Verweigerung gegenüber der Sünde und zum Tun der Gerechtigkeit erläutert hatte, präzisiert er in 7,1-6: Die Befreiung von der Sünde bedeutet die Befreiung vom Gesetz, das dem Sünder den Tod eingebracht hatte. Die Tatsache, dass die Herrschaft des Gesetzes im Tod des Sünders zu Ende kam, weil er mit dem Sühnetod Jesu verbunden ist, in dem dieser den Tod der Sünder auf sich genommen hatte, entspricht dem Rechtssatz des Gesetzes, nach dem die Verfügungsgewalt des Gesetzes mit dem Tod endet. Damit bestätigt Paulus, was er in 3,31 ohne Begründung festgestellt hatte: Mit der Befreiung der Jesusbekenner vom Gesetz „ist nicht das Gesetz selbst außer Kraft gesetzt, sondern durchaus ‚aufgerichtet‘ (3,31)“.64 Die Entbindung vom Gesetz, d.h. der mosaischen Tora, ist keine Entlassung in die Bindungslosigkeit: Sie bedeutet Unterstellung unter die Herrschaft des von den Toten auferstandenen Messias (V. 4) und des in der neuen Heilszeit von Gott geschenkten Heiligen Geistes (V. 6; in 6,12-23 unter die Herrschaft Gottes und der Gerechtigkeit). Im Zusammenhang der Wirksamkeit von Leidenschaften und der Wirklichkeit von Sünden und Tod (V. 5) ist die Entbindung vom Gesetz (V. 4.6) konkret als Befreiung des vom Gesetz ausgesprochenen Todesurteils zu verstehen. ————————————————————
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Wilckens II 70.
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Weil Paulus davon spricht, dass das Gesetz die „Leidenschaften der Sünden“ hervorruft (V. 5b), könnte man meinen, Paulus rechne das Gesetz „dem alten Äon“ zu und betrachte es als den „eigentliche(n) Gegenspieler des Evangeliums“; er lasse die „Eingliederung in die Herrschaft Christi und totale Trennung von der des Gesetzes“ zusammenfallen; er betrachte die Tora als „abgeschafft“ und proklamiere den „Bruch mit dem Gesetz“.65 Für eine Analyse der Gesetzesaussagen in 7,1-6 ist zu beachten: 1. Der Protest des Apostels in 3,31, dass er das Gesetz nicht abschafft. 2. Seine Klarstellung, dass er das Gesetz natürlich nicht für Sünde hält (7,7). 3. Seine Verteidigung des Gesetzes in 7,7-14, in der er sorgfältig das Wirken der Sünde vom Ziel des Gesetzes unterscheidet. 4. Die betonte Aussage, dass das Gesetz heilig und vom Geist bestimmt ist und seine Gebote deshalb als heilig, gerecht und gut anzusehen sind (7,12.14). Es lohnt, die Erklärung von U. Wilckens zu wiederholen: Das Gesetz hat „von Gott her seine Funktion, in eschatologischer Klarheit und Geltung Sünde als Widerspruch gegen Gott festzustellen und Sünder dem Tod zuzusprechen. Von daher wird es, weil die Sünde universal ist, zur weltweiten Todesmacht, das heißt, es ist der in der Welt des ‚Fleisches‘ anwesende Repräsentant des Endgerichts, der durch sein Urteil über die Sünde ihre Folge, den Tod, unausweichlich-definitiv als das bevorstehende Geschick aller Sünder ‚im Fleisch‘ in Geltung setzt. So hat es zwar Herrscher-, aber nicht Ordnungs-, sondern Verdammungsfunktion; und als solches hat es seine Macht über die Sünder durch den Sühnetod Christi verloren“.66 H. Hübner argumentiert im Blick auf 7,6 ähnlich, aber stärker auf den Geist bezogen: „Das Gesetz ist kraft des Geistes derart seiner bisherigen Pervertierung und Vergesetzlichung entnommen, daß all das, was es bisher ins schlechte Licht gerückt hatte, verschwunden ist. Existenz im Geiste Gottes sagt nun, was Gesetz ist. Nicht aber sagt Gesetz, was Existenz im Geiste ist“.67 W. Schrage betont: Paulus hat faktisch „bei den sittlichen Forderungen des Gesetzes durchaus zwischen Heilsweg und Lebensnorm unterschieden und das Gesetz nur im ersteren Sinn verworfen, im zweiten dagegen als Norm sittlichen Lebens geltend gemacht und darauf zurückgegriffen. Das heilige und gerechte, gute und pneumatische Gesetz (Röm 7,12.14) als die Offenbarung des allezeit gültigen Gotteswillens bleibt der Maßstab, an den auch der Christ gebunden ist“.68 ————————————————————
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Käsemann 178.181.183. Wilckens II 71; er argumentiert im Kontext gegen Interpretationen im Sinn einer „Abschaffung des Gesetzes“ (abrogatio legis). Hübner, Gesetz, 128. Schrage, Einzelgebote, 232.
118 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Vergangenheit: Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 I 7 Was sollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Auf keinen Fall! Ich hätte jedoch die Sünde nicht kennengelernt, wenn nicht durch das Gesetz. Denn von der Begierde hätte ich nicht gewusst, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: „Du sollst nicht begehren“. 8 Indem jedoch die Sünde durch das Gebot die Gelegenheit ergriff, rief sie in mir jede Art von Begierde hervor. Denn ohne Gesetz war die Sünde tot. 9 Ich war aber einst ohne Gesetz am Leben. Als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf, 10 ich aber starb, und es stellte sich heraus, dass das Gebot, das zum Leben dienen sollte, den Tod brachte. 11 Denn nachdem die Sünde durch das Gebot die Gelegenheit ergriff, täuschte sie mich und tötete mich mit seiner Hilfe. 12 So ist nun das Gesetz heilig und das Gebot heilig, gerecht und gut. 13 Ist mir dann etwa das Gute zum Tod geworden? Auf keinen Fall! Das hat vielmehr die Sünde getan, damit sie als Sünde sichtbar würde, indem sie mir durch das Gute den Tod bewirkte, damit die Sünde sich als über alle Maßen sündig erweist durch das Gebot. 14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich, verkauft unter die Sünde. 15 Denn was ich vollbringe, das beabsichtige ich nicht. Denn ich mache nicht, was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 Dann aber vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, das Gute nicht wohnt. Denn das Wollen ist bei mir vorhanden, das Vollbringen des Guten aber nicht. 19 Denn ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern ich mache das Böse, das ich nicht will. 20 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 Ich finde also das Gesetz für mich, der ich das Gute tun will, dass für mich nur das Böse vorhanden ist. 22 Denn ich stimme mit Freude dem Gesetz Gottes zu nach dem inneren Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft Krieg führt und mich gefangen nimmt im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erretten von diesem Leib des Todes? 25 Dank sei Gott durch den Messias Jesus, unseren Herrn! Also
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 119 ————————————————————————————————————
diene ich selbst nun mit der Vernunft dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde. II Paulus erläutert in 7,7-25 die Beschreibung der Existenz im „Fleisch“ in 7,5, d.h. das Leben vor der Bekehrung, das von Leidenschaften, Sünden und Tod gekennzeichnet und bestimmt war. Weil Paulus in 7,5 das Gesetz mit dem Ursprung der „Leidenschaften der Sünden“ verbunden und in 7,6 von der Entbindung vom Gesetz gesprochen hatte, zuvor in 3,31 betont hatte, dass er das Gesetz nicht für aufgehoben hält, beschreibt er zunächst das „Einst“ des Seins im Fleisch im Hinblick auf die Funktion des Gesetzes, ehe er die Hilflosigkeit des menschlichen Wollens und die Sündhaftigkeit des menschlichen Handelns entfaltet. Die Gliederung orientiert sich an den Vergangenheitstempora (Aorist, Imperfekt, Plusquamperfekt) in 7,7-11.13 und dem Präsens in 7,14-23. Viele nehmen den Einschnitt nach V. 13 an und gehen von den Abschnitten V. 7-13 / 14-25 aus.69 Für diese Einteilung spricht das ab V. 14 eingesetzte Präsens und die Wiederholung des Einwands V. 7a in V. 13a. Andere sehen V. 13 als Neueinsatz und gliedern in die Abschnitte V. 7-12 / 13-25.70 Für diese Gliederung spricht, dass V. 12 das Fazit aus V. 7-11 zieht und die in V. 7b gestellte Frage beantwortet, und dass V. 13 und V. 7 parallel aufgebaut sind (rhetorische Frage, deren falsche Schlussfolgerung mit μη` γε' νοιτο abgewiesen wird, was anschließend, mit α� λλα' eingeleitet, begründet wird). Die Gliederung in V. 7-12 / 13-25 ist plausibler. In V. 7-12 erläutert Paulus, weshalb das Gesetz (νο' μος [nomos]) nicht Sünde ist, obwohl es am Zustandekommen des Sündigens beteiligt war; d.h., er begründet die Heiligkeit des Gesetzes und seiner Gebote angesichts ————————————————————
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Weiß 311-312; Zahn 347; Jülicher 277; Kuss II 433.451-452; Schlatter 241; Käsemann 184-184.191; Schlier 228; Cranfield I 341; Zeller 137; Fitzmyer 462-463; Lohse 211.219; Hultgren 276; vgl. Kümmel, Römer 7, 9; Bultmann, Römer 7, 205; Bornkamm, Sünde, 61; Lichtenberger, Das Ich Adams, 136; Reichert, Analyse, 299; vgl. die Paragrapheneinteilung im Nestle-Aland. Vgl. Dunn I 376-377, der in vier Abschnitte gliedert: V. 7-13 (erste Verteidigung des Gesetzes: Die Sünde ist der wahre Schuldige); V. 14-17 (zweite Verteidigung des Gesetzes: Der wahre Schuldige ist das Ich sowie die Sünde); V. 18-20 (die Sünde ist durch das gespaltene Ich wirksam); V. 21-23 (die Sünde ist durch das gespaltene Gesetz wirksam). Lagrange 171; Kühl 234; Schmithals 212; Stuhlmacher 100; Wilckens II 74; Theobald I 206; Schreiner 356-357; Légasse 445; Jewett 440-441; Wolter I 425; Gignac, La mise en scène, 122; Schröter, Mensch, 208; vgl. RSV, NRSV, ESV, Elb.Ü, GN, ZÜ. Michel 222223 teilt in drei Abschnitte: V. 7-12 / 13-17 / 18-25. Ein Kompromissvorschlag betrachtet V. 13 als Übergang zwischen den beiden Abschnitten. Moo 424.452; Penna 482-482; Hultgren 276; vgl. Dunn I 376; NIV, TNIV.
120 Römerbrief ————————————————————————————————————
der Universalität der Sünde. Paulus verneint die Frage, ob das Gesetz Sünde ist (V. 7b) nachdrücklich mit einem „Auf keinen Fall“ (V. 7c). Das Argument besteht aus vier Schritten: 1. Das Verhältnis von Gesetz und Sünde ist so zu verstehen, dass die Sünde das Gesetz manipuliert hat: Sie nahm das Gesetz „Du sollst nicht begehren“ zum Anlass, Begierden zu wecken (V. 7d-8b). 2. Die Manipulation des Gesetzes begann im Paradies: Als das Gebot („Du sollst nicht begehren“) noch nicht vorhanden war, gab es die Sünde nicht; die Sünde lebte auf, als das Gebot kam (V. 8c-10a). 3. Die Manipulation des Gesetzes durch die Sünde ist eine Täuschung, zu der die Sünde den Menschen verführt hat: Die Sünde kehrt die Wirkung des Gesetzes in das intendierte Gegenteil: Statt Leben zu bewahren, bringt es den Tod, weil die Zuwiderhandlung gegen das Gebot mit der Sanktion der Todestrafe verbunden war (V. 10b-11). 4. Fazit: Gottes Gesetz ist nicht Sünde, sondern heilig, was auch für die Gebote des Gesetzes gilt (V. 12). In V. 13-25 erläutert Paulus die Herrschaft, die die Sünde über das Ich aufgerichtet hat, womit er bestätigt, dass er nicht der Meinung ist, das Gesetz sei die Ursache für die menschliche Misere des Sündigens und des Todes, ein Missverständnis, das man den Aussagen V. 9-11 entnehmen könnte. Er argumentiert wieder in vier Schritten: 1. Ursache des Todes ist nicht das Gesetz, sondern die Sünde, die nur Sünde produzieren kann (V. 13). 2. Das Gesetz trägt keine Schuld an der Herrschaft der Sünde: Das Wollen bestätigt, dass das Gesetz gut ist, während das Handeln des Sünders von der Sünde gesteuert wird (V. 14-16). 3. Die Sünde hat den sündigen Menschen besetzt und bestimmt sein Handeln (V. 17-20). 4. Fazit: Das Gesetz Gottes ist Grund zur Freude, während die Sünde den Sünder und sein Verhalten kontrolliert (V. 21-25), eine Situation, aus der nur Gott und sein Handeln im Messias Jesus retten kann (V. 25a). Nach dem grundlegenden Argument V. 14-16 betont Paulus in V. 1720 die Herrschaft der Sünde über den Menschen, die in V. 21-23 als Widerstreit zwischen dem „Gesetz der Sünde in meinen Gliedern“ und dem „Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen“ erläutert wird; der Hilferuf V. 24 mündet in V. 25a in den Dank an Gott, der durch den Messias Jesus die Sünder rettet, die Jesus als Kyrios anerkennen. Sowohl V. 7-12 als auch V. 13-25 sind von der Frage nach dem Verhältnis von Sünde und Gesetz und vom Gebrauch der 1. Person Singular gekennzeichnet. Die Behandlung des Verhältnisses von Sünde und Gesetz lässt erwarten, dass es sowohl um die Geltung des Gesetzes als auch um die Wirklichkeit der Sünde geht. Es ist genauso einseitig, wenn man 7,7-25
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 121 ————————————————————————————————————
bzw. 7,7-12/13 nur als „Apologie des Gesetzes“ bezeichnet,71 wie wenn man das Thema nur in der „Entlarvung der Wirksamkeit der Sünde“ sieht.72 Die Identität des „Ich“ hat eine rege Diskussion ausgelöst. Von einer breiten Übereinstimmung kann man insofern ausgehen, als eine Mehrheit der Ausleger heute davon ausgeht, dass Paulus in 7,7-25 die Aussage 7,5 erläutert, d.h. die Situation des von der Sünde kontrollierten Menschen vor der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus beschreibt.73 Es lassen sich vier Hauptinterpretationen unterscheiden, wobei viele Ausleger mehrere Auslegungsvorschläge miteinander verbinden. Die Vorschläge, wie die 1. Person Singular bzw. das ε� γω' [egō] zu verstehen ist, kann man, etwas generalisierend, in vier Gruppen einteilen:74 1. Das Ich ist autobiographisch, d.h., Paulus spricht von sich selbst vor seiner Bekehrung.75 2. Das Ich repräsentiert die gesamte nichtchristliche Menschheit,76 was oft so verstanden wird, dass V. 7-12/13 auf die Geschichte Adams zurückgreifen (2a) und in V. 13/14-25 die Erfahrung Adams als Geschichte der gesamten von Adam abstammenden Menschen (d.h. auch der Juden) dargestellt wird (2b).77 ————————————————————
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Bornkamm, Sünde, 54: „Die Apologie des Gesetzes (7,7-13) wehrt … die scheinbar unabweisliche, in Wahrheit aber falsche und blasphemische Forderung, das Gesetz selbst sei Sünde und Todesmacht, nachdrücklich ab“. Vgl. R. Bultmann, Art. Paulus, RGG2 IV, 1022. Wolter I 442 argumentiert gegen Romanello, Legge; Romanello, Rom 7,7–25, der mit der rhetorischen Kategorie der concessio argumentiert: Paulus gestehe in 7,14 die Richtigkeit des gegnerischen Arguments ein, widerlege sie aber durch stärkere Argumente und demonstriere so die Überlegenheit der eigenen Position. Wolter weist zu Recht darauf hin, dass der Gesprächspartner nicht in V. 12 zu Wort kommt, sondern in V. 7b.13a, wo seine These mit μη` γε' νοιτο zurückgewiesen wird. Lichtenberger, Das Ich Adams, 120, mit Verweis auf Käsemann 184; Hofius, Mensch, 110 (der allerdings lediglich feststellt, dass die Charakterisierung des Abschnitts als Apologie des Gesetzes „entschieden zu kurz greift“). Lichtenberger, Das Ich Adams, 125-126 meint 2004 mit Berufung auf Osten-Sacken, Soteriologie, 195, der 1975 schreibt, dass nach der Dissertation W.G. Kümmels aus dem Jahr 1929 (Kümmel, Römer 7) ein grundsätzlicher Konsens erreicht worden sei. Die in den Kommentaren von Cranfield (1975) und Dunn (1988), aber auch von Moo (1996), Schreiner (1998), Hultgren (2011) und Wolter (2014) vertretenen Positionen zeigen, dass man den Stand der Diskussion mit mehr Vorsicht beschreiben sollte. Hagenow, Sünde, 176 spricht im Blick auf Kümmel von einem Paradigmenwechsel, der jedoch die Diskussion über die Identität des Ich nicht beendet hat. Vgl. die Überblicke bei Kuss II, 462-485; Cranfield I 342-347; Michel 240-242; Wilckens II, 101-117; Lohse 113-215; Hultgren 681-691; Kruse 314-321; Kümmel, Römer 7, 74109; Schelkle, Paulus, Lehrer der Väter, 232-258; Lichtenberger, Das Ich Adams, 13105.125-129; Schröter, Mensch, 199-206. In jüngerer Zeit Bruce 148.152-153; Schreiner 365; Jewett 444; Gundry, Frustration; Martin, Identity; Burnett, Salvation, 210; Lambrecht, Wretched, 75-79.89-92; Rehfeld, Ontologie, 172-186. In jüngerer Zeit Käsemann 184-185; Zeller 145-146; Theobald I 203-205; Fitzmyer 465; Lohse 215-216; Penna 489; Matera 167; Haacker 174.184; Schröter, Mensch, 209-213. Wilckens II 79; Stuhlmacher 98; Witherington 190; Hofius, Mensch, 110-113; Lichtenberger, Das Ich Adams, 160-166; Theobald, Der Römerbrief, 156-158; Süld, Adam.
122 Römerbrief ———————————————————————————————————— 3. Das Ich ist ein jüdisches Ich und beschreibt die Erfahrung des ungläubigen Juden bzw. Israels.78 4. Das Ich ist ein christliches Ich, entweder im Sinn des normalen Christenlebens in der Spannung zwischen dem „Schon“ und „Noch Nicht“ (4a),79 im Sinn des „fleischlichen“ Christen, der (noch) nicht aus der Kraft des Heiligen Geistes lebt (4b),80 oder im Sinn von Judenchristen (4c).81 Viele Ausleger kombinieren mehrere Optionen: Das Ich ist ein autobiographisches Ich und repräsentiert gleichzeitig Israel (1 + 4);82 das Ich ist ein autobiographisches Ich und wendet sich an Judenchristen (1 + 4c);83 das Ich ist ein autobiographisches Ich und repräsentiert zugleich einen allgemein menschlichen Konflikt (1 + 2);84 das Ich ist teils autobiographisch, teils adamitisch, teils die jüdische Erfahrung und vielleicht auch die christliche Erfahrung repräsentierend (1 + 2a + 3 + 4a);85 das Ich ist ein autobiographisches Ich, das paradigmatische Bedeutung sowohl für den Menschen unter dem Gesetz als auch für den Menschen insgesamt hat, wobei die Beschreibung auch an Christen ihren Dienst ausrichten soll (1 + 3 + 2 + 4b);86 das Ich ist ein jüdisches Ich und zugleich die Erfahrung eines jeden Menschen (2 + 3);87 das Ich ist ein jüdisches Ich und zugleich das Ich des Menschen als Adam (2a + 2b + 3);88 das Ich ist ein jüdisches Ich und ein heidnisches Ich (2 + 3);89 das Ich ist ein jüdisches Ich, das immer auch ein adamitisches Ich ist (3 + 2a + 2b);90 das Ich ist ein adamitisches Ich, das in einem jüdischen Kontext lebt und eine vorchristliche Existenz hat (2 + 3 + 2b).91 Die autobiographische Deutung (1) scheidet aus, weil kein Jude jemals sagen konnte, dass er einst ohne das Gesetz lebte (V. 9a): Für jüdische Kinder war auch die Zeit vor der Bar Mitzwa keine Zeit ohne Gesetz.92 Außerdem ergibt eine autobiographische Passage im Kontext des Argumentationsflusses Kap. 6–8 keinen rechten Sinn. Das Ich ist ein repräsentatives Ich. Die christliche Deutung (4) scheidet aus – einmal aus strukturellen Gründen (7,7-25 interpretiert 7,5 und 8,1-17 interpretiert 7,6, wobei 7,5.6 deutlich die Bekehrung des von der Sünde kontrollierten Sünders zum neuen Leben in der Wirklichkeit des Heiligen Geistes beschreiben), sodann aus inhaltlichen Gründen: Die Aussage 7,14 („ich aber bin fleischlich, verkauft unter die Sünde“) ist nach 6,2-11 und 8,2-10 im Blick auf die gegenwärtige christli————————————————————
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Vgl. Légasse 447; Kruse 321; Parker, Romans 7, 122-123; Burnett, Salvation, 210-213; Chang, Life, 274. So Augustin und Luther; vgl. Barrett 142; Cranfield I 346; Dunn I 377; Packer, Wretched Man; Garlington, Creation Theology; Jervis, Commandment; Thurén, Romans 7. Jellinghaus 145; Giese, Römer 7; Fung, Impotence; erwähnt von Haacker 174, der die Nähe zur Heiligungsbewegung dieser Position betont. Segal, Paul, 227-228: Der Judenchrist Paulus diskutiert mit einem Judenchristen über den Wert der Tora für Judenchristen nach der Bekehrung zu Jesus. Moo 430-431; Goodrich, Echoes, 476-495 (mit Anspielungen auf Israels babylonische Gefangenschaft in Jes 49,25–50,2). Seifrid, Justification, 226-244; vgl. Seifrid, Romans 7. Theißen, Psychologische Aspekte, 244. Dodd, Personal Example, 221-234. Michel 225. Kuss II 484. So offensichtlich auch Mauerhofer, Kampf, 140-155: Paulus will für Juden und Heiden zeigen, dass das Gesetz Gottes als möglicher Heilsweg ausgeschlossen ist. Weber, Geschichte, 157-158. Aletti, Rm 7.7–25, 375. Wolter I 466-467; Wright, Paul, 894-895. Catchpole, Wretched Man, 168: „An Adamic person living in the sphere of Moses, trapped in era 1 and a stranger to era 2 of salvation history“. Zur Begegnung jüdischer Kinder mit der Tora Lichtenberger, Das Ich Adams, 257-263.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 123 ———————————————————————————————————— che Existenz nicht möglich,93 und 7,24 kann als Zielaussage im Kontext von 7,25a nur den Nichtchristen meinen. Die plausibelsten Interpretationen sind (2) und (3). Für (3) spricht der durchgehende Bezug auf das Gesetz, gegen die Interpretation im Sinn eines jüdischen Ich die Anklänge an die Geschichte Adams, der in 5,12-21 für die Sünde aller Menschen ohne Ausnahme namhaft gemacht worden war. Aus diesen Gründen ist (2) vorzuziehen: Paulus beschreibt die Existenz der Menschen, die der Sünde hilflos ausgeliefert sind und von dieser kontrolliert werden, wobei die hier geschilderte conditio humana mit Adam begann, dessen Erfahrung für alle konstitutiv ist (vgl. 5,1221). Eine „Apologie des Gesetzes“ ist nicht nur für Juden(christen), sondern angesichts der Aussage 3,31 sowie später 8,2-4 auch für Heidenchristen relevant. Diese Erklärung wird meistens mit dem Hinweis verbunden, dass die in 7,7-24 geschilderte Misere vom Standpunkt des von Gott begnadigten Sünders geschildert wird. E. Lohse betont: „Dieser Rückblick wird nicht im Gefühl der Überheblichkeit vorgenommen, als ginge diese Vergangenheit nun den Christen nichts mehr an. Es wird nicht etwa vom sicheren Ufer des Glaubens zurückgedacht an den Sturm und die Gefährdungen, die dem Glaubenden auf seiner Fahrt bis zu diesem Ufer begegnet sind. ‚Vielmehr bleibt die Vergangenheit und Verlorenheit des Unerlösten in einem sehr bestimmten Sinne Gegenwart auch für den Christen, nämlich als vergebene und überwundene‘. Der Freispruch, der in der Rechtfertigung zuteil geworden ist, wird niemals sicherer Besitz, sondern bleibt allezeit Geschenk des barmherzigen Gottes, das allein im Glauben in rechter Weise angenommen werden kann“.94
Formgeschichtlich hat man 7,7-25 als Klage beschrieben,95 was im strengen Sinn jedoch nur auf 7,24 zutrifft. Die für 7,24-25 angeführten Parallelen96 sind keine vollständigen Analogien. Dasselbe gilt auch für die individuellen Klage- und Danklieder im Alten Testament, die formale Berührungen mit 7,7-25 aufweisen,97 vor allem der unvermittelte Übergang von der Klage zum Dank in V. 24-25a; sprachlich vergleichbar sind jedoch nur Ps 13,7; 52,7 LXX und Jes 6,5 LXX. Die Hodajot Qumrans sowie 1QS X–XI sind Parallelen für den Vorgang, dass im Ich „tatsächlich das Mitglied der Heilsgemeinde von seiner niedrigen Kreatürlichkeit, seiner schöpfungs————————————————————
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Lichtenberger, Das Ich Adams, 161 weist darauf hin, dass auch Paulus vor seiner Bekehrung anders über sich gedacht hat, wie Gal 1,14; Phil 3,6 belegen. Lohse 215-216, mit Zitat von Bornkamm, Sünde, 68-69. Nicht überzeugend ist die These von Wasserman, Death, 51-116, die meint, Paulus beschreibe einen Persönlichkeitstypus, der unter extremer Unmoral leidet und den Paulus im Sinn der in der platonischen Moralpsychologie beheimateten Vorstellung des Todes der Seele (ebd. 15-49) darstellt. Wilckens II 79, unter Hinweis auf die Hodajot Qumrans: „7,7ff ist klagender Bericht vor Gott als Rückblick des Erretteten auf seine dadurch zur Vergangenheit gemachte Geschichte mit den Unheilsmächten Sünde und Gesetz“. Fuchs, Freiheit, 58ff interpretierte den Text als zweistrophiges gnostisches Klagelied, dessen Rekonstruktion von Schunack, Problem, 130ff interpretiert wurde; vgl. Schmithals, Anthropologie, 75-77; zur Kritik Lichtenberger, Das Ich Adams, 166-169. Vgl. Stuhlmacher, Klage; Seifrid, Romans 7. Corpus Hermeticum XXIII (Kore Kosmou) 34-37; JosAs 6,2-7; Apuleius, Met 6,5; 4Esr 7,62.69.118-126; bEr 18a. Vgl. Michel 237; Käsemann 200-201; Wilckens II 95; Smith, Form. Zur Diskussion und Kritik Lichtenberger, Das Ich Adams, 169-172. Michel 242-243; Wilckens II 77-78; Käsemann 185; Kümmel, Römer 7, 118-121; Bornkamm, Sünde, 51.54; Hommel, Überlieferung, 173.
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mäßig bedingten Sündhaftigkeit und zugleich von seinem Heilsstand“ sprechen kann.98 Die Rede in der 1. Person Singular mit dem Ziel, „etwas Allgemeingültiges in lebhafter Weise am Beispiel eines Einzelnen, gleichsam als gegenwärtig Gedachten, vorzuführen“,99 ist sowohl außerbiblisch in der jüdischen Literatur100 als auch sonst bei Paulus belegt.101 Während solche Parallelen einzelne Phänomene des Textes erklären, bleibt die Ich-Rede in 7,7-25 insofern ein „Unikum“,102 als Paulus in 7,7-12 die Geschichte eines Einzelnen erzählt, die über das Unheil aller anderen entschieden hat, und 7,7-23 eine theologische Darlegung darstellt, die die Sündenwirklichkeit der Nachkommen Adams beschreibt, wie sie nur im Licht des Evangeliums erkannt werden kann. Textkritische Anmerkungen. Das in 33 1175 u.a. belegte ο« τι vor ο� νο' μος in V. 7 leitet die folgende Frage als Zitat ein und ist als sekundäre Klärung zu betrachten. Die Hinzufügung von ηò ν nach νεκρα' (F G latt syp bo; in K vor νεκρα' ) in V. 8 will die Gegenwartsform der impliziten Kopula an die Vergangenheitsform κατειργα' σατο angleichen.103 Die Ersetzung in V. 12 von α� γαθη' durch θαυμα' στη („wundervoll“) in Manuskript 1908 ist aufgrund der schlechten Bezeugung sekundär und wird in NA28 nicht mehr aufgeführt. In V. 14 liest die Minuskel 33 οιòδα με' ν („ich weiß jedoch“) statt οι»δαμεν („wir wissen“); Satzanfänge mit με` ν γα' ρ bei Paulus und das adversative Gefälle des Satzes könnten für diese Lesart sprechen,104 aber die Hervorhebung von V. 14c durch ε� γω' und die Plausibilität, dass Paulus mit οι»δαμεν die Zustimmung der Leser reklamiert, macht die Lesart mit der ————————————————————
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Lichtenberger, Das Ich Adams, 174; vgl. Michel 242-245; Wilckens I 77; Käsemann 185.192-193; Braun, Selbstverständnis. BDR §281; vgl. HvS §139e(c). Die folgenden Belege bei Wolter I 465. Philo, All 1,98; 2,2.32.68-69.85; 3,156; Cher 5,113-114; Congr 2,6; Somn 1,177. Röm 3,7; 1Kor 6,12.15; 10,29-30; 13,1-3.11-12; 14,11.14-15; Gal 2,18-20. Die Relevanz der rhetorischen Kategorie „Prosopopoeia“, die manche vorschlagen (Kümmel, Römer 7, 132 Anm. 2; Stowers, Rom 7.7–25, 180-202), hängt von der Definition ab. Quintilians allgemeine Charakterisierung (fictiones personarum quae προσωποποιι' α dicuntur; Inst 9,2,29) wäre relevant, während andere Rhetoriker nur dann von Prosopopoeia reden, wenn nichtpersonale Gegenstände (wie Steine) oder Tiere im Blick sind. Vgl. Wolter I 466. Zur Kritik an Stowers, der das Ich mit gottesfürchtigen Heiden identifiziert, s. Murariu, Characters. Hofius, Mensch, 113, ebd. 113-114 für die folgende Bemerkung. Vgl. Wolter I 465, dem die Bewertung als „analogieloser Text“ allerdings zu weit geht. Jewett 440. In V. 10 führt NA28 die von Griesbach vorgeschlagene Konjektur – αυ� τη' statt αυ« τη –, die in manchem Kommentaren behandelt wird (z.B. Michel 228 Anm. 24; Jewett ebd.), nicht mehr auf. Sie wird von Hofmann 280-282; Zahn 347; Barth 263; Wilckens II 85 bevorzugt; erwogen von Michel 229 Anm. 28.
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1. Pers. Plural wahrscheinlicher.105 Statt des gut bezeugten σα' ρκινος ( *אA B C D F G Ψ u.a.) lesen א2 K L P Byz σαρκικο' ς, wahrscheinlich eine Angleichung an πνευματικο' ς. In V. 15 ist die Auslassung von τουñ το (D F G m) der Versuch einer stilistischen Verbesserung. Die Ersetzung von καλο' ς in V. 16 durch καλο` ν ε� στι'ν (F G t) ist wohl der Versuch, den Text zu erklären. In V. 17 lesen die meisten Manuskripte οι� κουñ σα εν (A C D F G Ψ 33 1739 1881 Byz; lat; akzeptiert von NA26-28), einige lesen ε� νοικουñ σα ε� ν ( אB vgmss; akzeptiert von NA25); die erste Lesart ist breiter bezeugt und verdient deshalb den Vorzug; wer sie vorzieht, hält sie für eine sekundäre Angleichung an V. 20.106 In V. 18 ist die Hinzufügung des Artikels το' vor α� γαθο' ν (F G) wohl der Versuch einer grammatikalischen Verbesserung. Statt ου» (א A B C 6 81 1739 1881 u.a.) am Ende des Verses lesen Zeugen des westlichen und byzantinischen Textes ου� χ ευ� ρι'σκω („bewerkstellige ich nicht“; D F G Ψ 33 Byz latt sy); einige wenige Zeugen lesen ου� γινω' σκω („weiß ich nicht“; 2127 u.a.); das abrupte Ende mit ου» ist hervorragend bezeugt und verdient auch als schwierigere Lesart den Vorzug.107 In V. 19 ersetzen F u.a. vgs ου� θε' λω durch μισω ñ („ich hasse“), was eine logische aber sekundäre Verbesserung darstellt. Die Auslassung von ε� γω' in V. 20 (B C D F G 104 1241 1506 2464 u.a. latt sa) ist genauso gut bezeugt wie die Lesart mit ε� γω' ( אA Ψ 33 1739 1881 Byz bo), die jedoch älter sein dürfte: Die MinusLesart könnte durch Haplographie entstanden (ΘΕΛΩΕΓΩ) bzw. eine Angleichung an ε� γω' in V. 20b sein.108 In V. 22 ist die Lesart νοο' ς (B), statt θεουñ , wahrscheinlich durch Dittographie entstanden (V. 23 τουñ νοο' ς). In V. 23 fehlt die Präposition ε� ν in (A) C L 81 104 u.a., vielleicht eine Assimilation an den präpositionslosen Dativ τω ñ, νο' μω, in der vorausgehenden Zeile; die Präposition ist gut bezeugt ( אB D F G K P Ψ 33 365 u.a.). In V. 25 gibt es fünf Lesarten: 1. χα' ρις δε` τω ñ, θεω ñ, (א1 Ψ 33 81 104 365 1506 u.a.); 2. χα' ρις τω ñ, θεω ñ, (B); 3. η� χα' ρις τουñ θεουñ („die Gnade Gottes“; D lat); 4. η� χα' ρις κυρι'ου (F G); 5. ευ� χαριστω ñ τω ñ, θεω ñ, ( *אA 1739 1881 Byz sy). Am schlechtesten sind Lesarten 3 und 4 bezeugt (westlicher Text); sie wollen eine Antwort auf die rhetorische Frage V. 24 geben. Die Tilgung von δε' in Lesart 2
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Jewett 454; Wolter I 440 Anm. 2; Metzger, Textual Commentary, 454. Die frühen Manuskripte mit scriptio continua lassen nicht erkennen, wie man im 4./5. Jh. den Text las. Wolter I 440 Anm. 4. Jewett 454 hält ε� νοικουñ σα für den sekundären Versuch einer Verbesserung des Textes. Jewett 454; Wolter I 441; Metzger, Textual Commentary, 454-455. Jewett 455; Wolter 441 Anm. 6; Metzger, Textual Commentary 455 hält beide Lesarten für gleich wahrscheinlich, was die eckigen Klammern im NA-Text erklärt.
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geht vielleicht auf liturgischen Gebrauch zurück.109 Lesart 5 könnte durch Dittographie entstanden sein.110 Die Auslassung von με' ν ( *אF G latt) zeigt die Schwierigkeiten, die Abschreiber mit V. 25 hatten; die Lesart ist früh, aber weniger gut bezeugt als die Plus-Lesart. III
7 Die Frage Was sollen wir nun sagen? (τι' ουò ν ε� ρουñ μεν; V. 7a) entspricht
6,1a und leitet wie dort einen Abschnitt ein, in dem Paulus Einwände des jüdischen Gesprächspartners formuliert, deren Beantwortung für Christen von grundlegender Bedeutung ist. Die Frage Ist das Gesetz Sünde? (ο� νο' μος α� μαρτι'α; V. 7b) kann im Zusammenhang der Frage von 6,1b („Sollen wir bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunimmt?“) so verstanden werden: Wenn die an den Messias Glaubenden im Machtbereich der Gnade leben und von der Herrschaft des Gesetzes befreit sind (6,14.15), d.h., wenn Freiheit von der Sünde nur als Freiheit vom Gesetz möglich und wirklich ist (5,20-21; 7,1-6), dann ist die von Paulus betonte Freiheit von der Sünde als Freiheit zum Sündigen (6,1.15) zu verstehen, und dann kommt das Gesetz nicht von Gott, sondern gehört auf die Seite der Sünde.111 Die Frage ist nicht, ob Paulus das Gesetz mit der Sünde identifiziert, sondern ob er es als empirische Manifestation der Sünde versteht.112 Mit „das Gesetz“ (ο� νο' μος [ho nomos]) ist das mosaische Gesetz, die Tora, gemeint. Der Satz „das Gesetz ist Sünde“, der die Antithese zu Ps 119,142 ( ;ת ֹו ָרְתָך ֱאֶמתLXX 118,142: ο� νο' μος σου α� λη' θεια; „dein Gesetz ist Wahrheit“) wäre, könnte sich aufdrängen, nachdem Paulus in der Tat bisher nur negative Aussagen über das Gesetz gemacht hatte (von 3,31 abgesehen): Das Gesetz etabliert die Schuld aller Menschen, auch der Juden (3,19); es führt zur Sündenerkenntnis (3,20); es hat mit der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes nichts zu tun (3,21); der Sünder wird unabhängig von den Werken des Gesetzes gerecht (3,28); das Gesetz bewirkt den Zorn Gottes (4,15) und vermehrt die Verfehlungen (5,20) und es ruft die Leidenschaften der Sünden hervor (7,5). Der energische Protest gegen diese Schlussfolgerung aus sei————————————————————
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Jewett 455; Metzger, Textual Commentary, 455. Wolter I 441 Anm. 8 erkennt keinen plausiblen Grund für die Tilgung von δε' und hält eine mögliche Hinzufügung für eine Angleichung an Röm 6,17 und 1Kor 15,57 (Hofius, Mensch, 150 Anm. 168) bzw. für den Versuch, zwischen Klage V. 24 und Dank V. 25a eine deutliche Zäsur zu setzen; vgl. Lietzmann 77-78. Statt του' του χα' ρις τω ñ, θεω ñ, : ΤΟΥΤΟΥ[ΕΥ]ΧΑΡΙC[ΤΩ]ΤΩΘΕΩ. Wilckens II 75. Vgl. Wolter I 428, der gegen die Übersetzung von Haacker 170 („Sind ‚Gesetz‘ und ‚Sünde‘ etwa dasselbe?“) und gegen Lohse 212 argumentiert.
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ner Theologie wird wieder mit Auf keinen Fall! (μη` γε' νοιτο; V. 7c) formuliert.113 Er begründet die Zurückweisungen der Unterstellung, er verbinde das Gesetz und die Sünde, in 7,7-12, ohne die negative Funktion des Gesetzes im Blick auf die Sünde preiszugeben. Paulus zeigt, dass das Gesetz, das über den Sünder das Todesurteil ausspricht, auf die Seite Gottes gehört und der Sünde entgegensteht. Das Ziel der Argumentation ist die Gegenthese in V. 12: „So ist nun das Gesetz heilig und das Gebot heilig, gerecht und gut“. Die Erläuterung des Verhältnisses von Gesetz und Sünde wird in V. 7d und V. 7e in zwei Sätzen syntaktisch parallel formuliert,114 die mit einem adversativen jedoch (α� λλα' ; [alla]) eingeführt werden. Paulus begründet sein μη` γε' νοιτο mit einer Erläuterung der Aussage in V. 5, d.h., er erklärt, wie es dazu kam, dass das Gesetz in der Zeit, „als wir im Fleisch waren“, die Verwirklichung der auf Sünden abzielenden Leidenschaften provozierte. Paulus beginnt, die Geschichte der Sünde zu erzählen: Ich hätte jedoch die Sünde nicht kennengelernt, wenn nicht durch das Gesetz (V. 7d). Der Aorist des Verbs (ε» γνων [egnōn]) verweist hier als ingressiver Aorist auf den Beginn des Kennenlernens der Sünde anlässlich der Begegnung mit dem Gesetz. Die Aussage „ich habe die Sünde kennengelernt“ beschreibt einerseits einen kognitiven Vorgang, andererseits das Sich-Einlassen auf die Sünde (α� μαρτι'α [hamartia]; s. zu 2,12; 3,9, 7,5), d.h. das konkrete Sündigen. Die Formulierung „ich hätte nicht kennengelernt, wenn nicht“ markiert das Verb als Irrealis (unter Wegfall von α» ν):115 Die Wirklichkeit des Kennenlernens der Sünde hätte sich ohne das Hinzutreten des Gesetzes nicht ergeben. Der Satz ist im Blick auf den Einwand V. 7b als positive Aussage zu verstehen: Das Gesetz führt zur Erkenntnis und Erfahrung der Sünde, es ist nicht selbst Sünde. In V. 7e beschreibt Paulus die erste Begegnung des Ich mit dem Gesetz, in der es sofort zur sündigen Begierde kam: Denn von der Begierde hätte ich nicht gewusst, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: „Du sollst nicht begehren“. Das Plusquamperfekt des Verbs (η», δειν [ēdein]) beschreibt einen in der Vergangenheit erreichten Zustand, der mit einem Ereignis zusammenhängt, das „im Bereich der Vorvergangenheit geschah und in der Vergangenheit nachwirkt“.116 Das Verb beschreibt auch hier zusammen mit dem ————————————————————
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Vgl. 3,4.6.31; 6,2.15; sowie nach 7,7: 7,13; 9,14; 11,1.11. Auf die vorangestellten Akkusativobjekte (τη` ν α� μαρτι' αν / τη' ν τε γα` ρ ε� πιθυμι' αν) folgt das verneinte Verb (ου� κ ε» γνων / ου� κ η», δειν), gefolgt von einer mit jeweils ει� μη' eingeleiteten Negation (ει� μη` δια` νο' μου / ει� μη` ο� νο' μος ε» λεγεν· ου� κ ε� πιθυμη' σεις). HvS §284a. HvS §201a. Wolter I 429 Anm. 21 warnt vor einer Überinterpretation: Plusquamperfekt η», δειν kann sich auch einfach der Tatsache verdanken, dass es zu οιòδα keinen Aorist gibt.
128 Römerbrief ————————————————————————————————————
kognitiven Kennenlernen die konkrete Erfahrung des Begehrens. Statt von „Sünde“ spricht Paulus hier von der „Begierde“ (ε� πιθυμι'α [epithymia]; s. zu 1,24; 6,12), im Kontext zu verstehen als das Verlangen nach Verbotenem und als Quelle aller Sünden.117 In einem zeitgenössischen jüdischen Text heißt es: „Das Begehren ist der Anfang jeglicher Sünde“ (ε� πιθυμι' α γα' ρ ε� στιν κεφαλη` πα' σης α� μαρτι' ας; VitAd 19). Philo schreibt: „Ein so großes und überragendes Übel ist also das Begehren (τοσουñ τον α» ρα και` ου« τως κακο` ν υ� περβα' λλον ε� στι`ν ε� πιθυμι' α), oder vielmehr, um es richtig zu bezeichnen, es ist die Quelle aller Übel (α� πα' ντων πηγη` τω ñ ν κακω ñ ν); denn Raub, Plünderei und Nichtbezahlen von Schulden, Verleumdung und Beschimpfung, ferner Verführung, Ehebruch, Mord und all die anderen Verbrechen gegen Einzelne oder gegen den Staat, wider heilige oder profane Dinge, aus welche anderer (Quelle) fließen sie? Denn die Leidenschaft (πα' θος), die mit vollem Recht als das Grundübel (α� ρχε' κακον) bezeichnet werden könnte, ist die Begierde“ (SpecLeg 4,8485). Die Begierde unterscheidet sich von allen anderen Leidenschaften, weil sie im Menschen selbst angelegt ist und deshalb als Grundbefindlichkeit des Menschen bezeichnet werden kann: „Wohl sind alle Leidenschaften der Seele von Übel (τα` ψυχηñ ς πα' θη) … am schlimmsten aber ist die Begierde (χαλεπω' τατον δ’ ε� πιθυμι' α); denn jede andere (Leidenschaft), die von außen wie durch eine Tür hereinkommt und uns überfällt, scheint unfreiwillig zu sein, allein die Begierde nimmt den Ursprung bei uns selbst und ist freiwillig (μο' νη δ’ ε� πιθυμι' α τη` ν α� ρχη` ν ε� ξ η� μω ñ ν αυ� τω ñ ν λαμβα' νει και` ε» στιν ε� κου' σιος)“ (Decal 142).118 Zu Philo, QaestGen 1,47 und ApkMos 19,3 s. unten. In der Linie dieses Verständnisses liegt auch Jakobus, der schreibt: „Wenn die Begierde dann schwanger geworden ist, bringt sie die Sünde zur Welt (τι' κτει α� μαρτι' αν); ist die Sünde reif geworden, bringt sie den Tod hervor“ (EÜ; Jak 1,15).
Die „Begierde“ ist hier weder die pubertäre sexuelle Begierde119 noch die Sucht der Selbstbehauptung, die sich im religiösen Leistungsstreben äußert, konkret im Bestreben, durch das Halten des Gesetzes und seiner Gebote Anerkennung bei Gott zu gewinnen und sich damit sein Heil selbst zu verschaffen.120 Paulus spricht weder hier noch in dem gesamten Abschnitt davon, dass die Begierde deshalb Sünde sei, weil sie zum Halten des Gesetzes „verleiten“ wolle. Im Gegenteil, „die Sünde besteht konkret in jeglichem Begehren nach dem Bösen, das das Gebot zu tun verbietet“, wie V. 8 deutlich macht.121 Die Begierde wird an keiner Stelle mit Selbstruhm oder der ————————————————————
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Vgl. 1,24; 6,12; 7,7.8; Eph 4,22; Kol 3,5; 1Thess 4,5; 1Tim 6,9; 2Tim 2,22; 4,3. Zu ε� πιθυμι' α bei Philo s. Lichtenberger, Das Ich Adams, 246-251; bei Philo kann das Gesetz die ε� πιθυμι' α „löschen“ (SpecLeg 4,118). Gundry, Frustration, 232-233; vgl. Lohmeyer, Sünde, 124-126. Schlier 223; Käsemann 186; Schmithals 214; H. Schlier, Art. ε� λευ' θερος, ThWNT II, 492493; Bultmann, Römer 7, 205-206; Bultmann, Theologie, 264-265; Bornkamm, Sünde, 55-57. Zur Kritik Wilckens II 80-81; Wolter I 431 Anm. 28; Dülmen, Theologie, 175-179. Wilckens II 80, der fortfährt: „Nicht weil ich das Gesetz zu erfüllen suche (was ich doch im Sinne des Gesetzes soll), bin ich ‚unter die Sünde verkauft‘ (V 14), sondern deswegen, weil ich tue, was das Gebot verbietet“. Vgl. Luck, Das Gute und das Böse.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 129 ————————————————————————————————————
versuchten Herstellung einer „eigenen Gerechtigkeit“ in Verbindung gebracht. Die Begierde ist das Verlangen, sich anzueignen, was einem nicht zusteht, das Wollen des von Gott Verbotenen und damit die Ursünde. Das Ich machte persönliche Bekanntschaft mit der Begierde, d.h. mit der Sünde, als es dem Gesetz begegnete, das die Begierde verbot. Hinter der Wendung „das Gesetz sagte“ (ο� νο' μος ε» λεγεν [ho nomos elegen]) steht Gott, der im Gesetz spricht. Das Gebot Du sollst nicht begehren (ου� κ ε� πιθυμη' σεις [ouk epithymēseis]) ist die Manifestation des Gesetzes, wie die Begierde die Manifestation der Sünde ist. Paulus zitiert das 10. Dekaloggebot (Ex 20,17; Deut 5,21), wobei er die Objekte des Begehrens – des Nächsten Haus, Frau, Sklaven, Sklavin, Rind, Esel oder „irgendetwas“, das dem Nächsten gehört – weglässt und damit die allgemeine Gültigkeit des Verbots des Begehrens unterstreicht.122 In 13,9 leitet Paulus mit ου� κ ε� πιθυμη' σεις eine Serie von vier Dekaloggeboten ein. Das Verbot des Begehrens, d.h. des Habenwollens von Personen und Gegenständen, die einem nicht selbst gehören, eignet sich aus zwei Gründen, das Gesetz in seinem Verhältnis zu repräsentieren. 1. Während die Befolgung der ersten neun Gebote äußerlich sichtbar, verifizierbar und, mit konsequenter Anstrengung, durchführbar ist, ist das Begehren eine zunächst nicht wahrnehmbare Sünde, der sich alle Menschen schuldig machen und die Ursache aller sichtbaren Sünden ist.123 2. Das eine Verbot, das Gott Adam und Eva im Garten gab (Gen 2,17: „vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen“), wird zwar nicht mit dem Begriff des Begehrens formuliert, dieser ist jedoch angesichts der Berührungen von Gen 3,6 und Deut 5,18 sowie in Betracht des Kontextes Röm 7,9 und der jüdischen Auslegungstradition der Sündenfallgeschichte mit angesprochen. Im hebräischen Text lassen sich verbale Berührungen zwischen Ex 20,17 / Deut 5,21 und Gen 3,6 erkennen: Man kann Gen 3,6 so verstehen, dass die Frau, ehe sie von der Frucht des Baumes aß, gegen das 10. Gebot verstieß, wobei im Kontext von Röm 7,7 das, was Gen 3,6 von Eva erzählte, auf Adam bezogen werden musste.124 Ex 20,17a Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren ()ֹלא ַתְחֹמד. 17b Du sollst nicht begehren ( )ֹלא ַתְחֹמדdie Frau deines Nächsten. ————————————————————
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So auch Philo, Decal 142. Die absolute Fassung des 10. Gebots kommt auch in den Targumim vor: TgNeof zu Ex 20,17 und zu Deut 5,21; vgl. MekhEx zu Ex 20,17. Vgl. Wolter I 430. R. Jakim sagte: „Wer das zehnte Gebot übertritt, sündigt gegen alle“ (Pesiqta Rab. 21 [107a]). Bacher, Die Agada der palästinensischen Amoräer III, 708-709. Vgl. Dochhorn, Gebot, 63-64 (der fälschlicherweise von Deut 5,18 spricht). Manche interpretieren die Figur aus Gen 3 als Verweis nicht auf Adam, sondern auf Eva: Busch, Eve, 1-36; Krauter, Eva, 1-17; Krauter, Adam oder Eva, 145-147.
130 Römerbrief ———————————————————————————————————— Deut 5,21a Und du sollst die Frau deines Nächsten nicht begehren ( ֹלא ַתְח ֹמד/ ου� κ ε� πιθυμη' σεις). 21b Du sollst dich nicht gelüsten lassen ( ֹלא ִתְתַאֶּוה/ ου� κ ε� πιθυμη' σεις) nach dem Haus deines Nächsten. Gen 3,6a Und die Frau sah, dass der Baum gut zur Speise und 6b dass er eine Lust (אָוה ֲ ַ ּת/ α� ρεστο' ν) für die Augen und 6c dass der Baum begehrenswert war (ֶנְחָמד/ω� ραιñον), Einsicht zu geben. Das zwei Mal in der Formulierung des 10. Gebotes in Ex 20,17 verwendete Verb חמד125 kommt in Gen 3,6c vor; die LXX übersetzt in Ex 20,17 zwei Mal mit ου� κ ε� πιθυμη' σεις, in Gen 3,6c mit ω� ραιñο' ν ε� στιν („prächtig“). Die Verbindungen zwischen der Formulierung des 10. Gebots in Deut 5,21 und Gen 3,6 sind enger: die in Deut 5,21a.b verwendeten Verben אוה126 und חמדkommen in Gen 3,6b (Substantiv אָוה ֲ ַ ּת127 statt des Verbs )אוהund 3,6c ()חמד vor; die LXX übersetzt in Deut 5,21 zwei Mal mit ου� κ ε� πιθυμη' σεις, in Gen 3,6 mit α� ρεστο` ν τοιñς ο� φθαλμοιñς ι� δειñν („für die Augen gefällig anzusehen“; LXX.D) bzw. mit ω� ραιñο' ν ε� στιν („prächtig“).
Paulus spricht in 7,9 vom „Kommen“ des Gebots zum Ich, das zunächst ohne Gebot gelebt hatte, was nur für die Zeit vor Gen 2,16-17 zutrifft. Und nach jüdischer Auslegungstradition hat Adam zusammen mit dem Paradiesgebot Gen 2,16-17 die Sinai-Tora in nuce erhalten; Philo (QaestGen 1,47) und ApkMos 19,3 verbinden die Sündenfallgeschichte mit der Begierde (ε� πιθυμι'α) von Eva und Adam.128 4Esr 7,11: „Als Adam meine Satzungen übertrat, wurde das, was gemacht worden war, gerichtet“; slavHen 31,1: „Und ich machte ‚einen Garten in Edem [sic] gegen Osten‘, dass die beobachten das Testament und er bewahre das Gebot“; TgNeof zu Gen 2,15: Gott nahm Adam „und ließ ihn im Garten Eden wohnen, damit er arbeite im Gesetz und seine Vorschriften bewahre“; zu Gen 3,22: „Und nun, da er nicht die Gebote des Gesetzes bewahrt und seine Vorschrift eingehalten hat, wollen wir ihn verbannen aus dem Garten Eden, ehe dass er seine Hand ausstreckt und von der Frucht des Lebensbaumes nimmt und isst und ewig lebt“; vgl. TgFrgm zu Gen 2,15; TgPsJon 2,15; 3,22; Sifre Deut 41 zu 11,13; GenR 16,8-9 zu 2,15-16; Pirqe R. El. 12 (29b). In QuaestGen 1,47 verbindet Philo die Begierde als Ursünde mit der Schlange: „Die Schlange ist das Symbol der Begierde … so wurde die Begierde zum bösesten Ursprung der Sünde“. In ApkMos 19,3 (nicht in VitAd) wird die Verführung Evas folgendermaßen geschildert: „Als sie mir den Eid abgenommen hatte, da ging sie und legte auf die Frucht, die sie mir zu essen gab, das Gift ihrer Schlechtigkeit, das ist (das Gift) der Begierde (τουñ τ’ ε� στι` τηñ ς ε� πιθυμι' ας), und zwar der Begierde nach jeglicher Sünde (ε� πιθυμι' α γα' ρ ε� στι πα' σης α� μαρτι' ας), und nachdem sie den Ast zur Erde herabgebogen hatte, nahm ich von der Frucht ————————————————————
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HAL s.v. חמדqal begehren; Gefallen finden an; nif begehrenswert. HAL s.v. אוהhitp 1. gelüsten nach; 2. herbeiwünschen. Vgl. HAL s.v. אָוה ֲ ַ ּת1. Verlangen, Wunsch, Begehren; Sehnen; Gier; 2a „Lust für die Augen“ = „lieblich anzusehen“ (von Rad). Vgl. Lyonnet, L’histoire, 135-138; Bornkamm, Sünde, 59; Hofius, Gesetz, 57-58 (vgl. Hofius, Mensch, 115 Anm. 45); Lichtenberger, Das Ich Adams, 225-240 (zur rabbinischen Lit.); Käsemann 187; Wilckens II 79. Wolter I 431-432 mit Anm. 30 hält diese Auslegungstradition für irrelevant. Zu ApkMos 19,3 in diesem Zusammenhang vgl. Dochhorn, Gebot, 64-65.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 131 ———————————————————————————————————— und aß“. J. Dochhorn kommentiert: „Der Erzähler scheint sich die Szene dahingehend vorgestellt zu haben, daß die Schlange auf den Baum klettert, die Frucht mit dem Gift der Begierde nach Sünde vergiftet, den Ast mit der Frucht zur Erde biegt … und Eva so die Frucht gibt“.129
In 5,12 hatte Paulus vom Kommen der Sünde in die Welt durch die Sünde Adams gesprochen, in 7,7 spricht er von der Bekanntschaft des Ich mit der Sünde, die durch das Gebot „Du sollst nicht begehren“ ausgelöst wurde. Das Ich, das Paulus in 7,7 einführt, ist das Ich aller Menschen, die von Adam abstammen und Adams Bekanntschaft mit der Begierde, das von Gott Verbotene zu wollen, und Adams Sünde, das von Gott Verbotene zu tun, in ihrem eigenen Wollen und Tun erfahren und ausleben. Paulus erzählt hier und in den folgenden Versen die Geschichte Adams als „meine“ Geschichte: Ich habe wie Adam, wie alle Menschen seit Adam, das von Gott Verbotene begehrt und als Sünder gehandelt. Wenn das Gesetz „die Sünde handlungsfähig (macht), weil sie nun das bewirken kann, was das Gesetz verbietet“,130 dann ist daran nicht das Gesetz schuld. Das von Gott gegebene Gesetz hat weder die Sünde geschaffen noch zur Sünde verleitet: Das Gesetz ist Gottes Stimme, die Sünde ist das Wollen und Tun des Ich. 8 Die in V. 7e erwähnte Begegnung zwischen dem Ich und dem Gebot, das die Begierde untersagte, wird jetzt im Blick auf die Folgen dieser Begegnung erläutert: Indem jedoch die Sünde durch das Gebot die Gelegenheit ergriff, rief sie in mir jede Art von Begierde hervor (V. 8a). Das „Gebot“ (ε� ντολη' [entolē]) bezieht sich hier auf das in V. 7e erwähnte Gebot „Du sollst nicht begehren“. Wer 7,7-12 konsequent im Sinn des mosaischen Gesetzes interpretiert, versteht ε� ντολη' als „Summe der Gebote“, d.h. als Gesetz.131 Wer 7,7ff als Geschichte Adams, der alle Menschen als Sünder repräsentiert, interpretiert, versteht ε� ντολη' als einzelnes Gebot, konkret das Gebot von Gen 2,16-17 mit dem Verbot des Essens vom Baum der Erkennt————————————————————
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Dochhorn, Apokalypse des Mose, 335; Text und Übersetzung ebd. 326. Der in 19,3 erwähnte Eid soll sicherstellen, dass Eva auch Adam mit der verbotenen Frucht versorgt. Dochhorn datiert ApkMos in das späte 1. und frühe 2. Jh. n.Chr. und nimmt palästinischjüdisches Milieu an (ebd. 172). Wolter I 430. Wilckens II 80 argumentiert mit Hinweis auf Cranfield I 348, dass das Gesetz, indem es mir sagt: „Du sollst nicht begehren“, mich erkennen lässt, „daß ich gesündigt habe (vgl. 3,20); denn (γα' ρ) es konfrontiert mich durch sein entbergendes Wort mit der Tatsache, daß ich faktisch eben das tue, was Gott mir verbietet: Ich begehre“. Für die Menschen nach Adam ist dies richtig, für die Paradiesgeschichte, auf die hin Wilckens interpretiert, nicht – als Gott das Gebot „Du sollst nicht begehren“ aussprach, hatten Adam und Eva „faktisch“ noch nicht gesündigt. Bauer/Aland s.v. ε� ντολη' 2a.α, mit Verweis auf 7,8-13; vgl. Lk 23,56; Hebr 7,18; 9,19. Zum Verständnis als einzelnes Gebot siehe ebd. s.v. ε� ντολη' 2a.γ, mit Verweis auf 13,9; vgl. Eph 2,15; 6,2; Mt 22,36.38 u.a.
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nis von Gut und Böse (Gen 2,17). Die Sünde ergriff das Vorhandensein des Gebots als Gelegenheit (α� φορμη' [aphormē]),132 ihr Unwesen zu treiben und gegen Gott und seine vollkommene Schöpfung zu intrigieren. Die Sünde machte das Gebot zum Ausgangspunkt seiner weiteren Aktionen. Die Partizipalwendung (α� φορμη` ν λαβουñ σα), die im Kontext am besten aktivisch („ergriff die Gelegenheit“) zu verstehen ist,133 beschreibt das Handeln der Sünde, die eine Möglichkeit ausnutzt, die sich bietende Gelegenheit wahrnimmt. Das Partizip beschreibt (modal) die Art und Weise, in der die Sünde im Ich das sündige Begehren provozierte.134 Die Präpositionalwendung δια` τηñ ς ε� ντοληñ ς wird meistens mit dem Partizipalsatz verbunden: Das Gebot, das Gott gegeben hatte, war die Gelegenheit, die die Sünde ausnutzte.135 Die Sünde rief in mir jede Art von Begierde hervor (zu ε� πιθυμι'α s. V. 7); παñ ς bedeutet hier alles, was seiner Art nach „Begierde“ ist. 136 Das Verb (κατειργα' σατο [kateirgasato]) bezeichnet hier die Erzeugung aller möglichen Begierden.137 Die Wendung „in mir“ (ε� ν ε� μοι') bezeichnet den Ort, wo die Sünde die Vielfalt der Begierden erzeugt – im Wollen, Denken und Fühlen des Ich, unsichtbar ehe die Begierden zur Tat werden, sichtbar im Ausführen der Begierden (κατεργα' ζομαι, V. 15) mit den Gliedern (V. 23).138 ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. α� φορμη' : „eigtl. d. Ausgangs- u. Stützpunkt einer Expedition, dann allg. d. Inbegriff der Mittel z[ur] Durchführung e[ines] Unternehmens (z.B. auch d. Betriebskapital)“, mit den Glossen „Anlass, Vorwand, Gelegenheit“. Vgl. G. Bertram, α� φορμη' , ThWNT V, 472-475: Ausgang, Ursprung, Anlass, Anregung, Einsatz, Vorwand, Möglichkeit, Neigung. Für die Papyri vgl. R.E. Kritzer in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 330331: α� φορμη' bezeichnet eine „Gelegenheit“, die in allen möglichen Bereichen ergriffen oder nicht ergriffen wird; wenn der kausale Aspekt stärker betont wird, bezeichnet α� φορμη' den „(Beweg-)Grund“, der zu einer bestimmten Handlung veranlasst. Eine militärische Bedeutung, die in Thukydides 1,90; Polybius 1,41,6 („Angriffspunkt“ oder „Brückenkopf“) belegt ist, sollte man in die Stelle nicht einlesen; vgl. Lohse 216; richtig Wilckens II 81 Anm. 318. ZÜ: „Die Sünde aber nutzte die Gelegenheit, die das Gebot ihr gab“; GNB: „Die Sünde machte sich das Gebot zunutze“; LÜ: „Die Sünde aber nahm das Gebot zum Anlass“. Manche deuten passivisch und übersetzen mit „erhielt“ (EÜ). Wolter I 432 übersetzt aktivisch, lässt die Frage jedoch offen. Ein kausales Verständnis ist ebenfalls möglich: „Weil die Sünde die Gelegenheit ergriff“. Andere verbinden mit dem Verb κατειργα' σατο: „Die Sünde rief durch das Gebot in mir jede Art von Begierde hervor“; vgl. Weiß 307; Cranfield I 350; Schlier 222-223 (anders 220 in der Übersetzung); Dunn I 380; Légasse 449; Klaiber 122; Wolter I 432-433. Vgl. Bauer/Aland s.v. παñ ς 1aβ. Wolter I 433: „Das Abstraktum ε� πιθυμι' α wird dadurch zu einem Kollektivum“. Bauer/Aland s.v. κατεργα' ζομαι 2. hervorbringen, erzeugen, schaffen. Die Verbindung von Begierde und Sünde mit dem Gebot bzw. Verbot wird oft mit Texten verglichen, die davon sprechen, dass eine Sache oder ein Verhalten erst dadurch attraktiv wird, dass sie bzw. es verboten wird. Publilius Syrus schreibt: „Die Begierde liebt nichts mehr als das, was nicht erlaubt ist“ (nil magis amat cupiditas, quam quod non licet; Sent. N 17), und Ovid will wissen: „Wir trachten immer nach dem Verbotenen und
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Während die Sünde (η� α� μαρτι' α [hē hamartia]) in V. 7 als Objekt des menschlichen Erkennens erschien, ist sie jetzt Subjekt des Satzes und handelnde Größe (Agens).139 Die Begierde ist die Wurzel, die Quelle, der Ursprung der Sünde. Wir finden in 7,8-25 folgende Aussagen, in denen α� μαρτι' α das Subjekt des Verbs ist: V. 8 α� φορμη` ν λαβουñ σα η� α� μαρτι' α η� α� μαρτι' α … κατειργα' σατο ε� ν ε� μοι` παñ σαν ε� πιθυμι' αν V. 11 η� α� μαρτι' α … ε� ξηπα' τησε' ν με … α� πε' κτεινεν V. 13 η� α� μαρτι' α … κατεργαζομε' νη θα' νατον V. 17 η� οι� κουñ σα ε� ν ε� μοι` α� μαρτι' α [κατεργα' ζεται] [ο� ου� θε' λω] V. 20 η� οι� κουñ σα ε� ν ε� μοι` α� μαρτι' α [κατεργα' ζεται] [ο� ου� θε' λω] Die in diesen Aussagen als personifiziert erscheinende Sünde wird von Paulus als handelnde Macht dargestellt. U. Wilckens betont, dass Paulus die Sünde nicht mit der Schlange als Sprachrohr Satans identifiziert, wie es im Rahmen der jüdischen Tradition möglich gewesen wäre (slavHen 31,3-6; vgl. TestBen 6,1; TestDan 4,7; TestNaph 8,4).140 Was explizite Aussagen zur personifizierten Sünde betrifft, so ist das sicher richtig. J. Dochhorn betont dagegen, dass die Einzelheiten der Personifikation der Sünde ernst genommen werden müssen und in die zeitgenössische satanologische Tradition passen:141 1. „Die Sünde“ agiert in V. 8.11 strategisch, mit einem deutlich voluntativen Moment, wenn sie das Gebot „Du sollst nicht begehren“ zum Ausgangspunkt nimmt, um Begierde nach dem Verbotenen zu wecken (V. 8). 2. Die Sünde ist eine vom Ich unterschiedene Größe, herkunftsmäßig nicht Teil des Ich, die anstrebt, der eigentliche Handlungsträger zu werden und anstelle Gottes die Herrschaft über den Menschen zu ergreifen: Sie „wohnt“ im Ich (V. 17.20), sie handelt im Ich (V. 17.20) und „agiert damit analog dem Teufel in ApkMos 15–30 (nicht in VitAd) vermittels Einwohnung und Okkupation der Handlungssteuerung“.142 3. Auf den Satan verweisen das Täuschungsmotiv (V. 11; vgl. ApkMos 15,1; 30,1; Offb 12,9: Satan ist „der Irreführer der ganzen Welt“) und das Motiv der Tötung des Ich durch die Sünde (V. 11; vgl. Joh 8,44: der Teufel „war ein Mörder von Anfang an“). 4. Das Ich als Opfer der Sünde, das Böses tut, ist passiv (wie die vom Teufel Verführten in ApkMos 15–30); die Sünde bewirkt im Ich alle Arten von Begierden (V. 8); das Ich verliert die Handlungsfreiheit, indem die Sünde in ihm handelt (V. 17.20); das Ich handelt gegen seinen Willen (V. 7.15.16.19.20), ähnlich wie die ————————————————————
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begehren das Versagte“ (nitimur in vetitum semper cupimusque negata; Amores 3,4,17). Wolter I 433 bezeichnet den Abstand zwischen solchen Aussagen und Röm 7,7-8 als „relativ groß, denn in beiden Texten ist die Erfahrung vom Objekt der Begierde aus beschrieben und nicht im Hinblick auf das Begehren als einem menschlichen Existential“. Zur Kritik s. auch Krauter, Gesetz, 12-13. HvS §189a: In aktiven Sätzen entspricht das Subjekt dem Vorgangsträger (Agens, Handelnder), „bei Beziehungs-, Ereignis- und Zustandsverben der Größe, die kausal im Vordergrund steht“. Vgl. Wilckens II 79, der hinzufügt: „Und so sehr das Ich dem Handeln der Sünde passiv ausgeliefert ist, so wenig ist damit gemeint, daß es selbst mit der Sünde nichts zu tun hätte und schuldlos ein fatales Geschick erlitte“. Vgl. Dochhorn, Gebot, 66-67.70 für das Folgende; zum Vergleich mit ApkMos s. ebd. 65-68. Eine „satanologische“ Interpretation vertraten schon Methodius, De resurrectione 2,1-8 (GCS XXVII, 329-345) und Ambrosiaster, In epistulam ad Romanos 7,7-8 (CSEL 81/1, 220-226). Wolter I 439 Anm. 56 bleibt skeptisch. Dochhorn, Gebot, 67.
134 Römerbrief ———————————————————————————————————— Verführten in ApkMos 15–30. Subjektsverlust angesichts der Wirksamkeit Satans findet sich auch im Lehrsatz des Simon b. Laqisch: „Kein Mensch begeht eine Übertretung, es sei denn der Geist des Irrsinns ist in ihn hineingegangen“ (bSota 3a). Josephus schreibt, dass Davids Saitenspiel dazu führte, dass der von Dämonen geplagte König Saul wieder „sich selbst gehört“ (ε� αυτουñ γι' νεσθε; Ant 6,168), und setzt damit voraus, dass er einem anderen gehört hatte.
Die Tatsache, dass die Sünde das Gebot zum Anlass nimmt, Begierden zu erzeugen, die das von Gott Verbotene wollen und tun, macht deutlich: Das Gesetz ist weder Sünde noch eine Erscheinungsform der Sünde, sondern es wird von der Sünde instrumentalisiert und manipuliert. Die Aussage V. 8b: Denn ohne Gesetz war die Sünde tot kommentiert die Situation des Ich vor der in V. 7d-8a beschriebenen Begegnung des Ich mit dem Gebot. Das Prädikatsnomen tot (νεκρα' [nekra]) bedeutet hier „wirkungslos“, wie V. 9b-10a zeigt: Als das Gebot kam, lebte die Sünde auf und verursachte den Tod des Ich. Deshalb kann man νεκρα' auch mit „todgeweiht“ übersetzen (8,10: der Leib der Menschen ist νεκρο` ν δια` α� μαρτι'αν). Statt „Gebot“ (V. 8a) ist jetzt von „Gesetz“ die Rede, d.h. vom mosaischen Gesetz, das mit dem Verbot in Gen 2,16-17 zusammen gesehen wird. In der Zeit ohne Gesetz (χωρι`ς νο' μου [chōris nomou]), d.h. in der Zeit, in der es das Gesetz nicht gab und somit auch nicht das Gebot, sich nicht aneignen zu wollen, was einem nicht zusteht, hatte die Sünde keinen Stützpunkt, von dem aus sie Aktionen gegen das Ich hätte starten können. Als das Ich dem Verbot des Begehrens begegnete, ergriff die Sünde die Gelegenheit, die sich aus dem Vorhandensein des Verbots ergab, verführte das Ich zum Tun des Verbotenen und veranlasste den Ausschluss von Gottes Gegenwart und damit den Tod, der als Strafe für die Zuwiderhandlung gegen den Willen Gottes angekündigt worden war (Gen 2,17). Die „Kraft“ der Sünde, mit der sie Menschen beeinflusst, ist der Tod; diese Wirkung ergibt sich dann, wenn ein Gebot vorhanden ist, das Gottes Willen darstellt und damit gleichzeitig definiert, was Rebellion gegen Gott ist. Sünde wird als Sünde erkannt und angerechnet, indem das Gesetz Sünde definiert und quantifiziert, dem Sünder auf sein Konto schreibt und das Todesurteil als Konsequenz der Sünde ausspricht (vgl. 3,29; 4,15; 5,13; 7,7). 9 Die Geschichte der Begegnung des Ich und der Sünde kannte eine Zeit „ohne Gesetz“ (χωρι`ς νο' μου), in der die Sünde nicht wirksam war (v. 8b), bevor das Gebot, nicht zu begehren, gegeben wurde (V. 8a). Im Blick auf die Zeit vor dem Gebot sagt Paulus: Ich war aber einst ohne Gesetz am Leben (V. 9a). Die Zeit „ohne Gesetz“ (χωρι`ς νο' μου [chōris nomou]) war die Zeit, in der das Ich „am Leben war“ (ε» ζων [ezōn]); das Imperfekt markiert eine länger anhaltende Situation der Vergangenheit (ποτε' [pote],
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 135 ————————————————————————————————————
„einst“); die genaue Dauer wird weder hier noch in Gen 1–2 angegeben. Das Ich war am Leben als Geschöpf Gottes, und es lebte über einen länger anhaltenden Zeitraum, weil es das Gebot nicht gab, das die Übertretung von Gottes Willen als Möglichkeit beschrieb und im Fall der Verwirklichung des Verbotenen die Verurteilung und den Tod des Ich vorschrieb. Paulus denkt wahrscheinlich an die Zeit im Paradies, wie sie in Gen 1,28-31 beschrieben wird, als Zeit vor dem Gebot von Gen 2,16-17.143 In der Urzeit vor dem Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, war das Ich am Leben als das im Bilde Gottes und an Gottes Herrlichkeit partizipierendes Ich; das Gesetz, das der Sünde Gelegenheit verschafft, Begierde zu wecken und als Konsequenz das Todesurteil auszusprechen, war noch nicht vorhanden. Andere Auslegungen sind wenig plausibel: 1. Das Leben ohne das Gesetz ist das „Unschuldsparadies“ der Kindheit von Paulus (A. Deissmann: Paulus wurde durch einen jugendlichen „Sündenfall“ aus den sonnigen Kindheitstagen gerissen).144 2. Die Kindheit eines Juden vor der Bar Mitzwa.145 3. Das „relative Leben“ in dem Sinn, dass sich das Ich nicht in offener Rebellion gegen Gott befindet146 (Zahn: Obwohl Paulus die „Sündenfälle“ seiner Kindheit beschreiben will, kann er „seinen anfänglichen Lebensstand, weil er im Vergleich mit der Verfassung, in welche ihn die angeborene Sünde hernach versetzt hat, ein Zustand relativer Lebendigkeit war, mit dem Leben der Protoplasten im Paradiese vergleichen, welches er sich ja auch nicht als einen Zustand sittlicher Vollkommenheit und vollendeter Seligkeit vorgestellt haben wird“147). 4. Die ironische Situation, dass der Mensch in Unkenntnis seiner wirklichen Lage lebt.148 5. Das „ich lebte“ V. 9 will lediglich dem „ich starb“ V. 10 „eine Folie schaffen, ohne daß damit … weitergehende Überlegungen verknüpft worden wären“.149 6. Die Situation des Ich „vor der Begegnung mit der Tora“, die „eine prinzipiell unbegrenzte Vielzahl von möglichen Extensionen bekommen“ kann – „Israel vor der Sinaioffenbarung genauso wie seitdem immer wieder jeder Jude vor seiner Begegnung mit der Rechtsforderung der Tora“ – wobei das Lebendigwerden der Sünde V. 9b im Sinn der eschatologischen „Verbuchung“ der Sünde durch das Gesetz zu verstehen ist.150 Diese Auslegungen haben generell Mühe, die Wendung „ich war am Leben“ (ε� γω` ε» ζων) V. 9a im Kontext erklären zu können, der deutlich macht, dass ζα' ω „in einem Zustand wahren Lebens sein“ bedeuten muss.151 ————————————————————
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Lietzmann 74; Cranfield I 351; Schlier 224; Michel 227-228; Käsemann 187; Wilckens II 81; Dunn I 381; Légasse 450; Haacker 176; vgl. Penna 498; für altkirchliche Belege s. Schelkle, Paulus, Lehrer der Väter, 238-239; vgl. Lyonnet, L’histoire, 130-133; Scroggs, Adam, 42-43; Hofius, Mensch, 114-115; Theißen, Psychologische Aspekte, 209; Lichtenberger, Das Ich Adams, 131; Dochhorn, Gebot, 59-60; Wright, Paul, 508-509. Deissmann, Paulus, 73; vgl. Schlatter 235: „meine Kindheit“. Michel 228 u.s.; zur Kritik s. oben Abschnitt I. Benoit, Loi, 16; im Anschluss daran Moo 437; vgl. Nygren 205: „ein relatives Leben“. Zahn 343. Leenhardt 107: „l’homme vit dans l’ignorance de sa situation réelle“. Kuss II 448; so auch Wilckens II 82. Wolter I 436-437. Kümmel, Römer 7, 52; vgl. Lichtenberger, Das Ich Adams, 132.
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Das „Leben“ war während dieser Zeit das Leben in der unmittelbaren Gegenwart Gottes,152 ein Leben, das nach dem Sündenfall nicht mehr möglich war, wie Ex 33,20 formuliert: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“ (LXX: ου� γα` ρ μη` »ιδη, α» νθρωπος το` προ' σωπο' ν μου και` ζη' σεται). V. 9b schildert die erste Folge der Begegnung des Ich mit dem Gesetz: Als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf. Der genitivus absolutus ε� λθου' σης τηñ ς ε� ντοληñ ς [elthousēs tēs entolēs] ist temporal aufzulösen: Paulus redet vom zeitlichen Vorfall, als das Gebot „Du sollst nicht begehren“ (V. 7) von Gott ausgesprochen wurde und dadurch zum Menschen „kam“.153 Die Gegenwart des Gebots zeitigte die Gegenwart der Sünde. Das mit „lebte auf “ (α� νε' ζησεν [anezēsen])154 übersetzte Verb scheint vorauszusetzen, dass die Sünde bereits vorhanden, aber noch nicht wirksam war. An Spekulationen, wo die Sünde (bzw. in Gen 3 die Schlange als Sprachrohr Satans) herkommt, beteiligt Paulus sich nicht. Wenn in 5,12 die Sünde durch die Sünde Adams in die Welt kam, zwingt dies nicht dazu, die Interpretation von 7,9 im Sinn der Begegnung Adams mit dem Gebot und dem daraufhin erfolgten Wirksamwerden der Sünde zu revidieren. Das in 5,12 auf die Sünde bezogene ει� σηñ λθεν („die Sünde kam durch einen Menschen in die Welt“) wird nicht mit dem Kommen des Gebots (7,9: ε� λθου' σης) koordiniert, sondern als Ereignis verstanden, das für alle Menschen nach Adam eine Grundbefindlichkeit herstellte, zumal das In-der-Welt-Sein der Sünde „vor dem Gesetz“ (5,13), das im Kontext von 5,14 auf die Zeit nach Adam und bis Mose zu beziehen ist, sich auch auf die Existenz der Sünde vor dem Kommen des Gesetzes von Gen 2,16-17 beziehen lässt. Angesichts der Personifikation der Sünde (η� α� μαρτι'α) in V. 9b sollte der Vorschlag, der im Hinblick auf den Fall Satans interpretiert, nicht vorschnell abgewiesen werden. Die Aussage, dass die Sünde „tot“ (νεκρα' , V. 8b) war und „wieder auflebte“ (α� νε' ζησεν, V. 9b), kann „leicht dahingehend verstanden werden, dass mit ihr schon etwas geschehen sein muss, bevor sie mit dem Gesetz ihre Chance ————————————————————
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Hofius, Mensch, 131: „das heile Leben in der Nähe Gottes“, mit Verweis auf Gen 2,7-8. 15: „Der von Gott geschaffene Mensch wurde zu einer ψυχη` ζω ñ σα, und Gott setzte ihn in den παρα' δεισος als den guten Lebensraum, den er selbst seinem Geschöpf bereitet hatte“. Bauer/Aland s.v. ε» ρχομαι 1c.β von Gegenständen im Sinn von „herbeigebracht werden“, mit Verweis auf Röm 7,9 und Mk 4,21; vgl. BDAG s.v. ε» ρχομαι 3 „to change place or position, with implication of being brought“. Bauer/Aland s.v. α� ναζα' ω „(wieder) aufleben“ mit Verweis (neben Offb 20,5 textus receptus; Röm 14,9; 7,9; Lk 15,24.32 v.l.) auf Chariton 3,8,9; Artemidorus, Onir 4,82; JosAs 19,3 (Codex A). Das Verb ist selten. LSJ s.v. α� ναζα' ω führt neben Lk 15,24.32 nur Sotion, Paradoxographus 183 und Nicander, Frag 70,5 an; MM verweist auf CIG 2566; vgl. Deissmann, Licht vom Osten, 75-76.
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gegen das adamitische Ich wahrnahm“ – analog der Geschichte Satans, „der angesichts Adams schon eine Niederlage erlitten hat und dann – vermittels der Schlange – wieder Oberhand gegen den menschlichen Gegner gewinnt“.155 Die personifizierte Sünde instrumentalisierte das Gebot Gottes und bewirkte die Begierde (V. 8a) für das von Gott Verbotene (V. 7e). Die Begegnung des Ich mit der Sünde führte zur praktischen Bekanntschaft mit der Sünde (V. 7d), die es vorher nicht gab (V. 8b), mit der Folge, dass die Sünde auflebte (V. 9b). In V. 10 beschreibt Paulus, worin das Aufleben, d.h. die Wirksamkeit der Sünde bestand: Weil Gottes Gebot den Tod als Strafe für die Übertretung des Gebots konstatierte, bedeutet die Erfahrung der Sünde die Erfahrung des Todes. 10 Die zweite Folge der Begegnung des Ich mit der Sünde wird in V. 10a prägnant mit drei Vokabeln formuliert: Ich aber starb (ε� γω` δε` α� πε' θανον). Der Tod des Ich ist der Verlust des Lebens in der Gegenwart Gottes, das das Ich vor dem Kommen des Gebots besaß. Das Aufleben der Sünde infolge ihrer Instrumentalisierung von Gottes Gebot, das dem Menschen nicht Zustehende nicht zu begehren, bringt dem Ich den Tod ein. Wenn man den Tod als Verlust des Lebens, als „Verlust meiner Verfügung über mich selbst“ verstehen will,156 dann nur im Sinn der in V. 14-23 geschilderten Herrschaft der Sünde über das Ich, nicht im Sinn des Lebens V. 9a, das im Kontext von V. 7e ein Leben ohne Begierde war – ein Leben in der Gegenwart Gottes, über dessen Wirklichkeit Gott verfügt. Nachdem die Sünde angesichts des Vorhandenseins von Gottes Gebot die sündhafte Begierde weckte, und nachdem Ich das mir nicht Zustehende begehrte und besorgte, wurde die Sünde Wirklichkeit – eine Wirklichkeit, die die Todesandrohung des Gebotes wahr macht und dem Ich das Leben nimmt. Weil sich das Ich auf die Sünde eingelassen, der Begierde nachgegeben und das von Gott nicht Gewollte gewollt und getan hatte, ist es gestorben, d.h. aus der Gegenwart Gottes vertrieben. Der in Gen 2,16-17 angedrohte Tod ereignete sich nach dem Fall in die Sünde (Gen 3,1-6) nicht im Sinn des physischen Todes, der erst viel später eintrat (Gen 5,5), sondern zunächst, aber entscheidend, als Veränderung der Lebensbedingungen auf einer jetzt nicht mehr vollkommenen Erde (Gen 3,16-19) und, noch tiefgreifender, als nicht ————————————————————
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Dochhorn, Gebot, 70; er meint, diese Deutung erleichtere das Verständnis von α� νε' ζησεν (ebd. 71). Dochhorn ebd. 70 vergleicht mit ApkMos 16,3: Die Aktion des Teufels gegen Adam und Eva ist durch ein vorausgehendes Geschehen motiviert – er wurde, wie auch die Schlange, „hinausgeworfen“ (ε� ξεβλη' θημεν) und will jetzt erreichen, dass auch Adam hinausgeworfen wird. Zu ApkMos 16,3 s. Dochhorn, Apokalypse des Mose, 317-318. Wilckens II 82.
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mehr rückgängig zu machende Vertreibung aus Eden und damit aus der Nähe Gottes (Gen 3,20-24).157 Die dritte Folge der Begegnung des Ich mit der Sünde ist eine Verkehrung der Funktion von Gottes Gebot: Und es stellte sich heraus, dass das Gebot, das zum Leben dienen sollte, den Tod brachte. Die mit „es stellte sich heraus“ (ευ� ρε' θη μοι) übersetzte Formulierung beschreibt, wie es dem Ich erging, als die Sünde zum Leben erwachte und Gottes Gebot manipulierte,158 vielleicht mit der Nuance des Erstaunens über den festgestellten Tatbestand.159 Die eigentliche Absicht des Gebots ist die Ermöglichung, Bewahrung und Förderung des Lebens: Das „Gebot, das zum Leben dienen sollte“ (η� ε� ντολη` η� ει� ς ζωη' ν [hē entolē hē eis zōēn]),160 ist im Kontext der Paradiesgeschichte das Gebot Gottes, nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen (Gen 2,16-17) – ein Gebot, das mit seinem Verbot der gottfeindlichen Begierde das Ich von der Bekanntschaft mit der Sünde und damit vor dem Tod als Folge der Sünde bewahren sollte. Das positive Ziel des Gebots besteht darin, das Ich zur Negation der Sünde zu führen und damit für das Ich das Leben als Geschöpf Gottes in der Gegenwart und Herrlichkeit Gottes zu bewahren. Die in Gen 2,16-17 implizite Verbindung zwischen Gottes Gebot und Leben wird in Lev 18,5 im Blick auf das mosaische Gesetz, das im Kontext von 7,7-25 in Gen 2,16-17 mitgedacht ist, explizit so formuliert: „Ihr sollt auf meine Satzungen und meine Vorschriften achten. Wer sie einhält, wird durch sie leben (α� ποιη' σας α» νθρωπος ζη' σεται ε� ν αυ� τοιñς). Ich bin der Herr“. Paulus zitiert diesen Text in Röm 10,5 und Gal 3,12. Die mit dem präpositionalen Attribut η� ει� ς ζωη' ν angesprochene Verbindung von Gebot bzw. Gesetz und Leben findet sich an vielen Stellen: Deut 4,1 „Und nun, Israel, höre die Gesetze und Rechtsvorschriften, die ich euch zu halten lehre. Hört und ihr werdet leben (ι«να ζηñ τε)“; 6,24: „Der Herr hat uns verpflichtet, alle diese Gesetze zu halten und den Herrn, unseren Gott, zu fürchten, damit es uns das ganze Leben lang gut geht und er uns Leben schenkt (ι«να ζω ñ μεν), wie wir es heute haben“; Deut 30,16: „Wenn du auf die Gebote des Herrn, deines ————————————————————
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Wolter I 437, der das Ich als jüdisches Ich versteht und ohne Bezug auf Adam interpretiert, verbindet α� πε' θανον mit 5,13: Die Offenbarung der Tora hat zur Folge, „dass die Menschen seitdem nicht mehr nur wie zwischen Adam und Mose physisch sterben, sondern dass ihre Sünde, weil sie Gesetzesübertretung ist, ‚verbucht wird‘“. Bauer/Aland s.v. ευ� ρι' σκω 2: „Wie ִנְמָצאsich zeigen, erscheinen, erkennbar werden, sich erweisen, erfunden werden als“; vgl. BDR §1903; HvS §233e. Wilckens II 82 Anm. 330; Kümmel, Römer 7, 54 Anm. 2. Michel 228: „Der Dativ μοι kennzeichnet das Geschehen als einen persönlichen, am Menschen sich vollziehenden Vorgang“. Die Wendung η� ει� ς ζωη' ν ist präpositionales Attribut (BDR §272.1; HvS §260l[d]); es erübrigt sich, ουò σα oder δεδομε' νη ergänzen zu wollen (Michel 228).
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 139 ———————————————————————————————————— Gottes, auf die ich dich heute verpflichte, hörst, indem du den Herrn, deinen Gott, liebst, auf seinen Wegen gehst und auf seine Gebote, Gesetze und Rechtsvorschriften achtest, dann wirst du leben (ζη' σεσθε) und zahlreich werden“; Neh 9,29: „Du warntest sie, um sie zu deinem Gesetz zurückzuführen. Sie aber waren stolz; sie hörten nicht auf deine Gebote und versündigten sich gegen deine Vorschriften; und doch lebt durch sie der Mensch, der sie befolgt (α� ποιη' σας αυ� τα` α» νθρωπος ζη' σεται ε� ν αυ� τοιñς). Sie kehrten dir trotzig den Rücken zu, waren starrsinnig und gehorchten dir nicht“; Spr 4,4: „Da lehrte er mich und sagte zu mir: Nimm dir meine Worte zu Herzen, folge meinen Geboten und du wirst leben“ (LXX lässt V. 4c aus); Hes 18,9: „Er lebt nach meinen Gesetzen, er achtet auf meine Rechtsvorschriften und befolgt sie treu. Er ist gerecht und deshalb wird er am Leben bleiben (ζωηñ, ζη' σεται) – Spruch Gottes, des Herrn“; vgl. 18,17; 20,11.13. In außerbiblischen Texten wird diese Tradition fortgesetzt: Bar 3,9: „Höre, Israel, die Gebote des Lebens (ε� ντολα` ς ζωηñ ς)“; 4,1: „Sie [die Weisheit] ist das Buch der Gebote Gottes, das Gesetz, das ewig besteht. Alle, die an ihr festhalten, finden das Leben (πα' ντες οι� κρατουñ ντες αυ� τηñ ς ει� ς ζωη' ν); doch alle, die sie verlassen, verfallen dem Tod“; Sir 17,11: „Er machte ihnen Einsicht zur Pflicht, und das Gesetz des Lebens (νο' μον ζωηñ ς) gab er ihnen zum Erbteil; 45,5: „Und er ließ ihn seine Stimme hören und führte ihn in das Dunkel und gab ihm vor (seinem) Angesicht Gebote (ε� ντολα' ς), das Gesetz des Lebens und der Einsicht (νο' μον ζωηñ ς και` ε� πιστη' μης), um Jakob die Satzungen zu lehren und seine Beschlüsse Israel“ (LXX.D); PsSal 14,1-2: „Treu ist der Herr denen, die ihn lieben in Wahrheit, die seine Züchtigung aushalten, die in der Gerechtigkeit seiner Gebote wandeln, in dem Gesetz, das er uns auferlegte zu unserem Leben (ε� ν νο' μω, , ω ð ε� νετει' λατο η� μιñν ει� ς ζωη` ν η� μω ñ ν)“; CD III, 15-16: „die Forderungen seines Willens, die der Mensch tut, und er wird durch sie leben“. In tShab 15,17 wird Lev 18,5 mit dem Satz kommentiert: „Die Gebote wurden nur gegeben, damit man durch sie lebt …, aber nicht, damit man durch sie stirbt“.
Die Sünde verkehrte die eigentliche Absicht des Gesetzes in ihr Gegenteil: Statt Leben zu garantieren, „brachte sie den Tod“ (αυ« τη ει� ς θα' νατον [hautē eis thanaton]). Wie „Leben“ die Gegenwart und den Segen Gottes bedeutete, so bezeichnet „Tod“ die Abwesenheit und den Fluch Gottes. Das Demonstrativpronomen αυ« τη unterstreicht den paradoxen Kontrast zwischen eigentlicher Absicht und tatsächlicher Wirkung. Das Gebot bewirkte das Gegenteil dessen, was es bewirken sollte. Das Gebot hatte diese vom Ich registrierte negative Wirkung, weil das Ich tat, was das Gebot verboten hatte und deshalb notwendigerweise die vom Gebot angekündigte Folge des Ungehorsams erlitt. Die Sünde manipulierte das Gebot, das nach der Ausführung der dem Ich vorgeschlagenen Tat das Leben mit dem Tod vertauschte. Der Tod ist die Konsequenz der Sünde, die im Voraus bekannt war. 11 Der Grund für die Manipulation von Gottes Gebot, das dem Ich Tod statt Leben bringt, ist die Sünde, nicht ein Defekt des Gesetzes. Der mit nachdem (die Sünde) durch das Gebot einen Ausgangspunkt erhalten hatte übersetzte Partizipialsatz (α� φορμη` ν λαβουñ σα δια` τηñ ς ε� ντοληñ ς) wiederholt V. 8a: Die Sünde benutzte das Vorhandensein des Gebots als Ausgangspunkt ihrer Aktion, die, weil Sünde immer Tod bedeutet, von Anfang an auf den Tod des Ich zielte. Subjekt des Satzes ist die Sünde (η� α� μαρτι'α
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[hē hamartia]), über die Paulus eine zweifache Aussage macht: Die Sünde täuschte mich (η� α� μαρτι'α … ε� ξηπα' τησε' ν με). Das zum Leben gegebene Gebot Gottes führte das Ich in den Tod, weil es durch die Schlange getäuscht wurde (ε� ξηπα' τησεν [exēpatēsen]).161 In Gen 3,13 antwortet Eva auf die Frage Gottes, was sie getan habe: „Die Schlange hat mich getäuscht (ο� ο» φις η� πα' τησε' ν με) und ich habe gegessen“ (LXX.D).162 In 2Kor 11,3 und 1Tim 2,14 verwendet Paulus dasselbe Verb, um die Täuschung Evas durch die Schlange zu beschreiben: „Ich fürchte aber, wie die Schlange einst durch ihre Falschheit Eva täuschte (ε� ξηπα' τησεν), könntet auch ihr in euren Gedanken von der aufrichtigen und reinen Hingabe an Christus abkommen“; „Und nicht Adam wurde verführt (η� πατη' θη), sondern die Frau ließ sich verführen (ε� ξαπατηθειñσα) und übertrat das Gebot“.163 Die Schlange „täuschte“ Eva in mehrfacher Hinsicht: 1. Sie verzerrte das Gebot Gottes, indem sie einseitig nur den negativen Teil von Gottes Gebot zitiert („Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“; Gen 3,1) und die grundsätzliche und umfassende Verfügung („Von allen Bäumen des Gartens“; Gen 2,16) unterschlägt. 2. Sie lässt Eva glauben, dass Gott Ungehorsam gegenüber seinem Gebot nicht mit dem Tod bestrafen würde: Sie unterschlägt beim manipulierten Zitat von Gottes Gebot die Tatsache, dass der Baum nicht nur der Baum der Erkenntnis des Guten ist, sondern auch der Baum der Erkenntnis des Bösen („doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen“; Gen 2,17), ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. ε� ξαπατα' ω „betrügen, täuschen, hintergehen“; s. A. Oepke, Art. α� πατα' ω κτλ., ThWNT I, 383-384. Vgl. neben 7,11 noch 16,18; 1Kor 3,18; 2Kor 11,3; 2Thess 2,3; 1Tim 2,14; LXX: Ex 8,29. Das Verb gehört zur juristischen Sprache der Kaiserzeit, wo es als terminus technicus die strafrechtlich relevante Handlung „betrügen, täuschen“ bezeichnet. Das Schreiben eines Präfekten behandelt Betrügerei durch Magie und Wahrsagerei, gegen die vorgegangen werden soll, weil einfache Leute „auf viele erdenkliche weissagerische Arten getäuscht werden (ε� ξαπαταñ σθ[αι])“ (P.Coll.Youtie I 30 = SB XIV 12144, aus dem Jahr 198-199 n.Chr.); Horsley/Llewelyn, New Documents I, No. 12; Kreinecker, 2. Thessaloniker, 158; vgl. P.Oxy. III 471,42-44; LXIV 4453,3-5; Papathomas, Begriffe, 54-55. Das Simplex α� πατα' ω (vgl. Eph 5,6; 1Tim 2,14; Jak 1,26; LXX hat 38 Belege: Gen 3,13; Ex 22,15; Ri 14,15; 16,5; 2Sam 3,25; 1Kön 22,20.21.22; 2Chron 18,2.19.20.21; Ps 77[76],3; 78[77], 36; Spr 24,15 u.a.) hat dieselbe Bedeutung wie ε� ξαπατα' ω. Die Verwendung von ε� ξαπατα' ω in 2Kor 11,3; 1Tim 2,14 für die Täuschung Evas durch die Schlange und die Verwendung von α� πατα' ω in Gen 3,13 (vgl. 4Makk 18,8; Philo, QuaestGen 1,31; Josephus, Ant 1,48.49) veranlasst Ausleger, die das Ich in 7,7-10 nicht auf Adam beziehen wollen, dann doch in 7,11 eine Anspielung auf den Sündenfall zu sehen; vgl. Wolter I 438; ablehnend auch hier, nach Kümmel, Römer 7, 54, bleiben Moo 440; Schreiner 361; Jervis, Commandment, 195-196 (die das Gebot V. 10 auf das Leben in Christus bezieht und 7,8-25 als etwas gequälte Darstellung des Kampfes gegen die Sünde im Verlauf des christlichen Lebens betrachtet).
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und sie unterschlägt die angedrohte Folge der Zuwiderhandlung („sobald du davon isst, wirst du sterben“; Gen 2,17). 3. Sie benutzt das Gebot Gottes, um Zweifel gegen die Güte von Gottes Willen zu säen, indem sie das von ihr manipulierend formulierte Gebot verwendet, um in Frageform Bedenken an der Wahrheit von Gottes Wort und Bedenken an der Wirklichkeit von Gottes Güte zu säen („Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“; Gen 3,1). 4. Sie insinuiert die Möglichkeit der Selbstbestimmung in Opposition zu Gott, indem sie Eva einlädt, das Reden Gottes zu bewerten und sich gegen das von Gott empfangene Wort zu entscheiden, ohne schlimme Folgen erwarten zu müssen. 5. Sie produziert mit diesen Maßnahmen das Begehren des dem Menschen nicht Zustehenden, in dem Wissen, dass in der Tat, wie von Gott angesagt, der Vollzug des Begehrens den Tod zur Folge haben würde (vgl. V. 13). Die zweite Aussage über die Sünde betont die Folge der Begegnung des Ich mit der das Gebot Gottes manipulierenden Sünde: Und (die Sünde) tötete mich mit seiner Hilfe (και` δι’ αυ� τηñ ς α� πε' κτεινεν). Die Täuschung des Ich führte zum Tun des von Gottes Gebot Verbotenen und brachte ihm den von Gott im Fall des Ungehorsams angekündigten Tod ein. Der Betrug der Sünde bestand in der Manipulation von Gottes Gebot: Das Gesetz, das dem Menschen das Leben bewahren sollte, brachte den Tod. Die Usurpation des Gesetzes durch die personifizierte Sünde verwandelte das Instrument zum Leben in ein Instrument zum Tod. Diese Transformation des Gesetzes, die in Todesfolge des menschlichen Handelns als Betrug entlarvt wird (V. 13), hat mit dem Wesen und dem Willen des Gesetzes nichts zu tun.164 Die Todesfolge des Gesetzes geht ganz auf das Konto der Sünde. Nicht das Gesetz hat dem Menschen den Tod gebracht, sondern die Sünde, die das Gebot als Instrument (δι’ αυ� τηñ ς) einsetzte für ihr Ziel, den Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Auf der Seite der Sünde gibt es kein Leben, sondern den Tod. Die Täuschung des Menschen bleibt auch nach dem Sündenfall im Paradies eine tragische Wirklichkeit. Die Sünde bringt die Menschen dazu, den Willen Gottes für revisionsbedürftig zu halten, an der Güte Gottes zu zweifeln und die Todesdrohung nicht ernst zu nehmen. 12 Das Fazit der Antwort, die Paulus in V. 7c-11 auf die Frage V. 7b („Ist das Gesetz Sünde?“) gegeben hat, lautet: So ist nun das Gesetz heilig und das Gebot heilig, gerecht und gut.165 Der Satz ist als Bestätigung von 3,31 ————————————————————
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Gegen Bultmann und die ihm folgenden Ausleger, die schon den Versuch der Gesetzeserfüllung – und gerade diesen Versuch! – als Sünde (verstanden als Selbstbehauptung des Menschen gegenüber Gott) interpretieren. ω « στε zeigt die Folge aus dem Vorausgehenden an; με' ν ist (unklassisch) ohne δε' gebraucht (με' ν solitarium; HvS §252,34); man kann sich V. 13 als Gegensatz denken
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ganz ernst zu nehmen („Heben wir etwa das Gesetz durch den Glauben auf? Auf keinen Fall! Wir bringen vielmehr das Gesetz zur Geltung“). Paulus formuliert nicht nur rhetorisch wirkungsvoll, sondern theologisch, heilsgeschichtlich und ethisch konkret.166 Das Gesetz (ο� νο' μος [ho nomos]) ist heilig (α« γιος [hagios]), weil es Gottes Gesetz ist und Gott heilig ist (zu α« γιος s. 1,7).167 Lev 20,26: „Darum sollt ihr mir heilig sein, denn ich, der Herr, bin heilig (ε� γω` α« γιος κυ' ριος ο� θεο` ς υ� μω ñ ν)“; 21,8: „Ich bin heilig, der Herr (α« γιος ε� γω` κυ' ριος), der euch heiligt“; Jes 6,3: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere (α« γιος α« γιος α« γιος κυ' ριος σαβαωθ). Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt“; Ps 99[98],9: „Rühmt den Herrn, unsern Gott, werft euch nieder an seinem heiligen Berge! Denn heilig ist der Herr, unser Gott (α« γιος κυ' ριος ο� θεο` ς η� μω ñ ν)“.
In V. 14 bezeichnet er das Gesetz als „geistlich“ (πνευματικο' ς); in 1,2 hatte Paulus von den „heiligen Schriften“ (γραφαι` α� γι'αι) gesprochen. Das Gesetz ist als heiliges Gesetz des heiligen Gottes unantastbar: Es gehört auf die Seite Gottes, es partizipiert an Gottes Herrlichkeit. Von Eleasar, einem der angesehensten Schriftgelehrten der Makkabäerzeit, der für seinen Glauben bereit war, das Martyrium zu erleiden, heißt es, dass er „den heiligen, von Gott gegebenen Gesetzen (τηñ ς α� γι' ας και` θεοκτι' στου νομοθεσι' ας) gehorcht hatte“ (2Makk 6,23); er sagt im Blick auf seine bevorstehende Hinrichtung: „Der Jugend aber hinterlasse ich ein leuchtendes Beispiel, wie man mutig und mit Haltung für die ehrwürdigen und heiligen Gesetze (υ� πε` ρ τω ñ ν σεμνω ñ ν και` α� γι' ων νο' μων) eines schönen Todes stirbt“ (2Makk 6,28).
Das Gebot (η� ε� ντολη' [hē entolē]) steht zunächst für das Gebot „Du sollst nicht begehren“ V. 7,168 sodann, als kollektiver Singular, für alle Gebote des Gesetzes.169 Wenn das Gesetz heilig ist, dann ist auch die Konkretisierung des Gesetzes im einzelnen Gebot heilig (α� γι'α [hagia]). Als Stimme des von Gott offenbarten Gesetzes ist das Gebot gerecht (δικαι'α [dikaia]), wie Gott gerecht ist. Deut 32,4 LXX: „Gott – wahrhaftig sind seine Werke und alle seine Wege (richtige) Entscheidung. Ein treuer Gott (ist er), und es gibt (bei ihm) keine Ungerechtigkeit; gerecht und ————————————————————
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(NSS II 22); vgl. Zahn 344: „με' ν dient nur dazu, νο' μος im Gegensatz zu den Menschen und der Sünde zu betonen“; vgl. Wilckens II 83 Anm. 335. Die kurzen Bemerkungen von Rosner, Paul and the Law, 24.98.100.104 zu 7,12 werden der Bedeutung der Aussage für das Thema „Paulus und das Gesetz“ nicht gerecht. Dasselbe gilt für Rehfeld, Ontologie, 153-155.198-199. Vgl. Giesen, Gesetz; Vahrenhorst, Kultische Sprache, 284. V. 8 ε� ντολη' bezieht sich auf den V. 7 zitierten νο' μος „Du sollst nicht begehren“. HvS S. 182: Der kollektive (generelle) Singular hat verallgemeinernde Bedeutung. Wolter I 439 versteht ε� ντολη' als metonymisches pars pro toto für die Gesamtheit der Tora.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 143 ———————————————————————————————————— heilig (ist) der Herr (δι' καιος και` ο« σιος κυ' ριος)“ (LXX.D); Ps 119,137: „Herr, du bist gerecht“ (δι' καιος ειò, κυ' ριε); 2Chron 12,6: „Doch nun demütigten sich die führenden Leute Israels und der König und sagten: Der Herr ist gerecht (Δι' καιος ο� κυ' ριος)“; Ps 129[128],4: „Doch der Herr ist gerecht (κυ' ριος δι' καιος), er hat die Stricke der Frevler zerhauen“; Zef 3,5 LXX: „Der Herr aber ist gerecht (ο� δε` κυ' ριος δι' καιος) in ihrer Mitte; und er wird gewiss kein Unrecht tun (ου� μη` ποιη' ση, α» δικον)“.
In 9,31 spricht Paulus vom „Gesetz der Gerechtigkeit“ (νο' μος δικαιοσυ' νης), in 10,5 von der „Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt“ (η� δικαιοσυ' νην η� ε� κ τουñ νο' μου); vgl. 8,2, wo von der „Rechtsforderung des Gesetzes“ (το` δικαι'ωμα τουñ νο' μου) die Rede ist. Das „Gerechtsein“ der Gebote bedeutet: Sie beschreiben das von Gott gewollte Handeln, das als solches immer gerechtes Handeln ist, und sie führen Gottes Volk zur Gerechtigkeit, indem sie als Rechtssatzung gerechtes Handeln vorschreiben und durch die Verbote vom Begehren des dem Menschen nicht Zustehenden fernhalten und so vor der Sünde bewahren. Die Gerechtigkeit der Gebote wird in Deut 4,8 im Vergleich mit anderen Völkern so beschrieben: „Und welcher große Volksstamm hat für sich solche Rechtssätze und gerechte Urteile (δικαιω' ματα και` κρι' ματα δι' καια) wie dieses ganze Gesetz (κατα` πα' ντα το` ν νο' μον τουñ τον), das ich heute euch vorlege?“ (LXX.D).
Das Gebot des Gesetzes ist gut (α� γαθη' [agathē]): Da Gott, der das Gesetz mit seinen Geboten gegeben hat, gut ist, vermittelt das Gebot den guten Willen Gottes170 und will das Leben bewahren.171 „Gut“ (α� γαθο' ς [agathos]) bedeutet „von höchster Qualität“, d.h. brauchbar, nützlich, vorteilhaft, segensreich, sowie „wertvoll, verdienstvoll“.172 In 2Chron 30,18 wird Gott als „der Herr, der Gütige“ (Κυ' ριος ο� α� γαθο' ς) beschrieben. Vgl. 1Chron 16,34: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig (ε� ξομολογειñσθε τω ñ, κυρι' ω, , ο« τι α� γαθο' ν), denn seine Huld währt ewig“; 2Chron 5,13: „Denn er ist gütig (α� γαθο' ν), denn seine Huld währt ewig“; Ps 135[134],3: „Lobt den Herrn, denn der Herr ist gütig (α� γαθο` ς κυ' ριος). Singt und spielt seinem Namen, denn er ist freundlich“; vgl. Esr 3,11; sowie Philo, Mut 7; Somn 1,149; Decal 176; SpecLeg 1,209. In 2Kön 20,19 sagt Hiskija zu Jesaja: „Das Wort des Herrn ist gut, das du mir gesagt hast“ (α� γαθο` ς ο� λο' γος κυρι' ου). Im Bußgebet der vom Exil zurückgekehrten Juden heißt es: „Du ————————————————————
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Vgl. 2,10; 12,2.9.21; 13,3-4; 15,2; 16,19. Vgl. 10,5; Gal 3,12. BDAG s.v. α� γαθο' ς 1-2; Verweis auf Röm 7,12 unter 2a.β „of things characterized esp. in terms of social significance and worth“; vgl. Bauer/Aland s.v. α� γαθο' ς 1a.b. Der Duden definiert „gut“ als 1. den Ansprüchen genügend; von zufriedenstellender Qualität, ohne nachteilige Eigenschaften oder Mängel; gute Leistungen erbringend, seine Aufgabe zur Zufriedenheit erfüllend; wirksam, nützlich; für etwas günstig, passend, geeignet; 2. angenehm, erfreulich; sich positiv auswirkend.
144 Römerbrief ———————————————————————————————————— bist auf den Berg Sinai herabgestiegen und hast vom Himmel her mit ihnen gesprochen; du hast ihnen klare Ordnungen (κρι' ματα ευ� θε' α) und zuverlässige Gesetze (νο' μους α� ληθει' ας) gegeben, gute Satzungen und Gebote (προστα' γματα και` ε� ντολα` ς α� γαθα' ς)“ (Neh 9,13; LXX 2Esr 19,13). Josephus spricht von den „Gesetzen, die Gott für gut erachtet hat (νο' μοις ου� ς α� γαθου` ς δοκιμα' σας ο� θεο' ς)“ (Ant 4,295). Die Bedeutung „schön“ für α� γαθο' ς173 ist an dieser Stelle abwegig. Die These, „gut“ charakterisiere nur „das Einzelverbot“, nicht jedoch die Sinai-Tora kann nicht überzeugen: Das mosaische Gesetz besteht aus Geboten, und wenn diese „gut“ sind, dann ist es auch das Gesetz, das schon deshalb gut ist, weil es die Gabe des heiligen Gottes für sein Volk ist. Die Wiedergabe von ε� ντολη' mit „Einzelverbot“ spiegelt das grundsätzlich negative Verständnis des mosaischen Gesetzes bei Rehfeld wider, der „Form“ und „Inhalt“ im Blick auf die paulinischen Gesetzesaussagen unterscheiden will: Die Wesensaussage „heilig“ gelte für die Sinai-Tora (νο' μος) als Ganze, sowie für das Gebot (ε� ντολη' ) als Aussage pars pro toto (als Wesens- und Funktionsaussage), aber die Wesens- und Funktionsaussagen „gut“ und „gerecht“ gelten nur für das Gebot (ε� ντολη' ), aber für das Gesetz (νο' μος) „trotz seiner wesenhaften Qualität nicht“.174 Rehfeld gesteht zu, dass Paulus im Blick auf das Gesetz und die Gebote Form und Inhalt nicht radikal trenne, meint aber, Paulus unterscheide beide „deutlich“; dies gibt genauso wenig Sinn wie die Behauptung, nach paulinischem Verständnis sei die Sinai-Tora als solche „mitnichten“ einfach mit dem „in ihr“ als dem „Gesetz Gottes“ (7,22; 8,7) dokumentierten guten Gotteswillen identisch. Rehfeld lehnt jegliche positive Bedeutung der Mose-Tora „gerade für den Christen“ im Sinn eines tertius usus legis für Paulus ab; er hält jedoch eine positive Bedeutung der Sinai-Tora für den Nichtchristen „im Rahmen ihres usus politicus – über den Paulus nicht eigens reflektiert“ für möglich.175
Mit der Grundaussage von V. 12 widerlegt Paulus den Einwand, er hebe das Gesetz auf (3,31), indem er es auf die Seite der Sünde ziehe (7,7). Schuld an der Sünde und der Todesverfallenheit des Menschen ist die Sünde, nicht das Gesetz. Das mosaische Gesetz ist und bleibt das Wort des heiligen Gottes, und die Gebote sind Gottes heilige Anweisungen, die vom Menschen das Handeln entsprechend der Gerechtigkeit Gottes einfordern und die den Menschen zu einem Leben in Übereinstimmung mit dem wirksamen, nützlichen, zu einem positiven Lebensvollzug führenden Willen Gottes helfen. Die Frage, wie Paulus das mosaische Gesetz im Rahmen seiner Verkündigung der Heilsoffenbarung Gottes in Jesus Christus eingeordnet und verstanden hat, gilt als eine der schwierigsten Fragen einer Darstellung der paulinischen Theologie. Dies liegt, so meinen manche, einmal an der unsystematischen Behandlung der Frage durch Paulus sowie an der vielschichtigen Tradition zur Gesetzesthematik im Frühjudentum und im Urchristentum.176 Ebenfalls ein Hindernis für ein adäquates Verständnis ist der wirkungsgeschichtliche Kon————————————————————
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Rehfeld, Ontologie, 154; zum folgenden Punkt s. ebd. 198 mit Verweis auf Landmesser, Umstrittener Paulus, 396 Anm. 43, ohne weitere Argumentation. Rehfeld, Ontologie, 153-155, Zitat 154. Der Protest gegen den Vorwurf, er mache Paulus zum Vertreter des Libertinismus, wird nur halbherzig vorgetragen und am Ende wieder zurückgenommen (ebd. 154 Anm. 143). Rehfeld, Ontologie, 168-172, Zitat 171. Vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 253.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 145 ———————————————————————————————————— text der lutherischen Exegese und Theologie, in der – mit Recht – die „Produktion“ von Gerechtigkeit und Sündenvergebung aufgrund eigener moralischer (und materieller) 177 Leistung mit großer Entschlossenheit und unter Inkaufnahme persönlicher Opfer und Gefahren als dem Evangelium widersprechend abgewiesen wurde. Der status confessionis dieser kirchengeschichtlich entscheidenden Wende hatte zur Folge, dass alles, was nach „Werk“ aussah, als „Werkgerechtigkeit“ verdächtigt und als „unevangelisch“ kritisch kommentiert und anathematisiert wurde. Luther vertrat eine doppelte Funktion des Gesetzes.178 Der usus primus seu politicus betrifft die politische, gesellschaftliche und strafrechtliche Gesetzgebung, die menschliches Zusammenleben ermöglicht und Ungerechtigkeit, Bosheit und Gewalt abwehrt. Der usus secundus seu elenchthicus (usus paedagogicus, auch usus theologicus) betrifft das Gesetz, das mich als Sünder meiner Sünde überführt. Umstritten ist, ob Luther, wie dann Melanchthon und Calvin, einen „dritten Gebrauch des Gesetzes“ (tertius usus legis) kannte, der dem Gesetz eine positive Rolle als Anleitung zum Leben aus Glauben bzw. als Anleitung zur Heiligkeit zuschreibt.179 Manche finden bei Luther einen usus practicus evangelii, der als funktionales Äquivalent betrachtet wird.180 Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, die bei Luther im Zentrum stand, spielt bei Calvin eine untergeordnete Rolle. Calvin betont den Verheißungsgehalt des Gesetzes und interpretiert sowohl das Evangelium wie das Gesetz im Zusammenhang des Bundes Gottes mit seinem Volk, wobei es für Calvin nur den einen Gottesbund gibt, in dem die Geschichte Israels und die Geschichte der Gemeinde Christi miteinander verbunden sind, wobei Christus die Einheit der beiden Testamente garantiert. Das Problem ergibt sich daraus, dass man bei Paulus zwei Aussagenreihen findet: 1. Paulus betont die Freiheit des Gläubigen vom Gesetz (Röm 6,14: „ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“; vgl. 10,4; Gal 5,18). Paulus nennt konkret drei Bereiche des mosaischen Gesetzes, die für Heidenchristen nicht bindend sind: die Beschneidung, das Halten des Sabbats, die Speisegebote (Gal 2,11-14; 4,10; 6,15; 1Kor 7,18-19; 8,1–11,1; Röm 14,1-4). 2. Paulus bekräftigt die Gültigkeit des Alten Testaments (Röm 3,31: „Heben wir etwa das Gesetz durch den Glauben auf? Auf keinen Fall! Wir bringen vielmehr das Gesetz zur Geltung“; vgl. 7,12; 1Kor 7,19). Ein gewichtiger Hinweis auf die fortgesetzte Gültigkeit der heiligen Schriften Israels für das christliche Ethos ist die Tatsache, dass Paulus ganz selbstverständlich alttestamentliche Texte übernimmt (Gal 6,1; 1Kor 5,13; 6,12-20; 7,19; 2Kor 8,15; 9,9; Röm 8,1-4). Das Gesetzesverständnis von Paulus ist im Zusammenhang des alttestamentlichen und frühjüdischen Gesetzesverständnisses zu interpretieren. Das alttestamentliche Gesetzesverständnis. 1. Der fromme Israelit und Jude weiß sich von einer tiefen Freude und Dankbarkeit für die Gabe des Gesetzes getragen (Ps 1,1-2; 19,9; 119,14.24.77.92; bei Paulus Röm 2,17-18; 7,22). Die neuere Forschung betont zu Recht, dass wir uns von dem negativen Zerrbild des Gesetzes befreien müssen, als ob Israeliten und Juden unter der Last der Toragebote geseufzt und gelitten hätten.181 2. Das Gesetz ist die von Gott seinem Volk geoffenbarte Lebensordnung, die ein geglücktes Leben vor Gott und in der Welt ermöglichen soll. Diese Überzeugung zeigt sich in dem engen Zusammenhang von Israels Erwählung, Befreiung und Bundesverpflichtung, die Israel auf die Anbetung Gottes ————————————————————
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Es sei an den Kauf von Ablassbriefen erinnert, eine fromme Leistung, durch die man sich die Verkürzung der Fegefeuerstrafen erhoffte. Körtner, Theologie des Wortes Gottes, 199-200. Die meisten Lutherforscher lehnen die Annahme eines tertius usus legis bei Luther ab; vgl. Ebeling, Triplex usus legis; R. Mau, Art. Gesetz V. Reformationszeit, TRE XIII, 8290, hier 84. Joest, Gesetz, 132; Körtner, Theologie des Wortes Gottes, 200; zu Calvin ebd. 200-202. Vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 254.
146 Römerbrief ———————————————————————————————————— und ein Leben nach seinen Geboten festlegt (Deut 4,7-18.32-40; Lev 18,1-5; bes. 18,5: „Und meine Ordnungen und meine Rechtsbestimmungen sollt ihr halten. Durch sie wird der Mensch, der sie tut, Leben haben. Ich bin der Herr“). 3. Die Gebote sind als Bestimmungen des Bundes zu verstehen, den Gott mit Israel geschlossen hat. Der Bundesvertrag entspricht in der Struktur den Verträgen des 2. Jt. v.Chr., die Könige mit Vasallen abgeschlossen haben und bei denen allgemeine und spezielle Bestimmungen zum Verhalten des Bundespartners integral zum Bund gehören, nicht um den Bund zu „verdienen“, sondern um seinen Bestand zu gewährleisten. Der Bund Gottes mit Israel ist sowohl Gottes Zusage, Gottes Verheißung und Gottes Verpflichtung für das Volk, das sein Volk ist.182 4. In der Weisheitstradition finden wir die Überzeugung von der universalen „Zuständigkeit“ der Tora. Die Tora ist die Schöpfungsordnung des Kosmos: Wer gemäß der Tora lebt, der lebt in Übereinstimmung mit Gottes Schöpfung (vgl. Ps 19). Im Frühjudentum wurde in diesem Zusammenhang die Tora mit der präexistenten Weisheit Gottes identifiziert (Bar 3,9–4,4; Sir 24).183 5. Gleichzeitig finden wir im AT die Erwartung, dass es eine weitere, abschließende, vollendende Gesetzesoffenbarung geben würde. Jeremia prophezeit einen „neuen Bund“, den Jahwe mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda schließen wird: „Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den Herrn! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, spricht der Herr. Denn ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken“ (Jer 31,31-34, zitiert sind 33-34). Vgl. Jes 2,2-5; Hes 36,24-28; 37,21-28; Mi 4,1-5.184 Die Tempelrolle aus Qumran (11QT), und in gewisser Weise auch das Jubiläenbuch tragen eine das mosaische Gesetz überbietende Gottestora vor, die Israel zu einem heiligeren Volk als bisher machen soll. Das frühjüdische Gesetzesverständnis. Das schriftgelehrte Verständnis des Gesetzes in der Zeit des Zweiten Tempels entspricht in wesentlichen Zügen den Aussagen des AT. 1. Die Tora ist der Wille Gottes, der durch Mose dem Volk Israel am Sinai geoffenbart wurde; durch den Besitz des Gesetzes unterscheidet sich Israel von allen anderen Völkern (vgl. mAb 4,9). 2. Die Tora ist gleichzeitig die von Gott geschaffene Ordnung des Kosmos, die schon vor der Schöpfung existierte und mit der präexistenten Weisheit identisch ist. So kann das eine Gebot, das Adam in Eden gegeben worden war (Gen 2,15-17), mit der ganzen Tora gleichgesetzt werden (Tg.Neof. und Tg. Jer. I zu Gen 2,15; VitAd 32,37; 4Esra 3,7; 7,11; Josephus, Ant 1,41-47; Philo, Leg 1,90-97). An dieses weisheitliche Schriftverständnis schließt die rabbinische Tradition an, nach der die Tora aus 613 Geboten besteht: die 248 Gebote und die 365 Verbote entsprechen den 248 Gliedern und 365 Adern des Menschen (Tg. Jer. I zu Gen 1,27).185 3. Die Tora wurde von Gott geoffenbart, damit Israel am Leben bleiben kann und nicht in der Gottlosigkeit dem Gericht verfällt (Sir 17,11: νο' μος ζωηñ ς; PsSal 14,2: das Gesetz, „das Gott uns zum Leben gegeben hat“; syrApkBar 38,2). 4. Die Tora bestimmt das Leben in allen seinen Bezügen und gilt grundsätzlich, da sie Weisung Gottes ist, als praktikabel (Sir 15,15; PsSal 9,4-7; 4Esr 8,56-61; mAb 3,15). Mit Praktikabilität ist nicht Perfektion des Gesetzesgehorsams gemeint: Man weiß um ————————————————————
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Vgl. Ernst Kutsch, Testament, 85, mit Verweis auf Ex 19,5; 24,7-8; Jer 31,31-34; s. auch Deut 4,13; 2Kön 23,2-3; Jer 11,3-4; Ps 78,10. Die MekhY zu Ex 12,6 formuliert später: „Mit Bund ist nichts anderes gemeint als die Tora“. Vgl. Schnabel, Law and Wisdom, 8-92; zu Qumran ebd. 166-226. Gese, Gesetz, 74-75; Stuhlmacher, Theologie I, 254-257 sprechen im Blick auf diese erwartete Tora-Offenbarung von der „Zionstora“, deren Wesen mit vier Komponenten beschrieben wird. Hengel, Judentum, 210.311 spricht von „Toraontologie“.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 147 ———————————————————————————————————— Versuchlichkeit, Schwachheit und Sünde. „Es ist genau umgekehrt: Die Praktikabilität wird festgehalten in der Gegenwehr gegen die Sünde und in dankbarer Anerkenntnis des Umstands, daß Gott Gelegenheit zur Buße gibt und an ihr Wohlgefallen hat“.186 Die Heilsgewissheit beruht nicht auf der Gesetzespraxis, sondern auf der Erwählung durch Gott, auf der von Gott gewollten und ermöglichten Umkehr, auf den diese begleitenden Werken der Buße und auf der Erwartung, dass Gott den Bußfertigen annimmt (Sir 17,24-26; PsSal 8,31-36; 9,6-11; 4Esr 8,31-36). Die Gesetzesübertretungen des Israeliten wurden durch Opfer und Waschungen gesühnt, die Sünden des Volkes am großen Versöhnungstag. Der Prozess der kultischen Versöhnung war unzertrennbar mit dem Gesetz und seinen kultischrituellen Bestimmungen verbunden. Das heißt, gerade die Bewahrung des gnadenhaften Status als Glied von Gottes Bundesvolk erforderte die Einhaltung der vom Gesetz geforderten (kultischen) Bestimmungen. 5. Die schriftlich fixierte Tora muss für die Umsetzung im Alltag interpretiert werden; die (zunächst nur mündliche) Weiterinterpretation der Tora geht auf die Gesetzesoffenbarung durch Mose selbst zurück und ist der Verantwortung der Schriftgelehrten anheimgestellt (vgl. mAb 1,1). 6. Die Tora ist der Maßstab, nach welchem Gott Israel und die Völker im Endgericht beurteilt (4Esr 7,37,70-73; syrApkBar 48,27.3840.46-47; mAb 3,15-16). Jesus und das mosaische Gesetz. 1. Jesus hat das mosaische Gesetz nicht abgeschafft (Mt 5,18-20). 2. Jesus verstand sich als messianischer Vollender der Tora und sein Wirken als eschatologische Erfüllung der Verheißung der kommenden Königsherrschaft Gottes (Mt 5,17; vgl. die Erfüllungszitate Mt 1,22; 2,15.17.23; 4,14; 8,17 u.a.). 3. Jesus proklamiert mit eigener Vollmacht den Willen Gottes (Mk 2,28). 4. Jesus verkündigt die rechte Auslegung des Willens Gottes gegen die schriftgelehrte Auslegung der Tora und ihre Praxis (Mt 5,3132 Ehescheidung; Mk 7,6-13 Korban; Mt 23,23 Zehnter). 5. Jesus deutet eine grundlegende Änderung der Tora in der Frage nach dem Ort der Heiligkeit an (Mk 7,15). Die zeichenhafte, absichtliche Heilung am Sabbat signalisiert die Aufsprengung des „Zauns der Tora“. 6. Jesus proklamiert als Immanuel den (verheißenen und erwarteten) Neuen Bund und begründet ihn mit seinem Sühnetod am Kreuz (Mk 14,24).187 Paulus und das mosaische Gesetz. Trotz der genannten vielschichtigen Aussagen ist die Gedankenführung des Apostels kohärent. Zu beachten sind dabei (a) seine Überzeugung, dass Jesus der Messias Israels und der Retter der Welt ist und mit ihm der von den Propheten verheißene neue Bund gekommen ist; (b) sein Wirken als Missionar, der sich in zentraler Weise zu den Heiden gesandt wusste; Paulus spricht über die mosaische Tora nicht als Professor für Altes Testament, sondern als Jesusbekenner und Missionar, der alles, gerade auch das mosaische Gesetz, im Licht der Heilsoffenbarung Gottes in Jesus Christus bewertet; (c) seine Auseinandersetzung mit Judenchristen, die eine „nationale“ Interpretation des Neuen Bundes und eine entsprechende Integration der Tora betonen und von Heiden-christen u.a. die Beschneidung fordern. 1. Der Ursprung des Gesetzes. Paulus betrachtet das Gesetz und die Gebote als Offenbarung Gottes (Rom 7,12; vgl. 7,22.25; 8,7; 9,4; 1Kor 7,19; 9,21). Wenn Paulus von „Buchstabe“ (gramma) spricht (Röm 2,29; 7,6; 2Kor 3,6), dann wertet er nicht das Gesetz als solches ab, sondern kritisiert einen falschen und oberflächlichen Umgang mit dem Gesetz, u.a. im Sinn einer Konzentration auf die sichtbare Beschneidung. In Gal 3,15-20 spricht Paulus von dem durch Engel gegebenen Gesetz, zieht aber die göttliche Herkunft des Gesetzes nicht in Zwei-
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Stuhlmacher, Theologie I, 259. Diese Aussagen sind im Detail zu begründen, was an dieser Stelle nicht möglich ist.
148 Römerbrief ———————————————————————————————————— fel: Er greift eine jüdische Tradition auf;188 dass er an dieser Stelle von widergöttlichen Engelmächten spricht, ist im Zusammenhang dieser Tradition auszuschließen. Nach Gal 3,21 gibt es keinen Widerspruch zwischen dem Gesetz und den Verheißungen: Die Aussage, dass das Gesetz 430 Jahre nach der Verheißung kam, will nicht die Tora als „ungöttlich“ demaskieren, sondern Mose dem Messias Jesus, dem einzig wahren Mittler Gottes, unterordnen. 2. Die Absicht des Gesetzes. Zwei Aussagen sind gleichzeitig wichtig. (a) Das Gesetz ist Ausdruck des Willens Gottes. Röm 7,10: Das Gebot soll zum Leben führen; Röm 7,12: Das Gesetz ist heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut. Es gab bei Mose eine Gerechtigkeit aus dem Gesetz: Das Tun des Gesetzes bedeutet Leben (Röm 10,5). Die Aussage in Gal 3,21b scheint dem zu widersprechen: Weil das Gesetz dem Sünder kein Heil zusprechen konnte, kann auch die Gerechtigkeit nicht aus dem Gesetz kommen. Zu beachten ist Folgendes: Gott traf im Opferkult Vorkehrungen für Gesetzesübertretungen; die Aussage von Paulus darf nicht isoliert werden von seiner Überzeugung, dass Jesus der Messias ist. Wenn Juden den Messias und seinen sühnenden Opfertod zurückweisen, kann keine Toragerechtigkeit diese Ablehnung kompensieren. Da alle Menschen Sünder sind, auch die Menschen Israels, kann das Gesetz nach Tod und Auferstehung des Messias Jesus Sünde nicht mehr verurteilen und zugleich sühnen, sondern kann diese nur noch verurteilen. Nach dem Sühnetod des Messias Jesus ist der frühere Weg zur Sühnung durch Opfer und Waschungen versperrt (s. unten). (b) Das Gesetz und die Erkenntnis der Sünde. Die Aussage Gal 3,19, dass das Gesetz zur Verheißung hinzugefügt wurde „wegen der Übertretungen“ (ähnlich Röm 5,20), kann unterschiedlich verstanden werden: Das Gesetz entlarvt Sünde als bewussten Ungehorsam; das Gesetz vermehrt die Sünde in den Übertretungen der Nachkommen Adams; das Gesetz verurteilt Sünde mit endgerichtlicher und universaler Vernichtungskraft. Die Aussage Gal 3,24, dass das Gesetz παιδαγωγο' ς (paidagōgos) auf Christus hin ist, will sagen: Die Tora wollte Israel durch Gebote und Verbote ein gedeihliches Leben ermöglichen, hat aber keine dauerhafte Zuständigkeit; sie ist von Gott gewollt und dient seinen Absichten, die sich mit Jesus Christus erfüllt haben. 3. Das Gesetz und der Nexus von Sünde und Tod. (a) Das Gesetz kam, um Sünde als Sünde zu definieren, um zu offenbaren, dass Sünde Übertretung von Gottes Willen ist (Gal 3,19). Die Befolgung der Gebote der Tora führt nicht zur Rechtfertigung des Sünders – weil alle Menschen vor Gott schuldig sind (Röm 3,19), weil es keinen Gerechten gibt (3,10-12), weil alle gesündigt haben und unter der Herrschaft der Sünde leben (3,9): der Jude „im Gesetz“ wie der Heide ohne das Gesetz (2,12), und weil Gott jetzt die Sünden von Heiden und Juden infolge und im Anschluss an den Sühnetod des Messias Jesus vergibt (3,21-31). Das Gesetz hat – nach dem Sühnetod des Messias Jesus – keine Macht oder Autorität, den Übertreter des Gesetzes als gerecht zu erklären. In Röm 7,7-25 beschreibt Paulus, wie das Gesetz dem Menschen seit Adams Fall begegnet. Das ursprüngliche Ziel des Gesetzes war der Schutz des Ich vor der Konsequenz der Sünde durch das Verbot der Sünde. Die Sünde gebrauchte jedoch das Nein des Gesetzes, um das Ich für sich zu reklamieren. Infolgedessen trifft das Nein des Gesetzes gegen die Sünde das Ich als Todesurteil. Somit ist die Sünde voll für den Tod des Ich verantwortlich. In diesem Prozess zeigt sich paradoxerweise gerade das Gute des Gesetzes: Ich erkenne in dem vom Gesetz verhängten Todesurteil, dass mein Tod das Resultat der Sünde ist, und dass Sünde entgegen ihres Versprechens nicht zum Leben führt, sondern den Tod bewirkt. (b) Der Erfahrungsaspekt der Verknüpfung von Gesetz und Sünde besagt, dass der Mensch durch seine Begegnung mit dem Gesetz praktische Bekanntschaft ————————————————————
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Deut 33,2 LXX: „Der Herr ist gekommen vom Sinai und er erschien uns aus Seïr und zusammen mit Zehntausenden von Kades eilte er vom Gebirge Pharan herbei, Engel sind bei ihm zu seiner Rechten“; Jub 1,29; Philo, Somn 1,140-143; Josephus, Ant 15,136. Im Neuen Testament vgl. Apg 7,53; Hebr 2,2.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 149 ———————————————————————————————————— mit der Sünde macht (Gal 2,15-17; 3,23-24; Röm 7,7-25). Zur Erfahrung des Menschen im Kontext der Verknüpfung von Gesetz und Sünde gehört der Tod. Das Gesetz fordert rechtlich zwingend den Tod des Sünders, der am Tag des Endgerichts vollzogen wird. Dies ist der „Fluch des Gesetzes“ (Gal 3,10). Das Gesetz ist in diesem Zusammenhang das „Gesetz der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2): Weil das Gesetz Sünde als Sünde entlarvt und Sünde wirksam werden lässt, ist es ein „Gesetz der Sünde“ (auch wenn das Gesetz an sich nicht Sünde, sondern heilig, gerecht und gut ist; vgl. 7,7.12). Indem das Gesetz das Todesurteil über den Sünder ausspricht, hält es den Menschen als Sünder in seinem „Leib des Todes“ gefangen (7,24): Es ist ein „Gesetz des Todes“. So bleibt dem Sünder, ohne Jesus Christus, angesichts der Verknüpfung von Gesetz, Sünde und Tod nur das Warten auf das Endgericht. 4. Die Werke des Gesetzes. Der Ausdruck „Werke des Gesetzes“ (ε» ργα νο' μου [erga nomou]) bezeichnet ein Tun, das seine nähere Bestimmung und Qualifizierung durch die Tora erhält: Handlungen, die das Gesetz verlangt oder verbietet. Wenn Paulus „Werke des Gesetzes“ als Grundlage der Versöhnung mit Gott ablehnt, dann lehnt er die allein von der Tora bestimmte Existenzweise ab, die im Gesetz das Heil sucht, bei gleichzeitiger Ablehnung der Heilsoffenbarung Gottes im Messias Jesus (vgl. Gal 2,16; 3,10; Röm 3,20; 3,27-28; 4,2; 9,32). 5. Das Gesetz und der Sühnetod Jesu. Der Sühnetod des Messias Jesus hat für Paulus fundamentale Bedeutung: Gottes Heil schaffende Offenbarung „jetzt“ (Röm 3,21) hat im Tod Jesu stattgefunden, dem (neuen) Ort der sühnenden Gegenwart Gottes, die dem Sünder Vergebung und Gerechtigkeit ermöglicht (Röm 3,25-26). Mit diesem neuen Ort der sühnenden Gegenwart Gottes entfallen alle anderen im Gesetz beschriebenen Wege zur Versöhnung mit Gott und zum Status der von Gott geforderten Heiligkeit – die Beschneidung als Zeichen der Erwählung, die Speisegesetze als Verwirklichung der Heiligkeit Gottes im Alltag, die Opfer als Werke der Buße zur Vergebung von Sünden. Paulus behandelt nicht explizit den Wegfall der atl. Opfer infolge des Todes Jesu Christi. Das Argumentationsgefälle von Röm 2,1–3,20 (Sünde der Juden) nach 3,21-31 (Sühnung von Sünden durch den Sühnetod Jesu) und die Argumentation in Röm 9,30-33 (Israel strebte nach dem Gesetz, das Gerechtigkeit gewährt, hat aber die Gerechtigkeit aus Glauben – d.h. aus Glauben an den Messias Jesus – verfehlt, weil man sich an dem von Gott in Zion aufgerichteten „Stein“ gestoßen hat, der allein Rettung gewähren kann) zeigen, dass Paulus Sündenvergebung und Heil allein an den Messias Jesus bindet, ohne das Gesetz für abgeschafft zu halten, und dass das Heilshandeln Gottes im Messias Jesus das Fundament seiner Gesetzestheologie ist. Die Konsequenzen des Sühnetodes Jesu sind im Blick auf die mosaische Tora wie folgt zu beschreiben. (a) Erlösung vom Todesurteil des Gesetzes. Als Jesus den Platz der Sünder einnahm, starb er „durch“ das Gesetz, da er das Todesurteil über Sünder erlitt. Indem sich Sünder durch den Glauben mit Jesus identifizieren, wird der Tod Jesu ihr eigener Tod: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben … ich bin mit Christus gekreuzigt“ (Gal 2,19; vgl. Röm 6,2-11). Da das Gesetz keine Geltung über einen Toten besitzt, und da der an Christus Glaubende starb als Jesus starb, wurde der Sünder aus der Verknüpfung von Gesetz und Sünde mit ihrer Todesfolge entfernt. Der Sünder wird durch den Tod Jesu vom Besitzanspruch des Gesetzes und vom Fluch des Gesetzes, d.h. von der vom Gesetz ausgesprochenen Todesstrafe befreit. Der Messias Jesus befreit Sünder vom Fluch des Gesetzes, indem er die Todesstrafe des Gesetzes auf sich genommen hat (Gal 3,13). (b) Erlösung von der Herrschaft der Sünde. Die Erlösung vom Fluch des Gesetzes bedeutet die Befreiung von der Herrschaft der Sünde, die durch die Gegenwart des Gesetzes virulent geworden war. Jesus hat durch seinen Tod am Kreuz die Sünder aus der Herrschaft der Sünde „losgekauft“ (Gal 4,5). Die Sünde hat die Macht über die Sünder verloren, weil Jesus die Todesfolge der Sünde auf sich genommen hat (Röm 6,2-11). Im Leben der an Jesus Glaubenden hat ein Herrschaftswechsel stattgefunden: Sie sind von der Herrschaft der
150 Römerbrief ———————————————————————————————————— Sünde, für die das Gesetz die Todesfolge vorschreibt, befreit und jetzt der Herrschaft Jesu unterstellt, der Messias und Sohn Gottes ist und die an ihn Glaubenden zu „Söhnen Gottes“ und „Erben“ macht (Gal 4,5-7; Röm 7,5-6; 8,1-17). (c) Ermöglichung von Leben in der „jetzt“ neu ermöglichten Gegenwart Gottes. Der Tod und die Auferstehung des Messias Jesus, der den mit Jesus durch den Glauben vereinten Sünder von der Herrschaft der Sünde befreit, bedeutet gleichzeitig die Befähigung zu einem neuen Leben (Gal 2,19-20; Röm 6,15-23). Der Vorwurf der judenchristlichen Gegner, in der Theologie von Paulus werde Jesus zum „Diener der Sünde“ (vgl. Gal 2,17 mit Röm 3,8), stimmt gerade nicht: Die Befreiung aus der Herrschaft der Sünde stellt den erlösten Sünder in das Tun des Willens Gottes, das im Neuen Bund durch die wirkmächtige Gegenwart des Geistes Gottes möglich geworden ist. An die Stelle des von der Sünde beherrschten Ich (Röm 7,7-25) ist die Bestimmung durch den „Geist des Lebens“ getreten (Röm 8,1-8). „Die ‚nach dem Geist wandelnden‘ Christen sind durch den stellvertretenden Sühnetod Jesu nicht nur von der Sündenherrschaft befreit, sondern zugleich in die aktive Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes (δικαι' ωμα τουñ νο' μου) gestellt worden“ (Röm 8,4).189 In der Kraft des Geistes Gottes leben heißt, gemäß dem Willen Gottes leben. (d) Erfüllung der messianisch-eschatologischen Verheißungen. Durch den Sühnetod Jesu Christi kommt der Segen Abrahams durch den Messias Jesus zu den Völkern. Der Sühnetod Jesu bringt die Erfüllung der Verheißungen Gottes, konkret die „Verheißung des Geistes“, und begründet den verheißenen Neuen Bund (Gal 3,14). Der Geist des Lebens, den die an Jesus Glaubenden erhalten haben (Röm 8,2-8.9-16), ist nach Hes 37,5-6.21-28 der Leben schaffende Geist Gottes, der das endzeitliche Gottesvolk mit Gotteserkenntnis erfüllt, es in Frieden wohnen lässt und ermöglicht, dass es in Gerechtigkeit in den Satzungen Gottes lebt. Paulus ist überzeugt, dass diese Verheißung infolge des Sühnetodes Jesu erfüllt ist und erfüllt wird (Röm 8,5-6.8-10; vgl. 2Kor 3,17). Die Wirklichkeit des Heiligen Geistes im Leben der an Jesus Christus Glaubenden ist die Wirklichkeit des Neuen Bundes, in dem nach der Verheißung Jeremias Gott sein Gesetz den Gliedern seines Bundesvolks „auf ihr Herz schreiben“ werde, nachdem sie Gott erkennen und Schuld und Sünde endgültig vergeben sind (Jer 31,31-34). Die neue Verpflichtung des neuen Bundes, die durch den Sühnetod Jesu Wirklichkeit geworden ist, wird der Gemeinde bei der Mahlfeier vor Augen geführt (1Kor 11,23-26; vgl. 2Kor 3,4-18). (e) Die messianische Modifikation des Gesetzes Gottes. Im Neuen Bund steht das Gesetz Gottes in einer neuen Wirklichkeit. Der Sühnetod Jesu brachte eine Veränderung im Gesetz mit sich. Der Fluch und die Verdammung, die das Gesetz über den Sünder verhängte, wurden vollzogen, als Jesus am Kreuz starb. Im Tod Jesu wurden die Sünden der mit Jesus im Glauben Vereinten ein für alle Mal gesühnt: Sie sind, als von Gott erlöste Sünder, Gerechte. Deshalb ist der Messias Jesus τε' λος [telos] des Gesetzes (Röm 10,4): Er ist das „Ende“ des Gesetzes als Weg zur Gerechtigkeit, die Gott im Endgericht akzeptiert; und er ist das „Ziel“ des Gesetzes, weil er dem Glaubenden Gerechtigkeit zukommen lässt und weil er als der erhöhte Herr den heiligen Willen Gottes jetzt, im Neuen Bund, neu in Geltung setzt und durch die Kraft des Heiligen Geistes auch für die Erfüllung des Willens Gottes sorgt. Das Gesetz wurde auf zweifache Weise modifiziert: (i) Explizit, was den Fluch über die Sünder betrifft: Der Fluch des Gesetzes gegen den Sünder hat seinen Lauf genommen, ist im Sühnetod Jesu vollstreckt worden und deshalb nicht länger wirksam. (ii) Implizit, was den gesetzlichen Weg der Sühnung von Sünde betrifft: Die Opfer des Alten Bundes sind als von Gott gewährtes Mittel der Sündenvergebung und der Versicherung von Gottes Segen und Heil überflüssig geworden. Das Gesetz wurde von Jesus „erfüllt“ – im Sinn der Erfüllung messianischer Verheißungen, und grundlegend im Sinn der Verwirklichung des verheißenen ————————————————————
189
Stuhlmacher, Theologie I, 265.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 151 ———————————————————————————————————— neuen Zeitalters, in dem Gott mitten unter seinem Volk wohnt, in dem Gott sein Gesetz in das Herz seines Volkes schreibt und in dem die Heiden nach Zion kommen, um an Gottes Heil Anteil zu haben. Das Gesetz des Sinaibundes wurde infolge des Kommens des Messias Jesus nicht annulliert (Röm 3,31; 8,4; vgl. Mt 5,17). Die Tora ist weiterhin Offenbarung des Willens Gottes. Aber der an den Messias Jesus Glaubende begegnet dem Gesetz als mit dem Messias Vereinter (Röm 6,2-11; Gal 6,2). Das mosaische Gesetz wird im Licht des Sühnetodes und der Auferstehung des Messias Jesus qualifiziert, d.h. neu gewertet und neu gewichtet. Teile des Gesetzes sind in der neuen Wirklichkeit des Neuen Bundes „aufgehoben“, weil ihr Ziel in der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Messias Jesus erreicht wurde. Dies betrifft fünf Bereiche des mosaischen Gesetzes: (a) Bestimmungen für den Eintritt in das Volk Gottes, d.h. Gesetze über die Beschneidung und die Absonderung von den Nichtisraeliten; (b) Bestimmungen für die Sühnung von Sünde, d.h. Gesetze über Opfer, Opfertiere und andere kultische Handlungen wie Waschungen; (c) Bestimmungen für die Aufrechterhaltung von Heiligkeit, d.h. Reinheitsgebote, Gesetze über Reinigung von Unreinheit; (d) Bestimmungen für den Ort der Heiligkeit, d.h. Gesetze über die Stiftshütte bzw. den Tempel, Gesetze über die Priester, Gesetze über reine und unreine Tiere; (e) Bestimmungen aus der nationalen Geschichte und Gesellschaft Israels, d.h. Gesetze über die Beschneidung und über die religiösen Feste, Gesetze für die Organisation der Gesellschaft, z.B. Gelübde und Strafgerichtsbarkeit, sowie Gesetze für die Identität Israels wie Beschneidung, Sabbat, Lebensmittel und die Vorbereitung von Mahlzeiten. 6. Die Kontinuität des Gesetzes in der messianischen Zeit. Alle Gebote, die von der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Sühnetod des Messias Jesus nicht betroffen sind, haben weiterhin Geltung, weil der Sühnetod Jesu ein Leben in der Gegenwart Gottes im Sinn der messianisch-eschatologischen Verheißungen vom Neuen Bund ermöglicht. Das neue Bundesvolk, die Gemeinde aus an Jesus Christus gläubigen Juden und Heiden, lebt unter dem Willen Gottes. Die Tora behält als Gesetz Gottes Bedeutung und Gültigkeit, als messianisch modifizierte Offenbarung von Gottes Willen für sein Volk, das sich auf seine in Jesus Christus geoffenbarte Gnade verlässt (Gal 6,2; 1Kor 9,21; Röm 3,31; 8,2). Auch in dem mit dem Messias Jesus angebrochenen Neuen Bund ist Gottes Wille die Heiligung (1Thess 4,3; vgl. Lev 11,44-45). Die Gemeinde soll dem Willen Gottes gemäß leben, was sie dann tut, wenn sie ihr Leben Normen unterstellt, die Gott gesetzt hat. Aufgabe und Ziel des Lebens als Gläubiger ist die Vollendung der Heiligkeit. Paulus beschreibt die Gültigkeit des neu gewerteten Gesetzes als „Gesetz des Messias“ (νο' μος τουñ Χριστουñ [nomos tou Christou]; Gal 6,2). Der Messias Jesus „besitzt“ durch seinen Sühnetod die Tora, nachdem zuvor die Tora der Eigentümer des Sünders war. Das Gesetz wird im Licht des Sühnetodes und der Auferstehung Jesu Christi qualifiziert und modifiziert. So lebt der Glaubende „im Gesetz des Messias“ (ε» ννομος Χριστουñ [ennomos Christou]; 1Kor 9,21): Die Existenz des Gläubigen „in Christus“ ist ein Leben im Bereich des vom Messias zur Erfüllung gebrachten und modifizierten Gesetzes. In diesem Sinn ist die Tora das „Gesetz des Glaubens“ (νο' μος πι' στεως [nomos pisteōs]; Röm 3,27). Die Tora erfüllt infolge des neuen Heilshandelns Gottes in den an Jesus Glaubenden ihre ursprüngliche Absicht: Sie spricht dem infolge des Sühnetodes Jesu Gerechten Leben zu, sie bestimmt ihn von innen her und ermöglicht so ein dem guten Willen des heiligen Gottes entsprechendes Leben. Deshalb ist die Tora für den an Jesus Christus Gläubigen das „Gesetz des Geistes des Lebens“ (ο� νο' μος τουñ πνευ' ματος τηñ ς ζωηñ ς ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ [ho nomos tou pneumatos tēs zōēs en Christō Iēsou]; Röm 8,2). Das Gesetz schenkt und ermöglicht Leben – im Herrschaftsbereich Jesu Christi, in der Wirklichkeit des Neuen Bundes, angesichts und mithilfe des gekommenen Geistes Gottes. Die Wirkung des vom Heiligen Geist bestimmten Gesetzes ist Leben, nachdem die Todeswirkung des Gesetzes durch den Tod des Messias Jesus aufgehoben wurde. Für die vom Gläubigen
152 Römerbrief ———————————————————————————————————— erwartete, ihm in Jesus Christus geschenkte und ermöglichte Erfüllung der Gebote Gottes ist die Wirklichkeit und Wirksamkeit des Geistes Gottes grundlegend.
13 Mit einer zweiten rhetorischen Frage (nach 7,7b) spricht Paulus ein
Missverständnis an, das sich aus der Argumentation V. 7b-12 ergeben könnte: Ist mir dann etwa das Gute zum Tod geworden? (V. 13a). Das „Gute“ (το` α� γαθο' ν) ist das Gebot bzw. Gesetz von V. 7.11, das in V. 12 als „gut“ bezeichnet wurde. Der „Tod“ ist die Trennung von Gott als Unheilsfolge der Sünde. Wenn die Sünde aufgrund des Gesetzes und seines Gebots wirksam wurde, dann ist es eben doch das Gesetz, das dafür verantwortlich ist, dass der Zustand190 des Todes eingetreten ist.191 Wie kann Paulus darauf bestehen, dass das Gesetz heilig und das Gebot heilig, gerecht und gut (V. 12) ist? Die Antwort Auf keinen Fall! (μη` γε' νοιτο; V. 13b) zeigt, dass Paulus auch in der folgenden Argumentation das Gesetz verteidigt. Für die Misere der menschlichen Existenz unter der Herrschaft der Sünde ist nicht das Gesetz verantwortlich, das gut ist, sondern die Sünde, die das Gesetz für ihre Zwecke umfunktioniert. Der Satz das hat vielmehr die Sünde getan (α� λλα` η� α� μαρτι'α [alla hē hamartia]; V. 13c) greift V. 13a auf: „Die Sünde ist mir vielmehr zum Tod geworden“. Die Syntax von V. 13c-e gilt als schwierig. Am plausibelsten ist die Lösung, V. 13c durch Verb, Dativ und Subjektergänzung (Prädikatsnomen) von V. 13b zu ergänzen: α� λλα` η� α� μαρτι' α [ε� μοι` ε� γε' νετο θα' νατος]. In V. 13d ist κατεργαζομε' νη attributives Partizip zu α� μαρτι' α.192 Es ergibt sich eine Konstruktion mit Hauptsatz und zwei finalen «ινα-Sätzen: V. 13c α� λλα` η� α� μαρτι' α [ε� μοι` ε� γε' νετο θα' νατος] V. 13d «ινα φανηñ, α� μαρτι' α δια` τουñ α� γαθουñ μοι κατεργαζομε' νη θα' νατον V. 13e «ινα γε' νηται καθ’ υ� περβολη` ν α� μαρτωλο` ς η� α� μαρτι' α δια` τηñ ς ε� ντοληñ ς Die beiden «ινα-Sätze werden manchmal konsekutiv interpretiert,193 was grammatikalisch möglich, in der Koine jedoch selten ist und nicht angenommen werden sollte, wenn dies nicht unumgänglich ist. Wenn man die personifizierte Sünde mit dem in der Paradiesgeschichte durch die Schlange sprechenden Satan identifiziert, ergibt das in der Koine übliche finale Verständnis von «ινα einen guten Sinn. ————————————————————
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In der periphastischen Konjugation V. 13a ist γι' νομαι nicht einfach Ersatz für ει� μι' , sondern bezeichnet den Eintritt eines Zustandes; vgl. HvS §203b; Bauer/Aland s.v. γι' νομαι 4a (mit Substantiv verbunden, hier θα' νατος). Diesen Schluss hat Marcion gezogen; vgl. Harnack, Marcion, 30-35. Die Gnostiker haben später das Gesetz als böses Prinzip verstanden; Wilckens II 84. Vgl. NSS II 22; Kuss II 450; Wolter I 443; Kümmel, Römer 7, 56. Anders Wilckens I 84, der das Partizip κατεργαζομε' νη als verbum finitum mit η� α� μαρτι' α als Subjekt interpretiert („Damit sie als Sünde in Erscheinung trete, bewirkte sie mir durch das Gute [den] Tod“); vgl. Cranfield I 354; Moo 452; Hofius, Mensch, 125, die ε� γε' νετο nach κατεργαζομε' νη ergänzen. Heitsch, Wollen und Verwirklichen, 85-86, gefolgt von Wolter I 443. Zum folgenden Punkt HvS § 272a.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 153 ———————————————————————————————————— Die handelnde Person (Agens) der Finalsätze ist, im Anschluss an V. 13c, am besten im Sinn der Sünde (α� μαρτι' α [hamartia]) zu verstehen.194 Viele interpretieren das finale «ινα im Hinblick auf die Absicht Gottes, nach dessen Willen die Sünde ihr wahres Gesicht enthüllen sollte.195 Diese Interpretation ist plausibel, wenn man νο' μος konsequent auf das spätere mosaische Gesetz interpretiert, das Israel gegeben wurde, nachdem es die Sünde schon lange gab. Wenn man im Sinn der Paradiesgeschichte interpretiert, ist diese Interpretation allerdings schwierig: Weshalb sollte Gott den Charakter der Sünde offenbar werden lassen, wenn die Sünde noch nicht aktiv war? Im Kontext der Aussage V. 13c ist α� μαρτι' α das plausiblere handelnde Subjekt der beiden «ινα-Sätze; von Gott ist in V. 7-13 nur indirekt die Rede (im Reden des Gebots V. 7).
Das Gesetz spricht zwar das Todesurteil über den Sünder aus, aber schuld am Tod des Sünders ist nicht das Gesetz, sondern die Sünde. Die Sünde, die dem Ich den Tod eingebracht hat, verfolgte mit ihrer Instrumentalisierung des Gesetzes ein bestimmtes Ziel: damit sie als Sünde sichtbar würde, indem sie mir durch das Gute den Tod bewirkte (V. 13d). Die Sünde verfolgte die Absicht, „sichtbar“196 zu werden, was nur möglich ist, wenn Adam und Eva Gottes Gebot übertreten und die vom Gebot ausgesprochene Todesfolge eintritt – eine Folge, die sichtbar sein musste. Das α� μαρτι' α modifizierende Partizip (κατεργαζομε' νη) drückt modal die Art und Weise aus, wie die Sünde ihre Absicht verwirklichen wollte, sichtbar zu werden: Die einzige Möglichkeit, sichtbar zu werden, bestand darin, den Menschen zur Übertretung von Gottes Gebot („das Gute“) zu verführen, was unweigerlich zur angedrohten Unheilsfolge des Todes führen würde. Im Todesurteil über den Sünder wurde die Sünde dann auch sichtbar: Die Vertreibung aus dem Paradies war der sichtbare Erweis der Existenz der Sünde. Im Zusammenhang der Geschichte der Sünde im Paradies kann man folgende Überlegung anstellen. Gott war für Adam und Eva sichtbar: Das ergibt sich aus ihrem Versuch, sich vor Gott zu verstecken (Gen 3,8). Aus dem ersten Finalsatz Röm 7,13 (ι«να φανηñ, α� μαρτι' α) ergibt sich die Absicht der Sünde (der durch die Schlange sprechende Satan), aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit zu treten und „wie Gott“ ( ;ֵּכאל ִֹהיםLXX ω� ς θεοι' „wie die Götter“; Gen 3,5) zu werden, was die Schlange Adam und Eva als Möglichkeit und als erstrebenswertes Ziel vorschlug, aber von Anfang an für sich selbst erreichen wollte – das Heraustreten aus der Unsichtbarkeit. Die Sünde (Satan) wurde in der Unheilsfolge der Gebotsübertretung von Adam und Eva sichtbar.
Der zweite Finalsatz ist eine steigernde Wiederholung des ersten: Damit die Sünde sich als über alle Maßen sündig erweist durch das Gebot (V. 13e). ————————————————————
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In V. 13d ist α� μαρτι' α Subjektprädikativ der Passivform φανηñ, . Schlier 227 („heilsame Absicht Gottes“); Cranfield I 354; Dunn I 387; Lohse 218; Kümmel, Römer 7, 57; Heitsch, Wollen und Verwirklichen, 86; Wright, Paul, 895. Bauer/Aland s.v. φαι' νω 2d „(tatsächlich) äußerlich in Erscheinung treten“, mit Verweis auf Röm 7,13: „damit die Sünde wirklich als Sünde sichtbar würde“.
154 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Sünde (η� α� μαρτι'α [hē hamartia]) wollte ihre Identität als Sünde „über alle Maßen“ (καθ’ υ� περβολη' ν), d.h. mit außerordentlicher, absoluter Deutlichkeit197 unter Beweis stellen und zur Tat werden (α� μαρτωλο' ς [hamartōlos]),198 was nur durch das Gebot (δια` τηñ ς ε� ντοληñ ς) möglich war, das die Todesfolge für das Begehren des dem Menschen nicht Zustehenden festgelegt hatte (V. 7.8.11; vgl. Gen 2,17). Der Ausdruck „über alle Maßen“ bezieht sich auf die Tatsache, dass die Sünde „das Gute“, das Gott dem Menschen gegeben hatte, benutzte, um ihr Ziel zu erreichen. Die Sünde wollte durch die manipulative Instrumentalisierung von Gottes Gebot, das dem Menschen das Leben bewahren sollte, gleichzeitig jedoch die Todesstrafe für das Begehren des Verbotenen festlegte, ihre sichtbare Existenz demonstrieren, was sie mit tödlicher Wirkung auch erreichte. Als sich der Mensch auf die Sünde einließ und begehrte, was Gottes Gebot verboten hatte, folgte prompt und unausweichlich die Vertreibung aus der Gegenwart Gottes, womit die Sünde ihr Ziel erreicht hatte: Sie hatte den Menschen auf ihre Seite gezogen, wobei es auf der Seite der Sünde nur den Tod als unheilvolles Leben gibt. 14 Die Wendung denn wir wissen (οι»δαμεν γα' ρ; V. 14a) leitet auch hier199 eine Aussage ein, für die Paulus die Zustimmung der Adressaten annehmen kann. Der Satz das Gesetz ist geistlich (ο� νο' μος πνευματικο' ς ε� στιν [ho nomos pneumatikos estin]; V. 14b) ist weder im Alten Testament noch im Frühjudentum belegt,200 aber im Zusammenhang von Aussagen über den ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. υ� περβολη' : καθ’ υ� περβολη' ν „im Übermaß, überschwenglich“; BDAG s.v. „to an extraordinary degree, beyond measure, utterly“. In den Papyri bezeichnet der Ausdruck ein Verhalten, mit dem man „über ein Ziel hinausschießt“; Arzt-Grabner, 1. Korinther, 432. Bauer/Aland s.v. γι' νομαι 4b „v. Pers[onen] u. Sachen, die ihre Eigenschaft verändern, um d. Eintreten d. neuen Zustandes zu bez[eichnen]; (zu etw.) werden … mit Adj. verb[unden]“ (BDAG s.v. 5b). Auf V. 13e angewandt heißt dies: Die α� μαρτι' α wollte α� μαρτωλο' ς „werden“ (γε' νηται). Vgl. 2,2; 3,19; sodann 8,22.28; vgl. 1Kor 8,1.4; 2Kor 5,1. Das Adj. πνευματικο' ς kommt weder in der LXX noch bei Josephus vor; das Adj. πνευματοφο' ρος in Hos 9,7 und Zef 3,4 ist keine Parallele: Propheten werden als „vom Geist weggetragen“ bzw. als „Windbeutel“ bezeichnet (so die jeweilige Übersetzung in LXX.D). Bei Philo ist πνευματικο' ς belegt (Op 67; Her 242; Abr 113; Praem 58; Aet 86.125; QuaestGen 1,92; 2,12), jedoch nicht für das Gesetz. In VitProph 15,7 ist von David als πνευματικο` ς προφη' της die Rede, d.h. von einem durch den Geist Gottes inspirierten Propheten. In der außerbiblischen Graezität ist das Wort häufig belegt, meistens mit Bezug auf Luft oder Wind, z.B. „eine vom Wind bewegte Maschine“ (Vitruvius 10.1.1), „Blähungen verursachend“ (Aristoteles, Problemata 955a35), „in einem einzigen Atemzug“ (Hermogenes, Inv 4,1); LSJ s.v. Paulus bezeichnet das apostolische Wort (Röm 1,11), die Geistesgaben (Röm 15,27; 1Kor 2,13; 9,11; 12,1; 14,1) und neue Lieder (Eph 5,19; Kol 3,16) als πνευματικο' ς.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 155 ————————————————————————————————————
Geist Gottes, der zu den Menschen oder in einem Menschen spricht, leicht verständlich. Mose war nach Gen 41,38 ein Mann, „in dem der Geist Gottes wohnt“ (ο� ς ε» χει πνευñ μα θεουñ ε� ν αυ� τω ñ, , als Aussage Pharaos). In 2Sam 23,2 sagt David: „Der Geist des Herrn sprach durch mich (πνευñ μα κυρι' ου ε� λα' λησεν ε� ν ε� μοι' ) und sein Wort war auf meiner Zunge“.201 Philo interpretiert den Geist Gottes (το` πνευñ μα) in Gen 2,7 als „so etwas wie ein Abdruck (τυ' πον) und eine Ausprägung (χαρακτηñ ρα) der göttlichen Kraft (θει' ας δυνα' μεως)“ (Det 83). Josephus berichtet ausführlich vom Gebet Salomos anlässlich der Einweihung des Tempels und formuliert dabei folgende, im atl. Text in 1Kön 8,22-53 nicht vorhandene Bitte: „Lasse einen Teil deines Geistes im Tempel wohnen, sodass du auch auf der Erde für uns anwesend bist“ (Ant 8,114).
Paulus betont in diesem Zusammenhang ein Zweifaches: Das Gesetz wurde von Menschen geschrieben, durch die Gottes Geist sprach, d.h., es kommt von Gott202 und ist deshalb heilig, gerecht und gut (V. 12); und das Gesetz repräsentiert Gott in der Welt der Menschen, d.h., es vermittelt das Reden und den Willen Gottes. Die Gebote sind „ihrem Ursprung und Wesen nach und damit auch ihrer Wirkung nach vom Geist Gottes durchdrungen und getragen“.203 Die Aussage V. 14b bestätigt wieder, dass er nicht das Gesetz für die Sündenverfallenheit des Menschen verantwortlich macht. Die 1. Person Singular der Aussage ich aber bin fleischlich (ε� γω` δε` σα' ρκινο' ς ει� μι; V. 14c) ist syntaktisch nicht mit der 1. Person Plural V. 14a (οι»δαμεν) zu verbinden. Die durch V. 14a eingeleitete Aussage V. 14b, dass das Gesetz geistlich ist, steht als Antithese (δε' ) der Aussage V. 14c gegenüber.204 Der Tempuswechsel von den Vergangenheitsaussagen V. 7-11/13 zum Präsens, das Paulus ab V. 14 verwendet, signalisiert nicht, dass Paulus (spätestens jetzt) vom aktuellen Zustand der Jesusbekenner spricht. Paulus schildert in V. 14-25 genauso wenig sein eigenes Leben bzw. das Leben der Jesusbekenner wie in V. 7-11/13. Er beschreibt in V. 17-25 das Resultat der Instrumentalisierung von Gottes Gebot durch die Sünde, die sich gegen Gott und sein Gebot durchsetzen wollte und auch durchgesetzt hat, weil es ihr gelang, den Menschen im Blick auf die Folgen des Ungehorsams gegenüber Gottes Gebot zu täuschen und ihm ihre Herrschaft aufzudrängen, die sie durch die Vertreibung aus dem Paradies und durch die Todesfolge des Lebens außerhalb der Gegenwart Gottes ausübt. Den durch die Machtübernahme der Sünde eingetretenen Zustand beschreibt Paulus mit präsentischen Verbformen. ————————————————————
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Vgl. Num 24,2; 2Chron 15,1; 18,23; 20,13; 24,20; Jes 61,1. Vgl Mt 22,43; Mk 12,36; Apg 1,16; 4,25; 28,25; 2Petr 1,21. Schlier 229. Wenn es stimmt, dass „nach gängigem Verständnis der paulinischen Gesetzesauffassung“ die Aussage V. 14b „als Kritik an Paulus begriffen werden“ müsste (Lichtenberger, Das Ich Adams, 137), dann folgt aus V. 14b (und V. 12), dass das vor allem in der lutherischen Exegese gängige Gesetzesverständnis von Paulus revidiert werden muss; s. den Exkurs bei V. 12. Wolter I 445; zum Tempuswechsel Wilckens II 85.
156 Römerbrief ————————————————————————————————————
Das Ich (ε� γω' [egō]) beschreibt sich als „fleischlich“ (σα' ρκινος [sarkinos]). Das Adj., das Paulus in Röm 15,27; 1Kor 3,3; 9,11; 2Kor 1,12 in der neutralen Bedeutung von „irdisch“ im Sinn von „menschlich“ verwendet, kann auch hier diese Bedeutung haben: Das Ich weiß, dass wir Menschen – im Unterschied zu Gott, der Geist ist – „Fleisch“ sind, d.h. eine irdische, physische Existenz haben, die von Schwäche, Beschränktheit und Endlichkeit gekennzeichnet ist.205 Im Kontext des folgenden partizipialen Attributs ist es jedoch plausibler, „fleischlich“ mit negativer Konnotation im Sinn der gottfernen Existenz des Menschen zu verstehen, der „im Schatten Adams“206 lebt und der Herrschaft der Sünde und dem Tod verfallen ist.207 Das heißt, das Wort „fleischlich“ nimmt die Bedeutung von „Fleisch“ in 7,5 an. Die Partizipialwendung verkauft unter die Sünde (πεπραμε' νος υ� πο` τη` ν α� μαρτι' αν; V. 14d) ist entweder prädikatives Partizip in Apposition zu σα' ρκινος: Das Ich ist fleischlich, und das heißt, es ist unter die Sünde verkauft. Oder sie ist modale Bestimmung der Aussage V. 14c: Das Ich ist fleischlich, indem es unter die Sünde verkauft ist. Die mit „verkauft“ (πεπραμε' νος [pepramenos]) angezeigte Metapher vergleicht die Sünde mit einem Sklavenbesitzer, der das „Ich“ gekauft hat: Das Ich, das „Fleisch“ ist, „hat seine Selbstständigkeit verloren, ist ‚wie ein leibeigener Sklave‘ der α� μαρτι'α verfallen, ist nur noch Objekt“.208 Die Sünde besitzt das Ich: Die ————————————————————
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Zahn 349; Wolter I 445: Das irdische Sein in seiner „Schwäche und Machtlosigkeit“, an dem auch das Ich partizipiert: „Seine gottfeindliche Ausrichtung gewinnt es erst dadurch, dass es unter die Herrschaft der Sünde gerät“ (das Stichwort „Machtlosigkeit“ erinnert allerdings eher an die Feindschaft des Menschen gegen Gott als an menschliche Schwäche). Vgl. in diesem Sinn auch das Subst. σα' ρξ in Mk 14,38 sowie im Blick auf den Christen in Röm 6,19; Gal 5,17. So interpretierend GN: „wir aber sind ‚fleischlich‘, das heißt schwache Menschen“. Wolter ebd. verweist auf Jes 31,3 MT: „Auch der Ägypter ist nur ein Mensch und kein Gott, seine Pferde sind nur Fleisch, nicht Geist“ (LXX kontrastiert nicht Fleisch/Geist, sondern Fleisch/Hilfe: «ιππων σα' ρκας και` ου� κ ε» στιν βοη' θεια). Käsemann 191. Cranfield I 356-357; Schlier 229; Michel 230; Wilckens II 86; Dunn I 388; Fitzmyer 474; Légasse 463; E. Schweizer, Art. σα' ρξ κτλ., ThWNT VII, 145. Schlier ebd. erinnert an Gen 6,3, wo Gott die Lebenszeit der Menschen begrenzt, „weil sie Fleisch sind“ (δια` το` ειòναι αυ� του` ς σα' ρκας). Vgl. EÜ: „Ich bin Fleisch“. H. Preisker, Art. πιπρα' σκω, ThWNT VI, 161. Für die Papyri, wo die übliche Bedeutung „verkaufen“ vorliegt, vgl. MM s.v. πιπρα' σκω, z.B. P.Oxy. II 264,2; IX 1200,41; XIV 1672,3. Das Verb ist auch in LXX häufig belegt und bedeutet „verkaufen“ (vom Verkaufen von Menschen in Gen 31,15; Ex 22,2; Lev 25,39.42.47-48 u.a.), in übertragener Bedeutung „verraten und verkauft, verführt, ruiniert“ (ebd. 160) bzw. „einem Schicksal überlassen“ oder „seine Seele verkaufen“ (Muraoka s.v. πιπρα' σκω b/c); in Jdt 7,25; 1Sam 23,7 LXX von Gott, der Menschen ihrem Schicksal ausliefert; in 1Kön 21[20],20 (πε' πρασαι ποιηñ σαι το` πονηρο' ν).25 LXX; 2Kön 17,17 LXX; 1Makk 1,15 von Menschen, die sich an das Unrecht „verkaufen“. Die zuletzt genannten drei Stellen sind Parallelen zu Röm 7,14d (Dunn I 388), was nicht für Jes 50,1 LXX; 4Q504 I 2,15; 11Q5 XIX, 9-10
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Sünde bestimmt, was das Ich tut, und die Sünde bestimmt, was mit dem Ich geschieht – es erlebt nicht die Heiligkeit, Gerechtigkeit, Güte und die vom Geist Gottes getragene Wirkung des Gesetzes und seiner Gebote, sondern die vom Gesetz gegen den Sünder ausgesprochene Todesstrafe, weil die Sünde nicht ein Leben in Gottes Gegenwart gibt, sondern den Tod in der Gottesferne. Paulus hatte bereits in 6,17-18.20 davon gesprochen, dass die Jesusbekenner vor ihrer Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus „Sklaven der Sünde“ (δουñ λοι τηñ ς α� μαρτι'ας) waren (was bestätigt, dass Paulus vom Zustand von Menschen spricht, die nicht an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt glauben). Die Aussage V. 14d entscheidet die Frage, ob Paulus in 7,13-25 von einem Christen oder einem Nichtchristen spricht.209 Wenn Cranfield meint, die Aussage πεπραμε' νος υ� πο` τη` ν α� μαρτι' αν beschreibe auch das Leben von Christen, die wie alle Menschen „under the power of sin“ sind, spielt er die Tatsache herunter, dass Paulus nicht bloß vom „Einfluss“ der Sünde auf Christen spricht: In 7,14 ist das Ich der Sklave der Sünde, während Christen gemäß 6,18.22 nicht länger Sklaven der Sünde sind. Dunn, der ebenfalls im Sinn des Christen interpretiert, will die Aussagen über die Christen in Röm 6 und 8 „eschatologisch qualifiziert“ verstehen und vergleicht die Situation des Christen mit der Situation des Frommen in 1QS XI, 9-10210 (Zitat im Kommentar zu 3,4). Zwischen dem Frommen in Qumran und den Jesusbekennern besteht ein entscheidender Unterschied: Jener hofft, „dass Gottes Barmherzigkeit ihn wieder unter das Gesetz zurückbringen möge, damit sein Wandel sich nach seinen Weisungen vollzieht“,211 ohne dass sich irgend etwas an seinem Zustand als Sünder geändert hätte. Jesusbekenner haben durch die Vereinigung mit Tod und Auferstehung Jesu die Befreiung von der Macht der Sünde erfahren (Röm 6,1-14), sodass sie jetzt in der Macht des Heiligen Geistes leben, der diese Befreiung zur Wirklichkeit werden lässt (8,1-17).
Das Perfekt des Partizips kann auf die Sünde Adams verweisen, die für alle Menschen den Zustand des Versklavtseins unter die Sünde herbeiführte (vgl. 5,12): Die Sünde hat im Paradies Adam unter ihre Kontrolle gebracht und die Vertreibung aus der Gegenwart Gottes samt der Unheilsfolge des Todes erzwungen. Das Verb πιπρα' σκω wird üblicherweise mit dem Dativ zur Bezeichnung des Käufers konstruiert.212 Paulus formuliert mit υ� πο' plus Akkusativ (υ� πο` τη` ν α� μαρτι'αν), wahrscheinlich um an die Aussage in 3,9 anzuknüpfen, wo Paulus betont hatte, dass sowohl Juden wie Griechen „alle ————————————————————
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gilt, wo die Sünden Grund für den „Verkauf“ der Sünder sind, während Paulus von der Sünde als Eigentümer der Sünder spricht (Wolter I 445 Anm. 26, gegen Philonenko, Vendu au péché; Goodrich, Echoes, der ein „Echo“ auf Israels Exil entdecken will). Vgl. Moo 454; Wilckens II 86 Anm. 353, die gegen Cranfield I 357-358 argumentieren; das folgende Zitat bei Cranfield I 357 Anm. 4. Dunn I 388-389. Lohse 220. Lev 25,39; Bar 4,6; JosAs 24,9; Diodorus Siculus 16,83,1; Plutarch, Eum 8,5; P.Oxy. II 264,2; IX 1200,41.
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unter der Sünde“ (πα' ντας υ� φ’ α� μαρτι'αν) sind (vgl. Gal 3,22): „Paulus bringt auf diese Weise gezielt zum Ausdruck, dass durch den Verkauf ein Herrschaftsverhältnis entsteht, in dem das Ich seine ethische Autonomie verloren hat und nur tut, was die Sünde veranlasst“.213 15 Die Herrschaft der Sünde über das Ich, das der Sünde als Sklave gehört, hat Konsequenzen für das Ich, die in V. 15a in einer Grundaussage formuliert werden: Was ich vollbringe, das beabsichtige ich nicht.214 Die Tatsache, dass V. 15a die Aussage V. 14d erklärt (vgl. den Anschluss mit denn, γα' ρ [gar]), setzt für V. 15a einen Gegensatz zwischen dem Tun des Ich und der folgenden negierten Aussage voraus, die deshalb ein Wollen beschreiben muss. Das heißt, das Verb γινω' σκω [ginōskō] bedeutet hier nicht „erkennen, verstehen, begreifen“, sondern „bestimmen, beschließen, beabsichtigen, sich vornehmen“.215 Ein Sklave tut nicht das, was er will, sondern das, was ihm sein Besitzer befiehlt. Der Satz „ich beabsichtige nicht“ (ου� γινω' σκω [ou ginōskō]) bezieht sich auf das Böse, das im Gesetz Verbotene, das das Ich nicht tun will. Der Objektssatz „was ich vollbringe“ (ο� κατεργα' ζομαι [ho katergazomai]) verweist auf das Böse, das vom Ich ausgeführt wird. Das Ich beabsichtigt als Geschöpf Gottes das Gute, d.h. das im Gesetz Gottes Gebotene, bewirkt aber das Böse, d.h. das im Gesetz Verbotene, weil sein Tun von der Sünde gesteuert wird. Das „ich beabsichtige nicht“ geht dem „ich vollbringe“ voraus.216 ————————————————————
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Wolter I 446; es liegt also ein Verstoß gegen die Grammatikalität (Solözismus) vor (dazu BDR §136–137, wo nicht auf Röm 7,14 verwiesen wird). Von einer ethischen „Autonomie“ des Ich sollte man im Hinblick auf den Herrschaftswechsel, den Paulus anspricht, nicht reden: Das Ich ist für Paulus nie autonom, sondern gehört entweder Gott (bzw. Jesus Christus) oder der Sünde. Der Relativsatz (ο� κατεργα' ζομαι) hat kein Bezugselement im übergeordneten Satz (ου� γινω' σκω), er nimmt die Satzgliedfunktion des Objekts ein; vgl. HvS §289b(2). Die Konstruktion in V. 15b-c ist parallel. Bauer/Aland s.v. γινω' σκω 6a.α (S. 322-323), mit Verweis auf Polybius 5,82; Plutarch, Lyc 3,9; Appian, Syr 5,18; Arrian, An 2,21,8; 2,25,8; Josephus, Ant 1,195; 14,352; 16,331; s. auch Herodot 1,74,4; 6,85; Xenophon, Hell 3,1,12; vgl. LSJ s.v. γινω' σκω II „form a judgment … judge, determine, decree“; für die LXX ist auf Muraoka s.v. γι(γ)νω' σκω 3c zu verweisen: „to have the capability“ (vgl. Jes 8,4). Vgl. Philo, Post 82: ει� μη` και` τοιñς κλε' πτειν η� μοιχευ' ειν η� α� νδροφονειñν ε� γνωκο' σιν, „außer für die, die zu stehlen oder ehezubrechen oder zu morden sich vorgenommen haben“; Virt 69 τα` γνωσθε' ντα „das Beschlossene“. Vgl. Hommel, Überlieferung, 169; Hofius, Mensch, 137; Wolter I 446; vgl. ZÜ: „Denn ich begreife mein Handeln nicht“. Wilckens II 86, der wie die meisten Übersetzungen ου� γινω' σκω mit „weiß ich nicht“ wiedergibt, interpretiert so: Ich handle faktisch „im Widerspruch zu dem Gesetz, das ich in meinem Willen doch anerkenne. Das ist es, was ich nicht zu begreifen vermag und auch nicht akzeptiere: Was ich ‚bewirke‘, was in meinem Tun faktisch herauskommt, ‚erkenne‘ ich nicht“. Zeller 141: Das Ich kann hier nicht mehr „durchblicken“.
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Diese Aussage wird in V. 15b variiert und in V. 16.18.19.20 wiederholt, wobei die in V. 15a verwendeten Verben variiert werden: κατεργα' ζομαι („ich vollbringe“) V. 15a.17a.18f.20c ist in V. 15b.16a.20b ποιω' („ich tue“) und in V. 15a.19b πρα' σσω („ich mache“); γινω' σκω („ich beabsichtige“) V. 15a ist in V. 16b.16a.18e.19a.b.20a.21b θε' λω („ich will“). V.15b ist eine chiastische Wiederholung der vorausgehenden Grundaussage: Denn ich mache nicht, was ich will.217 Der Satz „was ich will“ (ο� θε' λω [ho thelō]) bezieht sich auf das Gute, das vom Gesetz Gebotene. Der Satz „ich mache nicht“ (ου� … πρα' σσω) beschreibt den Zustand, in dem sich das Ich befindet: Es setzt das Wollen nicht in die Tat um. V. 15c wiederholt steigernd: Sondern was ich hasse, das tue ich. Der Satz „was ich hasse“ (ο� μισω ñ [ho misō]) entspricht den Sätzen „das beabsichtige ich nicht“ (V. 15a) und „nicht, was ich will“ (V. 15b) und verweist auf das Böse, das vom Ich verabscheut wird und das es weder anstrebt noch verwirklichen will. Der Satz „ich tue“ (ποιω ñ [poiō]) beschreibt mit einem dritten Verb (nach κατεργα' ζομαι und πρα' σσω) das Handeln des Ich, das in die Tat umsetzt, was es verabscheut. Die dreifache Aussage vom Wollen des Guten und vom Tun des Bösen, die in V. 16-19 erläutert wird, hat im Zusammenhang der in V. 7-11 erzählten Geschichte des Ich ihren Platz zwischen V. 9b und V. 10a:218 Gott hat sein Gebot, das heilig, gerecht und gut ist (V. 12), den Menschen gegeben; als das Gebot vorhanden war, ist die Sünde aufgelebt; sie setzt das Gebot Gottes als Waffe gegen Gott und den von ihm geschaffenen Menschen ein und fordert den Menschen auf, im Ungehorsam gegen Gottes Gebot das verbotene Begehren zu wagen – das Ich Adams beabsichtigt zunächst nicht, Gottes Gebot zu übertreten, er will nicht begehren, er hasst die Zuwiderhandlung gegen den Willen Gottes: Entgegen seiner Absicht, entgegen seinem Willen, wohl wissend, was er hasst, schreitet er zur Tat und greift nach dem ihm nicht Zustehenden – mit der Folge von Unheil und Tod, d.h. der Vertreibung aus der Gegenwart Gottes, dem Leben-Müssen in der von Dornen und Disteln und Schmerzen verschandelten und verzerrten Welt, zum Handeln als Handlanger der Sünde verurteilt. Die Situation Adams und die Situation von Adams Nachkommen sind grundlegend verschieden: Der Widerspruch zwischen Wille und Handeln, Wunsch und Wirklichkeit stellte Adam vor eine echte ethische Wahl – außerhalb des Paradieses gibt es diese Wahlmöglichkeit nicht mehr, weil das Leben immer ein Leben getrennt von ————————————————————
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V. 15a1 ο� κατεργα' ζομαι entspricht V. 15b2 τουñ το πρα' σσω, und V. 15a2 ου� γινω' σκω entspricht V. 15b1 ου� ο� θε' λω. Das Demonstrativpronomen τουñ το verweist in V. 15b-c auf den vorausgehenden Relativsatz. Wolter I 447, der allerdings nicht im Sinn der Paradiesgeschichte interpretiert.
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der unmittelbaren Gegenwart Gottes ist. Das ist die Herrschaft der Sünde: dass sie den Menschen zum Leben in der Welt außerhalb des Paradieses zwingt, in der es neben den moralischen Niederlagen durchaus auch Siege gibt, auch bei Heiden, Siege im Sinn der „Einheit von Intendiertem und Bewirktem, die Realisation des Guten“219 – aber eben immer noch außerhalb des Paradieses. Der Widerspruch zwischen Wille und Handeln, Wunsch und Wirklichkeit ist ein Indiz der Herrschaft der Sünde, die aber mehr als das Tun des Verbotenen, mehr als die dem Menschen fehlende Willenskraft ist: Die Herrschaft der Sünde ist Wirklichkeit im Leben ohne Gott, außerhalb seiner unmittelbaren Gegenwart, zum ständigen und nie gelingenden Versuch der Selbstverwirklichung verurteilt. Der Widerspruch zwischen Wollen und Handeln, d.h. des Mangels an Selbstkontrolle bzw. der fehlenden Willenskraft (α� κρασι' α), wurde in der philosophischen und literarischen Tradition der Griechen und Römer intensiv diskutiert.220 Eine auf Sokrates zurückgeführte Tradition sagt, dass ein Mensch, der das Gute und das Schlechte kennt, tun kann, was sein Wissen ihm befiehlt (Plato, Prot 352c). Eine andere, nach Auskunft von Plato von vielen Menschen geteilte Meinung betonte, dass das Wissen um das Gute und das Schlechte den Menschen nicht beherrscht, „sondern irgend etwas anderes, bald der Zorn, bald die Lust, bald die Unlust, manchmal die Liebe, oft auch die Furcht“ (Plato, Prot 352b). Die Meinung, dass die Affekte die Erkenntnis von Gut und Böse und auch das Handeln der Menschen beherrschen, wurde von Euripides in seiner Tragödie Medea eindrucksvoll dargestellt: Medea, die in Korinth von ihrem Mann verlassen worden war, will sich rächen, indem sie die gemeinsamen Kinder tötet, wohl wissend, dass sie mit dieser Tat vom Bösen besiegt würde: „Und ich begreife zwar, welch Böses zu tun ich im Begriff bin, doch ist die Leidenschaft stärker als meine Überlegungen (θυμο` ς δε` κρει' σσων τω ñ ν ε� μω ñ ν βουλευμα' των), die Ursache ist das größten Übel für die Sterblichen“ (Med 1077-1080). In seinem Drama „Hippolytos“ verliebt sich Phaedra in ihrem Stiefsohn, obwohl sie weiß, dass sie Verbotenes tun will; sie überlegt: „Das Zuträgliche wissen und erkennen wir, wir führen es aber nicht aus (τα` χρη' στ’ ε� πιστα' μεσθα και` γιγνω' σκομεν, ου� κ ε� κπονουñ μεν δ’); die einen aus Trägheit, die anderen, weil sie stattdessen die Lust vorziehen anstelle des Guten“ (Hippol 380-383). Diese Fragestellungen wurden im 1. Jh. n.Chr. von Philosophen und Ethikern behandelt. Epiktet meint, das Medea-Problem hätte man durch Belehrung lösen können: Wenn man klar darlegt, warum ein Mensch das, was er will, nicht tut, und das, was er nicht will, tut, kann man ihn dazu bringen, „von sich aus aufzuhören (αυ� το` ς α� φ’ αυ� τουñ α� ναποχωρη' σει)“ (Diss 2,26,5; vgl. 1,28,6-8). Ovid ist anderer Meinung: „Aber wider Willen zieht mich eine fremde Macht, eines rät die Begierde, die Vernunft was anderes. Ich sehe das Bessere und heiße es gut, dem Schlechteren folge ich (video meliora proboque, deteriora sequor)“ (Metam 7,19-21). Seneca, der über Medea und Phaedra schreibt, ist derselben Meinung (Med 989-992; Phaed 178-180.184-185.604-605). Bei aller Gemeinsamkeit des Widerspruchs zwischen Wollen und Handeln unterscheidet sich die Darstellung bei Paulus.221 1. Medea und Phaedra wollen das Böse, d.h., es gibt kei————————————————————
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Käsemann 194; zum Folgenden ebd. 192-193; s. weiter in Abschnitt IV. Zum Folgenden vgl. den Exkurs bei Wolter I 447-451; vgl. Hommel, Überlieferung; Engberg-Pedersen, Reception; Heitsch, Wollen und Verwirklichen; Müller, Willensschwäche. Die Texte bei NW II/1, 142-149.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 161 ———————————————————————————————————— nen Widerspruch zwischen Wollen und Handeln. Nach Paulus herrscht die Sünde nicht über das Wollen, sondern über das Handeln. 2. Während es in der Akrasia-Diskussion die Affekte sind, die das Wollen überwältigen und das Tun des Guten verhindern, ist es bei Paulus die Sünde, die den Menschen zum Tun des Bösen, das er verabscheut, zwingt. 3. Die Kriterien für das, was „gut“ und was „böse“ ist, ergeben sich nicht aus einem allgemeinen Wissen (ε� πιστη' μη) bzw. der Erkenntnisfähigkeit des Menschen, sondern aus dem Gesetz und dem Gebot Gottes, das „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12) und „die Verkörperung der Erkenntnis und der Wahrheit“ (Röm 2,20) ist. Das „Wollen“ (θε' λειν; 7,16b.16a.18e.19a.b.20a.21b) ist nicht einfach ein „vernünftiges“ oder „rational informiertes Streben nach dem Guten“, 222 sondern, wie Wolter betont, „der Wille zum Gehorsam gegenüber den Geboten der Tora“.
16 Paulus wiederholt den in V. 15 festgestellten Gegensatz von Handeln
und Wollen, formuliert als realer Bedingungssatz: Wenn ich aber das tue, was ich nicht will (ει� δε` ο� ου� θε' λω τουñ το ποιω ñ ; V. 16a). Paulus leitet aus der Verkehrung der Absicht des Ich in ihr Gegenteil die Schlussfolgerung ab: Stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist (V. 16b). Das mit „ich stimme zu“ (συ' μφημι [symphēmi]) übersetzte Verb bedeutet „einverstanden sein, beipflichten, zustimmen, anerkennen“.223 Paulus macht eine Aussage über das Ich, nicht über das Gesetz: Ich, der ich das Gute tun will, stehe auf der Seite des Gesetzes – ich stimme zu, dass das Gesetz gut ist. Mit „Gesetz“ (νο' μος [nomos]) ist das mosaische Gesetz gemeint, das seit V. 7b, samt dem Gebot „Du sollst nicht begehren“ (V. 7e), im Mittelpunkt der Diskussion steht. Die Bezeichnung des Gesetzes als „gut“ (καλο' ς [kalos]) entspricht der Beschreibung des Gesetzes und seiner Gebote in V. 12 als heilig, gerecht und gut (α� γαθη' ). Die Tora ist gut, weil sie den heiligen und gerechten Willen Gottes offenbart, der heilig, gerecht und gut ist. Sie ist gut, weil das, was sie zu tun gebietet, „gut und wohlgefällig ist vor dem Herrn, deinem Gott“ (το` καλο` ν και` το` α� ρεστο` ν ε� ναντι'ον κυρι'ου τουñ θεουñ σου; Deut 12,25.28; 13,19). Das Ich will das Gesetz erfüllen, weil es das gute Gesetz Gottes ist, sieht aber, dass in seinem Handeln etwas anderes geschieht. Das Ich weiß, dass der Grund dieser Diskrepanz nicht das Gesetz ist, sondern es selbst: Ich tue das, was ich nicht will. Ich anerkenne Gottes Gesetz als gut auch und gerade angesichts der Tatsache, dass mein Handeln im Widerspruch zu ihm steht. Das wollende Ich steht auf des Seite des Gesetzes: Es erkennt seinen Anspruch, das gute Gesetz Gottes zu sein, an. Das handelnde Ich steht im Widerspruch zum Gesetz, weil die Sünde dafür gesorgt hat, dass die Einheit von Wollen und Handeln zerbrochen ist. Das Ich will den ————————————————————
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Wolter I 451-452. Müller, Willensschwäche, 228, mit Verweis auf Plato, Gorg 466a-468e; das folgende Zitat von Wolter I 452 Anm. 38. LSJ s.v. συ' μφημι; das Verb, das weder in LXX noch in Philo oder Josephus belegt ist, kommt im NT nur hier vor.
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Willen Gottes tun, gibt sich aber dem von der Sünde vorgeschlagenen Begehren des ihm nicht Zustehenden hin.224 17 Aus der Feststellung des Widerspruchs zwischen dem wollenden Ich und dem handelnden Ich in V. 14-16 folgert Paulus eine Beschreibung des handelnden Ich: Dann aber vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Die Adverbien „dann aber“ (νυνι` δε' ) und „nicht mehr“ (ου� κε' τι) haben logische Bedeutung.225 Mit „nicht mehr“ ist die vorausgehende Beschreibung des Widerspruchs zwischen wollendem und handelndem Ich gemeint.226 Paulus betont: Was „ich vollbringe“ (ε� γω` κατεργα' ζομαι αυ� το' [egō katergazomai auto]; V. 17a), d.h. das vom Ich vollbrachte Tun dessen, was ich nicht will und was ich verabscheue,227 wird von der Sünde bewirkt: „Die Sünde (bewirkt es), die in mir wohnt“ (V. 17b).228 Die handelnde Größe (Agens), die kausal im Vordergrund steht, ist nicht das Ich, sondern „die Sünde“ (η� α� μαρτι'α [hē hamartia]). Die Sünde wird mit der Partizipialwendung „die in mir wohnt“ (οι� κουñ σα ε� ν ε� μοι' [oikousa en emoi]) charakterisiert:229 Die Sünde wohnt im Ich, sie ist im Ich zu Hause, sie hat das das Ich kolonisiert, sie verwaltet das Ich, sie schaltet und waltet im Ich. Paulus spricht von der Herrschaft der Sünde über das Ich: Das Ich ist nicht mehr der Herrschaft Gottes unterstellt, es ist aber auch nicht autonom, wie die Schlange in Aussicht stellte, sondern es gehorcht den Anweisungen der Sünde.230 Nicht der Mensch setzt die Sünde ins Werk, sondern die Sünde den Menschen. Die Darstellung in 1,18–3,20 zeigt, dass Paulus hier in 7,17 den Menschen nicht entlasten will: Sünde ist immer konkretes Handeln im Widerspruch zum Willen Gottes (so auch 7,14-16), aber Sünde ist mehr – Sünde ist Leben abseits der Gegenwart Gottes, der nicht wohnt, wo die Sünde wohnt. Von dämonischer Besessenheit ist das hier beschriebene Ein————————————————————
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Wilckens II 87 bezieht die Zustimmung zum Gesetz auf die Verteilung meines Tuns durch das Gesetz: Ich stimme dem Gesetz zu, „aber nur so, daß ich hasse, was ich bereits tue“. Angesichts der Beschreibung des Gesetzes als „gut“ ist diese auf die Verteilung des sündigen Handelns eingeschränkte Zustimmung nicht plausibel. Ausführlich Zahn 352-353; vgl. Wilckens II 87; Wolter I 453; Hofius, Mensch, 137. Eine temporale Interpretation (wie in Röm 3,23; 6,22; 7,6), die Nygren 219-220 vertritt, ergibt hier keinen Sinn: Der in V. 14-16 geschilderte Zustand ist nicht Vergangenheit, im Gegensatz zu welcher jetzt die Gegenwart beschrieben wird. Wolter I 453: „nicht mehr“ heißt so viel wie „nicht mehr wie gerade noch gesagt“. Das Personalpronomen αυ� το' bezieht sich auf ου� ο� θε' λω und ο� μισω ñ V. 15. V. 17b ist zu ergänzen: η� οι� κουñ σα ε� ν ε� μοι` α� μαρτι' α [κατεργα' ζεται αυ� το' ]. Vgl. Bauer/Aland s.v. οι� κε' ω intransitiv: „eine Wohnung haben, wohnen“; LSJ s.v. οι� κε' ω transitiv: I. „inhabit; colonize, settle“; II. „manage, direct (a household or a state)“; vgl. O. Michel, Art. οι� κε' ω, ThWNT V, 137-138. Von einem „Gegensatz zwischen mir und der Sünde“ (Wilckens II 87) kann man also nicht reden: Paulus beschreibt ein Herrschaftsverhältnis.
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wohnen der Sünde im Ich dadurch unterschieden, dass das Ich die verantwortliche Größe ist, „in dessen Geschick sich denn auch der Tod als die Folge meines Tuns auswirkt“.231 Die Vorstellung vom „Wohnen“ der Sünde im Menschen erinnert an die οιòκος-Vorstellung im Zusammenhang der Dämonen, die den Leib des Menschen als „Haus“ (οιòκος [oikos]) benutzen, in dem sie wohnen (Mt 12,43-45 / Lk 11,24-26); deshalb befreit Jesus Menschen von Dämonen bzw. bösen Geistern, sie sich „in“ den Menschen befinden, aus ihnen heraus reden und ihr Verhalten bestimmen, indem er sie „austreibt“ (Mk 1,22-28 / Lk 4,3337; Mt 8,28-34 / Mk 5,1-20 / Lk 8,26-39). Die personifizierte Darstellung der Sünde, die im Menschen wohnt, kann mit dem frühjüdischen Text TestNaph 8,6 verglichen werden, wo es von dem Menschen, der das Gute nicht tut, heißt: „der Teufel wird ihn bewohnen wie sein eigenes Gefäß“ (J. Becker). Zugleich erinnert die Vorstellung vom „Wohnen“ an das „Bleiben“ in Joh 8,35: „Wer bleibt, hat Recht und Macht, zu bleiben“.232 Unter die Sünde „verkauft“ zu sein (V. 14) bedeutet, ihr die Kontrolle überlassen zu haben: Die Sünde ist nicht Hausgast, sondern Hausbesitzer. Auch hier zeigt sich, dass Paulus von Nichtchristen spricht: Jesusbekenner sind Menschen, in denen der Geist Gottes „wohnt“ (πνευñ μα θεουñ οι� κειñ ε� ν υ� μιñν; Röm 8,9; 1Kor 3,16; vgl. 2Tim 1,14; Jak 4,5).233 Im Kontext frühjüdischer Texte, die von einem Wohnen Gottes im (frommen) Menschen sprechen,234 ist die Aussage des Apostels mit aller absoluten Grundsätzlichkeit zu hören: Das Ich, das zwar dem guten Gesetz Gottes zustimmt, jedoch tut, was es nicht tun will, ist von der Sünde besetzt und wird von dieser gesteuert, obwohl sie dort aufgrund der Erschaffung des Menschen im Bilde Gottes „von Natur“ aus nichts zu suchen hat.235 18 Paulus begründet zunächst die Aussage V. 17 über die Kontrolle des Ich durch die im Ich wohnende Sünde: Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, das Gute nicht wohnt. Das Ich des einleitenden Satzes ————————————————————
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Wilckens II 131. Michel, ThWNT V, 138 Anm. 2. Vgl. äthApkHen 49,3; LibAnt 28,6; Philo, SpecLeg 4,49; vgl. Weish 1,4-5. TestSeb 8,2; TestDan 5,1; TestJos 10,2-3; TestBenj 6,4. Wolter I 454 verweist auch auf Seneca, Ep 41,2: „Ein heiliger Geist sitzt in uns … in einem jeden guten Menschen – welcher Gott, ist ungewiss – wohnt ein Gott (sacer intra nos spiritus sedet … in unoquoque virorum bonorum – quis deus incertum est – habitat deus).“ Schmithals 231 will wissen, dass 7,17–8,39 ein dogmatisches Traktat ist, der erst nachträglich durch den Redaktor des Römerbriefs, „den Herausgeber der Briefsammlung“, an diese Stelle gesetzt worden sei. Dagegen Lohse 221 Anm. 12 mit der Vermutung, „daß der Apostel in diesen Ausführungen an Formulierungen anknüpft, die er des öfteren in seinen Lehrvorträgen verwendet hat“.
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„denn ich weiß“ (οιòδα γα' ρ; begründendes gar; V. 18a) ist das Ich, das auch sonst seit V. 7 spricht.236 Die Wendung „wohnt nicht in mir“ (ου� κ οι� κειñ ε� ν ε� μοι' [ouk oikei en emoi]; V. 18b) wiederholt die Aussage V. 17b von der Sünde, die im Ich wohnt. Der Satz „das heißt in meinem Fleisch“ (V. 18c) will das Wohnen der Sünde nicht abschwächend auf die gefallene menschliche Natur beschränken:237 τουñ τ’ ε» στιν [tout’ estin] hat erklärende Bedeutung,238 ε� ν τηñ, σαρκι' μου [en tē sarki mou] ist mit ε� ν ε� μοι' V. 18b identisch und verbindet mit der Aussage V. 17 („die Sünde, die in mir wohnt“). Das heißt, Paulus wiederholt V. 14 ε� γω' σα' ρκινος, „ich bin fleischlich“ (s. dort und V. 5 zu σα' ρξ). Das Wesen des Ich ist „Fleisch“, d.h., das Ich ist der Ort, wo die Sünde wohnt. Die Aussage, dass die Sünde im Ich wohnt, ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass „das Gute“ nicht im Ich wohnt. Das „Gute“ (α� γαθο' ν [agathon]; V. 18d) ist das von Gott in seinem heiligen Gesetz Gebotene, d.h. das dem Willen Gottes Entsprechende.239 Das Gegenteil des „Guten“ ist das „Fleisch“, das in der grundsätzlichen Aussage von V. 18 nicht die „Sünden des Fleisches“ bezeichnet, sondern metaphorisch die conditio humana charakterisiert: „Wie es keine menschliche Existenz ohne ‚Fleisch‘ gibt, so gibt es auch keine menschliche Existenz ohne Sünde, und darum gehört die Sünde so notwendig zum menschlichen Leben dazu wie das Fleisch“.240 In V. 18e-f begründet Paulus die Aussage V. 18a-d mit der existenziellen Erfahrung des Ich: Denn das Wollen ist bei mir vorhanden, das Vollbringen des Guten aber nicht. Die Aussage entspricht V. 15a: „was ich vollbringe, das beabsichtige ich nicht“. Das „Wollen“ (το` θε' λειν [to thelein]) ist das Wollen des „Guten“ (το` καλο' ν [to kalon]), d.h. des im Gesetz und den Geboten offenbarten Willens Gottes (V. 12).241
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Hofius, Mensch, 111 Anm. 28 meint, dass hier (und nur hier) ein christliches Ich spricht. So auch Käsemann 196: οιòδα formuliert „christliche, vielleicht bereits dogmatisch anerkannte Einsicht“. Dagegen Wolter I 454. Zahn 355; Lietzmann 77; Cranfield I 361; vgl. Dunn I 391; Kümmel, Römer 7, 61. Kritisch Michel 232; Käsemann 196; Wilckens I 87; Wolter 454. Die Negation ου� κ qualifiziert οι� κειñ ε� ν ε� μοι' , nicht α� γαθο' ν; vgl. Keck, Absent, 73-74; Jewett 467; Wolter I 454. Vgl. 9,8; 10,6.7.8; Phlm 12; so auch Mt 27,46; Mk 7,2; Apg 1,19; 19,4; 1Petr 3,20 u.a. Vgl. Hofius, Mensch, 138. Wolter 454. Käsemann 196: Das Gute ist „das Gottgewollte, das als solches Heil einschließt. Es auf das Sittliche einzuschränken (vgl. dazu Schrage, Einzelgebote, 196f.), erscheint vom Kontext her bedenklich, weil dämonische Sündenmacht über diesen Bereich hinausgreift“. Der Infinitiv/AcI (ohne Präpositionen) το` θε' λειν [το` καλο' ν] sowie το` κατεργα' ζεσθαι το` καλο' ν ist jeweils Subjekt des Satzes; HvS § 224a.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 165 ———————————————————————————————————— Bultmann interpretiert „das Gute“ als Objekt des Wollens im Sinn des „Lebens“ (ζωη' ) und „das Böse“ als „Tod“ (θα' νατος) im Kontext seiner Interpretation von 7,14ff als „Gesetzesdienst“, der als Selbstbehauptung gegenüber Gott verstanden wird.242 Hofius betont zu Recht, dass diese Interpretation den Wortlaut von 7,14ff gegen sich hat: Sündige Existenz ist nicht „gesetzliche“ Existenz.243 Sünde ist nicht das Tun-Wollen des Gesetzes, sondern das Nicht-Tun des Gesetzes. Das Problem ist nicht das Gesetz, sondern das Tun, das den Willen Gottes nicht erfüllt. Kritisch auch Wilckens: „Das Gesetz bewirkt vielmehr das Leben dem, der es tut, und darum den Tod dem, der es nicht tut … der schmerzliche Widerspruch besteht darin, daß ich nicht tue, was das Gesetz will und was ich, sofern ich dem Gesetz zustimmen muß, auch selbst nicht will“.244
Die Möglichkeit des Wollens ist vorhanden,245 das Ich will das vom Gesetz Gottes Gebotene tun (V. 18e), kann das Gute aber nicht vollbringen (V. 18f), weil es nicht selbst handelt, sondern sein Handeln von der Sünde gesteuert wird (V. 17). Paulus konstatiert für das Ich „die totale Unfähigkeit zum Tun dessen, was die Tora als gut bezeichnet und fordert“.246 Das Ich kann das Gute nur wollen, aber nicht vollbringen. Der Satz endet abrupt mit „nicht“ (ου» ), was sicher beabsichtigt ist. 19 Paulus begründet die Aussage V. 18e-f mit einer fast wörtlichen Wiederholung von V. 15b-c: Denn ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern ich mache das Böse, das ich nicht will. Das Ich will das Gute (ο� θε' λω [α� γαθο' ν]), aber ich tue das Gute nicht (ου� … ποιω ñ α� γαθο' ν; V. 19a). Stattdessen (α� λλα' ) mache ich die empirische Erfahrung, dass ich das Böse, das ich nicht will ([κακο` ν] ο� ου� θε' λω), nicht unterlasse, sondern das nicht gewollte Böse mache (κακο` ν τουñ το πρα' σσω; V. 19b). Paulus betont also: Die Möglichkeit, das Gute zu tun, besteht für das Ich im Blick auf das Wollen, aber nicht im Blick auf das Tun – ich tue faktisch nicht, was ich tun will und was das Gesetz gebietet, das der heilige Gott geoffenbart hat und das deshalb gut ist, sondern ich tue, paradoxerweise (unterstrichen von τουñ το), faktisch das, was ich nicht will, weil ich es verabscheue. ————————————————————
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Bultmann, Römer 7, 203.207, zur folgenden Bemerkung s. ebd. 198.200.206-207. Vgl. auch Käsemann 195-196; Schmithals 226-228. Hofius, Mensch, 138 Anm. 122. Wilckens II 88 Anm. 358. παρα' κειμαι + Dativ (nur hier im NT) bedeutet „bereit liegen, zur Hand sein, vor jemand (zur Auswahl) liegen“; vgl. Bauer/Aland s.v. παρα' κειμαι; F. Büchsel, ThWNT III, 656; Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 95 verweist auf die Petition betreffend der Mysterien in Ephesus, in der von „angefügten Briefen“ (αι� παρακει' μεναι ε� πιστολαι' ) die Rede ist (SIG3 820; datiert 88/89 n.Chr.); MM s.v. verweist u.a. auf P.Oxy. III 530,17-18; VII 1058 (christl. Gebet aus dem 4./5. Jh.). In der LXX vgl. Jdt 3,2.3; Sir 30,18; 34,16; 2Makk 4,41; 9,25. Hofius, Mensch, 141. Lohse 221: „Der geknechtete Mensch ist also gar nicht mehr in sich selbst zu Hause“.
166 Römerbrief ————————————————————————————————————
20 Der reale Bedingungssatz V. 20a-b fasst V. 19b zusammen: Wenn ich
aber das tue, was ich nicht will. Der Widerspruch zwischen dem Wollen des Ich (θε' λω), das das Gute tun will, und dem Tun des Ich (ποιω ñ ), das das Böse tut, ist keine hypothetische Überlegung, sondern empirische Wirklichkeit. V. 20c-d formuliert die Schlussfolgerung: Dann vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Der Satz wiederholt wörtlich V. 17.247 Die Wiederholung unterstreicht die Geltung sowie die Bedeutung der Aussage V. 17-20.248 Mit „es“ (αυ� το' ) ist das Nicht-Wollen des Bösen (ο� ου� θε' λω κακο' ν; V. 19b) gemeint, das das Ich nicht will (ο� ου� θε' λω; V. 20a). Das Ich ist nicht einfach von der Sünde angefochten oder von ihr beeinflusst. Es ist hier auch nicht nur der Sünde unterworfen. Das Ich ist, was die Kraft des Willens und die Wirklichkeit des Handelns betrifft, von der Sünde so grundlegend bestimmt, dass sie zu einem Teil des Ich geworden ist. Die Fremdbestimmung des Ich kommt nach V. 17-20 „nicht mehr lediglich von außen, sondern von innen, aus dem Ich selbst heraus“.249 21 Paulus fasst in V. 21-23 seine Ausführungen von V. 14-20 zusammen, die V. 13 erklären. Er spricht wieder vom Gesetz: Ich finde also das Gesetz für mich, der ich das Gute tun will, dass für mich nur das Böse vorhanden ist. Der Satz „ich finde also das Gesetz“ (ευ� ρι' σκω α» ρα το` ν νο' μον [euriskō ara ton nomon]; V. 21a)250 wiederholt mit einer Aktivaussage, was V. 10 (ευ� ρε' θη μοι) passivisch vom Ich gesagt wurde. Der Satz „für mich, der ich das Gute tun will“ (τω ñ, θε' λοντι ε� μοι` ποιειñν το` καλο' ν [tō thelonti emoi poiein to kalon]; V. 21b)251 wiederholt die Feststellung, dass das Ich das Gute tun will. Der Satz „für mich ist nur das Böse vorhanden“ (ε� μοι` το` κακο` ν παρα' κειται [emoi to kakon parakeitai]; V. 21c) beschreibt die empirische Erfahrung des Ich, dass es das Gute tun will, aber trotzdem das Böse tut, in V. 18d-19. Paulus erläutert die beiden Aussagen V. 21b-c in V. 22.23. ————————————————————
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Der einzige Unterschied zu V. 17 ist das Fehlen von νυνι` δε' am Anfang des Satzes. Wolter I 455: rhetorische Figur der redditio, „die das Gesagte affektiv vereindringlichen soll“; Lausberg, Handbuch, §608.625-627 („Wiederholung als Klammer“). Wolter I 455. Der Akkusativ το` ν νο' μον ist Objekt von ευ� ρι' σκω, nicht des Infinitivs ποιειñν (mit το` καλο' ν) als Apposition. Das substantivierte Partizip τω ñ, θε' λοντι ist Apposition zu ε� μοι' und als dativus commodi mit dem Hauptsatz zu verbinden: entweder mit dem Verb ευ� ρι' σκω (so die meisten, vgl. BDR §1903; Wilckens I 88) oder mit dem Akkusativobjekt το` ν νο' μον (Wolter I 456; Wolter verweist als Parallelen für νο' μος + Dativ auf Ex 12,49; Num 9,14; 15,16; Josephus, Bell 7,50: „Der Dativ nennt immer denjenigen, für den der νο' μος verbindlich ist“). Der Unterschied ist gering; meine Übersetzung folgt Wolter. Die Wendung τω ñ, θε' λοντι ist jedenfalls nicht mit παρα' κειται im folgenden ο« τι-Satz zu verbinden, weil dort ε� μοι` το` κακο' ν als dat. (in)commodi steht.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 167 ————————————————————————————————————
Umstritten ist die Bedeutung von Gesetz (νο' μος [nomos]. Die meisten Ausleger verstehen „Gesetz“ im Sinn von „Gesetzmäßigkeit, Regel, Prinzip“: Paulus benennt mit dem Wort den Mechanismus, dass das Ich das Gute tun will, dann aber das Böse tut. Das Ich „findet diese Gesetzmäßigkeit für mich, den Wollenden“ (ευ� ρι'σκω α» ρα το` ν νο' μον τω ñ, θε' λοντι ε� μοι').252 Diese Bedeutung ist nicht unmöglich, ist aber im vorausgehenden Kontext, wo Paulus νο' μος für die mosaische Tora verwendet, nur dann anzunehmen, wenn hier ein Verweis keinen Sinn ergäbe. Von einer Ausnahme vom üblichen Wortgebrauch sollte man nicht ohne Weiteres ausgehen.253 Die direkte Interpretation im Sinn des mosaischen Gesetzes, die sich infolge der Bedeutung von νο' μος im Kontext nahelegt, ist schwierig: Wo sagt die Tora, oder legt fest, dass der Mensch das Gute tun will, aber dann findet, dass er das Böse tut? Die Lösung ergibt sich von V. 23 her, wo Paulus von einem „anderen Gesetz“ spricht, dem „Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist“.254 Das Ich macht die empirische Erfahrung („findet“), dass das heilige, ————————————————————
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Weiß 320-321; Kuss II 456; Käsemann 197; Schlier 233; Michel 233; Moo 487-488; Fitzmyer 475-476; Légasse 468; Lohse 222; Penna 514-515; Hultgren 290; Haacker 181; Kruse 309-310; Wolter I 457; Dülmen, Theologie, 115-118; Aletti, Israël et la Loi, 147150; Räisänen, Paul, 50-53; Lichtenberger, Das Ich Adams, 147. So auch Bauer/Aland s.v. νο' μος 2; BDAG s.v. νο' μος 1a; W. Gutbrod, Art. νο' μος D., ThWNT IV, 1063. Vgl. Cranfield I 361-362.364 (metaphorisch im Sinn von „Macht, Autorität, Kontrolle“); so auch Matera 178-179. Wilckens II 89 mit Anm. 371 meint, die Bedeutung „Regel, Prinzip“ sei im klassischen Griechisch nicht belegt (mit Verweis auf LSJ, wo diese Bedeutung nicht aufgeführt ist, und auf den Überblick über die Wortbedeutung bei H. Kleinknecht, Art. νο' μος A., ThWNT IV, 1016-1029). Bauer/Aland s.v. νο' μος verweist für diese Bedeutung auf Alcman, Frag 93D (7. Jh. v.Chr.); Ocellus 49 (2. Jh. v.Chr.); Appian, Basil 1,2; BellCiv 5,44,186 (3. Jh. v.Chr.), Polyaenus, Strategem 5,5,3; 7,11,6 (2. Jh. n.Chr.); Sextus 123 (2. Jh. n.Chr.), BDAG weiter auf Sophokles, Ant 908, Räisänen, ebd. 50-51 Anm. 34 auf Josephus, Bell 1,11; 2,90; 5,20; 6,239.346.353; Ant 1,230.315; 15,157; Philo, Somn 1,102; SpecLeg 2,187; 4,96; Polybius 2,58,10; Photios, Bibl 109a.25-26; vgl. Räisänen, Sprachliches, 119-147. Vgl. Bachmann, Keil, 124: „Die bei ein und derselben Verwendung eines Lexems gegebene Ambiguität (hinsichtlich zweier Sememe ist) noch einmal etwas anderes als das, was man oft beim Wortwitz oder beim Wortspiel beobachten kann. Hier erfolgt nämlich nicht selten zumindest bei einem von zwei Vorkommen eines Wortes dessen Monosemierung und damit ein Hinweis auf die bewusst eingesetzte Ambiguität“. Unter Monosemierung versteht man den Vorgang, dass ein Autor eine bestimmte Bedeutung von mehreren möglichen Bedeutungen auswählt. Vgl. Vos, Argumentation, 66-74, der im Blick auf die Verbindungen von νο' μος mit einem Genitiv meint, Paulus verwende die Technik der Dissoziation so, dass das „Gesetz des Glaubens“ (Röm 3,27) und das „Gesetz des Geistes des Lebens“ (Röm 8,2) eine Gestalt des einen Gottesgesetzes ist“ (71.73). Zahn 356-359; Schlatter 244-245; Barrett 149; Wilckens II 89; Dunn I 392; Stuhlmacher 103; Schreiner 376-377; Wright 569-570; Jewett 469; Lohse, Anmerkungen, 134-135; Hahn, Gesetzesverständnis, 206; Snodgrass, Influence, 106-107; Theißen, Psychologische Aspekte, 257-258; Longenecker, Eschatology, 240-241; Das, Paul, 228-232. Kritisch Vollenweider, Freiheit, 358-359. Für das Folgende s. Wilckens und Dunn.
168 Römerbrief ————————————————————————————————————
gerechte und gute Gesetz (V. 12), das es tun will, aber nicht tun kann, von der Sünde verwendet wird, um im Tun des Bösen sichtbar zu werden und in den Tod zu führen. Paulus sagt in V. 21b-c in komprimierter Form, was er in V. 18-19 geschrieben hatte: mit καλο' ν für α� γαθο' ς (V. 12-13/16 und 18/19) als Antithese zu κακο' ν (V. 19), und mit dem ungewöhnlichen Verb παρα' κειμαι (V. 18), das darauf hinweist, wie einfach und bequem das Ich es findet, das zu tun, was es nicht tun will. Der Gegensatz von Wollen und Tun, in dem das Ich gefangen ist, ist ein Gegensatz im Blick darauf, wie das Ich das Gesetz erlebt: Es will das vom Gesetz Gebotene tun, weil das Gesetz gut ist, es findet aber, dass das Gesetz ihm keine Hilfe beim Tun des Gewollten ist, sondern ihn für sein von der Sünde gesteuertes Tun haftbar macht und ihm schließlich das Todesurteil ausspricht. Anders formuliert: Die faktische Lebenswirklichkeit des Ich macht die Erfahrung, dass ein Konflikt besteht zwischen dem Wollen des Guten, das ein Wollen bleibt, und dem Tun des Bösen, das Wirklichkeit wird – ein Konflikt, der sich infolge der Festlegung im Gesetz, was gut ist und was böse ist, als Manifestation der Sünde abspielt: Das Gesetz ist das heilige, gerechte und gute Gebot Gottes, das Leben ermöglichen, bewahren und schenken will; das Ich, das den Willen Gottes tun will, aber das Böse tut, erlebt es jedoch in tragischer Weise als von der Sünde usurpiertes Gesetz, das ihm zum Tod gereicht. Was Paulus meint, entfaltet er in V. 22-23. 22 Paulus erklärt V. 21b: Denn ich stimme mit Freude dem Gesetz Gottes zu nach dem inneren Menschen. Das mit „ich stimme mit Freuden zu“ (συνη' δομαι)255 übersetzte Verb entspricht inhaltlich dem Verb „ich stimme zu“ (συ' μφημι) V. 16b, wo Paulus eine ganz ähnliche Aussage macht wie hier („ich stimme dem Gesetz zu, dass es gut ist“). Das „Gesetz Gottes“ (ο� νο' μος τουñ θεουñ [ho nomos tou theou]) ist das mosaische Gesetz, das heilig ist und dessen Gebote heilig, gerecht und gut sind (V. 12).256 Paulus beschreibt das Ich im Hinblick auf seinen „inneren Menschen“ (ο� ε» σω α» νθρωπος [ho esō anthrōpos]). Von einem „äußeren Menschen“ spricht Paulus nicht explizit (so in 2Kor 4,16: ο� ε» ξω η� μω ñ ν α» νθρωπος; vgl. 1Petr 3,3), der für das Tun des Nichtgewollten verantwortlich ist, das von der im Fleisch wohnenden Sünde gesteuert wird (V. 17-20). Das „äußere“ ————————————————————
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Der Dativ τω ñ, νο' μω, τουñ θεουñ bezeichnet den Gegenstand der Freude. Die Vorsilbe συν(η' δομαι) dient der Verstärkung, ohne auf einen anderen zu verweisen, der sich freut. Das Verb kommt nur hier im NT vor, ist jedoch im außerbiblischen Griechisch häufig belegt; vgl. LSJ s.v. συνη' δομαι. Der Ausdruck νο' μος τουñ θεουñ ist in der LXX Übersetzung von ּת ֹו ַרת ֱאל ִֹהיםoder ּת ֹו ַרת ְיהָוה: Jos 24,26; 1Chron 16,40; 22,12; Ps 1,2l; 19[20],8; Hos 4,6; Jes 30,9; Jer 8,8; 2Esr 19,3; 20,29.30 (hebr. Neh 9,3; 10,29.30).
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 169 ————————————————————————————————————
Vollzugsorgan des „inneren Menschen“ sind V. 23 „meine Glieder“ (με' λη μου), die nicht das Wollen des Ich, sondern das Wollen der Sünde ausführen. Die Präposition κατα' (kata; „gemäß“) stellt sicher, „dass Paulus das Ich nicht aus seiner Einheit entlässt und der ‚innere Mensch‘ sich nicht gegenüber dem seit V. 7d sprechenden Ich verselbstständigt“.257 Das Ich, das der Tora als Gesetz Gottes mit Freude zustimmt, ist dasselbe Ich, von dem bisher die Rede war – das Ich, das das Gute tun will, aber das Böse vollbringt. Der „innere Mensch“ gehört mit der Formulierung „meine Vernunft“ (ο� νουñ ς μου) V. 23 (s. dort) zusammen. Die Rede vom „inneren Menschen“ wird oft mit Plato und Philo verglichen. Vgl. Plato, Resp 589a: „des Menschen innerer Mensch“ (τουñ α� νθρω' που ο� ε� ντο` ς α» νθρωπος) ist der Teil der Seele, der für „das Vernünftige“ (λογιστικο' ν) verantwortlich ist. Philo beschreibt die Vernunft (νουñ ς) als „in Wirklichkeit“ (κυρι' ως) „Mensch … im Menschen“ (α» νθρωπος … ε� ν α� νθρω' πω, ; Congr 97), als „Mensch, der in jedem von uns ist“ (α» νθρωπος δε` ο� ε� ν ε� κα' στω, η� μω ñ ν; Agr 9), als „wahrer Mensch“ (ο� α� ληθινο` ς α» νθρωπος; Det 10; vgl. Plant 42; Her 231). Manche identifizieren den „inneren Menschen“ mit dem νουñ ς;258 andere setzen den „inneren Menschen“ vom νουñ ς ab: Der „innere Mensch“ bedient sich des νουñ ς, der Bestandteil seines „Innen-Seins“ ist.259 Die Unterschiede zwischen Paulus auf der einen und Plato und Philo auf der anderen Seite legen die Schlussfolgerung nahe, dass die Verwendung der Metapher vom „inneren Menschen“ in 2Kor 4,16 – der „äußere Mensch“ ist die hinfällige Leiblichkeit des Menschen, der „innere Mensch“ hat in der Gegenwart am Leben des Auferstandenen Anteil – auf Paulus selbst zurückgeht, ohne von Plato oder der mittelplatonischen Tradition übernommen worden zu sein.260 In Röm 7,22 verwendet er die Metapher, mit einer anderen Bedeutung, noch einmal. Die Rede vom „inneren“ und „äußeren“ Menschen kann ihrer Struktur nach mit dem in rabbinischen Texten nicht selten gebrauchten Begriffspaar „böser Trieb“ und „guter Trieb“ verglichen werden.261
Der „innere Mensch“ ist der Teil des Ich, der das Gute will und das Böse hasst, und das heißt im Kontext von V. 14-20: Das, was der Mensch als Gottes Geschöpf will und denkt, was aber nicht als Tun nach außen dringt.262 Mit der Metapher vom „inneren Menschen“ betont Paulus den
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Wolter I 457; vgl. Bauer/Aland s.v. κατα' II.5a: κατα' mit Akk. der Person, „nach deren Willen, Wohlgefallen oder Art etwas geschieht“. Cranfield I 363; Wilckens II 88; Lohse 222 u.a. Wolter I 459; vgl. Markschies, Metapher, 4-5; Betz, Inner Human Being, 334.338. Markschies, Metapher, 2; C. Markschies, Art. Innerer Mensch, RAC XVIII, 266-311, hier 279; vgl. Wolter I 459; Lichtenberger, Das Ich Adams, 148. Lichtenberger, Das Ich Adams, 147-148, mit Verweis auf Rüger, Hieronymus, 132-137. Wolter I 459, mit Kritik an N. Walter, Art. ε» σω, EWNT I, 163, der ο� ε» σω α» νθρωπος erklärt als „das, was der Mensch eigentlich sein sollte, im Unterschied von dem Menschen, als der er in Wahrheit existiert“: Der „innere Mensch“ existiert wirklich, nicht nur „eigentlich“, und hat auch „in Wahrheit“ Freude am Gesetz.
170 Römerbrief ————————————————————————————————————
Unterschied zwischen dem im Bilde Gottes geschaffenen Menschen und dem „Fleisch“ sowie den „Gliedern“ als die Instrumente des Fleisches, durch die die Sünde das Wollen des Ich verhindert und das Tun des Bösen verwirklicht. 23 Paulus erklärt V. 21c: Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft Krieg führt und mich gefangen nimmt im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Die Freude am Gesetz Gottes und das Wollen des Guten, das Gott in seinem heiligen Gesetz gebietet, wird nicht Wirklichkeit – das Ich findet, dass es das Böse tut, was es nicht will. Der Ausdruck „in meinem Gliedern“ (ε� ν τοιñς με' λεσι'ν μου [en tois melesin mou]; V. 23a.c) ist die sichtbare Wirklichkeit, die der unsichtbaren Wirklichkeit des „inneren Menschen“ (ε» σω α» νθρωπος, V. 22) gegenübersteht.263 In 7,5 hatte Paulus im Blick auf die Zeit vor der Bekehrung zum Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus gesagt, dass damals, „als wir im Fleisch waren“, die vom Gesetz hervorgerufenen Leidenschaften der Sünde „in unseren Gliedern“ wirkten, „sodass wir dem Tod Frucht brachten“. In 7,14-21 sprach Paulus vom Widerspruch zwischen dem Wollen des Guten und dem Tun des Bösen: Das Wollen des Guten ist auf das Tun des Gesetzes Gottes ausgerichtet, dessen Gebote heilig, gerecht und gut sind (V. 12.16), während das Tun des Bösen, das die Lebenswirklichkeit des Ich bestimmt, die Folge der Tatsache ist, dass das Ich der Sünde gehört, die vom Ich Besitz ergriffen (V. 14) und im Ich Wohnung genommen hat (V. 17.20). Die „Glieder“ V. 23a.c repräsentieren den sichtbaren Ort, an dem das Vollbringen (κατεργα' ζομαι), Machen (πρα' σσω) und Tun (ποιε' ω) des Ich sichtbare Wirklichkeit ist (V. 15-20). Das auf das Gesetz Gottes ausgerichtete Wollen des Ich bleibt nicht nur unsichtbar, sondern unwirklich: Das Wollen des Guten findet nicht statt, weil das Ich, von der Sünde besetzt, bewohnt und gesteuert, nur das von der Sünde gewollte Tun des Bösen vollbringt. Weil die „Vernunft“ (νουñ ς [nous]) zum „inneren Menschen“ (V. 22) gehört, der sich der Vernunft bedient, um das Gute zu wollen und das Böse zu hassen, ist das Gesetz meiner Vernunft (νο' μος τουñ νοο' ς μου [nomos tou noos mou]; V. 23b) das mosaische Gesetz, mit dem das Wollen der Vernunft des Ich übereinstimmt und dessen heiliges, gerechtes und gutes Gebot es tun möchte (gen. subjectivus). Das „Gesetz meiner Vernunft“ ist nicht ein Gesetz, das sich die Vernunft ausgedacht hat (gen. auctoris), sondern das von Gott geoffenbarte Gesetz, das den Unterschied zwischen „gut“ und ————————————————————
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Anders als in 2Kor 4,16 spricht Paulus nicht vom „äußeren Menschen“ (ε» ξω α» νθρωπος), sondern im Anschluss an 6,13.19; 7,5 von den „Gliedern“.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 171 ————————————————————————————————————
„böse“ beschreibt und das Tun des Guten vorschreibt – seit dem Gebot „Du sollst nicht begehren“ (zu essen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse), das Gott dem ersten Menschen gegeben hatte (Gen 2,16-17), dessen Übertretung samt seinen fatalen Folgen für das Ich jedes Menschen Paulus in V. 7-11 beschrieben hatte. Das „Gesetz meiner Vernunft“ ist das „Gesetz Gottes“ (νο' μος τουñ θεουñ [nomos tou theou]), d.h. das mosaische Gesetz, dem das Ich nach dem inneren Menschen zustimmt (V. 22). Mit ich sehe aber (βλε' πω δε' ) führt Paulus den Widerspruch ein, den das Ich wahrnimmt, wenn es seine Freude am Gesetz Gottes im inneren Menschen in Beziehung setzt zu der Wirklichkeit, die in seinen Gliedern sichtbar ist. Dort, in seinem Gliedern, sieht das Ich ein anderes Gesetz (ε« τερος νο' μος [heteros nomos]; V. 23a). Paulus beschreibt die Wirklichkeit dieses Gesetzes mit zwei Partizipialwendungen. 1. Das „andere Gesetz“ führt Krieg (α� ντιστρατευο' μενον) gegen das „Gesetz meiner Vernunft“ (V. 23b).264 Das zweite Partizip zeigt, dass das „andere Gesetz“ gesiegt hat: Krieg führen, siegen und Gefangene nehmen werden wiederholt in einem Atemzug genannt.265 2. Das „andere Gesetz“ nimmt mich gefangen (αι� χμαλωτι'ζοντα' με) „im Gesetz der Sünde“ (V. 23c). In V. 5 lokalisierte Paulus die Leidenschaften, die zur Sünde werden, in den Gliedern, in V. 14.17.20 beschrieb er die Sünde als Größe, die das Ich besitzt, im Ich wohnt und das Tun des Ich steuert, das im Widerspruch zu seinem Wollen steht. Die Sünde ist eine im Ich und durch das Ich aktive, handelnde Größe. In V. 23c liegt eine Metapher aus dem Kriegs- und Rechtswesen vor („gefangen“), in V. 14 aus der Geschäftswelt bzw. dem Sklavenhandel („verkauft“), in V. 17.20 aus dem Wohnungswesen („wohnt“). Da wohl die Mehrzahl der stadtrömischen Christen Sklaven und ehemalige Sklaven waren, waren die beiden ersten Metaphern in eindringlicher Weise relevant. Das Ich wird in Gefangenschaft und Sklaverei geführt, weil es den Krieg um das Tun des Gesetzes Gottes verloren hat: Es ist auf die von der Sünde manipulierte Version des Gesetzes hereingefallen, es hat die Androhung der Todesfolge im Fall des Ungehorsams ignoriert, es hat das Böse getan und ist jetzt gefangen ————————————————————
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Das Verb α� ντιστρατευ' ομαι (Bauer/Aland s.v. „gegen jmd. ins Feld ziehen“, d.h. Krieg führen gegen jmd.) ist nur hier im NT belegt; es kommt in der LXX nicht vor und ist auch sonst selten belegt (vgl. Xenophon, Cyr 8,7,26; Diodorus Siculus 22,13,2; Josephus, Ant 2,240. Das Subt. α� ντιστρα' τηγος kommt in der Bedeutung „General“ (Thukydides 7,86) vor und war zur Zeit des römischen Reiches der Titel von Kommandeuren pro consule (Polybius 28,3,1) oder pro praetore (Dio Cassius 41,43), verwendet für den Gouverneur einer Provinz im Rang eines Propraetors (IG XII 722) oder eines Legaten im Rang eines Praetors (legatus pro praetore) (IGRom III 186). Pausanias 8,45,3; Alexander Polyhistor, bei Eusebius, PraepEv 9,17,4.
172 Römerbrief ————————————————————————————————————
in dem Todesurteil des Gesetzes, das infolge seiner Manipulation durch die Sünde dem Ich den Tod einbringt. In diesem Gegeneinander von „innerer Mensch“, „meine Vernunft“ und Freude am Gesetz Gottes auf der einen Seite und „meine Glieder“ und Sünde als Tun des vom Gesetz Gottes Verbotenen auf der anderen Seite ist das Gesetz der Sünde (νο' μος τηñ ς α� μαρτι'ας [nomos tēs hamartias]) das von der Sünde in seiner Wirkung manipulierte Gesetz Gottes (gen. subjectivus). Das Gesetz, das dem Ich Leben ermöglichen und bewahren sollte, wurde von der Sünde instrumentalisiert und manipuliert, indem es dem Ich suggerierte, dass der Ungehorsam gegen Gottes Gebot nicht nur harmlos, sondern in Augen öffnender Weise heilsam wäre, und dann die Bestrafung mit dem Tod provozierte, nachdem der Mensch sich auf das von der Sünde verharmloste Begehren eingelassen hatte (V. 7-11). Man kann das „andere Gesetz“ von dem „Gesetz der Sünde“ unterscheiden: Das „andere Gesetz“ nimmt das Ich gefangen, das „Gesetz der Sünde“ hält das Ich gefangen, ist das Gefängnis des Ich. Die „Glieder“ erscheinen einerseits als Operationsbasis des „anderen Gesetzes“, das gegen das „Gesetz meiner Vernunft“ Krieg führt (V. 23a). Andererseits sind die „Glieder“ der Gefängnisort, an dem das „andere Gesetz“ nach seinem Sieg über das „Gesetz meiner Vernunft“ das Ich gefangen hält (V. 23c).266 Beide Perspektiven können aber auch als verschiedene Aspekte ein- und desselben Vorgangs verstanden werden: Sowohl das „andere Gesetz“ (V. 23a) als auch das „Gesetz der Sünde“ (V. 23c) ist auf die „Glieder“ bezogen (V. 23a.d). Das „Gesetz der Sünde“ ist das „andere Gesetz“, das damit ebenfalls im Sinn der mosaischen Tora zu verstehen ist. Das „andere Gesetz“ ist neben dem „Gesetz Gottes“ und dem „Gesetz der Sünde“ kein zweites oder drittes Gesetz: Paulus spricht durchgehend vom mosaischen Gesetz.267 Das Wort „Gesetz“ (νο' μος) bezieht sich durchweg auf das mosaische Gesetz, das allerdings substantiell verschiedene Wirkungen und damit für das Ich verschiedene Bedeutungen hat. Das Gesetz und das Gebot haben ————————————————————
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Wer so interpretiert, unterscheidet in V. 23 zwei „Gesetze“ (νο' μοι): Das mosaische Gesetz (V. 22.23b) und das „Gesetz der Sünde“, das metaphorisch verstanden, dem Ich das Böse befiehlt; vgl. Wolter I 461. Hofius, Mensch, 142 unterscheidet vier „Gesetze“: Das „Gesetz Gottes“ (V. 22) ist das mosaische Gesetz, die Tora vom Sinai; das „andere Gesetz“ (V. 23a) ist „der alle bestimmende Wille des unter die Sünde verkauften ‚fleischlichen‘ Menschen“; das „Gesetz meiner Vernunft“ (V. 23b) ist „der alles bestimmende Wille“ des inneren Menschen. Das „Gesetz der Sünde“ (V. 23c) ist „die Willensforderung der Sünde, die das ‚Böse‘ befiehlt“. Vgl. Lichtenberger, Das Ich Adams, 148, der in V. 23 mit νο' μος nirgends das mosaische Gesetz gemeint sieht. Wilckens II 90-94; Dunn I 394-395; Schreiner 375-377; Hahn, Gesetzesverständnis, 205.
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ihren Ursprung in Gott, sie offenbaren den Willen Gottes, der das Gute fordert: Das mosaische Gesetz ist das heilige „Gesetz Gottes“ (νο' μος τουñ θεουñ ; V. 22), dessen Gebot heilig, gerecht und gut ist (V. 12). Als im Bild Gottes geschaffenes Geschöpf kennt das Ich Gottes Gesetz und stimmt ihm freudig zu: Das mosaische Gesetz ist das „Gesetz meiner Vernunft“ (νο' μος τουñ νοο' ς μου). Als die Sünde auflebte und das von Gott gegebene gute Gesetz in seiner Wirkung manipulierte, entstand eine neue, absolut tragische Situation: Die Sünde verleitete das Ich zum Widerspruch gegen das gute Gesetz Gottes, provozierte das Tun des im Gesetz Verbotenen und verursachte für das Ich die im Gesetz angekündigte Todesfolge als Strafe für den Ungehorsam gegen Gott: Das mosaische Gesetz erweist sich für das von der Sünde manipulierte und kontrollierte Ich als „Gesetz der Sünde“ (νο' μος τηñ ς α� μαρτι'ας). Das von der Sünde manipulierte und usurpierte Gesetz hat eine andere Wirkung als die von Gott intendierte Wirkung des Lebens: Das Gesetz Gottes führt nicht zum Leben, sondern zum Tod, es ist für das von der Sünde besetzte Ich ein „anderes Gesetz (ε«τερος νο' μος) geworden. Alles menschliche Handeln ist dem „Gesetz der Sünde“ unterworfen, das dem Sünder den Tod einbringt, der seit Adam die Existenz des Menschen bestimmt (5,12). Die positive Aussage über die „Vernunft“ des Ich V. 23b, die in meinem „inneren Menschen“ dem Gesetz Gottes mit Freuden zustimmt (V. 22) und für das Wollen des Guten verantwortlich ist (V. 15-21), ist einmal im Zusammenhang der Überzeugung zu verstehen, dass Adam im Bild Gottes geschaffen wurde und diese Ebenbildlichkeit im Sündenfall nicht völlig verloren ging (der Mensch bleibt Geschöpf Gottes, das Gottes Reden vernehmen kann), zum anderen im Zusammenhang mit der Frage V. 13a und der Grundaussage V. 14: „So sehr Paulus im folgenden die Geltung und Wirksamkeit des Gesetzes in mir in meinem Willen, der ihm zustimmt, herausstellt, so sehr geht es in all diesen positiven Aussagen eben um das Gesetz, das geistlich ist, und dem ich, der ich fleischlich bin, zwar zustimme, aber im Tun widerstreite. Überspitzt kann man darum sagen: Was in Röm 7,1423 positiv vom Ich ausgesagt wird, gilt zum Ruhm des Gesetzes, nicht zum Ruhm des Ich, von dem als solchem vielmehr die negativen Aussagen gelten. Überspitzt ist das jedoch deswegen, weil ja, was das Gesetz sagt, eigentlich mir zum Leben gereichen soll, so daß ich in allem Widerstreit und entsprechendem Elend der bleibe, als den Gottes Gesetz mich anspricht: Gottes Geschöpf. Widerspruch und Elend sind von daher die Entfremdung des Ich von seiner geschöpflichen ‚Eigentlichkeit‘“.268 ————————————————————
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Wilckens II 94.
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24 Der verzweifelte Ausruf Ich elender Mensch! (ταλαι'πωρος ε� γω` α» νθρωπος; V. 24a) bringt die Hoffnungslosigkeit des von der Sünde beherrschten Menschen zum Ausdruck. Das von der Sünde gesteuerte Ich erkennt in seiner Lebenswirklichkeit, dass es im Blick auf den Widerspruch von Wollen und Tun machtlos ist: Es kann aus dem Gefängnis, in das es die Sünde durch das von ihr manipulierte Gesetz Gottes festgesetzt hat, nicht entrinnen. Die Verwendung der Klage unterstreicht die Ausweglosigkeit der Situation, in der sich das Ich mit seinem ganzen Elend befindet. Das Wort „elend“ (ταλαι'πωρος [talaipōros]),269 das für die mühselige Arbeit in Steinbrüchen und für die Erschöpfung nach langen Märschen verwendet wird,270 kommt in Offb 3,17 parallel zu „erbärmlich, arm, blind und nackt“ vor. Die Erkenntnis der Macht- und Ausweglosigkeit veranlasst das Ich zu der Frage: Wer wird mich erretten von diesem Leib des Todes? (V. 24b). Weil das Ich von der Sünde besessen, bewohnt und beherrscht wird (V. 14.17.20), eine Tatsache, die im Tun der Glieder des Ich sichtbar wird (V. 23; vgl. V. 5), erkennt es, dass sein Leib dem Tod gehört: Das von der Sünde kontrollierte Ich hat einen „Leib des Todes“ (σω ñ μα τουñ θανα' του [sōma tou thanatou]). Den mit dem Ruf nach einem Retter verbundenen Klageruf finden wir auch in 1Sam 4,8, wo die Philister rufen: „Weh uns (ου� αι` η� μιñν)! Wer rettet uns (τι'ς ε� ξελειñται η� μαñ ς) aus der Hand dieses mächtigen Gottes? Das ist der Gott, der Ägypten mit allerlei Plagen geschlagen hat“.271 Paulus spricht die Klage nicht selbst aus, sondern legt sie dem Ich in den Mund: Alle Menschen, die im Anschluss an die Sünde Adams gesündigt haben und weiterhin sündigen, befinden sich in ihrer leiblichen Existenz, in der ihre Glieder das Böse tun, das ihr „innerer Mensch“ hasst, in einer ausweglosen Lage, aus der sie nur ein Retter befreien kann. Das Verb „erretten“ (ρ� υ' σεται [rhysetai]272 markiert die Situation des von der Sünde ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. ταλαι' πωρος, „elend, geplagt, unglücklich“; vgl. C. Spicq, TLNT III, 366-368. In der LXX übersetzt ταλαιπωρε' ω das Verb ׁשדדpu. „verheeren, verwüsten, vergewaltigen“ (von Ländern, Regionen, Menschen) als Resultat von Gewaltanwendung, oft infolge von Kriegen. Vgl. das Substantiv ταλαιπωρι' α in Röm 3,16 (Zitat Jes 59,7). Josephus, CAp 1,237; Ant 2,334; 3,3. Wolter I 462 nennt als sprachlich vergleichbare Klagen Epiktet, Diss 1,3,5; 1,4,24, der vor einer bei vielen Menschen verbreiteten Sentimentalität warnt, die sich in Klagen äußert wie „Was bin ich schon? Ein elendes Menschlein“ (τι' γα` ρ ει� μι' ; ταλαι' πωρον α� νθρωπα' ριον) oder „Elend bin ich, ein alter Mensch“ (τα' λας ε� γω' , γε' ρων α» νθρωπος). In JosAs 6,4; 11,16 kommt eine solche Klage als Bestandteil der Bekehrung zum Gott Israels vor: „Elend bin ich und dumm“ (ταλαι' πωρος ε� γω` και` α» φρων), „elend bin ich und verwaist und einsam“ (ταλαι' πωρος ε� γω` και` ο� ρφανη` και` ε» ρημος). Bauer/Aland s.v. ρ� υ' ομαι „retten, erretten, bewahren“; W. Kasch, Art. ρ� υ' ομαι, ThWNT VI, 999-1004; H. Lichtenberger, EWNT III, 514-515 beschreibt den unterschiedlichen Kontext der Verwendung des Wortes im NT als „das Erretten vor Feinden, aus
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bedrohten Ich als prekär, bedrohlich, das Leben gefährdend. Das Elend, von dem der Mensch errettet werden muss, ist der dem Tod verfallene Leib (gen. qualitatis), dessen Ich von der Sünde besessen, bewohnt und beherrscht wird.273 Der „Leib des Todes“ ist nicht der „sterbliche Leib“ (6,12; 8,11), auf dessen Erlösung auch die Jesusbekenner noch warten, sondern der „Leib der Sünde“ (σω ñ μα τηñ ς α� μαρτι'ας), dem der „alte Mensch“, d.h. die Menschen, die nicht an den Messias Jesus glauben, Sklavendienste leistet (6,6). Der „Tod“ (θα' νατος) ist die Vertreibung aus dem Paradies, das Leben außerhalb der Gegenwart Gottes, der Unheilstod (V. 10.11.13d). Paulus bezeichnet die Unheilsituation des Ich als „Leib des Todes“ nicht im Anschluss an den Dualismus von Leib und Seele, wo „Leib“ als Problemanzeige fungiert, sondern weil das Vollbringen, Machen und Tun der Menschen im Unterschied zu ihrem Wollen „immer eine Sache ihrer nach außen gerichteten und von außen wahrnehmbaren Leiblichkeit ist“.274 Der Tod befreit das Ich nicht von seinem Leib, sondern, gerade umgekehrt, der Leib führt das Ich in den Tod, den alle erleiden, die das Böse tun und im „alten Menschen“ (6,6) verharren. Das Ich des Sünders bittet nicht einfach, vom Leib erlöst zu werden, sondern es bittet, der Leib möge von der ihn beherrschenden Gewalt der Sünde zum Sündigen und von dem deshalb ihn beherrschenden Zwang des Todes erlöst werden. Paulus denkt „nicht an eine Erlösung vom Leibe: Sondern ihm ist bewußt, daß die σω' ματα der Glaubenden dem Kyrios gehören (1Kor 6,13), aber sterblich bleiben (6,12)“.275 Es bestätigt sich ein Zweifaches. Das „Problem“, von dem der Mensch gerettet werden muss, ist nicht das Gesetz – Paulus sagt nicht: Wer wird mich vom Gesetz Gottes erretten?, noch nicht einmal: Wer wird mich von dem „anderen Gesetz“, dem „Gesetz der Sünde“, retten? Das Problem ist nicht das Gesetz, sondern die Sünde, die den Menschen in seinem leiblichen Handeln beherrscht. Zum anderen: Der Verzweiflungsschrei angesichts der hoffnungslosen Situation des Ich ist viel mehr als „schmerzliche Frustration“ über die fortgesetzte Gegenwart der Sünde im Leben des Christen.276 Was Paulus beschreibt, ist die Aussichtslosigkeit, vom Todesurteil des Gesetzes als Unheilsfolge der Sünde aus eigener Anstrengung loszukommen.
25 Im Horizont der in 7,7-23 beschriebenen Wirklichkeit kann die Antwort
auf die in V. 24 vom Ich gestellte Frage, wenn das Ich sie selbst beantworten will, nur lauten: Niemand! Das Ich kennt nur das Gefängnis des von der Sünde manipulierten Gesetzes, das ihm den ewigen Tod einbringt. Es ist Paulus, der in V. 25a die Danksagung formuliert: Dank sei Gott durch den Messias Jesus, unseren Herrn! Die Tatsache, dass diese Danksagung mög————————————————————
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Todesgefahr, Gefährdungen und Verfolgungen, aus der Bedrohung durch die Sünde und dem Ausgeliefertsein an sie, den Tod und andere gottfeindliche Mächte, aus der Anfechtung und dem Gericht“ (515); J. Schneider / W. Haubeck, ThBLNT I, 368-369 definieren als „Grundbedeutung“, „den unverletzten Zustand von Menschen und Dingen durch machtvoll helfendes Eingreifen … erhalten“. Zu den Papyri, wo das Wort (nicht sehr häufig) belegt ist, vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 204. Das Demonstrativpronomen του' του ist am besten anaphorisch auf σω' ματος zu beziehen, nicht auf θανα' του: In V. 23 geht es bei den „Gliedern“ um den Leib des Ich. Wolter I 462; ebd. 463 für die folgende Bemerkung. Lohse 224. So Dunn I 268; ähnlich Cranfield I 366.
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lich ist, setzt eine Wende in der Geschichte des Menschen voraus – die Wende des „jetzt aber“ von 3,21 und 7,6, die das Ich von der Unheilsfolge des Gesetzes und infolge der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus von der Macht und den Folgen der Sünde befreit und das Ich in die neue Lebenswirklichkeit des Heiligen Geistes überführt. Die erste Person Plural der Wendung „unseren Herrn“ (τουñ κυρι'ου η� μω ñ ν) zeigt, dass hier nicht mehr das Ich von 7,7-24 spricht, sondern die Jesusbekenner, mit denen Paulus sich zum Wir zusammenschließt. Dieses Wir der Jesusbekenner war zum letzten Mal in 7,6 zu Wort gekommen: Die Danksagung des Wir zeigt, dass die Situation des in 7,7-24 beschriebenen Ich überwunden ist. Die Formulierung Dank sei Gott (χα' ρις δε` τω ñ, θεω ñ, [charis de tō theō]) macht klar, dass die Wende im Geschick des Ich von Gott initiiert und von Gott bewerkstelligt wurde. Nur Gott, der sowohl den Menschen geschaffen als auch das Gesetz mit der im Gebot ausgesprochenen Todesstrafe geoffenbart hatte, konnte das von der Sünde gesteuerte und unter dem Todesurteil des Gesetzes gefangen gehaltene Ich erretten. Gott bewirkte diese heilsgeschichtliche, universalhistorische Wende durch den Messias Jesus (δια` � Ιησουñ Χριστουñ [dia Iēsou Christou]), konkret durch den stellvertretenden Sühnetod Jesu am Kreuz und seine Auferstehung, durch die die Sünder aus Heiden (1,18-32) und Juden (2,1–3,20) infolge des Glaubens an den Messias Jesus, dem Ort der sühnenden Gegenwart Gottes, unabhängig vom Gesetz, durch seine Gnade, die Vergebung der Sünden und Gottes Gerechtigkeit erhalten (3,21-26). Das Ich des hilflos in die Machenschaften der Sünde verstrickten Menschen hat Anteil an dieser heilsgeschichtlichen Wende, in der der Messias Jesus als unser Herr (τουñ κυρι'ου η� μω ñ ν [tou kyriou hēmōn]) bekannt wird. Die Errettung aus der Herrschaft der Sünde ereignet sich in der Unterstellung des Ich unter die Herrschaft Jesu Christi, dessen Tod in Stellvertretung der Tod des Ich war. Der Dank in V. 25a ist die hermeneutische Voraussetzung für den autobiographischen Bericht des Sünders in V. 7-24: Das ohne den gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus lebende Ich kann die Hoffnungslosigkeit des Konflikts zwischen Wollen und Tun, zwischen dem „Gesetz meiner Vernunft“ und dem „anderen Gesetz“, dem „Gesetz der Sünde“, in seinen Gliedern nicht erkennen. Der unter der Herrschaft der Sünde lebende Sünder hat sich der Täuschung durch die Sünde hingegeben und sieht seine Situation alles andere als hoffnungslos: Er meint, weise zu sein (1,22) und die Blinden leiten zu können (2,17). Nur der an Jesus Christus Glaubende und in der Vereinigung mit ihm von der Macht der Sünde befreite Sünder
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(6,1-14) kann die Erfahrung des Ich außerhalb der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Messias Jesus mit dem Realismus des heillos in die Sünde verstrickten, von der Sünde besessenen, bewohnten und beherrschten Menschen beschreiben. Die Schlussfolgerung V. 25b (α» ρα ουò ν) ist für viele Ausleger deplaziert: Das Ich kommt noch einmal zu Wort und fasst die in V. 7-20 beschriebene Situation, die schon in V. 21-23 zusammengefasst wurde, noch einmal zusammen: Also diene ich selbst nun mit der Vernunft dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde. Manche schlagen vor, V. 25b zwischen V. 23 und V. 24 zu setzen (und 8,1 hinter 8,2 zu schieben).277 Weil 7,23 und 7,24 eng miteinander verbunden sind und auch zwischen 8,2 und 8,3 keine Lücke besteht, ist diese Lösung willkürlich. Viele halten V. 25b für fehl am Platz und eliminieren ihn als nachpaulinische Glosse.278 Diese Annahme hat in der handschriftlichen Überlieferung keinen Anhalt, d.h., man muss annehmen, dass die Glosse, die 7,7-24 auf Christen bezieht, sehr früh geschrieben und in den Text aufgenommen wurde, weil alle Handschriften V. 25b haben. Die Argumente für eine zu eliminierende Glosse sind folgende.279 1. Der Ausdruck νο' μος θεουñ kommt bei Paulus nicht vor, der ο� νο' μος τουñ θεουñ (7,22; 8,7) schreibt. 2. In V. 25b heißt es νο' μος α� μαρτι' ας, während Paulus in 7,23; 8,2 ο� νο' μος τηñ ς α� μαρτι' ας schreibt. 3. Das Wort νουñ ς steht in V. 25b für die menschliche Vernunft und markiert zusammen mit σα' ρξ einen anthropologischen Dualismus, was nicht zum transsubjektiven Konflikt in 7,14-23 passt. 4. Weder die Wendung δουλευ' ειν νο' μω, noch der instrumentale oder relationale Dativ τηñ, σαρκι' kommen bei Paulus sonst vor. 5. Wo bei Paulus die Wendung αυ� το` ς ε� γω' vorkommt (9,3; 15,14; 2Kor 10,1; 12,13), spricht er von sich persönlich, nicht als Repräsentant anderer Menschen. 6. In V. 25b ist davon die Rede, dass ein und derselbe Mensch zwei Herren zugleich dient, während Paulus in 7,7-24 nur ein schroffes Entweder/Oder kennt: Der adamitische Mensch dient ausschließlich der Sünde, der Mensch ε� ν Χριστω ñ, dient einzig und allein Gott. 7. Als Resümee steht V. 25b an der falschen Stelle; wäre ein solches beabsichtigt, müsste es vor V. 24 stehen. Diese Argumente sind nicht überzeugend.280 1. νο' μος + Genitiv gibt es bei Paulus auch sonst ohne Artikel (3,27: νο' μος πι' στεως; 9,31 νο' μος δικαιοσυ' νης). Es gibt keinen Grund, weshalb Paulus nicht νο' μος θεουñ oder νο' μος α� μαρτι' ας hätte schreiben können, gerade in einer präg————————————————————
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Vgl. Jewett 473; Müller, Marginalien, 249-254; Engberg-Pedersen, Reception, 53-54. Käsemann 202-203; Schlier 235; Wilckens II 96-97; Schmithals 255-257; Jewett 473; Zuntz, Text, 16-17; Bultmann, Glossen, 278-279; Osten-Sacken, Soteriologie, 207; Lichtenberger, Beginn, 284-295; Theobald, Der Römerbrief, 21-22; Hofius, Mensch, 151-152; Lichtenberger, Das Ich Adams, 154-160; Reichert, Analyse, 298-299; Schröter, Mensch, 207-208. Penna 479.523 druckt V. 25b in Klammern. Die Darstellung folgt Hofius, Mensch, 151-152, der schließt, die Randglosse eines sehr frühen Lesers des Römerbriefs habe das in 7,7-25a Gesagte „auf der ganzen Linie mißverstanden“ (152). Die meisten der folgenden Gegenargumente bei Wolter I 464.
178 Römerbrief ———————————————————————————————————— nant formulierten Zusammenfassung. 2. Es gibt keinen Grund, weshalb der transsubjektive Konflikt von 7,14-23 nicht mit den Stichworten νουñ ς und σα' ρξ dargestellt werden kann: νουñ ς V. 23 ist mit dem „inneren Menschen“ verbunden, der mit Freude dem Gesetz Gottes zustimmt, also mit dem Wollen des Ich, und σα' ρξ ist V. 18 mit dem Nicht-Tun-Können des Guten verbunden und damit mit dem Bösen, das das Ich nicht tun will (V. 19). 3. Die Tatsache, dass eine Formulierung wie δουλευ' ειν νο' μω, weder bei Paulus noch in der griechischen Bibel sonst vorkommt,281 beweist nicht, dass Paulus hier nicht so formulieren könnte. 4. Die Wendung αυ� το` ς ε� γω' ist bei Paulus mehrfach belegt, in der griechischen Bibel nur in 3Makk 3,13, und es gibt keinen Grund, weshalb ε� γω' hier nicht repräsentativ für andere Menschen stehen kann. 5. Der Einwand, in V. 25 diene ein und derselbe Mensch zwei Herren zugleich, was nicht zu 7,7-24 passe, löst sich auf, wenn man sieht, dass „Gesetz Gottes“ und „Gesetz der Sünde“ nicht zwei verschiedene Herren sind, sondern das eine (mosaische) Gesetz, dem das Ich als Gesetz Gottes zustimmt und das es tun will, das es jedoch infolge der Manipulation durch die Sünde nicht tun kann. 6. Wenn V. 25b als Glosse eliminiert wird, folgt 8,1 unmittelbar auf 7,25a, was logisch kaum möglich ist und zu den Zusatzhypothesen führt, 8,1 sei ebenfalls eine spätere Glosse oder an eine andere Stelle zu schieben. 7. Wendungen mit mehreren Titulaturen Jesu wie δια` � Ιησουñ Χριστουñ τουñ κυρι' ου η� μω ñ ν stehen nicht nur am Ende von Gedankengängen (5,1; 15,30; 1Kor 15,31; 1Thess 5,9); d.h., V. 25a kann als Unterbrechung des Gedankengangs verstanden werden, die es auch sonst bei Paulus gibt (1,25; 1Kor 15,57). 8. Der wichtigste Einwand gegen die Annahme einer Glosse ist der handschriftliche Befund: V. 25b fehlt in keiner einzigen Handschrift, die den Römerbrief enthält, noch steht V. 25b in irgendeiner Handschrift an einer anderen Stelle.282
V. 25b gibt, auch nach V. 25a, als Abschluss von 7,7-24 einen guten Sinn.283 Paulus bringt, prägnant formulierend, seine Beschreibung des Menschen vor der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus auf den Punkt. Möglich, aber nicht notwendig ist die Annahme, dass zwischen V. 25a und V. 25b eine Diktierpause lag, nach der Paulus „nur stockend und mit Zusammenfassungen“ wieder einsetzt.284 Nach einem kurzen Hinweis auf die Lösung der hoffnungslosen Situation des Ich durch das Heil schaffende Handeln Gottes im Messias Jesus in V. 25a fasst Paulus das Problem des der Sünde verfallenen Ich in V. 25b noch einmal zusammen. Wie in V. 1323 beschreibt das Ich die tragische Kontrolle seiner Existenz durch eine positive und eine negative Größe. Das Ich dient (δουλευ' ω) mit der Vernunft (τω ñ, νοι¨') dem, was das Gesetz Gottes (νο' μω, θεουñ ) vorschreibt, d.h., es will das Gute tun. Gleichzeitig dient das Ich mit dem Fleisch (τηñ, σαρκι') dem, was das Gesetz der Sünde (νο' μω, α� μαρτι'ας) vorschreibt, d.h., es tut das Böse. Wie Adam stimmen die Menschen dem Gesetz Gottes mit Freude zu ————————————————————
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In außerbiblischen Texten ist die Formulierung δουλευ' ειν νο' μοις mehrfach belegt: Plato, Leg 698b.c; Ep 8,354c; Aristoteles, Resp 1316b15; Plutarch, Mor 1127d. Aland, Glosse, 53-57. Stuhlmacher 104-105; Moo 466-467; Haacker 183; Fitzmyer 477; Légasse 471; Lohse 224; Hultgren 292; Wolter I 464; Kümmel, Römer 7, 67-68; sowie die Ausleger, die 7,725 im Sinn des Christenlebens interpretieren (z.B. Cranfield I 368-369). Zeller 145.
Die Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes 7,7-25 179 ————————————————————————————————————
(V. 22), dessen Gebot heilig, gerecht und gut ist (V. 12). Sie wollen Gott dienen, indem sie dem Gesetz Gottes dienen und das Gute tun. Die Lebenswirklichkeit sieht jedoch anders aus. Wie Adam machen die Menschen die Erfahrung, dass sie, nachdem sie sich auf die Sünde eingelassen haben, nicht mehr frei sind, das Gute zu tun: Sie folgen der Sünde hinein in das Tun des im Gebot Verbotenen und erleiden die Unheilsfolge eines Lebens in der Todeszone, außerhalb der Gegenwart Gottes, jetzt von der Sünde besetzt, bewohnt und beherrscht, die das Gebot Gottes manipulierte und Adam und seinen Nachkommen den Tod brachte, der auch darin besteht, dass das Ich des Menschen das Gute tun will, aber stattdessen das Böse tut. Die Antwort auf die Ausgangsfrage in V. 7 ist endgültig klar: Schuld an der Tragik menschlicher Existenz ohne Gott, in ohnmächtigem Verfallensein an das Sündigen-Müssen, ist nicht das Gesetz Gottes, sondern die Sünde, die den von Gott geschaffenen Menschen „Fleisch“ werden ließ, indem sie das Gesetz im Blick auf seine Geltung zunächst verharmloste, und es dann, als der Mensch das im Gesetz verbotene Begehren in die Tat umsetzte, angesichts der erfolgreichen Täuschung mit voller Wucht gegen den Menschen einsetzte und ihn in die Gottesferne außerhalb des Paradieses zwang, wo der Mensch das Gesetz Gottes, das er nicht vergessen hat, tun will, aber nicht mehr tun kann, weil er nicht Gott gehört, sondern der Sünde. Die Wendung „ich selbst“ (αυ� το` ς ε� γω' ) zeigt an, dass mit „also nun“ (α» ρα ουò ν) noch nicht der endgültige Schluss aus der Herrschaft der Sünde gezogen wird: Ich selbst kann mich nicht retten, aber Gott hat den Retter gesandt, der im Evangelium verkündigt wird (1,3-4.16-17) – Jesus, Messias und Kyrios, der das, was ich bin und kann, durch das ablöst, was ich durch ihn werde.285 Deshalb folgt in 8,1 ein zweites „also“ – das „also jetzt“ durch das Heil schaffende Handeln Gottes im Messias Jesus eine neue Zeit heraufgeführt und für das Ich eine neue Situation geschaffen hat: Von der infolge des Sündigens notwendigen Verurteilung als Sünder befreit, ersetzt Gott die Macht der Sünde durch die Macht seines Heiligen Geistes, der uns zu Söhnen Gottes macht und in der Gegenwart Gottes als unserem Vater leben lässt (8,2-14).
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285
Vgl. Schlatter 248.
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IV Paulus erläutert in 7,7-25 den ersten Teil seiner Beschreibung der Bekehrung in 7,5-6, in dem es um das Leben in der Verfallenheit gegenüber dem Fleisch und den Leidenschaften der Sünden und um das Zusammenwirken von Sünde und Gesetz ging. Paulus stellt in 7,7a die Frage, ob das Gesetz, das am Zustandekommen des Sündigens beteiligt ist, selbst auf die Seite der Sünde gehört. In 7,7b-12 erläutert er, weshalb dies nicht der Fall ist, indem er die Geschichte von Adam und Eva im Paradies als die Geschichte aller Sünder erzählt: Die Sünde hat das Gesetz instrumentalisiert und manipuliert – sie nahm das Gesetz „Du sollst nicht begehren“ zum Anlass, Begierden zu wecken (V. 7d-8b), was erst möglich war, als das Gebot kam (V. 8c-10a); die Sünde täuschte den Menschen, indem sie sowohl die Güte Gottes als auch die Realität der angekündigten Strafe für Ungehorsam infrage stellte, den Menschen zum untersagten Begehren veranlasste und dann die Wirkung des Gesetzes in das von der Sünde intendierte Gegenteil umfunktionierte – statt Leben zu bewahren, bringt das Gesetz den Tod, weil die Zuwiderhandlung gegen das Gebot mit der Unheilsfolge des Todes verbunden war (V. 10b-11). Das Gesetz Gottes ist also nicht Sünde, sondern heilig, und die Gebote des Gesetzes sind heilig, gerecht und gut (V. 12). Obwohl das Gesetz die Gelegenheit zum Sündigen bietet, ist es nicht das Instrument der Sünde. Das Gesetz ist Gottes Wort und offenbart den Willen des heiligen Gottes, der das Begehren des dem Menschen nicht Zustehenden untersagt, weil er dem Menschen das Leben in seiner Gegenwart bewahren will. In V. 13-25 behandelt Paulus die Herrschaft der Sünde über das Ich und bestätigt damit noch einmal, dass die Ursache der menschlichen Misere nicht das Gesetz ist, sondern die Sünde und das Sündigen. Die Ursache des Todes ist nicht der im Gesetz offenbarte gute Wille Gottes, sondern die Sünde, die nichts als Sünde hervorbringen kann (V. 13). Das Wollen des Menschen bestätigt, dass das Gesetz gut ist. Das Problem ist nicht das Wollen, sondern das Tun des Gewollten, was dem Ich nicht möglich ist, weil sein Handeln von der Sünde gesteuert wird (V. 14-16). Die Sünde hat den Menschen, der sich im Paradies auf sie eingelassen hat und infolge dessen die Vertreibung aus der Gegenwart Gottes hinzunehmen hatte, besetzt und bewohnt und bestimmt deshalb sein Handeln (V. 17-20). Der Mensch hat nicht vergessen, dass das Gesetz Gottes Grund zur Freude ist. Die Freude am Gesetz hat jedoch keine Konsequenzen für das Verhalten, weil dieses von der Sünde kontrolliert und gesteuert wird (V. 21-25). Der (post)moderne Mensch glaubt, der höchste Wert sei die individuelle und kollektive Selbstbestimmung. Paulus betont: Nachdem das Denken infolge
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von Gottlosigkeit verfinstert wurde (1,21-22), ist der Mensch von einer Macht bestimmt, die er nicht kontrollieren kann – eine Macht, die ihn immer wieder und unaufhörlich zum Tun des Nichtgewollten und des Nichtwünschenswerten veranlasst. Der Glaube an die heilsame Selbstbestimmung des Menschen ist Illusion. Jesusbekenner wissen, dass nur Gott und sein Heil schaffendes Handeln im Messias Jesus den Menschen aus der Ausweglosigkeit seiner Versklavung unter die Sünde retten kann (V. 25a). Die Verteidigung des mosaischen Gesetzes in 7,7-12 ist ernst zu nehmen. Hier wird deutlich, weshalb die Annahme falsch ist, das Gesetz habe im Rahmen seiner Theologie von der Rechtfertigung des Sünders keine Funktion, oder nur eine negative Funktion, und sei deshalb aufgehoben. Paulus hatte in 3,31 gegen diese Schlussfolgerung protestiert. Dieser Protest wird jetzt verständlich (und in 8,1-14 endgültig geklärt). Die Tatsache, dass das Gesetz am Entstehen der Sünde beteiligt ist, kann nicht dem Gesetz angelastet werden, sondern ist einerseits der Sünde anzulasten, die den Menschen im Blick auf die Konsequenzen des Ungehorsams täuschte, andererseits dem Menschen, der sich auf die Sünde einließ und das vom Gesetz Gebotene missachtete. Das Gesetz ist heilig: Es kommt von Gott, es hat teil an Gottes Heiligkeit, es offenbart in seinem Gebot den heiligen, gerechten und guten Willen Gottes (7,12), es ist geistlich (7,14), es repräsentiert Gott in der Welt der Menschen und vermittelt sein Reden und seinen Willen. Dies gilt sowohl für das Gebot „Du sollst nicht begehren“, das Adam im Paradies erhielt, als auch für das mosaische Gesetz, das Gott seinem Volk Israel als Gesetz des Bundes gab, den er in seiner Güte und Treue am Sinai mit Israel geschlossen hat. Wenn Israel, und wenn die Menschen seit Adam, das heilige Gesetz und die guten Gebote Gottes nicht halten, dann liegt dies nicht am Gesetz, sondern an der Macht der Sünde, die die Menschen – Heiden wie Juden – immer wieder, beständig und unablässig, die Erfahrung machen lässt, dass sie das Gute wollen, aber das Böse tun. Allen Versuchen, das mosaische Gesetz schlechtzureden, muss widerstanden werden. Bultmanns Gleichsetzung des Begehrens mit dem Bestreben, durch die Erfüllung des Gesetzes vor Gott gerecht zu werden, ist abwegig.286 Das Bestreben, Gottes Gebot zu halten, ist nicht Sünde, sondern, im Gegenteil, von Gott geboten. Gerade die Geschichte Adams macht dies deutlich: Das Gebot Gen 2,16-17, von allen Bäumen des Gartens zu essen mit der einen Ausnahme des Baums der Erkenntnis von Gut und Böse, von ————————————————————
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Haacker 175; vgl. Bultmann, Römer 7, 198-209, mit dem Hinweis, dass Bultmann mit seiner Position de facto den Ausführungen Luthers zu Röm 7 in der Schrift gegen Latomus von 1521 folgt (WA VIII, 43-128).
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dem er nicht essen soll, sollte von Adam gehalten werden und konnte auch gehalten werden. Und es war ein heiliges Gebot, weil Gott es erlassen hatte; es war ein gerechtes Gebot, weil es dem Menschen erlaubte, seine Beziehung zu Gott im Gehorsam gegenüber Gottes Willen zu zeigen, zumal das Verbot eines einzigen Baumes unter vielen Bäumen keine Beschwernis war; und es war ein gutes Gebot, weil es den Menschen vor der Erkenntnis des Bösen, die im Tun des Bösen bestand, bewahren und vor den Konsequenzen des Ungehorsams – der Vertreibung aus dem Paradies und damit aus der unmittelbaren Gegenwart Gottes – schützen wollte. Gottes Gebot halten zu wollen, kann nicht Sünde sein, wenn Gottes Gebot heilig, gerecht und gut ist. Das Halten des Gebots war notwendig, und es war möglich. Gott gibt dem Menschen keine Gebote, die dieser nicht halten kann. Ein Gebot, das unhaltbar ist, wäre zum Beispiel das Gebot, von allen Bäumen des Paradieses gleichzeitig zu essen oder drei Mal täglich die Maratondistanz von 42,195 km zu laufen, jeweils in neuer Weltrekordzeit. Außerhalb des Paradieses ist das Halten des Gesetzes deshalb zum großen Problem geworden, weil, anders als im Paradies, die Sünde den Menschen nicht nur zum Sündigen verführt, sondern ihn so beherrscht, dass das Ich des Menschen der Sünde gehört, dass die Sünde im Ich des Menschen wohnt, ihn beherrscht. Die Herrschaft der Sünde ist insofern keine vollkommene Herrschaft, als dass der Mensch immer noch das Gute tun will (von den Verbrechern abgesehen, die das Böse tun wollen). Die Herrschaft der Sünde ist jedoch eine effektive Herrschaft: Sie verursacht den Zwiespalt zwischen Wollen und Tun und bringt den Menschen dazu, dass er das tut, was er nicht tun will, mit dem Resultat, dass die Unheilsfolge des Todes, mit der die Sünde ihre Herrschaft über den Menschen am Ende realisiert, immer dichter und unausweichlicher wird. Die Herrschaft der Sünde in Israel, wo man mit dem Gesetz Gottes ganz direkt lebte, führte am Ende zur Zerstörung des Tempels und zur Entfernung Israels aus dem verheißenen Land im babylonischen Exil. Das Problem war nicht das mosaische Gesetz, das man durchaus halten konnte – nicht im Sinne eines unfehlbaren täglichen Gehorsams, sondern in dankbarem Sich-Verlassen auf die Güte und Barmherzigkeit Gottes, der in den Opfern und rituellen Waschungen die Vergebung der Sünden möglich machte. Das Problem war die Weigerung, sich durchgehend auf Gott und sein Gebot zu verlassen, verbunden mit dem Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, politische, gesellschaftliche und militärische Krisen zu lösen, sowie am Ende mit dem Entschluss, angesichts militärischer Bedrohung nicht mehr Gott und seiner Macht zu vertrauen, sondern in ausländischen Mächten die Rettung zu suchen. Nun spricht Pau-
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lus in 7,7-25 weder vom Exil Israels noch von den Opfern des Gesetzes. Er handelt grundsätzlich von der Macht der Sünde, die jeden Menschen ergriffen hat und in der Gottesferne leben lässt, wo das Gute eine flüchtige Möglichkeit geworden ist, das Tun des Bösen jedoch tragische Realität. Paulus will selbstverständlich nicht sagen, dass jede Tat eines jeden Menschen immer nur böse ist. Wenn Paulus in 1Kor 10,32 sagt, „Erregt keinen Anstoß, weder bei den Juden noch bei den Griechen noch bei der Gemeinde Gottes“, dann findet er bei Juden und Griechen Verhaltensweisen, die vorbildhaft sind. Paulus redet von der Sünde als Macht, die das Tun des gewollten Guten verhindert und das Tun des nicht gewollten Bösen veranlasst, und er redet gleichzeitig, und grundsätzlich, von der Sünde als Macht, die das Ich des Menschen besitzt, der als Geschöpf Gottes eigentlich Gott und seinem Geist gehört. Seit Kümmels Studie zu Röm 7 wird immer wieder, und zu Recht, betont, dass die ausweglose Situation des Ich, die für alle zu konstatieren ist, die in der Geschichte Adams stehen (vgl. 5,12-21) – für Juden, die das mosaische Gesetz haben (2,1–3,20), wie für Heiden, die den Willen Gottes kennen müssten (1,18-32) – erst im Licht des Evangeliums von Gottes Heil schaffendem Handeln im gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus erkennbar ist. Was die Propheten Israels mit ihrer Ankündigung eines neuen Bundes, einer neuen Heilszeit, eines neuen Herzens und der Gegenwart des heiligen Geistes Gottes angekündigt hatten (Jes 54–55; Jer 31,31-34; Hes 36,22-26; Joel 2,28-32 u.a.), und was mit Tod und Auferstehung Jesu, der Messias und Kyrios ist, Wirklichkeit geworden ist, lässt das Leben der Menschen seit Adam, ob in Israel oder außerhalb von Israel, in einem hellen, ja grellen Licht erscheinen. Der Zwiespalt zwischen Wollen und Tun, zwischen Wunsch und Realität ist mehr als eine allgemeine menschliche Erfahrung, über die Philosophen nachdenken und für die sie im Anschluss an eine Erklärung eine Lösung suchen. Der Zwiespalt zwischen Wollen und Tun ist nach 7,7-25 ein wichtiges Indiz für das Problem der conditio humana, das den Grund für die Misere erkennen lässt: Der Mensch lebt in der Welt des Bösen und tut das Böse, obwohl er das Gute will, weil er von der Sünde besetzt, bewohnt und beherrscht wird – einer Macht, über die er nicht verfügen kann, wie sie über ihn verfügt. Der ethische Konflikt zwischen Wollen und Tun kann durch die Intensivierung des Wollens nicht gelöst werden, schon gar nicht durch die heroische Geste ethischer Resignation. Die Schöpfungsgeschichte, die Propheten und jetzt und vor allem das Evangelium vom Messias Jesus zeigen, dass Sünde ganz grundsätzlich die „Auflehnung gegen das Recht des Schöpfers“ ist, die dem
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Menschen seit dem Sündenfall Adams immer schon als „Verhängnis der Sündenmacht“ vorgegeben ist.287 Die Argumentation in 1,18–3,20 zeigt, dass Paulus in 7,17-20 den Menschen für sein Tun ganz sicher nicht entlasten will, als ob er für sein Handeln keine Verantwortung trägt.288 Was Paulus sagt, klingt nur dann wie eine Entschuldigung, wenn man in V. 18 zwischen dem Ich und seinem Fleisch so unterscheidet, dass das Fleisch eigentlich nicht zum (christlichen) Ich gehört und dass es das Fleisch ist, d.h. die leibliche Existenz des Menschen, die dem Geschick des Sündigen-Müssens ausgeliefert ist. Während Paulus in 1,18–3,20 die faktische Tatsächlichkeit der Sünde für Heiden und Juden aufzeigt, in 5,12-21 dargestellt als durch die Sünde Adams faktisch bestehender Nexus von Sünde und Tod, betont er in 7,17-20 die Ausweglosigkeit des Menschen ohne Christus. Die Sünde steht dem Menschen nicht nur gegenüber – wenn dies so wäre, wenn die Sünde eine Fremdherrschaft über das Ich ausübte, könnte der Mensch versuchen, diese Herrschaft abzuschütteln, was mit großer Willensanstrengung vielleicht gelingen könnte. Weil die Sünde das Ich besetzt hat und ihre Herrschaft im Ich selbst ausübt, steht sie dem Ich nicht gegenüber, sondern ist ein Bestandteil des Ich. Wenn lediglich das Wollen des Guten eine Möglichkeit ist, aber nie das Tun des Gewollten, wenn also das Tun des Bösen eine unentrinnbare Wirklichkeit ist, dann ist das auf sich selbst gestellte Ich rettungslos verloren. Die Rettung muss von außerhalb des Ich kommen – was in Gottes Heil schaffendem Handeln in Christus auch geschehen ist (V. 25a). Der Rückblick auf die Vergangenheit, so grundsätzlich er ist, ist nicht in dem Sinn überheblich, als ob die Verbindung mit dem Messias Jesus eine Freiheit von der Sünde geschaffen hat (6,7), die den Jesusbekenner effektiv von den Leidenschaften der Sünden (7,6) befreit hat und diese keine Gefährdung mehr darstellen. Paulus beschreibt in 7,7-25 zwar die Existenz des Menschen vor der Bekehrung (7,5), ehe er in 8,1-15 vom Leben der von Jesus Christus von der Macht der Sünde erretteten Jesusbekenner spricht (7,6). Die Schilderung der für den Jesusbekenner überwundenen Unheilsituation ist jedoch auch für ihn relevant, „weil sie ihn an seine Existenz in einer immer noch brüchigen Welt und unerlösten Menschheit mahnt. Der Blick auf die ungelösten Nöte in der vorfindlichen Welt bewahrt vor Schwärmerei und ruft zum Dienst an den Menschen“.289 Die Wirklichkeit des Lebens konfrontiert auch Jesusbekenner mit den Leidenschaften der ————————————————————
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Käsemann 193.194. Zum Folgenden vgl. Wilckens II 87; Wolter I 455. Schnackenburg, Römer 7, 300, zitiert auch von Lohse 225.
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Sünden. Aber die Verbindung mit dem Tod und der Auferstehung Jesu infolge der Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus hat die Macht der Sünde im Blick auf ihre Unheilsfolge unschädlich gemacht (6,1-14), und die machtvolle Gegenwart des Geistes Gottes hat den erlösten Sünder aus der Gefangenschaft der Sünde befreit und ihn als Kind Gottes zu mehr als einem Geschöpf Gottes werden lassen: Wer zu Gott „Abba, Vater“ sagen kann, weil er den Geist Gottes empfangen hat, der kann durch den Geist den Begierden des Leibes siegreich widerstehen (8,1-17; vgl. Gal 5,16-24). Martin Luther hat diese Situation des Kampfes gegen die Sünde in seiner Auslegung von Röm 7 so verstanden, als ob Paulus hier in Ich-Form von sich selbst spricht und seine eigene Erfahrung als Christenmensch beschreibt, von dem gilt, dass er als Gerechter zugleich Sünder ist.290 Luther begreift seine Anfechtungen im Kloster im Kampf gegen die Sünde als inneren Widerstreit des christlichen Lebens, das Paulus in Röm 7 beschreibt, geht damit aber über Paulus hinaus.291 Die Formel simul iustus – simul peccator hat im Kontext der Rechtfertigungslehre ihr Recht, wenn man sie als Betonung der Tatsache versteht, dass auch der von Gott gerechtfertigte Sünder dem Sündigen nicht entnommen ist, sondern den Leidenschaften der Sünden immer wieder nachgibt und „ungeteilt auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen ist“.292 Für Paulus ist und bleibt die Rechtfertigung des Sünders ein Geschenk Gottes, für das Christen immer dankbar sind (11,33-36). In 7,7-25 geht es jedoch um einen Rückblick auf die Vergangenheit vor der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus, den Gott in die Welt und in den Tod am Kreuz gesandt hat (1,3-4), damit Juden und Griechen von der Macht der Sünde gerettet werden und die Gerechtigkeit Gottes erhalten (1,16-17; 3,20–5,21). Dieser eindrucksvolle Rückblick wird eingerahmt von der nachdrücklichen Darstellung der Wirklichkeit der in Jesus Christus geschenkten Erneuerung in 6,1-23 und 8,1-17.
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Luther 43 zu 7,25b: „Ich also, ein und derselbe Mensch, bin zugleich geistlich und fleischlich … Das ist die allerdeutlichste Stelle. Siehe da, ein und derselbe Mensch dient zugleich dem Gesetze Gottes und dem Gesetz der Sünde, er ist zugleich gerecht und ein Sünder (vide, ut unus et idem homo simul servit legi Dei et legi peccati, simul iustus est et peccat)“. Zu Luther vgl. Joest, Paulus, 269-320; Lohse, Luthers Theologie, 80-97; K.-H. zur Mühlen, Art. Luther II. Theologie, TRE XXI, 530-567, hier 545-546; O.H. Pesch, Art. Simul iustus et peccator, LThK3 IX, 612-615; Theobald, Concupiscentia, 250-276. Lohse 226; der Satz, dass auch der Gerechtfertigte „in seiner fleischlichen Existenz immer zugleich ganz und gar Sünder bleibt“, müsste im Blick auf die Bedeutung von „ganz und gar“ geklärt werden, vor allem im Licht von Röm 6,1-14; 8,1-17.
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Die Gegenwart: Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 I 1 Es gibt also jetzt keine Verurteilung für die, die im Messias Jesus sind. 2 Denn das Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus hat dich befreit vom Gesetz der Sünde und des Todes. 3 Denn was die Machtlosigkeit des Gesetzes betrifft, weil es durch das Fleisch geschwächt war: Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und als Sündopfer und verurteilte die Sünde im Fleisch, 4 damit die Rechtsforderung des Gesetzes durch uns erfüllt wird, die wir nicht dem Fleisch entsprechend wandeln, sondern dem Geist entsprechend. 5 Denn die vom Fleisch Bestimmten richten ihren Sinn auf die Dinge des Fleisches, die aber vom Geist Bestimmten auf die Dinge des Geistes. 6 Denn die Gesinnung des Fleisches bedeutet Tod, die Gesinnung des Geistes aber bedeutet Leben und Friede. 7 Darum ist die Gesinnung des Fleisches Feindschaft gegen Gott, denn es unterwirft sich nicht dem Gesetz Gottes, denn es kann dies auch gar nicht. 8 Die aber im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen. 9 Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, so gewiss Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber den Geist des Messias nicht hat, der gehört nicht zu ihm. 10 Wenn aber der Messias in euch wohnt, ist der Leib zwar tot wegen der Sünde, der Geist aber Leben wegen der Gerechtigkeit. 11 Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, wird der, der den Messias aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt. 12 Darum, Brüder, sind wir verpflichtet – nicht dem Fleisch gegenüber, sodass wir unser Leben vom Fleisch bestimmen lassen, 13 denn wenn ihr vom Fleisch bestimmt lebt, werdet ihr sterben. Wenn ihr aber durch den Geist die Machenschaften des Leibes tötet, werdet ihr leben. 14 Denn alle, die vom Geist Gottes geführt werden, sind Söhne Gottes. 15 Denn ihr habt nicht einen Geist der Sklaverei empfangen, dass ihr euch wieder fürchten müsst, sondern ihr habt einen Geist der Sohnschaft empfangen, durch den wir rufen: „Abba, Vater!“ 16 Der Geist selbst bestätigt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. 17 Wenn wir aber Kinder sind, dann sind wir auch Erben – Erben Gottes und damit Miterben des Messias, so gewiss wir mit ihm leiden, damit wir auch an seiner Herrlichkeit teilhaben.
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II Paulus zeigt im Durchgang von 7,7-25 zu 8,1-17 den Unterschied zwischen der Vergangenheit der Lebenswirklichkeit eines Sünders und der Gegenwart der Lebenswirklichkeit eines Jesusbekenners. Paulus erläutert den Dankruf in 7,25a. Nachdem Paulus in 7,7-25 die „alte Wirklichkeit“ der Existenz „im Fleisch“, die von den Leidenschaften der Sünden kontrolliert wurde (7,5), beschrieben hatte, steht jetzt die Lebenswirklichkeit der Jesusbekenner in der „Neuheit des Geistes“ (7,6) im Mittelpunkt. Das Wort „jetzt“ in 8,1 markiert die Wende vom Leben im Fleisch zum Leben im Geist, von der versklavenden Macht der Sünde zur befreienden Macht des Geistes Gottes, der für Gottes Kinder das Tun von Gottes Willen ermöglicht. Der Heilige Geist, der zuvor lediglich in 1,4; 5,5; 7,6 (vgl. 2,29) erwähnt wurde, wird in 8,1-17 insgesamt 17 Mal erwähnt.1 Der Abschnitt ist mit 7,7-25 durch die Gegenüberstellung von „Fleisch“ und „Geist“ (8,3-9.12-13), von „Tod“ und „Leben“ (8,2.6.10.11.13) und von „Sklaven“ und „Söhnen“ (8,14-17) gekennzeichnet. Paulus erläutert, wie der Heilige Geist jetzt (8,1), auf der Grundlage des Sühnetodes des Sohnes Gottes (8,3), den Jesusbekenner ermächtigt, die Rechtsforderung des Gesetzes als „Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus“ (8,2) zu erfüllen (8,4). Paulus beantwortet die in 3,5-8 und 6,1 gestellte Frage nach der Wirklichkeit der im Evangelium verkündigten Gerechtigkeit, die Gott dem Sünder schenkt, mit dem Verweis auf die gegenwärtige Wirklichkeit des Heiligen Geistes. In 6,1-23 hatte Paulus den Wechsel von der Lebenswirklichkeit unter der Herrschaft der Sünde zur Lebenswirklichkeit des mit dem Tod und der Auferstehung des Messias Jesus vereinigten Jesusbekenners beschrieben. In 8,1-17 beschreibt Paulus die Macht, die den Jesusbekenner befähigt, Gerechtigkeit zu „tun“ – die Macht des Geistes Gottes, der im Leben des Glaubenden wirksam ist und der die Glaubenden zu Söhnen Gottes gemacht hat. Der Text lässt sich in fünf Abschnitte gliedern. 1. Die Grundaussage des Evangeliums, dass Jesusbekenner eine Verurteilung durch Gott nicht fürchten müssen, gilt, weil Gott die Sünde durch den Sühnetod seines Sohnes gesühnt und dadurch die Sünder von der Unheilsfolge ihrer Sünde, dem Todesurteil im Endgericht, befreit hat und weil die Macht des Heiligen Geistes sie befähigt, dem im Gesetz geoffenbarten Willen Gottes zu entsprechen (V. 1-4). 2. Es gibt nur zwei Arten von Existenzweisen: Menschen, die vom Fleisch bestimmt sind und aufgrund ihrer Sünde den Tod zu erwarten haben, und Menschen, die vom Geist Gottes bestimmt sind und infolge des Friedens mit Gott ein Leben in der Gegenwart Gottes sicher haben (V. 5-6); ———————————-————————
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8,2.4.5(2x).6.9 (3x).10.11(2x).13.14.15(2x).16(2x).
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die Menschen, die vom Fleisch bestimmt sind, sind Feinde Gottes, die das Gesetz Gottes nicht halten und Gott nicht gefallen (V. 7-8). 3. Menschen, die vom Geist Gottes bestimmt sind, gehören zu Gott, haben gerade als sterbliche Menschen das wahre Leben aufgrund der ihnen geschenkten Gerechtigkeit und sind sich der Auferstehung ihres Leibes gewiss, weil sie mit dem Messias verbunden sind, der durch die Macht des Geistes von den Toten auferweckt wurde (V. 9-11). 4. Diese neue Identität der Jesusbekenner beinhaltet die ethische Verpflichtung, in ihrem Lebensvollzug nicht nach dem Fleisch zu leben, was Tod bedeutet, sondern durch den Geist die sündigen Machenschaften des Leibes zu töten, was Leben bedeutet (V. 12-13). 5. Weil Jesusbekenner den Geist Gottes erhalten haben, der sie zu Söhnen Gottes macht, sind sie keine Sklaven der Sünde mehr, sondern Kinder Gottes, die inmitten des gegenwärtigen Leidens wissen, dass sie Erben Gottes sind und als mit dem Messias vereinte Menschen an der Herrlichkeit Gottes teilhaben werden (V. 14-17). Viele Ausleger sehen 8,1-11 als Einheit, meist mit Verweis auf α» ρα ουò ν in V. 12 als Hinweis auf den Einsatz eines neuen Abschnitts.2 Im Kontext des Argumentationsduktus seit 6,1, in dem es um die Sünde und das Gesetz geht, ist es sinnvoll, nach der Gegenüberstellung von der Existenz im Fleisch und der Existenz im Geist in V. 5-8 und nach der persönlichen Zusicherung der Existenz im Geist für die Jesusbekenner in V. 9-11 die persönliche Anrede und die Verpflichtung auf das Handeln nach dem Geist in V. 12-13 zu diesem Abschnitt zu ziehen.3 Da sich die V. 14-17 als Begründung eng an die Mahnung von V. 12-13 anfügen, sind sie ebenfalls Teil des ersten Abschnitts in Kap. 8, der somit als 8,1-17 anzusetzen ist.4
Textkritische Anmerkungen. Die Auslassung von νυñ ν in V. 1 (D* syp) will wohl die Häufung von Konjunktionen und Adverbien am Anfang des Verses reduzieren. Die in V. 4 vorkommende Wendung μη` κατα` σα' ρκα περιπατουñ σιν wird von einigen Textzeugen am Ende von V. 1 eingefügt (A D1 Ψ 81 365 629 vg [syp]); andere Textzeugen lesen am Ende von V. 1 μη` κατα` σα' ρκα περιπατουñ σιν α� λλα` κατα` πνευñ μα (א2 D2 K L P 33vid 104 u.a. Byz; ar syh). Die Qualifikationen der längeren Lesarten sind paränetisch motiviert, die kürzere Lesart ergibt als grundsätzliche Aussage einen guten ———————————-————————
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Kuss II 486.597; Michel 248; Käsemann 204; Cranfield I 372; Dunn I 415.447; Zeller 150; Lohse 237; Hultgren 311; Haacker 185.191; Balz, Heilsvertrauen, 31-35; vgl. NA28. Schlier 236-237 ist widersprüchlich: Er überschreibt den Abschnitt 8,1-11 mit „Die Gabe des Geistes“, spricht aber gleichzeitig im Kommentar von der „Überschrift über 8,1-17“. Fitzmyer 479-481; Moo 468; Byrne 235; Légasse 481; Kruse 322; vgl. Osten-Sacken, Soteriologie, 144. Wilckens II 120; Schreiner 395-396; Penna 527-529; Jewett 478; Keener 98; Matera 188189; Paulsen, Überlieferung, 180; Louw, Discourse Analysis II, 88-91; Lee, Paul’s Gospel, 383.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 189 ————————————————————————————————————
Sinn und ist zudem hervorragend bezeugt ( *אB D* F G 6 1506 1739 1881 b m co).5 In V. 2 wird die 2. Pers. Sing. des Personalpronomens σε ( אB F G 1506* 1739* ar b syp) durch die 1. Pers. Sing. με (A D K L P 81 104 365 630 1175 u.a. Byz; lat syh sa) bzw. durch die 1. Pers. Plural η� μαñ ς (Ψ bo) ersetzt. Das Pronomen σε ist am besten bezeugt und kann die Entstehung der Lesart με (als Angleichung an 7,7-25) besser erklären.6 Die Auslassung von και` περι` α� μαρτι'ας in V. 3 (1912 u.a.), die den Text wohl glätten will, ist schlecht bezeugt. Die Hinzufügung von ε� στι'ν nach σω ñ μα in V. 10 (F G lat) ist der Versuch, den Text leichter verständlich zu machen. Die Auslassung des Artikels vor � Ιησουñ ν in V. 11 (א2 C D F G Ψ 33 Byz) ist wohl der Versuch einer stilistischen Verbesserung und ist gegenüber *אA B 6 630 1505 1739 1881 u.a. schlechter bezeugt. Für die Wendung Χριστο` ν ε� κ νεκρω ñ ν (B D2 F G 1505 m sa; vorgezogen von NA26-28) gibt es fünf Varianten: ε� κ νεκρω ñ ν Χριστο` ν � Ιησουñ ν ( *אA 630 1506 1739 1881; vorgezogen von NA24.25), ε� κ νεκρω ñ ν � Ιησουñ ν Χριστο' ν (C 81), Χριστο` ν � Ιησουñ ν ε� κ νεκρω ñν (D* bo), � Ιησουñ ν Χριστο` ν ε� κ νεκρω ñ ν (104 l 249 lat syp), το` ν Χριστο` ν ε� κ νεκρω ñ ν (א2 K L P Ψ 33 1175 1241 2464 Byz); die Lesart Χριστο` ν ε� κ νεκρω ñ ν kann die Entstehung der anderen Lesarten am besten erklären und ist zwar weniger breit, aber auch sehr früh bezeugt. Die Auslassung von και' nach ζω, οποιη' σει in אA 326 630 1739 1881 will wohl den Text glätten; die Lesart mit και' ist gut belegt. Statt δια' mit instrumentalem Genitiv: τουñ ε� νοικουñ ντος αυ� τουñ πνευ' ματος ( אA C Pc 81 104 1505 1506 syh) lesen B D F G K L P* Ψ 33 630 1175 u.a. Byz lat syp die Präposition δια' mit kausalem Akkusativ: το` ε� νοικουñ ν αυ� τουñ πνευñ μα. Beide Lesarten sind gut belegt; die Konstruktion als instrumentaler Genitiv kann als die schwierigere Lesart interpretiert werden: Der Geist wohnt jetzt in den Gläubigen, wird sie aber (erst) in der Zukunft lebendig machen.7 In V. 13 will die Ersetzung von τουñ σω' ματος durch τηñ ς σαρκο' ς (D F G 630 latt) wohl eine schwierige Wendung eliminieren. In V. 14 ist die Wortfolge υι�οι` θεουñ ει� σιν ( אA C D 81 630 1506 1739) besser bezeugt als υι�οι` ει�σιν θεουñ (B F G) oder ει� σιν υι�οι` θεουñ (K L P Ψ 33 104 u.a. Byz). In V. 15 wird die Konjektur von Beza, der meinte, die griech. Übersetzung ο� πατη' ρ des aramäischen Wortes αββα sei ———————————-————————
5 6 7
Metzger, Textual Commentary, 457-458; Wilckens II 121; Jewett 474; Wolter I 469. Jewett 474; Wolter I 469; vgl. Metzger, Textual Commentary, 456. Wolter I 470. Lietzmann 80; Wilckens II 134 Anm. 551; Lohse 236 Anm. 51 sehen keinen Unterschied in der Bedeutung und argumentieren mit der Bevorzugung des Akkusativs nach Präpositionen im späteren Griechisch für die Genitiv-Wendung bzw. halten die Akkusativ-Lesung für eine Angleichung an die Akkusativ-Wendungen in V. 10. Metzger, Textual Commentary, 456, argumentiert für die Genitiv-Lesart mit der breiteren Bezeugung. Fitzmyer 491-492 bleibt unentschieden.
190 Römerbrief ————————————————————————————————————
eine spätere Addition, von NA28 nicht mehr aufgeführt. Die Hinzufügung von ω « στε am Anfang von V. 16 (D [syp]), die die Logik der Aussage verdeutlichen will, ist nur minimal bezeugt. In V. 17 ist die Auslassung von και' vor συνδοξασθω ñ μεν früh, aber nur minimal bezeugt (d46 vgms sams). III
1 Paulus formuliert eine Grundaussage des Evangeliums: Es gibt also jetzt
keine Verurteilung für die, die im Messias Jesus sind. Die Folgerungspartikel „also“ (α» ρα [ara]) leitet keine Schlussfolgerung aus den unmittelbar vorausgehenden Aussagen in 7,7-25 ein, sondern bündelt die Darstellung der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Messias Jesus in 3,21-26; 5,12.8-11.16-21; 6,1-11; 7,6. Die Zeitangabe „jetzt“ (νυñ ν [nyn]) greift einerseits das „Jetzt“ der biographischen Wende der Bekehrung im Leben der Gläubigen auf (6,21 νυñ ν; 7,6 νυνι' ), andererseits das „Jetzt“ der heilsgeschicht-lichen Wende der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Sühnetod des Messias Jesus (3,21 νυνι'; 5,9.11 νυñ ν). Das Wort Verurteilung (κατα' κριμα [katakrima]; s. zu 5,16), das auch mit „Verdammungsurteil“ übersetzt werden kann, meint das Todesurteil, das Gott infolge der im Gesetz angekündigten Unheilsfolge der Sünde ausspricht. Die Verurteilung des Sünders zum Tod ist das Resultat der in 7,5.725 beschriebenen Situation (von Tod ist in 7,5.10.13.24 die Rede). In 5,16.18 bezeichnet κατα' κριμα die Strafe des Todes, die seit der Sünde Adams alle Menschen als Folge der Sünde erleiden. Paulus betont: Sünder, die zum Messias Jesus gehören, sind von der in 7,7-25 beschriebenen Situation nicht betroffen – die durch das Gesetz vermittelte göttliche Verdammung hat für sie keine Geltung mehr, weil das den Sünder treffende Todesurteil stellvertretend am Messias Jesus vollstreckt wurde. Wer sich mit Jesus identifiziert, hat seine Identität nicht mehr im „Leib des Todes“ (7,24), sondern im Messias Jesus. Die Ortsangabe ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ist in der Zeitangabe νυñ ν begründet: Die Beseitigung der Todesverfallenheit des Sünders ist möglich und gültig seit der heilsgeschichtlichen Wende im Tod und in der Auferstehung Jesu und wirksam seit der biographischen Wende in der Bekehrung des Sünders zum Glauben an Jesus.8 Das „Einst“ der Sklaverei der Sünde wird „im Messias Jesus“ abgelöst vom „Jetzt“ der Freiheit von den Folgen der Sünde im Gericht. Paulus bezeichnet Christen als Menschen, „die im Messias Jesus sind“ (οι� ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ [hoi en Christō Iēsou]): Sie gehören zum Messias Jesus, sie sind mit dem Messias Jesus verbunden, sie sind vom Messias Jesus bestimmt. Beschrei———————————-————————
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Wilckens II 121, der nicht im Sinn der Bekehrung interpretiert, sondern der Taufe.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 191 ————————————————————————————————————
bungen der Christen, die diese mit Jesus verbinden, finden wir in früheren Aussagen: Sie gehören dem Auferstandenen (γενε' σθαι ε� τε' ρω, ; 7,4b);9 sie wurden in den Messias Jesus hineinversenkt (ε� βαπτι'σθημεν) und mit ihm verbunden (συ' μφυτοι; 6,3-5); sie sind die Vielen, die durch den Gehorsam Jesu zu Gerechten (δι'καιοι) gemacht wurden (5,19); sie sind Menschen, die durch den Messias Jesus Gnade und Gerechtigkeit empfangen haben (οι� λαμβα' νοντες; 5,17); sie sind an den Messias Jesus Glaubende (οι� πιστου' οντες), die die Gerechtigkeit Gottes erhalten haben und deshalb Gerechtfertigte (δικαιου' μενοι) sind (3,22-24). Weil die Identität der Jesusbekenner mit dem Messias Jesus und seinem Tod und seiner Auferweckung steht und fällt, wurden die Anhänger Jesu in Antiochien, wohl von römischen Behörden, als christianoi bezeichnet (Apg 11,26). Die Voranstellung von Χριστω ñ, vor � Ιησουñ betont die Messianität Jesu, die mit dem Heilshandeln Gottes in seiner Sendung (1,3-4) und in seinem Sühnetod am Kreuz (3,21-26) verbunden ist und von den Gläubigen anerkannt wird. Wer an den Messias Jesus glaubt und ihm gehört, für den ist der Zorn Gottes (1,18) aufgehoben, weil Gott durch den Tod Jesu Sünden gesühnt und Gerechtigkeit (3,24), Friede (5,1), Gnade (5,2.15), Rettung im Gericht (5,9.16.18), Versöhnung (5,10), Befreiung von der Macht der Sünde (6,6.18.22), das ewige Leben (6,23) und die neue Wirklichkeit des Geistes Gottes (7,6) geschenkt hat. 2 Paulus erläutert (γα' ρ) die Aussage von V. 1: Das Verdammungsurteil über den Sünder wurde aufgehoben, weil dieser infolge seines Glaubens an den Messias Jesus von Sünde und Tod befreit wurde. Das Du, das Paulus mit dem Personalpronomen σε [se] anspricht,10 entspricht nicht dem „Ich“ von 7,7-25, sondern meint das „Du“ der stadtrömischen Christen und mit ihnen alle Jesusbekenner, die sich im Glauben mit dem Messias Jesus identifizieren. Das mit befreit (η� λευθε' ρωσεν [ēleutherōsen]; s. zu 6,18) übersetzte Verb beschrieb in 6,18 die Befreiung von der Macht der Sünde, d.h. von der das gegenwärtige Leben des Jesusbekenners kontrollierenden Sünde und vom Tod als zukünftiger Unheilsfolge der Sünde. Diese Bedeutung liegt auch hier vor. Die Formulierung im Aorist macht deutlich, dass die Befreiung des Jesusbekenners von der Todesherrschaft des Gesetzes durch die Gerechtigkeit Gottes ein Ereignis ist, das in der Vergangenheit stattgefunden hat und somit für die Gegenwart als Tatsache konstatiert werden kann. Der Bezug ist ein zweifacher: zu einen der stellvertretende Sühnetod am Kreuz und die Auferstehung Jesu, und zum anderen die ———————————-————————
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Vgl. 1Kor 15,23; Gal 5,24: οι� τουñ Χριστουñ ; vgl. Röm 8,9: Wer den Geist des Messias hat, der gehört zum Messias. Siehe die Behandlung der Textvarianten in Abschnitt II.
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Bekehrung des Sünders, die ihn mit dem Messias Jesus verbindet und Gottes Heilshandeln im Messias Jesus für ihn konkret wirksam werden lässt. In 7,5-6 hatte Paulus die Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus beschrieben als Wechsel von der alten Existenz im Fleisch, charakterisiert durch die Leidenschaften der Sünden, die Provokation des Gesetzes zum Sündigen und die Unheilsfolge des Todes, zur neuen Existenz im Geist, charakterisiert durch die Befreiung aus der Kontrolle durch das Gesetz und den Gehorsam im Dienst für Gott. In 8,2 beschreibt Paulus die Bekehrung als Befreiung vom „Gesetz der Sünde und des Todes“ durch „das Gesetz des Geistes des Lebens“. Die Bedeutung der beiden Formulierungen ist umstritten: Die beiden Genitivwendungen lassen den Vers überladen erscheinen: Da νο' μος [nomos] auf beiden Seiten der antithetischen Aussage vorkommt, erscheint der Vers schwierig. Die Interpretation im Sinn von „Norm“ oder „Prinzip“11 ist im Kontext von 7,10.12.14, wo Paulus den νο' μος mit „Leben“ verbunden und als heilig, gerecht, gut und geistlich bezeichnet hatte, sowie im Kontext von 8,4, wo er vom Halten der Rechtsforderung des Gesetzes durch die Jesusbekenner spricht, die dem Geist entsprechend wandeln, wenig befriedigend. Wenn man die an zweiter Stelle stehende Wendung „Gesetz der Sünde und des Todes“ im Kontext von 7,7-25 interpretiert, ergibt sich eine Erklärung, die in beiden Formulierungen νο' μος im Sinn des mosaischen Gesetzes versteht.12 Die Formulierung das Gesetz der Sünde und des Todes (ο� νο' μος τηñ ς α� μαρτι'ας και` τουñ θανα' του [ho nomos tēs hamartias kai tou thanatou]; V. 2b) ist im Zusammenhang des vorausgehenden Kontexts als Zusammenfassung von 7,13-23 unmittelbar verständlich. Das Wort νο' μος bezieht sich auf das mosaische Gesetz, das in 7,12 als heilig und gut beschrieben wurde und das nach 7,7 nicht auf der Seite der Sünde steht, das aber am Entstehen der Sünde beteiligt war. Die Sünde manipulierte das von Gott gegebene Gesetz, ———————————-————————
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Barrett 155; Kuss II 490; Cranfield I 375-376 (Änderung seiner früheren Position); Schlier 238-239; Michel 249; Theobald I 220; Käsemann 207; Zeller 152; Fitzmyer 482483; Moo 475-476; Légasse 483; Penna 533-534; Hultgren 297; Haacker 186-187; Kruse 324; Wolter I 473-474 („mit großer Wahrscheinlichkeit“); Dülmen, Theologie, 119-120; Keck, Law, 46-49; Räisänen, Paul, 113-117; Theobald, Fundament, 532; Theobald, Der Römerbrief, 137; Christoph, Pneuma, 102-107 (die aber von „Handlungsanweisungen“ für die Christen nicht absehen will). Vgl. Schmidt 136; Wilckens II 121-123; Dunn I 416-419; Schreiner 400; Lohse 229-230; Jewett 481; H. Hübner, Art. νο' μος, EWNT II, 1170; Cranfield, Paul and the Law, 61-62; Lohse, Anmerkungen, 129-136; Hahn, Gesetzesverständnis, 205-207; Osten-Sacken, Soteriologie, 226-234; Wilckens, Entwicklung, 185; Hübner, Gesetz, 124-127; Schnabel, Law and Wisdom, 288-290; Thielman, Paul and the Law, 202 (für „Gesetz der Sünde und des Todes“); Giesen, Befreiung, 187-188.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 193 ————————————————————————————————————
indem es den Menschen zum Tun des im Gesetz Verbotenen provozierte (7,7-11), mit dem Ergebnis, dass die Sünde als Sünde entlarvt und als Sünde wirksam wurde (7,13). Infolge der Manipulation durch die Sünde wurde das Gesetz Gottes zum „Gesetz der Sünde“ (νο' μος τηñ ς α� μαρτι' ας [nomos tēs hamartias]; 7,23). Das gute Gesetz Gottes führt an sich nicht zum Tod (7,13), sondern will Leben bewahren und garantieren. Wenn das Gesetz jedoch dem Menschen als Sünder begegnet, kann es nicht umhin, das Todesurteil auszusprechen und so die Sünde wirksam werden zu lassen (7,13) und den Menschen als Sünder in seinem „Leib des Todes“ (σω' μα τουñ θανα' του [sōma tou thanatou]) gefangen zu halten (7,24). Infolge der Manipulation durch die Sünde wurde das Gesetz Gottes zum „Gesetz des Todes“ (νο' μος τουñ θανα' του [nomos tou thanatou]). In der Formulierung ο� νο' μος τηñ ς α� μαρτι'ας και` τουñ θανα' του kann τηñ ς α� μαρτι'ας als gen. subjectivus und τουñ θανα' του als Genitiv der Wirkung13 verstanden werden: Weil es der Sünde gelang, das Gesetz zu manipulieren, hat sie vom Gesetz Besitz ergriffen und kontrolliert seine Wirkung – das Gesetz garantiert dem Menschen nicht mehr das Leben, sondern bringt ihm den Tod ein, weil dieser sich auf das von der Sünde suggerierte Sündigen eingelassen hat, das entgegen den falschen Versprechungen der Sünde eben doch die im Gesetz angekündigte Unheilsfolge des Todes hatte. Wenn in V. 2b νο' μος [nomos] das mosaische Gesetz bezeichnet, ist zu erwarten, dass dies auch in V. 2a in der Wendung das Gesetz des Geistes des Lebens (ο� νο' μος τουñ πνευ' ματος τηñ ς ζωηñ ς [ho nomos tou pneumatos tēs zōēs]) der Fall ist. Die Formulierung „Gesetz des Geistes“ knüpft an 7,14 an, wo das mosaische Gesetz als „geistlich“ (πνευματικο' ς) bezeichnet wurde. Im Gegensatz zu 7,7-25, wo die Sünde die Funktion des Gesetzes kontrollierte, gilt für Sünder, die „im Messias Jesus“ sind und für die es deshalb keine Verurteilung mehr gibt (8,1), dass die Funktion des Gesetzes jetzt vom Geist Gottes bestimmt wird: Als „Gesetz des Geistes“ (gen. subjec-tivus) bewirkt es Leben; τηñ ς ζωηñ ς ist analog zu τουñ θανα' του ein Genitiv der Wirkung. Das heißt, die Funktion des Gesetzes hat sich infolge der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Messias Jesus geändert.14 Das den Sünder verurteilende Gesetz, das die Sünde auf das Konto des Sünders ———————————-————————
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Alternativ kann man das α� μαρτι' ας und θανα' του verbindende και' in konsekutivem Sinn verstehen; so Wolter I 473 Anm. 15. Vgl. Wilckens II 123: „So beschreibt der Satz 8,2 die in Christus geschehene Aufhebung jedweder Verdammung (V 1) als Wende im Gesetz selbst von seiner verurteilenden zu seiner diese Verurteilung aufhebenden Funktion ... In der Entgegensetzung von νο' μος und νο' μος in 8,2 spiegelt sich die Entgegensetzung von Gott und Gott in Kreuz und Auferweckung Christi“ (mit Verweis auf Jüngel, Gott, 270-306).
194 Römerbrief ————————————————————————————————————
buchte und sein Leben als Sein zum Tode beherrschte, ist ein Gesetz geworden, das in der messianischen Heilszeit, in der Gott den Menschen seinen Geist gibt, die Verurteilung des Sünders aufhebt und diesem das Leben ermöglicht. Die Genitive „Sünde“ (α� μαρτι' ας) und „Geist“ (πνευ' ματος) beschreiben die Mächte, die das Gesetz kontrollieren, seine Funktion bestimmen und zu einer je verschiedenen Wirkung führen, die mit den Genitiven „Tod“ (θανα' του) und „Leben“ (ζωηñ ς) beschrieben wird. Wenn das Gesetz auf Sünde trifft und seine Funktion von der Sünde bestimmt wird, führt es zum Tod. Wenn das Gesetz auf den Geist trifft und vom Geist bestimmt wird, führt es zum Leben. Dies ist möglich, weil das Gesetz im stellvertretenden Sühnetod Jesu die Sünde der Menschen gestraft hat, mit der Folge, dass die Verurteilung des Sünders aufgehoben wurde (8,1) und deshalb die vom Geist Gottes intendierte Funktion des Gesetzes, Leben zu gewähren und zu bewahren, Wirklichkeit geworden ist. Dies ist der Dienst für Gott in der „Neuheit des Geistes“, von der in 7,6 im Blick auf das Leben der Jesusbekenner die Rede war. Die Beschreibung des „Gesetzes des Geistes“ als das handelnde Subjekt, das den Menschen von Sünde und Tod befreit, bedeutet nicht, dass Paulus das Gesetz als Heilsmacht betrachtet:15 Die Beschreibung ergibt sich aus der Darstellung der Sünde in 7,7-25 als handelndes Subjekt, die infolge ihrer Manipulation des Gesetzes die Kontrolle über das Ich ergriffen hat. Der Jesusbekenner ist nicht vom Gesetz befreit,16 sondern von der Manipulation des Gesetzes durch die Sünde, die ihm den Tod einbringt.17 Der Macht der Sünde, die das Ich des Sünders beherrschte, steht die Macht des Geistes Gottes gegenüber, die das Leben des Jesusbekenners beherrscht. Dem Tod, der als Unheilsfolge der Sünde für Sünder unausweichlich war und diese dem Zorn Gottes (1,18) auslieferte, steht das Leben gegenüber, das der Geist Gottes den mit dem gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus verbundenen Glaubenden verleiht. Die beiden Wendungen sind allerdings nicht ganz parallel: Während sowohl die Sünde als auch der Tod Mächte sind, die im Blick auf den Sünder die Funktion des Gesetzes beherrschen („Gesetz der Sünde und des Todes“), ist es jetzt der „Geist ———————————-————————
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Wolter I 474 sieht dies als Konsequenz der Interpretation von νο' μος im Sinn des mosaischen Gesetzes; dies ist jedoch nicht der Fall, zumal auch Wolter im Rahmen seiner Interpretation von νο' μος als „Prinzip“ dieses nicht als handelndes Subjekt versteht, sondern (richtig) betont, dass sich in 8,2 „eigentlich“ der Geist und die Sünde „als handelnde Subjekte“ gegenüberstehen. Gegen Käsemann 207: „Der tertius usus legis ist dem Apostel ... noch unvorstellbar“. Dunn I 419, der diese Betonung gegen Verweise auf stoische und kynische Aussagen im Blick auf die Freiheit von Gesetzen in Anschlag bringt (zu Jones, Freiheit, 124-128, der auf Epiktet 4,1,158; 4,7,17 verweist).
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 195 ————————————————————————————————————
des Lebens“, der für die Jesusbekenner die Funktion des Gesetzes bestimmt („Gesetz des Geistes des Lebens“). „Geist“ und „Leben“ sind eng miteinander verbunden – beides sind Aspekte der einen Leben schaffenden und Leben gewährenden Wirklichkeit Gottes des Schöpfers.18 Die Verbindung des Geistes Gottes mit Leben ist in der biblischen Tradition verankert (Gen 1,2; 6,17; Ps 104,29-30; Hes 37,5) und wird von Paulus öfter betont (Röm 8,6.10.11.13; 1Kor 15,45; 2Kor 3,6; Gal 6,8; vgl. Joh 4,10.14; 6,63; 7,3839; 20,22). Das Gesetz, das jetzt unter der Herrschaft des Geistes steht, „unterscheidet sich vom mosaischen Gesetz nicht grundsätzlich in seinen Forderungen“.19 Der Unterschied besteht darin, „dass hier nicht gefordert wird, ohne dass gegeben wird … Auch hier gibt es ein Sollen, aber nicht ohne ein Sein; auch hier gibt es konkreten Anspruch und konkrete Aufgaben, aber keinen Anspruch ohne einen Zuspruch und keine Aufgaben ohne Gottes zuvorkommende Gaben“.20 Die von V. 1 wiederholte und dadurch betonte Ortsbestimmung im Messias Jesus (ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ [en Christō Iēsou]) markiert die Ursache in der Änderung der Wirkung des Gesetzes.21 Gott hat der Manipulation des Gesetzes durch die Sünde, mit dem Tod als Unheilsfolge, „im Messias Jesus“, d.h. in seinem stellvertretenden Sühnetod am Kreuz, ein Ende gesetzt. Im Kreuz Jesu hat der Fluch des Gesetzes (Gal 3,13), das den Tod des Sünders angekündigt hatte und deshalb fordern musste, seine tödliche Wirkung gehabt. In der Auferweckung Jesu von den Toten kommt die Leben schaffende Kraft, die das Gesetz als Gesetz des heiligen Gottes in der vom Heiligen Geist bestimmten messianischen Heilszeit hat, ganz neu und wirksam zur Geltung – als Kraft Gottes, dessen Leben schenkende Gegenwart im Gekreuzigten (V. 3) und Auferstandenen (V. 11) wirksam wurde. 3 Paulus begründet in V. 3-4 die in V. 2 angesprochene Befreiung vom „Gesetz der Sünde und des Todes“ durch das „Gesetz des Geistes des Lebens“ zunächst im Blick auf die von der Sünde kontrollierte Funktion des Gesetzes: Denn was die Machtlosigkeit des Gesetzes betrifft (V. 3a). Das Wort „Gesetz“ (νο' μος [nomos]) bezeichnet das mosaische Gesetz.22 Die mit ———————————-————————
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Vgl. Schlier 239, der 6,4 mit 7,6 vergleicht; sowie Dunn I 418. Stettler, Heiligung, 496, die ebenfalls auf Schrage verweist. Schrage, Einzelgebote, 102. Die Präpositionalwendung kann mit τηñ ς ζωηñ ς, mit ο� νο' μος τουñ πνευ' ματος τηñ ς ζωηñ ς oder mit dem Verb η� λευθε' ρωσεν verbunden werden. Für die erste Möglichkeit spricht 6,23, für die zweite der Kontext, für die dritte 5,21. So auch Ausleger, die νο' μος in V. 2 als „Prinzip“ oder „Ordnung“ verstehen. Wenn νο' μος in V. 3 die Tora bezeichnet, und V. 3 die Aussage V. 2 begründet, muss mindestens die Wendung νο' μος τηñ ς α� μαρτι' ας και` τουñ θανα' του ebenfalls die Tora bezeichnen.
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„was die Machtlosigkeit betrifft“ (το` α� δυ' νατον [to adynaton]) übersetzte Akkusativwendung ist am besten als Akkusativ der Beziehung zu verstehen.23 Das substantivierte Adjektiv bezeichnet entweder eine Eigenschaft der Tora oder metonymisch eine Handlung, die das Gesetz nicht vollbringen kann. Für die erste Möglichkeit spricht die Verbindung von το` α� δυ' νατον mit einem Genitiv in einigen Stellen,24 für die zweite Bedeutung die übliche Bedeutung von α� δυ' νατος sowie die Bezeichnung der Tora und ihrer Gebote als heilig, gerecht, gut und geistlich (7,12.14), was ein Defizit in der Tora selbst eher unwahrscheinlich macht. Paulus erklärt in V. 3c-d und V. 4, was das Gesetz nicht tun konnte: Es konnte die Sünde von Heiden und Juden (1,18– 3,20) nicht vergeben – für Sünder konnte es nur „Gesetz der Sünde“ sein und den im Gesetz für Sünder angekündigten Tod bewirkten – und war deshalb auch nicht in der Lage, dafür zu sorgen, dass seine Rechtsforderungen, d.h. seine Gebote, erfüllt werden. Die Erfüllung der Intention des Gesetzes ist, wie Paulus in V. 4 betont, nur durch den Geist Gottes möglich, nachdem die Sünder von der Herrschaft der Sünde befreit wurden (V. 2.3c-d). Der Grund für die Machtlosigkeit wird in Anknüpfung an 7,13.18 formuliert: weil es durch das Fleisch geschwächt war (V. 3b).25 Das Wort „Fleisch“ (σα' ρξ [sarx]; s. zu 3,20; 7,5) bezeichnet hier wie in 7,5.18.25 die Gott und seinem Willen feindlich gegenüberstehende Macht der Sünde, die den Menschen zu Handlungen provoziert, die Gottes Willen widersprechen und sein Gesetz brechen. Die Machtlosigkeit des Gesetzes ist nicht in einem Defizit des Gesetzes begründet, sondern in der Tatsache, dass das Gesetz in seiner Funktion „geschwächt“ (η� σθε' νει [ēsthenei]) war – eine Wirklichkeit, die Paulus in 7,13-25 beschrieben hatte. Die Schwäche des Gesetzes liegt nicht im Wesen oder der Herkunft des Gesetzes begründet, sondern im Abfall des Menschen von Gott und im Leben im Widerspruch gegen Gott und in der Gottesferne außerhalb des Paradieses, beherrscht von der Macht des „Fleisches“, die das Gesetz nicht überwinden konnte und wozu es auch nicht gegeben war. Die Formulierung mit dem Imperfekt markiert die von der Sünde verursachte Schwächung des Gesetzes, das die von Gott intendierte geistliche Wirkung als heiliges, gerechtes und gutes Gesetz nicht voll ausüben konnte, als Wirklichkeit, die für Jesusbekenner, die im Messias Jesus sind (V. 1), in der Vergangenheit liegt. Das Verb „schwächen“ erläutert die „Machtlosigkeit“ des Gesetzes: Das Gesetz ist heilig, gerecht, gut ———————————-————————
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BDR §160.1 Anm. 2; Haacker 187; Wolter 475. Josephus, Ant 13,423; CAp 1,256; Diognetus 9,6. So Wolter I 475, ohne Argumente für die zweite Bedeutung zu erwägen; seine Erklärung der Wendung zeigt, dass der Bedeutungsunterschied nicht groß ist. Der relativische Anschluss ε� ν ω ð, hat kausale Bedeutung; BDR §219.2; HvS §277c, 289e.
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und geistlich, aber in seiner Wirkung geschwächt, eingeschränkt, kraftlos.26 Das Gesetz war nicht vollkommen unbrauchbar und nutzlos, aber es war nicht in der Lage, angesichts der Universalität der Sünde Leben zu vermitteln und zu bewahren, weil es die Sünde nicht beseitigen kann. Es kann Sündern nur den Tod bringen, nicht das Leben, weil es Sünde nicht wegschaffen kann, sondern verurteilen muss. Paulus erläutert mit zwei Aussagen, wie Gott die Macht der Sünde besiegte, die das „Fleisch“ des Menschen beherrschte und die intendierte Funktion des Gesetzes schwächte. Die beiden Aussagen erklären die Wendung ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ V. 2. Paulus spricht zunächst von der Sendung Jesu: Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und als Sündopfer (V. 3c). Die Initiative zur Behebung der menschlichen Misere ging von Gott aus: „Gott sandte seinen Sohn“ (ο� θεο' ς το` ν ε� αυτουñ υι� ο` ν πε' μψας [ho theos ton heautou hyion pempsas]. Von der Sendung des Messias Jesus durch Gott ist in Gal 4,4-5 ausführlicher die Rede: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen“ (EÜ). 27 Paulus betont mit der Sendungsaussage im Kontext der folgenden Inkarnationsaussage: 1. die göttliche Beauftragung Jesu, in dessen Handeln Gott selbst handelt; 2. die Menschlichkeit des irdischen Jesus, der als von Maria Geborener wahrer Mensch war; 3. die Präexistenz und damit die göttliche Dignität Jesu als Sohn Gottes (s. zu 1,3), der bei Gott war, ehe er in die Welt kam.28 Siehe weiter im Abschnitt IV. ———————————-————————
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In den Papyri bezeichnen die Vokabeln α� σθενη' ς, α� σθενε' ω und α� σθε' νεια meistens körperliche Schwäche (PSI X 1103,13-14), in erster Linie das Kranksein (P.Köln III 137,1415), dann auch wirtschaftliche Schwäche (BGU VIII 1815,6-7); vgl. F. Winter in ArztGrabner, 1. Korinther, 102-103.115-116, mit der Definition „Schwäche im Sinne von Defizienz und Mangel an Stärke“. Die Übersetzung NGÜ, „(das Gesetz) scheiterte am Widerstand der menschlichen Natur“, interpretiert. Vgl. Mt 23,37 / Mk 12,6 / Lk 20,13 (Gleichnis von den bösen Weingärtnern), und johanneische Aussagen: Joh 3,17; 4,34; 5,23-24.30.36-38; 6,29.38.57; 7,16.18.28-29.33; 8,16. 18.26.29.42; 9,4.7; 10,36; 11,42; 12,44-45.49; 14,24; 15,21; 16,5; 17,3.8.18.21.23.25; 20,21; 1Joh 4,9-10.14. Vgl. Kuhl, Sendung; Köstenberger, Missions, 27-31.45-141. Die aus der Parallelität von Gal 4,4-5 und Röm 8,3 abgeleitete These, Paulus greife auf eine „Formel“ zurück (Seeberg, Katechismus, 59ff; Kramer, Christos, 108-112; Hahn, Hoheitstitel, 315; Schweizer, Sendungsformel; Schweizer, Gott sandte seinen Sohn; Käsemann 208; Lohse 231), ist zu hinterfragen; richtig Wolter I 476 Anm. 28. Die Präexistenz Jesu in den mit der Inkarnation verbundenen Sendungsaussagen von Paulus wird von Dunn bestritten, vgl. Dunn, Christology, 113-128.176-196; Dunn, Theology of Paul, 266-293; ähnlich Wolter 477. Dagegen Hurtado, Lord Jesus Christ, 118-126; vgl. Habermann, Präexistenzaussagen, 91-157 zu Phil 2,6-11; Söding, Präexistenzchristologie, 66; Karrer, Sohn Gottes, 278; Hahn, Theologie I, 208; Haacker 187; Lohse 231.
198 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Wendung in der Gestalt des sündigen Fleisches (ε� ν ο� μοιω' ματι σαρκο` ς α� μαρτι'ας [en homoiōmati sarkos hamartias]) beschreibt die Inkarnation Jesu. Die Aussage entspricht Gal 4,4 und Phil 2,7: „Er entäußerte sich und nahm die Gestalt (μορφη' ν) eines Sklaven an, indem er den Menschen gleich wurde (ο� μοιω' ματι) und in seiner Erscheinung (σχη' ματι) war er wie ein Mensch“. Für die Väter war Röm 8,3 der locus classicus für die Lehre von der Inkarnation des Sohnes Gottes; sie interpretieren ο� μοιω' μα (s. zu 5,14) im Sinn der „Gleichheit“, was das Wort „Fleisch“ betrifft, im Sinn von „Ähnlichkeit“, was das Wort „Sünde“ betrifft, um der Lehre von der Sündlosigkeit Jesu (2Kor 5,21; Hebr 4,15; 1Petr 2,22) nicht zu widersprechen.29 Diese dogmengeschichtliche Diskussion ist späteren Datums, in V. 3c jedoch angelegt. Wenn man von Phil 2,7 her interpretiert, ergibt sich einerseits die Aussage, dass Jesus die präexistente Gottheit aufgegeben hat, als er menschliche Gestalt (μορφη' ) annahm, d.h., er war ein Mensch wie andere Menschen; gleichzeitig war seine „Gleichheit“ mit den Menschen (ο� μοιω' ματι α� νθρω' πων) im Blick auf seine „Erscheinung“ (σχη' μα) nicht identisch mit der eines Menschen, sondern „wie ein Mensch“ (ω� ς α» νθρωπος). „Das kann nur heißen, daß Jesus zwar irdisch sterben konnte und mußte, der Sünde aber nicht unterlag. Der Begriff ο� μοι'ωμα hat in diesem Zusammenhang die Funktion, solche Dialektik zu wahren“.30 Wie in 1,23; 5,14; 6,5 bezeichnet ο� μοι'ωμα in 8,3c Gemeinsamkeit und Differenz gleichzeitig. Wenn man die Auslegung auf 8,3c konzentriert, steht die Gemeinsamkeit im Vordergrund: Die Gestalt Jesu als wahrer Mensch kann mit dem Ausdruck „sündiges Fleisch“ (σα' ρξ α� μαρτι'ας) beschrieben werden, weil alle Menschen mit diesem Ausdruck zu beschreiben sind. Das Wort α� μαρτι'ας ist genitivus qualitatis: Es gibt kein menschliches „Fleisch“, das nicht „Fleisch der Sünde“ wäre.31 Das „Fleisch“ ist der Ort, wo die Sünde wirklich ist (7,5). In diese Wirklichkeit der Sünde hinein sandte Gott seinen Sohn, damit, wie die folgenden Aussagen deutlich machen, Sünde gesühnt und die Macht der Sünde gebrochen (V. 3d) und damit das seit Adam bestehende Sündenproblem der Menschen gelöst wird (5,12-21). Jesus, der Sohn Gottes (1,3), der anders als alle anderen Menschen nicht „unter die Sünde verkauft“ war (7,14) und „keine Sünde kannte“ (2Kor 5,21), lebte im „Fleisch der Sünde“ wie alle Menschen – dies ist die Gemeinsamkeit, jenes die Differenz, die mit dem Wort ο� μοιω' μα angezeigt wird. ———————————-————————
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Vgl. Cranfield I 379-382; Wilckens II 125-126; Overbeck, Röm. 8,3; Schelkle, Paulus, Lehrer der Väter, 273-274. Käsemann 209; vgl. Hahn, Theologie I, 622; Fletcher-Louis, Jesus Monotheism, 84-85. Vgl. 1QS XI, 9.12 ;ְּבַׂשר ָע ֶול1QM IV, 3; XII, 12; ApkMos 25 α� μαρτι' α τηñ ς σαρκο' ς; Brandenburger, Fleisch und Geist, 100-101.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 199 ————————————————————————————————————
Wenn man die Wendung als Sündopfer (περι` α� μαρτι' ας [peri hamartias]) als adverbiale Wendung versteht, ergibt sich die Übersetzung „um der Sünde willen“ (LÜ) oder „für die Sünde“ (Elb.Ü). Paulus beschreibt bei diesem Verständnis die Absicht, die Gott mit der Sendung Jesu verfolgte: Gott sandte Jesus in die Welt der sündigen Menschen, um die Sünde zu beseitigen, die die Menschen auf sich geladen haben und die als Macht die Menschen kontrolliert.32 Manche verstehen den Ausdruck im Zusammenhang von Jes 53,10-12, ohne eine kultische Komponente vorauszusetzen, als Aussage, dass in der irdischen Existenz Jesu, indem er die Gestalt des sündigen Fleisches getragen hat, „das Urteil über die Sünde und damit zugleich Sühne ‚für die Sünde‘ erfolgt“.33 Die Bedeutung „um der Sünde willen“ liegt in den LXX-Stellen vor, die ’[ ַעל ַחָּטאתal chaththā’t] mit περι` α� μαρτι' ας übersetzen: Lev 4,3.28.35; 5,7.13; 19.22; vgl. im NT Hebr 5,3; 10,17-18.26; 1Petr 3,18; 1Joh 2,2; 4,10. Vgl. Bauer/Aland s.v. περι' 1g: „in Verb[indung] m[it] α� μαρτι' α hat für den Sinn v[on] zur Fortschaffung, zur Sühnung“.
Wenn man die Wendung als substantivierten Präpositionalausdruck versteht und im Licht atl. Opfersprache auffasst, ergibt sich die Kennzeichnung Jesu als „Sündopfer“.34 In Lev 4,3.14; 5,6.7.11; 9,2.3; 12,6.8; 16,3 steht περι` α� μαρτι' ας für hebr. ( ְלַחָּטאתlechaththā’t, „zum Sündopfer“), dem technischen Ausdruck für das Sündopfer, wie Lev 7,37 belegt. Die Wendung περι` α� μαρτι' ας kann auch ( ַחָּטאתchaththā’t, „Sündopfer“) übersetzen; vgl. Lev 5,11; 14,22.31; 15,15.30; 16,9;l Num 6,16; 8,12; 28,22; Ps 39[40],7. Vgl. Philo, SpecLeg 1,190.226.247; Mut 234; im NT noch in Hebr 10,6.8. In der außerbiblischen griech. Literatur ist diese Bedeutung von περι` α� μαρτι' ας nicht belegt. Weder Bauer/Aland noch BDAG führen diese Bedeutung auf; siehe jedoch Muraoka s.v. α� μαρτι' α 3: „slaughtered animal offered to atone α� μαρτι' α“. Die Einwände gegen eine opferkultische Deutung von περι` α� μαρτι' ας in Röm 8,3 sind nicht stichhaltig.35 1. Wenn Paulus den Tod Jesu mit opferkultischer Terminologie beschreibt, for———————————-————————
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Lagrange 193; Schlatter 257; Cranfield I 382; Zeller 153; Schmithals 263; Schlier 241243; Fitzmyer 486; Légasse 485; Lohse 231-232; Penna 540-541; Friedrich, Verkündigung, 70-71; Gignac, La mise en scène, 130 mit Anm. 55. Vgl. NRSV „to deal with sin“. Hahn, Theologie II, 390: Es geht „um das stellvertretende Leiden und Sterben im Sinn des sühnestiftenden Lösemittels, um Jesu Tod, der von der Sünde erlöst“; vgl. ebd. I 218219: Es ist von untergeordneter Bedeutung, ob περι` α� μαρτι' ας ein Ausdruck aus der Opfersprache ist, „da α� μαρτι' α hier im Singular verwendet wird und wie in der anschließenden Aussage nicht die Tatsünde, sondern die Sündenmacht bezeichnet“. Stuhlmacher 110; Käsemann 208; Michel 251; Wilckens II 127; Dunn I 422; Byrne 243; Moo 480; Schreiner 403; Wright 579; Jewett 484; Kruse 327; Wolter I 478-479; H. Riesenfeld, Art. περι' , ThWNT VI, 55; E. Schweizer, Art. υι�ο' ς κτλ., ThWNT VIII, 386; Greene, Note, 103-106; Merklein, Bedeutung, 32-33. Vgl. Greene, Note, 103-10, aufgenommen von Kruse 327 Anm. 302. Für Einwände gegen die Interpretation im Sinn von „Sündopfer“ vgl. Paulsen, Überlieferung, 58-59.
200 Römerbrief ———————————————————————————————————— muliert er immer kurz und prägnant, ohne Erläuterung (vgl. 1Kor 5,7; 10,15; 11,23-25; Röm 5,8-11; 8,32), auch in der relativ ausführlichen Stelle Röm 3,24-26, in der es primär um die Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben an Jesus geht. 2. Das Verständnis von α� μαρτι' α als Tatsünde und als Sündenmacht darf nicht künstlich auseinandergehalten und hier nur das Letztere angenommen werden. Die Interpretation von περι` α� μαρτι' ας als Sündopfer schließt im Zusammenhang des folgenden Satzes V. 3d eine „kosmische“ Dimension gerade nicht aus (vgl. Gal 1,3-4). 3. Zu beachten ist, dass Paulus in vergleichbaren Formulierungen nicht die Präposition περι' verwendet, sondern υ� πε' ρ + Genitiv (1Kor 15,3; 2Kor 5,21; Gal 1,4) und δια' + Akkusativ (Röm 4,25) – Stellen, in der er mit Plural formuliert (α� μαρτιω ñ ν oder παραπτω' ματα), während er hier den „septuagintatypischen Singular“ α� μαρτι' α verwendet.36
Die Bezeichnung Jesu als „Sündopfer“ ist aus diesen Gründen plausibel: Gott hat Jesus als Sündopfer in die Welt gesandt – er hat die Sünde der seit Adam sündigenden Menschen auf den Sohn übertragen, der die im Gesetz angekündigte Strafe für die Sünde auf sich nimmt und in seinem Tod stellvertretend die Sünde der Sünder sühnt. Die Befreiung von der Wirklichkeit und von der Macht der Sünde, die den Sünder zum Sündigen provoziert und ihm den Tod einbringt, geschah im Sühnetod des Messias Jesus, der stellvertretend für den Sünder die tödliche Konsequenz der Realität der Sünde an sich vollziehen ließ (vgl. 2Kor 5,21; Gal 3,13; 4,4-5). Die Inkarnation des Sohnes Gottes und der Sühnetod Jesu am Kreuz gehören zusammen.37 Die Wirkung und Folge des Kommens Jesu als Sündopfer wird von Paulus in V. 3d formuliert: und verurteilte die Sünde im Fleisch. Das Verb „verurteilte“ (κατε' κρινεν [katekrinen]) nimmt das Substantiv „Verurteilung“ (κατα' κριμα [katakrima]) auf. Die Verurteilung der Sünde, die Gott in der Sendung Jesu als Sündopfer vollzogen hat, geschah „im Fleisch“ (ε� ν τηñ, σαρκι' [en tē sarki]), d.h. als der Fleisch gewordene Sohn Gottes am Kreuz starb. Gott verurteilte in der Sendung des Sohnes im Fleisch die durch Adam in die Welt eingedrungene Sündenmacht (η� α� μαρτι'α) an dem Ort, wo sie herrscht: im Fleisch (η� σα' ρξ). Das Fleisch – der Macht- und Herrschaftsbereich der Sünde – ist der Ort, an dem Gottes Verurteilung der Sünde stattfand. Paulus beschreibt prägnant, was in Tod und Auferweckung Jesu geschah, mit der „Fleischwerdung“ (Inkarnation) Jesu als unabdingbarer Voraussetzung.38 Das Fleisch, das der Sünde Raum gab und unter der Kontrolle der Sünde stand, wurde in seinem eigenen ———————————-————————
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Wolter I 479. Wilckens II 127: „Die Inkarnation zielt auf die im Tod Christi erwirkte Sühne“. Zahn 383; Lagrange 194 u.a. legen die Wendung im Hinblick auf die Inkarnation aus, was die Bedeutung einseitig einschränkt und nicht beachtet, dass für Paulus Tod und Auferweckung Jesu das zentrale Heilsgeschehen sind. Kritisch zu Recht Kuss II 496; die folgende Formulierung ebd.; vgl. auch Dunn II 422; Fitzmyer 422.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 201 ————————————————————————————————————
Bereich entmachtet: Der Tod, den die Sünde fordert und durch den sie die Sünder beherrscht (5,21), hat als Tod des von Gott in die Welt des Fleisches gesandten Messias Jesus der Sünde die entscheidende Niederlage beigebracht – der Sühnetod Jesu am Kreuz, der als Sündopfer für die Sünder starb, bewirkte die Verurteilung der Sünde und damit das Ende der von der Sünde und ihrer Unheilsfolge, dem Tod, beherrschten Epoche, die mit der Sünde Adams begonnen hatte (5,12-21). Die Sünde, die dem Sünder durch die Manipulation des Gesetzes das Todesurteil und die Verurteilung im Gericht Gottes eingebracht hatte, wird im Tod des Messias Jesus selbst verurteilt. Paulus hatte in 6,1-11 erläutert, dass die Vereinigung des Jesusbekenners mit dem Tod Jesu – eine Vereinigung, die durch den Glauben an Jesus als Messias Israels und Retter der Menschen entsteht – seine Verurteilung aufhebt und dass die Beseitigung der Macht der Sünde über den Sünder für diesen eine jetzt neue Wirklichkeit wird. Für alle, die „im Messias Jesus“ sind, ist die den Sünder treffende und beherrschende Verurteilung nicht mehr wirksam, weil Gott das Gericht über die Sünde an seinem Fleisch gewordenen Sohn, den er als Sündopfer in die Welt sandte, vollzogen hat. Im stellvertretenden Sühnetod Jesu erhielt die Sünde, was ihr zustand: die Verwirklichung ihrer tödlichen Wirkung als Vollstreckung des Todesurteils des Gesetzes. Die Sünde wurde nicht unter den Teppich gekehrt, sondern „legal“ entfernt: Ihre Unheilsfolge hat sich im Tod des Messias Jesus eingestellt – der Tod des Sünders hat sich im Tod Jesu ereignet. Die Macht der Sünde als Macht zum Tode hat für Jesusbekenner ihre Wirkung verloren: Gott hat Jesus gesandt, damit die Sünde in ihrem Herrschaftsbereich entmachtet wird und Sünder Leben haben. Das Letztere betont Paulus im nächsten Satz. 4 Das Ziel der Sendung des Messias Jesus als Sündopfer und die Folge der Verurteilung der Sünde durch seinen Sühnetod wird im Hinblick auf das Gesetz formuliert, von dem in 7,7-25 im Rahmen der Darstellung der Machtergreifung der Sünde die Rede war: damit die Rechtsforderung des Gesetzes durch uns erfüllt wird. Das „Gesetz“ (νο' μος) ist das mosaische Gesetz, dessen „Rechtsforderung“ (δικαι'ωμα [dikaiōma]; s. zu 1,32; 2,26; 5,16.18) in den einzelnen Geboten besteht.39 Paulus hätte einfach vom Gesetz sprechen können, das heilig und geistlich ist (7,12.14), oder vom ———————————-————————
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Der Singular ist generisch. Die einzige, allerdings vielsagende Parallele ist Num 31,21 LXX: „Dies ist die Rechtsforderung des Gesetzes (τουñ το το` δικαι' ωμα τουñ νο' μου), die (ο� ) der Herr dem Mose angeordnet hat“ (LXX.D übersetzt δικαι' ωμα mit „Satzung“ und bezieht ο� auf νο' μος, nicht auf δικαι' ωμα). Der Satz leitet in Num 31,21 eine Reihe von Reinigungsvorschriften ein.
202 Römerbrief ————————————————————————————————————
Gebot, das heilig, gerecht und gut ist (7,12). Ziel und Wirkung der Sendung Jesu und seines Todes als Sündopfer, das Sünde sühnt, ist die Überwindung der in V. 3a-b erwähnten Machtlosigkeit und Schwäche des Gesetzes: Gott ermöglicht den Menschen, die „im Messias Jesus“ sind (V. 1), das Gesetz zu erfüllen. Das Verb „erfüllen“ (πληρωθηñ, [plērōthē]) bedeutet, auf das Gesetz bezogen, dessen Gebote halten. Die Formulierung im Passiv verweist nicht auf Gott (pass. divinum), der den vollkommenen Gehorsam Jesu auf die Jesusbekenner transferiert:40 Paulus bezeichnet im nächsten Satz die Jesusbekenner nicht als Glaubende (πιστευ' οντες), sondern als Handelnde (περιπατουñ ντες). Paulus spricht von der Erfüllung des Gesetzes im Lebensvollzug der Jesusbekenner.41 Die präpositionale Bestimmung ε� ν η� μιñν [en hēmin] kann lokal („unter uns“, d.h. unter den Jesusbekennern als Gemeinschaft der Gläubigen)42 oder instrumental („durch uns“, d.h. durch die Gläubigen)43 interpretiert werden. Der Bedeutungsunterschied ist gering: Ohne persönliches Halten der Rechtsforderung des Gesetzes gibt es keine korporative Erfüllung in der Gemeinde. Manche Ausleger weisen darauf hin, dass das Element der Vollständigkeit, das in dem Verb angelegt ist, in den Mittelpunkt zu stellen ist: „In ihm artikuliert sich der Anspruch, dass die christlichen Wir der Rechtsforderung des Gesetzes nicht weniger als gänzlich und restlos nachkommen“.44 Paulus meint selbstverständlich nicht, dass Jesusbekenner sämtliche Einzelgebote der Tora erfüllen. Die Forderungen bezüglich der Unterscheidung von rein und unrein, bezüglich der Vergebung von Sünden und der Herstellung von Reinheit durch rituelle Handlungen (Opfer, Waschungen), bezüglich des einen Ortes der Sühnung von Sünden (Tempel in Jerusalem) oder bezüglich ———————————-————————
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Vgl. Moo 483-484: Die Forderung des Gesetzes eines vollkommenen Gehorsams wurde von Jesus Christus erfüllt, und wird von Christen erfüllt, indem sie mit Christus verbunden sind – Gott transferiert den vollkommenen Gehorsam Christi zu uns – indem wir Christus im Glauben ergreifen, werden wir von Gott als Menschen angesehen, die das Gesetz „getan“ haben. Vgl. Käsemann 210; Fitzmyer 487-488; Byrne 93-94; Jewett 485; Hultgren 300; auch Rosner, Paul and the Law, 123-124, der zwar das Verhalten der Christen angesprochen sieht, dies aber nicht auf das Gesetz beziehen will. Zur Kritik s. Thompson, Law, 33-36; Wolter I 480 zum folgenden Punkt. Stalder, Werk des Geistes, 405: Das Passiv kann „nur betonen, dass es ein Geschenk der Befreiung von Fluch und Sünde ist, dass wir den im Gesetz bezeugten gnädigen Anspruch Gottes durch wohlgefällig aufgenommenen Gehorsam beantworten dürfen“. Vgl. Cranfield I 384; Wilckens II 129-130; Zeller 153; Dunn I 423-424; Stuhlmacher 111; Schreiner 405; Wolter I 480-481; Thielman, Plight, 88-89; Thielman, Paul and the Law, 202-203; Schreiner, Paul, 281-282; Dunn, New Perspective, 82-83; Stettler, Heiligung, 498-499. Cranfield I 384-385; Wilckens II 128 Anm. 525. Schlier 243; Wolter I 480 Anm. 42. Wolter I 480, mit Verweis auf G. Delling, Art. πληρο' ω, ThWNT VI, 291.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 203 ————————————————————————————————————
der Unterscheidung von Israeliten/Juden und Heiden (durch die Beschneidung) haben nach Paulus keine Gültigkeit mehr (s. zu 7,12). Gleichzeitig ist das Gesetz nicht auf das Liebesgebot reduziert, auch wenn dieses nach 13,810 (vgl. Gal 5,14) eine grundlegende Rolle spielt und seine Befolgung die Erfüllung des Gesetzes bedeutet (s. zu 13,8).45 Da Paulus in V. 4b vom Lebenswandel der Jesusbekenner spricht, ist deutlich, dass es in V. 4a um den konkreten Lebensvollzug geht, in dem das heilige und geistliche Gesetz Gottes (7,12.14) als „Gesetz des Geistes des Lebens“ (8,2) zur Geltung kommt. Die Themen und Weisungen, die uns in den ethischen Abschnitten der Paulusbriefe begegnen, zeigen, dass die Gebote der Tora in der Tat für Paulus eine wichtige Rolle spielen. In 8,4 wird deutlich, weshalb als Konsequenz der paulinischen Theologie das Gesetz eben nicht aufgehoben und abgeschafft, sondern „aufgerichtet“ wird (3,31). Wilckens sagt zu Recht: „Man darf die pointierte Rede vom Gesetz darum nicht abschwächen, indem man allgemein vom Willen Gottes spricht und diesen von der Tora abhebt. Es ist geradezu der Prüfstein für das richtige Verständnis der paulinischen Rechtfertigungslehre, zu sehen, daß und wie der Anspruch der Tora an den Wandel für den Christen nicht trotz, sondern gerade wegen der iustificatio impii vollauf in Geltung gesetzt wird (vgl. 1Kor 7.19)“.46 Der mit dem Messias vereinte Jesusbekenner hat die Verurteilung der Sünde durch den Tod Jesu als Vergebung seiner Sünde und als Befreiung von der Macht der Sünde erfahren: Das „Gesetz der Sünde und des Todes“ (8,2) hat für ihn keine Geltung mehr. Die Entfernung der Machtlosigkeit und Schwäche des Gesetzes, das dem Sünder nicht zum Leben verhelfen, ———————————-————————
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Dass Paulus hier die Erfüllung der Tora von der Observanz ihrer Einzelgebote trenne, wie Wolter I 480 meint, ist im Text nicht zu erkennen; richtig ist, wenn Wolter ebd. 481 festhält, dass Paulus in 8,4 noch nicht von der Nächstenliebe spricht, sondern davon, dass die Rechtsforderung „durch einen Lebenswandel erfüllt (wird), der von dem Geist bestimmt ist“. Wie man das δικαι' ωμα des Gesetzes erfüllen kann, ohne δικαιω' ματα zu praktizieren (ebd. 481), bleibt völlig unklar: Ohne Erfüllung von Einzelbestimmungen des Gesetzes gibt es keine Erfüllung des Gesetzes. Wilckens II 129. Anders Käsemann 210, der einerseits die Nähe zu Mt 5,17ff sieht und fragt, ob Paulus von einer nova lex spricht, dann aber betont, es gehe in V. 4a „nicht primär um das, was wir tun, sondern um das, was Gott getan und ermöglicht hat, als er Christus sterben ließ“: Paulus betone „unüberhörbar das opus alienum“ und nehme „dafür in Kauf, daß seine Argumentation durch Motive aus einem anderen (traditionsgeschichtlichen) Zusammenhang überfremdet wird“, wobei es der Geist ist, der den „neuen Gehorsam“ heraufführt und „dem im Gesetz ursprünglich sich bekundenden Gotteswillen zu seinem Recht“ verhilft. Lohse 232, der Käsemann folgt, formuliert: „Die Rechtsforderung des Gesetzes besteht nach wie vor, daß der Mensch Gott ganz und gar gehören soll“. Solche Formulierungem, die allgemein vom Willen Gottes reden und diesen von der Tora abheben, schwächen die Aussage in V. 4 ab.
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sondern ihm nur den Tod einbringen kann, setzt das Gesetz als „Gesetz des Geistes des Lebens“ in Geltung: Das Gesetz, das heilig ist, und das Gebot, das heilig, gerecht und gut ist (7,12.14), kann jetzt in seiner ursprünglichen Bestimmung „zum Leben“ (7,10) zur Wirkung kommen. Mit der Aussage in V. 4a im Kontext von V. 1-3 gibt Paulus eine (nach 6,1-11 neue) Antwort auf die Frage, ob Jesusbekenner das Sündigen bagatellisieren oder gar tolerieren können (6,1): Jesusbekenner sind keine gesetzlosen Menschen, die das Gesetz Gottes für aufgehoben erklärt haben – sie sind Menschen, in deren Lebensvollzug die Wirkung des Sühnetodes des Messias realisiert wird, in dem die Sünde verurteilt und die Macht der Sünde aufgehoben wurde. Die im Evangelium offenbarte „Macht Gottes“ (δυ' ναμις θεουñ ) bedeutet auch darin Heil (σωτηρι'αν; 1,16), dass die „Machtlosigkeit des Gesetzes“ (το` α� δυ' νατον τουñ νο' μου; 8,3) aufgehoben und das heilige Gesetz Gottes das Leben gewähren kann, zu dem es bestimmt ist. In V. 4b nennt Paulus neben der Befreiung von der Macht der Sünde im Sühnetod Jesu einen weiteren Grund, weshalb Jesusbekenner die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllen: die wir nicht dem Fleisch entsprechend wandeln, sondern dem Geist entsprechend. „Fleisch“ (σα' ρξ [sarx]) bezeichnet wie in 7,5.18.24; 8,3 den Macht- und Herrschaftsbereich der Sünde, „Geist“ (πνευñ μα [pneuma]) wie in 7,6; 8,2 den Geist Gottes, den „Geist der Heiligkeit“ (1,4), den „Heiligen Geist“ (5,5). Das mit „wandeln“ übersetzte Verb (περιπατουñ σιν [peripatousin]; s. zu 6,4) bezeichnet den Lebenswandel, den konkreten Lebensvollzug, das Verhalten im Alltag. Die antithetische Formulierung Fleisch/Geist knüpft in 7,5-6 an, wo Paulus den Wechsel beschrieben hatte, der in der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus stattfindet – ein Wechsel, der sowohl die Beziehung zu Gott als auch den Lebensvollzug im Alltag grundsätzlich verändert. Jesusbekenner, die mit dem Messias Jesus vereinigt sind (6,1-11) und für die es deshalb keine Verurteilung mehr gibt (8,1), weil Gott im Sühnetod Jesu ihre Sünde gesühnt hat (8,3), leben in einer neuen Wirklichkeit. Vor ihrer Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus waren sie „im Fleisch“ (ηò μεν ε� ν τηñ, σαρκι') d.h., ihre Existenz war von den Leidenschaften der Sünde bestimmt (7,5); sie folgten den Begierden des von der Sünde beherrschten Fleisches (6,12); sie lebten „dem Fleisch entsprechend“ (κατα` σα' ρκα; 8,4),47 d.h., ihr Verhalten folgte den von der Sünde vorgegebenen Standards, sodass die „Werke des Fleisches“ (Gal 5,19-21) – Unzucht, ———————————-————————
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Die Präposition κατα' beschreibt in V. 4 die Orientierung des Handelns bzw. die Standards, die das Verhalten bestimmen. Vgl. Bauer/Aland s.v. κατα' 5aγ: „v[on] einem Maßstab irgendwelcher Art“, mit Verweis auf Röm 8,4; 10,2; Eph 4,7 u.a.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 205 ————————————————————————————————————
Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und Ähnliches mehr – den Alltag im Machtbereich der Sünde (7,7-25) kennzeichneten. Nach ihrer Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus dienen sie Gott in der „Neuheit des Geistes“ (ε� ν καινο' τητι πνευ' ματος; 7,6), d.h., sie leben in der neuen, vom Geist Gottes bestimmten Wirklichkeit, in der sie die Rechtsforderung von Gottes Gesetz erfüllen, weil sie „dem Geist entsprechend“ leben, d.h., ihr Verhalten folgt den von Gottes Geist vorgegebenen Standards, sodass die „Frucht des Geistes“ (Gal 5,22-23) – Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung – ihren Alltag im Machtbereich des Heiligen Geistes (8,4-17) kennzeichnet. Der Geist Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat (8,11) und der die Wirkung des Sühnetodes des Messias Jesus im Leben der Jesusbekenner wirksam werden ließ (8,3), sodass das Gesetz als „Gesetz der Sünde“ ihnen nicht mehr den Tod einbringt, sondern als „Gesetz des Geistes“ Leben schafft (8,2), befähigt sie, ein Leben zu führen, in dem die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wird. Das neue Leben im Geist, in dem der Wille Gottes verwirklicht wird, ist Gabe und Verpflichtung, Indikativ und Imperativ (vgl. V. 2.4 mit V. 12). In Gal 5,25 formuliert Paulus prägnant: „wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch dem Geist folgen“ [ει� ζω ñ μεν πνευ' ματι, πνευ' ματι και` στοιχω ñ μεν]). Die mit dem Messias vereinten Jesusbekenner, die vom Geist Gottes geleitet werden, haben „Leben“ und sind „neue Schöpfung“ (vgl. Gal 6,15; 2Kor 5,17); sie sind in die Lage versetzt, in ihrem Leben dem Willen Gottes zu entsprechen: die Gebote des Gesetzes zu halten. So ist die Tora aposteriori als „Gesetz des Messias“ (Gal 6,2; vgl. 1Kor 9,21) bindend für die mit dem Messias verbundenen Gläubigen.48 Paulus betont die Erfüllung der Verheißung von Hes 36,27: „Und meinen Geist werde ich in euch eingeben (το` πνευñ μα' μου δω' σω ε� ν υ� μιñν), und ich werde bewirken, dass ihr nach meinen Rechtssätzen wandelt (ε� ν τοιñς δικαιω' μασι'ν μου πορευ' ησθε) und meine Entscheidungen bewahrt und ausführt (τα` κρι' ματα' μου φυλα' ξησθε και` ποιη' σητε)“ (LXX.D).49 Paulus behandelt weder hier noch an einer anderen Stelle die Frage, welche Konsequenzen sich aus dem Sühnetod Jesu für die Einzelgebote der Tora ergeben; s. dazu den Exkurs zu „Gesetz“ bei 7,12. ———————————-————————
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Wilckens II 130 betont: „Der Geist wird nie zu meinem Besitz, sondern zu meinem Herrn; die Herrschaft des Geistes ist aber keine Zwangsherrschaft, sondern Verwirklichung und Zumutung von Freiheit (V 15; vgl. 2Kor 3,17)“. In den Qumrantexten wird das Tun des Willens Gottes mit der Gegenwart des heiligen Geistes Gottes verbunden: 1QH XII, 32-33; XV, 9-10.
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5 Paulus erläutert ab V. 5 die Aussage, dass Jesusbekenner ihren Lebensvollzug nicht nach dem „Fleisch“, sondern nach dem Geist Gottes ausrichten. Er beschreibt zunächst zwei sich antithetisch gegenüberstehende Gruppen von Menschen: Denn die vom Fleisch Bestimmten richten ihren Sinn auf die Dinge des Fleisches, die aber vom Geist Bestimmten auf die Dinge des Geistes. In der theologischen Anthropologie des Apostels gibt es nur zwei Arten von Menschen, deren Existenz, Handlungsintention und Lebensvollzug einander entgegengesetzt sind. Man kann nicht zu beiden Klassen von Menschen zugleich gehören, wie Paulus in V. 9 deutlich herausstellt. Menschen gehören entweder zum „Fleisch“ und werden von der Sünde beherrscht, oder sie gehören zum Geist. Der Ausdruck „die vom Fleisch Bestimmten“ (οι� κατα` σα' ρκα ο» ντες [hoi kata sarka ontes]) beschreibt die Sünder vor der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus (7,5), die unter der Herrschaft der Sünde leben (7,725). Ihr Wesen, ihre „identitätskonstituierende Eigenart“,50 ist vom „Fleisch“ und damit von der Macht der Sünde bestimmt. Sie sind Menschen, die auf „die Dinge des Fleisches“ (τα` τηñ ς σαρκο' ς [ta tēs sarkos]) fixiert sind, d.h. auf die „Werke des Fleisches“ (Gal 5,19-21; s. zu V. 4). Das mit „sie richten ihren Sinn auf“ übersetzte Verb φρονουñ σιν [phronousin] bedeutet „denken, urteilen, meinen“ und „den Sinn richten auf, bedacht sein auf “.51 Das Verb beschreibt die Richtung des Willens, jene Tätigkeit des Verstandes, die „Anteilnahme und Entschluß zugleich“ ist, hier konkret das „Partei nehmen“ für eine Sache, die Handlungsintention.52 Das Denken und Wollen (φρονε' ω) steht zwischen dem Sein (ειòναι) und dem Handeln (περιπατε' ω; V. 4).53 Der Kontext zeigt: Die Tätigkeit des Verstandes ist nie neutral: Das Ich des Menschen ist entweder von der Sünde „besetzt“ (7,14-20) oder vom Geist Gottes bestimmt (8,11). ———————————-————————
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Wolter I 482 als Erklärung der Wendung κατα' τι ειòναι. Bauer/Aland s.v. προνε' ω 1-2; eine Bedeutung 3 („Gesinnung haben, gesinnt sein“) wird für Phil 2,5 vorgeschlagen. Das Verb kommt im Röm noch in 11,20; 12,3(2x).16(2x); 14,6(2x); 15,5 vor. Vgl. G. Bertram, Art. φρη' ν κτλ., ThWNT IX, 216-231, bes. 227-229; H. Paulsen, EWNT III, 1049-1051; J. Goetzmann, ThBLNT I, 278-282. Goetzmann, ThBLNT I, 280; Wilckens II 130. Das Verb wird in politischen Zusammenhängen verwendet, in denen beschrieben wird, auf welcher Seite man steht, wofür man sich engagiert, für welche Sache oder Person man Partei ergreift; vgl. Dionysius v. Halicarnassus, AntRom 11,39,7: „die Parteigänger der Oligarchie“ (οι� φρονουñ ντες τα` τηñ ς ο� λιγαρχι' ας); Josephus, Ant 7,286: „Wenn ihr auf der Seite des Königs steht“ (ει� δε` φρονειñτε τα` τουñ βασιλε' ως). Wolter I 482: „Das Sein bestimmt die Ausrichtung der menschlichen Intentionalität (das ‚Trachten‘ des Menschen), die sich dann in einem ihr entsprechenden Lebenswandel objektiviert“.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 207 ————————————————————————————————————
Paulus beschreibt die Glaubenden als „die vom Geist Bestimmten“ (οι� κατα` πνευñ μα [hoi kata pneuma]); in 1Kor 3,1; Gal 6,1 steht das substantivierte Adjektiv οι� πνευματικοι' [hoi pneumatikoi], das dieselbe Bedeutung hat. Sie sind Menschen, die den Geist Gottes haben und deren Denken, Wollen und Handeln vom Geist Gottes bestimmt sind. Sie sind Menschen, deren Sinn auf „die Dinge des Geistes“ (τα` τουñ πνευ' ματος) [ta tou pneumatos] ausgerichtet ist: Sie ergreifen die „Partei“ des Geistes Gottes und tun den Willen Gottes und weisen die „Frucht des Geistes“ (Gal 5,22-23) auf. 6 Paulus setzt die Beschreibung der beiden Gruppen von Menschen im Hinblick auf die jeweiligen Folgen fort:54 Denn die Gesinnung des Fleisches bedeutet Tod, die Gesinnung des Geistes aber bedeutet Leben und Friede. Statt des Verbs (προνε' ω) verwendet er das Substantiv (φρο' νημα [phronēma]), das ebenfalls das Denken und Wollen bezeichnet. Die Genitive τηñ ς σαρκο' ς [tēs sarkos] bzw. τουñ πνευ' ματος [tou pneumatos] können sowohl als subjektive55 wie als qualitative Genitive gedeutet werden. Die auf das „Fleisch“ ausgerichtete, von der Sünde bestimmte Existenz bedeutet „Tod“ (θα' νατος [thanatos]),56 d.h. den Zorn Gottes im Endgericht, die Verurteilung zur ewigen Trennung von Gott. Die vom Geist Gottes bestimmte Existenz bedeutet „Leben“ (ζωη' [zōē]),57 d.h. die Vergebung der Sünden, die Befreiung von der Verurteilung, die Auferweckung zum ewigen Leben in der Gegenwart Gottes als Miterben des Messias Jesus (8,17). Der Tod ist die Unheilsfolge der Sünde. Das Leben ist die Heilsfolge der Offenbarung Gottes im Messias Jesus und der Gabe des Heiligen Geistes. In Gal 6,8 macht Paulus eine fast identische Aussage: „Wer im Vertrauen auf das Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber im Vertrauen auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten“ (EÜ). Die Gegenüberstellung von Tod und Leben fand sich bereits in 5,17.21; 6,23 und wird in 8,13 noch einmal wiederholt. Die Hinzufügung von „Friede“ (ει� ρη' νη [eirēnē]; s. zu 1,7; 5,1)58 unterstreicht im Zusammenhang von 5,1, dass das Leben, von dem die Rede ist, die Folge der Heil schaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Messias Jesus ist, durch dessen Sühnetod am Kreuz die Sünder mit Gott versöhnt werden. ———————————-————————
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Die Konjunktion γα' ρ hat hier keine begründende, sondern eine anknüpfende und fortführende Bedeutung; vgl. Bauer/Aland s.v. γα' ρ 4. Das Subjekt des jeweiligen φρο' νημα sind die beiden menschlichen Existenzweisen; diese sind jedoch vom Fleisch bzw. vom Geist bestimmt. Röm 1,32; 5,10.12(2x).14.17.21; 6,3-5.9.16.21.23; 7,5.10.13.24; 8,2 sowie 8,6.38. Röm 2,7; 5,10.17.18.21; 6,4.22.23; 7,10; 8,2 sowie 8,6.10.38; 11,15. Röm 1,7; 2,10; 3,17; 5,1 sowie 14,17.19; 15,13.33; 16,20.
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7-8 Paulus beschreibt „die vom Fleisch Bestimmten“ (οι� κατα` σα' ρκα ο» ντες; V. 5) mit vier weiteren Aussagen. V. 7a: Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott. Der Ausdruck „Gesinnung des Fleisches“ wiederholt V. 6a. Das „Fleisch“ als Machtbereich der Sünde ist „Feindschaft gegen Gott“ (ε» χθρα ει� ς θεο' ν [echthra eis theon]). Die Bewertung der Existenz „im Fleisch“ als Feindschaft gegen Gott ist Gottes Bewertung. Menschen, die Bilder von vergänglichen Menschen und Tieren anbeten, halten sich für weise (1,22-23) und meinen, Gott zu dienen, obwohl sich gerade in der Vertauschung des Schöpfers durch die Geschöpfe die „Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen“ (1,18) zeigt. Nach 5,10 sind – im Rückblick auf die Darstellung in 1,18–3,20 – alle Menschen, Heiden und Juden, die nicht mit Gott durch den Tod seines Sohnes versöhnt sind, „Feinde“ (ε� χθροι' [echthroi]) Gottes. Die Feindschaft des Menschen gegen Gott zeigt sich seit Adam im Tun der Sünde, die zur Verurteilung und zum Tod führt (5,12-18), und im Tun des vom Gesetz Verbotenen als Tun der von der Sünde provozierten Begierde, das zum Tod führt (7,7-11). Die folgende Beschreibung begründet: Es unterwirft sich nicht dem Gesetz Gottes (V. 7b). Die Feindschaft gegen Gott und damit die Existenz des Sünders erweist sich in der Weigerung des „Fleisches“, sich dem „Gesetz Gottes“ (νο' μος τουñ θεουñ [nomos tou theou]) zu unterwerfen, d.h. es anzuerkennen und ihm zu gehorchen.59 Das Kriterium des Urteils Gottes, dass Menschen Feinde sind, ist der Ungehorsam gegenüber der Rechtsforderung des Gesetzes. Der folgende Satz begründet: Es kann dies auch gar nicht (V. 7c). Das „Fleisch“ ist nicht in der Lage (ου� δε` δυ' ναται), dem Gesetz Gottes zu gehorchen. Diese Machtlosigkeit des Fleisches bedingt die Machtlosigkeit des Gesetzes (το` α� δυ' νατον τουñ νο' μου), den Menschen von der Sünde zu befreien. Das „Fleisch“ ist machtlos, weil es, wie Paulus in 7,13-25 beschrieben hat, von der Sünde besetzt ist und beherrscht wird.60 Der vierte Satz fasst zusammen: Die aber im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen (V. 8). Sünder, die sich nicht zum Glauben an den Messias Jesus bekehrt haben, sind Menschen, „die im Fleisch sind“ (οι� ε� ν σαρκι` ο» ντες [hoi en sarki ontes]);61 die Formulierung entspricht V. 5a „die vom Fleisch Bestimmten“ (οι� κατα` ———————————-————————
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Vgl. Bauer/Aland s.v. υ� ποτα' σσω 1b.β (Passiv): „sich unterordnen, sich unterwerfen, gehorchen“. R.E. Kritzer, Arzt-Grabner, 1. Korinther, 464 verweist für die (in den Papyri seltene) Bedeutung „unterordnen, unterstellen“ u.a. auf C.Ord.Ptol. 61,3-4, wo von den „Untergebenen“ (οι� υ� ποτεταγμε' νοι) der Finanzbehörde die Rede ist. Wolter I 485 richtig: Das φρο' νημα τηñ ς σαρκο' ς scheitert nicht am „Wollen“ (θε' λω), sondern am „Tun“ (ποιε' ω, πρα' σσω), mit dem das Ich das Gesetz Gottes übertritt. Die Präposition ε� ν kann kausal gedeutet werden: Menschen können deshalb Gott nicht gefallen, weil sie „Fleisch“ sind und von der Sünde beherrscht werden; vgl. Lohse 234.
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σα' ρκα ο» ντες [hoi kata sarka ontes]). Wer sich nach den Normen des von der Sünde beherrschten „Fleisches“ ausrichtet, für den gilt die Ortsbestimmung „im Fleisch“. Menschen, deren Lebensvollzug sich an den Maßstäben des von der Sünde provozierten Lebens in Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit (1,18) orientiert, „können Gott nicht gefallen“:62 Sie brechen das Gesetz Gottes, sie sind ungerecht und deshalb Feinde Gottes (V. 7a). 9 Nachdem Paulus „die vom Fleisch Bestimmten“ in V. 7-8 beschrieben hat, erläutert er in V. 9-11 die Identität und das Leben der „vom Geist Bestimmten“. Richtig ist, dass Paulus auf die Beschreibung der „fleischlichen Existenz“ nicht Ermahnungen, sondern „Worte des Zuspruchs“ folgen lässt, die die Adressaten ihrer „geistlichen Existenz“ versichern.63 Gleichzeitig sollte man nicht bestreiten, dass die Vergewisserung der Identität des „Lebens im Geist“ zugleich die Erwartung und damit die Aufforderung impliziert, an dieser Identität festzuhalten und sie in der Wirklichkeit des Lebensvollzugs darzustellen und auszuleben. Für Jesusbekenner, die er unmittelbar anspricht (Übergang von der 3. in die 2. Person Plural), gilt grundsätzlich: Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern im Geist (V. 9a). Die an Jesus Glaubenden sind „nicht im Fleisch“ (ου� κ ε� στε` ε� ν σαρκι' [ouk este en sarki]), d.h., sie leben nicht im Machtbereich der Sünde, die ihre Existenz, ihren Lebensvollzug und ihre Zukunft bestimmt. Dies ist deshalb der Fall, weil sie „im Geist“ sind (ε� στε` …ε� ν πνευ' ματι [este … en pneumati]), d.h., sie leben im Machtbereich des Geistes, sie sind οι� κατα` πνευñ μα ([hoi kata pneuma]; V. 5), d.h. Menschen, deren Existenz, Lebensvollzug und Zukunft vom Geist bestimmt sind. Paulus formuliert antithetisch im Sinn eines Entweder-Oder: ungläubige Sünder sind „im Fleisch“, an Jesus Glaubende sind es nicht, weil sie „im Geist“ sind.64 Die Beschreibung der Identität der Jesusbekenner als „nicht im Fleisch“, sondern „im Geist“ bedeutet im Kontext der Kontrastaussagen V. 7-8: Sie sind keine Feinde Gottes mehr, sie können dem Gesetz Gottes gehorchen und sie gefallen Gott. Dazu gehört die Aussage V. 14a: Glaubende, die „im Geist“ sind, werden „vom Geist Gottes geführt“. ———————————-————————
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Zu θεω ñ, α� ρε' σαι siehe in LXX: Lev 10,19; Num 23,27; Ps 68[69],32; Spr 24,18; Jes 59,15; Mal 3,4; vgl. Weish 4,14; Sir 48,22; Bar 4,4. Zu το` ευ� α' ρεστον im NT vgl. Röm 12,1-2; 14,18; 2Kor 5,9; Eph 5,10; Kol 3,20; Hebr 12,28; 13,21. Lohse, 236; vgl. Wolter I 485 Anm. 61. Dunn I 428, der 7,7-25 als Beschreibung des Kampfes des Christen gegen die Sünde interpretiert, muss V. 9a im Sinn eines „Mehr-oder-Weniger“ interpretieren: „Of the two types – flesh-man and Spirit-man … – Paul naturally assumes that his readers conform more to the latter than to the former“.
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Die folgende Aussage begründet:65 so gewiss Gottes Geist in euch wohnt (V. 9b). Paulus konfrontiert seine Adressaten nicht mit einer Bedingung, die sie erfüllen müssen, sondern beschreibt einen Sachverhalt, der auf sie wie auf alle Jesusbekenner zutrifft. Für Christen gilt, dass Gottes Geist in ihnen „wohnt“ (οι�κειñ [oikei]). Die Aussage ist einmal auf dem Hintergrund der Kontrastaussage 7,17.20 zu verstehen: Während im Ich des mit Gott nicht versöhnten Sünders die Sünde „wohnt“ (η� οι�κουñ σα ε� ν ε� μοι` α� μαρτι'α), wohnt im Ich (bzw. Ihr und Wir) des mit Gott versöhnten Menschen der Geist Gottes (πνευñ μα θεουñ οι� κειñ ε� ν υ� μιñν). Es ist nicht mehr die Sünde, die die Identität und das Verhalten des zum Glauben an den Messias Jesus bekehrten Menschen beherrscht, sondern Gottes Geist. In der Sprache von 8,2: Die Herrschaft der „Sünde und des Todes“ wurde für Jesusbekenner abgelöst von der Herrschaft des „Geistes des Lebens“. Zum anderen ist die Aussage auf dem Hintergrund von 1Kor 3,16 zu verstehen, wo Paulus die korinthischen Christen an die Tatsache erinnert hatte, „dass ihr der Tempel Gottes seid und dass der Geist Gottes in euch wohnt (το` πνευñ μα τουñ θεουñ οι� κειñ ε� ν υ� μιñν)“.66 Dort ging es, wie hier, nicht nur um eine Identitätsbeschreibung, sondern zugleich um das mit dieser Identität verbundene Verhalten, das der Gegenwart des heiligen Gottes entspricht (1Kor 3,17b: „der Tempel Gottes ist heilig – und das seid ihr“). Die Aussage V. 9a, dass Jesusbekenner „im Geist“ (ε� ν πνευ' ματι) sind, betont die gegenwärtige Wirklichkeit des Geistes Gottes als Macht; die Aussage V. 9b, dass der Geist „in euch“ (πνευñ μα …ε� ν υ� μιñν) ist, betont, dass die Gegenwart des Geistes ein Geschenk Gottes ist. Wir finden dieselbe duale Redeweise im Blick auf den Messias Jesus: Die Glaubenden sind „im Messias“ (8,1; 16,7.11; 1Kor 1,30; 2Kor 5,17; 12,2; Phil 3,9), und der Messias Jesus ist „in“ den Glaubenden (Röm 8,10; 2Kor 13,5; Gal 2,20).67 Indem Paulus vom Wohnen des Geistes in den Glaubenden spricht, das parallel zum Sein Gottes und zum Sein des Messias Jesus in den Glaubenden steht, impliziert er ———————————-————————
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Die Konjunktion ει»περ ist kausal zu interpretieren (wie in 3,30; 8,17); Bauer/Aland s.v. ει� VI.12; HvS §252,19; 280b. In 1Kor 3,16 steht zwar die Realität der Gemeinde im Vordergrund, nicht die Identität des einzelnen Gläubigen, aber das eine kann nicht vom anderen getrennt werden. Vgl. Hultgren 302; Wolter I 486 lehnt die Relevanz der ekklesialen Aussage von 1Kor 3,16 (und 14,25; 2Kor 13,5) für die anthropologische Aussage Röm 8,9 ab. Wolter I 486 Anm. 70 verweist auf die johanneischen „Immanenzformeln“, die ebenfalls reziprok sind: Die Glaubenden „sind“ oder „bleiben“ sowohl „in Jesus“ als auch „in Gott“ (Joh 6,56; 14,20; 15,2.4.4-7; 17,21; 1Joh 2,5.6.24.28; 3,6.24; 4,13.15.16; 5,20), und sowohl Jesus also auch Gott „ist“ oder „bleibt“ „in den Glaubenden“ (Joh 6,56; 14,20; 15,4.5; 17,23.26; 1Joh 3,24).
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 211 ————————————————————————————————————
ein Verständnis des Heiligen Geistes im Sinn einer personalen Wirklichkeit. Dieser Gedanke wurde erst viel später zur sog. Trinitätslehre verdichtet. Letzteres wird von Paulus öfter betont. In 5,5 schreibt er, dass Gott seine Liebe in die Herzen der an den Messias Jesus Glaubenden ausgegossen hat, was „durch den heiligen Geist“ geschah, „der uns gegeben worden ist“ (δια` πνευ' ματος α� γι'ου τουñ δοθε' ντος η� μιñν). In 8,15 schreibt Paulus zwei Mal, dass Christen „den Geist empfangen“ haben (ε� λα' βετε πνευñ μα). In 1Thess 4,8 schrieb Paulus von Gott, der den Glaubenden „seinen Heiligen Geist schenkt“ (διδο' ντα το` πνευñ μα αυ� τουñ το` α« γιον); in Gal 3,2, dass die galatischen Christen den Geist „empfangen haben“ (το` πνευñ μα ε� λα' βετε); in Gal 3,14, dass Heiden und Juden aufgrund des Glaubens an den Messias Jesus „die Verheißung des Geistes empfangen“ (τη` ν ε� παγγελι' αν τουñ πνευ' ματος λα' βωμεν); in 1Kor 6,19, dass Christen den Geist „von Gott erhalten haben“ (α� γι'ου πνευ' ματος ουð ε» χετε α� πο` θεουñ ). Die unterschiedlichen Verben (οι� κε' ω; δι'δωμι, λαμβα' νω, ε» χω) zeigen, dass Paulus keine formelhaften Wendungen zitiert, sondern eine lebendige Wirklichkeit beschreibt.68 Die nächste Aussage unterstreicht, dass die Gegenwart des Geistes im Jesusbekenner das Kriterium für das Christsein ist: Wer aber den Geist des Messias nicht hat, der gehört nicht zu ihm (V. 9c). Die „vom Geist Bestimmten“ (οι� κατα` πνευñ μα; V. 5), die „im Geist“ sind (ε� ν πνευ' ματι, V. 9a) und in denen der Geist „wohnt“ (οι� κειñ ε� ν υ� μιñν; V. 9b), „haben“ den Geist (πνευñ μα …ε» χει [pneuma echei]). Jesusbekenner besitzen den Geist, nicht weil sie ihn erbeten oder sich geholt haben: Sie besitzen ihn als Gabe Gottes, der ihnen seinen Heiligen Geist gegeben hat. Theologisch bedeutsam ist die Bezeichnung des „Geistes Gottes“ (πνευñ μα θεουñ [pneuma theou]; V. 9b) in V. 9c als „Geist des Messias“ (πνευñ μα Χριστουñ [pneuma Christou]). Es bestätigt sich, was wir zur Definition des Evangeliums in 1,34 gesagt haben: Jesus gehört als Sohn Gottes unmittelbar zu Gott, er hat Anteil an der Macht Gottes im Sinne universaler Souveränität und göttlicher Dignität. Dazu passt, was Petrus in der Pfingstpredigt sagte: Indem der gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Jesus den Geist ausgießt (Apg 2,33), tut er, was nach Joel 3,1-5 Gott tun wird.69 Jesusbekenner sind „Sklaven Gottes“ (Röm 6,22): Sie gehören Gott und haben den Geist Gottes. Als Glaubende, die mit dem Messias Jesus vereinigt sind (6,1-11), gehören sie Jesus und haben den Geist des Messias. Wer den Heiligen Geist ———————————-————————
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Anders Michel 253, der von einem „alten katechetischen Wissen“ schreibt, „das Paulus gelegentlich in Erinnerung bringt“. Vgl. Cifrak, Petrusreden, 103-105.
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nicht hat, der gehört weder zu Gott noch zum Messias Jesus.70 Der Satz formuliert „eine der wichtigsten Aussagen paulinischer Theologie und die Grundlage seiner Paränese“.71 Zur Frage, wie man erkennt, ob jemand den Geist Gottes bzw. den Geist des Messias erhalten hat, siehe Abschnitt IV. 10 Weil der Geist Gottes im Jesusbekenner wohnt (V. 9b) und weil der Jesusbekenner den Geist des Messias hat (V. 9c), der der Geist Gottes ist, gilt: der Messias wohnt in euch (Χριστο` ς ε� ν υ� μιñν [Christos en hymin]).72 Die Aussage „der Messias in euch“ entspricht der Aussage, „den Geist des Messias haben“ (V. 9c). Wie Gott durch seinen Geist in der von ihm geschaffenen Welt gegenwärtig ist, ohne sein Gottsein einzubüßen, so ist der gekreuzigte, auferstandende und zur Rechten Gottes (V. 34) erhöhte Messias Jesus (1,4) durch seinen Geist in den Menschen gegenwärtig und wirksam, die zu ihm gehören. Die Gegenwart des Geistes ist die Gegenwart des Messias. Wer mit Jesus verbunden ist (6,1-11), in dem wohnt sein Geist, der der Geist Gottes ist. Die Aussage wehrt, jedenfalls angesichts späteren Enthusiasten, dem Missverständnis, dass Christen den Heiligen Geist als Besitz haben: „Nicht sie haben das Himmlische, Christus hat sie im Griff “.73 In V. 10b erinnert Paulus an eine Tatsache, die das Leben der Jesusbekenner kennzeichnet, ehe er die Wirkung beschreibt, die das Wohnen des Messias Jesus und seines Geistes in den Glaubenden für diese hat: der Leib ist zwar tot wegen der Sünde. Der prägnant formulierte Satz enthält drei Gegensatzpaare: „Leib“ (σω ñ μα [sōma]) und „Geist“ (πνευñ μα [pneuma]) stehen sich gegenüber, „tot“ (νεκρο' ν) [nekron] und „Leben“ (ζωη' [zōē]), „Sünde“ (α� μαρτι' α [hamartia]) und „Gerechtigkeit“ (δικαιοσυ' νη [dikaiosynē]).74 Die Aussage „der Leib ist tot wegen der Sünde“ (V. 10b) beschreibt die natürliche, und das heißt seit Adam sterbliche Qualität des menschlichen Lebens. Die Vorstellung, dass lebendige Menschen „tot“ sind, findet sich in der hellenistischen Anthropologie, die auch bei jüdischen ———————————-————————
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Michel 253 spricht von einer ursprünglichen „Scheideformel, die in der Gemeinde eine ähnliche Bedeutung habe wie 1Kor 16,22; Did 10,6)“. Wilckens II 131 spricht von „Exkommunikationsformeln“, durch die „die Nichtzugehörenden aus der Gemeinde der Christus Zugehörigen ausgewiesen wurden“ (mit Verweis auf Michel sowie Bornkamm, Anathema, 123-132; Paulsen, Überlieferung, 37.47: „Satz heiligen Rechts“). Kritisch Wolter I 487: Inhalt und Form der angeführten Texte sind „viel zu unterschiedlich“. Käsemann 215. Das Verb „wohnt“ (οι� κειñ) ist aus V. 9b zu ergänzen. Der Konditionalsatz (ει� δε` Χριστο` ς ε� ν υ� μιñν) impliziert im Kontext von V. 9 eine erfüllte Bedingung. Käsemann 216; ebd.: Es wäre ein Missverständnis, „wenn die Pneumatiker sich als beati possidentes betrachteten“. Die antithetische Parallelität der Satzglieder ist rhetorisch, wobei gilt, dass bei Paulus die Rhetorik immer eine sachliche Funktion hat: Sie weist hier „erneut auf den stattgefundenen Äonenwechsel und Existenzwandel hin“ (Käsemann 216).
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 213 ————————————————————————————————————
Autoren ihren Niederschlag gefunden hat: Philo spricht von dem „von sich aus toten Leib …der von Anfang an tot erschaffen wurde“, und vom „Tod des toten Leibes“.75 Epiktet schreibt, der Mensch lebe „in diesem elenden, toten Leib“ und das „Körperchen“ sei „von Natur aus tot“.76 Dieser Hintergrund erübrigt die Interpretation des σω ñ μα νεκρο' ν im Sinn des „Todes“ des Jesusbekenners in der Vereinigung mit dem Messias Jesus.77 Die Präpositionalwendung „wegen der Sünde“ (δια` α� μαρτι'αν) erklärt das „Tot-Sein“ des menschlichen Leibes, anders als die hellenistische Anthropologie, nicht mit der menschlichen Natur, sondern mit der Sünde, was im Kontext von 5,1217 ursächlich mit der Sünde Adams zu verbinden ist. Jesusbekenner haben auch nach ihrer Bekehrung zum Glauben an den Messias einen Leib, der wegen der Unheilsfolge der Sünde sterblich ist, auch wenn die Unheilsfolge der Sünde im Blick auf das Endgericht infolge des Sühnetodes Jesu aufgehoben ist. Ehe Paulus in V. 10c die Folgen des „der Messias in euch“ beschreibt, erinnert er die Leser in V. 10b an die Tatsache, dass sich die Beschaffenheit ihres Leibes durch ihre Bekehrung nicht geändert hat. Die Beschreibung des Leidens der Gläubigen in V. 18-30 wird an diese Tatsache anknüpfen. In V. 10c beschreibt Paulus die Wirkung, die das Wohnen des Messias Jesus und seines Geistes im Jesusbekenner für diesen hat: Der Geist ist Leben wegen der Gerechtigkeit. Gegenbegriff zu „Leib“ ist der Geist,78 allerdings nicht der menschliche Geist,79 sondern der Heilige Geist. Wie der Tod die Folge des im Raum der Sünde lebenden Leibes ist (V. 10b), so ist das „Leben“ (ζωη' [zōē]) die Folge der Gegenwart des Geistes Gottes, der der Geist des Messias ist. Wo der Geist ist, da sind Gott und der Messias ———————————-————————
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Philo, All 3,69-71.74: το` νεκρο` ν ε� ξ ε� αυτουñ σω ñ μα … ε� ξ α� ρχηñ ς νεκρο` ν το` σω ñ μα α� πειργα' σατο … θα' νατον τουñ νεκρουñ σω' ματος. Epiktet, Diss 2,19,27; 3,10,15: ε� ν τω ñ, σωματι' ω, του' τω, τω ñ, νεκρω ñ, … το` σωμα' τιον, το` ου� κ ε� μο' ν, το` φυ' σει νεκρο' ν. Vgl. auch Dionysius v. Halicarnassus, Demosth 54. Vgl. Lietzmann 80, Kuss II 503; Käsemann 216; Schlier 247; Wilckens II 132-133; Jewett 491-492; R. Bultmann, ThWNT IV, 898; Osten-Sacken, Soteriologie, 237-238; Paulsen, Überlieferung, 68-70.140-142, die im Sinn der Taufe interpretieren. Für diese Interpretation spricht vor allem die Wendung το` σω ñ μα τηñ ς α� μαρτι' ας in 6,6 (der Leib gehört der Sünde und wird in der Vereinigung mit dem Tod des Messias vernichtet). In 8,10 formuliert Paulus jedoch keine Heilsaussage: man beachte die konzessive με' ν-δε' Struktur der Aussage, die sonst unverständlich ist; auch das kausale δια` α� μαρτι' αν macht eine Interpretation im Sinn von 6,2-11 unwahrscheinlich. Vgl. Dunn I 431; Wolter I 488. Nicht die Seele, wie in der hellenistischen Anthropologie. So in 1Kor 2,11; 7,34; 14,14; 16,18; 2Kor 2,13; 7,13. So interpretieren Sanday/Headlam 198; Zahn 389; Schlatter 262; Fitzmyer 491; Haacker 189; vgl. Wilckens II 132 mit Anm. 543: πνευñ μα hat hier „anthropologische Funktion“ im Sinn des „Selbst des Christen, das als solches eben durch die Einwohnung des Geistes Christi bestimmt ist“.
214 Römerbrief ————————————————————————————————————
gegenwärtig; weil Jesusbekenner mit dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias vereint sind (6,1-11), haben sie Anteil an seinem Auferstehungsleben. Dies trifft nicht erst in der Zukunft zu: Paulus macht in V. 10 eine Aussage über die Gegenwart, in der Christen immer noch einen sterblichen Leib haben. Auch dies ist eine Antwort auf die Frage von 6,1: Weil das Leben der Jesusbekenner mit dem Leben des auferstandenen und erhöhten Messias verbunden ist, können sie unmöglich Sünde bagatellisieren oder tolerieren. Die kausal zu interpretierende Präpositionalwendung „wegen der Gerechtigkeit“ (δια` δικαιοσυ' νην [dia dikaiosynēn]) entspricht der Wendung „wegen der Sünde“ V. 10b: Wie die Sünde die Ursache für den Tod des menschlichen Leibes ist (V. 10b), so ist die Gerechtigkeit die Ursache für das vom Geist Gottes vermittelte Leben. „Gerechtigkeit“ ist hier die Gerechtigkeit des Jesusbekenners, die Gott ihm zugesprochen hat: die Gerechtigkeit des Glaubens (3,26; 4,5; vgl. 9,30; 10,4.6.10) oder, im Kontext von 8,2.4 wohl wahrscheinlicher, Gerechtigkeit im Sinn des rechten Verhaltens (6,13.16.18-20).80 Die Aussage V. 10b-c bestätigt, dass Paulus in 7,7-25 das Leben des Nichtchristen beschrieb, dessen Ich, das die Sünde besetzt hatte, tot ist (7,11.13). Jesusbekenner haben zwar immer noch einen „toten“ Leib, weil sie in der Welt außerhalb des Paradieses leben, in der die Sünde am Werk ist; sie haben aber, weil der Geist Gottes und seines Messias in ihnen wohnt, Anteil am Leben der Auferstandenen. Gleichzeitig wird deutlich, was Paulus in 8,2 mit einer knappen, prägnanten Formulierung beschrieb: Der Geist des Messias, der als Geist des Gekreuzigten und Auferstandenen der Geist des neuen Lebens ist, hat den mit dem Messias Jesus vereinten Jesusbekenner von Sünde und Tod befreit und in die Lage versetzt, die im Gesetz Gottes offenbarte und geforderte Gerechtigkeit zu erfüllen. 11 Paulus formuliert eine weitere Schlussfolgerung aus der in V. 9b betonten Wohnung des Geistes Gottes im Jesusbekenner: Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, wird der, der den Messias von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt. Der Konditionalsatz (ει� ) formuliert wie in V. 10 eine erfüllte Bedingung: Paulus hatte in V. 9b erklärt, dass der Geist „in euch wohnt“ (οι�κειñ ε� ν υ� μιñν [oikei en hymin]), eine Aussage, die er hier wörtlich wiederholt. Nachdem Paulus in V. 9c vom Geist des Messias gesprochen hatte, geht es jetzt wie———————————-————————
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Käsemann 216 spricht vom „gottwohlgefällige(n) Wandel aus dem Geist in leiblicher Dienstbarkeit … Christus ist bereits auferstanden, wir stehen auf dem Wege dorthin, wobei die nova oboedientia irdisch die künftiger Herrlichkeit spiegelt“.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 215 ————————————————————————————————————
der um den Geist Gottes: Es war Gott, „der Jesus von den Toten auferweckt hat“ (ε� γει'ραντος το` ν � Ιησουñ ν ε� κ νεκρω ñ ν [egeirantos ton Iēsoun ek nekrōn]). In 4,17 bezeichnete Paulus Gott als den, „der die Toten lebendig macht“ (ζω, οποιουñ ντος του` ς νεκρου' ς); in 6,4 führte er die Auferweckung des Messias Jesus von den Toten auf „die Herrlichkeit des Vaters“ zurück (η� γε' ρθη Χριστο` ς ε� κ νεκρω ñ ν δια` τηñ ς δο' ξης τουñ πατρο' ς).81 Wenn Paulus an die jüdische Definition Gottes als ( ְמַח ֵ ּיה ַהֵּמִתיםmechajjeh hammetīm) anknüpft, dann interpretiert er christologisch: Gott, der die Toten wieder belebt, ist Gott, der Vater des Messias Jesus, der den als Sündopfer gekreuzigten Messias von den Toten auferweckt hat. Paulus wiederholt die Aussage, die syntaktisch nicht notwendig ist, und stellt damit ihre für das Leben des Jesusbekenners fundamentale Bedeutung heraus: Gott ist der, „der den Messias von den Toten auferweckt hat“ (ο� ε� γει' ρας Χριστο` ν ε� κ νεκρω ñ ν [ho egeiras Christon ek nekrōn]). Die Wirklichkeit der Auferweckung des Messias Jesus garantiert die Wirklichkeit der Auferstehung der Jesusbekenner, weil Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in ihnen wohnt. In 1Kor 6,14; 15,23; 2Kor 4,14; 1Thess 4,14 argumentiert er ähnlich. Paulus spricht von der zukünftigen Auferstehung der Jesusbekenner zum ewigen Leben in den Gegenwart Gottes. Der Ausdruck sterbliche Leiber (τα` θνητα` σω' ματα [ta thnēta sōmata]), der auf den einzelnen Jesusbekenner bezogen in 6,12 erwähnt wurde, knüpft an V. 10b an: Der Leib der Gläubigen, der im Tod immer noch der Unheilsfolge der Sünde unterworfen ist, die seit Adam die irdische Existenz in der von Gott abgefallenen Welt bestimmt, wird im Anschluss an die Auferweckung des Messias Jesus ebenfalls auferweckt werden. Jesus wurde durch Gott von den Toten (ε� κ νεκρω ñ ν [ek nekrōn]) auferweckt. Paulus betonte in 1Kor 15,1-7, dass die Auferweckung Jesu eine leibliche Auferweckung war: Jesus der Auferstandene wurde von vielen Zeugen gesehen. Die Auferweckung der Gläubigen ist ebenfalls ein Ereignis, das ihren Leib betrifft: Gott wird ihre Leiber (σω' ματα) lebendig machen (ζω, οποιη' σει [zōopoiēsei]). Dass die Leiblichkeit des Auferstehungsleibs eine andere ist als die irdische Leiblichkeit, hat Paulus in 1Kor 15,35-58 gezeigt.82 Das Verb lässt die Möglichkeit offen, dass die Leiber der zum Zeitpunkt der ———————————-————————
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Dass Paulus in V.11a eine „traditionelle Formel“ zitiert, „in der das urchristliche Kerygma die jüdische Definition Gottes als ( מחיה המתיםschemone esre, 2. Benediktion) präzisiert hat“ (Wilckens II 133, mit Verweis auf Paulsen, Überlieferung, 51; vgl. Wolter 490), ist möglich, aber nicht beweisbar: Paulus formuliert mit unterschiedlichen Wendungen, nicht mit einer standardisierten Formel. Zur 2. Benediktion des Achtzehn-BittenGebets vgl. 4,17. S. dazu Schnabel, 1. Korinther, 954-996.
216 Römerbrief ————————————————————————————————————
Wiederkunft Jesu noch nicht gestorbenen Christen in die unsterbliche Leiblichkeit verwandelt werden (vgl. 1Kor 15,51 α� λλαγησο' μεθα; Phil 3,21 μετασχηματι'σει το` σω ñ μα; vgl. 1Thess 4,17). Die Auferweckung der Jesusbekenner hat eine zweifache Ursache: Gott wird ihre toten, sterblichen Leiber lebendig machen, wie er Jesus von den Toten auferweckt hat (ο� ε� γει'ρας Χριστο` ν ε� κ νεκρω ñ ν [ho egeiras Christon ek nekrōn]); es ist der Geist, durch den Gott den Leib der Gläubigen lebendig machen wird (δια` αυ� τουñ πνευ' ματος [dia autou pneumatos]). Der Geist Gottes wird als Ursache der Auferstehung genannt, weil er in euch wohnt (οι� κειñ ε� ν υ� μιñν [oikei en hymin] / ε� νοικουñ ντος … ε� ν υ� μιñν [enoikountos en hymin]). Der Geist Gottes ist der „Geist des Lebens“ (V. 2) und vermittelt den mit dem Messias Jesus verbundenen Gläubigen das ewige Leben. Die Macht des Geistes Gottes, Tote zum Leben zurückzubringen, stand im Zentrum der Prophetie Hesekiels (Hes 37,4-14), an die Paulus hier wohl anknüpft, wobei er die nationalen Erwartungen Israels auf die zukünftige Auferstehung der an den Messias Jesus Glaubenden aus Heiden und Juden (1,18–3,20) überträgt. Ein anderer Unterschied besteht darin, dass der Geist nicht für die Zukunft erwartet wird, sondern eine gegenwärtige Realität im Leben der Jesusbekenner ist: „Dass ihre ‚sterblichen Leiber‘ lebendig gemacht werden, ist damit nur noch eine Frage der Zeit“.83 Weil Gottes Geist unser irdisches Leben mit dem auferstandenen Messias verbindet, ist seine Macht „in uns“ der Macht des Fleisches und der Sünde überlegen. Der Geist Gottes bewahrt uns nicht vor dem physischen Tod, er garantiert jedoch unsere zukünftige Auferstehung von den Toten. 12 Auf die Beschreibung der Identität der Jesusbekenner folgt, wie in 6,12 nach 6,1-11, eine direkte Ansprache der Adressaten mit einer Beschreibung der Folgen des Heilshandelns Gottes, die sich für ihr Leben ergeben: Darum, Brüder, sind wir verpflichtet – nicht dem Fleisch gegenüber, sodass wir unser Leben vom Fleisch bestimmen lassen. Paulus erläutert die Aussage V. 9, dass mit dem Messias Jesus verbundene Gläubige „nicht im Fleisch, sondern im Geist“ sind, im Hinblick auf ihre Konsequenzen84 für die Lebensorientierung. Die durch Jesus Christus inaugurierte, im Glauben wirksam gewordene neue Heilssituation ist nicht nur Gabe, sondern auch Aufgabe, nicht nur Geschenk, sondern auch Verpflichtung. Der Satz ist unvollständig (Anakoluth): Die Wendung „wir sind verpflichtet“ (ο� φειλε' ται ε� σμε' ν [opheiletai esmen]) formuliert eine positive Verpflichtung, die ———————————-————————
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Wolter I 490. Für die folgende Bemerkung s. Wilckens II 134. Zu α» ρα ουò ν („darum“) vgl. 5,18; 7,21; 9,16.18; 14,12.19; Gal 6,10; Eph 2,19; 1Thess 5,6; 2Thess 2,15. Zu „Brüder“ α� δελφοι' s. zu 1,13.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 217 ————————————————————————————————————
jedoch nicht genannt wird; Paulus sagt nur, wozu Christen nicht verpflichtet sind, wobei die Negation „nicht“ (ου� [ou]) auf das Verb folgt. Der Anakoluth kann auf eine dreifache Weise erklärt werden. 1. Paulus wollte nach einer Klärung, was Christen nicht tun sollen, offensichtlich die Verpflichtung auf die Lebensorientierung am Geist Gottes formulieren (etwa α� λλα` τω ñ, πνευ' ματι τουñ κατα` πνευñ μα ζηñ ν [alla tō pneumati tou kata pneuma zēn]), hat die Formulierung dieser Konsequenz jedoch den Lesern überlassen.85 2. Paulus hat absichtlich mit einem Anakoluth formuliert, um die ne-gative Aussage V. 12 zu unterstreichen.86 3. Weil ο� φειλε' ται als Wort ungeeignet war, die positive Verpflichtung gegenüber Gott oder dem Geist zu formulieren – es konnotiert meistens „Schuld“ im Sinn von „Sünde“ – verwendet Paulus den Anakoluth absichtlich, um die positive Aussage in V. 14 zu unterstreichen, in der davon die Rede ist, dass die Glaubenden Söhne Gottes sind.87 Alle drei Lösungen sind plausibel. Paulus betont in V. 12: Die Identifikation mit dem Heilshandeln Gottes im Sühnetod des Messias Jesus und in seiner Auferweckung von den Toten, in dem Gott für die Jesusbekenner das „Gesetz der Sünde und des Todes“ aufgehoben und ihnen seinen Geist verliehen hat, beinhaltet die Konsequenz, dass Gläubige keinerlei Verpflichtung gegenüber dem „Fleisch“, und das heißt gegenüber der zu sündigen Leidenschaften und Begierden verführenden, das Gesetz Gottes manipulierenden Macht der Sünde mehr haben. Die Sünde hat als beherrschende Lebenswirklichkeit für den Glaubenden ausgespielt: Im Unterschied zu ihrem Leben vor ihrer Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus sind sie nicht mehr „dem Fleisch verpflichtet“ (ο� φειλε' ται ε� σμε' ν ου� τηñ, σαρκι' [opheiletai esmen ou tē sarki]), d.h., sie sind keine Schuldner, die ihre dem Fleisch geschuldete Schuldigkeit durch das Sündigen einlösen. Sie sind nicht mehr gezwungen, ihr „Leben vom Fleisch bestimmen zu lassen“ (κατα` σα' ρκα ζηñ ν [kata sarka zēn]), d.h. die „schändlichen Leidenschaften“ (1,26) und die „Leidenschaften der Sünden“ (7,5) zu praktizieren, die ihr früheres Leben gekennzeichnet und bestimmt haben. Als Menschen, in denen der Geist Gottes und der Messias wohnen, sind sie dem Fleisch und der Sünde keinen Gehorsam schuldig. Die Zielaussage steht in V. 14: Als Söhne Got———————————-————————
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Cranfield I 394; vgl. Michel 257-278; Schlier 249-250; Kuss II 597; Wolter I 491. Penna 557. Gieniusz, Debtors, 61-72. Die Belege der ο� φειλ-Wortgruppe sind jedoch auch in LXX, Judentum und NT nicht nur negativ, wie schon Mt 18,24 und Röm 1,14 beweisen. Vgl. Aelius Aristides, Or 54: „den Göttern Schuldner“ (τοιñς θεοιñς ο� φειλε' ται). Das Substantiv ο� φειλε' της steht in NT in Mt 6,12; 18,24; Lk 13,5; Röm 1,14; 8,12; 15,27; Gal 5,3; das Verb ο� φει' λω ist häufiger, Paulus verwendet es in Röm 13,8; 15,1.27; 1Kor 5,10; 7,36; 9,10; 11,7; 2Kor 12,11.14; Eph 5,28; 2Thess 1,3; 2,13; Phlm 18.
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tes werden sie vom Geist Gottes geführt. Die Befreiung von der Sünde führt für Jesusbekenner nicht zur Freizügigkeit des Mottos „Alles geht“, im Gegenteil: Sie werden „Sklaven für Gott“ mit der Frucht eines Lebens der Heiligung und mit dem Ergebnis des ewigen Lebens (6,22). Der Verpflichtung gegenüber dem Fleisch entkommt der Sünder nur, wenn er, erfasst vom gnädigen, Heil schaffenden Handeln Gottes im Messias Jesus, sich Gott und seinem Geist verpflichtet weiß. 13 Paulus zeigt mit zwei Bedingungssätzen noch einmal das EntwederOder eines Lebens unter der Herrschaft des Fleisches und eines Lebens unter der Herrschaft Gottes und seines Geistes. Zunächst beschreibt er die Situation von Menschen, die nicht vom Heilshandeln Gottes erfasst sind: Denn wenn ihr vom Fleisch bestimmt lebt, werdet ihr sterben (V. 13a). Wer „vom Fleisch bestimmt lebt“ (κατα` σα' ρκα ζηñ τε [kata sarka zēte]), d.h. in seinem Lebensalltag von den Leidenschaften der Sünde bestimmt wird, der „wird sterben“ (με' λλετε α� ποθνη,' σκειν [mellete apothnēskein]), d.h. den Tod im Sinn der Verurteilung im Gericht Gottes und in der ewigen Trennung von Gott erleiden. Wer in diesem Leben nicht von Gott und seinem Heiligen Geist bestimmt lebt, der wird auch in der Zukunft nicht in der Gegenwart Gottes ewiges Leben haben. Dass Menschen, die von der Macht der Sünde bestimmt leben, den Tod erleiden, wurde von Paulus schon mehrfach erwähnt (1,32; 6,16.21.23; 7,5.10.24; 8,6). Der zweite Bedingungssatz ist nicht genau parallel formuliert. Paulus spricht von Jesusbekennern, die vom Geist Gottes bestimmt leben (vgl. 8,4.5: κατα` πνευñ μα), formuliert jedoch in Hinblick auf den Lebensvollzug ausführlicher: Wenn ihr aber durch den Geist die Machenschaften des Leibes tötet, werdet ihr leben (V. 13b). Mit den „Machenschaften des Leibes“ (πρα' ξεις τουñ σω' ματος [praxeis tou sōmatos]) sind keine ethisch neutralen „Taten“, sondern verwerfliche Handlungen gemeint, die man als „Machen-schaften“ bezeichnen kann.88 Im Kontext von V. 13a, in dem von „Fleisch“ die Rede ist, kann man an die „Werke des Fleisches“ (τα` ε» ργα τηñ ς σαρκο' ς [ta erga tēs sarkos]) von Gal 5,19-21 denken (s. zu V. 4). Jesusbekenner sollen die sündigen Machenschaften des Leibes töten (α� ποθνη,' σκειν [apothnēskein]), d.h. im Keim ersticken, abstellen, nicht prak———————————-————————
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C. Maurer, Art. πρα' ξις, ThWNT VI 644, interpretiert im Zusammenhang von Kol 3,9 in einem abstrakten Sinn von „Handlungsverfahren, Handlungsweise“. Weil das Sündigen nie nur abstrakt ist, wie Paulus eindrücklich in Röm 1,18–3,20 dargestellt hat, ist eher von der Bedeutung „Taten, Handlungen“ auszugehen; weil Paulus in 8,13 von verwerflichen Taten spricht, wurde mit Wilckens und Haacker die negativ konnotierte Übersetzung „Machenschaften“ gewählt. EÜ: „die (sündigen) Taten“; NGÜ: „die alten Verhaltensweisen“; GN einseitig interpretierend: „euren selbstsüchtigen Willen“.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 219 ————————————————————————————————————
tizieren. Dieses Verb bestätigt das Verständnis der „Machenschaften des Leibes“ im Sinn der „Werke des Fleisches“: In Kol 3,5 führt Paulus eine vergleichbare Liste von sündigen Taten mit dem Befehl „tötet“ (νεκρω' σατε [nekrōsate]) ein: „Darum tötet, was irdisch an euch ist: die Unzucht, die Schamlosigkeit, die Leidenschaft, die bösen Begierden und die Habsucht, die ein Götzendienst ist“. Für Jesusbekenner gilt, dass der „Leib der Sünde“ als Konsequenz ihrer Vereinigung mit dem Kreuzestod des Messias Jesus „vernichtet“ wurde (καταργηθηñ, το` σω ñ μα τηñ ς α� μαρτι'ας; 6,6). Die Macht, die diese Vernichtung bewirkt hat, ist die Macht Gottes und seines Geistes, der jetzt im Gläubigen wohnt (8,9.11). Der von der Macht des Geistes Gottes bestimmte, von der Macht der Sünde befreite Gläubige steht nun in der Verantwortung, diese Macht des Geistes in seinem alltäglichen Leben und Verhalten zur Auswirkung kommen zu lassen und den von der Sünde provozierten Begierden zu widerstehen, mit der die Sünde seinen sterblichen Leib wieder beherrschen will (vgl. 6,12).89 Die Tötung der Machenschaften des Leibes geschieht nicht infolge einer jetzt, nach ihrer Bekehrung, größeren Willensanstrengung durch die Jesusbekenner, die jetzt leisten können, was das in 7,7-25 beschriebene Ich nicht leisten konnte. Paulus verweist, Redundanz nicht scheuend, wieder auf den Geist Gottes: Die mit dem Messias Jesus vereinten Gläubigen, in denen der Geist Gottes wohnt, töten die sündigen Handlungen des Leibes durch den Geist (πνευ' ματι [pneumati]; instrumentaler Dativ). Sie können den von der Sünde provozierten Begierden widerstehen, weil die Macht des Geistes Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in ihnen wirksam ist. Die wirksame Wirklichkeit des Geistes im Lebensvollzug der Gläubigen, die sündige Handlungen im Keim erstickt, wird in V. 14a etwas deutlicher betont. Die Antithetik von „Fleisch“ und „Geist“, die Paulus seit V. 4 beschreibt, geht auf die Wende der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus zurück. Paulus sagt den Gläubigen, die in der Macht des Geistes Gottes den von der Sünde als folgenlose Möglichkeit vorgeschlagenen Handlungen widerstehen, als Verheißung zu: ihr werdet leben (ζη' σεσθε [zēsesthe]). Sie haben die Gewissheit, dass sie in einem von Gott lebendig gemachten Leib (V. 11) in der Gegenwart Gottes ewiges Leben haben werden. 14 Mit der Konjunktion γα' ρ anknüpfend beschreibt Paulus in einem prägnant formulierten Satz sowohl die Lebenswirklichkeit der Jesusbekenner als ———————————-————————
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Wilckens II 135, der sich mit Bultmann, Theologie, 197-198.201 auseinandersetzt, betont zu Recht, dass Paulus nicht (im Gegensatz zur hellenistischen Anthropologie) zu einer Distanzierung vom irdisch-materiellen Leib aufruft, sondern unter „Leib“ das „leibhaftige Tun“ versteht.
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auch ihre Identität. Zunächst bezeichnet er die Gläubigen als die vom Geist Gottes geführt werden (ο« σοι πνευ' ματι θεουñ α» γονται [hosoi pneumati theou agontai]; V. 14a).90 In V. 13b beschrieb Paulus die Verantwortung und Verpflichtung der Gläubigen, in ihrem Leben die Macht des Geistes Gottes als Kraft der Befreiung von der Sünde wirksam werden zu lassen. In V. 14a betont Paulus, dass diese Wirkung in fundamentalem Sinn das Werk des Geistes selbst ist. Die Macht des Geistes bestimmt das Verhalten des Gläubigen. Die „vom Geist geführten“ Jesusbekenner sind „die vom Geist Bestimmten“ (οι� κατα` πνευñ μα), die ihren Sinn „auf die Dinge des Geistes“ richten (φρονουñ σιν … τα` τουñ πνευ' ματος; V. 5b) und „dem Geist entsprechend wandeln“ (περιπατουñ σιν … κατα` πνευñ μα; V. 4b). Das Verb „geführt werden“ (α» γονται [agontai]) bezieht sich im Kontext auf die gesamte Lebenswirklichkeit des Gläubigen, konkret im Zusammenhang von V. 13 auf seine Verantwortung, der Sünde zu widerstehen und sündige Handlungen zu unterlassen. Eine Interpretation im Sinne ekstatischer Erfahrungen ist weder angedeutet noch im Kontext wahrscheinlich.91 In Gal 5,18 steht πνευ' ματι α» γεσθε [pneumati agesthe] parallel zu πνευ' ματι περιπατειñτε [pneumati peripateite] in 5,16. Die „Führung“ durch den Geist Gottes beschreibt im Kontext den im Lebensvollzug konkreten Widerstand gegen die Begierden und Leidenschaften der Sünde. Die Lebenswirklichkeit der Jesusbekenner als Menschen, die vom Geist Gottes geführt werden, ist in ihrer Identität als „Söhne Gottes“ begründet: Alle, die vom Geist Gottes geführt werden, und nur solche,92 die sind Söhne Gottes (ουð τοι υι�οι` θεουñ ει� σιν [houtoi hyioi theou eisin]; V. 14b).93 Im Alten Testament wird die Metapher vom „Sohn Gottes“ für Gottes ———————————-————————
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Wolter I 494: ο« σοι ist sowohl inklusiv („alle, die“) als auch exklusiv („nur die“). Gegen Michel 259, der ohne Begründung meint, πνευ' ματι θεουñ α» γονται „klingt ekstatisch“; wie Michel auch Dunn I 250; Bertone, Law of the Spirit, 194-195; auch Käsemann 218 meint, α» γονται sei „enthusiastische Terminologie“, was eben nicht aus 1Kor 12,2 abgeleitet werden kann; zu dieser Stelle s. Schnabel, 1. Korinther, 683-686. Paulus verwendet das Verb α» γω für die Führung durch Gott (Röm 2,4; 1Thess 4,14). Kritisch zu Recht Cranfield I 395; Schlier 251; Wilckens II 136 sowie Wolter I 494, der auch den Vorschlag ablehnt, Paulus spiele auf die Exodustradition an (gegen Potterie, Chrétien, 221-222; Keesmaat, Paul and his Story, 54-96; vgl. Wright 593); die Verwendung eines gemeinsamen Verbs kann einen Zusammenhang nicht belegen. Der Ausdruck „Söhne Gottes“ ist die antithetische Wirklichkeit zu den „vom Fleisch Bestimmten“, die Gott nicht gefallen (V. 8). Politisch korrekt übersetzen ZB („Söhne und Töchter Gottes“), GN („Gottes Söhne und Töchter“), NGÜ („seine Söhne und Töchter“); vgl. NIV, NRSV („children of God“). Diese Übersetzung ist sachlich richtig, erschwert jedoch die Erkenntnis, dass der Ausdruck traditionsgeschichtlich mit der Erwählung Israels verbunden ist. Wolter I 498 richtig: „Dass jemand auf die Idee kommen könnte, er würde mit der Rede von den υι�οι` θεουñ die Frauen ausschließen, wird Paulus nicht einmal im Traum eingefallen sein“.
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Erwählung des Volkes Israel zu seinem Eigentumsvolk verwendet: Israel gehört zu Gott, wie Kinder zu ihrem Vater gehören. Nach Ex 4,22 LXX soll Mose zum Pharao sagen: „So spricht der Herr, mein erstgeborener Sohn ist Israel“ (υι�ο` ς πρωτο' τοκο' ς μου � Ισραη' λ [hyios prōtotokos mou Israēl]); vgl. Deut 14,1; 32,19; Jes 43,6; 45,11; Jer 3,19.22; 38[31],9.20; Hos 11,1; in Hos 2,1 wird bei der Verheißung der Wiederherstellung Israels und seiner Beziehung zu Gott ebenfalls die Metapher von Israel als „Sohn“ verwendet: „Und es wird geschehen, an der Stelle, an der zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk!, wird zu ihnen gesagt werden: Söhne des lebendigen Gottes“ (Elb.Ü).94 In den Verheißungen der Propheten finden wir die Erwartung, dass Gott seinen Geist über sein Volk ausgießt, sodass seine Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt wird (vgl. Jes 32,15; 44,3; Hes 36,26-27; Joel 3,1-2). Hier wird vorausgesetzt, dass Israel „Sohn Gottes“ ist. Bei Paulus geht offensichtlich die Gabe des Geistes der Gotteskindschaft voraus, wie die folgende Aussage zeigt. Wenn man V. 14b mit V. 13b verbindet, ergibt sich die Aussage: Das Leben, das Gott den Jesusbekennern gibt, ist nicht bloße „Existenz“, sondern Aufnahme in die Familie Gottes und damit Leben in der Gegenwart Gottes. Das Erste wäre für Judenchristen kein grundsätzlich neuer Gedanke, das Zweite sehr wohl; für Heidenchristen bringen beide Sätze eine neue Wirklichkeit zum Ausdruck. 15 Paulus erläutert die Aussage von V. 14b mit dem Hinweis auf das Bekehrungsgeschehen: Denn ihr habt nicht einen Geist der Sklaverei empfangen, dass ihr euch wieder fürchten müsst, sondern ihr habt einen Geist der Sohnschaft empfangen, durch den wir rufen: „Abba, Vater!“ Wer sich zum Glauben an den Messias Jesus bekehrt, der hat den „Geist der Sohnschaft“ (πνευñ μα υι�οθεσι'ας [pneuma hyiothesias]) erhalten (V. 15b). Das mit „Sohnschaft“ übersetzte υι� οθεσι' ας bezeichnet in der griechisch-römischen Welt als terminus technicus das Rechtsinstitut der Adoption als Sohn.95 Der Genitiv ist analog des Ausdrucks πνευñ μα τηñ ς ζωηñ ς ———————————-————————
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In der frühjüdischen Tradition vgl. AssMos 10,3; syrApkBar 13,9-10; Jub 1,24-25; PsSal 17,27; TestJud 24,3; 1QH XVII,35; 4Q504 1–2 iii 5-7 zitiert Ex 4,22: „Du hast uns hingestellt für dich vor den Augen aller Völker, denn du nanntest Israel ‚meinen erstgeborenen Sohn‘ und hast uns in Zucht genommen, wie jemand seinen Sohn in Zucht nimmt“. Vgl. E. Lohse, ThWNT VIII, 359-360. W. v. Martitz / E. Schweizer, Art. υι� οθεσι' α, ThWNT VIII, 401-402; L. Wenger / A. Oepke, Art. Adoption, RAC I 99-112; M.-L. Deißmann-Merten, Art. Adoption, DNP I, 122-124; Scott, Adoption, 3-57 zum griechisch-römischen Hintergrund, ebd. 61-117 zum atl.jüdischen Hintergrund; zu Röm 8,15.23 ebd. 221-266. In den Papyri und Inschriften ist das Wort häufig belegt; Scott, ebd. 45-51; Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 173. Im AT und Judentum ist das Rechtsinstitut der Adoption, durch die jemand als Sohn adoptiert wird und dieselben Rechte bekommt wie ein leibliches Kind, nicht bekannt.
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in V. 2 als gen. subjectivus zu interpretieren: Der Geist Gottes macht die Glaubenden, die ihn erhalten haben und in denen er wohnt, zu Söhnen Gottes.96 In Gal 4,4-5 beschreibt Paulus die Adoption als Söhne Gottes mit dem Bild des Sklaven, „der von seinem Herrn testamentarisch adoptiert und damit den Status des Freien und Erben erhält“;97 in 4,7 beschreibt er den Status des adoptierten „Sohnes“ mit dem Hinweis, dass der Jesusbekenner kein Sklave mehr, sondern ein Erbe ist. Diesen Zusammenhang stellt Paulus auch hier in V. 15.17 her. Weil der Sünder durch den Empfang des Heiligen Geistes als „Sohn Gottes“ adoptiert wurde, ergibt sich: Jeder Christ hat den Geist Gottes empfangen, sonst gehört er nicht zur Familie Gottes. Der Besitz des Heiligen Geistes ist nicht das Vorrecht einiger Pneumatiker, sondern das Kennzeichen aller Jesusbekenner – wobei das Wort „Besitz“ nie bedeuten kann, dass man je nach persönlichen Vorlieben oder Wünschen über ihn verfügen könnte. Der Geist der Sklaverei (πνευñ μα δουλει'ας [pneuma douleias]) verweist im Kontext von 6,17.19.20 auf die Herrschaft der Sünde, die Paulus in 7,725 beschreibt: Das Ich des unerlösten Menschen ist an die Sünde „verkauft“ (7,14) und wird von der Sünde beherrscht, die sein Leben kontrolliert und ihm das Todesurteil im Gericht Gottes aufzwingt. Man kann auch mit 8,2 verbinden, wo Paulus vom „Gesetz der Sünde und des Todes“ spricht, von dem der „Geist des Lebens“ befreit: Der Geist Gottes befreit den Sünder von der Macht der Sünde, die das Gesetz so manipuliert hat, dass sie dem Menschen nicht Leben, sondern den Tod bringt.98 Mit der mit dass ihr euch wieder fürchten müsst übersetzten Wendung (πα' λιν ει�ς φο' βον [palin eis phobon]) verweist Paulus wahrscheinlich auf die Furcht des Sünders vor dem Zorn-gericht Gottes (1,18): Jesusbekenner, die von Gott adoptiert wurden, fürchten sich nicht mehr vor dem Verdammungsurteil (8,1), da dieses im Sühnetod des Messias Jesus aufgehoben wurde (8,3) und für Menschen, in denen der Geist Gottes wohnt (8,9.11), keine Rolle mehr spielen kann. Sklaven leben unter anderen Bedingungen als Söhne. Sie werden sicherlich nicht ständig, aber doch immer wieder von der Furcht überfallen, wie ihr Herr ihre Arbeit bewerten wird. Weil Jesusbekenner zur Familie Gottes gehören und von der Macht der Sünde und ihrer furchterregenden Unheils———————————-————————
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Vgl. Scott, Adoption, 261; Burke, Adopted into God’s Family, 141-142. Bauer, Paulus, 365. Als Indiz für die Adoption verweist Paulus auch in Gal 4,6 auf den Gebetsruf „Abba, Vater“. Wilckens II 136 erklärt den Ausdruck im Zusammenhang von Gal 4,3.7, wo vom Gesetz als Sklavenmacht die Rede ist. Wolter I 495 weist darauf hin, dass Paulus die Tatsache, dass nach 6,18.19.22; 7,6 die Christen einen neuen Sklavendienst versehen, hier nicht mehr im Blick hat.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 223 ————————————————————————————————————
folge des Todesurteils befreit wurden, haben sie nicht nur keine Furcht mehr, sondern feiern fröhlich den Triumph der Gnade Gottes (8,31-39). Die Aussage durch den wir rufen: „Abba, Vater!“ (V. 15c) beschreibt eine grundlegende Wirkung der Gegenwart des Geistes im Leben des Gläubigen. Da sie den „Geist der Sohnschaft“ erhalten haben und als Söhne Gottes zur Familie Gottes gehören, haben sie zu Gott das enge Verhältnis persönlicher Vertraulichkeit. Das Verb „rufen“ (κρα' ζω [krazō]) kann im Anschluss an die LXX an das dringliche Gebet verweisen, in dem Gott mit „Vater“ angesprochen wird,99 oder es erinnert an einen gottesdienstlichen Akklamationsruf, der sich wie Amen, Maranatha, Hosanna und Halleluja in aramäischem Wortlaut auch in Griechisch sprechenden Gemeinden erhalten hat.100 Jesus hat Gott mit „Abba“ (אָּבא ַ [’abbā’]) angesprochen,101 eine Anrede, in die die durch den Geist adoptierten Söhne Gottes mit hineingenommen sind und die sie nachsprechen können. Die Übersetzung mit dem griechischen Wort ο� πατη' ρ [ho patēr] wurde im Gottesdienst offensichtlich zum aramäischen Wort hinzugefügt. Die Anrede Gottes als „Vater“, ohne Possessivpronomen („mein Vater“ oder „unser Vater“) ist „die Übertragung einer zwischenmenschlichen Anredeform auf das Gottesverhältnis“.102 Weil Gott, der sich zum Heil der Sünder aus Heiden und Juden im Tod und in der Auferweckung des Messias Jesus offenbarte, diesen seinen Geist gegeben hat, ist er der Vater der an Jesus Glaubenden, die ihn vertrauens- und respektvoll mit „Abba, Vater!“ anrufen können und wollen. 16 Die vertrauensvolle Anrufung Gottes als Vater, die der Geist möglich macht, ist die Bestätigung, dass wir als Kinder Gottes adoptiert wurden: Der Geist selbst bestätigt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Das Subjekt der Aussage ist der Heilige Geist (αυ� το` το` πνευñ μα [auto to pneuma]). Das indirekte Objekt des Verbs („unserem Geist“; τω ñ, πνευ' ματι η� μω ñ ν [tō pneumati ēmōn]) spricht vom menschlichen „Geist“, dem inneren ———————————-————————
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Ps 3,4; 4,3; 18[17],6; 22[21],2.5; 34[33],6. Cranfield I 399. So die meisten Ausleger; vgl. Wilckens II 137; Lohse 241; Wolter I 497. Der Hinweis auf einen „ekstatisch-inspirativen Charakter“ (Wilckens) ist in den Texten nicht zu begründen, ebenfalls nicht die Auskunft, der Inhalt des „inspirierten Rufens“ sei vom Geist eingegeben (Lohse). Wilckens ebd. mag recht haben, wenn er vermutet, der Abba-Ruf könnte eine „Verselbstständigung der Gebetsanrede des Vaterunsers“ sein. Mk 14,36; Mt 11,25 / Lk 10,21; Lk 11,2; 23,34.36; Joh 11,41; 12,27.28; 17,1. Wolter I 497; vgl. H.P. Rüger, Art. Aramäisch II., TRE III, 602-603; Hengel, Abba, 498499; Schelbert, ABBA Vater (ebd. 56-58 zur Gal 4,6 und Röm 8,14); Zimmermann, Namen, 41-166. Nicht nur leibliche Väter wurden mit ַאָּבאangesprochen, sondern auch Propheten (2Kön 2,12; 6,21; 13,14 [hebr. ;]ַאִביParJer 2,4; AntBibl 53,3; 4Makk 7,9. Es handelt sich also um einen Ausdruck des Respekts, nicht um ein Wort der Kleinkindersprache („Papa“, „Papi“). Vgl. Wolter I 497.
224 Römerbrief ————————————————————————————————————
Selbst des Menschen.103 Der Ausdruck „Kinder Gottes“ (τε' κνα θεουñ [tekna theou]), dem „Söhne Gottes“ (υι�οι` θεουñ ; V. 14) entspricht, ist im Neuen Testament relativ selten; Paulus verwendet ihn hier zum ersten Mal (vgl. 8,21; 9,8; Phil 2,15).104 Das mit „bestätigt“ (συμμαρτυρειñ [symmartyrei]; vgl. 2,15; 9,1) übersetzte Verb bedeutet zunächst „mitbezeugen, als Zeuge neben einem oder mehreren Zeugen etwas bezeugen oder bestätigen“, in verblasster Bedeutung „bestätigen, beistimmen“. 105 Manche gehen von der ursprünglichen Bedeutung aus, in der das Präfix seine Bedeutung behalten hat: „Weil es der Geist Gottes ist, der die Christenmenschen ‚Abba, Vater‘ rufen lässt, … kann Paulus sagen, dass der Geist sich ihres Selbst bedient, um zusammen mit ihm dem Sachverhalt, der sich in dieser Akklamation artikuliert, eine empirisch wahrnehmbare Gestalt zu geben“.106 Andere verstehen das Kompositum als Verstärkung des Simplex und gehen von der allgemeineren Bedeutung „bestätigen“ aus: „Mit unserem Gebetsruf zugleich erfolgt die Bestätigung des Geistes Gottes, daß wir Gottes Kinder sind. Der Bewegung nach ‚oben‘ entspricht also eine Bewegung von oben nach ‚unten‘“.107 Die von Paulus intendierte Bedeutung lässt sich weder vom Sprachgebrauch noch vom Kontext her entscheiden. Der Unterschied in der Interpretation betrifft die Frage, wie man sich, die erste Interpretation vorausgesetzt, die „Kooperation“ des menschlichen Geistes und des Heiligen Geistes vorstellen soll. Die Frage wird oft so gelöst, dass „unser Geist“ im Sinn des dem Christen geschenkten Geistes interpretiert wird.108 Bei dieser Interpretation bleibt unklar, weshalb der Heilige Geist dem von Gott geschenkten Geist die Gotteskindschaft bezeugen soll. Richtig ist jedenfalls: „Über die Weise, wie der Geist selbst zum Redenden wird, gibt Paulus keine Bestimmungen; die Sorge, mit der die reformatorische Lehrbildung alle inspirativen Vorgänge abwies, war Paulus fremd; ebenso fremd war ihm aber auch jede Anleitung, wie man die Inspi———————————-————————
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Vgl. Röm 1,9; 1Kor 2,11; 7,34; 14,14; 16,18; 2Kor 2,13; 7,13; 1Thess 5,23. Vgl. Joh 1,12; 11,52; 1Joh 3,1.2.10; 5,2. H. Strathmann, ThWNT IV, 515. Wolter I 497-498; vgl. Michel 261; Dunn I 454. Vgl. Elb.Ü: „Der Geist selbst bezeugt [zusammen] mit unserem Geist“; vgl. NGÜ Anm. Michel 261 als Möglichkeit. Vgl. H. Strathmann, ThWNT IV, 516; Kuss II 605-606; Cranfield I 403; Wilckens II 138; Lohse 241 mit Anm. 23. Chrysostomus 527; Schlatter 266 spricht von einem „inspirativen“ und „prophetischen“ Vorgang; Käsemann 220: Der in der Gemeindeversammlung waltende, die Akklamation „Abba, Vater“ inspirierende Geist Gottes bekundet „ganz objektiv jedem einzelnen Christen, was der diesem persönlich geschenkte Geist ihm ebenfalls sagt“. Der folgende Einwand bei Schlier 254; Lohse 242.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 225 ————————————————————————————————————
ration und Vision hervorbringe“.109 Paulus betont in jedem Fall: Der Heilige Geist, der den Jesusbekennern die Adoption als Söhne Gottes (V. 15) vermittelt und sie zu „Kindern Gottes“ gemacht hat, wohnt in ihnen (V. 9.11), führt sie (V. 14) und inspiriert ihre Anrufung Gottes als Abba, Vater – und bestätigt ihnen so im Alltagsleben, im Gebet und im Gottesdienst, dass sie in der Tat Kinder Gottes sind. Die Gotteskindschaft der Jesusbekenner ist keine theologische Theorie, sondern konkret im Alltag, in dem sie das „Gesetz des Geistes des Lebens“ erfüllen, und im Gottesdienst, in dem sie Gott als Vater anrufen, erfahrbar. 17 Paulus erläutert die Gotteskindschaft der Jesusbekenner im Blick auf die Zukunft: Wenn wir aber Kinder sind, dann sind wir auch Erben – Erben Gottes und damit Miterben des Messias (V. 17a). Die Aussage steigert die Aussagen über den Status der Jesusbekenner in diesem Abschnitt zu einem rhetorischen Höhepunkt: Sie sind Erben Gottes. Die „wenn … dann“-Konstruktion110 verbindet „Kinder“ mit „Erben“. Die Metapher der Sohnschaft schließt das Rechtsinstitut des Erbens ein: Der Sohn (nicht der Sklave) hat Erbrecht. Der Erbe (κληρονο' μος [klēronomos]) ist „der natürliche und der durch das Testament oder durch gesetzliche Bestimmungen ernannte“ Erbe.111 Nach jüdischem und römischem Recht sind Söhne bzw. Kinder automatisch Erben. Nach atl. Recht hatten nur Söhne das Erbrecht; der erstgeborene Sohn erbt zwei Drittel des Besitzes (Deut 21,17).112 Nach römischem Recht waren Hauserben (sui heredes) die im Haus des Erblassers wohnenden Hausgenossen, die beim Tod des pater familias gewaltfrei wurden: „die Söhne und Töchter, die bis dahin in seiner Gewalt gestanden hatten (auch Adoptivkinder); die Kinder der Söhne dann, wenn ihre Väter vor dem Erbfall verstorben oder aus der Hausgewalt des Erblassers entlassen worden waren; die gewalt-unterworfene Ehefrau des Erblassers und die gewaltunterworfenen Ehefrauen der verstorbenen oder gewaltentlassenen Söhne. Hinsichtlich der Erbquote bestand kein Unterschied zwischen den männlichen und den weiblichen Hausgenossen. Söhne, Töchter und Ehefrau des Erblassers erbten zu gleichen Teilen“.113 Neben den Söhnen und Töchtern sowie der uxor in manu (Frau in Ehegewalt) erbte auch der mit gleichzeitiger Freilassung eingesetzte Sklave: „Die Hauserben erwerben die Erbenstellung und damit die vererblichen Rechte des Erblassers mit dem Tode des Erblassers unmittelbar kraft Rechtens, ohne, ja gegen ihren Willen“.114 ———————————-————————
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Schlatter 266; vgl. Michel 261, der betont: „Auf jeden Fall ist ‚der Geist selbst‘ ein dem Menschen zugesprochenes Wort“. Das και' in der Apodosis ist als και' consecutivum zu interpretieren, dessen Bedeutung sich mit der einer Kausalbegründung überschneidet; vgl. HvS §252,19a(2); 259i. W. Foerster, Art. κληρονο' μος, ThWNT III, 767, der fälschlicherweise meint, im römischen Recht brauche der Sohn „durchaus nicht ohne weiteres der Erbe zu sein“. Vgl. E. Lipiński, ThWAT V, 342-360, hier 346. Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 442. Kaser, Privatrecht I, 714. Vgl. Kaser, ebd. 95-101.713-715; U. Manthe, Art. Sui heredes, DNP XI, 1091-1092.
226 Römerbrief ———————————————————————————————————— Im AT wird, im Anschluss an die Verheißung Gottes für die Väter (Gen 15,7-8; 28,4; vgl. Ex 15,17, 23,30; Lev 20,24), das Land Kanaan den Stämmen Israels als Erbbesitz (ַנֲחָלה [nachalāh]) per Los übereignet (Num 26,53-56; 34,2; 36,2-12; Deut 26,1.3.9.10.15 u.a.). Für den Stamm Levi, der bei der Landverteilung leer ausgeht, wird „Jahwe als Erbteil“ zugesprochen (Num 18,20; Deut 10,9). Nach Ps 69,36-37 ist das Land Israel bzw. Jerusalem und Zion das Erbe ( )ַנֲחָלהder Gerechten. Nach Deut 32,8-9 ist das aus allen Völkern ausgewählte Volk Israel der Erbbesitz ( )ַנֲחָלהJahwes; vgl. Ps 106,6: „Lass mich das Glück deiner Erwählten schauen, an der Freude deines Volkes mich freuen, damit ich gemeinsam mit deinem Erbe mich rühmen kann“. Anknüpfend an die Metapher des Erbteils formulieren eschatologische Heilszusagen (Ps 2,8; 37,9.11; Jes 57,13; 60,21; 65,9; Hes 47,14.21-23). Diese Überzeugungen setzen sich im Frühjudentum fort.115 Das NT spricht vom Erben des „Landes“ (Mt 5,5) und des ewigen Lebens (Mt 19,29; Mk 10,17; Lk 10,25). Die Teilhabe an der Königsherrschaft Gottes wird als „Erbe“ bezeichnet (Mt 25,34; Jak 2,5; s. unten).116 Paulus reklamiert den privilegierten Status des auserwählten Volkes Israel als „Erbteil“ Gottes für das messianische Gottesvolk, das aus den Jesusbekennern aus Juden und Heiden besteht.117 Die Logik dieser Heilsaussage – Jesusbekenner sind Erben Gottes – gründet in der Korrelierung der göttlichen Verheißung an Abraham mit der Gabe des Geistes (Gal 3,114.29; 4,28-29). Die Gegenwart des Geistes Gottes und der Status der Jesusbekenner als Erben sind zwei Seiten derselben Münze (vgl. 1Kor 6,9-11; Gal 4,7; Eph 1,14; Tit 3,5-7).
Im Kontext der Antithese Söhne/Sklaven in V. 15 betont Paulus: Wie Kinder, anders als Sklaven, erbberechtigt sind, so genießen Jesusbekenner, die Söhne Gottes sind, den Status von Erben. In Gal 4,6-7 hatte Paulus im Blick auf die Heidenchristen in den galatischen Gemeinden ganz ähnlich formuliert: „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott.“ In 1Kor 6,9-10; 15,50; Gal 5,21; Eph 5,5 identifiziert Paulus das „Erbe“ als Teilhabe an der Königsherrschaft Gottes. Paulus konkretisiert den Status als Erben (κληρονο' μοι) in zweierlei Hinsicht. Jesusbekenner sind Erben Gottes (κληρονο' μοι θεουñ [klēronomoi theou]): Sie wurden von Gott (δια` θεουñ ) in den Status von Erben eingesetzt (Gal 4,7), weil sie infolge der Gabe des Geistes Gottes (Röm 8,15) „Söhne Gottes“ (V. 14) wurden und als solche „Erben Gottes“ sind. Die Metapher vom „Erben“ darf nicht gepresst werden: Gott stirbt selbstverständlich nicht, und die „Erben Gottes“ treten auch nicht die Nachfolge Gottes an; der Verweis in Hebr 9,15-17 auf den Tod Jesu als Mittler des neuen Bundes, der den Berufenen das verheißene ewige Erbe zuteilwerden lässt, ist hier nicht angesprochen. Die Metapher „Erben Gottes“ betont in dramatischer ———————————-————————
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Zu eschatologischen Heilszusagen vgl. äthHen 5,7; 40,9; Jub 32,19; PsSal 12,6; 14,9-10; syrApkBar 44,13; 1QH IV, 27. Vgl. Vos, Land, passim. Vgl. W. Foerster, ThWNT III, 781-786; J.H. Friedrich, EWNT II, 738-739; J. Eichler, ThBLNT I, 344-345. Das von Israel als Erbteil Gottes in Besitz genommene Land spielt bei Paulus keine Rolle.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 227 ————————————————————————————————————
Weise die Erwartung der Jesusbekenner, die sich von der Gegenwart in die Zukunft erstreckt – die Erwartung des mannigfaltigen Segens Gottes jetzt und in der Zukunft und die Erwartung der Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes (s. zu 5,2). Der Genitiv betont den Ursprung ihrer Sohnschaft und ihres Heilsstandes. Und Jesusbekenner sind Miterben des Messias (συγκληρονο' μοι Χριστουñ [sygklēronomoi Christou]), d.h., sie haben denselben Status zugesprochen bekommen wie Jesus.118 Jesus wurde nach 1,4 „proklamiert als Sohn Gottes in Macht nach dem Geist der Heiligkeit aufgrund der Auferstehung von den Toten“, und Jesusbekenner haben den „Geist der Sohnschaft“ empfangen, durch den sie Söhne Gottes wurden (V. 14-15) – deshalb sind sie „Miterben“ zusammen mit dem Messias Jesus. Der Genitiv unterstreicht die Vermittlung ihres Heilsstandes und die fundamentale Bedeutung ihrer Verbindung mit Jesus (vgl. 6,1-11). Der Unterschied zwischen dem von den Toten auferstandenen und in die himmlische Herrlichkeit erhöhten Sohn Gottes und den mit ihm verbundenen „Söhnen Gottes“ besteht darin, dass Jesus dieses Erbe bereits angetreten hat, während es für die Jesusbekenner noch aussteht. Diese Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft wird in V. 17b angesprochen: so gewiss wir mit ihm leiden, damit wir auch an seiner Herrlichkeit teilhaben. Für die Gegenwart gilt, dass Christen leiden – die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes ereignet sich in der Zukunft. Die Konjunktion (ει»περ [eiper]) hat wie in V. 9 nahezu kausale Bedeutung.119 Das mit „wir leiden mit ihm“ (συμπα' σχομεν [sympaschomen]) übersetzte Verb verbindet das Leiden der Jesusbekenner mit dem Leiden des Messias Jesus, das man nicht auf die Passion und das Kreuz beschränken sollte: Jesus hat als irdischer Sohn Gottes seit seiner Versuchung durch den Verführer während seines gesamten Lebens gelitten. Vom Leiden Jesu spricht Paulus in 2Kor ———————————-————————
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Deissmann, Licht vom Osten, 21-22 verweist auf GIBM III 633 (Collection of Ancient Greek Inscriptions in the British Museum) als nichtchristlichen Beleg für συγκληρονο' μος; die Veröffentlichung in I.Eph 1633 liest κληρονο' [μων αυ� τ]ουñ (nicht σ[υγ]κληρονο' [μου αυ� τ]ουñ ); das Wort συγκληρονο' μος ist belegt in VitProph 4,17 und in byz. Papyri (PSI VIII 972; P.Mich. 662,45-46; 663,17; 664,28-29; 665,69-70; vgl. Horsley/Llewelyn, New Documents I, 135-136; II, 97-98). Cranfield I 407 betont zu Recht, dass Paulus keine Bedingung formuliert; vgl. Zahn 398; Lagrange 203; Michel 262; Jewett 502; Wolter I 501. Anders W. Michaelis, ThWNT V, 925; Kuss II 607; Käsemann 221; Dunn I 456; Wilckens II 138; Byrne 253-254; Fitzmyer 502; Moo 505, die für ein paränetisches und konditionales Verständnis plädieren: „Überwinden können nur, welche dem Fleisch leidend widerstehen“ (Käsemann ebd.). Zu Recht kritisch Wolter ebd.: „Paulus fordert hier nicht indirekt zum Leiden auf, sondern es geht ihm darum, dem Leiden seinen Charakter als Differenzerfahrung zu nehmen und als Bestandteil der christlichen Heilswirklichkeit zu deuten“.
228 Römerbrief ————————————————————————————————————
4,10-11; 7,3; 13,4; Phil 3,10; Kol 1,24.120 Die Erfahrung von Leiden, die sich aus dem Glauben an Jesus für die Jesusbekenner ergeben, verbindet diese mit Jesus, der als messianischer Sohn, „geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleisch“ (1,3), ebenfalls gelitten hat. Das Leiden infolge des Glaubens an Jesus bestätigt die Zugehörigkeit zu Jesus – ein Thema, das Paulus in den folgenden Versen erläutern wird: Das Leiden der Christen (V. 18-30) führt zum Sieg über das Leiden (V. 31-39). In 5,3 hatte Paulus von „Bedrängnissen“ (θλι'ψεις [thlipseis]) gesprochen; in 8,18-30 greift Paulus das Thema der Leiden ausführlicher auf. Die Teilhabe am Leiden des Messias Jesus zieht die Teilhabe an seiner Auferstehung in der Zukunft nach sich. Dies macht Paulus mit dem Verb „wir haben an seiner Herrlichkeit teil“ (συνδοξασθω ñ μεν [syndoxasthōmen]; zu δο' ξα s. zu 2,7) deutlich. Paulus betont: Wie Jesus gelitten hat und mit seiner Auferstehung von den Toten in die Wirklichkeit der Herrlichkeit Gottes eingetreten ist, so gewiss werden Menschen, die die Herrlichkeit Gottes durch die Sünde Adams und durch ihr eigenes Sündigen verloren haben (1,23; 3,23), aber mit Jesus und seinem Geschick vereinigt wurden (6,1-11), die Herrlichkeit Gottes wiedererlangen. Das Passiv des Verbs verweist auf Gott, der den mit dem Messias Jesus identifizierten Sündern die Teilhabe an seiner Herrlichkeit wieder gewährt – eine Wirklichkeit, die sich in der Zukunft ereignen wird (5,2; vgl. 8,18.21; 1Kor 15,43; 2Kor 4,17; Phil 3,20-21; 1Thess 2,12; 2Tim 2,11-12). IV Paulus erläutert in 8,1-17, was er in 7,6 als Folge der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus formuliert hatte: „Sodass wir in der Neuheit des Geistes als Sklave dienen und nicht in der alten Wirklichkeit des Buchstabens“. In 7,7-25 beschrieb Paulus die conditio humana, in 8,1-17 die conditio christiana.121 Das Leben in der „Neuheit des Geistes“ ist Gabe und Aufgabe zugleich. Die Erläuterung des Lebens in der Wirklichkeit des Geistes konkretisiert die Beschreibung der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus und der in der Bekehrung von Gott gewirkten Vereinigung des glaubenden Sünders mit dem Tod und der Auferstehung Jesu (6,1-14) sowie die Folgen der Vereinigung mit dem Messias Jesus in dem neuen Leben in Freiheit von der Sünde und im Gehorsam gegen Gott (6,15-23). Paulus beantwortet damit zugleich den in 6,1.14 geäußerten Einwand gegen seine Betonung der Rechtfertigung der „gottlosen“ Sünder aus Juden und Heiden ———————————-————————
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Zu den „Leiden des Messias“ in Kol 1,24 s. jetzt Clark, Completing Christ’s Afflictions. Wolter I 501.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 229 ————————————————————————————————————
ohne Beteiligung des Gesetzes. Weil alle Menschen seit Adam Sünder sind und unter der Herrschaft der Sünde standen, getäuscht von der Sünde, die das heilige, geistliche Gesetz Gottes manipulierte und dem Menschen nicht das vom Gesetz intendierte Leben, sondern das im Gesetz angekündigte Todesurteil eingebracht hatte (7,7-25), bedarf es der Macht des Geistes Gottes, dass das Gesetz seine von Gott intendierte Bestimmung zum Leben (7,10) zurückerhält und als Gesetz des Geistes des Lebens den Sünder durch den Sühnetod Jesu von dem Gesetz der Sünde und des Todes befreit (8,2-3). Die Folge des Handelns Gottes, des Messias Jesus und des Heiligen Geistes ist die Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes durch die Jesusbekenner (8,4), denen Gott seine Gerechtigkeit zugesprochen und denen er seinen Geist gegeben hat (8,5-13). Jesusbekenner sind nicht mehr der Herrschaft der Sünde und ihrer Leidenschaften verpflichtet: Sie können und sollen in der Kraft des Heiligen Geistes den Willen Gottes tun. Der Geist Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat, und der die Jesusbekenner zu Kindern Gottes gemacht hat, ist die von Gott dem mit Jesus vereinten Gläubigen geschenkte Kraft, „die den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Leben in ihrem Wandel neu schafft. Für die Christen bedeutet dies einerseits, daß sie Gerechtigkeit tun können nur durch den Geist, andererseits, daß sie deswegen verpflichtet sind, dem Willen des Geistes zu folgen, der sich ‚jetzt‘ mit dem Willen des Gesetzes verbindet“.122 Der Gegensatz zwischen κατα` πνευñ μα und κατα` σα' ρκα zeigt, „dass der Geist die Norm und die Kraft des christlichen Wandelns ist. Er ermöglicht den Gehorsam, indem er erstens zur Erkenntnis des Willens Gottes verhilft und zweitens den menschlichen Willen zum Tun desselben erneuert. Das entspricht der Wirklichkeit des neuen Bundes, wo Gott ein Zweifaches in den Glaubenden wirkt: Er schenkt Erkenntnis des Willens und erneuert die Herzen (als Sitz des Willens), so dass sein Wille getan wird“.123 Gleichzeitig gilt: Der Geist Gottes steht dem Christen nicht zur „Verfügung“ und kann nicht manipuliert und für eigene Ziele instrumentalisiert werden: Die Aussage, dass Gottes Geist im Jesusbekenner „wohnt“ (8,9.11), unterstreicht, dass der Heilige Geist eine Kraft ist, die vom Menschen Besitz ergreift und von Gott gesteuert wird. Zugespitzt formuliert: Wenn wir sagen, dass wir den Geist „haben“ (8,9), meinen wir, dass es der Geist ist, der uns „hat“. Die Beschreibung des Handelns Gottes im Handeln des Messias Jesus und im Handeln des Geistes Gottes ist insofern innovativ, als dass Paulus ———————————-————————
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Wilckens II 140. Stettler, Heiligung, 670, mit Verweis auf Jer 31,33-34 und Hes 36,27 sowie auf Deut 10,16; 30,6, wo von der „Beschneidung des Herzens“ die Rede ist.
230 Römerbrief ————————————————————————————————————
den einen wahren Gott, der im jüdischen Monotheismus verehrt und beschrieben wurde, im Hinblick auf drei unterschiedliche personale Realitäten beschreibt. Was jüdische und frühjüdische Texte über Gottes Wirken in der Welt durch (personifizierte) Weisheit, Tora, Schechinah, Wort und Geist sagen, durch die er seine Gegenwart offenbart und Heil schafft, sagt Paulus über die Sendung des Sohnes, den Messias Jesus, durch Gott, den Vater. Hier liegen die Ursprünge späterer trinitarischer Theologie.124 Paulus beschreibt in 8,1-17 zwei Funktionen des Geistes: Der Geist Gottes bestimmt den Lebensvollzug der Jesusbekenner, und der Geist Gottes vermittelt und bestätigt den Status der Jesusbekenner als Söhne und Kinder Gottes. Die erste Funktion wird traditionell in der Soteriologie (Gnadenlehre) behandelt, die zweite in der Lehre von der Gotteserkenntnis, die im Blick auf die Frage nach dem Geist weitaus intensiver diskutiert wurde.125 Theoretische Diskussionen sind für Philosophen und akademische Theologen leichter, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil man die Deutungskraft des eigenen Geistes demonstrieren kann. So wichtig theoretisch-theologische Fragen auch sind: Für real existierende Gemeinden und für den einzelnen Christen ist die erste Funktion von existenzieller und praktischer Bedeutung, deren Betonung allzu oft unter den Verdacht „pietistischer Gesetzlichkeit“ gestellt wurde. Ulrich Wilckens hat recht, wenn er betont, dass der alte Ruf „Veni sancte Spiritus – komme, heiliger Geist!“ hohe Aktualität hat, und schreibt: „Die Wirklichkeit unseres Lebens ist im allgemeinen so sehr bestimmt von den praktischen Folgen jener Deifikation menschlicher Vernunft und so sehr eingebunden in die Gesetze der technischen Zivilisation, daß im paulinischen Sinne ‚nach dem Geist zu wandeln‘ einer umfassenden und durchgreifenden ‚Revolution‘ der Lebensführung und der Lebensweise gleichkäme“.126 Wo der Geist Gottes die Gläubigen als Söhne Gottes „führt“ (8,14), ist nicht nur deren (menschlicher) Geist betroffen, sondern ihr sterblicher und toter Leib, der in der Gegenwart zu einem neuen Leben befähigt ist und in der Zukunft die Herrlichkeit der Gemeinschaft mit dem erhöhten Herrn erfahren wird (8,11.17). Die Kraft des Geistes Gottes „wird sie auch im Leiden und bei ihrem Tod nicht verlassen“.127 Paulus spricht in 8,1-17 weder von der Einheit stiftenden Kraft des Heiligen Geistes, noch von den Gaben des Geistes – Aspekte des Themas „Heiliger Geist“, die Paulus ausführlich in 1Kor 12–14 behandelt. Paulus ———————————-————————
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Betont von Wright 580-581; vgl. Fee, Christology, 312-331. Vgl. die kurze Behandlung der Wirkungsgeschichte dieser Fragestellung von den Stoikern bis zu Hegel bei Wilckens II 142-145. Wilckens II 145. Wolter I 502.
Die neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens 8,1-17 231 ————————————————————————————————————
behandelt, wie auch sonst, selektiv Aspekte eines größeren Themas, die hier für die Fragestellung relevant sind. Die Aussage in 8,2 („Denn das Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus hat dich befreit vom Gesetz der Sünde und des Todes“) ist eine deutliche Absage an die (zumindest früher) in Pfingstkreisen öfter vertretene Lehre vom „zweiten Segen“. Paulus verbindet die Rechtfertigung des Sünders durch Gott infolge des Sühnetodes des Messias Jesus mit dem Wirken des Heiligen Geistes: Wie die Rechtfertigung das Resultat und die Wirkung des Geistes ist, so ist die Gegenwart des Geistes das Resultat und die Wirkung der Rechtfertigung. Man kann die Gabe der Gerechtigkeit geradezu mit der Gabe des Geistes identifizieren.128 Deshalb gilt der Satz in 8,9b: „Wer aber den Geist des Messias nicht hat, der gehört nicht zu ihm“. Wie erkennt man, ob jemand den Geist Gottes bzw. den Geist des Messias erhalten hat? Im Kontext von V. 1-8.12-16 kann man folgende Antwort geben:129 1. Wer „im Messias Jesus“ ist, d.h., wer zum Glauben an den Messias Jesus bekehrt wurde, wer mit dem Tod und der Auferweckung Jesu vereint ist, wer von der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Sühnetod Jesu ergriffen wurde, sodass seine Sünden gesühnt und die Verurteilung im Gericht aufgehoben wurde (V. 1.3), der hat den Geist Gottes. 2. Wer von der Macht der Sünde befreit wurde und die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt (V. 2.4), der hat den Geist Gottes. 3. Wer aus dem Bestimmtsein durch den Messias Jesus und den Heiligen Geist des heiligen Gottes heraus denkt und handelt (V. 4.5), der hat den Geist Gottes. 4. Wer sich in seinem Denken, Wollen und Handeln des Gegensatzes zum „Fleisch“ und der Macht der Sünde bewusst ist (V. 5-7.12-13), der hat den Geist Gottes. 5. Wer bereit ist, Gottes Gesetz zu gehorchen, und wer Gott gefallen will (V. 7.8.12), der hat den Geist Gottes.130 6. Wer Gott als Vater anbetet, der sich im Messias Jesus und seinem Sühnetod am Kreuz geoffenbart hat (V. 15), der hat den Geist Gottes. ———————————-————————
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Dunn, Baptism, 148. Wilckens II 131 verweist als Evidenz für den Geistbesitz auf die (Wasser-)Taufe: die „Mitteilung des Geistes“ war ein „integrales Element der Taufe“ – immerhin mit dem Hinweis verbunden, dass „dies damals ein sehr konkretes Widerfahrnis war, dessen bleibende Präsenz im Gemeindeleben in den verschiedenen Charismen als Wirkung des Geistes konkret erfahren wurde (1Kor 12,1 vgl. 4ff)“. Von der Taufe spricht Paulus weder in Röm 8 noch in 1Kor 12: Während dort die Gaben des Geistes im Leben der Gemeinde beschrieben werden, geht es hier um den Lebensvollzug des Jesusbekenners. Calvin 405 kommentiert das „Treiben des Geistes“ („geführt werden“) in V. 14: „Es gibt ein universales [Wirken des Geistes], das alle Kreaturen trägt und bewegt; es gibt daneben auch partikulare Wirkungen unter den Menschen, und die wiederum können sehr verschieden sein. Hier hat [Paulus] die Heiligung im Blick, durch die der Herr nur seine Erwählten auszeichnet, weil er sie sich ja zu Söhnen [und Töchtern] aussondert“.
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Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 I 18 Denn ich urteile, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit in keinem Verhältnis zu der kommenden Herrlichkeit stehen, die an uns offenbar werden wird. 19 Denn die sehnsüchtig hoffende Schöpfung erwartet die Offenbarung der Söhne Gottes. 20 Denn die Schöpfung wurde der Nichtigkeit unterworfen, nicht durch eigenes Verschulden, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin. 21 Denn auch sie, die Schöpfung, wird von der Versklavung der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis jetzt gemeinsam seufzt und Schmerzen empfindet. 23 Aber nicht nur sie, sondern auch sie, die die Erstlingsgabe des Geistes haben, auch wir selbst seufzen in unserem Innern, weil wir auf die Sohnschaft warten, die Erlösung unseres Leibes. 24 Denn auf Hoffnung hin wurden wir gerettet. Eine Hoffnung aber, die man sehen kann, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft auf das, was er schon sieht? 25 Weil wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, warten wir mit Geduld. 26 Ebenso kommt uns der Geist in unserer Schwachheit zur Hilfe. Denn was wir beten sollen, wie es angemessen ist, wissen wir nicht. Aber er, der Geist, tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern. 27 Der aber die Herzen erforscht, weiß, was das Bestreben des Geistes ist, denn er tritt für die Heiligen ein, wie es Gottes Willen entspricht. 28 Denn wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten verhilft – denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. 29 Denn die er im Voraus erkannt hat, die hat er auch im Voraus dazu bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet zu sein, sodass er der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist. 30 Die er aber im Voraus bestimmt hat, die hat er auch berufen; und die er berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht. II Paulus knüpft mit den Stichwörtern „Leiden“ und „Herrlichkeit“ in V. 18 an die Aussage in V. 17b an und beschreibt in diesem Abschnitt das Verhältnis zwischen gegenwärtigem Leiden und zukünftiger Herrlichkeit. Die Grundaussage V. 18 – das Leiden der Jesusbekenner steht in keinem Verhältnis zum zukünftigen Heil – wird in drei Schritten mit je unterschiedlichen Subjekten erläutert, die durch das Stichwort „seufzen“ miteinander
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 233 ————————————————————————————————————
verbunden sind: 1. Die Schöpfung seufzt (V. 19-22); 2. die Jesusbekenner seufzen (V. 23-25); 3. der Geist tritt mit „unaussprechlichen Seufzern“ für uns ein (V. 26-27). Im Mittelteil wird das Leiden der Jesusbekenner einerseits mit der Schöpfung, andererseits mit dem Geist verbunden: Schöpfung und Jesusbekenner haben gemeinsam, dass sie „warten“ (V. 19.23.25), dass sie „Hoffnung“ haben (V. 20.24.25) und dass sie gemeinsam von der gegenwärtigen Wirklichkeit, die das Leben in der Herrlichkeit Gottes unmöglich macht, befreit werden (V. 19.21); Geist und Jesusbekenner sind dadurch verbunden, dass diese den Geist haben (V. 26) und jener für sie eintritt (V. 26). Im Schlussteil V. 28-30 ist Gott das Subjekt, von den Jesusbekennern ist nicht mehr in der 1. Person, sondern in der 3. Person die Rede. Paulus begründet die Grundaussagen V. 28a („denen, die Gott lieben, verhilft alles zum Guten“) mit einem aus fünf Gliedern bestehenden Kettenschluss, der durch den Übergang vom Futur zum Aorist zeigt, dass das zukünftige Heil „aus der Perspektive Gottes bereits in der Gegenwart verwirklicht ist“.131 Das Thema der Hoffnung inmitten von Leiden bzw. Bedrängnissen entfaltet die Aussagen in 5,2-4. Paulus knüpft wiederholt an traditionelle jüdische Motive an: gegenwärtiges Leiden und zukünftige Erlösung (V. 18); Analogie von Endzeit und Urzeit (V. 21); Adam-Thematik (V. 20.22); göttliche Fürbitte (V. 26); Gott, der die Herzen erforscht (V. 27); Wehen (V. 22); Erstlingsgabe (V. 23); Hoffnung (V. 24-25); Gottes Ratschluss (V. 28).132 Der jüdische Hintergrund und die Ausdrücke in V. 27-30, mit denen traditionell Israel, hier jedoch die Jesusbekenner aus Juden und Heiden beschrieben werden – Heilige, die Gott lieben, die von Gott Berufenen, Erstgeburt –, belegen: Paulus zeigt, dass das Heil, das die Jesusbekenner infolge der Heil schaffenden Offenbarung Gottes in Tod und Auferstehung des Messias Jesus haben, das Heil der alttestamentlich-jüdischen Erwartung ist. Das von Gott im Messias Jesus erwirkte Heil vollendet sowohl seine Ziele mit der Schöpfung als auch seine Ziele mit der Berufung Israels. Textkritische Anmerkungen. In V. 19 ersetzen 69 2464 κτι'σεως durch πι' στεως, was als Schreibfehler zu beurteilen ist. Die Ersetzung von ου� χ ε� κουñ σα durch ου� θελουñ σα in F G in V. 20 ist entweder ein Schreibfehler ————————————————————
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Wolter I 507; ebd. 506-507 die Analyse von V. 23-25. Dunn I 467; s. ebd. für das Folgende, mit Verweis auf Berger, Abraham, 142-168; Byrne, Sons, 127-129; Wright, Messiah, 142-168. Die These von Osten-Sacken, Soteriologie, 78-104, Paulus habe in 8,18-27 ein Traditionsstück aus dem hellenistischen Urchristentum übernommen und durch einige Zusätze korrigiert (Rekonstruktion der Vorlage ebd. 96), hat sich nicht durchgesetzt; zur Kritik vgl. Wilckens II 150-151; Lohse 245; Chang, Knechtschaft, 5-45; vgl. Balz, Heilsvertrauen, passim; Paulsen, Überlieferung, passim.
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oder der Versuch, das seltene Adjektiv durch ein bekannteres zu ersetzen. Die Lesart ε� φ’ ε� λπι'δι (d46 אB* D* F G Ψ) ist besser bezeugt als ε� π’ ε� λπι'δι (d27 A B2 C D2 33 1739 1881 Byz) und mit der unaspirierten Schreibweise die schwierigere Lesart. In V. 21 ist ο« τι (d46 A B C D2 Ψ 0289 33 1739 1881 Byz) besser bezeugt als διο' τι ( אD* F G 945 u.a.); Letzteres kann als Dittographie aus ΕΛΠΙΔΙΟΤΙ erklärt werden,133 Ersteres könnte jedoch auch Haplographie aus ΕΛΠΙΔΙΔΙΟΤΙ sein.134 Die Lesart ε� λευθερουται (Präs. Med. in d27cvid vgms statt ε� λευθερωθη' σεται (Fut. Pass.) ist weniger gut bezeugt und als Angleichung an die anderen Präsensformen im Kontext zu bewerten. Die Ersetzung von συνωδι'νει durch ο� δυ' νει (F G ar) in V. 22 ist nur minimal bezeugt. In V. 23 wird das gut bezeugte και` αυ� τοι' durch και` η� μειñς αυ� τοι' (D F G lat) bzw. durch και` αυ� τοι` η� μειñς οι� (104 630) ersetzt und in d46 weggelassen – alles Versuche, die Grammatik des Verses zu verbessern; dasselbe gilt für die Wendung η� μειñς και` αυ� τοι' später im Satz, die gut bezeugt ist (d46 אA C 81 1506 1739 1881 u.a.), jedoch ersetzt wird durch και` αυ� τοι' (B 104 u.a. lat), η� μειñς αυ� τοι' (Ψ d* g) bzw. αυ� τοι' (D F G u.a. vgms).135 Die Auslassung von υι�οθεσι'αν (d46vid D F G 614) erklärt sich wohl aus dem Bestreben der stilistischen Glättung und des Ausgleichs mit V. 1516.136 In V. 24 wurde das früh bezeugte τις (d46 B* 1739v.l. m* bo) ersetzt durch τι'ς, τι' και' (א2 A C Ψ 33 1881 Byz b syh sa), τις, τι' (B2 D F G u.a. lat) bzw. τι'ς και' ( *א1739txt); die Lesart τι'ς ist wohl ursprünglich, weil sie am kürzesten und unklarsten ist; die anderen Lesarten sind ein Versuch, den Sinn von ΤΙC zu verdeutlichen, das man als interrogatives oder indefinites Pronomen lesen konnte.137 Die Lesart ε� λπι'ζει (d46 א2 B C D u.a.) ist älter und breiter bezeugt als υ� πομε' νει ( *אA 1739mg syp co), das als Anpassung an V. 26 erklärbar ist.138 In V. 26 wird das gut bezeugte τηñ, α� σθενει'α, ( אA B C D 81 104 630 1739 1881 u.a.) ersetzt durch den Plural ταιñς α� σθενει'αις (Ψ 33 Byz syh) bzw. durch τηñ ς δεη' σεως („durch Gebet“; F G) und τηñ, α� σθενει'α, τηñ ς δεη' σεως („die Schwachheit unseres Gebets“; it; Ambrosiaster) – alles ————————————————————
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Metzger, Textual Commentary, 456; vgl. Dunn I 471; Fitzmyer 509; Schreiner 440; ο« τι ist die bevorzugte Lesart in NA26-28. Cranfield I 414-415; Wilckens II 155; Jewett 504; Chang, Knechtschaft, 74-75. Wolter I 504 Anm. 2 bleibt unentschieden. Vgl. Jewett 504-505; Wolter I 504 Anm. 3. Wilckens II 157 Anm. 690; Lohse 248 Anm. 27; Metzger, Textual Commentary, 457; Vögtle, Zukunft, 213-214. Anders Fitzmyer 510; Jewett 504; Grundmann, Übermacht der Gnade, 60-61; Benoit, Nous gémissons, die die Minus-Lesart für ursprünglich halten. Jewett 505; Wolter I 505 Anm. 4; Metzger, Textual Commentary, 457; so NA27-28. Die Plus-Lesart τις, τι' και' wurde von Lietzmann 86; Käsemann 230; NA25 bevorzugt. Wilckens II 159-160; Lohse 249 Anm. 32; Jewett 505; Wolter I 505 Anm. 4; Metzger, Textual Commentary, 457.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 235 ————————————————————————————————————
Versuche der Klärung des Textes. Die Lesart mit υ� πε` ρ η� μω ñ ν nach υ� περεντυγχα' νει in א2 C Ψ 33 Byz lat sy co will offensichtlich den Text verbessern; die Minus-Lesart ( *אA B D F G 6 81 945 1506 1739 1881 u.a. b) ist hervorragend bezeugt. Die Ersetzung von α� γι'ων durch η� μω ñ ν in V. 27 (33 u.a.) ist nur minimal bezeugt und wohl als Schreibfehler zu beurteilen (ΑΓΙΩΝ als ΗΜΩΝ gelesen). In V. 28 ist die Ersetzung von πα' ντα durch παñ ν (d46) nur minimal bezeugt. Die Plus-Lesart ο� θεο' ς nach συνεργειñ in d46 A B 81 sa ist gut bezeugt und könnte aus Gründen der stilistischen Verbesserung weggelassen worden sein (in NA25 bevorzugt); die Minus-Lesart ohne ο� θεο' ς (א C D F G Ψ 33 1739 1881 Byz latt sy bo) kann als die schwierigere Lesart (Gott als Subjekt wurde aus Gründen der Verdeutlichung ergänzt) betrachtet werden; weil sie geographisch breiter bezeugt und die kürzere Lesart ist, wird sie bevorzugt.139 Die Hinzufügung von το' vor α� γαθο' ν (L 945 u.a.) ist eine sekundäre Verbesserung. In V. 30 ist die Ersetzung von προω' ρισεν durch προε' γνω in A eine Angleichung an V. 29 und nur minimal bezeugt. III
18 Paulus beginnt den neuen Abschnitt mit einer grundlegenden Aussage
zum Verhältnis von gegenwärtigem Leiden und zukünftiger Herrlichkeit: Denn ich urteile, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit in keinem Verhältnis zu der kommenden Herrlichkeit stehen, die an uns offenbar werden wird. Mit „ich urteile“ (λογι'ζομαι; s. 3,28) markiert Paulus die folgende Aussage nicht als persönliche Meinung, sondern als Feststellung eines Sachverhalts, über dessen Gewissheit es keinen Zweifel geben kann.140 Die Leiden (τα` παθη' ματα [ta pathēmata]) entsprechen den in 5,3 erwähnten „Bedrängnissen“ (θλι' ψεις [thlipseis]), d.h. den in der atl.jüdischen Tradition erwarteten Leiden, die der erwarteten messianischen Heilszeit vorausgehen (s. zu 5,3). Paulus geht ganz selbstverständlich davon aus, dass Jesusbekenner in der gegenwärtigen Zeit (τουñ νυñ ν καιρουñ [tou nyn kairou]), d.h. in der Zeit bis zur Wiederkunft Jesu, leiden. Die Apg schildert wiederholt, wie Christen – sowohl die leitenden und missionierenden Apostel wie auch einzelne Gemeindeglieder – von lokalen Autoritäten unter Druck gesetzt werden: gesellschaftlich isoliert, verleumdet, verhaftet, ausgezogen, geschlagen, gerichtlich verfolgt, gefesselt, gegeißelt, vertrie————————————————————
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Zahn 416; Cranfield I 425-428; Michel 275; Schlier 270; Wilckens II 163; Jewett 506; Metzger, Textual Commentary, 458. Wolter I 505 Anm. 5: Das Problem ist textkritisch nicht zu lösen. Vgl. Röm 3,28; 6,11; 2Kor 3,5; 10,2; 10,7; 11,5; Phil 3,13. Das einleitende γα' ρ ist hier nicht begründend, sondern anknüpfend.
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ben, gesteinigt oder enthauptet.141 Anders als in der Apokalyptik, in der die Leiden der Gerechten der kommenden Heilszeit vorangehen, ist für Jesusbekenner die „Jetzt-Zeit“ durch die heilsgeschichtliche Wende bestimmt, die Gottes Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus Realität werden ließ (3,21.26; 7,6; 8,1; vgl. 2Kor 6,2).142 Während die Gegenwart von Leiden gekennzeichnet ist, erwartet die Jesusbekenner in der Zukunft die kommende Herrlichkeit (τη` ν με' λλουσαν δο' ξαν [tēn mellousan doxan]; s. zu 2,7). Das Wort „Herrlichkeit“ beschreibt die nach 3,23 dem Sünder verschlossene Herrlichkeit Gottes, die Herrlichkeit des auferstandenen und erhöhten Messias Jesus (8,17.29; Phil 3,20-21), d.h. das ewige Leben in der unmittelbaren Gegenwart Gottes, der Gegenstand christlicher Hoffnung (5,2). Das Partizipialattribut με' λλουσαν kann auf die Nähe des kommenden ewigen Heils verweisen,143 einfach in die Zukunft blicken 144 oder die Gewissheit der kommenden Herrlichkeit unterstrei-chen.145 Diese Herrlichkeit wird offenbar werden (α� ποκαλυφθηñ ναι [apoka-lyphthēnai]; s. zu 1,17.18; 2,5). Die Präpositionalwendung an uns (ει� ς η� μαñ ς [eis hēmas]) beschreibt die Jesusbekenner als diejenigen, für die die Herrlichkeit Gottes Wirklichkeit werden wird. Der Aorist des Verbs ε� δο' ξασεν [edoxasen] in V. 30c („die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht“) besagt für V. 18, dass die Herrlichkeit der mit dem gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus verbundenen Gläubigen bei Gott bereits jetzt Wirklichkeit ist – sie ist die „Herrlichkeit Gottes“ (3,23) – und bei der Wiederkunft Jesu von Gott zur erfahrbaren Wirklichkeit gemacht wird.146 Paulus verbindet die Gegenwart, die von Leiden gekennzeichnet ist, und die Zukunft, in der Jesusbekenner von der Herrlichkeit Gottes ergriffen werden, mit dem Hinweis auf die Unverhältnismäßigkeit der beiden Realitäten: Die gegenwärtigen Leiden stehen in keinem Verhältnis (ου� κ α» ξια … προ' ς ————————————————————
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Vgl. Apg 4,1-22; 5,17-41; 6,7-9.60; 8,1; 9,1-14; 9,23-24.29-30; 11,19; 12,1-19; 13,50-51; 14,5-6.19; 16,16-40; 17,5-10.13-14; 18,12-16; 19,23-41; 20,3; 21,27-36; 24,1–25,12. Vgl. Schnabel, Persecution, 141-180. Wilckens II 151. Wolter I 508 hat allerdings recht, wenn er betont, dass Paulus in V. 18 keine eschatologische Deutung der christlichen Leidenserfahrungen als Leiden der Endzeit, die dem Beginn der Heilszeit unmittelbar vorausgehen, vornehmen will – der Ausdruck ο� νυñ ν καιρο' ς bezeichnet „hier wie auch sonst einfach nur die Gegenwart im Gegenüber zur Zukunft“; vgl. LXX: Gen 29,34; 30,20; Ex 9,14; Röm 3,26; 11,5; 2Kor 8,14; Plutarch, Mor 610d; Diodorus Siculus 1,97,5; Aelius Aristides, Or 13; Barn 4,1. Käsemann 224; DunnI 468; Vögtle, Zukunft, 206-207; vgl. Bauer/Aland s.v. με' λλω 1b.α; BDAG 1b. Für diese Bedeutung von με' λλω vgl. Offb 12,4. Wilckens II 151; Haacker 199; Jewett 510; Nebe, Hoffnung, 84. Vgl. Gal 3,23. Morris 319; Moo 549; Schreiner 434. Wolter I 508 lässt die Frage unentschieden. Der Inf. Pass. α� ποκαλυφθηñ ναι ist pass. divinum. Zur Aussage vgl. 1Petr 1,11; 4,13; 5,1.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 237 ————————————————————————————————————
[ouk axia … pros]) zur Erfahrung der kommenden Herrlichkeit Gottes.147 Die Versicherung, dass das Leiden, das Gerechte erdulden müssen, oft gerade weil sie gerecht sind, im Vergleich mit dem zukünftigen Heil, das ihnen sicher ist, nur kurz oder geringfügig ist, begegnet in der jüdischen Tradition148 und an anderen Stellen in Neuen Testament (Mt 19,28-29 / Mk 10,29-30 / Lk 18,29-30; 2Thess 1,4-7; 1Petr 1,4-6; 5,10) und bei Paulus (2Kor 4,17-18). Paulus ermutigt mit dieser Aussage die Jesusbekenner zum geduldigen und fröhlichen Ertragen der Leiden.149 19 Paulus erläutert150 V. 18 in V. 19-22 mit Aussagen über die Schöpfung, die wie die Jesusbekenner auf die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes wartet; Subjekt der Verben ist die „Schöpfung“. Paulus stellt zunächst fest: die sehnsüchtig hoffende Schöpfung erwartet die Offenbarung der Söhne Gottes. Die Bedeutung von „Schöpfung“ (κτι'σις [ktisis]) bezeichnet hier die gesamte außermenschliche Schöpfung:151 Die Menschheit in ihrer Gesamtheit152 kann im Kontext von V. 23 nicht gemeint sein, genauso wenig Jesusbekenner, weil Paulus sie in V. 23 explizit von der Schöpfung unterscheidet. Die nichtchristliche Menschheit153 kann nicht gemeint sein, weil nach V. 20 die Schöpfung „nicht durch eigenes Verschulden“ der Nichtigkeit unterworfen wurde, was nicht zu der in 1,18–3,20 und 5,12-21 dargelegten schuldhaften Sündhaftigkeit der Menschheit passt, genauso wenig die Engelwelt, weil einzelne Engelmächte zwar als κτι'σις bezeichnet wer————————————————————
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Zu dieser Formulierung vgl. Plato, Apol 23b; Gorg 471e; Ep 345b; Plutarch, Lucull 33,2; Mor 391E; Herodot 5,20,4; Dio Chrysostomus, Or 1,57. 2Makk 7,36: „Unsere Brüder sind nach kurzem Leiden mit der göttlichen Zusicherung ewigen Lebens gestorben“; Weish 3,5: „Ein wenig nur werden sie gezüchtigt; doch sie empfangen große Wohltat. Denn Gott hat sie geprüft und fand sie seiner würdig“ (EÜ); ebenso syrApkBar 44,8 („was jetzt geschieht, ist nichts, was aber in Zukunft sein wird, ist sehr groß“); 48,50; slavHen 66,6; Josephus, Bell 1,653. Lohse 245: Die Leiden der unerlösten Menschen sind rückwärts gewandt und gehören zur Knechtschaft unter Sünde, Gesetz und Tod; die Leiden der Gerechten sind „vorwärts gerichtet und daher unter dem Zeichen der kommenden δο' ξα zu begreifen“. V. 18 γα' ρ ist wieder anknüpfend und weiterführend. Zur Diskussion seit den Kirchenvätern vgl. Schelkle, Paulus, Lehrer der Väter, 293-297; Balz, Heilsvertrauen, 15-26; Christoffersson, Expectation, 19-21; Hahne, Creation, 177180; Thomas, κτι' σις,136-140. Die Diskussion hat zu dem weitgehenden Konsens geführt, dass κτι' σις hier die außermenschliche Schöpfung meint; vgl. auch Kuss II 622-623; Cranfield I 411-412; Wilckens II 152-153; Dunn I 469-470; Fitzmyer 505-507; Byrne 254; Moo 513-515; Schreiner 435; Jewett 511; Jackson, New Creation, 151-152. Schlatter 269-270: die gesamte Menschheit; vgl. Schlier 259: „Die auf den Menschen bezogene und mit seinem Geschick verbundene Gesamtschöpfung“. Ähnlich Lohse 246. Vögtle, Zukunft, 184-186; vgl. Käsemann 224, der dann aber „primär an die außermenschliche Kreatur“ denkt (ebd.), dann aber von der „gesamte[n] Kreatur unter Einschluß der Menschen“ spricht (ebd. 225).
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den können (8,39), aber die Engelwelt nirgends insgesamt als „die Schöpfung“ bezeichnet wird.154 Im Kontext von V. 20 werden mit „Schöp-fung“ vor allem die Folgen angesprochen sein, die mit der Sünde Adams in die Welt eintraten.155 Das Subjekt des Satzes ist α� ποκαραδοκι' α ([apokaradokia]; „die sehnsüchtige Erwartung“), das in der gesamten griech. Literatur nur hier und in Phil 1,20 vorkommt;156 das Verb α� ποκαραδοκε' ω („sehnsüchtig erwarten, hoffen“) ist häufiger belegt.157 Das Substantiv wird meist im Sinn eines Partizipialattributs (η� α� ποκαραδοκουñ σα κτι'σις [hē apokaradokousa ktisis]) aufgelöst: „die sehnsüchtig hoffende Schöpfung“.158 Das Präsens des mit „erwartet“ (α� πεκδε' χεται [apekdechetai])159 übersetzten Verbs beschreibt eine aktuelle Wirklichkeit. Die Söhne Gottes (οι� υι�οι` τουñ θεουñ [hoi hyoi tou theou]) sind nach V. 14 die Jesusbekenner, die den Geist Gottes haben und von ihm geleitet werden.160 Die Offenbarung (α� ποκα' λυψις [apokalypsis]; s. zu 2,5) der Söhne bzw. Kinder Gottes161 beschreibt dasselbe Geschehen, von dem in V. 17 (Jesusbekenner werden zusammen mit dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus verherrlicht) und V. 18 (Gott offenbart an den ————————————————————
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Nicht überzeugend ist die mit großem linguistischen Aufwand von Fewster, Creation Language, 123-165 aufgestellte These, κτι' σις beziehe sich auf den menschlichen Körper. Lohse 246 mit Verweis auf 4Esra 7,11-12: „Als Adam meine Gebote übertrat, ward die Schöpfung gerichtet, da sind die Wege in diesem Äon schmal und traurig und mühselig geworden“; Gen.R. 12 (25a): „Obwohl die Dinge in ihrer Fülle geschaffen worden waren, so wurden sie, nachdem der erste Mensch gesündigt hatte, verdorben, und sie werden nicht eher zu ihrer Ordnung zurückkehren, bis der Ben Perez (d.h. der Messias) kommen wird“ (Spruch des R. Berechja [ca. 340] in Namen des R. Schemuel [ca. 260]). Das Wort ist wohl eine paulinische Neubildung; Chang, [α� πο]καραδοκι' α bei Paulus und Aquila, 268-278, will traditionsgeschichtliche Wurzeln in der griech. Überlieferung des AT nachweisen; Wolter I 510 Anm. 22 bleibt aufgrund der wenigen Belege skeptisch. LXX Ps 36,7 (Aquila); Polybius 16,2,8; 18,48,4; 21,36,3; Josephus, Bell 3,264; Aesop, Fab 187,5; 201,1-2; 209,2-3; Plutarch, Mor 310E. Für die Verwendung in einem späten christlichen Papyrus s. Horsley/Llewelyn, New Documents III, 122. Bauer/Aland s.v. α� ποκαραδοκι' α; NSS II 25. Paulus bedient sich der rhetorischen Figur der Prosopopoeia (fictio personae): Einer abstrakten Eigenschaft wird personhaftes Verhalten zugeschrieben. Vgl. 1Petr 3,20: Die „Langmut Gottes“ hat „in den Tagen Noahs gewartet“. Vgl. Wolter I 509. Die Annahme einer Vorlage (Osten-Sacken, Soteriologie, 96) ist nicht notwendig, vgl. Wilckens II 152 Anm. 648. Vgl. Röm 8,23.25; 1Kor 1,7; Gal 5,5; Phil 3,20; Hebr 9,28; 1Petr 3,20. Das Verb kommt in der LXX nicht vor, in griech. jüdischen Texten nur in TestAbr A 16,3. Gegen Christoffersson, Expectation, 121, der meint, die „Söhne Gottes“ seien Engel, die im Endgericht die Schöpfung von der Unterdrückung durch böse Engel (ebd. 136-137) befreien; zur Kritik s. Hahne, Creation, 184-186. Der Genitiv α� ποκα' λυψις τω ñ ν υι�ω ñ ν τουñ θεουñ ist genitivus objectivus: Es sind die Söhne Gottes, die geoffenbart werden (Lohse 246 verwechselt α� ποκα' λυψις mit α� πολυ' τρωσις). Paulus macht in Kol 3,1-4 eine ähnliche Aussage; vgl. auch 1Joh 3,1-2.
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Jesusbekennern seine kommende Herrlichkeit in der Zukunft) die Rede ist. Die Aussage setzt voraus, dass Paulus sich die Gotteskindschaft der Jesusbekenner in der Gegenwart als verborgen vorstellt, die erst bei der Wiederkunft Jesu und der damit verbundenen Offenbarung der Herrlichkeit Gottes aus ihrer Verborgenheit hervortritt. Welche Folgen die Offenbarung der Söhne Gottes für die Schöpfung hat, wird nicht gesagt: Sie sind mit Sicherheit so universal, wie die Sünde Adams universale Folgen für die Schöpfung hatte. 20 Paulus begründet (γα' ρ) zunächst mit einer negativen Aussage, weshalb die Schöpfung auf die Offenbarung der Söhne Gottes wartet: Denn die Schöpfung wurde der Nichtigkeit unterworfen, nicht durch eigenes Verschulden, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin. Mit dem Wort „Nichtigkeit“ (ματαιο' της [mataiotēs]) 162 beschreibt Paulus mehr als die „Vergänglichkeit“ der Schöpfung, von der in V. 12 mit dem Wort φθορα' [phthora] explizit die Rede ist. Das Substantiv ματαιο' της kommt 32 Mal in Kohelet (Prediger) vor,163 wo es die „Eitelkeit“ bzw. Zwecklosigkeit und Vergeblichkeit des Lebens ohne Gott beschreibt; der Unterschied zu der Aussage in V. 21 besteht einmal darin, dass Kohelet die Vergeblichkeit menschlicher Existenz beschreibt, während Paulus von der außermenschlichen Schöpfung spricht, zum anderen in der Tatsache, dass Paulus von einem Anfang und einem Ende der Nichtigkeit ausgeht.164 Paulus spricht von einem von Gott veranlassten165 Anfang der Nichtigkeit und verweist somit auf die Unheilsfolgen der Sünde Adams für die Schöpfung, die nach Gen 3,17-18 die Verfluchung des Ackerbodens als Strafe für ————————————————————
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BDAG s.v. ματαιο' της definiert „state of being without use or value“ und bietet als Übersetzungsmöglichkeiten „emptiness, futility, purposelessness, transitoriness“; vgl. Bauer/ Aland s.v.: „Eitelkeit, Nichtigkeit, Vergänglichkeit“. Für die Bedeutung des Adj. μα' ταιος im Sinn von „vergeblich, wertlos“ bzw. „grundlos“ vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 158, mit Verweis auf P.Lond. VII 1941,4; P.Cair.Zen. I 59060,2-3; P.Oxy. I 58,20; VII 1027,10 bzw. P.Alex. 25,7; P.Giss.Univ. III 27,9. Koh 1,2.14; 2,1.11.15.17.19.21.23.26 u.a.; ματαιο' της übersetzt hebr. [ ֶהֶבלhäbäl], für das in HAL, je nach Kontext, die Übersetzungen 1. (vergänglicher) Hauch, 2. Nichtigkeit, Vergänglichkeit, 3. Nichtse, Götzen vorgeschlagen wird. Das Wort kommt auch in den Psalmen vor: Ps 30[31],7; 38[39],6; 61[62],10 u.a. O.Bauernfeind, ματαιο' της, ThWNT IV, 529, der V. 20 als „gültiger Kommentar zu Qoh“ versteht und betont: „Vor ihrem Anfang und jenseits ihres Endes steht Gott und eine κτι' σις ohne ματαιο' της ... Von der ε� λπις und δο' ξα konnte Paulus in einer Vollmacht reden, die Qoh fremd war“. Vgl. Hahne, Creation, 190, der ebd. 191 Interpretationen von ματαιο' της im Sinn von bösen Mächten (Gibbs, Creation, 43; vgl. Christoffersson, Expectation, 136-137), Götzendienst und falschen Göttern oder „geistige[r] Leere“ als „Existenz aus und für Illusionen“ (Käsemann 227) ablehnt. Das logische Subjekt des Aor. Pass. υ� πετα' γη ist Gott. Michel 267: „υ� πετα' γη beschreibt den einmaligen Akt des Gerichts durch Gott“ (Anspielung an Gen 3,16).
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die Menschen betreffen. Mit „Nichtigkeit“ verweist Paulus auf die Tatsache, dass die Schöpfung den ursprünglich von Gott intendierten Auftrag, für die Menschen da zu sein, nicht mehr erfüllt, weil Gott die Schöpfung dazu verurteilt hat, dem Menschen, der gegen das Leben bewahrende Gebot (das Verbot des Begehrens) rebelliert hat, das Leben außerhalb des Paradieses schwer zu machen.166 Eine Verbindung zu Röm 1,21167 ist nicht angedeutet: Dort geht es um das Verhalten von Menschen, nicht um die Schöpfung. Ebenfalls nicht direkt erhellend für V. 20 ist 1,25, wo der Schöpfung kultische Verehrung zuteilwird:168 Paulus spricht in 1,25 nicht davon, dass die Schöpfung infolge des Götzendienstes der Menschen der Nichtigkeit verfällt.
Im Gegensatz zum Menschen, der aufgrund bewusster Sünde aus dem Paradies vertrieben und der todgeweihten Existenz unterworfen wurde, ist die Schöpfung nicht durch eigenes Verschulden (ου� χ ε� κουñ σα [ouch hekousa]) der Nichtigkeit unterworfen worden, sondern gezwungenermaßen, als Folge der Sünde Adams. Der Urheber der Unterwerfung der Schöpfung unter die Nichtigkeit wird in der Präpositionalwendung durch den, der sie unterworfen hat (δια` το` ν υ� ποτα' ξαντα [dia ton hypotaxonta]) genannt. Mit ο� υ� ποτα' ξας ist weder Adam169 noch Satan170 gemeint, sondern Gott: Es war Gottes Entscheidung, als Teil der Bestrafung Adams die Schöpfung der Nichtigkeit zu unterwerfen. Mit der Wendung auf Hoffnung hin (ε� φ’ ε� λπι'δι [eph’ elpidi]) hält Paulus fest, dass Gottes Entscheidung, die Schöpfung der Nichtigkeit zu unterwerfen, nicht Gottes letztes Wort ist. Die Aussage entspricht der Rede von ————————————————————
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Wolter I 511: Es geht nicht um die Differenz zwischen dem faktischen Zustand der Schöpfung und unserer Erwartung an die Schöpfung (Gieniusz, Suffering, 153), sondern um die Differenz „zwischen der Intention ihrer Erschaffung und dem ihr auferlegten Zwang, genau das Gegenteil tun zu müssen“ (Anm. 30). Michel 267 interpretiert ματαιο' της im Sinn von Leerlauf, Vergeblichkeit, Inhaltsleere, Nichtigkeit, „vielleicht auch die Verkehrtheit und die Unordnung der Welt“. Wilckens II 154 Anm. 662; Moo, Covenant, 80-81. Jewett 513 meint, Paulus denke an den Missbrauch der Natur durch Adam und seine Nachkommen (mit Verweis auf Gibbs, Creation, 42-43). Ähnlich Haacker 201, der von der „Zerstörung der Natur durch menschliche Herrsucht und andere Süchte, die den Umgang mit der Schöpfung korrumpieren“ spricht. Subjekt der mit υ� πετα' γη angezeigten Handlung ist Gott, nicht Adam. Wilckens II 155 Anm. 672. Zahn 402; Schlier 261; Zeller 162; Byrne 260-261; Jewett 513; Balz, Heilsvertrauen, 41; Schlosser, L’espérance, 335-336. Die Präposition δια' + Akk. muss nicht den Grund angeben (d.h. auf Adams Sünde verweisen), sondern kann den Urheber einer Handlung angeben; Wolter I 512: Arist 292; 3Makk 6,36; Sir 15,11; Dionysius von Halicarnassus, AntRom 8,33,3; Aelius Aristides, Or 44; Aristophanes, Plut 470; Plutarch, Alex 8,4. Satan ist nicht Herr der Schöpfung. Richtig Lohse 247.
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der „sehnsüchtig hoffenden Schöpfung“, die die endzeitliche Offenbarung der Söhne Gottes erwartet (V. 19).171 Die Nichtigkeit der Schöpfung wird dann beendet, wenn die Jesusbekenner im Zusammenhang mit der Erlösung ihres Leibes im vollgültigen Sinn des Wortes Kinder Gottes geworden sind (vgl. V. 23) – eine Hoffnung, die Schöpfung und Jesusbekenner miteinander verbindet.172 21 Paulus begründet mit einer positiven Aussage, weshalb die Schöpfung auf die Offenbarung der Söhne Gottes wartet: Denn auch sie, die Schöpfung, wird von der Versklavung der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Die Schöpfung erfährt in der Zukunft die Befreiung von der „Versklavung der Vergänglichkeit“, analog der Befreiung der Jesusbekenner von der Versklavung durch die Macht der Sünde (6,18.22; 8,2). Logisches Subjekt des mit „wird befreit werden“ (ε� λευθερωθη' σεται [eleutherōthēsetai]) übersetzten Verbs ist Gott; das Futur verweist auf das zukünftige Geschehen, das in V. 19 schon angesprochen wurde: Die Befreiung der Schöpfung findet bei der Offenbarung der Söhne Gottes, d.h. bei der Wiederkunft Jesu, statt. Der Entschluss Gottes, die Schöpfung der Nichtigkeit zu unterwerfen, wird abgelöst von der Befreiung der Schöpfung von den Folgen der Sünde Adams. Paulus beschreibt den Übergang von der gegenwärtigen Schöpfung zur zukünftigen Befreiung der Schöpfung mit drei Gegensatzpaaren: Schöpfung/Kinder Gottes,Versklavung/Freiheit, Vergänglichkeit/Herrlichkeit. Die Schöpfung (κτι' σις [ktisis]) ist von Vergänglichkeit (φθορα' [phthora]) gekennzeichnet, d.h. dem Vergehen,173 das die Natur und die in dieser ablaufenden Prozesse kontrolliert, sodass von Versklavung (δουλει'α [douleia]) gesprochen werden kann. Es gibt nichts in der Natur, das nicht dem Verfall unterworfen wäre. Die Schöpfung muss von der Verklavung der Vergänglichkeit befreit werden, weil Gott sie der Nichtigkeit unterworfen hatte (V. 20). Das die Schöpfung erfassende, von Gott in der Zukunft veranlasste ————————————————————
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Cranfield I 414; Moo 516; Hahne, Creation, 192 sehen eine Anspielung auf das sog. Proto-Evangelium Gen 3,15. Kritisch Wolter I 512-513: „Paulus unterscheidet die Schöpfung sehr präzise von den Menschen, denn die wurden durch den Sündenfall der Herrschaft von Sünde und Tod unterworfen, ohne dass ihnen dabei Hoffnung auf eine Erlösung von diesem Geschick gemacht wurde. Für die Menschen gibt es Hoffnung vielmehr erst und nur durch den Christus-Glauben und die Gabe des heiligen Geistes“; vgl. bereits 5,2-5; 8,24. Vgl. Gempf, Birth Pangs, 123-124; Gaventa, Mother, 56-59; Duncan, Hope, 424-426. Philo spricht wiederholt vom „Entstehen“ und „Vergehen“ der Natur: „Entstehen ist der Anfang vom Vergehen“ (γε' νεσις δε` φθοραñ ς α� ρχη' ; Decal 58); „Entstehen und Vergehen erfahren alle gemachten Dinge von Natur aus“ (γε' νεσιν γα` ρ και` φθορα` ν ε� νδεχομε' νων φυ' σει τω ñ ν ποιω ñ ν; Cher 51); vgl. Aet 73; SpecLeg 1,27.112.
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Heilsgeschehen wird von Paulus nicht mit einer Beschreibung der Zukunft der Schöpfung dargestellt, sondern mit einer Beschreibung des Heilsgeschehens, das die Jesusbekenner erfasst. Die „Kinder Gottes“ (τε' κνα τουñ θεουñ [tekna tou theou]) sind die „Söhne Gottes“ von V. 19, die in V. 16-17 als „Kinder Gottes“ bezeichnet wurden. Die „Herrlichkeit“ (δο' ξα [doxa]) der Gotteskinder (vgl. V. 17.18) ist das Resultat der Freiheit (ε� λευθερι' α [eleutheria]) von der Herrschaft der Sünde, von deren Sklaverei Gott die an den Messias Jesus Glaubenden befreit hat. Das Ziel der Befreiung der Schöpfung von der Vergänglichkeit wird nicht eigens thematisiert: Sie ist Bestandteil der Verherrlichung, die Gott seinen Kindern für die Zukunft verheißen hat. Paulus sagt den Jesusbekennern, „dass sie bei ihrer ‚Offenbarung‘ als Söhne Gottes (V. 19) eine Schöpfung vorfinden werden, die ihrer ‚Herrlichkeit‘ entspricht“.174 22 Eingeleitet mit οι»δαμεν γα' ρ175 erläutert Paulus die Notwendigkeit der Befreiung der Schöpfung von der Versklavung der Vergänglichkeit (V. 21): Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis jetzt gemeinsam seufzt und Schmerzen empfindet. Die „ganze Schöpfung“ (παñ σα η� κτι'σις) ist die gesamte außermenschliche Schöpfung, die als handelnde Größe vorgestellt wird: Sie „seufzt“ (συστενα' ζει [systenazei]) und sie „empfindet Schmerzen“ (συνωδι'νει [synōdinei]); das mit „gemeinsam“ übersetzte Präfix συν- (syn) will nicht das Leiden der Schöpfung mit dem Leiden der Jesusbekenner zusammenschließen,176 sondern fasst die Vielfalt der Natur zu einer Einheit zusammen.177 Das „Seufzen“ bzw. Stöhnen ist die Reaktion auf die Tatsache und Erfahrung der Nichtigkeit und Vergänglichkeit. Leidenserfahrungen werden auch sonst metaphorisch als Geburtsschmerzen bezeichnet, „wobei in erster Linie an die mit der Geburt einhergehenden Schmerzen gedacht ist und nicht notwendig auch an das Happy End“.178 Die beiden in V. 22 kombinierten Verben kommen an mehreren Stellen zusammen vor: Homer, Od 9,415: στενα' χων τε και` ω� δι' νων ο� δυ' νη, σι („klagend und jammernd vor Schmerzen“); Jer 4,31: φωνη` ν ω� ς ω� δινου' σης η» κουσα, τουñ στεναγμουñ σου ω� ς πρωτοτοκου' σης („Ich hörte eine Stimme wie von einer Frau in Wehen, dein Stöhnen wie das einer Erstgebären————————————————————
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Wolter I 514 mit dem Kommentar, dass die auch erneuerte Schöpfung keinen Eigenwert hat, sondern „einzig und allein für die Herrlichkeit der Kinder Gottes“ da ist; mit Verweis auf Dunn I 471; Barrett 155; Vögtle, Zukunft, 189-190.207. Wolter argumentiert gegen Michel 268; Chang, Knechtschaft, 147.150; Breytenbach, Liberation, 206, die τηñ ς δο' ξης von dem gen. poss. τω ñ ν τε' κνων τουñ θεουñ lösen. Zu οι»δαμεν vgl. 2,2; 3,19; 7,14; 8,28. Schlatter 275; Jewett 517; Chang, Knechtschaft, 157-158; Breytenbach, Liberation, 207. Dunn I 472; Michel 268-269; Wilckens II 155 Anm. 681; Wolter I 514. Wolter I 515. Die folgenden Belege ebd.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 243 ———————————————————————————————————— den“); 22,23: „O Wohnende auf dem Libanon, die in den Zedern brütet, seufzen wirst du, wenn dir Schmerzen kommen, Wehen wie die einer Gebärenden (καταστενα' ξεις ε� ν τω ñ, ε� λθειñν σοι ω� διñνας ω� ς τικτου' σης)“ (LXX.D). Vgl. Ex 15,14 (ω� διñνες ε» λαβον); Deut 2,25 (ταραχθη' σονται και` ω� διñνας ε« ξουσιν); 2Sam 22,6 (ω� διñνες θανα' του); Ps 116[115],3 (ω� διñνες θανα' του); Jes 13,8 (ταραχθη' σονται οι� πρε' σβεις και` ω� διñνες αυ� του` ς ε« ξουσιν); 21,3; 26,17.18; Jer 10,16 [49,22]; Mi 4,9-10; vgl. 1QH XI, 8-13. Philo, VitMos 1,280.
An die „Geburtswehen“ der messianischen Zeit, von denen in der atl.jüdischen Tradition die Rede ist, ist wohl nicht gedacht.179 Im technischen Sinn ist von den „Wehen des Messias“ erst in der rabbinischen Literatur die Rede, wo der Ausdruck im Singular steht („Wehe des Messias“): ֶחְבל ֹו ֶׁשל ָמִׁשיַחp[chäblō schäl māschīach]; aram. [ ֶחְבֵליּה ִדְמִׁשיַחchäblēh dimeschīach]; bKet 111a; Mekh Ex 16,29 (59a).180 Meist wird verwiesen auf Jes 26,17; 66,8; Jer 22,23; Hos 13,13; Mi 4,9-10; äthHen 62,4; 4Esra 4,40; 1QH III, 7-18; MekhEx 16,29 (59a); im NT Mk 13,8; Mt 24,8; Joh 16,21; vgl. 1Thess 5,3; Apg 2,24; Offb 12,2.181 Man sollte nicht vergessen, dass Geburtswehen in der Antike weit weniger häufig zur Geburt eines Kindes führten als in der westlichen Welt – Neugeborene waren die Überlebenden der gefährlichsten „Operation“ der Antike. Ungefähr 8 % der Kinder starben bei der Geburt oder innerhalb des ersten Monats, und 28 % starben innerhalb des ersten Lebensjahres; manche schätzen, dass die Kindersterblichkeit in der armen Bevölkerungsschicht oder in Notzeiten auf 60 % steigen konnte.182
Das Präsens der Verben markiert die Gegenwart als Zeit, in der die Schöpfung Gottes stöhnt und leidet, weil sie eine „deregulierte“ Welt ist,183 die den Auftrag Gottes nicht mehr erfüllen kann und der Nichtigkeit und Vergänglichkeit ausgeliefert ist. Die Wendung bis jetzt (α» χρι τουñ νυñ ν [achri tou nyn]) markiert die Zeit seit der Versklavung der Schöpfung unter die Nichtigkeit infolge der Sünde Adams bis in die Gegenwart als Zeit, in der die Schöpfung seufzt und Schmerzen empfindet.184 23 Nach der Darstellung der Situation der Schöpfung in V. 19-22 behandelt Paulus in V. 23-25 die Situation der Jesusbekenner. Aus dem Abschnitt über die Schöpfung übernimmt Paulus die Stichwörter „warten“ (V. 19), ————————————————————
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Lohse 249; Wolter I 511; Balz, Heilsvertrauen, 52-54; Osten-Sacken, Soteriologie, 98; Gempf, Birth Pangs, 123-126; vgl. Fitzmyer 509; Schreiner 437; Légasse 522. Vgl. Bill. I, 950; J. Bertram, ThWNT IX, 673. In diesem Sinn interpretieren J. Bertram, ThWNT IX, 674; Schlier 265; Käsemann 228; Cranfield I 416 mit Anm. 2; Wilckens II 148.155; Moo 518; Haacker 203; Jewett 517; Hahne, Creation, 201-203 u.a. Vgl. Hopkins, Death, 225; Garnsey, Cities, 256; Humphreys/King, Mortality, 21. In der westlichen Welt beträgt die Kindersterblichkeit für das erste Jahr weniger als 1 %. Légasse 522 spricht von einer Metapher, „pour traduire la situation d’un monde déréglé, parce qu’il ne réalise pas le plan de Dieu sur lui“. Die Wendung α» χρι τουñ νυñ ν, die keinen „eschatologischen Klang“ (Michel 269) hat, schließt die Interpretation im Sinn der messianischen Wehen, die für die Zeit unmittelbar vor der Heilsvollendung erwartet werden, geradezu aus.
244 Römerbrief ————————————————————————————————————
„Hoffnung“ (V. 20) und „seufzen“ (V. 22). Das heißt, Paulus erläutert V. 18 im Licht von V. 19-22: Jesusbekenner leben in der Gegenwart unter den Bedingungen der „Leiden der gegenwärtigen Zeit“ (V. 18). Paulus knüpft mit der elliptischen Wendung aber nicht nur sie, sondern auch (ου� μο' νον δε' , α� λλα` και')185 an die Aussage in V. 22 an, d.h., es ist παñ σα η� κτι'σις („die ganze Schöpfung“) zu ergänzen (daher das Wort sie in der Übersetzung: „aber nicht nur sie“, d.h. die außermenschliche Schöpfung, „sondern auch“). Weil Paulus die Aussage über die Schöpfung (V. 22) auf die Situation der Jesusbekenner anwendet, fährt er zunächst mit der 3. Person186 fort: sie, die die Erstlingsgabe des Geistes haben. Paulus spricht von Jesusbekennern, die alle den Geist haben (5,5; 8,4.9-11.14-16). Die Gen.Wendung „Erstlingsgabe des Geistes“ (α� παρχη` τουñ πνευ' ματος [aparachē tou pneumatos]) ist als gen. epexegeticus zu verstehen: Die Erstlingsgabe, die die Jesusbekenner „haben“ (ε» χοντες [echontes]), ist der Geist Gottes. Das Wort α� παρχη' [aparchē]187 übersetzt in der LXX sechs hebr. Vokabeln: ( ְּתרו ָּמה39 Mal; Ex 25,2.3; 35,5.6 u.a.), ( ֵראִׁשת19 Mal; Ex 23,19; Lev 2,12; 23,10 u.a.), ( ֵחֶלב5 Mal; Num 18,12.29.30.32) sowie ַמֲעֵׂשר, ְּתנו ָּפהund ְמֵלָאהje 1 Mal (Deut 12,6; Ex 39,1; Ex 22,29). Im NT kommt α� παρχη' in Röm 8,23; 11,16; 16,5; 1Kor 15,20; 16,15; 2Thess 2,13; Jak 1,18; Offb 14,4 vor. Im atl. Gesetz bezeichnet „Erstlingsgabe“ die Jahwe (oder dem Heiligtum) geschuldeten Erntefrüchte und die Erstgeburt des Viehs und der Menschen, aber auch die regelmäßige Abgabe an die Priester oder an den Tempel (2Chron 31,5). Die Erstlingsgaben wurden in der Regel, aber nicht immer, dem Erstgeernteten entnommen. Vgl. Ex 23,19; 25,2-3; 34,19; 36,6; Lev 22,12; Deut 8,8; 12,6.11.17; 18,4; 26,2.10; Hes 44,20. Zur Auslösung der menschlichen Erstgeburt vgl. Ex 13,2.15; 34,20; Num 18,15; Neh 10,37. In Jer 2,1-3 ist Israel die „Erstlingsgabe“ Jahwes (LXX übersetzt mit α� ρχη' , die lukianische Rezension mit α� παρχη' ).188 In außerbiblischen Texten bezeichnet α� παρχη' die Erstlingsgabe von Naturalienerträgen (Thukydides 3,58,4), die Gabe an eine Gottheit oder an ein Heiligtum (P.Mert. I 5,28; P.Soter 3,16; BGU I 30,1-6; Athenaeus, Deipn 5,7), Sondergaben oder regel————————————————————
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Vgl. 5,3.11; 9,10; 2Kor 8,19. Das Pronomen αυ� τοι' , das zum Partizip ε» χοντες gehört, hat hier die Funktion des Personalpronomens (für ου« τοι oder ε� κειñνοι) und hebt das Subjekt hervor. Das Partizip ε» χοντες ist weder kausal (Kuss II 638; Dunn I 473; Moo 520; White, Erstlingsgabe, 183) noch konzessiv (Käsemann 229; Wilckens II 158; als Möglichkeit NSS II 26), sondern ist als substantiviertes Partizip die Subjektartangabe (NSS II 26) bzw. Attribut zum Subjekt αυ� τοι' und entspricht einem Relativsatz; Wolter I 516-517 Anm. 54 mit Verweis auf BDR §412.1; Jewett 518. Vgl. G. Delling, Art. α� παρχη' , ThWNT I, 483-484; A. Sand, EWNT I, 278-280; F. Thiele, ThBLNT II, 1439-1440; C. Spicq, ThLNT I, 145-152; F. Stolz / O. Borowski, Art. Erstlinge, RGG4 II, 1471-1474; zum AT Preuß, Theologie I, 142; II, 264; vgl. White, Erstlingsgabe, 17-68 (AT und Judentum).69-287 (NT), zu Röm 8,23 ebd. 163-195. ArztGrabner, 1. Korinther, 481 verweist für die Bedeutung „Erstlingsgabe“ auf mehrere Belege in den Papyri: P.Mert. I 5,28; P.Soter. 3,16; PSI VI 690,11-14; SB III 6995,22; 6996,18.35; BGU I 30,1-6; vgl. Kreinecker, 2. Thessaloniker, 181-182. Vgl. White, Erstlingsgabe, 65-66.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 245 ———————————————————————————————————— mäßige Leistungen, Erbschaftssteuer (P.Taur. I 7,10; StudPal IV 72 [Judensteuer]), Eintrittsgeld (P.Teb. 316,10), Geburtsurkunde,189 eine Gruppe von städtischen Beamten, die in eine Kolonie der Stadt gesandt werden (IG XII.8 273.280.283.285), in übertragenem Sinn als erster Gruß (Euripides, Ion 401-402) oder Anfang der Weisheit (Plato, Prot 343b). Joel White identifiziert α� παρχη' in Röm 8,23 in Anknüpfung an 1Kor 15,20 („Nun ist aber Christus auferweckt worden von den Toten, als Erstling der Entschlafenen“) mit dem „auferstandenen Christus, dessen Auferstehung vom Geist gewirkt wurde“.190 Diese Interpretation ist im Kontext nicht plausibel: In Röm 8,11 ist von der Auferstehung Jesu die Rede, was von V. 23 jedoch zu weit entfernt ist, und V. 23.28-29 enthalten keine explizite Auferstehungssprache. Zudem wäre diese Bedeutung, bei der die Konnotationen von α� παρχη' vollständig aufgelöst sind und in der Anwendung auf die Auferstehung Jesu aufgehen, für die ersten Leser in Rom nicht einsichtig (die den 1Kor nicht vorliegen hatten). Möglich ist die in dokumentarischen Texten bezeugte Bedeutung „Geburtsurkunde (einer freien Person)“:191 Paulus betont bei dieser Interpretation, dass der Status der Jesusbekenner als von Gott adoptierte Kinder gesichert ist: Sie werden alle Rechte als adoptierte Kinder haben, einschließlich der Verwandlung ihres physischen Leibes in einen geistlichen Leib.192 Im Kontext des Wartens auf eine umfassendere Wirklichkeit ist diese Bedeutung nicht unbedingt wahrscheinlich.193 Eine Anspielung auf die Erstlingsgaben der Ernte ergibt einen guten Sinn, und es gibt keinen zwingenden Grund, diese Bedeutung aufzugeben.
Paulus knüpft hier nicht an die Zugehörigkeit der Erstlingsgaben zu Jahwe und die damit gegebene Heiligkeit an, sondern auf den mit der Ablieferung der Erstlingsgaben markierten Beginn der Ernte: Die Gabe des Heiligen Geistes, den die Jesusbekenner erhalten haben, gehört zur Wirklichkeit des Heils, das mit Gottes Offenbarung im Messias Jesus seinen Anfang genommen hat und das mit der „Erlösung“ des Leibes seine Vollendung erfahren wird. Der Heilige Geist ist das „Angeld“ (α� ρραβω' ν) der noch zukünftigen Vollendung (2Kor 1,22; 5,5).194 ————————————————————
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P.Flor. I 57,81.86.89; P.Teb. III 316,10.49.82; I.Milet I 3, 141,27.33; III 1436,2. White, Erstlingsgabe, 188-193, Zitat 190. BDAG s.v. α� παρχη' 2; LSJ s.v. α� παρχη' 7; in Bauer/Aland s.v. nicht erwähnt. Siehe die oben erwähnten Belege. LSJ s.v. α� παρχη' 7 mit Verweis auf Röm 8,23; BDAG s.v. α� παρχη' 2 als Möglichkeit; Spicq, ThLNT I, 151; Schubart, Oikogenia, 65; Jones, �Απαρχη` πνευ' ματος, 282-283; Oke, Suggestion, 455-460; Spicq, ΑΠΑΡΧΗ, 501; Nida, Message, 153-154. Die Gegenargumente von White, Erstlingsgabe, 187 sind allerdings nicht überzeugend: Dass Paulus (oder seine Leser in Rom, von denen White nicht spricht) diese Bedeutung nicht gekannt haben sollte, ist Spekulation; die sich dann ergebene Metapher steht nicht im Widerspruch zu συνωδι' νει V. 22, da dieses Verb nicht unbedingt eine Metapher für Geburtswehen ist (was auch Dunn I 473 verkennt); und V. 23 spricht nicht von einer erst in der Zukunft sich ergebenden Sohnschaft, die jetzt noch nicht besteht, sondern von der Vollendung der Sohnschaft in der Erlösung des physischen Leibes. Michel 270; Cranfield I 418; Wilckens I 157; Dunn I 473 (mit Betonung der Einheit von Gabe des Geistes, Wirken des Geistes im Leben der Gläubigen und geistlicher Auferstehungsleib); Lohse 248; Wolter I 517-518. Der Gedanke der Naherwartung (Haacker 203) ist in α� παρχη' nicht impliziert.
246 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Hauptaussage steht in der anakolouthisch angeschlossenen Formulierung auch wir selbst seufzen in unserem Innern. Das Subjekt des Satzes (η� μειñς και` αυ� τοι' [hēmeis kai autoi]) wechselt von der 3. Person in die 1. Person.195 Das Wir (η� μειñς) sind die Jesusbekenner, die den Geist Gottes haben. Paulus betont: Auch Christen „seufzen“ (στενα' ζομεν [stenazomen]), wie die Schöpfung seufzt. Er lokalisiert das Seufzen „in unserem Innern“ (ε� ν ε� αυτοιñς [en heautois]), d.h. im Herzen der Jesusbekenner. Die Schöpfung seufzt außerhalb von uns, aber Christen seufzen ebenfalls.196 Die Gegenwart des Geistes Gottes im Leben der Jesusbekenner distanziert sie also nicht von der Schöpfung, „sondern führt sie vielmehr in die Solidarität mit ihr … Die, die das Zeugnis des Geistes besitzen, der sie ihrer baldigen Erlösung und Verherrlichung mit göttlicher Autorität und in endzeitlicher Klarheit gewiß macht, erfahren darin zugleich gegenwärtig den ganzen Leidensdruck der Vergänglichkeit, unter dem die gesamte Schöpfung steht, in unverminderter Härte und stöhnen selbst in diesem einstimmigen Chor der stöhnenden Schöpfung mit“.197 Der Grund für das Seufzen wird in dem kausal zu interpretierenden Partizipialsatz weil wir auf die Sohnschaft warten (υι�οθεσι'αν α� πεκδεχο' μενοι [hyiothesian apekdechomenoi]; V. 23b) genannt: Wie die Schöpfung seufzt, weil sie auf die Offenbarung der Söhne Gottes wartet (V. 19), so seufzen Christen, weil sie auf die Sohnschaft warten, d.h. im Sinn von V. 17.18 auf die Teilhabe an der Herrlichkeit des auferstandenen und erhöhten Sohnes Gottes, die bei seiner Wiederkunft an ihnen offenbart wird. Der konkrete Gegenstand der Erwartung, die von Seufzen begleitet wird, ist die Erlösung unseres Leibes (τη` ν α� πολυ' τρωσιν τουñ σω' ματος η� μω ñ ν [tēn apolytrōsin tou sōmatos hēmōn]),198 d.h. die Befreiung von der Unheilsfolge der Sünde für den physischen Leib mit seiner Schwäche, Hinfälligkeit und Vergänglichkeit, also die Auferstehung von den Toten bzw. die Verwand————————————————————
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Vgl. Wolter I 518 für parallele Konstruktionen in Dionysius v. Halicarnassus, AntRom 13,7,2; Dio Chrysostomus, Or 7,25; Ep. Socraticorum 20,1; Josephus, Ant 16,167; sowie Apg 8,13; 1Makk 9,12. Die Wendung και` αυ� τοι' verstärkt nicht die reflexive Angabe ε� ν ε� αυτοιñς (so BDR §283.5), sondern zeigt an, „dass das Subjekt etwas tut, was auch andere getan haben“ (Wolter, ebd.). Schlier 265; Cranfield I 418; Wilckens I 157; Dunn I 474. Käsemann 229 u.a. übersetzen mit „bei uns“ oder „unter uns“ und beziehen die Wendung auf das Geschehen im Gottesdienst der Gemeinde. Diese Einschränkung ist unnötig und im Kontext nicht angelegt. Paulus will jedenfalls nicht äußerliches Seufzen untersagen, sondern das Seufzen der Christen neben das Seufzen der Schöpfung stellen. Wilckens II 158. Eine Nähe zu 7,7-25 (Michel 270 Anm. 19) ist nicht gegeben, weil Paulus dort nicht von der Schöpfung, sondern von den hilflos unter der Herrschaft der Sünde lebenden Menschen spricht. Zu α� πολυ' τρωσις s. zu 3,24; zu σω' μα s. zu 1,24; 6,6.12; 7,4.24; 8,10.11.13.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 247 ————————————————————————————————————
lung des verweslichen und sterblichen Leibes in einen unverweslichen und unsterblichen Leib bei der Wiederkunft Jesu (1Kor 15,52-53; Phil 3,20-21: „Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann“). 24 Neben dem gemeinsamen Seufzen sind Jesusbekenner mit dieser Schöpfung auch durch die Hoffnung verbunden. Wie die Schöpfung „auf Hoffnung hin“ (ε� φ’ ε� λπι'δι; V. 20) lebt, so gilt für Christen: denn auf Hoffnung hin wurden wir gerettet (τηñ, γα` ρ ε� λπι' δι ε� σω' θημεν [tē gar elpidi esōthēmen]; V. 24a). In 5,2 sprach Paulus ähnlich von „der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“, der sich Jesusbekenner rühmen. Der Dativ beschreibt die Art und Weise, in der das Heil (zu σωτηρι'α s. 1,16) – hier das zukünftige Heil der Offenbarung der Söhne Gottes (V. 19), auf das die Schöpfung und die Jesusbekenner warten – in der Gegenwart geglaubt und gelebt wird. Das Passiv des Verbs verweist auf Gott als den Geber des Heils, der Aorist auf die Erfahrung des Heils in der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus, in der die Jesusbekenner die Heilsfolge des Sühnetodes Jesu zugesprochen bekommen und bei der sie den Geist Gottes erhalten haben, der sie zu Söhnen Gottes gemacht hat. Die Vollendung des Heils im Sinn der Verwandlung ihres sterblichen Leibes in einen unsterblichen Leib steht noch aus: Sie ereignet sich bei der Wiederkunft Jesu. Die Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes, die zu diesem Heil gehört, unterscheidet die Glaubenden von den nichtglaubenden Sündern, deren Situation hoffnungslos ist (7,7-25; vgl. 1Thess 4,13: „die anderen, die keine Hoffnung haben“). In V. 24b-c beschreibt Paulus die Hoffnung der Jesusbekenner im Kontext des Unterschieds zwischen Gegenwart und Zukunft. Zunächst betont er, dass der Gegenstand ihrer Hoffnung unsichtbar ist: Eine Hoffnung aber, die man sehen kann, ist keine Hoffnung. „Hoffnung“ (ε� λπι'ς) meint hier nicht den Akt des Hoffens, sondern den Gegenstand ihrer Hoffnung, d.h. die Erlösung ihres Leibes (V. 23). Wenn Christen bereits einen verwandelten, unsterblichen Leib hätten, würden sie „sehen“, d.h. die leibliche Wirklichkeit der Auferstehung von den Toten erleben.199 In 2Kor 5,7 finden wir im Wesentlichen dieselbe Aussage: „Denn wir wandeln im Glauben und nicht ————————————————————
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„Sehen“ (βλε' πω) hat hier die Bedeutung, die im AT oft mit [ ָרָאהrā’āh] verbunden ist, von „erfahren, erleben“: Jer 5,12; Ps 4,7; 27,13; 34,13; 89,48; 98,3; Hes 39,21; s. auch PsSal 17,44; 18,6; äthHen 102,9; 103,10; vgl. W. Michaelis, ThWNT V, 325-326; Bauer/Aland s.v. ειòδον 5; ο� ρα' ω 1b; Wolter I 520.
248 Römerbrief ————————————————————————————————————
im Schauen“; wir „sehen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare“, denn „was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig“ (2Kor 4,18; vgl. Hebr 11,1). Die Wendung „Hoffnung, die man sehen kann“ (ε� λπι`ς βλεπομε' νη) bezeichnet die Erfüllung der Hoffnung in der Vollendung des Heils. Die Spannung zwischen dem Besitz des Geistes und der Erlösung des Leibes in V. 23 ist in V. 24 die Spannung zwischen dem Hoffen und dem Schauen. Das bedeutet, dass der Geist, den Gott den Jesusbekennern gegeben hat, die Erfüllung der Hoffnung in der Vollendung des Heils gewiss macht (vgl. 5,5, 15,13; Gal 5,5). 25 Das Wesen der Hoffnung – wir hoffen auf das, was wir nicht sehen (ο« ου� βλε' πομεν ε� λπι'ζομεν [ho ou blepomen elpizomen])200 – bedeutet für das Leben der Jesusbekenner: wir warten mit Geduld (δι’ υ� πομονηñ ς α� πεκδεχο' μεθα [di’ hypomonēs apekdechometha]). Das Warten bezieht sich auf das Ereignis des Mitverherrlichtwerdens mit dem auferstandenen und erhöhten Messias Jesus (V. 17) bei der Offenbarung der Herrlichkeit der Söhne Gottes (V. 18-19), das die Erlösung des Leibes (V. 23) mit beinhaltet. Vom Warten der Schöpfung war in V. 19 die Rede, vom Warten der Jesusbekenner in V. 23. Das Warten geschieht „mit Geduld“ (s. zu 2,7; 5,3), d.h. mit dem standhaften Aushalten der Leiden der gegenwärtigen Zeit (V. 18), die von Seufzen begleitet sind (V. 23) und nur von Gott aufgehoben werden können. Zur Geduld mahnt auch Hebr 12,1; zur Verbindung von Hoffnung und Geduld vgl. Röm 12,12; 15,4; 1Kor 13,7; 1Thess 1,3; im AT Ps 25,20-21; 71,5; 130,5-6; Jes 51,5) 26 Die dritte Erklärung der Grundaussage V. 18, dass das Leiden der Jesusbekenner in keinem Verhältnis zur zukünftigen Offenbarung der Herrlichkeit Gottes steht, verweist auf den Heiligen Geist, der für uns eintritt (V. 26-27). Mit ebenso (ω� σαυ' τως δε` και') schließt Paulus an die Funktion des Geistes als Erstlingsgabe (V. 23) an und erläutert, wie der Geist den Gläubigen hilft, angesichts der Leiden der gegenwärtigen Zeit (V. 18) auf die kommende Herrlichkeit mit Geduld zu warten (V. 25). Die Aussage der Geist kommt uns zur Hilfe (το` πνευñ μα συναντιλαμβα' νεται [to pneuma synantilambanetai]; V. 26a) ist ein Reflex der Spannung zwischen Hoffen und Schauen (V. 24-25): Glaubende haben den Geist Gottes und sind Kinder Gottes (V. 9.14-16) und Erben Gottes (V. 17), aber die Herrlichkeit Gottes, die ihnen gewiss ist, wird erst in der Zukunft sichtbare Wirklichkeit – in der Gegenwart brauchen sie noch Hilfe. Die Wendung in unserer Schwachheit (τηñ, α� σθενει'α, η� μω ñ ν [tē astheneia hēmōn]) beschreibt die Situation, in der sich die Gläubigen befinden und in der sie vom Heiligen Geist ————————————————————
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Der mit ει� formulierte Bedingungssatz drückt hier einen feststehenden Sachverhalt aus.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 249 ————————————————————————————————————
Hilfe erhalten, nicht das Problem, von dem der Geist sie befreit. Ihr Leben ist vor der Heilsvollendung von „Schwäche“ gekennzeichnet. Bezogen auf V. 23 gehört zur Schwäche des Gläubigen sein sterblicher Leib, der auf Erlösung wartet: Der Geist hilft dem Gläubigen, seinen Glauben angesichts des Leidens der Gegenwart in Hoffnung zu bewahren (V. 25). In V. 26b ist von der Schwachheit des Christen im Zusammenhang des Gebets die Rede. Paulus konstatiert den Jesusbekennern die Unfähigkeit, richtig zu beten: wir wissen nicht, was wir beten sollen. Die Formulierung „wir wissen nicht“ (ου� κ οι»δαμεν [ouk oidamen]) leitet einen indirekten Fragesatz ein.201 Die Frage ist, „was wir beten sollen“ (τι' προσευξω' μεθα [ti proseuxōmetha]). Die Wendung wie es angemessen ist (καθο` δειñ [katho dei]) benennt das Problem.202 Worin die Schwachheit der Jesusbekenner beim Beten besteht, ist umstritten. Die Partikel „was“ (τι' [ti]) bezieht sich kaum auf das Beten als solches: Im Urchristentum wird überall „fleißig gebetet“,203 und in den ntl. Texten finden wir zahlreiche Hinweise auf und Beispiele für Lobpreis Gottes und Jesu Christi, hymnische Anbetung, Bitte und Fürbitte. Unklar ist, ob τι' (Akkusativ) den Inhalt des Gebets beschreibt (Lk 18,11; 20,47; Mk 12,40) oder die Sache, für die man betet (Mk 11,24; vielleicht Phil 1,9). Das Verb lässt die zweite Möglichkeit plausibler erscheinen: προσευ' χομαι bedeutet generell, für etwas beten, um etwas bitten. Paulus will offensichtlich sagen: Es gehört zur Befindlichkeit der Jesusbekenner, dass sie nicht wissen, was sie beten sollen, weil sie nicht wissen, was der Wille Gottes für ihr Leben oder für die konkrete Situation ihrer Gemeinde ist. Dieser Schwachheit kommt der Geist zu Hilfe. A. Schlatter schreibt: „Das Gebet setzt Glauben voraus; es bedarf Gewißheit und Einblick in Gottes Willen ... eine Vorausschau ist ihm nicht gewährt, die ihm zeigte, wohin sich die Ereignisse bewegen“.204 Dunn betont, dass das Gebet nicht als eigennütziges Bitten vorgestellt wird, sondern als Tätigkeit, die die Abhängigkeit des Geschöpfs vom Schöpfer unterstreicht. O. Michel unterstreicht ebenfalls den bleibenden Abstand zwischen Gott und dem Gläubigen und stimmt der Auslegung Luthers zu: „Es ist kein schlimmes, sondern das allerbeste Zeichen, wenn auf unsere Bitten hin scheinbar das Gegenteil eintrifft. So wie’s kein ————————————————————
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Die Wendung ου� κ οι»δαμεν + τι + Konj., gefolgt von το' , das einen substantivierten indirekten Fragesatz einleitet, findet sich in 1Thess 4,1 sowie bei Lukas in Lk 1,62; 9,46; 19,48; 22,2.4.23.24; Apg 4,21; 22,30. BDR §267.2; HvS 273b; vgl. Wolter I 523. Die Bestimmung καθο` δειñ gehört zu προσευξω' μεθα, das τι' präzisierend, nicht zu ου� κ οι»δαμεν. Vgl. Wilckens II 160. Anders Zahn 412. Käsemann 231. Vgl. Cullmann, Gebet; Miller, Prayer; Gebauer, Gebet; Longenecker, Prayer; Ostmeyer, Kommunikation; Hvalvik/Sandnes, Early Christian Prayer. Schlatter 278; vgl. Cranfield I 421; Michel 272; Moo 524; Haacker 204. Zum Folgenden Dunn I 476; Michel 272 mit Verweis auf Luther II 109; Fitzmyer 518 scheint sich an diese Auslegung anzuschließen.
250 Römerbrief ———————————————————————————————————— gutes Zeichen ist, wenn unseren Bitten alles ganz nach Wunsch widerfährt“. Wenn Luther fortfährt: „Grund und Ursache davon ist dies: Gottes Rat und Wille ist hoch erhaben über unseren Rat und Willen“, hat er recht; wenn er sich allerdings das „allerbeste Zeichen“ als regelmäßiges Ereignis wünschen würde, hätte er es mit einem sehr unreifen und immer unreif bleibenden Christen zu tun. Ob sich Michel dies so vorstellt, ist unklar, aber er formuliert: „Was Gott gibt, gibt er uns so, daß es all unseren Vorstellungen zuwiderläuft“.
Manche verstehen „was“ im Sinn von „wie“: Das, worum nach Gottes Willen zu beten ist, wollen und sagen wir nur „schwach“; uns fehlen die Worte, das Erhoffte auszudrücken, weil wir nicht wirklich wissen, was Worte wie „Erlösung“, „Befreiung“ und „künftige Herrlichkeit“ eigentlich bezeichnen; wir können die Klagen, von denen im Kontext von V. 26c die Rede ist, im Gebet nicht in der Sprache des Himmels zu Gott emporschicken.205 In V. 26c erklärt Paulus, wie der Geist unserer Schwachheit zur Hilfe kommt: er, der Geist, tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern. Das mit „er tritt für uns ein“ (υ� περεντυγχα' νει [hyperentyngchanei]) übersetzte Verb206 betont, dass der Gläubige in seiner Schwachheit nicht allein ist: Der Geist, der in ihm wohnt (V. 9.11), verwendet sich für den Gläubigen vor Gott als Mittler seines Betens. Im AT sind es Abraham (Gen 18,23-33), Mose (Ex 8,8.12.28-30), die Priester (Lev 16,2122; Num 6,23-27), Könige (2Sam 12,16) und Propheten (1Kön 18,22-40), die vor Gott für andere eintreten. Im Judentum sind es Engel, die die Gebete der Frommen, die unschuldig leiden, vor Gott tragen und sich vor Gott für sie verwenden (Tob 12,15; grHen 9,1-3; äthHen 7,6; 13,4; 15,2; 47,2; grApkBar 11,4; TestDan 6,2; TestLevi 5,6; in 2Makk 15,14 ist es der in den Himmel erhöhte Prophet Jeremia, der „viel für sein Volk und die heilige Stadt betet“. Im NT vgl. Offb 5,8; 8,3. Der Hinweis auf den Geist als Mittler vor Gott kommt nur hier vor.207
Nach V. 34 tritt der auferstandene und erhöhte Messias Jesus für uns ein. Der Geist beseitigt nicht unsere Schwäche, aber er überbrückt den Abstand zwischen uns und Gott, der besonders beim Beten akut erfahren wird. Die „unaussprechlichen Seufzer“ (στεναγμοι` α� λα' λητοι [stenagmoi alalētoi]) sind die Seufzer des Geistes, mit denen er die Gläubigen vor Gott vertritt.208 ————————————————————
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Schlier 268; Wilckens II 160; Wolter I 523-524. Das zweifache Kompositum υ� περεντυγχα' νω ist in der griech. Literatur hier zum ersten Mal belegt; τυγχα' νω bedeutet „treffen, antreffen, erlangen, erreichen“, ε� ντυγχα' νω „zusammentreffen mit, kommen zu, sich wenden an, bitten“, im Zusammenhang des Redens mit Gott auch „beten“ (Röm 8,27.34); Paulus hat ε� ντυγχα' νω mit υ� πε' ρ kombiniert, das mit „Fürsprache einlegen, bittend eintreten“ (Bauer/Aland; vgl. Bauernfeind, ThWNT VIII, 244) übersetzt werden kann. Vgl. Obeng, Spirit Intercession, 621-632. Cranfield I 423; Fitzmyer 519. Die στεναγμοι` α� λα' λητοι des Geistes haben deshalb nichts mit den α» ρρητα ρ� η' ματα („unaussprechlichen Worten“) des in das Paradies entrückten
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 251 ————————————————————————————————————
Als Seufzer des Geistes Gottes können sie nicht in menschliche Worte gefasst werden – sie sind für uns Menschen unaussprechlich; sie brauchen nicht ausgesprochen zu werden, weil Gott die Absichten seines Geistes kennt.209 Wenn man die Schwäche in V. 26a und die Unangemessenheit in V. 26b im Sinn des „Sprachproblems“ interpretiert, das die Jesusbekenner haben, wenn sie in ihren Gebeten ihre Anliegen zu Gott tragen, ohne die Sprache Gottes sprechen zu können, versteht man den Geist Gottes als „Übersetzer“ unseres Stöhnens: Er übersetzt unser Stöhnen, das wir in menschliche Worte fassen, „für uns in solche Worte, die Gott in seiner Herrlichkeit entsprechen“.210 E. Käsemann interpretiert im Sinn der Glossolalie (Zungenrede) und damit im Sinn von Vorgängen, die missverständlich waren und missverstanden wurden: Die Glossolalen hätten ihre unverständlichen Äußerungen in den Gottesdiensten, die besonderer Interpretation bedurften, maßlos überschätzt; Paulus betone, dass ihre „himmlische Rede“ ein Ausdruck der Schwäche sei, der der Geist helfen müsse.211 Diese Interpretation ist nicht überzeugend. 1. Bei der Glossolalie handelt es sich nicht um „Seufzer“, die erst noch in Worte gefasst werden müssen, sondern um nichtgelernte Sprachen, die beim Gebrauch im Gottesdienst übersetzt werden müssen.212 2. In Röm 8,26 ist keine Rede davon, dass die στεναγμοι` α� λα' λητοι übersetzt werden müssen. 3. Nach 1Kor 14,5 hatten nicht alle Christen in Korinth die Gabe der Glossolalie; in Röm 8,26 spricht Paulus von einem Phänomen, dass alle Christen betrifft. 4. Paulus spricht in Röm 8,26 vom Bitten und/oder Klagen, während nach 1Kor 14,16 (vgl. Apg 2,11; 10,46) die Glossolalie in erster Linie Lobpreis ist.
27 Paulus begründet, weshalb das Eintreten des Geistes für die Gläubigen
wirksam ist: Der aber die Herzen erforscht, weiß, was das Bestreben des Geistes ist, denn er tritt für die Heiligen ein, wie es Gottes Willen entspricht. Die Bezeichnung von Gott als „der, der die Herzen erforscht“ (ο� ————————————————————
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Menschen von 2Kor 5,4 zu tun. Andere interpretieren im Sinn „wortloses Seufzen im Herzen der Glaubenden“ (Haacker 205); vgl. Schlatter 279; Dunn I 478-479 u.a. Der Geist tritt nicht in unserem Herzen für uns ein, sondern vor Gott. Michel 273 verbindet, wohl unbeabsichtigt, die beiden „Lokalisierungen“ des Seufzens des Geistes: „Der Geist nimmt die Art, die Not, die Schwachheit der Schöpfung an, um sie vor Gott zu tragen … Der heilige Geist selbst seufzt in uns, mit uns, für uns, auch über uns“. So jeweils Fitzmyer 519; Cranfield I 424. Wilckens II 161; so auch Wolter I 525: Die Klagen, die der Geist vor Gott bringt, sind in Worte gekleidet, „die nicht nur niemals unter den Menschen laut geworden sind, sondern die auch kein Mensch sprechen kann, weil es sich um die Sprache von Gottes Transzendenz handelt, die nur zwischen denen gesprochen wird, die zu Gottes Welt gehören. Welche ‚Ausgangssprache‘ auf Seiten der Menschen den στεναγμοι` α� λα' λητοι des Geistes zugrunde liegt, ist dabei völlig unerheblich“. Käsemann 232-233, mit Verweis auf Gaugler, Geist, 67.70.76ff; auch Käsemann, Schrei, 225. So auch Zahn 412-413; Lietzmann 86-86; vgl. Zeller 163; Balz, Heilsvertrauen, 80; Paulsen, Überlieferung, 122-123; Horn, Angeld, 291-298. Vgl. Schnabel, 1. Korinther, 712-720.
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ε� ραυνω ñ ν τα` ς καρδι'ας [ho eraunōn tas kardias]) ist im AT häufig belegt.213 In Apg 1,25 wird Gott als „Herzenskenner“ (καρδιογνω ñ στα [kardiognōsta]) aller“ (Elb.Ü), in 15,8 als „Gott, der Herzenskenner“ (ο� καρδιογνω' στης θεο' ς [ho kardiognōstēs theos]) beschrieben. Der Hinweis auf die Allwissenheit Gottes, der die Gedanken und Wünsche des Menschen kennt, dient hier nicht als Warnung, sondern als Ermutigung und als Argument dafür, dass das Eintreten des Geistes vor Gott für die Jesusbekenner von Gott verstanden wird. Das „Bestreben des Geistes“ meint die Absichten, die der Geist bei seinem Eintreten für die Gläubigen verfolgt. Weil Gott die geheimen Gedanken und Wünsche der Menschen kennt, versteht er auch die unausgesprochenen Seufzer des Geistes, mit denen dieser die Gläubigen vor Gott vertritt (V. 26).214 Gott weiß (οιòδεν), dass der Geist für die Jesusbekenner eintritt (ε� ντυγχα' νει [entyngchanei]).215 Sie gehören als „Heilige“ (α« γιοι; s. zu 1,7) zu Gott, der ihre Schwäche kennt und dessen Geist ihnen in ihrer Schwäche hilft. Das Eintreten des Geistes für die Gläubigen entspricht dem Willen Gottes (κατα` θεο' ν [kata theon]) – im ewigen Ratschluss Gottes (vgl. V. 29-30) kommt dem Heiligen Geist die Rolle zu, die Jesusbekenner vor Gott zu vertreten. Oder: Der Geist tritt „in göttlicher Sprache“, die Gott angemessen ist, für uns ein.216 28 Mit wir wissen (οι»δαμεν [oidamen])217 leitet Paulus eine Aussage ein, von der er weiß, dass die stadtrömischen Christen sie kennen und ihr zustimmen,218 oder er will sich ihrer Zustimmung vergewissern.
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1Sam 16,7; 1Kön 8,39; 1Chron 28,9; Ps 17,3; 26,2; 44,22; 139,23; Spr 15,11; Jer 17,10. Vgl. Hübner, Vetus Testamentum in Novo II, 128-130. Cranfield I 424 mit Verweis auf 1Kor 2,10-11; vgl. Michel 273. Schlier 269 interpretiert im Sinn des vom Geist gewirkten Betens im Herzen der Gläubigen: „Das Seufzen des Geistes regt sich in der Verborgenheit und Unzugänglichkeit des Herzens – unzugänglich auch für den Menschen selbst. Aber das ist für Gott kein Hindernis, es zu hören“. Das Verb ε� ντυγχα' νει ist nach συναντιλαμβα' νεται und υ� περεντυγχα' νει (V. 26) das dritte Verb, mit dem Paulus das Eintreten des Geistes für den Gläubigen hervorhebt. Zu den trinitarischen Implikationen s. Abschnitt IV. Wilckens II 161; Wolter I 527: „Der Geist kann, was Menschen aufgrund ihrer kreatürlichen Schwäche nicht vermögen: in einer Gott entsprechenden Weise reden“. Vgl. 2,2; 3,19; 7,14; 8,22; auch 1Kor 8,1.4; 2Kor 5,1. So z.B. Wolter I 527, der V. 28a als „Sentenz theologischer Weisheit“ versteht, „die den Zusammenhang von Tun und Ergehen als heilvolle Ordnung Gottes beschreibt und feststellt, dass jedem, der nach Gottes Willen lebt, Heil widerfahren wird“. Weshalb es sich nicht gleichzeitig um einen Lehrsatz handeln kann (Michel 275; Luz, Geschichtsverständnis, 250), ist unklar. Oft wird mit dem Ausspruch von R. Aqiba verglichen: „Immer gewöhne sich ein Mensch zu sagen: Alles,was der Allbarmherzige tut, tut er zum Guten“ (bBer 50b). Weitere Belege in NW 156-158; Bill. III, 255-256.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 253 ———————————————————————————————————— Für die Aussage in V. 28 werden atl. und jüdische wie auch außerbiblische Parallelen angeführt. Für die Liebe zu Gott ist grundlegend auf das Schema zu verweisen: „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Deut 6,4-5 EÜ). „Gott lieben“ und das Gesetz erfüllen sind im AT häufig miteinander verbunden.219 Die Verbindung zwischen der Liebe gegenüber Gott und Gottes Heilszuwendung zu seinem Volk wird in Deut 7,9 so formuliert: „Jahwe, dein Gott, ist der Gott; er ist der treue Gott; noch nach tausend Generationen achtet er auf den Bund und erweist denen seine Huld, die ihn lieben und auf seine Gebote achten.“ Dieser Satz wird von Nehemia aufgenommen: „Ich sagte: Ach, Herr, Gott des Himmels, du großer und furchtgebietender Gott! Du hältst deinen Bund und bewahrst deine Gnade denen, die dich lieben und deine Gebote halten“ (Neh 1,5). In Ps 144[145],20 LXX heißt es: „Der Herr bewahrt alle, die ihn lieben (φυλα' σσει κυ' ριος πα' ντας του` ς α� γαπω ñ ντας αυ� το' ν), und alle Sünder wird er vernichten“ (LXX.D). Daniel formuliert: „Herr, du großer und Furcht erregender Gott, du bewahrst denen, die dich lieben und deine Gebote halten, deinen Bund und deine Gnade“ (EÜ).220 Eine oft angeführte außerbiblische Parallele ist Plato, Resp 613a: „So müssen wir demnach denken von dem gerechten Manne, mag er nun in Armut leben oder in Krankheit oder was sonst für ein Übel gehalten wird, daß ihm ja auch dieses zu etwas Gutem ausschlagen werde im Leben oder auch nach dem Tode (ω� ς του' τω, ταυñ τα ει� ς α� γαθο' ν τι τελευτη' σει ζω ñ ντι η� και` α� ποθανο' ντι). Denn nicht wird wohl der je von den Göttern vernachlässigt, der sich beeifern will, gerecht zu werden und, indem er die Tugend übt, soweit es dem Menschen möglich ist, Gott ähnlich zu sein“.221 Man darf bei der Behandlung dieser Stellen den jeweiligen Kontext nicht vergessen. Die atl. Aussagen gehören zum Kontext des Bundes, den Jahwe mit Israel geschlossen hat und zu dessen Struktur einerseits die Erwählung und Rettung Israels durch Jahwe, andererseits die Verpflichtung auf das Gesetz und die Alternative von Segen und Fluch gehören. Plato schreibt im Zusammenhang einer polytheistischen Vielfalt von Göttern, spricht von einer Transformation des gerechten Menschen in Richtung Gottgleichheit und versteht den Nutzen für den Gerechten im Sinn des Ruhms von dessen Charakter.222 Zum oft vorausgesetzen TatErgehen-Zusammenhang s. Band 1, S. 284-286.
Nachdem Paulus in V. 18 die Leiden der gegenwärtigen Zeit in den Zusammenhang der kommenden Herrlichkeit der Jesusbekenner gestellt und im Hinblick auf die Schöpfung, die Gläubigen und den Geist erläutert hatte (V. 19-22.23-25.26-27), formuliert er positiv und grundsätzlich: denen, die Gott lieben, verhilft alles zum Guten (V. 28a). Subjekt ist „alles“ (πα' ντα [panta]),223 zu dem im Kontext auch die Leiden der Gegenwart (V. 18) ————————————————————
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Ex 20,6; Deut 5,10; 7,9; 11,1; 30,16.20; Jos 22,5; Neh 1,5; Dan 9,4; Sir 2,15; TestBen 3,1. Vgl. DanBel 38; Sir 34,16; PsSal 6,6; 10,3; 14,1; TestBen 4,5. Wischmeyer, ΘΕΟΝ ΑΓΑΠΑΝ, 143 meint, diese Aussagen von der Liebe zu Gott stünden in einem Zusammenhang mit der jüdischen „Leidens- und Geduldstheologie“. Wolter I 529 Anm. 107 bleibt skeptisch. Vgl. Hommel, Denen, die Gott lieben, 126-129. Die häufig angeführte Stelle aramAhiq 103 (vgl. Bauer, τοιñς α� γαπω ñ σιν το` ν θεο' ν, 106-112) ist keine Parallele; Wolter I 529. Vgl. Plato, Leg 716c-d; Theaet 176b; vgl. Wildberg, Socratic Notion of Piety, 26; Kooten, Paul’s Anthropology, 129-134.146.200. Paulus spricht in Röm 8,28-29 nicht von einer Assimilierung des Menschen an Gott im platonischen Sinn. Dies ist die Mehrheitsmeinung, die die Syntax des Satzes am natürlichsten erklärt; vgl. Cranfield I 425-427; Wilckens I 162; Haacker 506; Lohse 251. Andere verstehen πα' ντα
254 Römerbrief ————————————————————————————————————
gehören. Hinter dem Subjekt „alles“ steht, für Paulus selbstverständlich, die Souveränität Gottes. „Die Gott lieben“ (τοιñς α� γαπω ñ σιν το` ν θεο' ν [tois agapōsin ton theon]) sind im Kontext des Römerbriefs die Jesusbekenner, die „berufenen Heiligen“ (1,7; 8,28b):224 Sie lieben Gott, indem sie an seinen gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus glauben, in dessen Sühnetod am Kreuz Gott seine Gerechtigkeit geoffenbart hat und Sündern aus Heiden und Juden Vergebung und Rechtfertigung zuteilwerden lässt (3,21-26; 4,23-25), und indem sie geduldig auf die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes bei der Wiederkunft Jesu warten, die Erfüllung ihrer Hoffnung inmitten von Leiden (8,24-25). Das mit „verhelfen“ übersetzte Verb (συνεργειñ [synergei]) kann „mitwirken“ bedeuten, ist aber angesichts der Betonung der Souveränität Gottes in V. 28b.29-30 und der Betonung der unverdienten Gnade Gottes in 3,24 nicht im Sinn einer („synergistischen“) Mitwirkung des glaubenden Sünders bei der Verwirklichung des Heils zu verstehen;225 die Bedeutung „verhelfen zu“ ist vorzuziehen.226 Das „Gute“ (α� γαθο' ν) ist die Erfahrung von Gottes Heil, im Kontext konkret die Heilsvollendung, wenn das Hoffen vom Schauen abgelöst wird (V. 24-25). Die Apposition denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind (V. 28b) qualifiziert den Dativ „denen, die Gott lieben“. Mit dem Wort „Ratschluss“ (προ' θεσις [prothesis]) verweist Paulus auf den Heilsplan Gottes, auf „die freie, souveräne Art des göttlichen Heilshandelns“.227 Die Wendung κατα` προ' θεσιν verweist auf Situationen, in denen Menschen bestimmte Handlungen „nach Plan“ oder „wie vorgehabt“, d.h. absichtlich ausführen; vgl. Polybius 1,54,1; 3,43,11 u.a. Auf Gott bezogen kommt die Wendung nur bei Philo vor: Gott wollte, dass keines von den κατα` προ' θεσιν entstandenen Lebewesen jemals vernichtet wird (VitMos 2,61). Bei Paulus noch Eph 1,11; 3,11; 2Tim 1,9; vgl. Röm 9,11. Mit προ' θεσις ist hier weder das öffentlich bekannt gemachte Dekret noch die Voraussetzung einer These gemeint (vgl. LSJ s.v. προ' θεσις für Belege), sondern der Heilsratschluss Gottes (im AT ‘[ ֵעָדהedāh]; vgl. Jes 5,19; 14,26; 19,17; Jer 49,20; Ps 33,1).
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als Akk. der Beziehung und ergänzen „Gott“ als Subjekt: „Gott hilft in allem zum Guten“; vgl. EÜ; Weiß 375-376; Lietzmann 87; Schlier 270; Wolter 528; Paulsen, Überlieferung, 253-254; Bauer/Aland s.v. συνεργε' ω als Möglichkeit. Diese Interpretation ist syntaktisch schwierig: Sie nimmt unmittelbar hinter dem Akk. το` ν θεο' ν den impliziten Nom. ο� θεο' ς an. Jewett 527 ergänzt „Geist“ aus den vorausgehenden Versen als Subjekt. Der Dativ τοιñς α� γαπω ñ σιν ist dativus commodi. Subjekt des Satzes sind nicht die Gläubigen, sondern „alles“ und das heißt letztlich Gott in seiner Souveränität. Vgl. 1Joh 4,19: „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“. Vgl. Bauer/Aland s.v. συνεργε' ω; s. IG2 654,15-16; Plutarch, Mor 769D; Polybius 11,9,1. Michel 276. Wolter I 530 spricht von Gottes „vorgängiger Enscheidung (προ' θεσις) darüber, an welchen Kriterien sich sein ‚Berufen‘ orientieren wird“.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 255 ————————————————————————————————————
Ob Paulus hier auf Gottes „ewigen“, d.h. „vor Grundlegung der Welt“ gefassten Heilsplan verweist,228 ist möglich, aber nicht explizit ausgesprochen. Paulus spricht von zwei Handlungen Gottes: Gott hat einen vorgängigen Entschluss gefasst, und Gott hat (später) berufen. Die substantivierte Partizipialwendung τοιñς κλητοιñς ουò σιν [tois klētois ousin], „die berufen sind“, knüpft an 1,7 an (κλητοιñς α� γι'οις [klētois hagiois]; „die berufenen Heiligen“). Gottes „Ratschluss“ besteht darin, dass die Sünder aus Juden und Heiden, die zum Glauben an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus kommen und damit Gott lieben, „Berufene“ und somit „Heilige“ sind. Im Kontext von 1,18–3,20 ist der Zusammenhang der Aussage V. 28b mit der atl. Gottesvolktypologie ernst zu nehmen, wo wiederholt von der Erwählung Israels die Rede ist (Deut 4,37; 7,6-7; 10,15; Jes 41,9; 43,1; 48,12; 51,2; 54,6; Hos 11,1; Joel 3,5). Was seither für das Volk Gottes galt, gilt jetzt für die Glaubenden aus Juden und Heiden, die Gott lieben und zum Glauben an den Messias Jesus gekommen sind. Paulus erläutert V. 28b in V. 29 im Hinblick auf den Ratschluss Gottes und in V. 30 im Hinblick auf die Berufung. 29 Paulus formuliert in V. 29-30 einen Kettenschluss (vgl. 5,3-5) mit fünf Gliedern: προε' γνω – προω' ρισεν – ε� κα' λεσεν – ε� δο' ξασεν, der den Ratschluss Gottes erläutert (ο« τι) und die Heilsgewissheit der Jesusbekenner unterstreicht.229 Das zweite Glied ist durch eine Erklärung hervorgehoben. Paulus setzt bei dem vorzeitigen Ratschluss Gottes ein. V. 29a greift V. 28b auf und betont, dass Gott die an den Messias Jesus Glaubenden im Voraus erkannt hat (προε' γνω [proegnō]). Das Verb, das auch mit „im Voraus ausersehen“ bzw. „erwählen“ übersetzt werden kann,230 nimmt einen atl. Erwählungsbegriff auf ([ ָיַדעyāda‘]), der kein neutrales Wissen bezeichnet, sondern „eine Bewegung des Willens …, ein Anerkennen, ein Erfassen des anderen, eine bestimmte Art des Erwählens“.231 Vgl. Num 16,5 LXX: „Gott hat geprüft und erkannt (ε» γνω), die zu ihm gehören, und die Heiligen“; zitiert in 2Tim 2,19; „Nun hat Gott sie erkannt (ε» γνω), und ‚heiliges Volk Gottes‘ wird es genannt werden“ (Hos 12,1 LXX); in Röm 11,2 im Blick auf Israel: „Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erkannt hat (προ-ε' γνω)“. In 1Kor 8,3 ist die Liebe zu Gott ein Zeichen der ————————————————————
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1Kor 2,7; Eph 1,4; 4,11; vgl. Ps 74,2; Joh 17,24; 1Petr 1,20; sowie AssMos 1,14; JosAs 8,9; 1QH IX, 9-22. Die Verse, vor allem V. 29b-30, werden oft mit einem Sitz im Leben im Taufgeschehen verbunden (Käsemann 236; Michel 277), was aus dem Text nicht hervorgeht. Bauer/Aland s.v. προγινω' σκω; BDAG s.v. προγινω' σκω 2, „choose beforehand“. Vgl. 1Petr 1,20; in Apg 26,5 bedeutet das Verb „von früher her kennen“. Michel 277.
256 Römerbrief ————————————————————————————————————
Erwählung durch Gott: „Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt (ε» γνωσται)“. In Gal 4,9 schreibt Paulus: „Jetzt aber habt ihr Gott erkannt – vielmehr ihr seid von Gott erkannt worden“. Das vorherige Erkennen Gottes bedeutet, dass Gott sich den Menschen zu eigen macht. Der Satz die hat er auch im Voraus dazu bestimmt (προω' ρισεν [proōrisen]) bezeichnet ein vorheriges Bestimmen, in dem Gott den von ihm erkannten Menschen (oder das von ihm erkannte Volk) ein bestimmtes Ziel setzt.232 Das Ziel der Erwählung der Jesusbekenner wird in V. 29b formuliert: dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet zu sein. Das Wort „gleichgestaltet“ (συμμο' ρφους [symmorphous]), das als substantiviertes Adjektiv interpretiert werden kann,233 erinnert, nicht zuletzt wegen des Präfixes συν[syn-], an V. 17: Wir sind Miterben (συγκληρονο' μοι) des Messias Jesus, so gewiss wir „mit ihm leiden“ (συμπα' σχομεν), „damit wir auch an seiner Herrlichkeit teilhaben“ (συνδοξασθω ñ μεν).234 Die Formulierung „Bild seines Sohnes“ (ει� κω` ν τουñ υι�ουñ αυ� τουñ [eikōn tou hyiou autou]) ist gen. epexegeticus: Jesus, der Sohn Gottes, ist das Bild Gottes, d.h., Gott ist in Jesus sichtbar geworden, er hat sich in ihm geoffenbart (2Kor 4,4; Kol 1,15; vgl. Hebr 1,3). Im Kontext wiederholter direkter und indirekter Verweise auf Adam235 erinnert die Formulierung zugleich an die Erschaffung Adams „im Bild Gottes“ (κατ’ ει� κο' να θεουñ [kat’ eikona theou]; Gen 1,27). „Gestalt“ (μορφη' ) ist in Phil 2,6 die konkrete Ausprägung des Wesens Gottes; hier ist von der konkreten Ausprägung des Wesens des Messias Jesus die Rede. Paulus betont mithilfe der Erwählungsaussage, und im Kontext eines Kettenschlusses, die Gewissheit, dass Jesusbekenner die gleiche „Gestalt“ haben werden, die Jesus als „Bild Gottes“ hat – die Herrlichkeit (δο' ξα), die er zusammen mit seiner Auferweckung und Erhöhung hat (Phil 3,21), wird auch unsere Herrlichkeit sein. Diese Aussage beinhaltet die Verwandlung unseres Leibes und unseres Lebens. Man kann die Aussage in V. 29b auf die Zukunft beziehen; vgl. Phil 3,20: „Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes (συ' μμορφον τω ñ, σω' ματι τηñ ς δο' ξης αυ� τουñ ), in der Kraft, mit der er ————————————————————
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Vgl. Bauer/Aland s.v. προορι' ζω „vorherbestimmen“; das Verb kommt auch in 1Kor 2,7; Eph 1,5.11; Apg 4,28 vor; in außerchristlichen Texten ist das Verb erst in nachneutestamentlicher Zeit belegt; vgl. Plutarch, Mor 70 b; TestSal 12,3; Galen, HippocrLibrFract 540,9 (ed. Kühn). Vgl. Wolter I 532, mit der Übersetzung „die hat er auch im Voraus eingesetzt als der äußeren Erscheinung seines Sohnes Gleichgestaltete“. Vgl. 6,5 συ' μφυτοι und 6,8 συζη' σομεν, wo im Blick auf die Bekehrung davon die Rede ist, dass Jesusbekenner mit dem Messias Jesus vereinigt sind. Röm 1,22-24; 3,23; 5,12-19; 7,7-13; 8,20.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 257 ————————————————————————————————————
sich alles unterwerfen kann“ (EÜ); 1Kor 15,49.51: „Und wie wir das Bild des irdischen (Menschen) getragen haben, so werden wir auch das Bild (τη` ν ει� κο' να) des himmlischen (Menschen) tragen … wir werden alle verwandelt werden (α� λλαγησο' μεθα)“. Man kann auch im Sinn eines Prozesses der Verwandlung durch das irdische Christenleben hindurch denken; vgl. 2Kor 3,18: „Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn (δο' ξαν κυρι'ου) wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt (μεταμορφου' μεθα), von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (α� πο` δο' ξης ει� ς δο' ξαν), durch den Geist des Herrn“ (EÜ). Die allgemein gehaltene Formulierung in V. 29 lässt es ratsam erscheinen, die Aussage weder auf die Zukunft236 noch auf die Gegenwart237 zu beschränken, sondern beide Perspektiven angesprochen zu sehen,238 auch wenn die Betonung auf der zukünftigen Teilhabe an der Herrlichkeit des auferstandenen und erhöhten Kyrios Jesus liegt. Die „Offenbarung der Söhne Gottes“ (V. 19) bringt die „Erlösung unseres Leibes“ (V. 23) und besteht in Teilhabe an der Gestalt des Auferstandenen, der das Bild Gottes ist (V. 29b). Die Aussage V. 29c: sodass er der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist kann final oder konsekutiv verstanden werden. Das Wort „Erstgeborener“ (πρωτο' τοκος [prōtotokos]) beschreibt die einzigartige Würde des Messias Jesus, der Bild Gottes ist und als „sein Sohn“ (τουñ υι�ουñ αυ� τουñ ; V. 29b) der Erste in einer Reihe von „Söhnen“ ist, die ebenfalls Gott als Vater haben (V. 15-16.19.23). In 1Kor 15,20 wird der auferstandene Messias Jesus als „Erstling (α� παρχη' ) der Entschlafenen“ bezeichnet, in Kol 1,18 als „Erstgeborener (πρωτο' τοκος) der Toten“ (vgl. Offb 1,5). In diesen Stellen wird die Hoheitsstellung des auferstandenen und erhöhten Messias Jesus betont, in Anknüpfung an die Rede von Israel als dem „Erstgeborenen“.239 Hier geht es Paulus um die Verbindung der Jesusbekenner mit Jesus. In der Verherrlichung des Messias Jesus ist die Herrlichkeit der Jesusbekenner angelegt: Jesus ist als Sohn Gottes dann der Erstgeborene, wenn die an ihn glaubenden „Söhne Gottes“ an seiner Herrlichkeit Anteil haben, sodass er dann der Erstgeborene „unter vielen Brüdern“ (ε� ν πολλοιñς α� δελφοιñς [en pollois adelphois]) ist. Als Verherrlichte sind Jesusbekenner, die Söhne ————————————————————
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Vgl. Barrett 159-160; Lohse 253; Wolter I 532; Balz, Heilsvertrauen, 110-114. Zahn 417; Käsemann 236; Fitzmyer 525; Jewett 528-529. Cranfield I 432; Wilckens II 163; Dunn I 483; Schreiner 453 Wilckens ebd.: „So vollzieht sich alles christliche Leben in Glauben und Hoffnung grundsätzlich als Teilhabe an Christus“. Ex 4,22; Jer 31,9; vgl. PsSal 18,4; 4Esr 6,58; in Röm 9,4 redet Paulus von „Sohnschaft“. Die Belege für „Erstgeborener“ bezogen auf den Messias, ExR 19 (81d), oder die Tora (Bill. III, 257-258) sind nachneutestamentlich und sollten hier nicht zur Erklärung herangezogen werden (gegen Wilckens II 164-165).
258 Römerbrief ————————————————————————————————————
Gottes (V. 14) und „Miterben des Messias“ (V. 17), die Brüder Jesu, des Erstgeborenen – und sie sind dies schon jetzt, weil sie mit ihrer Bekehrung und infolge der Gabe des Heiligen Geistes bereits in der Gegenwart Söhne und Kinder Gottes sind.240 30 Das dritte Glied des Kettenschlusses beginnt die Erläuterung der Berufung V. 28b: Die er aber im Voraus bestimmt hat, die hat er auch berufen (V. 30a). In der an V. 29b anknüpfenden Wendung „die er im Voraus bestimmt hat“ (ου� ς προω' ρισεν) ist „dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet zu sein“ mitzuhören. Paulus spricht jetzt von der Verwirklichung der vorgängigen, vorzeitigen Erwählung (προε' γνω) und Bestimmung (προω' ρισεν) der an Jesus Glaubenden in der Gegenwart. Das Subjekt von „er hat berufen“ (ε� κα' λεσεν [ekalesen]) ist Gott. Gottes „Berufung“ ist hier der in der Verkündigung des Evangeliums ergehende Ruf zum Glauben an den Messias Jesus, der in der Bekehrung dem Sünder zugeeignet wird.241 Jesusbekenner sind „Berufene des Messias Jesus“ (κλητοι` � Ιησουñ Χριστουñ ) und „berufene Heilige“ (κλητοι` α� γι'οι; 1,6.7a; s. dort zu κλητο' ς). Im Zusammenhang von V. 29 und V. 30b wird deutlich: Der Ruf Gottes ist nicht in dem Sinn „ergebnisoffen“, als dass der Sünder dem Ruf Folge leistet oder nicht Folge leistet – der Ruf Gottes ist effektiv, sodass der Sünder mit dem Gehorsam des Glaubens antwortet. Der Ruf Gottes, der zum vorgängigen Heilsplan Gottes gehört und das Heil des Sünders im Tod und in der Auferweckung des Messias Jesus verwirklicht, ergreift den im Voraus bestimmten Sünder (V. 30a) und führt ihn zum Glauben. Die Berufung durch Gott und die Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus sind, wie zwei Seiten einer Medaille, untrennbar: Gott ruft zum Glauben, und der Sünder antwortet auf den Ruf Gottes. Berufung und Bekehrung betreffen ein einziges Ereignis, das von zwei unterschiedlichen Perspektiven her gesehen wird. Das Zum-Glauben-Kommen des Sünders ist die Wirkung der Macht Gottes (1Kor 1,24; 2,5). Deshalb folgt auf die Berufung die Rechtfertigung: und die er berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt (V. 30b). Wo Gott Sünder zum Heil berufen hat, hat er sie auch „gerechtfertigt“ (ε� δικαι'ωσεν [edikaiōsen]). Die Leser werden an 1,17; 3,24.28.30; 5,1.9 erinnert (zu δικαιο' ω s. zu 1,17). Die Einbindung der Aussage als viertes Glied des Kettenschlusses bindet die Rechtfertigung an die Erwählung und Berufung. Die Erwählung und Berufung Gottes werden in der Rechtfertigung des Sünders Wirklichkeit. ————————————————————
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Zum Thema von Brüdern und Schwestern bzw. Geschwistern in den paulinischen Briefen s. jetzt Aasgaard, Brothers. Vgl. Röm 1,6.7; 9,24; 1Kor 1,2.9.24; 7,15.17-18.20-22.24; Gal 1,6; 5,13; 1Thess 4,7.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 259 ————————————————————————————————————
Ziel des Kettenschlusses ist das fünfte Glied: die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht (V. 30c). Paulus erinnert an die Ausgangsaussage V. 18, nach der die Leiden der gegenwärtigen Zeit in keinem Verhältnis „zu der kommenden Herrlichkeit stehen, die an uns offenbar werden wird“. Es geht um die „Herrlichkeit“ (δο' ξα [doxa]), die Adam und damit alle nach ihm kommenden Sünder verloren haben (3,23) und auf die die Jesusbekenner hoffen (5,2; 8,17). In V. 30c unterstreicht der Aorist der Formulierung „er hat verherrlicht“ (ε� δο' ξασεν [edoxasen]), dass die Wirklichkeit, die nach V. 18.21 ein zukünftiges Geschehen ist, eine gegenwärtige Realität ist. Gott hat die Jesusbekenner bereits „verherrlicht“, weil er sie „erwählt“, „berufen“ und „gerechtfertigt“ (V. 29.30a-b) und zu Kindern und Erben eingesetzt (V. 17) hat. Wenn man die Vergangenheitsperspektive des Aorists berücksichtigt, will das Verb zum Ausdruck bringen, „dass die Entscheidung über die Ausstattung der Glaubenden mit der Herrlichkeit Gottes bereits gefallen ist“.242 Wie die Rechtfertigung für Jesusbekenner gegenwärtige Wirklichkeit ist, so ist auch ihre Verherrlichung gegenwärtige Realität – die an uns offenbar werden wird (V. 18), wenn das Hoffen zum Schauen wird (V. 24-25). IV Paulus beschreibt in 8,18-30 das neue Leben der Jesusbekenner, das er in 8,1-17 als neue Existenz im Gesetz des Geistes des Lebens dargestellt hatte, als Leben, das von den Leiden der gegenwärtigen Zeit gekennzeichnet ist, ohne dass dies die Heilsgewissheit mindert. Wenn man von den mehrfachen Hinweisen auf den Heiligen Geist in V. 23.26.27 ausgeht, die den Abschnitt mit dem vorausgehenden Abschnitt verbinden, dann betont Paulus, dass der Geist nicht nur die Zugehörigkeit zu Gott und unsere Gotteskindschaft vermittelt, sondern zugleich die Macht ist, die uns hilft, die Leiden der gegenwärtigen Zeit durchzustehen und als Teilhabe am Leiden des Messias und deshalb im Zusammenhang unserer zukünftigen Verherrlichung als Teilhabe an der Verherrlichung des Messias zu begreifen.243 Die Rede vom Eintreten des Geistes für die Gläubigen vor Gott, der das Begehren des Geistes kennt, zeigt: Paulus kennt „eine Art Bewegung zwischen Gott selbst und seinem Geist. Nimmt der Geist an der Art der Schöpfung und des Glaubens ————————————————————
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Wolter I 534 mit Verweis auf Philo, Praem 161 (mit „Herrlichkeit vor der Herrlichkeit“ als Übersetzung, während Philo die Hoffnung beschreibt als „Freude vor der Freude“ [χαρα` προ` χαραñ ς]). Lohse 253 spricht von einem „jubelnden Ausruf “, Wilckens II 165 (mit Verweis auf Schille, Hymnen, 89-90) will in V. 29a.30 „Hymnenstil“ erkennen. Beides wird der Form des Kettenschlusses nicht gerecht. Wilckens II 165.
260 Römerbrief ————————————————————————————————————
Anteil, dann erkennt Gott in dieser Stellvertretung die Durchführung seines eigenen Willens und Planens“.244 Wenn man die Rede von der „Herrlichkeit“ am Anfang und Ende des Abschnitts (V. 18.30) zum Leitfaden nimmt, geht es in dem Abschnitt grundlegend um die Heilserwartung, d.h. um die zukünftige Heilsvollendung (Eschatologie). Von der Heilszukunft war schon in 5,2.5.9-11.17.21; 6,5.8. 22.23 die Rede gewesen. Insbesondere besteht ein Zusammenhang mit 5,1-5, wo Paulus sowohl vom Geist als auch von der Herrlichkeit als Gegenstand christlicher Hoffnung gesprochen hatte.245 Sowohl dort als auch hier begründet Paulus die Heilsgewissheit der Jesusbekenner mit einem Kettenschluss (5,3-5; 8,29-30). Sowohl dort als auch hier betont Paulus die Geduld als Kennzeichen des christlichen Lebens (5,3; 8,25). Während es jedoch in 5,3 bei der „Bedrängnis“ (θλι'ψις) um konkrete Leidenserfahrung der Glaubenden geht, verweisen die „Leiden der gegenwärtigen Zeit“ (τα` παθη' ματα τουñ νυñ ν καιρουñ ; 8,18) in einem größeren Zusammenhang auf die menschliche Begrenztheit und Schwäche, die erst aufgehoben werden, wenn die „Erlösung unseres Leibes“ (V. 23) Wirklichkeit wird, zusammen mit dem Offenbarwerden der Herrlichkeit Gottes an uns (V. 18), der Offenbarung der Söhne Gottes (V. 19) und der Herrlichkeit der Kinder Gottes (V. 21). Die „Schwäche“ der Glaubenden (V. 26; vgl. 6,19) ist der Umstand, dass sie in demselben sterblichen und „toten“ Leib leben wie vor ihrer Bekehrung (6,12; 8,10-11.13) – deshalb ist ihr Leib und ihr Leben von den „Leiden der gegenwärtigen Zeit“ gekennzeichnet, die auch Nichtchristen kennen. Genau in diesem Zusammenhang vergewissert Paulus die Jesusbekenner ihres Heils. Nachdem er in 6,1-11 betont hatte, dass sich die gesamte Existenz verändert hat, und nachdem er in 8,1-17 herausgestellt hatte, dass sie durch die Kraft des Heiligen Geistes die Machenschaften des Leibes töten und so leben können, dass sie vom Geist geleitet sind und damit ihren Status als Söhne bzw. Kinder Gottes bestätigen und bewahrheiten, betont er in 8,18-30: 1. Das von Gott gewährte und gesicherte Heil ist als Hoffnung gegenwärtig (V. 24a); 2. es gehört zum Wesen der Hoffnung, dass zwischen Hoffen und Schauen ein Unterschied besteht (V. 24b); 3. Jesusbekenner warten mit Geduld (V. 25), unterstützt von der Macht des Heiligen Geistes (V. 26) und mit der Gewissheit, dass die Heilsvollendung für die, die Gott ————————————————————
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Michel 273; daran anknüpfend Dunn I 480: „Die Tatsache, dass der jüdische Monotheismus eine derartige Dehnung seiner zweifachen Betonung der göttlichen Immanenz und der göttlichen Transzendenz aufnehmen konnte, weist darauf hin, dass er mehr Platz hatte für die christliche Neuformulierung in einer trinitarischen Richtung, als man gewöhnlich annimmt“. Wolter I 535.
Das Leiden der Gläubigen in Hoffnung 8,18-30 261 ————————————————————————————————————
lieben, gesichert ist (V. 28), weil Gott sie erwählt, vorausbestimmt, berufen, gerechtfertigt und verherrlicht hat.246 Die Heilsgewissheit der Jesusbekenner wird in der christlichen Dogmatik mit dem Stichwort der Prädestination bezeichnet. Manche Ausleger wehren sich dagegen in V. 29-30 „den prädestinatorischen Gedanken“ einzutragen, „dass Gott vorherbestimmt hat, wer glaubt (nach V. 28: ihn ‚liebt‘) und wer nicht. Es geht vielmehr auch in diesem Vers ausschließlich um Gottes (und nicht um menschliches) Handeln“.247 Dieser Einwand geht an der Gesamtaussage des Kettenschlusses in 8,29-30 vorbei. Natürlich geht es hier ausschließlich um das Handeln Gottes, was die Lehre von der Prädestination ja gerade betont; wenn nun Gott vorherbestimmt, dass Sünder, die an den Messias glauben, gerechtfertigt und verherrlicht werden, und wenn die Vorherbestimmung mit dem Ruf Gottes verbunden ist, durch den Sünder angesprochen und von dem sie erfasst werden, sodass sie zum Glauben an den Messias Jesus kommen, und wenn nicht alle Sünder glauben und deshalb vom Zorn Gottes im Endgericht getroffen werden (1,18–3,20), dann ist der Gedanke mindestens implizit enthalten, dass in Gottes vorgängigem Ratschluss beschlossen ist, wer glaubt und wer nicht glaubt. Dazu ausführlicher bei 9,6-29. Der kurze Abschnitt über die Schöpfung in 8,19-22 wird von manchen Auslegern im Sinn einer christlichen Umweltethik interpretiert. So hört man in dem Text „den dringlichen Appell an den glaubenden Menschen, eschatologische Verantwortung für die Schöpfung zu übernehmen“.248 Die Exegese dieser Verse gibt für den Entwurf einer Umweltethik jedoch nichts her.249 Dass sich Christen im Rahmen einer biblischen Schöpfungsethik „gegen die zeitgenössische gnadenlose Profit- und Ausbeutermentalität im Umgang mit der Schöpfung“ wehren,250 versteht sich von selbst, wenn man die Lehre von der Schöpfung ernst nimmt, die als Schöpfung immer Gottes Schöpfung ist und bleibt. M. Wolter hat recht: „Es ist Gott selbst, der die Schöpfung von ihrer Unterwerfung unter die ματαιο' της befreien wird. Niemand kann ihn dabei vertreten, denn hierbei handelt es sich um ein ————————————————————
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Wolter I 536 betont zu Recht, dass die Argumentation in diesem Abschnitt keine antienthusiastische Stoßrichtung hat: „Paulus will vergewissern und nicht kritisieren“. Während es für 8,18-30 zutreffen mag, dass Paulus nicht von der „existentiellen Erfahrbarkeit von Gottes Heil in der Gegenwart“ (ebd.) spricht, so wäre dies angesichts der Aussagen in 6,1-11 und 8,1-17 (im Kontext von 7,7-25) als generelle Aussage problematisch. Wolter I 533. Kühlschelm, Schöpfung, 276, zitiert von Wolter I 516; vgl. Haacker 200-201; Rimbach, Creation; Stuhlmacher, Krise; Vollenweider, Freiheit,382-396; Birkel, Zukunft, 106-109. Vgl. Hunt/Horrell/Southgate, Ecological Interest, 546-579. Theobald I 249.
262 Römerbrief ————————————————————————————————————
eschatisches Geschehen“.251 U. Wilckens betont einerseits, dass vom Menschen her genauso wenig eine Aussicht auf eine Befreiung von der Vergänglichkeit der Schöpfung, als ökologische Ausbeutung der Natur verstanden, besteht wie der Sünder sich nicht selbst von der Herrschaft der Sünde befreien kann, anderseits hält er fest, dass man im Kontext des Evangeliums verkündigen kann, dass der Natur als Gottes Schöpfung eine solche Befreiung bevorsteht, die Gott selbst schaffen wird, und dass die Verkündigung dieser Zukunftshoffnung „dazu frei macht, das Menschenmögliche zu tun, um der drohenden ökologischen Katastrophe entgegenzuwirken“.252 Dabei stellt sich die Frage, wie überzeugend eine solche Verkündigung sein kann, wenn das Wort „Schöpfung“ nicht mehr als Aussage über die Herkunft der Welt verstanden wird. Was diese Verse unterstreichen, ist das, was Paulus in 1Kor 15,35-58 argumentiert: Die zukünftige Heilsvollendung, in der die Jesusbekenner die „Erlösung des Leibes“ (Röm 8,23) erleben, ist eine neue Realität mit neuen Leibern – auf einer neuen Erde (vgl. Offb 21,1).
Der Triumph der Gläubigen 8,31-39 I 31 Was sollen wir nun dazu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer kann dann gegen uns sein? 32 Er hat sogar den eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben – wie wird er uns mit ihm nicht alles schenken? 33 Wer könnte gegen die Auserwählten Gottes Anklage erheben? Gott ist der, der gerecht spricht. 34 Wer könnte verurteilen? Der Messias Jesus ist der, der gestorben ist – mehr noch: der auferweckt worden ist, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns eintritt. 35 Wer sollte uns trennen von der Liebe des Messias? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung oder Hunger oder Nacktheit oder Gefahr oder Schwert? 36 Wie geschrieben steht: Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag, werden wir als Schlachtschafe angesehen. 37 Aber in all dem tragen wir einen überwältigenden Sieg davon durch den, der uns geliebt hat. 38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben noch Engel noch Mächte noch Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten 39 noch Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns jemals trennen könnte von der Liebe Gottes im Messias Jesus, unserem Herrn. ————————————————————
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Wolter I 516. Wilckens II 169.
Der Triumph der Gläubigen 8,31-39 263 ————————————————————————————————————
II Der mit rhetorischer Eindringlichkeit formulierte Abschnitt bringt den Gedankengang der Kapitel 6–8 zum Abschluss, in denen Paulus die Wirklichkeit der Heil schaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes in Tod und Auferweckung des Messias Jesus behandelt hatte. Die rhetorische Frage V. 31a wird in V. 31b-39 beantwortet. Paulus formuliert in der 1. Person Plural, mit der die Jesusbekenner gemeint sind. Der Abschnitt kann unterschiedlich gegliedert werden.253 Wenn man von formalen Gesichtspunkten ausgeht, ergeben sich die folgenden drei Abschnitte: 1. Die Aussage „wenn Gott für uns ist“ (V. 31b) wird in V. 32 erläutert; 2. die rhetorische Frage „wer kann dann gegen uns sein?“ (V. 31c) wird in V. 33-34 entfaltet, mit Gott (V. 33) und dem Messias Jesus (V. 34) als Verteidiger der Jesusbekenner, deren Handeln für uns sowohl die Anklage als auch eine mögliche Verurteilung gegenstandslos machen; 3. die Aufzählung von Leidenserfahrungen und Mächten in V. 35-39 zeigt die Lebenswirklichkeit der Jesusbekenner, in der gilt, dass nichts uns von der Liebe Gottes im Messias Jesus scheiden kann. Wenn man von den erwähnten Personen ausgeht, ergibt sich ebenfalls eine Gliederung in drei Teile: 1. Das Verhältnis der Jesusbekenner zu Gott (V. 31b-34a); 2. das Verhältnis zum Messias Jesus (V. 34b-37); 3. das Verhältnis zu Gott (V. 38-39). Die ersten beiden Abschnitte (V. 31b-34/34b-37) sind durch τι'ς-Fragen (V. 31.33.34.35) miteinander verbunden; der zweite Abschnitt ist mit dem dritten Abschnitt verbunden durch katalogartige Aufzählungen (V. 35.38-39a), durch das Stichwort „Liebe“ und durch die Versicherung, dass uns nichts von der Liebe des Messias bzw. Gottes scheiden kann. V. 31a V. 33a V. 34a V. 35a
τι' ς καθ’ η� μω ñ ν; τι' ς ε� γκαλε' σει κατα` ε� κλεκτω ñ ν θεουñ ; τι' ς ο� κατακρινω ñ ν; τι' ς η� μαñ ς χωρι' σει α� πο` τηñ ς α� γα' πης τουñ Χριστουñ ;
V. 35b V. 38b-39a
θλιñψις στενοχωρι' α διωγμο' ς λιμο' ς θα' νατος ζωη' α» γγελοι α� ρχαι' υ« ψωμα βα' θος τις κτι' σις ε� τε' ρα
γυμνο' της κι' νδυνος μα' χαιρα ε� νεστω ñ τα με' λλοντα δυνα' μεις
Das Gegenüber von Gott bzw. dem Messias und rhetorischer τι' ς-Frage knüpft an eine breite atl. Tradition an, in der manchmal von einem imaginä————————————————————
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Für das Folgende vgl. jeweils Wilckens II 170-171 und Wolter I 537. Gegen Wilckens ist einzuwenden, dass V. 31b keine „These“ ist: Der Satz ist eine rhetorische Frage, formuliert als Bedingungssatz mit τι' ς in der Apodosis, und gehört mit den folgenden rhetorischen Fragen zusammen.
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ren Rechtsstreit mit Gott die Rede ist. Meist wird auf Jes 50,8-9 verwiesen: „Denn der, der mich gerechtfertigt hat (ο� δικαιω' σας με), nähert sich; wer (τι'ς) ist es, der mit mir rechtet? Soll er mir zugleich entgegentreten! Und wer (τι'ς) ist es, der mit mir rechtet? Trete er heran zu mir! Siehe, der Herr hilft mir; wer wird mir Böses antun? Siehe, ihr werdet altern wie ein Kleid, und (es wird sein,) als ob eine Motte euch fressen wird“ (LXX.D). Viele andere Stellen belegen diese Form ebenfalls.254 Die τι'ς-Fragen sind rhetorisch, die Antwort steht fest: Niemand kann gegen uns sein (V. 31c); niemand kann gegen die Auserwählten Gottes Anklage erheben (V. 33a); niemand kann die Jesusbekenner verurteilen (V. 34a); niemand kann uns von der Liebe des Messias trennen (V. 35a). Paulus knüpft an atl. und urchristliche Tradition an. Die These, Paulus habe eine Vorlage verwendet und mit kommentierenden Anmerkungen versehen,255 ist weder notwendig noch plausibel. Der Abschnitt ist weder ein Hymnus noch eine Doxologie,256 sondern „ein argumentativer Text, der sich rhetorischer Mittel bedient, wie sie vor allem für die hellenistische Diatribe typisch sind“,257 wozu vor allem die rhetorischen Fragen und die Wortreihungen gehören.258 Die rhetorischen Fragen und die katalogartigen Aufzählungen dienen der Hervorhebung der Eindringlichkeit, mit der Paulus zum Abschluss dieses zentralen Briefteils die Heilsgewissheit der durch den Tod, die Auferweckung und die Erhöhung des Messias Jesus geretteten Sünder hervorheben will. Textkritische Anmerkungen. In V. 32 ist die Lesart ου� δε` τουñ ι� δι'ου υι�ουñ in D der Versuch einer stilistischen Verbesserung. In V. 34 akzentuieren manche Handschriften κατακρινω ñ ν (Futur), andere κατακρι'νων (Präsens). Die Futurform ist plausibler. Die Lesart α« μα δε' vor Χριστο' ς in d46 ar d* will stilistisch verbessern und betont die Stellung Jesu an der Seite Gottes. Die Auslassung von � Ιησουñ ς in B D 0289 1739 1881 Byz ar m syp sa erklärt ————————————————————
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2Sam 16,10; Pred 7,13; Jes 14,27; 43,13; Am 3,8; Ps 88[89],9; 112[113],5; vgl. Num 24,23; 1Sam 2,25; 6,20; Ps 60[61],8; Hiob 9,12; 11,10; 34,29; 36,22-23; Joel 2,11; sowie Sir 18,5; Weish 9,13; 12,12-13. Vgl. Wolter I 538. Vgl. Schille, Liebe Gottes, 236-238; Paulsen, Überlieferung, 141-149; Osten-Sacken, Soteriologie, 20-25. Kritisch Wilckens II 171-172; Lohse 255; Wolter I 539. Michel 279; Paulsen, Überlieferung, 137ff.151. Wilckens II 169 überschreibt den Abschnitt mit „Das Siegeslied der Christen“, betont dann aber, dass die Annahme, der Text habe einen hymnischen Charakter, „in streng formgeschichtlichem Sinn“ nicht zutrifft. Balz, Heilsvertrauen, 116: Doxologie. Wolter I 539; vgl. Schmeller, Diatribe, 407; Ebner, Leidenslisten, 373-374. Schlier 276 Anm. 1; Wilckens II 172 vermuten, die Stilform entspreche den gottesdienstlichen Reden des Apostels, was die Aufnahme von liturgischem Gut erkläre. Dies ist möglich, aber nicht beweisbar, zumal Wir-Stil, der Anschluss mit ο« ς und gehäufter Partizipialstil (Wilckens, ebd. 171) nicht automatisch „liturgisches Gut“ belegen.
Der Triumph der Gläubigen 8,31-39 265 ————————————————————————————————————
sich leichter als die Hinzufügung.259 Nach ε� γερθει'ς fügen *אA C Ψ 0289vid 33 81 104 1506 ε� κ νεκρω ñ ν ein, was als sekundäre Verdeutlichung von Röm 6,9 erklärbar ist, zudem die Minus-Lesart gut bezeugt ist (d27vid.46 א2 B D F G 1739 1881 Byz latt sy). Die Auslassung von και' nach ο« ς ( *אA C 0289vid 81 629 945 1506 it vgww bo ist wohl eine stilistische Verbesserung; die Plus-Lesart ist gut bezeugt (d27.46 א2 B D F G Ψ 33 Byz b vgst syh sa). In V. 35 lesen א365 1506 u.a. θεουñ statt Χριστουñ (B hat θεουñ τηñ ς ε� ν Χριστω ñ, �Ιησουñ ); B will wohl an V. 39 angleichen, die anderen Handschriften ebenfalls; die Lesart Χριστουñ ist gut bezeugt (C D F G K L Ψ 33 81 104 u.a. Byz lat sy bo).260 Die Auslassung von η» vor διωγμο' ς (d46 D* F G) ist wohl ein Schreibfehler. In V. 37 ist die Lesart το` ν α� γαπη' σαντα (D F G latt) sekundär. In V. 39 lesen D F G b den Singular α» γγελος; das könnte als die schwierigere Lesart ursprünglich sein, ist aber im Vergleich zum Plural schlecht bezeugt. Das Wort α� ρχαι' wird in D bzw. C 81 104 al syh** bomss durch ε� ξουσι'α und ου» τε ergänzt (vor bzw. nach α� ρχαι'), was wohl Angleichung an Eph 1,21; 6,12; Kol 1,16; 2,10.15 ist. Die Minus-Lesart ist bestens bezeugt. Statt ε� νεστω ñ τα ου» τε με' λλοντα ου» τε δυνα' μεις lesen (Ψ) 33 Byz b syp die Wortfolge δυνα' μεις ου» τε ε� νεστω ñ τα ου» τε με' λλοντα, offensichtlich der Versuch einer systematischeren Aufzählung; die in d27vid.(46) אA B C D F G 0285 1505 1739 1881 vg sa bo bezeugte Lesart ist vorzuziehen. In V. 39 ist die Auslassung von τι'ς (d46 D F G 1505 lat sy) weniger gut bezeugt als die Plus-Lesart ( אA B C Ψ 0285 33 1739 1881 Byz). III
31 Die Frage Was sollen wir nun dazu sagen? (V. 31a) leitet einen neuen
Abschnittein.261 Die Präpositionalwendung „dazu“ (προ` ς ταυñ τα[pros tauta]) bezieht sich im engeren Kontext auf die Aussagen in V. 28-30, die jetzt direkt auf die Jesusbekenner bezogen (Übergang von der 3. Person in die 1. Person) und auf das zukünftige Gericht Gottes angewandt werden, im weiteren Kontext auf die Aussagen in 8,1-30 bzw. in 6,1–8,30, mit mehrfachen Berührungen mit 5,1-11.262 ————————————————————
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Wilckens II 173 Anm. 781; die Minus-Lesart bevorzugen Jewett 531 u.a. NA25-28 bleibt unentschlossen, vgl. Metzger, Textual Commentary, 458. Metzger, Textual Commentary, 458; Jewett 532; WolterI 537; Dochhorn, Prophetie, 295. Das Futur ε� ρουñ μεν hat deliberative Bedeutung; vgl. 3,5; 4,1; 6,1; 7,7; 9,14.30. Cranfield I 434 bezieht auf 1,16–8,30; vgl. Dunn I 499. Wilckens II 172 Anm. 767 und Jewett 535 halten dies für zu weit gefasst. Die thematischen Berührungen mit 5,1-11 sind kein Beleg dafür, dass 5,1–8,31 als Einheit zu verstehen ist (s. die Einleitung zu 5,1-11), sondern sie können als je einen Hauptabschnitt abschließende Vergewisserung des Heils verstanden werden.
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Der erste Teil (Protasis) des Bedingungssatzes formuliert keine hypothetische Bedingung, sondern eine feststehende Tatsache: Wenn Gott für uns ist (V. 31b). Wenn man die elliptische Formulierung mit ε� στι' ν (estin) ergänzt, wie es so gut wie alle Übersetzungen tun, ist zu beachten, dass Paulus keine Aussage zum Sein Gottes macht, sondern vom Handeln Gottes spricht.263 Die Aussage, dass Gott „für uns“ (υ� πε` ρ η� μω ñ ν [hyper hēmōn]) ist, kann als Summe des Evangeliums verstanden werden. Sachliche Parallelen finden wir in atl. Stellen, in denen von Israel bzw. den Frommen die Rede ist. Eindrücklich ist Ps 56,10: „Dann werden meine Feinde ablassen – an dem Tag, da ich rufe; dieses habe ich erkannt, dass Gott für mich ist (אל ִֹהים ִלי ֱ [ ִּכי־ki-ælohīm li])“ (Elb.Ü).264 In 5,5-8 hatte Paulus ausgeführt, dass Gott seine Liebe darin bewiesen hat, dass der Messias Jesus „für Gottlose gestorben“ ist (υ� πε` ρ α� σεβω ñ ν α� πε' θανεν); er ist für uns gestorben als wir noch Sünder waren (ε» τι α� μαρτωλω ñ ν ο» ντων η� μω ñ ν Χριστο` ς υ� πε` ρ η� μω ñ ν α� πε' θανεν); in 8,27 hatte Paulus betont, dass der Geist, den Gott den Jesusbekennern gegeben hat, „für die Heiligen eintritt“ (ε� ντυγχα' νει υ� πε` ρ α� γι'ων). Gott „ist für uns“, indem er zugunsten der Sünder gehandelt hat. Auf 8,14-17 bezogen: Gott ist für uns, weil er unser Vater ist und wir seine Kinder sind. Auf V. 28-30 bezogen: Gott ist für uns, indem er die an den Messias Jesus glaubenden Sünder nach seinem ewigen Ratschluss berufen, erwählt, zur Gleichgestalt des Bildes seines Sohnes vorherbestimmt, berufen und gerechtfertigt hat und ihnen die Verherrlichung garantiert. Die rhetorische Frage wer kann dann gegen uns sein? (τι'ς καθ’ η� μω ñν [tis kath’ hēmōn]) ist mit „Niemand“ zu beantworten. Das Szenario einer Gerichtsverhandlung, auf das hier oft verwiesen wird,265 ist noch nicht unbedingt vorausgesetzt, wie V. 32 zeigt.266 Auf die sachliche Parallele in Jes 50,8-9 wurde bereits verwiesen (Abschnitt II). Im Gegenüber zu Gott (ο� θεο' ς [ho theos]) ist jede andere Größe nur ein „Wer“, der Gottes Willen und Handeln zwar infrage stellen, aber niemals aufheben oder ins Gegenteil ver————————————————————
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Käsemann 238: „Nicht ein Gottesgedanke, sondern die in Jesu Tod zentrierende Heilstat charakterisiert den Gott für uns“, mit Verweis auf Luz, Geschichtsverständnis, 371; Balz, Heilsvertrauen, 118; vgl. Jewett 536; Wolter I 540. Die LXX übersetzt mit ο« τι θεο' ς μου ειò συ' („dass du mein Gott bist“). Auch in den parallelen Stellen Ps 23,4; 46,4.8.12; 118,6-7; 124,2; 1Chron 17,24 übersetzt die LXX nicht mit υ� πε' ρ, sondern oft mit der Formulierung, dass Gott „mit uns“ oder „bei uns“ (μετ’ ε� μουñ / μεθ’ η� μω ñ ν) ist. Kuss II 651-652; Michel 279; Zeller 165-166; Dunn I 500; Fitzmyer 530; Haacker 212. Wolter I 540. Jewett 536 interpretiert im Kontext der Ehre-Schande-Thematik: Wenn Gott „für uns“ ist, dann ist das Leben der bekehrten Sklaven und Handwerker in den christlichen Gemeinden Roms genauso wichtig wie das Leben der Patrone – sie haben eine „Ehre“, die Gott ihnen gegeben hat und die niemand ihnen rauben kann.
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kehren kann. Die Gegnerschaft von Menschen oder Mächten, die in V. 35.38-39a aufgeführt werden, kann das von Gott durch den Messias Jesus geschaffene und dem glaubenden Sünder zugeeignete Heil nicht torpedieren. Gott, der eine wahre Gott, ist als der allmächtige Schöpfer allen und allem überlegen. 32 Paulus unterbricht die Gegenüberstellung von θεο' ς/τι'ς und erläutert die Aussage V. 31b, dass Gott für uns ist: Er hat sogar den eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben (V. 32a-b). Das Relativpronomen ο« ς [hos] ist Subjekt des Satzes, der das Handeln Gottes be-schreibt.267 Das Enklitikon γε [ge] steigert die Aussage („sogar“). Von Gottes „eigenem Sohn“ (ο� »ιδιος υι�ο' ς [ho idios hyios]) ist auch in Apg 20,28 die Rede (Miletrede).268 Die Formulierung unterstreicht das persönliche Opfer, das Gott für die Sünder gebracht hat.269 Zu Jesus als Sohn Gottes s. zu 1,3. Die Verben in V. 32a.b sind bedeutungsgleich: Die Tatsache, dass Gott seinen Sohn „nicht verschont“ (ου� κ ε� φει' σατο [ouk epheisato]) hat, bedeutet, dass er Jesus „dahingegeben“ (παρε' δωκεν [paredōken]) hat. In 4,25 sprach Paulus von der Dahingabe Jesu durch Gott, formuliert auf dem Hintergrund von Jes 53,6.270 Während Paulus dort von der Dahingabe „um unserer Verfehlungen willen“ (παρεδο' θη δια` τα` παραπτω' ματα η� μω ñ ν) spricht, formuliert er hier personal: Gott hat seinen Sohn „für uns alle“ (υ� πε` ρ η� μω ñ ν πα' ντων [hyper hēmōn pantōn]) hingegeben; vgl. Gal 2,20, wo Paulus von der Selbsthingabe Jesu spricht, wie in Phil 2,6-7; Eph 5,2.25; 1Tim 2,6; Tit 2,14. Die Angabe „für uns alle“ verweist auf die Heilsfolge des Sühnetodes Jesu am Kreuz, die für alle glaubenden Sünder Wirklichkeit ist.271 Die Dahingabe des Sohnes ist ein Ausdruck der Liebe Gottes, wie in ————————————————————
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Wolter I 540 schließt aus der Tatsache, dass ο« ς keinen attributiven Relativsatz einleitet, dass die Formulierung kein Kriterium zur Identifikation „fest formulierter Bekenntnisse bzw. hymnischen Gutes“ ist (Paulsen, Überlieferung, 140; vgl. Wilckens II 171 u.a.); vgl. auch Luz, Geschichtsverständnis, 371. Die Formulierung kommt sonst in der griechischen Bibel nicht vor, in jüdischen Texten nur in ApocrHes Frag. 1 und Josephus, Ant 1,215 (im Blick auf Saras Liebe für Ismael). Sonst ist die Wendung häufig belegt; vgl. Hesiod, Frag. Astronom 6; Diodorus Siculus 5,48,1; 11,19,5; 17,80,1; 118,1; Plutarch, Alex 42,8 u.a. Haacker 211; vgl. Wolter I 542. Jes 53,6 LXX: κυ' ριος παρε' δωκεν αυ� το` ν ταιñς α� μαρτι' αις η� μω ñ ν; 53,12: δια` τα` ς α� μαρτι' ας αυ� τω ñ ν παρεδο' θη. Vgl. Röm 5,8; 14,15; 1Kor 8,11; 2Kor 5,21; Gal 3,13; 1Thess 5,10. Wolter I 543 sieht die Heilsfolge des Todes Jesu nur indirekt angesprochen: Die Betonung liege auf der „Wahrnehmung des Todes Jesu durch die Glaubenden als ein Heilshandeln Gottes zu ihren Gunsten“. Wenn Gott Sündern Gunst erweist, dann ist das „Heil“. Dunn I 501; Byrne 275-2676; Jewett 438 wollen in „alle“ die Betonung heraushören, dass es vor Gott keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden gibt. Diese Thematik, die in 1,16 und in 1,18–3,20 eine Rolle spielt, ist von 8,32 doch weit entfernt.
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Gal 2,20 die Selbsthingabe Jesu ein Ausdruck seiner Liebe „für mich“ ist.272 In Röm 5,8 hatte Paulus betont: „Gott erweist aber seine Liebe zu uns darin, dass der Messias für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“. Von Gottes Liebe spricht Paulus dann auch in 8,39. Die meisten Ausleger273 sehen in V. 32a einen Bezug auf Gen 22,12.16 LXX, wo Gott zu Abraham sagt: „Du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwegen (ου� κ ε� φει' σω τουñ υι�ουñ σου τουñ α� γαπητουñ δι’ ε� με' ) … weil du diese Tat getan hast und deinen geliebten Sohn nicht geschont hast, meinetwegen (ου� κ ε� φει' σω τουñ υι�ουñ σου τουñ α� γαπητουñ δι’ ε� με' )“ (LXX.D). Die Erklärung der Parallele im Sinn einer Abraham-Gott-Typologie – wie Abraham seinen geliebten Sohn nicht verschont hat, so hat Gott seinen eigenen Sohn nicht verschont – interpretiert: Was Gott von Abraham am Ende dann nicht verlangte, die Opferung seines verheißenen, geliebten Sohnes, das hat er im Sühnetod Jesu am Kreuz getan. Die Erklärung im Sinn einer Isaak-Christus-Typologie274 interpretiert: Der Heilstod des Messias Jesus ist Gottes Antwort auf das Opfer, als das Abraham seinen Sohn Isaak darbringen wollte. Im Text sind solche Zusammenhänge nicht angedeutet.275 Der Zusammenhang zwischen der Nicht-Verschonung des Sohnes in V. 32a und der Dahingabe „für uns alle“ kommt ohne Anbindung an Gen 22 aus.
Die Frage V. 32c ist rhetorisch: wie wird er uns mit ihm nicht alles schenken? Die Wendung „mit ihm“ (συ` ν αυ� τω ñ, [syn autō]) hat eine ähnliche Bedeutung wie die συ' ν-Formulierungen in 6,8; 8,17.29.276 Jesusbekenner sind mit dem Messias Jesus verbunden – wie die Wirklichkeit des in der Gegenwart erfahrenen Heils in der Teilhabe am Tod und der Auferweckung Jesu gründet, so ist die zukünftige Heilsvollendung mit der Verherrlichung Jesu garantiert. Das Futur des Verbs „er wird schenken“ (χαρι'σεται [charisetai]) ist im Kontext des Endgerichts (V. 33) futurisch (vgl. auch 5,9-10), im Kontext der Verwendung sowohl des Verbs als auch des Substantivs ————————————————————
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Gal 2,20: παραδο' ντος ε� αυτο` ν υ� πε` ρ ε� μουñ ; vgl. Eph 5,2.25. Zahn 422; Cranfield I 436; Michel 280; Zeller 166; Wilckens II 173; Dunn I 501; Theobald I 254; Moo 540; Schreiner 459; Légasse 549; Lohse 255; Penna 613; Haacker 211; Paulsen, Überlieferung, 167; Delling, Entfaltung, 80. Dahl, Atonement, 19 mit Verweis auf Irenaeus, Haer 4,5,4: Abraham hat „bereitwillig den einziggeborenen und geliebten Sohn Gott als Opfer dargebracht … damit auch Gott Wohlgefallen daran hat, für dessen ganze Nachkommenschaft den einziggeborenen und geliebten Sohn als Opfer darzubringen zu unserer Erlösung“. Davies/Chilton, Aqedah, 530-531; Schwartz, Allusions. Skeptisch im Blick auf ein Echo von Gen 22 sind deshalb Kuss II 652; Schlier 277l; Fitzmyer 531-3532; Jewett 536; Wolter I 541. Die Gegenüberstellung von „verschonen“ (φει' δομαι) und „dahingeben“ (παραδι' δωμι) kommt öfter in Texten vor, die keinen Bezug auf Gen 22 haben: Josephus, Ant 7,296 (im Blick auf die Nachkommen Sauls); griechHen 98,12 (über das Geschick der Sünder); Plutarch, TibGracch 7,4 (im Blick auf einen Konsul); 2Petr 2,4 (im Blick auf Engel); Wolter ebd. Vgl. 2Kor 4,14; 13,4; Phil 3,21; 1Thess 4,14.17; 5,10; Kol 2,12.
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(χα' ρις [charis]; s. zu 1,5; 3,24) logisch bzw. gnomisch.277 Weil Paulus in V. 33-34 die Konsequenzen des Heilshandeln Gottes in Tod und Auferweckung Jesu für das Endgericht mit einer Aussage über die Geltung desselben in der Gegenwart verbindet (V. 34e: „der auch für uns eintritt“), trifft wohl beides zu. Das Objekt „alles“ (τα` πα' ντα [ta panta]) kann soteriologisch auf die Heilsgüter in ihrer Fülle278 oder kosmologisch im Sinn der gesamten Wirklichkeit („das All“)279 interpretiert werden. Paulus formuliert offensichtlich mit Absicht allgemein. 33 Die zweite rhetorische Frage konkretisiert die Frage von V. 31b: Wer könnte gegen die Auserwählten Gottes Anklage erheben? (V. 33a). Zusammen mit der Frage V. 33a („Wer könnte verurteilen?“) ergibt sich der Anfang und das Ende eines Gerichtsverfahrens. Das mit „Anklage erheben“ (ε� γκαλε' σει [egkalesei]) übersetzte Verb, das auch mit „beschuldigen“ übersetzt werden kann, wird oft als juristischer Fachausdruck verwendet, der die Anklageerhebung vor lokalen Behörden im Hinblick auf einen angestrebten Prozess bezeichnet. 280 Die Frage weist Anklänge an Jes 50,8 auf (s. oben).281 Die ersten Leser haben bei diesen Formulierungen wohl an das Endgericht gedacht,282 mit Satan als Ankläger,283 wobei beides im Text nicht erforderlich ist. Wenn man das Futur des Verbs als gnomisches Futur ————————————————————
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Weil πω ñ ς in rhetorischen Fragen sonst auch mit dem Futur konstruiert wird (Ex 6,12.30; 2Sam 6,9; Klgl 4,1 LXX; Dan 10,17; Mt 12,26 / Lk 11,18; 1Kor 14,7.9), kann dieses als gattungsbedingt betrachtet werden; Wolter I 543 Anm. 28. Weiß 328; Cranfield I 437; Michel 280; Schlier 277; Fitzmyer 532; Moo 541. Zahn 422; Dunn I 502; Byrne 276; Jewett 538; vgl. Wilckens II 173-174 (mit Verweis auf 1Kor 8,6; 15,27-28; Phil 3,21; Kol 1,16-20; Eph 1,10-11.23; 3,9; 4,6.10; Hebr 1,2-23; 2,8-10 sowie 1Kor 3,21-23), der jedoch die soteriologische Bedeutung eingeschlossen sehen möchte. Wolter I 543 interpretiert als hyperbolische Formulierung und hält die Diskussion für überflüssig; vgl. Lohse 256: Paulus will „den umfassenden Charakter der göttlichen Gabe herausstellen“. Wolter ebd. erwägt, ob die Figur des anaphorischen Polyptoton (Lausberg, Handbuch, §640-648) vorliegt: Paulus würde mit τα` πα' ντα η� μιñν V. 32c auf η� μω ñ ν πα' ντων V. 32b verweisen und gleichzeitig mit συ` ν αυ� τω ñ, V. 32c auf αυ� το' ν V. 32b, „um dadurch den sprachlichen Ausdruck eindringlicher zu gestalten: Gott hat ‚ihn‘ ‚für uns alle‘ hingegeben, so dass wir zuverlässig damit rechnen dürfen, dass er ‚mit ihm‘ ‚uns alles‘ schenken wird“. Ob die Leser in Rom diese rhetorische Figur erkannt hätten, muss dahingestellt bleiben. Bauer/Aland s.v. ε� γκαλε' ω; LSJ s.v. ε� γκαλε' ω II; für Papyrusbelege s. MM. Im NT kommt das Wort noch in Apg 19,38.40; 23,28.29; 26,2.7 vor. Wenn eine bewusste Anspielung auf Jes 50,8 vorliegt, ist festzuhalten, dass Paulus den Gottesknecht hier nicht mit Jesus verbindet, sondern mit den Jesusbekennern. Zahn 424; Michel 282; Schlier 277; Wilckens I 174; Dunn I 502; Fitzmyer 533; Moo 541; Haacker 212. Wie in Hiob 1,6-12; 2,1-10; Sach 3,1: „Der Satan aber stand rechts von Jeschua, um ihn anzuklagen“; Offb 12,10: Satan ist „der Ankläger unserer Brüder“ (ο� κατη' γωρ τω ñν α� δελφω ñ ν η� μω ñ ν). Vgl. Dochhorn, Prophetie, 299-300.
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interpretiert,284 kann man auch metaphorisch deuten: „Wer Gott auf seiner Seite hat, dem kann schlechterdings niemand etwas anhaben“.285 Paulus bezeichnet die Jesusbekenner als „Auserwählte Gottes“ (ε� κλεκτοι` θεουñ [eklektoi theou]; vgl. Kol 3,12; Tit 1,1) und wendet damit einen Ausdruck, der im Alten Testament das Gottesvolk Israel kennzeichnet, auf die an, „die im Messias Jesus sind“ (Röm 8,1).286 Die Kombination von Erwählung durch Gott und Gottes Liebe zu den Erwählten, die in V. 33.39 vorliegt, stand in der grundsätzlichen Beschreibung der Identität der Jesusbekenner in 1,7 („An alle in Rom, die von Gott Geliebten, die berufenen Heiligen“) und findet sich auch in Bezug auf Israel (Deut 7,7-8). Der Genitiv ist gen. possessoris: Als Auserwählte gehören Jesusbekenner Gott, und gen. subjectivus: Ihr Status als Auserwählte ist die Konsequenz des Heilshandelns Gottes. Paulus betont: Weil Jesusbekenner von Gott Erwählte sind, denen er das Heil garantiert, gibt es niemand, der eine Anklage erheben und Gott zu einer Verurteilung zwingen könnte. Der Grund für diese Antwort auf die rhetorische Frage wird in V. 33b genannt: Gott ist der, der gerecht spricht (θεο` ς ο� δικαιω ñ ν [theos ho dikaiōn]; zu δικαιο' ω s. zu 1,17). Der Satz erklärt die in der Antwort auf die rhetorische Frage V. 33a implizierte „Rechtssicherheit“ der Jesusbekenner. Weil Gott die Jesusbekenner nicht verurteilt, sondern gerecht spricht, kann sie auch kein anderer verurteilen. Das Gegenüber von Gerechtsprechung und Verurteilung wurde bereits in 5,16.18 bei der Gegenüberstellung von Adam und dem Messias Jesus thematisiert. Jesusbekenner sind als von Gott Berufene zugleich von Gott Gerechtfertigte (8,30). Wann und wie Gott Sünder aus Juden und Heiden gerechtfertigt hat, wurde in 3,24-30; 5,1.9 beschrieben. Für die von Gott selbst infolge des Sühnetodes Jesu Christi gerechtfertigten Sünder gilt: Niemand kann ihnen das Heil, die Heilsvollendung eingeschlossen, streitig machen, weder im Endgericht noch im gegenwärtigen Leben. ————————————————————
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Käsemann 239; Jewett 539; Wolter I 544 (gattungsbedingt im Kontext des Gegenübers von Gott und rhetorischen τι' ς-Fragen); Hengel, Inthronisation, 296. Wolter I 544 mit Verweis auf Käsemann 239; Dunn I 502; Dunn sieht allerdings einen Bezug auf das Endgericht. Der propositionale Gehalt der beiden rhetorischen Fragen wird nicht verkannt, wenn man V. 33-34 mit einem Bezug auf das Endgericht interpretiert; im Sinn des Arguments vom Größeren zum Kleineren gilt: Wenn Jesusbekenner im Endgericht von Satan nichts zu befürchten haben, dann haben sie erst recht nichts in diesem Leben zu befürchten. Die Wendung ε� κλεκτοι` θεουñ kommt in der LXX nicht vor, jedoch Formulierungen wie ε� κλεκτοι` αυ� τουñ (1Chron 16,13; 104,6.43; vgl. Sir 46,1; Weish 3,9; 4,15), ε� κλεκτοι' /-το' ς μου/σου (Ps 88[89],4; 106[106],5; Jes 42,1; 45,4; 65,9.15.23; Klgl 1,15 LXX; vgl. Tob 8,15; JosAs 8,11; vgl. 1QpHab X, 13: [ ְּבִחי ֵרי ֵאלbechīrē ’el]; Wolter I 545.
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34 Die dritte rhetorische Frage betrifft das Ende eines Gerichtsverfahrens:
Wer könnte verurteilen? (τι'ς ο� κατακρινω ñ ν [tis ho katakrinōn]; V. 34a). Die mit der Frage gegebene Antwort „Niemand“ erläutert V. 1, wo Paulus betont hatte, dass es für Jesusbekenner keine Verurteilung (κατα' κριμα [katakrima]) gibt. Da Gott im stellvertretenden Sühnetod des Messias Jesus Sünden verurteilt hat, gilt für die mit Jesus vereinten Glaubenden, dass sie ihre Verurteilung bereits hinter sich haben: Gott wird sie nicht verurteilen, weil sie schon verurteilt wurden und weil sie von Gott infolge ihres Glaubens an den gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus gerecht gesprochen wurden. Wen Gott nicht verurteilt, sondern gerecht spricht (V. 33b), der kann von keinem anderen verurteilt werden. Wer zu Gott als ο� δικαιω ñν gehört, ja dessen Kind ist (V. 16), für den gibt es keinen ο� κατακρινω ñ ν. Paulus erläutert die in der Antwort auf die rhetorische Frage V. 34a implizierte Rechtssicherheit der Jesusbekenner in V. 34b-e mit vier Aussagen über den Messias Jesus. Die Grundaussage ist der nochmalige Hinweis auf den Tod Jesu: Der Messias Jesus ist der, der gestorben ist (Χριστο` ς � Ιησουñ ς ο� α� ποθανω' ν [Christos Iēsous ho apothanōn]; V. 34b). Im Zusammenhang von V. 32 (und 3,24-25; 4,25; 5,8-10; 6,6-8; 8,3; vgl. 7,4; 2Kor 5,14; 1Thess 5,10; Tit 2,14; ) ist das Sterben Jesu als Sterben „für uns“ zu verstehen, d.h. als Tod, der stellvertretend für uns erlitten wurde und unsere Sünden sühnte. Ohne dieses Verständnis des Todes Jesu als stellvertretender Sühnetod kann man die rhetorische Frage V. 34a nicht beantworten. Und nur so ergibt der Hinweis auf die „Liebe des Messias“ in V. 35a einen Sinn. Das „für uns“ wird in V. 34e im Zusammenhang der Fürbitte des erhöhten Messias erwähnt. Mit mehr noch (μαñ λλον δε' ) betont Paulus, dass es zu Jesus noch mehr zu sagen gibt.287 Nach 4,25; 5,9-10; 6,5.9; 7,4; 8,11 erwartet man eine Aussage zur Auferweckung Jesu, die mit nicht zu überbietender Prägnanz dann auch kommt: der auferweckt worden ist (ε� γερθει' ς [egertheis]; V. 34c).288 Die Doppelaussage „Jesus, der gestorben und von den Toten auferstanden ist“ verwendet Paulus, sprachlich jeweils unterschiedlich, in 4,25; 2Kor 5,15; 1Thess 4,14; vgl. Röm 5,9-10; 1Kor 15,3-5. Die beiden letzten Aussagen über Jesus, jeweils mit einem Relativsatz formuliert, thematisieren Jesu Status und Handeln in der Gegenwart – im ————————————————————
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Wolter I 547: Paulus verwendet die rhetorische Figur der amplificatio (Lausberg, Handbuch §400-409), mit Verweis auf 2Makk 6,23; 3Makk 6,31; 7,5; Weish 8,20 sowie im Neuen Testament 1Kor 14,1.5; zu Recht gegen BDR §495.4b (und Schlier 278), die die Figur der Epidiorthose annehmen, d.h. der (hier steigernden) Korrektur, die vorgenommen wird, wenn ein Redner bzw. Autor „fühlt, daß er Anstoß gegeben hat“. Aufgrund der syntaktischen Parallelität zu ο� α� ποθανω' ν V. 34a ist ο� ε� γερθει' ς zu lesen: Jesus ist „der Auferweckte“.
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Kontext das Ziel der Argumentation. Die Auferweckung Jesu ist die Voraussetzung für seine Erhöhung: der auch zur Rechten Gottes ist (ο� ς και' ε� στιν ε� ν δεξιαñ, τουñ θεουñ [hos kai estin en dexia tou theou]; V. 34d). Wer auf der rechten Seite eines Herrschers sitzt, gilt nach atl. und jüdischer Tradition als besonders ausgezeichnet und geehrt.289 Im Urchristentum hat man in Anknüpfung an Ps 109[110],1 („Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten [κα' θου ε� κ δεξιω ñ ν μου], bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache“; LXX.D) das Sitzen zur Rechten Gottes (sessio ad dexteram) auf die Erhöhung des auferstandenen Jesus angewendet und so seine Hoheitsstellung in der Wirklichkeit der unmittelbaren Gegenwart Gottes ausgesagt.290 Die vierte Aussage verdichtet die Auferweckungs- und die Erhöhungsaussage: der auch für uns eintritt (ο� ς και` ε� ντυγχα' νει υ� πε` ρ η� μω ñ ν [hos kai entyngchanei hyper ēmōn]; V. 34e). In V. 26 war es der Geist Gottes, der als Mittler „für uns eintritt“ (υ� περεντυγχα' νει [hyperentygchanai]; s. dort). Hier ist es der erhöhte Messias Jesus, der vor Gott für die Gläubigen eintritt. In Hebr 7,25 wird dasselbe Verb verwendet, um das Wirken Jesu als himmlischer Hohepriester zu beschreiben: „Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten (ε� ντυγχα' νειν υ� πε` ρ αυ� τω ñ ν)“ (EÜ). Johannes bezeichnet den Messias Jesus als „Beistand“ bzw. „Anwalt beim Vater“ (παρα' κλητον ε» χομεν προ` ς το` ν πατε' ρα; 1Joh 2,1). Das vergangene Handeln Jesu in Tod und Auferstehung und das gegenwärtige Wirken Jesu, der sich als Erhöhter vor Gott zugunsten der mit ihm vereinten Glaubenden einsetzt, garantieren, dass niemand die Autorität oder Kompetenz hat, die Jesusbekenner vor Gott anzuklagen (V. 33a) und eine Verurteilung jetzt oder in der Zukunft zu erzwingen (V. 34a). Jesus hat durch seinen Sühnetod die sichere Verurteilung im Endgericht aufgehoben – eine Aufhebung, die er durch sein Eintreten als Erstgeborener unter vielen „Brüdern“ (V. 29) für alle Zukunft garantiert.291 ————————————————————
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1Kön 2,19; Ps 44[45],10; TestHiob 33,3;l ApkEl 37,8-9; ApkJoh 23; TestBenj 10,6. In außerbiblischen und außerjüdischen Texten gibt es nur einen einzigen Beleg für die geehrte Position „zur Rechten“: Von Pallas Athene heißt es, dass sie „zur Rechten Hand des Vaters sitzt und die Befehle für die Götter empfängt“ (Pindarfragment; vgl. Aelius Aristides, Or 2,15,1-3; Plutarch, Mor 617B; Scholion zu Homer, Il 24,100 [Erbse V, 539,9-12]; Horaz, Carm 1,12,19-20). Apg 2,34-35; 1Kor 15,25; Hebr 1,13, sowie Mk 14,62; 16,19; Lk 22,69; Röm 8,34; Eph 1,20; Kol 3,1; Hebr 1,3; 8,1; 10,12; 12,2; 1Petr 3,11. Vgl. Hay, Glory at the Right Hand; Hengel, Inthronisation, 281-367 (Röm 8,34 ist „der früheste Zeuge“ dieser Tradition). Wilckens II 175: „Sein Eintreten ‚für uns alle‘ macht das pro nobis seines Todes zur eschatologisch-unanfechtbaren Wirklichkeit“.
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35 Die vierte rhetorische Frage verbindet die Liebe, die der Messias Jesus
uns am Kreuz erwiesen hat, mit der Unerschütterlichkeit unserer Vereinigung mit ihm (vgl. 6,3-11), die uns Glaubenden das Heil garantiert: Wer sollte uns trennen von der Liebe des Messias? (V. 35a). Paulus verbindet den Tod Jesu „für uns“ bzw. „für unsere Sünden“ mit der Liebe Gottes (5,8; 8,39 im Kontext von 8,32) sowie mit Jesu eigener Liebe zu uns (2Kor 5,14; Gal 2,20; Eph 5,2.25; vgl. 1Joh 3,14-16; Offb 1,5). Die Wendung η� α� γα' πη τουñ Χριστουñ [hē agapē tou Christou]292 ist als gen. subjectivus293 zu interpretieren: Paulus schreibt von der Liebe, die Jesus uns in seinem Tod erwiesen hat und in seinem Eintreten für uns erweist.294 Paulus betont, dass es niemand und nichts gibt, das Jesusbekenner von der Liebe des Messias „trennen“ (χωρι'σει [chōrisei]),295 d.h. entfernen oder losreißen könnte. In V. 35b zählt Paulus sieben Leidenserfahrungen auf, die in der Antwort auf die rhetorische Frage V. 35a eingeschlossen sind – niemand und nichts kann uns von der Liebe Jesu losreißen, auch nicht diese Leiden: Bedrängnis oder Not oder Verfolgung oder Hunger oder Nacktheit oder Gefahr oder Schwert. Im Unterschied zu den Leidenskatalogen296 in 1Kor 4,11-13; 2Kor 4,7-12; 6,4-10; 11,23-29; 12,10; Phil 4,12 geht es hier nicht um die individuellen Leidenserfahrungen des Apostels, sondern um die Erfahrung der Jesusbekenner allgemein. In 1Thess 3,3-4 versichert Paulus der neuen Gemeinde in Thessalonich, dass Jesusbekenner für Bedrängnisse „bestimmt“ sind. Jesus sprach in der Endzeitrede von Bedrängnissen und Leiden (Mt 24,3-14 / Mk 13,3-13 / Lk 21,7-19). Die Erfahrung der Liebe des Messias Jesus macht die Erfahrung von Leiden nicht unmöglich, sondern führt oft gerade ins Leiden hinein. Paulus weiß dies aus eigener Erfahrung, aber er weiß auch, dass dies für alle Jesusbekenner gilt – eine Wahrheit, die er nicht verheimlicht. Die Katalogform erweckt den Eindruck der ————————————————————
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Für α� γα' πη s. zu 5,5; jetzt auch Wischmeyer, Agape; für Χριστο' ς s. den Exkurs zu 1,1. Wolter I 546 Anm. 43 hat HvS §257c missverstanden, wo in V. 35 η� μαñ ς als Akkusativobjekt beschrieben wird, nicht der Genitiv τουñ Χριστουñ . Die Verbindung des Sterbens Jesu „für uns“ mit der Liebe Jesu zu uns wird über Joh 15,13 („Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“) mit der hellenistischen Freundschaftsethik verbunden, in der man die Verknüpfung von „Liebe“ und „sterben für“ findet; vgl. Plato, Symp 179b-c; Aristoteles, EthNic 1169a 19-20; Epiktet, Diss 2,7,3. Siehe den Kommentar zu 5,7. Bauer/Alands.v. χωρι' ζω 1. Aktiv, „absondern, scheiden, trennen“; Papathomas, Begriffe, 118: In den Papyri hat das Verb im Aktiv die Bedeutungen „sondern, trennen, scheiden, absondern, streichen (aus einer Liste)“. Im Passiv ist das Verb ein Fachausdruck des Eheund Scheidungsrechts (ebd. 119-121); so auch die Bedeutung in 1Kor 7,10. Bultmann, Stil, 19.71 prägte den Begriff „Peristasenkatalog“. Zur Diskussion vgl. Fitzgerald, Catalogues of Hardships; Schiefer-Ferrari, Sprache des Leids; Ebner, Leidenslisten; Choi, Peristasenkataloge.
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Vollständigkeit, was durch die Siebenzahl noch verstärkt wird: Welche Leidenserfahrungen Jesusbekenner auch immer machen, sie wissen, dass sie in der Liebe des gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias, der sich zur Rechten Gottes für sie verwendet, sicher sind und nichts und niemand ihnen das Heil rauben kann. Bedrängnis (θλιñψις; s. zu 3,5) ist die Drangsal der Endzeit (Mt 24,19 / Mk 13,17 / Lk 21,23; vgl. Offb 1,9), bezeichnet aber auch aktuelle Notlagen (1Kor 7,26.28), in den Papyri oft wirtschaftliche Notlagen.297 Das Wort beschreibt hier die Leidenserfahrungen der Gläubigen (vgl. 2Kor 1,4; Phil 4,14; 1Thess 1,6; 3,7). In Röm 5,3 hatte Paulus geschrieben: „wir rühmen uns auch der Bedrängnisse“. Not (στενοχωρι'α; s. zu 2,9) bedeutet in übertragenem Sinn die widrige Befindlichkeit, den Engpass an Mitteln,298 Das Nebeneinander von „Bedrängnis“ und „Not“299 bedeutet eine Steigerung. Verfolgung (διωγμο' ς) war im 1. Jh. eine ständige Erfahrung der ersten Christen, wie die Geschichte der Gemeinde in Jerusalem (Apg 4–12) und die Geschichte der Mission des Apostels Paulus (Apg 13–28) zeigen; siehe oben zu 8,18. Verfolgung wird zusammen mit Bedrängnis (Mt 4,13,21 / Mk 4,17; 2Thess 1,4) und Not (2Kor 12,10) erwähnt. Hunger (λιμο' ς) kommt auch in der apostolischen Leidensliste 2Kor 11,27 vor, in Mt 24,7 / Mk 13,8 / Lk 21,11 als Erfahrungswirklichkeit der Endzeit, in Offb 6,8 als Bestandteil des vierten endzeitlichen Siegelgerichts im Zusammenhang von „Schwert“ als metonymische Umschreibung für „Krieg“ (vgl. 2Chron 20,9; Bar 2,25; Sir 40,9). Nacktheit (γυμνο' της) meint hier nicht ausreichende Bekleidung mit der Konnotation von Entbehrung; erwähnt im persönlichen Leidenskatalog 2Kor 11,27; Hunger und Nacktheit werden oft nebeneinander erwähnt (Hiob 24,10; Hes 18,7.16; vgl. Lk 3,11).300 Gefahr (κι'νδυνος) kommt in 2Kor 11,26, formuliert im Plural, in einem achtteiligen Gefahrenkatalog vor: Paulus war „oft auf Reisen, in Gefahren von Flüssen, in Gefahren von Räubern, in Gefahren von meinem Volk, in Gefahren von den Nationen, in Gefahren in der Stadt, in Gefahren in der Wüste, in Gefahren auf dem Meer, in Gefahren unter falschen Brüdern“. Schwert (μα' χαιρα) steht metonymisch für gewaltsamen Tod (vgl. Apg 12,2: Hinrichtung des ————————————————————
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R.E. Kritzer in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 293; vgl. Schnabel, 1. Korinther, 406. Für die Papyri vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 345. Das Wort kommt auch in den Leidenskatalogen 2Kor 6,4; 12,10 vor. Vgl. 2Kor 6,4 sowie in der LXX in Deut 28,53.55.57; Jes 8,22; 30,6. Die Stelle Deut 28,48 LXX, wo γυμνο' της Teil eines Unheilskatalogs ist, in dem die Strafen angekündigt werden, die Israel erwarten, wenn es Gott ungehorsam wird (Wolter I 551 verweist noch auf slavHen 66,6; TestSeb 7,1), ist für die Erklärung von Röm 8,35 nicht relevant.
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Jakobus durch das Schwert); in ähnlichen Listen ist „Schwert“ mit Hunger verbunden (Jes 51,19: Verheerung, Zerstörung, Hunger, Schwert; Jer 14,12: Schwert, Hunger, Pest; Hes 14,21: Schwert, Hunger, wilde Tiere und Pest; Offb 6,8: Schwert, Hunger, Tod). So notvoll solche und andere Leiden auch sind: Die lange Liste will den Lesern nicht Angst machen, sondern die Größe des Heils vor Augen führen.301 36 Das mit wie geschrieben steht (καθω` ς γε' γραπται) eingeführte Zitat302 stammt aus Ps 44,23 (LXX 43,23): Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag, werden wir als Schlachtschafe angesehen. Das Volksklagelied Ps 44 ist offensichtlich im Exil entstanden: Die Juden klagen, dass Gott sie wie Schlachtvieh preisgegeben und unter die Völker zerstreut hat, wo sie zum Hohn und Spott geworden sind (44,12.14-17), und das gerade angesichts der Tatsache, dass sie Gott nicht vergessen und sich von seinem Bund nicht treulos abgewandt haben (44,18). Paulus zitiert 44,23 im Sinn einer theologischen Bewertung der in V. 35 beschriebenen Leidenserfahrungen der Jesusbekenner. Syntaktisch gehört V. 36 zu der rhetorischen Frage V. 35a („Wer sollte uns trennen von der Liebe des Messias?“). Im Psalm bezieht sich die Wendung „um deinetwillen“ (ε« νεκεν σουñ [heneken sou]) auf Gott, hier in V. 36 auf Jesus.303 Die 1. Person Plural der Verben, die sich im Psalm auf das jüdische Volk bezieht, meint jetzt die an den Messias Jesus Glaubenden. Die Passiva der Verben haben als logisches Handlungssubjekt nicht mehr die fremden Völker, sondern Nichtchristen, die die Christen unter Druck setzen und verfolgen. Die Formulierung ist hyperbolisch und bildhaft. Die Aussage „wir werden getötet“ (θανατου' μεθα [thanatoumetha]) knüpft an „Schwert“ an, das letzte Stichwort des Leidenskatalogs V. 35b; die Wendung „den ganzen Tag“ (ο« λην τη` ν η� με' ραν [olēn tēn hēmeran]) ist hyperbolisch, wie auch die Formulierung „wir werden als Schlachtschafe angesehen“.304 Der Genitiv σφαγηñ ς [sphagēs] ist ein Genitiv der Absicht: Der Psalmist redet von Schafen, die leben, um geschlachtet zu werden. Paulus schreibt von Jesusbekennern, die von ihren Gegnern als ————————————————————
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In 2Chron 20,9 wird ebenfalls ein Leidenskatalog verwendet, um die Gewissheit des Heils auszudrücken: „Wenn Unglück, Schwert, Überschwemmung, Pest oder Hunger über uns kommen, wollen wir vor dieses Haus und vor dein Angesicht hintreten; denn dein Name ist gegenwärtig in diesem Haus. Wir wollen in unserer Not zu dir rufen und du wirst uns dann hören und wirst helfen“ (EÜ). Vgl. Josephus, Ant 4,127-128. Vgl. 3,10; 4,17. Der einzige Unterschied zwischen Ps 43,23 LXX und dem Zitat in V. 36 ist die Ersetzung von ε« νεκα durch ε« νεκεν. Leiden um Jesu willen: Mt 5,11 / Lk 6,22; Mt 10,39; Mt 16,25 / Mk 8,35 / Lk 9,24; Mt 24,9 / Mk 13,9 / Lk 21,12; Joh 15,21; Apg 5,41; 9,16; 15,26; 21,13; 2Kor 4,11; Phil 1,29. Das Verb ε� λογι' σθημεν wird hier, beeinflusst von der semitischen Syntax, nicht mit dem Prädikatsakkusativ konstruiert, sondern mit ω� ς – ω� ς προ' βατα σφαγηñ ς; HvS §153b.
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legitime Objekte von Gewaltanwendung, sozusagen als Freiwild angesehen werden. In 1Kor 15,31 sprach er von der Tatsache, dass er „täglich dem Tod“ ins Auge sieht, in 2Kor 4,10-11 davon, dass er und die anderen Apostel „immer das Todesleiden Jesu“ an ihrem Leib tragen, weil sie immer, obgleich sie leben, um Jesu willen dem Tod ausgeliefert werden. Paulus unterstreicht mit dem Zitat, dass Leidenserfahrungen auch intensivster Art zum Leben der vom Messias Geliebten gehören. 37 Mit aber (α� λλα' [alla]) kontrastiert Paulus die Leidenserfahrungen mit dem triumphalen Sieg, den Jesusbekenner mitten im Leiden erringen. Die Präpositionalwendung in all dem (ε� ν του' τοις παñ σιν [en toutois pasin]) fasst die in V. 35b aufgelisteten Leidenserfahrungen zusammen und bezeichnet den Lebenskontext, in dem die Gläubigen den triumphalen Sieg erringen. Das mit wir tragen einen überwältigenden Sieg davon (υ� περνικω ñ μεν [hypernikōmen])305 übersetzte Verb greift eine Metapher aus der Sprache des Wettkampfs und des Krieges auf, die auch im Zusammenhang von hellenistischen Leidenskatalogen vorkommt,306 wo allerdings vom Sieg über die Leiden die Rede ist.307 Paulus spricht nicht vom Sieg über das Leiden, auch nicht von einem Sieg nach den Leiden, sondern von einem triumphalen Sieg in der Gegenwart (υ� περνικω ñ μεν ist Präsens) inmitten der Leiden. Der Sieg ist die fröhliche Dauerhaftigkeit des Glaubens, die bleibende Treue, das entschiedene Nicht-Aufgeben der Vereinigung mit Jesus. Die Gewissheit des triumphalen Sieges inmitten der Leiden ergibt sich einmal aus der Verbindung mit dem Messias Jesus: Jesusbekenner leiden mit Jesus und werden mit Jesus verherrlicht werden (V. 17). Die Gewissheit des Sieges ergibt sich zum anderen aus der gewissen Hoffnung der zukünftigen Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes, deren sie sich auch und gerade inmitten der Bedrängnis rühmen (5,2-4).308 Die Präpositionalwendung δια` τουñ α� γαπη' σαντος η� μαñ ς [dia tou agapēsantos hēmas] beschreibt Jesus als den Urheber ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. υ� περνικα' ω, „völlig überwinden, glänzend siegen“; das Verb ist eine Steigerung von νικα' ω „siegen“. Das Verb kommt im NT nur hier vor und ist auch sonst selten. Oft wird auf Sentenz 419 des Menanders verwiesen: „Es ist gut zu siegen; in übertriebener Weise zu siegen, ist jedoch schlecht (Καλο` ν το` νικαñ ν α� λλ� υ� περνικαñ ν κακο' ν)“. Die These von Rance, Proverb, 199-201, Paulus habe diese Sentenz genannt, kann nicht überzeugen; kritisch zu Recht Wolter I 552 Anm. 65. Seneca, Ep 98,12; Epiktet, Diss 1,18,22; 2,18,31; 3,25,4. Seneca, Ep 98,12: „Von den Dingen, die schrecklich erscheinen, ist keines unbesiegbar (nihil est invictum). Einzelne haben schon viele besiegt, das Feuer Mucius, das Kreuz Regulus, das Gift Sokrates, die Verbannung Rutilius, den Tod durch das Schwert Cato; auch wir wollen etwas besiegen“. Wolter I 553, der die Erklärung mit 8,17 (Wilckens II 175) zu Unrecht ablehnt, auch wenn er recht hat, dass Jesu Liebe, mit der er uns geliebt hat, einzigartig und unvergleichlich ist. Paulus kann in 8,17 trotzdem von συμπα' σχομεν sprechen.
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des Sieges, konkret auf seinen Tod, in dem Jesus seine Liebe zu uns erwiesen hat (Aorist). Die Macht der Liebe des Messias Jesus ist den Leiden, die Jesusbekenner erfahren, haushoch überlegen: Jesus hat in seiner Liebe die Macht der Sünde besiegt, und es ist ein Leichtes für ihn, seine Brüder (V. 29) in den Leiden zu bewahren. Deshalb gilt, dass niemand und nichts uns von seiner Liebe trennen kann (V. 35a). 38-39 Die Macht der Liebe Jesu ist nicht nur den Leiden überlegen, sondern zugleich allen Mächten, die über die Erde und die Menschen herrschen. Aus der rhetorischen Frage V. 35a wird eine Feststellung, die die Aussage über die Liebe Jesu auf die Liebe Gottes überträgt und mit der einleitenden Wendung denn ich bin gewiss (πε' πεισμαι γα' ρ) als unverbrüchliche Gewissheit markiert, auf die man sich verlassen kann.309 In V. 35b hatte Paulus sieben Elemente von individuellen Leidenserfahrungen aufgelistet. In V. 38b-39a katalogisiert er neun universale Mächte, die vier Paare bilden: Tod/Leben, Engel/Mächte, Gegenwärtiges/Zukünftiges, Hohes/Tiefes; am Schluss steht der Hinweis, dass es sich jeweils um Kreaturen Gottes handelt, die der überlegenen Macht Gottes unterworfen sind. Paulus beginnt die Liste mit dem Tod (θα' νατος [thanatos]), der in V. 35 („Schwert“) und V. 36 als dringliche Gefährdung erwähnt wurde und, grundsätzlicher, in 5,12-21; 6,9.16.21.23; 7,5.7-25; 8,2.6 immer wieder auftauchte als die große feindliche Macht des Menschen, als höchster Ausdruck der Macht der Sünde über das gegenwärtige Zeitalter. Im AT wird der Tod wiederholt als die Macht dargestellt, die das Volk Gottes von der Gemeinschaft mit Gott trennt (Ps 6,5; 30,9; 88,5.10-12; 115,17; Jes 38,18). Für Paulus ist das Sterben „Gewinn“, weil es „bei Christus sein“ bedeutet, was „viel besser“ als das gegenwärtige Leben ist (Phil 1,21-23; vgl. 2Kor 5,8). Im Kontext von „Tod“ bedeutet Leben (ζωη' [zōē]) das gegenwärtige Leben mit den Leidenserfahrungen von V. 35 (und von V. 17-26), in dem Jesus-bekenner „im Glauben und nicht im Schauen“ (2Kor 5,7) und „fern von dem Herrn“ (2Kor 5,6) leben. Das Begriffspaar „Tod und Leben“ beschreibt alle Zustände und Erfahrungen, die Menschen machen können. Engel (α» γγελοι [angeloi]) sind die Wesen, die die unsichtbare Welt bewohnen (vgl. 1Kor 4,9; 13,1), manchmal als Mittler zwischen Himmel und Erde vorgestellt (Gal 1,8; 4,14), manchmal als gute Engel in der Gegenwart Gottes (2Thess 1,7). Paulus spricht oft von feindlichen Engeln (1Kor ————————————————————
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Wolter I 553 meint, mit πε' πεισμαι teile Paulus „seinen Leser etwas über sich selbst mit“. Die 1. Person Plural η� μαñ ς in V. 39b zeigt, dass Paulus keine Aussage über sich selbst macht, sondern über alle Jesusbekenner. Das einleitende πε' πεισμαι unterstreicht die im Folgenden formulierte Gewissheit mit apostolischer Autorität. Für die Formulierung s. auch 14,14; 15,14; 2Tim 1,5.12.
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6,3; 11,10; 2Kor 12,7; Gal 3,19; Kol 2,18), die auch hier gemeint sind. Vielleicht sind auch Engel als Herrscher der Völker (Deut 32,8; Dan 10,13; vgl. Sir 17,17; Jub 15,31-32) gemeint, die verhindern wollen, dass sich Gottes Herrschaft ausbreitet.310 Mächte (α� ρχαι' [archai]) sind im Zusammenhang mit „Engeln“ nicht lokale Behörden und ihre Beamten,311 sondern Engelmächte (wie in 1Kor 15,24; Eph 1,21; 3,10; 6,12; Kol 1,16; 2,10.15), die hier ebenfalls als feindliche Mächte vorgestellt sind.312 Gegenwärtiges (ε� νεστω ñ τα [enestōta]) verweist auf alle Lebenserfahrungen der Gegenwart, einschließlich der in V. 17-26.35 erwähnten Leiden, Zukünftiges (με' λλοντα) auf alle zukünftigen Lebenserfahrungen, einschließlich weiterer Leiden.313 Die zeitliche Dimension, die dieses Begriffspaar in die Aufzählung einführt, verstärkt die Heilsgewissheit, die Paulus im Kontext betont. Das Wort Gewalten (δυνα' μεις [dynameis]) ist nicht mit einem anderen Begriff gepaart, vielleicht deshalb, weil ein Gegenbegriff Instanzen bezeichnen müsste, die keine Macht habe, was nicht in den Kontext passt.314 Gemeint sind nicht „Machttaten“ im Sinn von Wundern,315 sondern Engelmächte (vgl. 1Kor 15,24; Eph 1,21; 1Petr 3,22). Hohes (υ« ψωμα [hypsōma]) und Tiefes (βα' θος [bathos]) sind nicht als astronomische Ausdrücke zu verstehen, d.h. als Verweis auf die größte Annäherung eines Sterns zum Zenit bzw. auf den unter dem Horizont liegenden Himmelsraum, aus dem die Sterne aufsteigen, im Sinn des Schicksalslaufs, der vom Gang der Gestirne bestimmt wird.316 Im Kontext des zeitlichen Begriffspaars „Gegenwärtiges/Zukünftiges“ beschreibt das räumliche Begriffspaar „Hohes/Tiefes“ entweder irdische und überirdische ————————————————————
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Dunn I 507. Siehe in Anknüpfung an Gen 6,1-4 auch die jüdischen Texte äthHen 6–8l; Jub 5,1 u.a. Zur Tradition der rebellischen Engel siehe jetzt Stuckenbruck, Rebellious Angels; zu Paulus vgl. Williams, Spirit World; zu Engelmächten als Gegner der Gemeinde Jesu vgl. O’Brien, Principalities. So Lk 20,20; Tit 3,1; vgl. Herodotus 3,80; 4,147; Thukydides 8,70; so häufig in den Papyri, vgl. PSI IV 425,18 (Beamte der Finanzverwaltung); P.Stra. VIII 762,4-5 (die amtsführenden Sitologen); vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 484; vgl. Bauer/Aland s.v. α� ρχη' 3; BDAG s.v. α� ρχη' 6; LSJ s.v. α� ρχη' II.3. Die Übersetzung „Dämonen“ (GN, NIV) ist zu restriktiv. NGÜ („unsichtbare Mächte“) interpretiert richtig. Dass „Gegenwärtiges“ und „Zukünftiges“ ebenfalls feindliche Mächte bezeichnen müssen (Wilckens II 177), ergibt sich nicht aus Eph 1,21. Richtig Dunn I 507. Wolter I 555: „Was keine δυ' ναμις ist oder hat, ist auch keine Bedrohung“. So häufig die Bedeutung im NT; bei Paulus 1Kor 12,10.28.29; 2Kor 12,12; Gal 3,5. So Lietzmann 88-89; Fitzmyer 535; Lohse 260. vgl. Wilckens II 177: „Vielleicht als Gestirnmächte aufzufassen, wenn nicht einfach eine personifizierte Ortsangabe gemeint ist“. Haacker 216 interpretiert im Sinn von „Wesen in der Höhe und der Tiefe“, was im Kontext nicht notwendig ist. Vgl. die Diskussion in Cranfield I 443; Dunn I 508.
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Mächte317 oder allgemein und umfassend den höchsten und den tiefsten Raum, den man sich vorstellen kann.318 Man kann mit Ps 139,8 vergleichen: „Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen“. Das letzte Glied der Aufzählung – irgendeine andere Kreatur (τις κτι'σις ε� τε' ρα [tis ktisis hetera]) – macht die Liste umfassend: Es gibt nichts in Raum und Zeit, es gibt niemanden, weder Menschen noch transzendente Mächte, die Jesusbekenner von Gott und ihrem Messias trennen können. Gleichzeitig unterstreicht der Ausdruck „Kreatur“, den man auch mit „Geschöpf“ oder „Schöpfung“ bezeichnen kann, dass alle Mächte, die es gibt, dass die gesamte vom Menschen erfahrbare Wirklichkeit von Raum und Zeit, von Gott geschaffen wurde und unter der Macht Gottes steht. Niemand kann etwas gegen den Willen Gottes unternehmen. V. 39b formuliert die Zielaussage: uns jemals trennen könnte von der Liebe Gottes im Messias Jesus, unserem Herrn. Der Genitiv „Liebe Gottes“ (η� α� γα' πη τουñ θεουñ [hē agapē tou theou]) ist gen. subjectivus: Gottes Liebe ist im Kontext von V. 33 die Erwählung der Jesusbekenner, die Gott gerecht gemacht hat. Christen sind nach 1,6-7 „Berufene des Messias Jesus“ (κλητοι` � Ιησουñ Χριστουñ ) und als solche „die von Gott Geliebten“ (α� γαπητοι` θεουñ ) und „die berufenen Heiligen“ (κλητοι` α� γι' οις; 1,7). Wie in der Beschreibung der Christen im Präskript 1,6-7, so verbindet Paulus auch hier das Verhältnis zum Messias Jesus mit dem Verhältnis zu Gott – die Liebe Jesu (V. 33) ist die Liebe Gottes, die im Messias Jesus (τηñ ς ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ) wirksam geworden ist. Nach 5,8 ist der Sühnetod des Messias für die Sünder der Erweis der Liebe Gottes zu den Sündern. Gott hat nach 8,32 seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat – deshalb wird Gott „uns mit ihm alles schenken“. Für alle, die „im Messias Jesus“ sind, gilt, dass nichts und niemand sie trennen könnte (χωρι'σαι [chōrisai]; s. zu V. 35) von der Liebe Gottes, der im Sühnetod des Messias Jesus unsere Sünden (1,18–3,20) vergeben und das mit Adam in die Welt eingedrungene Problem der Macht der Sünde, die dem Sünder den Tod einbringt, wirksam und ein für alle Mal gelöst hat (3,21–5,21). Die Bezeichung von Jesus als unser Herr (ο� κυριο` ς η� μω ñ ν [ho kyrios hēmōn]) ist mehr als ein feierlicher Abschluss: Sie betont noch einmal die Macht des Messias Jesus, die die Macht Gottes ist und die den Jesusbekennern das Heil und die Heilsvollendung garantiert. ————————————————————
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A. Strobel, Art. βα' θος, EWNT I, 455. Cranfield I 443; Dunn I 509.
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IV Paulus betont im Schlussabschnitt des zweiten Hauptteils noch einmal, dass der Kern des Evangeliums in der Gewissheit besteht, dass Gott „für uns“ ist, weil und indem er seinen eigenen Sohn in den stellvertretenden Sühnetod am Kreuz dahingegeben hat (V. 31a.32a). Die Konsequenz der Tatsache, dass Gott für uns ist, ist die Heilsgewissheit: Wenn Gott für uns ist, dann kann niemand gegen uns sein; es gibt niemand und nichts, dessen Feindschaft Gläubige zu fürchten brauchen (V. 31b), weil Gott ihnen garantiert, dass sie als mit dem Messias Jesus Verbundene zusammen mit Jesus alles erhalten, was zum vollkommenen Heil und zur Vollendung der Herrlichkeit noch fehlt (V. 32b). Die Heilswirkung des Sühnetodes Jesu Christi ist universal, wie auch die ganze Schöpfung auf die Verherrlichung der Kinder Gottes wartet. Weil Gott selbst als der Richter die an Jesus Christus Glaubenden aufgrund des Sühnetodes Christi gerecht spricht, d.h. von der Verurteilung zum Tode freispricht und die Schuld aufhebt, gibt es keinen, der Gottes Kinder mit Wirkung beschuldigen könnte (V. 33). Und weil Jesus die Strafe für unsere Sünde stellvertretend getragen hat, infolge seiner Auferstehung zur Rechten Gottes sitzt und das durch seinen Tod erwirkte Heil wirksam sein lässt, kann es niemanden geben, der uns post Christum crucifixum verurteilen könnte (V. 34). Das bedeutet aber auch, dass es kein Leid und kein Leiden in der Welt gibt, und wenn es noch so schwer und bedrohlich wäre, das die Jesusbekenner von der Liebe des Messias Jesus, die die Liebe Gottes ist, trennen könnte. Leiden und Drangsale sind keine unerwartete Neuheit: Sie haben schon immer das Leben der Gerechten gekennzeichnet (V. 35-36). Leiden um Jesu willen können von Jesus nicht trennen, im Gegenteil: Leiden mit Jesus führt zur Verherrlichung mit Jesus, zu einem Sieg, der unendlich mehr einbringt als die bloße Beendigung des Leidens (V. 37). Die Macht der Liebe Gottes, die im Sühnetod Jesu die Macht der Sünde und des Todes aufgehoben hat, garantiert nicht nur den Sieg inmitten von Leiden und Drangsal, sondern darüber hinaus, und grundsätzlicher, den Sieg über alle Gott entgegenstehenden Mächte dieser und der transzendenten Welt (V. 38-39). Keine Macht kann den von der Liebe Gottes und der Liebe des Messias Jesus Festgehaltenen vom Heil Gottes trennen. Die an Jesus Glaubenden, die an seinem Sühnetod und seiner Auferstehung teilhaben, sind sich ihrer Verherrlichung in der Zukunft Gottes gewiss, weil sie Gottes Liebe erfahren haben, weil sie mit dem Messias Jesus verbunden sind und weil Jesus ihr Herr ist.
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Christen sind erlöste Sünder, die in der Wirklichkeit ihres Alltags, gerade auch inmitten von Leid und Not, in den Lobpreis der Gnade Gottes einstimmen. Die Heilsgewissheit erklingt „als Jubel mitten im Leiden“.319 In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ! Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist; hilfest von Schanden, rettest von Banden. Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben. Halleluja. Zu deiner Güte steht unser G’müte, an dir wir kleben im Tod und Leben; nichts kann uns scheiden. Halleluja. Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod; du hast’s in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not. Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle zu dieser Stunde. Halleluja. Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben mit Herz und Munde. Halleluja.
Die Realität der Rechtfertigung in der Geschichte Israels 9,1–11,36 Am Ende des zweiten Hauptabschnitts (3,21–5,21) hatte Paulus von der Überfülle der Wirkung der Gnade im Gegensatz zu den Wirkungen der Sünde gesprochen (5,20-21). Aus dieser Aussage ergaben sich dieselben Einwände gegen seine Theologie, die er in 3,1-8 nur kurz behandelt bzw. abgewiesen hatte: Wie kann man von der Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes reden, wenn keiner der Erwählten, die Gottes Heil empfangen, gerecht ist? Wenn alle Menschen Sünder sind, wird dann der Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit und damit der Unterschied ———————————-————————
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Wilckens II 180, der ebenfalls das von dem Thüringer Pfarrer Cyriakus Schneegaß 1598 zu einer Melodie von Giovanni Giacomo Gastoli geschriebene Lied „In dir ist Freude in allem Leide“ zitiert (EKG 288; EG 398). Johann Sebastian Bach hat den von Johann Franck in Anknüpfung an Röm 8,1-2.10-11 geschriebenen Text „Jesu, meine Freude“, in seiner Motette BWV 227 vertont.
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zwischen Gottes Gerechtigkeit und Gottes Zorn nicht abstrakt, ja null und nichtig? Im dritten Hauptabschnitt (6,1–8,39) hatte Paulus zunächst die zweite Frage beantwortet und den ethischen Einwand gegen das Evangelium von der Rechtfertigung des gottlosen Sünders zurückgewiesen. Er zeigte, weshalb und inwiefern die im Messias Jesus geoffenbarte, für Sünder Heil schaffende Gerechtigkeit Gottes wirkliche Gerechtigkeit ist. Jetzt, im vierten Hauptabschnitt (9,1–11,36), beantwortet Paulus den ersten, heilsge-schichtlichen Einwand, der für den jüdischen Gesprächspartner zentral ist. Paulus hatte auf die Frage, was der Vorzug der Juden sei, knapp geantwortet: „Viel in jeder Hinsicht“ (3,1). Wenn manche Juden untreu waren, kann dies die Treue Gottes nicht zunichte machen (3,3). Gottes Zusagen bleiben gültig. Diese Wahrheit schafft jedoch das Problem, dass Israel den Messias Jesus abgewiesen hat, nicht aus der Welt. So zeigt Paulus jetzt in Kap. 9–11, inwieweit Gottes Gerechtigkeit, wie sie von ihm proklamiert wird (1,3-4.16-17), in der Tat die Bundesgerechtigkeit Gottes ist, die im Blick auf Israels Erwählung grundlegende Geltung hat, trotz des Konflikts zwischen Israel als Gottes erwähltes Volk und Israels Geschichte und Ablehnung des Messias Jesus auf der einen und der aus Juden und Heiden bestehenden Gemeinde der Jesusbekenner auf der anderen Seite. Exegeten, die Röm 9–11 als Exkurs beurteilen, verkennen die Stellung dieses Abschnitts im Zusammenhang der Argumentation des Apostels.1 Wenn man die unterschiedlichen Überschriften über diesen drei Kapiteln in den Kommentaren2 analysiert, lassen sich folgende thematische Betonungen unterscheiden: 1. Frage nach dem Schicksal Israels, 2. Problem der Prädestination, 3. Heilsgeschichte am Beispiel Israels, 4. das Gottesproblem, angesichts der jüdischen Ablehnung Jesu Christi als Messias bzw. als Frage nach ———————————-————————
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Vgl. Dodd 148: „Chaps. IX-XI form a compact and continuous whole, which can be read quite satisfactorily without reference to the rest of the epistle“; Boor 220: „Ein neuer Abschnitt beginnt, stark abgehoben von dem vorigen Kapitel. Es drängt sich der Eindruck auf, daß eine Pause zwischen dem Diktat des ganzen bisherigen Briefes und diesem nun beginnenden Teil gelegen haben mag“. Zur Integriertheit von Röm 9–11 im Gesamtbrief vgl. Stenschke, Teil,197-225. Godet: „La marche du salut dans l’humanité ou le problème de la rejection des Juifs“; Schlatter: „Die Offenbarung Gottes im Sturz Israels“; Bruce: „Human unbelief and divine grace“; Käsemann: „Die Gottesgerechtigkeit und das Problem Israels“; Schlier: „Das Mysterium Israels“; Michel: „Das Geheimnis des göttlichen Heilsplanes“; Cranfield: „The unbelief of men and the faithfulness of God“; Wilckens: „Die paradoxe Wirklichkeit der Erwählung“; Dunn: „The outworking of the Gospel in Relation to Israel“; Stuhlmacher: „Gottes Gerechtigkeit für Israel“; Légasse: „Paul prend la défense de dieu (et sa propre défense)“; Haacker: „Die Israelfrage als Gottesfrage“; Lohse: „Das Evangelium im Geschick Israel“; Jewett: „The triumph of divine righteousness in the gospel’s mission to Israel and the Gentiles“.
Die Realität der Rechtfertigung in der Geschichte Israels 9,1–11,36 283 ————————————————————————————————————
der Gottesgerechtigkeit. Es verwundert deshalb nicht, wenn E. Gaugler diesen Abschnitt als „‚Eigernordwand‘ jener steilen Kapitel von der Liebe Gottes“ bezeichnet, an der sich der Exeget mühen müsse.3 Ulrich Wilckens hat recht, wenn er diese thematischen Anzeigen als unterschiedliche Aspekte des paulinischen Gedankengangs bezeichnet, diesen aber auf dem Hintergrund der Absicht des Briefes und damit auf dem Hintergrund des Gesamtkontextes Kap. 1–8 umfassender bestimmt: „Paulus will und muß Antwort geben auf den zentralen Einwand des jüdischen Partners, die universale Heilsverkündigung des Evangeliums für Juden wie Heiden sei erkauft um den Preis des Bruches der Erwählungszusage Gottes an Israel; die These der Rechtfertigung aller Menschen als Sünder sei erbaut auf dem zerbrochenen Fundament der Heilsgeschichte; darum könne das Evangelium nichts anderes sein als ein leeres Wort, das darin verkündigte Heil ohne Wirklichkeit, die Kirche aus Juden und Heiden eine Heilsgemeinde ohne Heilsgrund; denn die Gerechtigkeit Gottes, die im Evangelium verkündigt wird, könne in Wirklichkeit nichts anderes sein als Ungerechtigkeit, weil sie mit der Bundesgerechtigkeit für Israel nichts mehr zu tun habe“.4 Gott hat im Sühnetod des Messias Jesus und in seiner Auferweckung und Verherrlichung zum Heil der Welt gehandelt. Gott hatte zuvor mit Abraham einen Bund geschlossen, dessen Verheißung von Land und Nachkommenschaft Israel in seiner Existenz und Geschichte als erfüllt betrachtete und dessen Verheißung von Segen für die Nationen sich jetzt, durch Jesus, den Messias Israels, verwirklichte. Das Heilshandeln Gottes im Messias Jesus steht in Kontinuität mit seinem Heilshandeln an Israel. Das Evangelium von Jesus Christus und die Heilsgeschichte Israels gehören zu demselben Handeln desselben Gottes. „Darum muß Paulus die Frage nach der heilsgeschichtlichen Wirklichkeit des Evangeliums als zentrale innerkirchliche Frage aufnehmen. Und im Horizont dieser Frage wird das Nein Israels gegenüber dem Evangelium, sein Verharren unter der Tora und bei der Gesetzesgerechtigkeit, seine Distanzierung von der Kirche und seine Gegnerschaft gegen das Evangelium zu einem tiefen theologischen Problem. Denn dieses Nein Israels ist ein Nein gegen Gottes Gerechtigkeit: Muß ihm darum nicht Gottes Nein gegen seine Erwählten entsprechen?“ Das Grundproblem besteht in der Frage, ob Gott sein Volk verworfen hat (11,1). Wenn Israel das im Messias Jesus geoffenbarte endzeitliche Heil ablehnt, lehnt es die von Gott jetzt neu ermöglichte Rechtfertigung des Sünders ab und muss selbst Sünder ohne Vergebung bleiben. Wenn diese ———————————-————————
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Gaugler 327. Wilckens II 181-182, das folgende Zitat ebd. 182.
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Ablehnung unaufhebbar definitiv ist, entspricht Israels Nein gegenüber Jesus jener Gegnerschaft, die als Lästerung gegen den Heiligen Geist verstanden werden muss, eine Sünde, die nicht vergeben werden wird (Mt 12,31). Und das ist genau das theologische Problem: „Wenn Gott, der Israel erwählt hat, sein erwähltes Volk verstoßen muß, muß er sein gegebenes Wort zurücknehmen. Aber wenn Gott Gott ist, als der Gott Israels, ist es unmöglich, daß sein Wort hinfällt (9,6). So entsteht ein Widerspruch als Aporie: Einerseits muß Gott sein abgefallenes Volk verstoßen, sofern seine Gerechtigkeit sich gegen ihre Feinde durchsetzt. Andererseits ist es unmöglich, daß Gott sein erwähltes Volk verstößt, den Bund mit ihm aufkündigt; denn seine Gerechtigkeit ist seine Bundesgerechtigkeit, in der er seinem erwählten Volk unerschütterliche Treue hält.“5 Das Evangelium von Gottes Gnade im Messias Jesus ist die für alle Menschen gültige Heilsbotschaft, für die Juden „zuerst“ und auch für die Griechen (1,16; vgl. 2,9-10; 3,9; 10,12) – aber eben auch für die Griechen, die nicht Juden werden müssen, um von Gott das Heil zugeeignet zu bekommen. Das bedeutet, dass sich gegenüber dem in Israel bekannten und von den Gerechten praktizierten Zueinander von Gesetzesgehorsam und vom Gesetz ermöglichten Sühneriten (Opfer, Waschungen) Grundsätzliches geändert hat: Die Gewährung von Vergebung und Heil hängt nicht mehr am Gesetz, sondern an der durch den Sühnetod und die Auferweckung des Messias Jesus Wirklichkeit gewordene Gnade Gottes. Paulus argumentiert in Röm 9–11 nicht mit dem Novum des Sühnetodes des Messias Jesus und seiner Auferweckung und Erhöhung, weil er das in 3,21–8,39 Gesagte nicht wiederholen muss. Er argumentiert mit atl. Aussagen,6 aus denen sich sowohl die Integrität der Treue Gottes als Gnade/Geschenk als auch die Untreue Israels erheben lässt.7 ———————————-————————
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Wilckens II 182-183. Die These von Wilckens II 184-185, Paulus habe in früheren Briefen, namentlich 1Thess 2,14-16 und Gal 4,21-31 anders über die heilsgeschichtliche Stellung Israels gedacht, kann nicht überzeugen, gerade wenn der Gal in zeitlicher Nähe zum Röm datiert wird, wie er es tut. Es wird sich in der Exegese zeigen, dass 11,25-26 keine „Wende in seinem heilsgeschichtlichen Denken darstellt“. Die atl. Zitate machen ungefähr ein Drittel des Textes von Kap. 9–11 aus; fast die Hälfte aller atl. Zitate im Röm kommen in diesen drei Kapiteln vor. Vgl. Ellis, Prophecy, 218; Aageson, Scripture, 286-287. Zur Verwendung von Jesaja-Texten, die ca. 40 % der atl. Zitate in Röm 9–11 ausmachen, s. Wagner, Heralds, 43-305; Wilk, Bedeutung; Hübner, Gottes Ich; Belli, Argumentation. Barclay, Gift, 521-526 interpretiert Röm 9–11 als Beweis für die Überzeugung, dass die Inkongruenz der Gnade Gottes (zu 6,1) für die Identität Israels schon immer grundlegend war, dass diese Inkongruenz die rätselhaften Auswirkungen des Evangeliums auf Juden (Unglaube) und Heiden (Glaube) in der Gegenwart erklärt und dass sie die Zukunft Israels und der Welt bestimmt. Barclay ebd. 525 argumentiert gegen Räisänen, Paul, God and Israel; Räisänen, Analyse; Lambrecht, Israel’s Future, und Donaldson, Riches, die Röm 9–11 für eine Ansammlung von nicht miteinander zu vereinbarenden Thesen halten.
Die Realität der Rechtfertigung in der Geschichte Israels 9,1–11,36 285 ————————————————————————————————————
Paulus argumentiert, nachdem er seine Fürbitte für die nicht an den Messias Jesus gläubigen Juden betont, in drei Schritten, in denen es um Gott, um das ungläubige Israel und um die Heilszukunft Israels geht.8 1. Gottes Gerechtigkeit in der Geschichte Israels, oder: Die Vergangenheit Israels seit den Vätern (9,6-29). Paulus betont, dass es nicht an Gott liegt, wenn Israel nicht an den Messias glaubt. Er argumentiert mit zahlreichen atl. Ereignissen und Zitaten erstens, dass die wahre Zugehörigkeit zu Israel in Gottes freier Erwählung gründet (9,6-13), und zweitens, dass das wahre Gottesvolk eine Funktion von Gottes freiem Erbarmen ist (9,14-29). 2. Israels Widerstand gegen Gottes Gerechtigkeit, oder: Die Gegenwart Israels in der Gegenwart der messianischen Zeit (9,30–10,21). Paulus betont, dass es an Israel selbst liegt, wenn es das messianische Heil verpasst. Er erläutert erstens, dass das Evangelium für Israel ein Stein des Anstoßes ist, über den es gestolpert ist (9,30-33); zweitens, dass Israel die von Gott ermöglichte Gerechtigkeit im Messias abgelehnt und so das Ziel des Gesetzes, dem es nachgeeifert hat, verpasst hat (10,1-13); drittens, dass der Unglaube Israels unentschuldbar ist (10,14-21). 3. Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes und die Errettung Israels, oder: Die Zukunft Israels und der Glaube an den Messias (11,1-32). Paulus erklärt erstens, dass es durchaus von Gott erwählte Gerechte in Israel gibt, die glauben (11,1-10); zweitens, dass die Ablehnung des Evangeliums durch Israel zur Bekehrung der Heiden führt und damit die von Gott intendierte Wirkung hat (11,11-24); drittens, dass Gott seine Verheißung erfüllen und Israel gerettet werden wird (11,25-32). Paulus beschließt den langen Abschnitt mit einem Lobpreis der Gerechtigkeit Gottes (11,33-36). Die Auslegung von Röm 9–11 wird heute oft in den Kontext der Judenvernichtung durch das Naziregime gestellt, verbunden mit dem Hinweis, dass man diese Kapitel, in denen es um die Rettung Israels geht, nicht mehr unvoreingenommen lesen kann, weil die Frage nach dem antijüdischen Virus immer präsent sein muss.9 Baum meint, Röm 9–11 sei von diesem „Virus“ angesteckt: „Alle Versuche christlicher Theologen, zu einem positiveren Ergebnis aus des Paulus Lehre in Röm 9–11 zu gelangen …, sind Wunschdenken. Was Paulus und die ganze christliche Tradition lehrten, ist unmissverständlich negativ: Die Religion Israels ist jetzt übertroffen, die ———————————-————————
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Aletti, Israël et la Loi, 167-174, gliedert Röm 9–11 in exordium (9,1-5) probatio (9,6– 11,32) und conclusio (11,33-36); die probatio besteht aus drei Teilen (9,6-29 / 9,30– 10,21 / 11,1-32), die je eine eigene propositio haben (9,6a; 10,4; 11,1). S. jetzt auch Gadenz, Called, 16-41. Vgl. Theobald, Kirche und Israel, 324-326; Sänger, Verkündigung, 14-79. Zur neueren Auslegungsgeschichte vgl. Haacker, Thema.
286 Römerbrief ————————————————————————————————————
Tora ist ungültig gemacht, die Verheißungen sind in der Kirche erfüllt, die Juden sind mit Blindheit geschlagen, und was immer von der Erwählung Israels übrig ist, liegt auf ihnen als Last im gegenwärtigen Zeitalter“.10 Müller meint, Paulus sei es nicht gelungen, in Röm 9–11 eine einheitliche Antwort auf die Frage nach der Rettung Israels zu geben: Paulus gebe „nur drei völlig divergierende(n) Antworten … die sich weder bruchlos aneinander fügen noch sinnvoll nebeneinander stehen bleiben können“.11 Er plädiert dafür, „der Judenmission ein für alle Mal den Abschied zu geben – nach einer Jahrtausende andauernden Judenverfolgung und unter dem Eindruck der Schoah“ und im Wissen darum, „dass Juden in keiner Gesellschaft sicher leben können, in der man ihre Missionierung auch nur ‚theologisch‘ erwägt“.12 Die Exegese von Röm 9–11 hat solche Fragen ernst zu nehmen, muss aber bei der Interpretation den Text im Kontext des 1. Jh.s und des missionarischen Wirkens und theologischen Reflektierens von Paulus lesen.
Die Fürbitte des Apostels für die ungläubigen Juden 9,1-5 I 1 Ich sage die Wahrheit im Messias, ich lüge nicht, wie mir mein Gewissen im Heiligen Geist bezeugt, 2 dass ich große Trauer und unaufhörlichen Schmerz in meinem Herzen habe. 3 Ich wünschte, selbst verflucht zu sein, vom Messias getrennt, um meiner Brüder willen, meiner Verwandten nach dem Fleisch. 4 Sie sind ja doch Israeliten. Ihnen gehört die Sohnschaft und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und die Gesetzgebung und der Gottesdienst und die Verheißungen. 5 Ihnen gehören die Väter, und aus ihnen stammt der Messias nach dem Fleisch, der über allem ist, der in Ewigkeit gepriesene Gott. Amen. II Ohne Überleitung zwischen Kap. 8 und Kap. 9 formuliert Paulus eine sehr persönlich gehaltene, eindringlich formulierte Klage über den Unglauben Israels (9,1-2), deren Grund in V. 3 genannt wird, verbunden mit dem ————————————————————
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Baum, Einleitung, 14; zitiert von Theobald, Kirche und Israel, 326. Müller, Last, 245, mit Verweis auf Kuss III, 825; ähnlich Lüdemann, Paulus und das Judentum, 30-35; Räisänen, Analyse, 2891-2939. Müller, Last, 252-253. Müller scheint die Judenmission, die von Judenchristen selbst verantwortet und durchgeführt wird, in Ländern wie den USA und Israel nicht zu kennen, in denen Juden „sicher“ leben und es sowohl judenchristliche Gemeinden als auch Judenchristen in mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinden gibt.
Die Fürbitte des Apostels für die ungläubigen Juden 9,1-5 287 ————————————————————————————————————
Angebot, selbst vom Heil ausgeschlossen zu sein, wenn Israel dadurch gerettet werden könnte. In V. 4-5 zählt Paulus die Vorzüge Israels auf, ohne an dieser Stelle zu erwähnen, dass die acht Elemente nicht exklusiv das ethnische Israel charakterisieren, sondern ebenfalls die aus Juden und Heiden bestehende Gemeinde der Jesusbekenner kennzeichnen. Paulus schließt mit einem Hinweis auf den Messias Jesus, der selbst Israelit ist (V. 5b), und mit einer Doxologie, in der möglichweise der Jesus als Gott bezeichnet wird. Textkritische Anmerkungen. In V. 1 ist die Lesart Χριστω ñ, � Ιησουñ (D* F G ar vgs) statt Χριστω ñ, im westlichen Text wenig gut bezeugt und als sekundär zu bewerten. In V. 3 wird α� πο' durch υ� πο' (D G) oder υ� πε' ρ (Ψ) ersetzt, wahrscheinlich aus Gründen stilistischer Glättung der als hart empfundenen semitischen Formulierung α� να' θεμα ειòναι α� πο' .13 Die Wendung τω ñ ν α� δελφω ñν μου fehlt in B, und in d46 fehlt μου, beides offensichtlich zufällige Auslassungen. In V. 4 fehlt nach � Ισραηλιñται in A der Rest von V. 4 (in NA nicht verzeichnet), was als Homoioteleuton zu interpretieren ist.14 Statt αι� διαθηñ και, das in אC Ψ 0285 33 1739 1881 Byz it vgst sy bo gut bezeugt ist, lesen d46 B D F G b vgcl sa bomss den Singular η� διαθη' κη; der Plural ist angesichts der Substantive im Sing. im Kontext und des sonst üblichen paulinischen Sprachgebrauches als die schwierigere Lesart vorzuziehen.15 Den Singular statt des Plurals αι� ε� παγγελι'αι lesen d46vid D F G ar bomss, was wohl Angleichung an den üblichen Sprachgebrauch und deshalb sekundär ist. Zur Interpunktion in V. 5b siehe den Kommentar. III
1 Paulus beginnt den neuen Briefteil mit einer doppelten Versicherung der
Wahrheit,16 die mit einem doppelten Hinweis auf das Gewissen und auf den Heiligen Geist noch verstärkt wird: Ich sage die Wahrheit im Messias, ich lüge nicht, wie mir mein Gewissen im Heiligen Geist bezeugt. Paulus versichert mit einer positiven und mit einer negativen Formulierung, dass seine Trauer über den Unglauben der Juden aufrichtig ist: „ich sage die Wahrheit“ (α� λη' θειαν λε' γω [alētheian legō])17 formuliert positiv, „ich lüge ————————————————————
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Jewett 555; Cranfield II 458 Anm. 5 erwägt auch den Einfluss der lateinischen Übersetzung a Christo. Siehe die Website des INTF Münster; anders Porter, Scribe, 414, der meint, der Abschreiber wollte den Messias enger mit dem jüdischen Volk verbinden; skeptisch Jewett 555. Vgl. Wilckens II 188; Jewett 555; Metzger, Textual Commentary, 459. Anders Christiansen, Covenant, 220-228, die jedoch verkennt, dass der Plural in 2Makk 8,15; Sir 44,18; Weish 18,22 verwendet wird. Vgl. 1Tim 2,7; auch Joh 1,20. Für ähnliche Beteuerungen vgl. 2Kor 1,23; 2,17; 12,19. Zu α� λη' θεια s. 1,18; 3,4.
288 Römerbrief ————————————————————————————————————
nicht“ (ου� ψευ' δομαι [ou pseudomai]) negativ.18 Die beiden Formulierungen sind synonym. Die doppelte Beteuerung lässt vermuten, dass man Paulus vorgeworfen hat, den heilsgeschichtlichen Status Israels als Volk Gottes zu leugnen. 19 Die Präpositionalwendung „im Messias“ (ε� ν Χριστω ñ, [en Christō]; s. zu 3,24) ist mit dem Verb (λε' γω) zu verbinden: Sein Reden und Schreiben, gerade was die folgenden Ausführungen betrifft, sind von dem Messias Jesus, dem er gehört, und seiner Autorisierung, der er sich als sein Sklave unterwirft (1,1), abhängig.20 Paulus beruft sich wie in 2,15 auf das Zeugnis seines „Gewissens“ (συνει'δησις; s. zu 2,15),21 das hier als Instanz im Menschen zu verstehen ist, „deren Pflicht es gerade ist, die Wahrhaftigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen vor sich selbst zu überwachen“.22 Die Präpositionalwendung „im Heiligen Geist“ (ε� ν πνευ' ματι α� γι' ω, [en pneumati hagiō]) ist am besten auf die parallelen Wendungen „ich sage die Wahrheit“, „ich lüge nicht“ und „mein Gewissen bezeugt mir“ zu beziehen und parallel zu „im Messias“ zu verstehen: Paulus nennt „feierlich und umfassend sowohl die göttlichen als auch die menschlichen Instanzen für die Beurteilung und Bestätigung der Wahrhaftigkeit seiner ihm so dringlichen Behauptung“.23 ————————————————————
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Zu ου� ψευ' δομαι vgl. 2Kor 11,31; Gal 1,20. Vgl. North, Paul’s Protest, 441: Man warf Paulus vor, sich durch seine Identifizierung Jesu mit dem Messias und der Verkündigung dieser Überzeugung vor Heiden von seinem jüdische Erbe losgesagt und jegliche Zuneigung zu Juden verloren zu haben. Jewett 557558 verteidigt ein rhetorisches Verständnis der Beteuerungsformel. Cranfield II 451; Michel 291; Dunn II 523. Eine Schwurformel, die beim Messias schwört (Bengel 586), liegt nicht vor; Cranfield II 452 Anm.1; Eckstein, Syneidesis, 181. Die Alte Kirche interpretiert im Sinn von drei Zeugen: Christus, das Gewissen des Apostels und der Heilige Geist; das Partizip συμμαρτυρου' σης formuliert jedoch im Singular. Zum Verb συμμαρτυρε' ω s. 2,15; 8,16; der Dativ μοι ist dat. commodi (das Gewissen des Apostels bezeugt dem Apostel die Wahrheit seiner Aussage; anders Cranfield II 452: συν- ist buchstäblich zu nehmen und auf die beiden Zeugen des Gewissens V. 1 und der Aussage V. 2 zu beziehen, die „zusammen bezeugen“); die Genitivkonstruktion ist als gen. absolutus Umstandsangabe; vgl. HvS §230d. Meistens wird Gott als Zeuge angerufen; vgl. Röm 1,9; 2Kor 1,23; Phil 1,8; 1Thess 2,5.10. Eckstein, Syneidesis, 186; ebd. 184: Der Dativ μοι bringt zum Ausdruck, dass das Gewissen „positiv die Wahrhaftigkeit und Richtigkeit der jetzt folgenden Aussage bezeugt“. Eckstein, Syneidesis, 189; kritisch ebd. 188 gegenüber einer Interpretation des Gewissens als „vom Geist geleitet und gerechtfertigt“ (Käsemann 248), „an den Heiligen Geist gebunden und ihm untergeordnet“ (Michel 291-292), vom Geist „regiert“ (Zahn 428) bzw. „kontrolliert“ (C. Maurer, Art. συ' νοιδα κτλ., ThWNT VII, 915); Dunn II 523 spricht im Blick auf den Hinweis auf den Heiligen Geist von „basic inspiration informing and determining his conscience and the whole process of its witness bearing“. Der Geist ist nicht ein weiterer Zeuge neben dem Gewissen, wie die Syntax des griech. Satzes zeigt. Zum Heiligen Geist s. zu 1,4; 5,5.
Die Fürbitte des Apostels für die ungläubigen Juden 9,1-5 289 ————————————————————————————————————
2 Gegenstand der feierlich bekräftigten Beteuerung ist zunächst die Tatsa-
che, dass ich große Trauer und unaufhörlichen Schmerz in meinem Herzen habe. Paulus verwendet wieder eine doppelte Aussage. Die Wendungen „große Trauer“ (λυ' πη μεγα' λη [lypē megalē]) und „unaufhörlicher Schmerz“ (α� δια' λειπτος [adialeiptos odynē]) sind synonym; der Dativ μοι' [moi] ist dat. possessoris (deshalb die Übersetzung „ich habe“) und entspricht der Wendung „in meinem Herzen“ (τηñ, καρδι'α, μου [tē kardia mou]; lokativer Dativ oder Dativ der Beziehung). Statt „Trauer“ kann man mit „Leid, Schmerz, Betrübnis, Kummer“ übersetzen,24 statt „großer Trauer“ kann man von „tiefer Trauer“ sprechen. Die beiden Substantive kommen nur in Jes 35,10; 51,11 LXX zusammen vor.25 Die Argumentation in den folgenden drei Kapiteln zeigt, dass es Paulus in V. 2 nicht einfach um die Demonstration seiner persönlichen Betroffenheit im Blick auf den Unglauben Israels geht, sondern um die Integrität des von ihm verkündigten Evangeliums und seiner Sendung zu den Heiden, die eben gerade nicht die Preisgabe des jüdischen Volkes beinhaltet. Die Aufzählung der Vorzüge Israels in V. 4-5 lässt angesichts der Ablehnung des Messias durch den Großteil des jüdischen Volkes keine andere Haltung als die großer Trauer und unaufhörlichen Schmerzes zu. Dies gilt für Paulus selbst, offensichtlich aber auch für die römischen Christen, die zum größeren Teil Jesusbekenner aus den Heiden waren. Klage und Trauer über den geistlichen Zustand Israels kommen in atl. und jüdischen Texten wiederholt vor (Jer 4,19; 14,17; Klgl; Dan 9,3l; TestJud 23,1; 4Esra 8,16; 10,24.39; syrApkBar 10,5; 35,1-3; 81,2). 3 Der Grund der Klage ergibt sich indirekt aus V. 3: Ich wünschte, selbst verflucht zu sein, vom Messias getrennt, um meiner Brüder willen, meiner Verwandten nach dem Fleisch. Das Imperfekt des Verbs (ηυ� χο' μην [ēuchomēn], „wünschte“) kennzeichnet hier einen als unerfüllbar betrachteten Wunsch.26 Das Verb kann „beten“ oder „wünschen“ bedeuten; weil Paulus weiß, dass er die Schuld Israels nicht auf sich nehmen kann, hat er so auch nicht gebetet. Die feierliche und zugleich ganz ernsthafte Beteuerung V. 1-2 lässt schließen, dass Paulus einen wirklichen und ernsthaften Wunsch ausspricht, von dem er allerdings weiß, dass Gott ihn nicht annimmt.
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Bauer/Aland s.v. λυ' πη; R. Bultmann, ThWNT IV, 314-325; H. Balz, EWNT II, 895-899. In Jes 35,10; 51,11 übersetzt LXX den hebr. Ausdruck [ ָיג ֹוןjāgōn] mit ο� δυ' νη και` λυ' πη. HvS §198j; §209j, 268b(5bb): ηυ� χο' μην in Röm 9,3 entspricht einem als unerfüllbar hingestellten Wunsch, der in Begehrungssätzen als Augment-Indikativ formuliert wird. Vgl. BDR §359.25. Vgl. Cranfield II 455-457. Anders Abasciano, Romans 9.1–9, 93, der ηυ� χο' μην als Gebet interpretiert.
290 Römerbrief ———————————————————————————————————— A. Schlatter schreibt: „Unmögliches begehrt dieser Wunsch; denn Christus gibt seine Gemeinschaft dem, dem er sie geben will. So wenig Paulus ihn von sich wegscheuchen kann, nachdem er ihn gerufen hat, so wenig kann er Christus zu den Juden bringen“.27 Zahn spricht von einer zeitweiligen Trennung von Christus auf Erden, die Paulus auf sich zu nehmen bereit ist, was im Text nirgends angedeutet ist. Sanday/Headlam denken an einen Wunsch, bei dem Paulus nicht an die Unmöglichkeit der mit diesem verbundenen Bedingungen denkt. Michel will mit Hinweis auf Luther die Aussage „vor einer Entwertung“ schützen und spricht von einem konkreten Angebot an Gott, sagt dann aber auch, dass Paulus „um die Grenze seines Angebotes, die ihm von Gott her gesetzt ist“ weiß. Wenn Paulus um diese Grenze weiß, dann weiß er auch, dass er einen unerfüllbaren Wunsch äußert.
Paulus selbst (αυ� το` ς ε� γω' [autos egō]) wäre bereit, verflucht (α� να' θεμα [anathema]) zu sein. Das Substantiv α� να' θεμα bezeichnet das im Tempel aufgestellte Weihgeschenk,28 in der LXX „das der Gottheit Geweihte“ (für hebr. [ ֵח ֶרםcheräm], „Bann“), oft im Sinn von „das Verfluchte“.29 Die Formulierung „um meiner Brüder willen“ (υ� πε` ρ τω ñ ν α� δελφω ñ ν μου [hyper tōn adelphōnn mou]) wird durch die Ergänzung „meiner Verwandten nach dem Fleisch“ (τω ñ ν συγγενω ñ ν μου κατα` σα' ρκα [tōn syngenōn mou kata sarka]) erklärt: Paulus spricht von seinen jüdischen Zeitgenossen. Paulus ist bereit, zur Rettung Israels dem Bannfluch zu verfallen, dem Gerichtetwerden durch Gottes Zorn im Endgericht (1,18). Die Wendung „vom Messias getrennt“ (α� πο` τουñ Χριστουñ [apo tou Christou]) formuliert den Grund für die Austilgung durch Gott: Wer vom Messias Jesus getrennt ist, d.h., wer nicht „im Messias Jesus“ (ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ) ist, wer nicht mit Jesus und damit mit seinem Sühnetod und seiner Auferweckung vereint ist (6,3-10), der ist heillos, dessen Sünden sind nicht gesühnt und der hat keinen Zugang zur Gnade Gottes (5,2) – für einen solchen Menschen bleibt nur die Verurteilung im Endgericht (vgl. 8,1). Das Kreuz, an dem der Messias Jesus gestorben ist, ist der eine Ort, an dem sich der Heil schaffende, dem Sünder Gerechtigkeit zueignende Gott geoffenbart hat (3,24-26). Wer die Heil schaffende Offenbarung Gottes im Sühnetod des Messias Jesus, der ein für alle Mal (ε� φα' παξ; 6,10) gestorben ist, im Unglauben ablehnt, der trennt sich selbst vom Heil, ohne dass ein Mensch für ihn – geschweige denn für ein ————————————————————
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Schlatter 293; für das Folgende vgl. Zahn 431; Sanday/Headlam 228; Michel 293. Plutarch, Pelop 291; 2Makk 2,13; Philo, VitMos 1,253; vgl. Lk 21,5 varia lectio. In diesem Sinn interpretiert Vahrenhorst, Kultische Sprache, 286-291: „Paulus denkt an ein (fiktives) Herausgenommen-und-geopfert-Werden aus dem Heilsraum der Gemeinde bzw. aus Christus heraus“. Eine Interpertation im Anschluss an die Verwendung von α� να' θεμα in der LXX ist plausibler. Vgl. LXX Lev 27,28; Num 21,3; Deut 7,26; Jos 6,17; 7,12; Ri 1,17; Sach 14,11; im NT vgl. 1Kor 12,3; 16,22; Gal 1,8.9. Vgl. Bauer/Aland s.v. α� να' θεμα; J. Behm, ThWNT I, 356-357; H.-W. Kuhn, EWNT I, 193-194; H. Aust / D. Müller / U. Heckel, ThBLNT II, 1626-2628. Um Exkommunikation geht es hier nicht (anders 1Kor 16,22).
Die Fürbitte des Apostels für die ungläubigen Juden 9,1-5 291 ————————————————————————————————————
ganzes Volk – noch einmal eine Sühne erbringen kann.30 Haacker hat recht: Wenn Paulus wirklich bereit wäre, seine Zugehörigkeit zum Messias Jesus zugunsten Israels zu opfern, würde er ein größeres Opfer bringen wollen, als es Jesus selbst gebracht hat, „der zwar sein Leben, nicht aber seine Zugehörigkeit zum Vater uns Menschen zuliebe hingab“.31 Gerade aus diesem Grund muss Paulus um die Unerfüllbarkeit seines Wunsches gewusst haben, der deshalb kein Gebetswunsch gewesen sein kann. Es gibt nur einen Ort der sühnenden Gegenwart Gottes (ι�λαστη' ριον; 3,25) – der Ort, an dem der Messias „für uns zum Fluch“ (υ� πε` ρ η� μω ñ ν κατα' ρα) wurde (Gal 3,13).32 Paulus hat gerade in 8,38-39 betont, dass ihn nichts von der Liebe Gottes „im Messias Jesus“ trennen kann: Er kann dies auch selbst nicht und will dies auch nicht – aber er will, mit großem Ernst und unter ganzem Einsatz seines Lebens als Missionar, dass das jüdische Volk zum Glauben an Jesus kommt. Der Wunsch des Apostels kann mit der Fürbitte Moses verglichen werden, der Jahwe bittet, die Sünde Israels, das gerade das goldene Kalb angebetet hatte, zu tilgen und damit das Volk vor der Vernichtung zu schonen, und anbietet, selbst aus dem „Buch“, das Jahwe geschrieben hat, gestrichen zu werden (Ex 32,32).33 Der Prophet Jona opfert sich für die Seeleute des Schiffes, auf dem er Jahwe entkommen wollte (Jon 1,12). Solche Parallelen reichen jedoch nicht an das heran, was Paulus als (unmögliche) Möglichkeit wünscht: Er spricht von einem Akt stellvertretender Sühne, der endzeitliches Heil schafft, als Ersatz für die vom Messias in seinem Tod am Kreuz bereits vollzogene stellvertretende Sühne für die Sünden von Juden und Heiden. Festzuhalten ist im Hinblick auf die Beschreibung der Juden als „Brüder“ (α� δελφοι' [adelphoi]; s. zu 1,13): Paulus hat sich ganz selbstverständlich nach seiner Bekehrung als „Jude“ verstanden,34 wobei die Wen————————————————————
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Wilckens II 187. Die „Logik“ des Wunsches ist deshalb ganz sicher nicht „mit dem Sühnetod Christi vergleichbar“ (Haacker 220). Man sollte deshalb auch nicht auf die letzte Jerusalemreise des Paulus verweisen und die Vermutung anstellen, dass Paulus ein dortiges Martyrium bewusst in Kauf nehmen wollte. Haacker 220. Der Wunsch des Apostels entspricht deshalb auch nicht „in gewisser Hinsicht“ dem Handeln Jesu Christi, und man kann deshalb auch kaum formulieren: „Wie Christus den Fluch des Gesetzes auf sich gezogen hat, um die verlorenen Sünder zu retten, so will jetzt Paulus seine durch ihren Unglauben verlorenen Brüder retten, indem er selbst (αυ� το` ς ε� γω' ) zu einem dem Untergang geweihten Verfluchten wird“ (Wilckens II 187). S. dazu Abasciano, Romans 9.1–9, 45-146, der meint, Paulus präsentiere sich in einer heilsgeschichtlichen Rolle, die der von Mose entspricht. Diese These stützt sich in erster Linie auf eine Untersuchung des Kontexts von Ex 32–34; in Röm 9,1-5 wird eine solche Konnotation nirgends angedeutet. Die für die zeitgenössischen Juden verwendete Bezeichnung α� δελφοι' in 9,3 bedeutet nicht, dass Paulus sie „in die Bruderschaft der Christen“ einbezieht; gegen Wilckens II 187. Paulus hat Juden missioniert, nicht irgendwie als „Christen“ behandelt.
292 Römerbrief ————————————————————————————————————
dung „nach dem Fleisch“ (κατα` σα' ρκα [kata sarka]) nicht negativ im Blick auf die Macht der Sünde formuliert ist, sondern die „natürliche“, d.h. ethnische Zugehörigkeit beschreibt. Es sind seine jüdischen Volksgenossen, für die er sich opfern würde, wenn er könnte, und für deren Rettung er jedenfalls sein Leben als Missionar einsetzt. 4-5 Paulus beschreibt in der folgenden Aufzählung die Identität und das Leben der Juden, die von den Gaben Gottes gekennzeichnet sind, die das jüdische Volk vor allen anderen Völkern auszeichnet. Paulus meint das jüdische Volk, vermeidet aber das Wort � Ιουδαι'οι [Ioudaioi]35 zugunsten des Wortes � Ισραη' λ [Israēl]; vgl. 9,6.27.31; 10,19.21; 11,2.7.25.26. Nach dem Oberbegriff � Ισραηλιñται („Israeliten“) zählt Paulus acht Kennzeichen auf, die nicht so „kunstvoll“ gestaltet sind, wie manchmal angenommen wird. O. Michel kann nur deshalb von „2 mal 3 Gliedern“ sprechen, „von denen das dritte und sechste durch die Pluralform auffallen“, weil er den ersten Relativsatz V. 4b von den beiden Relativsätzen V. 5a-b trennt; die Begriffe � Ισραηλιñται, οι� πατε' ρες und ο� Χριστο` ς το` κατα` σα' ρκα bilden kaum eine „umschließende Dreiheit“, die „von der Vielheit über die Auswahl zur Einheit“ verläuft.36 Die Aufzählung besteht nicht aus 2 x 3 Gliedern, sondern aus acht Gliedern (aus neun Gliedern, wenn man � Ισραηλιñται dazu zählt), in drei Relativsätzen von denen das dritte, sechste und siebte Glied im Plural stehen. Auf zwei Vokabeln im Singular (η� υι� οθεσι' α και` η� δο' ξα) folgt der Plural αι� διαθηñ και; nach zwei weiteren Vokabeln im Singular (η� νομοθεσι' α και` η� λατρει' α) steht der Plural αι� ε� παγγελι' αι, auf den der relativisch angeschlossene Plural οι� πατε' ρες folgt, gefolgt von dem relativisch angeschlossenen und durch die Präpositionalwendung το` κατα` σα' ρκα erweiterten Singular ο� Χριστο' ς folgt: � Ισραηλιñται ω ð ν η� υι� οθεσι' α και` η� δο' ξα και` αι� διαθηñ και και` η� νομοθεσι' α και` η� λατρει' α και` αι� ε� παγγελι' αι, ω ð ν οι� πατε' ρες, και` ε� ξ ω ð ν ο� Χριστο` ς το` κατα` σα' ρκα Die Annahme, dass Paulus eine jüdische Vorlage aufgegriffen habe,37 erübrigt sich. Die Begriffe werden alle aus dem Zusammenhang der Argumentation von Paulus verständlich, der „selbst formuliert haben dürfte“. E. Lohse hat recht: Man darf die Fähigkeit des Apostels nicht unterschätzen, der von Natur aus eloquent war und dem man spontane Formschönheit verbaler Äußerungen nicht absprechen sollte.
Paulus würde sich, wenn er könnte, für die Israeliten (� Ι σραηλιñται [Israēlitai]; V. 4a) opfern. Das Wort beschreibt die Nachkommen Jakobs, dem Gott den Ehrennamen „Israel“ gab (Gen 32,28-29; 35,10) und von dem die zwölf Stämme abstammen. Im Alten Testament ist oft von den „Söhnen ————————————————————
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Ausnahmen sind 9,24; 10,12 (Universalität von Juden/Heiden bzw. Juden/Griechen). Michel 294-295, mit Anm. 18. Vgl. Lohse 267. Michel 296; Byrne 285. Zur folgenden Kritik Lohse 267 sowie Cranfield II 460 Anm. 1.
Die Fürbitte des Apostels für die ungläubigen Juden 9,1-5 293 ————————————————————————————————————
Israel“ die Rede;38 nach dem Exil verwendeten Juden das Wort „Israel“, wenn sie von sich selbst sprachen, während Angehörige anderer ethnischer Gruppen das Wort „Juden“ verwendeten.39 In 11,1 nennt Paulus sich selbst einen „Israeliten“. Gerade weil sie „Israeliten“ sind, ist die Trauer des Apostels so groß und unaufhörlich. Paulus setzt die Aufzählung mit zwei Relativsätzen fort, die den heilsgeschichtlichen Besitz Israels anzeigen (V. 4b.5a),40 und einem dritten Relativsatz (V. 5b), der die ethnische Herkunft des Messias beschreibt. Der erste Relativsatz besteht aus sechs Gliedern, der zweite und dritte Relativsatz aus jeweils einem Glied. Dem Volk Israel gehört die Sohnschaft (υι�οθεσι'α [hyiothesia]), d.h. die Rechtsstellung als erwählter Sohn Gottes (Ex 4,22; Deut 14,1; Jes 1,2; Jer 3,19-22; 31,9; Hos 11,1), die Grundlage für die Liebe und Zuwendung Gottes zu seinem Volk (vgl. Deut 1,31; 8,5), auf die Israel mit Liebe, Vertrauen und Gehorsam antworten sollte (Deut 14,1; Jes 1,2; Jer 3,19.22; Mal 1,6). Die Herrlichkeit (δο' ξα [doxa]; hebr. [ ָּכב ֹודkābōd]) verweist auf die Herrlichkeit Gottes, auf die Wirklichkeit und Macht seiner unmittelbaren Gegenwart, die Israel in der Wüste begleitete (Ex 16,10), aus der heraus Mose das Gesetz erhielt (Ex 24,16) und die in der Stiftshütte (Ex 40,34-35) und dann im Tempel (Jes 6,3; vgl. Hebr 9,5) gegenwärtig war. Die Bundesschlüsse (διαθηñ και [diathēkai]) verweisen auf den Bundesschluss mit Abraham (Gen 15,18; 17,2.7.9), Isaak (Gen 26,3-5) bzw. den drei Patriarchen (Ex 2,24; 6,4-5; Lev 26,42), mit Israel am Sinai (Ex 19,5; 24,1-8; vgl. Sir 44,12.18; erneuert in der Ebene von Moab [Deut 29,1-20] und am Berg Ebal und Garizim [Jos 8,30-35]) und mit David (2Sam 23,5; vgl. Ps 89,3-4.28-29; 132,11-12).41 Die Gesetzgebung (νομοθεσι'α [nomothesia]) kann den Akt des Entwerfens und Schreibens von Gesetzen bzw. den Akt der Übergabe des Gesetzes bezeichnen, dann das Ergebnis, d.h. die Verfassung bzw. kollektiv „das Gesetz“;42 Paulus meint hier sicher das von Gott gegebene Gesetz, die mosaische Tora.43 Ob Paulus mit der Erwähnung des Gesetzes ————————————————————
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Ex 1,9.12.13; 2,24.25; 3,13-15; 6,6.9; 9,4; u.a.; vgl. Ps 25,22; 53,6; 130,7-8; Jes 49,3; 56,8; 66,20; Joel 2,27; 4,16; Obd 20. Vgl. K.G. Kuhn, Art. � Ισραη' λ κτλ., ThWNT III, 360-366. Der Genitiv ω ð ν ist gen. possessoris; zu ergänzen ist ει� σι' ν. Michel 295 verweist auch auf den Bund mit Noah (Gen 6,18; 9,8-17), den Paulus aber wohl kaum unter den Oberbegriff „Israeliten“ gestellt hätte. Lysias 30,35; Diodorus Siculus 1,95,6; 12,11,4; Dionysius v. Halicarnassus 10,57-58; 11,6; Plutarch, Mor 240B; IGSI I 326; P.Lips. 35,7; so auch in 2Makk 6,23; 4Makk 5,35; 17,16. Vgl. Bauer/Aland s.v. νομοθεσι' α; LSJ s.v. νομοθεσι' α I, II.1. W. Gutbrod, ThWNT IV, 1082; Cranfield II 463; Wilckens II 188; Dunn II 527. Anders Luz, Geschichtsverständnis, 272: „das Geschehen der Gesetzgebung“, gefolgt von Käsemann 249, vielleicht Lohse 268. Haacker 223 meint, Paulus habe bewusst einen „quasi staatsrechtlichen Begriff “ gewählt, weil es hier um die dem Volk Israel gegebene
294 Römerbrief ————————————————————————————————————
nach den Bundesschlüssen deutlich machen will, dass das Gesetz im Kontext des Bundes (und jetzt des neuen Bundes?!) verstanden werden muss, ist möglich, aber im Kontext der katalogartigen Aufzählung nicht sicher auszumachen. Der Gottesdienst (λατρει'α [latreia]; hebr. [ ֲעב ֹוָדהabōdāh]) verweist auf den Kultus in der Stiftshütte bzw. im Tempel (Jos 22,27; 1Chron 28,13; vgl. 1Makk 2,22; Philo, Decal 158; SpecLeg 2,167), einschließlich der Gebete und vor allem der Opferhandlungen.44 Oft zitiert wird die Aussage von Simon dem Gerechten in mAb 1,2: „Auf drei Dingen beruht die Welt: auf der Tora und auf dem Kult und auf der Erweisung von Liebeswerken“.45 Die Verheißungen (ε� παγγελι'αι [epangeliai]; s. zu 4,13) sind die Verheißungen Gottes an die Väter – Abraham: Gen 12,2; 13,14-17; 15,4; 17,48.16.19; 21,12; 22,16-18; Isaak: Gen 26,3-5; Jakob: Gen 28,13-14 – sowie an Mose (Deut 18,18-19) und David (2Sam 7,11-16), in dieser Liste sicher im Sinn von Heilsverheißungen (und nicht von Unheilsverheißungen). Angesichts von 2Kor 1,20; 7,1 denkt Paulus wahrscheinlich auch an andere, vor allem auf die Endzeit und den Messias bezogene Verheißungen,46 im Kontext seines Evangeliums für Juden und Heiden an den Segen für die Völker, der in der Verheißung an die Väter inbegriffen war (Gen 12,2-3; 18,18; 22,18; 26,4; 28,14; vgl. Apg 3,25). Die Väter (πατε' ρες [pateres]; V. 5a) sind die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob (Ex 3,13; 13,5; u.a.; 1Kön 8,58), im weiteren Sinn die Männer der Frühgeschichte Israels (Lk 1,32; Mk 11,10). Das letzte Element der Aufzählung, und damit deren Höhepunkt, ist die Wendung und aus ihnen stammt der Messias nach dem Fleisch (V. 5b). Die Bezeichnung ο� Χριστο' ς [ho Christos] hat hier eindeutig die titulare Bedeutung von „Messias“ (s. zu 1,1). Die Wendung „nach dem Fleisch“ (κατα` σα' ρκα [kata sarka]) kennzeichnet im Zusammenhang der mit dem Relativpronomen verbundenen Präposition ε� ξ [ex] die leibliche Herkunft des Messias Jesus, der wie die Väter „Israelit“ (9,4), d.h. Jude, ist; in 1,1 wird seine Herkunft „nach dem Fleisch“ auf David zurückgeführt (vgl. Mt 1,1-17; Lk 3,23-38). Der Artikel το' [to] vor κατα` σα' ρκα drückt eine Einschränkung aus: Der Messias Jesus ist mehr als ein Jude – nach 1,4 ist er „proklamiert als Sohn Gottes in Macht nach dem Geist der Heiligkeit aufgrund der Auferstehung von den Toten“ und deshalb der Kyrios. ————————————————————
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Lebensordnung geht. Da νομοθεσι' α „das Gesetz“ bedeuten kann, ist diese Differenzierung nicht plausibel. Siegert, Synagoge, 350: λατρει' α meint hier „ganz unmetaphorisch“ den Tempelkult. Cranfield II 463 hält es für wahrscheinlich, dass λατρει' α für Paulus auch auf die nichtkultische Verehrung Jahwes in den Synagogen und in den Familien verweist, d.h. das Halten des Sabbats, die Rezitierung des Schema usw. Cranfield II 464; zum folgenden Hinweis s. Dunn II 528.
Die Fürbitte des Apostels für die ungläubigen Juden 9,1-5 295 ————————————————————————————————————
Was Paulus in 9,4-5 nicht erwähnt, aber aufmerksamen Lesern des Röm auffallen musste, ist die Tatsache, dass die genannten Vorzüge nicht mehr allein für „Israeliten nach dem Fleisch“ gelten, sondern für die Jesusbekenner aus Juden und Heiden. Siehe Abschnitt IV. Paulus schließt die Aufzählung der Vorzüge Israels mit einer Doxologie (V. 5c). Umstritten ist, ob sich die Doxologie auf den Messias Jesus bezieht oder auf Gott, d.h., ob man hinter το` κατα` σα' ρκα ein Komma setzen soll, sodass sich der Relativsatz ο� ω � ν ε� πι` πα' ντων θεο' ς [ho ōn epi pantōn theos] auf Χριστο' ς bezieht und damit der Messias Jesus mit Gott identifiziert wird, oder ob man hinter το` κατα` σα' ρκα einen Punkt setzen soll, sodass der Relativsatz ο� ω � ν ε� πι` πα' ντων das Substantiv θεο' ς qualifiziert und die Doxologie Gott gewidmet ist. Die ausführlichste Diskussion findet man bei Cranfield; Michel behandelt die Frage in einem Exkurs, Carraway hat ihr eine Dissertation gewidmet.47 Für die „theologische“ Deutung48 wird angeführt, dass Paulus sonst nie Jesus als „Gott“ bezeichne, dass die Wendung „der über allem ist“ im Blick auf Jesus ein zu umfassender Anspruch sei und dass das Adjektiv „gepriesen“ sich im Neuen Testament immer auf Gott beziehe. Diese Argumente sind nicht überzeugend: In Phil 2,5-6 beschreibt Paulus Jesus als Gott (ι»σα θεω ñ, ), und an vielen Stellen beinhaltet die Bezeichnung Jesu als κυ' ριος [kyrios] göttliche Identität; 49 die Beschreibung „der über allem ist“ entspricht der Bezeichnung Jesu als „Herr über allen“ (Röm 10,12; 14,9; 1Kor 8,6; Phil 2,10); dass das Adjektiv „gepriesen“ im Neuen Testament immer auf Gott bezogen ist, ist richtig, beweist aber nicht, dass dies auch hier der Fall sein muss, und richtig ist auch die Beobachtung, dass „gepriesen“ in Doxologien an erster Stelle und vor „Gott“ steht (vgl. LXX Gen 9,26; 14,20; Ex 18,10; 1Sam 25,32 u.a.; im NT Lk 1,68; 2Kor 1,3; Eph 1,3; 1Petr 1,3), was hier nicht der Fall ist. Für die christologische Deutung50 spricht die syntaktische Konstruktion (ο� ω » ν bezieht sich plausibler auf das vorausgehende Substantiv Χριστο' ς als auf das folgende θεο' ς; und die richtige griech. Formulierung eines unabhängigen Satzes wäre ο� ε� πι` πα' ντων θεο' ς, ohne das Partizip ω » ν) und das Problem, dass Paulus seine Klage wegen des Unglaubens Israels mit einer Lobpreisung Gottes abschließen würde, was man als göttliche Sanktion dieses Unglaubens verstehen könnte, während eine Lobpreisung des Messias Jesus als Gott das Problem markiert, das einerseits den Widerstand der Juden gegen die Messianität Jesu und andererseits auch die Trauer des Apostels erklärt. Die christologische Deutung hat die besseren Argumente für sich (so auch EÜ: „dem Fleisch ————————————————————
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Cranfield II 465-470; Michel 296-297; Carraway, Christ is God; vgl. Dunn II 528-529; Schreiner 487-489; Lohse 269-270; Penna 644-648; Jewett 567-568; Metzger, Textual Commentary, 459-462. Jülicher 292; Lietzmann 90; Dodd 152; Käsemann 250; Kuss III 678; Wilckens II 189; Zeller 173-174; Stuhlmacher 132; Dunn II 529; Theobald I 262; Byrne 288; Haacker 225226; Lohse 269-270; Penna 645-647; vgl. Barth, Kirchliche Dogmatik I/1, 55-57; Theobald, Gottesbilder, 150 Anm. 61. Vgl. Hurtado, Lord Jesus Christ, 108-118 für Belege. Zahn 433-434; Lagrange 227; Michel 297; Bruce 231-232; Cranfield II 469-470; Schlier 288; Moo 565-568; Fitzmyer 548-549; Schreiner 486-389; Légasse 580-581; Osborne 240; Wright 630-631; Harris, Jesus as God, 143-172; Kammler, Prädikation; Waddell, Messiah, 172-177; Carraway, Christ is God; Fletcher-Louis. Jesus Monotheism, 55-56.
296 Römerbrief ———————————————————————————————————— nach entstammt ihnen der Christus, der über allem als Gott steht, er ist gepriesen in Ewigkeit“; LÜ: „aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit“; Elb.Ü: „aus denen dem Fleisch nach der Christus ist, der über allem ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit“; NGÜ: „aus ihrer Mitte ist seiner irdischen Herkunft nach der Messias hervorgegangen, Christus, der Herr über alles, der für immer und ewig zu preisende Gott“.
Paulus fügt an seine Erwähnung des „der Messias nach dem Fleisch“ die Doxologie an: der über allem ist, der in Ewigkeit gepriesene Gott. Amen. Paulus betont am Ende des einleitenden Abschnitts von Röm 9–11 die universale Souveränität des Messias Jesus „über alles“ (ε� πι` πα' ντων [epi pantōn]; vgl. 1,3-4; 10,12; 14,9; Phil 2,9-11; Eph 1,20-23; Kol 1,15.17-18). Der Messias aus Israel ist nicht nur „der in Ewigkeit gepriesene Gott“ (θεο` ς ευ� λογητο` ς ει�ς του` ς αι� ω ñ νας [theos eulogētos eis tous aiōnas]) der Juden, sondern auch der Gott der Heiden (vgl. 3,29-30). Die Bezeichnung des Messias Jesus als „Gott“ bedeutet keine Identifizierung mit Gott, „sondern im Sinn von 2Kor 5,19; Phil 2,6; Kol 1,15 die göttliche Existenz des Christus. Er kommt aus der Welt Gottes, sein Werk an uns tut er im Namen Gottes, seine Herrschaft und seine Erhöhung weisen ihn als mit Gott unmittelbar verbunden aus“.51 Wenn Juden „vom Messias getrennt“ (9,3) sind, dann sind sie getrennt von dem Messias, der „über allem“ und deshalb „der in Ewigkeit gepriesene Gott“ ist. Dem Messias Jesus, der infolge seines Sühnetodes, seiner Auferweckung und seiner Erhöhung universale Souveränität von Gott erhalten hat, gebührt das Lob, das Gott gebührt. Paulus bekräftigt die Aussage mit α� μη' ν [amēn] („das ist wahr“) und markiert so die Zustimmung der Leser, die sich die Aussage zu eigen machen. IV Der Abschnitt 9,1-5 unterstreicht drei Faktoren, die für den Fortgang des Arguments relevant sind.52 Erstens, Paulus trauert wegen des Unglaubens der Juden; ihr Unglaube ist nicht einfach ein geschichtlicher Zufall, der keine allzu großen Konsequenzen hat, sondern bedeutet, dass sie, wenn sie im Unglauben verharren, vom Heil abgeschnitten sind. Manchmal wird betont, dass sich aus der Aufnahme von λατρει'α in die Liste keine Schlussfolgerungen dahingehend ergeben, dass die Deutung des Todes Jesu als Sühnopfer (z.B. 3,25) zu einer Abwertung des Jerusalemer Opferkults führe.53 Wenn Gott jetzt im Sühnetod des Messias Jesus, der ein für alle ————————————————————
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Michel 297, betont aber, „eine letzte Gewißheit über die Deutung von V 5b“ lasse sich nicht geben, mit Verweis auf Gaugler II 19. Wright, Climax, 237-238. Haacker 224.
Die Fürbitte des Apostels für die ungläubigen Juden 9,1-5 297 ————————————————————————————————————
Mal für die Sünder aus Heiden und Juden (1,18–3,20) gestorben ist, Sünden vergibt (6,10), dann muss der Tod Jesu Konsequenzen für den Opferkult im Tempel gehabt haben, was die Anklage gegen Stephanus belegt; vgl. Apg 6,8-14. Zweitens, die Liste jüdischer Privilegien in 9,4-5b zählt jene Grundkategorien jüdischen Selbstverständnisses auf, von denen Paulus gezeigt hat, dass sie auf den das Volk Gottes repräsentierenden Messias transferiert wurden und durch diesen auf alle, die „in ihm“ sind, Juden und Heiden: Sie haben die „Sohnschaft“, d.h. die vom Heiligen Geist vermittelte Adoption als Söhne Gottes (8,14.23; vgl. Gal 4,5; Eph 1,5); sie haben die im Sündenfall verlorene Herrlichkeit Gottes durch den Sühnetod, die Auferweckung und Erhöhung des Messias Jesus, die gewisse Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes (3,23-24; 5,1-2; 8,17-18.21; vgl. 6,4); wenn Abraham „unser aller Vater“ ist (4,16), dann gilt der für Israel grundlegende Bund mit Abraham nicht nur für die Juden, sondern auch für alle Jesusbekenner; das mosaische Gesetz ist jetzt nicht nur für die Juden eine Gabe Gottes, sondern als „Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus“ (8,2) für die Jesusbekenner maßgebend, die seine Rechtsforderung in der Kraft des Geistes erfüllen (8,4); Gottesdienst als Leben in Gottes Gegenwart und als Dienst für Gott ist eine Realität, die auch und gerade das Leben der Christen beschreibt (5,1-2; 12,1-2); die Verheißung für Abraham gilt jetzt „für die gesamte Nachkommenschaft“ (4,16), d.h. für Judenchristen und für Heidenchristen, für die der Messias Jesus ein „Diener der Beschneidung“ wurde „um der Wahrheit Gottes willen, um die Verheißungen der Väter zu bestätigen“ (15,8); was die „Väter“ betrifft, hatte Paulus in 4,16 ausdrücklich die Heidenchristen in die Nachkommenschaft Abrahams als „unser aller Vater“, eingereiht; und der Messias, der im letzten Glied erwähnt und hervorgehoben wird, ist der Sohn Davids und Sohn Gottes, zu dem Judenchristen und Heidenchristen als ihrem Herrn gehören (1,3-4; 4,24; 8,39). Drittens, programmatisch für Kap. 9–11 ist vor allem die Aussage V. 5b mit der Betonung, dass Jesus „über allem ist, der in Ewigkeit gepriesene Gott“ – „über allem“, d.h. auch über Juden und Heiden. Wenn die Juden an der Tatsache ihrer geerbten Privilegien festhalten, verpassen sie Gottes universales Heil. Sie stellen sich in Widerspruch zu der Grundverheißung an Abraham, dass „in ihm“ alle Völker gesegnet werden sollen. Den tiefen Schmerz, den Paulus wegen des Unglaubens des jüdischen Volkes empfand, müssen und können Christen von Paulus lernen, gerade Heidenchristen, gerade nach der Schoa.
298 Römerbrief ————————————————————————————————————
Gottes Gerechtigkeit in Israels Geschichte 9,6-29 Im ersten großen Abschnitt seiner Behandlung der Wirklichkeit der Rechtfertigung im Blick auf die Geschichte Israels behandelt Paulus Gottes Gerechtigkeit (9,6-29), ehe er im nächsten Abschnitt Israels Widerstand gegen Gottes Heil schaffende Gerechtigkeit darstellt und bewertet (9,30– 10,21).54 Paulus hatte in seinem Brief immer wieder, sowohl implizit wie explizit, davon gesprochen, dass das von ihm verkündigte Evangelium die Erfüllung der Verheißungen Gottes darstellt, die Gott seinem Bundesvolk gegeben hatte. Bereits im ersten Satz des Briefes hatte er vom „Evangelium Gottes“ gesprochen, „das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften“ (1,2). Angesichts der Erfüllung der Verheißungen Gottes im Messias Jesus ist der Widerstand der Juden gegen das Evangelium von Jesus als dem messianischen Sohn Gottes ein Problem: Sie haben nach 9,4 die Verheißungen erhalten, aber sie haben an ihrer Erfüllung im Messias Jesus keinen Anteil. Die Klage in 9,1-5 ist die Reaktion des Apostels auf Israels Unglauben, die sich allerdings nicht in der Trauer erschöpft: Paulus arbeitet den Unglauben des jüdischen Volkes theologisch auf, und, was Kommentatoren allzu oft vergessen, er setzt als Missionar sein Leben ein – und häufig riskiert er sein Leben –, um Juden von der Wahrheit des Evangeliums zu überzeugen. Ehe er in 9,30–10,21 Israels Widerstand gegen das Evangelium explizit behandelt, beschreibt er zunächst Gottes Handeln in der Geschichte Israels, anhand dessen er zeigen kann, dass es nicht an Gott liegt, wenn Israel die Heilsoffenbarung Gottes im Messias Jesus ablehnt. Ehe er Israels Untreue behandelt, klärt er die Frage nach Gottes Glaubwürdigkeit und damit die Frage nach dem „Gottsein Gottes“.55 Paulus argumentiert in zwei Schritten: Die wahre Zugehörigkeit zu Israel basierte durch die gesamte Geschichte Israels hindurch nicht auf biologischer Abstammung, sondern auf Gottes freier Erwählung (9,6-13); die Zugehörigkeit zum wahren Gottesvolk gründet auf dem freien Erbarmen Gottes, wie die Nichtzugehörigkeit im Zorn Gottes gründet, was aber nicht heißt, dass alle Israeliten/Juden samt und sonders von Gott verstoßen wurden (9,14-29). ————————————————————
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Wilk, Rahmen, 227-253 interpretiert 9,1-5 als exordium mit einleitender Darstellung des zu verhandelnden Problems und unterscheidet dann zwei Hauptteile: 1. 9,6–10,21 (argumentativer Hauptteil) mit den Abschnitten 9,6-29 (Die Juden-Christen als Unterpfand der Treue Gottes zu Israel), 9,30-33 (neue Problemstellung: „Heiden“-Christen empfangen Glaubensgerechtigkeit ⇔ das nicht christusgläubige Israel verfehlt das Gesetz: es stößt sich an Christus) und 10,1-12 (Die „Heiden“-Christen als Medium der Fürsorge Gottes für das nicht christusgläubige Israel); 2. 11,1-24 (paränetischer Hauptteil). Hübner, Gottes Ich, 16; dass es „nur sekundär“ um Israel gehe (ebd.), kann man gerade im Kontext der in 9,1-5 ausgesprochenen Trauer nicht sagen.
Gottes Gerechtigkeit in Israels Geschichte 9,6-29 299 ———————————————————————————————————— Eine chiastische Struktur für 9,6-2956 ist nur plausibel, wenn man die Schlüsselbegriffe, die man zueinander in Beziehung setzt, sorgfältig auswählt: V. 6-9 mit den Vokabeln λο' γος, � Ισραη' λ, κληθη' εσται, σπε' ρμα, τε' κνα (θεουñ ) entspricht V. 26-29; V. 10-13 mit den Verben καλειñν, α� γαπαñ ν entspricht V. 24-25; V. 14-18 mit den Verben ε� λεειñν, θε' λων entspricht V. 19-23. Zu beachten ist allerdings, dass in V. 13 die Verben μισε' ω und πρα' σσω vorkommen, die in V. 24-25 kein Pendant haben; in V. 14-18 ist das Substantiv α� δικι' α wichtig, das in V. 19-23 fehlt. Wagner verweist auf die beiden Schlüsselbegriffe Sohnschaft und Erwählung, die 9,6-29 als kohärenten Text erweisen:57 Das Thema Sohnschaft ist mit den Vokabeln τε' κνα („Kinder“; V. 7.8), σπε' ρμα („Same“; V. 7.8.29) und υι� ο' ς („Sohn“; V. 9.26.27) verbunden, das Thema „Erwählung“ mit den Vokabeln καλε' ω („rufen“; V. 7.12.24.25.26), ε� παγγελι' α („Vereißung“, V. 8.9), ε� κλογη' („Erwählung“; V. 11), προ' θεσις („Ratschluss“; V. 11), α� γαπα' ω („lieben“; V. 13.25), ε� λεε' ω/ε� λεα' ω u. ε� λε' ος („barmherzig sein“; V. 15.16.23; „Barmherzigkeit“; V. 23); θε' λω („ich will“; V. 18.22); βου' λημα („Wille“; V. 19).
Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 I 6 Es ist allerdings nicht so, dass das Wort Gottes hinfällig geworden wäre. Denn nicht alle Nachkommen Israels sind Israel. 7 Auch ist es nicht so, dass alle Kinder (automatisch) Same Abrahams sind, sondern (es heißt): In Isaak wird dir Same berufen werden. 8 Das heißt: Nicht die leiblichen Kinder sind Kinder Gottes, sondern die, die aufgrund der Verheißung seine Kinder wurden, werden als Same angesehen. 9 Denn das Wort der Verheißung lautet so: Um diese Zeit werde ich kommen, und Sara wird einen Sohn haben. 10 Aber nicht nur (sie empfing eine göttliche Verheißung), sondern auch Rebekka, die von einem einzigen Mann schwanger war, unserem Vater Isaak: 11 Denn als sie noch nicht geboren waren und noch nichts getan hatten, weder Gutes noch Schlechtes – damit der entsprechend der Erwählung verfahrende Ratschluss bestehen bleibt: 12 nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund dessen, der beruft – wurde ihr gesagt: Der Größere wird dem Kleineren dienen. 13 Wie geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehasst. II Die Aussage V. 6a formuliert eine Überzeugung, die Kap. 9–11 an die Erläuterung des von Paulus verkündigten Evangeliums in 1,18–8,39 bindet:
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Dunn II 537. Wagner, Heralds, 48.
300 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Heil schaffende Offenbarung Gottes im Sühnetod des Messias Jesus, die abseits des Gesetzes stattfindet und Sündern aus Juden und Heiden, die aufgrund des Glaubens mit dem Messias Jesus vereint sind, die Sühnung von Sünden und Frieden mit Gott zueignet, bedeutet nicht, dass das Wort Gottes, das seit den Vätern an Israel ergangen war, als aufgehoben betrachtet werden muss. Das Evangelium vom Messias Jesus hebt das zuvor ergangene Wort Gottes nicht auf. Wenn dies so wäre, könnte es sich nicht um die Botschaft vom Heilshandeln des Gottes Israels handeln, dessen Wort seiner gnädigen Zuwendung nicht hinfällig werden kann. Die Aussage V. 6a wird in zwei Schritten entfaltet, in denen Paulus zeigt, auf welche Art und Weise Gott Israel erwählt hat. 1. Die Geschichte von Abraham und seinem Sohn Isaak (V. 6b-9) belegt, dass es nicht die leibliche Nachkommenschaft ist, die entscheidet, wer „Israel“ ist – dies kann nur die Verheißung Gottes leisten; einzig der von Gott verheißene Sohn – Isaak, nicht Ismael – ist der Ausgangspunkt für die heilsgeschichtlich gültige Nachkommenschaft Abrahams (Zitat Gen 21,12). Sinn des erwählenden Ratschlusses Gottes ist die heilsgeschichtliche Qualifikation durch Gottes Verheißung als Gottes Kinder (Zitat Gen 18,10.14). Die Geschichte von Abraham und seinen Söhnen belegt, dass die Erwählung innerhalb der Nachkommen Abrahams allein auf der Initiative Gottes beruht. 2. Die Geschichte von Isaak und seinem Sohn Jakob (V. 10-13) belegt, dass es weder die leibliche Nachkommenschaft noch „Werke“ sind, die entscheiden, wer das wahre Israel ist – sogar von den Söhnen derselben Mutter wird nur einer berufen, ein erwählender Ruf, der bereits erging, als Rebekka noch schwanger war und keiner der beiden Söhne etwas Gutes oder Schlechtes getan hatte. Sinn des erwählenden Ratschlusses Gottes ist die erwählungs-geschichtliche Qualifikation durch Gottes Erwählung als von Gott Geliebte (Zitat Gen 25,23, Mal 1,2-3). Die Geschichte Isaaks belegt, dass die Erwählung durch Gott nicht von vorhandenen Voraussetzungen abhängig ist, sondern ihren Grund ausschließlich in dem Ratschluss Gottes hat.58 Die beiden Abschnitte V. 6b-9/10-13 sind parallel aufgebaut: 1. Erwähnung der atl. Väter,59 deren Geschichte jeweils belegt, dass die Zugehörig————————————————————
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Lohse 272 spricht im Blick auf 9,10-13 vom „unerforschlichen Gnadenratschluß“, im Vorgriff auf 11,33-36. Zur Komposition von 9,6-29 s. jetzt Gadenz, Called, 85-94. Theobald, Kirche und Israel, 332 Anm.23 will nicht von „Abrahambeispiel“ oder „Isaakbeispiel“ reden, weil Paulus das Wort Gottes V. 6a als das an Israel ergangene Wort erläutert und Gottes Handeln an den Vätern „mehr ist als nur paradigmatisches Modell eines endzeitlichen Erwählungshandelns, nämlich Real- und Erkenntnisgrund für seine bleibende Liebe zu Israel“. Letzteres ist nicht ausgeschlossen, wenn man trotzdem von „Beispiel“ redet.
Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 301 ————————————————————————————————————
keit zu den von Gott erwählten Verheißungsträgern nur für eines von zwei Kindern gilt (V. 6b-7/10); nur die Geschichte Abrahams wird mit einem expliziten Schriftzitat belegt; 2. Aussage über den Sinn der göttlichen Auswahl (V. 8/11-12a); 3. Verheißungswort Gottes, das die Erwählung in Kraft setzte (V. 9/12b-13). Textkritische Anmerkungen. In V. 6 ist ο« τι in d46 it syp ausgelassen, wohl um eine stärker idiomatische Formulierung zu erreichen. Die Ersetzung von � Ισραη' λ durch � Ισραηλιñται (D F G 614 629 1881c u.a.) ist eine sekundäre stilistische Verbesserung mit Angleichung an V. 4. In V. 8 fügen manche Manuskripte nach τουñ τ’ ε» στιν ein ο« τι ein (א2 B1 Ψ 104 365 614 1505 1506 u.a.), was als Versuch stilistischer Verbesserung als sekundär gelten muss. In V. 11 lesen d46 D F G Ψ Byz κακο' ν statt φαυñ λον, was Angleichung an den üblichen Sprachgebrauch von Paulus und deshalb als sekundär zu betrachten ist;60 φαυñ λον ist mit אA B 6 81 365 630 945 u.a. gut belegt. In V. 12 wird αυ� τηñ, (d46 D* vgmss syp) ausgelassen, was eine Vereinfachung der griech. Syntax und deshalb sekundär ist. V. 13: Statt καθω' ς (d46 אA D F G Ψ 33 1739 1881 Byz) liest B καθα' περ, was weniger gut bezeugt ist (NA25 bevorzugt noch καθα' περ). III
6 Mit der Wendung es ist allerdings nicht so, dass61 betont Paulus, dass
die Aussage im ο« τι-Satz eine Schlussfolgerung ist, die man nicht aus 9,1-5 ableiten darf und die er mit aller Deutlichkeit als falsch zurückweist, nämlich dass das Wort Gottes hinfällig geworden wäre (V. 6a). Der Ausdruck „Wort Gottes“ (ο� λο' γος τουñ θεουñ [ho logos tou theou]) beschreibt grundsätzlich alles von Gott Gesagte, die Absicht und den Willen Gottes, im Kontext des in 9,1-5 implizierten Unglaubens des jüdischen Volkes konkret die Heilszusagen, die Gott dem Volk Israel gegeben hat, im Kontext der atl. Zitate in Kap. 9–11 allgemein das, was Gott zu den Vätern und durch die Propheten gesagt hat und was für die Gegenwart der messianischen Erfüllung relevant und bedeutsam ist (vgl. 3,2).62 Auf „Verheißung“ (ε� παγγελι'α, vgl. V. 4.8.9) sollte man die Bedeutung des Wortes nicht einschränken. Das Verb ε� κπι'πτω [ekpiptō] bedeutet in ————————————————————
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Wilckens II 194 Anm. 861; Jewett 570. Der Ausdruck ου� χ οιðον δε` ο« τι ist ungewöhnlich: Er verbindet die hellenistischen Wendungen ου� χ οιðον und ου� χ ο« τι, die beide „es ist nicht so, dass“ bedeuten; Bauer/Aland s.v. οιðος; BDR §3044, 4806. Vgl. Käsemann 252; Wilckens II 192; Lohse 272. Zahn 436 und Michel 231 gehen von der allgemeineren Bedeutung „Absicht und Wille Gottes“ aus.
302 Römerbrief ————————————————————————————————————
physischem Sinn „herausfallen, hinfallen“, 63 in übertragenem Sinn „verlustig gehen“ und, wie hier, „hinfällig werden, zuschanden werden, versagen“.64 Paulus betont, dass das Wort Gottes nicht versagt hat: Seine Wahrheit und Macht sind in voller Geltung (Perfekt von ε� κπε' πτωκεν). Zu den eindrücklichsten atl. Stellen, die genau diese Wahrheit formulieren, gehört Jes 55,1011: „Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt und sie zum Keimen und Sprossen bringt, wie er dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe“ (EÜ); Ps 119,89-91: „Herr, dein Wort bleibt auf ewig, es steht fest wie der Himmel. Deine Treue währt von Geschlecht zu Geschlecht; du hast die Erde gegründet, sie bleibt bestehen. Nach deiner Ordnung bestehen sie bis heute und dir ist alles dienstbar“. Direkt auf Israel bezogen ist auf Jes 40,7-14 zu verweisen: Jesaja spricht vom „Bleiben“ des Wortes Gottes im Zusammenhang mit dem Unheilzustand von Israel und betont die absolute Souveränität und die unbedingte Eigengesetzlichkeit Gottes, „in dessen Absicht der Mensch keinen Einblick hat und zu dessen Handeln es kein menschliches Einfallstor gibt“.65
Auch wenn „Wort Gottes“ hier nicht das Evangelium bezeichnet,66 sondern atl. Worte und Zusagen Gottes, so besteht kein Zweifel an der Überzeugung des Apostels, wie die Verwendung atl. Zitate in Kap. 9–11 zeigt, dass sich die atl. Zusagen an Israel im Evangelium vom Messias Jesus erfüllt haben. Die Aussage V. 6a ist deshalb nicht nur für 9,6-29 wichtig, sondern für den gesamten Inhalt von Kap. 9–11 programmatisch, mit dem Höhepunkt in 11,29.67 Vielleicht hat man in manchen judenchristlichen Kreisen Paulus vorgeworfen, das Nein Israels zum Evangelium vom Messias Jesus als endgültig besiegelten Ausschluss vom Heil zu verstehen, was bedeuten würde, dass Gottes Wort hinfällig geworden wäre. Die Betonung der unverrückbaren Festigkeit des Wortes Gottes verweist einerseits nach vorn und zeigt, warum Gott zu loben ist, andererseits fungiert sie als syntaktisch unverbundene Aussage im Sinn einer Überschrift für die folgenden Ausführungen.68 Paulus begründet (Anschluss mit γα' ρ) V. 6a mit der Aussage: Denn nicht alle Nachkommen Israels sind Israel (V. 6b). Die Formulierung als ————————————————————
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So von welken Blumen, die zu Boden fallen: Jes 40,7 LXX; Jak 1,11; 1Petr 1,24. Bauer/Aland s.v. ε� κπι' πτω 2b. Der Gegenbegriff ist με' νω ([menō]; „bleiben“), vgl. 9,11; 1Kor 13,13; 2Kor 3,11; 9,9. Flebbe, Solus Deus, 277. Wie in 1Kor 14,36; 2Kor 2,17; 4,2; Kol 1,25; 1Thess 2,13; vgl. Lk 5,1; 8,11.21. Käsemann 252; Cranfield II 473; Wilckens II 192; Dunn II 439; Schmitt, Gottesgerechtigkeit, 72-77; Siegert, Argumentation, 124.174; Theobald, Gottesbilder, 148. Lübking, Paulus, 67-68 betont, dass V. 6a die Themenangabe von Kap. 9–11 ist, nicht V. 6b. Man sollte beides nicht gegeneinander ausspielen. Flebbe, Solus Deus, 275; er spricht im Blick auf 11,26-27.29.32 vom „heilvoll zu verstehenden“ Wort Gottes und blendet die Verstockungs- und Gerichtsaussagen von 9–11 aus.
Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 303 ————————————————————————————————————
Begründung ist nicht überraschend, wenn man den Kontext des Unglaubens Israels beachtet, der bei Paulus tiefen Schmerz hervorruft (9,1-3). Wenn Israel den Messias Jesus ablehnt, dessen Tod jetzt ein für alle Mal die Sünden sühnt, stellt sich die Frage, ob die Wahrheit von V. 6a nicht aufzugeben und eben doch davon auszugehen ist, dass das Wort Gottes, das in Israel und zu Israel gesprochen wurde, versagt hat. Paulus argumentiert für die bleibende Gültigkeit des Wortes Gottes zu Israel, indem er „alle Nachkommen Israels“ (πα' ντες οι� ε� ξ � Ισραη' λ [pantes hoi ex Israēl]) – wobei mit „Israel“ Jakob gemeint ist, von dem das Zwölfstämmevolk abstammt – von „Israel“ (� Ισραη' λ [Israēl]) unterscheidet. Paulus sagt: Nicht alle „Israeliten“ (im Kontext des 1. Jahrhunderts: nicht alle Juden) sind „Israel“. Barclay interpretiert ε� ξ � Ισραη' λ [ex Israēl] im Sinn ethnischer Abstammung von Jakob und will das Urteil ου� … ουð τοι � Ισραη' λ ([ou … houtoi Israēl]; „sind nicht Israel“) nur auf Ismael beziehen: Paulus wolle nicht erklären, dass und wie Gott innerhalb Israels eine Auswahl trifft, sondern er wolle die Grundlage klären, auf welcher Israel als Nation geschaffen und ausgewählt wurde.69 Nach Barclays Interpretation hätte Paulus deutlicher formulieren können: ου� γα` ρ πα' ντες οι� ε� ξ � Ιακω' β, ουð τοι � Ισραη' λ („nicht alle, die von Jakob abstammen, sind Israel“). Die Tatsache, dass Paulus mit οι� ε� ξ � Ισραη' λ auf Jakob verweist, im Blick auf dessen Nachkommen Gott eine Auswahl getroffen hat, beweist nicht, dass sich die Wendung ουð τοι � Ισραη' λ auf alle Nachkommen Jakobs ohne Ausnahme beziehen muss und Gott innerhalb von Israel keine Auswahl trifft. Die atl. Tradition des „Restes“ (s. zu 9,27) spricht gegen diese Annahme. Im Kontext von 9,6-29 geht es in der Tat um die Erwählung Israels (d.h. des Zwölfstämmevolks), im Kontext von 9,1-5 und 9,30–20,21 geht es in 9,6b latent auch um den Unterschied zwischen an Jesus glaubende und nichtglaubende Juden, ein Unterschied, der in Gottes freier Gnadenwahl gründet und auch in 11,26.32 nicht aufgehoben wird.70
Manche Juden glaubten, dass die biologische Abstammung von den Patriarchen das Heil garantiert, dokumentiert in der Aussage von Johannes dem Täufer: „Meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen“ (Mt 3,9 / Lk 3,8). Laut mSanh 10,1 gilt: „Ganz Israel hat Anteil an der zukünftigen Welt“. Wie weitverbreitet diese Meinung war, wissen wir nicht. Es gibt zahlreiche zeitgenössische jüdische Stimmen, die innerhalb Israels einen Unterschied machten zwischen den „Gerechten“, den „Erwähl————————————————————
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Barclay, Gift, 526-531. Wenn Barclay, Gift, 557 im Blick auf 11,32 von der „Singularität“ des Zieles von Gottes Barmherzigkeit spricht und gleichzeitig im Hinblick auf die ausgehauenen Zweige von 11,17-24 eine „dogmatisch“ verstandene Heilsgewissheit der Gläubigen („perseverance of the saints“) ausschließen will, kann er einen Widerspruch nur dann vermeiden, wenn er 11,32 so versteht, dass nicht nur die Gläubigen, sondern alle Menschen, Juden und Heiden, das Heil zugesprochen bekommen. Damit wäre allerdings die Wirklichkeit des Endgerichts für Paulus (5,9) geleugnet und gleichzeitig die Notwendigkeit, dass Sünder gerettet werden müssen (1,16-17; 5,10).
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ten Israels“, den „Frommen“ und denen, die sich weder um Jahwe noch um das Gesetz scherten (Weish 2–5; PsSal 3; 13; äthHen 1). In Qumran rechnete man alle Juden, „die abgewichen sind vom Wege“ (4QFlor I, 14-19), nicht zu den Söhnen des Lichts; man rechnete sie zu den Söhnen der Finsternis, die ihre Zugehörigkeit zum wahren Volk Gottes verwirkt haben (CD II, 16–IV, 12; 1QH II, 6-37; IV, 5-27); das eigentliche Israel ist „das Haus der Vollkommenheit und Wahrheit in Israel“ (1QS VIII, 9), dem Gott „ein zuverlässiges Haus in Israel“ baut (1QM X, 9); das heißt: aus dem „großen, ganzen Gesamt-Israel wird demnach ein Exklusiv-Israel ausgesondert“.71 Die Unterscheidung zwischen den biologischen Nachkommen Abrahams (Jakobs) und „Israel“ hat auf diesem Hintergrund mit Antijudaismus nichts zu tun. Der Ausdruck „alle Nachkommen Israels/Jakobs“ bezeichnet das nationale bzw. ethnische Israel, „Israel“ / „Same Abrahams“ (V. 7a), d.h. das wahre Israel als Heilsgemeinde. Es gibt ein „Israel innerhalb von Israel“: das ethnische Volk Israel und Israel im heilsgeschichtlichen Sinn. Die leibliche Herkunft von Jakob bedeutet nicht automatisch die Zugehörigkeit zum Heilsvolk.72 Mit „Israel“ ist auf jeden Fall nicht „die Kirche“73 gemeint. Der Begriff ist zunächst auf die Geschichte Israels bezogen, „das innere Israel der von Gott berufenen Verheißungsträger Abraham, Isaak, Jakob (9,7-12) und Mose (9,14-18) und damit eine von Gott gesetzte und bewegte, auf das Leben gerichtete Wirklichkeit in Israel selbst“.74 Im Sinn von 4,14.16 ist das „innere Israel“ die οι� ε� κ πι'στεως [hoi ek pisteōs], die Nachkommen Abrahams, für die wie bei Abraham der Glaube an den einen wahren Gott und seine Offenbarung Priorität hat (die also nicht nur οι� ε� κ νο' μου [hoi ek nomou] sind).75 Auf die Gegenwart des Apostels bezogen ist das „innere Israel“ mit den Juden zu verbinden, die zum Glauben an den Messias Jesus gekommen
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H.-J. Zobel, Art. יׂשראל, ThWAT III, 1012. Elliott, Survivors zeigt in Auseinandersetzung mit der sog. Neuen Paulusperspektive, dass die Frommen Israels, die sich als gerechten „Rest“ betrachteten, den anderen Israeliten bzw. Juden durchaus das Heil absprachen. Jeweils Cranfield II 474; Käsemann 252; Schlier 290; Lohse 272; Hübner, Gottes Ich, 17. Flebbe, Solus Deus, 283 u.a. betont, „dass es nicht um eine Scheidung innerhalb Israels geht, sondern die ‚Modalität‘ der Heilsgruppenzugehörigkeit geklärt werden soll, indem gesagt wird, welche ουð τοι es ausmachen“. So die ältere Exegese; vgl. Wright, Messiah, 193-197; Wright 636. Theobald, Kirche und Israel, 333. Flebbe, Solus Deus, 286, betont, dass „die Anführung des Glaubens in V. 30 zur Erfassung des Phänomens Israel naheliegend ist und Kohärenz in Röm 9 auch entsteht, insofern in V. 7-8 und V. 30-33 Röm 4 und Röm 3,31 den Hintergrund bilden“.
Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 305 ————————————————————————————————————
sind, mit dem „Rest nach der Gnadenwahl“ (11,5; vgl. 9,27).76 Die Aussage V. 6b darf nicht durch einen vorschnellen Verweis auf 11,26 abgeschwächt werden.77 7 Paulus erklärt V. 6b mit einem Rückgriff auf den Anfang der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Nicht alle Kinder (πα' ντες τε' κνα [pantes tekna]), d.h. nicht alle leiblich von Abraham abstammenden Menschen, sind Same Abrahams (σπε' ρμα �Αβραα' μ [sperma Abraam]). Das Wort „Kinder“ ist ein neutraler Begriff, der positiv oder negativ qualifiziert werden kann. Das Wort „Same“ ist im Zusammenhang der Verheißung zu verstehen, die Abraham im Hinblick auf Isaak und weitere Nachkommen von Gott erhalten hat, und ist damit der engere, positiv qualifizierte Begriff.78 Die aus Gen 21,12 LXX zitierte Verheißung in Isaak wird dir Same berufen werden (ε� ν � Ισαα` κ κληθη' σεται' σοι σπε' ρμα [en Isaak klēthēsetai soi sperma]) will sagen: „nur in Isaak“, nicht auch in Ismael.79 Der Kontext des Zitats macht dies deutlich: „Da sagte sie (Sara) zu Abraham: Verstoß diese Magd (Hagar) und ihren Sohn (Ismael)! Denn der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe sein. Dieses Wort verdross Abraham sehr, denn es ging doch um seinen Sohn. Gott sprach aber zu Abraham: Sei wegen des Knaben und deiner Magd nicht verdrossen! Hör ————————————————————
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Vgl. Theobald, Kirche und Israel, 333: Mit dieser Interpretation überschreitet V. 6b „mit seiner limitierenden Redeweise die Grenzen des vorfindlichen Israels nicht und widerspricht damit auch nicht der Verwendung des Ehrentitels ‚Israel‘ für das jüdische Volk“. Dunn II 539 lehnt die Interpretation des zweiten „Israel“ im Sinn von an den Messias Jesus glaubenden Judenchristen ab, erklärt dann aber das zweite „Israel“ nicht: Paulus gehe es um die Erklärung, wie die Erwählung Israels funktioniert – „Israel“ wird durch Gottes Gnade definiert, während es manche Israeliten gibt, die den Bund Gottes mit Israel nationalistisch missverstanden haben. So Hübner, Gottes Ich, 22-23, als Vorwurf gegen Cranfield II 473-474; ähnlich Lohse 273: Er schreibt einerseits: „Daher können als wahre Israeliten nur diejenigen gelten, die als Angehörige dieses Volkes Gottes erwählendes und verheißendes Wort angenommen haben – also: die Judenchristen“, fährt dann aber fort: „Gottes Treue besteht jedoch unwandelbar fort. Denn ‚die Erwählung bleibt, auch wenn der Bund nicht durchgehalten wird‘. Wird doch auch da, wo Feindschaft gegen Christus vorliegt, Israel weiterhin das geliebte Volk genannt (11,28)“ (Zitat Dinkler, Prädestination, 267; vgl. Lindemann, Israel, 174-188). Vgl. Moo 575; Dunn II 538; Flebbe, Solus Deus, 279-280. Die Konj. ο« τι gehört mit ου� δ’ zusammen und ist nicht im Sinn von „weil“, sondern „dass“ zu verstehen; vgl. Flebbe, ebd. 281: Der Ausdruck verneint die Ansicht, „dass alle als τε' κνα, als leibliche Kinder Abrahams, auch sein σπε' ρμα, seine theologisch qualifizierte Nachkommenschaft seien“. Vgl. Khalil, Translating, 691-697: πα' ντες τε' κνα ist eine Ellipse, die einen Relativsatz impliziert: Nicht alle, die Kinder (Nachkommen) Abrahams sind, sind auch (theologisch verstandener) „Same“ Abrahams. Abasciano, Romans 9.1–9, 147-215, der die wenig überzeugende These entwickelt, 9,629 sei ein Midrasch zu Gen 21,12.
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auf alles, was dir Sara sagt! Denn nach Isaak sollen deine Nachkommen benannt werden“ (Gen 21,10-12; EÜ). Neben Ismael hat Abraham auch noch andere Söhne gezeugt (Gen 25,1-2: „Abraham nahm sich noch eine andere Frau, namens Ketura. Sie gebar ihm Simran, Jokschan, Medan, Midian, Jischbak und Schuach“). Ismael war nach altorientalischem Brauch ein rechtlich legaler Sohn Abrahams (vgl. Gen 30,3.9), die Söhne Keturas, der zweiten Frau nach oder neben Sara, sowieso. Paulus betont: Die wahren Erben Abrahams werden nicht durch physische, biologische Abstammung (oder durch rechtliche bzw. nationale Zugehörigkeit zum jüdischen Volk) definiert, sondern durch das erwählende Wort Gottes. Das passive Verb berufen werden (κληθη' σεται [klēthēsetai]) bedeutet zunächst allgemein „genannt werden“, d.h. „einen Namen erhalten“, „anerkannt werden“; Paulus hat das Passiv im Sinn eines passivum divinum verstanden, d.h. als Verweis auf die Anerkennung durch Gott. Ob das Verb zugleich im Sinn von 8,28.30 „die allein bestimmende Initiative der Erwählung Gottes“ ausdrückt,80 ist im Kontext wahrscheinlich, aber nicht durch eine Erklärung des Zitats und der semitischen Formulierung explizit markiert. Im folgenden Kontext V. 12.24-26; 11,29 (sowie in 1,1.6-7;l 8,28.30) bezeichnet καλε' ω [kaleō] die Erwählung durch Gott. Paulus betont, dass sich die Heilsgruppe „Israel“ / „Same Abrahams“ allein durch Gottes erwählendes Rufen konstituiert, „das unabhängig vom Menschen Heil schafft“.81 Die Erklärung V. 7 kann so verstanden werden, dass Paulus die Juden, die nicht „Israel“ sind (V. 6b), als Nichterwählte bezeichnet.82 Gleichzeitig zeigt die Fortsetzung, dass die Nachkommen der Verheißungslinie Isaak– Jakob–Israel das „von Gott geliebte“, d.h. erwählte Volk sind (11,28): Paulus betont in V. 6b-7 die Wirklichkeit der Erwählung durch Gott, die heilsgeschichtlich relevanter ist als leibliche Abstammung. Er sagt nicht, dass Gott bei jeder Geburt eines Nachkommen Abrahams manche als Glieder seines Volkes erwählt und andere nicht erwählt – Paulus geht von einer realen Kontinuität der Geschichte Israels aus. Wilckens betont, dass es „eine reale Kontinuität der Geschichte Israels nur als Geschichte des Erwählungshandelns Gottes gibt“.83 Wenn man so formuliert, ist zu beachten, dass sowohl die atl. Propheten wie auch viele jüdische Autoren, vor allem in apokalyptischen Texten und in Qumran, den Unglauben weiter jüdischer Kreise im Sinn von „Unheil“ mit nachfolgendem Gericht verstanden.84 R. Jehuda (ca. 150 n.Chr.) betonte: „Kinder seid ihr ————————————————————
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Lohse 273; vgl. Michel 300; Wilckens II 192; Cranfield II 474 Anm. 3 bleibt skeptisch. Flebbe, Solus Deus, 282. Hübner, Gottes Ich, 22-23; ähnlich Sanday/Headlam 238. Wilckens II 193 Anm. 855; vgl. Käsemann 253; Berger, Abraham, 81-82. Vgl. Elliott, Survivors, passim. Zum Folgenden vgl. Bill. III, 263-264.
Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 307 ———————————————————————————————————— Jahwe, eurem Gott (Deut 14,1); wenn ihr euch nach Art von Kindern führt, heißt ihr Kinder; wenn ihr euch aber nicht nach Art von Kindern führt, heißt ihr nicht Kinder“ (bQid 36a Baraita). R. Meir war mit Hinweis auf Jer 4,22 (einfältige Kinder, aber doch Kinder), Deut 32,20 (Kinder, auf die kein Verlass ist) und Jes 1,4 (Saat von Missetätern, heillose Söhne) anderer Meinung (bQid 36a).
8 Mit das heißt (τουñ τ’ ε» στιν) führt Paulus eine prägnante Formulierung der
aus der Geschichte Abrahams und seiner Söhne Ismael und Isaak sich ergebenden Tatsache des Handelns Gottes ein: Nicht die leiblichen Kinder sind Kinder Gottes, sondern die, die aufgrund der Verheißung seine Kinder wurden, werden als Same angesehen. Paulus beginnt mit der negativen Seite: Nicht alle „leiblichen Kinder“ (τα` τε' κνα τηñ ς σαρκο' ς [ta tekna tēs sarkos]; „die Kinder nach dem Fleisch“, d.h. die leiblichen Kinder; gen. qualitatis) sind „Kinder Gottes“ (τε' κνα τουñ θεουñ [tekna tou theou]; gen. possessoris), d.h. gehören zu Gottes erwähltem Volk als „Söhne“, die Gott zum Vater haben (vgl. V. 4 νομοθεσι'α). Die positive Seite lautet: Alle, „die aufgrund der Verheißung seine Kinder wurden“ (τα` τε' κνα τηñ ς ε� παγγελι'ας [ta tekna tēs epangelias]), „die Kinder der Verheißung“, werden von Gott als „Same“ (σπε' ρμα [sperma]) angesehen. Was das zu Gott als Vater gehörende Volk betrifft, ist es nicht die leibliche Abstammung (σα' ρξ; „Fleisch“), die zu Kindern macht, sondern die Verheißung (ε� παγγε-λι'α; ε� παγγελι'ας ist gen. auctoris):85 das „Wort Gottes“ (V. 6a), das Isaak, den zweiten Sohn, mit effektiver Wirkung zum geltenden Nachkommen gemacht hat. Der Ursprung der Kinder Gottes liegt allein in Gottes Verheißung. Was in V. 7 mit κληθη' σεται („berufen werden“) beschrieben wurde, wird in V. 8 mit dem Stichwort ε� παγγελι'α („Verheißung“) aufgegriffen. Das Verb λογι'ζεται ([logizetai], „werden angesehen“) bezeichnet wie in 2,26 das Urteil Gottes, das Wirklichkeit schafft.86 Die Anklänge an Kap. 4 sind auffällig (ε� παγγελι'α: 4,13.14.16.20; 9,4.8.9; λογι'ζομαι: 4,3-6.8-11.22-24; 9,8; σπε' ρμα: 4,13.16.18; 9,7.8).87 Zum Begriff „Kinder Gottes“ siehe 1,3; 8,14. ————————————————————
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Alternativ kann man ε� παγγελι' ας, wie den parallelen Genitiv σαρκο' ς, als gen. qualitatis verstehen, der das Substantiv τε' κνα qualifiziert; vgl. Wilckens II 192-193. Wilckens II 192 spricht von einem „Rechtsakt Gottes, in dem dieser dem Menschen eine heilsgeschichtliche ‚Qualifikation‘ zuspricht, die er von sich aus nicht hat und haben kann“ (mit Verweis auf Heidland, Anrechnung, 64-65). Der Gegensatz von „Fleisch“ und „Verheißung“ in Gal 4,23.28-30 ist anders akzentuiert: Während Paulus dort Ismael und Isaak als Repräsentanten zweier entgegengesetzter Bundesschlüsse (Gal 4,24) behandelt, wobei „Ismael“ mit den ungläubigen Juden verknüpft wird, die die Jesusbekenner („Isaak“) verfolgen, geht es in Röm 9,8 um den Auswahlcharakter der Verheißung – „Fleisch“ ist hier kein Hinweis auf ein Bundesvolk, sondern bezeichnet, ohne negative Obertöne (anders Dunn II 541), ausschließlich die leibliche Abstammung.
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Paulus betont: Isaak wurde „Kind Gottes“ infolge der erwählenden Berufung Gottes, nicht weil er das leibliche Kind Abrahams war. Nicht das „Fleisch“, d.h. die biologisch-ethnische Abstammung verbürgt die Gotteskindschaft, sondern die Verheißung, die zum „Fleisch“ hinzutritt. Wie 2,17-29 zeigt, entsteht ein Konflikt dort, wo man das Sohn-Gottes-Sein und damit das Volk-Gottes-Sein, das sich aus der Verheißung ergibt, dem „Fleisch“ zuschreibt, d.h. der leiblichen Abstammung und der nationalen Zugehörigkeit. 9 Paulus unterstreicht mit einem neuen Zitat, dass die Gotteskindschaft allein an Gottes Verheißung hängt: Denn das Wort der Verheißung lautet so: Um diese Zeit werde ich kommen, und Sara wird einen Sohn haben. Als „Wort der Verheißung“ (ε� παγγελι'ας ο� λο' γος [epangelias ho logos])88 wird Gen 18,14 LXX zitiert; der Wortlaut ist von Gen 18,10 beeinflusst.89 18,10 18,14 8,9
ε� παναστρε' φων η� ξω προ` ς σε` κατα` το` ν καιρο` ν τουñ τον ει� ς ω � ρας, και` ε« ξει υι� ο` ν Σα' ρρα ει� ς το` ν καιρο` ν τουñ τον α� ναστρε' ψω προ` ς σε` ει� ς ω « ρας, και` ε» σται τηñ, Σα' ρρα, υι� ο' ς κατα` το` ν καιρο` ν τουñ τον ε� λευ' σομαι και` ε» σται τηñ, Σα' ρρα, υι� ο' ς
Paulus hält sich an die Satzstruktur von Gen 18,14, übernimmt jedoch vom fast gleichlautenden Gen 18,10 die Präposition κατα' ; er lässt die Wendung ει� ς ω « ρας („übers Jahr“) aus, eine zeitliche Eingrenzung, die er nicht benötigt, und ersetzt α� ναστρε' ψω („ich werde zurückkehren“), das im Kontext von Röm 8,9 funktionslos wäre, durch ε� λευ' σομαι („ich werde kommen“), das neutraler und zugleich theologisch gewichtiger ist.
Paulus betont das „Kommen“ Gottes, das die Erfüllung der Verheißung bringt. Die Gotteskindschaft (V. 8) ist an das wirksame Wort Gottes (V. 6a) gebunden, das als „Wort der Verheißung“ an Abraham erging und die Geburt Isaaks als „berufener Same“ (V. 7) und „Kind der Verheißung“ (V. 8) ansagte. Das Wunder der Schwangerschaft Saras und der Geburt Isaaks, auf das Abraham warten musste („um diese Zeit“, d.h. nicht jetzt gleich, sondern in der Zeit des Kommens Gottes), war das Resultat der Wirksamkeit des „Wortes Gottes“, das als „Wort der Verheißung“ an Abraham erging. Ohne Gottes Verheißung wäre Isaak weder geboren worden noch der erwählte Same gewesen. 10 Das Argument mit der Geschichte Isaaks in V. 10-13 betont ebenfalls die Wirklichkeit der göttlichen Erwählung als Auswahl. Was für Abraham ————————————————————
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Der Genitiv ε� παγγελι' ας ist zur Betonung vorangestellt; ε� παγγελι' ας kann als gen. epexegeticus (die Verheißung ist das Wort, d.h. das Wort Gottes [vgl. V. 6a]) oder als gen. possessoris („dieses Wort gehört zur Verheißung“) interpretiert werden; NSS II 29. Vgl. Koch, Schrift, 141-142.171-172; Dunn II 541-542; Seifrid 639-640 scheint Gen 18,10 als Ausgangstext zu verstehen.
Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 309 ————————————————————————————————————
und seine Söhne galt, gilt auch für die nächste Vätergeneration, für Isaak und seine Söhne. Die Wendung nicht nur, sondern auch (ου� μο' νον δε' , α� λλα` και') drückt sowohl Kontinuität als auch Steigerung im Vergleich mit der Geschichte Abrahams und seiner Söhne aus. Die Wendung ist elliptisch; zu ergänzen ist „sie empfing eine göttliche Verheißung“:90 Nicht nur Sara empfing eine Verheißung Gottes, sondern auch Rebekka, die von einem einzigen Mann schwanger war, unserem Vater Isaak. Die Kontinuität besteht darin, dass Rebekka, die wie Sara lange kinderlos geblieben war, von Gott die Zusage eines Sohnes erhielt, die sich verwirklichte. Paulus bezieht sich auf Gen 25,21 LXX: „Isaak aber bat den Herrn wegen Rebekka, seiner Frau, weil sie unfruchtbar war. Gott aber erhörte ihn, und Rebekka, seine Frau, wurde schwanger“ (LXX.D). Die Steigerung besteht in der Tatsache, dass es nicht um zwei verschiedene Frauen geht, die demselben Mann zwei Söhne geboren hatten, sondern um dieselbe Mutter (Rebekka), „die von einem einzigen Mann schwanger war“ (ε� ξ ε� νο` ς κοι'την ε» χουσα [ex henos koitēn echousa]), den Juden als „unseren Vater Isaak“ bezeichnen (� Ισαα` κ τουñ πατρο` ς η� μω ñ ν [Isaak tou patros hēmōn]), dem Zwillinge geboren wurden (Jakob und Esau). In Gen 25,22 ist, ohne Erklärung, im Plural von „Kindern“ (LXX τα` παιδι'α; der hebr. Text hat [ ַהָּבִניםhabbānīm] „Söhne“) die Rede.91 Paulus betont, dass es sich in der Geschichte Isaaks und Rebekkas um Zwillingsbrüder handelt, die zugleich gezeugt wurden.92 Paulus setzt den Satz nach einer Parenthese (V. 11-12b) in V. 12b fort, ohne grammatikalisch an V. 10 anzuknüpfen (d.h. es liegt ein Anakoluth vor). 11 Die Parenthese V. 11-12a, in der Paulus die Erwählung durch Gott in Beziehung setzt zur Lehre von der Rechtfertigung (ohne allerdings hier von der Rechtfertigung des Gottlosen zu sprechen), unterstreicht das Aussageziel des ganzen Abschnitts. Subjekt des temporal aufzulösenden gen. absolutus μη' πω γεννηθε' ντων [mēpō gennēthentōn] sind die beiden Söhne,93 die Rebekka geboren hat: als sie noch nicht geboren waren (V. 11a). Das Erwählungshandeln Gottes ereignete vor der Geburt von Jakob und Esau. Der zweite gen. absolutus, der auch temporal aufzulösen ist, bezieht sich ————————————————————
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Vgl. BDR §4791; NSS II 29. Anders Michel 301: „Aber nicht nur dies (kann als Beispiel dienen), sondern auch Rebekka“. Zum atl. Kontext und zur jüdischen Interpretation von Gen 25,23 vgl. Abasciano, Romans 9.10–18, 3-15.22-36. In der mit „war schwanger“ übersetzten Wendung κοι' την ε» χουσα bedeutet κοι' τη [koitē] nicht „Bett“ (Lk 11,7), „Ehebett“ (Hebr 13,4) oder „Beischlaf“ (Röm 13,13), sondern in übertragenem Sinn „Samenerguss“ bzw. „Empfängnis“; Bauer/Aland s.v. κοι' τη 2b, mit Verweis auf LXX Num 5,20; Lev 15,16-17.32; 18,20; 22,4. Kuss III 707; Cranfield II 477; Wilckens II 194 Anm. 858 (gegen Käsemann 254). Die elliptische Wendung ist also durch υι�ω ñ ν zu ergänzen.
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ebenfalls auf die beiden Söhne Rebekkas: μηδε` πραξα' ντων [mēde praxantōn]: und (als sie) noch nichts getan hatten (V. 11b). Diese Aussage bezieht sich auf die Zeit zwischen Zeugung und Geburt. Als Jakob und Esau im Leib der Rebekka waren, hatten sie weder Gutes noch Schlechtes (τι α� γαθο` ν η� φαυñ λον [ti agathon ē phaulon]) getan.94 Paulus verwendet offensichtlich bewusst das seltener vorkommende Wort φαυñ λος („schlecht, schlimm, übel“),95 um umfassende Güte und Tugend mit moralischer Minderwertigkeit zu kontrastieren. Der Finalsatz V. 11c (ι«να) ist von ε� ρρε' θη V. 12b abhängig: Das an Rebekka gerichtete Wort Gottes, durch das Jakob vor seiner Geburt erwählt wurde, verfolgte die Absicht,96 auch in der dritten Vätergeneration deutlich zu machen, dass der entsprechend der Erwählung verfahrende Ratschluss bestehen bleibt. Der „Ratschluss Gottes“ (προ' θεσις τουñ θεουñ [prothesis tou theou]) bezeichnet das freie, souveräne Heilshandeln Gottes (s. zu 8,28). Der Ratschluss Gottes, welcher der beiden Zwillinge „Kind der Verheißung“ ist, gründet nicht im Verhalten des jeweiligen Sohnes, sondern ergeht „entsprechend der Erwählung“ (κατ’ ε� κλογη' ν [kat’ eklogēn]), d.h. gemäß der allein von Gott verantworteten Auswahl. Die Vokabel ε� κλογη' [eklogē]97 kommt auch in Röm 11,5.7.28; 1Thess 1,4 vor; sonst Apg 9,15; 2Petr 1,10. Das Wort hat in griech. Texten eine große Bedeutungsbreite: Auswahl, Aushebung von Truppen (Polybius 5,63,11), Eintreibung von Tributzahlungen (Athenaeus, Deipn 6,235c), Extrakt/Zitat von einem Buch (Deipn 14,663c), größerer Wert (P.Ryl. 157,6); vgl. LSJ s.v. In den Papyri wird das Verb ε� κλε' γω oft im Sinn von „auswählen“ verwendet, z.B. für das Auswählen des besten Grundstücks (P.Enteux. 66,4), die Auswahl eines Kindes, das beim Erbe bevorzugt wird (P.Oxy. XLII 3015,22-23).
In 8,33 hatte Paulus die Jesusbekenner aus Juden und Heiden „Auserwählte Gottes“ (ε� κλεκτοι` θεουñ ), in 1,6 „erwählte Heilige“ (κλητοι` α� γι'οι) genannt. ————————————————————
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Das Indefinitpronomen τι („[irgend]etwas“) ist attributiver Substantiv-Begleiter von α� γαθο' ν und φαυñ λον; HvS §144a.bb. Für φαυñ λος vgl. Röm 9,11; 2Kor 5,10; Tit 2,8; sodann Joh 3,20; 5,29; Jak 3,16. Das Wort κακο' ς kommt 50 Mal im NT vor, bei Paulus in Röm 1,30; 2,9; 3,8; 7,19.21; 12,17.21; 13,3.4.10; 14,20; 16,19; 1Kor 10,6; 13,5; 15,33; 2Kor 13,7; Phil 3,2; Kol 3,5; 1Thess 5,15; 1Tim 6,10; 2Tim 4,14; Tit 1,12, oft als Kontrast zu α� γαθο' ς. BDAG s.v. φαυñ λος definiert „pert[aining] to being low-grade or morally substandard“. In den Papyri ist φαυñ λος meistens auf Früchte, Weine und handwerkliche Erzeugnisse bezogen, kann aber auch Menschen zugesprochen werden, meistens im Sinn der Beteuerung, dass nichts Schlimmes vorliegt und kein Grund zur Besorgnis besteht (Arzt-Grabner, 2. Korinther, 329; vgl. P.Oxy. III 530,21-22; IX 1220,11-12; P.Turner 41,8-9). Cranfield II 478; Wilckens II 194; Dunn II 543. Vgl. Bauer/Aland s.v. ε� κλογη' 1 (aktiv), „die Erwählung, die Auslese“; BDAG s.v. ε� κλογη' 1: „a special choice, selection, choice, election“. Vgl. F. Winter in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 106-107. Zu η� κατ’ ε� κλογη` ν προ' θεσις vgl. Maier, Mensch, 359-362.
Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 311 ————————————————————————————————————
Das Verb (με' νη, [menē], „bleibt bestehen“) bringt zum Ausdruck, dass die Auswahl, die Gottes Ratschluss trifft, zuverlässig ist.98 Die Bindung der Gotteskindschaft (V. 8) an den erwählenden Ratschluss Gottes „bleibt bestehen“ und ist auch für die Gegenwart Israels entscheidend – gerade darin ist Gottes Wort nicht hinfällig geworden (V. 6). Das Kriterium der vorgängigen Entscheidung Gottes, wen er beruft, ist nicht das Tun von Gutem oder Schlechtem, sondern die Erwählung durch Gott. Paulus betont: Gott wollte in der Erwählung Jakobs deutlich machen, dass sein Heilshandeln immer erwählendes Handeln ist – so hat er es in seinem Ratschluss beschlossen, so sollte es bleiben, und so gilt es immer noch. 12 Gerade die Geschichte von Isaaks und Rebekkas Zwillingen zeigt, dass die Gotteskindschaft weder von leiblicher Abstammung noch von menschlicher Leistung abhängig ist: nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund dessen, der beruft (V. 12a). Gott ist in seiner Freiheit, auszuwählen und zu berufen, wen er will, unabhängig von dem, was der Mensch tut.99 Paulus formuliert in typischer Weise antithetisch. Gott erwählt in die Gotteskindschaft „nicht aufgrund von Werken“ (ου� κ ε� ξ ε» ργων [ouk ex ergōn]), d.h. nicht aufgrund von gutem Verhalten (V. 11b). Diese Negation gilt auch für die spätere Geschichte Israels, in denen „Werke“ als „Werke des Gesetzes“ (ε» ργα νο' μου [erga nomou]) definiert werden (3,28). Paulus hatte in 4,2 betont, dass schon Abraham nicht „aufgrund von Werken“ (ε� ξ ε» ργων) gerechtfertigt wurde, sondern durch seinen Glauben an das verheißende Wort Gottes: „Dem aber, der keine Leistungen erbringt (τω ñ, μη` ε� ργαζομε' νω, ), sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet“ (4,5). Der Ton liegt allerdings nicht auf dem Gegensatz von „Werken des Gesetzes“ und Glauben, sondern auf dem Gegensatz von „Werken“ und „der beruft“.100 Die Geschichte Abrahams und seiner Söhne und die Geschichte Isaaks und seiner Zwillinge zeigt, dass man den Status als Kind Gottes ausschließlich erlangt „aufgrund dessen, der beruft“ (ε� κ τουñ καλουñ ντος [ek tou kalountos]; s. zu 8,7). Der wirksame Ruf in die Gotteskindschaft hängt allein von Gottes erwählendem Ratschluss ab, nicht von seiner vorherigen Kenntnis der guten Werke, die der Erwählte tun wird.101 ————————————————————
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Vgl. Bauer/Aland s.v. με' νω 1c, „bestehen bleiben, dauern, nicht aufhören zu existieren“, mit Verweis unter β „Sachen“ auf Röm 9,11 sowie 1Kor 13,13; 2Kor 3,11; 9,9, sowie Mt 11,23; Joh 6,27; 9,41; 15,16; Hebr 10,34; 13,1.14; 1Petr 1,23.25. Wilckens II 194. Moo 582; Dunn II 543-544; Gaventa, Calling-Into-Being, 262. So die Väterexegese, die das von Paulus Gesagte damit auf den Kopf stellt; vgl. Schelkle, Paulus, Lehrer der Väter, 337; Michel 302 Anm. 15. Es ist in diesem Zusammenhang von
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Die Unterschiede zur Rechtfertigungslehre bestehen darin, dass dort die Liebe Gottes betont wird, die Gerechtigkeit zuspricht, „als wir noch Sünder waren“ (5,8), und von der schöpferischen Macht Gottes die Rede ist, die der Totenauferweckung entspricht (4,17), während hier Gott handelt, ehe Jakob und Esau geboren waren und weder Gutes noch Schlechtes getan hatten.102 Diese Unterschiede dürfen aber auch nicht übertrieben werden: Die Antithese „nicht aufgrund von Werken“ / „aufgrund dessen, der beruft“, die als Antithese Gott/Mensch zu verstehen ist, entspricht durchaus der Antithese „nicht aufgrund von Werken des Gesetzes“ / „aufgrund von Glauben“, insofern der Glaube nicht primär eine „menschliche Verhaltensweise“ ist,103 sondern die Folge des schöpferischen Handelns Gottes, „der die Toten lebendig macht und dem Nichtseienden ruft, damit es sei“ (4,17). V. 12b setzt V. 10 fort: „auch Rebekka, die von einem einzigen Mann schwanger war, unserem Vater Isaak … wurde ihr gesagt: Der Größere wird dem Kleineren dienen“. Das Passiv „ihr wurde gesagt“ (ε� ρρε' θη [errethē]) ist pass. divinum. Das Zitat entspricht wörtlich der letzten Zeile in Gen 25,23 LXX: ο� μει'ζων δουλευ' σει τω ñ, ε� λα' σσονι. Der „Größere“ ist der Ältere, der „Kleinere“ ist der Jüngere. Die Aussage, dass der ältere Esau dem jüngeren Jakob „dienen wird“ (δουλευ' σει [douleusei]), zielt auf den gewichtigeren Rang des von Gott erwählten Zwillingsbruders. Paulus denkt hier weder an zwei Völker104 noch an das Verhältnis Synagoge/Kirche105 noch an das endzeitliche Heil bzw. Gericht.106 Die „natürliche“ Rangfolge wird durch den erwählenden Ratschluss Gottes umgekehrt. Paulus betont: Die Zugehörigkeit zum Israel der Verheißung als Kinder Gottes (V. 6.8) hängt weder von menschlicher Leistung noch vom Rang der Geburt ab, sondern allein vom erwählenden Reden Gottes.107 13 Das den Abschnitt über die Väter Abraham, Isaak und Jakob abschließende Zitat aus Mal 1,2-3 LXX108 unterstreicht die Freiheit des erwählenden ————————————————————
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Bedeutung, dass Philo, All 3,88 die Stelle Gen 25,23 im Sinn eines göttlichen Vorwissens der Handlungen und Erfahrungen von Jakob und Esau interpretiert (ο� γα` ρ ζω, οπλα' στης θεο` ς ε� πι' σταται τα` ε� αυτουñ καλω ñ ς δημιουργη' ματα … και` συνο' λως τα` ε» ργα του' των και` πα' θη); vgl. Dunn II 543. Wilckens II 194-195, im Anschluss an Kuss III 709; Hübner, Gottes Ich, 25. Dagegen Käsemann 254-255; Dunn II 543. Hübner, Gottes Ich, 25. Lietzmann 91; Kuss III 709-710; Michel 303; Maier, Israel, 28; kritisch Wilckens II 195. Peterson 279; kritisch Lohse 275; Gaston, Israel’s Enemies, 94. Richtig Cranfield II 479, im Anschluss an Gaugler II 35-37; Leenhardt 249. Vgl. Piper, Justification, 38-52. Der einzige Unterschied ist die Wortfolge: Mal 1,2 schreibt η� γα' πησα το` ν Ιακωβ, Paulus stellt das Objekt an die erste Stelle – το` ν � Ιακω` β η� γα' πησα – und erreicht dadurch zwei genau parallele Formulierungen, in denen das Verb nach dem jeweiligen Objekt steht.
Gottes freie Erwählung und die wahre Zugehörigkeit zu Israel 9,6-13 313 ————————————————————————————————————
Handelns Gottes: Wie geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehasst. Das Verb „ich habe geliebt“ (η� γα' πησα [ēgapēsa]) steht für die Erwählung, das Verb „ich habe gehasst“ (ε� μι'σησα [emisēsa]) für die Nicht-Erwählung bzw. Verwerfung. Paulus spricht ausschließlich von Gott, nicht von den guten oder schlimmen Werken Jakobs bzw. Esaus. Er verwendet das Zitat möglicherweise deshalb, weil man in der zeitgenössischen Interpretation von Mal 1,2-3 regelmäßig die Verwerfung Esaus mit dessen Taten erklärte: In der Nacherzählung der Geschichte der Geburt von Jakob und Esau vermerkt AntBibl 32,5, ohne expliziten Verweis auf Mal 1,2-3: „Und Gott liebte Jakob, aber er hasste Esau wegen seiner Taten“.109 Die Bedeutung von hassen ergibt sich aus der Antithese zu „lieben“, die man im AT regelmäßig finden kann: „Gemeint ist nicht so sehr eine Gefühlsregung, als vielmehr die Absage des Willens und der Tat“.110 Das Prophetenwort dient „nicht einem partikularistischen Anspruch des Erwähltseins, sondern gerade dem freien und vom Menschen unabhängigen Ratschluß Gottes. Die Liebe Gottes ist das Geheimnis seiner Erwählung, der Haß Gottes das Rätsel seiner Verstockung“.111 IV Paulus erläutert den Unglauben des jüdischen Volkes mit der Konstanz des Handelns Gottes in der Geschichte Israels seit den Vätern. Wie Gott an den Vätern gehandelt hat, so handelt er auch in der Gegenwart: Er erwählt in freier Souveränität unter den Nachkommen Abrahams die Kinder der Verheißung (9,7-8). Gottes Wort ist nicht hinfällig (9,6). Wie er damals gehandelt hat, handelt er hier und jetzt. Wie Gott zwischen Isaak und Ismael – ————————————————————
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Die antithetische Aussage wird dadurch hervorgehoben; vgl. Koch, Schrift, 107. Zum atl. Kontext und zur jüdischen Interpretation vgl. Abasciano, Romans 9.10–18, 16-36. Der lat. Text lautet: Et dilexit Deus Iacob, Esau autem odio habuit propter opera eius. Andere relevante Stellen sind Jub 19,13; TgOnk Gen 25,23; TgNeof Gen 25,27; TgPsJon 25; BerR 43 Gen 25,22-26; Philo, All 3,88; vgl. Richardson, Language, 34-43; Flebbe, Solus Deus, 294-297. O. Michel, Art. μισε' ω, ThWNT IV, 691; vgl. Deut 21,15; 22,13; 23,4; Spr 13,24; 15,32. Die Antithese Lieben/Hassen hat manchmal die Bedeutung, dass der eine mehr geliebt wird als der andere, vgl. Gen 29,30-31; vgl. Lk 14,26/Mt 10,37. Vgl. Lohse 275. Flebbe, Solus Deus, 294 erklärt im Sinn von „Indifferenz“ (mit Verweis auf Gen 29,30-31; Deut 21,15; Ri 14,16; Spr 13,24; 15,32) und hält fest, dass das Verb nicht zwangsläufig „die Verwerfung alles anderen“ aussagt. Michel, ThWNT IV, 695; vgl. Dunn II 545. Zur qualifikationslosen Erwählung durch Gott s. Grindheim, Election, 145; Gaventa, Calling-Into-Being, 262-263. Abasciano, Romans 9.10–18, 37-74 betont, dass das Konzept der Erwählung, interpretiert im atl. Kontext, korporativ, d.h. auf das Volk Israel bezogen zu verstehen sei – auf der Ebene des Einzelmenschen ist die Erwählung weder absolut noch bedingungslos, sondern von Glaube und Treue abhängig.
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beides Söhne Abrahams – und zwischen Jakob und Esau – den Zwillingen Isaaks – unterschieden hat (9,6b-9/10-13), so unterscheidet er in der Gegenwart zwischen „Nachkommen Israels“ und „Israel“ (9,7), zwischen „leiblichen Kindern“ und „Kindern Gottes“ (9,8), d.h. zwischen Israeliten und gerechten Israeliten, zwischen Juden und Judenchristen. Paulus betont, vor allem in der allgemein formulierten Parenthese 9,11-12a: Weil die Zugehörigkeit zum Volk Gottes von Anfang an nicht durch leibliche Abstammung oder durch persönlichen Verdienst konstituiert ist, sondern allein durch das freie Erwählungshandeln Gottes geschaffen wird, kann keiner von den Juden, die den Messias Jesus ablehnen, die Zugehörigkeit zur Heilsgemeinde Gottes für sich behaupten, allein aufgrund der Tatsache, dass er von Abraham abstammt und das Gesetz hält.112 Paulus schließt direkt oder indirekt alle Kriterien aus, die den Menschen für die Erwählung durch Gott qualifizieren könnten: Geburt (Rechte, die von biologischer Abstammung hergeleitet werden können), Status (verhältnismäßige „Größe“) und Aktion („Werke“).113 Das Argument dieses Abschnitts ist für den Fortgang der Diskussion ernst zu nehmen: Es gehört als erster Gedankengang grundlegend zu der Antwort auf die Frage nach der Tatsache des Unglaubens des jüdischen Volkes, auch wenn es nicht die ganze Antwort ist. Angesichts der Ausführungen von 9,6-13 kann man 11,25-26 nicht so auslegen, dass am Ende doch alle Israeliten bzw. alle Juden, weil sie Juden sind, am endzeitlichen Heil Anteil haben werden. Die meisten Ausleger sehen, dass Paulus in 9,13 auf eine „doppelte Prädestination“ (gemina predestinatio) zusteuert, die Vorherbestimmung zum Heil und zum Unheil.114 Zu beachten ist Folgendes:115 1. Paulus spricht von der Verwerfung Esaus im Zusammenhang der im Kontext betonten Erwählung durch die freie Gnade und Liebe Gottes. Verwerfung ist der logische Umkehrschluss der Erwählung von Isaak und Jakob/Israel, nicht der Ausgangspunkt oder das explizite Endziel der Argumentation. Die Betonung der Erwählung dient der theologischen Absicht, die völlige Freiheit des einen wahren Gottes zu unterstreichen, der in der Geschichte die Geschichte seines erwählten Volkes zu ihrem Ziel führt. Im größeren Kontext dient die Betonung der Erwählung (wie in 8,28-30) der Vergewisserung der Heilsgewissheit, nicht der arroganten Selbstsicherheit der eigenen Bezie————————————————————
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Wilckens II 197; ebd.: „Das 11. Kapitel wird zeigen, daß dies nicht die Antwort ist, die Paulus letztlich auf das Problem Israel zu geben hat“. Kritisch die folgende Bemerkung. Barclay, Approaching, 106; vgl. Piper, Justification; Grindheim, Election, 144-150. Wilckens II 195 mit Verweis auf Dinkler, Prädestination, 92. Vgl. Dunn II 545-546; sowie Wilckens II 195-196; Lohse 275-276. Für eine Geschichte der Interpretation im Hinblick auf die Auslegung von Röm 9–11 vgl. Kuss III 828-935.
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hung zu Gott. 2. Das Argumentationsziel in Röm 9–11 richtet sich im Kontext von 2,1–3,20 auf Israels Betonung seiner Erwählung durch Gott, die den Glauben an den Messias unnötig oder zur bloßen Option macht, nicht auf die Verwerfung bestimmter Menschen oder Menschengruppen. Paulus verwendet also den Text, der die Erwählung von Jakob/Israel betont, gegen Israel, das sich dem Messias Jesus verweigert. Das in 9,6-13 beschriebene Prinzip der heilsgeschichtlichen Auswahl durch Gott betont im Gespräch mit dem zeitgenössischen Judentum, dass ethnische Abstammung von Abraham und mit Jakob verbundene nationale Identität nicht gegen das erwählende, Heil schaffende Wort Gottes angeführt und eingesetzt werden können, und dass gutes Verhalten keinen Anspruch vor Gott begründet. Gleichzeitig gilt, dass die Verwerfung Esaus nicht bedeutet, dass dieser aus der Fürsorge Gottes herausgefallen ist und ewiges Unheil zu zeitigen hat: Isaak segnet auch seinen Sohn Esau (Gen 27,39-40), dessen Genealogie sowohl in Gen 36,1-43 als auch in 1Chron 1,35-42 (die Herrscher Edoms werden in 1,43-54 aufgeführt) verzeichnet wird; und in Deut 23,8-9 heißt es: „Der Edomiter dagegen soll dir kein Gräuel sein; denn er ist dein Bruder. Der Ägypter soll dir kein Gräuel sein; denn du hast als Fremder in seinem Land gewohnt. In der dritten Generation dürfen ihre leiblichen Nachkommen in die Versammlung des Herrn aufgenommen werden“.116 3. Paulus spricht von Verwerfung im Kontext seines Anliegens zu beschreiben, wie es zur Rettung von „ganz Israel“ kommen wird (11,24-32). Der Widerstand Israels gegen den Messias Jesus dient der Rettung der Heiden (11,11-24), die ihrerseits zur Rettung Israels führen wird. Es geht Paulus also nicht um die eher abstrakte Frage nach einer doppelten Prädestination, sondern um Rettung der Menschen, die gegenwärtig als „Verworfene“ gelten könnten. 4. Die Betonung der freien, souveränen Erwählung durch Gott und die Verwerfung anderer führen nicht automatisch zu der Feststellung, dass Gott vollkommen willkürlich handelt: Das Bild von dem allmächtigen Gott als dem Töpfer (9,20-23) verweist auf eine Dimension des Handelns Gottes, die der begrenzte Mensch nicht verstehen kann (vgl. 11,33-36). Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die freie Erwählung durch Gottes Gnade eine Feststellung nach dem Ereignis der Erwählung ist, welche weder als Vorhersage zukünftiger Entwicklungen noch als Instrument der Einteilung der Menschen in Erwählte und Verworfene tauglich ist. Erst im Endgericht wird sich herausstellen, wer zu den „Gefäßen des Zorns“ und wer zu den „Gefäßen der Barmherzigkeit“ (9,22-23) gehört. In der Zeit bis zur „Offenbarung der Söhne Gottes“ (8,19) haben die Jesusbekenner als die Erwählten Gottes die ————————————————————
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Cranfield II 480, mit Verweis auf Barth, Kirchliche Dogmatik II/2, 239.
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Aufgabe, das Evangelium zu verkündigen, ohne zu unterscheiden zwischen „Griechen und Barbaren, Gebildeten und Ungebildeten“ (1,14), den Juden zuerst und auch den Griechen (1,16).
Gottes freies Erbarmen und das wahre Gottesvolk 9,14-29 I 14 Was sollen wir nun sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Auf keinen Fall! 15 Denn zu Mose sagt er: Ich werde mich erbarmen, dessen ich mich erbarme, und ich werde barmherzig sein, dem ich barmherzig bin. 16 Also ist es nicht abhängig von dem, der will, noch von dem, der sich anstrengt, sondern von Gott, der sich erbarmt. 17 Denn die Schrift sagt zu Pharao: Eben dazu habe ich dich auftreten lassen, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name verkündigt werde auf der ganzen Erde. 18 Er erbarmt sich also, wessen er will, und er verhärtet, wen er will. 19 Man kann mir nun entgegenhalten: Warum zieht er uns dann noch zur Rechenschaft? Denn wer hat sich je seinem Willen widersetzen können? 20 O Mensch, wer bist du denn, dass du Gott widersprechen willst? Wird denn das Geschöpf zu seinem Schöpfer sagen: Warum hast du mich so gemacht? 21 Oder hat nicht der Töpfer freies Verfügungsrecht über den Ton, aus ein und derselben Masse das eine Gefäß für einen ehrenvollen Zweck und das andere Gefäß für einen unehrenvollen Zweck zu machen? 22 Wenn aber Gott, der seinen Zorn erweisen und seine Macht kundtun wollte, mit großer Geduld Gefäße des Zorns, die zum Untergang geschaffen sind, ertragen hat, 23 (dann) auch, um den Reichtum seiner Herrlichkeit über Gefäße des Erbarmens kundzutun, die er vorher zur Herrlichkeit bereitet hat, 24 als die er auch uns berufen hat, nicht nur aus den Juden, sondern auch aus den Heiden. 25 So sagt er auch in Hosea: Ich werde das, was nicht mein Volk ist, als mein Volk berufen, und die, die nicht geliebt war, als Geliebte. 26 Und es wird geschehen, anstelle dass ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, da werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt werden. 27 Jesaja aber ruft über Israel: Wenn die Zahl der Söhne Israels wie der Sand am Meer wäre, nur der Überrest wird gerettet werden. 28 Denn der Herr wird das Wort auf der Erde verwirklichen, indem er es erfüllt und beschränkt. 29 Und wie Jesaja vorausgesagt hat: Wenn der Herr Zebaot uns keinen Samen gelassen hätte,
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so wären wir wie Sodom geworden und wären wir Gomorra gleich geworden. II Die Betonung der souveränen Freiheit Gottes in 9,6-13 führt zu dem Einwand, dass Gott ungerecht ist (9,14): Wenn die Zugehörigkeit zur Heilsgemeinde Gottes weder von der leiblichen Abstammung von Abraham noch vom gerechten Verhalten abhängt, sondern allein durch die freie, souveräne Erwählung Gottes konstituiert wird, dann kann Gott, zugespitzt formuliert, keinem, der nicht zur Heilsgemeinde gehört, dies vorwerfen, da doch niemand seinem Willen widerstehen kann (9,19). Der Einwand samt seiner Zuspitzung ist schwerwiegend: Er sieht in der Betonung der Souveränität Gottes in der Erwählung einen Widerspruch zur Gerechtigkeit und eine Eliminierung menschlicher Verantwortung. Der Abschnitt lässt sich in vier Gedankengänge unterteilen (9,14-18.1921.22-24.24-29). 1. Einwand gegen Gottes freie Erwählung, wie Paulus sie beschrieben hat, und Zurückweisung des Einwands (9,14-18). (a) Einwand: Gott ist ungerecht (V. 14a). Der Einwand wird in drei Schritten behandelt: (b) Kategorische Zurückweisung des Einwands (V. 14b). Die nächsten beiden Schritte gehen parallel vor: (c) Zitat von Ex 33,19 und Kommentar (V. 15.16): Die Freiheit der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, die Mose offenbart wurde, zeigt, dass die Zugehörigkeit zum Volk Gottes nicht vom Willen des Menschen, sondern von Gottes Barmherzigkeit abhängt. (d) Zitat von Ex 9,16 und Kommentar (V. 17.18): Die Freiheit der Macht Gottes und des Gerichts Gottes, das Pharao traf, zeigt, dass die Geschichte das Werk der souveränen Allmacht Gottes ist. 2. Zuspitzung des Einwands und Zurückweisung (9,19-21). (a) Einwand (V. 19): Wenn Gott verhärtet, wen er will, und sich dessen erbarmt, wessen er will, dann hat Gott kein Recht, Menschen zu richten. Der Einwand wird in drei Schritten behandelt: (b) Erinnerung an das Menschsein des Menschen, der nicht kompetent ist, Gott anzuklagen (V. 20a). (c) Zitat von Jes 29,16 und Kommentar (V. 20b): Das Bild vom Schöpfer und dem Geschöpf zeigt, dass es absurd ist, wenn Gebilde ihren Bildner anklagen wollen. (d) Das Bild vom Töpfer und dem Ton (V. 21) zeigt, dass Gott die volle Kontrolle über seine Geschöpfe hat. 3. Schlussfolgerung im Blick auf die Absichten Gottes (9,22-24): Das Handeln Gottes ist sowohl in den „Gefäßen des Zorns“ als auch in den „Gefäßen des Erbarmens“ erkennbar. Die Gefäße des Zorns, d.h. die Juden, die vom Heilshandeln Gottes nicht erfasst sind, wurden von Gott mit großer Geduld ertragen (V. 22). Die Gefäße der Barmherzigkeit, d.h. vom Heils-
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handeln Gottes erfasste Juden und Heiden, wurden von Gott zur Teilhabe an seiner Herrlichkeit berufen (V. 23-24). 4. Bestätigung der Wirklichkeit der göttlichen Erwählung durch Schriftzitate (9,25-29). (a) Zitat Hos 2,25 und 2,1 (V. 25-26): Ankündigung der göttlichen Berufung der Heidenchristen. (b) Zitat Jes 10,22-23 und 1,9 (V. 27-29): Ankündigung der Beschränkung Israels auf einen Überrest. Man hat manchmal vermutet, Paulus habe in V. 25-29 auf ein Florilegium, eine bereits vorhandene Zitatensammlung, zurückgegriffen,117 was neuere Analysen ablehnen.118 Textkritische Anmerkungen. In V. 16 ist die Lesart ευ� δοκουñ ντος in L wohl der Versuch, die ungewöhnliche Form ε� λεω ñ ντος zu vermeiden. Die Einfügung von ο� θεο' ς nach θε' λει in D pc ar m vgms in V. 18 will den Sinn verdeutlichen und ist auch nur minimal bezeugt. In V. 19 ist die Auslassung von ουò ν ( אA Ψ 33 1739 1881 Byz vg sy) wohl sekundär und wohl als Versuch stilistischer Verbesserung zu bewerten;119 die Plus-Lesart ist gut bezeugt (d46 B D F G it vgmss). Am Anfang von V. 20 finden wir die ò α» νθρωπε μενουñ νγε ( *אA [B] 81 630 1506 1739 1881 pc) und Wortfolge ω ò μενουñ νγε α» νθρωπε (א2 D2 Ψ 33 Byz syh), während d46 D* F G 629 latt ω ò α» νθρωπε, μενουñ νγε ist als schwierigere μενουñ νγε auslassen; die Lesart ω Lesart vorzuziehen.120 Die Lesart ε� πλα' σας (D syp) statt ε� ποι'ησας folgt dem Jesajatext der LXX und ist als Versuch der Verbesserung als sekundär anzusehen. Die Auslassung von η» νεγκεν (F G it) ist genauso wie die Hinzufügung von ει� ς nach μακροθυμι'α, (F G it) sekundär. Die Auslassung von και' (B 6 69 326 u.a.) in V. 23, die den Anakoluth beseitigt, ist der Versuch syntaktischer Verbesserung eines schwierigen Satzes; die Plus-Lesart ist gut bezeugt (d46vid אA D F G K u.a.).121 Die Lesart χρηστο' τητος statt δο' ξης in ————————————————————
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Luz, Geschichtsverständnis, 96-98; Michel 305.317; Wilckens II 198-199; Schlier 304 Anm. 8 als Möglichkeit; Koch, Schrift, 167-168 Anm. 33; vgl. Käsemann 264, der die Zitatenkollektion auf Paulus zurückführt. Koch, ebd. 247-255 hält die von Harris, Testimonies (II, 12-21.32-37 zu Paulus) aufgestellte These, Grundlage der Schriftzitate sei schon bei Paulus eine zusammenhängende Sammlung von Schriftzitaten gewesen, die in der Auseinandersetzung mit dem Judentum entstanden sei, für nicht verifizierbar und wenig wahrscheinlich. Wesentlich einfacher ist nach Koch die Annahme, „daß Paulus im Zuge seiner Schriftlektüre sich selbst geeignete Exzerpte von Schriftstellen angefertigt hat, auf die er dann bei der Abfassung seiner Briefe zurückgreifen konnte“ (ebd. 253). Jewett 587; Cranfield II 489 hält die Plus-Lesart für sekundär. NA25 folgte der MinusLesart, NA26-28 drucken ουò ν in Klammern ab. Cranfield II 490; Jewett 587; vgl. Wilckens II 201 Anm. 895. Anders Käsemann 257, der die Auslassung von μενουñ νγε für ursprünglich hält. Metzger, Textual Commentary, 462; Cranfield II 496 Anm. 4; Dunn II 550; Jewett 587. BDR §4672 schlägt die Streichung von και' vor.
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P (syp) ist vielleicht ein Echo von 2,4.122 Die Auslassung von ε� ν (d46vid B) in V. 25 ist der Versuch stilistischer Verbesserung. In V. 26 hat *אden Dativ ω ð statt ουð , was wahrscheinlich eine stilistische Verbesserung darstellt und deshalb sekundär ist. Statt ε� ρρε' θη αυ� τοιñς ( אA D Ψ 33 [1739] 1881 Byz vg syh co; αυ� τοιñς fehlt in B) lesen d46 F G ar b d* syp ε� α` ν [α� ν] κληθη' σονται („wenn sie berufen sind“), wahrscheinlich eine Angleichung an V. 26. Die Auslassung von υ� μειñς in d46 it syp ist wenig gut bezeugt und vielleicht als Schreibfehler zu beurteilen. In V. 27 wird υ� πο' λειμμα von d46 א1 D F G Ψ 33 1739* 1881 Byz durch das gleichbedeutende κατα' λειμμα ersetzt, die Lesart des LXX-Textes, die als die leichtere Lesart sicher sekundär ist; υ� πο' λειμμα ist in *אA B 81 1739c früh bezeugt. In V. 28 lesen א2 D F G Ψ 33 Byz lat syh nach συντε' μνων die Wendung ε� ν δικαιοσυ' νη, ο« τι λο' γον συντετμημε' νον, was Angleichung an den LXX-Text Jes 10,23 ist.123 III
14 Die rhetorische Frage Was sollen wir nun sagen? (τι' ουò ν ε� ρουñ μεν;)124
leitet einen in V. 14b formulierten Einwand ein, der entweder vom jüdischen Gesprächspartner stammt125 oder von Paulus selbst,126 der die Freiheit der Erwählung Gottes angesichts der allgemein evidenten „Regel der Gerechtigkeit“127 tiefer erläutert. Jeder, der V. 6-13 und insbesondere V. 13 liest, muss so fragen: Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Mit „Ungerechtigkeit“ (α� δικι'α [adikia]) ist nicht im allgemeinen Sinn die Abweichung von einer Norm gemeint,128 sondern, im weiteren Kontext von 1,18.32; 2,1-3.16; 3,5-6, die richterliche Ungerechtigkeit,129 die allerdings nicht von Gottes Bundesgerechtigkeit als Heil schaffender Gerechtigkeit130 getrennt werden sollte. ————————————————————
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Dunn II 550; Cranfield II 496 Anm. 3 sieht in χρηστο' τητος die einfachere und deshalb sekundäre Lesart. Jewett 587 findet keine textkritisch relevante Erklärung. Metzger, Textual Commentary, 462; Cranfield II 502; Jewett 588. Wilckens II 207 Anm. 930 weist darauf hin, dass ε� ν δικαιοσυ' νη, für Paulus durchaus brauchbar gewesen wäre. Vgl. 3,5; 4,1; 6,1; 7,7; 8,31. Michel 307; Wilckens II 199; Piper, Justification, 70-73. Käsemann 244; Cranfield II 482 Anm. 2; Jewett 581; vgl. Haacker 233. Für Lohse 277 erübrigt sich die Frage; vgl. Hübner, Gottes Ich, 38 („fiktiv oder nicht“). Siegert, Argumentation, 128. Kühl 324-325; Haacker 234. Käsemann 257 und viele andere; vgl. Hübner, Gottes Ich, 38. Flebbe, Solus Deus, 288.300-301 schließt die Vorstellung von Gott als „reagierender Richter“ an dieser Stelle aus, was ihn dazu zwingt, den Hinweis auf Gott als Richter in V. 19 als Gottesbild „in einer Schieflage“ zu bezeichnen (ebd. 306). Wilckens II 199: Der Gegner sieht „wie in 3,5 die Bundesgerechtigkeit Gottes in ihrer heilschaffenden Gerechtigkeit als ganze in Frage gestellt, wenn Gott grundlos – und das heißt für den Juden: ohne Rücksicht auf Geburt und Verdienst – die einen erwählt und die anderen verwirft, statt allen Israeliten sein Heil zu schaffen“.
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Man könnte aus der Aussage, dass Gottes Erwählung nicht alle Israeliten betrifft, sondern nur das innere Israel (V. 6b), dessen Glieder je und je neu als Gottes Kinder berufen werden ohne Berücksichtigung leiblicher Herkunft oder gerechten Handelns, die Schlussfolgerung ziehen, dass es bei Gott ungerechtes Handeln gibt.131 Wenn Gott einen Menschen, der an seiner Nichtberufung keine Schuld hat, verurteilt, dann ist das eine ungerechte Entscheidung. Paulus verneint diese Schlussfolgerung mit einem entschiedenen Auf keinen Fall! (μη` γε' νοιτο).132 Die mit μη' [mē] eingeleitete rhetorische Frage verlangt eine negative Antwort, die für einen Juden, für den die heiligen Schriften Israels Norm theologischen Denkens sind, auch gar nicht positiv ausfallen könnte. Natürlich ist Gott nicht ungerecht. In V. 7-13 argumentierte Paulus mit Gottes Erwählungshandeln in der Vätergeschichte (Abraham, Isaak, Jakob = Israel); in V. 15-18 argumentiert er mit Gottes Handeln in der Exodusgeschichte (Mose, Pharao). 15 Paulus zeigt mit dem folgenden Zitat, dass er die kritische Frage V. 14 beantwortet (siehe die Konj. γα' ρ), und erklärt, wie Erwählung und Verwerfung im Zusammenhang mit der Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes zu verstehen sind. Als Argument zugunsten seiner Zurückweisung des Satzes, Gott handle ungerecht, wenn er Menschen frei erwählt, zitiert Paulus das Wort, das gemäß Ex 33,19 Gott zu Mose sagt (τω ñ, Μωυ¨ σειñ λε' γει): Ich werde mich erbarmen, dessen ich mich erbarme, und ich werde barmherzig sein, dem ich barmherzig bin. Nur hier und in 9,25 verweist Paulus explizit auf Gott als den in der Schrift Redenden.133 Paulus knüpft wahrscheinlich bewusst an 9,6 an, wo er betont hatte, dass das „Wort Gottes“ nicht hinfällig geworden ist, auch wenn das jüdische Volk (in der Mehrheit) nicht an den Messias Jesus glaubt. Wenn in der jüdischen Tradition jemand kompetent ist, über die Frage von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit Auskunft zu geben, dann Mose. Das Zitat folgt Ex 33,18, wo Mose Jahwe bittet, ihn seine Herrlichkeit sehen zu lassen, worauf Jahwe antwortet: „Und ich werde vor dir in meiner Herrlichkeit vorüberziehen und ich werde (mich) vor dir bei meinem Namen nennen: ‚Herr‘; und ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme, und bemitleiden, wen ich bemitleide“ (LXX.D).134 Der Wortlaut des Schluss————————————————————
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In der Formulierung παρα` τω ñ, θεω ñ, markiert παρα' die Verbindung einer Qualität mit einer Person (ε» στιν τι παρα' τινι): Bauer/Aland s.v. παρα' 2.2d; BDAG s.v. παρα' B4. Wilckens II 199 Anm. 873 interpretiert als jüdische Formulierung ()עם יהוה. Vgl. 3,4.6.31; 6,2.14; 7,7.13 sowie 11,1.11; 1Kor 6,15; Gal 2,17; 3,21; 6,14. Koch, Schrift, 31; Jewett 582. Vgl. Abasciano, Romans 9.10–18, 75-153 zum AT und jüd. Interpretation von Ex 33,18.
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satzes, den Paulus zitiert, stimmt wörtlich mit der LXX überein. Das Verb ε� λεε' ω [eleeō] bedeutet „wegen einer Person sehr besorgt sein, die in Not ist“, d.h. „Mitleid haben mit jemandem, sich einer Person erbarmen, Barmherzigkeit üben“.135 Das Verb οι�κτι'ρω bedeutet „Mitleid haben, bemitleiden, Erbarmen haben“136 und ist parallel zum bedeutungsgleichen Verb ε� λεε' ω. Die beiden Relativsätze mit konditionalem Nebensinn (ο� ν α» ν) sind auch als Relativsätze zu übersetzen.137 Im Kontext von Ex 33,18-19 sagt Jahwe in dem von Paulus zitierten Satz, dass er die Bitte Moses erfüllt und ihn seine Herrlichkeit sehen lässt, damit er erkennt, dass er, Jahwe, treu ist und tatsächlich Gnade erweist, wenn er jemandem gesagt hat, dass er Gnade in seinen Augen gefunden hat. Paulus erhebt den Satz zu einer „allgemeinen Selbstaussage Gottes über die Tatsache und das Recht seiner freien Entscheidung“.138 Die Herrlichkeit Gottes, mit der er sich Mose geoffenbart hat, ist die Wirklichkeit seines Erbarmens und seiner Barmherzigkeit. Wahrscheinlich spielt Paulus auf Ex 34,6 an („Und der Herr ging vor seinem Angesicht vorüber und er rief: Der Herr, der Herr, Gott, mitleidig und barmherzig [οι� κτι'ρμων και` ε� λεη' μων], langmütig und mitleidsvoll und wahrhaftig“), eine der am meisten zitierten Stellen im AT und Judentum.139 Paulus sah in Ex 33,19 offenbar eine Umschreibung des Namens Gottes.140 Das Stichwort ε� λεε' ω ist das Schlüsselwort des Abschnitts (vgl. V. 15.16.18, sowie 11,30.31.32; das Substantiv ε� λεο' ς kommt in 9,23; 11,31 vor). ————————————————————
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BDAG s.v. ε� λεε' ω „to be greatly concerned about someone in need, have compassion/ mercy/pity“; Bauer/Aland s.v. ε� λεε' ω. Paulus verwendet die Vokabel in Röm 9,15.18; 11,30.31.32; 1Kor 7,25; 2Kor 4,1; Phil 2,27; 1Tim 1,13.16. Vgl. R. Bultmann, Art. ε� λεο' ς κτλ., ThWNT II, 474-482 (die Gemütsbewegung der „Rührung, die jemanden angesichts eines Übels, das einen anderen [unverschuldet] betroffen hat, ergreift“); F. Staudinger, EWNT I, 1046-1052; H.H. Eßer, ThBLNT I, 111-114; Spicq, ThLNT I, 471-479. In den Papyri ist die Bitte um Erbarmen mit einer „ungünstigen oder sogar ausweglos erscheinenden Lage“ verbunden, in der sich der Bittende „oft unterwürfig und schuldbewusst an eine höhergestellte Autorität (wendet) und hofft, dass diese Gnade walten lässt“ (ArztGrabner, 1. Korinther, 289; vgl. BGU IV 1079,21-23; VIII 1847,26; UPZ I 78,24). Vgl. R. Bultmann, Art. οι� κτι' ρω κτλ., ThWNT V, 161-163. Das Substantiv οι� κτιρμο' ς kommt in Röm 12,1; 2Kor 1,3; Phil 2,1; Kol 3,12; Hebr 10,28 vor, das Adjektiv οι� κτι' ρμων Jak 5,11 im Blick auf Gott. HvS §290e(4b), mit Hinweis u.a. auf Röm 9,15. Schlier 295. Paulus hat den ursprünglichen Kontext nicht ignoriert; Dunn II 552. Num 14,18; Neh 9,17; Ps 86[85],15; 103[102],8; 145[144],8; Joel 2,13; Jon 4,2; Nah 1,3; vgl. Deut 7,9-10; 2Kön 13,23; 2Chron 30,9; Neh 9,31; Ps 111[110],4; 112[111],4; Jes 30,18; Jer 32,18; sowie Sir 2,11; Weish 3,9; 4,15; 15,1; OrMan 7; PsSal 9,8-11; TestJud 19,3; TestSeb 9,7; JosAs 11,10; AntBibl 13,1; 35,3; 4Esra 7,33; Dunn II 552. Dass Paulus auch an Ex 3,14 anknüpft (Cranfield II 483; vgl. Dunn II 552), ist eher unwahrscheinlich; vgl. Hübner, Gottes Ich, 39 Anm. 92. Dunn II 552, im Anschluss an Piper, Justification, 67.
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Der in V. 14 formulierte Einwand, dass Ungerechtigkeit bei Gott sein könnte, ist abwegig: Gott selbst hat gegenüber Mose erklärt, dass er die Macht und die Freiheit hat, nach seinem Erbarmen zu handeln. Das Zitat begründet den ersten Teil des Maleachi-Zitats in V. 13 („Jakob habe ich geliebt“): Paulus spricht nicht von einer Freiheit Gottes zu hassen. Das heißt: Paulus unterstreicht und begründet die Freiheit der Barmherzigkeit Gottes – und damit die Tatsache, dass Gottes Barmherzigkeit keine Sache ist, auf die der Mensch einen Anspruch auf der Grundlage leiblicher Abstammung, nationaler Zugehörigkeit oder menschlicher Leistung geltend machen kann. Die Freiheit Gottes ist nicht die Freiheit eines unqualifizierten Willens Gottes, sondern die Freiheit seiner Barmherzigkeit.141 16 Paulus zieht aus der Aussage in Ex 33,19 folgende Schlussfolgerung (α» ρα ουò ν): Also ist es nicht abhängig von dem, der will, noch von dem, der sich anstrengt, sondern von Gott, der sich erbarmt.142 Das Subjekt ist das in den vorausgehenden Aussagen beschriebene Erwählungshandeln Gottes. Das Erfasstwerden von Gottes Erwählung und damit die Zugehörigkeit zum inneren Israel (V. 6b) hängt weder vom menschlichen Willen noch von menschlicher Anstrengung ab. Die Verheißung und das Heil Gottes gehören nicht „dem, der will“ (τουñ θε' λοντος [tou thelontos]), noch „dem, der sich anstrengt“ (τουñ τρε' χοντος [tou trechontos]). Dass der Wille des Menschen die Sünde nicht überwinden kann, hat Paulus in 7,7-25 gezeigt. Das Verb τρε' χω [trechō] bedeutet „laufen“,143 im übertragenen Sinn „sich mit allen Kräften bemühen vorwärtszukommen, angestrengt vorwärtsstreben“.144 Das Verb wird meistens im Sinn der Metaphorik vom Wettlauf im Stadion interpretiert.145 Da Paulus in 9,30-33 die Lauf-Metapher aufgreift, aber das Verb διω' κω (diōkō) verwendet, und da τρε' χω kein athletischer terminus technicus ist, ist eine Anknüpfung an die hellenistische Athletik nicht gesichert: Menschen „laufen“ in ganz verschiedenen Situationen, und im übertragenen Sinn konnte das Verb auch für die Bewegung von Schiffen, eines Bohrers oder von unpersönlichen Mächten verwendet werden.146 Man kann im Sinn menschlicher „Anstrengung“ interpretieren und/oder auf dem ————————————————————
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Cranfield II 483; im Anschluss daran Jewett 582; Hübner, Gottes Ich, 39. Die Partizipien θε' λοντος, τρε' χοντος und ε� λεω ñ ντος sind substantiviert und dienen nach dem zu ergänzenden ε� στι' ν als Prädikatsnomen (gen. possessoris) vgl. Bauer/Aland s.v. ει� μι' IV.3; BDAG s.v. ει� μι' 9; BDR §1629; HvS §159b; NSS II 30. Vgl. Mt 27,48; 28,8; Mk 5,6; 15,36; Lk 15,20; 24,12; Joh 20,2.4; Offb 9,9; vom Wettkampf im Stadion 1Kor 9,24. Bauer/Aland s.v. τρε' χω; vgl. O. Bauernfeind, ThWNT VIII, 225-235. Michel 308; Wilckens II 199; Dunn II 553; Lohse 278; Jewett 583; Bauernfeind, ThWNT VIII, 232; Pfitzner, Agon Motif, 135-136; Brändl, Agon, 185-188. Theognis 1,856; Homer, Od 9,386; Callimachus, Hymn 3,245; vgl. LSJ s.v. τρε' χω.
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Hintergrund atl. Stellen verstehen, in denen hebr. [ רּוץrūz] („laufen“), das oft mit τρε' χω übersetzt wird, Ausdruck von Kraft und Fähigkeit (Ps 147,10; Koh 9,11) sowie eines gerechten oder ungerechten Lebenswandels (Ps 19,6; 119,32; Spr 4,12 bzw. Spr 1,16; 6,18 Jes 59,7; Hag 1,9) ist.147 Eine schöne atl. Parallele zur Aussage von V. 16 ist Ps 147,10-11: „Er hat keine Freude an der Kraft des Pferdes, kein Gefallen am schnellen Lauf des Mannes.148 Gefallen hat der Herr an denen, die ihn fürchten und ehren, die voll Vertrauen warten auf seine Huld“ (EÜ). Manche verweisen auf Ps 119,32: „Ich eile voran auf dem Weg deiner Gebote, denn mein Herz machst du weit“,149 wobei LXX mit ο� δο` ν ε� ντολω ñ ν σου ε» δραμον übersetzt, nicht mit τρε' χω. Paulus betont: Das Heil der Erwählung hängt nicht vom menschlichen Wollen und Handeln ab, sondern von Gott, der sich erbarmt (α� λλα` τουñ ε� λεω ñ ντος θεουñ [alla tou eleōntos theou]). Die Überzeugung, dass Jahwe ein sich erbarmender Gott ist, zieht sich durch das ganze Alte Testament hindurch (s. zu V. 15), wurde aber auch im Frühjudentum festgehalten, nicht zuletzt in Qumran: „Damit sie alle seine Werke erkennen in der Kraft seiner Stärke und die Fülle seines Erbarmens über alle Söhne … Aber als ich der Kraft deiner Hand gedachte mit der Fülle deines Erbarmens, da richtete ich mich auf und erhob mich, und mein Geist gewann wieder Festigkeit gegenüber der Plage; denn ich stützte mich auf deine Barmherzigkeit und die Fülle deines Erbarmens. Denn du sühnst Sünde und reinigst den Menschen von Verschuldung durch deine Gerechtigkeit“ (1QH XII, 32.35-37 [Lohse]).150 Gleichzeitig findet man aber auch solche Texte: „Wenn du willst (ε� α` ν θε' λη, ς), kannst du das Gebot halten; Gottes Willen zu tun ist Treue … Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; was er begehrt, wird ihm zuteil“ (Sir 15,15.17); „Unsere Werke (geschehen) nach Wahl und Beschluss unserer Seelen, Recht und Unrecht zu tun mit den Werken unserer Hände; in deiner Gerechtigkeit aber suchst du die Menschenkinder heim. Wer Gerechtigkeit übt, sammelt sich Leben beim Herrn; wer aber Unrecht übt, verschuldet (seine) Seele in Verderben, denn der Herr richtet einen Mann und (sein) Haus in Gerechtigkeit“ (PsSal 9,4-5 [Holm-Nielsen]). Man muss im Frühjudentum beide Traditionsstränge beachten: einerseits das Wissen darum, dass Sühne von Sünden und Heil nur durch Gottes Erbarmen möglich ist, andererseits die Überzeugung, dass das Heil vom Tun des im Gebot Befohlenen abhängig ist.
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Brändl, Agon, 263, zu Röm 9,16 ebd. 287 mit Verweis auf Ps 147,10-11. Brändl ebd. 288 meint, Paulus spiele vielleicht bewusst auf Koh 9,11 an: „Wiederum habe ich unter der Sonne beobachtet: Nicht den Schnellen gehört im Wettlauf der Sieg, nicht den Tapferen der Sieg im Kampf, auch nicht den Gebildeten die Nahrung, auch nicht den Klugen der Reichtum, auch nicht den Könnern der Beifall, sondern jeden treffen Zufall und Zeit“; terminologische Anklänge gibt es allerdings nicht: LXX übersetzt die erste Zeile der Negationen mit ου� τοιñς κου' φοις ο� δρο' μος. LXX übersetzt κνη' μαις τουñ α� νδρο' ς („Schenkel des Mannes“); τρε' χω kommt nicht vor. Dunn II 553, der bestrebt ist, negative Konnotationen von τρε' χω zu vermeiden. In der alten Sukenik-Zählung 1QH IV, 32.35-37. Vgl. 1QS XI, 3.5.12.13-14, zitiert im Exkurs zu δικαιοσυ' νη bei 1,17.
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Gottes Erbarmen ist unabhängig von dem, was der Mensch erreichen will und auch tatsächlich erreicht. Gott „richtet sich allein nach dem Maßstab, den er sich setzt“, ein Maßstab, der hier mit dem Wort „Erbarmen“ angedeutet wird.151 17 Der Freiheit von Gottes Erbarmen entspricht die Freiheit seines NichtErbarmens. Paulus demonstriert diese Wahrheit mit einem atl. Zitat, das ebenfalls aus der Exodusgeschichte stammt: Denn die Schrift sagt zu Pharao: Eben dazu habe ich dich auftreten lassen, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name verkündigt werde auf der ganzen Erde. In Ex 9,16 ist es Mose, der im Auftrag Jahwes zu Pharao spricht, hier ist es „die Schrift“ (η� γραφη' [hē graphē]), die spricht. Die Identifizierung vom Reden der Schrift mit dem Reden Gottes kommt auch in 4,3; 10,11; 11,2 und Gal 4,30 vor und spiegelt die Überzeugung wider, dass die Schrift das Wort Gottes ist. Der Wechsel von „Gott“ zu „Schrift“ ist damit zu erklären, dass Paulus vermeiden wollte, Gott zu einem Heiden sprechen zu lassen.152 Zwischen dem Zitat Ex 9,16 in Röm 9,17 und dem LXX-Text bestehen folgende Unterschiede:153 1. Statt και` ε« νεκεν του' του schreibt Paulus ει� ς αυ� το` τουñ το; 2. statt διετηρη' θης hat Paulus ε� ξη' γειρα' σε; 3. «ινα wird durch ο« πως ersetzt; 4. ι� σχυ' ν wird durch das gleichbedeutende δυ' ναμιν ersetzt. Wichtig ist die zweite Änderung: Die Ersetzung von διετηρη' θης („du bist bewahrt worden“) durch ε� ξη' γειρα' σε („ich habe dich auftreten lassen“) bringt deutlich zum Ausdruck, dass es die freie Verfügung Gottes war, der Pharao seine Existenz und seine Rolle in der Geschichte verdankt. Die Verwendung von ε� ξεγει' ρω entspricht nicht der Übersetzungpraxis der LXX oder der anderen Übersetzer das AT,154 sodass nicht von einer Korrektur des griech. Textes durch den hebr. Text auszugehen ist. Paulus hat die Änderung offensichtlich bewusst durchgeführt, um die Absicht Gottes im Blick auf Pharao zu unterstreichen; diesem Ziel dient auch die dritte Änderung. ————————————————————
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Michel 308. Käsemann 258: „Jede menschliche Mitwirkung beim Heil ist ausgeschlossen … Weil (die Prädestinationsaussage) jeden menschlichen Eigenwillen und darum auch das fromme Leistungsstreben zerbricht, holt sich in ihr der Schöpfer sein Recht am Geschöpf “. Vgl. Maier, Mensch, 363-365.368-370. Anders Dunn II 553: „Paul does not disparage ‚willing‘ and ‚running‘ … but they are not factors in election, neither in the initial choice nor in its maintenance“. Michel 309; kritisch Schlier 296; Wilckens II 200; Dunn II 553; Lohse 278; Jewett 583; Koch, Schrift, 31, der zu Recht Hübner, Gottes Ich, 45, kritisiert, der in dem Subjekt „Pharao“ das Subjekt „die Majorität der Juden“ angesprochen sieht: Diese Interpretation verkennt die Struktur des Geschichtsrückblicks in V. 6-18. Zum Zitat s. Cranfield II 485-488; Piper, Justification, 146-148; Koch, Schrift, 150-151. Das hebr. Verb עמדHifil („aufstellen, bestellen“) kann durchaus mit ε� ξεγει' ρω übersetzt werden, da sich die Bedeutung der beiden Vokabeln teilweise überschneidet, aber עמד Hifil wird in dieser Bedeutung in der LXX generell mit ι�στα' ναι übersetzt (ca. 60 Mal). In Ex 9,16 hat עמדHifil die Bedeutung „bestehen lassen, bewahren, erhalten“, was die LXX mit διατηρε' ω zutreffend übersetzt; Koch, Schrift, 150-151 Anm. 6. Anders Siegert, Argumentation, 129, der meint, ε� ξη' γειρα folge eher dem hebr. Urtext als die LXX.
Gottes freies Erbarmen und das wahre Gottesvolk 9,14-29 325 ————————————————————————————————————
Das mit „auftreten lassen“ (ε� ξη' γειρα [exēgeira]) übersetzte Verb, das auch „aufwecken“ vom Schlaf oder „auferwecken“ vom Tod bedeutet (Sir 22,9; 1Kor 6,14), kann hier „in Erscheinung treten lassen, ins Leben rufen“ oder „einen höheren Status geben, erhöhen“155 bedeuten. Der erste Finalsatz spricht vom Erweis der Macht Gottes, die dieser an Pharao erwiesen hat. Ob das Wort δυ' ναμις [dynamis] die souveräne Macht Gottes stärker betont als ι�σχυ' ς [ischys] im LXX-Text,156 lässt sich nicht beweisen. Im Kontext von 1,16 könnte δυ' ναμις die rettende Macht Gottes bezeichnen.157 Im Kontext des Verhaltens Pharaos, das indirekt im zweiten Finalsatz angesprochen ist, kann man an das göttliche Strafgericht denken, das in den Plagen sichtbar wird, mit denen Gott das von Pharao regierte Land heimsuchte.158 Sicher ist, dass der Verweis auf die Macht Gottes die absolute Souveränität Gottes betont, der das Leben bzw. das Königsamt Pharaos bestimmt, und damit die Freiheit der Entscheidung Gottes, der die Geschichte lenkt. Der zweite Finalsatz („damit mein Name verkündigt werde auf der ganzen Erde“) bezieht sich auf Gottes Gerichtshandeln an Pharao, das für Israel Barmherzigkeit bedeutete: Auch im Nichterbarmen steckt Erbarmen.159 Die Rettung Israels im Auszug aus Ägypten, die Folge der Widerspenstigkeit Pharaos, wurde „auf der ganzen Erde“ verbreitet, wie Ps 106,8 betont: „Er aber hat sie gerettet, um seinen Namen zu ehren und seine Macht zu bekunden“.160 Dass die Wendung „auf der ganzen Erde“ an die prophetische Erwartung anknüpft, nach der die Zeit kommen wird, in der Jahwe von den Völkern als Quelle des Heils anerkannt wird, ergibt sich weder aus dem Kontext in Ex 9,16 noch aus dem Kontext in Röm 9,17.161 ————————————————————
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BDAG s.v. ε� ξεγει' ρω 4: „cause to appear, bring into being“, 5: „give one higher status, elevate“; vgl. Bauer/Aland s.v. ε� ξηγει' ρω 4 (Bedeutung 5 aus BDAG wird nicht vermerkt). Vgl. Jer 50,15 (LXX 27,14); Hab 1,6; Sach 11,16. Lohse 278. Cranfield II 487; Dunn II 554; Jewett 584-585. Das Wort δυ' ναμις verweist sicher nicht auf die missionarische Absicht des Römerbriefs, auch nicht in Verbindung mit dem Verb διαγγεληñ, (gegen Jewett ebd.). So Sir 16,15-16 (griechischer Zusatz): „Der Herr verstockte Pharao (κυ' ριος ε� σκλη' ρυνε Φαραω), sodass er ihn nicht erkannte, damit seine Großtaten erkannt würden unter dem Himmel (ο« πως α� ν γνωσθηñ, ε� νεργη' ματα αυ� τουñ τηñ, υ� π’ ου� ρανο' ν). Der ganzen Schöpfung ist sein Erbarmen offenbar, sowohl sein Licht als auch (seine) Dunkelheit teilte er Adam zu“. Vgl. Schlier 296. Michel 309 interpretiert im Sinn der göttlichen Freiheit, „den einen Menschen anzunehmen, den anderen dagegen zu verhärten“. Siegert, Argumentation, 129. Dunn II 554 betont Gottes Barmherzigkeit gegenüber Israel. Im Kontext von Ps 106,6-7 geht es um die Sünde der Väter: sie haben die Wunder nicht begriffen, nicht an Gottes Huld gedacht und am Schilfmeer Jahwe getrotzt. Gegen Jewett 585, der auf Hes 20,9.14.22; Ps 79,9-10 sowie auf Stellen im Röm verweist, die eine universale Perspektive haben.
326 Römerbrief ————————————————————————————————————
18 Das Beispiel Pharaos zeigt im Blick auf die souveräne Macht Gottes:
Er erbarmt sich also, wessen er will, und er verhärtet, wen er will. Der Satz ist als Schlussfolgerung formuliert (α» ρα ουò ν). Gott hat die souveräne Freiheit, Mose barmherzig zu sein, und er hat die souveräne Freiheit, Pharao zu verhärten. Das Verb „verhärten“ (σκληρυ' νει [sklērynei]), das in übertragenem Sinn „veranlassen, unnachgiebig sein“ bedeutet,162 kommt im Text der LXX der Exodusgeschichte häufig vor163 als göttliche Absicht im Blick auf das Verhalten Pharaos, der sich weigert, auf die Wünsche Israels positiv zu reagieren, und der auf seiner Unterdrückung des Volkes besteht, ja diese verstärkt. Während einige atl. Texte auch im Sinn einer Selbstverstockung Pharaos interpretiert werden können,164 betonen die meisten Texte, wie Paulus hier, die Initiative Gottes, der Pharao „die Möglichkeit des Hörens und Gehorchens nimmt und den Widerstrebenden in seinen Heilsplan einfügt“.165 Die Aussage, dass Gott verhärtet, „wen er will“ (ο� ν θε' λει), unterstreicht die absolute, souveräne Freiheit des Willens Gottes, die sich über den Menschen erbarmt oder ihn verstockt. Wenn Ausleger nach Gründen für Gottes Verstockung Pharaos suchen, z.B. in der Bosheit seines Charakters oder in seiner Selbstverstockung,166 wenn Dämonen für die Verstockung Pharaos verantwortlich gemacht werden167 oder wenn abschwächend interpretiert wurde, dass Gott die Hartnäckigkeit Pharaos im Voraus wusste,168 so handelt es sich um Erklärungsversuche, die nicht in die Schriftauslegung von Paulus passen und die dem Argument in V. 11.16 widersprechen.169 Michel betont, dass es „keine Verwerfung durch Gott ohne die menschliche Verantwortlichkeit“ gibt, hält dann aber fest, dass die Frage der menschlichen Verantwortung hier nicht zur Diskussion steht und dass Paulus den geschichtlichen Vorgang der Verstockung Pharaos in einer „letzten theologischen Tiefe“ verankert: „Solange der Mensch nicht erkennt, daß er in jedem geschichtlichen Verhal————————————————————
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BDAG s.v. σκληρυ' νω definiert: „to cause to be unyielding in resisting information“; Bauer/Aland s.v. σκληρυ' νω 1 aktiv: „hart machen, verhärten“; vgl. K.L. Schmidt / M.A. Schmidt, σκληρυ' νω, ThWNT V, 1031-1032. Das Verb kommt im NT in Apg 19,9; Röm 9,18; Hebr 3,8.13.15; 4,7 vor. LXX Ex 4,21; 7,3.22; 8,15 (LXX 8,11); 9,12.35; 10,1.20.27; 11,10; 14,4.8.17; Vgl. die oben zitierte Stelle Sir 16,15-16. Ex 7,22; 8,15; 9,35; 13,15. Michel 310. Vgl. Zahn 452-455; Lagrange 235-236; Leenhardt 144-145; Morris 361-362; Munck, Christus, 38ff; vgl. Cranfield II 488-489. Vgl. die Diskussion in Beale, Hardening. Jub 48,17; TestSal 25,3. So der Presbyter des Irenäus (Haer 4,29,2). Vgl. Siegert, Argumentation, 130 Anm. 71. Michel 311; Käsemann 259; Dunn II 555; Luz, Geschichtsverständnis, 78.
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ten und in seiner ganzen Existenz umschlossen ist, hat er Gott noch nicht als Gott anerkannt“.170 U. Wilckens kommentiert: „Gottes Gerechtigkeit kann nur in dieser absoluten Freiheit seines Handelns sein, da ein von Menschen abhängiger Gott nicht Gott und darum eine von Menschen abhängige Gerechtigkeit nicht Gottes Gerechtigkeit wäre“.171 Im Kontext des Unglaubens des jüdischen Volkes und im weiteren Kontext der missionarischen Tätigkeit des Apostels gilt: Die Aussage „Gott verhärtet“ bedroht jeden Menschen, auch den Juden (9,24-29). Dass Gott in großer Geduld die „Gefäße des Zorns“ erträgt (9,22), schließt gerade nicht aus, dass bestimmte, etwa von uns zu identifizierende Menschen oder Menschengruppen von Gottes Barmherzigkeit erfasst werden. 19 Die schroffe Aussage, dass Gott in seiner souveränen Freiheit sich Menschen erbarmt und Menschen verhärtet, führt zu einer Erneuerung des Einwands gegen die Betonung des Apostels, dass Gott in seiner Souveränität die erwählt, denen er barmherzig ist. Der Einwand wird mit dem Satz man kann mir nun entgegenhalten eingeleitet.172 In V. 14 wurde der Einwand von Gott aus formuliert: „Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott?“ Jetzt wird der Einwand vom Menschen aus formuliert: Wenn Gott „verhärtet, wen er will“ (V. 18), dann stellt sich die Frage: Warum zieht er uns dann noch zur Rechenschaft? Das Verb με' μφομαι [memphomai] bedeutet „tadeln, schelten, schmähen, Vorwürfe machen“;173 im Kontext des Gerichtshandelns Gottes kann man mit „zur Rechenschaft ziehen“ übersetzen. In 3,5 wurde derselbe Einwand so formuliert: „Ist Gott etwa ungerecht, wenn er seinen Zorn verhängt?“ Die „Vorwürfe“, deren Relevanz infrage gestellt wird, sind die Anklage Gottes im Endgericht, wenn Gott seinen Zorn „gegen alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen“ offenbart (1,18). Wenn Pharao von Gott verhärtet wurde, wie kann Gott ihm die Verhärtung vorwerfen? Die Begründung des Einwands (Anschluss mit γα' ρ) wird im nächsten Satz formuliert: Denn wer hat sich je seinem Willen widersetzen können? Der „Wille“ (βου' λημα [boulēma]) Gottes ist im Kontext Gottes freie Erwählung derer, über die er sich erbarmt, und die Verhärtung derer, die er verhärten will; der Ausdruck nimmt das doppelte ο� ν θε' λει („wen er will“) V. 18 und προ' θεσις τουñ θεουñ („Ratschluss Gottes“) V. 11 auf. Das Verb ————————————————————
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Michel 310, mit Verweis auf Ps 139,5. Wilckens II 200; er fügt mit Verweis auf Luz, Geschichtsverständnis, 75-76 hinzu: „So grundsätzlich dies gilt, so ist es doch erkennbar nur durch die in der Schrift bezeugte konkrete Geschichte Israels“. Die 2. Person Singular Futur ε� ρειñς entspricht dem deutschen Indefinitpronomen „man“; HvS §255f(ff). Vgl. W. Grundmann, Art. με' μφομαι κτλ., ThWNT IV, 576-578.
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„widersetzen“ (α� νθι'στημι [anthistēmi]) bedeutet „sich entgegenstellen, entgegentreten, sich widersetzen“. Das Perfekt markiert die Unmöglichkeit des Widerstands gegen Gottes Willen als gegenwärtigen Zustand; wenn man den resultativen Aspekt betont, kann man auf die Entscheidung des Erwählungswillens Gottes verweisen: Nachdem Gott entschieden hat, wem er barmherzig ist und wen er verhärtet, ist und bleibt es unmöglich, sich Gott zu widersetzen.174 Wenn es Gottes Wille war, dass Pharao verhärtet wurde, dann konnte Pharao dem nicht widerstehen. Hebt also die freie Souveränität Gottes die Verantwortlichkeit der Menschen auf ? Die Tatsache, dass Paulus V. 19 schreibt, zeigt, dass er die Logik dieses Einwandes akzeptiert: Der Gegner hat V. 17-18 durchaus richtig verstanden. Paulus bietet keine Erklärung im Sinn einer doppelten Kausalität (Gott verhärtet Pharao, aber Pharao ist auch selbst schuld, wenn Gott ihn zur Rechenschaft zieht). 20 Paulus antwortet auf die zwei Fragen von V. 19 mit zwei Gegenfragen, die dem Menschen, der Gottes Gerechtigkeit und Souveränität infrage stellt, grundsätzlich die Kompetenz absprechen, Gott maßregeln zu können: O Mensch, wer bist du denn, dass du Gott widersprechen willst? Wird denn das Geschöpf zu seinem Schöpfer sagen: Warum hast du mich so ò α» νθρωπε [o anthrōpe]) enthält gemacht? Bereits die Anrede „o Mensch“ (ω das Argument, das Paulus in Anschlag bringt: Der Mensch, der Gott Vorwürfe macht, ist eben nur ein Mensch, der von sich aus die Distanz zu Gott nie überbrücken kann, weil er ein Sünder ist und aus der unmittelbaren Gegenwart Gottes vertrieben wurde (1,18–3,20; 5,12-21; 7,7-25).175 In der mit „wer bist du denn“ übersetzten Wendung hat μενουñ νγε [menounge] berichtigende Bedeutung („denn, eigentlich“).176 Der Mensch, der als „Gott Widersprechender“ (ο� α� νταποκρινο' μενος τω ñ, θεω ñ, [ho antapokrinomenos tō theō]) auftritt, hat vergessen, dass er ein Mensch ist, der mit Gott redet, und deshalb weder die Fähigkeit noch die Befugnis hat, auf Gottes Reden entgegnend zu antworten.177 ————————————————————
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Dunn II, 556 sieht ein Echo von Hiob 9,19 LXX: „Denn weil er ja mit Stärke festhält: Wer wird also seinem Urteil widerstehen (τι' ς ουò ν κρι' ματι αυ� τουñ α� ντιστη' σεται)?“ Niebuhr, Nicht alle aus Israel, 437: ω ò α» νθρωπε verweist auf Israel und die Völker, „auf beider Verantwortung gegenüber Gott angesichts des Christusgeschehens“, die in 9,30– 10,21 (Israel) und 10,1-32 (die Berufenen aus den Völkern) erläutert wird. Bauer/Aland s.v. μενουñ ν: steigernd oder berichtigend; BDR §450.4; HvS §252,35c(bb). Schlier 298 interpretiert im Sinn der steigernden Bedeutung: μενουñ νγε unterstreicht das ω ò α» νθρωπε und das συ' „und bereitet die folgende Charakterisierung im Partizip als ein unmögliches Unterfangen vor“. Cranfield II 491; Michel 311; Wilckens II 201; Dunn II 556 interpretieren im Sinn der Korrektur bzw. der scharfen Zurückweisung; d.h., man könnte auch mit „im Gegenteil“ übersetzen. Das seltene Verb α� νταποκρι' νομαι wird als terminus technicus der Mathematik mit der Bedeutung „entsprechen“ interpretiert: Bauer/Aland s.v. schlagen als Übersetzung „ent-
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Die zweite Gegenfrage erklärt die erste: Der Mensch ist nicht kompetent, Gott und seinen Willen und sein Handeln zu hinterfragen, weil er als Mensch ein Geschöpf Gottes ist, das mit seinem Schöpfer redet. Der erste Teil des Satzes: „wird denn das Geschöpf zu seinem Schöpfer“ (μη` ε� ρειñ το` πλα' σμα τω ñ, πλα' σαντι [mē erei to plasma tō plasanti]) stimmen wörtlich mit Jes 29,16 LXX überein. Das mit „Geschöpf“ übersetzte Wort, das im eigentlichen Sinn verwendet wird, bedeutet „das Geformte, das Gebildete, das Gebilde“; es wird oft für das, was ein Handwerker oder Künstler herstellt, verwendet.178 In der LXX wird das Wort für die Überlegenheit des Schöpfers179 und für Gottes Erbarmen gegenüber den aus Staub gebildeten Menschen180 verwendet. Gott ist der „Bildner“ (ο� πλα' σας [ho plasas]), der den ersten Menschen aus Erde geformt hat: „Und Gott formte den Menschen (και` ε» πλασεν ο� θεο` ς το` ν α» νθρωπον) als Auswurf von der Erde und blies in sein Angesicht Lebensatem, und der Mensch wurde eine lebende Seele“ (Gen 2,7 LXX; vgl. 2,8.15). In Jes 44,2 LXX sagt Gott: „So spricht der Herr, Gott, der dich geschaffen und dich gestaltet hat (ο� ποιη' σας σε και` ο� πλα' σας σε) vom Mutterleib her: Dir wird weiterhin geholfen werden, fürchte dich nicht, mein Knecht Jakob, und (du) Geliebter Israel, den ich auserwählt habe“ (LXX.D).
In dem Jesaja-Text, auf den Paulus anspielt, sagt das Gebilde zu dem Bildner: „Nicht du hast mich gebildet!“ (ου� συ' με ε» πλασας [ou sy me eplasas]); Paulus formuliert: „Warum hast du mich so gemacht“ (τι' με ε� ποι'ησας ου« τως [ti me epoiēsas houtōs]) und unterstreicht damit, „daß das Geschöpf auch seine Geschöpflichkeit als solche Gott nicht entgegenhalten kann“.181 Paulus hätte auch Jes 45,9 verwenden können: „Weh dem, der mit seinem Schöpfer rechtet, er, eine Scherbe unter irdenen Scherben. Sagt denn der Ton zu dem Töpfer: Was machst du mit mir?, und zu dem, der ihn verarbeitet: Du hast kein Geschick?“ (EÜ).182 Die Verwendung von Jes 29,16 im ————————————————————
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gegnend antworten“ vor, für Röm 9,20 „antwortend Gott entgegentreten, mit Gott rechten“. Vgl. F. Büchsel, α� νταποκρι' νω, α� νταποκρι' νομαι, ThWNT III, 947: in Röm 9,20 liegt der „Nebensinn“ „unberechtigte Vorhaltungen machen, hadern, ‚meckern‘“ vor. Plato, Soph 239e; Hi I,298a; Lucian, Philops 18; vgl. H. Braun, Art. πλα' σσω κτλ., ThWNT VI, 254-263, hier 256; der folgende Punkt ebd. 269. Hi 40,19; Jes 29,16; 45,10; Hab 2,18. Ps 103[102],14: „Denn er erkannte das Gebilde [το` πλα' σμα], das wir sind. Denke [daran], dass wir Staub sind“ (LXX.D). Koch, Schrift, 144; vgl. Lohse 280. Die LXX hat nach LXX.D: „Was habe ich Besseres bereitet als den Ton des Töpfers? Wird etwa der Pflügende die Erde pflügen? Wird etwa der Ton zum Töpfer sagen: ‚Was macht du, dass du nicht arbeitest?‘ und: ‚Hast du keine Hände?‘“; der griech. Text weist außer τι' keine Verbindungen zu Röm 9,20 auf. Zu beachten ist allerdings, dass mehrere LXX-Manuskripte (B, die meisten lukianischen MSS und andere Zeugen) ans Ende von Jes 45,9 den Satz μη` α� ποκριθη' σεται το` πλα' σμα προ` ς το` ν πλα' σαντα hinzufügen, der enge
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Argument von Paulus knüpft an den Kontext in Jesaja an: Jesaja stellt Israel als blind und taub dar, als Volk, das an Gottes Weisheit zweifelt und sich seinem Weg zur Rettung widersetzt. Paulus argumentiert, dass seine jüdischen Brüder sich in einer ähnlichen Konfrontation mit Gott befinden, sich Gottes Heilsplan widersetzen, Gottes Weisheit und Gerechtigkeit infrage stellen und ihre „eigene Gerechtigkeit“ der Gerechtigkeit Gottes vorziehen, die durch den Messias Jesus kommt (10,3).183 Paulus betont: Der Mensch ist als Mensch, und das heißt als Geschöpf Gottes, nicht kompetent, Gottes erwählendes Handeln infrage zu stellen. 21 Paulus greift die erste Zeile aus Jes 29,16 LXX184 auf und wiederholt das Argument V. 20 mit einem zweiten Bild: Oder hat nicht der Töpfer freies Verfügungsrecht über den Ton, aus ein und derselben Masse das eine Gefäß für einen ehrenvollen Zweck und das andere Gefäß für einen unehrenvollen Zweck zu machen? Ein Töpfer (κεραμευ' ς [kerameus]) hat „freies Verfügungsrecht“ (ε� ξουσι' α [exousia]) über den Ton (πηλο' ς [pēlos]). Der Töpfer legt schon vor der Herstellung eines Gefäßes nach freiem Ermessen fest, wozu das Gefäß dienen soll. Das Wort ε� ξουσι' α [exousia] bedeutet 1. „d. Freiheit, d. Recht, zu handeln, bestimmen, verfügen, wie man will“ (so oft als juristischer Ausdruck in Testamenten: P.Oxy. II 272,13; BGU I 183,25); 2. d. Fähigkeit zu handeln, Vermögen, Macht, Gewalt; 3. Autorität, Machtvollkommenheit, Vollmacht, Befugnis; 4. die Gewalt, die von Herrschern kraft ihrer Stellung ausgeübt wird: Amtsgewalt, oder auch die Träger der Gewaltausübung: Machthaber, Beamte, Obrigkeit, Behörde.185 Die Arbeit eines Töpfers umfasste mehrere Elemente: „Gestalterische Arbeit leistete der T[öpfer] (κεραμευ' ς/kerameús, lat. figulus) an der Drehscheibe bzw. im Herstellen von Tonpatrizen, Modeln und plastischem Dekor, doch umfaßte der Beruf auch Arbeitsgänge wie Tonabbau und -aufbereitung, Bemalung, Töpferbrand und Vertrieb der Ware“.186 Eine ————————————————————
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Verbindungen mit Jes 29,16 und so auch mit Röm 9,20 aufweist. Der Satz ist allerdings ein sekundärer Zusatz zum LXX-Text und war Paulus wohl nicht bekannt. Vgl. Wagner, Heralds, 60 mit Anm. 54, der dann über das Targum eine Verbindung zwischen Jes 29,16 und Jes 45,9 herstellen will. Vgl. Wagner, Heralds, 62-68; vgl. ebd. 68-71 für eine Diskussion der Behandlung von Jes 29,16/45,9 in 1QS I, 22, mit einer ähnlichen Funktion der Jesajastelle wie bei Paulus. Jes 29,16 LXX: „Werdet ihr nicht wie der Ton des Töpfers angesehen werden?“ (ου� χ ω� ς ο� πηλο` ς τουñ κεραμε' ως λογισθη' σεσθε;). Bauer/Aland s.v. ε� ξουσι' α; vgl. LSJ s.v. I.1a. „power, authority to do a thing“; b. Lat. imperium; II.1. „office, magistracy“, 2. konkret „body of magistrates, the authorities“. Vgl. W. Foerster, Art. ε� ξουσι' α κτλ., ThWNT II, 557-572; I. Broer, EWNT II, 23-29; O. Betz, ThBLNT II, 1184-1188. Ingeborg Scheibler, Art. Töpfer, DNP XII, 650-651. Zur antiken Keramikherstellung vgl. V. Pingel / I. Scheibler, Art. Keramikherstellung, DNP VI, 431-437; A. Hausleiter / H.J. Nissen / I. Scheibler / G. Maaß-Lindemann / R.F. Docter, Tongefäße, DNP XII, 674-687; Scheibler, Töpferkunst.
Gottes freies Erbarmen und das wahre Gottesvolk 9,14-29 331 ———————————————————————————————————— der am besten erforschten Gattungen antiker Tongefäße sind die sog. Terra sigillata, das beliebteste Tafelgeschirr der Kaiserzeit – Feinkeramik mit roter Oberfläche, meistens mit Namensstempel, entwickelt um 40 v.Chr. aus der Schwarzfirnis-Keramik; in Italien war Arretium das wichtigste Produktionszentrum, im östlichen Mittelmeerraum Syrien/Kilikien, Tralleis und Ephesus sowie Pergamon.187 Neben einfacher Gebrauchskeramik, die in der Regel für den lokalen Bedarf einer Region produziert wurde, gab es die für den Export bestimmte verzierte Feinkeramik als Tafel- und Kultgeschirr.188 Das Bild vom Töpfer, der mit seiner Hand den Ton formt, wie er will, als Vorstellung von Gott dem Schöpfer, war im Alten Testament und Frühjudentum ein bekannter Topos: Ps 2,9; Jes 29,16; 41,25; 45,9; 64,7; Jer 18,1-6; 19,10-11; Hiob 10,9; vgl. Sir 33,13; Weish 12,12; 15,7; TestNaph 2,2; 1QS XI, 21-22; 1QH bezeichnet den Menschen mehrfach als „Gebilde aus Ton“ ([ ֵיֶצר )ַה(ֵחָמרjezär (ha)chemār]): 1QH II,29; IX,23; XI,25; XII,30; XIX,6; XX,29.35; XXI, 38; XXII,12; XXIII,13.28; XXV,31.189 Das damit verbundene Bild von unterschiedlichen Gefäßen, über deren Gebrauch der Töpfer entscheidet, liegt in Weish 15,7 vor: „Auch der Töpfer (κεραμευ' ς) nämlich, der die weiche Erde mühsam knetet, formt (πλα' σσει) zu unserem Dienst jedes einzelne Stück; doch aus dem gleichen Lehm hat er herausgeformt sowohl reinen Werken dienende Geräte (τα' τε τω ñ ν καθαρω ñ ν ε» ργων δουñ λα σκευ' η) als auch entgegengesetzte (τα' τε ε� ναντι' α), alle gleicherweise; was aber die Nutzung eines jeden von diesen ist, (darüber ist) Richter der Lehmhandwerker (κριτη` ς ο� πηλουργο' ς)“ (LXX.D).190 In 2Tim 2,20 wird diese Vorstellung ebenfalls aufgenommen: „In einem großen Haus gibt es nicht nur Gefäße aus Gold und Silber, sondern auch aus Holz und Ton – die einen für Reines, die anderen für Unreines“.
Wenn man ε� ξουσι'α im Unterschied zu δυ' ναμις, bei der die Macht auf einer dem Machthabenden inhärenten Kraft beruht, als Gewalt versteht, „die sich im Rahmen rechtlicher politischer, sozialer oder sittlicher Ordnung entfalten darf “,191 ist der „Rahmen“ der Macht Gottes die Wahrheit und Wirklichkeit seiner Allmacht als Schöpfer, Herr der Weltgeschichte und Richter. Es gibt keine übergeordnete Norm, der Gott unterstellt wäre und auf die sich der Mensch als Ankläger Gottes berufen könnte: Gottes ε� ξουσι'α ist das absolute freie Verfügungsrecht über die Schöpfung und die Geschöpfe, die er geschaffen hat.192 Deshalb kann Gott wie ein Töpfer, der aus derselben knetbaren Masse nach seinem freien Belieben ganz unterschiedliche Gefäße formen kann, ebenfalls „Gefäße“ gestalten, wie er will. ————————————————————
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Vgl. R.F. Docter, Art. Terra Sigillata, DNP XII, 162-165; allg. Hayes, Handbook. I. Scheibler, Art. Keramikhandel, DNP VI, 430-431. Zu 1QH s. B. Schlenke / M.Strauch, ThWQ I, 1007-1009; rabbinische Belege bei Bill. III, 271. Kuss III 729-730 hält die Vorstellung für eine „schlechthin barbarische Metapher“. Vgl. Koch, Bedeutung, 187: Paulus verbindet das traditionelle biblische Töpferbild als Ausdruck der Gnadenwahl Gottes mit dem Motiv der Unmöglichkeit der Anklage Gottes aus Weish 12,12a. O. Betz, ThBLNT II, 1185, mit Verweis auf Pseudo-Plato, Def 415b. Vgl. Haacker 235: „Gott ist eben nicht die vorgestellte Verkörperung menschlicher Wertbegriffe, sondern freies und überlegenes Subjekt, dessen Wege wir Menschen nur in engen Grenzen denkend nachvollziehen können“.
332 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Wendung aus ein und derselben Masse, ε� κ τουñ αυ� τουñ φυρα' ματος [ek tou autou phyramatos]193 erinnert die jüdischen und heidnischen Leser daran, dass alle Menschen und alle Menschengruppen aus ein und demselben Lehm geformt sind. Ein „Gefäß für einen ehrenvollen Zweck“, ει� ς τιμη` ν σκευñ ος [eis timēn skeuos] ist ein Tongefäß, z.B. eine Vase oder ein Kultgefäß, das als Qualitätsprodukt mit Verzierungen und Bemalungen und Hochglanzglasur für Reiche hergestellt wurde. Ein „Gefäß für einen unehrenvollen Zweck“, ει� ς α� τιμι' αν (σκευñ ος) [eis atimian (skeuos)] ist ein preisgünstig hergestelltes Gefäß für den Alltagsgebrauch, dem keine besondere „Ehre“ (τιμη' [timē]) zukam, z.B. Lampen, Koch- und Trinkgefäße, Essgeschirr, Nachttöpfe oder Vorrats- und Transportgefäße wie Amphoren.194 Das Bild ist zunächst nicht auf das Ergehen von einzelnen Menschen im Endgericht anzuwenden:195 Paulus kommt es „auf das Schöpferrecht und die Zielsetzung Gottes an, der Menschen in seinen Heilsplan einspannt“.196 Das Bild impliziert weder Launenhaftigkeit noch Willkürakte aufseiten des Töpfers und spricht damit auch nicht von Gott als einem Despoten, der mit den Menschen völlig willkürlich umspringt, wie es ihm gerade einfällt. 22 Paulus zieht in V. 22-24 die Folgerung aus den beiden Bildworten vom Schöpfer und Geschöpf und vom Töpfer und dem Ton (V. 20b.21) im Blick auf die Absichten Gottes und fasst gleichzeitig die beiden Argumentationsschritte V. 14-18.19-21 zusammen, mit denen er auf die Einwände von V. 14.19 geantwortet hatte. Paulus hatte die Freiheit des erwählenden Willens Gottes in der Geschichte Israels betont, „der sich unabhängig vom Menschen verwirklicht und von Menschen weder einklagbar noch bestreitbar ist“.197 Paulus beginnt in diesen drei Versen, diese Wahrheit auf das gegenwärtige Israel anzuwenden. Er betont, dass das Handeln Gottes sowohl in ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. φυ' ραμα: Gemisch, Teig, z.B. der Mehlteig (Num 15,20-21; 1Kor 5,6; Gal 5,9); vgl. H. Balz, Art. φυ' ραμα, EWNT III, 1061: Teig, Masse; zu Röm 9,21: „die knetbare Masse des Tons, mit welcher der Töpfer arbeitet“. G. Maaß-Lindemann / R. Docter, Art. Tongefäße II, DNP XI, 674-681.684-687; Fulford, Coarse (Kitchen and Domestic) and Painted Wares; Schiering, Tongefäße. Nachttöpfe (chamber pot), auf die in diesem Zusammenhang manchmal verwiesen wird, waren nicht automatisch aus billigerem Ton: Petronius, Sat 27 weiß von einem Nachttopf aus Silber im Haushalt der reichen Trimalchio zu berichten. Anders Piper, Justification, 174-186. Zu beachten ist, dass ει� ς α� τιμι' αν nicht Missbilligung, Verurteilung oder Zerstörung signalisiert, sondern lediglich einen nichtehrenvollen, d.h. dienenden, untergeordneten Gebrauch. Vgl. Cranfield II 492 Anm. 2. Michel 313, der fortfährt: „Man darf daher das Bild nicht theologisch pressen: den Töpfer verbindet mit seinem Werk kein Liebesband, darum trifft es auch kein Zorn … Der Mensch ist auch nicht nur Gefäß, weil er ja selbst verantwortlich ist“. Vgl. Schlatter 304; Cranfield II 492; Wilckens II 02; Dunn II 557; Lohse 280. Wilckens II 202, als Summe des Arguments von Paulus im vorausgehenden Kontext.
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den „Gefäßen des Zorns“ als auch in den „Gefäßen des Erbarmens“ erkennbar ist. Die Syntax von V. 22-23 wird meist als doppelgliedrige198 Protasis eines Bedingungssatzes (ει� ) interpretiert, dessen Apodosis fehlt. Der Anakoluth wird mit dem Verweis auf das „betroffene(s) Verstummen, wie es Gottes Ratschluß gegenüber allein angemessen ist“, erklärt.199 Andere sprechen von Aposiopese, d.h. vom Abbruch der Rede aus Erregung.200 Siegert hat eine andere Erklärung: V. 22 ist die Protasis, V. 23-24 die Apodosis: Der Nachsatz in einem Bedingungsgefüge (in dem es im Griechischen kein Wort für „dann“ oder „so“ gibt) kann mit και' („auch“) beginnen.201 Meine Übersetzung folgt diesem Vorschlag. Bei dieser Analyse ergeben sich folgende Parallelismen: 1. Entsprechungen zwischen V. 22 und V. 23: θε' λων entspricht «ινα, ε� νδει' ξασθαι und γνωρι' σαι entsprechen γνωρι' ση, , ο� ργη' ν entspricht (als Gegensatz) δο' ξης; κατηρτισμε' να entspricht προητοι' μασεν; ει� ς α� πω' λειαν entspricht (als Gegensatz) ει� ς δο' ξαν; 2. Entsprechungen zwischen V. 22 und V. 24: η» νεγκεν entspricht ε� κα' λεσεν.
Paulus beginnt mit dem Satz: Wenn aber Gott, der seinen Zorn erweisen und seine Macht kundtun wollte, mit großer Geduld Gefäße des Zorns, die zum Untergang geschaffen sind, ertragen hat. Subjekt des Satzes ist „Gott“ (ο� θεο' ς), das finite Verb „er hat ertragen“ (η» νεγκεν [ēnegken]).202 Die Hauptaussage des Satzes ist: „Gott hat Gefäße des Zorns ertragen“. Gott als handelndes Subjekt wird durch einen Partizipialsatz erweitert, der vom Willen Gottes spricht (θε' λων [thelōn]), der eine zweifache Absicht verfolgte, die mit Infinitiven formuliert wird: Gott wollte „seinen Zorn erweisen“ (ε� νδει'ξασθαι τη` ν ο� ργη' ν [endeixasthai tēn orgēn]), und Gott wollte „seine Macht kundtun“ (γνωρι'σαι το` δυνατο` ν αυ� τουñ [gnōrisai to dynaton autou]). Das Objekt des Verbs ist die Genitivwendung Gefäße des Zorns (σκευ' η ο� ργηñ ς [skeuē orgēs]). Angesichts der folgenden Partizipialbestimmung ist die Formulierung als Genitiv der Absicht zu interpretieren: Es geht um Menschen, die Gott dazu bestimmt hat, dass er seinen Zorn an ihnen zeigt.203 Das Wort „Gefäß“ ist die Sachhälfte der Analogie V. 21, die jetzt
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Das zweite Glied ist der in V. 23 mit και' eingeleitete Satz. Lohse 280, mit Verweis auf Bornkamm, Anakoluthe, 90-92; vgl. Moo 604; Dunn II 558. HvS §293f; vgl. BDR §2672 (Streichung von και' ); vgl. Starnitzke, Struktur, 335. Siegert, Argumentation, 132, mit Verweis auf Zahn 461; vgl. Haacker 235. Vgl. LSJ s.v. και' B.3; BDR §442.5 Anm. 14. Für die genannten Parallelismen s. Siegert ebd. 136-137, dem ich nicht in allen vorgeschlagenen Parallelen folge. Flebbe, Solus Deus, 319-320 will «ινα als einleitende Konj. eines selbstständiges Satzes verstehen und interpretiert V. 22 dann ebenfalls als Protasis und V. 23 als Apodosis, mit „auch“ als Bedeutung von και' . Bauer/Aland s.v. φε' ρω 1c, „geduldig tragen, ertragen, sich gefallen lassen“; die Bedeutung liegt auch in Hebr 12,20; 13,13 vor. C. Maurer, ThWNT VII, 364 interpretiert σκευ' η ο� ργηñ ς als gen. qualitatis: Es handelt sich um Gefäße, durch die Gott seinen Zorn bewirkt, und um Geräte, an denen sich Gottes Zorn auswirkt. Diese Auslegung wird allgemein abgelehnt (eine Ausnahme ist Jewett 596), wie auch die Interpretation von Schlatter 305, der im Sinn eines gen. auctoris: Die
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als Metapher verwendet wird, wobei allerdings das „Gefäß für einen unehrenvollen Zweck“ nicht identisch sind – Letztere werden verwendet, während Erstere wohl zerbrochen und, wenn der Ton noch weich genug ist, für die Herstellung eines neuen Gefäßes verwendet werden. Der Hinweis auf die Macht Gottes verweist auf V. 17, wo von Pharao die Rede ist, den Gott auftreten ließ, „damit ich an dir meine Macht erweise“. Im Kontext von V. 10-13 könnte man an Esau bzw. die Edomiter denken. Im Zusammenhang des weiteren Kontexts 9,1ff (und von V. 24) sind die „Gefäße des Zorns“ die ungläubigen Juden, die Gottes Offenbarung im Messias Jesus ablehnen.204 Wenn man mit 1,18 verbindet (s. dort zu ο� ργη` θεουñ ), ergibt sich ein noch weiterer Horizont: Alle Menschen, sowohl Heiden (1,18–32) wie Juden (2,1–3,20), werden den Erweis des Zornes Gottes im Endgericht erfahren müssen, und gewärtigen diesen in ihrem Leben unter der Herrschaft der Sünde (7,7-25) schon jetzt. Die „Gefäße des Zorns“ sind durch die attributive Partizipialwendung die zum Untergang geschaffen sind (κατηρτισμε' να ει� ς α� πω' λειαν [katērtismena eis apōleian]) qualifiziert. Mit „Untergang“ ist hier das Verderben gemeint, das man erleidet, konkret hier im Kontext das ewige Verderben als Strafe derer, die sich Gott widersetzen (vgl. Phil 1,28; 3,19; 2Thess 2,3; auch Mt 7,13; Joh 17,12; Hebr 10,39; 2Petr 2,1.3; 3,7; Offb 17,8.11). Der Zorn Gottes bedeutet ewiges Verderben, den Untergang im Gericht Gottes, das Gegenteil der in V. 23 erwähnten „Herrlichkeit“. Das Verb bedeutet „bereitstellen, herstellen, schaffen“;205 die Formulierung im Perfekt markiert einen bestehenden Zustand; das Passiv verweist auf Gott als den, der die „Gefäße des Zorns“ zum Untergang bestimmt hat, die endgültig und unwiderruflich zur Verurteilung verdammt sind. Die „Schaffung“ zum endzeitlichen Untergang verwirklicht sich im Erweis des Zornes Gottes.206 Die Auslegung, die das Partizip κατηρτισμε' να parallel zu προητοι'μασεν in ————————————————————
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Gefäße sind durch Zorn entstanden, was dadurch offenbar werde, „daß ihr Ende der Verlust des Lebens ist“. Die Wendung σκευ' η ο� ργηñ ς erinnert in Jer 27[50],25 LXX, wo sie allerdings eine andere Bedeutung hat: die „Werkzeuge des Zorns“ (τα` σκευ' η ο� ργηñ ς) sind Instrumente des göttlichen Gerichts über Babel. Michel 314 Anm. 21; Käsemann 262; Wilckens II 203; Dunn II 567; Lohse 281; Hübner, Gottes Ich, 53; Siegert, Argumentation, 139, der kommentiert: „Man kann sich die Blasphemie-Vorwürfe in den Synagogen lebhaft vorstellen“, vgl. Apg 13,45; 18,13. Anders Wagner, Heralds, 74-77, der aufgrund von 11,25-32 einen Bezug auf das ungläubige Israel ablehnt: Paulus habe mit den „Gefäßen des Zorns“ Pharao gemeint, dann aber den Vergleich nicht durchgeführt; diese Erklärung weicht dem Kontext in 9,1-24 aus. Bauer/Aland s.v. καταρτι' ζω 2. Wilckens II 203, der von der „Vorherbestimmung zur endzeitlichen Vernichtung“ spricht und dabei den Gedanken von V. 23 (προητοι' μασεν) nach V. 22 transferiert. Paulus formuliert mit κατηρτισμε' να zurückhaltender.
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V. 23 sieht und beide Verben als Hinweis auf „das vorzeitliche und vorgeschichtliche Handeln Gottes“ versteht,207 wird von vielen Auslegern bestritten, oft mit dem Hinweis, dass mit der Interpretation von καταρτι'ζω im Sinn von „in Ordnung bringen, in den gehörigen Zustand versetzen“ der Gedanke der doppelten Prädestination ausgesprochen ist – die Gefäße des Zorns sind reif für den Untergang, ohne dass gesagt wird, dass Gott sie für den Untergang vorherbestimmt hat, und ohne dass die Möglichkeit ausgeschlossen wird, dass diese Menschen doch noch umkehren und so den Untergang im Endgericht doch nicht erleiden.208 Zu beachten ist jedenfalls, dass Paulus im Blick auf die „Gefäße des Erbarmens“ die vorgängige Urheberschaft Gottes mit dem aktiven Verb προητοι'μασεν in V. 23 ausdrücklich ausspricht, während er Gottes Urheberschaft im Blick auf die Bestimmung zum Untergang mit dem passiven Partizip κατηρτισμε' να verhüllt ausdrückt, vielleicht in der Absicht, „Gott nicht direkt Ursache von Bösem sein zu lassen. Die theologische Berechtigung liegt in der Qualifikation solchen Handelns als Zorn über die vom Menschen (z.B. Pharao) selbst zu verantwortende Sünde ... Gott ist nicht Alleinurheber des bösen Vorgangs.“209 Die Aussage V. 23, dass Gott Menschen zum Erbarmen vorherbestimmt hat, impliziert als Kehrseite den Gedanken an eine vorgängige Verwerfung der anderen Menschen; dieser wird von Paulus allerdings nicht explizit ausgesprochen. Das mit wollte übersetzte Partizip θε' λων [thelōn] ist kausal zu verstehen,210 d.h., man kann folgendermaßen übersetzen: „Wenn aber Gott, da er seinen Zorn erweisen und seine Macht kundtun wollte, mit großer Geduld Gefäße des Zorns … ertragen hat“. Paulus spricht in V. 22-23 von einer dreifachen Absicht Gottes. ————————————————————
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Michel 315; vgl. Käsemann 262; Maier, Mensch, 381; Luz, Geschichtsverständnis, 245; Müller, Gottes Gerechtigkeit, 77; Piper, Justification, 192-196; Siegert, Argumentation, 136; Räisänen, Analyse, 2904. Cranfield II 495-496; Dunn II 559-560; Lohse 281; Jewett 596; Hübner, Gottes Ich, 50. Siegert, Argumentation, 138, dem sich auch Haacker 236 anschließt: Paulus geht in V. 22-24 allmählich zur Anwendung der an biblischen Beispielen gewonnenen Aussage über: „Im Kontext des Evangeliums steht dem Erbarmen Gottes nicht die grundlose Prädestination zu einer Unheilsrolle gegenüber, sondern das Gericht, das die Menschheit sich durch ihre unentschuldbare Mißachtung Gottes zugezogen hat (vgl. 1,18ff.)“. Flebbe, Solus Deus, 305, sieht die absolute Freiheit Gottes im Heilshandeln betont und meint, ohne eine Begründung zu geben, dass damit „jede doppelte Prädestination“ entfalle. Barrett 187; Cranfield II 494-494; Michel 313 Anm. 19; Dunn II 558; Lohse 280; Luz, Geschichtsverständnis, 242-244. Andere interpretieren in konzessivem Sinn: Weiß 421422; Sanday/Headlam 261; Fitzmyer 569; Hübner, Gottes Ich, 54: Obwohl Gott beabsichtigte, seinen Zorn zu erweisen, hat er die Gefäße des Zorns mit Geduld ertragen. Die Parallele der Aussage V. 22 mit V. 17 macht die kausale Interpretation wahrscheinlicher.
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Erstens, Gott wollte seinen Zorn erweisen (ε� νδει' ξασθαι τη` ν ο� ργη' ν [endeixasthai tēn orgēn]), d.h. sein Gericht an den „Gefäßen des Zorns“ vollziehen. Menschen, die Gottes Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten, sind dem Zorn Gottes ausgeliefert (1,18). Die Absicht Gottes, seinen Zorn zu erweisen, hatte zur Folge (kausales θε' λων), dass er die Gefäße des Zorns mit großer Geduld ertragen hat (η» νεγκεν ε� ν πολληñ, μακροθυμι' α, [ēnegken en pollē makrothymia]; zu μακροθυμι'α s. 2,4). Das heißt: Die Absicht Gottes, an den „Gefäßen des Zorns“ seinen Zorn zu erweisen, entspricht der Tatsache, dass er diese Menschen zum Untergang geschaffen hat. Wenn man θε' λων konzessiv oder modal interpretiert, ergibt sich die Aussage, dass Gott seinen Willen, an den Sündern sein Zorngericht zu vollstrecken, noch nicht ausführt, weil er ihnen in seiner Geduld Raum zur Umkehr einräumt (vgl. 2,4). Das Handeln der Menschen ist in V. 22-24 allerdings nicht im Blick: Paulus spricht ausschließlich vom Handeln Gottes. Weil das kausale Verständnis von θε' λων aus diesem und anderen Gründen plausibler ist, ergibt sich eine Erklärung im Zusammenhang der Absicht Gottes im Blick auf die „Gefäße des Erbarmens“ in V. 23: „Gott schiebt seinen Zorn gegen die ‚Zorngefäße‘ auf, um diese Frist zu nutzen, den Reichtum seines Erbarmens an der anderen Gruppe der ‚Erbarmens-Gefäße‘ kundzutun; d.h. der Zornesaufschub gegenüber Israel dient dem Wunder der Berufung der Heiden (V 24), an dem wiederum Israel lernen soll, daß es einzig durch Gottes Erbarmen gerettet werden kann und soll“.211 Wenn diese Auslegung richtig ist, ist die Partikel δε' [de] am Anfang von V. 22 in adversativem Sinn verstanden;212 die Anknüpfung an V. 17 ist dann mehr terminologisch denn theologisch. Zweitens, Gott wollte seine Macht kundtun(γνωρι'σαι το` δυνατο` ν αυ� τουñ [gnōrisai to dynaton autou]),213 d.h. durch sein Gericht über die „Gefäße des Zorns“ seine Macht als Schöpfer der Welt durchsetzen, als der er die Rebellion gegen seinen guten und barmherzigen Willen nicht dulden kann und wird. Das Wort „Macht“ verbindet die Aussage mit V. 17, wo der Erweis von Gottes Macht an Pharao das Gericht an Pharao bedeutet. Was mit den „Gefäßen des Zorns“ gemeint ist, an denen Gott die Macht seines Zorngerichts erweisen will, das aber infolge der Geduld Gottes noch aufgeschoben ist, bleibt offen. 23 Die dritte Absicht Gottes wird in der Apodosis des Bedingungssatzes ausführlicher formuliert und steht deshalb für Paulus stärker im Mittel————————————————————
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Wilckens II 204: Paulus deutet in V. 22-24 an, was er dann in Kap. 11 ausführen wird. Siegert, Argumentation, 136. Das substantivierte Adjektiv το` δυνατο' ν ersetzt, wie auch sonst oft bei Paulus, ein abstraktes Substantiv, in diesem Fall η� δυ' ναμις; HvS §137c.
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punkt: (dann) auch, um den Reichtum seiner Herrlichkeit über Gefäße des Erbarmens kundzutun, die er vorher zur Herrlichkeit bereitet hat. Die in V. 22 beschriebene doppelte Absicht Gottes, die die „Gefäße des Zorns“ betrifft, d.h. die ungläubigen Juden, um die Paulus trauert (V. 1-5), steht der positiven Absicht Gottes mit den „Gefäßen des Erbarmens“ (σκευ' η ε� λε' ους [skeuē eleous]) gegenüber. Im Zusammenhang mit der mit einem Relativsatz angeschlossenen Aussage V. 24 ist deutlich, dass es sich bei diesen „Gefäßen des Erbarmens“ um die Jesusbekenner aus Juden und Heiden handelt. Gottes Absicht (ι«να) im Blick auf die Jesusbekenner ist es, über ihnen „den Reichtum seiner Herrlichkeit kundzutun“ (γνωρι'ση, το` ν πλουñ τον τηñ ς δο' ξης αυ� τουñ ; zu δο' ξα s. zu 1,21; 2,7; 8,17.18.21; 9,4). Die Aussage spricht von der Rettung im Endgericht, der Wiederherstellung der im Paradies verlorenen Herrlichkeit Gottes, der Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes, dem Leben in der unmittelbaren Gegenwart Gottes. Der Relativsatz „die er vorher zur Herrlichkeit bereitet hat“ (α� προητοι' μασεν ει� ς δο' ξαν) spricht deutlich von der vorgängigen Vorherbestimmung Gottes zum Heil (vgl. 8,30). Gott hat die zukünftige Herrlichkeit für die Jesusbekenner, die an den Messias Jesus glauben, bereits gültig festgelegt: In dieser Herrlichkeit „wird sein unergründliches Erbarmen seine Vollendung finden“.214 Der doppelte Hinweis auf „Herrlichkeit“ könnte ein Echo von Ex 33,16-17 sein (s. oben zu V. 15). Von „Herrlichkeit“ als gewisse, endzeitliche Aussicht der Jesusbekenner spricht Paulus auch in 2,10; 5,2; 8,17.30. 24 Paulus erklärt, wer die „Gefäße des Erbarmens“ sind (das Relativpronomen ου« ς bezieht sich auf σκευ' η ε� λε' ους):215 als die er auch uns berufen hat, nicht nur aus den Juden, sondern auch aus den Heiden. Mit „uns“ (η� μαñ ς [hēmas]) sind die Jesusbekenner gemeint, zunächst die an den Messias Jesus Gläubigen „aus den Juden“ (ε� ξ � Ιουδαι'ων [ex Ioudaiōn]), um die es in Kap. 9-11 geht, dann auch die Gläubigen „aus den Heiden“ (ε� ξ ε� θνω ñ ν [ex ethnōn]).Von den � Ιουδαι'οι sprach Paulus in 1,16; 2,9.10.17.28.29; 3,1.9.29, von den ε» θνη in 1,5.13; 2,14.24; 3,29; 4,17.18. Das Verb „er hat berufen“ (ε� κα' λεσεν [ekalesen]; s. zu 1,1; 4,17; 8,30; sowie 9,7.12.24-26) ————————————————————
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Lohse281. Michel315 schreibt: „Strenggenommen stellt Paulus nicht ‚Gefäße des Zorns‘ und ‚Gefäße der Barmherzigkeit‘ gleichgeordnet einander gegenüber, als wolle er die Geschichte der Menschheit in einen Dualismus auflösen, sondern er denkt vom Heilsplan Gottes aus, der sich der Gerichte bedient, um den Weg der Barmherzigkeit zu Ende gehen zu können“. Wenn man V. 22-23 nicht als Anakoluth versteht, ist es syntaktisch weder notwendig noch plausibel, mit V. 24 neu einzusetzen (NA28; ebenso LÜ, ZÜ u.a.). Käsemann 263 und Dunn II II 569-570 lassen mit V. 24 einen neuen Abschnitt (mit neuer Überschrift) beginnen, was den syntaktischen und inhaltlichen Zusammenhang mit V. 22-23 zerstört.
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meint den Ruf des Schöpfers, der „dem Nichtseienden ruft, damit es sei“ (4,17) – den Ruf zum Glauben an den Messias Jesus und damit zum Heil, der als Folge der freien Erwählung Gottes im Leben von Juden und Heiden Wirklichkeit geworden ist und in der Mission von Paulus und anderen Missionaren weiterhin Wirklichkeit wird. Gott ist „der Rufende“ (ο� καλε' σας [ho kalesas]; Gal 1,6; 5,8; 1Thess 2,12; 5,24), der durch das Evangelium Menschen zur Teilhabe an der Herrlichkeit des Messias Jesus beruft (2Thess 2,14), die als „Berufene“ dem Messias gehören (Röm 1,6; 1Kor 7,21-22) und zur Freiheit (Gal 5,13), zum Frieden (1Kor 7,15; Kol 3,15) und zum Reich Gottes und zur Herrlichkeit Gottes berufen sind (1Thess 2,12).216 Das „nicht nur“ (ου� μο' νον [ou monon]) entspricht dem ου� πα' ντες [ou pantes] von 9,6: Nicht alle Israeliten haben das messianische Heil, aber es gibt in der Tat Israeliten, d.h. Juden, die an den Messias Jesus glauben. Das „sondern auch“ (α� λλα` και' [alla kai]) weitet die Gruppe der Menschen, die zu denen gehören, denen Gott Erbarmen geschenkt und die er zur Teilhabe an seiner Herrlichkeit vorherbestimmt hat, aus auf die Heiden, d.h. die Heidenchristen. Es ist mehr als deutlich, dass Paulus nicht die Juden als „Gefäße des Zorns“ und die Heiden als „Gefäße der Barmherzigkeit“ betrachtet – aber auch nicht umgekehrt, was dem jüdischen Selbstverständnis provokativ widersprach. Der Ruf Gottes erwählt Menschen quer durch die gesamte Menschheit hindurch: „Die Gleichstellung der Juden und Heiden zeigt sich sowohl in der Rechtfertigung als auch in der Berufung und Heiligung“.217 Gleichzeitig ergeben sich Konsequenzen für das Verständnis der Größe „Volk Gottes“: Die Heilsgemeinde ist weder identisch mit einem jüdischen Verband noch mit einer heidnischen Vereinigung: „In der Kontinuität zum alten Gottesvolk ist sie das wahre Israel, in der Antithese zu ihm das neue Gottesvolk und der neue Bund“.218 Die Aufhebung der Unterscheidung zwischen den Israeliten/Juden als dem Volk Gottes und den Heiden als den im Abseits von Gottes Gnade, Heil und Fürsorge lebenden anderen ist das Resultat des freien Erwählungshandelns Gottes, das von Anfang an die Geschichte Israels bestimmt hat und jetzt, als Folge des Kommens des Messias Jesus, der am Kreuz zur Sühnung der Sünden aller Menschen gestorben ist, auch Heiden zum Heil berufen hat und beruft. In der Berufung zum Heil auch von Heiden erfüllt sich die Verheißung Gottes an Abraham, dass er der Vater vieler Völker sein würde (4,17). In Eph 2,11-22 wird dieses Thema explizit entfaltet. ————————————————————
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Wilckens II 205-206. Michel 316; man könnte vielleicht besser von der „Gleichstellung der Judenchristen und Heidenchristen“ sprechen. Käsemann 264; vgl. Wilckens II 206.
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In den Zitaten in V.25-29 begründet Paulus in chiastischer Reihenfolge das Heil der Heiden (V. 25-26; Zitat von Hos 2,25; Hos 2,1b) und die Situation Israels (V. 27-29; Zitat von Hos 2,1a / Jes 10,22-23; Jes 1,9). 25 Paulus begründet die Aussage V. 24, dass Gott in seiner Barmherzigkeit Menschen aus den Juden und aus den Heiden berufen hat, mit der Autorität der Schrift. Die Wendung so sagt er auch in Hosea (ω� ς και` ε� ν τω ñ, �Ωσηε` λε' γει) verweist auf Gott als den, der durch den Propheten Hosea redet.219 Paulus zitiert zunächst Hos 2,25: Ich werde das, was nicht mein Volk ist, als mein Volk berufen, und die, die nicht geliebt war, als Geliebte. καλε' σω το` ν ου� λαο' ν μου λαο' ν μου και` τη` ν ου� κ η� γαπημε' νην η� γαπημε' νην Ich werde das, was nicht mein Volk ist, als mein Volk berufen, und die nicht geliebt war, als Geliebte Hos 2,25 LXX ε� λεη' σω τη` ν Ου� κ η� λεημε' νην και` ε� ρω ñ τω ñ, Ου� λαω ñ, μου Λαο' ς μου ειò συ' Ich will mich „Nicht-Erbarmter“ erbarmen und zu „Nicht-mein-Volk“ sagen: „Mein Volk bist du“ (LXX.D) ms. B V 407 α� γαπη' σω τη` ν ου� κ η� γαπημε' νην και` ε� ρω ñ τω ñ, Ου� λαω ñ, μου Λαο' ς μου ειò συ' Ich will „Nicht-Geliebte“ lieben und „Nicht-mein-Volk“ sagen: „Mein Volk bist du“ Die Lesart von B V 407 co aethp Cyrp Hil weicht vom hebr. Text ab und ist deshalb sekundär; sie ist aber auch kaum vom NT her in die LXX eingedrungen: Die Form des Mischzitats in 8,25-26 und ähnliche Varianten in Hos 1,6.8; 2,3 machen dies unwahrscheinlich. Paulus hat wohl auf eine griech. Übersetzung von Hos 2,25 zurückgegriffen, die mit η� γαπημε' νην übersetzt hat.220 Paulus hat in dem Zitat, das er aus der LXX entnimmt, mehrere Änderungen vorgenommen.221 1. Änderung der Wortfolge: Er versetzt καλε' σω το` ν ου� λαο' ν μου an den Anfang des Zitats und hebt damit die Berufung von Menschen, die nicht Gottes Volk waren, hervor.222 2. Paulus tauscht ε� ρω ñ („ich will sagen“) gegen καλε' σω („ich will/werde berufen“) schafft so eine direkte Anknüpfung an ε� κα' λεσεν V. 24 und unterstreicht gleichzeitig die Relevanz des Zitats im Kontext von 9,24. Die Änderung ist nicht voraussetzungslos – das Verb kommt in Hos 2,1 vor (κληθη' σονται), was in V. 26 zitiert wird: „Daß καλειñν dadurch zweimal verwendet wird, verstärkt die Anbindung der beiden eng verwandten Texte zu einer neuen, geschlossenen Schriftaussage. Zugleich wird καλειñν so zum zentralen Leitbegriff des Röm 9,25
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Zu den Hoseazitaten im Neuen Testament vgl. Fuß, Zitate; zum Zitat von Hos 2,25; 2,1 in Röm 9,25-26 s. auch Wagner, Heralds, 79-92; Starling, Gentiles, 107-166; Gadenz, Called, 100-115. Koch, Schrift, 55 Anm. 34; Stanley, Paul, 112; Fuß, Zitate, 175-176. Anders Wagner, Heralds, 81-82, der η� γαπημε' νην auf Paulus zurückführt; so auch Starling, Gentiles, 111. Luz, Geschichtsverständnis, 96-98 nahm eine vorpaulinische Herkunft des veränderten Hosea-Zitats an, was nicht plausibel ist; vgl. Koch, Schrift, 167 Anm. 33. Seifrid 647 meint, Paulus habe die erste Wendung im LXX-Text ausgelassen und V. 25b (και` τη` ν ου� κ η� γαπημε' νην η� γαπημε' νην) selbst formuliert, als Paraphrase der eingangs erwähnten Verheißung von Gottes Barmherzigkeit über die „Nicht-Erbarmten“ und als Zusammenfassung des folgenden Kontextes, in dem Hosea aufgerufen wird, die rettende Liebe Gottes für das ehebrecherische und verworfene Israel zu verkörpern. Starling, Gentiles, 111 Anm. 10 findet den Vorschlag nicht überzeugend, da Paulus mit einer Zitationsformel einleitet.
340 Römerbrief ———————————————————————————————————— gesamten Zitats Röm 9,25f, das jetzt exakt das formuliert, worauf Paulus abzielt: die Berufung der ε» θνη zum λαο' ς Gottes.223 Die Platzierung am Anfang betont die Bedeutung von Gottes Ruf/Berufung als alleiniger Grundlage für die Zugehörigkeit zur Heilsgemeinde. 3. Die Verwendung von καλε' σω statt ε� ρω ñ (mit direkter Rede) führte zu mehreren notwendigen syntaktischen Änderungen: Der Dativ τω ñ, wird durch den Akkusativ το` ν ου� λαο' ν ñ, Ου� λαω ersetzt, ειò συ' wird weggelassen und der Nominativ Λαο' ς wird zum Akkusativ λαο' ν geändert; die Hinzufügung von η� γαπημε' νην am Ende des Verses wurde notwendig, weil ου� κ η� γαπημε' νην ein Objekt benötigte um die Konstruktion mit einem doppelten Akkusativ zu vervollständigen. Die Auswirkungen auf die Bedeutung sind minimal. 4. Hinzufügung von και' , das die beiden Elemente des Objekts von καλε' σω verbindet. 5. Auslassung von ε� λεη' σω (bzw. α� γαπη' σω), das in der neuen Satzkonstruktion nicht mehr benötigt wird, was es möglich macht, das Objekt der zweiten Zitathälfte unter das Thema des Rufes Gottes zu subsumieren. Die ursprüngliche, aus zwei Teilen bestehende Verheißung der Aufhebung des göttlichen Gerichts über Israel wird von Paulus auf eine einzige Aussage konzentriert, die als Prophetie eines zukünftigen Rufes Gottes an die Heiden vorgestellt wird.224
Die Heiden waren „nicht mein Volk“ (ο� ου� λαο' ς μου [ho ou laos mou]) und „die nicht geliebt war“ (η� ου� κ η� γαπημε' νη [hē ouk ēgapēmenē]) waren die Nicht-Erwählten (V. 13). In 10,19 schreibt Paulus: Die Heiden sind ein Volk, das „kein Volk“ ist, ein Volk, das ein „unverständiges“ Volk ist. Der Hinweis auf Gottes Liebe knüpft an 9,11 und den dort zitierten Text aus Mal 1,2-3 an: „Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehasst“. Paulus betont mit dem Hosea-Zitat, dass der erwählende Ruf Gottes an die Heiden, die jetzt zum Heilsvolk gehören, von Gott vorausgesagt worden war, d.h., dass die Bekehrung von Heiden zum Glauben an Gottes Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus Erfüllung von Prophetie und damit integraler Bestandteil der Heilsgeschichte ist. Im ursprünglichen Hosea-Text sind die „Nicht-Erbarmten“ (ου� κ η� λεημε' νη, hebr. [ ֹלא ֻרָחָמהlo’ ruchāmāh]) und das „Nicht-mein-Volk“ ου� λαο' ς μου, hebr. )ֹלא־ַעִּמיdie zehn Stämme des Nordreichs; die Ansage, dass Gott „Mein Volk bist du“ zu ihnen sagen will, verheißt ihre Rückkehr aus dem Exil und die nationale Wiederherstellung Gesamt-Israels. Paulus interpretiert im Sinn der Heiden, angezeigt in der Logik des Anschlusses von V. 25 mit ω� ς an V. 24. Diese Interpretation ist keine Missdeutung des Hosea-Textes:225 Sie wird verständlich, wenn man davon ausgeht, dass Paulus die zehn Stämme des Nordreichs als Typus der Nichterwählung und der Verwerfung versteht.226 ————————————————————
223 224 225 226
Koch, Schrift, 167; vgl. ebd. 105; Stanley, Paul, 110; Fuß, Zitate, 175-176. Stanley, Paul, 112, der kommentiert: „The smoothness of the resultant ‚quotation‘ ist a sure indicator of the remarkable literary artistry with which the Pauline interpretation has been incorporated into the very wording of the text itself“. So Wagner, Heralds, 83; vgl. Lohse 282: Paulus nimmt „keine Rücksicht“ auf den Kontext der Prophetenworte. Michel 317, mit Verweis auf Lagrange 274; der folgende Punkt bei Dunn II 571.
Gottes freies Erbarmen und das wahre Gottesvolk 9,14-29 341 ————————————————————————————————————
Die Verheißung an das von Gott gerichtete Nordreich Israels formuliert das Prinzip, dass die von Gott Verstoßenen von Gott in seiner Barmherzigkeit und Liebe wieder gerufen werden können, was im Kontext von 9,6-23 auch für die aus Israel, die nicht Israel sind (9,6), Anlass zur Hoffnung gibt. Paulus betont, dass Gott die Freiheit hat, aus einem verworfenen Volk, in der Tat aus einem Nicht-Volk, ein auserwähltes Volk zu berufen, und dass die aus den Heiden stammenden Jesusbekenner Glieder seines Heilsvolks sind, weil Gottes schöpferischer, erwählender Ruf an sie ergangen ist. 26 Das Zitat aus Hos 2,1b erläutert die Konsequenzen der göttlichen Berufung der Heiden: Und es wird geschehen, anstelle dass ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, da werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt werden. Der griech. Wortlaut stimmt mit dem LXX-Text überein. Paulus bezieht die Aussage Hoseas wieder auf die Heiden. Früher wurde zu den Heiden gesagt: „Ihr seid nicht mein Volk“ (ου� λαο' ς μου υ� μειñς [ou laos mou hymeis]). Anstelle des Status der Heiden als „Nicht-GottesVolk“ werden sie jetzt „Söhne des lebendigen Gottes“ (υι�οι` θεουñ ζω ñ ντος [hyoi theou zōntos]) genannt. Wenn man die Wendung ε� ν τω ñ, το' πω, … ε� κειñ [en tō topō … ekei] lokal („an dem Ort, an dem“) deutet, muss man nach einem geographischen Ort suchen, an dem Gott die Heiden verwarf, oder man interpretiert im Sinn der Regionen, in denen die Heiden wohnen. Manche verweisen auf die atl. Tradition, nach der die Heiden zum Zion kommen (Jes 2,2-5; Mi 4,15). Wilckens versteht die Formulierung „pointiert als theologische Ortsangabe: ‚ebendort, wo‘“. Plausibler ist es, zumindest das Zitat in Röm 9,26 für ε� ν τω ñ, το' πω, die Bedeutung „anstelle“ anzunehmen.227 Hübner interpretiert: „Anstelle der nichtberufenen Juden werden die Heiden berufen“,228 was an dem vorbeigeht, was Paulus sagt: Das „anstelle“ kehrt nicht die heilsgeschichtliche Verortung von Juden und Heiden um, sondern den Status der Heiden, die anstelle von „Nicht-Volk“ jetzt Gottes Volk und Gottes Söhne sind.
Das Verb „sie werden genannt“ (κληθη' σονται [klēthēsontai]) ist dasselbe Verb, das in V. 25 die Bedeutung „berufen“ hatte. Das Passiv verweist als passivum divinum auf das erwählende Heilshandeln Gottes: Nur Gott kann Menschen, die nicht sein Volk sind und die ihn nicht zum Vater haben, „Söhne“ nennen. Heiden können nur dann Söhne Gottes werden, wenn Gott ihnen die Sohnschaft schenkt und sie durch seinen erwählenden Ruf zu seinem Volk macht. In 8,14-15 hatte Paulus betont, dass „alle, die vom Geist Gottes geführt werden“, Söhne Gottes sind – alle Jesusbekenner, ob Judenchristen oder Heidenchristen, die alle „einen Geist der Sohnschaft empfan————————————————————
227 228
Wilckens II 206 Anm. 926; vgl. Bauer/Aland s.v. το' πος 2d; Käsemann 262; Cranfield II 500-501; Schlier 304; Lohse 283; vgl. Koch, Schrift, 174: Ein positives Interesse des Paulus an der lokalen Aussage von Hos 2,1b ist nicht nachweisbar. Hübner, Gottes Ich, 56.
342 Römerbrief ————————————————————————————————————
gen“ haben, durch den wir rufen: „Abba, Vater!“ Die Gottessohn-schaft, die einst nur den Status Israels beschrieb, gilt jetzt auch für Heiden. 27-28 Die Situation Israels wird in den nächsten Zitaten aus der Schrift begründet. Paulus greift zunächst auf den in V. 26 nicht zitierten Anfang von Hos 2,1 zurück, um Jes 10,22 abzuändern:229 Jesaja aber ruft über Israel: Wenn die Zahl der Söhne Israels wie der Sand am Meer wäre, nur der Überrest wird gerettet werden. Denn der Herr wird das Wort auf der Erde verwirklichen, indem er es erfüllt und beschränkt. In der Wendung „Jesaja aber ruft über Israel“ verweist das Verb κρα' ζει [krazei] auf die Inspiration des Propheten durch den Geist Gottes, dessen Ruf über (υ� πε' ρ) Israel ergeht.230 Nachdem Paulus in V. 25 Hosea als Zeugen angerufen hat, beruft er sich jetzt auf Jesaja als zweiten Zeugen, der die von ihm vorgetragene Überzeugung als von Gott angekündigte Wahrheit markiert. Dies ist das erste von vier Zitaten aus Jesaja (9,27.29; 10,16.20) mit explizitem Hinweis auf den Namen des Propheten (� Ησαι¨'ας [Ēsaias]; hebr. ּ ְי ַ ׁשְעָיהו [jescha‘jāhū]). Im Blick auf die Verwendung von Hos 2,1a und Jes 10,22 ist Folgendes wichtig. ε� α` ν ηò, ο� α� ριθμο` ς τω ñ ν υι�ω ñ ν � Ισραη` λ ω� ς η� α» μμος τηñ ς θαλα' σσης, το` υ� πο' λειμμα σωθη' σεται· λο' γον γα` ρ συντελω ñ ν και` συντε' μνων ποιη' σει κυ' ριος ε� πι` τηñ ς γηñ ς Wenn die Zahl der Söhne Israels wie der Sand am Meer wäre, nur der Überrest wird gerettet werden. Denn der Herr wird das Wort auf der Erde verwirklichen, indem er es erfüllt und beschränkt Hos 1,10 [2,1] και` ηò ν ο� α� ριθμο` ς τω ñ ν υι�ω ñ ν Ισραηλ ω� ς η� α» μμος τηñ ς θαλα' σσης Und die Zahl der Söhne Israels war wie der Sand des Meeres (LXX.D) Jes 10,22-23 και` ε� α` ν γε' νηται ο� λαο` ς Ισραηλ ω� ς η� α» μμος τηñ ς θαλα' σσης, το` κατα' λειμμα αυ� τω ñ ν σωθη' σεται· λο' γον γα` ρ συντελω ñ ν και` συντε' μνων ε� ν δικαιοσυ' νη, , ο« τι λο' γον συντετμημε' νον ποιη' σει ο� θεο` ς ε� ν τηñ, οι� κουμε' νη, ο« λη, Und wenn das Volk Israel geworden ist wie der Sand am Meer, wird der Überrest gerettet werden (LXX.D) Durch die Verwendung der aus Hos 2,1a stammenden Wendung „Zahl der Söhne Israels“ kann Paulus es vermeiden, Israel als Ganzes als „Volk“ (λαο' ς) zu bezeichnen, was kein Zufall ist, weil Paulus in V. 25-26 mithilfe von Hos 2,25 und Hos 2,1b die Berufung der ε» θνη (Heiden) vom ου� λαο' ς (Nicht-Volk) zum λαο' ς (Volk) beschreibt. Das heißt, Paulus hat bewusst, aus inhaltlichen Gründen, Jes 10,22 durch eine aus Hos 2,1a entnommene Wendung eingeleitet.231 Im Blick auf das Jesaja-Zitat sind folgende Änderungen zu beobachten. 1. Paulus verwendet statt το` κατα' λειμμα („der Rest“) das gleichbedeutende Substantiv το` υ� πο' λειμμα („der Rest“).232 2. Paulus lässt ε� ν δικαιοσυ' νη, , ο« τι λο' γον συντετμημε' νον („in Röm 9,27-28
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Koch, Schrift, 167. Vgl. Röm 8,15; Joh 1,15; 7,28.37; 12,44. Vgl. Koch, Schrift, 168; Stanley, Paul, 114-115; Wagner, Heralds, 90-92. Zu alternativen Lesarten in 9,27 s. oben unter II; vgl. Koch, Schrift, 142; Stanley, Paul, 116. Die beiden Wörter sind schon in der LXX gleichbedeutend, vgl. Jes 14,22.30; Mi 4,7; 5,7-8; vgl. W. Schrenk, WhWNT IV, 199-200. Paulus zitiert Jes 10,22 entweder aus
Gottes freies Erbarmen und das wahre Gottesvolk 9,14-29 343 ———————————————————————————————————— Gerechtigkeit, denn ein verkürztes Wort wird Gott ausführen“) aus. Diese Auslassung geht entweder auf die Textvorlage zurück, die Paulus verwendet,233 oder auf Paulus selbst.234 Die Verkürzung führt zu keiner nennenswerten inhaltlichen Änderung. 3. Am Ende des Zitats ersetzt Paulus ο� θεο' ς durch κυ' ριος und ε� ν τηñ, οι� κουμε' νη, ο« λη, durch das neutralere ε� πι` τηñ ς γηñ ς (der hebr. Text hat ָּכל־ָהָא ֶרץ, eine Wendung, die in der LXX wie in LXX 10,23 hier fünf Mal mit η� οι� κουμε' νη ο« λη übersetzt wird, sechs Mal mit παñ σα η� γηñ wie in Röm 9,27; Symmachus und Theodotion übersetzen mit ε� ν με' σω, πα' σης τηñ ς γηñ ς). Die Änderung geht entweder auf Paulus zurück, der den LXX-Text mit dem universalisierenden Wort ο« λη, auslässt und das umfassendere Wort δικαιοσυ' νη, , das Paulus außer im Zitat von Ps 18,5 in Röm 10,18 nie verwendet, durch das neutralere Wort γηñ ς ersetzt: Während die LXX, aus der Perspektive der Diaspora, die weltweite Perspektive der kommenden Rettung durch Jahwe betont, unterstreicht Paulus die Reduktion Israels auf einen Überrest infolge des Gerichts über Israel.235 Oder Paulus adaptiert Jes 10,23 unter dem Einfluss von Jes 28,22: διο' τι συντετελεσμε' να και` συντετμημε' να πρα' γματα η» κουσα παρα` κυρι' ου σαβαωθ, α� ποιη' σει ε� πι` παñ σαν τη` ν γηñ ν.236
Wie Jesaja, so beklagt Paulus die Tragik, dass nicht alle „Söhne Israels“ (οι� υι� οι` � Ισραη' λ [hoi hyioi Israēl]) zu den „Söhnen des lebendigen Gottes“ (9,26) gehören, die jetzt, da der Messias gekommen ist, die Wiederherstellung erfahren, die dem „Rest“ Israels verheißen wurde. Während im hebr. Text von Hos 2,1 der Vergleich der „Zahl der Söhne Israels“ mit dem „Sand am Meer“ eine Verheißung für zukünftigen Segen und Wachstum war, liest der Übersetzer der LXX den Text als Beschreibung Israels in der Vergangenheit (και` ηò ν), ehe Gott das Gericht über Israel brachte. Das heißt, die Wendung „Sand am Meer“ beschreibt den Segen, der Israels Wirklichkeit vor Gottes Gericht an Israel infolge ihres Ungehorsams charakterisiert; dies bedeutet, dass es eine viel kleinere Gruppe von Israeliten ist, die das Gericht überlebt und die Verheißung der Wiederherstellung erhält.237 Dieses Verständnis der Hosea-Prophetie stimmt mit der Jesaja-Prophetie überein, in der es heißt: nur der Überrest wird gerettet werden. Die Rede vom „Überrest“ (υ� πο' λειμμα [hypoleimma]; hebr. [ ְׁשֵא ִריתsche’erīt])238 wird ————————————————————
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einem anderen LXX-Text, oder er zitiert aus der Erinnerung und verwendet dabei für das Wort „Rest“ ein Synonym. Koch, Schrift, 82-83.148: Es liegt Haplographie vor (Auslassung von ε� ν δικαιοσυ' νη, , ο« τι λο' γον συντετμημε' νον nach συντε' μνων), die leichter für das LXX-Manuskript anzunehmen ist als für das kurze Zitat von Paulus; es gibt keinen Grund, weshalb Paulus die Wendung mit dem für ihn so wichtigen Wort δικαιοσυ' νη auslassen würde. Stanley, Paul, 117-118: συντε' μνων und συντετμημε' νον gleichen sich nicht exakt, was die Annahme einer Haplographie eher unwahrscheinlich macht, und δικαιοσυ' νη hat hier eine andere Bedeutung als sonst bei Paulus; außerdem ist die Syntax des griech. Textes gerade an dieser Stelle schwierig (vgl. Koch, Schrift, 146-148). Koch, Schrift, 145-149. Stanley, Paul, 119; vgl. Wagner, Heralds, 97. Koch, Schrift, 149 Anm. 46 lehnt den Einfluss von Jes 28,22 ab. Diese Analyse folgt Wagner, Heralds, 91. Vgl. V. Herntrich / G. Schrenk, Art. λειñμμα κτλ., ThWNT IV, 198-221; H. Wildberger,
344 Römerbrief ————————————————————————————————————
in Alten Testament negativ und als Drohung (2Kön 21,14; Jes 14,22.30; Hes 5,10) verwendet, aber auch positiv als Verheißung (Gen 45,7; 2Kön 19,31; Mi 4,7; 5,7-8).239 Paulus war nicht der einzige jüdische Theologe, der sich mit der Frage beschäftigt hat, wie Gottes Verheißungen mit der Tatsache zu vereinbaren ist, dass nur wenige Gottes Gesetz halten und Anteil am Heil haben: In Qumran liegt dieselbe doppelte Verwendung des „Überrest“-Themas vor.240 Auch wenn die Zahl der Israeliten (Juden) groß ist, so wird doch nur ein Überrest gerettet werden. Das Gerichtswort ist damit zugleich ein Heilswort: Gott richtet nicht Gesamt-Israel, nicht alle Israeliten – er rettet einen Überrest. Das Verb „wird gerettet werden“ (σωθη' σεται [sōthēse-tai]; zu σωτηρι'α s. zu 1,16) steht betont am Ende des Satzes. Die Rettung des Überrests wird von Paulus hier nicht als Zeichen für die Rettung des ganzen Volkes Israel interpretiert.241 Der Herr setzt sein Wort in die Tat um, indem er erfüllt und beschränkt (V. 28). Das Verb „erfüllt“ (συντελω ñ ν [syntelōn]) spricht von der Erfüllung des Wortes (λο' γος [logos]), das Jesaja im Auftrag Gottes über Israel ausgerufen hat und das sich „auf der Erde“ (ε� πι` τηñ ς γηñ ς [epi tēs gēs]) verwirklichen wird, eine Angabe, die die Realität von Gottes Handeln unterstreicht. Die beiden Partizipien sind modal zu interpretieren: Paulus erklärt, auf welche Art und Weise Gott sein Wort, das in seinem Ratschluss begründet ist, Wirklichkeit werden lässt. Das mit „beschränkt“ (συντε' μνων [syntemnōn]) übersetzte Verb bedeutet „abkürzen, verkürzen, einschränken“; die Kombination der beiden Verben hat in Jes 28,22 und Deut 5,28 einen drohenden Unterton, in Dan 9,24 (Theodotion) ist der Kontext hoffnungsvoller. Die Zusammenziehung der beiden Verben in der Übersetzung „einschneidend vollendend“242 minimalisiert die Bedeutung von συντε' μνω im Sinn von „verkürzen, beschränken“.243 Manche Ausleger schlagen eine temporale ————————————————————
239 240 241 242 243
THAT II, 848-855. Zur Rezeption des atl. Themas vom „Überrest Israels“ im Frühjudentum s. Elliott, Survivors, der zu dem Schluss kommt, dass die frühjüdische Bundestheologie nicht von einem bedingungslosen, unilateralen Bund ausgeht, sondern eine „höchst individualistische und konditionale Sicht des Bundes“ hatte (639). Dabei liegt ein soteriologischer Dualismus vor: Die Welt, und besonders Israel, ist eingeteilt in Gerechte und Ungerechte gemäß ihrer Erfahrung des Heils (ebd. 245-354). Zum „Rest“ im AT vgl. Hausmann, Israels Rest; Preuß, Theologie II, 292-293. Vgl. einerseits 1QS IV, 14; V, 13; CD II, 6; 1QM I, 6; IV, 2; XIV, 5; 1QH XIV[VI], 67.32; XV[VII], 22; andererseits CD I, 4-5; 1QM XIII, 8; XIV, 8-9; 1QH VI, 8; vgl. 1QpHab X, 14; 4Q174[4QFlor] I, 19. So jedoch Gadenz, Called, 123-124, mit Verweis auf Wagner, Heralds, 108-109. Zeller 175.181; vgl. Cranfield II 502; kritisch Dunn II 573. Bauer/Aland s.v. συντε' μνω: „abkürzen, verkürzen, einschränken“; LSJ s.v. συντε' μνω: I. „make or form by cutting“, II., „curtail in quantity, degree, extent“. BDAG s.v. definiert: „to put a limit to someth[ing], frequently with implication of abruptness“.
Gottes freies Erbarmen und das wahre Gottesvolk 9,14-29 345 ————————————————————————————————————
Interpretation vor: Gott „vollendet und beendet“ rasch sein Wort, d.h., er bringt es zu baldiger Erfüllung und wird entsprechend auf der Erde handeln.244 Diese Auslegung, die συντε' μνων uninterpretiert lässt oder nicht in der üblichen Bedeutung des Wortes versteht, passt nicht in den Argumentationszusammenhang seit 9,6, in dem Paulus Gesamt-Israel von einem inneren Israel und die Erwählten von den Nicht-Erwählten unterscheidet. Die Wendung der Herr wird das Wort verwirklichen (λο' γον … ποιη' σει κυ' ριος [logon … poiēsei kyrios]), die davon spricht, dass der Herr sein Verheißungswort in die Tat umsetzt,245 ist bei der Interpretation der beiden Verben in Anschlag zu bringen. Das Wort Jesajas in Jes 10,22-23 ist Heils- und Gerichtsansage zugleich. Gott setzt sein Wort in die Tat um, indem er die Verheißung, dass ein Überrest Israels gerettet werden wird, erfüllt (συντελω ñ ν) – was in der Berufung der Jesusbekenner aus Juden und Heiden (V. 24) geschieht. Die Erfüllung des Wortes Gottes ereignet sich jedoch nicht an allen Israeliten, sondern nur am inneren Israel (V. 6): Die Zahl Gesamt-Israels wird verkürzt, die Erfüllung ereignet sich nur an dem „Überrest“.246 Volk Gottes (λαο' ς) ist nicht Gesamt-Israel, sondern der Überrest (υ� πο' λειμμα). 29 Das Schlusszitat stammt aus Jes 1,9, das wortgleich aus der LXX zitiert wird: Und wie Jesaja vorausgesagt hat: Wenn der Herr Zebaot uns keinen Samen gelassen hätte, so wären wir wie Sodom geworden und wären wir Gomorra gleich geworden. Die Zitationsformel „wie Jesaja vorausgesagt hat“ unterstreicht die prophetisch-voraussagende Dimension des Prophetenwortes. Mit „uns“ (η� μιñν) sind die jüdischen Jesusbekenner gemeint: Hätte Gott sie nicht als Überrest „gelassen“ (ε� γκατε' λιπεν [engkatelipen]), dann wäre Gesamt-Israel, d.h. das ganze jüdische Volk, vom Gericht Gottes getroffen und ausgelöscht worden. Sodom (Σο' δομα; hebr. )ְסֹדםund Gomorra (Γο' μορρα; hebr. )ֲעֹמ ָרהstehen sprichwörtlich für das Gericht Gottes, das alle trifft, die sich seinem Willen widersetzen.247 Das Wort „Same“ (σπε' ρμα) übersetzt [( ָׂש ִריד ִּכְמָעטśārīd kime‘āth]; „einige wenige Entronnene“) und steht mehrmals mit „Überrest“ zusammen (Jes 6,13; 37,3-4; CD II, 11-12; äthHen 83,8; 84,5). Mit σπε' ρμα knüpft Paulus an 9,7-8 an: Nicht alle Israeliten (Juden) gehören zum inneren Israel, nur ————————————————————
244
245 246 247
Zahn 467; Käsemann 265; Lohse 283-284; Koch, Schrift, 148-149; Wagner, Heralds, 100-106. Die Bedeutung „Abrechnung“ (Käsemann 265) ist nicht belegt. Schlier 304-305; Wilckens II 207; Dunn II 573; Wagner, Heralds, 94. Gen 19,1-29; vgl. Deut 29,22; 32,32-35; Jes 1,9; 3,9; 13,19; Jer 23,14; 49,18; 50,40; Hes 16,46-49.53; Am 4,11; Zef 2,9; im Frühjudentum: Jub 16,5-6; 1Q180 Frag. 2–4 II, 5; im NT: Mt 10,15; 11,23-24; Lk 10,12; 17,28-30; 2Petr 2,6; Jud 7; Offb 11,8.
346 Römerbrief ————————————————————————————————————
weil sie von Abraham abstammen – das Israel der Verheißung besteht aus denen, die von Gott erwählt und berufener „Same“ sind, und das heißt: die zum Überrest gehören, die Gott gehorsam sind. In 11,4-5 macht Paulus eine ähnliche Aussage. Paulus spricht im Blick auf Gesamt-Israel – in der Anwendung auf die Gegenwart, in der Paulus über den Unglauben des jüdischen Volkes klagt (9,1-5). Paulus sagt: Das Geschick der ungläubigen Juden im Gericht Gottes entspricht dem Gericht über Sodom und Gomorra. Von diesem Gericht sind, was das jüdische Volk betrifft, die Judenchristen ausgenommen als der verheißene Überrest aus Israel, „an dem allein Gott das gegebene Wort der Verheißung als an den Gefäßen seines Erbarmens verwirklicht und so durchaus seine Gerechtigkeit erwiesen hat, während er an dem übrigen Israel als den Gefäßen seines Zorns das Ge[r]icht vollstrecken und sie vernichten wird“.248 IV Paulus greift in 9,14-29 die Frage auf, ob Gott nicht ungerecht ist, wenn er den „Samen“ Abrahams auf auserwählte Nachkommen eingrenzt. Er argumentiert, am Ende des Abschnitts mit der Autorität der Schrift, dass die Zugehörigkeit zum wahren Gottesvolk genauso auf dem freien Erbarmen Gottes gründet wie die Nichtzugehörigkeit im Zorn Gottes gründet, was aber nicht heißt, dass alle Israeliten (Juden) samt und sonders von Gott verstoßen wurden. In V. 14 lässt Paulus den Einwand zu Wort kommen: Wenn Gott in freier Auswahl die einen erwählt und die anderen verwirft, ist er dann nicht ungerecht? Wenn Gott ohne Rücksicht auf Geburt und Verdienst, d.h. ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu Israel erwählt, wen er will, ist dann seine Bundesgerechtigkeit nicht infrage zu stellen? Paulus entkräftet den Einwand mit dem Argument, dass der berufende Gott, der sich erbarmt und verstockt, der Schöpfergott ist. Die Mose offenbarte Freiheit der Gnade und Barmherzigkeit Gottes (Zitat Ex 33,19) zeigt, dass die Zugehörigkeit zur göttlichen Erwählung nicht in der eigenen Willensanstrengung begründet ————————————————————
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Wilckens II 207; so die meisten Exegeten, u.a. Grindheim, Election, 150-156. Wenn Lohse 284 schreibt: „Nun aber spricht das letzte Wort nicht von Gottes Zorn, sondern von seinem Erbarmen“, so stimmt das, insofern die Rede vom „übriggelassenen Samen“ von Gottes Erbarmen spricht; das „letzte Wort“ des Zitats ist allerdings das Gericht über Sodom und Gomorra; kontextgemäßer Hübner, Gottes Ich, 58: „So findet sich in dem Schwarz der Gegenwart für Israel doch ein kleiner Lichtschimmer. Mehr aber nicht!“. Wagner, Heralds, 110-116 und Barclay, Gift, 535 interpretieren das Zitat Jes 1,9 als Wort der Hoffnung – „Same“ garantiert das Überleben und das zukünftige Wachstum Israels, Paulus schließe den Rest Israels, der nicht zum „Same“ gehört, nicht von Gottes Barmherzigkeit aus –, gegen den Kontext in Röm 9.
Gottes freies Erbarmen und das wahre Gottesvolk 9,14-29 347 ————————————————————————————————————
ist, sondern auf das Erbarmen Gottes zurückgeht (V. 15-16). Die an Pharao demonstrierte Freiheit des Machterweises und Verwerfens Gottes (Zitat Ex 9,16) zeigt, dass die Geschichte, auch die Geschichte Israels, die Setzung von Gottes souveräner Allmacht ist (V. 17-18). Israel ist das Volk Gottes, aber es ist ein Volk „nach dem Fleisch“. Gottes Handeln ist gerecht: d.h., als Richter bestraft er Sünde, und als Gott des Bundes hält er die Größe seines Namens aufrecht trotz des Versagens seines Volkes. In V. 19 spitzt Paulus den Einwand vom Menschen aus zu: Wenn Gott verhärtet, wen will, dann hat er kein Recht, Gericht zu üben. Paulus weist den Einwand mit dem Hinweis ab, dass dem Menschen die Kompetenz fehlt, gegen Gott als Ankläger auftreten zu können: Der Mensch ist Geschöpf, Gott ist der Schöpfer, der den Menschen gebildet hat (vgl. Jes 29,16; 45,9). Es ist absurd, wenn das Geschöpf dem Schöpfer vorhält, warum er es so gebildet hat, wie es sich als Gebilde darstellt (V. 20). Ein Töpfer hat die volle Verfügungsfreiheit über den Ton: Die von ihm geschaffenen Gefäße können sich nicht beschweren (vgl. Jer 18,6). Dasselbe gilt von Gott dem Schöpfer und den Menschen als seinen Geschöpfen (V. 21). In der Anwendung V. 22-29 betont Paulus: Gott, der in seinem erwählenden Handeln immer souverän war, hat in der Gegenwart die Jesusbekenner aus Juden und Heiden berufen. Er beschreibt zunächst Gottes Handeln an den „Gefäßen des Zorns“: Die Israeliten, die nicht zum inneren Israel (V. 6) gehören, sind zur Vernichtung geschaffen, werden aber in der Gegenwart von Gott mit Langmut ertragen (V. 22). Die „Gefäße des Erbarmens“, die zur endzeitlichen Herrlichkeit vorherbestimmt wurden, mit dem Ziel, dass der Reichtum der göttlichen Herrlichkeit kundgemacht wird, sind die Glaubenden aus den Juden und aus den Heiden (V. 23-24). Die Wahrheit, dass das Heil vom erwählenden Handeln des frei erwählenden und frei Barmherzigkeit schenkenden Gottes abhängig ist, wird von den Propheten betont, durch die Gott zu Israel spricht und die wir in der Schrift hören. Die Berufung eines Heilsvolks aus den Heiden findet sich in Hos 2,25; 2,1, die Beschränkung Israels auf einen Rest – d.h. die Heilswirklichkeit der Jesusbekenner aus den Juden – findet sich in Jes 10,22-23; 1,9. Gott wird als Schöpfer und Richter sein Gericht ausführen. In der Gegenwart hält er sein Gericht über die „Gefäße des Zorns“ zurück. Gott ist in seinem Handeln immer gerecht, er bevorzugt keine Volksgruppe und keinen einzelnen Menschen in willkürlicher Launenhaftigkeit. Er hat seine Verheißungen für Israel nicht verraten, sondern gerade in der aktuellen katastrophalen Situation, in der viele aus Israel den Messias Gottes ablehnen, erfüllt. Wer die Schrift aufmerksam las, konnte wissen, dass Gott Israel
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immer annimmt, gleich, ob Israel sich von Gott abwendet oder Gott dient: Israel muss durch Gericht und Gnade, Exil und Wiederherstellung geläutert werden und den Messias Gottes und sein Werk als den Höhepunkt der Geschichte Gottes mit seinem Volk erkennen und annehmen. Nicht Gott hat versagt, sondern Israel. Die „Gefäße des Zorns“, die zum Untergang geschaffen sind (V. 22), sind kein Beleg für die von Paulus nun vielleicht doch vertretene Willkür Gottes, der manche rettet und andere verurteilt. Gott ist der Schöpfer, der frei erwählen und berufen kann. Als der gerechte und heilige Gott – das wissen alle in Israel – ist Gottes Handeln immer gerecht und heilig. Er hat das Recht, Menschen zu erwählen und Menschen seinem Zorn zuzueignen, „Gefäße des Erbarmens“ und „Gefäße des Zorns zu schaffen“ – ein Recht, das er als der souveräne Schöpfer niemandem gegenüber verteidigen muss. In der Kirchengeschichte hat man früh 9,14-29 abgeschwächt. Origenes, der in der Väterexegese zu diesem Abschnitt häufig zitiert wird, interpretiert 9,16 im Licht von Ps 127,1 („Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst“): „Damit wird nicht klargemacht, daß der, der das Haus erbaut, untätig und müßig sein soll und der Herr es auf diese Weise erbaut, er soll vielmehr so viel Eifer und Mühe wie möglich aufwenden; bei Gott aber liegt es dann, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit das Werk gelingt. Damit wird also die Lehre verkündigt, daß der Mensch Mühe und Eifer aufwenden soll, daß Gott aber dem Werk Erfolg verleiht und es gelingen läßt. Darum ist es sicher fromm und entspricht der rechten Haltung Gottes gegenüber, daß der Mensch das ganze Werk, das er tun kann, eher Gott zuschreibt als dem Menschen“.249 Damit wird Paulus gegen seine Aussageintention ausgelegt, was sich deutlich in der Interpretation der Pharaostelle (V. 17) zeigt, bei der Origenes zu der Folgerung gelangt: „Gott verhärtet also nicht, wen er will, sondern derjenige wird verhärtet, der seiner Geduld nicht gehorchen will“. Die Kirchenväter betonen, dass der Mensch aufgrund seiner Sünden verworfen wird, und legen Röm 9 im Sinn der Willensfreiheit und der Verantwortlichkeit des Menschen aus. Augustin hat diese Auslegungstradition verlassen: Er betont, dass es immer Gnade ist, wenn Gott sich erbarmt, und dass er ein gerechtes Urteil fällt, wenn er verhärtet – die ganze Menschheit ist eine massa damnata und dem Gerichtsurteil Gottes verfallen; es ist allein Gottes Akt der Barmherzigkeit, wenn Gott Menschen als Gefäße des Erbarmens zur Herrlichkeit führt.250 ————————————————————
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Origenes 153.155; das folgende Zitat 159. Michel 306; vgl. Augustin, Opus imperf 1,141 und die antipelagianischen Schriften.
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Luther hat in De servo arbitrio wie Augustin argumentiert. Calvin sprach von der gemina praedestinatio, der doppelten Prädestination (Institutio III). Bei neueren deutschen Auslegern scheint die Ablehnung Calvins die Interpretation zu bestimmen.251 Hübner charakterisiert die Lehre der gemina praedestinatio als „peinlich“ und Barths Auslegung der Stelle, die von der Vorstellung eines decretum absolutum absah, als „Befreiung von Calvins Exegese“, die „weithin dankbar“ angenommen wurde.252 Hübner fügt dann jedoch hinzu, dass Sympathie nicht das Kriterium für die Richtigkeit einer Exegese sein kann, und stellt die Frage, „ob nicht Paulus vielleicht die Formulierung mit Absicht so interpretationsoffen gewählt hat, um in der Tat den Leser zunächst vermuten zu lassen, hier könne die Reprobation ausgesprochen sein“. Eine unvoreingenommene Exegese von 9,22-23 sieht, dass Paulus, wenn auch verhüllt, die Urheberschaft Gottes für die „Gefäße des Zorns, die zum Untergang geschaffen sind“ ausdrückt. Eine weitere Überlegung ist wichtig. Gott erweist den „Reichtum seiner Herrlichkeit“ (V. 23) nicht so, dass er Sünde für nichtexistent oder für irrelevant erklärt: Er löst das Problem der Sünde, die seit Adam in der Welt ist (5,12-21) und den Sünder beherrscht (7,7-25), indem er den Messias Jesus am Kreuz zur Sühnung der Sünden sterben ließ und ihn am dritten Tag von den Toten auferweckte. Wenn Gott das Problem der Sünde löst, indem er Sünde sühnt und am Kreuz alle Sünder straft, ist der Unglaube Israels ein Problem, das durch die Berufung auf die Abstammung von Abraham nicht gelöst werden kann. In 9,30–10,21 wird Paulus genau diese Erklärung geben: An der tragischen Situation des jüdischen Volkes, die ihn zur Trauer veranlasst (9,1-5), ist Israel selbst schuld: Israel widersteht der Heil schaffenden Offenbarung von Gottes Gerechtigkeit im Messias Jesus. Der Abschnitt spricht in erster Linie von Gott. In fast allen Aussagen ist Gott Handlungssubjekt: Gott erbarmt sich (V. 15.16.18.23), ist barmherzig (V. 15), lässt Menschen auftreten (V. 17), erweist seine Macht an Menschen (V. 17), verhärtet Menschen (V. 18), zieht Menschen zur Rechenschaft (V. 19), hat die Menschen erschaffen (V. 20), hat Verfügungsrecht über die Bestimmung der Menschen (V. 21), wird seinen Zorn und seine Macht ————————————————————
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Vgl. Lohse 281 Anm. 22, ohne Calvin direkt zu nennen. Siegert, Argumentation, 138 meint, Calvin bemerke die „Dämpfung“ der Urheberschaft Gottes durch die Formulierung als passivum divinum nicht und kommentiert mit polemischem Unterton: „Er könnte mit ihr auch wenig anfangen. Er geht ja von der Prämisse aus, daß Gott von Anfang an die einen zum ewigen Untergang, die andern zur ewigen Rettung bestimmt hat“. Calvin, der in erster Linie Bibelexeget war, geht jedoch nicht von bestimmten Prämissen aus, sondern entwickelt seine Überzeugungen aus der Auslegung der paulinischen (und anderer biblischer) Aussagen. Hübner, Gottes Ich, 50; zum folgenden Punkt ebd. 51, Zitat ebd. 53.
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erweisen (V. 22), hat Menschen zum Untergang bestimmt (V. 22), hat Menschen zum Erbarmen bestimmt (V. 23), offenbart den Reichtum seiner Herrlichkeit über die Erwählten (V. 23), hat die Jesusbekenner aus Juden und Heiden berufen (V. 24), hat Menschen aus den Heiden zu seinem Volk berufen (V. 25), hat Menschen aus den Heiden geliebt (V. 25), hat Menschen aus den Heiden zu seinen Söhnen berufen (V. 26), rettet aus Israel einen Überrest (V. 27-29), wird nicht ganz Israel richten (V. 29).
Israels Widerstand gegen Gottes Gerechtigkeit 9,30–10,21 Paulus hat in dem vorausgehenden Abschnitt 9,6-29 zwei gewichtige Einwände behandelt, die gegen die Verkündung der Heil schaffenden Gerechtigkeit Gottes im Sühnetod des Messias Jesus, durch den die Sünden aller vergeben werden und das messianische, aus Juden und Heiden bestehende Gottesvolk geschaffen wird, eingebracht werden können. Einerseits kann man argumentieren, dass man als Folge dieser Überzeugung, dass nicht alle Menschen aus Israel auch wirklich Israel sind, d.h. zum inneren Israel des Bundesvolkes Gottes gehören, Gottes Wort für hinfällig erklären muss (9,a). Andererseits ergibt sich aus der Betonung der Souveränität Gottes in der freien Erwählung der Menschen, die zur Heilsgemeinde gehören, das Problem, dass Gott dann ungerecht handelt (9,14). Paulus hatte den ersten Einwand mit der aus der Schrift erhobenen Wahrheit erledigt, dass Gott schon immer aus den Nachkommen Abrahams die Verheißungsträger ausgewählt hatte, d.h., Gott hatte nicht verheißen, dass alle Nachkommen Abrahams zum Gottesvolk gehören. Den zweiten Einwand erledigte er mit der ebenfalls aus der Schrift erhobenen Wahrheit, dass Gott als Schöpfer aller Menschen souverän ist in der Entscheidung, wozu er seine Geschöpfe bestimmt. Das heißt, die Tatsache, dass Gott Menschen aus den Heiden, die NichtVolk waren, zu seinem Volk beruft, während von Israel, seinem Volk, nur ein Überrest zur Heilsgemeinde gehört, während die anderen zum Untergang bestimmt sind, erweist nicht Gottes Ungerechtigkeit, sondern die Freiheit der souveränen Gerechtigkeit Gottes in Zorn und Erbarmen. Nachdem Paulus in 9,6-29 das Verhalten Gottes behandelt hatte, geht es jetzt, im Mittelteil der Behandlung der Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Unglaubens Israels, um das Verhalten des jüdischen Volkes. Nicht Gott ist am Unglauben Israels schuld: Israel selbst trägt Schuld an seiner gegenwärtigen, von Paulus attestierten Unheilssituation.
Israels Widerstand gegen Gottes Heil schaffende Gerechtigkeit 9,30–10,21 351 ————————————————————————————————————
Paulus argumentiert in drei Schritten. 1. Israel ist über den Stein des Anstoßes gestolpert (9,30-33). Das jüdische Volk hat das Evangelium vom Messias Jesus abgelehnt; während Israel nach dem Gesetz der Gerechtigkeit strebte, das Gesetz aber verfehlt hat, haben Heiden, die nicht nach der Gerechtigkeit strebten, infolge des Glaubens an den Messias Jesus Gerechtigkeit erhalten. 2. Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes treffen sich im Messias Jesus (10,1-13). Paulus erläutert den von Gott bestimmten, dem Bund mit Israel entsprechenden Weg zum Heil. Israel suchte seine „eigene Gerechtigkeit“, d.h., es suchte die Gerechtigkeit im mosaischen Gesetz, auch als der Messias gekommen war, der das Ziel der Tora war (10,4) und damit der Höhepunkt des Bundes ist. Das heißt, Israel hat sich Gottes Plan des Bundes mit Israel verweigert. Israels Ablehnung des Messias und Israels fortgesetztes Vertrauen auf das Gesetz sind die beiden Seiten einer einzigen Münze. Paulus erklärt, dass das „Tun des Gesetzes“, das Lev 18,5 fordert, gemäß Deut 30,14 erfüllt wird, wenn Menschen – ob Juden oder Heiden – das Evangelium vom Messias hören und glauben. Der Glaube an den Messias Jesus ist jetzt das „Tun des Gesetzes“, von dem Mose spricht. Durch dieses „Tun“ gibt Gott dem Menschen ein neues Herz, sodass er das Gesetz auf seinen Lippen und in seinem Herzen vorfindet. 3. Der Unglaube Israels ist unentschuldbar (10,14-21). Paulus zeigt in einem Kettenschluss, dass Israel das Evangelium tatsächlich gehört hat, was Jes 52,7 bestätigt (V. 14-15). Israel hat dem Evangelium nicht geglaubt, obwohl die Boten und die Botschaft zu Israel gekommen sind, was Jes 53,1 bestätigt (V. 16). Daraus ergibt sich: Der Glaube kommt aus der Botschaft des Evangeliums, die Botschaft aus dem Wort des Messias Jesus – das Evangelium ist die von Jesus eröffnete und autorisierte Offenbarungs- und Heilsmacht. Fragen zur Entlastung Israels führen noch einmal zu der Folgerung, dass Israel das Wort Gottes tatsächlich gehört hat, was Ps 19,5 bestätigt. Paulus zeigt, dass die Ablehnung Israels nicht etwa seltsam ist, sondern in der Schrift vorausgesagt wurde. Gleichzeitig gilt, dass Israels Ablehnung organisch, wenn auch paradox, mit der verheißenen Hereinnahme der Heiden in Gottes Heilsvolk verbunden ist. Eine weitere Reihe entlastender Fragen zeigt: Israel hat die Botschaft sehr wohl begriffen, war aber nicht gehorsam, was Deut 32,21; Jes 65,1.2 belegen (V. 19-21). An Gott liegt es nicht, sondern allein an Israel, dass die Heiden, die Nicht-Volk waren, Gerechtigkeit erlangen und Israel selbst nicht.
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Das Evangelium als Stein des Anstoßes 9,30-33 I 30 Was sollen wir nun sagen? Heiden, die sich nicht mit aller Kraft um Gerechtigkeit bemühten, haben Gerechtigkeit erlangt, und zwar die Gerechtigkeit auf Grund von Glauben. 31 Israel aber, obwohl sie sich mit aller Kraft um das Gesetz der Gerechtigkeit bemühten, haben das Gesetz nicht erreicht. 32 Warum? Weil sie sich nicht aufgrund des Glaubens bemühten, sondern weil sie meinten, aufgrund von Werken (Gerechtigkeit erlangen zu können). Sie sind über den Stein des Anstoßes gestolpert, 33 wie geschrieben steht: Siehe, ich lege in Zion einen Stein des Anstoßes und einen Felsen des Ärgernisses, und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden. II Während manche Ausleger 9,30-33 zum vorangehenden Abschnitt ziehen,1 sprechen die besseren Argumente für einen neuen Gedankengang: Nachdem Paulus die Frage nach dem Unglauben Israels unter der Perspektive des freien, erwählenden Handelns des souveränen Gottes behandelte, spricht er jetzt von der Gerechtigkeit Gottes, eine Perspektive, die 9,30-33 mit dem nächsten Abschnitt verbindet (δικαιοσυ' νη wird in 10,3.4.5.6.10 erwähnt).2 Paulus beginnt mit einem Kontrast: Die Heiden, die an der Gerechtigkeit Gottes nicht interessiert waren, haben Gerechtigkeit erlangt, und zwar aus dem Glauben (V. 30), während das gesetzesobservante Israel, das sich um Gerechtigkeit bemüht hatte, diese verfehlt hat (V. 31). Der Grund liegt in der Tatsache, dass Israel darauf bestanden hat, durch Gesetzeserfüllung den Fluch des Gesetzes aufzuheben, anstatt sich wie die Heiden von Gott Gerechtigkeit aus Glauben schenken zu lassen (V. 32a). Dies wird in V. 32b erläutert – Israel hat sich an dem von Gott gesetzten Stein gestoßen und ist über ihn gefallen – und in V. 33 durch die Schrift bestätigt (Mischzitat Jes 28,16 und 8,14): Israel hat den „Stein“ abgelehnt, mit dem Gott in Zion ein neues Fundament für einen neuen Ort seiner Heiligkeit legte. Schuld an Israels Ausschluss vom Heil ist sein Unglaube gegenüber dem Evangelium vom Messias Jesus, der endzeitlichen Offenbarung Gottes, auf die sich der Mensch verlassen kann und soll. ————————————————————
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Michel 319-320; Schlier 305 Anm. 10; Haacker 229; Lambrecht, Caesura; Flebbe, Solus Deus, 275. Manche sprechen von einer zusammenfassenden Feststellung: Sanday/Headlam 278; Käsemann 267; Schmithals 362; Fitzmyer 576; Légasse 678; Wilckens II 211. Cranfield II 504; Wilckens II 211; Dunn II 579; Schreiner 535-536; Penna 6593; Hultgren 376-377; Jewett 607; Lohse 286; Hübner, Gottes Ich, 60.
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Textkritische Anmerkungen. In V. 30 fügen d46 G vor δικαιοσυ' νην den Artikel τη' ν ein, wohl eine stilistische Verbesserung, die sekundär ist. In V. 31 lesen viele Textzeugen ει� ς νο' μον δικαιοσυ' νης (א2 F Ψ 1881 Byz lat sy) statt ει� ς νο' μον, was als sekundäre theologische Erläuterung zu verstehen ist; die Lesart ohne δικαιοσυ' νης ist bestens bezeugt (d46vid *אA B D G 6 81 945 1506 1739 u.a.). In V. 32 lesen א2 D Ψ 33 Byz vgms sy ε» ργων νο' μου, was als theologische Klärung zu bewerten ist; die Minus-Lesart ist gut bezeugt ( *אA B F G 6 629 630 1739 1881 u.a. lat co).3 In V. 33 fügen Ψ 33 1739 Byz lat syh vor ο� πιστευ' ων ein παñ ς ein, offensichtlich eine sekundäre theologische Klärung und Angleichung an die Zitierung desselben Textes in 10,1 wo alle Handschriften παñ ς lesen; der Text ohne παñ ς ist gut bezeugt (א A B D F G 81 1506 1881 u.a. b m syp co).4 Am Ende des Verses haben D F G μη` καταισχυ' νθη statt καταισχυνθη' σεται, was Angleichung an den Text von Jes 28,16 LXX ist und als sekundär gelten muss. III
30 Mit der Wendung Was sollen wir nun sagen? (V. 30a) knüpft Paulus an die Ausführungen in 9,25-29 an, die betont hatten, dass Gott aus den Heiden, die Nicht-Volk waren, Menschen zu seinen Söhnen beruft, während aus Israel, dem Volk Gottes, nur ein Überrest vom Erbarmen Gottes erfasst ist und die anderen zum Untergang bestimmt sind.5 Paulus konstatiert in V. 30-31 das Paradox6 der Erwählung von Heiden und die Nicht-Erwählung von Juden, ehe er in V. 32-33 diesen Sachverhalt mit dem Widerstand Israels gegen Gottes messianisches Heilshandeln erklärt. Paulus beschreibt, was unter den Heiden geschehen ist: Heiden, die sich nicht mit aller Kraft um Gerechtigkeit bemühten, haben Gerechtigkeit erlangt. Das artikellose ε» θνη [ethnē; s. zu 1,5] ist zu beachten: Paulus spricht nicht von „den“ Nationen,7 d.h. allen Völkern bzw. allen Heiden, ————————————————————
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Metzger, Textual Commentary, 462-463; Wilckens II 212: Ergänzung ist sachlich richtig. Metzger, Textual Commentary, 463. Die rhetorische Frage leitet keinen neuen Einwand (so Michel 320) ein, der im Folgenden zurückgewiesen würde, sondern das Fazit, das sich aus den vorherigen Aussagen ergibt (so die interpretierende Übersetzung in NGÜ: „Welchen Schluss sollen wir nun daraus ziehen?“ Zu τι' ουò ν ε� ρουñ μεν; vgl. 3,5. Die Wendung führt oft zu einer weiteren Frage (3,5; 6,1; 7,7; 8,31; 9,14), hier zu einer Aussage; Michel 320 Anm. 1; Cranfield II 506; Dunn II 580; Haacker 238; Jewett 608; Lohse 286 (anders Bryan, Preface, 165). Was Paulus sagt, wird mit ο« τι eingeleitet, das unübersetzt bleibt (anders Elb.Ü) oder wiedergeben werden kann mit „dies“ (Wilckens), „das wollen wir sagen“ (LÜ), „es ist offenbar so“ (GN). Das Geschehen ist für Juden paradox (Wilckens II 211), für Paulus jedoch nicht „unfaßlich“ (Käsemann 267): Er erklärt dieses Geschehen in 9,30–10,21. Elb.Ü: „die Heiden“; LÜ: „die Heiden“; ZÜ: „die Völker“
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sondern von einzelnen Menschen „aus den Heiden“ (ε� ξ ε� θνω ñ ν; V. 24).8 Das Verb διω' κω [diōkō] wird, zusammen mit καταλαμβα' νω [katalambanō], oft im Sinn des Bildes vom Wettlauf gedeutet und mit „nachjagen“ oder „auf etw. zulaufen“ übersetzt, wofür Phil 3,12; 1Kor 9,24 angeführt werden können.9 Andererseits hat διω' κω (wie auch καταλαμβα' νω) ein großes Bedeutungsspektrum, sodass man eine metaphorische Bedeutung nicht einfach annehmen, sondern auch im Sinn der allgemeinen Bedeutung „sich mit aller Kraft bemühen“ interpretieren kann,10 zumal das Verb im Neuen Testament meistens „verfolgen“ („drangsalieren, schikanieren, anklagen“) bedeutet.11 In den Papyri ist die Bedeutung „etwas eifrig betreiben, fördern“ eine typische Bedeutung von διω' κω im 1. Jh.12 Das Partizip διω' κοντα ist konzessiv („obwohl“). Der Satz, dass Heiden sich nicht mit aller Kraft um Gerechtigkeit bemühten (τα` μη` διω' κοντα δικαιοσυ' νην [mē diōkonta dikaiosynēn]; V. 30b), geht von der Voraussetzung aus, dass Heiden das mosaische Gesetz nicht haben und deshalb im Sinn der Gerechtigkeit des Bundesvolkes Gottes gesetzlos und also ungerecht sind (vgl. 2,14).13 Der Zusammenhang zwischen dem Bund und der Gerechtigkeit, nach der Israel trachten soll, wird in Deut 16,20 („Gerechtigkeit, Gerechtigkeit – ihr sollst du nachjagen, damit du Leben hast und das Land in Besitz nehmen kannst, das der Herr, dein Gott, dir gibt“) und Jes 51,1 deutlich („Hört auf mich, die ihr der Gerechtig————————————————————
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Michel 320; Cranfield II 506; Dunn II 580. Käsemann 267 (in seiner Übersetzung schreibt er allerdings mit „streben nach“); Wilckens II 210-211; Fitzmyer 577; Haacker 238; Schreiner 536; Lohse 286; vgl. Dunn II 580. Anders Cranfield II 506-507; Moo 621 Anm. 22; Jewett 608. Bauer/Aland s.v. διω' κω 4b: „etw. erstreben, nach etw. trachten“ (BDAG v.s. διω' κω 4b: „pursue, strive for, seek after, aspire to something“), mit Verweis auf Röm 9,30.31; 12,13; 14,19; 1Kor 14,1; 1Thess 5,15; 1Tim 6,11; 2Tim 2,22; Hebr 12,14; 1Petr 3,11. Die Bedeutung „eilen, rennen“ wird s.v. διω' κω 1 angegeben, mit Verweis auf Phil 3,14. Mt 5,10-12.44; 10,23; Lk 11,49; 21,12; Joh 5,16; 15,20; Apg 7,52; 9,4-5; 22,4.7-8; 26,11. 14-15; Röm 12,14; 1Kor 4,12; 15,9; 2Kor 4,9; Gal 1,13.23; 4,29; 5,11; 6,12; 2Tim 3,12; Phil 3,6; Offb 12,13. Vgl. Bauer/Aland s.v. διω' κω 2. Papathomas, Begriffe, 60-61, mit Verweis auf P.Turner 18,11; P.Fay. 111,20; 112,2.16; BGU XI 2129,7; PSI IV 285,9. Oft liegt die juristische Bedeutung „verklagen, anklagen“ vor: W.Chr. 20 II,1; P.Giss.Univ. V 46 II,15-16. Vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 446. Die Bedeutung von δικαιοσυ' νη in der griechischen Ethik wird dabei außer Acht gelassen; vgl. G. Schrenk, ThWNT II, 184.194-195; Haacker 238. Wilckens II 211, der im Sinn des Bildes vom Wettlauf interpretiert, beschreibt die von Paulus angesprochene Situation anschaulich: „Vergleicht man den Heilsweg mit einem Stadion, so muß doch erwählungsgeschichtlich gesagt werden: Die Läufer, die zu diesem Wettlauf überhaupt zugelassen sind, sind allein die Israeliten; die Heiden dagegen sind als Sünder, die sie eo ipso sind (Gal 2,15), von vornherein disqualifiziert und ausgeschlossen“.
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keit nachjagt und die ihr den Herrn sucht. Blickt auf den Felsen, aus dem ihr gehauen seid, auf den Schacht, aus dem ihr herausgebohrt wurdet“). Trotzdem gilt, und das ist die Hauptaussage des Satzes: Heiden haben Gerechtigkeit erlangt (ε» θνη … κατε' λαβεν δικαιοσυ' νη; V. 30c).14 Das heißt, Heiden sind Gerechte geworden und gehören deshalb als „Söhne des lebendigen Gottes“ zum Volk Gottes (V. 25-26). In 1,18-32 hatte Paulus die Heiden unter dem Gerichtszorn Gottes beschrieben, und in 3,21–5,21 hatte er erklärt, wie alle, Juden und Heiden, infolge der Heil schaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Sühnetod des Messias Jesus von Gott gerecht gesprochen werden. Paulus spricht von heidnischen Jesusbekennern, unter ihnen viele ehemalige Proselyten und mit der jüdischen Synagogengemeinde sympathisierende Heiden, die jetzt zu den Gerechten und damit zum Volk Gottes gehören. Diesen Grund aktuell zu konstatierender Gerechtigkeit als Bundesgerechtigkeit hat Paulus in 9,30 selbstverständlich nicht vergessen. Im Zusammenhang der Aussage V. 30c unterstreicht die Wendung τα` μη` διω' κοντα δικαιοσυ' νην („die sich nicht mit aller Kraft um Gerechtigkeit bemühten“) den reinen Gnadencharakter der Gerechtigkeit Gottes, die Heiden erhalten haben.15 Deshalb schreibt er den klärenden Satz: und zwar die Gerechtigkeit aufgrund von Glauben (δικαιοσυ' νην δε` τη` ν ε� κ πι' στεως [dikaiosynēn de tēn ek pisteōs]; V. 30d; zu πι' στις s. zu 1,5.8; 3,3).16 „Glaube“ ist der Glaube an Gottes Heil schaffende Offenbarung im Sühnetod und der Auferweckung und Erhöhung des Messias Jesus.17 Die Aussage entspricht 3,22.24.28. Gerechtigkeit, die Heil bedeutet, gibt es nur als unverdient und bedingungslos gewährtes Geschenk der Gnade Gottes. ————————————————————
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Das Verb καταλαμβα' νω bedeutet hier „ergreifen, gewinnen, in Besitz nehmen“; vgl. Bauer/Aland s.v. καταλαμβα' νω 1a; vgl. G. Delling, καταλαμβα' νω, ThWNT IV, 10 nennt für das Aktiv vier Bedeutungen: „ergreifen, anpacken“, „antreffen, einholen“, „begreifen, (wirklich) verstehen“, „festhalten“ und übersetzt in 9,30 „endgültig habhaft werden“. Das Verb kommt bei Paulus noch in 1Kor 9,24; Eph 3,18; Phil 3,12.13; 1Thess 5,4 vor. Hübner, Gottes Ich, 65. Die Auskunft von Lohse 286: „Weil Heiden nicht unter der Bestimmung der Thora lebten, die das Erreichen des Ziels der δικαιοσυ' νη unter die Bedingung ε» ργα νο' μου stellt, konnten sie begreifen, daß die Gerechtigkeit niemals durch eignes Tun gewonnen, sondern nur im vertrauenden Glauben als Geschenk des barmherzigen Gottes empfangen werden kann“, scheint den Heiden gegenüber den Juden einen Vorteil im Zum-Glauben-Kommen zu geben, was angesichts der Trauer von Paulus wegen des Unglaubens des jüdischen Volkes (9,1-5) und der in 9,30-32 angesprochenen Paradoxie nicht plausibel ist. In der Formulierung hat δε' erklärende Funktion („und zwar“); vgl. HvS §252,12. Da Paulus von Heiden spricht, die Gerechtigkeit erlangt haben, und κατε' λαβεν im Aktiv formuliert, ist πι' στις im Sinn des Glaubens der jetzt neu gerechten Heiden (d.h. Heidenchristen) zu verstehen, die zum Glauben an den Messias Jesus gekommen sind, nicht im Sinn der Treue Gottes (gegen Dunn II 580).
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Die dreifache Verwendung des Wortes „Gerechtigkeit“ in V. 30 bindet den mit diesem Vers eingeleiteten Abschnitt an das Hauptthema des Briefes (vgl. 1,17). In dieser Qualifikation von „Gerechtigkeit“ zeigt sich, was bereits in 3,21–5,21 deutlich wurde, dass Paulus jüdische Leser zu den ursprünglichen Konditionen des Bundes zwischen Gott und Abraham/Israel zurückruft, was für die zeitgenössischen Juden einer Neudefinition des Bundes und der Bundesgerechtigkeit gleichkommt. 31 Die Situation Israels ist ebenfalls paradox, aber in negativer Weise: Israel aber, obwohl sie sich mit aller Kraft um das Gesetz der Gerechtigkeit bemühten, haben das Gesetz nicht erreicht. Das Partizip διω' κων [diōkōn] ist ebenfalls konzessiv zu interpretieren („obwohl“). Dass Paulus von „Israel“ (� Ισραη' λ) spricht und nicht von „Juden“ (� Ιουδαιñοι), parallel zu den „Heiden“ (ε» θνη) V. 30, entspricht einerseits der in Röm 9–11 üblichen Bezeichnung des jüdischen Volks mit dem Ehrennamen „Israel“, ist andererseits vielleicht eine hier bewusste Wortwahl, mit der er deutlich macht, dass es ihm in erster Linie um das Selbstverständnis des jüdischen Volkes als das Bundesvolk Gottes geht.18 Aus dem Verb (διω' κων) darf man nicht folgern, dass Paulus die Anstrengung im Blick auf das Gesetz als Problem markiert, das für Israels Unglauben verantwortlich ist: Das Verb beschreibt den vom Gesetz verlangten und damit von Gott gewollten Lebensvollzug des frommen Juden, der sich als aktives Glied des Volkes Gottes versteht. Paulus formuliert nicht: Israel hat sich „mit aller Kraft um die Gerechtigkeit bemüht“, was man nach V. 30 erwarten könnte und was im Anschluss an Jes 51,1 (Deut 16,20; Spr 15,) verständlich wäre. Er schreibt von der Bemühung Israels um das Gesetz (νο' μος), weil Israel das mosaische Gesetz von Gott erhalten hatte als Dokument des Bundes, das den Willen Gottes für den Alltagsvollzug und damit den Maßstab für Gerechtigkeit enthielt, d.h. für das, was Gott von seinem Bundesvolk erwartet (zu δικαιοσυ' νη s. zu 1,17). Das Gesetz ist „heilig“ und die Gebote des Gesetzes sind „heilig, gerecht und gut“ (7,12). In 9,4 hatte Paulus die νομοθεσι' α („Gesetzgebung“) unter den Privilegien Israels aufgeführt, durch die Israel sich im Vergleich zu den Heiden in einer privilegierten Position befindet. Die „Bemühung um das Gesetz“ ist deshalb nicht negativ zu verstehen.19 Die Bedeutung der Wendung Gesetz der Gerechigkeit (νο' μος δικαιοσυ' νης [nomos dikaiosynēs]) ist umstritten. Zunächst gibt es keinen Grund, ————————————————————
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Dunn II 581; der folgende Punkt ebd. Zu korrigieren wären deshalb GN: „Das Volk Israel aber, das mit aller Kraft danach strebt, auf dem Weg der Gesetzeserfüllung vor Gott als gerecht zu bestehen …“; NGÜ: „Israel hingegen hat bei all seinem Bemühen, das Gesetz zu erfüllen und dadurch zur Gerechtigkeit zu gelangen“.
Das Evangelium als Stein des Anstoßes 9,30-33 357 ————————————————————————————————————
νο' μος im Sinn von „Norm“ zu interpretieren:20 Paulus spricht vom mosaischen Gesetz, das fundamental zum Selbstverständnis und zum Lebensvollzug Israels gehört. Zu beachten ist, dass Paulus betont hatte, dass für das Volk Israel als Nachkommen Abrahams der Glaube schon immer die Voraussetzung der Bundesgerechtigkeit war und dass Gott Gerechtigkeit aus Gnade anrechnet und nicht als Verdienst nach dem Einhalten der Gebote honoriert (3,31; 4,1-12). Der Genitiv δικαιοσυ' νης ist am einfachsten als gen. objectivus zu interpretieren:21 Paulus spricht, ganz nach atl. und jüdischem Verständnis, von dem Gesetz, das auf Gerechtigkeit abzielt, d.h. von der Tora, die die heiligen, gerechten und guten Forderungen Gottes enthält (vgl. 7,12), die Israel zu erfüllen hat. Ein Verständnis im Sinn eines gen. subjectivus ist wohl mitzuhören: „das Gesetz, das Gerechtigkeit definiert“ (8,4: το` δικαι'ωμα τουñ νο' μου).22 Es ist nicht notwendig, nach anderen Bedeutungen der Wendung zu suchen, etwa im Sinn von „das Gesetz, welches dem, der es erfüllt, Gerechtigkeit verheißt“23 oder „das Gesetz als Ermöglichungsgrund von Gerechtigkeit“,24 obwohl diese Interpretationen Richtiges aussagen. Israels Bemühung um das „Gesetz der Gerechtigkeit“ ist das Leben mit dem Gesetz, das dem jüdischen Volk zeigt, vorschreibt und ermöglicht (durch die Opfer und rituellen Waschungen), gerecht zu leben und den Willen Gottes zu erfüllen.25 In diesem Sinn ist das Wesen des νο' μος die Verbindung von Heil (δικαιοσυ' νη) und Glaube (πι'στις) und nicht die Verbindung von Heil und Werken (ε» ργα),26 wie Paulus in Röm 4 am Beispiel von Abraham bereits gezeigt hatte. ————————————————————
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Haacker 239; kritisch Kuss III 744; Jewett 609; vgl. Moo 622-624. Cranfield II 508; Michel 321; Dunn II 581; Fitzmyer 578; Schreiner 537; NSS II 32. Michel 321 spricht von der Doppeldeutigkeit von δικαιοσυ' νη und νο' μος: „Israel strebt nach eigener Gerechtigkeit, weiß aber nicht, daß es gerade mit diesem Streben der von Gott geschenkten Gerechtigkeit im Wege steht; Israel bemüht sich um das Gesetz, das von der Gerechtigkeit spricht, und verkennt, daß der eigentliche Sinn des Gesetzes außerhalb seiner selbst in Christus liegt (Röm 10,4)“; s. Dunn II 581; Hübner, Gottes Ich, 60. Lietzmann 94; vgl. Schlier 307; Käsemann 268; Moo 625; Hübner, Gottes Ich, 65. Wilckens II 212 Anm. 944: „Gerechtigkeit ist der Inhalt der Tora, sofern sie dem, der sie im Tun erfüllt, den Heilsstatus des Gerechtseins zuspricht“. Die Figur der Hypallage (Begriffe bzw. ihre Bezüge werden vertauscht; HvS §295s) liegt kaum vor, nach der die Wendung als δικαιοσυ' νη νο' μου aufzulösen wäre: Gemeint sei die δικαιοσυ' νη η� ε� κ νο' μου (10,5), d.h. die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt (Hofius, Auslegung, 162, im Anschluss an Calvin und Theodoret v. Kyros); erwogen von Haacker 239 Anm. 70. Siegert, Argumentation, 142 Anm. 126 erklärt die Interpretation im Sinn der Hypallage, die man in den älteren Kommentaren findet, als eine Konsequenz der Lesart des Textus receptus (ει� ς νο' μον δικαιοσυ' νης), was man als Vertauschung für ει� ς δικαιοσυ' νην νο' μου erklären musste. Flebbe, Solus Deus, 340.
358 Römerbrief ————————————————————————————————————
Paulus schreibt im Blick auf die Bemühung des jüdischen Volkes, das Gesetz zu halten und Gerechtigkeit zu haben: Sie haben das Gesetz nicht erreicht (ει� ς νο' μον ου� κ ε» φθασεν [eis nomon ouk ephthasen]). Das Verb φθα' νω [phthanō] bedeutet „hingelangen, erreichen“.27 „Gesetz“ steht hier metonymisch für die Absicht des Gesetzes.28 Man sollte diese nicht ausschließlich und nicht zu schnell im Sinn der Gerechtigkeit interpretieren: Paulus schreibt „Gesetz“, nicht „Gerechtigkeit“. Paulus sagt: Israel hat sich nicht an das Gesetz gehalten, die Israeliten/Juden haben die (heiligen, d.h. göttlichen) Forderungen des Gesetzes nicht eingehalten, sie haben nicht getan, was Lev 18,5 verlangt: „Ihr sollt auf meine Satzungen und meine Vorschriften achten. Wer sie einhält, wird durch sie leben. Ich bin der Herr“. Die Aussage musste auf Juden rätselhaft, ja provokativ wirken: Fromme Juden wussten sich dem mosaischen Gesetz verpflichtet und lebten mit großem Ernst gemäß dem heiligen, gerechten und guten Gebot Gottes, das man laut Lev 18,5 auch erfüllen kann – nicht im Sinn moralischer Perfektion, sondern im Sinn der Gesetzeserfüllung als Treue gegenüber dem Bund, den Gott mit Israel geschlossen hatte, der die Sühnung von Unreinheit und von Sünden durch Opfer und Waschungen ermöglichte. Diese Überzeugung charakterisierte das Leben von Paulus als pharisäischem Juden, der ohne jede Ironie von sich sagt: „nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert (κατα` δικαιοσυ' νην τη` ν ε� ν νο' μω, ), untadelig (α» μεμπτος)“ (LÜ; Phil 3,6). Wenn Paulus parallel zu 9,30 formulieren wollte, könnte er entsprechend der Wendung δικαιοσυ' νην δε` τη` ν ε� κ πι'στεως in V. 31 formulieren: δια` τι'; ο« τι ου� κ ε� κ πι'στεως α� λλ’ ω� ς ε� ξ ε» ργων („Warum? Weil es nicht aus Glauben, sondern aus Werken vorging“). Siegert, von dem dieser Vorschlag stammt, „beide Hälften zu Ende zu schreiben“, kommentiert: „Also nicht daß Israel das Gesetz benützte, macht den Unterschied aus, sondern daß es nicht aus Glauben – nun muß ein Verb ergänzt werden – vorging / sich verhielt, das ist die Erklärung. So steht es nicht nur rechts als Antwort auf die warum-Frage, sondern so geht es auch aus der Struktur hervor. Das tertium ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. φθα' νω 2 (die andere Bedeutung ist „zuvorkommen, voraussein“, was nach LSJ s.v. φθα' νω I-II die Grundbedeutung ist; die Bedeutung „ankommen, erreichen“ wird unter II.2a erwähnt); BDAG s.v. φθα' νω 3 („to come to or arrive at a particular state, attain“; vgl. noch Phil 3,16; BDAG listet Mt 12,28; Lk 11,20; 1Thess 2,16; 2Kor 10,14 nicht unter der Bedeutung „hingelangen, erreichen“ auf, sondern unter der gesonderten Bedeutung „to get to or reach a position, have just arrived, then simply arrive, reach“). In den Papyri bezeichnet das Verb meistens eine Aktion, die vor einer anderen stattfindet bzw. stattgefunden hat (z.B. P.Ryl. II 119,16), es ist aber auch in der Bedeutung „hinkommen, ankommen“ belegt (P.Köln I 56,3-4). Siegert, Argumentation, 143; zum folgenden Punkt Dunn II 582.
Das Evangelium als Stein des Anstoßes 9,30-33 359 ————————————————————————————————————
comparationis ist der Glaube“.29 Dies ist sachlich richtig, aber Paulus schreibt prägnant: „Israel hat das Gesetz nicht erreicht“. Die Absicht der Formulierung ist rhetorisch: Nachdem Paulus in V. 31a (Juden bemühen sich mit aller Kraft um das Gesetz) das Einverständnis frommer Juden eingeholt hatte, schockiert er sie mit dem Dementi, dass Israel das Gesetz nicht erreicht hat.30 32 Mit der Frage Warum? (δια` τι'; [dia ti?]; V. 32a) leitet Paulus die Erklärung des Tatbestands ein, dass Israel sich um das Gesetz der Gerechtigkeit bemühte, das Gesetz aber nicht erreicht hat, d.h. ohne die vom Gesetz geforderte und ermöglichte Gerechtigkeit dasteht. Die Begründung lautet: Weil sie sich nicht aufgrund des Glaubens bemühten, sondern weil sie meinten, aufgrund von Werken (Gerechtigkeit erlangen zu können). Sie sind über den Stein des Anstoßes gestolpert. Wichtig für das Verständnis der Erklärung ist es, V. 32b nicht von V. 32c zu trennen: Die beiden Sätze gehören zusammen,31 wobei V. 32c den eigentlichen Grund der aktuellen Situation Israels angibt. Im Satz V. 32b („weil sie sich nicht aufgrund des Glaubens bemühten, sondern meinten, aufgrund von Werken“) ist von V. 30.31 her das Verb διω' κω ([diōkō], „sich mit aller Kraft bemühen“ oder „nachjagen“)32 und als Objekt δικαιοσυ' νη („Gerechtigkeit“) zu ergänzen: Israel meinte, „aufgrund von Werken Gerechtigkeit erlangen zu können“. Die Partikel ω� ς [hōs] drückt hier kausal den subjektiven Grund aus („weil sie meinten“).33 Israel war der Überzeugung, dass der Glaube (πι' στις [pistis]) bei der Erlangung von Gerechtigkeit keine Rolle spielt, sondern es allein auf das Tun der vom Gesetz gebotenen Verhaltensweisen (ε» ργα ————————————————————
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Siegert, Argumentation, 142. Dunn II 582. Wilckens II 212 kommentiert: „Die Tora ist eben nicht eine Heilsgabe, die als solche Bestand hat, ob Israel sie erfüllt oder nicht, sondern wer das Gesetz nicht tut, verfehlt auch die Zugehörigkeit zu ihr als signum der Erwählung“. Wenig plausibel ist der Vorschlag von Reinbold, Paulus, 253-264, der eine Parenthese annimmt: „Weil sie – nicht aus Glauben, sondern in Werken befangen! – an den Stein des Anstoßes anstießen“. Kritisch Lohse 287. Zahn 470-471; Kuss III 744; Cranfield II 509; Dunn II 582; Fitzmyer 578; Jewett 610. Anders Wilckens II 212, der aus V. 31 φθα' νω („erreichen“) ergänzen will: Es gehe nicht um das Wie des „Laufens“, sondern „um den Gegensatz zwischen Laufen und NichtLaufen, der dem zwischen ‚Mein Volk‘ und ‚Nicht-mein-Volk‘ in V 25f entspricht“, d.h., weil Israel „das Ziel ‚aufgrund von Werken‘ erreichen zu können meinte“. Diese Interpretation ist nicht plausibel: Paulus kritisiert weder die „Bemühung“ um das Gesetz noch das Halten des Gesetzes, das als Gottes heiliges Gesetz und als Gesetz des Bundes mit Israel gehalten werden sollte und konnte; vgl. Dunn II 582; kritisch auch Jewett 610 Anm. 35; Hübner, Gottes Ich, 65. HvS §252,62b(cc.2): „Weil (meiner/deiner usw. Meinung nach); in der Überzeugung/ Meinung, dass“; vgl. NSS II 32.
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[erga]; s. zu 3,20) ankommt. Paulus hatte in 3,31 festgehalten, dass seine Betonung des Glaubens das Gesetz nicht abschafft, sondern zur Geltung bringt, und in 4,1-12 hatte er begründet, dass der Glaube von Anfang an das entscheidende Kriterium für die von Gott ermöglichte, immer auf Glauben beruhende zugesprochene Gerechtigkeit war.34 Der zweite Teil der Antwort lautet: Sie sind über den Stein des Anstoßes gestolpert (V. 32c). Die Metapher „Stein des Anstoßes“ (λι'θος τουñ προσκο' μματος [lithos tou proskommatos]) stammt aus Jes 28,16, das in V. 33 zusammen mit Jes 8,15 zitiert wird. Das Verb προσκο' πτω [proskoptō] bedeutet „anstoßen; sich stoßen, stolpern“, in übertragenem Sinn „Anstoß nehmen an, sich stoßen an, verwerfen“.35 Israel ist über einen „Stein“ gestolpert und zu Fall gekommen. Ohne Metapher formuliert: Israel hat den Messias Jesus verworfen – in V. 33 wird im Kontext von 10,4 und im Zusammenhang des Evangeliums, wie Paulus es verkündigt hat (vgl. 1,34.16-17; 3,21–5,21) deutlich, dass der „Stein des Anstoßes“ der gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Messias Jesus ist.36 33 Paulus zitiert mit der Standardformel wie geschrieben steht (καθω` ς γε' γραπται)37 als Mischzitat Jes 28,16; 8,14: Siehe, ich lege in Zion einen ————————————————————
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Wilckens II 212-213 argumentiert zu Recht, dass Paulus nicht von einer „Geltungs-sucht als Antrieb zum Laufen“ spricht (gegen Käsemann 268: Israel hat das Gesetz missverstanden und zum „Leistungsruf “ gemacht“), „erst recht nicht davon, daß der Mensch nicht das Gesetz als den Willen Gottes erfüllt, sondern sich selbst behauptet, erbaut oder ‚sich rühmt‘“ (gegen Schlier 307); Hübner, Gottes Ich, 65-66 folgt Käsemann. Vgl. Cranfield II 509-510; Lohse 287; Hofius, Auslegung, 164, die die Bedeutung des Glaubens betonen, ohne das Bestreben, das Gesetz zu halten, als „Leistungsdenken“ zu brandmarken. Sanders, Law, 35 und Räisänen, Paul, 175-176 spielen den Hinweis auf die Werke herunter: Paulus gehe es um den Glauben (an Jesus Christus), den Israel nicht hat. Dunn II 582-583 will die „Werke“ wieder auf ein Verständnis des Gesetzes als jüdisches Gesetz eingrenzen, das die Juden von den Heiden unterscheidet; siehe zu 3,20. Bauer/Aland s.v. προσκο' πτω 1-2; BDAG s.v. προσκο' πτω 1-3; vgl. G. Stählin, ThWNT VI, 745-759, zur Bedeutung des Verbs ebd. 745-746, mit griech. Belegen. Im NT kommt das Verb noch in Mt 4,6; 7,27; Lk 4,11; Joh 11,9.10; Röm 14,21; 1Petr 2,8 vor. Michel 322 vermutet, dass in dem Wort „stolpern“ das Bild des Wettlaufs fortwirke; vgl. Wagner, Heralds, 136. Angesichts des atl. Zitats V. 33 ist dies unwahrscheinlich, zumal V. 30-31 nicht unbedingt metaphorisch im Sinn eines Wettlaufs formulierte. So die meisten Exegeten; vgl. Dunn II 585; Haacker 200; Lohse 288; Starnitzke, Struktur, 232 u.a. Flebbe, Solus Deus, 341-342 lehnt diese Interpretation mit dem überraschenden Hinweis ab, in der vorangegangenen Interpretation habe Christus keine Rolle gespielt und man dürfe dem „Vorurteil des Primates der Christologie“ nicht nachgeben; er identifiziert den „Stein“ mit dem „Gesetz“: Paulus spricht vom Missverständnis in der Toradeutung Israels. Ähnlich meint Wagner, Heralds, 157, Paulus spreche in V. 33 nicht von Jesus, sondern von der Tora als Gegenstand des Glaubens. Vom Glauben an die Tora ist jedoch nirgends die Rede,vom Glauben an den Messias Jesus im Röm durchweg. 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13 sowie 10,15; 11,8.26; 15,3.9.21; vgl. 12,19; 14,11.
Das Evangelium als Stein des Anstoßes 9,30-33 361 ————————————————————————————————————
Stein des Anstoßes und einen Felsen des Ärgernisses, und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden. Folgende Beobachtungen erklären die Einzelheiten der Zitierung. Röm 9,33 ι� δου` τι' θημι ε� ν Σιω` ν λι' θον προσκο' μματος και` πε' τραν σκανδα' λου, και` ο� πιστευ' ων ε� π’ αυ� τω ñ, ου� καταισχυνθη' σεται Siehe, ich lege in Zion einen Stein des Anstoßes und einen Felsen des Ärgernisses, und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden Jes 28,16 ι� δου` ε� γω` ε� μβαλω ñ ει� ς τα` θεμε' λια Σιων λι' θον πολυτεληñ ε� κλεκτο` ν α� κρογωνιαιñον ε» ντιμον ει� ς τα` θεμε' λια αυ� τηñ ς, και` ο� πιστευ' ων ε� π’ αυ� τω ñ, ου� μη` καταισχυνθηñ, Siehe, ich werde in die Fundamente Sions einen kostbaren, ausgewählten Stein einsetzen, einen wertvollen Eckstein in ihre Fundamente, und wer auf ihn vertraut, wird nicht zuschanden werden (LXX.D). Jes 8,14 και` ε� α` ν ε� π’ αυ� τω ñ, πεποιθω` ς ηò, ς, ε» σται σοι ει� ς α� γι' ασμα, και` ου� χ ω� ς λι' θου προσκο' μματι συναντη' σεσθε αυ� τω ñ, ου� δε` ω� ς πε' τρας πτω' ματι Und wenn du auf ihn dein Vertrauen setzt, wird er dir zum Heiligtum, und ihr werdetihm nicht begegnen wie einem Stolperstein oder einem Fall-Fels (LXX.D) Die Kombinierung von Jes 28,16 und 8,14 geht auf Paulus zurück, während die Verwendung der beiden Jesaja-Texte zusammen in Röm 9,33 und 1Petr 2,8, mit einer relativ stabilen Formulierung, allerdings mit Vokabeln, die vom gängigen LXX-Text abweichen, auf eine frühere Vorlage hindeutet,38 die nicht schriftlich vorgelegen haben muss.39 Zum Text des Zitats in 9,33 ist Folgendes zu sagen: 1. Die Wendung ι� δου` τι' θημι ε� ν Σιω' ν („siehe, ich lege in Zion“) ersetzt ι� δου` ε� γω` ε� μβαλω ñ ει� ς τα` θεμε' λια Σιων („Siehe, ich werde in die Fundamente Sions einen Stein einsetzen“ [LXX.D modifiziert]). Die auch in 2Petr 2,8 vorliegende Formulierung hat keinen Anhalt in der LXX und kann auch nicht als Assimilierung an den hebr. Text ([ ְּבִצי ּ ֹוןbezījōn]) erklärt werden. 2. Auslassung von λι' θον … αυ� τηñ ς („einen Stein … in ihre [Fundamente]). Paulus unterstreicht mit dieser Elimination die paradoxe Rolle des Messias Jesus als Quelle der Hoffnung (für die Jesusbekenner) und als Grund des Gerichts (der ungläubigen Juden).40 3.Die begrenzte Auswahl der Wendung aus Jes 8,14 – προσκο' μματος („Stolperstein“ bzw. „Stein des Anstoßes“) und πε' τραν („Fall-Fels“ bzw. „Felsen des Ärgernisses“) erlaubt es Paulus, andere Elemente von Jes 8,14 wegzulassen, die er im Kontext von Röm 9,33 nicht brauchen konnte, vor allem die Wendung „wird er dir zum Heiligtum“. Die Änderung des griech. Texts führt dazu, dass Paulus näher am hebr. Text von Jes 8,14 steht als die LXX: Der hebr. Text verheißt, dass Jahwe selbst ein „Stein des Anstoßes und Fels des Strauchelns“ für das abtrünnige Israel sein wird, während die LXX ein konditionales Element einfügt („wenn du auf ihn dein Vertrauen setzt … ihr werdet ihm nicht begegnen“ ————————————————————
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Stanley, Paul, 120-121 mit Anm. 109, der gegen Koch, Beobachtungen, 178-183; Koch, Schrift, 59-60.69-71.161-162 argumentiert, der meint, Röm 9,33 und 1Petr 2,8 seien unabhängig voneinander entstanden. Der Frage nach der Herkunft des Mischzitats soll nicht weiter nachgegangen werden. Koch, Schrift, 69-71; vgl. Stanley, Paul, 121. Die Kirchenväter zitieren Jes 28,16 nach der LXX, von der sowohl Röm 9,33 als auch 1Petr 2,8 in der Wendung ι� δου` τι' θημι ε� ν Σιω' ν abweichen. Dies macht die These einer frühchristlichen Testimoniensammlung unwahrscheinlich; vgl. Stanley ebd. 122 Anm. 114. Stanley, Paul, 122, der kommentiert: „The resultant ‚citation‘ offers vivid testimony to the creativity and skill with which Paul could shape the wording of the biblical text to suit his own use of a particular passage“.
362 Römerbrief ———————————————————————————————————— ist eine Addition zum hebr. Text), das den Fall Israels als vermeidbare Eventualität darstellt.41 4. Was die begrenzte Auswahl aus Jes 8,14 angeht, könnte man folgende literarische Operationen annehmen: (a) Paulus extrahierte λι' θου προσκο' μματι und πε' τρας πτω' ματι; (b) er ersetzte das ungewöhnliche Wort πτω' μα durch das für ihn typische Wort σκα' νδαλον;42 (c) er modifizierte den Kasus der Vokabeln im neuen syntaktischen Kontext; (d) er fügte και' als verbindende Partikel hinzu. Die größere Nähe des von Paulus zitierten Textes zum masoretischen Text weist auf eine einfachere Lösung hin: Paulus verwendete einen griech. Jesaja-Text, der näher am hebr. Text stand. Die späteren griech. Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion machen diese These wahrscheinlich: Alle drei Übersetzer haben, mit nur minimalen Variationen, και` ε» σται ει� ς α� γι' ασμα και` ει� ς λι' θον προσκο' μματος και` ; am Satzende übersetzt Theodotion mit ει� ς πε' τραν πτω' ματος, Aquila mit στερεο` ν σκανδα' λου und Symmachus mit πε' τραν σκανδα' λου (laut Eusebius; laut Procopius hat Symmachus dieselbe Übersetzung wie Theodotion).43 Wenn diese Interpretation stimmt, hat Paulus von der aus Jes 8,14 entnommenen Wendung wohl nur die Präposition ει� ς vor den beiden Substantiven weggelassen. 5. Die Ersetzung des Konjunktiv Aorist ου� μη` καταισχυνθηñ, in Jes 28,16 durch den Indikativ Futur ου� καταισχυνθη' σεται (ohne das emphatische μη' , das bei einem Indikativ Futur nicht benötigt wird). Koch erklärt die Änderung als stilistische Maßnahme von Paulus,44 während Stanley die Textänderung bereits in der vorpaulinischen christlichen Quelle vorliegen sieht.
Der im Zitat Redende ist Jahwe. Die geographische Angabe „Zion“ (Σιω' ν [Sion]) verweist auf Jerusalem, pars pro toto auf Israel. In Jes 28,16 ist vom kostbaren, ausgewählten Stein die Rede, der als wertvoller Eckstein gelegt wird (vgl. 1Petr 2,6). In Qumran hat man Jes 28,16 auf den Rat der Gemeinschaft bezogen (1QS VIII, 7-8).45 Eine jüdische Tradition deutete den Stein (wie auch den Stein von Dan 2,34ff) auf den Messias: Die Gerechten, die ihr Vertrauen auf ihn gründen, werden nicht erschüttert werden.46 Das Zitat impliziert und betont Folgendes. Erstens, dass Jahwe in Zion einen „Stein“ legt, ist eine Heilszusage. Im Kontext der jüdischen Traditionen: Gott hat den Messias in Israel erstehen lassen, und: Gott hat eine neue Heilsgemeinde begründet. Im Kontext von 10,4.11-12, wo Jes 28,16 noch einmal zitiert und explizit auf Jesus ange————————————————————
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Stanley, Paul, 122-123; zum folgenden Punkt ebd. 123-124; Koch, Schrift, 58-60. Röm 11,9; 14,13; 16,17; 1Kor 1,23; Gal 5,11. Koch, Schrift, 60 Anm. 12 meint, die von Eusebius berichtete Lesart sei sekundär, d.h. eine Verwechslung von Paulus und Symmachus. Koch, Schrift, 115; zum folgenden Punkt Stanley, Paul, 125. Vgl. Betz, Felsenmann, 276-277. J. Jeremias, Art. λι' θος, ThWNT IV, 276-277; vgl. Jes 28,16 LXX-Zusatz; Targum zu Jes 28,16 („Siehe, ich setzte in Zion einen König ein, einen mächtigen König, heldenhaft und furchtbar, den ich halten und stärken werde; es sagt der Prophet: und die Gerechten, in denen Vertrauen ist, werden, wenn Bedrängnis kommt, nicht zittern“); NumRab 13,14 zu 7,13; Tanchuma 6 zu Dan 2,34; Josephus, Ant 10,210; bSan 38a (zu Jes 8,14). Die messianische Deutung wurde vorbereitet, da „Fels“ an vielen Stellen Bezeichnung Jahwes ist. Zur Interpretation von Jes 28,16 und 8,14 vgl. Wagner, Heralds, 136-155.
Das Evangelium als Stein des Anstoßes 9,30-33 363 ————————————————————————————————————
wendet wird, ist der „Stein“ der Messias Jesus.47 Der Zion ist „der Ort der letzten Epiphanie Gottes und der endzeitlichen Neuoffenbarung der Tora“.48 Zweitens, die Rede von einem „Stein des Anstoßes“ (λι'θος προσκο' μματος [lithos proskommatos])49 und einem „Felsen des Ärgernisses“ (πε' τρα σκανδα' λου [petra skandalou]) ist ein Gerichtswort. Das Wort σκα' νδαλον [skandalon]50 ist in der griech. Literatur selten belegt; der früheste Beleg findet sich in dem Papyrus P.Cair. Zen. IV 59608 (ca. 250 v.Chr.) mit der ursprünglichen, technischen Bedeutung „Stellholz (einer Falle)“; in P.Cair.Zen. LIX 608,7 (ca. 250 v.Chr.) wird der Adressat eines Briefes aufgefordert, sich „um die Fallen zu kümmern“, d.h. um das „Stellholz“, das emporschnellt und das Tier in der Fangvorrichtung fängt; später für die ganze Fangvorrichtung verwendet.51 In übertragener Verwendung bedeutet das Wort „Veranlassung zur Sünde, Verführung zu Abfall, Falschglauben“ (Mt 16,23; 18,7; Lk 17,1; Offb 2,14 sowie Röm 9,33 / 1Petr 2,8; Röm 14,13; 16,17).
Die in der Übersetzung verwendeten deutschen Vokabeln „Anstoß“ und „Ärgernis“ dürfen nicht einseitig als Hinweis auf eine emotionale Reaktion missverstanden werden:52 Paulus spricht mit Jesaja von der Tatsache, dass „Zion“ (das jüdische Volk) gestolpert, d.h. zu Fall gekommen (προσκο' μμα) und in eine Falle (σκα' νδαλον) gelaufen ist. Der „Stein“, den Gott in Zion gelegt hatte, hat Israel im Weg gelegen. Israel ist „gefallen“, d.h., das jüdische Volk hat sich geweigert, an Jesus als gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias zu glauben. Das jüdische Volk hat Jesus nicht als Messias erkannt, obwohl Gott ihn geschickt hat. Das Kommen des Messias führt zu einer Scheidung in Israel: Manche fallen, während die, die glauben, nicht fallen. Diese Aussage stimmt, auf das jüdische Volk bezogen, mit 9,6 überein: „Nicht alle Nachkommen Israels sind Israel“. Drittens, Gott selbst, der den Stolper-Stein und den Fall-Fels „in Zion“ gesetzt hat, hat den Unglauben des jüdischen Volkes verursacht. Diese Aus————————————————————
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Wagner, Heralds, 155-157 betont die Mehrdeutigkeit („ambiguity“) der „Stein“-Stelle (der Stein könnte auch auf Gott verweisen, wie im atl. Kontext) – Paulus wolle für seine Leser die Spannung erhalten, die dann in 10,5 und 10,11-12 aufgelöst wird. Diese Spannung, wenn sie besteht, kann man höchstens für die Erstlektüre annehmen. Wilckens II13, mit Verweis auf G. Fohrer / E. Lohse, Art. Σιω' ν κτλ., ThWNT VII, 291338; Gese, Gesetz, 55-84; Stuhlmacher, Gesetz, 136-165. Bauer/Aland s.v. προσκο' μμα: „Anstoß, Fehltritt“; vgl. G. Stählin, ThWNT VI, 746-747 zum Substantiv, ebd. 755-757 zu Röm 9,33. Vgl. G. Stählin, Art σκα' νδαλον κτλ., ThWNT VII, 338-358; H. Giesen, EWNT III, 594596; M. Bachmann, ThBLNT II, 1800-1806. F. Winter in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 99. Vgl. Bauer/Aland s.v. σκα' νδαλον 1; ebd. 2 zu der übertragenen Bedeutung. So richtig Haacker 239.
364 Römerbrief ————————————————————————————————————
kunft stimmt sowohl mit 9,22 als auch mit 11,11-24 überein, wo der Unglaube Israels als Teil des Heilsplans Gottes erläutert wird. Viertens, jeder, der an den Messias Jesus glaubt (ο� πιστευ' ων ε� π’ αυ� τω ñ, ), wird „nicht zuschanden werden“ (ου� καταισχυνθη' σεται [ou kataischynthēsetai]), d.h., sein Glaube wird sich in diesem Leben und im Endgericht nicht als Illusion erweisen. Denen, die an dem Stein nicht zu Fall kommen, verleiht er festen Stand: Gewissheit des Heils hat, wer nicht über den Messias stolpert. Das heißt, Jesus begründet die Gewissheit des messianischen Heils. Diese Aussage stimmt mit 8,31-39 überein, wo Paulus die Gewissheit des Heils der mit dem Messias Jesus Verbundenen begründet und betont hatte. Im Kontext von 9,24.30 kommen die an den Messias Jesus Glaubenden aus den Heiden und aus den Juden.53 IV Paulus erläutert zu Beginn des Mittelteils von Röm 9–11, dass Heiden die Zugehörigkeit zum Volk Gottes erlangen, während Israel zu Fall gekommen ist. Dies ist deshalb der Fall, weil es sich auf die falsche Art und Weise um das Gesetz bemüht – nicht aus Glauben, sondern in der Konzentration auf die Werke, die das Gesetz verlangt, unter Ausschluss des Glaubens als alleiniger Grundlage der von Gott den Sündern erwiesenen Gerechtigkeit. Die logische Konsequenz dieser Haltung ist die Ablehnung des Messias Jesus, den Gott als „Stein“ und „Fels“ im Zion, d.h. in der Mitte Israels, gelegt hat. Wenn und wo Israel am Tun des vom Gesetz Geforderten festhält, aber den Messias ablehnt, kommt es zu Fall oder läuft in die Falle: Es verpasst das messianische Heil und wird im Gericht Gottes zuschanden werden. Infolge der Ablehnung des Messias Jesus durch den Großteil des jüdischen Volks ist eine neue Scheidung entstanden, die für Judenchristen wie Paulus genauso gravierend ist wie die alte Scheidung von Juden und Heiden – eine Scheidung innerhalb des jüdischen Volks. Während Gott Menschen aus den Juden und den Heiden zum messianischen Heilsvolk berufen hat, ist der Großteil von Gesamt-Israel über den Stein gestolpert, den Gott in der Mitte Israels gelegt hat – den Messias Jesus, in dessen Sühnetod am Kreuz Gott seine Heil schaffende Gerechtigkeit für alle Menschen geoffenbart hat, Juden und Heiden, aber eben auch für die Juden, sodass die Macht der Gnade und Liebe Gottes, die die Sünde aller Menschen aufgehoben hat, an den Messias Jesus gebunden ist (1,3-4.16-17; ————————————————————
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Wilckens II 213 spricht von „den Heiden“, die Gerechtigkeit erlangt haben, und „den Juden“, die zu Fall gekommen sind. Dies stimmt weder mit den Aussagen in 9,24.30 noch mit der Formulierung in 9,33 überein, wo Paulus von ο� πιστευ' ων als Hinweis auf den einzelnen Glaubenden (und, als Kehrseite, Ungläubigen) spricht.
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3,21-25; 5,8). Für einige Juden ist der Messias Jesus die unerschütterliche Grundlage des von Gott gewährten Heils. Für die meisten Juden ist der gekreuzigte Jesus ein Stein des Anstoßes. An Jesus scheiden sich die Juden: Ein Überrest glaubt, die meisten Juden glauben nicht. Der Messias, der die Erneuerung ganz Israels bewirken sollte, „wird hier zum Spalter Israels, zur Ursache seiner endzeitlichen Vernichtung.“54 Kann es eine Scheidung innerhalb des Volkes Gottes überhaupt geben? Dass es einen Unterschied gibt zwischen gerechten und ungerechten Israeliten, zwischen biologischen Nachkommen Abrahams und Gottes Bund ernst nehmenden Juden, zwischen Abtrünnigen und am Heil Israels teilhabenden Juden gibt, war jedem Juden klar. Das Kriterium für den Ausschluss vom Heil sowie für die Teilhabe am Heil war das heilige Gesetz Gottes mit seinen gerechten und guten Geboten als maßgebliches, autoritatives, den Lebensvollzug normierendes Dokument des Bundes Gottes mit Israel. Und „da die Tora Gottes Gesetz ist, wird auch sein Messias nach ihrem Kriterium handeln. Wie kann dann der Messias zum Anstoß derer werden, die ‚dem Gesetz der Gerechtigkeit nachjagen‘? Und wie kann zwischen Gerechtigkeit aus Glauben und aus Werken unterschieden werden, wo der Glaube an Gott doch elementar Anerkennung seines Gesetzes und Vertrauen auf sein Gesetz ist und sich in Werken des Gesetzes konkretisiert?“55 Weil es nur einen wahren Gott gibt und deshalb nur ein Heil, das von Gott in seiner Gnade und Barmherzigkeit den Menschen gewährt wird, ist die Frage, ob es eine Spaltung innerhalb des wahren, das Bundesgesetz haltenden Israels geben kann, eigentlich mit Nein zu beantworten. In 9,6-13 hatte Paulus gezeigt, dass die wahre Zugehörigkeit zu Israel – dem inneren Israel, das nicht automatisch aus allen Nachkommen Abrahams besteht – in Gottes freier Erwählung gründet, und in 9,14-29 hatte er, ebenfalls aus der Schrift, gezeigt, dass es das freie Erbarmen Gottes ist, welches das wahre Gottesvolk konstituiert – ein Gottesvolk, zu dem jetzt auch Menschen aus den Heiden gehören, in Erfüllung der Verheißung Gottes. Dies war die zweite Provokation: Nach paulinischer Überzeugung gibt es nicht nur eine Spaltung innerhalb Israels, das Gott treu ist und sein Gesetz hält, sondern ein neues Gottesvolk, zu dem Heiden gehören, ohne Beschneidung und ohne auf das Halten des Gesetzes verpflichtet zu sein, während gesetzestreue Juden nicht zu ihm gehören. Das Kriterium, wer Heil hat und wer nicht Heil hat, d.h. wessen Sünden vergeben und wessen Sünden nicht vergeben sind, wer wahres Leben in Gemeinschaft mit Gott jetzt und in der ————————————————————
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Wilckens II 214; ebd. für den folgenden Punkt, Zitat 214-215. Wilckens II 214–215.
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Zukunft hat und wer nicht, ist für Juden die Offenbarung Gottes: Sünder können sich nicht selbst erlösen, sie sind auf Gottes Heil schaffende Offenbarung angewiesen, die seit Abraham und dann entscheidend im Bundesschluss am Sinai ergangen ist. Paulus betont im Gespräch mit seinem jüdischen Gesprächspartner ein zweifaches Kriterium, das zeigt, wer der göttlichen Heilsoffenbarung gerecht wird und wer nicht. Erstens, Paulus betont die grundlegende Bedeutung des Glaubens, die seit Abraham bestimmt, wer Empfänger der Heilsverheißung Gottes ist und zum Heilsvolk gehört – Glaube an den barmherzigen und gnädigen Gott, der Gnade gewährt, wem er will und Erbarmen schenkt, wem er will (Ex 33,19; zitiert in Röm 9,15), der barmherzig und gnädig ist, reich an Gnade und Treue, der Gnade bewahrt an Tausenden und Schuld, Vergehen und Sünde vergibt (Ex 34,6-7). Der Glaube an Jahwe ist primär, das Halten der Gebote ist die dankbare Annahme der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, der seinem Volk zeigt, wie es in einer von der Sünde beherrschten Welt leben kann. Paulus wirft seinen jüdischen Zeitgenossen vor, dass sie sich um die vom Gesetz geforderten Werke bemühen, aber den Glauben vernachlässigen oder ignorieren. Wilckens kritisiert zu Recht die Interpretation, Paulus sei der Meinung, das Judentum habe den zur Gerechtigkeit rufenden Willen Gottes im Gesetz missverstanden „und zum Leistungsruf gemacht“ und sich durch das Halten des Gesetzes selbst behaupten, sichern, erbauen und rühmen wollen.56 Wilckens scheint die Meinung von E.P. Sanders zu teilen, Paulus habe am zeitgenössischen Judentum nur kritisiert, dass sie sich weigern, Jesus als Messias anzuerkennen, durch dessen Sühnetod Gott jetzt die Sünden vergibt. Diese Weigerung ist ganz sicher das entscheidende Argument für Paulus (s. den folgenden Punkt), aber nicht minder wichtig ist der Vorwurf, die Funktion des Glaubens verkannt und vergessen zu haben (4,1-12). Außerdem gilt, dass sich am „Gottesbild“ (kein glücklicher Ausdruck, weil er suggeriert, dass sich der Mensch ein Bild von Gott „macht“) bei Paulus in der Tat etwas geändert hat: nicht in dem von Wilckens zu Recht abgelehnten Sinn, dass Gott nicht mehr der fordernde, belohnende und strafende Gott ist, vielmehr jetzt als schenkender, Vertrauen weckender, vergebender Gott geglaubt wird, sondern in dem Sinn, dass Jesus, Messias und Kyrios, „proklamiert als Sohn Gottes in Macht nach dem Geist der Heiligkeit aufgrund der Auferstehung von den Toten“ (1,4) göttliche Dignität hat (vgl. 10,6-8!).
Zweitens, Paulus argumentiert, dass Glaube an Gott jetzt, nachdem Gott den verheißenen „Stein“ in Zion gelegt hat, entscheidend Glaube an den von Gott gesandten Messias ist, an den Sohn Gottes, „geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, proklamiert als Sohn Gottes in Macht nach dem Geist der Heiligkeit aufgrund der Auferstehung von den Toten, Jesus, der ————————————————————
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Wilckens II 215, mit Kritik an Käsemann 268 (Zitat) und Schlier 307; zum folgenden Punkt Wilckens ebd. 216; Sanders, Law, 35.
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Messias, unser Herr“ (1,3-4). Angesichts der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Messias Jesus – im Sühnetod am Kreuz, in seiner Auferweckung und Erhöhung – wird der jüdische Sünder, der Gottes Gnade und Barmherzigkeit in der Rückkehr zum Gesetz und in den von Gott gewollten Werken des Gesetzes sucht, diese dort nicht mehr finden: Gott erweist seine Heil schaffende Gerechtigkeit, seine Gnade und Barmherzigkeit, im Sühnetod des Messias Jesus, unabhängig vom Gesetz (3,31). Rechtfertigung des Sünders, Zugang zur Gnade Gottes, Versöhnung mit Gott, Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes gibt es nur im Anschluss an den Messias Jesus (3,21-26; 5,1-11). Wenn sich Gesamt-Israel weigert, Gottes Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus anzuerkennen, schließt es sich selbst vom Heil aus. Es kommt an dem von Gott in der Mitte Israels gelegten Stein zu Fall. Angesichts des Widerstands gegen Gottes Heilsoffenbarung können Werke des Gesetzes die Sünde nicht sühnen: Glaube an den gnädigen, Sünde vergebenden Gott ist jetzt entscheidend Glaube an Gott den Vater, der seinen Sohn, den Messias Jesus, gesandt hat, um das seit Adam bestehende Problem der Macht der Sünde – jetzt endgültig – zu lösen (5,12-21). Gesamt-Israel bemüht sich um das Gesetz und tut die Werke des Gesetzes, erreicht aber die Gerechtigkeit nicht, weil Gott Gerechtigkeit nur aufgrund des Glaubens an den Messias Jesus gewährt. Die Ablehnung des „Steins“, den Gott in Israel gelegt hat, ist, als Ablehnung der Heilsoffenbarung des gnädigen Gottes, zugleich Ablehnung des Gesetzes. Diesen Sachverhalt erklärt Paulus im nächsten Abschnitt.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 I 1 Brüder, der Wunsch meines Herzens und meine Bitte an Gott gilt ihrer Rettung. 2 Denn ich bezeuge ihnen, dass sie Eifer um Gott haben, aber dieser beruht nicht auf der richtigen Erkenntnis. 3 Denn weil sie die Gerechtigkeit Gottes nicht erkannten und ihre eigene Gerechtigkeit aufrichteten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht untergeordnet. 4 Denn das Endziel des Gesetzes ist der Messias zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt. 5 Denn Mose schreibt von der Gerechtigkeit aus dem Gesetz: Der Mensch, der dieses tut, wird durch sie leben. 6 Die Gerechtigkeit aus Glauben aber spricht so: Sage nicht in deinem Herzen: Wer wird in den Himmel hinaufsteigen? Das heißt, um den Mes-
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sias herabzuholen. 7 Oder: Wer wird in den Abgrund hinabsteigen? Das heißt, den Messias von den Toten heraufzuführen. 8 Sondern was sagt sie? Das Wort ist dir nahe, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen. Das ist das Wort des Glaubens, das wir verkündigen. 9 Denn wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden. 10 Denn mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, aber mit dem Mund bekennt man zur Rettung. 11 Denn die Schrift sagt: Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden. 12 Es besteht nämlich kein Unterschied zwischen Jude und Grieche. Denn sie haben alle denselben Herrn, der seinen Reichtum allen gibt, die ihn anrufen. 13 Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden. II Paulus setzt in diesem Abschnitt seine Behandlung des Verhaltens Israels fort. An seine Trauer für Israel in 9,1-5 anknüpfend, beginnt er mit einer persönlichen Beteuerung: Er betet für die Rettung Israels (V. 1). In seiner Begründung V. 2-3 erkennt Paulus zwar an, dass Israel Eifer um Gott hat, urteilt jedoch, dass dieser Eifer nicht mit der richtigen Erkenntnis verbunden ist: Israel hat die Gerechtigkeit Gottes nicht erkannt. Das heißt: Weil die Juden nicht erkannt haben, dass Gottes Heil schaffende Gerechtigkeit durch den Sühnetod und die Auferstehung des Messias Jesus kommt, richten sie bei allem Eifer um Gott ihre eigene Gerechtigkeit auf, der im Gesetzesgehorsam unter Absehung des Glaubens an den Messias Jesus erfolgt, wie die folgende Aussage zeigt. In V. 4 formuliert Paulus den heilsgeschichtlichen Grundsatz, der sowohl die Funktion des Gesetzes als auch die Wirklichkeit der Gerechtigkeit anspricht: Die von Gott gewährte Gerechtigkeit kommt nicht mehr durch das Gesetz, sondern durch den Messias Jesus, und was das Gesetz wollte und ermöglichte, nämlich Gerechtigkeit, kommt jetzt durch Jesus und den Glauben an ihn. Der Messias Jesus ist Ende und Ziel des Gesetzes. In V. 5-13 wird diese Lehraussage aus der Schrift begründet. Zunächst nennt Paulus in V. 5 den Grundsatz der Gesetzesgerechtigkeit: Wer das Gesetz tut, wird leben (Zitat Lev 18,5). Dieser Grundsatz wird in V. 6-8 mithilfe von Deut 9,4; 30,12-13; Ps 107,26 erläutert: Der Messias ist gekommen und in seiner Botschaft gegenwärtig, er muss weder aus dem Himmel noch aus dem Abgrund herbeigeholt werden. Paulus interpretiert die atl. Stellen, die er verwendet, christologisch: Der Messias Jesus ist an die Stelle der Gottesoffenbarung bzw. der göttlichen
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Weisheit getreten. Die Aussage V. 8c ist grundlegend: Das Gotteswort, das die Heil schaffende Gerechtigkeit Gottes vermittelt, ist das von Paulus verkündigte Wort vom Glauben an den Messias Jesus. Mund und Herz sind an diesem Glaubensbekenntnis beteiligt. In V. 9-10 erläutert Paulus das „nahe Wort“: Dieses ist das mündliche Bekenntnis zu Jesus als Herrn, d.h., es besteht in der Bejahung der gegenwärtigen Stellung des gekreuzigten Messias Jesus als auferweckter und erhöhter Herr. Der Glaube im Herzen ist die bejahende Anerkennung der Auferweckung Jesu von den Toten und damit die Anerkennung des Todes Jesu als Heilshandeln Gottes. In V. 10 wird die Aussage V. 8c neu formuliert: Der Glaube an den Messias Jesus bedeutet Zuspruch der Gerechtigkeit, Bekenntnis zu ihm bedeutet Rettung im Endgericht. In V. 11-13 erläutert Paulus die neue Heilsordnung der Glaubensgerechtigkeit. Zunächst bestätigt Paulus in V. 11 die Lehraussage V. 10 durch die Schrift (Zitat Jes 28,16, das bereits in 9,33 zitiert worden war). In V. 12 betont Paulus die universale Geltung des Heilshandelns Gottes im Messias Jesus: Die neue Heilsordnung, in der der Glaube an Jesus zum Zuspruch der Gerechtigkeit führt, gilt ohne Unterschied für Juden wie für Griechen, weil Jesus der Kyrios ist für alle, die sich zu ihm bekennen. Diese Wahrheit wird in V. 13 durch die Schrift bestätigt (Zitat Joel 3,5). Textkritische Anmerkungen. In V. 1 ist die Lesart αυ� τω ñ ν früh und breit bezeugt (d46 *אA B D F G 6 365 1506 1739 1881); die Plus-Lesarten τουñ Ισραη' λ ε� στιν (Byz) und αυ� τω ñ ν ε� στιν (א2 P Ψ 33 1505 u.a.) sind spät und 57 wollen den Text klären. In V. 3 lassen viele Textzeugen nach τη` ν ι� δι'αν das Wort δικαιοσυ' νην aus (A B D P 81 365 629 630 1506 1739 1881 u.a., ar vg co), was durch Haplographie erklärbar ist;58 die Lesart mit δικαιοσυ' νην ist etwas besser bezeugt (d46 *אF G Ψ 33 Byz). In V. 5 sind die Lesarten zur Stellung von ο« τι unterschiedlich: Manche Zeugen setzen es direkt nach γρα' φει ( *אmit Auslassung von τουñ , A mit Ersetzung von τουñ νο' μου durch ε� κ πι'στεως, D* mit τη` ς ε� κ statt τη` ν ε� κ, 33 mit Auslassung von γα' ρ, 81 630 1506 1739 u.a.). Die Stellung von ο« τι nach γρα' φει τη` ν δικαιοσυ' νην τη` ν ε� κ τουñ νο' μου unmittelbar vor dem Zitat ist mit d46 (auch א2 B Ψ 945, jedoch ohne τουñ ) D2 F G Byz früh und gut bezeugt, während die Lesart von *אu.a. als Versuch stilistischer Verbesserung erklärt werden kann.59 Die Auslassung des Artikels τουñ vor νο' μου (*א.2 B Ψ) könnte ursprünglich sein; die frühe (d46) und breite (Byz) Bezeugung spricht ebenfalls für Ursprünglichkeit; NA26-28 folgen d46, setzen den Artikel jedoch in Klammern. Die Aus————————————————————
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Metzger, Textual Commentary, 463. Jewett 606; NA25 folgte dieser Lesart, während NA26-28 die Plus-Lesart bevorzugen (mit δικαιοσυ' νην in Klammern). Metzger, Textual Commentary (1. Auflage 1975), 454; Cranfield II 520-521; Jewett 621.
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lassung von αυ� τα' ( *אA D 6 81 424 u.a.) ist gut bezeugt, jedoch als stilistische Verbesserung erklärbar (αυ� τα' hat kein vorausgehendes Bezugswort); αυ� τα' ist mit א2 B F G K L P Ψ 33 u.a. früh und breit bezeugt. Die Auslassung von α» νθρωπος (F G ar syp) ist spät. Statt αυ� τοιñς (d46 א2 D F G Ψ Byz it sy) lesen *אA B 33 81 630 1506 1739 1881 vg co αυ� τηñ, ; der Plural ist die schwierigere Lesart. In V. 8 ist die Lesart λε' γει η� γραφη' (D 33 104 365 629; F G bo lesen η� γραφη` λε' γει) eine Verdeutlichung des Wortlauts und deshalb sicher sekundär. Die Lesart ε� ν τω ñ, στο' ματι' σου κυ' ριον � Ιησουñ ν in V. 9 ( אD F G Ψ 33 1739 1881 Byz lat sy bo) ist früh und breit bezeugt; die Lesart το` ρ� ηñ μα ε� ν τω ñ, στο' ματι' σου ο« τι κυ' ριος �Ιησουñ ς in B 81 1735 sa ist der Versuch einer syntaktischen Verbesserung (dem Verb ο� μολογη' ση, ς wird ein Objekt verschafft) und deshalb als sekundär zu bewerten.60 III
1 Mit der Anrede Brüder (α� δελφοι' [adelphoi]; s. zu 1,13) spricht Paulus
die stadtrömischen Christen direkt an61 und unterstreicht damit den Ernst der folgenden Aussage: der Wunsch meines Herzens und meine Bitte an Gott gilt ihrer Rettung. Das seltene Wort ευ� δοκι'α [eudokia] kann auch mit „guter Wille, Huld, Wohlgefallen“ übersetzt werden; es bezeichnet einen starken Wunsch, den bevorzugten Willen.62 Paulus bringt den Wunsch seines Herzens (zu καρδι'α s. 1,21) im Gebet zum Ausdruck. Das Wort δε' ησις [deēsis] beschreibt konkret die „Bitte“, die an Gott (προ` ς το` ν θεο' ν) gerichtet wird.63 Das Personalpronomen αυ� τω ñ ν [autōn] (Plural) bezieht sich auf Israel, das die Gerechtigkeit aus dem Glauben nicht erreicht hat, weil es sich am Stein des Anstoßes, den Gott in Zion gelegt hat, gestoßen hat (9,31-32), d.h. auf die Juden, die sich dem Glauben an den Messias Jesus verweigern. Paulus bittet Gott für die ungläubigen Juden (υ� πε` ρ αυ� τω ñ ν [hyper autōn], mit dem Ziel ihrer Rettung (ει� ς σωτηρι'αν [eis sōtērian]; zu σωτηρι'α s. 1,16).64 ————————————————————
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Jewett 622. Vgl. 1,13; 7,1.4; 8,12 sowie 11,25; 12,1; 15,14.30; 16,17. Vgl. Bauer/Aland s.v. ευ� δοκι' α 1-3; BDAG; G. Schrenk, Art. ευ� δοκε' ω κτλ., ThWNT II, 736-748; R. Mahoney, EWNT II, 189-191; H. Bietenhard, ThBLNT II, 1916-1918. In der LXX in 1Chron 16,10; Ps 5,13; 18,15; 50,20; 68,14; 88,18; 105,4; 140,5; 144,16; Hld 6,4, sodann 14 Mal in Sir, meist im Sinn von Gottes Wohlgefallen, d.h. von seinem gnädigen Wollen, Handeln und Wählen. Im NT in Mt 11,26; Lk 2,14; 10,21; Röm 10,1; Eph 1,5.9; Phil 1,15; 2,13; 2Thess 1,11. In den zeitlich relevanten Papyri ist ευ� δοκι' α nicht belegt; vgl. Kreinecker, 2. Thessaloniker, 151. Die Definition in BDAG s.v. δε' ησις: „urgent request to meet a need“ ist angesichts der Verwendung in LXX und außerbiblischen Texten (LSJ, MM; vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 206: Bitte, Bittgesuch, Gebet) unnötig mit „Dringlichkeit“ verknüpft. Im NT kommt das Wort noch in 2Kor 1,11; 9,14; Eph 6,18; Phil 1,4.19; 4,6; 1Tim 2,1; 5,5; 2Tim 1,3 vor. Bauer/Aland s.v. δε' ησις schlägt „Bitte“ als Übersetzung vor.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 371 ————————————————————————————————————
Nach den Worten der Propheten Hosea (2,1) und Jesaja (10,22-23 und 1,9), die Paulus in 9,27-29 zitiert hat, wird nur ein Überrest Israels gerettet, während alle anderen Israeliten von Gottes Heil ausgeschlossen sind. Paulus trauert um Israel (9,1-5), sein Herz drängt ihn, Gott um ihre Rettung zu bitten. Der Begriff σωτηρι' α/σω', ζω kommt in Röm 9–11 mehrfach vor (V. 1.9.10.13, sodann in 10,1.9.10.13; 11,11.14.26).65 Die Rettung Israels als Rettung vor dem Zorngericht Gottes (1,18) ist nur im Anschluss an den Messias Jesus möglich, dessen Tod am Kreuz die Sünden aller aus Juden und Heiden (1,18–3,20) sühnt und den Zugang zur Gnade und Gerechtigkeit Gottes ermöglicht (3,21–5,21). Das heißt, Paulus betet, dass die Juden, die noch nicht zu den Jesusbekennern gehören, zum Glauben an Jesus als den von Gott gesandten, gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias kommen. Die Fürbitte des Apostels für Israel kann mit der Fürbitte Abrahams für Sodom und Gomorra und von Mose und den Propheten für Israel verglichen werden.66 Die Tatsache der Fürbitte zeigt, dass Gott die in der Gegenwart ungläubigen Juden Gesamt-Israels nicht verstoßen hat, sondern dass Hoffnung besteht, dass Juden von Gott gerettet werden – eine Hoffnung, die Paulus veranlasste, in seiner Missionsarbeit Juden mit der Botschaft des Evangeliums vom Messias Jesus zu erreichen, wo immer die Möglichkeit dazu bestand. 2 Paulus begründet (Anschluss mit γα' ρ) seine Fürbitte für das jüdische Volk: Denn ich bezeuge ihnen, dass sie Eifer um Gott haben (V. 2a). Der „Eifer um Gott“ (ζηñ λος θεουñ [zēlos theou])67 war ein Kennzeichen der Gerechten Israels (Ps 69,10: „Der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt“; 119,139: „Der Eifer für dich verzehrt mich; denn meine Gegner vergessen deine Worte“). In Num 25,11.13 (vgl. Ps 106,29-30 sowie Sir 45,23) wird der Eifer des Priesters Pinhas gerühmt, in 1Kön 19,10.14 der Eifer des Propheten Elia.68 Vom Priester Mattatias heißt es zu Beginn der Makkabäer————————————————————
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Die Präpositionwendung ει� ς σωτηρι' αν entspricht «ινα σωθω ñ σιν; zu ergänzen ist ε� στιν. Paulus verwendet das Substantiv σωτηρι' α in 1,16; 10,1.10; 11,11; 13,11, das Verb σω', ζω in 9,9.10.13; 10,9.13; 11,14.26 Gen 18,23-32 (Abraham); Ex 32,30-32 (Mose); Am 7,1-6. Der Genitiv θεουñ ist gen. objectivus. Zu ζηñ λος vgl. A. Stumpff, ThWNT II, 879-890; W. Popkes, EWNT II, 247-250; H.C. Hahn / F. Thiele, ThBLNT I, 145-147; Hengel, Zeloten, 63-65, der betont, dass bei jüdisch-hellenistischen Autoren die Affektbetontheit des Begriffs zurücktritt. Paulus verwendet ζηñ λος in Röm 10,2; 13,13; 1Kor 3,3; 2Kor 7,7.11; 9,2; 11,2; 12,20; Gal 5,20; Phil 3,6. Die positive Bedeutung von ζηñ λος im Sinn von „Ehrgeiz“ ist nach Arzt-Grabner, 2. Korinther, 373, in den dokumentarischen Papyri bisher nur in P.Bodl. I 9,2-3 belegt; vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 139. Der Eifer von Pinhas und Elia spielte für die Zeloten eine wichtige Rolle; vgl. Hengel, Zeloten, 153-179; ebd. 179-224 zum „Eifer“ als typischer Wesenszug frühjüdischer Frömmigkeit und der Eifer für das Gesetz und das Heiligtum im palästinischen Judentum.
372 Römerbrief ————————————————————————————————————
kämpfe: „Der leidenschaftliche Eifer für das Gesetz (ε� ζη' λωσεν τω ñ, νο' μω, ) hatte ihn gepackt und er tat, was einst Pinhas mit Simri, dem Sohn des Salu, gemacht hatte. Dann ging Mattatias durch die Stadt und rief laut: Wer sich für das Gesetz ereifert (παñ ς ο� ζηλω ñ ν τω ñ, νο' μω, ) und zum Bund steht, der soll mir folgen“ (1Makk 2,26-27); am Ende seines Lebens sagt er zu seinen Söhnen, die den Kampf fortsetzten: „Jetzt ereifert euch für das Gesetz, meine Söhne, setzt euer Leben ein für den Bund unserer Väter!“ (1Makk 2,50); vgl. 1QS IV, 4–5: Gott gibt „einen Geist von Erkenntnis im Plan jedes Werkes und Eifer um gerechte Gesetze, Denken von Heiligkeit mit festem Sinn und viel Güte zu allen Wahrheitssöhnen“ (Übers. J. Maier). Paulus kann diesen Eifer persönlich bezeugen (μαρτυρω ñ [martyrō]): Er hatte vor seiner Bekehrung zum Glauben an Jesus „Eifer“ gehabt – er lebte als Pharisäer nach dem Gesetz, er verfolgte voll Eifer (ζηñ λος) die Gemeinde der Jesusbekenner, er war untadelig in der Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz vorschreibt (Phil 3,5-6), er setzte sich mit dem größten Eifer (περισσοτε' ρως ζηλωτη' ς) für die Überlieferungen der Väter ein (Gal 1,14); er war ein „Eiferer für Gott“ (ζηλωτη` ς τουñ θεουñ ) wie die Juden Jerusalems (Apg 22,3). Und er hatte in den Synagogen, die er als Missionar besuchte, den Eifer der Diasporajuden für Gott beobachtet. Die Anerkennung des „Eifers“ des jüdischen Volkes impliziert, dass weder das Gesetz noch das Bestreben, das Gesetz zu halten, prinzipiell negativ gesehen werden.69 In V. 2b qualifiziert Paulus den Eifer des jüdischen Volkes für Gott: aber dieser beruht nicht auf der richtigen Erkenntnis. Erkenntnis (ε� πι'γνωσις [epignōsis]) ist zunächst die Erkenntnis eines bestimmten Tatbestands, dann aber auch die Anerkennung der Bedeutung des Erkannten.70 In Phil 1,9-11 verbindet Paulus die Erkenntnis des Willens Gottes mit dem konkreten Lebensvollzug der Jesusbekenner, die beurteilen können sollen, „worauf es ankommt“, damit sie „rein und ohne Tadel“ sind am „Tag des Messias“ (vgl. Kol 1,9-10; Eph 1,17-19). Natürlich spricht Paulus den Juden „Erkenntnis“ nicht schlechthin ab, deshalb ist mit „richtige Erkenntnis“ zu übersetzen.71 In der folgenden Aussage erklärt Paulus, was er meint. ————————————————————
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Hengel betont, dass dieser „Eifer“ in dem „Bewußtsein der Erwählung und Besonderheit Israels“ gründete, wobei Gottes Eifer für die Reinheit und Freiheit Israels der letzte Ausgangspunkt für diesen Eifer war (225). Richtig Wilckens II 220, der an dieser Stelle wieder Auslegungen zurückweist, die von der Sucht des Juden nach Selbstverwirklichung sprechen. Paulus verwendet ε� πι' γνωσις in Röm 1,28; 3,20; 10,2; Eph 1,17; 4,13; Phil 1,9; Kol 1,9.10; 2,2; 3,10; 1Tim 2,4; 2Tim 2,25; 3,7; Tit 1,1; Phlm 6; R. Bultmann, Art. γινω' σκω κτλ., ThWNT I, 688-719; W. Hackenberg, EWNT II, 62-64; E.D. Schmitz / K. Haacker, ThBLNT I, 351-359. Das Simplex γινω' σκω und das Kompositum ε� πιγινω' σκω sind bedeutungsgleich (Bultmann, ebd. 703).
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 373 ————————————————————————————————————
3 Paulus begründet (Anschluss mit γα' ρ) sein Urteil, dass die Juden, für
deren Rettung er betet, in dreifacher Hinsicht keine richtige Erkenntnis haben. Erstens, sie erkannten die Gerechtigkeit Gottes nicht (α� γνοουñ ντες τη` ν τουñ θεουñ δικαιοσυ' νην [agnoountes tēn tou theou dikaiosynēn]; zu δικαιοσυ' νη vgl. 1,17). Die „Gerechtigkeit Gottes“ ist Gottes eigene Gerechtigkeit, die er, wie Paulus in 3,21-26 erläutert hat, den Sündern aus Heiden und Juden (1,18-32; 2,1–3,20; 3,23) unabhängig vom Gesetz offenbart „durch den Glauben an Jesus den Messias“ (3,22), in dessen Sühnetod am Kreuz Gott seine Gnade wirksam werden ließ, durch die Sünder Vergebung der Sünden und Erlösung erfahren. Die mit dem gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Messias Jesus verbundene Gerechtigkeit Gottes zu erkennen heißt, sie anzuerkennen, an den Messias Jesus zu glauben und für Sühne, Vergebung, Erlösung und Zugang zu Gottes Gnade allein auf Gottes Offenbarung im Messias Jesus zu vertrauen. In der Grundaussage „jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden“ (3,21) markiert „jetzt“ (νυ' νι [nyni]) eine neue Heilszeit, die Partikel δε' [de] einen Kontrast zur vorhergehenden Heilszeit und die Präpositionalwendung „unabhängig vom Gesetz“ (χωρι`ς νο' μου [chōris nomou]) den neuen Ort und die veränderten Bedingungen der Heil schaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes. Diese neue Wirklichkeit muss, ermöglicht von der erwählenden Barmherzigkeit und Gnade Gottes, erkannt und im Glauben ergriffen werden, wenn Sünder von der Gerechtigkeit Gottes erfasst sind. Zweitens, sie richteten ihre eigene Gerechtigkeit auf (τη` ν ι� δι' αν δικαιοσυ' νην ζητουñ ντες [tēn idian dikaiosynēn zētountes]). Jede Gerechtigkeit, die nicht der von Gott offenbarten und ermöglichten Gerechtigkeit entspricht, ist menschliche, deshalb „eigene“ Gerechtigkeit. Gottes Bund mit Abraham erwies diesen als Gerechten, weil er ohne Leistung an die Verheißung Gottes glaubte (4,1-22). Gottes Bund mit Israel am Sinai ermöglichte ebenfalls Gerechtigkeit (s. die Verknüpfung von צדקmit יׁשעin Ps 65,6; 71,2; 98,2; 116,5-6; 118,15; 119,123; Jes 45,8; 51,5-6; 61,10; 63,1: Gottes Heil schaffendes Eingreifen ist Ausdruck seiner Gerechtigkeit). Der Grundcharakter von Gottes Gerechtigkeit als barmherzige Zuwendung zum Menschen blieb von Abraham bis Mose gleich, aber die konkrete Gestalt der Gerechtigkeit – bei Abraham der Glaube an Gottes Verheißung von Nachkommen durch Sara, in Israel der Glaube an Gottes gnädige Zuwendung im Exodus, am Sinai und im Gesetz als Dokument des Bundes, der das Leben Israels bestimmt – änderte sich. Das Kommen des Messias Jesus brachte ————————————————————
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Vgl. Elb.Ü (in Klammern), GN, NGÜ, ZÜ; vgl. die Übersetzung in den Kommentaren von Michel, Wilckens, Haacker, Lohse.
374 Römerbrief ————————————————————————————————————
eine weitere und jetzt ganz entscheidende Änderung in der Gestalt der Heil schaffenden Gerechtigkeit Gottes: Der Messias Jesus erwirkt für alle, Juden und Heiden, Gottes Gerechtigkeit durch seinen Sühnetod am Kreuz, der das Problem der seit Adam in der Welt herrschenden Sünde ein für alle Mal löste (3,21–5,21), sodass Menschen – Juden wie Heiden – nicht mehr unter der Macht der Sünde (7,7-25) leben, sondern infolge ihrer Vereinigung mit dem Messias Jesus (6,1-23) und der Gegenwart des Geistes Gottes als Kinder Gottes den Willen Gottes tun (8,1-17). Wenn Juden die im Messias Jesus für alle Sünder offenbarte Gerechtigkeit Gottes nicht erkennen und weiterhin im Rahmen des Gesetzes die Gnade Gottes als Sünder erleben wollen, dann verweigern sie Gott den Glauben (9,32): Sie wollen Gottes Gerechtigkeit allein aufgrund von Werken erhalten (9,32) und richten damit ihre „eigene“ Gerechtigkeit auf. Die im Sinaibund offenbarte Gerechtigkeit Gottes wird zur „eigenen Gerechtigkeit“, wenn man an Beschneidung, Gesetzesgehorsam, Opfer und Waschungen als Grund und Ursache der Gerechtigkeit festhält und gleichzeitig den Messias ablehnt, den „Stein“, den Gott in Israels Mitte aufgerichtet hat. Drittens, sie haben sich der Gerechtigkeit Gottes nicht untergeordnet (τηñ, δικαιοσυ' νη, τουñ θεουñ ου� χ υ� πετα' γησαν [tē dikaiosynē tou theou ouch hypetagēsan]). Sich Gottes Heil schaffender Gerechtigkeit unterordnen heißt, sich Gottes Heilsoffenbarung zu unterwerfen, ihr gehorsam zu sein. Das Verb υ� ποτα' σσω [hypotassō] bezieht sich auf hierarchische Relationen und bedeutet „sich unterordnen, sich unterwerfen, gehorchen“.72 In der LXX ist das Verb in Ps 62[61],2.6; Hag 2,18 auf Gott bezogen; vgl. 2Makk 9,12. In Dan 7,27 ist von Gottes ewiger Königsherrschaft die Rede, in der gilt: „Alle Vollmachten werden ihm untergeordnet werden (αι� ε� ξουσι' αι αυ� τω ñ, υ� ποταγη' σοντα) und ihm gehorsam sein (πειθαρχη' σουσιν)“ (LXX.D). In 1Chron 22,18; 24,24; Ps 18,47 sowie Weish 8,14; 18,22; 2Makk 8,9; 13,23; Josephus, Bell 2,361.433; 4,175 bezeichnet das Verb die Unterordnung von Völkern bzw. Menschen unter einen König bzw. Gott. In C.Ord.Ptol. 61,3-4 sind die οι� υ� ποτεταγμε' νοι [hoi hypotetagmenoi] die „Untergebenen“ eines höheren Beamten in der Finanzbehörde.73 Paulus verwendet das Verb in Röm 8,7.20; 10,3; 13,1.5; 1Kor 14,32.34; 15,27.28; 16,16; Eph 1,22; 5,21.24; Phil 3,21; Kol 3,18; Tit 2,6.9; 3,1. Hier ist die Bedeutung des Mediums zur Erklärung wichtig: Israel hat sich geweigert, das zu bejahen, was Gott fordert. ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. υ� ποτα' σσω 1b.β (Passiv); BDAG s.v. definiert die Grundbedeutung mit „to cause to be in a submissive relationship“. LSJ s.v. υ� ποτα' σσω II.2 „subject, make subject“, Passiv „to be obedient“. Vgl. G. Delling, Art. τα' σσω κτλ., ThWNT VIII, 27-49, zu υ� ποτα' σσω ebd. 40-47; R. Bergmeier, EWNT III, 975-976; C. Spicq, TLNT III, 424426; Kamlah, υ� ποτα' σσεσθαι; Krauter, Studien, 216-219. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 464; in den Papyri wird υ� ποτα' σσω meistens mit der Bedeutung „anfügen“ (von Schriftstücken, Textteilen bzw. Aufträgen an das Ende eines Dokuments) verwendet (το` υ� ποτεταγμε' νον); ebd. 464 Anm. 960.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 375 ————————————————————————————————————
Wer angesichts der Heil schaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes an dieser vorbei das Heil finden und damit eine „eigene“, von Gott nicht autorisierte, Gerechtigkeit aufrichten will, ist explizit der Gerechtigkeit Gottes nicht gehorsam. 4 Paulus begründet (Anschluss mit γα' ρ), weshalb die nicht an den Messias Jesus glaubenden Juden nicht die richtige Erkenntnis haben (V. 2) und im Zusammenhang ihres Eifers um Gott, der sich für die Frommen Israels im Gesetzesgehorsam erweist, nicht die Gerechtigkeit Gottes haben, sondern eine „eigene“ Gerechtigkeit errichten wollen. Die wie ein Lehrsatz formulierte Aussage begründet den neuen Ort und die neue Gestalt der Gerechtigkeit Gottes im Messias Jesus: Denn das Endziel des Gesetzes ist der Messias zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt. Mit dem „Gesetz“ (νο' μος [nomos]; s. zu 7,12) ist das mosaische Gesetz gemeint, die Tora des Sinaibundes.74 Das allein stehende Χριστο' ς ([Christos]; s. zu 1,1) ist als „Messias“ wiederzugeben. Die Interpretation des mit Endziel übersetzten Wortes τε' λος [telos] ist umstritten. Das Wort bezeichnet, je nach Kontext, das „Ende“, d.h. den Endpunkt einer „Laufzeit“ oder das „Ziel“.75 Das Verb τελε' ω [teleō] bezeichnet seit den frühesten Belegen 1. „ausführen, durchführen, verwirklichen“ (von Handlungen, vgl. Homer, Od 2,272; von Vorhaben und Wünschen, Od 25,5; von Gesetzen, Plato, Leg 11,926a); auch „beenden, abschließen“, räumlich von der zurückgelegten Strecke (Od 4,663), zeitlich mit der Betonung des Abschlusses (Od 19,85); 2. „verwirklichen, bewirken“, wobei das Objekt ein Resultat bezeichnet: von einem Zustand, einer Situation, einer Qualität (Od 18,389), von der Herstellung eines Gegenstandes (Od 23,192.199), von Nachkommen (Il 9,493), von der Ernennung zu einem Amt (Demosthenes 13,19); 3. „bezahlen, ausgeben, finanzielle Pflichten erfüllen“ (Herodotus 2,109,2). Das Substantiv τε' λος [telos] bedeutete ursprünglich wohl „Last“ (im konkreten Sinn), sodann metaphorisch „Aufgabe, Dienst, Pflicht, Verpflichtung“.76 Die Substantive der häufigen attributiven Genitive entsprechen den Kategorien der Objekte des Verbs: 1. „Durchführung, Ausführung, Erfüllung, Vollendung, Ende“ von Aufgaben, Handlungen, Versprechen, Plänen (Herodotus 1,155,1), vom Ende des Lebens (Herodotus 3,65,7), von Gesetzen (Plato, Leg 625d; Plutarch, Mor 780E); 2. „Verwirklichung, Erreichung, Vollendung, Ergebnis, Abschluss“, von einem Zustand, in der Philosophie oft im Sinn von „Ziel, Absicht“ des ————————————————————
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Anders Sanday/Headlam 284. Die meisten Ausleger interpretieren im Sinn der Tora. Bauer/Aland s.v. τε' λος 1a-b („d. Ende“ im Sinn von „Aufhören“ oder „Endpunkt, Abschluss“), 1c („d. Ziel“); vgl. BDAG 1: „a point of time marking the end of a duration, end, termination, cessation“; 2: „the last part of a process, close, conclusion“; 3: „the goal toward which a movement is being directed, end, goal, outcome“; LSJ I: „coming to pass, performance, consummation, fulfilment“; II: „degree of completion or attainment“ (jeweils mit Bedeutungen in konkreten Kontexten und zahlreichen Belegen). Es werden noch weitere, hier nicht weiter relevante Bedeutungen aufgelistet. Vgl. G. Delling, Art. τε' λος, ThWNT VIII, 50-058; H. Hübner, EWNT III, 832-835; E. Schnabel, ThBLNT I, 38-45; daran anschließend die folgende Skizze. Vgl. Waanders, History of ΤΕΛΟΣ passim.
376 Römerbrief ———————————————————————————————————— Seins und Handelns als „höchstes Gut“ (Aristoteles, EthNic 994b9), „(physische) Vollständigkeit, (biologische) Reife“ (Plato, Phaedr 276b); „Abteilung, Gruppe“ (mit konkreter Aufgabe, oft „Regimenter“ (Herodotus 9,42,1); „(öffentliche) Aufgabe, Amt“ (Herodotus 3,18), von daher auch „Autorität“ (Thukydides 6,88,10); „Bezahlung“ (Homer, Il 21,450); „Steuer, Zoll, Kosten“ (Thukydides 4,60,2). Für die Bedeutung „Ende“ in streng zeitlichem oder räumlichem Sinn, die häufig für τε' λος in Röm 10,4 angenommen wird, sind die Belege nicht so zahlreich, wie manchmal angenommen wird; für „Ende“ in räumlichem und zeitlichem Sinn wird meistens ε» σχατος [eschatos], τε' ρμα [terma], τε' ρμων [termōn], πε' ρας [peras] oder α» κρον [akron] verwendet. Aristoteles betont, dass τε' λος nicht „jegliches Ende“ (ε» σχατος [eschatos]) bezeichnet, sondern nur „das Beste“ (Phys 194a2), das zur „Vollendung“ gelangte. Wo man mit „Ende“ übersetzen kann, liegt die Betonung oft auf der „Vollendung“ oder dem „Abschluss“ von Handlungen oder Ereignissen.77 Seit Aristoteles wird τε' λος für das „Ziel“ des Lebens verwendet: Das τε' λος des Handelns, das wir um seiner selbst willen erstreben, ist das oberste Gut (EthNic 1094a18-22); die Stoa bestimmt τε' λος als Leben in Übereinstimmung mit der Natur (Diogenes Laertius 7,87). Die Bedeutung von τε' λος in der LXX entspricht generell der klassischen Verwendung. Das Substantiv, das ca. 160 Mal verwendet wird, übersetzt ganz unterschiedliche hebr. Vokabeln und Wendungen, sodass von einem „Telos-Begriff “ nicht die Rede sein kann; die Bedeutung ergibt sich jeweils aus dem Kontext. Häufiger als im klassischen Griechisch ist die Verwendung in zeitlichen Zusammenhängen. Man findet die Bedeutungen „Ausführung“ (1Chron 29,19), „Ziel“ (Hiob 23,3), „Abschluss“ im Sinn von Tod (Koh 7,2), „Endergebnis“ menschlichen Denkens mit dem Hinweis auf die Gottesfurcht und das Halten der Gebote (Koh 12,13), „Abgabe, Tribut“ (Num 31,28). Für „Ende“ in einem eschatologischen Sinn verwendet die LXX nicht τε' λος (vgl. jedoch Dan 6,26[27]; 9,27 in Theodotion), sondern συντε' λεια [synteleia]. Folgende Wendungen sind belegt: ει� ς τε' λος [eis telos], „schließlich, für immer, ganz“, zeitlich (z.B. Ps 9,7.19.32) oder auf den Umfang bezogen (Deut 31,24.30); ε« ως τε' λους [heōs telous], „völlig“ (Ps 37 [38],6); δια` τε' λους [dia telous], „ständig“ (Jes 62,6). Die Verknüpfung von τε' λος und α� ρχη' [archē], „Anfang“, kommuniziert primär die Konnotation „ganz, vollständig“: Gottes Werk ist dem Menschen „gänzlich“ verborgen (Koh 3,11). Der Sprachgebrauch der griechisch schreibenden jüdischen Autoren schließt sich diesen Verwendungsmöglichkeiten an: τε' λος bezeichnet die „Durchführung von Handlungen“ (3Makk 1,26), das „vollständige Maß“ (an Sünden, 2Makk 6,15), „Abschluss, Ende“ (Bar 3,17; Weish 14,14 vom Tod), „Ergebnis“ von Ereignissen (2Makk 5,7), „Steuer“ (1Makk 10,31; 11,35); vom Schicksal der Ungerechten und der Gerechten (Weish 3,19; TestBen 4,1); in Verbindung mit α� ρχη' für die „Vollständigkeit“ der von Gott geschenkten Erkenntnis (Weish 7,18), das „höchste Gut“ (Sir 43,27: Gott). Das Weltende kann τε' λος (TestLevi 14,1; Sib 3,211) genannt werden, wobei vielleicht der Gedanke der „Vollendung“ im Sinn der „Erfüllung“ des Planes Gottes angesprochen ist. Im Neuen Testament können folgende Bedeutungen unterschieden werden: 1. „Ende“: In der Endzeitrede Jesu bezeichnet τε' λος das apokalyptische Endgeschehen: Das „Ende“ kommt nicht schon dann, wenn man von Kriegen hört (Mk 13,7 / Mt 24,6 / Lk 21,9), sondern erst, wenn das Evangelium auf der ganzen Erde verkündigt wird (Mt 24,14). Wer bis zum „Ende“ (bis zur Parusie; andere: bis zum Tod) standhaft bleibt, der wird gerettet (Mt 10,22; 24,13; Mk 13,13). Für Paulus ist das „Ende“ der Zeiten (Plural τα` τε' λη [ta telē], 1Kor ————————————————————
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Waanders, History of ΤΕΛΟΣ, 235; Badenas, Christ, 44-45. Dunn II 589 wirft Badenas eine einseitige Auswertung der Belege vor und betont an den von diesem behandelten Stellen die Konnotation „Ende“.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 377 ———————————————————————————————————— 10,11), für Petrus das „Ende“ aller Dinge nahegekommen (1Petr 4,7). Das „Ende“ ist endgültig gekommen, wenn Christus alle Mächte vernichtet und seine Herrschaft Gott übergibt: Dann ist auch der „letzte Feind“ (ε» σχατος ε� χθρο' ς [eschatos echthros]) entmachtet (1Kor 15,24.26). Den Gedanken eines zeitlichen Abschlusses vermitteln auch die adverbiel-len Bildungen α» χρι τε' λους [achri telous], „bis zuletzt“, und με' χρι τε' λους [mechri telous] in Hebr 6,11; Offb 2,26 und Hebr 3,14. Vgl. auch το` τε' λος [to telos] in 1Petr 3,8. Die Wendungen ει� ς τε' λος [eis telos] und ε« ως τε' λους [heōs telous] bedeuten „ganz, völlig“ (Joh 13,1; 1Thess 2,16 und 1Kor 1,8; 2Kor 1,13). In 1Petr 1,13 fordert Petrus die Christen auf, in ihrem Verhalten und im Hinblick auf die Parusie „ganz und gar“ (Adv. τελει' ως [teleiōs]) nüchtern zu sein. 2. „Ziel, Absicht“: In 1Tim 1,15 bezeichnet τε' λος die „Absicht“, das „Ziel“ der Verkündigung, das in der Verwirklichung der Liebe besteht. Möglicherweise liegt in 2Kor 3,13 ebenfalls die Bedeutung „Absicht“ vor: Das Volk verstand nicht, was es mit dem nachlassenden Scheinen von Moses Gesicht auf sich hatte und was das Ziel seiner engen Gemeinschaft mit Gott war; die Bedeutung „Ende“ gibt ebenfalls einen guten Sinn. Die Bedeutung „Resultat, Ergebnis“ für τε' λος [te.los] ist ebenfalls belegt: Mt 26,58 will Petrus das „Ergebnis“ der Verhandlung Jesu sehen (man kann aber auch mit „Ende“ übersetzen). Röm 6,21.22 kontrastiert das „Endresultat“, das letzte Ziel, den Ausgang des Lebens unter der Sünde (Tod) und des Lebens unter der Gerechtigkeit (ewiges Leben). Hebr 6,8 handelt vom Fluch Gottes über das Land, das Dornen und Disteln hervorbringt; Jak 5,11 vom „Resultat“ der Ausdauer Hiobs (oder die „Absicht“, die Gott mit dem Geschick Hiobs verfolgte). 1Petr 1,9 spricht von der Heilsvollendung im Schauen als dem „Ergebnis“ oder „Ziel“ des Glaubens, vom „Endgeschick“ der Gegner des Apostels (2Kor 11,15) und der Feinde des Kreuzes (Phil 3,19); 1Petr 4,17 von den Gottlosen. Die traditionelle Interpretation von τε' λος νο' μου geht von der Bedeutung „Ende des Gesetzes“ aus,78 mit unterschiedlichen Nuancierungen. In der neueren Exegese haben sich viele Ausleger für die Bedeutung „Ziel des Gesetzes“ ausgesprochen.79 Mehrere Ausleger verbinden die beiden Bedeutungen und erhalten so die Ambiguität von τε' λος, mit unterschiedlicher Gewichtung von „Ende“ oder von „Ziel“.80 Den stimmigsten Bezug zum vorausgehenden Kontext (vgl. 9,32; 10,3) hat das Verständnis im Sinn von „Ende des Gesetzes“, bezogen auf einen Missbrauch oder ein Missverständnis des Gesetzes: Juden bemühen sich um das Halten des Gesetzes mit dem Ziel der Gerechtigkeit unter Absehung des Messias Jesus.81 Der schwache Punkt dieser Auslegung ist einmal die Formulierung in 10,4, die anders als 9,3132 nicht zwischen dem Gesetz und dem Streben nach den Werken unterscheidet, dann die ————————————————————
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Delling, ThWNT VIII, 57; Hübner, EWNT III, 833; Lietzmann 96; Schlatter 311; Michel 326; Käsemann 273; Schlier 311; Schmithalt 370; Dunn II 589; Stuhlmacher 141; Schreiner 545; Légasse 643; Lohse 292; Witherington 261; Kruse 403; Hultgren 384; Bultmann, Christus des Gesetzes Ende, 48; Bultmann, Theologie, 264.268; Hofius, Gesetz, 276; Hofius, Zu Römer 10,4; Hübner, Gottes Ich, 93-94; Räisänen, Paul, 53-56; Refoulé, Note, 161-186; Westerholm, Paul and the Law, 233-234; Heil, Termination, 484- 498; Lang, Erwägungen, 579-602; Lohse, Ende, 31; Ito, Torah, 260. Cranfield II 519; Byrne 315; Fitzmyer 584; Haacker 206-209 („die Hauptsache, um die es im Gesetz geht“); Seifrid 653; Jewett 619; Bring, Gesetz, 1-36; Osten-Sacken, Soteriologie, 250-255; Badenas, Christ, 117; Hays, Echoes, 76; Hills, Goal, 585-592; Thielman, Paul and the Law, 207; Niebuhr, Heidenapostel, 166; Oegema, Versöhnung, 255; Wagner, Heralds, 157-160; Reinbold, Ziel; Avemarie, Ungehorsam, 312-313. Wilckens II 222-223; Moo 641; Dunn II 589; Schnabel, Law and Wisdom, 290-292; Wilk, Bedeutung, 167; Southall, Righteousness, 239; vgl. Siegert, Argumentation, 149. Avemarie, Ungehorsam, 312-313; vgl. ebd. für die folgenden Argumente.
378 Römerbrief ———————————————————————————————————— Tatsache, dass Paulus unmittelbar anschließend an 10,4-5 unter dem Stichwort „Glaubensgerechtigkeit“ in einem Text aus der Schrift, der von der Tora handelt, diese durch den Messias Jesus ersetzt. Das heißt, im nachfolgenden Kontext von 10,6-8 ist das Verständnis „Ziel des Gesetzes“ plausibel. Deren Hauptschwierigkeit – das Zitat Lev 18,5 in 10,5 lässt, wenn das Gesetz auf den Messias Jesus zielt, die negative Interpretation nicht zu, die durch den Gegensatz zwischen der „Gesetzesgerechtigkeit“ und der „Glaubensgerechtigkeit“ in 10,6 notwendig zu sein scheint – lässt sich lösen, wenn man 10,5 konzessiv interpretiert: Paulus bestreitet nicht die Geltung des Gesetzes, und er bestreitet auch nicht, „dass das Tun der Gebote sinnvoll und richtig ist, doch wird es durch die Glaubensgerechtigkeit überboten, die allein dazu befähigt, Christus als den eigentlichen Gegenstand der Thora zu erkennen“. 82
Die Gegenüberstellung der „eigenen Gerechtigkeit“ (10,3) der Juden, die sich nach 9,32 mit „Werken“ des Gesetzes um die Gerechtigkeit bemühen, und der „Gerechtigkeit Gottes“ (10,3), die die Juden nicht erkannt haben, weil sie sich an dem „Stein“ gestoßen haben, den Gott in Zion aufgerichtet hat (9,32-33), macht ein Verständnis von τε' λος νο' μου [telos nomou] im Sinn von Ende des Gesetzes plausibel. Das Kommen des Messias Jesus – sein Sühnetod und seine Auferweckung und Erhöhung – haben die Zeit des Gesetzes als Heilsdokument des Bundes Gottes zu Ende gebracht.83 Der Messias Jesus ist das Ende des Gesetzes, insofern er dessen Verurteilung des Sünders in seinem Sühnetod aufgehoben hat. Er ist das Ende des Gesetzes, weil der Zugang zur Gegenwart Gottes nicht mehr Reinigungsriten erfordert, die alle Verunreinigungen beseitigen, und das heißt, die kultischrituellen Unterscheidungen von Rein und Unrein sind aufgehoben: „Alles ist rein“ (14,20). Der Messias Jesus ist das Ende des Gesetzes, indem er die unentrinnbare Herrschaft beendet hat, die das Gesetz durch sein Todesurteil ausübte.84 Er ist das Ende des Gesetzes, wenn dieses missbraucht und missverstanden wird im Sinn einer Ermöglichung von Leistungen (Werken), die Gott als der Gott Israels anerkennen muss, abgesehen von dem Glauben.85 Gleichzeitig ist zu beachten, dass Paulus durchaus negativ vom Gesetz sprechen kann (5,20; 7,4-6), was er hier jedoch nicht tut – im Kontext spricht er positiv vom Gesetz: Es gehört zu den Privilegien Israels (9,4); das ————————————————————
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Avemarie, Ungehorsam, 314. Die traditionelle Interpretation, nach welcher der Satz „Christus ist das Ende des Gesetzes“ bedeutet, dass Christus das Ende des Versuchs bedeutet, durch die Eigenleistung von Gesetzeswerken die Gottesgerechtigkeit zu erreichen, trifft sicher das Selbstverständnis mancher, aber nicht aller Juden. Vgl. in den Exkursen zu „Gerechtigkeit“ bei 1,17 und zu „Gesetz“ bei 7,12 die Ausführungen zur Qumrangemeinde. Vgl. Wilckens II 222; Lohse 292. Im Sinn der Aufhebung des Fluches des Gesetzes auch Stuhlmacher 141; Hofius, Gesetz, 64. Dunn II 590: Jesus hat das Missverständnis der Juden, das Gesetz als Quelle nationaler Gerechtigkeit zu behandeln, aufgehoben; Paulus spricht in 10,4 wie auch sonst vom „Gesetz“ in Äußerungen, die eine solche Einschränkung auf ein exklusivistisches Selbstverständnis Israels erkennen lassen. Hübner, Gottes Ich, 93; vgl. Avemarie, Ungehorsam, 312.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 379 ————————————————————————————————————
„Gesetz der Gerechtigkeit“ ist eine positive Größe, die Israel nur deshalb nicht erreicht hat, weil es nicht aufgrund des Glaubens dem Gesetz nachgeeifert hat (9,31-32); die Erläuterung des „Gesetzes der Gerechtigkeit“ in 10,5-8 zitiert u.a. Deut 30,12-14, eine Stelle, die betont, dass Israel das Gesetz erfüllen kann.86 Paulus bezeichnet das Gesetz als heilig und das Gebot als heilig, gerecht und gut (7,12), und er betrachtet Gebote des Gesetzes als verbindlich auch für Christen, die nicht „gesetzlos“ (α» νομος [anomos]) sondern „im Gesetz des Messias“ (ε» ννομος Χριστουñ [ennomos Christou]) sind (1Kor 9,21). Der Gehorsam gegenüber dem Gesetz begründet nicht Gerechtigkeit, die Gott jetzt unabhängig vom Gesetz offenbart (3,21), er ist aber möglich für Sünder – als Vollzug der Verbindung mit dem Messias (6,1-23) und als Folge des Sühnehandelns Gottes im Tod des Messias Jesus, der gestorben und auferstanden ist, „damit die Rechtsforderung des Gesetzes durch uns erfüllt wird, die wir nicht dem Fleisch entsprechend wandeln, sondern dem Geist entsprechend“ (8,4). In diesem weiteren Zusammenhang ist das Verständnis von τε' λος νο' μου im Sinn von Ziel des Gesetzes plausibel. Die Gerechtigkeit, die Gott infolge des Heilshandelns des Messias Jesus dem Sünder endgültig schafft, ist das Ziel des Gesetzes, das Gerechtigkeit bewahren und ermöglichen wollte. Der Unheilszustand Israels ist nach 9,30-33 das Resultat der Ablehnung des von Gott aufgerichteten „Steins“, d.h. der mit dem Messias Jesus angebrochenen, in der Schrift prophezeiten messianischen Heilszeit – das vom Gesetz versprochene Leben (10,5) als Gottesgerechtigkeit hat seinen Sinn und seine Erfüllung in Jesus. Wer an den Messias Jesus glaubt, erlangt das vom Gesetz Gewollte. Die Formulierung zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt (ει� ς δικαιοσυ' νην παντι` τω ñ, πιστευ' οντι [eis dikaiosynēn panti tō pisteuonti]) bezeichnet die in 3,21-26 beschriebene Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes, die allen Sündern aus Juden und Heiden Heil schafft, die an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus glauben, der zur Sühnung von Sünden am Kreuz gestorben ist (vgl. die Definition des Evangeliums 1,3-4.16-17). Die mit der Präposition ει� ς [eis] formulierte Wendung, die das Ziel und die Folge des Kommens und Handelns des Messias beschreibt, markiert den Kern der Aussage: Die Gerechtigkeit Gottes, die schon immer im Glauben gründete (3,31; 4,1-12), ist jetzt mit dem Messias verbunden, d.h. mit Jesus, dem Sohn Gottes, der Kyrios ist. Was mit dem Ausdruck τε' λος νο' μου [telos nomou] gemeint ist: Paulus betont, analog der Aussage 3,21, dass Gott seine Gerechtigkeit nicht mehr im Gesetz offenbart, sondern im Messias Jesus. Wichtig ist das Wort παντι' ([panti], „für jeden“, ————————————————————
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Zurecht betont von Dunn, Common Ground, 301; zum Folgenden s. auch Lohse 293.
380 Römerbrief ————————————————————————————————————
oder „für alle“): Die Gerechtigkeit, die Gott dem Sünder durch Jesus gewährt, gilt ausnahmslos allen Menschen, Juden und Heiden. Die Bedeutung des Messias übersteigt in buchstäblich universaler Weise die Bedeutung des mosaischen Gesetzes: Dieses konnte nur Israel bzw. dem jüdischen Volk Gerechtigkeit beschreiben und ermöglichen, nicht aber den Heiden (auch in dieser Hinsicht ist Jesus das „Ende“ des Gesetzes!), während der Sühnetod Jesu allen glaubenden Sündern, Juden und Nichtjuden, die Gerechtigkeit Gottes schafft. Das heißt gleichzeitig, dass es für die Nationen keinen anderen Weg zur Gerechtigkeit Gottes gibt als für Israel: Das jüdische Volk gelangt nur dann zur Gerechtigkeit, wenn es an den Messias Jesus glaubt, d.h. vom Fallen über den „Stein“, den Gott in Zion gelegt hat (9,32-33), aufsteht und nach der „Gerechtigkeit aus Glauben“, d.h. aus dem Glauben an den gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Jesus, trachtet, ihn erkennt (10,2) und sich so der Gerechtigkeit Gottes unterwirft (10,3). 5 Paulus begründet (Anschluss mit γα' ρ) die Aussagen von 9,30–10,4 in V. 5-13 mit der Schrift. Das erste Zitat wird mit dem Satz eingeleitet: Denn Mose schreibt von der Gerechtigkeit aus dem Gesetz. Der Hinweis auf Mose bestätigt die Interpretation von νο' μος [nomos] V. 2 im Sinn des mosaischen Gesetzes und die Interpretation von 9,31-32 im Sinn des Bemühens Israels, Gerechtigkeit durch das Gesetz und die vom Gesetz geforderten Werke zu erhalten. Der Kontrast zwischen der „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ (V. 5) und der „Gerechtigkeit aus Glauben“ (V. 6) deutet im Kontext von V. 4 darauf hin, dass „Mose“ (Μωυ¨ σηñ ς) für die frühere Heilszeit steht,87 die von der neuen Heilszeit abgelöst wurde, als Gott in Zion einen „Stein“ legte (9,32-33), durch den das Nicht-Zuschanden-Werden in Gottes Gericht (9,33) und damit die Rettung (10,1) gewährleistet wird. Die „Gerechtigkeit“ aus dem Gesetz ist für Paulus die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, d.h. aus dem Halten der Gebote, gewonnen werden kann. Paulus beginnt mit einem Zitat aus Lev 18,5: Der Mensch, der dieses tut, wird durch sie leben. Der griech. Wortlaut entspricht Lev 18,5 LXX.88 Im Kontext Moses, der im Blick auf das Gesetz schreibt, ist „Mensch“ (α» νθρωπος [anthrōpos]) der Israelit, zur Zeit von Paulus der Jude, für den die Tora das Gesetz des Bundes Gottes mit Israel ist. In Lev 18,5 spricht Jahwe (18,1); in 18,4 ist von Gottes Rechtsentscheiden (τα` κρι'ματα' μου; hebr. [ ִמְׁשָּפַטיmischepātaj]) und Anordnungen (τα` προστα' γματα' μου; ֻח ֹּקַתי ————————————————————
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Vgl. 5,14; 1Kor 10,2; 2Kor 3,7-15; s. Dunn II 600. Die Änderung des relativischen α« von Lev 18,5 (α� ποιη' σας α» νθρωπος) in den Artikel (ο� ποιη' σας αυ� τα` α» νθρωπος) ist durch die im Kontext Röm 10,4-5 isolierte Zitierung bedingt; Koch, Schrift, 142; Stanley, Paul, 126-127 führt αυ� τα' auf ein LXX-Manuskript zurück, das Paulus vorlag. Zu den textkritischen Fragen s. Abschnitt II.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 381 ————————————————————————————————————
[chuqotaj]) die Rede, die die Israeliten „tun“ und „bewahren“ sollen (ποιη' σετε … φυλα' ξεσθε), was in 18,5a wiederholt wird, wobei jetzt von „allen meinen Rechtsentscheiden“ und „allen meinen Anordnungen“ die Rede ist, die sie „bewahren“ und „tun“ sollen (φυλα' ξεσθε … ποιη' σετε). Die Präp.-Wendung „durch sie“ (ε� ν αυ� τοιñς) ist instrumental zu verstehen: Das Halten der Gebote des Gesetzes ist die Antwort auf die Frage, womit bzw. wodurch der Israelit Leben hat. Im ursprünglichen Kontext der Offenbarung des Gesetzes am Sinai ist das Verb „wird leben“ (ζη' σεται; [ ַחיchaj]) sicher so zu verstehen: „Wer am Gesetz festhält, tut die Gebote und führt darin sein Leben“.89 Die „aufgeladene“ soteriologische Bedeutung, die Lev 18,5 im Judentum hatte,90 liegt nicht vor, wenn man (im Kontext des Gegensatzes V. 6) nicht annehmen will, dass dieses Schriftwort aufgehoben ist oder sich als schon immer falsch erwiesen hat. In 9,31-32 wird nicht das Bemühen um das Gesetz kritisiert, sondern das Bemühen „aufgrund von Werken“.91 Wer den Ausdruck τε' λος νο' μου [telos nomou] V. 4 im Sinn von „Ende des Gesetzes“ versteht, interpretiert V. 5 in dem Sinn, dass Paulus zugesteht, dass das Gesetz zum Tun der Gebote des Gesetzes auffordert, dass aber die dadurch gewonnene „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ noch nicht die „Gerechtigkeit Gottes“ ist, die nach V. 3 das Heil garantiert und die nur als „Gerechtigkeit aus Glauben“ (9,30.32; 10,6) ergriffen bzw. zugeeignet werden kann. Der Irrtum Israels liegt bei dieser Interpretation darin, dass es in Lev 18,5 mehr hineinliest, als dort steht, was die Ursache für die Fixierung auf die „Werke“ ist.92 Avemarie weist darauf hin, dass der bei dieser Interpretation angenommene missverständliche Umgang mit der Tora nicht in einem exklusivistischen Erwählungsbewusstsein liegt (wie bei der Neuen Paulusperspektive), „sondern (im Sinne des modernen lutherischen Verständnisses) in verfehltem Leistungsstreben“.93 Eine Schwäche dieser Interpretation ist die unzweideutige For-
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Avemarie, Ungehorsam, 314-315. Diese Bedeutung von Lev 18,5 liegt auch in Gal 3,12 vor. Lindemann, Gerechtigkeit, 141: „identisch mit der Einbindung des Menschen in den Lebenshorizont der Werke (oder der Gebote)“; vgl. Lohse 294. 4Esr 7,21; Tg. Onkelos und Tg. Ps.-Jonathan Lev 18,5: das Leben in der kommenden Welt; tSchab 15(16),17: ein langes, glückliches Erdendasein. Wer die Unerfüllbarkeit des Gesetzes annimmt, muss Lev 18,5 in dem Sinn verstehen, dass der Satz die Richtigkeit dieses Grundsatzes insofern beweist, als dass alle Menschen, auch alle Israeliten sterben. So hat weder Israel noch die spätere jüdische Auslegung Lev 18,5 verstanden. Auch im Kontext von Röm 10,5 deutet nichts darauf hin, dass Paulus die Unerfüllbarkeit des Gesetzes angenommen hätte: Wäre es Paulus darum gegangen, hätte er sich in Röm 10 deutlicher ausgedrückt; Avemarie, Ungehorsam, 312. So das Referat dieser Interpretation bei Avemarie, Ungehorsam, 312, mit Verweis auf Hübner, Gottes Ich, 93: Eine „mit Werken des Gesetzes selbstproduzierte Gerechtigkeit vor Gott hinstellen“ heißt, „Lev 18,5 mißbrauchen“. Sprinkle, Law, 176-178.189 meint, das Bemühen um Gerechtigkeit aus Werken entspreche der Forderung von Lev 18,5. Avemarie, Ungehorsam, 313 Anm. 51. Avemarie lehnt die Interpretation im Sinn der heilsgeschichtlichen Epochenwende ab, mit der das Gesetz (als Heilsweg oder vermeintlicher Heilsweg) durch Jesus Christus abgelöst wurde; er weist die Relevanz von 9,33 mit dem Zitat von Jes 18,14, die für diese Interpretation spricht, ohne Argumente zurück (ebd. 312 Anm. 48).
382 Römerbrief ———————————————————————————————————— mulierung τε' λος νο' μου, die ohne Qualifizierung vom „Gesetz“ oder vom „Tun“ als Grundsatz ausgesprochen wird. Wenn Paulus einen Missbrauch kritisieren wollte, hätte er die sprachlichen Mittel dazu gehabt. Wenn man τε' λος νο' μου mit „Ziel des Gesetzes“ interpretiert, wenn also das Gesetz auf den Messias Jesus zielt, dann ist die negative Interpretation von V. 5 schwierig, die die Kontrastierung der Gesetzesgerechtigkeit mit der Glaubensgerechtigkeit V. 6 nahelegt. Diese Schwierigkeit lässt sich lösen, wenn man sieht, dass Paulus in V. 5 nicht das Tun der Gebote des Gesetzes kritisiert: Das Gesetz verlangt das Tun der Gebote und führt zu einer „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“, die jedoch von der „Gerechtigkeit aus Glauben“ überboten wird, die es ermöglicht, den Messias Jesus als das Ziel und den eigentlichen Gegenstand der Tora zu erkennen, was Paulus in seiner anschließenden Auslegung von Deut 30,12-14 zeigt.94
Die Aussage von Lev 18,5 wird von Paulus nicht als Warnung oder zur Verurteilung des Sünders in den Raum gestellt,95 sondern als anerkannter Grundsatz des Bundes Gottes mit Israel, seinem Volk, dem er das Gesetz gegeben hatte, das Israel halten sollte und konnte. Gottes Bund mit Israel kennt und ermöglicht eine „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“, das nach 7,12 heilig und dessen Gebote heilig, gerecht und gut sind. Die in den folgenden Versen vorgestellte Auslegung von Deut 30,12-14 zeigt, dass diese Gerechtigkeit aus dem Gesetz von der Gerechtigkeit aus Glauben überboten wird. 6 Die Partikel δε' ([de], „aber“) in V. 6 ist nicht adversativ, sondern konzessiv zu verstehen: Auch wenn es eine „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ gibt, so wird diese überboten von der Gerechtigkeit aus Glauben (η� ε� κ πι'στεως δικαιοσυ' νη [dikaiosynē]), die spricht (λε' γει [legei]; V. 6a). Die Verwendung von γρα' φει (Mose „schreibt“; V. 4) und λε' γει (die Glaubensgerechtigkeit „sagt“) wird oft exegetisch ausgewertet: Dem Schreiben des Mose entspricht das Gesetz, dem Reden der Gerechtigkeit aus Glauben das Wort des Evangeliums von Jesus Christus.96 Die Stimme der Gerechtigkeit aus Glauben ist die Stimme Moses, der in den zitierten Schriftstellen zu Israel spricht. Das Wort „Gerechtigkeit“ war in 6,18.22 schon personifiziert worden („Sklaven der Gerechtigkeit“), wie im Alten Testament und Judentum die unterschiedlichen Äußerungen der Manifestation Gottes in seiner Schöpfung (Weisheit, Name, Wort, Herrlichkeit) personifiziert wurden (vgl. ————————————————————
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Avemarie, Ungehorsam, 313-314. Avemarie ebd. 315 Anm. 57 lehnt seine früher vertretene christologische Deutung von 10,5: Das Tun des Gesetzes besteht im Glauben an Jesus Christus (Avemarie, Paul, 116-117.524-528; vgl. auch Wagner, Heralds, 160-164; Wright, Romans 9–11, 47-48), jetzt ab. Zur christologischen Interpretation, von Barth, Kirchliche Dogmatik II/2, 270 und Cranfield II 519-522 vgl. Hübner, Gottes Ich, 83-84. So Wilckens II 224. Schlatter 312; Michel 237; vgl. Dunn II 600. Schlier 311 und Käsemann 277 interpretieren im Sinn des Unterschieds von „Buchstabe“ und Geist (vgl. 2Kor 3,6ff), was unwahrscheinlich ist; vgl. Cranfield II 522-523; Lohse 294: Paulus redet vom Gegensatz von Gesetz und Gnade, nicht von Buchstabe und Geist.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 383 ————————————————————————————————————
bes. Ps 85,10-13). Paulus kontrastiert die personifizierte Glaubensgerechtigkeit mit Mose als dem Repräsentanten des Sinaigesetzes.97 In der griech. Formulierung steht πι'στις vor „Gerechtigkeit“, ist also betont; „Glaube“ ist die Antwort auf die barmherzige Offenbarung und Verheißung Gottes (4,120; 9,32). Manche Ausleger bezweifeln, dass Paulus in V. 6b-8 aus Deut 30,12-14 zitiert.98 Die Wendung τουñ τ’ ε» στιν [tout’ estin] in V. 6b.7b.10c klärt den Sachverhalt: Aus den Qumrantexten kennen wir die exegetische Technik, bei der ein Teil eines Schriftwortes zitiert wird, gefolgt von einer Erklärung, die von einer diese identifizierenden Floskel eingeleitet wird.99 Die Auslegungsmethode in V. 6-8 entspricht dem, was uns in den Kommentaren zu biblischen Büchern im Qumran begegnet. Paulus zitiert aus Deut 30,l1-14 drei kurze Aussagen, die er mit der Wendung „das heißt“ unterbricht und dann kommentiert. Der Text Deut 30,11-14 wird in Bar 3,29-30 und Philo, Post 84-85 kommentiert, ebenso im Targum Neofiti zu Deut 30. Die in Deut 30,7 erwähnten Flüche, die Gott auf Israels Feinde und Hasser legt, werden in jüdischen Grabinschriften erwähnt.100 Paulus leitet das Zitat mit dem Satz sage nicht in deinem Herzen (μη` ει»πη, ς ε� ν τηñ, καρδι'α, σου) ein, der aus Deut 8,17; 9,4 stammt.101 Der Kontext der beiden Stellen ist wichtig: Mose warnt Israel vor Selbstzufriedenheit und vor dem Pochen auf die eigene Leistung. In Deut 9,4 heißt es: „Sage nicht in deinem Herzen, wenn der Herr, dein Gott, diese Volksstämme vor deinem Angesicht völlig ausgerottet hat: ‚Wegen meiner Gerechtigkeit (δια` τα` ς δικαιοσυ' νας μου) hat mich der Herr hineingeführt, um dieses gute Land ————————————————————
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Eckstein, Nahe, 208 mit Verweis auf 2Kor 3,15 im Zusammenhang mit 2Kor 3,3-18; Röm 5,14; 1Kor 10,2. Sanday/Headlam 286; Zahn 477-479. Zur Kritik Dunn II 603; Eckstein, Nahe, 210-212; Avemarie, Ungehorsam, 315-316; vgl. Koch, Schrift, 229-230. Vgl. 1QS VIII, 14-15; 1QpHab V, 6-8; VI, 2-8; 4QFlor I, 11; 4QpIsab II, 6-7. Die kurze Formel „das heißt“ entspricht in Qumran ;היאהdie längere Variante ist „( פשרו עלseine Bedeutung bezieht sich auf“). Zu den Unterschieden zwischen Qumrans PescherMethode und Paulus s. Seifrid 654. Walter Ameling, Inscriptiones Judaicae Orientis II, Nr. 174 (MAMA VI 335): „Keinem anderen ist erlaubt, die Grablege zu öffnen, mit Ausnahme des Falles, daß seinen Kindern Domna und Alexandria etwas zustößt … Wer es aber wagen wird, einen anderen dazu hineinzulegen, der wird dem heiligsten fiscus 1000 attische (Drachmen) zahlen und darüberhinaus soll er unter einer Klage wegen Grabfrevels Rechenschaft ablegen müssen. Dieser soll verflucht sein, und was an Flüchen im Deuteronomion geschrieben steht, soll ihm und seinen Kindern und seinen Nachfahren und seinem ganzen Geschlecht gelten“. Ameling ebd. 367 interpretiert im Sinn der in Deut 27–29 aufgelisteten Flüche. Deut 8,17: μη` ει»πη, ς ε� ν τηñ, καρδι' α, σου; 9,4: μη` ει»πη, ς ε� ν τηñ, καρδι' α, σου.
384 Römerbrief ————————————————————————————————————
zu erben‘“ (LXX.D).102 Das „Reden im Herzen“ bedeutet hier zu vergessen, dass die Rettung allein durch Gottes Eingreifen, durch Gottes Heilshandeln ermöglicht wird, der „das Wort aufrechterhält, das der Herr deinen Vätern, Abraham, Isaak und Jakob, geschworen hat“ (Deut 9,5; Elb.Ü). Im gleichen Kontext wird Israel als halsstarriges Volk bezeichnet, dem Gerechtigkeit ermangelt: „So erkenne denn, daß nicht wegen deiner Gerechtigkeit (ου� χι` δια` τα` ς δικαιοσυ' νας σου) der Herr, dein Gott, dir dieses gute Land gibt, es in Besitz zu nehmen! Denn ein halsstarriges Volk bist du“ (Deut 9,6; EÜ); in 9,7-27 wird die Halsstarrigkeit Israels in historischem Detail beschrieben. Der Satz wer wird in den Himmel hinaufsteigen? (τι'ς α� ναβη' σεται ει� ς το` ν ου� ρανο' ν; [tis anabēsetai eis ton ouranon]; V. 6c) zitiert aus Deut 30,12 LXX. Der einzige Unterschied ist die Auslassung des Dativobjekts η� μιñν ([hēmin], „für uns“) im Zitat bei Paulus, was syntaktische Gründe hat.103 Die Frage ist absurd, weil niemand in den Himmel hinaufsteigen kann, und sie ist unnötig, weil das Gotteswort der Tora bereits in menschlicher Reichweite ist. In Deut 30,11-12 heißt es: „Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, sodass du sagen müsstest: Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es uns, damit wir es halten können?“ In der späteren jüdischen Auslegungstradition betonte man, dass das Gesetz Israel so nahe gebracht worden war, dass es keiner besonderen Maßnahmen bedarf, um es herbeizubringen.104 Mit das heißt (τουñ τ’ ε» στιν [tout’ estin]) leitet Paulus seine Interpretation ein: um den Messias herabzuholen (Χριστο` ν καταγαγειñν [christon katagagein]; V. 6d). Für Paulus und seine Leser ist der „Messias“ (Χριστο' ς [Christos]; s. zu 1,1) Jesus, der Sohn Gottes, „geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, proklamiert als Sohn Gottes in Macht nach dem Geist der Heiligkeit aufgrund der Auferstehung von den Toten“ (1,3-4). Der Messias Jesus muss nicht vom Himmel heruntergeholt werden: Er ist bereits gekommen. Wahrscheinlich beabsichtigt Paulus keine Identifizierung von Jesus mit der Tora: Das „Wort“ (το` ρ� ηñ μα [to rhēma]) in Deut 30,14 ist das „Gebot“ von 30,11, d.h. das Gesetz, während „das Wort“ in Röm 10,8 das „Wort des Glaubens“(το` ρ� ηñ μα τηñ ς πι'στεως [to rhēma tēs pisteōs]) ist, d.h. das Wort vom Glauben an Jesus als den gekreuzigten und auferstandenen ————————————————————
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Vgl. Eckstein, Nahe, 208-209; Avemarie, Ungehorsam, 316 Anm. 62. Die folgende Bemerkung bei Dunn II 602. Stanley, Paul, 131: Die Auslassung beseitigt die Diskrepanz zwischen der 2. Person Singular ει»πη, ς … σου von Deut 9,4 und den Pluralkonstruktionen in Deut 30,12-13. Koch, Schrift, 132, führt stilistische Gründe an; ebd. 153-160 ausführlich zur 9,6-8. Bill. III, 278-282; vgl. Koch, Schrift,294.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 385 ————————————————————————————————————
Messias und das Bekenntnis zu ihm als Herr (V. 8-10). Man beachte: Paulus lässt Deut 30,12b („und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun?“) aus, einen Satz, der das im Himmel zu Holende mit dem Gebot des Gesetzes identifiziert. Auf dem Hintergrund von Bar 3,29-30, wo das Gesetz in Deut 30,12-13 im Sinn der Weisheit interpretiert wird, könnte Paulus auf die Identifizierung von Jesus mit der göttlichen Weisheit anspielen, die er in 1Kor 1,24.30 explizit ausspricht.105 Wenn dieser Bezug relevant ist, sagt Paulus: Der Messias Jesus, als göttliche Weisheit, ist zwar nicht auf der Erde gegenwärtig, das heißt aber nicht, dass er verborgen oder unzugänglich ist – er ist „nahe“ im Wort der Verkündigung des Evangeliums (V. 8). Mit „Herabholen“ könnte die Inkarnation106 oder die Wiederkunft Jesu als der himmlische Richter107 gemeint sein.108 Paulus betont im Kontext von 8,3: Niemand kann den Messias herbeiholen, weil Gott ihn bereits gesandt hat. 7 Der mit oder (η» ) eingeführte zweite Teil des Zitats aus Deut 30 verschärft 30,13, wo es heißt: „Es ist auch nicht jenseits des Meeres, sodass es heißt: ‚Wer wird für uns auf die andere Seite des Meeres übersetzen (τι'ς διαπερα' σει η� μιñν ει� ς το` πε' ραν τηñ ς θαλα' σσης), es für uns holen und es uns hören lassen, so dass wir (es) tun?‘“ (LXX.D). Paulus schreibt: wer wird in den Abgrund hinabsteigen? (τι'ς καταβη' σεται ει� ς τη` ν α» βυσσον; [tis katabēsetai eis tēn abysson]; V. 7a). Paulus ersetzt den horizontalen Kontrast (Himmel / die andere Seite des Meeres) durch einen vertikalen Kontrast (Himmel/Scheol). Das Wort „Abgrund“ bezeichnet allgemein „die Tiefe, die Unterwelt“, im Neuen Testament Bezeichnung für den Aufenthaltsort der Toten.109 Targum Neofiti zu Deut 30,12-13 verbindet den Hinweis in Deut 30,13 auf die Region jenseits des Meeres mit dem Hinabsteigen in die Tiefen des Meeres, von denen Jona die Tora heraufgeholt hat. In Ps 139,8-12 finden wir die Kontraste Himmel/Scheol, Osten/Westen (Morgenröte / das äußerste Meer), Finsternis/Licht, Nacht/Tag. Vielleicht spielt Paulus auf Ps 107[106],26 an: „Sie steigen hinauf bis zum Himmel (α� ναβαι'νουσιν ε«ως ————————————————————
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Vgl. Käsemann 280; Wilckens II 226; Seifrid 658; Windisch, Weisheit, 223; Kim, Origin, 117.130; Schnabel, Law and Wisdom, 248-249. Lagrange 254; Bruce 204; Cranfield II 525; Seifrid 657; als Möglichkeit Wilckens II 225, mit Verweis auf Phil 2,6-8 sowie Joh 3,13; 6,33.38.41-42.50-51.58. Kritisch Zeller 186. Wilckens II 226, mit Hinweis auf 1Thess 4,16. Schlier 312 interpretiert im Sinne einer sprichwortartigen Redensart zur Veranschaulichung des Unmöglichen; vgl. 4Esr 6,8; Philo, Virt 183; Spr 30,4. LSJ s.v. α» βυσσος: Adjektiv „bottomless, unfathomed, boundless“; Subst. „the great deep, the abyss, underwold, the infinite world“. Vgl. Bauer/Aland s.v. α» βυσσος; vgl. Lk 8,31; J. Jeremias, Art. α» βυσσος, ThWNT I, 9; O. Böcher, EWNT I, 8-9. Vgl. Röm 10,7; Offb 9,1.2.11; 11,7; 17,8; 20,1.3.
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τω ñ ν ου� ρανω ñ ν) und steigen hinab bis in den Abgrund (και` καταβαι'νουσιν ε«ως τω ñ ν α� βυ' σσων)“ (LXX.D); andere atl. Stellen haben ähnliche Kontraste von Himmel/Abgrund oder Himmel/Meer/Land.110 Die Vorstellung des Hinab-steigens in den Abgrund bzw. die Totenwelt formuliert eine Bewegung, die für den Menschen unmöglich ist. Die wieder mit das heißt (τουñ τ’ ε» στιν [tout’ estin]) eingeleitete Interpretation in V. 7b spricht wieder vom Messias: den Messias von den Toten heraufzuführen (Χριστο` ν ε� κ νεκρω ñ ν α� ναγαγειñν [Christon ek nekrōn anagagein]). Kein Mensch könnte den Messias von den Toten heraufholen: Dieses den Menschen Unmögliche hat Gott wirklich werden lassen, als er Jesus von den Toten auferweckte. Die Formulierung in Hebr 13,20 ist ähnlich: „Der Gott des Friedens aber, der Jesus, unseren Herrn, den erhabenen Hirten seiner Schafe, von den Toten heraufgeführt hat (ο� α� ναγαγω` ν ε� κ νεκρω ñ ν) durch das Blut eines ewigen Bundes“ (EÜ). Paulus denkt wahrscheinlich an die Auferweckung Jesu von den Toten, die er in V. 9 explizit erwähnt. Ähnliche Formulierungen liegen in 1Petr 3,19 („So ist er auch zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt“) und 4,6 („Denn auch Toten ist das Evangelium dazu verkündet worden“) vor. Die Zeile „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ (lat. descendit ad inferna) im Apostolischen Glaubensbekenntnis ist wohl von Röm 10,7 abgeleitet. Was Paulus in V. 7 betont, formuliert er in 14,9: „Denn dazu ist der Messias gestorben und lebendig geworden, dass er über Tote und Lebendige herrsche“. 8 Mit der Wendung sondern was sagt sie (α� λλα` τι' λε' γει; [alla ti legei]; V. 8a), d.h. die Glaubensgerechtigkeit, führt Paulus das Zitat aus Deut 30,14 LXX111 ein: das Wort ist dir nahe, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen. „Wort“ (το` ρ� ηñ μα [to rhēma]; V. 8b)112 hat hier die Doppelbe————————————————————
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Jes 7,11; Am 9,2; in der frühjüdischen Literatur: Sir 16,18; 24,5; Jub 23,31; 4Esra 4,8; später bGit 84a; bBM 94a. Vgl. Dunn II 6097; Seifrid 657; Lohse 295; Popkes, Rezeption, 322 Anm. 2 sieht in 10,7 ein leicht modifiziertes Zitat von LXX Ps 106,26. Im Vergleich mit dem Standardtext der LXX fehlt bei Paulus das Adverb σφο' δρα ([sphodra], „sehr, ganz“, d.h. „sehr/ganz nah“), was allerdings auf einen abweichenden LXX-Text zurückgehen könnte, d.h. dass nicht unbedingt eine Änderung von Paulus vorliegt (Koch, Schrift, 53); wahrscheinlicher ist jedoch, dass Paulus σφο' δρα ausgelassen hat, offensichtlich deshalb, weil er es als überflüssig ansah (ebd. 117 Anm. 10). Stanley, Paul, 133 bleibt unentschieden, merkt aber an, dass σφο' δρα das Argument von Paulus in 10,8 stärken würde, es also keinen Grund gibt, weshalb er es weglassen würde. Bauer/Aland s.v. ρ� ηñ μα 1. das Gesagte, Wort, Spruch, Ausspruch; 2. Sache, Angelegenheit, Gegenstand, Begebenheit. Vgl. A. Debrunner / H. Kleinknecht / O. Proksch / G. Kittel, Art. λε' γω κτλ., ThWNT IV, 69-140; W. Radl, EWNT III, 505-507; O. Betz, ThBLNT II, 1949-1952. In der LXX übersetzt ρ� ηñ μα (548 Belege) vorwiegend דָּברº ([dābār], „Wort, Sache“), das allerdings meistens mit λο' γος übersetzt wird, ist also oft gleichbedeutend
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deutung von „Wort“ und „Sache“ (wie hebr. דָּברº ([dābār]). Das „nahe Wort“ ist das Wort Gottes im Gesetz und in den Geboten. Die Wendung „in deinem Mund und in deinem Herzen“ bezieht sich auf das Auswendiglernen der Gebote: Zur Zeit Moses, aber auch im 1. Jh. und später, lernte man Tora durch mündliches Rezitieren. Der LXX-Text fährt fort: „und in deinen Händen, es zu tun“ (και` ε� ν ταιñς χερσι'ν σου αυ� το` ποιειñν) und verweist damit auf das Lesen der Tora und das Halten der Gebote. Paulus lässt diese Wendung aus, wie er in V. 6 Deut 30,12b („und es uns holen und es uns hören lassen, daß wir es tun?“) ausgelassen hatte. Weil Paulus den atl. Text auf den Messias Jesus hin auslegt und von der „Gerechtigkeit aus Glauben“ spricht, die mehr ist als die „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ (V. 5.6), passen diese Aussagen nicht in den christologischen Horizont, in dem Paulus interpretiert. Die wieder mit τουñ τ’ ε» στιν ([tout’ estin], hier mit das ist übersetzt) eingeleitete Interpretation lautet: das Wort des Glaubens, das wir verkündigen (V. 8b). Das „Wort des Glaubens“ (το` ρ� ηñ μα τηñ ς πι'στεως [to rhēma tēs pisteōs]) ist das Wort, das den Glauben an den Messias Jesus zum Inhalt hat und den Glauben fordert (gen. objectivus), und zugleich das Wort, in dem der Glaube selbst zur Sprache kommt (gen. subjectivus).113 Das Wort des Glaubens ist die „Gerechtigkeit aus Glauben“ (V. 6), die in Deut 30,12-14 spricht. Das Wort das Glaubens ist das „Evangelium Gottes (1,1), das „wir“, d.h. Paulus und die Apostel, „verkündigen“ (κηρυ' σσομεν [kērussomen]). Das Verb κηρυ' σσω [kēryssō]114 bedeutet „verkündigen, bekannt machen“. Die Institution des κηñ ρυξ [kēryx], die im 1. Jh. schon lange verschwunden war, bezeichnete einen Amtsdiener mit offiziellen Aufgaben, der unter der Autorität der Stadt stand und deren Sprecher war. Die von ihm bekannt gemachte Botschaft tritt, z.B. im Fall von Gerichtsurteilen oder Edikten, mit dem Ausrufen in Kraft. Epiktet, Diss 3,22,69 bezeichnet den (stoischen) Philosophen als κηñ ρυξ, der als Bote, Kundschafter und Herold der Götter (α» γγελος, κατα' σκοπος, κηñ ρυξ) und als Wächter über die Einhaltung der öffentlichen Moral von Stadt zu Stadt zieht. ————————————————————
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mit λο' γος. Im NT beschreibt ρ� ηñ μα oft einzelne Worte oder Aussprüche (vgl. Mt 12,36; 27,14; 2Kor 12,4). In Apg 2,14; 5,20; 10,22.44 bezeichnet ρ� ηñ μα die Verkündigung vom Tod und der Auferstehung des Messias Jesus, d.h. hier tritt die Einheit von Wort und Sache zutage (Betz, ebd. 1951). Paulus verwendet ρ� ηñ μα in Röm 10,8.17.18; 2Kor 12,4; 13,1; Eph 5,26; 6,17. Zu Röm 10,8 s. Eckstein, Nahe, 214. Vgl. jeweils Michel 329; Bauer/Aland s.v. ρ� ηñ μα 1; NSS II 33 und Wilckens II 227; Eckstein, Nahe, 220 („das Glauben weckende Wort“); es handelt sich nicht um einander ausschließende Alternativen. Vgl. G. Friedrich, Art. κηñ ρυξ κτλ. ThWNT III, 682-717; O. Merk, EWNT II, 711-720; L. Coenen, ThBLNT II, 1755-1761. Zu den (nicht sehr häufigen) Papyrusbelegen vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 98, der mit Verweis auf P.Lond. VII 1997 und P.Hamb. I 29 schreibt: „Bei κηρυ' σσω handelt es sich also um das Kundgeben in einem öffentlichen Raum, vornehmlich innerhalb des Gerichtswesens, das die Aufforderung zu einer Reaktion auf den Inhalt impliziert“; vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 221.
388 Römerbrief ———————————————————————————————————— In der LXX bezeichnet κηñ ρυξ keine israelitische oder jüdische Institution (vgl. Gen 41,43; Dan 3,4; 4Makk 6,4; Sir 20,15). Das Verb κηρυ' σσω [kēryssō] wird in der LXX insgesamt 32 Mal verwendet, meistens für hebr. [( קראqārā’], „rufen“), dessen über 650 Belege größtenteils mit καλε' ω [kaleō] übersetzt werden. Bei Josephus ist der κηñ ρυξ der Ausrufer öffentlicher Bekanntmachungen sowie militärischer Verhandlungsführer (Bell 2,13; Ant 4,296). Im NT liegen weder ein besonderes Amtsverständnis noch Anleihen an griechische Institutionen vor. Gleichwohl lässt sich sagen, dass das Substantiv κη' ρυγμα [kēgygma] als „Phänomen des mit Anspruch an die Hörer ergehenden Rufes“ verstanden werden kann: „Es ist das, was dem Auftreten und Reden der Propheten entspricht“.115 Das Verb κηρυ' σσω kommt neben anderen Verben der mündlichen Mitteilung vor: διδα' σκω, α� γγε' λλω, λε' γω, ο� μολογε' ω, μαρτυρε' ω, ευ� αγγελι' ζω, γνωρι' ζω – keines dieser Verben wird bevorzugt als terminus technicus gebraucht. Aus κηρυ' σσω lassen sich weder ein bestimmter Modus des Auftretens noch ein bestimmter Inhalt der Verkündigung herauslesen; diese müssen aus dem jeweiligen Kontext erschlossen werden.
Die Nähe des Wortes vom Messias Jesus „in deinem Herzen“ (ε� ν τηñ, καρδι'α, σου [en tē kardia sou]; zu καρδι'α s. 1,21), d.h. im Zentrum des Personseins, des geistigen, inneren Lebens, wo der Wille Entscheidungen trifft, knüpft an die Gegenwart des Geistes Gottes in den mit dem Messias Jesus verbundenen Gläubigen an. Nach 5,5 ist die Liebe Gottes durch den Heiligen Geist in die Herzen der Jesusbekenner ausgegossen (vgl. 2Kor 1,21; Gal 4,6); nach 2,29 nimmt Gott durch seinen Geist die Beschneidung der Herzen vor (vgl. Phil 3,3); Gott beseitigt durch seinen Geist die Decke, die auf dem Herzen der Juden liegt, wenn sie Mose lesen (2Kor 3,15). Die im Evangelium verkündigte Gnade Gottes führt zum Gehorsam „von Herzen“ (Röm 6,17), sodass gilt: „Jetzt aber sind wir entbunden worden vom Gesetz, weil wir dem gestorben sind, durch das wir beherrscht wurden, sodass wir in der Neuheit des Geistes als Sklave dienen und nicht in der alten Wirklichkeit des Buchstabens“ (7,6) und wir die „Rechtsforderung des Gesetzes“ durch die gegenwärtige Macht des Heiligen Geistes erfüllen (8,4). Paulus hat in V. 8 wohl die Verheißungen von Jer 38,31-34 und Hes 11,19; 36,26-27 vor Augen (vgl. 2Kor 3,2-6). Weil Israel ein halsstarriges Volk ist (Deut 9,4-6, zitiert in Röm 10,6), kann das nahe Wort von Deut 30,14 nach dem Verständnis von Paulus nicht dem Nahesein des Gesetzes im Herzen unabhängig vom Messias Jesus entsprechen.116 Paulus zitiert Deut 30,12-14 als Beleg für die „Gerechtigkeit aus Glauben“, die er in V. 6 der „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ gegenübergestellt hatte. In Deut 30,12-14 kommt weder das Wort „Gerechtigkeit“ noch „Glaube“ vor. Wenn Paulus in V. 9-10 die Identifizierung des „nahen Wortes“ von Deut 30,14 mit dem Evangelium begründet, verwendet er die Wör————————————————————
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Coenen, ThBLNT II, 1758. Vgl. Eckstein, Nahe, 216; zum Folgenden ebd. 216-218.
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ter „Rettung“, „Gerechtigkeit“ und „Glaube“, die in 1,16-17 im zweiten Teil der Definition von „Evangelium Gottes“ eine zentrale Rolle hatten: Jesusbekenner schämen sich des Evangeliums nicht, „denn es ist die Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst und auch für den Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbart aus Glauben zum Glauben, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte aber wird aus Glauben leben‘“. Mit den abwechselnd gebrauchten, synonymen Wörtern „Gerechtigkeit“ und „Rettung“ knüpft Paulus besonders an Jes 46,12-13; 51,5.8; 54,14.17; 56,1; 59,17; 61,10-11 an. „Was bei Jesaja als nahe bevorstehend verkündet wurde (hebr. qrb), versteht Paulus als in der Gegenwart eingetroffen … und steht nicht länger nur nahe bevor“.117 Im Wort des Evangeliums sind „Gerechtigkeit“ und „Rettung“ gegenwärtige Wirklichkeit geworden, weil Gott seinen Sohn Jesus, den Messias und Kyrios (1,3-4), gesandt hat, durch dessen Sühnetod die Sünden gesühnt und der Frieden mit Gott geschaffen wurden (3,21–5,21). Paulus kann Deut 30,11-14 als Ausspruch der Glaubensgerechtigkeit auslegen, weil er offensichtlich Deut 30,14 auf dem Hintergrund der Verkündigung Jesajas vom Nahen des Heils und der Gerechtigkeit Gottes verstanden hat. 9 In V. 9-13 weist Paulus nach (Anschluss mit ο« τι), dass das „Wort des Glaubens“, d.h. das Evangelium vom Messias Jesus, tatsächlich das „nahe Wort“ von Deut 30,14 ist. Paulus beginnt mit einer grundlegenden Aussage zur Rettung: Denn wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden. Die Wörter „Mund“ und „Herz“ knüpfen an V. 8 an. Die 2. Person Singular („du“) kann auf den ungläubigen Juden, von dem in Röm 9–11 die Rede ist, bezogen werden; er formuliert jedoch gleichzeitig eine allgemeine Aussage, die immer und für jeden Menschen gilt. Die Protasis des Bedingungssatzes besteht aus zwei parallelen Hälfen: 118 „bekennen“ entspricht „glauben“, „Jesus der Herr“ entspricht „Gott hat ihn von den Toten auferweckt“, „mit deinem Mund“ entspricht „in deinem Herzen“. Das Bekenntnis zu Jesus als Herr sagt verbindlich aus, was christlicher Glaube ist, und der Glaube an den von den Toten auferweckten Jesus ist Grundlage und Inhalt des Bekenntnisses. Das Bekennen mit dem Mund und das Glauben mit dem Herzen gehören zusammen. Wir beginnen mit der Apodosis des Bedingungssatzes, die prägnant aus einem einzigen griech. Wort besteht: du wirst gerettet werden (σωθη' ση, ————————————————————
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Eckstein, Nahe, 217. Wagner, Heralds, 165-168 verweist nicht auf diese Jesajastellen. Der Satz ist nicht „streng parallel“ (Lohse296) gebaut: Dem Objekt der ersten Satzhälfte: κυ' ριον � Ιησουñ ν („Jesus als Herrn“) entspricht in der zweiten Satzhälfte der ο« τι-Satz ο« τι ο� θεο` ς αυ� το` ν η» γειρεν ε� κ νεκρω ñ ν („dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat“).
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[sōthēsē]; V. 9c). Der Bedingungssatz mit ε� α' ν [ean], der (wie meistens) mit einem futurischen Ausdruck formuliert ist, drückt einen prospektiven Fall aus (eventualis): Menschen werden gerettet, wenn sie Jesus als Herrn bekennen und glauben, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat. Das Futur des Verbs in 10,9 σωθη' ση, ist der Regelfall in der Apodosis eines prospektiven Konditionalsatzes: Die Protasis bezeichnet einen Sachverhalt, mit dem man – unter Umständen – rechnen kann oder muss; wenn er zutrifft, dann gilt die Aussage der Apodosis.119 Man kann aus dem Futur deshalb nicht ableiten, dass die „Rettung“ (zu σωτηρι'α s. zu 1,16) im zukünftigen Endgericht stattfindet. Die „Rettung“ ist nicht auf das zukünftige Heil der Rettung im Endgericht und der Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes zu beschränken, zumal Letztere in 5,2 verknüpft ist mit dem Zugang zu der Gnade Gottes, „in der wir stehen“. Das Argumentationsgefälle im Röm macht deutlich, dass man ein futurisches Verständnis (vgl. 5,9.10) nicht gegen ein präsentisches Verständnis ausspielen darf.120 Die dreifache, ausführliche Darstellung der Sünde und ihrer Macht in 1,18–3,20; 5,12-21; 7,725, die nicht nur das Ergehen des Sünders im Endgericht bestimmt, sondern sein gegenwärtiges Leben, erfordert es geradezu, dass die durch Gottes Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus bewirkte Rettung nicht nur eine Realität in der Zukunft beschreibt, sondern eine Wirklichkeit, die in der Gegenwart erfahren wird. Paulus betont deshalb die wirkmächtige Herrschaft des gekreuzigten und auferstandenen Messias, mit dem Jesusbekenner verbunden sind (6,1-23; 7,4-6), und die effektive Macht des Geistes Gottes im Leben der Kinder Gottes (8,1-17). Er formuliert in 8,24 mit einem Aorist: „wir wurden gerettet“ (ε� σω' θημεν [esōthēmen]). Paulus spricht zunächst vom Bekenntnis zu Jesus als Bedingung der Rettung: wenn du mit deinem Mund … bekennst (ε� α` ν ο� μολογη' ση, ς ε� ν τω ñ, στο' ματι' σου [ean homologēsēs en tō stomati sou]; V. 9a). Die Wendung „mit deinem Mund“ kommt aus dem Zitat Deut 30,14 in V. 8, das hier weiter interpretiert wird im Kontext der von Paulus stipulierten Erfüllung im Messias Jesus. Das „Wort“, in Deut 30,14 das Wort Gottes offenbart im Gesetz, das Israel tun soll, ist der Messias Jesus, der „nahe“ ist, wenn man ihn bekennt. Das Verb „bekennen“, mit der Grundbedeutung „zustimmen“, ist etwas überraschend; Paulus verwendet es nur hier und im parallelen V. 10 sowie in 1Tim 6,12; Tit 1,16 (das Substantiv ο� μολογι' α [homologia] ————————————————————
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HvS §282 bezeichnet den eventualis als „unauffällige[r] Normalfall“, der in der Regel mit einem futurischen Ausdruck in der Apodosis formuliert wird. Vgl. Cranfield II 530. Anders Dunn II 609; Lohse 297 u.a.
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kommt in 2Kor 9,13; 1Tim 6,12.13 vor; vgl. Hebr 3,1; 4,14; 10,23).121 „Bekennen“ ist ein öffentlicher Vorgang, was durch die Angabe „mit dem Mund“ unterstrichen wird. Der Inhalt des Bekenntnisses wird mit einem doppelten Akkusativ formuliert: wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn (κυ' ριον � Ιησουñ ν [kyrion Iēsoun]) bekennst.122 Die ntl. Exegese geht davon aus, dass der Satz „Jesus ist Herr“ das vielleicht früheste urchristliche Glaubensbekenntnis war (vielleicht noch vor dem Bekenntnis „Jesus ist der Messias“).123 Nach 1Kor 12,3 ist der Satz „Jesus ist Herr“ (κυ' ριος � Ιησουñ ς [kyrios Iēsous]) die Grundaussage christlichen Glaubens. Die aramäische Wendung maranatha (indikativisch [ ָמ ַרָנא ֲאָתאmāranā’ ‘atā’], „unser Herr ist gekommen“, oder imperativisch [ ָמ ַרָנא ָתאmāranā’ tā’], „unser Herr, komm!“)124 wurde in den urchristlichen Gemeinden auch außerhalb Judäas verwendet (1Kor 16,22); sie spiegelt die Überzeugung wider, dass Jesus der „Herr“ ist. Die Bezeichnung von Jesus, einer historischen Person, als „Herr“ ergab sich aus der Tatsache seiner Auferstehung und Erhöhung zur Rechten Gottes (Apg 2,36; Phil 2,10-11, mit Aufnahme der monotheistischen Aussage Jes 45,23), die mit Ps 110,1 („So spricht der Herr zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße“) inter————————————————————
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Das Verb ο� μολογε' ω kommt im NT außerhalb der paulinischen Briefe vor in Mt 7,23; 10,32; 14,7; Lk 12,8; Joh 1,20; 9,22; 12,42; Apg 7,17; 23,8; 24,14; Hebr 11,13; 13,15; 1Joh 1,9; 2,23; 4,2.3.15; 2Joh 7; Offb 3,5. Vgl. Bauer/Aland s.v. ο� μολογε' ω unterscheidet die Bedeutungen 1. zusagen, zusichern, versprechen; 2. zugestehen, zugeben; 3. eingestehen, gestehen, 4. frei heraussagen, erklären, bekennen. Vgl. O. Michel, Art. ο� μολογε' ω κτολ., ThWNT V, 199-220; O. Hofius, EWNT II, 1255-1263; D. Fürst / H.-W. Neudorfer, ThBLNT 137-141. Vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 441-442: Mit ο� μολογι' α wird in den Papyri sowohl die „Zustimmung“ als auch deren schriftliche Ausfertigung bezeichnet. Vgl. 2Kor 4,5, sowie Joh 9,22; 1Joh 4,2; 2Joh 7. Hurtado, Lord Jesus Christ, 197-200 zeigt, dass dieses Bekenntnis auf die früheste Phase des Judenchristentums in Jerusalem zurückgeht; vgl. Führer, Herr. Die Annahme, dass Paulus in 10,9 auf die „urchristliche Taufliturgie“ (Wilckens II 227, mit Verweis auf Seeberg, Katechismus) anspielt, wird oft „vermutet“, ist aber nicht beweisbar und auch nicht plausibel: Die Verkündigung war primär, die Taufe kam anschließend, wie Apg 2,14-36.38-39 / 2,41 zeigt. Es ist deshalb auch einseitig, die unauflösliche Verbundenheit von Bekenntnis und Glaube mit der Verbundenheit von „Taufgeschehen und Rechtfertigungslehre“ (Michel 329-330) zu verbinden: Das Bekenntnis wird dadurch einseitig auf das Taufgeschehen konzentriert. Bauer / Aland s.v. μαρα' να θα' ; K.G. Kuhn, ThWNT IV, 470-475; G. Schneider, EWNT II, 947-948; s. Fitzmyer, Kyrios and Maranatha, 223-229; Klauck, Herrenmahl, 358-363. Nach Kuhn ebd. 473 kann das aramäische Wort, das aus der palästinischen Urgemeinde stammt und dessen Kenntnis Paulus für die (mehrheitlich heidenchristliche?) Gemeinde in Korinth, voraussetzt, folgende Bedeutungen haben: 1. imperativischer Gebetsruf und Bitte um die Wiederkunft Jesu; 2. perfektisch: Bekenntnis zum Gekommensein Jesu; 3. perfektisches Präsens: Aussage über die Gegenwart Jesu im Gottesdienst.
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pretiert wurden; s. zu Röm 1,3-4; 4,24; 8,34.125 Das urchristliche „Standardbekenntnis“ formulierte „der Messias Jesus, unser Kyrios“ (� Ιησουñ ς Χριστο' ς ο� κυ' ριος η� μω ñ ν [Iēsous Christos ho kyrios hēmōn], Röm 1,4; vgl. 2Kor 4,5; Phil 2,11; Kol 2,6). Mit „Herr“ ist nach 1,4 und 9,5 göttliche Dignität verbunden. Alttestamentliche Stellen, in denen der Name „Jahwe“ ( )יהוהstand, wurden in der LXX entweder unübersetzt gelassen oder mit κυ' ριος übersetzt; beim Lesen in den Synagogen wurde „Herr“ – „Adonai“ bei der Lesung des hebr. und „Kyrios“ bei der Lesung des griech. Textes – gelesen. Paulus spricht an mehreren Stellen von Jesus als Kyrios, an denen das Alte Testament von Jahwe sprach (8,13; 1Kor 2,16; Phil 2,11; 1Thess 5,2; 2Thess 2,2). Wer Jesus als Kyrios bekennt, hat sich ihm unterworfen: So bezeichnet Paulus sich als „Sklave des Messias Jesus“ (1,1) und Jesusbekenner als „Sklaven der Gerechtigkeit“ (6,16.18.19), als „Sklaven für Gott“ (6,22), als Sklaven „in der Neuheit des Geistes“ (7,6). Vor allem deutsche Exegeten verankern das Bekenntnis im Gottesdienst, was dann manchmal zu der Aussage führt, dass das Bekenntnis „kurz“ ist.126 Die Apostelgeschichte zeigt, dass das Bekenntnis zu Jesus auch außerhalb des Gottesdienstes erfolgte: in der öffentlichen Verkündigung genauso wie in den Versammlungen der Jesusbekenner in den Häusern sowie vor Gericht, und dass es auch nicht nur aus kurzen Formeln bestand, die rezitiert wurden, wie die folgende, parallele Formulierung zeigt. Zum öffentlichen Bekennen Jesu als Herr gehört das Glauben im Herzen: wenn du im Herzen glaubst (ε� α` ν … πιστευ' ση, ς ε� ν τηñ, καρδι'α, σου [ean pisteusēs en tē kardia sou]; V. 9b). Stellen wie 1,16; 3,22; 4,24 zeigen, dass Glaube und Heil eng zusammengehören: Heil ohne Glaube ist eine Wirklichkeit, die für den Nichtglaubenden keine Konsequenzen hat, d.h., der Nichtglaubende hat kein Heil. Das Glauben ist mit dem „Herzen“ verbunden, d.h. dem Zentrum des Personseins, dem Sitz des inneren, geistigen Daseins, dem Mittelpunkt und der Quelle des menschlichen Denkens, Wollens und Fühlens (s. zu 1,21). Der Glaube ist nicht eine allgemeine menschliche Einstellung und besteht nicht im Rezitieren einer Bekenntnisformel, sondern ist das bewusste Anerkennen der im Evangelium verkündigten Wahrheit von Gottes Heilshandeln in Jesus, dem Sohn Gottes, der als ————————————————————
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Vgl. 1Kor 5,4; 9,1; 11,23; 12,3; 2Kor 4,14; Eph 1,14; 1Thess 2,15; 2Thess 1,8. Vgl. Hofius, EWNT II, 1260: „Die Homologie ist nicht eine Aufzählung christologischer, das Heilswerk Jesu beschreibender Glaubensaussagen, sondern ‚die ebenso kurze wie unmißverständliche Bezeichnung des einen göttlichen Gegenübers, dessen Bejahung den einzelnen Christen zum Christen macht und von jedem Nichtchristen unterscheidet‘“ (mit Zitat von Campenhausen, Bekenntnis, 211).
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Gekreuzigter, Auferstandener und Erhöhter der Messias und Kyrios ist, durch dessen Tod Gott die Sünden von Juden und Heiden sühnt, Gerechtigkeit erwirkt und den, der glaubt, rettet (1,3-4.16-17). Der bekennende Glaube an Jesus erfasst das gesamte Denken, Wollen und Fühlen des Menschen, der Jesus anerkennt und mit ihm verbunden ist, und bestimmt seine Prioritäten und Werte und sein Verhalten im Alltag (6,1-23; 8,1-17). Der Inhalt des Bekenntnisses ist das Herrsein Jesu, der Inhalt des Glaubens ist die Auferweckung Jesu: dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat (ο« τι ο� θεο` ς αυ� το` ν η» γειρεν ε� κ νεκρω ñ ν [hoti ho theos auton ēgeiren ek nekrōn]). In 4,24 spricht Paulus vom Glauben der Jesusbekenner, die „an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat“ (s. dort für Einzelheiten). Das Bekenntnis zu Jesus als Kyrios entspricht dem Glauben an die Auferweckung des Gekreuzigten durch Gott. Der Glaube an Jesus als Kyrios bekennt Jesus, der am Kreuz gestorben ist, als den Auferstandenen, den Gott von den Toten auferweckt hat. Wie das Bekenntnis, so ist auch der Glaube die Wirkung des „nahen Wortes“ (V. 8b), d.h. des verkündigten Evangeliums (V. 8c.14-18), das „die Macht Gottes zur Rettung für jeden (ist), der glaubt, für den Juden zuerst und auch für den Griechen“ (1,16). Der Glaube, der sich im Bekenntnis äußert und durch den allein Gott dem Sünder das Heil zueignet, erklärt die Identität des „nahen Wortes“ von Deut 30,14 mit dem „Wort des Glaubens“ (V. 8), das im Evangelium verkündigt wird. 10 Die Rettung des Sünders gründet in der Heil schaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes, die den Sünder gerecht macht: Denn mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, aber mit dem Mund bekennt man zur Rettung. Paulus formuliert wieder parallel, mit einer chiastischen Umkehrung der Aussage V. 9; mit Ausnahme des Wortes „Gerechtigkeit“ kommen alle Verben und Substantive in V. 9 vor (καρδι'α, πιστευ' ω, στο' μα, ο� μολογε' ω; σωτηρι'α nimmt σω', ζω auf). Die Formulierungen in der 2. Person Aktiv Singular von V. 9 werden in die 3. Person Passiv Singular verwandelt und damit verallgemeinert. Paulus unterstreicht durch die Wiederholung die Bedeutung des persönlichen, bewussten Glaubens und des öffentlichen Bekennens. In der Biographie des Jesusbekenners ist die Vorschaltung des Glaubens vor das Bekennen die natürliche Reihenfolge: Der persönliche Glaube kommt zuerst, er findet dann im öffentlichen Bekenntnis seinen Ausdruck. Paulus verbindet den Glauben mit der Gerechtigkeit (δικαιοσυ' νη [dikaiosynē]), die Rettung
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(σωτηρι'α [sōteria]) mit dem Bekennen.127 Die Unterscheidung von „Herz“ und „Mund“, auf die Paulus die Gerechtigkeit und die Rettung „verteilt“, ergibt sich aus dem Zitat Deut 30,14 in V. 8, was heißt, dass man aus der Zuordnung und Reihenfolge von Gerechtigkeit (δικαιοσυ' νη) und Rettung (σωτηρι'α) keine theologischen Schlussfolgerungen ableiten kann. In 1,1617 wird sowohl „Gerechtigkeit“ wie „Rettung“ mit dem Glauben verbunden, ohne dass von Bekenntnis die Rede ist. „Gerechtigkeit“, verstanden als Gottes Gerechtsprechung des Sünders (Rechtfertigung) infolge des Sühnetodes des Messias Jesus, ist die Rettung des Sünders. Johan Vos erklärt, dass Paulus Lev 18,5 in Röm 10,5-10 so auslegt, „daß er seiner Auffassung vom Verhältnis zwischen Evangelium und Gesetz nicht widerspricht“.128 Nach Vos löst Paulus die Spannung folgendermaßen: Paulus argumentiert in Röm 10,5-10 (stärker in Gal 3,11-12) so, wie es in den rhetorischen Handbüchern im Falle der leges contrariae empfohlen wird, wo sich zwei Parteien auf verschiedene Gesetze berufen. Nach Quintilian gilt das Prinzip, dass das Recht im Grunde nicht im Widerspruch zu sich selbst stehen kann.129 Wenn es zu einer Kollision kommt, soll man bestimmen, welches Gesetz das größere Gewicht hat (Welches Gesetz kann das höhere Alter beanspruchen? Wurde ein Gesetz ganz oder teilweise aufgehoben? Wer hat das Gesetz erlassen? Welches von den beiden Gesetzen lässt sich besser und eher nach billigem Ermessen ausführen?).130 Wenn eine Antinomie auftritt, muss man fragen, was der Gesetzgeber mit seinen Worten intendiert hat.131 Paulus verwendet in Röm 10,5-10 die Strategie der Kategorisierung: In Lev 18,5 kommt die „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ zur Sprache, in Deut 30,12-14 die „Gerechtigkeit aus dem Glauben“. Diese Kategorisierung beinhaltet eine Qualifizierung: Nach 9,31-32 ist die Gerechtigkeit aus dem Gesetz für Israel unerreichbar; d.h., für Paulus ist die Frage nach der Ausführbarkeit des Gesetzes ein entscheidendes Kriterium, analog der Frage Quintilians, welches von zwei Gesetzen sich besser und eher nach billigem Ermessen ausführen lässt. Wenn man τε' λος in 10,4 mit „Ende“ übersetzt, kommt das Kriterium der Gültigkeitsdauer hinzu: Paulus spricht dann nicht nur von einer obrogatio oder derogatio, sondern von einer abrogatio legis: Mit Christus hört die Gültigkeit des Gesetzes auf. Wenn man τε' λος in 10,4 mit „Ziel“ übersetzt, ————————————————————
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Für die Formulierung mit ει� ς vgl. 5,18; 10,4. Dunn II 609 schließt aus ει� ς σωτηρι' αν, als Verweis auf die zukünftige eschatologische Erfüllung interpretiert, dass auch ει� ς δικαιοσυ' νην auf die Zukunft zu beziehen sei; aus dem Satz: „God’s righteousness not just as his initital acceptance of the believer, but also his ongoing sustaining power and final vindication“ (ebd.) kann man auch umgekehrt schließen: Weil die Rechtfertigung des Sünders in der gnädigen Zuwendung Gottes zum Sünder in der Gegenwart besteht, beschreibt σωτηρι' α auch das gnädige Geschenk des gegenwärtigen Gerettetseins, das die Grundlage für die in 8,31-39 beschriebene Heilsgewissheit ist. Vos, Argumentation, 115; für das Folgende ebd. 121-132. Quintilian, Inst 7,7,2: numquam esse legem legi contrariam iure ipso. Cicero, Inv 2,145; Quintilian, Inst 7,7,8; Cicero, Rhet ad Her 2,15 (num quae obrogatio aut derogatio sit); Hermogenes, Peri staseon 10; Quintilian, Inst 7,7,8 (utrum fieri sit melius atque aequius). Quintilian, Inst 7,7,1; Hermogenes, Peri staseon 10. Cicero, Inv 2,147: Das Ziel ist, zu bewirken, „dass bei unserem Vorgehen anscheinend beide Gesetze beachtet werden, beim Vorgehen der Gegner eines notwendigerweise vernachlässigt werden muss“.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 395 ———————————————————————————————————— wird der status legum contrariarum zum status scripti et voluntatis.132 Was Mose in Lev 18,5 schreibt, ist zwar scriptum (γρα' φει; 10,5), man muss aber auf die voluntas legis achten, für die Paulus die Bestätigung in Deut 30,12-14 findet. Man kann τε' λος νο' μου in 10,4 konkret auf Deut 30,11-14 beziehen, wenn man 10,5-10 als Notarikon-Exegese des Begriffes מצוהaus Deut 30,11 versteht: ( מׁשיחא = מΧριστο' ς), = צ ( צדקותאδικαιοσυ' νη), ( ו = וκαι' ), ( הימנותא = הπι' στις).133 Das heißt, in Deut 30,12-14 findet Paulus den tieferen Sinn des Gesetzes. Paulus hatte schon in 9,31-32 angedeutet: Man erreicht das Ziel nicht, wenn man ε� ξ ε» ργων, d.h. nach dem Prinzip von Lev 18,5, nach dem νο' μος δικαιοσυ' νης trachtet, sondern nur, wenn man ε� κ πι' στεως nach ihm trachtet, d.h. im Geist von Deut 30,12-14. Ähnlich hatte Paulus in 3,27-31 geschrieben: „Das Gesetz im wahren Sinne wird ‚aufgerichtet‘, wenn man es nicht als νο' μος τω ñ ν ε» ργων, sondern als νο' μος πι' στεως befolgt, d.h. wenn man den Glauben an Jesus zum Ausgangspunkt nimmt“.134 Das heißt: Paulus bestreitet nicht die göttliche Autorität von Lev 18,5.
11 Paulus wiederholt zur Begründung (Anschluss mit γα' ρ) das Wort der Schrift aus Jes 28,16, das er in 9,33 schon zitiert hatte: Denn die Schrift sagt: Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden. Das „Sprechen“ der Schrift (λε' γει η� γραφη' [legei hē graphē]; vgl. 4,43; 9,17; 11,2) ist das autoritative Reden Gottes, der sich in der heiligen Schrift Israel geoffenbart und die Autoren ihrer Bücher inspiriert hat. Um die Universalität des Heils zu unterstreichen, die schon bei der Interpretation von Deut 30,12-14 in V. 6-8 eine Rolle gespielt hatte, setzt Paulus seine Interpretation von Jes 28,16 an den Anfang des Zitats, ohne diese durch τουñ τ’ ε» στιν ([tout’ estin], „das heißt“) kenntlich zu machen: Das Adjektiv „jeder“ (παñ ς) erläutert, dass die Rettung durch den Glauben an Jesus für alle Menschen gilt, ohne Ausnahme. Dies wird in der folgenden Aussage in V. 12 erläutert, die in V. 13 mit einem Zitat aus Joel 3,5 begründet, aus dem Paulus sich schon hier in V. 11 das Wort παñ ς geborgt haben kann (im Zitat von Jes 28,16 in 9,33 hat Paulus nach der LXX zitiert, ohne παñ ς). In 10,4 hatte Paulus bereits von der durch den Messias ermöglichten Gerechtigkeit „für jeden, der glaubt (παντι` τω ñ, πιστευ' οντι)“ gesprochen: Dieses „jeder“ klingt in V. 11 noch nach. Jeder Mensch, für den der gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Messias Jesus die Grundlage seines Glaubens ist135 und der so die Gerechtigkeit Gottes zugesprochen bekommt, wird weder in diesem Leben noch im Endgericht „zuschanden werden“, d.h. erfahren müssen, dass sein Glaube und sein Bekenntnis eine Illusion waren. ————————————————————
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Philo, Imm 61.67: τε' λος kann im Sinne von voluntas oder sententia gebraucht werden. Vos, Argumentation, 131, im Anschluss an Baarda, Einde, 208-248. Vos, Argumentation, 131-132. Das Personalpronomen der Präpositionalwendung ε� π’ αυ� τω ñ, , bezieht sich auf „Jesus Kyrios“ V. 9 und bezeichnet ihn als Basis, als Fundament, auf dem der Glaube ruht; Bauer/Aland s.v. ε� πι' 2b.γ; vgl. HvS §184j.cc(2): „Keiner, der sich glaubend auf ihn verlässt, wird enttäuscht werden“.
396 Römerbrief ————————————————————————————————————
12 Paulus erläutert die Universalität der Rettung durch den Messias Jesus
als das „nahe Wort“ Gottes mit zwei Sätzen, die an zuvor Gesagtes anknüpfen. Zunächst betont Paulus: Es besteht nämlich kein Unterschied zwischen Jude und Grieche (V. 12a). Die Wendung „es besteht kein Unterschied“ (ου� γα' ρ ε� στιν διαστολη' [ouk estin diastolē]) stammt wörtlich aus 3,22, wo Paulus nach der Darstellung der Sünde von Heiden (1,18-32) und Juden (2,1–3,20) betont hatte, dass Gottes Gerechtigkeit jetzt unabhängig vom Gesetz „durch den Glauben an Jesus den Messias für alle Glaubenden“ gewährt wird, mit der Begründung: „Denn es gibt keinen Unterschied. Denn alle haben gesündigt und entbehren der Herrlichkeit Gottes und sie werden umsonst gerechtfertigt aufgrund seiner Gnade durch die Erlösung, die im Messias Jesus (geschehen ist)“ (3,22-24). Die Beschreibung der Reichweite und des Geltungsbereichs des Evangeliums mit der Wendung „Jude und Heide“ (� Ιουδαι'ου τε και` « Ελληνος [Ioudaiou te kai Hellēnos])136 entspricht der Definition des Evangeliums in 1,16-17, wo Paulus das Evangelium beschrieben hatte als „die Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst und auch für den Griechen (� Ιουδαι'ω, τε πρω ñ τον και` « Ελληνι)“. Die Aussage in 10,12 ist das positive Äquivalent von 3,22 und erläutert zugleich 1,16. Wie in der Zeit von Adam bis zum Messias die Macht der Sünde den Unterschied zwischen Heiden und Juden eingeebnet hatte (3,22), spielt dieser Unterschied in der Gegenwart des messianischen Heils seit dem Sühnetod und der Auferweckung und Erhöhung des Messias Jesus überhaupt keine Rolle, weil die Macht der Gnade Gottes jedem, der an Jesus glaubt, Gerechtigkeit und Rettung zuwendet. Das Kommen des Messias hat den heilsgeschichtlichen Unterschied zwischen Juden und Heiden aufgehoben.137 Das „nahe Wort“ Gottes spricht nicht mehr im Gesetz zu Israel allein: Gott spricht jetzt im Messias Jesus zu allen Menschen, die alle der Herrlichkeit Gottes entbehren und umsonst gerechtfertigt werden aufgrund seiner Gnade durch die Erlösung, die im Sühnetod und in der Auferweckung des Messias Jesus geschehen ist.
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136 137
Die Singularformen � Ιουδαιñος und « Ελλην verallgemeinern: Gemeint sind alle Juden und Heiden (so EÜ, GN, LÜ, ZÜ). Vgl. HvS, S. 182: kollektiver bzw. genereller Singular. Möglicherweise spielt Paulus auf Ex 8,19 (LXX 8,23) an, wo Mose im Auftrag Gottes vor der vierten Plage zu Pharao sagt: „Und ich werde einen Unterschied (δω' σω διαστολη' ν) machen zwischen meinem Volk und deinem Volk“. Jewett 632 Anm. 106 verweist auf Philo, VitMos 2,158, der vom „Unterschied zwischen heiligen und profanen Dingen, menschlichen und göttlichen Dingen“ spricht: Dieser Unterschied wird von Paulus nicht für aufgehoben erklärt!
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 397 ————————————————————————————————————
Der zweite Satz begründet die Universalität der Rettung durch den Messias Jesus als das „nahe Wort“ Gottes: Denn sie haben alle denselben Herrn, der seinen Reichtum allen gibt, die ihn anrufen (V. 12b).138 Der „Herr“ (κυ' ριος [kyrios]) ist im Anschluss an V. 9 (und 1,3) der Messias Jesus. In 3,30 hatte Paulus mit der Wendung ειðς ο� θεο' ς [heis ho theos] betont, dass es derselbe Gott ist, der Juden und Heiden gerecht macht. Hier betont er mit der Wendung ο� γα` ρ αυ� το` ς κυ' ριος [ho autos kyrios], dass es derselbe Kyrios ist, dem alle Glaubenden gehören. Alle (πα' ντων [pantōn]) Jesusbekenner haben „denselben“ (αυ� το' ς [autos]) Herrn: Der Herr der Judenchristen ist der Herr der Heidenchristen. Gerade deshalb gibt es jetzt, wo der Messias gekommen ist, keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen. Weil alle Jesusbekenner nur einen Herrn haben, gibt es nur ein Volk Gottes, das dem Kyrios Jesus gehört. Der als Partizipialwendung konstruierte Relativsatz der seinen Reichtum allen gibt, die ihn anrufen beschreibt des gegenwärtige Heilshandeln des Messias Jesus. Der Kyrios Jesus „besitzt Reichtum für alle“ (πλουτω ñ ν ει� ς πα' ντας [ploutōn eis pantas]):139 Gott besitzt „Reichtum“ (πλουñ τος [ploutos]) an Güte, Geduld und Langmut (2,4), an Weisheit und Erkenntnis (11,33) und an Herrlichkeit, die er den Gefäßen des Erbarmens zukommen (9,23) und durch seinen Geist in Kraft und Stärke überfließen lässt (Eph 3,16). Der Reichtum des Messias Jesus ist seine Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes, die er aufgab, um uns Arme reich zu machen (2Kor 8,9), die unergründliche göttliche Gnade und Herrlichkeit, die im Evangelium verkündet wird (Eph 3,8). Gott hat durch den Messias Jesus den Jesusbekennern Reichtum geschenkt, der in Gaben der Rede und Erkenntnis besteht (1Kor 1,5); er gibt ihnen aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit alles, was sie nötig haben (Phil 4,19); er schenkt den herrlichen Reichtum der persönlichen Gegenwart des Messias und der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes (Kol 1,27), den Reichtum seiner Gnade in der Erlösung durch das Blut Jesu und in der Vergebung der Sünden (Eph 1,7), den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade, die er uns im Messias Jesus erwiesen hat (Eph 2,6). Die Wendung die ihn anrufen (ε� πικαλουμε' νους αυ� το' ν [epikaloumenous auton]) ist typisch jüdische Redeweise für das Anrufen Gottes, d.h. für das Beten zu Gott.140 Die urchristliche Gemeinde hat diese Redeweise übernom————————————————————
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Subjekt ist ο� γα` ρ αυ� το` ς κυ' ριος, πα' ντων ist gen. possessoris, ε� στι' ν ist zu ergänzen. Vgl. Bauer/Aland s.v. πλουτε' ω 2. Die Formulierung kommt in der LXX als Beschreibung von Menschen vor, die den wahren Gott anbeten: Gen 4,26; 12,8; 13,4; 21,33; 26,25; 1Kön 18,24; 1Chron 16,8; Ps 75,1; 79,6; 80,18; 99,6; 116,4.13; Jes 64,7; Klgl 3,55; Joel 3,5 [2,32]; Zef 3,9; Sach 13,9.
398 Römerbrief ————————————————————————————————————
men141 und bringt dadurch zum Ausdruck, dass sie – im Kontext von V. 12 auch die Jesusbekenner aus den Heiden – zum messianischen Volk Gottes gehören. Die Formulierung kennzeichnet den Bekenntnischarakter der Verbundenheit mit Gott, die im Gebet konkret wird; auf Jesus den Kyrios angewandt, wird der Bekenntnischarakter verstärkt.142 13 Paulus begründet mit dem Satz: Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden. Der Satz ist nicht als Zitat markiert, stimmt aber wörtlich mit Joel 3,5 [LXX 2,32] überein.143 Da Paulus nicht explizit auf Joel verweist, kann er nicht davon ausgehen, dass die Leser in Rom den Kontext der Joel-Stelle „mitlesen“, was nicht ausschließt, dass Paulus diesen Kontext im Auge hatte: Gott versichert Israel, dass er sein Volk verschonen und nicht mehr unter den Heiden zuschanden werden lassen wird, wenn er Gewaltiges tut (2,18.19.21), in einer Zeit, in der er Wunder unter ihnen vollbringt und mitten unter ihnen sein wird (2,26.27); danach wird er seinen Geist über alles Fleisch ausgießen am großen und schrecklichen Tag des Herrn (3,1-4); die Rettung, von der in 3,5 die Rede ist, ereignet sich auf dem Berg Zion und in Jerusalem, d.h., sie gilt für Israel, aber auch für die „Übriggebliebenen, die der Herr berufen wird“; LXX ergänzt am Ende von Joel 3,5 [LXX 2,29]: zusätzlich zu den Geretteten (α� νασω, ζο' μενος [anasōzomenos]) in Zion, die den Herr anrufen, gilt: „Und es werden eine frohe Botschaft erhalten (ευ� αγγελιζο' μενοι [euangelizo-menoi]) die, die der Herr herbeigerufen hat (προσκε' κληται [proskeklē-tai])“. 144 Für den Propheten Joel war der „Herr“ (κυ' ριος [kyrios]), der angerufen wird und der rettet, Jahwe (der hebr. Text schreibt )יהוה, der Gott Israels. Im Kontext von Röm 10,9 ist der „Herr“ hier der von den Toten auferweckte Jesus. Das im Zitat an erster Stelle stehende παñ ς [pas] unterstreicht noch einmal, dass das „nahe Wort“ Gottes, von dem Mose in Deut 30,14 redete und das Paulus mit dem Messias identifiziert, allen gilt, Juden wie Heiden. Und er unterstreicht, dass allen, die sich für ihre Rettung auf den Kyrios Jesus verlassen, Rettung auch zuteilwird.
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Vgl. Apg 2,21; 9,14.21; 22,16; 1Kor 1,2; 2Tim 2,22; 1Petr 1,17. Wilckens II 228 Anm. 1023: „Die Formel gewinnt so geradezu die Funktion einer Bezeichnung für Christen als Christen“. Er vermutet, die Formulierung sei wahrscheinlich ausgehend von Joel 3,5 (vgl. Apg 2,21.39) auf Jesus den Kyrios übertragen worden. Zu ο» νομα s. zu 1,5. Dunn II 611 verweist auf Zitate, Anspielungen und Echos aus diesem Joel-Text in 5,5; Tit 3,6; Mk 13,24 par.; Apg 2,17-21.39; Offb 6,12.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Ziel des Gesetzes 10,1-13 399 ————————————————————————————————————
IV Paulus erläutert in 10,1-13 den von Gott bestimmten, seinem Bund mit Israel entsprechenden Weg zum Heil. Israel hat Eifer für Gott und sein Gesetz, aber „ohne Erkenntnis“ (10,2): Sie haben die im Messias Jesus offenbarte Gerechtigkeit Gottes nicht erkannt. Die Tragik von Israels Eifer für Gott liegt nun darin, dass die Gerechtigkeit, die sie sich mit ihrer Bemühung um das Gesetz erwerben, eine „eigene Gerechtigkeit“ ist und nicht die „Gerechtigkeit Gottes“. Sie haben sich dem Heilsplan Gottes verweigert, indem sie den Messias Jesus ablehnten, der das Ziel des Gesetzes war, der Höhepunkt der Geschichte, die Gott mit seinem Bundesvolk schreibt, und der zugleich das Ende des Gesetzes bedeutet als der Ort, wo Gerechtigkeit erworben werden kann. Der Skandal des Kreuzes besteht für Juden darin, dass es die jüdische Betonung der Privilegien des Bundes Gottes aufbricht. Das letzte und eigentliche Ziel des Bundes, den Gott mit Israel geschlossen hatte, war die Wiederherstellung des Lebens, das die Menschen seit Adam und dem Sündenfall verloren hatten. Israel sollte das Instrument der Wiederherstellung der Herrlichkeit Gottes sein, die der Messias für Juden und Heiden Wirklichkeit werden lassen sollte. In 10,5-13 erläutert Paulus, dass das Tun des Gesetzes, das Lev 18 fordert, gemäß Deut 30,12-14 erfüllt wird, wenn Menschen das im Evangelium verkündigte Wort des Glaubens vom Messias hören, glauben und bekennen. Das „nahe Wort“, das in Deut 30,14 das Gesetz war, das Israel halten sollte, ist der gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Messias, den man nicht erst holen muss, sondern der gekommen ist. Das „nahe Wort“ wird angenommen, wo Menschen an Jesus als Kyrios glauben und bekennen, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat – was für alle gilt, Juden und Heiden gleichermaßen. Eckstein schreibt: „Das Bekenntnis zu Christus als dem Herrn (κυ' ριος � Ιησουñ ς) und der Glaube an die Auferstehung Christi (ο« τι ο� θεο` ς αυ� το` ν η» γειρεν ε� κ νεκρω ñ ν) sind für den Apostel die konstitutiven Kennzeichen der σω, ζο' μενοι (vgl. Röm 4,25; 1Kor 12,3l; Phil 2,11). Entsprechend erkennt er in diesem Glauben und Bekennen Indizien dafür, dass Gottes Heil im Evangelium Christi – und einzig in ihm – nahe, d.h. offenbart ist. Das zu verkennen und das Heil außerhalb der Glaubensgerechtigkeit zu suchen, hieße, das Unmögliche anzustreben – in den Himmel und in die Unterwelt steigen zu wollen –, und bedeutete, das Unnötige zu versuchen – nämlich das Heil auf die Erde zu holen, das Gott durch Christi Sendung, dessen Kreuz und Auferstehung bereits endgültig offenbart hat (Röm 10,6f; vgl. V. 4)“.145 ————————————————————
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Eckstein, Nahe, 218.
400 Römerbrief ————————————————————————————————————
Der Satz, Paulus lasse „die Rechtfertigungslehre zum entscheidenden Merkmal und Maß des nahen Wortes werden“146, engt die parallelen Formulierungen in 10,9-10 auf einen Grundsatz lutherischer Dogmatik ein, der nicht falsch ist, aber die Breite der paulinischen Aussagen nicht widerspiegelt: Zum entscheidenden Merkmal des „nahen Wortes“ gehört auch das persönliche Glauben an Jesus als Messias und Kyrios und das öffentliche Bekennen des Heilshandelns Gottes im Tod und in der Auferstehung Jesu. Manche Ausleger meinen, nach 10,9 sei die fides quae creditur, d.h. der Inhalt, den man glaubt, „das uns stets vorgegebene Evangelium in Gestalt der ο� μολογι'α“.147 Bei dieser Erklärung besteht die Gefahr, dass Glaube formalisiert im Bekenntnis aufgeht und die persönliche Beteiligung dessen, der glaubt, verloren geht. Paulus unterscheidet „glauben“ und „bekennen“, man darf das eine nicht im anderen aufgehen lassen. Bekennen ohne Glaube ist ritueller Formalismus, Glaube ohne Bekennen ist emotionaler Subjektivismus. Glaube und Bekennen zusammen sind Grundlage der Mission, zu der Jesus seine Jünger verpflichtet und befähigt hat und zu der alle Jesusgläubige als Jesusbekenner ebenfalls verpflichtet sind. Manche betonen, dass das Bekenntnis zu Jesus als Kyrios eine Spitze gegen heidnische Religiosität und/oder gegen den Machtanspruch der römischen Kaiser enthält: Jesusbekenner glauben, dass die vielen Herren, die es gibt (1Kor 8,5), nicht wirklich Herren sind, weil es nur einen Herrn gibt (1Kor 8,6; Eph 4,5). Dies ist in bestimmten Situationen, in denen Jesusbekenner öffentlich bekennen, ganz sicher plausibel, kann aber nicht als ständig präsente Konnotation vorausgesetzt werden. Paulus hebt am Ende des Abschnitts hervor, dass das Heil schaffende Reden Gottes im „nahen Wort“, das der Messias ist, für alle gilt, Juden und Heiden. Damit sind die heilsrelevanten Unterschiede zwischen Israel und den Jesusbekennern aus den Heiden aufgehoben: Judenchristen und Heidenchristen haben einen Herrn und gehören zu dem einen von Gott erwählten Volk, das in der Vereinigung mit dem Messias Jesus den Namen Gottes anruft und Gerechtigkeit und Heil erhält und bewahrt.
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146 147
Käsemann, Geist und Buchstabe, 274; vgl. Lohse 297. Käsemann 281, mit Verweis auf R. Bultmann, ThWNT VI, 210; Bultmann, Theologie, 318; Michel 329-331; Luz, Geschichtsverständnis, 93.
Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 401 ————————————————————————————————————
Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 I 14 Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? Wie sollen sie an den glauben, den sie nicht gehört haben? Wie sollen sie hören ohne Verkündiger? 15 Wie aber sollen sie verkündigen, wenn sie nicht gesandt sind? Wie geschrieben steht: Wie willkommen sind die Füße derer, die frohe Botschaft von Gutem bringen! 16 Aber nicht alle haben dem Evangelium gehorcht. Denn Jesaja sagt: Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt? 17 Denn der Glaube kommt aus der Botschaft, die Botschaft aber aus dem Wort des Messias. 18 Aber ich sage: Haben sie etwa nicht gehört? Im Gegenteil: Ihr Schall ist in die ganze Erde hinausgegangen und ihre Worte bis an die Enden der Welt. 19 Aber ich sage: Hat Israel etwa nicht begriffen? Als Erster sagt Mose: Ich will euch eifersüchtig machen auf das, was kein Volk ist, über ein unverständiges Volk will ich euch zornig machen. 20 Jesaja aber erkühnt sich zu sagen: Ich habe mich von denen finden lassen, die mich nicht suchten, ich bin denen offenbar geworden, die nicht nach mir fragten. 21 Aber zu Israel sagt er: Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widerspenstigen Volk. II Die zweite Erörterung des Verhaltens Israels angesichts des Kommens des Messias lässt sich in drei Teile gliedern. 1. Paulus zeigt mit einem Kettenschluss, dass Israel die Botschaft vom Messias gehört hat, dass es diese Botschaft jedoch nicht angenommen hat (V. 14-15): Die Gemeinschaft mit dem Messias setzt den Glauben an den Messias voraus; der Glaube an den Messias setzt das Hören auf den Messias voraus; das Hören auf den Messias setzt Verkündigung voraus; Verkündigung setzt gesandte Verkündiger voraus – ein Schluss, der durch die Autorität der Schrift bestätigt wird (Zitat Jes 52,7). Ein erstes Fazit wird in V. 16 formuliert: Israel hat dem Evangelium nicht geglaubt, obwohl Boten und die Botschaft zu Israel gekommen sind. Israel hat das Evangelium gehört, dieses aber nicht angenommen. Dieser Sachverhalt wird durch die Schrift bestätigt (Zitat Jes 53,1): Israel hat der Botschaft von dem Leidensgeschick und der Erhöhung des Gottesknechts nicht geglaubt. 2. In V. 17 folgt eine zusammenfassende Lehraussage: Der Glaube kommt aus der Botschaft, die Botschaft aus dem Wort des Messias. 3. In den V. 18-19 stellt Paulus zwei Fragen zur Entlastung Israels: Hat Israel das Wort etwa nicht zu hören bekommen? Antwort: Die Bot-
402 Römerbrief ————————————————————————————————————
schaft war in der ganzen Welt zu hören. Beleg: Schriftzitat Ps 19,5. Hat Israel die Botschaft nicht begriffen? Antwort: Israel hat sehr wohl begriffen, war aber nicht gehorsam. Beleg: Schriftzitat Deut 32,21: Die zornige Eifersucht Israels; Jes 65,1: Gott hat sich von den Heiden finden lassen; Jes 65,2: Gott streckt seine Hände nach Israel aus. Die ersten drei der sechs atl. Zitate handeln von der Botschaft des Evangeliums und ihrer Verbreitung (Jes 52,7; 53,1; Ps 19,5), die letzten drei betreffen das Verhältnis Gottes zu Israel und zu den Heiden und den Widerstand Israels gegen das Evangelium (Deut 32,21; Jes 65,1; 65,2).148 Das letzte Zitat (Jes 65,2) nennt die Sünde Israels explizit und bildet, die Deutlichkeit der Schriftworte steigernd, den Abschluss. Paulus demonstriert, dass es nicht an Gott liegt, sondern allein an Israel, dass die Heiden, die Nicht-Volk waren, Gerechtigkeit erlangen, während Israel die Heilsoffenbarung Gottes verpasst hat. Die fehlende Erkenntnis Israels (V. 3) ist die fehlende Bereitschaft, die Botschaft der von Gott gesandten Verkündiger als Heil schaffendes Wort Gottes anzuerkennen. Textkritische Anmerkungen. In V. 14 wird α� κου' σωσιν (א2 A B Ψ 33 81 614 1241 2464) ersetzt durch das Ind. Futur α� κου' σονται ( *אD F G K P 6 104 365 1505 1506 1739 1881), durch den Aorist Konj. Med. α� κου' σωνται (d46) oder durch das Fut. α� κου' σουσιν (Byz), alles Varianten, die offensichtlich sekundär aus dem selten verwendeten Aorist Konj. Aktiv α� κου' σωσιν entstanden sind. In V. 15 ersetzen B 81 καθω' ς durch καθα' περ, was weniger gut bezeugt ist als die Minus-Lesart. Hinter οι� πο' δες fügen die (späte) Mehrheit der Textzeugen die Genitivwendung τω ñ ν ευ� αγγελιζομε' νων ει� ρη' νην ein (א2 D F G Ψ 33 Byz lat sy), eine Lesart, die den Text stärker an Jes 52,7 / Nah 1,15 anpasst und deshalb als sekundär anzusehen ist;149 die MinusLesart ist hervorragend bezeugt (d46 *אA B C 81 630 1506 1739 1881 u.a. ar co). Die Auslassung des Artikels τα' vor α� γαθα' (א2 A B C D* F G P 81 1505 1506 1739 1881; von NA25 bevorzugt) gleicht an den LXX-Text an; die Plus-Lesart ist in d46 *אD1 Ψ 33 Byz früh und breit bezeugt.150 In V. 17 wird Χριστουñ entweder ausgelassen (F G) oder durch θεουñ ersetzt (א1 A D1 Ψ 33 1881 Byz sy), wohl eine Aufnahme der häufigeren Wendung ρ� η' μα θεουñ (Lk 3,2; Joh 3,34; Eph 6,17;l Hebr 6,5; 11,3);151 Χριστουñ ist früh und breit bezeugt (d46vid *אB C D* 6 81 629 1506 1739 u.a. lat co). In V. 20 lassen D* F G die Wendung α� ποτολμαñ, και' aus, vielleicht infolge der seltenen Vokabel; die Auslassung von ε� ν vor τοιñς ε� με' ( אA C D1 Ψ 33 1739 1881 ————————————————————
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Michel 333. Metzger, Textual Commentary, 463; Cranfield II 534 Anm. 4; Wilckens 229; Jewett 635. Vgl. Wagner, Heralds, 173 Anm. 163. Metzger, Textual Commentary, 463-464; Jewett 635.
Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 403 ————————————————————————————————————
Byz vgst; von NA25 bevorzugt) kann als Anpassung an den LXX-Text erklärt werden; die Plus-Lesart ist mit d46 *אB D* F G 1506vid früh und breit bezeugt. Die Einfügung von ε� ν nach ε� γενο' μην (B D* 1506vid) ist schlechter bezeugt als die Minus-Lesart. In V. 21 ersetzt D die Präposition προ' ς durch ε� πι', und F G lassen και` α� ντιλε' γοντα aus, beides nur minimal bezeugte Lesarten. III
14-15 Paulus knüpft in V. 14 an das „Wort des Glaubens“ V. 8 an, das
„nahe Wort“, das der Messias ist und das „wir“, d.h. Paulus und die Apostel, verkündigen, sowie an das „Anrufen“ des Herrn V. 12-13, das die Rettung erwirkt, die das „Wort des Glaubens“ verkündigt. Paulus stellt vier Fragen, die in Form eines rückläufigen Kettenschlusses miteinander verbunden sind, der das letzte Glied betont. Die Fragen beginnen alle mit πω ñ ς ([pōs], „wie?), die letzten drei Fragen formulieren mit πω ñ ς δε' ([pōs de]).152 Der Konjunktiv der Verben ist deliberativ (in überlegenden oder zweifelnden Fragen, hier in der 3. Person Plural formuliert).153 Die Verben werden vom „Anrufen“, „Glauben“, „Hören“ und „Verkündigen“ zum „Senden“ zurückgeführt. Das letzte Glied ist das entscheidende: Von der Sendung hängt es ab, ob das Wort des Glaubens verkündigt wurde und Israel erreicht hat. Die erste Frage lautet: Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? (V. 14a). Wer nicht glaubt, dass Jesus der „Herr“ ist (V. 9), der wird ihn auch nicht anrufen. Das Verb „anrufen“ (ε� πικαλε' σωνται [epikalesōntai]) bedeutet im Sinn von V. 12-13, zum Herrn beten als Ausdruck des Vertrauens auf den Herrn, der gerettet hat und seinem Volk in Gnade und Barmherzigkeit zugewandt ist. Der Aorist des Verbs „sie haben nicht geglaubt“ (ου� κ ε� πι' στευσαν [ouk episteusan]) kann als ingressiver Aorist verstanden werden: Wenn sie nicht „vorher zum Glauben an Jesus gekommen sind“ (GN), dann werden sie ihn jetzt nicht anrufen. Andernfalls unterstreicht der Aorist die Tatsache des Nicht-Glaubens. Die Präposition ει� ς [eis] verweist auf die Richtung und den Gegenstand des Glaubens,154 d.h. auf den „Herrn“ (κυ' ριος V. 13), der V. 9 mit Jesus identifiziert wurde. Wenn Israel nicht an Jesus als den gekreuzigten, auferstandenen und erhöh————————————————————
152 153 154
Die Partikel δε' markiert hier eine Reihe von gleichartigen Aussagen und hebt die verschiedenen Glieder klarer voneinander ab (bleibt unübersetzt); Bauer/Aland s.v. δε' 1c; BDAG s.v. δε' 1; HvS §252,12b. Vgl. HvS §210d. Die Wendung ει� ς ο� ν ist mit τουñ τον ει� ς ο� ν aufzulösen (HvS §142d), wobei das Bezugswort von τουñ τον der „Herr“ V. 13 ist. Zu πιστευ' ω ει� ς vgl. Gal 2,16; Phil 1,29; Kol 2,5; sodann Mt 18,6; Apg 10,43; 14,23; 19,4; 1Petr 1,8 und oft in Joh.
404 Römerbrief ————————————————————————————————————
ten Herrn und Messias (V. 6.7) glaubt, dann werden sie ihn auch nicht im Gebet anrufen. Weil das Hören auf das „nahe Wort“ Gottes von Deut 30,14, das Paulus mit dem Messias Jesus identifiziert hat (V. 6-8), Gerechtigkeit und Rettung bedeutet (V. 9-10), die im Gebet zur Anrufung Jesu als Herr führt (V. 12-13), bedeutet der fehlende Glaube fehlende Gerechtigkeit und fehlendes Heil – was V. 11 mit vertauschter Negation entspricht: Wer nicht an ihn glaubt, wird zuschanden werden. Im Kontext geht es um Juden; der Satz gilt auch allgemein: Wer kein Jesusbekenner ist, der betet nicht zu Jesus.155 Zweite Frage: Wie sollen sie an den glauben, den sie nicht gehört haben? (V. 14b). Wer das Reden des Messias Jesus nicht „gehört“ hat (η» κουσαν [ēkousan]), der wird auch nicht an ihn glauben.156 Paulus hat offensichtlich immer noch Deut 30,12-14 vor Augen, in V. 6-7 messianisch gedeutet, mit dem Messias Jesus als Träger der Botschaft (vgl. V. 17 ρ� η' μα Χριστουñ ). Wer den Messias Jesus nicht hört, der kennt das „Wort des Glaubens“ (V. 8) nicht und der hört auch nicht die „Gerechtigkeit aus Glauben“ (V. 6), die im „nahen Wort“ (V. 8) spricht. Dritte Frage: Wie sollen sie hören ohne Verkündiger? (V. 14c). Wenn kein „Verkündiger“ (ο� κηρυ' σσοντος [ho kēryssontos]; zu κηρυ' σσω s. V. 8) das „nahe Wort“ von der Gerechtigkeit verkündigt, dann kommt es auch nicht zum Hören. Wer keine christlichen Missionare getroffen hat, die ihnen das Wort des Glaubens vom Messias Jesus verkündigt haben, der hat das Evangelium nicht gehört. Kommunikation in der Antike war zum größten Teil mündlich, auch und gerade wenn größere Gruppen von Menschen mit einer Nachricht erreicht werden sollten. Vierte Frage: Wie aber sollen sie verkündigen, wenn sie nicht gesandt sind? (V. 15a). Eine Nachricht, zumal eine wichtige Nachricht, die weitergegeben werden soll, braucht Boten, die „gesandt“ (α� ποσταλω ñ σιν [apostalōsin]) werden. Ohne Sendung, in der ein Bote beauftragt wird, eine Botschaft zu übermitteln, gibt es keine Boten. Die Verkündiger des Evangeliums, die Paulus vor Augen hat, haben nicht in eigener Autorität das Evangelium verkündigt, sondern waren von Jesus beauftragt, als Apostel (α� πο' στολοι [apostoloi], „Gesandte“; s. zu 1,1) die Botschaft vom Messias Jesus zu verkündigen. Vgl. 1Kor 15,9-11; 2Kor 4,5; 11,4; Gal 2,2. Der „Verkündiger“ (ο� κηρυ' σσοντος [ho kēryssontos] oder κηñ ρυξ [kēryx]) und der „Apostel“ haben ————————————————————
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Das Problem der Volkskirche, in der alle als Christen bezeichnet werden und (manchmal) das Glaubensbekenntnis, das Vater Unser sprechen oder gelernte Gebete rezitieren, ohne im Herzen zu glauben (V. 9-10), ist hier selbstverständlich nicht im Blick. Das Relativpronomen ουð ist mit τουñ τω, ουð aufzulösen (NSS II 34); Bezugswort von τουñ τω, ist wieder der „Herr“; das Objekt von α� κου' ω wird hier im Genitiv angegeben (Bauer/Aland s.v. α� κου' ω 1bγ).
Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 405 ————————————————————————————————————
hier praktisch dieselbe Funktion. Paulus denkt sicher an seine eigene Berufung durch den Messias Jesus (1,1; 1Kor 1,17). Die Sendung von Verkündigern, die das „Wort des Glaubens“ des Messias Jesus proklamieren, wird durch ein Schriftzitat bestätigt, das mit der Wendung wie geschrieben steht eingeleitet wird: Wie willkommen sind die Füße derer, die frohe Botschaft von Gutem bringen! (V. 15b). Paulus zitiert Jes 52,7, vielleicht infolge von Verbindungen zwischen diesem Text und dem in V. 13 zitierten Text Joel 3,5 (Σιων und ευ� αγγελιζο' μενοι). ω� ς ω� ραιñοι οι� πο' δες τω ñ ν ευ� αγγελιζομε' νων τα` α� γαθα' Wie willkommen sind die Füße derer, die frohe Botschaft vom Guten bringen Jes 52,7 LXX ω� ς ω « ρα ε� πι` τω ñ ν ο� ρε' ων, ω� ς πο' δες ευ� αγγελιζομε' νου α� κοη` ν ει� ρη' νης, ω� ς ευ� αγγελιζο' μενος α� γαθα' , ο« τι α� κουστη` ν ποιη' σω τη` ν σωτηρι' αν σου λε' γων Σιων Βασιλευ' σει σου ο� θεο' ς Wie Frühling auf den Bergen, wie die Füße eines, der frohe Botschaft bringt, Kunde vom Frieden, wie einer, der frohe Botschaft von Gutem bringt, weil ich deine Rettung hörbar machen werde, indem ich zu Sion sage: Als König wird dein Gott herrschen (LXX.D) Antioch. Text ω� ς ω� ραιñοι ε� πι` τω ñ ν ο� ρε' ων [οι� ] πο' δες ευ� αγγελιζομε' νου α� κοη` ν ει� ρη' νης, ευ� αγγελιζομε' νου α� γαθα' Wie willkommen auf den Bergen sind die Füße dessen, der frohe Botschaft bringt, Kunde vom Frieden, der frohe Botschaft von Gutem bringt Jes 52,7 MT ַמה־ָּנאוו ּ ַעל־ֶהָה ִרים ַר ְגֵלי ְמַבֵּׂשר ַמְׁשִמיַע ָׁשל ֹום ְמַבֵּׂשר ט ֹוב ַמְׁשִמיַע ְיׁשו ָּעה ֹאֵמר ְלִצי ּ ֹון ָמַלְך ֱאל ָֹהִיְך Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König (EÜ) Röm 10,15b
Die erheblichen Unterschiede zwischen dem von Paulus zitierten Text und dem LXX-Text veranlassten Koch zu der Folgerung, dass eine Textauslassung vorliege, „die weder als bewußte Verkürzung durch Paulus zu erklären ist noch auf eine vorpaulinische Rezension der betreffenden Texte zurückgeführt werden kann“.157 Manche haben aus der Tatsache gefolgert, dass der von Paulus zitierte Text näher am hebr. Text ist als am griech. Text,158 aber auch im Blick auf den hebr. Text gibt es nicht unerhebliche Unterschiede. Man kann aus diesem Sachverhalt schließen, dass Paulus frei zitiert hat oder eine mündliche Fassung des Prophetenwortes verwendet, die ihm vorgegeben war und den Wortlaut von Jes 52,7 verkürzt hatte.159 Stanley hat nun einen LXX-Text aus dem Antiochenischen LXX-Text (früher lukianische Revision) rekonstruiert, der dem Paulus-Zitat nahekommt (s. oben).160 Wenn man vom Antiochenischen LXX-Text ausgeht, erkennt man drei wichtige Änderungen, die Paulus am Jesaja-Text vorgenommen hat. 1. Auslassung der Wendung ε� πι` τω ñν ο� ρε' ων („auf den Bergen“), die bei Jesaja auf die den Zion umgebenden Berge verweist; die ————————————————————
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Koch, Schrift, 81-82; vgl. ebd. 66-69. Ellis, Use, 14 mit Anm. 5; Michel 333 Anm. 2; jetzt Wagner, Heralds, 170-171. Wilckens II 229 bzw. Lohse 300. Manuskripte 88 22c-93 86c 456 403fi [= 403–613] und Theodorets Zitate. Zum Antiochenischen Text s. LXX.D, S. XI. Stanley, Paul, 135 Anm. 166, Diskussion ebd. 135-141; Wilk, Bedeutung, 24; Wagner, Heralds, 171-172; für die folgende Analyse ebd. 173-174.
406 Römerbrief ———————————————————————————————————— Auslassung ermöglicht Paulus eine Anwendung auf die Verkündigung des Evangeliums durch urchristliche Missionare im gesamten Mittelmeerraum. 2. Auslassung der Wendung ευ� αγγελιζομε' νου α� κοη` ν ει� ρη' νης („der frohe Botschaft bringt, Kunde vom Frieden“), die einerseits durch Haplographie entstanden sein könnte,161 andererseits es Paulus erlaubt, die „Kunde“ bzw. „Botschaft“ (α� κοη' ) ausschließlich mit dem „Wort des Messias“ (V. 16-17) zu identifizieren. 3. Änderung des Genitiv Singulars πο' δες ευ� αγγελιζομε' νου („die Füße eines, der frohe Botschaft bringt“) in den Plural πο' δες τω ñ ν ευ� αγγελιζομε' νων („die Füße derer, die frohe Botschaft bringen“), was Paulus ermöglicht, nicht von dem einen Heilsbringer zu reden, sondern von den vielen Verkündern des Evangeliums seiner Zeit, die er in V. 8.14-15 erwähnt.
Das Wort ω� ραιñος [hōraios] bedeutet „angenehm, lieblich, anmutig, schöngestaltet“ (Mt 23,37; Apg 3,2.10; vgl. Sir 26,18), hier sicherlich „rechtzeitig, zur rechten Zeit, gelegen“ und in diesem Sinn „willkommen“.162 Diese Bedeutung unterstreicht den rechtzeitigen eschatologischen Augenblick als Beleg für die Aussageabsicht der Fragen in V. 14-15a: Israel hat von den Boten, die Gott gesandt hatte, das Evangelium erhalten – die Boten kamen rechtzeitig, Israel hätte hören und glauben können.163 Der Hinweis auf die „Füße“ (πο' δες) steht pars pro toto für die Verkündiger, die gesandt wurden – Vollzug der Sendung beinhaltet geographische Bewegung. Jesus hat seine Jünger nach Kreuz und Auferstehung beauftragt: „Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern“ (πορευθε' ντες μαθητευ' σατε πα' ντα τα` ε» θνη). Die urchristlichen Missionare sind zu Fuß gegangen und haben dabei beträchtliche Strecken zurückgelegt – Paulus ca. 14 000 km.164 Die Füße sind das Glied zwischen der Sendung und der Verkündigung. Sie sind ein Hinweis auf den Fortschritt des Evangeliums von Stadt zu Stadt, von Region zu Region. Das Verb „die frohe Botschaft bringen“ (ευ� αγγελιζομε' νων [euangelizomenōn]; zu ευ� αγγε' λιον s. 1,1.15) bedeutet „eine freudige Nachricht verkündigen, eine gute Botschaft bringen“; es ist hier praktisch gleichbedeutend mit κηρυ' σσω ([kēryssō]; vgl. V. 14). Das „Gute“ (τα` α� γαθα' [ta agatha]) ist das endzeitliche, messianische Heil, das in der Botschaft von Jesus, dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn verkündigt wird. Das Schriftzitat, das den aus fünf Vorgängen bestehenden Prozess abschließt, der durchlaufen werden muss, damit man in Israel den Herrn und ————————————————————
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ευ� αγγελιζομε' νου … ευ� αγγελιζο' μενος; vgl. Koch, Schrift, 82-83; Stanley, Paul, 139. Paulus hätte den Hinweis auf „Frieden“ im Licht von 5,1 gut verwenden können. Schlier 317; Wilckens II 228; Dunn II 621; Fitzmyer 597; Jewett 640; Lohse 301. Vgl. Schlier 317; Moo 664; Jewett 640. Lohse 301, der ebenfalls im Sinn von „rechtzeitig“ interpretiert, kommentiert: Die Heilsbotschaft „läuft eilends von Ort zu Ort“, was mit „eilends“ einen Gedanken einträgt, den ω� ραιñος nicht beinhaltet. Schnabel, Urchristliche Mission, 1230.
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Messias Jesus anruft, belegt: Diese fünf Vorgänge sind eingetreten, der Prozess wurde vollzogen. Gott hat Boten gesandt (α� ποστε' λλω), die Boten haben verkündigt (κηρυ' σσω), die Menschen haben gehört (α� κου' ω), sie hätten glauben (πιστευ' ω) und den Messias Jesus als Herrn anrufen (ε� πικαλε' ω) können. Die Füße der Boten sind gelaufen, sie haben die frohe Botschaft von der Gegenwart des messianischen Heils zu den Menschen gebracht (ευ� αγγελι'ζω). Israel kann sich nicht bei Gott beschweren, wenn dieser Prozess zwischen dem Hören und dem Glauben abgebrochen ist. 16 Paulus markiert mit „aber“ (α� λλα' [alla]) einen Gegensatz zwischen dem Prozess, der von der Sendung zum Glauben und zur Anrufung des Messias Jesus führt, und der aktuellen Wirklichkeit: Aber nicht alle haben dem Evangelium gehorcht (V. 16a). Die Tatsache, dass Paulus nicht sagt: „nicht alle haben geglaubt“, deutet darauf hin, dass es ihm nicht darum geht darzulegen, an welcher Stelle der Prozess abgebrochen ist – der Abbruch wäre zwischen dem Hören (dem Sendung und Verkündigung vorausgehen) und dem Glauben (auf den das Anrufen folgt) anzusetzen.165 Paulus will vielmehr sagen: Der Prozess hat nicht für alle zu dem von Gott intendierten Ziel geführt – nicht alle haben gehorcht. Die Verwendung des Verbs „gehorchen“ (υ� πακου' ω [hypakouō])166 ist wohl ein bewusstes Wortspiel mit „hören“ (α� κου' ω [akouō]): „Wenn das α� κου' ειν nicht ein υ� πακου' ειν wird, ist die im Vorangehenden beschriebene Kette der Vorgänge zerrissen und die Anbietung des Heils abgewiesen“.167 Wichtiger ist die grundlegende Bedeutung des Gehorsams für das Evangelium: Paulus hat vom Messias Jesus, dem Herrn, „Gnade und Apostelamt empfangen zum Gehorsam des Glaubens unter allen Völkern für seinen Namen“ (1,5). In 6,16-18 beschreibt der die Jesusbekenner als „Sklaven des Gehorsams“ und „Sklaven der Gerechtigkeit“, die dem Evangelium, das ihnen übergeben wurde, „von Herzen gehorsam geworden“ sind. Vgl. 15,18; 16,19.26; 2Kor 10,5-6; 2Thess 1,8. O. Michel schreibt: „Das Evangelium ist eine Botschaft, hinter der Gottes Autorität steht; daher verlangt es Gehorsam“.168 Die Wendung „nicht alle“ (ου� πα' ντες [ou pantes]) bedeutet vielleicht als Litotes „nur ganz wenige“, vielleicht meint er, was er sagt, wörtlich und lässt es offen, ob wenige oder viele Juden zum Glauben an den Messias Jesus gekommen sind. ————————————————————
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Dunn II 522, gegen Cranfield II 536. Siehe 1,5 zum Substantiv υ� πακοη' . Schlatter 316. Dunn II 622 hält das Wortspiel für „irresistible“; der folgende Punkt ebd. Michel 334. Penna722f: „Il crederenon consiste soltanto in un assenso dell’intelletto, ma comporta anche una rinuncia all’affermazione di sé per affidarsi senza riserve al Signore“.
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Paulus begründet mit einem Zitat aus Jes 53,1 LXX, eingeleitet mit „Jesaja sagt“ (� Ησαι¨'ας λε' γει): Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt? (V. 16b). Der Wortlaut folgt der LXX, die im Unterschied zum hebr. Text den Vokativ Κυ' ριε [kyrie], „Herr!“, an den Anfang stellt. Paulus klagt mit dem LXX-Text nicht Israel an, sondern trägt seine Klage vor Gott. Der Widerstand Israels gegen die Verkündigung des Propheten Jesaja wiederholt sich als Erfahrung der Boten des Messias, die bei ihrer Verkündigung des Evangeliums auf den Widerstand des jüdischen Volkes stoßen. Das mit „Botschaft“ (α� κοη' [akoē]) übersetzte Wort bezeichnet „das Gehörte, die Mitteilung, die Botschaft“.169 Der Glaube kommt aus dem Hören: Er setzt die Verkündigung des Evangeliums voraus, das zunächst gehört wird, ehe man versteht und zum Glauben kommt. 17 Die Erläuterung, wie es zum Glauben an den Messias Jesus kommt, wird mit einem begründenden Satz (α» ρα [ara]) abgeschlossen: der Glaube kommt aus der Botschaft, die Botschaft aber aus dem Wort des Messias.170 Der Glaube (η� πι'στις [hē pistis]) kommt aus der Botschaft (α� κοη' [akoē]), in der das Evangelium vom Messias Jesus zu Gehör gebracht wird. Manche, vor allem englische Übersetzungen geben α� κοη' V. 17 mit „Hören“ wieder (NASB: „So faith comes from hearing, and hearing by the word of Christ“; vgl. ESV, NLT); GN und NGÜ übersetzen das erste α� κοη' mit „Hören der Botschaft“, GN das zweite α� κοη' mit „Botschaft“, während NGÜ beide Satzhälften zu einer Aussage verschmilzt („Wie wir gesehen haben, setzt der Glaube das Hören der Botschaft von Christus voraus“; in einer Anm. werden mehrere Übersetzungsvarianten angeboten). Dunn argumentiert, dass die Bedeutung von ρ� η' μα („das Wort, das wir predigen“) für α� κοη' die Bedeutung „Hören“ geradezu erfordert; er meint, die damit notwendige Unterschiedlichkeit der Bedeutung von α� κοη' in V. 16.17 erkläre sich durch die Ausnutzung der semantischen Breite des Wortes.171 Die meisten Ausleger verstehen α� κοη' V. 17 wie in V. 16 im Sinn von „das Gehörte, die Botschaft“. Paulus formuliert allgemein; es ist nicht notwendig, die Verbindung von πι' στις und α� κοη' V. 17 mit der Verbindung von πιστευ' ω und α� κου' ω zu koordinieren. Die Zuordnung von ρ� η' μα und α� κοη' in V. 17 ist kein Problem, wenn man ρ� η' μα nicht als „Botschaft“ versteht, mehr oder weniger identisch mit α� κοη' , sondern als Vokabel, die „Wort“ und „Sache“, „das Gesagte“ und „die Angelegenheit“ gleichzeitig bedeutet und hier das Evangelium selbst bezeichnet.172
Und die Botschaft kommt „aus dem Wort des Messias“ (δια` ρ� η' ματος Χριστουñ [dia rhēmatos tou Christou]; zu ρ� η' μα s. 10,8). Wenn man den
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Paulus verwendet α� κοη' in Röm 10,16.17; 1Kor 12,17; Gal 3,2.5; 1Thess 2,13; 2Tim 4,3.4. Das Wort ist in den Papyri erst ab dem 3. Jh. n.Chr. bezeugt, wo es meistens für das steht, „was man gehört hat“ (SB III 7205,8; BGU IV 1080,6-8). Es gibt keinen plausiblen Grund, V. 17 als Glosse (zu V. 14-15) zu beurteilen (Bultmann, Glossen, 280; Luz, Geschichtsverständnis, 32; Michel 334). Kritisch Wilckens II 229; Jewett 642; Lohse 301 Anm. 16. Dunn II 623; vgl. Schlatter 317; Cranfield II 536; Jewett 634.642. Eckstein, Nahe, 220.
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Genitiv als gen. subjectivus interpretiert,173 spricht Paulus vom Reden und Handeln des Messias im Wort des Glaubens, vom Wort des erhöhten Herrn, das sich in der apostolischen Predigt manifestiert. Möglich, aber eher unwahrscheinlich ist die Auslegung im Sinn des Auftragsworts Jesu, der seine Jünger aussendet und so den Prozess der Verkündigung der Botschaft in Gang setzt, der im Glauben zur Vollendung kommt.174 Im Anschluss an V. 8, wo das Wort ρ� η' μα dem Zitat Deut 30,13 LXX entnommen wurde, ist ein Verständnis im Sinn eines gen. objectivus plausibler: Paulus spricht von dem Wort, das den Messias zum Inhalt hat.175 Das „Wort des Messias“ ist das Evangelium von der Heil schaffenden Offenbarung Gottes, der durch den Sühnetod und die Auferstehung und Erhöhung des Messias Jesus den Sündern aus Juden und Heiden Gerechtigkeit erweist und Rettung schafft. Dieses „Wort“ wird in der Botschaft verkündigt, die die Boten des Messias in das jüdische Volk getragen haben. Auch bei dieser Interpretation kommt dem Messias Priorität zu: Der Messias hat das Heil erwirkt – die Boten tragen die Botschaft, in der es um den Messias geht, zu den Menschen – die Menschen hören die Botschaft und kommen zum Glauben an den Messias. 18 Paulus beendet seine Behandlung des Unglaubens des jüdischen Volkes mit zwei Fragen, die Israel entlasten können, eingeleitet mit aber ich sage (α� λλα` λε' γω [alla legō]). Die erste Frage betrifft den Schritt vom Hören der von den Boten verkündigten Botschaft vom Messias zum Glauben an den Messias: Haben sie etwa nicht gehört? (μη` ου� κ η» κουσαν [mē ouk ēkousan]; V. 18a). Wenn sie die Botschaft, in der das Evangelium vom Messias Jesus verkündigt wurde, nicht gehört haben, dann wäre Israel für seinen Unglauben nicht verantwortlich. Die mit μη` ου� κ [mē ouk] formulierte Frage ist eine Entscheidungsfrage, die die Antwort „doch“ andeutet.176 Paulus weist dieses Argument mit im Gegenteil (μενουñ νγε [menounge]; vgl. 9,20) zurück und formuliert seine Antwort mit einem Zitat aus Ps 19,4 [LXX 18,5]: Ihr Schall ist in die ganze Erde hinausgegangen und ihre Worte bis an die Enden der Welt (V. 18b). Der griechische Text des Zitats stimmt mit der LXX wörtlich überein. Der Satz ist nicht als Zitat markiert, allerdings würde ein aufmerksamer Leser merken, dass sich die beiden Personalpronomen (αυ� τω ñ ν) nicht auf das im Verb von V. 18a impli————————————————————
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Käsemann 285; Schlier 318; Michel 334; Wilckens II 222; Müller, Glaube, 425. Zahn 488-489; Lietzmann 101; Kuss III 776; Michel 334; Stuhlmacher 170; Haacker 258; G. Kittel, ThWNT IV, 109; Munck, Christus, 73; Maier, Israel, 89-91. Sanday/Headlam 298; Moo 666; Fitzmyer 598; Haacker 215; Lohse 302. Dunn II 623 will die Mehrdeutigkeit des Genitivs beibehalten. HvS §269b; vgl. BDR §472.2b: Wenn das Verb mit ου� verneint ist, lassen Fragen mit μη' eine bejahende Antwort erwarten.
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zierte „sie“ (das jüdische Volk, die Juden) beziehen kann, denn diese sollen ja vom „Schall“ der Evangeliumsbotschaft erreicht werden.177 Die Tatsache, dass Paulus nicht explizit zitiert, könnte anzeigen, dass er die Aussage von Ps 19,4 nicht als Prophezeiung der apostolischen Mission versteht. Er verwendet die Worte des Psalms, weil sie die weltweite Perspektive aussagen, die im Missionsbefehl Jesu Mt 28,19 (πα' ντα τα` ε» θνη [panta ta ethnē], „alle Völker“)178 und Apg 1,8 (ε« ως ε� σχα' του τηñ ς γηñ ς [heōs eschatou tēs gēs], „bis an das Ende der Erde“) eine zentrale Rolle spielte, die von den Jüngern wahrscheinlich im buchstäblichen Sinn verstanden und in die Tat umgesetzt wurde.179 Im ursprünglichen Kontext beziehen sich die Personalpronomen (αυ� τω ñ ν) auf „die Himmel“, die die Herrlichkeit Gottes verkündigen (Ps 19,1). Paulus interpretiert im Hinblick auf die Stimme der Boten des Messias, die die frohe Botschaft von Gottes Heil schaffender Offenbarung verkündigt haben. Die „Worte“ (τα` ρ� η' ματα [ta rhēmata]) verweisen auf die frohe Botschaft vom Messias Jesus, die die Boten des Messias in die Welt getragen haben. Das Verb ε� ξηñ λθεν [exēlthen]) setzt einen Ausgangspunkt voraus, von dem aus die „Stimme“ bzw. „die Worte“ „hinausgegangen“ sind. Paulus denkt an Jerusalem, den Ort der Kreuzigung, Auferweckung und Erhöhung des Messias Jesus, den Ort des Kommens des Geistes Gottes, dessen Gegenwart und Macht zur ersten Verkündigung der Botschaft von Jesus, dem Sohn Gottes, geführt hat, der Ausgangspunkt der missionarischen Aktionen der Zwölf und auch der Ausgangspunkt seiner eigenen Missionsarbeit, die ihn „von Jerusalem aus in weitem Umkreis bis nach Illyrien“ in Städte und Regionen führte, in denen er „überallhin das Evangelium des Messias“ gebracht hat. Die Wendung ει� ς παñ σαν τη` ν γηñ ν ([eis pasan tēn gēn], „in die ganze Erde“) entspricht dem Ausdruck ει� ς τα` πε' ρατα τηñ ς οι� κουμε' νης ([eis ta perata tēs oikoumenēs], „bis an die Enden der Welt“). Die Wendung τα` πε' ρατα τηñ ς οι� κουμε' νης beschreibt die bewohnten und bewohnbaren Teile der Erde bis an das Ende der damals bekannten Welt. Das Wort πε' ρας [peras] kommt bei Paulus nur hier vor; vgl. sonst Mt 12,42 / Lk 11,31 (die Königin des Südens kommt von „den Enden der Erde“); Hebr 6,16 (das Ende eines Einwands). Mit οι� κουμε' νη [oikoumenē]180 meint Paulus nicht die griechische Kulturwelt im Gegensatz zu den am Rand wohnenden Barbarenvölkern, auch nicht die Welt des römischen Reiches, dessen Machthaber den Anspruch erhob, den orbis terrae (terrarum) zu beherr————————————————————
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Vgl. Stanley, Paul, 142. Vgl. Mk 13,10; 14,9; Mt 10,18; 26,13. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 340-369; zu Apg 1,8 vgl. Schnabel, Acts, 77-80. Vgl. O. Michel, Art. οι� κουμε' νη, ThWNT V, 159-161; H. Balz, EWNT II, 1229-1233; O. Flender / L. Coenen, ThBLNT II, 1898-1900.
Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 411 ———————————————————————————————————— schen (Cicero, Mur 22; Vergil, Aen 6,850; vgl. Josephus, Bell 1,633): Der Kaiser ist der „Vorsteher der Welt“ (ο� τηñ ς οι� κουμε' νης προστα' της). Vgl. Bauer/Aland s.v. οι� κουμε' νη 1. die bewohnte Erde, der Erdkreis, 2. das römische Reich, 3. die gesamte Welt. Das Wort οι� κουμε' νη kommt bei Paulus auch nur hier vor, ist aber im NT sonst häufiger belegt: Mt 24,14; Lk 2,1; 4,5; 21,26; Apg 11,28; 17,6.31; 19,27; 24,5; Hebr 1,6; 2,5; Offb 3,10; 12,9; 16,14. In der LXX kommt οι� κουμε' νη ca. 40 Mal vor.
Ausleger meinen, „im Blick auf die faktische Lage“ sei dies „eine ungeheure Übertreibung“.181 Es lässt sich zeigen, dass die Apostel eine geographische Maximalperspektive hatten, die in der Tat bis zu den Regionen reichte, die man im 1. Jh. als „am Ende der Erde“ bezeichnete.182 Strabo beschreibt das westlich der Meerengen von Gibraltar gelegene Γα' δειρα (Gadeira; lat. Gades, mod.Cadiz) als Insel bzw. Stadt „am Ende der Erde“ (ε� σχα' τη τηñ ς γηñ ς [eschatē tēs gēs]; Strabo 3,1,8). Diese Region am „Vorgebirge von Iberien, das man Heiliges Kap nennt“, ist „der westlichste Punkt der bewohnten Welt (δυσμικω' τατον τηñ ς οι� κουμε' νης [dysmikōtaton tēs oikoumenēs])“ (Strabo 2,5,14).183 Paulus will nach seinem Jerusalembesuch nach Spanien und dort missionieren (Röm 15,24.28). Das nördliche Ende der bewohnten und im 1. Jh. bekannten Welt bildete Skythien. Die Skythen galten als Volk „am Ende der Erde“, wie Properz 2,7,18 über die von Griechen gegründete Stadt Borysthenes am Nordwestrand des Schwarzen Meeres schreibt. Griechen und Römer bezeichneten mit „Skythien“ die im Norden und Osten liegenden Gebiete, d.h. die Region von der Donau bis zum Don, zum Kaukasus-Gebirge und zur Wolga. Paulus beschreibt die Gemeinde der Jesusbekenner als Ort, wo die Unterschiede zwischen Griechen und Juden, Beschnittenen und Unbeschnittenen, Barbaren, Skythen, Sklaven oder Freien keine Rolle mehr spielen (Kol 3,11): Vielleicht weiß er, dass es in der Gemeinde Kolossäs einen skythischen Christen (vielleicht einen Sklave?) gibt. Das südliche Ende der Erde bildete Äthiopien, was das heutige Sudan mit einschließt: Homer nennt die Äthiopier die „am weitesten entfernten Menschen“ (ε» σχατοι α� νδρω ñ ν [eschatoi andrōn]; Od. 1,23); Herodot schreibt von einer Armee, ————————————————————
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Wilckens II 230. So schon Hermann Samuel Reimarus in seinem „Zweyten Fragment“ von der „Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten“, auf die Kuss III 778 hinweist. Reimarus zitiert Röm 10,18 mit dem Kommentar, dass Paulus die „Dreistigkeit“ besitzt, so zu antworten, und kommentiert spöttisch: „Gewiß, in Pauli seinem Atlante geographico müssen sehr viele Charten gemangelt haben; der Erdkreis und das menschliche Geschlecht muß bey ihm auf wenig Völker und Länder eingezogen worden seyn, daß er zu der Zeit, da das Christenthum noch, so zu reden, in seiner Wiege lag, dieses zu sagen das Herz hat“. Für die Fragmente des Reimarus s. jetzt Schilson, Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe. Band 8: Werke 1774–1778. Vgl. Balz, EWNT II, 1232: Paulus beschreibe nicht „in maßloser Übertreibung die bisherigen Missionserfolge“, sondern spreche „vom umfassenden eschatologischen Heilswerk Gottes, an dem doch das Israel des Schöpfergottes nicht vorübergehen kann“. Wer sowohl die antiken als auch die urchristlichen Texte sorgfältig untersucht, erkennt solche Voten als Fehlurteile. Zahn 490 spricht zurückhaltender von einer „symbolischen Beschreibung“. Für das Folgende vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 456-465.484; zur Mission von Thomas in Indien ebd. 853-876. Diodoros Siculus 25,10,1: τα` ε» σχατα τηñ ς οι� κουμε' νης. Weitere Belege: Strabo 1,2,31; 3,1,4; Lucan, Phars. 3,454; Juvenal, Sat. 10,1-2; Silius, Punica 17,637.
412 Römerbrief ———————————————————————————————————— die nach Äthiopien zu „den Enden der Erde“ zog (τα` ε» σχατα γηñ ς [ta eschata gēs]; 3,25). Lukas berichtet in Apg 8,26-39 von der Bekehrung und Taufe eines Äthiopiers. Das östliche „Ende“ der Erde lag hinter Indien bei den Seres (dem „Seidenvolk“, d.h. China), aber es war Indien, zu dem das heutige Pakistan und Afganistan gehörten und das von Strabo 6,26,101106 ausführlich beschrieben wird, das man als Region „an den Enden der bewohnten Erde“ (ταιñς τηñ ς οι� κουμε' νης ε� σχα' ταις [tais tēs oikoumenēs eschatais]; Prokopius, De bellis 2,3,52: vgl. 6,30,9) bezeichnete. Die Tradition, dass der Apostel Thomas nach Indien reiste (ActThom; indische Travancore-Tradition) und dort missionierte, lässt sich als durchaus plausibel erweisen.
Paulus spricht von der universalen Reichweite der Verkündigung des Evangeliums, die alle Regionen der Erde erreicht hat, auch das jüdische Volk, einschließlich der jüdischen Gemeinden außerhalb Judäas.184 Wenn der Schall des Evangeliums in die ganze Welt gedrungen ist, können sich Juden nicht damit entschuldigen, man habe vom Messias Jesus nichts gehört. 19-21 Diese Antwort führt mit logischer Konsequenz zu einer zweiten Frage, die wieder mit aber ich sage (α� λλα` λε' γω [alla legō]) eingeleitet wird: Hat Israel etwa nicht begriffen? (μη` � Ισραη` λ ου� κ ε» γνω; [mē Israēl ouk egnō?]; V. 19a). Man kann hören, ohne zu begreifen. Das Verb γινω' σκω [ginōskō] bedeutet hier „verstehen, begreifen, einsehen“.185 Die Formulierung der Frage, ob Israel das von den Boten des Messias verkündigte Evangelium etwa nicht begriffen hat, mit μη` ου� κ [mē ouk] deutet wieder auf die Antwort „doch“ hin. Paulus formuliert die Antwort mit drei Zitaten aus der Schrift (Deut 32,21; Jes 65,1; Jes 65,2). Mose wird als Erster (πρω ñ τος [prōtos]) zitiert. Der explizite Hinweis auf Mose, mit dem Paulus das Zitat aus Deut 32,21 einleitet, verweist auf Moses Autorität: Mose sagt (πρω ñ τος Μωυ¨ σηñ ς λε' γει [prōtos mōysēs legei]). Israel weiß: Was Mose sagt, sagt Gott. Das Zitat folgt nahezu wörtlich dem LXX-Text: Ich will euch eifersüchtig machen auf das, was kein Volk ist, über ein unverständiges Volk will ich euch zornig machen (V. 19b). Paulus ändert die 3. Pers. Plural αυ� του' ς in die 2. Person Plural υ� μαñ ς ab. Koch erklärt die Änderung mit dem neuen Zusammenhang des Zitat, in dem „ihr Schall“ und „ihre Worte“ ————————————————————
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Michel 335 Anm. 6 formuliert schön: „Paulus will zum Ausdruck bringen, daß ein außerordentliches, wunderbares Geschehen den ganzen Erdkreis umspannt. Es liegt für Paulus eineGesetzmäßigkeit auf diesem Gottesweg, der jedes Land unddie ganze Erde erreicht“. Bauer/Aland γινω' σκω 3; vgl. Röm 7,1; 1Kor 2,8.11; 2Kor 13,6. Andere Bedeutungen, die hier nicht vorliegen, sind nach Bauer/Aland Bedeutung 1, „erkennen, kennenlernen, lernen“ (vgl. Röm 1,21; 7,7; 1Kor 13,9.12); Bedeutung 2, „erfahren“ (Kol 4,8; 1Thess 3,5); 4, „merken, wahrnehmen“; 5, „erkennen“; 6, „etwas erkannt haben, wissen, kennen“ (Röm 2,18; 7,15; 1Kor 3,20; 8,2; 2Kor 5,21; 8,9); 7, „anerkennen als das, was man zu seinem Anspruch hat oder macht“ (1Kor 8,3; Gal 4,9). Lohse 302 schlägt auch die Bedeutung „anerkennen“ vor, was allerdings das Begreifen voraussetzen würde.
Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 413 ———————————————————————————————————— auf die Botschaft der christlichen Verkündiger bezogen wurde: Paulus verwendet die 2. Pers. Plural, um den Bezug des Zitats auf Israel sicherzustellen.186 Stanley sieht die An-wendung auf Israel bereits in der Wendung μη` � Ισραη` λ ου� κ ε» γνω angezeigt und erklärt als rhetorische Intensivierung, die den Leser auf die Bedeutung dieses Verses für die folgende Diskussion in Kap. 11 vorbereiten soll („the subtle artistry with which Paul can adapt the wording of a citation to suit its present application is clearly on display“).187
Im Kontext von Deut 32,21 (Paulus zitiert die zweite Hälfte des Verses), das zum sog. Lied Moses gehört und das öfter im Neuen Testament verwendet wird,188 antwortet Jahwe auf die Untreue Israels, das ihn vergessen und dadurch gereizt hat, dass es sich fremden Göttern, die Dämonen sind, zuwandte, „die sie nicht kannten“ (Deut 32,17).189 Das „Ich“ (ε� γω' [ego]) ist nicht das Ich Moses, sondern das Ich Gottes.190 Gott will Israel eifersüchtig machen auf „ein Nicht-Volk“ (ου� κ ε» θνος [ouk ethnos]). In Sir 50,26 wird das „Nicht-Volk“ als Hinweis auf die Bewohner von Sichem, d.h. die Samaritaner gedeutet, TestLev 7,2 auf die Sichemiten von Gen 34, ebenfalls eine Polemik gegen die Samaritaner,191 Tg. Yerushalmi auf die Babylonier. Im Kontext von Deut 20,17 kann man die Drohung von Deut 32,21 auf die Hetiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter oder Jebusiter beziehen, die Jahwe eigentlich der Vernichtung geweiht hatte, vielleicht auch auf die Ägypter, die in 29,24 erwähnt werden. Ein „unverständiges Volk“ (ε» θνος α� συ' νετος [ethnos asynetos]) ist das Äquivalent eines Nicht-Volks, das Jahwes Reden entweder nicht kennt oder kennt, aber ablehnt, jedenfalls ein Volk, das keine Einsicht hat in den Willen Gottes und deshalb nicht weiß, was richtiges, gutes Leben ist. ————————————————————
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Koch, Schrift, 110; vgl. Bell, Jealousy, 96. Zum Folgenden Stanley, Paul, 143-144 . Reinbold, Israel, 124-125 sieht in υ� μαñ ς eine Anrede an die stadtrömischen Christen, was im Kontext keinen Sinn ergibt; kritisch Lohse 302. Vgl. 1Kor 10,20.22 (Deut 32,16-17); Phil 2,15 (Deut 32,5); Hebr 1,6 (Deut 32,43 LXX). Mehrere Vokabeln aus Deut 32 waren für Paulus im Kontext von Röm 10 brauchbar: ο� ργη' , παροργι' ζω (32,19.21), υι�οι' (32,19.20) und πι' στις (32,20), das nur hier in der Tora vorkommt; Dunn II 625. Zur Verwendung von Deut 32,21 in Röm 10,19 vgl. Wagner, Heralds, 190-201, zum Eifersuchtsmotiv s. Bell, Jealousy, 95-104. Deut 32,17-19 LXX: „Sie opferten Dämonen und nicht Gott (δαιμονι' οις και` ου� θεω ñ, ), Göttern, die sie nicht kannten (θεοιñς, οιðς ου� κ η», δεισαν). Neu sind sie vor Kurzem gekommen, ihre Väter kannten sie nicht. Gott, der dich gezeugt hat, hast du verlassen und vergessen den Gott, der dich großzog. Und er Herr sah (es) und wurde eifersüchtig (ε� ζη' λωσεν) und gereizt aus Zorn (παρωξυ' νθη δι’ ο� ργη' ν) auf seine Söhne und Töchter. Und er sagte: Ich werde mein Angesicht von ihnen abwenden (α� ποστρε' ψω το` προ' σωπο' ν μου α� π’ αυ� τω ñ ν) und werde zeigen, was es am Ende für sie geben wird; denn es ist ein verkehrtes Geschlecht, Söhne (und Töchter), für die es Treue nicht gibt“ (LXX.D). Hübner, Gottes Ich, 97; Bell, Jealousy, 95. Vgl. Purvis, Origin, 119-129.
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Wenn Israel Gott eifersüchtig macht durch die Anbetung fremder Götter, die keine Götter sind, so wird Gott Israel eifersüchtig machen (παραζηλω' σω [parazēlōsō]), indem er sich einem Nicht-Volk zuwendet. „Eifersucht“ ist hier „das Streben nach alleinigem Besitz oder Genuß eines Gutes, verbunden mit der Angst, darin von anderen gestört zu werden“.192 Wenn Gott sich einem anderen Volk zuwendet, was nach dem Selbstverständnis Israels nicht sein kann, weil es die gnädige Zuwendung Jahwes für sich allein reklamiert – deshalb die Eifersucht –, wird es zornig (παροργιω ñ [parorgiō]), eine Reaktion, die auf Gott als Verursacher zurückgeführt wird. Der Zorn Israels richtet sich gegen (ε� πι' [epi]) das unverständige Nicht-Volk. Der Parallelismus der beiden Satzhälften, in denen jeweils Gott der Handelnde ist, unterstreicht die Autorität Gottes. Das Zitat ist eine implizite Antwort auf die Frage, ob Israel die Botschaft vom Messias Jesus, die sie gehört hat, etwa nicht begriffen hat. Wie Israel sich zur Zeit Moses von Jahwe abgewandt und andere Götter angebetet hat, obwohl es Gottes Worte gehört hatte, so hat Israel zur Zeit des Messias die „nahen Worte“ Gottes, die er durch den Messias und dessen Boten ergehen ließ, gehört, aber ihre Bedeutung für das Verhältnis zu dem einen wahren Gott nicht begriffen. Diese Antwort entspricht der Aussage 10,2: „Denn ich bezeuge ihnen, dass sie Eifer um Gott haben, aber dieser beruht nicht auf der richtigen Erkenntnis“. Das jüdische Volk hat, als GesamtIsrael, die Botschaft vom Messias Jesus gehört, aber nicht begriffen. Es hat durchaus Eifer für Gott, aber ohne Verständnis – es begreift nicht, dass die Heil gewährende „Gerechtigkeit Gottes“ (10,3) sich jetzt (3,21), da der Messias gekommen ist, im Sühnetod Jesu und seiner Auferweckung und Erhöhung ereignet hat (3,21–5,12). Das Bemühen um das Gesetz und seine Gebote, bei gleichzeitiger Ablehnung des Messias, der das Endziel des Gesetzes ist (10,4), schafft eine „eigene Gerechtigkeit“, die jedoch nicht mit der Gerechtigkeit Gottes korrespondiert (10,3) – Israel hat trotz seines Eifers um Gott die Gerechtigkeit Gottes nicht erreicht (9,31). Gott hat sich nun den Heiden, dem Nicht-Volk, zugewandt (9,25-26), die unverständig ————————————————————
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G. Müller, Art. Eifersucht, LThK III, 732; er fährt fort: „Dieser Konflikt zwischen dem Besitzanspruch des Liebenden dem Geliebten gegenüber und der Befürchtung, der Alleinbesitz werde durch einen Dritten gefährdet, ist vom Neid zu unterscheiden. Dieser ist eine zweiseitige Situation (mißgönnt dem anderen dessen Besitz), Eifersucht eine dreiseitige Situation, denn sie will den eigenen Liebesbesitz gegen den möglichen Liebesanspruch eines Dritten bewahren“. Vgl. Bell, Jealousy, 6. Definition im Duden: Eifersucht ist die „starke, übersteigerte Furcht, jemandes Liebe oder einen Vorteil mit einem anderen teilen zu müssen oder an einen anderen zu verlieren“. BDAG s.v. ζηñ λος 2: „intense negative feelings over another’s achievements or success“. Das Wort παραζηλω' σω ist in den Papyri nicht belegt; vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 374.
Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 415 ————————————————————————————————————
waren, weil sie das Gesetz nicht hatten: „Heiden, die sich nicht mit aller Kraft um Gerechtigkeit bemühten, haben Gerechtigkeit erlangt, und zwar die Gerechtigkeit auf Grund von Glauben (9,30). Deshalb ist Israel eifersüchtig, ja zornig auf die Heiden.193 Die Eifersucht und der Zorn Israels sind Beleg dafür, dass es die messianische Heilsoffenbarung Gottes nicht verstanden hat, von der die Propheten sprachen, wenn sie erwarteten, dass die Nationen zum Zion kommen, um Jahwe anzubeten.194 Als zweiten Zeugen führt Paulus Jesaja an: Jesaja aber erkühnt sich zu sagen (V. 20a). Das Verb „sich erkühnen“ (α� ποτολμα' ω [apotolmaō]) kommt nur hier im NT vor; in der LXX ist es nicht belegt. Was Jesaja in Jes 65,1 prophezeit ist in der Tat kühn: Der Gott Israels hat sich von Heiden finden lassen, die ihn weder kannten noch sich um ihn bemühten. Paulus zitiert Jes 65,1 LXX im Wortlaut: Ich habe mich von denen finden lassen, die mich nicht suchten, ich bin denen offenbar geworden, die nicht nach mir fragten (V. 20b).195 In Jes 65 sind die, die nicht nach Jahwe suchen (μη` ζητουñ σιν [mē zētousin]) und nicht nach ihm fragen (μη` ε� περωτω ñ σιν [mē eperōtōsin], das jüdische Volk, das Rettung nicht von Jahwe sucht, sondern von anderen Göttern. In 65,3-4 LXX heißt es: „Dieses Volk (ist es), das mir ständig gegen mich Ärger bereitet, sie (sind es), die in den Gärten Opfer darbringen und auf den Ziegelsteinen Räucherwerk anzünden für die Dämonen, die es (doch gar) nicht gibt; und in den Gräbern und in den Höhlen schlafen sie um der Träume willen, sie, die Schweinefleisch und Opferbrühe essen – alle ihre Geschirre sind besudelt“ (LXX.D). Paulus wendet die Prophetie Jesajas auf die Heiden an, eine Interpretation, die im Zusammenhang der Erwartung, dass in den letzten Tagen die Nationen zum Zion kommen, um Jahwe anzubeten (s. oben), durchaus einen Sinn ergibt.196 In 9,26 hatte Paulus Hos 2,1 zitiert: „Und es wird geschehen, anstelle dass ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, da werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt werden“. ————————————————————
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In 11,11 wird Paulus das Eifersuchtmotiv in positiver Weise verwenden. Jes 2,2-5 / Mi 4,1-4; Jes 14,2; 45,14; 49,22-23; 55,5; 66,20; Jer 16,19-21; Zef 3,9-10; Sach 8,20-23; 14,16-19; vgl. Tob 13,13. Paulus folgt dem LXX-Text, er stellt lediglich die Wortfolge um: Er stellt ευ� ρε' θην vom Anfang der zweiten Zeile an den Anfang der ersten Zeile und versetzt die Wendung ε� μφανη` ς ε� γενο' μην vom Anfang der ersten Zeile an den Anfang der zweiten Zeile. Koch, Schrift, 50-51 nimmt an, dass Paulus den Wortlaut seiner Vorlage zitiert. Dunn II 626 führt die Änderung auf die Zitierung aus dem Gedächtnis zurück. Vgl. Jes 2,2-5; 14,2; 45,14; 49,22-23; 55,5; 66,20. Paulus interpretiert also einerseits gegen den Wortsinn (Wilckens II 231), aber nicht gegen die Erwartung Jesajas, die man mit den Worten von 65,1 formulieren könnte.
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Eingeleitet mit aber zu Israel sagt er (προ` ς δε` το` ν � Ισραη` λ λε' γει [pros de ton Israēl legei]; V. 21a) fügt Paulus ein zweites Jesajazitat an, jetzt aus Jes 65,2: Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widerspenstigen Volk (V. 21b). Die zeitliche Bestimmung „den ganzen Tag“ (ο« λην τη` ν η� με' ραν [holēn tēn hēmeran]) unterstreicht die Dauer der Widerspenstigkeit gegen Jahwe, die in Jes 65,2b (von Paulus nicht zitiert) anklingt: „die nicht auf dem wahren Weg, sondern hinter ihren Sünden her wandelten“ (LXX.D). Israel war nicht gerade mal in Sünde gefallen, sondern hatte sich einem Lebensvollzug verpflichtet, der die Wahrheit der Gebote Gottes bewusst ignorierte. Die Haltung Israels wird mit zwei attributiven Partizipien beschrieben. Das erste Verb (α� πειθε' ω [apeitheō], „ungehorsam sein“)197 bestimmt die Einstellung und das Leben Israels als Gehorsamsverweigerung gegenüber Jahwe. Im Kontext der Ablehnung des Messias Jesus beschreibt Paulus den Unglauben des jüdischen Volks als Weigerung, Gottes messianischer Heilsoffenbarung gehorsam zu sein. Das zweite Verb (α� ντιλε' γω [antilegō]) charakterisiert den Widerstand Israels gegen Gottes Offenbarung als Widerspruch und Widerstand gegen Gottes gnädiges Handeln.198 In der Anwendung auf die Weigerung Israels, Jesus als Messias anzuerkennen, denkt Paulus an den verbalen Widerspruch gegen das Evangelium in Jerusalem und in Synagogen und an physische Attacken, denen er und die anderen Apostel ausgesetzt waren.199 Die Beschreibung der Reaktion Jahwes unterstreicht seine Barmherzigkeit, die Israel jetzt (noch) nicht richtet, und seinen Willen, Israel auf den rechten Weg zurückzuführen. In Jes 65,5b-7 wird Jahwes Gericht beschrieben: „Dies ist der Rauch meines Grimms, Feuer brennt in ihm alle Tage. Siehe, vor mir steht geschrieben: Nicht will ich Ruhe geben, bis ich vergolten habe in ihren Schoß ihre und ihrer Väter Sünden, spricht der Herr; (ihnen,) die auf den Bergen Räucherwerk anzündeten und auf den Hügeln mich schmähten, will ich ihre Taten in ihren Schoß vergelten!“ Paulus zitiert diese Gerichtsandrohung nicht. Er spricht von Gottes Händen, die er ausstreckt (ε� ξεπε' τασα τα` ς χειñρα' ς μου [exepetasa tas cheiras mou]) nach seinem ungehorsamen Volk. Aus dem Aorist des Verbs darf man nicht schließen, dass Gottes Bemühungen um Israel eine Sache der Vergangenheit sind – nicht deshalb, weil die Partizipien, mit denen Israels Ungehorsam und ————————————————————
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Das Verb πει' θω [peithō] bedeutet im Passiv (abgesehen vom Perfekt) 1. „sich überreden lassen, sich überzeugen lassen, zum Glauben kommen, glauben“; 2. „gehorchen, folgen“ (Bauer/Aland s.v. πει' θω 3). Im außerbiblischen Griechisch wird πει' θω auch als Substantiv verwendet, das u.a. „Gehorsam“ bedeutet (LSJ s.v. πει' θω II.4). Bauer/Aland s.v. α� ντιλε' γω 1. widersprechen, 2. sich widersetzen, jmdn. bekämpfen. Zur Verfolgung der Jesusbekenner in der Apg vgl. Schnabel, Persecution, 141-180.
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Widerspenstigkeit beschrieben wurden, im Präsens (durativer Aspekt, ohne Zeitbedeutung im Sinn einer gegenwärtigen Handlung) formuliert sind, und auch nicht deshalb, weil Gott Israel nie richtet – Jerusalem wurde im Jahr 586 v.Chr. zerstört und das jüdische Volk ins Exil nach Babylonien geführt. Hoffnung für Israel besteht, jetzt, zur Zeit von Paulus, deshalb, weil die Missonsarbeit in Jerusalem, Judäa, Samaria und bis an die Enden der Erde fortgeführt wird, Gott also immer noch seine Hände nach Israel ausstreckt. Die Aussicht auf die Bekehrung Israels ist Thema von Kap. 11. IV Paulus zeigt in diesem Abschnitt, dass Israel die Tatsache, dass es nur eine eigene Gerechtigkeit hat, nicht aber Gottes Gerechtigkeit, die allein rettet, nur sich selbst zuschreiben muss und dabei keine Entschuldigung hat, die seinen aktuellen Zustand rechtfertigen könnte. Weil es Rettung und Heil nur im Anschluss an Gottes Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus gibt (3,21–5,21), den Israel ablehnt, ist die Situation des jüdischen Volkes prekär. Niemand, auch Israel nicht, wird durch Werke des Gesetzes gerechtfertigt, die vorbei an Gottes Heilsoffenbarung einen Anspruch auf Heil begründen könnten. Israel kann sich außerdem nicht darauf berufen, dass es das Evangelium nicht gehört hat. Paulus begründet die Tatsache, dass Israel damit keine Entschuldigung für seinen Unglauben hat, mit einer Beschreibung der Missionsarbeit und mit einer Reihe von Schriftzitaten, also mit der Autorität der Schrift. Das Schriftzitat, das den aus fünf Vorgängen bestehenden Prozess abschließt, der durchlaufen werden muss, damit man in Israel den Herrn und Messias Jesus anruft, belegt: Diese Vorgänge sind eingetreten – Gott hat Boten gesandt (α� ποστε' λλω), die Boten haben verkündigt (κηρυ' σσω), die Menschen haben gehört (α� κου' ω), sodass sie glauben (πιστευ' ω) und den Messias Jesus als Herrn anrufen (ε� πικαλε' ω) können. Die Füße der Boten sind gelaufen, sie haben die frohe Botschaft von der Gegenwart des messianischen Heils zu den Menschen gebracht (ευ� αγγελι' ζω). Israel kann sich nicht bei Gott beschweren, wenn dieser Prozess zwischen dem Hören und dem Glauben abgebrochen ist. Die Beschreibung der Missionsarbeit in diesem Abschnitt, vor allem in 10,14-15, ist der ausführlichste systematische Text zum Vorgang der urchristlichen Mission.200 Erstens, Mission beinhaltet Sendung (α� ποστε' λλω; 10,15), Verkündigung (κηρυ' σσω) und Verkündiger (κηρυ' σσοντοι; 10,14), Hören (α� κου' ω), Glauben (πιστευ' ω) und Anrufung des Herrn (ε� πικαλε' ω). Diese Elemente ————————————————————
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Das Folgende bei Schnabel, Urchristliche Mission, 931-934.
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sind in dieser Reihenfolge notwendig: Das unterstreicht die Argumentation mithilfe eines rückläufigen Kettenschlusses, der mit vier Wie-Fragen formuliert ist und mit einem Schriftzitat (Jes 52,7) begründet wird. Zweitens liegt der Schwerpunkt, nicht nur kontextbedingt, auf dem letzten Glied der Kette, d.h. auf der Notwendigkeit der Verkündigung durch Boten, die der Herr gesandt hat. Das Schriftzitat in 10,15 „bestätigt, daß die Sendung, auf die alles andere sich gründet, geschehen ist und geschieht“.201 Apostel und Missionare verkündigen nicht in eigener Autorität, sie predigen keine selbstproduzierte Botschaft. Sie sind von Gott gesandte und bevollmächtigte Botschafter, die das „nahe Wort“ Gottes verkündigen, d.h. das rettende Wort Gottes, das im Messias Person geworden ist. Die Sendung der Boten entspricht der Sendung des Sohnes durch den Vater (Gal 4,4; Mt 10,40): „In Jesu eigener Sendung ist beschlossen und begründet, was Mission in Wahrheit ist: das vollmächtige, irdische Wirken zum Heil aller Menschen.“202 Der Primat der Verkündigung wird in 10,17 wiederholend bekräftigt: Der Glaube kommt aus der zu hörenden Botschaft (η� πι'στις ε� ξ α� κοηñ ς), in dem sich das Wort des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus manifestiert (η� α� κοη` δια` ρ� η' ματος Χριστουñ ). Drittens, das Zitat Jes 52,7 in 10,15 – ein Text, der in der jüdischen Exegese auf die messianische Zeit gedeutetet wurde203 – bekräftigt die Verwirklichung der Verheißung in der Sendung der Boten des Messias und damit den endzeitlichen Charakter der urchristlichen Mission. Paulus verwandelt den Singular (ευ� αγγελιζομε' νου) in einen Plural: Die Verkündigungstätigkeit der Evangeliumsboten verwirklicht die von Gott verheißene Rettung. Paulus lässt die Ortsangabe „auf den Bergen“ aus, die die Botschaft der Freudenboten Jesajas auf den Zion konzentrierte: Die Mission der Boten des Evangeliums ist eine universale Mission. Die „rechtzeitigen Füße“ der Boten unterstreichen die endzeitliche Verwirklichung der Verheißung. Viertens, die apostolische Mission macht die Erfahrung, dass „nicht alle“ (ου� πα' ντες) dem Evangelium gehorsam wurden. In Israel ist die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus größtenteils abgelehnt worden (10,16). Der Grund dieser Ablehnung war nicht ein Mangel an Boten, sondern ein Mangel an Glauben, was mit einem Zitat aus Jes 53,1 bekräftigt wird: Wie die Botschaft des Propheten auf Ablehnung stieß, so wird auch die Verkündigung des Evangeliums von vielen Juden abgelehnt, obwohl sie die Botschaft der Freudenboten hörten. Paulus macht deutlich, dass ein von ————————————————————
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Käsemann 284; vgl. Cranfield II 534. Hahn, Mission in neutestamentlicher Sicht, 47. Michel 333; Käsemann 284; Bell, Jealousy, 87.
Der unentschuldbare Unglaube Israels 10,14-21 419 ————————————————————————————————————
Gott gesandtes Wort und eine von Gott autorisierte Botschaft nicht immer und nicht von allen angenommen wird, selbst nicht innerhalb Israels. In 10,20-21 verweist Paulus auf die Prophezeiung Jesajas in 65,1.2, dass einerseits die Heiden, die nicht nach Gott fragten, Gottes Offenbarung erfahren und empfangen haben (10,20), und dass andererseits die Juden im Ungehorsam verharrten, obwohl Gott sich in seiner großen Langmut um Israel bemüht hat (10,21). Es liegt weder an Gott noch an den Boten, wenn nicht alle glauben. Fünftens, die urchristliche Mission hat eine weltweite Dimension. In 10,18 verwendet Paulus die Sprache von Ps 19,5, um die universale Reichweite der Evangeliumsverkündigung zu beschreiben. Die Stimme des Evangeliums ist „in der ganzen Welt“ (ει�ς παñ σαν τη` ν γηñ ν) zu hören, das Wort vom Messias Jesus geht „bis an die Enden der Erde“ (ει�ς τα` πε' ρατα τηñ ς οι� κουμε' νης). Paulus beschreibt das Evangelium als Wort des erhöhten Messias, das vom Himmel her zu allen Völkern spricht. In 10,19 deutet Paulus an, dass Israel wissen konnte, dass das Evangelium sowohl zu den Heiden als auch zu den Juden gehen sollte: Mose sagte (Deut 32,21), dass Gott Israel zu eifersüchtigem Zorn reizen würde durch ein Nicht-Volk. Der Zustrom glaubender Heiden in das messianische Gottesvolk provoziert das jüdische Volk zu einer zornigen Reaktion gegen die Boten des Evangeliums und gegen ihre Botschaft. Weil Israel das Evangelium abgelehnt hat, kam das Heil zu den Heiden (11,11): Paulus hat sich häufig bewusst und konzentriert Heiden zugewandt, wenn er von Juden abgelehnt wurde, in deren Synagogen er gepredigt hatte.204 Sechstens, die „Eifersucht“ Israels wird in Röm 11,11-14 im Sinn der heilsgeschichtlichen Absicht Gottes und im Sinn einer Hoffnung positiv interpretiert. Paulus hofft und erwartet, dass die Annahme des Evangeliums durch die Heiden und die Verwirklichung des messianischen Heils in den (außerhalb Judäas überwiegend) heidenchristlichen Gemeinden das jüdische Volk zur „Eifersucht“ reizen wird, das heißt, dass die Juden, die „gestrauchelt“ sind (11,11) – die den Messias Jesus und die in ihm angebotene Gottesgerechtigkeit ablehnen – die Wirklichkeit des messianischen Heils in den heidenchristlichen Gemeinden sehen und diesen Segen ebenfalls haben wollen und so zur Bekehrung veranlasst werden.
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Apg 13,44-47; 14,1-3; 18,4-7; 19,8-10; 28,23-29.
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Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes und die Errettung Israels 11,1-32 Nachdem Paulus erklärt hat, dass es nicht an Gott liegt, wenn Israel nicht an den Messias glaubt (9,6-29), sondern an Israel selbst, das sich der Heil schaffenden Gerechtigkeit Gottes widersetzt (9,30–10,21), erläutert er in 11,1-32 die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes als Wirklichkeit der Errettung Israels. Er argumentiert in drei Schritten. 1. Es gibt in Israel einen Überrest von durch Gott erwählten Gerechten, die an den Messias glauben (11,1-10). 2. Israels Ablehnung des Evangeliums führte zur Bekehrung der Heiden und hat damit die von Gott intendierte Wirkung (11,11-24). 3. Gott wird seine Verheißung erfüllen: Israel wird gerettet werden (11,25-32).
Die Erwählung eines Restes in Israel 11,1–10 I 1 Ich sage nun: Hat Gott etwa sein Volk verstoßen? Auf keinen Fall! Denn auch ich bin ein Israelit, aus dem Samen Abrahams, aus dem Stamm Benjamin. 2 Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erkannt hat. Oder wisst ihr nicht, was die Schrift im Abschnitt über Elija sagt, als er vor Gott Klage gegen Israel führt: 3 Herr, sie haben deine Propheten getötet, deine Altäre zertrümmert, und ich allein bin übrig geblieben, und nun trachten sie mir nach dem Leben. 4 Doch was sagt ihm die göttliche Antwort? Ich habe mir siebentausend Mann übrig gelassen, die ihr Knie nicht vor Baal gebeugt haben. 5 So ist nun auch in der jetzigen Zeit ein Rest vorhanden entsprechend der Erwählung der Gnade: 6 Wenn aber durch Gnade, dann nicht aus Werken, denn sonst wäre die Gnade nicht mehr Gnade. 7 Was folgt daraus? Was Israel sucht, das hat es nicht erreicht, die Auswahl hat es aber erreicht, doch die Übrigen wurden verhärtet, 8 wie geschrieben steht: Gott hat ihnen einen Geist der Betäubung gegeben, Augen, dass sie nicht sehen, und Ohren, dass sie nicht hören, bis zum heutigen Tag. 9 Und David sagt: Ihr Tisch werde ihnen zur Schlinge und zum Netz und zum Fallstrick und zur Vergeltung. 10 Ihre Augen sollen finster werden, dass sie nicht sehen, und ihren Rücken beuge allezeit. II Im Anschluss an die Darstellung von Israels Widerstand gegen Gottes Heil schaffende Gerechtigkeit (9,30–10,21) beantwortet Paulus die Frage, ob
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Juden überhaupt gerettet werden können. Die Frage, ob Gott das Volk Israel verstoßen hat (V. 1a), wird negativ beantwortet (V. 1b). Paulus begründet die Aussage, dass Gott sein Volk nicht verstoßen hat, zuerst mit dem Hinweis auf sich selbst (V. 1c), dann mit einem unmarkierten Schriftzitat aus 1Sam 12,22 / Ps 94[93],14 (V. 2a). Paulus verweist dann auf Elija als Beispiel dafür, dass Gott auch in Zeiten allgemeinen Unglaubens sein Volk nicht verstößt (V. 2b-4): Die Klage Elijas, dass man in Israel Gottes Propheten ermordet und Gottes Altäre zerstört und nur er allein übriggeblieben ist, wird nach 1Kön 19,10 (LXX 3Reg 19,10) zitiert, die Antwort Gottes, dass siebentausend Mann übrig sind, die ihn anbeten, entspricht 1Kön 10,18 (LXX 3Reg 10,18); zum Wortlaut des Zitats s. unten zu V. 4. Paulus formuliert eine zweifache Folgerung für Israel (V. 5-7): Gott hat in seiner freien Gnadenwahl auch heute einen Rest übrig gelassen (die Judenchristen); Israel als Gesamtvolk hat das gesuchte Heil nicht erreicht, nur der Rest, die „Auswahl“, hat das Heil erlangt, während die Übrigen verhärtet sind (und der gerechten Verurteilung im Endgericht entgegengehen). Paulus bestätigt in V. 8-10 die zweite Folgerung mit einem Zitat aus der Tora (Deut 29,3), in das eine Formulierung aus Jes 29,10 aufgenommen wird, und einem Zitat von David (Ps 69[68],23-24). Textkritische Anmerkungen. In V. 1 lesen statt το` ν λαο' ν einige Zeugen τη` ν κληρονομι'αν (d46 F G b), was als Assimilation an Ps 94[93],14 zu bewerten ist.1 Die Hinzufügung von ο� ν προε' γνω (d46 [η� ν προε' γνω] א2 A D*) ist wahrscheinlich von V. 2 her eingetragen und ist weniger gut bezeugt als die Minus-Lesart. Die Hinzufügung von λε' γων hinter κατα` τουñ � Ισραη' λ in V. 2 ( *אByz syp) ist als editorische Klärung zu werten, die die folgende Aussage explizit als Zitat kenntlich macht. Die Minus-Lesart ist gut bezeugt (א2 A B C D F G P Ψ 6 81 365 1175 u.a. latt syh). In V. 4 wird die Aoristform κατε' λιπον ( אB D Ψ 1881 Byz) in zwei divergierenden Lesarten durch das Futur κατα' λειψα (81 1506 u.a.) bzw. das Imperfekt κατε' λειπον (d46 A C F G L P 104 1175 1739 u.a.) ersetzt; die Futurform ist von 1Kön 19,18 LXX beeinflusst, die Imperfektform ist wahrscheinlich ein Schreibfehler.2 In V. 6 lesen d46 614 1881 u.a. d vgst syp statt ου� κε' τι das einfachere ου� κ, das als sekundäre Änderung zu werten ist. Mehrere Textzeugen haben eine längere Lesart: ει� δε` ε� ξ ε» ργων ου� κε' τι ε� στι` (-Β) χα' ρις ε� πει` το` ε» ργον ου� κε' τι ε� στι`ν ε» ργον (χα' ρις B), „wenn aber durch Werke, dann ist es nicht mehr durch Gnade, weil das Werk nicht mehr Werk (B: Gnade) ist“ (א2 B Ψ 33vid ———————————-————————
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Metzger, Textual Commentary, 464; Jewett 650. Anders Given, Inheritance, 89-96, der το` ν κληρονομι' αν als schwierigere Lesart (im Kontext von Röm 11,1) bevorzugt; so jetzt auch Wagner, Heralds, 222. Jewett 650.
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[365] 1175 1241 1505 1506 2464 Byz vgms [sy]). Der Satz ist interpretierend und weniger gut bezeugt als die Lesart von d46 *אA C D F G P (81) 629 630 1739 1881 u.a. lat co.3 In V. 7 ist die Lesart ε� πεζητειñ (F G 104 u.a. latt sy) statt ε� πιζητειñ weniger gut bezeugt. In V. 8 ist καθα' περ ( אB 81 945) genauso gut bezeugt wie das bedeutungsgleiche καθω' ς (d46 A C D F G Ψ 33 1739 1881 Byz); als im Röm weniger häufige Konjunktion kann man καθα' περ als schwierigere und deshalb ursprüngliche Lesart vorziehen.4 Wer das frühe Datum von d46 und die weite Verbreitung der Lesart καθω' ς als ausschlaggebend erachtet, bevorzugt mit NA 26-28 die bei Paulus vor γε' γραπται übliche Konjunktion καθω' ς. III
1 Mit Ich sage nun leitet Paulus den letzten Abschnitt der drei Kapitel ein,
in denen er die Gerechtigkeit Gottes im Zusammenhang mit der Tatsache des Unglaubens Israels behandelt. Die Frage Hat Gott etwa sein Volk verstoßen? (μη` α� πω' σατο ο� θεο` ς το` ν λαο` ν αυ� τουñ ;) stellt sich mit dringlicher Notwendigkeit aus den ersten beiden Abschnitten, in denen Paulus die Souveränität des erwählenden Handelns Gottes (9,6-29) und den Widerstand Israels gegen Gottes Heil schaffende Gerechtigkeit (9,30–10,21) dargestellt hatte. Wenn Israel sich der messianischen Heilsoffenbarung Gottes in Ungehorsam und Widerspenstigkeit widersetzt, obwohl Gott „den ganzen Tag“ seine Hände nach seinem Volk ausgestreckt hat (10,21), liegt der Schluss nahe, dass Gott einen Schlussstrich gezogen und sein Volk verstoßen hat, das sich infolge seines Unglaubens selbst vom Heil ausgeschlossen hat. Paulus formuliert die Frage im Anschluss an den Wortlaut von Ps 94[93],14 (ου� κ α� πω' σεται κυ' ριος το` ν λαο` ν αυ� τουñ ; vgl. 1Sam 12,22 LXX: ου� κ α� πω' σεται κυ' ριος το` ν λαο` ν αυ� τουñ ), wobei er, dem Kontext der Argumentation entsprechend, die Futurform α� πω' σεται durch den Aorist α� πω' σατο ersetzt. Dass Gott das Volk Israel nicht „verstoßen“, d.h., den Bund mit Israel nicht aufkündigen wird, ist atl.-jüdische Überzeugung: Gott wird sein Volk nicht verstoßen „um seines großen Namens willen … denn aus Güte hat euch der Herr zu seinem Volk erwählt“ (1Sam 12,22; LXX.D). Die durch μη' [mē] eingeleitete Frage lässt eine negative Antwort erwarten, die Paulus in V. 1b mit der Wendung Auf keinen Fall! (μη` γε' νοιτο [mē genoito]) formuliert.5 Paulus begründet (γα' ρ) die Aussage, dass Gott sein Volk, die Israeliten, nicht verstoßen hat, in V. 1c zunächst mit dem Hinweis auf sich selbst: ———————————-————————
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Metzger, Textual Commentary, 464; Wilckens II 238 Anm. 1064 (gegen Kühl 372; Weiß 470-471); Lohse 307 Anm. 18; Jewett 650. NA25; Cranfield I 183; II 549; Jewett 651. Vgl. 3,4.6.31; 6,2.15; 7,7.13; 9,14.
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Denn auch ich bin ein Israelit, aus dem Samen Abrahams, aus dem Stamm Benjamin. Die weitere Argumentation in V. 2-5 zeigt, dass Paulus nicht deshalb auf sich verweist, weil er sich als Repräsentanten Israels versteht,6 sondern weil er ein Beleg für die Tatsache ist, dass es Israeliten gibt, die die Heilsoffenbarung Gottes angenommen haben und zum Glauben an den Messias Jesus gekommen sind. Paulus beschreibt sich als „Israelit“ (� Ισραηλι'της [Israēlitēs]; s. zu 9,4): Er gehört zu den Nachkommen Jakobs, dem Gott den Ehrennahmen „Israel“ gegeben hat. Er stammt „aus dem Samen Abrahams“ (ε� κ σπε' ρματος �Αβραα' μ [ek spermatos Abraam]): Er ist Nachkomme des Patriarchen Abraham und gehört so zum Geltungsbereich der Verheißungen, die Gott den Vätern gegeben hat (s. zu 9,4-5; vgl. 2Kor 11,22). Und er kommt „aus dem Stamm Benjamin“ (φυληñ ς Βενιαμι'ν [phylēs Beniamin]; vgl. Phil 3,5): Benjamin war der Sohn von Rahel, der Lieblingsfrau Jakobs, und der einzige Sohn Jakobs, der im Land der Verheißung geboren wurden (Gen 35,16-18); der erste König Israels, dessen Name der Heidenapostel trug (Apg 7,58; 13,9), stammte aus dem Stamm Benjamin (1Sam 9,1-2); Jerusalem gehörte nach Ri 1,21 zum Stammesgebiet Benjamins; Angehörige des Stammes Benjamin siedelten nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil in Jerusalem und Umgebung (Neh 11,7-9.31-36). Paulus deutet mit dieser Angabe darauf hin, dass seine Vorfahren ihren Stammbaum auf Benjamin zurückführen konnten und auf diese genealogische Tatsache offensichtlich Wert legten.7 Die Heilssetzungen Gottes, die für Israel gelten (9,4-5), gelten auch für Paulus – allerdings nicht einfach deshalb, weil Paulus zum jüdischen Volk gehört, sondern weil er „Sklave des Messias Jesus“ (1,1) ist. Paulus erklärt in Phil 3,7 die „irdischen Vorzüge“ der Beschneidung, der Zugehörigkeit zum Volk Israel und zum Stamm Benjamin sowie der in seiner Familie aufrecht erhaltenen hebräischen Kultur „um des Messias willen“ als Verlust, d.h. als Nachteil, der ihn zunächst vom Glauben an Jesus als Messias abgehalten hatte. Paulus verweist auf seine jüdische Identität nicht als Vorzug, der ihm einen Vorteil verschafft, sondern als Beleg für die Tatsache, dass Gott sein Volk nicht verstoßen hat: Es gibt Israeliten wie ihn selbst, die der messianischen Heilsoffenbarung Gottes gehorsam waren. ———————————-————————
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So Käsemann 289 u.a. Die Tatsache, dass der Stamm Benjamin als Erster ins Rote Meer stieg (Bill. III 286-288) und der eine Stamm war, der neben Juda dem Haus Davids treu blieb, als das Königreich sich spaltete (1Kön 12,21), ist wohl kaum relevant; Dunn II 635; vgl. Lohse 305. Anders Michel 339: „Benjamin vertritt innerhalb des Judentums das Fortbestehen von Gesamtisrael und die Hoffnung auf die Rückgewinnung der verlorenen Stämme“ (Michel 339); vgl. Käsemann 289; Schlier 322.
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2 Paulus betont ausdrücklich, wieder mit den Worten von Ps 94[93],14 /
1Sam 12,22 LXX: Gott hat sein Volk nicht verstoßen. Der Grund wird in dem angeschlossenen Relativsatz erwähnt: das er zuvor erkannt hat (ο� ν προε' γνω [hon proegnō]; s. zu 8,29). Weil Gott in seiner souveränen Freiheit das Volk Israel erwählte, hat er es in der Gegenwart nicht verworfen. Nachdem Paulus in V. 1 sich selbst als empirischen Beleg für die Wahrheit dieser Aussage anführte, argumentiert er in den V. 2b-4 mit der Geschichte Israels zur Zeit des Propheten Elija. Die Wendung oder wisst ihr nicht (vgl. 6,16) verweist auf die Kenntnis der Geschichte von Elija, der Satz was die Schrift im Abschnitt über Elija sagt8 auf 1Kön 19, wo Elija vor Gott Klage gegen Israel führt. Das Verb ε� ντυγχα' νω ([entyngchanō]; „sich wenden an, bitten, für jmd. eintreten“) mit Dativ und der Präposition κατα' (τινι κατα' τινος) bedeutet „jmd. gegen einen Dritten anrufen“, d.h. „Klage vor jmd. gegen einen Dritten führen“.9 Das Thema der Anklage passt zu dem vorausgehenden Abschnitt 9,30–10,21, in dem Paulus den Widerstand Israels gegen Gottes messianische Heilsoffenbarung beschrieben hatte. 3 Paulus zitiert 1Kön 19,10 (LXX 3Reg 19,10) nahezu identisch mit 19,14: Herr, sie haben deine Propheten getötet, deine Altäre zertrümmert, und ich allein bin übrig geblieben, und nun trachten sie mir nach dem Leben. Im Blick auf das Zitat sind folgende Beobachtungen wichtig. Κυ' ριε, του` ς προφη' τας σου α� πε' κτειναν, τα` θυσιαστη' ρια' σου κατε' σκαψαν, κα� γω` υ� πελει' φθην μο' νος, και` ζητουñ σιν τη` ν ψυχη' ν μου Herr, sie haben deine Propheten getötet, deine Altäre zertrümmert, und ich allein bin übrig geblieben, und nun trachten sie mir nach dem Leben 1Kön 19,10 LXX ε� γκατε' λιπο' ν σε οι� υι�οι` Ισραηλ· τα` θυσιαστη' ρια' σου κατε' σκαψαν και` του` ς προφη' τας σου α� πε' κτειναν ε� ν ρ� ομφαι' α, , και` υ� πολε' λειμμαι ε� γω` μονω' τατος, και` ζητουñ σι τη` ν ψυχη' ν μου λαβειñν αυ� τη' ν Die Israeliten haben dich verlassen. Deine Altäre haben sie zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich allein bin übrig geblieben, und sie trachten nach meinem Leben, es zu beseitigen (LXX.D) Antioch. Text ε� γκατε' λιπο' ν σε οι� υι�οι` Ισραηλ· τα` θυσιαστη' ρια' σου κατε' σκαψαν και` του` ς προφη' τας σου α� πε' κτειναν ε� ν ρ� ομφαι' α, , και` υ� πελει' φθη ε� γω` μονω' τατος, και` ζητουñ σι τη` ν ψυχη' ν μου λαβειñν αυ� τη' ν
Röm 11,3
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8
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Zu γραφη' s. 1,2; 4,3; 9,17; 10,11 sowie 15,4; 16,26; die Präpositionalwendung ε� ν � Ηλι' α, s. Bauer/Aland s.v. ε� ν I.1d („in der Eliageschichte“); BDAG 1d; NSS II 35: „im Abschnitt über“. Die Stelle Röm 9,25 (ε� ν τω ñ, �Ωσηε' ) ist keine exakte Parallele: „Hosea“ ist ein Text, auf den man verweisen kann, während „Elija“ der Gegenstand einer biblischen Erzählung ist, innerhalb derer Paulus auf zwei Stellen verweist. Für rabbinische Belege für die Zitationsformel s. Bill. III 288. Vgl. 1Makk 8,32; 10,61.63; 11,25; P.Giss. I 36,15; vgl. Bauer/Aland s.v. ε� ντυγχα' νω 1a; LSJ s.v. ε� ντυγχα' νω II.3.
Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes und die Errettung Israels 11,1-32 425 ———————————————————————————————————— Die Israeliten haben dich verlassen. Deine Altäre haben sie zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich allein bin übrig geblieben, und sie trachten nach meinem Leben, es mir zu nehmen Paulus nimmt folgende Veränderungen vor:10 1. Auslassung des Satzes „die Israeliten haben dich verlassen“ (ε� γκατε' λιπο' ν σε οι� υι�οι` Ισραηλ; V. 14: ε� γκατε' λιπον τη` ν διαθη' κην σου οι� υι�οι` Ισραηλ: „die Israeliten haben deinen Bund verlassen“). 2. Hinzufügung von Κυ' ριε, vielleicht in Aufnahme der Zitateinleitung von Jes 53,1 in 10,16, vielleicht als Anrede Gottes, die leicht in das Zitat des Gebets von Elija aufgenommen werden konnte.11 3. Vertauschung der Hinweise auf die Zerstörung der Altäre und die Tötung der Propheten: Paulus hebt die Tötung der Propheten als jenes Element der Klage Elijas hervor, das in seiner Gegenwart aktuell war (1Thess 2,15; vgl. Mt 10,17-21; 23,29-39; Lk 11,47-51; 13,34-35), während die Zerstörung der Altäre „nur noch eine historische Reminiszenz darstellt“ und deshalb an die zweite Stelle gestellt wird.12 4. Auslassung von και' zwischen den beiden ersten Sätzen, was die rhetorische Wirkung der Anklage verstärkt. Da Codex A in 3Reg 19,10 ebenfalls kein και' liest, ist nicht ausgeschlossen, dass Paulus hier einer griech. Vorlage folgt. 5. Auslassung von ε� ν ρ� ομφαι' α, („mit dem Schwert“), vielleicht weil Paulus die Angabe als überflüssig betrachtete oder sie als zu spezifisch im Blick auf die Verfolgung der Jesusbekenner durch Juden ansah; die Auslassung stellt in den beiden ersten Sätzen des Zitats einen verbalen Parallelismus her, der rhetorisch effektiv ist. 6. Ersetzung von και` υ� πολε' λειμμαι ε� γω` μονω' τατος durch κα� γω` υ� πελει' φθην μο' νος; weil die beiden Formulierungen bedeutungsgleich sind und keine rhetorische Absicht für die Änderung erkennbar ist, kann man davon ausgehen, dass Paulus die Wendung κα� γω` υ� πελει' φθην μο' νος in seiner griech. Vorlage wiederfand, was durch die Lesart des Antiochenischen Textes (Manuskripte 19 82 127 93) bestätigt wird.13 7. Auslassung von λαβειñν αυ� τη' ν („es zu beseitigen“), wahrscheinlich weil die Wendung zum Sinn nichts beiträgt.
Der Prophet Elija wirkte zur Zeit von König Ahab (871–852 v.Chr.), König des Nordreichs mit der Hauptstadt Samaria, der „tat, was dem Herrn missfiel, mehr als alle seine Vorgänger“ (1Kön 16,30 EÜ). Er verehrte Baal und errichtete in Samaria einen Baalstempel (1Kön 16,31-32), stellte einen Kultpfahl auf „und tat noch vieles andere, womit er den Herrn, den Gott Israels, mehr erzürnte als alle Könige Israels vor ihm“ (1Kön 16,33). Seine Frau Isebel tötete die Propheten Jahwes (1Kön 18,4) und finanzierte ———————————-————————
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Vgl. Koch, Schrift, 74-77.84.104; Stanley, Paul, 147-151; Stanley, Significance; Wagner, Heralds, 233-234. Koch, Schrift, 87 bzw. Stanley, Paul, 148, der die Möglichkeit erwägt, dass die Anrede Gottes in der von der LXX auch sonst abweichenden griech. Vorlage gestanden haben könnte, die Paulus verwendete. Koch, Schrift, 104, mit Verweis auf Steck, Israel, 62-63.274-278. Cross, Evolution, 115-119 geht von einer proto-lukianischen Rezension der altgriechischen Übersetzung aus, die den Text in größere Übereinstimmung mit dem „palästinischen“ hebräischen Text, wie er z.B. in 4QSama vorliegt, bringen will; ähnlich Koch, Schrift, 74-77, ohne Bezug auf Cross. Tov, Proto-Lucian, 293-305 sieht Spuren des ursprünglichen altgriechischen Textes, der später in Richtung eines protomasoretischen hebräischenTextes revidiert wurde und zur LXX-Version von Samuel und Könige führte. Stanley, Paul, 151 Anm. 227 hält den Vorschlag von Tov für überzeugender.
426 Römerbrief ————————————————————————————————————
vierhundertfünfzig Propheten des Baal und vierhundert Propheten der Aschera, die in „ganz Israel“ tätig waren (1Kön 18,19-20). Die Klage Elijas, die Paulus zitiert, ist die Reaktion auf die Ankündigung Isebels, ihn zu töten (1Kön 19,1-2), als Antwort auf Elijas Hinrichtung der heidnischen Baalspropheten auf dem Karmel (1Kön 18,40; 19,1). Elija war nach Süden geflohen und von Beerscheba in Juda zum Gottesberg Horeb gewandert (1Kön 19,3-8). Als Gott ihn fragt, was er dort will, betont Elija zunächst seinen treuen Dienst: „Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den Herrn, den Gott der Heere, eingetreten“ (1Kön 19,10a EÜ). Dann beschreibt er die jüngste Geschichte Israels als Geschichte des Abfalls von Jahwe in drei Sätzen, formuliert als Grund für seinen Einsatz als Prophet des einen wahren Gottes: „Weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben“ (19,10b). Die Errichtung von heidnischen Kultstätten und die Verehrung heidnischer Götter in Israel bedeutete den Bruch des Bundes, den Jahwe mit Israel geschlossen hatte – das erste Gebot verlangte von Israel: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“ (Ex 20,3). Die Zerstörung von Altären, auf denen Jahwe im Nordreich angebetet wurde, ist vielleicht in 1Kön 16,33 angedeutet; von der Tötung der Propheten Jahwes ist in 1Kön 18,4 ausdrücklich die Rede. Elija endet mit einer Aussage, die sein persönliches Schicksal mit der Eliminierung der Repräsentanten Gottes in Israel verbindet, die das Ende der Gegenwart Gottes in Israel bedeuten würde: „Ich allein bin übrig geblieben und nun trachten sie auch mir nach dem Leben“ (19,10c). Dass man ihn töten will, ist richtig; dass er als einziger Repräsentant Gottes in Israel übrig geblieben ist, stimmt nicht, wie Gottes Antwort deutlich macht.14 4 Die mit der adversativen Konjunktion α� λλα' [alla] eingeleitete rhetorische Frage Doch was sagt ihm die göttliche Antwort? führt das Zitat aus 1Kön 19,18 (LXX 3Reg 19,18) ein: Ich habe mir siebentausend Mann übrig gelassen, die ihr Knie nicht vor Baal gebeugt haben. Das im Kontext von V. 3.4b mit „göttliche Antwort“ übersetzte Wort χρηματισμο' ς [chrēmatismos] bedeutet häufig „Bericht“ sowie im Kontext des Rechtsaktes einer übergeordneten Autorität oder Behörde „offizielle Antwort, Instruktion, Verfügung“ oder „öffentliches Dokument“.15 Die Vokabel unterstreicht die ———————————-————————
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Die Annahme von Müller, Gottes Gerechtigkeit, 44-45, Paulus sehe sich als Elija redivivus, ist weder im Text angedeutet noch historisch plausibel; Gleiches gilt für den Vorschlag, V. 3 sei typologisch zu verstehen: Paulus sehe in der Lage Elijas seine eigene Situation (Käsemann 290; Munck, Christus, 82-83); kritisch Wilckens II 237; Lohse 306. LSJ s.v. χρηματισμο' ς I.2, 4; Horsley/Llewelyn, New Documents I, 77; IV, 176 (E.A. Judge); VIII, 61; vgl. B. Reicke, ThWNT IX, 471. Bauer/Aland s.v. χρηματισμο' ς betont einseitig die in 2Makk 2,4 vorliegende Bedeutung „Orakel“, die von Michel 339 Anm. 7;
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Relevanz der Antwort Gottes auf die Klage Elijas für das Argument, dass Gott das Volk Israel trotz des Unglaubens nicht verstoßen hat. Im Blick auf das Zitat sind folgende Beobachtungen wichtig. κατε' λιπον ε� μαυτω ñ, ε� πτακισχιλι' ους α» νδρας, οι«τινες ου� κ ε» καμψαν γο' νυ τηñ, Βα' αλ Ich habe mir siebentausend Mann übrig gelassen, die ihr Knie nicht vor Baal gebeugt haben 1Kön 19,18 LXX και` καταλει' ψεις ε� ν Ισραηλ ε� πτα` χιλια' δας α� νδρω ñ ν, πα' ντα γο' νατα, α� ου� κ ω » κλασαν γο' νυ τω ñ, Βααλ Und du sollst in Israel 7 000 Männer übrig lassen, alle Knie (derer), die nicht vor Baal das Knie gebeugt haben (LXX.D) Antioch. Text και` καταλει' ψω ε� ξ Ισραηλ ε� πτα` χιλια' δας α� νδρω ñ ν, πα' ντα τα` γο' νατα, α� ου� κ ε» καμψαν γο' νυ τηñ, Βααλ Und ich werde in Israel 7000 Mann übrig lassen, die ihr Knie nicht vor Baal gebeugt haben 1Kön 19,18 MT אָלִפים ָּכל־ַהִּב ְרַּכִים ֲאֶׁשר ֹלא־ָכ ְרעו ּ ַלַּבַעל ֲ ְוִהְׁשַא ְרִּתי ְבִיְׂש ָרֵאל ִׁשְבַעת Ich werde in Israel siebentausend übrig lassen, alle, deren Knie sich vor dem Baal nicht gebeugt hat (EÜ)
Röm 11,4
Paulus verwendet bei der Zitierung von 1Kön 19,18 in 11,4 sicherlich dieselbe griech. Vorlage wie bei der Zitierung von 1Kön 19,10 in V. 3. Diese Annahme wird durch die Tatsache bestätigt, dass der von Paulus zitierte Text mehrere Übereinstimmungen mit Manuskripten des Antiochenischen Textes aufweist. Der von Paulus zitierte Text reflektiert entweder eine gräzisierende Überarbeitung der hebraisierenden „Septuaginta“ oder die „Septuaginta“ ist eine hebraisierende Revision eines griechischen Könige-Textes, der Ähnlichkeiten mit der von Paulus verwendeten Vorlage aufweist.16 Folgende Unterschiede zwischen Röm 11,4 und 1Kön 19,18 LXX liegen vor. 1. Ersetzung des Futurs καταλει' ψεις („Ich werde übrig lassen“) durch den Aorist κατε' λιπον („ich habe übrig gelassen“). Mehrere Manuskripte des Antiochenischen Textes haben ebenfalls die 1. Person Singular (καταλει' ψω). Wenn die hebr. Vorlage des griech. Textes, den Paulus zitiert, kein „( וund“) hatte, konnte die griech. Vorlage, die Paulus zitiert, durchaus mit der Aoristform übersetzt haben.17 2. Hinzufügung von ε� μαυτω ñ, ; es ist möglich, dass κατε' λιπον ε� μαυτω ñ, in der griech. Vorlage als Übersetzung von ִהְׁשַא ְרִּתיstand. 3. Auslassung von ε� ν Ισραηλ; das Argument, diese Wendung sei im Kontext von 9,24-26; 11,7.17-24, wo Paulus die Aufnahme von Heiden in das historische Volk Israel betone, problematisch,18 ist nicht überzeugend: Paulus betont in 11,1-10, dass es Angehörige des historischen Israel gibt, die zur göttlichen „Auswahl der Gnade“ (V. 5) gehören. Paulus lässt die Präpositionalwendung vielleicht deshalb aus, weil sie im Kontext unnötig ist. 4. Die Wendung ε� πτα` χιλια' δας α� νδρω ñ ν statt ε� πτακισχιλι' ους α» νδρας stand wahrscheinlich in der griech. Vorlage, die Paulus benutzte: Die LXX verwendet χιλια' ς 60 Mal in 1–2Kön, während χι' λιοι nur 11 Mal belegt ist, was darauf hindeutet, dass die Wendung ε� πτακισχιλι' ους in der Schlussrevision der LXX stand. 5. Die Wendung οι«τινες ου� κ ε» καμψαν ist in Manuskripten derlukanischen Revision belegt; der LXX-Text πα' ντα γο' νατα, α� ου� κ ω » κλασαν ————————————————————
16 17 18
Käsemann 290; Lohse 306 Anm. 7 u.a. aufgenommen wird, ohne die Bedeutung in Papyri und Inschriften zu beachten. Vgl. einerseits Koch, Schrift, 75-77, andererseits Stanley, Paul, 153-154. Stanley, Paul, 154 mit Anm. 240. Stanley, Paul, 155; zum folgenden Punkt Koch, Schrift, 76; vgl. Jewett 657.
428 Römerbrief ———————————————————————————————————— entspricht deutlicher dem hebr. Text, was möglicherweise auf eine hebraisierende Überarbeitung zurückgeht; Paulus verwendet das Verb κα' μπτω mit Ausnahme von Eph 3,14 sonst nur in Zitaten (Röm 11,4; 14,11; Phil 2,10). 6. Verwendung des femininen Artikels τηñ, (Βα' αλ) statt des maskulinen Artikels (τω ñ, Βααλ, LXX) ist in der lukianischen Revision belegt. Die Verwendung des feminimen Artikels mit dem maskulinen Substantiv Βα' αλ [Baal] geht auf den jüdischen Brauch zurück, statt des maskulinen [ ַּבַעלba‘al] das feminine Wort [( ּב ֹוֶׁשתbōschät], „Schändlichkeit“) oder die feminine Wendung ‘[( ֲעב ֹוָדה ָז ָרהabōdāh sārāh], „fremder“, d.h. „unerlaubter Gottesdienst“, „Götzendienst“) zu lesen, um die Möglichkeit, den Namen Jahwes auszusprechen, auszuschließen.19
Die Zahl „Siebentausend“ ist, im Vergleich mit der Person des Propheten, eine große Zahl. Selbst wenn Elija das ihm von der politischen Elite Israels zugedachte Schicksal erleiden würde – es gibt in Israel eine große Zahl von Israeliten, die Jahwe treu geblieben sind und es ablehnen, Baal anzubeten.20 Gleichzeitig ist „siebentausend“ möglicherweise eine symbolische Zahl, die auf die „Ganzheit“ des „Restes“ (V. 5) verweist, der Gott treu geblieben ist,21 und somit keine exakte, sondern eine „offene“ Zahl ist.22 Allerdings zitiert Paulus und sieht davon ab, in seiner Anwendung in V. 5 die Zahl zu interpretieren; es ist deshalb unklar, ob solche symbolischen Obertöne vorliegen.23 Das Verb in der 1. Pers. Sing. („ich habe mir … übriggelassen“) betont die Initiative Jahwes: Er handelt nicht als Reaktion auf Elijas Klage, sondern er hat schon gehandelt (in der griech. Vorlage: Er wird handeln). 5 Paulus wertet die Antwort Gottes auf Elijas Klage im Hinblick auf den Unglauben Israels in der Vergangenheit für die Gegenwart aus (ου« τως ουò ν και' ). Paulus interpretiert die Ellija-Geschichte als heilsgeschichtliche Vorschattung der Gegenwart: So ist nun auch in der jetzigen Zeit ein Rest vorhanden. Die Wendung „in der jetzigen Zeit“ (ε� ν τω ñ, νυñ ν καιρω ñ, [en tō nyn kairō]) verweist auf die Gegenwart der Heilsoffenbarung Gottes im Messias Jesus (vgl. 3,26; sowie 8,18; 2Kor 8,14). Das Wort „Rest“ (λειñμμα [leimma]), das auf das Verb κατε' λιπον ([katelipon], „ich habe übrig gelassen“) verweist, kommt im Neuen Testament nur hier vor (in der LXX nur in 2Kön 19,4); das Thema des „Überrests“ ist allerdings häufig belegt (vgl. zu 9,27-28). Gott hat zur Zeit Elijas einen Rest von Israeliten übrig gelassen, die treu geblieben sind; analog gibt24 es in der Gegenwart der messianischen ———————————-————————
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Dillmann, Baal, 601-620; s. Michel 340; Wilckens II 237 Anm. 1061; Koch, Schrift, 75. Michel 339. Anders Hübner, Gottes Ich, 101: „trotz der stattlichen Zahl eine erbärmlich kleine Minderheit“. Siehe die 144 000 in Offb 7,4-8; 14,1.3. Michel 340: „apokalyptische Ganzheit“. Richtig Dunn II 638. Das Perfekt γε' γονεν bedeutet hier soviel wie ε� στι' ν; vgl. Bauer/Aland s.v. γι' νομαι II.5 („auftreten“ und als Folge davon „existieren, vorhanden sein“; BDAG s.v. γι' νομαι 8.
Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes und die Errettung Israels 11,1-32 429 ————————————————————————————————————
Heilsoffenbarung, der sich Israel verwehrt, einen „Rest“ – Israeliten, die zu Gott gehören, d.h. Juden, die Gott anbeten als den, der Jesus als Messias Israels und Retter der Welt gesandt hat (1,3-4.16-17). Der „Rest“ ist nicht Gegenstand eschatologischer Hoffnung, sondern gegenwärtige Realität. Die Präpositionalwendung entsprechend der Erwählung der Gnade gibt an, wie es zu dem „Rest“ gekommen ist. Was Paulus in 9,11 im Blick auf Jakob gesagt hatte, „der entsprechend der Erwählung“ (κατ’ ε� κλογη' ν [kat’ eklogēn]) durch den Ratschluss Gottes das göttliche Heilshandeln erfahren hat, als weder er noch Esau etwas getan hatten, „weder Gutes noch Schlechtes“, sagt er hier im Blick auf den „Rest“, den Gott in Israel übrig gelassen hat. Gottes Heilshandeln war in der Geschichte Israels von Anfang an bestimmt von der freien Erwählung (9,6-13) seiner Barmherzigkeit (9,14-29). Hier betont Paulus, dass die Freiheit des erwählenden Gottes im Zeichen seiner „Gnade“ steht (χα' ριτος [charitos] ist gen. subjectivus, das mitgedachte τουñ θεουñ [tou theou] gen. auctoris). Paulus, der das Wort „Gnade“ (χα' ρις; s. zu 1,5; 3,24) seit 6,15 hier zum ersten Mal wieder verwendet, betont: Die Erwählung Israels, die Gott nicht aufgekündigt hat, wird nur dann richtig verstanden, wenn man sie als Gottes freie, souveräne Erwählung versteht, die dafür gesorgt hat, dass ein Rest das allein in der Gnade Gottes begründete Heilshandeln erfahren hat. Die Elija-Geschichte hilft zu verstehen, wie sich die Gnade Gottes auf den von ihm erwählten Rest richtet.25 Im Kontext von V. 4 deutet Paulus gleichzeitig darauf hin, dass der Rest aus einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Menschen besteht. 6 Paulus erläutert, wie in 4,3-5, das Wort „Gnade“ im Hinblick auf menschliches Handeln: Wenn aber durch Gnade, dann nicht aus Werken, denn sonst wäre die Gnade nicht mehr Gnade. Die Siebentausend in Israel, die Gott zur Zeit Elijas übrig gelassen hat, erfuhren nicht deshalb Heil, weil sie ihr Knie nicht vor Baal gebeugt haben, sondern weil Gott „für sich“ diesen Rest übrig gelassen hat (V. 4). Analog ist es in der Gegenwart die „Erwählung der Gnade“ Gottes, der der „Rest“ sein Heil zu verdanken hat (V. 5), d.h. dem Heilshandeln Gottes im Sühnetod des Messias Jesus (3,24-25; 5,21). Wenn das Heil des Restes allein in Gottes erwählender Gnade (χα' ριτι [chariti], dat. causae) begründet ist, dann nicht26 „aus Werken“ (ε� ξ ε» ργων [ex ergōn]). Mit „Werke“ meint Paulus die „Werke des Gesetzes“ (s. zu ———————————-————————
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Lohse 307; Koch, Schrift, 306-307. Das Adverb ου� κε' τι [ouketi] hat in V. 6a keine temporale („nicht noch einmal, nicht länger“), sondern eine logische Bedeutung: „dann also nicht“; vgl. Bauer/Aland s.v. ου� κε' τι 2. Richtig Lietzmann 103; Käsemann 291; Kuss III 788; Dunn II 639; Lohse 307 Anm. 16. Die meisten dt. Übersetzungen geben ου� κε' τι mit „nicht mehr“ wieder, was dann bei Wilckens II 237-238 dazu führt, die Auswahl der „Übriggebliebenen“ Israels mit der
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3,20.27-28; 4,2.6; vgl. 9,12.32). Grundlage und Ursache des Heils der Israeliten, die zu dem in der Schrift verheißenen Rest gehören, ist nicht ihr Handeln, sondern die Gnade, d.h. das Handeln Gottes. Wenn es anders wäre,27 „wäre die Gnade nicht mehr Gnade“ – wenn das Heil des Restes in Israel auf Werken beruhte, wäre der Sühnetod des Messias Jesus bedeutungslos und die Gnade, mit der Gott auch in Israel Menschen rettet, verlöre ihren Charakter als freies, unverdientes Geschenk des Heil schaffenden Gottes. Die Erwählung des Restes ist weder in der Zugehörigkeit zum ethnischen Israel noch im Tun der zu diesem Rest gehörenden Israeliten begründet, sondern allein in der Gnade Gottes. Die Rechtfertigung des Gottlosen ist und bleibt, wie das Beispiel Abrahams demonstriert (4,5; 5,6), auch innerhalb Israels an die erwählende Gnade Gottes gebunden. Heil ist nie das Resultat menschlichen Handelns, sondern immer das Resultat der Heil schaffenden und Heil gewährenden Gnadenwahl Gottes. 7 Die Frage was folgt daraus? (τι' ουò ν; V. 7a) leitet die Anwendung der Zitate aus der Elijageschichte auf das jüdische Volk ein, in dem Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus zum größeren Teil abgelehnt wird. Die Erläuterung der Folgerung, die sich aus der Eljiageschichte für das zeitgenössische Volk Israel ergibt, greift 9,31 auf und bekräftigt die dort betonte Aussage. Die Wendung was Israel sucht (ο� ε� πιζητειñ � Ισραη' λ [ho epizētei Israēl]; V. 7b) formuliert im Präsens, was die aktuelle Situation Israels unterstreicht. Das durch das Präfix intensivierte Verb kann hier auch mit „erstreben, wünschen“ übersetzt werden.28 Im Zusammenhang von 9,31 verweist das Relativpronomen auf „das Gesetz der Gerechtigkeit“, um das sich Israel mit aller Kraft bemühte, im Kontext von 10,1-4 auf die „Rettung“ und die „Gerechtigkeit Gottes“. Der Satz das hat es nicht erreicht (τουñ το ου� κ ε� πε' τυχεν [touto ouk epetychen]; V. 7c) entspricht 9,31: „hat das Gesetz nicht erreicht“ (ει� ς νο' μον ου� κ ε» φθασεν [eis nomon ouk ephthasen]). Das Verb bedeutet „teilhaftig werden, gelangen zu, erlangen, erreichen“.29 Das Subjekt des Satzes ist „Israel“ (V. 7b). ————————————————————
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Erfüllung des Gesetzes zu verbinden und einen Gegensatz zur Gegenwart zu sehen, in der allein die Gnade Gottes ausschlaggebend ist. Die Konjunktion ε� πει' , bedeutet hier „denn sonst, andernfalls“. Das Adverb ου� κε' τι hat in V. 6b eine temporale Bedeutung. Bauer/Aland s.v. ε� πιζητε' ω 2; BDAG s.v. ε� πιζητε' ω 2 definiert: „to be seriously interested in or have a strong desire for“. Paulus verwendet das Verb nur hier und in Phil 4,17; vgl. Mt 6,32; 12,39; 16,4; Lk 4,42; 12,30; Apg 12,19; 13,7; 19,39; Hebr 11,14; 13,14. BDAG s.v. ε� πιτυγχα' νω: „to be successful in achieving or gaining what one seeks“; Paulus verwendet das Verb nur hier; sonst Hebr 6,15; 11,33; Jak 4,2. Das emphatische τουñ το bezieht sich auf das Objekt des „Suchens“, d.h. auf die im Gesetz anvisierte und ermöglichte Gerechtigkeit Gottes, nicht gesellschaftlich überlegene „Ehre“ (Jewett 661).
Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes und die Errettung Israels 11,1-32 431 ————————————————————————————————————
Die Aussage V. 7d hat dasselbe Verb, aber ein anderes Subjekt: die Auswahl hat es aber erreicht. Das Wort ε� κλογη' [eklogē] bedeutet hier nicht „Erwählung“ (aktiver Sinn; so in 9,11; 11,5), sondern „das Ausgewählte, die Auswahl“ (passiver Sinn, als abstractum pro concreto für οι� ε� κλεκτοι' [hoi eklektoi], „die Erwählten“).30 Israel als Gesamtvolk hat die Gerechtigkeit Gottes nicht erreicht – die von Gott Erwählten, d.h. der von den Propheten angekündigte Überrest (9,27: υ� πο' λειμμα; 11,5: λειñμμα), haben durch Gottes Gnade (11,5-6) das Ziel der Gerechtigkeit erreicht. Paulus meint die Juden, die Jesus als Messias Israels im Glauben angenommen und Gerechtigkeit erlangt haben.31 In V. 7e nimmt Paulus das Subjekt von V. 7b.c wieder auf: doch die Übrigen wurden verhärtet. Mit den „Übrigen“ (οι� λοιποι' [hoi loipoi]) sind die Juden gemeint, die nicht an Jesus als Messias Israels glauben und deshalb das Ziel des Gesetzes – die Gerechtigkeit für jeden, der glaubt (10,4) – verfehlt haben. Paulus beschreibt in dieser Aussage nicht ein Handeln Israels, sondern das Handeln Gottes, das auf beiden Seiten ausschlaggebend ist. Der Überrest erreicht das Ziel des „Gesetzes der Gerechtigkeit“ infolge der Gnadenwahl Gottes, die Übrigen „wurden verhärtet“ – von Gott (passivum divinum). Das seltene Verb πωρο' ω ([pōroō], „hart machen, verhärten“)32 beschreibt „die Abstumpfung der wahrnehmenden Organe, welche sie unempfindlich macht“.33 Paulus greift das Motiv der „Verhärtung“ aus der prophetischen Gerichtspredigt auf (Jes 6,10: „Verhärte34 das Herz dieses Volkes, verstopf ihm die Ohren, verkleb ihm die Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird“; EÜ), das ———————————-————————
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Michel 341; Cranfield II 548; Lohse 308; Jewett 661. Wilckens II 238 erwägt ein Verständnis von ε� κλογη' auch hier im Sinn eines verbum actionis, d.h. als Hinweis auf „Gottes Auswahlhandeln in seiner Gnade“. Der Kontext zeigt, dass ε� κλογη' nicht auf die Heidenchristen verweist, wie Zahn 500-501; Barrett 210 u.a. meinen, sondern auf Judenchristen; vgl. Wilckens II 238; Moo 680; Fitzmyer 606; Lohse 308; Jewett 661. Dunn II 640 sieht primär einen Verweis auf die Judenchristen, will aber die Heidenchristen nicht ausgeschlossen sehen. Vgl. K.L. Schmidt / M.A. Schmidt, πωρο' ω, ThWNT V, 1027-1030; Zahn 618-620 (Exkurs III). Das Verb ist abgeleitet von πω ñ ρος („Tuffstein“, medizinisch „Verhärtung“, von der verhärteten Knochengeschwulst). In der LXX kommt das Verb nur in Hi 17,7 und Spr 10,20 (A) vor. Im NT in Mk 6,52; 8,17; Joh 12,40; Röm 11,7; 2Kor 3,14. Zu den Stellen in den Evangelien vgl. Gnilka, Verstockung. Für das Verb gibt es keine papyrologischen Belege; Arzt-Grabner, 2. Korinther, 287. Für das Substantiv πω' ρωσις vgl. Röm 11,25. Zahn 620; er behandelt in Exkurs III ausführlich die Variante πηρο' ω, die in der Texttradition eine Rolle spielt; vgl. ThWNT V, 1029-1030. Die LXX hat das Verb ε� παχυ' νθη.
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auch Jesus verwendet hat (Mt 13,10-15; Mt 13,13-15 / Mk 4,12 / Lk 8,10; Joh 12,37-43; Apg 28,26). Die Verhärtung durch Gott verhindert nach Jes 65,2 / Röm 10,21 nicht, dass Gott sich weiterhin um Israel bemüht. Paulus hofft nach 10,1, dass Juden jetzt und in der Zukunft das Evangelium vom Messias Jesus annehmen, gerettet werden und Gerechtigkeit erlangen. Zahn erklärt: „Wenn aber die mit πωρουñ ν … benannte Wirkung Gottes nicht das Gläubigund Seligwerden vieler einzelner Juden verhindert, so ist sie auch nicht als ein Verschlechtern und Verderben des sittlichen und religiösen Charakters von Individuen zu denken …, sondern kann, da es trotzdem eine Wirkung auf das Volk sein soll, nur darin bestehen, daß Gott die Regenten und Lehrer und die ihnen gleichgesinnten Glieder des Volkes, welche im voraus der Wahrheit feindlich gesinnt waren, zur Strafe für ihr unfrommes und unsittliches Verhalten in ihrem Widerspruch gegen das Zeugnis Jesu und der Apostel bestärkt hat. Dadurch wurde es verhindert, daß das Volk als Volk zu Jesus als dem Messias sich bekehrte“.35 Zum Thema der Verhärtung s. weiter bei 11,25c.
Paulus hält mit theologischer Stringenz fest: Juden, die sich der Botschaft von Jesus als messianischer Retter Israels verweigern und in ihrem Widerstand gegen die endzeitliche Heilsoffenbarung Gottes die Verkündigung des Evangeliums zwar hören, diesem aber nicht gehorchen (10,14-16), stehen unter dem Gerichtshandeln Gottes. Dieses wird an keiner Stelle aufgehoben. Nach 2Kor 3,14-16 wird die Verhärtung des Denkens des jüdischen Volkes, die sich beim Verstehen der heiligen Schriften Israels manifestiert, erst und nur dann aufgehoben, „wenn es sich zum Herrn wendet“ (Elb.Ü), d.h. zum Glauben an den Messias Jesus kommt (V. 14). 8 Paulus begründet in V. 8-10 aus der Schrift, eingeleitet mit der Wendung wie geschrieben steht (καθω` ς γε' γραπται).36 Indem Paulus Deut 29,3 / Jes 29,10 und Ps 69,23-24 zitiert, verweist er auf alle drei Teile der Schrift (Tora/Gesetz, Nebiim/Propheten, Ketubim/Schriften). Das erste Zitat stammt aus Deut 29,3, in das eine Formulierung aus Jes 29,10 eingebaut ist. Die Stelle aus Deut 29 folgt auf Deut 28,15-68, in dem Mose den Fluch Gottes für Ungehorsame in einer langen Liste detailliert darstellte. In Deut 29,1-8 schaut Mose einerseits auf Gottes Heilshandeln im Auszug aus Ägypten zurück, andererseits betont er mit großer Trauer die Tatsache der Rebellion Israels. Röm 11,8
ε» δωκεν αυ� τοιñς ο� θεο` ς πνευÒ μα κατανυ' ξεως, ο� φθαλμου` ς τουñ μη` βλε' πειν και` ω ò τα τουñ μη` α� κου' ειν, ε« ως τηñ ς ση' μερον η� με' ρα Gott hat ihnen einen Geist der Betäubung gegeben, Augen, dass sie nicht sehen, und Ohren, dass sie nicht hören, bis zum heutigen Tag
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Zahn 501. Vgl. 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33; 10,15 sowie 11,26; 12,19; 14,11; 15,3.9.21.
Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes und die Errettung Israels 11,1-32 433 ———————————————————————————————————— Deut 29,3 LXX
Jes 29,10 LXX
και` ου� κ ε» δωκεν κυ' ριος ο� θεο` ς υ� μιñν καρδι' αν ει� δε' ναι και` ο� φθαλμου` ς βλε' πειν και` ω ò τα α� κου' ειν ε« ως τηñ ς η� με' ρας ταυ' της Aber der Herr, euer Gott, gab euch kein Herz, um zu verstehen und keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören, bis auf diesen Tag ο« τι πεπο' τικεν υ� μαñ ς κυ' ριος πνευ' ματι κατανυ' ξεως και` καμμυ' σει του` ς ο� φθαλμου` ς αυ� τω ñ ν και` τω ñ ν προφητω ñ ν αυ� τω ñ ν και` τω ñ ν α� ρχο' ντων αυ� τω ñ ν, οι� ο� ρω ñ ντες τα` κρυπτα' Denn der Herr hat euch getränkt mit einem Geist der Lähmung, und er wird zufallen lassen ihre Augen und die ihrer Propheten und die ihrer Machthaber – sie, die das Verborgene sehen! (LXX.D)
Folgende Unterschiede zwischen V. 8 und Deut 29,3 sind festzustellen:37 1. Auslassung des einleitenden και' , was bei Paulus üblich ist. 2. Ersetzung des negierten Verbs im Hauptsatz (ου� κ ε» δωκεν) durch negierte Verben im Nebensatz (μη` βλε' πειν … μη` α� κου' ειν). Während Deut 29,3 das Nichtverstehen Israels in der Wüste auf die Tatsache zurückführt, dass Jahwe die geistliche Blindheit des Volkes nicht entfernt hat, interpretiert Röm 11,8 die geistliche Verhärtung Israels, was die Annahme des Evangeliums betrifft, als Teil des Planes Gottes, der das Volk verhärtet hat, damit die Heiden die Gelegenheit erhalten, sich ihm zuzuwenden, indem sie zum Glauben an den Messias Jesus kommen (11,11-14). 3. Die Änderung des Personalpronomens von der 2. Person Plural (υ� μιñν) zur 3. Person Plural (αυ� τοιñς) ergibt sich aus dem neuen Kontext in Röm 11, wo von Israel in der 3. Person die Rede ist. Paulus verwendet die 2. Person Plural in V. 13 für die Heidenchristen. 4. Stellung des Personalpronomens vor ο� θεο' ς, was nicht unbedingt Betonung anzeigen muss. 5. Auslassung von κυ' ριος, was kaum eine Anpassung an den hebr. Text ( )יהוהsein kann. Koch erklärt die Auslassung mit dem Hinweis, dass Paulus das Wort κυ' ριος für den erhöhten Jesus Christus verwendet und deshalb auslässt, wenn der Text von Gott spricht, eine Erklärung, die durch Röm 15,11 widerlegt wird;38 richtig ist allerdings, dass die Wendung κυ' ριος ο� θεο' ς nirgends bei Paulus vorkommt, während die Wendung κυ' ριος � Ιησουñ ς Χριστο' ς häufig für den auferstandenen und erhöhten Jesus verwendet wird (s. zu 1,7). 6. Ersetzung der Wendung καρδι' αν ει� δε' ναι („Herz, um zu verstehen“) durch πνευñ μα κατανυ' ξεω („Geist der Betäubung“) aus Jes 29,10 (πνευ' ματι κατανυ' ξεως), eine Wendung, die nur hier im AT vorkommt, angepasst an den neuen Kontext durch die Formulierung im Akkusativ (statt im Dativ); in einigen LXXHandschriften findet sich allerdings der Akkusativ. Diese Ersetzung hängt mit der Änderung der Negation zusammen, die in die Einzelaussagen der zweiten Zitathälfte verschoben wird. Die Verwendung der Formulierung aus Jes 29,10 wird im Zusammenhang mit mehreren Gründen verständlich: (a) Jes 29,10 ist wie Deut 29,3 eine Verstockungsaussage; (b) die Anfänge beider Stellen haben eine analoge Satzstruktur; (c) die Wendung καμμυ' σει του` ς ο� φθαλμου' ς (Jes 29,10) berührt sich mit ου� κ ε» δωκεν … ο� φθαλμου` ς βλε' πειν (Deut 29,3);39 als Grund für diese Änderung lässt sich höchstens vermuten, dass Paulus die Verstockungsaussage des Zitats verschärfen wollte. 7. Verwendung von τουñ vor den beiden Infinitiven βλε' πειν und α� κου' ειν, möglicherweise zur Betonung der Absicht, die Gottes Handeln kenn———————————-————————
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Für das Folgende vgl. Koch, Schrift, 87.106.111.121.140.170-171; Stanley, Paul, 158163; Wagner, Heralds, 242-257. Müller, Anstoß, 19-20 will das gesamte Zitat aus Jes 29,10 ableiten, was im Blick auf den LXX-Text spekulativ und insgesamt nicht überzeugend ist; vgl. Koch ebd. 121 Anm. 49; Hübner, Gottes Ich, 104. Vgl. Koch, Schrift, 87.121 bzw. Stanley, Paul, 160. Nach Koch, Schrift, 171 Anm. 53 spielt die Erwähnung von οιòνος und σι' κερα im jeweiligen Kontext (Deut 29,5; Jes 29,9) wahrscheinlich keine Rolle: Die Verwendung ist jeweils sehr verschieden. Zur folgenden Vermutung Koch, ebd. 171.
434 Römerbrief ———————————————————————————————————— zeichnet. Wenn die Wendung τουñ μη` βλε' πειν im Zitat Ps 68,23-24 in Röm 11,9-10 das Zitat aus Deut 29,3 beeinflusst hat, kann man davon ausgehen, dass Paulus auf eine Vorlage zurückgreift, in der die beiden atl. Stellen zusammen standen. 8. Ersetzung von ταυ' της durch ση' μερον,40 vielleicht um den Unglauben Israels „bis zum heutigen Tag“ zu betonen.
Paulus betont mit dem Zitat Deut 29,3 / Jes 29,10 – Stellen, die zur atl. Tradition der Verstockung Israels gehören –, dass der gegenwärtige Unglaube Israels das Resultat des Handelns Gottes ist und zu den Absichten Gottes gehört, die er mit seinem Volk verfolgt. Mose klagt, dass Gott nicht eingegriffen hat, um Israels begriffsstutzige Rebellion gegen Gott zu beseitigen. Paulus schreibt, dass das Nichtverstehen Israels von Gott selbst verursacht wurde. Der „Geist der Betäubung“, der den Zustand Israels kennzeichnet, erklärt die Benommenheit, Verwirrung und Empfindungslosigkeit, die Israels Reaktion auf das Kommen des Messias kennzeichnet. Ein Mensch, der nicht sieht und hört, ist ein Mensch, der nicht versteht. Wer nicht sieht und nicht hört, der nimmt nicht wahr, was Gott im Kreuz und in der Auferstehung Jesu getan hat und was er im verkündigten Evangelium seinem Volk sagen will. Die Wendung „bis zum heutigen Tag“ bezieht sich im ursprünglichen Kontext des Zitats auf Israels wiederholte Weigerung, sich auf Gottes rettende Offenbarung zu verlassen, eine Tatsache, die dem Volk zu Beginn der Landnahme in Erinnerung gerufen wird. Im Zusammenhang des Römerbriefs bezieht sich die Wendung auf die Weigerung der Übrigen, die nicht zum glaubenden Rest in Israel gehören, Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus zu sehen, und das Evangelium zu hören und den „Geist des Lebens im Messias Jesus“ (8,2) anzunehmen.41 Der Ungehorsam Israels ist in der Tat ursächlich daran beteiligt, dass Jesus in Jerusalem vor Gericht gestellt, verurteilt und gekreuzigt wurde. 9-10 Mit der Einleitung und David sagt (και` Δαυι`δ λε' γει) führt Paulus zum Zitat Ps 69,23-24 (LXX 68,23-24). Röm 11,9-10
γενηθη' τω η� τρα' πεζα αυ� τω ñ ν ει� ς παγι' δα και` ει� ς θη' ραν και` ει� ς σκα' νδαλον και` ει� ς α� νταπο' δομα αυ� τοιñς, σκοτισθη' τωσαν οι� ο� φθαλμοι` αυ� τω ñ ν τουñ μη` βλε' πειν, και` το` ν νω ñ τον αυ� τω ñ ν δια` παντο` ς συ' γκαμψον
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Die Wendung ε« ως τηñ ς ση' μερον η� με' ρας kommt in der LXX häufig vor, z.B. Gen 19,3738; 26,33; 35,20; Num 22,30; Deut 11,4; Jos 4,9; 6,25; 2Sam (2Reg) 6,8 (Codex A); Hes 2,3; 20,29; in Num 22,30; Jos 14,14; 2Sam (2Bas) 6,8 findet man die Lesart ε« ως τηñ ς η� με' ρας ταυ' της. Eine Anspielung auf Jes 6,9-10, in dem ein ähnlicher Gedanke formuliert wird, ist möglich, aber nicht sicher; Dunn II 641; vgl. Wagner, Heralds, 244-251 (der auf Joh 12,40 verweist). Aus dem weiteren Kontext des Zitats aus Deut 29,3 sollte man die Verheißung des Eingreifens Gottes in Deut 30,6-8 – Gott wird das Herz Israels rein machen und das Volk zu Umkehr und Gehorsam führen (ebd. 256-257) – nicht in Röm 11,8 eintragen.
Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes und die Errettung Israels 11,1-32 435 ———————————————————————————————————— Ihr Tisch werde ihnen zur Schlinge und zum Netz und zum Fallstrick und zur Vergeltung. Ihre Augen sollen finster werden, dass sie nicht sehen, und ihren Rücken beuge allezeit Ps 69,23-24 LXX γενηθη' τω η� τρα' πεζα αυ� τω ñ ν ει� ς παγι' δα και` ει� ς α� νταπο' ñ ν ε� νω' πιον αυ� τω δοσιν και` ει� ς σκα' νδαλον· σκοτισθη' τωσαν οι� ο� φθαλμοι` αυ� τω ñ ν τουñ μη` βλε' πειν, και` το` ν νω ñ τον αυ� τω ñ ν δια` παντο` ς συ' γκαμψον Ihr Tisch soll vor ihnen zur Falle werden und zur Vergeltung und zum Anstoß; ihre Augen sollten finster werden, sodass sie nicht (mehr) sehen (können), und krümme stets ihren Rücken (LXX.D) Folgende Veränderungen sind festzustellen:42 1. Auslassung von ε� νω' πιον αυ� τω ñ ν und Ersetzung durch αυ� τοιñς am Ende des Satzes, wobei die Gründe für diese Änderung unklar bleiben; vielleicht wollte Paulus durch die Auslassung von ε� νω' πιον αυ� τω ñ ν die Betonung auf ει� ς παγι' δα („zur Schlinge/Falle“) lenken. 2. Hinzufügung von και` ει� ς θη' ραν („und zum Netz“) erklärt sich vielleicht durch die Kombination von πα' γις und θη' ρα in mehreren atl. Stellen (Ps 35[34],8; 124[123],6-7; Spr 11,8-9; Hos 5,1-2), obgleich keine dieser Stellen in der Formulierung Röm 11,9 entspricht; Paulus zitiert entweder aus dem Gedächtnis und fügt in Erinnerung dieser Stellen die Angabe και` ει� ς θη' ραν ein, oder er will bewusst den Effekt der drei präpositionellen Angaben von Ps 69,23 intensivieren, indem er ein viertes Glied einfügt. 3. Umkehrung der Reihenfolge von και` ει� ς σκα' νδαλον („und zum Fallstrick/Anstoß“) und και` ει� ς α� νταπο' δομα („und zur Vergeltung“).43 Vielleicht rückt Paulus das Wort σκα' νδαλον, das er bereits in 9,33 verwendet hatte, zur Betonung nach vorne.44 Was diese Erklärung als nicht ganz befriedigend erscheinen lässt, ist der Umstand, dass Paulus σκα' νδαλον nicht an den Anfang der Aufzählung rückt und dass nur ein Leser, der den ge-nauen Wortlaut des LXXTextes von Ps 69,23 gekannt hätte, eine gewisse Betonung des Wortes hätte erkennen können. Eine plausiblere Erklärung besteht darin, dass die Stellung von α� νταπο' δομα („Vergeltung“) am Ende des Satzes deutlicher hervorhebt, dass die Blendung und Unterwerfung des Volkes, von denen in V. 10 die Rede ist, als göttliche Vergeltung zu sehen sind. 4. Ersetzung von α� νταπο' δοσις, das Verbalaktion bzw. Abstraktion ausdrückt (von Paulus in Kol 3,24 verwendet), durch α� νταπο' δομα, das das Resultat der Handlung markiert; es handelt sich entweder um eine ungenaue Zitierung, um eine eigene Übersetzung des hebr. Textes oder um eine stilistische Verbesserung. Psalm 69 wurde im Urchristentum häufig zur Beschreibung des Leidens Jesu herangezogen: Neben vier expliziten Zitaten – Joh 2,17 und Röm 15,3: Ps 69,9; Röm 11,9-10: Ps 69,23-24; Apg 1,20: Ps 69,25 – finden wir eine ganze Reihe von Anspielungen: Mk 3,21: Ps 69,8; Mk 15,23 par.: Ps 69,21; Lk 13,35: Ps 69,25; Joh 15,25: Ps 69,4; Phil 4,3 und Offb 3,5: Ps 69,28; Hebr 11,26: Ps 69,9; Offb 16,1: Ps 69,24.45
Psalm 69 ist ein Klagepsalm, in dem David Jahwe um Rettung von Israeliten bittet, die ihn wegen seines Eifers um das Haus Gottes schmähen (69,8.10) und die Jahwe deshalb aus dem Volk entfernen möge.46 Das ———————————-————————
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Für das Folgende vgl. Koch, Schrift, 106.117.137-138; Stanley, Paul, 163-166; Wagner, Heralds, 257-265. Einige Textzeugen lesen in Röm 11,9 die Reihenfolge der Wendungen in der LXX (F G 73 116 aeth). Koch, Schrift, 106.137-138; zum Folgenden Stanley, Paul, 165. Vgl. jüngst Popkes, Rezeption, 330-331. Zu Ps 69 siehe neben den Kommentaren jetzt Groenewald, Psalm 69.
436 Römerbrief ————————————————————————————————————
betende „Ich“ in Ps 69 trägt Züge des leidenden Gerechten, der aus anderen atl. Texten bekannt ist.47 Der zitierte Text formuliert ursprünglich eine Bitte, mit der der Psalmist Jahwe um die Vergeltung des Verhaltens seiner Gegner bittet. Paulus verwendet den Text als Beschreibung eines sich jetzt in der Gegenwart vollziehenden Wirkens Gottes.48 Im ursprünglichen Kontext ist mit Tisch (τρα' πεζα [trapeza]) der Tisch gemeint, an dem man dem um Hilfe Bittenden statt Speise Gift, statt Getränk Essig gegeben hat (69,22): Der Psalmist bittet Gott, seinen Feinden entsprechend ihrer Übeltaten zu vergelten. Manche Ausleger denken an ein am Tisch bereitetes Festmahl, das häufig ein Opfermahl war (so im Targum). Vielleicht ist mit „Tisch“ der Ort gemeint, wo man plant, wie man den Menschen, dem man Schaden zufügen will, in die Falle locken kann, wobei der Tisch eine ausgebreitete Matte ist, die eine Falle bedeckt und auf der Speise als Lockmittel liegt.49 Im Blick auf die Anwendung im Paulus-Zitat denken manche Ausleger an den Tisch als Ort der Tischgemeinschaft: Selbst die enge Tischgemeinschaft kann keine Sicherheit geben;50 man kann dies im Sinn der Betonung der Tischgemeinschaft der Pharisäer im Besonderen und der frommen Juden im Allgemeinen interpretieren, in denen die Einhaltung der Speise- und Reinheitsgebote der Tora zu einem zentralen Anliegen wird.51 Andere vermuten, „Tisch“ verweise auf den Opferaltar im Jerusalemer Tempel, und interpretieren die Aussage als „Fluch über den Tempel“, dessen „Sühnekraft erloschen und durch die des Kreuzes Christi ersetzt worden ist (vgl. 8,3), so daß das Festhalten am Kult die Sünder nur um so mehr an die Sünde bindet, weil die Sühneriten ihnen statt Entlastung vielmehr nur Vernichtung bewirken“.52 Weder David noch Paulus sprechen einen „Fluch“ aus: Die Bitte um Vergeltung ist hier kein vom Betenden ausgesprochener Fluch, der persönliche Feinde eliminieren soll, sondern das demütige Flehen um das Eingreifen Gottes, der dem Gerechten sein Recht verschaffen und seine Feinde, die ihn, Jahwe, verachten, aus der Gemeinschaft der Heilsgemeinde entfernen möge. Vor der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.Chr. wurde nicht der Opferaltar, sondern der Tisch der Schaubrote mit τρα' πεζα beschrieben;53 spätere rabbinische Terminologie sollte man bei der Erklärung von V. 9 ———————————-————————
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So jüngst Süssenbach, Psalter, 297; Popkes, Rezeption, 331-332. Vgl. Popkes, Rezeption, 325.333. Keel, Bildsymbolik, 80; Goldingay, Psalms II, 349; Vogt, Tisch, 79-82. Schlier 325; Michel 342. Dunn II 643; Dunn, Jesus, Paul and the Law, 61-86. Wilckens II 239. Käsemann 292 interpretiert Israels Kult unter dem Aspekt der Werke und formuliert, das Wesen des Opferkults missverstehend: „Nicht die Sünden, sondern die frommen Werke hindern das Judentum, das ihm angebotene Heil anzunehmen“. Ex 39,36 [LXX 18]; 1Chron 28,16; 2Chron 29,18; vgl. 1Makk 1,22.
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nicht einfach annehmen. Weil das Fleisch von Opferschlachtungen nicht nur in Jerusalem, sondern auch in heidnischen Kulten gegessen wurde (vgl. 1Kor 10,18), kann man nicht ausschließen, dass Paulus in der Tat auf den Opferkult im jüdischen Tempel anspielt und betont, dass, wenn Juden sich auf diesen für die Vergebung ihrer Sünden verlassen, er ihnen zur „Schlinge“ wird, die sie in dem durch den Sühnetod Jesu obsolet gewordenen Denken gefangen hält. Das Wort Schlinge (πα' γις [pagis]) verweist häufig auf eine Falle, in der man sich selbst verfängt (wie hier in Ps 69[68],23; vgl. Ps 9,15; 57[56],7; Spr 6,2; 12,13; 18,7; 29,6; vgl. Tob 14,10; Sir 27,26.29; 1QH II, 29), manchmal auf das Gericht Gottes (Jer 48[31],43-44; Hes 29,4), auch auf das Gericht über Israel (Jes 8,14). Das Wort Netz (θη' ρα [thēra]) ist ebenfalls mehrfach Metapher für das göttliche Gericht (Hes 12,13; 17,20; 32,3; Hos 7,12). Fallstrick (σκα' νδαλον [skandalon]; s. zu 9,33) kommt wiederholt in der LXX vor (Jos 23,13; Ri 2,3; 8,27 [Codex A]; vgl. 1Makk 5,4; Weish 14,11). Ohne Verwendung einer Metapher bringt das mit Vergeltung übersetzte Wort (α� νταπο' δομα [antapodoma]) das Gericht Gottes zum Ausdruck, um das der Betende bittet (vgl. in der LXX Gen 50,15; Ps 28[27],4; Klgl 3,64; Joel 3[4],7; vgl. Jdt 7,15; Sir 6,14).54 Die Bitte: ihre Augen sollen finster werden, dass sie nicht sehen (V. 10) verbindet das Zitat aus Ps 69 mit dem Zitat aus Deut 29,3 in V. 8. Die Folge der von Gott verursachten Verhärtung Israels ist es, dass die Augen die Fähigkeit zu sehen verloren haben: Israel ist blind für die Heilsoffenbarung Gottes. Der Satz und ihren Rücken beuge allezeit beschreibt die Folge der Blindheit: Blinde tasten sich mit gebeugtem Rücken vorsichtig, unsicher, entlang. Wenn ein Bild für Knechtschaft vorliegt,55 erhofft David für seine Verfolger den Status von Dienern oder Sklaven; Paulus spräche von der Knechtschaft unter dem „Gesetz der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2), von dem nur der Messias Jesus befreien kann. Für Paulus sind die arroganten Israeliten, die die Gerechten mit Schmach und Schande überwältigen, die ungläubigen Juden, die Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus nicht erkennen, die dem Evangelium gegenüber erblindet sind – ihnen wünscht Paulus, dass ihr „Rücken zum Zeichen ihrer Knechtschaft von Gott gebeugt werden möge“.56 Schlatter fasst V. 8-10 so zusammen: „Der Christus kommt; doch Israel sieht nichts; Gottes Botschaft wird ausgerufen; doch Israel hört sie nicht. Der Untergang überrascht es, ohne daß es ihn ahnt … ———————————-————————
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Dunn II 643, mit Verweis auf Müller, Anstoß, 27-31. Wilckens II 239 interpretiert als „Bild für das Sklavenlos Israels unter anderen Völkern“, das in Ps 69 nicht im Blick sein kann und bei Paulus nicht angedeutet ist. Lohse 309; ebd.: „Doch Gottes Gericht wird nicht sein letztes Wort über Israel sein.“
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Gottes Gericht liegt so schwer auf ihnen, daß nichts von dem, was um sie her geschieht, sie erreicht“.57 IV Paulus hatte in seiner Behandlung des Unglaubens Israels in 9,6-29 herausgestellt, dass die Zugehörigkeit zum wahren Gottesvolk das Resultat von Gottes freier Erwählung ist und Gott deshalb nicht der Ungerechtigkeit bezichtigt werden kann, wenn Israel im Unglauben verharrt. Der Grund für Israels Unglauben ist, wie Paulus in 9,30–10,21 erläuterte, Israels Widerstand gegen Gottes Heil schaffende Gerechtigkeit: Israel hat darauf bestanden, das Gesetz, dessen Ziel Gerechtigkeit ist, ohne Glauben zu halten, und kam deshalb am „Stein des Anstoßes“ zu Fall, d.h. am Messias Jesus, den Gott zur Rettung in Zion aufgerichtet hat. Schuld am Unglauben Israels ist weder Gott, noch sind es die Boten, die Gott zu Israel gesandt hatte, sondern allein Israel, das sich weigert, die endzeitliche Heilsoffenbarung Gottes anzuerkennen, die in Jesus Wirklichkeit geworden ist, dem Messias Israels; da Jesus Ende und Ziel des Gesetzes ist, entscheidet sich das Heil auch des jüdischen Volkes daran, ob es an ihn als gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias, Sohn Gottes und Kyrios glaubt (vgl. 1,3-4.16-17 sowie 3,21–5,21). Die Spannung zwischen der von Paulus betonten Treue des souveränen Gottes und des faktischen Unglaubens Israels scheint unweigerlich zu der Folgerung zu führen, dass Gott das Volk Israel, das sich seiner Heilsoffenbarung verweigert, verstoßen hat. Paulus bestreitet diese Konsequenz mit großer Entschiedenheit: Gott hat Israel nicht verstoßen, wie die Tatsache beweist, dass es einen Rest in Israel gibt, der sich zu Gott und seiner Offenbarung hält – d.h. Judenchristen, die Gottes Heilsoffenbarung angenommen haben. Paulus beharrt auf der Überzeugung, die er mit mehreren Zitaten aus der Schrift bestätigt, dass es Anteil an Gottes Heil gewährender Erwählung nur durch Gottes Gnade gibt, in der er Sündern Gerechtigkeit gewährt. Die Schrift sagt aber auch, dass Gott denjenigen Israeliten, die sich weigern, seine Heilsintervention zu sehen, sein Wort zu hören und ihm zu gehorchen, einen Geist der Betäubung schickt, der sie blind macht für die Wahrheit seiner Offenbarung. Mit dieser Feststellung ist Paulus jedoch noch nicht am Ende seines Arguments angelangt.
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Schlatter 321.
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Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 I 11 Ich sage nun: Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie zu Fall kommen? Auf keinen Fall! Sondern durch ihren Fall kam das Heil zu den Völkern, um sie zur Eifersucht zu reizen. 12 Wenn aber ihr Fall Reichtum für die Welt und ihr Verlust Reichtum für die Völker bedeutet, um wieviel mehr dann ihre Fülle! 13 Euch aber, den Völkern, sage ich: Insofern ich also Apostel für die Völker bin, rühme ich meinen Dienst, 14 in der Hoffnung, dass ich die Angehörigen meines Volkes zur Eifersucht reizen und einige von ihnen retten kann. 15 Denn wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt bedeutet, was wird ihre Annahme anderes sein als Leben aus den Toten? 16 Wenn aber die Erstlingsgabe heilig ist, dann ist auch der ganze Teig heilig; und wenn die Wurzel heilig ist, dann sind auch die Zweige heilig. 17 Wenn aber einige von den Zweigen ausgebrochen wurden, du aber, obwohl du vom wilden Ölbaum stammst, unter sie eingepfropft wurdest und an der fettspendenden Wurzel des (edlen) Ölbaums Anteil bekommen hast, 18 so erhebe dich nicht über die Zweige. Wenn du dich aber überhebst, so bedenke: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich. 19 Du wirst nun einwenden: Zweige wurden ausgebrochen, damit ich eingepfropft werde. 20 Richtig. Sie wurden ausgebrochen infolge ihres Unglaubens, du aber hast aufgrund des Glaubens deinen Stand gewonnen. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich. 21 Denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht verschont hat, so wird er vielleicht auch dich nicht verschonen. 22 Siehe also die Güte und Strenge Gottes: gegen die Zu-Fall-Gekommenen Strenge, gegen dich aber Güte Gottes, wenn du bei seiner Güte bleibst; denn sonst wirst auch du ausgehauen. 23 Jene aber, wenn sie nicht beim Unglauben bleiben, werden wieder eingepfropft werden, denn Gott hat die Macht, sie wieder einzupfropfen. 24 Denn wenn du aus dem von Natur aus wilden Ölbaum ausgehauen und wider die Natur in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest, wieviel eher werden sie, die natürlichen Zweige, in ihren eigenen Ölbaum wieder eingepfropft werden. II Nach den Ausführungen über die Judenchristen, deren Existenz beweist, dass Gott das Volk Israel nicht verstoßen hat (11,1-10), behandelt Paulus in diesem Abschnitt den Status und die Rolle der Heidenchristen im Blick auf
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Israel. Der in V. 11a formulierte Einwand präzisiert V. 1: Bedeutet das Straucheln Israels nicht doch, dass das jüdische Volk endgültig aus dem Heilsstand der Erwählung herausfällt? Paulus lehnt diese Konsequenz entschieden ab (V. 11b) und erläutert den Sachverhalt in zwei Schritten. 1. Der Fall Israels kommt der Rettung der Heiden zugute (V. 11c); 2. die Rettung der Heiden soll das gestrauchelte Israel zur Eifersucht reizen (V. 11d). Diese Aussagen werden jeweils in V. 12.13-14 erläutert: Der Fall Israels kommt der Rettung der Heiden zugute, denn wenn bereits der Unglaube Israels der Welt, d.h. den Völkern, den Reichtum des göttlichen Heils bringt, was wird dann erst das Resultat der Errettung der Vollzahl Israels bedeuten (V. 12)? Die Rettung der Heiden soll das gestrauchelte Israel zur Eifersucht reizen: Die Heidenchristen sollen wissen, dass der Dienst von Paulus als Heidenapostel auch um Israels willen geschieht – der Heilsgewinn der Heiden soll unter den heilsfernen Juden Sehnsucht nach dem Heil provozieren, sodass auch sie zum Glauben kommen und gerettet werden. Als Begründung von V. 12 präzisiert Paulus in V. 15: Wenn die aktuelle Verwerfung Israels zur Versöhnung der Welt geführt hat, dann kann die Wiederannahme Israels nichts anderes mit sich bringen als das Leben aus den Toten. Paulus erklärt den Heidenchristen der römischen Gemeinde, dass Gottes Weg mit Israel in der Gegenwart genauso wie in der Zukunft im Zentrum der Heilsgeschichte Gottes steht: Wie die gegenwärtige Errettung der Heiden durch Israel vermittelt ist (infolge des Unglaubens des jüdischen Volkes), so wird auch ihre zukünftige Heilsteilhabe durch Israel vermittelt (infolge des Glaubens des jüdischen Volkes). In V. 16-24 erläutert Paulus die heilsgeschichtliche Priorität Israels vor den Heiden. In V. 16 betont er, dass das Volk Israel eine Zukunft hat, auch wenn heute nur ein Rest glaubt. Paulus beschreibt diesen Sachverhalt mit einer doppelten Analogie. Die Erstlingsgabe des ersten Brotteigs steht für den ganzen Teig, d.h., der glaubende Rest in Israel verheißt eine große Ernte (V. 16a). Wenn die Wurzel Israels als von Gott gepflanzter Ölbaum heilig ist, dann sind auch die Zweige heilig, d.h., die Erwählung der Erzväter sichert die Heiligkeit derer, die zum Samen Abrahams gehören (V. 16b). In V. 17-21 richtet Paulus eine Mahnung an die Heidenchristen, die mit dem Bild vom edlen Ölbaum und den wilden Schösslingen ausgedrückt wird. Der edle Ölbaum ist das in Abraham wurzelnde Volk Israel, die wilden Schösslinge sind die Heidenchristen. In V. 17-18 beschreibt Paulus den heilsgeschichtlichen Aspekt der Beziehung zwischen Israel und den Heidenchristen. Wenn Gott einige Zweige aus dem Ölbaum Israel ausgehauen und die Heidenchristen als wilde Zweige in den Ölbaum Israel eingepfropft hat,
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 441 ————————————————————————————————————
ist dies kein Grund, sich gegen die ausgehauenen Zweige zu rühmen, denn die eingepfropften Zweige tragen nicht die Wurzel, sondern werden von dieser getragen. Das heißt, ohne die Abrahamsverheißung, ohne Israel, hätte Gott den Heiden keine Aufnahme gewährt. In V. 19-21 beschreibt Paulus den theologischen Aspekt der Beziehung zwischen Israel und den Heidenchristen. Der entscheidende Faktor sowohl beim Herausbrechen der natürlichen Zweige (d.h. der ungläubigen Juden) als auch bei der eigenen Einpfropfung ist Gottes Güte; der Heilsglaube verträgt sich nicht mit Hochmut, sondern beinhaltet die Furcht Gottes – Hochmut zieht als Unglaube Gottes Gericht nach sich. In V. 22-24 fasst Paulus die Mahnung an die Heidenchristen zusammen. Gottes Güte und Strenge sind kein Besitzstand: Die Güte Gottes bleibt nur dann auf die Heidenchristen gerichtet, sofern sie diese anerkennen und sich auf sie verlassen; wenn sie Gottes Güte zurückweisen, wird Gottes Strenge auch sie treffen (V. 22). Wenn die Juden nicht im Unglauben verharren, sondern zum Glauben an den Messias Jesus kommen, wird Gott sie wieder in den edlen Ölbaum Israel einpfropfen: Der souveräne Gott hat dazu die Macht (V. 23). Wenn Gott wilde Zweige in den edlen Ölbaum einpfropfen konnte, kann er umso mehr die ursprünglich zum edlen Ölbaum gehörenden Zweige wieder einsetzen (V. 24). Mit anderen Worten: Es gibt die begründete Hoffnung, dass Israel wieder Heilsvolk wird. Textkritische Anmerkungen. V. 12 wird in A ganz ausgelassen, was wahrscheinlich ein zufälliger Schreibfehler ist.58 In V. 13 wird die gut bezeugte Partikel δε' ( אA B P 81 104 630 1506 1739 1881 sy) in D F G Ψ Byz latt durch γα' ρ und in C durch ουò ν ersetzt, Versuche, die Verbindung von V. 13 zu V. 12 stärker hervorzuheben. Die Wendung με` ν ουò ν (d46 אA B C P 81 104 1506) wird in die weniger gut bezeugte Lesart με' ν (Ψ 33 1739 1881 Byz lat syh) abgeändert oder weggelassen (D F G 326 365 syp). Die Lesart δοξα' σω (d46 F G Ψ 33 1175 latt) statt δοξα' ζω ist wohl ein Diktieroder Hörfehler. In V. 16 ist die Lesart γα' ρ (A) statt δε' nur minimal bezeugt. Die Auslassung von ει� (d46 F G P* 6 1241 1506 1881 2464) ist die schwierigere Lesart (das zweifache ει� schafft eine parallele Formulierung), ist aber weniger gut bezeugt als ein zweites ει� ( אA B C D Ψ 33 1739 Byz lat sy co). In V. 17 wird τηñ ς ρ� ι'ζης entweder ausgelassen (d46 D* F G boms) oder durch ein και' ergänzt (א2 A D1 33 1739 1881 Byz vg sy); die asyndetische Formulierung τηñ ς ρ� ι'ζης τηñ ς πιο' τητος ist gut bezeugt ( *אB C Ψ 1175 1506 u.a.), die schwierigere Lesart und erklärt die Entstehung der beiden anderen Lesarten am besten.59 In V. 18 wird κατακαυχαñ σαι ( אA B C D1 Ψ [33] 1739 ————————————————————
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Jewett 666; anders Porter, Scribe, 413, der theologische Gründe vermutet. Metzger, Textual Commentary, 464; vgl. Jewett 666 für die Behandlung weiterer, von NA nicht aufgeführter Varianten.
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1881 Byz vg) in d46 D* F G it durch συ` καυχαñ σαι ersetzt, was als stilistische Verbesserung die Verwendung desselben Verbs in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen vermeiden will. In V. 19 ist die Hinzufügung des Artikels οι� vor κλα' δοι in D* 630 1505 eine klärende bzw. stilistische Verbesserung. Die schwächere Verbform ε� κλα' σθησαν in V. 20 in B D* F G ist wahrscheinlich der Versuch, die Wiederholung der stärkeren For m ε� ξεκλα' σθησαν (bereits in V. 17.19) zu vermeiden. Die Lesart υ� ψηλοφρο' νει (C D F G Ψ 33 1739 1881 Byz) statt υ� ψηλα` φρο' νει (d46 אAvid B 81 u.a.) ist als sonst bei Paulus unübliche Wendung die schwierigere Lesart, aber weniger gut bezeugt als υ� ψηλα` φρο' νει. In V. 21 ist die Auslassung von μη' πως (d46 D F G Ψ 33 Byz latt sy) in אA B C P 6 81 365 630 1506 1739 1881 u.a. co zwar sehr gut bezeugt, die Plus-Lesart (NA26-28 in eckigen Klammern), die die Aussage abschwächt, kommt bei Paulus jedoch häufiger vor und ist besser bezeugt als die Minus-Lesart (NA25), die sich vielleicht daraus erklärt, dass Abschreiber aus kontextuellen und syntaktischen Gründen Anstoß an μη' πως genommen haben.60 In V. 22 fügen d46 B vor θεουñ den Artikel τουñ ein, eine sekundäre stilistische Verbesserung. Statt α� ποτομι' α (d46 *אvid A B C 6 81 630 1506 1739) lesen א2 D F G Ψ 33 1881 Byz latt den Akkusativ α� ποτομι' αν, was als sekundärer Verbesserungsversuch zu werten ist. Dies gilt auch für die Lesart χρηστο' τητα (D2 F G Ψ 33 Byz latt) statt χρηστο' της. Die Auslassung von θεουñ in D2 F G Ψ 33 Byz it sy ist weniger gut bezeugt als die Plus-Lesart. Der Konj. Aorist ε� πιμει'νη, ς (d46vid A C D2 F G 33 1739* 1881 Byz) ist weniger gut bezeugt als der Konj. Präsens ε� πιμε' νη, ς ( אB D* Ψ 81 630 1739c u.a.). Dasselbe gilt für den Konj. Aorist ε� πιμει'νωσιν (א2 A C D2 F G 33 Byz) in V. 23. III
11 Paulus greift die Frage von V.1 („Hat Gott etwa sein Volk verstoßen?“),
die er mit dem Verweis auf den Rest in Israel verneint hatte, mit einer präzisierenden Frage noch einmal auf, eingeleitet mit derselben Wendung („Ich sage nun“): Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie zu Fall kommen? (V. 11a). Die Verben „straucheln“ und „zu Fall kommen“ sind Metaphern, mit denen der Anstoß an Jesus (vgl. 9,32) und die Sünde und Heillosigkeit Israels beschrieben werden. Die 3. Person Plural der Verben bezieht sich auf die „Übrigen“ in Israel (V. 7; der Begriff „Israel“ wird in V. 7-24 nicht explizit erwähnt). ————————————————————
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Metzger, Textual Commentary, 464-465; Jewett 666 hält die eckige Klammer wegen der besseren Bezeugung für überflüssig.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 443 ———————————————————————————————————— Paulus verwendet das Verb πται' ω [ptaiō] nur hier.61 Im eigentlichen Gebrauch bedeutet das Verb „anstoßen, anprallen“, z.B. an einen Stein (Xenophon, An 4,2,3; Polybius 31,11,5; 12,1), im übertragenen Sinn „anrennen, straucheln, fallen; einen Unfall haben, ins Unglück geraten“ (Aeschylus, Prom 926; Herodotus 9,101) und „fehlen, irren, sündigen“ (Plato, Thaeat 160d; EpAr 230; P.Oxy. VIII 1165,11; 6. Jh. n.Chr.). In der LXX wird das Verb für Heere verwendet, die „unterliegen, geschlagen werden“ (1Sam [1Reg] 4,2.10; 7,10; 2Sam [2Reg] 2,17; 10,15.19; 18,7; 1Chron 19,19 u.a.). In Deut 7,25 kommt das Verb in der Warnung vor, dafür zu sorgen, dass man keine Götterbilder herstellt und so „ins Unglück gerät“ (LXX.D; K.D. Schmidt übersetzt mit „verstrickt, verführt werden“). In Sir 37,12 liegt die Bedeutung „straucheln, fehlen, sündigen“ vor. Bei Philo liegt dieselbe Bandbreite an Bedeutungen vor. In Röm 11,11 ist der Sinn der eigentlichen Bedeutung noch spürbar,62 d.h., der Sinn des Verbs entspricht προσκο' πτω [proskoptō] in 9,32. Wenn man die Metapher mit der übertragenen Bedeutung wiedergibt und in den Kontext des Unglaubens Israels stellt, kann man in 11,11 mit „fehlen, irren, sündigen“ übersetzen.63 Trotzdem ist es ratsam, die Steigerung vom „Straucheln“ zum „Fallen“ zu bewahren und mit der Übersetzung „straucheln“ die Grundbedeutung von πται' ω zu bewahren. Das Verb πι' πτω [piptō]64 bedeutet in eigentlicher Verwendung „fallen, niederfallen, stürzen“ (Homer, Il 2,6,307-311.425; Hesiod, Op 620), substantiviert oft für die im Krieg „Gefallenen“ (Xenophon, Cyrop 1,4,24). In Inschriften wird die Vokabel für den Einsturz von Gebäuden (Syll.3 II 852,46-47; III 963, 17) und als juristischer oder finanztechnischer terminus technicus mit der Bedeutung „fallen unter, gerechnet werden unter“ (Syll II 495,172-173; 714,6) verwendet. In übertragenem Gebrauch bedeutet das Verb „untergehen, zugrundegehen“ (Aeschylus, Cheop 263; Herodotus 8,16), „verloren gehen“ (Homer, Il 23,595), „vergehen“ (Aeschylus, SeptTheb 794). Die LXX verwendet das Verb mit derselben Bedeutungsbreite, von den juristischen und finanziellen Bedeutungen abgesehen. Die Bedeutung „untergehen, zugrunde gehen“ wird im Sinn von „des Heils verlustig gehen, verderben“ in Spr 11,28; Sir 1,30; 2,7 verwendet; die Bedeutung „sündigen“ ist in der LXX nicht belegt. Die Verwendung bei Philo und Josephus entspricht dem außerbiblischen Gebrauch. Im NT wird πι' πτω oft für „fallen“ im eigentlichen Sinn verwendet, oft im Sinn des Niederfallens im Zusammenhang einer Bitte (Mk 5,22; Lk 5,12), als Zeichen der ehrerbietigen Begrüßung (Joh 11,32), oder im Sinn der Anbetung Gottes (Mt 4,9; Apg 10,25; 1Kor 14,25; Offb 4,10; 5,14; 7,11; 11,16 u.a.). An mehreren Stellen wird πι' πτω, im ethischtheologischen Sinn mit der Bedeutung „fallen = sündigen“ übertragen verwendet (Lk 20,18; 1Kor 10,12; Röm 14,4), so auch hier in Röm 11,11. Die Verwendung der beiden Verben entspricht frühjüdischem Verständnis: Während der Gerechte strauchelt (προσε' κοψεν) und fällt (ε» πεσεν), dann aber den Herrn für gerecht erklärt und sieht, „was Gott ihm tun wird“, und den Herrn fürchtet mit dem Resultat, dass er zum ewigen Leben aufersteht (PsSal 3,5.12b), gilt für den Sünder, dass er stolpert (προσε' κοψεν) und fällt (ε» πεσεν), er dann aber sein Leben und den Tag seiner Geburt verflucht, weiter sündigt und sich weigert aufzustehen mit dem Resultat, dass sein Verderben in Ewigkeit währt (PsSal 3,9-12a; LXX.D).65 ————————————————————
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Vgl. Jak 2,10; 3,2; 2Petr 1,10. Vgl. K.L. Schmidt, Art. πται' ω, ThWNT VI, 883-885. LÜ: „Sind sie darum angelaufen, damit sie zu Fall kommen?“; GN: „Haben die Juden sich an Christus gestoßen …?“. Die meisten Übersetzungen haben „straucheln“. Bauer/Aland s.v. πται' ω 1. Röm 11,11.22; 14,4; 1Kor 10,8.12; 13,8; 14,25. Vgl. W. Michaelis, Art. πι' πτω, ThWNT VI, 161-167; MM. Die übertragene Bedeutung „umkommen“ ist in den dokumentarischen Papyri bisher nicht belegt; vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 368. Schlier 328; Lohse 310; Wilckens II 242 (verweist auf Weish 3,9-12/3,5 statt PsSal).
444 Römerbrief ————————————————————————————————————
Wenn man πται'ω mit „fehlen“ oder „sündigen“ übersetzt, ist das Verb nicht automatisch gleichbedeutend mit dem im «ινα-Satz genannten πι' πτω: Das „Fallen“ kann (wie in Röm 14,4) im Sinn des endgültigen Scheiterns im Endgericht verstanden werden. W. Michaelis kommentiert: „Nicht erst das Fallen, sondern schon das Anstoßen … bezeichnet Israels Schuld. Mit dem Fallen ist nicht das Schuldigwerden gemeint, sondern die Möglichkeit, daß Israel in seiner Schuld verharrt, eher noch: daß es von Gott in seiner Schuld belassen wird, von der Rettung ausgeschlossen bleibt. Bei dem Bild vom Fallen ist somit weniger an das Hinfallen als vielmehr an das Liegenbleiben nach dem Sturz gedacht“.66 Paulus verneint mit einem entschiedenen Auf keinen Fall (μη` γε' νοιτο, V. 11b; s. zu 3,4.6.31 u.a.), dass Israels Straucheln von Gottes Perspektive her gesehen das Ziel hatte,67 dass Israel endgültig zu Fall kommen sollte (πι'πτω [piptō]). Paulus hatte in 9,6 die mit dem verwandten Verb ε� κπι'πτω [ekpiptō] formulierte Frage, ob Gottes Wort „hinfällig“ wurde, verneint. Die beiden in den Verneinungen impliziten Aussagen hängen zusammen: Gottes Wort, d.h. die Gesamtheit seiner Zusagen im Blick auf die Nachkommen Abrahams, ist nicht hinfällig geworden, und Israel, das durch seinen Unglauben gestrauchelt ist, ist nicht hingefallen, d.h. nicht endgültig vom Heil Gottes ausgeschlossen. Paulus erläutert seine Verneinung der Möglichkeit, dass Gott das Fallen Israels im Sinn des endgültigen Heilsverlustes beabsichtigt hat, in der folgenden Aussage. Paulus erklärt in V. 11c die Absicht Gottes im Blick auf das Straucheln Israels: Sondern durch ihren Fall kam das Heil zu den Völkern, um sie zur Eifersucht zu reizen. Das im griech. Satz fehlende Verb ist mit ε� γε' νετο [egeneto] o.ä. zu ergänzen. Weil das Heil immer von Gott kommt, ist das handelnde Subjekt des Satzes Gott. Das mit „Fall“68 übersetzte Wort (παρα' πτωμα [paraptōma]; s. zu 2,12; 4,25; 5,15), von πι' πτω („fallen“) abgeleitet, bezeichnet die durch persönliche Schuld hervorgerufene Störung des Verhältnisses des Menschen zu Gott und ist generell mit „Vergehen, Verfehlung, Sünde“ zu übersetzen. Die Übersetzung mit „Fall“ zeigt die im Kontext vorhandene Metapher des „Fallens“ an. In 5,12-21 verwendete Paulus das Substantiv für die Sünde Adams, im Kontext von 9,20–10,3.16-21; 11,7-10 verweist es hier auf die Ablehnung des Evangeliums von Jesus, dem Messias Israels.69 Der Dativ τω ñ, αυ� τω ñ ν παραπτω' ματι zeigt als dat. causae ————————————————————
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W. Michaelis, ThWNT VI, 165. «ινα hat hier, im Kontext interpretiert, finale (und nicht konsekutive) Bedeutung. Elb.Ü, LÜ, Michel, Lohse; Hofius, Evangelium, 185 mit Anm. 37. Anders ZÜ, Elb.Ü (Anm.), Wilckens, die mit „Fehltritt“ übersetzen; vgl. Bell, Jealousy, 108-110. Vgl. Michel 344; Cranfield II 555-556; Wilckens II 242; Jewett 673; W. Michaelis, Art. πι' πτω/παρα' πτωμα κτλ., ThWNT VI, 173; M. Wolter, Art. παρα' πτωμα, EWNT III, 79,
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 445 ————————————————————————————————————
den Grund an, der Gott veranlasst hat, den Völkern (zu ε» θνη [ethnē] s. 1,5) Heil zu gewähren: Der Unglaube Israels bot die Gelegenheit, den Völkern Anteil an der Rettung von Sünde und Schuld zu geben. Der Dativ τοιñς ε» θνεσιν [tois ethnesin] ist dat. commodi: Der Unglaube Israels gereicht den Völkern zum Vorteil, insofern diese das messianische Heil erhalten. Das Wort σωτηρι'α ([sōtēria]; s. zu 1,16)70 bezeichnet im Kontext der Definition des Evangeliums in 1,3-4.16-17 und der Ausführungen in 1,18–5,21 und 6,1–8,39 Rettung im Endgericht, Gewährung der Gerechtigkeit Gottes, Freispruch durch Gott, Bewahrung vor dem verdammenden Zorn Gottes und Empfang der göttlichen Herrlichkeit infolge des Glaubens an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Jesus, Israels Messias und Retter der Welt. Genausowenig wie Paulus sagt, dass ausnahmslos alle Israeliten (Juden) „gestrauchelt“ sind (vgl. 11,1-10), will er mit dem unqualifizierten τοιñς ε» θνεσιν sagen, dass ausnahmslos alle Völker bzw. alle Nichtjuden „Heil“ erfahren haben. Die Rettung im Endgericht ist für Paulus an den Glauben an Jesus gebunden. Paulus spricht von der historischen Tatsache, dass die Ablehnung des Evangeliums durch die Juden und die Verhinderung der Verkündigung des Evangeliums in lokalen Synagogen die Gelegenheit schuf bzw. verstärkte, Nichtjuden die Botschaft von Jesus zu verkündigen (Apg 13,45-49; 18,5-6; 28,25-29). Am Anfang dieser Geschichte stand die Vertreibung von Judenchristen aus Jerusalem durch die führenden Verantwortlichen des jüdischen Volkes nach der Tötung des Stephanus, mit der Folge, dass bald darauf Griechen in Antiochien, der Hauptstadt Syriens (Apg 11,19-21), zum Glauben kamen.71 Paulus betont, dass dieser geschichtliche Vorgang „nicht endgültig und abschließend“ ist, sondern „zu Israel zurück“ führt. Michel verweist auf die rabbinische Diskussion des 3./4. Jh. n.Chr.,72 wobei die Meinung, dass das Reich in der Vergangenheit bei den Israeliten gewesen sei, jedoch von ihnen genommen und den Völkern gegeben wurde, als sie sündigten, auf R. Aibo (ca. 320) zurückgeführt wird, und die Meinung, dass Gott, wenn Israel Buße tut, das Reich von den Völkern der Welt nimmt und den Israeliten wiedergibt, als Aussage von R. Yizchaq (ca. 300) ————————————————————
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der vom „Herausfallen aus dem Heilsbereich“ spricht, was im Blick auf den aktuellen Zustand der „Übrigen“ in Israel richtig ist; vgl. die Diskussion in Hübner, Gottes Ich, 106 Anm. 368. GN übersetzt παρα' πτωμα in diesem Sinn, mit einem Verbalsatz, mit „weil sie Gottes Rettungsangebot ablehnten“. Im Röm kommt σωτηρι' α in 1,16; 10,1.10; 11,11; 13,11 vor; vgl. 2Kor 1,6; 6,2; 7,10; Eph 1,13; Phil 1,19.28; 2,12; 1Thess 5,8.9; 2Thess 2,13; 2Tim 2,10; 3,15. Haacker 270: „Aus dieser positiven missionsgeschichtlichen Wirkung des jüdischen Neins zum Evangelium schließt Paulus, daß Israel damit nicht aus der Heilsgeschichte ausgeschieden sein kann“. Michel 344.
446 Römerbrief ———————————————————————————————————— bezeichnet wird (Midrasch Esther 1,2 [85a]; vgl. Bill. I 877 zu Mt 21,43). Nur der Ausspruch von R. Yochanan steht in bSanh 98b: „Diese (die Israeliten) sind das Werk meiner Hände und jene (die Nichtisraeliten) sind das Werk meiner Hände, wie soll ich nun diese (die Nichtisraeliten) um jener willen vernichten!“ (Bill. III 289). Weniger überzeugend ist eine Interpretation im Sinn der Ablehnung von Jesus durch die Juden, die ihn an die Heiden (Pontius Pilatus) auslieferten, was die Voraussetzung für die Rettung der Welt war.73
Gott will durch die Rettung der Völker, d.h. durch die Etablierung von Versammlungen von Jesusbekennern, die (lokal manchmal wohl mehrheitlich) aus Heidenchristen bestehen, Israel zur Eifersucht reizen (παραζηλω ñ σαι [parazēlōsai]; s. zu 10,19).74 Paulus hatte mit Rückgriff auf Deut 32,21 in 10,19 in negativem Sinn von der Eifersucht Israels gesprochen, im Sinn des Strebens nach alleinigem Besitz des Heils. Dieses Eifersuchtsmotiv wird hier ins Positive gewendet,75 was V. 14 deutlich macht. Die Völker haben das Heil, das die „Übrigen“ in Israel nicht haben, das sie aber infolge von Gottes Verheißungen für sich beanspruchen. Das heißt, die nicht an Jesus als Messias gläubigen Juden wollen, was Heidenchristen haben, und werden, so die Hoffnung von Paulus, zum erneuten Hören des Evangeliums provoziert und zur Annahme der messianischen Heilsoffenbarung Gottes und das heißt zum Glauben an Jesus als Retter veranlasst. Die atl. und frühjüdische Erwartung, dass in den letzten Tagen die Völker zum Zion kommen und sich zu Jahwe bekehren, d.h. sich Israel anschließen,76 wird umgekehrt: Nicht die Völker schließen sich Israel an, sondern Israel schließt sich den Völkern an, die das messianische Heil zuerst ergriffen und erhalten haben. Wilckens verweist auf die „entgegengesetzte Auslegung von Dtn 32,21“ in TestSeb 9,8:77 „Und danach wird euch der Herr selbst aufgehen als Sonne der Gerechtigkeit, und Heilung und Barmherzigkeit (sind) unter seinen Flügeln. Er selbst wird alle Gefangenschaft der Menschenkinder von Beliar erlösen. Und jeder Geist der Verführung wird zertreten werden. Und er wird alle Völker zurückwenden zu seiner Nacheiferung …“ (Übers. J. Becker, JSHRZ III/1, 90 Anm. 8). Dieser Text steht allerdings nur in der Textfamilie δ; Becker übersetzt den Text von α, γ, A als ursprünglich: „Und danach wird euch der Herr selbst aufgehen ————————————————————
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Vgl. Cranfield II 556 mit Berufung auf Barth, Kirchliche Dogmatik II/2, 307; kritisch Haacker 269. Bell, Jealousy, 112-113 betont den impliziten Hinweis auf Deut 32,21 (zitiert in 10,19) und Deut 32,43 (zitiert in 15,10). ει� ς τó drückt Absicht aus. Siegert, Argumentation, 166 kommentiert: „Allein das mitzuvollziehen, muß den Bibellesern, an die Paulus schreibt, ein Erschließungserlebnis gewesen sein“. Jes 2,1-4 (Mich 4,1-4); 25,6-9; 56,6-7; 60,1-5; Jer 3,17; Zef 3,8-9; Hag 2,6-9; Sach 8,2023; sowie PsSal 17,21-31, bes. 17,31,wo allerdings betont wird, dass die „Völker der Heiden“ Israel unter seinem Joch dienen werden (17,30). Wilckens II 243 Anm. 1082.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 447 ———————————————————————————————————— als Sonne der Gerechtigkeit. Und ihr werdet zurückkehren in euer Land und werdet den Herrn in Jerusalem sehen“.
12 Mit dem ersten von mehreren argumenta a fortiori (V. 12.15.17.21.24;
s. zu 5,9)78 kontrastiert Paulus den gegenwärtigen Unglauben vieler Juden mit dem Heil der Völker auf der einen, und mit dem zukünftigen Heil Israels auf der anderen Seite. Der gegenwärtige Zustand der „Übrigen“ in Israel wird wie in V. 11 mit Fall (παρα' πτωμα [paraptōma]; V. 12a) sowie mit Verlust (η« ττημα [hēttēma]) beschrieben (V. 12b).
Das seltene Substantiv η« ττημα kommt in der LXX nur in Jes 31,8 (Niederlage in einer militärischen Schlacht) vor, im NT nur Röm 11,12; 1Kor 6,7. LSJ verweist nur auf Jes 31,8 und 1Kor 6,7 als Belege. Das Verb η� ττα' ομαι bzw. η� σσα' ομαι ist häufiger: in der LXX vgl. Jes 8,9; 19,1; 54,17; Dan 6,5; Sir 19,24; im NT: 2Kor 12,13 (in F G); 2Petr 2,19-20; für außerbiblische Belege vgl. LSJ, wo folgende Bedeutungen für das Verb angegeben werden: I.1. geringer, schwächer, unterlegen sein; 2. besiegt werden, aus der Fassung gebracht werden; 3. (juristisch) verfolgt werden; 4. nachgeben; 5. überwältigt werden; II. überwinden, besiegen. In den deutschen Übersetzungen finden wir „Ausfall“ (Wilckens), „Niederlage“ (Bauer/Aland; G. Schneider, EWNT II, 312), „Schade“ (LÜ), „Verlust“ (Elb.Ü, NGÜ; Michel, Haacker, Lohse; vgl. Jewett), „Versagen“ (ZÜ; Käsemann), „Verschulden“ (EÜ). 79
Letzteres beschreibt nicht so sehr das Versagen, sondern den Mangel an Erfolg, die Situation des Schwächer-Seins, der Inferiorität.80 Im Kontext von 9,27; 11,5 (Überrest, Rest) und 11,12b.25 (Fülle Israels bzw. Fülle der Völker) beschreibt η« ττημα die „Reduzierung“ Israels auf eine kleine Zahl von Juden, die das messianische Heil haben, eine Verminderung der Vollzahl Israels, die durch das Straucheln bzw. den Fall der ungläubigen Juden entstanden ist, die in 11,7 als „die Übrigen“ bezeichnet werden.81 Im Kontext von 9,30-33 beschreibt Paulus mit η« ττημα die „Niederlage“ der Mehrheit Israels in der Bemühung um Gerechtigkeit, verglichen mit den Völkern, die nicht einmal mit aller Kraft nach Gerechtigkeit strebten, diese aber erlangt haben.82 ————————————————————
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Die Wendung πο' σω, μαñ λλον (11,12.24; Phlm 16) entspricht dem sonst bei Paulus üblichen πολλω ñ, μαñ λλον (5,9.10.15.17; 1Kor 12,22; 2Kor 3,9.11; Phil 1,12.23; 2,12). Zur Kritik an der Übersetzung „Verschulden“ s. Mußner, Falschübersetzungen, 170. Vgl. Nanos, Branches, 347. Dunn II 654 erklärt die Verwendung von η« ττημα mit dem Bestreben, neben παρα' πτωμα ein anderes Wort mit der Endung -μα zu setzen, um eine größere rhetorische Wirkung zu erzielen. Dies ist eine eher minimalistische Erklärung. Wilckens II 243, mit Verweis auf Kühl 379; Barrett 214; Zeller, Juden und Heiden, 239; vgl. Moo 689; Hübner, Gottes Ich, 107; vgl. Hofius, Evangelium, 185. Käsemann 295: „das Zurückbleiben hinter gestellten Anforderungen“, mit Verweis auf Maier, Israel, 120. Wenn man einen Kontrast mit „Reichtum“ betont, gibt ein Verständnis von η« ττημα im Sinn von „Verlust“ einen guten Sinn (was jedoch, gegen Jewett 676, nicht zwingend ist, was der Kontrast von παρα' πτωμα und πλουñ τος zeigt).
448 Römerbrief ————————————————————————————————————
Mit Reichtum (πλουñ τος [ploutos]) ist der Reichtum des von Gott gewährten Heils gemeint, die Fülle der Gaben Gottes, die endzeitliche Segensfülle seines Heilshandelns im Messias Jesus. Dass Paulus im Zusammenhang der Tradition vom Kommen der Völker zum Zion spricht, wo in Jes 60,5 vom „Reichtum des Meeres und der Völkerschaften und der Völker“ (LXX.D) die Rede ist, der Israel zufließen wird,83 ist möglich, aber im Kontext von V. 12a nicht angezeigt. Mit Welt (κο' σμος [kosmos])84 und Völker (ε» θνη [ethnē]) beschreibt Paulus den Bereich, in dem die messianische Heilsoffenbarung Gottes Anklang gefunden hat und angenommen wurde, d.h., es sind konkret die Heidenchristen gemeint. Der Unglaube Israels brachte den Heiden den Reichtum des von Gott in seiner Gnade den Sündern gewährten Heils. Die Wendung ihre Fülle (πλη' ρωμα αυ� τω ñ ν [plērōma autōn]; V. 12c) wird unterschiedlich interpretiert: Erfüllung mit Lebensgehalt, Kraft und Gütern,85 Erfüllung des Liebesgebots,86 Erfüllung der göttlichen Forderung,87 das von Gott angesetzte volle Maß,88 die Vollzahl der Völker,89 oder, so die meisten Ausleger, als die vollständige Zahl der Juden, die sich zum Glauben an Jesus bekehren.90 Die zuletzt genannte Bedeutung ist im ————————————————————
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Vgl. Munck, Christus, 90-92; Munck, Paulus, 298-299; vgl. Dunn II 655. Jewett 677 denkt im Kontext von 2Kor 8,2 und Phil 4,19 an geistlichen und materiellen Reichtum; der Kontext dieser beiden Stellen ist jedoch ein anderer. κο' σμος [kosmos] bedeutet hier nicht „Weltall, Universum“ (1,20), „Erde, Erdkreis“ (1,8; 4,13) oder „Menschenwelt, Menschheit“ (3,6.19; 5,12.13), sondern „Erdkreis“ im Sinn der „Heidenwelt“ (Bauer/Aland s.v. κο' σμος 5a), d.h. der Nichtjuden (so auch in 11,15). Zahn 506 Anm. 31 mit Verweis auf Eph 3,19; Kol 2,10; 4,12; Phil 1,11. Die Position Zahns wird von Wilckens II 243 mit „Bekehrung, Annahme des Glaubens“ charakterisiert; so dann Plag, Wege, 33-34.42-43; Munck, Christus, 90. Lietzmann, mit Verweis auf Röm 13,10. Bauer/Aland s.v. πλη' ρωμα 4 mit Röm 11,12 als Beleg; vgl. Munck, Paulus, 90. Jewett 677-678, mit Verweis auf Gal 4,4; Mk 1,15; Joh 7,8. Haacker 284: die „Vollzahl der Völker“, die mit dem Evangelium erreicht werden soll, was dem Bekenntnis des Paulus zur Pioniermission (15,20-21) und Spanien als nächstes Ziel seiner Mission (15,23-24) entspricht. Diese Sicht hätte man besser mit der Wendung πα' ντα τα` ε» θνη beschreiben können. Wilckens II 243: „die Auffüllung des gegenwärtigen ‚Restes‘ zur Vollzahl Israels“, mit Verweis auf Kühl 379; Michel 345; Käsemann 295; Schlier 330; Kuss III 795-796; Cranfield II 557-558; G. Delling, ThWNT III, 303; vgl. Stuhlmann, Maß, 186-187. Wie Cranfield u.a. gezeigt haben, darf diese Position nicht gegen die Bekehrung der ungläubigen Mehrheit in Israel ausgespielt werden (wie Wilckens ebd. es tut). Vgl. Dunn II 655; Moo 690; Fitzmyer 611; Légasse 699-700; Witherington 267; Wright 680-681; Jewett 677; Hofius, Evangelium, 185-186; Donaldson, Riches, 94; Baker, Salvation, 478-480; Nanos, Branches, 347-348. So auch EÜ („wenn ganz Israel zum Glauben kommt“), im Licht von 11,26 interpretierend, und GN („wenn das Volk Israel in seiner Gesamtheit zu Gottes Rettungstat Ja sagt“).
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 449 ————————————————————————————————————
Kontext von V. 25 am plausibelsten. In 9,6–10,21 hatte Paulus betont, dass nicht alle Nachkommen Jakobs aktuell auch „Israel“ im Sinn des „Samens Abrahams“ (9,7-8) sind, und in 11,1-10 hatte er betont, dass es in Israel nur einen Überrest bzw. (kleinen) Rest gibt (9,27; 11,5), der entsprechend der Erwählung der Gnade Gottes übrig geblieben ist, während die große Zahl der „Übrigen“ verhärtet wurde. In V. 12 erklärt Paulus, dass Straucheln, Fall und Verlust nicht auf Dauer die Situation Israels beschreiben wird. Paulus erwartet, dass sich Juden in größerer Zahl zur Anerkennung des Messias Jesus bekehren werden. Denn daran gibt es keinen Zweifel: Für Paulus gibt es keinen anderen Weg zur Rettung im Endgericht, zur Vergebung von Sünden, zum Heil, als durch Gottes Gnade, die im gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus offenbart wurde und ohne Werke des Gesetzes, allein durch den Glauben an Jesus, dem Sünder zuteilwird (vgl. 3,21–5,21 als Antwort auf 1,18–3,20). Wenn die „Fülle der Völker“ in V. 25d die Gesamtzahl der Heiden ist, die zum Glauben an das Evangelium von Jesus gekommen ist, dann ist die „Fülle“ Israels in V. 12 die Gesamtzahl der Juden, die zum Glauben an das Evangelium kommen. Im Kontext von 11,110 sind dies bedeutend mehr Juden, als gegenwärtig zum „Rest“ gehören. Die Logik der Aussage vergleicht den gegenwärtigen Heilsreichtum der Heidenchristen mit der zukünftigen Heilsvollendung, die von Paulus in V. 12 nicht explizit benannt wird. Erst in V. 15 nennt Paulus die Konsequenzen, die die Annahme von Jesus als Messias Israels durch das jüdische Volk als Ganzes für die „Welt“ und die „Völker“ haben wird: Die Auferstehung der Toten.91 Im Kontext von 8,21.23 heißt das: Die Befreiung der Schöpfung von der Versklavung der Vergänglichkeit, die Offenbarung der Herrlichkeit der Kinder Gottes, die Erlösung unseres Leibes. Im Sinn der Erfüllung atl. Prophezeiungen und jüdischer Erwartungen schreibt Johannes von der Zukunft der Wiederkunft Jesu, mit der Gott „alles neu“ machen und einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, auf der es keinen Tod, keine Trauer, keine Tränen und keinen Schmerz mehr geben wird (Offb 21,1–4). Paulus betont in V. 12, dass sowohl der Heilsreichtum als auch die Heilsvollendung an Israel gebunden ist: Die gegenwärtige Segensfülle ist die Folge des „Verlusts“ des ungläubigen Israel, die zukünftige Vollendung ist die Folge der Bekehrung der „Übrigen“ in Israel. Paulus betont im nächsten Satz, dass sein missionarisches Wirken unter den Völkern auch auf die Bekehrung der Juden zielt. ————————————————————
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Die Auskunft, dass Paulus keinen Begriff kennt, der dies in Worte fassen könne (Luz, Geschichtsverständnis, 393; vgl. Wilckens II 244), verkennt die Verbindung zu 11,15.
450 Römerbrief ————————————————————————————————————
13-14 Mit der einleitenden Wendung Euch aber, den Völkern, sage ich (V. 13a) spricht Paulus die Heidenchristen92 in den stadtrömischen Gemeinden direkt an.93 Die mit „aber“ übersetzte Partikel δε' [de] ist hier „Signal der Neuheit“, das der näheren Ausführung der vorausgehenden Aussagen dient.94 Paulus erläutert für die Heidenchristen, wie seine Missionsarbeit als Völkerapostel zur Erreichung der „Fülle“ Israels (V. 12) beiträgt. Die Beschreibung des Sprecher-Ichs als Apostel für die Völker (ε� θνω ñν α� πο' στολος ([ethnōn apostolos]; V. 13b)95 verleiht der Aussage Nachdruck. Paulus betonte seine Berufung zum Apostel der Völker in 1,5.14 und unterstreicht sie in 15,15c-16 (vgl. Gal 1,15-16: „Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen zu Rat“). Dieser Auftrag schließt nicht aus, dass er auch Juden das Evangelium vom Messias Jesus verkündigt.
In den Bekehrungs- und Berufungsberichten der Apostelgeschichte wird seine Sendung sowohl zu den Völkern als auch zum Volk Israel betont; Apg 9,15: „Er soll meinen Namen vor Völker und Könige und die Söhne Israels tragen“; 22,15: „du sollst vor allen Menschen sein Zeuge werden“; 26,16-17: „Ich will dich vor dem Volk und den Heiden retten, zu denen ich dich sende“. Vgl. Apg 13,46: „Euch musste das Wort Gottes zuerst verkündet werden. Da ihr es aber zurückstoßt und euch des ewigen Lebens unwürdig zeigt, wenden wir uns jetzt an die Heiden“; 20,21: „Ich habe Juden und Griechen beschworen, sich zu Gott zu bekehren und an Jesus Christus, unseren Herrn, zu glauben“. Paulus hat der Apg zufolge in Synagogen gepredigt: Apg 9,20-22 (Damaskus); 9,29 (Jerusalem); 13,5 (Salamis/Zypern), 13,15-31 (Antiochien/Phrygien); 14,1 (Ikonium); 17,2-4 (Thessalonich/Makedonien); 17,10-12 (Beröa/Makedonien); 17,17 (Athen/Achaia); 18,4-5 (Korinth/Achaia); 19,8 (Ephesus/Asia).
In einem Kommentar zu seiner Missionsarbeit erklärt Paulus, dass er in seiner Missionsarbeit alle ethnischen und sozialen Gruppen mit dem Evangelium erreichen will: Juden, die das Gesetz haben, genauso wie Heiden, die Gesetzlose sind, und die Schwachen der Gesellschaft (1Kor 9,20-22). Hier in V. 13 kommentiert Paulus sein missionarisches Wirken als96 Gesandter ————————————————————
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„Völker“ (ε» θνη [ethnē], s. zu 1,5) bezeichnet hier nicht allgemein die Nichtjuden (Heiden), wie in der Formulierung ε� θνω ñ ν α� πο' στολος [ethnōn apostolos], sondern spezifisch die Heidenchristen. Die Vermutung, dass Heidenchristen die Mehrheit der stadtrömischen Christen ausmachten (Dunn II 655; Moo 691l; Jewett 678), ist aus historischen Gründen plausibel (s. Einleitung, S. 20-36), in 11,13 aber nicht explizit angezeigt. Siegert, Argumentation, 166, gegen Bibelausgaben und Kommentatoren, die mit V. 13 einen neuen Absatz beginnen. Im Anschluss an Siegert s. Jewett 678. Zur folgenden Aussage vgl. Siegert, ebd. Der gen. objectivus ist zur Betonung der Völker, zu denen Paulus sich in besonderer Weise gesandt weiß, vor das nomen regens gestellt. Das Korrelativ ε� φ’ ο« σον leitet hier keinen Temporalsatz ein („während, solange“; vgl.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 451 ————————————————————————————————————
(α� πο' στολος [apostolos]; s. zu 1,1) zu den Völkern. Weil die „Säulenapostel“ in Jerusalem seine Sendung zu den Völkern anerkannt haben (Gal 2,7-9), war diese in den römischen Gemeinden sicherlich unumstritten. Zu beachten ist das artikellose α� πο' στολος: Paulus ist nicht der Völkerapostel, sondern ein Missionar unter anderen, die zu den Völkern gesandt sind – Jesu Missionsauftrag, „alle Völker“ zu erreichen (Mt 28,18-20) und „bis an das Ende der Erde“ (Apg 1,8) zu gehen, wurde den Zwölf (bzw. Elf) gegeben. Weil Paulus von Gott selbst und von seinem erhöhten Sohn Jesus Christus zum Apostel der Völker berufen wurde, kann, ja muss er sagen: ich rühme meinen Dienst (τη` ν διακονι' αν μου δοξα' ζω [tēn diakonian mou doxazō]). Das mit „rühmen“ übersetzte Verb verweist nicht auf den Dank an Gott für den ihm anvertrauten Dienst,97 sondern auf die Tatsache, dass er die Vorzüge seines Missionsauftrags, mit dem Gott ihn zu den Völkern gesandt hat, überschwenglich lobend hervorhebt. Die Bedeutung des mit „Dienst“ (διακονι' α [diakonia]) übersetzten Wortes ist nicht analog zum deutschen Wort „Diakonie“ zu verstehen,98 sondern im Zusammenhang der Verwendung der Wortgruppe (auch διακονε' ω [diakoneō], δια' κονος [diakonos]) in profangriechischen, jüdisch-hellenistischen und neutstamentlichen Texten.99 Die Wortgruppe wird differenziert verwendet, der Kontext ist jeweils entscheidend. In der Regel bezeichnet die Wortgruppe „eine Beauftragung, die den Beauftragten in ein Beziehungsverhältnis zwischen Auftraggeber und Adressaten einordnet, welches hierarchisch strukturiert ist und häufig eine Vermittlungsfunktion dahingehend nach sich zieht, dass der Beauftragte eine Sache oder Nachricht an die Adressaten überbringen muss“.100 Der diakonos „erhält von seinem Auftraggeber die nötigen Rechte und die Autorität, um das ihm Aufgetragene auszuführen. Zugleich ist er verpflichtet, den Auftrag ordnungsgemäß, schnell und zuverlässig zu erledigen. Häufig handelt es sich um eine Aufgabe, bei der eine Sache oder eine Nachricht von einem Ort an einen anderen gebracht werden muss“. Der Aposteltitel betont bei Paulus die Sendung und die dafür notwendigen Bedingungen, während diakonos vor allem „auf die Beauftragung und die zuverlässige Ausführung derselben zielt“.101 In 10,14-15 hatte Paulus ————————————————————
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7,1), sondern drückt Maß und Grund seiner Berufung aus („in dem Maße wie“, „insofern“, „als“; vgl. Bauer/Aland s.v. ο« σος 3). Die Wendung με` ν ουò ν hat hier folgernde Bedeutung (HvS §252,34c); vgl. BDR §451.1 Anm. 3; NSS II 36; Schlier 330; wenig plausibel ist der Vorschlag, με` ν ουò ν sei konzessiv („im Gegensatz zu dem, was ihr vielleicht denkt“; Jewett 678 mit Verweis u.a. auf Cranfield II 559; Moo 691; vgl. Wilckens II 244 Anm. 1095 – die entsprechende „Adversation“ muss in der Aussage des Hauptsatzes liegen, mit dem με` ν ουò ν gerade nicht verbunden ist). So Michel 347; Lohse 312. Gott ist nicht als Adressat des „Rühmens“ genannt. Duden: „[berufsmäßiger] Dienst an Hilfsbedürftigen (Krankenpflege, Fürsorge usw.)“. H.W. Beyer, Art. διακονε' ω κτλ., ThWNT II, 81-93; A. Weiser, EWNT I, 726-732; K. Heß / H. Bietenhard, ThBLNT I, 941-944; zu den Papyri Arzt-Grabner, 1. Korinther, 140141.413-414; vgl. Collins, Diakonia; Hentschel, Diakonia, 34-89, zu Paulus ebd. 90-184. Hentschel, Diakonia, 433; die folgende Zusammenfassung ebd. 86. Hentschel, Diakonia, 183. Paulus verwendet die Wortgruppe „nicht für im heutigen Wortsinn diakonische, d.h. karitative Aufgaben“ (182).
452 Römerbrief ———————————————————————————————————— betont, dass der Glaube an Jesus, den Messias Israels, aus dem Hören auf die Verkündigung kommt und die Verkündigung die Sendung der Verkündiger zur Voraussetzung hat.
Paulus verweist mit dem Wort διακονι'α auf seine Beauftragung zur Verkündigung des Evangeliums von Jesus unter den Völkern (so auch in 2Kor 5,11-21). Weil sich Paulus des Evangeliums nicht schämt (1,16), weil es „die Macht Gottes zur Rettung für jeden“ ist, der glaubt, „für den Juden zuerst und auch für den Griechen“, schämt er sich auch nicht, dass Gott ihn zu den Völkern gesandt hat. Im Gegenteil, er rühmt sich seines Auftrags, den Griechen die Heilsbotschaft von Jesus verkündigen zu dürfen. Das Ziel seiner Missionsarbeit unter den Völkern ist es, dass sich „Griechen und Barbaren, Gebildete und Ungebildete“ (1,14) zum Glauben an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt bekehren. Das Ziel seiner Beauftragung zur Verkündigung unter den Völkern ist gleichzeitig die Bekehrung seiner jüdischen Volksgenossen (V. 14). Die mit die Angehörigen meines Volkes übersetzte Wendung μου τη` ν σα' ρκα ([mou tēn sarka]) bezeichnet hier die ethnische Zugehörigkeit zum jüdischen Volk (vgl. 9,3).102 Paulus hat, ganz selbstverständlich, nie aufgehört, im ethnischen Sinn Jude zu sein. Die einleitende Wendung ει» πως [ei pōs] leitet eine Aussage ein, in der eine Sache, die angestrebt und erhofft wird, zum Ausdruck gebracht wird: in der Hoffnung, dass.103 Paulus beschreibt das Ziel seines Missionsauftrags mit zwei Verben. Er will Juden zur Eifersucht reizen (παραζηλω' σω [parazēlōsō]). Was Paulus in 11,11 (vgl. 10,19) als Absicht Gottes im Gang der Geschichte beschrieb, in deren Verlauf die Mehrheit der Juden das Evangelium vom Messias Jesus abgelehnt hat, während viele Heiden die Botschaft von Jesus angenommen haben, benennt er hier als Absicht, die er selbst mit seinem Missionsdienst unter den Völkern verfolgt. Paulus weiß sich als Völkerapostel der heilsgeschichtlichen Absicht Gottes verpflichtet, der angesichts der Ablehnung seiner Heilsoffenbarung in Jesus durch die Mehrheit Israels den Völkern den Reichtum seines Heils gewährt, damit Israel doch auch das messianische Heil annimmt, das bei den Völkern anschauliche Wirklichkeit geworden ist. Paulus hofft, dass die Heilsferne Israels angesichts der Heilswirklichkeit unter den Völkern eine Sehnsucht nach dem Heil provoziert, die sie zur Umkehr veranlasst. Paulus will einige ————————————————————
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Zu σα' ρξ [sarx] s. zu 1,3; 2,28; 3,20. Lohse 312 Anm. 12 spricht, etwas irreführend, von „leibliche[r] Verwandtschaft“. Der mit ει� eingeleitete Nebensatz entspricht hier funktional einem Finalsatz, der das durch die Handlung Angestrebte, Erhoffte, nennt; das ει� wird durch das πω ñ ς verstärkt; man kann mit „um zu versuchen“, „um zu sehen“, „ob etwa“, „ob vielleicht“, „in der Hoffnung, dass“ übersetzen; vgl. HvS §273f, mit Verweis u.a. auf Röm 11,14.
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von ihnen retten. Das Verb σω' ζω ([sōzō]; s. zu 1,16) ist ein Wort der Missionssprache.104 Paulus weiß natürlich, dass es das von ihm verkündigte „Wort des Glaubens“ ist, das rettet (10,8-15), konkret der Sühnetod des Messias Jesus (5,9-10), durch den Gott Sünder rettet (10,9.13).105 Die Konsequenz des Unglaubens in Israel war die Rettung von Heiden, und die Konsequenz der Rettung von Heiden ist die Rettung von Juden. Das messianische Heil, das Paulus sich für die Juden erhofft, ergibt sich auch für sie „mitten aus der Ungerechtigkeit heraus“ wie für die „Sünder aus den Völkern“ (Gal 2,15).106 Paulus weiß aus eigener Erfahrung, dass nur „einige von ihnen“ (τινα` ς ε� ξ αυ� τω ñ ν [tinas ex autōn]) zum Glauben an das Evangelium von Jesus kommen. Die Resonanz, die das Evangelium unter der nichtjüdischen Bevölkerung findet, führt nicht immer und nicht automatisch zur „Eifersucht“ und zur Bekehrung von Juden, sondern hat zumindest im pisidischen Antiochien zu einer negativen Reaktion geführt, mit der Folge, dass Paulus und Barnabas ihre Missionsarbeit abbrechen mussten (Apg 13,45).107 15 Paulus begründet (γα' ρ) die Aussage zur Rettung von Juden durch seine missionarische Verkündigung des Evangeliums in V. 14 mit einer Präzisierung seiner Beschreibung des paradoxen Heilshandelns Gottes in V. 12, wobei er jetzt aus der Perspektive Gottes formuliert.108 Dort hatte Paulus von „Fall“ (παρα' πτωμα [paraptōma]) und „Verlust“ (η« ττημα [hēttēma]) als Resultat des Unglaubens Israels gesprochen, hier spricht er von Verwerfung (α� ποβολη' [apobolē]).109 Der Genitiv ihre (αυ� τω ñ ν [autōn]) ist im Zu————————————————————
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Wilckens II 244, mit Verweis auf 1Kor 1,18.21; 7,16; 9,22; 10,33; 15,2; 1Thess 2,16; Eph 2,5.8; 1Tim 1,15; 2,4; 4,16; 2Tim 1,9; Tit 3,5; Apg 2,40.47; 4,12; 11,14; 14,9; 15,11; 16,30-31; 1Petr 3,21; Jak 2,21. Michel 347 betont mit Hinweis auf das ει» πως, dass die Möglichkeit, von der Paulus spricht, „lediglich eine Möglichkeit Gottes“ ist, „nicht aber eine menschliche Absicht, die, folgerichtig gedacht, den Ernst der Heidenmission in Frage stellen müsste. Es geht um eine geschichtliche Möglichkeit, die in der Verkündigung verborgen liegt“. Wilckens II 244. Lohse 312: „In Annahme oder aber Abweisung des Evangeliums entscheidet sich ewiges Heil oder bleibende Verlorenheit“. Vgl. Haacker 271. Michel 345 nimmt V. 15 zu V. 12 und stellt V. 12 hinter V. 14; kritisch Wilckens II 244. Im Kontext von προ' σλημψις („Annahme“) bedeutet α� ποβολη' hier „Verwerfung“ (nicht „Verlust“, wie in Apg 27,22); vgl. Bauer/Aland s.v. α� ποβολη' 1 (Josephus, Ant 4,314); LSJ s.v. α� ποβολη' 1. wegwerfen, abwerfen, auslassen (Plato, Leg 943e, 944c; Philo, Praem 33; Apollonius Dyscolus, Pron 55,7; Sytn 130.1). Vgl. Schaller, ΑΠΟΒΟΛΗ, 141142 für Belege für die Bedeutungen „Wegwerfen“ (Vorgang, aktive Bedeutung) und „Verlust“ (Ergebnis des Vorgangs, resultative Bedeutung); Schaller, ebd. 142-144 führt aus, dass die passivische Bedeutung „Verwerfung“ erst im altchristlichen (patristischen) Schrifttum vorliege (vgl. Lampe, Lexicon, s.v. α� ποβολη' , 190a). Zum Subj. η� α� ποβολη' ist ε� στι' ν zu ergänzen (NSS II 37), nicht der Konj. γε' νοιτο (Jewett 680).
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sammenhang mit V. 12 als gen. objectivus zu verstehen: Paulus spricht von der Verwerfung des ungläubigen Israel durch Gott (vgl. 9,27-29; 10,19-21; 11,7-10), was nach 11,1-2 allerdings nicht bedeutet, dass Gott sein Volk vollständig und für alle Zeiten vom Heil ausgeschlossen hat. Manche Ausleger verstehen η� α� ποβολη` αυ� τω ñ ν im Sinn eines gen. subjectivus: Paulus spricht von der Verwerfung des Evangeliums durch Israel.110 Lohse interpretiert: „Gott hat Israels Ungehorsam zum Guten gewendet und Versöhnung gestiftet“.111 Die Behandlung des Unglaubens Israels in 9,30–10,21 kann zugunsten dieses Verständnisses angeführt werden. Diese Interpretation wird manchmal mit dem Argument verbunden, dass α� ποβολη' nicht „Verwerfung“ sondern „Verlust“ bedeutet.112 Haacker schreibt: „Israel hat einen (vorübergehenden) Verlust erlitten“.113 Die meisten Ausleger interpretieren als gen. objectivus: Mit der Wendung η� α� ποβολη` αυ� τω ñ ν bezeichnet Paulus die Verwerfung des ungläubigen Israel durch Gott.114 Folgende Argumente sind im Zusammenhang der neueren Diskussion wichtig. 1. In den Parallelen zur Formulierung α� ποβολη` αυ� τω ñ ν bezeichnen personale Genitive Menschen, die anderen Menschen verloren gegangen sind (Josephus, Ant 2,147; Plutarch, Solon 7; vgl. Aristoteles, EthNic 1115a21; Dio Chrysostomus, Or 16,3; Plutarch, Mor 87A; 168c; Apg 27,22).115 2. Das Argument, dass eine passivische Bedeutung von α� ποβολη' in vorpaulinischen Texten nicht belegt werden kann, ist aus zwei Gründen nicht überzeugend: Wenn man aktivisch mit „Wegwerfen“ übersetzt, ist der Bedeutungsunterschied zur passivischen Deutung „Verwerfung“ gering; die Belege für eine passivische Bedeutung in den patristischen Texten sprechen jedenfalls für die Möglichkeit, dass α� ποβολη' auch im 1. Jh. n.Chr. eine passivische Bedeutung haben konnte. Gleichzeitig gilt, dass auch bei einem Verständnis im Sinn von „Verlust“ der Genitiv αυ� τω ñ ν als gen. obj. plausibler ist. 3. Bei einer Interpretation von αυ� τω ñ ν als gen. subj. fehlt das notwendige Objekt. 4. Der weitere Kontext (11,7: „die Übrigen wurden verhärtet“; sowie 9,27-29; 10,19-21) sowie der engere Kontext (προ' σλημψις in 11,15 ist Antonym von α� ποβολη' ) sprechen für eine Handlung Gottes (s. unten zu προ' σλημψις). 5. Der semantisch identische Kontrast ε� κβολη' /προ' σλημψις liegt in Sir 10,21 LXX (Glosse zu Sir 10,20) vor. 6. Die spätere rabbinische Parallele Midrasch Psal————————————————————
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Zahn 510-511; Fitzmyer 612; Légasse 707; Lohse 312-313; Jewett 680; Matera 267; Haacker 271-273; Kremers,Volk, 63-66; Thyen, Heil, 175; Osten-Sacken, Grundzüge, 106; Jegher-Bucher, Erwählung, 334 (die nicht an Jesus glaubenden Juden sind für Gott „verloren gegangen“); Donaldson, Riches, 93; Schaller, ΑΠΟΒΟΛΗ, 148. Lohse 312-313, mit Verweis auf Röm 5,10-11; 2Kor 5,18-19. Haacker 268 übersetzt: „Denn wenn ihr Verlust der Welt die Versöhnung gebracht hat“ (ZÜ: „Denn wenn schon ihr Verlust zur Versöhnung der Welt führt“). Haacker 272 geht von einem „üblichen ökonomischen Verwendungszusammenhang“ aus, der nur für die Papyri belegt werden kann, aber nicht in alle Belege des Wortes eingelesen werden darf. Haacker 273, mit Verweis auf Mußner, Geschichtstheologie, 191 Anm. 33: „Der vorläufige ‚Verlust‘ an Zahl der Geretteten entspricht dem η« ττημα (Minderzahl) von 11,12“, eine Aussage, die für Haacker „zu individualistisch gedacht“ ist. So schon die Kirchenväter seit Origenes, wie Schaller, ΑΠΟΒΟΛΗ, 143-144 gezeigt hat. Vgl. Weiß 481; Sanday/Headlam 325; Michel 345-346; Cranfield II 562; Kuss III 800; Käsemann 297; Wilckens II 245; Dunn II 657; Byrne 345; Moo 693; Schreiner 598; Penna 754; G. Schneider, Art. α� ποβολη' , EWNT I, 301; Hofius, Evangelium, 186; Siegert, Argumentation, 166 Anm. 12; Niebuhr, Heidenapostel, 156-157 Anm. 96; Sänger, Verkündigung, 175; Kraus, Volk Gottes, 313; Wolter, Paulus, 430 Anm. 38. Wolter, Paulus, 430 Anm. 38.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 455 ———————————————————————————————————— men 22 §7 schreibt in der Auslegung von Mi 7,8: „Unsere Rabbinen haben gelehrt: Auf (Gottes) Zorn folgt alsbald (seine) Gnade, auf Finsternis Licht … auf Verwerfung Annahme, auf Fall Aufrichtung“.116
Die „Verwerfung“ bzw. der „Verlust“ des ungläubigen Israel, die nach 11,7 in ihrer Verhärtung besteht, führte zur Versöhnung der Welt (καταλλαγη` κο' σμου [katallagē kosmou]), d.h. zum Heil und zur Rettung (V. 14) vor allem der Völkerwelt (V. 11-12).117 Die Ablehnung des Evangeliums durch die Mehrheit des jüdischen Volkes, vor allem und entscheidend durch die jüdische Elite in Jerusalem – mit dem Resultat, dass der Messias Jesus vor ein jüdisches und dann römisches Gericht gestellt, verurteilt und gekreuzigt wurde – führte zum Heil für die Welt, insofern Gott im Kreuzestod des Messias Jesus das mit Adam in die Welt gekommene Sündenproblem gelöst hat (5,12-21). Die Ablehnung des Evangeliums durch die jüdische Elite führte zu Verfolgungen, in deren Verlauf jüdische Jesusbekenner nach Samarien und Syrien gelangten und dort Menschen zum Glauben an Jesus führten. Die Ablehnung des Evangeliums durch Juden in den Städten der Diaspora veranlasste Paulus zur Verkündigung des Evangeliums unter der nichtjüdischen Bevölkerung, unter der die Botschaft von Jesus von vielen angenommen wurde. Genausowenig wie alle Juden ohne Ausnahme verhärtet waren (11,1-10), wurden auch nicht alle Heiden ohne Ausnahme mit Gott versöhnt. In V. 15b nennt Paulus mit einem erneuten Schluss a fortiori, der als rhetorische Frage formuliert ist, die Konsequenzen, die sich aus der Verwerfung Israels für die Welt ergeben: was wird ihre Annahme anderes sein als Leben aus den Toten?118 Was Paulus in V. 12 mit πλη' ρωμα bezeichnet hatte, nennt er hier προ' σλημψις ([proslēmpsis], „Annahme, Aufnahme“).119 Wenn man mit „Hinzunahme“ übersetzt, kann man im Sinn von Gottes „Zusichziehen“ des ungläubigen Restes in Israel 120 oder im Sinn der ————————————————————
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Hofius, Evangelium, 186; Kraus, Volk Gottes, 313. Zu καταλλαγη' s. 5,10; zu κο' σμος s. 11,12. Als Verb ist ε» σται zu ergänzen; NSS II 37. Das Substantiv προ' σλημψις kommt im NT nur hier vor, in der LXX ist es nicht belegt. BDAG s.v. προ' σλημψις definiert als „acceptance into a relationship“, was in 11,15 richtig ist, aber nicht die Breite der Wortverwendung in griech. Texten wiedergibt; vgl. LSJ s.v . προ' σληψις I.1. Hinzunahme (Plato, Theaet 210a; Hermogenes 1,11; 2,6; Aristides, Rhet 1; Apollonius Dyscolus, Synt 170,3); 2. Erwerb (Josephus, Ant 17,17; 18, 353), höherer Rang durch Landerwerb (P.Teb. I 64b,6; 72,246); 3. Eintragung (P.Teb.Bank 8,4); II. zusätzliche Annahme (Plutarch, Mor 387C; Apollonius Dyscolus, Conj 250,21). Zur Schreibweise προ' σλημψις vgl. BDR §10146. G. Delling, προσλαμβα' νω, προ' σλημψις, ThWNT IV, 16. Die Übersetzung mit „Wiederannahme“ (GN, NGÜ, ZÜ). H. Balz, Art. προ' σλημψις, EWNT III, 424 erwägt neben „Annahme“ auch „Hinzunahme“ und „Wiederannahme“.
456 Römerbrief ————————————————————————————————————
Hinzunahme der sich in der Zukunft bekehrenden Juden zu den in der Gegenwart an Jesus als Messias Israels glaubenden Juden interpretieren. Die Verwendung des Verbs in 14,1; 15,7; Phlm 17 legt es nahe, im Sinn der Annahme von Menschen zu interpretieren:121 Die Annahme Israels durch Gott bedeutet im Kontext von 10,6-13.16-17; 11,12.14.23: Juden kommen zum Glauben an das Evangelium von Jesus als Israels gekreuzigtem, auferstandenem und erhöhtem Messias, durch den allein Gott jetzt, in der messianischen Zeit, das Heil gewährt (1,3-4.16-17 sowie 3,21–5,21), und werden so von Gott (wieder) angenommen. Die Formulierung Leben aus den Toten (ζωη` ε� κ νεκρω ñ ν [zōē ek nekrōn]), verstanden im Kontext dieser Stellen, verweist metaphorisch wahrscheinlich auf die Bekehrung einer größeren Anzahl von Heiden, die sich aus der Annahme Israels durch Gott ergibt. Die Auslegung der Wendung „Leben aus den Toten“ ist umstritten. 1. Eine nicht unbedeutende Minderheit interpretiert metaphorisch entweder im Sinn eines zukünftigen Heilsempfangs durch Israel122 oder, im Kontext der Logik des Arguments plausibler, im Sinn des Heilsempfangs der Völker.123 (a) Das erste Glied des Vergleichs handelt in beiden Sätzen von Israel (Verwerfung/Annahme); da das zweite Glied des ersten Satzes (Versöhnung der Welt) von den Völkern handelt, ist es plausibel, dass das zweite Glied des zweiten Satzes (Leben aus den Toten) ebenfalls von den Völkern handelt. (b) Paulus spricht von der Zukunft. Es ist im Kontext nicht angezeigt, dass er von der Zukunft der Wiederkunft Jesu spricht: Da V. 15 den Satz V. 13-14 begründet, in dem Paulus seine Missionsarbeit beschreibt, und da V. 15a von der gegenwärtigen Heilswirklichkeit der nichtjüdischen Jesusbekenner spricht, ist die Annahme naheliegend, dass die Wendung „Leben aus den Toten“ in V. 15b die Zukunft der apostolischen Missionsarbeit beschreibt. (c) Die Argumente, die die Interpretation im Sinn der zukünftigen Totenauferstehung als weniger plausibel erscheinen lassen (s. das Folgende), sprechen ebenfalls für ein metaphorisches Verständnis der Wendung „Leben aus den Toten“. 2. Die Mehrheit der Ausleger interpretiert in buchstäblichem Sinn, d.h. als Hinweis auf die Auferstehung der Toten124 als „letzter Akt der Heilsgeschichte“.125 Folgende Argumente ————————————————————
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Weniger plausibel ist die Interpretation im Sinn der Annahme des Evangeliums durch das ungläubige Israel; so z.B. Lohse 313 mit Anm. 15. Calvin 586-587; Leenhardt 161; Fitzmyer 613; Ziesler 276; Wright 683; Judant, Israël, 182-191; Stanley, Resurrection, 197; Wright, Climax, 248; Wright, Paul, 1198-1206. So schon Theophylact, Photius, Euthymius; vgl. Huby 390; Murray II 82-84; Stott 298299; Penna 755; Fuller, Unity, 437-438; Siegert, Argumentation, 172 Anm 42; Sänger, Verkündigung, 175-176; Nanos, Mystery, 264-274; allgemeiner Haacker 274: radikaler Umbruch vom Bösen zum Guten, der allen Völkern zugutekommen wird. So schon Origenes, Cyrill v. Alexandrien, Chrysostomus, Theodoret; vgl. Zahn 512; Barrett 199-200; Käsemann 297; Cranfield II 562-563; Schlier 331; Michel 346; Theobald I 298; Dunn II 658; Wilckens II 245; Moo 694-696; Schreiner 599; Légasse 707708; Lohse 313; Jewett 681; Hofius, All Israel, 36; Gundry-Volf, Perseverance, 173-174; Kraus, Volk Gottes, 313.Vgl. Schlatter 323, der mit Verweis auf das ε� κ die Auferstehung derer, die zum Leben gelangen, von der allgemeinen Totenauferstehung unterscheidet. Käsemann 297; Kraus, Volk Gottes, 313; s. Michel 346 („eschatologischer Gnadenakt“); Zeller 196: „Die Rückkehr Israels läutet die Endereignisse ein“. Lohse 313 lehnt einen
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 457 ———————————————————————————————————— werden angeführt: (a) Die Wendung „aus den Toten“ (ε� κ νεκρω ñ ν [ek nekrōn]) verweist fast immer auf die Auferstehung.126 (b) Die parallele Logik in V. 12.15 beschreibt einen Prozess, in dem das jeweils zweite Glied eine Klimax beschreibt, die größer, umfassender ist als das erste Glied; da dieser heilsgeschichtliche Prozess auch in V. 25-26 beschrieben wird, bleibt nach der Erwähnung von „Reichtum für die Welt“ und „Reichtum für die Völker“ in V. 12 und „Versöhnung der Welt“ in V. 15a nur die Auferstehung der Toten als Bezugsgröße. (c) Die jüdisch-apokalyptische Sicht der Heilsgeschichte, der Paulus sich anschließt, verweist auf Israels Wiederherstellung als Ereignis, das der Totenauferstehung vorausgeht.127 Folgende Einwände lassen diese Interpretation wenig plausibel erscheinen:128 (a) Das Argument, dass Paulus in 6,13 mit ω� σει' ausdrücklich auf ein metaphorisches Verständnis der Formulierung verweist, was er in 11,15 nicht tut, beweist nicht, dass in 11,15 keine metaphorische Bedeutung vorliegen kann. Die engste verbale Parallele (Röm 6,13: „Stellt euch Gott zur Verfügung als Lebende aus den Toten [ω� σει` ε� κ νεκρω ñ ν ζω ñ ντας]“; vgl. 6,11: „Be-trachtet euch im Blick auf die Sünde als Tote, aber im Blick auf Gott als Lebende im Messias Jesus [ζω ñ ντας … ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ]) verweist nicht auf die buchstäbliche Toten-auferstehung, sondern metaphorisch auf das neue Leben, das Gott den Sündern gewährt, die sich zum Glauben an Jesus bekehren. In 4,17 spricht Paulus von dem Gott, an den Abraham geglaubt hat „als den, der die Toten lebendig macht (ζω, οποιουñ ντος του` ς νεκρου' ς)“. In Gal 2,19-20 verwendet Paulus ähnliche Formulierungen wie in 11,15: Er ist dem Gesetz „gestor-ben“ (α� πε' θανον) und mit dem Messias „gekreuzigt“ worden (συνεσταυ' ρωμαι) damit er „für Gott lebt“ (θεω ñ δε` ñ, ζη' σω), sodass gilt, „Nicht mehr ich lebe, sondern der Messias lebt in mir“ (ζω ου� κε' τι ε� γω' , ζηñ, δε` ε� ν ε� μοι` Χριστο' ς). (b) Das Argument mit der Logik von V. 12.15 ist auf den ersten Blick überzeugend, verkennt aber, dass die Bekehrung einer größeren Anzahl von Heiden durchaus als fortius im Argument a fortiori, d.h. als das den Vergleich „Übersteigende“,129 verstanden werden kann – die Bekehrung der Heiden in der Gegenwart bedeutet Heil (V. 11), Reichtum für die Welt (V. 12a) und Reichtum für die Völker (V. 12b), während die Bekehrung einer sehr viel größeren Anzahl von Heiden in der Zukunft, an der eine größere Anzahl von bekehrten Juden beteiligt ist, die Wirklichkeit der Heidenmission des Jahres 56/57 n.Chr. übersteigt und dann deutlicher als zuvor als das machtvolle Handeln Gottes erkannt werden kann, der „die Toten lebendig macht und dem Nichtseienden ruft, damit es sei“ (4,17) und so die an Abraham ergangene Verheißung im Blick auf ihre universale Gültigkeit erfüllt. (c) Weder die Wendung „Versöhnung der Welt“ noch „Leben aus den Toten“ spielen in der jüdischen Apokalyptik eine Rolle. Und von festliegenden eschatologischen Prozessen, die stufenweise aufeinander folgen und denen sich Paulus anschließt, kann man im Blick auf V. 15 und den Kontext der Aussage schon deshalb nicht sprechen, weil in der atl.-jüdischen Skizzierung des eschatologischen Planes Gottes nicht davon die Rede ist, dass der Unglaube Israels zum Heil der Völker führt, dass die Rettung von Nichtjuden Israel zur Eifersucht provoziert und dass Israel im Anschluss an die Heiden Heil erfährt – ganz abgesehen davon, dass der jüdische „Endzeitplan“ weder einen ————————————————————
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Verweis auf konkretes apokalyptisches Geschehen ab. Schwindt, Wurzel, 68 will die buchstäbliche mit der metaphorischen Interpretation verbinden. Mt 17,9; Mk 6,14; 9,9.10; 12,25; Lk 9,7; 16,31; 20,35; 24,46; Joh 2,22; 12,1.9.17; 20,9; 21,14; Apg 3,15; 4,2.10; 10,41; 13,30.34; 17,31; Röm 4,24; 6,4.9; 7,4; 8,11; 10,7.9; 1Kor 15,12.20; Gal 1,1; Eph 1,20; Phil 3,11; Kol 1,18; 2,12; 1Thess 1,10; 2Tim 2,8; Hebr 11,19; 13,20; 1Petr 1,3.21. Käsemann 297; Moo 696; Allison, Background; Allison, Suggestion; vgl. TestDan 6,4; TestSim 6,2-7; TestJud 23,5; syrApkBar 78,6-7; 4Esr 4,38-43; bSanh 97b-98a u.a. S. die Argumente der in Anm. 122-123 genannten Autoren. Zum Argument a fortiori vgl. Siegert, Argumentation, 70.190-191. Siehe zu 5,9.
458 Römerbrief ———————————————————————————————————— gekreuzigten und auferstandenen Messias noch eine aktive Missionsverkündigung unter den Völkern kannte. Paulus schreibt in 11,11-24 nicht vom Kommen der Völker zum Zion, die dort, d.h. in Israel, das Heil finden, sondern umgekehrt von der Notwendigkeit der Annahme Israels durch Gott, die stattfindet, nachdem und weil die Völker durch die Gnade Gottes im Anschluss an den Messias Israels zuvor das Heil erhalten haben. (d) Da V. 15 begründend (γα' ρ) an den Satz V. 13-14 anschließt, in dem Paulus von seiner Missionsverkündigung unter den Völkern schreibt, ist nicht zu erwarten, dass Paulus mit der Formulierung „Leben aus den Toten“ eine völlig neue Perspektive einführt. (e) Die Aussage kann auf dem Hintergrund von Deut 32,39 („Ich bin es, der tötet und der lebendig macht. Ich habe verwundet; nur ich werde heilen“; EÜ) verständlich gemacht werden, einer Aussage des Moseliedes, das Paulus in 10,19 (Deut 32,21) zitiert hatte und in 12,19 (Deut 32,35) und 15,10 (Deut 32,43) wieder zitieren wird.130 Paulus hatte den in Deut 32,21 angedeuteten Gedanken eines „Wettbewerbs“ zwischen Israel und den Völkern in 10,19; 11,11.14 aufgegriffen; das in Deut 32 angesprochene Verhältnis zwischen Israel und den Völkern berührt sich mit Gerichtsdrohungen in Deut 28,43-44, die dieses Verhältnis umgekehrt proportional beschreiben: Gottes Gericht an Israel bringt den Völkern einen Nutzen. Andererseits schreibt Paulus vom Segen Gottes für Israel, der auch für die Völker Segen bedeutet, was auf der Linie der an Abraham ergangenen Verheißung (Gen 12,2-3; 18,18, zitiert in Gal 3,8) liegt und in Röm 11,14 anklingt. (f) Wenn Paulus auf die Auferstehung der Toten verweisen wollte, hätte er statt ζωη` ε� κ νεκρω ñ ν ([zōē ek nekrōn], „Leben aus den Toten“) entweder ζωη` αι� ω' νιος ([zōē aiōnios], „ewiges Leben“)131 oder α� να' στασις νεκρω ñ ν ([anastasis nekrōn], „Auferweckung der Toten“)132 schreiben können, was er aber nicht getan hat. Das absolut gebrauchte ζωη' [zōē] verweist bei Paulus an keiner Stelle auf die Auferstehung der Toten. Der metaphorische Verweis auf die Auferweckung (Hes 37,1-4; Hos 6,1-2; Esr 9,8-9) ist traditionsgeschichtlich mindestens genauso prominent wie die Erwartung der realen Aufer-weckung der Toten (Jes 26,19; Dan 12,1-2; vgl. TestJud 25; TestBen 10,6-11).133 Paulus verbindet „Versöhnung“, „Tod“ und „Leben“ in 5,10 in einem ähnlichen Schluss a fortiori: Gott hat uns durch den Tod Jesu versöhnt, als wir Feinde waren, und wir werden umso gewisser als Versöhnte durch sein Leben gerettet werden.
Paulus stellt heraus: Sowohl die Verwerfung als auch die Annahme Israels führen zum „Reichtum“ (V. 12) für die Völkerwelt – die Verhärtung Israels führte und führt zur Rettung der Heiden, die sich im Gefolge der apostolischen Verkündigung des Evangeliums zum Glauben an Jesus bekehren; die Annahme Israels wird die Bekehrung einer noch größeren Anzahl von Heiden zur Folge haben, unter denen Paulus von Jerusalem bis Illyrien missioniert hat und die er jetzt in Spanien „am Ende der Erde“ erreichen will (15,19.24.28). Verglichen mit der „Versöhnung der Welt“ ist das „Leben aus den Toten“, d.h. die Heilswirklichkeit des neuen Lebens einer großen Zahl von Heiden, als Wirklichkeit der Vereinigung mit dem Tod und der ————————————————————
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Haacker 274, s. ebd. für das Folgende; vgl. Penna 755; Seifrid 672. Vgl. 2,7; 5,21; 6,22.23; 1Tim 1,16; 6,12; Tit 1,2; 3,7. Vgl. 1,4; 1Kor 15,12.13.21.42. Haacker 274 hält das metaphorische Reden von Auferweckung für älter, was nur dann nachvollziehbar ist, wenn man Jes 26,19 spät datiert.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 459 ————————————————————————————————————
Auferstehung des Messias Israels nun wirklich keine Antiklimax.134 Worauf es Paulus im Kontext ankommt ist der Punkt, dass die Jesusbekenner aus den Heiden „gegenwärtig wie zukünftig nicht losgelöst vom Geschick Israels an Gottes Heil teilhaben“.135 16 In der Erläuterung der heilsgeschichtlichen Priorität Israels in V. 16-24 betont Paulus, dass das Volk Israel in Gottes Geschichte mit der Welt eine Zukunft hat, auch wenn gegenwärtig nur ein Rest an den Messias Jesus glaubt. Die beiden Analogien in V. 16 verdeutlichen das Verhältnis Israels zu den Heidenchristen. Die erste Analogie stammt vom Opfern: Wenn aber die Erstlingsgabe heilig ist, dann ist auch der ganze Teig heilig (V. 16a). Mit den Wörtern „Erstlingsgabe“ (α� παρχη' [aparchē]) und „Teig“ (φυ' ραμα [phyrama]) spielt Paulus auf Num 15,20-21 an. Die Israeliten mussten vom ersten Brotteig der neuen Getreideernte einen kleinen Teil als „Erstlingsgabe von eurem Brotteig“ (; ֵראִׁשית ֲע ִרֹסֵתֶכם136 LXX α� παρχη` ν φυρα' ματος [aparchēn phyramatos]) abgeben. Die Praxis, einen Teil der Nahrung Gott zurückzugeben, war auch in heidnischen Kulten bekannt; manchmal wurden Opfergaben an die Götter auch als α� παρχη' bezeichnet (mit der allg. Bedeutung von „Gabe“). Die Auskunft, dass die Darbringung von Erstlingsgaben die ganze Ernte heiligt,137 lässt sich weder an atl. noch an frühjüdischen Texten verifizieren: Die kultische Heiligkeit der Erstlingsgabe wird nicht auf die nachfolgende Ernte übertragen, „sondern durch die Übergabe der Erstlingsgaben an den Kult wird die Ernte erst für den Konsum durch alle (und nicht nur dem Kult geweihte) Israeliten freigegeben“.138 Rengstorf betont, dass das Ganze, von dem ein Teil zum Opfern vorgesehen ist, bis zum Vollzug des Opfers als heilig gilt.139 Die Heiligkeit dieses „Ganzen“ galt nur vorübergehend und wurde nach dem Opfern aufgehoben. Als Bild für die auch gegenwärtig gültige Heiligkeit Israels eignet sich die Formulierung nicht. Eine andere Erklärung bietet Vahrenhorst: Der Aussage liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Nahrung, die ein Israelit essen will, eigentlich Gott gehört und deshalb heilig ist; diese Heiligkeit wird aufgehoben, wenn man ————————————————————
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Gegen Dunn II 658. Von einem zukünftigen Geschehen, „das das gegenwärtige Geschehen unendlich übertrifft“ (Wilckens II 245), ist im Text nichts zu erkennen – Argumente a fortiori vergleichen, ohne dass die Kategorie „Unendlichkeit“ eine Rolle spielt. Schwindt, Wurzel, 68. [ ֵראִׁשיתrē’schīt] ist die „Erst- bzw. Bestabgabe“ und gehört zu den Hebopfern (ְּתרו ָּמה [terūmāh]; vgl. HAL s.v. ; ֵראִׁשיתT.Seidl / L. Wächter, Art. ְּתרו ָּמה, ThWAT VIII, 758-764. Zu den Erstlingsgaben s. White, Erstlingsgabe, 17-68. Zu α� παρχη' s. zu 8,23. Vgl. Michel 347; Käsemann 298; Wilckens II 246; immer noch Jewett 682. White, Erstlingsgabe, 85; vgl. Schwindt, Wurzel, 69; so schon Lagrange 279; Cranfield II 563; Dunn II 658; vgl. Haacker 275. Rengstorf, Ölbaum-Gleichnis, 129; im Anschluss daran Kraus, Volk Gottes, 314 u.a.
460 Römerbrief ———————————————————————————————————— über dem Essen eine Benediktion spricht; wer ohne einen Segensspruch gesprochen zu haben ißt, begeht ein Sakrileg.140 Die Argumentation von Paulus setzt allerdings voraus, dass der nach der Abgabe der Erstlingsgabe (Teighebe) verarbeitete und gegessene Teig heilig ist. Dunn vermutet, dass hier das pharisäische Erbe des Paulus sichtbar wird.141
Paulus verwendet α� παρχη' in 1Kor 15,20.23 für den auferstandenen Jesus als „Erstling der Entschlafenen“, in 1Kor 16,15 für die Familie des Stephanas als die ersten in Achaia bekehrten Menschen, in Röm 8,23 für die Erstlingsgabe des Geistes, den die Glaubenden jetzt schon haben. Diesen Belegen gemeinsam sind die Aspekte des Anfangs und der Repräsentanz. Dies bedeutet für die Logik von 11,16: „Was von der repräsentativen Anfangsgabe gilt, gilt auch von der Größe, die sie repräsentiert.142 Wenig plausibel sind Interpretationen von α� παρχη' im Sinn von 1. Adam: Im Kontext ist ein Verweis auf Adam wenig sinnvoll und nach 5,12-21 ist Adam kaum als Quelle von Heiligkeit zu verstehen;143 2. Israel als Ganzes144 oder Jesus Christus: Die angeführte Parallele 1Kor 7,14 ist für das Verständnis von V. 16a weniger wichtig als der unmittelbare Kontext.145
Zwei Interpretationen sind für V. 16 am plausibelsten. 1. Mit „Erstlingsgabe“ ist Abraham bzw. die Patriarchen gemeint, die „heilig“ (α� γι'α [hagia]; s. zu 1,7) sind und die Heiligkeit Israels im Sinn der Erwählung garantieren.146 Für diese Auslegung spricht die Anrede der Heidenchristen in 11,13 sowie der Verweis auf die Erzväter in 9,5 und 11,28. 2. Mit „Erstlingsgabe“ ist der an Jesus glaubende Rest in Israel gemeint, d.h. die Judenchristen, und „Teig“ verweist auf das Volk Israel als Ganzes, von des————————————————————
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Vahrenhorst, Kultische Sprache, 293, mit Verweis auf Maier, Benediktion, 389, der allerdings Röm 12,1 nicht behandelt. Dunn II 658-659; im Anschluss daran Vahrenhorst, Kultische Sprache, 293-294. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 292. Rengstorf, Ölbaum-Gleichnis, 130-135 mit Verweis auf pSchab 5b,41-42. Zur Kritik s. Dunn II 659; Kraus, Volk Gottes, 315 Anm. 296; Hartung, Logik, 129. Haacker 275; Robinson, Branches, 165. Zur Kritik s. White, Erstlingsgabe, 81. Barth, Kirchliche Dogmatik II/2, 313-314; Hanson, Studies, 111; Wright, Messiah, 186 (verworfen in Wright 684); Starnitzke, Struktur, 340-353. Vgl. Sanday/Headlam 326; Cranfield II 564; Käsemann 298; Schlier 322; Michel 347348; Wilckens II 246; Moo 700; Schreiner 600; Lohse 313; Hofius, Evangelium, 187; Bourke, Olive Tree, 75-76; Kraus, Volk Gottes, 314; Schmeller, Diatribe, 296; Schwindt, Wurzel, 69-70; Vahrenhorst, Kultische Sprache, 295. G. Delling, Art. α� παρχη' , ThWNT I, 484 bezieht α� παρχη' ausschließlich auf Abraham. Jewett 682 interpretiert im Sinn einer allgemeinen Prämisse. Das Adjektiv α� γι' α wird nach φυ' ραμα und nach κλα' δοι nicht mehr wiederholt (α� πο` -κοινουñ -Konstruktion: Ein Element, das zwei Satzgliedern gemeinsam ist, kann ausgelassen werden; HvS §293b).
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 461 ————————————————————————————————————
sen Heil Paulus im Kontext spricht.147 Für diese Interpretation spricht der Kontext 11,1-10 und die Verwendung von α� παρχη' für „erste Gläubige“ (Röm 16,5; 1Kor 16,15; 2Thess 2,13). Beide Interpretationen ergeben einen guten Sinn. Die mögliche Anspielung auf Jer 2,3, dem einzigen biblischen Text, der wie Paulus die Motive Israel, Erstlingsgabe und kultische Heiligkeit miteinander verbindet (und den in Deut 26 beschriebenen kultischen Kontext metaphorisch aufnimmt und auf die Generation Israels vor und nach der Landnahme bezieht, die Gott die Treue hielt),148 unterstützt diese Interpretation. Wenn man die Analogie der Erstlingsgabe mit der folgenden Analogie der Wurzel und der Zweige als Parallelen versteht, die genau dieselben Bezugspunkte haben, wäre allerdings die erste Erklärung vorzuziehen (Patriarchen/Israel). Eine synonyme Erklärung der beiden Analogien ist jedoch nicht zwingend. Paulus kann den Status Israels in komplementärer Weise darstellen: Die ersten an den Messias Jesus glaubenden Juden sind ein Vorgriff auf die Heilsteilhabe Israels bzw. einer noch weit größeren Anzahl von Juden (V. 12a/16a), und die Verheißung an die Erzväter sichert die Treue Gottes gegenüber dem Volk Israel als Ganzem (V. 12b/16b).149 Die zweite Analogie stammt aus der Landwirtschaft: und wenn die Wurzel heilig ist, dann sind auch die Zweige heilig (V. 16b). Dieses Bild macht wie das Bild von der Erstlingsgabe und dem Teig eine quantitative Aussage (Teil/Ganzes), ohne allerdings das „Ganze“ (den Baumstamm) zu nennen: Den Wurzeln werden die Zweige gegenübergestellt. In der erweiterten Metapher vom Ölbaum in V. 17-24 wird dann der ganze Baum erwähnt. Die Abhängigkeit der Zweige von der Wurzel kommt im AT häufiger vor.150 Israel wird metaphorisch als Pflanzung Gottes beschrieben,151 ————————————————————
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Kühl 385; Barrett 216; Cranfield II 564; Fitzmyer 614; Wright 684; Bell, Jealousy, 118120; Bell, Call, 274-275; Nanos, Branches, 351; Wright, Paul, 1212. Dunn II 659 interpretiert α� παρχη' im Sinne der Juden- und Heidenchristen, die als Erste an das Evangelium geglaubt haben, und φυ' ραμα als alle, die Same Abrahams sind. White, Erstlingsgabe, 82-96: Paulus aktiviert den Bezug der Erstlingsgabe zum ganzen Teig, während der Bezug der Erstlingsgabe zur ganzen Getreideernte implizit in der Argumentation von V. 25b-26 vorhanden ist. Dunn II 659: „In this way v 12 provides a transition from the argument of vv 11-15 (v 16a) to the warning against Gentile boasting over Jew in vv 17-24 (v 16b)“. Vgl. Lietzmann 104; Gaugler II 191; Leenhardt 163; Bruce 217; Cranfield II 564; Fitzmyer 614; Bell, Call, 274-277, die sich ebenfalls nicht gezwungen sehen, die Sachhälfte von α� παρχη' und ρ� ι' ζα in den beiden Metaphern gleich zu bestimmen. Hi 18,16; Jer 17,8; Hes 31,7; Hos 9,16; vgl. Sir 1,20; 40,15. Vgl. Stellen, in denen Israel als Weinstock beschrieben wird: Ps 80,8-18; Jer 2,21; Hes 17). Vgl. Dunn II 659; C. Maurer, Art. ρ� ι' ζα, ThWNT VI, 985-988. Ps 92,13-15; Jer 11,17; vgl. PsSal 14,3-4; äthHen 84,6; 1QH VI,15-16; VIII,5-10.
462 Römerbrief ————————————————————————————————————
häufig als gerechte Pflanze,152 oft in einem eschatologischen Kontext,153 wo von der messianischen Hoffnung eines gerechten Sprosses aus der Linie Davids die Rede ist.154 Die Wurzel der Pflanzung „Israel“ wird in der frühjüdischen Tradition mit Abraham (äthHen 93,5.8; Philo, Her 279) oder mit Isaak (Jub 21,24) identifiziert.155 Die „Wurzel“ (ρ� ι'ζα [rhiza]) ist hier sicher in diesem Sinn eine Metapher für die Erzväter, und die „Zweige“ (κλα' δοι [kladoi]) für ihre Nachkommen. Wie die Erzväter heilig (α� γι' α [hagia]), d.h. Gott zugehörig, sind, so gilt dies ebenso für ihre Nachkommen. Was für Abraham, Isaak und Jakob gilt, deren Zugehörigkeit zu Gott in der gnädigen Erwählung durch Gott gründet (vgl. 9,6-13), gilt auch für ihre Nachkommen. Manche wollen deshalb die „Wurzel“ nicht direkt mit den Patriarchen identifizieren, sondern mit Gottes Erwählung als seine voraussetzungslose Gnade, von der die Existenz Israels abhängt.156 Das von Paulus nicht „übersetzte“ Bild darf angesichts der Ausführungen in V. 17-24 nicht dahingehend interpretiert werden, er meine, „alle Israeliten“ seien „als Zweige des Baumes, dessen Wurzel die Erzväter sind, geheiligt und haben teil an der Erwählung der Väter“.157 Bereits im ersten Satz der Ausführung des Bildes von den Wurzeln und den Zweigen betont Paulus, dass einige von den Zweigen ausgebrochen wurden (V. 17), eine Aussage, die in V. 19 und V. 20 explizit und in V. 21.22 implizit wiederholt wird. Weil „Wurzel“ parallel zu „Rest“ (λειñμμα) verwendet wird (Sir 47,22; vgl. 2Kön 19,30; Jes 37,31; Esdras I 8,75.8486), könnte es im Kontext von 11,5 sein, dass Paulus mit der „Wurzel“ auch auf den „Rest“, d.h. auf die Judenchristen, verweist.158 Bei dieser Interpretation besteht die Gefahr, dass der im Folgenden wichtige Unterschied zwischen der Wurzel und den Zweigen eingeebnet wird.
Die Bilder in V. 16 sollten nicht automatisch mit Deutungen belastet werden, die sich erst aus der Metapher vom Ölbaum in V. 17-24 ergeben. Paulus betont in V. 16 die Kontinuität der Treue Gottes in Israels Geschichte, eine Kontinuität, „die auch irdische Kontinuität ermöglicht“, ohne dass er die Einzelheiten genauer erörtert (im Unterschied zu 9,6-13, wo Paulus Gottes Erwählung betont, die „immer wieder irdische Kontinuität zerschlägt“.159 ————————————————————
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Jub 1,16; 7,34; 16,26; 21,24; 36,6; äthHen 10,16; 93,2-10. Jes 60,21; 61,3; Jer 32,41; Am 9,15; vgl. Jub 1,16; äthHen 93,10; 1QS XI,8; CD I,7. Jes 11,1.10; Jer 23,5; 33,15; Sach 3,8; 6,12; vgl. TestJud 24,5; 4QPatr 3–4; 4QFlor I,11. Vgl. Rengstorf, Ölbaum-Gleichnis, 140-143. Schlatter 325, der die „Wurzel“ auf den „Vorsatz der göttlichen Gnade“ deutet, aus dem „das Dasein der Gemeinde und ihre ganze Ausrüstung und Fruchtbarkeit entstand“; vgl. Barclay, Gift, 550 u.a. Wilckens II 246, mit Verweis auf Berger, Abraham, 84, der jedoch nicht individualisierend, sondern kollektiv formuliert: „Israel bleibt wegen der Heiligkeit der Väter ein heiliges Volk“. Ähnlich Lohse 313: „Ursprung und Herkunft Israels … bewirken, daß der gesamte Baum mit allen Zweigen Gott gehört“. Dunn II 660; vgl. Barrett 216; Osten-Sacken, Schibbolet, 303. Zum folgenden Punkt vgl. Schwindt, Wurzel, 71.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 463 ————————————————————————————————————
17 Im Bild160 vom Ölbaum V. 17-24 steht der wilde Ölbaum (α� γριε' λαιος
[agrielaios]) bzw. dessen Zweige für die Jesusbekenner aus den Völkern (Heidenchristen), der (edle) Ölbaum (ε� λαι'α [elaia]) für das Volk Israel. Der von Paulus beschriebene Vorgang des Aufpfropfens (ε� γκεντρι' ζω [enkentrizō] ist terminus technicus) ist gerade in seiner stringenten Unterschiedenheit von der in der Antike üblichen Praxis Beleg dafür, dass Paulus „recht gut über die Biologie des Ölbaums informiert gewesen sein“ muss.161 Die wiederholte direkte Anrede der Jesusbekenner nichtjüdischer Herkunft in den stadtrömischen Gemeinden in V. 18.19.20.21.22.24 dokumentiert die paränetische Zielsetzung des Bildwortes, die in V. 18 mit „erhebe dich nicht“ auf den Punkt gebracht wird. Es ist möglich, dass Paulus mit dieser Mahnung auf Verhältnisse in den römischen Gemeinden anspielt, die nach dem Claudiusedikt des Jahres 49 n.Chr. (Band I, 25.34) ihre jüdischen Mitglieder verloren hatten und sich möglicherweise den zwischen 54-56 n.Chr. zurückgekehrten Juden gegenüber arrogant verhielten.162 Sicher ist dies jedoch nicht. Die Warnungen gegen Überheblichkeit in V. 18.20 können genauso gut die Tatsache zum Hintergrund haben, dass Paulus wusste, dass viele der neugegründeten Gemeinden mehrheitlich Heidenchristen als Mitglieder hatten, die Judenchristen sich in der Minderheit befanden und die Gefahr bestand, dass die Heidenchristen ihre Zugehörigkeit zur Familie Abrahams vergessen und damit ihre heilsgeschichtliche Herkunft ausblenden, ohne zu merken, dass sie damit ihre Identität als Glieder des messianischen Volkes Gottes aufs Spiel setzen. Der Ölbaum spielt im Alten Testament immer wieder eine wichtige Rolle, angefangen vom Olivenzweig, den die von Noah freigelassene Taube als Zeichen neuen Lebens zur Arche zurückbringt (Gen 8,11). In der Beschreibung der Fruchtbarkeit des gelobten Landes wird auch der Ölbaum genannt (Deut 8,8; vgl. 2Kön 18,32). In der Jotham-Fabel steht der Ölbaum an der Spitze der Pflanzen (Ri 9,8-9). In der poetischen Literatur ist der Ölbaum oft ein Bild des Segens Gottes im Sinn von Leben, Vitalität und Fruchtbarkeit (Ps 52,10). Olivenöl, gewonnen aus der Frucht des Ölbaums, ————————————————————
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Käsemann 298, aufgenommen von Dunn II 660. Michel 348; Haacker 277 („mit Einschränkung“); Siegert, Argumentation, 167-169 u.a. sprechen von Allegorie, Käsemann 298; Cranfield II 565-566 u.a. von metaphorischer Redeweise. Die Aufnahme einer älteren Tradition (Michel 349) ist nirgends zu erkennen. Hartung, Logik, 138, gegen die Kritik von Lietzmann 105 (vgl. Dodd 189; Lohse 314), Paulus habe als „Stadtkind“ keine Ahnung von der Ölbaumveredelung gehabt. Der in der direkten Anrede mit der 2. Pers. Sing. vorliegende Diatribenstil schließt diese Möglichkeit nicht automatisch aus.
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wurde im Tempelkult (Ex 29,40; Num 36,5), beim Kochen (1Kön 17,12), in der medizinischen Versorgung (Jes 1,6), in der Kosmetik (Koh 9,7-8) und im Export (1Kön 5,11; 2Chron 2,14-15; Esr 3,7) verwendet. Als Analogie für Israel kommt der Ölbaum in Hos 14,6; Jer 11,16 vor, eine Metapher, die für das Bild vom Ölbaum in Röm 11,17-24 sicherlich wichtig war, aber nicht automatisch bestimmend ist – das Bild ist auch ohne Kenntnis von Hos 14,6; Jer 11,16 verständlich. Die Bedeutung des Ölbaums und des Olivenöls in Griechenland und in Rom macht das Bild in Röm 11,17-24 auch heidenchristlichen Lesern eindrücklich, denen solche atl. Konnotationen nicht bekannt waren. Theophrast (372–287 v.Chr.), ein Schüler von Aristoteles, und Columella, ein römischer Autor des 1. Jh.s n.Chr., beschreiben die Biologie des Ölbaums mit erstaunlich großem Kenntnisreichtum.163 Der Ölbaum gehört zur Gattung Olea, die weltweit ca. 35 Arten umfasst. Im Mittelmeerraum kommen zwei Arten vor. Die Wildform des Ölbaums (Olea europaea var. sylvestris [oleaster]), die Theophrast als κο' τινος [kotinos] bezeichnet, ist ein immergrüner, aus mehreren Stämmen bestehender Strauch mit vierkantigen, verdornten Zweigen, kleinen Blättern und kleinen, ungenießbaren Früchten, die einen nur geringen Ölgehalt aufweisen. Die Saatprodukte und einige Wurzelschösslinge kultivierter Ölbäume ergeben Wildlinge.164 Paulus verweist in 11,17 mit dem Begriff α� γριε' λαιος [agrielaios] offensichtlich auf die wilde Variante des Ölbaums. Die kultivierte Form (Olea europaea var. sativa) ist ein immergrüner, bis zu 15 Metern hoher Baum mit knorrigem Stamm, ausladender Krone und genießbaren Früchten. Der kultivierte Ölbaum ist offensichtlich das Ergebnis eines langen Zuchtverfahrens in der Antike, durch das die Wildform durch die Auslese von Pflanzen, die bessere Früchte trugen, veredelt wurde. Der kultivierte Ölbaum kommt in der Natur sonst nicht vor. Paulus verweist mit dem Wort ε� λαι' α [elaia] auf den kultivierten Ölbaum. Da der Ölbaum ständig neue Wurzeln hervorbringt, die sowohl unter der Erde wie über der Erde liegen und eine drei- bis vierfache Baumlänge erreichen können, ist er mehr Wurzel als Stamm. Weil die Ölbaumkultur im Mittelmeerraum ein bedeutender Wirtschaftsfaktor war, was die ausführliche Behandlung in den antiken Quellen dokumentiert, kann man davon ausgehen, dass Paulus wusste, dass der edle Ölbaum seinen Ursprung im wilden Ölbaum hat, was allerdings in Röm 11,17-24 nicht zum Tragen kommt (im Anschluss an Röm 4, wo Paulus Abrahams Glaube an den, der den Gottlosen rechtfertigt [4,5] betont, hätte Paulus die historische Priorität des wilden Ölbaums als Bild für den „Heiden“ Abraham und damit als Mahnung an Israel verwenden können, Abrahams Glaube als grundlegende Wirklichkeit des richtigen ————————————————————
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Morettini, Ölbaum; Hartung, Logik, 131-139; Schwindt, Wurzel, 77-79; H. Schneider, Art. Speiseöle, DNP XII/2 (2002) 1118-1122. Die grundlegenden Texte sind Theophrast, Historia plantarum; ders., Causae plantarum; und Columella, De re rustica. Vgl. auch das Gedicht über Baumveredelung von Palladius, Carmen de Insitione (5. Jh. n.Chr.). Columella bezeichnet den Ölbaum als den wichtigsten aller Bäume (prima omnium arborum est; Rust 5,8,1-2). Theophrast, HistPl 2,2,5 bezeichnet Wildformen, die aus dem Samen des kultivierten Ölbaums hervorgegangen sind und von den wirklichen Wildformen unterschieden sind, als α� γριε' λαιος [agrielaios]; diese Unterscheidung kommt nur hier vor; er verwendet sonst immer κο' τινος als Bezeichnung des wilden Ölbaums.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 465 ———————————————————————————————————— Verhältnisses zu Gott zu akzeptieren). Die übliche Methode der Vermehrung des Ertrags eines Ölbaums verwendete Knospen oder Zweige eines kultivierten Ölbaums, die auf die Zweige eines wilden Ölbaums gepfropft wurden, weil die Wildunterlage besonders „stark“ ist (δια` τη` ν ι� σχυ` ν τω ñ ν υ� ποκειμε' νων); es ist deshalb empfehlenswert, zuerst wilde Ölbäume zu pflanzen, auf die man später kultivierte Zweige pfropfen kann, die besser am stärkeren Baum halten.165 Eine Inschrift von Mykonos listet 147 kultivierte Ölbäume, 87 wilde Ölbäume mit eingepfropften Schösslingen von edlen Ölbäumen und 200 wilde Ölbäume auf.166 Die Vermehrung von Stecklingen war eine schnellere Methode, aber die Stecklinge schlugen nur schlecht Wurzeln.167 Das heißt, die fruchtbarsten Ölbäume sind „edle Ölbäume, die eine wilde Wurzel und einen edlen Stamm mit edlen Zweigen besitzen … Gängigste Methode beim Pfropfen ist die, daß der zurückgeschnittene und gespaltene Baum die zugeschnittenen edlen Reiser aufnimmt. Die aufgepfropften Zweige ernähren sich nun vom Saft der wilden Unterlage. In der Regel werden alle wilden Äste entfernt, damit die Kraft des Baumes nur den Edelreisern zugute kommt“.168 Nach Theophrast ist der wilde Ölbaum langlebiger und weniger krankheitsanfällig als der kultivierte, edle Ölbaum.169
Die Tatsache, dass Paulus in seinem Bild vom Ölbaum von der Wurzel und den Zweigen spricht, nicht aber vom Stamm, ist, nicht überraschend, weil der Ölbaum mehr Wurzel als Stamm ist. Das heißt, die Frage, was der Ölbaum neben Wurzel (= Abraham)170 und Zweigen (= Juden des kultivierten Ölbaums, Heiden des wilden Ölbaums, Juden- und Heidenchristen des neu kultivierten Ölbaums)171 darstellt, ist nicht sinnvoll.172 Wenn man die ————————————————————
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Theophrast, CausPl 1,6,10. I.Delos II 366 B, Zeilen 8-25. Vgl. Jewett 684 mit Verweis auf Esler, Conflict, 303. Theophrast, HistPl 2,1,2; Columella, Rust 5,10,6: „Gepfropfte Bäume sind fruchtbarer als ungepfropfte, d.h. als solche, die als Zweige oder bewurzelte Bäume gesetzt sind“. Hartung, Logik, 137; vgl. Columella, Rust 5,11,11; Theophrast, CausPl 1,6,10. Theophrast, HistPl 4,13,1; 4,14,1-2. Vgl. Wilckens II 246-247; Stuhlmacher 152; Zeller 196; Rengstorf, Ölbaum-Gleichnis, 138-141; Sänger, Verkündigung, 128; Kraus, Volk Gottes, 317; vgl. Hofius, Evangelium, 186-187: „Die ‚Wurzel des Ölbaums‘ … ist Abraham, und zwar als Träger der in Christus erfüllten Heilsverheißung.“ Manche interpretieren im Sinn der Erzväter insgesamt (Kontext 9,5; 11,28): Cranfield II 567; Moo 704; Lohse 314; Schmeller, Diatribe, 317. In V. 17 können die „Zweige“ nur dann als „Glieder der Heilsgemeinde, die als solche ‚Kinder Abrahams‘ im geistlichen Sinne sind“ identifiziert werden (Hofius, Evangelium, 187), wenn man die Situation am Ende von V. 17 voraussetzt, d.h. von den aus dem edlen Ölbaum ausgehauenen Zweigen absieht. Das ist offensichtlich die Interpretation von Hofius, der ebd. 187 Anm. 45 von „Juden- und Heidenchristen“ spricht. Schwindt, Wurzel, 75-82, in der Auseinandersetzung mit der messianischen Deutung des Ölbaums auf Jesus Christus (Bourke, Olive Tree, 40.79-80; Neubrand/Seidel, Ölbaum, 70-71), die nur dann plausibel ist, wenn man die Wurzel mit Jesus Christus identifiziert (so Origenes IV 293-294; Barth, Kirchliche Dogmatik II, 314; vgl. Hanson, Studies, 119; Wright 684; anders Wright, Paul, 1218: Die Wurzel ist Abraham). Nicht überzeugend und durch den Kontext ausgeschlossen ist die Interpretation von Mußner, Mitteilhaberin, 153-154, nach dem Wurzel, Stamm und Zweige des Ölbaums für Israel stehen, mit der Folgerung, dass „die Kirche“ in Israel verwurzel sei: Paulus bindet Wurzel und Zweige gerade nicht zusammen; richtig Schwindt, ebd. 71.
466 Römerbrief ————————————————————————————————————
Sachhälfte des Ölbaums, dessen Wurzel und Zweige von Paulus thematisiert werden, bestimmen will, dann im Kontext am plausibelsten mit der Gesamtheit der Menschen, die, beginnend mit Abraham, Isaak und Jakob „unter dem erwählenden Handeln Gottes und seiner Verheißung stehen und sie im Glauben annehmen“, wobei der Glaube im Zusammenhang von 11,20.23 der Glaube an Jesus Christus ist.173 Paulus greift in 11,17-24 in seinem Bild von ausgebrochenen und eingepfropften Zweigen eines Ölbaums die Methode der Kultivierung von Ölbäumen auf, spricht aber nicht vom Ausbrechen der Zweige des wilden Ölbaums und vom Einpfropfen von edlen Zweigen in den wilden Ölbaum, sondern genau umgekehrt vom Ausbrechen von Zweigen eines edlen Ölbaums und vom Einpfropfen von wilden Zweigen in den edlen Ölbaum. Man hat dies mit dem Hinweisen auf das Aufpfropfen von Wildlingen auf edle Bäume174 erklären wollen, das der Verjüngung der Edelpflanze dient.175 Diese Erklärung ist nicht überzeugend.176 Paulus betont im Kontext nicht die Verjüngung des edlen Ölbaums im Sinn einer (messianischen) Revitalisierung Israels, die mit diesem Hintergrund angesprochen wäre, sondern er wendet den Vorgang des Aufgepfropftwerdens auf die Heidenchristen an, die sich nicht über Juden und Judenchristen überheben sollen. Und der Hinweis auf diese Praxis kann nicht erklären, weshalb Paulus überhaupt dieses Bild vom Einpfropfen verwendet, wenn er von der traditionellen, jahrhundertelangen Praxis abweicht, und weshalb er vom Wiedereinpfropfen von ausgebrochenen Zweigen spricht, die man üblicherweise verbrannt hat. Deshalb ist die Interpretation plausibler, die davon ausgeht, dass Paulus absichtlich von der allgemein bekannten Praxis der Kultivierung von Ölbäumen abweicht. Paulus stellt einen zur gängigen Praxis konträren Vorgang heraus, „um zu zeigen, daß Gott in seinem Handeln völlig frei und unabhängig von irgendwelchen äußerlichen Faktoren ist“.177 Dieses Anliegen zeigt ————————————————————
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Schwindt, Wurzel, 83. Vgl. Walter, Interpretation, 223: „Vom Rechtfertigungsgeschehen her, das alle Menschen – Juden wie Heiden – in die gleiche Position vor Gott bringt, kann es nach Paulus nur ein gemeinsames Volk aller ‚Abrahamskinder‘, und das heißt ja: aller Glaubenden aus Juden und Heiden geben“ (zitiert auch von Lohse 315). Vgl. Theophrast, CausPl 1,6,10; Columella, Rust 5,9,16; Palladius, Insit 53-54. Ramsay, Olive Tree; Baxter/Ziesler, Arboriculture; vgl. Dunn II 661; Fitzmyer 614. Cranfield II 566; Moo 703; Wright 684; Jewett 684; Hartung, Logik, 139. Hartung, Logik, 138. Die Erklärung von Moo 703, Paulus lasse sich nicht von den natürlichen Grenzen der Metapher bestimmen, sondern erlaube dem von ihm illustrierten theologischen Prozess, die Einzelheiten der Metapher zu beeinflussen, ist deshalb nicht befriedigend, weil sie die Frage aufwirft, weshalb Paulus nicht auf die Metapher vom Ölbaum verzichtet oder eine andere Metapher gewählt hat. Siegert, Argumentation, 167 meint, die von Kommentatoren festgestellte Schieflage verschwinde, wenn man V. 17-24 konsequent als Allegorie interpretiert; im Anschluss daran Kraus, Volk Gottes, 315.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 467 ————————————————————————————————————
sich in der Vorstellung vom Wiedereinpfropfen von ausgebrochenen Zweigen (V. 23), was es in der Veredelungspraxis nicht gibt, weil es keinen Sinn ergäbe (ausgebrochene Zweige werden verbrannt): Paulus betont in V. 23 explizit, dass nur Gott die Macht hat, ausgebrochene Zweige wieder einzupfropfen. Das freie Erwählungshandeln des als Schöpfer allmächtigen Gottes, das Paulus in 9,6-29 beschrieben hatte, bestimmt das Gerichtshandeln wie das Heilshandeln Gottes – sowohl an dem durch ethnische Abstammung von Abraham verbundenen jüdischen Volk wie auch an den Völkern. Die Betonung des Handelns Gottes zeigt sich auch in den zahlreichen passiva divina in V. 17.19.20.22.23.24. Manche beziehen die Wendung „wider die Natur“ (παρα` φυ' σιν) in 11,24 auf die in V. 17 vorhandene Abweichung von der Veredelungspraxis.178 Ob Paulus mit dem Bild vom edlen Ölbaum (= Israel) auf die Tatsache anspielt, dass es in Rom eine συναγωγη` ε� λαι' ας [synagōgē elaias] gab, ist nicht sicher: „Elaia“ verweist eher auf Elaia, die Hafenstadt Pergamons (s. Band I, S. 21-22).179 Zugleich ist auf die Tatsache hinzuweisen, dass das Bild vom Einpfropfen in jüdischen Kreisen für Proselyten verwendet wurde (Philo, Praem 152; syrApkBar 8,2; bYeb 63a).180
Paulus macht in V. 17 – einem indefiniten Konditionalsatz, dessen Bedingung tatsächlich erfüllt ist181 – vier Aussagen, von denen die erste sich auf Juden bezieht, die in den Worten von 9,6 „Nachkommen Israels“ (ε� ξ � Ισραη` λ), aber „nicht Israel“ (ου� � Ισραη' λ) sind. Die anderen Aussagen beziehen sich auf Jesusbekenner aus den Heiden, die am Heil Gottes Anteil gewonnen haben. Der Satz einige von den Zweigen wurden ausgebrochen (V. 17a) wäre im Kontext der üblichen Kultivierungspraxis dahingehend verstanden worden, dass die Zweige eines wilden Ölbaums ausgebrochen und edle Sprößlinge aufgepfropft wurden. Paulus spricht, was in der Fortsetzung der Beschreibung rasch deutlich wird, von den Zweigen eines edlen Ölbaums, die ausgebrochen wurden, d.h. von Angehörigen des von Abraham abstammenden jüdischen Volkes, die von Israel „ausgebrochen“ werden. In V. 20 erläutert Paulus, dass sie „infolge ihres Unglaubens“ ausgebrochen wurden. Paulus formuliert im Kontext der Aussage, dass Gott Israel nicht verstoßen hat (V. 1) und Israel nicht endgültig zu Fall gekommen ist (V. 11) bewusst sorgfältig – „einige Zweige“ (τινες τω ñ ν κλα' δων [tines tōn kladōn]) (= Isra————————————————————
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Rengstorf, Ölbaum-Gleichnis, 145-146; vgl. Wright 684; Jewett 685 übersetzt mit „Synagogue of the Olive“ und geht von einer Anspielung aus. Vgl. Rengstorf, Ölbaum-Gleichnis, 143-146; Berger, Abraham, 84; Michel 348-349. Die Apodosis in V. 18 zeigt, dass das „wenn“ des indefiniten Konditionalsatzes V. 17 dem kausalen „weil, da“ sehr nahekommt. Vgl. HvS §281a.
468 Römerbrief ————————————————————————————————————
eliten, d.h. Juden) wurden aus dem edlen Ölbaum (V. 17c) ausgebrochen. Der Aorist des Verbs (ε� ξεκλα' σθησαν [exeklasthēsan]; „wurden ausgebrochen“) verweist auf ein Ereignis, das sich ereignet hat, auf eine Tatsache, die zu konstatieren ist. Die Formulierung im Passiv betont das Handeln Gottes (passivum divinum): Gott hat sie herausgebrochen. Wenn Juden Gottes messianische Heilsoffenbarung ablehnen, sind sie selbst für die Konsequenzen verantwortlich (9,30–10,21), aber Gott ist es, der Gericht im Sinn des Heils-entzugs ausübt. Das Gericht trifft nicht den ganzen Baum, sondern „einige Zweige“ – Gott hat nicht den Baum umgehauen, sondern einige Zweige entfernt. Gottes Gericht trifft die ungläubigen Juden, Israel bleibt bestehen. Die ausgebrochenen Zweige sind die Juden, über die Paulus in 9,1-5 trauert und für die er in 10,1 betet. Die Aussage obwohl du vom wilden Ölbaum stammst (α� γριε' λαιος ω »ν [agrielaios ōn]; V. 17b) beschreibt die nichtjüdischen Jesusbekenner als Zweige, die von einem unkultivierten „wilden Ölbaum“ (= nichtjüdische Völker, die Heiden) stammen. Heidenchristliche Leser hätten diesen Vergleich nicht als Beleidigung empfunden: Wilde Ölbäume galten als stark und wurden als Grundlage für die Kultivierung der dann ertragreicheren Ölbäume verwendet. Das konzessive Partizip deutet an, dass der angesprochene Vorgang unerwartet ist. In der üblichen Kultivierungspraxis werden edle Zweige einem wilden Ölbaum eingepflanzt, nicht umgekehrt. Was Paulus in V. 23 im Blick auf ungläubige Juden sagt, gilt auch für ungläubige Heiden: Gott hat die Macht, sie einzupfropfen. Die mit dem Satz du wurdest unter sie eingepfropft (συ` ε� νεκεντρι'σθης ε� ν αυ� τοιñς [sy enekentristhēs en autois]; V. 17c) beschriebene Tatsache benennt ein Ereignis der Vergangenheit (Aorist), ein Handeln Gottes (pass. divinum) und den neuen Ort, an dem sich die nichtjüdischen Jesusbekenner befinden. Die Anrede durch die 2. Pers. Sing. („du“) steht für eine beliebige Person, hier die Heidenchristen in Rom, und formuliert Allgemeingültiges.182 Das „Einpfropfen“ der „wilden Zweige“ ist die Aufnahme der Heidenchristen in das Gottesvolk. Heidenchristen sind Zweige des wilden Ölbaums, d.h., sie werden nicht Juden, wenn sie sich zum Glauben an Jesus, den Messias Israels bekehren. Sie sind jetzt aber mit dem edlen Ölbaum verbunden, d.h. sie gehören infolge ihrer Verbundenheit mit dem Messias Jesus (vgl. 6,1-14) zu Israel. Der Vorgang der „Einpfropfung“, d.h. der Eingliederung in das Volk Gottes, ist Resultat des Handelns Gottes. Die Wendung „unter sie“ bezieht sich auf die Zweige, die nicht ausgebrochen wurden, sondern mit dem edlen Ölbaum und seiner fettspendenden Wurzel verbun————————————————————
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HvS §139e(c). Kommentatoren verweisen auf den Stil der Diatribe.
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den blieben, d.h. auf die Heidenchristen, die mit der „Wurzel“ (Abraham bzw. die Verheißung Gottes an die Väter) verbunden sind, d.h. glauben, wie Abraham geglaubt hat (4,1-25). Die Auskunft von Kraus, die an Christus Glaubenden seien „über Abraham ursprunghaft mit Israel verbunden … aber sie werden nicht in den Bund Gottes mit Israel aufgenommen, sondern in die Verheißungsgeschichte, die von Abraham herkommt und an der Israel in erster Linie Anteil hat“,183 erweist sich durch den Kontext und den Duktus der Argumentation im Römerbrief als unplausibel. 1. Die wilden Zweige (= Heiden) werden nach 11,17 nicht einfach dem edlen Ölbaum eingepfropft, sondern sie bekommen neben den am edlen Ölbaum verbliebenen edlen Zweigen (= Juden) Anteil an der Wurzel (= Abraham). Das kann nichts anderes heißen, als dass es einen edlen Ölbaum gibt, mit edlen Zweigen (= glaubende Juden) und wilden Zweigen (= glaubende Heiden). In V. 22 deutet Paulus an, dass nicht alle edlen Zweige, die ausgehauen wurden, wieder eingepfropft werden (V. 23); die Konsequenz ist offensichtlich, dass sie im Gericht Gottes Strafe erleiden. 2. Wenn Heidenchristen zur Verheißungsgeschichte seit Abraham gehören und wie die glaubenden Juden Abraham zum „Vater“ haben (4,11.12.17), wenn es zwischen Juden und Heiden keinen Unterschied gibt, was die Sünde und was die Rettung durch die Heil schaffende Gerechtigkeit Gottes angeht (1,16-17; 3,21-26), dann ist die Unterscheidung zwischen „Bund Gottes mit Israel“ und „Verheißungsgeschichte“ nur dann gerechtfertigt, wenn man die Heil schaffende Offenbarung Gottes im gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus und die Heilsmöglichkeit und Heilswirklichkeit von Heiden, die an Jesus glauben, nicht als Erfüllung der Abraham gegebenen Verheißungen versteht. Wenn die mit Abraham in Gang gesetzte Verheißungsgeschichte für glaubende Heiden mit dem Bund Gottes mit Israel nichts zu tun hat, muss man entweder einen Bund Gottes mit den Juden und einen zweiten Bund Gottes mit den gläubigen Heiden annehmen, was Paulus weder in Röm 9–11 noch an anderer Stelle tut, oder man muss bestreiten, dass die Heilsteilhabe der Heiden die Erfüllung der Abraham gegebenen Verheißung ist. Der mit dem Heilstod Jesu gegebene „neue Bund“ (1Kor 11,25) gilt für Glaubende aus Israel und aus den Völkern184 – ein Bund, der den seit Abraham und Mose geltenden „alten Bund“ (2Kor 3,14) nicht abgelöst hat, ein Bund jedoch, der im Licht von Tod und Auferstehung Jesu modifiziert wurde. Entscheidend für die Zugehörigkeit zu Abraham und damit sowohl zur Verheißungsgeschichte als auch zum Bundesvolk Gottes ist der Glaube an Jesus, den Messias Israels und Retter der Welt – was nicht nur für Heiden, sondern auch für Israel bzw. die Juden gilt (vgl. 11,20.23 im Licht von 9,30-33; 10,1-4.8-13).
Der Satz du hast an der fettspendenden Wurzel des (edlen) Ölbaums Anteil bekommen (V. 17d) beschreibt die Gegenwart der Heidenchristen: Sie sind mit der Wurzel (= die Erzväter) des edlen Ölbaums (ε� λαι'α [elaia]) verbunden. Die „Wurzel“ (ρ� ι'ζα [rhiza]) wird als „fettspendend“ (πιο' τητος [piotētos]; gen. qualitatis) beschrieben: Gemeint sind die Säfte, die von der Wurzel in die Zweige des Ölbaums und von dort in die Blätter und die Oliven aufsteigen und die Eignung der Oliven zur Gewinnung von Öl gewährleisten. Wilde Ölbaume tragen nur kleine, ungenießbare Früchte mit einem ————————————————————
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Kraus, Volk Gottes, 317, mit Verweis auf Sänger, Verkündigung, 127-128.195. Vgl. 2Kor 3,6 im Blick auf seine missionarische Verkündigung.
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nur geringen Ölgehalt. Wenn Zweige eines wilden Ölbaums in einen edlen Ölbaum eingepfropft werden, haben sie an der „Fettigkeit“ der guten Ölbaumwurzel Anteil: Sie tragen genießbare und ölhaltige Oliven. Paulus verwendet diese von der gängigen Kultivierungspraxis verschiedene Vorstellung, weil es ihm um die Wurzel des edlen Ölbaums geht: Die Teilgabe am Fett und Saft der Wurzel verweist auf den Glauben nach dem Vorbild Abrahams.185 Abraham ist „unser aller Vater“ (4,16), nach der jetzt in Erfüllung gehenden Verheißung Gottes der „Vater vieler Völker“, weil er an Gott glaubte „als den, der die Toten lebendig macht und dem Nicht-Seienden ruft, damit es sei“ (4,17). In 11,1.28 werden die Erzväter als Träger und Garanten der göttlichen Erwählung erwähnt.186 Das im Griechischen substantivisch formulierte „du hast Anteil bekommen“ (συγκοινο' ς) [synkoinōnos]) verweist zunächst auf die Verbindung mit Abraham als „Wurzel“, die viele gute Früchte garantiert, und zugleich auf die Judenchristen, die als „Zweige“ am edlen Ölbaum geblieben sind, weil sie den Glauben Abrahams hatten. 18 Paulus formuliert in der Apodosis des Konditionalsatzes V. 17 die erste von vier Mahnungen des Abschnitts,187 die sämtlich an die Heidenchristen in Rom gerichtet sind: so erhebe dich nicht über die Zweige (V. 18a). Das Verb (κατακαυχω ñ [katakauchō]) bezeichnet das triumphierende Herabblicken auf andere, das Sich-Rühmen zum Nachteil anderer.188 Während das Sich-Rühmen in der römischen Kultur akzeptiert und üblich war, hat es nach Paulus in der auf der Gnade des barmherzigen Gottes gegründeten Gemeinde der Glaubenden keinen Platz (3,27; vgl. 2,17.23). Die „Zweige“ sind entweder die ausgebrochenen Zweige von V. 17a (= Juden, die nicht an Jesus als Israels Messias glauben)189 oder die am edlen Ölbaum verbliebenen Zweige von V. 17c-d (= Judenchristen)190 oder beides, ungläubige Juden ————————————————————
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Siegert, Argumentation, 168, mit Verweis auf 6,21-22, wo Paulus Glaube und „Früchte“ verbunden hatte; vgl. Gal 5,22-23. Ebenso Kraus, Volk Gottes, 316. Schwindt, Wurzel, 73-74 will die „Wurzel“ nicht „einseitig auf einen Bedeutungsträger, sei es Gott, Abraham oder die Väter allgemein“ festlegen, weil sich die Bezüge leicht verbinden ließen, vor allem, wenn man die Wurzel nicht direkt mit Gott identifiziert (er kommt in V. 17-18 als logisches Subjekt des Herausbrechens und Einpfropfens vor; ebd. 72), sondern mit seinem Erwählen und Verheißen bzw. mit dem nicht hinfallenden Wort Gottes (Reichert, Abfassungsproblematik, 203). V. 18 μη` κατακαυχω ñ , V. 20 φρο' νει und φοβουñ , V. 22 »ιδε. R. Bultmann, κατακαυχα' ομαι, ThWNT III, 654, mit Verweis auf Röm 11,18; Jak 2,13; 3,14. BDAG s.v. κατακαυχα' ομαι definiert: „to boast at the expense of another“. In der LXX ist das Verb ein verstärktes καυχαñ σθαι. Außerhalb der biblischen Literatur ist das Verb nur in einer Grabinschrift aus Kleinasien bezeugt, in der von einem Gladiator die Rede ist, der über seinen Feind triumphiert hat (Bauer/Aland s.v.). Zahn 518; Murray II 86; Michel 350; Wilckens II 247; Zeller 197. Schlier 333.
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und Judenchristen zusammen.191 Alle drei Möglichkeiten geben im historischen Kontext der stadtrömischen Jesusbekenner um 56/57 n.Chr. einen Sinn: Sie könnten die nicht an Jesus glaubenden Juden arrogant auf ihre Heillosigkeit ohne den Messias Jesus verweisen; sie könnten sich über die zurückkehrenden Judenchristen überheben, die jetzt in der Minderheit waren, aber vielleicht wieder ihre früheren Leitungsaufgaben beanspruchten; auch beides gleichzeitig ist möglich, was dann jedoch nicht als „Antisemitismus“ beschrieben werden sollte – weil sich die meisten Heidenchristen Roms wahrscheinlich im Umfeld der stadtrömischen Synagogen bekehrt haben, hegten sie kaum einen allgemeinen Hass gegen alle Juden.192 Der Grund, weshalb Heidenchristen sich nicht über Juden(christen) arrogant erheben können und sollen,193 wird in V. 18b genannt: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich. Es ist selbstverständlich, dass die (immense) Wurzel eines Ölbaums die Zweige „trägt“ (βαστα' ζεις [bastazeis]), d.h. das Gewicht der Zweige trägt194 und diese durch ihren Saft am Leben erhält. Die Vorstellung, dass die Zweige eines Ölbaums dessen Wurzel tragen, ist grotesk. Genauso lächerlich wäre es, wenn Heidenchristen vergäßen, dass sie nur deshalb Heil haben, weil sie den Glauben Abrahams haben, dass sie zum messianischen Gottesvolk gehören, in dem die an Abraham ergangenen göttlichen Verheißungen in Erfüllung gehen und in dem der Glaube Abrahams an Gott, der den Gottlosen rechtfertigt und der die Toten lebendig macht (4,5.17), maßgebend und heilschaffend ist und bleibt. 19 Paulus formuliert ein mögliches Argument, mit dem Heidenchristen zumindest ein Rühmen zu Lasten der Juden rechtfertigen könnten, als direkte Rede der Zweige des wilden Ölbaums, die in den edlen Ölbaum ein————————————————————
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Cranfield II 568; Dunn II 662; Moo 703; Jewett 686; Michel 350 als Möglichkeit. Dunn II 662; vgl Schlier 333; Käsemann 299; Moo 704. Gegen Michel 350; Cranfield II 568; Jewett 686; Lütgert, Römerbrief, 79-90. Michel ebd. denkt an ein „enthusiastisches Pneumatikertum“ unter den Heidenchristen Roms, von dem jedoch weder hier noch an anderen Stellen Spuren zu finden sind. Der Konditionalsatz ει� δε` κατακαυχαñ σα („wenn du dich aber überhebst“) hat keine Apodosis, sondern ist als Brachylogie formuliert; zu ergänzen ist: „so bedenke“, „so sollst du wissen“. BDR §483.2. Der Konditionalsatz setzt nicht voraus, dass Paulus der Meinung ist, die Heidenchristen in Rom würden sich trotz seiner Mahnung in V. 18a über die Juden(christen) überheben. Siegert, Argumentation, 169 Anm. 27 interpretiert das Verb im Sinn von „rühmen“ und übersetzt: „Wenn du dich aber schon (deines Glaubens) rühmst, (so bedenke:) nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel dich“. W. Stenger, Art. βαστα' ζω, EWNT I, 500; F. Büchsel, Art. βαστα' ζω, ThWNT I, 596-597, kommentiert Röm 11,18 nicht.
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gepfropft wurden:195 Zweige wurden ausgebrochen, damit ich eingepfropft werde. Der Einwand, formuliert mit dem Vokabular von V. 17, erinnert an die Aussagen in V. 11-12.15. Er unterstellt, dass die Entfernung von Zweigen vom edlen Ölbaum die Absicht verfolgte, Platz zu schaffen für die Einpfropfung von Zweigen vom wilden Ölbaum.196 Der Einwand argumentiert mit dem Zweck der Handlung: Weil der Zweck höher ist als die Mittel, gibt das Einpfropfen von wilden Zweigen in den edlen Ölbaum einen Grund ab zum Rühmen angesichts der Entfernung von Zweigen vom edlen Ölbaum, d.h., Heidenchristen haben eben doch einen Grund, sich gegenüber den ungläubigen Juden zu rühmen.197 Diese Logik wurde im späteren „christlichen“ Antisemitismus verwendet. 20 Paulus konzediert das Argument des Einwands mit einer kurzen Antwort: Richtig (καλω ñ ς [kalōs]; V. 20a).198 Die Antwort ist nicht ironisch 199 gemeint, allerdings betont Paulus in den beiden folgenden Sätzen, dass der Einwand nur dann richtig ist, wenn man die Rolle von Unglauben und Glauben bedenkt. Die ungläubigen Juden wurden nicht deshalb vom „Ölbaum“ entfernt, damit die Heiden dort Platz bekommen. Sie wurden ausgebrochen infolge ihres Unglaubens (τηñ, α� πιστι'α, [tē apistia]; V. 20b), während die Heidenchristen eingepfropft wurden aufgrund des Glaubens (τηñ, πι'στει [tē pistei]; V. 20c). Der Dativ τηñ, α� πιστι'α, ist dat. causae, der Dativ τηñ, πι'στει ist dat. instrumentalis. Wenn der Gesprächspartner Mittel und Zweck differenzieren kann, „kann Paulus das noch viel besser, und in vollkommener Parallele hierzu, mit Glaube und Unglaube“.200 Die Verknüpfung des Ausgebrochenwerdens (ε� ξεκλα' σθησαν) mit dem Unglauben bestätigt die Interpretation, dass mit dem „Fett“ bzw. „Saft“ der Wurzel (V. 17) der Glaube nach dem Vorbild Abrahams gemeint ist. Paulus hatte den Vorwurf ————————————————————
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Die einleitende Formulierung ε� ρειñς ουò ν ([ereis oun]: „Du wirst nun sagen“, d.h. im Kontext: „Du wirst nun einwenden“) leitet in 9,19 (eine Stelle, die Jewett 687 übersehen hat) den Einwand eines jüdischen Gesprächspartners ein. Paulus nimmt die Argumente von nichtjüdischen Gemeindegliedern genauso ernst wie die Argumente von Juden. Siegert, Argumentation, 81.169 spricht von l’argument prévue, das mit dem bloßen Vorausnehmen eines Arguments, das vom Gegner kommen könnte, dieses entkräften, ihm mindestens die Wirkung der Neuheit nehmen will. Zu der im folgenden Punkt angesprochenen Kausalverknüpfung der Mittel-Zweck-Beziehung vgl. ebd. 61-62.169. Jewett 687 bewertet den Einwand als „truly ludicrous degree of competitive incorrigibility“, was sich durch Siegerts Analyse der Logik des Einwands erledigt. Bauer/Aland s.v. καλω ñ ς 4, definiert in BDAG als „being in accord w[ith] a standard“. Das Wort ist hier eine Interjektion, die grammatisch außerhalb des Satzverbandes steht und eine reaktive Bewertung ausdrückt; vgl. HvS §252,63. Käsemann 300; Wilckens II 247; Cranfield II 568; Dunn II 663; Jewett 687; gegen Zahn 518; Michel 351; Lohse 315. Siegert, Argumentation, 169.
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des Unglaubens bzw. der Untreue an die Adresse der Juden in 3,3 ganz am Anfang seiner Argumentation im Blick auf den Status Israels erhoben und in 9,30–10,21 ausführlicher dargelegt. In 4,19.20 hatte er explizit Abraham mit dem Unglauben Israels kontrastiert als den Vater aller Glaubenden, der im Glauben nicht schwach wurde und nicht infolge von Unglauben an Gottes Heilszusage zweifelte. Die Zugehörigkeit zu Gottes Volk als Heilsvolk war, ist und bleibt an den Glauben gebunden. Seit dem Kommen des dann gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus ist der Glaube an das Evangelium von Gottes Heil schaffendem Handeln in Jesus gebunden, der alle rettet, Juden zuerst und auch die Griechen (1,3-4.16-17). Die Formulierung du hast deinen Stand gewonnen (συ` ε«στηκας [sy estēkas])201 verlässt das Bild vom Einpfropfen der wilden Zweige (analog dem Verweis auf das „Fallen“ der nicht an Jesus glaubenden Juden in V. 22). Paulus beschreibt den Zustand des „Stehens“202 im messianischen Gottesvolk, das von Gottes Frieden, Gnade und Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes bestimmt ist (5,2). Allein der Glaube entscheidet, ob Juden und Heiden zum Heilsvolk gehören, wobei „Glaube“ im Kontext von 1,5.16-17; 3,22.25-28; 4,5.10-12.24-25; 10,1-4 immer und konsequent der Glaube an Gott ist, der sich Heil schaffend in Jesus offenbart hat, dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Israels und Retter der Welt. Die Mahnung sei nicht hochmütig (μη` υ� ψηλα` φρο' νει [mē hypsēla phronei], „hege keine stolze Gedanken“; V. 20d)203 zeigt, dass Paulus in V. 20a den Einwand von V. 19 nur scheinbar gelten lässt – im Blick auf die Korrelation von Einpfropfen und Ausbrechen, aber nicht im Blick auf die im Einwand postulierte Überlegenheit von Heidenchristen über Juden(christen). Wer weiß, dass es allein der Glaube an Gott und seinen Messias ist, der die Zugehörigkeit zum Heilsvolk Gottes garantiert, dieses also nicht die Folge von eigenen Vorzügen oder Leistungen ist, der kann niemals hochmütig auf Menschen herabschauen, die (noch) nicht zum Glauben gekommen sind.204 Gott rechtfertigt den Gottlosen (4,5), der im Glauben an Gott und an ————————————————————
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EÜ trägt mit der Übersetzung „du aber stehst an ihrer Stelle“ die im Einwand von V. 19 postulierte Überlegenheit der Heidenchristen über Juden in den Text hinein, was im Text nicht angezeigt ist: Paulus sagt nicht, dass Heidenchristen ungläubige Juden ersetzen. ε« στηκας ist Perfekt, mit präsentischer Bedeutung. Vgl. 1Kor 15,1; 16,13; 2Kor 1,24. Bauer/Aland s.v. υ� ψηλο' ς 2 übersetzt „nach den hohen Dingen streben“. Haacker 279 weist darauf hin, dass elf Werke Calvins, veröffentlicht zwischen 1553– 1563, mit einem Titelblatt gedruckt wurden, in dem der Ölbaum von Röm 11,17-24 abgebildet ist und mit dem Satz noli altum sapere („sei nicht hochmütig“; lat. Zitat nach der Vulgata) Röm 11,20d zitiert wird. Es war Robert Estienne (Robertus Stephanus), ein königlicher Drucker in Paris, der ab 1526 unter seinem eigenen Namen zu drucken begann und das Motto Noli altum sapere sed time („Sei nicht hochmütig, sondern fürchte
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Jesus, den Retter von Sünde und Schuld, seine absolute Hilfsbedürfigkeit eingesteht, nicht den Menschen, der in arrogantem Stolz meint, besser zu sein als andere. Die Mahnung fürchte dich (φοβουñ [phobou]) mahnt, Gott zu fürchten, der den Glauben gewährt, das Heil geschenkt und die Zugehörigkeit zu seinem Volk ermöglicht hat. Wenn sich nichtjüdische Jesusbekenner hochmütig über ungläubige Juden erheben, haben sie die Ehrfurcht vor dem Gott Abrahams, Isaaks und Israels verloren. Glaube an den gnädigen und barmherzigen, Heil schaffenden Gott bedingt ein Leben in der rechten Beziehung zu Gott, zu seinem Volk und zu den „Gottlosen“, denen das Evangelium verkündigt wird, eine Beziehung, die Hochmut ausschließt und von dankbarer Gottesfurcht getragen wird. 21 Paulus erklärt, weshalb Heidenchristen keinen Grund zum Hochmut, jedoch allen Grund zur Gottesfurcht haben. Wenn zutrifft, dass Gott die natürlichen Zweige nicht verschont, dann könnte es sein, dass er „auch dich“, d.h. die vom wilden Ölbaum eingepfropften Zweige, nicht verschont. Die „natürlichen Zweige“ (τω ñ ν κατα` φυ' σιν κλα' δων [tōn kata physin kladōn]) sind die Zweige, die von Natur aus, d.h. ursprünglich, mit der Wurzel des edlen Ölbaums verbunden waren. Die Beschreibung der Juden – auch der Juden, die sich dem Glauben an Jesus als Messias Israels verweigern – als „natürliche“ Zweige hat mit der heilsgeschichtlichen Priorität der Nachkommen Abrahams zu tun, die eine ganze Reihe von heilsgeschichtlichen Vorzügen genießen (9,3-5), sodass zutrifft, dass die Macht Gottes zur Rettung „für den Juden zuerst“ gilt (1,16). Die Aussage, dass Gott natürliche Zweige nicht verschont hat (ου� κ ε� φει'σατο [ouk epheisato]), verweist auf die in V. 17 beschriebene Tatsache, dass Gott Zweige des edlen Ölbaums ausgebrochen hat. Im Klartext geredet: Juden, die als Nachkommen Abrahams zum Volk Gottes gehören, verlieren ihre Teilhabe am Heil, wenn sie im Unglauben verharren (V. 20b), d.h., wenn sie sich weigern, Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus im Glauben anzunehmen (10,6-13). Wenn es möglich ist, dass Zweige, die von Natur aus am edlen Ölbaum gewachsen sind, ausgebrochen werden, dann gilt a fortiori ganz selbstverständlich, dass eingepfropfte wilde Zweige, die in ihrem Verhalten ihrem Status als Zweige am edlen Ölbaum widersprechen, nicht verschont werden. Im Klartext: Wenn Heidenchristen, die keine Nachkommen Abrahams sind und allein durch Gottes Gnade Zugang zum Heilsvolk Gottes gefunden haben, sich hochmütig über Juden erheben und ————————————————————
dich“) als Firmenzeichen verwendete, was als Manifest intellektueller Demut im Angesicht der offenbarten Wahrheit verstanden werden kann; Armstrong, Robert Estienne, 10.
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damit die im Volk Gottes notwendige Gottesfurcht preisgeben, dann gehören sie nicht zum Gottesvolk.205 Paulus formuliert mit vielleicht auch dich nicht (μη' πως ου� δε` σουñ [mē pōs oude sou]) vorsichtig: Es ist zu befürchten, dass sie, die sich in Verkennung des Wesens ihrer Beziehung zu Gott hochmütig über ungläubige Juden erheben, von Gott gerichtet werden. Das Heilsgeschenk Gottes begründet keinen Anspruch, sondern verpflichtet. Mose warnte Israel ebenfalls vor Hochmut, der der Gerechtigkeit Gottes widerspricht: „Wenn nun der Herr, dein Gott, sie ausgestoßen hat vor dir her, so sprich nicht in deinem Herzen: Der Herr hat mich hereingeführt, dies Land einzunehmen, um meiner Gerechtigkeit willen –, da doch der Herr diese Völker vertreibt vor dir her um ihres gottlosen Treibens willen. Denn du kommst nicht herein, ihr Land einzunehmen, um deiner Gerechtigkeit und deines aufrichtigen Herzens willen, sondern der Herr, dein Gott, vertreibt diese Völker um ihres gottlosen Treibens willen, damit er das Wort halte, das er geschworen hat deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob. So wisse nun, dass der Herr, dein Gott, dir nicht um deiner Gerechtigkeit willen dies gute Land zum Besitz gibt, da du doch ein halsstarriges Volk bist“ (Deut 9,4-6). Paulus verweist auf das Schicksal der ungläubigen Juden, die sich dem Glauben an Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus verweigern, als Warnung an Heidenchristen: Wer sich seiner Zugehörigkeit zum Volk Gottes rühmt und sich damit nicht mehr allein im Glauben auf Gott verlässt, der lebt im Unglauben und wird von Gott gerichtet. Während Paulus in 5,2; 8,38-39 dem einzelnen Jesusbekenner die Gewissheit des Heils verdeutlicht, warnt er in 11,20-21 die Gemeinden in Rom, die mehrheitlich heidenchristlich sind, vor dem Gericht Gottes. 22 Die vierte Mahnung des Abschnitts fasst die ersten drei Mahnungen zusammen und erinnert gleichzeitig an die Argumentation des Apostels in seinem Brief seit 1,18: Siehe also die Güte und Strenge Gottes (V. 22a).206 Die mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinden Roms sollen „sehen“ (ι»δε [ide]), d.h. erkennen, begreifen und beachten,207 welchen „Stand“ sie im Volk Gottes haben und was sie riskieren, wenn sie nicht im demütigen Glauben und der Gottesfurcht bleiben. Gottes Güte (χρηστο' της [chrēstotēs]), ————————————————————
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Ein Echo von Röm 8,20 („Er hat sogar den eigenen Sohn nicht verschont“) ist im Kontext von 11,21 nicht zu erkennen; gegen Wright 685; Hays, Echoes, 61; richtig Moo 706. Angesichts des Imperativs »ιδε kann man V. 22a kaum als Lehrsatz behandeln; anders Siegert, Argumentation, 170. Michel 342 verweist mit Bill. III 292 auf die rabbinische Unterscheidung vom Maß des Erbarmens und vom Maß des strengen Rechtes. W. Michaelis, Art. ο� ρα' ω κτλ., ThWNT V, 342 geht für Röm 11,22 von der Bedeutung „beachten, achtgeben“ aus.
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verbunden mit seiner Geduld und Langmut, will Juden zur Umkehr führen (2,4), was auch für Heiden gilt, weil es weder unter Juden noch unter Heiden einen gibt, „der Güte übt, auch nicht einen einzigen“ (3,12). Wenn Juden sich in Starrsinn und einem unbußfertigen Herzen der Güte Gottes verweigern, sammeln sie sich „Zorn an für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtsurteils Gottes“ (2,5). Die Strenge (α� ποτομι'α [apotomia]) Gottes ist hier das konsequente Gerichtshandeln Gottes an solchen Nachkommen Abrahams, die sich seiner Güte entziehen und die Heil schaffende Offenbarung seiner Gnade im Messias Jesus ablehnen. Das erst in hellenistischer Zeit begegnende Wort (α� ποτομι' α [apotomia])208 bedeutet manchmal „Abschneiden“ (Aetius Amidenus 7,81) oder „Schwierigkeit“ (BGU IV 1208,16-17), steht aber meistens für „Strenge“ – für die positiv gewertete Strenge des Gesetzes im Sinn des „rechtlich dem Gesetz durchaus zukommenden Anspruchs der unerbittlichen Gültigkeit“ (Diodorus Siculus 12,16,3; P.Oxy. II 237,40: η� τω ñ ν ν[ο' ]μων α� ποτομ[ι' ]α [„die Strenge des Gesetzes“]), manchmal auch für die „kompromißlose Härte in der Durchführung eines einmal gefaßten Beschlusses, im Gegensatz zu maßvollen u[nd] vernünftigen Übereinkünften“ (Pseudo-Callisthenes 2,12,4).209 Köster verweist für die Bedeutung von α� ποτομι' α in 11,22 auf die Strenge Gottes als strafender Richter in Weish 5,20.22 („[Gott wird] schroffen Zorn [α� πο' τομον ο� ργη' ν] aber schärfen zum Schwert … Ströme aber werden hoch [α� ποτο' μως; wörtlich „schroff, steil“] zusammenfluten“; LXX.D); 6,5 („über die Großen ergeht ein strenges Gericht [κρι' σις α� πο' τομος]“); 11,10 („Sie hast du wie ein mahnender Vater auf die Probe gestellt, die Frevler aber wie ein strenger König [ω� ς α� πο' τομος βασιλευ' ς] gerichtet und verurteilt“); 12,9-10 („Obgleich du die Macht hattest, in einer Schlacht die Frevler den Gerechten in die Hand zu geben oder sie durch wilde Tiere oder ein unerbittliches Wort [λο' γω, α� ποτο' μω, ] mit einem Schlag auszurotten, vollzogst du doch erst nach und nach die Strafe und ließest so Zeit für die Umkehr“); 18,15 („da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab als harter Krieger [α� πο' τομος πολεμιστη' ς] mitten in das dem Verderben geweihte Land“). Rengstorf erklärt α� ποτομι' α als Übersetzung des familienrechtlichen Wortes ( ְקִציָצהqezīzāh), das die „Abtrennung“ eines Familienangehörigen vom Sippenverband bezeichnet;210 diese Erklärung ist im Kontext und wegen der (späten) rabbinischen Belege weniger plausibel.
Gottes Gerechtigkeit ist sowohl Heil schaffende als auch strafende Gerechtigkeit. Gott schenkt Gnade und er verhängt Strafe. Paulus erläutert das mit zwei abstrakten Substantiven beschriebene Handeln Gottes in V. 22b.c chiastisch, gefolgt von einer Warnung in V. 22d. Die Strenge (α� ποτομι' α) Gottes trifft die Zu-Fall-Gekommenen (οι� πε' σοντοι [hoi pesontoi]; V. 22b), d.h. die ausgehauenen Zweige von V. 17, d.h. jene Juden, die sich der Heilsoffenbarung durch ihren Unglauben verweigern, die ungläubigen Juden als Glieder Israels, die schuldig geworden ————————————————————
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Vgl. H. Köster, Art. τε' μνω κτλ., ThWNT VIII, 106-109, die folgenden Zitate ebd. 107. LSJ s.v. α� ποτομι' α III übersetzt in Pseudo-Callisthenes 2,12,4 mit „sheer madness“. Rengstorf, Ölbaum-Gleichnis, 158-163.
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sind.211 Paulus rechnet offensichtlich damit, dass Juden, die sich dem Glauben an den Messias Jesus verweigern, im Stand des „Zu-Fall-Gekommenseins“ bleiben und von Gott gerichtet werden. Die Antithese (με' ν … δε' ) ist die Güte (χρηστο' της) Gottes, die dich (ε� πι` σε' [epi se]; V. 22c) trifft, die wilden Zweige, die in den edlen Ölbaum eingepfropft wurden, d.h. die Heiden, die sich zum Glauben an den Messias Israels bekehrt haben und in das Volk Gottes eingefügt wurden. Weil die Zugehörigkeit der Heidenchristen von der Güte Gottes abhängig ist, gilt die Bedingung: wenn du bei seiner Güte bleibst (ε� α` ν ε� πιμε' νη, ς τηñ, χρηστο' τητι [ean epimenēs tē chrēstotēti]; V. 22d). Nach Apg 13,43 ermahnen Paulus und Barnabas die bekehrten Juden, Gottesfürchtigen und Proselyten, die zum Glauben an Jesus gekommen waren, „in der Gnade Gottes zu bleiben“ (προσμε' νειν τηñ, χα' ριτι τουñ θεουñ [prosmenein tē chariti tou theou]). In Apg 14,22 ermahnen Paulus und Barnabas die neubekehrten Jesusbekenner in Lystra, Ikonium und Antiochien, „im Glauben zu bleiben“ (ε� μμε' νειν τηñ, πι'στει). Wer nicht bei Gottes Güte bleibt212 – eine von Paulus nicht explizit formulierte Möglichkeit –, das heißt, wer sich von der Heil schaffenden Güte Gottes entfernt, wer sich dem Glauben an Jesus als Israels Messias und Retter der Welt verweigert, der erfährt die Strenge Gottes: du wirst auch ausgehauen (και` συ` ε� κκοπη' ση, [kai sy ekkopēsē]; V. 22e). Die Formulierung „wenn du bei seiner Güte bleibst“ ist ein semantisches Paradox: Die Güte Gottes ist ein Handeln Gottes, verbunden mit seiner Gnade und Barmherzigkeit. Die Bedingung ist deshalb eine Scheinbedingung: „Sie fordert keine Leistung, sondern nur einen Verzicht, den Verzicht auf den eigenen Stolz“.213 Die Warnung bleibt jedoch konkret: Das Geschick der ungläubigen Juden soll den Heidenchristen ein warnendes Vorbild sein. Der Begnadigte „bleibt im Anblick des Gerichtes und damit seines Richters“.214 Wer sieht, dass er ständig auf die Güte Gottes angewiesen ist, wird sie dem Ungläubigen nicht nur nicht verwehren, sondern sich missionarisch um ihn bemühen, was dann hochmütiges Erheben vollends unmöglich macht. 23 Nach den Mahnungen an die Adresse der Heidenchristen erläutert Paulus in V. 23-24, was Gott mit den Nachkommen Abrahams machen kann, die sich gegenwärtig dem Glauben an den Messias Israels verweigern. Bei ————————————————————
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W. Michaelis, ThWNT VI, 165; zu πι' πτω [piptō]) s. zu V. 11. ε� πει' bedeutet „denn sonst, andernfalls“. Nach der Regel der Gerechtigkeit gilt die erste Regel (Gottes Strenge trifft die Gefallenen), wenn die zweite Regel (Gottes Güte trifft die, die in ihr bleiben) nicht (mehr) gilt; Siegert, Argumentation, 170. Siegert, Argumentation, 170; vgl. Kraus, Volk Gottes, 317-318, der allerdings nicht auf „Stolz“ einengen will. Käsemann 300; zum folgenden Punkt ebd.
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der Interpretation von V. 25-26 ist davon auszugehen, dass Paulus das, was er hier sagt, weder aufhebt noch vergessen hat. Jene aber (κα� κειñνοι δε' ) sind die Zu-Fall-Gekommenen von V. 22b. Paulus erläutert das zukünftige Ergehen des ungläubigen Israel zunächst mit einem Bedingungssatz: wenn sie nicht beim Unglauben bleiben, werden sie wieder eingepfropft werden. Die Formulierung mit ε� α' ν in der Protasis verweist auf ein Geschehen, mit dem man unter Umständen rechnen kann (eventualis); das Futur des Verbs in der Apodosis markiert einen speziell-prospektiven Fall, der allerdings nicht immer von einem generell-prospektiven Fall (meist Indikativ Präsens oder gnomischer Aorist) unterschieden werden kann.215 Da Paulus in seiner Missionsarbeit die Bekehrung von Juden zum Glauben an den Messias Jesus konkret und in der Gegenwart erlebt, kommt der Konditionalsatz mit ε� α' ν hier inhaltlich einem Temporalsatz mit ο« ταν sehr nahe. Das heißt: Paulus beschreibt kein Geschehen, das sich in der Zukunft ereignen wird, sondern ein Geschehen, das sich in der Gegenwart vollzieht und sich auch in der Zukunft ereignen wird, d.h. immer eine Möglichkeit bleibt. Immer dann, wenn Juden aufhören, dauerhaft im Unglauben (α� πιστι'α [apistia]) zu verharren (μη` ε� πιμε' νωσιν [mē epimenōsin])216 – positiv: wenn sie zum Glauben (πι'στις [pistis]) an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt kommen, dann werden sie von Gott „wieder eingepfropft werden“ (ε� γκεντρισθη' σονται [enkentristhēsontai]), d.h., dann wird das geschehen, was mit den Zweigen vom wilden Ölbaum geschieht, die in den edlen Ölbaum eingepfropft werden (V. 17). Paulus sagt hier, was er in 2,1–3,20 gezeigt hatte: Wenn Juden sich dem Glauben an den Messias Jesus verweigern, durch den Gott jetzt Heil und Gerechtigkeit schafft (1,3-4.16-17), dann stehen sie genauso wie die Heiden (1,18-32) bei den gottlosen und ungerechten Menschen, die im Gericht Gottes verurteilt werden (1,18). Im Bild von V. 17-24 gesprochen: Die vom edlen Ölbaum ausgebrochenen Zweige sind genauso wie die Zweige des wilden Ölbaums von der fettspendenden Wurzel getrennt; vom edlen Ölbaum ausgebrochene Zweige sind erst dann mit der fettspendenden Wurzel verbunden, wenn sie wieder in den edlen Ölbaum eingepfropft werden, an dem sich jetzt auch die eingepfropften Zweige des wilden Ölbaums befinden. Im Klartext formuliert: Entscheidend sind nicht die Abstammung von Abraham und bestimmte Leistungen, sondern der Glaube nach dem Vorbild Abrahams (die „Wurzel“ in V. 16b.17) als Glaube an Gott, der den Gottlosen rechtfertigt (4,5), und das heißt jetzt: an den, „der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt ————————————————————
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Zu prospektiven Konditionalsätzen (eventualis) vgl. HvS §282. Zu ε� πιμε' νω s. zu 6,1.
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hat, der dahingegeben wurde um unserer Verfehlungen willen und auferweckt wurde um unserer Rechtfertigung willen“ (4,24-25). Dies gilt sowohl für Juden (4,1-25) als auch für Heiden (3,21-31). Juden, die in der Gegenwart oder in der Zukunft darauf bestehen, nicht an Jesus als Messias und Retter zu glauben, bleiben „ausgebrochen“, ohne Verbindung mit der fettspendenden Wurzel, d.h. ohne Heil. Wenn sie nicht im Unglauben bleiben, d.h., wenn sie sich zum Glauben an Jesus als Messias und Retter bekehren, dann werden sie wieder „eingepfropft“ werden, d.h., dann erhalten sie wieder die Verbindung mit der fettspendenden Wurzel, dem Heil Gottes. Entscheidend ist nicht die Verweigerung des Glaubens, mit der Juden auf die Verkündigung des Evangeliums in der Vergangenheit und Gegenwart (10,18-21) oder in der Zukunft reagieren werden, sondern die Beharrlichkeit (ε� πιμε' νωσιν), mit der sie das Evangelium ablehnen. Der Hinweis, dass das Fut. Passiv ε� γκεντρισθη' σονται als pass. divinum verstanden werden muss,217 ist richtig und wichtig, darf aber nicht gegen die Tatsache ausgespielt werden, dass der explizit genannte Handlungsträger des Konditionalsatzes „jene“ sind, die Zu-Fall-Gekommenen von V. 22b bzw. die ausgebrochenen Zweige von V. 17a. Die Betonung liegt auf der Preisgabe des Unglaubens und der Hinwendung zum Glauben an Jesus Christus. Die Einpfropfung ausgehauener Zweige in den edlen Ölbaum ist (entgegen dem, was in der Ölbaumkultivierung Praxis war) möglich: denn Gott hat die Macht, sie wieder einzupfropfen. Die Wendung δυνατο' ς ε� στιν ο� θεο' ς (dynatos estin ho theos; „Gott ist mächtig“) greift im Zusammenhang mit dem Verweis auf den Glauben in V. 23a als Bedingung der Teilhabe am Heil Gottes auf 1,16 zurück, wo die Rettung von Juden und Griechen als Resultat der Verkündigung des Evangeliums vom Messias Jesus (1,3-4) beschrieben wurde, ursächlich verbunden mit der „Macht Gottes (δυ' ναμις θεουñ [dynamis theou]) zur Rettung“.218 Die Heil schaffende Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Messias Jesus gilt „für jeden, der glaubt (παντι` τω ñ, πιστευ' οντι [panti tō pisteuonti]), für den Juden zuerst und auch für den ————————————————————
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Jewett 691-692; vgl. Hofius, Evangelium, 188; Kraus, Volk Gottes, 318 u.a. Zur Verwendung von δυνατο' ς im Blick auf Gottes Bundestreue gegenüber seinem Volk vgl. Ps 24[23],8: „Wer ist dieser König der Heerscharen? Der Herr, stark und mächtig (κραταιο` ς και` δυνατο' ς), der Herr, mächtig (δυνατο' ς) im Krieg“; Lk 1,49; vgl. Neh 9,32 [LXX Esdras II 19,32]: „unser starker, großer, mächtiger (ο� κραταιο' ς) und furchtbarer Gott“; Jes 10,21: „Und das Übriggeblienene von Jakob wird sich zum mächtigen Gott (θεο` ν ι� σχυ' οντα) halten“; Jer 32,18: „Du übst Gnade an Tausenden, doch zahlst du die Schuld der Väter ihren Söhnen heim, die nach ihnen kommen, du gewaltiger, starker Gott (ο� θεο` ς ο� με' γας και` ι� σχυρο' ς), dessen Name Herr der Heere ist“ (alle Zitate aus LXX.D). Vgl. Dunn II 665.
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Griechen“ (1,16), sie gilt „aus Glauben zum Glauben“ (ε� κ πι'στεως ει� ς πι'στιν [ek pisteōs eis pistin]; 1,17). Die in der Gegenwart ungläubigen Juden sind nicht für immer verloren, ihr Verdammungsurteil im Endgericht ist nicht unabänderlich, ihre Heillosigkeit steht nicht ein für alle Mal fest – sie werden gerettet, sie werden im Endgericht nicht verurteilt, sie erhalten Heil, wenn sie sich der rettenden Macht Gottes ausliefern, die im Evangelium Wirklichkeit wird und die an den Glauben an Jesus als gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias gebunden ist.219 Paulus schreibt, dass Gott die Macht hat, die ausgehauenen Zweige wieder einzupfropfen; er sagt nicht, dass Gott sie wieder einpfropfen wird. Der Unterschied zwischen diesen beiden Aussagen ist der Glaube an Jesus, der die Bedingung für die Einpfropfung der ausgehauenen Ölbaumzweige ist. Wenn Heidenchristen glauben, Israel sei von Gottes Bundesvolk ausgeschlossen, machen sie denselben Fehler wie Israel, das glaubte, Heiden seien als Heiden vom Bundesvolk ausgeschlossen (es sei denn, sie werden als Proselyten im jüdischen Volk aufgenommen).220 24 Weil Paulus mit dem Bild vom Ölbaum in V. 17-24 die Heidenchristen vor arroganter Überheblichkeit gegenüber den Juden warnen will, beschreibt er das Handeln Gottes in Güte und Strenge (V. 22) zum Abschluss noch einmal in direkter Ansprache der Heidenchristen, denen er klarmacht, dass Juden, die nicht an den Messias Jesus glauben, gerettet werden können und auch gerettet werden. Die Heidenchristen gehörten vor ihrer Bekehrung zum Glauben an Jesus von Natur aus (κατα` φυ' σιν [kata physin]) zum wilden Ölbaum (α� γριε' λαιος [agrielaios]; s. V. 17). Sie wurden von dem wilden Ölbaum ausgehauen (ε� ξεκο' πης [exekopēs]; s. V. 22)221 und wider die Natur (παρα` φυ' σιν [para physin]) in den edlen Ölbaum (καλλιε' λαιος [kallielaios])222 eingepfropft (ε� νεκεντρι'σθης [enekentristhēs]; s. V. 17). Das Aor. Passiv verweist als pass. divinum auf das Heilshandeln Gottes in der Bekehrung der Heidenchristen. Die Wendung „wider die Natur“ bezeichnet die Heilsteilhabe der Heiden(christen) als außerordentlichen Vorgang, gegenüber dem die Wiedereinpfropfung der ausgehauenen edlen Zweige eine reale Möglichkeit ist. ————————————————————
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Michel 352 spricht von der Macht Gottes, „sein eigenes Gericht wieder rückgängig zu machen“. Dieser Satz ist nur dann richtig, wenn mit „Gericht“ nicht Gottes „Endgericht“ gemeint ist, sondern die Entfernung von Zweigen vom edlen Ölbaum, ein Vorgang, den Paulus in 11,17-24 allerdings nicht als „Gericht“ bezeichnet – Gericht wäre die Verbrennung der ausgehauenen Zweige, die dann aber nicht mehr eingepfropft werden könnten. Dunn II 666. In V. 17.19.20 mit dem Verb ε� ξεκλα' σθησαν [exeklasthēsan], „ausgebrochen“, bezeichnet. In V. 17 als ε� λαι' α [elaia] bezeichnet.
Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel 11,11-24 481 ————————————————————————————————————
Paulus verwendet mit der Wendung wieviel eher (πο' σω, μαñ λλον [posō mallon]) wieder ein a fortiori-Argument (s. zu V. 12). Die natürlichen Zweige (οι� κατα` φυ' σιν [hoi kata physin])223 können in ihren eigenen Ölbaum (τηñ, ι�δι'α, ε� λαι'α, [tē idia elaia]), d.h. in den edlen Ölbaum, zu dem sie ursprünglich gehörten, wieder eingepfropft werden (ε� γκεντρισθη' σονται [enkentristhēsontai]). Das Fut. Pass. verweist als pass. divinum auf das Heilshandeln Gottes in der Bekehrung von Juden, die gegenwärtig nicht an den Messias Jesus glauben. Die Logik eines indefiniten Konditionalsatzes (ει� [ei]) folgert: Wenn die Aussage in der Protasis gilt, dann gilt zwangsläufig auch die Aussage in der Apodosis, wobei offen ist, ob die Aussage in der Protasis tatsächlich der Wirklichkeit entspricht. Die Aussage der Protasis in V. 24 entspricht der Realität: Zweige wurden tatsächlich aus dem wilden Ölbaum ausgehauen und in den edlen Ölbaum eingepfropft. Daraus ist zu folgern, dass die Zweige, die ihrer Natur nach zum edlen Ölbaum gehören, aber ausgehauen wurden, in den edlen Ölbaum wieder eingepfropft werden – Zweige, die nicht am edlen Ölbaum wachsen, können in diesen eingepfropft werden, und Zweige, die von Natur aus edle Ölbaumzweige sind, können ganz selbstverständlich in einen edlen Ölbaum eingepfropft werden. Die Logik von V. 24 ist im Zusammenhang der Logik des prospektiven Bedingungssatzes (eventualis) V. 23 zu bestimmen: Ausgehauene edle Ölbaumzweige werden dann in den edlen Ölbaum wieder eingepfropft, wenn – ohne Bild gesprochen – die ungläubigen Juden ihren Unglauben aufgeben und zum Glauben an den Messias Jesus kommen, wie ja auch die „wilden Zweige“ (= Heiden) nur dann in den edlen Ölbaum eingepfropft werden, wenn sie an den Messias Jesus glauben. Der Ölbaum ist deshalb edel, weil er Abraham zur Wurzel hat (V. 16b.17). Juden sind „natürliche“ (κατα` φυ' σιν) Nachkommen Abrahams, weil sie von ihm abstammen. Sie haben jedoch nur dann einen legitimen Platz am edlen Ölbaum, wenn sie mit der fettspendenden Wurzel verbunden sind, d.h., wenn sie glauben, wie Abraham geglaubt hat. Das heißt: Juden gehören nur dann zum Heilsvolk Gottes, wenn sie ihren Unglauben aufgeben und zum Glauben an den Messias Jesus kommen. Gott kann die vom edlen Ölbaum ausgehauenen Zweige wieder in den edlen Ölbaum ein————————————————————
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Zu ergänzen ist κλα' δοι [kladoi], „Zweige“. Wilckens II 241 übersetzt οι� κατα` φυ' σιν mit „aus dem von Natur aus (edlen Ölbaum)“; Hartung, Logik, 140 kritisiert diese Übersetzung zu Recht: Paulus sagt „bezeichnenderweise nicht, daß der edle Ölbaum von Natur aus edel ist. Er ist nur deshalb edel, weil er Abraham zur Wurzel hat und weil diese Wurzel von Gott erst veredelt wurde, indem Gott Abraham erwählte und ihm die Verheißungen gab. Deshalb sind die Juden von Natur edle Zweige, weil sie von Natur aus zu dieser Wurzel gehören, in ihr ihren Ursprung haben“.
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pfropfen (V. 23). Was hält Gott davon ab, die ausgehauenen Zweige des edlen Ölbaums wieder in den Ölbaum einzupfropfen, zu dem sie ursprünglich gehörten, was „natürlicher“ ist als die Einpfropfung wilder Zweige in den edlen Ölbaum? Die Antwort liefert nicht nur V. 23, sondern die gesamte Argumentation in 1,18-32; 2,1–3,20 und 3,21–5,21: Weil Heiden und Juden nur durch den Glauben an den Messias Jesus gerettet und von Gott mit seiner Heil schaffenden Gerechtigkeit beschenkt werden. IV Im Rahmen seiner Darstellung der Tatsache, dass Gott Israel nicht verstoßen hat (11,1-32), führte Paulus in 11,1-10 aus, dass Gott in Israel einen Rest erwählt hat, d.h., dass es Juden gibt, die sich zum Glauben an den Messias Jesus bekehrt haben (11,1-10). In 11,11-24 behandelte er die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel: Der Fall Israels führte dazu, dass die Heiden das Heil erlangt haben, eine Tatsache, die in Gottes Heilsratschluss ihrerseits dazu führt, dass Israel die Wirklichkeit des göttlichen Heils unter den Heiden sieht, zur Eifersucht gereizt wird und sich ebenfalls zum Messias Jesus bekehrt. Paulus hofft, dass dieser Prozess auch in seinem eigenen missionarischen Wirken zur Bekehrung von Juden führt (11,13-14). Hat sich Paulus in dieser Hoffnung geirrt? Manche meinen, dass dies in der Tat der Fall ist: „Paulus stellt sich offenbar vor, daß Juden früher oder später die Bekehrung der Nichtjuden durch die christliche Mission als ein Wunder Gottes erkennen würden, bei dem sie nicht abseits stehen wollten. Stattdessen ist das Erscheinungsbild der Kirche – und ganz besonders das Verhalten der Christen gegenüber den Juden – auf Dauer weit hinter den Vorstellungen des Paulus von christlicher Existenz zurückgeblieben“.224 Paulus hat nach 11,14 erwartet, dass sich „einige“ Juden durch seine Missionsarbeit bekehren.225 Ob 11,25-26 eine Massenbekehrung von Juden in Aussicht stellt, ist im nächsten Abschnitt zu behandeln. Diese (von manchen angenommene) Möglichkeit darf jedenfalls nicht in die Aussage 11,13-14 hineingelesen werden. Ganz sicher hat Paulus Erwartungen gehabt, die sich nicht erfüllt haben, wie eine Mission nach Spanien in ————————————————————
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Haacker 270; vgl. ebd.: Nach Meinung des jüdischen Theologen Maimonides (1138– 1204) ist die Geschichte der christlichen Kirche höchstens insofern positiv zu würdigen, als dass Millionen von Menschen vom heidnischen Polytheismus abgebracht und zum Glauben an den Gott Israels hingeführt wurden. Deshalb ist auch die Kritik von Käsemann 296 zurückzuweisen, der Paulus „Maßlosigkeit des apostolischen Sendungsbewußtseins“ vorwirft. Paulus hat auch nicht in „unvorstellbarer Eile die ganze Welt zu durchqueren“ versucht (ebd.): Er nahm sich die Zeit, die Gemeinden in Jerusalem, Antiochien und Galatien wiederholt zu besuchen und lebte monate- oder jahrelang in Korinth und Ephesus.
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unmittelbarem Anschluss an seinen bevorstehenden Besuch in Jerusalem (15,24-25). Die Herausforderung von 11,13-14 für jede christliche Gemeinde ist die Frage, ob die Wirklichkeit des Gemeindelebens und des Lebens des einzelnen Jesusbekenners jüdische – und nichtjüdische – Mitbürger dazu provoziert, sich über Jesus und das Heil Gottes Gedanken zu machen und sich zum Glauben an Jesus als Israels Messias und Retter der Welt führen zu lassen. Wenn sich die Gegenwart Gottes im Heilsvolk der Jesusbekenner in der konkreten Wirklichkeit der messianisch-endzeitlichen Einheit von Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Mann und Frau (Gal 3,28) manifestierte in der Realität verwirklichter Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung als Frucht des Heiligen Geistes (Gal 5,22-23), dann sähen die Mitbürger der Jesusbekenner zwar nicht das Paradies, aber doch den Vorhof zum Paradies! Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass nach Auskunft von Jakobus und den Ältesten der Gemeinde in Jerusalem „Zehntausende“ (μυρια' δες [myriades]) von Juden zum Glauben an Jesus gekommen sind (Apg 21,20). Wir kennen namentlich 45 jüdische Jesusbekenner aus Jerusalem vor dem Jahr 70 n.Chr.; ca. 28 von 88 Einzelpersonen, die wir aus den Paulusbriefen und dem lukanischen Bericht der Paulusmission namentlich kennen, sind Judenchristen.226 Wenn man davon ausgeht, dass es um 250 n.Chr. ca. 1 Million Christen gab, von denen vielleicht 10 % Judenchristen waren, ergibt dies ca. 100 000 Judenchristen aus einer Gesamtzahl von ca. 5 Millionen Juden, was ca. 2 % entspricht.227 Allerdings haben wir weder für das 2./3. Jahrhundert noch für die spätere Zeit Statistiken oder Namenslisten von Judenchristen. Die rabbinische Literatur des 2. bis 5. Jh.s lässt hier und da die Existenz von Judenchristen in Palästina erkennen, aber insgesamt haben die Rabbinen Jesusbekenner offensichtlich mehr oder weniger ignoriert.228 Das Problem besteht nicht zuletzt auch darin, dass es in der Antike keinen Ausdruck für „Judenchristen“ gab, was die Unterscheidung zwischen Heidenchristen und Judenchristen erheblich erschwert.229 Was die judenchristlichen Gruppen der Ebioniten und Nazoräer betrifft, haben wir keine Informationen über deren Ursprung oder Umfang. Die Beziehung von Juden und Christen lässt sich an den Ereignissen im 5. Jh. in Himyar ablesen, dem altsüdarabischen Königreich im heutigen Jemen: Um 467 n.Chr. verursach————————————————————
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Für Einzelheiten s. Bauckham, James and the Jerusalem Community, 81-92; Hvalvik, Named Jewish Believers. Skarsaune, History, 770. Alexander, Jewish Believers, 708. Hidal, Evidence, 580, im Blick auf die Kirche in Syrien.
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ten Juden eine regierungsamtliche Verfolgung infolge der christlichen Mission, wahrscheinlich weil sie Erfolge erzielte; kurze Zeit später brannten Christen Synagogen nieder.230 Die Tragik der späteren Geschichte der Kirche besteht darin, dass die Unterdrückung und Verfolgung von Juden viel zu oft zur „Tagespolitik“ gehörte. Heidenchristen ist jeglicher heilgeschichtliche Exklusivitätsanspruch untersagt, der meint, die „Verwerfung“ der Juden sei definitiv, als Gottesfluch unaufhebbar.231 Nach dem aktuellen Stand des Jahres 2015 sind von 14,6 Millionen Juden ca. 326 000 (Juden-) Christen,232 was 2,23 % entspricht. Paulus warnt mit dem Bild vom Ölbaum und den ausgehauenen und neu eingepfropften sowie den wieder eingepfropften Zweigen die Heidenchristen in den römischen Gemeinden davor, sich arrogant über Juden(christen) zu erheben und Juden die Heilsmöglichkeit abzusprechen. Godet schreibt in seinem 1879/1880 veröffentlichten Kommentar: „Es ist jedem, der Augen hat zu sehen, nur zu klar, daß unsere Christenheit heidnischer Herkunft heutzutage auf dem Punkt angelangt ist, welchen Paulus hier voraussieht. In ihrem Hochmut tritt sie sogar den Begriff der Gnade, welche aus ihr das gemacht hat, was sie ist, mit Füßen. Sie geht daher einem Gericht der Verwerfung entgegen, gleich dem, welches Israel betroffen hat; nur wird mit demselben nicht zu seiner Milderung eine solche Verheißung (wie in V. 22) verbunden sein, wie die, von welcher der Verfall der Juden begleitet ist“.233 Neben der Bekehrung weiterer Juden durch zukünftige Missionsarbeit und der Warnung der Heidenchristen vor arrogantem Hochmut gegenüber Judenchristen betont Paulus, was den Text wie ein roter Faden durchzieht, das Handeln Gottes sowohl im Unglauben der Juden als auch in der Bekehrung von Heiden und von Juden (s. die vielen passiva divina). Was Paulus seit 9,6 (in der Tat seit 1,18) betont hat, unterstreicht er auch in diesem Abschnitt – das souveräne Handeln Gottes in Gericht und Gnade. Neben und unter dem Handeln Gottes steht das Handeln von Menschen – von Paulus, der als Missionar noch mehr Juden zum Glauben an den Messias Jesus führen will (11,13-14); von Juden, die im Unglauben verharren (11,20); von Heiden, die aufgrund ihres Glaubens zu dem durch Gottes Verheißungen an Abraham konstituierten Heilsvolk hinzugestoßen sind (11,20) und die ver————————————————————
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Lahey, Evidence, 632. Wilckens II 249. Johnson/Zurlo, World Christian Database, passim, mit Addition der Zahlen von 216 Volksgruppen bzw. Ländern, in denen Juden beheimatet sind. Genaue Zahlen sind nicht zu bekommen, schon allein deshalb, weil die Definition dessen, was „jüdische Identität“ bedeutet, unterschiedlich ist; vgl. Fischer, Annual Assessment, 93-119.149-155. Godet II 211.
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pflichtet und befähigt sind, in der Güte zu bleiben (11,22); von Juden, die sich vom Unglauben abwenden und zum Glauben an Jesus kommen (11,23). Die Warnung an die Adresse der Heidenchristen in 11,20 bedeutet nicht, dass gerade der Glaubende bedroht ist.234 Die Bedrohung entsteht, wenn Glaubende vergessen, dass sie als „Gottlose“ von Gott begnadigt wurden. Wenn sich der Glaubende der Tatsache bewusst bleibt, dass allein Gottes barmherzige Gnade seine Bekehrung möglich gemacht hat und sein Leben trägt, lebt er in der Furcht Gottes, die ihm das Leben im Volk Gottes sichert, gemäß dem Grundsatz der atl. Weisheit (Spr 1,7; 9,10). Wer hochmütig ist, hat den Glauben verloren oder nie richtig geglaubt. Otfried Hofius konstatiert im Blick auf 11,23, dass Gott die ausgebrochenen Zweige wieder in den edlen Ölbaum einpfropfen kann – eine Möglichkeit, die in 11,24b in eine „Aussage eindeutiger Gewißheit“ einmündet: „Gott wird sie wieder einpfropfen“.235 Was das in 11,20.23 genannte Kriterium des Glaubens betrifft, schreibt er: „Der Glaube ist für Paulus ja nicht eine verfügbare Möglichkeit menschlicher Entscheidung und somit nicht Bedingung, Voraussetzung und Grund der Heilsteilhabe, sondern er ist – als alleiniges Werk und ausschließliche Gabe Gottes selbst – der Modus der Heilsteilhabe. Und der Unglaube ist dementsprechend nicht Grund und Ursache der Heilsverschlossenheit, sondern deren Gestalt.“236 So richtig es ist, den Glauben nicht als Leistung zu verstehen, sondern als „Werk Gottes“, so falsch ist es, den Glauben so sehr als Werk Gottes zu verstehen, dass das Glauben des Menschen ganz verschwindet. In 11,15 spricht Paulus von der Verwerfung Israels, d.h. vom Gerichtshandeln Gottes. In 11,20 spricht er vom Unglauben der ausgebrochenen „Zweige“, d.h. von einem Handeln, für das die ungläubigen Juden selbst verantwortlich sind, entsprechend der Argumentation von 9,30–20,21: Israel ist für seine gegenwärtige Heil-losigkeit selbst verantwortlich, weil es sich Gottes Heil schaffender Gerechtigkeit widersetzt hat. Wenn man den Glauben an den Messias Jesus als den Modus der Heilsteilhabe beschreibt, gilt gleichzeitig, dass der Sünder an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus glauben muss, um das Heil Gottes als gnädiges Geschenk des machtvoll handelnden Gottes zu erhalten (11,23). Der Weg der ungläubigen Juden zurück in das Heilsvolk Israel kann kein anderer Weg sein als der Weg des Glaubens – wenn es einen solchen Weg für die Juden gäbe, könnte Paulus sich das Argument von 2,1–5,21 und 9,1–11,32 sparen. Seine Trauer über den ————————————————————
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So Käsemann 300. Hofius, Evangelium, 188. Hofius, Evangelium, 182, zustimmend zitiert von Kraus, Volk Gottes, 318, der die beiden Dative τηñ, α� πιστι' α, und τηñ, πι' στει nicht kausal, sondern modal verstehen muss.
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Unglauben Israels (9,2) wäre dann nur ein rhetorischer Trick, der unnötig wäre: Wenn der Unglaube Israels nur Setzung Gottes ist, die von der Gewährung des Glaubens abgelöst wird, erübrigt sich sowohl die Trauer als auch die komplexe Diskussion von 9,1–11,32. Wenn Hofius gegen das Verständnis des Glaubens als Bedingung der Heilsteilhabe argumentiert, vergisst er die Betonung des Glaubens in 10,6-13 als Voraussetzung der Rettung – einer Rettung, die verbunden ist mit dem persönlichen Glauben im Herzen, mit dem persönlichen Bekenntnis mit dem Mund und mit der persönlichen Anrufung des Namens des Herrn Jesus. Paulus beschreibt den Glauben, der für die Rettung des jetzt noch ungläubigen Juden notwendig ist, in V. 23 mit einem Bedingungssatz, der als eventualis konstruiert ist: Die Abkehr vom Unglauben, und das heißt die Hinkehr zum Glauben an den Messias Jesus, ist in der Tat eine Bedingung, die zu erfüllen ist – auch wenn die Erfüllung dieser Bedingung keine menschliche Leistung ist, sondern Folge der barmherzigen Gnade des allmächtigen Gottes. Käsemann hat recht: Gnade ist die Macht Gottes, die in der ganzen Welt, auch für die Juden, „Unglauben überwindet und in den Glauben holt“.237 Der Vorwurf von Jewett, Käsemann vergegenständliche die Gnade,238 ist unangebracht: Richtig ist, dass es Gottes Macht ist, die den Widerstand gegen seine Gnade überwindet, die für Heiden wie für Juden ein Hindernis für den Glauben ist; reduktivistisch und deshalb falsch ist die Auskunft, Paulus wolle in seinem Brief an die Christen in Rom und in seiner Missionsarbeit nur sagen, dass Gott „fähig“ bzw. mächtig ist. Für Paulus gehören Gnade und Glaube zusammen – Gottes Gnade ermöglicht den Glauben, den der sündige Mensch haben muss, um Anteil am Heil Gottes zu haben. Wenn Jewett gegen theologische Unterweisung als Kontext und Voraussetzung für die Weckung des Glaubens polemisiert, vergisst er die von Paulus in 10,1421 ausführlich skizzierte Darstellung missionarischer Verkündigung. Ohne Gottes Gnade gibt es keinen Glauben, und ohne Glauben des Sünders gibt es keine Gnade. Wer diese gegenseitige und gleichzeitige Bedingtheit leugnet, landet in einem mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gebrachten Universalismus einer Allversöhnung, in dem Gottes Gnade auf eine Weise triumphiert, dass es nicht mehr darauf ankommt, dass Sünder – ob Heiden oder Juden – Gottes Gnade im Glauben auch tatsächlich annehmen.239 Wilckens lehnt es zu Recht ab, die Wirklichkeit der Gnade Gottes, die den Sünder rechtfertigt und denen Zutritt zum Heil schaf————————————————————
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Käsemann 301. Jewett 692 Anm. 265; für das Folgende s. ebd., mit dem Satz „God is able“ als Quintessenz des Anliegens von Paulus. Vgl. Kritik von Wright, Paul, 1219 Anm. 615 an Jewett.
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fen wird, die es jetzt ablehnen, für die Heiden geltend zu machen, meint aber, mit dem Nein Israels habe es eine besondere Bewandtnis: „eben weil Israel im Unterschied zu allen Völkern das erwählte Volk Gottes ist“ und Gott in seiner Treue zu seinem gegebenen Wort steht.240 Alle Völker, Juden wie Griechen, können in der Tat nur im Glauben an Jesus Christus Anteil haben am endzeitlichen Heil, und in der Tat können „die im Unglauben verharrenden Juden nur in ihrer Bekehrung zum Glauben an Christus dieses Heil erlangen“ – und deshalb gilt eben doch, dass die Teilhabe der Juden am Heil von der Kraft der Gnade Gottes abhängt und an ihre Bereitschaft geknüpft ist, an Jesus als den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Israels zu glauben.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 I 25 Denn ich will euch nicht in Unkenntnis lassen, Brüder, im Blick auf dieses Geheimnis, damit ihr nicht euch selbst für klug haltet: Verhärtung ist Israel teilweise widerfahren, bis die Fülle der Völker eingegangen ist. 26 Und auf diese Weise wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: Aus Zion wird der Retter kommen; er wird Gottlosigkeiten von Jakob abwenden; 27 und dies wird der Bund sein, den ich mit ihnen schließen werde, wenn ich ihre Sünden entferne. 28 Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen, im Blick auf die Erwählung sind sie jedoch Geliebte um der Väter willen, 29 denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unwiderruflich. 30 Denn wie ihr einst Gott ungehorsam gewesen seid, jetzt aber Erbarmen erfahren habt infolge ihres Ungehorsams, 31 so sind jetzt auch sie ungehorsam geworden zugunsten des euch erwiesenen Erbarmens, damit jetzt auch sie Erbarmen erfahren. 32 Denn Gott hat alle dem Ungehorsam ausgeliefert, damit er sich aller erbarme. II Nachdem Paulus die Souveränität Gottes in der Frage der Zugehörigkeit zu Israel (9,6-13) und zum wahren Gottesvolk (9,14-29) sowie den Widerstand Israels gegen Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus (9,30–10,21) behandelt hatte, wandte er sich der Frage nach der Errettung Israels zu (11,1-32). Paulus erläuterte zunächst, dass Israel schon deshalb nicht als ————————————————————
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Wilckens II 249; für das Folgende ebd. 250.
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von Gott verworfen betrachtet werden kann, weil es einen Rest in Israel gibt, der glaubt (11,1-10). Dann erläuterte er den Heilsplan Gottes, der die Verhärtung Israels vorgesehen hatte, damit das Evangelium die Völker erreicht, was wiederum dazu führt, dass Israel durch die Heilsteilhabe der Völker zur Eifersucht gereizt wird und zumindest einige Juden gerettet werden, wobei der Glaube an Gottes messianische Heilsoffenbarung die Bedingung für das Heil ist (11,11-24). Im dritten Unterabschnitt erläutert Paulus abschließend und zusammenfassend, wie Gottes Verheißung messianischen Heils mit der Rettung Israels erfüllt wird (11,25-32). Der Text lässt sich in drei Abschnitte teilen. 1. Das Geheimnis der zukünftigen Errettung ganz Israels (11,25-27). Nach einer Einführungsformel, die die Bedeutung der im Folgenden mitgeteilten Einsicht in Gottes Lenkung der Geschichte als Heilsgeschichte unterstreicht und implizit noch einmal die Heidenchristen vor exklusiver Selbstüberschätzung warnt (V. 25a), begründet Paulus die Aussage über das Wiedereinpfropfen der „ausgehauenen“ Zweige (= ungläubige Juden) in den Ölbaum. Paulus spricht von einem „Geheimnis“, das die teilweise Verhärtung Israels, die Errettung einer Fülle von Heiden und die Errettung von „ganz Israel“ darstellt (V. 25b-26a). Paulus bestätigt dieses Verständnis der Heilsgeschichte, die Israel und die Völker umfasst, mit einem Zitat aus Jes 59,20-21; 27,9 (V. 26b-27). Bei der Interpretation der umstrittenen V. 25-26 ist zu beachten, dass Paulus in V. 28-32 zusammenfasst, was er in V. 11-24 ausführlicher dargestellt hatte.241 2. Erklärung des heilsgeschichtlichen Vorgangs der Errettung der Heiden und der Juden in ihrer wechselseitigen Bedingtheit durch das Erbarmen Gottes (11,28-32). (a) Paulus stellt zunächst fest, dass die Juden, was das Evangelium betrifft, Gottes Feinde geworden sind, was dazu führte, dass die Völker Zugang zum Heil erhielten, was jedoch nicht die Tatsache infrage stellt, dass die Juden, was die Erwählung betrifft, infolge der Väter Gottes Geliebte sind (V. 28). Paulus begründet diese heilsgeschichtliche Wahrheit (b) erwählungstheologisch: Gottes Heilssetzungen für Israel und seine in den Erzvätern ergangene Berufung sind unverbrüchlich (V. 29), und (c) soteriologisch: Die Heiden erfahren in der Gegenwart das Erbarmen Gottes – auf die Zeit des Ungehorsams folgte (in der Vergangenheit) die Zeit der Erbarmung; die Juden erfahren in der Gegenwart Verhärtung – auf die Zeit des Ungehorsams wird (in der Zukunft) auch für sie die Zeit der Erbarmung folgen (V. 30-32). ————————————————————
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Die These von Plag, Wege, 41.60.65-66, V. 25-27 sei sekundär aus einem anderen Paulusbrief eingefügt worden, hat zu Recht keinen Anklang gefunden. Zur Kritik s. Käsemann 302; Wilckens II 252; Jewett 695 Anm. 6; Mayer, Heilsratschluß, 293-300; Stuhlmacher, Interpretation, 557; Sänger, Verkündigung, 166 Anm. 558.
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3. Zusammenfassender Abschluss (V. 32): Das Heilshandeln Gottes in der Geschichte reicht vom Einschließen von Juden und Heiden in die Sünde des Ungehorsams (summiert 1,18–3,20) hin zur rettenden Erbarmung (summiert 3,21–5,11). Das Kennzeichen der Heilsgeschichte ist die Rechtfertigung der Gottlosen als Werk von Gottes souveräner Gnade. Textkritische Anmerkungen. In V. 25 ist die Entscheidung schwierig, ob vor dem Dativ ε� αυτοιñς keine Präposition (d46 F G Ψ 6 1506 1739 u.a. lat),242 ε� ν (A B 630 1506 1852 2200 syp.h arm)243 oder παρ’ ( אC D 33 1881 Byz b syh)244 steht. Alle drei Lesarten sind früh und breit bezeugt. Mehrere Argumente sprechen für die Minus-Lesart: ε� ν ε� αυτοιñς ist Erleichterung des Dativs ohne Artikel; παρ’ ε� αυτοιñς φρο' νιμοι ist Angleichung an Spr 3,7; die Lesart ohne Präposition ist lectio brevior, die die Entstehung der Lesarten am besten erklärt. Man kann eine Entscheidung auch offen lassen,245 weil die Bedeutung des Satzes in keinem Fall beeinflusst wird. In V. 27 liest d46 παρ’ ε� μουñ η� διαθη' κη, was wahrscheinlich ein Diktierfehler ist. In V. 30 lesen א2 D1 Ψ Byz lat sy και' vor υ� μειñς, was manche als theologische Apologetik auffassen, die Heidenchristen versichert, dass Judenchristen ebenfalls Sünder sind;246 die Minus-Lesart ohne και' ist in d46 א1 ( *אlässt V. 30 aus) A B C D* F G 81 365 945 u.a. bestens bezeugt. Statt νυñ ν lesen B 1505 νυνι', was nicht gut bezeugt ist und als sekundäre Verstärkung des Arguments interpretiert werden kann. In V. 31 lesen manche Textzeugen vor ε� λεηθω ñ σιν die zeitliche Bestimmung νυñ ν ( אB D*.c 1506 u.a. bo) oder υ« στερον (33 365 u.a. sa), andere Manuskripte haben keine zeitliche Bestimmung (d46 A D2 F G Ψ 1739 1881 Byz latt). Die Minus-Lesart ist früh und breit bezeugt.247 Die Schwierigkeit, die die Lesart νυñ ν für das Verständnis der Aussage bereitet (Betonung der Naherwartung; s. den Kommentar), führte wahrscheinlich zur Auslassung oder zur Ersetzung durch υ« στερον („später, danach). Als schwierigere Lesart ist das früh und gut bezeugte νυñ ν als ursprünglich zu bewerten,248 wobei die eckigen Klammern in NA24-28 unnötig sind. In V. 32 lesen d46vid D* latt τα` πα' ντα vor ει� ς α� πει'θειαν statt του` ς πα' ντας, was als ————————————————————
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Lagrange 284; Zahn 521f; Käsemann 302; Cranfield II 574 (druckt jedoch ε� ν); Schlier 338; Moo 711; Schreiner 623; Jewett 694; Jeremias, Beobachtungen, 195 Anm. 6. So NA vor der 24. Auflage; Lietzmann 105; Wilckens II 252; Michel 354 Anm. 5. So NA24-28 (in eckigen Klammern); Dunn II 676; Penna 733.771. Fitzmyer 621; Lohse 318 Anm. 7; vgl. Metzger, Textual Commentary, 465. Jewett 695. Bevorzugt von Wilckens II 261-262, im Anschluss an Zahn 527-528 Anm. 76; Jülicher 308; Plag, Wege, 40. So die meisten Ausleger; vgl. Michel 358; Käsemann 306; Cranfield II 585; Schlier 343; Fitzmyer 628; Moo 711; Schreiner 630; Lohse 323; Jewett 694; Metzger, Textual Commentary, 465. Dunn II 677 hält eine klare Entscheidung für unmöglich.
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sekundäre Anknüpfung an Gal 3,22249 oder als bewusste Ausweitung des Ungehorsams gegenüber Gott über Menschen bzw. Völker hinaus250 zu werten ist. III
25 Paulus begründet (γα' ρ) die in V. 11-24 beschriebene Möglichkeit, Hoff-
nung und Erwartung, dass ungläubige Juden nicht an ihrem Unglauben festhalten, sondern zum Glauben an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt kommen. Die Wendung ich will euch nicht in Unkenntnis lassen, Brüder (ου� θε' λω υ� μαñ ς α� γνοειñν, α� δελφοι'; V. 25a) stimmt wörtlich mit dem Anfang von 1,13 überein, wo Paulus von seinem wiederholt ins Auge gefassten Plan spricht, nach Rom zu kommen und die dortigen Gemeinden zu besuchen.251 Die Formulierung signalisiert nichts Neues,252 sondern Wichtiges, das besondere Aufmerksamkeit verdient,253 was die Anrede mit „Brüder“ unterstreicht.254 Paulus bezeichnet die Aussage, auf die er Gewicht legt und die die stadtrömischen Jesusbekenner wissen sollen, als Geheimnis. Das Wort μυστη' ριον [mysterion] hat in hellenistischen Texten sowohl profane wie auch religiöse Bedeutung, die deshalb nicht, wie es oft geschieht, von den sog. Mysterienkulten hergeleitet werden darf, in denen es als Bezeichnung für die Kulthandlung von Priestern verwendet wird.255 In profanen Texten bedeutet μυστη' ριον „(anvertrautes) Geheimnis“, so auch ————————————————————
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Metzger, Textual Commentary, 465; vgl. Cranfield II 587; Moo 711; Dunn II 677. Jewett 695. S. auch die Formulierungen in 1Kor 10,11; 12,1; 2Kor 1,8; 1Thess 4,13. So Siegert, Argumentation, 171; Bockmuehl, Revelation, 170. Vgl. Sänger, Verkündigung, 181 Anm. 181: Wie 1Kor 10,1; 12,1 zeigen, muss auf die Einleitungsformel „nicht notwendigerweise ein bisher unbekannter Sachverhalt folgen“. Cranfield II 572; Wilckens II 252; Jewett 697. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 362 verweist auf ähnliche Formulierungen in den Papyri – ου� κ οιòμαι' σε α� γνοειñν ο« τι, „ich glaube nicht, dass du darüber unwissend bist, dass“; ου� κ α� γνοειñς ο« τι, „du bist nicht unwissend darüber, dass“ –, durch die „die Aufmerksamkeit der Angesprochenen … besonders geweckt werden“ soll; vgl. P.Mich. I 6,1; P.Cair.Zen. III 59316,2 u.a., sowie P.Giss. I 21,7; 11,17. Vgl. 1,13; 7,1.4; 8,12.29; 10,1 sowie 12,1; 14,10.13.15.21; 15,14.30; 16,14.17.23. Vgl. G. Bornkamm, Art. μυστη' ριον, ThWNT IV, 809-834; J. Krämer, EWNT II, 10981105; M. Vahrenhorst, ThBLNT II, 1431-1435; P.T. O’Brien, Art. Mystery, DPL 621623; O. Kern, Art. Mysterien, RE XVI/2, 1209-1314; Prümm, Mysterion; Bouyer, Mysterion; Riedweg, Mysterienterminologie, 108-112 zu Philo; Bockmuehl, Revelation, 7-126; Sänger, Verkündigung, 184-192; zu den Papyri Arzt-Grabner, 1. Korinther, 113114; zu Eph vgl. Caragounis, Mysterion. Keine Hilfe ist deshalb der Beginn des Eintrags in Bauer/Aland s.v. μυστη' ριον: „ein relig[iöser] t.t. [terminus technicus] … meist d[ie] Mysterien mit ihren relig.-politischen, in mancherlei seltsame Gebräuche u. Feierlichkeiten eingehüllten Geheimlehren“; so immer noch in BDAG, wo dann zwei ntl. Bedeutungen definiert werden: 1. „the unmanifested or private counsel of God“, mit Verweis u.a. auf Röm 11,25 (und der zugespitzten Erklärung: „A secret or mystery, too profound for human ingenuity, is God’s reason for the partial hardening of Israel’s heart“); 2. „that
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 491 ———————————————————————————————————— häufig in der LXX (Jdt 2,2; Tob 12,7.11; Sir 22,22; 27,16-17.21; 2Makk 13,21). In Weish 2,22; 6,22 bezeichnet μυστη' ριον das Schöpferhandeln Gottes, das der Fromme erkennen und verkündigen soll. In der ntl. Forschung wird μυστη' ριον, gerade auch was Röm 11,25 betrifft, als Begriff der jüdischen Apokalyptik verstanden. In Dan 2,18-19.27 LXX ist μυστη' ριον Übersetzung von [ ָרזrās], das den Inhalt des Traumgesichts des Nebukadnezzar bezeichnet, d.h. das von Gott bestimmte endzeitliche, zukünftige Geschehen, dessen Verständnis Gott dem Seher offenbart. In den Qumrantexten bezeichnet ( ָרזmeist im Plural), manchmal auch [ ס ֹודs`ōd], die Geheimnisse der göttlichen Schöpfungsordnung (1QS III, 15ff; 1QH I, 11.13), der Bewahrung Israels in der (Qumran-)Gemeinschaft (CD III, 18-19; 1QM XIV, 9-10; XVII,9) und die Endereignisse (1QS IV, 18; 1QM III, 9; XVI, 11), die Gott den Propheten offenbart und nun dem Lehrer der Gerechtigkeit, dem von Gott erleuchteten Erforscher der Schrift, anvertraut hat (1QpHab VII, 4-5), der sie den Gliedern der Gemeinde übermitteln und erklären soll (1QS IX, 17ff; 1QH VII, 27; XI, 10; XII, 13).256 Philo beschreibt mit μυστη' ριον Gottes Erschaffung des Alls, die Kräfte, die in der Welt wirken und die Tugenden, wobei Gott die Seele des Frommen die Erkenntnis dieser Geheimnisse wissen lässt (All 3,27). In der atl.-jüdischen Tradition werden mit dem Wort „Geheimnis“ himmlische oder historische Sachverhalte bezeichnet, die Gott bekannt sind und die Menschen nur infolge von göttlicher Offenbarung kennen.257 Im NT bezieht sich μυστη' ριον vorwiegend auf Gottes Heilshandeln in Tod und Auferwekkung des Messias Jesus. In 1Kor 2,1 bezeichnet μυστη' ριον die Offenbarung Gottes im gekreuzigten Messias. Paulus spricht in 1Kor 2,7 vom Evangelium als einem „verborgenen Geheimnis“, weil die Heilsoffenbarung Gottes im gekreuzigten Messias Jesus die Weisheit Gottes ist, die für Juden ein Ärgernis und für Griechen eine Torheit ist – das Evangelium ist keine Geheimlehre für Fortgeschrittene, sondern die Heilsoffenbarung Gottes im Kreuzestod Jesu.258 In 1Kor 15,51 ist μυστη' ριον keine neue Offenbarung, sondern ein Offenbarungswort, das 1Thess 4,16-17 interpretiert – ein Text, den Paulus in Korinth schrieb und der zumindest dem Inhalt nach den Korinthern bekannt gewesen sein muss.259 In Kol 1,26-27 und Eph 3,5-6 spricht Paulus von einem „Geheimnis“, das aus mehreren Grundtatsachen besteht: 1. Die zu Jesus gehörenden Heiden sind zusammen mit den Judenchristen die Erben des Segens Abrahams. 2. Die gläubigen Heiden gehören „zu demselben Leib“ (συ' σωμα), d.h., sie bilden zusammen mit den Judenchristen, gleichwertig und gleichberechtigt, das messianische Heilsvolk. 3. Die Heiden sind „Mitteilhaber derselben Verheißung“ (συμμε' τοχα), d.h., sie haben wie die Juden den Heiligen Geist erhalten. 4. Die Grundlage und die Vermittlung des Heils, das jetzt auch die Heiden erreicht, ist „das Evangelium“, d.h. die Botschaft vom Tod und der Auferweckung des Messias Jesus, der die Wand der Feindschaft zwischen Juden und Heiden niedergerissen hat.260 ————————————————————
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which transcends normal understanding, transcendent/ultimate reality, secret, with focus on Israelite/Christian experience“. Zu Qumran D.J. Harrington, EDDS II, 588-591; Brown, Background; Coppens, Mystery; Bockmuehl, Revelation, 53-56. D.J. Harrington, EDDS II, 589. Vgl. die Zusammenfassung von Sänger, Verkündigung, 191-192. Harrington betont ebd., dass keine Notwendigkeit besteht, eine Verbindung zwischen den griech. Mysterienkulten und der Verwendung von „Geheimnis“ in der LXX oder in Qumran anzunehmen. Dasselbe gilt auch für Paulus. Vgl. Schnabel, 1. Korinther, 152-153.167; zum folgenden Punkt ebd. 981. Paulus verwendet μυστη' ριον in Röm 11,25; 16,25; 1Kor 2,1.7; 4,1; 13,2; 14,2; 15,51; Eph 1,9; 3,3.4.9; 5,32; 6,19; Kol 1,26.27; 2,2; 4,3; 2Thess 2,7; 1Tim 3,9.16. Schnabel, Urchristliche Mission, 426-429.
492 Römerbrief ————————————————————————————————————
Das „Geheimnis“ von 11,25c-26/27 hebt sich vom Offenbarungsverständnis der jüdischen Texte, in denen es um ein „Geheimnis“ geht, in signifikanter Weise ab: „Es enthüllt kein vergleichbares Geheimnis. Auch ohne die abermalige Explikation in 11,25b-27 ist das Daß der Rettung ‚ganz Israels‘ bereits bekannt (11,12f.16.16-24), wie auch der ordo salutis, nämlich das Wann (11,12.15; vgl. 11b) und das Wie (vgl. 10,17) von Israels σωτη' ρια [sic], in den vorhergehenden Ausführungen enthalten ist … Das μυστη' ριον von Röm 11,25b-27 ist eben kein Mysterium im genuinen Sinn.“261 Paulus spricht in 11,25 von μυστη' ριον, weil der in Röm 9–11 beschriebene Heilsplan Gottes für Israel und für die Völker, der in 11,25-27 zusammengefasst wird, rätselhaft ist und im Blick auf das Wann und Wie der Rettung Israels weder aus der Schrift noch aus der Jesustradition direkt abgeleitet werden konnte. Gleichzeitig verwehrt es die Einleitung zum „Geheimnis“ von 11,25c-27 in 11,25b, dass die angesprochenen Heidenchristen sich auf ein Nichtwissen berufen, was das Verhältnis von Israel zu den Gemeinden der Jesusbekenner in Rom, die mehrheitlich heidenchristlich sind, betrifft: Gott hat sowohl Juden wie Heiden zum Heil bestimmt, wobei gilt, dass Gott das Volk Israel nicht verstoßen hat, sondern seine Rettung will.262 Die Aussage in Röm 11,25c-26a verweist im Licht des begründenden Zitats aus Jes 59,20-21 / Jes 27,9 in 11,26b-27 auf ein aus jüdischer Perspektive endzeitliches Geschehen; sie gehört damit in den Kontext jüdischer apokalyptischer Texte, in denen mit dem Stichwort „Geheimnis“ auf Ereignisse oder Prozesse im endzeitlichen Heilsgeschehen verwiesen wird, die verborgen waren, aber dann von Gott offenbart werden. Gleichzeitig ist zu beachten, dass es weder ein festes Schema von Offenbarungsworten mit dem Begriff „Geheimnis“ noch einen bestimmten Modus oder einen festen Sitz im Leben der Offenbarungsmitteilung gibt.263 Das „Geheimnis“ ist weder Resultat der spekulierenden Fantasie des Apostels264 noch (wie in ————————————————————
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Sänger, Verkündigung, 192. Zum folgenden Punkt ebd. 192-193. Es erübrigt sich somit die These von Käsemann 302, der von einer „gewaltsame(n) Umformung jüdisch-judenchristlicher Tradition“ durch Paulus spricht. So betont Jewett 697-698 die Unterscheidung zwischen Insidern und Outsidern, denen der Zugang zu dem Offenbarungswissen verwehrt ist (z.B. 1QS VI, 6; äthHen 38,3) und meint, Paulus wolle die in dem Begriff „Geheimnis“ implizierte Voreingenommenheit zugunsten der Insider mit der Warnung vor Überheblichkeit in 11,25b (und 11,11-24) überwinden und verkündige in 11,25c-26a eine autoritative „neue Lehre“, für die er göttliche Autorität beansprucht. Weil es kein präzises formgeschichtliches „Profil“ von „Geheimnis-Offenbarungen“ gibt, ist es wenig hilfreich, Beobachtungen, die für manche apokalyptischen Texte zutreffen, als grundlegend für andere Aussagen zu postulieren, nur weil sie das Stichwort μυστη' ριον enthalten. So Bultmann, Theologie, 484; kritisch Käsemann 302.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 493 ————————————————————————————————————
2Kor 12,1-10) eine völlig neue, im Geist erfahrene Offenbarung Gottes.265 Paulus beruft sich in V. 26b-28 auf die Schrift, „die er im Blick auf das Geschick Israels und die ihm verbürgten Verheißungen“ auslegt,266 und in V. 33-36 betont er doxologisch die unbegreiflichen Gerichte und unerforschlichen Wege Gottes, was einerseits zeigt, dass der Inhalt des „Geheimnisses“ nicht eine völlig neue Heilsoffenbarung ist, andererseits, dass Paulus nicht mit dem Anspruch schreibt, genaue Kenntnis über zukünftige innergeschichtliche Ereignisse zu besitzen. Wir werden sehen, dass der wesentliche Inhalt des „Geheimnisses“ sowohl in Röm 11,11-24 als auch in atl. Schriftstellen vorliegt – die Erwartung der Rettung Israels und die Rettung der Völker –, wobei das Neue in der Auskunft besteht, dass zuerst die Heiden Rettung erfahren und dass Israel erst anschließend gerettet wird. Die Aussage 11,25c-26a ist jedenfalls keine „Privatoffenbarung des Paulus“.267 Weil Paulus sich in 11,25c-26a auf 11,11-24 zurückbezieht, ist die Annahme, Paulus zitiere einen älteren „Gottesspruch“,268 nicht plausibel. Ebenfalls nicht überzeugend ist Müllers Vorschlag, Paulus habe in 1Thess 2,15-16 die endzeitliche Verwerfung Israels als sicher angekündigt, Fürbitte für das jüdische Volk geleistet (Röm 9,1-3; 10,1) und dann von Gott als Antwort die Offenbarung von 11,25c-26a erhalten (mit Hinweis auf 4Esr 12,48 und die folgende Vision in 13,32-50 sowie syrApkBar 34 mit der folgenden Vision in 39,7–40,3).269 Die Aussagen in Röm 9,2-3; 10,1 sind im Präsens formuliert, d.h., Paulus betet immer noch für die Rettung Israels; und 11,25-26 ist kein „tröstendes Heilswort“ (primär für Paulus), sondern eingebettet in und koordiniert mit der Mahnung an die Adresse der Heidenchristen (11,18.20.25). Die angeführten jüdischen Texte stützen die unterstellte formgeschichtliche Folge von prophetischer Fürbitte und göttlichem Offenbarungswort nicht.270 Kim argumentiert, dass Paulus den Inhalt des „Geheimnisses“ von Röm 11,25-26 als Reaktion auf die Offenbarung des erhöhten Herrn in seinem Damaskus-Erlebnis, das mit der Berufung zum Missionar unter den Völkern verbunden war, im Zusammenhang einer Interpretation von Jes 6 und 49 sowie Jes 45,14-25; 59,19-20 und Deut 32,21 entwickelt, und zwar schon früh, vor seinem Jerusalembesuch bei Petrus, bei dem die Übereinkunft von Gal 2,7-8 als Konsequenz dieses offenbarten Heilsplans – zuerst bekehren sich die Völker, dann ————————————————————
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Cranfield II 573; Dunn II 679; Haacker 283; Jewett 698; Luz, Geschichtsverständnis, 288-289; Müller, Prophetie, 226; Lüdemann, Paulus und das Judentum, 34; Gundry-Volf, Perseverance, 177; Sandnes, Paul, 180. Lohse 318; Hofius, Evangelium, 202; Hübner, Gottes Ich, 113.121-122, mit Verweis auf Jes 59,20-21; 27,9 (zitiert in Röm 11,26b-27) sowie Jes 6,9-13 (LXX und Targum); 45,17.25; Jer 31,33-34. Siegert, Judenmission, 13. Bockmuehl, Revelation, 174: „this hitherto unreleased piece of eschatological intelligence“. So Michel 356 Anm. 9. Barth, Volk, 79.94 meint, Paulus habe das Geheimnis einem „prophetisch-apokalyptischen Buch“ entnommen. Kritisch Sänger, Verkündigung, 183: Dies ist reine Spekulation. So Müller, Prophetie, 229-232; vgl. Wilckens II 254; Dunn II 678-679; Merklein, Prophet, 424-425. Kritisch Kim, Mystery, 417; Sänger, Verkündigung, 182-183. Eingeräumt von Sandnes, Paul, 180; vgl. Sänger, Verkündigung, 183.
494 Römerbrief ———————————————————————————————————— das jüdische Volk – getroffen wurde, d.h. ca. 34/35 n.Chr.271 Die Kritik, die Trauer über Israels gegenwärtigen Unglauben in 9,1-3; 10,1 gäbe keinen Sinn, wenn Paulus schon seit seiner Bekehrung (oder kurz danach) das endzeitliche Geschick des jüdischen Volkes gekannt hätte, ist nicht überzeugend, weil Paulus sich trotz seiner Naherwartung (1Thess 4,17; Röm 13,12) im Blick auf die Nähe der Wiederkunft Jesu nicht festgelegt hat und weil er offensichtlich glaubte, dass die Juden, die sich dem Glauben an den Messias verweigern, nach ihrem Tod von Gott gerichtet werden. Unabhängig davon, wie man Röm 11,26a interpretiert, hat Paulus in seiner Mission ungläubige Juden mit dem Evangelium zu erreichen versucht, während er gleichzeitig in seiner Fürbitte (9,2-3; 10,1) für die Rettung von mindestens „einigen“ Juden (11,13-14) eintrat.272
Der Grund, weshalb die mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinden in Rom den Inhalt des „Geheimnisses“ wissen sollen, wird in dem Finalsatz damit ihr nicht euch selbst für klug haltet (V. 25b) genannt: Die Warnung, sich nicht hochmütig auf die eigene Klugheit zu verlassen, erinnert an die Warnung in V. 18, sich nicht arrogant über die ungläubigen Juden zu erheben. Die Tatsache, dass Paulus diese Warnung als Ziel der Mitteilung des „Geheimnisses“ bezeichnet, darf bei der Interpretation des „Geheimnisses“ nicht vergessen werden: Es geht in V. 25-26 nicht in erster Linie um die Bekehrung Israels, sondern um die Heidenchristen, die ihren Platz in Gottes Heilsgeschichte kennen und nicht überheblich sein sollen. Der Inhalt des „Geheimnisses“, eingeleitet mit ο« τι-recitativum, besteht aus drei Aussagen (V. 25c-26a): 25c πω' ρωσις α� πο` με' ρους τω ñ, � Ισραη` λ γε' γονεν: Verhärtung ist Israel teilweise widerfahren 25d α» χρι ουð το` πλη' ρωμα τω ñ ν ε� θνω ñ ν ει� σε' λθη, : bis die Fülle der Völker eingegangen ist 26a και` ου« τως παñ ς � Ισραη` λ σωθη' σεται: und auf diese Weise wird ganz Israel gerettet werden Wer ου« τως V. 26a als nach vorne verweisendes Adverb versteht und auf καθω` ς γε' γραπται und damit auf das folgende Zitat V. 26b-27 bezieht,273 muss von einer viergliedrigen Aussage ausgehen, weil ου« τως sonst kein Bezugwort hat. Diese Interpretation ist grundsätzlich nicht unmöglich, sie ist jedoch nicht pausibel. 1. In den zugunsten dieses Verständnisses von ου« τως angeführten Stellen 1Kor 16,1; Phil 3,17 kommt die Relation ου« τως … καθω` ς γε' γραπται nicht vor; in Röm 15,20-21, wo diese Konstruktion vorkommt, bezieht sich ου« τως auf den Modus des ευ� αγγελι' ζεσθαι, d.h., ein direkter Bezug zu dem mit καθω` ς γε' γραπται eingeleiteten Zitat V. 21 (Jes 52,15), das zudem mit dem adversativen α� λλα' eingeleitet wird, ————————————————————
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Kim, Origin, 74-99; Kim, Mystery, 412-429. Kritisch Hübner, Gottes Ich, 129-130; Sänger, Verkündigung, 182. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 946-958, mit einer Datierung des Jerusalembesuchs von Gal 2,1-10 (Apg 11,27-30) in das Jahr 44. Kim, Mystery, 423 meint, dieses Szenario erscheine nur denen als rätselhaft, die „unrealistically rationalistic“ sind. Bauer/Aland s.v. ου« τως 2; BDAG s.v. ου« τως 2; NSS II 38; Plag, Wege, 37 Anm. 148; Stuhlmacher, Interpretation, 560; Müller, Prophetie, 43 Anm. 88. Zur folgenden Kritik vgl. Sänger, Verkündigung, 167.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 495 ———————————————————————————————————— liegt nicht vor. 2. Paulus verwendet καθω` ς γε' γραπται (bzw. καθα' περ γε' γραπται) nie in Korrelation zu ου« τως, sondern als Einleitung in ein Zitat (wie in 11,26).274
Der erste Satz des Geheimnisses lautet: Verhärtung ist Israel teilweise widerfahren (V. 25c). Die „Verhärtung“ (πω' ρωσις [pōrōsis])275 Israels wurde in 11,7 mit dem Verb πωρο' ω [pōroō] beschrieben, in 9,18 mit dem bedeutungsgleichen Verb σκληρυ' νω [sklērynō]. Die Wendung „teilweise“ (α� πο` με' ρους [apo merous]),276 die das Subjekt „Verhärtung“ qualifiziert,277 nimmt frühere Aussagen auf, in denen Paulus Aussagen über die ungläubigen Juden gemacht hatte: In 9,27 hatte Paulus mit einem Zitat aus Jes 10,2223 betont, dass „nur der Überrest“ gerettet werden wird; in 11,7 stand die „Auswahl“ innerhalb Israels, die infolge der Erwählung der Gnade Gottes das Heil hat, den „Übrigen“ von 11,7 gegenüber, die die Gnade nicht erreicht haben; in 11,14 hatte Paulus erläutert, dass er hofft, durch seine Mission ungläubige Juden zur Eifersucht zu reizen, dass „einige von ihnen“ gerettet werden; in 11,17 hatte er im Bild vom Ölbaum erklärt, dass „einige von den Zweigen“, die zum edlen Ölbaum gehört hatten, ausgebrochen wurden. Von „quantitativen“ Aussagen kann man kaum sprechen: In 9,27 steht die ungläubige Mehrheit dem gläubigen Überrest gegenüber, in 11,17 sind es „einige“ Juden, die von der auf Abraham gründenden Heilsgeschichte abgeschnitten sind. Mit der Qualifizierung „teilweise“ beschreibt Paulus noch einmal, was er in 11,1-10 argumentativ enthaltet hatte: Nicht alle Juden haben sich Jesus, dem Messias Israels, verweigert. Die jüdischen Jesusbekenner sind der Beweis dafür, dass nur ein Teil Israels verhärtet ist. Das mit „ist widerfahren“ (γε' γονεν [gegonen]) übersetzte Verb, formuliert im Passiv, beschreibt im Einklang mit 11,7-8 die Verhärtung Israels gegenüber dem Evangelium vom Messias Jesus als Resultat des Handelns Gottes, das in der Gegenwart die Situation des jüdischen Volkes bestimmt.
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Vgl. Röm 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33; 10,15; 11,8; 15,3.9.21; 1Kor 1,31; 2,9; 8,15; 9,9; Sänger, Verkündigung, 167, der Mußner, Ganz Israel, 243 zustimmt, dass Paulus, wollte er ου« τως mit καθω` ς γε' γραπται verbinden, wohl formuliert hätte: παñ ς � Ισραη` λ ου« τως σωθη' σεται. Paulus verwendet πω' ρωσις sonst nur noch in Eph 4,18, dort für die Heiden, die „dem Leben, das Gott schenkt, entfremdet (sind) durch die Unwissenheit, in der sie befangen sind, und durch die Verhärtung ihres Herzens.“ Plag, Wege, 37 nimmt für α� πο` με' ρους eine temporale Bedeutung an („vorübergehend, einstweilen“), was im Kontext von 11,7 nicht plausibel ist. Käsemann 303; Dunn II 679; 9,9; Sänger, Verkündigung, 166 Anm. 556; kritisch Jewett 700, der jedoch nicht überzeugt. Die Stellung zwischen πω' ρωσις und τω ñ, � Ισραη' λ sowie die Korrelation mit παñ ς � Ισραη' λ V. 26a sprechen für ein adjektivisches Verständnis.
496 Römerbrief ————————————————————————————————————
Verhärtung führt nicht automatisch zu einer „Enthärtung“.278 Menschen, die in „Starrsinn“ oder „Härte“ (σκληρο' της [sklērotēs]) verharren, d.h. sich Gottes Güte widersetzen, die zur Umkehr führen will, und ihr „unbußfertiges Herz“ behalten, die sammeln sich „Zorn an für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtsurteils Gottes, der jedem vergelten wird nach seinen Werken“ (2,4.5-6). Die „Verhärtung“ Pharaos (Ex 4,21; 7,3; 9,12; 10,20; 12,27 14,4.8.17) führte zum Gericht über Ägypten und zum Untergang seines Heeres. Die Verhärtung der Herzen in Meriba brachte Gottes Gericht (Ps 95,8; vgl. Ex 17,7; Num 20,13). Verhärtung wird nur durch Umkehr zu Gott und seiner Heilsoffenbarung aufgelöst (2Kor 3,14-16). Ohne Umkehr zu Gott führt Verhärtung nie zu plötzlichem Gnadenerweis, etwa als automatische Folge von Gottes Barmherzigkeit. Der zweite Satz des Geheimnisses lautet: bis die Fülle der Völker eingegangen ist (V. 25d). Der temporale Relativsatz mit α» χρι ουð [achri hou]279 qualifiziert die Verhärtung, die die Situation Israels in der Gegenwart beschreibt, als zeitlich begrenzt:280 Die Verhärtung dauert, bis „die Fülle der Völker“ (το` πλη' ρωμα τω ñ ν ε� θνω ñ ν [to plērōma tōn ethnōn]) eingegangen ist. Die Formulierung beschreibt die Gesamtzahl der Nichtjuden (Heiden), die zum Glauben an das Evangelium von Jesus gekommen sind – nicht „alle Heiden“ in numerischer Vollständigkeit, sondern die von Gott gesetzte Zahl der Heiden, die gerettet werden.281 Paulus hatte in V. 12 von der „Fülle“ der Juden, die Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus annehmen, gesprochen. Er verwendet hier dasselbe Wort für die Heiden, die Gottes Heil erhalten, wahrscheinlich um deutlich zu machen, dass die Bekehrung von Juden und die Bekehrung von Heiden die beiden Prozesse der einen Mission der Apostel ist, die Gott bzw. der erhöhte Herr Jesus zu den Juden (10,18) und zu den Heiden (1,5; 11,13) gesandt hat. Paulus spricht von der Zeit der Völkermission, in der er „unter allen Völkern“ (ε� ν παñ σιν τοιñς ε» θνεσιν) zum „Gehorsam des Glaubens“ aufgerufen hat (1,5; vgl. 16,25 sowie 15,8-12) mit dem Ziel, dass Heiden zum Glauben an Gott und an Jesus, den Messias Israels und Retter der Welt, kommen und Gnade und Heil empfangen und so die Abraham gegebene Verheißung vom Segen Gottes für die Völker in ————————————————————
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Zu Recht betont von Wright, Paul, 1236-1238. Die uneigentliche Präposition α» χρι mit Relativpronomen ist Konjunktion: α» χρι ουð = α» χρι χρο' νου ω ð, ; Bauer/Aland s.v. α» χρι 2a. Die meisten Ausleger interpretieren α» χρι ουð im Sinn der Angabe eines terminus ad quem, d.h. der Verstockung Israels. Anders Sänger, Verkündigung, 168, der die Formulierung „primär“ auf das eschatologische Ziel der Verstockung, d.h. der künftigen Rettung Israels, interpretiert. Das Relativpronomen der Formulierung α» χρι ουð verweist jedoch eindeutig zurück, nicht voraus auf V. 26a. Vgl. Hofius, Evangelium, 191; Kraus, Volk Gottes, 321 Anm. 337.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 497 ————————————————————————————————————
Erfüllung geht (4,1-25; 11,16b.17-18). Das Verb „eingegangen“ (ει� σε' λθη, [eiselthē]) greift wahrscheinlich die Metapher von der „Einpfropfung“ der wilden Zweige in den edlen Ölbaum auf (V. 17.19.24),282 d.h., Paulus spricht vom Einzug der an den Messias Jesus glaubenden Heiden in die endzeitliche Heilsgemeinde.283 Die Tradition vom „Eingehen“ (ει� σε' ρχομαι [eiserchomai]) in die Gottesherrschaft liegt in Mk 9,43.45.47 par.; 10,15.24-25 par; Mt 5,20; 7,21; 19,17; Joh 3,5 vor. Paulus verwendet ει� σε' ρχομαι selten; die Belege in Röm 5,12; 1Kor 14,23.24 zeigen, dass Paulus das Verb in verschiedenen physischen und metaphorischen Kontexten verwenden konnte. Im Zusammenhang mit der Königsherrschaft Gottes verwendet Paulus verschiedene Verben, aber nie „eingehen“: „erben“ (κληρονομε' ω [klēronomeō]; 1Kor 6,9-10; 15,50; Gal 5,21; vgl. Eph 5,5), „versetzen“ (μεθι' στημι [methistēmi]; Kol 1,13), „berufen“ (καλε' ω [kaleō]; 1Thess 2,12]), „teilhaftig werden“ (καταξιο' ω [kataxioō]; 2Thess 1,5); „hinein retten“ (σω', ζω ει� ς [sōzō eis]; 2Tim 4,18). Ein Rückgriff auf Jesustradition ist möglich, aber nicht zwingend. Wenn man das „Eingehen“ in die Königsherrschaft Gottes präsentisch versteht, was in Röm 11,26d vorauszusetzen wäre, ist der Unterschied zu der Interpretation, die ει� σε' ρχομαι mit dem Einpfropfen der Zweige im Bild vom Ölbaum (11,17-24) verbindet, gering:284 Paulus spricht vom Eingang in die Gnade Gottes infolge der göttlichen Erwählung (11,5-7), vom Eingang in eine Gemeinschaft derer, die an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus, den Retter von Juden und Griechen, glauben (1,3-4.16-17), vom Eingang in die Gemeinschaft der „Berufenen des Messias“, der „von Gott Geliebten“ und der „berufenen Heiligen“ (1,6-7), vom Eingang in das Volk derer, die Abraham zum Vater haben (4,11.12.16), vom Eingang in die Gnade Gottes durch den Glauben an Jesus Christus (5,2), vom Eingang in die Gemeinschaft der Nachkommen Adams, in der Gott das Problem der Sünde durch Jesus gelöst hat (5,12-21) – d.h. von der Teilhabe am messianischen Heil.
Paulus sagt nicht, was geschieht, wenn die Zeit der Verhärtung Israels vorbei ist, in der sich neben Juden vor allem Heiden zum Glauben an den Messias Jesus bekehren und Rettung erfahren.285 Im Kontext der Aussage, in der Paulus vom Eingang von Heiden zur Heilsgemeinde spricht, ist an das Ende ————————————————————
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Weiß 495; Wilckens II 254; Donaldson, Paul, 215-248; Wright, Climax, 250; Wagner, Heralds, 278; Wright, Paul, 1243. Dunn II 680; Jewett 701; Haacker 283 sind skeptisch und verweisen auf die Tradition vom „Eingehen“ in die Königsherrschaft Gottes. So auch Michel 355; Cranfield II 576; Lohse 319 u.a. Wilckens II 254-255, mit Hinweis auf die atl.-jüdische Tradition von der endzeitlichen „Völkerwallfahrt“ zum Zion (Jes 2,2-23; 56,7; 60,3; Mi 4,2; vgl. Tob 13,13; 14,6-7; PsSal 17,30-35; TestSeb 9,8; TestBen 9,T; TestJud 24; Sib 3,772-773 sowie spätere rabbinische Belege; Jeremias, Jesu Verheißung für die Völker, 47-53; Stuhlmacher, Interpretation, 560-561; Plag, Wege, 43-46.56-58; s. auch Zeller 198; Tobin, Rhetoric, 371-372; Wilk, Bedeutung, 68-70; Flebbe, Solus Deus, 362. Vgl. Kraus, Volk Gottes, 321 Anm. 337: Paulus spricht in jedem Fall von der eschatologischen Heilsvollendung. Man kann also nicht mit Flebbe, Solus Deus, 359 aus dem α» χρι ουð ablesen: „Die Unheilssituation ist zeitlich begrenzt“ – für alle, Juden und Heiden, die nicht Buße tun, folgt auf die Verhärtung das Gericht Gottes.
498 Römerbrief ————————————————————————————————————
der Völkermission zu denken, das zeitgleich mit der Wiederkunft Jesu stattfindet (vgl. Mt 24,14; Mk 13,10).286 Viele Ausleger interpretieren mit Verweis auf V. 26a im Sinn der Rettung von „ganz Israel“: Wenn die Fülle der Völker eingegangen ist, wird die Verhärtung Israels aufgehoben, und dann wird ganz Israel gerettet werden. Diese Interpretation ist nicht so selbstverständlich, wie oft (durch den Verzicht auf Argumente) suggeriert wird. Verhärtung führt bei fehlender Umkehr zu Gott ins Gericht (s. V. 25c). Das heißt, das Ende der Zeit der Verhärtung hat einen zweifachen Ausgang: Teilhabe am Heil der Gnade Gottes oder Gericht des Zornes Gottes. Paulus hatte in 1,18–3,20 bzw. 3,21–5,21 diese beiden Realitäten beschrieben und argumentiert, dass der Übergang von der einen zur anderen Menschengruppe nur durch den Glauben an Jesus und nur infolge des gnädigen Heilshandelns Gottes im Evangelium möglich ist, der „Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst und auch für den Griechen“ (1,16). Diese Grundüberzeugung, die sein Leben, seine Theologie und seine Missionstätigkeit bestimmt, hat Paulus weder preisgegeben noch durch eine plötzlich erhaltene neue Offenbarung revidiert. Der Konjunktiv ει� σε' λθη, [eiselthē] ist prospektiv, d.h., er drückt eine subjektive Erwartung aus, und hat einen finalen Nebensinn:287 Ziel und Folge der Verhärtung Israels (V. 25c) ist die Heilsteilhabe der Völker (ausführlicher dargestellt in V. 11-15). Der (konstatierend-komplexive) Aorist benennt die Bekehrung von Heiden, die sich von der Gegenwart in die Zukunft erstreckt, als Tatsache. 26 Der zweite Satz des Geheimnisses lautet: und auf diese Weise wird ganz Israel gerettet werden (V. 26a). Das Passiv des Verbs „wird gerettet werden“ (σωθη' σεται [sōthēsetai]) verweist als passivum divinum auf das Handeln Gottes, der als Einziger die Macht hat, Juden und Griechen zu retten (1,16). In 5,9-10 beschreibt das Verb288 die Rettung vor dem Gericht Gottes und die Versöhnung mit Gott durch den Tod und die Auferweckung des Messias Jesus. In 8,24 verweist das Verb auf die Erfahrung des von Gott gewährten Heils in der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus, in der die Jesusbekenner die Heilsfolge des Sühnetodes Jesu zugesprochen bekommen und bei der sie den Geist Gottes erhalten, der sie zu Söhnen Gottes macht; im Kontext der Argumentation von 6,1–8,39 ist „Rettung“ hier ————————————————————
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Dies bedeutet natürlich nicht, dass das Kommen des Endes in die Hand des Missionars gelegt wird; so richtig Stuhlmann, Maß, 177, der unterstreicht, dass mit V. 25d dem Gedanken gewehrt wird, „als ob der Termin des Endes ganz unbestimmt sei“. Jeremias, Beobachtungen, 196; Sänger, Verkündigung, 167; Hofius, Evangelium, 190; vgl. Wilckens II 254 Anm. 1142. Vgl. HvS §210j(b).290c. Zu σω', ζω/σωτηρι' α s. zu 1,16.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 499 ————————————————————————————————————
die Befreiung von der Sklaverei der Sünde, die ein von der Wirklichkeit des mit Jesus geschenkten Heils bestimmtes Leben möglich macht, d.h. die Rettung hier und jetzt. In 9,27 hatte Paulus im Zitat von Jes 10,22-23 davon gesprochen, dass nur ein Überrest innerhalb Israels gerettet wird. In 10,9.13 beschrieb das Verb die Rettung von Juden und Griechen, die mit dem Mund Jesus als Kyrios bekennen und in ihrem Herzen glauben, dass Gott den gekreuzigten Jesus von den Toten auferweckt hat. In 11,14 betonte Paulus, dass er hofft, seine jüdischen Zeitgenossen auf die unter den Völkern sichtbare Wirklichkeit des Evangeliums eifersüchtig zu machen, sodass einige von ihnen gerettet werden. Die Rettung, von der Paulus in 11,26a spricht, ist die Rettung von dem mit dem Sündigen gegebenen Unheil hier und jetzt und die Rettung in der Zukunft im Gericht Gottes. Die mit und auf diese Weise (και` ου« τως [kai houtos]) übersetzte adverbiale Wendung wird unterschiedlich interpretiert. Folgende Alternativen werden vorgeschlagen. 1. Temporal: „und dann, sodann, dann erst“: Paulus beschreibt die zeitliche Reihenfolge des Abschlusses der Heidenmission, auf den die Rettung Israels erfolgt.289 2. Logisch: „und dann“, „und so sind die Voraussetzungen geschaffen, dass“: Paulus beschreibt die (zeitliche und vor allem sachliche) Folge des Eingangs der Fülle der Heiden V. 25d als Bedingung für die Rettung Israels.290 3. Modal, auf καθω` ς γε' γραπται vorausweisend: „und folgendermaßen … wie geschrieben steht“: Paulus beschreibt in V. 26b-27, auf welche Art und Weise sich die Rettung Israels ereignet.291 4. Modal, auf V. 25cd zurückweisend: „und auf diese Weise“: Paulus beschreibt den Prozess der Verhärtung von einem Teil Israels und der Bekehrung der Völker als den Modus der Rettung Israels.292 Die erste Alternative hätte Paulus einfacher mit και` το' τε [kai tote] formulieren können; eine rein zeitliche Bedeutung von ου« τως ist nicht belegt, auch nicht in Apg 17,33; 20,11; 1Thess 4,17; 1Kor 11,28; 14,25.293 Eine logische Bedeutung wird durch das Wort „Fülle“ und den damit verbundenen Gedanken vom eschatologischen Maß gestützt. Die logische Bedeutung von ου« τως ist bei Paulus belegt (Röm 1,15; 6,11; 1Kor 14,25; 1Thess 4,17), ist aber weitaus seltener als die modale Bedeutung. Die modale, mit καθω' ς korrelierende Bedeutung ist nicht ————————————————————
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Zahn 523; Jülicher 300; Barrett 223; Bruce 222; Käsemann 303; Jewett 701. Michel 355; Dunn II 681 u.a. interpretieren logisch bzw. modal, nehmen aber gleichzeitig eine zeitliche Nuance an. Vgl. Bengel 602: „Non dicit, et tunc, sed majore vi, et sic, quo ipso το` tunc includitur“. Michel 355; Fitzmyer 623; Hofius, Evangelium, 193; Gundry-Volf, Perseverance, 179181; Kim, Origin, 83-84; Hübner, Gottes Ich, 111 (Kausalität); Sänger, Verkündigung, 167-168; Kraus, Volk Gottes, 321. Bauer/Aland s.v. ου« τως 2 (auch BDAG); Lietzmann 104; Stuhlmacher, Interpretation, 560; Müller, Gottes Gerechtigkeit, 43; Plag, Wege, 37; Gaston, Paul, 143. Schlier 340; Cranfield II 576; Wilckens II 255; Zeller 189-199; Dunn II 681; Moo 720; Lohse 320; Jeremias, Beobachtungen, 226; Hahn, Verständnis, 232; Luz, Geschichtsverständnis, 294; Müller, Prophetie, 226-227; vgl. Zeller, Juden und Heiden, 251; Hübner, Gottes Ich, 109.110-111. Weder Bauer/Aland noch LSJ verzeichnen eine temporale Bedeutung.
500 Römerbrief ———————————————————————————————————— plausibel, weil Paulus sonst einfacher παñ ς � Ισραη` λ ου« τως σωθη' σεται hätte schreiben können, und, vor allem, weil die Wendung καθω` ς γε' γραπται Zitationsformel, nicht Korrelationsformel ist. Der vierte Vorschlag ist am plausibelsten: Die weitaus häufigste Verwendung von ου« τως ist die Verwendung als modales Adverb („so“, „derart“, „auf diese Weise“). Der Einwand, bei dieser Interpretation werde stillschweigend der Inhalt der anschließenden Schriftzitate in V. 26b-27 (Jes 59,20-21; Jes 27,9) in den Halbvers V. 26a eingelesen,294 ist nicht stichhaltig: και` ου« τως verweist zurück auf die Aussagen in V. 25cd, die den Kontext der Aussage in V. 26a darstellen, ein Bezug, der nicht nur „eine Variante“ der Auslegung ist, die die Formulierung mit V. 26b-27 verbindet.
Paulus gibt mit der adverbiellen Wendung και` ου« τως [kai houtōs] an, auf welche Weise Israel gerettet wird: Israel wird so gerettet, wie er es in den beiden Sätzen V. 25cd beschrieben hatte – mitten aus seiner Verhärtung heraus, die Israel teilweise widerfahren ist, sodass gegenwärtig nur ein Überrest Anteil hat am messianischen Heil, und mitten aus dem Eingang der Völker in die Heilsgemeinde heraus, deren Missionierung und Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus sich bis zu dem von Gott festgelegten endzeitlichen Maß fortsetzen wird. Paulus erklärt mit ου« τως das παñ ς der Wendung παñ ς � Ισραη' λ,295 die nun erklärt werden muss. Die Wendung ganz Israel (παñ ς � Ισραη' λ [pas Israēl]) wird sehr verschieden interpretiert. Die meisten Exegeten interpretieren παñ ς � Ισραη' λ im Sinn des ethnischen Volkes Israel (der Juden). Vertreter dieser Auslegung verweisen auf die im AT häufig belegte Wendung [ ָ ּכל־ִיְׂש ָרֵאלkol jiśrā’el], die Israel als Kollektiv, d.h. in seiner Gesamtheit, beschreibt, ohne dass auf die numerische Vollständigkeit aller einzelner Israeliten Wert gelegt wird. „Ganz Israel“ bezieht sich synchron in so gut wie allen Belegen auf die in einer bestimmten Zeit lebende Generation von Israeliten; Mal 3,22 ist vielleicht die einzige Ausnahme. Man kann „ganz Israel“ auch, ohne atl. Rückhalt, aber sprachlich möglich, diachron auf alle Generationen Israels durch die Geschichte hindurch beziehen. Folgende Auslegungen werden in diesem Zusammenhang für παñ ς � Ισραη' λ vorgeschlagen: 1. „Ganz Israel“ meint, diachron und im Sinn numerischer Vollständigkeit interpretiert, alle Israeliten bzw. Juden aller Zeiten.296 Diese Interpretation ist bei Auslegern zu finden, die die ————————————————————
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Sänger, Verkündigung, 166; das folgende Argument gegen Sänger, ebd. 166-167. Flebbe, Solus Deus, 363: „V. 26 ist ein Ergebnis, das durch die vorausgegangene Argumentation erzielt wurde“. Problematisch ist Flebbes Meinung, παñ ς � Ισραη' λ werde nach der Bekehrung der „Übrigen“ (V. 7), die im Gegensatz zum glaubenden „Rest“ in der Gegenwart verhärtet sind, neu Wirklichkeit: Wenn Gott die Verstockung der „Übrigen“ beendet, befände sich „auch der zweite Teil Israels im Heilszustand, und demnach – wenn von zwei Teilen, in die Israel zerfallen ist, nicht nur der eine, sondern auch der andere im Heilszustand ist – wird ganz Israel gerettet werden“. Vgl. Penna 772-779 (Gottes Erwählung von Israel kehrt menschliche Erwartung und Kalkulation um („l’elezione di Dio inverte le attese e i calcoli umani“, 779); Jewett 701-702 mit Verweis auf Jülicher 307; Kühl 302; Schmidt 200-201; Ziesler 285 und Bachmann, Verus Israel, 306, der dort allerdings weder von Röm 11,26 spricht noch die von Jewett u.a. vertretene Position behandelt; vgl. auch Schmidt, Judenfrage, 34.37-41; Bell, Jeal-
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 501 ———————————————————————————————————— bedingungslose Erwählung Israels durch Gott betonen – in der „Exegese nach dem Holocaust“ sowie in manchen Varianten einer dispensationalistischen Interpretation der Bibel. Die These, dass die Rettung Israels auf einem soteriologischen „Sonderweg“ geschieht, der an Jesus Christus vorbei zum eschatologischen Heil führt, findet man bei solchen Exegeten, die die Tatsache des Judenmords im Holocaust als hermeneutische Voraussetzung der Auslegung des Neuen Testaments postulieren. Nichtjuden (Heiden) müssen sich zum Glauben an Jesus Christus bekehren, Juden jedoch nicht, weil sie das von Gott erwählte Heilsvolk sind. Mußner schreibt: „‚Ganz Israel‘ wird auf einem ‚Sonderweg‘ gerettet werden und zwar im Zusammenhang der Parusie“.297 W. Keller versteht den Ausdruck „ganz Israel“ explizit diachronisch und bezieht ihn auf alle Israeliten und Juden von Abraham bis zur Wiederkunft Jesu; er kommt zu folgendem Ergebnis: „Erwählung und Verheißung kommt soteriologische Wirkkraft zu, insofern aufgrund der Treue Gottes darin das Heil verbürgt ist. Dem Juden gilt deshalb, weil er Jude ist, die Heilszusage; denn alle Juden sind in den Vätern erwählt und sind ‚Geliebte Gottes‘. Der Weg des Juden führt zum Heil aufgrund der Erwählung. So läßt sich im Judentum ein eigenständiger Heilsweg erkennen … Das durch Tod und Auferweckung Jesu Christi gewirkte Heil wird ‚ganz Israel‘ bei der Parusie von dem wiederkommenden Herrn zugewendet. Gerade darin erblickt Paulus ja nun die Einlösung der Verheißung, darin bewährt sich die Erwählung und erweist sich die Treue Gottes ... Im Grunde ist dies der eigentliche Heilsweg, der ‚Normalweg‘ überhaupt: Gott macht durch Christus seine am Anfang gegebene Verheißung wahr. Wenn man so will: Der Weg der Heiden, der Weg der Kirche ist demgegenüber ein zusätzlicher Heilsweg.“298 Diese Interpretation ist im Rahmen sowohl atl. wie paulinischer Theologie unmöglich.299 (a) Vertreter dieser Position interpretieren den Wortlaut 11,26a, ohne den biblischen und jüdischen Kontext in Betracht zu ziehen. Gottes Bund mit Israel gründet in der Gnade seiner Erwählung Israels, gleichzeitig hängt das Heil des einzelnen Israeliten von der Treue und dem Gehorsam gegenüber Gott und seinen im Gesetz verzeichneten Bundesbestimmungen ab. Die Propheten sprechen wiederholt davon, dass nur ein Rest innerhalb Israels gerettet wird (s. zu 9,27; 11,5). In der frühjüdischen Tradition wurde an dieser Überzeugung festgehalten.300 (b) Die These von einem „Sonderweg“ zum Heil für die Juden verkennt den Kontext der paulinischen Aussagen im Röm. Paulus bezieht in 1,16-17 in seiner Definition des Evangeliums für Juden und Griechen programmatisch Heil/Rettung (σωτηρι' α), Glaube (πι' στις) und Gerechtigkeit (δικαιοσυ' νη) aufeinander: Es ist die Verkündigung des Evangeliums von der im auferstandenen und erhöhten Messias Jesus (1,3-4) offenbarten Gerechtigkeit Gottes, die den Glauben „zur Rettung“ bewirkt. Glaube und Heil/Rettung als Ausdruck der Gnade Gottes können nicht voneinander getrennt werden (1,16-17; 5,1.9-10; 9,27; 10,913; 13,11). Paulus argumentiert in 1,18–3,20 / 3,21–5,21, dass jetzt, nach dem Kommen des Messias Jesus, Rettung nur möglich ist, wenn Heiden und Juden an Jesus als Messias Israels ————————————————————
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ousy, 139; Bell, Call, 263-264; Starnitzke, Struktur, 360-361. Zur Darstellung der verschiedenen Auslegungen s. jetzt Zoccali, Israel, 289-318; Gadenz, Called, 275-276. Mußner, Heil, 33; vgl. Mußner, Ganz Israel, 251; Mußner,Traktat, 59-61. Der Begriff „Sonderweg“ stammt von Zeller, Juden und Heiden, 245 (so Sänger, Verkündigung, 194). Keller, Gottes Treue, 283; ebd. 2-64 Überblick über die These eines Sonderwegs für Israel. Vgl. Stendahl, Account, 38-40; Gaston, Paul, 143-144. 147-148; Klappert, Traktat; vgl. Haacker, Evangelium Gottes. Zur Kritik an der These vom „Sonderweg“ vgl. Mayer, Heilsratschluß, 293-300; Gräßer, Bund, 212-230; Hübner, Gottes Ich, 114-120; Hübner, Biblische Theologie II, 318-319; Hvalvik, Sonderweg, 87-107; Johnson, Function, 176-205; Wright, Climax, 246-251; Sänger, Verkündigung, 194-195; Chae, Paul, 280-282; Barclay, Gift, 521. Vgl. Elliott, Survivors, passim.
502 Römerbrief ———————————————————————————————————— und Retter der Welt glauben. (c) In 10,9-14, dem engeren Kontext von 11,26a, unterstreicht Paulus die Verbindung von Verkündigen, Hören, Glauben, Bekennen und Gerettetwerden, eine Reihenfolge, die „von sachlichem Gewicht und ihrer inneren Verschränkung für den Apostel konstitutiv ist“.301 Die These vom „Sonderweg“ hat keine kohärente Erklärung von 10,1-13 im Kontext des Gebets von Paulus um die Rettung Israels in 10,1.302 Paulus betont in 9,6, dass nicht alle Nachkommen Israels auch tatsächlich Israel sind. Paulus ist ein jüdischer Jesusbekenner, der ein brennendes Verlangen hat, dass seine jüdischen Zeitgenossen Jesus als Messias anerkennen (9,1–3; 10,1), und er ist ein Missionar, der Juden zum Glauben an Jesus als Messias Israels führen will (11,14). Es gibt nur einen Ölbaum, an dem nur solche „Zweige“ sind, die an den Messias Jesus glauben (11,17-24), und es gibt nur einen Leib „im Messias“ (12,5). 2. „Ganz Israel“ meint, diachron und im kollektiven (d.h. repräsentativen) Sinn interpretiert, alle Gerechten in Israel, durch alle Zeiten hindurch, d.h. alle von Gott erwählten Israeliten und Juden.303 Diese Interpretation setzt die Perspektive der Auferstehung der Toten voraus. Vergleichstexte sind mSanh 10,1: „Ganz Israel hat Anteil an der zukünftigen Welt“, wobei gleichzeitig eine Liste von Menschengruppen, die vom Heil ausgeschlossen sind, angeführt wird, wie die Leugner der Totenauferstehung, die Bestreiter der himmlischen Herkunft des Gesetzes, die Epikuräer und die zehn Stämme des abtrünnigen Nordreichs. Für diese Interpretation spricht die Verwendung von „ganz Israel“ im AT und in der jüdischen Literatur sowie die Argumentation in 9,6-29, wo Paulus von der souveränen Erwählung durch Gott innerhalb der Nachkommen Abrahams spricht. Gegen diese Interpretation spricht die Tatsache, dass Paulus in 11,25b von „Geheimnis“ spricht, was unverständlich wäre, wenn Paulus einen Prozess beschriebe, den es seit Abraham schon immer gegeben hat. K. Haacker lehnt diese Interpretation mit dem Argument ab, dass Paulus in V. 25.26 der Größe „ganz Israel“ die Größe „ein Teil Israels“ gegenüberstellt, sodass „ganz Israel“ nicht eingeengt werden dürfe.304 Hier wäre zu beachten, dass die Interpretation der Wendung „ganz Israel“ im Sinn der von Gott erwählten Juden mit weiteren Bekehrungen in der Zukunft bzw. anlässlich der Wiederkunft Jesu rechnet und gerade nicht auf den in V. 25 erwähnten „Teil“ einschränkt. 3. „Ganz Israel“ meint, synchron und im kollektiven Sinn interpretiert, die Generation Israels, die bei der Parusie am Leben ist.305 Diese Interpretation wird oft mit dem Hinweis verbunden, dass Paulus die Wiederkunft Jesu noch zu seinen Lebzeiten erwartet, manchmal mit dem Hinweis, Paulus habe gegenüber 1Thess 2,14-16 seine Meinung geändert. Die Auslegung im Sinn des gesamten jüdischen Volkes ist dann plausibel, wenn man V. 26b-27 auf den wiederkehrenden Messias Jesus bezieht und für das Verständnis von V. 26a voraussetzt. Diese Interpretation wird häufig mit der Betonung verbunden, die Rettung Israels geschehe „nicht auf dem Weg missionarischer Verkündigung des Evangeliums“, sondern sie sei „die ————————————————————
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Sänger, Verkündigung, 194, mit Verweis auf 1Thess 1,5-10; 2,13; 1Kor 15,1-2; Röm 5,9; 9,33; 10,11; sowie 1Thess 5,9; 1Petr 2,6; Brandenburger, Pistis, 186-190. Watson, Paul, Judaism, and the Gentiles, 329 Anm . 45; vgl. Barclay, Gift, 521. Bengel 206; Käsemann 303; jüngst und mit Nachdruck Refoulé, Israël, 135-142.179-181; Zoccali, Israel, 303-314; Fung, Israel’s Salvation, 203-207.213-217. Haacker 285. Vgl. Cranfield II 577; Michel 355-356; Wilckens II 256; Dunn II 681-682; Moo 722-723; Lohse 320; Haacker 285; Sänger, Verkündigung, 176.181.194-197; Kraus, Volk Gottes, 321-323; Wolter, Paulus, 683-684; Barclay, Gift, 554-555; vgl. Bachmann, Verus Israel, 508: die Juden „der paulinischen Gegenwart“. Bei manchen Autoren ist unklar, ob sie παñ ς � Ισραη' λ synchron oder diachron interpretieren.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 503 ———————————————————————————————————— Anerkenntnis des Retters aus Zion, d.h. des Parusie-Christus“,306 oft verbunden mit dem Hinweis, auch Paulus sei „nicht durch Verkündigung zum Glauben“ gekommen, „sondern durch die persönliche Begegnung mit dem Auferstandenen“.307 Hofius schreibt mit Verweis auf 10,9ff: „Das dem wiederkommenden Christus begegnende Israel wird also an ihn glauben, seinen Namen im – das Heil ergreifenden – Bekenntnis anrufen, … ‚Ganz Israel‘ kommt so zwar anders zum Heil als die Heidenchristen und der schon jetzt an Christus glaubende ‚Rest‘, – nämlich nicht aufgrund der Missionspredigt der Kirche, sondern ganz unmittelbar durch den Kyrios selbst. … Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt, Christus als den Kyrios erkennt und zum rettenden Glauben an ihn kommt, so bedeutet das: Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbst!“308 Für die Völker realisiere sich die von Paulus christologisch interpretierte Abrahamverheißung „im Glauben an das Evangelium, das die Rechtfertigung des Gottlosen verkündigt“, ein Geschehen, das infolge der von Gott veranlassten Verstockung Israels möglich geworden sei, „dann aber setzt die Begegnung mit dem Parusiechristus für Israel eschatologisch in Kraft, was der leiblichen Nachkommenschaft Abrahams ohne Einschränkung zugesprochen war“.309 Diese Auslegung kann sich auf 11,26b-27 für das Wie der Rettung von „ganz Israel“ berufen, und sie anerkennt die Tatsache, dass Paulus das Heil konsequent an Jesus Christus bindet. Folgende Faktoren machen diese Interpretation allerdings schwierig. (a) Die ersten beiden Zeilen des „Geheimnisses“ in 11,25cd werden im Zusammenhang der modalen Interpretation von και` ου« τως V. 26a außer Acht gelassen. (b) Was die Auskunft betrifft, auch Paulus selbst sei nicht durch missionarische Verkündigung zum Glauben gekommen, sondern durch die persönliche Begegnung mit dem Auferstandenen, muss einerseits darauf hingewiesen werden, dass Paulus die ersten Jesusbekenner gerade deshalb verfolgte, weil er ihre Verkündigung gehört hatte und kannte, aber ablehnte; andererseits steht außer Frage, dass Paulus in Damaskus selbstverständlich zum Glauben an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Jesus kam – die Aussage in Gal 1,11-12, die im Kontext eine apologetische Bedeutung gegenüber Angriffen auf seine Autorität als Apostel hat, schließt nicht aus, dass er im Rahmen seiner Verfolgertätigkeit (Gal 1,13) von Jesus gehört hat; die Berichte von der Bekehrung von Saulus/Paulus in der Apg lassen den Zeitpunkt der Bekehrung offen, legen aber nahe, dass dies in Damaskus geschah, d.h. anschließend an die Begegnung mit dem Auferstandenen vor Damaskus, und das heißt im Zusammenhang der Reflexion über das Evangelium, das die von ihm verfolgten Jesusbekenner verkündigten. (c) Wenn der verhärtete Teil Israels nicht vor der Parusie zum Glauben kommen und sich aufgrund der Verkündigung des Evangeliums bekehren muss, entsteht die Frage, ob es bei dieser Interpretation nicht doch einen Sonderweg Israels zum Heil gibt. Für Paulus ist die Gnade Gottes an den Messias Jesus gebunden: Er ruft Sünder zum Glauben an den Messias Jesus auf. Ohne Glauben an Jesus Christus gibt es für Paulus kein Heil. Wenn man dabei betont, es gehe in diesem Zusammenhang „natürlich nicht um die Frage, ob jeder einzelne Jude gerettet wird, sondern um Israel als Ganzes“,310 hat man sich weit von Paulus entfernt, dem es als Missionar immer ————————————————————
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Kraus, Volk Gottes, 322, der kategorisch festhält, dass sich für Paulus die Frage, ob Israel auf einem Sonderweg zum eschatologischen Heil gelangt, so nicht stelle; nach Kraus ebd. Anm. 345 ist die These Mußners noch nicht widerlegt. Haacker 289. Hofius, Evangelium, 197-198 (der letzte Satz ist im Original kursiv gedruckt); Hofius lehnt mit diesem Argument die These eines Sonderwegs für Israel ab. Vgl. Klappert, Traktat, 85: Israel kommt „transkerygmatisch“ zum Heil; Flebbe, Solus Deus, 369-370. Sänger, Verkündigung, 195-196. Flebbe, Solus Deus, 364 Anm. 39.
504 Römerbrief ———————————————————————————————————— um einzelne Juden und Heiden geht. Wenn „Israel als Ganzes“ bei der Parusie Heil empfängt, aber nicht jeder einzelne (dann lebende) Jude, ist das Heil nicht viel mehr als ein Theologoumenon, das für den Einzelnen nicht zwingend relevant ist. (d) Paulus hat mit der Möglichkeit der Wiederkunft Jesu zu seinen Lebzeiten gerechnet, sich aber nicht festgelegt. Deshalb stellt sich mit aller Schärfe die Frage, was Paulus über die Juden denkt, die zum verhärteten Teil Israels gehören und vor der Wiederkunft Jesu sterben – und was wir heute denken sollen, da die Wiederkunft Jesu, die nicht im 1. Jh. stattgefunden hat, immer noch in der Zukunft liegt. (e) Der Protest, diese Interpretation ermögliche keinen Sonderweg für Israel, ist nicht überzeugend. Sänger, der die Notwendigkeit der Anerkennung des Messias Jesus durch Israel betont und den von Mußner u.a. propagierten Sonderweg Israels ablehnt, gesteht einerseits zu, dass die Rede von einem soteriologischen Sonderweg Israels „nicht einmal falsch“ ist, wenn man „nicht schon einfach ‚Israels Israelsein‘ als zureichenden Grund für seine endzeitliche Rettung ansieht“.311 Weil die Anerkennung Jesu durch Israel erst bei der Parusie Jesu stattfindet und durch diese unmittelbar ausgelöst wird, ist der Weg Israels zum Heil eben doch ein anderer Weg als der Weg der Heiden, die im Gefolge missionarischer Verkündigung zum Glauben an Jesus kommen und so das Heil erlangen. (f) Es ist eine Verlegenheitslösung, wenn Barclay, der einen Sonderweg für Israel ablehnt und auf dem Zusammenhang der Gnade Gottes mit Jesus Christus gerade auch in Röm 9–11 besteht, meint, es sei unweise, das vielfältige „Schweigen“ des „Geheimnisses“ durch Spekulationen über den Modus dieser Rettung oder die genauen Konnotationen von „alle“ ausfüllen zu wollen.312 Wenn sowohl der Modus der zukünftigen Rettung von „ganz Israel“ als auch der Umfang dieser Rettung ungewiss bleiben müssen – zumindest der Modus des Heilsempfangs ist für Paulus eine zentrale Kategorie –, damit man keine Auslegung von V. 26a vertritt, die 9,1–11,25 widerspricht, stellt sich die Frage, ob man diese Interpretation von V. 26a nicht überdenken muss. (g) Vertreter dieser Position nehmen an, dass „ganz Israel“ Jesus bei dessen Wiederkunft anerkennt. Sie erklären jedoch nicht, weshalb Paulus sicher sein kann, dass dies auch tatsächlich geschieht. Wer das erste Kommen Jesu abgelehnt hat und die Wunder, die Jesus vollbracht hat, auf Beelzebul zurückgeführt hat (Mt 12,24; Mk 3,22; Lk 11,15-18; vgl. Joh 7,20), kann auch das zweite Kommen Jesu ablehnen – Gründe ließen sich gewiss finden, es sei denn, man nimmt an, dass Gott den verhärteten Teil Israels zwingt, Jesus anzuerkennen. Erzwungenes Heil hat es jedoch weder bei Abraham noch in Israel gegeben. 4. Die Rettung von „ganz Israel“ bezieht sich auf den gläubigen Rest in Israel und „die Übrigen“, d.h. die in der Gegenwart verhärten Juden, die sich – jedenfalls viele von ihnen, vielleicht die meisten – in der Zukunft zum Glauben an Jesus als Messias vor dessen Wiederkunft bekehren werden.313 Diese Interpretation betont die Bedeutung von V. 26b-27 für die ————————————————————
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Sänger, Verkündigung, 195, mit Zitat von Broer, Juden, 25. Barclay, Gift, 555 Anm. 79; er lehnt ebd. 521 Anm. 2 die These eines Sonderwegs für Israel, wie sie von Stendahl, Gaston und Gager vertreten wird, ab. Vom Modus der Rettung von „ganz Israel“ ist in V. 25cd die Rede – und seit 1,16-17 an vielen Stellen, an denen Paulus vom Glauben an Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus bzw. vom Glauben an den Messias Jesus spricht. Vgl. Käsemann 303; Moo 724-726; Fitzmyer 623; Schreiner 619.622-623; Légasse 727; Lohse 320; Hofius, Evangelium, 195-196; Aletti, Développement, 206-219; GundryVolf, Perseverance, 182-185; Fruchtenbaum, Israelology, 785 (Fruchtenbaum, Handbuch); Becker, Paulus, 501; Thiessen, Perspektiven, 92-108; Wagner, Heralds, 279 Anm. 194; Hengel/Schwemer, Jesus und das Judentum, 35; Gadenz, Called, 271-281. Weil Barclay, Gift, 555 Anm. 79 auf der Verbindung der Rettung von „ganz Israel“ besteht und gleichzeitig offenlassen will, was das Wort „ganz“ konkret bedeutet, könnte er (neben Position 3) auch als Vertreter von Position 4 gelten.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 505 ———————————————————————————————————— Interpretation von V. 25 wie die vorhergehende Position, besteht jedoch anders als diese auf der Notwendigkeit der Bekehrung zum Glauben an Jesus analog dem Zum-GlaubenKommen von Juden (und Heiden) in der Gegenwart des Apostels. Diese Interpretation nimmt die Zentralität des Glaubens an Jesus bei Paulus ernst und vermeidet die Annahme eines Sonderwegs Israels zum Heil (Position 1, naheliegend auch bei Position 3) und die Eingrenzung auf die erwählten Gerechten (Position 2). Folgende Beobachtungen machen diese Interpretation schwierig: (a) Unbekannt und unbestimmt bleiben sowohl das numerische Ausmaß der Bekehrung von Juden als auch der Zeitpunkt der erwarteten Massenbekehrung von Juden, der irgendwie mit der Wiederkunft Jesu verbunden ist. (b) Die ersten beiden Zeilen des „Geheimnisses“ in V. 25cd werden für die Interpretation der dritten Zeile V. 26a außer Acht gelassen. (c) Das Schriftzitat V. 26b-27 wird zur Bestimmung des Wann der Rettung von „ganz Israel“ verwendet, was wenig plausibel ist: Paulus verwendet Schriftzitate als Beweis für Aussagen, nicht als Mittel, neue inhaltliche Aussagen zu formulieren. Das Schriftzitat V. 26b-27 bestätigt das „Geheimnis“ von V. 25cd-26a, in dem von der Wiederkunft Jesu nicht die Rede war. 5. „Ganz Israel“ beschreibt das messianische Heilsvolk Gottes, das aus Israeliten (Juden) und Heiden besteht, die zum Glauben an Jesus gekommen sind.314 Der Modus der Rettung von „ganz Israel“ V. 26a wird in V. 25cd beschrieben, nicht im Schriftzitat in V. 26b-27 (welches das „Geheimnis“ V. 25cd-26a begründet): Ein Großteil des jüdischen Volkes ist verhärtet und widersetzt sich dem Glauben an den Messias Jesus; Heiden finden in immer größerem Umfang Eingang in das Heilsvolk; dieser Prozess, der nach V. 11-12 Israel zur Eifersucht reizt und zu weiteren Bekehrungen von Juden führt, resultiert in dem messianischen Heilsvolk („ganz Israel“) aus Judenchristen und Heidenchristen. Die dritte Zeile des „Geheimnisses“ V. 26a beschreibt weder notwendig noch plausiblerweise ein Ereignis, das auf die Ereignisfolge „teilweise Verhärtung Israels“ (erste Zeile, V. 25c) – Eingang der Fülle der Heiden (zweite Zeile, V. 25d) folgt: Paulus beschreibt mit dem modalen Adverb και` ου« τως („und auf diese Weise“) den Prozess, in dessen Verlauf das eine messianische Heilsvolk aus der „Fülle der Völker“ (V. 25d) und aus der „Fülle“ Israels (V. 12) – das durch das Heil der Völker zur Eifersucht gereizt wird (V. 13-14) – heraus entsteht. Paulus benennt mit dem „Geheimnis“ von V. 25cd.26a keinen eschatologischen Zeitplan, der in der Bekehrung Israels gipfelt, sondern den von Gottes erwählender Gnade bestimmten Prozess, der in der Gegenwart stattfindet und sich in die Zukunft erstreckt, durch den das messianische Heilsvolk die „Fülle“ aus Heiden und Juden enthält. Mit παñ ς � Ισραη' λ [pas Israēl] knüpft Paulus an das παñ ν το` σπε' ρμα [pan to sperma] von 4,16 an, das die wie Abraham Glaubenden aus Juden und Heiden mit der Erfüllung der Verheißung, der Gerechtigkeit und der Vaterschaft Abrahams verbunden hat, und an das παñ ς [pas] von 10,13, wo er mit Joel 3,5 sagt: „Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“, was gleichermaßen für Juden und Heiden gilt. Wenn nach 9,5 Jesus der Messias ist und wenn gilt, dass er „über allem“ (ε� πι` πα' ντων [epi pantōn]) ist, „der in Ewigkeit gepriesene Gott“, und wenn Gott nur einen Messias und nur ein Volk hat, dann ist die Interpretation von παñ ς � Ισραη' λ [pas Israēl] im Sinne des einen messianischen Heilsvolkes Gottes plausibel. Diese Interpretation entspricht früheren Aussagen des Apostels.
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Irenäus, AdvHaer 4,2,7; Theodor v. Mopsuestia 11,26; Origenes, Comm Mt 17,5 (in Comm Rom IV 303 deutet er im Sinn des ethnischen Israels, in Ierm Hom 5,4 im Sinn des Restes innerhalb Israels); Augustin, Ep 149,19 (in QuaestEv im Sinn des ethnischen Israels); Calvin 601; Wright 688-691; Whiteley, Theology, 97-98; Giblin, Hope, 303; Jeremias, Beobachtungen, 199-200; Judant, Israël, 194-201; Ponsot, Israël, 413-415; Martin, Reconciliation, 134-135; Aageson, Scripture, 284-285; Wright, Climax, 231– 257; Donaldson, Paul, 215-218; Chilton, Rabbi Paul, 234; Wagner, Heralds, 278 Anm. 193 (als Möglichkeit; anders ebd. 279 Anm. 194); Wright, Paul, 1231-1252.
506 Römerbrief ———————————————————————————————————— (1) Die Jesusbekenner haben sich schon sehr früh als „Israel“ verstanden, was sich bereits in den Anfängen des urchristlichen Gemeindeverständnisses zeigt (Apg 1,15-26), paradigmatisch manifest in der Berufung von zwölf (!) Jüngern durch Jesus (Mt 10,1-4.5; 11,1; 19,28; Mk 3,14-19; Lk 6,13-16; 9,1; 22,30; 1Kor 15,3-5).315 (2) Weiterer Kontext Röm 2,28-29: Paulus hatte bereits in 2,28–29 betont, dass sowohl Heidenchristen und Judenchristen die „wahren Juden“ sind, d.h. Juden, die am Herzen „beschnitten“ sind (vgl. Phil 3,3). (3) Kontext Röm 9,6.7-29: Paulus hatte in der ersten, als Grundsatz formulierten Aussage in 9,6 betont, dass nicht alle Nachkommen Israels auch wirklich Israel sind, und in 9,7-29 demonstriert, dass nicht alle biologischen Nachkommen Abrahams zu dem von Gottes erwählender Gnade bestimmten Heilsvolk gehören. In 9,24 betont Paulus, dass Gottes erwählender Ruf Menschen quer durch die gesamte Menschheit hindurch Heil verschafft – Juden und Heiden. Gott beruft infolge des Kommens des Messias Jesus, der am Kreuz zur Sühnung der Sünden aller Menschen gestorben ist, auch Heiden zum Heil, sodass gilt, dass die Unterscheidung zwischen Israel als Volk Gottes und den Völkern als Ort der Heillosigkeit aufgehoben ist, in voller Übereinstimmung mit dem freien Erwählungshandeln Gottes, das von Anfang an die Geschichte Israels bestimmte. (4) Kontext 10,1-13: Paulus hatte in 10,1-13 in Anknüpfung an zentrale atl. Stellen (Lev 18,5; Deut 9,4; 30,12.14; Jes 28,16; Joel 3,5) gezeigt, wie Israel Heil erlangt: durch den persönlichen, mit dem Mund ausgesprochenen Glauben an den Messias Jesus (10,4.6.7.8-9.10), gipfelnd in dem Joel 3,5 zitierenden Satz: „Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden (σωθη' σεται)“ (10,13), der direkt nach der Aussage kommt, dass es keinen Unterschied zwischen Jude und Grieche gibt, weil sie alle denselben Herrn haben, „der seinen Reichtum allen gibt, die ihn anrufen“ (10,12). (5) Engerer Kontext 11,11-24: In der ausführlichen Beschreibung der Ablehnung des Evangeliums durch Israel (Israels Verhärtung; 11,7) und ihrer Folgen – die Rettung von Heiden, die ihrerseits Israel zur Eifersucht reizt und zum Heil führen wird, zumindest was „einige“ betrifft – spricht Paulus ausführlich von dem in V. 25cd-26a erwähnten Prozess der Bekehrung von Juden und Heiden. Die Argumentation gipfelte in dem Bild von dem einen edlen Ölbaum (V. 17-24), aus dem ursprünglich dort wachsende Zweige (ungläubige Juden) ausgebrochen, wilde Zweige (Heidenchristen) eingepfropft und ausgehauene edle Zweige (Judenchristen) wieder eingepfropft werden. Eine Relativierung des Hinweises auf die „Fülle“ Israels in V. 12.15 findet nicht statt, weil das Wort πλη' ρωμα offenlässt, wie viele Juden sich in der Zeit bis zur Wiederkunft Jesu zum Glauben an den Messias Jesus bekehren und zum Heilsvolk „Israel“ hinzustoßen werden. Paulus sagt nirgends, dass „ganz Israel“ die Summe ist aus den am edlen Ölbaum verbliebenen edlen Zweigen (implizit in V. 17a) und den ausgehauenen Zweigen (V. 17a), die mit den verhärteten Übrigen von V. 7 identisch sind. Die Einpfropfung der ausgehauenen edlen Zweige (das ungläubige Israel) ist vom Glauben abhängig (V. 23a), d.h. konditionell, nicht voraussetzunglos. (6) Engerer Kontext 11,28-32: Paulus beschreibt in den Sätzen unmittelbarnach dem Schriftzitat V. 26-27 in V. 28-32 noch einmal den in V. 11-24 skizzierten heilsgeschichtlichhistorischen Prozess der Ablehnung des Evangeliums durch den größten Teil Israels (V. 28a.30b.31b), die Annahme des Evangeliums unter den Völkern (V.28a.30b.31a) und die dadurch in Gang gesetzte Bekehrung von Juden auch in der Zukunft (V. 28b.29.31c), sodass sowohl Juden und Heiden, die beide Gott ungehorsam waren (1,18-32 / 2,1–3,20), Gottes Heil erfahren (V. 32; vgl. 3,21–5,21). (7) Paulus hatte mehrere Grundbegriffe des von Abraham abstammenden Volks neu definiert, indem er sie im Anschluss an Tod und Auferstehung Jesu (3,1–5,12; 8,1-4.11.17) auf ————————————————————
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Vgl. Koch, Beobachtungen, 190 mit Anm. 65.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 507 ———————————————————————————————————— die Jesusbekenner bezog, unabhängig davon, ob sie Juden oder Heiden sind: Beschneidung und die Bezeichnung „Jude“ in 2,25-29; die Familie Abrahams, die Abraham als „Vater“ bezeichnen kann, in 4,1-25; die Abrahamsnachkommenschaft, die nicht mehr auf Juden begrenzt ist in 9,7.9; Söhne, Kinder und Erben Gottes in 8.14.16.17.19.21; 9,7-9; Volk Gottes in 9,24-25. Es ist deshalb möglich und plausibel, dass Paulus in diesem Kontext das Wort � Ισραη' λ [Israēl] mit einer anderen Bedeutung als in 9,27.31; 10,19.21; 11,2.7.25 verwendet, nämlich als Bezeichnung des messianischen, endzeitlichen Gottesvolks, zu dem nach atl. Prophezeiungen die Völker gehören sollten. Paulus hat im früher geschriebenen Galaterbrief in Gal 6,16 auch Nichtjuden als ο� � Ισραη` λ τουñ θεουñ ([ho Israēl tou theou], „das Israel Gottes“) bezeichnet.316 Paulus spricht in 1Kor 10,18 von ο� � Ισραη` λ κατα` σα' ρκα ([ho Israēl kata sarka], „das Israel nach dem Fleisch“), was man auf das durch biologische Ab-stammung konstiuierte Israel, auf das götzendienerische Israel der Wüstengeneration oder auf das durch den Jerusalemer Opferkult konstituierte Israel beziehen kann;317 gleichzeitig wird deutlich, dass die Formulierung als impliziter Hinweis auf ein weiteres „Israel“ verstanden werden kann, oder mindestens für in diese Richtung weitergehende Aussagen offen ist.318 (8) Ein Haupteinwand gegen diese Interpretation ist der Hinweis auf die Bedeutung des Wortes � Ισραη' λ in 9,6.27.31; 10,19.21; 11,2.7.25.26.319 Der Einwand ist gewichtig, aber im Kontext nicht überzeugend. Dass Paulus andere Grundbegriffe, die traditionell das ethnische Israel kennzeichneten, im Anschluss an Tod und Auferweckung Jesu neu definiert, wurde oben dargelegt. Wenn Paulus in Gal 6,16 das Wort „Israel“ für die vom Messias Jesus konstituierte Heilsgemeinde und damit konkret für Judenchristen und Heidenchristen verwenden kann, dann kann er dies auch in Röm 11,26a tun. Da Paulus in V. 25c von με' ρος τω ñ, � Ισραη' λ, in V. 26a von παñ ς � Ισραη' λ spricht, es ist durchaus möglich, das die zwei unterschiedlichen Qualifikationen von � Ισραη' λ auf zwei unterschiedliche Größen verweisen. Die paränetische Zielrichtung des Kontexts, die auf die Heidenchristen und ihren potentiellen Hochmut gegenüber ungläubigen Juden zielt, ist kein Gegenargument, im Gegenteil: Gerade weil Heidenchristen mit Judenchristen zusammen „Israel“ sind, gibt es keinen Grund, weshalb sie sich über die ungläubigen Juden erheben sollten, von denen sich noch viel mehr zum Glauben an Jesus bekehren werden. Der Einwand, diese Interpretation erfordere ein Verständnis des Jesajazitats V. 26 im Sinn einer Rettung individueller Israeliten (und nicht des gesamten Volkes),320 verkennt, dass kollektive Aussagen des AT im Blick auf das Heil bzw. Unheil Israels nie so verstanden werden dürfen, als entbehrten sie jeder „individualistischen“ Wirklichkeit. Die Wendung [ ָ ּכל־ִיְׂש ָרֵאלkol jiśrā’el], die Israel als Kollektiv bezeichnet, beinhaltet nicht automatisch numerische Vollständigkeit: Heil ist vom Gehorsam gegenüber Jahwes gnädiger Heilsoffenbarung abhängig, was immer auch für den einzelnen Israeliten gilt.
Es gibt keinen Konsens, wie die Wendung „ganz Israel wird gerettet werden“ in V. 26a auszulegen ist. Plausibel sind die vierte und fünfte der skiz————————————————————
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Vgl. zuletzt Kraus, Volk Gottes, 251-252, der auf die christozentrische Engführung der Nachkommenschaft Abrahams und der Hagar-Sara-Allegorie im Gal und auf den unmittelbaren Zusammenhang Gal 6,15 verweist, wo Paulus die αυ� του' ς V. 16, die mit von ο� � Ισραη` λ τουñ θεουñ identisch sind, als Menschen beschreibt, die nach der Richtschnur der Neuschöpfung leben und ε� ν Χριστω ñ, sind, eine Gemeinschaft, zu der auch Nichtjuden gehören. Vgl. Bachmann, Verus Israel, 508-509.511. Schnabel, 1. Korinther, 533-534. Kraus, Volk Gottes, 188-189; kritisch Bachmann, Verus Israel, 509. Fitzmyer 624; zum folgenden Punkt Moo 721. So Wagner, Heralds, 279 Anm. 194.
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zierten Interpretationen. Die Syntax des „Geheimnisses“ V. 25cd-26a, an die sich das Schriftzitat V. 26b-27 als Begründung und V. 28-32 als Erklärung anschließt, sowie Aussagen im Kontext in Röm 9–11 machen die Annahme schwierig, Paulus formuliere in V. 26a eine (neue) Prophetie, die die zukünftige Bekehrung einer größeren Anzahl von Juden im Zusammenhang mit der Wiederkunft Jesu zum Inhalt hat. Wahrscheinlicher ist die Interpretation, dass Paulus zusammenfassend die Art und Weise des Zustandekommens und des Wachstums der von Gott geschaffenen einen messianischen Heilsgemeinde beschreibt, die aus Israel herausgewachsen ist und jetzt und in der Zukunft aus Jesusbekennern besteht, die aus den Völkern und aus Israel kommen. „Ganz Israel“ ist das messianische Heilsvolk, das an den „Retter aus Zion“ glaubt. „Ganz Israel“ sind die Geretteten – Juden und Heiden –, die Gottes Heil erfahren haben und erfahren werden (V. 25c). „Ganz Israel“ ist das Heilsvolk, zu dem die „Fülle Israels“ (V. 12c) und die „Fülle der Heiden“ (V. 25d) gehört, wobei Paulus betont, dass die „Fülle Israels“ als Folge des heilsgeschichtlich-historischen Prozesses erreicht wird, den Gott in Gang gesetzt hat (V. 11-24.25d). Dieser heilsgeschichtliche, historische Prozess besteht aus vier Phasen, die miteinander verbunden sind, aber nicht zeitlich nacheinander ablaufen,321 sondern sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft gleichzeitig Wirklichkeit sind: Verhärtung Israels – Heil der Völker – Eifersucht Israels – Rettung Israels. Es wird immer Juden geben, die verhärtet sind, weshalb Paulus das Evangelium vom Messias Jesus auch unter Juden verkündigt in der Hoffnung, „einige von ihnen“ zu retten (11,14). Es wird immer Heiden (Polytheisten) geben, die sich zu Israels Gott und seinem Messias bekehren. Es wird immer Juden geben – so die Hoffnung von Paulus –, die die Verwirklichung der Verheißungen Gottes in Gemeinden, in denen Jesusbekenner aus Juden und Heiden die Wirklichkeit des messianischen Heils erfahren, sehen und sich zur Eifersucht provozieren lassen, und so gerettet werden. Wenn Lohse und andere, die V. 26a als Prophetie einer Rettung des jüdischen Volkes in der Zukunft interpretieren, sagen, Paulus gebe sich „keinen Spekulationen hin“, wie Israels künftige Rettung erfolgt,322 dann ignoriert dies 11,13-14: Paulus hofft, dass durch seinen missionarischen Dienst unter den Völkern Juden zur Eifersucht gereizt werden, sodass einige gerettet werden. Ein Missionar wird sich sehr wohl Gedanken darüber machen, wie es ————————————————————
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Nicht: Verhärtung Israels ⇒ Heil der Völker ⇒ Eifersucht Israels ⇒ Rettung Israels. Weder wird die Verhärtung Israels numerisch vollständig aufgehoben, sodass alle Juden Heil erhalten und im Endgericht nur die nichtjüdischen Völker gerichtet werden, noch geht die Zeit des Heils für die Völker vor der Wiederkunft einmal zu Ende, sodass sich keine Heiden mehr bekehren können. Lohse 322.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 509 ———————————————————————————————————— zur Rettung von Zeitgenossen kommt. Und man sollte nicht vergessen, dass Paulus entschieden die Unparteilichkeit Gottes im Blick auf Juden und Heiden betont (3,27-30).
Das Bekenntnis des Apostels, dass Gott allein die „Tiefe der Weisheit und der Erkenntnis“ zusteht, weil seine Wege unerforschlich sind (V. 33), ist hermeneutisch auch für das Verständnis des „Geheimnisses“ V. 25cd-26a wichtig und gebietet Zurückhaltung gegenüber dogmatischer Gewissheit in der Interpretation der fünf griechischen Vokabeln von V. 26a. 26b-27 Mitder Wendung wie geschrieben steht (καθω` ς γε' γραπται [kathōs gegraptai])323 leitet Paulus ein Zitat aus Jes 59,20-21 / Jes 27,9 ein, das den Inhalt des „Geheimnisses“ V.25cd-26a begründet. Die beiden Jesajatexte sind Heilsankündigungen, die die Aufhebung der Gottlosigkeit bzw. Gesetzlosigkeit von „Jakob“ prophezeien.324 Im Blick auf das Zitat sind folgende Beobachtungen zu beachten. Röm 11,26b-27: η« ξει ε� κ Σιω` ν ο� ρ� υο' μενος, α� ποστρε' ψει α� σεβει' ας α� πο` � Ιακω' β· και` αυ« τη αυ� τοιñς η� παρ’ ε� μουñ διαθη' κη, ο« ταν α� φε' λωμαι τα`ς αëμαρτι'ας αυíτω Òν Aus Zion wird der Retter kommen; er wird Gottlosigkeiten von Jakob abwenden; und dies wird der Bund sein, den ich mit ihnen schließen werde, wenn ich ihre Sünden entferne Jes 59,20-21: και` η« ξει ε« νεκεν Σιων ο� ρ� υο' μενος και` α� ποστρε' ψει α� σεβει' ας α� πο` Ιακωβ. και` αυ« τη αυ� τοιñς η� παρ’ ε� μουñ διαθη' κη, [ειòπεν κυ' ριος· το` πνευñ μα το` ε� μο' ν, ο« ε� στιν ε� πι` σοι' , και` τα` ρ� η' ματα, α� ε» δωκα ει� ς το` στο' μα σου, ου� μη` ε� κλι' πη, ε� κ τουñ στο' ματο' ς σου και` ε� κ τουñ στο' ματος τουñ σπε' ρματο' ς σου, ειòπεν γα` ρ κυ' ριος, α� πο` τουñ νυñ ν και` ει� ς το` ν αι� ω ñ να] Und um Sions willen wird der Retter kommen, und er wird Gottlosigkeiten von Jakob abwenden. Und dies ist mein Bund mit ihnen, [sprach der Herr: Mein Geist, der auf dir ruht, und die Worte, die ich in deinen Mund gegeben habe, werden gewiss von deinem Mund nicht weichen und vom Mund deiner Nachkommenschaft – denn der Herr sagte es – von jetzt an und in Ewigkeit] (LXX.D) Jes 27,9: [δια` τουñ το α� φαιρεθη' σεται η� α� νομι' α Ιακωβ, και` τουñ το' ε� στιν η� ευ� λογι' α αυ� τουñ ,] ο« ταν α� φε' λωμαι αυíτουÒ τη`ν αë μαρτι'αν, [ο« ταν θω ñ σιν πα' ντας του` ς λι' θους τω ñ ν βωμω ñ ν κατακεκομμε' νους ω� ς κονι' αν λεπτη' ν· και` ου� μη` μει' νη, τα` δε' νδρα αυ� τω ñ ν, και` τα` ει»δωλα αυ� τω ñν ε� κκεκομμε' να ω « σπερ δρυμο` ς μακρα' ν] [Darum wird die Gesetzlosigkeit Jakobs weggenommen werden, und dies ist sein Segen,] wenn ich seine Sünde weggenommen habe [wenn sie alle Steine der Altäre in Stücke geschlagen haben zu feinem Staub; und ihre Bäume werden gewiss nicht bleiben, und ihre Götzenbilder sind gefällt wie ein Wald weithin] (LXX.D) Im Blick auf den Wortlaut des Mischzitats ist Folgendes wichtig:325 1. Die Auslassung des einleitenden και' findet sich auch in der LXX-Tradition (A*, Manuskripte des Antiochenischen Textes), die jedoch vom Wortlaut in Röm 11,26b beeinflusst sein könnte. 2. Abänderung von ε« νεκεν Σιων („um Sions willen“) zu ε� κ Σιω' ν („aus Zion“). LXX-Handschriften, ————————————————————
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Vgl. 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33; 10,15; 11,8 sowie 15,3.9.21. Vgl. Westermann, Jesaja, 274-275.279-280; Wildberger, Jesaja II, 1014-1019. Vgl. Koch, Schrift, 175-178; Stanley, Paul, 166-171; Stanley, Redeemer, 118-142; Wagner, Heralds, 280-286.
510 Römerbrief ———————————————————————————————————— die ε� κ Σιω' ν lesen, weisen an anderen Stellen Angleichungen an paulinische Zitationsformeln auf, sind also nicht unbedingt Belege für vorpaulinische Tradition. Die Annahme, ε� κ sei Übersetzung von hebr. ]על =[ אלmit der Bedeutung „wegen“ (wie in 1QIsaa)326 ist nicht überzeugend: ε� κ kann zwar kausale Bedeutung haben, aber kaum verbunden mit einem Ortsnamen. Ausleger führen die Änderung (a) auf eine jüdische Diasporagemeinde zurück, die die Prophezeiung Jesajas von einem Standpunkt außerhalb Israels her versteht,327 (b) auf eine vorpaulinische christologische „Aneignung“ der Jesajastelle328 oder (c) auf Paulus selbst.329 Bei den Vorschlägen b und c wird der „Retter“ mit Jesus Christus identifiziert. Die Antwort auf die Frage, ob das Kommen des Retters im Sinn des Kommens des Messias Jesus in der Vergangenheit interpretiert wird (so D.-A. Koch für die vorpaulinische Interpretation) oder auf das Kommen des Messias Jesus in der Zukunft bei der Parusie (so Wagner) hängt nicht zuletzt von der Interpretation von Röm 11,26a ab. Eine Perspektive außerhalb Jerusalems, dem Ort, von dem das Heil erwartet wird, findet sich auch in Jes 2,3-4 / Mi 4,23; Joel 4,16 [LXX 3,16]; Ps 13,7 LXX; 109,2 LXX. 3. Die Auslassung des zweiten και' (vor α� ποστρε' ψει) stellt eine deutlicher erkennbare Parallelität zwischen den ersten beiden Aussagen her, verändert jedoch nicht den Sinn der Aussage. 4. Kombination von Jes 59,20-21 mit einer Formulierung aus Jes 27,9: Die Wendung ο« ταν α� φε' λωμαι τα` ς α� μαρτι' ας αυ� τω ñ ν („wenn ich ihre Sünden entferne“) spiegelt christliche Formulierungen wider, entspricht aber auch Jer 38[31],31-34 LXX und Hes 37,23-26 LXX, d.h., die Kombination könnte jüdischen Hintergrund haben (C. D. Stanley), eine These, für die es allerdings keine konkreten Anhaltspunkte gibt. Eine Kombination der beiden Stellen durch Paulus ist wahrscheinlicher, wobei eine vorpaulinisch-christliche Vorlage nicht ausgeschlossen werden kann (Koch). 5. Änderung des Sing. τη` ν α� μαρτι' αν in den Plural τα` ς α� μαρτι' ας: Der Plural ist durchaus paulinisch,330 und vielleicht wollte Paulus an den Plural α� σεβει' ας angleichen. 6. Die Änderung des Personalpronomens αυ� τουñ zu αυ� τω ñ ν ergibt sich aus der Notwendigkeit, das Zitat aus Jes 27,9 an den Plural αυ� τοιñς des Zitats von Jes 59,21 anzugleichen.
Paulus betont mit dem kombinierten Zitat aus Jes 59,20-21 / Jes 27,9, dass das ungläubige Israel einen Retter braucht, der die Sünden des Volkes entfernt. Damit ist die erste der oben skizzierten Interpretationen von V. 26a, nach der Israel am Ende immer Heil zugesprochen bekommt, eindeutig ausgeschlossen. Paulus macht in V. 26b-27 vier Aussagen. Erstens, die Rettung Israels und der Völker (V. 25cd-26a) ist die Tat des „Retters“, d.h. von Jesus, dem Messias Israels: Aus Zion wird der Retter kommen (V. 26b). Breite Übereinstimmung besteht in der Interpretation des Ausdrucks „der Retter“ (ο� ρ� υο' μενος [ho rhyomenos]; der hebr. Text hat ————————————————————
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Waard, Study, 11-13; kritisch Stanley, Paul, 167-168 Anm. 286; Wagner, Heralds, 284. Schaller, ΗΞΕΙ, 204-205 nimmt an, dass ε� κ aus einem ursprünglichen ει� ς entstanden sein könnte, was nur dann plausibel wäre, wenn in Röm 11,26-27 weitere Indizien einer hebraisierenden Überarbeitung der Stelle zu finden wäre, was jedoch nicht der Fall ist (Koch, Schrift, 176 Anm. 21; zur Kritik s. auch Jewett 703 Anm. 87). Stanley, Paul, 166-168; Stanley, Redeemer, 135-136. Wagner, Heralds. Koch, Beobachtungen, 186-189; Koch, Schrift, 176.241-242; vgl. Lohse 320. Wagner, Heralds, 284-286. 4,7; 7,5; 1Kor 15,3.17; Gal 1,4; Eph 2,1; Kol 1,14; 1Thess 2,16; 1Tim 5,22.24; 2Tim 3,6.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 511 ————————————————————————————————————
[ ג ּ ֹוֵאלgō’ēl]): Paulus spricht von Jesus, dem Messias, der Israel rettet.331 Entscheidend für das Verständnis des Zitats V. 26bc-27 und damit für das Verständnis des „Geheimnisses“ V. 25cd-26a ist die Frage nach dem Datum des Kommens des Retters, die mit der Bedeutung des Wortes „Zion“ verbunden ist. Die meisten Ausleger interpretieren das Verb „wird kommen“ (η« ξει [hēxei]) im Sinn eines prospektiven Futurs als Hinweis auf die Wiederkunft Jesu.332 Wenn Haacker betont, dass man „eine letzte Evangeliumsverkündigung gegenüber Israel vor dem Ende aller Dinge, die deutlich mehr Erfolg hat als die jetzige“, nicht in den Text „hineinlesen“ sollte, und von einer Heilsteilhabe Israels allein durch die Begegnung mit dem Auferstandenen ausgeht,333 dann markiert er genau das Problem, das sich bei der Interpretation von V. 26b im Sinn der Wiederkunft Jesu ergibt und bei der Behandlung der dritten Interpretation von V. 26a wichtig war: Wenn Paulus prophezeit, dass Israel in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Wiederkunft Jesu deshalb Heil erlangen wird, weil Israel das erwählte Gottesvolk ist, dann müsste er annehmen, dass das Evangelium, das er gegenwärtig auch in Synagogen verkündigt, am Ende für das jüdische Volk keine Rolle mehr spielt, und er müsste aus der in 3,29-30 betonten Überzeugung, dass Gott nicht allein der Gott der Juden, sondern auch der Gott der Heiden ist, folgern, dass mindestens die Heiden, die das Evangelium nicht angenommen haben, am Ende durch die Begegnung mit dem wiederkommenden Jesus Heil erlangen.334 Es ist plausibler, dass Paulus η« ξει [hēxei] als futurum propheticum versteht, das in der Gegenwart erfüllt ist: Das erwartete Kommen des Retters im Zitat von Jes 59,20 ist das Kommen des Messias Jesus, des Sohnes Davids, der in Bethlehem geboren (1,3a) und in Jerusalem (Σιω' ν [Siōn]) gekreuzigt, auferweckt und zur Rechten Gottes erhöht wurde (1,4) und deshalb „der Retter“ (ο� ρ� υο' μενος [ho rhyomenos]) ist, der Israels Sünden sühnt.335 Folgende Argumente sind entscheidend: ————————————————————
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Kuss III 816; Cranfield II 578; Wilckens II 256; Moo 728. Weniger überzeugend sind Zahn 526; Haacker 288 (als Möglichkeit); Maier, Israel, 144; Stanley, Redeemer, 140142, die im Anschluss an den ursprünglichen Kontext in Jes 59 den „Retter“ als Hinweis auf Gott interpretieren. Die Stelle Jes 59,20-21 wird im Targum und in bSanh 98a messianisch interpretiert; vgl. Bill. IV, 981. Vgl. Käsemann 304; Cranfield II 578; Michel 356; Wilckens II 256; Dunn II 682; Theobald I 304-305; Moo 727-728; Schreiner 619; Haacker 288-289; Lohse 320; Hübner, Gottes Ich, 118; Wilk, Bedeutung, 71-73; Flebbe, Solus Deus, 366-368. Haacker 288; vgl. Hofius, Evangelium, 197: „‚Ganz Israel‘ kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil“ (kursiv Hofius). So z.B. Jewett 712, der V. 32 im Sinne einer (vagen) Allversöhnung interpretiert. Vgl. Zeller 199; Wright 691-693; Luz, Geschichtsverständnis, 294-295; Zeller, Juden und Heiden, 260-261; Koch, Beobachtungen, 188; Wright, Paul, 1246-1251.
512 Römerbrief ————————————————————————————————————
1. Paulus verweist weder in Röm 9–11 noch in Röm 1–8 auf die Wiederkunft Jesu,336 sodass der Beginn des Zitats in V. 26b nicht wirklich in den paulinischen Gedankengang integriert werden kann, wenn man im Sinn der Parusie interpretiert.337 2. Wenn man V. 26b auf die Wiederkunft Jesu deutet, muss der Hinweis auf „Zion“ entweder unkommentiert bleiben,338 auf das himmlische Jerusalem bezogen werden339 oder in einem allgemeinen Sinn als „Mittelpunkt Israels“ verstanden werden.340 Es ist ungezwungener und deshalb plausibler, die Wendung „aus Zion“ (ε� κ Σιω' ν [ek Siōn]) im Sinn des „historischen Jerusalem“ zu verstehen und als Hinweis auf Jerusalem als Ort des Todes und der Auferstehung Jesu zu interpretieren.341 3. Die Verwendung des Verbs ρ� υ' ομαι [rhyomai] (s. zu 7,24) in 1Thess 1,10 für Jesus im Zusammenhang mit einem Hinweis auf die Wiederkunft Jesu „vom Himmel her“ beweist nicht, dass die Bezeichnung von Jesus als „Retter“ (ο� ρ� υο' μενος [ho ryomenos]) in V. 26b auf den wiederkommenden Jesus Christus verweist: Paulus verwendet das Verb an mehreren Stellen, ohne von der Parusie zu sprechen.342 4. Paulus spricht von der Rettung Israels in 11,11-15: Diejenigen in Israel, die nicht glauben, werden so gerettet, dass sie die Wirklichkeit des Heils unter den Völkern sehen, eifersüchtig werden (11,11-12) und auf diese Weise durch die missionarische Verkündigung des Apostels Paulus unter den Völkern (11,13) gerettet werden (11,14-15). 5. Der futurische Wortlaut des Zitats spricht nicht gegen diese Interpretation: Paulus zitiert eine Prophetie Jesajas, deren Erfüllung stattgefunden hat und in der Bekehrung von Juden und Heiden im Gefolge der Verkündigung des Evangeliums vom Messias Jesus stattfindet.343 Dies ergibt sich aus ————————————————————
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Höchstens indirekt in 8,23. Richtig erkannt von Koch, Beobachtungen, 187; vgl. Fitzmyer 625. Siehe Lohse 320. Schlier 341; Käsemann 304; Dunn II 682; Haacker 286; Jewett 704 u.a. mit Hinweis auf Gal 4,26; manche verweisen auch auf Hebr 12,22; Offb 3,12; 21,2. Keine dieser Stellen spricht vom himmlischen Jerusalem als Ausgangspunkt der Wiederkunft Jesu. Wilckens II 257, ohne Belege für ein Verständnis von „Zion“ als „Mittelpunkt Israels“. Vgl. Koch, Beobachtungen, 189; Koch, Schrift, 177 Anm. 34, der auch eine Anspielung auf die Davidssohnschaft Jesu (vgl. 1,3) erwägt, wobei festzuhalten ist, dass Paulus in 1,3-4 durchaus „ein positives Interesse“ an der Davidssohnschaft Jesu zeigt. 7,24; 15,31; 2Kor 1,10; Kol 1,13; 2Thess 3,2; 2Tim 3,11; 4,17.18. Vgl. Koch, Schrift, 177 Anm. 32: Die Futura werden (nach Koch bereits in der vorpaulinischen christologischen Verwendung der Jesajastellen) „auf das bereits erfolgte Heilshandeln Christi bezogen … d.h. als Verheißungen der Schrift verstanden, auf deren Erfüllung die Gemeinde bereits zurückblicken konnte, bzw. die sich in der Gegenwart erfüllten“.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 513 ————————————————————————————————————
10,5-13: Paulus betont in 10,6-8 mithilfe von Deut 9,4; 30,12-13; Ps 107,26, dass der Messias gekommen, in seiner Botschaft gegenwärtig und an die Stelle der Gottesoffenbarung bzw. der göttlichen Weisheit getreten ist, wobei das Gotteswort, das die Heil schaffende Bundesgerechtigkeit Gottes vermittelt, das von Paulus verkündigte Wort vom Glauben an den Messias Jesus ist. Nach 10,9-10 ist das „nahe Wort“ des Gottes Israels in Deut 30 das Bekenntnis zum gekreuzigten Jesus als auferweckter und erhöhter Herr, verbunden mit der bejahenden Anerkennung der Auferweckung Jesu und des Heilshandelns Gottes im Tod Jesu und mit dem Bekenntnis zu Jesus als Retter im Endgericht. In 10,11-13 erläuterte Paulus mit Zitaten aus Jes 28,16; Joel 3,5 die universale Gültigkeit der neuen Heilsordnung, die auch und gerade für Israel gilt, weil Jesus der Kyrios ist für alle, die sich zu ihm bekennen. Die universale Heilsbedeutung des Handelns Gottes in Tod und Auferweckung Jesu gilt für Juden und für Heiden. Paulus weist mit keinem Wort darauf hin, dass diese universale Heilsbedeutung von Jesus, dem Messias und Kyrios, im Zusammenhang mit der Wiederkunft Jesu aufgehoben würde. Der „Bund“, von dem Paulus in 11,27a spricht, ist kein spezieller, bei der Wiederkunft Jesu relevanter Bund für Israel neben dem Bund, den er in 2,26-29 (Beschneidung), in 4,1-25 (Abraham) und in 9,1–11,24 / 25-32 (als Behandlung u.a. der „Bundesschlüsse“ von 9,4) erläutert hat. Es gibt keinen Bund, den Gott mit dem jüdischen Volk hinter dem Rücken des Messias und hinter dem Rücken Abrahams gemacht hätte, dem Gott eine weltweite Familie verheißen hatte, die durch die Mission der Apostel unter den Juden und unter den Völkern zustande gekommen ist.344 Der Bund, von dem Paulus in 11,27a spricht, ist der Bund, durch den Sünden vergeben werden, womit für Paulus nur der Bund gemeint sein kann, in dem Gott das Ziel der Berufung Abrahams verwirklicht – der Bund, in dem nach Deut 30 der „Fluch“ aufgehoben wird und durch den, wie in Jes 27 und Jer 31 verheißen, die Sünden Israels vergeben werden. 6. Der Kontext der von Paulus zitierten Texte Jes 59,20-21 und Jes 27,9 und die Fortsetzung des Zitats in Röm 11,26c-27 bestätigen die Identifizierung des Kommens des Retters in 11,26b mit dem (ersten) Kommen des Messias Jesus. In Jes 59/27 lesen wir von einer Erneuerung des Bundes durch den Geist Gottes und das Wort Gottes (Jes 59,21) unter Verwendung des Bildes vom Aufsprießen eines Baumes (Jes 27,6; vgl. den Ölbaum von Röm 11,17-24), von der Rettung von Sünden nach erfolgter Buße (Jes 59,20; 27,9) und vom gegenwärtigen und zukünftigen Gericht Gottes (Jes 59,15-19; 27,8.10-13). Gleichzeitig erinnert Paulus mit Jes 59/27 an Deut ————————————————————
344
Wright, Paul, 1246.
514 Römerbrief ————————————————————————————————————
30, einen Text, den er in 10,6-11 zitiert (Deut 30,11-14) und im Sinn des Kommens des Messias Jesus erklärt hatte (s. zu Röm 10,6-11).345 Das Kommen des Retters aus Zion (Jes 59,20) ist in V.26b das Kommen des Messias Jesus, durch dessen Sühnetod, Auferweckung und Erhöhung in Jerusalem Gott sowohl Israel als auch den Heiden, die in „Jerusalem“ das Heil suchen, die verheißene Rettung der messianischen Heilszeit ermöglicht. Zweitens, die Rettung Israels (V. 26a) geschieht dadurch, dass der Messias Jesus die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden wird (V. 26c). Mit „Jakob“ (� Ιακω' β [Iakōb]) sind im Anschluss an 9,13 entweder die leiblichen Nachkommen Jakobs gemeint, d.h. das Volk Israel bzw. das jüdische Volk;346 oder im Anschluss an 9,6 („nicht alle Nachkommen Israels sind Israel“) der von Gott entfremdete (nördliche) Teil Israels, d.h. die Juden, die sich dem Messias Jesus verweigern;347 oder im Anschluss an 11,26a („ganz Israel“) typologisch alle, in denen sich Gottes Verheißungen erfüllen, d.h. alle Jesusbekenner aus Israel und aus den Völkern.348 Das Wort „Gottlosigkeit“ (α� σε' βεια [asebeia]; s. zu 1,18; 2,12) steht in 1,18 zusammen mit „Ungerechtigkeit“ als Überschrift über dem Abschnitt 1,18–3,20, in dem Paulus die Sünde von Heiden und Juden behandelt; in 4,5 ist ο� α� σεβη' ς [ho asebēs] Bezeichung für Abraham als „Gottloser“, den Gott infolge seines Glaubens an Gottes Verheißung rechtfertigt. Das Verb „abwenden“ (α� ποστρε' ψει [apostrepsei]) wird in 2Tim 4,4; Tit 1,14 von Menschen verwendet, die sich von der Wahrheit abwenden; in Apg 3,26 für Jesus, den Knecht, den Gott gesandt hat, um Israel zu segnen „und jeden von seiner Bosheit“ abzuwenden; hier im Sinn von „entfernen“: Jesus, der Retter, entfernt die Folge der schuldhaften Handlungen im Zusammenhang mit der Weigerung, Gott die Ehre zu geben, d.h., er sühnt die Sünden von Juden und Heiden durch seinen Tod am Kreuz und entfernt damit die seit Adam wirksame Wirklichkeit der Sünde und des Todes (Röm 3,21–5,21). Die Rettung von Heiden und Juden – die Rettung Israels – wird durch das mit Jesus, dem Messias Israels verbundene Heilsgeschehen Wirklichkeit, in dem er ihre Schuld und Sünde entfernt. In der vierten Aussage V. 27b wird dies noch einmal betont. Drittens, die Rettung durch den Messias Jesus bedeutet die Erfüllung von Gottes Verheißungen eines erneuerten Bundes: und dies wird der Bund sein, den ich mit ihnen schließen werde (V. 27a). In Jes 59,21 lautet ————————————————————
345 346
347 348
Wright 692-693; Wright, Paul, 1246-1252; vgl. Wagner, Heralds, 284-298 passim. Vgl. Lohse 321; Fitzmyer 625; die meisten Ausleger lassen � Ιακω' β unkommentiert, offenbar die Identifikation mit παñ ς � Ισραη' λ V. 26a voraussetzend. Barth, People, 43; vgl. Dunn II 683. Vgl. Jeremias, Beobachtungen, 200.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 515 ————————————————————————————————————
die Fortsetzung des Hinweises auf Gottes Bund mit Israel: „Mein Geist, der auf dir ruht, und die Worte, die ich in deinen Mund gegeben habe, werden gewiss von deinem Mund nicht weichen und vom Mund deiner Nachkommenschaft – denn der Herr sagte es – von jetzt an und in Ewigkeit“ (LXX.D). Diese Aussage erinnert einerseits an die Ermahnung in Deut 4,910; 6,6-7, des Bundes Gottes mit Israel am Sinai zu gedenken, andererseits – und im Kontext des Hinweises auf Rettung, Entfernung von Gottlosigkeit und von Sünde V. 26bc.27b – an die Verheißung eines neuen Bundes mit dem Haus Israel in Jer 31,33-34 (LXX 38,33-34), in dem Gott die Ungerechtigkeiten und Sünden Israels vergibt. Durch das Kommen des Messias Jesus konstituiert Gott (παρ’ ε� μουñ [par’ emou]) den erneuerten bzw. neuen Bund (διαθη' κη [diathēkē]), zu dem alle gehören, die Gottes Heil schaffende Offenbarung im gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias annehmen (αυ� τοιñς [autois]; dat. commodi). Paulus zitiert in 1Kor 11,25 die Jesustradition vom „neuen Bund“ (η� καινη` διαθη' κη [hē kainē diathēkē]), der durch den Sühnetod am Kreuz etabliert wurde. In 2Kor 3,6 bezeichnet er sich und seine Missionarskollegen als „Diener des neuen Bundes“, in dem der Geist Gottes neues Leben schafft. In Eph 2,12 spricht er vom „Bund der Verheißung“, von dem die Heiden einst ausgeschlossen waren, zu dem sie aber jetzt infolge des Kreuzestodes des Messias Jesus gehören. Paulus schreibt in V. 27a von dem von Gott verheißenen erneuerten (neuen) Bund, der durch das Kommen des Messias Jesus konstituiert wurde, der am Kreuz für die Sünden von Juden und Heiden starb (3,21–5,21 als Antwort auf 1,18–3,20), und zu dem alle gehören, die an Jesus glauben, denn die Gerechtigkeit schaffende Heilsoffenbarung Gottes im Evangelium vom Messias Jesus ist „die Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst und auch für den Griechen“ (1,16-17). Der Bund, den Gott mit Abraham und den (in 11,28 explizit wieder erwähnten) Vätern geschlossen hat, wurde nach der Überzeugung des Apostels im Kommen des Davidsohns, des Messias Jesus, der am Kreuz starb, am dritten Tag auferstand und zur Rechten Gottes erhöht wurde (1,3-4), endzeitlich erfüllt: Gott rechtfertigt infolge seines Heilshandeln im Messias Jesus den Gottlosen, ob Juden (Abraham) oder Heiden (wie Abraham vor seiner Bekehrung zum Glauben an Jahwe), sodass Heiden und Juden, die im Glauben sich zum Messias Jesus bekennen, gemeinsam Abraham zum Vater haben (4,1-25) und „Erben Gottes“ und „Miterben des Messias“ (8,17) als „Erben der Verheißung“ (Gal 3,29) sind. Viertens, Gott hat in dem mit dem Kommen des Messias Jesus Wirklichkeit gewordenen neuen Bund das Sündenproblem Israels gelöst: wenn
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ich ihre Sünden entferne (V. 27b). Im Zusammenhang mit der aus Jes 27,9 zitierten Aussage ist neben Israel auch von der gesamten bewohnten Welt die Rede: „Die da kommen sind Kinder Jakobs ([τε' κνα Ιακωβ [tekna Iakōb]); Israel (Ισραηλ [Israēl]) wird sprießen und aufblühen, und die bewohnte Welt (η� οι� κουμε' νη [he oikoumenē]) wird erfüllt werden von seiner Frucht“ (Jes 27,6). Der Kontext in Jes 27 spricht von Gottes Handeln an Israel in Barmherzigkeit und Gericht, ein Thema, das die Ausführungen in Röm 11 bestimmt hat. Während Jes 27 von der zukünftigen Rückkehr Israels aus dem Exil handelt, spricht Paulus in Röm 11 von dem einen Ölbaum, an dem „wilde Zweige“ eingepfropft wurden und in den ausgehauene edle Zweige wieder eingepfropft werden. Im Kontext von Jes 27,8-9 bedeutet die Vergebung der Sünde in 27,9 die Entfernung des Götzendienstes aus Israel; im Kontext von Röm 11,12.14.15.20 bedeutet die Vergebung der Sünde in 11,27 die Entfernung des Widerstands gegen Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus. Wie Israel aus dem Exil zurückkehrte, so kehrt Israel um zum Glauben an den Messias Jesus. Dabei darf man nicht vergessen, dass nicht alle Juden aus dem Exil nach Jerusalem bzw. Judäa zurückkehrten; dieser historischen Wirklichkeit entsprechend würde Paulus die Prophezeiung von Jes 27,9 als Heilsverheißung für die Juden verstehen, die bereit sind, sich dem erneuerten Bund anzuschließen, d.h. die zum Glauben an den Messias Jesus kommen. Die für das Verständnis der Vergebung von Sünden zentralen Stellen Röm 3,21-26 und 5,12-21 zeigen, dass Paulus den erneuerten (neuen) Bund, in dem Gott die Sünden Israels vergibt, in den universalen Rahmen der Sünde der Heiden (1,18-32) und der Sünde der Juden (2,1–3,20) und damit in den Kontext der Sünde aller Menschen seit Adam (5,12-21) stellt. Paulus betont im Blick auf die Rettung von „ganz Israel“, d.h. von Israeliten/Juden und von Heiden, die nach jüdischer Erwartung in den letzten Tagen zum Zion pilgern und dort Gott anerkennen und Heil erfahren werden: Die zentrale Wirklichkeit des Bundes Gottes mit Israel, der durch das Kommen des Messias Jesus als der „neue Bund“ der „End-zeit“ qualifiziert ist, ist die Vergebung der Sünden, die Gott im Sühnetod Jesu am Kreuz bewerkstelligt hat. Paulus erklärt mit dem Schriftzitat aus Jes 59,20-21; 27,9 in V. 26b-27, dass Gott den Bund mit seinem Volk durch das Kommen des Messias Jesus neu konstituiert hat: Rettung, Entfernung der Gottlosigkeit und Vergebung der Sünde sind mit dem aus Zion kommenden Messias Jesus verbunden. Juden werden gerettet, wenn sie im Glauben den „Retter aus Zion“ annehmen. Die Aussagen in 10,1-13, in denen Paulus die Bundesbestimmungen
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von Deut 30, die über Segen und Fluch, über Heil und Gericht entscheiden, im Sinn der Gegenwart des Messias Jesus im verkündigten Evangelium interpretiert hatte, werden durch das Zitat Jes 59/27 in 11,26b-27, das das „Geheimnis“ von der Rettung von „ganz Israel“ in 11,25cd-26a bestätigt, nicht aufgehoben. Gott rettet Juden und Griechen, die an den in Zion gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus glauben – jetzt und in der Zukunft. Paulus sagt in 11,25-27 nichts anderes, als was er in 11,23 gesagt hatte: Das in der Gegenwart nicht glaubende, „heil-lose“ Israel kann wieder „eingepfropft“ werden und sich den glaubenden Juden und den glaubenden Heiden anschließen, wenn sie ihre Gottlosigkeit und ihre Sünden eingestehen und sich vom Messias Jesus retten lassen. Der messianische Bund Gottes umfasst Juden und Heiden und, in der Hoffnung des Apostels, eine immer größere Zahl von Juden, die zum Glauben an den Retter aus Zion kommen. 28 Paulus erklärt in V. 28-32 den heilsgeschichtlichen Vorgang der Errettung der Heiden und der Juden in ihrer wechselseitigen Bedingtheit durch das Erbarmen Gottes – Thema von V. 11-24 und auf den Punkt gebracht im „Geheimnis“ von V. 25-27. Es geht weiterhin um das Heil Israels, das Paulus für die Heidenchristen in Rom erläutert und kommentiert. Zunächst beschreibt er in zwei parallel formulierten Sätzen, die kein Verb, jedoch dieselben Präpositionen haben (κατα' /δια' ) undwie Lehrsätze wirken, den Bezug zwischen dem ungläubigen Israel und dem Evangelium einerseits sowie der Erwählung andererseits (με' ν … δε' ), d.h. das Verhältnis der Juden zu Gott, von dessen Heilsoffenbarung im Evangelium die Rede ist und der Israel erwählt hat. Die Wendung im Blick auf das Evangelium (κατα` το` ευ� αγγε' λιον [kata to euangelion]; V. 28a) beschreibt den Kontext, in dem die Juden auf das Evangelium Gottes von Jesus, dem Messias Israels und damit auf die Heil schaffende Offenbarung Gottes (1,3-4.16-17) reagieren. Im historischen Kontext der Gegenwart verkündet der Apostel Paulus die Botschaft vom Heilshandeln Gottes im Messias Jesus den Juden zuerst und auch den Griechen (1,16). Das Evangelium vom Messias Jesus, dem Sohn Gottes, muss sowohl von Heiden als auch von Juden gehört und geglaubt werden. Was das Verhalten Israels, d.h. der „Übrigen“ von 11,7 betrifft, so sind sie Feinde (ε� χθροι' [echthroi]). Das Wort „Feinde“ kann passivisch verstanden werden: Gott sieht sie als Feinde an, weil sie sich seiner Heilsoffenbarung widersetzen, was einerseits zum Ausdruck „Geliebte“ in V. 28b,
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andererseits zu 9,13 („Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehasst“) passt.349 Die Tatsache, dass die beiden Hälften des Verses syntaktisch parallel formuliert sind, zwingt nicht zu der Annahme, dass es eine inhaltliche Übereinstimmung gibt und „Feinde“ analog der Angabe „Geliebte“ interpretiert werden muss. Deshalb kann „Feinde“ auch aktivisch verstanden werden: Das Verhältnis der Juden, die nicht an Jesus als Messias Israels glauben (V. 23), zu Gott ist von Feindschaft bestimmt – sie stellen sich gegen Gottes Heilsoffenbarung, sie lehnen Gott ab (gesehen aus der Perspektive Gottes, nach dem Urteil des Apostels).350 In diesem Sinn werden in 5,10 alle Menschen, Juden wie Griechen, als Feinde Gottes bezeichnet (vgl. 8,7; 12,20; 1Kor 15,25-26; Gal 4,16; 5,20; Phil 3,18; Kol 1,21). Die Heiden sind ante Christum Feinde Gottes und seines Volkes (Röm 5,10; Eph 2,14.16; Kol 1,21), während die Juden post Christum Feinde Gottes sind. 351 Die Präpositionalwendung um euretwillen (δι’ υ� μαñ ς [di’ hymas]) beschreibt Ziel und Folge ihres Unglaubens (finales δια' ):352 Der Widerstand Israels gegen das Evangelium ermöglichte die Bekehrung der Heiden (V. 11-15.30-31). Grundsätzlich gilt für Israel, dass es Gottes erwähltes Volk ist: im Blick auf die Erwählung (κατα` τη` ν ε� κλογη' ν [kata tēn eklogēn]; V. 28b; s. zu 9,11) beschreibt den heilsgeschichtlichen Status Israels, der der Epoche des Evangeliums voraus und zeitgleich ist. In 9,6-13 hatte Paulus Gottes „Erwählung“ als das freie, souveräne Heilshandeln Gottes beschrieben. In 11,5 bezog sich κατ’ ε� κλογη` ν χα' ριτος [kat’ eklogēn charitos] auf Gottes Erwählung eines „Überrestes“ in Israel, d.h. der an das Evangelium zum Glauben gekommenen Juden, die in V. 7 als η� ε� κλογη' [hē eklogē] bezeichnet wurden. In V. 28b bezieht sich „Erwählung“ auf das gesamte jüdische Volk, auch auf die ungläubigen Juden. In V. 2 hatte Paulus erklärt, dass Gott sein Volk, das er „zuvor erkannt hat“ (προε' γνω [proegnō]), nicht verstoßen hat. Die von Gott Erwählten sind Geliebte (α� γαπητοι') [agapētoi]; s. ————————————————————
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Meyer II 239; Weiß 499; Lietzmann 106; Kuss III 816; Käsemann 305; Cranfield II 580; Michel 357; Wilckens II 257 Anm. 1160; Dunn II 685; Lohse 322; W. Foerster, Art. ε� χθρο' ς, ThWNT II, 814. Michel, Wilckens, Dunn u.a. betonen die eine oder die andere Bedeutung, sehen aber das „Moment“ (Wilckens) der anderen Bedeutung mitschwingen. Lohse ebd. spricht von einer „Feststellung von großer Härte“, in die man aber nicht sog. antisemitische Gedanken eintragen darf: „Denn in den Kapp. 9–11 unterstreicht der Apostel mit besonderem Nachdruck seine eigene Zugehörigkeit zu Israel“ (Anm. 27). Zahn 526; Kühl 394; Lagrange 287; Schlier 341-342; Fitzmyer 625; Haacker 289; Jewett 707; M. Wolter, Art. ε� χθρο' ς, EWNT II, 235; Stuhlmacher, Interpretation, 564-565; Hofius, Evangelium, 199 Anm. 92. M. Wolter, Art. ε� χθρο' ς, EWNT II, 235. Ein kausales Verständnis (Dunn II 685; Lohse 322) würde die Heiden(christen) als Grund und Ursache des Unglaubens des jüdischen Volkes beschreiben.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 519 ————————————————————————————————————
zu 1,7; 5,5), d.h., Gottes Wertschätzung, seine Zuneigung, gilt dem jüdischen Volk. Die Untreue der Juden, die Feinde Gottes sind, wird Gottes Treue nicht zunichte machen (3,3-4). Die Präpositionalwendung um der Väter willen (δια` του` ς πατε' ρας [dia tous pateras]) beschreibt Grund und Ursache der göttlichen Erwählung Israels (kausales δια' ). Die sich dem Evangelium Gottes widersetzenden Juden sind nicht deshalb von Gott Geliebte, weil sie die biologischen Nachkommen Abrahams sind, sondern weil Gott Abraham, Isaak und Jakob/Israel Heilsverheißungen gegeben hat. Insofern ethnische Identität (als biologische Nachkommen Abrahams) eine Rolle spielt, ist dies auf beiden Seiten der Gegenüberstellung der Fall: Als Nachkommen Abrahams gehören die Juden zur Sphäre der Liebe Gottes; weil sie jedoch die Erfüllung der Abraham gegebenen Verheißungen in Gottes Heilshandeln im Messias Jesus ablehnen, sind sie Feinde Gottes.353 Das Volk Israel ist von Gott geliebt und gleichzeitig Gottes Feind: Das Erste gilt, weil Gott seinen Verheißungen gegenüber treu bleibt; das Zweite gilt, weil Israel die Erfüllung der Verheißungen Gottes im gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus ablehnt. Der Status Israels als von Gott Geliebte wird sich nicht ändern. Der Status Israels als Feinde Gottes kann und soll sich ändern – infolge der Mission des Apostels (und anderer Apostel) unter den Völkern (1,5; 11,11-15.23-24) und unter Juden (1,16; 11,14; vgl. 9,1-3), in deren Verlauf „ganz Israel“ gerettet wird, das messianische Heilsvolk Gottes, das gemäß der Abraham gegebenen Verheißung Gottes aus Juden und Heiden besteht (11,26a). Der Hinweis auf die Erwählung Israels und den Status des jüdischen Volkes als Geliebte Gottes ist implizit der Aufruf, das Evangelium Gottes anzunehmen: Von Gott Geliebte sind von Gottes Barmherzigkeit Erfasste, und das heißt jetzt, in der Zeit des Evangeliums von Gottes messianischer Heilsoffenbarung, dass die von Gott Geliebten, die seine Liebe erwidern, an Jesus, den messianischen Gottessohn (1,3-4), glauben. Israel wusste, dass die Barmherzigkeit Gottes, der Israel nicht allein lässt oder dem Verderben preisgibt, weil er den Bund nicht vergisst, den er den Vätern geschworen hat (Deut 4,31), nur dann eine Garantie für Segen ————————————————————
353
Dunn II 685. Luz, Geschichtsverständnis, 296, mit einer Formulierung von G. Ebeling: Israel steht „zwischen Gott und Gott“ (Ebeling, Existenz zwischen Gott und Gott); vgl. Wilckens II 258: Die Paradoxie der Stellung Israels „zwischen Gott und Gott“ gewinnt ihren Sinn darin, „daß schon die Erwählung der Väter den Charakter der iustificatio impii hatte (vgl. 4,1-8; 9,11f; 11,6), als welche das Evangelium nun den Heiden Heil wirkt; die Gnade Gottes aber, die die Negation der Sünde aufgehoben hat, hat auch die entsprechende überlegene Kraft, die Negation des Unglaubens aufzuheben und so die Erwählung Israels entgegen seinem Abfall eschatologisch zu realisieren“.
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und Leben (statt Fluch und Tod) ist, wenn man das nahe Wort Gottes annimmt und befolgt und Gott liebt und auf seinen Wegen geht (Deut 30,11-14.16.20). Israel gewinnt zusammen mit den Völkern dann Anteil am „Leben aus den Toten“ (Röm 11,15), wenn es Gott so liebt, dass es auf seine Stimme hört, die in Leben, Tod und Auferweckung des Messias Jesus spricht, und in der Anrufung des Kyrios Jesus Rettung erfährt (10,1-13). 29 Paulus begründet (γα' ρ) das in V. 28b erwähnte Axiom der Erwählung Israels, die in die Zeit der Väter zurückreicht und auch für die Gegenwart und Zukunft Gültigkeit besitzt. Die Gnadengaben (χαρι'σματα [charismata]; s. zu 1,11) beziehen sich hier auf die in 9,4-5 erwähnten Heilssetzungen der Gnade Gottes354: Status als Gottes „Sohn“; die „Herrlichkeit“ der Gegenwart Gottes; die Bundesschlüsse zur Zeit von Abraham, Isaak, Jakob und David; das Gesetz zur Zeit Moses; rechter Gottesdienst im Tempel; göttliche Verheißungen; die Väter, mit denen Gott einen Bund geschlossen und denen er Verheißungen gegeben hatte; der Messias, der in Israel seiner irdischen Herkunft nach geboren werden sollte, aber mehr ist als ein Jude. Mit dem Wort Berufung (κληñ σις [klēsis])355 verweist Paulus auf die Berufung von Isaak und Jakob (9,7.11), die der Berufung Abrahams entspricht, der an Gott glaubte als den, der die Toten lebendig macht und dem Nichtseienden ruft, damit es sei (4,17). Gleichzeitig erinnert das Wort allerdings auch an die in 9,24-26 betonte Tatsache, dass Gott jetzt auch die Jesusbekenner aus den Heiden als sein Volk berufen hat.356 Die Formulierung „die Gnadengaben und die Berufung“ kann addierend als Nennung von zwei unterschiedlichen Kategorien verstanden werden, spezialisierend im Sinn der Betonung des zweiten Substantivs (die Berufung ist die wichtigste der Gnadengaben) oder im Sinn eines Hendiadys (die Berufung ist die mit jeder Gnadengabe gegebene Kraft des Zuspruchs Gottes).357 Mit dem Adj. „unwiderruflich“ (α� μεταμε' λητος [ametamelētos]),358 das zur Betonung ————————————————————
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θεουñ ist gen. auctoris. Paulus verwendet das Subst. κληñ σις im Röm nur hier, das Verb καλε' ω in 4,17; 8,30; 9,7.12.24.25.26. Zu κληñ σις vgl. sonst 1Kor 1,26; 7,20; Eph 1,18; 4,1.4; Phil 3,14; 2Thess 1,11; 2Tim 1,9. Wilckens II 258 interpretiert „Ruf“ mit Hinweis auf 9,24ff als „die christliche Verkündigung“ und unterscheidet zwischen Gottes Wort an Israel und dem Wort des Glaubens an Juden und Heiden, was im Kontext des übergeordneten Verweises auf die Gnadengaben und im Kontext von 9,7.11 eine Engführung ist. S. jeweils Cranfield II 581; Michel 358; Käsemann 305. Dunn II 686 hält eine Entscheidung für nicht notwendig. Das Verb α� μεταμε' λομαι bedeutet oft „bereuen, Reue empfinden, bedauern“ und lässt sich in der LXX kaum von μετανοε' ω abgrenzen. Das Verb kommt in Mt 21,29.32; 27,3; 2Kor 7,8; Hebr 7,21 vor, das Adj. α� μεταμε' λητος in Röm 11,29; 2Kor 7,10. Vgl. Bauer/Aland s.v. α� μεταμε' λητος; O. Michel, Art. α� μεταμε' λομαι κτλ., ThWNT IV, 630-
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 521 ————————————————————————————————————
an den Anfang des Satzes gestellt ist, bezeichnet Paulus die Erwählung Israels als sicher: Gott wird die in 9,4-5 erwähnten Gaben, die er Israel gegeben hat, nicht bereuen, sie sind Israel unwiderruflich gewiss. Die Tatsache, dass das Adj. in den Papyri oft einen juristischen Sinn hat, bedeutet nicht, dass Paulus von einer rechtlichen „Gebundenheit“ Gottes im Blick auf seine Israel gemachten Zusagen sprechen würde.359 Paulus betont, dass Gott die Gnadengaben samt der Erwählung, die er den Vätern (11,28b) und damit Israel (V. 29) gewährt hat, nicht widerruft, und bestätigt damit die Aussage in V. 1, dass Gott Israel nicht verstoßen hat. Die Betonung der Unwiderruflichkeit der Gnadengaben und der Berufung Gottes steht nicht im Widerspruch zu atl. Stellen, die von der „Reue Gottes“ sprechen. Im AT wird einerseits betont, dass Gott nicht wie ein Mensch ist, dass ihn sein Wort reuen könnte (Num 23,19; 1Sam 15,29; Jer 4,28; 20,16; Sach 8,14). Gleichzeitig ist in 1Sam 15,35 davon die Rede, dass Gott „Reue empfand“ und Saul verwarf, trotz seiner früheren Gnade und Erwählung, weil dieser ihm ungehorsam war, und in 1Chron 21,15; Ps 106[105],45 „bereut“ Gott, indem er trotz seines früheren Gerichts erneut Gnade und Barmherzigkeit gewährt. Michel kommentiert: „Gottes Gnade trägt also immer die Möglichkeit seines Zornes, Gottes Erwählung die Gefahr seiner Verwerfung in sich. Umgekehrt ist Gottes Gericht und Strafe nicht losgelöst von seiner Güte und Barmherzigkeit, sondern von ihr umschlossen. Jede ‚Reue Gottes‘ ist also die Verwirklichung einer schon vorher vorhandenen Möglichkeit“.360 Im Kontext von 11,29 ist im Blick auf die Rettung von „ganz Israel“ (V. 26a) gerade nicht ausgeschlossen, dass Gott Israel bzw. Israeliten, die sich seinem (Heils-)Willen widersetzen, richtet. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass Paulus in V. 29 die Immutabilität Gottes nicht als philosophischesoder theologisches Axiom erwähnt (vgl. die Diskussion in Philo, Quod Deus sit Immutabilis), sondern auf sein Handeln in der Geschichte Israels bezieht.
Die Aussage V. 29 bezieht sich im Anschluss an V. 28b auf Israel, aber die heidenchristlichen Leser in den römischen Gemeinden haben die grundsätzliche Formulierung sicher auch auf ihre eigene Berufung bezogen: Alle Jesusbekenner, ob Juden oder Heiden, sind „Berufene des Messias Jesus“ und „von Gott Geliebte, berufene Heilige“ (1,6-7) und haben im Anschluss an den Messias Jesus von Gott die Gnadengabe (χα' ρισμα [charisma]) der Sündenvergebung und Gerechtsprechung sowie des ewigen Lebens erhalten (5,15-16; 6,23). Gottes Gnadengaben und Berufung sind auch für die messianische Heilsgemeinde, zu denen auch die Jesusbekenner aus den Völkern gehören, unwiderruflich.361 ————————————————————
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633; F. Laubach / J. Goetzmann, ThBLNT I, 232-233; C. Spicq, TLNT I, 92-94 (mit Belegen aus den Papyri). Richtig Käsemann 305, mit Verweis auf Luz, Geschichtsverständnis, 296, der von „Treue“ spricht; gegen Schoeps, Paulus, 256. Lohse 323 betont die juristische Verwendung des Wortes; Jewett 709 weist darauf hin, dass die klassischen Belege in der Mehrheit nicht in einem juristischen, sondern in einem persönlichen Kontext vorkommen. Michel, ThWNT IV, 631.
522 Römerbrief ————————————————————————————————————
30-31 Paulus begründet mit einem zweiten γα' ρ-Satz die Aussage V. 28,
die den in V. 11-24 beschriebenen heilsgeschichtlichen Bezug des Unglaubens Israels und des Heils der Völker zusammengefasst hatte. Die Gegenüberstellung von ihr/sie, einst/jetzt, Heiden/Juden, Ungehorsam/Erbarmen ist rhetorisch wirkungsvoll formuliert: V. 30
ω « σπερ γα` ρ υ� μειñς
V. 31
ου« τως και` ουð τοι «ινα και` αυ� τοι`
ποτε νυñ ν δε` νυñ ν νυñ ν
η� πειθη' σατε η� λεη' θητε η� πει' θησαν ε� λεηθω ñ σιν
τω ñ, θεω ñ, τηñ, του' των α� πειθει' α, τω ñ, υ� μετε' ρω, ε� λε' ει
Siegert charakterisiert V. 30-31 als „wohl eine der ausgebildetsten ‚reichen Analogien‘ bei Paulus“.362 Die Folge ω « σπερ – ου« τως (V. 30/31) markiert den Satz als Analogie – eine „reiche Analogie“, weil es mehrere Bezugspunkte gibt: α� πειθε' ω („ungehorsam sein“); ε� λεε' ω („sich erbarmen“), sowie den Zeitkontrast ποτε („einst“) und νυñ ν („jetzt“), wobei Letzterer nicht ganz ausgebildet ist, wie die asymmetrische Verteilung von νυñ ν zeigt. Siegert formuliert die Entsprechungen wie folgt (wobei A α� πει' θεια/Ungehorsam, B ε» λεος/Barmherzigkeit, senkrechter Strich: die Juden, ohne Strich: ihr, die Heidenchristen): „Links A, jetzt aber B, um den Preis von A’; rechts A’ zum Zweck von B, damit B’ “. Auf der linken Seite (Heidenchristen) wird genauso ein göttlicher Zweck erreicht wie auf der rechten Seite (Juden).
Paulus macht folgende Aussagen über die in der 2. Pers. Plural direkt angesprochenen nichtjüdischen Jesusbekenner: 1. Die Heidenchristen waren einst (ποτε' [pote]), d.h. vor dem Kommen des Retters aus Zion, Gott gegenüber ungehorsam (η� πειθη' σατε [ēpeithēsate]; V. 30a).363 Sie haben der Offenbarung Gottes den Gehorsam verweigert und die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niedergehalten (1,18-32). Sie hatten sich als Polytheisten geweigert, den einen wahren Gott anzuerkennen und seinem Willen gehorsam zu sein. 2. Die Heidenchristen haben jetzt (νυñ ν [nyn]) Gottes Erbarmen erfahren (η� λεη' θητε [ēleēthēte]; V. 30b; s. zu 9,15).364 In der Gegenwart („jetzt“) von Gottes Offenbarung heilschaffender Gerechtigkeit im Messias Jesus (3,21) sind sie zum Glauben an den einen wahren Gott und den von ihm gesandten Retter gekommen und haben erlebt, wie ihre Sünden infolge von Gottes Barmherzigkeit365 vergeben und ihre Feindschaft gegen Gott aufgehoben wurde (3,21–5,21). Die Aussage, dass Heiden Gottes Erbarmen erfahren haben, wird in V. 31a wiederholt. 3. Die Heidenchristen ————————————————————
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Dunn II 686: „The continuity of election always includes but is not limited to Israel, since it is a continuity of grace“. Siegert, Argumentation, 175; er hält die Beschreibung als „antithetischer Parallelismus“ (Jeremias, Beobachtungen, 202-203) für dürftig. Das Folgende ebd. 174-175. Paulus verwendet das Verb α� πειθε' ω in Röm 2,8; 10,21; 11,30.31; 15,31. Für ε� λεε' ω vgl. 9,15.18; 11,30.31.32; 1Kor 7,25; 2Kor 4,1; Phil 2,27; 1Tim 1,13.16. η� λεη' θητε ist pass. divinum.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 523 ————————————————————————————————————
haben Gottes Erbarmen erfahren infolge ihres Ungehorsams (τηñ, του' των α� πειθει'α, [tē toutōn apeitheia]; V. 31b):366 Der Grund des Heilsempfangs der heidnischen Jesusbekenner ist die Ablehnung des Evangeliums in Israel, die Paulus und die anderen Apostel veranlasste, sich vermehrt den Heiden zuzuwenden (vgl. V. 11-12). Paulus macht ebenfalls drei Aussagen über die Juden: 1. Die Juden sind jetzt (νυñ ν [nyn]), d.h. in der Gegenwart der messianischen Heilsoffenbarung, ungehorsam geworden (η� πει'θησαν [ēpeithēsan]; V. 31a), d.h., sie haben sich geweigert, Gottes Heil schaffender Offenbarung zu gehorchen und den „Retter aus Zion“ (V. 26b) im Glauben anzunehmen. Während die Heiden „einst“ ungehorsam waren, „jetzt“ aber gehorsam wurden und Gottes Erbarmen erfahren haben, ist Israel „jetzt“ ungehorsam und steht infolgedessen außerhalb von Gottes Erbarmen. Die Gegenwart (νυñ ν), in der die Heiden gehorsam sind und Gottes Heil erfahren und in der die Juden ungehorsam sind und Gottes Gericht riskieren, ist – was Paulus hier nicht sagt – kein absoluter Gegensatz: Nicht alle Heiden sind Gott gehorsam geworden, wie auch nicht alle Juden Gott ungehorsam sind (s. den Hinweis auf den Rest in V. 1-10). 2. Die Juden waren ungehorsam zugunsten des euch erwiesenen Erbarmens (τω ñ, υ� μετε' ρω, ε� λε' ει [tō hymeterō eleei]; V. 31a),367 d.h., die Ablehnung des Evangeliums in Israel kam den Völkern zugute, denen Gott Erbarmen368 erwies. Nach V. 11-12 entsprach es der Heilsabsicht Gottes, dass die Ablehnung des messianischen Heils durch die Juden den Heiden zugutekommt. 3. Die Juden werden jetzt (νυñ ν [nyn])369 ebenfalls (και` αυ� τοι' [kai autoi]) Erbarmen erfahren (ε� λεηθω ñ σιν [eleēthōsin]; V. 32b). Gott wird ihnen Erbarmen, d.h. Heil schenken,370 weil er sie nicht verstoßen hat (V. 1) und weil die Wirklichkeit des messianischen Heils unter den Völkern Israel zur Eifersucht reizt, sodass sie zum Glauben an den Mes————————————————————
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Die Dativwendung τηñ, του' των α� πειθει' α, ist nach V. 11-12 dat. causae oder dat. instrumenti (Wilckens II 261; Dunn II 688: instrumental). Das Adj. υ� μετε' ρω, vertritt einen gen. objectivus. Die Dativwendung τω ñ, υ� μετε' ρω, ε� λε' ει ist dat. commodi; vgl. Käsemann 306; Wilckens II 261; Dunn II 688; Jewett 710; Jeremias, Beobachtungen, 203; Siegert, Argumentation, 174; Flebbe, Solus Deus, 385 mit Anm. 111. Anders Schlier 343; Fitzmyer 627; Bauer/Aland s.v. ε» λεος 2b; BDR §196.1; HvS §177b; Plag, Wege, 39; Maier, Israel, 143-144; ähnlich Cranfield II 583-585; Michel 359 Anm. 17, die als dat. instrumenti interpretieren. Die Annahme, infolge der Parallelität von V. 30-31 seien die Dativwendungen τηñ, του' των α� πειθει' α, und τω ñ, υ� μετε' ρω, ε� λε' ει semantisch identisch zu interpretieren, ist nicht überzeugend; vgl. Siegert ebd. mit Hinweis auf die rhetorische Kategorie der distinctio ( Lausberg, Handbuch §660-661). ε» λεος: Röm 9,23; 11,31; 15,9; Gal 6,16; Eph 2,4; 1Tim 1,2; 2Tim 1,2.16.18; Tit 3,5. Zum textkritischen Problem s. unter II. ε� λεηθω ñ σιν ist pass. divinum.
524 Römerbrief ————————————————————————————————————
sias Jesus kommen (V. 11-12), ein Prozess, der in der Gegenwart (νυñ ν) in der Mission des Apostels im Gang ist (V. 13-14). Wer die Rettung von „ganz Israel“ V. 26a auf die zukünftige Rettung des ethnischen Volkes Israel im Rahmen der Parusie Jesu Christi bezieht, bekommt mit der adverbiellen Zeitangabe νυñ ν Schwierigkeiten, die man dann oft so lösen will, dass man von einer intensiven Naherwartung der Wiederkunft Jesu spricht.371 Wilckens weist zu Recht darauf hin, dass es für νυñ ν „im Sinne unmittelbar bevorstehender Zukunft keine Belege gibt“ und hält deshalb, weil er von der eschatologisch-futurischen Interpretation von V. 26a überzeugt ist, die Lesart für ursprünglich, die das νυñ ν auslässt,372 gegen das Urteil der meisten Exegeten.
Die „Datierung“ der Heilsteilhabe Israels mit νυñ ν (V. 31b) ist parallel zur Datierung der Heilsteilhabe der Heiden mit νυñ ν (V. 30b) und zur Datierung des Unglaubens der Juden mit νυñ ν (V. 31a). Das dreifache νυñ ν bezieht sich auf ein- und dieselbe Gegenwart, in der drei Wirklichkeiten gleichzeitig zu konstatieren sind: Heiden bekehren sich zum Evangelium, Juden lehnen das Evangelium ab, und Juden nehmen das Evangelium an. Was Paulus nicht sagt, weil es selbstverständlich ist, ist die Tatsache, dass Heiden das Evangelium ablehnen: Für die Heiden, die sich schon immer der Anbetung des wahren Gottes verweigerten, ist dies zu erwarten, nicht jedoch für die Juden, von denen man als Gottes erwähltes Volk erwarten kann, dass sie den von Gott gesandten messianischen Retter anerkennen und so das Heil der messianischen Gegenwart erhalten.373 Neben der Entgegensetzung von „einst“ (ποτε' ) und „jetzt“ (νυñ ν), die den heilsgeschichtlichen Umschlag der Zeit vor dem Kommen des Messias Jesus und der Zeit nach dem Kommen des Messias markiert, ist die Gegenüberstellung von Ungehorsam (α� πει'θεια) und Erbarmen (ε» λεος) eine Zusammenfassung der Situation von Heiden und Juden ohne das Heil Gottes und gleichzeitig eine Zusammenfassung der Missionsarbeit des Apostels. Mit „Ungehorsam“ fasst Paulus explizit den ersten und implizit den dritten Abschnitt seiner bisherigen Argumentation zusammen: Der Ungehorsam der Heiden und der Juden war Thema des Abschnitts 1,18–3,20, der Umschlag des Ungehorsams in den Gehorsam des Glaubens war Thema des ————————————————————
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Vgl. Michel 358; Käsemann 306; Dunn II 687; Moo 735; Lohse 323; Jewett 711. Wilckens III 261-262. Wenn Wilckens ebd. 259-260 schreibt: „Es gibt keinerlei Ungehorsam, der nicht im Sühnetod Christi bereits aufgehoben ist, und der sich also auf Dauer und ewig dem Willen und der Kraft der Liebe Gottes entgegenstellen könnte“, dann darf man dies nicht im Sinn der Allversöhnung als Aufhebung des Endgerichts interpretieren. Wilckens II 259 meint, die Feindschaft der Juden gegen Gottes Erbarmen sei „ungleich härterer und abgründigerer Art“ als die Feindschaft der Heiden, „die Gottes Erbarmen überwunden hat“. Paulus sagt dies nicht. Richtig ist, dass die Rettung der Juden wie die Rettung der Heiden iustificatio impiorum ist. Vgl. Lohse 323.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 525 ————————————————————————————————————
Abschnitts 6,1–8,39. Mit „Erbarmen“ fasst er den zweiten Abschnitt zusammen, in dem er die Offenbarung der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes durch den Sühnetod des Messias Jesus erläutert hatte (3,21–5,21). In 5,1221 hatte Paulus die Situation der Nachkommen Adams, also von Heiden und Juden, unter den Stichworten „Sünde“ (α� μαρτι' α), „Übertretung“ (παρα' βασις), „Verfehlung“ (παρα' πτωμα) und „Tod“ (θα' νατος) beschrieben, und Gottes Erbarmen mit „Gnadengabe“ (χα' ρισμα), „Gnade“ (χα' ρις), „Gnaden-geschenk“ (δω' ρημα) und „Leben“ (ζωη' ). Paulus beschreibt das Ziel seiner Missionsarbeit mit der Formulierung „Gehorsam des Glaubens“ (υ� πακοη` πι'στεως; 1,15): Er will Heiden (15,18) und Juden (11,14) mit dem Evangelium Gottes erreichen und zum Glauben an Jesus führen, den Messias Israels und Retter der Welt. Genau so wird „ganz Israel“ (11,26a) gerettet: dass Heiden und Juden der Heilsoffenbarung Gottes gehorsam sind, Gottes Erbarmen erfahren (11,30b.31b) und in der Gewissheit der Liebe Gottes im Messias Jesus leben (8,39). 32 Paulus begründet (γα' ρ) die in V. 30-31 genannte Gemeinsamkeit von Heiden und Juden im letzten Satz seiner Zusammenfassung des Abschnitts über die Rettung Israels, die sich zeitgleich zur Rettung der Völker ereignet. Gott hat alle (πα' ντες [pantes]),374 d.h. Heiden und Juden, dem Ungehorsam ausgeliefert (V. 32a). Die Juden waren genauso wie die Heiden Gott gegenüber ungehorsam. Das mit „ausliefern“ übersetzte Verb συγκλει'ω [synkleiō] darf angesichts seiner Bedeutungsbreite nicht auf die Konnotation von „Gefängnis“ eingeschränkt und mit „einschließen“ übersetzt werden.375 Das Verb συγκλει' ω376 bedeutet „zusammenschließen“ (Plato, Tim 76a), „zuschließen“ (Euripides, Hipp 498), „einschließen, umzingeln“ (Herodotus 7,41,2), „im Gefängnis einschließen, einsperren“ (Polybius 1,7,10), „einschließen“ der Götter in die Materie (Plutarch, Def 29), „in die Enge treiben, in Not bringen“ (Polybius 3,63,3). In der LXX: „verschließen“ des Mutterschoßes (Gen 16,2), „umschließen“ Israels in der Wüste“ (Ex 14,3), „verschließen“ im militärischen Sinn der Abwehr (Jos 6,1; Jes 45,1); „einschließen“ einer Stadt durch ein Heer (Jer 21,4.9); oft „ausliefern, preisgeben, dahingeben“ (parallel zu παραδι' δωμι, Ps 78[77],48.50): Jos 20,6 für die Auslieferung an den Bluträcher, Am 1,6.9 für die Auslieferung von Gefangenen an andere Feinde, Ps 31[30],9 für die Nicht-Auslieferung durch Gott an Feinde, Ps 78[77],62 von der Auslieferung Israels durch Gott an das Schwert, Ps 78[77],50 für die Auslieferung des ägyptischen Viehs durch Gott an den Tod. ————————————————————
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Der Artikel vor πα' ντες unterstreicht, dass alle, ohne Ausnahme, gemeint sind. NGÜ: „So hat Gott alle ohne Ausnahme zu Gefangenen ihres Ungehorsams werden lassen“. Lohse 324: Gott hat alle ohne Ausnahme „in eine Gefangenschaft eingesperrt“; vgl. Wilckens 262; Fitzmyer 628; Jewett 711. Mit „einschließen“ übersetzen Elb.Ü, EÜ, LÜ, ZÜ; vgl. NLT, NRSV. Bauer/Aland s.v. συγκλει' ω 2: „einschließen ohne Hoffnung auf Entkommen“; BDAG s.v. definiert genereller; „to confine to specific limits“. Vgl. O. Michel, Art. συγκλει' ω, ThWNT VII, 744-745 für die Bedeutungsbreite des Verbs.
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Gott hat alle „dem Ungehorsam“ (ει� ς α� πει'θειαν [eis apeitheian]) ausgeliefert bedeutet im Anschluss an das wiederholte παρε' δωκεν [paredōken] von 1,24.26.28: Gott hat alle, nicht nur die Heiden, sondern auch die Juden, ihrem Ungehorsam und dessen Folgen überlassen, er hat sie „als Ungehorsame herausgestellt“.377 Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte des Ungehorsams gegen Gott, in der „Gott die Abwendung der Menschen von ihm nicht bremst oder in ihrer Wirkung abmildert, sondern sich in all ihrer Destruktivität auswirken läßt“.378 Die Formulierung kombiniert Gottes souveränes Handeln, was den Ungehorsam von Juden und Heiden betrifft, mit der Verantwortung des einzelnen Juden und Heiden für seinen Ungehorsam. Dieselbe Gleichzeitigkeit von Gottes Souveränität und menschlicher Verantwortung haben wir in 1,18–3,20 bzw. 5,12-21 beobachtet. Das Ziel des Heilshandelns Gottes wird in V. 32b beschrieben: damit er sich aller erbarme (V. 32b). Mit „allen“ (πα' ντες [pantes]) sind Juden und Heiden gemeint, ohne dass der Gedanke der Allversöhnung (Apokatastasis) eingetragen werden darf. Lietzmann spricht von der Ahnung eines tiefsten und beseligenden Geheimnisses, von der festen Zuversicht, „daß Gott alles zum Guten führen wird“, eine Zuversicht, die „siegreich“ durchbricht.379 Wilckens schreibt: „Es gibt keinerlei Ungehorsam, der nicht im Sühnetod Christi bereits aufgehoben ist, und der sich also auf Dauer und ewig dem Willen und der Kraft der Liebe Gottes entgegenstellen könnte“.380 Dunn spricht von der Transposition vom Ungehorsam in Moll zur Barmherzigkeit Gottes in Dur, in der sich Gottes Treue gegenüber Israel bewahrt und zur Vision der Versöhnung der ganzen Welt mit Gott am Ende führt, hält es dann aber doch für klüger, die summarische Beschreibung als lediglich allgemeine Aussagen zu interpretieren.381 Klein versteht Paulus im Sinn der „Rettung der ganzen Heidenwelt“.382 Hengel und Schwemer halten V. 32 für einen „der wichtigsten Sätze des ganzen Neuen Testaments“, der nach V. 26 festhält, dass mit dem Kommen des Messias am Ende der Weltgeschichte nicht nur ganz Israel durch Gottes Gnade gerettet wird, sondern dann ————————————————————
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Michel, ThWNT VII, 746, mit dem Hinweis, dass die Bedeutung von συγκλει' ω mit dem Sprachgebrauch der LXX zu verbinden ist, die ִהְסִּגרmit συγκλει' ω und παραδι' δωμι wiedergibt; in Gal 3,22-23 liegt das Bild einer Gefangenschaft deutlicher vor. Anders akzentuiert Michel 359 mit Anm. 18: In Röm 11,32 ist συγκλει' ω wie in Gal 3,22-23 „bildhaft und dem Wortsinn entsprechend ein Einschließen in eine Haft oder in ein Gefängnis“. Der „Wortsinn“ ist jedoch gerade nicht durchweg auf die Konnotation von „Haft“ oder „Gefängnis“ beschränkt. Haacker 293. Lietzmann 107. Vgl. Dodd 183-186. Wilckens II 259-260. Cranfield II 588 will V. 32 weder im Sinn einer Allversöhnung („dogma of universalism“) noch im Sinn eines Ausschlusses von bestimmten Menschen aus der „Umarmung durch Gottes Gnade“ interpretieren. Dunn II 689.697. Klein, Antijudaismus, 432; im Anschluss daran Reichert, Gottesdienst, 85.
Die Erfüllung der Verheißung und die Rettung Israels 11,25-32 527 ———————————————————————————————————— auch „alle Völker im Zeichen des Evangeliums zu Gott zurückfinden, damit seine Gnade allein über alle Mächte des Bösen, Sünde, Tod und Teufel, triumphiere“, was im Blick auf die Erwartung des Paulus „durchaus realistisch-konkret“ zu verstehen sei.383 Flebbe sieht einen Hinweis auf „umfassendes und universales Heil für alle … ungeachtet der ethnischen Prägung“.384
Paulus „will aufzeigen, welchen Sinn das widersprüchliche Geschick des Evangeliums bei Juden und Heiden im Plan Gottes haben könnte“.385 Weil Paulus in Röm 11 von Israel und den Völkern als kollektiven Größen spricht, meint πα' ντες in V. 32 nicht alle Menschen ohne Ausnahme, sondern „alle“ im Sinn von Juden und Heiden.386 Paulus spricht nicht nur in 1,18 vom Zorn Gottes, der etwa in 11,32 aufgehoben wäre, sondern auch in 12,19; in 13,2 ist vom Gericht Gottes, in 14,10 vom Richterstuhl Gottes die Rede. Die Unterscheidung zwischen individueller Erwählung (9,6-29) und kollektiver Erwählung (11,1.28-29), die Paulus im Blick auf Israel entfaltet, ist auch für V. 32b wichtig, in dem von Juden und von Heiden die Rede ist. Wie der individuelle Ungehorsam von Juden die kollektive Erwählung Israels nicht aufhebt, so hebt die kollektive Erwählung (Israel) bzw. Erschaffung (Heiden) die individuelle Verantwortung, die Heilsoffenbarung Gottes im Glauben anzunehmen, nicht auf. Die kollektive Erwählung Israels verschafft genauso wenig jedem einzelnen Israeliten/Juden Heil, ohne Rücksicht auf dessen Gehorsam oder Ungehorsam Gott gegenüber, wie die kollektive Erschaffung der Heiden durch Gott bedeutete, dass alle Polytheisten oder Atheisten, nur weil sie Geschöpfe Gottes sind, durch Gottes Gnade gerettet werden. Wie Gott innerhalb der kollektiven Erwählung Israels einzelne Individuen erwählt, denen er seine Gnade gewährt (9,6-29), so gewährt er innerhalb der Gesamtheit der von ihm geschaffenen Menschheit einzelnen Heiden seine Gnade.387 Die πα' ντες sind als solche zu bestimmen, „die in der Kraft der in Christi Tod und Auferstehung über sie gefallenen Entscheidung zum Glauben an ihren Erlöser kommen werden“.388 Paulus hatte in 1,18–3,20 den Ungehorsam von Heiden und Juden beschrieben, in 3,21–5,21 das Erbarmen und die Gnade Gottes über die Sünder aus Heiden und Juden. Das in V. 32 formulierte Resümee entspricht ————————————————————
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Hengel/Schwemer, Jesus und das Judentum, 35 mit Anm. 33. Flebbe, Solus Deus, 391. Vgl. Laak, Allversöhnung; Rosenau, Allversöhnung; zur Kritik vgl. Symank, Allversöhnung. Zeller 200; vgl. Käsemann 306; Schreiner 629; Lohse 324. Murray 103; Käsemann 306-307; Moo 736-737; Schreiner 629; Bell, Jealousy, 152-153. Moo 738: „Paul fully acknowledges that God’s election and rejection within Israel is set in the broader framework of God’s election of all Israel“; vgl. Hofius, All Israel, 32. Hofius, Adam-Christus-Antithese, 88, im Blick auf Röm 5,12-21, bes. 5,18 (ει� ς πα' ντας α� νθρω' πους) und 5,19 (οι� πολλοι' ); ebd. Anm. 167 Verweis auf Röm 11,32.
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dem Resümee in 5,21: Die Wirkung der Gnade Gottes, die den Gottlosen rechtfertigt, ist heilsgeschichtlich die Wirkung des Erbarmens Gottes, in dem er den Ungehorsam der Heiden und den Ungehorsam der Juden aufhebt. Das Thema des Ungehorsams aller Menschen ist der Hintergrund der Lehre von der Rechtfertigung der Gottlosen. Der dem Ungehorsamen Gnade gewährende, Heil schaffende Gott ist und bleibt der creator ex nihilo, der die resurrectio mortuorum bewirkt.389 Die universale Wirkung der Gnade Gottes, die infolge des Glaubens der Sünder an den Messias Jesus die Sünde aufhebt, wird in „ganz Israel“ (11,26a) sichtbar – in der Gemeinschaft von Juden und Heiden, derer Gott sich erbarmt hat. IV Das Heil Israels ist eine wichtige Frage – nicht nur seit Auschwitz, sondern, wie die ausführliche Diskussion in Röm 9–11 zeigt, bereits in der frühchristlichen Theologie. Die Tatsache, dass christliche Theologen diese Frage ca. 1500 Jahre lang weitgehend ausgeblendet haben, ist zumindest teilweise für den „christlichen“ Antisemitismus, dessen Anfänge in das 2./3. Jh. zurückreichen,390 und damit auch für die Schoa verantwortlich. Die Aufarbeitung dieser Frage hat bald nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen und in den letzten fünfunddreißig Jahren einen neuen Auftrieb erhalten. Ulrich Wilckens beschrieb im zweiten Band seines Kommentars (1980)391 die Erklärungen zum Thema „Kirche und Israel“ des Ökumenischen Rats der Kirchen (1948, 1961),392 der niederländisch-reformierten Kirche (1949),393 der römisch-katholischen Kirche (Nostra Aetate, 1965),394 des Lutherischen Weltbundes (1976) 395 und der Evangelischen Kirche Deutschlands (1975).396 Er hätte auch das „Wort zur Judenfrage“ des Reichsbruderrats der Evangelischen Kirche Deutschlands und die Weißenseer Erklärung (1948, ————————————————————
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Käsemann 307. Richardson, Beginnings, 244-258. Zu Antisemitismus in der griechisch-römischen Welt vgl. Schäfer, Judeophobia; Isaac, Racism. Zur Einführung in die Diskussion s. N.R.M. de Lange / C. Thoma u.a., Art. Antisemitismus I-VIII. TRE 3 (1978) 13-168. Wilckens II 267-268. Erste Vollversammlung Amsterdam 1948; „Entschließung zum Antisemitismus“, Dritte Vollversammlung Neu-Delhi 1961; vgl. Visser ’t Hooft, Neu-Delhi 1961, 165. Deutsche Übersetzung in Weber, Bekenntnis. „Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen ‚Nostra Aetate‘ (28. Oktober 1965); abgedruckt in Nostra Aetate; Denzinger, Enchiridion, 41954199; Roddey, Nostra aetate. Konsultationsbericht „Christian Witness and the Jewish People“: Sovik, Witness, 2-9. Christen und Juden (I); Rendtorff/Henrix, Dokumente I, 558-578.
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1950)397 sowie die Erklärung der französischen Bischofskonferenz (1973)398 erwähnen können. Inzwischen sind zahlreiche weitere Erklärungen zur Thematik des Verhältnisses von Christen und Juden verabschiedet worden.399 Für die Diskussion in Deutschland wichtig und kontrovers war der Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ (1980).400 Wichtige Erklärungen und Dokumente sind: „Ökumenische Erwägungen zum jüdischchristlichen Dialog“ des Ökumenischen Rates der Kirchen (1982),401 zwei neue Studien der Evangelischen Kirche Deutschlands (1991, 2002),402 die jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum „Dabru emet“ (Redet Wahrheit; 2002),403 das Dokument der päpstlichen Bibelkommission „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“ (2001)404 und die „Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholischjüdischen Beziehungen aus Anlass des 50jährigen Jubiläums von ‚Nostra Aetate‘ (Nr. 4)“ (2015),405 sowie evangelikale Erklärungen (1989, 2008).406 Die Zahl der Erklärungen, Stellungnahmen und Studien ist heute nahezu unüberschaubar. Die 1980 von der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland verabschiedete Erklärung vertrat die Auffassung, die Erwählung Israels bzw. des jüdischen Volkes als Gottes Bundesvolk sei in der Treue Gottes begründet und deshalb unaufhebbar: Die Kirche sei durch Jesus Christus in das ————————————————————
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Wort zur Judenfrage; Rendtorff/Henrix, Dokumente I, 541-544; Weißenseer Erklärung, ebd. 548-549. Die Haltung der Christen gegenüber dem Judentum. Pastorale Handreichungen (16.4.1973); Rendtorff/Henrix, Dokumente I, 149-156. Vgl. Rendtorff/Henrix, Dokumente I; Henrix/Kraus, Dokumente II. Synodalbeschluß Klappert/Starck, Umkehr bes. 263-281; Rendtorff/Henrix, Dokumente I 593-596. Veröffentlicht am 16.7.1982; vgl. Rendtorff/Henrix, Dokumente I, 418-426. Christen und Juden II (vgl. Henrix/Kraus, Dokumente II Abschnitt E.III.24);. Christen und Juden III. Dabru Emet (11.9.2000); vgl. Kampling / Weinrich, Dabru emet, 18-20. In der 5. These heißt es programmatisch: „Der Nazismus war kein christliches Phänomen“. Päpstliche Bibelkommission. Das jüdische Volk; dazu Zenger, Der von Gott nie gekündigte Bund, 358-362. „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums von „Nostra Aetate“ (Nr. 4). Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum. 10. Dezember 2015. Unterzeichnet von Kardinal Kurt Koch, Bischof Brian Farrell und P. Norbert J. Hofmann. Willowbank Declaration on the Christian Gospel and the Jewish People (1989); Berlin Declaration on the Uniqueness of Christ and Jewish Evangelism in Europe Today / Berliner Erklärung zur Einzigartigkeit Christi und zur Evangelisation unter Juden in Europa heute (2008); Parker, Jesus, Salvation, and the Jewish People, ix-xii.
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Bundesvolk Gottes mit hineingenommen. Die Bezeichnung „Volk Gottes“ bleibe dem jüdischen Volk vorbehalten und sei deshalb ausdrücklich zu unterscheiden von der Bezeichnung „Bund Gottes“, in den die Kirche mit hineingenommen ist.407 Die soteriologische Bedeutung von Jesus Christus wird auf die nichtjüdischen „Völker der Welt“ beschränkt, und der Judenmission wird eine Absage erteilt. Synoden anderer Landeskirchen und verschiedene konfessionelle Zusammenschlüsse haben die Rheinische Erklärung ihren wesentlichen Inhalten und ihrer Intention nach übernommen, was an manchen Stellen zu Änderungen von Kirchenverfassungen geführt hat.408 Es erhob sich rasch Protest. Gräßer erklärte, man könne diesen Synodal-beschluss nur dann annehmen, wenn man „Abstriche an der Wahrheit des Evangeliums“ in Kauf zu nehmen bereit ist.409 Andere, auch Neutestamentler, haben sich der Position des Synodalbeschlusses von 1980 explizit oder implizit angeschlossen. F. Mußner schreibt: „‚Ganz Israel‘ wird auf einem ‚Sonderweg‘ gerettet werden und zwar im Zusammenhang der Parusie“.410 J. Jervell meint, Paulus gebe Israel in Röm 11 eine Generalamnestie.411 E. Zenger, der die „messia-nische Blendung der Christen“ beklagt und die Messiasfrage offen halten will, spricht von der Notwendigkeit, den Gottesbund so zu verstehen, „daß darin die Juden ohne Jesus Christus und die Christen mit Jesus Christus leben können“.412 Er meint, auch aus katholischer Sicht könne man von einem „jüdischen Sonderweg“ zum Heil sprechen und betont, eine „institutionalisierte Mission“ unter Juden könne es nicht geben.413 W. Stegemann erklärt, es gehe darum, „den Glauben der Christen mit dem Glauben des Gottesvolkes zu verbinden, nicht aber darum, dem jüdischen Volk vorzuschreiben, welche Rolle Jesus von Nazareth in der Heilsgeschichte Israels zu spielen habe“; das christliche Bekenntnis zu Jesus als dem Messias sei nur dann nicht antijüdisch, „wenn wir einerseits seine Gültigkeit nur für uns beanspruchen, nicht aber für das jüdische Volk, andererseits aber nicht vergessen, daß wir es dem jüdischen Volk verdanken.“414 Der jüdische Theologe P. Lapide meint, dass in der Frage einer christlichen Judenmission „das ————————————————————
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Zur Diskussion s. Sänger, Verkündigung, 16-35. Rendtorff/Henrix, Dokumente I, 607-620. Vgl. Sänger, Verkündigung, 19 Anm. 30 mit Verweis auf Reim, Rezeption. Gräßer, Christen und Juden, 273; ähnlich Conzelmann, Heiden, 322. Mußner, Heil, 33; vgl. Mußner, Ganz Israel, 251; Mußner,Traktat, 59-61. Der Begriff „Sonderweg“ stammt von Zeller, Juden und Heiden, 245 (Sänger, Verkündigung, 194). Jervell, Gottes Treue, 23; Jervell, Unknown Paul, 36-40. Zenger, Umgang, 131.145. Zenger, Der von Gott nie gekündigte Bund, 359-360. Stegemann, Jesus als Messias, 39.
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Wesentliche“ in dem Satz von Röm 11,26 gesagt sei, nämlich dass „ganz Israel gerettet wird“ – ohne dass Paulus die Taufe oder den Glauben an Jesus betone. Wenn Christen missionieren, dann sollen sie Juden in Ruhe lassen, weil diese weiterhin Gottes Volk sind und genauso wenig eine Bekehrung brauchen wie Saulus-Paulus, der sich nicht „bekehrt“ habe, sondern von „seinem“ jüdischen Messias als Apostel (zu den Heiden) berufen worden sei.415 W. Kraus erklärt, die Juden erhielten das Heil „nicht auf dem Weg missionarischer Verkündigung des Evangeliums, sondern im Vollzug der Anerkenntnis des Retters aus Zion, d.h. des Parusie-Christus; nach 2Kor 5,7 werde man bei dieser Anerkenntnis jedoch nicht von ‚glauben‘, sondern eher von ‚schauen‘ sprechen … Israel wird also nach paulinischer Erwartung wohl nicht ‚sola fide‘ des eschatologischen Heils teilhaftig, aber doch ‚sola gratia‘ und ‚solo Christo‘.“416 Im Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs sind solche Äußerungen, besonders wenn sie von deutschen Theologen kommen, nachvollziehbar. Legitime Interpretation des christlichen Glaubens sind sie kaum. Jesus selbst, Paulus und Lukas, Petrus und Matthäus und Johannes teilen alle die Überzeugung, dass die heilswirksame Wirklichkeit des Bundes Gottes mit Israel abhängig ist von der Haltung des einzelnen Juden im Blick auf Jesus von Nazareth, dem Davidssohn und Gottessohn, dem Messias Israels. Das Neue der auf Jesus konzentrierten messianischen Bewegung war „das unerhört Anstößige“, weil es „letztlich die Existenz Israels als allein erwähltes Volk, das heißt als politisch-religiöse Einheit, grundsätzlich getrennt von den Völkern der Welt, unter Umständen in Frage stellen konnte“.417 Nach Apg 21,21.28 hat man dies Paulus zum Vorwurf gemacht. Die Exegese des „Geheimnisses“ Röm 11,25cd-26a hat gezeigt, dass die Aussagen des Apostels nicht im Sinn eines jüdischen Sonderwegs zum Heil zu verstehen sind. Paulus argumentiert im Römerbrief für die Gleichstellung von Heiden und Juden in drei Bereichen: 1. im Blick auf ihre Sünde, die im Gericht Gottes gerichtet werden wird (1,18–3,20); 2. im Blick auf die Rechtfertigung durch die Gnade der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Messias Jesus, an die man allein durch den Glauben an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus Anschluss gewinnt (3,21–5,21); 3. und im Blick auf den neuen Status der an Jesus Glaubenden als mit Gott Versöhnte, als in der Neuheit des Lebens der messianischen Wirklichkeit Lebende, als von der Sklaverei der Sünde Befreite, als vom Gesetz der ————————————————————
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Lapide, Missionsauftrag, 17; vgl. ebd. 16: Er stellt die Frage: „Zu wem oder zu was wollen Christen dann eigentlich Juden missionieren?“ Kraus, Volk Gottes, 322. Hengel/Schwemer, Jesus und das Judentum, 35.
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Sünde und des Todes Befreite, als Glieder von Gottes Familie, als Söhne und Erben Gottes, als den endzeitlichen Geist Gottes Besitzende (6,1–8,39). Während Paulus in 1,18-32 und 2,1–3,20 Heiden und Juden voneinander unterscheidet und in 4,1-25 von Abrahams Nachkommen und den Heiden(christen) spricht, die im Glauben an den Messias Jesus zur verheißenen weltweiten einen Familie zusammenwachsen, unterscheidet er nach 5,1 nicht mehr zwischen an den Messias Jesus glaubenden Juden und an den Messias Jesus glaubenden Heiden. Alle Glaubenden, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, bilden die eine Gemeinschaft der Jesusbekenner. Wenn Paulus in 9,6-13 die souveräne, freie Erwählung Gottes und die wahre Zugehörigkeit zu Israel und in 9,14-29 Gottes freies Erbarmen und die Identität des wahren Gottesvolkes behandelt, erläutert und betont er ganz grundsätzlich, dass „nicht alle Nachkommen Israels“ auch tatsächlich „Israel“ sind (9,6). Diese Überzeugung hat Paulus in 11,25cd-26a nicht aufgegeben. In 9,30–10,21 hatte Paulus dargelegt, dass der Unglaube Israels ganz auf das Konto Israels geht. Wenn Juden sich dem Evangelium verweigern (9,30-33), verfehlen sie die Gerechtigkeit Gottes und damit das Ziel des Gesetzes (10,1-13), woraus sich ergibt, dass der Unglaube Israels unentschuldbar ist (10,14-21). Die Unwiderruflichkeit der Erwählung Israels (11,1-2.29) zeigt sich in der Tatsache, dass es einen Rest in Israel gibt, der Gottes messianische Heilsoffenbarung im Glauben angenommen hat (11,110). Gottes Souveränität in Israels Ablehnung des messianischen Heils zeigt sich darin, dass diese Ablehnung zur Annahme des Evangeliums und zum Heil unter den Völkern geführt hat, was seinerseits Israel zur Eifersucht reizen soll und wird und so dazu führt, dass sich mehr und mehr Juden bekehren (11,13-14.23-24). Gottes Weg zum Heil führt über die Verstockung Israels (11,25c) und die Annahme des Heils unter den Völkern (11,25d) zur „Fülle“ Israels (11,12c), die zusammen mit der „Fülle“ der Völker (11,12c.25d) „ganz Israel“ (11,26a) ausmacht. Paulus skizziert das Wachstums des einen edlen Ölbaums (11,17-24) im „Geheimnis“ von 11,25cd-26a und in 11,30-31 als heilsgeschichtlich-historischen Prozess, der aus vier miteinander verbundenen, gleichzeitig ablaufenden Phasen besteht: Verhärtung Israels – Rettung der Völker – Eifersucht Israels – Rettung Israels. Der Beschluss der Rheinischen Synode 1980 begründete die Abkehr von der Judenmission mit Röm 11,18b („Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“). Die „Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum“ – so der Titel der dritten Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland von 2000 – sind keine missionarischen Schritte, sondern ein Gleichschritt in Richtung (garantiertes) Heil: „Judenmission … gehört heute
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nicht mehr zu den von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihren Gliedkirchen betriebenen oder gar geförderten Arbeitsfeldern … Eine Kirche, die sich nicht mit allen ihr verfügbaren Mitteln in der Zeit tödlicher Bedrohung vor ihre getauften Glieder jüdischer Herkunft gestellt hat, hat schwerlich die Vollmacht zur Judenmission“.418 Solche Formulierungen verkennen, dass es nicht nur deutsche Evangelikale sind, die sich für eine von der Liebe Jesu getragene aktive Verkündigung des Evangeliums von Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus unter Juden aussprechen, sondern auch Jesusbekenner in Großbritannien, Skandinavien, den USA, in Israel und in anderen Ländern, und zwar sowohl jüdische wie nichtjüdische Christen.419 Die Position der EKD in „Christen und Juden III“ hat sich von der Praxis und der Theologie des Apostels Paulus verabschiedet. Paulus war und blieb Judenmissionar, auch nachdem er das „Geheimnis“ von 11,25cd-26a formuliert hatte. Wenn Jesus von Nazareth nicht der Messias Israels war und wenn Israel das Heil allein als Folge der Erwählung in Abraham und im Anschluss an das Halten des Gesetzes erhält, dann gibt es in der Tat keinen Anlass zur Judenmission durch Christen. Dass Jesus von Nazareth der Messias für Nichtjuden ist, aber nicht für Juden, ist weder exegetisch belegt noch logisch nachvollziehbar. Wenn Jesus der Messias ist, dann ist er der Messias sowohl für Israel als auch für die nichtjüdischen Völker. Wenn Gottes endzeitliche Heilsoffenbarung unabtrennbar mit dem Messias Jesus verbunden ist, wenn also gilt: „In keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden“ (Apg 4,12; LÜ), dann muss das Evangelium von Jesus Christus allen Menschen „unter dem Himmel“, also auch den jüdischen Mitbürgern, verkündigt und vorgelebt werden. Man kann der Notwendigkeit des Glaubens an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt, die für Paulus selbstverständlich ist, nicht dadurch entkommen, dass man mit Verweis auf die komplexe Natur des Gedankens der „Erfüllung“ und die unterschiedlichen frühjüdischen Messiaserwartungen auf die ganz sicher richtige Tatsache verweist, dass Jesus nicht einfach eine eindeutig vorgegebene Rolle des Messias spielt, sondern „den Begriffen des Messias wie des Heils eine Fülle [verleiht], die sich zuvor nicht erahnen ließ; er erfüllt sie mit neuer Realität; man kann bei ihm sogar von einer ‚neuen ————————————————————
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Christen und Juden III Abschnitt 3.3.4. In 3.1.2 werden ausdrücklich evangelikale Kreise kritisiert, die „innerhalb und außerhalb der Landeskirchen“ Juden mit dem Evangelium von Jesus erreichen wollen. Zu Judenchristen in Deutschland vgl. Pfister, Messianische Juden; zur Theologie von Judenchristen vgl. Harvey, Messianic Jewish Theology.
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Schöpfung‘ sprechen“,420 und dann folgert, das Nein des Judentums zum Messias Jesus dürfe nicht länger als „Unglaube“ und „Blindheit“ beurteilt werden, weil es eben eine Position vertrete, „die andere Akzentuierungen seiner Traditionen stärker achtet“.421 Wenn E. Zenger mit dieser Erklärung recht hat, dann kann jeder Mensch in den eigenen Traditionen „Akzentuierungen“ finden, die den Glauben an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt nicht plausibel oder anstößig erscheinen lassen, mit der Konsequenz, dass es keinen Unglauben und keine Blindheit mehr gibt, sondern nur je und je unterschiedliche Akzentuierungen – nicht nur für Juden, sondern auch für Griechen und Römer, für Polytheisten und für Atheisten. Wenn man dem entgegenhält, dass infolge der Erwählung Israels durch Gott das jüdische Volk ein anderer Fall ist, der mit der Rolle der anderen Religionen nicht verglichen werden kann, dann ist das nur dann überzeugend, wenn man sich auf die Autorität der atl. Offenbarung beruft. Wenn die atl. Schriften jedoch auch nur unterschiedliche Akzentuierungen unterschiedlicher Traditionen sind, was dieselben Theologen zumeist voraussetzen, dann entfällt dieses Argument. Dann bleibt nur das Motto, dass jeder nach seiner eigenen Façon selig wird, worüber sich Friedrich II. sicher freuen würde.422 Wenn Gottes Heilsoffenbarung für Juden nicht mit dem Messias Jesus verbunden ist, dann ist schwer einzusehen, weshalb Nichtjuden an Jesus Christus glauben sollen – Geschichte und Tradition überzeugen als Argumente nicht (mehr). Wenn man nicht mehr glaubt, dass Jesus der Messias Israels ist, wird die Formulierung „Jesus Christus“ und die Bezeichnung „Christen“ problematisch, weil „Christus“ auf das griech. Wort für das hebr. „Messias“ zurückgeht. Wenn Jesus nicht der Messias und Kyrios Israels ist, wenn das von den Aposteln verkündigte Evangelium das jüdische Volk von der Notwendigkeit des Glaubens an Jesus ausnimmt, dann gründet der ganze christliche (!) Glaube auf einem fundamentalen Irrtum.423 Die These ————————————————————
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Päpstliche Bibelkommission. Das jüdische Volk Nr. 21, mit Verweis auf 2Kor 5,17; Gal 6,15. Zenger, Der von Gott nie gekündigte Bund, 362, Hervorhebung durch Zenger. Im Dokument der Päpstlichen Bibelkommission wird diese Folgerung nicht gezogen. Die Marginalverfügung von Friedrich II. vom 22. Juni 1740, die er auf die Anfrage des geistlichen Departements, ob „die römisch-katholischen Schulen bleiben sollen“ verfasste, lautet im Originaltext: „Die Religionen Müßen / alle Tolleriret werden / und Mus der Fiscal nuhr / das Auge darauf haben / das keine der anderen / abruch Tuhe, den hier / mus ein jeder nach / Seiner Faßon Selich / werden Fr.“ Der letzte Satz geht vielleicht auf Maximilien de Bethune, Mémoires, ou oeconomies royales d’état, domestiques, politiques et militaires de Henri le Grand, Amsterdam 1725, zurück, wo es in Band 1 auf Seite 206 heißt: „Plût a Dieu … que vous fussiez si prudent que de laisser à chacun gagner Paradis comme il l’entend“. Vgl. Göse, Friedrich, 65. So mit Nachdruck Wright 697: Die Vorstellung, Juden wären in der Familie des Messias,
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eines Sonderwegs für Israel grenzt Israel aus der Kirche aus. Der Verzicht auf Judenmission verhindert, dass Juden zum messianischen Heilsvolk, wie Paulus es verstanden hat, hinzukommen. Nach Paulus gehören „Juden zuerst“, dann auch die Griechen zur Gemeinde des Messias Jesus (1,16).424 Für Paulus gibt es nur das eine messianische Heilsvolk, zu dem alle Jesusbekenner gehören, unabhängig von ihrer ethnischen Identität. Es gibt nur einen edlen Ölbaum (11,11-24), zu dem wilde Zweige und edle Zweige gehören – Menschen aus den Völkern und aus Israel, die an den Messias Jesus glauben (11,20). Gott hat alle, Heiden und Juden, „dem Ungehorsam ausgeliefert“, und er erbarmt sich aller (11,32), Heiden und Juden, die an Jesus als den „Retter aus Zion“ glauben (11,26b). Theologen und Kirchenvertreter, die die missionarische Verkündigung des Messias Jesus unter Juden ad acta legen, wollen – das darf man nicht vergessen – in vielen Fällen alle missionarische Verkündigung, nicht nur die Mission unter Juden, in „Dialog“ verwandeln, eine „Begegnung“ , in der jeder seine persönliche religiöse bzw. weltanschauliche Position erklärt und in dem ein exklusiver Wahrheitsanspruch des Evangeliums als diskriminierend gilt. Siegert spricht von der „Einseitigkeit des Missionsbestrebens“ und der „Zweiseitigkeit des Dialogs“ und meint, Franz Delitzsch, Gründer eines der vier im 19. und 20. Jh. aktiven Vereine für Judenmission,425 müsste „lediglich den Absolutheitsanspruch, der mit der christlichen Lehre verbunden ist … gesprächsfähig machen“, was aber wenig erfolgversprechend sei, weil wir uns inzwischen daran gewöhnt hätten, „dass der Ausdruck des Absoluten doch immer nur relativ ist“.426 Die Aussage, dass heute die, die am Judentum Positives finden, „mehrheitlich gegen Judenmission“ sind, wird ergänzt durch den bezeichnenden Hinweis: „Auf einem anderen Blatt steht, dass Mission als solche sich gewandelt hat und selbst mehr und mehr zum Dialog wird“.427 Siegert behandelt Mt 28,19; Hebr 7,18; 1Petr 2,6; vgl. Eph 2,20 („Christus der Eckstein“); Röm 11,25-26; Joh 4,22. Er relativiert Röm 11,26a mit der Auskunft, man könne diesen Satz nur dann wiederholen, wenn man in Rechnung stellt, dass Paulus mit der Wiederkunft Christi ————————————————————
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d.h. im messianischen Heilsvolk der Gemeinschaft der Jesusbekenner, nicht mehr willkommen, wäre für Paulus Antijudaismus schlechthin. Siehe den Protest von Lohse 321 Anm. 24 gegen Stendahl, Paul (deutsch: Der Jude Paulus und wir Heiden). Vgl. Küttler, Judenmission. Siegert, Judenmission, 1. Siegert, Judenmission, 8-9. Siegert scheint Mission vor allem mit heute obsoleten „Hallen“ und „Zelten“ zu verbinden und findet sie jetzt in „Ehen und Partnerschaften“. Die Wirklichkeit internationaler Missionsarbeit kennt er offensichtlich nicht.
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in seiner Generation gerechnet habe, was aber nicht eingetroffen ist.428 Für Eschatologie im Sinn einer Zukunftserwartung bleibt bei Siegert nur der Tod übrig, „der den Glaubenden der Eingang zu Gott ist“.429 Wenn man die Bekehrung von Juden zum Glauben an den Messias Jesus nicht erwartet, dann erwartet man wohl auch keine Wiederkunft Jesu mehr. Die Interpretation von „ganz Israel“ im Sinn des von Gottes Gnade konstituierten Heilsvolkes, zu dem die Jesusbekenner aus Israel und den Völkern gehören, ist strukturell eine andere als die sog. Substitutionstheorie bzw. Enterbungstheorie, nach der die (heidenchristliche) Kirche das (jüdische) Israel so ablöst, dass die Kirche als das „wahre Israel“ an die Stelle des ethnischen Volkes Israel getreten sei. Dieser Interpretation ist entgegenzuhalten, dass Israel bzw. das jüdische Volk nicht „enterbt“ wurde. Das Heilsvolk von „ganz Israel“ gründet in der Wurzel, d.h. dem Erwählungshandeln Gottes an Abraham. Es besteht aus den Gerechten Israels, die geglaubt haben, wie Abraham geglaubt hat, und jetzt, in der messianischen Heilszeit, aus jüdischen und nichtjüdischen Jesusbekennern, die Gottes Heil schaffende Offenbarung angenommen haben und zum Glauben an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt gekommen sind – und aus Heiden und Juden, die sich in Zukunft in immer größerem Umfang bekehren werden. Gleichzeitig gilt, dass das Geheimnis der Rettung von „ganz Israel“ nichts zu tun hat mit der Rückkehr der Juden nach Israel im 20. Jh. und der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948.430 Zur Zeit von Paulus lebten zwar die meisten Juden in der Diaspora in Babylonien, Ägypten, Kleinasien und Italien, aber viele lebten in Judäa und in Galiläa und beteten Gott im Tempel in Jerusalem an. Der zweite Exodus der Jahre 70 n.Chr. (Jüdischer Krieg) und 135 n.Chr. (Bar-Kochba-Revolte) lag in der Zukunft. Wie immer man die Ereignisse von 1948 heilsgeschichtlich beurteilt: Paulus geht es um Gottes Verheißung an Abraham, nach der er „Erbe der Welt“ sein sollte (4,13), d.h. Nachkommen auf der ganzen Welt haben sollte, eine Verheißung, die für Paulus erfüllt ist, wenn und wo Menschen – gottlose Heiden wie Abraham, wie auch die biologischen Nachkommen Abrahams bzw. Jakobs – glauben, wie Abraham geglaubt hat (4,1-25), was „jetzt“ (3,21), in der Zeit der Heilsoffenbarung Gottes in Jesus, dem Messias und Kyrios Israels, geschieht, wenn und wo Menschen zum Glauben an Jesus kommen und durch Gottes Gnade mit Gott versöhnt werden (3,21–5,21), Erben Gottes und Miterben des Messias werden (8,17) und Anteil haben an der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes (8,18-27). ————————————————————
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Siegert, Judenmission, 15. Siegert, Judenmission, 19. Vgl. Schnabel, Endzeit, 191-199.
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Der Lobpreis von Gottes Gerechtigkeit 11,33-36 I 33 O welche Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unergründlich seine Wege! 34 Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer wurde sein Ratgeber? 35 Oder wer hat ihm etwas vorher gegeben, sodass es ihm zurückerstattet werden müsste? 36 Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm hin ist alles. Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. II Paulus beendete den ersten Hauptabschnitt, in dem er von der Sünde von Polytheisten und Juden schrieb und Gottes Heil schaffende Offenbarung im gekreuzigten und auferweckten Messias Jesus für alle Nachkommen Adams erläuterte (1,18–5,21), mit einem hymnisch klingenden Hinweis auf „Jesus, den Messias, unseren Herrn“ (5,21). Er schloss den zweiten Hauptabschnitt, in dem er die Wirklichkeit der Heil schaffenden Gerechtigkeit Gottes im Leben der Jesusbekenner erläuterte (6,1–8,39), mit einem Abschnitt ab, der in rhetorischer Eindringlichkeit und mit hymnischen Anklängen die Wirksamkeit der Heilsoffenbarung Gottes in Jesus Christus feierte (8,31-39). Er schließt jetzt den dritten Hauptabschnitt, in dem es um die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes in der Geschichte Israels geht (9,1–11,36), mit einer Doxologie ab, die die Souveränität Gottes sowie die Priorität und Inkongruenz seiner Barmherzigkeit preist, in der er Israel und den Völkern Heil schenkt (11,33-36). Das Vertrauen auf Gott in 11,33-36 entspricht dem Vertrauen auf Gottes Offenbarung im Messias Jesus in 8,31-39.431 Der Abschnitt wird oft in drei Strophen mit je drei Zeilen eingeteilt:432 In der ersten Strophe (V. 33) wird Gott mit drei Ausrufen gepriesen, wobei die erste Zeile mit drei Begriffen die Tiefe Gottes beschreibt, ehe in der zweiten und dritten Zeile Gottes unerforschliche Gerichte und sein uner————————————————————
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Vgl. Dunn II 698. Vgl. Norden, Agnostos Theos, 240-241; Harder, Gebet, 51-55; Bornkamm, Lobpreis, 7075; Deichgräber, Gotteshymnus, 61-64; Barth, Theologie, 332-333; Johnson, Function, 164-168 mit teilweise variierenden Vorschlägen im Blick auf die Zeilenzahl. Vgl. Michel 360; Käsemann 308; Wilckens II 269; Dunn II 698; Lohse 324-325. NA26-28 druckt den Abschnitt als hymnischen Text mit zehn Zeilen. Haacker 294 erwägt Einteilungen in sechs Zeilen (Zusammenfassung von V. 34b.c zu einer Zeile) oder sieben Zeilen (Zusammenfassung von V. 33b und 34 a und 35a.b zu je einer Zeile). Er verwendet den Begriff „Hymnus“ nur deshalb, weil er in der Forschung wenig festgelegt ist; vgl. K. Thraede, Art. Hymnus I, RAC XVI, 915-946; Vollenweider, Hymnus, 208-231. Kennel, Hymnen, 281 bestimmt Röm 11,33-36 als Universaltext mit doxologischer Funktion.
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gründlicher Ratschluss hervorgehoben werden. Die zweite Strophe (V. 3435) besteht aus drei rhetorischen Fragen, die auf atl. Formulierungen zurückgreifen und in umgekehrter Reihenfolge die drei Begriffe der ersten Strophe erläutern und betonen, dass niemand Gott vollkommen versteht, ihn berät oder ihm jemals etwas schenkt. Die dritte Strophe (V. 36) besteht aus einer dreigliedrigen Allmachtsformel, einer doxologischen Akklamation und dem abschließenden Amen. Der Abschnitt verarbeitet atl. Formulierungen (Jes 40,13 in V. 34; Jes 40,14 und Hi 41,3 in V. 34), jüdische Vorstellungen (zur Bewunderung und Anbetung Gottes in V. 33 vgl. 1QH XV, 26-32; Weish 9,10-18; syrApkBar 14,8-11; äthHen 84,2-3) und hellenistische Formulierungen (V. 36). Paulus formuliert einen Lobpreis, der von atl. Sprache durchdrungen und gleichzeitig so formuliert ist, dass jüdische und nichtjüdische Leser in den Lobpreis mit einstimmen können. Jewetts Vorschlag, durch die Weglassung der atl. Zitate V. 34-35 entstünde ein Hymnus überlegener Kohärenz und stilistischer Einheit, was beweise, dass die Zitate sekundär in einen hellenistisch-jüdischen Hymnus eingefügt wurden,433 lässt sich weder belegen, noch ist er notwendig: Die chiastische Erklärung von V. 33 in V. 34-35 spricht für die ursprüngliche Einheit des Textes.
Textkritische Anmerkungen. In V. 33 ist die Auslassung von και' vor σοφι'ας in 321 lat entweder ein Diktierfehler oder der Versuch, die Kohärenz der Aussage zu vergrößern, indem der Reichtum von Gottes Weisheit und Erkenntnis gerühmt wird. III
33 Der Lobpreis Gottes beginnt mit zwei Ausrufesätzen, jeweils eingeleitet
mit Interjektionen, mit denen Paulus seine emotionale Beteiligung an der ehrfurchtsvollen Anbetung Gottes ausdrückt, die einzige adäquate Antwort auf die Existenz und das Handeln Gottes.434 Die Tiefe (βα' θος [bathos]) Gottes ist die Unermesslichkeit seines Wesens und des Handelns, die für den Menschen unausschöpflich und unverfügbar sind.435 Die „Tiefe“ Gottes in V. 33a beschreibt dabei nicht etwa die grundsätzliche Unerkennbarkeit Got————————————————————
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Jewett 713-714. Johnson, Function, 172-173 argumentiert, Paulus habe ein in der Synagoge verwendetes Gebet übernommen. Eingeleitet mit ω ò bzw ω� ς; zu Exklamativsätzen s. HvS §266a.273b Anm. 24 zum indirekten Interrogativum ω� ς; vgl. Bauer/Aland s.v. ω ò 3a; s.v. ω� ς IV.6. H. Schlier, ThWNT I, 515 interpretiert im Sinn der „Undurchdringlichkeit für die Beurteilung durch Menschen“ und des „Charakter[s] des in verborgenen Gerichten und Wegen begegnenden Gottes“. Vgl. A. Strobel, Art. βα' θος, EWNT I, 455.
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tes:436 In 1,20 betonte Paulus die Möglichkeit der Wahrnehmung der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes sowie seiner ewigen Macht und göttlichen Majestät in den Werken der Schöpfung. Paulus spricht in 1Kor 2,10 von den „Tiefen Gottes“ (τα` βα' θη τουñ θεουñ [ta bathē tou theou]), die der Geist Gottes erforscht und kennt, der die Weisheit Gottes den Jesusbekennern offenbart. Nach 1Kor 2,4-5 ist der Geist Gottes die Wirklichkeit, die die Verkündigung vom gekreuzigten Messias Jesus Juden und Heiden erschließt. Die „Tiefen Gottes“ betreffen in 1Kor 2 den Heilsratschluss Gottes und seinen Zusammenhang mit dem Kreuzestod des Messias Jesus, den Gottes Geist offenbart und der deshalb verkündigt werden kann (1Kor 2,78.16).437 So ist auch die „Tiefe“ Gottes in V. 33a zu verstehen: der Heilsratschluss Gottes, in dem der Unglaube Israels, die Rettung der Völker und die Rettung Israels zusammenhängen (9,1–11,32); der Heilsratschluss Gottes, der die Gottlosen durch den Glauben an den gekreuzigten und auferweckten Messias Jesus rechtfertigt, ohne dass die Jesusbekenner Sünde und Ungerechtigkeit akzeptieren und praktizieren (6,1–8,39); der Heilsratschluss Gottes, der alle, Heiden und Juden, ohne das Gesetz, allein durch den Glauben an den Messias Jesus rechtfertigt und damit das seit Adam in der Welt grassierende Problem der Sünde behoben hat (1,18–5,21). Der traditionsgeschichtliche Hintergrund von βα' θος in seiner Anwendung auf Gott bei Paulus ist nicht die Gnosis, in der Gott als βα' θος bezeichnet wurde (ActThom 143; Hippolytus, Ref 6,30,7).438 Die Interjektion ω ò ist deshalb nicht als Vokativ im Sinn einer Anrede von βα' θος zu interpretieren.439 In Röm 8,39 ist βα' θος Geschöpf Gottes, d.h., βα' θος kann, anders als in der Gnosis, nicht Gott selbst sein. Der Hintergrund ist das AT (Ps 92[91],6; Hi 11,7-9; Dan 2,22) und das Frühjudentum (Jdt 8,14; TestHi 37,6; syrApkBar 14,8-9; äthHen 63,3; 1QS XI, 18-20).440 Vgl. Ps 92[91],6: „Wie groß sind deine Werke, Herr; sehr tief (ε� βαθυ' νθησαν) sind deine Gedanken“ (LXX.D). Hi 11,7-9: „Wirst du etwa eine Spur des Herrn finden, oder bist du zu den letzten Dingen (τα` ε» σχατα) gelangt, die der Allherrscher gemacht hat? Hoch ist der Himmel, und was wirst du machen? Tieferes (βαθυ' τερα) aber als das in der Unterwelt – was weißt du? Oder Längeres als das Maß der Erde oder die Breite des Meeres?“ (LXX.D). 1QS XI, 18-20: „Du hast alle Erkenntnis gelehrt, und alles, was geschehen ist, geschah durch dein Wohlgefallen. Kein anderer ist da außer dir, um auf dei————————————————————
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So betont Käsemann 309: Die Doxologie gilt „nicht dem grundsätzlich unerkennbaren Gott“, weil dies 1,20 „wie dem gesamten Kerygma des Apostels“ widerspräche; unerforschlich und unaufspürbar ist nach 1Kor 1,19, „daß Gott sub contrario handelt und die Weisheit der Welt zuschanden macht, indem er Gerechtigkeit der Gottlosen statt der Frommen“ wirkt. Vgl. Schrage, 1. Korinther I,257; Lindemann, Korintherbrief, 68; Schnabel, 1. Korinther, 171-172; Kammler, Kreuz, 220: die „zutiefst verborgenen Gedanken und Pläne Gottes“. H. Schlier, ThWNT I, 515-56; E. Peterson, Art. α� νεξιχνι' αστος, ThWNT I, 359-360; Norden, Agnostos Theos, 243; Wilckens, Weisheit, 82-83. Dunn II 699; Jewett 716; gegen Deichgräber, Gotteshymnus, 62; Käsemann 308. Schrage, 1. Korinther I, 257; Lindemann, Korintherbrief, 68-69.
540 Römerbrief ———————————————————————————————————— nen Ratschluß zu antworten und zu verstehen deinen ganzen heiligen Plan und in die Tiefe deiner Geheimnisse ( )ע ֹוֶמק ָר ֶזיָכהzu blicken und all deine Wunder zu begreifen samt der Macht deiner Stärke. Wer kann deine Herrlichkeit erfassen? Und was, wahrlich, ist es, das Menschenkind, unter deinen wunderbaren Werken?“ (E. Lohse). syrApkBar 14,8-9: „O Herr, mein Herr, wer kann dein Urteil schon verstehen? Wer kann die Tiefe deines Weges untersuchen und wer durchforschen deines Pfades Majestät? Oder wer kann durchdenken deinen unaufspürbaren Ratschluß? Welches Geschöpf hat stets den Anfang und das Ende von einer Weisheit aufgefunden?“ (A.F.J. Klijn).
Die „Tiefe“ Gottes wird in V. 33a mit drei Begriffen erläutert, die jeweils mit dem an den Schluss gestellten Genitiv „Gottes“ (θεουñ [theou]) zu verbinden sind. Sie schildern das Sein Gottes, jedoch nicht im Sinn einer abstrakt-philosophischen transzendenten Ontologie, sondern, wie im Kontext vom Röm 9–11 bzw. der paulinischen Theologie deutlich zu sehen, im Sinn seines Handelns.441 Der Reichtum Gottes (πλου' τος [ploutos]) ist die Fülle des Heils, das Gott Heiden und Juden durch seine Gnade gewährt (V. 12). In 2,4 sprach Paulus von dem Reichtum an Güte, Geduld und Langmut, die Gott dem jüdischen Volk gewährt hat; in 9,23 vom Reichtum der Herrlichkeit, die Juden und Heiden kennzeichnet, die sich in das messianische Gottesvolk berufen ließen. In 10,12 ist Gottes Reichtum die Gnade, mit der er Juden und Griechen ohne Unterschied rettet, wenn sie den Namen des Herrn anrufen. In Phil 4,19 spricht Paulus davon, dass Gott durch den Messias Jesus den Jesusbekennern alles, was sie nötig haben, „aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit“ schenken wird. In Kol 1,27 ist der „Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses“ die Gegenwart des Messias Jesus, der die Hoffnung auf Herrlichkeit garantiert, im Leben der Gemeinde aus Juden und Heiden. In Eph 1,7 ist der Reichtum der Gnade Gottes die Erlösung durch den Kreuzestod Jesu, die Vergebung der Sünden, die Schenkung von Weisheit und Einsicht, die Kenntnis des Willens Gottes im Kommen des Messias, die Erwählung als Erben, die Bestimmung zum Lob seiner Herrlichkeit (Eph 1,7-12; vgl. 1,18; 2,7; 3,8.16). Die Weisheit Gottes (σοφι' α [sophia])442 ist im Zusammenhang von V. 32 die Gnade Gottes, der sich der Gottlosen erbarmt – die Weisheit des mächtigen und majestätischen Schöpfers (1,19-20), der die Sünder aus Heiden und Juden, die dem Gericht Gottes verfallen sind (1,18–3,20), nicht ver————————————————————
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Wilckens II 270: Paulus spricht von der „unendlich-abgründigen ‚Tiefe‘“ des „PersonGeheimnisses“ Gottes: „Gott ist reich, weise und wissend, indem er Menschen reich macht, ihnen Sinn schafft und sich ihnen definitiv zuwendet“. Das Wort σοφι' α kommt im Röm nur in 11,33 vor; sonst 1Kor 1.17.19-22.24.30; 2,1.4-7; 3,19; 12,8; 2Kor 1,12; Eph 1,8.17; 3,10; Kol 1,9.28; 2,3.23; 3,15; 4,5.
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nichtet, sondern durch den gekreuzigten Messias Jesus rettet (3,21–5,21), wenn sie an Jesus, den auferweckten Kyrios, glauben (1,16-17; 3,21-26; 4,23-25). Gottes Weisheit, die im gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus Sündern Gnade schenkt und Heil wirkt, überwindet die Schranken zwischen Juden, Griechen und Barbaren, zwischen Gebildeten und Ungebildeten (1,14.16; 10,12). In 1Kor 1,22-25 erläutert Paulus, dass der gekreuzigte Messias, der für Juden ein Ärgernis und für Heiden eine Torheit ist, für Jesusbekenner „Gottes Macht und Gottes Weisheit“ ist. Der Messias ist Gottes Macht, weil Gott durch seinen Kreuzestod schaffte, was die Menschen nicht tun können – er beseitigte die Macht der Sünde, die sich im Tod der Sünder in den Generationen seit Adam manifestierte. Der Messias Jesus ist Gottes Weisheit, weil er als der Präexistente und Erhöhte die personifizierte Weisheit Gottes ist, das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der Schöpfung (vgl. Kol 1,15; Phil 2,6-11), durch den Gott Leben schafft, wo vorher kein Leben war, der Gottlose rechtfertigt, Sündern Gnade gewährt, Verlorene rettet.443 Die Korrelation der Weisheit Gottes mit der Weisheit Gottes, die Jesus ist, erklärt die Rede vom Messias Jesus als „der in Ewigkeit gepriesene Gott“ (Röm 9,5). Die Erkenntnis Gottes (γνω ñ σις [gnōsis]; s. 2,20) ist hier Gottes eigene Erkenntnis (gen. subjectivus) in seinem Erwählungshandeln (8,29 im Blick auf die Jesusbekenner, 11,2 im Blick auf Israel).444 In 1Kor 8,3 verbindet Paulus die Liebe, mit der die Christen Gott lieben, mit der Erkenntnis Gottes: „Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt“. In Gal 4,9 bezeichnet er die Heidenchristen in Südgalatien als Menschen, die Gott erkannt haben (γνο' ντες), und erklärt dies mit dem Satz: „Ihr seid vielmehr von Gott erkannt worden (γνωσθε' ντες υ� πο` θεουñ )“. Die Verbindung der Weisheit Gottes mit dem Messias Jesus hat eine Parallele in der Verbindung „aller Schätze der Weisheit und Erkenntnis“ mit Jesus (Kol 2,3). In V. 33b beschreibt Paulus mit zwei syntaktisch parallelen Sätzen konkret das Handeln Gottes. Gottes Gerichte (κρι'ματα [krimata])445 sind ————————————————————
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Käsemann 309: „Wo irdisch das Chaos herrscht und der Mensch pervertiert und pervertierend am Werk ist, kann nur jene Sophia [d.h. Weisheit] helfen, die nach 1.K[or] 1,30 im Christus solus liegt“. Cranfield II 589-590; Wilckens II 269; Dunn II 699; Fitzmyer 634; Lohse 325. Oft wird auf Deut 9,24 („Ihr habt euch dem Herrn widersetzt, seit er euch kennt“) und Am 3,2 („Nur euch habe ich erwählt aus allen Stämmen der Erde“) verwiesen. Paulus verwendet γνω ñ σις von der Erkenntnis, die Menschen von Gott (gen. objectivus; Röm 1,19.21; 1Kor 1,5; 12,8; 2Kor 4,6 vgl. Gal 4,9; Phil 3,8; 2Kor 2,14; 4,6; 10,5) bzw. von Jesus Christus (2Kor 2,14; Phil 3,8) haben; im Blick auf menschliche Erkenntnis in Röm 2,20; 15,14; 1Kor 8,1.7.10.11; 13,2.8; 14,6; 2Kor 6,6; 8,7; 11,6; Eph 3,19; 1Tim 6.20. Vgl. 2,2.3; 3,8; 5,16 sowie 13,2; vgl. 1Kor 6,7; 11,29.34; Gal 5,10; 1Tim 3,6; 5,12.
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Gottes Urteile als Richter sowie die Vollstreckung seiner Urteile.446 Nach 2,2 trifft Gottes Gericht (κρι'μα) alle Heiden, deren Handeln von den in 1,29-32 aufgelisteten „Lastern“ bestimmt ist, nach 2,3 aber auch die Frommen Israels, die dieselben Sünden begehen, die sie den Heiden vorwerfen. Gottes Gericht trifft nach 3,8 die Menschen, die behaupten, das Evangelium vom Messias Jesus, durch dessen Sühnetod Gott die Gottlosen rechtfertigt, fördere das Sündigen. In 5,16 ist κρι'μα das Gerichtsurteil Gottes im „Fall Adam“, d.h. dessen Verurteilung für seinen Ungehorsam.447 Während Gott die Herzen der Menschen bis auf den Grund erforscht (8,27: ε� ραυνω ñ ν τα` ς καρδι' ας), sind seine Gerichte unerforschlich (α� νεξεραυ' νητα [anexeraunēta]).448 Im Kontext von Röm 9–11 bedeutet die Tatsache, dass Gottes Gerichte vom Menschen nicht erforscht werden können, „den Verzicht auf eine glaubenstheoretische Lösung der Frage nach dem Sinn des Gerichts an Israel“.449 Im Kontext von 1,18–5,21 kann man die Unerforschlichkeit der Gerichte Gottes auf die sündigenden Heiden und Juden beziehen, die Gottes Gericht verdienen (1,18; 2,2-3.5-11.12.16), aber im Anschluss an den Messias Jesus durch Gottes Gnade, ohne Vorleistungen, Gottes Vergebung und Heil empfangen können.450 Im Kontext von 6,1–8,39 kann man die Unerforschlichkeit der Gerichte Gottes auf die sündigenden Jesusbekenner beziehen, die im Anschluss an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus von der Macht der Sünde befreit sind und für die es keine Verurteilung (κατα' κριμα) mehr gibt, und die trotz ihrer Sünde, die sie nicht als „Normalfall“ akzeptieren, aber immer wieder tun, Gewissheit des Heils haben. Die Wege Gottes (ο� δοι'; [hodoi])451 verweisen auf Gottes Handeln in der Geschichte,452 im Zusammenhang von Röm 9–11 auf Gottes vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Handeln in Israel und unter den Völkern in Gericht und Gnade (zusammengefasst im Bild vom Ölbaum in 11,17-24 und ————————————————————
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Zum gerechten Handeln Gottes als Schöpfer und Bundesgott Israels vgl. Gen 18,25; Deut 32,4; Hi 40,8; Ps 10,5; 36,6; 111,7; 119,75; Jes 30,18; 40,14; vgl. Weis 17,1. Dunn II 699. Vgl. 1Kor 11,29.34; Gal 5,10; in 1Kor 6,7 bezeichnet κρι' ματα juristische Prozesse. Das Adj. steht betont am Satzanfang. Die Vokabel ist sehr selten: LSJ verweist für α� νεξερευ' νητος auf Heraklit 18; Dio Cassius 69,14; vgl. Josephus, Bell 5,569. Die Bedeutung ergibt sich aus dem Verb ε� ξερευνα' ω „ausforschen, aufspüren“. Vgl. G. Delling, ThWNT I, 359; H. Balz, EWNT I, 233; M. Seitz, ThBLNT II, 1678. G. Delling, ThWNT I, 359. Käsemann 310: „Rechtfertigung der Gottlosen ist nicht anders als vom Richter zu haben“. Vgl. 3,16.17; 1Kor 4,17; 12,31; 1Thess 3,11. Vgl. W. Michaelis, Art. ο� δο' ς, ThWNT V, 42-101; Völkel, EWNT II, 1200-1204; Ebel/Heiligenthal, ThBLNT II, 1866-1872. Zum „Weg des Herrn“ vgl. Gen 18,19; Ex 33,13; Deut 26,17-18; Ps 81,13; 103,7; Spr 8,22; Jer 32,39; Hes 18,25-29.
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im „Geheimnis“ von 11,25c.d-26a).453 Im Gesamtkontext des Röm haben die „Wege Gottes“ einen weiteren Bezug: Paulus beschreibt in der Erläuterung des Evangeliums zwischen 1,16-17 und 11,32 die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit von Heiden und Juden, die bei der Offenbarung des Zornes Gottes gerichtet wird (1,18–3,20); die Rettung der Gottlosen und Ungerechten, d.h. der Nachkommen Adams, im Anschluss an die Heil schaffende Offenbarung Gottes im gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus (3,21–5,21); die Wirklichkeit der Sünde im Leben der Jesusbekenner und die Macht des Heiligen Geistes, der sie im Anschluss an Tod und Auferweckung Jesu von der Macht der Sünde befreit (6,1–8,39). Paulus beschreibt die „Wege“ Gottes mit dem Messias Jesus (1,3-4; 3,21–5,21), mit Heiden (1,18-32) und Juden (2,1–3,20), mit nichtglaubenden Juden (9,30– 10,21; 11,7-12.17.24.25c.32), mit den an Jesus glaubenden Jesusbekennern aus Juden und Heiden (6,1–8,39), mit glaubenden Juden (11,1-10.32) und glaubenden Heiden (11,17-24) und mit sich selbst als Apostel unter Heiden und damit unter Juden (11,13-14). Die Wege Gottes sind unergründlich (α� νεξιχνι' αστοι [anexichniastoi]), d.h. unbegreiflich, weil unaufspürbar.454 Auch die in der Geschichte wahrnehmbare Spur des Handeln Gottes ist für Menschen nicht durchschaubar, wenn Gott sein Handeln nicht selbst in prophetischer Offenbarung erklärt. Weil Gottes Gerichte unerforschlich und seine Wege unergründlich sind, geht Paulus von theologisch-exegetischer Argumentation über zum demütigen, staunenden Lobpreis Gottes. 34-35 Paulus erweitert den Lobpreis Gottes V. 33 mit drei rhetorischen Fragen, die infolge der impliziten negativen Antworten die allen Menschen überlegene Unvergleichlichkeit Gottes unterstreichen. Die negativen Antworten ergeben sich durch die Aneinanderreihung mit η» [ē], sowie infolge der Tatsache, dass sie die Aussage von der Unergründlichkeit Gottes V. 33 begründen (γα' ρ, V. 34a). Die Fragen beginnen jeweils mit dem Interrogativpronomen τι'ς ([tis], „wer?“); die erste und dritte Frage stellen das Verb an den Anfang (ε» γνω, προε' δωκεν), die zweite Frage ein Substantiv (συ' μβουλος); die erste und zweite Frage bestehen aus je einem kurzen Satz, ————————————————————
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W. Michaelis, ThWNT V, 95: Gottes Handeln an Israel in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; er vermutet, κρι' ματα könnte mehr das richtende, ο� δοι' mehr das rettende Handeln betonen; in den Vokabeln ist diese Unterscheidung nicht angelegt. Bauer/Aland s.v. Art. α� νεξιχνι' αστος: „nicht aufspürbar, d.h. unbegreiflich, unergründlich“. Das Wort ist nur in biblischen Texten und davon abhängigen Werken belegt: LXX Hi 5,9; 9,10; 34,24; Röm 11,33; Eph 3,8; OrMan 6 (Const.Apostl 2,22,12). Die Bedeutung ergibt sich aus dem Verb ε� ξιχνευ' ω „aufspüren“ (Euripides, Ba 352.817; Plutarch, Pomp 27; LXX Sir 6,27; 42,18) bzw. ε� ξιχνια' ζω „aufspüren“ (LXX Ps 138,3; Hi 29,16; Sir 1,3; Weish 6,22. Die Wortbildung α� νεξιχνι' αστος ist rhetorisch steigernd. Vgl. E. Peterson, ThWNT I, 359-360; H. Balz, EWNT I, 233.
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die dritte Frage aus zwei durch ein και'-consecutivum verbundenen Sätzen. Die Formulierung der drei Fragen folgt Jes 40,13 LXX und Hi 41,3 LXX, ohne dass die Leser mit einer Zitationsformel explizit auf die Herkunft der Sätze aus dem Alten Testament hingewiesen werden.455 Im Blick auf die Zitate sind folgende Bemerkungen wichtig. τι' ς γα` ρ ε» γνω νουñ ν κυρι' ου; η� τι' ς συ' μβουλος αυ� τουñ ε� γε' νετο; Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer wurde sein Ratgeber? Jes 40,13 LXX τι' ς ε» γνω νουñ ν κυρι' ου, και` τι' ς αυ� τουñ συ' μβουλος ε� γε' νετο, ο� ς συμβιβαñ, αυ� το' ν; Wer erkannte den Geist des Herrn, und wer wurde sein Ratgeber, der ihn unterwiese? (LXX.D) Röm 11,34
Röm 11,35 Hi 41,3 LXX Hi 41,3 MT
η� τι' ς προε' δωκεν αυ� τω ñ, , και` α� νταποδοθη' σεται αυ� τω ñ, ; Oder wer hat ihm etwas vorher gegeben, sodass es ihm zurückerstattet werden müsste? η� τι' ς α� ντιστη' σεται' μοι και` υ� πομενειñ, ει� παñ σα η� υ� π’ ου� ρανο` ν ε� μη' ε� στιν; oder wer wird mir widerstehen und aushalten, wenn doch das ganze (Gefilde) unter dem Himmel mein ist? (LXX.D) ִמי ִהְקִּדיַמִני ַוֲאַׁשֵּלם ַּתַחת ָּכל־ַהָּׁשַמִים ִלי־הּוא Wer hat mir zuvor gegeben, dass ich ihm vergelten sollte? Was unter dem ganzen Himmel ist, mir gehört es (Elb.Ü)
Im Blick auf die Zitierung von Jes 40,13 sind einige geringfügige Änderungen zu beobachten.456 (1) Hinzufügung von γα' ρ, vielleicht als Hinweis, dass die folgenden Formulierungen Zitat sind. (2) Auslassung von και' , was zu dem hymnenartigen Stil beiträgt. (3) Die Versetzung von αυ� τουñ hinter συ' μβουλος findet sich in manchen LXX-Manuskripten. (4) Auslassung des Relativsatzes ο� ς συμβιβαñ, αυ� το' ν, der zum Sinn der rhetorischen Frage nichts weiter beiträgt; die Auslassung führt zu einer prägnanteren Parallele zur ersten Aussage. Ob 11,35 ein Zitat von Hi 41,3 ist oder sich nur an Formulierungen aus Hi 41,3 anlehnt, ist umstritten.457 (1) Der Wortlaut in 11,35 weicht erheblich von Hi 41,3 LXX ab, aber die Einleitung η� τι' ς stimmt mit LXX überein, was wohl kein Zufall ist, da die Wendung zu den Eigenheiten der LXX-Übersetzung an dieser Stelle gehört. (2) Eine direkte Übersetzung des hebr. Hiobtextes ist nicht wahrscheinlich, weil sich das Zitat Hi 41,3 in Röm 11,3 so nicht erklären lässt.458 Auch die These, Paulus verwende eine Vorform der Übersetzungen von Aquila, Symmachus oder Theodotion,459 ist nicht überzeugend: Die Textform in 11,35 entspricht nicht den Übersetzungsgewohnheiten dieser späteren Übersetzer. (3) B. Schaller und D.-A. Koch führen das Zitat in 11,35 auf eine hebraisiserende Überarbeitung des LXXTextes zurück:460 Die Übersetzung von ׁשלםmit α� νταποδι' δωμι ist in der LXX üblich461 und ————————————————————
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Koch, Schrift, 14 meint, der hymnenartige Text mache „die Einfügung einer Zitateinleitung praktisch unmöglich“. Koch, Schrift, 72.178-179; Wilk, Bedeutung, 307-310; Wagner, Heralds, 301-305. Schaller, Hiobzitate, 22-26; Koch, Schrift, 72-73; Wagner, Heralds, 301-305. So schon Vollmer, Citate, 22-24; vgl. Schaller, Hiobzitate, 22.25 mit Anm. 21. Anders Bengel 631 (zu 1Kor 3,19); Schlatter, Paulus, 140 Anm. 1; Ellis, Use, 144 Anm. 3. Kautzsch, De Veteris Testamenti locis, 67-69; Vollmer, Citate, 22-23; Lietzmann 107. Schaller, Hiobzitate, 25-26; Koch, Schrift, 73. Vgl. Wagner, Heralds, 302 Anm. 245; vgl. Hanson, Interpretation, 85-98, der aufgrund von PesR 25,1; PesK 9,2 die Verbindung von Jes 40,13 und Hi 41,3 in Röm 11,34-35 von jüdisch-exegetischer Tradition ableitet.
Der Lobpreis von Gottes Gerechtigkeit 11,33-36 545 ———————————————————————————————————— liegt auch in Hi 21,19.31 vor. Die Übersetzung von קדםdurch προδι' δωμι ist insofern nicht singulär,als dies einem im nachbiblischen Hebräisch gängigen Sprachgebrauch entspricht.462
Die Frage wer hat den Sinn des Herrn erkannt? (V. 34a) ist mit „Niemand“ zu beantworten, was im Zusammenhang von V. 33 ganz offensichtlich ist. Mit der Formulierung „Sinn des Herrn“ (νουñ ς κυρι'ου [nous kyriou]) ist das planende Denken Gottes gemeint, seine innersten Gedanken, sein Urteil, seine Absichten, sein Ratschluss.463 Im ursprünglichen Kontext ist es der „Geist Gottes“ (der hebr. Text hat [ רו ַּח ְיה ָוהrūach Jhwh]), d.h. das innere Wesen Jahwes.464 In der atl. und jüdischen Weisheitsliteratur ist es nur die Weisheit Gottes selbst, die Gottes Geheimnisse und Pläne kennt.465 Weil Gott der allmächtige Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte ist, kann niemand seine Gedanken „erkennen“,466 d.h. die „Tiefen der Erkenntnis Gottes“ (V. 33a) durchdringen. Die Verwendung von Jes 40,13 in 1Kor 2,16a ist anders gewichtet: Paulus betont, dass kein Mensch von sich aus die intellektuellen Möglichkeiten besitzt, Gottes Heilsoffenbarung im Kreuzestod des Messias Jesus zu erkennen, und erklärt im Kommentar von 1Kor 2,16b, dass „wir“, d.h. die Jesusbekenner, „den Sinn des Messias“ haben, d.h. jenen Geist empfangen haben, der uns den gekreuzigten Messias Jesus als Mittler des endzeitlichen Heils erschlossen hat.467 Diese christologische Konzentration fehlt in V. 34a. Im Kontext von Jes 40 betont der Prophet die souveräne Macht und Majestät Gottes des Schöpfers, die Israel aus dem Exil zurückführen wird. Paulus hatte in 10,14-17 das Evangelium vom Messias Jesus im Sinn der Botschaft des Gottesknechtes von Jes 52,7; 53,1 erläutert. Hier preist er ————————————————————
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Vgl. Muraoka II, 11.368-369. Schaller, Hiobzitate, 26, mit Verweis auf Levy, Wörterbuch, IV, 246b. Levy, Chaldäisches Wörterbuch II, 345a. Nach Schaller ebd. Anm. 24 hat sich dieser Sprachgebrauch in der Auslegung von Hi 41,3 niedergeschlagen, vgl. PesRab 25 (126b), LevR 27,2; NumR 14,2 (Bill. III, 295); vgl. TgHi 41,3 („wer ist mir zuvorgekommen bei den Schöpfungswerken, dass ich vergelten müsste? Ist nicht alles unter dem Himmel mein?“); Vulgata Hi 41,2: quis ante dedit mihi, ut reddam ei? Die Hiphil-Form von קדםkommt neben Hi 41,3 nur noch in Am 9,10 im biblischen Hebräisch vor (vgl. die Konjekturen in HAL s.v. קדםhif.). J. Behm, νουñ ς, ThWNT IV, 950-958, hier 957: „der heilsgeschichtliche Ratschluß Gottes, in dem Paulus die Lösung die Problems [sic] von R 9–11 gefunden hat“. Vgl. Preuß, Theologie I, 184; diese Bedeutung von „Geist Jahwes“ liegt auch in Jes 31,3; Ps 139,7 vor. Vgl. A. Sand, Art. νουñ ς, EWNT II, 1175 zu Röm 11,34. Spr 8,22-31 sowie Sir 1,1-8; 24,1-5; Weish 6,22; 7,15-21.26-30; 8,4.9; 9,9-13.16-17; vgl. Wilckens II 271. Paulus verwendet γινω' σκω in 1,21; 2,18; 3,17; 6,6; 7,1.7.15; 10,19; 11,34. Kammler, Kreuz, 234; Schnabel, 1. Korinther, 179-180.
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Gott als den souveränen Herrn, der im Evangelium seine Verheißungen wahrgemacht und seine Absichten verwirklicht hat. Die Frage wer wurde sein Ratgeber? (V. 34b) hat ebenfalls „Niemand“ zur Antwort. Gott ist sein eigener „Ratgeber“ (συ' μβουλος [symboulos]). Das im NT nur hier vorkommende Wort συ' μβουλος468 bezeichnet in Hes 27,27 den Berater in Wirtschaftsfragen; in Jes 1,26 die Berater in politischen Fragen, die Gott in Jerusalem einsetzen wird; in Jes 3,3 und 19,11 die königlichen Ratgeber in Jerusalem bzw. Ägypten, die Gott absetzen wird. In 2Makk 7,25 ist eine Mutter die Ratgeberin ihres Sohnes; in 4Makk 9,2 ist Mose der Ratgeber Israels. Paulus betont mit Jes 40,13b: Gott braucht keine Ratgeber. So, mit anderen Worten, auch Hi 15,8: „Hörst du im Rat Gottes zu, und reißt du die Weisheit an dich?“; Jer 23,18: „Denn wer hat im Rat des Herrn gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat auf sein Wort gelauscht und gehört?“ (EÜ). Nach Weish 8,4.9; 9,4.9 ist nur die Weisheit Gottes selbst die „Eingeweihte … in das Wissen von Gott, und Auswählerin seiner Werke“, denn sie ist „die Ratgeberin zu Gutem“ (συ' μβουλος α� γαθω ñ ν), die „Beisitzerin“ auf Gottes Thron ist, die Gottes Werke kennt, „und die zugegen war, als du die Welt machtest, und die weiß, was deinen Augen gefällt, und was gerade ist nach deinen Geboten“. In Athen, Sparta und Thurii war συ' μβουλος ein Titel (Demosthenes 18,189; Thukydides 5,63; Aristoteles, Pol 1307b14). Polybius verwendet συ' μβουλος für den lat. Legaten (legatus; Polybius 6,35,4). Dionysius Halicarnassus erklärt lat. consul mit dem griech. Wort συ' μβουλος (RomAnt 4,76).
Weil Gott keinen Ratgeber braucht, kann, ja muss, die „Tiefe“ seiner Weisheit gepriesen werden (V. 33a). Zwischen Gott und dem Menschen besteht eine absolute Differenz,469 die vom Menschen aus nicht überbrückt werden kann und die nur dann nicht zum erschreckten Verweifeln führt, sondern den Menschen zum Lobpreis veranlasst, wenn dieser die allein von der Gnade Gottes motivierte Heilsoffenbarung dankbar annimmt. Die Frage wer hat ihm etwas vorher gegeben, sodass es ihm zurückerstattet werden müsste? (V. 35) ist ebenfalls mit „Niemand“ zu beantworten. Paulus unterstreicht sowohl die Priorität als auch die Inkongruenz der Gnade Gottes.470 Bevor Menschen Gott etwas geben können, hat er bereits gegeben – als souveräner Schöpfer das Leben; als gnädiger Erlöser das Leben im Bund mit Abraham und Mose und das neue Leben im Messias Jesus; als barmherziger Herr der Geschichte die Güter, die ein Mensch besitzt und für Gott (im Opfer, im priesterlichen, prophetischen oder missio————————————————————
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Weder ThWNT noch EWNT behandeln συ' μβουλος. Für Belege in der griech. Literatur vgl. LSJ s.v. συ' μβουλος. Flebbe, Solus Deus, 395 spricht von einer „beziehungslosen und absoluten Differenz“; die Weisheit Gottes zeigt sich allerdings darin, dass er selbst der gefallenen Schöpfung nicht beziehungslos gegenübersteht, sondern in dieser seine Heilsabsichten verwirklicht. Vgl. Barclay, Gift, 556. Gundry, Benefaction, 25-53 betont die Ähnlichkeit der Betonung von Paulus mit Aussagen von Philo, u.a. in Fug 94-99; Mut 23-24; Plant 87-92; Deus 108; Abr 126-130.
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narischen Dienst) und für andere (Almosen) einsetzen kann. Gott gibt, ohne dass ihm ein Mensch „vorher gegeben hat“ (προε' δωκεν [proedōken]). Paulus hatte die Priorität des erwählenden Schenkens Gottes in 9,11 (προ' θεσις); 11,2 (προε' γνω) erwähnt, die Inkongruenz im Blick auf das Heil in 3,21-26; 4,4-5.16-22; 5,6-8: Gottes Gerechtigkeit rechtfertigt den Sünder, den Menschen ohne der Heiligkeit Gottes adäquate Werke, den dem Tod Geweihten, den Gottlosen. Gott muss nicht empfangen, um geben zu können: Er war, ehe die Erde wurde (Ps 90,2); er ist der Einzige, der nie vergeht (Ps 102,27); er ist der einzige Gott vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang (Jes 43,10; 45,5-6), der Erste und der Letzte (Jes 40,28; 41,4; 44,6), der nicht älter wird, weil er ewig ist (Hi 10,5; Hab 1,12); er benötigt weder das Fleisch von Stieren noch das Blut von Böcken (Ps 50,13; Jes 40,16; 43,2223); er ist erhaben über die Welt und die Menschen (Ex 15,11; 34,10; Deut 10,14; Jes 2,11; 37,16; 55,8-9; Ps 92,6; 93,1; 95,4-5 u.a.); er ist ewig (Gen 21,33; Ps 9,8; 10,16; 29,10; 33,11 u.a.) und hat sich „durch sein erwählendes Handeln den Menschen selbst zur Gemeinschaft erschlossen“ (Jes 57,15; Ps 113,5-6; 138,6).471 Gottes Gnade ist nicht bedingt durch menschliche Werke, sondern inkongruentes Schenken ohne Vorleistung, zu der Sünder nicht in der Lage sind, weder Heiden (1,18-32) noch Juden (2,1–3,20). Was Menschen Gott „zurückerstatten“ (α� νταποδοθη' σεται [antapodothēsetai]) ist Lobpreis (11,33-36), Loyalität und Verpflichtung (6,1-23; 14,6-12), die aus der Barmherzigkeit Gottes erwachsen (12,1; 14,3; 15,7) und durch dessen Gegenwart zu einem veränderten Verhalten motiviert, es ermöglicht und prägt (13,14; 15,1-3).472 Gott verdankt dem Menschen nichts. Der von Gottes Gnade gerettete Sünder verdankt Gott alles. 36 Paulus begründet die souveräne Majestät und die analogielose Weisheit Gottes mit einem abschließenden Lobpreis, der Gottes Handeln in Zeit und Ewigkeit rühmt: Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm hin ist alles (V. 36a). Die drei Präpositionen ε� κ [ek], δια' [dia] und ει� ς [eis] beschreiben die Schöpfung und das messianische Heil als neue Schöpfung nach ihrer effektiven, instrumentalen und finalen Kausalität. Aus Gott, durch Gott, zu Gott hin ist alles (τα` πα' ντα [ta panta]): die ganze von Gott geschaffene Realität, alles außer Gott selbst – Himmel und Erde, Tiere und Menschen, der Verlauf der Geschichte, das Heil, die neue Schöpfung. Die Tatsache, dass Paulus in 2Kor 5,17-18 τα` πα' ντα ε� κ τουñ θεουñ [ta panta ek tou theou] mit der neuen Schöpfung verbindet (καινη` κτι'σις [kainē ktisis]), zeigt, dass man in ————————————————————
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Preuß, Theologie I, 275; ebd. 274-275 zu Jahwe als nicht entstandener, ewiger Gott. Vgl. Barclay, Gift, 517, ebd. 556 zu 11,35.
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Röm 11,36a und in ähnlichen Aussagen (s. unten) die Wendung τα` πα' ντα [ta panta] nicht auf die Schöpfung einschränken und vom Heil der neuen Schöpfung abgrenzen sollte.473 Gott ist der Schöpfer, der das Nichtseiende mit effektiver Wirksamkeit gerufen und Himmel und Erde geschaffen hat (4,17) – alles ist aus ihm (ε� ξ αυ� τουñ [ex autou]). Gott hat alles geschaffen, auch (und im Kontext vor allem) das den Sündern aus Heiden und Juden (1,18–3,20) aus dem Reichtum seiner Gnade gewährte Heil (3,21–5,21) und die Befähigung zu einem heiligen Leben (6,1–8,39). Gott ist der Schöpfer, durch dessen Wort Himmel und Erde ins Dasein gerufen wurden – alles ist durch ihn (δι’ αυ� τουñ [di’ autou]). Gott lenkt das Geschehen im Himmel und auf der Erde, und er lenkt die Geschicke der Menschen (1,19-20), er gewährt den Sündern Heil durch seinen Sohn, den von ihm gesandten Messias Jesus (8,3), der am Kreuz anstelle und zugunsten der Sünder starb, und neues Leben durch den Heiligen Geist (8,1-17). Gott ist das Ziel der Schöpfung – alles ist zu ihm hin (ει�ς αυ� το' ν [eis auton]). Gott steht am Anfang und am Ende der Geschichte und kontrolliert diese. Der Mensch ist im Blick auf seine „Gerichte“ und „Wege“ nicht autonom, sondern jetzt und immer auf Gott angewiesen, wenn er denn als Gottes Geschöpf im Angewiesensein auf Gottes Reichtum, Weisheit und Erkenntnis und in Anerkenntnis von Gottes unerforschlichen Gerichten und unergründlichen Wegen lebt, in der Neuheit des Lebens (6,2) und in der gewissen Hoffnung, Anteil an der Herrlichkeit Gottes und des erhöhten Messias Jesus zu erhalten (5,2; 8,17).474 Die dreigliedrige Formulierung hat Parallelen in der hellenistischen, besonders in der von stoischem Gedankengut geprägten Literatur, was die meisten Exegeten zur These veranlasst, Paulus habe eine traditionelle Formel adaptiert.475 Paulus formuliert: ε� ξ αυ� τουñ και` δι’ αυ� τουñ και` ει� ς αυ� το` ν τα` πα' ντα Auf folgende griechischen Texte wird verwiesen: ε� ξουð γα` ρε» στινα« παντατα` ο» ντα και'ε� ξ ουð γι' γνεται πρω' τουκαι`ει� ςο� φθει' ρεται τελευταιñον476 ————————————————————
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Bauckham, Jesus and the God of Israel, 216. Bonda, Purpose, 195, zustimmend zitiert von Jewett 721-722, meint, die Formulierung „zu ihm hin“ schließe die Möglichkeit aus, dass Gott irgendeines seiner Geschöpfe geschaffen haben könnte mit dem Ziel, fern von ihm zu sein; ewige Verdammnis könne nicht Gottes letztes Wort sein – selbst diejenigen, die in Ewigkeit fern von ihm sind, wurden „zu ihm hin“ geschaffen, was bedeute, dass sie am Ende „zu ihm hin“ kommen. Die Bedeutung der atl. und ntl. Stellen, die von Gottes Gericht am Ende der Geschichte, d.h. am Ende der in der Gegenwart erfahrbaren Wirklichkeit sprechen, können mit dieser Interpretation von ει� ς αυ� το' ν nicht aufgehoben werden. Vgl. Michel 361-362; Käsemann 308; Wilckens II 272-274; Dunn 701-702; Moo 743; Haacker 296-297; Jewett 721; Lohse 327; Norden, Agnostos Theos, 240-250; Dupont, Gnosis, 335-345; Bornkamm, Lobpreis, 73. Vergleichsmaterial in NW II.1, 175-176. Aristoteles, Metaph 983b6-13.
Der Lobpreis von Gottes Gerechtigkeit 11,33-36 549 ———————————————————————————————————— ε� κ θεουñ πα' ντα και` δια' θεουñ συνε� στηκε (Ps.-Aristoteles, Mund 6) ε� ν τα` πα' ντα η� ο« τι ε� ξ ε� νο' ς τε και` ει� ς ε« ν (Philo, SpecLeg 1,208) προ` ς γα` ρ τη' ν τινος γε' νεσιν πολλα` δειñ συνελθειñν…το` υ� φ� ουð , το` ε� ξ ουð , το` δι� ουð , το` δι� ο« 477 Plato dicit: id ex quo, id a quo, id in quo, id ad quod, id propter quod (Seneca, Ep 65,8) ε� κ σουñ πα' ντα, ε� ν σοι` πα' ντα, ει� ς σε` πα' ντα (Mark Aurel, Medit 4,23) Ζευñ πα' τερ, ε� ς δε` σε` πα' ντα και` ε� κ σε' θεν ε� ρρι' ζωνται (Oppian, Hal 1,409-0411) τουñ το γα' ρ ε� στι το` παñ ν: και` ε� ξ αυ� τουñ το` παñ ν, και` δι� αυ� τουñ το` παñ ν (Zosimus 2,143) ε� κ σε' ο γα` ρ πα' ντ� ε� στι` και` ει� ς σε` α« παντα τελευταñ, (Selene Hymnus, Orph 294) Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass sich weder die exakte Formulierung von 11,36a noch ähnliche Formeln mit den Präpositionen ε� κ, δια' und ει� ς in der griech. Literatur vor Paulus finden: (1) Keine der vorgeschlagenen Parallelen formuliert mit ε� κ, δια' und ει� ς; zur Formulierung in Röm11,36a gibtes keine einzige exakte Parallele. (2) Nicht alle Formulierungen sind dreigliedrig; zweigliedrige Formulierungen scheinen genauso häufig zu sein wie dreigliedrige, und es gibt vier- und fünfgliedrige Formulierungen. (3) Die dreigliedrigen Formulierungen verwenden verschiedene Präpositionen: ε� κ/ε� κ/ει� ς, ε� ν/ε� κ/ει� ς, ε� κ/ε� ν/ει� ς. Dasselbe trifft für die zweigliedrigen Formulierungen zu: ε� κ/δια' , ει� ς/ε� κ, ε� κ/ει� ς. Für die vier- und fünfgliedrigen Formulierungen gilt dasselbe. (4) Philo formuliert in SpecLeg 1,208 mit ε� ν; in Cher 125-126 kommt er allerdings ohne ε� ν aus, stattdessen formuliert er mit δια' . Mit ε� ν formuliert auch Mark Aurel in einer dreigliedrigen Formel, in der wie bei Paulus auch ε� κ und ει� ς verwendet werden; die Parallelität mit Paulus wird aber dadurch gestört, dass Mark Aurels Formel aus drei Sätzen mit drei artikellosen Subjekten (3x πα' ντα) besteht, während Paulus einen einzigen Satz mit dem Subjekt τα` πα' ντα formuliert. Das heißt, keine der angeführten Parallelen ist zu der Formulierung von Paulus wirklich parallel. (5) Die Auskunft, Paulus habe ε� ν durch δια' ersetzt, weil in seiner Theologie „für Pantheismus und entsprechende Mystik kein Platz war“,478 ist nicht überzeugend: Apg 17,28a kann durchaus eine Schöpfungsaussage mit ε� ν formulieren (ε� ν αυ� τω ñ μεν);479 Paulus verwendet häufig die ñ, γα` ρ ζω Wendung ε� ν Χριστω ñ, , offensichtlich ohne Angst, pantheistischen Konnotationen Vorschub zu leisten; und die Formulierungen ε� κ θεουñ und ει� ς θεο' ν wurden in der hellenistischen Umwelt ebenfalls in pantheistischem Sinn verstanden, was Paulus offensichtlich nicht im Geringsten stört. (6) Was Fitzmyer im Blick auf die triadische Formulierung in Apg 17,28a sagt, gilt auch für Röm 11,36a: Die Tatsache, dass dreigliedrige Formulierungen in der griech. Sprache häufig sind, verweist nicht automatisch auf einen philosophischen Hintergrund.480 Die Tatsache, dass Bestimmungen hellenistischer Theologie – das All ist aus Gott, durch Gott, um Gottes willen, auf Gott hin, in Gott – laut U. Wilckens „im Urchristentum übernommen werden“ konnten, außer der „zentrale(n) Formel, daß Gott das All und das All Gott sei, durch welche allererst jene Verhältnisbestimmungen ihren spezifisch pantheistischen Charakter erhielten“,481 bedeutet nicht, dass sie auch tatsächlich von dort übernommen wurden. (7) Im AT und im Judentum wird Gott häufig als Schöpfer „aller Dinge“ beschrie————————————————————
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Philo, Cher 125-126. Käsemann 308; Schlier 348; zur folgenden Kritik vgl. Wilckens II 273 Anm. 1215. Apg 17,28 wird häufig als Zitat aus dem Zeus-Hymnus von Epimenides (Lake/Cadbury, Beginnings, 246-251; Kauppi, Gods, 83-93; kritisch Pohlenz, Paulus und die Stoa, 101104) oder als Zitat von Posidonius (Hommel, Areopagrede; Balch, Areopagus Speech) betrachtet. Diese These ist nicht überzeugend; vgl. Gärtner, Areopagus Speech, 195; Barrett, Acts II, 846-847; Fitzmyer, Acts, 610; Schnabel, Acts, 736-737. Fitzmyer, Acts, 610. Wilckens II 273.
550 Römerbrief ———————————————————————————————————— ben.482 Josephus kann eine ganz ähnliche Aussage ohne Präpositionen formulieren: „Alle Dinge sind von Gott und für Gott“ (τουñ θεουñ πα' ντα και` τω ñ, θεω ñ, ; Bell 5.218). Angesichts dieser Beschreibung sowie der atl. und jüdischen Betonung der vollständigen Abhängigkeit der Menschen von Gott im Blick auf ihre Existenz und ihr Leben, sowie angesichts der Häufigkeit von dreigliedrigen Formulierungen auch in nicht-philosophischen Texten, ist die These nicht überzeugend, Paulus habe in Röm 11,36a eine griech.-stoische Formel adaptierend übernommen. Die Beschreibung Gottes im Sinn seiner effektiven, instrumentalen und finalen Kausalität im Blick auf die Existenz aller Dinge entspricht der jüdischen monotheistischen Betonung, dass Gott bei seinem schöpferischen Wirken nichts und niemand benutzt hat, sonders alles durch sein Wort bzw. durch seine Weisheit geschaffen hat.483 Die Formulierung ε� ξ αυ� τουñ και` δι’ αυ� τουñ και` ει� ς αυ� το` ν τα` πα' ντα kann durchaus als „eine genuin paulinische Schöpfung“ betrachtet werden.484
Der Satz ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit (V. 36b) ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem Lobpreis von Gottes Reichtum, Weisheit und Erkenntnis, aus der staunenden Anerkennung von Gottes unerforschlichen Gerichten und unergründlichen Wegen, aus der Ehrfurcht vor Gottes souveräner Allwissenheit, aus der Demut gegenüber Gottes majestätischer Macht als Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte. Gott allein gebührt „Herrlichkeit“ (δο' ξα [doxa]; s. zu 2,7) und deshalb alle Ehre.485 Die Tatsache, dass die Doxologie nur Gott erwähnt, nicht jedoch Jesus Christus, wird im Kontext von 1Kor 15,28 verständlich: Wenn alles Jesus unterworfen ist, wird sich auch der Sohn dem Vater unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, „damit Gott alles in allem sei“. In Phil 2,9-11 betont Paulus, dass Gott Jesus über alle erhöht hat und ihm „den Namen“ verliehen hat, der größer ist als alle Namen, d.h. den Name Jahwe,486 sodass alle den gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Jesus anbeten, im Himmel, auf der Erde und unter der Erde, und bekennen, dass der Messias Jesus der Kyrios ist, „zur Ehre Gottes des Vaters“.487 Anbetung Gottes des Schöpfers ist, als Anbetung Gottes des ————————————————————
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Jes 44,24; Jer 10,16; 51,19 sowie Jdt 16,13; 2Makk 1,24; 7,23; 3Makk 2,3.21; 4Makk 11,5; Sir 18,1; 24,8; 43,33; 51,12[iv]; Weish 1,14; 9,1; 1QS XI, 18; 1QHa VIII, 16; Jub 2,31; 11,17; 12,4.19; 17,3.26; 22,4; 23,27; Sib 3,20; 8,376; äthHen 9,5;l 84,3; slavHen 33,8; 66,4l; ApkAbr 7,10; JosAs 12,1; Aristobulos, Frag 4 13,5; Frag 5 12,12; Josephus, Ant 8,280; Bell 5,218; CAp 2,190; Philo, Op 28.88.135; Decal 64; SpecLeg 1,20.30.62. Vgl. Bauckham, Jesus and the God of Israel, 214. Bauckham, Jesus and the God of Israel, 215. Flebbe, Solus Deus, 397. Etwas anders Bauckham, Jesus and the God of Israel, 214-215: Die Formulierung wurde weder von Paulus neu geschaffen noch von nichtjüdischen Quellen geborgt – er hat sie gekannt als jüdische Beschreibung der einzigartigen Beziehung zwischen Gott und der übrigen Realität. Vgl. 15,7; 16,27; Gal 1,5; Phil 4,20; Eph 3,21; 1Tim 1,17; 2Tim 4,18 sowie Offb 1,6; 4,9.11; 5,12-13; 7,12; 11,13; 14,7; 19,1.7. In jüd. Texten kommt die Formulierung V. 36b nur in 4Makk 18,24 und LXX Od 12,15 vor; vgl. Jeremias, Beobachtungen, 204-205. Hurtado, Devotion to Jesus, 94; Bauckham, Jesus and the God of Israel, 199. Vgl. Haacker 297: in allem Lobpreis Gottes ist „Jesus hinzuzudenken“.
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Erlösers, immer zugleich Anbetung des Messias Jesus. Dies wird in 1Kor 8,6 deutlich, wo die auf Gott bezogene Formulierung ε� κ θεουñ τα` πα' ντα ([ek theou ta panta]; „aus dem alles ist“) mit der auf Jesus Christus Kyrios bezogenen Formulierung δι’ � Ιησουñ Χριστουñ τα` πα' ντα ([di’ Iēsou Christou ta panta]; „durch den Messias Jesus ist alles“) korreliert wird, und die auf Gott bezogene Formulierung η� μειñς ει� ς θεο' ν ([hēmeis eis theon]; „wir sind zu Gott hin“] mit der auf Jesus bezogenen Formulierung η� μειñς δι’ � Ιησουñ Χριστουñ ([hēmeis di’ Iēsou Christou]; „wir sind durch den Messias Jesus“).488 Paulus verteilt die Worte des atl.-jüdischen monotheistischen Bekenntnisses auf Gott und Jesus und nimmt so Jesus in die einzigartige Identität des einen Gottes Jahwe auf, der im Schema bekannt wird; er verteilt die dreifache Beschreibung der einzigartigen Beziehung zwischen dem einen Gott und seiner Schöpfung so auf Gott (ε� κ, ει� ς) und Jesus (δια' , δια' ), dass Jesus teilhat an der Identität des einen Schöpfers. Wer von Gott dem Schöpfer spricht, der spricht von Jesus. Paulus schließt Jesus in der einzigartigen Identität des einen Gottes mit ein.489 Paulus beschließt den Lobpreis von 11,33-36, die Diskussion von 9,1– 11,36 und die theologische Argumentation der ersten drei Hauptteile des Röm mit dem Wort Amen (α� μη' ν [amēn; s. zu 16,27]).490 Das gilt, darauf ist Verlass, dass Gottes Reichtum, Weisheit und Erkenntnis und seine Gerichte und Wege unergründlich sind, dass Gott der Schöpfer ist, den niemand beraten hat, der gibt, ohne dass Menschen ihm etwas gegeben haben, der alle Ehre verdient (11,33-36); dass Gott Israel nicht verstoßen hat, sondern (ein Rest von) Israel zusammen mit Menschen aus den Völkern jetzt und in der Zukunft zum Glauben an den Messias Jesus kommt und gerettet wird (9,1–11,32); dass Jesusbekenner in der Macht des Heiligen Geistes und im Anschluss an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus von der Macht der Sünde befreit und zur Neuheit des Lebens befähigt sind (6,1–8,39); dass Gott die seit Adam die Menschen bestimmende Sünde durch den Sühnetod des Messias Jesus besiegt hat und den an den Messias Jesus glaubenden Menschen, das Geschenk seiner Gerechtigkeit gibt (3,21– 5,21); dass Heiden und Juden Sünder und infolge ihrer Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit dem Strafgericht Gottes hilflos ausgeliefert sind (1,18– ————————————————————
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Das Relativpronomen ουð in der Wendung ε� ξ ουð τα` πα' ντα (1Kor 8,6b) bezieht sich auf ειðς θεο` ς ο� πατη' ρ in V. 6a; das Relativpronomen ουð in der Wendung δι’ ουð τα` πα' ντα in V. 6d bezieht sich auf ειðς κυ' ριος � Ιησουñ ς Χριστο' ς in V. 6c; dieselben Bezüge bestehen jeweils für die Possessivpronomen in V. 6b und V. 6d. Vgl. Bauckham, Jesus and the God of Israel, 210-218. Vgl. 1,25; 9,5; 11,36; 15,33; 16,27; 1Kor 14,16; 2Kor 1,20; Gal 1,5; 6,18; Eph 3,21; Phil 4,20; 1Thess 3,13; 1Tim 1,17; 6,16; 2Tim 4,18.
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3,20), und dass der Messias Jesus, der Mensch gewordene, gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Gottessohn, die rettende Macht Gottes zur Rechtfertigung des Sünders ist und bringt, den Juden zuerst und auch den Griechen (1,3-4.16-17). IV Menschen, die nach 1,18–3,20 ohne Ausnahme Sünder sind, sollten schon als Geschöpfe in der Hand Gottes (9,20-21) wissen, dass sie den Heilsratschluss Gottes nur in demütiger Ehrfurcht und stauender Anbetung bedenken können. Es ist schlechthin unmöglich, Gottes Gerichte und Wege zu hinterfragen und zu kritisieren. Wenn es um Gott selbst geht, kann es keine Sachkritik geben. Wer Gott kritisiert, stellt sich über Gott. Wer Gott hinterfragt, sägt sich den Ast ab, auf dem er – hoch über dem Abgrund der Tiefe der Gerichte und Wege Gottes – sitzt: Wenn von Gott geschaffene Menschen den Schöpfer zur Verantwortung ziehen wollen, schaffen sie sich selbst ab. Wenn Menschen Gott an den Rand der Wirklichkeit drängen und seine Autorität bestreiten, verlieren sie selbst jegliche Orientierung. Wenn Menschen Gottes Existenz bestreiten, stellen sie ihre eigene Existenz infrage: Die geopferten Menschen, die atheistische politische Systeme erzwungen haben, sprächen für sich, wenn sie noch reden könnten. Wenn aber Gott tatsächlich Gott ist, der eine und einzige Schöpfer von allem, was existiert, dann ist die Anerkennung und Anbetung seiner souveränen Allmacht und seiner gnädigen Allwirksamkeit nicht nur möglich, sondern notwendig. Wer Gott allein die Ehre gibt, ist weder unterdrückt noch manipuliert, sondern demütig:491 Die Demut, die in der Anbetung des einen wahren Gottes, des Schöpfers des Himmels und der Erde, zum Ausdruck kommt, entspricht der Dankbarkeit des Geschöpfs. Calvin kommentiert den Satz „ihm sei Ehre“: „Gott erhebt für sich zu Recht Anspruch auf die reine Herrschaft, und in dem [gegenwärtigen] Zustand des menschlichen Geschlechts und der ganzen Welt gibt es nichts [Erstrebenswerteres] zu suchen außer seiner Ehre. Folglich sind alle Vorhaben absurd und unvernünftig, ja sogar wahnsinnig, die auf eine Herabsetzung seiner Ehre hinauslaufen“.492 Käsemann schreibt: „Gerettet werden immer nur die Gerichteten, die auf den ihnen gebührenden Platz gestellt worden sind, immer nur die Hilfsbedürftigen, die nicht mehr sich selbst rühmen und auf ihre Privilegien und Verdienste pochen können. Der Weg zum Heil läßt sich schlechterdings für niemanden davon isolieren … die göttlichen Wege und Heilsratschlüsse für die Welt in ————————————————————
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Vgl. Wright 698. Calvin 615.
Der Lobpreis von Gottes Gerechtigkeit 11,33-36 553 ————————————————————————————————————
ihrer Sucht, sich selbst zu transzendieren, (sind) nicht aus eigener Vernunft und Kraft zu erfassen. Doxologie erkennt das im nachhinein an“.493 Die Anbetung des unerforschlichen Ratschlusses Gottes hat Konsequenzen für das Gebet.494 Wenn Christen den Reichtum, die Weisheit und die Erkenntnis Gottes, der alles geschaffen hat, der alles weiß und der gibt, ohne dass man ihm zuvor etwas gegeben hat, anerkennen, können ihre Gebete nicht dazu dienen, Gott zum Werkzeug ihrer Wünsche, zum Durchsetzer ihrer Ideen, zum Garanten ihrer Anliegen zu machen. Die Praxis des Betens in den biblischen Texten lässt die präzise Bitte an Gott durchaus zu – Abraham verhandelt mit Gott wegen Sodom (Gen 18,22-32), Elija bittet Gott um Feuer (1Kön 18,36-37), Hiskia bittet Gott um Heilung von einer tödlichen Krankheit (2Kön 20,1-11). Viele biblische Gebete sind weniger spezifisch. Daniels Freunde wissen, dass Gott sie vom Feuerofen retten kann, lassen aber offen, ob dies auch geschehen wird (Dan 3,15-18). Die eine persönliche, materielle Bitte im Vaterunser ist die Bitte um das tägliche Brot (Mt 6,11). Jesus in Gethsemane bittet Gott, dass der Kelch des Leidens und des Todes an ihm vorübergehen möge, bekundet dann jedoch die bedingungslose Bereitschaft zur Unterwerfung unter den Willen Gottes („doch nicht wie ich will, sondern wie du willst“; Mt 26,39; Mk 14,36; Lk 22,42). O. Cullmann kommentiert: Der Widerspruch zwischen der kategorischen Verheißung Jesu, dass das Beten im Glauben erhört wird (Mt 7,7-8; Mk 6,8; Lk 11,9-10; 18,1), und den nicht erhörten Bitten löst sich, wenn wir Jesu Gebet in Gethesemane verstehen: „Jesu Vereinigung mit dem Willen Gottes im Gebet ist ein Vorbild für alles Beten deshalb, weil sie dem Dialogcharakter verankert ist, den wir als seinen hauptsächlichen Wesenszug erkannt haben. In jedem Gebet ist die Begegnung des Geschöpfs mit dem Schöpfer, abgesehen von der Erfüllung der Wünsche, allein schon Erreichung des grundlegenden Ziels, und alle Bitten müssen im Rahmen dieser Begegnung ihren Platz finden. Wo diese fehlt und nicht gesucht wird, kommt das Bitten in den Verdacht der magischen Formel“; deshalb gilt: „Die Möglichkeit der Erhörung unserer Gebete durch Gott widerspricht nicht der Unveränderlichkeit seines feststehenden Plans. Seine Freiheit, Gebete zu erhören, ist in seinem Plan eingebaut“.495
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493 494 495
Käsemann 310. Haacker 295 Anm. 84. Vgl. Cullmann, Gebet, 43-44, 180. Zu Röm 11,33-36 äußert sich Cullmann nicht.
554 Römerbrief ————————————————————————————————————
Das Leben der Gerechtfertigten 12,1–15,13 Nachdem Paulus die Rechtfertigung der Sünder aus Heiden und Juden durch Gottes Heil schaffende Offenbarung seiner Gerechtigkeit durch den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus dargelegt (1,18– 5,21) und die Realität der Rechtfertigung im Leben der Glaubenden (6,1– 8,39) und in der Geschichte Israels erläutert hatte (9,1–11,36), beschreibt er im vierten Hauptteil das Leben der Gerechtfertigten in der Wirklichkeit der örtlichen Gemeinden (12,1–15,13). Paulus behandelt acht Themenbereiche: 1. Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott (12,1-2); 2. die Gaben der Gnade Gottes (12,3-8); 3. die Verpflichtung zur Nächstenliebe (12,9-21); 4. die Verpflichtung gegenüber dem Staat (13,1-7); 5. die Verpflichtung zur Nächstenliebe als Erfüllung der Gebote (13,8-10); 6. die endzeitliche Motivation christlichen Verhaltens (13,11-14); 7. die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen (14,1-23); 8. Die heilsgeschichtliche Motivation christlichen Verhaltens (15,1-13). Die Vielfalt der Themen erklärt die unterschiedlichen Überschriften über den vierten Hauptteil, die von Betonungen christlicher Ethik,1 der Gerechtigkeit Gottes2, des Evangeliums3 oder des Gehorsams der Gerechtfertigten4 zu Zusammenfassungen im Sinn der Veränderung im Leben des Gläubigen5 oder der Konsequenzen des Evangeliums im Alltag der Jesusbekenner6 reichen. Der Übergang von der Darstellung der Heil schaffenden Offenbarung Gottes im Messias Jesus in Röm 1–11 zur Darstellung des Lebens der durch ———————————-————————
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Schlatter 331 („Die handelnde Christenheit“); Schlier 349 („Die apostolische Paraklese“); Wilckens III 1 („Paraklese“); Légasse 757 („Section pratique: directives générales et concrètes à l’intention des justifiés“); Penna 797: („La componente etica dell’identità cristiana“); Keener 142 („Living the Christian Life“). Käsemann 311 („Gottesgerechtigkeit im christlichen Alltag“); Schreiner 639 („God’s Righteousness in Everday Life“). Den Schwerpunkt auf Gottes Handeln legt auch Wright 700 mit der Überschrift „God’s Call to Worship, Holiness, and Unity“. Zahn 531 („Die Gestaltung des christlichen Lebens aufgrund des Glaubens an das Evangelium“); Haacker 298 („Konsequenzen des Evangeliums für die Lebensgestaltung“); Byrne 361 („Summons to Live according to the Gospel“); Lohse 332 („Das Evangelium im Wandel der Glaubenden“). Cranfield II 592 („The obedience to which those who are righteous by faith are called“). Michel 365 („Das Opfer des Leibes und die Verwandlung des Sinnes“); Moo 744 („The Transforming Power of the Gospel: Christian Conduct“). Dunn II 704 („The Outworking of the Gospel for the Redefined People of God in Everyday Terms“); Zeller 205 („Verwirklichung des Christseins in Gemeinde und Welt“); Theobald II 12 („Die Praxis des Evangeliums: Weisungen für ein christliches Leben in der Gemeinde“). Im Hinblick auf die geplante Spanienmission formuliert Jewett 724 mit hyperbolisch-moderner Terminologie: „Living Together according to the Gospel so as to Sustain the Hope of Global Transformation“.
Das Leben der Gerechtfertigten 12,1–15,13 555 ————————————————————————————————————
Gottes Gnade gerechtfertigten Sünder in Röm 12–15 zeigt sich im Übergang vom Indikativ zum Imperativ. In Röm 1–11 sind nur 13 Imperative zu finden,7 in Röm 12–15 formuliert Paulus 32 Imperative.8 Trotzdem wäre es zu einseitig, wollte man Röm 1–11 als „Theologie“ und Röm 12–15 als „Ethik“ beschreiben: Die fünf Imperative in Röm 6 verdeutlichen lediglich den Inhalt der drei zentralen Kapitel Röm 6–8, in denen Paulus die Wirklichkeit der Heil schaffenden Gerechtigkeit Gottes durch den Messias Jesus im Leben der Gläubigen erläutert hatte, als Argument gegen das Missverständnis, das Verständnis der Gnade Gottes als Gnade für die gottlosen Sünder bedeute eine Relativierung der Sünde – die Rechtfertigung des Sünders im Anschluss an den Sühnetod Jesu am Kreuz, in dem die Sünden von Heiden und Juden gleichermaßen vergeben werden, bedeutet die Befreiung von der Herrschaft der Sünde. In Röm 12–15 erklärt Paulus, was dies konkret für den einzelnen Christen und für die örtliche Gemeinde bedeutet. Die Beschreibung des Lebens der Jesusbekenner in 12,1–15,13 unterscheidet nicht zwischen Judenchristen und Heidenchristen: Sie sind zum Glauben an das Evangelium gekommen und haben die Macht Gottes zur Rettung erfahren, der aus Glauben zum Glauben seine Gerechtigkeit offenbart für jeden, der glaubt, für Juden zuerst und auch für Griechen (1,16-17; 11,30-32). Sie gehören alle zu dem einen Ölbaum (11,17-24), zu dem einen „Leib im Messias“ (12,5), weil der allmächtige und gnädige Gott der Gott sowohl der Juden als auch der Heiden ist (3,29), weil sich nicht nur Juden Gottes rühmen können (2,17), sondern auch Heiden, wenn sie an Gottes Heilsverheißung glauben, wie Abraham geglaubt hat (4,1-10), und weil sie deshalb Abraham zum Vater haben und zu dem einen Heilsvolk Gottes gehören, in dem sich Gottes Verheißungen erfüllt haben (4,11-17). In 9,8 hatte Paulus betont, dass nicht die leiblichen Kinder Abrahams Kinder Gottes sind, „sondern die, die aufgrund der Verheißung seine Kinder wurden, werden als Same angesehen“. Zum messianischen Volk Gottes gehören alle, die zeigen, „dass ihnen das vom Gesetz geforderte Handeln in ihre Herzen geschrieben ist“ (2,15), die erfahren haben, dass „die (rechte) Beschneidung, die am Herzen vollzogen wird“ an ihnen „im Geist“ vollzogen wurde (2,29) infolge von und im glaubenden Anschluss an den Sühnetod und die Auferstehung des Messias Jesus (3,21–5,21). Die „Beschneidung im Geist“ ist Wirklichkeit für die Jesusbekenner, die „im Messias Jesus“ sind und von der Verurteilung durch das „Gesetz der Sünde und des Todes“ befreit wur———————————-————————
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3,4; 6,11.12.13(2x).19; 11,9.10(2x).18.20(2x).22. 12,2(2x).14(3x).16.19.20(2x).21(2x); 13,1.3.4.7.8.14(2x); 14,1.3(2x).5.13.15.16.20.22; 15,2.7.10.11(2x).
556 Römerbrief ————————————————————————————————————
den und deshalb dem „Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus“ verpflichtet sind und erfahren, dass die Rechtsforderung des Gesetzes durch die erfüllt wird, die dem Heiligen Geist entsprechend leben (8,1-4). Die Anweisungen zum rechten Verhalten in Kap. 12–15 sind nicht von Kap. 1–11 losgelöste Instruktionen, sondern Entfaltung der Konsequenzen aus der Heil schaffenden Offenbarung Gottes durch den Messias Jesus, die im Leben der Jesusbekenner und ihrer örtlichen Versammlungen Wirklichkeit werden.9 Nachdem die vom Gesetz vorgeschriebenen Opfer im Jerusalemer Tempel nicht mehr Sünden sühnen, auch nicht die Sünden von Juden, erleben die Jesusbekenner aus Juden und Heiden ihre gemeinsame Identität als Gläubige, deren Leben ein heiliges Selbstopfer für Gott ist (12,1-2), denen Gottes Gnade verschiedene Gaben zum Dienst in dem einen „Leib“ gegeben hat (12,3-8), die sich alle in gleicher Weise der Nächstenliebe und dem Gehorsam gegenüber der staatlichen Ordnung als Gottes Ordnung verpflichtet wissen (12,9-21; 13,1-7) und darin die Gebote Gottes erfüllen (13,8-10). Jesusbekenner leben im Alltag im Wissen um die Wiederkunft des Messias Jesus (13,11-14). Sie halten Unterschiede in Fragen des Verhaltens aus, indem sich die Starken und die Schwachen in der Gemeinde gegenseitig annehmen (14,1-23) und die Einheit bewahren im Wissen, dass sie vom Messias Jesus angenommen wurden und befähigt sind, zur Ehre Gottes zu leben (15,1-13). Der Versuch, verschiedene Formen und Traditionen der Paränese in 12,1–15,13 zu unterscheiden, ist nur teilweise erfolgreich. Die Auskunft, Kap. 12–13 seien stärker durch die atl. und hellenistische Spruchliteratur „durchgeformt“, während 14,1–15,13 „zunächst in das Gebiet der apostolischen Unterweisung im engeren Sinn“ gehört,10 ist insofern wenig hilfreich, als 14,1–15,13 ein einheitliches, von jüdischen Fragestellungen herrührendes Thema behandelt, während in 12,1–13,14 unterschiedliche Themen angesprochen werden. Es ist wenig hilfreich, im Blick auf 14,1–15,13 von apostolischer Unterweisung zu sprechen, die zwar auch Imperative kenne (14,15.20), sich „aber mehr an die freie Einsicht des Bruders“ wende als die Spruchtradition von Kap. 12–13: Auch die Kapitel 12–13 sind apostolische Unterweisung, und „freie Einsicht“ ist in Kap. 14–15 vor allem deshalb ein Thema, weil Paulus beide dort behandelten Verhaltensweisen im Blick auf bestimmte Nahrungsmittel als möglich erachtet, was einschlägige Imperative ausschließt.
Luther schreibt in der Einleitung zu seiner Auslegung von Röm 12–15: „Bis hierher lehrte er [Paulus] das Werden des neuen Menschen und beschrieb ———————————-————————
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Die Mahnungen in 13,1-7 zum Gehorsam gegenüber staatlichen Autoritäten und zum Zahlen von Steuern zeigen, dass man Kap. 12–13 nicht als allgemeine und Kap. 14–15 als konkrete Mahnung charakterisieren sollte; Dunn II 706 mit Verweis auf Donfried, Presuppositions, 127; gegen Käsemann 311 u.a. Michel 366; vgl. ebd. 365, im Anschluss an Dibelius, Formgeschichte, 234-265; Furnish, Theology and Ethics; Dodd, Catechism, 106-108. Das folgende Zitat ebd. 366.
Das Leben der Gerechtfertigten 12,1–15,13 557 ————————————————————————————————————
die neue Geburt, die das neue Sein schenkt (Joh 3,3). Nun aber lehrt er die Werke der neuen Geburt, die sich der umsonst anmaßt, der noch nicht ein neuer Mensch geworden ist. Denn das Sein geht dem Wirken voran, das Erleiden aber dem Sein. Also folgen einander das Werden, Sein und Wirken“.11
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 I 1 Ich ermahne euch nun, Brüder, angesichts der Barmherzigkeit Gottes eure Leiber als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen – das ist euer sprechender Gottesdienst; 2 und richtet euch nicht nach den Maßstäben der gegenwärtigen Welt, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung eures Denkens, damit ihr beurteilen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute und das Wohlgefällige und das Vollkommene. II Paulus beginnt den neuen Hauptteil mit einer Grundaussage zur Wirklichkeit des konkreten Lebens der Jesusbekenner, das mit dem Bild des (Selbst-) Opfers beschrieben wird: Der wahre Gottesdienst spielt sich für Juden- und Heidenchristen im Anschluss an die Barmherzigkeit, die Gott ihnen als Sünder durch den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus erwiesen hat, im Alltagsleben ab, in dem sich zeigt, dass sie nicht von den Maßstäben der Gesellschaft kontrolliert werden, sondern vom Willen Gottes, den sie als Menschen, die in ihrem Denken von Gott erneuert werden, in der Realität konkreten Verhaltens tun sollen und auch tun können. Man kann diese beiden Verse als Angabe des Hauptthemas,12 Einleitung,13 Zusammenfassung14 oder Überschrift15 von Kap. 12–15 bezeichnen. Gleichzeitig sind jedoch die Verbindungen zu Kap. 1–11 zu beachten: Paulus stellt das Ethos der Gläubigen in den Gesamtzusammenhang des Evangeliums.16 ————————————————————
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Hucusque docuit novum hominem fieri et descripsit, que dat novum esse … Prius est enim esse quam operari, prius autem pati quam esse. Ergo fieri, esse, operari se sequuntur; Luther II 261. Teilweise zitiert von Lohse 334. Käsemann 314; Penna 807. Cranfield II 595. Dunn II 707; Grabner-Haider, Paraklese, 116-117. Michel 365; Wilckens III 1. Kritisch Bjerkelund, Parakalô, 171-172; Evans, Worship, 33; vgl. Schrage, Einzelgebote, 124: „Grundregel und Überschrift über alles Folgende“. Vgl. jüngst Buchegger, Erneuerung, 144-148.
558 Römerbrief ————————————————————————————————————
Der Vokativ α� δελφοι' ([adelphoi], „Brüder“) in V.1 markiert den Anfang eines neuen Abschnitts. Paulus formuliert in V. 1-2 zwei mit και' verbundene Sätze.17 Der erste Satz beginnt mit einem Imperativ (παρακαλω ñ, V. 1a), der durch einen instrumentalen Präpositionalsatz und einen Infinitivsatz (V. 1b) erläutert wird; der zweite Satz besteht aus zwei Imperativsätzen (μη` συσχηματι'ζεσθε, V. 2a; α� λλα` μεταμορφουñ σθε, V. 2b), die mit einem finalen Infinitivsatz erläutert werden (V. 2c). Das heißt, der Inhalt der Ermahnung ist die Darbringung der Leiber als Gott wohlgefälliges Opfer (V. 1b), Kritik der Verhaltensmaßstäbe der säkularen Welt (V. 2a), Verwandlung aufgrund der Erneuerung des Denkens (V. 2b).18 Textkritische Anmerkungen. Die Wortfolge ευ� α' ρεστον τω ñ, θεω ñ, (d46 2 [ohne τω ñ, ] אB D F G Ψ 33 1739 [1881] Byz) in V. 1 ist etwas besser belegt als τω θεω ñ, ñ, ευ� α' ρεστον ( *אA P 81 1506 u.a. lat).19 In V. 2a lesen manche Zeugen (A B2 D F G Ψ 81 630 1175 1505 u.a.) συσχηματι'ζεσθαι statt des Imperativs συσχηματι'ζεσθε, der in d46 אB* L P 104 365 1241 1739 u.a. jedoch gut bezeugt ist; die Infinitivform könnte auf einen Hörfehler zurückgehen.20 Die gleichen Zeugen, die mit Infinitiv formulieren, haben in V. 2b den Infinitiv μεταμορφουñ σθαι, der auch in אD* 6 1881 u.a. belegt ist; auch hier ist wohl ein Hörfehler die Ursache für die Infinitivform; der Imperativ ist in d46 B* D1 L P 33 88 104 365 1241 1739 u.a. gut belegt. Nach νοο' ς fügen אD1 Ψ 33 Byz latt sy das Personalpronomen υ� μω ñ ν ein, was als sekundärer Verbesserungsversuch zu bewerten ist.21 III
1 Paulus beginnt den neuen Abschnitt mit dem Imperativ ich ermahne
euch (παρακαλω ñ [parakalō]), der den Inhalt der kommenden Ausführungen signalisiert: Paulus erläutert die Konsequenzen des Evangeliums für die römischen Christen und scheut sich nicht, die Befehlsform zu verwenden.
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Buchegger, Erneuerung, 149-154 interpretiert 12,1-2 als einen Satz und betont gegen die Annahme eines Anakoluth, dass die zweite Satzhälfte oratio variata (ungleichartige Satzkonstruktion) ist. Zur Gliederung von 12,1-2 vgl. Reichert, Gottesdienst, 80-81. Jewett 724 folgt Sanday/Headlam 352, die meinen, die Lesart τω ñ, θεω ñ, ευ� α' ρεστον sei im Blick auf die Funktion von ευ� α' ρεστον mehrdeutig, was durch die Voranstellung von ευ� α' ρεστον eliminiert worden sei, d.h. τω ñ, θεω ñ, ευ� α' ρεστον sei als ursprünglich zu betrachten (vgl. NA25-26). Beide Lesarten sind im Kontext jedoch ohne Schwierigkeiten verständlich. NA27-28 zieht ευ� α' ρεστον τω ñ, vor. ñ, θεω Cranfield II 605; Jewett 724. Metzger, Textual Commentary, 466; Dunn II 707; Jewett 724.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 559 ———————————————————————————————————— Das Verb παρακαλε' ω (parakaleō)22 hat eine große Bedeutungsbreite: Es bedeutet je nach Kontext „herbeirufen“ (im Sinn von „einladen“ oder „zu Hilfe rufen“), „aufrufen, auffordern, ermahnen“, „anrufen, bitten, ersuchen“, „ermuntern, zusprechen, trösten“ oder „gut zureden, freundlich zusprechen, gute Worte geben“. Die unterschiedlichen Bedeutungen können in die zwei Bereiche „befehlen“ und „trösten“ eingeteilt werden. Die Bedeutungen gehen oft ineinander über. H. Schlier spricht von einem Ermahnen, „das zugleich einen bittenden und befehlenden, einen ans Herz legenden, ermunternden, beschwörenden Zuspruch meint“.23 In der LXX (132 Belege) übersetzt παρακαλε' ω fünfzehn verschiedene Verben, vor allem [( ִנַחםnicham], „trösten“).24 In dokumentarischen Papyri wird παρακαλε' ω oft für das konkrete Ersuchen bei Petitionen verwendet, kommt aber auch in privaten Dokumenten vor.25 Im NT kommt παρακαλε' ω insgesamt 109 Mal vor und ist damit eine der wichtigsten Vokabeln für das Reden und Beeinflussen. Paulus verwendet das Verb 54 Mal: Röm 12,1.8; 15,30; 16,17; 1Kor 1,10; 4,13.16; 14,31; 16,12.15; 2Kor 1,4(3x).6; 2,7.8; 5,20; 6,1; 7,6(2x). 7.13; 8,6; 9,5; 10,1; 12,8.18; Eph 4,1; 6,22; Phil 4,2(2x); Kol 2,2; 4,8; 1Thess 2,12; 3,2.7; 4,1.10.18; 5,11.14; 2Thess 2,17; 3,12; 1Tim 1,3; 2,1; 5,1; 6,2; 2Tim 4,2; Tit 1,9; 2,6.15; Phlm 9.10. Das Substantiv παρα' κλησις kommt bei Paulus 20 Mal vor: Röm 12,8; 15,4.5; 1Kor 14,3; 2Kor 1,3-7 (6 Mal); 7,4.7.13; 8,4.17; Phil 2,1; 1Thess 2,3; 2Thess 2,16; 1Tim 4,13; Phlm 7. Das vom Substantiv παρα' κλησις [paraklēsis] abgeleitete Wort Paraklese wird in der Exegese anstatt des traditionellen Wortes „Paränese“ als Oberbegriff ntl. oder paulinischer „Ethik“ verwendet.26 C. Bjerkelund argumentiert, der Sprachgebrauch bei Paulus entspreche der Verwendung des Verbs in offiziellen diplomatischen Briefen und Freundschaftsbriefen, wo es nicht um Befehle geht, die Gehorsam verlangen, sondern um Appelle in vertraulichen Beziehungen unterschiedlichen Charakters.27 J. Thomas kritisiert, die Aufteilung der paulinischen Stellen auf diesen (als ursprünglich bezeichneten) profanen Gebrauch und auf einen religiösen Gebrauch verkenne den engen Zusammenhang zwischen der mündlichen und der brieflichen Paraklese, die Leitfunktion des Begriffs (z.B. 1Thess 2,3), die Schwierigkeit der Abgrenzung „typischer“ παρακαλω ñ -Sätze und die Emphase der mit den παρακαλω ñ -Sätzen verbundenen präpositionalen Wendungen (wie in Röm 12,1).28 Er meint, die ntl. Paraklese gründe „nicht auf gesetzlichen Normen“, sondern mildere die Gehorsamsforderung zum Bitten ab: Ihre Sprache verschleiere weithin die „Nahtstelle zwischen Tr[adition] und aktuellem Wort … ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. παρακαλε' ω 1-5; LSJ s.v. παρακαλε' ω I–VI; O. Schmitz / G. Stählin, Art. παρακαλε' ω κτλ., ThWNT V, 771-798; J. Thomas, EWNT III, 54-64; G. Braumann, ThBLNT I, 381-383; zur LXX vgl. Muraoka s.v.; Bultmann, Stil, 96-107; Bjerkelund, Parakalô, 24-58; Smith, Communities, 275-291. Zu den Papyri Arzt-Grabner, Philemon, 193-194; Arzt-Grabner, 1. Korinther, 58-59; Kreinecker, 2. Thessaloniker, 86-92. Schlier 253; vgl. Wilckens III 2. Vgl. Gen 37,35; 38,12; Jes 21,2; 61,2; Hes 24,17; Sach 10,2. P.Tebt. II 408,6 (1. Jh. n.Chr.), sowie BGU IV 1141,10; P.Oxy. IV 744,6. Das Wort παρα' κλησις ist bei Paulus belegt (s. unten), das Wort παραι' νεσις [parainesis] nicht (das Verb kommt in Apg 27,9.22 vor). Vgl. Grabner-Haider, Paraklese, 4; Schnelle, Theologie, 301 Anm. 397. Bjerkelund, Parakalô, 58-74.109-110; vgl. Smith, Communities, 278. J. Thomas, EWNT III, 60. Die Auskunft von Thomas, ebd. 59, der praktische Charakter der Paraklese lasse in den meisten Briefen keinen Raum für einen selbstständigen „dogmatischen“ Teil, mit dem Hinweis auf den Römerbrief als „Ausnahme“, zeigt die Problematik grundsätzlicher Aussagen, die dann nicht immer zutreffen. Wenn der Röm als „Ausnahme“ deklariert werden muss, müssen Zweifel angemeldet werden, ob die formulierte Regel zutrifft.
560 Römerbrief ———————————————————————————————————— bzw. zwischen Norm und Rat“; Autorität werde „väterlich geübt“.29 Der Hinweis auf „väterliche Autorität“ ist im Kontext des atl. Vergleichs Gottes mit einem Vater (Ps 103,13; Spr 3,12) und der Bezeichnung Gottes als Vater (Deut 32,6; Jes 64,7; Jer 3,18; Mal 2,10) sowie im Kontext der verfügenden Gewalt des Vaters in der Familie und im Haus, nicht zuletzt der röm. patria potestas, nicht als verminderte, sondern gerade als normative Autorität zu verstehen. Der Inhalt von 12,1–15,13, nicht zuletzt die 32 Imperative, zeigt, dass Paulus nicht nur „bittet“, sondern ermahnt und befiehlt, d.h. Gehorsam erwartet.
Paulus eröffnet mit παρακαλω ñ den letzten großen Abschnitt des Briefes,30 in dem er die stadtrömischen Christen zu einem Verhalten ermahnt, das der Wirklichkeit ihrer Verbindung mit dem Messias Jesus (6,1-14) und der Macht des Heiligen Geistes (8,1-17) entspricht. Die Partikel nun (ουò ν [oun]) zeigt an, dass die folgenden Mahnungen die Folge des Evangeliums sind, das Paulus nach der Definition in 1,3-4.16-17 seit 1,18 erläutert hat.31 Die Rückbezüge mehrerer in V. 1-2 verwendeter Vokabeln verdeutlichen den Bezug auf den gesamten Gedankengang in Röm 1–11.32 Die Anrede Brüder (α� δελφοι' [adelphoi])33 markiert den Beginn des neuen Abschnitts und bringt gleichzeitig die Verbundenheit des Apostels mit den stadtrömischen Christen zum Ausdruck: Was für die Jesusbekenner in Rom gilt, das gilt auch für Paulus, auch wenn dieser es ist, der die Mahnung ausspricht. Die Präpositionalwendung angesichts der Barmherzigkeit Gottes (δια` τω ñ ν οι� κτιρμω ñ ν τουñ θεουñ [dia tōn oiktirmōn tou theou]) unterstreicht die Dringlichkeit der Mahnung34 und benennt ihre Ursache in Gottes gnädiger Zuwendung zum Sünder. Der Plural οι� κτιρμοι' [oiktirmoi] wird häufig als Hebraismus erklärt (für hebr. [ ַרֲחִמיםrachamīm]):35 Gott ist nach 2Kor 1,3 ————————————————————
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Thomas, EWNT III, 59, mit Verweis auf Gal 5–6; 1Kor 7 als Ausnahmen. Ähnlich L.L. Belleville, Art. Authority, DPL 56: παρακαλε' ω bei Paulus sei „an appeal by one who has the authority to command but the tact not to“. Vgl. 1Thess 4,1; 1Kor 1,10; 2Kor 10,1l; Eph 4,1, wo Paulus ebenfalls mit παρακαλω ñ Mahnungen einleitet. In Röm 15,30; 16,17 (sowie 1Kor 4,16; 16,15; 2Kor 2,8; 6,1; Phil 4,2) leitet παρακαλω ñ Einzelmahnungen ein. Vgl. Wilckens III 2. Mit ουò ν leitet Paulus auch in 6,12; 13,12; 1Thess 5,5-6; Gal 5,1.13; Kol 3,12; Eph 4,1 zur Mahnung über. Vgl. Nauck, Das ουò ν-paräneticum, 134-135: Im NT wird ουò ν häufig eingesetzt, um „eine systematisch-theologische Erörterung mit einer sich daran anschließenden paränetischen Ermahnung, in der die Konsequenzen aus den theologischen Erwägungen aufgezeigt werden“ zu verbinden (ebd. 134). Skeptisch Schmidt, Heilig, 213-214. παραστηñ σαι 6,13.16.19; σω' ματα 6,6.12; 7,4.24; 8,10.11.13.23; νουñ ς 7,24.25. Vgl. 1,13; 7,1.4; 8,12.29; 10,1; 11,25 sowie 15,14.30; 16,17. Bauer/Aland s.v. δια' A.III.1f; δια' m. Gen. markiert hier das Mittel bzw. die Umstände, durch das etwas erreicht oder bewirkt wird. Der übertragene Gebrauch von δια' zur Kennzeichnung von Vermittler, Vermittlung, Mittel oder Werkzeug (Ursache, Urheber) ist im NT selten; vgl. HvS §184f.cc(1). Buchegger, Erneuerung, 145-146 sieht zusätzlich eine kausale Bedeutung. In der LXX wird οι� κτιρμο' ς meistens im Plural verwendet; Muraoka s.v. οι� κτιρμο' ς. Vgl. R. Bultmann, Art. οι� κτι' ρω κτλ., ThWNT V, 161-163; H. H. Eßer, ThBLNT I, 114-115.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 561 ————————————————————————————————————
der „Vater des Erbarmens“ (ο� πατη` ρ τω ñ ν οι� κτιρμω ñ ν), d.h. Gott ist der Vater, von dem alle Barmherzigkeit, die sein Volk braucht, kommt und diesem zuteilwird. Die Gottesbezeichnungen „Gott des Erbarmens“ und „Gott allen Trostes“ kommen in der jüd. Tradition vor.36 Die atl. Grundaussage ist Ex 34,6-7: „Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott (Κυ' ριος ο� θεο` ς οι� κτι'ρμων), langmütig, reich an Huld und Treue: Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, lässt aber (den Sünder) nicht ungestraft; er verfolgt die Schuld der Väter an den Söhnen und Enkeln, an der dritten und vierten Generation“ (EÜ).37 Oder der Plural weist darauf hin, dass Gott immer wieder Mitleid und Erbarmen zeigt und das s Jesusbekenner auf konkrete Erfahrungen der Barmherzigkeit Gottes zurückblicken können, allen voran das Heilshandeln Gottes in der Vergebung des Ungehorsams und der Gewährung der Gnade (Röm 11,29-32). In 2Kor 1,3 steht „Barm-herzigkeit“ parallel zu „Trost“ (παρα' κλησις), in Phil 2,1; Kol 3,12 zu „herzliches Erbarmen“ (σπλα' γχνα). Die Barmherzigkeit Gottes ist Grund und Ursache und damit „die Autorität und Kraft“ der Mahnung des Apostels.38 Hier in V. 1 ist der Kontrast zum „Zorn Gottes“ in 1,18, der in 1,19–3,20 im Blick auf Heiden und Juden entfaltet wurde, zu beachten. Das Ethos der Jesusbekenner ist vom Wissen um das eigene Sündersein und von der Erfahrung der barmherzigen Gnade Gottes in Tod und Auferweckung des Messias Jesus bestimmt. Der Infinitivsatz eure Leiber darzubringen (παραστηñ σαι τα` σω' ματα υ� μω ñ ν [parastēsai ta sōmata hymōn]; V. 1b) formuliert den Inhalt der Mahnung.39 Paulus verwendet dasselbe Verb, mit dem er in 6,13.16.19 die Mahnung ausgesprochen hatte, aus der in der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus mit diesem hergestellten Verbindung die Konsequenzen zu ziehen und die Glieder ihres Leibes nicht der Sünde als Waffen der Ungerechtigkeit zur Verfügung zu stellen, sondern sich Gott zur Verfügung zu ————————————————————
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Das Wort drückt im Profangriechischen das Gefühl des Mitleids und das Erbarmen aus, so auch in der LXX als Übersetzung von ַרֲחִמים. Ein Unterschied zu ε» λεος (Röm 9,23; 11,31; 15,9) ist nicht festzustellen. 1QH XVIII, 14; XIX, 29; Tob 6,17; 7,13; 8,4.7; Jdt 7,30; 13,14; 16,15; Weish 6,6; 12,22; Bar 3,2; 4,22; bAZ 4b; bBer 116a.17a. LXX übersetzt in Ex 34,6 κυ' ριος ο� θεο` ς οι� κτι' ρμων και` ε� λεη' μων. Wilckens III 3, mit Verweis auf Calvin z.St.: „Wie undankbar wäre es, wenn die Erfahrung der Güte und Freigebigkeit eines solchen Vaters uns nicht zu aufrichtiger Hingabe an ihn entzündete!“ Vgl. Reichert, Gottesdienst, 86, die entgegen des Kontexts unnötigerweise betont, das Erbarmen Gottes werde nicht als Motiv vorgestellt, das die Adressaten zu einem der Ermahnung entsprechenden Verhalten bewegen soll. παρι' στημι steht hier mit doppeltem Akkusativ („etwas als etwas [beim Opfern] darbringen“): τα` σω' ματα ist Akk. Objekt, θυσι' αν ist Objektsartangabe; vgl. HvS §153b(d).259n.
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stellen (παραστη' σατε) „als Lebende aus den Toten und eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit für Gott“ und sich als „Sklaven des Gehorsams“ der Gerechtigkeit Gottes zur Heiligung zur Verfügung zu stellen (παραστη' σατε). Da Paulus diesen Gedanken hier aufgreift, könnte man die Formulierung in V. 1b mit „eure Leiber zur Verfügung zu stellen“ übersetzen.40 Da Paulus im zweiten Element des doppelten Akkusativs von „Opfer“ spricht, ist die Übersetzung „eure Leiber darbringen“ vorzuziehen. Das Verb παρι' στημι [paristēmi] wird in der LXX für das „Stehen“ (den Dienst) eines Menschen vor einem König (1Kön 10,8; 2Kön 5,25; 2Chron 9,7; Spr 22,29), für das „Stehen“ der Priester vor Gott im Heiligtum (Num 16,9; Deut 10,8; 17,12; 18,5.7; 21,5) und für das „Stehen“ von Engeln vor Gott (Hi 1,6; 2,1; Dan 7,10.13 [S]; 2Chron 18,8; Sach 6,5) verwendet. Im außerbiblischen Griechisch bezeichnet das Wort den Akt der Darbringung eines Opfers (Xenophon, An 6,1,22; Leges Sacrae 3,5; 32,46; 65,65; vgl. Josephus, Ant 4,113). Die Formulierung παρι' στημι θυσι' αν ist terminus technicus der Opfersprache (OGIS 332,17.42; 456,20-21; 764,23.33; SIG2 554,6.41
Wer mit dem Messias Jesus verbunden ist (6,1-14), für den gilt, dass sein „alter Mensch“ zusammen mit Jesus gekreuzigt wurde, „damit der Leib der Sünde vernichtet wird, sodass wir nicht mehr der Sünde Sklavendienste leisten“ (6,6). Wer mit dem gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus verbunden ist, der gehört nicht mehr sich selbst (d.h. der Macht der Sünde, vgl. 7,7-25), sondern als „Sklave Gottes“ (6,22) gehört er Gott als „Sklave der Gerechtigkeit“ (6,18-19). Der Leib des Jesusbekenners ist „für den Herrn da“ (το` σω ñ μα … τω ñ, κυρι'ω, ; 1Kor 6,13). Das Leben des Einzelnen ist immer leibliche Existenz und damit zugleich ein auf die Welt bezogenes Sein. Das Wort Leib (σω ñ μα [sōma])42 verweist auf die persönliche, leibliche Existenz der einzelnen Christen (deshalb Plural τα` σω' ματα [sōmata]).43 Menschliche Existenz ist immer leibliche Existenz, menschliches Handeln ————————————————————
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So GN: „Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung!“; NGÜ: „dass ihr euch mit eurem ganzen Leben Gott zur Verfügung stellt“. Bauer/Aland s.v. θυσι' α 2b; Lietzmann 107-108; vgl. Gäckle, Priestertum, 340. Paulus verwendet σω ñ μα in 1,24; 4,19; 6,6.12; 7,4.24; 8,10.11.13.23; 12,1.4.5. Das Wort kommt bei Paulus 91 Mal vor, allein in 1Kor 46 Mal. Vgl. E. Schweizer, Art. σω ñ μα κτλ., ThWNT VII, 1024-1091; E. Schweizer, EWNT III, 770-779; S. Wibbing, ThBLNT II, 1281-1285; Käsemann, Leib; Robinson, Body; Gundry, Sōma; Bauer, Leiblichkeit; Ziesler, Soma; Schnelle, Anthropologie, 66-71; Schnelle, Paulus, 566-569. Käsemann 315; vgl. Bauer, Leiblichkeit, 179-180. Vgl. Wilckens III 3, der für den Satz „Personalität als Leiblichkeit bedeutet ebenso, daß es unverwechselbar um mich geht“ auf Bultmann, Theologie, 196-197 verweist, der die Bezeichnung des Menschen als σω ñ μα so interpretiert, dass der Mensch „über sich selbst verfügen und Objekt seines eigenen Tuns sein kann“ (197). Zur Auseinandersetzung mit Bultmann s. Gundry, Sōma, 29-50. Kooten, Paul’s Anthropology, 269-312 will σω' ματα im Sinn der dreiteiligen Anthropologie von Leib, Seele und Geist verstehen.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 563 ————————————————————————————————————
ist immer leibliches Handeln, leibliches Handeln ist immer „Kommunikation im weitesten Sinne“ in der Bezogenheit des Menschen „auf eine ihm jeweils vorgegebene Welt“.44 Das mit „darbringen“ übersetzte Verb „meint die Realisierung dieser Kommunikation: zuerst und grundsätzlich mit Gott in konkretem Gehorsam (VV 1f), der sich sodann im christlichen Zusammenleben in der Gemeinde in der Bruderliebe auswirkt (VV 9ff)“ in dem einen Leib des Messias Jesus.45 Die Konkretisierung der Mahnung von 12,1-2 in V. 3ff zeigt, dass der Plural σω' ματα über den einzelnen Christen hinaus auf die Gemeinschaft der Jesusbekenner verweist: Die Gemeinde als Ganze soll Gott hingegeben leben.46 Die Gleichzeitigkeit von individueller und korporativer Dimension urchristlicher Ethik wird paradigmatisch in V. 5 formuliert. Das Leben, das Jesusbekenner als Konsequenz der erfahrenen Barmherzigkeit Gottes unter bewusstem (s. den Imperativ) Einsatz ihres Leibes gestalten, wird von Paulus mit dem Bild des Opfers beschrieben. Das Leben der Jesusbekenner ist ein Opfer (θυσι'α [thysia]) – das einzige Opfer, dass sie darbringen.47 Das Darbringen von Opfern war zentraler Bestandteil der Verehrung der Gottheit. Dies galt für Israeliten und Juden genauso wie für Griechen und Römer.48 Opfer dienten dazu, den Göttern Ehre zu erweisen, Dankbarkeit zu zeigen, von ihnen etwas zu erbitten.49 Geopfert wurden Naturalien (Getreide, Bohnen, Früchte), Flüssigkeiten (Milch, Wasser, Wein) und Tiere (Ochsen, Schweine, Schafe, Fische, Vögel). Die Vorschriften, die das Opfer und das Verhalten der Opfernden regelten, waren je nach Gottheit und Stadt unterschiedlich und oft sehr detailliert, gerade in römischen Kulten. In Israel konnte man nur in Jerusalem Opfer darbringen; privates Opfern war nicht erlaubt, man war konsequent auf die Priester angewiesen. Diese Beschränkungen führten in der Diaspora zur Betonung von Gebet und ————————————————————
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Käsemann, Anthropologie, 43; vgl. Käsemann, Leib, 125. Wilckens III 3. Käsemann 315 betont zu Recht, dass σω ñ μα nicht zur Chiffre für „Person“ verflacht werden darf (so EÜ: „euch selbst … darzubringen“; ähnlich NGÜ, ZÜ: „euer ganzes Leben“; vgl. Lohse 335: „sich selbst ohne jede Einschränkung“). Betont von Hays, Moral Vision, 35-36, der die Dimension des einzelnen Christen an dieser Stelle unbeachtet lässt: Eine Gemeinde kann nur dann Gott hingegeben leben, wenn ihre einzelnen Glieder ihr Leben als Gott dargebrachtes Opfer leben. J. Behm, Art. θυ' ω κτλ., ThWNT III, 180-190; H. Thyen, EWNT II, 399-405; F. Thiele, ThBLNT II, 1440-1443. Vgl. Röm 12,1; 1Kor 10,18; Eph 5,2; Phil 2,17; 4,18. Zu atl. Opfern s. Schenker, Studien; Janowski/Welker, Opfer; Eberhart, Studien; zu Opfern in Griechenland und Rom J.N. Bremmer, Art. Opfer III. Griechenland, DNP VIII, 1240-1246; C.R. Phillips, Art. Opfer IV. Rom, DNP VIII, 1246-1250; Casabona, Recherches; Latte, Römische Religionsgeschichte, 209-210.375-392; Naiden, Sacrifice. Theophrast, Frag 584A = Porphyrius, Abst 2,24,1; vgl. Bremmer, DNP VIII, 1245.
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Torastudium und zur Entwicklung der Synagoge als nicht-kultische, auf das mosaische Gesetz konzentrierte Versammlung.50 Für die jüdischen Jesusbekenner waren die Gottheiten der Völker „Nichtse“ (s. zu 1,21), bedeutungslos und wertlos, was selbstredend auch für die heidnischen Opfer galt. Dieser Wertung haben sich die Heidenchristen in der Bekehrung zum Glauben an den einen wahren Gott angeschlossen, der „dem Nichtseienden ruft, damit es sei“ (4,17), den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der jetzt auch ihr Vater ist (4,11). Das Neue für jüdische Jesusbekenner und für Gläubige aus den Völkern war die exklusive Konzentration von Gottesverehrung und Sündenvergebung auf Jesus Christus, ohne die Notwendigkeit eines Tempels. Das Wort Jesu über den Tempel, der abgerissen und von Jesus nach drei Tagen wieder aufgerichtet wird (Joh 2,19; vgl. Lk 24,45-46; Apg 6,14), proklamiert die Verbindung der anbrechenden Gottesherrschaft mit dem Ende des Tempelkults in Jerusalem.51 Die frühchristliche Gemeinde sah offensichtlich in Tod und Auferstehung Jesu die Erfüllung dieses Wortes, sichtbar im Zerreißen des Vorhangs (Mt 27,51 / Mk 15,38 / Lk 23,45), im Herabkommen des verheißenen Geistes Gottes und in der Bekehrung der Völker (Lk 24,47.49; Apg 1,4-8; 2,3839). Das Zerreißen des Vorhangs im Tempel zeigt: „Das Allerheiligste hat sich geöffnet. Durch Jesu Tod sind der Tempel und sein Opferkult obsolet geworden, das Allerheiligste als der Ort der Gegenwart Gottes ist profanisiert und existiert nicht mehr. Der Gekreuzigte und Auferstandene vermittelt den Zugang zu Gott und seinem himmlischen Heiligtum und damit zum endzeitlichen Heil“.52 Nach Joh 18,28; 19,14 (vgl. 1,36) stirbt Jesus als das Lamm des 14. Nisan.53 Ort der sühnenden, Sünden vergebenden Gegenwart Gottes (ι�λαστη' ριον) ist nach Röm 3,25 der Messias Jesus. Paulus bezeichnet den Messias Jesus als „unser Passa“, das geschlachtet wurde (1Kor 5,7); in Eph 5,2 wird Jesus als „Gabe und Opfer, das Gott gefällt“ bezeichnet. Das Bild vom geöffneten Allerheiligsten liegt wohl in Röm 5,1-2 vor, wo Paulus davon spricht, dass Jesusbekenner „Zugang“ ————————————————————
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Für Einzelheiten s. Siegert, Synagoge, 335-356. Bezeichnend ist die Tatsache, dass in den Synagogen anstelle des Allerheiligsten der Toraschrein oder die Toranische stand: „Der feierlichste Moment des Synagogengottesdienstes war und ist das Aufrollen und Vorlesen der Tora“ (342). Der Ort der Gegenwart Gottes und der Versöhnung war in den jüdischen Gottesdiensten in den Synagogen: „Er war da, wo die Tora verlesen, bedacht und befolgt wurde“ (347). Vgl. Mt 21,13 / Mk 11,17 / Lk 19,46; Apg 1,3. Vgl. Ådna, Jesu Stellung, 381-387. Hengel/Schwemer, Jesus und das Judentum, 596. Das Lamm des Passafestes war ursprünglich kein Schuldopfer, was bei der metaphorischen Übertragung nicht zu stören braucht. Nach 2Chron 30,17-18 hat Hiskia das von ihm neu eingerichtete Passa als Schuldopfer gefeiert. Vgl. Siegert, Synagoge, 350.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 565 ————————————————————————————————————
(προσαγωγη' ) zu Gottes Gnade durch den Messias Jesus, „unseren Herrn“ erhalten haben (vgl. Eph 2,18; 3,12; Hebr 4,16). Gott selbst hat durch den Sühnetod Jesu die Sünden gesühnt, eine Wirklichkeit, die für alle Nachkommen Adams, Heiden wie Juden, durch den Glauben an den Messias Jesus wirksam wird (Röm 3,21–5,21). Das Opfer des Messias Jesus hat die atl. Opfer, die den Opfernden mit Gott versöhnten, obsolet gemacht.54 Israel hat zwar den „Gottesdienst“ (λα' τρεια; 9,4). Aber an die Stelle der Opfer tritt jetzt für die Jesusbekenner aus den Juden und Heiden der „Gehorsam des Glaubens“ (1,5): Sie „opfern“ mit dem Einsatz ihrer ganzen leiblichen Existenz als „Sklaven Gottes“, die sich der Gerechtigkeit zur Verfügung stellen, deren Leben als Frucht die Heiligung hat und die sich des ewigen Lebens im Messias Jesus als Gottes Gnadengabe gewiss sind (6,15-23). Juden- und Heidenchristen erweisen Gott die Ehre, indem sie seine Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus als Macht Gottes zur Rettung von Sünden im Glauben annehmen (1,16-17); sie danken Gott „durch Jesus, den Messias“ (1,8) für die Befreiung von der Sklaverei der Sünde und die Ermöglichung des Gehorsams gegenüber dem Evangelium als Sklaven der Gerechtigkeit (6,17-18; 7,25); sie bringen ihre Bitten vor Gott „im Namen des Messias Jesus, unseres Herrn“ (15,30). Eine übertragene Bedeutung von θυσι' α findet sich in Ps 50,14-15 („Opfere Gott Dank, und erfülle dem Höchsten deine Gelübde; und rufe mich an am Tag der Not; ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen“) und Ps 51,17-19 („Herr, tue meine Lippen auf, daß mein Mund dein Lob verkünde. Denn du hast keine Lust am Schlachtopfer, sonst gäbe ich es; Brandopfer gefällt dir nicht. Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten“; Elb.Ü). In der Qumrangemeinde, die sich bewusst vom Tempelkult fernhielt, ist ebenfalls eine metaphorische Verwendung der Opfersprache zu finden: „Zu sühnen für Untreueschuld und Veruntreuungssünde und zum Wohlgefallen für das Land, (und zwar) mehr als Brandopferfleisch und mehr als Fettstücke von Schlachtopfern, und ein Hebopfer von Lippen ( )ותרומת שפתיםnach Vorschrift als rechte Beschwichtigung und vollkommener Wandel ( )ותמים דרךals wohlgefällige freiwillige Gabe (( “)כנדבת מנחת רצון1QS IX, 4-5; Übers. J. Maier). Eine übertragene Bedeutung von θυσι' α auf das ethische Verhalten findet sich bei Philo, SpecLeg 1,201: „Der Verstand (νουñ ς) ist ja der sinnlichen Wahrnehmung wie der Mann dem Weibe in jeder Hinsicht überlegen, und er, der selbst fehlerfrei und durch die Weihen der vollkommenen Tugend geläutert ist, stellt das heiligste und Gott ganz und gar wohlgefällige Opfer dar“ (NW II/1, 177); vgl. SpecLeg 1,269-272. 277.290. Nicht-jüdische Belege finden sich z.B. in Isokrates, Or 2,20: „Die Verehrung der Götter verrichte nach dem Beispiele der Voreltern, für das schönste Opfer aber und den höchsten Gottesdienst halte das, wenn du dich so gut und gerecht als möglich beweisest“. Vgl. Hierokles, CarmAur 1,18; CorpHerm 1,31; 13,18-21. ————————————————————
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Wilckens III 4 meint, Opfer seien nicht fähig, „sei es Gottes Zorn abzuwenden, sei es ihm Anerkennung oder Lobpreis zu geben“. Für die heidnischen Opfer gilt dies, nicht jedoch für die im mosaischen Gesetz von Jahwe dem Volk Israel „angebotenen“ und vorgeschriebenen Opfer.
566 Römerbrief ———————————————————————————————————— K. Haacker u.a. führen die „Ethisierung des Gottesdienstgedankens“ zurück auf die philosophische Kritik am heidnischen Kult, die pythagoreische Ablehnung der Opfer und Umdeutung der kultischen Handlungen in philosophische Kategorien, die Entstehung eines reinen Wortgottesdienstes in der Synagoge in der jüdischen Diaspora fern vom Jerusalemer Tempel und das Bestreben der Pharisäer, das Alltagsleben nach kultischen Normen zu gestalten.55 Wichtig ist die Beobachtung, dass in der prophetischen Tradition der Gehorsam gegenüber Gott im Alltag gewichtiger war als kultische Handlungen im Tempel (Hos 6,6), was Jesus aufgenommen hat (Mt 9,13; 12,7). Manche Exegeten gehen davon aus, dass mindestens die Jerusalemer Christen weiterhin im Tempel geopfert haben.56 Viele leiten dies aus der Bemerkung in Apg 3,1 ab: „Petrus und Johannes gingen um die neunte Stunde zum Gebet in den Tempel hinauf“ (EÜ). Die neunte Stunde, d.h. 3 Uhr am Nachmittag, war die Zeit des zweiten der beiden täglichen Tamidopfer (Brandopfer; Ex 29,38-42; Num 28,3-8) sowie des Mincha-Gebets. Die Bedeutung des Tamid lässt sich an der Tatsache ablesen, dass die Priester sich auch während der Eroberung Jerusalems und des Tempelbergs durch Pompeius im Jahr 63 v.Chr. nicht davon abhalten ließen, das Tamid zu opfern, mit dem Resultat, dass viele von ihnen getötet wurden, als sie das Trankopfer spendeten und Weihrauch opferten (Josephus, Bell 1,150; Ant 14,66). Da die Zeit des abendlichen Tamid eine Zeit des Gebets war (Dan 6,10; 9,21) und Lukas Opfer nicht konkret erwähnt, ist die Annahme, dass Petrus und Johannes und andere Judenchristen am zweiten Tamidopfer teilnahmen, nicht plausibel: Für Lukas ist der Tempel für die Jesusbekenner nicht Stätte des Opferns, sondern, wie für Jesus (Lk 19,46-47), Ort der Lehre und des Gebets (Lk 19,46-47; Apg 2,46; 3,11-26; 5,12.21.42).57 Die in Apg 21,22-26 erwähnten Reinigungsopfer im Zusammenhang von Nasiräergelübden zeigen allerdings, dass manche Judenchristen in manchen Situationen Opfer darbrachten.
Paulus beschreibt das Opfer, das Jesusbekenner mit der Hingabe ihres Leibes Gott darbringen, mit drei adjektivischen Wendungen, die für kultische Logik selbstverständlich sind: Geopfert werden lebendige Tiere, ein Opfer ist immer heilig, und ein Opfer soll Gott gefallen. Das Leben der Jesusbekenner ist ein lebendiges Opfer (θυσι'αν ζω ñ σαν [thysian zōsan]). Für diese Formulierung gibt es keine biblischen Vorbilder. Wenn man Ps 50[49],14 zurate zieht, wo in der Formulierung θυσι' αν αι� νε' σεως ([thysian aineseōs], „Opfer des Lobes“) der Genitiv das nomen regens interpretiert (gen. epexegeticus) – das Opfer ist das Lob –, ergibt sich für die paulinische Formulierung, dass das Opfer der lebendige Leib (σω ñ μα) 58 der Jesusbekenner ist. Das Wort „lebendig“ erinnert an die Beschreibung Gottes als der Allmächtige, „der die Toten lebendig macht“ (4,17) und der ————————————————————
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Haacker 301, mit Verweis auf Siegert, Synagoge; zum folgenden Punkt ebd. Witherington, Acts, 173. Schneider, Apostelgeschichte I, 299; Pesch, Apostelgeschichte I, 137. Siegert, Synagoge, 337.350 sieht im pythagoreischen Opferverbot und der Rede vom „unblutigen Altar“ der Gewissensprüfung und des Gebets (vgl. Diogenes Laertius 8,22; Philostratos, VitAp 1,1; Jamblichus, VitPyth 7,35; 11,54) eine „ältere Formulierungshilfe“: „Dieses Opfer wird nicht geschlachtet, sondern bleibt am Leben, denn es sind die Anbetenden selbst“. Diese Charakterisierung erinnert allerdings mehr an Röm 12,1 als an die Beschreibung der pythagoreischen Vorstellungen.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 567 ————————————————————————————————————
Jesusbekenner als Menschen, die in der „Neuheit des Lebens“ wandeln (6,4) und „Lebende für Gott im Messias Jesus“ und „Lebende aus den Toten“ sind, die ihre „Glieder“, d.h. ihren Leib, als „Waffen der Gerechtigkeit für Gott“ zur Verfügung stellen (6,11.13). Die „Neuheit des Lebens“ ist das Leben in der „Neuheit des Geistes“ (7,6), der die Glaubenden bevollmächtigt, der Rechtsforderung des Gesetzes zu entsprechen (8,1-4), weil die Gesinnung des Geistes „Leben und Friede“ ist (8,6) und weil sie als Söhne Gottes „durch den Geist die Machenschaften des Leibes“ töten und deshalb „leben“ (8,13). Als „Söhne des lebendiges Gottes“ (9,26) leben sie, wie von Gott erlöste Sünder leben können und sollen. Ihr Leben ist ein lebendiges Opfer, weil sie – die Heidenchristen – sich von den Götzen zu Gott bekehrt haben und dem lebendigen und wahren Gott dienen (1Thess 1,9) in der Gemeinde, die der Tempel des lebendiges Gottes ist (2Kor 6,16). Das Leben der Jesusbekenner ist ein heiliges Opfer (θυσι'αν … α� γι'αν [thysian … hagian]). Als Menschen, die infolge der Gnade Gottes „berufene Heilige“ (1,7) sind, in deren Herzen Gott durch seinen Heiligen Geist seine Liebe ausgegossen hat (5,5), leben sie als „Sklaven“ des heiligen Gottes und stellen ihre „Glieder“, d.h. ihren Leib, der Gerechtigkeit als Sklaven zur Verfügung zur Heiligung, die die Frucht des Heiligen Geistes ist (6,19.22). Sie sind „heilige“ Zweige am Ölbaum Gottes, dessen Wurzel heilig ist (11,16). Ihr Leben ist ein heiliges Opfer, weil Gott sie reingewaschen, geheiligt und gerechtfertigt hat durch den Messias Jesus und durch den Heiligen Geist (1Kor 6,11) und sie so dem Willen Gottes entsprechen („eure Heiligung“; 1Thess 4,3). Das Leben der Christen ist ein Gott wohlgefälliges Opfer (θυσι'αν … ευ� α' ρεστον τω ñ, θεω ñ, [thysian … euareston tō theō]). Das Adjektiv ευ� α' ρεστος bedeutet „ganz den Erwartungen entsprechend, wohlgefällig“; das Adverb bezeichnet manchmal die Erfüllung einer Aufgabe, die über das Pflichtgemäße hinausgeht, was gleichzeitig etwas über die Einstellung der betreffenden Person gegenüber demjenigen, dem sie verpflichtet ist, aussagt.59 In einem Vertrag über die Pacht und Pflege eines Weingartens sagen die Pächter: „Wir wollen alle saisonalen Arbeiten im Wein- und im Obstgarten sowie in den Rohrpflanzungen fristgerecht und wohlgefällig verrichten“ (P.Oxy. XIV 1631,29-30). Das Adj. wird in den Papyri nur für Gegenstände oder Abstrakta verwendet, häufig für Vieh (P.Mil.Vogl. III 145,23) oder Saatgut (P.Fay. 90,16-17). Paulus verwendet ευ� α' ρεστος in Röm 12,1.1; 14,18; 2Kor 5,9; Eph 5,10; Phil 4,18; Kol 3,20; Tit 2,9; vgl. Hebr 13,21; in der LXX kommt das Adj. nur in Weish 4,10; 9,10 vor; das Verb ευ� αρεστε' ω ist häufiger: Gen 5,22.24; 6,9; 17,1; 24,40; 48,15; Ex 21,8; Ri 10,16; Ps 26[25],3; 35[34],14; 56[55],14; 115[114],9; Sir 44,16. ————————————————————
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Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 327 zu P.Oxy. XIV 1631,29-30. Vgl. W. Foerster, Art. ευ� α' ρεστος, ThWNT I, 456-457; H. Bietenhard, ThBLNT II, 1914-1916.
568 Römerbrief ————————————————————————————————————
Weil Christen die von Gott durch den Messias Jesus veranlasste Befreiung von der Macht der Sünde erfahren haben (6,15-23), sind sie „von Herzen gehorsam“ (6,17), bringen die „Frucht der Heiligung“ (6,22), danken Gott durch den Messias Jesus (7,25), sind als vom Geist Gottes Bevollmächtigte befähigt, Gottes Willen zu tun und können so Gott gefallen (8,7-9), sind als vom Geist Geleitete Söhne und Erben Gottes (8,7-9.14.17) und sind deshalb Gott wohlgefällig. Ihr Leben ist ein Gott wohlgefälliges Opfer, weil sie dem Messias Jesus dienen (14,18).60 Die Satzapposition das ist euer sprechender Gottesdienst (η� λογικη` λατρει'α [hē logikē latreia]) kommentiert die Darbringung des Leibes als Opfer. Das Wort λατρει'α [latreia] bedeutet „Dienst (um Lohn), Arbeit“ im Auftrag eines Übergeordneten, dann „Mühe“ sowie kultischer „Dienst“ im Sinn der „Verehrung“ der Götter.61 Paulus bezeichnet das konkrete Verhalten der Gläubigen im Alltag, das Gott wie ein Opfer hingegeben wird, als Verehrung Gottes. An den Messias Jesus Glaubende – Juden und Heiden – verehren Gott nicht nur in ihren regelmäßigen Versammlungen, in denen sie zu Gott beten und sein Wort lesen und auslegen, sondern auch und gerade in ihrem alltäglichen Handeln, wie V. 2 und der gesamte Abschnitt 12,1–15,13 deutlich machen. Das Wort λογικο' ς [logikos] wird sehr unterschiedlich interpretiert. Die Übersetzungen reichen von einem „vernünftigen“, „wahren“ oder „geistlichen“ bis zu einem „dem Wort gemäßen“ oder „sprechenden“ Gottesdienst. Viele Ausleger gehen von der Bedeutung von λογικο' ς im Sinn von „vernünftig“ aus und interpretieren dann oft im Sinn vom „wahren“ Gottesdienst, manchmal im Sinn einer Entgegensetzung von äußerlichem und innerlichem Gottesdienst.62 Als traditionsgeschichtlicher Hintergrund wird die stoisch-popularphilosophische Polemik gegen das antike Opferwesen angenommen.63 In der stoischen Philosophie wird die Natur als Logos bezeichnet, der ————————————————————
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Eberhart, Kultmetaphorik, 59 betont, dass der Begriff des Opfers im Kontext von 12,3-21 „positive Ausdrucksformen des Lebens“ konnotiert. Zur letzten Bedeutung s. Sophokles, Trach 830; Plutarch, Cons 11.25; QuaestConv 5,1; Def 15 sowie Plato, Apol 23c; Phaedr 244e; Plutarch, Adulat 12; Is 2 und meistens in LXX, z.B. Ex 3,12; 4,23; 7,16.26; Jos 22,27; Ex 12,25.26; 13,5. Vgl. H. Strathmann, Art. λατρευ' ω κτλ., ThWNT IV, 58-66; H. Balz, EWNT II, 848-852; W. Günther / H. Seebass, ThBLNT I, 551-553. Paulus verwendet λατρει' α in Röm 9,4; 12,1; vgl. Joh 16,2; Hebr 9,1.6; das Verb λατρευ' ω in Röm 1,9 (Dienst am Evangelium); 1,25 (heidnischer Götzendienst); Phil 3,3; 2Tim 1,3; vgl. Mt 4,10; Lk 1,74; 2,37; 4,8; Apg 7,7.42; 24,14; 26,7; 27,23; Hebr 8,5; 9,9.14; 10,2; 12,28; 13,10; Offb 7,15; 22,3. Eine „eindeutig heidnische Kultterminologie“ (Klauck, Gemeinde, 353) liegt nicht vor. Calvin 623; Barth 416-417; Schlatter 333; Barrett 231; Käsemann 317; Wilckens III 46.8; vgl. Strack, Terminologie, 297-301; Stettler, Heiligung, 462-465. Lietzmann 108-109; Käsemann 316-317; Cranfield II 602-605; Michel 370; Wilckens III 4-6; Evans, Worship, 17-21; Siegert, Synagoge, 351; s. Wenschkewitz, Spiritualisierung,
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 569 ———————————————————————————————————— auch das Wesen des Göttlichen ist (vgl. Diogenes Laertius 7,88). Der Logos ist gleichzeitig die Kraft der Vernunft, die den Menschen als „rationales Lebewesen“ kennzeichnet (Epiktet 2,9,2: τι' γα' ρ ε� στιν α» νθρωπος; ζω ñ, ον, φησι' , λογικο` ν θνητο' ν). Mit dem Logos haben die Menschen „gleichsam einen Gott in sich“ (ε» χειν γα` ρ ε� ν ε� αυτοιñς οι� ονει` θεο' ν; Diogenes Laertius 7,119). Aus diesem Grund ist die wahre Verehrung der Götter nicht die Darbringung von Opfern, sondern die Verehrung „mit der reinen Vernunft und sittlich gutem, anständigem Vorsatz“ (Seneca, Frag 123, in Lactantius, Inst 6,25,3). In der philosophischen Mystik des Corpus Hermeticum wurde diese Vorstellung ins Transzendente transponiert. Oft wird aus dem Schlussgebet des Traktates Poimandres zitiert: „Heilig ist Gott, der Vater aller Dinge … Heilig bist du, der du über alles Lob erhaben bist. Nimm hin dem Logos gemäße, reine Opfer (λογικα` ς θυσι' ας α� γνα' ς)64 von einer Seele und einem Herzen, die dir entgegengestreckt sind, Unsagbarer, Unaussprechlicher, nur im Schweigen zu Nennender“ (CorpHerm 1,31; Übers. Strecker in NW II/1, 179-180). Die Wendungen λογικη` ν θυσι' αν bzw. λογικα` ς θυσι' ας kommen auch in CorpHerm 13,18.19.21 vor. F. Siegert schlägt „Wortopfer“ als beste Übersetzung vor.65 Manchmal wird als entscheidende Stelle auf TestLev 3,6 verwiesen, wo der himmlische Gottesdienst der Erzengel „im Allerheiligsten, das über aller Heiligkeit ist“, beschrieben wird als „vernünftiges und unblutiges Opfer“ (λογικη` και` α� ναι' μακτος θυσι' α). Philo schreibt in seiner Erklärung zum Weihrauchopfer, das dem blutigen Ganzopfer vorangehen muss: „Dies bezeichnet aber symbolisch nichts anderes als daß Gott nicht auf die Menge der geschlachteten Tiere Wert legt, sondern auf die völlige Reinheit des denkenden Geistes des Opfernden (το` καθαρω' τατον τουñ θυ' οντος πνευñ μα λογικο' ν)“ (SpecLeg 1,277; Übers. I. Heinemann; NW II/1, 178). Da Gott mehr Wert legt auf das „geistige“ Pneuma (πνευñ μα λογικο' ν) denn auf die Fülle des Geopferten (SpecLeg 1,277), ist er weniger interessiert an der Unversehrtheit des Opfertiers als an der Unversehrheit des Denkens (η� δια' νοια ο� λο' λκηρος; SpecLeg 1,283) und der Reinheit des Willens und der Gesinnung (SpecLeg 1,290). Die Belege bei Philo zeigen, dass diese einschlägigen stoisch-popularphilosophischen Vorstellungen in das hellenistische Judentum Eingang gefunden haben, wo man dann ebenfalls das wahre Opfer mit dem materiellen Opfer kontrastiert. Wie viele Ausleger sieht O. Michel in Röm 12,1 eine Antithese zum Tieropfer, die durch die Tradition gegeben ist, und eine Betonung des Einsichtigwerdens, die dem philosophischen Einschlag entspricht, und kommentiert: „Nicht nur das rechtliche, sondern auch das kultische Denken kommt in unserem Brief unter dem eschatologischen Gesichtspunkt zur Entfaltung“.66 V. Gäckle schließt sich der Interpretation von F. Siegert an, der auf den Gottesdienst der Synagoge verweist, der einerseits opferlos und unblutig und andererseits an der Schrift und einem (Kontrast-)Ethos orientiert war.67 Er gesteht zu, dass Siegert die Stelle TestLev 3,6 „überstrapaziert“ und betont, dass λογικη' denselben metaphorischen Sinn hat wie ζω ñ σαν; er verweigert mit dem Satz „was auch immer λογικη' bedeuten mag“ eine genauere Festlegung der Bedeutung bzw. eine Übersetzung – die Wendung λογικη` λατρει' α wird unübersetzt in den zusammenfassenden deutschen Satz aufgenommen. ————————————————————
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49-66; NW II/1, 177-180. Vgl. auch G. Kittel, Art. λογικο' ς, ThWNT IV, 145-147; H.-W. Bartsch, EWNT II, 876-878; W. Günther, ThBLNT I, 552. Holzhausen, Corpus Hermeticum Deutsch I, 22: „in heiligen Worten dargebrachte Opfer“. Vgl. NW II/1, 179 Anm. 3 G. Strecker zur Schwierigkeit, λογικο' ς zu übersetzen. Siegert, Synagoge, 351. Michel 370; ebd. 367 übersetzt er λογικη` λατρει' α mit „dem Wort gemäßer Gottesdienst“, ohne dies im Kommentar zur Stelle zu begründen. Vgl. Käsemann, Gottesdienst, 201. Gäckle, Priestertum, 343-345; vgl. Siegert, Synagoge, 351. Zu der folgenden Beobachtung Gäckle, ebd. 343 Anm. 123 sowie 344.345.
570 Römerbrief ————————————————————————————————————
Paulus, so die oft geäußerte Annahme, hat diese Vorstellungen übernommen: λογικη` λατρει'α ist vernünftiger,68 wahrer69 oder geistiger bzw. geistlicher Gottesdienst.70 Paulus betont gegen die stoische Popularphilosophie und hermetische Mystik, dass der wahre, geistige Gottesdienst in der leiblichen Existenz der Christen stattfindet. Käsemann kommentiert: „Der Gottesdienst der Christen besteht nicht in dem, was an heiligen Stätten, zu heiligen Zeiten und mit heiligen Handlungen praktiziert wird. Er ist Hingabe der leiblichen Existenz in dem sonst profan genannten Raum und, als dauernd gefordert, im Alltag der Welt, wobei jeder Christ zugleich Opfer und Priester ist. Hier wird das allgemeine Priestertum aller Gläubigen proklamiert“.71 Diese Interpretation ergibt durchaus einen Sinn und ist in V. 1 impliziert, wobei dann oft darauf hingewiesen wird, dass man den Kontrast zu einem rituellen Gottesdienst weder überbewerten noch außer Acht lassen sollte.72 Da der Kontext vom Opfer der „Leiber“ (σω' ματα) spricht und da λογικο' ς nicht auf die Bedeutung „vernünftig“, „wahr“, oder „geistig“ festgelegt ist, sondern primär das Bedeutungsfeld Sprache/Sprechen/Wort bezeichnet, wird eine andere Interpretation möglich. Folgende Bemerkungen hinterfragen die skizzierte Herleitung von λογικη` λατρει' α: 1. Die Formulierung λογικη` λατρει' α ist vor Paulus nirgends belegt, und auch die nachpaulinischen Belege sind spärlich: Irenäus, Fragmenta deperditorum operum 36; Athenagoras, Legatio 13,4; Origenes, Comm Rom 12,2; Comm Ioh 13,25,148; Selecta in Ez 13,785,44; Fragmenta in Luc 123,4. Sowohl die Irenäus-Stelle als auch Origenes Röm.-Kommentar sind Zitate aus Röm 12,2.73 2. Nur fünf der knapp 750 Belege in der griech. Literatur vor 100 n.Chr. verwenden λογικο' ς in direktem Zusammenhang mit der Vorstellung vom eigentlichen Opfer im Unterschied zum materiellen Opfer: TestLev 3,6; Philo, SpecLeg 1,277; CorpHerm 1,31; 13,18.21. Da die Stellen aus dem Corpus Hermeticum, das nachpaulinisch im 1.–3. Jh. n.Chr. entstand und im 10./11. Jh. von byzantischen Gelehrten zusammengestellt wurde,74 ————————————————————
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Cranfield II 604-605; Stuhlmacher 167-168; Dunn II 711-712; Fitzmyer 640; Jewett 730; Evans, Worship, 19; Betz, Grundlagen, 212; Siegert, Synagoge, 351; Kooten, Paul’s Anthropology, 389-390; Kooten, Man, 129-131. Wilckens III 6; Moo 752-754. Barrett 231; Käsemann 313; Schlier 357; Lohse 336; G. Kittel, Art. ThWNT IV, 146 („Spiritualisierung des Kultischen“); Wenschkewitz, Spiritualisierung, 127; Klinzing, Umdeutung, 216-217; Ortkemper, Leben, 27; vgl. Strack, Terminologie, 297-298.362: λογικη` λατρει' α hat die Bedeutung von πνευματικο' ς; Stettler, Heiligung, 465: Paulus meint „den geistgewirkten Gottesdienst der Welt“. Diese Bedeutung ist philologisch nicht belegt; Gäckle, Priestertum, 343. Gegen eine spiritualisierende Deutung H. Balz, EWNT II, 852; H.-W. Bartsch, EWNT II, 877; jetzt auch Haacker 302. Käsemann 317, mit Verweis auf Schlatter 333; vgl. Käsemann, Gottesdienst, 201. Cranfield 604-605; Käsemann 317; Dunn II 711. Reichert, Gottesdienst, 88-89; der folgende Punkt ebd. Vgl. J. Holzhausen, Art. Corpus Hermeticum, DNP III, 203-207; F. Graf, Art. Hermetische Schriften, DNP V, 434-435; vgl. Holzhausen, Corpus Hermeticum Deutsch.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 571 ———————————————————————————————————— spät sind, bleiben nur zwei Belege übrig, von denen TestLev 3,6 wegen der (fehlenden) hebr. Urfassung und wegen der christlichen Überarbeitung der TestXIIPatr in seiner Aussagekraft eingeschränkt ist.75 3. Das Wort λογικο' ς hat in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen. In LSJ s.v. λογικο' ς76 werden folgende Bedeutungen genannt: I. vom Reden oder Sprechen (η� λογικη' bedeutet in Plutarch, Coriol 38,2 „Sprache“), von der Beredtsamkeit, passend für Prosa; II. im Besitz von Vernunft, vernünftig, intellektuell, argumentativ, als Substantiv „Logik“ (η� λογικη' ). Es gibt keinen zwingenden Grund, für die Wendung λογικη` λατρει' α in Röm 12,1 die zweite Wortbedeutung vorauszusetzen, was z.B. Cranfield im Sinn einer Prämisse tut.77 Da λογικο' ς keinem bestimmten Vorstellungszusammenhang zugewiesen werden kann und die Formulierung λογικη` λατρει' α vor Paulus nicht belegt ist, legt sich der Schluss nahe, dass die Wendung λογικη` λατρει' α wahrscheinlich eine paulinische Bildung ist.78 Da Paulus das Wort λο' γος fast immer in einem mit den Begriffen Sprache, Sprechen und Wort verbundenen Sinn verwendet,79 ist es ratsam, eine Deutung zu finden, die λογικο' ς in Röm 12,1 in diesem Sinn versteht. Folgende Überlegungen sind relevant: 1. Die einzige ntl. Stelle, in der λογικο' ς vorkommt, ist 1Petr 2,2. Im Kontext spricht Petrus von der Wiedergeburt, die durch das lebendige und bleibende Wort Gottes (δια` λο' γου ζω ñ ντος θεουñ και` με' νοντος) bewirkt wurde (1,23), wobei das Wort des Herrn, das in Ewigkeit bleibt, das den Jesusbekennern verkündigte Evangelium ist (1,25). Die Bezeichnung der Christen als „neugeborene Kinder“ in 2,2 nimmt den Hinweis auf ihre „Wiedergeburt“ in 1,23 auf, mit der Konsequenz, dass το` λογικο` ν α» δολον γα' λα [to logikon adolon gala]80 auf den λο' γος, der ihre Wiedergeburt bewirkte, d.h. den λο' γος der Evangeliumsverkündigung, zu beziehen ist; d.h. το` λογικο` ν γα' λα ist mit „dem Wort gemäße Milch“, „zum Wort gehörige Milch“ oder „Milch des Wortes“ zu übersetzen.81 2. Die Bedeutung von λογικο' ς im Sinn von Sprache/Sprechen/Wort ist nicht nur in griech.-hellenistischen Texten belegt (Plutarch, Coriol 38,2; Marc 14,5; Dionysius v. Halicarnassus, CompVerb 11; Dem 24; Imitat 31,6; Diodorus Siculus 26,1; Theon, Progymnasmata 97.11-13.16; 98,21; 99,4; 101,24.30; 102,8: technische Verwendung von λογικο' ς zur Bezeichnung der Teilgattung der Chreia, die auf ein Wort [und nicht auf eine Handlung oder eine Mischung von beiden] zielt; siehe oben die erste in LSJ genannte Bedeutung), sondern auch in jüdischen Texten, so bei Philo, VitMos 1,84; Som 1,106; Praem 2. ————————————————————
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Vgl. Hollander / de Jonge, Commentary, 138 zu TestLev 3,6, die auf verwandte Formulierungen in christlichen Texten verweisen. Bauer/Aland s.v. λογικο' ς gibt die Bedeutungsbreite nur sehr eingeschränkt wieder. Cranfield II 605 Anm. 1. Evans, Worship, 23; Reichert, Gottesdienst, 90; für die folgende Argumentation ebd. 9094; Reichert, Abfassungsproblematik, 240-246. Paulus verwendet das Wort λο' γος 84 Mal, im Röm in 3,4; 9,6.9.28; 13,9; 14,12; 15,18; in 1Kor kommt λο' γος 17 Mal vor: 1Kor 1,5.17.18; 2,1.4(2x).13; 4,19.20; 12,8(2x); 14,9.19(2x).36; 15,2.54. Ausnahmen im Blick auf die Bedeutung von λο' γος im Sinn von Sprache/Sprechen/Wort sind Röm 14,12; Phil 4,15.17; Bauer/Aland s.v. λο' γος 2a.β. Die dt. Übersetzungen geben λογικο' ς meistens mit „geistig“ (EÜ) oder „vernünftig“ (Elb.Ü, LÜ, ZÜ) wieder. Vgl. Goppelt, Petrusbrief, 136 Anm. 47, der die Metapher dann im Kontext mit dem „Wort“ der Verkündigung identifiziert. Brox, Petrusbrief, 92; Achtemeier, 1 Peter, 143.146; Elliott, 1 Peter, 394.400-401; Feldmeier, Petrus, 83 („Milch des Wortes [Gottes]“).84 („Wortmilch“); Reichert, Gottesdienst, 91 („sprechende Milch“). Vgl. Elb.Ü Anm.: „wortgemäß“, „Milch des Wortes“; GN: „Wie neugeborene Kinder nach Milch schreien, so sollt ihr nach dem unverfälschten Wort Gottes verlangen“; NGÜ „sollt ihr auf Gottes Wort begierig sein, auf diese unverfälschte Milch“, mit Anm.: λογικο' ς wird mit dem Wort Gottes gleichgesetzt.
572 Römerbrief ———————————————————————————————————— Aus diesen Belegen ergibt sich, dass λογικο' ς in Rom 12,1 durchaus und plausibel auf „Wort“ oder „Sprache“ bezogen werden kann. 3. Die Kritik, dass bei dieser Interpretation „ein völlig singulärer Wortgebrauch“ vorliege,82 trifft nicht, da die Wendung λογικη` λατρει' α selbst singulär ist; eine Anspielung auf eine geprägte Formel liegt gerade nicht vor.
In diesem Sinn übersetzt O. Michel λογικη` λατρει'α mit „dem Wort gemäßer Gottesdienst“; er denkt offensichtlich an die Verbindung von λογικο' ς mit dem verkündigten „Wort“ des Evangeliums.83 A. Reichert hat das Verständnis von λογικο' ς im Sinn von Wort/Sprache/Sprechen begründet.84 Ihre Übersetzung von λογικη` λατρει'α mit „sprechender Gottesdienst“ formuliert im Anschluss an die metaphorische Bedeutung von „Opfer“ mit einer weiteren Metapher,85 was konsequent und plausibel zugleich ist. 1. Die Interpretation von λογικο' ς im Sinn von Wort/Sprache/ Sprechen und von λογικη` λατρει'α im Sinn von „sprechender Gottesdienst“ knüpft an die Ermahnung an, dass Jesusbekenner ihre „Leiber“ Gott als Opfer darbringen sollen. Die Übereignung der Leiber im Alltag im Vollzug eines heiligen, Gott wohlgefälligen Verhaltens kann nicht verborgen bleiben: Ihr Leben als Einzelne und als Gemeinde vollzieht sich als kommunikativer Gottesdienst, den Außenstehende wahrnehmen. Wie σω' μα immer auf „Kommunikation“ mit der Welt angelegt ist, so ist der Lebensvollzug der Jesusbekenner in ihren σω' ματα der Welt zugewandte Kommunikation. 2. Die Interpretation im Sinn von „sprechender Gottesdienst“ knüpft an den Hinweis auf die „Erbarmungen Gottes“ in V. 1a an, die der Ermahnung, die Leiber Gott als Opfer darzubringen, Autorität verleihen. Da Jesusbekenner das gnädige Erbarmen Gottes in ihrem eigenen Leben erfahren haben, ist die Selbstübereignung ihrer Leiber insofern ein kommunikativer Gottesdienst, als sie die Erbarmungen Gottes der Welt vorleben, weil Gottes Erbarmen alle, Juden und Heiden, erreichen will (11,32). Das Leben der Jesusbekenner ist „sprechender Gottesdienst“ im Alltag der Welt, „die wahrnehmbare Außenseite der Gemeinde, die von Gottes Erbarmen überwunden und geprägt ist und die für dessen Tendenz auf ‚weiteren Raumgewinn in der Welt‘ in Anspruch genommen wird.“86 ————————————————————
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Gäckle, Priestertum, 343, gegen A. Reichert und M. Vahrenhorst. Michel 367; vgl. Wick, Gottesdienste, 182; Vahrenhorst, Kultische Sprache, 302-303; auch Siegert, Synagoge, 351; Kellermann, Achtzehn-Bitten-Gebet, 92; vgl. H.-W. Bartsch, EWNT II, 877. Reichert, Gottesdienst, 93 Anm. 67 stellt im Blick auf Michel fest, dass dieser das offenbarungsgemäße Wesen der λατρει' α impliziere, während sie die kommunikative Kraft der λατρει' α betone. Reichert, Abfassungsproblematik, 244-247; Reichert, Gottesdienst, 88-94; ebd. für die folgende Begründung in drei Punkten. Es ist nicht λατρει' α selbst, die spricht, sondern in der λατρει' α sprechen Menschen. Reichert, Gottesdienst, 94, mit Zitat von Klein, Friede, 340. Vahrenhorst, Kultische Spra-
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 573 ————————————————————————————————————
3. Das Verständnis im Sinn von „sprechender Gottesdienst“ stellt einen Zusammenhang mit der erst negativen, dann positiven Aufforderung in V. 2 her: Die Weigerung, sich von den Maßstäben der gegenwärtigen Welt beherrschen zu lassen und die wachsende Wirklichkeit der Erneuerung ihres Denkens (νουñ ς) beschreiben die Besonderheit des zur Welt sprechenden „kommunikativen Gottesdienstes“, als den Paulus das Verhalten der Jesusbekenner im Alltag beschreibt. 4. Diese Interpretation kann schließlich auch auf 1,9 bezogen werden, wo Paulus den Dienst seiner weltweiten Evangeliumsverkündigung, zu der Gott ihn beauftragt hat, als Gottesdienst (ο� θεο' ς, ω ð, λατρευ' ω ε� ν τω ñ, πνευ' ματι' μου ε� ν τω ñ, ευ� αγγελι'ω, ) beschreibt. 2 Nach der Ermahnung zur Darbringung der Leiber als Gott wohlgefälliges Opfer in V. 1 ruft Paulus mit zwei Imperativen zur Kritik der Verhaltensmaßstäbe der säkularen Welt (V. 2a) und zur Verwandlung aufgrund der Erneuerung des Denkens (V. 2b) auf. Der mit richtet euch nicht nach den Maßstäben (μη` συσχηματι'ζεσθε [mē syschēmatizesthe]; V. 2a)87 übersetzte negierte Imperativ fordert die Jesusbekenner auf, nicht die Gestalt (σχηñ μα [schēma]) der Erscheinung (μορφη' [morphē]) der Welt anzunehmen, d.h. ihr alltägliches Leben nicht nach der Welt zu gestalten, sich der Welt gegenüber nicht konform zu verhalten. Die Vorsilbe συν- [syn-] verweist auf den Maßstab der Konformität, vor der gewarnt wird, d.h. auf die gegenwärtige Welt (τω ñ, αι� ω ñ νι του' τω, [tō aiōni toutō]), in der die Macht der Sünde den Menschen zum Handeln zwingt. Paulus verwendet die Wendung „die gegenwärtige Welt“ (ο� αι� ω` ν ουð τος [ho aiōn houtos]) mehrfach,88 analog zur jüdischen Eschatologie, die zwischen „diese Welt“ und „die kommende Welt“ unterschied.89 Diese Unterscheidung findet man in der Lehre Jesu.90 Das ————————————————————
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che, 299-303 schließt sich Reicherts Ergebnissen im Wesentlichen an, will λογικο' ς jedoch stärker an λο' γος im Sinn des Wortes Gottes binden, von dem Paulus im Röm und an anderen Stellen spricht („botschaftsgemäßer“ bzw. „wortgemäßer“ Gottesdienst, ebd. 303). In 12,1 geht es allerdings nicht um das Sprechen Gottes durch sein Wort, sondern um das „Sprechen“ des Lebens der Jesusbekenner, die im Vollzug des Alltagslebens ihre Leiber Gott als Opfer darbringen. Bauer/Aland s.v. συσχηματι' ζω „nach etw. gestalten“, passiv „die gleiche Gestalt annehmen, sich (im Wesen) anpassen“ (mit dem Dat. dessen, dem man sich anpasst). LSJ s.v. verweist für die Passivform auf Plutarch, Mor 100F (VirtVit 2); Röm 12,2; 1Petr 1,14; in der Astronomie bedeutet das Verb „an der ähnlichen Stelle sich befindend“ (Ptolemaios, Phas 12H; Tetr 34; Sextus Empiricus 5,33; Vettius Valens 42,22. Das Verb ist selten; es ist weder in LXX noch in Papyri oder Inschriften bezeugt. H. Balz, EWNT III, 752 und D. Sänger, ThBLNT I, 766 kommentieren nur Röm 12,2; 1Petr 1,14. 1Kor 1,20; 2,6.8; 3,18; 2Kor 4,4; Eph 1,21; vgl. Gal 1,4; 1Kor 3,19; 5,10; 7,31; Eph 2,7. 4Esra 6,9; 7,12-13.50.113; 8,1; syrApkBar 14,13; 15,8; 44,11-15; äthHen 48,7; 71,15; mAb 2,7 (Hillel); GenR 44 (Jochanan b. Zakkai). Vgl. H. Sasse, ThWNT I, 204-207.
574 Römerbrief ———————————————————————————————————— Schema der jüd. Vorstellung wird insofern durchbrochen, als nach urchristlicher Überzeugung die „kommende“ bzw. „zukünftige Welt“ nicht mehr nur in der Zukunft liegt, sondern in der Gegenwart Wirklichkeit wird: Die Jesusbekenner wurden durch Gottes Heilshandeln im Messias Jesus „aus der gegenwärtigen bösen Welt“ befreit (Gal 1,4), weil mit der Auferstehung Jesu die neue Schöpfung (2Kor 5,17; Gal 6,15), d.h. die neue Weltzeit, bereits angebrochen ist (1Kor 15,20.23). Die Gestalt dieser Welt (το` σχηñ μα τουñ κο' σμου του' του) vergeht (1Kor 7,31), und Jesusbekenner, die auf die Wiederkunft Jesu warten, leben im Wissen um die Tatsache, dass die Zeit zusammengedrängt, eingeschränkt ist (ο� καιρο` ς συνεσταλμε' νος ε� στι' ν; 1Kor 7,29) und dass die Weisheit dieser Weltzeit (σοφι' α τουñ αι� ω ñ νος του' του) und die Herrscher dieser Weltzeit (οι� α» ρχοντες τουñ αι� ω ñ νος του' του) zunichte werden (καταργουμε' νων; 1Kor 2,6), auch wenn die Gott feindlich gegenüberstehende Macht glaubt, „Gott dieser Weltzeit“ (ο� θεο` ς τουñ αι� ω ñ νος του' του) zu sein, weil es ihr gelungen ist, das Denken der Ungläubigen (τα` νοη' ματα τω ñ ν α� πι' στων) zu verblenden (2Kor 4,4). Jesusbekenner haben erfahren, dass der Messias Jesus, der Kyrios ist, sich für ihre Sünden dahingegeben und sie aus der gegenwärtigen bösen Welt befreit hat (ε� ξε' ληται η� μαñ ς ε� κ τουñ αι� ω ñ νος τουñ ε� νεστω ñ τος πονηρουñ ; Gal 1,4). H. Schlier kommentiert: „Diesem bösen, übermächtigen, unentrinnbaren und doch vergehenden Äon und seinem Treiben werdet nicht konform, mahnt der Apostel, und läßt schon ahnen, was in diesem Äon das Opfer bedeutet“.91
Paulus formuliert den negierten Imperativ im Passiv, um die Macht „dieser Welt“ anzudeuten, die das Wesen der gegen Gott rebellierenden Welt und das Verhalten der in dieser Welt lebenden Menschen (vgl. 1,18-32) auch auf die Jesusbekenner ausüben. Die Präsensform unterstreicht, dass die Aufforderung, sich nicht dem Verhalten der säkularen Welt anzupassen, ständig und damit immer wieder neu gilt.92 Weil „die Gestalt dieser Welt“ (το` σχηñ μα τουñ κο' σμου του' του) vergeht (1Kor 7,31), können die Werte und Verhaltensweisen dieser Welt nicht mehr Maßstab für die Werte und das Verhalten der Jesusbekenner sein. Das sich der Gleichschaltung mit der Welt entziehende Verhalten der Christen wird mit dem Satz V. 2b angezeigt, der mit dem Imperativ lasst euch verwandeln (μεταμορφουñ σθε [metamorphousthe]) eingeleitet wird. Dieses häufigere Verb,93 das als Synonym von συσχηματι'ζω zu betrachten ist,94 bedeutet wörtlich „in eine andere Form (μορφη' [morphē]) bringen“. Paulus spricht nicht nur von einem neuen Selbstverständnis, sondern kon————————————————————
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Mt 12,32; Mk 10,30 / Lk 18,30; Lk 20,34-35. Schlier 359. HvS §212e: Der Imperativ Präsens beschreibt eine Aufforderung, mit der bereits begonnenen Handlung fortzufahren (negiert: mit der Handlung aufzuhören) bzw. eine Aufforderung, eine Handlung ständig oder wiederholt zu tun (negiert: niemals zu tun). Im NT in Mt 17,2 / Mk 9,2 (Verklärung Jesu als äußerlich sichtbare Umgestaltung); Röm 12,2; 2Kor 3,18; in der LXX ist das Verb nicht belegt. Vgl. J. Behm, Art. μεταμορφο' ω, ThWNT IV, 262-267; J. M. Nützel, EWNT II, 1021-1022; D. Sänger, Art. μορφη' κτλ., ThBLNT I, 760-764. Vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 293: in Pap.Graec.Mag. II 13,7071 (346 n.Chr.) vom Urgott, der fähig sei, sich in alle Gestalten zu verwandeln. So jetzt die meisten Ausleger; s. Buchegger, Erneuerung, 156-163 zu den beiden Verben.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 575 ————————————————————————————————————
kret vom Existenzwandel.95 Jesusbekenner richten sich nicht nach den Maßstäben der säkularen Welt, sondern nach dem Willen Gottes. Statt Anpassung ereignet sich Verwandlung. Das Passiv des Verbs verweist auf Gott, der die Verwandlung der Werte und des Verhaltens der Gläubigen verursacht (pass. divinum). Die Imperativform markiert die „Bereitschaft und Mitwirkung“ des Christen.96 Die Präsensform unterstreicht, dass die von Gott verursachte und ermöglichte Verwandlung ein dauerhaftes Geschehen ist, das mit der Bekehrung begonnen hat und erst mit der „Erlösung unseres Leibes“ (8,23) bei der Wiederkunft Jesu beendet sein wird. Während es an anderen Stellen um die Verwandlung bei der Auferstehung der Toten geht,97 spricht Paulus hier von einer Verwandlung, die seit der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus im Gang ist, ermöglicht durch die Kraft des Heiligen Geistes (vgl. 8,23; 2Kor 3,17-18; 4,16–5,5; Phil 3,10-11). Man kann deshalb μεταμορφουñ σθε als verstärktes μετανοειñτε ([metanoeite], „tut Buße, kehrt um“) verstehen,98 wobei die Umkehr nicht wie im Judentum die von Gott gewährte und erbetene Umkehr zur Tora ist, sondern die Umkehr zum Willen Gottes. In der 5. Benediktion des Achtzehn-Bitten-Gebets (Schemone Esre) beten Juden in der babylonischen Version: „Führe uns zurück, unser Vater, zu deiner Tora, lass uns nahen, unser König, zu deinem Dienst. Lass uns umkehren in vollkommener Umkehr vor dein Angesicht. Gepriesen seist du, HERR, der Wohlgefallen an (der) Umkehr hat“. In der palästinischen Version ist die Umkehr zu Gott implizit, analog zu Deut 30,2-3, ebenfalls Umkehr zur Tora: „Führe uns zurück, HERR, Vater, zu dir, dass wir umkehren. Erneuere unsere Tage wie zuvor. Gepriesen seist du, HERR, der Wohlgefallen an (der) Umkehr hat“.99 Der Beter bittet Gott um das Geschenk der Umkehr zur Tora, wobei die mehrfache Formulierung der Bitte zeigt, dass gerade der Fromme, der weiß, dass er umkehren muss, sich der Tatsache bewusst ist, dass er der Forderung Gottes mit eigenen Kräften nicht entsprechen kann. Die Möglichkeit und die Wirklichkeit der Umkehr sind Geschenk Gottes. In bNed 39b werden die Tora und die Umkehr als erste der sieben vor der Schöpfung existierenden Gegebenheiten erwähnt. Die in der Wendung „zu deinem Dienst“ formulierte Variation der Umkehrbitte beschreibt im Kontext von Deut 11,13; 1Sam 12,14.20.24; Mal 3,14-18 einerseits den uneingeschränkten Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes – der Fromme bittet, dass Gott ihm die Möglichkeit eines gehorsamen Lebens unter Gottes Herrschaft gewährt. Die Umkehr zum Gehorsam gegenüber Gott soll „vollkommen“ sein, d.h. mit ungeteiltem Herzen erfol————————————————————
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Sänger, ThBLNT I, 762-763. Kooten, Paul’s Anthropology, 398-390 betont, dass das Wesen der „Metamorphose“ ethischer Natur ist; vgl. Kooten, Man, 131. J. M. Nützel, EWNT II, 1021. 1Kor 15,51-53 (α� λλαγησο' μεθα); Phil 3,21 (μετασχηματι' σει); vgl. Dan 12,3; Mk 12,25; in der jüd.-apokalyptischen Tradition äthHen 104,6; 4Esra 7,97; syrApkBar 51,5. Lietzmann 109, aufgegriffen von Dunn II 713. Zur Umkehr bei Paulus vgl. Schnabel, Repentance, 156-186. Kellermann, Achtzehn-Bitten-Gebet, 86. Zur Umkehr im Judentum vgl. L. Jacobs, Art. Buße III. Judentum, TRE VII, 439-442. Zum Folgenden Kellermann, ebd. 87-92, Zitat 92.
576 Römerbrief ———————————————————————————————————— gen (vgl. Deut 6,4-5; 1Chron 29,10; 2Kön 23,25). Andererseits beschreibt das „Dienen“ vor Gott die kultische Verehrung Gottes, d.h. den Zutritt zum Heiligtum und die Teilnahme am Gottesdienst (vgl. Ex 7,26; 8,16; 9,1.13; Ps 22,31; 95,2; 100,2-4; 102,23; Hes 20,40; 44,1516 u.a.), worauf auch das Stichwort „Wohlgefallen“ verweist. Im Diasporajudentum und im Judentum nach der Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. gilt, besonders deutlich in der babylonischen Version der 5. Benediktion, die Umkehr zum Gesetzesgehorsam als Ersatz für die Darbringung des Opfers im Tempel. Kellermann vergleicht mit Röm 12,1-2, wo vom Wohlgefallen Gottes, vom Gottesdienst, von Gottes Willen und vom Vollkommenen die Rede ist, wobei allerdings in der 5. Benediktion „die Kultisierung der Spiritualität mehr als zeitbedingter Ersatz für den Tempelkult“ dient, „während Paulus diesen durch den Gottesdienst der Leiber grundsätzlich abgelöst wissen will“. Ähnlich F. Siegert: mit den Aussagen in V. 1-2 ist „eine ethische Neuinterpretation, ja auch eine Neufassung der Tora“ gegeben. 100
Zu beachten ist auch, dass Paulus im Zusammenhang mit der Aufforderung, sich nicht dieser Welt anzupassen, die Jesusbekenner nicht dazu aufruft, die Welt zu verändern – er ruft sie auf, sich selbst durch die Macht Gottes und seines Geistes verwandeln zu lassen.101 Viele verweisen auf die Taufe. Wilckens schreibt: „Diese Verwandlung und Erneuerung bestimmt von der Taufe her das ganze christliche Leben“.102 Merk formuliert kategorisch: „Diese Erneuerung ist geschehen in der Taufe“. Käsemann spricht von der „Verwandlung, die im Zusammenhang der Taufparänese den Wechsel vom alten zum neuen Äon kennzeichnet“; Sänger betont: „Weil ihr ganzes Leben von der Taufe her verwandelt und erneuert worden ist“. Besser Nützel: Paulus spricht nicht von einer einmaligen Neuausrichtung „etwa bei der Annahme des Glaubens und ihrer Besiegelung in der Taufe“. Schon die iterativen Imperative sprechen dagegen, an den einmaligen Akt der Taufe zu denken.103 Buchegger: Paulus setzt die Taufe voraus, aber „im Vordergrund steht das andauernde Wirken des Heiligen Geistes im Leben des Christen nach der Taufe“.104 Paulus spricht wie in Röm 6 von der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus. Dass in der Verkündigung, die der Taufe vorausging oder diese begleitete, von der notwendigen, von Gott ermöglichten Verwandlung des Denkens und des Verhaltens die Rede war, ist selbstverständlich plausibel. Gegen mystische Vorstellungen der Metamorphose von Menschen ist festzuhalten, dass die von Paulus angesprochene Verwandlung in das Ebenbild des Messias Jesus (8,29; 2Kor 3,18) „Neugewinnung der schöpfungsmäßigen Gottesebenbildlichkeit des Menschen“ ist und „den charakteristisch biblischen Abstand zwischen Mensch und Gott wahrt“.105 Die Betonung der Verantwortung der Jesusbekenner, die der Imperativ beinhaltet, ist nicht wirklich adäquat mit der Devise „werdet, was ihr seid“ oder „wollt sein, was ihr seid“106 beschrieben, weil diese die Spannung zwischen dem Schon und Noch-Nicht genauso wenig zum Aus————————————————————
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Siegert, Synagoge, 348. Schlier 360, der kommentiert: „Wie sollte man auch die Weltverhältnisse wandeln können, wenn man nicht selbst verwandelt ist?“ Wilckens III 7; die folgenden Zitate bei Merk, Handeln, 158; Käsemann 317; Sänger, ThBLNT I, 763; Nützel, EWNT II, 1022; vgl. J. Baumgarten, Art. καινο' ς, EWNT II, 571. Vgl. Strüder, Gesinnung, 219-220. Buchegger, Erneuerung, 165; ebd. 177: Erneuert wird „der dem Glaubenden bereits gegebene ‚neue νουñ ς‘ … Die Erneuerung geschieht am bereits ‚neuen Menschen‘.“ J. Behm, ThWNT IV, 266. Schlier 360 bzw. Behm, ThWNT IV, 267. Kritisch zu Recht Dunn II 713.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 577 ———————————————————————————————————— druck bringt wie die Tatsache, dass die Verwandlung des Christen nicht nahtlos in die Auferstehungsexistenz übergeht, sondern vor der Auferstehung, die eine qualitativ vollkommen neue Wirklichkeit darstellt und einleitet, immer unabgeschlossen bleiben wird.
Die Verwandlung findet durch die Erneuerung eures Denkens (τηñ, α� νακαινω' σει τουñ νοο' ς [tē anakainōsei tou noos]; dat. instrumenti) statt. Die durch Gott selbst (Passiv) und seinen Geist (7,6; 8,2.4-9.13-15) verursachte und ermöglichte Verwandlung ist zunächst eine innere Veränderung, die sich dann in konkretem, wahrnehmbarem Verhalten auswirkt. Das Kompositum α� νακαι'νωσις begegnet zuerst bei Paulus,107 hier und in Tit 3,5, wo es parallel zu παλιγγενεσι' α ([palingenesia], „Wiedergeburt“) steht und die Wirkung des Heiligen Geistes als Quelle der „Waschung“ beschreibt, die bei der Rettung der Sünden im glaubenden Anschluss an Jesus Christus stattfindet und einen neuen Anfang108 und Erneuerung bewirkt. Paulus beschreibt, wovon er in 6,4 gesprochen hatte: Die Verbindung der Jesusbekenner mit dem Tod des Messias Jesus bedeutet eine Verbindung mit seiner Auferstehung, mit der Konsequenz, dass ihre Existenzweise von der „Neuheit des Lebens“ (καινο' της ζωηñ ς) gekennzeichnet ist. Die Erneuerung des νουñ ς [nous]109 ist die Erneuerung des Denkens und Wollens. Die Bedeutungsbreite von νουñ ς110 in V. 2b lässt sich im Zusammenhang von V. 2c sowie paulinischer Stellen wie 1,28; 11,34; 14,22; 1Kor 1,10; 1Thess 2,4 konkret bestimmen als „Denken“ im Sinn von „Urteilen“, d.h. als Fähigkeit der Beurteilung von ethischen Handlungsmöglichkeiten, eine Fähigkeit, die nicht als anthropologische Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird, sondern die Resultat ist der Erbarmungen Gottes (V. 1) und der Schöpfermacht Gottes (pass. divina in V. 2), die den Jesusbekenner im Zusammen————————————————————
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Wie auch das Verb α� νακαινο' ω zuerst bei Paulus begegnet; vgl. 2Kor 4,16; Kol 3,10, in einem ähnlichen Kontext; bei nichtchristlichen Autoren findet sich das Verb erst in byzantinischer Zeit. Vgl. J. Behm, α� νακαι' νωσις, ThWNT III, 455; es geht allerdings nicht darum, dass die Christen durch die Erneuerung ihres Denkens „beweisen, daß sie dem neuen Aeon angehören“. Vgl. Buchegger, Erneuerung, 170-171. παλιγγενεσι' α ist ein aus πα' λιν („wiederum“) und γε' νεσις („Werden, Entstehen“) zusammengesetzes Nomen (d.h. ist nicht aus γεννα' ω, „zeugen, gebären“ abzuleiten); vgl. J. Büchsel, παλιγγενεσι' α, ThWNT I, 685: das Wort bedeutet „Wiederentstehung“ im Sinn von „Rückkehr zum Dasein, Wiederkehr aus dem Tode zum Leben“ bzw. „Erneuerung zu einem höheren Sosein, Wiedergeburt“; vgl. P. Trummer, EWNT III, 18. Vgl. Knight, Pastoral Epistles, 343-344; Marshall, Pastoral Epistles, 321. Vgl. 1,28; 7,23.25; 11,34; 12,2; 14,5 sowie 1Kor 1,10; 2,16; 14,14.15.19; Eph 4,17.23; Phil 4,7; Kol 2,18; 2Thess 2,2; 1Tim 6,5; 2Tim 3,8; Tit 1,15; sonst im NT nur noch in Offb 13,18; 17,9. J. Behm, Art. νουñ ς, ThWNT IV, 950-950; A. Sand, EWNT II, 1174-1177; T. Söding, ThBLNT I, 267-276; Jewett, Terms, 3588-390; Buchegger, Erneuerung, 175; Strüder, Gesinnung, 205-230.
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hang der stetigen Erneuerung des νουñ ς in die Lage versetzt, Einsicht zu haben in den Willen Gottes und rechte Entscheidungen zu treffen, die nach 11,34 den Sinn des Kyrios (νουñ ς κυρι'ου) zwar nicht ausloten können, aber nach 1Kor 2,16 den „Sinn“ bzw. die „Gedanken“ des Messias Jesus (νουñ ς Χριστουñ ) haben.111 Die sich stets erneuernde Entscheidungsfähigkeit des Jesusbekenners ist und bleibt an den Willen Gottes und an Jesus Christus gebunden. Das neue Denken begründet weder „eine esoterische Wahrheit noch gar eine neue Logik, „wohl aber neue Wertmaßstäbe, neue Einsichten in die (von Gott geschaffene) Wirklichkeit, neue Motive zur Realisierung des als gut und richtig Erkannten“.112 Der folgende Abschnitt zeigt, dass die Urteilsfähigkeit des erneuerten Denkens nicht im Sinn einer individualistischen Engführung primär oder gar ausschließlich auf den einzelnen Christen bezogen werden darf, sondern als Prozess innerhalb der Gemeinde der Jesusbekenner zu lokalisieren ist. Das Ziel113 der Erneuerung des Denkens wird in V. 12c genannt. Das Verb δοκιμα' ζειν [(dokimazein]; s. zu 1,28) bedeutet prüfen im Sinn von „etwas abwägend untersuchen, um seine Echtheit oder Nützlichkeit zu bestimmen“, sodann, im Hinblick auf das Ergebnis der Prüfung, „als erprobt annehmen, bewährt finden, nach Prüfung beschließen, für geeignet halten, für gut befinden, für richtig halten“.114 Die Bedeutung des Verbs entspricht dem Verb διακρι'νω ([diakrinō], „beurteilen“) in 2,18 und 1Kor 14,29 (vgl. 1Kor 2,13-15; 12,10). Die Beurteilungs- und Entscheidungsfähigkeit des von Gott erneuerten und immer wieder zu erneuernden Denkens betrifft den Willen Gottes (το` θε' λημα τουñ θεουñ [to thelēma tou theou]).115 Heidnische Polytheisten haben nach 1,28 ein „unbrauchbares Denken“ (α� δο' κιμος νουñ ς [adokimos nous]) und benötigen deshalb ein von Gott erneuertes Denken: Ihr Fehlverhalten (1,29-30) ist die Konsequenz ihrer Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit ihrer Unterdrückung der Wahrheit über Gott (1,18) und hängt damit zusammen, dass sie unverständig, unbeständig, lieblos und erbarmungslos sind und die Rechtssetzung Gottes nicht nur selbst verletzen, sondern allen applaudieren, die Gottes Willen ignorie————————————————————
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Vgl. Strüder, Gesinnung, 218-219; Buchegger, Erneuerung, 176-177. Söding, ThBLNT I, 274, der fortfährt: Die Erneuerung von 12,2 ist „nichts anderes als eine Neuschöpfung durch den heiligen Geist, der das Sinnen und Trachten des Menschen durch Jesus Christus auf Gott ausrichtet“. ει� ς το' mit Infinitiv. Bauer/Aland s.v. δοκιμα' ζω 1–2; vgl. Papathomas, Begriffe, 51-52. Man sollte den „Willen Gottes“ nicht einfach zum „Willen der Liebe“ (Wilckens III 8) umformulieren.
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ren (1,31-32). Aber auch jüdische Gesetzeskenner benötigen ein von Gott erneuertes Denken: Sie erheben zwar den Anspruch, den Willen Gottes zu kennen (γινω' σκεις το` θε' λημα) und infolge des Gesetzes (ε� κ τουñ νο' μου) einschätzen zu können, worauf es ankommt (2,18); sie sind aber, weil sie sich dem Glauben an Jesus verweigern, vom Messias getrennt (9,3) und leben deshalb nicht infolge der Vereinigung mit ihm die Macht Gottes, die die Macht der Sünde im Tod und in der Auferweckung Jesu gebrochen hat (6,114), die Neuheit des Lebens (6,4) in der Neuheit des Geistes (7,6) ermöglicht, das Gesetz als Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus (8,2) verstehbar und, infolge der Gegenwart des Geistes, ein Leben als Kinder Gottes möglich macht (8,1-17). Der Wille Gottes ist nicht auf den ethischen Bereich beschränkt (vgl. 12,3-8), sondern konkretisiert sich auch in der Funktion, die der einzelne Jesusbekenner in der Gemeinde hat. Nach 1Thess 4,3 ist der Wille Gottes „die Heiligung“, was das Fernhalten von der Unzucht einschließt, nach 1Thess 5,16-18 die unablässige Freude, das unaufhörliche Beten und das Danksagen für alles, nach Kol 1,9-10 das Fruchtbringen in jeder Art von guten Werken aufgrund der vom Heiligen Geist geschenkten Weisheit und Einsicht. Die Aufforderung, zu beurteilen und zu entscheiden, zeigt, dass der Wille Gottes nicht immer und nicht unbedingt sofort einsichtig ist, sondern in konkreten und unterschiedlichen Situationen erforscht werden muss. Paulus beschreibt den Willen Gottes mit einer dreifachen Apposition.116 Der Wille Gottes, den Jesusbekenner beurteilen, wahrnehmen und in konkretes Handeln umsetzen sollen, ist das Gute (το` α� γαθο' ν [to agathon]),117 dessen Tun auf Mitchristen zielt, aber nicht auf diese beschränkt werden darf, sondern allen Menschen zugutekommen soll (Gal 6,9-10). Das „Gute“ ist nicht einfach identisch mit dem, was die Welt für gut hält (Röm 12,2a). Das Gute ist für Jesusbekenner konsequent auf die Heiligkeit Gottes und auf die Liebe Gottes bezogen, wie sie in Tod und Auferweckung Jesu sichtbar wurde. Das Wohlgefällige, (το` ) ευ� α' ρεστον, [(to) euareston] (s. zu 12,1)118 ist alles, was ganz den Erwartungen Gottes entspricht. In Gen 17,1 LXX wird das Adj. im Blick auf Abraham verwendet. In Ps 26[25],3 beschreibt es die Hingabe an die Wahrheit Gottes infolge des göttlichen Erbarmens: „Denn dein Erbarmen (steht) vor meinen Augen, und ich wandelte wohlgefällig in ————————————————————
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So die meisten Ausleger; anders Fitzmyer 641, der im Sinn von drei Adj. interpretiert. Michel 372; Schlier 361-362 u.a. halten beides für möglich. Fast die Hälfte aller Belege für α� γαθο' ς bei Paulus kommt im Röm vor: 2,7.10; 3,8; 5,7; 7,12.13(2x).18.19; 8,28; 9,11; 10,15; 12,2.9.21; 13,3(2x).4; 14,16; 15,2; 16,19. Vgl. 12,1 sowie 14,18; 2Kor 5,9; Eph 5,10; Phil 4,18; Kol 3,20; Tit 2,9.
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deiner Wahrheit“. In Ps 56[55],14 beschreibt es den Lebensvollzug des Frommen als Resultat der von Gott gewährten Rettung: „Du hast meine Seele vom Tod errettet und meine Füße vom Fall, sodass ich vor Gott wohlgefällig wandeln kann im Licht der Lebenden“ (LXX.D; vgl. 114[115],8-9). Das Vollkommene, (το` ) τε' λειον [(to) teleion],119 ist hier nicht nur das, was reif und erwachsen ist, sondern alles, was der Vollkommenheit Gottes entspricht und deshalb z.B. die Liebe für die Feinde einschließt: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist! … Ihr sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Elb.Ü; Mt 5,4445.48). In 1Kor 2,6 sind „die Vollkommenen“ die an den Messias Jesus glaubenden Menschen, die alle den Geist Gottes empfangen haben; ihre „Vollkommen-heit“ ist „kein menschlicher bzw. christlicher Habitus, und sie darf auch nicht als eine dem Glaubenden inhärente Eigenschaft und Qualität verstanden werden. Sie ist vielmehr eine Wirklichkeit, die dem Menschen von Gott in seiner Gnade zugesprochen wird und immer Gabe Gottes bleibt“.120 In seinem Brief an die Christen in Philippi betet Paulus, dass ihre Liebe „immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird“, damit sie beurteilen (δοκιμα' ζειν [dokimazein]) können, worauf es ankommt, sodass sie „rein und ohne Tadel“ sind am Tag des Messias, „reich an der Frucht der Gerechtigkeit“ durch den Messias Jesus „zur Ehre und zum Lob Gottes“ (Phil 1,911). In Phil 3,12 sagt Paulus, dass er noch nicht „vollkommen“ ist. Hier in Röm 12,2c ist „Vollkommenheit“ zugleich Aufgabe: τε' λειος ist der ganze Wille des heiligen Gottes in der konkreten Alltagssituation, der infolge der Erneuerung der Urteilskraft erkannt wird und verwirklicht werden soll. Das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene ist jeweils keine Norm, sondern konkretisierende Orientierung angesichts jeweils möglicher Entscheidungen und Verhaltensweisen (s. Abschnitt IV zu 15,1-13). In Phil 4,8-9 formuliert Paulus eine ähnliche Aussage mit einer längeren Serie von Adjektiven: „Zum Schluss, liebe Brüder und Schwestern: Was wahr ist, was achtenswert, was gerecht, was lauter, was wohlgefällig, was angesehen, wenn immer etwas taugt und Lob verdient, das bedenkt! Was ihr bei mir gelernt und empfangen, gehört und gesehen habt, das tut! Und der Gott des Friedens wird mit euch sein“ (ZÜ). ————————————————————
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Vgl. G. Delling, Art. τε' λειος, ThWNT VIII, 68-79; H. Hübner, EWNT III, 821-824; Schnabel, Art. τε' λος κτλ., ThBLNT I, 38-45; Prümm, Vollkommenheit. Paulus verwendet das Adj. in Röm 12,2; 1Kor 2,6; 13,10; 14,20; Eph 4,13; Phil 3,15; Kol 1,28; 4,12. Kammler, Kreuz, 204; vgl. Schnabel, 1. Korinther, 165-166.
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IV Paulus beschreibt zu Beginn seiner praktisch-konkreten, ethischen Ausführungen, was Jesusbekenner mit ihrem Leib tun sollen, weil, wie er in 6,1– 8,17 mehrfach gezeigt hat, die Sünde ihre Macht durch den Leib erhält, und weil Jesus dadurch der Retter von Heiden und Juden ist, dass er am Kreuz starb und von Gott auferweckt wurde, und weil die an ihn Glaubenden durch die Vereinigung mit seinem Tod und Leben „Neuheit des Lebens“ haben.121 Paulus beschreibt das Selbstverständnis der Jesusbekenner mit kultischen Begriffen (παραστηñ σαι, θυσι'α, λατρει'α) als Priester, die Gott dienen, und als Opfer, das sie selbst sind. Diese Status- und Identitätsbeschreibung ist für Juden- und Heidenchristen in gleicher Weise von grundlegender Bedeutung. Gäckle schreibt: „Sie sollen durch die priesterliche Darbringung ihrer leiblichen Existenz als ein Opfer im Dienst für Gott eine Kontrastgemeinschaft in ihrer paganen Gesellschaft bilden“.122 Heiligung bedeutet, wie H. Stettler zutreffend formuliert, „nicht die physische Trennung von der Sphäre gewöhnlicher menschlicher Existenz … sondern dienende Hingabe an den Herrn“; daher heißt in der Heiligung zunehmen „gerade nicht, immer weltfremder zu werden, sondern immer mehr der Welt zugewandt im Dienst für Gott“ zu stehen.123 Das „Ganzopfer“ der leibhaftigen Existenz der Jesusbekenner macht „Opfer“ im Sinn von Gaben an Gott, „um ihn zu versöhnen, ihm Anerkennung zu zollen und sich die Zugehörigkeit zu ihm zu erwirken oder zu erhalten“, angesichts des Sühnetodes des Messias Jesus unmöglich,124 was Paulus in Röm 12 nicht ausführt, was jedoch in 12,1-2 im Kontext von 3,20–11,36 impliziert ist. Das Konzil von Trient verteidigte, gegen die Reformatoren, das Verständnis der Messe als Opfer. Kanones 1 und 3 der Sessio XXII vom 17. September 1562 (Lehre und Kanones über das Meßopfer) des Konzils von Trient formulieren: „Wer sagt, in der Messe werde Gott kein wahres und eigentliches Opfer dargebracht, oder daß die Opferhandlung nichts anderes sei, als daß uns Christus zur Speise gegeben werde: der sei mit dem Anathema belegt … Wer sagt, das Meßopfer sei lediglich ein Lob- und ————————————————————
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Schlatter 331-332. Gäckle, Priestertum, 344. Der Satz „Faktisch ist ihr Gottesdienst aus heils-geschichtlicher Perspektive der sachgemäßere, weil er endzeitlich ‚im Geist‘ vollzogen wird“ (ebd. 345) ist durch den Kontext und die Formulierungen in 12,1 nicht begründet, wird aber richtig durch die Qualifikation erklärt: „Auffallend ist jedoch auch hier, dass es bei Paulus nicht zu einer expliziten Abwertung des Jerusalemer Tempelgottesdienstes kommt“. Stettler, Heiligung, 460-461. Wilckens III 8; vgl. ebd. 8-9 zum Folgenden.
582 Römerbrief ———————————————————————————————————— Dankopfer oder ein bloßes Gedächtnis des am Kreuze vollzogenen Opfers, nicht aber ein Sühnopfer; oder es nütze allein dem, der es empfängt; und man dürfe es auch nicht für Lebende und Verstorbene, für Sünden, Strafen, zur Genugtuung und für andere Nöte darbringen; der sei mit dem Anathema belegt“.125
In der heute gültigen Messordnung (Ordinarium Missae) heißt es im ersten Hochgebet: „Dich, gütiger Vater, bitten wir durch deinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus: Nimm diese heiligen, makellosen Opfergaben an und segne sie … So bringen wir aus den Gaben, die du uns geschenkt hast, dir, dem erhabenen Gott, die reine, heilige und makellose Opfergabe dar: das Brot des Lebens und den Kelch des ewigen Heiles. Blicke versöhnt und gütig darauf nieder und nimm sie an wie einst die Gaben deines gerechten Dieners Abel, wie das Opfer unseres Vaters Abraham, wie die heilige Gabe, das reine Opfer deines Hohenpriesters Melchisedek. Wir bitten dich, allmächtiger Gott: Dein heiliger Engel trage diese Opfergabe auf deinen himmlischen Altar vor deine göttliche Herrlichkeit; und wenn wir durch unsere Teilnahme am Altar den heiligen Leib und das Blut deines Sohnes empfangen, erfülle uns mit aller Gnade und allem Segen des Himmels“.126
Im ersten Hochgebet ist zwar vom „Opfer des Lobes“ die Rede, was jedoch die Betonung des Gedankens der Opfergaben, die Gott dargebracht werden, damit er Sünden vergibt, nicht aufhebt. Wenn J. Blank meint, dass man der Beobachtung kaum widersprechen könne, in der katholischen Kirche sei „das überkommene Verständnis der Messe als Opfer im Schwinden begriffen“,127 dann ist dies eine wahrscheinlich zu optimistische Einschätzung. Die Reformatoren haben die so verstandene Messe als „greulich irthumb“ bekämpft, weil sie zusätzlich zum Opfertod Jesu, der allein die Erbsünde sühnt, eine kirchliche Opferhandlung zur Sühnung der Aktualsünden darstellt.128 Der Kommentar von Käsemann ist weiterhin beachtenswert: „Zugleich wird, wo der Gottesdienst der Christen im leiblichen Gehorsam erfolgt, das für die nicht durch die Aufklärung bestimmte Antike als Stätte der eigentlichen Gottesverehrung charakteristische kultische Temenos grundsätzlich preisgegeben. Die eschatologische Öffentlichkeit derjenigen, die überall und stets ‚im Angesichte Christi‘ stehen und aus diesem Stande coram deo ————————————————————
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Denzinger, Enchiridion, 1751.1753. Vgl. Grundordnung des römischen Messbuchs, Nr. 2, 75, 77, 79f. In Nr. 95 heißt es, was Röm 12,1-2 eher entspricht: „Bei der Feier der Messe bilden die Gläubigen ein heiliges Volk, das Volk, das Gott sich erworben hat, eine königliche Priesterschaft, damit sie Gott Dank sagen und die makellose Opfergabe nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern auch gemeinsam mit ihm darbringen und lernen, sich selber darzubringen“. Blank, Begriff des Opfers, 35; vgl. Wilckens III 9 Anm. 45; zu den Reformatoren ebd. 8. Confessio Augustana XXIV 19-21; Apologie XXIV 16-67 (BSELK 93.353-368; Dingel, Bekenntnisschriften, 142-145.620-647).
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 583 ————————————————————————————————————
gerade den Alltag des vermeintlichen profanen Lebens den Raum nicht eingeschränkter und unaufhörlicher Verherrlichung göttlichen Willens werden lassen, bringt heilige Zeiten und Orte um ihren Sinn … Das besagt schließlich, daß die gesamte christliche Gemeinde mit all ihren Gliedern Trägerin solchen Gottesdienstes ist und daß mit den heiligen Funktionen auch die im kultischen Sinne privilegierten Personen ihr Daseinsrecht verlieren. Das allgemeine Priestertum aller Gläubigen, im ganzen Umfang ihres Handelns gefordert und sich bekundend, erscheint nun als der eschatologische Gottesdienst, der jedem andern Kult ein Ende setzt“.129 Die Autorität der Mahnung ist die Autorität Gottes, auf dessen Erbarmen Paulus sich in V. 1 beruft und damit zugleich die Mahnung als Ausdruck der Gnade und Liebe Gottes charakterisiert. Eine im Menschen selbst begründete Mahnung, kraft derer kirchliche Amtsträger Weisungen geben und durchsetzen, kann es in der Kirche nicht geben, „und mögen sie eine noch so überragende, apostolische Stellung innehaben“; es gilt: „Indem die einzige Autorität, deren Weisung für jedermann verbindlich ist, diejenige Gottes ist, wird jede prinzipielle Überordnung von Menschen über Menschen ausgeschlossen“.130 Das bedeutet aber auch, dass die apostolische Mahnung, die in der Autorität Gottes gründet, den Charakter des Unabdingbaren hat, „dem gegenüber es keinerlei Diskussionen geben kann“, wobei das Bestimmtsein durch die Gnade Gottes garantiert, dass die Autorität der apostolischen Mahnung keine tyrannische, den Menschen unterdrückende Macht ist, sondern ihren Charakter des Sinn- und Liebevollen garantiert, dem man zu Recht und freudig Vertrauen entgegenbringen kann. Die Tatsache, dass Paulus einen Aufruf zum Erkennen und Tun des Willens Gottes und einen Aufruf zu einem erneuerten Denken formuliert, und die Tatsache, dass der Wille Gottes mit auf den ersten Augenblick vage klingenden Ausdrücken als „das Gute und das Wohlgefällige und das Vollkommene“ beschrieben wird, bedeutet in der Tat, dass der einzelne Jesusbekenner wie auch die Gemeinschaft der Gläubigen eine „bemerkenswerte Freiheit hat, ihre Verhältnisse selbst zu gestalten und je nach den Umständen dabei zu variieren“,131 wobei die „Freiheit der Adaption vorhandener sittlicher Erkenntnis“ nicht „Erfüllung echter Humanität“ ist, sondern, wie 7,12; 8,1-17 gezeigt haben, an das von Gott geoffenbarte Gesetz, an das Kommen des Messias Jesus und an die Gegenwart des Heiligen Geistes gebunden ist. ————————————————————
129 130 131
Käsemann, Gottesdienst, 201. Kritisch allerdings Schlier 385 Anm. 63. Wilckens III 3. Das folgende Zitat ebd. Käsemann 313; zur folgenden Kritik s. ebd. 312.313.
584 Römerbrief ————————————————————————————————————
Wie die Mahnungen in 12,3ff sowie die Mahnungen z.B. im 1Kor zeigen, beschränken sich die Anweisungen von Paulus eben nicht auf „Grundmotive“, sondern erscheinen an vielen Stellen als konkrete Einzelgebote, die bindend und verpflichtend sind, weil der Wille des heiligen Gottes sie motiviert (1Thess 4,8), weil der Messias Jesus durch sie hindurch mahnt und gebietet (Röm 15,18; 2Kor 13,3) und weil die Wirklichkeit von Gottes Geist hinter ihnen steht (1Kor 7,40). Die apostolischen Gebote sind und bleiben „ein sachliches, normativ bleibendes Kriterium … Sie bleiben verbindliche Regel, Richtschnur und Wegweisung für alles christliche Handeln“.132 Schrage kritisiert zu Recht die Absolutsetzung des Liebesgebots und die Behauptung der Selbstständigkeit und Selbstgesetzgebung des Individuums (im Anschluss an Fichte und Kant) sowie die Betonung des Geistes und der Leitung durch den Geist in der protestantischen Ethik.133 Die Aussage von Betz, „Der Christ, der sich nicht länger an die gängigen Verhaltensmuster in Ethik und Lebensstil anpaßt, kann und muß nun selber entscheiden, welche die angemessenen Verhaltensweisen sind und wie sie angeeignet werden können“,134 ist im Blick auf das Wort „selber“ zu qualifizieren: Die Imperative in 12,2 machen deutlich, dass Jesusbekenner in der Tat „selber“ entscheiden, welches das dem Willen Gottes adäquate Verhalten ist; aber diese Entscheidung ist keine „eigene“ Entscheidung im Sinn ethischer Autonomie, die losgelöst wäre von dem in der Schrift, in der Verkündigung Jesu und in der Lehre der Apostel offenbarten Willen Gottes im Blick auf das Verhalten in konkreten Einzelfällen. Christen müssen nicht erst noch „selber“ entscheiden, ob sie Vater und Mutter vielleicht doch nicht ehren sollen, ob sie stehlen dürfen, ob Ehebruch akzeptabel geworden ist, ob sie das, was andere haben, eifersüchtig begehren dürfen – um nur einige Beispiele aus dem Dekalog zu nennen. Die „praktische Vernunft“ der Jesusbekenner ist keine normfreie, je und je neu in Anschlag zu bringende Handlungsgrundlage, die mit dem, was Menschen gut und schön finden und rechtfertigen können, identisch ist. Sie kann in konkreten Fällen menschlichen Idealen durchaus entsprechen, geht aber nicht in ihnen auf und ist auch niemals ohne Weiteres deckungsgleich. Was Gott gefällt, weicht oft von den Idealen der Gesellschaft ab.135 „Christen sind gleich weit entfernt von Weltverachtung und Weltvergötzung, von Weltflucht und Weltsucht“.136 ————————————————————
132 133 134 135 136
Schrage, Einzelgebote, 122; vgl. ebd. 105. Schrage, Einzelgebote, 9-12. Betz, Grundlagen, 215, zitiert von Lohse 337. Vgl. Käsemann 318-319. Schrage, Einzelgebote, 211.
Das Leben des Gläubigen als heiliges Selbstopfer für Gott 12,1-2 585 ————————————————————————————————————
Das „Gute“ ist im Zusammenhang der Mahnung von 12,2a nicht einfach identisch mit dem, was die säkulare Gesellschaft für gut hält, z.B. rücksichtsloses Streben nach Gewinnmaximierung. Das „Wohlgefällige“ ist nicht identisch mit dem, was Mehrheitsmeinung ist, z.B. sexuelle Freizügigkeit. Das „Vollkommene“ ist nicht identisch mit dem, was man vor dem eigenen Gewissen rechtfertigen kann, z.B. die Tötung als lebensunwertes Leben deklarierter ungeborener oder einer anderen ethnischen Gruppe angehörender Menschen. Das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene ist angebunden an den Willen des heiligen Gottes und nur den Glaubenden möglich, die infolge der von Gott ermöglichten Erneuerung ihres Denkens und der Veränderung von Wollen und Handeln in Richtung seines heiligen Willens, einem Verhalten verpflichtet sind, das unter Umständen so nachhaltig anders ist, dass es ins Leiden und ins Martyrium führt. Die Aufforderung zur Veränderung und Erneuerung in der Verwirklichung des guten, wohlgefälligen und vollkommenen Willens Gottes betrifft in Röm 12,1-2 zunächst das leibliche Leben des einzelnen Jesusbekenners, dann aber auch das Leben des Jesusbekenners als Glied in der Gemeinschaft des Leibes des Messias (7,4; 1Kor 10,16; 12,27). Die Mahnung, sich nicht nach den Maßstäben der gegenwärtigen Welt zu richten (Röm 12,2), greift im Kontext kirchlicher Strukturen nicht zuletzt dann, wenn diese weniger durch das Evangelium geprägt sind, sondern sich an Machtstrukturen (hierarchische Organisationsformen ohne Mitsprache der Gläubigen), Gewaltbereitschaft (Kreuzzüge), Abstimmungsverfahren (Entscheidungen mit einfachen Wahlmehrheiten), Konsumpräferenzen (Reduzierung kirchlicher Veranstaltungen auf das absolut Notwendige, unter Eliminierung z.B. von Gebets- und Bibelstunden), Erlebnisorientierung (Verdrängung von Schriftlesung oder Predigt durch musikalische oder theatrale Aufführungen) oder anderen Werten orientieren, die von der jeweiligen Kultur und Gesellschaft abgeleitet sind. Das Grundmotiv und die Grundmotivation christlichen Verhaltens im Alltag sind die Erbarmungen Gottes, die das Vorrecht beinhalten, sich selbst als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dem Schöpfer der Welt und dem Vater Jesu Christi darbringen zu dürfen und damit der säkularen Gesellschaft mitzuteilen, dass ein Leben nach den Maßstäben des Willens Gottes ein gutes, wohlgefälliges und (bei aller Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes; vgl. 5,2; 8,24-25) vollkommenes Leben ist.
586 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 I
3 Denn ich gebiete kraft der mir gegebenen Gnade jedem unter euch,
nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt, sondern auf besonnene Selbsteinschätzung bedacht zu sein in Übereinstimmung mit dem Glauben als dem jedem von Gott zugeteilten Maßstab. 4 Denn wie wir in einem Leib viele Glieder haben, die Glieder aber nicht alle dieselbe Funktion haben, 5 so sind wir, die vielen, ein Leib im Messias, aber auf den Einzelnen gesehen sind wir Glieder voneinander. 6 Da wir je nach der uns gegebenen Gnade verschiedene Gaben haben (lasst uns diese in der rechten Weise gebrauchen): Wenn wir die Gabe der Prophetie haben, (dann gebrauchen wir sie) in Übereinstimmung mit dem Glauben; 7 wenn wir die Gabe des Dienstes haben, (dann gebrauchen wir sie) im Dienst; wenn wir die Gabe des Lehrens haben, (dann gebrauchen wir sie) in der Lehre; 8 wenn wir die Gabe des Ermahnens und des Trostes haben, (dann gebrauchen wir sie) im Ermahnen und Trösten; wer die Gabe des Gebens hat, (der gebrauche sie) mit Aufrichtigkeit; wer die Gabe des Vorstehens hat, (der gebrauche sie) mit persönlichem Einsatz; wenn wir die Gabe der Barmherzigkeit haben, (dann gebrauchen wir sie) mit Fröhlichkeit. II Paulus wendet die Mahnung von 12,1-2, als Gott dargebrachtes Opfer zu leben und sich im Denken, Wollen und Handeln durch Gott erneuern zu lassen, zuerst auf den Umgang mit den Gaben der Gnade Gottes in der Gemeinde an. Die Aussagen des Abschnitts sind Ermahnung, ohne dass Paulus mit Imperativen formuliert. Paulus spricht die Gemeinde als Ganze (V. 1 παντι` τω ñ, ο» ντι ε� ν υ� μιñν) und gleichzeitig jedes einzelne Gemeindeglied an (V. 5 το` δε` καθ’ ειðς). Lohse hält es für bezeichnend, dass Paulus „nicht mit individualethischen Weisungen, sondern mit einer Besinnung über die rechte Gemeinschaft der Christen unter- und miteinander beginnt“.137 Man sollte hier allerdings nicht in Alternativen denken. Die impliziten Mahnungen in V. 3-8 sind auch an individuelle Christen gerichtet.138 ————————————————————
137 138
Lohse 339. Michel 373 interpretiert V. 3-8 als „eine unmittelbare Mahnung an die Charismatiker“, was in zweifacher Weise problematisch ist: Paulus wendet sich an alle Gemeindeglieder, nicht an eine besondere Gruppe, und wenn man das Wort „Charismatiker“ verwenden will, muss man es auf alle Gemeindeglieder beziehen, weil jeder Jesusbekenner von Gott eine Gabe (charisma) erhalten hat.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 587 ————————————————————————————————————
Paulus formuliert in V. 3 eine Grundaussage, die er in V. 4-5 erläutert und in V. 6-8 anhand der Gaben Gottes illustriert. Die Konkretisierung in V. 6-8 ist mit einem kausal zu interpretierenden Partizip an V. 4-5 angeschlossen; die Auflistung von sieben Gaben in V. 6b-8 formuliert mit vier ει»τε-Sätzen, gefolgt von drei mit dem bestimmten Artikel verbundenen substantivierten Partizipien; die ersten beiden Gaben werden als Substantive formuliert, die fünf folgenden Gaben mit substantivierten Partizipien. ει»τε προφητει' αν ει»τε διακονι' αν ει»τε ο� διδα' σκων ει»τε ο� παρακαλω ñν ο� μεταδιδου' ς ο� προι¨στα' μενος ο� ε� λεω ñν
κατα` τη` ν α� ναλογι' αν τηñ ς πι' στεως ε� ν τηñ, διακονι' α, ε� ν τηñ, διδασκαλι' α, ε� ν τηñ, παρακλη' σει ε� ν α� πλο' τητι ε� ν σπουδηñ, ε� ν ι�λαρο' τητι
Die prägnante Knappheit der griechischen Formulierungen lässt sich im Deutschen nicht gut wiedergeben. Hölzern ist Elb.Ü: „Es sei Weissagung, in der Entsprechung zum Glauben; es sei Dienst, im Dienen; es sei, der lehrt, in der Lehre; es sei, der ermahnt, in der Ermahnung; der mitteilt, in Einfalt; der vorsteht, mit Fleiß; der Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit“. Die semantischen Lücken ergänzend übersetzt GN: „Einige sind befähigt, Weisungen für die Gemeinde von Gott zu empfangen; was sie sagen, muss dem gemeinsamen Bekenntnis entsprechen. Andere sind befähigt, praktische Aufgaben in der Gemeinde zu übernehmen; sie sollen sich treu diesen Aufgaben widmen. Wer die Gabe hat, als Lehrer die Gemeinde zu unterweisen, gebrauche sie. Wer die Gabe hat, andere zu ermahnen und zu ermutigen, nutze sie. Wer Bedürftige unterstützt, soll sich dabei nicht in Szene setzen. Wer in der Gemeinde eine Verantwortung übernimmt, soll mit Hingabe bei der Sache sein. Wer sich um Notleidende kümmert, soll es nicht mit saurer Miene tun“. Weil Paulus nicht von Befähigungen, sondern von Gaben spricht, die die Jesusbekenner (von Gott) erhalten haben (V. 6 ε» χοντες χαρι'σματα κατα` τη` ν χα' ριν τη` ν δοθειñσαν), ist die Übersetzung mit „wir … haben“ vorzuziehen; der anakoluthische Anschluss von V. 6a an V. 4-5 macht es notwendig, nach χαρι'σματα δια' φορα („verschiedene Gaben“) die implizierte Aufforderung „lasst uns diese in der rechten Weise gebrauchen“ zu ergänzen, die dann bei der anschließenden Aufzählung der Gaben in V. 6b-8 aufzugreifen ist.139 Die Liste von sieben Gaben lässt sich, ohne deckungsgleich zu sein, mit den Listen von neun Geistesgaben in 1Kor 12,8-10.28-30, besonders ————————————————————
139
Vgl. NSS II 40 zu V. 6.
588 Römerbrief ————————————————————————————————————
12,28-30 vergleichen.140 Paulus erwähnt Prophetie (προφητει'α; vgl. 1Kor 12,10.28), Lehren (ο� διδα' σκων; vgl. 1Kor 12,28; sowie 14,6.26) und Leitung (ο� προι¨στα' μενος; vgl. κυβερνη' σεις, 1Kor 12,28). Die Gabe des Dienstes (διακονι' α) lässt sich mit der Gabe der Hilfeleistungen (α� ντιλη' μψεις, 1Kor 12,28) vergleichen. Die Gaben des Gebens (ο� μεταδιδου' ς) und des Ermahnens bzw. Tröstens (ο� παρακαλω ñ ν) sind ohne Parallele; Erstere ist wohl in der Gabe der Hilfeleistungen (α� ντιλη' μψεις, 1Kor 12,28; vgl. 13,3) eingeschlossen, Letztere kann vielleicht mit dem Wort der Weisheit (λο' γος σοφι'ας) und dem Wort der Erkenntnis (λο' γος γνω' σεως; 1Kor 12,8) verglichen werden. Röm 12,6-8
1Kor 12,28-30
Prophetie (προφητει' α) Dienst (διακονι' α) Lehren (ο� διδα' σκων) Ermahnen (ο� παρακαλω ñ ν) Geben (ο� μεταδιδου' ς) Leitung (ο� προι¨στα' μενος) Barmherzigkeit (ο� παρακαλω ñ ν)
Apostel Propheten (προφη' ται) Lehrer (διδα' σκαλοι) Wunderkräfte Heilungen Hilfeleistungen (α� ντιλη' μψεις) Leitung (κυβερνη' σεις) Sprachen Übersetzung
Die Unterschiedlichkeit der Listen von Geistesgaben (Röm 12,6-8; 1Kor 12,8-10.28-30; 13,1-3.8; 14,6.26; Eph 4,11) zeigt, dass die Aufzählung der Gaben beispielhaften Charakter hat. Textkritische Anmerkungen. Die Einfügung von τουñ θεουñ hinter χα' ριτος in V. 3 (L 81 323 945 1241 1506 u.a. vgms syh) ist eine sekundäre Verdeutlichung der Aussage.141 In V. 4 ist die Lesart με' λη πολλα' (A Ψ 33 1739 1881 Byz) statt πολλα` με' λη (d31.46 אB D F G 629 1241 u.a.) eine sekundäre stilistische Verbesserung. In V. 5 ist die Auslassung von ε� σμεν in F G ein Schreibfehler. Die Lesart ο� δε` καθ’ ειðς α� λλη' λων (D1 Ψ 33 1881 Byz) ist der Versuch einer grammatikalischen Verbesserung, der vielleicht darauf hinweist, dass die traditionell mit dem neutrischen Artikel formulierte Redewendung nicht mehr in Gebrauch war.142 In V. 7 ist die Lesart ο� διακονω ñν (א2 1241 1506) statt διακονι'αν wahrscheinlich sekundäre Assimilierung an die folgenden mit einem substantivierten Partizip formulierten Substantive. ————————————————————
140 141
142
Zu den Geistesgaben in 1Kor 12,8-10.28-30 s. Schnabel, 1. Korinther, 701-721.740-749. Die Konjektur von H. Venema, vor ε� ν υ� μιñν ein τι zu lesen, was Dodd 194 für plausibel hält, ist als unnötig abzulehnen: Paulus spricht nicht eine Einzelperson an. Vgl. Cranfield II 612; Jewett 736. In NA28 wird die Konjektur nicht mehr aufgeführt. Sanday/Headlam 355; Jewett 736.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 589 ————————————————————————————————————
Entsprechend ist die Lesart διδασκαλι'αν (A) statt ο� διδα' σκων Angleichung an die vorausgehenden femininen Substantive. Die Auslassung von ει»τε (d46vid D* F G latt) in V. 8 assimiliert an die folgenden Formulierungen. Die Lesart προι¨στα' νομενος (d31 )אstatt des besser bezeugten προι¨στα' μενος ist ein Beispiel für Reduplikation.143 III
3 Paulus leitet seine Konkretisierung der Mahnung in V. 1-2, als Gott dar-
gebrachtes Opfer zu leben und sich im Denken, Wollen und Handeln durch Gott erneuern zu lassen,144 mit der Wendung ich gebiete (λε' γω [legō]) ein, die auf dem Hintergrund seiner apostolischen Vollmacht zu verstehen ist und imperativische Bedeutung hat und „ich gebiete, ich ordne an“ übersetzt werden kann.145 Die Formulierung kraft der mir gegebenen Gnade (δια` τηñ ς χα' ριτος τηñ ς δοθει'σης μοι [dia tēs charitos tēs dotheisēs moi]; V. 3a) nennt Grund und Ursache der mahnenden Anweisungen: Paulus erinnert die stadtrömischen Christen an seine in 1,5 erwähnte Berufung zum Apostel als Erweis der Gnade Gottes, die ihn zum Jesusbekenner werden ließ und ihn in seiner missionarischen Arbeit bevollmächtigt (vgl. 15,15-16; 2Kor 13,10).146 Paulus spricht zu jedem unter euch (παντι` τω ñ, ο» ντι ε� ν υ� μιñν [panti tō onti en hymin]), d.h. zu jedem einzelnen Christen in den römischen Hausgemeinden. Ob die Betonung des vorangestellten παντι' konkret vorhandene oder potenzielle Spannungen innerhalb der Gemeinde, auch und vielleicht vor allem im Blick auf die Geistesgaben (wie in Korinth, vgl. 1Kor 12), anspricht,147 ist möglich, aber nicht sicher. Die erste Mahnung wird mit einem Infinitivsatz formuliert: nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt, sondern auf besonnene ————————————————————
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146
147
Vgl. HvS §72-73; vgl. Jewett 736. Die Konj. γα' ρ verbindet die Grundaussage V. 3 mit V. 1-2. Bauer/Aland s.v. λε' γω II.1c: „befehlen, anordnen“ (mit folgendem Infinitiv, wie hier). Vgl. Michel 374; vgl. 2,22; 1Kor 7,8. Vgl. Schlier 366; Käsemann 320; Cranfield II 612; Wilckens 10; Lohse 339; vgl. Dunn II 720, der dann eher im Sinn einer Warnung interpretieren will, die mit prophetischer Autorität oder der Autorität göttlicher Offenbarung ausgesprochen wird (Gal 1,9; 5,2; vgl. Mt 3,9 / Lk 3,8; Lk 13,3.5). Zu der Einleitung von Aussagen Jesu mit „ich sage“ vgl. Berger, Amen-Worte, 92; Berger, Einleitungsformel, 54-66.71-72; Müller, Prophetie, 130-140. Zu χα' ρις s. 1,5; 3,24. Die Wendung δια` τηñ ς χα' ριτος τηñ ς δοθει' σης μοι entspricht δια` τω ñν οι� κτιρμω ñ ν τουñ θεουñ in V. 1. Weil nicht jeder Jesusbekenner, der Gottes χα' ρις erhalten hat, ein Apostel ist und Jesusbekenner in anderen Gemeinden ermahnen kann, ist der Satz „Paul speaks as a charismatic to charismatics“ (Dunn II 720) nicht die von Paulus intendierte Aussage. Michel 374: Paulus „fürchtet offenbar die Einrede des Charismatikers“; Käsemann 321: „Polemik gegen Schwärmerei“; vgl. Dunn II 720.
590 Römerbrief ————————————————————————————————————
Selbsteinschätzung bedacht zu sein (V. 3b). Die mit „höher von sich denken“ (υ� περφρονειñν [hyperphronein]), „denken“ (φρονειñν [phronein]), „bedacht sein“ (φρονειñν [phronein]) und „besonnene Selbsteinschätzung“ (σωφρονειñν [sōphronein], „besonnen sein“) übersetzten Verben, die ein rhetorisch effektives Wortspiel bilden, beschreiben unrechtmäßiges bzw. rechtmäßiges Denken im Blick auf die eigene Funktion innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen. Das Verb φρονειñν (s. zu 8,5) beschreibt jene Tätigkeit des Verstandes, die eine Sache erkennt und beurteilt, eine Meinung bildet und vertritt, eine bestimmte Gesinnung hat. Mit υ� περφρονειñν ist ein Denken gemeint, das die Grenze des Angemessenen überschreitet (παρ’ ο� δειñ [par’ ho dei]), d.h. über das hinausgeht, was nötig und möglich ist bzw. „das im Vergleich zu dem, was geboten oder erlaubt ist, ein übermäßiges, gegen Gottes Willen (δειñ vgl. Röm 8,26; 1Kor 8,2; 2Kor 11,30; 12,1 u.a.) gerichtetes φρονειñν darstellt“.148 In Röm 11,20 warnte Paulus die Heidenchristen in Rom, angesichts des Unglaubens Israels nicht hochmütig zu sein (μη` υ� ψηλα` φρο' νει). Der Infinitiv σωφρονειñν beschreibt ein Denken, das besonnen, mäßig, vernünftig ist. Das Verb σωφρονε' ω [sōphroneō] bedeutet „bei Sinnen sein, normal sein“ (im Sinn von geistiger Gesundheit; vgl. Mk 5,15; Lk 8,35; auch 2Kor 5,13; vgl. Herodotus 3,35; Babrius 90,4), „maßvoll sein, Selbstkontrolle haben“ (Röm 12,3; Tit 2,6; 1Petr 4,7; vgl. Aeschylus, Prom 982; Plato, Phaed 244a; Xenophon, Mem 1,1,20; Philo, Det 114; Josephus, Ant 2,296), „zur Besinnung kommen, Besonnenheit lernen“ (Herodotus 3,64; Aeschylus, Eum 521).149 In den dokumentarischen Papyri ist die Wortfamilie σωφρον- selten, d.h., die relevanten Wörter waren „in der Alltagssprache der römischen Zeit nicht sehr verbreitet“.150 Die Bedeutung der Wortfamilie kann aus Homer, Od 23,10-14 abgeleitet werden, wo σωφροσυ' νη [sōphrosynē] mit Unverstand und Leichtsinn kontrastiert wird und „Besonnenheit, Selbstbeherrschung, angemessener Sinn“ bedeutet. Nach Aristoteles (EthNic 1117b13) und Plato (Pol 427e.433b; Nom 631b-d), dann vor allem in der Stoa (Zenon, Frag 200-202; Ariston, Frag 374-376;) und der Popularphilosophie (Cicero, Off 1,15), gehört σωφροσυ' νη neben Weisheit/Klugheit (σοφι' α, φρο' νησις), Tapferkeit (α� νδρει' α) und Gerechtigkeit ————————————————————
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Schlier 367. Vgl. Bauer/Aland s.v. υ� περφρονε' ω, „sich überschätzen, übermütig sein“; vgl. Arist 122; Josephus, Ant 1,194; Aeschylus, Ag 1039; Polybius 6,18,7. Mit Akk. bedeutet das Verb „herabschauen auf, verachten“ (vgl. 4Makk 13,1; Aeschylus, Pers 825), mit Gen. „für nichts erachten“ (4Makk 16,2; Euripides, Ba 1325); manchmal liegt auch die Bedeutung „an Wissen übertreffen“ vor (4Makk 14,11; Aeschines, Tim 1,141); vgl LSJ s.v. υ� περφρονε' ω I.2-3, II. Das Wort kommt nur hier im NT vor. LSJ s.v. σωφρονε' ω 1-3; vgl. Bauer/Aland s.v. σωφρονε' ω 1-2. Vgl. U. Luck, Art. σω' φρων κτλ., ThWNT VII, 1094-1102; D. Zeller, Art. σωφροσυ' νη κτλ., EWNT III, 790792; Spicq, σωφρονε' ω κτλ., TLNT III, 359-365; S. Wibbing, ThBLNT I, 412-413. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 332; der älteste Beleg für die Wortfamilie findet sich im Edikt des Severus Alexander, SB XIV 11648 Kol. II 14.21 (24. Juni 222 n.Chr.), wo σωφροσυ' νη als Kriterium der kaiserlichen Politik genannt wird. Das Verb σωφρονε' ω begegnet erst ab dem 4. Jh. (PSI I 41,4.7; P.Lips. I 39,6-7).
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 591 ———————————————————————————————————— (δικαιοσυ' νη) als das Bestreben, zwischen Extremen die vernünftige und sinnvolle Mitte zu finden und zu bewahren, zu den sog. vier Kardinaltugenden (ältester Beleg ist Aeschylus, SeptTheb 610).151 Die stoische Tugendlehre war im hellenistischen Judentum bekannt (Weish 8,7; 4Makk 1,18; 2,23; Arist 121-125.187-292; Josephus, Ant 4,184; 6,308; Philo, Imm 164; All 1,63-87; Op 47-52; Abr 13; Josephus, Ant 1,6). Vergleicht man die Rolle, die die vier Kardinaltugenden im hellenistischen Judentum spielen, ist bei Paulus nicht erkenntbar, dass er sie einem übergreifenden Konzept zuordnet, z.B. der Weisheit oder der Schöpfung Gottes, oder als Äußerungen der Tora oder als Worte Moses interpretiert. F.W. Horn kommentiert: „Paulus bezieht sich nie auf den Kanon der vier Tugenden … eine direkte Linie mit den Kardinaltugenden (ist) abwegig“; die gelegentlichen Anspielungen auf einige der Kardinaltugenden, was in eklektischer und unsystematischer Weise geschieht, verweist auf ein „popularphilosophische(s) Tugend-Wissen“.152 Traditionsgeschichtlich prägend ist nicht die griech. (Populär-)Philosophie, sondern die Septuaginta und damit die atl. Tradition.
Statt Gaben und Funktionen anzustreben, die anderen Christen verliehen sind oder prominenter zu sein scheinen (V. 4-8), sollen Christen mit der ihnen verliehenen Gabe und Funktion eine besonnene Selbsteinschätzung haben und sich bescheiden.153 Paulus untersagt ein Urteilen (φρονειñν) im Blick auf sich selbst und die eigene Rolle in der Gemeinde, das das Maß des Nötigen und Möglichen, des Gebotenen und Erlaubten übersteigt (υ� περφρονειñν). Er mahnt zu einem Denken (φρονειñν), das die eigene Funktion in der Gemeinde besonnen, vernünftig und maßvoll (σωφρονειñν) einzuschätzen weiß. Die Notwendigkeit der Mahnung zeigt, dass die richtige Selbsteinschätzung und Selbstbescheidung nicht selbstverständlich ist. In V. 3c nennt Paulus das Kriterium der besonnenen Selbsteinschätzung: in Übereinstimmung mit dem Glauben als dem jedem von Gott zugeteilten Maßstab. Die Formulierung με' τρον πι'στεως [metron pisteōs] wird oft im Sinn eines gen. partitivus interpretiert: Gott hat jedem Jesusbekenner ein je unterschiedliches „Maß“ an Glauben zugemessen.154 Paulus macht an mehreren Stellen quantitative Aussagen über den Glauben. In 1Thess 3,10 spricht er von einem „Mangel“ an Glauben – allerdings ist dieser Mangel nicht von Gott zugeteilt: Paulus will am Glauben der Christen in Thessalo————————————————————
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Vgl. Vögtle, Tugend- und Lasterkataloge, 58-72 (zur Verwendung in Regentenspiegeln und Berufspflichtenlehren s. ebd. 73-81); Wibbing, Tugend- und Lasterkataloge, 15-33. Vgl. NW II/1, 182-185; North, Sophrosyne. Horn, Kardinaltugenden, 355.357, mit Verweis auf Löhr, Ethik, 168. Für den folgenden Punkt s. Horn, ebd. 355. Vgl. Zeller, EWNT III, 791, der von „Selbstbescheidung“ spricht. Lohse 339: „Statt in aufgeblasener Haltung hoch hinaus zu trachten und sich dabei über die anderen zu erheben sollen Christen in besonnener Bescheidenheit das rechte Maß einhalten.“ Schlatter 336-337; Schlier 367; Michel 375; Käsemann 323; Dunn II 721-722; Theobald II 33-34; Schreiner 652-653; Witherington 288; Jewett 742; Hultgren 447, mit je unterschiedlichen Erklärungen, was πι' στις bedeutet.
592 Römerbrief ————————————————————————————————————
nich ergänzen, was ihm noch fehlt. In 2Kor 10,15 spricht Paulus vom „Wachsen“ im Glauben – aber nicht von einem „Maß“ oder „Gewicht“ an Glauben, das Gott dem einzelnen Christen zugeteilt hat: Er erwartet von allen Christen, dass sie im Glauben wachsen. Auch die Rede von „Schwachen“ und „Starken“ (Röm 14,1; 15,1) im Glauben kann die Formulierung in V. 3c nicht erklären: Die „Schwäche“ des Glaubens von Christen in Rom ist weder von Gott gegeben noch theologisch zu rechtfertigen (vgl. 14,14). In Eph 4,7 geht es um die Gnade, die jedem Einzelnen zugeteilt ist „nach dem Maß der Gabe des Messias“, was Röm 12,6 entspricht, nicht aber 12,3. In 1Petr 4,10 wird nicht vom Glauben, sondern von der Gabe gesagt, dass Gott sie jedem zugeteilt hat. Manche deuten analog 1Kor 12,9 im Sinn des Charismas des wunderwirkenden Glaubens,155 was jedoch dem ε� κα' στω, widerspricht. Andere interpretieren in soziologischem Sinn: Paulus weiß „um biographisch bedingte individuelle, aber auch gruppenspezifische Unterschiede in der Glaubensauffassung“.156 Wieder andere Ausleger interpretieren με' τρον im Sinn der besonderen „Gnadengabe“, die Gott einem jeden zugeteilt hat. Die Tatsache, dass es angesichts der paulinischen Aussagen über den Glauben problematisch ist, von einer unterschiedlich hohen oder geringen Glaubensfähigkeit zu sprechen, die Gott zugeteilt hat, veranlasst manche Exegeten, diese Interpretation im Kontext der Zuteilung von Gaben zu verorten. Käsemann schreibt: Der Aufruf „zur erneuerten, kritischen Vernunft“ in V. 2 wird in V. 3 mit einer Terminologie und Motivation ausgedrückt, „welche im Zusammenhang der Charismenlehre sterotyp wiederkehren. Daß Gott ausgeteilt hat, umschreibt auch 1.K[or] 7,17; 12,7 synonym mit Berufung auf das Wesen des Charisma. Wird das im Blick auf den Einzelnen gesagt, so folgt der Apostel damit wahrscheinlich dem Grundsatz, Gott gebe niemandem den Geist in seiner Konkretion ganz (vgl. Billerbeck zu Joh 3,34). Das in solchem Kontext geläufige ε� κα' στω, ω� ς sichert jedem die Gabe zu, ruft ebenso jedoch jeden zur Bescheidung auf das von ihm Empfangene“, wobei er charisma als „Konkretion und Individuation der Gnade“157 bzw. als „Konkretion und Individuation des Geistes“ versteht und betont, Paulus könnte anstelle vom „Maß des Glaubens“ ebensogut vom Maß des Geistes oder der Gnade sprechen.158 D. Zeller schreibt: Der Ruf Gottes, der als Pendant zu der Formulierung με' τρον πι' στεως verstanden werden kann (vgl. 1Kor 7,17), „trifft jeden, der zum Glauben kommt, in einer bestimmten Situation und teilt ihm die Gnade in je eigener Besonderheit als Charisma zu … Maßgebend ist also die von Gott geschaffene Ausdifferenzierung am Anfang des Glaubens“.159 Diese Interpretation identifiziert πι' στις mit „Gnadengabe“, was im Kontext einen Sinn ergibt, aber für πι' στις eine Bedeutung annimmt, die man in das Wort hineinlesen muss. Paulus spricht nicht vom με' τρον der Gaben, die der einzelne Christ hat, sondern vom με' τρον des Glaubens. ————————————————————
155 156 157 158 159
Oecumenius 565; Theophylakt 501; Zahn 542; Lagrange 296; Barrett 235. Theobald II 33. Vgl. Jewett 742; Jewett, Tolerance, 62; Campbell, God’s Beloved, 82. Käsemann 321.322, mit Verweis auf Ridderbos, Paulus, 325 sowie Bultmann, Theologie, 326; die folgende Bemerkung Käsemann ebd. 323. Vgl. K. Deißner, Art. με' τρον κτλ., ThWNT IV, 637; W. Pesch, Art. με' τρον, EWNT II, 1037; Gillespie, Prophecy, 53-54 im Anschluss an Käsemann. Zeller 208; vgl. Haacker 303; Kruse 469.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 593 ———————————————————————————————————— Der Einwand, dass die Interpretation als gen. partitivus zu Hochmut im Blick auf das eigene Maß des Glaubens führt, ist allerdings nicht unbedingt schlagend: Eine richtige Einschätzung des eigenen Glaubens wird nicht zum Hochmut führen, wenn man sich die Tatsache vor Augen hält, dass es Gott ist, der den Glauben gegeben hat. Aus den genannten Gründen ist diese Interpretation trotzdem nicht in zufriedenstellender Weise überzeugend.
Es ist plausibler, με' τρον πι' στεως im Sinn eines gen. epexegeticus (bzw. appositivus) und με' τρον im Sinn von „Maßstab, Norm, Kriterium“ zu verstehen:160 Der „Maßstab“ für die besonnene Selbsteinschätzung, das Kriterium für die Selbstbescheidung, die Norm für das rechte Verständnis der je eigenen Funktion in der Gemeinde ist der Glaube („der Maßstab, der im Glauben besteht“). Mit „Glaube“161 ist am plausibelsten der Inhalt des Glaubens (fides quae creditur) gemeint: Die Norm der besonnenen Selbsteinschätzung ist der Messias Jesus bzw. das Evangelium. Diese Interpretation entspricht der Formulierung κατα` τη` ν α� ναλογι'αν τηñ ς πι'στεως („in Übereinstimmung mit dem Glauben“) in V. 6. Sie gewährleistet, dass Paulus den römischen Christen ein objektiveres Kriterium an die Hand gibt, als dies bei der Interpretation der Fall ist, in der jeder Christ eine persönliche Fähigkeit zum Glauben hat, die sich von der Glaubenskapazität anderer Christen unterscheidet. Der Haupteinwand gegen diese Interpretation ist das Verb ε� με' ρισεν, das als Zuteilung von einem je unterschiedlichen με' τρον verstanden werden kann. Der Gedanke einer unterschiedlichen Quantität ist jedoch im Verb μερι' ζω nicht durchweg impliziert. In den Papyri bedeutet μερι' ζω meistens „verteilen, zuteilen“, z.B. von Geldern oder Vermögen, von Bau- oder Ackerland, von Räumen oder Plätzen, von Häusern, Hausgerät oder Vieh.162 Das Verb wird auch in Verbindung mit abstrakten Begriffen verwendet. In P.Köln VI 278,7-8 (1. Jh. n.Chr.) betet der Briefsender, dass der Gott Apis oder Hermes dem Briefempfänger „zuteilen möge gemäß den Bedürfnissen deiner Seele“. In UPZ I 14,19-20 (158 v.Chr.) bittet ein gewisser Glaukias den König Ptolemaios VI Philometor, „auch mir Anteil zu geben (μερι' σαι κα� μοι) an dem Beistand, den ihr für alle Gottesfürchtigen habt“. In Darlehensverträgen geht es oft um die Zeit oder um eine bestimmte Frist, die jemandem zugeteilt wird (BGU IV 1156,1819; 1171,27-28). Manche Ausleger interpretieren πι' στις im Sinn von „Vertrauen“ und von daher als „Verantwortung“ im Blick auf die von Gott erhaltenen Gaben.163 Paulus hätte diesen Gedanken einfacher ausdrücken können, zumal das direkte Objekt von ε� με' ρισεν nicht πι' στις ist, sondern με' τρον.
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160
161 162 163
Barrett 235; Cranfield II 613-616; Moo 761; Wilckens III 11-12; Stuhlmacher 172; Fitzmyer 646; Légasse 770-771; Wright 709; Lohse 340; Matera 289; Cranfield, Με' τρον πι' στεως. Vgl. GN: „Durch den Glauben hat jeder von euch seinen besonderen Anteil an den Gnadengaben bekommen. Daran hat jeder den Maßstab, nach dem er sich einschätzen soll“; NGÜ: „Maßstab für die richtige Selbsteinschätzung ist der Glaube“. Zu πι' στις s. 1,5.8; 3,3. Vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 272 für Belege. Die folgenden Beispiele ebd. Vgl. Daechsel 100; Talbert 286, Penna 835-836; Haacker 303 Ähnlich Keener 145: „faith for a given ministry“.
594 Römerbrief ————————————————————————————————————
Jesusbekenner haben von Gott alle denselben Maßstab erhalten, mit dem sie ihre Funktion in der Gemeinde besonnen einschätzen sollen und können. Dieser Maßstab ist der von Gott gegebene Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus, in dem alle Jesusbekenner der römischen Gemeinden vereint sind, ein Glaube, der im Wissen um das Angewiesensein auf Gott und das Beschenktsein durch Gott sowohl Hochmut als auch Minderwertigsempfinden ausschließt. Der Maßstab christlichen Handelns – in der Gemeinde genauso wie außerhalb der Gemeinde – ist der Glaube an Jesus Christus. Der folgende Satz bestätigt diese Interpretation (Anschluss mit γα' ρ in V. 4): Paulus betont nicht das individuelle Maß des Glaubens, sondern die individuelle Funktion des einzelnen Christen innerhalb der Ge-meinde, die nach V. 3 im Licht des von Gott gegebenen Glaubens besonnen verstanden und verwirklicht werden soll. 4-5 Der Aufruf, auf besonnene Selbsteinschätzung bedacht zu sein, die sich am Maßstab des Glaubens ausrichten muss (V. 3), wird von Paulus auf das Leben des einzelnen Jesusbekenners in der örtlichen Gemeinde angewandt: Jeder soll mit der jeweils von Gott geschenkten Gabe (V. 6) mit der besonderen Wirkung, die mit jeder Gabe je unterschiedlich gegeben ist, das Leben der Gemeinde fördern. Das Leben in der Gemeinde ist von einer Vielfalt an Gaben gekennzeichnet, eine individuelle Vielfalt, die angesichts der Verbindung mit dem Messias Jesus die Einheit der Gemeinde nicht gefährden darf. Paulus argumentiert mit einem Vergleich (καθα' περ … ου« τως) zwischen dem menschlichen Leib (σω' μα [sōma]), der viele Glieder hat (πολλα` με' λη [polla melē]), und der Gemeinde, deren Glieder unterschiedliche Funktionen haben. Die 1. Pers. Plural wir haben (ε» χομεν) erinnert jeden der römischen Christen an den Leib, den sie alle haben: Jeder hat in einem Leib (ε� ν ε� νι` σω' ματι) viele Glieder (πολλα` με' λη; V. 4a) – Augen und Ohren, Nase und Zunge, Arme und Hände, Beine und Füße. Jeder weiß, dass die Glieder nicht alle dieselbe Funktion haben (V. 4b):164 Augen sehen, Ohren hören, die Nase riecht, die Zunge artikuliert, Arme und Hände zeigen, Beine und Füße gehen, und Kopf, Herz, Nieren und Lunge haben alle ihre je eigene, lebensnotwendige Funktion. Die Parallele zwischen dem menschlichen Leib und der Gemeinde der an Jesus Glaubenden besteht in der Gleichzeitigkeit von individueller und ————————————————————
164
πραñ ξις bedeutet hier nicht „Handlung“ im Sinn von „Machenschaften“ (8,13), sondern „Handeln, Tätigkeit, Verrichtung“ im Sinn von „Funktion“; Bauer/Aland s.v. πραñ ξις 1; vgl. LSJ s.v. πραñ ξις V, „practical ability, practice“.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 595 ————————————————————————————————————
korporativer Dimension christlichen Lebens. Die örtliche Gemeinde, die aus vielen (οι� πολλοι' [hoi polloi]) einzelnen Christen besteht, ist ein Leib (ε� ν σω ñ μα) [hen sōma]; V. 5a), d.h., sie bilden eine einzige Gemeinde, einen zusammengehörenden Organismus. Grund und Ursache der Zusammengehörigkeit und Einheit der Jesusbekenner wird mit der Präpositionalwendung im Messias (ε� ν Χριστω ñ, [en Christō]) angegeben: Alle Jesusbekenner wurden infolge ihrer Bekehrung zum Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen in den Messias Jesus hineinversenkt, sind mit ihm zusammengewachsen, mit ihm gekreuzigt und mit ihm gestorben (6,3-10), mit der Folge, dass sie „Lebende im Messias Jesus“ sind (6,11) und als solche ihre Glieder (με' λη [melē]) Gott zur Verfügung stellen als Waffen der Gerechtigkeit (6,13). Wie der menschliche Leib nicht nur eine einzige Größe ist, sondern aus vielen Gliedern besteht, so löst sich auch die Identität der Glaubenden nicht in der einen Gemeinde auf. Die distributive Präpositionalwendung auf den Einzelnen gesehen (το` καθ’ ειðς [to kath’ heis]; V. 5b) drückt die Verteilung eines größeren Ganzen in einzelne Teile aus:165 Es ist immer der Einzelne (ειðς), den Gott zum Glauben an den Messias Jesus bekehrt, und der Einzelne ist in der Gemeinde deshalb wichtig, weil Gott dem einzelnen Gläubigen Gaben gibt, deren Funktion für das Wachstum der Gemeinde nach innen und außen notwendig ist. Die Wendung Glieder voneinander (α� λλη' λων με' λη [allēlōn melē]) unterstreicht die Verflechtung, die Wechselbeziehung, die gegenseitige Abhängigkeit der Jesusbekenner: Wie die Füße auf die Augen und die Zunge auf den Kopf angewiesen sind, so brauchen Christen die Gaben und Funktionen ihrer Mitchristen. In 1Kor 12 behandelt Paulus, ebenfalls illustriert mit dem Bild vom menschlichen Leib, das AufeinanderAngewiesensein der Christen ausführlich (vgl. auch Eph 4). In 1Kor 12,27 bezeichnet Paulus die (örtliche) Gemeinschaft der Jesusbekenner als „Leib des Messias“ (σω ñ μα Χριστουñ [sōma Christou]), eine Formulierung, die nicht identisch ist mit der Formulierung ε� ν σω ñ μα' ε� σμεν ε� ν Χριστω ñ, [hen sōma esmen en Christō] in Röm 12,5. Die mit Jesus Christus verbundene Leibmetapher wird traditionsgeschichtlich unterschiedlich hergeleitet.166 1. Ursprung der Vorstellung vom Leib Christi ist der gnostische ErlöserAnthropos-Mythos: Die Seelen der Menschen sind Teile (Glieder) des himmlischen Urmenschen (Anthropos); sie waren in die Gewalt böser Mächte geraten und werden von dem inzwischen erlösten Haupt wieder zu einem ganzen Leib versammelt.167 Diese These wird ————————————————————
165 166 167
Vgl. Bauer/Aland s.v. κατα' 3a; BDR 305.1 mit Anm. 5; HvS §183b. Zu der folgenden Skizze vgl. Schnabel, 1. Korinther, 723-725; vgl. Käsemann 323-326; Wilckens III 12-13; Dunn II 724-726; Merklein, Studien I, 319-344; Lindemann, Kirche, 132-157; Söding, Leib; Park, Kirche; Kraus, Volk Gottes, 180-181. So Schlier, Kirche, 37-60; Käsemann, Leib; Bultmann, Theologie, 182.311; E. Schweizer, Art. σω ñ μα, ThWNT VII, 1088.
596 Römerbrief ———————————————————————————————————— heute kaum noch vertreten. Die zum Vergleich herangezogenen Texte sind alle späteren Datums. In den (unterschiedlichen) gnostischen Traditionen werden die Begriffe Haupt, Leib und Glieder nicht einheitlich verwendet, und die gnostische Glaubensgemeinschaft wird kaum als „Leib“ bezeichnet. 2. Die Vorstellung vom Leib Christi ist von der Vorstellung von der corporate personality abgeleitet, nach der das Ergehen des Stammvaters (z.B. Adam) das Ergehen seiner Nachkommen mitbestimmt.168 Die Vorstellung vom Stammvater ist jedoch nirgends mit der Vorstellung vom Leib verbunden. 3. Der Ursprung der Vorstellung von der Gemeinde als Leib Christi ist mit der Herrenmahltradition zu verbinden, in der das Brot, das die versammelte Gemeinde isst, als Leib Christi gegessen wird.169 Die Bedeutung von 1Kor 10,16-17 ist zwar nicht von der Hand zu weisen, aber der Leibcharakter der Gemeinde wird in der Herrenmahltradition bereits vorausgesetzt („ein Brot, deshalb ein Leib“). 4. Paulus entwickelte den Gedanken vom Leib Christi aus der Formel „in Christus“, die eine räumliche Dimension beinhaltet.170 Die Rede von der Existenz „in Christus“ / „im Messias“ kann den Ausdruck „Leib des Messias“ jedoch nicht erklären. Die Rede vom Leib Christi greift eine Metapher auf, die in der Antike weit verbreitet war.171 1. Das Bild vom Leib dient zur Illustration der Vorstellung, dass ein gesellschaftlicher Organismus eine naturgegebene Einheit darstellt. Mit diesem Gedanken konnten sich drei Nuancen verbinden: a) Die Glieder haben einen unterschiedlichen Wert. Als der römische Patrizier Menenius Agrippa den Ständekampf schlichten soll, der zwischen Patriziern und Plebejern ausgebrochen war, erzählt er die Fabel von der unberechtigten Revolte der tätigen Glieder gegen den scheinbar untätigen Magen. Vgl. Livius 2,32,9-12. b) Der Leib ist den Gliedern übergeordnet, d.h., die Gemeinschaft ist wichtiger als der einzelne Mensch. Vgl. Epiktet, Diss 2,10,3-4. c) In dem hierarchisch strukturierten Leib sind alle Glieder dem Kopf zugeordnet und damit diesem untergeordnet. Vgl. Seneca, Clem 1,2,1; Philo, Praem 125. 2. Das Bild vom Leib wurde vor allem in der klassischen politischen Ethik für die Vorstellung verwendet, dass die Glieder eines gesellschaftlichen Organismus einander zugeordnet sind. Plato beschreibt Resp 5,462c-d die ideale Polis als Einrichtung, die dem einzelnen Menschen am nächsten kommt: „So wie, wenn einem unter uns der Finger verwundet ist, die gesamte, dem in der Seele Herrschenden als eins zu Gebote stehende, über den ganzen Leib sich erstreckende Gemeinschaft desselben mit der Seele es zu fühlen pflegt und insgesamt zugleich mitzuleiden mit einem einzelnen schmerzenden Teil, sie, die ganze, und wir sodann sagen, daß der Mensch Schmerzen hat am Finger“ (F. Schleiermacher). Vgl. Aristoteles, Pol 5,1302b 33-1303a 1: „Wie nämlich ein Körper aus verschiedenen Teilen besteht und diese im richtigen Verhältnis wachsen müssen, damit die Symmetrie bestehen bleibt, denn andernfalls geht das Wesen zugrunde …, so ist auch ein Staat aus Teilen zusammengesetzt, von denen oftmals einer unvermerkt anwächst, so etwa die Masse der Besitzlosen in den Demokratien und Politien“ (O. Gigon).
Die Metapher vom Leib in V. 5 wird auf diesem Hintergrund als bildliche Vorstellung verständlich, wobei beide Modelle der antiken Leibmetapher als sinnstiftend bemüht werden können. Paulus betont, dass die Gemeinde ein Leib, ein Organismus ist, und er unterstreicht, dass die einzelnen Glieder ————————————————————
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Vgl. Jewett, Terms, 237-245; Schweizer, Kirche als Leib Christi. Vgl. Wilckens III 13; Goppelt, Theologie II, 475-476; Conzelmann, Grundriß, 286-291; Roloff, Kirche, 107-109; Park, Kirche; Schnelle, Paulus, 649. Vgl. Percy, Leib Christi, 18; Becker, Paulus, 454-456; Merklein, Studien I, 339-340; Roloff, Kirche, 109. Vgl. die Belege in NW II/1, 185-187.363-366.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 597 ————————————————————————————————————
des Leibes einander zugeordnet sind und einander brauchen. Im Hintergrund steht wie in 1Kor 12,4-31 die Betonung der Gleichwertigkeit der verschiedenen Gaben und Funktionen in der Gemeinde. Die Gemeinde ist ein lebendiger Organismus, der von Einheit (ε�ν σω ñ μα) und Vielgestaltigkeit (οι� πολλοι', το` καθ’ ειðς) bestimmt ist. Der Leib ist ein Leib nicht trotz der Vielfalt seiner Glieder, sondern gerade infolge der Vielfalt seiner Glieder.172 Jedes Glied hat seine je eigene Funktion (πρα' ξις), die für das Leben der Gemeinde unvertauschbar wichtig ist, weil alle Glieder aufeinander (α� λλη' λων) angewiesen sind. Die Metapher vom Leib ist nicht nur ein Bild, sondern beschreibt, wie die Angabe im Messias deutlich macht, eine Wirklichkeit, die die Identität und die Selbsteinschätzung des einzelnen Jesusbekenners bestimmt.173 Jeder Christ hat seinen ihm von Gott bestimmten Platz in der Gemeinde, seine ihm aufgetragene Aufgabe, deren Bedeutung mit dem Maßstab des Glaubens (V. 3) verstanden wird und die im Vollzug des guten, wohlgefälligen und vollkommenen Willens Gottes (V. 2) zum Wohl des Volkes Gottes erfüllt wird. 6 Paulus konkretisiert die Vielfalt der Funktionen innerhalb der einen Gemeinde mit der Auflistung von sieben Gaben (s. oben II). Der Satz V. 6a wird von den meisten Auslegern als neuer Satz interpretiert.174 Paulus hält die Tatsache fest, dass Jesusbekenner Gaben (χαρι' σματα [charismata]) haben (V. 6a). Die Vokabel χα' ρισμα [charisma]175 ist vor Philo (All 3,78) und Paulus (Röm 1,11; 5,15.16; 6,23; 11,29; 12,6; 1Kor 1,7; 7,7; 12,4.9.28.30.31; 2Kor 1,11; 1Tim 4,14; 2Tim 1,6; 1Petr 4,10) nicht belegt.176 Der früheste Beleg in der griech. Literatur für die Zeit nach Philo und ————————————————————
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Dunn II 725, mit Verweis auf Hainz, Ekklesia, 183. Dunn II 723 sieht zugleich den Gedanken impliziert, dass die Jesusbekenner als Leib im Messias den dem Samen Abrahams bzw. Israel äquivalenten korporativen Ausdruck des Volkes Gottes in der neuen messianischen Zeit darstellen. Kraus, Volk Gottes, 182, im Blick auf 1Kor 12,13: ε� ν ε� νι` πνευ' ματι η� μειñς πα' ντες ει� ς ε� ν σω ñ μα ε� βαπτι' σθημεν; s. dazu Schnabel, 1. Korinther, 728-729. Vgl. die Interpunktion in NA. Vgl. Sanday/Headlam 356; Michel 376; Cranfield II 618; Schlier 369; Wilckens III 10; Schreiner 654; Lohse 341. Anders Zahn 543; Dunn II 725; Jewett 744, die ε» χοντες δε' als konsekutive bzw. kausale Erklärung von α� λλη' λων με' λη V. 5b interpretieren; vgl. Baumert, Unterscheidung, 187-188. Für die folgende Skizze vgl. Schnabel, 1. Korinther, 692-694. Vgl. H. Conzelmann, Art. χαι' ρω κτλ., ThWNT IX, 350-405, bes. 393-397; K. Berger, ThWNT III, 1102-1105; H.H. Eßer / F. Avemarie, ThBLNT I, 817-824; Wetter, Charis, 168-187; Brockhaus, Charisma, 128-142; Lips, Glaube, 184-196; Zeller, Charis, 185-189; Turner, Modern Linguistics, 155-165; Harrison, Grace, 279-283; Schrage, 1. Korinther III, 137-141. Die Vorkommen in der LXX (Sir 7,33 Codex B; 38,30 Codex S; Ps 30,20 Theodotion) sind nach-neutestamentlich. Manche vermuten, dass die Verwendung in Philo, All 3,78 eine Interpolation ist (wie auch Sib 2,54), was unwahrscheinlich ist (Zeller, Charis, 185).
598 Römerbrief ———————————————————————————————————— Paulus stammt aus dem 2. Jh. (Alkiphron, Ep 3,17,4). In den dokumentarischen Papyri kommt das Wort erst ab dem 4. Jh. (in der Bedeutung „Schenkung“ oder „Wohltat“) vor.177 Die meisten Ausleger gehen davon aus, dass χα' ρισμα mit χα' ρις ([charis], „Gnade“) zusammenhängt und mit „Gnadengabe“ übersetzt werden kann.178 Diese Annahme ist semantisch weder zwingend noch überzeugend.179 1. Die Vokabel χα' ρισμα ist von dem Verb χαρι' ζομαι („als Gunst gewähren, aus Gnaden schenken, gütig spenden“) abgeleitet, nicht von dem Substantiv χα' ρις. 2. Die Endung -μα markiert das Substantiv als nomen rei actae, d.h., es beschreibt das Ergebnis einer Handlung, nicht ein Ereignis. Das Wort bedeutet deshalb „Gabe“ im Sinn von „(aus Güte geschenkte) Gabe, Geschenk, Gunsterweis“.180 3. Im Vergleich zu den anderen griech. Vokabeln für „Gabe, Geschenk“ – δο' μα [doma] (neutral), δω ñ ρον [dōron] und δωρεα' [dōrea] (betonen den freiwilligen Aspekt des Schenkens), δω' ρημα (mehr formal) – betont χα' ρισμα stärker die Gunst und das Wohlwollen des Gebers der Gabe. Bei Paulus ist der Geber der Gabe immer Gott, es gibt jedoch keinen linguistischen Grund, weshalb nicht auch Menschen die Geber von χαρι' σματα sein können. Hier gilt der linguistische Grundsatz, dass Bedeutung („Gabe“) und Referenz („die von Gott geschenkte Gabe“) voneinander zu unterscheiden sind. Diese Bedeutung liegt eindeutig in Röm 5,15-16 vor, wo Paulus parallel zu χα' ρισμα andere Vokabeln für „Geschenk“ verwendet (δωρεα' , δω' ρημα, χα' ρις). In 1,11 bezeichnet χα' ρισμα wahrscheinlich theologische Lehre; dass es sich um eine „geistliche“ Gabe handelt, muss durch die Beifügung des Adjektivs „geistlich“ erst geklärt werden (χα' ρισμα πνευματικο' ν); in 6,23 bezeichnet χα' ρισμα das gnädige Geschenk des ewigen Lebens, in 11,29 die Bundesvorteile Israels, in 1Kor 7,7 die Fähigkeit eines Christen, unverheiratet bleiben zu können. In 2Kor 1,11 bezeichnet χα' ρισμα im Kontext von 1,8-10 das gnädige Geschenk der Rettung aus einer großen Gefahr. 4. Diese Stellen belegen für χα' ρισμα die allgemeine Bedeutung „gnädiges Geschenk“, ohne dass eine semantische Verbindung mit χα' ρις, verstanden als im Messias Jesus offenbarte Gnade Gottes, notwendig ist. 5. In Röm 12,6 und 1Kor 1,4.7 ist χα' ρισμα direkt auf die χα' ρις Gottes bezogen. Daraus kann man jedoch nicht schließen, dass χα' ρισμα semantisch „Ausdruck der Gnade“ bedeutet. Paulus hätte in diesen beiden Stellen statt χα' ρισμα auch δωρεα' oder δω' ρημα verwenden können (vgl. Röm 5,15-16; 2Kor 9,1). 6. In keiner der behandelten Stellen hat χα' ρισμα die Bedeutung „übernatürliche Manifestation des Heiligen Geistes“. Es ist nicht die Vokabel χα' ρισμα als solche, mit der Paulus die Gaben in der Gemeinde als Wirkung Gottes oder des Heiligen Geistes nennt; wenn er dies unterstreichen will, nennt er Gott, Jesus oder den Geist ausdrücklich als Urheber.181 7. Das Wort χα' ρισμα hat für Paulus keine „technische“ Bedeutung, wie oft angenommen wird. In 1Kor 12,4 bezeichnet χαρι' σματα die vom Geist Gottes geschenkten Gaben, während in Röm 12,6-8 vom Heiligen Geist nicht die Rede ist. In 1Kor 5-7 verwendet Paulus in parallelen Formulierungen die Vokabeln διακονι' αι [diakoniai], ε� νεργη' ματα [energēmata] und φανε' ρωσις [phanerōsis], die sicher keine „quasi-technischen“ Ausdrücke für die Gaben des Geistes sind.
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Vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 51. Vgl. Schlier 369; Wilckens III 14; Lohse 341. Vgl. Bultmann, Theologie, 289: Die χα' ρις besteht im Ereignis des Gehorsams Christi, der das Leben brachte, und kann, „sofern sie den Menschen zugutekommt, auch χα' ρισμα (Gnadengabe) genannt werden“. Conzelmann, ThWNT IX, 393: χα' ρισμα „bezeichnet das Ergebnis der als Aktion verstandenen χα' ρις, ohne immer scharf von diesem Wort unterschieden zu sein“. Vgl. Dunn, Jesus and the Spirit, 253-254; Lips, Glaube, 185-190; Harrison, Grace, 280-281. Vgl. Chevallier, Esprit, 142-145; Brockhaus, Charisma, 129.140; Baumert, Charisma, 218-222; Zeller, Charis, 185; Turner, Modern Linguistics, 156-165. Bauer/Aland 1753 s.v. χα' ρισμα: „(wohlwollend gespendete) Gabe, Gnadengeschenk“; vgl. H. Conzelmann, ThWNT IX, 393: „Gunstbezeugung, Wohltat, Geschenk“. Vgl. Zeller, Charis, 185 Anm. 139.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 599 ————————————————————————————————————
Paulus beschreibt die von Gott dem einzelnen Christen gegebenen Funktionen (πραñ ξις, V. 4) mit dem Wort „Gaben“ (χαρι'σματα), um deutlich zu machen, dass die Fähigkeit und die Funktion, die Gott zugeteilt hat, kein Grund sind, höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt (V. 3), sondern Anlass, in Übereinstimmung mit dem Glauben, den alle Jesusbekenner haben, mit besonnener Selbsteinschätzung den je eigenen Beitrag zum Leben der Gemeinde zu würdigen. Die Gaben, die Jesusbekenner haben (ε» χοντες [echontes]), werden durch das Adj. verschiedene (δια' φορα [diaphora])182 qualifiziert. Wie ein Leib viele Glieder (πολλα` με' λη) hat, die nicht alle dieselbe Funktion haben (ου� τη` ν αυ� τη` ν ε» χει πραñ ξιν; V. 4), so haben die Jesusbekenner in der Gemeinde verschiedene Gaben mit unterschiedlichen Funktionen. Die folgende Liste der Gaben wird diesen Sachverhalt veranschaulichen. Die durch die Stellung vor dem Adj. betonte Präpositionalwendung nach der uns gegebenen Gnade (κατα` τη` ν χα' ριν τη` ν δοθειñσαν η� μιñν [kata tēn charin tēn dotheisan hēmin]) unterstreicht sowohl den Primat der Gnade 183 im Leben des Jesusbekenners, der im Leben der Gemeinde die ihm verliehene Gnade zum Einsatz bringt, als auch den Primat des Handelns Gottes184 im Blick auf die konkrete Gabe, die Gott dem einzelnen Jesusbekenner zugeteilt hat. Der als Anakoluth interpretierte Partizipialsatz V. 6a ist am besten kausal aufzulösen („da wir verschiedene Gaben haben“) und im Kontext der Mahnung zur besonnenen Selbsteinschätzung V. 3 mit einer impliziten Mahnung (Ellipse) zu verbinden, die auch in der Gabenaufzählung V. 6b-8 zu ergänzen ist: lasst uns diese in der rechten Weise gebrauchen.185 Paulus nennt zunächst vier durch die Formulierung ει»τε … ει»τε ([eite … eite], „wenn … wenn“) verbundene Gaben,186 an die drei Gaben anschließen, die durch unverbundene substantivierte Partizipialwendungen formuliert werden. Die Formulierungen sind knapp und prägnant. Die elliptischen ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. δια' φορος 1, „verschieden, verschiedenartig“; BDAG definiert: „being different, w[ith] focus on distinctiveness“. Zur Bedeutung des Verbs διαφε' ρω im Sinn von „sich unterscheiden“ (Bauer/Aland s.v. διαφε' ρω 2a, mit Verweis auf Gal 4,1; 1Kor 15,41) in den Papyri vgl. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 498. Zu χα' ρις s. 1,5; 3,24. Das Partizip δοθειñσαν ist pass. divinum. Vgl. NSS 40. Elb.Ü: „Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben nach der uns gegebenen Gnade, so lasst sie uns gebrauchen“. NGÜ übersetzt wie die meisten Übersetzungen V. 6a ohne Annahme einer Ellipse („Denn die Gaben, die Gott uns in seiner Gnade geschenkt hat, sind verschieden“), nimmt eine solche aber in V. 6b-8 an („Wenn jemand die Gabe des prophetischen Redens hat, ist es seine Aufgabe, sie in Übereinstimmung mit dem Glauben zu gebrauchen …“). Aufzählungen mit ει»τε … ει»τε liegen auch in 1Kor 10,31; 13,8; 2Kor 8,23 vor.
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Nachsätze sind imperativisch zu ergänzen, z.B. „Wenn wir die Gabe der Prophetie haben, (dann gebrauchen wir sie) …“.187 Man kann die genannten Gaben in Charismen einteilen, die mit der Gestaltung und Durchführung der Gemeindeversammlung zu tun haben (Prophetie, Dienst, Lehren, Ermahnen), und Charismen, die mehr die Organisation der Gemeinde betreffen (Geben, Vorstehen, Barmherzigkeit).188 Paulus nennt als erste Gabe die Prophetie (προφητει' α [prophēteia], V. 6b),189 was 1Kor 12,10; 13,2.8; 14,1.3.22.24-25.32.39; 1Thess 5,20 entspricht. In der atl.-jüdischen Tradition bezeichnet das Verb προφητευ' ω ([prophēteuō]; hebr. [ ָנָבאnābā’], Subst. [ ָנִביאnābī’]) das Reden Gottes durch von Gott erwählte Boten.190 Die Propheten, von denen schriftliche Texte im Alten Testament überliefert sind, betonen, dass „das Wort Jahwes“ ([ ְדַּבר יהוהdebar JHWH]) an sie ergangen ist (vgl. Jer 1,9; Hes 3,10-11) und nun durch sie ergeht.191 Preuß beschreibt die atl. Prophetie folgendermaßen: „So hat JHWH durch das, was den Propheten widerfuhr, was sie erlebten und erleben mußten, zu ihnen geredet, und aus dieser Anrede, dieser Erschließungssituation, diesem Überwundenwerden im eigenen Gewissen sind sie zum Weitergeben dieses Wortgeschehens ermächtigt und genötigt. Gott hängt folglich mit Wirklichkeit und Anrede, mit Geschichte und Sprache zusammen, und er wird den Propheten im Immanenten transzendent … Botenformel (‚so spricht JHWH‘) und Botenspruch machen darüber hinaus deutlich, daß und wie die Propheten sich als Wortmittler verstehen, als von JHWH getroffene Sprecher (vgl. Hab 2,1-3; auch Hi 4,12-17), die ihn und sein Kommen neu zur Sprache bringen wollen und müssen. Alles ist und bleibt dabei ein sehr bewußter Vorgang. Eine Einsicht wird als göttliche Eingebung erfahren, verstanden und geglaubt, ohne daß es dabei zu einer Art mystischer Einung zwischen Gott und Propheten kommt oder kommen kann. Erfahrungen werden gemacht, und der Hörer soll zu analogen Erfahrungen angeleitet und befähigt werden. Er soll ebenfalls hören, was JHWH jetzt sagt und zu sagen hat“.192 Jahweh geht „in seiner Kondeszenz ganz in diese Propheten ein, beläßt sie in ihren psychologischen, stilistischen, ja auch theologischen Unterschieden, wenn sie das Geschaute mit ihrer Gotteserkenntnis durchdringen, dabei und darauf dann ihr Wort ————————————————————
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Vgl. Michel 377; Schlier 370; Wilckens III 10; Lohse 341. Theobald II 44-45; Theobald, Der Römerbrief, 292-293; vgl. Wilckens III 15. H. Krämer / R. Rendtorff / R. Meyer / G. Friedrich, Art. προφη' της κτλ., ThWNT VI, 781863; Schnider, EWNT III, 442-448; M. Frenschkowski, ThBLNT II, 1468-1480; Schürmann, Gnadengaben, 389-392; Dautzenberg, Prophetie; Dunn, Jesus and the Spirit, 227233; Müller, Prophetie, 109-233; Hill, Prophecy; Aune, Prophecy, 171-338; Giesriegl, Charismen, 142-156; Grudem, Prophecy; Sandnes, Paul; Gillespie, Prophecy, 50-63 (zu 12,6); Forbes, Prophecy, 188-315. Vgl. Schnabel, 1. Korinther, 706-711 zum Folgenden. Vgl. J. Jeremias, THAT II, 7-26; H.-P. Müller, ThWAT V, 140-163; Preuß, Theologie II, 72-104. Zur Prophetie im Frühjudentum G.G. Xeravits, ThWQ II, 847-852; G.J. Brooke, EDSS 694-700; Then, Propheten; Floyd/Haak, Prophets; Jassen, Prophecy. Diese Formulierung ist 225 Mal als terminus technicus für die prophetische Wortoffenbarung belegt. Vgl. Rad, Theologie, 96-97; Preuß, Theologie II, 79. Preuß, Theologie II, 80; das folgende Zitat ebd. 81.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 601 ———————————————————————————————————— gestalten. Hierbei kann die Bildung eines Prophetenspruchs durchaus mit dem Werden einer heutigen Predigt verglichen werden“. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass Propheten als Ausleger des Gesetzes begegnen, wie z.B. Mose (Deut 18,15.18). Der Kernprozess atl. Prophetie ist somit das Ineinander von Wort und Geschichte, von Glaube und Gegenwart (z.B. bei der Kritik gesellschaftlicher Um- und Zustände, die Gottes Offenbarung widersprechen), weniger die Gewissheit über die Zukunft als die Gewissheit über Gottes zurechtweisende und erbarmende, richtende und aufrichtende Realität in der Gegenwart. Ausleger beschreiben das Phänomen urchristlicher Prophetie ziemlich einheitlich: Prophetie ist „aus Inspiration herausgeborene Rede charismatischer Verkündiger, durch die der Heilsplan Gottes mit der Welt und der Gemeinde wie auch der Wille Gottes im Leben des einzelnen Christen bekannt wird“.193 Prophetie wird beschrieben als inspirierte Gemeindeverkündigung,194 als öffentliche Proklamation einer Offenbarung, die der christlichen Ortsgemeinde Nutzen bringt,195 als christliche Rede mit göttlicher Legitimation,196 als Empfang und öffentliche Weitergabe einer spontanen, (gewöhnlich) verbalen Offenbarung, die als offenbarte Wahrheit verstanden und der Gemeinde mit der Autorität Gottes, Jesu Christi oder des Heiligen Geistes mitgeteilt wurde, oft im Sinn der Anwendung der Wahrheit des Evangeliums auf spezifische Situationen.197 Die These, urchristliche Prophetie sei im Wesentlichen identisch mit charismatischer Exegese oder mit Verkündigung und Lehre,198 ist nicht überzeugend: Die Listen in Röm 12,6-8 und 1Kor 12,8-10.28-29; 14,6.26, in denen die Gabe der Prophetie neben Lehren und Ermahnen vorkommt, unterstreichen die Verschiedenheit der Gabe der Prophetie und der Gabe des Lehrens und Ermahnens. Richtig ist, dass urchristliche prophetische Botschaften didaktische und präskriptive Elemente aufwiesen. Richtig ist auch, dass urchristliche Propheten offensichtlich gepredigt und gelehrt haben (vgl. Apg 15,32). Das bedeutet jedoch nicht, dass die urchristliche Prophetie mit inspirierter Verkündigung, Exegese und Lehre identisch ist.
In den urchristlichen Gemeinden erscheinen Propheten neben Aposteln und Lehrern (1Kor 12,28-29; Eph 4,11; vgl. Lk 11,49; Eph 2,20; 3,5; Offb 18,20 sowie Apg 13,1). Paulus bezeichnet sich als Apostel, nie als Prophet, obwohl er von sich sagt, dass er in den Gemeinden regelmäßig prophetisch redet (1Kor 14,6).199 ————————————————————
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G. Friedrich, ThWNT VI, 849; vgl. Schrage, 1. Korinther III 155: „Die vom Pneuma inspirierten Propheten haben über die Vorausschau künftigen Geschehens hinaus in umfassender Weise den Weg der Gemeinde durch geistgewirkte Rede zu erhellen und ihr das Heil und den Willen Gottes zu verkündigen“. Hill, Prophets, 112.116-118; Lindemann, Korintherbrief, 267: „das vollmächtige Reden“. Grudem, The Gift of Prophecy in 1 Corinthians, 181-230. Aune, Prophecy, 338. Forbes, Prophecy, 229.236. Vgl. Müller, Prophetie, 47-108 (zu Offb 2-3). 109-233 (zu Paulus); Cothenet, Prophètes; Hill, Prophets, 108-130; Ellis, Prophecy, 147-253; Gillespie, Prophecy, 24-25.63.142150.165-198. Zur Diskussion und Kritik vgl. Forbes, Prophecy, 225-237; Turner, Holy Spirit, 206-212. Vgl. G. Friedrich, ThWNT VI, 852, der auf Röm 11,25-27 und 1Kor 15,23-25.51-55 als Beispiele verweist. Die Auskunft, die Paraklesen in Röm 12; 1Kor 1; 2Kor 10; 1Thess 4, die Mahnung und Zuspruch enthalten, machten deutlich, dass die Briefe des Apostels „prophetische Verkündigung“ sind, „die der Erbauung der Gemeinde dient“ (ebd.), geht von einer zu allgemeinen Definition von „Prophetie“ aus.
602 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Ausführungen zur Prophetie in 1Kor 14 lassen erkennen, welche Bedeutung Paulus dieser Gabe Gottes bzw. des Geistes beimisst und wie er sich ihre Funktion in den Gemeindeversammlungen vorstellt. 1. Prophetie hat grundsätzlich mit Offenbarung (α� ποκα' λυψις [apokalypsis]) zu tun, d.h. mit der Erschließung des Willens Gottes (14,29-30), mit Einblicken in den göttlichen Heilsplan (2,10). Prophetisches Reden ist ein Wortbeitrag, der vom Geist Gottes inspiriert ist, d.h. eine von Gott eingegebene Offenbarung (14,29-30). Der prophetische Beitrag kann spontan sein, aber die starke Betonung mentaler Reflexion in 14,14.15.19 deutet darauf hin, dass dies keine Konstante prophetischer Rede ist.200 2. Prophetisches Reden ist unmittelbar verständlich und muss nicht wie die Glossolalie übersetzt werden (14,1-5.24). 3. Prophetisches Reden ist nicht unkontrolliert-ekstatisch, sondern unter der Kontrolle des prophetisch Redenden (14,29-31). 4. Prophetisches Reden ist eine Gabe, die alle Christen von Gott erbitten sollen (14,1.31.39). 5. Die Funktion des prophetischen Redens ist die Auferbauung (οι� κοδομη' ), Ermahnung und Ermutigung (παρακαλειñν) der Mitchristen (14,3.31), sowie das Lehren (14,19.31). 6. Eine prophetische Rede kann göttliche Einsicht in eine konkrete Situation oder in den gegenwärtigen Herzenszustand eines Menschen, auch eines Ungläubigen, mitteilen (14,25); sie kann auch Weissagungen zukünftiger Ereignisse beinhalten (Apg 11,28; 21,11; Paulus: 20,22-23.29-30; 27,22-25). 7. Prophetische Wortbeiträge müssen von der Gemeinde geprüft und beurteilt werden (14,29), weil es die Möglichkeit falscher Prophetie gibt, was aus der atl. Tradition hinreichend bekannt war. Die Autorität liegt im prophetischen Wort und damit bei Gott, nicht im Propheten selbst. Die Gabe der Unterscheidung der Geister (1Kor 12,10) und die Forderung, dass die Botschaften von Propheten sorgfältig zu prüfen sind (1Kor 14,29; vgl. 1Thess 5,19-21), machen deutlich, dass ein prophetisches Wort nie verabsolutiert werden darf. Prophetisches Reden verleiht dem Propheten nicht die Autorität, anderen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben, sondern ist Sache und Auftrag der Gemeinde. Aune identifiziert 59 Prophezeiungen im NT.201 In den Paulusbriefen gehören folgende Stellen dazu: Röm 11,25-26; 1Kor 12,3; 14,37-38; 15,51-52; 2Kor 12,9; Gal 5,21; 1Thess 3,4; 4,2-6.16-17a; 2Thess 3,6.10.12; 1Tim 4,1-3. Wir finden Aussprüche der Ermutigung (Apg 18,9; 23,11; 27,23-24; 2Kor 12,9); Aussprüche mit normativem Inhalt (Apg 13,2; 21,4; Gal 5,21; 2Thess 3,6); Ankündigungen der Erfahrung ————————————————————
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Vgl. Thiselton, First Corinthians, 1076-1077, gegen die meisten Ausleger. Aune, Prophecy, 247-290, ebd. 248-262 (zu Paulus); vgl. die Liste ebd. 441 Anm. 47. Müller, Prophetie, 140-233 unterscheidet prophetische Mahnrede (Röm 13,11-14; 1Thess 5,1-11; 1Kor 7,29-31), prophetische Gerichtsrede (Röm 16,17-20; Phil 3,17–4,1; Gal 1,69) und prophetische Heilsverkündigung (1Thess 4,13-14; Röm 11,25-26).
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 603 ———————————————————————————————————— von Heil (Offb 14,13; 19,9); Ankündigungen von Gericht (Apg 13,9-11; 1Kor 14,3738; Gal 1,8-9); legitimierende Aussprüche (1Kor 12,3; Offb 1,8.17); eschatologische Theophanieorakel (Röm 11,25-26; 1Kor 15,51-52; 1Thess 4,16-17).
Paulus qualifiziert die Gabe des prophetischen Redens mit der Wendung (dann gebrauchen wir sie) in Übereinstimmung mit dem Glauben. Die Präposition κατα' [kata] verweist auf das Kriterium, das die Funktion der Gabe der Prophetie in der Gemeinde bestimmt. Das Wort α� ναλογι'α [analogia] bezeichnet „die Entsprechung eines richtigen Verhältnisses, die Proportion“.202 Das Kriterium authentischer und für andere Jesusbekenner in der Gemeinde hilfreicher, aufbauender Prophetie ist die Übereinstimmung mit dem Glauben (πι'στις [pistis]; s. zu 1,5.8; 3,3), d.h. mit dem Inhalt des Glaubens (fides quae creditur), dem Evangelium von Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus (1,3-4.16-17, erläutert in 1,18–11,36). Manche interpretieren τηñ ς πι' στεως als gen. subjectivus im Sinn der fides qua creditur, d.h. des Glaubens, den der prophetisch Redende hat und wahren soll. G. Kittel schreibt: „Nur der Glaubende kann das χα' ρισμα üben, und zwar steht die Kraft des χα' ρισμα in der α� ναλογι' α zu der Kraft des jenem eignenden Glaubens“; nach G. Friedrich meint die Analogie des Glaubens die πι' στις als „die gelebte χα' ρις“.203 Nach E. Gaugler mahnt Paulus die Propheten davor, „dem Geist etwas aus dem eigenen Geist hinzuzufügen, das eingegebene Wort durch religiöse Vitalität zu bereichern“.204 Die Interpretation von τηñ ς πι' στεως als gen. objectivus und im Sinn der fides quae creditur ist plausibler:205 Paulus spricht in V. 3 vom „Maßstab des Glaubens“ (με' τρον πι' στεως), und in 1Kor 14,29 verlangt Paulus, dass andere Gemeindeglieder das konkrete prophetische Reden „beurteilen“ (α» λλοι διακρινε' τωσαν; vgl. 12,10 die „Gabe, Geister zu unterscheiden“ [διακρι' σεις πνευμα' των]). Käsemann bezeichnet es als „schlechterdings unsinnig“, wenn der Prophet aufgerufen wäre, sich nach seinem eigenen Glauben zu richten: „Das würde jedem Mißbrauch und sogar der Irrlehre die Türen öff————————————————————
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G. Kittel, Art. α� ναλογι' α, ThWNT I, 350; das Adj. α� να' λογος bedeutet „dem λο' γος entsprechend, mit einem Gegebenen übereinstimmend“ (ebd.). LSJ s.v. α� ναλογι' α listet vier Bedeutungen auf: I.1. mathematische Proportion; 2. allg. Proportion; 3. proportionaler Anteil (in den Papyri); II.1. Analogie; 2. grammatikalische Analogie; III. Verhältnis, Beziehung; IV. Korrespondenz, Ähnlichkeit. BDAG s.v. α� ναλογι' α definiert: „a state of right relationship involving proportion“. Kittel, ThWNT I, 350-351; G. Friedrich, ThWNT VI, 853. Gaugler II 243. Im Sinn der fides qua creditur interpretieren Leenhardt 175; Schlatter 339-340; Michel 377-378; Dunn II 272-273; Moo 765-766; Schreiner 656; Légasse 773774; Witherington 289; Jewett 747; Haacker 305; offensichtlich auch Cranfield II 621: „‚according to the standard of faith‘, ‚in agreement with faith‘ (i.e., faith = fides qua)“. Luther II 283-287; Calvin II 632-633 (fidei nomine significat prima religionis axiomata, „die Fundamentalsätze der [christlichen] Religion“); Käsemann 329; Schlier 370; Wilckens III 14; Stuhlmacher 173; Zeller 209; Fitzmyer 647; Lohse 342; Matera 290; Müller, Prophetie, 214; Aune, Prophecy, 204-205.235; Ortkemper, Leben, 72-74; Theobald, Prophetenworte, 362-363; Hahn, Theologie I, 280 („Entsprechung zum [Bekenntnis] des Glaubens“); II, 601; H. Balz, Art. α� ναλογι' α, EWNT I, 201. Vgl. GN: „muss dem gemeinsamen Bekenntnis entsprechen“; ZÜ: „in Ausrichtung auf den Glauben“.
604 Römerbrief ———————————————————————————————————— nen“ – es gibt zwar noch nicht die spätere als normativ formulierte regula fidei, aber doch die feste Gestalt der christlichen Lehre in der apostolischen Verkündigung, die in liturgischen Aussagen und in katechetischer Unterweisung „über die Wahrheit des Evangeliums mit entscheidenden christologischen Aussagen und grundlegenden Feststellungen zur Lebensführung“ vorhanden ist.206 Dass die Mahnung, das prophetische Reden in Übereinstimmung mit dem Glauben zu praktizieren, angesichts der Gefährdung durch „individuellen und libertinistischen Enthusiasmus“ formuliert sei,207 lässt sich für die Situation in den römischen Gemeinden nicht belegen.
Paulus hat die Weisung, prophetisches Reden am Maßstab des im Evangelium verkündigten Glaubens zu prüfen, in 11,25-32; 1Thess 4,13-18; 1Kor 15 selbst beherzigt, „wenn er die eigene prophetische Erleuchtung jeweils im Horizont des Evangeliums und seiner durch die Glaubensformeln repräsentierten ‚Logik‘ eingeholt hat“.208 7 Als zweite Gabe nennt Paulus Dienst (διακονι'α [diakonia]; s. zu 11,13). Während „Dienst“ in 1Kor 12,4-5 alle Gaben des Geistes als Dienst für die Gemeinde beschreibt, verweist das Wort hier auf eine konkrete Gabe und Funktion, die Paulus allerdings nicht näher erläutert. Eine allgemeine Bedeutung im Sinn von „Dienstbereitschaft“209 oder „alle der Gemeinde gewidmete Dienstleistung“210 scheidet im Kontext der Auflistung von konkreten Gaben und Funktionen aus. Die Erklärung im Sinn von „allerlei organisatorischen und karitativen Aufgaben“211 ist, zumindest was die karitativen Aufgaben betrifft, schon von der Wortbedeutung (s. zu 11,13) her auszuschließen; außerdem werden in V. 8 „Geben“ und „Barmherzigkeit“ eigens erwähnt. Manche interpretieren im Hinblick auf nicht bestimmte Aufgaben der Gemeinde, die auf eine spezifische Beauftragung zurückgehen.212 Da „Dienst“ zwischen Prophetie und Lehren genannt wird, ist es naheliegend, διακονι'α analog 11,13, wo Paulus seine διακονι'α als Apostel ————————————————————
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Käsemann 329, mit Verweis auf Bultmann, ThWNT VI, 214; Schweizer, ThWNT VI, 425; Schrage, Einzelgebote, 185. Hahn, Theologie II, 464 verweist auf „bekenntnisartige Aussagen, ob in Gestalt einer Akklamation oder einer Glaubensformel“, die „zugleich den gemeinsamen Glauben“ artikulieren und somit „Bestandteil einer Glaubensüberlieferung“ sind, die „auch eine kritische Funktion“ hat. H. Balz, Art. α� ναλογι' α, EWNT I, 201. Theobald, Prophetenworte, 363. Lohse 342. Zahn 545; vgl. Schlier 370. Wilckens III 15; vgl. Cranfield II 622 („a range of activities similar to that which came to be the province of the deacon“); Moo 766; Fitzmyer 648. Käsemann 330 vermutet im Blick auf die Zusammensetzung der Gemeinde in Rom „mit vielen verlassenen Witwen und Waisen, dem Proletariat des Welthafens und den dort ständig neuen Ankömmlingen, von Armen und Kranken zu schweigen“, man habe die „Diakonie“ als „Beruf“ gebraucht. Byrne 372; Haacker: „die ständigen, mehr oder weniger institutionalisierten und womöglich hauptamtlichen Tätigkeiten für die Gemeinde“.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 605 ————————————————————————————————————
für die Völker rühmt, zu der er gesandt und beauftragt wurde (10,15), und im Anschluss an 1Kor 12,28, wo Apostel, Propheten und Lehrer einer Aufzählung von Gaben und Funktionen in der Gemeinde vorangestellt werden, im Sinn der Evangeliumsverkündigung zu interpretieren, zu der Glieder der Gemeinde beauftragt werden.213 Bei dieser Interpretation ergibt sich in V. 68 eine Reihe von vier auf die Vermittlung des Wortes bezogenen Gaben: Die Verkündigung aktueller Prophetien, des Evangeliums vom Messias Jesus, der grundlegenden Lehre und der Ermahnung, wobei die ersten drei Glieder „der Trias personenbezogener Gemeindefunktionen in 1Kor 12,28“ entsprechen. Der Nachsatz (dann gebrauchen wir sie) im Dienst (ε� ν τηñ, διακονι'α, ) betont bei dieser Interpretation der Gabe der διακονι'α, dass die Verkündigung des Evangeliums von der Autorität Gottes begleitet ist, der einzelnen Jesusbekennern in der Gemeinde diese Gabe gegeben und sie zur Verkündigung beauftragt hat, gleichzeitig aber den Verkündiger zur Rechenschaft im Blick auf die Ausführung der Beauftragung verpflichtet.214 Die dritte Gabe ist die Gabe des Lehrens (ο� διδα' σκων [ho didaskōn], „der Lehrende“). In 1Kor 12,28 nennt Paulus nach Apostel und Propheten die „Lehrer“ (διδα' σκαλοι).215 Belege in den Papyri zeigen, dass der Lehrer (διδα' σκαλος) zu einem Berufsstand gehörte, „der die intellektuelle oder handwerkliche ‚Grundausbildung‘ junger Menschen zur Aufgabe hatte“.216 Der Wechsel von der Gabe (προφητει' α, διακονι' α) zu dem, der die Gabe ausübt (ο� διδα' σκων etc.), ist wahrscheinlich stilistisch zu erklären; die These, der Wechsel deute darauf hin, dass die ab V. 7b genannten Gaben mehr etablierten Ämtern entsprechen, lässt sich nicht belegen. Die These von Zimmermann, Paulus vermeide das Subst. διδα' σκαλος, weil sich ein urchristlich-pharisäischer Kreis von Lehrern um das Jahr 50 aufgelöst hatte, sodass die Kirche während der paulinischen Mission keine Lehrer hatte,217 ist nicht haltbar.
Die häufigen Aussagen über das Lehren und Unterweisen218 geben Aufschluss über die Funktionen der Lehrer. Sie sind Jesusbekenner, die die ————————————————————
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Hentschel, Diakonia, 145; vgl. Michel 378; Zeller 209 als Möglichkeit; vgl. Bosch, Charismes, 64-65. Zum folgenden Punkt Hentschel, ebd. 145-146. Cranfield II 623 meint, ε� ν τηñ, διακονι' α, betone, dass die Christen, die die geistliche Fähigkeit zu praktischem Dienst erhalten haben, ihre Aufgaben von ganzem Herzen ausführen sollen. Dies hätte Paulus ohne Wiederholung des Wortes διακονι' α direkter sagen können. K.H. Rengstorf, Art. διδα' σκαλος κτλ., ThWNT II, 138-168; H.-F. Weiß, EWNT I, 764769; K. Wegenast, ThBLNT II, 1256-1265; Schürmann, Gnadengaben, 396-401; Zimmermann, Lehrer; Giesriegl, Charismen, 156-159; Smith, Communities, 54-78. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 429. Zimmermann, Lehrer, 106-113; vgl. Jewett 750. Kritisch Kümmel, Urchristentum, 151. Zu διδασκαλι' α, διδα' σκω vgl. Röm 12,7; 15,4; 1Kor 4,17; Eph 4,21; Kol 1,28; 2,7; 3,16; 2Thess 2,15; 1Tim 3,2; 4,6.11.13.16; 5,17; 2Tim 2,2; 3,10.16; Tit 1,9; 2,1.7.10; zu διδαχη' vgl. Röm 6,17; 2Tim 4,2; Tit 1,9; vgl. Apg 2,42; 5,28; 17,19; zu κατηχε' ω vgl.
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Heilsoffenbarung Gottes im gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus im Horizont der Heiligen Schrift kennen und verstanden haben, erläutern und verteidigen und auf das Alltagsleben der Christen anwenden können.219 Die Lehrer der Gemeinde vermitteln die apostolische Überlieferung (Röm 6,17; Gal 1,12; Kol 2,6-7; 2Thess 2,15), die Auslegung der Heiligen Schrift (Röm 15,4),220 die Einprägung der Gebote Gottes und des christlichen Glaubens (Röm 16,17; 1Kor 4,17). Die Gabe des Lehrens ist nicht mit pädagogischer Begabung gleichzusetzen: Weil sich das richtige und im Alltag umsetzbare Verständnis des messianischen Heilshandelns Gottes nur durch den Heiligen Geist erschließt (1Kor 2,10-14), ist auch „das nüchterne und systematische Darlegen der Wahrheit“ eine Gabe des Geistes.221 Der Nachsatz (dann gebrauchen wir sie) in der Lehre (ε� ν τηñ, διδασκαλι'α, ) betont die Notwendigkeit, diese von Gott verliehene Gabe mit konsequenter Konzentration und beständiger Sorgfalt und Hingabe in der Gemeinde einzusetzen. 8 Die vierte Gabe ist die Gabe des Ermahnens und des Trostes (ο� παρακαλω ñ ν [ho parakalōn], „der Ermahnende, Tröstende“).222 Die παρακλη' σις [paraklēsis], die als Zuspruch und Trost und auch als Ermahnung formuliert sein kann, ist nach 1Kor 14,3 auch die Aufgabe der Propheten. Das Wort bezeichnet das korrigierende Ermahnen (1Kor 4,16; 2Kor 10,1; 1Thess 5,11), den ermunternden Zuspruch (2Kor 1,4; 7,6-7; 1Thess 3,7), das tröstende Wort (1Kor 4,13). Die Bedeutungen gehen oft ineinander über, was mit dem Wesen des Evangeliums zusammenhängt.223 Die Gegenwart des Heiligen Geistes ermöglicht dem Jesusbekenner, in der Wirklichkeit des angebrochenen Reiches Gottes „zwischen den Zeiten“ den Willen Gottes zu tun (Röm 6,1-23; 8,1-17). In der Spannung zwischen dem „Schon“ und dem ————————————————————
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1Kor 14,19; Gal 6,6; zu παραδι' δωμι vgl. 1Kor 11,2.23; 15,3. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 429: Der διδα' σκαλος könnte in der Gemeinde „gleichsam als ‚Elementarlehrer der Katechese‘ für die Vermittlung der Grundkenntnisse des christlichen Glaubens oder als Lehrmeister für das Erlenen der notwendigen Fähigkeiten zu einer späteren Tätigkeit in der Mission zuständig gewesen sein“. Dunn, Jesus and the Spirit, 237 spricht von „charismatischer Exegese“ im Sinn neuer Einsicht in das von Gott in der Schrift geoffenbarte Wort oder in die Jesustradition; vgl. Röm 11,25-32; 1Kor 9,8-14; Gal 3,8. Giesriegl, Charismen, 158. Zu παρακαλε' ω [parakaleō] s. 12,1. EÜ übersetzt mit „Trösten und Ermahnen“, GN mit „ermahnen und ermutigen“, Elb.Ü, LÜ mit „Ermahnung“, ZÜ mit „Trost spenden“. Deutsche Ausleger übersetzen παρακαλω ñ ν oft mit „Seelsorger“ (Käsemann, Wilckens, Lohse, Haacker), was man nicht auf psychologische Beratung einschränken darf, wie es in der Duden-Definition von „Seelsorge“ angelegt ist: „Hilfestellung in wichtigen Lebensfragen (besonders in innerer Not)“. Die Ermahnung betrifft durchaus auch, und oft primär, Fehlverhalten, das in den sog. Lasterkatalogen (vgl. Röm 1,28-32) skizziert wird. J. Thomas, EWNT III, 56.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 607 ————————————————————————————————————
„Noch nicht“ vermittelt die παρα' κλησις den Anspruch Gottes auf das Tun seines Willens und zugleich den Zuspruch seiner Vergebung und seiner Hilfe. In Röm 15,14 verwendet Paulus das bedeutungsähnliche Verb νουθετε' ω [noutheteō], das „ermahnen, warnen, zurechtweisen“ bedeutet, für die gegenseitige Ermahnung; in 1Thess 5,12.14 wird diese Funktion von den „Vorstehern“ (προι¨στα' μενοι) ausgeübt. Nach Ps 71,21; 86,17; 94,19; Jes 51,12 ist Gott die Quelle allen Trostes, was in Röm 15,5 aufgenommen wird, wo Gott als „Gott der Geduld und des Trostes“ (ο� θεο` ς τηñ ς υ� πομονηñ ς και` τηñ ς παρακλη' σεως) bezeichnet wird. Paulus ermahnt und tröstet (1Thess 2,3.11-12), weil er weiß, dass Gott durch ihn ermahnt (τουñ θεουñ παρακαλουñ ντος δι’ η� μω ñ ν; 2Kor 5,20). Der Nachsatz (dann gebrauchen wir sie) im Ermahnen und Trösten (ε� ν τηñ, παρακλη' σει) fordert die Gläubigen auf, diese Gabe in der Gemeinde beständig und konsequent einzusetzen, konzentriert auf die Situation, in der Einzelne oder die Gemeinde ermahnt werden müssen oder Trost brauchen. Für die Aufgabe des Ermahnens und Tröstens bedarf es persönlichen Mutes, charakterlicher Unbestechlichkeit, einfühlsamer Sensibilität und der Bereitschaft, Einzelne und Familien, die Rat und Trost brauchen, in ihren Wohnungen und Häusern aufzusuchen.224 Die fünfte Gabe ist die Gabe des Gebens (ο� μεταδιδου' ς [ho metadidous], „der Gebende“). Paulus spricht von Jesusbekennern, die ihren Besitz oder Erwerb mit anderen teilen. Gemeint ist sowohl die persönliche materielle Hilfe für bedürftige Gemeindeglieder aus eigenen Mitteln (vgl. Eph 4,20; Hebr 13,16),225 als auch die Versorgung von hilfsbedürftigen Christen in der eigenen Gemeinde (vgl. Apg 2,45; 4,32-37) oder in anderen Gemeinden (Apg 11,27-30; Röm 15,26; 1Kor 16,1-4; 2Kor 8–9) aus Mitteln der Gemeinde.226 Eine Alternative zwischen den beiden Situationen des Gebens sollte man nicht konstruieren.227 Der Nachsatz (dann gebrauchen wir sie) mit Aufrichtigkeit (ε� ν α� πλο' τητι [en haplotēti])228 weist den Jesusbekenner ————————————————————
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Vgl. Jewett 751, mit Verweis auf Malherbe, Paul, 55 für zeitgenössische philosophische und religiöse Traditionen über „the care of souls under stress“. Cranfield II 624-625; Dunn II 730. Lietzmann 109; Käsemann 330; Schlier 372 („der Almosenverteiler, auch der Verteiler von Kollekten oder der Armenpfleger überhaupt“). Wilckens III 15; Lohse 342. Der Vorschlag von Unnik, Interpretation, Paulus spreche nicht vom Geben materieller Güter, sondern vom Anteilgeben am Wort Gottes, ist weder semantisch noch im Kontext überzeugend; im Kontext ebensowenig begründet ist die These von Jewett 751; Jewett, Tenement Churches, Paulus meine Zuwendungen (Spenden) zum täglichen Liebesmahl. Bauer/Aland s.v. α� πλο' της, „Einfalt, Schlichtheit, Lauterkeit, Aufrichtigkeit“. Vgl. O. Bauernfeind, Art. α� πλουñ ς, α� πλο' της, ThWNT I, 385-386; T. Schramm, EWNT I, 296297; C. Spicq, TLNT I, 169-173; B. Gärtner / H. Bietenhard, ThBLNT II, 1846-1847. Vgl. 2Kor 1,12; 8,2; 9,11.13; 11,3; Eph 6,5; Kol 3,22. Die Grundbedeutung „Einfachheit,
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an, der aus seinen eigenen Mitteln gibt, ohne innere Gespaltenheit und ohne Nebenabsicht zu geben, so, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut (Mt 6,3), und mit aufrichtiger Selbstlosigkeit (2Kor 8,2; 9,11-13).229 Wer Mittel der Gemeinde verwaltet und verteilt, soll die zur Verfügung stehenden Güter (Almosen) mit absoluter Sachlichkeit, „ohne Eigennutz oder Bevorzugung“ austeilen.230 Nach 1Chron 29,17 LXX gibt David Gott sein Gold und Silber ε� ν α� πλο' τητι καρδι'ας („in Aufrichtigkeit des Herzens“). Die sechste Gabe ist die Gabe des Vorstehens (ο� προι¨στα' μενος [ho proistamenos], „der Vorstehende“). Paulus spricht entweder vom Vorsteher der (Haus-)Gemeinde (1Thess 5,12-13; 1Tim 5,17; Hebr 13,17)231 oder allgemeiner von Leitungsfunktionen von Christen, die den Gemeindeversammlungen vorsitzen, das Verteilen von materiellen Gütern organisieren oder die Betreuung von Gemeindegliedern, die Ermahnung und Trost brauchen, koordinieren.232 Die Stellung dieser Gabe zwischen „Geben“ und „Barmherzigkeit“ wird oft als Argument verwendet, „Vorstehen“ als karitative Tätigkeit zu verstehen und im Sinn eines „Patrons“ zu interpretieren, der sich aufgrund seines Reichtums oder seiner gesellschaftlichen Stellung für das Wohlergehen und die Rechte der kleinen christlichen Gemeinden und/oder der gesellschaftlich verwundbaren Gemeindeglieder einsetzen konnte (oft mit Verweis auf Phoebe, die in 16,2 als προστα' τις πολλω ñν [prostatis pollōn] bezeichnet wird).233 Die Passivform des substantivierten Partizips ο� προι¨στα' μενος spricht gegen eine Interpretation im Sinn einer herausragenden gesellschaftlichen Position, die üblicherweise mit dem Substantiv προστα' της (mask.; fem. προστα' τις) beschrieben wird, das als terminus technicus für Führungsämter häufig belegt und Äquivalent für patronus ist. Der Vorschlag, die Stellung von ο� προι¨στα' μενος zwischen zwei auf Wohltätigkeit ausgerichteten Gaben lege die allgemeine Bedeutung ————————————————————
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Ganzheit“ (vgl. Weish 16,27; Josephus, Bell 2,151) kommt im NT nicht vor, auch nicht die negative Bedeutung „Einfältigkeit“ (Philo, VitMos 1,172; Josephus, Bell 1,111). Vgl. Gärtner/Bietenhard, ThBLNT II, 1846 zu der im hell. Griechisch vorwiegenden Bedeutung „Geradheit, Offenheit, Reden ohne Nebenabsicht“. Das Wort wird in Spr 10,8.9 LXX für den Weisen verwendet, der die Gebote von Herzen annimmt: „sein Wandel hat eine klare Ausrichtung; gebunden ans Gesetz, ist er frei von innerem Zwiespalt“. T. Schramm, EWNT I, 297; vgl. Wilckens III 15, der von „absoluter Ehrlichkeit“ spricht; ähnlich Amstutz, Studie, 108-109. Bauernfeind, ThWNT I, 386 nimmt für Röm 12,8; 2Kor 8,2; 9,11.13 die Bedeutung „opferbereite Güte“ an; vgl. Spicq, TLNT I, 171 („gifts given by the charismatic, who gives not grudgingly but generously“); Jewett 752. Lietzmann 109-110; Barrett 239. Jewett 753. Michel 379; Schlier 372; Wilckens III 15; Dunn II 731.
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von „Fürsorge“ nahe,234 ist wenig überzeugend, weil die Nennung dieser Gabe dann redundant wäre. Das Argument, die späte Erwähnung einer Leitungsaufgabe sei wenig wahrscheinlich,235 ist nicht schlagkräftig: Die Nennung von Leitungsaufgaben an sechster (und nicht erster) Stelle ist „ein Beispiel für den Kontrast zu den Wertsystemen ‚dieser Welt‘ (V. 2) und eine stille Vorwegnahme der Mahnung von V. 16“.236 Paulus bezeichnet in 1Kor 12,18 Leitungsaufgaben mit dem Wort (κυβερνη' σεις [kybernēseis], Plural).237 In der LXX bezeichnet das Wort kluge Leitung und Führung (Spr 1,5; 11,14; 24,6). Die „Leitungsgaben“ werden am besten allgemein als „Erweise der Fähigkeit zur Gemeindeleitung“ interpretiert.238 Wenn man die Stellung in der Liste 1Kor 12 hinter der Gabe der Krankenheilung und der Gabe der Hilfeleistungen in Betracht zieht, beschreibt das Wort vielleicht die „vermittelnde Ordnungsfunktion in der Gesamtheit des gemeindlichen Lebens“,239 vielleicht konkret die Leitung des Gottesdienstes oder die Fähigkeit, die Gemeinde durch Krisen zu steuern, ihre Einheit und Funktionalität zu bewahren und Strategien zu formulieren. 240 Wenn man die Leitungsgaben nicht von der korinthischen Situation her interpretiert, kann man an „verschiedene Organisations-, Administrations- und Leitungsfunktionen in der Gemeinde“ denken, die „in einer Großstadtgemeinde wie in Korinth unerläßlich sind“.241 In 1Thess 5,12 schreibt Paulus von in der Gemeinde anzuerkennenden Verantwortlichen, die „euch vorstehen im Herrn“ (προι¨σταμε' νους υ� μω ñ ν). In Phil 1,1 bezeichnet er die Verantwortlichen in der Gemeinde in Philippi als „Aufseher“ (ε� πι'σκοποι [episkopoi]). ————————————————————
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B. Reicke, προι¨' στημι, ThWNT VI, 701; vgl. Lagrange 300; Lohse 343: „Liebesdienste“. Dunn II 731; Dunn, Jesus and the Spirit, 252-253. Haacker 305. Vgl. H. W. Beyer, Art. κυβε' ρνησις, ThWNT III, 1034-1036; G. Schneider, EWNT II, 808; L. Coenen, ThBLNT II, 1155.1159; Dunn, Jesus and the Spirit, 252-253. Das Substantiv κυβε' ρνησις bezeichnet das Steuern eines Schiffes, in übertragenem Sinn das Lenken und Regieren von Staaten od. das Walten einer Gottheit; vgl. Plato, Resp 6,488b.d; Pindar, Pyth. 10,112; Plutarch, Sept. Sap. 18,162A. In den Papyri ist κυβε' ρνησις bislang nur für das 4. Jh. n.Chr. belegt (P.Oxy. XXII 2347,6); das Nomen κυβερνη' της bezeichnet häufig den Führer eines Transportschiffs, SB VI 9223,2; P.Lond II 256a,1. G. Schneider, EWNT II, 808. Lindemann, Korintherbrief, 278 spricht von Entscheidungsprozessen, „an denen offenbar prinzipiell alle Gemeindeglieder beteiligt sind“. Coenen, ThBLNT II, 1159; vgl. Theobald II 45 spricht vom „Charisma der Gemeindeleitung“. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 431, schließt aus dem papyrologischen Befund, dass Christen, die eine κυβε' ρνησις ausüben, dazu da sind, „die Mitglieder der Gemeinde zu ‚leiten‘ und sie durch schwierige Zeiten zu steuern“. Vgl. Allo, Corinthiens, 333; Wolff, Korinther, 308 sowie Thiselton, First Corinthians, 1021-1022; Garland, 1 Corinthians, 600; Mitchell, Rhetoric, 163-164. Schrage, 1. Korinther III, 238.239, der mit Hinweis auf den Plural betont, dass „jede monarchische Gemeindeleitung noch weit entfernt ist“.
610 Römerbrief ————————————————————————————————————
Der Nachsatz (dann gebrauchen wir sie) mit persönlichem Einsatz (ε� ν σπουδηñ, [en spoudē])242 unterstreicht den „Eifer“, d.h. die intensive Hingabe der Verantwortlichen, die mit ihrer Gabe den anderen Gutes tun und dabei allen ein Vorbild sind, wie Jesusbekenner sich in der Gemeinde einsetzen sollen.243 In den Papyri liegt oft die Bedeutung „Diensteifer“ von Untergebenen, aber auch von Vorgesetzten, vor, mitunter mit der Implikation des Vorbildcharakters; vgl. P.Tebt. I 33,19-20; II 410,11-15; UPZ II 215,17-18; BGU IV 1209,7-8.23-24.244 Eine „geistliche Gabe“245 ist σπουδη' weder in 12,8 noch in 12,11, sondern eine Verhaltensweise, mit der die Gabe des Vorstehens im Leben der Gemeinde eingesetzt wird. Spicq interpretiert in V. 8 im Sinn von Ernsthaftigkeit, Würde, Besorgtheit.246
Die siebte Gabe ist die Gabe der Barmherzigkeit (ο� ε� λεω ñ ν [ho eleōn], „der Barmherzigkeit Übende“). Paulus verwendet das Verb ε� λεα' ω/ε� λεε' ω (s. zu 9,15) sonst immer für die Barmherzigkeit Gottes (9,15-16.18; 11,30-32; 1Kor 7,25; 2Kor 4,1; Phil 2,27; 1Tim 1,13.16), hier für die Barmherzigkeit, die Jesusbekenner anderen Gläubigen gegenüber erweisen. Wenn man die jüdische Tradition betont, geht es bei dieser Gabe um das Almosengeben (vgl. Spr 22,8-9; Tob 1,3; 4,7; vgl. Mt 6,2-4; Lk 11,41; 12,33; Apg 9,36).247 Jewett denkt an Barmherzigkeit, die man sowohl innerhalb der Gemeinde als auch Außenstehenden gegenüber zeigt.248 Im Verb ε� λεα' ω/ε� λεε' ω ist die externe Stoßrichtung nicht impliziert, und wenn man im Sinn von konkreten Handlungen wie Pflege der Kranken, Fürsorge für Gefangene (vgl. die mehrfache Gefangenschaft von Paulus) und Hilfe für Hinterbliebene interpretiert, erledigt sich das Problem der Redundanz im Kontext der Gabe des Gebens.
Im Kontext ist eher allgemein an jede praktische Hilfestellung zu denken (vgl. Lk 10,37: Der barmherzige Samariter). 249 Der Nachsatz (dann gebrauchen wir sie) mit Fröhlichkeit (ε� ν ι� λαρο' τητι [en hilarotēti])250
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Bauer/Aland s.v. σπουδη' 2, „Eifer, Fleiß, Emsigkeit“; BDAG: „earnest commitment in discharge of an obligation or experience of a relationship“. Vgl. Harder, Art. σπουδα' ζω κτλ., ThWNT VII, 559-568; Spicq, TLNT III, 276-285; Bauer/Thiele, ThBLNT I, 151. Paulus verwendet σπουδη' in Röm 12,8.11; 2Kor 7,11.12; 8,7.8.16; vgl. sonst Hebr 6,11; 2Petr 1,5; Jud 3. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 382-383. Harder, ThWNT VII, 566. Spicq, TLNT III, 279-280. Michel 379; Dunn II 731-732; Lohse 342. Jewett 753-754. Vgl. TestIss 5,2; TestSeb 7,2; 8,1; TestBenj 4,4; Arist 208; Tob 1,3.16; Philo, Mut 40; vgl. R. Bultmann, Art. ε» λεος κτλ., ThWNT II, 479. So die meisten Ausleger, vgl. Schlier 372; Käsemann 330; Wilckens III 15; Dunn II 731. Bauer/Aland s.v. ι� λαρο' της, „Heiterkeit, Fröhlichkeit, Freundlichkeit“; vgl. R. Bultmann, Art. ι�λαρο' ς κτλ., ThWNT III, 298-300.
Die Gaben der Gnade Gottes 12,3-8 611 ————————————————————————————————————
mahnt, dass die oft beschwerliche, persönliche Opfer erfordernde Ausübung von Barmherzigkeit von Freude erfüllt sein soll. Bultmann interpretiert V. 8 und 2Kor 9,7 (mit einem freien Zitat von Spr 22,8 LXX; vgl. Sir 35,8) im Sinn von „Heiterkeit“ als Symptom der „Freiheit und Echtheit gütigen Schenkens“.251 Die Interpretation im allg. Sinn von „Fröhlichkeit“, d.h. von Freude erfüllt, unbeschwert, froh, ist der „Heiterkeit“ vorzuziehen, die man als „nach außen hin sichtbar werdende fröhliche, aufgelockerte Stimmung“ im Sinn von „(lautes) Gelächter“ definiert (Duden). Godet spricht auch von „Heiterkeit“, bestimmt diese aber als „fröhlichen Eifer, die liebenswürdige Güte, die bis zur Munterkeit gehende Freundlichkeit, durch welche der Besucher oder die Besucherin zum Sonnenblick werden, der in das Zimmer des Kranken und in das Herz des Betrübten hineinleuchtet“.252
Der Gegensatz zur Fröhlichkeit ist das Murren (γογγυσμο' ς, vgl. Phil 2,15; Apg 6,1; 1Petr 4,9). Fröhlichkeit ist eine Disposition, die, weil sie ansteckend ist, den Hilfsbedürftigen nicht nur Freude bereitet, sondern auch bei ihnen Freude auslöst. IV Die Mahnung, dass Jesusbekenner ihr Leben als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darbringen und sich nicht nach den Maßstäben der säkularen Welt richten, sondern sich in ihrem Denken erneuern lassen, damit sie beurteilen können, was der Wille Gottes ist (12,1-2), wird zuallererst für das Leben der Gemeinde konkretisiert. Christsein kann nie auf das Private beschränkt sein, sondern verwirklicht sich in der Öffentlichkeit der örtlichen Gemeinde. Die Vielfalt, die die einzelnen Christen zum Leben der Gemeinde beisteuern, ist genauso wie die Einheit der Gemeinde ernst zu nehmen, was dann gelingt, wenn sich jeder Christ mit besonnener Selbsteinschätzung mit der ihm von Gott gegebenen Gabe am Leben der Gemeinde beteiligt. Die im Messias Jesus geoffenbarte Gnade Gottes verflüchtigt sich bei Paulus nicht zu einer theologischen Idee, sondern er „leitet dazu an, sie im selbstlosen Dienst der einzelnen für das Ganze in ihrer wirklichkeitsverändernden Kraft wahrzunehmen“.253 Schlatter kommentiert: Mit der Betonung der Einheit des Leibes „ist es dem Glaubenden verwehrt, sich der Gemeinschaft zu entziehen, um sein Eigenleben zu pflegen; aber ebenso ist es der Gemeinde untersagt, bei sich die Einheit dadurch zu erzwingen, daß sie bei sich Einerleiheit durchsetzt“.254 ————————————————————
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Bultmann, ThWNT III, 299. Godet II 241. Theobald II 45-46. Schlatter 338.
612 Römerbrief ————————————————————————————————————
Die Tatsache, dass Paulus Substantive und substantivierte Partizipialwendungen „in lockerer Folge“ aneinanderreiht, sollte nicht zu der These verdichtet werden, es gäbe noch „keine genau umschriebenen Ämter“, sondern „das freie Walten des Geistes, aus dem die Fülle der verschiedenen Funktionen erwächst“.255 Das eine schließt das andere nicht aus, und „genau umschriebene Ämter“ sind eine spätere Entwicklung, die bei genauem Hinsehen auch in den Pastoralbriefen noch nicht zu einer Verfestigung von Ämtern bei gleichzeitiger „Evakuierung“ des Heiligen geführt hat. Vom Heiligen Geist spricht Paulus in 12,3-8 nicht, was selbstredend nicht heißt, dass es sich bei den Gaben von 12,6-8 um andere als um Gaben des Geistes Gottes handelt. Paulus ist weder an konstante Terminologie noch an gleiche Begrifflichkeiten gebunden. Die Organisation der Ortsgemeinden war, wie das Beispiel der Jerusalemer Urgemeinde zeigt (Apg 1–12), flexibel: Neue, von der Missionsarbeit getragene Entwicklungen verursachten neue organisatorische Bedürfnisse, die man zumindest teilweise mit Beteiligung der ganzen Gemeinde löste (Apg 6,1-7). Gleichzeitig gilt, dass sich die Liste der Gaben in 12,6-8 durchaus als „Spiegel einer Gemeindeordnung“ lesen lässt, für die „die sozialen Funktionen und Dienstleistungen genauso wichtig sind wie etwa der Dienst der Gemeindevorsteher“.256 Was Paulus in 1Kor 14,33 sagt, gilt auch für die stadtrömische Gemeinde. Die unterschiedlichen Gaben, die Gott bzw. der Heilige Geist den einzelnen Gläubigen gegeben hat, binden das Leben und Handeln aller an die Auferbauung der Gemeinde. Das Kriterium für das Leben und Handeln des einzelnen Gläubigen ist der Glaube, der allen gemeinsam ist. Diese hermeneutische Norm gilt nicht nur für die Gabe der Prophetie, sondern für alles Reden, Singen und Handeln in der Gemeinde.257 Luther betont in 12,3: „Alles sagt er im Interesse der Einigkeit. Denn nichts schafft solche Zwietracht als dies, wenn keiner innerhalb der ihm zukommenden Grenzen und Berufung handelt; daß er sein eigenes Amt hintansetzt und ein fremdes an sich reißt oder, wenn er sich auch kein fremdes anmaßt, so doch sein eigenes Amt vernachlässigt. Daher die Streitigkeiten“.258 Es fällt auf, dass in der Röm-Liste die eher „spektakulären“ Gaben – Wunder, Heilungen, Sprachen/Glossolalie – fehlen. Haacker meint, Paulus spreche offenbar nur dort von der Glossolalie, „wo sie in einer Gemeinde aufgetreten ist, und setzt sich nirgends für sie ein, wo sie nicht schon prakti————————————————————
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Lohse 343. Theobald II 45. Wilckens III 14 spricht in V. 6 im Blick auf die Gabe der Prophetie vom Glauben als „der normative hermeneutische Horizont für alle Predigt im Gottesdienst“. Luther II 281.
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ziert wird“.259 Wilckens erklärt den Sachverhalt als Ergebnis der Kämpfe in der korinthischen Gemeinde, in die Paulus mit dem 1. Korintherbrief klärend eingegriffen hatte: „Es ist inzwischen gelernt worden, daß der Ort der Charismen die Gemeinde, nicht das Selbstbewußtsein des einzelnen ist und daß die Zielrichtung ihres Wirkens im Beitrag zum Zusammenleben der einzelnen als Glieder des einen Leibes der Kirche besteht. Wie es kein Wirken des Geistes geben kann, das nicht im einen, gemeinsamen Glauben sein Maß hätte, so darf es auch kein christliches Trachten über die Gliedschaft der Kirche hinaus in eine vermeintliche Unmittelbarkeit zu Gott geben, die der Brüder entbehren könnte“.260 Die fehlende Erwähnung von Wundern, Heilungen und Glossolalie bedeutet nicht, dass diese Gaben in den römischen Gemeinden unbekannt waren. In Röm 15,18-19 spricht Paulus von den Zeichen und Wundern, die in seinem missionarischen Wirken geschehen sind.261 Weil Paulus als Missionar Gemeinden gegründet hat, legt diese Stelle nahe, dass Zeichen und Wunder durchaus für ihn zur Erfahrung nicht nur des missionarischen Wirkens, sondern auch des Gemeindelebens gehört haben. Gleichzeitig zeigt 2Kor 12,7, dass Paulus weiß, weil er es selbst erfahren hat, dass Gott nicht alle Gebete um Heilung erhört. So viel kann man sicher sagen: Die fehlende Erwähnung von Wundern, Heilungen und Glossolalie bedeutet, dass Wunder, Heilungen und das spontane Reden in einer ungelernten Sprache für Paulus nicht zum unabdingbaren Proprium rechten Gemeindelebens gehören.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 I 9 Die Liebe sei ungeheuchelt. Verabscheut das Böse, haltet am Guten fest, 10 seid einander in herzlicher, brüderlicher Liebe zugetan, geht in der Ehrerweisung einander voran, 11 lasst in eurer Einsatzbereitschaft nicht nach, lasst euch vom Geist (Gottes) durchdringen, dient dem Herrn, 12 freut euch aufgrund der Hoffnung, seid standhaft in der Bedrängnis, seid beharrlich im Gebet, 13 nehmt euch der Heiligen an, die in Not sind, befleißigt euch der Gastfreundschaft. 14 Segnet, die euch verfolgen, segnet und verflucht nicht. 15 Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden. 16 Trachtet nach Einmütigkeit unter————————————————————
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Haacker 305-306. Wilckens III 16-17. Zu Paulus und Wundern s. Twelftree, Paul and the Miraculous, 151-226.307-323.
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einander, seid nicht überheblich, sondern stellt euch auf die Geringen ein. Haltet euch nicht selbst für klug. 17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, seid auf das bedacht, was vor allen Menschen gut ist. 18 Wenn es möglich ist, soweit es an euch liegt, haltet Frieden mit allen Menschen. 19 Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn (Gottes), denn es steht geschrieben: Mein ist die Rache, ich werde vergelten, spricht der Herr. 20 Vielmehr: Wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen. Wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf seinen Kopf häufen. 21 Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit dem Guten. II Auf die Mahnung, das Leben als Jesusbekenner als heiliges Selbstopfer für Gott zu verstehen und zu verwirklichen (12,1-2) und die Mahnung zur Einheit in Vielfalt und zum rechten Gebrauch der Gaben (12,3-8) folgt die Mahnung zur Nächstenliebe (12,9-21). Der Übergang von den Gaben zum Thema der Liebe entspricht der Themenfolge von 1Kor 12 zu 1Kor 13, ist aber nahtlos. Das Stichwort „Liebe“ kommt in V. 9 (α� γα' πη) und V. 10 (φιλαδελφι'α) vor und zieht sich wie ein roter Faden durch den Text: Die Zuneigung zu Mitchristen wie auch zu Außenstehenden ist nicht nur für den Umgang mit den Geistesgaben in der Gemeinde von grundlegender Bedeutung, sondern soll alle Beziehungen, in denen Jesusbekenner stehen, charakterisieren.262 Paulus formuliert kurze Sätze, die eine paränetische Grundstruktur aufweisen, die sich in Imperativen und imperativischen Partizipien, Infinitiven und Adjektiven niederschlägt. Der paränetische Skopus zeigt sich in den neun expliziten Imperativen: V. 14a ευ� λογειñτε; V. 14b ευ� λογειñτε; V. 14c μη` καταραñ σθε; V. 16 μη` γι' νεσθε φρο' νιμοι; V. 19 δο' τε; V. 20a ψω' μιζε; V. 20b πο' τιζε; V. 21a νικω ñ ; V. 21b νι' κα. Zusätzlich haben siebzehn Partizipien imperativische Bedeutung: V. 9b α� ποστυγουñ ντες; V. 9c κολλω' μενοι; V. 10 προηγου' μενοι; V. 11b ζε' οντες; V. 11c δουλευ' οντες; V. 12a χαι' ροντες; V. 12b υ� πομε' νοντες; V. 12c προσκαρτερουñ ντες; V. 13a κοινωνουñ ντες; V. 13b διω' κοντες; V. 14 διω' κοντας; V. 15a χαιρο' ντων; V. 16a φρονουñ ντες; V. 16b φρονουñ ντες; V. 16c συναπαγο' μενοι; V. 17a α� ποδιδο' ντες; V. 17b προνοου' μενοι; V. 18 ει� ρηνευ' οντες; V. 19 ε� κδικουñ ντες. Imperativische Bedeutung haben zwei Adjektive (V. 10 φιλο' στοργοι; V. 11 ο� κνηροι' ) und zwei Infinitive (V. 15a ————————————————————
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Cranfield II 629; Michel 381; Dunn II 737-738; Lohse 344; Jewett 757-758 u.a. Anders Käsemann 331-332, nach dem in 12,9-21 „der vielfältige charismatische Dienst der Christen beschrieben wird“; kritisch Michel 382; Wilckens III 18: Die Mahnungen in 12,9-21 richten sich an alle Christen in gleicher Weise, während in 12,6-8 differenzierte Mahnungen an einzelne Christen, je nach Gabe Gottes, vorliegen.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 615 ———————————————————————————————————— χαι' ρειν; V. 15b κλαι' ειν).263 Daube und Kanjuparambil meinen, das Phänomen imperativischer Partizipien leite sich von jüdischer Paränese ab, in der Gesetze von atl. Instruktion unterschieden werden;264 dieser Sicht haben sich viele Ausleger angeschlossen.265 Dieser Annahme wurde energisch widersprochen: Moulton und Salom argumentieren, dass imperative Partizipien eine genuine Entwicklung innerhalb der Koine waren.266 Manche interpretieren die Partizipien als Prädikate der impliziten Kopula ε� στε' , d.h. sie haben imperativischen Sinn, sind aber nicht als Imperative zu verstehen.267 Eine Abhängigkeit von Vorlagen, die Paulus (modifizierend) übernommen habe, kann jedenfalls nicht aus der Verwendung von Partizipien und Imperativen abgelesen werden.268
Paulus zitiert die Schrift (explizit Deut 32,35 in V. 19, unmarkiert Spr 25,21-22 in V. 20) und knüpft an atl.-jüdische (Weisheits-)Traditionen an: zu V. 15 vgl. Sir 7,34; zu V. 17 vgl. Spr 3,7; Jes 5,21; 12,17.269 Er spielt auf Worte Jesu an: zu V. 10a vgl. Mt 12,50 / Mk 3,35 / Lk 8,21; zu V. 10b vgl. Mt 23,12 / Lk 18,14; zu V. 14 vgl. Lk 6,28; zu V. 16 vgl. Jesu Tischgemeinschaft mit den Zöllnern und Sündern; zu V. 17 vgl. Lk 6,27-36; zu V. 21 vgl. Lk 6,27-36 / Mt 5,44.270 Manche Aussagen erinnern an Sätze der hellenistischen Popularphilosophie.271 Diese Zitate und Anspielungen weisen darauf hin, dass Paulus keine spezifischen Missstände in den römischen (Haus-)Gemeinden anspricht, sondern Anweisungen formuliert, die für alle Jesusbekenner in allen Gemeinden von grundlegender Gültigkeit sind. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass die Mahnungen in 12,9-21 viele Par————————————————————
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Vgl. HvS §231k.202f; BDR §389.468.2b mit Anm. 5 zu imperativischen Partizipien und Infinitiven; zu Adjektiven mit imperativischer Bedeutung vgl. HvS §231k. Manche lehnen die Existenz imp. Ptz. ab, so für Röm 12,9ff z.B. Funk, Grammar, 647 (Jewett 760, der sich ihm anschließt, verweist fälschlicherweise auf BDF §647; dagegen BDF §468, wo imp. Ptz. angenommen werden. Daube, Participle, 467-488; Kanjuparambil, Imperatival Participles, 285-288; vgl. Fanning, Verbal Aspect, 386-388. Käsemann 332-333; Michel 382 Anm. 2; Wilckens III 18 Anm. 83; Dunn II 738; Lohse 345 mit Anm. 4. Moulton, Grammar I, 180-183; Salom, Imperatival Use, 41-49. Porter, Verbal Aspect, 370-377 schließt sich der Kritik von Daube an und argumentiert, dass imperativische Partizipien die Möglichkeiten der Verwendung ausweiten, die im Partizip schon immer angelegt waren. Vgl. Holmes, Text, 290. Sanday/Headlam 360; vgl. Turner, Syntax, 303.343 (der die Existenz von imperativischen Partizipien in der Koine akzeptiert); Lamp, Participles, 311-316. Der Imperativ ε� στε' ist im NT nicht belegt. Die These von Talbert, Tradition, Paulus habe in V. 9-13 ein ursprünglich aramäisch formuliertes judenchristliches Traditionsstück, in V. 14-21 ein in sich geschlossenes Traditionsstück mit sechs Zeilen (V. 16a.b.17a.18.19a.21) übernommen (immer noch Talbert 287), ist nicht überzeugend; vgl. Wilckens III 18 Anm. 85. Vgl. Wilson, Love, 178.182-184. Allison, Pattern, 11-12; Thompson, Clothed, 90-110; Mustakallio, Motivation, 454-456; vgl. Theobald II 77-79. Vgl. die Belege in NW II/1, 188-198.
616 Römerbrief ————————————————————————————————————
allelen mit den Mahnungen in 1Thess 5,12-22 (vgl. 1Petr 3,8-12) aufweisen. Die Mahnungen sind nicht so „locker“ oder „unverbunden“ aneinandergereiht, wie viele Ausleger dies annehmen.272 Der Abschnitt 12,10-13 besteht aus zehn ausbalancierten Sätzen, die mit φιλαδελφι' α beginnen und mit φιλοξενι' α enden und mit der rhetorischen Figur der Anapher verbunden werden (3x τηñ, , 2x τω ñ, , 3x τηñ, ). David Black findet in 12,9-13 eine chiastische Struktur: V. 9b-c: A; 10a-11a: B’; 11b-c: C; 12: B’; 13a.b: A’:273 9a 9b 9c 10a 10b 11a 11b 11c 12a 12b 12c 13a 13b
η� α� γα' πη α� νυπο' κριτος α� ποστυγουñ ντες το` πονηρο' ν κολλω' μενοι τω ñ, α� γαθω ñ, τηñ, φιλαδελφι' α, ει� ς α� λλη' λους φιλο' στοργοι τηñ, τιμηñ, α� λλη' λους προηγου' μενοι τηñ, σπουδηñ, μη` ο� κνηροι' τω ñ, πνευ' ματι ζε' οντες τω ñ, κυρι' ω, δουλευ' οντες τηñ, ε� λπι' δι χαι' ροντες τηñ, θλι' ψει υ� πομε' νοντες τηñ, προσευχηñ, προσκαρτερουñ ντες ταιñς χρει' αις τω ñ ν α� γι' ων κοινωνουñ ντες τη` ν φιλοξενι' αν διω' κοντες
Der Abschnitt lässt sich in zwei Gruppen einteilen: 12,9-13 behandelt das innergemeindliche Verhalten, 12,14-21 das Verhalten der Jesusbekenner gegenüber Außenstehenden.274 Textkritische Anmerkungen. In V. 9 lesen F G lat sy μισουñ ντες („hassend“) statt α� ποστυγουñ ντες, vielleicht von der lat. Übersetzung beeinflusst.275 In V. 11 lesen D*.c F G u.a. καιρω ñ, statt κυρι'ω, , wahrscheinlich die Folge einer Verwechslung von ΚΥΡΙΩ und ΚΑΙΡΩ; die Lesart κυρι'ω, ist sehr gut bezeugt (d46 אB D2 L P Ψ u.a.) und deshalb vorzuziehen, zumal ————————————————————
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Michel 381: „ohne strenge Logik“; Wilckens III 18: „wie Perlen an einer Kette: jede für sich, aber eine unmittelbar neben der anderen“. Black, Love Command, 5-9; vgl. Fitzmyer 652; Jewett 756-757. Der Versuch von Wilson, Love, 172-176, in 12,14-21 eine chiastische Struktur zu entdecken (A/A’: V. 14/21, B/B’: V. 15/20; C/C’: V.16/19b-c; D: V. 17-19a), ist weniger überzeugend; Jewett 757 mit Anm. 8. So die meisten Ausleger; Michel 382 Anm. 3 hält diese Einteilung für zu schematisch; vgl. Schlier 374: V. 15-16 lassen sich auf das Verhältnis der Christen untereinander anwenden. Jewett 757-758 geht im Kontext einer rhetorischen Analyse von vier Teilen aus: 12,9a: These; 12,9b-13: Die Liebe im Blick auf das Leben der Gemeinde; 12,14-20: Die Liebe im Blick auf die Menschen außerhalb der Gemeinde; 12,21: Rekapitulation der Mahnungen im Hinblick auf Gut und Böse. Lietzmann 100; Jewett 755.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 617 ————————————————————————————————————
die Wendung „der Zeit dienen“ (τω ñ, καιρω ñ, δουλευ' ειν) eine zeitgenössische Redensart war, die mit negativer Nuance den (verabscheuungswürdigen) Opportunismus im Blick hatte.276 In V. 13 ersetzen D* F G t vgmss χρει'αις durch μνει'αις („Erinnerungen“), was aber nicht gut bezeugt ist.277 In V. 14 lassen d46 B 6 1739 u.a. υ� μαñ ς aus, das in אA D Ψ 33vid 1881 Byz jedoch gut bezeugt ist; eine sekundäre Hinzufügung als Angleichung an Mt 5,44 wird von vielen als wahrscheinlicher erachtet als eine sekundäre Streichung.278 NA druckt υ� μαñ ς in eckigen Klammern ab. Die Auslassung von ευ� λογειñτε in d46 (boms) ist vielleicht der Versuch einer Glättung des Wortlauts.279 In V. 15 lesen A D2 Byz syp vor κλαι'ειν ein και', was weniger gut bezeugt ist als die Minuslesart (d46 אB D* F G u.a.). Die Hinzufügung von α� γαπητοι' hinter φρονουñ ντες in P* in V. 16 ist sekundär. In V. 17 liest A1 ε� νω' πιον τουñ θεουñ και' hinter καλα' und gleicht damit an 2Kor 8,21 an; F G 629 lat lesen ου� μο' νον ε� νω' πιον τουñ θεουñ αλλα` και', was ebenfalls sekundär ist.280 Die Lesart τω ñ ν statt πα' ντων in d46 A1 D* F G it will wohl die ethische Mahnung abschwächen und ist als sekundär zu betrachten. In V. 19 lesen A F G statt des Sing. ε� κδι'κησις den Plural ε� κδικη' σεις, der in der LXX nicht ohne Parallele ist (2Sam 22,48; Ps 17,48; 93,1; Hes 14,21; 16,41; 24,10; 25,17), aber im Kontext der paulinischen Aussagen nicht erforderlich ist und am besten auf einen Hörfehler beim Diktat zurückgeführt werden kann.281 V. 20 weist mehrere unterschiedliche Lesarten auf. Statt α� λλα` ε� α' ν lesen D1 Byz syh εα` ν ουò ν, was wahrscheinlich den Versuch einer stilistischen Verbesserung darstellt. Dasselbe gilt für die Lesart ε� α' ν statt α� λλα` ε� α' ν in d46vid D* F G Ψ 323 u.a. it, für die Lesart και` ε� α` ν διψαñ, statt ε� α` ν διψαñ, in D* und für die Lesart ε� α` ν δε' διψαñ, in D1 Ψ 1505 u.a. syh. Die Lesart τη` ς κεφαλη' ς in B will die Syntax verbessern (ε� πι' mit Gen.) und ist sekundär.
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D.h., καιρω ñ, ist die schwierigere Lesart, die aber deshalb nicht zu bevorzugen ist, weil sie im Kontext keinen Sinn ergibt; vgl. Cranfield II 634-636; Schlier 376-377; Wilckens III 21; Jewett 755. Anders Zahn 549 Anm. 43; Michel 385; Käsemann 334, die καιρω ñ, für ursprünglich halten (Käsemann 334: „gemeint ist dann der entscheidungsträchtige Augenblick, in welchem es, nur aus der Situation zu rechtfertigen und deshalb mißverständlich, Partei zu ergreifen gilt“). Lietzmann 111; Wilckens III 22 Anm. 104; Dunn II 737; Jewett 755; Zahn 550-551 zieht μνει' αις vor. Cranfield II 640; Wilckens III 22 Anm. 108; Jewett 755. Metzger, Textual Commentary, 466 lässt die Entscheidung offen. Dunn II 737; vgl. Jewett 755. Vgl. Metzger, Textual Commentary, 466; Jewett 756. Stanley, Paul, 171 Anm. 299.
618 Römerbrief ————————————————————————————————————
III
9 Als Paulus den Abschnitt V. 9-21 an die römischen Christen schrieb, lag
in Korinth, wo er sich gerade aufhielt, der Brief mit der Charakterisierung der Liebe (α� γα' πη [agapē]; s. zu 5,5) in 1Kor 13,1-13 vor, die als Kernstück der Behandlung der Gaben des Geistes deren Handhabung innerhalb der Gemeinde beschrieb (1Kor 12–14). In Gal 5,22 nannte er die Liebe als die erste Frucht des Heiligen Geistes. In 1,7 hatte Paulus die Jesusbekenner in den römischen Gemeinden als „die von Gott Geliebten“ (α� γαπητοιñς θεουñ ) beschrieben, eine Wirklichkeit, die sich aus der Tatsache ergibt, dass Gott seine Liebe (η� α� γα' πη τουñ θεουñ ) den sich zu Jesus bekennenden Sündern geschenkt hat (5,5) als die Macht, die im Anschluss an den Sühnetod Jesu Sünder gerecht macht (5,8). Die Wirklichkeit der Liebe des Messias (η� α� γα' πη τουñ Χριστουñ ) ist eine Realität, die keine Macht in dieser und der jenseitigen Welt aufheben kann (8,35-39). Deshalb steht der Hinweis auf die Liebe an der Schnittstelle zwischen dem Grundsatz der Verwirklichung des christlichen Lebens als heiliges Selbstopfer für Gott in 12,1-2 und der Beschreibung der Vielfalt der Gaben der Gnade Gottes in der einen Gemeinde in 12,3-8 einerseits und den konkreten Mahnungen für das Verhalten der Glaubenden in 12,9b-21 andererseits. Die Liebe, die sie in ihrem Verhalten im Alltag umsetzen, ist die Verwirklichung der Liebe Gottes und deshalb nicht auf Mitchristen beschränkt, sondern im Blick die Sünder außerhalb der Gemeinde das ermöglichte und geforderte Verhalten. In den Mahnungen V. 14.17.21 wird dies explizit betont. Die Liebe, die ein Ausdruck der erfahrenen Liebe Gottes ist, ist gerade deshalb ungeheuchelt (α� νυπο' κριτος) [anhypokritos]).282 Während die Wort-gruppe υ� πο' κρισις [hypokrisis] aus dem Bereich des griechischen Theaters kommt, in dem der Schauspieler seine Rolle als Maske trug, die das Gesicht des Schauspielers verdeckte, beschreibt das Wort in der LXX und auch sonst im Diasporajudentum als Übersetzung von [( ָחֵנףchāneph], „Gott entfremdet, gottlos“; Hi 34,30; 36,13) ein Wort, das einen Menschen beschreibt, der sein Verhalten nicht von Gott bestimmen lässt.283 Im Kontext ————————————————————
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Vgl. U. Wilckens, υ� ποκρι' νομαι κτλ., ThWNT VIII, 558-571, zu α� νυπο' κριτος ebd. 569571; H. Giesen, Art. υ� ποκριτη' ς κτλ., EWNT III, 965-966; Spicq, TLNT I, 134-138; W. Günther, ThBLNT II, 1847-1849. Das Adj. α� νυπο' κριτος ist in den Papyri nur in einem christlichen Text (P.Oxy. LVI 3862,11; 4.–5. Jh.) belegt, als Attribut zu ε� λπι' ς; ArztGrabner, 2. Korinther, 350. Vgl. Garland, Intention, 91-123; Marshall, Hypocrite, 131150. Zum Liebesgebot bei Paulus vgl. Söding, Liebesgebot; Wischmeyer, Agape, 74-102. Vgl. Wilckens, ThWNT VIII, 561-564 zu LXX, Philo und Josephus; vgl. Philo, Conf 48; Her 43; SpecLeg 4,183; Josephus, Bell 1,318.471; Ant 2,160; 16,216. Wilckens erklärt diesen „merkwürdige[n] Übersetzungsvorgang“ mit Stellen wie TestBenj 6,4-5; TestGad 5,1; TestDan 3,6; 6,8 u.a., wo vom Frevel als Trug die Rede ist und das Trügerische im
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 619 ————————————————————————————————————
von 2Kor 6,6-7, wo Paulus ebenfalls von „ungeheuchelter Liebe“ (α� γα' πη, α� νυποκρι' τω, ) spricht, kann man α� νυπο' κριτος bestimmen als „die unverfälschte Klarheit, unverstellte Eindeutigkeit und rückhaltlose Ganzheit der endgültigen Wirklichkeit Gottes als Charakter der Nächstenliebe der Christen“, sodass das Gegenteil, „eine Liebe ε� ν υ� ποκρι' σει, nicht einfach nur gespielte, scheinbare, trügerische Liebe, sondern dies alles als Auswirkung eines frevelhaften Nichtentsprechens zu Gottes Tun und Verhalten meint“.284 Wenn man, was lexikalisch nicht notwendig ist, den Hintergrund des Theaters zur Veranschaulichung der paulinischen Mahnung heranzieht, ergibt sich ein zweifacher Gedanke:285 Im Unterschied zum Schauspieler, der seine Rolle als Maske vor sich herträgt und dabei sein eigenes Gesicht verdeckt, sollen Jesusbekenner sich ganz mit der von Gott geschenkten und zugleich geforderten Liebe identifizieren und nicht nur so tun, als würden sich lieben. Und: Im Unterschied zum Schauspieler, der sich so verhält, dass man die Maske, die er trägt, für seine eigene Person hält, sollen Glaubende so leben, dass sie die Nächstenliebe nicht für ihre eigenen Interessen „einsetzen“, sodass andere höher von ihnen denken, als zu denken sich gebührt (V. 3), sondern sich der Liebe als Wirklichkeit des Charakters Gottes unterwerfen. Vor einer Perversion der Liebe wird auch in 2Kor 6,6; Gal 5,14; 1Petr 1,22 gewarnt. Die Liebe zum Nächsten soll ungespielt, frei von falschem Schein und von unlauteren Motiven sein. Die Liebe zu Mitchristen und zu Sündern außerhalb der Gemeinde ist dann echt, wenn sie durch ihre Herkunft von Gott, Jesus und dem Heiligen Geist und durch ihren opferbereiter Charakter als die Gabe erkennbar ist, die allen anderen Gaben überlegen ist (1Kor 12,31). Die Grundausrichtung des von der Liebe bestimmten Verhaltens wird in dem Satz formuliert: Verabscheut das Böse, haltet am Guten fest. Das imperativisch mit „verabscheut“ (α� ποστυγουñ ντες [apostygountes]) übersetzte Partizip ist ein emotional geladener Ausdruck („Abscheu empfunden, Ekelgefühle haben“).286 Was „das Böse“ (το` πονηρο' ν [to ponēron])287 ist, ————————————————————
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Widerstreit gegen die Wahrheit Gottes besteht: „Wer böse ist, spielt die Rolle des Bösen. Er verstellt sich, indem er sich aus einem Gerechten, der er nach dem Gesetz Gottes sein sollte, zu einem Frevler macht (vgl äthHen 99,2). Diese Verstellung ist eo ipso böser Trug, Widerstreit gegen die Wahrheit Gottes.“ Wilckens, ThWNT VIII, 570. Vgl. Wilckens III 19. BDAG s.v. α� ποστυγε' ω definiert: „to have a vehement dislike for someth[ing]“ und schlägt „hate strongly, abhor“ als Übersetzung vor; LSJ s.v.: „hate violently, abhor“. Das Wort kommt nur hier im NT vor; es wird in der LXX nicht verwendet. Vgl. neben Röm 12,9 auch 1Kor 5,13; Gal 1,4; Eph 5,16; 6,13.16; Kol 1,21; 1Thess 5,22; 2Thess 3,2.3; 1Tim 6,4; 2Tim 3,13; 4,18. Die Mahnung 1Thess 5,22 ist ebenfalls allge-
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wird nicht näher bestimmt: Es handelt sich um alles Verhalten, das Gottes Willen widerspricht, innerhalb der Gemeinde (wie „der Böse“ in 1Kor 5,13, der Christ sein will, aber mit seiner Schwiegermutter eine sexuelle Beziehung aufrechterhält) sowie außerhalb der Gemeinde in den Strukturen der „gegenwärtigen bösen Welt“ (Gal 1,4; vgl. Eph 5,16: „diese Tage sind böse“), „an dem bösen Tag“ der Versuchung durch den Feind Gottes (Eph 6,13; vgl. 6,16: „die feurigen Pfeile des Bösen“) „böse Werke“ zu tun (Kol 1,21) und sich den „bösen und schlechten Menschen“ (2Thess 3,2; vgl. 2Tim 3,13) anzuschließen. Das imperativische Partizip „haltet fest“ (κολλω' μενοι [kollōmenoi])288 beschreibt, wenn man die Verwendung in den dokumentarischen Papyri zu Rate zieht, Verbindungen, die „mehr oder weniger dauerhaft (sind), was die Zeit betrifft, und feste Verbindungen, was ihre Qualität betrifft“.289 Christen sollen mit dem „Guten“ (ο� α� γαθο' ς [ho agathos]),290 d.h. mit dem Willen Gottes (V. 2), eine dauerhafte und feste Verbindung eingehen, eine intensive Einheit mit dem Guten bilden. In Amos 5,14-15 heißt es: „Sucht das Gute und nicht das Böse (ε� κζητη' σατε το` καλο` ν και` μη` το` πονηρο' ν), damit ihr lebt! Der Herr, der Gott, der Allherrscher, wird dann mit euch sein, wie ihr gesagt habt: ‚Wir hassen das Böse und lieben das Gute‘ (Μεμιση' καμεν τα` πονηρα` και` η� γαπη' καμεν τα` καλα' )“ (LXX.D). In den ersten Zeilen der Gemeinderegel Qumrans werden die Frommen aufgefordert, „Gott zu suchen … zu tun, was gut und recht vor ihm ist … und alles zu lieben, was er erwählt hat, und alles zu hassen, was er verworfen hat; sich fernzuhalten von allem Bösen, aber anzuhangen allen guten Werken“ (1QS I, 1-5). Das Wort Jesu in Mt 5,44-45 („Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“) verbindet das Böse mit ungerechtem Handeln und das Gute mit gerechtem Handeln unter der Überschrift „Du sollst deinen Nächsten lieben“ (5,43). Wer von der Liebe Gottes erfasst ist und jetzt selbst den Nächsten liebt, der verabscheut das Böse und tut das Gute, weil die Liebe als „Definition ————————————————————
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mein formuliert: „Meidet das Böse in jeder Gestalt“ (LÜ). Vgl. Brandenburger, Das Böse; Baumbach, Funktion. Bauer/Aland s.v. κολλα' ω, Passiv: 2a „an etwas haften“, 2b „sich eng anschließen an“. Vgl. K. L. Schmidt, κολλα' ω, ThWNT III, 822: „zusammenleimen, zusammenfügen, verbinden“. Bei Paulus in Röm 12,9; 1Kor 6,16.17. Vgl. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 238, mit Behandlung von P.Oxy. XII 1449,14-15.23; P.Fay. 112,7-8; P.Lond. V 1731,16. Vgl. Röm 2,7.10; 3,8; 5,7; 7,12.13.18.19; 8,29; 9,11; 10,15; 12,2.9.21; 13,3.4; 14,16; 15,2; 16,19. Vgl. W. Grundmann, Art. α� γαθο' ς κτλ., ThWNT I, 10-18; J. Baumgarten, EWNT I, 10-17; E. Beyreuther / R. Heiligenthal, ThBLNT I, 853-856; vgl. Röder, Gut.
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des Guten“ gelten kann.291 Deshalb können Jesusbekenner niemand „Böses mit Bösem“ vergelten: Sie sind allen Menschen gegenüber „auf Gutes bedacht“ (V. 17) und besiegen das Böse mit Gutem (V. 21). Die Liebe unterscheidet konsequent zwischen Gut und Böse: Sie „freut sich nicht über das Unrecht, sie freut sich vielmehr mit der Wahrheit“ (1Kor 13,6). 10 Innerhalb der Gemeinde ist die in V. 9 an erster Stelle der Mahnungen betonte Liebe eine brüderliche Liebe (φιλαδελφι'α) [philadelphia]).292 Im außerbiblischen Griechisch und in der LXX bezeichnet φιλαδελφι' α die Liebe (φιλι'α) für den leiblichen Bruder (α� δελφο' ς) und die leibliche Schwester (α� δελφη' ),293 im NT in übertragenem Sinn die „brüderliche“ oder „geschwisterliche“ Liebe der durch die Gotteskindschaft (Röm 8,29) miteinander verbundenen Jesusbekenner.294 Das mit herzlich (φιλο' στοργοι [philostorgoi]) übersetzte imperativische Adjektiv295 verwendet das für die herzliche Zuneigung von Familiengliedern belegte Wort für die herzliche Liebe von Jesusbekennern zueinander. Die Vokabel beinhaltet nicht nur (und auch nicht immer) den Gedanken der emotionalen Wärme, sondern oft auch den Gedanken der Wohltätigkeit, Hingabe und Großzügigkeit an den, dem man in herzlicher Liebe verbunden ist.296 Wenn man die inschriftlichen Belege297 von Kleinasien zu Rate zieht, in denen φιλο' στοργος meistens auf die Frau bezogen ist, die ihre Kinder bzw. ihren Ehemann liebt, kann man folgern, dass Paulus die Vokabel vielleicht unter bewusster Ignorierung von Geschlechterrollen ————————————————————
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Wilckens III 20. Bauer/Aland s.v. φιλαδελφι' α, „die Bruderliebe, d. Geschwisterliebe“. Vgl. H. von Soden, Art. α� δελφο' ς κτλ., ThWNT I, 144-146, zu φιλαδελφι' α ebd. 146; E. Plümacher, EWNT III, 1014-1015; S. Nägele, ThBLNT I, 212; Spicq, Charité. Vgl. Plutarch, Περι` φιλαδελφι' ας (De fraterno amore), Mor. 478-492. In der LXX 2Makk 15,10.14; 4Makk 13,21.23. Die Bezeichnung φιλα' δελφος kommt in Grabinschriften vor, auch in jüdischen Kontexten (CIJ I 125.321.363; II 815.1488.1489). Als Titel wurde φιλα' δελφος von Ptolemaios II. verwendet (OGIS I 185,1; 329,6). Vgl. Horsley/Llewelyn, New Documents, I, 118; III, 87. Der einzige nichtchristliche Beleg für die übertragene Verwendung der Wortgruppe ist 2Makk 15,14, wo φιλα' δελφος in der Bedeutung „den Angehörigen des eigenen Volkes liebend“ vorkommt. Neben Röm 12,10 vgl. 1Thess 4,9; Hebr 13,1; 1Petr 1,22; 2,17; 3,8; 2Petr 1,7. Bauer/Aland s.v. φιλο' στοργος, „innig liebend“; LSJ s.v., „loving tenderly, affectionate, freq. of family affection“; MM s.v.; vgl. G. Schneider, EWNT III, 1024; Spicq, TLNT III, 462-465; Spicq, Φιλο' στοργος. In ThWNT wird nur kurz auf φιλοστοργι' α („Gattenliebe“; Plutarch, Ag. 17) verwiesen (K. Weiß, χρηστο' της, ThWNT IX, 478). Für die LXX s. 2Makk 6,20; 9,21; 4Makk 15,6.9.13. Spicq, TLNT III, 464 verweist auf P.Mert. 12,12; P.Mich. 341,9; PSI 904; P.Stras. 284,13; P.Oxy. III 492,5; P.Tebt. 408,7; P.Flor. 338,10. Vgl. Robert, Hellenica XIII, 38-41. Vgl. Horsley/Llewelyn, New Documents II, 101-103; III, 41-42, mit vielen papyrologischen und epigraphischen Belegen, viele von Kilikien.
622 Römerbrief ———————————————————————————————————— verwendet.298 Eine Inschrift von Kyzikos verwendet φιλοστοργι' α allerdings für die Liebe von Priesterinnen im Blick auf Gottheiten,299 was entweder eine Ausnahme darstellt oder für eine allgemeinere Verwendung der Wortgruppe in Kleinasien spricht. In den Belegen von Ägypten wird die Wortgruppe öfter ohne Bezug auf Frauen verwendet, z.B. für die Zuneigung zu Gästen oder die Anhänglichkeit von Sklaven gegenüber ihren Besitzern.300
Das eigentlich überflüssige Reziprokpronomen α� λλη' λους unterstreicht, dass Christen einander lieben sollen. In 1Thess 4,9 schreibt Paulus im Blick auf die brüderliche Liebe (φιλαδελφι'α), dass Gott selbst die Jesusbekenner in Thessalonich gelehrt hat, „einander zu lieben“ (θεοδι' δακτοι' ε� στε ει� ς το` α� γαπαñ ν α� λλη' λους). Die brüderliche Liebe, mit der Jesusbekenner einander zugetan sind, zeigt sich in Herzlichkeit, Rücksichtnahme, Güte, Besorgtheit, Fürsorge. Sie erweist sich nach V. 13 als Gastfreundschaft im Blick auf reisende Mitchristen. Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen, von der in 14,1-23 ausführlich die Rede ist, kann als Beispiel dafür dienen, was brüderliche Liebe im konkreten Zusammenleben von Christen mit unterschiedlichen Meinungen bedeutet. Die Gemeinde als familia Dei (Familie Gottes) „bedarf der ständigen Initiative jedes ihrer Glieder, wenn es darum geht, keine Privilegien für sich zu beanspruchen und um des anderen willen Verzicht zu üben“.301 Die Aussage in V. 10a spielt möglicherweise auf Mk 3,35 an: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (par. Mt 12,50 / Lk 8,21).302 Die nächste Mahnung spricht von Ehrerweisung (η� τιμη' [hē timē]), in der Christen einander vorangehen (α� λλη' λους προηγου' μενοι [allēlous proēgoumenoi]) sollen. Das Substantiv τιμη' (s. zu 2,7) hat hier den aktiven Sinn einer Handlung: Paulus spricht von Ehrerweisung, Ehrenbezeigung.303 In griech. Texten ist in diesem Zusammenhang oft vom Lob oder einer Auszeichnung für eine Leistung die Rede. Das im Neuen Testament nur hier verwendete Verb προηγε' ομαι304 ist am besten mit „einander vorangehen“ zu übersetzen, im Sinn von „geht in der Ehrerweisung einander voran“.305 ————————————————————
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Vgl. Horsley/Llewelyn, New Documents II, 103. CIG 3657; Schwertheim, Denkmäler, No. II; Horsley/Llewelyn, New Documents III, 41. SEG XVIII 143,69; sowie P.Oxy. III 494,6; P.Oslo 129,15. Käsemann 333 interpretiert im Sinn von „das respektvolle und opferbereite Wohlverhalten“. Haacker 306 spricht von einer „gefühlsstarken Vokabel“, die auch in „erotischen Kontexten“ verwendet würde; diese Nuance spielt in den zahlreichen Belegen der Wortgruppe kaum eine Rolle. Käsemann 333. Vgl. Thompson, Clothed, 90; Mustakallio, Motivation, 456 Anm. 10. Bauer/Aland s.v. τιμη' 2a; vgl. 1Tim 6,1; Apg 28,10. Kritisch Zahn 549 Anm. 41. Zum folgenden Punkt notiere man den Hinweis auf Reader, Polemo, 280. Bauer/Aland s.v. προηγε' ομαι, „vorangehen und den Weg zeigen“; vgl. F. Büchsel, προηγε' ομαι, ThWNT II, 910-911; H. Balz, EWNT III, 374. In der LXX s. Deut 20,9; Spr 17,14; 16,18; 3Esr 5,8; 8,28.67; 9,12; 2Makk 4,40; 8,22.23; 10,12; 11,8; Sir 41,17.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 623 ———————————————————————————————————— Das Verb kann „einander zuvorkommen“ bedeuten, mit dem Gedanken des zur Nachfolge bzw. Nachahmung reizenden Verhaltens, im Sinn von „in Ehrerbietung sucht einander zuvorzukommen“,306 was aber hier nicht passt. Möglich ist die Bedeutung „höher schätzen“, im Sinn von „achte den anderen höher (als dich selbst)“, die mit Phil 2,3307 begründet wird,308 wo προηγε' ομαι allerdings nicht vorkommt; bei diesem Gedanken könnte man das Verb προτιμα' ω erwarten. Plausibler ist die Übersetzung „vorangehen“ im Sinn von „im Erweisen der Ehrerbietung geht einander voran“: Dies ist die Grundbedeutung des Verbs, erklärt den Akk. α� λλη' λους im Kontext von τιμη' und gibt im Zusammenhang der antiken Ehrenbezeigung einen guten Sinn, in der die öffentliche Anerkennung eine wichtige Rolle spielte, auch und gerade bei Einladungen zu gemeinsamen Mahlzeiten.309 Die kulturkritische Komponente der Mahnung von Paulus, bei der Ehrerweisung einander voranzugehen, wird im Vergleich mit Anonymus Iamblici, Frag. 2,3 deutlich: Die Menschen bringen anderen nur ungern Achtung entgegen, weil sie stets glauben, dabei selbst etwas zu verlieren (ου� γα` ρ η� δυ` τοιñς α� νθρω' ποις α» λλον τινα` τιμαñ ν αυ� τοι` γα` ρ στερι' σκεσθαι' τινος η� γουñ νται); sollte tatsächlich jemand in kurzer Zeit α� γαθο' ς und α� νδρειñος werden, so müsste er mit dem Argwohn und der Missgunst seiner Mitmenschen rechnen. Deshalb lohnt es sich nur, sich von Jugend an anhaltend in der entsprechenden Disziplin zu üben.310
Paulus spielt in V. 10b möglicherweise auf das Wort Jesu in Mt 23,12 / Lk 18,14 an: „Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“.311 11 Glaubende sollen in der Einsatzbereitschaft (σπουδη' [spoudē])312 nicht nachlassen (V. 11a). Sie sollen in der Gemeinde mit hingebungsvollem ————————————————————
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Elb.Ü: „in Ehrerbietung einer dem anderen vorangehend“ Vgl. die lat. Übersetzung: invicem praevenientes; vgl. Oecumenius 572; Theophylakt 508. LÜ: „Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor“. Vgl. Dunn II 741; Moo 777. Wenn das Verb „vorangehen, den Weg zeigen“ bedeutet, steht es mit Dat. oder Gen. der Person (LSJ s.v. προηγε' ομαι 1-2). Phil 2,3: „In Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst“ (EÜ). Das Akk.-Objekt wird als Beleg aufgefasst, dass an die Bedeutung von η� γε' ομαι im Sinn von „halten für“ gedacht ist und die Vorsilbe προ- den Vorzug meint, den ein Christ dem anderen erweist; vgl. BDR §150; Büchsel, ThWNT II, 911 (mit Verweis auf 2Makk 10,12: το` δι' καιον συντηρειñν προηγου' μενος προ` ς του` ς Ιουδαι' ους); Zahn 548-549 mit Anm. 41; Michel 384; Käsemann 333; Cranfield II 632-633; Wilckens III 20; Lohse 346; vgl. GN: „ehrt euch gegenseitig in zuvorkommender Weise“; NGÜ: „Übertrefft euch gegenseitig darin, einander Achtung zu überweisen“ (Anm.: „einer soll den anderen für größere Ehre wert halten als sich selbst“). Jewett 761-762, mit Verweis auf Lendon, Honour, 133; Bartchy, Siblings, 71-72; vgl. Schlier 375, mit Verweis auf mAb 4,15: „Komme jedermann mit dem Friedensgruß zuvor“; Michel 384 Anm. 11 mit Verweis auf mAb 4,15; bBer 6b. Diels, Vorsokratiker II, S. 400,18; vgl. Hoffmann, Argumentation, 286 Anm. 13. Die sieben Fragmente werden einem ca. 400 v.Chr. verfassten sophistischen Text zugeschrieben. Vgl. Thompson, Clothed, 90; Mustakallio, Motivation, 456 Anm. 10. Vgl. G. Harder, Art. σπουδα' ζω κτλ., ThWNT VII, 559-568 (ebd. 561 zur Bedeutung in hellenistischen Texten, einschließlich Papyri und Inschriften); C. Spicq, TLNT III, 276285. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 382: In ptolemäischen Papyri wird σπουδη' „häufig von Untergebenen verlangt, wobei Vorgesetzte, was den ‚Diensteifer‘ betrifft, mitunter Vorbildwirkung ausüben“.
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Eifer mitarbeiten, mit einem Einsatz, der Aufwand an Kraft kostet, mit freudiger Bereitwilligkeit. Das mit lasst nicht nach übersetzte imperativische Adjektiv ο� κνηροι' [oknēroi] bedeutet „zaudernd, ängstlich, saumselig, träg“, bezeichnet einen Menschen, „der aus allerlei Beweggründen u[nd] Hemmungen den Entschluß zur Tat nicht findet“.313 Das Engagement in der Gemeinde für das Evangelium, für die Mitchristen, darf nicht durch Gewöhnung nachlassen. Im Kontext des Tadels in Offb 2,4; 3,15-16 bedeutet dies: „Die Liebe darf kein Strohfeuer sein“.314 Die Mahnung lasst euch vom Geist (Gottes) durchdringen (V. 11b) fordert die Jesusbekenner auf, das Wirken des Heiligen Geistes voll, ohne Zückhaltung, mit persönlichem Engagement zur Entfaltung kommen zu lassen. Die meisten Ausleger interpretieren πνευ' μα [pneuma] zu Recht im Sinn des Geistes Gottes,315 nicht des menschlichen Geistes.316 Das Verb ζε' οντες [zeontes] bedeutet „wallen, sprudeln; kochen, sieden“. Das Verb ζε' ω wird sowohl im eigentlichen Sinn verwendet (z.B. Philo, Som 1,19 [heiße Quellen]; Josephus, Bell 5,479: glühendes Eisen) als auch übertragen auf seelische Zustände, Zorn, Liebe, Eifer zum Guten und Bösen (Philo, VitMos 2,280: zornige Erregung). Im NT wird das Verb nur hier und in Apg 18,25 verwendet, dort vom „glühenden Geist“ des Apollos.317 LSJ s.v. ζε' ω nennt folgende Bedeutungsbreite: I. „kochen, brodeln“ (Wasser, Kessel); selten von festen Gegenständen: „feuerheiß sein“ (Hesiod, Theog 695,847); „fermentieren“; metaphorisch, „kochen, aufbrausen“, auch von Leidenschaften; „aufwallen, von etw. wimmeln“. In der LXX kommt das Wort im eigentlichen Sinn vor – Ex 16,20: Das Manna „brachte Würmer hervor“ (ε� ξε' ζεσεν σκω' ληκας); Hi 32,19 vom Bauch, der wie ein Mostschlauch „gärend“ (ζε' ων) zugebunden ist, als Bild intensiver Gemütserregung; Hes 24,5 von einem siedenden Kessel (ε» ζεσεν ε» ζεσεν), als Bild des Gerichts über Jerusalem; 4Makk 18,20 in übertragenem Sinn: „kochend vor Wut“ (ζε' ουσι θυμοιñς). Für A. Oepke ist die lexikalische Grundbedeutung „die Vorstellung von der stürmischen Bewegung“, wobei die Nuance „Hitze“ manchmal, aber nicht immer vorhanden ist; im Blick auf Röm 12,11 spricht er von der „Entfaltung der christlichen Lebensenergie“.318
Wenn man die Bildsprache beibehalten will, kann man mit „brennend im Geist“ übersetzen; als dat. causae: „lasst euch vom Geist durchglühen“; als dat. resp.: „seid brennend im Blick auf den Geist“.319 Der göttliche Geist ————————————————————
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F. Hauck, ο� κνηρο' ς, ThWNT V, 167; ο» κνος bezeichnet das „Säumen aus Erschöpfung, Trägheit oder Furcht auch aus Scheu und Zurückhaltung“. Spicq, TLNT II, 576-577. Wilckens III 21. Röm 2,29; 5,5; 7,6; 8,2.4-6.9-11.14-15.23.26-27; 9,1; 11,8 u.a. Röm 1,9; 8,16; 1Kor 2,11; 4,21; 5,5; 2Kor 2,13; 7,1; Gal 6,1.18; Phil 4,23; 1Thess 5,23; 1Tim 4,22; Phlm 25. Siehe zu 1,4. Vgl. Bauer/Aland s.v. ζε' ω, „kochen, sieden“. BDAG s.v. ζε' ω definiert nur die übertragene Bedeutung: „to be stirred up emotionally, be enthusiastic/excited/on fire“. A. Oepke, Art. ζε' ω κτλ., ThWNT I, 877-878. LÜ; Elb.Ü; G. Schneider, EWNT II, 247; ZÜ: „im Geist brennen wird“; vgl. EÜ; GN:
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wird öfter mit „Feuer“ in Verbindung gebracht;320 das Verb selbst spricht allerdings nicht von einem brennenden Feuer. Wenn man die Metapher auflöst, übersetzt man am besten mit „durchdringen“: Christen sollen das Wirken des Heiligen Geistes, der die Macht Gottes (1,16) Wirklichkeit werden lässt, in ihrem Leben, und das heißt in ihrem Verhalten in der Gemeinde und in der Welt, uneingeschränkt erfahren, sodass nichts das Engagement für Gott zugunsten des Nächsten beeinträchtigt. Die Mahnung dient dem Herrn (V. 11c) ist nicht „ungewöhnlich blaß“,321 wenn man die gesellschaftliche Brisanz der Tatsache beachtet, dass Paulus alle Jesusbekenner, auch die (wenigen) Angehörigen der lokalen Elite, als „Sklaven“ bezeichnet, die dem Messias Jesus, der hier mit „Herr“ (κυ' ριος [kyrios]) gemeint ist, „Sklavendienste leisten“ (δουλευ' οντες [douleuontes]).322 Die Mahnung V. 11c konkretisiert V. 11a: Die Einsatzbereitschaft, in der man nicht nachlassen soll, ist der Einsatz eines Sklaven für seinen Herrn – er gilt dem Dienst für Jesus, der jedem Christen Gaben gegeben hat, die in der Gemeinde zum Nutzen der Mitchristen eingesetzt werden sollen (V. 3-8). Und die Mahnung V. 11c qualifiziert V. 11b: Der geistliche Enthusiasmus des Christen hat seinen Ort im (Sklaven-)Dienst Jesu und wird nicht von persönlichen Gefühlsstürmen geleitet, sondern von dem Willen des Herrn, der die Gaben des Geistes zum Wohl des einen, und das heißt des ganzen, Leibes gegeben hat (vgl. 1Kor 12,7). 12 Neben der Liebe (V. 9) bestimmt die Hoffnung (ε� λπι'ς [elpis]; s. zu 5,2) das Leben der Jesusbekenner. Der Dativ τηñ, ε� λπι'δι bezeichnet die Ursache (dat. causae) der Freude, der Standhaftigkeit inmitten von Leiden und der Beharrlichkeit im Beten. Die Hoffnung auf die Erfüllung der Verheißung Gottes war ein Kennzeichen des Glaubens Abrahams (4,18), wie die Hoffnung auf die Wirklichkeit der Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes Christen kennzeichnet, als Resultat der von Gott empfangenen Gnade (5,2) und als Realität, die zuverlässig inmitten von Leiden Geduld und Bewährung bewirkt (5,3-5). ————————————————————
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„Lasst euch vom Geist (Gottes) entflammen“; Bauer/Aland s.v. ζε' ω: „durchglühen lassen“; Wilckens: „vom Geist entfacht“; Schlier, Lohse: „brennt im Geist“; Schlier 376 auch „Im Geist glüht!“ im Sinn der „Glut des Eifers“. Wilckens III 12: „Der Geist in den Christen ist vielmehr ein Feuer, das unaufhörlich in ihnen brennt“. Viele Ausleger zitieren den Satz von Käsemann 333: „Wo nichts brennt, gibt es auch kein Licht“. Wenn Paulus die Metapher des Feuers od. des Brennens im Blick gehabt hätte, hätten ihm andere Formulierungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden. Jes 4,4; 30,27-28; Mt 3,11 / Lk 3,16; Apg 2,3; vielleicht 1Thess 5,19; Offb 3,15. Käsemann 334; kritisch auch Dunn II 742. Zu δουñ λος s. 1,1.
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Das imperativische Partizip freut euch (χαι'ροντες) beschreibt Jesusbekenner als fröhliche, glückliche Menschen, die Freude empfinden, weil der Messias Jesus, mit dem sie verbunden sind (6,1-14), die Macht der Sünde gebrochen hat (6,15-23; 7,1-6), weil sie im Anschluss an ihn die machtvolle Gegenwart des Heiligen Geistes in ihrem Leben erfahren (8,1-17) und weil sie deshalb auch inmitten von Leiden die gewisse Hoffnung haben, dass niemand sie von der Liebe Gottes trennen kann (8,18-30.31-39). In 14,13 verbindet Paulus Hoffnung (ε� λπι'ς) mit Freude (χαρα' ), Frieden (ει� ρη' νη) und Glauben (πι'στις), gegründet in der Macht (δυ' ναμις) des Geistes. Die Hoffnung der Christen ist genauso wenig ein bloß menschlicher Optimismus wie ihre Freude nicht der Ausdruck eines sonnigen Gemüts ist: Beides, die Hoffnung und die Freude, ergeben sich aus der Wirklichkeit des Evangeliums und sind das Resultat der machtvollen Gegenwart des Geistes Gottes. In der stoischen Philosophie ist die Freude nur der kleinen Gruppe von tugendhaften Menschen vorbehalten, den überlegen gereiften Weisen, die eine stabile charakterliche Disposition haben und zu kompetenter Urteilsfähigkeit in der Lage sind.323 Auch bei Philo ist die wahre Freude an Tugend (α� ρετη' ) und Frömmigkeit (ευ� σε' βεια) orientiert: Sie ist das Beste der Hochgefühle (Migr. 153). Die Freude als die herausragendste der wohltuenden Empfindungen ist vernünftig und deshalb das Gegenteil von Lust, die die Seele manipuliert und um die Selbstbeherrschung bringen will (Praem 391; SpecLeg 2,185; All 3,107-110). Im AT, das für Paulus wichtiger ist als Epiktet oder Philo, wird die Freude vor allem im Herzen als Sitz des Verstandes und der Vernunft lokalisiert. Freude wird ausgelöst durch die Begegnung mit anderen, durch bestimmte Ereignisse im Alltagsleben, durch die religiösen Feste und durch die Tora. In der Freude sind kognitive und affektive Prozesse eng miteinander verbunden: Freude ist beständig, wenn sie reflektierte Freude ist, die aus dem Erfahrungswissen resultiert und/oder auf der Gegenwart, der Hilfe und der Verheißung Gottes basiert. Anders als Philo unterscheidet Paulus nicht zwischen der Freude von Frauen und Männern aufgrund unterschiedlicher Disposition der Geschlechter: Philo verband, wie schon Plato, mit dem Weiblichen das Irrationale, das Leidenschaftliche und das Lasterhafte (QuaestGen 4,15-20 zu Gen 18,11-14).324 Was A. Inselmann im Blick auf Lukas schreibt, gilt auch für Paulus: Die Freude ist nicht an Bildungskompetenzen gebunden – „Freude ist lernbar; ausdrücklich sollen Menschen aus sozial niedrigen Schichten in sie einbezogen werden. Gleichzeitig ist die Freude als Ausdruck und Mittel zu verstehen, um die auf diese Weise gebildete Gemeinschaft zu stabilisieren und sie gleichzeitig offen für andere zu halten“.325 Deshalb kann Freude eine Handlungsanweisung sein, nicht zuletzt im Sinn der in V. 2 geforderten Erneuerung des Denkens.
Paulus nennt die Hoffnung der Christen auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes als rationalen Grund der in der Gegenwart zu erfahrenden Freude, ————————————————————
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Vgl. Inselmann, Freude, 79-105; zu Philo ebd. 106-133, zum AT ebd. 134-145. Vgl. Lohse, Freude, 57-72 zu Paulus. Inselmann, Freude, 178-181.416-417 im Blick auf Maria in Lk 1,46-55: Maria wird „als Auserwählte und von Gott Begnadete … nicht über ihren Status, sondern über ihren Glauben definiert“. Inselmann, Freude, 420.
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der dieser Beständigkeit gibt. Der im Tod und Auferstehung Jesu gründende Glaube, der im Gläubigen Freude auslöst und als reflektierter Glaube die Freude zu einer beständigen Realität werden lässt, hilft, Zweifel zu bewältigen, die die im nächsten Satz genannten Bedrängnisse auslösen können. Alle Jesusbekenner sollen und können sich freuen, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status, weil sich ihre Freude aus dem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Handeln des gnädigen Gottes ergibt (siehe weiter zu V. 15).326 Die Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes (5,2) und die Freude über die Unverbrüchlichkeit der Liebe Jesu (8,35) helfen den Glaubenden, standhaft in der Bedrängnis zu sein. Das mit „seid standhaft“ (υ� πομε' νοντες [hypomenontes])327 übersetzte Verb kann auch mit „bleiben (statt sich durch die Flucht zu entziehen), durchhalten, aushalten“ übersetzt werden. Von Bedrängnis (θλιñψις [thlipsis]) war sowohl in 5,3 als auch in 8,35 die Rede: Bedrängnis, d.h. Leiden, trifft nicht nur die Menschen, die Böses tun (2,9), sondern auch Christen, die in Geduld auf die Wiederkunft Jesu und die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes warten (5,2-3) und die damit rechnen, dass sie Bedrängnis, Not, Verfolgung, Hunger, Nacktheit, Gefahr oder Schwert trifft, weil sie sich zu Jesus bekennen und sich für die Wahrheit des Evangeliums aktiv einsetzen (8,35). Nach 5,3 sind Christen in der Bedrängnis nicht nur standhaft, sondern sie rühmen sich der Bedrängnis, weil sie wissen, dass Bedrängnis Geduld und Bewährung bewirkt. Sowohl die Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes als auch die Realität der Bedrängnis führen zum Gebet (προσευχη' [proseuchē]; s. zu 1,10). Christen beten um Freude, wenn diese als Folge von Leiden abhanden gekommen ist. Sie beten um Standhaftigkeit, wenn die Leiden fast unerträglich scheinen. Sowohl die Verzögerung der Wiederkunft Jesu, die die Herrlichkeit Gottes offenbaren wird, als auch die Wirklichkeit von Leiden unterstreichen die Notwendigkeit, dass Christen beharrlich (προσκαρτερουñ ντες [proskarterountes]) beten, d.h. nicht ablassen, nicht locker lassen, unentwegt darin beharren, um Freude und Geduld zu beten.328 Nach 8,26-28 ————————————————————
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Bengel 607: Gaudium verum non modo est affectus et beneficium, sed etiam officium christianum („Wahre Freude ist nicht nur ein Affekt und ein Nutzen, sondern auch eine christliche Pflicht“). Das Verb υ� πομε' ω kommt bei Paulus in Röm 12,12; 1Kor 13,7; 2Tim 2,10.12 vor. Zum Substantiv υ� πομονη' vgl. 2,7; 5,3. Der Dativ τηñ, θλι' ψει ist dat. respectus; NSS II 41; Michel 385 geht von einem temporalen Dativ aus. Bauer/Aland s.v. προσκαρτερε' ω 2. mit Dat. der Sache: „sich emsig beschäftigen mit etw., dauernd bedacht sein auf etw;“ vgl. LSJ s.v.; MM für papyrologische Belege. Für προσκαρτερε' ω im Zusammenhang des Betens vgl. Apg 1,14; 2,42; 6,4; Kol 4,2; zur Sache s. 1Thess 5,17; Eph 6,18. Nach Lk 18,1 betont Jesus im Gleichnis vom gottlosen
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ist das Gebet der Ort, an dem der Geist Gottes die Wirklichkeit des gegenwärtigen Leidens mit der Wirklichkeit der Herrlichkeit Gottes, die wir als Menschen nicht in Worte fassen können, so verbindet, dass wir an den Leiden nicht verzweifeln, sondern am Vertrauen auf die Güte Gottes festhalten. 13 Die Liebe, zu der Paulus in V. 9.10 ermahnt, die Einsatzbereitschaft, zu der Paulus in V. 11 auffordert, und das Beten, zu dem Paulus in V. 12 ermuntert, betreffen zuallererst die Heiligen, die in Not sind (ταιñς χρει'αις τω ñ ν α� γι'ων [tais chreiais tōn hagiōn]) und deshalb „Bedürfnisse“ haben.329 Die „Nöte der Heiligen“ sind hier konkrete persönliche Schwierigkeiten einzelner Gemeindeglieder – Knappheit an Lebensmitteln, finanzielle Engpässe, Schwierigkeiten in Berufsgilden infolge des christlichen Glaubens, schwierige Arbeitsbedingungen, Kündigung von Wohnungen, akute oder chronische Krankheit, Tod von Angehörigen. Die „Heiligen“ (οι� α� γι'οι) sind die von Gott geliebten und berufenen Sünder, die im glaubenden Anschluss an den Sühnetod Jesu von ihrer Sünde befreit wurden (1,7; zu α« γιος s. ebd.). Manche wollen die Aussage auf die Kollekte für die „Heiligen“ in Jerusalem beziehen,330 worauf im Kontext von Röm 12 nichts hinweist. Die Sammlung für bedürftige Christen in Jerusalem wird erst in 15,25-28 erwähnt. Ebenso wenig plausibel ist Jewetts Vorschlag, der im Kontext der Vertreibung der Juden durch das Claudiusedikt interpretiert: Er meint, dass nur die führenden Judenchristen Rom verlassen mussten und Paulus in 12,13 die Heidenchristen anweist, sich um die in Rom verbliebenen Judenchristen zu kümmern.331 Aus dem Verb κοινωνε' ω kann man dies ganz sicher nicht ablesen.
Das mit nehmt euch an (κοινωνουñ ντες [koinōnountes]) übersetzte imperativische Partizip332 weist die Jesusbekenner an, an der Not, die der Bruder oder die Schwester hat, Anteil zu nehmen, d.h. in der Weise für sich zu reklamieren, dass man der Not abhilft. Das Anteilnehmen an den Bedürfnis————————————————————
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Richter und der Witwe, dass seine Nachfolger „allezeit beten (πα' ντοτε προσευ' χεσθαι) und darin nicht nachlassen (μη` ε� γκακειñν)“. Vgl. Bauer/Aland s.v. χρει' α 1-4; LSJ s.v. χρει' α I-V: 1. Bedürfnis, Notwendigkeit; 2. Bedarf, Mangel, Not; 3. Amt, Pflicht, Dienst; 4. Verwendung, Vorteil, Dienst; 5. Bekanntschaft, Vertraulichkeit; 5. Maxime (Rhetorik). Das Wort kommt 49 Mal im NT vor, bei Paulus in Röm 12,13; 1Kor 12,21.24; Eph 4,28.29; Phil 2,25; 4,16.19; 1Thess 1,8; 4,9.12; 5,1; Tit 3,14. Der Plural χρει' αι kommt neben Röm 12,13 auch in Apg 20,34; 28,10; Tit 3,14 vor. Vgl. A. Sand, EWNT III, 1133-1135; das Wort wird in ThWNT und ThBLNT nicht behandelt. Zahn 550-551; vgl. Haacker 307. Jewett 764. Zum Claudiusedikt vgl. Band I, 24-25. Bauer/Aland s.v. κοινωνε' ω 1b.γ „Anteil nehmen“ mit der Erklärung: „Das Anteilhaben an etw. kann auch so zustande kommen, daß man selbst einen Anteil beansprucht“ (für Röm 12,13); zur Wortbedeutung vgl. F. Hauck, κοινωνο' ς κτλ., ThWNT III, 798, zu V. 13 ebd. 808. Paulus verwendet das Verb noch in Röm 15,27; Gal 6,6; Phil 4,15; 1Tim 5,22.
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sen der Heiligen geschieht zunächst sicher auf der emotionalen und geistlichen Ebene, dass man um die Bedürfnisse weiß, dass einem die Glaubensgeschwister, die einen konkreten Notstand erleiden, leid tun, weil man sie liebt (V. 9-10), und dass man für sie betet (V. 12). Wenn man Abhilfe schaffen und den in Not geratenen Gläubigen konkret helfen kann, dann gilt die in V. 11 angemahnte Einsatzbereitschaft zur tätigen Hilfeleistung, auch wenn sie Zeit, Geld und andere materielle Güter erfordert, unter Umständen auch die Aufnahme in die eigene Wohnung oder das eigene Haus. Die Gastfreundschaft (φιλοξενι'α [philoxenia])333 spielte in der Antike eine wichtige Rolle, wobei mehrere Motive zusammenkamen. Der Fremde (ξε' νος, ξειñνος, ξε' νη; lat. hostis [„d. Fremde, d. Feind“], später peregrinus) galt häufig als Gast (hospes, hospita) der Gottheit, sodass der Schutz des Fremden ein Ausdruck der Gottesfurcht war: Manche Tempel boten Fremden und Verfolgten Asyl; Zeus wurde als Zeus Xenios bzw. Jupiter Hospitalis angebetet (religiöses Motiv).334 Gastfreundschaft wird als Folge des natürlichen Mitgefühls und Ausdruck der φιλανθρωπι'α beschrieben (philosophisches Motiv).335 Gastfreundschaft war oft mit der Erwartung verbunden, dass eigene politische oder wirtschaftliche Interessen gewahrt oder gefördert werden (ökonomisches Motiv).336 Hellenistische Peristylhäuser und römische Villen hatten Räume, in denen Gäste empfangen und verpflegt werden konnten.337 In der biblischen Tradition spielte Gastfreundschaft seit den Anfängen Israels eine wichtige Rolle: Abraham, der drei himmlische Besucher beherbergte, gilt als Vorbild für die Gastfreundschaft (Gen 18,3; 19,2-3; vgl. Philo, Abr 107-114; Josephus, Ant 1,196; 1Klem 10,7; vgl. Hebr 13,2: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt“). Hiob rühmt sich seiner Gastfreundschaft: „Kein Fremder musste draußen übernachten, dem Wanderer tat meine Tür ich auf“ (Hi 31,32; vgl. TestIob 10,1-3; 25,5; 53,3). Jesus war auf Gastfreundschaft angewiesen (Mk 1,29-31; 14,3; Lk 10,38-42), praktizierte Gastfreundschaft (Mk 2,15; Mt 11,19 / Lk 7,34) und gibt ————————————————————
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Vgl. G. Stählin, Art. ξε' νος κτλ., ThWNT V, 1-36, bes. 16-25 (C. Die Sitte der Gastfreundschaft); C. Spicq, TLNT III, 454-457; H. Bietenhard, ThBLNT I, 516-519; B. Wagner-Hasel, Art. Gastfreundschaft III. Griechenland und Rom, DNP IV, 794-797. Vgl. Homer, Od 6,207; 9,270; Aeschylus, Ag 60; Plato, Leg 730a; Ovid, Met 8,613-670 (Philemon und Baucis); 10,224; Vergil, Aen 1,731. Homer, Od 14,389; Aristoteles, EthNic 1122b19; 1123a19; Cicero, Off 2,18. Homer, Od 1,311-314; 24,285-286. In diesem Zusammenhang findet man manchmal den Vorwurf der Bestechung: Thukydides 2,13,1-2; 5,59,5–60,6; Demosthenes, Or 19,114. Wagner-Hasel, DNP IV, 796: Das hospitium privatum hatte manchmal den Charakter einer Patronatsbeziehung. Vitruvius, Arch. 6,7,4; Cicero, Off. 1,139.
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Anweisungen für die rechte Praxis der Einladung und Behandlung von Gästen (Lk 24,7-24). Die frühchristlichen Missionare sind auf Gastfreundschaft angewiesen, schon seit den Tagen Jesu bei der Evangelisierung Galiläas (Mt 10,11-13; Mk 6,8-11 / Lk 9,2-5), dann im gesamten Mittelmeerraum; vgl. Apg 9,43: Simon Petrus in Joppe; 10,48; 11,3: Cornelius in Cäsarea; 16,15: Lydia in Philippi; 16,32-34: Gefängnisaufseher in Philippi; 18,3: Aquila und Priscilla in Korinth; 21,4-6: Christen in Tyrus; 21,7: Christen in Ptolemais; 21,8-10: Christen in Cäsarea; 21,17: Christen in Jerusalem; 28,7: Publius auf Malta. Paulus nennt die Gastfreundschaft als Kriterium eines Gemeindeleiters (1Tim 3,2; Tit 1,8). Das mit befleißigt euch (διω' κοντες [diōkontes]) übersetzte Verb bezeichnet hier im übertragenen Sinn „hersein hinter etw., etw. erstreben, nach etw. trachen“.338 Jesusbekenner sind eifrig in der Gewährung von Gastfreundschaft engagiert. Für die römischen Gemeinden war die Gastfreundschaft besonders seit 54 n.Chr. wichtig, als die fünf Jahre zuvor infolge des Claudiusedikts vertriebenen Juden(christen) nach Rom zurückkehren konnten, d.h., zwei Jahre bevor Paulus den Römerbrief schrieb.339 Die in V. 13a erwähnten Bedürfnisse der Heiligen machten jedenfalls regelmäßig praktizierte Gastfreundschaft für die notleidenden Brüder und Schwestern, die alle zu der einen „Familie Gottes“ gehörten, notwendig. 14 Nachdem Paulus in V. 9-13 Mahnungen für das Verhalten der Jesusbekenner innerhalb der Gemeinde formuliert hatte, geht es in V. 14-21 um das Verhalten gegenüber Außenstehenden.340 Die Bedeutung des Imperativs segnet (ευ� λογειñτε [eulogeite]) ist hier nicht mit der profangriechischen Wortbedeutung „über jemanden etwas Gutes sagen, loben“341 zu verbinden, sondern im Anschluss an die LXX mit der atl. Bedeutung von [ ברךbārak] ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. διω' κω 4b; vgl. Röm 9,30.31; 14,19; 1Kor 14,1; 1Thess 5,15; 1Tim 6,11; 2Tim 2,22. S. zu 9,30. Wenn man mit dem (verblassten) Bild vom Wettlauf im Stadion (Wilckens III 22 Anm. 106) formuliert, kann man mit „wetteifert“ (GN) übersetzen, was aber nicht automatisch mitgehört wurde: Das Verb wird für die Verfolgung von Feinden im Krieg oder eines Tiers bei der Jagd verwendet, das Bemühen um einen Gegenstand oder eine Tugend, das Vorbringen eines Arguments oder einer Anklage (ο� διω' κων ist der Ankläger vor Gericht); LSJ s.v. διω' κω I, IV. ZÜ („von der Gastfreundschaft lassen wir nicht ab“) übersetzt zu passiv. Für papyrologische Belege für die Bedeutung „eifrig betreiben“ vgl. Papathomas, Begriffe, 60-61 („eine der für das 1. Jh. n.Chr. typischen Bedeutungen des Verbs“); Arzt-Grabner, 1. Korinther, 446. Vgl. Band 1, 25-26. Yinger, Nonretaliation interpretiert V. 14 im Sinn einer innergemeindlichen Verfolgung, u.a. mit Verweis auf Gal 4,29; 5,11; 1Thess 2,15; zur Kritik vgl. Haacker 307. Vgl. ευ� λογι' α in 16,18.
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„Gott um eine besondere Gunst bitten, besonders um seine gnädige Kraft“.342 Das Objekt die euch verfolgen (του` ς διω' κοντας [tous diōkontas]) verwendet dasselbe Verb wie V. 13b, allerdings mit der negativen Bedeutung von „verfolgen“ im Sinn von belästigen, bedrängen, schikanieren, die Freiheit einengen, vertreiben, gefangen nehmen, nach dem Leben trachten.343 Unabhängig davon, ob die Christen in Rom selbst verfolgt werden344 oder hören, dass Christen in anderen Städten verfolgt werden: Sie sollen die Verfolger mit einem Segenswunsch bedenken, d.h. ihnen Gottes Gunst wünschen, und das heißt: Gott bitten, dass sie zum rettenden Glauben an den Messias Jesus kommen und so zum Bruder werden. Die Liebe, die für Christen zuerst immer die Liebe zum Bruder ist (V. 9-10), gilt für alle Menschen,345 auch für den Feind, der ihnen schaden will, den Gott jedoch retten kann. Paulus hat nie vergessen, dass er selbst die Gemeinde Gottes unerbittlich verfolgt hatte (καθ’ υ� περβολη` ν ε� δι'ωκον τη` ν ε� κκλησι'αν τουñ θεουñ ), ehe Gott ihm seinen Sohn Jesus Christus offenbarte (Gal 1,13.15-16.23; vgl. 1Kor 15,9; Phil 3,6).346 Verfolgung kann Beschimpfungen und Verleumdungen beinhalten. In 1Kor 4,12b beschreibt Paulus die missionarische Existenz u.a. mit der Angabe: „Als Geschmähte segnen wir, als Verfolgte dulden wir“ (λοιδορου' μενοι ευ� λογουñ μεν, διωκο' μενοι α� νεχο' μεθα). Was für die Apostel gilt, das gilt für alle Jesusbekenner: Die Reaktion auf Verfolgung ist das „missionarische Gebet“, das den Verfolgern die Gnade Gottes wünscht. Das Gegenteil wäre, dass man den Verfolgern Unglück wünscht, was verständlich wäre. Deshalb mahnt Paulus: verflucht nicht (μη` καταραñ σθε [mē katarasthe]). Der Fluch ist „das geäußerte, ausgesprochene oder aufgezeichnete, Wort, das kraft überirdischen Wirkungszusammenhangs durch sein Ge-
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BDAG s.v. ευ� λογε' ω 2; Bauer/Aland s.v. ευ� λογε' ω 2: „segnen, indem man Gottes gnadenreiche Kraft herabwünscht“. Vgl. W. Beyer, ThWNT II, 751-763; H. Patsch, EWNT II, 198-201; H.-G. Link / U. Heckel, ThBLNT II, 1628-1639. Paulus verwendet das Verb noch in 1Kor 4,12; 14,16; Gal 3,9; Eph 1,3. Das deutsche Wort „segnen“ ist ein Lehnwort von lat. signare („mit einem Zeichen versehen“) und heißt im mittelalterlichen Kirchenlatein „(mit dem Kreuz) bezeichnen, das Kreuzzeichen machen, sich bekreuzigen“. Vgl. Bauer/Aland s.v. διω' κω 2-3. Für Paulus vgl. 1Kor 4,12; 15,9; 2Kor 4,9; Gal 1,13.23; 4,29; 5,11; 6,12; Phil 3,6; 2Tim 3,12; sodann Mt 5,10-12.44; 10,23; 23,34; Lk 11,49; 21,12; Joh 5,16; 15,20; Apg 7,52; 9,4-5; 22,4.7-8; 26,11.14-15. Zum Personalpronomen υ� μαñ ς, das wahrscheinlich nicht ursprünglich ist, s. die textkritische Diskussion unter II. In Rom wurden die Judenchristen infolge des Claudiusedikts des Jahres 49 zwischen 49–54 n.Chr. verfolgt. Vgl. 1Thess 3,12: „Euch aber lasse der Herr wachsen und reich werden in der Liebe zueinander und zu allen (ει� ς α� λλη' λους και` ει� ς πα' ντας).“ Vgl. Apg 9,4-5; 22,4.7-8; 26,14-15. Vgl. Hengel, Der vorchristliche Paulus.
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äußertsein dem Unheil bringt, gegen den es sich richtet“.347 Aus dem AT ist die Verfluchung Davids durch Schimi bekannt (2Sam 16,5-13), den David nicht bestraft hat (2Sam 16,19-24). Jesusbekenner begegnen ihren Verfolgern nicht mit Worten der Feindschaft, sondern mit Worten des Segens; sie wünschen ihnen kein Unglück, sondern die Gnade Gottes. Ob sich Paulus mit der Mahnung, seine Feinde zu segnen nicht „vor allem gegen die synagogale Sitte“ richtet, „gegen den Gegner Fluchworte auszusprechen“,348 lässt sich nicht aus dem Kontext erheben. Die Liebe der Jesusbekenner ist, wie die Liebe Gottes, immer bedingungslose Liebe und verzichtet deshalb auf Vergeltungsmaßnahmen.349 Für den Christen „gibt es zwar den Abscheu vor dem Bösen, aber nicht den Fluch“.350 Christen erflehen für ihre Feinde Heil, kein Unheil, und leben damit konkret die Erneuerung ihres Denkens, von der in 12,2 die Rede war. Der Satz beruft sich auf das Wort Jesu in Mt 5,44; Lk 6,27-28:351 Röm 12,14 ευ� λογειñτε Segnet Lk 6,27-28 α� γαπαñ τε ευ� λογειñτε Liebt Segnet Mt 5,44 α� γαπαñ τε Liebt
του` ς διω' κοντας ευ� λογειñτε και` μη` καταραñ σθε die euch verfolgen segnet und verflucht nicht του` ς ε� χθρου` ς υ� μω καλω ñν ñ ς ποιειñτε τοιñς μισουñ σιν υ� μαñ ς του` ς καταρωμε' νους υ� μαñ ς προσευ' χεσθε περι` τω ñ ν ε� πηρεαζο' ντων υ� μαñ ς eure Feinde tut denen Gutes, die euch hassen die, die euch verfluchen betet für die, die euch misshandeln του` ς ε� χθρου` ς υ� μω και` προσευ' χεσθε υ� πε` ρ τω ñν ñ ν διωκο' ντων υ� μαñ ς eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen
Ein direktes Zitat liegt nicht vor, eher kann man von einer „targumartigen Paraphrase“ sprechen.352 Die Verbindung von Segnen und Verfluchen kommt in dieser Form nur in Röm 12,14 und Lk 6,28 vor; zu beachten ist, dass Paulus das Verb καταρα' ομαι sonst nirgends ————————————————————
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F. Büchsel, Art. α� ρα' , καταρα' ομαι κτλ., ThWNT I, 449. Das Verb kommt bei Paulus nur hier vor, sonst in Mt 25,41; Mk 11,21; Lk 6,28; Jak 3,9, das Subst. κατα' ρα in Gal 3,10.13; Hebr 6,8; Jak 3,10; 2Petr 2,14. Michel 386 (ohne Belege). Vgl. Zerbe, Non-Retaliation, 220-266. Käsemann 335, der weiter kommentiert: „Wenn er die Verfolger segnet, entspricht er dem Urbild seines Herrn und hält Solidarität mit Gottes Geschöpf über dem Abgrund irdischer Feindschaft fest“. Vgl. Michel 386; Wilckens III 22-23; Dunn II 745; Lohse 347; Haacker 307; Allison, Pattern, 11-12; Stuhlmacher, Jesustradition; Wenham, Paul’s Use of the Jesus Tradition, 1524; Thompson, Clothed, 96-105; Wenham, Paul, 286-287; Riesner, Paulus und die JesusÜberlieferung, 360; Mustakallio, Motivation, 455 mit Anm. 9. Vgl. Sauer, Erwägungen, 17-22, der Röm 12,14 im Vergleich zu Lk 6,28a für eine ältere Tradition hält, die allerdings nicht mit Jesus in Verbindung gebracht werden kann, weil sie die Verfolgung von Christen voraussetzt; zur Kritik vgl. Wenham, ebd. 287. Michel 386; Schlier 379; Dunn II 745. Ähnliche Aussagen sind in 1Petr 3,8-9 sowie in Did 1,3; Polykarp, Phil 12,2-3 zu finden.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 633 ———————————————————————————————————— verwendet. Die Aussage in Röm 12,14 lässt sich nicht von griech. Vorstellungen und Formulierungen ableiten und geht zugleich über die atl.-jüdische Erwartung hinaus, dass Gott die Menschen verflucht, die sein Volk verfluchen (Gen 12,3; 27,29; Num 24,9; vgl. jedoch Ex 23,4-5). Paulus verwendet seine Briefe nicht dazu, explizit über die Lehre Jesu zu unterrichten. Er setzt jedoch deutlich „eine umfassendere, mündliche Gemeindekatechese voraus (1Kor 4,17; 15,1-3; Röm 6,17), die auch Jesus-Überlieferungen umfaßte (1Thess 5,2; 1Kor 11,23-25; 15,3-7).“353
15 Paulus beschreibt mit zwei imperativischen Infinitiven das Verhalten
der Jesusbekenner. Die in V. 9-10 geforderte Liebe verwirklicht sich nicht nur im Grenzfall der Verfolgung (V. 14), sondern auch im Alltag, in dem die Christen emotionale Solidarität üben sollen sowohl mit den Fröhlichen (μετα` χαιρο' ντων [meta chairontōn]) als auch mit den Weinenden (μετα` κλαιο' ντων [meta klaiontōn]). Weil Christen die Freude kennen, die das gnädige Handeln Gottes ausgelöst hat, können und sollen sie in die Freude einstimmen, die für Christen der Normalfall ist: freut euch (χαι'ρειν [chairein]). Weil in der ntl. Tradition die Freude nicht an Bildungskompetenzen gebunden ist, wie dies bei Plato und Philo der Fall ist (s. zu 12,12), sondern an das heilsgeschichtliche Handeln Gottes, geht es bei der hier geforderten Freude nicht um die Mitfreude mit Nichtchristen, die „profan“ motiviert und auf die Affekte der Oberschichten bezogen wäre, sondern um die Teilhabe an der Freude anderer Jesusbekenner. Angesichts der Begründung der Freude in V. 12 mit der Hoffnung, die alle Jesusbekenner haben, ist das Weinen der Weinenden für diese nicht der Normalfall: Eine konkrete Erfahrung oder neu aufgetretene Lebensumstände haben innere Erregung, Schmerzen oder Trauer ausgelöst, die in Tränen und klagenden Lauten Ausdruck finden. Paulus mahnt die sich Freuenden: weint (κλαι'ειν [klaiein]) mit denen, die weinen. Auch in dieser Ermahnung zeigt sich die in V. 2 angemahnte Erneuerung des Denkens. In der stoischen Affektenlehre können natürliche Regungen wie Hunger, Durst, Erröten, Lust und Schmerz nicht verhindert werden, „weil sie einsetzen, bevor eine Zustimmung zu der zugrunde liegenden Vorstellung erfolgt“; sie können jedoch „durch Distanzierung und Reflexion bei den ersten Hinweisen auf eine Bewegung des Seelenstroms“ beherrscht werden, sodass man die Kontrollmöglichkeit über das eigene Verhalten erlangt (Ataraxie).354 Die wirksamste Hilfe gegen die Affekte, die im engeren Sinn unvernünftig sind, ist die Prophylaxe, die man durch regelmäßige Beschäftigung mit der Philosophie, die zur Selbstkontrolle anleitet, erreichen kann. Die einzige Therapie gegen die ————————————————————
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Riesner, Paulus und die Jesus-Überlieferung, 361. Inselmann, Freude, 96.97. Vgl. Chrysippus, bei Cicero, Tusc 3,76-77, sowie Epiktet, 1,278,8; 2,18,8; zum Mitseufzen ders. Ench 16.
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Affekte ist der Versuch, die Affektbetroffenen davon zu überzeugen, „dass bei genauer Betrachtung kein Anlass zum Leiden bestehe. Wenn der erregte Mensch daraufhin seinen Irrtum erkenne, werde der Affekt (πα' θος) automatisch verschwinden“.355 Epiktet erlaubt das Mitseufzen, untersagt aber die innere Anteilnahme: Der Weinende muss nicht wirklich unglücklich sein. Ganz anders Paulus: Er ruft die Jesusbekenner auf, den Schmerz des anderen an sich heranzulassen, „sich durch die Not des anderen erschüttern und betreffen zu lassen“.356 Diese Einstellung war Griechen und Römern nicht ganz unbekannt – Euripides: „Vereint zu trauern mit dem Freund ist Freundespflicht“ (IphAul 408); Cicero: „Man darf nämlich nicht denen Gehör schenken, die in der Tugend sozusagen eine stahlharte Gefühllosigkeit erblicken. Sie ist doch vielmehr – in vielen anderen Bereichen auch, besonders aber in der Freundschaft – etwas Weiches, Geschmeidiges, so dass beim Glück des Freundes das Herz sich gleichsam erweitert, bei dessen Unglück jedoch sich zusammenschnürt“ (Lael 48). Was Paulus in V. 15 als Mahnung formuliert, beschreibt er in 1Kor 12,26 als Sachverhalt, der den menschlichen Körper kennzeichnet und so auch für die Gemeinde als Leib Jesu Christi eine fundamentale Wirklichkeit sein soll: „Und wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit“. Angesichts der Anwesenheit von Nichtchristen in den Versammlungen der Jesusbekenner, auf die man nach 1Kor 14,23-24 konkret Rücksicht nehmen soll, ist im Weinen mit den Weinenden sicherlich auch die emotionale, persönliche Anteilnahme am Ergehen von Ungläubigen im Blick. 16 Die nächsten Mahnungen haben ebenfalls das Verhalten innerhalb der Gemeinde im Blick, angezeigt durch das Reziprokpronomen untereinander (ει� ς α� λλη' λους). Die mit trachtet nach Einmütigkeit (το` αυ� το` φρονουñ ντες [to auto phronountes]; V. 16a) übersetzte Formulierung kann auch mit „dasselbe denken“ übersetzt werden.357 Paulus ruft zur Einheit in den theologischen Grundüberzeugungen auf, die alle Jesusbekenner miteinander verbindet, und zum friedlichen Zusammenleben in der Gemeinde, die der eine Leib des Messias Jesus ist (V. 4). Dies zeigen parallele Mahnungen: In 15,5 ————————————————————
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Inselmann, Freude, 91. Ortkemper, Leben, 212; vgl. Haacker 308. Oft wird auf die Parallele in Sir 7,34 verwiesen: „Entzieh dich nicht den Weinenden, vielmehr trauere mit den Trauernden!“, sowie auf P.Insinger 11,9: „Du musst seiner Trauer mit deinem Herzen folgen“ (1. Jh., entstanden in der ptolemäischen Zeit; vgl. Sanders, Ben Sira and Demotic Wisdom, 69-103; Corley, Structure, 25-26). Bauer/Aland s.v. φρονε' ω 1: „denken, urteilen, meinen“; s. zu 8,5; vgl. 12,3a; 15,5; 2Kor 13,11; Phil 2,2; 4,2, vgl. Herodot 1,60,2; Dio Chrysostomus 17,20.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 635 ————————————————————————————————————
nennt Paulus als Kriterium für den Aufruf, untereinander einmütig zu sein (το` αυ� το` φρονειñν ε� ν α� λλη' λοις), den Messias Jesus, d.h. Gottes Heilshandeln im Tod und in der Auferstehung Jesu; als Ziel der Einmütigkeit nennt er die Übereinstimmung im Lobpreis Gottes. In 2Kor 13,11 wird die Mahnung, eines Sinnes zu sein (το` αυ� το` φρονειñτε), verbunden mit dem Aufruf, im Frieden zu leben, und mit der Verheißung, dass der Gott der Liebe und des Friedens mit ihnen sein wird. In Phil 2,2 wird die Mahnung, einmütig zu sein (το` αυ� το` φρονηñ τε … το` ε�ν φρονουñ ντες), dieselbe Liebe zu haben und einträchtig zu sein, mit dem Hinweis auf die Tatsache motiviert, dass es für Jesusbekenner eine Ermahnung im Messias gibt, einen Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes und herzliche Zuneigung und Erbarmen (Phil 1,1). Wenn jedes Glied der Gemeinde sich um „besonnene Selbsteinschätzung“ (φρονειñν ει� ς το` σωφρονειñν) bemüht und dabei den von Gott geschenkten Glauben als Maßstab nimmt (Röm 12,3), dann ist „gleiches Denken“ im Blick auf die grundlegende Wahrheit des Evangeliums möglich. Wenn jedes Glied der Gemeinde sich konsequent bemüht, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt (μη` υ� περφρονειñν παρ’ ο� δειñ φρονειñν; V. 3), sondern sich mit den Freuenden freut und mit den Weinenden weint (V. 15), dann kann ein harmonisches Gemeindeleben Wirklichkeit werden. Man sollte die Mahnung zur Einmütigkeit nicht auf persönliche und sachliche Schwierigkeiten eingrenzen.358 Das Thema der Eintracht ist bei Paulus durch Gottes Heilshandeln im Messias Jesus und durch die Wirklichkeit der einen Heilsgemeinde als der eine Leib des Messias motiviert, spielte aber auch in der zeitgenössischen Politik nach dem Ende der Bürgerkriege eine wichtige Rolle. Livius bezeichnet die Zwietracht als ein schlimmeres Übel denn Krieg, Hungersnot und Seuchen (6,9,3). Lukan bezeichnet die Bürgerkriege als Gipfel der Gottlosigkeit (BellCiv 2,286). Aelius Aristides fordert neben der Ehrerbietung gegenüber den Herrschern und der Achtung vor den Gesetzen auch die Eintracht (ταυñ τα προνειñν), „eine Haltung, die ja immer wohl in hohem Ansehen steht, aber auch besonders zur heutigen Zeit passt. Heute müsst ihr alle Städte als Schwestern ansehen und Zwietracht, Aufruhr, Streitsucht sowie Kleinlichkeit bei nichtigen Anlässen zurückdrängen – in der Überzeugung, dass dies die Krankheiten wilder Tiere sind und jenen überlassen werden sollten; dagegen sollt ihr wahren Frieden, aufrichtige Freundschaft, Gerechtigkeit und Gemeinschaft in allen Dingen, wenn dies möglich ist … als größten Gewinn ansehen“ (Or 27,43-44, in der Lobrede auf die Stadt Kyzikos; NW II/1, 190). Theobald kommentiert im Kontext der zerstreut in einzelnen Hausgemeinden lebenden stadtrömischen Christen: „Um als verschwindend kleine Minorität in einer Weltstadt überleben zu können, bedurften sie nun wirklich der ‚Einheit des Denkens‘.“359 ————————————————————
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So jedoch Michel 388: „Der Weg zur Überwindung persönlicher und sachlicher Schwierigkeiten muß gesucht und gefunden werden; er ist möglich, wenn alle Beteiligten von der Voraussetzung der ‚Barmherzigkeit Gottes‘ aus (12,1) nach der Aufgabe fragen, die ihnen vorliegt … gemeint ist doch auch hier [d.h. mit το` αυ� το` φρονειñν] der konkrete Vollzug des Willens Gottes im persönlichen Leben des Einzelnen (12,2).“
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Der Aufruf zur Einmütigkeit ist mit dem Aufruf verbunden, nicht überheblich (μη` τα` υ� ψηλα` φρονουñ ντες [mē ta hypsēla phronountes]; V. 16b) zu sein, wörtlich übersetzt „Hohes zu denken“,360 d.h. hochmütig, überheblich, arrogant zu sein. Paulus warnt vor Selbstüberschätzung.361 Manche interpretieren im Sinn vom Ehrgeiz, sich sozial nach oben zu bewegen: „strive after things that are (too) high, be too ambitious, prob[ably] ‚don’t be a social climber‘.“362 Im Kontext ist diese Interpretation nicht begründet. Michel denkt an Pneumatiker in der Gemeinde, die nach „hohen Offenbarungen“ (τα` υ� ψηλα' ) streben und die geringen Dienste (τα` ταπεινα' ) verachten: „Sie lassen sich ‚mit fortreißen‘ durch den Geist Gottes in der Ekstase“.363 Jewett interpretiert im Sinn einer Polemik gegen eine frühe Form der ProtoGnosis, was der Verweis auf Philo und Hebr 1,3; 7,26 für den Kontext der allgemeinen Mahnungen in Röm 12 nicht plausibel begründen kann.364
Ein Zeichen dafür, dass man nicht anmaßend, herablassend oder aufgeblasen ist, stellt ein Verhalten dar, in dem man sich auf die Geringen (τοιñς ταπεινοιñς [tois tapeinois]; V. 16c) einstellt. Das subst. Adj. kann neutrisch (τα` ταπεινα' , „geringe Dinge“) oder maskulin (οι� ταπεινοι', „die Geringen“) interpretiert werden. Ersteres legt sich durch die Parallelität zu τα` υ� ψηλα' nahe: Paulus denkt an „die kleinen und geringen Dienste, in denen einer dem anderen beisteht“.365 Die Warnung vor Überheblichkeit und die Bedeutung von ταπεινο' ς in 2Kor 7,6; 10,11, den einzigen Stellen, in denen Paulus sonst noch die Vokabel verwendet, und die Bedeutung in der atl.-jüdischen Tradition und366 sonst im Neuen Testament367 verweisen auf eine Interpretation als maskulines Adjektiv im Sinn der Niedrigen, d.h. der sozial Unbedeutenden.368 Während die zweite Bedeutung im Kontext der auf die Jesus————————————————————
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Theobald II 72. Bauer/Aland s.v. φρονε' ω 2, „den Sinn richten auf, bedacht sein auf “; vgl. 12,3b; 14,6; Phil 3,19; Kol 3,2; vgl. Brutus, Ep. 14; Herm 42,1; 2Makk 9,12. G. Bertram, Art. φρη' ν κτλ., ThWNT IX, 228; vgl. U. Luck, Art. σω' φρων κτλ., ThWNT VII, 1099: Paulus gibt in Röm 12,16 die Auslegung von σωφρονειñν V. 3. BDAG s.v. φρονε' ω 2. Kritisch Dunn II 747. Michel 388 Anm. 33. Jewett 769-770. W. Grundmann, Art. ταπεινο' ς κτλ., ThWNT VIII, 20. Vgl. Michel 388; Schlier 380; Zeller 211; Légasse 793-794; Haacker 299 („laßt euch vom Einfachen mitreißen“). LXX: Ri 6,15; Hi 5,11; Ps 10,18; 18,27; 34,18; 82,3; 102,17; 113,7; 138,6; Spr 3,34; Jes 14,32; 25,4; 49,13; 54,11; 61,1; 66,2; Zef 2,3; 3,22; vgl. Sir 3,20; 10,15; 35,17; Arist 263. Vgl. Grundmann, ThWNT VIII, 6-15 (zur Bedeutung in der griech.-hell. Welt ebd. 1-6); H.H. Eßer / B. Wander, ThBLNT I, 254-255; Dunn II 747. Mt 11,29; Lk 1,52; Jak 1,9; 4,6; 1Petr 5,5. H. Giesen, Art. ταπεινο' ς, EWNT III, 799; Zahn 552; Käsemann 335; Cranfield II 644; Fitzmyer 656; Theobald II 72; Schreiner 669; Lohse 348; Jewett 769; Matera 292; Kruse
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 637 ————————————————————————————————————
bekenner konzentrierten Mahnungen plausibel ist (und deshalb als maskulines Wort übersetzt wird), kann die erste Bedeutung nicht ausgeschlossen werden – Paulus formuliert vielleicht absichtlich mehrdeutig, und beide Möglichkeiten der Auslegung haben ihr theologisches Recht.369 Manche Hörer/Leser könnten an die Gaben denken (V. 3-8), die nach menschlichen Maßstäben einen höheren oder geringeren Wert haben (vgl. 1Kor 12,4-31). Andere werden an die sozialen Statusunterschiede denken, die in der römischen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielten, in der die Gebildeten, Einflussreichen und Wohlhabenden ihre Mitmenschen als Törichte (τα` μωρα' ), Schwache (τα` α� σθενηñ ; οι� α� σθενειñς), Niedrige (τα` α� γενηñ ), Verachtete (τα` ε� ξουθενημε' να), Nichtse (τα` μη` ο» ντα) verachteten (1Kor 1,27-28; 9,22).370 Das mit stellt euch ein (συναπαγο' μενοι [synapago-menoi]) übersetzte Verb bedeutet im physischen Sinn „mit wegführen“.371 Manche übersetzen die Passivform συναπαγο' μενοι mit „sich herabziehen lassen“.372 Das Verb συναπα' γω konnotiert nicht ein ekstatisches Fortgerissenwerden,373 wie Grundmann meint, der V. 16 mit dem Satz kommentiert: „Der niedere u[nd] geringe Dienst gilt mehr vor Gott als die Ekstase“.374 Jewett missversteht Grundmann, der das Verb συναπα' γω zwar im Sinn der Ekstase interpretiert, es jedoch als fraglich bezeichnet, dass τα` υ� ψηλα' „die Offenbarungen und geheimen Gedanken sind, wie sie in gnostizierenden Kreisen erstrebt werden“.375 Weder das Aktiv noch das Passiv implizieren Unfreiwilligkeit oder Gewaltsamkeit. In Ex 14,6 LXX, der einzigen Stelle, in der die LXX συναπα' γω verwendet, beschreibt es die Angriffsvorbereitungen des Pharao am Schilfmeer: „So schirrte Pharao seine Streitwagen an und sammelte (συναπη' γαγεν) sein ganzes Volk um sich (μεθ’ ε� αυτουñ )“ (LXX.D). LSJ nimmt für Röm 12,16 eine Bedeutung an, die συμπεριφε' ρομαι (Pass.; [symperipheromai]) entspricht, das „sich anpassen an, sich einstellen auf “ bzw. „nachsichtig sein“ bedeutet.376 ————————————————————
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481; Leivestad, Ταπεινο' ς, 45-46; Bartchy, Siblings, 71-72; Thompson, Clothed, 106-107. Vgl. Barentsen, Leadership, 606-607, der im Kontext von V. 16 Hinweise auf die Konventionen des Patronats sieht (V. 9.10.13.14.17-18). Barrett 222; Schlatter 347-348; Wilckens III 23; Dunn II 747; Moo 783; Penna 860-861; vgl. Grundmann, ThWNT VIII, 20; H. Balz, EWNT III, 714. Vgl. Schnabel, 1. Korinther, 142.508. Cranfield II 644 z.St.: „What Paul is enjoining is a friendly and unselfconscious association both with ordinary unimportant people and with the outcasts of society that is free from any suggestion of patronizing or condescension.“ Bauer/Aland s.v. συναπα' γω. LSJ s.v. unterscheidet folgende Bedeutungen: I. mit wegführen, zusammen wegführen; II. Passiv, 1. zusammen verhaftet werden; 2. ebenfalls weggeführt werden; 3. sich anpassen, einstellen auf (= συμπεριφε' ρομαι). Bauer/Aland s.v. συναπα' γω zu Röm 12,16; vgl. Giesen, EWNT III, 799; Käsemann 335: medial „sich herabbeugen“. Vgl. Bauer/Aland s.v. συναπα' γω, Pass. „mitfortgerissen werden, sich mitreißen lassen“. Grundmann, ThWNT VIII, 20 Anm. 56. Grundmann, ThWNT VIII, 20; Jewett 769: „Walter Grundmann infers … that ‚ecstatic rapture‘ is in view“. LSJ s.v. συναπα' γω II.3; s.v. συμπεριφε' ρω II.3: „of circumstances, accommodate or adapt oneself to; abs. show indulgence“; vgl. Aeschines 2,164; P.Enteux. 45,6; I.Priene 135; Plutarch, Mor 468e; I.Ponti Euxini I2 32 A 31; OGI 244,16; P.Cair.Zen. 367,10.
638 Römerbrief ————————————————————————————————————
Wenn man die Metapher der räumlichen Bewegung erkennt und auflöst, kann man mit „sich einstellen auf “ oder „sich zusammentun mit“ übersetzen.377 Paulus ruft die Jesusbekenner in den römischen Gemeinden auf, sich ganz bewusst auf die Gläubigen in der Gemeinde einzustellen, die in der Gesellschaft keinen Einfluss haben, als schwach und unbedeutend gelten und verachtet werden: Die Gebildeten in der Gemeinde sollen sich auch und gerade mit diesen „Geringen“ zusammenzutun, d.h. sie schätzen und mit ihnen zusammenarbeiten. Während in der hellenistischen Gesellschaft Niedrigkeit „als Schande, zu Vermeidendes, im Handeln und Denken zu Überwindendes“ gilt, geht es in der biblischen Tradition, und Paulus, um jenes Geschehen, „das den Menschen in eine angemessene Beziehung zu Gott und dadurch auch zum Mitmenschen bringt“.378 In der Gemeinde des gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus wird niemand ausgegrenzt, an den Rand geschoben, diskriminierend behandelt. Alle haben eine Gabe Gottes (V. 3-8), alle sind an der Notwendigkeit und Wirklichkeit der Einmütigkeit (v. 16a) beteiligt. Jesusbekenner können sich auf die Geringen einstellen (τοιñς ταπεινοιñς συναπαγο' μενοι), weil sie im Anschluss an das Verhalten des Messias Jesus, der sich selbst erniedrigte (ε� ταπει'νωσεν ε� αυτο' ν) und bis zum Tod am Kreuz gehorsam wurde (Phil 2,8), sich immer der Demut verpflichtet wissen (τηñ, ταπεινοφροσυ' νη, ) und den anderen höher einschätzen als sich selbst und nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das Wohl der anderen bedacht sind (Phil 2,3-4).379 Paulus spielt möglicherweise auf Jesu Tischgemeinschaft mit Sündern, Armen und Heiden an.380 Tischgemeinschaft mit Sündern: Mt 15,21-28 / Mk 7,24-30; Mt 8,11-12; 22,1-14; Mk 8,110; mit Armen: Mt 14,13-21 / Mk 6,30-44 / Lk 9,10-17; Mt 15,32-39 / Mk 8,1-10; Lk 16,1931; Joh 6,1-15; 6,26-63; mit Heiden: Mt 9,9-13 / Mk 2,13-17 / Lk 5,27-32; Mt 11,18-19; 22,1-14; Lk 15,1-2.11-32; 19,1-10. Von der Tischgemeinschaft mit Sündern, Armen und Heiden sowie mit Jüngern und Sympathisanten ist in vielen und ganz unterschiedlichen Kontexten die Rede – Worte Jesu: Mt 8,11-12; 11,18-19; Lk 7,33-35; 13,23-30; Gleichnisse: Mt 22,1-14; Lk 12,35-38; 14,16-24; 15,1-2.11-32; Streit- und Lehrgespräche: Mt 9,14-17 / Mk 2,18-22 / Lk 5,33-39; Mt 15,21-28 / Mk 7,24-30; Lk 14,7-14; Wunder: Mt 14,13-21 / Mk 6,30-44 / Lk 9,10-17 / Joh 6,1-15; Mt 15,32-38 / Mk 8,1-10; Joh 2,1-11; biographische Erzählungen: Mt 9,9-13 / Mk 2,15-17 / Lk 5,27-32; Lk 7,36-50; 10,38-42; 19,1-10; Passionsgeschichte: Mt 26,26-30 / Mk 14,17-26 / Lk 22,14-23.28-30; Joh 13,1-20; Erscheinungen des Auferstandenen: Lk 24,13-35.36-43; Joh 21,1-14. J. Bolyki kommentiert: Die Inklusivität, die Offenheit der Tischgemeinschaften Jesu „stand in völligem Gegensatz zu den jüdischen und heidnischen Tischgemeinschaften der damaligen Zeit. Jesus hat jeder————————————————————
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BDAG s.v. συναπα' γω 2: „to adjust to a conditon or circumstance, accommodate“. Eßer/Wander, ThBLNT I, 254 zur Bedeutung der Wortgruppe ταπεινο' ς in der LXX. Wilckens III 23: ταπεινοφροσυ' νη ist „Demut, die sich nach unten engagiert“. Vgl. Thompson, Clothed, 216. Vgl. Thompson, Clothed, 90; Mustakallio, Motivation, 456 Anm. 10.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 639 ———————————————————————————————————— manns Einladung angenommen und hat jedermann an seinen eigenen Tisch aufgenommen. Dennoch kam es vor, daß einige sich von seinem Tisch fernhielten, weil sie einen Teil der wirklich oder metaphorisch dort Sitzenden (Zöllner, Dirnen, Kranke, Arme, Heiden) verachteten. Jesus selbst hat diese Vorgehensweise der Separierung zurückgewiesen und deswegen das Odium, die Frommen zu verärgern, auf sich genommen“.381
Paulus mahnt: Haltet euch nicht selbst für klug (μη` γι'νεσθε φρο' νιμοι παρ’ ε� αυτοιñς; V. 16d). Jesusbekenner sind nur dann „vernünftig“, wenn sie es für andere sind. Der Satz erinnert an Spr 3,7 LXX: „Sei nicht vernünftig um deinetwillen“ (μη` »ισθι φρο' νιμος παρα` σεαυτω ñ, ; LXX.D modifiziert).382 Die Formulierung im Plural (γι'νεσθε) zielt über den Einzelnen hinaus auf Gruppen innerhalb der Gemeinde ab, die sich gegen andere Gruppen absetzen wollen – Judenchristen gegen Heidenchristen, Heidenchristen gegen Judenchristen, die Gebildeten gegen die Ungebildeten. Von ihrer sozialen Stellung oder ihrem natürlichen Temperament her zur Überheblichkeit prädisponierte Christen, die selbstherrlich andere herablassend behandeln, sind aufgerufen, ihre Orientierung an den Maßstäben der gegenwärtigen Welt aufzugeben und die Erneuerung ihres Sinnes (V. 2) sowohl auf ihre Selbsteinschätzung als auch auf die Bewertung anderer einwirken zu lassen. 17 Die Mahnung zum rechten Verhalten gegenüber Außenstehenden, die den Abschnitt V. 17-21 bestimmt, knüpft an V. 14 an. Die erste Mahnung verbietet die Vergeltung: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem (V. 17a). Die Vergeltung von Bösem mit Bösem (κακο` ν α� ντι` κακουñ [kakon anti kakou]) wird als lex talionis bezeichnet. Das Verb α� ποδι'δωμι [apodidōmi] bedeutet hier (im schlechten Sinn) „zurückgeben“, d.h. als Strafe heimzahlen, Gleiches mit Gleichem vergelten, sich rächen.383 Die Negation μηδει'ς [mēdeis] betont, dass es keine Ausnahmen gibt: Christen dürfen niemandem angetanes Unrecht heimzahlen. Der Satz ist eine „Hauptregel christlichen Verhaltens“,384 die auch in 1Thess 5,15 und 1Petr 3,9 vorliegt. Sie hat in der atl. Tradition keine wirkliche Entsprechung. Eine entfernte Analogie ist Spr 20,22: „Sag nicht: Ich will das Böse vergelten ()ֲא ַ ׁשְּלָמה־ ָרע. Vertrau auf den Herrn, er wird dir helfen“ (EÜ; LXX 20,9c: „Sag nicht: ‚Ich werde mich am Feind rächen! (τει' σομαι το` ν ε� χθρο' ν)‘, sondern warte auf den Herrn, damit er dir helfe“; LXX.D); Spr 24,29: „Sage nicht: Die Weise, die er gebraucht hat für mich, gebrauche ich für ihn, ich werde ihm zahlen, was er mir Unrecht getan hat (τει' σομαι δε` αυ� το` ν α« με η� δι' κησεν)“ (LXX.D). Nach Ex 23,4-5 soll man das verirrte Tier eines Feindes zurückbrin————————————————————
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Bolyki, Jesu Tischgemeinschaften, 228-229. Ein Zitat liegt nicht vor, wie Michel 388-389 meint. Vgl. A. Sand, Art. α� ποδι' δωμι, EWNT I, 306-309; R. Gebauer, ThBLNT II, 1335-1337; keine Hilfe ist F. Büchsel, ThWNT II, 170-171. Sand, EWNT I, 308; Gebauer, ThBLNT II, 1336.
640 Römerbrief ———————————————————————————————————— gen bzw. von seiner erdrückenden Last befreien. Verboten ist es, dass man Gutes mit Bösem vergilt (Gen 44,4; Jer 18,20; Spr 17,13). Die Maxime „Bruch um Bruch, Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Lev 24,20) ist ein Rechtsgrundsatz, der vor Gericht die Ahndung von ungesetzlichem bzw. kriminellem Handeln regelt, keine Anleitung für das persönliche Verhalten im Alltag. Im Blick auf das Gericht Gottes hat dieser Grundsatz für die Geltung, die sich der Wahrheit und Liebe Gottes verweigern, wie Röm 12,19 verdeutlicht (vgl. Röm 2,6; 2Thess 1,6; 1Tim 4,8.14; sowie Mt 12,36; 16,27; Hebr 10,30; Offb 22,12).
Die Mahnung von Paulus erinnert an Jesu Forderung der Feindesliebe (Mt 5,44.46.47 / Lk 6,27-28.32-36), die der Maxime „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ entgegengesetzt wird (Mt 5,38).385 Jesu Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18,23-35), in dem es nicht nur um die Frage geht, wie oft man vergeben soll (V. 21-22.35), sondern auch um die Frage der Vergeltung (V. 25.26.28.29.30.34), betont, dass der Anbruch der Königsherrschaft Gottes die Vergebung über die Vergeltung stellt – Nachfolger Jesu sind im Umgang mit anderen nicht von unbarmherziger Vergeltung bestimmt, sondern, als Reaktion auf die von Gott erfahrene Vergebung einer unvorstellbar großen Schuld, vom Erbarmen und von der Barmherzigkeit. Im Kontext von V. 16d sagt Paulus: Weil Jesusbekenner sich nicht der eigenen Macht oder Klugheit überlassen, werden sie diese auch nicht „als Waffe im Kampf um das Dasein benutzen. Anders würden sie dem Gegner zu vergelten suchen.“386 Die Mahnung in V. 17b wird oft als komplementäre positive Mahnung zu V. 17a verstanden und der griech. Satz mit „Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht“ (EÜ, ZÜ; LÜ: „Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann“) übersetzt.387 Der Gedanke ist naheliegend, dass Paulus das gegenteilige Verhalten von V. 17a beschreibt und zum Gutestun gegenüber allen Menschen aufruft, auch gegenüber denjenigen, die Böses tun (und damit eine Version von Jesu Gebot der Feindesliebe formuliert). Die uneigentliche Präposition ε� νω' πιον [enōpion] muss bei dieser Interpretation als Umschreibung des Dativs verstanden werden,388 was nicht der üblichen ————————————————————
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Vgl. Thompson, Clothed, 90; Mustakallio, Motivation, 456 Anm. 10. Käsemann 336. Lietzmann 110; Schlier 381-382; Michel 389-390; Käsemann 336; Wilckens III 24; Lohse 348; Ortkemper, Leben, 107; vgl. NSS II 42. Bauer/Aland s.v. ε� νω' πιον 4, mit Verweis auf Apg 6,5; 2Kor 7,12; Lk 24,11; Hebr 4,13, nicht jedoch auf Röm 12,17. Vgl. BDR §214.6 Anm. 9, ebenfalls ohne Nennung von Röm 12,17. Vgl. BDAG s.v. ε� νω' πιον, wo die Kategorie „für den Dativ“ aufgehoben ist und am Ende der Bedeutung 3 integriert wird, ebenfalls ohne Verweis auf Röm 12,17, das an erster Stelle der Definition „exposure to value judgment, in the opinion/judgment“ erwähnt wird, neben Röm 3,20; 2Kor 8,21; 1Tim 2,3; 5,4; sowie Lk 1,75; 16,15; Apg 4,19; Hebr 13,21; 1Petr 3,54; 1Joh 3,22; Offb 3,2.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 641 ————————————————————————————————————
Wortbedeutung entspricht („vor; vor Augen, in Gegenwart von; nach d. Meinung, nach dem Urteil“).389 Diese Mahnung ist im Anschluss an die übliche Bedeutung von ε� νω' πιον so zu verstehen: seid auf das bedacht, was vor allen Menschen gut ist (Elb.Ü: „Seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen“; GN: „Seid darauf bedacht, vor den Augen aller Menschen bestehen zu können“).390 Die Anspielung auf Spr 3,4 LXX (και` προνοουñ καλα` ε� νω' πιον κυρι'ου και` α� νθρω' πων; „Achte auf Gutes vor dem Herrn und den Menschen“; LXX.D) spricht für dieses Verständnis der Aussage: Die Wendung ε� νω' πιον κυρι' ου [enōpion kyriou] beschreibt, was „vor dem Herrn“ als gut gilt, d.h. von diesem als gut anerkannt wird. Die parallele Formulierung 2Kor 8,21, in der die Anspielung auf diese atl. Stelle deutlicher ist, bestätigt dieses Verständnis: προνοουñ μεν γα` ρ καλα` ου� μο' νον ε� νω' πιον κυρι'ου α� λλα` και` ε� νω' πιον α� νθρω' πων; „denn wir sind auf das Rechte bedacht, nicht allein vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen“. Das „Gute“ (καλα' [kala]) ist hier nicht das Evangelium, sondern alles, was von „allen Menschen“ (πα' ντων α� νθρω' πων) Lob erhält,391 d.h. ein Verhalten, das allgemein – nicht nur unter Jesusbekennern – als gut, ehrbar und lobenswert gilt, ein Verhalten das auch den Ansprüchen der Außenstehenden genügt und von diesen in seiner Qualität als passend und nützlich anerkannt wird. Paulus verweist auf den common sense (lat. communis sensus), den man unter allen Menschen findet.392 Paulus meint: „Verstecken macht mißtrauisch, ein vorbildliches Leben in der Öffentlichkeit (= vor aller Augen) aber schafft auf Dauer Vertrauen“.393 Nicht alles, was Menschen außerhalb Israels und der Gemeinde der Jesusbekenner denken und tun, ist von „Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit“ (1,18) gekennzeichnet. Die Gemeinde begegnet Anfeindung, Widerstand und Verfolgung nicht mit eigenen Provokationen, sondern macht sich Gedanken, wie sie die Wirklichkeit des Evangeliums im Verhalten auch gerade gegenüber Außenstehenden auf eine Art und Weise auslebt, die von diesen als richtig, hilfreich, nützlich und wohltuend erkannt und anerkannt wird. ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. ε� νω' πιον 1-3; BDAG s.v. 1-3. NSS II 17: „seid auf das bedacht was in den Augen aller Menschen gut ist“ (als Möglichkeit, die dann jedoch abgelehnt wird); vgl. Cranfield II 644; Dunn II 748; Moo 785; Fitzmyer 656; Theobald II 73; Schreiner 672; Jewett 772; Haacker 309 Anm. 56. W. Grundmann, Art. καλο' ς, ThWNT III, 551. Cranfield II 646 interpretiert καλα' im Sinn des Evangeliums, was im Kontext nicht plausibel ist; kritisch Dunn II 748; Fitzmyer 656. Unnik, Rücksicht; Rossano, Bello. Zahn 552: „Zu diesen καλα' gehört auch die Enthaltung vom κακοποιειñν in Erwiderung des κακοπαθειñν nicht erst nach der Lehre und dem Beispiel Jesu, sondern auch den Lehren der Weisen in Israel und unter den Griechen.“ Theobald II 73.
642 Römerbrief ————————————————————————————————————
18 Die Mahnung haltet Frieden (ει� ρηνευ' οντες [eirēneuontes]) ruft die
Jesusbekenner auf, keinen Streit anzufangen.394 Wenn sie Böses nicht mit Bösem vergelten und so leben, dass auch Außenstehende ihr Verhalten als gut, ehrbar und lobenswert anerkennen, dann sollte es auch möglich sein, Streit zu vermeiden und einträchtige, harmonische Beziehungen mit allen Menschen (μετα` πα' ντων α� νθρω' πων [meta pantōn anthrōpōn]) zu unterhalten. Die Mahnung erinnert an Mk 9,50, wo Jesus seine Jünger, die sich um ihren Rang als Nachfolger Jesu gestritten hatten (9,33-37), aufruft: „Habt Salz in euch und haltet Frieden untereinander (ει� ρηνευ' ετε ε� ν α� λλη' λοις [eirēneuete en allēlois])“. In Kol 4,6 verbindet Paulus Salz mit freundlichem, gütigem Verhalten, das es möglich macht, jedem in der rechten Weise antworten zu können. Im Alten Testament und in jüdischen Traditionen hat Salz reinigende, würzende und erhaltende Kraft und wird zum Symbol für Dauer und Wert; in rabbinischen wird Salz auf Weisheit gedeutet, mit der Erduldung von Unrecht verbunden und als Grundlage von Friedensstiftung und -bewahrung verstanden.395 Weil Streit, auch zwischen Brüdern (Gen 4,1-16: Kain und Abel), eine alltägliche Wirklichkeit ist, ist der Aufruf, Frieden zu halten, nicht weit entfernt von Jesu Seligpreisung der Friedenstifter (Mt 5,9: μακα' ριοι οι� ει� ρηνοποιοι' [makarioi hoi eirēnopoioi]; „Selig, die Frieden stiften“), auch wenn Paulus hier nicht das Verb ει� ρηνοποιε' ω [eirēnopoieō] verwendet.396 In 2Kor 13,11 ruft Paulus die Christen in Korinth auf: „Im Übrigen, liebe Brüder, freut euch, kehrt zur Ordnung zurück, lasst euch ermahnen, seid eines Sinnes (το` αυ� το` φρονειñτε) und lebt in Frieden (ει� ρηνευ' ετε)! Dann wird der Gott der Liebe und des Friedens (ο� θεο` ς τηñ ς α� γα' πης και` ει�ρη' νης) mit euch sein“ (EÜ). Wer die Mahnung zur Liebe V. 9-10 beherzigt, der wird Frieden stiften und Frieden bewahren wollen. Wenn Jesusbekenner sich bemühen, „eines ————————————————————
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Das Verb ει� ρηνευ' ω kommt noch in 2Kor 13,11; 1Thess 5,13 sowie Mk 9,50 vor; für die Verwendung des Verbs in der LXX s. Muraoka s.v. Vgl. W. Foerster, ει� ρηνευ' ω, ThWNT II, 416-417. Vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 537 für Papyrusbelege; in P.Oxy. XLII 3057,18-19 mahnt ein gewisser Ammonios die Adressaten seines Briefs, in einer bestimmten Sache mit den Mitmenschen keinen Streit anzufangen; seine eigene Erfahrung veranlasse ihn, sie „dazu aufzufordern, Frieden zu halten (προτρε' ψασθαι υ� μαñ ς ει� ρηνευ' ειν).“ Der Brief ist vollständig abgedruckt in Arzt-Grabner, Philemon, 61-63; S.R. Llewelyn, in Horsley/Llewelyn, New Documents, 169-170; ebd. 172-177 zur Diskussion, ob der ins späte 1. oder frühe 2. Jh. n.Chr. datierte Brief von einem Christen geschrieben wurde; ein eindeutiges Urteil lässt sich nicht fällen. F. Hauck, Art. α« λας, ThWNT I, 229; Nauck, Salt. Vgl. Pesch, Markusevangelium II, 117118; Evans, Mark 8:27–16:20, 73-74 zu Mk 9,50. Paulus verwendet ει� ρηνοποιε' ω in Kol 1,20 für den Messias, „der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“. Spr 10,10 LXX: „Wer hinterlistig mit den Augen zwinkert, sammelt Männern Kummer, wer aber mit Freimut zurechtweist, stiftet Frieden“ (LXX.D).
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Sinnes“ zu sein, d.h. nach Einmütigkeit im Denken und Wollen trachten (V. 16) und auch in der Welt außerhalb der Gemeinde so leben, dass die anderen das Verhalten der Jesusbekenner als gut anerkennen (V. 17), dann ist die Möglichkeit gegeben, dass sie Frieden mit allen Menschen bewahren können. Vom „Gott des Friedens“ spricht Paulus auch in Röm 15,33; 16,20; 1Kor 14,33; Phil 4,9; 1Thess 5,23; 2Thess 3,16; vgl. Hebr 13,20. Weil Gott im Messias Jesus Frieden geschaffen hat (Röm 5,1), sind Jesusbekenner immer und in jeder Situation zum Frieden berufen (1Kor 7,15).397 Das aktive Trachten nach Frieden war bereits eine Grundforderung der atl. Tradition: „Meide das Böse und tu das Gute; suche Frieden und jage ihm nach“ (Ps 34,14; LXX: ζη' τησον ει� ρη' νην και` δι'ωξον αυ� τη' ν). Paulus weiß aus eigener, leidvoller Erfahrung, dass dies nicht immer möglich ist. Er schreibt den Brief in der Stadt Korinth, in der ortsansässige Juden ihn mit Verleumdungen überhäuften, aus der Synagoge vertrieben und vor dem Gouverneur der Provinz verklagten und schließlich einen Anschlag auf sein Leben planten (Apg 18,6.12-13; 20,3). Es ist eine Lebensweisheit, dass zu echtem Frieden beide Seiten bereit sein müssen.398 So qualifiziert Paulus den Aufruf, mit allen Menschen in Frieden zu leben, durch einen Konditionalsatz und eine restriktive Konnexion, die die Gültigkeit der Aussage einschränkt,399 und fordert die Jesusbekenner damit auf, die realen Möglichkeiten für ein friedliches Zusammenleben mit allen Menschen nüchtern einzuschätzen.400 Die Qualifikation wenn es möglich ist (ει� δυνατο' ν [ei dynaton]) verdeutlicht, dass es Situationen gibt, in denen es nicht in der Macht (δυ' ναμις) der Jesusbekenner steht, Frieden zu bewahren. Die Einschränkung soweit es an euch liegt (το` ε� ξ υ� μω ñ ν [to ex hymōn]) unterstreicht einerseits, dass es nie an den Christen liegen darf, wenn Streit herrscht, betont jedoch andererseits, dass es Menschen gibt, mit denen Christen auch bei bestem Willen nicht in Frieden leben können. Wenn sie gehasst, verleumdet und verfolgt werden, ————————————————————
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Michel 390 betont, dass es sich beim Aufruf, Frieden mit allen Menschen zu halten, nicht um eine Weisheitsregel handelt, „sondern um eine bestimmte Form, das Evangelium weiterzugeben“. Dass Paulus „dem christlichen Partner eine höhere Verantwortung (auflegt), als sie der Nächste hat“, ist wahrscheinlich richtig, im Text jedoch nicht ausgesprochen. Haacker 309; vgl. Seneca, Const. 7,2: „Die Guten haben untereinander Frieden“. Zu το` ε� ξ υ� μω ñ ν als restriktiver Konnexion vgl. HvS §342b. Wilson, Love, 190-191 betont, dass es sich bei den einschränkenden Qualifikationen nicht um eine „Rücktrittsklausel“ (escape clause) handelt, sondern um einen Hinweis darauf, dass das ethische Verhalten der stadtrömischen Christen von ihrem Mut und ihrem Vorstellungsvermögen abhängt: Sie sollen die bestehenden Schwierigkeiten realistisch bewerten und erwägen, wie viel jeder von ihnen tun kann und welche Dinge sie ändern können. Vgl. Zerbe, Non-Retaliation, 242-243.
644 Römerbrief ————————————————————————————————————
weil sie an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt glauben und diese Botschaft aktiv verkündigen, dann wird es nicht immer möglich sein, Frieden zu halten und Frieden zu schaffen. Ihren Glauben an den Herrn Jesus Christus können sie unter keinen Umständen verleugnen, und ihren Auftrag, das Evangelium zu verkündigen, werden sie nicht aufgeben. Calvin schreibt: „Hier ist doppelte Vorsicht geboten: Wir dürfen es nicht darauf anlegen, [den Menschen] in einem solchen Maße gefällig zu sein, dass wir uns etwa weigern, ihren Hass um Christi willen auf uns zu nehmen, wann immer das unausweichlich ist … Ferner darf unsere Umgänglichkeit uns nicht zur Anpassung verleiten, so dass wir, nur um Frieden zu bewahren, den Fehlern der Menschen Vorschub leisten“.401 19 Die nächste Mahnung, die V. 17a aufgreift und die wieder mit einem imperativischen Partizip formuliert wird, verbietet das Sichrächen und ruft zur Achtung des Zorngerichts Gottes auf. Der Satz rächt euch nicht selbst (μη` ε� αυτου` ς ε� κδικουñ ντες [mē heautous ekdikountes]) kann auch mit „verschafft euch nicht selbst Recht“ übersetzt werden.402 Christen sollen das Recht nicht in die eigene Hand (Reflexivpronomen ε� αυτου' ς) nehmen, indem sie erlittenes Unrecht selbst ahnden, d.h., sie sollen darauf verzichten, sich für eine als Unrecht empfundene Tat, die vielleicht durchaus ein rechtlich illegales Vergehen ist, durch eine entsprechende Vergeltung Genugtuung zu verschaffen. Das Verbot der persönlichen Rache war ebenfalls in der atl.-jüdischen Tradition bekannt: Lev 19,18: και` ου� κ ε� κδικαñ ται' σου η� χει' ρ, και` ου� μηνιειñς τοιñς υι�οιñς τουñ λαουñ σου και` α� γαπη' σεις το` ν πλησι' ον σου ω� ς σεαυτο' ν· ε� γω' ει� μι κυ' ριος („Und deine Hand soll keine Rache üben und du sollst den Angehörigen deines Volkes nicht grollen, sondern deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr“; LXX.D; dort auch die folgenden Übersetzungen). Spr 20,22 (LXX 20,9c: μη` ει»πη, ς Τει' σομαι το` ν ε� χθρο' ν· α� λλα` υ� πο' μεινον το` ν κυ' ριον, «ινα σοι βοηθη' ση, („Sage nicht: ‚Ich werde mich am Feind rächen!‘, sondern warte auf den Herrn, ————————————————————
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Calvin II 651; vgl. Cranfield II 646; Wilckens III 24. Käsemann 336: „Grenze des Friedens kann ebenso der Wille des andern wie das eigene Christsein werden.“ Bauer/Aland s.v. ε� κδικε' ω 1. jemanden rächen, jemandem Recht verschaffen; BDAG definiert: „to procure justice for someone“. Kiessling, Wörterbuch IV s.v. ε� κδικε' ω verzeichnet folgende Bedeutungen: 1. „einen Rechtshandel zur Entscheidung bringen“; 2. „beanspruchen, einen Klageanspruch erheben“; 3. „jmdm zu seinem Recht verhelfen“; 4. „wider jmdn vor Gericht streiten, prozessieren“. Neben Röm 12,19 vgl. Lk 18,3.5. Die Formulierung kommt in P.Oxy. VI 937,7 vor: Ein gewisser Demarchos schreibt seiner Schwester Taor, dass er, wenn er zurückkehrt, sich selbst Recht verschaffen bzw. sich rächen will („well, if I live and come to my native land I will have my revenge (ε� κδικη' σω ε� μαυτο' ν)“, so B.P. Grenfell / A.S. Hunt in P.Oxy. VI, 1980; vgl. MM s.v. Vgl. ArztGrabner, 2. Korinther, 384. Vgl. G. Schrenk, Art. ε� κδικε' ω κτλ., ThWNT II, 440-444; H. Goldstein, ε� κδι' κησις κτλ., EWNT I, 991-993; Synofzig, δι' κη κτλ., ThBLNT I, 739-741.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 645 ———————————————————————————————————— damit er dir helfe“). Das bekannteste atl. Beispiel des Verzichts auf Selbstjustiz ist Davids Verhalten gegenüber Saul (1Sam 24; 26). Für die jüdische Tradition sind folgende Stellen zu nennen: Sir 28,1: ο� ε� κδικω ñ ν παρα` κυρι' ου ευ� ρη' σει ε� κδι' κησιν, και` τα` ς α� μαρτι' ας αυ� τουñ διατηρω ñ ν διατηρη' σει („Wer Rache übt, wird vom Herrn her Rache finden, und seine Sünden wird er wahrlich bewahren“). PseudoPhokylides 77: μη` μιμουñ κακο' τητα, δι' κη, δ’ α� πο' λειψον α» μυναν („Erwidere nicht Schlechtigkeit (mit Gleichem); vielmehr überlass dem Recht die Vergeltung“; Übers. N. Walter). TestJos 18,2: και` ε� α` ν θε' λη, τις κακοποιηñ σαι υ� μαñ ς, υ� μειñς τηñ, α� γαθοποιι¨' α, ευ» χεσθε υ� πε` ρ αυ� τουñ : και` α� πο` παντο` ς κακουñ λυτρωθη' σεσθε δια` Κυρι' ου („Und wenn euch jemand Böses zufügen will, so betet ihr durch Gutestun für ihn, und ihr werdet von allem Bösen vom Herrn befreit werden“; Übers. J. Becker); TestBen 4,2-3: ο� α� γαθο` ς α» νθρωπος ου� κ ε» χει σκοτεινο` ν ο� φθαλμο' ν· ε� λεαñ, γα` ρ πα' ντας, κα� ν ω ò σιν α� μαρτωλοι`, κα� ν βουλευ' ωνται περι` αυ� τουñ ει� ς κακα' . Ου« τως ο� α� γαθοποιω ñ ν νικαñ, το` κακο' ν, σκεπαζο' μενος υ� πο` τουñ α� γαθουñ („Der gute Mann hat kein finsteres Auge. Denn er erbarmt sich aller, auch wenn sie Sünder sind. Auch wenn sie über ihn zum Bösen planen, so besiege er, das Gute tuend, das Böse, da er vom Guten beschirmt wird“; Übers. J. Becker, modifiziert). 1QS X, 17-19: „Nicht will ich jemandem seine böse Tat vergelten, mit Gutem will ich jeden verfolgen. Denn bei Gott ist das Gericht über alles Lebendige, und er vergilt dem Mann seine Tat … Und Streit mit den Männern der Grube will ich nicht aufnehmen bis zum Tag der Rache“ (Übers. E. Lohse). Die Vergeltung wird Gott anheimgestellt, aber der Verzicht auf Rache und Zorn gilt nur dem Bruder innerhalb der Gemeinschaft, wie die Fortsetzung zeigt: „Aber meinen Zorn will ich nicht wenden von den Männern des Frevels, und nicht will ich mich zufrieden geben, bis er das Gericht festgesetzt hat“ (1QS X, 19-20; vgl. CD IX, 2-8).
Während diese Mahnungen zum Verzicht auf persönliche Rache auf die Gemeinschaft des Gottesvolkes bzw. der Heilsgemeinde bezogen sind, betrifft die Mahnung von V. 19a im Kontext von V. 17b.18 „alle Menschen“, die den Jesusbekennern Unrecht tun.403 Wenn man im Kontext der Folgen des erst seit zwei Jahren aufgehobenen Claudiusedikts interpretiert, könnte man vermuten, dass Paulus die nach Rom zurückkehrenden Judenchristen vor Vergeltungsakten warnen will;404 oder man kann die Mahnung in den Kontext der zunehmenden Zelotentätigkeit in Palästina stellen, die nur zehn Jahre später in einen offenen militärischen Konflikt umschlug und die stadtrömischen Gemeinden zu gewaltsamen Reaktionen gegen die römische Staatsgewalt angeregt haben könnte.405 Im Kontext der atl.-jüdischen Tradition des Verzichts auf Rache braucht es keinen konkreten Anlass, diese Verpflichtung als Konkretisierung der ungeheuchelten Liebe (V. 9), des Seg————————————————————
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Vgl. Wilckens III 25: Paulus überträgt das Liebesgebot von Lev 19,18, das die Rache gegen den Volksgenossen verbietet und mit dem Gebot, ihn zu lieben verbindet, generalisierend auf das Verhältnis der Christen zu den Ungläubigen außerhalb der Gemeinde. Jewett 775, der allerdings nicht erklärt, an wem die nach Rom zurückkehrenden Judenchristen sich konkret hätten rächen wollen. Dunn II 749, der weder für den Einfluss der zelotischen Bewegung auf die stadtrömischen Christen noch für die Verfolgung der römischen Hausgemeinden um 56/57 n.Chr. einen Beleg liefert; er weist zu Recht darauf hin, dass die Neronische Christenverfolgung (64 n.Chr.) noch in der Zukunft lag.
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nens der Verfolger (V. 14), des Verzichts auf Überheblichkeit (V. 16) und auf Vergeltung (V. 17) sowie des friedlichen Zusammenlebens mit anderen Menschen (V. 18) zu betonen. Der Verzicht auf private Selbstjustiz wird mit dem Gericht Gottes begründet: sondern gebt Raum dem Zorn (Gottes) (α� λλα` δο' τε το' πον τηñ, ο� ργηñ, [alla dote topon tē orgē]). Das mit „Raum“ (το' πος) übersetzte Wort bedeutet hier „Möglichkeit, Gelegenheit, Anlass“,406 sodass man auch „gebt dem (Zorn) Gottes Gelegenheit“ übersetzen kann. Die „passende Gelegenheit“ für die Vergeltung von Unrecht ist nicht die persönliche Reaktion dessen, dem Unrecht getan wurde, sondern das Gericht Gottes, das alles entscheidend in der Zukunft stattfinden wird, aber auch in der Gegenwart Wirklichkeit werden kann (vgl. 1,18ff). Die Formulierung ohne Genitiv (ο� ργη` θεουñ , „Zorn Gottes“; s. zu 1,18), aber mit Artikel (η� ο� ργη' ) unterstreicht die Absolutheit des Zornes Gottes.407 Allein Gott hat das Recht, am „Tag des Zorns“ (ε� ν η� με' ρα, ο� ργηñ ς) und der Offenbarung seines gerechten Gerichtsurteils (α� ποκαλυ' ψεως δικαιοκρισι' ας τουñ θεουñ ; 2,5) jedem Menschen zu „vergelten nach seinen Werken … denen, die aus Eigennutz handeln, sich der Wahrheit widersetzen und dem Unrecht Folge leisten, Zorn und Grimm (τηñ, α� δικι'α, ο� ργη` και` θυμο' ς)“ (2,6.8). Wer sich selbst rächt, der usurpiert das Recht Gottes. Paulus unterbricht die beiden Mahnungen mit der Anrede Geliebte (α� γαπητοι' [agapētoi]), die die Jesusbekenner an die Liebe erinnert, mit der Gott sie geliebt hat, als sie Feinde Gottes waren (5,10 im Kontext von 5,5.6.8) – eine Liebe, aus der „ihnen die Kraft zuwächst, auf die Durchsetzung des eigenen Rechts zu verzichten“.408 Zugleich erinnert er sie an die Tatsache, dass sie als Geliebte Gottes (α� γαπητοι` θεουñ ) die von Gott erwählten Heiligen sind (1,7), die Gott als seine Kinder zum Heil und zur Herrlichkeit berufen hat (5,2; 8,31-39), zu der sie auch durch die Leiden der Gegenwart vorbereitet werden (5,3-5; 8,18-30). Paulus begründet (γα' ρ) mit einem Schriftzitat (γε' γραπται [gegraptai])409 aus Deut 32,35: Mein ist die Rache, ich werde vergelten (V. 19b). ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. το' πος 2c; vgl. BDAG s.v. το' πος 4; LSJ το' πος III (metaph.): „opening, occasion, opportunity“. Vgl. Thukydides 6,54; Polybius 1,88,2; Plutarch, Mor 62d.462b; Sir 4,5; 13,22; 16,14; 19,17; 38,12; Weish 12,10.20; Josephus, Ant 16,258; P.Oxy. XII 1492,11; im NT neben Röm 12,19 auch 15,23; Apg 25,16; Eph 4,27; Hebr 12,17. Die Verwendung von το' πον διδο' ναι weist nicht automatisch auf eine ältere Tradition hin (Michel 391 Anm. 45). Nur Paulus verbindet diese Wendung mit dem Zorn Gottes. Vgl. Michel 391 Anm. 46, der zu Recht Übersetzungen wie „haltet euren Zorn zurück“ oder „lasst euch den Zorn der Gegner gefallen“ zurückweist. Vgl. Smothers, Wrath. Theobald II 74. Vgl. 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33; 10,5.15; 11,8.26 sowie 14,11; 15,3.4.9.21.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 647 ———————————————————————————————————— Röm 12,19b Hebr 10,31 Deut 32,35 LXX Deut 32,35 MT SymmachusSyh TgOnkelos TgFrag.
ε� μοι` ε� κδι' κησις, ε� γω` α� νταποδω' σω ε� μοι` ε� κδι' κησις, ε� γω` α� νταποδω' σω Mein ist die Rache, ich werde vergelten ε� ν η� με' ρα, ε� κδικη' σεως α� νταποδω' σω Am Tag der Bestrafung werde ich vergelten (LXX.D) ִלי ָנָקם ְוִׁשֵּלם Mein ist die Rache und die Vergeltung (Elb.Ü) mihi ultio et retribuam Mein ist die Rache und die Vergeltung ְקָדַמי ֹפורָענו ָּתא ַוֲאָנא ֲאַשֵלים Vor mir ist die Bestrafung, ich will vergelten דידי היא נקמתא ואנא הוא משלם Mein ist die Rache, und ich bin es, der vergelten wird
Folgende Beobachtungen sind wichtig: 1. Das Zitat in Röm 12,19 stimmt mit dem Zitat Hebr 10,31 wörtlich überein. 2. Die Wendung ε� ν η� με' ρα, („am Tag“) fehlt bei Paulus, wie auch im masoretischen Text; die LXX setzt für die hebr. Vorlage ְלי ֹוםvoraus.410 3. Paulus betont Gott als Ausführenden der Vergeltung mit der 1. Pers. Sing. des Personalpronomens ε� γω' , das in der LXX fehlt, aber in TgOnkelos ( )ַוֲאָנאund in TgFrag. ( )הואebenfalls explizit hervorgehoben wird, im Unterschied zu Deut 32,35 MT mit der 3. Pers. Sing. ()ִׁשֵּלם. 4. Symmachus und die aramäischen Targumim setzen als hebr. Vorlage ָוֲאַׁשֵלם ִלי ָנָקםvoraus. 5. Man ging lange davon aus, dass die Übereinstimmungen späterer Texte mit der pauli-nischen Zitatfassung auf eine mündliche Verwendung von Deut 32,35 hinweise, das nach Art eines Sprichwortes verwendet worden sei.411 6. Diese Annahme hat sich infolge der Entdeckungen biblischer Texte in Qumran geändert, die gezeigt haben, dass die griech. Übersetzung des hebr. ATTextes mehrere Revisionen erfuhr, die den griech. Text an diesen oder jenen hebr. Text angleichen wollen. Die paulinische Zitatfassung in Röm 12,19b kann als wörtliche Wiedergabe eines griech. Textes verstanden werden, der anhand eines hebr. Textes revidiert worden war, der dieselbe Form hatte – 1. Pers. Sing. von ׁשלם, wie sie in Symmachus und den Targumim belegt ist.412 7. Ob Paulus das emphatische ε� γω' vor α� νταποδω' σω selbst hinzugefügt oder ein και' ausgelassen hat, um die rhetorische Wirkung zu erhöhen, lässt sich nicht beantworten. Die Präsenz von ε� γω' in der identischen Zitatfassung von Hebr 10,30 hilft nicht weiter, weil diese von Röm 12,19b oder von einer identischen Vorlage abhängig sein kann.
Das meist mit „Rache“ übersetzte Wort ε� κδι'κησις [ekdikēsis] bedeutet sowohl „(gerichtliche) Auseinandersetzung“ als auch „Urteil“ und „Bestrafung“.413 Das Verb α� νταποδι'δωμι [antapodidōmi] kann „(zurück)erstatten, vergelten“ im guten Sinn (Röm 11,35) oder negativ im Sinn von „als Strafe ————————————————————
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Die Verkürzung von ְלי ֹוםzu ִליwird oft auf eine abgekürzte Schreibweise zurückgeführt, die später nicht mehr verstanden wurde; vgl. Koch, Schrift, 77 Anm. 102. Kautzsch, De Veteris Testamenti locis, 77; so jedoch auch Koch, Schrift, 77-78.95. Stanley, Paul, 172; so schon Vollmer, Citate, 30-32. Zum folgenden Punkt Stanley ebd. Vgl. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 384. Bauer/Aland ε� κδι' κησις gibt „Rache“ und „Bestrafung“ als Übersetzungsmöglichkeiten; vgl. BDAG s.v. ε� κδι' κησις 2 führt Röm 12,19; Hebr 10,30 an für die Bedeutung „retaliation for harm done, vengeance“. In 2Kor 7,11 bedeutet ε� κδι' κησις wohl nicht „Bestrafung“, sondern „rechtliches“ Vorgehen innerhalb der Gemeinde (Kritzer, ebd. 285).
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oder Rache heimzahlen“, „rächen“ bedeuten (wie hier auch 2Thess 1,6).414 Die betonte 1. Pers. Sing. unterstreicht, dass Gott selbst Recht sprechen, Unrecht ahnden und die Bösen bestrafen wird.415 Israel war überzeugt, dass Gott sein Volk durch sein Eingreifen von den Feinden befreien wird, was sich bei den Propheten zur Gewissheit verdichtete, dass Gott die Feinde seines Volkes vernichten werde, wenn er sein ewiges Reich aufrichtet.416 Der heilige Gott, dem alle Menschen Rechenschaft schuldig sind (1,18–3,20), wird alle Menschen richten, die sein Heilshandeln im Messias Jesus (3,21– 5,21) ablehnen und in Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit verharren (1,18). Die Erinnerung an die Wirklichkeit der Gerichtshoheit Gottes „soll den Umgang der Christen mit ihren Gegnern normativ begrenzen“.417 In 2Thess 1,6.8 schreibt Paulus von dem gerechten Gott, der denen, die die Christen bedrängen, mit Bedrängnis „vergelten“ (α� νταποδουñ ναι [antapo-dounai]) wird, wenn Jesus sich mit seinen mächtigen Engeln vom Himmel her offenbart „in loderndem Feuer“ und „Vergeltung übt“ (διδο' ντος ε� κδι'κη-σιν [didontos ekdikēsin]) an denen, die Gott nicht kennen und dem Evangelium von Jesus, dem Herrn, nicht gehorchen. In Phil 1,28 unterscheidet Paulus zwischen den Jesusbekennern, die gerettet werden, und den anderen, die „verloren“ sind. In Offb 6,10 fragen die Märtyrer: „Bis wann, o Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, richtest du nicht und schaffst Recht (ε� κδικειñς [ekdikeis]) für unser Blut bei denen, die auf der Erde wohnen?“ (G. Maier). In der Vision vom Fall Babylons (Offb 17,1–19,10) werden die wahrhaftigen und gerechten Gerichte (αι� κρι'σεις) Gottes gefeiert, an dem Tag, an dem er das Blut der Märtyrer an der großen Hure „gerächt hat“ (ε� ξεδι'κησεν [exedikēsen]; Offb 19,2).418 ————————————————————
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Vgl. F. Büchsel, Art. δι' δωμι κτλ., ThWNT II, 171; A. Sand, EWNT I, 257-258; für Papyrusbelege vgl. Kreinecker, 2. Thessaloniker, 135-136. Gegen Hamerton-Kelly, Violence, 103.152, der 12,19 im Licht von 1,18-32 interpretieren will: Im Eschaton komme der Prozess der Selbstzerstörung zu seinem Ende, der schon immer zu Gange war, wenn es die Möglichkeit der Buße nicht mehr geben wird; die Aussage in 12,19 sei nur in einem allgemeinen Sinn („loosely“) zu verstehen: Gott sei nicht gewalttätig, er überlasse die Sünder lediglich den Konsequenzen ihrer freiwillig gewählten Begierden. So auch Jewett 776-777. Diese Interpretation scheitert an den Aussagen über das aktive Gerichtshandeln Gottes in 2,5-8. Wilckens III 25 mit Verweis auf Ex 15; Ri 6–7; Nah 1; Dan 7,23ff; vgl. äthHen 46,4ff. Theobald, Zorn Gottes, 95, der fortfährt: „Auf ihrer Selbstzurücknahme im Angesicht des Richtergottes liegt in V. 19 der Akzent, nicht auf einem Appell an seine Gerechtigkeit, zu deren Erweis Gott durch demonstrativen Verzicht auf Rache oder Strafverfolgung provoziert werden soll.“ Vgl. Theobald II 74; Haacker 309-310. Vgl. Haacker 310. Ob 1Thess 2,16, wo Paulus im Blick auf die Juden, die seine Missionsarbeit behindern, sagt, dass sie „unablässig das Maß ihrer Sünden voll“ machen, auf das Endgericht zu beziehen ist; vgl. Weima, Thessalonians, 175-178.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe 12,9-21 649 ————————————————————————————————————
Mit der Wendung spricht der Herr (λε' γει κυ' ριος [legei kyrios]), die an das atl. Zitat angehängt wird,419 unterstreicht Paulus die göttliche Autorität. Paulus will entweder sicherstellen, dass seine Leser wissen, dass hier Gott spricht,420 oder er folgt einer Praxis, in der die Formel an mündliche Wiedergaben prophetischer Stellen aus der Schrift angehängt wurde.421 20 Mit vielmehr (α� λλα' ) führt Paulus ein Schriftzitat ein, das die den Jesusbekennern gebotene Verhaltensweise beschreibt, die im Gegensatz steht zur persönlichen Vergeltung (V. 19a). Das (unmarkierte) Zitat422 stammt aus Spr 25,21-22. Paulus folgt wörtlich dem LXX-Text mit Ausnahme der Ersetzung des Verbs τρε' φε [trephe]423 durch ψω' μιζε ([psōmize], „speisen, zu essen geben“).424 Die Formulierungen aus Spr 25,21-22 setzen die Kette der Imperative bzw. imperativischen Partizipien von V. 9-19a fort, die seit V. 17 auf das Außenverhältnis der Gemeinde bezogen sind. Paulus konfrontiert die Jesusbekenner angesichts der Gerichtshoheit Gottes im Blick auf die Menschen, die ihnen schaden wollen und tatsächlich schaden, mit der Mahnung zu korrektem Verhalten, das im Gegensatz steht zu dem Verlangen nach persönlicher Rache. Paulus spricht von deinem Feind (ο� ε� χθρο' ς σου [ho echthros sou]),425 im Kontext von Spr 25,21 und von Röm 12,20 ein persönlicher Feind, den man kennt und dem man dort ————————————————————
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Wie auch in Röm 14,11; 1Kor 14,21; 2Kor 6,17.18; vgl. Apg 7,49. Aune, Prophecy, 344. Aune, ebd. 339-346 gegen die These von Ellis, Use, 109-112, die Formel λε' γει κυ' ριος sei von urchristlichen Propheten beeinflusst, die diese Wendung an ihre eigenen biblischen Paraphrasen angehängt hätten; vgl. Koch, Schrift, 246-247. Stanley, Paul, 173-174 mit Verweis auf LXX Jes 39,6; 66,1; Jer 2,9; 3,2; 5,11; 9,24; 23,16; 23,23.29; Hes 12,28; 24,20; 25,14; 28,10; 33,20; 36,23.32; 37,28; Am 3,15; 5,25; 6,15; 8,3; Hag 1,6; Sach 1,3; Mal 1,2. Nach Koch, Schrift, 14 konnte man das nicht ausdrücklich gekennzeichnete Zitat als solches erkennen, weil sich der Wortlaut stilistisch deutlich vom Kontext abhebt: 12,20 unterscheidet sich „durch den dreizeiligen Aufbau bei strengem Parallelismus der beiden ersten Zeilen. Eine erneute Einleitungsformulierung hätte sehr schwerfällig gewirkt und auch der Funktion des Zitats als direkt gültiger Weisung widersprochen.“ Paulus verwendet das Verb τρε' φω („ernähren, füttern, mit Lebensunterhalt versehen“, Mt 6,26; 25,37; Lk 12,24; 23,29; Apg 12,20; Jak 5,5; Offb 12,6.14; „[von Kindern] aufziehen, erziehen“, Lk 4,16). Die Lesart ψω' μιζε von Codex B in Spr 25,21 ist wohl eine Angleichung an Röm 12,20 durch den christlichen Abschreiber; vgl. Fitzmyer 657. Paulus verwendet ψωμι' ζω auch in 1Kor 13,3. Das Verb kommt häufig in der LXX vor, s. Muraoka s.v. ψωμι' ζω. Paulus lässt die letzte Zeile von Spr 25,22 („der Herr aber wird dir Gutes vergelten“) aus und verzichtet, offensichtlich bewusst, auf den Hinweis auf eine positive Wiedervergeltung Gottes – er folgt dem bisherigen Duktus der Paränese von 12,9ff; so Koch, Schrift, 271. Paulus spricht in 11,28 von ungläubigen Juden als „Feinde Gottes“, in 1Kor 15,25 von Ungläubigen als Feinde, die Gott am Ende der Zeit unter die Füße Jesu legen wird, in Phil 3,18 von Ungläubigen als „Feinde des Kreuzes des Messias“, deren Ende das Verderben, deren Gott der Bauch ist und die nur Irdisches im Sinn haben.
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begegnet, wo man wohnt. Wenn der Feind hungert (ε� α` ν πειναñ, [ean peina]), d.h., wenn er infolge eines Mangels an Nahrungsmitteln nagende Hungergefühle hat, dann gilt: gib ihm zu essen (ψω' μιζε αυ� το' ν [psōmize auton]; V. 20a), d.h., man soll ihn mit zum Überleben notwendigen Nahrungsmitteln versorgen oder ihn zum Essen nach Hause bzw. in die Gemeinde einladen. Wenn der Feind Durst hat (διψαñ, [dipsa]), d.h., wenn er nicht genug zu trinken hat, dann gilt: gib ihm zu trinken (πο' τιζε αυ� το' ν [potize auton]; V. 20b), d.h., man soll ihn mit Wasser versorgen. Paulus spricht von der Feindesliebe „nicht abstrakt und emphatisch (auch Jesus tat das nicht), sondern konkret und unsentimental“.426 Essen und Trinken stehen für alles Verhalten und alle Güter, mit denen man dem Feind helfen kann. Umstritten ist die Begründung (γα' ρ) in V. 20c: Denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf seinen Kopf häufen. Die Bedeutung der Wendung „feurige Kohlen auf seinen Kopf häufen“ (α» νθρακας πυρο` ς σωρευ' σεις ε� πι` τη` ν κεφαλη` ν αυ� τουñ [anthrakas pyros sōreuseis epi tēn kephalēn autou]) ist nicht eindeutig zu klären. 1. Chrysostomus, Theophylakt und auch neuere Ausleger erklären die feurigen Kohlen auf dem Kopf des Feindes als Symbol für Gottes Gericht: Wenn man seinem Feind zu essen gibt, und dieser ein Feind bleibt, ist er umso eindeutiger ein Kandidat des göttlichen Gerichts.427 Die Kirchenväter betonen allerdings, dass man seinem Feind nicht aus dieser Motivation heraus Gutes tun sollte, d.h., es handelt sich bei dieser Interpretation nicht um eine lediglich noblere Variante der Rache. Wenn die Wörter „Kohlen“ oder „Feuer“ im Alten Testament mit metaphorischer Bedeutung verwendet werden, verweisen sie meistens auf die Ehrfurcht erregende Gegenwart Gottes und auf sein Gerichtshandeln.428 Die strukturelle Parallelität von V. 19/20 macht diese Auslegung im Sinn des Gerichts Gottes plausibel: Wie Christen auf persönliche Vergeltung verzichten sollen, weil Gott die Bösen richten wird (V. 19), so sollen Christen ihren Feinden Gutes tun, weil Gott diese richten wird (V. 20) – das Wissen um das zukünftige Gericht, in dem Gott ————————————————————
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Theobald II 74: „An der Not deines Feindes sollst du dich nicht ergötzen; wenn er Durst und Hunger hat, sieh in ihm die Kreatur und hilf ihm.“ Chrystostomos 22,3 (PG 60, 612); Theophylakt 12,20 (PG 124, 512); vgl. Oecumenius und Theodoret; vgl. Fitzmyer 658; Cranfield II 648. Vgl. Black 157; Michel 392; Schreiner 675-676; Haacker 310; Preisker, Ethos, 184; Stendahl, Hate; Spicq, Agapè II, 207208; Piper, Love, 115-119; Zerbe, Non-Retaliation, 249-256; Segert, Coals; Day, Coals; vgl. Koch, Schrift, 271. Zeller 212: Beweggrund für das aktive Gutestun gegenüber dem Feind kann gemäß Spr 25,21-22 darin bestehen, „den Gegner dadurch nur noch um so mehr ins Unrecht zu setzen und der göttlichen Rache verfallen zu lassen, während man selbst Lohn erntet“ – eine Deutung der weisheitlichen Mahnung, die zu Röm 12,19 passt. 2Sam 22,9.13; Ps 18,8.12 und Ps 140,10; Jes 5,24; vgl. Hi 41,11.12; Ps 120.4.
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Gerechtigkeit schafft, befreit Christen dazu, ihre Feinde zu lieben, ja zu beten, dass Gott sie segnen möge (Röm 12,14) und sie zur Buße führen möge angesichts des drohenden Gerichts Gottes.429 Der Einwand, die Einleitung mit α� λλα' („vielmehr“) zeige, dass V. 20 eine Möglichkeit für den Gegner eröffne, dem Gericht Gottes zu entfliehen, von dem in V. 19 die Rede war, greift nicht:430 Das „vielmehr“ benennt einen Gegensatz zu V. 19a, nicht zu V. 19b-c. Michel interpretiert: „Gerade dann, wenn du auf Rache verzichtest und durch die ‚unmögliche Möglichkeit‘ der Feindesliebe den Frieden, ja die Gegenwart des neuen Äons demonstrierst, wird Gott selbst sein Recht wahrnehmen, das Gericht zu vollziehen, indem er feurige Kohlen auf das Haupt des Gegners sammelt. Der Gegner wird zum Büßenden, dessen Not und Scham offenbar werden wird“.431 2. Seit Origenes und Augustin interpretieren die Mehrheit der Ausleger die feurigen Kohlen als Symbol für die Beschämung und Reue des Feindes, der durch das Handeln des Gerechten bzw. des Christen zur Buße und Umkehr veranlasst wird.432 Diese Interpretation wird häufig in Verbindung mit einem ägyptischen Sühneritus erläutert, nach dem ein Mensch, der schuldig geworden ist, sich zum Zeichen seiner Sinnesänderung ein Becken mit glühenden Kohlen auf seinen Kopf lud. Für die Erklärung von Spr 25,22 mag dies unter Umständen zutreffen,433 für Paulus und seine Leser in Rom ————————————————————
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Schreiner 676-677, mit Verweis auf Piper, Love, 118: Die Aussage in V. 20c beschreibt nicht das bewusste Ziel des Christen, sondern formuliert den Rahmen der Gerechtigkeit („framework of justice“), in dem die Feindesliebe möglich und gut wird, ein Rahmen, der in Gottes eigener Gerechtigkeit gründet (Röm 2,4-5). Wilckens III 26; zur Kritik Zeller 212; Koch, Schrift, 271 mit Anm. 10. Michel 392, mit Verweis auf Ps 140,11: „Er lasse glühende Kohlen auf sie regnen, er stürze sie hinab in den Abgrund, sodass sie nie wieder aufstehn“ (EÜ). Origenes V, 48-87 (PG 14, 1225), Ambrosiaster 12,20 (CSEL 81, 416-417); Augustin, Expositio 63,3-4 (CSEL 55, 475-476); De doctrina christiana 3,56; Hieronymus, Ep. 120,1; Luther II 324-327; Bengel 608; Barrett 242-243; Käsemann 336-337; Cranfield II 648-650; Schlier 383; Wilckens III 26; Dunn II 750-751; Moo 789; Wright 715; Lohse 345; Hultgren 461; Kruse 485; H. Balz, Art. α» νθραξ, EWNT I, 239; Furnish, Love Command, 107-108; Theobald, Zorn Gottes, 95-96; Klassen, Coals, 349; Hre Kio, Coals; Mustakallio, Motivation, 454-455. Vgl. Jewett 777-778, der konkret im Sinn von Einladungen zu den Agape-Feiern der Gemeinde interpretiert. Vgl. Morenz, Kohlen; Rad, Weisheit, 177; Meinhold, Sprüche II, 430: „Das Feuer befand sich vermutlich auf einer Ascheschicht, so dass es keine Brandverletzungen verursachte. Solches Feuer auf dem Kopf veranschaulicht Bewusstsein und Haltung von Beschämung, Reue, Buße und letzten Endes Umkehr“; er räumt ein, dass „die Realien des ägyptischen Beispiels bislang im palästinischen Raum nicht nachgewiesen werden konnten.“ Der hier relevante Text von Khamuas datiert ca. 233/232 v.Chr. (Morenz, ebd. 188), was für die Sprüche nur dann zur Interpretation herangezogen werden kann, wenn man eine frühere Tradition postuliert. Romaroson, Charbons, 230-234 will die Präposition עלnicht im Sinn von „auf“, sondern von „von“ interpretieren; dagegen Fitzmyer 657-658.
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ist diese Erklärung zeitlich und geographisch zu weit entfernt. Auf die rabbinische Auslegung von Spr 25,21-22, nach der die Verwirklichung dieser Weisung dazu führt, dass Gott den Feind zum Freund machen wird, sollte man sich ebenfalls nicht verlassen,434 weil sie Spr 25,21-22 auch allegorisch auslegt – der „Feind“ von Spr 25,21-22 wird in bSuk 52a und ARN 16 (A) allegorisch auf den „bösen Trieb“ gedeutet, der mit dem „Brot“ der Tora bezwungen wird – und zeitlich und geographisch ebenfalls zu weit entfernt ist. Die Mahnung V. 21b, das Böse mit dem Guten zu besiegen, gilt für viele als gewichtigstes Argument für eine Interpretation der feurigen Kohlen als Symbol eines positiven Ausgangs der Begegnung mit dem Feind: Wenn man die Weisung der aktiven Feindesliebe umsetzt, wird Gott den Feind zum Freund machen.435 Allerdings unterlässt es Paulus, den Satz Spr 25,22b „Der Herr aber wird dir Gutes vergelten“ (ο� δε` κυ' ριος α� νταποδω' σει σοι α� γαθα' ; LXX.D) zu zitieren, der von einer positiven Wiedervergeltung spricht. Und V. 21b ist nicht unbedingt im Sinn der Gewinnung des Feindes zu interpretieren (s. unten). 3. Manche Ausleger verbinden die beiden Auslegungen. Calvin schreibt nach einem kurzen Referat der beiden Interpretationen: „Ich gehe ganz einfach davon aus, dass sein Inneres so erschüttert wird, [dass er sich] für eine der beiden Seiten [entscheiden muss]. Denn ganz gewiss wird der Feind durch unsere Wohltaten entweder milde gestimmt, oder aber er wird, wenn er so heftig ist, dass nichts ihn erweichen kann, in Brand geraten über das Zeugnis seines Gewissens, das sich durch unsere Güte überwunden fühlt“.436 Manche Ausleger, die der Interpretation der feurigen Kohlen als Symbol für Beschämung und Reue Sympathie entgegenbringen und die Aussage im Sinn der Verpflichtung zur Versöhnlichkeit interpretieren, betonen die parallele Aussage in V. 19 und verstehen die feurigen Kohlen als sekundären Verweis auf das Feuer von Gottes Gericht: „Reagiert der Feind auf deine Wohltat nicht durch Sinnesänderung, das heißt, weicht er jetzt den ‚Feuerkohlen auf dem Haupt‘ aus, so wird er doch dem Feuer des kommenden Zorngerichts nicht entgehen“.437 Paulus rät jedenfalls nicht zu stoischer Passivität als Antwort auf die Feindschaft wirklicher Feinde, sondern schließt sich der Weisheit der Schrift ————————————————————
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Midrasch Spr 25,22; Targum z.St. (Bill. III, 302); vgl. Theobald, Zorn Gottes, 96. Kritisch Zerbe, Non-Retaliation, 252. Käsemann 337 will allerdings den „Hinweis auf den wunderbaren Optimismus des Apostels (Kühl, Jülicher) besser unterlassen“. Calvin II 655-657. Manche Ausleger lassen die Frage offen, s. Fitzmyer 658; Matera 293. F. Lang, Art. πυñ ρ, ThWNT VI, 944. Vgl. Schlatter 349; Légasse 797-798; Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen, 48-49. Für die folgende Bemerkung s. Fitzmyer 658.
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an, die den Gerechten anleitet, den Feind, wenn er Not leidet, mit Nahrung zu versorgen, wobei das Gericht über den Feind Gott überlassen bleibt. 21 Paulus schließt den Abschnitt über die Verpflichtung zur Nächstenliebe (V. 9-21), der sich seit V. 17 auf das Außenverhältnis der Jesusbekenner konzentriert hatte, mit zwei kurzen Imperativsätzen ab. Wer ungeheuchelt liebt, wie Gott die Sünder liebt, und das Böse verabscheut (V. 9), der versteht die Mahnung: lass dich nicht vom Bösen besiegen (μη` νικω ñ υ� πο` τουñ κακουñ [mē nikō hypo tou kakou]; V. 21a) und wird ihr bereitwillig Folge leisten, auch in der Anfechtung durch das Böse (V. 17), das zur persönlichen Rache provozieren kann (V. 19a), aber nicht darf, wenn man Gott als Schöpfer und Richter ernst nimmt (V. 19b). Die Passivform νικω ñ verweist auf das Böse (το` κακο' ς) als Feind im Kampf um die Hoheitsgewalt über den Menschen, der Gottes Geschöpf ist und deshalb Gottes ewige Macht, Gottes souveräne Majestät und Gottes unvergängliche Herrlichkeit anerkennen kann und soll (1,19-23), der aber infolge der von der Macht der Sünde provozierten und inspirierten Gottlosigkeit, Ungerechtigkeit, Ehrlosigkeit, Undankbarkeit, Nichtigkeit und Unverständigkeit sowie den vielfältigen religiösen, ethischen und sozialen Perversionen unfähig ist, den Willen Gottes zu tun und deshalb dem Zorngericht Gottes ausgeliefert ist (1,18.21.23-32; 5,12-21; 7,7-21). Der Imperativ νικω ñ beinhaltet die Tatsache, dass das Böse vom Jesusbekenner besiegt werden kann – im Anschluss an die Herrschaft der durch den Messias Jesus verwirklichten Gnade (5,12-21) durch Gottes Heilshandeln im Tod und in der Auferstehung Jesu (3,21–5,11) und in der Verbundenheit mit dem Geist Gottes als Macht der neuen Existenz, die ein Leben nach dem Willen Gottes ermöglicht (8,1-17), auch im akuten Leiden (8,18-30), bis hin zum Triumph der Gläubigen, die im Anschluss an den Messias Jesus, der sie geliebt hat, einen „überwältigenden Sieg“ davontragen werden und deshalb in der Gegenwart die Gewissheit haben, „dass weder Tod noch Leben noch Engel noch Mächte noch Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten noch Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns jemals trennen könnte von der Liebe Gottes im Messias Jesus“, ihrem Herrn (8,31-39). Das Präsens des Imperativs νικω ñ weist darauf hin, dass das Böse immer eine Realität ist, die für den Jesusbekenner Konflikt und Leiden bedeutet, dass der Kampf gegen das Böse vor der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes (8,18) nie aufhören wird, und dass die Gnade Gottes, die Liebe Jesu und die Macht des Heiligen Geistes immer stärker sein werden als die Macht des Bösen, das am Kreuz und in der Auferstehung des Messias besiegt wurde (4,23-25; 6,1-14; 8,1-4), aber erst im Endgericht endgültig beseitigt wird (5,9-11.20-21; 8,37).
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Die Mahnung besiege das Böse mit dem Guten (νι'κα ε� ν τω ñ, α� γαθω ñ, το` κακο' ν [nika en tō agathō to kakon]; V. 21b) greift die Mahnungen zum Verzicht auf persönliche Vergeltungsmaßnahmen auf (V. 14.17.19): Gläubige sollen im Kampf mit dem Bösen nicht mit den Maßnahmen operieren, die das Böse kennzeichnet – nach 1,18-32 von der Wirklichkeit Gottes absehende Strategien, Ungerechtigkeit einkalkulierende oder in Kauf nehmende Methoden, die Majestät Gottes beleidigende Argumente, die Normen Gottes ignorierende Verhaltensweisen. Es wäre absurd, sich vom Bösen zeigen zu lassen, wie man das Böse überwindet: Wenn man das Böse wirklich besiegen will, muss man es „mit dem Guten“ (instrumentales ε� ν) besiegen. Das „Gute“ (το` α� γαθον) ist das Tun des Willens Gottes – nach 3,21–8,39 (und als Kontrast zu 1,18–3,20) der Glaube an Gott, die ehrfurchtsvolle Anerkennung der Majestät Gottes; die dankbare Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit und die reuevolle Anerkennung der eigenen Sündhaftigkeit; die glaubende Annahme von Gottes Heilshandeln im Tod und in der Auferstehung des Messias; die demütige und konsequente Ausrichtung des Wertesystems und des Verhaltens im Alltag an Gottes Offenbarung in den Werken der Schöpfung, an der Schrift und am Messias Jesus, was nach 12,12 eine Transformation des Denkens, Wollens und Tuns bedeutet; und als Kontrastprogramm zur Liste bösen Verhaltens in 1,28-32 ein brauchbares Denken, ein Verhalten nach den Regeln des Anstands, gerechte und gute Reaktionen, neidlose Anerkennung der Mitmenschen, das Lebensrecht anderer konsequent respektierend; Verzicht auf erregte Wortwechsel, auf Handgreiflichkeiten, auf hinterhältige Boshaftigkeit, auf heimtückische Intrigen und auf Gewaltanwendung; demütig den anderen achtend, uneitel die eigenen Fähigkeiten einsetzend, den Eltern gehorsam, beständig, die Mitmenschen liebend, voller Erbarmen. Die Aktivform des Imperativs νι' κα betont das vom Gläubigen geforderte persönliche Engagement im Kampf gegen das Böse durch das Tun des Guten; das Präsens des Imperativs unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit, in diesem Kampf nie nachzulassen, sondern ständig das Gute zu tun, damit das Böse besiegt wird. Die doppelte Mahnung erinnert an Lk 6,27-36 / Mt 5,44.438 Wenn Glaubende das Böse durch das Tun des Guten „besiegen“, bedeutet das weder automatisch noch notwendigerweise, dass die Menschen, die das Böse tun, zur Besinnung kommen, vom Tun des Bösen lassen und sich zur Anerkennung Gottes und seines Heilshandelns im Messias Jesus bekeh-
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Vgl. Thompson, Clothed, 90; Mustakallio, Motivation, 456 Anm. 10.
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ren (wie es die positive Variante der Interpretation der Anhäufung der feurigen Kohlen auf den Kopf des Feindes annimmt;439 s. zu V. 20c). Das Verb νικα' ω [nikaō]440 bedeutet „gewinnen, überwältigen“, daher „siegen“, bezeichnet also das Überwinden eines Gegenübers – im athletischen Wettkampf oder in der militärischen Schlacht, in der ein Gegner überwältigt und ausgeschaltet wird; in der Volksversammlung, in der ein durch Stimmenmehrheit erfolgter Beschluss den Sieg über andere Anträge davonträgt; im Gerichtssaal, in dem ein Ankläger einen Rechtsstreit gewinnt, indem er den Richter, der den Angeklagten zu einer Strafe verurteilt, mit Argumenten überzeugt; in der philosopischen Diskussion, in der man mit Argumenten seinen Gegner überwältigt. In allen diesen Fällen heißt „besiegen“ nicht, den Feind von der Richtigkeit seiner Sache zu überzeugen und auf seine Seite zu ziehen, sondern, je nach gesellschaftlichem oder historischem Kontext, den Feind auszuschalten, unschädlich zu machen, zu demütigen, zu bestrafen. In der LXX kommt die Wortgruppe (νικα' ω, νι' κος, „siegen, Sieg“; νι' κη, „Sieg“) fast nur in 1-3Makk vor. Josephus, der das Verb über 300 Mal verwendet, beschreibt damit den Sieg in der militärischen Schlacht, den Sieg in einem athletischen Wettbewerb, den Erfolg in einem Prozess vor Gericht. Das Bild von der militärischen Schlacht bzw. vom Rechtsstreit bestimmt die Verwendung des Verbs in den joh. Schriften: Das Kommen, Leiden und Auferstehen Jesu bedeuten den Sieg über die „Welt“, d.h. die widergöttlichen Mächte, ein Sieg, der den Kampf entschieden hat, auch wenn dieser noch nicht beendet ist (Joh 16,33). Jesusbekenner bekommen an diesem Sieg Anteil und werden damit ihrerseits in die Lage versetzt, die Welt zu überwinden (1Joh 5,4-5; 2,13-14; 4,4-5; Offb 2,7.11.17.26; 3,5.12.21; 21,7). Auch wenn die gottfeindlichen Mächte (das „Tier“) in dem Kampf gegen Gott und das Volk Gottes siegen (Offb 6,2; 11,7; 13,7), garantiert der Sieg Jesu (der „Löwe“, das „Lamm“) in seinem Tod und seiner Auferstehung (Offb 5,5.6.9-10) die Macht und Herrschaft Gottes (Offb 12,10); an diesem Sieg haben die Jesusbekenner Anteil, die den Ankläger „durch ihr Wort und Zeugnis“ besiegt haben, weil sie bereit waren, ihr Leben zu riskieren und als Märtyrer zu sterben (Offb 12,11; 15.2) in Erwartung des endgültigen Sieges über die gottfeindlichen Mächte, die mit dem Lamm – dem Herrn der Herren und König der Könige – Krieg führen (Offb 17,14; 19,11-21; 21,7). Am Ende steht das letzte Gericht über das Tier und den falschen Propheten (Offb 19,20), über den Satan (Offb 20,7-10) und alle, die sich den gottfeindlichen Mächten angeschlossen hatten (Offb 20,11-15).
Der neutrische Singular το` κακο' ν ([to kakon] „das Böse“) lässt nicht an böse Menschen (mask. Plural οι� κακοι' [hoi kakoi]) denken, die durch das Tun des Guten umgestimmt werden können und sollen, sondern an die gottfeindliche Macht des Bösen, die Gott und sein Volk in einen Kampf verwickelt mit dem Ziel, den von Gott geschaffenen Menschen den Tod einzubringen, was im Blick auf Adam gelang (7,9-11), was aber durch den Kreuzestod und die ————————————————————
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So z.B. Theobald II 76: Paulus denkt in V. 21b an den „Glauben, der in der Liebe wirksam ist“ (Gal 5,6) „und hie und da als ein Vorschein zukünftigen Heils die Macht des Hasses zu durchbrechen vermag: Wenn Feinde, überrascht durch eine Geste der Versöhnung, sich gegenseitig die Hände reichen.“ Vgl. O. Bauernfeind, Art. νικα' ω κτλ., ThWNT IV, 941-945; T. Holtz, EWNT II, 11471149; W. Günther / R. Feldmeier, ThBLNT II, 1108-1111; zu νικα' ω in den joh. Schriften (Joh 16,33, sowie 6 Belege in 1Joh und 17 Belege in Offb) s. Taeger, Gesiegt, 23-46.
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Auferstehung des Messias Jesus überwunden wurde, sodass der Tod in den Sieg Gottes hineinverschlungen wurde, ein Sieg, der den Jesusbekennern geschenkt wird (1Kor 15,54-55.57). Paulus fordert in Röm 12,21b die Jesusbekenner auf, die theologische Wirklichkeit dieser geschenkten neuen Basis des Lebens im Kampf mit der Macht des Bösen konkrete, d.h. auch ethische, Wirklichkeit werden zu lassen und im Verhältnis zu den Menschen, die ihnen als Feinde Böses antun und antun wollen, „dem Bösen nicht mehr Initiative und Wirksamkeit zu überlassen, sondern es mit der Kraft des Guten zu überwinden“.441 In 8,35-37 hatte Paulus betont, dass Jesusbekenner in Bedrängnis, Not, Verfolgung, Hunger, Nacktheit, Gefahr, Schwert – allesamt Konkretionen des Bösen, denen sie ausgesetzt sind und ausgesetzt werden können – durch die Macht Gottes „einen überwältigenden Sieg“ davontragen (υ� περνικω ñ μεν [hypernikōmen]); dies heißt nicht, dass die gottfeindlichen Mächte jetzt Gott anerkennen, sondern dass die Jesusbekenner durch keine noch so starke gottfeindliche Macht jemals von der Liebe Gottes im Messias Jesus getrennt werden können (8,38-39). Die Anweisung „besiege das Böse“ (νι'κα το` κακο' ν) V. 21b, verstanden auf dem Hintergrund der Verwendung des Verbs und im Kontext der paulinischen und auch der johanneischen Stellen, in denen νικα' ω verwendet wird, verweist nicht auf die Möglichkeit, das Böse für die Sache des Evangeliums zu gewinnen und somit zu eliminieren442 und die Bösen zu Reue, Umkehr und Glauben an den Messias Jesus, den Retter der Welt, zu führen. Paulus betont in V. 21b: Jesusbekenner dürfen dem Bösen nicht kampflos die Initiative überlassen, sondern sie sollen sich dem Bösen entgegenstellen und den Kampf gegen das Böse aufnehmen – nicht dadurch, dass sie mit unlauteren, illegitimen Mitteln den Bösen das Böse heimzahlen (V. 17.19), sondern dadurch, dass sie Gutes tun, d.h. dass sie ihren Feinden in Alltagsnöten helfen (V. 20a-b). Der Sieg über das Böse ist die Weigerung, Böses mit Bösem zu vergelten und so dem Bösen zu verfallen und wie die Bösen zu werden, die andere verletzen.443 Der Sieg über das Böse ist die Bereitschaft, sich nicht zu rächen, wenn böse Menschen einem Böses antun, sondern, wie Gott den Sündern mit Liebe begegnet ist, den Bösen Gutes zu ————————————————————
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W. Günther / R. Feldmeier, νικα' ω, ThBLNT II, 1110. So Theobald, Zorn Gottes, 96: V. 21b meint, „man könne das Böse … hic et nunc besiegen, das heißt aber doch: es ins Leere laufen lassen und es entgiften“. Vgl. Cranfield II 650: „It is, of course, much to be hoped that his victory will include the transformation of the persecutor into a friend.“ Vgl. Calvin II 657: Wer „versucht, Böses mit Bösem zu überwinden, wird seinen Feind vielleicht mit seiner Bosheit bezwingen. Doch das wird zu seinem eigenen Verderben ausschlagen, denn wer so handelt, macht sich zum Soldaten des Teufels.“
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tun und ihnen zu helfen, wo sie Hilfe brauchen – so hat man Anteil am Sieg des Evangeliums über die Welt.444 Gleichzeitig ist folgender Gedanke wichtig: Wer siegt, der gewinnt einen militärischen, rechtlichen, intellektuellen, politischen Vorteil. In V. 21b ist von einem Vorteil, den das Siegen durch das Tun des Guten den Jesusbekennern einbrächte, nicht die Rede: Was Jesusbekenner zum Tun des Guten motiviert ist ein Preis, den sie bereits erhalten haben – die ihnen geschenkte Gnade Gottes, die sie als Sünder, die sich zum Glauben an das Heilshandeln Gottes im Messias Jesus bekehrt haben, erhalten haben und die im Anschluss an die Liebe Gottes und die Macht des Heiligen Geistes ein verändertes Denken, Wollen und Verhalten nach den Maßstäben des heiligen, vollkommenen Gottes möglich gemacht hat (12,1-2).445 Die Verwendung des Verbs νικα' ω impliziert nicht, wenigstens nicht automatisch, die Konnotation eines Kontrasts zur Gottheit Nike (lat. Victoria) oder zur Pax Romana, die mit Waffengewalt durchgesetzt und aufrecht erhalten wurde. Anders Jewett und Klassen: Paulus spiele indirekt auf die Propaganda des römischen Reiches an und betone, dass das Böse nicht durch Gewalt, sondern durch Liebe und Gastfreundschaft besiegt wird.446 Diese Interpretation ist für politisch denkende Leser vielleicht plausibel. Da das Verb νικα' ω jedoch in vielen, auch nicht-militärischen Kontexten verwendet wird, kann man diese Konnotation nicht voraussetzen. Außerdem waren die Jesusbekenner in Rom, wie auch in anderen Städten des Römischen Reiches, aufgrund ihres Minderheitenstatus nicht in der Lage, über gewaltsame Aktionen zur Durchsetzung ihrer Anliegen in realistischer Weise auch nur nachzudenken. In jüdischen Texten finden sich ähnliche Aussagen, wie das Zitat aus 1QS X, 17-20 zeigt (s. oben zu V. 19a). Josephus lässt Juda mit folgenden Worten um Gnade für den festgenommenen Benjamin bitten: „Zeige dich [d.h. Josef] großmütig im Zorn und lass dich nicht von ihm überwinden“ (γενουñ προ` ς αυ� τη` ν μεγαλο' φρων και` μη` νικηθηñ, ς υ� π� αυ� τηñ ς; Ant 2,141). Oft wird TestBenj 4,2-3 angeführt:447 „Der gute Mann hat kein finsteres Auge. Denn er erbarmt sich aller, auch wenn sie Sünder sind. Auch wenn sie über ihn zum Bösen planen, so besiegt er, das Gute tuend, das Böse, da er von Gott beschirmt wird“ (ο� α� γαθο` ς α» νθρωπος ου� κ ε» χει σκοτεινο` ν ο� φθαλμο' ν: ε� λεαñ, γα` ρ πα' ντας, κα� ν ω ò σιν α� μαρτωλοι`, κα� ν βουλευ' ωνται περι` αυ� τουñ ει� ς κακα' . Ου« τως ο� α� γαθοποιω ñ ν νικαñ, το` κακο' ν, σκεπαζο' μενος υ� πο` τουñ α� γαθουñ : του` ς δε` δικαι' ους α� γαπαñ, , ω� ς τη` ν ψυχη` ν αυ� τουñ ; Übers. J. Becker). Da TestBenj 4,1–9,5 ein christlich bearbeiteter Text ist (das zu den sog. SER-Stücken gehört, den Sin-Exile-Return-Texten), ist es möglich, dass diese Stelle von Röm 12,21 beeinflusst ist. ————————————————————
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Cranfield II 650; Fitzmyer 659. Vgl. Jewett 778; vgl. Wilson, Love, 196-197. Jewett 779; Klassen, Love, 123: „In a society which boasted of the Pax Romana („the peace of Rome“), which was maintained by force, Paul does not reject the military metaphor. He simply transforms it into the battle language of the Christian church.“ Klassen verweist auf Haase, Si vis pacem, der den Slogan si vis pacem, para bellum („Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg“) behandelt, der in der römischen Kaiserzeit eine zentrale Rolle spielte. Michel 393 mit Anm. 51; Schlier 384; Wilckens III 221 Anm. 131; Dunn II 752; Theobald II 75; Lohse 350; T. Holtz, EWNT II, 1149.
658 Römerbrief ———————————————————————————————————— Weil Gott der Schöpfer aller Menschen ist, ist es nicht verwunderlich, dass man in den Weisheitstraditionen anderer Kulturen manchmal Formulierungen findet, die 12,21 parallel sind. Publilius Syrus schreibt im 1. Jh. v.Chr.: „Auf Dauer siegt, wer Milde walten lässt“ (perpetuo vincit qui utitur clementia; Sententiae P. 51). Seneca, Ben 7,31,1.32: „Beharrliche Güte bezwingt die Schlechten (vincit malos pertinax bonitas) und kein Mensch ist hinsichtlich des Achtenswerten so hartherzig und feindlich gesonnen, dass er die Guten nicht liebte, auch [wenn sie] im Unrecht [sind]; diesem hat er auch das zu schulden begonnen, was er [vorher] ungestraft nicht abgegolten hat … Er ist undankbar: Nicht mir hat er ein Unrecht angetan, sondern sich selbst; ich habe mich meiner Wohltat gefreut, als ich eine erwiesen habe. Und ich werde sie deswegen nicht weniger beflissen erweisen, sondern noch gewissenhafter. Was ich bei diesem verloren habe, werde ich von anderen zurückholen. Doch diesem selbst werde ich abermals eine Wohltat erweisen, und gleichsam als ein guter Bauer werde ich durch Sorgfalt und Pflege die Unfruchtbarkeit des Bodens bezwingen (cura cultuque sterilitatem soli vincam). Mir geht die Wohltat verloren, dieser da allen. Es zeugt nicht von Charakterstärke, eine Wohltat zu erweisen und zu verlieren; dies zeugt von Charakterstärke: zu verlieren und zu erweisen“ (NW II/1, 197-198). Seneca, De ira 2,34,4: „Was ist ruhmvoller, als den Zorn in Freundschaft umzuwandeln? Wen hat das römische Volk, zu treueren Bundesgenossen als die, die seine hartnäckigsten Feinde waren?“ Valerius Maximus 4,2,4 lobt Cicero, weil dieser den Aulius Gabinius verteidigte, als dieser wegen Erpressung angeklagt war, obwohl dieser ihn als Konsul aus der Stadt vertrieben hatte, und kommentiert: „Denn Beleidigungen werden weit sicherer durch Wohltaten überwunden, als wenn man denselben gleichfalls hartnäckigen Hass entgegensetzt (quia speciosius aliquanto iniuriae beneficiis vincuntur quam mutui odii pertinacia pensantur)“ (Übers. F. Hoffmann; NW II/1, 198). Mark Aurel 11,18 sagt im neunten Abschnitt seiner Ausführungen über die Güte: „Die Güte (ist) unüberwindlich, wenn sie aufrichtig und nicht heuchlerisches Lächeln oder Verstellung ist. Denn was wird mit dir der unverschämteste Mann machen, wenn du gegen ihn gütig bleibst (τι' γα' ρ σοι ποιη' σει ο� υ� βριστικω' τατος, ε� α` ν διατεληñ, ς ευ� μενη` ς αυ� τω ñ, και' , ει� ου« τως ε» τυχε) und ihm gegebenenfalls sanft zuredest und ihn ruhig eines Bessern belehrst, eben gerade dann, wenn er dir Übles anzutun versucht (το` ν καιρο` ν ο« τε κακοποιειñν σε ε� πιχειρειñ)“ (Übers. W. Theiler; NW II/2, 1371).
Jesusbekenner lassen sich nicht vom Bösen überwältigen, sie schließen sich dem Bösen nicht an, sie werden nicht zu Bösen: Das ist ihr Sieg über das Böse. Sie sind aufgerufen, dem Bösen Widerstand zu leisten, nicht dadurch, dass sie dem Bösen Böses entgegenstellen, was ein Handeln nach den Maßstäben dieser Welt wäre, von denen Christen befreit sind und sich befreien lassen sollen (V. 2), sondern dadurch, dass sie mit der von ihnen geforderten ungeheuchelten Liebe (V. 9) auch ihren Feinden begegnen und so am Sieg Gottes über die gottfeindlichen Mächte Anteil haben.448 Auch wenn Paulus dies hier nicht explizit ausspricht: Das Vorbild solchen Verhaltens ist Jesus, der Böses nicht mit Bösem vergalt, sondern das Böse am Kreuz ————————————————————
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Zeller 212: Der Sieg über das Böse „meint nicht notwendig Besserung des Kontrahenten, sondern …, daß sich das Gute eschatologisch durchsetzt und Recht behält“. Vgl. Schlier 384: „In diesem ‚Opfer‘, in dieser konkreten Hingabe und Ablösung von sich selbst“ begeht man „den wahren Gottesdienst“.
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besiegt hat.449 Und die Kraft zu solchem Verhalten ist die Macht des Heiligen Geistes (5,5.10). IV Paulus beschreibt das Leben der Jesusbekenner als Existenz, die von der Liebe geprägt ist, sowohl innerhalb der Gemeinde als auch gegenüber ungläubigen Juden oder Heiden – das Leben der von Gott begnadigten Sünder, die sich Gott und seinem guten und vollkommenen Willen hingeben und ihr Denken, Wollen und Handeln von Gott erneuern lassen (12,1-2) und die Gaben Gottes, die der Einzelne erhalten hat, nach dem Maßstab des Glaubens im Leben der Gemeinde einsetzen (12,3-8). Es wäre allerdings falsch, verstünde man die Liebe (α� γα' πη; V. 9.10) als alleiniges Kriterium des Guten, zu dessen Tun die Jesusbekenner verpflichtet sind (V. 2.21). Käsemann schreibt: „Dem Einzelnen wird ungewöhnlich viel Spielraum im Rahmen seiner Fähigkeiten und Schwächen belassen … Die Praxis wird keiner Theorie unterworfen. Sie ergibt sich aus dem Verhältnis zum konkreten Nächsten und dem in der jeweiligen Situation Notwendigen“.450 Wilckens meint im Blick auf V. 9, Paulus beschreibe die Liebe als „das Kriterium all dessen, was nach V 2 das Gute als Inhalt des Willens Gottes ist. Gut und Böse scheiden und unterscheiden sich letztlich an nichts anderem als an der Liebe“.451 Gut und Böse scheiden sich in der Tat an der Liebe, aber nicht „letztlich“ und auch nicht „an nichts anderem“ – mit dem Stichwort „Liebe“ kann man vieles rechtfertigen, von der „freien Liebe“ und Prostitution bis zur Spionage.452 Die Doppelmahnung V. 9 unterstreicht, dass die Liebe „Ja und Nein sagen kann und nicht nur Ja und Amen“.453 Die Liebe ist kaum „das Kriterium zwischen dem Bösen und dem Guten“.454 Der kategorische Hinweis auf den Willen Gottes in V. 2, das explizite und das unmarkierte Zitat aus der Schrift in V. 19.20, die Anspielungen auf Jesustradition in V. 10.14.16. 17.21 und der Hinweis auf die Beurteilungsfähigkeit des Guten auch unter Nichtchristen in V. 17 verweisen auf verpflichtende Normen, die die Mah————————————————————
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Vgl. Dunn II 752; Mustakallio, Motivation, 456 Anm. 10. Käsemann 337. Wilckens III 20; vgl. ebd. 27. Vgl. die Relativierung der Prostitution als Problem von Nussbaum, Konstruktion der Liebe. Zu Liebe und Spionage vgl. Engberding, Liebe. Bekannt ist der Satz des StasiChefs Erich Mielke vom 13.11.1989 vor der DDR-Volkskammer: „Ich liebe – Ich liebe doch alle – alle Menschen – Na ich liebe doch – Ich setzte mich doch dafür ein!“ (oft mit „Ich liebe euch doch alle“ falsch zitiert; vgl. Berliner Morgenpost, 20.7.2008). Haacker 306. Michel 383.
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nung zur Liebe voraussetzt und zu denen ganz offensichtlich auch die Mahnungen des Apostels gehören. Die Liebe V. 9.10 und der Geist V. 11 sind als konkretisierende Orientierung zu verstehen, die die Verwirklichung christlicher Existenz im Alltag bestimmen (s. Abschnitt IV zu 15,1-13). Der Satz in V. 15 „Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden“ ist der Grundsatz rechter Seelsorge: „Geboten ist hier ein AnteilNehmen an der inneren Welt des anderen, ein Sich-Einlassen in den Lebensraum des anderen, Nähe-Schenken“.455 Wenn Seelsorge nicht nur Lebens-beratung ist, die auch im Arbeitsamt oder beim Friseur stattfinden kann, sondern authentische, wirksame Hilfe bringen will, kann man nicht auf Distanz bleiben. Bei der Kommentierung von V. 16a warnen Ausleger oft viel zu rasch vor einem Missverständnis des Aufrufs zur Einheit im Denken, die nicht absolute Gleichförmigkeit bedeute.456 Im Blick auf Sekten ist diese Warnung ganz sicher berechtigt. Im Blick auf die Kirchengeschichte, die jedenfalls international oft grell-bunte Vielfalt christlicher Konfessionen457 und zerstrittene Ortsgemeinden ist, bleibt der Aufruf zur Einheit sowohl im theologischen Denken als auch im ethischen Verhalten eine fundamentale Notwendigkeit. Ein Kernprozess der Bewahrung der Einheit ist die in V. 16b beschriebene Bereitschaft, die Gemeinschaft mit den „Kleinen“ zu bewahren: „Das Große lockt; es kommt Mut und Schwung in die Gemeinde hinein, wenn sie sich an hohe Aufgaben wagt. Aber die Bewahrung der Gemeinschaft in ihrem eigenen Kreis ist ihre dringendste Pflicht … Die Liebe sorgt für den Menschen; ihn schätzt sie mehr als die Leistung; eher verzichtet sie auf diese, als daß sie zuließe, daß der Kleine aus der Gemeinschaft herausfalle“.458 Die Einheit von Jesusbekennern ist notwendig, und möglich, weil die biblische Wahrheit als Einheit in Vielfalt vorliegt. 1. Die Einheit der biblischen Wahrheit gründet in dem einen Gott, der sich Israel auf vielfältige Weise geoffenbart und im Messias Jesus zum Heil von Juden und Heiden gehandelt hat. Der letzte Grund für die Einheit biblischer Wahrheit ist der Glaube an den einen Gott, der die Welt erschaffen hat und sich in Israel und in Jesus Christus geoffenbart hat. Wie vielfältig die Erfahrungen mit Jahwe von Adam bis Nehemia, wie unterschiedlich die Formulierung dieser Erfahrungen von Mose bis Maleachi, wie wechselhaft die theologischen und historischen Entwürfe im Alten Testament auch sind: ————————————————————
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Grimm, Zugang, 2; vgl. Haacker 308 Anm. 52. Lohse 347; vgl. Käsemann 335: „Das meint nicht Gleichheit des Denkens, die nur selten verwirklicht wird und nicht einmal wünschenswert ist“. Nach Johnson/Zurlo, World Christian Database, ca. 9000 christliche Konfessionen. Schlatter 348.
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es ist derselbe Gott, der sich seinem Volk und jedem einzelnen zuwendet, der Israel in seinem Wirken und in seinem Wort nahe war, der sich in heilsmächtigen Taten wie auch im zürnenden Gericht geoffenbart und der sich in den Worten der Propheten erschlossen hat. Es ist der gleiche Gott der Väter, der sich neu und endgültig im Messias Jesus erschließt – in Jesu heilsmächtigen Taten, in seiner Verkündigung vom Einbrechen der Königsherrschaft Gottes, in seinem Sühnetod am Kreuz und in seiner Auferstehung. Gottes Offenbarung in der Schöpfung, in der Geschichte Israels, im Messias Jesus und in der Schrift zerbricht alle menschliche Weisheit, sprengt den engen Rahmen des nationalen Gottesvolkes und eröffnet den einen möglichen Weg der Erlösung.459 2. Die Einheit der biblischen Wahrheit ist heils- und endgeschichtlich auf die Person Jesu bezogen, den verheißenen und gekommenen Messias, Menschensohn, Gottessohn, Kyrios. Jesus ist der verheißene Erlöser, der der Schlange den Kopf zertritt (Gen 3,15; Offb 12,1-17), der neue Adam, der die durch den ersten Adam verursachte Herrschaft des Todes überwindet und die Herrschaft der Gerechtigkeit aufrichtet (Röm 5,12-21), der Menschensohn, der vor Gott Repräsentant Israels sowie der Nationen und vor den Menschen Repräsentant Gottes ist und durch seine stellvertretende Lebenshingabe den Vielen dient (vgl. Mt 8,20; 20,28; Mk 2,10,28; 8,38; 9,31; Lk 12,8-9), der Sohn Gottes, der angekündigte Immanuel (Jes 7,14), in dem Gott selbst sein Volk aufgesucht und die endzeitliche Erlösung Israels heraufgeführt hat (vgl. Mt 1,18-25; Lk 1,26-38). Deshalb kann man Jesus, recht verstanden, durchaus als „Mitte“ der Schrift bezeichnen. Martin Luther formulierte, was Christum treibe, sei kanonisch. Weil diese Formel missbraucht werden kann, etwa als sachkritisches Prinzip zur Unterscheidung von theologisch angeblich Bedenklichem in der Schrift, bleibt wichtig, was Adolf Schlatter gesagt hat: „Nur wäre jener Satz mißbraucht, wenn mit ihm bewiesen werden sollte, daß einzig die ausdrückliche Verkündigung des Christus als das göttliche Wort zu gelten habe, so daß im Alten Testament nur das Bedeutung hätte, was direkt die messianische Verheißung enthalte, im Neuen Testament nur das, wodurch unmittelbar auf Jesus hingewiesen werde. So gefaßt würde sich der Gedanke jener Vorstellung vom könglichen Amt des Christus nähern, nach der es alles neben ihm entrechtet und vernichtet, so daß der Prophet nichts wäre, wofern er nicht von ihm spräche, der Apostel nichts, wofern er nicht ihn beschriebe. Damit wäre die konkrete Einheit der Schrift wieder durch eine leere Einerleiheit ersetzt.“460 ————————————————————
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Vgl. Schnackenburg, Neutestamentliche Theologie, 47. Schlatter, Dogma, 370; vgl. Maier, Hermeneutik, 175.
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3. Die Einheit biblischer Wahrheit ist eine Einheit in Vielfalt. Die Vielfalt biblischer Erkenntnisse kann als heilsgeschichtliche und situationsbedingte komplementäre Einheit verstanden werden. Gründe für die Komplexität der biblischen Aussagen ist der unterschiedliche heilsgeschichtliche Ort der biblischen Schreiber, die Vielfalt der einzelnen Situationen, die Verschiedenheit der von ihnen angesprochenen Sachverhalte. Die Vorausgabe der Inspiration der Heiligen Schrift als Gottes Wort impliziert ihre organische Einheit.461 Die auf Gottes Verfasserschaft zurückgehende Einheit der Schrift ist heilsgeschichtlich zu verstehen und ermöglicht die theologische (und historische) Harmonisierung von Spannungen und Diskrepanzen.462 4. Die Gefahr der einseitigen Verabsolutierung biblischer Erkenntnisse läßt sich nicht ausschalten, kann aber gering gehalten werden, indem man die vielfältigen Aussagen als Funktion der Einheit begreift. Das richtige Verständnis biblischer Wahrheit lässt sich nicht durch kirchenpolitische oder kirchenrechtliche Maßnahmen sichern, vor allem nicht in Kirchen und Gemeinden, die sich der reformatorischen Tradition des sola scriptura verpflichtet wissen (kirchliche Bekenntnisse, so wichtig sie als Ausdruck gemeinsamer geglaubter biblischer Wahrheit sind, haben weder einseitige Interpretationen noch Irrlehre verhindert). Auch gute geistliche und theologische Traditionen von Kirchen und Gemeinden sind kein verlässlicher Schutz gegen Auslegungen, die die Einheit der erkannten Wahrheit aufsprengen, weil sie letztlich alle geschichtlich konditioniert sind. Die Konditionierung der Glaubenstradition durch ihren geschichtlichen Kontext ist nicht per se negativ: Jede Glaubensgemeinschaft hat die Verantwortung, die biblische Wahrheit in ihrer Zeit und im Rahmen der aktuellen Denkhorizonte, Fragen und Herausforderungen zu formulieren und zu verkündigen. Problematisch wird die geistlich-theologische Tradition dann, wenn ihre Vertreter Diskussionsverbote verhängen, wenn es darum geht, anhand der Aussagen der Bibel zu prüfen, ob ihre Interpretationen biblischer Aussagen sachgemäß sind. Unfehlbar ist die Schrift, nicht die nach-kanonische Tradition. Deshalb kann auch die Tradition die Gefahr einseitiger Auslegungen nicht ausschalten. Wenn die ganze Heilige Schrift als Wort Gottes Norm der Wahrheit ist, der alle christlichen Bekenntnisse und alle geistlichtheologischen Traditionen unterzuordnen sind (norma normans), bleibt nur ein Weg, der Gefahr einseitiger Auslegungen und problematischer Verabso————————————————————
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Vgl. Schnabel, Inspiration, 180-183. Maier, Hermeneutik, 175 spricht lieber von „Konvergenzmethode“: „Damit kann man passend zum Ausdruck bringen, daß das Spezifische der heilsgeschichtlichen Ereignisse und Aussagen nicht eingeebnet, sondern unter dem Gesichtspunkt des einen göttlichen Autors aufeinander bezogen werden soll.“
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lutierungen vereinzelter biblischer Aussagen zu begegnen – die Bibel immer wieder zu lesen, die einzelnen biblischen Texte und Aussagen immer wieder neu auf das von den biblischen Schreibern Gemeinte und Gewollte zu befragen, die vielfältigen biblischen Erkenntnisse immer wieder neu in eine Gesamtschau biblisch-heilsgeschichtlicher Wahrheit zu integrieren. Wenn man berücksichtigt, dass alle historischen Quellen lückenhaft sind, weil sie immer nur einen Ausschnitt aus der geschehenen Wirklichkeit darbieten, und wenn man berücksichtigt, dass die Aufgabe eines Historikers nicht darin besteht, ein Maximum an Information zu liefern, sondern ein Optimum,463 sind Lücken und Spannungen, unterschiedliche Nuancierungen und Betonungen kein grundsätzliches Problem. 5. Die Einheit biblischer Erkenntnis kann bewahrt werden, wenn der Ausleger seine hermeneutische Begrenztheit anerkennt. Im Rahmen seiner kreatürlichen Begrenztheit und infolge seiner schuldhaften Sündhaftigkeit ist und bleibt der Ausleger unvollkommen. Wenn er sich diese Tatsache eingesteht, wenn er also mit Bereitschaft zur Selbstkorrektur, und das heißt zur Selbstkritik, die Bibel auslegt, wenn er deshalb demütig die Möglichkeit in Betracht zieht, dass andere Ausleger die biblischen Aussagen sachgemäßer, besser, richtiger interpretieren und die biblischen Erkenntnisse überzeugender zu einer biblisch-theologischen Einheit integrieren, ist er eher bereit, persönliche oder durch seine Tradition bedingte Auslegungen, Rekonstruktionen, Synthesen und Schlussfolgerungen zu hinterfragen. 6. Einheit ist ohne Liebe zu Gott und zur Wahrheit seines Wortes unmöglich, d.h., Einheit findet ihre Grenze an der Irrlehre. Gleichzeitig gilt, dass Wahrheit ohne Liebe zu den Heiligen nicht denkbar ist, d.h., Wahrheit findet ihre Grenze an der Lieblosigkeit gegenüber dem Bruder. Für manche Christen ist die Einheit der Glaubenden wichtiger als die Einheit des Glaubens. Weil der Streit um die richtige Auslegung immer wieder die Ursache für Kirchenspaltungen war, möchte man die Einheit der Kirche nicht mit der Wahrheit des Wortes Gottes begründen, jedenfalls nicht ausschließlich und nicht primär. Der Kampf gegen falsche Propheten im Alten Testament und die Auseinandersetzung mit falscher Lehre im Neuen Testament zeigen jedoch, dass Einheit ohne Wahrheit nicht möglich ist. Weil Wahrheit verbunden ist mit der Wahrheit der Heiligen Schrift als Wort Gottes, können Christen, die für eine wirkliche und dauerhafte Einheit der Gemeinde Jesu einstehen, unmöglich absehen von der Aufgabe, sich über die rechte Auslegung der Bibel und ihrer Aussagen klar und einig zu werden. Für andere Christen war der Kampf um die Wahrheit wichtiger als die Bewahrung oder ————————————————————
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Vgl. Patzig, Objektivität, 330.
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die Wiederherstellung der Einheit. Hier gilt: Wahrheit ohne Liebe zum Nächsten, zum Bruder und zur Schwester, für die der Messias Jesus gestorben ist (Röm 14,15), ist genauso Sünde gegen Gott, der Liebe ist, in der wir bleiben sollen (1Joh 4,8.16). Die Liebe zum Bruder erträgt Verschiedenheit in der Erkenntnis, Verschiedenheit in konkreten Verhaltensweisen, die mit biblischen Aussagen begründet werden, wenn sie die gleiche Gebundenheit an den Herrn erkennen lassen. So erkennt Paulus unterschiedliche Entscheidungen in der Frage an, ob bestimmte Speisen gegessen oder nicht gegessen, ob bestimmte Tage gehalten oder nicht gehalten werden sollten, und mahnt: „Jeder sei in seinem Denken voll überzeugt“ (Röm 14,5), ehe er betont, dass wir als Jesusbekenner alle dem Messias Jesus als Kyrios gehören (14,7-9). In Auseinandersetzungen um die rechte Auslegung und Lebenspraxis, in Diskussionen um die richtige Interpretation des biblischen Zeugnisses in seiner Vielfalt sollen und können Christen von der Voraussetzung ausgehen, dass sie mit ihren unterschiedlichen Auffassungen eine Einheit bilden, die begründet ist in der Heilswirklichkeit von Tod und Auferstehung Jesu Christi und in der gemeinsamen Aussicht auf das Gericht Christi. „Das relativiert jeden Gegensatz von Standpunkt gegen Standpunkt und schafft genug Weite, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die in Christus ihr Maß haben und darum ebenso menschlichem Durchsetzungsstreben entzogen sind wie als menschliche Lösungen immer nur vorläufige Geltung haben können.“464 Nachfolger Jesu Christi sind angehalten, die Wahrheit Gottes und die Liebe Gottes, die Wahrheit Christi und die Liebe Christi, die immer eine Einheit bilden, die Herrschaft gewinnen zu lassen über das, was wir als Jesusbekenner verstehen, wollen und tun. In V. 17 kann das „Gute“, das universal anerkannt wird, im Sinn der Menschenrechte verstanden werden, zu denen u.a. folgende Rechte gehören: Das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft, der Folter und der willkürlichen Verhaftung, Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz der Privatsphäre und der Familie, Recht auf Eigentum und freie Meinungsäußerung, Religions-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, sodann (in der „zweiten Generation“) das Recht auf soziale Sicherheit, auf Nahrung, auf bezahlte Arbeit, auf Erholung und Freizeit, auf Bildung und Ausbildung.465 ————————————————————
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Wilckens III 89. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Palais de Chaillot in Paris genehmigt und verkündet. Verfügbar bei http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf. Vgl. Jellinek, Erklärung; Brieskorn, Menschenrechte; Bielefeldt, Menschenrechte.
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Im Blick auf V. 21 schreibt N. Walter: „Paulus inszeniert eine Art ‚Ablenkungsmanöver‘ (Gott übernimmt die Zuständigkeit für die Rache) in Verbindung mit einer ‚Beschäftigungstherapie‘ unter dem Vorzeichen der Feindesliebe und des Befreitseins zum Rechts- und Racheverzicht (Röm 12,17.19); darüber – dies scheint mir die Intention des Paulus zu sein – könnt ihr dann auch eure Rachegedanken am besten vergessen; und wie Gott dann ‚rächen‘ wird, das bleibt ihm selbst vorbehalten.“466
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 I 1 Jedermann soll sich den staatlichen Machthabern unterordnen. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott, und die bestehenden (staatlichen Gewalten) wurden von Gott eingesetzt. 2 Wer sich deshalb gegen die staatlichen Machthaber auflehnt, widersetzt sich der Anordnung Gottes, und die sich widersetzen, werden sich selbst die Strafe zuziehen. 3 Denn die Regierenden sind kein Schrecken für den, der das Gute tut, sondern für den, der das Böse tut. Willst du die staatlichen Machthaber nicht zu fürchten brauchen? Dann tu das Gute, und du wirst Lob von ihr erhalten. 4 Denn sie ist Gottes Dienerin für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, fürchte dich! Denn sie trägt das Schwert nicht ohne Grund. Denn sie ist Gottes Dienerin zur Vollstreckung des Zorngerichts an dem, der Böses tut. 5 Deshalb muss man sich unterordnen, nicht nur wegen des Zorngerichts, sondern auch wegen des Gewissens. 6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuern. Denn sie sind Beamte Gottes, die für eben diesen Zweck unablässig tätig sind. 7 Gebt allen, was ihr schuldig seid: dem ihr die Steuer schuldig seid, die Steuer; dem ihr den Zoll schuldig seid, den Zoll; dem ihr Furcht schuldig seid, die Furcht; dem ihr die Ehre schuldig seid, die Ehre. II Der neue Abschnitt, der in der ntl. Forschung und in der Theologie intensiv behandelt wird,1 ist nicht durch eine Übergangspartikel markiert. Er hebt ———————————-————————
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Walter, Gericht, 338; vgl. Theobald, Zorn Gottes, 97 mit Anm. 122. Um eine „Überwindung auch der eschatologischen Racheerwartung durch praktizierte Feindesliebe“ (Walter ebd.) geht es Paulus allerdings nicht. Zur Forschungs- und Wirkungsgeschichte vgl. Wilckens III 43-66; Bauer, Obrigkeit; Keienburg, Auslegung; Reasoner, Romans, 129-142; Krauter, Studien, 4-54. Alte Kirche: Aland, Kirche und Staat; Clark, Empire; Schelkle, Staat; Zsifkovits, Staatsgedanke. Zum
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sich jedoch durch den Wechsel von der 2. Person Plural zur zunächst verwendeten 3. Pers. Singular vom Vorausgehenden ab. Die Reihe knapp formulierter Mahnungen in 12,9-21 wird durch eine Paränese abgelöst, in der die Mahnungen (Imperative: V. 1 υ� ποτασσε' σθω; V. 3 ποι'ει; V. 4 φοβουñ ; V. 7 α� πο' δοτε) argumentativ begründet und miteinander verbunden werden: V.1 γα' ρ, δε' ; V. 2 ω « στε, δε' ; V. 3 γα' ρ, α� λλα' , δε' ; V. 4 γα' ρ, ε� α` ν δε' , γα' ρ, γα' ρ; V. 5 διο' , ου� μο' νον … α� λλα` και'; V. 6 δια` τουñ το, γα' ρ, γα' ρ. Diese argumentative Struktur markiert V. 1a.7 als die entscheidenden Formulierungen. Die auffällige Thematik und die Tatsache, dass „christliche“ Begründungen für die Mahnung fehlen, haben zu der These geführt, Paulus übernehme eine vorgeformte hellenistisch-jüdische Tradition2 bzw. der Abschnitt sei ein nachpaulinischer Einschub.3 Die gewaltsame Lösung, 13,1-7 als sekundären Einschub zu bewerten, wird heute so gut wie nicht mehr vertreten, weil die Argumente nicht überzeugen können.4 Die Bedeutung der atl.-jüdischen und hellenistisch-römischen Traditionen, die in der ntl. Exegese oft wenig differenzierend behandelt werden, lassen eine etwas ausführlichere Darstellung ratsam erscheinen.5 In der griechischen Welt vertraten Homer und Hesiod die Vorstellung, dass der König von der Gottheit bzw. den Göttern erwählt ist (Homer, Il 1,297; 2,196-197.203-206; 9,38.97-99; Od 1,386-387; Hesiod, Theog 29-32.94-97).6 In der klass. Zeit tritt dieser Gedanke in den Hintergrund, von den Tragödien abgesehen.7 Nach Alexander d. Gr. entwickelte sich die Vorstellung von der Legitimität des Herrschers aufgrund militärischen Erfolges, wobei militärische Siege manchmal als Ausdruck göttlicher Erwählung und Hilfe interpretiert wurden. Die hellenistische Königsideologie, die in Inschriften, Papyrusurkunden, Denkmälern und philosophischen Schriften mit dem Titel Περι` βασιλει' ας [Peri Basileias] greifbar wird, betont neben der militärischen die Legitimation durch Benefaktion, Dynastiebildung, lokale Herrschertraditionen und kultische Verehrung.8 Die Herrschaft des Königs wird auf die ————————————————————
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Mittelalter: Affeldt, Weltliche Gewalt. Reformation und Neuzeit: Scharffenorth, Geschichte; Steinmetz, Calvin and Melanchthon; Whitford, Duty. Vgl. die Literaturangaben bei Wilckens III 28-29; Haacker 311-314; Lohse 350-351. Michel 394-397 (selbstständige Einlage); Käsemann 340 („Fremdkörper“); Dibelius, Rom, 182 (Paulus sei für die Formulierung „nicht in vollem Maß verantwortlich“). Schmithals 191-197.466-467; Pallis 141; O’Neill 209; Barnikol, Römer 13; Kallas, Interpolation; Munro, Authority, 56-67. Die These von Bultmann, Glossen, 281-282, Röm 13,5 sei eine Glosse, hat keine Zustimmung erfahren. Ausführlich Jewett 783-784. Die folgende Skizze nach Krauter, Gewalt, 374-395. Zum Folgenden vgl. Krauter, Gewalt, 387-393, mit Verweis u.a. auf Parrott, Political Thought, und Kritik an Gielen, Haustafelethik, 461, die meint, die Vorstellung, Herrscher seien von Gott eingesetzt, sei „geradezu als exklusiv-jüdisch zu bezeichnen“. Aeschylus, Ag 42-44; Pers 762; Sophokles, Phil 153-143. Vgl. Adam, Fürstenspiegel; Goodenough, Kingship; Delatte, Royauté; Fears, Princeps; Schubart, Königsideal. Zu nennen sind Antisthenes, Archytas, Aristoteles, Chrysippus, Euphantos Olynthios, Kleanthes, Persaios, Philodemos, Theophrastus, Theopompus und
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 667 ———————————————————————————————————— Gottheit zurückgeführt, betont wird jedoch, dass der König die göttliche Herrschaft und die göttlichen Herrschertugenden nachahmen soll; der Herrscher kann als Diener (υ� πηρεται' ) eines Gottes bezeichnet werden (Sthenidas; Stobaeus 4,7,63). Die Sicht von Ps.-Ekphantos, nach dem der König Teil einer umfassenden Harmonie ist, nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde und deshalb Anteil hat an der göttlichen Natur (Stobaeus 4,7,64) stammt aus dem 2. Jh. n.Chr.9 Cicero äußert in der späten römischen Republik die Meinung, dass Pompeius von den Göttern für seine zum Wohl Roms zu vollbringende Aufgabe erwählt wurde; Octavian bezeichnet er später als aufgrund des Wohlwollens der Götter für den Staat geboren und deshalb selbst divinus (Manil 14,42; 15,45;l 16,49; Phil 5,16,43; 14,9,25). Horaz spricht im Blick auf Augustus von göttlicher Erwählung (Carm 1,2.12; 4,2), Ovid von der göttlichen Abstammung der Kaiser (15,843-851). Die Berührungen zwischen 13,1-7 und dem sog. Fürstenspiegel Senecas in De clementia, verfasst am Anfang der Herrschaft Neros und deshalb fast zeitgleich mit Röm 13, wurden schon von Calvin beobachtet.10 Er betont die Nachahmung der Milde der Götter, zu der der Herrscher verpflichtet ist (Clem 1,7,1-2; 1,19,8-9); die Einsetzung Neros in sein Herrscheramt durch die Götter wird eher vage angedeutet (Clem 1,1,4), die Menschlichkeit Neros betont (Clem 1,7,1). Im Panegyricus, den Plinius als Konsul am 1.9.100 n.Chr. auf Trajan gehalten hat, betont er die Vorstellung der göttlichen Erwählung des Herrschers: Die Römer verdanken ihren Fürsten der Gottheit (divinitus constitutus), „denn nicht von einer verborgenen Macht des Schicksals, sondern von Jupiter selbst wurde er offenbar und vor unseren Augen erkoren, ja mitten unter den Altären und an demselben Ort erwählt (ab Iove ipso coram ac palam repertus, electus est), den dieser Gott ebenso sichtbar und gegenwärtig wie den Himmel und die Gestirne erfüllt“ (Plinius, Paneg 1,4-5; Übers. E.F.A. Schott / E. Gottwein). In der Isis-Aretalogie von Andros (IG XII.5 739)11 wird die Göttin Isis als ordnende Macht von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen besungen; manche interpretieren „Isis“ in diesem Text als Metonymie für Amtsinhaber. In den atl. und frühjüdischen Traditionen muss man zwischen der Gottgegebenheit der Herrschaft des Königs Israels und der Herrschaft der Könige anderer Völker unterscheiden.12 In Israel symbolisierte die Salbung die Erwählung und Einsetzung des Königs durch Gott (1Sam 16,1-3; 2Sam 2,4; 5,3; 12,8; 1Kön 1,39), die in der Bezeichnung als „Sohn Gottes“ (2Sam 7,14; Ps 2,7; 45,7; 89,27-28; 110,1-7) terminologischen Niederschlag fand. In Deut 17,14-20 wird die Bindung des Königs an das Gesetz Gottes betont. In der Zeit nach David wird die religiös-dynastische Legitimation des Königs als Davidide betont. Auch in der Weisheitsliteratur wird die Vorstellung betont, dass die Könige und Machthaber von Gott eingesetzt wurden: „Durch mich regieren die Könige und entscheiden die Machthaber, wie es Recht ist; durch mich versehen die Herrscher ihr Amt, die Vornehmen und alle Verwalter des Rechts“ (Spr 8,15-16). Auf fremde Herrscher konnte man die Vorstellung einer Einsetzung durch Gott übertragen, aber kaum die davidische Abstammung oder die Gottessohnschaft. Fremde Herrscher werden manchmal als Werkzeuge Gottes dargestellt, gerade dann, wenn sie Israel eine militärische Niederlage beibringen (Jes 5,25-30; 8,6-7; 10,5-19; Jer ————————————————————
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Xenokrates. Die einzigen, jedenfalls teilweise, erhaltenen Schriften sind Diotogenes (Stobaeus 4,7,61-62); Sthenidas (Stob 7,63); Ps.-Ekphantos (Stob 4,7,22.64-66). M. Frede, Art. Ekphantos 2, DNP III, 941-942. Vgl. Battles/Hugo, Calvin’s Commentary on Seneca’s De clementia II, 30; vgl. Cancik, Gewalt; Engberg-Pedersen, Politics; Manuwald, Fürstenspiegel; Krauter, Studien, 55-80; Krauter, Gewalt, 391-392. Vgl. Peek, Isishymnus; der Hymnus datiert in das 1. Jh. v.Chr. Zum Thema vgl. J.R. Fears, Art. Gottesgnadentum. RAC XI, 1103-1159; Freund, Kings; Hanson Kingship; Rajak, Kingship; Wischmeyer, Macht.
668 Römerbrief ———————————————————————————————————— 21,4-10; 22,24-27; 25,8-11; im Blick auf fremde Länder Jer 43,8-13). Verallgemeinernde Schlüsse im Blick auf die Einsetzung fremder Herrscher durch Gott werden allerdings nirgends gezogen, obschon mehrere Stellen die Vorstellung beinhalten, dass Gott fremde Herrscher zu seinen Zwecken „einsetzt“ – Jes 10,5-19: Gott zieht den assyrischen Herrscher wegen dessen Hochmut zur Verantwortung; Jer 25,13-14: Babylonien wird nach 70 Jahren bestraft; 27,1-11: Herrschaft verschiedener Reiche, die durch Gottes Handeln befristet ist. In der bekannten Stelle Jer 29,5-7 finden wir die Aufforderung, sich in einer (allerdings von Gott befristeten) Fremdherrschaft einzurichten: „Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte! Nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären. Ihr sollt euch dort vermehren und nicht vermindern. Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl“. Daniel betont die Einsetzung fremder Herrscher durch Gott (Dan 2,1-49; 3,31–4,34; 5,1-30; bes. 2,20b-21a: „Der Name Gottes sei gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn er hat die Weisheit und die Macht. Er bestimmt den Wechsel der Zeiten und Fristen; er setzt Könige ab und setzt Könige ein“). Im Vordergrund bei Daniel steht die Begrenzung der Macht fremder Herrscher durch Gott, nur indirekt die Begründung und Legitimation ihrer Herrschaft.13 Zur Zeit der jüdischen Könige der Hasmonäerzeit spielte die charakteristisch hellenistische Legitimation durch den militärischen Erfolg eine herausragende Rolle. Die Einsetzung des Makkabäers Simon zum Fürsten beruht auf dem Konsens des Volkes und der Priesterschaft, während die Erwählung und Einsetzung durch Gott auf die Zukunft verschoben wurde, in der ein wahrer Prophet auftreten würde (1Makk 14,41): Als Nichtdavidide hat er eigentlich keinen Anspruch auf das Königtum. In der jüdischen Apokalyptik wird die Souveränität Gottes über fremde Herrscher mehrfach thematisiert. In äthHen 38,1-6; 46,1-8 werden fremden Herrschern u.a. Götzendienst, Ungerechtigkeit, Verfolgung der Frommen vorgeworfen, gipfelnd in der Aussage, dass sie nicht „demütig anerkennen, woher sie das Reich erhalten haben“ (46,5). Auch in syrApkBar 82,9 wird den fremden Herrschern vorgeworfen, die Güte Gottes, der ihnen ihre Macht gab, zu verneinen. Im Fürstenspiegel Sir 10,1-18 finden wir die Aussage, dass Gott über die Erde herrscht und das Geschick der Menschen bestimmt und deshalb geeignete Menschen mit der Regierung beauftragt und ihnen Autorität verleiht: „In Gottes Hand liegt die Herrschaft über den Erdkreis; er setzt zur rechten Zeit den rechten Mann über ihn. In Gottes Hand liegt der Erfolg eines Menschen, er verleiht dem Gesetzgeber seine Würde“ (Sir 10,4-5). Die Behandlung rechter Königsherrschaft in Arist 187-294 zeigt eine große Nähe zu den hellenistischen Fürstenspiegeln, vor allem Seneca: Gott hat den Herrscher eingesetzt (Arist 196.219.224) und ihm seine Herrschertugenden gegeben (Arist 225.240.288-290.292); der Herrscher soll Gottes Milde und Wohltätigkeit gegenüber allen Menschen nachahmen (Arist 188.192.207.253-254 bzw. 190.205). Der Fürstenspiegel in Weish 6,1-21 betont einerseits, dass die Herrscher Gottes Diener (υ� πηρε' ται; 6,4) sind, verwendet diese Vorstellung allerdings nicht zur Legitimierung der Herrscher, sondern als Grundlage der Kritik an ihrem Versagen.14 In Weish 14,17-20 wird gegen den Herrscherkult (der römischen Kaiser?) polemisiert, vor allem gegen die Bilder, die bei der Verehrung der Herrscher verwendet werden (nicht gegen die Ehrung der Herrscher als solche). Philo ermahnt die Herrscher, Gottes Handeln nachzuahmen und ihre Macht zum Guten zu nutzen (SpecLeg 4,183-188); die Aussage, dass das Volk einen Herrscher prüfen und wählen solle und dass Gott diese Wahl bestätige (SpecLeg 4,157, als Interpretation von Deut 18,15), entspricht der römischen Vorstellung, der Kaiser habe sein Amt als Princeps aufgrund des Kon———————————-————————
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Krauter, Gewalt, 376, mit Verweis auf Delling, Römer 13,1–7, 10. Hübner, Weisheit Salomons, 83, spricht von reductio ad realitatem.
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 669 ———————————————————————————————————— senses des Volkes und der Götter. Josephus spricht im Zusammenhang mit der Königsherrschaft des Herodes von der Erwählung durch Gott und der sich daraus ergebenden Verantwortung (Ant 15,374). In Bell 1,390 wird die Herrschaft Octavians als von Gott geschenkt bezeichnet. In Bell 2,140 berichtet Josephus vom Schwur der Essener, den Herrschern zu gehorchen, was sich auf den Gehorsam innerhalb der Gemeinschaft bezieht, aber das Motiv voraussetzt, dass Gott Herrscher einsetzt, denen man zu gehorchen habe, wobei im Zusammenhang die Verantwortung der Herrscher betont wird. Im Zusammenhang des Sieges Roms über die aufständischen Juden beschreibt Agrippa II. die Herrschaft der Römer als gottgewollt (Bell 2,390), was Josephus zu einer Geschichtstheologie ausbaut: Gott lässt die Herrschaft von einem Volk zu einem anderen wandern; in der Gegenwart sind die Römer die Herrscher; Widerstand ist deshalb zwecklos (Bell 5,367).15 Wahrscheinlich schon seit Herodes zeigte sich die Anerkennung auch fremder staatlicher Machthaber16 im Opfer für den Kaiser im Jerusalemer Tempel (Josephus, CAp 2,76-77; Bell 2.197; Philo, LegGai 157.317): Opfer für (nicht direkt an) den Kaiser waren unproblematisch.17 Diese Opfer wurden zu Beginn des Jüdischen Kriegs im Jahr 66 n.Chr. abgeschafft (Josephus, Bell 2,409417). Nach Philo, LegGai 133; Flacc 48-49.97 wurde in den Synagogen von Alexandria für den Kaiser gebetet; in der großen Synagoge gab es Inschriften, goldene Kränze und goldene Schilde mit Weihungen zur Ehre des Kaisers.18
Der Auslegung von Röm 13,1-7 vorgreifend sind folgende Beobachtungen wichtig:19 1. Die in atl. prophetischen Texten erwähnte Verbindung von der Gottgegebenheit der Macht eines fremden Herrschers mit einer militärischen Niederlage spielt bei Paulus keine Rolle. 2. Das Geschichtsbild jüdischer Apokalypsen spielt in 13,1-7 keine Rolle. Antiimperiale Interpretationen, die Röm 13,1-7 nicht als Herrschaftslegitimation, sondern als implizite Kritik (bzw. Ironie) verstehen wollen,20 können sich nicht auf konkrete Textsignale berufen, sondern müssen 13,11-12 in V. 1-7 einlesen.21 3. In den jüdischen weisheitlichen Texten wird Gott als Urheber der Herrschaft der Herrschenden betont; während Kritik an deren Verhalten nicht ausgeschlossen wird, ist der Gedanke implizit, dass Widerstand oder gewaltsame Auf———————————-————————
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Lindner, Geschichtsauffassung, 43-44; Krauter, Gewalt, 382. Nach 1Makk 7,33 bringen Juden ein Opfer für den seleukidischen König Demetrios I. Soter (161–150 v.Chr.) dar. Das jüdische Kaiseropfer lehnte sich an die Kaiserverehrung in den Provinzen an: Es wurde für den Kaiser und das Volk der Römer dargebracht (Josephus, CAp 2.76; Bell 2.197,409), entsprechend der Anordnung des Augustus, die Provinzbevölkerung solle ihn nur in Verbindung mit der Dea Roma verehren (Sueton, Aug 52). Vgl. Krauter, Bürgerrecht, 196-198; Price, Rituals, 207-233. Vgl. Leonhardt, Worship, 76-79; Levine, Synagogue, 90; Krauter, Bürgerrecht, 212. Zum folgenden zusammenfassenden Vergleich vgl. Krauter, Gewalt, 383-386.393-395. Vgl. Schottroff, Gebt dem Kaiser, 208-216; Carter, Irony; Elliott, Imperial Propaganda; Elliott, Strategies, 119-122; generell auch Wright, Paul and Caesar; Wright, Paul in Fresh Perspective, ohne Röm 13,1-7 als antiimperialistischen Text zu interpretieren. Kritisch Barclay, Empire; White, Subtexts; positiver Heilig, Hidden Criticism, 110-160. Dibelius, Rom, 184: Paulus verstehe die „vorhandenen Obrigkeiten“ als „die noch vorhandenen“ und relativiere somit deren Geltungsanspruch.
670 Römerbrief ————————————————————————————————————
lehnung gegen die von Gott eingesetzte Herrschaft sinnlos ist. Paulus erwähnt mit dem Hinweis auf Gut und Böse in 13,3-4 implizit einen Maßstab für gute Herrschaft, betont aber die Delegitimation von Widerstand angesichts der Einsetzung durch Gott (13,2). 4. Paulus stimmt mit Josephus darin überein, dass die Einsetzung von Herrschaft durch Gott Unterordnung verlangt und Widerstand delegitimiert (13,1-2). 5. Mit der hellenistischen Tradition der Herrschaft des Königs, die von Seneca rezipiert wird, berührt sich Paulus insbesondere im Blick auf die Funktion des Herrschers als Stellvertreter des Gottes, der den Herrscher eingesetzt hat (13,1), die mit dem Bild des „Dieners“ bezeichnet werden kann (13,3-4). Der Gedanke, die Einsetzung durch Gott bedeute, dass der Herrscher Gott besonders nahesteht oder sogar göttlich sei, findet sich bei Paulus (und bei Seneca) selbstverständlich nicht, selbst von der Nachahmung Gottes durch den Herrscher spricht Paulus nicht. 6. Die paränetische Auswertung der Einsetzung des Herrschers durch Gott im Blick auf die Verpflichtung zu gutem, gerechtem Handeln, die bei Seneca betont ist, wird bei Paulus eher implizit vorausgesetzt (13,3-4).22 7. Die Betonung der Einsetzung des Herrschers durch Gott in 13,1 steht während der julisch-claudischen Dynastie eher am Rande der politischen Diskussion, entspricht aber jüdischem Denken und hellenistischgriechischer politischer Philosophie. Paulus steht in der Betonung der legitimatorischen Funktion der Vorstellung von der göttlichen Einsetzung des Herrschers der hellenischen Tradition näher als der jüdischen, die in diesem Zusammenhang eher den Maßstab für die ethische Mahnung betonte. 8. Paulus stimmt mit den hellenistischen und römischen Vorstellungen darin überein, dass er nicht nach der legitimen Erlangung der Herrscherwürde fragt: Die Faktizität von Herrschergewalt, die in 13,1 mit der Wendung αι� δε` ουò σαι υ� πο` θεουñ τεταγμε' ναι ει� σι'ν angezeigt wird, entspricht der Vorstellung der hell. Texte und des frühen Prinzipats, dass Herrscher ist, wer sich durchgesetzt hat. Fragen von legitimer Erbfolge, Dynastiewechsel oder Usurpation von Herrschergewalt spielen für Paulus keine Rolle. Fazit: Paulus steht mit seinen Aussagen in 13,1 „in einer breiten, sowohl jüdischen als auch griechisch-römischen Tradition …, die zur Zeit der Abfassung des Römerbriefs durchaus präsent und aktuell ist“.23 Lohse hat recht: „Die betonte Sachlichkeit, in der gerade dieser Abschnitt gehalten ist, zeigt beson———————————-————————
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Krauter, Gewalt, 394: „Röm 13,1-7 ist ja eben kein Fürstenspiegel, sondern an die Untertanen gerichtet“. Krauter, Gewalt, 395. Die Auskunft von Lohse 352, Paulus greife in 13,1-7 „eine Unterweisung auf, wie sie durch die hellenistische Synagoge ausgebildet worden ist“, ist zu undifferenziert: Es hat keine einheitliche „Staatsparänese“ der hellenistischen Diasporasynagogen gegeben. Der im Folgenden zitierte Schluss Lohses ist trotzdem richtig.
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 671 ————————————————————————————————————
ders deutlich, daß die Christen genauso wie alle anderen Bürger sich gegenüber den staatlichen Behörden loyal zu verhalten und die ihnen aufgegebenen Pflichten zu erfüllen haben. Da es … für die Christen nicht notwendig ist, ein neues politisches System zu erfinden, werden sie vom Evangelium dazu aufgefordert, sich in den bestehenden Verhältnissen verantwortungsbewußt zu verhalten“.24 Der Abschnitt steht nicht so isoliert da, wie oft angenommen wird. Es gibt Stichwortverbindungen zum unmittelbaren Kontext davor (zu V. 3-4 κακο' ν/α� γαθο' ς vgl. 12,21) und danach (V. 7 ο� φειλα' ς vgl. V. 8),25 und im größeren Kontext gibt es mehrere verbale und gedankliche Verbindungen zum vorausgehenden Abschnitt (zu V. 4 ε» κδικος ει� ς ο� ργη' ν vgl. 12,19 ε� κδικουñ ντες … τηñ, ο� ργηñ, ; zu V. 7 παñ σιν vgl. 12,17.18 πα' ντων α� νθρω' πων). Das Thema Gut/Böse (V. 3-4), seit 12,9 behandelt (12,17.21), wird in der Begründung der Mahnung zum Gehorsam V. 3-4 aufgegriffen. Da in 12,9 das Gute mit der Liebe verbunden wurde, ist nicht nur V. 8-10 (über V. 1-7 „hinweg“), sondern auch V. 3-4 mit dem Thema „Liebe“ verbunden.26 Der Gedankengang bewegt sich in sich ausweitenden Kreisen von Mahnungen zum Verhalten innerhalb der Gemeinde (12,9-13), zu Mahnungen im Blick auf das Verhältnis zu Außenstehenden, auch zu Feinden, die einem Böses antun (12,14-21), bis hin zum Verhalten gegenüber den staatlichen Behörden, die gutes Verhalten schützen sollen (13,1-7). Die Aussagen in 13,1-7 weisen enge Berührungen mit 1Tim 2,2; Tit 3,1; 1Petr 2,14-17 auf.27 Alle vier Texte fordern Gehorsam gegenüber allen staatlichen Gewalten; im Kontext aller vier Texte geht es um das Verhalten der Christen zu allen Menschen sowie um die Bruderliebe; die staatlichen Behörden werden auch in 1Tim 2,2 und 1Petr 2,14 als „übergeordnet“ bezeichnet; die Aufgabe der staatlichen Gewalten ist auch in 1Petr 2,14 die Ahndung von bösen Taten und das Lob für gute Taten, und in 1Petr 2,17 geht es ebenfalls um „Furcht“ und „Ehre“. Anders als in den drei parallelen Texten betont Paulus in 13,1 die Einsetzung der staatlichen Gewalten durch Gott, in 13,5 das Gewissen als Motivation des Gehorsams und in 13,6-7 das Zahlen von Steuern und Zöllen. Die Berührungen mit atl.-jüdischen und auch hell.-römischen Vorstellungen sowie die Parallelen in 1Tim 2,2; Tit 3,1; 1Petr 2,14-17 lassen die Suche nach einem konkreten Sitz im Leben des Textes als nur bedingt relevant erscheinen – wobei gegenüber diesen Texten allerdings auffällt, dass ———————————-————————
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Lohse 352, mit Verweis auf Melanchthons Kommentar zu 13,1. Wilckens III 30 verweist auf 12,14 διω' κοντας / 12,13 διω' κοντες als Parallele. Wilckens III 31; zum folgenden Punkt ebd. Wilckens, Römer 13, 212-213 bietet eine Synopse; zum Folgenden Wilckens III 31.
672 Römerbrief ————————————————————————————————————
sich eine Warnung vor Widerstand gegen staatliche Autoritäten nur in Röm 13,2 und das Thema Steuern nur in Röm 13,6-7 findet. Zelotische28 oder enthusiastische29 Bestrebungen in den stadtrömischen Gemeinden sind weder nachzuweisen noch ein plausibler Hintergrund für Röm 13,1-7. Eher könnten es Missstände im römischen Steuerwesen und die dadurch provozierten Proteste gewesen sein, die Paulus zur einer Mahnung zur Unterordnung veranlasst haben – im Jahr 58 n.Chr., nur ein Jahr nach der Abfassung des Römerbriefs, hat Nero eine Neuordnung der Steuerabgaben veranlasst, die auf Unruhen unter der Bevölkerung reagierte (Tacitus, Ann 13,50-51; Sueton, Nero 10; s. zu 13,6), die es somit zur Zeit der Abfassung des Römerbriefs gegeben hat.30 Im Zusammenhang mit der Aufforderung in 12,18, wenn möglich mit allen Menschen in Frieden zu leben, und der Mahnung in 12,21, das Böse durch das Gute zu besiegen, kann man die Mahnung von 13,1-7 „als Anweisung für solches missionarisches Tatzeugnis im politischen Alltag der römischen Christengemeinde in der Mitte des 1. Jahrhunderts“ verstehen.31 Oder man kann sich damit begnügen, „aus dem geographischen und gesellschaftlichen Ort der Adressaten auf einen erhöhten Klärungsbedarf zu schließen“.32 Struktur. Paulus formuliert zwischen den beiden Verben υ� ποτασσε' σθω V. 1a und υ� ποτα' σσεσθαι V. 5 allgemeingültige Aussagen in der 3. Pers. und der generischen 2. Pers. Singular. Ab V. 6a spricht er die Adressaten mit der 2. Pers. Plural direkt an (von der begründenden Aussage V. 6b abgesehen) und formuliert konkrete Verpflichtungen. Der Abschnitt ist deshalb am besten in zwei Teile zu gliedern: Grundsätzliche Ausführungen V. 1-5, Anwendung V. 6-7. Diese beiden Abschnitte können genauer gegliedert werden.33 ———————————-————————
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Borg, Context; Bammel, Romans 13, 290-292. Kritisch Wilckens III 34. Campenhausen, Auslegung, 96-101; Käsemann 338.346-347; Moo 391; H. Balz, ThWNT IX, 211. Michel 400 sieht den Hintergrund in „jüdischen Unruhen oder in pneumatischer Überheblichkeit“. Kritisch Wilckens III 34. Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher, Situation, 156-159; Merklein, Sinn. Als Möglichkeit Wilckens III 34, mit dem Hinweis, dass in 13,6-7 diese Zielrichtung nicht erkennbar ist. Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher, Situation, 161; vgl. Towner, Romans 13:1–7. Haacker 313; vgl. Wright 717. Wilckens III 34: „Wir kennen den konkreten Anlaß der Zuspitzung der Mahnung in Röm 13,2 nicht.“ Die Gliederung folgt Merklein, Sinn, 408-410 (leicht modifiziert); ähnlich Duchrow, Christenheit, 138-140; Porter, Romans 13.1–7, 119; Krauter, Studien, 170; vgl. Wilckens III 29-30 (These V. 1a, erstes Argument V. 1b-2, zweites Argument V. 3-4, Zusammenfassung V. 5, drittes Argument V. 6, Schlussmahnung V. 7). Zu schematisch sind Lohse 351-352 (These V. 1, theologische Begründung V. 2-4, Wiederaufnahme der These V. 5, Abschluss V. 6-7) und Jewett (Mahnung V. 1a, erstes Argument V. 1b-3a, zweites Argument V. 3b-5, drittes Argument V. 6-7). Die Bezeichnung von V. 1a als „These“ (vgl. auch Michel 397; Dunn II 759 u.a.) ist problematisch: Das Hauptgewicht des Abschnitts liegt „nicht auf der theologisch-metaphysischen Begründung, sondern der Mahnung zur
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 673 ———————————————————————————————————— A. Grundsätzliche Ausführungen V. 1-5 A1 Grundsätzliche Forderung (Prinzip) V. 1a A2 Erste Argumentation (V. 1b-2): Ausgangspunkt V. 1b; theologische These V. 1c; positive Folgerung V. 2a; negative Folgerung V. 2b A3 Zweite Argumentation (V. 3-4): Ausgangspunkt (normative These) V. 3a; positive Nutzanwendung V. 3b; Folgerung V. 3c; theologische Reflexion V. 4a; negative Nutzanwendung V. 4b; Folgerung V. 4c; theologische Reflexion V. 4d A4 Fazit V. 5: Grundsätzliche Forderung (Prinzip) V. 5a; Begründung (Motivation) V. 5b. B Anwendung V. 6-7 B1 Argumentation: Ausgangspunkt V. 6a B2 Praxis: theologische Reflexion V. 6b B3 Grundsätzliche Aufforderung V. 7a B4 Spezifische Aufforderungen V.7b-d
Textkritische Anmerkungen. In V. 1 lesen mehrere westliche Zeugen πα' σαις ε� ξουσι'αις υ� περεχου' σαις υ� ποτα' σσεσθε (d46 D* F G it), mit dem Imperativ in der 2. Pers. Sg., vielleicht, um das hebraisierende παñ σα ψυχη' zu vermeiden, vielleicht in dem Bestreben, den Imperativ direkter auf „alle staatlichen Machthaber“ zu beziehen.34 Die in אA B D1 Ψ 33 1739 1881 Byz lat sy co bezeugte Lesart ist hervorragend bezeugt. Die Lesart α� πο` θεουñ (D* F G 629 945) ist der sekundäre Versuch einer Verdeutlichung. Die Hinzufügung von ε� ξουσι'αι hinter ουò σαι in D1 Ψ 33 Byz sy ist sekundäre Verdeutlichung, die Hinzufügung von τουñ vor dem zweiten θεουñ (א2 Ψ 33 Byz) eine stilistische Verbesserung. In V. 3 gibt es zwei Varianten zu τω ñ, α� γαθω ñ, ε» ργω, (d46 אA B c D* F G P 0285 6 630 1506 1739 1881 [lat] co): F* liest τω ñ, α� γαθωεργω ñ, , D12 Ψ 33 Byz (sy) lesen τω ñ ν α� γαθω ñ ν ε» ργων („für gute Werke“), beides sekundäre Verbesserungsversuche. Die Auslassung in V. 4 von σοι' (F G boms) ist wahrscheinlich der Versuch einer stilistischen Verbesserung, die Auslassung von το' vor α� γαθο' ν (B pc) wohl ein Schreibfehler. Die Lesart ε» κδικος ει� ς ο� ργη' ν (d46 א2 A B L P Ψ* 048 81 104 365 630 1505 1739 1881) ist sehr gut bezeugt; die Minus-Lesart ε» κδικος (D* F G) und die Lesart ει� ς ο� ργη` ν ε» κδικος ( *אD1 Ψc 33 945 1175 1241) sind sekundär. In V. 5 ist die Wendung α� να' γκη υ� ποτα' σσεσθαι hervorragend bezeugt ( אA B Ψ 048 33 1739 1881 Byz [vg] sy co); die Ersetzung der Wendung durch den Imperativ υ� ποτα' σσεσθε („ordnet euch unter“) in d46 (mit και') D F G it ist weniger gut bezeugt und als sekundär zu betrachten.
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Unterordnung unter die politischen Gewalten“ (Käsemann 341, der im Blick auf V. 1a von „Obersatz“ spricht, ebd. 342). So Metzger, Textual Commentary, 467 bzw. Jewett 780. Cranfield II 656 nimmt eine zufällige Auslassung an. Zahn 555: Befremden über eine fehlende Näherbestimmung.
674 Römerbrief ————————————————————————————————————
III
1 Die Aussage jedermann soll sich den staatlichen Machthabern unter-
ordnen (V. 1a) formuliert eine Forderung, die V. 1b-5 begründet und in V. 6-7 auf die Frage angewandt wird, ob man Steuern und Zölle zahlen soll. Das Subjekt des Satzes, für den die Forderung gilt, steht betont am Anfang: jedermann (παñ σα ψυχη' [pasa psychē]; s. zu 2,9), d.h. alle Menschen, ohne Ausnahme.35 Im Unterschied zu πα' ντες („alle“) oder ε« καστος („jeder“) hebt die Wendung παñ σα ψυχη' den Aspekt des Individuellen hervor. Das Verb sich unterordnen (υ� ποτασσε' σθω [hypotassesthō]; s. zu 10,3), das auch mit „sich unterstellen, sich unterwerfen, gehorchen, untertan sein“ übersetzt werden kann,36 beschreibt „das willentliche Fügen dessen, der sich in der niedrigeren Position befindet“; es geht darum, „dass man in der hierarchischen Relation, in die man sich fügt, weil man sie bejaht, tut, was der Höhergestellte fordert“.37 Das Präsens des Imperativs unterstreicht, dass die Forderung immer gilt. Manche Ausleger unterscheiden das Verb υ� ποτα' σσεσθαι von υ� πακου' ω ([hypakouō], „gehorchen“) und betonen entweder die Anerkennung der staatlichen Gewalt und das Moment der Unterordnung unter die Befehlsgewalt der staatlichen Machthaber 38 oder die Freiwilligkeit der Unterordnung.39 Die parallele Verwendung von υ� ποτα' σσεσθαι in Eph 6,1.5; Kol 3,20.22; Tit 3,1 (vgl. Lk 7,8) zeigt, dass υ� ποτα' σσεσθαι der Bedeutung von υ� πακου' ω sehr nahekommt.40 Die Verwendung des Imperativs beweist nicht, dass man sich der Forderung ———————————-————————
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Bauer/Aland s.v. ψυχη' 2: metonymisch das, was „Seele“ oder Leben besitzt, d.h. Lebewesen, Personen (BDAG s.v. ψυχη' 3: „an entity w[ith] personhood, person“). Vgl. den hebr. Ausdruck [ ָּכל־ֶנֶפׁשkol-näphäsch]. Origenes V, 90-91 interpretiert als „Seele“ im Sinn des „niedrigeren Teils“ des Menschen: Nur dieser habe sich den Herrschenden unterzuordnen, während der geistliche Mensch von deren Zugriff ausgenommen ist. Diese Interpretation ist „genial“, aber nicht plausibel, so Krauter, Studien, 171; zum folgenden Punkt ebd. Ob Paulus auf Gesetzestexte (vgl. Lev 7,27; 17,12.15; 23,29-30) anspielen will, wie manchmal angenommen wird, ist nicht sicher nachzuweisen. Bauer/Aland s.v. υ� ποτα' σσω 1bβ; vgl. BDAG υ� ποτα' σσω 1bβ mit Verweis auf Röm 8,7; 10,3; 13,1; 1Kor 15,28; 16,16; Eph 5,21.24; Kol 3,18; Tit 2,5.9; 3,1 u.a. für die Definition „of submission involving recognition of an ordered structure w[ith] dat[ive] of the entity to whom/which appropriate respect is shown“. LSJ s.v. υ� ποτα' σσω II.2. Krauter, Studien, 216, mit Verweis auf G. Delling, ThWNT VIII, 40, mit der wichtigen Kritik, dass es bei dem Verb nicht darum geht, den eigenen Willen „preiszugeben“, sondern darum, dass man das Geforderte willentlich tut; vgl. Gielen, Haustafelethik, 442. Wilckens III 32-33:Anerkennung der „Anordnungskompetenz“ der staatlichen Gewalten, mit Verweis auf 8,7; 10,3; 1Kor 16,16; vgl. Delling, ThWNT VIII, 41.43 (im Kommentar zu Röm 13,1 ebd. 44 nicht eigens betont, aber in der Aussage impliziert, im NT werde das Verb im Medium mit Ausnahme von Lk 10,17.20 nicht im Sinn von Zwang, sondern im Sinn des freiwilligen Sichunterordnens verwendet); auch Leenhardt 326; Moo 797. Walker, Studie, 14-15; Porter, Romans 13.1–7, 121-122; Krauter, Studien, 216-217; Jewett 788-789. Krauter, Studien, 217: Interpretationen, die die Differenz zwischen den beiden Verben
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 675 ———————————————————————————————————— auch entziehen könnte. Jewett spricht von einer Richtlinie („guideline“), die eine Ethik repräsentiere, die öffentliche Diskussion und geistliche Einsicht erfordere und von einer „autoritären Ethik des Gehorsams“ weit entfernt sei.41 Die Möglichkeiten einer Diskussion darüber, ob man den Anordnungen der römischen Magistrate oder des Kaisers Folge leisten soll oder nicht, mag es im römischen Senat gegeben haben, aber kaum unter der Bevölkerung. Eine Aufforderung zur Unterordnung bzw. zum Gehorsam ist weder für die jüdische noch die griechisch-römische Tradition außergewöhnlich: „Dass in einem hierarchisch gestuften Verhältnis der eine anordnet und der andere ohne Widerspruch gehorcht, gilt in griechischen, römischen und jüdischen Texten schlicht als ‚normal‘, auch wenn Servilität als unwürdig abgelehnt wird“.42 Wenn der Gehorsam gegenüber dem Kaiser in den Kaisereiden keine explizite Rolle spielt (mit Ausnahme von SEG XVIII 571,11-12), ist dies vielleicht so zu verstehen, dass dieser selbstverständlich war und deshalb die dauerhafte Loyalität betont wurde.43 Außerdem: Jesusbekenner waren eine Minderheit innerhalb der jüdischen Minderheit, zu denen die römischen Behörden mindestens im syrischen Antiochien, in Korinth und in Jerusalem und Cäsarea (vgl. Apg 11,26; 18,14-16; 23,29) die Anhänger Jesu rechneten. Dass diese in Diskussionen abgewogen haben sollen, ob man den staatlichen Behörden Gehorsam leisten sollte oder nicht – es sei denn, es ging um den Glauben an Jesus und die Verpflichtung zur Verkündigung des Evangeliums (Apg 4,12; 5,29) – ist nicht vorstellbar, wenn man die Alternativen in Betracht zieht: passiver Widerstand, der zu Gerichtsverfahren und anschließenden Strafurteilen führen würde; aktiver Widerstand, der als Rebellion von den Behörden rasch und effektiv niedergeschlagen werden und zu Hinrichtungen und Verboten führen würde; oder Flucht in andere Städte und Regionen, in denen man allerdings ebenfalls mit staatlichen Behörden zu tun hätte. Die Macht des Staates und seiner Amtsträger kann man in einer Demokratie öffentlich diskutieren, und man kann sich auch in einer Militärdiktatur (was das Römische Reich seit Augustus war) staatlichen Anordnungen in manchen Bereichen selektiv, ohne allzu weitreichende negative Auswirkungen, entziehen. Paulus behandelt weder in 13,1-7 noch an anderen Stellen solche Fragen. Der Forderung in 13,6-7, Steuern und Zölle zu entrichten, kann man sich auch in einem modernen Staat nur durch korruptes Verhalten entziehen. Überlegungen über Freiwilligkeit ergeben sich manchmal aus dem Versuch, die Aussage in 13,1 zu einer christlichen Staatsphilosophie oder einer umfassenden christlichen politischen Ethik zu überhöhen, was an den Aussagen des Textes vorbeigeht, die weder Differenzierungen noch Einschränkungen formulieren. Wenn römische Magistrate oder der Kaiser Anordnungen erlassen, z.B. im Blick auf Steuern und Zölle, dann bedeutet „sich unterordnen“ konkret „der Anordnung Folge leisten“, d.h. gehorchen. Paulus hat sich den sozialen Strukturen seiner Zeit untergeordnet: Er hat Philemon, den bekehrten Sklaven, zu Onesimus, seinem Besitzer, zurückgeschickt: Er wusste, dass er ihn nicht behalten durfte, obwohl er ihn gerne behalten hätte (Phlm 13).
Die mit staatliche Machthaber (ε� ξουσι'αι υ� περεχου' σαι [exousiai hyperechousai]) übersetzte Formulierung beschreibt die Herrschenden in der Stadt ————————————————————
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zum Schlüssel des Verstehens von V. 1-7 machen, sind problematisch (gegen Moo 809; Furnish, Moral Teaching, 126; Meggitt, Poverty, 186; Cranfield, Observations, 242-244). Jewett 789 Krauter, Studien, 217, mit Verweis auf Spr 24,21; Philo, LegGai 10,69; Cassius Dio 52,15,1-2; Cicero, Leg 3,3,6; Plinius, Paneg 9,4-5; Tacitus, Ann 6,8,4. S. oben Abschn. II. Die linguistische Behandlung von υ� ποτα' σσεσθαι in Botha, Authority, 45-46 ignoriert historische Kontexte der Verwendung der Vokabel. Krauter, Studien, 217 Anm. 358; vgl. Herrmann, Kaisereid, 102.
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Rom und im römischen Reich insgesamt.44 In politischen und administrativen Kontexten bedeutet ε� ξουσι' α [exousia] „Gewalt, die von Höherstehenden aufgrund ihrer Machtstellung ausgeübt wird“ und „Inhaber des Rechts zu herrschen, Machthaber“.45 In V. 1a.2-3 steht das personale Element im Vordergrund, deshalb ist hier mit „staatliche Machthaber“ zu übersetzen; in V. 1b-c geht es nicht-personal um die herrscherliche Gewalt, die von Gott verliehen ist. Nach Llewelyn zeigen die Epitheta, die das imperium des Kaisers qualifizieren, dass ε� ξουσι' α eine übertragene Autorität impliziert: ε� ξουσι' α αυ� τοτελη' ς (Strabo 6,4,2); αυ� τοκρατη` ς ε� ξουσι' α (Philo, LegGai 4,26; 8,54); μο' ναρχος ε� ξουσι' α (Appian, Illyr 30,88); αυ� τοκρα' τωρ ε� ξουσι' α (Herodian 1,3,1).46 Die dämonologische Interpretation von ε� ξουσι' αι im Sinn von Engelmächten47 ist für Röm 13,1 auszuschließen.48 Ebenfalls nicht überzeugend ist die These, ε� ξουσι' αι verweise auf die Amtsinhaber der lokalen Synagogen.49 Eine Unterscheidung zwischen „Personen mit Herrschergewalt“ und „Institutionen mit Herrschergewalt“50 ist kaum möglich.
Paulus bezeichnet die Machthaber als υ� περεχου' σαι [hyperechousai],51 d.h. als die Mächtigen, die Höhergestellten, die Vorgesetzten. In 1Petr 2,13 wird ———————————-————————
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Elb.Ü: „übergeordnete (staatliche) Mächte“; EÜ: „staatliche Gewalt“; GN: „Träger der Staatsgewalt“; NGÜ: „Regierung des Staates“ (Anm. „staatliche Gewalt“); ZÜ: „staatliche Behörden“; die LÜ von 1984 übersetzt immer noch mit „Obrigkeit“. Bauer/Aland s.v. ε� ξουσι' α 4a.c. Bedeutung 4b („d[er] Raum der ausgeübten Gewalt, d. Herrschgebiet, d. Machtbereich“) kommt in Röm 13,1-3 nicht infrage. Vgl. BDAG s.v. 4; LN 37.35-38 sowie 76.12; LSJ II.1-2. Zu ε� ξουσι' α s. 9,21; I. Broer, Art. ε� ξουσι' α, EWNT II, 28 (nicht einfach „der Staat“, sondern der „Staat in seinen verschiedenen Erscheinungsformen bzw. Funktionsträgern“); Strobel, Verständnis, 72-79; Botha, Authority, 40-43; Papathomas, Begriffe, 123-137; Horsley/Llewelyn, New Documents II, 83-84. Cancik, Gewalt, 56, wendet gegen Strobel ein, es habe im Römischen Reich keine „Behördensprache“ gegeben; kritisch gegen Strobel auch Krauter, Studien, 174-177. S. R. Llewelyn, in Horsley/Llewelyn, New Documents VI, 62 Anm. 74. Dibelius, Geisterwelt, 200; Dehn, Engel; Schmidt, Kirche und Staat, 167-183; Barth, Rechtfertigung und Recht; Cullmann, Staat, 41-49 (in der 2. Aufl. S. 67-69 als Hypothese eingeschränkt); Morrison, Powers, 17-39; Wink, Powers, 45-47. In 1Kor 15,24; Kol 1,16; 2,10; Eph 1,21; 3,10; 6,12 verweist ε� ξουσι' αι auf Engel. So übereinstimmend die neueren Kommentare: Michel 397-398; Wilckens III 32; Käsemann 340-342; Cranfield II 656-659 (mit anfänglicher Sympathie für Morrisons These eines doppelten Bezugs auf staatliche Autoritäten und Engelmächte); Dunn II 760; Fitzmyer 666-667; Schreiner 681; Penna 880-881. Vgl. W. Foerster, ThWNT II, 562; Delling, ThWNT VIII, 29-30; I. Broer, EWNT II, 28; O. Betz, ThBLNT II, 1186; Campenhausen, Auslegung; Delling, Römer 13,1–7, 24-27; Strobel, Verständnis; Theobald, Der Römerbrief, 308; Krauter, Studien, 9-12. Paulus kann unmöglich zur Unterwerfung unter die von Jesus besiegten dämonischen Mächte aufrufen. Nanos, Mystery, 289-336. Duchrow, Christenheit, 157; zur Kritik Krauter, Studien, 175-176. Bauer/Aland s.v. υ� περε' χω 2, „das Übergewicht haben, übergeordnet sein, die Obergewalt besitzen“; das subst. Ptz. οι� υ� περε' χοντες bezeichnet die Mächtigen, die Höhergestellten,
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 677 ————————————————————————————————————
der Kaiser (βασιλευ' ς) als der bezeichnet, „der über allen steht“ (υ� περε' χοντος; EÜ; Elb.Ü: „der Oberherr“; ZÜ: „die oberste Autorität“). Sowohl das Substantiv („Machthaber, Gewalten“) als auch das Partizip („staatlich, übergeordnet“) beschreiben die Institutionen und Amtsträger des Staatsapparats des römischen Imperiums und der Stadt Rom, auch und für die Leser des Römerbriefs gerade in Rom, der Hauptstadt des Reiches.52 In der ntl. Exegese und in theologischen Abhandlungen zu Röm 13,1-7 wird ε� ξουσι' αι häufig als „Obrigkeit“ (LÜ) übersetzt bzw. im Sinn von „Staat“ interpretiert,53 was dann oft mit grundsätzlichen Überlegungen zu antiken Staatstheorien überfrachtet wird. Zu beachten ist, dass die Jesusbekenner der stadtrömischen Gemeinden nicht einfach dem „Staat“ begegneten, sondern konkret den verschiedenen „Machthabern“ der städtischen Verwaltung – auf den Straßen Roms, in den Stadtvierteln und den (Miets-)Häusern, in denen sie wohnten, auf öffentlichen Plätzen, in den Werkstätten, in denen sie arbeiteten. Eine Übersicht über die röm. Verwaltung Roms lohnt sich für die Interpretation von 13,1-7.54 Die Verwaltung des Römischen Reiches war komplex. Anordnungen, denen die Bevölkerung Folge zu leisten hatte, wurden von vielen staatlichen Institutionen erlassen. Die Magistrate (magistratus, griech. α» ρχων) bestanden aus den magistratus maiores (Konsuln, Prätoren, Zensoren) und den magistratus minores (Volkstribunen, Ädilen, Quästoren). Ein Stadtbewohner, der kein offizielles Amt bekleidete, also privatus war, musste den Amtsträgern mit größter Hochachtung begegnen, ihnen Ehre erweisen. Zu dem Recht auf Ehre gehörte das Tragen der purpurgesäumten toga praetexta zu bestimmten Anlässen. Die höheren Amtsinhaber wurden von lictores begleitet, die als Symbol ihrer Amtsgewalt fasces (Rutenbündel mit Richtbeil) trugen. Die Liktoren schufen dem Magistrat Platz beim Gang durch Straßen und über Plätze, sie standen an seiner Seite bei öffentlichen Reden, sie begleiteten ihn ins Theater; sie führten ————————————————————
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die Vorgesetzten. Vgl. Polybius 28,4,9; 30,4,17; Weish 6,5 („die, die Obergewalt haben“; LXX.D). Vgl. G. Delling, Art. υ� περε' χω κτλ., ThWNT VIII, 523-525 (ebd. 524 für griech.-hell. Belege); zu Röm 13,1: „die Amtsgewalten (werden) durch das Partizip als regierende charakterisiert“; G. Delling, Art. υ� ποτα' σσω, 40-47, bes. 44: υ� ποτα' σσομαι ist Gegenbegriff zu υ� περε' χων. Strobel, Verständnis, 79: die „obrigkeitlichen Ämter des umfangreichen Staatsapparates“; vgl. Käsemann 342; Wilckens III 32. Aland, Kirche und Staat, 184 will „die höhen und höchsten Instanzen bis hinaus zum Kaiser“ mit gemeint sehen; so auch Krauter, Studien, 178: Die Christen in Rom dachten an den römischen Princeps „mitsamt denjenigen, die in seinem Auftrag handelten, also Statthaltern und ihrem Stab und den stadtrömischen Beamten“; weshalb die von Käsemann 342 genannten Steuereinnehmer, Polizei, Magistratsangestellte und Beamte ausgeschlossen sein sollen (Krauter, ebd.), ist nicht einsichtig. Lohse 354 Anm. 10 will den Begriff „Obrigkeit“ vermeiden, weil Paulus nicht grundsätzlich vom Staat spreche, sondern konkret von den örtlichen Behörden. Der Duden definiert „Staat“ als „Gesamtheit der Institutionen, deren Zusammenwirken das dauerhafte und geordnete Zusammenleben der in einem bestimmten abgegrenzten Territorium lebenden Menschen gewährleisten soll“. Ausbüttel, Verwaltung; Eck, Verwaltung; Kolb, Herrschaftsstrukturen; Kolb, Rom, 508567; Rainer, Staatsrecht, 251-282; Bleicken, Augustus, 391-438 Kienast, Augustus, 151203; sowie W. Eck, Art. Praefectus, DNP X, 241-246; ders.; Art. Cura, curatores, DNP III, 231-234; L. de Libero, Art. Magistratus, DNP VII, 679-683. Mit dem kaiserlichen Hof, der eine eigene Verwaltung hatte, kamen die Christen kaum in Berührung.
678 Römerbrief ———————————————————————————————————— im Auftrag des Magistrats Verhaftungen durch und vollzogen Strafen (vor allem Auspeitschungen). Die meistens aus dem Ritterstand rekrutierten Präfekte wurden vom Kaiser ernannt. Während die für militärische Belange verantwortlichen Präfekte für die Christen Roms weniger von unmittelbarer Bedeutung waren, kamen sie mit anderen Präfekten und den diesen unterstellen Beamten und Helfern je nach den persönlichen Lebensumständen regelmäßig in Kontakt. Die praefecti aerarii Saturni waren die höchsten Finanzbeamten Roms; der praefectus annonae kontrollierte Transport, Lagerung und Verarbeitung von Nahrungsmittel; die praefecti frumenti dandi, deren Schreiber Listen der ca. 200 000 Empfangsberechtigten führten, waren für die Verteilung von kostenlosem Getreide zuständig; der praefectus praetorio hatte Kommandogewalt über alle in Italien stationierten Truppen, übte in Friedenszeiten jedoch vor allem zivile und administrative Aufgaben aus, u.a. hatte er die Appellationsrechtsprechung extra ordinem inne; der praefectus urbi war für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in der Stadt verantwortlich und als solcher der Polizeipräsident der Stadt und ihrer Umgebung, mit einer Truppe von ca. 2000 Mann; der praefectus vehiculorum hatte sich um die Staatspost, die staatlichen Straßen und die Bereitstellung von Wagen und Tieren durch die Gemeinden zu kümmern; der praefectus vigilium war für die Brandbekämpfung und für polizeiliche Maßnahmen in der Stadt verantwortlich, auch für die juristische Verfolgung von Brandstiftern, Dieben und Verkäufern gestohlener Waren. Die von Augustus ernannten curatores, die aus Angehörigen des Senats bestanden, kontrollierten öffentliche und administrative Aufgaben. Die curatores viarum waren für das Straßenwesen verantwortlich, die curatores aquarum für die städtische Wasserversorgung (für die unter Claudius 460 Sklaven arbeiteten), die curatores locorum publicorum iudicandorum für staatliche Ländereien und die Aufrechterhaltung von Tempeln und öffentlichen Gebäuden, die curatores alvei Tiberis für die Sauberhaltung des Tiberufers, die curatores annonae für die Getreideversorgung, die curatores kalendarii für die Zinszahlungen der Städte. Augustus teilte die Stadt Rom in 14 regiones und 265 vici ein. Jeder vicus (Distrikt, Stadtviertel) wurde von vier vici magistri („Viertelsvorsteher“, Amtsantritt am 1. August) geleitet, rekrutiert aus Freigelassenen und Freien und assistiert von aus den Reihen der Sklaven des Viertels rekrutierten ministri. Sie waren verantwortlich für den Kult der Lares Compitales und des Genius Augusti (samt Tempeln und Spielen) sowie für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Diese Amtsträger auf der untersten Ebene der städtischen Verwaltung durften während der Spiele an den Compitalia die purpurgesäumte Toga (das Amtsgewand der höchsten römischen Magistrate) tragen und sich von zwei Liktoren begleiten lassen. In römischen Kolonien wie Korinth, in denen es keine Prätoren gab, wurden Zivilprozesse von den beiden duoviri iure dicundo entschieden, die die oberste Leitung der Stadt innehatten, assistiert von zwei Ädilen, 55 verantwortlich für die städtische „Innenpolitik“ und damit für polizeiliche Maßnahmen wie Verhaftungen und Strafen, sowie für Maße und Gewichte in den Märkten, für Spiele, Bäder Straßen; zwei Quästoren waren für die finanziellen Angelegenheiten der Stadt verantwortlich.
Die ε� ξουσι'αι sind nicht nur der Kaiser und die Prätoren, die imperium hatten, sondern alle staatlichen Machthaber, einschließlich der unteren Ränge, d.h. auch die vici magistri.56 ———————————-————————
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Vielleicht die in Apg 16,19 erwähnten α» ρχοντες, die den Fall an die duoviri weiterleiten, die στρατηγοι' von Apg 16,20. Vgl. Bammel, Romans 13, 294 Anm. 56 („even the lower ranks of the officials“), der allerdings die vici magistri nicht erwähnt.
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 679 ————————————————————————————————————
Paulus begründet (γα' ρ) die als Grundsatz formulierte Forderung V. 1a mit einem Satz, der den Ausgangspunkt der ersten Argumentation (V. 1b-2) bildet: Es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott (V. 1b). Paulus betont, dass jede „staatliche Gewalt“ (ε� ξουσι'α [exousia]), d.h. die konkrete Manifestation staatlicher Macht, „von Gott“ (υ� πο` θεουñ [hypo theou]) kommt, d.h. Gottes Willen entspricht. Der nächste Satz formuliert eine theologische These: die bestehenden (staatlichen Gewalten) wurden von Gott eingesetzt (V. 1c). Die konkreten staatlichen Institutionen,57 denen die stadtrömischen Christen begegnen, wurden „von Gott“ (υ� πο` θεουñ [hypo theou]) eingesetzt (τεταγμε' ναι [tetagmenai]). Die Grundbedeutung des Verbs τα' σσω ist „einordnen“ bzw. „an einen festen oder geeigneten Platz stellen“; hier wird es für die Bestellung von Beamten verwendet: „jemanden in eine Dienststelle einordnen, für eine Dienstleistung bestimmen, in ein Amt einsetzen“.58 Paulus unterstreicht, dass alle tatsächlich vorhandenen staatlichen Gewalten von Gott eingesetzt sind. Wir sahen oben (Abschnitt II), dass die Vorstellung der göttlichen Einsetzung staatlicher Gewalt sowohl alttestamentlich-jüdischer Tradition wie griechisch-römischer Tradition entspricht. 2 Aus der Tatsache, dass es keine staatliche Gewalt gibt, die Gott nicht eingesetzt hat (V. 1b), und aus der allgemein anerkannten Tatsache, dass die bestehenden staatlichen Gewalten von Gott eingesetzt wurden (V. 1c), ergeben sich positive und negative Folgerungen (ω « στε). Paulus formuliert zunächst die positive Folgerung: Wer sich gegen die staatlichen Machthaber auflehnt, widersetzt sich der Anordnung Gottes (V. 2a). Das Verb α� ντιτα' σσω [antitassō] bedeutet „sich entgegenstellen, sich auflehnen“.59 Wer sich gegen die staatliche Gewalt (τηñ, ε� ξουσι'α, ) auflehnt, der „widersetzt“ (α� νθε' στηκεν [anthestēken])60 sich Gott. Die beiden Verben sind hier als ———————————-————————
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αι� ουò σαι ist Ellipse für αι� ουò σαι ε� ξουσι' αι. In V. 1a verweist der Pl. ε� ξουσι' αι auf die staatlichen Machthaber, die Anordnungen erlassen, denen die Bewohner Roms und der Städte des Reiches Folge zu leisten haben; in V. 1b verweist der Sing. ε� ξουσι' α nicht auf einen bestimmten Machthaber (z.B. den Kaiser), sondern auf die staatliche Gewalt bzw. die einzelne staatliche Institution; in V. 1c verweist der Pl. ε� ξουσι' αι wieder auf die staatlichen Machthaber oder Autoritätsstrukturen, die Gott eingerichtet hat (BDAG s.v. τα' σσω 1a zu V. 1c: „the (structures of authority) presently existing are put in place by God“. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 519; vgl. Preisigke s.v. τα' σσω 1-2; Bauer/Aland s.v. τα' σσω 1a: „in ein Amt einsetzen, anstellen“. Bauer/Aland s.v. α� ντιτα' σσω; die Sache od. Person, der man sich widersetzt, steht im Dativ. Vgl. Botha, Authority, 46-47. Im NT nur in Apg 18,6; Röm 13,2; Jak 4,6; 5,6; 1Petr 5,5. In der LXX in 1Kön 11,34; Est 3,4; 4,17c; Spr 3,15.34; Hos 1,6. In den Papyri kommt das Verb in militärischen und in juristischen Kontexten vor (MM s.v.). Bauer/Aland s.v. α� νθι' στημι, hier mit med. Bedeutung: „sich entgegenstellen, entgegentreten, sich widersetzen“. Im NT in Mt 5,39; Lk 21,15; Apg 6,10; 13,8; Röm 9,19; 13,2; Gal
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Synonyme zu verstehen; das Verb α� ντιτα' σσω stellt einen Kontrast zu V. 1a υ� ποτα' σσω her und markiert die Unterordnung unter die staatlichen Machthaber und die Auflehnung gegen die staatliche Gewalt als einander entgegengesetzte Verhaltensweisen. Das Substantiv διαταγη' [diatagē] bedeutet „Anordnung“ oder „Verfügung“. Das Wort διαταγη' [diatagē]61 bezeichnet die Anweisung, Anordnung oder Verfügung von weisungsbefugten Personen, sowohl im privatrechtlichen wie im staatlichen Bereich. In den Papyri wird διαταγη' für Zahlungsanweisungen (P.Oxy. I 92,3; 93,2; XLI 2985,13; P.Oslo 146,6) und Anweisungen im Blick auf Ernten (P.Fay. 133,4) verwendet, in Inschriften für Anordnungen in testamentarischen Verfügungen (IGRRP IV 661,17; 734,12) und für Edikte von Kaisern (I.Eph. VII/2 3506-3512). Das Verb διατα' σσω wird in Lk 17,9 für die Anordnungen eines Herrn gegenüber seinem Sklaven verwendet; in Apg 18,2 für das Edikt, das Kaiser Claudius bezgl. der Ausweisung der Juden aus Rom im Jahr 49 n.Chr. erlassen hatte (s. Band I, S. 24-25); in Apg 23,31 für die amtliche Anweisung des römischen Militärtribuns Claudius Lysias an die Soldaten, die Paulus von Jerusalem nach Cäsarea überführten; in Apg 24,23 für die Anordnungen des römischen Gouverneurs M. Antonius Felix an den Centurio im Blick auf die Haftbedingungen von Paulus. Die Wendung τα` διατεταγμε' να bezeichnet in den Papyri die „Bestimmungen“ (P.Oxy. IV 718,25): „Das Verordnete gibt die Norm rechten Handelns an“.62 Das Wort διαταγη' ist hier „kein staats- oder verwaltungstechnischer terminus technicus für eine römische Institution oder öffentliche Verfahrensweise“,63 sondern ein staatsrechtlich neutraler Begriff, der beim Leser nicht „den Gedanken an jene hierarchische Ämterpyramide aufkommen ließe, an deren Spitze Gott, in deren Zentrum die staatlichen Behörden und an deren Basis die Bürger oder Christen zu setzen wären“, wobei gleichzeitig festzuhalten ist, dass „nach paulinischer Überzeugung die Existenz übergeordneter Behörden und Amtsträger dem Willen Gottes (entspricht) und die Unterordnung unter diese Institutionen geboten (ist)“.64
Paulus spricht von der Anordnung Gottes, der die Existenz staatlicher Gewalt (ε� ξουσι' α) verfügt hat (τεταγμε' ναι), mit der Konsequenz, dass auch Gläubige sich den staatlichen Machthabern (ε� ξουσι' αι υ� περεχου' σαι) und deren Anweisungen unterordnen sollen (V. 1). Wer sich gegen die staatliche Gewalt oder gegen die Amtsinhaber staatlicher Gewalt auflehnt, der lehnt sich gegen die Anordnung Gottes und damit gegen Gott selbst auf.65 ————————————————————
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2,11; Eph 6,13; 2Tim 3,8; 4,15; Jak 4,7; 1Petr 5,9. LSJ s.v. verweist auf die häufige Verwendung des Verbs in militärischen Zusammenhängen. Vgl. G. Delling, Art. διαταγη' , ThWNT VIII, 36-37; L. Oberlinner, EWNT I 754-756; Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher, Situation, 136-139; für Inschriften und Papyi s. LSJ s.v. διαταγη' ; MM s.v. διαταγη' ; Deissmann, Licht vom Osten, 70-71; Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 76.129. Oberlinner, EWNT I 754. In Esr 4,11 LXX bezeichnet διαταγη' die briefliche „Empfehlung“ (LXX.D) der Bewohner Samarias an König Arthasastha, mit der sie den Tempelbau in Jerusalem verhindern wollen. So die These von Strobel, Verständnis, 86; Strobel, Furcht; Unnik, Lob. Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher, Situation, 139 (missverstanden von Lohse 355 Anm. 17); vgl. Krauter, Studien, 191-192.
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 681 ————————————————————————————————————
Die negative Folgerung aus V.1b-c lautet: und die sich widersetzen, werden sich selbst die Strafe zuziehen (V. 2b).66 Das subst. Partizip „die sich widersetzen“ (οι� α� νθεστηκο' τες [hoi anthestēkotes]) ist kein technischer Ausdruck für „Aufständische“,67 sondern beschreibt allgemein Menschen, die sich staatlicher Gewalt widersetzen, d.h. die sich weigern, den Amtsinhabern staatlicher Gewalt Folge zu leisten. Das Perfekt des Partizips wird überinterpretiert, wenn man es auf dauerhaften Widerstand im Sinn von Anarchie oder einer gegen die aktuell etablierten staatlichen Autoritäten gerichteten politischen Einstellung verstehen will (manchmal verbunden mit der Auskunft, es sei eher an Anarchie, nicht an Protest in Einzelfällen gedacht).68 Paulus spricht von (illegitimem) Widerstand gegen staatliche Gewalt, ohne die Zuständigkeit staatlicher Behörden und ihrer Amtsträger zu qualifizieren und ohne zu erwägen, unter welchen Umständen Widerstand legitim sein könnte. Das Wort κρι'μα ([krima]; s. zu 2,2) bedeutet „Gericht“, hier im negativen Sinn von „Verurteilung, Strafe“. Im unmittelbaren Zusammenhang interpretiert, spricht Paulus von der Strafe, mit der staatliche Amtsträger die Zuwiderhandlung gegen ihre Anordnungen ahnden.69 Wer sich gegen staatliche Anordnungen auflehnt, hat sich die polizeilichen oder gerichtlichen Strafmaßnahmen selbst zuzuschreiben. Im Zusammenhang der Verwendung von κρι'μα in 2,2.3; 3,8; 5,16 steht im Hintergrund das Endgericht, in dem Gott die Auflehnung gegen seinen Willen bestrafen wird.70 ————————————————————
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Bill. III, 304 verweist auf den Satz von R. Judan (ca. 350 n.Chr.): „Wer sich frech gegen den König benimmt, ist wie einer, der sich frech gegen die Schekhina (Gott) benimmt“. Die Partikel δε' ist kopulativ und führt die Aussage V. 2a fort; es kann auch unübersetzt gelassen werden; HvS §252,12b. So Bammel, Romans 13, 291, der von zelotischen Neigungen in der christlichen Gemeinde in Rom spricht, die Paulus zurückdrängen will; vgl. Delling, Römer 13,1–7, 18 (nicht jedoch Moo 799, den Krauter, Studien, 220 falsch verstanden hat). Krauter ebd. betont zu Recht, dass auch bei Josephus, Ant 18,100 kein geprägter Ausdruck vorliegt. Dunn II 762; vgl. Moo 799 Anm. 39: „persistent refusal to recognize government’s role in the divine hierarchy (and not just an occasional failure)“ (der dies allerdings nicht von den Verbform, sondern vom Kontext ablesen will). Kritisch zu Recht Porter, Romans 13.1–7, 128; Krauter, Studien, 220-221. Aus dem Perfekt kann man nicht automatisch auf ein vergangenes Geschehen schließen, das den gegenwärtigen Zustand zur Folge hatte (Jewett 791: Ereignisse in der römischen Geschichte, wo dies der Fall war; Haacker 318 interpretiert vor dem Hintergrund der Aufstandsbewegung in Judäa, deren Scheitern Paulus „wahrscheinlich voraussah“): Beim präsentischen Perfekt ist das vergangene Geschehen „so gut wie ausgeblendet“ (HvS §200b; dies ist u.a. bei «ισταμαι der Fall). D.h. λη' μψονται ist logisches Futur, das Reflexivpronomen ε� αυτοιñς dat. incommodi. Zur Formulierung ε� αυτοιñς κρι' μα λη' μψονται s. 1Kor 11,29 sowie Mk 12,40; Lk 20,47; Jak 3,1. Strafe durch staatliche Gewalt: Zahn 557; Sanday/Headlam 367; Schreiner 683; Wolter, Paulus, 314. Die meisten sehen sowohl staatliche als auch göttliche Strafe angesprochen, vgl. Käsemann 345; Cranfield II 664; Fitzmyer 667; Jewett 792; Kruse 495; Krauter, Stu-
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3 Der Ausgangspunkt der zweiten Argumentation, die V. 1a begründet
(γα' ρ), formuliert wieder eine normative These: Die Regierenden sind kein Schrecken für den, der das Gute tut, sondern für den, der das Böse tut (V. 3a). Das mit „Herrscher“ (οι� α» ρχοντες [hoi archontes])71 übersetzte Wort bezeichnet die „Beamten“,72 in römischer Zeit konkret die „städtische(n) Beamte(n) erster Ordnung in den Metropolen“.73 Das Wort α» ρχοντες kommt im NT 37 Mal mit der Bedeutung „Herrscher, Vorsteher, Beamter“ vor: In Lk 12,11 parallel zu ε� ξουσι' αι für „die Herrscher (τα` ς α� ρχα' ς) und Machthaber (τα` ς ε� ξουσι' ας)“; in Apg 14,5 für die führenden Beamten von Ikonium, in Apg 16,1 für die führenden Beamten in Philippi, in 1Kor 2,6.8 für die irdischen Machthaber, die Jesus gekreuzigt haben, d.h. die Mitglieder des Sanhedrin und Pilatus.74 Das Wort bezeichnet die Vorsteher der Synagogen (Mt 9,18.23; Lk 8,41; 12,58; 18,18; vgl. P.Lond. III 1177 Recto Kol. III 57); die Mitglieder des Sanhedrin in Jerusalem (Joh 7,26.48; 12,42; Apg 3,17; 4,5.8; 13,27); die nicht-priesterlichen Aristokraten im Sanhedrin (Lk 23,13.35; 24,20; Joh 3,1); nach Offb 1,5 ist der auferstandene Messias Jesus der „Herrscher über die Könige der Erde“. Die Bedeutung „überweltliche Mächte“ (meist im Sing.), die in Mt 12,24; 9,34; Mk 3,22; Lk 11,15; Eph 2,2 vorliegt, spielt in Röm 13,3 keine Rolle.
Die Beamten Roms sind „kein Schrecken“ (ου� κ ει� σι` ν φο' βος [ouk eisin phobos]) für Menschen, die Gutes tun. Furcht vor Strafe75 müssen nur die Menschen haben, die Böses tun. Die Wendungen το` α� γαθο` ν (ε» ργον) [to agathon (ergon)] („die gute Tat“) und το` κακο` ν (ε» ργον) (to kakon [ergon], „die böse Tat“) stehen metonymisch für den Menschen, der Gutes bzw. Böses tut. Paulus geht wie in 2,7.10 (vgl. 12,9.21) von Normen von Gut und Böse aus, die in der Gesellschaft akzeptiert und von der staatlichen Gewalt durchgesetzt werden. Dabei geht es beim Tun des Guten nicht nur um die Erfüllung der bürgerlichen Pflicht,76 sondern um den aktiven, mit Zeit und ————————————————————
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dien, 223-225, mit einer Betonung der göttlichen Strafe (Dunn II 762) oder der staatlichen Strafe (Lohse 355). Ausschließlich im Sinn von Gottes endzeitlichem Gericht (eschatologisches Futur) interpretieren Michel 400-401; Wilckens III 33-34; Moo 799; Merklein, Sinn, 412; Stein, Argument, 331-332; Eckstein, Syneidesis, 283. Vgl. G. Delling, α» ρχω κτλ., ThWNT I, 476-488, bes. 486-488; O. Merk, Art. α» ρχων, EWNT I, 401-404; D. Müller / L. Coenen / H. Bietenhard, ThBLNT I, 17-21; Krauter, Studien, 176; zu den Papyri F. Winter, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 123. P.Hal. 1,207-209; P.Petr. II 4,4-5; BL 2.2,107; UPZ I 9,8; Oertel, Liturgie, 5.7.58-61. Preisigke s.v. α� ρχη' ; vgl. P.Lond. VI 1912,64; P.Mich. XII 656,4. Strobel, Verständnis, 75-78 versteht α» ρχοντες im Sinn von imperia als die höhere obrigkeitliche Regierungsgewalt, die Sonderbefugnisse hat, während ε� ξουσι' αι im Sinn von potestates die niederen gewöhnlichen Verwaltungsbeamten bezeichnet. 1Kor 2,6.8 ist umstritten; s. Schnabel, 1. Korinther, 166. H. Balz, φοβε' ω κτλ., ThWNT IX 211: φο' βος bezeichnet hier „Furcht vor Strafe“; zum allg. Sprachgebrauch vgl. ders., ThWNT IX, 187 (2b: φο' βος als inneres Objekt zu φοβε' ομαι; Bauer/Aland s.v. φο' βος 1, „das Erregen von Furcht, d[ie] Einschüchterung“. Lohse 355, im Anschluss an Unnik, Lob.
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Geld verbundenen Einsatz für die Stadt. Der Hinweis auf die Rolle und Verantwortung der staatlichen Machthaber, Gut und Böse zu unterscheiden und das Gute zu fördern, nicht zuletzt durch das Strafen von bösen Taten, impliziert politische Erwartungen, allerdings nur indirekt.77 Die positive Nutzanwendung der Tatsache, dass Menschen, die Gutes tun, die Staatsgewalt nicht zu fürchten brauchen, wird in V. 3b mit einer Frage formuliert, die sogleich beantwortet wird: Willst du die staatlichen Machthaber nicht zu fürchten brauchen? Dann tu das Gute. Auch für den Jesusbekenner gilt: Wenn er Gutes tut (το` α� γαθο` ν ποι'ει [to agathon poiei]), dann muss er die Macht der Behörden (ε� ξουσι'α), d.h. die Regierenden (α» ρχοντες, V. 3a), nicht fürchten (μη` φοβειñσθαι [mē phobeisthai]). Aus der Tatsache, dass niemand vor den Behörden Angst haben bzw. von diesen bestraft werden will (z.B. durch öffentliche Auspeitschung), ergibt sich die somit selbstverständliche Forderung, das Gute zu tun. Die Folgerung, die sich aus dem Tun des Guten ergibt, wird im Blick auf die Reaktion der staatlichen Behörden formuliert: du wirst Lob von ihr erhalten (V. 3c). Die Wendung „Lob erhalten“ (ε» χειν ε» παινον [echein epainon]) meint die öffentliche Ehrung verdienter Bürger.78 Die vielen Ehreninschriften, in denen der Rat bzw. der Demos einer Stadt einen Mitbürger für seine Verdienste ehrt, sind ein beredtes Zeugnis für die öffentliche Anerkennung von Menschen, die in herausragender Weise Gutes tun.79 Dio Chrystostomos beschreibt am Ende des 1. Jh.s in seiner Rede über das „Gesetz“ (νο' μος), dass ein Wohltäter (ευ� εργε' της) einen Kranz (Krone), eine öffentliche Proklamation und einen Ehrensitz (im Theater) erhält, die ihm „alles wert“ sind (στεφα' νους και` κηρυ' γματα και` προεδρι' ας … παντο` ς α» ξια καθε' στηκεν); die „drei Worte“ (τα` τρι' α ρ� η' ματα), mit denen der Wohltäter öffentlich anerkannt wird, waren „er ist ein guter Mann“ (α� νη` ρ α� γαθο' ς ε� στι), was „für viele wertvoller ist als das Leben selbst“ (πολλοιñς α� ποφη' νας τουñ ζηñ ν τιμιω' τερα; Or 75,7.8).80 Die vom Rat der Stadt beschlossene und in Stein gravierte Ehrung war häufig an ———————————-————————
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Krauter, Gewalt, 394.401; vgl. Krauter, Studien, 195-201. Strobel, Verständnis, 79-84; Unnik, Lob; Winter, Honouring; Winter, Welfare, 33-40; Krauter, Studien, 202; O. Hofius, Art. ε» παινος, EWNT II, 42; Michel 401 Anm. 23; Jewett 793; Haacker 318-319; vgl. Wilckens III 34 („offizielle Belobigung in Gestalt von Kaiserbriefen“, im Anschluss an Strobel, ebd. 81, was einschränkt). Vgl. 1Petr 2,14. Paulus ist gegenüber menschlichem Lob, auch von Mitchristen, skeptisch (1Kor 4,5) und er weiß, dass wirklich wünschenswertes Lob allein von Gott kommt (vgl. Ps 22[21],25; vgl. Weish 15,19; Philo, LegGai 3,77; Abr 190). In Röm 13,3-4 geht es nicht um persönliches Prestige, sondern um das Verhalten gegenüber herrschenden Amtsträgern. Vgl. S. Brauer, Art. Ehreninschriften, DNP III, 902; Meyer, Einführung, 66-69. Die Epigraphische Datenbank Heidelberg enthält über 3800 Ehreninschriften (Nov. 2015). Winter, Welfare, 31; vgl. Crosby, Discourses 61–80, 247 Anm. 2; I.Eph. 1412; vgl. Demosthenes, De corona 84.114-116.118.120.113 für vier Resolutionen, mit denen er mit Kranz/Krone, Lob und einer Proklamation seiner Benefaktion geehrt wird.
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Wenn die in V. 4 mit dem Wort „Schwert“ angezeigten Strafen für das Tun des Bösen konkret zu verstehen sind, dann muss auch das Lob, das der erhält, der Gutes tut, konkret verstanden werden. Paulus erwartet von allen Jesusbekennern, dass sie Gutes tun und deshalb vor den staatlichen Gewalten keine Angst haben müssen. Alle konnten sich Herrschenden gegenüber so verhalten, dass sie gelobt werden: Sklaven bei ihrer Arbeit für ihren Besitzer oder im Rahmen ihrer Tätigkeit in Vereinen, in denen sie als Mitglieder auch für bescheidene Leistungen geehrt werden konnten;82 Freigelassene in ihrem Verhalten als Klienten gegenüber ihren Patronen und im Blick auf ihren Beitrag zum Wohl des Stadtviertels – sie können mit dem öffentlichen Lob der vici magistri, ihres Besitzers oder ihres Arbeitgebers rechnen. Wohlhabende Christen, die weiterhin als Benefaktoren die ihnen zu Verfügung stehenden Mittel für die Stadt einsetzen, können damit rechnen, dass sie durch eine Proklamation oder vielleicht sogar durch eine Inschrift geehrt werden. 4 Der mit γα' ρ („denn“) angeschlossene Satz sie ist Gottes Dienerin für dich zum Guten (V. 4a) begründet die Mahnung, sich der von Gott eingesetzten staatlichen Gewalt unterzuordnen (V. 1-2) und Gutes zu tun (V. 3), mit einer theologischen Reflexion über die Funktion staatlicher Gewalt. Die Formulierung „Gottes Dienerin“ (θεουñ δια' κονος [theou diakonos]; wiederholt in V. 4d) stellt „Gott“ betont voran. Der gen. auctoris unterstreicht den ———————————-————————
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Herrmann/Günther/Ehrhardt, Inschriften von Milet III, 82-83 (No. 1131; Tafel 15). Krauter, Studien, 203.
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bereits im Wort δια' κονος83 implizierten Aspekt der Beauftragung: Die staatliche Gewalt, konkret die Amtsträger, sind von Gott beauftragt, das Gute zu fördern und das Böse zu bestrafen.84 Gleichzeitig markiert der Kontext die mit dieser Beauftragung verbundene Autorität, „im Namen des Auftraggebers Verordnungen erlassen und durchsetzen zu können“.85 Das Personalpronomen σοι' [soi] unterstreicht die Bedeutung des Staates für den einzelnen Jesusbekenner.86 Die Wendung „zum Guten“ (ει� ς το` α� γαθο' ν) beschreibt im Anschluss an V. 3 die Funktion staatlicher Gewalt als die Förderung des Guten; man kann auch übersetzen „dass du das Gute tust“.87 Das „Gute“ ist im Kontext des Lobes von V. 3c nicht nur der Schutz und die Sicherung des Lebens und Eigentums,88 sondern auch das Engagement zum Wohl der Mitbürger und der Stadt, das je nach gesellschaftlicher Stellung, Beruf und Vermögen unterschiedlich ausfallen wird. Die Angabe „für dich zum Guten“ ist im Rahmen der Strategie zu verstehen, „die positive Seite als wünschenswerte Handlungsalternative darzustellen“; das „Du kommt auf der Seite des Guten zu stehen, während es sich in V. 4d von dem in der 3. Pers. genannten Übeltäter distanzieren kann, ja geradezu muss“.89 Die von Gott bestimmte Funktion der staatlichen Gewalt wird in V. 4b im Hinblick auf ihre negative Nutzanwendung beschrieben: wenn du aber das Böse tust, fürchte dich! Weil die von Gott eingesetzte Staatsgewalt das Tun des Guten fördern und vom Tun des Bösen abschrecken soll (V. 3), haben die Menschen, die die bürgerlichen Pflichten verletzen, indem sie das Böse tun (το` κακο` ν ποιηñ, ς [to kakon poiēs]), allen Grund, sich zu fürchten (φοβουñ [phobou]).90 Der Nutzen der Unterordnung unter die von Gott ein———————————-————————
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δια' κονος wird hier im Bezug auf ε� ξουσι' α in V. 3 als feminines Substantiv verstanden. Winter, Divine Honours, 19 interpretiert δια' κονος im Blick auf den Kaiser, was die Bedeutung zu sehr einschränkt. Hentschel, Diakonia, 159, die betont, dass das δια' κονος in V. 4 nicht von einer spezifisch christlichen Verwendung her zu interpretieren sei; Paulus betone in V. 4 „keineswegs eine Art von Dienstcharakter oder gar Unterwürfigkeit gegenüber Gott, sondern die im Auftrag Gottes ausgeübte und mit Autorität und Ansehen verbundene Funktion der Vermittlung von Lob und Strafe“ (ebd. 159-160, Hervorhebung Hentschel). σοι' ist als kollektiver/genereller Singular (HvS S. 182 1a) zu verstehen. Anders Winter, Welfare, 37, der nur wohlhabende Einzelperson angesprochen sieht. Wilckens III 35 mit Anm. 166: «ινα το` α� γατο` ν ποιηñ, ς; vgl. NSS II 43. Eck, Urgemeinde, 41; Michel 401; Käsemann 345: „das irdische Wohl, faktisch kaum mehr als Schutz vor Übergriffen“. Krauter, Studien, 166; vgl. Arzt, Macht, 169, der betont, Röm 13,1-7 verstärke die Mahnung in 12,17-21, Gutes zu tun, selbst wenn man Böses erfährt, und auf Vergeltung zu verzichten, weil die Ahndung von bösen Handlungen der von Gott eingesetzten staatlichen Macht zu überlassen sei (ebd. 173-174). Der mit einem Konj. Präs. formulierte Bedingungssatz ist speziell-prospektiv (HvS §282c): Paulus geht nicht davon aus, dass Jesusbekenner generell Böses tun.
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gesetzte staatliche Gewalt ist die Furcht, von den Gerichten, der Polizei oder den vici magistri bestraft zu werden. Die Furcht vor den Folgen, die das Tun des Bösen nach sich zieht, hält davon ab, das Böse zu tun. Die mit γα' ρ begründende Folgerung in V. 4c unterstreicht die positive Wirkung der Strafgewalt des Staates: sie trägt das Schwert nicht ohne Grund. Subjekt des Satzes ist die staatliche Gewalt (ε� ξουσι'α) als Dienerin (δια' κονος) Gottes. Das Wort „Schwert“ (μα' χαιρα [machaira])91 verweist nicht primär auf die Kapitalgerichtsbarkeit der staatlichen Stellen, die Todesurteile aussprechen und vollziehen können (ius gladii),92 sondern auf die Rechtshoheit des Staates, d.h. auf die Straf- und Polizeigewalt, die die staatliche Gewalt über alle ausübt, die die geltende Ordnung verletzen.93 Das Verb φορε' ω [phoreō] bedeutet „dauernd tragen, gewohnheitsmäßig tragen“.94 Das negierte Adverb ει� κηñ, [eikē] bedeutet (final) „ohne Grund“ im Sinn von „ohne Zweck“.95 Die Strafgewalt des Staates verfolgt die Absicht, das Tun des Bösen zu verhindern, indem sich die Einwohner vor den Folgen illegaler Handlungen fürchten. Die Strafmaßnahmen der staatlichen Gewalt (coertitio)96 reichen von Geldbußen (multae), Verhaftung und Einsperrung (prensio, vincula), Pfändung von Besitz (pignoris capio), körperlicher Züchtigung (verbera; öffentliche Auspeitschung), Verbannung (relegatio) bis zur Todesstrafe (coercitio plenissima, coercitio capitalis; Enthauptung, Kampf mit Tieren in der Arena, Kreuzigung). Die Aussage in V. 4c gilt pauschal: Straftäter werden selbstverständlich bestraft. Nach V. 4a folgt, wieder mit begründendem γα' ρ angeschlossen, eine zweite theologische Reflexion über die Funktion der staatlichen Gewalt: sie ist Gottes Dienerin zur Vollstreckung des Zorngerichts an dem, der ———————————-————————
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W. Michaelis, Art. μα' χαιρα, ThWNT IV, 530-533; E. Plümacher, EWNT II, 978-980. So Lagrange 313; Barrett 247; Michel 401-402. Nach Apg 12,2 wurde Jakobus durch das Schwert hingerichtet. Vgl. Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher, Situation, 140-144, mit Hinweis auf die in Papyri begegnenden μαχαιροφο' ροι, Polizisten, die Behörden bei Amtshandlungen wie z.B. Steuereintreibungen begleiten. Vgl. CPI II 152; P.Tebt. II 391,20; P.Mich. X 577,7-8; PSI X 1100,9; P.Amh. II 38,3; P.Oxy. II 294,20; vgl. Philo, SpecLeg 92-95. Vgl. Wilckens III 35; Jewett 795; Lohse 356; Strobel, Verständnis, 88; Krauter, Studien, 205. Im Zusammenhang mit der Gefangennahme Jesu ist vom Schwert die Rede: Mt 26,47.55; Mk 14,43.48; Lk 22,52; Joh 18,10-11. Bauer/Aland s.v. φορε' ω 1. Balz, EWNT III, 1044: „(fortwährend) tragen, an sich tragen“; LSJ φορε' ω 1a: frequentatives Verb von φε' ρω, „implying repeated or habitual action“. Anders Walker, Studie, 41; Krauter, Studien, 165 Anm. 24, die eine reale Bedeutung („ungenutzt“, „nicht ohne Gebrauch“) annehmen: „Die Gewalt wird ihr Schwert nicht ungenutzt lassen, und deshalb muss man sich fürchten, wenn man Böses tut“ (ebd.). C. Gizewski, Art. Coercitio, DNP III, 58-59; G. Schiemann, Art. Strafe, Strafrecht, DNP XI, 1025-1029; Mommsen, Strafrecht, 35ff.152ff.260ff.
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Böses tut (V. 4d). Die staatliche Gewalt (ε� ξουσι'α), Gottes Dienerin (θεουñ δια' κονος; vgl. V. 4a), ist ε» κδικος ει� ς ο� ργη' ν [ekdikos eis orgēn], d.h. „Vollstreckerin“ (vindex) des göttlichen Zorngerichts.97 Die staatlichen Organe, die Polizei- und Strafgewalt haben, vollstrecken den Zorn Gottes an dem, der Böses tut (τω ñ, το` κακο` ν πρα' σσοντι [tō to kakon prassonti]; lat. malefacere).98 Menschen, die illegale Taten begehen, sind Straftäter, die für ihre Tat bestraft werden. In der vom Staat verhängten Strafe wird die richterliche Hoheit Gottes wirksam. Die Anweisung in 12,19, Böses nicht mit Bösem zu vergelten, bedeutet nicht, dass das Gute schutzlos ist: „Die staatliche Gewalt als ‚Gottes Dienerin‘ hat den Auftrag, das Gute zu schützen, und dazu gehört es, daß sie das Böse bereits jetzt ahndet“.99 Paulus weiß aus eigener Erfahrung, dass die staatliche Gewalt manchmal gegen Christen eingesetzt wird, manipuliert von lokalen Gegnern der Missionare und der örtlichen Gemeinde. Nach Apg 16,19-23 wurde Paulus, zusammen mit Silas, vor die α» ρχοντες der römischen Kolonie Philippi geschleppt, von den στρατηγοι', den obersten Beamten (duoviri iure dicundo) öffentlich ausgepeitscht und verschärfter Sicherheitsverwahrung im Gefängnis überführt.100 In Röm 8,35 spricht er metonymisch vom Schwert im Sinn des gewaltsamen Todes, den verfolgte Jesusbekenner erleiden könnten. Die Tatsache, dass Paulus in V. 4 auf diese Konflikte nicht eingeht, ist nicht mit dem Umstand zu erklären, dass es zur Zeit der Abfassung des Römerbriefs im Winter 56/57 n.Chr. noch keine vom römischen Staat bzw. vom Kaiser ———————————-————————
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G. Schrenk, ε» κδικος, ThWNT I, 443; E. Synofzik, ThBLNT I, 741; Michel 402; Wilckens III 35; Dunn II 764-765; Moo 802; Jewett 795. Die Übersetzung „Rächerin“ (Elb.Ü) ist zu vermeiden, weil emotionale bzw. persönliche Rachegedanken in Röm 13,4 keine Rolle spielen. Strobel, Verständnis, 89-90, versteht ε» κδικος als defensor, der zwischen dem Statthalter und der jeweiligen politischen Gemeinde vermittelt (I.Magn. 93,15; P.Oxy. II 261,14; Cicero, Fam 13,56); im Anschluss an Strobel interpretieren manche den Staat mit seiner Strafgewalt als stellvertretenden Anwalt für den Zorn Gottes; H. Goldstein, EWNT II, 992; Lohse 356. Angesichts von Röm 12,19; 2Kor 7,11; 10,6; 1Thess 4,6; 2Thess 1,8 ist dies weniger plausibel. Carter, Irony, 221-222 meint, die Aussage in V. 4c sei im Blick auf die Zustände unter Nero ironisch gemeint: Paulus wolle die neronische clementia entlarven; V. 4 sei neben V. 13 ein Hinweis auf die nächtlichen Exzesse Neros, bei denen er wie ein Räuber Menschen überfalle. Kritisch Krauter, Studien, 205-207. Wilckens III 35; die Fortsetzung „freilich nicht aus eigenem Recht, sondern im Blick auf das zukünftige Zorngericht Gottes“ ist eine theologische Aussage, die zwar den Jesusbekennern, nicht jedoch den staatlichen Machthabern bekannt ist. Zu Einzelheiten vgl. Mason, Institutions, 87.161; Pilhofer, Philippi I, 195-197; Omerzu, Prozeß, 142-143; Schnabel, Acts, 685; zu den duoviri vgl. C. Gizewski, Art. Duoviri, Duumviri, DNP III, 843-845. Die Auskunft von Wilckens III 35, nirgendwo werde gesagt, dass die Leiden, die Paulus als Missionar erfuhr, Übergriffe römischer Verwaltungen waren, ist zu revidieren.
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geplanten Christenverfolgungen gab – diese wurden von Nero nach dem Brand Roms im Juli des Jahres 64 n.Chr. in Gang gesetzt. Paulus schreibt in 13,1-7 grundsätzlich und pauschal über das Verhältnis der Jesusbekenner zur staatlichen Gewalt und ihren Machthabern, im Anschluss an die atl.jüdische Tradition, nach der die Glieder des Volkes Gottes der von Gott eingesetzten staatlichen Gewalt gegenüber loyal sind und auch unter Fremdherrschaft das Wohl der Stadt suchen (Jer 29,7).101 5 Paulus formuliert das Fazit der beiden Argumente V. 1b-2/3-4, indem er die grundsätzliche Forderung von V. 1a komprimiert wiederholt: Deshalb muss man sich unterordnen (V. 5a). Die Unterordnung102 unter die staatliche Gewalt ist eine „Notwendigkeit“ (α� να' γκη [anangkē]).103 Das Wort α� να' γκη bezeichnet eine „absolute Unumgänglichkeit“.104 Eine zweisprachige, in der Region von Sagalassos in Pisidien gefundene Inschrift von 18–19 n.Chr.105 verwendet die Formulierung α� να' γκην ε» χω als Übersetzung von id quod praescripsi; die Formulierung verweist im Zusammenhang mit einem Infinitiv auf Befehle, die man erhalten hat. Die Wendung α� να' γκη ε� στι' ν (z.B. P.Oxy. VII 1064,4) bedeutet „es ist notwendig“. In der Formulierung διο` α� να' γκη υ� ποτα' σσεσθαι in Röm 13,5 ist das ε� στι' ν ausgefallen.
Weil die staatlichen Gewalten von Gott eingesetzt wurden und das Böse bestrafen und das Gute fördern, müssen sich auch die Jesusbekenner diesen unterordnen. Die folgende Begründung macht deutlich, dass die Unterordnung unter die staatlichen Gewalten nicht nur eine theologisch-praktische, sondern auch eine theologisch-ethische Notwendigkeit ist. Mit nicht nur (ου� μο' νον [ou monon]) nimmt Paulus V. 4d auf: Die Unterordnung unter die von Gott eingesetzten staatlichen Gewalten, die das Tun des Guten loben und das Tun des Bösen bestrafen ist wegen des Zorngerichts (δια` τη` ν ο� ργη' ν [dia tēn orgēn]) notwendig, d.h. wegen des Zornes Gottes, der „alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit“ der Menschen trifft (1,18) und alle, die gegen seine Rechtssetzung verstoßen, im Endgericht mit dem Tod bestraft (1,32; 2,5-6). Die in V. 4 gegebene Begründung wird mit sondern auch (α� λλα` και' [alla kai]) ausgeweitet: Die Unterordnung unter ———————————-————————
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Bornkamm, Paulus, 218-219 erinnert in diesem Zusammenhang an die Tatsache, dass sich die Verfasser späterer christlicher Schriften, die auf planmäßige Christenverfolgungen zurückblicken konnten, „nicht aus der Loyalitätspflicht gegenüber dem Staat in die Rolle der Staatsfeinde (haben) drängen lassen“. Zu υ� ποτα' σσεσθαι s. V. 1a. Vgl. W. Grundmann, Art. α� ναγκα' ζω κτλ., ThWNT I, 347-350; A. Strobel, EWNT I, 184190; H.F. Bayer, ThBLNT II, 1391-1392; vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 290-291. H.F. Bayer, ThBLNT II, 1391. Mitchell, Requisitioned Transport, 106-131; vgl. E.A. Judge, in Horsley/Llewelyn, New Documents I, 36-45.
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die von Gott eingesetzte staatliche Gewalt ist auch wegen des Gewissens notwendig. Das Wort συνει'δησις ([syneidēsis]; s. zu 2,15) ist die Instanz im Menschen, die dessen Denken, Wollen, Reden und Handeln aufgrund der im νουñ ς (Verstand) bewusst oder unbewusst akzeptierten Norm reflektiert, überprüft und ihm bewusst macht.106 Weil die Unterscheidung von Gut und Böse ihren Maßstab im Gewissen hat, ist es ein Gebot der politischen Vernunft, die Notwendigkeit geordneter Verhältnisse einzusehen und die Kompetenz des Staates zur Durchsetzung des Rechts und zur Förderung des Guten und zur Bestrafung des Bösen anzuerkennen.107 Angesichts der Überzeugung von Gottes Schöpfungsordnung (1,19-25) und der Setzung staatlicher Gewalt durch Gott (13,1) kann man die Wendung δια` τη` ν συνει'δησιν im Sinn von „aus der Verantwortung Gott und seinem Gebot gegenüber“ verstehen.108 Paulus beschreibt die Unterordnung unter die staatliche Gewalt mit der Berufung auf das Gewissen einerseits als Vollzug der persönlichen Verantwortung des eigenen Handelns, andererseits als Ausdruck des Glaubens, der „als das konkret erkannte θε' λημα θεουñ (Röm 12,2) vom Gläubigen anerkannt und praktiziert werden muss“.109 6 In V. 6-7 wendet Paulus die Mahnung, sich den staatlichen Machthabern unterzuordnen, illustrativ auf das praktische Verhalten im Alltag an.110 Der argumentative Ausgangspunkt der Anwendung wird mit δια` τουñ το γα' ρ eingeleitet: deshalb zahlt ihr ja auch Steuern.111 Paulus setzt als selbstverständlich voraus, dass die stadtrömischen Christen Steuern zahlen. Das Verb τελε' ω [teleō] bedeutet hier „bezahlen, entrichten;112 der Indikativ Präsens ———————————-————————
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Eckstein, Syneidesis, 177-178; s. ebd. 291-299 zum Verständnis von συνει' δησις in V. 5 in der exegetischen Literatur; ebd. 287-288 zur Kritik an der These von Bultmann, Glossen, 281-282, Röm 13,5 als Glosse auszuscheiden. Vgl. Haacker 319. Eckstein, Syneidesis, 299. Vgl. Nygren 306: „auch um des Gewissens willen, also um Gottes willen“; auch Penna 890. Eckstein, Syneidesis, 289. Vom „eigenen Verantwortungsbewußsein“ spricht Lohse 357. Vgl. Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher, Situation, 145-146 zur Rolle des Gewissens in der atl.-jüdischen Überlieferung. Barrett 247; Käsemann 346; Merklein, Sinn, 410; Porter, Romans 13.1–7, 134. Wilckens III 37; Jewett 798 behandeln V. 6-7 als drittes Argument, Dunn II 766, im Anschluss an Furnish, Moral Teaching, 126.131-135 als Höhepunkt der Diskussion. Man kann δια` τουñ το auf V.1b-4 (Lietzmann 113; Stein, Argument, 340-341; Porter, Romans 13.1–7, 134), auf V. 5b (Cranfield II 668; Moo 804; Walker, Studie, 49) oder auf V. 5 (Jewett 798; Merklein, Sinn, 418; Riekkinen, Römer 13, 214). Die dritte Option ist die plausibelste. Das Verb τελειñτε ist nicht als Imperativ (Zahn 559; Coleman, Obligations, 313), sondern als Indikativ zu verstehen; vgl. Jewett 798. Bauer/Aland s.v. τελε' ω 3; LSJ s.v. τελε' ω II; MM s.v. τελε' ω 2; G. Delling, ThWNT VIII, 58, τελε' ω Bedeutung 3: Verpflichtungen erfüllen, zahlen; vgl. Mt 17,24 sowie P.Tebt. I 5,31; 6,32; Syll3 III 912,25; Josephus, Ant 10,2.155; Plato, Ap 20a.
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bezeichnet eine fortdauernde Wirklichkeit.113 Das Wort φο' ρος [phoros]114 bezeichnet die direkte Steuer, konkret die Grund- und Kopfsteuer, die die von Rom unterworfenen Völker bzw. Städte zahlen mussten.115 Der gewaltige Finanzbedarf des Kaisers wurde durch unterschiedliche Steuern (tributum, vectigalia; griech. τε' λη, φο' ροι, συντα' ξεις) gedeckt.116 Mit φο' ρος [phoros; lat. tributum] ist die direkte Steuer zu verstehen, die Hauptsteuer im Römischen Reich, die die Bewohner der römischen Provinzen zahlen mussten, unabhängig davon, ob sie römische Bürger waren oder nicht. Es handelt sich bei den direkten Steuern in erster Linie um die zehnprozentige Grundsteuer (tributum soli), die auf den Ertrag aus Grundbesitz gezahlt werden musste, und die Kopfsteuer (tributum capitis), die unabhängig vom Vermögensstand gezahlt werden musste. Diese Steuern wurden durch die Theorie der alleinigen Herrschaft des römischen Volkes in den Provinzen (dominium populi Romani in solo provinciali) gerechtfertigt.117 Die Höhe der Steuerabgaben wurde durch einen in den Provinzen alle 20 bis 30 Jahre durchgeführten census festgelegt, bei dem die Bevölkerung zahlenmäßig erfasst und das Vermögen pro Person geschätzt wurde. Römische Bürger, die ihren Besitz in Italien oder in privilegierten Städten hatten, mussten diese beiden Steuern nicht bezahlen.118 Später bezeichnete φο' ρος auch die Abgaben, die man für die Pacht von Äckern oder Tieren bezahlen musste.119 An direkten Steuern mussten allerdings auch römische Bürger die fünfprozentige Erbschaftssteuer (vicesima hereditatium) zahlen; die fünfprozentige Steuer für Sklavenfreilassung (vicesima libertatis vel manumissionum) wurde auf den Sklaven abgewälzt. Da Bürger Roms weder die Grund- noch die Kopfsteuer zahlen mussten, stellt sich die Frage, weshalb Paulus von direkten Steuern spricht (er denkt wohl kaum speziell an die Erbschaftssteuer). Die Antwort liegt nach T.M. Coleman in dem von Nero eingeführten (in Ägypten bezeugten) Prinzip der idia, durch das die Flucht vor der Steuerlast durch Wegzug (α� ναχω' ρησις) verhindert werden sollte: ι� δι' α war der fiskalische/legale Wohnort einer Person, an dem er seine Pflichten gegenüber dem Staat erfüllte. Als die unter Claudius im Jahr 49 n.Chr. aus Rom vertriebenen Juden zurückkehrten (nach 54 n.Chr.), waren sie nach dem idia-Prinzip auch in der Stadt Rom verpflichtet, die direkten Steuern der Provinzen zu zahlen, in denen sie während des Zensus des Jahres 54/55 n.Chr. gewohnt hatten.120 ———————————-————————
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Das Präsens Indikativ τελειñτε ist entweder als iteratives (wiederholte Handlung) oder als zeitloses/gnomisches (etwas allgemein, d.h. in der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft Gültiges) Präsens zu verstehen; vgl. HvS §197a(b); 197b. K. Weiß, Art. φο' ρος, ThWNT IX, 81-86; W. Rebell, EWNT III, 1044-1045. Weiß, ThWNT IX, 81.83; Rebell, EWNT III, 1044; Coleman, Obligations, 310-312. Vgl. W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, PW VII.1, 1-78; H. Galsterer, Art. Steuern IV. Rom, DNP XI, 982-986; Ausbüttel, Verwaltung, 69-94; Neesen, Untersuchungen, 6166.117-120; Günther, Vectigalia; Drexhage/Konen/Ruffing, Wirtschaft, 207-210; vgl. Drexhage, Wirtschaftspolitik, 33-40 zu Kleinasien; Homoth-Kuh, Phylakes, 149-192 zur Phylakes-Steuer (belegt in Ägypten seit 57/58 n.Chr.), eine von mehreren kopfsteuerartigen Abgaben (μερισμοι' ), mit denen die Steuerzahler zur Finanzierung der Verwaltung, besonders der Sicherheitsdienste, herangezogen wurden. Vgl. Bleicken, Dominium, 722-777, mit einer Darstellung des ius Italicum. Vgl. 1Makk 10,29; Josephus, Bell 2,402-406; Philo, SpecLeg 1,242-143; Diodorus Siculus, Hist 1,18,5-6; 10,25,4; 11,47,1; Strabo 4,5,3. Coleman, Obligations, 310 verweist auf P.Tebt. II 325,15; 342,20.21.24; 368,3; 377,14.23.27; 424,6-7; P.Oxy. XXXIV 2712,8; XLVI, 3258,12. Vgl. S.R. Llewelyn, in Horsley/Llewelyn, New Documents VIII, 81; vgl. Wallace, Taxation, 77-95. Coleman, Obligations, 313; vgl. Braunert, Studien; Horsley/Llewelyn, New Documents
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 691 ————————————————————————————————————
Die Behandlung von Steuern (und in V. 7 Zöllen) kann im Zusammenhang mit der Steuerpolitik Neros erläutert werden.121 Tacitus berichtet, dass sich das römische Volk im Jahr 58 n.Chr. entschloss, beim Kaiser gegen die unverschämten Praktiken der staatlichen Zoll- und Steuerpächter zu protestieren; Nero erwog, die Zölle abzuschaffen, wurde aber von seinen Ratgebern dazu überredet, Reformen des Steuer- und Zollwesens durchzuführen, bei denen das „maßlose Gewinnstreben der Zollpächter“ (plane publicanorum cupidines) eingedämmt werden sollte, „damit die durch so viele Jahre ohne Klage ertragene Last der Abgaben (sine querela tolerata) nicht durch neuerliche Verschärfungen (beim Volk) in Verbitterung umschlage“ (Tacitus, Ann 13,50-51; vgl. Sueton, Nero 10). Neros Reform des Steuerwesens umfasste „die Veröffentlichung der bisher geheimen Bestimmungen und Sätze aller Staatsabgaben, die Einführung eines Verjährungstermins für Steuerschulden, die Unterstellung der Zollpächter unter die außerordentliche Strafjustiz eines Prätors in Rom und der Provinzstatthalter in den Provinzen“.122 Diese Reformen waren 56/57 n.Chr., als Paulus den Römerbrief schreibt, noch nicht in Kraft, aber die von Tacitus geschilderten Missstände und Proteste muss es bereits gegeben haben.123 Gleichzeitig ist festzuhalten, dass Paulus im Römerbrief Mahnungen mit allgemeiner Gültigkeit formuliert, die weder explizite Hinweise auf Verhältnisse in der Hauptstadt des Römischen Reiches noch auf Proteste gegen die Steuerpraxis unter Nero enthalten. Paulus mahnt zur Entrichtung von direkten und indirekten Steuern, „weil diese Verpflichtung ebenso für die jüdischen Synagogen wie für die urchristlichen Gemeinden die von allen gemachte Erfahrung unmittelbarer Begegnung mit den staatlichen Behörden darstellt“.124 Die Tatsache, dass die Jesusbekenner in Rom (und darüber hinaus) Steuern zahlen, impliziert, dass sie die Autorität der von Gott eingesetzten staatlichen Machthaber anerkennen. Das Zahlen von Steuern ist ein konkretes Zeichen der Unterordnung unter die staatlichen Gewalten. ————————————————————
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VI, 113.125-126; vgl. die Papyri SB XIV 12015, 12018 (beide von 57/58 n.Chr.), in denen Listen von Personen aufgestellt werden, die sich durch Flucht der Steuerzahlung entzogen hatten (Horsley/Llewelyn, New Documents VIII, 97-105); so jetzt Jewett 799. Vgl; Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher, Situation, 156-158; Coleman, Obligations, 325327; Schlier 393; Jewett 798-799; angedeutet bei Michel 404; vgl. Rebell, EWNT II 1044. Kritik dieser Interpretation in Krauter, Studien, 153-153.234-235, der davon ausgeht, Röm 13,1-7 sei keine briefliche Anweisung für eine bestimmte Situation (138-146). Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher, Situation, 158. Deshalb geht der Einwand von Haacker 319 ins Leere: Nach Neros Reformen ist eine Behandlung des Steuerthemas weniger plausibel als vor dem Jahr 58 n.Chr., als der Unmut über die Steuerlast immer größer wurde. Lohse 358. Zur Ehrung des Kaisers in den Synagogen s. Philo, Flacc 48-50; vgl. Winter, Divine Honours, 111.
692 Römerbrief ————————————————————————————————————
In V. 6b liefert Paulus die Begründung bzw. Motivation für das Zahlen der direkten Steuern: denn sie sind Beamte Gottes, die für eben diesen Zweck unablässig tätig sind. Die Amtsinhaber der staatlichen Gewalt, die in V. 3 als α» ρχοντες und in V. 4 als δια' κονος bezeichnet wurden, werden λειτουργοι' [leitourgoi] genannt, „Beamte“, die „das Volk betreffend“ (λη' ¨ιτος) arbeiten (ε� ργαζο' μενος), hier konkret die Steuerbeamten, die die Dienstleistung der Steuererhebung ausüben. A. Strobel definiert den λειτουργο' ς als einen, „der im Dienst eines Amtes steht, das dem Gemeininteresse dient“.125 In der LXX ist die Wortgruppe terminus technicus für den Tempeldienst von Priestern und Leviten, aber eine kultische Bedeutung spielt hier keine Rolle (anders in Röm 15,16).126 Die Wendung ει� ς αυ� το` τουñ το ([eis auto touto], „für eben diesen Zweck“) bezieht sich auf die in V. 6a erwähnte Zahlung von Steuern.127 Das Verb προσκαρτερε' ω bedeutet hier „sich emsig beschäftigen mit etw., dauernd bedacht sein auf etw.“128 Paulus will mit dem Verb kaum implizit die Forderung erheben, dass sich staatliche Beamte so verhalten, dass sie sich der Bezeichnung als λειτουργοι` θεουñ würdig erweisen,129 noch will er das Ideal eines engagierten öffentlichen Dienstes vermitteln.130 Für die stadtrömischen Christen, die in der städtischen oder kaiserlichen Verwaltung arbeiteten, war die Aussage rhetorisch effektiv. Von der Korruption, die mit der Eintreibung von Steuern verbunden war,131 ist nicht die Rede. Wilckens sieht in dem Verb allerdings die „Nuance der dauernden Daumenschraube“.132
Der Genitiv θεουñ [theou] unterstreicht, dass die römischen Steuerbeamten „dem Willen Gottes zur Unterdrückung des Bösen und zur Förderung des Guten dienen“.133 Der beharrlichen Unablässigkeit, mit der die verantwortlichen Beamten Steuern eintreiben, kann sich niemand entziehen. 7 Paulus schließt den Abschnitt mit einer grundsätzlichen Aufforderung ab, die in vier spezifische Mahnungen aufgegliedert wird. Zunächst die grundsätzliche Aufforderung, die für Jesusbekenner immer gilt: Gebt allen, was ihr schuldig seid (V. 7a). Das Subst. ο� φειλη' [opheilē] bezeichnet pflichtmä———————————-————————
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Strobel, Verständnis, 87-88. LSJ s.v. λειτουργο' ς I, „one who performed a λειτουργι' α; II, „public servant“; vgl. H. Strathmann, ThWNT IV, 222-224; H. Balz, EWNT II, 859; C. Spicq, TLNT II, 382. So richtig Strathmann, ThWNT IV, 238; Schlier 391-392; Dunn II 767; Lohse 357; gegen Eck, Urgemeinde, 41. Von einem „audacious act of co-optation“ der römischen Verwaltungsbeamten durch Paulus (Jewett 800) braucht man nicht zu reden. Vgl. Cranfield II 669; Wilckens III 38; Jewett 800; Porter, Romans 13.1–7, 135. Bauer/Aland s.v. προσκαρτερε' ω 2a; hier statt Dativ mit ει� ς. Cranfield II 699; Porter, Romans 13.1–7, 135. Dunn II 767; kritisch Jewett 800; zum Folgenden ebd. Vgl. Lewis, Life in Egypt, 160-161. Wilckens III 38. Strathmann, ThWNT IV, 238. Balz, EWNT II, 861: Der Genitiv qualifiziert die Arbeit der Steuerbeamten „als einen Beitrag zur von Gott zugelassenen und gewollten Ordnungs- und Machtfunktion des Imperiums mit seinen Behörden.“
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 693 ————————————————————————————————————
ßige Leistungen bzw. pflichtmäßig geschuldetes Verhalten.134 Der Plural αι� ο� φειλαι' bezieht sich auf die in V. 7b-c erwähnten „schuldigen Steuern“ (direkte Steuern und Zölle), die dem Staat zu zahlen sind, und in V. 7d-e auf das den staatlichen Machthabern geschuldete Verhalten (Furcht und Ehre). Das Verb α� ποδι'δωμι („hergeben, übergeben, zurückgeben“) kann im Blick auf das Zahlen von Steuern und Zöllen mit „entrichten“ übersetzt werden,135 im Hinblick auf Furcht und Ehre mit „erweisen“ oder „geben“. Paulus verwendet Ausdrücke, die in der Beziehung von Untertanen mit vorgesetzten Autoritäten beheimatet waren. Er erkennt die gesellschaftlichen Verhältnisse an, ohne damit ausnahmslos alle Werte und jedes Verhalten der griech.-röm. Gesellschaft anzuerkennen (vgl. in 12,2 den Aufruf, sich nicht nach den Maßstäben der gegenwärtigen Welt zu richten). Paulus belässt es nicht bei der allgemeinen Aufforderung, den bürgerlichen Pflichten nachzukommen. Er konkretisiert den Grundsatz von V. 7a mit vier kurzen, parallelen Aussagen, in denen jeweils im Vordersatz ο� φειλο' μενον ε» χοντι und im Nachsatz der Imperativ α� πο' δοτε zu ergänzen ist.136 Die ersten beiden Glieder sprechen von finanziellen Leistungen. Der Satz dem ihr die Steuer schuldig seid, (gebt) die Steuer (τω ñ, το` ν φο' ρον το` ν φο' ρον; V. 7b) spricht von den direkten Steuern (φο' ρος [phoros]), die in V. 6a erwähnt wurden. Der Satz dem ihr den Zoll schuldig seid, (gebt) den Zoll (τω ñ, το` τε' λος το` τε' λος; V. 7c) handelt von den indirekten Steuern (τε' λος [telos]).137 Jeder, auch der römische Bürger, musste indirekte Steuern und Zölle zahlen, die im Allgemeinen von Steuerpächtern (τελω' νες, lat. publicani) eingetrieben wurden.138 Zu den indirekten Steuern ———————————-————————
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F. Hauck, ο� φειλη' , ThWNT V, 564; vgl. M. Wolter, EWNT II, 1346-1347. In den Papyri wird das Wortfeld ο� φει' λω, ο� φειλη' u.a. für finanzielle bzw. wirtschaftliche Schulden verwendet; für Belege vgl. Arzt-Grabner, Philemon, 237-238; Arzt-Grabner, 1. Korinther, 255-256. So Paulus in Röm 4,4; 13,7; 15,27; Phlm 18; in Mt 28,32 von der Geldschuld. In 1Kor 7,3 verwendet Paulus das Wort für die sexuelle Verpflichtung von Eheleuten. In Did 8,2 von der Schuld der Menschen gegenüber Gott. Strobel, Verständnis, 87-88 bezeichnet α� ποδι' δωμι als terminus technicus für die Erfüllung von dem Staat geschuldeten Verpflichtungen; vgl. Lohse 357. Vgl. BDR §4812; NSS II 43. Bauer/Aland s.v. τε' λος 3; BDAG s.v. τε' λος 5: „revenue obligation“, „(indirect) tax, tolltax, customs duties“; LSJ s.v. τε' λος 8, „dues exacted by the state“; vgl. G. Delling, τε' λος, ThWNT VIII, 51.53.57: τε' λος als Verpflichtung zu bestimmten Leistungen für den Staat (Demosthenes, Or 20,19), daher „Abgabe“ (Josephus, Bell 2,4), z.B. von einem Pächter (Artemidorus, Onir 5,31); auch in der LXX für Abgabe, Tribut, Zoll (Lev 27,23; Num 31,28.37-41; Est 10,1; vgl. 1Makk 10,31; 11,35). Vgl. Llewelyn, in Horsley/Llewelyn, New Documents VI, 113; VIII, 47-76.67-68; Coleman, Obligations, 313-315. H. Galsterer, Art. Steuern IV. Rom, DNP XI, 982-983; B. Onken, Art. Zoll, DNP XII, 827-831; Drexhage/Konen/Ruffing, Wirtschaft, 268-269; Neesen, Untersuchungen, 136-
694 Römerbrief ———————————————————————————————————— gehörten die einprozentige Verkaufssteuer (centesima rerum venalium), die vierprozentige Sklavenverkaufssteuer (quinta et vicesima venalium mancipiorum) und die einprozentige Steuer für Erlöse aus Auktionen. Daneben gab es Hunderte von kleineren örtlichen und provinziellen Steuern: auf Esel und Bewässerungskanäle, auf Bienenwachs, auf die Benutzung von Bädern und Archiven, auf die Dienste von Bankiers und Prostituierten. Die Steuer auf Urin, die Vespasian in den 70er-Jahren erhob, ist nur aus einer literarischen Anekdote bekannt (Sueton, Vesp 23,3). Zölle (portoria, griech. τε' λη) waren im Römischen Reich nicht einheitlich geregelt, vieles ist unbekannt. An der römischen Reichsgrenze oder an Zollgrenzen im Innern des Reiches (so in den Zollbezirken Asia, Gallia und Hispania) wurde die quadragesima (2,5 %) auf deklarierte Handelswaren erhoben. Zur Zeit Ciceros mussten 5 % Zoll auf Waren bezahlt werden, die von Syrakus ausgeführt wurden. Das Zollgesetz der Provinz Asien (Monumentum Ephesenum, von 62 n.Chr.) bestimmte, dass nicht oder falsch deklarierte Waren konfisziert werden konnten; Waren für den persönlichen Gebrauch mussten nicht verzollt werden. Es gab auch Steuerbefreiungen: Caesar und Augustus verliehen Lehrern der „freien Künste“ (artes liberales) Abgabenfreiheit und Bür-gerrecht, um sie zur Umsiedlung nach Rom zu bewegen; Vespasian befreite Rhetoren und Philologen von Steuern und Liturgien.139
Die beiden letzten Glieder fordern zur Ehrfurcht und Ehrerbietung auf. Die Mahnung dem ihr Furcht schuldig seid, die Furcht (τω ñ, το` ν φο' βον το` ν φο' βον; V. 7d) bezieht sich hier nicht auf die Furcht (Angst) vor der Strafgewalt der staatlichen Machthaber (V. 3-4), sondern, grundsätzlicher, auf die „Ehrfurcht“ vor den Vertretern des Staates.140 Diese Bedeutung von φο' βος [phobos], die bei Paulus nur hier vorliegt, wird in Spr 24,21 LXX so formuliert: „Fürchte Gott, Sohn, und den König (φοβουñ το` ν θεο' ν, υι� ε' , και` βασιλε' α), keinem von ihnen beiden sei ungehorsam“ (LXX.D). Bei der Ehrfurcht vor staatlichen Amtsträgern handelt es sich einerseits um Konventionen der griechisch-römischen Gesellschaft; gleichzeitig gilt, dass den Vertretern der staatlichen Gewalt auch deshalb Ehrfurcht entgegenzubringen ist, weil diese von Gott eingesetzt wurden (V. 1).141 Die Mahnung dem ihr die Ehre schuldig seid, die Ehre (τω ñ, τη` ν τιμη` ν τη` ν τιμη' ν; V. 7e) fordert die Ehrerbietung, wie sie gegenüber Vertretern der ————————————————————
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142; Engelmann/Knibbe, Zollgesetz, 1-206 (Asia); Sijpesteijn, Customs Duties (Ägypten). Zu den Steuerpächtern s. J. Andreau, Art. Publicani, DNP X, 575-578; Malmendier, Societas publicanorum. Die Steuergesellschaften (societates publicani) spielten seit Augustus eine geringere Rolle; sie waren anscheinend bald nur noch in der Erhebung der indirekten Steuern und der Zölle aktiv. Kolb, Rom, 584. Bauer/Aland s.v. φο' βος 2b; vgl. H. Balz, Art. φοβε' ω κτλ., ThWNT IX, 190-191 mit vielen Belegen aus den Papyri. Vgl. Strobel, Furcht, 58-62; Schlier 392; Dunn II 768; Jewett 802. Cranfield II 670-673 erwägt, ob φο' βος die Ehrfurcht gegenüber Gott bezeichnet (vgl. 1Petr 2,17). Haacker 321 interpretiert „Furcht“ als Furcht vor Bestrafung. Balz, ThWNT IX, 212: „Es geht also nicht um eine grundsätzliche Ehrfurcht vor den machtausübenden Institutionen und Personen, sondern um den Gehorsam aus der Einsicht in die von Gott gewollten Macht- und Ordnungsverhältnisse heraus.“ Paulus betont in V. 7 diesen Zusammenhang allerdings nicht: Er formuliert in der Tat „grundsätzlich“.
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staatlichen Gewalt selbstverständlich war. Zur Unterordnung unter die staatliche Gewalt (V. 1) gehört, dass man den Trägern staatlicher Macht „Ehre“ (τιμη' [timē]) erweist,142 d.h. ihren gehobenen Status und ihren Einsatz für die Stadt und den Staat anerkennt. Plutarch betont, τιμη' wachse einem Menschen zu durch Tugend, Verwandtschaft und Dienst für die Öffentlichkeit – wer einen solchen Menschen nicht ehrt, der verweigert ihm „die herkömmliche Ehre“ (τηñ ς συνη' θους τιμηñ ς; Mor 617C). Die Ehrerbietung gegenüber dem Kaiser und seinen Repräsentanten in der Verwaltung des Reiches war eine wichtige gesellschaftliche Pflicht,143 deren Ehre nicht zuletzt durch die Errichtung von Statuen und Ehreninschriften „veröffentlicht“ wurde. Wer die staatlichen Machthaber ehrt, der ordnet sich ihnen nicht nur durch Zwang, sondern durchaus freiwillig unter. Paulus verweist hier nicht auf „das Gute und das Wohlgefällige und das Vollkommene“, das nach 12,1-2 den Willen Gottes kennzeichnet und Kriterium christlichen Handelns ist: Er formuliert traditionell mit der Sprache hellenistisch-römischer Verwaltung, die staatlichen Machthaber werden „weder dämonisiert noch glorifiziert“.144 Er akzeptiert die gesellschaftliche Realität des römischen Staates, einerseits deshalb, weil Proteste gegen problematische Manifestationen staatlicher Gewalt nicht nur nichts nützen, sondern im Keim erstickt würden, wenn nötig mit polizeilicher Gewalt und juristischen Maßnahmen, andererseits deshalb, weil Paulus nicht den Staat und seine Organe reformieren, sondern das Evangelium vom Messias Jesus, dem Retter der Welt, in Rom (1,13-15) und in Spanien verkündigen will (15,24.28). Was sein missionarisches Wirken betrifft, ignoriert er das traditionelle griech.-röm. Verständnis von Ehre, weil er „Griechen und Barbaren, Gebildeten und Ungebildeten“ verpflichtet ist (1,14). In seiner Theologie und in den von ihm gegründeten Gemeinden besteht er darauf, dass es kei———————————-————————
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Vgl. J. Schneider, Art. τιμη' κτλ., ThWNT VIII, 170-182; οι� ε� ν τιμαιñς sind die Hochgestellten (Euripides, IphAul 19), οι� τετιμημε' νοι sind „Menschen, die in hohen Stellungen sind“ (Xenophon, Cyrop 8,3,9); τιμη' bezeichnet manchmal ein Amt (Herodotus 1,59,6; Plato, Resp 8,549c). Schneider, ebd. 175 zu Röm 13,7: „die im Gehorsam sich vollziehende, bereitwillige Anerkennung“. Schlier 392: zur Erstattung der Schuldigkeit gegenüber den Herrschenden gehört „weder α� γα' πη noch das προσκυνειñν oder ähnliches“ allerdings wird in 1Tim 2,2 zur Fürbitte für die Regierenden aufgefordert (s. 1Petr 2,17). Vgl. Coleman, Obligations, 318-325. Jewett 803, mit Verweis auf Saller, Poverty and Honor, 12-20; Lendon, Honour, 201-222. Käsemann 346; mit einer „einseitigen Front gegen befürchteten Enthusiasmus“ (346f; vgl. H. Balz, ThWNT IX, 211), der im Röm nicht nachzuweisen ist, hat dies allerdings nichts zu tun. Wilckens III 38 sieht in V. 7d-e „ein gewisses Moment von Relativierung des Verhältnisses zur staatlichen Gewalt als Gottes Dienerin gegenüber dem Gottesverhältnis selbst“, was im Text selbst jedoch nicht erkennbar ist; Wilckens ebd. erkennt zu Recht, dass V. 7a („gebt allen“) gegen diese Nuance spricht.
696 Römerbrief ————————————————————————————————————
nen Unterschied gibt zwischen Juden und Griechen, weil „alle denselben Herrn (haben), der seinen Reichtum allen gibt, die ihn anrufen“ (12,10) – es ist für Jesusbekenner irrelevant geworden, ob man Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau ist, weil sie alle „einer“ im Messias Jesus sind (Gal 3,28; Kol 3,11). Die „Neuheit des Lebens“, die Jesusbekenner im Anschluss an Tod und Auferstehung des Messias Jesus haben (6,4), bewährt sich in der Begegnung mit staatlicher Gewalt darin, dass sie sich den Pflichten als Angehörige des Staates und der Gesellschaft nicht entziehen. Was geschieht, wenn diese Pflichten kultische Akte an einem heidnischen Altar beinhalten würden, wird von Paulus in seiner grundsätzlichen Aussage nicht behandelt (s. Abschnitt IV). Es ist möglich, wenn auch nicht gesichert, dass Paulus in V. 7 auf ein Wort Jesu anspielt.145 α� πο' δοτε παñ σιν τα` ς ο� φειλα' ς, τω ñ, το` ν φο' ρον το` ν φο' ρον, τω ñ, το` τε' λος το` τε' λος, τω ñ, τη` ν τιμη` ν τη` ν τιμη' ν ñ, το` ν φο' βον το` ν φο' βον, τω Mt 22,17.21 ε» ξεστιν δουñ ναι κηñ νσον Και' σαρι η� ου» ; α� πο' δοτε ουò ν τα` Και' σαρος Και' σαρι και` τα` τουñ θεουñ τω ñ, ñ, θεω Mk 12,14.17 ε» ξεστιν δουñ ναι κηñ νσον Και' σαρι η� ου» ; τα` Και' σαρος α� πο' δοτε Και' σαρι και` τα` τουñ θεουñ τω ñ, ñ, θεω Lk 20,22.25 ε» ξεστιν η� μαñ ς Και' σαρι φο' ρον δουñ ναι η� ου» ; τοι' νυν α� πο' δοτε τα` Και' σαρος Και' σαρι και` τα` τουñ θεουñ τω ñ, ñ, θεω Mehrere Elemente verbinden die Mahnung von Paulus und das Wort Jesu: 1. Die Thematik der römischen Autoritäten: In der Jesustradition ist vom Kaiser (Καιñσαρ) die Rede, Paulus spricht von der Verwaltung des Römischen Reiches bzw. der Stadt Rom, an deren Spitze der Kaiser steht; 2. das Steuerthema, wobei die Lk-Version des Jesuslogions, wie Paulus, φο' ρος verwendet; 3. eine allgemeinere Mahnung, den politischen Autoritäten zu geben, was ihnen gebührt, verbunden mit der konkreteren Mahnung, Steuern zu entrichten, in allen Stellen formuliert mit dem Imperativ α� πο' δοτε.146 Anders als Jesus spricht Paulus nicht davon, Gott zu geben, was Gott gebührt (was man auch nicht aus Röm 13,7d herauslesen sollte). Röm 13,7
IV Der Abschnitt Röm 13,1-7 ist im Zusammenhang von 12,1-2/3-21 und 13,810/11-14 im Sinne der Bewährung des Glaubens an den einen, wahren Gott (1,18-32) und an Jesus als Messias Israels und Retter der Welt (3,21–8,39) im Kontext der gesellschaftlichen Konventionen der griechisch-römischen Welt und im Alltag der Verwaltungsstrukturen des Römischen Reiches zu verstehen. ———————————-————————
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Michel 403 Anm. 33; Cranfield II 669-670; Wilckens III 38; Dunn II 768; Stuhlmacher 182; Moo 806; Légasse 817 (unentschieden); Neugebauer, Auslegung, 165; Schrage, Staat, 61; Wenham, Paul, 253-254; Thompson, Clothed, 111-120; Mustakallio, Motivation, 461. Kritisch Fitzmyer 664; Lohse 358. Paulus verwendet das Verb α� ποδι' δωμι nicht sehr häufig: Röm 2,6; 12,17; 13,7; 1Kor 7,3; 1Thess 5,15; 1Tim 5,4; 2Tim 4,8.14.
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 697 ————————————————————————————————————
Paulus macht folgende Aussagen: 1. Die staatliche Gewalt ist von Gott eingesetzt. 2. In den Institutionen und Amtsträgern der staatlichen Gewalt begegnet die Ordnung Gottes. 3. Die Amtsträger der staatlichen Gewalt sind Diener und Beamte Gottes, die sich für das Wohl der Gesellschaft einsetzen. 4. Die Funktion der staatlichen Gewalt konzentriert sich auf die Förderung des Guten und die Bestrafung des Bösen. 5. Die Straffunktion der staatlichen Gewalt entspricht dem Willen Gottes. 6. Jesusbekenner sollen sich der staatlichen Gewalt unterordnen, weil sie von Gott eingesetzt ist. 7. Jesusbekenner sollen Gutes tun, was heißt, dass wohlhabende Christen sich mit ihrem Vermögen für das Wohl der Stadt einsetzen sollen. 8. Jesusbekenner sollen nicht nur aus Angst vor Strafe das Böse meiden, sondern um ihres Gewissens willen. 9. Jesusbekenner sollen die vom Staat geforderten direkten und indirekten Steuern zahlen. 10. Jesusbekenner sollen den Amtsträgern des Staates mit Ehrfurcht und Ehrerbietung begegnen. Die Sprache des Abschnitts, die zahlreiche Vokabeln der hellenistischrömischen Verwaltung aufgreift, ist genauso traditionell wie die Mahnung, sich der staatlichen Gewalt unterzuordnen. Eine theologisch begründete Staatslehre liegt nicht vor, was man in der Auslegungs- und Wirkungsgeschichte allerdings immer wieder angenommen hat.147 Dabei wurde Paulus oft von den (kirchen-)politischen Interessen der eigenen Zeit oder der eigenen theologischen Position in „Beschlag“ genommen. Dies gilt auch für die antiimperiale Paulusauslegung.148 Paulus wusste als studierter Schriftgelehrter vom Widerstand der israelitischen Hebammen gegen die Anordnungen Pharaos (Ex 1,15-20) und vom Widerstand von Schadrach, Meschach und Abed-Nego gegen den Befehl König Nebukadnezzars (Dan 3,1-97). Er wusste, dass Jesus vom römischen Gouverneur Pontius Pilatus gekreuzigt worden war. Er wusste vom Widerstand der zwölf Apostel in Jerusalem gegen Anordnungen des höchsten jüdischen Gerichts (Apg 4,18-21.29-31; 5,18-21.27-32.40-42). Er behandelt diese Fälle jedoch weder direkt noch indirekt. Paulus schreibt keine christliche Staatslehre. Er argumentiert nicht explizit für ein Verständnis des Staates im Rahmen der Schöpfungsordnung oder im Rahmen der Kategorien von Gesetz und Evangelium.149 In 13,1-7 ist von ———————————-————————
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S. die im Abschnitt II angeführte Literatur. Für Einzelheiten konsultiere man Wilckens III 43-66; Reasoner, Romans; Krauter, Studien, 4-54. Taubes, Theologie, 23 meint, der Römerbrief sei eine politische Theologie, im Sinn einer „Kriegserklärung an Rom“. Elliott, Liberating Paul, 215 beschreibt den Römerbrief als „ideological intifada“ gegen das imperiale Denken Roms; vgl. Horsley, Hg., Paul and Empire. Zur Kritik vgl. Krauter, Studien, 28-32.281. Anders Schnelle, Paulus, 443: „Als Schöpfer ordnet Gott das menschliche Leben, indem er ihm ein politisches (Röm 13,1-7) und soziales (1Kor 7) Gefüge gibt“. Ähnlich Adams,
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der Schöpfung und ihrer Ordnung nicht die Rede. Eine τα' ξις der Schöpfung Gottes kann von der Verwendung von Vokabeln der ταγ-Wortgruppe nicht abgeleitet werden: Sie wird von Paulus hier und an anderen Stellen vorausgesetzt, aber nicht expliziert. Anders in Röm 1,18-32 und 1Kor 11,2-16, wo ethisches Verhalten und soziale Ordnungen im Hinblick auf die Schöpfung erörtert werden. Von Gesetz bzw. Gesetzmäßigkeit spricht Paulus in Röm 13,1-7 auch nicht. Paulus argumentiert auch nicht, dass die Freiheit des Glaubens nach Apg 5,29 („Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“) die Grenze des Gehorsams gegenüber staatlicher Autorität ist, wie die Exegese der Alten Kirche und vieler neuerer Ausleger betont. Paulus kannte die griech.römische Kultur von Kind auf. Er wusste, wie Juden in der Diaspora um die Klippen einer polytheistischen Gesellschaft navigieren konnten, die ihre exklusive Loyalität gegenüber dem einen wahren Gott und ihre Treue gegenüber dem offenbarten Willen Gottes bedrohten. Er kannte die Geschichte von Daniels Freunden, die Ereignisse der Makkabäerzeit und die Erfahrungen von Jesusbekennern, seine eigenen eingeschlossen, wusste, dass es Situationen geben kann, in denen der status confessionis gegeben ist und es unmöglich wird, Aussagen zu machen oder sich an Handlungen zu beteiligen, die den eigenen Glauben kompromittieren, und man sich der Konfrontation nicht entziehen kann. In dem grundlegenden Text Röm 13,1-7 behandelt Paulus keine Ausnahmesituationen, in denen sich der Glaube an den Gott Israels und seinen Messias Jesus bewähren muss. Paulus argumentiert in diesem Text nicht, dass die Förderung des Guten, d.h. des Wohls der Allgemeinheit (Röm 13,3-4), der Maßstab und die Grenze der Unterordnung und des Gehorsams ist, wie man in der mittelalterlichen und katholischen Theologie betont. Wilckens argumentiert in diesem Zusammenhang, die Normen der iustitia Dei (Gerechtigkeit Gottes) dürften nicht „gesetzlich“ auf die Gesamtgesellschaft ausgeweitet werden, weil dort im Sinn der Zwei-Reiche-Lehre die iustitia civilis gelte.150 S. Krauter würdigt (kritisch) die Zwei-Reiche-Lehre als „kreative Anwendung und Weiterentwicklung paulinischer Gedanken für eine bestimmte historische Situation“, betont jedoch, dass sie als „Theorie christlichen politischen Handelns in einem christlichen Staat“ das Bild verzerrt: „Um das Verhältnis zwischen den Institutionen Staat und Kirche, zwischen öffentlichem Amt und privatem Handeln, zwischen der Sphäre der Politik und der ‚Innerlichkeit‘ des Glaubens geht es Paulus in keiner Weise“.151 Richtig ist immerhin, dass Röm 13,1-7 nicht mit Fragen überfrachtet werden darf, die Paulus nicht stellt. ————————————————————
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World, 204-205; Starnitzke, Struktur, 389, die in 13,1 eine Vorstellung von „Ordnung“ im Sinn einer „Schöpfungsordnung“ ablesen. Kritisch Krauter, Studien, 281. Wilckens, Römer 13, 237-239. Krauter, Studien, 282.
Die Verpflichtung gegenüber dem Staat 13,1-7 699 ————————————————————————————————————
Paulus konnte sich Jesusbekenner als Amtsinhaber mindestens in der städtischen Verwaltung vorstellen: Er weiß offensichtlich von wohlhabenden Christen, die sich mit ihrem Wohlstand für die Belange der Stadt einsetzen können (V. 3).152 Dass christliche Machthaber die staatlichen Organe des Römischen Reiches kontrollieren könnten, war vor Konstantin jedoch nicht vorstellbar.153 Weil Paulus konkrete Hilfestellung für die stadtrömischen Gemeinden geben will, mit Aussagen, die für alle christlichen Gemeinden im Römischen Reich Relevanz besaßen, weil sie sich entweder aktuell oder potentiell in einer prekären Lage befanden, hat er weder die Grenzen des Gehorsams, noch ungerechte Herrscher und staatliche Beamte, noch die Frage des politischen Widerstandes behandelt. Gerade die Frage der Möglichkeit oder Notwendigkeit politischen Widerstands, die in der Wirkungsgeschichte vor allem im 20. Jh. eine zentrale Rolle gespielt hat, lässt sich weder mit Hinweisen auf V. 3-4 (Förderung des Guten und Bestrafung des Bösen) noch auf V. 4 (das eigene Gewissen) klären. Andere Stellen (Dan 3; Apg 4–5, bes. Apg 5,29) sprechen diesen Sachverhalt direkter an, was in Röm 13,1-7 nicht der Fall ist. Allerdings sollte man die Grundaussage von Röm 13,1-7 weder durch den Hinweis auf die Förderung des Guten durch die staatliche Gewalt in 13,3-4 noch durch den eschatologischen Horizont in 13,11-14 relativieren. Manche argumentieren, Widerstand, bis hin zu militantem, bewaffnetem Widerstand, sei Christen immer geboten, wenn sie sich mit Unrecht konfrontiert sehen (politische Theologien wie die Befreiungstheologie), andere meinen, (bewaffneter) Widerstand sei nur dann zu rechtfertigen, wenn die Alternative ein deutlich größeres Übel wäre als das Übel, das durch den Kampf gegen die politische Ordnung angerichtet wird. U. Wilckens kommentiert: „Doch es bleibt strittig, ob nicht auch in einem solchen Fall die Nachfolge des leidenden Christus in der Gestalt der Absage an die Legion Engel (Mt 26,53) der christliche Weg sein sollte“. 154 Johannes erinnert in dem am stärksten explizit politischen Text des Neuen Testaments die Christen in den Gemeinden Kleinasiens an die Tatsache, dass sie Jesus nachfolgen, der der Löwe aus dem Stamm Juda ist (Offb 5,5), der jedoch als Lamm (5,6), das geschlachtet und auferstanden ist, Gottes Ziele in der Welt verwirklicht (5,7.8.12.13; 6,1.3. 5.7.9.12.16; 9,17; 12,11; 14,1.4; 15,3; 17,14 u.a.).
Paulus gibt zu solchen Fragen keine Auskunft. Er weist die Jesusbekenner in Rom an, sich im Alltag der römischen Verwaltungspraxis zurechtzufin———————————-————————
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Vgl. Röm 16,23 den oikonomos Erastus, vor allem, wenn dieser mit dem Ädil Erastus in Korinth identisch ist, der aus seinen eigenen Mitteln den Theaterplatz pflastern ließ; vgl. Kent, Inscriptions, 99–100 (Nr. 232, Plate 21); Gill, Erastus; Winter, Welfare, 180-197; Clarke, Leadership, 46–57; kritisch Friesen, Erastus. Vgl. Kretschmar, Leben, 109-128; Krauter, Studien, 285. Wilckens III 43.
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den – sie sollen tun, was der römische Staat jedem Bürger und Nicht-Bürger auferlegt. Christen bewähren ihren Glauben an den einen wahren Gott und an den Messias Jesus, der Kyrios ist, im Wissen darum, dass er nicht nur ihr Herr, sondern der Herr allen Herren ist.155 Die Barmer Erklärung (1934) hat den auch heute noch beachtenswerten Versuch unternommen, die Mahnung des Paulus in Röm 13,1-7 auf die politische Mitverantwortung in Staat und Gesellschaft hin auszulegen. In der 5. These heißt es: „Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.“
Die Verwerfungen, die anschließend zitiert werden, sind eine Reaktion einerseits auf das Staatsverständnis der nationalsozialistischen Diktatur, andererseits auf das Selbstverständnis der Kirche im Mittelalter: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“
Wilckens meint, die Entrichtung von Steuern und Zöllen sei heute nicht mehr „wesentlich ein Akt der Anerkennung der Superiorität der Gewalt der Herrschenden, sondern ein Akt der Beteiligung jedes einzelnen Bürgers an der Finanzierung der notwendigen Gemeinschaftsaufgaben“; dies bedeute, „der sachliche Zusammenhang zwischen Staatsabgaben und Liebe“ sei heute praktisch „viel enger als zur Zeit des Paulus“.156 Theorie und Praxis klaffen bei dieser Analyse beträchtlich auseinander – wie viele Menschen in den westlichen Demokratien zahlen fröhlich ihre Steuern als Ausdruck ihrer Liebe zum Gemeinwesen?! Zu pessimistisch ist die Sicht von Krauter, der meint, im Blick auf einen säkularen Staat könne man „sinnvollerweise“ nicht behaupten, es gäbe irgendeine Instanz, die im Gegensatz zur Anarchie als Ordnung der Schöpfung „gottgegeben“ sei – ein solcher Ansatz beinhalte eine „reichlich ab———————————-————————
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Lohse 359, zusammen mit einem Zitat der 5. These der Barmer Erklärung (Anm. 45). Wilckens III 42.
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strakte Aussage“ und könne keine konkrete ethische Weisung bieten.157 Auch wenn Paulus in 13,1-7 nicht von der Schöpfungsordnung Gottes spricht, so tut er dies immerhin in 1,18-32, und er spricht auch angesichts der Selbstvergötterung des römischen Kaisers und der Übergriffe von römischen Beamten gegen den Messias Jesus (Pontius Pilatus) und gegen sich selbst (die Archonten in Philippi) von der universalen Autorität Gottes des Schöpfers, die die Realität staatlicher Autorität setzt, der Bürger, Freie, Freigelassene und Sklaven Folge zu leisten haben – in allen Völkern und Staaten, die er als schriftgelehrter Theologe aus der Schrift (Israel, Juda, Ägypten, Babylonien, Persien) und als international aktiver Missionar (Judäa, Nabatäa, römische Provinzen von Syrien bis Achaia, autonome Städte, römische Kolonien) kannte. Richtig ist die Feststellung, dass es umstritten ist, ob es in einer pluralistischen Gesellschaft „in einem weltanschaulich neutralen Staat“ für die politischen Institutionen und für alle Bürger bindende moralische Wertmaßstäbe gibt oder geben kann. Die Meinung, es gäbe „weltanschauliche Neutralität“, ist eine ideologische Chimäre: Nach Paulus gilt, dass alle, die die Wirklichkeit, Macht und Majestät Gottes, der sich in Israel und im Messias Jesus geoffenbart hat, ignorieren oder auf andere, vielfältige Götter verteilen, „gottlos“ und „ungerecht“ (1,18-19) und in ihrem Denken und Handeln orientierungslos sind (1,20-32). Politische Systeme, die bewusst auf „Religion“ verzichteten, haben eine weitaus schlechtere Erfolgsbilanz, was die Achtung der Menschenwürde und die Bewahrung des Lebens (und der Umwelt) betrifft, als das römische Kaiserreich. Christen in der Sowjetunion und in der Volksrepublik China haben keinen bewaffneten Widerstand organisiert, aber auch nicht die Überzeugung aufgegeben, dass es moralische Wertmaßstäbe gibt, die gültig sind oder gültig sein müssten. Gerade dies ist die Tragik „neutraler“ politischer Systeme, wie es die westlichen Demokratien sein wollen, dass moralische Wertmaßstäbe auf der menschlichen Vernunft aufgebaut werden und deshalb immer verhandelbar sind, ohne „vernünftige“ Aussicht auf ein Ende der Revision menschlicher Werte. Die Mahnung von Röm 13,1-7 ist für Christen immer gültig, unabhängig von der Regierungsform, die ihren Alltag bestimmt, was der Verweis auf das Gewissen (V. 5) belegt.158 Unterordnung und Gehorsam war im 1. Jh. für Christen praktizierbar, und sie sind es auch unter veränderten politischen Bedingungen. Auch in einem demokratischen Staat, in dem die ———————————-————————
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Krauter, Studien, 286; ebd. das Zitat weiter unten. Anders Theobald, Der Römerbrief, 310, der Röm 13,1-7 als „Momentaufnahme“ bezeichnet und meint, der Text mahne „nicht unter allen Umständen, sondern nur in einer bestimmten Situation zur Unterordnung unter die staatlichen Autoritäten“.
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Hierarchie von Herrschenden und Untertanen aufgehoben ist, in dem jeder Einzelne zur Teilnahme an der staatlichen Gewalt (z.B. an den Wahlen) aufgefordert ist, gibt es selbstverständlich (und in größerer Vielfalt als im 1. Jh.!) Verordnungen staatlicher Institutionen, denen Christen Folge zu leisten haben – im Steuerrecht, in der Verkehrsordnung, in Bauverordnungen, Hygieneverordnungen, Trinkwasserverordnungen u.a. –, zumindest wenn verbale Proteste und juristische Anfechtungen erfolglos geblieben sind. Auch und gerade Christen, die zur aktiven Liebe ohne Heuchelei verpflichtet sind (12,9), begegnen staatlichen Machthabern mit Ehrfurcht und Respekt.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe als Erfüllung der Gebote 13,8-10 I 8 Bleibt niemandem irgend etwas schuldig, außer dem: einander zu lieben. Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn das (Gebot): Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren, und welches Gebot es sonst gibt, ist in diesem Wort zusammengefasst: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. 10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes. II Paulus fasst in 13,8-10 die Mahnung von 12,1–13,7 zusammen. Das Stichwort ο� φει'λετε (V. 8) verbindet den Abschnitt mit 13,1-7 (τα` ς ο� φειλα' ς V. 7), die Wortgruppe α� γαπαñ ν/α� γα' πη (V. 8a-b.9.10a-b) mit 12,9.10. Das Gebot der Liebe, das in V. 8 formuliert wird, gilt nicht nur innerhalb der Gemeinde, sondern ist für alle Beziehungen, in denen die Jesusbekenner stehen, Kriterium des Verhaltens. Die Erfüllung des Liebesgebots (V. 8a-b) wird als Erfüllung des Gesetzes erläutert (V. 8c). Dies wird anhand von vier Geboten aus dem Dekalog illustriert (V. 9a-d) und im Blick auf alle Gebote des Gesetzes durch die Zitierung des Liebesgebots noch einmal konstatiert (V. 9e-f). Die Bedeutung des Liebesgebots wird in V. 10 im Blick auf seinen Inhalt (V. 10a) und seine Funktion (V. 10b) abschließend betont. Textkritische Anmerkungen. Statt des gut bezeugten Imperativs ο� φει'λετε liest א2 den Konj. ο� φει'λητε, was den Sinn nicht verändert und als orthographische Variante bewertet werden kann; *אΨ 945 u.a. lesen das Partizip
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe als Erfüllung der Gebote 13,8-10 703 ————————————————————————————————————
ο� φει'λοντες, was V. 8 der Mahnung in V. 7, anderen weder Steuer, noch Zölle, noch Ehrfurcht, noch Respekt zu schulden, unterordnet; die frühe, aber nicht sehr breit bezeugte Lesart ist sekundär. In V. 9 wird der Artikel το' in F G b durch die Zitatformel γε' γραπται ersetzt, was als stilistische Verbesserung gedacht ist. Nach ου� κλε' ψεις fügen ( אP ψευδομαρτυρη' σης) 048 81 104 365 1506 u.a. ar b vgcl (syh) bo das Gebot ου� ψευδομαρτυρη' σεις („du sollst kein falsches Zeugnis ablegen“) ein, offensichtlich ein Versuch, den Text enger an den Dekalog in Ex 20,15-17 und Deut 5,19-21 anzulehnen; die Minus-Lesart ist in d46 A B D F G L Ψ 6 33 630 1175 1241 1739 1881 u.a. vgst syp sa gut bezeugt.159 Statt τω ñ, λο' γω, του' τω, , das früh und breit bezeugt ist, lesen A Ψ 048 33 Byz lat του' τω, τω ñ, λο' γω, . Die Auslassung von ε� ν τω ,ñ in d46vid B F G vermeidet eine Redundanz (το' V. 8a) und ist sicher sekundär; die Plus-Lesart ( אA D L P Ψ 048 33 81 104 365 1175 1739 1881 u.a. Byz syh co) ist früh und breit bezeugt und als schwierigere Lesart zu bevorzugen.160 Die Ersetzung von σεαυτο' ν durch ε� αυτο' ν in F G L P Ψ 33 104 365 1175 u.a. ist eine sekundäre stilistische Verbesserung. V. 10 ist ου� κατεργα' ζεται (D* 33 365 1505 1881) statt ου� κ ε� ργα' ζεται wenig gut bezeugt. III
8 Paulus formuliert kategorisch: Bleibt niemandem irgend etwas schuldig
(V. 8a). Die beiden Negationen μηδενι` μηδε' ν ([mēdeni mēden] „niemandem irgend etwas“) verstärken einander.161 Das mit „jemand etwas schuldig bleiben“ übersetzte Verb ο� φει' λω [opheilō] bezeichnet eine Verbindlichkeit, eine Verpflichtung.162 Christen sollen – positiv formuliert – den Verpflichtungen, die sie anderen Menschen gegenüber haben, immer und konsequent nachkommen. Im Kontext von 13,7 bedeutet dies: Sie sollen den staatlichen Behörden keine Steuern oder Zölle schulden, was dann der Fall ist, wenn sie die direkten und indirekten Steuern, wie vorgeschrieben und erwartet, prompt bezahlen; und sie sollen die Ehrfurcht und die Ehrerbietung, die sie den amtierenden Machthabern schulden, nicht zurückhalten, sondern sich in der Begegnung mit denselben so verhalten, wie es im Rahmen der gesell————————————————————
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Vgl. Cranfield II 677; Jewett 804; Metzger, Textual Commentary, 467. Jewett 804; vgl. Dunn II 775. Cranfield II 677 u. Michel 411 Anm. 10 halten die MinusLesart für ursprünglich (Assimilation an Gal 5,14); ebenso Lohse 361 Anm. 13 (ohne Begründung). NA26-28 setzt die Wendung in eckige Klammern. BDR §431.2: „seid niemandem nichts schuldig“ = „niemandem (auch nur) etwas“. In den Papyri oft in rechtlichen Zusammenhängen beim Verleihen von Geld oder Sachgütern, u.a. in Pachtverträgen vgl. Kreinecker, 2. Thessaloniker, 112; Arzt-Grabner, Philemon, 237-238; Arzt-Grabner, 1. Korinther, 309-310. Vgl. F. Hauck, Art. ο� φει' λω, ThWNT V, 559-564; M. Wolter, EWNT II, 1347-1350.
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schaftlichen Konventionen ihre Schuldigkeit ist. Jeder Mensch – Herrschende und Beherrschte, Freie und Sklaven, Patrone und Klienten, Männer und Frauen, Eltern und Kinder – hat Verpflichtungen und soll diesen Verpflichtungen immer und überall nachkommen. Im Blick auf viele rechtliche, gesellschaftliche und ethische Beziehungen ist es möglich, „schuldenfrei“ zu sein: Wer Steuern und Zölle zahlt und die in Pachtver-trägen vereinbarten Leistungen entrichtet, der ist seine Schuld los. Im Blick auf die Verpflichtung, andere zu lieben, ist dies nicht möglich: Weil man seine Mitmenschen niemals los wird, wird man die Verpflichtung nie los, den Nächsten zu lieben. Mit außer dem (ει� μη' [ei mē]) wird in V. 8b das Gebot (το' ), einander zu lieben (α� λλη' λους α� γαπαñ ν [allēlous agapan]), als Verpflichtung beschrieben, die für Christen immer gilt.163 Zu α� γαπα' ω s. 5,5. Das in V. 8b zu ergänzende ο� φει'λειν hat die Be-deutung „sollen, müssen“.164 Die gegenseitige Liebe, die Jesusbekenner einander – immer – schulden, ist „die höchste und umfassendste Verpflichtung …, die alle anderen Verpflichtungen – auch die V. 7 genannten – überbietet“.165 Bengel spricht vom debitum immortale.166 Wie diese Liebe innerhalb der Gemeinde aussieht, hatte Paulus in 12,8 beschrieben. Die doppelte Verneinung in V. 8a sowie die Formulierung „den anderen“ in V. 8c weitet das „einander“ auf alle Mitmenschen aus: Die Verpflichtung zu lieben gilt im Blick auf alle Menschen – Jesusbekenner sind angehalten, Mitchristen und Nichtchristen wertzuschätzen, sich ihnen zuzuwenden, ihr Wohlergehen zu fördern, sie zu trösten, sich mit materiellen Gaben für sie einzusetzen, ihnen mit Barmherzigkeit und Fröhlichkeit zu begegnen (vgl. 12,8). Die Liebe ist wie in 1Kor 13,1-13 die grundsätzliche Wirklichkeit des Lebens der Jesusbekenner. Die immer geltende Mahnung, einander zu lieben, bereitet 14,1-23 als „Testfall“ vor. Paulus begründet (γα' ρ) die Mahnung zur Liebe in V. 8c mit dem Satz: wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Der „andere“ (ο� ε« τερος [ho heteros]) ist der „Nächste“ (το` πλησι'ον) von V. 10a, d.h. allgemein der Mitmensch (vgl. 2,1.21; 1Kor 4,6; 6,1; 10,24.29; 14,17; Gal 6,4; Phil 2,4). Die Bestimmung το` ν ε«τερον ist direktes Objekt des substantivierten Partizips ο� α� γαπω ñ ν ([ho agapōn], „derjenige, der liebt“).167 ————————————————————
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V. 8b ει� μη` το` α� λλη' λους α� γαπαñ ν ist ein Exzeptivkonditionalsatz, der eine Bedingung nennt, die als einzige hinreichend wäre, die Aussage im Hauptsatz (μηδενι` μηδε` ν ο� φει' λετε) aufzuheben; HvS §286a.1b. Das „Wortspiel“ im Blick auf die beiden Bedeutungen von ο� φει' λω (Hauck, ThWNT V, 563) ist nur implizit: Das Verb wird im Text nur einmal genannt. Wolter, EWNT II, 1349-1350. Bengel 609; vgl. Michel 409; Käsemann 348. Von einer „vollkommenen“ Erfüllung (z.B. Wilckens III 68) spricht der Text nicht.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe als Erfüllung der Gebote 13,8-10 705 ———————————————————————————————————— Anders Ausleger, die το` ν ε« τερον als Attribut zu νο' μον und το` ν ε« τερον νο' μον interpretieren168 und das „andere Gesetz“ als „Gesetz der Liebe“ (Hofmann, Zahn, Gutbrod) oder als das römische Gesetz von 13,1-7 (Marxsen, Leenhardt) verstehen. Diese Interpretation ist nicht plausibel:169 Das Verb α� γαπα' ω hat bei Paulus immer ein Akk.-Objekt (anders Lk 7,47; 1Joh 3,18; 4,7-8); νο' μος bezieht sich im Röm immer konsequent auf die mosaische Tora, was eine Interpretation im Sinn von „Gesetz der Liebe“ oder „römisches Gesetz“ unwahrscheinlich macht; ein Verweis auf die zweite Tafel des Dekalogs ist νο' μος als „anderes Gesetz“ kaum, da von der ersten Tafel des Dekalogs als „Gesetz“ weder hier noch an anderen Stellen die Rede ist.
Mit „Gesetz“ (νο' μος [nomos]) ist das mosaische Gesetz gemeint, wie die Begründung in V. 9 zeigt.170 Wer den Nächsten liebt, der „erfüllt“ (πεπλη' ρωκεν [peplērōken]) das Gesetz, d.h., er tut, was das Gesetz verlangt, er kommt der Verpflichtung des Gesetzes nach.171 Das Perfekt kann als präsentisches Perfekt (Beschreibung eines gegenwärtigen Zustands) oder als gnomisches Perfekt (zeitlose Aussage) verstanden werden.172 Paulus macht in Gal 5,14 eine entsprechende Aussage: „Denn das ganze Gesetz (παñ ς νο' μος) ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“. Hübner meint, παñ ς νο' μος in Gal 5,14 sei eine kritisch-ironische Wendung gegenüber ο« λον το` ν νο' μον (Gal 5,3), und in Röm 13,8-10 gehe es nicht um eine quantitativ vollständige Erfüllung aller Toragebote, sondern um eine qualitativ vollständige Erfüllung der Totalität des Gesetzes durch den glaubenden Christen.173 Wilckens lehnt eine solche Differenzierung der Aussagen in Röm 13,8-10 und Gal 5,14 ab: Paulus sagt in Gal 5, dass heidnische Sünder, die sich beschneiden lassen, in der aussichtslosen Lage sind, durch die Erfüllung aller Gebote der Tora gerecht zu werden, während aus Glauben gerechtfertigte Jesusbekenner „im Messias“ und in der Kraft des Heiligen Geistes (Gal 5,5-6) das Gesetz ganz erfüllen können, wie es im Liebesgebot zusammengefasst ist.
Weil die Gebote des mosaischen Gesetzes im Liebesgebot Lev 19,18, das Paulus in V. 9-10 zitiert, als Generalnenner zusammengefasst sind (V. 9-10 α� νακεφαλαιουñ ται), ist für die Jesusbekenner aus Juden und Heiden zu kons————————————————————
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Hofmann 542-543; Zahn 562; Leenhardt 190; Byrne 394; W. Gutbrod, Art. νο' μος κτλ., ThWNT IV, 1069; Marxsen, ε« τερος νο' μος; Merk, Handeln, 165. Käsemann 348; Wilckens III 68; Michel 409 Anm. 5; Dunn II 776; Lohse 360; Lyonnet, Charité, 153-155.165-166. Käsemann 348: „Man hätte nie bestreiten dürfen, daß wirklich von der Tora gesprochen wird“; gegen Auslegungen als geistiges Gesetz (Dülmen, Theologie, 173) oder von Christus als Gesetz (Bläser, Gesetz, 236). Wilckens III 68 richtig: πληρουñ ν bedeutet hier „Erfüllen durch Tun“ (vgl. 8,4). Vgl. HvS §200b.200i; das gnomische Perfekt, von dem Schlier 395; Käsemann 349; Cranfield II 676 Anm. 2 ausgehen, ist eine seltene Gebrauchsweise des Perfekt. Hübner, Gesetz, 76-78; kritisch Wilckens III 69; vgl. Schnabel, Law and Wisdom, 275.
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tatieren, dass sie das Gesetz Moses halten, wenn sie in ihrem Verhalten im Alltag das Liebesgebot erfüllen. Zu erinnern ist an das Wort Jesu in Mt 5,17: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen (πληρω ñ σαι)“. R. Deines betont, dass das Verständnis der Stelle im Sinn der fortdauernden Gültigkeit der Tora, im Sinn der Erfüllung der Tora durch ein ihr entsprechendes gesetzestreues Verhalten oder Lehren und im Sinn der abschließenden Auslegung der Tora jeweils etwas Richtiges sieht, ohne dass es sich um Alternativen handelt, dass aber der Schwerpunkt in Mt 5,17 nicht auf einem Bekenntnis Jesu zur Tora liegt, sondern zusammenfassend um Jesu Verhältnis „zu den geheiligten Traditionen seines Volkes. Zu diesen besteht nach Auffassung des Matthäus kein Widerspruch, aber es ist auch nicht einfach ihre Wiederholung oder Bestätigung. Das Kommen Jesu bedeutet vielmehr den Beginn des Sattwerdens (Mt 5,6), es bedeutet den Anbruch der Königsherrschaft Gottes.“174 Die Forderungen Jesu in Mt 5 gipfeln in der Aufforderung zur Feindesliebe (Mt 5,44-48).
Wer auf die Aussagen zum Gesetz in 3,20; 7,7-25; 10,4 verweist175 und Paulus ein unschematisches oder inkonsequentes Verständnis des Gesetzes vorwirft, hat weder diese Stellen noch 13,8 verstanden: Paulus erklärt das mosaische Gesetz nicht für abgeschafft, sondern betont einerseits, dass es im Prozess der Sühnung von Sünde angesichts des Kreuzestodes Jesu keine Rolle spielt, andererseits, dass es als infolge des Heilshandelns Gottes durch den Messias Jesus modifiziertes Gesetz für die Jesusbekenner weiterhin Maßstab des Handelns ist: Die in V. 9 erwähnten Gebote sind, wie andere auch, weiterhin zu halten. In 8,1-3 hatte Paulus betont, dass für Jesusbekenner, die „im Messias Jesus“ sind und von den Folgen der Sünde befreit wurden, die vom Gesetz mit dem Tod bestraft werden, das „Gesetz des Geistes des Lebens“ gilt (8,2), sodass sie, die dem Geist Gottes entsprechend leben, „die Rechtsforderung des Gesetzes“ erfüllen (8,4) – so richtet er das Gesetz auf (3,31). In 1Kor 9,20 hatte Paulus betont, dass er nicht ohne das Gesetz ist.176 Vgl. auch Exkurs zu νο' μος bei 7,12; siehe unten IV. 9 Paulus begründet (γα' ρ) mit der Zitierung von vier Geboten des Dekalogs (Ex 20,15-17 und Deut 5,19-21) in V. 9a-d, die stellvertretend für alle Gebote stehen (V. 9e), sowie des Liebesgebotes (Lev 19,18) in V. 9f. Der Artikel το' [to] leitet wie öfter im Neuen Testament atl. Zitate ein.177 Paulus zitiert vier Gebote der zweiten Tafel des Dekalogs. Das sechste Gebot (Ex ————————————————————
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Deines, Gerechtigkeit, 272-275, Zitat 274-275. Lietzmann 113; Räisänen, Paul, 65. Haacker 324-325: „Erfüllen“ heißt nicht „erledigen“. Mt 19,18; Lk 22,37; Gal 5,14; vgl. BDR §267.1 (wie klass. vor zitierten Wörtern, Sätzen und Satzteilen), mit Anm. 2b.
Die Verpflichtung zur Nächstenliebe als Erfüllung der Gebote 13,8-10 707 ————————————————————————————————————
20,14 / Deut 5,18): du sollst nicht ehebrechen (ου� μοιχευ' σεις; V. 9a) verbietet sexuelle Beziehungen zwischen einem Mann und einer verheirateten oder verlobten Frau.178 Das Verbot des Ehebruchs dient dem Schutz der Institution der Ehe. Nach atl.-jüdischem und christlichem Ethos gibt es keine sexuelle „Freiheit“: Verheiratete sind ihren Ehepartnern treu (und Unverheiratete sollen sich erst in der Ehe sexuell betätigen). Was die Ehegesetzgebung des Augustus (lex de adulteriis) erlaubte – sexuelle Beziehungen verheirateter Männer mit unverheirateten Frauen, bei gleichzeitigem Verbot des Ehebruchs – ist für Christen ausgeschlossen.179 Das sechste Gebot wird wie an anderen Stellen vor dem fünften Gebot zitiert.180 Das fünfte Gebot (Ex 20,13 / Deut 5,17): du sollst nicht töten (ου� φονευ' σεις; V. 9b) verbietet (geplanten) Mord und (unbeabsichtigten) Totschlag.181 Das Gebot gründet in der Wertschätzung des von Gott geschaffenen Lebens. Das siebte Gebot (Ex 20,15 / Deut 5,19): du sollst nicht stehlen (ου� κλε' ψεις; V. 9c) verbietet die Entwendung fremden Eigentums. Das Gebot erkennt den Wert der (Erwerbs-)Arbeit des Einzelnen an und sichert das Recht auf Privateigentum und, für die Mehrheit der armen Christen von primärer Bedeutung, das Existenzminimum. Das achte Gebot („du sollst kein falsches Zeugnis ablegen“) ist ausgelassen. Das neunte und zehnte Gebot (Ex 20,17 / Deut 5,21) wird auf das Begehren schlechthin zusammengefasst:182 du sollst nicht begehren (ου� κ ε� πιθυμη' σεις; V. 9d). Gott verbietet das Verlangen nach dem, was anderen gehört – Leben, Ehefrau, Eigentum, Ehre/Leben/Eigentum, – als Motivation menschlichen Handelns. Das Verbot des Begehrens untersagt das handlungsbereite Eigeninteresse, das zu Mord, Ehebruch, Diebstahl und gerichtlicher Falschaussage führt, wenn die Handlungsbereitschaft zur Tat wird. Die Aussage und welches Gebot es sonst gibt (V. 9e) zeigt, dass die vier genannten Gebote eine Auswahl sind: Jedes Gebot des Gesetzes wird durch das Liebesgebot erfasst. Man kann τις ε� τε' ρα ε� ντολη' [tis hetera entolē] im Zusammenhang von 14,14.20, wo im Anschluss an das Wort Jesu Mk 7,15 die Reinheitsvorschriften des Gesetzes außer Kraft gesetzt sind, im Sinn einer Reduktion des Gesetzes auf nichtkultische Gebote interpretieren.183 Im frühen Christentum wurden die Gebote der zweiten Tafel des ————————————————————
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Ausführlicher behandelt in Deut 22,22-27. Zu Augustus’ Gesetz s. jetzt D’Angelo, Family Values, 527-532. Wie in Deut 5,17-18 LXX [B]; Papyrus Nash; Philo, Decal 36.51.121-123; Lk 18,20; Jak 2,11; in der richtigen Reihenfolge wird in Mk 10,19; Mt 19,18 zitiert. Totschlag wird in Deut 19,1-13 behandelt. Vgl. 4Makk 2,4-6; s. Jewett 812. Hübner, Gesetz, 77-78.
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Dekalogs als verbindlich genannt; der Rezeption auch der Gebote der ersten Tafel184 stand das Sabbatgebot im Weg. Die für Jesusbekenner maßgeblichen Gebote des Gesetzes werden in diesem Wort zusammengefasst: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst (V. 9f). Paulus zitiert das Liebesgebot Lev 19,18 (α� γαπη' σεις το` ν πλησι'ον σου ω� ς σεαυτο' ν). Der „Nächste“ (πλησι'ον [plēsion]) ist in Lev der Mitisraelit; so auch das Verständnis von [ ֵרַעrea‘] in Qumran; nach Mt 5,43 und Lk 10,25-37 haben manche Juden Feinde und Samaritaner von der Geltung des Liebesgebots ausgeschlossen. Im Kontext von 12,14.17.18 ist es plausibel, dass Paulus hier mit πλησι'ον alle Menschen meint, die in der „Nähe“ wohnen, d.h. alle Menschen, mit denen Christen in Kontakt kommen – Mitchristen, Familienangehörige, Nachbarn, Arbeitskollegen.185 Das Verb α� νακεφαλαιο' ω [anakephalaioō] bedeutet „etwas auf ein κεφα' λαιον [Hauptpunkt] bringen, rekapitulieren, summarisch zusammenfassen“.186 In der Rhetorik wurde das Verb zur Bezeichnung des Redeschlusses verwendet, in dem die einzelnen Teile der Rede zusammengefasst wurden.187 Das heißt: Das Liebesgebot ist der „Haupt- und Grund-Satz“ des Gesetzes.188 Paulus schließt sich hier einer auf Jesus zurückgehenden urchristlichen Tradition an (vgl. Jak 2,8): Das zentrale Gebot, an dem das ganze Gesetz und die Propheten hängen, ist das (Doppel-)Gebot der Liebe (Mt 7,12; 19,17-19; 22,3640 / Mk 12,28-31 / Lk 10,25-28), einschließlich der von Jesus geforderten Feindesliebe (Mt 5,44-45.48 / Lk 6,27-28). Die Formulierung „wie dich selbst“ (ω� ς σεαυτο' ν [hōs seauton]) darf nicht so verstanden werden, als sei die Selbstliebe (od. Eigenliebe) die Grundlage der Liebe zum Nächsten. Paulus geht davon aus, dass jeder Mensch sich selbst liebt, d.h. die eigene Person und das eigene Leben wertschätzt und sich für sich selbst einsetzt.189 Das „wie dich selbst“ schließt alle geheuchelte Liebe aus.190 ————————————————————
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Vgl. Barn 15,1; Brief des Ptolemaeus an Flora 3,2 (Epiphanius, Haer 33,5,3); Theophilus ad Autolycum 3,9. Vgl. Berger, Gesetzesauslegung, 275; Wilckens III 70. Vgl. Bauer/Aland s.v. πλησι' ον 1b: der Nahestehende, der Nächste, der Mitmensch. Vgl. Lev 19,34; Spr 6,1; Sir 13,15; TestIss 7,6; Philo, SpecLeg 2,63; Virt 116. H. Schlier, α� νακεφαλαιο' ω, ThWNT III, 681; H. Merklein, EWNT I, 197. Classen, Rhetorical Criticism, 30-31. Diese Konzentration der Tora auf die Pflichten gegenüber den Mitmenschen findet sich auch in frühjüdischen Texten; vgl. Berger, Gesetzesauslegung, 38-55. Merklein, EWNT I, 197 weist darauf hin, dass die „Summen“ der Tora in der rabbinischen Tradition (Bill. I 357-359.460; III 306; bes. bShab 31a; yNed 9,41c,31; GenR 24 [16b]), die „Summen“ nur im uneigentlichen Sinn sind (Nissen, Gott und der Nächste, 398-399), nur entfernt mit der Aussage in Röm 13,9 verwandt sind. Wilckens III 73: Es geht darum, „daß ich für den Nächsten alles mir Mögliche tue; und dabei ist vorausgesetzt, daß der Mensch faktisch für sich selbst das ihm Mögliche auch einzusetzen pflegt“; vgl. Dunn II 780. Von der Abkehr von der Selbstsucht, zu der das
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10 Paulus beschreibt die Liebe abschließend noch einmal im Hinblick auf
Inhalt und Funktion. Zunächst ex negativo: die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses (V. 10a). Positiv: Die Liebe tut dem Nächsten nur Gutes. Deshalb ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes (V. 10b). Im Kontext von V. 9 ist das Böse (κακο' ν [kakon]) Ehebruch, Mord, Diebstahl, Begehren und alle anderen vom Gesetz untersagten Verhaltensweisen, die anderen Menschen Schaden zufügen. Für Jesusbekenner ist ausgeschlossen, dass sie bewusst und absichtlich Böses tun. Liebe zum Nächsten macht es unmöglich, dass man dem Nächsten schadet (vgl. 1Kor 13,4-7). Das Wort „Böses“ greift V. 3-4 sowie 12,9.17.21 auf: Jesusbekenner tun nichts Böses, das die staatlichen Machthaber mit Strafen ahnden müssten – sie vermeiden nicht nur das Tun des Bösen, sondern sie überwinden das Böse mit dem Tun des Guten. Die Funktion der Liebe ist deshalb die „Erfüllung des Gesetzes“ (πλη' ρωμα νο' μου [plērōma nomou]), d.h., sie veranlasst die Menschen, das Gesetz zu tun (vgl. 8,4).191 Die beiden Sätze sind chiastisch aufeinander bezogen, wobei η� α� γα' πη betont am Anfang von V. 10a und betont am Ende von V. 10b steht. IV Die sachliche Begründung für das Gebot, den Nächsten zu lieben, ist im Kontext von Röm 5,5-11 die Hingabe des Messias Jesus, der am Kreuz für die Sünder aus Heiden und Juden (1,18–3,20) gestorben ist (3,21-26; 5,111).192 Weil Paulus die Liebe zum Nächsten konsequent und exklusiv auf den Glauben an den Messias Jesus konzentriert, haben „von daher alle kultischen und rituellen Gebote der Tora die Funktion, das Gottesverhältnis bindend zu regeln, verloren“.193 Das Gesetz hat infolge von Gottes Heilshandeln im Messias Jesus seine verurteilende Funktion verloren (8,1) und übt seine Funktion, Leben zu gewähren, infolge der Gegenwart des Geistes Gottes jetzt effektiv aus (7,10; 8,2), sodass die Jesusbekenner, die den Geist Gottes haben und dem Geist Gottes entsprechend leben, „die Rechtsforderung des Gesetzes“ erfüllen (8,4) – so wird das Gesetz aufgerichtet (3,21). ————————————————————
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Gebot der Liebe zum Nächsten aufruft (Lohse 362),ist allerdings im Text nicht die Rede. Luther II 344-345: excluditur omnis simulatio dilectionis. V. 10b πλη' ρωμα entspricht ε� ργα' ζεται V. 10a und πληρουñ ν V. 8. Michel 411 interpretiert πλη' ρωμα als „die ganze inhaltliche ‚Fülle‘ des göttlichen Gesetzes“ – die Liebe „ist nicht nur die Zusammenfassung, sondern auch Überbietung aller Einzelgebote“; ähnlich Schlier 395. Im Kontext von V. 8b ist diese Bedeutung von πλη' ρωμα nicht plausibel; Wilckens III 71. Mit ουò ν formuliert Paulus in V. 10b die Funktion der Liebe als Konsequenz der Aussagen in V. 8-10a. Merklein, EWNT I, 198, mitVerweis auf Gal5,13-24; 2,20-21; Phil 2,1-11; Eph 4,32–5,2. Wilckens III 70, zum Folgenden ebd.; vgl. Hübner, Gesetz, 78.
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Die von Jesus gebotene Liebe zum Nächsten ist einerseits das Resultat der Erfahrung der Liebe Gottes im gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus. Andererseits ist die Liebe zum Nächsten der Grundsatz der Gebote des Gesetzes, die gerade im Glauben an den einen wahren Gott, an den die Heiden nicht geglaubt haben,194 zu halten sind – im Kontext des Heilshandelns Gottes in Jesus bleibt die Tora das Gesetz Gottes, „aus der Christen die verbindliche Weisung zum Leben in Gerechtigkeit hören und in deren Erfüllung christliche Gerechtigkeit wirkliche Gerechtigkeit ist“.195 Die Liebe ist „das Kriterium christlicher Praxis“,196 sie hebt jedoch die Gebote des Gesetzes nicht auf.197 Liebe und Gesetz schließen sich nicht aus – das Halten des Gesetzes bedarf der Liebe, und die Liebe bedarf des Gesetzes Gottes als „die Autorität, die dem Tun der Liebe absolute Verbindlichkeit zuspricht. Dessen bedarf die Liebe. Indem sie im Namen Gottes geboten wird, wird sie zwar in unsere menschliche Verantwortung gestellt, zugleich aber menschlicher Verfügung entzogen … Das Gesetz gebietet Liebe aufgrund der Wirklichkeit göttlicher Liebe in Kreuz und Auferstehung Christi – unsere Liebe als Entsprechung zu dieser Liebe Gottes.“198 Im Kontext von 12,1-2 heißt das: Maßstab und wirkmächtige Grundlage der Liebe zum Nächsten ist Gottes Heilshandeln im Messias Jesus, das die Jesusbekenner veranlasst, ihr Leben ganz und konsequent für Gott und damit für andere einzusetzen – für Mitchristen in der Gemeinde und für Nicht- und Andersglaubende, die das Evangelium hören sollen und denen zu helfen ist, wo man ihnen helfen kann. Die Verwirklichung der Liebe Gottes als Liebe zum Nächsten richtet sich nicht nach den Maßstäben der gegenwärtigen Welt, sondern ergibt sich aus Erneuerung des Denkens, das ————————————————————
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Und die deshalb in ein Denken verfielen und ein Verhalten an den Tag legten, das sich „nicht gehört“, weil es von Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habsucht, Bosheit, Neid, Mord, Streit, Tücke, Verschlagenheit gekennzeichnet ist (1,28-29). Wilckens III 71; der letzte Satz wäre besser als „in deren Erfüllung christliche Gerechtigkeit sichtbare Gerechtigkeit ist“ zu formulieren. Söding, Liebesgebot, 257; vgl. Lohse 362. Gegen Lohse 362: „Was jeweils im einzelnen zu tun bzw. zu lassen ist, wird nicht wie im knechtenden Gesetzesdienst in kasuistischen Bestimmungen aufgeführt, sondern der schöpferischen Kraft der Liebe aufgegeben, die zu erkennen vermag, was der andere nötig hat“. Wilckens III 71-72 mit Verweis auf die Veränderung des Rechtsbewusstseins in Deutschland in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, in dem die Liebe zum deutschen Volk als Recht des Stärkeren bestimmt wurde. „Diese Erfahrung stellt jeglichen Anschein tief in Frage, als ob die Nächstenliebe eine der Menschheit eigene, natürliche sittliche Grundidee wäre, auf deren Geltung man sich unabhängig von ihrer Verwirklichung in der biblischen Tradition werde verlassen können“ (ebd. 72). Zum Profil der neutestamentlichen α� γαπη' angesichts der post-religiösen Gegenwart und deren Liebes-diskurse vgl. Wischmeyer, Agape, 255-265.
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die durch Gottes Geist verwandelten Christen (8,1-17) in die Lage versetzt, zu beurteilen, was der Wille Gottes ist – das Gute und das Wohlgefällige und das Vollkommene – und in wirklicher Gerechtigkeit zu leben (6,15-23). Die Liebe zum Nächsten ist ein Gebot: Paulus versteht das Gebot genauso konkret wie das Gebot, nicht die Ehe zu brechen, nicht zu morden, nicht zu stehlen und nicht zu begehren, und er rechnet damit, dass es erfüllt werden kann – nicht als Leistung, mit der man sich vor Gott rühmen kann (nach 3,27 ist das Rühmen durch den Glauben an den Messias Jesus ausgeschlossen; nach 5,11 rühmen sich Jesusbekenner nur Gottes durch den Messias Jesus), sondern in Anknüpfung an 12,8 mit der dankbaren Fröhlichkeit, mit der auch die Gabe der Barmherzigkeit zum Wohl der anderen eingesetzt wird.199
6. Die endzeitliche Motivation christlichen Verhaltens 13,11-14 I 11 Und das (tut), weil ihr über die Zeit Bescheid wisst, (nämlich) dass die Stunde für euch schon da ist, vom Schlaf aufzustehen; unsere Rettung ist näher jetzt als damals, als wir zum Glauben kamen. 12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahegekommen. Lasst uns deshalb die Werke der Finsternis ablegen, lasst uns die Waffen des Lichts anlegen. 13 Lasst uns einen einwandfreien Lebenswandel führen wie (es sich) am Tag (ziemt), nicht in Ess- und Trinkgelagen, nicht in sexueller Ausschweifung und Zügellosigkeit, nicht in Streit und Eifersucht, 14 sondern zieht den Herrn Jesus, den Messias, an, und tragt nicht Sorge für das Fleisch, um seine Begierden zu befriedigen. II Paulus beendet die Mahnung 12,1–13,10 zu einem Leben der konsequenten Hingabe an Gott in der Gemeinde, gegenüber Feinden und im Kontext staatlicher Institutionen – auf der Grundlage der Erbarmungen von Gottes Heilshandeln im Messias Jesus, im Rahmen eines bekehrten Denkens, als Vollzug des Willens Gottes, motiviert vom Glauben und von der Liebe, durchdrungen vom Heiligen Geist – mit dem Hinweis auf die nahe Wiederkunft Jesu und die Realität von Gottes Gericht. Diese werden beide nicht ————————————————————
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Wilckens III 74: „Das Gebot [der Liebe] will meinen Gehorsam, nicht meine Leistung, die Hilfe, die der Nächste braucht, nicht meine contritio über das Maß, in dem ich sie wohl schuldig bleiben werde“.
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explizit angesprochen, stehen aber unübersehbar im Hintergrund, wenn Paulus von der „Stunde“ spricht, die schon da ist, von der „Nacht“, die vorgerückt, von dem „Tag“, der nahegekommen ist (13,11.12). Der Abschnitt gipfelt in der Mahnung, die auf 12,1-2 zurückweist, dass Jesusbekenner konsequent und unablässig das ihnen im Messias Jesus zugeeignete neue Leben im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes Wirklichkeit sein lassen sollen. In 12,1-2 mahnte Paulus die Jesusbekenner, ihr Leben im Alltag im Licht der Vergangenheit zu verstehen und zu führen: Entscheidend sind nicht mehr die Maßstäbe der gegenwärtigen Welt, sondern der gute, wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes, den sie angesichts der Erbarmungen Gottes in Kreuz und Auferweckung Jesu tun sollen und tun können. In 13,11-14 mahnt Paulus die Jesusbekenner, ihr Leben im Alltag im Licht der Zukunft zu verstehen und zu führen: Maßgebend sind nicht mehr die Verhaltensweisen der Menschen dieser Weltzeit, sondern die Herrschaft des auferstandenen und erhöhten Messias Jesus, der die Realität der kommenden Welt Gottes für die Jesusbekenner Wirklichkeit werden lässt inmitten der gegenwärtigen Welt. Dies ist ein Prozess, der erst dann abgeschlossen sein wird, wenn der Jesusbekenner dem Bild von Gottes Sohn „gleichgestaltet“ werden wird (8,29) an dem Tag, an dem Gott die Schöpfung von der Versklavung der Vergänglichkeit befreien wird „zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (8,21). Paulus hatte in 1,18 von Gottes Zorn gesprochen; in 1,32 vom Tod, den die Heiden verdient haben; in 2,1-11 von der Unentschuldbarkeit der Juden, die nicht an den Messias Jesus glauben, in Gottes Gericht, und von der Vergeltung nach den Taten und vom ewigen Leben; in 8,18-25 von der Hoffnung der Christen und der kommenden Herrlichkeit, von der auch die Schöpfung erfasst werden wird; in 8,33-34 von der Heilsgewissheit der Jesusbekenner im Endgericht; in 14,10.12 wird Paulus noch einmal kurz vom Endgericht sprechen. Der eschatologische Inhalt von 13,11-14 ist nicht sehr umfangreich, aber grundlegend: 1. Die (End-)Rettung ist näher gekommen, liegt aber immer noch in der Zukunft; 2. die Zeit, in der die Jesusbekenner leben, ist eine kritische Zeit, in der sie wachsam sein müssen; 3. das Verhalten der Christen im Alltag steht unter dem Horizont des nahenden Endes dieser Weltzeit und des kommenden Gerichts Gottes. Der Abschnitt weist mehrere Ähnlichkeiten mit 1Thess 5,1-11 auf. Paulus beruft sich auf ein Wissen der stadtrömischen Christen (V. 11), d.h., weil Paulus in den römischen Gemeinden (noch) nicht gelehrt hat, auf Überzeugungen, die frühchristliches Gemeingut waren. Das Bild vom Ablegen und Anlegen (V. 12.14) liegt auch in 1Thess 5,8; Eph 4,22.24.25;
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6,11.14; Kol 3,8.12; Jak 1,21; 1Petr 2,1 vor. Diese Metapher wird traditionell mit der Taufe bzw. der Taufparänese in Verbindung gebracht. Dies ist möglich, aber insofern nicht wirklich relevant, als Paulus (bzw. Jakobus und Petrus) an diesen Stellen Jesusbekenner ermahnt, die sich zuvor schon zum Glauben an den Messias Jesus bekehrt hatten. Die Mahnung in 12,2, sich nicht nach den Maßstäben der gegenwärtigen Welt zu richten, sondern sich von Gott verwandeln zu lassen, beinhaltet, dass sich das Ablegen falscher Werte und falscher Verhaltensweisen und das Anlegen der rechten Verhaltensweise nicht nur bei der Bekehrung ereignet, sondern das ganze Leben der Jesusbekenner bestimmt. Ob in V.11b-12 ein Tauflied vorliegt, wie manche annehmen,200 ist nicht zu erweisen;201 die Metaphern verweisen nicht unbedingt auf traditionelles Gedankengut – sie sind auch in jüdischen und griech.-röm. Kontexten vorkommende Bilder, die Paulus unabhängig von einer urchristlichen liturgischen Tradition verwendet haben kann.202 Weil Paulus in 13,11-14 nirgends explizit auf die Taufe verweist, ist es hermeneutisch illegitim, diese in die Aussagen des Textes einzutragen. Struktur: Paulus beschreibt in V. 11-12b indikativisch die gegenwärtige Zeit als Endzeit im Horizont der nahen Wiederkunft Jesu, in 12c-14 imperativisch die Folgen für die Jesusbekenner. 1. Aufforderung zur rechten Einschätzung der gegenwärtigen Zeit (καιρο' ς) als Endzeit (V. 11a). 2. Metapher des nahenden Morgens (V. 11b). 3. Erläuterung der Nähe der endzeitlichen Rettung mit Bezug auf den Zeitpunkt der Bekehrung des einzelnen Glaubenden (V. 11c). 4. Metapher der vorgerückten Nachtstunde und des nahenden Tages (V. 12a). 5. Aufruf zur Verwirklichung der von Gott gewährten neuen Existenz im Alltagsleben (V. 12b-c). 6. Aufruf zu einem einwandfreien Lebenswandel (V. 13a). 7. Lasterkatalog mit sechs paarweise erwähnten Elementen (V. 13c-d). 8. Aufruf zum konsequenten Leben unter der Herrschaft des Messias Jesus (V. 14a). 9. Mahnung, die Eigenmächtigkeit sündigen Verhaltens nicht zur Wirkung kommen zu lassen (V. 14b). ————————————————————
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Schlier 395-396, der, unter Ausschluss von V. 11a.c.13b-14 („erläuternde Prosa“) folgende Rekonstruktion vorschlägt: ω « ρα η» δη υ� μαñ ς ε� ξ υ« πνου ε� γερθηñ ναι / η� νυ` ξ προε' κοψεν, η� δε` η� με' ρα η» γγικεν / α� ποθω' μεθα ουò ν τα` ε» ργα τουñ σκο' τους / ε� νδυσω' μεθα δε` τα` ο« πλα τουñ φωτο' ς. Vgl. Wilckens III 75; Dunn II 784; Byrne 398. Jewett 817 reproduziert Schliers Rekonstruktion, schlägt aber aufgrund der erläuternden V. 11a.c als Sitz im Leben nicht die Taufe, sondern das Liebesmahl (Agape) der Gemeinde vor (817-818, mit der zuversichtlichen Auskunft, die Überschrift des Hymnus sei „The Critical Time“ gewesen!). Lohse 363; Légasse 844; Penna 913; Müller, Prophetie, 142-148; zurückhaltend auch Fitzmyer 682; Hultgren 488. So Barrett 253; Cranfield II 685; vgl. Schreiner 696.
714 Römerbrief ————————————————————————————————————
Textkritische Anmerkungen. In V. 11b ist die 1. Pers. Plural η� μαñ ς (d46vid אD F G L Ψ [33 η� μαñ ς η» δη] 104 630 1175 u.a. Byz latt syp sa) früh und breit bezeugt, wahrscheinlich jedoch Angleichung an η� μω ñ ν in V. 11c; die 2. Pers. Plural υ� μαñ ς ( *אA B C P 81 365 1881 bo) ist ebenfalls früh bezeugt, und als lectio difficilior vorzuziehen. 203 In V. 12 ist die Lesart α� ποβαλω' μεθα („lasst uns abwerfen“) früh bezeugt (d46 D*2 F G) und die schwierigere Lesart (als hapax legomenon bei Paulus),204 aber gegenüber dem hervorragend bezeugten α� ποθω' μεθα ( אA B C D1 L P Ψ 048 33 81 104 365 630 1175 1241 1505 1506 1739 Byz) wahrscheinlich sekundär.205 Der Sinn der Aussage ist nicht beeinflusst. Statt ε� νδυσω' μεθα δε' (A B C* D* P 048 630 1739 1881 u.a.), das früh und breit bezeugt ist, lesen Handschriften: ε� νδυσω' μεθα (d46c *א6), ε� νδυσω' μεθα ουò ν (d46*), και` ε� νδυσω' μεθα (א2 C3 D1 F G Ψ 33 Byz latt sy), και` ε� νδυσω' μεθα δε' (1506), allesamt Versuche einer stilistischen Verbesserung. Die Lesart ε� νδυσω' μεθα δε' ist ursprünglich; die Klammer in NA26-28 kann entfallen. Das Subst. ο« πλα V. 12d wird in A D u.a. durch ε» ργα ersetzt, was einen symmetrischen Parallelismus mit V. 12c herstellt und auch infolge der schlechteren Bezeugung als sekundär gelten muss. In V. 13d wird ε» ριδι και` ζη' λω, in B syh sa durch ε» ρισι και` ζη' λοις ersetzt, offensichtlich eine sekundäre Angleichung an die Pluralformen in V. 13b-c; Ähnliches gilt für die Lesart ε» ρισι και` ζη' λω, in 1739. In V. 14 ist die Lesart το` ν κυ' ριον � Ιησουñ ν Χριστο' ν ( אA C D F G L Ψ 0285vid 33 81 104 365 1175 1241 1505 1506 Byz lat sy) hervorragend bezeugt; die Lesarten το` ν Χριστο' ν � Ιησουñ ν (B), το` ν κυ' ριον � Ιησουñ ν (323 630 1739 1881 u.a.), � Ιησουñ ν Χριστο' ν το` ν κυ' ριον η� μω ñ ν (d46 [629] ar t) sind sekundär, wie auch die Lesung des Akk. Sing. ει�ς ε� πιθυμι'αν (d46* A C u.a.) und die Variante ε� ν ε� πιθυμι'αις (F G) statt ει� ς ε� πιθυμι'ας. 2
III
11 Paulus erinnert die Christen in Rom an die heilsgeschichtliche Situation
ihrer Existenz. Die einleitende Wendung και` τουñ το [kai touto] verweist als Ellipse zurück auf die Mahnung zur Nächstenliebe (V. 8-10): und das tut (και` τουñ το ποιειñτε), vielleicht mit steigernder Bedeutung („und dies umso mehr, als ihr wisst“).206 Das mit weil ihr Bescheid wisst übersetzte Partizip ————————————————————
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Cranfield II 680; Dunn II 784; Moo 817 Anm. 43; Fitzmyer 682; Lohse 364; Metzger, Textual Commentary, 467. Anders Zahn 564 Anm. 88 und Jewett 816, der allerdings mit dem hypothetischen Hymnus argumentiert; vgl. Schlier 396. Von Zuntz, Text, 94 als Argument für die Ursprünglichkeit von α� ποβαλω' μεθα („seems possible“) angeführt; vgl. Cranfield II 685; Wilckens III 76; Dunn II 784; Jewett 816. Moo 818; Lohse 365; Metzger, Textual Commentary, 467; vgl. Fitzmyer 683. BDR §480 Anm. 9; Michel 413; Schlier 389; Wilckens III 75; Fitzmyer 628; kritisch
Die endzeitliche Motivation christlichen Verhaltens 13,11-14 715 ————————————————————————————————————
(ει� δο' τες [eidotes]) ist kausal, eventuell modal („im Bewusstsein, in was für einer Zeit wir leben“): Alle Jesusbekenner wissen, dass mit dem Kommen Jesu eine besondere Zeit (καιρο' ς [kairos]; s. zu 3,26; 5,6; 8,18; 9,9; 11,5) angebrochen ist. Die gegenwärtige Zeit ist, nach dem Kommen des Messias, „letzte Zeit“, Endzeit, die Zeit der „letzten Tage“. Im Alten Testament beschreibt die Formulierung „die letzten Tage“ die zukünftige Zeit der letzten Intervention Gottes in der Geschichte Israels und in der Geschichte der Welt (Jes 2,2; Jer 23,20; Hes 38,16; Dan 11,20; Hos 3,5; Mi 4,1). Petrus verbindet die Ankunft des Geistes Gottes mit den „letzten Tagen“ von Joel 3,1 [2,28] (ε� ν ταιñς ε� σχα' ταις η� με' ραις), die mit dem Wirken Jesu begonnen haben (Apg 2,17-21, Zitat von Joel 3,5 [2,32]). Petrus erinnert die Christen in Kleinasien an die Tatsache, dass Jesus „euretwegen am Ende der Zeiten“ (ε� π’ ε� σχα' του τω ñ ν χρο' νων) erschienen ist (1Petr 1,20). Die prophetische Anklage des Jakobus gegen reiche Landbesitzer enthält den Vorwurf: „Noch in den letzten Tagen (ε� ν ε� σχα' ταις η� με' ραις) sammelt ihr Schätze“ (Jak 5,3). In Hebr 1,1-2 beginnt die Abhandlung über die Bedeutung Jesu mit der Aussage, dass Gottes Offenbarung in jüngster Vergangenheit in eine neue Phase getreten ist: Gott hat zu Israel und zum jüdischen Volk durch Propheten in vielfältiger Weise gesprochen, jetzt, „in diesen letzten Tagen“ (ε� π’ ε� σχα' του τω ñ ν η� μερω ñ ν), hat Gott durch seinen Sohn Jesus Christus gesprochen (Heb 1,2). Johannes schreibt, „es ist die letzte Stunde“ (ε� σχα' τη ω « ρα ε� στι' ν), was man daran erkennen kann, dass „viele falsche Messiasse“ gekommen sind (1Joh 2,18) und in den Gemeinden eine falsche Lehre verkündigen. Die Zeit (καιρο' ς), in der die Jesusbekenner leben, ist die Zeit nach der endzeitlichen Wende, eine Zeit, die nach 1Kor 7,29 „zusammengedrängt“ (συνεσταλμε' νος) ist, d.h. die noch verbleibende Zeit zwischen der Auferstehung Jesu und der Wiederkunft Jesu, deren Grenzpunkte also bekannt sind, die Zeit, die nicht ewig fortdauern wird, sondern die auf einen abschließenden Höhepunkt zuläuft. Die „gegenwärtige Zeit“ (ο� νυñ ν καιρο' ς, Röm 3,26; 8,18; 11,5) der messianischen Gnade kann als Stunde (ω « ρα [hōra]; V. 11b) bezeichnet werden, d.h. als die Zeit, in der sich die Christen bewähren müssen.207 In 1Joh 2,18 ist von der „letzten Stunde“ die Rede, die jetzt ist (ε� σχα' τη ω « ρα ε� στι'ν).208 Die ————————————————————
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Jewett 818. Eine andere Möglichkeit ist das Verständnis im Sinn des lat. idque „und zwar“; BDR §290 Anm. 7. Wilckens III 75; H. Giesen, Art. ω « ρα, EWNT III, 1213 u.a. sprechen von eschatologischer „Entscheidungszeit“ – weder καιρο' ς noch ω « ρα beinhalten die Nuance „Entscheidung“ und Paulus spricht im Kontext nirgends von einer „Entscheidung“ der Christen. Gemeint ist hier nicht die „Stunde“ der Wiederkunft Jesu (Lk 12,39-40.46; Offb 3,3) oder die „Stunde“ des Gerichts (Offb 14,7). Vgl. die „Stunde der Zeit“ (ω « ρα καιρουñ ) in Dan 8,17.19; vgl. 11,35.40.
716 Römerbrief ————————————————————————————————————
Stunde ist schon da (η» δη [ēdē]) bedeutet, dass die Gegenwart der Jesusbekenner gekennzeichnet ist „durch die Gegebenheit des anbrechenden Tages, die das Wachsein fordert; es ist hohe Zeit, aufzuwachen und wach zu handeln“.209 Die „Stunde“, die „schon da“ ist, ist die Stunde, vom Schlaf aufzustehen (ε� ξ υ« πνου ε� γερθηñ ναι). Im Tagesablauf war dies die erste Stunde der vierten Nachtwache, die drei Stunden nach Mitternacht begann, signalisiert durch das Krähen der Hähne, als die meisten Menschen aufwachten und aufstanden.210 Die Metapher des Schlafs ist im Zusammenhang mit der Metapher der Nacht und des nahenden Tages V. 12a zu verstehen (s. dort), die die Gegenwart dieser Welt und die zukünftige Wirklichkeit der neuen Welt Gottes beschreibt. Der „Schlaf “ in dieser „Nacht“ ist die Existenz leiblicher Vergänglichkeit in der gegenwärtigen Zeit. Paulus erinnert die Jesusbekenner an das Wissen, dass die Wiederkunft Jesu bald bevorsteht, eine Tatsache, die die Dringlichkeit der Mahnungen in V. 12b, die Werke der Finsternis abzulegen, vorbereitet und unterstreicht. Die Metapher des Schlafs als negatives Bild vom Verhalten des Toren, von Inaktivität, von gemindertem Denkvermögen,211 ist in V. 11b nicht relevant: Paulus erinnert an den bald anbrechenden „Tag“ der Wiederkunft Jesu und an die Verpflichtung der Jesusbekenner, sich nicht von den Maßstäben der gegenwärtigen Welt bestimmen zu lassen, sondern die Realität des „Tages“, d.h. der neuen Welt Gottes in ihrem Leben ernst zu nehmen und ihre Zugehörigkeit zu diesem neuen Äon durch das Tun des Willens Gottes im Alltagsleben umzusetzen (12,1-2).212 Der Satz unsere Rettung ist jetzt näher als damals, als wir zum Glauben kamen (V. 11c) unterstreicht die Nähe der Wiederkunft Jesu und bereitet die Dringlichkeit der späteren Mahnungen vor. Mit „Rettung“ (σωτηρι'α [sotēria]; s. zu 1,16) ist die zukünftige Rettung gemeint – die Rettung von dem Zorn Gottes im Endgericht, die Befreiung von der Vergänglichkeit des menschlichen Leibes (vgl. 1Thess 5,8-9). Die gegenwärtige Wirklichkeit des Heils und die zukünftige Rettung schieben sich „gleichsam ineinander, ohne daß das eine das andere mindert“,213 wie in 6,1-23 die Vereinigung des Jesusbekenners mit der Auferweckung Jesu eine gegenwärtige ————————————————————
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G. Delling, Art. ω « ρα, ThWNT IX, 678. Vgl. Bauckham, Chronology, 416-417. H. Balz, Art. υ« πνος κτλ., ThWNT VIII, 547-552. Vgl. H. Balz, Art. υ« πνος κτλ., ThWNT VIII, 554; G. Schneider, Art. υ« πνος κτλ., EWNT III, 958; Michel 413; Jewett 820. Von einer „Gefahr“ (Michel 414) spricht Paulus im Zusammenhang mit der Metapher von der „Stunde“ nicht, genauso wenig wie er von „Entscheidung“ spricht. Wilckens III 76.
Die endzeitliche Motivation christlichen Verhaltens 13,11-14 717 ————————————————————————————————————
und zugleich eine zukünftige Dimension hat, und in 8,1-39 die Gabe des Heiligen Geistes für das Leben der Jesusbekenner im Alltag gegenwärtige Wirklichkeit istund zugleich die Teilhabe an der zukünftigen Auferweckung der Toten garantiert. Der Aorist ε� πιστευ' σαμεν ([episteusamen]; s. zu 1,5.8; 3,3) verweist auf die Bekehrung der römischen Christen und von Paulus selbst (1. Pers. Plural) „damals“, d.h. in der Vergangenheit.214 Seit der Bekehrung von Paulus ca. 32/33 n.Chr. und der Abfassung des Römerbriefs im Winter 56/57 n.Chr. sind fünfundzwanzig Jahre vergangen. Die Auskunft, dass die Zeit der Wiederkunft Jesu „jetzt“ (νυñ ν [nyn]), d.h. im Jahr 56/57, „näher“ (ε� γγυ' τερον [engyteron]) ist als „damals“ (ο« τε [hote]), ist nur verständlich, wenn Paulus mit einer nahen Wiederkunft Jesu rechnet, die er und andere Christen vielleicht noch erleben, und für die fünfundzwanzig Jahre eine erhebliche Zeitspanne sind. An der Naherwartung, die schon in seinem frühen Brief an die Christen in Thessalonich eine Rolle gespielt hatte (1Thess 4,13-18), hat sich nichts geändert.215 Paulus spricht von der größeren zeitlichen Nähe der Wiederkunft Jesu, aber er rechnet nicht: Er wartet gespannt, damit ihn der „Tag“ nicht „wie ein Dieb“ überrascht (1Thess 5,4). Die Wiederkunft Jesu könnte sich noch vor seinem Tod ereignen (1Thess 4,13-18), es ist aber auch möglich, dass er vorher stirbt (Phil 1,21-26) – sicher ist, dass der Herr nahe ist (Phil 4,5: ο� κυ' ριος ε� γγυ' ς).216 Der Hinweis auf das Aufwachen vom Schlaf im Zusammenhang mit der Rede von der „Zeit“ greift vielleicht Mk 13,33 (α� γρυπνειñτε· ου� κ οι»δατε γα` ρ πο' τε ο� καιρο' ς ε� στιν) auf, vielleicht auch das Gleichnis von den wachenden und schlafenden Jungfrauen (Mt 25,6-10). Das Adj. ε� γγυ' τερον und das Verb η» γγικεν in V. 12 erinnern an das Wort Jesu von der Nähe des Königreiches Gottes (Mk 1,15, η» γγικεν η� βασιλει'α τουñ θεουñ ).217 12 Paulus beschreibt die Zeit, in der die Jesusbekenner leben, mit der Metapher der vorgerückten Nachtstunde und des nahenden Tages: Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahegekommen (V. 12a). Die Nacht (νυ' ξ [nyx]) ist „vorgerückt“ (προε' κοψεν [proekopsen]), d.h. ihrem Ende nahe,218 und ————————————————————
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Lohse 364 bezieht ε� πιστευ' σαμεν auf die „Wende“, die „durch die Taufe geschehen (ist), deren Vollzug im Glauben angenommen wurde“. Bei den ersten Christen ging der Glaube der Taufe voraus: Die „Entscheidung für Christus“ (ebd.) ist das Zum-GlaubenKommen, das in der Taufe dargestellt wird. Käsemann 350; Wilckens III 76; Dunn II 786; Vögtle, Paraklese. Wilckens III 76 protestiert zu Recht gegen Interpretationen von V. 11, die die futurische Eschatologie im Sinn der „Krise christlicher Existenz“ (Dodd 210; Althaus 122) oder im Sinn einer Deutung auf den Tod (Sanday/Headlam 379) ausblenden. Wenham, Paul, 311-312; Thompson, Clothed, 143-144; vgl. Dunn II 786; Michel 414. Vgl. W. Schenk, Art. προκο' πτω κτλ., EWNT III, 379, mit Verweis auf Josephus, Bell 4,298; vgl. G. Stählin, Art. προκοπη' κτλ., ThWNT VI, 703-719: Die Formulierung in
718 Römerbrief ————————————————————————————————————
der Tag (η� με' ρα [hēmera]) ist „nahegekommen“ (η» γγικεν [ēngiken]), d.h. noch nicht angebrochen, aber unmittelbar bevorstehend. Die Stunde, in der die meisten Menschen aufwachten und aufgestanden sind (V. 11b), war das Ende der dritten und der Beginn der vierten Nachtwache, ungefähr um vier Uhr, kurz vor dem ersten Lichtschein, vor dem Morgengrauen, eine Stunde oder länger vor Sonnenaufgang. Diese Zeit zwischen Nacht und Tag, beim ersten Lichtschein oder kurz vorher, war die Zeit, in der Juden das Morgengebet gesprochen haben:219 „Wach auf, meine Seele! Wacht auf, Harfe und Saitenspiel! Ich will das Morgenrot wecken“ (Ps 57,9; LXX 56,9: ε� ξεγερθη' σομαι ο» ρθρου, „Ich will in aller Frühe aufwachen“); „so sollte man erkennen, dass man, um dir zu danken, der Sonne zuvorkommen und sich noch vor dem Aufgang des Lichtes (προ` ς α� νατολη` ν φωτο' ς) an dich wenden muss“ (Weish 16,28). Die Metapher „Nacht“ beschreibt die Zeit vor Jesu Wiederkunft, „Tag“ steht für die Zeit der offenbarten Herrlichkeit Gottes (5,2; 8,17-18), eine Zeit, in der die Vergänglichkeit der Schöpfung und des menschlichen Leibes in der neuen Welt Gottes aufgehoben sind (8,21-23). Für diese Symbolik gibt es weder in der atl. noch in der jüdischen Tradition eindeutige Vorbilder. Die Symbolik von Tag und Nacht wird von Sacharja verwendet, der den „Tag des Herrn“ beschreibt (14,1-21), u.a. mit dem Hinweis, dass es am Tag des Herrn, an dem er Israels Feinde vernichtet und an dem seine Füße auf dem Ölberg stehen, „einen Tag lang – er ist dem Herrn bekannt – weder Tag noch Nacht werden (wird), sondern am Abend wird Licht sein“ (Sach 14,7). Die Metaphern „Tag“ und „Nacht“ werden hier jedoch nicht im Sinn von zwei Äonen der Weltzeit verstanden. Es scheint, dass die Symbolik von „Nacht“ und „Tag“ als Bild für den gegenwärtigen und den zukünftigen Äon von Paulus geprägt wurde,220 mit der engsten Parallele in 1Thess 5,5-8: „Ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein. Denn wer schläft, schläft bei Nacht, und wer sich betrinkt, betrinkt sich bei Nacht. Wir aber, die dem Tag gehören, wollen nüchtern sein und uns rüsten mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil“. In Offb 21,5; 22,5 beschreibt Johannes den neuen Himmel und die neue Erde und das neue Jerusalem als Wirklichkeit, in der Gott in der Mitte der Menschen wohnt, eine Wirklichkeit, in der es keine Nacht mehr gibt und in der Gottes Volk „weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne“ braucht, „denn der Herr, ihr ————————————————————
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Röm 13,12 ist der Alltagssprache entnommen (712); nach Stählin bezeichnet προκο' πτω in V. 12 „den schwebenden Zwischenzustand zwischen den Äonen“, wobei der Aorist προε' κοψεν betont, dass die Nacht schon weit fortgeschritten ist: „es ist diejenige Zeit der Nacht, in der das vor dem Einbruch der Dämmerung besonders tiefe Dunkel herrscht“ (716; übernommen von Ortkemper, Leben, 137; vgl. Jewett 821); diese Aussage überinterpretiert den Aorist und geht von dubiosen meterologischen Annahmen aus. Beten des Schema, verbunden mit der Rezitation des Dekalogs und von Gebeten, gemäß Deut 6,7, wenn man sich schlafen legte und wenn man aufstand (vgl. 1QS X, 10). Dunn II 787. Stählin, ThWNT VI, 716, führt die Metaphorik vom Übergang der Äonen auf die rabbinische Auslegung von Jes 11,11-12 zurück (mit Verweis auf Bill. IV, 853855), was aus chronologischen Gründen nicht plausibel ist.
Die endzeitliche Motivation christlichen Verhaltens 13,11-14 719 ———————————————————————————————————— Gott, wird über ihnen leuchten und sie werden herrschen in alle Ewigkeit“. Die „Finsternis“, die Paulus für das unverständige Herz der Menschen konstatiert, die die Wahrheit Gottes durch Ungerechtigkeit niederhalten (Röm 1,21) und die die Juden für alle Heiden postulieren (2,19), ist theologisch-ethisch und nicht heilsgeschichtlich gemeint, bildet aber vielleicht den Hintergrund für die Metapher vom Tag und der Nacht als Beschreibung dieses und des zukünftigen Äons.
Aus der Nähe der Wiederkunft Jesu und der neuen Welt Gottes ergibt sich (ουò ν) die doppelte Mahnung: lasst uns deshalb die Werke der Finsternis ablegen, lasst uns die Waffen des Lichts anlegen (V. 12b-c). Das mit „ablegen“ (α� ποθω' μεθα [apothōmetha]) übersetzte Verb, das manchmal für das Ablegen bzw. Ausziehen von Kleidung verwendet wird,221 steht hier bildhaft für die Abwendung von falschen Verhaltensweisen, hier als „Werke“ (ε» ργα [erga]) bezeichnet. Das Verb „anlegen“ (ε� νδυσω' μεθα [endysōmetha]) wird häufig für das Anziehen von Kleidung verwendet.222 Die Konjunktive sind adhortativ zu verstehen:223 Paulus ruft alle Jesusbekenner, sich selbst eingeschlossen (1. Pers. Plural), dazu auf, die Mahnung von 12,1-2 zu verwirklichen – alles zu abzulegen und zu vermeiden, was dem Schema der gegenwärtigen Weltzeit entspricht, und die von Gott veranlasste Erneuerung des Denkens in ihrem Alltagsleben Wirklichkeit werden zu lassen, damit sie den Willen Gottes tun können. Die metaphorische Verwendung des Ausziehens und Anziehens von Kleidung als Warnung vor lasterhaftem Verhalten und Mahnung zu richtigem, tugendhaften Verhalten war in der atl.-jüdischen und griech.-römischen Tradition bekannt.224 Im Kontext des Übergangs von der Nacht zum Tag (V. 12a) legt sich der Gedanke des Umziehens nahe: Wenn man aufsteht, legt man ab, was man in der Nacht anhatte (das „Nachthemd“, wie man traditionell im Deutschen sagt), und zieht die Kleider an, die man am Tag trägt. Im Kontext des Hinweises auf Waffen (V. 12c) legt sich der Gedanke des Ausziehens der Alltagskleidung (bzw. der in der Nacht getragenen Kleider) und des Anziehens der im Krieg getragenen Ausstattung nahe. „Werke“ sind in V.12b nicht deshalb negativ qualifiziert (durch den Genitiv τουñ σκο' τους), weil für Paulus Werke immer negativ wären:225 Was ————————————————————
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Bauer/Aland s.v . α� ποτι' θημι 1a; 2Makk 8,35; JosAs 13,2; Josephus, Ant 8,266; Apg 7,58. Bauer/Aland s.v. ε� νδυ' ω 2a; LSJ s.v. ε� νδυ' ω I.1; A. Oepke, Art. δυ' ω κτλ., ThWNT II, 319320; im NT im eigentlichen Sinn in Mt 6,25; Mk 6,9; Apg 12,21; Offb 19,14. HvS §210c: Der adhortative Konj. drückt eine Selbstaufforderung an die 1. Person, meist des Plurals, aus; statt „lasst uns“ kann man auch mit „wir wollen“ übersetzen. Ausziehen: Arist 122; Demosthenes 8,46; Plutarch, Cor 19,4; im NT: Eph 4,22.25; Kol 3,8; Jak 1,21; 1Petr 2,1. Anziehen: Hi 29,14; Ps 93,1; 132,9; Spr 31,24; Jes 51,9; 59,17; 61,10; Weish 5,18; Bar 5,1; Philo, Conf 31; im NT: 1Thess 5,8; Eph 6,11.14; Kol 3,12. Eine positive Bedeutung liegt in 2,7.15; 13,3 vor.
720 Römerbrief ————————————————————————————————————
abgelegt werden soll sind die „Werke der Finsternis“ (τα` ε» ργα τουñ σκο' τους [ta erga tou skotous]), d.h. Werke, in denen die Finsternis handelt (gen. subjectivus), nicht die Werke, in denen sich das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene des Willens Gottes verwirklicht. „Werke der Finsternis“ sind Handlungen, deren man sich im Licht des Tages schämt. Jesaja spricht ein Drohwort gegen diejenigen, „die in der Tiefe einen Ratschluss ausführen und nicht durch den Herrn … die im Verborgenen einen Ratschluss ausführen und deren Werke in Finsternis geschehen (ε» σται ε� ν σκο' τει τα` ε» ργα αυ� τω ñ ν), und sie sagen: Wer hat uns gesehen, und wer wird uns erkennen?“ (Jes 29,15; LXX.D). Paulus redet statt von „Werken des Lichts“, was parallel zu 13,12b formuliert wäre, von „Waffen des Lichts“ (τα` ο« πλα τουñ φωτο' ς [ta hopla tou phōtos]; V. 12c) und beschreibt damit Jesusbekenner als bewaffnete Kämpfer bzw. das christliche Leben als Kampf. Das Bild vom Menschen als mit Waffen ausgerüstetem Kämpfer liegt auch in der atl.-jüdischen und der griechisch-römischen Tradition vor226 und wird von Paulus mehrfach verwendet. Die „Waffen des Lichts“ erinnern an die „Waffen der Gerechtigkeit“ von 6,13. In 1Thess 5,8 spricht er von Christen als Menschen, „die dem Tag gehören“ und deshalb „nüchtern“ sind, „bekleidet (ε� νδυσα' μενοι) mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil“ gerüstet. In 2Kor 6,7 spricht Paulus von „Waffen der Gerechtigkeit“ (τα` ο« πλα τηñ ς δικαιοσυ' νης), konkretisiert als „Waffen in der Rechten und in der Linken“, d.h. Angriffswaffen (Schwert) und Verteidigungswaffen (Schild), in 2Kor 10,4 von den „Waffen unseres Kampfes“ (τα` ο« πλα τηñ ς στρατει'ας η� μω ñ ν), die keine irdischen Waffen sind (ου� σαρκικα' ), sondern „durch Gott die Macht haben, Festungen zu schleifen“. In Eph 6,11 ruft Paulus die Jesus-bekenner auf, die „Rüstung Gottes“ anzuziehen (ε� νδυ' σασθε τη` ν πανοπλι'αν τουñ θεουñ ), um den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen zu können (6,13: α� ναλα' βετε τη` ν πανοπλι'αν τουñ θεουñ ), beschrieben in 6,14-17. Paulus denkt selbstverständlich nicht an eine buchstäbliche militärische Schlacht, sondern an das christliche Leben, in dem Fleisch und Geist (Gal 5,17), Sünde und Gott (Röm 7,22-25) und letztlich Satan und Gott (Eph 6,11-17) gegeneinander kämpfen. Der Kontrast von Licht (φω ñ ς) und Finsternis (σκο' τος) kommt als Antithese häufig in Hiob (12,22.25; 17,12; 18,6.18; 22,13; 24,16) und bei Jesaja (5,20; 9,2; 42,6-7.16; 59,9; 60,1-3) vor. Die bildliche Verwendung im Sinn der Unfähigkeit, zu sehen, und geistlicher oder moralischer Erleuchtung ————————————————————
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Jes 59,17; Weish 5,17-20; 18,21; Horaz, Ep 1,18,15-16; Seneca, Ep 59,7-8; 109,8; 117,7.25; Fronto, Eloq 1,16; Dio Chrystostomos, Or 16,6; 49,10.
Die endzeitliche Motivation christlichen Verhaltens 13,11-14 721 ————————————————————————————————————
bzw. Erkenntnis findet sich in Deut 28,29; Ps 36,9; 97,11; 82,5; Jes 42,7; Mi 7,8-9; vgl. Weish 17,20–18,4; Philo, Som 2,39; SpecLeg 1,288. Die Parallele mit Spr 4,14-19 ist auffällig: Dort ist einerseits die Rede vom Pfad der Frevler, vom Weg der Bösen, vom Tun des Bösen in der Nacht (wo man schlafen sollte), andererseits vom Pfad der Gerechten, der wie „das Licht am Morgen“ ist,227 während der Weg der Frevler „wie dunkle Nacht“ ist: „Sie merken nicht, worüber sie fallen“.228 Der Kontrast zwischen Licht und Finsternis spielt in apokalyptischen Texten eine Rolle229 und wird in Qumran zur Beschreibung der eigenen Gemeinschaft („Kinder des Lichts“) im Kontrast zu allen anderen Menschen („Kinder der Finsternis“) verwendet.230 Nach Mt 4,12-17 erläuterte Jesus die Bedeutung seines Wirkens mit dem Zitat Jes 8,23–9,1, in dem vom Volk die Rede ist, das im Dunkeln lebt, von Menschen, die im Schattenreich des Todes wohnen, und von dem hellen Licht, das erschienen ist und gesehen wurde. Nach Apg 26,18 beschreibt Paulus die Bekehrung als Abwendung von der Finsternis und von der Macht Satans hin zu Gott und zum Glauben an Jesus, durch den Menschen Vergebung der Sünden und die Teilhabe am Erbe zusammen mit den Geheiligten erhalten; vgl. 2Kor 4,6; Kol 1,12-13; Eph 5,8. In 2Kor 6,14-15 werden Gerechtigkeit und Licht mit Gesetzlosigkeit und Finsternis kontrastiert, ein Kontrast, der dem Gegensatz von Messias und Beliar, von Gläubigen und Ungläubigen entspricht. Der Kontrast zwischen Licht und Finsternis taucht, wie hier in Röm 13,12, auch in 1Thess 5,4-5 in endzeitlicher Dimension auf: Christen leben nicht in der Finsternis (ου� κ ε� στε` ε� ν σκο' τει), sodass sie „der Tag“ (η� η� με' ρα) wie ein Dieb überraschen könnte; sie sind „Söhne des Lichts“ (υι�οι` φωτο' ς) und „Söhne des Tages“ (υι�οι` η� με' ρας), sie gehören „nicht der Nacht und nicht der Finsternis“ an (Ου� κ ε� σμε` ν νυκτο` ς ου� δε` σκο' τους), woraus sich ergibt, dass Christen „nicht schlafen wie die anderen“, sondern „wach und nüchtern“ sind (5,6). In der Nacht schläft man, am Tag ist man wach. Paulus verwendet diese alltägliche Erfahrung als Symbolik für die Lebenseinstellung der Gläubigen: Sie sollen als Menschen, die Gott durch den Sühnetod des Messias Jesus gerechtfertigt (3,21–5,10) und für die er das Problem der Macht der Sünde ————————————————————
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Anders Spr 4,18 LXX: φωτι' ζουσιν, ε« ως κατορθω' ση, η� η� με' ρα („sie leuchten, bis der Tag gut zu Ende gebracht ist“). Dunn II 788 verweist auf TestLev 19,1; TestNaf 2,10; TestGad 5,7; TestJos 20,2; TestBen 5,3 als weitere Parallelen. Vgl. Aalen, Begriffe. Am 5,18.20; Jes 60,19-20; äthHen 10,5; 92,4-5; 1098,11-14; grHen 65,9-10; syrApkBar 18,2; 48,50. 1QS I, 9-10; III, 24-25; IV, 7-13; im Kontext der eschatologischen Schlacht: 1QM I,9.814; XIII, 5-16.
722 Römerbrief ————————————————————————————————————
ein für alle Mal beseitigt hat (5,12-21), sodass sie sich ihrer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes rühmen (5,2), als Menschen des „Tages“ leben und wachen, dass sie nicht wie Menschen der „Nacht“ in das Tun der „Werke der Finsternis“ zurückfallen. In Eph 5,6 warnt Paulus die Christen, nichts mit den Ungehorsamen gemein zu haben, die den Zorn Gottes auf sich herabziehen: Sie waren einst Finsternis (ηò τε' ποτε σκο' τος), sind aber jetzt durch den Herrn Licht geworden (νυñ ν δε` φω ñ ς) – deshalb sollen sie als „Kinder des Lichts“ (τε' κνα φωτο' ς) leben (5,8); das Licht bringt Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor (5,9) und ist damit der Grund, weshalb sie mit den „Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen“ (τοιñς ε» ργοις τοιñς α� κα' ρποις τουñ σκο' τους) nichts gemein haben sollen (5,11), „denn man muss sich schämen, von dem, was sie heimlich tun, auch nur zu reden“ (5,12). Wie die „Werke der Finsternis“ eine Lebensführung erkennen lassen, die durch die Finsternis der Gottesferne geprägt ist, so sind die „Waffen des Lichts“ eine Verhaltensweise, die dem neuen Menschen der neuen Welt Gottes entspricht – „Erscheinungsformen des neuen Äons, in denen die Auseinandersetzung zwischen Finsternis und Licht durchgefochten wird“.231 Der Kampf mit den „Waffen des Lichts“ (V. 12c) gegen die „Werke der Finsternis“ (V. 12b) ist für Jesusbekenner nicht nur aussichtsreich, sondern im Anschluss an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus prinzipiell entschieden: Da Gott für uns ist, kann niemand gegen uns sein; da Gott Jesus für unsere Sünden dahingegeben hat, wird er uns mit ihm alles schenken – daran wird und kann nichts und niemand in der Schöpfung und jenseits der sichtbaren Welt, etwas ändern (8,31-39). 13 Nach dem Aufruf zur Verwirklichung der von Gott gewährten neuen Existenz im Alltagsleben (V. 12b-c) erfolgt ein Aufruf zu einem einwandfreien Lebenswandel (V. 13a): Lasst uns einen einwandfreien Lebenswandel führen wie (es sich) am Tag (ziemt).232 Der Konjunktiv des Verbs ist wieder adhortativ: Paulus ruft alle Jesusbekenner, sich selbst eingeschlossen, auf sicherzustellen, dass die Lebensführung (zu περιπατε' ω [peripateō] s. zu 6,4) „einwandfrei“ (ευ� σχημο' νως [euschēmonōs]) ist, d.h. ehrbar, ordentlich, anständig.233 Da das Adj. in Ehreninschriften im Sinn der Anerkennung für die gute Verwaltung öffentlicher Ämter vorkommt,234 kann ————————————————————
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Michel 415. ω� ς ε� ν η� με' ρα, verkürzt, das Partizip auslassend, und ω� ς η� με' ρα, ς ου» σης; BDR §425 Anm. 6. Vgl. H. Greeven, Art. ευ� σχη' μων, ThWNT II, 768-770; die Bedeutung „vornehm, angesehen, aus anständiger Familie“ liegt hier nicht vor (so jedoch in Mk 15,43; Apg 13,50; 17,12). Vgl. auch P. Fiedler, EWNT II, 215-216; C. Spicq, TLNT II, 139-142. In der LXX in Spr 11,25; 4Makk 6,2; vgl. Epiktet, Diss 4,1,163; 4,12,6. I.Magn. 101,14-15; I.Priene 55,13-14; MM verweist auf Syll 246,36; OGIS 339,32;
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man von einer zumindest partiellen Übereinstimmung mit ethischen Normen von Nichtchristen ausgehen (vgl. 1Thess 4,12). Christliche Lebensführung ist nicht in jedem Punkt von der Lebensführung von Nichtchristen verschieden. Wie man sich im Licht des Tages anständig benimmt, sollen Jesusbekenner, die „wie am Tag“ leben, einen einwandfreien Lebenswandel führen. Paulus widerspricht der in der griechisch-römischen Welt verbreiteten Ansicht, im Dunkel der Nacht sei erlaubt, was immer einem gefällt. Ovidbeschreibt in einer Liebeselegie einen Liebhaber, der nachts vergeblich vor der Tür seiner Geliebten um Einlass gefleht hat: Er denkt über einen gewaltsamen Einbruch nach und kommentiert: „Dunkel und Liebe und Wein sind nicht für kluge Beherrschung; fremd ist dem Dunkel die Scheu, Bacchus und Amor die Furcht“ (Am 1,6,59-60; NW II.1, 207). Tacitus beschreibt die Meuterei aufgebrachter Soldaten im Lager Vetera (bei Xanten) im Jahr 69: „Während sich die Leute Ausschweifungen und Gelagen und nächtlichen Zusammenrottungen zügellos hingaben, frischten sie den alten Groll gegen Hordeonius wieder auf, zerrten ihn, ohne dass einer der Legaten oder Tribunen Einhalt zu tun wagte (die Nacht hatte ja jedes Ehrgefühl ersticken lassen) von seiner Lagerstätte und brachten ihn um“ (Hist 4,36,2).
Die Wendung ω� ς ε� ν η� με' ρα, [hōs en hēmera] ist nicht hypothetisch im Sinn der Nichtentsprechung zu verstehen,235 sondern sie bezeichnet den wirklichen Fall:236 Jesusbekenner leben „im Zeichen des Neuen Tages“.237 Die Wirklichkeit des „Tages“ der neuen Welt Gottes, der mit der Wiederkunft Jesu sichtbare Wirklichkeit werden wird, bestimmt schon jetzt das Verhalten der Christen (V. 11-12). In V. 13c-d folgt ein Lasterkatalog mit sechs paarweise erwähnten Elementen, der pars pro toto „Werke der Finsternis“ (V. 12b) beschreibt, die die nicht einwandfreie Lebensführung kennzeichnen. Die Dative beschreiben als dat. modi den Modus der Lebensführung, die das Leben der Jesusbekenner nicht kennzeichnet. Paulus nennt an erster Stelle Ess- und Trinkgelage (V. 13b). Das Wort κω ñ μος [kōmos] ist hier nicht das fröhliche Essen, das Festmahl,238 sondern im negativen Sinn das Essgelage.239 Mit με' θαι [methai]240 sind Trinkgelage bezeichnet, bei denen man sich betrinkt. ————————————————————
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Horsley/Llewelyn, New Documents II, 50 verweist noch auf ein Dekret für Athanadas von Rhegion sowie auf P.Vindob.Salomons 1. So Barrett 254: „als ob der Tag schon da wäre“, d.h. er ist in Wirklichkeit nicht da, sondern nur „nahe“; vgl. Lietzmann 113. D.h. ω� ς bezeichnet hier eine wirkliche Eigenschaft; HvS §252,61.a2. Käsemann 351; vgl. Schlier 398; Wilckens III 77; Jewett 825. Dunn II 789 und Sampley, Walking, 13-17 betonen das „Schon“ und „Noch-Nicht“ der paulinischen Ethik. G. Schneider, EWNT II, 825. Vgl. Weish 14,32; 2Makk 6,4; Philo, Cher 92. In Gal 5,21 wie in Röm 13,13 neben με' θαι, in 1Petr 4,3 neben πο' τοι. EÜ: „maßloses Essen“; GN: „Saufgelage“; Elb.Ü: „Fressen“; NGÜ: „Schlemmen“. Der Sing. με' θη bedeutet „Trunkenheit, Rausch“, der Pl. με' θαι „Trinkgelage“; Bauer/
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Nach Fehlverhalten im Blick auf Mahlzeiten spricht das zweite Paar Fehlverhalten in sexuellen Beziehungen an: sexuelle Ausschweifung und Zügellosigkeit (V. 13c). Das Wort κοι'ται [koitai] bedeutet im euphemistisch-negativen Sinn „geschlechtliche Ausschweifungen“.241 Unter α� σελγει'αι [aselgeiai] ist ebenfalls sexuelles Fehlverhalten zu verstehen.242 Wenn man κοι'ται als sexuelle Eskapaden im Bett interpretiert, wären α� σελγει'αι vielleicht öffentliche Sexualakte bei Gelagen. Das letzte Paar spricht von Fehlverhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen: Streit und Eifersucht (V. 13d). In Lasterkatalogen stehen diese beiden Vokabeln wiederholt zusammen (2Kor 12,20; Gal 5,20; 1Klem 5,5; 6,4; 9,1). Das Wort (ε» ρις [eris]), das auch im Lasterkatalog Röm 1,29 vorkommt, ist die übliche Bezeichnung für Streit, Zank, Hader, Zwiespalt.243 In 2Kor 12,20; Gal 5,20; Phil 1,15 steht es neben φθο' νος ([phthonos], „Missgunst, Neid“), hier neben ζη' λος [zēlos], das hier nicht „Eifer“ (Röm 10,2), sondern negativ „Eifersucht“ heißt (wie in 1Kor 3,3; in den Lasterkatalogen 2Kor 12,20; Gal 5,20). Wie in Röm 10,19 ist Eifersucht „das Streben nach alleinigem Besitz oder Genuß eines Gutes, verbunden mit der Angst, darin von anderen gestört zu werden“.244 Plutarch schreibt in seiner Schrift über die Kindererziehung: „Fehltritte von Kindern … sind klein und leicht zu verbessern, wer wüsste das nicht. Aber die Vergehen von Jugendlichen sind oft bedenklich: Unmaß in Tafelfreuden, Entwenden väterlicher Gelder, Würfelspiel, nächtliches Herumtreiben, Trinkgelage, Liebschaften mit Mädchen und Verführen verheirateter Frauen“ (Mor 12B; Übersetzung nach NW II.1, 207). In einem Fragment des Komödiendichters Epicharmus heißt es: „Aus der Opferhandlung entstand das Gastmahl, aus dem Gastmahl das Trinkgelage … Aus dem Trinkgelage aber entstand Spott, aus dem Spott schweinisches Benehmen, aus dem schweinischen Benehmen [Rechtsprechung, aus der ————————————————————
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Aland s.v. με' θη; H. Preisker, με' θη κτλ., ThWNT IV, 550-554. Im NT in Lk 21,34; Röm 13,13; Gal 5,21; das Verb in Mt 24,49; Apg 2,15; 1Kor 11,21; 1Thess 5,7; Offb 17,6. Bauer/Aland s.v. κοιτη' 2a. Die allg. Bedeutung ist „Bett“ (vgl. Lk 11,7), auch „Ehebett“ (Hebr 13,4); euphemistisch für den Sexualakt (vgl. Lev 15,21-26; Weish 3,13.16; Euripides, Med 152; Alc 249). Bauer/Aland s.v. α� σελγει' αι, „Zügellosigkeit, Üppigkeit“; im NT in der Regel mit einer sinnlichen Bedeutung; in 2Kor 12,21 neben πορνει' α, in Gal 5,19 neben α� καθαρσι' α; sonst noch Mk 7,22; Eph 4,19; 1Petr 4,3; 2Petr 2,2.7.18; Jud 4. Vgl. O. Bauernfeind, Art. α� σελγει' αι, ThWNT I, 488 („geschlechtliche Ausschweifung“ wahrscheinlich in Gal 5,19, sicher in Röm 13,13); H. Goldstein, EWNT I, 407-408. Vgl. H. Giesen, Art. ε» ρις, EWNT II, 131-132; C. Spicq, TLNT II, 69-72. Das Wort ist in den dokumentarischen Papyri bisher nicht belegt, ist also kein Rechtsterminus; vgl. Papathomas, Begriffe, 23-24: Statt ε» ρις verwenden juristische Papyrusurkunden α� μπφιβολι' α, α� μφισβη' τησις, στα' σις, φιλον(ε)ικι' α. Der Duden definiert „Streit“ als „heftiges Sichauseinandersetzen, zanken (mit einem persönlichen Gegner) in oft erregten Erörterungen, hitzigen Wortwechseln, oft auch in Handgreiflichkeiten. G. Müller, Art. Eifersucht, LThK III, 732; vgl. Bell, Jealousy, 6.
Die endzeitliche Motivation christlichen Verhaltens 13,11-14 725 ———————————————————————————————————— Rechtsprechung Ver]urteilung, aus Verurteilung aber Fesseln, Fußeisen und Strafe“ (Frag. 148).
Der „einwandfreie Lebenswandel“ der Jesusbekenner bleibt nicht Theorie, sondern wird in konkretem Verhalten sichtbar, das von der Gesellschaft akzeptierte, jedenfalls regelmäßig vorkommende und zu beobachtende Verhaltensweisen meidet. 14 Den „Werken der Finsternis“ und der diesen entsprechenden Lebensführung (V. 12b.13) stellt Paulus, mit einem adversativen α� λλα' eingeleitet, die Wirklichkeit der Herrschaft des Messias Jesu entgegen: zieht den Herrn Jesus, den Messias, an (V. 14a). Der Imperativ „zieht an“ (ε� νδυ' σασθε [endysasthe]) knüpft an das Bild vom „Anlegen“ der „Waffen des Lichts“ (V. 12c) an. Die Metapher vom Anziehen ist in Jes 51,9; 52,1 mit „Stärke“, in Ps 132,9; Hi 29,10 mit „Gerechtigkeit“ verbunden; für die Verbindung mit einer Person bzw. einem Personennamen gibt es in der atl.jüdischen Tradition keine Parallelen, 245 sie kommt aber in griech.römischen Texten sporadisch vor.246 Das „Objekt“ des metaphorischen Anziehens ist Jesus, der mit den Würdetiteln „Herr“ (κυ' ριος [kyrios]; s. zu 1,4) und „Messias“ (Χριστο' ς [Christos]; s. zu 1,1) als der Heil schaffende gekreuzigte, auferweckte und erhöhte Gottessohn (1,4) beschrieben wird. Die Metapher vom Anziehen unterstreicht, dass Jesusbekenner „neue Menschen“ sind: Ihre Identität ist aufs Engste mit der Identität Jesu als Herr und Messias verbunden.247 Paulus fordert die Jesusbekenner auf, die Tatsache ernst zu nehmen und in ihrer Lebensführung immer wieder neu Wirklichkeit werden zu lassen, dass ihre Identität die Identität des Messias Jesus ist: Sie sollen sich so verhalten, wie Jesus sich verhalten würde. Das Bild vom Anziehen des Messias Jesus impliziert die Einheit der Gemeinde sowie die Einheit ihres Verhaltens im Alltag: Alle Jesusbekenner, ob Juden oder Griechen, Männer oder Frauen, Sklaven oder Freie (Gal 3,28) haben den Messias Jesus „angezogen“ (Gal 3,27) – sie sehen gewissermaßen alle gleich ————————————————————
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Jes 49,18 hat eine andere Bedeutung. Horst, Observations, 181-187 verweist auf Dionysios Halicarnassus, AntRom 11,5; Libanius, Ep 1046,2; Lukian, Gallus 16-19; vgl. NW II.1, 210-211. Horst lehnt die Herleitung der Metapher aus den Mysterienreligionen oder der Gnosis ab. Peterson, Theologie, 347-356 will die Metapher mit der Schöpfungsgeschichte verbinden: Adam war vor dem Fall mit der Herrlichkeit Gottes bekleidet; der Mensch hat dieses Kleid im Sündenfall verloren, bekommt es aber in der Taufe wieder verliehen; d.h. Gal 3,27 (und Röm 13,14) betonen, dass die an Jesus Gläubigen in der Taufe in den Urstand zurückversetzt werden, indem sie am Tod und der Auferweckung Jesu teilhaben. Kim, Clothing, 2.224-225 stimmt Peterson zu. Diese Interpretation lässt sich weder Gen 1–3 noch an Gal 3,27 oder Röm 13,14 verifizieren, wo keine Hinweise auf Adam oder die Urgeschichte zu finden sind.
726 Römerbrief ————————————————————————————————————
aus: Wenn man sie sieht, soll man Jesus sehen. Wer den Messias Jesus angezogen hat, der ist „im Messias Jesus“ (ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ; s. zu 3,24). Die meisten Ausleger beziehen den Moment des „Anziehens“ des Messias Jesus auf die (Wasser-)Taufe, oft mit Berufung auf Gal 3,27-28, wo βαπτι' ζω [baptizō] mit ε� νδυ' ω [enduō] verbunden ist.248 Die Verwendung von βαπτι' ζω allein beweist diese Verbindung nicht, da dieses Verb nicht einfach „taufen“ bedeutet, sondern oft die metaphorische Bedeutung „in eine abstrakte Wirklichkeit hineinversetzt und von dieser überwältigt werden“, z.B. von Schulden, Argumenten oder Gedanken, hat (s. oben zu 6,3). In Gal 3,27 ist eine metaphorische Bedeutung naheliegend, wie die erläuternde Wendung in V. 27b (Χριστο` ν ε� νεδυ' σασθε; „ihr habt Christus [als Gewand] angelegt“) zeigt.249 Autoren, die wie Schlier Teile von Röm 13,11-14 als Zitat einer Taufliturgie interpretieren, deuten ebenfalls im Sinn der Taufe. Die Annahme, dass das „Ausziehen“ in V. 12 und das „Anziehen“ in V. 14 die Praxis bei der Taufe reflektieren, dass man seine Kleidung vor der Taufe auszieht und nach der Taufe wieder anzieht,250 lässt sich an der Taufpraxis im 1. Jahrhundert nicht verifizieren und bleibt deshalb spekulativ. Die urchristliche Bewegung war keine Taufbewegung, sondern eine Bekehrungsbewegung: Der entscheidende Einschnitt im Leben eines Polytheisten und eines Juden war nicht das Taufritual, sondern die Bekehrung zum Glauben an den wahren Gott und an Jesus, den Messias Israels und Retter der Welt. Bei vielen Jesusbekennern wird das Zum-Glauben-Kommen und die Taufe zeitlich nahe beieinandergelegen haben. Nach Röm 6,3 wurden zum Glauben an Jesus bekehrte Sünder „in den Messias Jesus hineinversenkt“ (ε� βαπτι' σθημεν ει� ς Χριστο` ν � Ιησουñ ν), d.h., sie wurden mit dem Messias Jesus eins, in ihn inkorporiert, in seinen Lebenslauf eingefügt (mit ihm gekreuzigt, mit ihm auferweckt), integriert in seine Herrschaft als neuer Adam, einbezogen in seinen Schutz und seine Herrschaft. Schließlich macht der Imperativ ε� νδυ' σασθε in 13,14a die Annahme schwierig, es ginge um die Taufe: Der Imperativ, der an die Jesusbekenner in den stadtrömischen Gemeinden gerichtet ist, verweist auf eine Handlung nach der nur ein Mal vollzogenen Wassertaufe – auf eine Handlung, die immer wieder neu vollzogen werden muss.251
Jesusbekenner sind mit dem Messias Jesus verbunden und seiner Herrschaft unterstellt. Die Herrschaft des Messias Jesus im Leben des Gläubigen führt nicht einfach zu einem vorbildlichen, von Exzessen freien Lebenswandel, sondern zu der Erneuerung des Denkens im Kontrast zu den Maßstäben der gegenwärtigen Welt und im Anschluss an den heiligen Willen Gottes, von dem in 12,1-2 die Rede war. In 12,9-21 und 13,8-10 hatte Paulus erläutert, was es heißt, von Jesus ganz bestimmt zu sein: Dies heißt konkret, einander ————————————————————
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Neben den Kommentarn s. jüngst Kim, Clothing, 136-138. Anders Thompson, Clothed, 1499-158, der die Metapher nicht auf die Taufe bezieht. Dunn, Galatians, 203-205; vgl. Schnabel, Language; Schnabel, Meaning. Kim, Clothing, 137; vgl. Käsemann 350, der von ‚feste[r] Taufsprache“ spricht. Die für viele ähnliche Auslegungen paradigmatische Auskunft von Lohse 366, der im Sinn der Wassertaufe interpretiert, hat Mühe, den Imperativ zu verstehen: Der Wechsel, durch den die Glaubenden der Herrschaft des Kyrios unterstellt wurden, sei in der Taufe vollzogen worden, wobei der Imperativ, der sich auf den Indikativ beziehe, dazu anhalte, „diese schon getroffene Entscheidung zu realisieren, sich das in der Taufe zugeeignete neue Leben anzueignen und es in gehorsamem Wandel zu gestalten“.
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zu lieben. In Kol 3,12 nennt Paulus Eigenschaften, die mit dem „Anziehen“ Jesu verbunden sind: aufrichtiges Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld; Eph 4,24 nennt „wahre Gerechtigkeit und Heiligkeit“. Die abschließende Mahnung V. 14b ist eine implizite Warnung: tragt nicht Sorge für das Fleisch, um seine Begierden zu befriedigen. Die Wendung „Sorge tragen“ (προ' νοιαν ποιειñσθαι [pronoian poieisthai]) bezeichnet die Fürsorge, durch die eine Person oder Sache gefördert wird.252 Paulus warnt nicht nur vor falschem Sorgen für das „Fleisch“ (σα' ρξ [sarx]; s. zu 7,5):253 Dem selbstherrlichen Wesen des Menschen darf überhaupt kein Recht eingeräumt werden, weil dies nur zur Befriedigung von dessen Begierden (ε� πιθυμι'αι [epithymiai]; s. zu 6,12; 7,7) führt. Wer sich selbst verwirklichen will, wird von seinen Begierden bestimmt. Eigenmächtigkeit führt nicht in die Freiheit, sondern in die Knechtschaft. Wer von Jesus Christus bestimmt ist, der wird nicht von den Maßstäben der gegenwärtigen Welt geleitet, sondern von Gott in die Lage versetzt, seinen guten, wohlgefälligen und heiligen Willen zu tun (12,1-2). Jesusbekenner verwirklichen sich nicht selbst: Sie verwirklichen die Liebe Gottes, die im Sühnetod des Messias Jesus Wirklichkeit wurde (5,5-8) und in ihrem eigenen Leben in der Liebe zum Nächsten Wirklichkeit wird (12,9-21; 13,8-10). IV Jesusbekenner leben im Horizont der Wiederkunft Jesu. Jesus kann bald wiederkommen. Oder es dauert noch länger, bis sich die Erwartung seiner Wiederkunft erfüllt. Christen berechnen die Nähe der Wiederkunft Jesu nicht, weil diese nicht berechnet werden kann (Mt 24,36 / Mk 13,32). Aber sie warten. Sie leben so, dass der Termin der Wiederkunft Jesu keine Rolle spielt – in fröhlicher Dankbarkeit gegen Gott, der durch den Sühnetod des Messias Jesus ihre Sünden gesühnt hat, der die Realität der Auferweckung Jesu auch ihre Wirklichkeit sein lässt, der sie zum Leben in der Wirklichkeit des Geistes befähigt: unabhängig von den Maßstäben der gegenwärtigen Welt, abhängig von Jesus Christus, der ihre Identität bestimmt, erneuert in ihrem Denken, und wegen alldem aufgerufen und in die Lage versetzt, den vollkommenen Willen des heiligen Gottes zu erkennen und zu tun. ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. προ' νοια, mit hell. Belegen. vgl. J. Behm, Art. προνοε' ω, ThWNT IV, 1004-1011; W. Radl, EWNT III, 382-383. Im NT nur hier und in Apg 24,2. So die limitierende Interpretation von Behm, ThWNT IV, 1006; so auch LÜ: „sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt“; ebenso EÜ; vgl. Luther II 363: „nicht so, daß Begierden entstehen, sondern sorgt in rechter Weise für die Bedürfnisse oder in der Not“. Kritisch zu Recht Käsemann 351; Michel 417 Anm. 23.
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Paulus bekämpft in Röm 13 zwar keine enthusiastische Front in der römischen Gemeinde, richtig ist aber trotzdem: Der Kampf der militia Christi spielt sich ab „im leiblichen Bereich und im weltlichen Alltag … mitten in kosmischem Chaos, rauschhafter Besessenheit, heimlichem und öffentlichem Schmutz … Nicht das Außergewöhnliche ist die Mission der Kirche, was immer sie an Wundern und Zeichen begleiten mag, sondern die Erfüllung des göttlichen Willens in der Liebe und das Ende irdischer Besessenheit in der Zucht des neuen Gehorsams.“254 Christen leben in dem Bewusstsein, dass am Kreuz und in der Auferstehung Jesu die Äonenwende stattgefunden hat. Sie wissen, dass sie von dieser Wende in einer fundamentalen, ihre Identität bestimmenden Weise ergriffen wurden. Und sie leben in der „Nacht“ der gegenwärtigen Welt so, als ob es bereits „Tag“ wäre: geleitet von den Werten der neuen Welt Gottes, fokussiert nicht auf sich selbst, sondern auf Gott, auf Jesus, auf den Heiligen Geist und auf den Nächsten, den sie lieben, weil sie von Gott Geliebte sind.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 I 1 Nehmt aber den an, der im Glauben schwach ist, ohne über Meinungen zu streiten. 2 Der eine glaubt, alles essen zu dürfen, der andere, weil er (im Glauben) schwach ist, isst Gemüse. 3 Der, der (alles) isst, darf den nicht verachten, der nicht (alles) isst. Der aber, der nicht (alles) isst, richte den nicht, der (alles) ist; denn Gott hat ihn angenommen. 4 Wer bist du, dass du einen fremden Sklaven richtest? Er steht und fällt seinem eigenen Herrn. Stehen bleiben wird er aber, denn der Herr hat die Macht, dass er stehen bleibt. 5 Der eine misst einem Tag mehr Bedeutung bei als dem anderen, der andere misst jedem Tag die gleiche Bedeutung bei. Jeder sei von seiner eigenen Meinung voll überzeugt. 6 Wer einen Tag besonders beachtet, beachte ihn für den Herrn, und wer (alles) isst, esse (alles) für den Herrn, denn er dankt Gott, und wer nicht isst, isst nicht für den Herrn und dankt Gott. 7 Denn keiner von uns lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. 8 Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wenn wir also leben oder wenn wir sterben, wir gehören dem Herrn. 9 Denn dazu ist der Messias gestorben und wieder ———————————-————————
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Käsemann 351.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 729 ————————————————————————————————————
lebendig geworden, dass er über Tote und über Lebendige herrsche. 10 Du aber, wie kannst du deinen Bruder richten? Und du, wie kannst du deinen Bruder verachten? Denn wir werden alle vor Gottes Richterstuhl stehen. 11 Denn es steht geschrieben: Ich lebe, spricht der Herr; denn mir wird sich jedes Knie beugen und jede Zunge wird Gott bekennen. 12 Also wird jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft zu geben haben. 13 Deshalb wollen wir uns nicht mehr gegenseitig richten, sondern achtet darauf, dass ihr dem Bruder keinen Anstoß oder Ärgernis bereitet. 14 Ich weiß und bin im Herrn Jesus fest überzeugt, dass nichts an sich unrein ist – außer für den, der etwas für unrein hält, für ihn ist es unrein. 15 Denn wenn dein Bruder wegen einer Speise traurig ist, dann lebst du nicht mehr der Liebe gemäß. Richte wegen deiner Speise nicht den zugrunde, für den der Messias gestorben ist. 16 Das Gute, das ihr habt, soll doch nicht in Verruf gebracht werden. 17 Denn das Königreich Gottes besteht nicht in Essen und Trinken, sondern in Gerechtigkeit und Frieden und Freude im Heiligen Geist. 18 Denn wer in diesem dem Messias dient, ist Gott wohlgefällig und anerkannt bei den Menschen. 19 Lasst uns also nach dem streben, was dem Frieden und der gegenseitigen Auferbauung dient. 20 Zerstöre das Werk Gottes nicht wegen einer Speise. Zwar ist alles rein, aber schlecht ist es für den Menschen, der nur mit Anstoß isst. 21 Es ist gut, kein Fleisch zu essen und keinen Wein zu trinken noch überhaupt etwas zu tun, woran dein Bruder Anstoß nimmt. 22 Behalte den Glauben, den du hast, für dich selbst vor Gott. Selig ist, wer sich nicht selbst richtet im Blick auf das, was er für richtig hält. 23 Wer aber Bedenken hat, wenn er isst, der ist verurteilt, weil er nicht aus Glauben handelt. Alles, was nicht aus Glauben getan wird, ist Sünde. 15,1 Wir, die Starken, sind aber verpflichtet, die Schwächen der Schwachen zu tragen und nicht uns selbst zu Gefallen zu leben. 2 Jeder von uns soll dem Nächsten zu Gefallen leben zum Guten, zur Auferbauung. 3 Denn der Messias lebte nicht sich selbst zu Gefallen, sondern wie geschrieben steht: Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen. 4 Denn alles, was zuvor geschrieben wurde, wurde zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir in Geduld und durch den Trost der Schriften Hoffnung haben. 5 Der Gott der Geduld und des Trostes gebe euch, untereinander einmütig zu sein, wie es dem Messias Jesus entspricht, 6 damit ihr übereinstimmend, mit einem Mund, den Gott und Vater unseres Herrn, den Messias Jesus, verherrlicht. 7 Darum nehmt einander an, wie auch der Messias euch angenommen hat
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zu Gottes Ehre. 8 Denn ich sage: Der Messias ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die den Vätern gegebenen Verheißungen zu bekräftigen; 9 die Heiden aber sollen Gott ehren um seines Erbarmens willen, wie geschrieben steht: Darum werde ich dich bekennen unter den Heiden und deinem Namen lobsingen. 10 Und weiter heißt es: Jubelt, ihr Heiden, zusammen mit seinem Volk. 11 Und weiter: Lobt, alle Heiden, den Herrn und es sollen ihn lobpreisen alle Völker. 12 Und weiter sagt Jesaja: Es wird kommen der Wurzelspross Isais, und der sich erhebt als Herrscher über die Heiden; auf ihn werden die Heiden hoffen. 13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, sodass ihr reich seid an Hoffnung durch die Macht des Heiligen Geistes. II Paulus behandelt in diesem Abschnitt konkrete Fragen des Verhaltens im Blick auf Essen, Trinken und Feiertage. Offensichtlich reagiert er auf eine spezifische, aktuelle Situation in den stadtrömischen Gemeinden.1 Die Kombination von Reinheitsgeboten, Fleischabstinenz und Kalenderobservanz (14,5-6) verweisen auf einen konkreten Konfliktfall.2 Identifizierungen der „Schwachen“ in den römischen Gemeinden3 mit synkretistischen Judenchristen,4 synkretistischen Heidenchristen,5 von pythagoreischen Kreisen beeinflussten Christen,6 den Gottesfürchtigen,7 einer urchristlichen Bußbewegung8 oder nichtchristlichen Juden innerhalb der jüdischen Synagoge9 haben alle nicht überzeugt. ———————————-————————
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Paulus vermittelt weder eine allgemeine Lektion aus früheren Erfahrungen (Karris, Occasion, 71-75; Wehnert, Reinheit, 139; jetzt auch Lohse 373-374; kritisch Reasoner, Strong, 24-44) noch eine hypothetisch konstruierte Problemlage (Sanday/Headlam 401; Leenhardt 194-195; Glad, Adaptability, 330-331; Nababan, Bekenntnis, 25; Sampley, Weak; Reichert, Abfassungsproblematik, 271-285). Die häufig verwendete 2. Person Plural (14,1.13) und 2. Person Singular (14,4.10.15.2022) sind hier nicht bloß Stilmittel der Diatribe, sondern direkte Anrede an Gruppierungen in den Gemeinden Roms. Forschungsgeschichte bei Gäckle, Die Starken, 22-32.362-381, mit kritischer Diskussion. Barrett 257-258; Käsemann 352; Klauck, Herrenmahl, 282. Rauer, Die Schwachen, 165; Nababan, Bekenntnis, 101. Ziesler 323. Die Pythagoreer sind die einzige Gruppe in der Antike, für die eine prinzipielle Fleisch- und Weinabstinenz bekannt ist; vgl. Porphyrius, Abst 3,25-26; Diogenes Laertius ,13; Iamblichus, VitPyth 69.107.108.168-169. Vgl. C. Schulze, Art. Vegetarismus, DNP XII/1, 1153-1154; Haussleiter, Vegetarismus, 97-163); dazu Gäckle, Die Starken, 338-341.364-365. Schmithals 491-492; Schmithals, Problem, 83-91.101.103. Berger, Theologiegeschichte, 184; kritisch Gäckle, Die Starken, 367-368. Nanos, Mystery, 95-119.143-144; kritisch Gagnon, Weak; Gäckle, Die Starken, 368-369.
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Folgende Beobachtungen bestätigen, dass die Position der „Schwachen“ am plausibelsten mit einem judenchristlichen Hintergrund zu erklären ist:10 1. Der Begriff κοινο' ς ([koinos], „unrein“; 14,14b.c.d), ein hapax legomenon, ist zusammen mit dem Kontrastbegriff καθαρο' ς ([katharos], „rein“; 14,20) plausibel nur in einem jüdischen Kontext zu verstehen: κοινο' ς ist in der Bedeutung „unrein“ nur in jüdischen und frühchristlichen Texten belegt.11 2. Die Gegenüberstellung von περιτομη' ([peritomē], „Beschneidung“; 15,8) und ε» θνη ([ethnē], „Heiden“; 15,9) ist für den Kontext 14,1–15,16 insgesamt entscheidend, auch wenn nicht alle Schwachen Judenchristen und alle Starken Heidenchristen waren: Paulus identifiziert sich in 15,1 mit der Gruppe der Starken, und manche Heidenchristen, vor allem solche, die aus den Kreisen der Gottesfürchtigen kamen, dürften sich im Blick auf die Reinheitsgebote und Kalenderfragen wie die Judenchristen verhalten haben. 3. Die mit dem Dativ κυρι'ω, ([kyriō], „dem Herrn“; 14,6) markierte theologische Begründung der Fleischabstinenz und der Beachtung bestimmter Tage schließt einen philosophischen Hintergrund etwa im Pythagoreismus so gut wie aus. 4. Ähnliche gemeindeinterne Konflikte im Blick auf Speisen sind auch in Gal 2,11-14 und Apg 15,20.29 bezeugt. 5. Die Beachtung bestimmter Tage (14,5) ist plausibel in erster Linie mit dem jüdischen Sabbat zu verbinden, dessen Einhaltung gerade auch im Diasporajudentum eine zentrale Rolle spielt.12 In Kolossä haben die lokalen Juden die Christen unter Druck gesetzt, den Sabbat zu halten (Kol 2,16). 6. Die Speisegebote und die Sabbatobservanz gehörten zu den wichtigsten Identitätsmerkmalen des Judentums, gerade in der Diaspora; da die frühchristlichen Gemeinden in den Synagogen ihren Ursprung hatten, ist verständlich, dass Judenchristen und manche Heidenchristen diese Identifizierung aufrecht erhalten wollten. 7. Die Verbindung von Fleisch- und Weinabstinenz ist nur in einem jüdischen Kontext verständlich, vor allem wenn es sich um Wein handelt, der in heidnischen Libationsopfern verwendet worden war.13 Daniel und seine Freunde haben sich von Fleisch und Wein enthalten (Dan 1,8.12.16). Wenn der Ausdruck „Essen und Trinken“ V. 17 eine Formel darstellt, könnte die ———————————-————————
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Vgl. Zahn 571-573; Cranfield II 694-697; Michel 419-420; Wilckens III 109-115; Dunn II 799-802; Moo 829; Haacker 331-332; Lampe, Christen, 57; Wedderburn, Reasons, 3035; Watson, Paul, Judaism, and the Gentiles, 94-95; Barclay, Undermine, 287-308; Reasoner, Strong, 24-44 und passim; Toney, Ethic, 49-90; Gäckle, Die Starken, 325-374; Vahrenhorst, Kultische Sprache, 306-307. Für das Folgende bes. Gäckle, ebd. 369-373. 1Makk 1,47.62; 4Makk 7,6; Josephus, Ant 12,320; 13,4 (sowie 11,346; 12,112); und Mt 5,11.15-20; Mk 7,2.5.15-23; Apg 10,1–11,18; 21,28; Hebr 9,13. Vgl. Barclay, Undermine, 296-297. Für Einzelheiten s. unten zu 14,5. Ein Verbot des Genusses von Wein gibt es für Priester während ihres Dienstes (Lev 10,9), für Nasiräer (Num 6,2-3; 1Sam 1,14; Am 2,11-12; vgl. Lk 1,15).
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Erwähnung von Wein V. 21 rhetorisch auf einen hypothetischen Fall verweisen. 8. Das Bemühen des Apostels, die Schwachen und ihre Überzeugung, die er selbst nicht teilt, in Schutz zu nehmen und für Rücksichtnahme zu plädieren (14,13.20-21; 15,1), ist am plausibelsten zu verstehen, wenn es sich bei den Schwachen mehrheitlich um Judenchristen handelt. 9. Die Abstinenz von Fleisch kann mit dem historischen Kontext der römischen Judenchristen verbunden werden: Die Vertreibung der Juden aus Rom musste die Möglichkeit, koscheres Fleisch zu kaufen, erschwert haben,14 oder jüdische Metzger waren nicht mehr bereit, Judenchristen zu bedienen, deren Aktivitäten zur Vertreibung der Juden aus Rom geführt hatten.15 Für Judenchristen war es wohl faktisch unmöglich geworden, „das von Heidenchristen besorgte (und bezahlte) Fleisch auf dem Tisch des Gemeinschaftsmahles bzw. auf dem Tisch eines heidenchristlichen Gastgebers als ‚rein‘ zu beurteilen“.16 Übereinstimmungen zwischen Röm 14,1–15,13 mit 1Kor 8–1017 bedeuten nicht, dass Paulus dasselbe Thema behandelt. Die Gemeinsamkeiten betreffen vor allem 1Kor 8,7-13 und Röm 14,13-23. 1. In beiden Texten appelliert Paulus an Christen, auf die „Schwachen“ Rücksicht zu nehmen. 2. In beiden Texten löst Paulus den Konflikt, indem er auf grundlegende theologische und christologische Tatbestände verweist, vor allem mit dem Hinweis auf den stellvertretenden Sühnetod Jesu (1Kor 8,12; Röm 14,15). 3. Paulus argumentiert in beiden Fällen für die theologische und ethische Indifferenz der Speisen (1Kor 8,4.8; 10,19.26; Röm 14,14.20). 4. Der Begriff der Liebe war zwar nur am Rande erwähnt (1Kor 8,1.3; Röm 14,15), spielt aber für die Konfliktlösung zusammen mit der Christologie eine grundlegende Rolle. 5. Deshalb überrascht es auch nicht, dass das Motiv der „Auferbauung“ in beiden Texten vorkommt (1Kor 10,23; Röm 14,19; 15,2). Die Unterschiede gegenüber 1Kor 8–10 zeigen, dass Paulus in Röm 14,1– 15,13 eine konkrete Situation in den römischen Gemeinden anspricht. 1. In Röm 15,1 kommt die Bezeichnung „die Starken“ neben der Bezeichnung „die Schwachen“ (14,2; 15,1; vgl. 14,1) vor, während in 1Kor 8–10 die ———————————-————————
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Cranfield II 695; vgl. Winter, Roman Law, 90-91: Mit dem Edikt des Claudius 49 n.Chr., in dem die Juden aus Rom verbannt wurden, war das Privileg, koscheres Fleisch zu kaufen, aufgehoben worden; Watson, Paul, Judaism, and the Gentiles, 95: Judenchristen, die nach der Vertreibung unter Claudius zurückkehrten, konnten nicht mehr im jüdischen Viertel wohnen und waren von der Versorgung mit koscherem Fleisch abgeschnitten. Wilckens III 95; Lampe, Christen, 57. Gäckle, Die Starken, 373, mit Verweis auf Cranfield II 695; Minear, Obedience, 10; Barclay, Undermine, 291. S. den synoptischen Vergleich von Gäckle, Die Starken, 438-440; vgl. Wilckens III 115. Zum Folgenden s. Gäckle, ebd. 441-443.
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Bezeichnung „die Starken“ fehlt (in 1Kor 8,7-10 spricht Paulus vom „schwachen Gewissen“, und in 1Kor 9,22 schreibt er von den „Schwachen“, denen er „ein Schwacher“ geworden ist).18 2. Die für 1Kor 8–10 entscheidenden Stichwörter19 kommen in Röm 14,1–15,13 nicht vor. 3. Abstinenz von Fleisch und Kalenderobservanz (Röm 14,2-3.5-6) kommen in 1Kor 8– 10 nicht vor. 4. Die Diskussion von „rein“ und „unrein“ (Röm 14,14.20) fehlt in 1Kor 8–10. 5. Die Aussage Röm 14,14 („nichts ist an sich unrein“) kann nicht auf Nahrungsmittel übertragen werden, die heidnischen Göttern geopfert worden waren.20 6. In Röm 14,1–15,13 fehlt die Argumentation mit dem Herrenmahl (1Kor 10,16-18). 7. In Röm 15,1 identifiziert sich Paulus explizit mit der Position der Starken, während er sich in 1Kor 8–10 weder mit den Christen identifiziert, die ein „schwaches Gewissen“ haben (1Kor 8,7.10.12),21 noch mit den Christen, die bewusst Götzenopferfleisch essen. In Korinth ging es um das Essen von Götzenopferfleisch in heidnischen Tempeln (1Kor 14,14-24) und bei Einladungen zu Mahlzeiten in Privathäusern, bei denen Christen auf die Herkunft des Fleisches aus der Schlachtung in den Tempeln der Stadt aufmerksam gemacht werden (1Kor 10,2729): Paulus untersagt konsequent, Götzenopferfleisch zu essen, sei es in Tempeln, sei es in Privathäusern. Wenn man auf dem Markt Fleisch kauft, und man weiß nicht, woher es kommt, dann soll man das Fleisch essen (1Kor 10,25). In den römischen Gemeinden geht es um die Frage, ob man die jüdischen Speisevorschriften einhalten soll und unter Umständen auf Fleisch ganz verzichten und Gemüse essen sollte, sowie um die Frage, ob man jüdische Feiertage (wahrscheinlich den Sabbat) einhalten soll. Der Hinweis auf die Abstinenz von Wein (V. 21) ist vielleicht hypothetisch. Dass die Argumentationsstrategie als „Methode“ der Lösung von Konflikten in der Gemeinde in Röm 14,1–15,13 und 1Kor 8–10 ähnlich ist, kann nicht überraschen: Paulus argumentiert bei der Lösung von Fehlverhalten und ———————————-————————
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Gäckle, Die Starken, 442 meint, Paulus sehe sich in 1Kor 8–10 wie in Röm 15,1 explizit auf der Seite der „Starken“, was nur dann geht, wenn man aus den „Schwachen“ in Korinth auf die Existenz einer Gruppe von „Starken“ schließt. Paulus plädiert in 1Kor 10 explizit gegen das Essen von Götzenopferfleisch in heidnischen Tempeln (vgl. Schnabel, 1. Korinther, 426-432.562-564), was ihn bei einer hypothetischen Gruppe von „Starken“, deren Position Paulus teilen soll, in Widersprüche verwickeln würde. Götzenopferfleisch (ει� δωλο' θυτος [eidōlothytos]; 1Kor 8,1.4.7.10; 10,19); Götzen (ει»δωλον [eidōlon]; 1Kor 8,4.7; 10,19); Götzentempel (ει� δωλειñον [eidōleion]; 1Kor 8,10); Götzendienst (ει� δωλολατρι' α [eidōlolatria]; 1Kor 10,14). Vgl. Cheung, Idol Food, 135-136; Konradt, Gericht, 351-353. Die Aussage 1Kor 9,22 beschreibt nicht die Christen mit einem schwachen Gewissen!
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Konflikten in den Gemeinden immer theologisch und christologisch, wie der Erste Korintherbrief zeigt. Struktur. Viele grenzen den Text nach 15,6 ab, manche nach 15,7 oder nach 15,14.22 Die formalen und inhaltlichen Parallelen von 15,7 zu 14,1 und 15,1 sprechen dafür, 15,7-13 als abschließenden Abschnitt von 14,1ff zu verstehen: In Röm 12-13 spielt das Verhältnis von Judenchristen und Heidenchristen keine erkennbare Rolle. In 15,7-13 kommt zwar das Gesamtthema von Röm 1-11 durchaus zur Sprache und kann mit 1,16-17 als inclusio verstanden werden,gerahmt von persönlicher Anrede (1,8-15; 15,14-33), aber die Bezüge in 15,7-13 zu 14ff sind stärker als die Bezüge zu 1,18ff. Man kann vier Abschnitte des Textes unterscheiden. 1. Ermahnung zur Einmütigkeit unter der Herrschaft des Messias Jesus (14,1-12). (a) Aufruf, die Schwachen im Glauben anzunehmen und nicht zu streiten (V. 1). (b) Erläuterung im Blick auf Fleischabstinenz (V. 2-4). (c) Erläuterung im Blick auf Kalenderobservanz (V. 5-6). (d) Christologische Begründung (V. 7-9). (e) Wiederholung der Ermahnung und eschatologische Begründung (V. 10). (f) Schriftzitat (V. 11). (g) Erneute eschatologische Begründung (V. 12). 2. Ermahnung der Starken, Rücksicht auf den Bruder zu nehmen (14,13-23). (a) Aufruf, dem Bruder keinen Anstoß zu geben (14,13). (b) Argumentation mit einem Wort Jesu, mit dem Gebot der Liebe, mit dem Sühnetod Jesu, mit dem Evangelium, mit dem Reich Gottes, mit der Anerkennung durch Gott und durch Menschen (V. 14-18). (c) Mahnung zum Frieden mit der Auferbauung der Gemeinde, mit dem Werk Gottes auch im schwachen Bruder, mit dem Hinweis auf die persönliche Überzeugung und mit der Betonung des Glaubens, der alles Verhalten bestimmen muss (14,19-23). 3. Erste Zusammenfassung (15,1-6): (a) Mahnung an die Starken, die Schwachen zu tragen, im Rahmen der allgemeinen Mahnung, Rücksicht auf den Nächsten zu nehmen und zur Auferbauung der Gemeinde beizutragen (V. 1-2); (b) Christologische Begründung, mit Schriftzitat (V. 3-4); (c) Gebetswunsch (15,5-6). 4. Mahnung an alle Jesusbekenner, einander anzunehmen (15,713): (a) Aufruf, einander anzunehmen, mit christologischer Be-gründung (V. 7); (b) Heilsgeschichtliche Begründung (V. 8-9a). (c) Schrift-zitate aus allen drei Teilen des atl. Kanons (V. 9b-12). (d) Gebetswunsch (V. 13). Textkritische Anmerkungen. Die Variante λογισμω ñ ν statt διαλογισμω ñν (14,1) in 81 1175 u.a. ist vielleicht das Resultat von Haplographie nach ———————————-————————
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Reichert, Abfassungsproblematik, 224-228.247 betrachtet 15,7-13 als Schlussabschnitt des Hauptteils 12,1–15,13, als Pendant zur Einleitung des Abschnitts in 12,1-2. Dunn II 844-845 behandelt 15,7-13 als abschließende Zusammenfassung von Röm 1–15. Wagner, Christ, 473 versteht 15,7-13 als Höhepunkt des gesamten Briefes. Zur Kritik s. Gäckle, Die Starken, 388-389.
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διακρι'σεις. In V. 2 ist der Imperativ ε� σθιε' τω (d46 D* F G it vgww), der wohl an die Imperative in V. 3 angleicht, weniger gut bezeugt als ε� σθι'ει ( אA B C D2 Ψ 048 33 1739 1881 u.a. Byz vgst sy co). Die Varianten in V. 3b für ο� δε' (d46 *אA B C D* 048vid 1506) – και` ο� (א2 D1 Ψ 0285 33 1739 1881 Byz lat syh) bzw. ου� δε` ο� (F G) – sind stilistische Verbesserungsversuche. Die Lesart δυνατειñ γα' ρ ( אA B C D* F G) in V. 4 ist gegenüber δυνατο` ς γα' ρ ε� στιν (L 33 81 104 630 1175 1241 1506 1881 Byz) und δυνατο` ς γα' ρ (d46 D1 P Ψ 365 1505 1739) besser bezeugt; das seltene Verb δυνατε' ω wurde eher durch das geläufigere δυνατο' ς ersetzt als umgekehrt. Die Lesart κυ' ριος (d46 אA B C P Ψ syp co) ist besser bezeugt als θεο' ς (D F G 048 33 1739 1881 Byz latt syh), das durch ο� θεο' ς in V. 3 beeinflusst wurde. Die Auslassung von γα' ρ in V. 5 in d46 א2 B C2 D F G Ψ 048 33 1739 1881 Byz sy) ist gegenüber *אA P 104 326 365 1506 latt sehr gut bezeugt; die Plus-Lesart eines anknüpfenden und fortführenden (und nicht begründenden) γα' ρ (Bauer/Aland s.v. γα' ρ 4) wurde von Abschreibern, die es weglassen, offensichtlich nicht mehr verstanden.23 In V. 6 ist die Plus-Lesart και` ο� μη` φρονω ñ ν τη` ν η� με' ραν κυρι'ω, ου� φρονειñ nach φρονειñ, attestiert in C3 L P Ψ 33 81 104 365 1175 1241 1505 1506 Byz sy, eine spätere Glosse, die einen ausgewogenen Satz formulieren will; sie ist gegenüber der Minus-Lesart ( אA B C2vid D F G 048 6 630 1739 1881 latt) erst spät bezeugt. Die Auslassung von και' in d46 ist gegenüber der Plus-Lesart schwächer bezeugt. Die Lesart α� ποθα' νωμεν (C L 6 33 945 1175 1241 u.a.) führt offensichtlich den Gedanken eines symbolischen Todes in der Taufe sekundär in den Text ein;24 der Konj. α� ποθνη,' σκωμεν (א C L 33 81 365 1175 1505 1506) ist weniger gut bezeugt als der Indikativ (A B D F G P Ψ 048 6 630 1241 1739 1881 u.a.) und führt eine Mahnung in den Text ein, die nicht kontextgemäß ist.25 In V. 926 ist die Lesart και` α� πε' θανεν (א2 C3 [D1] L 81 104 1175 1241 1505 1881 Byz) weniger gut bezeugt als die Lesart ohne και' und will offensichtlich stilistisch verbessern. Die Lesart α� νε' στη („er wurde auferweckt“) in F G 629 vgww wurde vielleicht durch 1Thess 4,14 veranlasst, genauso wie die Lesart α� νε' στη και` ε» ζησεν (א2 D L P Ψ 0209 33 81 104 u.a.). Die Lesart α� πε' θανεν και` ε» ζησεν ( *אA B C 365 1506 1739 1881 vgst co) ist bestens bezeugt. Die Lesart Χριστουñ (א2 C2 L P Ψ 048 0209 33 81 u.a. Byz) in V. 10, die schon früh bei Polykarp, Markion, Tertullian und Origenes bezeugt ist, will wohl an 2Kor 5,10 oder Röm 2,16 angleichen; θεουñ ist in *אA B C* D F G 630 1506 ———————————-————————
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Vgl. Metzger, Textual Commentary, 468. Cranfield II 704; Jewett 830 bevorzugen die Minus-Lesart. NA26-28 schreiben γα' ρ in Klammern. Jewett 830. Cranfield II 707; Käsemann 359; Jewett 830. Für einen Überblick über die insgesamt sechs verschiedenen Lesarten s. Michel 428.
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1739 lat hervorragend bezeugt. In V. 11 ist ει� μη' (D*vid F G) statt ο« τι schlecht bezeugt und als stilistische Verbesserung als sekundär zu behandeln. In V. 12 sind α» ρα ουò ν ( אA C D1 Ψ 0209 33 Byz syh) und die MinusLesart α» ρα (B D* F G P* 6 630 1739 1881 u.a. lat) gleich gut bezeugt; die Auslassung von ουò ν könnte zufällig sein; Paulus verwendet sowohl α» ρα ουò ν als auch einfaches α» ρα.27 Statt δω' σει ( אA C D2 Ψ 0209 33 Byz syh) schreiben B D* F G α� ποδω' σει, was technischer klingt und wohl sekundär ist.28 Die Auslassung von τω ñ, θεω ñ, (B F G 6 630 1739 1881 u.a.; Polykarp, Cyprian) am Ende von V. 12 ist früh bezeugt und als schwierigere (und kürzere) Lesart ein Kandidat für Ursprünglichkeit. Die Plus-Lesart ist ebenfalls früh bezeugt ( אA C D Ψ 0209 33 Byz lat sy co); sie kann aus inhaltlichen Gründen bevorzugt werden: Die Minus-Lesart lässt zwar keinen Zweifel, was Paulus meint, aber sie lässt V. 12 in unbefriedigender Weise aufhören.29 In V. 13 lässt B das Wort προ' σκομμα aus, offensichtlich um eine Redundanz mit σκα' νδαλον zu vermeiden; die Lesart ει� ς statt η» in 365 1881 ist schwächer bezeugt. Statt ε� αυτουñ V. 14, das früh und breit bezeugt ist, lesen A C* D F G Ψ 0209 33 1881 Byz αυ� τουñ , wohl eine stilistische Verbesserung. Die Auslassung von ουò ν V. 16 in F G syp ist schwächer bezeugt und als sekundäre Verbesserung zu bewerten. Die Lesart η� μω ñ ν (D F G Ψ 1506 u.a.) statt υ� μω ñ ν ist ebenfalls sekundär. Die Lesart του' τοις V. 18 (א2 D1 L Ψ 33 104 365 u.a. Byz) interpretiert das unbestimmte του' τω, , das hervorragend bezeugt ist (d46 *אA B C D* F G P 048 33 0209 81 1506 1738 1881). B G* lesen den Plural δοκι'μοις, wahrscheinlich eine Angleichung an die folgende Wendung τοιñς α� νθρω' ποις. Der Indikativ διω' κομεν V. 19 ( אA B F G L P 048 0209 6 326 629) ist früher und breiter bezeugt als der adhortative Konj. διω' κωμεν (C D Ψ 33 81 104 365 630 1175 1241 1505 1506 1739 1881 Byz latt co), der zudem die einfachere, weil kontextgemäßere Lesart ist; außerdem folgt sonst im Röm auf α» ρα ουò ν der Indikativ.30 Aus Kontextgründen (vgl. die Konjunktive in V. 13.20) ist der Konj. durchaus plausibel als ursprüngliche Lesart.31 Die Plus-Lesart α� λλη' λους φυλα' ξωμεν (D* F G) ist sekundär. In V. 20 ist α� πο' λλυε ( )*אwahrscheinlich Assimilierung an V. 15 ———————————-————————
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Cranfield II 711: eine eindeutige textkritische Entscheidung ist unmöglich. Jewett 831. Cranfield II 711 Anm. 3; vgl. Wilckens III 85-86 Anm. 435; vgl. Schlier 412: Die MinusLesart verstärkt in ihrer Kürze das Gewicht der Schlusssentenz. Jewett 831 optiert für die Minus-Lesart; vgl. Zahn 576 Anm. 15. NA26-28 drucken τω ñ, in Klammern (verteidigt ñ, θεω von Metzger, Textual Commentary, 469). Michel 436; Jewett 854 folgen der externen Manuskriptbezeugung und ziehen ebenfalls den Ind. vor; vgl. Sanday/Headlam 392; Lagrange 331; Käsemann 365. Metzger, Textual Commentary, 469; NA26-28; Zahn 682 Anm. 43 hält den Ind. für einen Schreibfehler; vgl. Schlier 417; Cranfield II 720-721; Wilckens III 94; Lohse 380.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 737 ————————————————————————————————————
α� πο' λλυε; die Lesart τοιñς καθαροιñς nach καθαρα' (א2) ist eine sekundäre stilistische Verbesserung. In V. 21 verzeichnet NA28 die in früheren Ausgaben angeführten Konjekturen von Hofmann und Mangey zu ε� ν ω ð, nicht mehr. Statt προσκο' πτει lesen *אP das Verb λυπειñται („betrübt wird“), wohl ebenfalls eine Assimilierung an V. 15. Am Ende von V. 21 fügen d46vid א2 B D F G L P Ψ 0209 104 365 u.a. Byz lat syh sa die Wendung η� σκανδαλι'ζεται η� α� σθενειñ („oder nimmt Anstoss oder ist schwach“) ein; Variationen der Manuskripttradition, u.a. die zuvor erwähnte Variante, deuten darauf hin, dass diese Formulierung von 1Kor 8,11-13 beeinflusst wurde; die MinusLesart ist gut bezeugt ( *אA C 048 81 945 1506 1739 u.a. syp bo).32 In V. 22 ist die Auslassung des Relativpronomens η� ν in D F G Ψ 1739 1881 Byz lat co vielleicht der Versuch einer stilistischen Verbesserung, die συ` πι' στιν ε» χεις als Frage verständlich macht; die Plus-Lesart ist mit אA B C 048 u.a. gut belegt.33 Die Auslassung von ε� νω' πιον τουñ θεουñ in *אist früh, aber schwach bezeugt; es handelt sich wohl um einen Schreibfehler. Nach V. 23 liest der Mehrheitstext (A L P Ψ 0209vid 33 104 1175 1241 1505 1506 1881 Byz mvid syh) die in d61 אB C D 81 365 630 1739 ar b vg syp co nach 16,23 (d.h. 16,25-27) gelesene Doxologie. Zur Diskussion s. Band I, 45-47. Markion beendet den Röm in 14,23 mit den Worten „hic epistulam terminat“ („hier endet der Brief “). In 15,2 ist die 1. Pers. Pl. η� μω ñ ν gegenüber υ� μω ñ ν (D1 F G P 048 0209vid 104 365 u.a. ) bestens bezeugt; die Lesart υ� μω ñ ν will vielleicht die Autorität von Paulus verstärken.34 In 15,4 lesen B lat ε� γρα' φη statt προεγρα' φη, vielleicht eine Assimilierung an den folgenden Satz. Vor ει� ς τη` ν η� μετε' ραν lesen B P Ψ 33 πα' ντα, was das vorausgehende ο« σα verstärkt und sekundär die allgemeine Gültigkeit der Aussage unterstreicht.35 Statt ε� γρα' φη schreiben א2a A L P Ψ 048 33 104 365 1175 u.a. προεγρα' φη und gleichen damit an das Verb im Hauptsatz an; ε� γρα' φη ist in אB C D F G 6 81 630 u.a. hervorragend bezeugt. Die Auslassung von δια' in D F G P Ψ 6 33 81 104 365 630 u.a. ist eine stilistische Verbesserung angesichts des unmittelbar vorausgehenden δια' . Die Plus-Lesart τηñ ς παρακλη' σεως in B vgms nach τη` ν ε� λπι'δα ε» χωμεν ist wohl infolge von Dittographie (nach der vorausgehenden Wendung δια` τηñ ς ———————————-————————
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Cranfield II 725; Schlier 419; Käsemann 365; Wilckens III 95 Anm. 475; Jewett 854; Metzger, Textual Commentary, 469. Cranfield II 726; Käsemann 366; Jewett 854. Metzger, Textual Commentary, 469-470 erwägt, ob η« ν hinzugefügt worden sein kann, um die abrupte Formulierung zu glätten, oder ob es aufgrund von Itazismus nach πι' στιν (IN/HN) ausgefallen ist. NA28 druckt das Pronomen immer noch in Klammern. Jewett 874. Schlier 421; Jewett 874.
738 Römerbrief ————————————————————————————————————
παρακλη' σεως) entstanden. In V. 5 lesen אA C F P 048 104 629 1505 lat sy � Ιησουñ ν Χριστο' ν statt Χριστο` ν � Ιησουñ ν (B D G L Ψ 33 365 630 1175 1241 1506 1739 1881 Byz vgmss), was von den meisten Kommentaren (zusammen mit NA26-28) als ursprünglich akzeptiert wird.36 In V. 7 ist υ� μαñ ς ( אA C D1 F G Ψ 33 1739 1881 Byz lat sy bo) besser bezeugt als η� μαñ ς (B D* 048 104 614 629 1506 sa).37 In V. 8 lesen B C* D* F G Ψ 630 1739 1881 den Aorist γενε' σθαι statt des Perfekts γεγενε' σθαι ( אA C2 D L P 048 33 81 104 365 u.a. Byz), das als schwierigere Lesart vorzuziehen ist: γενηñ σθαι erleichtert die Aussage des Perfekts, dass der Messias Jesus bleibend der Diener der Beschnittenen ist.38 In V. 9 fügen א2 33 104 1505 den Vokativ κυ' ριε ein, in Angleichung an Ps 18[17],50. Die Plus-Lesart in V. 11 (πα' λιν λε' γει; B D F G 1505 it sy) ist wahrscheinlich sekundäre Angleichung an V. 10a.12b; die Minus-Lesart ist in אA C Ψ 33 1739 Byz vg gut bezeugt. In V. 11 lesen die späteren Textzeugen F G 33 Byz latt sy ε� παινε' σατε statt ε� παινεσα' τωσαν (d46 אA B C D Ψ 81 365 1505 1506 1739 1881), an Ps 117[116],1 angleichend. Statt πληρω' σαι υ� μαñ ς πα' σης χαραñ ς και` ει�ρη' νης V. 13 lesen B F G πληροφορη' σαι υ� μαñ ς ε� ν πα' ση, χαραñ, και' ει� ρη' νη, (F G ohne ε� ν), was zwar die schwierigere Lesart ist, aber wegen der schmalen Bezeugung kaum ursprünglich sein kann.39 Die Lesart ohne ε� ν τω ñ, πιστευ' ειν (D F G) ist wahrscheinlich ein Schreibfehler; die Auslassung von ει�ς το` περισσευ' ειν (B 945 1505) ist vielleicht Homoioteleuton nach πιστευ' ειν.40 III
1 Die Mahnung nehmt aber den an, der im Glauben schwach ist (V. 1a)
richtet sich an Jesusbekenner in den römischen Gemeinden, die sich als „Starke“ (οι� δυνατοι' [hoi dynatoi]; 15,1) vorkamen. Es ist möglich, dass diese Gruppe, mit der Paulus sich in 15,1 identifiziert, sich selbst als „stark“ und die andere Gruppe (pejorativ) als „die Schwachen“ (οι� α� σθενουñ ντες [hoi asthenountes]) bezeichnet hat. Wahrscheinlicher ist, dass Paulus das Attribut „schwach“ selbst in die Diskussion eingeführt hat, als dass er eine pejorative Gruppenbezeichnung übernommen hat. Bei den Starken hätte die Bezeichnung weniger Erstaunen ausgelöst als die Mahnung, die Schwachen anzunehmen – sie konnten ihre Position durch die Ausführungen des Apostels in Röm 1–11 zum Thema Juden und Heiden und zum Thema Gesetz ———————————-————————
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Anders Jewett 874: weil � Ιησουñ Χριστουñ am Ende von V. 6 verwendet wird, klingt Χριστο` ν � Ιησουñ ν am Ende von V. 5 besser, weshalb diese Lesart sekundär ist. Metzger, Textual Commentary, 473; Cranfield II 739; Jewett 886. Anders Schlier 424. Cranfield II 745; Wilckens III 105; Jewett 886. Anders Zahn 593 Anm. 16a. Cranfield II 748 Anm. 2. Junack/Güting/Nimtz/Witte, Das Neue Testament auf Papyrus II/1, 130; Jewett 886.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 739 ————————————————————————————————————
legitimiert sehen.41 Der Sing. ο� α� σθενω ñ ν [ho asthenōn] ist ein kollektiver Singular und bezeichnet alle „Schwachen“. Wer mit diesem Gruppenattribut zu bezeichnen ist, wird in V. 2 geklärt. Der Dativ τηñ, πι'στει ([tē pistei], „im Glauben“) zeigt an, worin die Schwäche besteht: Der Glaube an die Heil schaffende Offenbarung von Gottes Gerechtigkeit im Anschluss an den Messias Jesus (1,3-4.16-17) hat bei diesen Jesusbekennern nicht zu einem Verhalten geführt, das der Heilsoffenbarung Gottes als Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, „für den Juden zuerst und auch für den Griechen“ (1,16), voll entspricht. Sie vertrauen auf Gott und seine Offenbarung nicht vollständig, ohne Bedingungen zu formulieren (vgl. 4,19 den Glauben Abrahams!). Im Kontext von V. 2.5 ist ihr Glaube an Gott an Fleischabstinenz und Kalenderobservanz gebunden. Der Imperativ „nehmt an“ (προσλαμβα' νεσθε [proslambanesthe])42 verlangt von den Starken die Tolerierung der Schwachen: Sie sollen in der Gemeinde nicht ausgegrenzt werden. Dabei geht es um mehr als um „die alltägliche Anerkennung der Bruderschaft“: Es geht um „die öffentliche Anerkennung als Bruder, die auch die Gemeinschaft am Tisch des Herrn umfaßt“.43 Das Präsens des Imperativs unterstreicht, dass die Mahnung immer gilt. Manche vermuten, dass der Appell „konkret auf die Wiederaufnahme der Gottesdienst- und Mahlgemeinschaft zwischen Starken und Schwachen, die über den Streitigkeiten zerbrochen sein dürfte“, zielt.44 Wenn dies tatsächlich der Fall war, könnte man erwarten, dass Paulus das „Annehmen“ mit mehr Nachdruck beschreibt und vielleicht unter Verwendung der Sprache vom „Leib“ und seinen „Gliedern“ nachhaltig für die Einheit der lokalen Gemeinde argumentiert. Das Verb προσλαμβα' νω konnotiert keine „rechtliche Maßnahme“, wie Michel meint. Schlatter stellt die Überlegung an, die Mahnung, den Schwachen anzunehmen, „konnte nötig werden, wenn ein Taufbewerber zwar um die Aufnahme in die Gemeinde bat, sich aber die Teilnahme am Tisch der Brüder verbat“.45 Richtig Käsemann: „Gemeint ist die alltägliche Anerkennung der Bruderschaft, im weiten Sinn also die Solidarität … Raum zum Wachsen und zur Kommunikation offenhalten“.46 ———————————-————————
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Gäckle, Die Starken, 392. Michel 422 nimmt an, dass die Beurteilung „schwach im Glauben“ aus dem Mund der Gegner stammt. Völlig spekulativ ist Reasoner, Strong, 93, „schwach“ sei eine Karikatur der auf Fleisch verzichtenden Christen durch die „Starken“, die diesen physische Schwäche infolge der Askese vorwarfen. Bauer/Aland s.v. προσλαμβα' νω 2b, „in seine Gemeinschaft aufnehmen“. Mit ähnlicher Bedeutung V.3; 15,7; Phlm 17; Apg 28,2; s. auch Mt 16,22; Mk 8,2; Apg 17,5; 27,33.36. Kraus, Volk Gottes, 328, mit Erweiterung der Auslegung von Käsemann 354. Kraus ebd. erklärt: „Die unausgesprochene Voraussetzung hinter dieser Aufforderung lautet: Wer an Christus glaubt, gehört zum Volk Gottes und dieses darf nicht aufgespalten werden (vgl. 1Kor 3; 10).“ Gäckle, Die Starken, 393; ähnlich Michel 422. Schlatter 365. Die Kritik von Käsemann 354 ist unberechtigt: Schlatter legt sich nicht auf dieses Szenario fest. Käsemann 354, mit Verweis auf Rauer, Die Schwachen, 80.157.
740 Römerbrief ————————————————————————————————————
Paulus will nicht, dass sie in Speise- und Kalenderfragen über Meinungen streiten (V. 1b). Das Wort διακρι'σεις [diakriseis] bezeichnet hier nicht wie in 1Kor 12,10; Hebr 5,15 positiv „rechte Unterscheidung“,47 sondern „Streit, Disput“.48 Mit διαλογισμοι' [dialogismoi] sind „Erwägungen, Überlegungen, Auffassungen“ gemeint: Die Starken sollen die Schwachen nicht mit dem Ziel annehmen, diese unter Druck zu setzen und im Blick auf ihren Standpunkt in Speise- und Kalenderfragen zu verurteilen. Die Tatsache, dass Paulus im Vordersatz des Verbots vom Streit über unterschiedliche Ansichten in Speise- und Kalenderfragen von „Schwachen“ spricht, zeigt gleichzeitig, dass der Glaube „für ihn nicht alle und alles gleich (macht). Es ist auch seine Meinung, daß es Glauben gibt, der seinen Platz nicht hinreichend ausfüllt“.49 Aber Paulus setzt sich an dieser Stelle nicht für eine Veränderung der Position der Schwachen ein. Er will den „starken Glauben“, d.h. den richtigen Standpunkt in Speise- und Kalenderfragen nicht auf Kosten der Liebe durchsetzen.50 Wichtiger als das richtige theologische Urteil in einer Frage, die das Zentrum des Evangeliums nicht berührt51 und die Gemeinde nicht gefährdet, ist die Liebe zum Bruder (V. 15) und die Auferbauung der Gemeinde (V. 19). Die Bezeichnung der Kontroverse über Speise- und Kalenderfragen als „Streit über Meinungen“ ist kühn, handelt es sich bei diesen Fragen doch um zentrale und sensible Überzeugungen und Verhaltensweisen des jüdischen Glaubens und Lebens: Paulus lässt erkennen, „dass es hier nicht mehr um eine Frage der Sünde oder gar des Heils geht, sondern lediglich um theologische Urteile, deren Verifikation oder Falsifikation keine unmittelbare Relevanz mehr für die Stellung des Glaubenden vor Gott hat“.52 Die Anknüpfung von V. 1 an 13,14, wo Paulus die Gläubigen daran erinnert hatte, dass ihre Identität die Identität des Messias Jesus ist, mit aber (δε' ) zeigt, dass die Behandlung der Kontroverse zwischen Schwachen und Starken zur Darstellung des Lebens des messianischen Gottesvolkes gehört, und dass das Liebesgebot (12,3.9-10.13.14-17.21; 13,8-10) der Leitgedanke ———————————-————————
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In den Papyri bezeichnet δια' κρισις meistens eine „Untersuchung“, z.B. im Vorfeld eines Prozesses oder eine Buch- oder Rechnungsprüfung; Arzt-Grabner, 1. Korinther, 415-416. Vgl. Bauer/Aland s.v. δια' κρισς 2, mit Verweis auf Polybius 18,28,3; Dio Chrysostomus 21,21; LSJ s.v. δια' κρισς III; G. Dautzenberg, EWNT I, 737 („Auseinandersetzungen“); Käsemann 354, mit Verweis auf V. 2: „strittig[e] Ansichten mit spezifisch theologischem Gewicht“; Lohse 370: „Wortgefechte über auseinandergehende Meinungen“. Käsemann 354. Michel 423. Wie z.B. die Frage nach der Notwendigkeit der Beschneidung, in der Paulus entschieden und harsch reagiert (vgl. Gal 1,8-9 im Kontext von Gal 1–3). Gäckle, Die Starken, 398.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 741 ————————————————————————————————————
für die Mahnung zum Frieden und zur Auferbauung der Gemeinde (V. 19) ist.53 2 Paulus nennt in V. 2-4 einen Aspekt der Kontroverse, in der es Starke und Schwache gibt: die Abstinenz von Fleisch (in V. 5-6 wird die Beachtung bestimmter Tage erwähnt). Die Formulierung der eine … der andere (με' ν … δε' ) charakterisiert die beiden Seiten des Konflikts. Die Formulierung im Sing. ist kollektiv zu verstehen: Es geht nicht um bestimmte Einzelpersonen, sondern um Gruppierungen innerhalb der Gemeinde. Mit dem Satz der eine glaubt, alles essen zu dürfen wird, ohne dass der Begriff verwendet wird, die Position der Starken charakterisiert. Wer „alles isst“ (φαγειñν πα' ντα [phagein panta]), der glaubt, dass er alles essen kann, weil „nichts an sich unrein“ ist (V. 14). Weil die Schwachen auf Fleisch verzichten, weil sie die Reinheitsgebote des Gesetzes nicht verletzen wollen (s. oben Abschnitt II), umfasst das „alles essen“ konkret nicht koscheres Fleisch bzw. Fleisch, von dem man nicht weiß, ob es koscher oder nicht koscher ist. Das Verb „glauben“ (πιστευ' ω [pisteuō]; s. zu 1,5.8; 3,3) muss hier nicht mit einer eigenen, sonst nicht bezeugten Bedeutung im Sinn von „sich trauen“ interpretiert und eine doppelsinnige Erklärung („ist so stark im Glauben“ und „ist überzeugt, dass er darf “) angenommen werden.54 Sowohl die Starken als auch die Schwachen haben ihre Überzeugung und Verhaltensweise als notwendige Konsequenz ihres Glaubens an Gottes Offenbarung – im Messias Jesus bzw. im Gesetz – verstanden.55 Die vom Glauben an Gott und seine Heilsoffenbarung im Messias Jesus begründete Freiheit, alles essen zu können, ist nicht im Sinn einer allgemeinen Handlungsfreiheit zu verstehen, wie 6,1-23 und 12,1–13,14 sowie die Lasterkataloge (1,29-32; 2,21-22; 13,13; vgl. 2Kor 12,20; Gal 5,19-21) zeigen – wobei die Grenzen, die der Freiheit des Jesusbekenners gesetzt sind, weder durch ethnische Zugehörigkeit (Jude, Grieche) noch durch Vorschriften des mosaischen Gesetzes markiert werden, die durch Gottes Heilshandeln im Tod und in der Auferstehung Jesu erfüllt und aufgehoben wurden (Reinheits- und Speisegebote sowie für Israel als Nation relevante Kalenderobservanz).56 ———————————-————————
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Dunn II 797. Zwar nicht unmöglich, aber nicht beweisbar ist seine These, Paulus verbinde anhand der Partikel δε' die Schwäche mit σα' ρξ 13,14: „‚Weakness in faith‘ is an expression of a ‚fleshly‘ attitude“. Der Ausdruck σα' ρξ kommt in 14,1–15,13 nicht vor. Bauer/Aland s.v. πιστευ' ω 4; ebenso BDAG, im Anschluss an Lietzmann 115; vgl. Schlier 403. Zahn 596; Michel 423 nehmen die Bedeutung „sich trauen“ an. Wilckens III 81. Der Hinweis, Paulus verwende πιστευ' ω nur für die Haltung der Starken, nicht für das Verhalten der Schwachen (Dunn II 799; mit Sympathie Gäckle, Die Starken, 399 Anm. 481), lässt sich angesichts von V. 23 nicht halten. Zu Recht betont von Dunn II 799.
742 Römerbrief ————————————————————————————————————
Paulus sagt im Blick auf die, die kein Fleisch essen, dass sie „schwach im Glauben“ sind: der andere, weil er (im Glauben) schwach ist, isst Gemüse.57 Die Formulierung „Gemüse essen“ (λα' χανα ε� σθι' ει [lachana esthiei]) könnte eine ironisch-polemische Formulierung der Starken sein:58 Die Schwachen haben konkret auf Fleisch verzichtet, wie die folgenden Ausführungen zeigen: Sie werden natürlich nicht ausschließlich Gemüse gegessen haben. Zum Hintergrund des Fleischverzichts s. Abschnitt II. Die atl. Speisegebote verlangen nicht das Essen von Gemüse statt von Fleisch, sondern ordnen an, dass aus dem geschlachteten Tier, dessen Fleisch gegessen wird, alles Blut entfernt wird (Lev 3,17; 7,26-27; 17,10-14; Deut 12,16.23-24; vgl. Apg 15,20.29). In der Diaspora bestand das Problem, ob man Fleisch kaufen konnte, das sowohl koscher war als auch keine Berührung mit Götzentempeln hatte. Gesetzestreue Juden, die außerhalb des Heiligen Landes oder zu einer Zeit lebten, in denen koscheres Fleisch nicht erstanden werden konnte, haben deshalb, um sicherzugehen, dass sie das Gesetz halten, ganz auf das Essen von Fleisch verzichtet – so Daniel und seine Freunde (Dan 1,16; vgl. Esther in Est 4,17 LXX; ZusEst 3,11; 4Makk 5,2-3; Jud 12,1-4), Judas Makkabäus und seine Gefährten (2Makk 5,27: „Er lebte mit seinen Leuten in den Bergen wie die Tiere. Sie ernährten sich die ganze Zeit nur von Pflanzen, um nicht ebenfalls unrein zu werden“) und jüdische Priester in Rom, die sich nur von Feigen und Nüssen ernährten (Josephus, Vit 13-14; vgl. Ant 4,137).
Es gab offensichtlich Christen in Rom, die ablehnten, Fleisch zu essen, das ihnen von Nichtchristen und Mitchristen angeboten wurde, deren Treue gegenüber den Speise- und Reinheitsgeboten der Tora suspekt war.59 Paulus verwendet bei der Einführung des Konflikts nicht die Standardvokabeln der jüdischen Halacha; dies ist erst in V. 14 mit dem Begriff κοινο' ν der Fall. Paulus unterlässt es, den Konflikt als Kontroverse zwischen Judenchristen und Heidenchristen zu charakterisieren – einmal deshalb, weil zu den Starken nicht nur Heidenchristen, sondern auch Judenchristen wie er selbst gehörten (vgl. 15,1), und weil es unter den Schwachen auch Heidenchristen gab, die die mosaischen Reinheitsgebote befolgten, zum anderen deshalb, weil Paulus die Konfliktparteien zu einer neuen Wahrnehmung der Kontroverse und damit zu einer neuen Wahrnehmung ihrer Beziehungen zueinander führen will.60 ———————————-————————
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Das Partizip ο� α� σθενω ñ ν ist kausal. Cranfield II 702; Wilckens III 18; Gäckle, Die Starken, 398 Anm. 480, der zu Recht zurückhaltender formuliert als Cranfield und Wilckens. Barclay, Undermine, 291; vgl. Dunn II 801. Der Hinweis auf die Askese der Ebioniten (Origenes, In Matt 11,12; Epiphanius, Haer 30,15,3) und von Jakobus (nach Eusebius, HistEccl 2,23,5) sind schwer zu bewerten (Barclay, ebd. 291 Anm. 14, im Blick auf Schmithals 98 Anm. 16; Wilckens III 114; vgl. Dunn ebd.). Für den zweiten Grund s. Gäckle, Die Starken, 398-399.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 743 ————————————————————————————————————
3 Für Paulus besteht das Hauptproblem in dem Konflikt zunächst nicht im
schwachen Glauben mancher Jesusbekenner, sondern in der Haltung derer, die einen starken Glauben haben. Er mahnt diejenigen, die alles essen (ο� ε� σθι'ων), dass sie jene Christen, die nicht alles essen (το` ν μη` ε� σθι'οντα)61, nicht verachten (μη` ε� ξουθενει'τω [mē exoutheneitō]; V. 3a). Das Verb, das neben der LXX und davon abhängigen Texten vor allem in dokumentarischen Papyri (dort in der Form ε� ξουδενε' ω, ε� ξουδενο' ω) und in der Populärliteratur bezeugt ist, bedeutet im Blick auf Verträge „zu nichts machen, annulieren“, im Blick auf Personen „herabsetzen, gering achten“.62 Wenn man eine bestimmte Überzeugung oder Verhaltensweise eines anderen Menschen kritisch beurteilt und ablehnt, steht man in der Gefahr, den anderen insgesamt als Person, als Bruder (V. 10.13.15) abzulehnen, mit der Konsequenz, dass er unter Druck gesetzt wird, entgegen seiner Überzeugung zu handeln und so verletzt oder vielleicht sogar zugrunde gerichtet wird (V. 13.15). Das darf niemals geschehen (ε� ξουθενει' τω ist Imperativ Präsens). Diese Argumentation entspricht dem in 1Kor 8 erläuterten Prinzip: Christen dürfen Mitchristen nicht so behandeln, dass sie zu Fall kommen. Gleichzeitig mahnt Paulus den Jesusbekenner, der nicht alles isst (ο� μη` ε� σθι'ων), im Blick auf den, der alles isst (το` ν ε� σθι'οντα): richte nicht (μη` κρινε' τω [mē krinetō]; V. 3b). Das Verb κρι'νω (s. zu 2,1) bedeutet hier nicht „unterscheiden“ (so in V. 5), „sich entscheiden, sich vornehmen“ (so in V. 13b) oder „urteilen“ (1Kor 10,15; 11,13; 2Kor 5,14), sondern in malam partem „aburteilen, kritisieren, schlechtmachen, verdammen“ (wie in V. 4.10.13a.22; vgl. 2,1.3; 1Kor 4,5; 10,29; Kol 2,16).63 Die Christen, denen Paulus in V. 1 einen schwachen Glauben attestiert, sprechen den Christen, die alles essen, mindestens die Legitimität ihrer Freiheit ab, alles zu essen, offensichtlich mit dem Argument, dass Gott ihr Verhalten als inakzeptabel beurteilt (vgl. V. 4). Das „Richten“, mit dem die auf Fleisch verzichtenden Christen ihre Mitchristen verurteilen, wird offenkundig mit dem Richten Gottes koordiniert: Sie halten das Nicht-Essen von Fleisch für ein zentrales Element in ihrer Beziehung zu Gott, der Zuwiderhandlung verdammt. Paulus begründet die Mahnung V. 3b in V. 3c.4, zunächst theologisch und soteriologisch: Gott hat ihn angenommen (V. 3c). Paulus erinnert die ———————————-————————
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In den Wendungen in V. 3a und 3b ist jeweils πα' ντα aus V. 2 zu ergänzen. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 107; Arzt-Grabner, 2. Korinther, 458; Papathomas, Begriffe, 199; Welborn, Enmity, 119-120. Bauer/Aland s.v. ε� ξουθενε' ω 1 schlägt für V. 3.10 die Übersetzung „geringschätzen, verachten“ vor (neben 1Kor 1,28; 6,4; 16,11; 2Kor 10,10; Gal 4,14; Lk 18,9). BDAG s.v. definiert: „to show by one’s attitude or manner of treatment that an entity has no merit or worth“. Bauer/Aland s.v. κρι' νω 6b; vgl. LSJ s.v. κρι' νω III.3.
744 Römerbrief ————————————————————————————————————
Christen, die kein Fleisch essen und jene, die Fleisch essen, als Gesetzlose verdammen, an die Tatsache, dass diese von Gott „angenommen“ (προσελα' βετο [proselabeto]) wurden: Sie gehören als „Söhne“ und „Erben“ zu Gottes Familie (8,15-17) und sind als von Gott Geliebte „berufene Heilige“ (1,7), die „im Messias Jesus“ sind und für die es deshalb keine Verurteilung gibt (8,1: ου� δε` ν α» ρα νυñ ν κατα' κριμα τοιñς ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ).64 Die Mahnung an die Schwachen, die Fleisch essenden Jesusbekenner anzunehmen, entspricht der Mahnung an die Starken in V. 1, die Schwachen anzunehmen. Es zeigt sich: Entscheidend ist nicht, wie man sich im Blick auf die Speisegebote des Gesetzes verhält – ob man alles isst, oder ob man aus Scheu vor nicht koscherem Fleisch nicht jedes bzw. überhaupt kein Fleisch isst –, sondern dass man von Gott angenommen ist. Die Mahnungen in V. 1 und die Feststellung in V. 3c gehören zusammen: Die Annahme von Heiden (1,18-32) und Juden (2,1–3,20) durch Gott, der Ungerechten und Gottlosen (1,18; 5,6) im Anschluss an Sühnetod und Auferweckung Jesu Heil verliehen hat (3,21–5,21), gilt für Jesusbekenner, die alles essen, wie auch für Jesusbekenner, deren Glauben schwach ist und die nicht alles essen.65 4 Es folgt eine Begründung der Mahnung an die Schwachen in V. 3b mit dem antiken Sklavenrecht. Die Formulierung mit einer rhetorischen Frage (συ` τι'ς ειò [sy tis ei]; wer bist du?)66 verweist Christen, die Mitchristen wegen ihres Fleischverzehrs verurteilen, auf ihren Platz: Paulus zwingt sie mit einem Beispiel aus der zeitgenössischen Rechtspraxis, der Mahnung V. 3b zuzustimmen und das Richten der anderen zu unterlassen. Einen fremden Sklaven (α� λλο' τριον οι� κε' την [allotrion oiketēn]),67 d.h. einen Sklaven, der einem anderen Herrn gehört, kann man unmöglich richten (κρι'νων [krinōn]; V. 4a), d.h. verurteilen (und bestrafen), wenn er sich etwas zuschulden kommen ließ. Ein Sklave steht und fällt seinem eigenen Herrn (V. 4b). Paulus spricht bildlich von der Bewährung („er steht“, στη' κει) bzw. dem Versagen („er fällt“, πι' πτει) eines Sklaven, der ausschließlich von ———————————-————————
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Käsemann 357; Jewett 841; Lohse 370 beziehen die Mahnung in V. 3c auf beide Gruppen. Dezidiert für einen Bezug auf die Schwachen argumentiert Dunn II 803; vgl. Wilckens III 82; Gäckle, Die Starken, 409. Wilckens III 82 zitiert 5,6: Der Messias ist „schon damals, als wir noch schwach waren (ο» ντων η� μω ñ ν α� σθενω ñ ν), für Gottlose gestorben“. Mit „schwach“ ist in 5,6 allerdings nicht die Schwachheit des Glaubens von manchen Jesusbekennern gemeint, sondern die in 1,18–3,20 beschriebene Sünde von Heiden und Juden. Vgl. 9,20. Der Singular ist wieder generalisierend. Ein οι� κε' της („Glied des Haus[halts]“) ist ein Haussklave oder ein abhängiger Arbeiter, dessen Situation der von Sklaven glich; vgl. Gschnitzer, Studien I, 16-22. Im Kontext des Wortes κυ' ριος ist der Sklave gemeint. Das Adj. α� λλο' τριον ist stärker als ε« τερον oder α» λλον.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 745 ————————————————————————————————————
„seinem eigenen Herrn“ (τω ñ, ι� δι'ω, κυρι'ω, [tō idiō kyriō]),68 d.h. dem Herrn, dem er gehört und dem er Gehorsam schuldig ist, beurteilt wird. Die unausgesprochene Konsequenz lautet, dass dies auch bei Gott so ist, dem die Jesusbekenner als „Sklaven“ gehören (6,17.19.). Ein Sklave wird stehen bleiben, wenn er von seinem Herrn nicht gerichtet wird, denn der Herr hat die Macht, dass er stehen bleibt (V. 4c). Es ist allein die Machtkompetenz69 des Herrn, die darüber entscheidet, ob das Verhalten seines Sklaven als gutes, bewährtes Verhalten akzeptiert wird.70 Paulus spricht in V. 4c entweder immer noch bildlich, oder das Bild wendet sich ab vom fremden Sklaven, dessen Verhalten nur von seinem eigenen Herrn beurteilt werden kann, hin zu den Fleisch essenden Christen, die von den Schwachen gerichtet werden. Im Sinn der zweiten Möglichkeit71 betont Paulus: Gott hat die Entscheidung, ob Jesusbekenner, die nicht koscheres Fleisch essen, sich akzeptabel verhalten oder ob sie gerichtet werden müssen, schon getroffen. Weil allein Gott die Macht hat, das Verhalten von Menschen „gerichtsrelevant“ zu beurteilen, und weil Gott Heiden als „Gottlose“ (1,18), die das Gesetz nicht haben (2,14), rettet (vgl. 5,6), wie dies bereits bei dem unbeschnittenen Abraham der Fall war (4,5) und jetzt im Anschluss an seine Heilsoffenbarung im Messias Jesus geschieht (3,21–5,21), gilt, dass Jesusbekenner, die alles essen, „stehen bleiben“, d.h. von Gott als bewährte Diener beurteilt werden. Das heißt implizit: Gott hat die Macht, die Bedingungen der Zugehörigkeit zu sich als Herrn zu verändern, d.h. die Macht, die Geltung der Reinheits- und Speisegebote als Bedingungen für das Leben des heiligen Volkes des heiligen Gottes aufzuheben. Dieser Sachverhalt wird in V. 14 mit einem Verweis auf ein Jesuswort (das als solches nicht markiert ist) angesprochen. ———————————-————————
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Die Dativwendung τω ñ, ι� δι' ω, κυρι' ω, wird meistens als dat. commodi interpretiert: Der Herr beurteilt die Arbeit seines Sklaven nach dem Vorteil bzw. Nachteil, die sich für ihn ergeben (der Protest von Dunn II 804 ist unnötig). Zu erwägen wäre auch ein Dativ des Standpunkts (HvS §177c.3d): Die Bewährung bzw. das Versagen des Sklaven hängt von der Beurteilung seines Herrn ab. Das Verb δυνατε' ω bedeutet „Macht haben, über Macht verfügen, in jemandes Macht stehen [etwas zu tun]“ (R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 434). Das Verb ist selten; im NT hier und in 2Kor 9,8; 13,3; LSJ verweist neben den ntl. Stellen nur auf Philodemus, Sign 11; P.Oxy. LV 3819,9 (4. Jh.). Bei diesem Verständnis ist στηñ σαι kausaler Infinitiv, der den Grund für das στη' κει nennt, wobei σταθη' σεται medial verstanden ist; vgl. Cranfield II 703-704; Wilckens III 82 Anm. 424; Dunn II 804. Anders Käsemann 357; Lohse 371; Jewett 843, der σταθη' σεται passivisch und στηñ σαι als Aufrichtung eines Gefallenen interpretiert. Von einem vorausgehenden Fallen ist in V. 4 jedoch nicht die Rede. Im zweiten Sinn Wilckens III 82; Lohse 370-371; Jewett 843; Gäckle, Die Starken, 410.
746 Römerbrief ————————————————————————————————————
5 Die Leser in den stadtrömischen Gemeinden mussten gewusst haben, das
der Konflikt in den Gemeinden nicht nur die jüdischen Speisegebote betraf, sondern auch die Observanz bestimmter Tage. Die Tatsache einer Kontroverse deutet darauf hin, dass es sich um ein größeres, regelmäßig auftretendes Problem handelt, was einen Disput um die Einhaltung des Sabbatgebots plausibler erscheinen lässt als eine Kontroverse um die Einhaltung anderer jüdischer Festtage. Paulus formuliert aber allgemein: Während manche einem Tag mehr Bedeutung beimessen (κρι'νει η� με' ραν [krinei hēmeran]) als dem anderen Tag (παρ’ η� με' ραν [par’ hēmeran]), haben sich andere entschieden, jedem Tag die gleiche Bedeutung beizumessen (κρι'νει παñ σαν η� με' ραν [krinei pasan hēmeran]; V. 5a). Das Verb κρι'νω [krinō] bedeutet hier „scheiden, unterscheiden“ im Sinn von „auswählen, den Vorzug geben“.72 Auf den Sabbat bezogen heißt dies: Manche Christen halten den Sabbat, andere nicht. Wahrscheinlich handelt es sich bei der ersten Gruppe um diejenigen, die in konsequentem Gehorsam gegenüber den atl.-jüdischen Speisegeboten auf das Essen von Fleisch verzichten, wozu, wie bereits bemerkt, nicht nur, aber wahrscheinlich vor allem, Judenchristen gehörten. Die Juden Roms waren für ihre Sabbatobservanz bekannt. Sueton erwähnt regelmäßige Versammlungen in collegia für die Zeit von Julius Caesar (DivIul 42,3). Nach Philo gewährte Augustus den Juden Roms die Erlaubnis, das kostenlos verteilte Getreide am folgenden Tag abzuholen, wenn der Tag der Verteilung auf einen Sabbat fiel (LegGai 155-157).73
Die Schwachen im Glauben haben den Sabbat, der immerhin im Dekalog mit ausführlicher Begründung angeordnet wird (Ex 20,8-11; Deut 5,13-15), eingehalten, d.h. er hat weiterhin ihre Lebenspraxis bestimmt. Die Starken haben für die prinzipielle Gleichheit aller Tage der Woche argumentiert.74 Wenn jeder Tag gleich ist, dann ist freigestellt, was man am Sabbat tut, d.h. es gibt keine Regeln für „Arbeit, Mobilität, Synagogen- bzw. Gottesdienstbesuch, Essen und Trinken“.75 In Gal 4,10 stellt Paulus den Christen in den ———————————-————————
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Bauer/Aland s.v. κρι' νω 1; LSJ s.v. κρι' νω II. Die Konj. γα' ρ hat hier eine anknüpfende u. fortführende Bedeutung (Bauer/Aland s.v. γα' ρ 4). In der Formulierung ο« ς … ο� ς δε' steht das Rel.-Pron. für den Artikel, der hier als Substantiv-Stellvertreter dient; HvS §130. Zur Einhaltung des Sabbat der römischen Juden auch Ovid, Ars 1,76.413-416; Am 219220; Seneca (in Augustin, CivD 6,11); Juvenal, Sat 14,105-106; Tacitus, Hist 5,4,3-4; Horaz, Sat 1,9,67-72. Vgl. Barclay, Undermine, 296-299; Gäckle, Die Starken, 351-359. Zu dem Vorschlag von Weiss, Days, es habe sich in Rom um eine rein innerjudenchristliche Kontroverse gehandelt, s. Gäckle, Die Starken, 351-359. Haacker 336 meint, die Gleichstellung aller Tage sei nicht als Bestreitung bestimmter heiliger Tage zu verstehen, „sondern als Anhebung aller Tage auf die Ebene des Feiertags – ein Zeitverständnis, das gut zur Präambel der Ethik in 12,1f. passen würde (das ganze Leben der Gläubigen als Gottesdienst); mit Verweis auf Phil 3,3 und Philo, SpecLeg 2,41-55.
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südgalatischen Gemeinden die kritische Frage: „Warum achtet ihr so ängstlich auf Tage, Monate, bestimmte Zeiten und Jahre?“, in Kol 2,16: „Darum soll euch niemand verurteilen wegen Speise und Trank oder wegen eines Festes, ob Neumond oder Sabbat“ – was einerseits belegt, dass es in manchen urchristlichen Gemeinden nicht nur in der Frage der Einhaltung des Sabbats Kontroversen gab, sondern manche auch auf der Einhaltung anderer jüdischer Feste bestanden haben, und andererseits bestätigt, dass für Paulus das Sabbatgebot prinzipiell irrelevant geworden war. Paulus urteilt im Blick auf die Frage, ob man den Sabbat einhalten soll oder nicht, dass für Jesusbekenner sowohl das Einhalten des Sabbat als auch das Nicht-Einhalten akzeptables Verhalten ist: jeder sei von seiner eigenen Meinung voll überzeugt (V. 5b). Jeder Jesusbekenner soll in Übereinstimmung mit seiner persönlichen Überzeugung handeln.76 6 Entscheidend ist, wenn man den Sabbat hält, dass man ihn nicht aus Tradition hält, oder weil er im Gesetz geboten ist. Der Jesusbekenner, der einen Tag besonders beachtet (ο� φρονω ñ ν τη` ν η� με' ραν [ho phronōn tēn hēmeran]),77 soll ihn für den Herrn (κυρι'ω, [kyriō]) halten (V. 6a). Paulus fordert den Sabbat haltende Christen auf, sich bei der Einhaltung des Sabbats auf den Herrn, d.h. auf den Messias Jesus, auszurichten. Implizit ist damit die Mahnung verbunden, mit der Einhaltung des Sabbat weder Heiligkeit noch Identität als Glied des Volkes Gottes zu verbinden. Und implizit mahnt Paulus die Starken, das Verhalten der Schwachen zu respektieren. Paulus wendet den Grundsatz von V. 6a in V. 6b-c auf die Einhaltung der Speisegebote an; die ausführliche Aussage zeigt, dass hier der Schwerpunkt der Kontroverse lag. Der Jesusbekenner, der (alles) isst (ο� ε� σθι'ων), soll alles für den Herrn (κυρι' ω, [kyriō]) essen (V. 6b), und der Jesusbekenner, der nicht isst (ο� μη` ε� σθι'ων), d.h. der kein Fleisch isst, der soll für den Herrn (κυρι'ω, [kyriō]) kein Fleisch essen (V. 6c). Was immer der einzelne Jesusbekenner tut, er soll es im Hinblick auf seinen Herrn tun.78 Die Meinungsfreiheit (V. 5b) in dieser Angelegenheit ist eine Freiheit unter der Herrschaft des Messias Jesus und damit ein Handeln in Freiheit, das dem Willen Gottes entspricht.79 ————————————————————
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Gäckle, Die Starken, 407. Vgl. Bauer/Aland s.v. νουñ ς 4, „das Ergebnis des Denkvorganges“, d.h. „Gedanke, Meinung, Ratschluss“. Das Verb πληροφορε' ω bedeutet hier „voll überzeugt sein, ganz und gar durchdrungen sein“ (Bauer/Aland s.v. πληροφορε' ω 2). BDAG s.v. φρονε' ω 4: Die Bedeutung einer Sache anerkennen. Michel 426-427: „semitisierend im Sinne von “ִלְפֵני, der allerdings auch die Deutung im Sinn eines dat. commodi – was der einzelne Christ tut, das tut er seinem Herrn zugut – für möglich hält (so Wilckens III 83), was Gäckle, Die Starken, 399 für unnötig hält. Käsemann 358; Dunn II 806. Siehe unter in Abschnitt IV.
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Der Christ, der alles isst, dankt Gott (ευ� χαριστειñ τω ñ, θεω ñ, [eucharistei tō theō]), und der Christ, der kein Fleisch isst, dankt Gott (ευ� χαριστειñ τω ñ, θεω ñ, ). Das „Danken“ ist hier das Dankgebet, das bei Mahlzeiten gesprochen wird.80 Wer alles essen kann, der dankt Gott für alles, was auf dem Tisch zum Verzehr bereitliegt. Wer infolge seiner Achtung vor den Speisegeboten kein Fleisch, sondern nur Gemüse (und Feigen, Nüsse u.a.) isst (V. 2), der spricht ebenfalls ein Dankgebet. Christen, die sich von den Speisegeboten des Gesetzes gebunden wissen, sollen wissen, dass die Brüder, die alles essen, nicht etwa Gottlose sind, die Gott nicht ehren und Gott nicht danken (1,21: ου� χ ω� ς θεο` ν ε� δο' ξασαν η� ηυ� χαρι'στησαν), sondern genauso wie sie von Gott Geliebte und berufene Heilige (1,7), die zum neuen Äon des messianischen Heils gehören, in dem Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht mehr vom Halten des Gesetzes abhängen, sondern vom Glauben an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus (3,21–5,21).81 Paulus, der sich mit den Starken identifiziert (15,1) und unter Heiden wie ein Heide leben kann (1Kor 9,21), unternimmt nicht den Versuch, die Meinung der Schwachen zu korrigieren. Er bittet die Starken, dass sie auf die Schwachen Rücksicht nehmen, und er bittet die Schwachen, die Starken, die sich über die atl.-jüdischen Speisegebote und über die im Dekalog gebotene Sabbatobservanz hinwegsetzen, zu akzeptieren. 7 Paulus begründet (γα' ρ) die Betonung der Meinungs- und Handlungsfreiheit in Fragen der Speisegebote und Kalenderobservanz in V. 7-9 christologisch. Manche Ausleger halten diese Verse für ein von Paulus zitiertes82 oder von ihm selbst formuliertes Bekenntnis.83 Die parallelen Aussagen des griechischen Textes sind wie folgt darzustellen: 7 ου� δει`ς η� μω και` ñ ν ε� αυτω ñ, ζηñ, ου� δει`ς ε� αυτω ñ, α� ποθνη,' σκει ———————————-————————
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Nach Bill. IV 631 etwa folgendes Gebet: „Gepriesen seist du, Jahve, unser Gott, König der Welt, der die ganze Welt speist durch seine Güte! In Gnade, Liebe u. Erbarmen gibt er Brot allem Fleisch, denn seine Gnade währet ewiglich. Nach seiner großen immerwährenden Güte hat er uns nicht mangeln lassen u. möge er uns in Ewigkeit nicht mangeln lassen Speise um seines großen Namens willen. Denn er speist u. versorgt alle u. erweist Gutes allen u. richtet Speise zu für alle seine Geschöpfe, die er geschaffen hat. Gepriesen seiest du Jahve, der alle speist“. Vgl. Lohse 371-372. Dunn II 807; zum folgenden Punkt Gäckle, Die Starken, 399-400. Michel 427 („klingt wie ein Taufbekenntnis“); Nababan, Bekenntnis, 55-56.62-64.71-72. Schlier 409 (Christuslied); vgl. Theobald II 139, mit Hinweis auf die im Kontext nicht angelegte Thematik des Todes. Haacker 337 weist darauf hin, dass V. 7-9 in der Evangelischen Kirche einen liturgischen Ort im Kontext von Trauerfeiern und Abkündigungen von Sterbefällen haben, d.h., die Verse werden dem Thema „Sterben“ zugeordnet, das zwar vorkommt, aber nicht das Thema dieses Textes ist.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 749 ———————————————————————————————————— 8 ε� α' ν τε γα` ρ ζω ñ μεν τω ñ, κυρι' ω, ζω ñ μεν ε� α' ν τε α� ποθνη,' σκωμεν τω ñ, κυρι' ω, α� ποθνη,' σκομεν ε� α' ν τε ουò ν ζω ñ μεν ε� α' ν τε α� ποθνη,' σκωμεν τουñ κυρι' ου ε� σμε' ν 9 ει� ς τουñ το γα` ρ Χριστο` ς α� πε' θανεν και` ε» ζησεν «ινα και` νεκρω ñ ν και` ζω' ντων κυριευ' ση, Theobald bezeichnet V. 7-9 als katechetisches „Lehrstück“, für das die Intention charakteristisch ist, „einen vorgegebenen Glaubenssatz der Überlieferung („Christus ist gestorben und lebendig geworden“: damit vgl. etwa 1Thess 4,14a) auf ein anstehendes theologisches Problem hin zu befragen und ihn dementsprechend auszulegen“. Die zentrale Aussage des Lehrstücks lautet: „Jenseits der unausweichlich scheinenden Alternative ‚leben‘ oder ‚sterben‘ gibt es gegen allen Augenschein doch noch ein Drittes, das beides relativiert, nämlich die Herrschaft Christi über Lebende und Tote.“84 Auf den Kontext in Röm 14 angewendet heißt dies: Die zentrale Regel christlichen Zusammenlebens ist es, „daß es der eine und selbe Kyrios ist, dem Christen in unterschiedlicher Frömmigkeitspraxis dienen“.85
Paulus entfaltet die grundlegende Beziehung τω ñ, κυρι'ω, [tō kyriō], mit der er in V. 6 die Bedeutung der Speisegebote relativiert hatte. Die Beziehung zu dem Messias Jesus, den Judenchristen wie Heidenchristen als Kyrios anerkennen, relativiert Konflikte in allen Fragen, die das von Gott im Messias Jesus gewährte Heil nicht tangieren. Paulus formuliert zunächst, wie in V. 6c, negativ: keiner von uns lebt für sich selbst (V. 7a). Diese Formulierung wurde in der griech.-röm. Tradition dazu verwendet, egoistisches Verhalten zu kennzeichnen und zu brandmarken: Niemand ist allein auf der Welt, jeder ist auf andere angewiesen.86 Paulus geht es nicht um die soziale Verpflichtung, die sich aus diesem Satz ergibt, sondern um die Ausrichtung auf den Herrn, wie V. 8 deutlich macht, was aber bereits V. 7b andeutet: keiner stirbt für sich selbst. Wie man im Leben nicht allein ist, so ist man auch im Tod nicht allein, was der Vorstellung widerspricht, dass der Tod radikal einsam macht. Im Leben und im Sterben, und das heißt in ihrer gesamten Existenz, sind Jesusbekenner mit dem Herrn verbunden. Die Zuge———————————-————————
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Theobald II 140. Jewett 847 spricht von einem formalen Syllogismus. Wilckens III 84. Plato, Ep 9,348a: ε« καστος η� μω ñ ν ου� χ αυ� τω ñ, μο' νον γε' γονεν („keiner ist für sich allein geboren“); Plutarch, Cleom 52,10: αι� σχρο` ν γα` ρ [και`] ζηñ ν μο' νοις ε� αυτοιñς και` α� ποθνη,' σκειν („schimpflich ist es, sowohl zu leben für sich allein als auch zu sterben“; Seneca, Ep 48,2: Nec potest quisquam beate degere, qui se tantum intuetur, qui omnia ad utilitates suas convertit; alteri vivas oportet, si vis tibi vivere („Und nicht kann irgend jemand glücklich leben, der sich nur im Sinne hat, der alles zu seinem eigenen Nutzen wendet: für einen anderen musst du leben, wenn du für dich willst leben“). NW II/1, 216-218.
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hörigkeit zum Herrn, dem Messias Jesus, bestimmt das Leben, das Verhalten im Leben und am Ende auch das Sterben. Es gibt keinen (ου� δει'ς), für den das nicht gilt: Die an Jesus Glaubenden leben alle nicht für sich selbst und sie sterben nicht für sich selbst – weil sie dem Herrn angehören, wie Paulus in den nächsten Sätzen betont. 8 Für Jesusbekenner gilt immer87 und grundsätzlich: wenn wir leben, leben wir für den Herrn (V. 8a). Sein Leben ist auf den gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus, den erhöhten Herrn (1,3-4), ausgerichtet. Das Leben der Jesusbekenner ist von der Gegenwart des Herrn bestimmt. Weil sie sich ihres Heils auch im Blick auf das Endgericht gewiss sind (8,31-39), gilt der Satz: wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn (V. 8b). Da auch der Tod uns nicht von der Liebe des Messias, die Gott in unsere Herzen gegossen hat (5,5), scheiden kann (8,35), werden wir auch im Sterben nicht von der Herrschaft des Herrn geschieden. Das Sterben der Jesusbekenner ist ebenfalls von der Gegenwart des Herrn bestimmt, der seit seiner Auferstehung von den Toten als der Erhöhte göttliche Macht besitzt. Und so gilt: wenn wir also leben oder wenn wir sterben, wir gehören dem Herrn (V. 8c).88 Die Zugehörigkeit zum Herrn, die Gegenwart des Herrn, die Herrschaft des Herrn gilt im Leben und im Sterben. 9 Paulus begründet (γα' ρ) die Herrschaft des Messias Jesus mit Ziel und Wirkung (ει� ς τουñ το) seines Todes und seiner Auferweckung.89 Jesus ist gestorben (α� πε' θανεν [apethanen]) – für Sünder (5,8), die Sünde der Sünder sühnend (1,18–3,20), sodass Gottes Gerechtigkeit und die Vergebung der seit Adam die Menschen knechtende Sünde dem Sünder zugeeignete Wirklichkeit wurde (3,21–5,21). Jesus ist wieder lebendig geworden (ε» ζησεν [ezēsen])90 und ist deshalb der von den Propheten verheißene messianische Gottessohn, der über Tote und über Lebendige herrscht (και` νεκρω ñ ν και` ζω' ντων κυριευ' ση, ). Zum Grundverständnis des Evangeliums gehört nach 1,4 die Überzeugung, dass Jesus, der messianisches Sohn Gottes, nach seiner Auferstehung göttliche Macht hat, die eine gegenwärtige und ewige Macht ist, weil er nicht mehr stirbt (6,9); er wurde durch die Herrlichkeit Gottes von den Toten auferweckt, damit wir, die Jesus als Messias und Herrn bekennen, als neue Menschen leben (6,4). Das nachgestellte „über Lebendige“ ist betont: Die Herrschaft Jesu gilt für die Jesusbekenner in den römi———————————-————————
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Vgl. die Formulierung τε … τε („sowohl … als auch“), die unübersetzt gelassen wurde. τουñ κυρι' ου ist prädikativer gen. possessoris; HvS §159b(b). Käsemann 359: „Die Einleitung ει� ς τουñ το γα' ρ schließt in apodiktischer Schärfe jede Ausnahme aus“. ε» ζησεν ist ingressiver Aorist; HvS §199d.
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schen Gemeinden jetzt und in der Zukunft. Wenn die Herrschaft Jesu selbst durch den Tod nicht erschüttert werden kann, „kann kein Zweifel darüber bestehen, daß er der Kyrios über alles ist und kein Winkel unseres Lebens seiner Herrschaft entzogen ist“.91 10 Die rhetorischen Fragen von V. 10a-b wiederholen in umgekehrter Reihenfolge die Mahnungen von V. 3a-b (wobei V. 10a die Frage von V. 4a wiederholt) und verbindet sie mit einer impliziten ekklesiologischen und mit einer expliziten eschatologischen Begründung: Du aber, wie kannst du deinen Bruder richten? Und du, wie kannst du deinen Bruder verachten? Paulus ermahnt erneut diejenigen, die aufgrund ihrer Loyalität gegenüber den atl.-jüdischen Speisegeboten auf das Essen von Fleisch ganz verzichten und die den Sabbat halten, die nicht zu „richten“ (zu κρι'νω s. zu V. 3), die alles essen und alle Tage für gleich halten (V. 10a). Und er ermahnt erneut diejenigen, die alles essen und den Sabbat ignorieren, die nicht zu „verachten“ (zu ε� ξουθενε' ω s. zu V. 3), die kein Fleisch essen und den Sabbat halten. Das Lehrstück V. 7-9 macht deutlich, weshalb die Schwachen das Richten der Starken unterlassen und die Starken ihre Verachtung gegenüber den Schwachen aufgeben sollten: Angesichts der Herrschaft des Messias Jesus, der für die Sünder gestorben ist und dessen Auferstehung zur Folge hat, dass wir nicht mehr dem Gesetz und seinem Todesurteil gehören, sondern ihm, dem Messias, damit wir Gott Frucht bringen (7,4) und nicht mehr als dem Fleisch Verpflichtete leben (8,11-12), verbietet es sich von selbst, dass man andere Gemeindeglieder richtet oder verachtet. Angesichts der Wirklichkeit des Todes und der Auferstehung Jesu mit ihren Folgen für die Nachkommen Adams ist ein Streit über das Essen von Fleisch kleinlich. Angesichts der Wirkung des Sühnetodes Jesu für Sünder, deren Sünde vergeben ist, dürfen sie als von Gott Geliebte (1,7) weder gerichtet noch verachtet werden. Die von Gott Geliebten, die den heiligen Geist Gottes erhalten haben und Kinder und Erben Gottes sind (8,14-17), sind mit den anderen Gläubigen als Bruder (α� δελφο' ς [adelphos]; s. zu 1,13) verbunden. Ein treuer Bruder richtet seinen Bruder nicht, ein loyaler Bruder verachtet seinen Bruder nicht. Wer seinen Bruder richtet oder verachtet, der zerstört die Familie, und das heißt: Wenn Christen bestimmte Mitchristen richten oder verachten, zerstören sie die Gemeinde und damit das Werk Gottes. Paulus verwendet das Wort α� δελφο' ς seit 12,10 in V. 10a zum ersten Mal, und wiederholt es gleich ———————————-————————
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Lohse 375. Vgl. Käsemann 360: „Die Kontur des Kosmokrator wird sichtbar, der niemanden der privaten Sphäre beläßt und alles auf sich ausrichtet. Zu ihm zu gehören oder nicht … qualifiziert darum auch alles Handeln, unsere Kriterien übergreifend.“
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noch einmal in V. 10b. Die Gegenwart des Geistes Gottes, der die Leben schaffende Macht Gottes ist und der Sünder – Heiden und Juden – zu Söhnen gemacht hat (8,15), kann und soll den stadtrömischen Jesusbekennern die Kraft geben, die unterschiedlichen Überzeugungen und Verhaltensweisen im Blick auf das Essen von Fleisch und den Sabbat zu tolerieren und zu überwinden – in der Liebe, mit der Gott sie geliebt hat und mit dem Brüder einander lieben. Die Mahnung zur Toleranz innerhalb der Gemeinde ist ekklesiologisch begründet. In V. 10c begründet (γα' ρ) Paulus die Mahnung an die Schwachen, das Richten der Starken zu unterlassen, und die Mahnung an die Starken, die Verachtung der Schwachen abzustellen, mit dem Hinweis auf das Endgericht: wir werden alle vor Gottes Richterstuhl stehen. Paulus verweist mit dem Ausdruck „Gottes Richterstuhl“ (το` βη' μα τουñ θεουñ [to bēma tou theou]) auf das Endgericht und auf den Tag, an dem alle – πα' ντες steht betont voran – vor Gottes Thron treten. Das Wort βη' μα ([bēma]; lat. rostrum)92 ist terminus technicus der griech.-römischen Amtsund Rechtssprache für den öffentlichen Sitz- oder Standplatz, an dem Amtsträger Reden hielten und Recht sprachen. Wenn vom „Sitzen“ die Rede ist, bezeichnet bēma den tragbaren Amtssessel (lat. sella curulis), auf den sich die römischen Beamten in ihrer Funktion als Richter setzten. Ansonsten hat man sich unter dem bema/rostrum ein architektonisch unterschiedlich gestaltetes Podium bzw. eine Tribüne vorzustellen. In der Kaiserzeit war das oft monumental ausgebaute rostrum der zentrale Ort der Repräsentation der Macht der Staatsgewalt. Im NT mit der Bedeutung „Schritt“ in Apg 7,5. In Apg 12,21 ist βη' μα die Bezeichnung für die Rednertribüne in Cäsarea, von der aus Herodes Agrippa eine Rede vor dem Volk hielt. In Berichten von Gerichtsverhandlungen in Jerusalem (Mt 27,19; Joh 19,13: Jesus vor Pontius Pilatus), Korinth (Apg 18,12.16-17: Paulus vor Lucius Iunius Gallio Annaeus) und Cäsarea (Apg 25,6.10.17: Paulus vor Porcius Festus) bezeichnet bēma den Amtssessel der römischen Statthalter. In 2Kor 5,10 und Röm 14,10 steht βη' μα für den Thron (θρο' νος) Gottes, von dem aus er die Welt richten wird (vgl. Dan 7,9; Mt 19,28; 25,31-32; Offb 20,4.11).
Die Wendung „vor dem Richterstuhl stehen“ (παραστησο' μεθα τω ñ, βη' ματι) beschreibt die Gerichtssituation: Angeklagte stehen vor dem Richter, der auf der Bema sitzt.93 Die Tatsache, dass Paulus sowohl von Gott als auch vom Messias Jesus als endzeitlichem Richter spricht (vgl. 2Kor 5,10), „ohne ———————————-————————
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Vgl. B. Schaller, Art. βη' μα, EWNT I, 517-518; A.M. Schneider, Art. Bema, RAC II, 129130; C. Höcker, Art. Rostrum, DNP X; Lexicon Topographicum Urbis Romae IV, 212219. Weder ThWNT noch ThBLNT behandeln das Wort. Apg 25,10: Paulus beruft sich auf sein Recht, „vor dem Richterstuhl des Kaisers stehen“ (ε� πι` τουñ βη' ματος Και' σαρος ε� στω' ς ει� μι) zu dürfen, d.h. vom Kaiser gerichtet zu werden (ουð με δειñ κρι' νεσθαι). In 2Kor 5,10 formuliert Paulus: του` ς πα' ντας η� μαñ ς φανερωθηñ ναι δειñ ε» μπροσθεν τουñ βη' ματος τουñ Χριστουñ („wir alle müssen vor dem Richterstuhl des Messias offenbar werden“).
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daß ein Unterschied in der Bedeutung vorliegt“,94 bestätigt die in 1,4 angesprochene göttliche Dignität des Messias Jesus. Im AT ist von einem zukünftigen Gericht im Zusammenhang von Israels Abfall von Gott und von Angriffen fremder Völker auf Israel die Rede.95 Dieses zukünftige Gericht Gottes wird als „der Tag des Herrn“ oder als „der Tag“ bezeichnet (Zef 1,7; Hes 7,7). Manchmal wird das Gericht Gottes mit dem Kommen Gottes auf die Erde verbunden (Ps 96,13). Vor der Beschreibung der neuen Schöpfung (Jes 65,17–25) schreibt Jesaja vom Gericht Gottes über Israel (65,6-12), das in der Aufteilung des Volkes in zwei Gruppen resultiert – die Gerechten werden von Gott gesegnet, die Ungerechten werden von Gott gerichtet (65,13– 15). Hinweise auf ein zukünftiges Gericht über alle Menschen, die nicht-israelitischen Völker eingeschlossen, sind selten, aber eindeutig: „Denn der Herr wird durch Feuer die ganze Erde richten und durch sein Schwert alles Fleisch, und der vom Herrn Getöteten werden viele sein“ (Jes 66,16 LÜ; vgl. Jer 25,31; Sach 14,1-12; Mal 4,1-6). Jesus sprach ebenfalls vom Tag des kommenden Gerichtes Gottes (Mt 10,14-15), das er unmittelbar mit seiner Wiederkunft verbindet (Mt 24,29-31 / 25,21-33). Die gegenwärtige Welt (der ersten Schöpfung) löst sich auf, wenn Jesus wiederkommt. Paulus spricht ebenfalls vom zukünftigen, endzeitlichen Gericht Gottes (Röm 2,5-8), das Heiden und Juden gleichermaßen treffen wird (1,18–3,20). Gleichzeitig betont er, dass der Sühnetod des Messias Jesus die Sünden von Heiden und Juden sühnt (3,25) und die Sünder vom Zorn Gottes rettet, indem er die Todesstrafe, die sie in Gottes Gericht treffen würde, auf sich genommen und das Problem der seit Adam das Schicksal des Menschen bestimmenden Wirklichkeit der Sünde gelöst hat (3,21–5,21). Sünder, die sich für die Vergebung ihrer Sünden im Glauben auf den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus verlassen, werden vor dem Gerichtszorn Gottes bewahrt: „Gott erweist aber seine Liebe zu uns darin, dass der Messias für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wieviel gewisser werden also wir, die wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, durch ihn gerettet werden vor seinem Zorn“ (5,8-9). Sünder, die sich im Glauben mit dem Messias Jesus identifizieren, sind mit ihm gestorben, mit ihm gekreuzigt worden (6,5-6). Das heißt: Für Menschen, die an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus glauben, hat der Tag des Gerichts, an dem Gott Sünde richtet und Sünder mit dem Tod bestraft, am Karfreitag des Jahres 30 n.Chr. stattgefunden, als Jesus am Kreuz starb (so explizit Kol 2,13–15: „Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden. Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet. Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus“; vgl. Röm 4,6-8 mit Zitat von Ps 32,1). Gleichzeitig rechnet er mit einem zukünftigen Gericht Gottes. In 1Thess 4-5 verbindet er die Wiederkunft Jesu (4,16), die als der „Tag des Herrn“ ganz plötzlich kommen wird (5,2), mit dem Gericht über die unbußfertigen Sünder (5,3) und die an den Messias Jesus Glaubenden mit dem Kreuzestod Jesu: „Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil. Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern ———————————-————————
94 95
Lohse 375, mit Verweis auf Lohse, Weltenrichter. Dieser Sachverhalt erklärt auch die unterschliedlichen Lesarten τω ñ, βη' ματι τουñ θεουñ / τουñ Χριστουñ (siehe oben II). Zu der folgenden Skizze vgl. Schnabel, Endzeit, 255-258.263-273; s. ebd. 258-263 zu Offb 19,11-21 (Gericht über alle, die zu den Mächten des Bösen gehören) und Offb 20,410.11-15 (Endgericht über die unbußfertigen Sünder nach den tausend Jahren).
754 Römerbrief ———————————————————————————————————— dazu, das Heil zu erlangen durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben“ (5,8-10; LÜ). Nach 1Kor 3,8 erwartet Paulus für alle, die am Bau der Gemeinde beteiligt sind, „Lohn“. Paulus erwähnt unter dem Begriff „Lohn“ Herrlichkeit, Ehre und Frieden (Röm 2,10), Gottes Lob (1Kor 4,5), Herrlichkeit (2Kor 4,17; Röm 8,17-18) und das Wohlgefallen Gottes (2Kor 5,9). Nach 2Tim 4,8 erwartet er als Ausgang des Gerichts die „Krone der Gerechtigkeit“, die Gott ihm, und allen anderen Jesusbekennern, geben wird, wenn Jesus als Richter wiederkommt. Wenn Paulus an die Zukunft denkt, spricht er von der Auferstehung aus den Toten (Phil 3,10-11), von der Gewissheit der von Gott gewährten Gerechtigkeit, die alle Beschuldigungen und Verdammungspotenziale aufhebt (Röm 8,33-34), von der gewissen Hoffnung des Reichtums der Herrlichkeit von Gottes Erbe (Eph 1,18). Nach 2Kor 5,10 bemisst sich der „Lohn“ nach dem Guten oder Bösen, das Gläubige im irdischen Leben getan haben – eine unparteiische Untersuchung, die auch aus dem Entzug einer Belobigung bestehen kann.96 Paulus sagt nicht, dass Christen für jede einzelne Sünde bestraft werden: Er betont wiederholt, dass an Jesus Glaubende Vergebung ihrer Sünden erfahren haben, und er weiß gleichzeitig, dass Christen nicht vollkommen sind – deshalb warnt er sie vor dem Gericht Gottes (1Thess 4,6; 1Kor 6,9-10; Gal 5,21; Eph 5,5-6). Dabei erinnert er sie, wer sie als mit dem Messias Jesus verbundene Gläubige sind (Röm 1,3-4; 5,21; 6,1-23). Und er ermahnt sie, konsequenter die zu sein, die sie sind – die „Werke des Fleisches“ (Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht, Spaltungen, Neid, Saufen, Fressen und dergleichen) haben in ihrem Leben keinen Platz, weil der Heilige Geist ihr Leben bestimmt und die Frucht Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit hervorbringt (Gal 5,22-23.
Die Erinnerung an das Gericht Gottes V. 10c beinhaltet die Mahnung, die Relevanz der Herrschaft des auferstandenen und erhöhten Messias Jesus, der allen, die mit ihm im Glauben verbunden sind, in diesem Leben und im kommenden Gericht einen „überwältigen Sieg“ erwirkt hat (8,37), zu erkennen, sodass die Kontroverse zwischen denen, die alles essen, und denen, die ganz auf Fleisch verzichten und den Sabbat halten, beendet wird. 11 Paulus bekräftigt (γα' ρ) den Hinweis auf das endzeitliche Gericht Gottes mit einem Schriftzitat (γε' γραπται [gegraptai]).97 Paulus zitiert zunächst Jes 49,18: Ich lebe, spricht der Herr.98 Diese als „Schwurformel“ bezeichnete Versicherung99 unterstreicht die Autorität der folgenden Aussage, in der Jes 45,23c wörtlich100 zitiert wird: denn mir wird sich jedes Knie beugen und jede Zunge wird Gott bekennen. Da Herr (κυ' ριος [kyrios]) christologisch zu verstehen ist,101 findet das Beugen der Knie vor dem auferstandenen und erhöhten Messias Jesus statt. Die Wendungen „jedes Knie“ (παñ ν γο' νυ [pan ———————————-————————
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Vgl. Harris, Second Corinthians, 409. Vgl. 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33; 10,15; 11,8.26; 12,19. Vgl. Koch, Schrift, 184-185; Wilk, Bedeutung, 64; Wagner, Heralds, 337. Vgl. Michel 428, mit Verweis auf Num 14,21.28; Dan 12,7 u.a. Die einzige Veränderung ist die Stellung der Wendung παñ σα γλω ñ σσα, die in Jes 45,23 nach dem Verb ε� ξομολογη' σεται steht; in Röm 14,11 steht sie betont vor dem Verb. Wilckens III 85; Lohse 375; Hurtado, Lord Jesus Christ, 115; Gäckle, Die Starken, 411.
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gony]) und „jede Zunge“ (παñ σα γλω ñ σσα [pasa glōssa]) markieren die Universalität von Gottes Gericht, die noch stärker hervortritt, wenn man γο' νυ als Hinweis auf den einzelnen Menschen und γλω ñ σσα als Hinweis auf die Sprachen der Völker interpretiert, was dem Kontext von Jes 45 entspricht.102 Das „Beugen“ (κα' μπτω [kamptō]) der Knie ist Zeichen der Erniedrigung, Verehrung und Unterwerfung.103 Mit „bekennen“ (ε� ξομολογε' ω [exhomologeō])104 ist eher nicht das Sündenbekenntnis gemeint,105 sondern die mit dem Beugen der Knie verbundene Akklamation.106 Dass die Akklamation Gott gilt, während die Verehrung auf den Herrn, d.h. auf den Messias Jesus bezogen ist, ist nicht das Resultat unpräziser paränetischer Sprache, sondern ein Kennzeichen des Ineinanders von Christozentrik und Theozentrik in der paulinischen Theologie: „Wie sich im Sühnetod Christi Gottes Gerechtigkeit als eschatologische Heilsmacht erwiesen hat (3,25), als seine Liebe (5,8), und wie es daher zugleich Christi Liebe (8,35) und Gottes Liebe in Christus (8,39) ist, auf die Christen ihre letzte Heilsgewißheit gründen, so ist auch der Gehorsam gegen Gott im christlichen Wandel zugleich Gehorsam gegen Christus, und der Auferstandene wird ebenso der Richter darüber sein (2Kor 5,10) wie Gott (Röm 14,10.12).“107 Jesus handelt als Weltenrichter nicht nur im Auftrag Gottes, der ihm Vollmacht verliehen hat, sondern er hat als der Erhöhte göttliche Macht und Dignität (1,3-4). Weil es für Paulus (und in der Offb) mehrere endzeitliche Gerichte gibt (s. den Exkurs bei V. 10), gibt es zwei Auslegungsmöglichkeiten: 1. Paulus spricht vom allg. Gericht Gottes über die Völker, in dem alle Menschen von ———————————-————————
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Die beiden Bedeutungen von γλω ñ σσα sind „Zunge“ als Organ des Redens (Mk 7,33.35; Lk 1,64; 16,24; Röm 3,13; Jak 1,26; 3,5-8) und „Sprache“ (Apg 2,11; 1Kor 12,10.28.30; 14,1-27.39; Phil 2,11); vgl. Bauer/Aland s.v. γλω ñ σσα; vgl. Schnabel, Christian Identity, 378-379 zu Offb 7,9. H. Balz, Art. κα' μπτω, EWNT II, 612. Zum Kniefall vgl. H. Schlier, Art. γο' νυ. ThWNT I, 738-740; in den Stellen, in denen statt κα' μπτω (Röm 11,4; 14,11; Phil 2,10; Eph 3,13) auch τι' θημι verwendet wird (Mk 15,19; Lk 22,41; Apg 7,60; 9,40 u.a.) ist eine Differenzierung zwischen dem Kniefall und dem vollen sich Hinwerfen (προσκυνε' ω, Mt 8,2; Mk 1,40; πι' πτω, Mt 26,39 / Mk 14,35 / Lk 22,41; Mt 8,2 / Lk 5,12) nicht beabsichtigt. O. Michel, Art. ο� μολογε' ω, ThWNT V, 199-220; O. Hofius, EWNT II, 20-23. Das hebr. ידהbedeutet sowohl „Gott preisen“ (so in der Regel das Hif.) als auch „Sünden vor Gott bekennen“ (Hitpael); vgl. ε� ξομολογε' ω in Dan 9,4.20 LXX. Meistens verwendet die LXX das Verb für die Stellen, in denen „ ידהpreisen“ bedeutet, was man als „lexikalischen Hebraismus“ bezeichnen kann (Michel, ebd. 17-18), in dem die ursprüngliche Bedeutung „anerkennen, bekennen“ noch anklingt: „Im Lobpreis (vollzieht sich) die öffentliche Anerkennung und Bezeugung der rettenden Macht Gottes“ (Hofius, ebd. 21). So Michel, ThWNT V, 215; Hofius, EWNT II, 22; Hofius, Christushymnus, 50. Käsemann 360; Michel 428-429 Anm. 28; Wilckens III 85. Wilckens III 85; vgl. Gäckle, Die Starken, 411.
756 Römerbrief ————————————————————————————————————
Gott zur Verantwortung gezogen und gerichtet werden, die sich nicht im Glauben an den Messias Jesus mit dem Gericht Gottes über die Sünde im Sühnetod Jesu identifiziert haben. In diesem Gericht werden die unbußfertigen Sünder gezwungen sein, sich vor Jesus zu erniedrigen und Gott als Richter anzuerkennen. In diesem Zusammenhang warnt er die Jesusbekenner Roms, sich keine Richterfunktion anzumaßen und sich nicht als solche zu verhalten, die die jetzt im Messias Jesus offenbarte Wahrheit Gottes in Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit niederhalten und sich damit den Heiden gleichstellen, die vom Zorn Gottes getroffen werden (1,18). Das heißt, der Verweis auf das endzeitliche Gericht ist eine Warnung (1Thess 4,6; 1Kor 6,9–10; Gal 5,21; Eph 5,5-6), die der Mahnung dient, konsequent als die neuen Menschen zu leben, die sie infolge der Gnade Gottes und infolge der Gegenwart des Geistes Gottes sind (Röm 6,15-23; 8,1-17). 2. Paulus spricht von dem Tag, an dem Gott sein Volk zur Rechenschaft zieht und ihre Werke und Taten beurteilt, der „Tag“, an dem sie Lohn erhalten – Herrlichkeit, Ehre und Frieden (Röm 2,10; vgl. 8,17-18; 2Kor 4,17), Gottes Lob (1Kor 4,5), das Wohlgefallen Gottes (2Kor 5,9), die Krone der Gerechtigkeit (2Tim 4,8). In diesem Zusammenhang spricht V. 10 von den Jesusbekennern, die bei ihrem Erscheinen vor dem erhöhten Herrn und vor Gott den Messias Jesus verehren und Gott anbeten. 12 Aus der Tatsache, dass alle im endzeitlichen Gericht vor Gott und seinem Messias Jesus stehen werden, ergibt sich (α» ρα ουò ν) der Tatbestand, dass jeder von uns (ε«καστος η� μω ñ ν [hekastos hēmon]) einmal vor Gott (τω ñ, θεω ñ, ) treten wird und für sich selbst (περι` ε� αυτουñ [peri heautou]), d.h. nicht für andere, Rechenschaft geben (λο' γον δω' σει [logon dōsei]) muss.108 Das Futur des Verbs verweist auf den Tag des endzeitlichen Gerichts. Im Zusammenhang der Kontroverse, um die es in 14,1–15,13 geht, will Paulus sagen: Die Starken, die alles essen, den Sabbat nicht halten und die Schwachen verachten, müssen sich genauso vor Gott verantworten wie die Schwachen, die kein Fleisch essen, den Sabbat halten und die Starken richten. Wenn die Starken die Tatsache in Betracht ziehen, dass die Schwachen genauso wie sie selbst jetzt und auch im endzeitlichen Gericht den Messias Jesus verehren und Gott anbeten, dann müssen sie die Verachtung für diese Brüder abstellen und sie mit ihrer Überzeugung annehmen und ihre Praxis tolerieren. Und wenn die Schwachen sich die Tatsache vor Augen halten, dass die Starken genauso wie sie selbst jetzt und auch im endzeitlichen ———————————-————————
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Bauer/Aland s.v. λο' γος 2a.α; vgl. Mt 12,36; zu dieser Wendung vgl. Lk 16,2; Apg 19,40; Hebr 13,17; 1Petr 3,15; 4,5. Dass die Rechenschaft „öffentlich“ abgelegt werden muss (Michel 429), wird im Text nicht gesagt.
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Gericht den Messias Jesus verehren und Gott anbeten, dann müssen sie aufhören, diese Brüder zu richten. Jeder muss im Gericht Gottes für sich selbst Rede und Antwort stehen – sowohl für die Überzeugungen, die man hat, also auch für die Verhaltensweise, mit der man anderen begegnet. Wer das weiß, wird es unterlassen, das Gericht Gottes im Namen der eigenen Überzeugung jetzt schon zu vollstrecken. 13 Aus der Herrschaft des Messias Jesus (V. 7-9) und aus der Wirklichkeit des Gerichts (V. 10-12) ergibt sich (ουò ν) zunächst die Mahnung an die Schwachen, ihre starken Brüder in der Gemeinde nicht mehr (μηκε' τι) zu richten (κρι'νωμεν [krinōmen]; V. 13a).109 Das mit gegenseitig übersetzte Reziprokpronomen α� λλη' λους scheint anzudeuten, dass beide Gruppen sich gegenseitig „richten“; nach V. 3.10 waren es jedoch die Schwachen, die die Starken „gerichtet“ haben. Paulus hat die ganze Gemeinde im Blick, wenn er von der Ermahnung der Schwachen in V.13a (vgl. V. 4.10a) zur Ermahnung der Starken, Rücksicht auf die schwachen Brüder zu nehmen, übergeht (V. 13b-23). In diesem Abschnitt, in dem die Begriffe „Schwache“ und „Starke“ ihre eigentliche Bedeutung erhalten, „begibt sich Paulus auf die Ebene, auf der er den Konflikt lösen möchte … Denn an die Rücksichtnahme und Verantwortung der Starken lässt sich wesentlich plausibler appellieren, wenn die gegnerische Gruppe als die kognitiv und psychischemotional ‚Schwachen‘ vorgestellt werden, als wenn sie als ‚die Juden‘, ‚die aus Israel‘ bzw. ‚die aus der Beschneidung‘ charakterisiert werden“.110 Die positive Mahnung gilt den Starken: achtet darauf, dass ihr dem Bruder keinen Anstoß oder Ärgernis bereitet (V. 13b). Das jetzt mit „achtet darauf “ übersetzte κρι'νατε [krinate] spricht nicht vom Richten (wie in V. 13a), sondern bedeutet hier „sich entscheiden für, beschließen, sich vornehmen“.111 Das mit „Anstoß“ (προ' σκομμα [proskomma]; vgl. V. 20)112 übersetzte Wort bezeichnet je nach Kontext, wörtlich oder übertragen, einen Vorgang („sich stoßen, zu Fall kommen“) oder dessen Folge („Verletzung, Schaden“) oder Ursache („Anstoß zum Fallen, das Hindernis, die Verführung“). Weil der Schwache, der kein Fleisch isst und den Sabbat hält, ———————————-————————
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κρι' νωμεν μηκε' τι ist adhortativer Konjunktiv. Gäckle, Die Starken, 415. Bauer/Aland s.v. κρι' νω 3; vgl. 1Kor 2,2; 5,3; 7,37; 2Kor 2,1; Tit 3,12; Apg 3,13; 16,4; 20,16; 21,25; 25,25; 27,1. Vgl. G. Stählin, Art. προσκο' πτω κτλ., ThWNT VI, 745-759; H. Balz, Art. προ' σκομμα, EWNT III, 417-418; M. Bachmann, ThBLNT II, 1795-1797; die folgende Definition ebd. 1796. In den Papyri ist das Wort bisher nicht belegt; Arzt-Grabner, 1. Korinther, 336; bei Philo und Josephus fehlt es ebenfalls. Die in der LXX vorliegende Polemik gegen den Götzendienst (Ex 23,33; 34,12; Jer 3,3) sollte man in den Text nicht einlesen, da sie nicht mit der semantischen Bedeutung des Ausdrucks verbunden ist.
758 Römerbrief ————————————————————————————————————
„Bruder“ ist, darf man ihn nicht zu Fall bringen. Ohne Bild formuliert: Die Starken sollen sich so verhalten, dass die Schwachen nicht verletzt werden – vielleicht dadurch, dass man ostentativ in ihrer Gegenwart Schweinefleisch isst – oder zum Sündigen verführt werden, indem man sie bedrängt, Schweinefleisch zu essen und am Sabbat zu arbeiten. In 1Kor 8,9 mahnt Paulus ebenfalls, darauf zu achten, dass man den „Schwachen“ nicht „zum Anstoß wird“ und diese, was ihren Glauben betrifft, zugrunde gehen, indem man Götzenopferfleisch isst (1Kor 8,10-11). Mit „Ärgernis“ (σκα' νδαλον [skandalon]; s. zu 9,33) ist hier „das Anstößige, das Widerspruch Herausfordende“ gemeint: Die Starken sollen darauf achten, dass sie nicht in den Gemeindeversammlungen und bei gemeinsamen Mahlzeiten so reden und sich so verhalten, dass die Brüder, die ganz auf Fleisch verzichten und den Sabbat halten, zum Widerspruch herausgefordert werden und so Streit entsteht. Die Schwachen sollen nicht zum Widerspruch gereizt werden, schon gar nicht zu einem Verhalten, mit dem sie ihr Gewissen verletzen (vgl. V. 20) oder gar an ihrem Glauben an den Messias Jesus irre werden und die christliche Gemeinschaft aufgeben und sich (wieder) ganz der Synagoge zuwenden. Ob sich Paulus mit der Warnung, anderen Anstoß zu geben und zu sie Fall zu bringen, auf das entsprechende Wort Jesu in Mt 18,6-9 / Mk 9,42-48 / Lk 17,1-2 bezieht,113 ist sehr gut möglich, aber nicht beweisbar. 14 In den nächsten fünf Versen argumentiert Paulus mit einem Wort Jesu, mit dem Gebot der Liebe, mit dem Sühnetod Jesu, mit dem Evangelium, mit dem Reich Gottes und mit der Anerkennung durch Gott und durch Menschen (V. 14-18), um die Starken zur tolerierenden Rücksichtnahme auf die Schwachen zu bewegen. Ehe Paulus die Mahnung V. 13 in V. 15 konkret auf den schwachen Bruder in der Gemeinde anwendet, klärt er seine eigene Position: V. 14 ist im Duktus der Argumentation ab V. 13 eine Parenthese, gleichzeitig jedoch „der theologische Spitzensatz zur Sachthematik der Speiseabstinenz“.114 In einer emphatischen Einleitung (V. 14a) markiert Paulus ein Wissen und eine Überzeugung, die durch die Berufung auf den Herrn Jesus begründet wird: ich weiß (οιòδα [oida]), d.h. es handelt sich bei dem in V. 14b formulierten Satz nicht um eine bloße Vermutung; ich bin fest überzeugt (πε' πεισμαι [pepeismai]), d.h. Paulus ist nach reiflicher Überlegung zu dem festen, unerschütterlichen Urteil gekommen, dass der Satz V. 14b richtig ist; im Herrn Jesus (ε� ν κυρι'ω, � Ιησουñ [en kyriō Iēsou]), d.h. ———————————-————————
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Dodd 218; Cranfield II 712; Dunn II 818; Moo 851 Anm. 11; Jewett 858; Allison, Pattern, 14-15; Müller, Anstoß, 42-54; Thompson, Clothed, 174-184; Mustakallio, Motivation, 454; Toney, Ethic, 99. Gäckle, Die Starken, 400.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 759 ————————————————————————————————————
seine Überzeugung ist an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn gebunden, von dessen Herrschaft über Tote und Lebende in V. 9 die Rede war. Möglich, aber nicht beweisbar ist, dass Paulus sich auf Jesustradition beruft: Mk 7,15: „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen (κοινω ñ σαι), sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein (τα` κοινουñ ντα)“ (EÜ). Mt 15,11: „Nicht das, was durch den Mund in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein (κοινοιñ), sondern was aus dem Mund des Menschen herauskommt, das macht ihn unrein (κοινοιñ)“; in der Erklärung dieser Aussage, als Reaktion auf die Frage des Petrus (15,15) und auf die fehlende Einsicht der Jünger (15,16) gegeben, sagt Jesus: „Begreift ihr nicht, dass alles, was durch den Mund (in den Menschen) hineinkommt, in den Magen gelangt und dann wieder ausgeschieden wird? Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen, und das macht den Menschen unrein (κοινοιñ)“ (15,1718). Als Beispiel nennt Jesus in 15,19 böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugenaussagen und Verleumdungen, ehe er in 15,20 zusammenfasst: „Das ist es, was den Menschen unrein macht (τα` κοινουñ ντα); aber mit ungewaschenen Händen essen macht ihn nicht unrein (ου� κοινοιñ).“ Für die Anspielung auf Jesustradition in Röm 14,14115 spricht, dass Paulus bereits in 12,14.21 auf Worte Jesu anspielt, dass das Wort κοινο' ς bzw. das Verb κοινο' ω in Mk 7,2.5.15.18.20.23 eine zentrale Rolle spielt und dass Jesus, wie Paulus, sagt, dass ein Mensch durch sein Essen nicht verunreinigt wird.116 Gegen einen direkten Bezug auf ein Wort Jesu117 spricht die Tatsache, dass das Wort Jesu offensichtlich weder in der Vision des Petrus im Haus des Cornelius (Apg 10), noch im Kontext der antiochenischen Kontroverse zwischen Paulus und Petrus (Gal 2), noch in der Diskussion des Apostelkonzils (Apg 15) eine Rolle gespielt hat. V. Gäckle betont, dass die Aussage Röm 14,14b in einer Linie mit der urchristlichen Lehrtradition (Apg 10,10-16.28; 11,5-10; Tit 1,15; 1Tim 4,4) steht und Paulus mit der Einleitung in 14,14a seine Gewissheit zum Ausdruck bringt, „dass zumindest kein Jesuslogion gegen ihn angeführt werden kann“.118
Der Satz, den Paulus als vom Herrn Jesus sanktionierte Wahrheit formuliert, lautet: nichts ist unrein (ου� δε` ν κοινο` ν δι’ ε� αυτουñ [ouden koinon di’ heau———————————-————————
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Dodd 215-216; Lagrange 329; Michel 431; Haacker 340; Jewett 859; Paschen, Rein, 171; Walter, Paulus und die urchristliche Jesustradition, 511-512; Riesner, Paulus und die Jesus-Überlieferung, 360; Thompson, Clothed, 185-199; Wenham, Paul, 92-95; als Möglichkeit Cranfield II712-713; Wilckens III 91; Mustakallio, Motivation, 454; Gäckle, Die Starken, 401-402; Toney, Ethic, 99. Jesus behandelt in Mk 7 das Wie des Essens im Zusammenhang halachisch vorgeschriebener Waschungen, während es bei Paulus um das Was des Essens geht; Haacker 340, der hinzufügt, dass Mk 7,15 durch die Formulierung „was von außen in den Menschen hineinkommt“ für die Anwendung auf das Was des Essens offen ist. Vgl. Räisänen, Food Laws, 88; Räisänen, Torah, 209; Neirynck, Paul and the Sayings of Jesus, 306-308; Theobald, Erkenntnis, 491-493. Dunn II 819 nimmt angesichts Mt 15,11 an, Jesus habe etwas mehrdeutiger formuliert – sowohl Mk 7,15 als auch Röm 14,14 zeigten, wie man jenes (hypothetisch angenommene) Wort Jesu verstanden und interpretiert hat. Lohse 377: Jesus und Paulus vertreten die gleiche Überzeugung. Gäckle, Die Starken, 402, mit Verweis auf Thompson, Clothed, 194.
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tou]; V. 14b). In der Bedeutung „unrein“ ist κοινο' ς nur in jüdischen und früh-christlichen Texten belegt. Vgl. 1Makk 1,47.62; 4Makk 7,6; Josephus, Ant 12,320; 13,4 (sowie 11,346; 12,112); und Mt 5,11.15-20; Mk 7,2.5.15-23; Apg 10,1–11,18; 21,28; Hebr 9,13. Die meisten Ausleger betrachten κοινο' ς als Äquivalent für hebr. טמא, das Standardwort für rituelle Unreinheit,119 das allerdings in der LXX nirgends mit κοινο' ς übersetzt wird. W. Paschen erklärt die in der seleukidischen Zeit aufkommende Verwendung von κοινο' ς mit den Folgen der Religionspolitik des Antiochus IV. Epiphanes: κοινο' ς („gemein“) seien die Schlachttiersorten, „die von den anderen Völkern gegessen werden, die aber nach der Tora kultisch unrein und für den Genuß verboten sind“.120 Derrett meint, κοινο' ς und α� κα' θαρτος seien semantisch zu unterscheiden: Während κοινο' ς irreversibel entheiligte Sachen od. Personen bezeichnet, beschreibt α� κα' θαρτος Sachen oder Personen, die nur zeitweise unrein sind.121
Der Gegenbegriff zu κοινο' ς ist καθαρο' ς ([katharos], „rein“, hebr. )ָטה ֹור. Paulus erklärt den Unterschied zwischen ritueller Reinheit und Unreinheit für nicht existent. Für jüdisch denkende und lebende Christen war die Tragweite dieses Satzes über die Frage hinaus, was man essen kann und was nicht, erheblich: Die Aufhebung der im Gesetz definierten Grenzen zwischen kultisch-ritueller Reinheit und Unreinheit machte für sie die Gegenwart der Heiligkeit Gottes in seinem (messianischen) Volk zum Problem.122 Die Starken haben dem Satz V. 14b zugestimmt, sich vielleicht sogar auf ihn berufen. Für die Schwachen in den römischen Gemeinden war der Satz eine Zumutung, die ihnen Paulus allerdings nicht erspart. Dabei ist die Beobachtung wichtig, dass er die Schwachen nicht argumentativ zur Zustimmung zu diesem Satz führen will. Er ermahnt vielmehr die Starken, auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen. Die These von Bolton, κοινο' ς sei nicht mit α� κα' θαρτος („dem Wesen nach unreine Speisen“) identisch, sondern bezeichne „reine Speisen, die kontaminiert wurden“,123 kann nicht überzeugen: Paulus spricht in Röm 14 weder von Kontaminierung, noch von Götzentempeln (in denen die Kontaminierung nach Bolton stattgefunden hat), noch gibt es Belege, dass sich die (Heiden-)Christen in Rom oder in anderen Gemeinden an die halachischen Vorschriften der ———————————-————————
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G. André, Art. טמא, ThWAT III, 352-366; F. Maas, THAT I, 664-667; H.K. Harrington, ThWQ II, 22-34. Paschen, Rein, 166-167; im Anschluss daran Gäckle, Die Starken, 369-370 Anm. 374. Derrett, Κοινο' ς, κοινο' ω, 74-76; kritisch Bolton, Weak, 621 Anm. 28. Vgl. Wilckens III 90-91; wenn er von der „Verurteilung jeglicher Beachtung der Reinheitsgebote“ spricht, die für sie „wie eine Devise zu praktischer Gottlosigkeit klingen“ musste, ist darauf hinzuweisen, dass Paulus die Beachtung der Reinheitsgebote nicht explizit, höchstens implizit aufhebt. Bolton, Weak, 620-623, mit Verweis auf 1Makk 1,47.62, wo von Speise die Rede ist, die nach den Bestimmungen der Tora rein war, aber durch Kontakt mit heidnischem Götzendienst kontaminiert wurde.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 761 ———————————————————————————————————— Tora gehalten und nur koschere Speisen gegessen hätten. Das πα' ντα („alles“) in V. 2 ist „universal“, eine Einschränkung auf „alle koscheren Speisen“ muss in den Text hineingetragen werden. Wenn κοινο' ς nicht einen Zustand halachischer Unreinheit bezeichnet, sondern die Grauzone von Nahrungsmitteln, die halachisch koscher sind, aber durch Kontakt mit (heidnischer) Unreinheit kontaminiert worden waren, ist die „Lösung“ der Kontroverse im Vergleich mit 1Kor 10 gewunden und unnötig kompliziert: Wie dort könnte Paulus konkret befehlen, in Götzentempeln direkt kein Fleisch zu essen und bei Mahlzeiten in Privathäusern, in denen man auf die Herkunft des Fleisches aus Tempelschlachtungen persönlich hingewiesen wird, auf das Essen des Fleischs zu verzichten, und ansonsten beim Einkauf auf dem Markt nicht zu fragen, woher das Fleisch kommt.
Die Aufhebung der Differenz zwischen Reinem und Unreinem gilt für rituelle, kultische Fragen, nicht im Blick auf ethisches Verhalten: Dort gibt es sehr wohl Verhaltensweisen, die unrein sind. In 1,24 verbindet Paulus die „Begierden der Herzen“ mit der „Unreinheit“ (α� καθαρσι'α) der Heiden; in 6,19 beschreibt er die Vergangenheit der Christen als „Unreinheit“ (α� καθαρσι'α), der sie versklavt waren, während sie jetzt ihre Glieder der Gerechtigkeit „zur Heiligung“ (ει� ς α� γιασμο' ν) zur Verfügung stellen können und sollen; zu den „Werken des Fleisches“ gehört auch die „Unreinheit“ (α� καθαρσι'α); in 1Thess 4,7 betont er, dass Gott uns nicht zur Unreinheit (ου� ε� πι` α� καθαρσι'α, ), sondern zur Heiligung (ε� ν α� γιασμω ñ, ) berufen hat. Paulus schränkt die Gültigkeit der Aussage V. 14b ein: außer für den, der etwas für unrein hält, für ihn ist es unrein (V. 14c). Die Wahrheit, dass nichts an sich unrein ist, gilt nicht für jenen Jesusbekenner, der weiterhin zwischen reinen und unreinen Speisen unterscheidet.124 Dass Reinheit und Unreinheit auch von der Wahrnehmung bzw. Wahrnehmungsfähigkeit des Betroffenen abhängen, zeigt die Mischna mToh 5,2: „Einer der sagt: ‚Ich habe dies berührt, aber weiß nicht, ob es unrein war oder ob es rein war‘, [oder] ‚Ich habe [dies] berührt, aber weiß nicht, welches von beiden ich berührt habe‘, erklärt Rabbi Akiba für unrein, aber die Gelehrten für rein.“ Wäre dem Betroffenen klar gewesen, dass er etwas Reines oder Unreines berührt hat, dann hätte es keiner Diskussion bedurft: „Es wäre so, wie er meint.“125 Das subjektive Urteil des Einzelnen (τω ñ, λογιζομε' νω, [tō ———————————-————————
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Zu einer ähnlichen Einschränkung, in einer anderen Situation (wo es um das Essen in Götzentempeln geht), vgl. 1Kor 8,6. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 310, der noch auf mToh 3,6 hinweist: „Ein Taubstummer, ein Geisteskranker oder ein Minderjähriger, die in einer Sackgasse angetroffen werden, in der eine Unreinheit ist, sind im Zustand der Reinheit, aber jeder Verständige ist im Zustand der Unreinheit. Und jeder, der keinen Verstand hat, dass man ihn befragen könnte, ist im Zweifelsfall rein.“ Es ist allerdings nicht richtig, wenn Vahrenhorst folgert, der Verstand bzw. das Wissen des betroffenen Menschen sei „alleiniges Kriterium“ (Vahrenhorst, ebd. 311, mit Hervorhebung) – wer einen Leichnam berührt oder Schweinefleisch isst, der ist in jedem Fall unrein.
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logizomenō]; s. zu 2,3.26; 4,3.4) hat Konsequenzen sowohl für das eigene Selbstverständnis als auch für das Verhalten anderer Jesusbekenner, unabhängig davon, ob es theologisch berechtigt ist. 15 Wenn die Starken ihre Überzeugung, dass man alles essen darf (V. 2), bei den Mahlzeiten der Gemeinde durch das Essen einer nicht koscheren Speise (δια` βρω ñ μα [dia brōma]) anschauliche Wirklichkeit werden lassen, dann sind sie für den Bruder ein Anstoß (V. 13), mit der Folge, dass dieser traurig ist, d.h. ernsthaft betrübt, gekränkt, zutiefst getroffen (λυπειñται [lypeitai], Präsens Passiv; V. 15a).126 Wenn das Verhalten der Starken diese Wirkung hat, und wenn sie diese Wirkung bewusst in Kauf nehmen, dann leben sie nicht mehr der Liebe gemäß (ου� κε' τι κατα` α� γα' πην περιπατειñς; V. 15b). Das heißt, sie verletzen einen grundlegenden Maßstab christlichen Handelns (12,9.16; 13,8-10). Wer die Liebe Gottes, die Jesusbekenner zusammen mit dem Heiligen Geist erhalten haben (5,5), so außer Acht lässt, dass es ihm gleichgültig ist, ob man einen Bruder oder eine Schwester betrübt, der richtet Schaden an, der im Extremfall katastrophale Folgen haben kann. Es kann sein, dass man den Bruder zugrunde richtet (V. 15c). Das Verb α� πο' λλυμι [apollymi] bedeutet „verderben, vernichten, verlieren“, in medialem Sinn „zugrunde gehen, umkommen, sterben, vergehen, verlorengehen“.127 Paulus meint entweder den Heilsverlust128 oder, allgemeiner, die geistliche Trauer und die Selbstverurteilung der Schwachen, die die von allen zu tragende Auferbauung der Gemeinde erschwert oder gar unmöglich macht.129 Paulus kontrastiert nicht den Heilsverlust des schwachen Bruders mit der Heilsermöglichung durch ———————————-————————
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Im Aktiv bedeutet λυπε' ω neben „betrüben, in Trauer versetzen“ auch „ärgern, erzürnen, kränken, beleidigen“ (Bauer/Aland s.v. λυπε' ω 1; BDAG: „to cause severe mental or emotional distress“); in diesem Sinne übersetzen H. Balz, EWNT II, 897 („gekränkt wird / zutiefst getroffen wird“; NGÜ („in innere Not geraten“), ZÜ („in Bedrängnis kommt“); vgl. EÜ („verwirrt und betrübt wird“); R. Bultmann, Art. λυ' πη κτλ., ThWNT IV, 321 („Schmerz hinzufügen“). Bauer/Aland s.v. α� πο' λλυμι 1-2. Vgl. α� πο' λλυμι mit personalem Objekt in Röm 2,12; 1Kor 1,18; 8,11; 15,18; 2Kor 2,15; 4,3; 2Thess 2,10; Ausnahmen sind 1Kor 10,9.10; 2Kor 4,9. Vgl. Michel 433, der α� πο' λλυμι mit „in Sünde verstricken, das eschatologische Leben zerstören, den Glauben zunichte machen“ paraphrasiert. Vgl. Gäckle, Die Starken, 416-417; Moo 854-855, der in Anm. 28 den Gedanken der Heilsgewissheit so verteidigt: Der Bruder ist vielleicht kein wirklicher, wiedergeborener Bruder, und Paulus spricht nur eine Warnung aus, er sagt nicht, dass die Zerstörung des Glaubens bei einzelnen Gläubigen eingetroffen ist. Vgl. Gundry-Volf, Perseverance, 85-97: Paulus kontrastiert α� πο' λλυμι nicht mit Verben des Heils, sondern mit οι� κομοδε' ω (14,19-20; 15,2; vgl. 1Kor 8,10-11; 10,23-24); nach 1Kor 8,1 baut die Liebe auf (οι� κομοδε' ω), nach Röm 14,15 handeln die Starken nicht gemäß der Liebe und „zerstören“ ihn deshalb (ebd. 89-90).
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den Tod Jesu, sondern zwei unterschiedliche Arten des Verhaltens (nicht zwei unterschiedliche Folgen des Verhaltens).130 Paulus beschreibt die Folgen in V. 13.21 (er wird zum Widerspruch provoziert, er kommt zu Fall); V. 15 (er wird traurig); V. 23 (er sündigt); vgl. 1Kor 8,7.12 (sein Gewissen wird befleckt, misshandelt). Der Hinweis auf die „Trauer“ des schwachen Bruders, die vom lieblosen Handeln der Starken provoziert wird (V. 15a), ist ein subjektiver Zustand, d.h. das Zugrunderichten in V. 15b ist eher nicht im Sinn eines (endgültigen?) Heilsverlustes zu verstehen, sondern im Sinn der Selbstverurteilung, die das eigene Gewissen verursacht (V. 23; vgl. 1Kor 8,7) und die den Frieden, die Freude und den Segen minimiert, die das Leben des Jesusbekenners ausmachen (V. 17.22).131 Wenn die Starken die für die Identität der Jesusbekenner grundlegende Tatsache in Rechnung stellen, dass es sich bei dem Schwachen um einen Bruder handelt, für den der Messias gestorben ist (υ� πε` ρ ουð Χριστο` ς α� πε' θανεν [hyper hoi Christos apethanen]),132 dann können sie unmöglich diesen Bruder durch ein liebloses Verhalten, das nur vom Interesse an der eigenen Speise (τω ñ, βρω' ματι' σου [tō brōmati sou]; kausal) gelenkt wird, bewusst verletzen wollen. Wenn die Starken die Wirklichkeit des Sühnetodes Jesu am Kreuz bedenken, dann werden sie gerade auch den schwachen Bruder lieben – und ihre Überzeugung, alles essen zu können, zurückstellen und die Mahnung des Apostels akzeptieren. 16 Paulus fürchtet, dass durch die innergemeindliche Kontroverse die ganze Gemeinde, auch die Starken, in Verruf gebracht werden. Das Verb βλασφημε' ω [blasphēmeō]; s. zu 2,14), hier nicht im Blick auf Gott (2,24) oder Menschen (3,8), sondern im Blick auf eine Sache gebraucht, bedeutet „in üblen Ruf bringen, verleumden, verunglimpfen, lästern“. Das logische Subjekt des Passivs sind offensichtlich Menschen außerhalb der Gemeinden, denen die Christen und ihre Versammlungen bekannt sind und die das Gute (το` α� γαθο' ν [to agathon]) lästern, offensichtlich als Reaktion auf den Konflikt in den Gemeinden. Was mit το` α� γαθο' ν gemeint ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Im Kontext verankert ist die Interpretation im Sinn einer Mahnung an die Starken, dass ihr Verhalten dazu führt, dass die von ihnen demonstrativ praktizierte Freiheit gelästert wird.133 Die Menschen, die lästern, wären dann nichtgläubige Juden in den Synagogen Roms. Die Frei———————————-————————
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Gundry-Volf, Perseverance, 88, mit Verweis u.a. auf Schlatter, Paulus, 265. Gundry-Volf, Perseverance, 91-92. Vgl. 5,6.8; 1Kor 15,3; Gal 1,4. Calvin II 704-705; Bengel 613; Sanday/Headlam 391; Lagrange 330; Barrett 264; Käsemann 364; Michel 433; Moo 855; Käsemann 364; Wilckens III 93; Fitzmyer 697; Jewett 862; oft mit Verweis auf 1Kor 8,3 oder 1Kor 10,30.
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heit der Starken wird allerdings von Paulus nicht als positiver Wert dargestellt. Der Ernst, mit dem Paulus hier spricht, macht es wahrscheinlich, dass es nicht einfach die Freiheit der Starken ist, die gelästert wird, sondern das Evangelium,134 das Heil (vgl. V. 15),135 die Königsherrschaft Gottes (vgl. V. 17).136 Die Menschen, die lästern, sind dann die Ungläubigen, die die Jesusbekenner und ihre Versammlungen kennen und infolge der lieblosen Behandlung der Schwachen und der Kontroversen wegen Speise- und Kalenderfragen das von den Gemeinden verkündigte Evangelium vom Heilshandeln Gottes im Messias Jesus lästern. Paulus ist besorgt, dass durch das rücksichtslose Verhalten der Starken das Evangelium und das in diesem verkündigte Heil in Verruf gerät, und damit zugleich der gute Ruf der Gemeinden in der Öffentlichkeit Schaden nimmt.137 Und wenn die Gemeinden Roms in Verruf geraten, schadet dies nicht nur den römischen Gemeinden selbst, sondern auch der Mission der Gemeinde, die Ausgangspunkt für die Spanienmission von Paulus sein soll.138 17 Paulus begründet (γα' ρ), weshalb Fragen der Speise und Kalenderobservanz weder eine grundlegende noch eine substantiell bestimmende Bedeutung haben. Der Verweis auf das Königreich Gottes (η� βασιλει'α τουñ θεουñ [hē basileia tou theou]) und auf die zu diesem gehörende Wirklichkeit ist im Kontext von V. 13-16.20-22 eine implizite Mahnung an die Starken, das Essen von Fleisch, das manche Brüder für kompromittierend halten, nicht als notwendigen Bestandteil ihres Christseins zu betrachten. Die negative Formulierung nicht (ου� ) bestätigt die kritische, in der Tat polemische Zielrichtung der Aussage. Der Begriff „Königreich Gottes“ ist mit fünfzig Belegen in den synoptischen Evangelien der Zentralbegriff der Verkündigung Jesu.139 Nach Auskunft des Lukas war die Königsherrschaft Gottes ein ———————————-————————
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Cranfield II 717; Lohse 379: In 10,15 ist der Inhalt der Frohen Botschaft τα` α� γαθα' . Leenhardt 199; Schlier 415; Dunn II 821 („all of God’s covenant blessings“); Lohse 379 (mit Verweis auf 8,28; Nieder, Motive, 75-76; Nababan, Bekenntnis, 94; so wohl auch Légasse 875 („ce qui règle la conduite des chrétiens aux yeux de l’extérieur“). Vgl. Gäckle, Die Starken, 415, bewusst allgemeiner: „die auch von einer kritischen Öffentlichkeit als gut beurteilten Heilsgaben der Gemeinde …, wobei insbesondere der ethische Aspekt eine wesentliche Rolle spielt“. Schmidt 253; Theobald, Erkenntnis, 499. Allgemeiner interpretieren Schmithals 505 (das sittlich „Gute und Wohlgefällige“ von 12,2.9; 15,2), Reasoner, Strong, 170 (die Qualität des ethischen Verhaltens, analog zu der „Frucht des Geistes“). Gäckle, Die Starken, 415: Die Speise- und Kalenderstreitigkeiten trugen vielleicht dazu bei, dass man die Gemeinde zunehmend mit dem Vorwurf der superstitio konfrontierte. Betont von Reasoner, Strong, 159-174; vgl. Gäckle, Die Starken, 415. In Mk s. 1,15; 4,11.26.30; 9,1.47; 10,14.15.23-25; 12,34; 14,25; 15,43. Das Stichwort βασιλει' α ist in den Synoptikern insgesamt 121 Mal belegt, in Joh fünf Mal (Joh 3,3.5; 18,36), in der Apg acht Mal (Apg 1,3.6; 8,12; 14,22; 19,8; 20,25; 28,23.31). Zur Einfüh-
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grundlegender und regelmäßiger Bestandteil seiner Verkündigung des Evangeliums (Apg 14,22; 19,8; 20,25; 28,23.31), was durch die vierzehn Belege in den Paulusbriefen, die jeweils ohne Erläuterung des Begriffs erwähnt sind, bestätigt wird.140 Die Ansage des Kommens der Königsherrschaft Gottes verweist auf den Anbruch der von den Propheten erwarteten Herrschaft Gottes über sein Volk und über die Welt, in der Person, im Handeln und in der Lehre Jesu (vgl. Mt 11,2-6; 12,28; Lk 11,20; 17,20-21). Wenn Paulus in 1Kor 6,9 sagt, dass „Ungerechte“ das Königreich Gottes nicht erben können, spricht er von der zukünftigen Heilsvollendung, die Gott herbeiführen wird und an der die Jesusbekenner Anteil haben werden, insofern sie nicht zu den Ungerechten, sondern zu den Gerechten gehören (s. den Lasterkatalog in 6,9b-10), wie sie in der Tat „abgewaschen, geheiligt, gerechtfertigt“ worden sind „im Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“ (6,11). Ebenso 1Kor 15,50: Die Aussage, dass „Fleisch und Blut“ das Königreich Gottes nicht erben können, bedeutet, dass der Mensch mit seiner leiblichen Kreatürlichkeit nicht in Gottes Welt der Heilsvollendung eingehen kann, und deshalb den verwandelten Leib braucht, von dem Paulus im 1Kor schreibt. Die Aussage in Röm 14,17 macht deutlich, dass das Königreich Gottes für Paulus auch eine gegenwärtige, erfahrbare Wirklichkeit ist.141 Paulus hatte in seiner Definition des Evangeliums in 1,4.16-17 von der δυ' ναμις Gottes gesprochen, d.h. von der Gegenwart Gottes in der Verkündigung seines Heilshandelns im Heil schaffenden Kreuzestod des Messias Jesus. Die Beschreibung des Königreiches Gottes in 14,17 markiert (wie in 1Kor 6,910; Gal 5,21; Eph 5,5) die soteriologische und die ekklesiologische Bedeutung für das rechte ethische Verhalten in den Gemeindeversammlungen. Der Satz in 14,17 ist eine Definition (ο« ρος) von „Königreich Gottes“ gemäß der rhetorischen Forderung, in einer Definition zu sagen, was eine Sache ist ————————————————————
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rung Stuhlmacher, Theologie I, 65-74; vgl. Camponovo, Königtum; A. Lindemann, Art. Herrschaft Gottes / Reich Gottes IV. TRE XV, 196-218; U. Luz, EWNT I, 483-487; Merklein, Gottesherrschaft; Prieur, Gottesherrschaft; Schnabel, Reich Gottes, 115-131; Theißen/Merz, Der historische Jesus, 221-255. Röm 14,17; 1Kor 4,20; 6,9.10; 15,24.50; Gal 5,21; Eph 5,5; Kol 1,13; 4,11; 1Thess 2,12; 2Thess 1,5; 2Tim 4,1.8; siehe auch 1Kor 15,24; 1Thess 2,12; Eph 5,5; Kol 1,13; 4,11; 2Tim 4,1.18.Zur Einführung s. Donfried, Kingdom; Haufe, Reich; Wenham, Paul, 71-97. Dass der Begriff des Reiches Gottes bei Paulus „durchweg“ seinen Sitz im Leben in der Tauftradition habe (Wilckens III 93 mit Anm. 457), ist in die Texte eingelesen. Wenn man „Taufparaklese“ als Verkündigung versteht, „die den Getauften zu einem der Taufe entsprechenden Wandel aufruft“ (ebd.), dann ist alle Gemeindeunterweisung, die ethische Anwendung enthält, „Taufparaklese“, vielleicht auch die missionarische Verkündigung, die „Ungetaufte“ zum Glauben an Jesus und zur Taufe aufruft.
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(οιðο' ν τ� ε» στι) und welche Macht sie hat (η� ν ε» χει δυ' ναμιν); der prägnante Satz erfüllt zugleich die Forderung nach Kürze (βραχυλογι'α; lat. brevitas).142 Paulus sagt zuerst negativ, was das Königreich Gottes nicht ist (ου» ε� στιν [ou estin]): Essen und Trinken (βρω ñ σις και` πο' σις; V. 17a). Nahrungsmittel sind nicht Teil einer Definition des Evangeliums. Dies stimmt mit 1Kor 15,50 überein, bedeutet gleichzeitig jedoch nicht, dass im zukünftigen Reich Gottes nicht gegessen und getrunken wird – Jesus sagt laut Lk 22,18 bei der Einsetzung des Herrenmahls: „Denn ich sage euch: Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt“. Wenn Essen und Trinken nicht zur Definition des Königreiches Gottes gehören, so die implizite Mahnung, dann lohnt es sich auch nicht, wegen Essen und Trinken in den Gemeinden Kontroversen zu provozieren, bei der Jesusbekenner geschädigt werden. Die Erwähnung des Trinkens ist formelhaft (vgl. Mt 6,25; 11,18-19; 1Kor 9,4; 10,7.31; 11,22), d.h. Paulus nimmt wohl keinen aktuellen Anlass auf (was bedeutet, dass die Erwähnung von Wein in V. 21 als hypothetischer Fall zu verstehen ist).143 Nach der Definition e contrario folgen drei Begriffe, die positiv definieren, was Königreich Gottes ist: Die Gottesherrschaft ist „Gerechtigkeit und Frieden und Freude“ (V. 17b). Gerechtigkeit (δικαιοσυ' νη [dikaiosynē]; s. zu 1,17) ist der Schlüsselbegriff des Römerbriefs. Für Paulus ist „Gerechtigkeit“ die machtvolle, Heil schaffende, im messianischen Gottessohn geoffenbarte Gerechtigkeit Gottes (1,3-4.16-17), der die Sünden von Heiden und Juden (1,18–3,20) im Sühnetod Jesu vergeben hat (3,21-31) für alle, die wie Abraham an Gott glauben, der Gottlose rechtfertigt (4,1-25). Die in Jesus offenbarte Gerechtigkeit Gottes schafft das seit Adam den Menschen kontrollierende Problem der Sünde aus der Welt (5,12-21), ermöglicht dem von Gottes Gnade Beschenkten ein Leben in wirklicher Gerechtigkeit in der Kraft des Geistes Gottes (6,1– 8,39), und ist und bleibt Realität in der Geschichte Israels (9,1–11,36). Die Tatsache, dass der Begriff δικαιοσυ' νη nur hier in 12,1–15,13 vorkommt, aber wie in 1,16-17 in einer Definition verwendet wird, gibt denen recht, die 14,17 als „die theologische Mitte des Abschnitts“ verstehen144 und den Begriff „Gerechtigkeit Gottes“ als die paulinische Variante des Begriffs „Königreich Gottes“ der Verkündigung Jesu verstehen.145 ———————————-————————
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Vgl. Plato, Phaedr 237c; 267a-b. Vgl. Calhoun, Gospel, 9-84. Gäckle, Die Starken, 404. Jüngel, Paulus, 26 Anm. 1; vgl. Kertelge, Rechtfertigung, 298; Reumann, Righteousness, 91; Dunn II 823. Vgl. Jüngel, Paulus, 267: Paulus „hat den Begriff der βασιλει' α durch den der δικαιοσυ' νη ersetzt“, jedoch „nicht im Sinn eines bloßen Austausches von Vokabeln“ – Paulus konnte
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Frieden (ει� ρη' νη [eirēnē]; s. zu 1,7; 5,1) ist das Ergebnis der Gerechtigkeit gewährenden Gottesherrschaft, d.h. das Resultat der Rechtfertigung des Sünders und der Versöhnung mit Gott. In 5,1 verankerte Paulus den „Frieden mit Gott“ in der Rechtfertigung aufgrund des Glaubens und in der Heilstat des Messias Jesus, der Kyrios ist und bestimmte ihn in 5,2 als Zugang zu der Gnade Gottes. In 8,6 verortet Paulus den Frieden, parallel zum (neuen) Leben, in der Gegenwart des Geistes Gottes, der die Feindschaft, die die „Gesinnung des Fleisches“ darstellte, aufgehoben hat (8,6). Vgl. Eph 2,14-18; Kol 1,20. Freude (χαρα' [chara])146 ist ein Kennzeichen der durch das Heilshandeln Gottes im Messias Jesus inaugurierten Heilszeit und damit eine Heilsgabe – die Freude über die von Gott gewährte Versöhnung, der Jubel über die endzeitliche Heilsgewissheit (8,35-39), derer sich die mit Gott versöhnten Sünder schon jetzt rühmen dürfen (5,11). Die Freude kennzeichnet das Leben der Gläubigen (2Kor 13,11; Phil 2,17-18; 3,1; 4,4; 1Thess 5,15); sie ist als Vertrauen zu Gott von der konkreten Lebenssituation des Einzelnen unabhängig (2Kor 7,4; 8,2; 1Thess 1,6). Nach der Definition e contrario und der positiven Definition durch die drei Begriffe Gerechtigkeit, Frieden und Freude, die verstehen lassen, was das Königreich Gottes ist, schließt Paulus mit der Nennung der Macht, die die von ihm definierte Sache hat. Die Präpositionalwendung im Heiligen Geist (ε� ν πνευ' ματι α� γι'ω, [en pneumati hagiō]) ist auf alle drei Definitionsbegriffe zu beziehen.147 Instrumental oder kausal interpretiert betont Paulus, dass Gerechtigkeit, Frieden und Freude vom heiligen Geist Gottes und damit von Gott selbst gewährt wurden, d.h. weder menschliche Befindlichkeiten noch vom Menschen geschaffene Werte sind. Lokal interpretiert sagt Paulus, dass Gerechtigkeit, Frieden und Freude dort anwesend sind, wo der Heilige Geist anwesend ist.148 In der Beschreibung der Frucht des Heiligen ————————————————————
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den für die Verkündung Jesu zentralen Begriff der Gottesherrschaft nicht nur verkündigen, sondern er musste ihn zugleich interpretieren, weil er auf die Gottesherrschaft als Ausdruck für das Eschaton bereits zurückblickt. Jüngel, ebd.: „Während Jesus selbst der das Neue praktizierende Kommentar zu seiner Verkündigung war, mußte Paulus Verkündigung und Interpretation des zu Verkündigenden in einer Sprachbewegung bewältigen.“ Das bei Paulus 21 Mal belegte χαρα' kommt im Röm hier zum ersten Mal vor; s. 15,13.32. Käsemann 365 beschreibt „Freude“ als „Stand unter offenem Himmel“, was schön klingt, aber erklärungsbedürftig ist. Schlatter 376; Schlier 416; Käsemann 364; Wilckens III 93; Fitzmyer 697; Moo 857; Lohse 379. Anders Cranfield II 718 (mit Verweis auf 1Thess 1,6); Haacker 343; Jewett 863; Michel 435: Paulus wolle χαρα' vor Verfälschung schützen (ohne dass dies näher erläutert wird). Dunn II 824 bleibt unentschieden. Schlier 416; die Intention des Geistes ist nach 8,6 „Leben und Frieden“; in 14,17 markiert die Präposition ε� ν allerdings kaum „Intention“.
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Geistes steht die Trias „Liebe, Freude, Frieden“ an erster Stelle (Gal 5,22). Die Gegenwart des Geistes Gottes bedeutet für Jesus und Paulus die Gegenwart der Gottesherrschaft, die in der Zukunft zur Vollendung kommen wird,149 die Wirklichkeit der neuen Schöpfung, die durch die Gottesherrschaft heraufgeführt wird.150 Der Heilige Geist ist die Macht der gegenwärtigen Gottesherrschaft, der durch die von Gott gewährten Heilsgaben der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude das Leben der Jesusbekenner bestimmt und ihr Zusammenleben in den Gemeinden prägen soll. Die Gegenüberstellung von „Essen und Trinken“ mit „Gerechtigkeit und Frieden und Freude“ weist der Kontroverse um Speisen ihren Platz hinter der Wirklichkeit der Herrschaft Gottes und seines Geistes zu, die die Einheit der Gemeinde (12,4-5) und das Leben in Gemeinschaft nach dem Grundsatz der Liebe (12,9-21) bestimmt.151 Die Wertehierarchie wird nicht mehr von Reinheits- und Speisegeboten angeführt, sondern von der Gabe des Heiligen Geistes.152 18 Paulus folgert (γα' ρ) aus der Gegenwart des Heiligen Geistes in der Wirklichkeit der gegenwärtigen Gottesherrschaft, dass Jesusbekenner, die in diesem, d.h. im Heiligen Geist, dem Messias dienen, sowohl von Gott als auch von den Menschen anerkannt werden. Mit Χριστο' ς ([Christos]; s. zu 1,1) ist der Messias Jesus gemeint. Das mit „dienen“ übersetzte Verb (δουλευ' ων [douleuōn]; s. zu δουñ λος 1,1) bedeutet „als Sklave dienen“. Der Dienst (δουλευ' ειν) für Gott „in der Neuheit des Geistes“ (ε� ν καινο' τητι πνευ' ματος), als den Paulus das von der Herrschaft des Gesetzes und des Buchstabens befreite Leben der Jesusbekenner beschreibt (7,6), ist die engste Parallele zu dem Dienst (δουλευ' ων) für den Messias (V. 18) „im Heiligen Geist“ (ε� ν πνευ' ματι α� γι'ω, ; V. 17). Es ist also plausibel, die das Verb bestimmende Adverbialwendung ε� ν του' τω, [en toutō] mit der vorausgehenden Präpositionalwendung ε� ν πνευ' ματι α� γι'ω, zu verbinden.153 ———————————-————————
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Dunn II 822-823, mit Verweis auf die Exorzismen Jesu (Lk 14,12-24 / Mt 22,1-10) sowie auf 1Kor 6,9-11; Gal 4,6-7; Eph 1,13-14. Lohse 379. Haacker 343: „Sünde, die vom Reich Gottes ausschließen könnte (vgl. 1.Kor 6,9f.; Gal. 5,21), droht nicht von der physischen Kontamination mit tabuisierten Materialien (Fleisch, Wein und dergleichen), sondern vom zwischenmenschlichen Versagen.“ Gäckle, Die Starken, 405. Origenes V 162-163; Wilckens III 94; Haacker 344; Gäckle, Die Starken, 405; vgl. Légasse 877. Der Einwand von Moo 858, der Heilige Geist sei in V. 17 nur ein untergeordneter Gedanke, verliert seine Stichhaltigkeit, wenn man den Definitionscharakter von V. 17 in Rechnung stellt. „Pedantisch“ (Dunn II 824) ist dies nicht: Die Gegenwart und Macht des Heiligen Geistes bestimmt den Charakter der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 769 ———————————————————————————————————— Die meisten beziehen ε� ν του' τω, auf den gesamten V. 17:154 Wer in der Wirklichkeit der gegenwärtigen Gottesherrschaft lebt, die von Gerechtigkeit, Frieden und Freude gekennzeichnet und vom Heiligen Geist bestimmt ist, der ist Gott wohlgefällig.
Der Heilige Geist ist „die Kraftquelle für das Leben vor Gott und den Dienst für Gott“.155 Was von Gott als wohlgefällig (ευ� α' ρεστος [euarestos]; s. zu 12,1.2) akzeptiert und gelobt wird, ist nicht mehr das Halten (oder NichtHalten) der Reinheits- und Speisegebote des mosaischen Gesetzes, sondern ein Leben im Dienst des Messias, ermöglicht von der Macht des Heiligen Geistes, der die Wirklichkeit des Gottesreiches in einem Leben der gewährten und sich bewährenden Gerechtigkeit darstellt, des erfahrenen und bewahrten Friedens und der jubelnden Freude über das Vorrecht, dem Messias dienen zu dürfen (vgl. 2Kor 5,9; Hebr 12,28). Paulus ist sich sicher, dass das Leben in der Kraft des Heiligen Geistes im Dienst des Messias Jesus, das die Gegenwart der Gottesherrschaft ernst nimmt, bewirkt, dass dieses Leben auch bei den Menschen (τοιñς α� νθρω' ποις), d.h. Außenstehenden gegenüber, anerkannt (δο' κιμος [dokimos]) ist. In der LXX bezieht sich δο' κιμος immer auf die Echtheit von Metallen.156 In den Papyri wird in den vorbyzantinischen Belegen das Adj. δο' κιμος nie auf Menschen bezogen (im Unterschied zum Verb δοκιμα' ζω), sondern fast ausschließlich für Münzen verwendet, die aus „geprüftem“ Silber oder Gold bestehen.157 Das Verb δοκιμα' ζω bedeutet „erproben, prüfen“ und „für gut befinden, für richtig halten“; beide Bedeutungen kommen in juristischen Papyri vor.158 An eine rechtliche Prüfung ist in Röm 14,18 nicht zu denken.
Jesusbekenner, die dem Messias Jesus dienen und in der Kraft des Heiligen Geistes die Heilsgaben der Gottesherrschaft in ihrem Leben Wirklichkeit werden lassen, werden von Nichtchristen geachtet. Wenn diese streiten, wie alle anderen Menschen streiten, ist dies kaum der Fall. „Wie ein Verhalten, das um einer gemessen am Heil unerheblichen Sache willen das Verderben des Bruders riskiert (V. 15), die nichtchristliche Umwelt provoziert, das Heil der Christen zu lästern (V. 16), so vollzieht sich auch der vom ge———————————-————————
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Cranfield II 719-720; Schlier 416; Käsemann 365; Moo 858; Lohse 380; die Lesart ε� ν του' τοις zeigt, dass später so interpretiert wurde. Kritisch Wilckens III 94 Anm. 463. Barrett 243; Matera 317 u.a. interpretieren adverbial („auf diese Weise“; Bauer/Aland s.v. ε� ν III.3). Gäckle, Die Starken, 405, mit Verweis, neben 7,6, auf 8,1-11; Gal 5,22-25; 1Thess 4,8. LXX Gen 23,16; 1Kön 10,18; 1Chron 28,18; 29,4; 2Chron 9,17; Zach 11,13. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 394. Papathomas, Begriffe, 51-52; R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 15.4. Zur Stelle W. Grundmann, ThWNT II, 263, der mit einem Wort von R. Aquiba vergleicht: „So tue denn, was recht und gut ist in Jahwes Augen, d.h. was gut ist in den Augen Gottes und was recht ist in den Augen der Menschen“ (tScheq 2,1).
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schenkten Heil … bestimmte Dienst an Christus nicht unbemerkt, sondern kann den Respekt der nichtchristlichen Umwelt erwarten“.159 19 Aus dem Hinweis auf das Liebesgebot (V. 15b), den Opfertod Jesu für den Bruder (V. 15c), die Reaktion von Nichtchristen (V. 16), die im Heiligen Geist gegenwärtige Gottesherrschaft (V. 17) und aus der Bewertung des Dienstes für den Messias durch Gott (V. 18) ergeben sich in V. 19-23 mehrere allgemeine und konkrete Mahnungen, anzeigt durch α» ρα ουò ν ([ara oun], „also“) in V. 19. Paulus knüpft an das Stichwort „Frieden“ V. 17 an und appelliert an die Gläubigen in den römischen Gemeinden: Lasst uns nach dem streben, was dem Frieden und der gegenseitigen Auferbauung dient. „Streben“ (διω' κω [diōkō]; s. zu 9,30; 12,13.14) „nach dem, was dem Frieden dient“ (τα` τηñ ς ει� ρη' νης [ta tēs eirēnēs]) heißt, sich entschlossen für den Frieden einsetzen. In 12,18 hatte Paulus gemahnt, wenn es möglich ist, mit allen Menschen, d.h. mit Nichtchristen, Frieden zu halten. Hier geht es um den Frieden in der Ortsgemeinde bzw., wenn in manchen Gemeinden kein Christ Fleisch gegessen hat und in anderen Gemeinden alle alles gegessen haben, um den Frieden zwischen verschiedenen Gemeinden. Wer sich für Frieden unter Christen einsetzt, der setzt sich für das ein, „was der gegenseitigen Auferbauung dient“ (τα` τηñ ς οι� κοδομηñ ς τηñ ς ει�ς α� λλη' λους [ta tēs oikodomēs tēs eis allēlous]) und damit der Erbauung der Gemeinde als Ganzer. Das Wort οι� κοδομη' beschreibt sowohl den Prozess des Bauens („Erbauung“) als auch das Resultat des Bauens („Bau, Gebäude“).160 Das Bild vom „Bau“ verweist auf die Bedeutung des Fundaments, auf den Typus des Baus, auf den Eigentümer und auf die Unabgeschlossenheit des Bauens, an dem manche an verantwortlicher Stelle, aber insgesamt alle Jesusbekenner beteiligt sind. „Erbauung“ ist Fortschritt in theologischer Erkenntnis, in praktischer Weisheit, in praktizierter Liebe, in engagierter Konfliktlösung, in authentischer Gerechtigkeit, in größerem Frieden, in echter Freude.161 Paulus beschreibt die korinthische Gemeinde als „Gottes Bauwerk“ (θεουñ οι� κοδομη' ; 1Kor 3,9); in 1Kor 14,3.5.12.26 bezeichnet οι� κοδομη' die Auferbauung der Gemeinde.162 Das aus der Architektur stammende Bild vom Bauwerk dient Paulus in 1Kor 3,10-11 dazu, seine Rolle als „sachkundiger Architekt“ (σοφο` ς α� ρχιτε' κτων [sophos architektōn]) und die kritische Bedeutung des Fundaments (θεμε' λιος [themelios]) zu erläutern: Als Missionar, der ———————————-————————
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Reichert, Abfassungsproblematik, 291. Paulus verwendet das Subst. οι� κοδομη' in Röm 14,19; 15,2; 1Kor 3,9; 14,3.5.12.26; 2Kor 5,1; 10,8; 12,19; 13,10; Eph 2,21; 4,12.16.29; das Verb οι� κοδομε' ω in Röm 15,20; 1Kor 8,1.10; 10,23; 14,4.17; Gal 2,18; 1Thess 5,11. Siehe die Fürbitte des Apostels für die Gemeinden: Phil 1,9-11; Eph 1,15-23; Kol 1,9-14. Zum Ganzen ausführlicher Schnabel, 1. Korinther, 202-216.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 771 ———————————————————————————————————— neue Gemeinden gründet, legt er das Fundament des zu bauenden Gebäudes, das nur einmal gelegt werden kann und auf dem alle nachfolgenden Arbeiter aufbauen müssen, wenn das Gebäude nicht einstürzen soll (1Kor 3,12-13). Dieses Fundament ist der im Evangelium verkündigte gekreuzigte Messias Jesus (1Kor 9,11; vgl. 1,23; 2,2). In 1Kor 3,16 identifiziert Paulus den „Bau“, den die Gemeinde darstellt, als „Tempel Gottes“ (ναο` ς θεουñ [naos theou]). Der Gen. θεουñ beschreibt die Zugehörigkeit zu Gott (vgl. V. 9 θεουñ οι� κοδομη' ): Die (Orts-)Gemeinde ist das Eigentum Gottes.163 Der Grund, weshalb Paulus die Gemeinde als Tempel Gottes bezeichnen kann, ist die Gegenwart Gottes durch seinen Geist (1Kor 3,16: „und dass der Geist Gottes in euch wohnt“). Beachtenswert ist die Tatsache, dass die römischen Monumentalbauten überwiegend mit dem Namen der Auftraggeber verbunden werden, nur selten mit einem Architekten.164
Das Reziprokpronomen α� λλη' λους macht deutlich, dass jeder einzelne Jesusbekenner am Bauen beteiligt und dass das Bauen noch nicht fertig ist. Es geht hier durchaus, um ein Bild aus dem Postwesen zu verwenden, um die „Beförderung des Glaubensstandes des einzelnen“, aber nicht ausschließlich:165 Im Blick ist der Bau der Gemeinde. Wenn Christen streiten, gerade in einer (für Paulus) nebensächlichen Sache wie Essensfragen und Sabbatobservanz, wenn kein Frieden herrscht, dann ist das Bauen erschwert oder kommt gar ganz zum Erliegen. 20 Ein Bauwerk kann zerstört werden: Nachdem Paulus zum Frieden und zur gegenseitigen Auferbauung gemahnt hat, appelliert er jetzt an die Starken: Zerstöre das Werk Gottes nicht wegen einer Speise (V. 20a). Das „Werk Gottes“ (το` ε» ργον τουñ θεουñ [to ergon tou theou]) ist im Kontext von V. 19 die Gemeinde, die Gott durch seine „Arbeit“ im Sühnetod Jesu am Kreuz und im missionarischen Dienst des Apostels zustande gebracht166 hat und die durch das lieblose Verhalten der Starken „zerstört“167 werden ———————————-————————
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Im Kontext des antiken Verständnisses von ναο' ς steht, trotz der prachtvollen Monumentalität mancher Tempel, nicht das Gebäude im Mittelpunkt, sondern die mit dem ναο' ς verbundene Verehrung. Vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 155-156. Vgl. C. Höcker, Art. Architekten, DNP I, 1005. Wilckens III 95: Es geht hier um Gruppen, nicht um den Einzelnen (wie in 1Kor 8,10; 14,7); vgl. Käsemann 365, der die individuelle Interpretation von Zahn 583 in zu ausschließlicher Weise ablehnt; und ein „antienthusiastisches Stichwort“ ist οι� κοδομη' nicht. Vgl. Bauer/Aland s.v. ε» ργον 3: „v[on] dem, was durch [die] Arbeit zustande gebracht wird, d.h. „das Werk, die Arbeit, die Leistung“; von Bauwerken bereits Aristophanes, Av 1125; Polybius 5,3,6; Diodorus Siculus 1,31,9; Appian, Mithr 30,119; Arrian, An 6,18,2; in Inschriften und Papyri: IG IV2 1,106,56; 114,31; P.Petr. III 43 Kol. 1,2; auch 1Makk 10,11; Sib 4,59; im NT 1Kor 3,13.14.15; 9,1, und wohl auch Röm 14,20, so Barrett 265; Schlier 417; Käsemann 365; Dunn II 825; Wilckens II 95; Lohse 381; Jewett 866; G. Bertram, ThWNT II, 640; Peterson, Bau. Das Verb καταλυ' ω [kataluō] bedeutet „loslösen, (völlig) ablösen“, z.B. das Entfernen eines Steins aus einem Bauwerk (Mt 24,2 / Mk 13,2 / Lk 21,6); „auflösen, zerstören, abbrechen“, von Bauten (Mt 26,61 / Mk 14,58; Mk 15,29; Apg 6,14), auch in übertragenem Sinn (2Kor 5,1; Gal 2,18), vgl. Röm 14,20. Vgl. Bauer/Aland s.v. καταλυ' ω 1-2.
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könnte. Alternativ kann man „Werk Gottes“ im Kontext von V. 20c im Sinn des schwachen Bruders verstehen, der durch das Verhalten des Starken einen „Anstoß“ (V. 21) bekommt, zu Fall kommt und zugrunde geht (V. 13.15).168 Das Werk Gottes darf niemals von einem Menschen zerstört werden, schon gar nicht „wegen einer Speise“ (ε«νεκεν βρω' ματος). Der Appell an die Starken ist eine ernste Warnung: Sie tragen die Verantwortung, das Werk Gottes zu erhalten, ja zu fördern (V. 19). Die Aussage alles ist rein (πα' ντα καθαρα' [panta katara]; V. 20b) wiederholt V. 14b in positiver Fassung.169 Gemeint ist die rituelle, kultische Reinheit, deren Grenzen von der mosaischen Tora in den Reinheitsgeboten bestimmt werden (Lev 11–15; Deut 7; 14; 20). Unrein machte der Kontakt mit dem Tod (d.h. mit Verstorbenen), natürliche Ausflüsse des Körpers (Menstruation, Ejakulation u.a.), bestimmte Krankheiten, bestimmte Tiere und deshalb bestimmte Speisen; nur der reine Israelit bzw. Jude, der alle Verunreinigungen durch Reinigungsriten (Wasser, Opfer) beseitigt hat, hat freien Zugang zur Anbetung Jahwes (Lev 15,31). Im hellenistischen Judentum haben solche Fragen eine wichtige Rolle gespielt, gerade nachdem Antiochus IV. Epiphanes die Beschneidung verboten hatte und die Juden zwingen wollte, „sich mit jeder denkbaren Unreinheit (παντι` α� καθα' ρτω, ) und Schande zu beflecken“ (1Makk 1,48).170
Die Aussage „alles ist rein“ in V. 20b bedeutet, dass die kultisch-rituellen Unterscheidungen hinfällig geworden sind.171 Hier wird deutlich, was Paulus meint, wenn er in 10,4 den Messias Jesus als das „Ende des Gesetzes“ bezeichnet. Weil Gott die Sünden von Heiden und Juden (1,18–3,20) im Sühnetod Jesu gesühnt hat (3,21–5,21), sodass Jesusbekenner von Gott Geliebte und berufene Heilige sind (1,7), sind weder Reinigungshandlungen noch die Unterscheidung von reiner und unreiner Speise notwendig. Barcley betont, es sei auffallend, dass Paulus die Aufhebung einer der sensibelsten Dimensionen des mosaischen Gesetzes nicht begründe (außer implizit durch das nicht markierte Zitat ———————————-————————
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Lagrange 332; Murray II 195; Cranfield II 723; Gäckle, Die Starken, 418. Stuhlmacher 202: der einzelnen Christen und der Gemeinde, Michel 437: das Heilsgeschehen. In dem Lehrsatz ist das Prädikat ε� στι' ν zu ergänzen. Von einer „These“ (Lohse 380 u.a.) sollte man nicht sprechen: Paulus formuliert einen Lehrsatz, keine These, die zu beweisen wäre. Paulus verwendet καθαρο' ς nur in Röm 14,20; 1Tim 1,5; 3,9; 2Tim 1,3; 2,22; Tit 1,15, das Verb καθαρι' ζω in 2Kor 7,1; Eph 5,26; Tit 2,14. Vgl. F. Hauck / R. Meyer, ThWNT III, 416-434; H. Thyen, EWNT II, 535-542; M. Frenschkowski / S. Kreuzer, ThBLNT I, 898-907; T. Seidl, Art. Rein und unrein II. Altes Testament, RGG4 VII, 240242; B. Kollmann, Art. Rein und unrein III. Neues Testament, RGG4 VII, 251-252. Vgl. Jud 10,5; 12,9; PsSal 8,12.22; Arist 166; Philo, SpecLeg 4,100-118; Virt 147; Josephus, CAp 1,307. M. Frenschkowski, ThBLNT I, 906.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 773 ———————————————————————————————————— eines Wortes Jesu in V. 14). Paulus beruft sich auf ein „Wissen“ und eine „Über-zeugung“, die er mit dem Jesus verbindet (V. 14), und auf den „Glauben“ (V. 2.22-23), aber nicht auf ein höheres Prinzip oder eine allegorische Interpretation des Gesetzes. Es scheint, so Barclay, dass das Gesetz für Paulus keine zentrale Rolle mehr spielt.172 Dies ist richtig, allerdings ist der Hinweis auf Jesus V. 14 als Begründung für das Wissen und die Über-zeugung von Paulus stärker zu gewichten. Und 7,12; 8,1-4 (und Stellen wie Gal 6,2; 1Kor 7,19; 5,13; 6,12-20; 2Kor 8,15; 9,9) zeigen, dass Paulus, der in Röm 3,31 dezidiert betont, dass er das mosaische Gesetz nicht durch den Glauben an Gottes Heilshandeln im Messias Jesus aufhebt, sondern vielmehr zur Geltung bringt, dies nicht nur so tut, dass er die schwachen Brüder im Blick auf ihr Recht unterstützt, die jüdischen Speise- und Sabbatgebote zu halten. Richtig ist, dass Paulus grundlegende Aspekte des Gesetzes für Jesusbekenner als entbehrlich betrachtet. Ob seine Theologie an dieser Stelle ein „trojanisches Pferd“ in die stadtrömischen Gemeinden einführt, das die Integrität der Christen bedroht, die nach dem mosaischen Gesetz leben wollen, sei dahingestellt: Paulus argumentiert in 14,1–15,13 nicht taktisch, sondern theologisch, christologisch, soteriologisch und ekklesiologisch. Paulus achtet das Gesetz und seine Gebote als heilig, gerecht und gut (7,12): Große Teile des Gesetzes haben infolge des Heil schaffenden Handelns Gottes im Messias Jesus keine aktuelle Bedeutung mehr und sind entbehrlich geworden, aber nicht wenige Gebote Gottes im Gesetz formulieren nach wie vor den Willen Gottes.
Mit zwar … aber (με' ν … δε' ) führt Paulus in V. 20c einen zweiten Lehrsatz ein, der die theologische Wahrheit von V. 20b in den Kontext der Gefährdung der Gemeinde V. 20a stellt und die Rücksichtnahme auf den Bruder fordert: schlecht ist es für den Menschen, der nur mit Anstoß isst. Der „Anstoß“ (προ' σκομμα [proskomma]; s. V. 13)173 des Schwachen darf nicht riskiert, muss verhindert werden. Mit „der Mensch“ (ο� α» νθρωπος [ho anthrōpos]) ist entweder der Schwache gemeint:174 Für den Schwachen, der bisher auf Fleisch verzichtet hat, ist es „schlecht“ (κακο' ν [kakon]), d.h. verwerflich, wenn er alles isst,175 weil er das Fleisch, das er bisher vermieden hat, nur „mit Anstoß“ essen kann (δια` προσκο' μματος ε� σθι'οντι). Wenn der Schwache alles isst, kommt er zu Fall. Weil dies schlecht ist, soll er nicht alles essen: Er soll seine rituellen Bedenken gegen das möglicherweise kontaminierte Fleisch nicht aufgeben, wenn er nicht überzeugt ist, dass er alles essen kann (vgl. V. 5 im Blick auf die Kalenderobservanz). Die zweite Möglichkeit interpretiert ο� α» νθρωπος als Hinweis auf den Starken:176 Der ———————————-————————
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Barclay, Undermine, 300. Die adverbiale Präpositionalwendung δια` προσκο' μματος markiert den begleitenden Umstand des ε� σθι' οντι. Chrystostomos 639; Ambrosiaster 170-171; Lagrange 332; Meyer II 318-319; Murray II 195; Wilckens III 95; Art. προσκο' πτω κτλ., ThWNT VI, 754. Hauptargument ist der Kontext V. 14, d.h. der Bezug von V. 14c zu V. 14b. Zu ergänzen ist τω ñ, ε� σθι' οντι. Origenes V 172-173; Calvin II 708-709; Zahn 583; Sanday/Headlam 392-393; Käsemann 365; Cranfield II 724; Michel 437; Moo 860; Fitzmyer 698; H. Balz, Art. προ' σκομμα, EWNT III,418. Hauptargument ist der Kontext der Mahnungen an die Starken in V. 13ff.
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Starke besteht darauf, alles zu essen, was schlecht ist, weil sein Essen (ε� σθι'οντι) nur unter dem Umstand des Anstoß-Gebens (δια` προσκο' μματος) möglich ist, was dazu führt, dass der Schwache zu Fall kommt (V. 13). Weil dies schlecht ist, da der Bruder nicht zu Fall kommen darf, soll er darauf verzichten, Fleisch zu essen (so V. 21). Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Mehrdeutigkeit der knappen Formulierung beizubehalten: 177 Sowohl der Schwache wie auch der Starke können aus V. 20c die notwendige Lehre ziehen,178 sich so zu verhalten, dass keiner einen Anstoß erleidet, traurig wird und zu Fall kommt. Jedes Verhalten ist κακο' ν, verwerflich, das für einen Bruder ein Anstoß ist und ihn zu Fall bringt. 21 Paulus benennt eine Verhaltensweise die καλο' ν, richtig, ist. Der Satz, der, mit καλο' ν formuliert, als apostolischer Lehrentscheid mit normativer Sprache verstanden werden kann,179 richtet sich an die Starken: Es ist gut, kein Fleisch zu essen und keinen Wein zu trinken noch überhaupt etwas zu tun, woran dein Bruder Anstoß nimmt. Wenn ein Bruder Anstoß nimmt, wenn man Fleisch isst, dann ist es καλο' ν ([kalon], „gut“), d.h. in normativem Sinn richtig, dass man in diesem Fall selbst kein Fleisch isst (το` μη` φαγειñν κρε' α [to mē phagein krea]). Wenn ein Bruder Anstoß nimmt, wenn man Wein trinkt, dann ist es καλο' ν, richtig, dass man in diesem Fall keinen Wein trinkt (μηδε` πιειñν οιòνον [mēde piein oinon]). 180 Die Weinabstinenz ist möglichweise hypothetisch, aus der Formel „Essen und Trinken“ V. 1 abgeleitet; in der Darstellung des Konflikts V. 2-6 war von Wein nicht die Rede.181 In jüdischem Kontext ist ein Verzicht auf Wein nur dann verständlich, wenn Juden beim Kauf von Wein nicht sicher sein konnten, keinen von heidnischen Tempeln kommenden Libationswein zu erhalten.182 Die Anweisung „kein Fleisch zu essen und keinen Wein zu trinken“ gilt für die gemeinsamen Mahlzeiten in den christlichen Versammlungen: Nur dort würden die Starken durch das Essen von Fleisch den schwachen Brüdern ein Anstoß sein. Paulus schreibt seinen Brief an die Gemeinde(n), damit er in den Gemeindeversammlungen vorgelesen und interpretiert werden. Wenn Paulus das Verhalten von Christen im Blick auf deren privaten Nahrungsverzehr ansprechen wollte, müsste er dies eigens anzeigen. Bei ———————————-————————
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Barrett 266; Morris 491; Dunn II 826; Jewett 867; vgl. Michel 437 Anm. 31. Michel 437: V. 20c „klingt lehrhaft und exakt, auf jedes einzelne Wort Wert legend“. Gäckle, Die Starken, 419 Anm. 583, im Anschluss an Michel 437. Wein (οιòνος) wird im NT 34 Mal erwähnt: Mt 9,17; 27,34; Mk 2,22; 15,23; Lk 1,15; 5,37.38; 7,33; 10,34; Joh 2,3.9.10; 4,46; Röm 14,21; Eph 5,18; 1Tim 3,8; 5,23; Tit 2,3; Offb 6,6; 14,8.10; 16,19; 17,2; 18,3.13; 19,15. Cranfield II 725; Barclay, Undermine, 289; Gäckle, Die Starken, 372.419. Wilckens II 96; Dunn II 827. Jewett 868-869.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 775 ————————————————————————————————————
den gemeinsamen Mahlzeiten sollen nur Speisen (und Getränke) vorbereitet, angeboten und gegessen werden, die für die schwachen Brüder „anstoßfrei“ sind, d.h. vor allem Gemüse, oder, in dem Fall, dass die auf die Reinheitsgebote achtenden Brüder koscheres Fleisch mitbringen können, dieses Fleisch.183 Paulus will, dass die Starken bei den gemeinsamen Mahlzeiten auf die Schwachen Rücksicht nehmen; es gibt keinen plausiblen Grund, weshalb er von den Starken erwarten sollte, dass sie ihre Essgewohnheiten grundsätzlich ändern und immer nur koscheres Fleisch essen, auch zu Hause. Die Wendung noch überhaupt etwas (μηδε` ε� ν ω ð, [mēde en hō]) weitet die Regel V. 21 auf andere, nicht koschere Nahrung oder auf Verhalten aus, das einen Bruder zu Fall bringen könnte. Die Lehrsätze V. 17.21 zeigen die Bedeutung der Wirklichkeit des Heiligen Geistes und der Liebe, die zusammen den Konflikt lösen und auch beim gemeinsamen Essen Frieden und Freude bewahren und fördern. 22 Paulus wendet sich noch einmal, in direkter Anrede, an die Starken: Behalte den Glauben, den du hast, für dich selbst vor Gott (V. 22a). Das Wort πι'στις [pistis] kann mit „Glaube“184 oder „Überzeugung“185 übersetzt werden. Paulus weist den Starken an, die Überzeugung, die er im Blick auf das Essen von Fleisch und im Blick auf Kalenderfragen hat, „für sich selbst“ (κατα` σεαυτο' ν [kata seauton]) zu haben, d.h. für sich zu behalten und nicht kämpferisch und provokativ in den Versammlungen der Gemeinde zu vertreten. Für Paulus ist der Glaube der Starken, alles essen zu können, theologisch legitim: Die Starken haben ihre Überzeugung „vor Gott“ (ε� νω' πιον τουñ θεουñ [enōpion tou theou]): „Ihr Glaube hinsichtlich der Speisefrage findet Gottes Wohlgefallen und kann und soll deshalb von den Starken in ihrem Gottesverhältnis festgehalten werden“.186 In 15,1 lässt Paulus erkennen, dass er mit der Position der Starken übereinstimmt. Die Überzeugung, alles essen zu können, wird durch die Rücksichtnahme auf den Bruder (Verzicht auf nicht koschere Speisen) nicht beeinträchtigt. Die Seligpreisung V. 22b gilt für die Starken, die aus Liebe zum Bruder auf nicht koschere Speisen verzichten: Selig ist, wer sich nicht selbst richtet im Blick auf das, was er für richtig hält. Der Starke hält es für „richtig“ (δοκιμα' ζει [dokimazei]),187 d.h. er hat nach einer Prüfung des Sachverhalts ———————————-————————
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Barclay, Undermine, 302-303; ebd. der folgende Punkt. Bauer/Aland s.v. πι' στις 2dε: „Glaubensfreiheit, Glaubensstärke“; vgl. Elb.Ü, GN, LÜ, ZÜ; vgl. Käsemann 366; Wilckens II 96; Lohse 381. BDAG s.v. πι' στις 2dε: „freedom or strength in faith, conviction“; EÜ, NGÜ. Gäckle, Die Starken, 420. Bauer/Aland s.v. δοκιμα' ζω 2b: „als erprobt annehmen, bewährt finden, nach Prüfung beschließen“; Röm 14,22 ε� ν ω ð, δοκιμα' ζει: „bei seiner Entscheidung“ (BDAG „for what
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und der damit zusammenhängenden Fragen entschieden, alles essen zu können. Der Starke weiß, dass seine Freiheit, alles zu essen, manchen schadet. Wenn er deshalb auf das Essen von Fleisch verzichtet, dann muss er „sich nicht selbst“ richten (μη` κρι'νων ε� αυτο' ν [me krinōn heauton]) – und darf die Gewissheit haben, dass er μακα' ριος ([makarios]; s. 4,6) ist: Er darf sich freuen, er ist glücklich, es geht ihm gut. Wenn er trotzdem isst, und dem Bruder ein Anstoß ist und diesen zu Fall bringt, dann müsste er sich selbst richten, weil er die Norm des Liebesgebots (12,9-10; 13,8-10) verletzt. 23 Paulus wendet das Prinzip des inneren Normbewusstseins auf die Schwachen an: Wer Bedenken hat, wenn er isst, der ist verurteilt, weil er nicht aus Glauben handelt (V. 23a). Der Schwache isst kein Fleisch, weil er glaubt, dass man als Glied des Volkes Gottes kein nicht koscheres Fleisch essen darf. Wenn ein Schwacher sich nun von den Starken drängen lässt, Fleisch zu essen, und dann Fleisch isst,188 wird er von seinem Gewissen verurteilt (κατακε' κριται [katakrekritai]). Er isst nicht koscheres Fleisch, obwohl er Bedenken hat (ο� διακρινο' μενος [ho diakrinomenos]):189 Er unterdrückt seine Bedenken, er handelt gegen sein Gewissen, d.h., er handelt „nicht aus Glauben“ (ου� κ ε� κ πι'στεως [ouk ek pisteōs]). Er verletzt mit seinem Handeln nicht nur subjektiv sein Gewissen: Weil er nicht in dem festen Glauben handelt, dass sein Handeln Gott wohlgefällig ist, wird er objektiv von Gott verurteilt: Alles, was nicht aus Glauben getan wird, ist Sünde (V. 23b). Obwohl objektiv betrachtet sein Essen von nicht koscherem Fleisch dem Willen Gottes nicht widerspricht – das Heilshandeln des Messias Jesus bedeutet das „Ende des Gesetzes“ (10,4) in Fragen des Heils und damit in Fragen der kultisch-rituellen Reinheit –, handelt der Schwache bewusst im Ungehorsam gegen den Willen Gottes, wie er ihn versteht und glaubt. Der Satz gilt uneingeschränkt: „alles, was nicht aus Glauben getan wird“ (παñ ν ο� ου� κ ε� κ πι'στεως [pan ho ouk ek pisteōs]), ob es das Essen nicht koscherer Speisen oder das Arbeiten am Sabbat betrifft, das ist Sünde (α� μαρτι'α [hamartia]; s. zu 2,12; 3,9). Der Starke wird von seinem Gewissen verurteilt (κρι'νων ε� αυτο' ν), wenn er Fleisch isst, weil er weiß, dass er den schwachen Bruder zu Fall bringt, ————————————————————
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he approves“). Gäckle, Die Starken, 421 vergleicht mit 1Kor 8,7-13 und bestimmt δοκιμα' ζειν als „die Funktion des subjektiven und gleichzeitig unabhängigen Normbewusstseins des eigenen Gewissens, an dem die Taten bestätigend oder verurteilend geprüft werden“. Als eventuell möglicher Fall formuliert: ε� α` ν φα' γη, [ean phagē]. Bauer/Aland s.v. διακρι' νω 2b (Medium): „mit sich im Streite sein, Bedenken tragen, zweifeln“. Im NT Mt 21,21; Mk 11,23; Apg 10,20 („voll Bedenken zaudern“); Röm 4,20; 14,23; Jak 1,6; 2,4; Jud 22.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 777 ————————————————————————————————————
was er aus Liebe nicht tun sollte (V. 22b); er verstößt gegen das Gebot der Liebe zum Nächsten. Der Schwache wird von seinem Gewissen verurteilt (κατακε' κριται), wenn er Fleisch isst, weil er Bedenken hat (διακρινο' μενος), die er aber unterdrückt und so gegen seinen Glauben handelt; er verstößt gegen den von ihm geglaubten Willen Gottes. Wer Zweifel hat, ob er den Willen Gottes tut, und mit seinem Handeln „einen möglichen Akt des Ungehorsams billigend in Kauf“ nimmt, der handelt im Ungehorsam, was Sünde ist.190 Das ist der Grund, weshalb Paulus die Starken zur Rücksichtnahme auf die Schwachen aufruft und sich schützend vor diese stellt: Wenn die Schwachen gegen ihr Gewissen gedrängt werden, Fleisch zu essen, dass sie für nicht koscher halten, dann sündigen sie. Wenn die Starken aus Liebe auf das Essen von nicht koscherem Fleisch verzichten, dann folgen sie ihrem Gewissen. Der einzige Nachteil, der sich für sie aus einem anderen als dem gewohnten Verhalten ergibt, ist die fehlende Fleischzulage bei den gemeinsamen Mahlzeiten. Die Folgen, die sich für die Schwachen aus einer Änderung ihres Verhalten ergeben, sind gravierend: Sie sündigen, nicht nur subjektiv, sondern objektiv vor Gott. Der Glaube ist immer nur dann stark, „wenn das Gewissen das Denken und die darauf folgenden Handlungen bestätigt. Ist das Gewissen dagegen gezwungen, einen Gedanken und die entsprechende Handlung zu verurteilen, ist auch der Glaube schwach“.191 15,1 Paulus leitet eine erste Zusammenfassung seiner Behandlung des Konflikts von Starken und Schwachen (15,1-6) mit einem erneuten Appell an die Starken ein, die Schwachen zu tragen, verbunden mit der generellen Mahnung, Rücksicht auf den Nächsten zu nehmen und zur Auferbauung der Gemeinde beizutragen (V. 1-2). Die Formulierung des Satzes wir, die Starken, sind verpflichtet zeigt, dass sich Paulus mit der Gruppe der „Starken“ (οι� δυνατοι' [hoi dynatoi]) identifiziert,192 eine Bezeichung, die hier zum ersten Mal vorkommt; die „Schwachen“ (οι� α� σθενουñ ντες [hoi asthenountes]) wurden seit 14,1 mehrfach erwähnt. Weil man einen Bruder nicht verachtet (14,3), weil sie für den Herrn leben (14,8), weil sie unter der Herrschaft des Messias stehen (14,9), weil sie sich im endzeitlichen Gericht vor Gott verantworten müssen (14,10-12), weil das Evangelium nicht in Verruf gebracht werden darf (14,16), weil sie nach Frieden streben und sich für die Auferbauung der Gemeinde einsetzen sollen (14,19), weil sie das Werk Gottes nicht zerstören (14,20) und weil sie ihr Gewissen nicht durch einen Verstoß ———————————-————————
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Gäckle, Die Starken, 421-422, mit Verweis auf Luther II 409: „Jeder, der nicht sündigen will, der kann nicht anders, er muß glauben. Denn der Glaube allein ist ohne Sünde. Wer also tut, was er nicht glaubt, der sündigt (ergo qui facit, quod non credit, peccat).“ Gäckle, Die Starken, 422. Man notiere das Personalpronomen der 1. Pers. Plural η� μειñς [hēmeis].
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gegen das Liebesgebot verletzen wollen (14,22), deshalb sind sie verpflichtet (ο� φει'λομεν [opheilomen]),193 d.h., deshalb ist es notwendig und deshalb sind sie es Gott und seiner Gemeinde schuldig, die Schwächen der Schwachen zu tragen (V. 15a). Das Präsens des Verbs unterstreicht, dass diese Verpflichtung immer besteht, sie ist niemals abgeschlossen. Die „Schwächen“ (τα` α� σθενη' ματα [ta asthenēmata]) sind ihre Unfähigkeit, die Konsequenzen des Sühnetodes des Messias für die Reinheits- und Speisegebote des Gesetzes zu erkennen, ihre Zurückhaltung, den gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus als „Ende des Gesetzes“ (10,4) anzuerkennen. Deshalb sind sie als Schwache „Nicht-Starke“ (α� δυνατοι' [adynatoi]), Unvermögende, deren Gewissen weiterhin an die Reinheitsgebote gebunden ist. Die Starken sollen ihre Stärke in der Gemeinde so einsetzen, dass sie tun, was die Schwachen nicht können: Sie sollen die Schwächen dieser Brüder „tragen“ (βαστα' ζειν [bastazein]), d.h. ihre Last auf ihre eigenen Schultern nehmen, sie in der Gemeinde tragen,194 vielleicht auch: ihre Schwäche als Last mit Geduld ertragen, tolerieren.195 In Verbindung mit dem Wort α� σθενη' ματα spielt Paulus mit dem Wort βαστα' ζειν wahrscheinlich auf die Tradition vom Gottesknecht, an der nach dem Zitat in Mt 8,17 „unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen hat“ (αυ� το` ς τα` ς α� σθενει'ας η� μω ñ ν ε» λαβεν και` τα` ς νο' σους ε� βα' στασεν [Jes 53,4]).196 Manche nehmen an, dass Paulus über die Gottesknechtstradition hinaus auch auf Jesustradition anspielt (βαστα' ζειν in Lk 14,27; Joh 19,17);197 nachweisen lässt sich dies nicht. Paulus konkretisiert die Mahnung von Gal 6,2a: „Einer trage des anderen Last“ (α� λλη' λων τα` βα' ρη βαστα' ζετε); bezeichnend ist vielleicht im Kontext des Konflikts wegen der Reinheitsgebote des Gesetzes die Fortsetzung ———————————-————————
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Paulus verwendet ο� φει' λω in Röm 13,8; 15,1.27; 1Kor 5,10; 7,36; 9,10; 11,7.10; 2Kor 12,11.14; Eph 5,28; 2Thess 1,3; 2,13; Phlm 18. Vgl. Bauer/Aland s.v. βαστα' ζω 2b.α: in übertragenem Sinn „v[on] allem Belastenden“; mit Verweis auf Lk 14,27; Apg 15,10; Gal 6,2. So Michel 443; Cranfield II 730; Wilckens III 101; Dunn II 837; Gäckle, Die Starken, 394; Lohse 383: „Der Starke ist befähigt, anderen Lasten abzunehmen, die sie nicht tragen können.“ Bauer/Aland s.v. βαστα' ζω 2b.β, mit Verweis auf Röm 15,1 sowie Mt 20,12; Joh 16,12; Gal 5,10; Offb 2,2.3. Für Dunn II 837 ist diese abgeschwächte Bedeutung eine Antiklimax gegenüber den nachhaltigen Mahnungen in 14,13-21. Matthäus hat offensichtlich den Text aus dem Hebräischen übersetzt und die Formulierung an die Aussageabsicht in Mt 8,17 angepasst; vgl. Schlatter, Matthäus, 282-283; Davies/Allison, Matthew II, 37-38. Die LXX übersetzt den hebr. Text frei: ουð τος τα` ς α� μαρτι' ας η� μω ñ ν φε' ρει και` περι` η� μω ñ ν ο� δυναñ ται („dieser trägt unsere Sünden und leidet um unsertwillen“; LXX.D). Zu Röm 15,1 s. Michel 443 Anm. 6; Cranfield II 730; Gäckle, Die Starken, 393 Anm. 458. Thompson, Clothed, 210-211; vgl. Gäckle, Die Starken, 393 Anm. 458.
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in 6,2b: „so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (και` ου« τως α� ναπληρω' σετε το` ν νο' μον τουñ Χριστουñ ). Paulus unternimmt auch hier keinen Versuch, den Schwachen zu helfen, ihre Schwächen zu überwinden. Die Starken sollen die Schwächen der Schwachen akzeptieren und durch ihr „Tragen“ kompensieren: „Auf diese Weise wird die Begrenzung des Einzelnen zu einer Gelegenheit des Dienstes am Nächsten und der ganzen Gemeinde“.198 Die Starken tragen die Schwäche der Schwachen, indem sie diese als Brüder annehmen (14,1), d.h. die Gemeinschaft mit ihnen aufrechterhalten: in den Gemeindeversammlungen und in den gemeinsamen Mahlzeiten auf das verzichten, auf das die Schwachen verzichten, und zusammen mit ihnen den Aufbau der Gemeinde betreiben (14,19). Als Warnung beschreibt Paulus das gegenteilige Verhalten: uns selbst zu Gefallen leben (ε� αυτοιñς α� ρε' σκειν [heautois areskein]; V. 1b),199 d.h. ein egoistisches, ichbezogenes, nur auf das eigene Wohl und den eigenen Vorteil fokussiertes Verhalten. Wer sich selbst zu Gefallen lebt, der „lebt für sich selbst“ (14,7) und zeigt, dass er nicht unter der Herrschaft des gekreuzigten und auferstandenen Herrn steht (14,8). In V. 3 betont Paulus, dass der Messias, zu dem sich die Starken bekennen, nicht sich selbst zu Gefallen gelebt hat. Paulus lebt anderen vor und lehrt, was es heißt, Gott zu Gefallen zu leben (1Thess 4,1), weil Gott zu gefallen das grundlegende Lebensziel ist (1Thess 2,4.15; Gal 1,10), was Ungläubigen, die vom „Fleisch“ bestimmt sind, nicht möglich ist (Röm 8,8). In 1Kor 10,33 schreibt er, dass er Juden und Griechen zu Gefallen lebt, indem er nicht seinen eigenen Nutzen sucht, sondern „den der vielen, damit sie gerettet werden“. Das Verb α� ρε' σκειν ist das Stichwort für die nächsten beiden Verse. 2 Jeder von uns (ε« καστος η� μωñ ν [hekastos hēmōn]), d.h. alle Starken, und, weil Paulus allgemein formuliert, auch die Schwachen, sollen dem Nächsten zu Gefallen leben. Der Bruder ist immer der „Nächste“ (πλησι' ον [plēsion]), den man nach Lev 19,18 lieben soll, was auch für Jesusbekenner gilt; s. zu 13,9. Nachfolger Jesu, der zur Nächstenliebe, ja zur Feindesliebe aufgerufen hat (Mt 5,44-45.48 / Lk 6,27-28), lassen sich von Gott ihr Denken verändern (12,2) und sind bereit, abseits von den Maßstäben der gegenwärtigen Welt ihr Leben als Gott wohlgefälliges (ευ� α' ρεστον τω ñ, θεω ñ, ) Opfer zu führen, sodass ihr Gottesdienst die Wirklichkeit Gottes kommuniziert (12,1). Diese Veränderung des Denkens bedingt eine Veränderung des Handelns: Jesusbekenner konzentrieren sich nicht auf sich selbst, sondern auf ———————————-————————
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Gäckle, Die Starken, 394, mit Verweis auf Stowers, Reason, 285. W. Foerster, Art. α� ρε' σκω κτλ., ThWNT I, 455-457; G. Schneider, EWNT I 363-364. Gegen „Pneumatiker“ ist die Mahnung V. 15b nicht gerichtet (pace Michel 434 Anm. 7).
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den Nächsten, sie wollen nicht sich selbst gefallen, sondern sie leben dem Nächsten zu Gefallen. Ziel der Orientierung auf den Nächsten ist das Gute (το` α� γαθο' ν [to agathon]; s. zu 14,16), d.h. alles, was diesem hilft und nützt und zur Auferbauung (προ` ς οι�κοδομη' ν [pros oikodomēn]; s. zu 14,19) beiträgt. Paulus denkt an die Förderung des inneren und äußeren Wachstums der Gemeinde, was die Erbauung der einzelnen Jesusbekenner, allen voran derer mit einem schwachen Gewissen, mit einschließt. Mit dem Hinweis auf das Gute und die Auferbauung sind, ohne dass Paulus dies hier betont, zugleich die Grenzen für das „dem Nächsten zu Gefallen leben“ genannt: Jesusbekenner leben nach dem Willen Gottes, der das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene beinhaltet, oft im Widerspruch zu den Maßstäben der gegenwärtigen Welt (12,2). 3 Vorbild der konsequenten Orientierung auf den Nächsten ist Jesus: der Messias lebte nicht sich selbst zu Gefallen (ο� Χριστο` ς ου� χ ε� αυτω ñ, η» ρεσεν [ho Christos ouch heautō ēresen]; V. 3a). Der Messias Jesus ist nicht nur für die Sünden von Heiden und Juden gestorben und hat die seit Adam den Menschen beherrschende Macht der Sünde gebrochen (3,21–5,21), sondern ist auch Vorbild für das ethische Handeln derer, die in ihn „hineinversenkt“ (baptizō), d.h. mit ihm identifiziert wurden. Deshalb begründet γα' ρ die Mahnung, nicht sich selbst, sondern dem Nächsten zu Gefallen zu leben, mit dem Verhalten des Messias Jesus, der sich in seinem Leiden und Sterben erniedrigt hat, um sich der Sünder anzunehmen. Ausleger, die Χριστο' ς ([Christos]; s. zu 1,1) sonst mit „Christus“ übersetzen, sehen hier einen Hinweis auf die Bedeutung „Messias“: Der Artikel in der Wendung ο� Χριστο' ς [ho Christos] lässt ihnen an dieser Stelle kaum eine andere Wahl.200 Die Begründung einer ethischer Mahnung mit dem Verhalten Jesu entspricht Phil 2,5-8: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (EÜ). Wie in Phil 2,57, so finden wir in V. 3b eine „passionstheologische Spitze“.201 Paulus zitiert, eingeleitet durch wie geschrieben steht (καθω` ς γε' γραπται [kathōs gegraptai]; s. 1,17 u.a.) wörtlich Ps 69[68],10: Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen (V. 3b). Psalm 69 (LXX 68) wird in ntl. Texten wiederholt zitiert (11,9-10; Apg 1,20; Offb 3,5) und als Vorankündigung der Leiden Jesu verstanden (Joh 2,17; Mt ———————————-————————
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Michel 446; Käsemann 369; Dunn II 838; Lohse 384. Wilckens III 101.
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27,34.48 / Mk 15,23.36; vgl. Lk 23,39; Apg 1,20). Der Verfolgte, der Gott um Hilfe anruft, weil ihm „das Wasser bis an die Kehle steht“ (Ps 69,2), beteuert, dass ihn der Eifer für Gottes Haus verzehrt, und dass die Schmähungen,202 die man gegen Gott (σε [se]) ausstieß, auf ihn selbst gefallen sind, mit der Implikation, dass er sie getragen hat. Wie der Beter des Psalms, so ist Jesus der Vertreter des Namens Gottes und der Ehre Gottes. Neben den Schmähungen des am Kreuz hängenden Jesus (Mt 27,44 / Mk 15,32), an die im Kontext von 15,1 (Tragen der Schwächen der Schwachen) primär gedacht ist, kann man auch an die Schmähung Jesus als Agent Beelzebuls (Mt 12,24 / Mk 3,22) denken. Der in Ps 69 sprechende Beter wird nicht nur von Feinden verfolgt und gepeinigt, sondern auch von den „eigenen Brüdern“ (Ps 69,9), denen, die im „Buch des Lebens“ eingetragen sind (Ps 69,29). Paulus verweist in diesem Zusammenhang auf die offensichtlich scharfen Differenzen, die die Starken in den römischen Gemeinden wegen der Reinheits- und Sabbatgebote des Gesetzes mit den „Schwachen“ auszufechten hatten – ähnlich wie Jesus, dem man todeswürdige Verstöße gegen den Tempel vorwarf (Mt 26,61 / Mk 14,58), und wie er, Paulus selbst, der in Kontroversen über die rechte Auslegung des Gesetzes involviert war (z.B. Gal 2). Paulus wählt das Zitat aus, um auf die Passion Jesu und ihre Interpretation im Sinn des „Nicht-sich-selbst-Gefallens“ zu verweisen,203 gleichzeitig dokumentiert er die bleibende Bedeutung der Schrift.204 Möglicherweise will Paulus andeuten, dass die Schmähungen gegen Gott, die als Wort des Messias zitiert werden, jene Schmähungen einschließen, die die der Tradition des Gesetzes mit der zentralen Bedeutung der Reinheitsgebote verhafteten Schwachen vielleicht gegen die Starken ausstießen, die betonten, dass Gott nicht nur Gott der Juden, sondern auch der Gott der Heiden ist, und dass die Reinheitsgebote durch das Wort Jesu (Mk 7,15; vgl. Röm 14,14.20) und durch den Tod Jesu aufgehoben wurden, sodass jetzt auch Heiden den Segen Abrahams und den Geist Gottes erhalten können (Gal 3,13-14).205 Wie der Messias Jesus die Schmähungen ertragen hat, so sollen die Starken die Schwachen tragen. ———————————-————————
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Das Wort ο� νειδισμο' ς kommt im NT neben Röm 15,3 noch in 1Tim 3,7; Hebr 10,33; 11,26; 13,13 vor. In Hebr 11,26 ist von der „Schmach des Messias“ (ο� ο� νειδισμο` ς τουñ Χριστουñ ) die Rede. Vgl. J. Schneider, Art. ο» νειδος κτλ., ThWNT V, 238-242; M. Lattke, EWNT II, 1261-1267; F. Albrecht, ThBLNT II 1556-1558. Koch, Schrift, 326, gegen Wilckens III 101-102, der mit dem Zitat das stellvertretende Sühneleiden Jesu betont sieht, und gegen Käsemann 369, der das „Erleiden rebellischer Lästerungen“ durch Jesus während seiner ganzen irdischen Geschichte betont, was aber bei Paulus sonst nirgends nachweisbar sei. Gäckle, Die Starken, 424-425. Dunn II 839.
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4 Paulus begründet (γα' ρ) den Hinweis auf das Vorbild des Verhaltens des
Messias Jesus mit einem Lehrsatz über die Bedeutung und Absicht der atl. Schriften. Alles, was zuvor geschrieben wurde (ο« σα προεγρα' φη [hosa proegraphē]; V. 4a) verweist auf die gesamten206 heiligen Schriften Israels, die für ausgebildete Schriftgelehrte wie Paulus Autorität hatten. Die Erläuterung wurde zu unserer Belehrung geschrieben betont, dass die heiligen Schriften Israels nicht nur für Israel, sondern für „unsere“ (η� μετε' ραν [hēmeteran])207 Belehrung geschrieben wurden, d.h. für die messianische Heilsgemeinde, in der Jesusbekenner aus Juden und Heiden, die das Evangelium Gottes (1,1) angenommen haben, in Wahrheit und Gottesfurcht (1,18 e contrario) den einen, wahren Gott anbeten.208 In 12,7 hatte Paulus „Lehre“ (διδασκαλι'α [didaskalia]; „Unterricht, Unterweisung, Lehre“) als Aufgabe der mit der Gabe des Lehrens beschenkten Gemeindeglieder (ο� διδα' σκων) genannt. Rechte, gesunde Lehre ist angesichts von problematischen „Winden der Lehre“ (Eph 4,14) und rein menschlichen Lehren (Kol 2,22) von grundlegender Bedeutung für den Bau der Gemeinde, wie Paulus in 1Kor 3,9-17 (ohne Verwendung von διδασκαλι'α) und dann vor allem in den Pastoralbriefen betont.209 Nicht nur Qumran und die Rabbinen, sondern Lehrer wie Philo, Autoren von Texten, die man als „Rewritten Bible“ bezeichnet (z.B. Jub), und die Übersetzer der hebr. Bibel ins Griechische (Septuaginta) legten die heiligen Schriften für ihre jeweilige Gegenwart aus.210 Paulus unterstreicht, „daß die Schrift zwar ‚zuvor geschrieben‘ ist, aber auf heutige Belehrung zielt“.211 Zur Schrift, die zu unserer Belehrung geschrieben wurde, gehört auch das Gesetz, das heilig ist, und die Gebote, die heilig, gerecht und gut sind (7,12), auch wenn sie jetzt im Zusammenhang des Gesetzes als „Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus“ ———————————-————————
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Käsemann 369: „ο« σα meint bereits die gesamte Schrift“. Das Possessivpronomen η� με' τερος steht nur, wenn das Possessivverhältnis betont ist. Gäckle, Die Starken, 425-426: „Im Licht der mit Christus angebrochenen Endzeit erkennt Paulus die eigentliche Absicht und das letzte Ziel der Schrift in der Belehrung der endzeitlichen Gemeinde.“ Vgl. 1Kor 10,11; 2Kor 1,20; Joh 5,39. Vgl. die Verwendung von διδασκαλι' α in 1Tim 1,10; 4,1.6.13.16; 5,17; 6,1.3l; 2Tim 3,10.16; 4,3; Tit 1,9; 2,1.7.10. Zu 1Tim 1,10 zusammenfassend Neudorfer, Der erste Brief des Paulus an Timotheus, 81: „Wie das Licht schon allein durch seine Anwesenheit das Dunkel durchdringt, so wirkt die ‚gesunde Lehre‘ geradezu katalytisch auf die Irrlehre, zu der sie sich in einem unüberbrückbaren Gegensatz befindet.“ S. die Aufsätze in Mulder, Hg., Mikra; die Aufsätze von G. Stemberger, J.G. Campbell und W. Horbury in Paget/Schaper, New Cambridge History of the Bible. Zur Rolle der Schriftlesung und Schriftauslegung in der jüdischen Bildung s. Riesner, Lehrer, 142-151; Avemarie, Schriftgelehrsamkeit. Koch, Schrift, 325; Lohse 384.
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(8,2) und des „Endziels des Gesetzes“ (10,4) in der durch den Messias Jesus gewährten Gerechtigkeit zu verstehen ist. Im Kontext geht es um das, was Ps 69 über das Leiden des Messias Jesus lehrt (vgl. 1,2; 3,21; 4,23-25), konkret um das, was Jesusbekenner aus dem Leiden des Messias Jesus lernen sollen: damit wir in Geduld und durch den Trost der Schriften Hoffnung haben (V. 4b). Die Schrift, die direkte Lehre ist, führt zu „Geduld“ (υ� πομονη' [hypomonē]; s. zu 2,7; 5,3) und gewährt „Trost“ (παρα' κλησις [paraklēsis]; s. zu 12,1),212 weil sie vom leidenden Messias spricht, von dem Jesusbekenner wissen, dass er von den Toten auferweckt und erhöht wurde – das Heil schaffende Handeln Gottes, das ihnen „Hoffnung“ (ε� λπι'ς [elpis]; s. zu 5,2) gibt. In der jüdischen Tradition vertrat man schon lange die Überzeugung, dass Israels Schriften Trost verleihen. Der makkabäische Hohepriester Jonathan und der Ältestenrat des Volkes, die zusammen mit den Priestern und dem jüdischen Volk an die Spartaner schreiben, stellen fest, dass sie mit den heiligen Schriften (τα` βιβλι'α τα` α« για) einen Trost in ihren Händen halten (παρα' κλησιν ε» χοντες; 1Makk 12,9 LXX.D). Bei Paulus findet man eine solche weitgehende Aussage über die Tragweite der Schrift nur hier; verwandt ist die knappe Aussage in 1Kor 10,11: „Es wurde aufgeschrieben zu unserer Warnung, die das Ende der Zeiten erreicht hat“.213 Der Trost, den die Schrift denen zuspricht, die aus der Schrift unterwiesen werden, weckt Hoffnung, deren Gewissheit Paulus in 8,31-39 beschrieben hatte. Das Stichwort „Hoffnung“ wird in V. 12-13 wieder aufgenommen. Der Genitiv τω ñ ν γραφω ñ ν (tōn graphōn) ist gen. auctoris und kann auf beide Wendungen mit δια' bezogen werden:214 Die Unterweisung aus der Schrift bewirkt Geduld und Trost, die die Jesusbekenner befähigen, an der Hoffnung festzuhalten.215 Oder, so die meisten neueren Ausleger, man bezieht den Genitiv τω ñ ν γραφω ñ ν nur auf παρα' κλησις und interpretiert die beiden δια' -Wendungen als unabhängige, die Angabe τη` ν ε� λπι'δα ε» χωμεν kennzeichnende adv. Bestimmungen: Die Belehrung durch die Schriften (V. 4a) bewirkt, dass Jesusbekenner Hoffnung haben – begleitet von Geduld und bewirkt durch den Trost als von der Schrift gewährte Wirklichkeit (vgl. 5,3; 8,25).216 Im Kontext von V. 7-13 ist ———————————-————————
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Bauer/Aland s.v. παρα' κλησις 3, mit Verweis, neben Röm 15,4.5, auf 2Kor 1,3.4-7; 7,4.7.13; Phil 2,1; 2Thess 2,16; Phlm 7. Koch, Schrift, 326. Zu 1Kor 10,11 s. Schnabel, 1. Korinther, 540-541. Vgl. Bauer/Aland s.v. δια' A.IV (kausale Bedeutung, mit Hinweis auf Röm 8,3; 2Kor 9,13); HvS §184f.a.cc(1). Vgl. Schlatter 381-382; Lagrange 343; Leenhardt. Die Paarung von Geduld und Trost in V. 5 spricht für dieses Verständnis. D.h. δια` τηñ ς υ� πομονηñ ς drückt einen begleitenden Umstand aus (Bauer/Aland s.v. δια' A.III.1b [Art und Weise]; HvS §184f.a.cc[2]); die Wendung δια` τηñ ς παρακλη' σεως τω ñν
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unter „Hoffnung“ die Verwirklichung der Verheißungen Gottes zu verstehen, die mit der einen messianischen Heilsgemeinde aus glaubenden Heiden und Juden ihren Anfang genommen hat.217 5-6 Paulus unterstreicht die Notwendigkeit, den Konflikt in der Gemeinde um die Reinheitsgebote und die Sabbatobservanz zu lösen, mit einem Gebetswunsch (vgl. den Optativ δω', η).218 Er greift die Stichworte „Geduld“ und „Trost“ von V. 4 auf und bezeichnet Gott als Gott der Geduld und des Trostes (ο� θεο` ς τηñ ς υ� πομονηñ ς και` τηñ ς παρακλη' σεως; V. 5). Die feierliche Formulierung entspricht dem Gebetswunsch.219 Die beiden Genitive sind als gen. auctoris zu interpretieren: Es ist der in den heiligen Schriften Israels redende Gott, der Geduld und Trost gewährt. Man könnte „Geduld“ mit den Starken verbinden, die die Schwäche der Schwachen tragen sollen, und „Trost“ mit den Schwachen, die infolge der Nichteinhaltung der Reinheitsgebote und des Sabbatgebots seitens der Starken Traurigkeit empfinden (14,15). Paulus erbittet für die römischen Christen Geduld und Trost als Gaben Gottes, damit sie untereinander einmütig sind (το` αυ� το` φρονειñν ε� ν α� λλη' λοις [to auto phronein en allēlois]),220 d.h. den Konflikt wegen der Reinheitsgebote lösen. In 12,5 hatte Paulus die Christen in Rom an die Tatsache erinnert, dass die vielen Christen „ein Leib im Messias“ und, was den Einzelnen betrifft, „Glieder voneinander“ (α� λλη' λων με' λη) sind. In 12,10 hatte er sie gemahnt, „einander (ει� ς α� λλη' λους) in herzlicher, brüderlicher Liebe zugetan“ zu sein und in der Ehrerweisung einander (α� λλη' λους) voranzugehen, um in 12,16 an sie zu appellieren, nach Einmütigkeit untereinander zu trachten (το` αυ� το` ει� ς α� λλη' λους φρονουñ ντες). Was in 12,16 Befehl ist, ist in 15,5 Gebetswunsch. In 13,8 hatte Paulus sie aufgerufen, sich gegenseitig zu lieben (α� λλη' λους α� γαπαñ ν), in 14,13, sich nicht gegenseitig zu richten (μηκε' τι α� λλη' λους κρι'νωμεν), in 14,19, nach dem zu streben, was dem Frieden und der gegenseitigen (ει� ς α� λλη' λους) Auferbauung dient. Dasselbe „denken“, einmütig sein, ist für Menschen nur möglich, wenn sie von Gott Geduld erhalten, den anderen mit seiner anderen Meinung zu tragen, und ————————————————————
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γραφω ñ ν ist kausal (s. oben). So Michel 445-446; Cranfield II 735; Schlier 421; Käsemann 370; Dunn II 839; Moo 870; Lohse 385; Gäckle, Die Starken, 426. Für diese Interpretation spricht die Parallele 1Makk 12,9. Wilckens III 102 bleibt unentschieden. Dunn II 840: „The harmony of Jew and Gentile in the new Christian congregation is an important landmark on the way to the complete fulfillment of that hope.“ Vgl. Eph 1,17; 2Thess 3,16; 2Tim 1,16.18; 2,24. Zum Gebetswunsch s. auch 15,13.33; 16,20; Phil 4,19; 1Thess 5,23; 2Thess 3,5; sowie Hebr 13,20-21; 1Petr 5,10. In Gebeten werden häufig Gottes Eigenschaften und (wie hier) Gaben im angefügten Genitiv erwähnt: 15,5.13.33; 2Kor 1,3; 13,11. Zu φρονε' ω s. 8,5, 12,15-16.
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wenn sie die Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlichen Verhaltensweisen als Not erfahren, in der sie Gottes Trost erfahren. Die Präpositionalwendung wie es dem Messias Jesus entspricht (κατα` Χριστο` ν � Ιησουñ ν [kata Christon Iēsoun]) unterstreicht das Vorbild und den Willen des Kyrios.221 Das Denken und das Verhalten von Jesusbekennern orientiert sich am gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Messias Jesus, der sich aus Liebe für die Sünder im Sühnetod am Kreuz hingegeben hat. Es gilt: „Wo der Fundamentalkonsens im Bekenntnis zu Christus Jesus gegeben ist, da wird dieser alle Glieder der Gemeinde – unbeschadet einzelner nicht übereinstimmender Ansichten – in der Gemeinschaft des Leibes Christi zusammenhalten, so daß Einheit in Vielfalt bestehen und Vielfalt auf Einheit bezogen bleiben kann.“222 Ziel der Einmütigkeit ist der gemeinsame Lobpreis: damit ihr übereinstimmend, mit einem Mund, den Gott und Vater unseres Herrn, den Messias Jesus, verherrlicht (V. 6). Im Unterschied zu den Polytheisten, die den einen Gott nicht als Gott verherrlicht haben (ου� χ ω� ς θεο` ν ε� δο' ξασαν; 1,21), preisen die Jesusbekenner aus Juden und Heiden Gott als den einen, wahren Gott. Sie beten ihn an als Gott, der der „Vater unseres Herrn“ ist (πατε' ρα τουñ κυρι'ου η� μω ñ ν [patera tou kyriou hēmōn]), des Messias Jesus. Ob die Formulierung liturgisch geprägt ist, wie oft angenommen wird,223 oder nicht: Paulus unterstreicht, dass Heiden und Juden Gott den Schöpfer dann anbeten, wenn sie ihn als Vater des erhöhten Messias Jesus anbeten, von dem im Evangelium die Rede ist (1,3-4).224 Trotz weiterhin bestehender Meinungsverschiedenheiten und Verhaltensweisen sind sich Jesusbekenner in ihrem Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer und zum gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus, dem erhöhten Kyrios, einig – deshalb beten und loben sie übereinstimmend ο� μοθυμαδο' ν [homothymadon]),225 d.h. einmü———————————-————————
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Die Interpretationen im Sinn von „Maßstab, Vorbild“ (Michel 446; Wilckens III 102) oder „Willen“ (Käsemann 370; Lohse 385) sind keine sich ausschließenden Alternativen. Lohse 385. Vgl. Hahn, Hoheitstitel, 110. Käsemann 371: Die Wendung και` πατε' ρα τουñ κυρι' ου η� μω ñ ν � Ιησουñ Χριστουñ hat identifizierenden Sinn: „Über alles hinaus, was sonst von ihm gesagt werden mag, ist der gepriesene Gott der Vater unseres Herrn Jesus Christus und darin unverwechselbar.“ H.W. Heidland, Art. ο� μοθυμαδο' ν, ThWNT V, 185-186: Das Wort beschreibt „die innere Einheit einer in äußerlich gleichem Tun begriffenen Personengruppe“, d.h., es meint „nicht persönliche Sympathie der Beteiligten untereinander, sondern ein sachliches Interesse an einem ganz bestimmten Tun“, ein Interesse, das seinen Grund „nicht in einer gleichen, veranlagungsmäßigen Geneigtheit (hat), sondern in einem von außen an die Personengruppe herantretenden Geschehen …, das sie zu gleicher Reaktion veranlaßt“. Vgl. E.D. Schmitz / K. Haacker, ThBLNT I, 718-719. In Apg 1,14; 2,46; 4,24; 5,12; 15,25 steht das Wort für die Einmütigkeit der Gemeinde, die sich in Jerusalem
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tig, geschlossen, d.h. mit einem Mund (ε� ν ε� νι` στο' ματι [en heni stomati]). Der Gebetswunsch V. 5-6 zeigt, dass die Behandlung der Kontroverse um die Reinheitsgebote und die Sabbatobservanz, die seit 4,1 die Thematik bestimmte, inhaltlich zum Abschluss gekommen ist. Die Überwindung der diesem Konflikt zugrunde liegenden Meinungsverschiedenheiten in Geduld und Trost, die Gott gewährt und die Resultat des Heilshandelns des Messias Jesus sind, entspricht dem Ziel der Sendung des Messias Jesus, Juden und Heiden im Lob Gottes des Schöpfers zusammenzuführen. Dies wird von Paulus in V. 7-13 abschließend, und den Inhalt des Röm zusammenfassend, noch einmal unterstrichen: Gottes Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus wird in dem messianischen Gottesvolk aus Juden und Heiden gelebt und angebetet. 7 Mit darum (διο' ) leitet Paulus das Resümee der Argumentation seit 14,1 und zugleich eine mit mehreren atl. Zitaten untermauerte Zusammenfassung des Römerbriefs ein. Ziel des Abschnitts, wie des Röm insgesamt, ist das Lob Gottes, das Juden und Heiden angesichts des Heilshandelns Gottes im Messias Jesus gemeinsam sprechen.226 Der Appell nehmt einander an (προσλαμβα' νεσθε α� λλη' λους [proslambanesthe allēlous]) ist der letzte von Paulus formulierte Imperativ in 14,1–15,13.227 In 14,1.3 verwendete Paulus das Verb προσλαμβα' νω in der Mahnung an die Starken, die Schwachen anzunehmen, weil Gott sie angenommen hat. Hier appelliert Paulus an alle Jesusbekenner in den Gemeinden Roms, einander anzunehmen. Die unterschiedliche ethnische Identität spielt in der messianischen Heilsgemeinde keine Rolle mehr: Judenchristen müssen die Heidenchristen, und die Heidenchristen müssen die Judenchristen annehmen. Die Begründung ist wie in V. 3.5 der Messias Jesus: wie auch der Messias euch angenommen hat zu Gottes Ehre. Jesus hat jedes einzelne Glied der Gemeinde „angenommen“ (προσελα' βετο [proselabeto]). Der Vers bietet eine kompakte Formulierung, die den Imperativ dem Indikativ zuweist.228 Das heißt im Kontext der Aussage von 14,3, nach der Gott den Schwachen angenommen hat: Gott handelt durch den Messias Jesus. Und das heißt im ————————————————————
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„zusammen“ bzw. „einmütig“ in der Halle Salomos auf dem Tempelberg versammelt. In anderen Kontexten wird das Wort in Apg 7,57; 8,6; 12,20; 18,12; 19,19 verwendet (d.h. es gehört in der Apg nicht einfach zur „festen Erbauungsprache“; gegen Käsemann 371). Kraus, Volk Gottes, 332. Elliott, Arrogance, 46-47 meint, die Vision in V. 7-13 von den unter einem einzigen Herrscher vereinten Völkern sei wahrscheinlich als Reaktion auf die kaiserliche Ideologie der universalen Herrschaft (oikoumenē) formuliert worden. Am Text lässt sich diese These nicht belegen. Die Imperative in V. 10.11 stehen in atl. Zitaten. Haacker 350; Gäckle, Die Starken, 396.
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Kontext des Gebetswunsches 15,5-6 und der ekklesiologischen Aussage 12,5, nach der die Vielen ein Leib im Messias (ε�ν σω ñ μα' ε� σμεν ε� ν Χριστω ñ, ) sind: Der Lobpreis der einmütigen, übereinstimmenden, mit einem Mund anbetenden Gemeinde geschieht zu Gottes Ehre (ει� ς δο' ξαν τουñ θεουñ [eis doxan tou theou]).229 Das Grundgesetz des Zusammenlebens der Christen – nehmt einander an – erwächst aus der Grundwahrheit des Evangeliums – der Messias Jesus hat Sünder angenommen – und verwirklicht die Grundbestimmung des von Gott geschaffenen Menschen – Gott in Gottesfurcht und Wahrheit zu ehren. 8-9 Am Ende des Abschnitts wird deutlich, dass es sich bei der Kontroverse um die Reinheitsgebote und die Bevorzugung bestimmter Tage um eine Kontroverse zwischen Judenchristen und Heidenchristen handelt. Die Einleitung denn ich sage (λε' γω γα' ρ) markiert die heilsgeschichtliche Vertiefung des Hinweises auf das Vorbild des Messias als grundsätzliche Feststellung, die Bekenntnischarakter hat: Der Messias ist ein Diener der Beschneidung geworden (V. 8). Das Wort „Diener“ (δια' κονος [diakonos]; s. zu 1,17) beschreibt hier nicht die Niedrigkeit oder Demut des menschgewordenen Messias, sondern seine göttliche Sendung und (soteriologisch verstandene) Beauftragung.230 Der Messias Jesus dient der „Beschneidung“ (περιτομη' [peritomē]; s. zu 2,25), d.h. dem jüdischen Volk,231 im Auftrag Gottes. Die Aussage erinnert einerseits an Gal 4,4 („Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt“), andererseits an Phil 2,7 („Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“) und Mk 10,43-45 („Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen [διακονηñ σαι] und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“; EÜ).232 Das Perf. des Verbs (γεγενηñ σθαι) unterstreicht die gegenwärtige, bleibende Bedeutung der Sendung Jesu für Israel233 und hat deshalb neben dem Wirken Jesu, das fast ausschließlich unter Juden stattfand, seinen Sühnetod und seine Erhöhung (vgl. ———————————-————————
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Vgl. 1Kor 10,31; 2Kor 4,5; Phil 1,11; 2,11. Hentschel, Diakonia, 279-280; vgl. Gäckle, Die Starken, 427 Anm. 623. Haacker 351 meint, die Formulierung sei nicht nur Chiffre für „die Juden“, sondern spiele auf einen Nutzen der Beschneidung an; im Kontext ist dies nicht zu erkennen: Die Aussagen in 2,25; 3,1-2; 4,11 sind zu weit entfernt. Vgl. Haacker, Messias Israels. Cranfield II 741; Michel 448; Dunn II 846; Haacker 352; kritisch Käsemann 372. Das Perfekt unterstreicht nicht nur „das Ergebnis des Geschehens“ (Käsemann 372), sondern drückt neben dem resultativen Aspekt den gegenwärtigen Zustand aus; HvS §200a. Zu Recht Baumert, Diener Gottes, 51; Dunn II 847; Haacker 352.
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1,3-4) vor Augen.234 Die Priorität des jüdischen Volkes hat eine bleibende Bedeutung, wie die Beschreibung des Evangeliums als „Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst und auch für den Griechen“ (1,16) deutlich macht. Paulus beschreibt die Bedeutung des Messias Jesus als „Diener der Beschneidung“ mit zwei Präpositionalwendungen. Jesus ist ein Diener des jüdischen Volkes um der Wahrhaftigkeit Gottes willen (υ� πε` ρ α� ληθει'ας θεουñ ),235 d.h. wegen der Beständigkeit und Verlässlichkeit seiner Bundestreue (3,4.7), wie die nächste Formulierung bestätigt. Das Ziel seines messianischen Dienstes für das jüdischen Volk ist, die den Vätern gegebenen Verheißungen zu bekräftigen, d.h. die Verheißungen, die Gott Abraham, Isaak und Jakob gegeben hat, zu verwirklichen. Gedacht ist im Kontext von 4,1-22 an die Rechtfertigung Abrahams, der als Gottloser (4,5) der Verheißung Gottes geglaubt hat.236 Nach dem jüdischen Volk nennt Paulus die Heiden (τα` ε» θνη [ta ethnē]; s. zu 1,5), die Gott ehren um seines Erbarmens willen (V. 9a). Der Satz ist stilistisch nicht ganz ausgeglichen. Viele lassen V. 9a von V. 8b ει� ς το` βεβαιω ñσαι τα` ς ε� παγγελι' ας τω ñ ν πατε' ρων abhängig sein, sodass die Infinitive δοξα' σαι und βεβαιω ñ σαι parallel sind.237 Bei dieser Interpretation ist V. 8b der Obersatz über die beiden Infinitivsätze: Das Kommen des Messias zu Israel dient einerseits dazu, dass die Verheißungen an die Väter verwirklicht werden, andererseits dazu, dass die Heiden Gott preisen.238 Damit verschiebt sich jedoch die Korrespondenz von περιτομη' und τα` ε» θνη und von υ� πε` ρ α� ληθει' ας und υ� πε` ρ ε� λε' ους; außerdem hat der AcI in V. 9a das Subjekt τα` ε» θνη, während der Infinitiv V. 8b vom Subj. des Obersatzes, d.h. von Χριστο' ν abhängig ist. Eine andere Erklärung ist überzeugender: Hauptsatz ist V. 8a, an den sich zwei Infinitivsätze anschließen:239 ———————————-————————
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Wilckens III 105 kann sich nicht entscheiden, ob Paulus an die Menschwerdung Christi (1,3; 9,5; Gal 4,4) oder seinen Tod und seine Auferstehung (3,25) denkt; einen Verweis auf das irdische Wirken Jesu (Käsemann 372) hält er für nicht naheliegend. Es spricht nichts dagegen, alle drei Beziehungsreferenten zu sehen; Dunn II 847. Zu α� λη' θεια s. 1,18; 3,4. Dunn II 847 fragt, ob βεβαιω ñ σαι hier nicht nur „erfüllen“ bedeutet, sondern auch „garantieren“ im Sinn der Garantie des Heilsstatus der Juden trotz ihres Unglaubens (mit Verweis auf 11,29). Ohne Glauben des Sünders an Gottes Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus (1,16-17; 3,22.25-26) gibt es eine solche Garantie nicht. Vgl. Kraus, Volk Gottes, 329: Paulus denkt hier nicht im Schema von „Verheißung und Erfüllung“, sondern er geht vom wirkmächtigen Gotteswort aus, „das im Moment des Aussprechens Wirklichkeit setzt“. Barrett 271-272; Käsemann 373; Michel 448 Anm. 22; Schlier 424; Moo 876; Nababan, Bekenntnis, 114-115; Hafemann, Eschatology, 170. Vgl. Wilckens III 106; ebd. die folgenden Beobachtungen. Lagrange 346-347; Cranfield II 743; Wilckens III 106; Dunn II 847; Moo 876; Jewett 892; Haacker 352; Zeller, Juden und Heiden, 218-219; Donaldson, Paul, 99; Reichert, Abfassungsproblematik, 303; Gäckle, Die Starken 429 Anm. 630.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 789 ———————————————————————————————————— Χριστο` ν δια' κονον γεγενηñ σθαι περιτομηñ ς υ� πε` ρ α� ληθει' ας θεουñ ει� ς το` βεβαιω ñ σαι τα` ς ε� παγγελι' ας τω ñ ν πατε' ρων τα` δε` ε» θνη υ� πε` ρ ε� λε' ους δοξα' σαι το` ν θεο' ν Der Subjektwechsel erklärt sich dadurch, dass Paulus in V. 9a (elliptisch) unausgesprochen lässt, dass der Messias auch der Diener der Unbeschnittenen ist: „Er spricht vielmehr gleich vom Lobpreis der Heiden, weil er auf die Zitatenkette V. 9b-12 hinauswill.“240 Dass Paulus den Satz „der Messias ist ein Diener der Unbeschnittenheit“ geworden (Χριστο` ν δια' κονον α� κροβυστι' ας) aus sachlichen Gründen nicht hätte formulieren können,241 will nicht einleuchten.242 Die beiden syntaktischen Erklärungen treffen sich exegetisch insofern, als dass auch die erste Lösung die Sendung des Messias Jesus an Israel nicht als dem Erbarmen Gottes über die Heiden übergeordnet erscheinen lässt, während bei der zweiten Lösung die heilsgeschichtliche Reihenfolge Juden – Heiden nicht unbeachtet bleibt.243
Die Heiden ehren Gott „um seines Erbarmens willen“ (υ� πε` ρ ε� λε' ους [hyper eleous]; s. zu ε� λεε' ω 9,15), was ebenfalls Ziel und Wirkung des Heilshandelns Gottes im Messias Jesus ist. Die Heiden, die durch ihre Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit die Wahrheit Gottes niedergehalten haben (1,18), verherrlichen Gott „jetzt“ (3,21) infolge des Erbarmens Gottes im Sühnetod des Messias Jesus. Die Begriffe „Wahrheit“ (α� λη' θεια) und „Erbarmen“ (ε» λεος), mit denen Paulus das messianische Heilshandeln Gottes an Juden und Heiden beschreibt, entspreche der hebr. Wendung [ ֶחֶסד ֶוֱאֶמתchäsäd wä’æmät],244 die die Fülle der Gottesoffenbarung beschreibt (vgl. Joh 1,14.17).245 Jesus ist der Diener Gottes, durch dessen Leben, Tod, Auferweckung und Erhöhung die Verheißungen Gottes für Abraham und seine Nachkommen Wirklichkeit wurden und zugleich das Heil zu den Völkern kam – auch darin wurde die ———————————-————————
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Wilckens III 106, im Anschluss an Cranfield II 743-744. Gegen Koch, Schrift, 282 Anm. 23, gefolgt von Lohse 387; Koch erklärt τα` δε` ε» θνη als angehängten Akkusativ, der inhaltlich mit V. 7b (ο� Χριστο` ς προσελα' βετο υ� μαñ ς) zu verbinden sei und in einen finalen Infinitivsatz (δοξα' σαι το` ν θεο' ν) mündet; V. 9a τα` δε` ε» θνη υ� πε` ρ ε� λε' ους δοξα' σαι το` ν θεο' ν könne weder ει� ς το` βεβαιω ñ σαι τα` ς ε� παγγελι' ας τω ñν πατε' ρων V. 8b noch λε' γω γα' ρ V. 9a zugeordnet werden. Wagner, Christ, 473-485 will V. 9a von Χριστο` ν δια' κονον γεγενηñ σθαι V.8a abhängig sein lassen, sodass Χριστο' ν Subj. bleibt und τα` δε` ε» θνη V. 9a parallel zu περιτομηñ ς V. 8a steht; kritisch Haacker 352; Hafemann, Eschatology, 171 Anm. 32; Gäckle, Die Starken 428-429 Anm. 630: Wagner muss den Akk. τα` δε` ε» θνη als Akk. der Beziehung interpretieren, der im NT jedoch selten ist (HvS §156). Gäckle, Die Starken 429 Anm. 63 meint, die Wendung „Diener der Unbeschnittenheit“ habe „keinen Anhalt in der geschichtlichen Wirklichkeit“, was dann nicht stimmt, wenn man den „Dienst“ des Messias nicht in erster Linie auf sein irdisches Wirken bezieht (so Gäckle, ebd. 428), sondern auf Jesu Tod, Auferstehung und Erhöhung. Wilckens III 106, mit Verweis auf Käsemann 373; Cranfield II 744 Anm. 2. Vgl. Gen 24,27; Ex 34,6; Ps 25,10; 26,3; 40,11.12; 57,4.11 u.a. im Blick auf Gott. Michel 448 Anm. 25; Gäckle, Die Starken 428; anders Käsemann 373: „Es liegt Überbietung vor: Die Bundestreue wird kosmisch ausgeweitet.“
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Wahrheit der Verheißungen Gottes verwirklicht, dass Abraham infolge der Bekehrung vieler Heiden der Vater vieler Völker wurde (4,9-12.16-17). Gott ist so der eine Gott, der durch seine Heilsoffenbarung im Messias Jesus sowohl den Beschnittenen wie den unbeschnittenen Heiden seine Gerechtigkeit zuspricht. Dies bedeutet im Kontext des Konflikts zwischen den Schwachen und Starken: Wo Gott durch den Messias Jesus Glaubende aus Israel und den Völkern zusammengeführt hat, geht es in den Gemeinden darum, dass alle sich gegenseitig annehmen und einmütig den wahren Gott anbeten. Das Leitmotiv der Zitatenkette V. 9b-12 ist das Lob Gottes, das die Völkerwelt durchdringt, womit sich die endzeitlichen Hoffnungen Israels erfüllen und das heilsgeschichtliche Programm von 1,16 bestätigt.246 Paulus zitiert aus allen drei Teilen des Kanons der Schriften Israels – aus Gesetz, Psalmen und Propheten: in V. 9b Psalm 18,49 [LXX 17,50], in V. 10 Deut 32,43, in V. 11 Psalm 117 [116],1, in V. 12 Jes 11,10. Die vier Zitate enthalten sechs Verben, mit denen das Lob Gottes beschrieben wird: „bekennen“ (ε� ξομολογε' ω), „lobsingen“ (ψα' λλω), „jubeln“ (ευ� φραι' νω), „loben“ (αι� νε' ω), „lobpreisen“ (ε� παι'νω), „hoffen“ (ε� λπι'ζω). Zunächst zitiert Paulus, eingeleitet mit wie geschrieben steht (καθω` ς γε' γραπται; s. zu 15,4), Psalm 18[17],50]: Darum werde ich dich bekennen unter den Heiden und deinem Namen lobsingen (V. 9b).247 „Bekennen“ (ε� ξομολογε' ω [exhomologeō]; s. zu 14,11)248 bezeichnet den Lobpreis als öffentliches Bekenntnis des Heilshandelns Gottes. „Lobsingen“ (ψα' λλω) be-deutet „lobsingend preisen, lobsingen, singen“.249 Der Ort des bekennenden Lobsingens wird mit der Präpositionalwendung „unter den Heiden“ (ε� ν ———————————-————————
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Vgl. Hafemann, Eschatology, 162-163.172; Gäckle, Die Starken 429-430, gegen die oft vertretene Meinung, V. 9b-12 sei Beleg für V. 9a, d.h. V. 8 (der Messias als Diener der Beschneidung) sei für die Zitatenkette irrelevant (z.B. Wilckens III 107). Hafemann, ebd. 174-187 zeigt, dass Paulus in V. 9b-12 nicht einfach einen Erfüllungsbeweis für das messianische Heil der Heiden liefert: Paulus hat den Kontext der Zitate gekannt und diese entsprechend reflektiert ausgewählt und zusammengestellt. Paulus stimmt mit der LXX wörtlich überein, abgesehen von der Auslassung des Vokativs κυ' ριε zwischen den beiden Sätzen. Nach Koch, Schrift, 87.121 will Paulus den Eindruck vermeiden, dass der Psalm vom Messias spreche, statt von Jahwe; Wagner, Christ, 476 nimmt an, Paulus lasse κυ' ριε aus, damit Jesus als Sprecher hervortritt. Vgl. O. Michel, Art. ο� μολογε' ω κτλ., ThWNT V, 199-220; O. Hofius, EWNT II, 20-23; D. Fürst / H.-W. Neudorfer, ThBLNT I, 137-141. Im NT in Mt 3,6; 11,26; Mk 1,5; Lk 10,21; 22,6; Apg 19,18; Röm 14,11; 15,9; Phil 2,11; Jak 5,16. Bauer/Aland s.v. ψα' λλω; G. Delling, Art. υ« νος / ψα' λλω κτλ., ThWNT VIII, 494.497.502503; H. Balz, EWNT III, 1183-1184; K.H. Bartels / G. Schimanowski, ThBLNT I, 244246. Im NT in Röm 15,9; 1Kor 14,15; Eph 5,19; Jak 5,13; das Substantiv in Lk 20,42; 24,44; Apg 1,20; 13,33; 1Kor 14,26; Eph 5,19; Kol 3,16. Zum Singen in den urchristlichen Gemeinden s. Schnabel, Singing, 309-341.
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ε» θνεσιν [en ethnesin]) angezeigt. Das Subj. der Verben ist, wie im ursprünglichen Kontext des königlichen Dankpsalms, David selbst als derjenige, dem Gott die Verheißung eines ewigen Königreiches gab, das jetzt im Messias Jesus Wirklichkeit geworden ist. 250 Die Rettung Davids von den „Wehen des Todes“ (ω� διñνες θανα' του; LXX Ps 17,5) weist voraus auf die Auferstehung des Messias. Die Rettung und das Erbarmen, das Jahwe seinem Gesalbten (David) und seiner Nachkommenschaft (τω ñ, σπε' ρματι αυ� τουñ ) „bis in Ewigkeit“ gegenüber seinen Feinden schafft, auch den Feinden innerhalb des Volkes Israel (ποιω ñ ν ε» λεος τω ñ, χριστω ñ, αυ� τουñ ; LXX Ps 17,51), veranlasst David, Jahwe inmitten der Heiden zu preisen. Im Kontext von 15,9a hat der Lobpreis der Heiden gegenüber dem atl. Kontext einen neuen Sinn: Er ist auf Gottes Heilshandeln im Messias Jesus (υ� πε` ρ ε� λε' ους) bezogen, nicht mehr auf Gottes Heilstat an Israel.251 Paulus bestätigt mit diesem Zitat zunächst Röm 15,8: Er zeigt, wie der Messias Jesus als „Diener der Beschneidung“ die Wahrhaftigkeit Gottes im Blick auf die Verheißungen an die Väter bestätigt. Das heißt im Kontext von Röm 1,4: Die Auferweckung und Erhöhung des Messias Jesus bestätigt Gottes Verheißung für Israel – und so wird auch Jesus, der messianische König, Gott unter den Heiden preisen. Das heißt im Kontext von Röm 9–11: Israel erfährt jetzt und weiterhin die rettende Zuwendung, die David erfahren hat. Das heißt im Kontext von 14,1–15,7: Judenchristen können und sollen Gott preisen, gerade in der Gegenwart von Heidenchristen.252 Und das heißt im Kontext von 15,8-9a: Juden- und Heidenchristen loben Gott einmütig (15,6), zur Ehre Gottes (15,7). Hafemann lehnt eine Interpretation auf die Judenchristen in der Gegenwart ab, weil sie die eschatologische Typologie des Psalms verkenne, die auf die Zukunft ziele.253 Die Leser des Röm haben aber kaum primär eine typologische Interpretation von Ps 18 vor Augen gehabt, sondern die zitierte Aussage auf sich bezogen, auch die judenchristlichen Leser – nicht nur im Blick auf die Zukunft, sondern auch, und wahrscheinlich primär, auf die Gegenwart.254 ———————————-————————
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Hafemann, Eschatology, 175-177. Käsemann 373 und Koch, Schrift, 282 Anm. 24 sehen Paulus als Subjekt, die meisten Ausleger Christus,wodurch Jesus der Vorbeter wird, dessen Worte die Heiden nachsprechen sollen (Michel 449; Cranfield II 745; Hays, Christ, 129.134-135; Gäckle, Die Starken 430). Lohse 388 meint, Paulus habe die Frage nicht interessiert: Ihm komme es allein darauf an, „daß im weiten Raum der Heidenvölker das Gotteslob erklingt“. Für die folgende Interpretation s. Hafemann, ebd. 174-179. Kraus, Volk Gottes, 331; vgl. Hahn, Mission, 92; Zeller, Juden und Heiden, 221-222; Koch, Schrift, 282. Vgl. Dunn II 849, der im sprechenden David die Judenchristen präfiguriert sieht. Hafemann, Eschatology, 173 Anm. 51. Hafemann, Eschatology, 179-180 spielt die endzeitliche Perspektive der atl. Zitate unnötigerweise gegen die präsentische Perspektive der paulinischen Aussage aus.
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10 Das zweite Zitat, eingeleitet mit und weiter heißt es (και` πα' λιν λε' γει),
stammt aus Deut 32,43: Jubelt, ihr Heiden, zusammen mit seinem Volk.255 „Jubeln“ (ευ� φραι'νω [euphrainō]) bedeutet im Passiv „sich freuen, froh sein, sich jubelnd freuen“.256 Die Präpositionalwendung „zusammen mit seinem Volk“ (μετα` τουñ λαουñ αυ� τουñ [meta tou laou autou]) benennt den Ort oder die Begleitumstände257 des Jubelns der Heiden: Sie jubeln zusammen mit dem Volk Gottes. Diese Aussage ist der Höhepunkt des Moseliedes, in dem Mose wegen Israels Götzendienst Gottes Gericht prophezeit (Deut 32,1-25), eine Vorschattung des Gerichts über die Völker (Deut 32,40-42). Der Aufruf an die Heiden (ε» θνη [ethnē]), Jahwe zu preisen, ist als Aufruf an die Völker zu verstehen, im Blick auf einen eigenen Götzendienst Buße zu tun, um dem kommenden Zorn Gottes zu entkommen.258 Während das Zitat Ps 18,50 in V. 9b vom Bekenntnis und Lobpreis Davids und des Messias unter den Heiden sprach, geht es im Zitat Deut 32,43 um den Jubel der Heiden, die zusammen mit seinem Volk, d.h. mit Israel, dem Volk Gottes, frohlocken. Im Kontext von 14,1–15,9a mussten sich die Heidenchristen in den römischen Gemeinden angesprochen sehen: Sie sollen zusammen mit den Judenchristen jubelnd Gott anbeten, anstatt jene, die die Reinheitsgebote und das Sabbatgebot halten, zu verachten (14,3.10). Hafemann interpretiert auch hier konsequent futurisch: Nach dem Hinweis auf das erste Kommen des Messias (Ps 18,50) verweist Deut 32,43 auf die Folgen des zweiten Kommens des Messias, als letzter Schritt in Gottes Heilshandeln zugunsten Israels, bei dem die Völker gerichtet werden und das die Völker zum Lob des wahren Gottes provozieren sollte.259 Hafemann nimmt eine mögliche Interpretation von Deut 32,43 für den Kontext der Zitatensequenz an, ohne den Kontext Röm 14,1–15,9a in Betracht zu ziehen, der für die ersten Leser der primäre hermeneutische Kontext war. Nur in seiner Interpretation ist „klar“, dass die Verbindung von Ps 18,50 mit Deut 32,43 den Zusammenhang zwischen dem weiter bestehenden Einsatz Gottes für Israel und dem Aufruf an die Heiden zum Gotteslob unterstreicht. Paulus markiert diese Zusammenhänge im Text nicht, und es ist fraglich, ob die Leser in den Gemeinden diese Zusammenhänge erkannt haben können – ohne schriftgelehrte Ausbildung bzw. ohne ausdrückliche Hinweise durch den schriftgelehrten Apostel. Im Blick auf das Zitat von Ps 117[116],l in V. 11 sieht Hafemann in Röm 15,8-9 (!) über die nicht zitierte Aussage Ps 117,2 eine Anspielung auf die Theophanie Ex 34,6, wo Gott als ———————————-————————
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Das paulinische Zitat stimmt wörtlich mit Deut 32,43 LXX überein. Bauer/Aland s.v. ευ� φραι' νω 2; Bultmann, ευ� φραι' νω, ThWNT II, 770-774; Conzelmann, ThWNT IX, 350-362; S. Pedersen, EWNT II, 217-219. Im NT in Lk 12,19; 15,23.24.29. 32; 16,19; Apg 2,26; 7,41; Rom 15,10l; 2Kor 2,2; Gal 4,27; Offb 11,10; 12,12; 18,20. HvS §184l: μετα' bedeutet „inmitten, mitten unter“ und kennzeichnet auch Begleitumstände eines Geschehens. Koch, Schrift, 282 Anm. 26 interpretiert als „zusammen mit“. Hafemann, Eschatology, 180; dies bedeutet nicht, dass Deut 32,43 sagen will, dass sich die Völker dem Volk Gottes anschließen. Christliche Leser können so interpretieren, in der jüd. Tradition war von einer Integration der Völker in das Volk Israel nicht die Rede. Hafemann, Eschatology, 179-182.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 793 ———————————————————————————————————— mitleidiger, barmerziger (ε� λεη' μων), langmütiger, mitleidsvoller und wahrhaftiger (α� ληθινο' ς) Gott gepriesen wird (LXX.D), und auf Ex 33,19, wo Gott sagt: „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme“ (ε� λεη' σω ο� ν α� ν ε� λεω ñ ), und folgert: Die Heiden sollen im Licht des ersten (Ps 18,50) und des zweiten Kommens des Messias (Deut 32,43) vom treuen Rest in Israel, zu dem Paulus selbst gehört (Ps 117,1), lernen, dass Gott seinen Verheißungen treu bleibt und für seine Barmherzigkeit gepriesen werden soll, eine Aussage, die durch die kanonische Lokalisierung von Ps 117 im Psalter bestätigt werden soll.260 Die ersten Leser dürften mit diesen exegetisch-hermeneutischen Annahmen überfordert gewesen sein, hätte Paulus sie denn beabsichtigt.
11 Das dritte Zitat, eingeleitet mit und weiter (και` πα' λιν), stammt aus
Psalm 117[116],1: Lobt, alle Heiden, den Herrn und es sollen ihn lobpreisen alle Völker.261 „Loben“ (αι� νε' ω [aineō]) kann mit „rühmlich erwähnen, preisen“262 übersetzt werden, das Kompositum „lobpreisen“ (ε� παι'νω [epainō]) mit „Beifall geben, gutheißen, loben, öffentlich auszeichnen“.263 In Psalm 117,2 wird der Aufruf an alle Heiden (πα' ντα τα` ε» θνη [panta ta ethnē]) und alle Völker (πα' ντες οι� λαοι' [pantes hoi laoi]) mit dem Erbarmen (το` ε» λεος) und der Wahrheit (η� α� λη' θεια) des Herrn begründet, die „bis in Ewigkeit“ Bestand haben. Im Kontext von Röm 14,1–15,9a kann man die „Heiden“ auf die Heidenchristen beziehen, „alle Völker“ auf die Heidenchristen und Judenchristen, die „übereinstimmend, mit einem Mund“, den Gott und Vater unseres Herrn, des Messias Jesus, preisen (15,6). Wenn man den synonymen Parallelismus betont, wird man „alle Völker“ nur auf die Heiden(christen) beziehen. 12 Das vierte Zitat, eingeleitet mit und weiter sagt Jesaja (και` πα' λιν � Ησαι¨'ας λε' γει), stammt aus Jes 11,10: Es wird kommen der Wurzelspross Isais, und der sich erhebt als Herrscher über die Heiden; auf ihn werden die Heiden hoffen.264 Diese Stelle war in der jüdischen Tradition als ———————————-————————
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Hafemann, Eschatology, 182-184. Im LXX-Zitat steht πα' ντα τα` ε» θνη hinter dem Akk.-Obj. το` ν κυ' ριον; zudem lässt Paulus das nachfolgende και' aus. Schlier, Art. αι� νε' ω, ThWNT I, 176-177; Balz, EWNT I, 94-95; Schulz/Schimanowski, ThBLNT I, 239-240. Im NT in Lk2,13.20; 19,37; Apg 2,47; 3,8.9; Röm15,11; Offb 19,5. H. Preisker, ε» παινος, ThWNT II, 583f; Hofius, EWNT II 41-43; Schulz/Schimanowski, ThBLNT I, 239-240. Kommt im NT in Lk 16,8; Röm 15,11; 1Kor 11,2.17.22 vor. Der Wortlaut des paulinischen Zitats entspricht weithin der LXX; Paulus streicht ε� ν τηñ, η� με' ρα, ε� κει' νη, nach ε» σται, wahrscheinlich weil die Wendung bei einer christologischen Verwendung der Jesajastelle überflüssig war; Koch, Schrift, 117 Anm. 11. Jewett 879 meint, Paulus habe das Zitat in Jes 11,10 abgebrochen und auf Jes 11,11 verzichtet, wo von der Heimkehr der jüdischen Exulanten die Rede ist, weil er die römischen Christen zur Unterstützung seiner Heidenmission rekrutieren will; vgl. Hays, Echoes, 73; Wagner, Heralds, 318; Jewett 896-897.
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messianische Aussage anerkannt.265 Im Kontext von Jes 11 ist diese Aussage die Überleitung vom zukünftigen Kommen von Israels König (Jer 11,1-9) zur Wiederherstellung Israels (Jes 11,11-16). In diesem Zusammenhang ist das Kommen des „Wurzelsprosses Isais“ (η� ρ� ι'ζα τουñ � Ιεσσαι' [hē rhiza tou Iessai]) wichtig266 als der sich „Erhebende“ (ο� α� νιστα' μενος [ho anistamenos]), der Gottes Herrschaft über die Heiden (α» ρχειν ε� θνω ñν [archein ethnōn]) aufrichtet als Gottes Instrument der Wiederherstellung Israels.267 Das Gericht und die Herrschaft des messianischen Königs über die Heiden ist für diese ein Zeichen (σημειñον ει� ς τα` ε» θνη) der Errettung; die endzeitliche Rettung Israels und die Herrschaft des davidischen Königs über die Heiden wird dazu führen, dass die gesamte Erde erfüllt wird „vom Erkennen des Herrn wie viel Wasser, (das) die Meere zu bedecken (vermag)“ (Jes 11,9 LXX.D) – dann wird „seine Ruhe“, d.h. die Ruhe nach dem Sieg des kommenden davidischen Königs, „Ehre“ sein (και` ε» σται η� α� να' παυσις αυ� τουñ τιμη' ; Jes 11,10, von Paulus im Zitat ausgelassen). Das Verb ε� λπι'ζω ([elpizō]; „hoffen“) verleiht dem Verb α» ρχω ([archō]; „herrschen“) eine positive Note. Im Kontext des Röm und der Heidenmission, zu der Gott Paulus beauftragt hat (11,13; 15,16), spielt jene Interpretation der atl. Prophezeiungen der Endzeit, nach der Israel gerettet und die Heiden vernichtet bzw. Israel unterworfen werden,268 keine Rolle mehr. Und die Erwartung einer endzeitlichen Pilgerfahrt der Heiden nach Jerusalem, die sich dort Jahwe zuwenden,269 ist neu verstanden als Bewegung zu den Heiden hin, eine Bewegung, die Paulus nach Spanien führt (15,24.28). Im Kontext der Definition des Evangeliums in Röm 1,3-4 hat sich die Prophetie Jesajas im Kommen des Messias Jesus erfüllt: Er ist der Sohn Davids, der als der Gekreuzigte, Auf———————————-————————
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Vgl. Schultz, King, 142. Siehe die messianische Interpretation von Jes 11 in 1Q28b V, 20-29; 4Q161 Frag. 8–10;4Q285 Frag. 5; vgl. Jer 23,5; 33,15; Sir 47,22; Offb 5,5; 22,16. Vgl. Wagner, Heralds, 320-329. Zur messianischen Auslegung in rabbinischen Texten s. C. Maurer, ThWNT VI, 988. Haacker 354 vergleicht die Benennung der davidischen Dynastie nicht nach ihrem ersten Machthaber, sondern nach dessen Vater (d.h. Isai) mit Gaius Iulius Caesar, dem Adoptivvater von Augustus, dem ersten Kaiser. Im MT ist nicht vom „Herrschen über die Völker“ die Rede, sondern vom „Zeichen für die Völker“ ( ;)ֵנס ַעִּמיםWilk, Bedeutung, 19, vermutet לנגסstatt לנסals zugrunde liegende hebr. Lesart; Haacher 353 stellt die Überlegung an, ob „( ֵנסZeichen“) mit „( ָנִׂשיאFürst“) verwechselt oder bewusst vertauscht wurde. Vgl. Ps 2,8-9; 72,8-9; 110,1; PsSal 17,30; Zeller 232; Dunn II 850. Jes 2,2-4; 25,6-10; 42,1-9; 49,6; 51,4-6; 56,6-8; 66,18-21; vgl. Donaldson, Proselytes, 327. Hafemann, Eschatology, 185 mit Anm. 70 scheint diese Vorstellung in Röm 15,12 angesprochen zu sehen.
Die gegenseitige Annahme der Starken und der Schwachen 14,1–15,13 795 ————————————————————————————————————
erstandene270 und Erhöhte Sohn Gottes göttliche Macht hat.271 Im Kontext von Röm 8,31-39 ist die Herrschaft des Messias Jesus über Heiden, die auf ihn „hoffen“ (ε� λπιουñ σιν), die im Messias Jesus den Jesusbekennern zugeeignete Liebe Gottes, in der sie geborgen sind.272 Im Kontext von 14,1–15,9a mussten die Heidenchristen in den römischen Gemeinden die Jesajaprophetie einerseits als in ihrer Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus erfüllt verstehen, andererseits die Herrschaft des Messias Jesus, von der in 14,8-9 die Rede war, als Mahnung verstehen, nicht zu vergessen, dass sie zur „Wurzel“ hinzugekommen sind (vgl. 11,17-24!) und die heilsgeschichtliche Priorität Israels nicht vergessen dürfen. Im Kontext von Röm 1–11 unterstreicht Paulus für Judenchristen und Heidenchristen, dass die Offenbarung der Heil schaffenden Gerechtigkeit Gottes an den Glauben an den Messias Jesus gebunden ist und mit der Herrschaft Jesu zusammenfällt.273 13 Paulus schließt die Behandlung der Kontroverse um die Reinheitsgebote und das Sabbatgebot mit einem Gebetswunsch bzw. Fürbitte-Segen ab. Er greift das Stichwort Hoffnung (ε� λπι'ς [elpis]; s. zu 5,2) aus V. 4 sowie aus 12,12 auf, wo die Hoffnung ebenfalls mit der Freude verbunden war. Im Röm ist von „Hoffnung” auch in 4,18; 5,2.4.5; 8,20.24 die Rede. Die Stichwörter Freude (χαρα' [chara]; s. zu χαι'ρω 12,12), Frieden (ει� ρη' νη [eirēnē]; s. zu 1,7; 5,1) und Heiliger Geist knüpfen an die Definition der Königsherrschaft Gottes in 4,17 an; von Freude war zudem in 14,17, vom SichFreuen (χαι'ρω) in 12,12.15; von Friede war in 14,19 sowie in 1,7; 2,10; 3,17; 5,1; 8,6 die Rede, vom Heiligen Geist grundsätzlich in 7,6 und 8,2-17. Glauben (πιστευ' ω [pisteuō]; s. 1,5.8) bzw. der Glaube (πι'στις) wurde in 14,1.2.22.23 erwähnt, im Röm Verb und Substantiv zusammen 60 Mal. Mit diesen Vokabeln klingen mehrere Motive der Ausführungen in 14,1–15,12 an. Es fällt auf, dass Paulus von Gott und vom Heiligen Geist spricht, nicht aber vom Messias Jesus, dem Herrn, von dem in 14,4-9.14.18; 15,1-8 ein———————————-————————
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Die Auferstehung Jesu wird in 1Thess 4,14; Apg 2,24; 10,41; 13,33-34; 17,3.31 mit dem Verb α� νι' στημι beschrieben, ebenso in den Leidens- und Auferstehungsweissagungen Jesu (Mk 8,31 par.; 9,9 par.; 9,31 par.; 10,34 / Lk 18,33; Lk 24,7); das von dem Verb abgeleitete Subst. α� να' στασις beschreibt die Auferstehung Jesu in Röm 1,4; 6,5; Phil 3,10; Apg 1,22; 2,31; 4,33; 17,18.32; 1Petr 1,3; 3,21. Schlier 425; Wilckens III 108; Käsemann 374; Dunn II 850; Lohse 388; Jewett 896; nicht überzeugt ist Cranfield II 747 Anm. 4. Hafemann, Eschatology, 185-186 interpretiert auch hier wieder konsequent futurisch im Sinn der Wiederkunft Jesu. Wilckens III 108. Zur Konzentration der endzeitlichen Hoffnung der Heiden auf den Messias Jesus s. Nebe, Hoffnung, 165; Wilk, Bedeutung, 158. Käsemann 374, der 15,12 im Kontext von 8,20 (die Völker vertreten die gesamte Schöpfung) interpretiert und in dem zweifachen ε» θνη ein Wortspiel sieht, dessen Pointe darin liegt, „daß die in jüdischen Augen Gottlosen … den Lobpreis teilweise schon anstimmen, im übrigen dazu berufen sind und die universale Herrschaft Christi beides begründet“.
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dringlich und in zentralen Passagen die Rede war. Weil im Röm der Glaube grundsätzlich Glaube an den Messias Jesus ist (3,22.25.26; 9,33; 10,4.59.14), kann man davon ausgehen, dass mit dem Stichwort „Glaube“ der Messias Jesus mit genannt ist. Gott wird als der Gott der Hoffnung angeredet, weil er Hoffnung möglich gemacht hat und dem durch den Glauben an den Messias Jesus gerechtfertigten Sünder Hoffnung gewährt. Die von der Verheißung Gottes veranlasste Hoffnung macht es möglich, auch gegen menschlich plausible Möglichkeiten mit dem Eingreifen Gottes zu rechnen (4,18). Die von Gott infolge seines Heilshandelns im Messias Jesus ermöglichte Hoffnung orientiert Christen auf die Zukunft hin, in der sie an der Herrlichkeit Gottes Anteil haben werden (5,2; 8,24), und bewährt sich im Leben des Glaubenden inmitten von Bedrängnis (5,3-4; 15,4). Die von Gott gewährte Hoffnung auf die Teilhabe an seiner Herrlichkeit ist eine gewisse Hoffnung, weil sie allein von Gottes Liebe abhängig ist, mit der er den glaubenden Sünder beschenkt hat (5,5). Die Hoffnung, die Gott gewährt und die aus der Schrift kommt (15,4), macht es möglich, auch in der Bedrängnis fröhlich zu sein (12,12). Paulus wünscht (Optativ πληρω' σαι), dass Gott die Jesusbekenner in den stadtrömischen Gemeinden erfülle mit aller Freude und Frieden, zentralen Wirklichkeiten der Königsherrschaft Gottes (14,17) und Frucht des Heiligen Geistes (Gal 5,22). Der Frieden mit Gott ist Heilstatsache als Geschenk der Gerechtigkeit, die Gott dem an den Messias Jesus Glaubenden gewährt hat (5,1). Frieden ist zusammen mit Leben Ziel und Absicht des Wirkens des Heiligen Geistes (8,6). Frieden ist nicht mit allen Menschen möglich, er soll aber immer angestrebt werden (12,18), gerade in der Gemeinde der Jesusbekenner, die nur dann auferbaut werden kann, wenn sich Gruppierungen, die sich misstrauisch oder verfeindet gegenüberstehen, im Frieden miteinander leben (14,19). Das Adj. „alle“ (πα' σης), das sowohl auf die Freude wie auch den Frieden zu beziehen ist, unterstreicht den Wunsch nach dem vollen Maß der Gaben Gottes, nach einem umfassenden Wirken Gottes im Leben, wohl auch den Gedanken, dass es je nach Lebensumständen viele Arten von Freude und Frieden gibt, die Jesusbekenner immer wieder neu brauchen. Die mit dem Verb formulierte Präpositionalwendung im Glauben (ε� ν τω ñ, πιστευ' ειν [en tō pisteuein])274 unterstreicht, dass sich Hoffnung, Freude und Friede aus dem vertrauenden Glauben an den Messias Jesus ergeben. Da Gott Hoffnung gegeben hat, und weil Jesusbekenner auf Gottes vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Heilshandeln in aktivem Glauben ver———————————-————————
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Zum textkritischen Problem s. in Abschnitt II.
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trauen, inmitten von Bedrängnis, werden sie „erfüllt“, d.h. voll gemacht, angefüllt, mit Freude und Frieden.275 Die zweite Präpositionalwendung beschreibt das Ziel der Erfüllung mit Freude und Frieden: so dass ihr reich seid an Hoffnung (ει� ς το` περισσευ' ειν υ� μαñ ς ε� ν τηñ, ε� λπι'δι [eis to perisseuein hymas en tē elpidi]). Wenn der Gott der Hoffnung die Jesusbekenner mit Freude und Frieden erfüllt, dann werden sie einen „Überfluss“ an Hoffnung haben, d.h. sie werden reich an der Hoffnung sein,276 die sie für die Bewährung ihres Glaubens im Alltag brauchen. Die dritte Präpositionalwendung nennt den Ursprung und den Grund der wirksamen Wirklichkeit der Gaben Gottes: durch die Macht des Heiligen Geistes (ε� ν δυνα' μει πνευ' ματος α� γι'ου [en dynamei pneumatos hagiou]). Die von Gott bewährte Hoffnung bekommt ihre Wirksamkeit durch die Macht des Heiligen Geistes als Macht der Gegenwart Gottes, des Schöpfers. Die von Gott erbetene Freude und der von Gott gewährte Frieden sind die Frucht des Geistes im Alltag des Jesusbekenners, die infolge der Wirksamkeit der Macht des Geistes Gottes nicht bloß Ornamente einer im übrigen grimmen Existenz in einer verlorenen, freud- und friedelosen Welt sind, sondern sichtbarer Reflex der Wirklichkeit des Evangeliums vom messianischen Sohn Gottes und der Heil schaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes (1,3-4.16-17).277 IV Wenn Paulus in 14,1 mahnt, Mitchristen, die einen schwachen Glauben haben, anzunehmen und nicht über Meinungen zu streiten, bedeutet das natürlich nicht, dass man jede exegetische oder theologische Kontroverse scheuen soll. Michel betont zu Recht: „Eine δια' κρισις διαλογισμω ñ ν (Röm 14,4), die die Gedanken klärt und die Wahrheit herausstellt, ist sicher in der Gemeinde ebenso nötig wie eine δια' κρισις πνευμα' των (1Kor 12,10), die die πνευ' ματα auf ihre Bezogenheit zu Christus prüft.“278 Gäckle hat recht: Die Aussage in 14,4, dass allein der Herr über den Mitchristen und dessen Überzeugung entscheidet, „kann und darf freilich nicht zum Prinzip erhoben werden, denn Paulus selbst beansprucht oft die Vollmacht zu dogmatischen und ethischen Urteilen über die Lehre und das Verhalten von Gegnern oder sündigenden Gemeindegliedern (vgl. nur Röm 16,17-20; 1Kor 5; 2Kor 10– ———————————-————————
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Vgl. Wilckens III 109. Käsemann 374: „Der Weg der Gemeinde muß im Glauben gegangen werden und läßt sich durch keine Doxologie überspringen.“ Bauer/Aland s.v. περι' σσευω 1b.α: „Überfluss haben, reich sein“, mit Verweis auf Röm 15,13; 1Kor 8,8; 14,12; 2Kor 9,8; Phil 4,12.18. Gräbe, Power, 201: „While God is the source of hope, the continued growth of hope in the believer’s mind takes place by the power of the Holy Spirit “ (Hervorhebung Gräbe). Michel 423.
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13; Gal 1,6-9; 2,11-14; 5,4; Phil 3,2 u.ö.). Auch seine Aufforderungen zur Gemeindezucht (z.B. 1Kor 5) sind undenkbar ohne die Vollmacht einer Gemeinde zur Beurteilung von Lehre und Leben. Das Verbot des Richtens muss daher auf das eschatologische Urteil im Blick auf die Annahme oder Verwerfung eingegrenzt werden, das Gott allein zusteht“.279 Die Mahnungen des Apostels an die Starken, die Schwachen anzunehmen, lehren uns, „daß die Liebe in einem Grenzfall auf ein theologisch begründetes Recht verzichten kann. Auch in diesem Grenzfall ist die Liebe nicht die Preisgabe der theologischen Wahrheit, sondern ihre ausdrückliche Bestätigung. Nur wer die theologische Wahrheit anerkennt, kann auf ihren Vollzug im Dienst für den Bruder verzichten. Der ‚Schwache‘ seinerseits lernt durch die Liebe des ‚Starken‘, daß durch Jesus Christus ein Verhalten möglich ist, das innerhalb seines eigenen Denkens und Glaubens nicht mehr begreifbar ist (‚extra nos‘). Entscheidend ist, daß der Gehorsam gegen die eigene Überzeugung zum Heilsstand notwendig ist, und daß ein Verstoß gegen ihn in falscher Anpassung an den anderen zur Sünde wird (V 23).“280 Traditionelle Überzeugungen, die theologisch ihre Gültigkeit verloren haben (oder nie besaßen, wie z.B. die Forderung in manchen Gemeinden, dass Frauen eine Kopfbedeckung tragen), können dennoch als gültige Form des Christseins betrachtet werden.281 Wie verantwortliche Gemeindeleitung die Offenbarungen prüft, die christliche Propheten als Wort Gottes vermitteln, so hat sie auch die Verantwortung, die von verschiedenen Gemeindegliedern vertretenen und in den Versammlungen in Lehre, Gebet und Lied geäußerten Überzeugungen zu prüfen. Der Maßstab jeder Untersuchung ist das Evangelium von dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus, dem Sohn Gottes, und von der Heil schaffenden Offenbarung Gottes, der im Anschluss an den ———————————-————————
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Gäckle, Die Starken, 409 Anm. 533. E. Käsemann schreibt: „Unverrückbar gilt … ein non plus ultra. Zeigt unser Verhalten nicht mehr die Zugehörigkeit zu Christus als letzte Bindung auf, wird Existenz gottlos“, fährt dann aber, konsequent in seinem Protest gegen jede „Kasuistik“ fort: „Unsere persönliche Freiheit endet einzig, aber radikal, an unserm Herrn“ (Hervorhebung Schnabel). Die persönliche Freiheit endet auch an dem in der Heiligen Schrift von Gott seinem Volk offenbarten Willen. Michel 434. Gäckle, Die Starken, 403, mit Zitat Theobald, Erkenntnis, 498, das sich zu wiederholen lohnt: „Mit ihrer Idee, dass kulturelle Identität hier die jüdische Sozialisation römischer Christen, deren Wahrnehmung der Wirklichkeit zutiefst prägt, atmet die Unterscheidung nahezu neuzeitlichen Geist. In unserem Zusammenhang leistet sie zweierlei: Einerseits enttabuisiert sie die Wirklichkeit selbst, indem sie die Annahme scheinbar verbotener oder zu meidender Wirklichkeitsbezirke zurücknimmt; andererseits gibt sie die Möglichkeit frei, gegenüber den subjektiven Überzeugungen der Andersdenkenden den nötigen Respekt aufzubringen.“
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Sühnetod Jesu am Kreuz dem an den Messias Jesus glaubenden Sünder seine Gerechtigkeit verleiht (Röm 1,3-4.16-17). In 1Kor 3,9-17 nennt Paulus die Botschaft vom gekreuzigten Messias Jesus als das buchstäblich grund legende Kriterium für die Gemeindearbeit. Calvin schreibt zu Röm 14,1, man müsse darauf achten, „wer für die Erörterung welcher Fragen geeignet ist, und die Unterweisung ist jedem einzelnen gemäß seinem Bildungsstand anzupassen“.282 Herablassende Abqualifizierung der sog. Laien von Theologen, die zum Beispiel den Protest von Nichttheologen gegen moralisierende Predigten, die in jeder Sonntagsausgabe einer Tageszeitung stehen könnten, aber das Evangelium weder enthalten noch erklären, als uninformierte Meinung von „Dahergelaufenen“ ad acta legen wollen (so geschehen in einer Bezirkssynode in der Württembergischen Landeskirche), widerspricht nicht nur dem Gebot der Liebe (Röm 12,9.10; 13,8-10; 14,15), sondern, was viel gravierender ist, der Verpflichtung auf die Wahrheit des Erbarmens Gottes (Röm 12,1) im Heilshandeln Gottes durch den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus (vgl. Röm 15,8). Bei der Prüfung, welche Meinungen man stehen lassen kann, ist zwischen zentralen und weniger zentralen Fragen zu unterscheiden. Wenn Gemeindeglieder auf Fleisch verzichten, weil sie die Reinheitsgebote des atl. Gesetzes für weiterhin wichtig erachten, dann ist dies theologisch harmlos, solange sie keine Abstriche an der Heilswirkung des Sühnetodes Jesu machen, und ekklesiologisch tolerierbar, solange sie nicht von den anderen Gemeindeglieder verlangen, ebenfalls auf Fleisch zu verzichten. Bei gemeinsamen Mahlzeiten in der Gemeinde sollte man im Blick auf die praktische Frage der Menügestaltung leicht einen Kompromiss finden können. Schwerer wiegt z.B. die Überzeugung, die ethischen Normen der Schrift seien zeitgebundene Regeln, die keine allgemeingültige Qualität besitzen und durch die je aktuell möglichen und praktizierten Verhaltensweisen ersetzt werden können. Wenn Paulus in 1,21-22.28 von einem verfinsterten, törichten, unbrauchbaren Denken spricht, das er mit der Vertauschung von Geschöpf und Schöpfer im polytheistischen Götzendienst (1,23-25), mit der Vertauschung von Mann und Frau in homosexuellen Beziehungen (1,26-27) und mit einem sog. Lasterkatalog (1,29-31) dokumentiert, und in 12,1 die Jesusbekenner aufruft, sich nicht nach den Maßstäben der gegenwärtigen Welt zur richten, sondern sich durch die Erneuerung des Denkens verwandeln zu lassen, damit sie beurteilen können, was der Wille Gottes ist, dann ist mehr als deutlich, dass der Satz in 14,1, nicht über Meinungen zu streiten, nicht bedeutet, dass alle Meinungen gleich gültig sind. Gleichzeitig ist ———————————-————————
282
Calvin II 687.
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bei der Prüfung von Meinungen zu beachten, gerade und vor allem in hierarchisch verfassten Kirchen, dass Paulus in 14,1–15,13 zwar als Apostel schreibt, er aber alle Gruppen und alle Jesusbekenner in der Gemeinde anspricht und ihre Überzeugungen ernst nimmt. Der Satz „alles, was nicht aus Glauben getan wird, ist Sünde“ in 14,23 wurde von Calvin in vorbildlicher Weise erklärt:283 Gott rechnet ein Werk, das äußerlich noch so vortrefflich und vorzüglich erscheint, als Sünde an, wenn es nicht in dem guten Gewissen des Handelnden gründet, d.h. „dem inneren Gehorsam des Herzens“ – dem Glauben als fester Überzeugung des Herzens, als unerschütterliche Gewissheit, die nur aus der Wahrheit Gottes und das heißt, aus dem Wort Gottes kommen kann. „Dennoch ist es nicht einmal genug, sich durch Gottes Wort unser Tun bestätigen zu lassen, wenn wir uns nicht mit Herz und Sinnen in vollem Vertrauen auf diese Überzeugung fröhlich ans Werk machen. Dies also ist die Grundlage rechter Lebensführung (recte vivendi principium est), damit unser Denken und Wollen nicht gleich darauf wieder ins Wanken gerät, sondern sich, gestützt auf Gottes Wort, zuversichtlich aufmacht, wohin er uns ruft (Dei verbo innixos secure pergere quocunque vocat).“ Zum Abschluss des vierten Hauptteils (12,1–15,13), in dem Paulus das Leben der Gerechtfertigten behandelt, sollen die grundlegende Motivierung, die verpflichtende Normierung und die konkretisierende Orientierung der christlichen Ethik nach Paulus zusammenfassend dargestellt werden.284 1. Grundlegende Motivierung. Die Grundmotivationen paulinischer Ethik sind alle wesenhaft auf die Entfaltung von Gottes Heilshandeln bezogen, d.h. theologisch bzw. theozentrisch grundgelegt, oft unter einem christologischen und von daher soteriologischen Horizont. Dies wird in Röm 14,6-7; 15,8 deutlich, auch in 1Kor 6,20; 10,31. (a) Theologische Motivierung. Mit der Behandlung der Kontroverse um die Reinheitsgebote und das Sabbatgebot verbindet Paulus, theologisch grundlegend, den Appell an die Starken: „Denn das Königreich Gottes besteht nicht in Essen und Trinken, sondern in Gerechtigkeit und Frieden und Freude im Heiligen Geist“ (14,17). Gottes Heilshandeln im Messias Jesus, durch dessen Tod, Auferweckung und Erhöhung Gott seine Herrschaft über Juden und Heiden aufgerichtet hat, ist die Grundlage für die Lösung des Konflikts in der Gemeinde. Wenn Christen sich in Erinnerung rufen, dass Gott König ist und dass seine Herrschaft, die durch das Wirken ———————————-————————
283 284
Vgl. Calvin II 713 für das Folgende. Schnabel, Law and Wisdom,299-342; Schnabel, Ethik,63-81; Schnabel, Ethics, 267-297.
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seines Heiligen Geistes Wirklichkeit wird, auf Sünden vergebende Gerechtigkeit, Frieden und Freude konzentriert ist, werden sie wissen, wie sie sich zu verhalten haben, und sie werden einen Weg finden, Konflikte zu lösen. In 15,5 verweist Paulus, dem Satz in 14,17 entsprechend, auf Gott als „Gott der Geduld und des Trostes“, der die Jesusbekenner dazu bringt, untereinander einmütig zu sein. Die Wahrheit, die Wirklichkeit und das Wirken Gottes bilden die Grundlage christlichen Verhaltens, was der einleitende Appell in Röm 12,1 zeigt: „Ich ermahne euch nun, Brüder, angesichts der Erbarmungen Gottes eure Leiber als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen – das ist euer sprechender Gottesdienst.“ (b) Christologische Motivierung. Paulus verweist immer wieder auf den Messias Jesus als Grundlage und Motivation christlichen Handelns: Röm 6,1-23; 14,4-9.11.14; 15,3.5-8; vgl. 2Kor 5,14-15; Phil 2,5-11; Eph 5,25. Die christologische Motivation umfasst die Vergangenheit des Todes und der Auferstehung des Messias Jesus, die Gegenwart seiner Heil vermittelnden Herrschaft und die Zukunft seiner Wiederkunft. Paulus schreibt ganz offensichtlich dem Sühnetod Jesu, seiner Auferstehung und seiner Erhöhung Macht und Autorität zu, auch im Hinblick auf die ethische Dimension der christlichen Existenz. In 13,12-14 mahnt Paulus, die „Werke der Finsternis“ abzulegen und den Herrn, den Messias Jesus, anzuziehen. Jesusbekenner wissen: „Denn keiner von uns lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wenn wir also leben oder wenn wir sterben, wir gehören dem Herrn“ (Röm 14,7-8). (c) Heilsgeschichtliche Motivierung. Das Leben der Jesusbekenner spielt sich zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen des Messias Jesus ab, eine Zeit, für die die Spannung zwischen dem „schon“ und dem „noch nicht“ in Betracht zu ziehen ist. Die Dialektik zwischen dem Heil, das sich in und mit dem Messias Jesus ereignet hat und „Eigentum“ des Glaubenden ist, und dem Heil, das sich in der Zukunft des endzeitlichen Gerichts ereignen wird und erst dann in vollkommener Weise den Gläubigen gehört, ist die heilsgeschichtliche Grundlage und Begründung für die Dialektik zwischen dem Indikativ und dem Imperativ. Der alte Äon wurde durch das Heilshandeln Gottes im Messias Jesus zu Ende gebracht, aber (noch) nicht endgültig beseitigt. Der neue Äon hat bereits begonnen, hat aber noch nicht universale Fülle und Vollkommenheit erreicht. Deshalb steht Röm 12,2 am Anfang der ethischen Mahnung: „Richtet euch nicht nach den Maßstäben der gegenwärtigen Welt, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung eures Denkens, damit ihr beurteilen könnt, was der Wille Gottes ist:
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das Gute und das Wohlgefällige und das Vollkommene.“ Die Spannung zwischen dem „schon“ und dem „noch nicht“ ist auch in Gal 5,19-21; 1Thess 5,21; 1Kor 7,5; 10,23 u.a. wichtig. (d) Pneumatologische Motivierung. Der Heilige Geist ist die Gegenwart Gottes im Leben der an den Messias Jesus Glaubenden. Die Gabe des Geistes ist grundlegende, die christliche Existenz bestimmende und formende Macht als Kraft eines neuen Lebens. Der an Christus Glaubende wird durch den Geist erneuert. Der Geist Gottes versetzt ihn in die Lage, den Willen Gottes zu tun. Das Gesetz ist als „Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus“ (8,2) bestimmende Wirklichkeit im Leben der Jesusbekenner, da sie als vom Geist Bestimmte und von der Macht des Geistes Befähigte (8,5-10) die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllen (8,4) und die Machenschaften des Leibes töten (8,13). Die Königsherrschaft Gottes, die mit Gerechtigkeit, Frieden und Freude beschrieben wird, ist Wirklichkeit „im Heiligen Geist“ (14,17), eine Wirklichkeit in der Jesusbekenner dem Messias dienen und so Gott wohlgefällig sind (14,18). In Gal 5,13-26 beschreibt Paulus die Liebe als Frucht des Heiligen Geistes, der die Jesusbekenner leitet und befähigt, von den Werken des Fleisches abzulassen (Gal 5,19-21) und die Frucht des Geistes Wirklichkeit werden zu lassen: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal 5,2223). Die Wirklichkeit des Lebens im Geist wird von dem „schon und noch nicht“-Charakter der christlichen Existenz bestimmt, prägnant formuliert in dem Satz: „Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen“ (Gal 5,25, EÜ). (e) Ekklesiologische Motivierung. Die paulinische Ethik ist wesenhaft bezogen auf die Gemeinschaft der Glaubenden. Grundlegende Argumente für richtiges Verhalten sind das Verhalten anderer Gemeinden, die gegenseitige Verantwortung der Gläubigen und die Auferbauung der Gemeinde. In Röm 12,3-8 mahnt Paulus zur besonnenen Selbsteinschätzung im Blick auf die Funktion jedes einzelnen Jesusbekenners in der Gemeinde, die ein Leib ist, aber viele Glieder hat, denen allen Gott Aufgaben zugewiesen hat, die recht eingesetzt werden sollen. Die Mahnung, nach Einmütigkeit untereinander zu streben, ist mit der Mahnung verbunden, sich auf die Geringen einzustellen (12,16). Später mahnt Paulus, nach dem zu streben, „was dem Frieden und der gegenseitigen Auferbauung dient“ (14,19), und den schwachen Bruder nicht zu verachten, damit das Werk Gottes nicht zerstört wird (14,20). Ziel christlichen Handelns innerhalb der Gemeinde ist es, untereinander einmütig zu sein und Gott, den Vater unseres Herrn Jesus, mit einem Mund zu loben und zu verherrlichen (15,5-6). Die ekklesiologische Grundmotivation wird auch in 1Kor 8–11; Phil 2,2; 4,2 u.a. deutlich.
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(f) Eschatologische Motivierung. Die Hoffnung der Jesusbekenner auf die zukünftige Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes hat Konsequenzen für das Verhalten in der Gegenwart. Der Hinweis auf das kommende Gericht warnt vor aller Sicherheit und bekräftigt die Verantwortung des Einzelnen. In Röm 13,11-14 verweist Paulus auf den näher gerückten Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu und der endgültigen, sichtbaren Rettung und mahnt in diesem Zusammenhang: „Lasst uns die Werke der Finsternis ablegen, lasst uns die Waffen des Lichts anlegen. Lasst uns einen einwandfreien Lebenswandel führen wie (es sich) am Tag (ziemt), nicht in Ess- und Trinkgelagen, nicht in sexueller Ausschweifung und Zügellosigkeit, nicht in Streit und Eifersucht“ (13,12-14). In 14,10-12 appelliert Paulus an die Schwachen und Starken, den Bruder nicht zu richten bzw. nicht zu verachten, mit der Erinnerung an die Tatsache, dass wir alle vor Gottes Richterstuhl stehen werden und jeder für sich selbst Gott Rechenschaft geben muss. Nicht selten spielt dabei der Gedanke des Lohnes eine Rolle. Vgl. 1Kor 3,11-14; 4,5; 9,24-25; 2Kor 5,9-10; Gal 6,7-10; Phil 3,4; 1Thess 5. 2. Verpflichtende Normierung. Paulus geht in der Begründung und Konkretisierung christlichen Verhaltens von bindenden Normen aus. Die Voraussetzung und Anwendung bindender Maßstäbe im Verhalten der an Christus Glaubenden ergibt sich schon aus Wendungen wie „es ist notwendig“, „es muss“; vgl. Röm 13,5-8; 1Kor 11,10; Gal 6,16; 1Thess 4,1-2. (a) Das Gesetz. Paulus betrachtet die Tora in und durch den Messias Jesus und seinen Sühnetod am Kreuz als erfüllt: Das Gesetz ist als conditio et via salutis außer Kraft gesetzt, bleibt aber als „Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus“ (Röm 8,2; Gal 6,2: „Gesetz des Messias“; 1Kor 7,19) Offenbarung von Gottes gültigem Willen (siehe den Exkurs bei 7,12). Nach Paulus hat Gottes Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus das mosaische Gesetz nicht annulliert, aber neu qualifiziert und deshalb inhaltlich modifiziert. Da der Tod Jesu die Sünden von Heiden und Juden sühnte und dem Sünder durch Identifikation mit diesem Tod im Glauben den Weg in den Heilsbereich Gottes hinein ebnete (3,20–5,21), war es unausweichlich, dass das Gesetz im Blick auf seine Geltung und Wirkung neu qualifiziert (Röm 8,1-4; Gal 6,2) und im Blick auf seinen Inhalt modifiziert wurde: Paulus stellt sich mit 15,1 auf die Seite der Starken, die überzeugt sind, dass die Reinheitsgebote und das Sabbatgebot nicht mehr eingehalten werden müssen. Ein wichtiger Hinweis auf die fortgesetzte Gültigkeit der atl. Schriften für das christliche Verhalten ist einmal der Satz, „alles, was zuvor geschrieben wurde, wurde zu unserer Belehrung geschrieben“ (15,4), zum anderen die Tatsache, dass Paulus auf selbstverständliche Weise in den ethi-
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schen Passagen seiner Briefe atl. Texte übernimmt. Das Liebesgebot ist – analog zu Lev 19,18 – der Inbegriff des Gesetzes, hebt aber die Gebote des Dekalogs nicht auf, von denen Paulus in Röm 13,8-10 das Verbot des Ehebruchs, des Mordens, des Stehlens und des Begehrens aufzählt und mit dem Zusatz „und welches Gebot es sonst gibt“ auf weitere Gebote verweist, die Jesusbekenner halten, wenn sie ihren Nächsten lieben. Siehe weiter 1Kor 5,13; 6,12-20; 2Kor 8,15; 9,9. Paulus behandelt an keiner Stelle explizit, wie und in welchem Ausmaß das mosaische Gesetz durch den Tod und die Auferstehung Jesu modifiziert wurde. Die Diskussion in Röm 14,1–15,13 zeigt jedoch, dass zumindest die kultischen Bestimmungen des Gesetzes berührt sind, die Reinheit und Heiligkeit regeln, einschließlich der Reinheits-, Speise- und Sabbatgebote, die Heiligkeit und Reinheit herstellen und die Grenzen des Volkes Gottes markieren: Sühnung, Heiligkeit und Reinheit und Zugehörigkeit zum eschatologischen Volk Gottes werden jetzt durch das Heilshandeln Gottes in Tod und Auferstehung Jesu erworben. (b) Die Worte Jesu. Für Paulus haben Worte Jesu verbindliche Autorität. Wo der Herr gesprochen hat, gibt es für die Gemeinde nichts mehr zu erwägen: Sie weiß, was sie zu tun hat. So explizit in 1Kor 7,10; 9,14; 11,2324; 1Thess 4,15. Der Satz „nichts ist an sich unrein“, mit dem Paulus seine Überzeugung in der Frage der Reinheitsgebote auf den Punkt bringt, ist wahrscheinlich Aufnahme von Jesustradition (Mk 7,15). (c) Weisungen der Apostel. Für Paulus sind apostolische Weisungen normativ. Er ist sich als Apostel Jesu Christi der Tatsache bewusst, dass er im Namen des Messias Jesus und im Namen Gottes spricht: Gott und Jesus Christus sind die wahren Urheber der apostolischen Verkündigung, zu der auch die ethische Ermahnung gehört. Paulus erwartet, dass die Jesusbekenner seinen Anweisungen Folge leisten werden. Deshalb kann er auch zur Nachahmung seines Vorbilds aufrufen. Vgl. Röm 14,21; 1Thess 2,13; 4,1; 2Kor 2,9; 1Kor 4,16-17; 11,1; Phil 4,9; 3,17. 3. Konkretisierende Orientierung. Der einzelne Gläubige ist für sein konkretes Verhalten im Alltagsleben persönlich verantwortlich. Diese Verantwortung hat zwei Aspekte: Der Glaubende hat den bindenden Normen christlichen Verhaltens zu entsprechen, und er hat den „Gehorsam des Glaubens“ (Röm 1,5) im Leben des Alltags konkret zu verwirklichen. Diese Verwirklichung christlicher Existenz wird von Kriterien bestimmt und geleitet. (a) Der Geist Gottes. Der Geist Gottes ist nicht nur Grundlage und die wirksame Macht der Gegenwart Gottes im Leben des Jesusbekenners, sondern auch ein Führer in das Wie christlichen Verhaltens. Die im Gläubigen präsente Kraft des Geistes überwindet die sündige Neigung des Fleisches,
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wenn der Gläubige sich von ihr führen lässt. Der Geist hilft dem Glaubenden, den Willen Gottes zu erkennen, das richtige Verhalten in spezifischen Situationen zu erfassen und damit den Anspruch Gottes im Alltagsleben zu verwirklichen. Vgl. Röm 8,4-13; Gal 5,16-17; Kol 1,9-10. (b) Die Liebe. Die in der Sendung des Sohnes offenbarte Liebe Gottes ist für den Gläubigen eine Wirklichkeit, der auch für die spezifische Realisierung des Willens Gottes im Alltag zentrale Bedeutung zukommt (Röm 12,9.10; 13,8-10; 14,15; 1Kor 13). Die Liebe, ermöglicht von Gottes Liebe zum Sünder und vorgelebt in der sich selbst opfernden Liebe des Messias Jesus, ist von entscheidender Bedeutung für die Bewältigung schwieriger oder auch nur neuer Situationen. Die authentische, ungeheuchelte Liebe des Jesusbekenners verleiht die Fähigkeit zur Prüfung der Dinge, auf die es ankommt, und führt zu Erkenntnis und Erfahrung in der immer wieder gestellten Frage, wie man sich in einer konkreten Situation verhalten soll. Vgl. 1Kor 3,18; 7,4-5.36-38; Phil 1,9-10. (c) Die bestehenden Ordnungen. Paulus ist überzeugt, dass Gottes Heilshandeln in Jesus Christus die von Gott geschaffene Welt wieder als Gottes Schöpfung erkennbar macht. Die Welt ist einerseits immer noch der von Gott abgefallene, von der Macht der Sünde beherrschte Bereich und kann deshalb nicht unbedacht Norm christlichen Verhaltens sein. Andererseits wurde und wird der Wille des Schöpfers von, durch und in Jesus Christus erfüllt: Er ist die Manifestation der Weisheit Gottes und der Mittler der Schöpfung. Deshalb gehört die Erde dem auferstandenen und erhöhten Herrn – deshalb ist für den an den Messias Jesus Glaubenden alles rein (Röm 14,14.20). Die Mahnung, sich im Dienst gegenüber dem Messias Jesus so zu verhalten, dass man Gott wohlgefällig ist „und anerkannt bei den Menschen“ (Röm 14,18), zeigt, dass der Respekt der nichtchristlichen Umwelt – zumindest was die verwirklichte Liebe und die Einheit in der Gemeinde betrifft – zu den Kriterien christlichen Verhaltens gehört: Christen sollen sich so verhalten, dass das Evangelium nicht bei Außenstehenden in Verruf gerät (Rom 14,16). Vgl. 1Kor 8,6; 10,26.32; 1Thess 4,12. Das bedeutet, dass es einen partiellen ethischen Konsens zwischen christlicher und nichtchristlicher Ethik gibt bzw. geben kann. Normen christlichen Verhaltens im Kontext der Schöpfung und im Kontext nichtchristlicher Ethik sind die Natur (mit Bezug auf Gottes ursprüngliche Ordnungen für die Schöpfung und auf geschichtliche Ordnungen wie Brauch und anerkannte Tradition), Ordnungen der Schöpfung wie Ehe, Staat und Arbeit, sowie Rücksichtnahme auf Konvention. Vgl. Röm 1,26; 13,1-7.13; 1Kor 7; 11,13; 13,5; 14,40; 1Thess 5,14; 2Thess 3,6-7.11. Gleichzeitig bedingt die Stellung
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des Gläubigen „im Herrn, dem Messias Jesus“ einen potenziellen und effektiven Vorbehalt gegenüber den Schöpfungs- und Gesellschaftsordnungen, vor allem auf dem Gebiet der Konventionen: Die Schöpfung ist eine gefallene Schöpfung. Paulus hat die Freiheit, Elemente der nichtchristlichen zeitgenössischen Ethik aufzunehmen. Diese traditionellen Ordnungen und Konventionen sind nicht eo ipso und auch nicht ständig identisch mit dem, was „angemessen“ ist. Der Prozess kritischer Auswahl und Sichtung gibt vielen traditionellen, gesellschaftlichen Werten und Verhaltensweisen einen neuen Sinn und verändert oft genug ihre Substanz. Wichtig ist hier wieder Röm 12,2, sowie 1Kor 10,32; 1Thess 5,15. (d) Die Vernunft. Paulus beruft sich für die Erkenntnis des Willens Gottes in den spezifischen Situationen des Alltags auch auf die kognitiven Fähigkeiten des Jesusbekenners. Der menschliche Verstand ist durch die Sünde unbrauchbar geworden, wird aber trotzdem als innere Instanz angesprochen, die zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. In der apostolischen Ermahnung geht es darum, dass der Jesusbekenner „in die richtige Erkenntnis gestellt“ wird (νουθετε' ω), weil die Erneuerung des Menschen in Christus und im Geist Gottes auch den νουñ ς umfaßt. Vgl. Röm 1,28; 7,2123; 8,5;14,5; 15,14; 12,2; 2Kor 10,5; Eph 4,17; Phil 1,9-10; 4,8-9; Kol 2,18. (e) Das Gewissen. Für Paulus ist das Gewissen die Instanz im Menschen, die nach vorgegebenen und anerkannten Normen das eigene oder (gelegentlich) das Verhalten anderer beurteilt und bewusst macht. Das Gewissen bezieht sich auf das Bewusstsein des Jesusbekenners, vor Gott schuldig oder schuldlos zu sein, d.h. richtige Entscheidungen getroffen, richtiges Verhalten an den Tag gelegt zu haben. Das Gewissen wird von der Liebe zum Bruder gelenkt und damit vom Glauben gesteuert. Vgl. Röm 13,5; 14,10,22-23; 1Kor 8,7-8; 10,25-27; 2Kor 5,10. (f) Die missionarische Sendung. Eine an manchen Stellen implizierte Motivierung ist die missionarische Wirksamkeit der Gemeinde. Wenn die Gemeinden Roms in Verruf geraten (Röm 14,16), dann schadet dies nicht nur den römischen Gemeinden selbst, sondern auch der Missionsarbeit der Gemeinde. Siehe auch 1Kor 10,21; 1Thess 4,12; Phil 1,27; vgl. 1Tim 2,2. Das paradoxe Beieinander von verpflichtenden Normen und Kriterien individueller Verantwortung, von Gesetz und Geist, von Gehorsam und Liebe, von Gottes Wille und von der Freiheit des Christenmenschen gibt im Kontext der atl.-jüdischen Korrelation von Gesetz und Weisheit einen zusammenhängenden Sinn. Auch die von Gottes Heilshandeln im Messias Jesus Erfassten stehen unter dem Anspruch des heiligen Willens Gottes, leben
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jedoch gleichzeitig als vom Geist in die Freiheit der Kinder Gottes Geführte. Gesetz und Geist, Gebot und Liebe, Gehorsam und Verantwortung sind keine Gegensätze. Christliche Ethik ist für Paulus weder legalistisch motiviert, noch antinomistisch praktiziert, noch situationsethisch privatisiert. Gottes Heilshandeln in Jesus Christus schenkt den Glaubenden Gerechtigkeit und Heiligkeit, den Geist und die Liebe: Die Glaubenden antworten mit einem Leben nach Gottes Gebot, konkretisiert in der Kraft des Geistes und mit der Liebe Christi, in Verantwortung gegenüber dem Bruder und der Welt, mit dem Ziel der Verherrlichung Gottes.
Schluss 15,14–16,27 Paulus hat in vier großen Teilen das Evangelium von Jesus erklärt, dem messianischen Sohn Gottes, durch dessen Leben, Tod, Auferweckung und Erhöhung der heilige Gott Israels den Sündern aus den Juden und Heiden Heil schaffende Gerechtigkeit gewährt (1,3-4.16-17). Im ersten Teil (1,18– 5,21) erläuterte Paulus die Rechtfertigung der Sünder durch den Messias Jesus auf der Grundlage einer Behandlung der Sünde der Heiden (1,18-32) und der Juden (2,1–3,20): Gott hat im Sühnetod des Messias Jesus, abseits vom Gesetz, seine Heil schaffende Gerechtigkeit geoffenbart (3,21-31) und analog der Rechtfertigung Abrahams Gottlose gerechtfertigt (4,1-25), die durch das Geschenk der Gnade Gottes Frieden mit Gott und die gewisse Hoffnung auf die zukünftige Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes haben (5,111), weil sie durch den Anschluss an den Messias Jesus an Gottes Rettungsaktion beteiligt sind, durch die Gott das Problem der seit Adam in der Welt Macht ausübenden Sünde gelöst hat (5,12-21). Im zweiten Teil (6,1–8,39) beschrieb Paulus zunächst die Wirklichkeit der Rechtfertigung der Sünder aus Juden und Heiden als neues Leben in wirklicher Gerechtigkeit (6,1-23) durch den Tod und die Auferstehung Jesu (6,1-14), ein neues Leben in Freiheit von der Macht der Sünde und im Gehorsam gegenüber Gottes Willen (6,15-23). Es folgte eine ausführliche Beschreibung des Wechsels vom Sein im Fleisch zum Sein im Geist (7,1–8,17), der als Herrschaftswechsel zu verstehen ist (7,1-6), in dem die Vergangenheit der Existenz unter dem Gesetz der Sünde und des Todes (7,7-25) abgelöst wird von der Gegenwart des neuen Lebens im Gesetz des Geistes des Lebens (8,1-17). Jesusbekenner leben in der Hoffnung inmitten von Leiden (8,18-30) und sind infolge ihres Anschlusses an Gottes Heilshandeln ihres Heils völlig gewiss (8,31-39). Im dritten Teil (9,1–11,36) behandelte Paulus die Realität der Rechtfertigung in der Geschichte Israels nach seiner einleitenden Fürbitte für Israel (9,1-5) in
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drei Schritten. Gott offenbarte seine Gerechtigkeit in Israel (9,6-29) von Anfang an als freie Erwählung (9,6-13) und als freies Erbarmen (9,14-29), die beide weder durch biologische Abstammung noch durch besondere Leistungen motiviert waren. Der Unglaube Israels erklärt sich durch Israels Widerstand gegen Gottes Heil schaffende Gerechtigkeit (9,30–10,21): Das jüdische Volk ist an dem Evangelium vom Messias Jesus als Stein des Anstoßes gescheitert (9,30-33), hat Gottes Gerechtigkeit als Ziel des Gesetzes verpasst (10,1-13) und hat deshalb im Blick auf seinen Unglauben keine Entschuldigung (10,14-21). Die Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes bewirkt dennoch die Errettung Israels (11,1-32): Gott hat in Israel einen Rest erwählt, d.h., es gibt Juden, die das messianische Heil ergriffen haben (11,1-10); die Ablehnung des Evangeliums durch Israel ist Teil des Planes Gottes, nach dem jetzt die Heiden die Heilsbotschaft annehmen und das jüdische Volk zur Eifersucht reizen (11,11-24), sodass sich so Gottes Verheißungen erfüllen und Israel gerettet wird (11,25-32). Paulus beschließt diesen Teil mit einem Lobpreis von Gottes Gerechtigkeit (11,33-36). Der vierte Teil behandelt das Leben der Jesusbekenner (12,1–15,13) als Leben mit dem Charakter des heiligen Selbstopfers für Gott (12,1-2), begleitet und bereichert von den Gaben der Gnade Gottes (12,3-8), verpflichtet zur Nächstenliebe (12,9-21), zum richtigen Verhalten gegenüber den staatlichen Machthabern (13,1-7) und zur Liebe als Erfüllung der Gebote (13,8-10), motiviert durch die Wirklichkeit der bevorstehenden Wiederkunft Jesu (13,11-14). Schluss und Höhepunkt des vierten Teils ist die Behandlung der Kontroverse in den römischen Gemeinden im Blick auf die Geltung der Reinheitsgebote und des Sabbatgebots: Paulus mahnt die Schwachen, die Starken nicht zu richten, und vor allem die Starken, die Schwachen nicht zu verachten, sodass sie einmütig und gemeinsam Gott anbeten können, erfüllt von Gottes Freude und Frieden (14,1–15,13). Paulus beendet den Brief mit einem langen Schluss. Er erläutert zunächst seine Reisepläne, die ihn nach der bevorstehenden Reise nach Jerusalem nach Rom führen und von dort nach Spanien, einer neuen Missionsinitiative, für die er die Beteiligung der römischen Christen erhofft (15,1433). Dann empfiehlt er den Christen in Rom Phöbe, eine Jesusbekennerin aus Kenchreae, die offensichtlich den Brief nach Rom bringt und dort möglicherweise die Mission des Apostels koordiniert (16,1-2). Nach einer ausführlichen Grußliste (16,3-16) ermahnt er die römischen Gemeinden, gegenüber Irrlehrern wachsam zu sein (16,17-20), ehe er Grüße aus seinem Umfeld nach Rom übermittelt (16,21-23). Dann schließt er mit einer Doxologie, in der der allein weise Gott durch den Messias Jesus gepriesen wird (16,25-27).
Die Pläne des Apostels 15,14-33 809 ————————————————————————————————————
Die Pläne des Apostels 15,14-33 I 14 Ich bin jedoch selbst überzeugt, meine Brüder, auch im Blick auf euch, dass auch ihr voller Güte seid, erfüllt mit aller Erkenntnis und fähig, einander zu ermahnen. 15 Ich habe euch teilweise recht kühn geschrieben als einer, der kraft der mir von Gott verliehenen Gnade euch Bekanntes in Erinnerung zurückrufen will, 16 um ein Diener des Messias Jesus für die Heiden zu sein, der wie ein Priester das Evangelium Gottes ausrichtet, damit die Opfergabe der Heiden (Gott) wohlgefällig ist, geheiligt durch den Heiligen Geist. 17 So habe ich Grund, mich im Messias Jesus zu rühmen in Bezug auf das, was Gott angeht. 18 Denn ich werde nicht wagen, etwas zu sagen, was der Messias nicht durch mich gewirkt hat, um die Heiden zum Gehorsam zu führen durch Wort und Werk, 19 in der Kraft von Zeichen und Wundern, durch die Kraft des Geistes Gottes. So habe ich von Jerusalem aus im Bogen bis nach Illyrien überall das Evangelium vom Messias verkündigt, 20 und zwar so, dass ich meine Ehre darin gesucht habe, das Evangelium nicht dort zu verkündigen, wo der Name des Messias schon bekannt ist, damit ich nicht auf dem Fundament eines anderen baue, 21 sondern, wie geschrieben steht: Denen nicht von ihm verkündigt wurde, die sollen sehen, und die nicht gehört haben, die sollen verstehen. 22 Deshalb wurde ich auch oft gehindert, zu euch zu kommen. 23 Jetzt habe ich jedoch keinen Raum mehr in diesen Regionen, ich habe mich aber seit vielen Jahren danach gesehnt, zu euch zu kommen, 24 sobald ich nach Spanien reise – denn ich hoffe, euch auf der Durchreise zu sehen und von euch zur Weiterreise ausgestattet zu werden, nachdem ich mich an der Gemeinschaft mit euch zunächst einigermaßen gestärkt habe. 25 Jetzt aber reise ich nach Jerusalem, um den Heiligen zu dienen. 26 Makedonien und Achaia haben nämlich beschlossen, eine Gemeinschaftsaktion für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem zu organisieren. 27 Sie haben es beschlossen und sind auch ihre Schuldner. Denn wenn die Heiden an ihren geistlichen Gütern Anteil bekommen haben, dann stehen sie auch in ihrer Schuld, ihnen mit materiellen Gütern zu dienen. 28 Nachdem ich dies zum Abschluss gebracht und ihnen diesen Ertrag ordungsgemäß übergeben habe, will ich auf dem Weg über euch nach Spanien reisen. 29 Ich weiß aber, dass ich, wenn ich zu euch komme, in der Fülle des Segens des Messias kommen werde. 30 Ich ermahne euch aber, Brüder, durch unseren Herrn, den Messias
810 Römerbrief ————————————————————————————————————
Jesus und kraft der Liebe des Geistes, mit mir zu kämpfen in euren Gebeten für mich vor Gott, 31 dass ich gerettet werde vor den Ungehorsamen in Judäa und mein Dienst für Jerusalem von den Heiligen gut aufgenommen wird, 32 damit ich dann mit Freude durch Gottes Willen zu euch kommen und mich bei euch ausruhen kann. 33 Der Gott des Friedens aber sei mit euch allen. Amen. II Von der Hoffnung, die Jesusbekenner infolge des Heilshandelns Gottes im Messias Jesus haben und die durch die Gegenwart des Geistes Gottes Wirklichkeit ist und bleibt (V. 13), leitet Paulus über zu einem Bericht über seine Reisepläne, in denen die stadtrömischen Christen eine wichtige Rolle spielen sollen. Die direkte Anrede mit „meine Brüder“ in V. 14 markiert den Neueinsatz, der Segenswunsch in V. 33 den Abschluss des Abschnitts. Paulus knüpft an die in 1,8-15 gemachten Auskünfte über seine schon lange gehegten Pläne an, Rom zu besuchen.1 Er betont, dass er einen recht kühnen Brief geschrieben hat, weil er als Diener des Messias Jesus berufen ist, den Heiden das Evangelium zu verkündigen und weil er in den östlichen Regionen des Mittelmeerraums keinen Raum mehr hat für missionarische Pionierarbeit, in deren Rahmen er nur dort evangelisieren will, wo das Evangelium noch nicht verkündigt wurde, eine missionarische Strategie, die atl. Verheißungen erfüllt. Paulus will bald nach Rom kommen und von dort nach Spanien weiterreisen, muss aber zuerst nach Jerusalem, um das von den Gemeinden Makedoniens und Achaias gesammelte Geld für die armen Christen in Jerusalem zu überbringen. Die Reise nach Rom wird erst möglich sein, wenn er diese Aufgabe bewältigt hat. Paulus weiß, dass die Jerusalemreise schwierig ist und bittet deshalb, dass die römischen Christen ihn in ihren Gebeten unterstützen. Paulus schließt den Abschnitt mit einem Segenswunsch für die Jesusbekenner in Rom. Der Text gliedert sich in zwei größere Abschnitte. 1. Darstellung der Berufung zum Heidenmissionar und der missionarischen Strategie des Apostels (V. 14-21). (a) Der Zusammenhang zwischen dem Brief an die Christen in Rom und dem Missionsauftrag des Apostels (V. 14-16). (b) Die Missionsstrategie von Paulus (V. 17-21). 2. Bericht über die Reisepläne und Bitte um Mitarbeit in der Missionsarbeit (V. 22-33). (a) Pläne für die unmittelbare Zukunft und geplante Missionsarbeit (V. 22-29): Pläne zum Besuch in Rom ————————————————————
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Michel bezeichnet 1,8-17 und 15,14-33 als Klammer des Röm und verweist auf die parallelen Aussagen: Plan eines Besuchs in Rom (1,10; 15,22-24.28-29.32), apostolische Aufgabe in Rom (1,14-15; 15,15-16), Weitergabe von Gnade/Segen (1,11-13; 15,29).
Die Pläne des Apostels 15,14-33 811 ————————————————————————————————————
und zur Weiterreise nach Spanien (V. 22-24); Plan zum Besuch Jerusalems anlässlich der Kollekte für die armen Christen (V. 25-28a); Rekapitulation der Reisepläne (V. 28b-29). (b) Bitte um Unterstützung der Reise nach Jerusalem durch Gebet (V. 30-32). (c) Segenswunsch (V. 33). Textkritische Anmerkungen. Die Auslassung des Personalpronomens μου in V. 1 (d46 D* F G 1739 1881), das in אA B C D1 L P Ψ 33 81 104 365 1175 1241 1505 1506 Byz m vg sy gut bezeugt ist, ist vielleicht mit dem Versuch zu erklären, die Formulierung zu generalisieren und den Eindruck einer besonderen Beziehung zwischen Rom und Paulus zu eliminieren.2 Die Auslassung von και` αυ� τοι' (d46 D F G it) hat wohl dieselben Gründe. Für das gut bezeugte α� γαθωσυ' νης gibt es die Varianten α� γα' πης (F G latt) und α� γιωσυ' νης (629), die ganz sicher sekundär sind. Die Auslassung des Artikels τηñ ς vor γνω' σεως in d46 A C D F G L 33 81 104 365 630 1175 1241 1505 Byz ist breit bezeugt, die frühe Bezeugung des Artikels ( אB P Ψ 6 1506 1739 1881) ist stärker und wohl die ursprüngliche Lesart.3 Die Lesart α» λλους (33 Byz syp) generalisiert den Hinweis auf Ermahnung, zu der die römischen Christen fähig sind, und verstärkt die Autorität der römischen Gemeinde;4 α� λλη' λους ist in d46 אA B C D F G P Ψ 630 1175 u.a. latt syp hervorragend bezeugt. In V. 15 ist das Adj. τολμηρο' τερον in d46 אC D F G Ψ 33 1739 1881 Byz gut bezeugt und gegenüber dem Adv. τολμηρο' τερως (A B 629 1506) vorzuziehen. Die Plus-Lesart α� δελφοι' nach υ� μιñν (d46 א2 D F G L P Ψ 33 104 365 1175 u.a. Byz lat sy) ist wahrscheinlich das Resultat liturgischer Lesung des Röm im Gottesdienst; die Minus-Lesart ( *אA B C 81 630 1739 1881) ist vorzuziehen.5 Die Lesart α� πο' vor τουñ θεουñ in *אB F ist gut bezeugt, aber angesichts der Tendenz der Koine, υ� πο' durch α� πο' zu ersetzen, gegenüber dem gut bezeugten υ� πο' (d46 א2 A C D G L P Ψ 33 1739 1881 u.a. Byz) eher sekundär.6 In V. 16 ist die Lesart δια' (d46) statt ει'ς wahrscheinlich ein Schreibfehler, ebenso die Auslassung von ει� ς τα` ε» θνη (B). Der Aor. Passiv γενηθη,' (B 1881*) statt des hervorragend bezeugten Aor. Konj. γε' νηται trägt die Annahme der Kollekte in den Text ein. Die Auslassung von ευ� προ' σδεκτος in F G ist sekundär. In V. 17 ist ε» χω ουò ν τη` ν καυ' χησιν (B C D F G 81 365) gut bezeugt und gegenüber den Lesarten η� ν ————————————————————
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Jewett 900. Cranfield II 753 Anm. 2 zieht die Plus-Lesart vor, mit Verweis auf 1Kor 1,5, vgl. Wilckens III 117 Anm. 564; Jewett 900 bevorzugt die Minus-Lesart als schwierigere und kürzere Lesart, was auch dann nicht zwingend ist, wenn man die Bedeutung mit bzw. ohne den Artikel presst. Jewett 900. Zahn 596 Anm. 24 argumentiert für die Ursprünglichkeit von α» λλους. Metzger, Textual Commentary, 473; Jewett 900 gegen Aasgaard, Brothers, 317-318. Jewett 901 gegen Cranfield II 754 Anm. 3.
812 Römerbrief ————————————————————————————————————
ε» χω καυ' χησιν (d46) und ε» χω ουò ν καυ' χησιν ( אA L P Ψ 33 104 630 1175 u.a. Byz) als schwierigere Lesart vorzuziehen. Die Auslassung von � Ιησουñ in d46 323* ist nur minimal bezeugt. In V. 18 ist τολμη' σω τι λαλειñν wegen seiner frühen und breiten Bezeugung ursprünglich ( *אA C P 81 365 629 630 1506 1739 lat), gegenüber den Lesarten τολμη' σω λαλειñν τι (L Ψ 33 104 1175 1241 Byz), τι τολμη' σω λαλειñν (d46), τολμη' σω τι ει� πειñν (D F G), τολμη' σω τι λαληñ σαι (1881), τολμη' σω λαληñ σαι τι (1505), τολμω ñ τι λαλεινñ (א2 B); das 7 Fut. τολμη' σω ist die schwierigere Lesart. Die Hinzufügung von λο' γων (B) nach δι’ ε� μουñ will wohl aus theologischen Gründen konkretisieren (Jesus wirkt durch die Worte des Apostels); die Lesart α� κοη' ν statt υ� πακοη' ν hängt mit der vorausgehenden Lesart zusammen und ist sekundär. In V. 19 ist die Plus-Lesart αυ� τουñ nach δυνα' μει (d46 D*.c F G) mit dem wohlgemeinten Hinweis auf Jesus als klärender Zusatz sicher sekundär. Die Hinzufügung von τε nach σημει'ων (d46) ist offensichtlich der Versuch einer stilistischen Verbesserung. Die Auslassung von θεουñ in B, der frühere Ausgaben von NA folgten,8 ist gegenüber der Plus-Lesart πνευ' ματος θεουñ (d46 אD1 L P Ψ 1175 1241 1505 Byz b sy) zu schmal bezeugt;9 die Lesart πνευ' ματος α� γι'ου (A D*.2 F G 33 81 104 365 u.a. lat syhmg co) ist weniger früh bezeugt. Die Lesart πεπληρω ñ σθαι α� πο` � Ιερουσαλη` μ με' χρι τουñ � Ιλλυρικουñ και` κυ' κλω, („zu vollenden von Jerusalem bis Illyrien und im Bogen“) in D F G will offenkundig einen größeren Wirkungskreis der paulinischen Mission beschreiben. In V. 20 ist das neutr. Ptz. φιλοτιμου' μενον ( אA C D1 L P Ψ 33 81 104 u.a. Byz syh) gegenüber der Verbalform φιλοτιμουñ μαι (d46 B D* F G syp) als schwierigere Lesart vorzuziehen.10 In V. 21 ist die Stellung von ο» ψονται unklar: In B steht es am Anfang der ersten Zeile des Zitats, in d46 אA C D F G L P Ψ 33 81 104 365 630 u.a. Byz latt sy am Ende; die Lesart von B ist zwar die schwierigere Lesart, aber infolge der singulären Bezeugung als sekundär zu betrachten.11 In V. 22 ist τα` πολλα' in אA C L P Ψ 33 81 104 365 630 1775 1881 u.a. Byz gegenüber πολλα' κις (d46 B D F G) ursprünglich; πολλα' κις ist Angleichung an 1,13 (ähnliche Aussage). In V. 23 ist das Ptz. ε» χων gegenüber der finiten Form ε» χω (D* F G 614 it) besser bezeugt. Das hervorragend bezeugte πολλω ñ ν (d46 אA D [F] G L Ψ 33 104 630 1241 ————————————————————
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Cranfield II 757 Anm. 5; Jewett 901. Vgl. Zahn 599 Anm. 32; Cranfield II 758 Anm. 5; Michel 459 Anm. 21; Käsemann 380; Jewett 901-902. Vgl. NA22-25. Metzger, Textual Commentary, 473; Wilckens III 119 Anm. 579. In NA26-28 in Klammern. Dunn II 856 bleibt unentschieden. Zahn 600 Anm. 34; Wilckens III 120 Anm. 590. Mit NA26-28; Wilckens III 121 Anm. 592 (die B-Lesart ist einfacher Fehler eines Kopisten). Gegen Cranfield II 765 Anm. 1; Dunn II 856; Jewett 902, die die Mehrheits-Lesart als Assimilierung an LXX betrachten; vgl. NA22-25.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 813 ————————————————————————————————————
1505 1739 Byz) verdient gegenüber ι�κανω ñ ν („genügend, viele“) (B C P 81 326 365 1175 1506) den Vorzug.12 In V. 24 ist die Plus-Lesart ε� λευ' σομαι προ` ς υ� μαñ ς („ich werde zu euch kommen“) (א2 L 33 104 365 630 1175 1241 1505 Byz syh) eine sekundäre Klärung des möglichen Missverständnisses, die römische Gemeinde sei in Spanien;13 die Minus-Lesart ist in d46 *אA B C D F G P Ψ 81 1506 1739 1881 latt syp hervorragend bezeugt. Die Lesart πορευο' μενος (d46 A 630 1506 1739 1881) statt διαπορευο' μενος ist wahrscheinlich von πορευ' ωμαι in 15,24 beeinflusst. Die Lesart α� πο' /α� φ’ in d46 B D F G 629 63014 ist gegenüber υ� φ’ (υ� πο' ) sekundär.15 In V. 25 ist das Ptz. Präsens διακονω ñ ν die schwierigere Lesart und ursprünglich, im Gegensatz zum Aorist Inf. διακονηñ σαι (d46 D F G latt) und dem Ptz. διακονη' σων ()*א. In V. 26 ist der Plural ευ� δο' κησαν früh und breit bezeugt und wahrscheinlich gegenüber der Singularform ευ� δο' κησεν (d46 B 1241) vorzuziehen;16 der Plural Μακεδο' νες („die Makedonier“) (F G it syp) ist erst spät bezeugt. In V. 27 wird ευ� δο' κησαν (d118vid אA B C L P Ψ 33 81 104 365 630 1175 u.a. Byz ar vg sy co) in d46 D F G it durch ο� φειλε' ται γα' ρ ersetzt (ausgelassen in D), was als Versuch einer stilitischen Verbesserung (vgl. ευ� δο' κησαν schon am Anfang von V. 26) als sekundär zu bewerten ist. In V. 28 ist die Hinzufügung von α» ρα nach ουò ν in F G eine sekundäre Verbesserung. Die Auslassung von αυ� τοιñς ist mit d46 B vgmss früh, die Plus-Lesart ist jedoch stärker bezeugt und als ursprünglich zu bewerten.17 V. 29 ist die Lesart γινω' σκω γα' ρ (F G) statt οιòδα δε' spät und schmal bezeugt, ebenso πληροφορι'α (D F G) statt πληρω' ματι; beide Lesarten wollen vielleicht die Möglichkeit einer ungewissen Aufnahme des Apostels in Rom beseitigen.18 Die Plus-Lesart τουñ ευ� αγγελι'ου τουñ Χριστουñ (א2 L Ψ 33 104 365 1175 1241 1505 Byz vgcl sy) ist erst relativ spät bezeugt und ergänzt theologisch; die Minus-Lesart (d46 *אA B C D F G P 6 81 629 630 1506 1739 1881 lat co) ist ursprünglich. In V. 30 ist die Auslassung von α� δελφοι' in d46 B früh und gut bezeugt, aber nicht so breit wie die Plus-Lesart ( אA C D F G L P Ψ 33 81 104 365 630 1175 1241 1505 1506 1739 1881 Byz lat sy co), die wohl ————————————————————
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Metzger, Textual Commentary (1. Aufl.), 537; Jewett 918; so NA26-28; gegen Cranfield II 768 Anm. 2 (πολλω ñ ν ist stilistische Verbesserung), mit NA24-25. Jewett 918. Bevorzugt von Jewett 918, mit Hinweis auf den logistischen Aufwand für eine Spanienmission, der, wenn er recht hat, α� φ’ zur leichteren Lesart macht. Vgl. NA26-28. Cranfield II 769 Anm. 4. Vgl. V. 15 zur Variante α� πο' . NA26-28 liest υ� φ’. Jewett 919 bevorzugt den Sing. ευ� δο' κησεν als die schwierigere Lesart. Gegen Jewett 919, der auf die Zuverlässigkeit von B verweist und die Annahme von Cranfield II 774 Anm. 3, bei der Auslassung handle es sich um einen zufälligen Schreibfehler, mit dem Kommentar „lame“ ablehnt, obwohl er öfter genauso argumentiert. Jewett 919.
814 Römerbrief ————————————————————————————————————
ursprünglich ist.19 Die Plus-Lesart ο� νο' ματος τουñ κυρι'ου (L 1881) ist sekundär, genauso wie die Lesarten υ� μω ñ ν (F G) und υ� μω ñ ν υ� πε` ρ ε� μουñ (D vgcl) statt υ� πε` ρ ε� μουñ . In V. 31 ist die Hinzufügung von «ινα nach και' in א2 D2 L Ψ 33 365 1175 1241 1505 Byz eine sekundäre stilistische Verbesserung. Die Lesart δωροφορι'α („Überbringung einer Gabe“) in B D* F G it statt διακονι'α (d46 אA C D2 L P Ψ 33 81 104 365 630 1175 1739 1881 u.a. Byz vgmss sy co) ist früh, aber relativ schmal bezeugt, betont die Unabhängigkeit des Apostels Paulus von Jerusalem und ist deshalb sekundär. Die Lesart ε� ν (B D* F G 1505) statt ει�ς (d46 אA C D1 L P Ψ 33 81 104 365 630 1175 u.a. Byz) ist entsprechend der vorausgehenden Lesart zu behandeln. In V. 32 gibt es mehrere Lesarten zu ε� ν χαραñ, ε� λθω' ν (A C 6 33 81 365 630 1505 1506 1739 1881) – ε� λθω` ν ε� ν χαραñ, ()*א, ε� ν χαραñ, ε» λθω (d46 א2 B D F G L P Ψ 104 1775 1241 Byz) –, die stilistisch verbessern wollen. Statt θεουñ (d46 א2 Α C D2 L P Ψ 33 81 104 365 630 1175 1241 Byz vg sy), das gut bezeugt ist und den Vorzug verdient, gibt es die Plus-Lesarten κυρι'ου � Ιησουñ (B), Χριστουñ � Ιησουñ (D* F G it) und � Ιησουñ Χριστουñ ()*א. Die früh und gut bezeugte Lesart συναναπαυ' σωμαι υ� μιñν (d118vid *אA C 6 81 365 1505 1739) wird in zumeist späteren Manuskripten ersetzt durch και` συναναπαυ' σωμαι υ� μιñν (א2 L P Ψ 33 104 1175 1241 Byz), α� ναπαυ' σομαι υ� μιñν (1881), συναναπαυ' σομαι υ� μιñν (1881c), και` α� ναψυ' ξω μεθ’ υ� μω ñ ν (D G), και` α� ναψυ' χω μεθ’ υ� μω ñ ν (F). Die Auslassung der Wendung in d46 B ist vielleicht durch das Anliegen zu erklären, ein seltenes Wort zu vermeiden.20 In V. 33 ist die Auslassung von α� μη' ν in d46 A F G 630 1739 1881 weniger gut bezeugt als die Plus-Lesart (d118vid אB C D L P Ψ 33 81 104 365 1175 1241 u.a. Byz lat sy co).21 III
14 Paulus leitet mit der direkten, herzlichen Anrede meine Brüder (α� δελ-
φοι' μου [adelphoi mou]; s. zu 1,13) den Schluss seines langen Briefes an die Christen in Rom ein. Eingeleitet mit der Wendung ich bin jedoch selbst überzeugt (πε' πεισμαι … και` αυ� το` ς ε� γω' [pepeismai kai autos egō])22 betont ————————————————————
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In NA26-28 in Klammern gedruckt. Zuntz, Text, 175 hält die Minus-Lesart für ursprünglich; Cranfield II 775-776 Anm. 6; Jewett 919; Aasgaard, Brothers, 311-313 (d46 B haben die Tendenz, α� δελφοι' auszulassen). Cranfield II 779 Anm. 1; Jewett 920; Metzger, Textual Commentary, 474 erklärt die Auslassung in d46 als Transkriptionsfehler (ΘΕΛΗΜΑΤΟΣΘΕΟΥ > ΟΔΕΘΕΟΣ V. 33). Die Auslassung ist allerdings schwer zu erklären, vgl. Metzger, Textual Commentary, 475, der das Wort in Klammern drucken will, ein Rat, dem NA26-28 jedoch nicht gefolgt sind. Für ein ursprüngliches α� μη' ν votieren Zahn 603; Michel 469; Dunn II 871; Cranfield II 779; Jewett 920; dagegen Schlier 439 Anm. 25 (liturgisch). Paulus verwendet das Perf. Pass. πε' πεισμαι in der Bedeutung „überzeugt sein, gewiss sein“ auch in Röm 8,38; 14,14; Bauer/Aland s.v. πει' θω 4. Die Wendung πε' πεισμαι … και`
Die Pläne des Apostels 15,14-33 815 ————————————————————————————————————
Paulus, dass er die geistliche Selbstständigkeit der römischen Christen respektiert, besonders wichtig nach dem mahnenden Abschnitt 14,1–5,13, der immerhin an eine Gemeinde gerichtet ist, die er nicht selbst gegründet hat. Er beschreibt ihre geistliche Kompetenz mit drei Formulierungen. Sie sind voller Güte (μεστοι` α� γαθωσυ' νης [mestoi agathōsynēs]), d.h., sie sind rechtschaffen.23 Nach Gal 5,22 gehört α� γαθωσυ' νη zur Frucht des Geistes. Sie sind erfüllt mit aller Erkenntnis (πεπληρωμε' νοι πα' σης τηñ ς γνω' σεως [peplērōmenoi pasēs tēs gnōseōs]), d.h., sie haben den Inhalt des Evangeliums erkannt, sie haben den Glauben an Gott und seine Heil schaffende Offenbarung im Messias Jesus verstanden. Sie sind fähig, einander zu ermahnen (δυνα' μενοι και` α� λλη' λους νουθετειñν [dynamenoi kai allēlous nouthetein]), gerade deshalb, weil sie die der Heilsoffenbarung Gottes entsprechende und von Gott gewährte Güte/Rechtschaffenheit genauso in reichem Maße haben wie die Erkenntnis des Evangeliums. Das Verb νουθετε' ω [noutheteō] bedeutet „ermahnen, warnen, zurechtweisen“.24 Paulus verwendet das Verb in Röm 15,14; 1Kor 4,14; Kol 1,28; 3,16; 1Thess 5,12.14; 2Thess 3,15 (sonst im NT noch in Apg 20,31), das Subst. νουθεσι' α in 1Kor 10,11; Eph 6,4. Behm beschreibt διδα' σκειν als Einwirken auf den Intellekt und νουθετειñν als Einwirkung auf Willen und Gemüt des Menschen im Sinn der Überwindung eines Widerstandes. Stadelmann unterscheidet den „erzieherischen Aspekt des Unterweisens in rechtem Verhalten und rechter Lehre“ (1Thess 5,12; Eph 6,4; sowie 1Kor 4,14 und Röm 15,14), den „seelsorgerlichen Aspekt des Ermahnens angesichts falschen Verhaltens“ (1Thess 5,14; 2Thess 3,15; Tit 3,10; Kol 1,28; 3,16), und den „seelsorgerlich-disziplinarischen Aspekt des Warnens“ (1Kor 10,11; Apg 20,31; vielleicht 1Thess 5,14). Wie stark die angesprochene Ermahnung gemeint ist, entscheidet sich, auch in den Papyri, am Kontext, „denn es wird sowohl in Briefen mit eher besänftigendem Ton als auch in sehr scharfen und fordernden Texten verwendet“.25 Der „Beiklang des Liebevollen“26 steckt nicht im Verb, sondern ergibt sich aus dem jeweiligen ————————————————————
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αυ� το` ς ε� γω' korrespondiert και` αυ� τοι' : Paulus selbst ist überzeugt, dass die römischen Jesusbekenner selbst voller Güte sind; Michel 455; Wilckens III 117. Zu μεστοι' s. 1,29, dem einzigen weiteren Beleg bei Paulus (Bauer/Aland s.v. μεστο' ς 2a, übertragen mit Genitiv, von Personen: „erfüllt von etw.“ W. Grundmann, α� γαθωσυ' νη, ThWNT I, 17: Das Wort bezeichnet „die Qualität, die ein Mensch hat, der α� γαθο' ς ist, und zwar sowohl die sittliche Trefflichkeit wie die Güte“; vgl. J. Baumgarten, EWNT I, 16-17; J. Baumgarten, EWNT I, 16: „gute Gesinnung“; E. Beyreuther / R. Heiligenthal, ThBLNT I, 855: In Röm 15,14 bezeichnet das Wort das gute, treffliche Verhalten; Michel 455: „eine Rechtschaffenheit, die der Offenbarung Gottes entspricht“; Käsemann 377: „die Rechtschaffenheit …, die sich im Gegensatz zur Bosheit in gegenseitiger Aufgeschlossenheit äußert“. Bei Paulus neben Röm 15,14 in Gal 5,22; Eph 5,9; 2Thess 1,11. J. Behm, νουθετε' ω κτλ., ThWNT IV, 1013-1016; H. Stadelmann, ThBLNT I, 380-381. Die folgenden Bemerkungen bei Behm, ebd. 1013 sowie Stadelmann, ebd. 381. F. Winter, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 185-186; vgl. P.Polit.Iud. 2,5-11; P.Brem. 61,29-32; PSI XIII 1334,16-18; SB III 6263,26-28. Lindemann, Korintherbrief, 113 (zu 1Kor 4,14), mit Verweis auf Plato, Leg 8,845b, der im Blick auf Strafaktionen zwischen Sklaven und Freien unterscheidet – der Sklave soll
816 Römerbrief ———————————————————————————————————— Kontext des Ermahnens. Paulus formuliert in Röm 15,14 allgemein, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass er im Blick auf den Konflikt zwischen den Starken und den Schwachen (14,1–15,13) implizit betont, dass die Gemeinde auch von sich aus die mit diesem Konflikt verbundenen Schwierigkeiten lösen kann.
Die anerkennende Betonung der geistlichen Rechtschaffenheit, der theologischen Erkenntnis und der seelsorgerlichen Kompetenz kann als captatio benevolentiae bezeichnet werden, die dann aber nicht pädagogische Höflichkeit oder rhetorisch wirkungsvolles Charmieren transportiert,27 sondern apostolische Bescheidenheit und ehrliche Zuwendung signalisiert.28 15 Angesichts der geistlichen, theologischen und seelsorgerlichen Kompetenz der römischen Gemeinden stellt sich die Frage, weshalb Paulus den langen Römerbrief geschrieben hat. Paulus ist sich dieser Frage offensichtlich bewusst, wenn er schreibt: Ich habe euch teilweise recht kühn geschrieben. Paulus bekommt nicht nachträglich Angst vor der eigenen Courage, mit der er an die römischen Christen geschrieben hat, sondern will wohl sagen, dass es angesichts der geistlichen und theologischen Reife der Gemeinden Roms in der Tat „recht kühn“ (τολμηρο' τερον [tolmēroteron], Komparativ)29 ist, einen so ausführlichen, theologisch gewichtigen und in die Kontroverse zwischen den Starken und Schwachen eingreifenden Brief zu schreiben. Die Wendung α� πο` με' ρους ([apo merous], „teilweise“) qualifiziert nicht die Kühnheit, sondern einzelne Teile bzw. Aussagen des Briefs.30 Paulus kommentiert sein Engagement als Briefschreiber mit der Bemerkung, dass er kraft der mir von Gott verliehenen Gnade schreibt. Er verweist zurück auf 1,5, wo er mit der Wendung „Gnade und Apostelamt“ (χα' ρις και` α� ποστολη' ) seine Berufung zum Apostel als Erweis der Gnade Gottes beschrieben hatte, als unverdiente Gunst Gottes, die Paulus vom Verfolger zum Jesusbekenner und Verkündiger des Evangeliums werden ließ – eine Gnade (χα' ρις), die ihm „verliehen“ wurde (δοθειñσα' ν μοι), was mit der ————————————————————
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geschlagen werden, den Freien soll man „ermahnen und belehren“ (νουθετη' σαντα και` διδα' ξαντα); diesem Beleg stehen andere gegenüber, in denen νουθετε' ω mit körperlicher Züchtigung verbunden ist; vgl. Aristophanes, Vesp 254; Plato, Leg 9,879d. Gegen Lietzmann 120 bzw. Käsemann 377. Michel 456 sowie Cranfield II 752; Wilckens III 117 Anm. 562. Das Adj. τολμηρο' ς kommt nur hier im NT vor; in der LXX Sir 8,15; 19,3. Das Verb τολμα' ω („wagen; sich erkühnen, fertig bringen; mutig sein“) in Röm 5,7; 15,18; 1Kor 6,1; 2Kor 10,2.12; 11,21; Phil 1,14. Wilckens III 117, gegen Schlier 428 (vgl. Dunn II 859); Cranfield II 753; Käsemann 377. Schlatter 386 bezieht die Kühnheit auf jene römischen Christen, die Paulus ferner standen; kritisch Haacker 360 Anm. 11: Dies passt schlecht zum pauschalen Lob V. 14 und wäre zudem ein „rhetorisches Eigentor“ des Apostels, der in Kap. 16 bemüht ist, seine positive Beziehung zu möglichst vielen Gläubigen in Rom herzustellen.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 817 ————————————————————————————————————
Präpositionalwendung „von Gott“ (υ� πο` τουñ θεουñ ) noch eigens unterstrichen wird. Die Bevollmächtigung als Apostel legitimiert ihn dazu, auch den Christen in Rom zu schreiben. Im Blick auf den Inhalt des Briefes betont Paulus, dass er als einer schreibt, der euch Bekanntes in Erinnerung zurückrufen will (ω� ς ε� παναμιμνη,' σκων υ� μαñ ς [hōs epanamimnēskōn hymas]).31 Das heißt, was er geschrieben hat, ist nichts wirklich Neues, sondern Erinnerung an Bekanntes, die Wiederholung der Lehrtradition vom Evangelium Gottes (1,1), die Erläuterung eines vorgegebenen urchristlichen Konsenses.32 Aufgabe christlicher Verkündigung „ist und bleibt stets die erinnernde Vergegenwärtigung der verläßlichen Gültigkeit des Evangeliums“.33 16 Von der Gnade Gottes, der ihn zum Apostel berufen hat, als der er das Evangelium verkündigt, lehrt und in seinem Brief an die römischen Christen en tfaltet, kommt Paulus auf sei ne konkret e Berufung zu m Heidenmissionar zu sprechen. Paulus beschreibt seine Identität und Aufgabe als Missionar mit mehreren Ausdrücken.34 Erstens, Paulus ist Diener des Messias Jesus (λειτουργο' ς [leitourgos]), d.h., er wurde mit dem „Dienst eines Amtes, das dem Gemeininteresse dient“, von einem übergeordneten Auftraggeber beauftragt.35 Das Wort beschreibt auch profane Dienstleistungen (wie in 13,6), hat aber im Kontext der folgenden Vokabeln kultische Konnotationen, analog der Verwendung der Wortgruppe λειτουργε' ω/ λειτουργο' ς in der LXX als terminus technicus für ————————————————————
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Das Verb ε� παναμιμνη,' σκω („wieder an etw. erinnern“) kommt nur hier im biblischen Griechisch vor; LSJ s.v. verweist auf Plato, Leg 688a; Aristoteles, Mem 451a12; Porphyrius, Abst 1,30; Demosthenes 6,35; α� ναμιμνη,' σκω („erinnern, an etw. erinnern“) kommt in 1Kor 4,17; 2Kor 7,15; 2Tim 1,6 sowie Mk 11,21; 14,72; Hebr 10,32 vor, α� να' μνησις („Erinnerung“) in 1Kor 11,24.25; Lk 22,19 (Abendmahlstradition) sowie Hebr 10,3. Vgl. Haacker 360. Anders Käsemann 378, der meint, die Botschaft, die Paulus im Röm präsentiert, „mit ihrer Zuspitzung auf das sola fide und sine lege“, sei „in der Urchristenheit die Position eines theologischen Außenseiters“ gewesen, die „eine bis heute selten ganz akzeptierte Provokation“ darstelle; es zeuge von „größter Verwegenheit, im Blick auf sie … das Wort ‚erinnern‘ zu gebrauchen“; Paulus strapaziere die captatio benevolentiae „bis an die Grenzen des Erlaubten“. Hier wird der Rekonstruktion urchristlicher Verhältnisse im 20. Jh. mehr Glauben geschenkt als den Autoren des 1. Jh.s. Lohse 394. Für alle relevanten Texte zum missionarischen Selbstverständnis des Paulus s. Schnabel, Urchristliche Mission, 907-941. Angesichts des an die Zwölf adressierten universalen Missionsbefehls Jesu (Mt 28,18-20; Apg 1,8) kann man im Blick auf Paulus nicht von einem „singuläre(n) Mandat“ (Käsemann 379) sprechen. Strobel, Verständnis, 87-88. LSJ s.v. λειτουργο' ς I, „one who performed a λειτουργι' α; II, „public servant“; vgl. H. Strathmann, ThWNT IV, 222-224; H. Balz, EWNT II, 859; C. Spicq, TLNT II, 382. Siehe zu 13,6.
818 Römerbrief ————————————————————————————————————
den Tempeldienst von Priestern und Leviten.36 Missionsarbeit im Auftrag des Messias Jesus ist eine primär auf Gott ausgerichtete Tätigkeit.37 Zweitens, Auftraggeber des missionarischen Dienstes des Apostels ist der Messias Jesus: Χριστουñ � Ιησουñ [Christou Iēsou] ist gen. auctoris. Paulus wirkt nicht im Auftrag einer Gemeinde, seine Missionsarbeit ist nicht seine eigene Idee. Der Urheber seiner Mission ist der gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Herr, um den es im Evangelium zentral geht (1,3-4). Drittens, sein Dienst geschieht für die Heiden (ει� ς τα` ε» θνη [eis ta ethnē]; s. zu 1,5). Paulus wusste sich von Gott primär zu Menschen gesandt, die keine Juden waren, den ε» θνη (Gal 1,16; 2,2; Apg 22,21; vgl. 1Kor 9,1-2; 2Kor 10,13-14), zu „Griechen und Barbaren“ (« Ελλησι'ν τε και` βαρβα' ροις; 1,14). Nach dem Bekehrungs- und Berufungsbericht in Apg 9,15 wurde Paulus zu Heiden und Königen und den Söhnen Israels gesandt, nach Apg 22,15 zu allen Menschen, nach Apg 26,17 zum jüdischen Volk und zu den Heiden.38 Viertens, Paulus dient wie ein Priester (ι�ερουργουñ ντα [hierourgounta]),39 in priesterlicher Weise, als heiliger Dienst.40 Dabei denkt Paulus nicht an ein besonderes priesterliches Amt, das ihn von anderen Jesusbekennern qualitativ abhebt, sondern an die einzigartige Aufgabe, die Gott ihm als Missionar unter den Heiden gegeben hat. ————————————————————
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Im Blick auf das Subst. λειτουργο' ς in Jes 61,6; Neh 10,40 LXXl; Sir 7,30; vgl. Arist 95; zum Verb s. die Belege bei Strathmann, ThWNT IV, 225-228. Vgl. Ostmeyer, Kommunikation, 93. Weil λειτουργε' ω in der LXX häufig den Dienst der Leviten bezeichnet, versteht Cranfield II 755-756 im Anschluss an K. Barth den Dienst von Paulus nicht als Dienst eines Priesters, sondern eines Leviten: Jesus Christus ist der Gott dienende Priester, dem Paulus als „Levit“ zur Hand geht. Diese Interpretation ist nicht nur zu spitzfindig, sie scheitert auch an der Bezeichnung der zum Glauben gekommenen Heiden als Opfergabe V. 16. Richtig Haacker 360, der aber mit dem vollkommen unnötigen Dementi formuliert, die paulinische Mission sei „nicht primär von dem Bewußtsein getragen …, den Menschen das Heil zu bringen, ohne das sie verloren sind“. Ohne Ausgerichtetsein auf den Einzelnen ist ein Priester kein Priester und ein Missionar kein Missionar. Apg 9,15 ε� νω' πιον ε� θνω ñ ν τε και` βασιλε' ων υι� ω ñ ν τε � Ισραη' λ; 22,15 προ` ς πα' ντας α� νθρω' πους; 26,17 ε� κ τουñ λαουñ και` ε� κ τω ñ ν ε� θνω ñ ν. G. Schrenk, ι�ερουργε' ω, ThWNT III, 251-252; das Adj. ι�ερουργο' ς ist ein Kompositum aus ι�ερο' ς und -εργο' ς und bedeutet „heiligen Dienst, zumal Opferdienst, verrichten“. Für griech. und jüdisch-hell. Belege s. Schrenk, ebd. 252. G. Schneider, EWNT II, 440; K. Haacker, ThBLNT I, 895 (ι�ερουργε' ω bedeutet „heiligen Dienst verrichten“); unverständlich H. Seebass ebd. 897: Paulus sei „zwar nicht als Priester, wohl aber als ι�ερουργω ñ ν [hierourgeō] des Evangeliums bestellt, um die rechte Anleitung zum Opfer zu geben“; die folgende Aussage (ι«να γε' νηται η� προσφορα` τω ñ ν ε� θνω ñν ευ� προ' σδεκτος) macht diese Interpretation unmöglich. Zur kultischen Sprache in 15,16 vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 314.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 819 ————————————————————————————————————
Fünftens, Paulus bringt als Priester das Evangelium Gottes (το` ευ� αγγε' λιον τουñ θεουñ [to euangelion tou theou]; vgl. 1,1),41 das nach der doppelten Definition in 1,3-4.16-17 vom gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Messias Jesus und von der Heil schaffenden Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes handelt. Paulus verkündigt nicht apostolische Tradition, sondern die frohe Botschaft von Gottes messianischem Heilshandeln.42 Sechstens, Paulus bringt die Heiden Gott als Opfergabe (η� προσφορα' [he prosphora]) dar. Das Wort προσφορα' bezeichnet die Handlung des Darbringens von Opfern oder das Opfer selbst. Hier ist das Letztere gemeint: Das Opfer sind die Heiden (d.h., τω ñ ν ε� θνω ñ ν ist gen. appositivus). In 12,1 hat Paulus die römischen Jesusbekenner aufgerufen, ihre Leiber als „lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer“ (θυσι' αν ζω ñ σαν α� γι'αν ευ� α' ρεστον τω ñ, 43 θεω ñ, ) darzubringen. Hier in 15,16 geht es allerdings nicht um Selbstopfer, sondern „um die Bekehrung als passives Widerfahrnis des durch die Verkündigung des Apostels sich vergegenwärtigten Heilshandelns Christi“.44 Für jüdische Leser war die Aussage geradezu ungeheuerlich: Heiden durften im Jerusalemer Tempel noch nicht einmal die inneren Tempelhöfe betreten, geschweige denn in die Nähe des Opferaltars kommen – nichts Unheiliges durfte in den Tempel, schon gar nicht auf den Opferaltar. Das heißt, die „Opfergabe der Heiden“, von der Paulus spricht, lässt die kultische Unterscheidung zwischen Juden und Heiden hinter sich: Heiligkeit, Nähe der Wirklichkeit Gottes, ist dort, wo Menschen an das Evangelium von der Heil schaffenden Offenbarung Gottes glauben, eine Offenbarung, die die Macht hat, Sündern Gottes Gerechtigkeit zu gewähren (1,16-17), die im Sühnetod des Messias Jesus am Kreuz stattgefunden hat (3,25) und die für alle Wirklichkeit wird, Juden und Heiden, die an Jesus glauben (3,21–5,21) und in den Messias Jesus inkorporiert sind (6,1-23). Siebtens, das Opfer, das die zum Glauben an den Messias Jesus gekommenen Heiden sind, soll Gott wohlgefällig (ευ� προ' σδεκτος [euprosdektos]) sein, d.h. für Gott annehmbar, seinem Willen genehm. Die δεκτο' ς-Wort————————————————————
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Vgl. 4Makk 7,8 (v.l.): του` ς ι� ερουργουñ ντος το` ν νο' μον („Priesterdienst am Gesetz verrichten“), hier dadurch, dass man es mit dem Einsatz des eigenen Lebens gegen die Affekte bis in den Tod beschirmt; Schrenk, ThWNT III, 252. Vgl. Käsemann 379 gegen Denis, Fonction, 403. Im Kontext von 12,1 ist die Interpretation von τω ñ ν ε� θνω ñ ν als gen. subjectivus – das Opfer ist das Opfer der Heiden im Sinn ihres Gotteslobs (V. 9) und ihres Gehorsams (V. 18); die Bestimmung η� γιασμε' νη ε� ν πνευ' ματι α� γι' ω, passt eher auf Menschen. Richtig Haacker 361 Anm. 17 gegen Robinson, Priesthood, 231; vgl. Schrenk, ThWNT III, 252: Die Verwendung des Bildes als „Darbietung des Personenlebens im umfassenden Gehorsam“ schützt das Bild „gegen jedes sakral-heidnische Mißverstehen“. Wilckens III 118 Anm. 572, gegen Denis, Fonction, 405; Dabelstein, Heiden, 112-114.
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gruppe wird in der LXX generell in Verbindung mit dem Opferkult verwendet.45 Für die Opfer, die Gott für „annehmbar“ bzw. „wohlgefällig“ erklärt hat, wird Fehllosigkeit verlangt (Lev 1,3; 19,5; 22,19-20). Jesaja schaut auf eine Zeit voraus, in der Jahwe die „Fremdstämmigen“ (α� λλογενε' σι), die sich dem Herrn angeschlossen haben, „ihm zu dienen und dem Namen des Herrn zu dienen, sodass sie ihm Diener und Dienerinnen (ει� ς δου' λους και` δου' λας) sind“, sowie alle, die die Sabbate halten, zu seinem heiligen Berg führen und im „Haus meiner Anbetung“ (ε� ν τω ñ, οι»κω, τηñ ς προσευχηñ ς μου) erfreuen wird, „ihre Brandopfer und ihre Schlachtopfer werden willkommen (δεκται') sein auf meinem Altar; denn mein Haus wird ein Haus der Anbetung heißen für alle Völkerschaften (παñ σιν τοιñς ε» θνεσιν)“ (Jes 56,6-7; LXX.D). Direkte sprachliche Anknüpfungen zwischen dieser Stelle und Röm 15,16 gibt es nicht, weshalb man auch nicht die Vermutung anstellen kann, dass Paulus wusste, dass Jesus die letzte Zeile von Jes 56,7 im Tempel zitierte, als er zusammen mit dem Zitat Jer 7,11 die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und den Beginn der endzeitlichen Bekehrung der Heiden ankündigte. Achtens, die als Opfergabe Gott dargebrachten und ihm wohlgefälligen Heiden sind geheiligt durch den Heiligen Geist (η� γιασμε' νη ε� ν πνευ' ματι α� γι'ω, [hēgiasmenē en pneumati hagiō]). Das Verb α� για' ζω bedeutet „dem kultischen Gebrauch übergeben oder dafür geeignet machen“, auf Personen bezogen „kultischen Charakter verleihen und damit in den inneren Kreis des Heiligen einbeziehen“.46 Wie hier wird das Verb in der LXX für Opfer verwendet,47 aber auch für Personen wie die Priester48 und das ganze Volk Israel.49 Hesekiel sieht eine Zeit voraus, in der Gott der Herr seinen bei den Völkern entweihten Namen wieder heiligen wird, sodass die Völker erkennen, dass Jahwe der Herr ist, „dass ich bei euch vor ihren Augen geheiligt worden bin (ε� ν τω ñ, α� γιασθηñ ναι' με ε� ν υ� μιñν)“: Gott wird sein Volk reinigen von aller Unreinheit und von allen Götzen, und er wird ihnen ein neues Herz schenken und einen neuen Geist in sie legen und bewirken, dass sie seinen Gesetzen folgen (Hes 36,22-28; vgl. das Echo dieser Stelle in 2,24.28-29). Da die Heiligkeit des Sabbats im AT wiederholt betont wird,50 und nach Ex 31,13 die Heiligkeit des Volkes vom Halten des Sabbat abhän————————————————————
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W. Grundmann, Art. δεκτο' ς κτλ., ThWNT II, 57-58; Spicq, TLNT II, 137-138. NT: Röm 15,16.31; 2Kor 6,2; 8,12; 1Petr 2,5. Vgl. Bauer/Aland s.v. α� για' ζω 1-2; BDAG. Bei Paulus neben Röm 15,16 noch 1Kor 1,2; 6,11; 7,14; Eph 5,26; 1Thess 5,23; 1Tim 4,5; 2Tim 2,21. Ex 29,33.36-37; 30,29; Lev 8,15; Num 18,8-9; 2Chron 29,33; vgl. Mt 23,19; Hebr 9,13. Ex 19,22; 29,1.21.44; 30,30; 40,13; Lev 8,12.30; 21,8.15; 2Chron 26,18. Ex 19,14; Lev 11,44; 20,8; 22,32; Deut 33,3; Hes 20,41; 28,25; 37,28; 39,27. Gen 2,3; Ex 20,8.11; 31,13; Deut 5,12.15; Neh 13,22; Jer 17,22.24.27; Hes 20,12.20 u.a.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 821 ————————————————————————————————————
gig ist, ergibt sich eine Verbindung zu dem mit Hinweis auf den Messias Jesus und das Werk Gottes formulierten Lehrsatz in 14,14.20, dass nichts an sich unrein ist und dass alles rein ist. Das Passiv des Ptz. verweist auf den Heiligen Geist, den Geist Gottes, als den, der die Heiden heiligt (vgl. 5,5; 15,13; s. 6,19 zu α� γιασμο' ς). In 1,7 hatte Paulus die römischen Christen als „berufene Heilige“ (κλητοι` α� γι'οι [klētoi hagioi]) beschrieben. Die Berufung zum Heiligsein findet in der Bekehrung zum Glauben an den Messias Jesus statt, durch dessen Sühnetod Gott Juden und Heiden Sünden vergibt (3,2131) und den Zugang zu seiner Gnade ermöglicht und gewährt (5,1). Das Perfekttempus des Ptz. unterstreicht als präsentisches Perfekt die gegenwärtige Wirklichkeit der Heiligkeit, mit der Gott die Heiden beschenkt hat, die in der Mission der Apostel das Evangelium annehmen.51 Weil sich die „Heiligung“ nicht nur auf die gnädige Gewährung der Gerechtigkeit Gottes im Zum-Glauben-Kommen an den Messias Jesus bezieht, sondern auch auf das Leben der Jesusbekenner im Alltag der Welt, in der Sünde eine Wirklichkeit und auch für die mit dem Messias Jesus Verbundenen immer noch eine Möglichkeit ist, kann man sagen, „daß die paulinische Mission ihr Ziel noch nicht in der Gewinnung von Gläubigen erreicht, sondern deren Existenzverwandlung mit einschließt“.52 Deshalb sind die Aussagen 6,1-23 und 8,1-17 grundlegend wichtig. 17 Die Beschreibung des Missionsauftrags in V. 15-16 als priesterlicher Auftrag Gottes könnte wie Selbstruhm klingen. Deshalb fügt Paulus hinzu, dass er lediglich Grund hat, sich im Messias Jesus zu rühmen (τη` ν καυ' χησιν ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ ),53 und dass ein solches Rühmen nur in Bezug auf das, was Gott angeht (τα` προ` ς το` ν θεο' ν) gilt.54 Menschliches Rühmen raubt Gott die Ehre und führt zu Parteiungen, weshalb gilt: „Wer sich rühmt, rühme sich des Herrn“ (ο� καυχω' μενος ε� ν κυρι'ω, καυχα' σθω; 1Kor 1,31, zitiert aus Jer 9,23 LXX; vgl. 1Sam 2,10 LXX; vgl. 2Kor 10,17). In Phil 3,3 rühmt sich Paulus im Blick auf den Messias Jesus, in Gal 6,14 im Blick auf das Kreuz Jesu. An den Messias Jesus Glaubende rühmen sich nur des Herrn Jesus.55 ————————————————————
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Die Interpretation im Sinn der Wassertaufe (Wilckens III 118) kann man nicht an der Vokabel η� γιασμε' νη festmachen. Paulus verkündigt das Evangelium, damit Menschen zum Glauben an Jesus kommen, nicht um taufen zu können (1Kor 1,17). Haacker 361. Zu καυχα' ομαι s. zu 2,17. Das Substantiv καυ' χησις bezeichnet sowohl den Gegenstand des Rühmens (2Kor 1,12) wie auch den Akt des Rühmens (Röm 3,27; 2Kor 11,10.17). Zu dieser Wendung vgl. Toit, Phrase, mit außerbiblischen Belegen. Vgl. Aussagen, in denen Paulus sich seiner Mission rühmt (1Kor 15,10) oder von dem Ruhm für seine Missionsarbeit spricht (1Kor 9,15-16; 2Kor 1,14; Phil 2,16).
822 Römerbrief ————————————————————————————————————
18 Die Distanzierung von selbstherrlichem Rühmen setzt sich in der Aussage fort, dass Paulus nicht wagen wird (ου� τολμη' σω; s. V. 15), etwas zu sagen (τι λαλειñν [ti lalein]), d.h. in seiner Verkündigung und in seinen Briefen zu behandeln,56 was der Messias nicht durch mich gewirkt hat. Die Gewissheit der Berufung zum priesterlichen Missionar unter den Heiden V. 15-16 wird durch das bestätigt, was der Messias Jesus „durch ihn“ (δι’ ε� μουñ ), d.h. in seiner aktiven Missionsarbeit, „bewirkt“ (κατειργα' σατο), d.h. ausgeführt, hervorgebracht, geschaffen hat.57 Das Ziel der Missionsarbeit, das nur Jesus bzw. der Heilige Geist (V. 16) verwirklichen kann, ist es, die Heiden zum Gehorsam zu führen. Mit „Gehorsam“ (υ� πακοη' [hypakoē]; s. zu 1,5) ist der „Gehorsam des Glaubens“ (υ� πακοη` πι'στεως) gemeint, d.h. der Glaube, der im Gehorsam gegenüber Gott und dem Messias Jesus besteht, und zugleich der Gehorsam, den der Glaube bewirkt.58 Die Missionsarbeit des Apostels geschieht durch Wort und Werk (λο' γω, και` ε» ργω, [logō kai ergō]; instrumentaler Dativ), d.h. durch verbale Verkündigung und durch konkretes, handfestes Arbeiten. Paulus hat öffentlich und in Privathäusern gepredigt (Apg 20,20). Sein „Werk“ als Missionar war gekennzeichnet von Reisen zu Fuß, Schiffsfahrten (samt mehrfachem Schiffbruch, deren Überleben nicht geringe Aktivität erfordert haben musste!), Überqueren von Wüsten, gefährdete Tätigkeit in Städten, Gefängnisaufenthalten, Auspeitschungen, Steinigung, Erduldung von Mühsal und Plage, von Hunger und Durst und durchwachten Nächten (2Kor 11,23-28) und beinhaltete manchmal Lohnarbeit als Lederhandwerker (1Thess 2,9; 1Kor 4,12; Apg 18,3; 20,34).59 Die täglichen, wöchentlichen, monatlichen Aktivitäten von Paulus und seinen Mitarbeitern bedeuteten in der Tat „Arbeit“: Das kontinuierliche Studium der heiligen Schrift, die Vorbereitung auf Vorträge und Predigten, das Halten von Vorträgen, Predigten und Schulungen, die Beantwortung von Fragen der Zuhörer, die Betreuung von Neubekehrten.60 ————————————————————
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Wilckens III 118 Anm. 575 bezeichnet λαλειñν als „Verkündigungswort“, mit Verweis auf 2Kor 2,17; 12,19; 13,3; sowie 1Kor 2,6-7.13; 3,1; 2Kor 4,13; 1Thess 2,2.4.16; Kol 4,3; Hebr 1,1-2; 2,3; 3,5. Im Kontext von Röm 15,18 ist in 15,14-29 auch das gemeint, was er im Blick auf seine Missionsarbeit „sagt“, d.h. schreibt. Bauer/Aland s.v. κατεργα' ζομαι führt Röm 15,18 unter Bedeutung 1 („vollenden, ausführen“) auf, neben Röm 1,27; 2,9; 7,15.17-18.20; 1Kor 5,3; 2Kor 12,12; Eph 6,13; man hätte die Stelle auch unter Bedeutung 2 („hervorbringen, erzeugen, schaffen“) neben Röm 4,15; 5,3; 7,8; 2Kor 4,17; 9,11; Phil 2,12 aufführen können. Michel 459 interpretiert nur im ersten Sinn; die zweite Bedeutung ist angesichts von Röm 6,1-23; 8,1-17 auch grundlegend. Vgl. 1,5 sowie 6,16-17; 10,16; 16,19; 2Kor 10,15. Dazu Schmeller, Kollege Paulus, 270-271; Schnabel, Urchristliche Mission, 1388-1389. Michel 459 interpretiert λο' γω, και` ε» ργω, mit dem Satz „das Wort ist zeichenhaft, und das Zeichen ist worthaft“ im Sinn von V. 19, und ignoriert dabei den konkreten Bezug von „Werk“ auf die Arbeit, die das Leben des (Pionier-)Missionars bedeutet.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 823 ————————————————————————————————————
19 Die Angabe in der Kraft von Zeichen und Wundern (ε� ν δυνα' μει σημει'ων και` τερα' των [en dynamei sēmeiōn kai teratōn]; V. 19a) ist nicht mit „Wort und Werk“ identisch, sondern gibt an, wodurch beide, das evangelistische Wort und das missionarische Werk, von Gott bestätigt werden – durch Zeichen und Wunder, die nur Gottes Macht (δυ' ναμις [dynamis]; s. zu 1,4) bewirken kann. Der Ausdruck „Zeichen und Wunder“ ist eine atl. Bezeichnung für außerordentliche, nur durch Gottes Eingreifen erklärbare Ereignisse.61 Nach 1Kor 12,28 gehört die Fähigkeit, Heilungen zu bewirken, zu den Gaben des Geistes. Paulus sagt, dass seine Missionsarbeit von Wundern begleitet war, die Zeichen des direkten Handelns Gottes waren.62 Paulus selbst schildert in seinen Briefen nirgends konkret eines der Wunder, die sich im Rahmen seiner Mission ereignet haben, er sagt nur, dass sie sich zugetragen haben (neben Röm 15,19 vgl. 1Thess 1,5; 2Kor 12,12).63 Im Unterschied zu den „Überaposteln“, die in Korinth auftreten, tritt Paulus nicht als „göttlicher Mensch“ auf, sondern rühmt sich seiner Schwachheit (2Kor 12,1-13): Paulus liegt jede Art von Triumphalismus fern; Ursache und Grund der Kraft seiner Missionsarbeit war das Handeln Gottes. Trotzdem sind in seiner Missionsarbeit Wunder geschehen.64 In der Apg berichtet Lukas von Wundern im Zusammenhang mit der pauli-nischen Mission für Paphos auf Zypern (Apg 13,4-12: Erblindung als Straf-wunder), für Lystra im südgalatischen Lykaonien (Apg 14,8-18: Heilung eines Gelähmten); für Philippi in Makedonien (Apg 16,16-18: Befreiung von einem bösen Geist); für Ephesus (Apg 19,11-16: Kampf gegen böse Geister) und für Troas in der Provinz Asia (Apg 19,20,7-10: Totenaufer-weckung), und für Malta (Apg 28,7-9: Heilungen von Kranken). Lukas zeigt: „Im wirkmächtigen Handeln durch Paulus erweist sich Gott als ge-genwärtig und die zu verkündigende Botschaft als wahr.“65 Die Wendung durch die Kraft des Geistes Gottes (ε� ν δυνα' μει πνευ' ματος θεουñ [en dynamei pneumatos theou]) beschreibt die Wirkungskraft, die das evangelistische Wort und das missionarische Werk wirksam sein lassen. Paulus betont in 1Kor 1,18–2,5, dass er im Gegensatz zu den Juden, die ————————————————————
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Ex 7,3; Deut 6,22; Neh 9,10; Ps 135,9;l Jer 32,20-21; Dan 6,28. Zu Zeichen und Wundern im NT vgl. Stolz, Zeichen; Weiß, Zeichen; zu Paulus Jervell, Zeichen; Eckert, Zeichen; Schreiber, Paulus als Wundertäter; Alkier, Wunder; Kollmann, Wundertäter; Lohse, Kraft; Twelftree, Paul and the Miraculous. In 1Kor 2,4 ist gerade nicht von Wundern die Rede, vgl. den Kontext 1Kor 1,22. Kollmann, Wundertäter, 81 betont zu Recht: „Wenn Paulus hervorhebt, der Gemeinde seien die von den Gegnern [in 2Kor] angemahnten Apostelzeichen in Form von Zeichen, Wundern und Machttaten keineswegs vorenthalten worden, besteht kein Grund, ihn nicht beim Wort zu nehmen oder ihm Wundertaten abzusprechen.“ Vgl. Lohse, Kraft, 225-227. Schreiber, Paulus als Wundertäter, 61; vgl. Lohse, Kraft, 230, vgl. ebd. 232.
824 Römerbrief ————————————————————————————————————
nach Zeichen verlangen, und im Gegensatz zu den Griechen, die Weisheit (geschliffene Rhetorik und brillante Argumente) wollen, den gekreuzigten Messias verkündigt (κηρυ' σσομεν Χριστο` ν ε� σταυρωμε' νον, 1,23), den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit. Er verzichtet auf gewandte Rhetorik (ου� κ ε� ν πειθοιñς σοφι'ας λο' γοις), weil der „Beweis des Geistes und der Kraft“ (α� ποδει'ξει πνευ' ματος και` δυνα' μεως) auf der „Macht Gottes“ beruht (ε� ν δυνα' μει θεουñ ), d.h. auf dem machtvollen Wirken Gottes, der durch seinen Geist in der Verkündigung des Evangeliums gegenwärtig ist und Menschen von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt.66 Die Folge (ω « στε) der wirksamen Gegenwart Gottes in seinem missionarischen Wirken ist die Mission von Jerusalem aus im Bogen bis nach Illyrien (V. 19b). Paulus hat nach seiner Bekehrung vor Damaskus und seiner sich unmittelbar anschließenden Mission in Damaskus (Gal 1,17; 2Kor 11,32-33; Apg 9,20.22) und Arabien (Gal 1,17; 2Kor 11,32-33) in Jerusalem das Evangelium verkündigt (Gal 1,18-19; Apg 9,26-30).67 Die Wendung von Jerusalem aus (α� πο` � Ιερουσαλη' μ [apo Ierousalēm]) heißt also, einschließlich Jerusalem.68 Laut Gal 1,18 hat diese Phase seiner Mission ungefähr zwei Wochen gedauert. Nach Auskunft von Apg 9,29-30 trat Paulus „unerschrocken im Namen des Herrn auf “ (παρρησιαζο' μενος ε� ν τω ñ, ο� νο' ματι τουñ κυρι'ου) und disputierte mit den Griechisch sprechenden Juden in den Synagogen, in denen Jahre zuvor Stephanus tätig gewesen war. Die Jerusalem-Mission musste abgebrochen werden, weil bekannt wurde, dass Jerusalemer Juden Paulus töten wollten. Die Angaben in Apg 22,18; 26,20 bestätigen eine Verkündigungstätigkeit von Paulus in Jerusalem. Die in Röm 15,19 angedeutete Bedeutung Jerusalems für Paulus spricht gegen die Annahme, die von Lukas in der Apg berichteten Besuche von Paulus in Jerusalem und die Kontakte zu der dortigen Gemeinde und ihren Verantwortlichen seien eine lukanische Konstruktion.69 Dass Paulus nicht Damaskus oder Arabien als Ausgangspunkt seiner Missionsarbeit nennt, sondern Jerusalem, hängt einerseits mit der heilsgeschichtlichen Priorität Israels zusammen (1,16: „für den Juden zuerst“), andererseits mit der Vision in Jerusalem nach der Rückkehr aus Damaskus und Arabien, in der ihn der erhöhte Herr ————————————————————
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Vgl. Schnabel, 1. Korinther, 110-159. Vgl. auch 1Kor 4,20; Gal 3,5; 1Thess 1,5; 2,13. Zur Damaskus- und Arabienmission von Paulus s. Schnabel, Urchristliche Mission, 9901003; zur Mission in Jerusalem ebd. 1003-1004. Gegen Käsemann, 380 u.a., die meinen, die geographischen Angaben in V. 19 beschrieben nicht paulinische Missionsgebiete, sondern „die Ränder der Missionstätigkeit“. Richtig Wilckens III 119-120, der bei der Beschreibung von Jerusalem als „Ausgangs-punkt der Ausbreitung des Evangeliums“ versäumt, auf die Damaskus- und Arabien-mission zu verweisen. So zu Recht Riesner, Frühzeit, 214.233-234.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 825 ————————————————————————————————————
„in die Ferne zu den Heiden“ (ει� ς ε» θνη μακρα' ν) sandte (Apg 22,17-21). Zugleich verweist die Nennung Jerusalems als Anfangspunkt der Verkündigung des Evangeliums auf die allerersten Anfänge und die Expansion der Jesusbekenner, die in Jerusalem begann (Apg 1–7), bald Samarien (Apg 8) erreichte und nach der Tötung des Stephanus in Phönizien und Syrien Fuß fasste (Apg 11,19-26). Es ist deshalb möglich, dass „Jerusalem“ in diesem Kontext, und im Kontext des Missionsbefehls von Apg 1,8, für eine heilsgeschichtliche Missionskonzeption steht, in der die Zwölf sowie andere urchristliche Missionare eine genauso wichtige Mission betrieben wie Paulus.70 Jerusalem (� Ιερουσαλη' μ [Ierousalēm])71 ist die religiöse Hauptstadt Judäas,72 der Ort der Kreuzigung und Auferstehung Jesu und der Ort der ersten, anfangs von den Zwölf geleiteten Gemeinde von Jesusbekennern. Wenn „von Jerusalem aus“ inklusiv zu verstehen ist, dann sicher auch die Wendung bis nach Illyrien (με' χρι τουñ � Ιλλυρικουñ [mechritou Illyrikou]). Der Sommer des Jahres 56 n.Chr. ist für eine Missionsarbeit in Illyrien am plausibelsten, d.h. wenige Monate vor dem Korinth-Aufenthalt des Apostels, während dessen er den Röm schreibt. Paulus hatte sich am Ende seiner Ephesus-Mission vorgenommen, vor der Rückreise nach Antiochien und Jerusalem die Gemeinden in Makedonien und Achaia zu besuchen (Apg 19,21). Nach erheblichen Unruhen in Ephesus sah er im Sommer des Jahres 55 die Zeit gekommen, diese Pläne zu verwirklichen (Apg 20,1-3). Paulus wollte zunächst der Gemeinde in Korinth den Besuch abstatten, den er bereits angekündigt hatte, und dann nach der Übergabe der Kollekte, die er in den von ihm gegründeten Gemeinden für die hilfsbedürftigen Christen in Jerusalem sammeln ließ, nach Spanien reisen. Dort musste das Evangelium in lateinischer Sprache verkündigt werden – entweder durch Paulus selbst, falls er Lateinisch sprechen konnte (was nicht unbedingt wahrscheinlich ist), oder durch Übersetzer, die er in der römischen Gemeinde finden konnte. Es ist möglich, dass Paulus auf seiner Reise von Ephesus nach Achaia nach dem Erreichen von Makedonien zunächst nach Illyrien weiterreiste, um sich im Hinblick auf die geplante Spanienmission an eine lateinischsprechende ————————————————————
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Wilckens III 120, zu Recht gegen Zeller, Juden und Heiden, 227, der meint, Paulus stelle sich in Röm 15,19 mit seiner Mission exklusiv heraus: Paulus „ordnet sie vielmehr in den übergreifenden Kontext einer universalen Evangeliums-Missions-Vorstellung ein, deren Geltung er als auch in Rom bekannt und anerkannt voraussetzen kann“. � Ιερουσαλη' μ kommt 77 Mal im Neuen Testament vor, davon 29 Mal in den vier Evangelien, 37 Mal in der Apg und nur sieben Mal in den Paulusbriefen: Röm 15,19.25.26.31; 1Kor 16,3; Gal 4,25.26. Politische Hauptstadt zur Zeit der Abfassung des Röm war Cäsarea, wo der römische Präfekt seinen Sitz hatte.
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Umgebung zu gewöhnen.73 Paulus hatte zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre keine Pioniermission mehr getrieben, sondern die Gemeinde in Ephesus betreut und sich mit Problemen vor allem der Gemeinde in Korinth beschäftigt, die jetzt, jedenfalls vorübergehend, Frieden mit ihm geschlossen hatte. „Jetzt war alles ruhig. Ein freier Sommer war eine goldene Möglichkeit, wieder als Pioniermissionar in unerreichten Gebieten zu arbeiten ... Diese Aussicht musste unwiderstehlich gewesen sein. Jedenfalls hat Paulus sich nicht zurückgehalten. Er ging nach Illyrien.“74 Die Tatsache, dass Paulus Illyrien und nicht Korinth als westliche Grenze seiner Missionsarbeit nennt, ist erklärungsbedürftig. Der ethnisch als illyrisch geltende Teil Makedoniens (Strabo 7,7,4) wird kaum gemeint sein: Paulus spricht in Röm 15,24.26.28 von Provinzen (Spanien, Makedonien, Achaia). Die Tatsache, dass Paulus eine ungewöhnliche, latinisierte Form des Provinznamens verwendet (� Ιλλυρικο' ν [Illyrikon]; die griechischen Ausdrücke waren � Ιλλυρíα [Illyria] bzw. � Ιλλυρι'ς [Illyris]),75 stützt die Annahme, dass Paulus tatsächlich die illyrische Adriaküste erreicht hat.76 Illyrien77 war das Gebiet von der Adriaküste bis zum Fluss Morawa, von Epirus bis zur mittleren Donau, ungefähr im heutigen Albanien. Die Römer eroberten diese Region nach langen Kämpfen; selbstständige Provinz wurde Illyrien unter Julius Cäsar. Nach der endgültigen Niederschlagung von Aufständen durch Tiberius wurde Illyrien um 9 n.Chr. in zwei Provinzen geteilt, die in flavischer Zeit als Dalmatien und Pannonien bezeichnet wurden. Die Provinz Dalmatien umfasste Illyrien südlich der Save und erstreckte sich östlich bis zur Donau. Sie wurde von kaiserlichen Legaten mit konsularischem Rang mit Sitz in Salonae regiert. Wichtige Städte waren Scodra, Epetium, Tragurium und Dyrrhachium. Es gab eine blühende Weide- und Holzwirtschaft; Gold, Silber, Kupfer und Eisen wurden abgebaut.
Die Formulierung im Bogen (κυ' κλω, [kyklō])78 beschreibt im Kontext der griech.-röm. Geographie der Zeit79 einen (Halb-)Kreis, mit Jerusalem in der Mitte,80 entlang der Ost- und Nordküste des Mittelmeers zwischen Jerusa————————————————————
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Bruce, Paul, 317. Murphy-O’Connor, Paul, 316. Murphy-O’Connor datiert die Mission in Illyrien ein Jahr früher, da er die Abreise von Ephesus ein Jahr früher, d.h. ins Jahr 54 datiert. Von einem Besuch in Illyrien zu diesem Zeitpunkt geht auch Metzger, Letzte Reise, 42-44 aus; als Möglichkeit Riesner, Frühzeit, 268-269. Anders immer noch Lohse, Kraft, 225. Vgl. Bowers, Studies, 21 Anm. 3; Riesner, Frühzeit, 215. Suhl, Paulus, 92-110; Bruce, Paul, 316-17; Murphy-O’Connor, Paul, 316.322.363; jetzt auch Jewett 913-914; als Möglichkeit Cranfield II 761-762; Dunn II 864; Fitzmyer 714. M. S˘ as˘el Kos, Art. Illyricum, DNP V, 940-43; Islami, Illyriens; Wilkes, Illyrians; Polomé, Linguistic Situation; Schnabel, Urchristliche Mission, 1195-1198. Der Dativ κυ' κλω, ist zum Adverb erstarrter lokaler Dativ; HvS §181. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 432-456. Hes 5,5: „Dieses Jerusalem, mitten unter die Völker (η� Ιερουσαλημ ε� ν με' σω, τω ñ ν ε� θνω ñ ν) habe ich sie gesetzt, und die Länder rings um sie (τα` ς κυ' κλω, αυ� τηñ ς χω' ρας)“ (LXX.D).
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lem und Illyrien – von Judäa nach Syrien/Arabien, Kilikien, Pamphylien/ Galatien, Asia und Makedonien/Achaia bis nach Illyrien.81 Paulus sagt, dass er zwischen Jerusalem und Illyrien überall das Evangelium vom Messias verkündigt hat (πεπληρωκε' ναι το` ευ� αγγε' λιον τουñ Χριστουñ ).82 Das Verb πληρο' ω [plēroō] bedeutet hier „etwas noch Unvollkommenes zur Vollendung bringen“, und die Formulierung „das Evangelium vom Messias zur Vollendung bringen, dadurch, dass seine Verkündigung bis zur äußersten Grenze ausgedehnt wird“.83 Die Aussage ist keine „ungeheure Übertreibung“:84 Mehrere Hinweise zeigen, dass in der paulinischen Mission mehr Gemeinden gegründet wurden, als Lukas berichtet und die Paulusbriefe vermuten lassen. Vgl. Apg 19,10: „Das geschah zwei Jahre lang; auf diese Weise hörten alle Bewohner der Provinz Asien (πα' ντας του` ς κατοικουñ ντας τη` ν �Ασι'αν), Juden wie Griechen, das Wort des Herrn“; in 1Kor 16,19 senden prompt „Gemeinden der Provinz Asien“ (αι� ε� κκλησι'αι τηñ ς �Ασι'ας; Plural!) Grüße an die Gemeinde in Korinth. Die Kritik von Wilckens an Käsemanns Vorwurf der „ungeheuren Übertreibung“ mit dem Zitat von Bornkamm, „daß das Evangelium, wenn es nur irgendwo verkündigt ist, selbst seinen Weg weiterfinden und von einzelnen Städten aus das ganze umliegende Land erreichen und durchdringen werde“,85 ist zu qualifizieren. Die Missionsstrategie bzw. -taktik von Paulus kann nicht als Hauptstadt-Mission mit anschließender Durchdringung der jeweils ganzen Provinz durch das missionarische Engagement lokaler Christen86 verstanden werden: Die Städte des griech.-röm. Kulturkreises waren für die eigene Verwaltung verantwortlich und konkurrierten oft mit anderen Städten, sodass die Kommunikationslinien von einer Stadt zur anderen, selbst von der Hauptstadt der Provinz (z.B. Ephesus) zu anderen Provinzstädten (z.B. Pergamon) nicht automatisch der Verbreitung des Evangeliums dienlich waren.87 Die Missionsarbeit von Paulus bis zur Illyrienmission lässt sich chronologisch nach geographischen, auf Provinzen konzentrierten Phasen wie folgt darstellen. 1 2 3 4 5 6
Damaskus Arabien (Nabatäa) Jerusalem Kilikien: Tarsus Syrien: Antiochien Zypern: Salamis, Paphos
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Apg 9,19-21; Gal 1,17; Apg 9,23-25 Gal 1,17; 2Kor 11,32 Apg 9,26-29; Röm 15,19 Apg 9,30; 11,25-26 Apg 11,26-30; 13,1 Apg 13,4-12
32 n.Chr. 32–33 33/34 34–42 42–44 45
Die These, dass Paulus in Röm 15,19 bzw. 15,16-19 auf Jes 66,18-21 anspielt (Aus, Travel Plans, 232-262; Riesner, Frühzeit, 213-225; White, Erstlingsgabe, 204-211) ist wenig wahrscheinlich; vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1238-1239; Wander, Spanien, 182-184. Im AcI ist πεπληρωκε' ναι Inf. der Folge; HvS §221a. Bauer/Aland s.v. πληρο' ω 3, leicht modifiziert. So Käsemann 380; aufgenommen von Wilckens III 122 „unter menschlichem Aspekt“. Wilckens III 122, mit Zitat von Bornkamm, Paulus, 73. Vgl. Allen, Methods, 12. Vgl. Schnabel, Paul, 282-284.
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Galatien: Antiochien, Ikonium, Lystra, Derbe 8 Pamphylien: Perge 9 Makedonien: Philippi, Thessalonich, Beröa 10 Achaia: Athen, Korinth 11 Asia: Ephesus 12 Illyrien
Apg 13,14–14,23
45–47
Apg 14,24-26 Apg 16,6–17,15
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Apg 17,16–18,28 Apg 19,1-41 Röm 15,19
50–51 52–55 56
20 Mit und zwar so (ου« τως δε' ) beschreibt Paulus seine Missionsarbeit ge-
nauer: Er hat seine Ehre darin gesucht,88 d.h., er hat sich eifrig bemüht, das Evangelium nicht dort zu verkündigen, wo der Name des Messias schon bekannt ist (V. 20a). Das Evangelium „verkündigen“ (ευ� αγγελι' ζεσθαι [euangelizesthai])89 bedeutet, den Namen des Messias (Χριστο' ς [Christos]) zu nennen, d.h. zu bezeugen, dass Jesus von Nazareth der Messias ist, in dessen Leben, Tod, Auferstehung und Erhöhung Gott sich zum Heil von Juden und Heiden geoffenbart hat (1,3-4.16-17; 3,21–5,21). Paulus wollte nur in Städten das Evangelium verkündigen, in denen es noch keine Gemeinden von Jesusbekennern gab. In der Formulierung „wo der Name des Messias schon bekannt ist“ bedeutet ω� νομα' σθη [ōnomasthē] „genannt werden“ im Sinn von „bekannt sein, erwähnt werden“.90 Da das Verb generell ein echtes Nennen beschreibt, gehen Auslegungen, was sprachliche Gesichtspunkte betreffen, zu weit, die Paulus so verstehen, dass dieser nur in Städten evangelisieren will, wo der Messias Jesus noch nicht als Kyrios „anerkannt“ ist,91 wobei die Annahme durchaus plausibel ist, dass Paulus ————————————————————
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Das modal zu interpretierende Ptz. φιλοτιμου' μενον (part. coniunctum zu με V. 19; mit folgendem Infinitiv) kann auch mit „dabei war es für mich aber eine Ehrensache“ (GN) übersetzt werden. Im NT noch in 2Kor 5,9; 1Thess 4,11. In den dokumentarischen Papyri beschreibt das Verb φιλοτιμε' ομαι oft einen Appell, „sich mit jedwedem Ehrgeiz und möglichst uneigennützig der Erfüllung einer Aufgabe zuzuwenden“ (R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 326, mit Verweis auf P.Mich. I 6,2-3; P.Cair.Zen. III 59305). Paulus verwendet das Verb ευ� αγγελι' ζεσθαι ([euangelizesthai] s. 1,1 zu ευ� αγγε' λιον) in Röm 1,15; 10,15; 15,20; 1Kor 1,17; 9,16.18; 15,1.2; 2Kor 10,16; 11,7; Gal 1,8.9.11.16.23; 4,13; Eph 2,17; 3,8; 1Thess 3,6. Vgl. H. Bietenhard, ο� νομα' ζω, ThWNT V, 282; ders., ThBLNT II, 1385; L. Hartman, EWNT II, 1277. In den Papyri bezeichnet ο� νομα' ζω immer ein echtes Nennen; neben der Bedeutung „(namentlich) nennen, angeben“ kommt auch die Bedeutung „die Ernennung oder Bestellung einer Person für ein Amt“ vor; das Ptz. bedeutet „genannt, erwähnt“; vgl. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 219-220, mit Verweis auf P.Oxy. XXXIV 2722,45-46 („die erwähnten Dinge“); LX 4060,9 („die in Anklagen erwähnten“); BGU II 388 Kol. III,13-15 („die von den Sklaven genannten Personen“). Hartman, EWNT II, 1277; Wilckens III 121, der mit Käsemann 381 meint, ο� νομα' ζω stamme aus der Missionssprache; mit Phil 2,9; 1Kor 6,11; 2Tim 2,19 und Apg 4,12 kann man das nicht belegen – linguistisch sind Bedeutung und Referenz zu unterscheiden.
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Städte oder Regionen gemieden hätte, in denen andere Missionare angefangen haben, das Evangelium zu verkündigen, aber noch keine Menschen zum Glauben an Jesus gekommen sind. Als Paulus unmittelbar nach seiner Bekehrung in den Synagogen von Damaskus das Evangelium vom Messias Jesus verkündigte, missionierte er in einer Stadt, in der es bereits Jesusbekenner gab. Seine Arabienmission war wohl Pioniermission, genauso wie seine Kilikienmission. Die Tätigkeit im syrischen Antiochien geschah auf Wunsch des Barnabas, der selbst erst nach Antiochien gekommen war, als die von anderen Jesusbekennern in Gang gesetzte Mission konsolidiert werden musste. Die Zypernmission war vielleicht ebenfalls keine reine Pioniermission: Nach Apg 11,19 waren Jerusalemer Christen im Rahmen der durch die Tötung des Stephanus ausgelösten Verfolgung u.a. nach Zypern gelangt. In seiner Galatien- und Pamphylienmission (Antiochien, Ikonium, Lystra, Derbe sowie Perge) sowie in der Makedonien- und Achaiamission (Philippi, Thessalonich, Beröa sowie Athen, Korinth) hat Paulus wieder in Städten gewirkt, die von Missionaren offensichtlich noch nicht erreicht worden waren. In der Asiamission (Ephesus) war dies anders: Als er mit der Missionierung in Ephesus begann, lebte dort bereits das christliche Ehepaar Aquila und Priscilla, mit denen er einige Monate zuvor von Korinth nach Ephesus gereist war (Apg 18,18-19.26), sowie Apollos, der im Weg des Herrn unterwiesen war und mit glühendem Geist und großer Akribie die „Lehre von Jesus“ (τα` περι` τουñ � Ιησουñ ) vortrug und offen in der Synagoge verkündigte (Apg 18,24-26). Paulus ist in erster Linie Pioniermissionar: Er will das Evangelium vom Messias Jesus in Städten verkündigen, in denen es noch keine Gemeinden gibt, damit er nicht auf dem Fundament eines anderen baue (V. 20b).92 Jeder Jesusbekenner, der zur „Auferbauung“ (οι� κοδομη' [oikodomē]; vgl. 14,19; 15,2) der lokalen Gemeinde beiträgt, der „baut“ (οι� κοδομε' ω [oikodomeō]). Wer ein „Fundament“ (θεμε' λιος [themelios]) legt,93 der gründet eine neue Gemeinde, d.h., er ist Pioniermissionar. Zum Bild des „Bauens“ und des „Fundaments“ s. zu 14,19 (Erläuterung von 1Kor 3,9-12). Der Satz V. 20b ist keine „Nichteinmischungs-Klausel“,94 sondern im Kontext von V. 17-20 die Beschreibung seines Selbstverständnisses als Pioniermissionar, der in dem großen Projekt der missionarischen Verbreitung des Evangeli————————————————————
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Mit α� λλο' τριον sind nicht „fremde“, sondern „andere“ Missionare gemeint. Vgl. 1Kor 3,10.11.12. In Eph 2,20 ist von dem Fundament der weltweiten Gemeinde der Jesusbekenner die Rede, das die Apostel und Propheten gelegt haben. Richtig Wilckens III 121, gegen Klein, Abfassungszweck, 138-141. Paulus will bei seinem Besuch in Rom keine Gemeinde gründen, d.h. kein „Fundament“ legen, sondern er will von dort aus nach Spanien reisen und dort neue Gemeinden gründen; vgl. V. 24-29.
830 Römerbrief ————————————————————————————————————
ums, an dem auch andere Apostel, darunter die Zwölf, allen voran Petrus, sowie die Brüder Jesu beteiligt sind (1Kor 9,5), in der Regel Städte vermeidet, in denen andere Missionare arbeiten oder bereits Gemeinden gegründet haben. Er könnte sich durchaus, wie Apollos in der von ihm, Paulus, gegründeten Gemeinde in Korinth (Apg 18,27; 1Kor 16,12), als Lehrer am (Aus-)Bau der Gemeinde beteiligen und auf dem von anderen gelegten Fundament weiterbauen. Dass Paulus sich für die Mitarbeit in Gemeinden, die von anderen Missionaren gegründet worden waren, nicht zu schade war, zeigt seine Arbeit im syrischen Antiochien (Apg 11,19-26) in den Jahren 42–44 n.Chr. Eine „Gastrolle“95 ist dies nur, wenn er sich nur für kurze Zeit in einer Gemeinde aufhält, so vorgesehen für den geplanten Rombesuch, von dem gleich die Rede sein wird. 21 Paulus erklärt dieses Verständnis seiner Pioniermission mit einem Zitat aus Jes 52,15:96 Denen nicht von ihm verkündigt wurde, die sollen sehen, und die nicht gehört haben, die sollen verstehen. Der Satz gehört zum Anfang des vierten Gottesknechtsliedes (Jes 52,13–53,12), in dem davon die Rede ist, dass der Gottesknecht (ο� παιñς [ho pais]) eine Wirkung hat, die Völkerschaften (ε» θνη) und Könige (βασιλειñς) erreicht, eine Aussage, die sich zur Beschreibung der Mission unter den Heiden hervorragend eignet. Weil der Gottesknecht zunächst und primär in Israel agiert, ist es verständlich, dass den heidnischen Völkern „nicht verkündigt wurde“ (ου� κ α� νηγγε' λη [ouk anēngelē]) und dass sie deshalb „nicht gehört haben“ (ου� κ α� κηκο' ασιν [ouk akēkoasin]). Jesaja prophezeit eine Zeit, in der sich dieses ändert: Jetzt „sehen“ (ο» ψονται [opsontai]) und „verstehen“ (συνη' σουσιν [synēsousin]) auch die Völker, was es mit dem Gottesknecht auf sich hat, der abgelehnt wurde, leidet und wegen unserer Sünden stirbt, weil Gott die Schuld von allen auf ihn geladen hatte (Jes 53,2-6.12), von Gott aber gerettet wurde (Jes 53,10) und jetzt, weil er der gerechte Gottesknecht ist, den Vielen „gut dient“ (ευò δουλευ' οντα πολλοιñς), indem er sie gerecht macht (δικαιω ñ σαι δι'καιον); Jes 53,11-12. Konsequent im Kontext von Röm 15,20-22 interpretiert will Paulus sagen, dass er in seinem missionarischen Wirken nur Menschen erreichen will, die „nicht gehört haben“ (ου� κ α� κηκο' ασιν), d.h. denen noch niemand die Botschaft „von ihm“ (περι` αυ� τουñ ), vom Messias Jesus, verkündigt hat, damit sie zusammen mit dem Hören „sehen“ und „ver————————————————————
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Wilckens III 121. Lohse 397: „Will er auch künftig nicht auf fremdem Grund bauen, so braucht er sich doch in Rom nicht den Mund verbieten, sondern kann und darf sich mit der dort versammelten Christenheit über das rechte Verständnis des Evangeliums austauschen (vgl. 1,15).“ Wieder eingeleitet mit καθω` ς γε' γραπται; vgl. 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33 u.a. Das Zitat stimmt wörtlich mit LXX Jes 52,15 überein.
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stehen“. Die Bekehrung der Heiden, die in der urchristlichen Mission stattfindet, wurde in der Schrift prophezeit, die zudem seine Mission als Pioniermission unter Heiden, die die Botschaft von Jesus noch nie gehört haben, bestätigt.97 Da Paulus sich als „Sklave“ (δουñ λος [doulos]) des Messias Jesus versteht (1,1), wurde gelegentlich vorgeschlagen, dass Paulus sich selbst in der Rolle des Gottesknechts von Jes 52,15 gesehen hat.98 Diese Interpretation wird zumeist abgelehnt: Die Wendung „von ihm“ (περι` αυ� τουñ ) bezieht sich nicht auf Paulus, sondern auf den Messias Jesus.99 Haacker weist darauf hin, dass Paulus nach Apg 13,47 aus der gleichen Tradition Jes 49,6 auf sich und Barnabas bezogen hat, und kommentiert: „Christologische Rezeption alttestamentlicher Texte schließt demnach ihre gleichzeitige Lektüre zur persönlichen Lebensdeutung und für kirchliche Entscheidungen nicht aus.“100
22 Mit deshalb (διο' ) knüpft Paulus an die kurze Beschreibung seiner
Missionsarbeit unter Heiden (V. 19-21) an: Die Verkündigung des Evangeliums zwischen Jerusalem und Illyrien hat Paulus geographisch und zeitlich so sehr in Anspruch genommen, dass er oft gehindert wurde, zu euch, d.h. nach Rom zu kommen. Der adv. Akk. τα` πολλα' [ta polla] hat die Bedeutung „viele Male“, d.h. „oft“. Das Imperfekt „ich wurde gehindert“ (ε� νεκοπτο' μην [enekoptomēn]) ist iterativ gebraucht: Paulus wurde immer wieder gehindert; die Passivform lässt offen, wer oder was ihn gehindert hat, wobei er mit διο' jedoch auf Umstände der beschriebenen Missionsarbeit verweist. Man kann, muss aber nicht als passivum divinum interpretieren: Nach 1Thess 2,18 kann der Satan Reisepläne verhindern (ε� νε' κοψεν η� μαñ ς ο� σαταναñ ς). Paulus berichtet in 1,13, dass er schon oft (πολλα' κις) geplant hatte, nach Rom zu reisen, aber „bis jetzt daran gehindert“ (ε� κωλυ' θην α» χρι τουñ δευñ ρο) wurde, die Gemeinden in Rom zu besuchen. Die Möglichkeit, nach Rom zu reisen, gab es mehrfach – nach der verhinderten Mission in der Provinz Asia und Pontus-Bithynien im Jahr 50 (stattdessen initiierte Paulus die Makedonienmission), nach Abschluss der Achaiamission im Jahr 51 (stattdessen missionierte Paulus in Ephesus), nach Abschluss der Asiamission im Jahr 55 (stattdessen besuchte Paulus die Gemeinden in Makedonien und ————————————————————
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Vgl. Wilk, Bedeutung, 181-182; Wagner, Heralds, 329-336. Vgl. Kerrigan, Echoes; Dunn, Jesus and the Spirit, 113; Radl, Gottesknecht, 144-149, mit Verweis auf Jes 49,4; Dunn II 866.869 (Paulus zitiert in 15,21 Jes 52,15, in 10,15 Jes 52,7, in 10,16 Jes 53,1 und spielt in 1,1.5 auf Jes 49,6 an). Fitzmyer 716; Jewett 917; Wagner, Heralds, 333. Kritisch auch Cranfield II 765 Anm. 2; Käsemann 381 (gegen J. Jeremias, ThWNT V, 706; Gaugler, Leenhardt); Moo 898 Anm. 86; Zeller 239; Schreiner 770; Lohse 397. Haacker 366. Lohse 397 Anm. 23 zitiert ihn deshalb zu Unrecht für die von ihm m.E. zu Recht abgelehnte Selbst-Identifikation von Paulus mit dem Gottesknecht Jesajas.
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Achaia und plante einen Jerusalembesuch) oder direkt nach dem Besuch der Gemeinden in Makedonien und der Illyrienmission im Jahr 56 (stattdessen besuchte Paulus Korinth über den Winter und reiste dann erst nach Jerusalem). S. ausführlicher zu 1,13. 23 Paulus hat jetzt (νυνι'), d.h. nach Abschluss der Ephesusmission (und der kurzen Illyrienmission), keinen Raum mehr in diesen Regionen. Das mit „Raum“ (το' πος [topos]) übersetzte Wort meint die „Gelegenheit“ zur Pioniermission, den Wirkungsraum zur gemeindegründenden Mission.101 Das Wort „Regionen“ (κλι'ματα [klimata]) wird meist mit „Gegenden“ wiedergegeben. 102 Paulus sieht angesichts seiner Entscheidung, nur als Pioniermissionar zu arbeiten, in den Regionen und Provinzen des östlichen Mittelmeerraums keine Gelegenheit mehr, neue Gemeinden zu gründen. Deshalb kann der seit vielen Jahren (α� πο` πολλω ñ ν ε� τω ñ ν) ersehnte103 Besuch der römischen Gemeinden jetzt konkret ins Auge gefasst werden. Paulus hat wohl schon in den frühen 50er-Jahren eine Reise nach Rom und vielleicht bereits zu diesem frühen Zeitpunkt eine Mission in Spanien geplant. 24 Das ist jetzt das nächste Ziel seiner Missionsarbeit: sobald ich nach Spanien reise (V. 24a).104 Der Plan einer Spanienmission könnte mit der Tatsache zusammenhängen, dass nach atl. und griech.-römischer Vorstellung Gades (bzw. Tarschisch) am „Ende der Erde“ liegt, und Jesus die Apostel nach Apg 1,8 von Jerusalem und Judäa über Samaria an das „Ende der Erde“ (ε«ως ε� σχα' του τηñ ς γηñ ς) gesandt hatte.105 Belegen lässt es sich aller————————————————————
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Bauer/Aland s.v. το' πος 2c: το' πον ε» χειν „Gelegenheit haben“ (zur apostolischen Arbeit); H. Koester, Art. το' πος, ThWNT VIII, 187-208, zu Röm 15,23 ebd. 206; G. Haufe, EWNT III, 876-879: „die Gelegenheit zu etwas bzw. den Wirkungsraum für etwas“. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 43-44 verweist auf die große Bandbreite der Bedeutungen von το' πος: Platz, Ortschaft, Stadtteil, Tempel, Grab(anlage), Grundstück, Zimmer. Elb.Ü, EÜ, GN; vgl. Bauer/Aland s.v. κλι' μα (mit „Landstrich“ als Grundbedeutung); LÜ hat „Länder“, NGÜ „Gebiete“, ZÜ verengend mit Singular „in diesem Gebiet“; die englischen Übersetzungen haben meistens „regions“ (NASB, NIV, NRSV); BDAG übersetzt mit „district“. In 2Kor 11,10 bezeichnet κλι' ματα die Regionen der Provinz Achaia, in Gal 1,21 die Regionen der Provinz Syrien-Kilikien. In den Papyri ist die Bedeutung „Gegend, Region“ erst spät belegt; die wörtliche Bedeutung „Hang“, „Leiter“ ist in den Papyri belegt; Arzt-Grabner, 2. Korinther, 476. ε� πιποθι' α ist die Sehnsucht, das Verlangen; das Wort kommt nur hier im NT vor; LSJ verweist als Beleg nur auf Röm 15,23. Das synonyme ε� πιπο' θησις kommt in 2Kor 7,7 sowie in Hes 23,11 (Aquila) vor. Nach F. Büchsel, Art. θυμο' ς κτλ., ThWNT III, 170 Anm. 33 ist ε� πιποθι' α parallel zu ε� πιθυμι' α im Sinn des natürlichen, sehnsüchtigen Verlangens, mit Verweis u.a. auf Lk 15,16; 16,21; 22,15; Apg 20,33; 1Thess 2,17; Jak 4,2; Offb 9,6. ω� ς α» ν steht für ο« ταν mit prospektivem Konj.; HvS §252,3b(aa). Vgl. Bowers, Studies, 53-63; Jewett, Phoebe, 144-164; Dewey, Future; Wander, Spanien; Koch, Spanien, 710; vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1214; zu Apg 1,8 ebd. 365369, zur Spanienmission von Paulus ebd. 1214-1225.
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dings nicht, dass Paulus eine Mission in Spanien als Mission am westlichen „Ende der Erde“ geplant hat, und wenig wahrscheinlich ist die Annahme, Paulus habe seine Spanienmission „am Ende der Erde“ als eschatologischen Höhepunkt angesehen, der das Weltende einleiten würde. Das Wort Σπανι'α [Spania] bezeichnet entweder die kaiserliche Provinz Hispania citerior (Tarraconensis) oder die ganze Pyrenäenhalbinsel. Spanien (Σπανι' α, lat. Hispania, Spania)106 hatte schon früh Kontakte mit dem östlichen Mittelmeerraum, als von Tyrus und Sidon kommende Phönizier die Stadt Gades und Städte an der Südküste (Mainake/Malaga, Abdera) gründeten. Griechen gründeten später Rhode, Emporion und Artemision/Dianium. Ein wichtiger Grund für die Kolonisation waren die Metallvorkommen auf der iberischen Halbinsel (Gold, Silber). Nach dem Sieg über die Karthager, die weite Teile Spaniens erobert hatten, richteten die Römer 204 v.Chr. die Provinzen Hispania Citerior (Ostküste) und Hispania Ulterior (Südostküste, Guadalquivir-Tal) ein. In den Neugliederungen der Jahre 29 und 19 v.Chr. wurde Hispania Ulterior in eine senatorische Provinz Baetica (Hauptstadt Corduba) und eine kaiserliche Provinz Lusitania (Hauptstadt Emerita Augusta) aufgeteilt; der nördliche Teil der Halbinsel bildete weiterhin die Provinz Hispania Citerior (Hauptstadt Tarraco). Spanien war seit Augustus mit einem dichten Netz von römischen Kolonien und Munizipien überzogen. Viele der aus Provinzen stammenden Senatoren Roms im 1. Jh. kamen aus Spanien; zu den berühmten Spaniern gehörten Seneca, Quintilian und Martial, sowie die späteren Kaiser Trajan, Hadrian und Mark Aurel.
Es ist nicht sicher, ob es im 1. Jh. jüdische Synagogen in Spanien gab. Belegt sind diese erst für das 3./4. Jh. n.Chr.107 Die These, die Absicht des Paulus, in Spanien zu missionieren, sei der beste Beleg für eine jüdische Präsenz in Spanien, „da der Apostel in der Regel zuerst Juden und Gottesfürchtigen im Bereich der Synagoge predigte“,108 ist spekulativ.109 Paulus muss nicht immer in Synagogen gepredigt haben. Nach Röm 1,14 wusste er sich auch an „Barbaren“ gesandt.110 Spanien war jedenfalls von Rom aus über ein gut ————————————————————
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P. Barceló u.a., Art. Hispania, Iberia, DNP V, 618-31; J.M. Laboa, Art. Spanien, TRE 31 (2000) 610-635; F. Diego Santos, Art. Die Integration Nord- und Nordwestspaniens als römische Provinz in der Reichspolitik des Augustus, ANRW II.3 (1975) 523-571; Galsterer, Untersuchungen; Mackie, Administration; Keay, Roman Spain; Richardson, Romans in Spain, bes. 127-78; MacMullen, Romanization, 50-84; Schnabel, Urchristliche Mission, 1214-1228; Koch, Spanien, 702-709. Vgl. Schürer, History III, 84-85; Bowers, Communities; Solin, Juden, 749-752; Ellis, End, 285-286; Schnabel, Urchristliche Mission, 1217-1219. Käsemann 383 schreibt, ohne jeden Beleg: „Spanien war … sicherlich nicht ohne eine Anzahl von Synagogen“. Ellis, End, 285-286; vgl. Haas, Paulus, 37. Bowers, Communities, 402 argumentiert, die Aussage in Röm 10,18 – die Botschaft des Evangeliums ist in die ganze Welt ausgegangen, deshalb können Juden nicht behaupten, sie hätten keine Möglichkeit gehabt, das Evangelium zu hören – bestätige die Vermutung, dass es im 1. Jh. in Spanien keine Juden gab. Vgl. Wander, Spanien, 193.
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ausgebautes römisches Straßennetz leicht erreichbar;111 die Reise per Schiff war schneller und bequemer. Vielleicht wollte Paulus in Tarraco, der Hauptstadt der Provinz Hispania citerior an der Nordostküste Spaniens missionieren.112 Dies ist plausibel, aber es gab auch andere lohnende Missionsziele – an der Ostküste Barcino, Caesaraugusta, Dertosa, weiter südlich Saguntum, Valentia, Carthago Nova; an der Südküste Abdera und Malaca, an der atlantischen Südküste Gades, Hasta Regia und Hispalis. Paulus will auf der Reise nach Spanien Rom besuchen, ein Vorhaben, das er mit einer dreifachen Erklärung versieht. Zunächst formuliert er zurückhaltend: Ich hoffe, euch auf der Durchreise zu sehen (V. 24b). Das Verb διαπορευ' ομαι [diaporeuomai] bezeichnet das „Hindurchgehen“ durch eine Region oder die Durchreise durch Städte und Dörfer.113 Paulus will in Rom nicht missionieren, sondern durchreisen auf dem Weg nach Spanien. Das Verb θεα' σασθαι ([theasasthai], „sehen“) bedeutet hier „nach jmd. sehen, besuchen“; es beschreibt manchmal offizielle Besuche mit dem Ziel der Konsultation.114 Paulus kündigt seinen Besuch in Rom als kurzen Besuch, als Stippvisite an, bei dem er die Bekanntschaft der römischen Christen machen und sie im Blick auf seine Spanienmission konsultieren will. Das Verb „hoffen“ (ε� λπι'ζω [elpizō]) zeigt, dass bei aller Planung die Unsicherheit bleibt, ob die Pläne durchgeführt werden können. Paulus ist im Jahr 60 in Rom angekommen – nicht auf der Durchreise nach Spanien, sondern als Gefangener, der in den vergangenen zwei Jahren nicht etwa in Spanien missioniert hatte, sondern als „Gast“ der römischen Statthalter Felix und Festus in Cäsarea auf die Beendigung des Prozesses wartete, den der Sanhedrin gegen ihn angestrengt hatte. Der Satz lässt der Gemeinde, die Paulus nicht gegründet hat, diplomatisch die Möglichkeit, seinen geplanten Besuch abzusagen.115 Die Auskunft, dass er hofft, von euch zur Weiterreise ausgestattet zu werden (V. 24c), ist konkreter. Das Verb προπε' μπω [propempō] bedeutet hier „zur (Weiter-)Reise ausstatten mit Lebensmitteln, Geld, durch Stellung von Begleitern, Beschaffung von Fahrgelegenheit“.116 Eine Aussendung ————————————————————
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G. Radke, Art. Viae Publicae Romanae, PW Sup XIII, 1417-1686; Cepas, Tabula Imperii Romani K/J 31. Breytenbach, Paulus, 152, Anm. 23. Vgl. Lk 13,22; 18,36; Apg 16,4. Jewett 925; mit Verweis auf Appian, Samn 7,1; Mt 22,11. Vgl. Bauer/Aland s.v. θεα' ομαι 1b; Kettunen, Abfassungszweck, 162. Anders Käsemann 383 („kennenlernen“). Preisker, EWNT II, 336 interpretiert etymologisch: Paulus will die röm. Gemeinde „nicht nur kurz sehen, sondern bei ihr verweilen“. Jewett 925; vgl. Dunn II 872; Haacker 367. Bauer/Aland s.v. προπε' μπω 1; vgl. H. Balz, Art. προπε' μπω, EWNT III, 385. Vgl. 1Kor
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durch die Gemeindeversammlung kann man aus Apg 15,3 für V. 24c nicht ableiten, aber eine „Ausstattung mit den nötigen Reisemitteln … (vgl. 1Kor 16,6; 2Kor 1,16; 3Joh 6) und vor allem ein Reisegeleit (vgl. Apg 20,38), d.h. wegekundige Begleiter bis zur ersten Station“ sind angedeutet.117 Vielleicht nicht nur bis zur „ersten Station“: Wenn Paulus auf Lateinisch sprechende Übersetzer angewiesen war, würden diese auch zur „Ausstattung“ gehört haben und wären mit nach Spanien gereist. Paulus erwartet die konkrete Unterstützung, und damit Mitarbeit, der römischen Christen für seine Spanienmission. Die Einzelheiten, diese Dinge im Gespräch mit den Gemeinden zu regeln, überließ er vielleicht Phöbe (vgl. 16,1-2). Die dritte Auskunft ist wieder zurückhaltend: Er will von Rom nach Spanien weiterreisen, nachdem ich mich an der Gemeinschaft mit euch zunächst einigermaßen gestärkt habe (V. 24d). Das Verb ε� μπι' μπλημι [empipmlēmi] bedeutet hier, im Passiv formuliert, „etw. genießen, sich an etw. erfreuen“.118 Das Personalpronomen υ� μω ñ ν benennt die römischen Jesusbekenner als diejenigen, von denen er Stärkung und Freude erwartet: Paulus erwartet, dass er durch die Gemeinschaft mit ihnen auch persönlich gestärkt wird. Mit zunächst (πρω ñ τον [prōton]) beschreibt Paulus, was er sich als Allererstes von ihnen erhofft, mit einigermaßen (α� πο` με' ρους [apo merous]) betont er, dass er die logistischen Einzelheiten der Spanienmission erst dann mit ihnen besprechen will, wenn die persönliche Beziehung entstanden ist, von der er sich geistliche Stärkung verspricht. Weder aus den Paulusbriefen noch aus dem Bericht von Lukas in der Apg erfahren wir, ob Paulus je in Spanien missionierte, was nur dann möglich gewesen wäre, wenn er nach der mindestens zwei Jahre dauernden Gefangenschaft in Rom (Apg 28,30) freikam. Eine Rekonstruktion der letzten Jahre von Paulus hängt davon ab, ob man die frühchristlichen Zeugnisse, nach denen Paulus aus der Gefangenschaft in Rom freikam, für zuverlässig hält. ————————————————————
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16,6.11; 2Kor 1,16; Tit 3,13; Apg 15,3 (an diesen Stellen ist von einer „Begleitung“, einer Eskorte, nichts erwähnt); s. auch 1Makk 12,4; Arist 172. Vgl. Cranfield II 769; Schlier 435; Michel 463 mit Anm. 4; Käsemann 383; Wilckens III 124; Dunn II 872; Jewett 925; Lohse 399; Starnitzke, Struktur, 453; Koch, Spanien, 712. In Apg 20,38; 21,5 bedeutet das Verb „geleiten, begleiten“, eine Bedeutung, die manche auch für Röm 15,24 voraussetzen, vgl. Ollrog, Mitarbeiter, 124. In den Papyri bedeutet das Verb „geleiten, begleiten“ (R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 512-513). Wilckens III 124. Vgl. Käsemann 383, der kommentiert: „Die Gemeinde soll also seine Arbeit aktiv unterstützen und an ihren Lasten partizipieren.“ Bauer/Aland s.v. ε� μπι' (μ)πλημι 3. Vgl. G. Delling, Art. πι' μπλημι κτλ., ThWNT VI, 127131, der für die ntl. Belege (Lk 1,53; 6,25; Joh 6,12; Apg 14,17; Röm 15,24) durchweg die Bedeutung „sättigen“, Pass. „satt werden“ annimmt, zu Röm 15,24: „Paulus will sich wenigstens ein Stück weit sättigen an dem Glaubensleben der römischen Gemeinde und an der Glaubensgemeinschaft mit ihr bei seinem Aufenthalt in der urbs. Im Ausdruck ‚sättigen‘ ist hier der Gedanke der Freude und der Stärkung enthalten“ (ebd. 131).
836 Römerbrief ———————————————————————————————————— Das früheste, in die 90er-Jahre des 1. Jh.s datierende Zeugnis ist eine Notiz in 1Klem 5,5-7 sowie eine Notiz im Kanon Muratori und in den apokryphen Petrusakten (ActPetr 1-2). Klemens von Rom bezeichnet Paulus als „Verkündiger im Osten wie im Westen“ (κη' ρυξ γενο' μενος ε» ν τε τηñ, α� νατοληñ, και` ε� ν τηñ, δυ' σει); das Wort δυ' σις ([dysis] „Westen“) bezieht sich manchmal auf Gallien und Britannien, meistens aber auf Spanien;119 dass Klemens Spanien meint, ist plausibel.120 Die Angabe sollte man nicht einfach als Projektion aus Röm 15,25 abtun, die das Ziel hat, die Reputation des Apostels Paulus in Rom zu erhöhen: Wenn Röm 15,25 die einzige Quelle für die Notiz des Clemens war, wäre zu erwarten, dass er nicht allgemein von der „Grenze des Westens“ schreibt, sondern das Wort „Spanien“ verwendet. Die Formulierung in 1Klem 5,7, die auf Paulus eher anspielt als historische Information vermittelt, lässt kein besonderes Interesse erkennen, ein bestimmtes Faktum aus dem Leben des Apostels zu erfinden. Im Kanon Muratori heißt es Z. 35-39: „Lukas fasst für den ‚besten Theophilus‘ zusammen, was in seiner Gegenwart im einzelnen geschehen ist, wie er das auch durch Fortlassen des Leidens des Petrus einsichtig klar macht, ebenso durch (das Weglassen) der Reise des Paulus, der sich von der Stadt (Rom) nach Spanien begab.“ Eine ganze Reihe von Forschern akzeptieren die Zuverlässigkeit dieser frühkirchlichen Angaben und damit eine tatsächliche Spanienreise von Paulus.121 Die erste explizite Erwähnung von Christen in Spanien stammt von Irenäus, dem Bischof von Lyon: „Die Gemeinden, die es in Germanien gibt, glauben und überliefern nicht anders, auch die in Iberien (d.h. Spanien) und die bei den Kelten (in Gallien) nicht, ebenso die im Orient und die in Ägypten, in Libyen und in der Mitte der Welt (d.h. Palästina mit Jerusalem)“ (AdvHaer 1,10,2). Paulus kann in Spanien nicht lange missioniert haben. Den Grund für einen vorzeitigen Abbruch der Spanienmission kennen wir nicht. Erfolglosigkeit war sicher kein Grund:122 Obwohl Paulus in Synagogen regelmäßig angefeindet wurde, predigte er trotzdem, wo immer dies möglich war, in Synagogen. Paulus hätte kaum nach einem erfolglosen Sommer in Spanien die Entscheidung getroffen, wegen fehlender Bekehrungen seine Mission in diesen wichtigen römischen Provinzen aufzugeben. Vielleicht waren es dringliche Nachrichten aus dem ägäischen Raum, die ihn zur Rückkehr bewegten. Vielleicht wollte er in den wenigen Jahren, die ihm menschlich gesehen noch verblieben, Unerledigtes im Osten des Mittelmeerraums in Angriff nehmen.
25 Paulus informiert die römischen Jesusbekenner, dass die geplante Reise
nach Rom nicht sofort stattfinden kann: Jetzt aber reise ich nach Jerusalem. Paulus plante, nach Wiederöffnung der Schifffahrt im Mittelmeer im Frühjahr um den 5. März mit dem Schiff nach Syrien zu reisen (Apg 20,3), damit er an Pfingsten in Jerusalem sein konnte (Apg 20,16; im Jahr 57 am 29. Mai); dann wollte er offensichtlich nach Rom reisen, um vielleicht noch ————————————————————
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Josephus, CAp 1,67; Tacitus, Hist 4,3; Strabo 1,2,31; 1,4,6; 2,1,1; 2,4,3-4; 3,1,2; 3,5,5; Philostratos, VitApol 5,4; 4,47; Plinius, NatHist 3,1,3-7; Livius 21,43,13; 23,5,11. Vgl. jüngst Löhr, Paulus-Notiz, 207-209, gegen Lindemann, Clemensbriefe, 39. Vgl. Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur, 239-240; Lightfoot, Fathers I/2, 30; Zahn, Einleitung I, 442-54; Spicq, Épîtres pastorales I, 126-146; Hemer, Acts, 390404; Tajra, Trial, 196; Knight, Pastoral Epistles, 15-20; Ellis, End, 284-85; MurphyO’Connor, Paul, 361; Löhr, Paulus-Notiz, 207-212; Ellis, Documents, 278-282; Riesner, Project, 107-108; vorsichtig positiv Hengel/Schwemer, Paulus, 403 Anm. 1660; Wander, Spanien, 175-195. So jedoch Murphy-O’Connor, Paul, 362-363.
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im Herbst 57 nach Spanien weiterreisen zu können. Die abermalige Verzögerung der schon lange geplanten und jetzt ganz konkret ins Auge gefassten Reise nach Rom ergab sich infolge eines Projekts, das keinen Aufschub duldete. Paulus muss nach Jerusalem, um den Heiligen zu dienen. Die Heiligen (οι� α� γι'οι [hoi hagioi]) sind die Jesusbekenner in Jerusalem, die wie die Jesusbekenner in Rom „berufene Heilige“ (κλητοι` α� γι'οι) sind.123 Was mit „dienen“ (διακονω ñ ν [diakonōn]; finales Ptz.) gemeint ist, erklärt Paulus in den nächsten beiden Sätzen.124 26-27 Paulus beschreibt in diesen beiden Versen sowie in V. 31b die Sammlung für die Jesusbekenner in Jerusalem, die in 1Kor 16,1-4 und vor allem in 2Kor 8–9 ausführlicher dargestellt wird. Paulus nennt in seinem Brief an die römischen Christen folgende Gesichtspunkte.125 Erstens, Makedonien und Achaia haben beschlossen (V. 26a). Mit dem Stichwort Makedonien (Μακεδονι'α [Makedonia]) sind die Gemeinden bzw. die Jesusbekenner in den Gemeinden in Philippi, Thessalonich und Beröa gemeint (Gründungsgeschichte in Apg 16,9–17,14), mit Achaia (�Αχαι¨' α [Achaïa]) die Christen in den Gemeinden in Athen und Korinth (Gründungsgeschichte in Apg 17,15–18,18) sowie Kenchreä (vgl. Röm 16,1). 126 Die Sammlung wird als Initiative der makedonischen und achaischen Gläubigen bezeichnet: Das Verb ευ� δοκε' ω [eudokeō], das Paulus in V. 27a wiederholt, bedeutet hier „für gut halten, beschließen, wollen“.127 Das Wort beinhaltet die Freiwilligkeit der Kollekte. In 2Kor 8,4 schreibt Paulus, dass sich die makedonischen Christen unbedingt an der Kollekte ————————————————————
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Eine Selbstbezeichnung der Jesusbekenner in Jerusalem ist der Ausdruck οι� α� γι' οι, wie Holl, Kirchenbegriff, 59 und Eckert, Kollekte, 70-71 behaupten, kaum: Paulus bezeichnet mit dieser Formulierung alle Glaubenden (Röm 8,27) oder die Glaubenden in einer bestimmten Ortsgemeinde (2Kor 1,1); vgl. Schmeller, Korinther II, 49. Betz, Administrative Letters, 90, nimmt an, dass das Projekt der Kollekte für die Christen in Jerusalem unter dem Titel η� διακονι' α η� ει� ς του` ς α� γι' ους ([hē diakonia hē eis tous hagious], „der Dienst für die Heiligen“) bekannt war (Betz, Verwaltungsbriefe, 149); vgl. Jewett 927. In Aufnahme von V. 31 könnte man eher die Formulierung η� διακονι' α η� ει� ς � Ιερουσαλη' μ ([hē diakonia hē eis Ierousalēm], „der Dienst für Jerusalem“) vermuten. Zur Kollekte vgl. Georgi, Kollekte; Berger, Almosen; S. McKnight, Art. Collection, DPL 95-110; Beckheuer, Kollekte; Joubert, Benefactor; Kim, Kollekte; Wedderburn, Paul’s Collection; Downs, Offering; Horn, Kollekte; Schmeller, Korinther II, 32-40; vgl. Schnabel, 1. Korinther, 999. Vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 395-410 für eine Vergleichstudie zwischen der paulinischen Kollekte und den Geldsammlungen antiker Vereine anhand der dokumentarischen Papyri. Μακεδονι' α kommt im NT 22 Mal vor: Apg 16,9.10.12; 18,5; 19,21.22; 20,1.3; Röm 15,26; 1Kor 16,5 (2x); 2Kor 1,16 (2x); 2,13; 7,5; 8,1; 11,9; Phil 4,15; 1Thess 1,7.8; 4,10; 1Tim 1,3. �Αχαι¨' α kommt 10 Mal vor: Apg 18,22.27; 19,21; Röm 15,26; 1Kor 16,15; 2Kor 1,1; 9,2; 11,10; 1Thess 1,7.8. Bauer/Aland s.v. ευ� δοκε' ω 1.
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beteiligen wollen.128 Gleichzeitig ist deutlich, dass die Sammlung eine Initiative von Paulus war: Er hat in den galatischen Gemeinden „angeordnet“ (διε' ταξα), was er auch der korinthischen Gemeinde schreibt, nämlich regelmäßig Geldbeträge zurückzulegen, damit die Sammlung fertig ist, wenn er die Gemeinde besucht (1Kor 16,1); laut 2Kor 8,5 hatten er und seine Mitarbeiter „gehofft“ (η� λπι'σαμεν), dass sich die makedonischen Gemeinden an der Sammlung beteiligen. Die Sammlung war wahrscheinlich locker an die Jerusalemer Konsultation des Jahres 48 angelehnt, bei der die „Säulenapostel“ Paulus gebeten hatten, in seiner Missionsarbeit an die Armen zu denken (Gal 2,10).129 Zweitens, die Sammlung ist eine Gemeinschaftsaktion für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem (V. 26b). Das Verb ποιε' ω bedeutet in der Mediumform „für sich, von sich aus schaffen, machen“130 und ist hier, im Kontext einer Geldsammlung, am besten mit „organisieren“ zu übersetzen. Das mit „Gemeinschaftsaktion“ übersetzte κοινωνι'α ([koinōnia])131 ist eine Bezeichnung für die Geldsammlung.132 Das Indefinitpronomen τινα' ([tina]; „[irgend]eine“) gibt an, dass die Aktion unbestimmt ist;133 d.h., Paulus schwächt ab: Es handelt sich nicht um einen festgelegten Betrag,134 den die makedonischen und achaischen Gemeinden geben. Peterman lehnt die materielle Interpretation von κοινωνι' α in Röm 15,26 ab und votiert für die allg. Bedeutung „Gemeinschaft“ im Sinn einer „subjective, social, historical fellowship“, die Paulus durch die Sammlung für die heidenchristlichen Gemeinden mit der Jerusalemer Gemeinde herstellen wolle.135 Seine Argumente zeigen höchstens, dass eine materielle Bedeutung von κοινωνι' α selten ist und vielleicht nur hier in Röm 15,26 (und Hebr 13,16) ————————————————————
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2Kor 8,4: μετα` πολληñ ς παρακλη' σεως δεο' μενοι η� μω ñ ν („sie haben uns mit vielem Zureden gebeten, dass sie mithelfen dürften“). Diese Konsultation ist vom Apostelkonvent des Jahres 48 zu unterscheiden, von dem in Apg 15 die Rede ist; vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 946-978. Die Kollekte war aber keine Rechtspflicht, wie Holl, Kirchenbegriff, 55, annahm, der meinte, die Jerusalemer Gemeinde sei „befugt und verpflichtet“ gewesen, „ein Aufsichts- und selbst ein gewisses Besteuerungsrecht über die ganze Kirche auszuüben“ (ebd. 62). Diese Sicht wird in der neueren Forschung nicht mehr vertreten; vgl. Schmeller, Korinther II, 35-36. Bauer/Aland s.v. ποιε' ω II.1; BDAG s.v. ποιε' ω 7a. Zum Verb κοινωνε' ω s. 12,13. Vgl. Bauer/Aland s.v. κοινωνι' α 3, „d. Zeichen d[er] Gemeinschaft, d. Erweis brüderlichen Zusammenhaltens, möglicherweise direkt d[ie] Spende; vgl. LXX Lev 6,1 (hebr. 5,21): η� περι` κοινωνι' ας („wegen gemeinsamen Eigentums“; LXX.D); Muraoka schlägt für κοινωνι' α in Lev 6,1 die Bedeutung „joint partnership“ vor. HvS §144a; wenn τις/τι attributiv Substantiv-Begleiter ist, kann es dem deutschen unbestimmten Artikel „ein(e)“ entsprechen; vgl. HvS §129a. Käsemann 385. Peterman, Reciprocity, 735-740, der auch auf L.T. Johnson 230; Witherington 365; Grieb, Story, 141 verweist; vgl. auch Käsemann 385; jetzt auch Jewett 928-929.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 839 ———————————————————————————————————— vorkommt,136 beweisen aber nicht, dass diese Bedeutung in 15,26 unmöglich ist. Die Bedeutung von Wörtern ist immer flexibel und im jeweiligen Kontext zu bestimmen. Von der Verwendung von κοινωνι' α für eine „Partnerschaft“ im Sinn von Geschäftspartnern, die gemeinsam Grundbesitz oder einen Betrieb besitzen,137 ist es nicht mehr weit zur Bedeutung „gemeinsame Güter“ oder, wenn man weniger konkret materiell interpretiert, zur Bedeutung „Gemeinschaftsaktion“.
Die „Gemeinschaft“ der Jesusbekenner in den von Paulus gegründeten Gemeinden konkretisiert sich in der „Gemeinschaftserweisung“.138 In der Bezeichnung κοινωνι'α zeigt sich eines der Ziele bzw. eine der Motivationen für die Kollekte. Sie demonstriert und zementiert die Gemeinschaft zwischen den heidenchristlichen Gemeinden, die Paulus gegründet hat, und der Jerusalemer Gemeinde als Repräsentantin der judenchristlichen Gemeinde: Die heidenchristlichen Gemeinden zeigen, dass sie sich bewusst sind, dass sie ihre Existenz theologisch und missionarisch den Judenchristen gerade in der Gemeinde in Jerusalem verdanken, und diese sollen die (unbeschnittenen) Heidenchristen anerkennen, indem sie die Kollekte annehmen.139 Eine weitere Bezeichung der Geldsammlung liegt in dem Wort Dienst (διακονι'α [diakonia]) in V. 31b vor (s. auch 2Kor 8,4; 9,1.12-13). Was Paulus organisiert, ist „der Dienst für Jerusalem“ (η� διακονι'α η� ει� ς � Ιερουσαλη' μ [hē diakonia hē eis Ierousalēm]).140 Das Wort διακονι'α charakterisiert die Kollekte als sozial-karitative Hilfeleistung: Das Geld der heidenchristlichen Gemeinden lindert die Armut von Judenchristen in Jerusalem (vgl. 2Kor 8,14: „Jetzt ————————————————————
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LSJ s.v. κοινωνι' α III verweist für die Bedeutung „charitable contribution, alms“ nur auf Röm 15,26; Hebr 13,16. LSJ s.v. κοινωνι' α II.1a, 1b; Horsley/Llewelyn, New Documents IX, 47. Hainz, Koinonia, 138; vgl. Hainz, ΚΟΙΝΩΝΙΑ, 380: „Im Hintergrund des paulinischen κοινωνι' α-Verständnisses steht … jene im Herrenmahl grundgelegte ‚Gemeinschaft‘ unter den Gliedern des ‚Leibes Christi‘, die durch deren (gemeinsame) ‚Teilhabe‘ am ‚Leib des Χριστο' ς‘ entsteht … Immer wird ‚Gemeinschaft‘ durch ‚Anteilgabe‘ gestiftet, die zur ‚Anteilnahme‘ verpflichtet und sich daher konkret erweisen muss.“ Vgl. Cullmann, Kollekte, 601-602; Downs, Offering, 16-18; Nickle, Collection, 111-129; Hainz, Koinonia, 151-161; Hainz, ΚΟΙΝΩΝΙΑ, 375-380; Schmeller, Korinther II, 40. Ähnlich, aber nicht auf Jerusalem bezogen, Ogereau, Collection, 362-363.377: Der Anbruch der Königsherrschaft Gottes hat eine neue sozial-ökonomische Ordnung geschaffen, die in der Gütergemeinschaft der Jerusalemer Gemeinde ihren sichtbaren Ausdruck gefunden hat. In 2Kor 8,4; 9,13 wird κοινωνι' α ebenfalls im Zusammenhang der Kollekte verwendet, allerdings nicht als Bezeichnung für die Kollekte als solche, sondern im Sinn einer „Beteiligung“ oder „Teilnahme“; vgl. Schmeller, Korinther II, 48, gegen Kim, Kollekte, 13. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 395: κοινωνι' α lässt hier an το` κοινο' ν denken, „eine übliche (Selbst-)Bezeichnung eines antiken Vereins“; vgl. P.Mich. V 244,8.17 (25. August 43 n.Chr.); 245,25.28 (18. August 47 n.Chr.); vgl. Kloppenborg/Ascough, Associations, 434.454 s.v. το` κοινο' ν.
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helfe euer Überfluss ihrem Mangel [υ� στε' ρημα] ab“).141 Zugleich zeigt das Wort, das in der griech.-röm. Verwaltungssprache ein „(Amts-)Geschäft“ bezeichnet, dass die Kollekte ein Dienst ist, „der zwar auf die Initiative des Paulus zurückgeht, aber institutionelle Züge trägt, die ihn von einer reinen Privatangelegenheit unterscheiden“.142 „Arme“ (πτωχοι' [ptōchoi]) sind nicht geistlich Arme,143 sondern materiell bedürftige „Heilige“ in der Jerusalemer Gemeinde. Es scheint, dass die Geldmittel der wohlhabenden Jesusbekenner, die in den ersten Jahren der Existenz der Jerusalemer Gemeinde Häuser und Grundstücke verkauften, um arme Gemeindeglieder zu unterstützen (Apg 2,44-45; 4,34.37; 5,1.4.8),144 aufgebraucht waren, vielleicht als Konsequenz der Hungersnot, die Agabus prophezeit hatte (Apg 11,28) und die unter Kaiser Claudius (41-54 n.Chr.) eingetreten war. Drittens, die makedonischen und achaischen Christen beteiligen sich freiwillig (ευ� δο' κησαν; s. zu V. 26a.) an der Kollekte für die Jesusbekenner in Jerusalem, aber zugleich gilt: sie sind auch ihre Schuldner (ο� φειλε' ται ει� σι`ν αυ� τω ñ ν [opheiletai eisin autōn]; V. 27). Für Römer war Reziprozität (Wechselseitigkeit) eine grundlegende gesellschaftliche Wirklichkeit und Praxis: Jede Gefälligkeit, jedes Geschenk, jede Gabe stiftete eine soziale Beziehung, ganz unabhängig davon, wie eng oder intensiv diese war. „Reziprozität wurde erwartet … Im römischen System sozialer Reziprozität hieß Dankbarkeit, verpflichtet zu sein – nötigenfalls zum Gehorsam.“145 Mangelnde Fähigkeit zur Reziprozität auf gleichem Niveau galt als Grund, eine Einladung abzulehnen. Die für den Status des nobilis konstitutive auctoritas beruhte „auf der gleichen Grundlage einer immer wieder erneuerten Überlegenheit und der tief eingerasteten Reziprozität von Leistung und Gegenleistung, Erwartung und Erwartungserfüllung … In der auctoritas setzte sich seine dignitas wie seine fides, ererbter wie erworbener Rang, ————————————————————
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Manche nehmen an, dass dies der Hauptzweck der Kollekte war: Käsemann 385; Nickle, Collection, 100-111; Schmithals, Kollekten, 84.105; Meggitt, Poverty, 159; die ökonomische Gemeinschaft betonend Horrell, Collection, 79-80; Ker, Finances, 28; Ogereau, Collection, 362. Schmeller, Korinther II, 48; vgl. Apg 6,1, wo διακονι' α für die regelmäßigen Leistungen für die Witwen in Jerusalem verwendet wird; ebd. 44 kritisch zu Hentschel, Diakonia, 149, die die Bitte der Makedonier in 2Kor 8,4 im Sinn einer Beauftragung mit der Überbringung der Kollekte nach Jerusalem interpretiert. Zu διακονι' α im Kontext der Verwaltungssprache vgl. Betz, Verwaltungsbriefe, 93-94. Berger, Almosen, 180-204; Kim, Kollekte, 14-15 vermuten, dass διακονι' α schon in frühjüdischen Kreisen als ein terminus technicus für die Almosen verwendet worden sein konnte, die neu bekehrte Proselyten spendeten, um ihre Zugehörigkeit zu Israel auszudrücken; kritisch Schmeller ebd. 36. Holl, Kirchenbegriff, 60; Georgi, Kollekte, 23-24; zur Kritik s. Keck, Poor; Jewett 929. Zur Gütergemeinschaft in Jerusalem s. Wendel, Gemeinde, 134-161. Flaig, Politik, 46.47. Vgl. Stein-Hölkeskamp, Gastmahl, 23.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 841 ————————————————————————————————————
seine existimatio und seine fama, kurz das Gewicht seiner Persönlichkeit innerhalb der vielfältigen Beziehungs- und Abhängigkeitsverhältnisse in sozialen und politischen Einfluß um.“146 Paulus begründet die „Schuldigkeit“ der heidenchristlichen Gemeinden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem zweiten Hinweis auf die Freiwilligkeit ihrer Beteiligung an der Kollekte genannt wird, weder mit der Vereinbarung der Jerusalemer Konsultation des Jahres 48 noch mit einer institutionellen Autorität der Jerusalemer (Ur-)Gemeinde. Er begründet mit der Tatsache, dass sie aufgrund der geistlichen Güter, die diese hatte (αυ� τω ñ ν, gen. possessivus) und an denen sie als Heiden (ε» θνη) Anteil bekommen haben (ε� κοινω' νησαν [ekoinōnēsan]), in ihrer Schuld stehen (ο� φει'λουσιν [opheilousin]). Die „geistlichen Güter“ (τα` πνευματικα' αυ� τω ñν [ta pneumatika autōn]) sind alle Gaben, die Gottes Geist (πνευñ μα [pneuma]) den Glaubenden verliehen hat – das „Leben im Messias Jesus“ (8,2.13), die Erfüllung der Rechtsforderung Gottes im Alltagsleben (8,4), Leben und Frieden (8,6), Zugehörigkeit zum Messias (8,9), Garantie der Auferstehung von den Toten (8,11), Status als Söhne/Kinder Gottes (8,14-16) und Erben Gottes (8,17), Garantie der Erlösung des Leibes (8,23), Hilfe beim Beten (8,26-27), Gegenwart von Gerechtigkeit, Frieden und Freude als Wirklichkeit der Königsherrschaft Gottes (14,17), reiche Hoffnung (15,13), Heiligung (15,16). Die heidenchristlichen Gemeinden, die Paulus gegründet hat, sind von der Jerusalemer Gemeinde weder institutionell noch organisatorisch abhängig. Paulus wurde weder von den Zwölf noch von Petrus oder später Jakobus von Jerusalem beauftragt und ausgesandt noch wirkte er in Makedonien oder Achaia in deren Auftrag – er ist „Sklave des Messias Jesus“, der von dem erhöhten Herrn vor Damaskus zum Apostel berufen und von Gott zum Evangelium Gottes ausgesondert wurde (1,1). Weil die makedonischen und achaischen Gemeinden rechtlich nicht von Jerusalem abhängig sind, ist ihre Beteiligung an der Kollekte freiwillig. Und doch besteht eine Schuld, in der sie stehen und die sie zu „Schuldnern“ (ο� φειλε' ται) macht: Das Evangelium ist von Jerusalem ausgegangen, im Vollzug des Missionsprogramms von Apg 1,8, das durch die Kraft des Heiligen Geistes (δυ' ναμις τουñ α� γι'ου πνευ' ματος) Realität wurde; in Jerusalem wurde der Messias Jesus gekreuzigt, auferweckt und erhöht; in Jerusalem wurde zum ersten Mal das Evangelium von Gottes Heilsoffenbarung im Messias Jesus verkündigt; in Jerusalem ist die erste Gemeinde entstanden, von der Missionare ausgegangen sind; Paulus hat „von Jerusalem bis Illyrien“ (V. 16.19) und dazwischen in Makedonien und Achaia das Evangelium verkündigt. In his————————————————————
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Hölkeskamp, Nobilität, 216, mit Verweis auf Cicero, Inv 2,166.
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torischer und heilsgeschichtlicher Hinsicht verdanken die Jesusbekenner alles Jerusalem, auch die Gegenwart des Geistes Gottes und seine geistlichen Gaben. Das Wort „Schuldner“ mag von manchen römischen Christen so verstanden worden sein, dass die Jerusalemer Gemeinde ein besonderes Gewicht (fama) besitzt, nobilis ist und auctoritas hat. Im Sinn von 1,16 – das Evangelium ist die Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, „für den Juden zuerst und auch für den Griechen“ – hätte Paulus dem auch zugestimmt. Weil die makedonischen und achaischen Christen gegenüber Jerusalem eine geistliche Schuld haben, sollen sie den Jesusbekennern in Jerusalem mit materiellen Gütern dienen. Das Wort „dienen“ (λειτουργε' ω [leitourgeō]; s. zu 13,6) beschreibt, wie in 15,16, den Dienst, der von einem übergeordneten Auftraggeber beauftragt wurde und dem Gemeininteresse dient: Manche Christen in Rom mögen die Verabredung zwischen Paulus und den Jerusalemer Säulenaposteln (Gal 2,10) im Sinn einer Beauftragung interpretiert haben. Das Wort λειτουργε' ω hat im Kontext von V. 16 auch hier kultische Konnotationen: Der Dienst, den die Kollekte darstellt, ist nicht nur Dank an die Jerusalemer Gemeinde,147 sondern auch, und in erster Linie, Dank an Gott, von dessen Willen Jesusbekenner immer bestimmt sind (12,1-2). Das Wort τα` σαρκικα' [ta sarkika] bedeutet hier „zur Ordnung der irdischen Dinge gehörig, materiell“.148 Wenn Paulus den Gegensatz von Fleisch/Geist (σα' ρξ/πνευñ μα) vor Augen hat, der in 7,5-6; 8,4-13 eine grundlegende Rolle spielte, ergibt sich folgende subtile Implikation: Der Segen, der von Jerusalem (Judenchristen) nach Makedonien und Achaia (Heidenchristen) kam, ist eine geistliche, vom Geist Gottes bestimmte Wirklichkeit, ohne (ethnische) Assimilation der Heidenchristen in die judenchristliche Gemeinde, im Gegenteil – auf der Ebene des „Fleisches“ fließt der Segen von den Heiden zu den Juden.149 28 Paulus will über euch nach Spanien reisen, d.h. er will150 zunächst die Christen in Rom besuchen und von dort aus nach Spanien weiterreisen, wenn er dies (τουñ το), d.h. die Sammlung der makedonischen und achaischen Gemeinden für die Armen in der Jerusalemer Gemeinde, zum Abschluss gebracht hat (ε� πιτελε' σας [epitelesas]), d.h. diese Aufgabe erfüllt hat. Die ————————————————————
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Lohse 400 interpretiert die „Schuld“ im Sinn von „Dankespflicht“; vgl. Wilckens III 128. Bauer/Aland s.v. σαρκικο' ς 1. Dunn III 876, der im Blick auf das Verb λειτουργε' ω betont, dass auch hier die Grenze zwischen kultisch und profan beseitigt ist, indem die Grenze zwischen Juden(christen) und Heiden(christen) verschwunden ist, mit der Konsequenz, dass jetzt Heiden als „Priester“ den Juden dienen. Das Fut. α� πελευ' σομαι ist voluntativ, d.h. drückt ein Wollen aus; vgl. HvS §202c.
Die Pläne des Apostels 15,14-33 843 ————————————————————————————————————
Sammlung ist offensichtlich keine regelmäßige Unternehmung, sondern ein einmaliges Projekt, das mit der Reise nach Jerusalem beendet sein wird. Das Verb ε� πιτελε' ω [epiteleō] wird in den dokumentarischen Papyri oft für das „Erfüllen“ oder „Vollenden“ einer Arbeit oder Verpflichtung verwendet: Paulus will die Sammlung verbindlich und ordnungsgemäß zu Ende bringen; die häufige Verwendung des Verbs in Verbindung mit dem antiken Vereinswesen im Sinn der Erfüllung einer religiösen Pflicht könnte die Sammlung und ihre Übergabe in Jerusalem als gottesdienstliche Handlung erscheinen lassen.151 Das Verb kommt in 2Kor 8,6.11 ebenfalls im Kontext der Kollekte vor: Paulus hat Titus, zusammen mit zwei Begleitern, nach Korinth gesandt, um die Sammlung zu beginnen und zu vollenden. Paulus bezeichnet die Übergabe der Sammlung in Jerusalem als diesen Ertrag ordungsgemäß übergeben. Das Verb σφραγι'ζω [sphragizō] begegnet häufig in den Papyri für das Versiegeln von Gebäuden, Schriftstücken, Lebensmittel-, Waren- oder Geldpaketen.152 Wenn man etwas versiegelt, will man die betreffende Sache vor unbefugtem Zugriff schützen oder durch Kennzeichnung einen Gegenstand (oder ein Tier) unverwechselbar zu seinem eigenen machen: „Der Gegenstand der Versiegelung soll dadurch als Habe gesichert oder vor Veränderung, Verfälschung oder Missbrauch geschützt werden.“153 Das Wort καρπο' ς [karpos] verweist hier nicht auf den Glauben der makedonischen und achaischen Christen als geistliche „Frucht“, die er den Jerusalemer Christen als Bestätigung des Ertrages seiner missionarischen Arbeit bringen will,154 sondern im Sinn von „Ergebnis, Erzeugnis, Ertrag“155 auf das Ergebnis der Sammlung, dessen sichere und zuverlässige Übergabe er garantiert.156 Hinweise in dem kurz vor dem Röm geschriebenen 2Kor (8,20-21; 12,16) lassen vermuten, dass Paulus in Jerusalem immer noch Verdächtigungen ausgesetzt war.157 ————————————————————
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Vgl. G. Delling, ε� πιτελε' ω, ThWNT VIII, 62; Arzt-Grabner, 2. Korinther, 404; Ascough, Completion, 584-599 zum antiken Vereinswesen. Delling nimmt für die Verwendung des Verbs im Blick auf die Sammlung (Röm 15,28; 2Kor 8,11) die weder rechtlich noch religiös aufgeladene Bedeutung „durchführen“ eines Geplanten oder Begonnenen an (ebd. 63); so auch R. Mahoney, EWNT II, 105. Vgl. G. Fitzer, Art. σφραγι' ς κτλ., ThWNT IX, 939-947; R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 225-227; vgl. P.Mert. I 12,25; P.Dura 18,34; P.Köln XII 487,16.17-21; BGU I 248,40; P.Tebt. III.1 793 Verso Kol. XII,25-26. R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 226. Wilckens III 128: Paulus will ihnen mit der Kollekte „Brief und Siegel“ darauf geben, „daß das von ihnen begonnene Werk der Evangeliumsverkündigung in der Heidenwelt Frucht getragen hat“ (Zitat Georgi, Kollekte, 86); vgl. F. Hauck, Art. καρπο' ς, ThWNT III, 618; Käsemann 387. So Bauer/Aland καρπο' ς 2a; EÜ, GN, NGÜ Anm. Zeller 241; Lohse 401; Jewett 923. Haacker 369 lässt die Bedeutung von καρπο' ς offen.
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29 Die Reise nach Jerusalem (V. 25-28) verzögert sein Eintreffen in Rom.
Paulus weiß nicht, wann er in Rom eintreffen wird,158 aber er weiß (οιòδα), dass er in der Fülle des Segens des Messias kommt. „Segen“ (ευ� λογι' α [eulogia])159 bezeichnet im Anschluss an die LXX mit der atl. Bedeutung von [ ְּב ָרָכהberākhāh] Zuspruch und Übermittlung der heilvollen Macht Gottes, der sich im Messias geoffenbart hat. „Fülle“ (πλη' ρωμα [plērōma]) ist hier im Sinn von „Überfluss“ zu verstehen.160 Wenn er, Paulus, nach Rom kommt, bringt er den Segen des Messias mit, den er im Osten verkündigt hat und den er bald in Spanien verkündigen will; das heißt auch: Wenn er kommt, werden die römischen Jesusbekenner vom Messias Jesus gesegnet werden.161 Mit der Formulierung knüpft Paulus an 1,11 an: Er sehnt sich danach, die römischen Jesusbekenner zu sehen, damit er ihnen geistliche Gabe (χα' ρισμα πνευματικο' ν) mitteilen kann, um sie zu stärken (ει� ς το` στηριχθηñ ναι υ� μαñ ς).162 Paulus bekräftigt mit der in V. 29 geäußerten Erwartung weder seine apostolische Vollmacht,163 noch sollte man die „Fülle des Segens“ primär mit der „in Jerusalem neu zu bekräftigenden ökumenischen Partnerschaft der juden- und heidenchristlichen Ortskirchen“ erklären.164 Jesusbekenner ————————————————————
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Fitzmyer 723; Dunn II 877. Das Ptz ε� ρχο' μενος προ` ς υ� μαñ ς ist temporal zu verstehen. S. zu ευ� λογε' ω 12,14. Vgl. 1Kor 10,16; Gal 3,14; Eph 1,3. In 2Kor 9,5(2x).6(2x) nennt Paulus die Kollekte ευ� λογι' α, d.h., sie soll den Empfängern den Segen Gottes übermitteln (H. Hübner, EWNT II, 201: beinhaltet gut atl. „Großzügigkeit, Reichlichkeit in Gabe und Ertrag“). Paulus verwendet das Subst. in 16,18 mit der Bedeutung „Schönrednerei“. Bauer/Aland s.v. πλη' ρωμα 2b; so auch Eph 3,19; Kol 2,9. Vgl. Röm 11,12.25; 13,10; 15,29; 1Kor 10,26; Gal 4,4; Eph 1,10.23; 4,13; Kol 1,19. Die Präposition ε� ν kann kausal interpretiert werden; Schlatter 391. Michel 466: Was seine Reisepläne betrifft, ist Paulus „nicht nur ein Nehmender und Bittender, sondern auch ein Gebender und Segnender“. Ein „Ton der καυ' χησις“ ist, gegen Michel ebd. (aufgenommen von Dunn II 877), in den Text eingelesen. Käsemann 387: Paulus will „mit der ganzen ihm verliehenen Vollmacht und deshalb mit der Fülle des Evangeliums nach Rom“ kommen; zitiert von H. Hübner, Art. πλη' ρωμα, EWNT III, 263. Vgl. Jewett 933. Dass V. 29 erkennen lässt, Paulus könne erleichtert aufatmen, weil er „innerlich und äußerlich von einer offensichtlich drückenden Last befreit“ ist, wenn er in Rom eintrifft (Käsemann 387; daran anschließend Moo 906; Dunn 877; kritisch Jewett 933), ist in den Text eingelesen. Da die Sammlung der heidenchristlichen Gemeinde ein Segen ist (2Kor 9,5), bringt Paulus auch der Jerusalemer Gemeinde Segen, auch wenn die Annahme der Sammlung ein Gebetsanliegen ist (V. 31b). Theobald II 214. Zeller 214 spricht von einem „Kreislauf“ des Segens: Die Sammlung, die nach 2Kor 9,5 selbst Segen ist, „bringt wiederum dem Initiator Segen“. Kritisch zur Interpretation im Zusammenhang mit der Kollekte Haacker 369: Bei „Segen“ ist eher „an eine Weiterentwicklung der Linie von Gal. 3 her zu denken“, wo Paulus die Geistesgabe, die auch den Heiden zuteilwurde, als Erfüllung der Verheißung des Segens für alle Völker in Abraham beschriebt (Gal 3,14).
Die Pläne des Apostels 15,14-33 845 ————————————————————————————————————
sprechen im Herrnmahl regelmäßig das Lobgebet über den „Kelch des Segens“ (το` ποτη' ριον τηñ ς ευ� λογι'ας [to potērion tēs eulogias]; 1Kor 10,16), weil er an den Sühnetod des Messias Jesus erinnert und das von Gott den Sündern gnädig gewährte Heil in den Mittelpunkt des Lebens der Gemeinde stellt. Deshalb erwartet Paulus, dass sowohl er selbst als auch die römischen Christen ermutigenden Zuspruch erfahren werden „durch den gegenseitigen Austausch eures und meines Glaubens“ (Röm 1,12). Es ist nicht von ungefähr, dass er die römischen Christen in V. 30 „Brüder“ nennt: Sie und er gehören zu derselben Familie und werden, wie Paulus im Blick auf die geplante Spanienmission hofft, am selben Projekt zusammenarbeiten.165 Er vertraut im Blick auf den Segen, den seine Missions- und Lehrtätigkeit zur Folge hat, nicht auf sich selbst oder auf den Erfolg bestimmter Projekte, sondern allein auf Jesus. 30 Paulus bittet die Jesusbekenner in Rom um Unterstützung der bevorstehenden Reise nach Jerusalem durch Gebet. Das Thema Jerusalem ist also noch nicht beendet; seine Wiederaufnahme zeigt, wie sehr die bevorstehende Reise anlässlich der Übergabe der Sammlung der makedonischen und achaischen Gemeinden in Jerusalem den Apostel beschäftigt. Die Bitte um unterstützende Fürbitte für dieses Projekt wird mit einem starken ich ermahne euch aber (παρακαλω ñ δε` υ� μαñ ς; vgl. 12,1) und einer erneuten Anrede als Brüder (α� δελφοι' vgl. 15,14) und zwei erläuternden adverbialen Präpositionalsätzen eingeleitet (V. 30a).166 Paulus ermahnt zur Fürbitte durch unseren Herrn, den Messias Jesus (δια` τουñ κυρι'ου η� μω ñ ν � Ιησουñ Χριστουñ ), d.h., er beruft sich für seine Bitte auf die Autorität des Messias Jesus, der sein und ihr Herr ist.167 Und er ermahnt zur Fürbitte kraft der Liebe des Geistes (δια` τηñ ς α� γα' πης τουñ πνευ' ματος), d.h., er beruft sich auf die vom Geist gewirkte Liebe,168 die die Jesusbekenner in Rom zu Gott, zum Messias Jesus und zu den Mitbrüdern in der Gemeinde (12,9-10; 13,810) und damit auch zu den Jesusbekennern in Jerusalem haben. In 8,26-27 beschreibt Paulus die Hilfe des Heiligen Geistes beim Beten.169 Paulus bittet die römischen Christen, mit mir zu kämpfen in euren Gebeten für mich vor Gott (V. 30b). Sie sollen „in ihren Gebeten“ (ε� ν ταιñς ————————————————————
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Aasgaard, Brothers, 275-278; vgl. Jewett 934. Bjerkelund, Parakalô, 158-159 betont die Bedeutung von V. 30-32 für die Absicht, die Paulus mit dem Röm verfolgt; vgl. Jewett 934; kritisch Smiga, Occasion, 260-261. Vgl. 12,1 δια` τω ñ ν οι� κτιρμω ñ ν τουñ θεουñ , das παρακαλω ñ ουò ν υ� μαñ ς, α� δελφοι' erläutert. Der Genitiv τουñ πνευ' ματος ist gen. auctoris. Jewett 934: Die Herrschaft Jesu Christi verlangt, dass die verschiedenen ethnischen Zweige der Gemeinde einander annehmen sollen (14,4-9), und die Gegenwart des Heiligen Geistes bewirkt, dass Judenchristen und Heidenchristen zusammen „Miterben“ sind (8,17); dies ist richtig, aber nicht das Thema von V. 30a (Mahnung zur Fürbitte).
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προσευχαιñς [en tais proseuchais]),170 die sie „vor Gott“ (προ` ς το` ν θεο' ν [pros ton theon]) tragen und in denen es nach der Behandlung der Kontroverse um die Reinheitsgebote und das Halten des Sabbats (14,1–15,13) verstärkt auch um die Einheit der Gemeinde gehen soll, auch „für mich“ (υ� πε` ρ ε� μουñ ), d.h. für Paulus beten, der bald nach Jerusalem aufbrechen wird. Wenn sie für Paulus beten, dann beten sie zusammen mit ihm für dieselben Anliegen.171 Das Verb συναγωνι'ζομαι ([synagōnizomai], „gemeinsam kämpfen“),172 das im biblischen Griechisch nur hier vorkommt, wird in militärischen Zusammenhängen für Soldaten, die auf derselben Seite kämpfen, und in nichtmilitärischen Kontexten für den gemeinsamen Einsatz für die Einwohner einer Stadt oder die Interessen einer Stadt verwendet.173 In Phil 1,27; 4,3 beschreibt Paulus die aktive Teilnahme an seinem „Kampf “ als Apostel mit dem sinnverwandten συναθλε' ω. Die Verwendung von συναγωνι'ζομαι spielt auf alle Motive an, die sich bei Paulus mit dem Bild des „Kampfes“ (α� γω ñ ν) verbinden:174 1. Es geht im missionarischen Wirken von Paulus um einen Kampf für das Evangelium, der oft mit Entbehrungen, Mühen, Widerstand und Verfolgung verbunden ist.175 Von der Möglichkeit der Verfolgung beim bevorstehenden Jerusalembesuch ist in V. 31a die Rede, von möglichem Widerstand der Jerusalemer Christen in V. 31b. Indem die römischen Christen für ihn und damit mit ihm zusammen beten, sind sie an dem Kampf für das Evangelium und den Glauben beteiligt. 2. Im Kampf hat man Gegner, so ————————————————————
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Zu προσευχη' bzw. προσευχαι' s. 1,10; 12,12. Der Artikel ταιñς hat hier die Funktion eines Possessivpronomens; HvS §131a(c). Vgl. H. Schönweiß / K.T. Kleinknecht, Art. προσευ' χομαι, ThBLNT I, 610: „Offensichtlich resultiert aus der eigenen Rechtfertigung und Rettung eine besondere Verantwortung für andere, d.h. Vollmacht und Pflicht zur Fürbitte“: Röm 15,30; 1Thess 5,25; 2Thess 3,1. Vgl. Bauer/Aland s.v. συναγωνι' ζομαι; eine abgeschwächte Bedeutung ist „jmd. helfen, beistehen“ (Demosthenes 21,190; SIG 651,14; vgl. noch Josephus, Bell 2,15.83; Ant 12,18; 17,220); weitere Belege in MM: Syll 193; OGIS 280,3; P.Oxy. XIV 1676,36; BGU IV 1074,1. Das Verb α� γωνι' ζω kommt bei Paulus in 1Kor 9,25; Kol 1,29; 4,12; 1Tim 4,10; 6,12; 2Tim 4,7 vor, das Subst. α� γω ñ ν in Phil 1,30; Kol 2,1; 1Thess 2,2; 1Tim 6,12; 2Tim 4,7. Vgl. E. Stauffer, Art. α� γω ñ ν κτλ., ThWNT I, 134-140; G. Dautzenberg, EWNT I, 59-64; A. Ringwald / R. Feldmeier, ThBLNT II, 1102-1105; Pfitzner, Agon Motif, 109129; Poplutz, Athlet, 384-392; Brändl, Agon, 347 und passim. Vgl. Josephus, Bell 5,311 sowie SIG 367,16-20; SEG 60 (zur dieser Inschrift s. Horsley/Llewelyn, New Documents III, 84). Die folgenden Beobachtungen im Anschluss an Brändl, Agon, 350-352. Die These von Wilckens III 130, die Bitte um Fürbitte sei „nichts anderes als die Bitte um Stellungnahme zu seinem Brief“, der sich Brändl, ebd. 345 anschließt, ist kaum plausibel: Paulus wird Korinth verlassen und nach Jerusalem abgereist sein, ehe er eine Stellungnahme von der römischen Gemeinde erhält, und dass er diese indirekt auffordere, eine positive Stellungnahme direkt an die Jerusalemer Gemeinde zu schicken, ist hypothetisch. Vgl. 1Kor 9,26-27; Gal 2,2; 1Thess 2,2; Phil 1,27-30; 2,16.
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auch Paulus im Kampf für das Evangelium:176 in Jerusalem, das er bald besuchen wird, ungläubige Juden und manche Jesusbekenner in der dortigen Gemeinde. 3. Wer kämpft, ist auf ein Ziel hin orientiert, so auch Paulus im Kampf für das Evangelium:177 hier auf die Errettung von Gegnern, auf die Annahme der Kollekte und auf die Freude beim Zusammentreffen mit den römischen Christen (V. 31.32). 4. Wer kämpft, der kämpft nicht allein, sondern zusammen mit anderen:178 Hier will Paulus zusammen mit den römischen Christen kämpfen.179 Die Aussage V. 30 beinhaltet eine wohl nicht beabsichtigte „trinitarische“ Dimension des Betens: Jesusbekenner beten zu Gott durch die Autorität des Messias Jesus, den sie im Glauben als Herrn anerkennen, und durch die Vermittlung des Heiligen Geistes, dessen Gegenwart sie zu Kindern Gottes gemacht hat. 31 Paulus beschreibt den Inhalt des Gebets und das Ziel des „Kampfes“, an dem er die römischen Christen durch ihre Fürbitte beteiligen will, mit zwei Aussagen. Paulus betet, dass ich gerettet werde vor den Ungehorsamen in Judäa. Die „Ungehorsamen in Judäa“ (οι� α� πειθου' ντες ε� ν τηñ, � Ιουδαι'α, [hoi apeithountes en tē Ioudaia]) sind die Juden in der Provinz Judäa,180 die der Heilsoffenbarung Gottes im Messias Jesus ungehorsam sind, d.h. die ungläubigen Juden in Jerusalem und in den Städten und Dörfern Judäas.181 Nach dem Tod von Herodes I. (d. Gr.) in 4 v.Chr., dessen Königreich von den Römern in drei Regionen aufgeteilt wurde, war Judäa unter König Herodes Archelaus zehn Jahre lang unabhängig. Im Jahr 6. n.Chr. wurde Judäa in eine römische Provinz umgewandelt und einem praefectus unterstellt, der mit einem Stab von 200–400 Personen von Cäsarea aus die Provinz verwaltete. Als Paulus im Jahr 56/57 den Röm schrieb und im Frühjahr 57 in Jerusalem eintraf, war M. Antonius Felix der Präfekt Judas (52–60 n.Chr.), der zwölfte Präfekt seit Coponius (6–9 n.Chr.) und der siebte Präfekt seit Pontius Pilatus (26–36 n.Chr.). Die Integration Judäas in das römische Provinzialsystem wurde kurz unterbrochen, als Herodes Agrippa I. (41–44 n.Chr.) von den Römern als König Judäas eingesetzt wurde. Nach dessen Tod wurde Judäa wieder römische Provinz, was sich auch dann nicht geändert hat, als Herodes Agrippa II. (50?–92/93) den Königstitel erhielt und Paulus in Cäsarea begegnete (Apg 25,23–26,32): Er herrschte nicht über Judäa, sondern über Chalkis. Die römischen Präfekten waren für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnnng zuständig, und sie über————————————————————
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Vgl. 1Thess 2,2 (die heidnischen und jüdischen Mitbürger); Phil 1,28 (die römischen Bürger Philippis). Vgl. 1Kor 9,24-27; Phil 1,28; 3,12-14. Vgl. 1Kor 9,25; Phil 1,27.30; 2,16; 3,12ff; 4,3; 1Thess 2,19; Gal 2,2. Brändl, Agon, 352: „Die mimesis des Apostels als eines Typos für die Gemeinde und die conformitas mit dem Geschick Christi erscheinen auch hier als integraler Bestandteil paulinischer Agon-Metaphorik.“ Von 43 ntl. Belegen (27 Mal in den Evangelien, 12 Mal in der Apg) kommt � Ιουδαι' α bei Paulus nur vier Mal vor: Röm 15,31; 2Kor 1,16; Gal 1,22; 1Thess 2,14. Zu α� πειθου' ντες s. 10,2; 11,30-31.
848 Römerbrief ———————————————————————————————————— wachten die jüdischen Autoritäten, d.h. den Hohepriester und des Sanhedrin. Für den Einzug der Steuern und Abgaben waren sie nicht verantwortlich; diese Aufgabe gehörte zu den Kompetenzen der Prokuratoren der Provinz Syrien. Manche schätzen die jüdische Bevölkerung Judäas auf 500 000 Einwohner. Judäa war zur Zeit des herodianischen Königreichs zusammen mit Idumäa in elf Toparchien (Josephus) eingeteilt, die nach Städten benannt sind: Jerusalem, Gophna, Acrabeta, Idumaea, Thamna, Lydda, Emmaus, Pella, En Gedi, Herodion, Jericho; von einer Polis als Mittelpunkt des Distrikts kann man jedoch nicht reden.182
Paulus rechnet mit der Möglichkeit, dass die Feindschaft der ungläubigen Juden anlässlich seines bevorstehenden Jerusalembesuchs ein Ausmaß haben könnte, dass sein Leben in Gefahr gerät und er „gerettet“ werden (ρ� υσθω ñ [rhysthō]; s. zu 7,24) muss. Das Verb ρ� υ' ομαι steht im mehreren ntl. Texten für die Abwendung von Lebensgefahr.183 In 1Thess 2,14-15 sagt Paulus im Blick auf die Juden in Judäa, dass sie Jesus getötet und „auch uns verfolgt“ haben (και` η� μαñ ς ε� κδιωξα' ντων); in 2Kor 11,26 spricht Paulus davon, dass er mehrfach „durch das eigene Volk gefährdet“ war (κινδυ' νοις ε� κ γε' νους). Kurz bevor Paulus von Korinth aus in Richtung Jerusalem aufbricht, ist er gezwungen, die geplante Schiffsreise zu stornieren und zunächst über Land zu reisen, da in Korinth Attentatspläne bekannt geworden waren (Apg 20,3). Während der Reise nach Jerusalem wird Paulus mehrfach von Propheten vor Gefahren gewarnt (Apg 20,22-23; 21,4.11-14). Als er, in Jerusalem angekommen, in den Tempel geht, wird er beinahe gelyncht, weil Juden aus der Provinz Asia meinten, er habe zusammen mit dem Heiden Titus den Tempel entweiht (Apg 21,27-36). Nachdem er mit dem in Jerusalem stationierten römischen Offizier in Sicherheitshaft genommen wird, gibt es ein Attentat auf sein Leben, das offensichtlich nur durch eine Verlegung nach Cäsarea gerettet werden konnte (Apg 23,23-35). Im Prozess vor dem Präfekten M. Antonius Felix (52–60 n.Chr.) kann Paulus eine Verurteilung verhindern, erreicht aber nicht die Freilassung (Apg 24,1-27). Als der neu in der Provinz angekommene Präfekt Porcius Festus (60–62 n.Chr.) Paulus wieder nach Jerusalem bringen lassen will, kann er dies nur dadurch verhindern, dass er verlangt, was sein Recht als römischer Bürger ist, vom Kaiser in Rom gehört zu werden (Apg 23,1-12). Die Gefahren waren also real: Paulus bittet die römischen Christen, mit ihm dafür zu beten, dass er die Reise nach Jerusalem ohne Schaden zu nehmen übersteht. In gewisser Weise ————————————————————
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Zum römischen Judäa vgl. Eck, Rom und Judaea; Eck, Judäa. Zu den Kompetenzen der praefecti Judäas, ihrem Personalstab und den Toparchien Judäas s. Eck, Rom und Judäa, 41-43.202.205-213. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 179-208, zu den Bevölkerungszahlen ebd. 123-125 (Lit.).180-181. 2Kor 1,10; 2Thess 3,2; 2Tim 3,11; 4,17; vgl. Mt 27,43; 2Petr 2,7. Sonst hat ρ� υ' ομαι soteriologische Bedeutung: Röm 7,24; 11,26; Kol 1,13; 1Thess 1,10; 2Tim 4,18.
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haben sich diese Gebete erfüllt: Paulus ist in Jerusalem nicht zu Schaden gekommen, trotz mehrfacher Versuche von jüdischen Fanatikern, ihn zu töten, und von den jüdischen Autoritäten, eine Verurteilung vor dem römischen Präfekten zu erreichen. Allerdings wurde er verhaftet, und war nach zwei Jahren immer noch in Haft. Die zweite Bitte bezieht sich auf das Projekt der Sammlung der makedonischen und achaischen Gemeinden für die Armen in der Jerusalemer Gemeinde: und mein Dienst für Jerusalem von den Heiligen gut aufgenommen wird (V. 31a). Zu der Wendung „Dienst für Jerusalem“ (η� διακονι'α η� ει�ς � Ιερουσαλη' μ [hē diakonia hē eis Ierousalēm]) als Bezeichnung der Sammlung s. zu V. 26b. Paulus betet, dass die Sammlung von den „Heiligen“ (οι� α� γι'οι [hoi hagioi]; vgl. V. 25), d.h. von den Jesusbekennern in Jerusalem, „gut aufgenommen wird“. In V. 16 hatte Paulus mit dem Adj. ευ� προ' σδεκτος [euprosdektos] die Sammlung als „Opfergabe der Heiden“ beschrieben, die Gott „wohlgefällig“ ist, d.h. von Gott angenommen wird, seinem Willen entspricht. Paulus betet, dass die Christen in Jerusalem dies genauso sehen, den Geldbetrag der Sammlung akzeptieren und als Ausdruck der messianischen Heilswirklichkeit Gottes in den heidenchristlichen Gemeinden willkommen heißen. Paulus betet, weil er offenkundig fürchtet, dass es anders kommen könnte – dass die Gemeinschaftsaktion (κοινωνι'α) der heidenchristlichen Gemeinden abgelehnt und damit die Gemeinschaft (κοινωνι'α) aufgekündigt wird.184 Die Annahme der Kollekte wäre ein sichtbares Zeichen der Solidarität der judenchristlichen Gemeinde Jerusalems mit den heidenchristlichen Gemeinden. Das Annehmen von Geschenken war in der hellenistischen Welt ein symbolträchtiger, weil Beziehungen stiftender oder bestätigender Akt. Nach Cicero will „kein rechtschaffener Mensch von einem Bösen beschenkt sein“ (Leg 2,16,41). Zu Beginn des jüdischen Aufstands im Jahr 66 n.Chr. beschloss eine Gruppe von Aufständischen in Jerusalem auf Initiative des Tempelhauptmanns Eleazar, „von keinem Fremden eine Gabe oder ein Opfer anzunehmen“, was Josephus (später) als Kriegserklärung an die Römer bewertete (Josephus, Bell 2,409); gemäßigte Priester verwiesen vergeblich auf die Tatsache, dass man seit alters von Heiden Weihgeschenke angenommen habe (Bell 2,412-413). Nach der Katastrophe des Jahres 70 n.Chr., in der Jerusalem zerstört wurde, schrieb Jochanan b. Zakkai: „Seitdem diejenigen zunahmen, die Spenden von den Heiden annahmen, fingen die Heiden an, zuzunehmen, und Israel abzunehmen“ (tSot 14,10). Paulus ————————————————————
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Käsemann 393; Michel 468 („ernste Schwierigkeiten“); Wilckens III 129; Dunn II 879. Cranfield II 778 schwächt ab; vgl. auch Gebauer, Gebet, 177.
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verkündigte das Evangelium von der Heil schaffenden Offenbarung Gottes durch den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus, abseits von Werken des Gesetzes, ohne dass glaubende Heiden sich beschneiden lassen müssen. Für die gesetzestreuen Jesusbekenner war die „Abschaltung“ der Werke des Gesetzes – einschließlich der Reinheitsgebote und des Sabbatgebots – für die Erlangung des Heils und der vollgültigen Mitgliedschaft im Volk Gottes eine Provokation. Wenn sie in der von Jakobus geleiteten Jerusalemer Gemeinde eine maßgebende Mehrheit gehabt hätten, hätte die Sammlung abgelehnt werden können. Haacker vermutet, dass dieser Entscheidung des Jahres 66 längere Diskussionen vorausgegangen sein mussten, und dass die Gemeinde in Jerusalem die Sammlung der Heidenchristen ausschlagen könnte, weil sie Rücksicht auf die Stimmung in der Bevölkerung nahm oder vielleicht sogar unter den Einfluss dieser Abgrenzungsparolen geraten war.185 Der Röm ist nur zehn Jahre vor dem Ausbruch der Revolte in Jerusalem eingetroffen, aber beweisen lässt sich dieses Szenario nicht. Wie die Geschichte des Apostelkonvents (Apg 15) zeigt, gab es in der Jerusalemer Gemeinde schon früh Widerstand gegen Paulus durch Juden-christen, die auf der Einhaltung der ganzen Tora durch die bekehrten Heiden insistierten.
Die Befürchtung von Paulus war berechtigt: Als er in Jerusalem ankommt, informieren ihn Jakobus und die Ältesten, dass viele Tausend Juden gläubig wurden, und „alle sind Eiferer für das Gesetz“ (πα' ντες ζηλωται` τουñ νο' μου υ� πα' ρχουσιν; Apg 21,20). Lukas lässt Paulus in seiner Verteidungsrede vor Felix beiläufig erwähnen, dass er nach Jerusalem gekommen war, „um Almosen für mein Volk zu überbringen“ (ε� λεημοσυ' νας ποιη' σων ει� ς το` ε» θνος μου; Apg 24,17). Lukas erwähnt zwar nichts von einer positiven Reaktion der Jerusalemer Leitung auf die Überbringung der Sammlung, aber er berichtet von einem freudigen Empfang durch die Brüder (α� σμε' νως α� πεδε' ξαντο η� μαñ ς οι� α� δελφοι'; Apg 21,17) und einer überaus positiven Reaktion auf den detaillierten Missionsbericht, den Paulus und seine Begleiter Jakobus und „allen Ältesten“ (πα' ντες οι� πρεσβυ' τεροι) vorlegten (21,19): „Als sie das hörten, priesen sie Gott“ (οι� δε` α� κου' σαντες ε� δο' ξαζον το` ν θεο' ν; Apg 21,20a). Das Gotteslob bedeutet, dass sie Gottes Gegenwart in der Missionsarbeit von Paulus und seinen Mitarbeitern anerkannt haben – und damit auch die von diesen gegründeten Gemeinden. Der Imperfekt von ε� δο' ξαζον verweist auf die fortdauernde Anerkennung von Paulus. Das heißt, die Jerusalemer Gemeinde hat die Sammlung wohl angenommen. Die Gemeindeleitung wünscht zwar, dass Paulus seine Gesetzestreue unter Beweis stellt, indem er die Kosten für die Auslösung von Judenchristen, die ein Nasiräatsgelübde geschworen hatten übernimmt (Apg 21,23-24), betrachtet ————————————————————
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Haacker 372; vgl. Dunn II 879-880; Jewett 937.
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jedoch die Anschuldigungen gegen Paulus durch gesetzestreue Gemeindeglieder als Gerücht (Apg 21,21), verweist stattdessen auf das Dekret des Apostelkonvents (Apg 21,25), mit dem die Jerusalemer Gemeinde die bekehrten Heiden aufgenommen hat, und erkennt damit die Missionsarbeit auch des Paulus unter den Heiden an.186 32 Die Fürbitte der römischen Christen, die sich dem Gebet von Paulus anschließt, soll sich nicht nur auf die Reise nach Jerusalem richten (V. 30-31), sondern auch auf Rom: Der erfolgreiche Abschluss des Gemeinschaftsprojekts der makedonischen und achaischen Gemeinden in Jerusalem wird es Paulus ermöglichen, dass er mit Freude durch Gottes Willen zu euch kommen und mich bei euch ausruhen kann. Paulus will in Rom „mit Freude“ (ε� ν χαραñ, [en chara]; s. 14,17; 15,13) ankommen – erleichtert, dass die Sammlung in Jerusalem angenommen wurde,187 erfreut über die schon lange erhoffte Begegnung mit den römischen Christen, und freudig gespannt auf den Beginn der Spanienmission. Die Qualifikation „durch Gottes Willen“ (δια` θελη' ματος θεουñ ) erinnert an 1,10.13: Paulus betet, dass es Gottes Willen gefallen möchte, nach Rom zu kommen. Er hatte schon mehrmals den Beschluss gefasst, Rom zu besuchen, wurde dann aber daran gehindert. Paulus weiß nicht, was passiert, wenn er Korinth verlässt. Die Zukunft, zu der auch die geographischen Bewegungen des Apostels zwischen Korinth, Jerusalem und Rom gehören, wird vom Willen Gottes bestimmt, nicht von der Planung des Apostels. Wenn das Gebet, das um das Gelingen der neuen Reisepläne bittet, erhört wird, dann kommt er nach Rom, wo er sich bei den römischen Christen ausruhen kann (συναναπαυ' σωμαι υ� μιñν).188 Das vergangene Jahr war unruhig gewesen: Er hatte Ephesus im Sommer des Jahres 55 verlassen und war über Alexandria Troas nach Makedonien gereist (2Kor 2,12-13) und ————————————————————
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Schnabel, Acts, 872; vgl. Jervell, Apostelgeschichte, 527. Viele urteilen anders. Haacker 372 verweist auf die erfolgreiche Spendenaktion der Gemeinde Antiochiens (Apg 11,2730; 12,25) und vermutet, dass das Schweigen des Lukas in Apg 21 bedeutet könnte, „daß die Befürchtungen von Röm. 15,31 sich leider bestätigt haben“. Andere Ausleger gehen von einem Scheitern der Kollektenübergabe aus. Vorsichtiger Pesch, Apostelgeschichte II, 222: Lukas lässt die Kollekte unerwähnt, „weil es nach der Verhaftung des Paulus, dessen Demonstration seiner Gesetzestreue, die der Widerlegung der gegen ihn umlaufenden Vorwürfe dienen und wohl der offiziellen Übergabe der Kollekte vorausgehen sollte, nicht mehr zur Übergabe und Annahme der Kollekte kam.“ Michel 468: „Freude ist hier ein Ausdruck der Dankbarkeit und des Gesegnetseins“. Das Verb συναναπαυ' ομαι ist ungewöhnlich; im biblischen Griech. ist es nur in LXX Jes 11,6 und hier belegt. Im außerbiblischen Griech. bedeutet es „mit jmd. schlafen“; LSJ s.v. verweist auf Dionysos Halicarnassus 9,4; Plutarch, Mor 125a. EÜ übersetzt „eine Zeit der Ruhe verbringen“, GN „mich bei euch von den Mühen erholen“, LÜ „mich mit euch erquicken“.
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dort den Winter über geblieben, beschäftigt u.a. mit Problemen in der korinthischen Gemeinde, die zur Abfassung des 2Kor führten; im Sommer 56 hatte er in Illyrien missioniert und war im Herbst oder Winter in Korinth eingetroffen, wo er den Winter über bliebt und den Röm schrieb; nach dem für das Frühjahr 57 geplanten Jerusalembesuch will er nach Rom reisen. Wenn Paulus in Rom wie erhofft und im Gebet erwünscht eintrifft, hat er nicht nur große Distanzen zurückgelegt, sondern auch zwei intensive Konfliktherde (Korinth und Jerusalem) hinter sich. In Rom kann er dann zur Ruhe kommen und sich erholen. Diese Erwartung zeigt, „wie sehr er von ihrer brüderlichen Liebe überzeugt ist“.189 33 Paulus schließt mit einem Gebetswunsch (vgl. V. 13). Er wünscht, dass der Gott des Friedens (ο� θεο` ς τηñ ς ει� ρη' νης [ho theos tēs eirēnēs]; vgl. 16,20; s. zu 1,7; 5,1) mit euch allen, d.h. mit den Gläubigen in den römischen Gemeinden sei. Er wünscht ihnen die Wirklichkeit der Gegenwart Gottes, der ihnen Frieden geben kann.190 Wie er sich selbst im Blick auf die Zukunft und die Ereignisse auf der Reise nach Jerusalem Gott anheimstellt, so befiehlt er die römischen Jesusbekenner dem Segen Gottes. Er schließt mit einem bekräftigenden Amen (vgl. 1,25; 9,5; 11,36; 16,27).191 IV Paulus erkennt die geistliche Selbstständigkeit der römischen Gemeinde an (15,14, implizit auch in 14,1–15,13). E. Käsemann merkt zu Recht an, dass dies „in der Kirchengeschichte selten wiederholt“ wurde.192 Dies ist einerseits hierarchischen Strukturen anzulasten, in denen Bischöfe und später aristokratische Kardinäle und Päpste das „Kirchenvolk“ entmündigt haben, ist aber auch bei Theologen zu finden, die Gemeinden und Gruppen, die von nichtstudierten Christen gegründet und verantwortet werden, mit Verachtung oder Nichtbeachtung bedenken. Die Gegenwart Gottes durch seinen Geist in den lokalen Gemeinden von Jesusbekennern muss ernst genommen werden. Paulus ist nicht der „Bischof “ der Gemeinde in Rom – er hat sich mit dem Röm der römischen Gemeinde vorgestellt, die schon seit vielen Jahren bestand. Er will den Jesusbekennern in Rom angesichts seiner bevorstehenden Reise nach Jerusalem und angesichts seiner geplanten Spanienmission, bei der sie eine wichtige Rolle spielen können und sollen, das ————————————————————
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Calvin II 749. Luther II 447 kommentiert: Der Gott des Friedens ist der Gott, „der im Frieden angebetet wird … Die Götzen aber sind Götter des Streits.“ Vgl. 1Kor 14,16; 2Kor 1,20; Gal 1,5; 6,18; Eph 3,21; Phil 4,20; 1Thess 3,13; 1Tim 1,17; 6,16; 2Tim 4,18. Käsemann 377.
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Evangelium erläutern, das er seit ca. fünfundzwanzig Jahren verkündigt hat. Wilckens kommentiert: Paulus „hat es zwar theologisch durchdacht wie vor ihm noch kein anderer; aber auch die tiefste Theologie ist nichts anderes als ein engagierter Versuch, das eine Evangelium zu verstehen und zu einem ihm entsprechenden Leben zu ermutigen. Theologie schafft nicht Christsein, im besten Fall fördert sie es; und sie ist nur so viel wert, wie sie selbstständig prüfende Hörer findet, deren Glaubensverstehen und Lebenspraxis sie zu fördern vermag.“193 Paulus lehrt nicht nur das Evangelium, indem er den Römerbrief schreibt – er verkündigt es als Missionar, er gründet Gemeinden, und er sorgt sich mit großem persönlichem Engagement für die Einheit der einen weltweiten Gemeinde des Messias Jesus. Das Bild vom Kampf im Zusammenhang mit dem Beten in 15,30 wurde manchmal mit der atl.-jüdischen Vorstellung vom Gebet als Kampf verbunden und auf Gen 32,24-31 (Kampf Jakobs mit Gott) zurückgeführt. Michel schreibt: Das Bild vom Gebetskampf „bringt zum Ausdruck, daß das Schicksal des Beters ganz in Gottes Hand steht, daß es aber in jedem ernsten Ringen mit Gott erkämpft und durchkämpft werden kann. Im Gebet fallen Entscheidungen! Der Gegensatz heißt nicht: erbaulich – kirchenpolitisch, sondern: Offenheit und Verschlossenheit des Willens Gottes.“194 Dies ist keine zwingend richtige Auslegung. Es ist schon im Blick auf Gen 32,24-31 fraglich, ob es sich bei dem „Ringen mit Gott“ um das Gebet handelt und ob deshalb das Gebet immer „Ringen mit Gott“ ist.195 Wenn man Stellen wie Ex 32,11-14; Num 14,12-21; Deut 9,26-29; Neh 1,4-11 als „Ringen mit Gott“ bezeichnet, dann höchstens in dem Sinn, dass der Beter Gott an seine Verheißungen und an seine bisherigen Heilstaten erinnert.196 Weder die Darstellung in Gen 32 noch die Behandlung dieser Stelle in Weish 10,12 oder Philos Darstellung der Erzväter als Athleten der Tugend verwenden das Bild vom „Kampf “ für das Gebet. Die Verwendung des Bildes vom „Kampf “ in Röm 15,30; Kol 4,12 ist nicht üblich, und kommt dann erst wieder bei Origenes und Eusebius vor (HistEccl 3,23,19).197 Der agōn, in dem Paulus mit den römischen Christen verbunden ist, findet nicht nur im Gebet mit gemeinsamen Inhalten statt, „sondern meint den ganzen Kampf um das paulinische Evangelium, dessen Konkretion in Gestalt der Kollekte für die Urgemeinde von verschiedenen Fronten angefeindet wird. Das Gebet ist die ————————————————————
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Wilckens III 122. Michel 467 Anm. 18. Brändl, Agon, 346; die folgenden Beobachtungen ebd. Zu Philos Darstellung der Erzväter als Athleten der Tugend ebd. 104-109. H. Schönweiß, ThBLNT (1. Auflage) I, 427. Pfitzner, Agon Motif, 121.
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Form, in der die Römer an diesem Agon des Apostels teilnehmen. Indem sie für ihn beten, werden sie seine Mitkämpfer in der vor ihm liegenden Auseinandersetzung.“198 Zum Schluss einige Anmerkungen zur Missionsstrategie von Paulus. Michel ist viel zu zurückhaltend, wenn er schreibt, man dürfe „nicht verkennen, daß Mission nichts anderes war als ein Verhalten, das im Auftrag des Evangeliums selbst lag. Darum darf man nur mit Vorbehalt von ‚Missionsstrategie‘ des Apostels sprechen, wohl aber von bewußter Planung unter dem Druck ständig wachsender Bedrängnisse (Röm 15,30-32).“199 Die Missionsstrategie von Paulus200 lässt sich im Kontext unseres Textes kurz so formulieren: Als Diener des Messias Jesus verkündigt Paulus in der Kraft des Heiligen Geistes das Evangelium Gottes unter den Heiden, um diese zum Gehorsam gegenüber Gott und seiner Heilsoffenbarung im Messias Jesus zu führen (15,16.19). Alles andere sind taktische Entscheidungen, so der Entschluss, als Pioniermissionar in vom Evangelium noch unerreichten Gebieten zu arbeiten (15,20-21), der Entschluss, trotz großer Gefahren nach Jerusalem zu reisen und die Sammlung der heidenchristlichen Gemeinden zu überbringen (15,25-27.31), der Entschluss, Rom zu besuchen (15,23-24.32), der Entschluss, in Spanien zu missionieren (15,24.28) – wobei immer Gottes Wille entscheidend bleibt und Freude und Frieden Gottes gute Gaben sind, die dem Missionar helfen, auch in schwierigen Zeiten und schwierigsten Situationen seinem Aufrag treu zu bleiben.
Empfehlung der Phöbe 16,1-2 I 1 Ich empfehle euch nun Phöbe, unsere Schwester, die Dienerin der Gemeinde in Kenchreä ist, 2 mit der Bitte, dass ihr sie im Herrn in einer Weise aufnehmt, wie es für die Heiligen angemessen ist, und ihr in jeder Angelegenheit beisteht, in der sie es nötig hat. Denn auch sie war für viele Patronin, auch mir selbst. II Nachdem Paulus seine Reisepläne erläutert hat, die ihn bald nach Rom führen sollen, und ehe er, wie in seinen Briefen üblich, die Adressaten grüßt ———————————-————————
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Brändl, Agon, 346. Michel 458. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1235-1319; Schnabel, Paul, 209-255.256-374.
Empfehlung der Phöbe 16,1-2 855 ————————————————————————————————————
(16,3-16) und Grüße ausrichtet (16,21-23), spricht er eine Empfehlung für Phöbe aus, die wahrscheinlich den Brief nach Rom bringen wird1 und die für die Organisierung der Spanienmission von Paulus möglicherweise eine wichtige Rolle spielen soll.2 Paulus beschreibt Phöbe im Blick auf ihren Dienst in Kenchreä, einer der beiden Hafenstädte Korinths, wo sie offensichtlich wohnt (V. 1.2c). Er bittet die römischen Gemeinden, sie aufzunehmen und ihr zu helfen, wenn sie nach Rom kommt (V. 2a-b). Die Rolle Phöbes wurde, vor allem aufgrund ihrer Bezeichnung als προστα' τις [prostatis] in V. 2c, mit Überlegungen zur Rolle von Frauen in den urchristlichen Gemeinden verbunden, was zu einer reichhaltigen Literatur geführt hat.3 Empfehlungen, häufig in schriftlicher Form, wurden oft Reisenden in offizieller Mission mitgegeben. Ein Beispiel sind die Empfehlungsbriefe der Jerusalemer Autoritäten, die Saulus/Paulus in Damaskus den Weg ebnen sollten, als er die dortigen Jesusbekenner verfolgte und deshalb mit gastlicher Aufnahme rechnen konnte.4 Ein anderes Beispiel ist der Brief, den die Jerusalemer Gemeinde nach der Konsultation des Jahres 48 an die Gemeinden im syrischen Antiochien und weitere Gemeinden in Syrien und Kilikien schickte.5 Manche haben sich durch Empfehlungsbriefe (συστατικαι` ε� πιστολαι') in andere christliche Gemeinden eingeführt (2Kor 3,1), was einerseits gängiger Praxis entsprach,6 die jedoch von antiken Autoren auch kritisiert wurde.7 Paulus hat Empfehlungsbriefe für sich selbst abgelehnt, aber nicht ———————————-————————
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Diese Annahme ergibt sich aus der Empfehlung in 16,1-2, nicht aus der subscriptio im Mehrheitstext, in der Phöbe als Übermittlerin genannt ist (s. textkritische Anmerkungen zu 16,27). So die einhellige Meinung; vgl. H. Balz, EWNT III, 1039; jüngst Chapple, Phoebe, 196-201. Zur literarkritischen Frage, ob 16,1-20 ein vom Röm unabhängiges Empfehlungsschreiben für Phöbe ist (Schmithals, Problem), s. Band I, S. 44-45. So besonders Jewett, Phoebe; Merz, Auftrag. Seit 1988 s. vor allem Arichea, Phoebe; Jewett, Phoebe; Zepella, Proposito; Schulz, President; Romaniuk, Phoebe; Gillman, Women, 59-63; Ernst, Phöbe; Keener, Women’s Ministry, 238-240; Whelan, Amica Pauli; Cotter, Authority; Eisen, Amtsträgerinnen, 1617; Kearsley, Women, 201-203; Köstenberger, Women, 228-229; Wendel, Priska, 24-37; Winter, Roman Wives, 194-199; Ng, Phoebe; Merz, Auftrag; Hentschel, Diakonia, 167172; Merz, Phöbe; Sema, Phoebe; Payne, Man and Woman, 61-64; Cohick, Women, 303307; Campbell, Phoebe; Mathew, Women, 5-6.65-84. Zur Kritik an Interpretationen, die von feministischen Vorentscheidungen aus geschrieben werden, vgl. Heine, Frauen. Agp 9,2: ε� πιστολα` ς ει� ς Δαμασκο` ν προ` ς τα` ς συναγωγα' ς; 22,5: ε� πιστολα` ς δεξα' μενος. Apg 15,23-29, hier V. 25: „Deshalb haben wir uns geeinigt und beschlossen, Männer auszuwählen und zusammen mit unseren lieben Brüdern Barnabas und Paulus zu euch zu schicken“ (EÜ). Vgl. Kim, Letter of Recommendation, passim; Klauck, Briefliteratur, 34.75-79; Agosto, Commendation, 102-108; Arzt-Grabner, 2. Korinther, 270-276; für spätere christliche Beispiele s. S.R. Llewelyn, in Horsley/Llewelyn, New Documents VIII, 169-172. Diogenes weigerte sich, Empfehlungsbriefe für seine Schüler auszustellen; nach Epiktet 2,3,1 hat er dies ausführlich begründet; vgl. Schmeller, Korinther I, 173-174.
856 Römerbrief ————————————————————————————————————
generell verworfen: Er hat anderen Christen Empfehlungsbriefe bzw. empfehlende Abschnitte in Briefen ausgestellt, was Phlm; Phil 2,29-30; 1Kor 16,15-18 und 2Kor 8,18-23 sowie Röm 16,1-2 belegen. Textkritische Anmerkungen. In V. 1 ist die Auslassung von δε' (D* F G) der sekundäre Versuch einer stilitischen Verbesserung. Die Lesart υ� μω ñν (d46 A F G P it boms) statt η� μω ñ ν ( אB C D Ψ 33 1739 1881 Byz vg sy) ist wahrscheinlich ein Versuch, zu klären, wessen Schwester Phöbe war.8 Die Auslassung von και' ( *אA C2 D F G Ψ 33 1739 1881 Byz latt sy sa) ist vielleicht ein sekundärer Versuch, die Rolle von Phöbe herabzustufen;9 die Plus-Lesart ist früh und gut bezeugt (d46 א2 B C* 81 bo); die in NA gesetzte Klammer sollte weggelassen werden. In V. 2 ist αυ� τη` ν προσδε' ξησθε ( אA L P Ψ 33 81 104 365 630 1175 1241 1505 1739 1881 Byz b vg; d46vid lässt προσδε' ξησθε αυ� τη' ν aus) früh und gut bezeugt; die früh bezeugte Reihenfolge προσδε' ξησθε αυ� τη' ν (B C D F G ar m) will möglicherweise αυ� τη' ν und damit die Rolle von Phöbe weniger stark betonen und ist deshalb wohl sekundär. Ähnlich motiviert ist wahrscheinlich die Lesart αυ« τη (B2 L Ψ 104 614 629 630 1175 1505 1739) statt des emphatischeren αυ� τη' . Für die Formulierung προστα' τις πολλω ñ ν ε� γενη' θη και` ε� μουñ αυ� τουñ (B L P Ψ 33vid 81 104 365 630 1175 1241 1505 Byz vg sy co) gibt es mehrere sekundäre Varianten: προστα' τις πολλω ñ ν ε� γενη' θη και` αυ� τουñ (+ και )אε� μουñ ( א1739 1881); προστα' τις πολλω ñ ν ε� γενη' θη και` ε� μουñ τε αυ� τουñ (A); α» λλων πολλω ñ ν statt α» λλων (D1), προστα' τις και` α» λλων πολλω ñ ν ε� γενη' θη statt προστα' τις πολλω ñν ε� γενη' θη (d46), και` ε� μουñ και` α» λλων (+ πολλω ñ ν D1) προστα' τις ε� γε' νετο (D); και` ε� μουñ και` α» λλων παραστα' τις ε� γε' νετο (F G). III
1 Mit nun (δε' ) leitet Paulus zu den abschließenden Grüßen an die römi-
schen Gemeinden über, denen eine Empfehlung vorgeschaltet ist. Das Wort ich empfehle (συνι'στημι [synistēmi])10 gehört zur Sprache von Empfehlungsbriefen, wie προσδε' ξησθε ([prosedexēsthe]; V. 2a) und παραστηñ τε ([parastēte] in V. 2b). „Empfehlen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Angesprochenen den Empfohlenen aufnehmen und unterstützen, auch ———————————-————————
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Jewett 941; Cranfield II 780 geht von einem Schreibfehler aus. Jewett 941; vgl. Lohse 403 Anm. 4. Für die Ursprünglichkeit von και' argumentieren auch Michel 473; Cranfield II 781. Bauer/Aland s.v. συνι' στημι I.1b, „einen mit einem anderen zusammenbringen, ihn vorstellen od[er] empfehlen“; vgl. W. Kasch, Art. συνι' στημι κτλ., ThWNT VII, 895-896; A. Kretzer, EWNT III, 737; Arzt-Grabner, 2. Korinther, 271: συνι' στημι/συνιστα' νω kommt regelmäßig als Einleitung der eigentlichen Empfehlung in den Papyri vor: P.Brem. 5; BL VIII 68; P.Stras. IV 174; BL V 136; eine Variante ist die Wendung συνεσταμε' νον ε» χειν („als Empfohlenen ansehen/aufnehmen“): P.Mert. II 62,6-7; P.Oxy. II 292,6-7; IV 787 u.a.
Empfehlung der Phöbe 16,1-2 857 ————————————————————————————————————
Hilfestellung geben, wo und wenn dies notwendig ist. Paulus empfiehlt Phöbe (Φοι'βη [Phoibē]). Der Name Φοι'βη, der „leuchtend, rein“ bedeutet, ist griechisch: In der griech. Mythologie ist Phoibē die Mutter von Uranus und Gaia, oder die Mutter von Phoebus; in späteren Quellen ist Φοι'βη eine Bezeichnung für Artemis.11 Als weiblicher Personenname ist Φοι'βη häufig belegt,12 oft als cognomen,13 in der Stadt Rom auch als Sklavenname.14 Der griechische Name könnte darauf hindeuten, dass Phöbe heidnischer Herkunft war. Da ein Hinweis auf einen Ehemann der Phöbe fehlt, kann man schließen, dass sie Witwe oder unverheiratet war. Paulus beschreibt Phöbe zunächst als unsere Schwester (τη` ν α� δελφη` ν η� μω ñ ν [tēn adelphēn hēmōn]). Das mask. α� δελφο' ς und auch das fem. α� δελφη' werden als Bezeichung für Mitchristen gebraucht, die als „Kinder Gottes“ (8,16) zu derselben geistlichen Familie gehören.15 In Gal 1,2; Phil 4,21 machen erläuternde Wendungen deutlich, dass α� δελφο' ς missionarische Mitarbeiter bezeichnet.16 Das bedeutet jedoch nicht, dass Paulus an Stellen, wo er „Bruder“ bzw. „Brüder“ (1Kor 1,1; 16,12; 2Kor 1,1; 8,22; 1Thess 3,2 sowie 1Kor 16,11-12; 2Kor 8,23; 9,3) oder „Schwester“ (Röm 16,1; Phlm 2) mit dem Personalpronomen „unser“ verbindet, quasi-offizielle „Mitarbeiter“ in seiner Missionsarbeit meint.17 Im Blick auf Röm 16,1 kann man argumentieren, dass Paulus, weil er wohl kaum eine ungläubige Frau den römischen Christen empfehlen würde, sie nicht als Jesusbekennerin bezeichnen muss; d.h. die Bezeichnung von Phöbe als „unsere Schwester“ könnte sie durchaus als missionarische Mitarbeiterin kennzeichnen, die die Unterstützung der römischen Christen verdient. Paulus beschreibt Phöbe als Dienerin der Gemeinde in Kenchreä.18 Das Wort η� δια' κονος [hē diakonos]19 ist zunächst im funktionalen Sinn von ———————————-————————
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LSJ s.v. Φοι' βη; mit Verweis auf Hesiod, Theog 135,404; Aeschylus, Eum 7 sowie Aeschylus, Eum 8, und SEG XXXII 1068; Virgil, Georg 1,431. LGPN I–V listet mehrere Dutzend Belege auf. Vgl. Adams, Bilingualism, 475. Zum cognomen s. Band I, S. 14. Solin, Sklavennamen II, 274 (unter der Rubrik „Sklavennamen aus der Götterwelt und der mythologischen Welt“). Schlier 441 nimmt für Phöbe einen Sklavenhintergrund an, was aber weder zwingend noch belegbar ist. Zu α� δελφη' in diesem Sinn vgl. 1Kor 7,15; 9,5; Phlm 2; Jak 2,15, sowie bereits Mt 12,50; Mk 3,34. Vgl. Bauer/Aland s.v. α� δελφη' 2; J. Beutler, EWNT I, 71-72. Gal 1,2: οι� συ` ν ε� μοι` πα' ντες α� δελφοι' ; Phil 4,21: οι� συ` ν ε� μοι` α� δελφοι' . Richtig Bauckham, Gospel Women, 214-215, gegen Ellis, Co-Workers, 21-22, dem sich Hentschel, Diakonia, 168 anschließt; s. auch J. Beutler, EWNT I 71. Der mit ουò σαν eingeleitete Partizipialsatz ist modal zu interpretieren; das Ptz. Fem. kann mit „wobei sie ist …“ oder „die … ist“ übersetzt werden. Die feminine Form ergibt sich aus dem Kontext, wie in 13,4 im Blick auf ε� ξουσι' α. Vgl. H.W. Beyer, Art. διακονε' ω κτλ., ThWNT II, 81-93; A. Weiser, EWNT I, 726-732; K. Heß / H. Bietenhard, ThBLNT I, 941-944; Clarke, Leadership, 119-120.234-245, mit kri-
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Dienen zu verstehen: Nach Mk 10,42-45 ist Dienen das Wesen aller Dienste in der Jesusnachfolge.20 Dann kann man δια' κονος als Hinweis auf ein Gemeindeamt verstehen,21 das allerdings nicht definiert oder fest ausgeprägt war.22 In Apg 6,1-7 kommt das Subst. δια' κονος nicht vor, und die Verwendung des Subst. διακονι'α in der Formulierung ε� ν τηñ, διακονι'α, τηñ, καθημερινηñ, („bei der täglichen Versorgung“) und des Verbs διακονε' ω in der Formulierung διακονειñν τραπε' ζαις („Dienst an den Tischen“; 6,2) darf nicht dazu verleiten, „nur“ praktischen Dienst mit dem Wort δια' κονος zu verbinden. Sowohl Stephanus als auch Philippus, die zu den Sieben gehörten (6,5), haben gepredigt und missioniert (Apg 6,8-15; 8,4-13).23 Das heißt für Phöbe, dass sie eine ständige und anerkannte („offizielle“) Aufgabe in der Gemeinde in Kenchreä ausgeübt haben kann, die mit „hilfreiche Wirksamkeit“24 bezeichnet werden konnte, ohne dass die dienende Hilfe auf ein bestimmtes Gebiet einzugrenzen wäre.25 Mit „Diakonin“ oder „Diakonisse“26 sollte man nicht übersetzen, weil dadurch ein erst später entstandenes Berufsbild in den Text hineingelesen wird.27 Eine Leitungsfunktion in der Gemeinde, die manche aus der Bezeichnung η� δια' κονος für Phöbe ablesen,28 ist möglich, aber nicht zwingend, es sei denn, dass man jede geistliche Mitarbeit und alle Verkündigungstätigkeit im Sinn einer „Leitungsfunktion“ ————————————————————
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tischer Diskussion der Thesen von Collins, Diakonia, der argumentiert, δια' κονος verweise auf eine Person mit Status (aufgenommen von Jewett 944-945); Clarke zeigt, dass δια' κονος auf geringes Ansehen und auf eine dienende Rolle hinweist; vgl. Arzt-Grabner, 1. Korinther, 140-141 für Belege in den Papyri, in denen δια' κονος Unterordnung unter eine übergeordnete Institution oder Person bezeichnet oder impliziert. Vgl. Clarke, Jew and Greek, 117; Hentschel, Diakonia, 34-89; Mathew, Women, 66-71, s. ebd. 71-74 für einen Überblick zu den verschiedenen Interpretationen von δια' κονος in Röm 16,1. Vgl. Winter, Roman Wives, 198-199; Moo 913-914; Schreiner 786-787. Phil 1,1; 1Tim 3,8.12; dann Ignatius, Eph 2,1; Magn 6,1. Was Schreiber, Arbeit, 210 ernsthaft erwägen will, ist die folgende Charakterisierung von „Amt“: 1. fester Kompetenzbereich; 2. eine auf (eine gewisse) Dauer übertragene Tätigkeit; 3. Sonderstellung innerhalb der Gruppe, die Autorität beinhaltet und Anerkennung verlangt; 4. offizielle Übertragung der konkreten Funktionen; 5. Einbettung in den Gesamtkontext der Gemeinde als Sicherung der Kontinuität und Kontrolle aus Amtsausübung; mit Verweis auf Brockhaus, Charisma, 24-25 Anm. 106. Vgl. Hentschel, Diakonia, 318-346. Lohse 404. Vgl. Käsemann 395; Cranfield II 781; Wilckens III 131; Dunn II 887; Moo 914; Schreiner 787; Haacker 376; Ollrog, Mitarbeiter, 31. Diakonin: GN, NGÜ, ZÜ; RSV, NASB, NIV, NRSV; Diakonisse: Wilckens III 131; Käsemann 394, der von „Vorstufe zum späteren kirchlichen Amt“ spricht. Haacker 376. Vgl. Fiorenza, Memory, 170-171; Arichea, Phoebe, 409; Müller, Schluß, 215; Bassler, Phoebe, 135; Mathew, Women, 73-74. Kritisch Clarke, Leadership, 234-245 (Auseinandersetzung mit Collins, Diakonia).
Empfehlung der Phöbe 16,1-2 859 ————————————————————————————————————
interpretiert. Wir haben keine Einzelheiten über die Art der Mitarbeit Phöbes, die es erlauben würden, von einer Leitungsfunktion zu sprechen. Der mit προστα' τις V. 2c angedeutete Status trägt zu der Frage nach der Leitungsfunktion unter bestimmten Voraussetzungen, aber auch nicht zwingend, zur Klärung bei. Phöbe kann als δια' κονος für die „karitative Betreuung von Armen, Kranken, Witwen, Waisen, aber auch von ankommenden und abreisenden Glaubensgenossen“29 verantwortlich gewesen sein; ihre Aufgaben können angesichts der Verwendung von δια' κονος aber nicht auf karitative Aufgaben beschränkt werden: Wie die δια' κονοι Stephanus, Philippus und Paulus selbst kann sie auch eine wichtige Funktion in der Verkündigungstätigkeit in der Gemeinde innegehabt haben. Von Plinius, Ep 10,96,8 wissen wir, dass es zur Zeit Trajans in Bithynien weibliche diakonoi in christlichen Gemeinden gab: Plinius folterte zwei weibliche Sklavinnen, die schließlich gestanden, ministrae (lat. für δια' κονοι) zu sein. Ein interessantes Beispiel für die Verwendung von η� δια' κονος für eine weibliche Diakonin aus dem 4. Jh. ist eine in Jerusalem auf dem Ölberg gefundene Inschrift, in der eine gewisse Sophia als „Sklave und Braut Christi, Diakonin, die zweite Phöbe“ (η� δου' λη και` νυ' μφη τουñ Χριστουñ Σοφι' α, η� δια' κονος η� δευτε' ρα Φοι' βη) bezeichnet wird.30
Kenchreä (Κεγχρεαι' [Kenchreai], mod. Kechries)31 war der am saronischen Golf gelegene östliche Hafen Korinths, 8 km südöstlich des Stadtzentrums. Der in griechischen Quellen mehrfach erwähnte Hafen wurde in römischer Zeit als Stadt ausgebaut, die vielleicht 4400 Einwohner hatte.32 Bezeugt ist die Verehrung von Aphrodite, Asklepios, Dionysos, Isis, Pan und Poseidon (Pausanias 2,2,3). Der Hafen wurde durch künstlich angelegte Molen vergrößert, am südwestlichen Ende erstreckte sich die Pier ca. 120 Meter ins Meer hinaus. Der Isistempel befand sich südlich der Lagerhäuser am Hafen, der Aphroditetempel stand am nordöstlichen Ende des Hafens. Die Apostolischen Konstitutionen (spätes 4. Jh.) erwähnen einen Bischof in Korinth (7,46,10). Die beiden Kirchen, die man in Kenchreä entdeckt hat (mit Mosaiken und Baptisterium), werden jetzt in das späte 5. oder frühe 6. Jh. datiert.33 Die Beschreibung von Kenchreä als „Slum-Gegend“ ist genauso reine Erfindung wie die Charakterisierung der Gemeinde als „Gemeinde mit stark proletari———————————-————————
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Käsemann 395; dass diese Dienste vor allem in Hafenstädten notwendig gewesen sein sollen (ebd.), ist nicht einsichtig. L. Cré, RB 13 [1904] 260-262; Guarducci, Epigrafia greca IV, 445; Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 239; Winter, Roman Wives, 198. Weitere inschriftliche Belege sind IG III 3527 (Mt Hymettos in Attika); SEG XXIX 425 (Patrai, Achaia).589 (Fourka, Makedonien); Guarducci, Epigrafia greca IV, 345-347 (Delphi).367-370 (Melos); weitere Belege in Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 239-240. Vgl. F. Bölte, PW XI.1, 167-170; Y. Lafond, DNP VI, 411; Rife, Roman Kenchreai; zu den Ausgrabungen s. Scranton, Kenchreai. Engels, Roman Corinth, 82. Rife, Roman Kenchreai, 425-431.
860 Römerbrief ———————————————————————————————————— scher Prägung“.34 Reiche waren in jeder von Paulus gegründeten Gemeinde eine sehr kleine Minderheit, Arme die große Mehrheit. Kenchreä hatte zwar keine eigene Verwaltung oder die typischen monumentalen Elemente einer Stadt (z.B. Amphitheater), war aber dicht besiedelt und florierte in der Mitte des 1. Jh.s, nicht zuletzt aufgrund der Wiedereröffnung des Isthmischen Spiele im 4 km nördlich liegenden Isthmia ca. 50 n.Chr., die den Verkehr im Hafen beträchtlich gefördert haben mussten.
Das Wort Gemeinde (ε� κκλησι'α [ekklēsia]) kommt hier zum ersten Mal im Röm vor. Paulus erwähnt neben der Gemeinde in Kenchreä vier Hausgemeinden in Rom (16,4.5.16.23).35 Die Bedeutung von ε� κκλησι' α [ekklēsia]36 ist zunächst von der Verwendung in griechischen Texten und Inschriften her zu bestimmen, wo das Wort die Volksversammlung beschreibt, die aus den stimmberechtigten freien Männern bestand: ε� κκλησι' α ist „dort, wo man sich versammelt, um ε� κκλησι' α zu sein“, im christlichen Bereich also „das Geschehen gottesdienstlicher Versammlung“.37 Für die ntl. Verwendung des Wortes ist gleichzeitig der atl. und jüdische Hintergrund grundlegend: Hier ist ε� κκλησι' α τουñ θεουñ [ekklēsia tou theou] das griechische Äquivalent für ( ְקָהל ֵאלqehāl ’el), ein Ausdruck, der in frühjüdischen Texten wie 1QM 4,10 und 1QSa 1,25 im apokalyptischem Sinn das endzeitliche Aufgebot Gottes bezeichnet, d.h. die Menschen in Israel, die Gott im Zusammenhang der Ereignisse der Endzeit in seinen Dienst beruft.38 Das heißt, in 1Kor 1,2; 10,32; 2Kor 1,1; Gal 1,13; 1Thess 2,14; 2Thess 1,4; 1Tim 3,5.15 steht ε� κκλησι' α τουñ θεουñ für die Gemeinschaft der Jesusbekenner, die Versammlung der Judenchristen und Heidenchristen, die in heilsgeschichtlicher Kontinuität mit Israel das endzeitliche Volk Gottes darstellt. Der Genitiv τουñ θεουñ bezeichnet den Urheber oder Besitzer: Die Gemeinde wurde durch Gott ins Leben gerufen,39 deshalb gehört sie Gott (vgl. 1Kor 3,23). Weder Paulus noch die örtlichen Gemeinden bestimmen, wer zur Gemeinde gehört – Gott ist es, der die Zugehörigkeit zum messianischen Volk Gottes durch sein Heil schaffendes Handeln im Messias Jesus bestimmt.
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Wilckens III 131, sowie Käsemann 396. Von 62 Belegen in den Paulusbriefen kommen nur fünf im Röm vor, alle in Kap. 16: 16,1.4.5.16.23; vgl. dagegen die 22 Belege in 1Kor. Vgl. K.L. Schmidt, Art. ε� κκλησι' α, ThWNT III, 502-539; J. Roloff, EWNT I, 998-1011; C.G. Brandis, Art. � Εκκλησι' α, PW V, 2163-2199; K. Berger, Kirche II. TRE XVIII, 201218; O. Linton, Ekklesia I, RAC IV, 906-921; H.P. Müller, qāhāl „Versammlung“, THAT II, 609-619; H.J. Fabry / F.L. Hossfeld / E.M. Kindl, ָקָהלqāhāl, ThWAT VI, 1203-1222; Hainz, Ekklesia, 229-255; Roloff, Kirche, 83-85.96-99; Kraus, Volk Gottes, 124-126. Die etymologische Ableitung aus ε� κ („heraus“) und καλε' ω („rufen“) und die Beschreibung der in der ε� κκλησι' α versammelten Christen als die aus der Welt „Herausgerufenen“ kann weder aus dem profangriechischen Befund noch aus den ntl. Stellen erhoben werden. Kraus, Volk Gottes, 124. Roloff, EWNT I, 1001; Berger, Kirche II. TRE XVIII, 214-215; Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes, 210-212; Kraus, Volk Gottes, 125. In der Septuaginta wird קהלmit ε� κκλησι' α, aber auch mit συναγωγη' (häufig in Gen, Lev, Num, Jer, Hes) übersetzt. S. die mit ε� κκλησι' α verbundene Erwählungsterminologie in 1Thess 1,4; 2,12; 4,7; 5,9.24.
Empfehlung der Phöbe 16,1-2 861 ————————————————————————————————————
Die Gemeinde in Kenchreä wurde offensichtlich von Paulus 50/51 n.Chr. gegründet, als er in Korinth tätig war. Vor seiner Abreise nach Syrien hat er sich dort, zusammen mit Aquila und Priscilla, aufgehalten (Apg 18,18). 2 Paulus verbindet mit der Empfehlung der Phöbe die Bitte,40 dass ihr sie im Herrn in einer Weise aufnehmt, wie es für die Heiligen angemessen ist (V. 2a). Das Verb προσδε' χομαι ([prosdechomai], „aufnehmen, annehmen“), das zur Sprache der Empfehlungsbriefe gehört (s. oben), bezeichnet zunächst grundsätzlich die Gewährung von Gastfreundschaft.41 Die Wendung „im Herrn“ (ε� ν κυρι'ω, [en kyriō]), die auch in V. 8.11.12.13.22 vorkommt, betont: Phöbe soll als Jesusbekennerin, die demselben Herrn gehört und deshalb mit den römischen Christen verbunden ist, aufgenommen werden. Da Paulus zuvor die vollere Wendung ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ (vgl. 3,24; 6,11.23; 8,1.2.39) verwendet, betont ε� ν κυρι' ω, vielleicht den Imperativ christlichen Verhaltens.42 Die Wendung „wie es für die Heiligen angemessen ist“ (α� ξι'ως τω ñ ν α� γι'ων [axiōs tōn hagiōn]) ist inhaltlich identisch mit ε� ν κυρι'ω, , setzt jedoch rechtes Verhalten untereinander voraus: Jesusbekenner, die „angesichts der Erbarmungen Gottes“ ihre Leiber „als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer“ darbringen und beurteilen können, „was der Wille Gottes ist: das Gute und das Wohlgefällige und das Vollkommene“ (12,1-2), und deshalb ihr Verhalten nach dem Maßstab der Liebe ausrichten (12,9-21; 13,8-10), werden schon wissen, wie sie Phöbe helfen können. Paulus bittet die römische Gemeinde, dass sie Phöbe in jeder Angelegenheit beisteht, in der sie es nötig hat (V. 2b). Das Verb παρι' στημι [paristēmi]43 bedeutet hier „hilfreich zur Seite treten, helfen, beistehen“ und gehört ebenfalls zur Sprache der Empfehlungsbriefe (s. oben). Das Wort πρα' γμα [pragma] bezeichnet hier „das, was zu tun ist“, d.h. „Vorhaben, Aufgabe“.44 Das Verb χρη,' ζω bedeutet „nötig haben, bedürfen“, hier im Blick auf ein nicht näher beschriebenes Vorhaben, eine nicht genannte Angele———————————-————————
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Für «ινα vor abhängigen Begehrsätzen vgl. HvS §252,28c; NSS II 51: „mit der Bitte, dass“. A. Palzkill, Art. προσδε' χομαι, EWNT III, 392; H.G. Link / O. Becker, ThBLNT I, 585: „jmd. in einen Ort oder eine Gemeinschaft aufnehmen“ (Plato, Leg 4,708a; Josephus, Ant 14,285), ebd. 586.588: „aufnehmen“ im Sinn von „Gastfreundschaft gewähren“ (Lk 15,2; Röm 16,2; Phil 2,29). Von Grundmann, προσδε' χομαι, ThWNT II, 56-57 ignoriert. Dunn II 887; Lohse 404 Anm. 9, mit Verweis auf Neugebauer, In Christus, 139: „‚In Christo‘ hat der Apostel die Autorität zu befehlen, er ermahnt jedoch ‚im Herrn‘.“ Bauer/Aland s.v. παρι' στημι 2aγ; B. Reicke, ThWNT V, 838; A. Sand, EWNT III, 96. Bauer/Aland s.v. πρα' γμα 2; vgl. C. Maurer. πρα' γμα, ThWNT VI, 639: neutrale Bedeutung, d.h. „die als Aufgabe obliegende Tätigkeit: Das Unternehmen, die Obliegenheit, das Geschäft, die Aufgabe“ (ebd. 638); G. Schneider, EWNT III, 345: „Unternehmung, Geschäft“; H.C. Hahn / F. Thiele, ThBLNT I, 69: „wertneutral … von den Angelegenheiten der Phöbe“. Nichts weist darauf hin, dass Phöbe in Rom Rechtsstreitigkeiten bewältigen müsste; richtig Käsemann 395, gegen Schumacher, Kapitel, 49.
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genheit.45 Die römischen Christen sollen Phöbe helfen, welche Angelegenheit auch immer sie zu erledigen hat, und sie unterstützen, was immer sie nötig hat.46 Es kann sich um private Angelegenheiten Phöbes handeln, um Angelegenheiten, die die Gemeinde betreffen, Letzteres vor allem im Zusammenhang mit der Spanienmission von Paulus, wenn er Phöbe, wie manche annehmen, zu deren Organisation beauftragt hätte. Weil Jesusbekenner vom Messias Jesus angenommen wurden, haben sie gemäß 15,7 einander anzunehmen (προσλαμβα' νω), was die römischen Christen Wirklichkeit werden lassen, wenn sie Phöbe aufnehmen (προσδε' χομαι) und ihr Hilfe leisten (παρι'στημι), in welcher Sache auch immer sie Hilfe nötig hat. Paulus begründet (γα' ρ) die zweifache Bitte um Unterstützung Phöbes: Denn auch sie war für viele Patronin, auch mir selbst (V. 2c). Mit „viele“ (πολλω ñ ν) sind in erster Linie die Jesusbekenner in der Gemeinde Kenchreäs gemeint, vielleicht auch durchreisende Verkündiger und Lehrer wie Apollos (Apg 18,27), Timotheus (1Kor 4,17; 16,10) und Titus (2Kor 7,6-7). Mit der betont formulierten Wendung „auch mir selbst“ (και` ε� μουñ αυ� τουñ ) unterstreicht Paulus, dass Phöbe ihn in seiner Missionsarbeit unterstützt hat. In welcher Weise Phöbe Mitchristen im Allgemeinen und Paulus im Besonderen unterstützt hat, hängt von der Bedeutung des Wortes προστα' τις [prostatis] ab, das eine rege Diskussion verursacht hat. Forschungsgeschichtlich wichtig war die Veröffentlichung einer Petition aus dem Jahr 142 v.Chr. (P.Med.Bar. I) durch O. Montevecci, nach der eine Frau aufgrund einer Vereinbarung in ihrem Heiratsvertrag nach dem Tod des Ehemanns als προστα' τις, d.h. Vormund, des verwaisten Sohnes agiert. Die Erwähnung des Wortes προστα' τις in diesem Text wurde von E.A. Judge in die Diskussion von Patronagemechanismen im 1Kor und dann des sozialen Hintergrunds der Phöbe eingebracht.47 Viele vergleichen Phöbe mit Junia Theodora, die im 1. Jh. in Korinth eine herausragende Rolle spielte: Sie setzte sich für die Belange von reisenden Lykiern ein, für die sie die „Freundschaft“ der römischen Behörden gewann; im Jahr 43 oder 57 wurde sie mit einer Inschrift geehrt, in der fünf Edikte der lykischen Bundesversammlung und drei lykischer Städte ihre Verdienste aufzählten.48 Junia Theodora wird mit fünf Dekreten geehrt: von der Bundesversammlung der Städte Lykiens, der ———————————-————————
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In Mt 6,32 / Lk 12,30; Lk 12,30 von den alltäglichen Bedürfnissen, in 2Kor 3,1 im Blick auf Empfehlungsbriefe, die manche nötig haben. ε� ν ω ð, α� ν … πρα' γματι entspricht ε� ν τω ñ, πρα' γματι ε� ν ω�, α» ν; NSS II 51; HvS §289e(b). Montevecci, Prostatis, 103-115; vgl. Montevecci, Phoebe Prostatis, sowie Judge, Conformity, 171-172. Vgl. Jewett 946 Anm. 47. Pallas/Charitonidis/Venencie, Inscriptions lyciennes, 496-508, griechischer Text der 85 Zeilen langen Inschrift ebd. 498-500. Abgedruckt in SEG XVIII, 143. Zur Diskussion s. Kearsley, Women, 191-198; Klauck, Junia Theodora, mit deutscher Übersetzung; Clarke, Jew and Greek, 116-117; Winter, Roman Wives, 183-193; Merz, Phöbe, 131 Anm. 8; Cohick, Women, 301-303; Mathew, Women, 49-50; Calpino, Women, 136-137; Friesen, Junia Theodora.
Empfehlung der Phöbe 16,1-2 863 ———————————————————————————————————— lykischen Stadt Myra, der lykischen Stadt Patara, noch einmal von der Bundesversammlung und von der lykischen Stadt Telmessos, deren Edikt lobend erwähnt, dass Junia Theodora den Lykiern alles zur Verfügung gestellt hat (παρεχομε' νη αυ� τοιñ[ς πα' ντ]τα) und ihre Patronage allen zuteilwerden ließ (προστασι' αν [ε� ν]δ[ελικνυμε' νη]), die anwesend waren (Edikt V, Zeilen 76-77). Häufig wird auch auf die Synagogeninschrift von Aphrodisias in Karien verwiesen, in der eine Jüdin namens Jael als προστα' τις der Synagoge vorkommt.49 Die öffentliche Rolle, die Frauen haben konnten, ist gut dokumentiert.50 So interpretieren viele προστα' τις im Sinn von patrona und argumentieren, dass Paulus mit diesem Wort auf das Patronatswesen der röm. Kultur Bezug nimmt.51 Papathomas hat die Interpretation Monteveccis hinterfragt: „Die Deutung von προστα' τις als Patron im engeren Sinne der Patroziniumsbewegung ist nicht unbedingt notwendig … Viel wahrscheinlicher ist meines Erachtens anzunehmen, daß der Begriff προστα' τις hier … in metaphorischem Sinn zu verstehen ist und einfach den ‚wohlwollenden Beschützer einer in Not befindlichen Person‘ bezeichnet.“52 Papathomas weist darauf hin, dass das Substantiv προστα' τις im Lauf der Jahrhunderte verschiedene Bedeutungen hatte, die von den Grundbedeutungen „Vorstand“ und „Beschützer“ abgeleitet wurden. In hell.-röm. Zeit finden sich die Bedeutungen „Präsident“ (BGU XVI 2653; P.Bodl. I 65), Beamter, der vorübergehend für administrative, militärische oder religiöse Funktionen verantwortlich war (P.Ammon I 3), Chef einer Domäne (P.Theon. 2,1; vielleicht P.Oxy. LXII 4336,25), sehr hohe Staatsbeamte in der Verwaltung des Römischen Reiches. Die Tatsache, dass Junia Theodora, die offensichtlich wohlhabend war – sie konnte auswärtigen Gesandten und Flüchtlingen Gastfreundschaft anbieten – und nachhaltigen Einfluss auf die lokalen Behörden hatte, explizit als Patronin beschrieben wird, bedeutet nicht, dass die Bezeichnung von Phöbe als προστα' τις analog der Stellung von Junia Theodora verstanden werden muss, d.h. dass Phöbe Glied der lokalen Elite war, Geld und Einfluss hatte und beides für die Gemeinde in Kenchreä, wo sie Leitungsfunktion hatte, und für die Mission von Paulus eingesetzt hat.53 Meggitt problematisiert das Verständnis Phöbes als Patron im Sinn römischer Eliten: Es gab Patronatsbeziehungen nicht nur zwischen reichen Patronen und armen Klienten, sondern durch alle Schichten der römischen Gesellschaft; die ausdrückliche Bezeichnung einer Person als Patron hätte für römische Ohren seltsam geklungen, da mindestens in Briefen Patrone und Klienten eher impliziert denn identifiziert wurden;54 Patrone erwarteten zwar von ihren Klienten politische und gesellschaftliche Unterstützung, sie hätten aber nicht um materielle Hilfe gebeten, wie Röm 16,2 dies nahelegt, da es üblich war, dass Patrone ihren Klienten finanzielle Zuwendungen gaben; Patrone schrieben Empfehlungen für sozial Niedrigergestellte, während nach der Annahme, Phöbe sei patrona auch für Paulus gewesen, jetzt umgekehrt Paulus für seinen „Patron“ eine Empfehlung schreibt. Nicht nur ältere, sondern auch jüngere Ausleger(innen), bestimmen die Bedeutung von προστα' τις [prostatis] aus dem unmittelbaren Kontext. Marlies Gielen schreibt: „Die Bitte,
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Vgl. Reynolds/Tannenbaum, Jews and God-Fearers, 41.Vgl. I.Kyme 45 (= IJudO II 36) für die Ehrung einer Frau, die von einer Synagoge für ihre Unterstützung geehrt wurde. Vgl. MacMullen, Women, 208-218; Matthews, Converts, 10-50. Vgl. Fitzmyer 731; Jewett 947-948; Jewett, Phoebe, 149-150; Ernst, Phöbe, 139-143; Whelan, Amica Pauli; Merz, Phöbe, 130-132; Hentschel, Diakonia, 168-169; Cohick, Women, 306-307. Papathomas, Papyrusbriefe, 102; die folgende Bemerkung ebd. 101-102, mit Hinweis auf Roque, Vocabulaire, 38-39 für die Verwendung für hohe Verwaltungsbeamte. So jedoch die Annahme von Horsley, Case Study, 231; Kearsley, Women, 202; Klauck, Junia Theodora 245-246; Tiwald, Entwicklungslinien, 122; Nicklas, Offices, 33 u.a. Vgl. Saller, Patronage, 1.10.
864 Römerbrief ———————————————————————————————————— Phöbe hilfreich bei ihrem Aufenthalt in einer fremden Stadt zur Seite zu stehen gewinnt … ihre Berechtigung vor allem aus der Tatsache, dass Phöbe selbst bereits Vielen einschließlich Paulus offenbar großzügig beigestanden hat. Dies dürfte eben dort geschehen sein, wo ihr entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung standen, nämlich zu Hause in Kenchreä. Daher besitzt προστα' τις hier am ehesten die semantische Konnotation von Beistand bzw. Helferin.“55 H. Balz: προστα' τις „wird kaum im technischen Sinn einer Leitungsfunktion zu verstehen sein …, sondern sich auf die Unterstützung von Fremden und Mittellosen durch Phöbe beziehen“.56
Die Tatsache, dass Paulus Phöbe empfehlen muss, deutet entweder darauf hin, dass sie nicht zur reichen Elite gehörte – Paulus hätte keine Empfehlung für ein Mitglied der reichen Elite geschrieben.57 Friesen weist Phöbe in seiner Skala der röm. Gesellschaft nicht der Ebene 358 zu, sondern Ebene 4 oder 5.59 Oder Phöbe hat ihren gesellschaftlichen Rang als patrona bewusst aufgegeben, im Anschluss an das Vorbild Jesu (vgl. Mk 10,42-45; Phil 2,5), was in ihrer Bezeichnung als δια' κονος zum Ausdruck kommt, die auf eine auftragsempfangende Dienstfunktion verweist.60 E.A. Judge und B.W. Winter betonen den geradezu revolutionären „Umbau“ der gesellschaftlichen Realitäten bei Paulus: Während in der römischen Gesellschaft sozialer Rang und sozialer Status Hand in Hand gingen, mag Phöbe als patrona zwar sozialen Rang besessen haben, aber ihren gesellschaftlichen Status hat sie offensichtlich aufgegeben, indem sie der Gemeinde als δια' κονος diente. Winter vermutet, dass Paulus bewusst die Patronatsterminologie der römischen Gesellschaft „geplündert“ hat, um Phöbes Unterstützung seiner ———————————-————————
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Gielen, Leitungsfunktionen, 140-141, mit Verweis u.a. auf Schmeller, Hierarchie, 85-86; Merklein, Spannungsfeld, 245-246; Ng, Phoebe. F.W. Danker, in BDAG s.v. προστα' τις: „the relationship suggested by the term πρ[οστα' τις] is not to be confused w[ith] the Rom. patron-client system, which was of a different order and alien to G[ree]k tradition.“ H. Balz, Art. προστα' τις, EWNT III, 426, dessen Verweis auf Michel 473-474 mit Anm. 11 allerdings nicht den neuesten Forschungsstand widerspiegelt. Friesen, Demography, 369 Anm. 34 (der statt von Phoebe fälschlicherweise von Chloe spricht), gefolgt von Rife, Roman Kenchreai, 424. Ganz anders noch Theißen, Soziale Schichtung, 256, der aus Phöbes Dienstleistungen für Paulus und die Gemeinde sowie aus ihren Reisen schließt, dass sie zu den „gehobenen Schichten“ gehörte. Lokale Eliten: Mitglieder der curia von Munizipien od. Kolonien, reiche Männer und Frauen ohne offizielle Ämter, manche Freigelassene, manche Kaufleute. Ebene 4: moderat überschüssige Resourcen: manche Kaufleute, manche Handeltreibende, manche Freigelassene, manche Handwerker, Veteranen des Militärs. Ebene 5: nahe des Existenzminimums: viele Kaufleute u. Handeltreibende, regelmäßig einen Lohn Empfangende, Handwerker, Besitzer großer Läden, Freigelassene, manche Bauernfamilien. Vgl. Friesen, Demography, 369; seine Skala (ebd. 365) hat sieben Ebenen, von der Reichselite zu den Armen, die die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, eingeteilt in drei Ebenen: Ebene 5 bis Ebene 7 (unter dem Exisistenzminimum: manche Bauernfamilien, ungebundene Witwen, Waisen, Bettler, Behinderte, ungelernte Tagelöhner, Gefangene). Winter, Roman Wives, 194-197, der im Anschluss an Judge, Conformity, 173 auf Stephanas in Korinth verweist, der seine Patronatsstellung zugunsten des Dienstes für andere aufgegeben habe (1Kor 16,15-17).
Empfehlung der Phöbe 16,1-2 865 ———————————————————————————————————— Mission in Kenchreä, Korinth und darüber hinaus zu beschreiben.61 Ähnlich Meggitt mit Hinweis auf die paulinische Verwendung des Wortes δουñ λος („Sklave“), das bei Paulus zur Ehrenbezeichnung wurde.62
Wenn man Phöbe als patrona versteht, muss man anerkennen, dass wir weder den gesellschaftlichen Status Phöbes genau kennen noch die Art ihrer Unterstützung für die Gemeinde in Kenchreä und für Paulus und seine Mission – finanzielle Hilfe, Gastfreundschaft für durchreisende Missionare und Lehrer in einem ihr gehörenden Haus, Repräsentation vor lokalen Behörden sind Möglichkeiten,63 bleiben aber spekulative Annahmen. IV Frauen haben schon in der Umgebung Jesu eine wichtige Rolle gespielt: Maria Magdala, Maria die Mutter von Jakobus und Joses, Salome, die Jesus seit der Zeit in Galiläa nachgefolgt waren und ihm gedient hatten (διηκο' νουν αυ� τω ñ, ; Mk 15,40-41; Mt 27,55-56; vgl. Lk 23,49), sowie Johanna, Frau des Chuza, und Susanna (Lk 8,2-3).64 In der paulinischen Mission war dies nicht anders: Zehn von achtunddreißig Mitarbeitern, deren Namen wir kennen, waren Frauen. In alphabetischer Reihenfolge sind dies Apphia, Euodia, Junia, Maria, Persis, Phöbe, Priscilla, Syntyche, Tryphäna, Tryphosa.65 Sechs dieser Frauen sind in Rom und in Röm 16,3-16 gegrüßt: Junia, Maria, Persis, Priscilla, Tryphäna, Tryphosa. Phöbe ist unterwegs nach Rom. Wir wüssten gerne mehr über die Frau, müssen uns jedoch mit dem begnügen, was Paulus explizit sagt, und der Versuchung widerstehen, einzelne Begriffe mit Annahmen zu überfrachten, die möglich, aber nicht zwingend notwendig sind. Wir wissen, dass Phöbe aus Kenchreä kommt, dem östlichen Hafen Korinths. Paulus nennt Phöbe eine Schwester, Dienerin und Patronin. Sie war adelphē: eine Jesusbekennerin aus einer polytheistischen Familie, wie ihr Name belegt, die wie alle Jesusbekenner zur messianischen Familie Gottes gehörte. Sie war diakonos: Sie hat den Christen in Kenchreä mit ihr zu Verfügung stehenden ———————————-————————
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Winter, Roman Wives, 197. Meggitt, Poverty, 148. Köstenberger, Women, 229; Cohick, Women, 305; Walton, Patronage, 231; Mathew, Women, 79-80; so oft auch in den Kommentaren. Diese Frauen kommen auch in anderen Listen vor: Mt 27,56; 28,1; Mk 15,47; 16,1; 24,10; Joh 19,25. Vgl. Bauckham, Gospel Women, 109-247, ebd. 302-303 zu der Funktion von Maria Magdalena, Maria Mutter von Jakobus und Joses, Salome und Johanna, die das leere Grab und den auferstandenen Jesus sahen, als autoritative Zeuginnen in den frühen Gemeinden. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1366-1367.
866 Römerbrief ————————————————————————————————————
Resourcen gedient – vielleicht nur mit der Zeit, die sie investierte, um anderen zu helfen; vielleicht, wenn sie wohlhabend war, mit gastfreundlicher Aufnahme in ihrem Haus und mit materieller Unterstützung; vielleicht auch mit der Beteiligung an der evangelistischen und gemeindlichen Verkündigungstätigkeit. Was immer auch ihre persönliche Situation erlaubte – in einem oder mehreren dieser Dienste hat sie auch Paulus und seine Mission unterstützt. Und sie war prostatis: Vielleicht eine höhergestellte, wohlhabende Patronin, die ihren gesellschaftlichen Rang hinter sich lässt und der Gemeinde dient; vielleicht einfach eine engagierte Christin, die sich für viele in der Gemeinde, wie auch für Paulus, in unterschiedlichen Situationen als Beistand und Helferin betätigt, wie es ihre persönlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten erlauben. Als Paradebeispiel für eine Frau in einer der frühen christlichen Gemeinden, die eine herausgehobene Leitungsfunktion innehatte, eignet sich Phöbe nur bedingt – wir wissen zu wenig, als dass diese Interpretation berechtigt wäre. Ein Paradebeispiel für die agapē, die, dem Beispiel Jesu folgend, normativ ist für das Verhalten der Jesusbekenner (12,9-21; 13,8-10), ist Phöbe sehr wohl, und dies ist, ebenfalls dem Beispiel Jesu folgend, von weitaus grundlegenderer Bedeutung als Diskussionen über Rang, Titel und Zuständigkeiten.
Grüße 16,3-16 I 3 Grüßt Priska und Aquila, meine Mitarbeiter im Messias Jesus, 4 die für mein Leben ihren eigenen Hals hingehalten haben; ihnen habe nicht nur ich allein zu danken, sondern auch alle Gemeinden der Heiden; 5 grüßt auch die Gemeinde in ihrem Haus. Grüßt meinen geliebten Epänetus, der die Erstlingsgabe der Provinz Asia für den Messias ist. 6 Grüßt Maria, die sich viel um euch gemüht hat. 7 Grüßt Andronikus und Junia, meine Landsleute und meine Mitgefangenen; sie nehmen unter den Aposteln eine hervorragende Stellung ein und sind schon vor mir zum Messias bekehrt. 8 Grüßt meinen im Herrn geliebten Ampliatus. 9 Grüßt Urbanus, unseren Mitarbeiter im Messias, und meinen geliebten Stachys. 10 Grüßt Apelles, der im Messias bewährt ist. Grüßt die aus dem Haushalt des Aristobulos. 11 Grüßt Herodion, meinen Landsmann. Grüßt die aus dem Haushalt des Narcissus, die im Herrn sind. 12 Grüßt Tryphäna und Tryphosa, die sich im Herrn gemüht haben. Grüßt die geliebte Persis, die sich viel im Herrn gemüht hat.
Grüße 16,3-16 867 ————————————————————————————————————
13 Grüßt Rufus, den im Herrn Erwählten, und seine Mutter, die auch meine ist. 14 Grüßt Asynkritus, Phlegon, Hermes, Patrobas, Hermas und die Brüder bei ihnen. 15 Grüßt Philologus und Julia, Nereus und seine Schwester und Olympas und alle Heiligen bei ihnen. 16 Grüßt einander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen auch alle Gemeinden des Messias. II Es war üblich, einen persönlichen Brief mit Grüßen zu beschließen.66 Die Kombination von Grüßen an eine derart große Gruppe von Personen mit der Verwendung der 2. Pers. Plural hat keine antike Parallele, diente jedoch als Vorbild für spätere von Christen geschriebene Briefe.67 Die Grußliste in 16,3-16 nennt 26 Namen, von denen zwei (Aristobulos, Narcissus, V. 10.11) wahrscheinlich keine Christen sind. Das heißt, Paulus grüßt 24 Christen mit Namen, mit der Mutter des Rufus und der Schwester des Nereus, deren Namen nicht genannt werden (V. 13.15), sind dies 26 Christen. Paulus nennt explizit fünf Hausgemeinden; mindestens sieben Hausgemeinden sind in der Grußliste vorausgesetzt:68 1. 2. 3. 4. 5.
Gemeinde im Haus von Priska und Aquila (V. 5) Gemeinde im Haushalt des Aristobulos (V. 10) Gemeinde im Haushalt des Narcissus (V. 11) Gemeinde von Asynkritus, Phlegon, Hermes, Patrobas, Hermas (V. 14) Gemeinde von Philologus, Julia, Nereus, Olympas (V. 15)
Möglicherweise kann man die 14 genannten Personen, die zwischen V. 5a/10 und V. 11/14 genannt werden, in (mindestens) zwei weitere Hausgemeinden aufteilen: 6. Gemeinde mit Epänetus, Maria, Andronikus, Junia, Ampliatus u.a. (V. 5b-10a) 7. Gemeinde mit Tryphäna, Tryphosa, Persis, Rufus und der Mutter des Rufus (V. 12-13) Ob eine dieser Gemeinden identisch ist mit der Gemeinde, die es anscheinend im kaiserlichen Haushalt gab (Phil 4,22: οι� ε� κ τηñ ς Και' σαρος οι� κι' ας [hoi ek tēs Kaisaor oikias]), ist im Zusammenhang mit der Identität des Haushalts von Aristobulos möglich (s. zu V. 10), lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit sagen; Judenchristen, die zu dieser Gemeinde gehörten, werden ursprünglich zur Synagoge der Augustenser (Συναγωγη` �Αυγουστησι' ων; lat. synagoga Augustensium) gehört haben, in der sich jüdische Freigelassene des kaiserlichen Hauses trafen.69 ————————————————————
66
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Vgl. Roller, Formular, 471-474; Koskenniemi, Studien, 148-151; Mullins, 418-422; White, Light, 202; Weima, Endings, 39-45; Arzt-Grabner, Philemon, 264-267. Zum Briefschluss generell s. neben Weima, Endings, jetzt Müller, Schluß, 56-82. Roller, Formular, 69; Greeting, 425; Jewett 951. Die in Blumell/Wayment, Christian Oxyrhynchus, 458-611 abgedruckten christlichen Briefe von Oxyrhynchus enthalten allerdings nur kurze Grüße. Klauck, Hausgemeinde, 26-30; Lampe, Christen, 301-302; Schnabel, Urchristliche Mis-
868 Römerbrief ————————————————————————————————————
Während manche die Reihenfolge der Namen in 16,3-16 für zufällig halten,70 sehen andere die Logik der Liste in der Nennung von Mitarbeitern in seiner Mission in Achaia und Asia am Anfang der Liste (Priska und Aquila, Epenätus; V. 3-5), gefolgt von Jesusbekennern, die als Erste in Rom missioniert und die Gemeinde(n) gegründet haben (Maria, Andronikus und Junia; V. 6-7) und von anderen, die er persönlich kennt (Ampliatus, Urbanus, Stachys, Apelles; V. 8-10a).71 Die anschließend genannten Namen (V. 10b-15) lassen keine bestimmte Reihenfolge erkennen. Paulus hat mindestens zwölf der derzeitig in Rom lebenden Christen persönlich gekannt. Das heißt, sie hielten sich zu einem früheren Zeitpunkt einmal im Osten auf, wo Paulus sie kennengelernt hat: Priska, Aquila, Epänetus, Andronikus, Junia, Urbanus, Rufus, Rufus’ Mutter, sowie die als „meine Geliebten“ (d.h. Paulus persönlich bekannten) bezeichneten Ampliatus, Stachys, Persis und Apelles,72 vielleicht auch noch Maria, Tryphäna und Tryphosa.73 Weil man nicht ausschließen kann, dass Judenchristen, die in Rom gewohnt hatten (wie Priska und Aquila), aufgrund des Claudiusedikts 49 n.Chr. von Rom in den Osten gingen (Apg 18,2) und später nach Rom zurückkehrten, ist die Frage nach der geographischen Herkunft oft nicht endgültig zu beantworten. Wenn man die Namen nach der Häufigkeit ihres Vorkommens in Rom untersucht, legt sich für folgende Personen, deren Namen weniger als 30 Mal in Rom belegt sind,74 eine Herkunft aus dem Osten nahe: sicher für Junia, Epänetus, Aquila, Andronikus, wahrscheinlich für Herodion, Patrobas, Olympas, Asynkritus, Hermas, Phlegon, Stachys, Philologus und Apelles.75 Paulus grüßt elf Jesusbekenner, die er offensichtlich nicht persönlich kennt, von denen er jedoch weiß, dass sie in ————————————————————
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sion, 789f; Lampe, Christen; Lampe, Missionswege, 126; Hvalvik, Roman Church, 191. CIJ I 284.301.338.368.416.496 = JIWE II, 96.169.189.194.542.547 (andere Reihenfolge als CIJ). Zu den elf oder zwölf Synagogen Roms, von denen mindestes vier im 1. Jh. existierten, s. Lichtenberger, Organisationsformen, 19; Westenholz, Jewish Presence, 2327; Levinskaya, Diaspora, 182-185; Richardson, Synagogues, 17-29; Levine, Synagogue, 105-107; Lampe, Missionswege, 127; Schnabel, Urchristliche Mission, 781. Jewett 952, mit Verweis auf Althaus 150. Vgl. Bauckham, Gospel Women, 181, der Apelles nicht in dieser Gruppe erwähnt. Lampe, Christen, 138-139; Lampe, Paul, 167-168. Jewett 952. Sergius Paullus, der nach Apg 13,4-14 Statthalter über die prätorische Provinz Zypern war, sich zum Glauben an Jesus bekehrte, nach seinem Amtsjahr auf Zypern wohl nach Rom zurückkehrte und an Sitzungen des Senats teilnahm, wird in der Grußliste nicht erwähnt – was daran liegen könnte, dass er um 56/57 bereits verstorben war (Weiß, Elite, 80; ebd. 51-79 zur historischen Glaubwürdigkeit von Apg 13,4-14). Zum Vergleich: Der Name Julia ist über 1400 Mal belegt, Hermes über 840 Mal, Rufus über 370 Mal, Junia über 250 Mal. Lampe, Christen, 139-141; Lampe, Paul, 168-170.
Grüße 16,3-16 869 ————————————————————————————————————
den Gemeinden eine verantwortliche Funktion ausüben: Herodion, Asynkritus, Phlegon, Hermes, Patrobas, Hermas, Philologus, Julia, Nereus, Nereus’ Schwester, Olympas. Manche nehmen an, dass die Grüße des Apostels an diese führenden Christen diese für die materielle und logistische Unterstützung der Spanienmission gewinnen will.76 Belegen lässt sich das nicht. Paulus nennt neben 16 Männern neun Frauen: Priska, Maria, Junia, Tryphäna, Tryphosa, Persis, die Mutter des Rufus, Julia und die Schwester von Nereus. Die Liste enthält griechische und lateinische Namen, wobei zu beachten ist, dass Juden nicht nur jüdische, sondern auch griechische und lateinische Namen hatten. Das heißt, ein griechischer Name, der in Rom auch (aber nicht nur) für Sklaven und Freigelassene bezeugt ist, beweist nicht, dass die betreffende Person einen unfreien Hintergrund hatte (wie Jewett oft annimmt; Lampe ist vorsichtiger). Die meisten Namen (18 Personen) sind griechische Namen: 77 Andronikus, Apelles, Aristobulos, Asynkritus, Epänetus, Hermas, Hermes, Herodion, Narzissus, Nereus, (Nereus’ Schwester), Olympas, Patrobas, Persis, Phlegon, Philologus, Stachys, Tryphäna, Tryphosa. Lateinische Namen (8 Personen) sind Ampliatus, Aquila, Junia, Julia, Priska, Rufus, Urbanus. Maria ist vielleicht ein jüdischer Name (als Äquivalent für Miriam), vielleicht aber auch ein lateinischer Name. Jüdische Identität ist sicher bzw. wahrscheinlich für Andronikus, Aquila, Junia, Herodion, Rufus und die Mutter von Rufus, möglicherweise auch Priska. Eine Analyse der Namen im Kontext ihrer Verwendung in römischen Texten, einschließlich Inschriften, lässt erkennen,78 dass drei der Genannten sicher unfreier Herkunft waren: Nereus, Hermes, Persis; bei sechs weiteren Personen ist sehr wahrscheinlich mit unfreiem Hintergrund zu rechnen: Herodion, Tryphosa, Tryphäna, Junia, Julia, Ampliatus. Die folgende Tabelle zählt alle in 16,3-16 vorkommenden Namen in alphabetischer Reihenfolge auf. Folgende Informationen, die teilweise nicht sicher und deshalb mit einem Fragezeichen versehen sind, sind in der Tabelle enthalten: 1. Name (griechisch, lateinisch, jüdisch) und Herkunft (ethnische Identität: griechisch, jüdisch, römisch; geographische Herkunft: Rom, Osten des Mittelmeerraums); 2. Schicht: unfreie Herkunft (unfr. H.), Freie; 3. Beziehung zu Paulus (persönlich bekannt); 4. Verantwortung: Missionar in der paulinischen Mission, Missionar in Rom, Verantwortung in Gemeinden außerhalb Roms und/oder in Rom. ————————————————————
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Jewett 953, mit Verweis auf Müller, Schluß, 217: „Offenbar bindet sie der Apostel in seine Pläne ein, zu deren Verwirklichung er auf die wirtschaftliche und logistische Kraft der Freien in den Hausgemeinden zu Rom hoffte“ (Jewett verwechselt „offenbar“ mit „offensichtlich“ und übersetzt mit „clearly“ anstatt mit „apparently“). Die Namen sind zum Teil, wie üblich, mit latinisierter Endung geschrieben.
870 Römerbrief ————————————————————————————————————
Ampliatus Andronikus Apelles Aquila Aristobulos Asynkritus Epänetus Hermas Hermes Herodion Julia Junia Maria Narzissus Nereus Nereus’ Schwester Olympas Patrobas Persis Philologus Phlegon Priska Rufus Rufus’ Mutter Stachys Tryphäna Tryphosa Urbanus
Name/Herkunft
Schicht
Beziehung
Verantwortung
lat./Osten griech./jüd./Osten griech./Osten? lat./jüd./Osten griech./jüd. griech./Osten? griech./Osten griech./Osten? griech. griech./jüd./Osten? lat. lat./jüd./Osten jüd.? griech.? griech. griech. griech. griech./Osten? griech./Osten? griech./Osten? griech./Osten? griech./Osten? lat./jüd.?/Osten? lat./jüd.?/Osten? lat./jüd.?/Osten? griech./Osten? griech. griech. lat./Osten
unfr. H.(?)
pers. pers. pers. pers. Nichtchrist
Mitarbeiter Missionar/Rom Mitarbeiter Missionar/Paulus
Freier
pers. unfr. H. unfr. H.(?) unfr. H.
unfr. H.
pers. pers.? Nichtchrist
unfr. H.
pers.
Freie Freier Freie
pers. pers. pers. pers. pers.? pers.? pers.
unfr. H.(?) unfr. H.(?) Freier
Gemeindeleiter Missionar/Paulus Gemeindeleiter Gemeindeleiter Gemeindeleiter Gemeindeleiterin Missionarin/Rom Missionarin/Rom Gemeindeleiter Gemeindeleiterin Gemeindeleiter Gemeindeleiter Mitarbeiterin Gemeindeleiter Gemeindeleiter Missionarin/Paulus Mitarbeiter Mitarbeiterin Mitarbeiter Mitarbeiterin Mitarbeiterin Mitarbeiter
Die Frage, weshalb Paulus so viele Christen grüßt, wird unterschiedlich beantwortet. Manche nehmen an, Paulus wolle mit seinen Grüßen an alle Christen, die er persönlich kennt oder von denen er gehört hat, seine Verbundenheit mit den römischen Gemeinden bekräftigen und diese so auf seinen Besuch und die geplante Spanienmission einstimmen, für die er ihre Unterstützung erwartet.79 Andere vermuten, Paulus wollte andeuten, auf welche römischen Christen Phöbe, die den Brief überbringen wird, sich verlassen kann.80 Am plausibelsten ist wohl die Annahme, Paulus wolle durch ————————————————————
78 79 80
Vgl. Lampe, Christen, 141-153; Lampe, Paul, 170-183. Vgl. Jervis, Purpose, 151-152; Weima, Endings, 114-117.223-228; vgl. Lampe, Christen, 139; Moo 917-918; Schreiner 792. Cranfield II 783; Talbert 337; Lohse 406; Chapple, Phoebe, 210.
Grüße 16,3-16 871 ————————————————————————————————————
die ausführlichen Grüße die Zusammengehörigkeit und den Zusammenhalt der verschiedenen Hausgemeinden fördern,81 zumal er in 14,1–15,13 ausführlich über den Konflikt zwischen den Starken und den Schwachen in der Gemeinde geschrieben hatte.82 Textkritische Anmerkungen. In V. 3 ist die Diminutivform Πρι'σκιλλαν (Priskilla) (81 365 614 629 630 945 1505 1881c ar m vgmss sy) im Licht derselben Varianten in 1Kor 16,19; 2Tim 4,19 sowie Apg 18,2.18.26 als sekundär zu beurteilen. Die Plus-Lesart και` τη` ν κατ’ οιòκον αυ� τω ñ ν ε� κκλησι'αν in D*.2 F G ar m versetzt diese Wendung von V. 5a ans Ende von V. 1; die Minus-Lesart ist hervorragend bezeugt. In V. 5 ist die Lesart α� π’ α� ρχηñ ς (d46 D* g m) statt α� παρχη' wohl ein Schreib- oder Hörfehler. Die Lesart �Αχαι΅ας (D1 L P Ψ 33 104 1175 1241 1505 1881 Byz sy) ist wahrscheinlich Angleichung an 1Kor 16,15, gegenüber �Ασι'ας erst spät bezeugt und deshalb sekundär. Die Lesart ε� ν Χριστω ñ, (D F G 1505 1881) statt ει� ς Χριστο' ν ist sekundäre Angleichung an die übliche paulinische Wendung. In V. 6 hält sich die Bezeugung für die Lesarten Μαρι'αν (Maria) (d118vid A B C P Ψ 104 365 1505 1739 co) und Μαρια' μ (Miriam) (d46 אD F G L 81 630 1175 1241 1881 Byz) ungefähr die Waage; einerseits ist Μαρια' μ die schwierigere Lesart,83 andererseits kommt der Name Μαρι'α als lateinisches nomen gentile in Röm häufig vor, und eine Heidenchristin ist wahrscheinlicher, weil in der Namensliste sich nur Aquila, Andronikus, Junia und Herodion sicher als Judenchristen beweisen lassen.84 Da der hebr. Name Mariam (Mariamne) im Lateinischen als Maria geschrieben werden kann (s. unten zu 16,6), scheint die Wahrscheinlichkeit größer, dass Μαρι'α die ursprüngliche Lesart ist. Gegenüber dem gut bezeugten ει� ς υ� μαñ ς sind die Lesarten ει� ς η� μαñ ς (C2 L 33 104 630 1175 1241 Byz ar vgs) und ε� ν υ� μιñν (D F G) sekundär. In V. 7 ist � Ιουνιαν ( אA B* C D* F G P u.a.) deutlich besser bezeugt als � Ιουλι'αν (d46 6 606 1718 2685 ar b vgmss bo). In mittelalterlichen Manuskripten wurde � Ιουνιαν mit einem Zirkumflex akzentuiert (� Ιουνιαñ ν) und als Verkürzung des mask. Namens „Iunianus“ verstanden.85 Es ist heute unbestritten, dass der ————————————————————
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Wilckens III 133; Jewett 953; Lohse 406. Witetschek, Petrus, 811-826 beantwortet die Frage, weshalb Petrus nicht von Paulus gegrüßt wird, mit der begründeten Vermutung, dass Petrus erst nach Rom kam, nachdem Paulus den Röm geschrieben hatte. Und deshalb von Zahn 607 und Jewett 949 bevorzugt; so der Text in NA16-25. Für Μαρια' μ, die Schwester von Aaron und Mose, s. in der LXX Ex 15,20-21; Num 12. Lampe, Christen, 58.146-147; Lampe, Paul, 74-75.175-176. So der Text in NA26-28. So die Akzentuierung in Nestle13-21, NA22-27. Vgl. Bauer/Aland s.v. � Ιουνιαñ ς: „sonst nicht bezeugt, wohl Kurzname für das häufige Iunianus … Die lexikal[ische] Möglichkeit, daß es sich um den Frauennamen � Ιουνι' α, ας handle … ist durch den Zusammenhang wohl ausgeschlossen“, mit Verweis auf Lietzmann 125; vgl. BDR §1256; ernsthaft erwogen
872 Römerbrief ————————————————————————————————————
fem. Name � Ιουνια gemeint ist, d.h. die Akk.-Form im Text ist mit dem Akut als � Ιουνι'αν zu akzentuieren.86 Es gibt weder für den Namen „Junias“ noch für die Verkürzung von „Iunianus“ auf „Junias“ konkrete Belege; die Korrektoren der unakzentierten Manuskripte B und D fügten den Akut hinzu (B2 D2). Man kann fragen, ob Junia in V. 7 zusammen mit Andronikus „Apostel“ genannt wird, oder dessen Ehefrau ist, aber an der fem. Form � Ιουνι'α ist nicht zu zweifeln.87 Die Einfügung von τουñ ς vor συναιχμαλω' τους in d46 B ist eine sekundäre stilistische Verbesserung. Gegenüber der Lesart οι� και` προ` ε� μουñ γε' γοναν ([ א- οι� ]*אA B 630 1739 1881 f vg sy) sind die Varianten τοιñς προ` ε� μουñ (D F G it vgmss) und ο« ς και` προ` ε� μουñ γε' γονεν (d46) weniger gut bezeugt. In V. 8 ist �Αμπλιαñ τον (d46 אA B* C F G 6 1739* lat bo) besser bezeugt als �Αμπλιαñ ν (B2 D L P Ψ 33 81 104 630 u.a.). Die Auslassung von μου in d46 B F bomss ist wohl eine Angleichung an die üblichen Wendungen mit ε� ν κυρι' ω, . In V. 9 ist die Ersetzung von Χριστω ñ, durch κυρι'ω, (C D F G Ψ 81 326 630 it boms) sekundär, offenkundig eine Angleichung an ε� ν κυρι'ω, in V. 2.11.12.13. In V. 15 sind die Varianten zu � Ιουλι'αν, Νηρε' α ( אA B C2 D Ψ 33 1739 1881 Byz latt sy co) – � Ιουνι'αν, Νηρε' αν („Junia, Nereus“) (C* F G) und Βηρε' α και` �Αουλι'αν („Bereus and Aoulia“) (d46) – sekundär: Im ersten Fall ist die Bezeugung minimal und als umgekehrter Schreibfehler wie der in V. 7 zu bewerten, im zweiten Fall ist die Bezeugung ebenfalls minimal und kaum ursprünglich angesichts der Veränderung mehrerer Namen in d46.88 Die Lesart �Ολυμπιδαñ (F G) ist schwach bezeugt, wie die Auslassung von α� σπα' ζονται υ� μαñ ς αι� ε� κκλησι'αι παñ σαι τουñ Χριστουñ in D* F G m. III
3-5a Paulus beginnt die Grußliste mit grüßt (α� σπα' σασθε [aspasesthe]),
eine als Imperativ formulierte Bitte an die Gemeinde, die genannten Personen zu grüßen, die sich bei den Adressaten aufhalten.89 Wer andere grüßt, ————————————————————
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von Metzger, Textual Commentary, 475-476; vgl. Zahn 608; Schlatter 399; Käsemann 398; Michel 475; Schlier 444. Der Satz in Bauer/Aland wurde von F.W. Danker in BDAG gestrichen und durch den Satz „But the accented form � Ιουνιαñ ν has no support as such in the ms. tradition“ ersetzt, mit Verweis auf den neuen Eintrag � Ιουνι' α (mit Diskussion). Elb.Ü, EÜ und LÜ übersetzen mit (mask.) „Junias“; vgl. NASB, RSV. Vgl. GN, NGÜ, ZÜ; Elb.Ü Anmerkung; vgl. ESV, NET, NIV, NRSV. Lagrange 366; Cranfield II 788; Wilckens III 135; Dunn II 894; Moo 921-922; Fitzmyer 737-738; Légasse 950; Lohse 408; Penna 1084-1085; Jewett 950; Haacker 378-379; Brooten, Junia; Fàbrega, Junia(s); Schulz, Junia; Arzt, Iunia; Cervin, Junia(s); Thorley, Junia; Schreiber, Arbeit, 212-214; Schreiber, Arbeit Thorley, Junia Epp, Junia/Junias Variation; Belleville, Re-Examination; Epp, Junia (dazu E.-M. Becker, ZAC 12 [2008] 168-170); Gielen, Leitungsfunktionen, 137-139. Vgl. Lampe, Christen, 147; Lampe, Paul, 176, der über 250 Belege des Namens Iunia für Rom nennt.
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der eröffnet die zwischenmenschliche Kommunikation. Wer Bekannte grüßt, unterstreicht die Bedeutung der bestehenden Beziehung. Wer Bekannte grüßen lässt, stellt sicher, dass andere über die bestehende Beziehung zu den Gegrüßten Bescheid wissen. Von den namentlich genannten 26 Personen, die Paulus in V. 3-16 grüßen lässt, sind ihm mindestens zwölf, vielleicht fünfzehn persönlich bekannt, was die (manchmal sehr kurzen) Beschreibungen der Betreffenden zeigen. Als erstes grüßt Paulus Priska und Aquila. Sowohl Priska (Πρι' σκα [Priska]; „Alte, Gestrenge“)90 als auch Aquila (�Ακυ' λας [Akylas], lat. Aquila; „Adler“ oder „Eichel“)91 sind lateinische Namen, die in Rom über 200 Mal bzw. 28 Mal inschriftlich bezeugt sind.92 Die gemeinsame Nennung macht es wahrscheinlich, dass Priska und Aquila verheiratet waren. Aquila stammte aus Pontus in Kleinasien; er war Zeltmacher (σκηνοποιο' ς [skēnopoios], lat. tabernacularius; Apg 18,2-3) oder Lederarbeiter,93 offenbar ein selbstständiger Handwerker, der von Rom nach Korinth (Apg 18,2), von Korinth nach Ephesus (Apg 18,18.26) und zurück nach Rom reist (Röm 16,3). Weil Aquila kaum zu den kaiserlichen tabernacularii gehörte, hat er keine Zelte für den Bedarf des Heeres hergestellt, sondern wahrscheinlich Zeltabdeckungen aus Leinen, die im ————————————————————
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Jewett 951. Im NT ist α� σπα' σασθε 24 Mal belegt, einmal im Zusammenhang der Aussendungsrede Jesu Mt 10,12, in Hebr 13,24 und in 1Petr 5,14, und die restlichen 21 Belege bei Paulus, davon 16 Mal in Röm 16,3-16 sowie in 1Kor 16,20; 2Kor 13,12; Phil 4,21; 1Thess 5,26. Das Verb α� σπα' ζομαι ist bei Paulus 40 Mal belegt; vgl. H. Windisch, ThWNT I, 494-500; P. Trummer, EWNT I, 416-417; in ThBLNT II, 1628 (U. Heckel) wird α� σπα' ζομαι im Begriffsfeld Segen/Fluch unter ευ� λογε' ω („gut reden von, loben, preisen, rühmen, segnen“) aufgeführt, aber nicht behandelt. BDAG s.v. α� σπα' ζομαι 1 definiert: „to engage in hospitable recognition of another“. In Apg 18,2.18.26 wird die Diminutivform Πρι' σκιλλα ([Priskilla], lat. Priscilla) verwendet. Zu Priska vgl. P. Lampe, ABD V, 467-468; Richter Reimer, Frauen, 202-230; Köstenberger, Women, 227-228; Wendel, Priska; Gielen, Leitungsfunktionen, 131-134; Stenschke, Frauen, 22-29; Mathew, Women, 85-96; Zamfir, Household, 341-342; s. auch die Lit. zu Aquila. Vgl. P. Lampe, ABD I, 319-320. Zu Aquila und Priska vgl. A. Weiser, EWNT I, 134135; Lampe, Christen, 156-164; Murphy-O’Connor, Prisca and Aquila; Thiessen, Christen, 87-89; Maness, Congregations, 38-44.94-97; Cineira, Religionspolitik, 217-224; Reinbold, Propaganda, 135-136.221-224; Schnabel, Urchristliche Mission, 1374; Müller, Priska und Aquila; Trebilco, Early Christians, 110-115; Hvalvik, Named Jewish Believers, 159-161; Walker, Portrayal; Cohick, Women, 129-131. Die Tatsache, dass beide Namen in Rom als Namen von freigelassenen Sklaven verwendet werden (Lampe, Christen, 151 nennt 31 Belege für Prisca bzw. Priscilla, 4 Belege für Aquila), bedeutet nicht, dass Priska und Aquila freigelassene Sklaven waren (und bei ihrer Freilassung römische Bürger wurden, was ihre lateinischen Namen erklären würde). Vgl. W. Michaelis, ThWNT VII, 383-385; Jervell, Apostelgeschichte, 458; Hock, Social Context, 20-25.
874 Römerbrief ———————————————————————————————————— Atrium eines Privathauses ausgespannt und auch am Strand aufgeschlagen wurden, um Schatten für Gelage zu spenden.94 Die Möglichkeit, dass Aquila auch an der Herstellung von Zeltdächern für größere Projekte beteiligt war – Cäsar ließ Sonnensegel auf Straßen und Plätzen ausspannen, Nero in seinem hölzernen Amphitheater auf dem Marsfeld, was auch sonst in Theatern üblich war95 –, kann man nicht ausschließen. Die Annahme, Priska habe wie Aquila den Beruf des Zeltmachers ausgeübt,96 wird in Apg 18,3 nicht angezeigt. Man kann Priska also nicht mit Pantheia vergleichen, der Frau eines Arztes in Pergamon, von der es in einem Epigramm heißt: „Du hast das Ruder des täglichen Lebens im Haus geführt und den Ruhm unserer gemeinsamen ärztlichen Kunst erhöht; obwohl du eine Frau warst, hast du mir an ärztlicher Kunst in nichts nachgestanden“.97
Wenn man davon ausgeht, dass Aquila und Priska in Rom, Korinth und Ephesus Werkstätten besaßen, sie also in mehreren Städten Filialbetriebe unterhielten, die Reisen notwendig machten, kann man das Ehepaar der gehobenen Schicht erfolgreicher Handwerker zuweisen.98 Andere nehmen an, dass Aquila und Priska zu den ärmeren Schichten gehörten.99 Die Vermutung, dass Aquila und Priska einen Gewerbebetrieb mit Werkstätten in mehreren Filialen hatten, kann man nicht mit dem Hinweis auf den Mangel, den Paulus in Korinth erlitt (2Kor 11,9), widerlegen, oder mit dem Hinweis, dass die Wohnung von Aquila und Priska in Korinth und auch in Rom keinen Platz bot für eine Verkündigungstätigkeit.100 Der Gewerbetrieb könnte trotz mehrerer Filialen nicht so erfolgreich gewesen sein, um Paulus ausreichend versorgen zu können, und Häuser, die Raum für eine Hausgemeinde bieten (die für Ephesus und Rom belegt ist: 1Kor 16,19; Röm 16,5), müssen nicht unbedingt genügend Platz für eine auf Öffentlichkeit angelegte regelmäßige Verkündigungstätigkeit bieten. Vollkommen spekulativ ist die Auskunft von Jewett, dass Priska aus der Familie des Acilius stammt und somit zu den aristokratischen Kreisen Roms gehörte.101 Jewett sieht die aristokratische Herkunft der Priska bestätigt in der spätantiken Benennung einer der auf das 3. Jh. zurückgehenden Titularparochien Roms auf dem Aventin, einem Nobelviertel Roms, als Santa Prisca und in der Lage der Katakombe der Priscilla auf Ländereien, die den Acilii gehörten. Beweiskräftig für die Herkunft der Priska ist das alles nicht. Wir wissen nicht einmal, ob Aquila seine Ehefrau Priska schon in Pontus oder erst in Rom kennengelernt hat. Jewett muss annehmen, dass die Aristokratin Priska einen jüdischen Handwerker heiratete, ————————————————————
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Lampe, Christen, 157; zum folgenden Punkt ebd. Sueton, Caes 39 spricht von tabernacula, Plinius, NatHist 19,23 von vela; zu Nero s. Tacitus, Ann 13,31,1; zu Theatern allgemein Tacitus, Ann 19,23-24. Noy, Foreigners, 259; kritisch Winter, Roman Wives, 204-205. Merkelbach, Steinepigramme I, Nr. 06/02/32b, S. 611; vgl. I.Pergamon II Nr. 576 (M. Fränkel); IGR IV 507; Pleket, Epigraphica II, Nr. 20. Vgl. Hengel, Eigentum, 383; Theißen, Soziale Schichtung, 251; Meeks, First Urban Christians, 59; Mathew, Women, 7.88-89; Wilckens III 134. Meggitt, Poverty, 132-135; Lampe, Christen, 158-164. Lampe, Christen, 160. Jewett 955; als Beleg verweist er auf Sanday/Headlam 420 und die skeptische Bewertung von Cranfield II 784. Lampe, Christen, 172.296 stellt bei seiner Behandlung von M. Acilius Glabrio, den (vielleicht christlichen) Senator und Konsul des Jahres 92, eine solche Verbindung nicht her. Zu den folgenden Bemerkungen s. Jewett ebd. 955-956.
Grüße 16,3-16 875 ———————————————————————————————————— der vielleicht ein Sklave der Familie gewesen war. Sein Argument, dass man mit allgemeinen Gesetzen historischer Wahrscheinlichkeit bei der Bewertung der Durchbrechung von ethnischen und gesellschaftlichen Barrieren im frühen Christentum (Gal 3,28) rechnen sollte, ist richtig, kann aber seine These nicht beweisen. Lampe argumentiert, dass Aquila als Zeltmacher nicht zu den wohlhabenden Handwerkern gehörte, die Luxusartikel herstellten (Goldschmiede, Juweliere, Hersteller von kunstvollen Luxusartikeln).102 Lampe hält es nicht für zwingend, das „Haus“ (οιòκος), das für Priska und Aquila erwähnt wird (Röm 16,5a: Rom; 1Kor 16,19: Ephesus), im Sinn von Immobilienbesitz zu interpretieren: Die präpositionale Wendung κατ’ οιòκον [kat’ oikon] bedeutete schlicht „daheim“.103 Nach Lampe belegen auch die Reisen von Priska und Aquila (Pontus – Rom – Korinth – Ephesus – Rom) nicht, dass sie wohlhabend waren: Die vier Reisen kosteten insgesamt ca. 1000 Sesterze; im 1. Jh. n.Chr. bekam man für 2 As (0,5 Sesterze) das Mehl für ein Pfund Brot (Plinius, NatHist 18,89). Selbst wenn diese Berechnungen stimmen: Wenn man zu den ärmeren Schichten gehört, zieht man nicht in andere Städte und arbeitet dort in seinem Beruf – es sei denn, man nimmt an, dass Aquila und Priska zu den frühen Missionarsehepaaren gehörten, die in vom Evangelium noch nicht erreichten Städten die Botschaft von Jesus verkündigten.
Gesichert ist, dass Priska und Aquila zu den frühen Missionaren gehörten, die das Evangelium von Rom aus in andere Städte des Reiches trugen – als Jesusbekenner, die vielleicht arm waren, aber von anderen Christen unterstützt wurden bzw. für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgten, oder als Christen, die zu den wohlhabenden Kreisen gehörten, aber ihre gesellschaftliche Stellung um des Evangeliums willen aufgaben, um das Evangelium in anderen Städten zu verkündigen. Aquila und Priska sind als Geschäftsleute oder als Missionare nach Korinth gekommen – sie sind jedenfalls auf Paulus getroffen und haben mit ihm zusammen gearbeitet (Apg 18,2). Manche bezeichnen ihr Haus in Korinth als „Keimzelle der korinthischen Stadtmission“.104 Als Priska und Aquila, von Paulus begleitet, nach Ephesus gehen, sind sie dort (neben Apollos) in einer Lehr- und Verkündigungstätigkeit (ohne Paulus, der nach Syrien weiterreist) engagiert (Apg 18,26). Paulus bezeichnet Priska und Aquila als meine Mitarbeiter (V. 3b). Das Wort „Mitarbeiter“ (συνεργο' ς [synergos]; vgl. V. 9.21)105 beschreibt ————————————————————
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Huttunen, Social Strata, 122-123: Nur 57 der 72 inschriftlichen belegten Handwerker (unter 10 892 inschriftlich erwähnten Personen in CIL VI) gehören zu diesen „avancierten Handwerkern“ (Lampe, Christen, 159). Lampe, Christen, 161; zur folgenden Bemerkung ebd. 162-164. Hofmann, Frauen, 288. Harnack, Mission I, 85.380 bezeichnet Priska und Aquila als „selbstständige Missionare“ und „missionierendes Ehepaar“, das Paulus nahestand. Auch Murphy-O’Connor, Paul, 50-51 nimmt an, dass sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen von Korinth nach Ephesus gingen, sondern als Teil der paulinischen Mission. Paulus verwendet συνεργο' ς zwölf Mal: Röm 16,3.9.21; 1Kor 3,9; 2Kor 1,24; 8,23; Phil 2,25; 4,3; Kol 4,11; 1Thess 3,2; Phlm 1.24. Vgl. G. Bertram, Art. συνεργο' ς κτλ., ThWNT IV, 631-653; W.-H. Ollrog, EWNT III, 726-729; H.C. Hahn / F. Thiele, ThBLNT I, 6162; Ollrog, Mitarbeiter, 67-69; Schnabel, Urchristliche Mission, 1375-1376.
876 Römerbrief ————————————————————————————————————
hier Jesusbekenner, die sich zusammen mit ihm für die Verbreitung des Evangeliums einsetzen und deshalb „Mitarbeiter Gottes“ (1Kor 3,9) sind. Das Personalpronomen „meine“ (μου) will nicht sagen, dass Priska und Aquila für Paulus gearbeitet haben: Sie haben zusammen mit ihm für Gott und seinen Messias gearbeitet. Missionare arbeiten (ε� ργα' ζομαι): Die missionarische Verkündigung des Evangeliums ist Arbeit, verbunden mit Reisen, Aufnahme von Kontakten in der Synagoge und der Stadt, Vorbereitung auf Verkündigung und Lehre, Halten von evangelistischen Ansprachen und Lehr-vorträgen, Gespräche mit Interessierten und Neubekehrten, daneben oft handwerkliche Arbeit zum Verdienst des Lebensunterhalts. In 15,18 hatte Paulus seine Missionsarbeit mit der Wendung „durch Wort und Werk“ (λο' γω, και` ε» ργω, [logō kai ergō]) beschrieben. Priska wird meistens vor ihrem Ehemann Aquila genannt (Apg 18,18.26; Röm 16,3; 2Tim 4,19; nur in Apg 18,2; 1Kor 16,19 wird Aquila an erster Stelle genannt), offensichtlich deshalb, weil sie eine größere Bedeutung für die missionarische Verkündigung des Evangeliums hatte sowie für das Leben der Gemeinde, die sich in ihrem Haus traf.106 Paulus denkt an die Zusammenarbeit mit Priska und Aquila während seiner Mission in Korinth (Apg 18,1-22) und Ephesus (Apg 19,1–20,1). Lukas beschreibt Priska als Jesusbekennerin, die, zusammen mit Aquila, dem schriftkundigen und redegewandten Apollos die Bedeutung der christlichen Wassertaufe durch eine „noch genauere“ (α� κριβε' στερον) Erläuterung des „Weges Gottes“ erklärten (Apg 18,23-26). Offenkundig kannte sie die atl. Schriften und die Jesustradition und war in der Lage, beide einem Mann zu erklären, der selbst Lehrer und Verkündiger war. Die Wendung im Messias Jesus (ε� ν Χριστω ñ, � Ιησουñ [en Christō Iēsou]; vgl. V. 7.10 sowie die Wendung ε� ν κυρι'ω, [en kyriō] „im Herrn“ in V. 8.11.12) zeigt zum einen, dass Priska und Aquila im Einsatz für das Evangelium von Gottes Heilshandeln in Jesus seine Mitarbeiter sind, nicht in anderen Bereichen, zum anderen, in Entsprechung der theologischen Bedeutung der Wendung (3,24; 6,11), dass sie genauso wie Paulus durch den Glauben an den Messias Jesus die Wirklichkeit des messianischen Heilshandelns Gottes erfahren haben und vom erhöhten Jesus als seine Boten in Beschlag genommen wurden.
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Anders Autoren, die die Reihenfolge mit einem höheren gesellschaftlichen Status von Priska begründen: Judge, Scholastic Community, 544 (eher wahrscheinlich ist für ihn allerdings, dass Priska der „sponsor“ von Paulus war); Meeks, First Urban Christians, 59; Stowers, Rereading, 75; Jewett 966. Da wir nichts über den Sozialstatus der Priska wissen, ist diese Annahme nicht begründbar.
Grüße 16,3-16 877 ————————————————————————————————————
Paulus beschreibt Priska und Aquila als solche,107 die für mein Leben ihren eigenen Hals hingehalten haben (V. 4a). Das Wort ψυχη' [psychē]108 bezeichnet hier das physische Leben des Apostels. Die Formulierung „den Hals hinhalten“ (τρα' χηλον υ� ποτι'θημι [trachēlon hypotithēmi]) hat die metaphorische Bedeutung „sein Leben einsetzen“. In einer in Herculaneum gefundenen Biographie des Epikureers Philonides heißt es: Für „den am meisten Geliebten unter den Verwandten oder den Freunden würde er wohl bereitwillig den Hals darbieten“ (Vita Philonides 2).109 Seneca sagt im Blick auf seine moralische Integrität in schwierigen Situationen: „Ich habe der Treue zuliebe den Nacken hingehalten und ließ mir kein Wort abringen, das ich nicht mit gutem Gewissen aussprechen durfte. Für meine Freunde habe ich alles gefürchtet, für mich nichts“ (Nat 4 Prol. 15). Vom „Hals“ wird ebenfalls bildlich in Mt 18,6 / Mk 9,42 / Lk 17,2 (jmd. einen Mühlstein um den Hals legen) und Apg 15,10 (jmd. ein Joch auf den Nacken legen) gesprochen; buchstäblich in Lk 15,20; Apg 20,37 (jmd. um den Hals fallen, bei der Begrüßung oder beim Abschied). Da es sich um eine metaphorische Redewendung handelt, erübrigt es sich, im Sinn einer drohenden Enthauptung zu interpretieren.110
Lukas beschreibt für die Zeit der Korinth-Mission eine Vision, durch die Paulus ermutigt wurde, sich nicht zu fürchten, sondern weiter zu missionieren (Apg 18,1-10), und spielt damit auf eine nicht erwähnte Situation an, in der Paulus Grund hatte, um sein Leben zu fürchten. Priska und Aquila haben möglicherweise in Korinth ihr Leben riskiert und Paulus das Leben gerettet. Lukas verweist auf eine von der korinthischen Judenschaft gemeinsam organisierten Aktion gegen Paulus, die im Versuch einer juristischen Anklage vor L. Iunius Gallio, dem Statthalter der Provinz Achaia, gipfelt. Dieser weist die Anklage ab, aber im Zusammenhang mit dieser konzertierten Aktion der Juden Korinths kann es zu einer Gefährdung von Paulus gekommen sein, der durch das Eingreifen von Priska und Aquila mit dem Leben davonkam. Paulus spricht in 1Kor 15,32 und 2Kor 1,8-11 von einer lebensgefährlichen Situation in der Provinz Asien, die ihn am Leben verzweifeln ließ: Gott selbst hat ihn und seine Mitarbeiter aus dieser großen Todesnot (ε� κ τηλικου' του θανα' του) errettet (2Kor 1,10). Die (wie sonst auch) selektive Berichterstattung des Lukas lässt die Möglichkeit offen, ob es während der zweijährigen Missionsarbeit in Ephesus und der Provinz Asia (Apg 19,10) zu gefährlichen Situationen kam, in denen Priska und Aquila Paulus zu Hilfe kamen; dies ist auch im Zusammenhang des von den Silberschmieden von Ephesus organisierten Aufruhrs (Apg 19,11-20) denkbar. ————————————————————
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οι«τινες hat hier qualitativen Sinn: „solche, die“; BDR §2939; HvS §142a. Vgl. 2,9; 11,3; 13,1; 16,4. NW I/2, 719; vgl. Deissmann, Licht vom Osten, 94-95; G. Schneider, EWNT III, 881.
878 Römerbrief ———————————————————————————————————— Die meisten gehen von einer gefährlichen Situation während der Ephesus- bzw. AsiaMission aus.111 Manche datieren die paulinischen Gefangenschaftsbriefe (Kol, Phil, Phlm) in eine für die ephesinische Krise angenommene Gefangenschaft von Paulus. Manche nehmen an, dass ein Prozess gegen Paulus fast mit einem Todesurteil geendet habe. M. Carrez schlägt vor, dass die Rettung von Paulus mit der Ermordung von Iunius Silanus, dem Statthalter der Provinz Asia nach dem Regierungsantritt Neros im Oktober 54 n.Chr. zusammenhing.112 Die Tatsache, dass Priska und Aquila Paulus retteten, beweist nicht deren „patronal capacity that derived from high social status“113 – die Umstände der Gefahr, in der Paulus sich befand, liegen völlig im Dunkeln: Neben juristischen Gefahren, aus denen ein Patron helfen kann (allerdings kaum eine – vielleicht – wohlhabende Handwerkerfamilie, die aus Pontus bzw. Rom kommt und nur vorübergehend in Ephesus wohnt), gibt es andere Szenarien, in denen das Leben von Paulus gefährdet gewesen sein könnte, allen voran die Möglichkeit eines Anschlags, den Juden nach Apg 20,3 in Korinth später (nachdem Priska und Aquila bereits wieder in Rom waren) geplant haben. Die Möglichkeiten, einem Gefangenen, der auf seinen Prozess wartete, zu helfen, waren begrenzt und stellten ein beträchtliches Risiko dar: Gefängnisaufseher waren nicht zimperlich, vor allem wenn es um Gelder ging, die sie von denen, die einen Gefangenen besuchten und ihm helfen wollten, zu erpressen versuchten.114 Regelmäßige Besuche und persönliche Gespräche, die vielleicht belauscht wurden, waren nicht nur potenziell gefährlich.
Der Satz ihnen habe nicht nur ich allein zu danken, sondern auch alle Gemeinden der Heiden (V. 4b) unterstreicht die enge persönliche Beziehung, die Paulus mit Priska und Aquila verbindet. Paulus ist Priska und Aquila selbstverständlich für ihren engagierten Einsatz zu seinen Gunsten dankbar. Dass alle heidenchristlichen Gemeinden (παñ σαι αι� ε� κκλησι'αι τω ñν ε� θνω ñ ν) den Judenchristen (!) Priska und Aquila dankbar sind, ist dann verständlich, wenn man die Durchbrechung der ethnischen und gesellschaftlichen Barrieren (Gal 3,28) zumindest in den von Paulus gegründeten Gemeinden als Realität voraussetzt.115 Priska und Aquila sind, wie in Ephesus (1Kor 16,19), so auch in Rom für eine Gemeinde verantwortlich: Paulus grüßt auch die Gemeinde in ihrem Haus (V. 5a). Dies ist die erste von fünf Gemeinden, die Paulus in 16,3-16 nennt (vgl. V. 10.11.14.15). Zu „Gemeinde“ (ε� κκλησι'α [ekklēsia]) s. 16,1. Die Versammlungen eines Teils der stadtrömischen Christen finden „im Haus“ des Ehepaars statt, d.h., die Gemeinde war eine Hausgemeinde (η� κατ’ οιòκον ε� κκλησι'α [hē kat’ oikon ekklēsia]).116 Die Wendung beschreibt ————————————————————
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Jewett 958, der damit den hohen sozialen Status von Priska und Aquila bestätigen will. Vgl. Michel 474; Wilckens III 134; Zeller 246-247; Lohse 406; Jewett 957; Haacker 377; Omerzu, Prozeß, 321-323; Trebilco, Early Christians, 84; ebd. 85-86 für eine Kritik der Annahme, die Gefangenschaftsbriefe seien von Ephesus aus geschrieben worden. Carrez, Note, 769-777; vgl. Haacker 377 Anm. 23. Jewett 957. Vgl. Rapske, Paul, 388-392. Zur folgenden Bemerkung s. Omerzu, Prozeß, 322-323. Dass damit die römischen Hausgemeinden implizit aufgefordert werden, sich ähnlich engagiert für die Paulusmission einzusetzen (Jewett 958), ist im Text nicht angedeutet.
Grüße 16,3-16 879 ————————————————————————————————————
nicht die hausweise zusammenkommende Gemeinde,117 sondern sie ist zu verstehen als „eine lokale, räumliche Bestimmung über den Ort des christlichen Lebensvollzuges“,118 je nach Kontext „die Mitglieder eines christlichen Oikos, eine sich um solch einen Oikos scharende erweiterte Gruppe oder auch die gesamte Ortsgemeinde“.119 In der urchristlichen Mission war das Privathaus von Christen „Missionsstützpunkt, Gründungszentrum einer Ortsgemeinde, Stätte der Versammlung zum Gottesdienst, Herberge für die Missionare sowie Gesandtschaften und natürlich zugleich auch unmittelbarer und entscheidender Ort christlicher Lebensgestaltung“.120 Manche vermuten, Paulus grüße Priska und Aquila und die in ihrem Haus zusammenkommende Gemeinde als Erste, weil sie „Anlaufstelle für die Überbringung des Briefes sein sollten“.121 Manche nehmen an, Priska sei neben Aquila „Mitvorsteherin“ der ephesinischen Gemeinde 122 bzw. alleinige Vorsteherin der römischen Gemeinde gewesen.123 Dies lässt sich weder mit 1Kor 16,19 noch Röm 16,5a belegen: In 1Kor 16,19 übermittelt Paulus nur Grüße von Aquila und Priska „samt der Gemeinde in ihrem Hause“, in Röm 16,5a lässt er Priska und Aquila und „die Gemeinde in ihrem Haus“ grüßen. Weder organisatorische Strukturen noch konkrete Verantwortung von Priska oder Aquila sind angesprochen: In 1Kor 16,19 wird Aquila zuerst genannt, in Röm 16,5a steht Priska an erster Stelle, was kaum so zu interpretieren ist, dass Aquila die Hausgemeinde in Ephesus leitete und Priska die Hausgemeinde in Rom. 5b Als Nächstes lässt Paulus Epänetus grüßen. Epänetus (� Επαι' νετος [Epainetos])124 ist ein griechischer Name. In Rom sind vier Männer mit dem ————————————————————
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Zu den frühchristlichen Hausgemeinden vgl. E. Dassmann / G. Schöllgen, Art. Haus II. Hausgemeinschaft. RAC XIII, 801-905; Strobel, Begriff, 91-100; Klauck, Hausgemeinde; Branick, House Church; Gehring, Hausgemeinde; Mell, Hauskirche, 37-52; Schnabel, Urchristliche Mission, 1243-1248; Zamfir, Household, 60-96. So Klauck, Hausgemeinde, 12.21; Stuhlmacher, Philemon, 71. Grimm, Untersuchungen, 205. Gielen, Interpretation, 112; vgl. Gehring, Hausgemeinde, 275-277; Mell, Hauskirche, 42. Klauck, Hausgemeinde, 23 erwägt, ob Priska und Aquila als freie Gewerbetreibende „abhängige Arbeitskräfte oder Sklaven beschäftigten, die mit ihnen zogen und zum inneren Kreis der christlichen Hausgemeinde gehörten“. Becker, Gemeinden, 125-126. Haacker 377; jetzt auch Chapple, Phoebe, 207-209, mit der Erwägung, dass Paulus von Priska und Aquila erwartete, dass sie eine Versammlung aller römischen Ortsgemeinden organisieren. Caragounis, Obscurity, 252-260 argumentiert, dass es neben den Versammlungen der Hausgemeinden zugleich regelmäßige Versammlungen aller Hausgemeinden, d.h. der römischen Gesamtgemeinde gab. Jüngst Hofmann, Frauen, 289. Eisen, Amtsträgerinnen, 204-205; kritisch Hofmann, Frauen, 289 Anm. 22. Lampe, Christen, 138.150. Für den paganen Epheser Epänetus vgl. CIL VI 17171. Dass
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Namen � Επαι'νετος belegt, wobei einer von Ephesus nach Rom übergesiedelt war. Da Epänetus aus dem Osten kommt – dort hat Paulus ihn kennengelernt –, sind Überlegungen, ob sein griech. Name auf einen Sklavenhintergrund hindeutet, müßig. Wahrscheinlich war er ein Heidenchrist. Paulus nennt ihn Erstlingsgabe (α� παρχη' [aparchē])125 der Provinz Asia (Asia Proconsularis),126 d.h., er hat sich als Erster in einer der Städte der Provinz bekehrt.127 Paulus nennt Epänetus mein geliebter (α� γαπητο' ς μου [agapētos mou]), was persönliche Bekanntschaft und Zuneigung signalisiert (vgl. V. 8.9.12). In späteren Briefen wird die Wendung „geliebter Bruder“ fast ausschließlich von Christen verwendet.128 Die Provinz Asia wurde im Jahr 133 v.Chr. nach dem Tod des Königs von Pergamon, Attalos III., konstituiert, der sein Reich den Römern vermacht hatte; in der Kaiserzeit reichte die Provinz von Amorion und Philomelion im Osten bis zum Meer, im Norden grenzte sie an Bithynien, im Süden an Lykien und im Osten an Galatien. Seit Augustus war das Prokonsulat der Provinz Asia eine der höchsten Stellungen, die ein Konsul erreichen konnte.129 Der Zusatz zum Zollgesetz der Provinz Asia listet für das Jahr 17 v.Chr. zwölf Verwaltungsbezirke (διοικη' σεις, lat. conventus) auf, in welche die Provinz eingeteilt war: Die Hauptstadt Ephesus wird an erster Stelle genannt, dann folgen die „Vororte“ der Verwaltungsbezirke an der Küste (Milet, Halikarnassos, Smyrna, Pergamon, Adramyttion, Hellespont [Vorort war Kyzikos]) und im Binnenland (Sardes, Kibyra, Apameia, Synnada, Lykaonia [Vorort war Philomelion]).
Unklar ist, ob Epänetus der Erste war, der sich in der Ephesus-Mission von Paulus bekehrt hat, oder ob er chronologisch der erste Christ in der Provinz Asia war, was bedeuten könnte, dass er sich durch die Verkündigung von Apollos (Apg 18,25-26a) oder von Priska und Aquila (Apg 18,26b) bekehrt hat – oder in einer der anderen in Offb 2–3 erwähnten Städte der Provinz ————————————————————
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dieser mit dem in Röm 16,5 erwähnten Epänetus identisch sein könnte (Sanday/Headlam 421; Jewett 959 Anm. 79) bleibt reine Vermutung. Zu α� παρχη' s. 8,23; 11,16. In 1Kor 16,15 bezeichnet Paulus Stephanas und seinen Haushalt als α� παρχη' der Provinz Achaia. Paulus verwendet α� παρχη' sonst noch in 1Kor 15,20.23; 2Thess 2,13. Vgl. 1Kor 16,19; 2Kor 1,8; 2Tim 1,15; in der Apg 2,9; 6,9; 16,6; 19,10.22.26.27; 20,16.18; 21,27; 24,19; 27,2. White, Erstlingsgabe, 211-212 interpretiert im Kontext von Jes 66,18-21, einem Text, von dem er annimmt, dass Paulus in Röm 15,16-19 auf ihn anspielt; er interpretiert „Erstlingsgabe“ als Symbol für „ein heidnisches Priester- und Levitentum im Dienst Jahwes“. Eine mögliche (aber m.E. nicht wahrscheinliche) Anspielung auf Jes 66,18-21 in Röm 15,16-19 ist von Röm 16,5 zu weit entfernt, um relevant zu sein. Die Symbolik von α� παρχη' ist auch für mit atl. Texte nicht vertraute Heiden(christen) unmittelbar einsichtig. Nobbs, Beloved Brothers, 145; Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 250-255; vgl. Blumell, Lettered Christians, 69-70, der darauf hinweist, dass α� γαπητο' ς auch in einigen nicht-christlichen Papyrusbriefen verwendet wird. Dräger, Städte, 22. Zum Zollgesetz der Provinz s. Engelmann/Knibbe, Zollgesetz.
Grüße 16,3-16 881 ————————————————————————————————————
Asia, in denen nicht genannte Missionare evangelisiert hatten. Die Nennung direkt nach Priska und Aquila könnte eine besondere Beziehung zu diesen beiden Missionaren andeuten, sicher ist dies jedoch nicht. Vielleicht nennt Paulus ihn früh in seiner Grußliste, weil er ein bekannter Jesusbekenner in der Provinz Asia ist, wo Paulus die letzten drei Jahre missioniert hat. Epänetus ist Erstlingsgabe für den Messias (ει� ς Χριστο' ν [eis Christon]), eine Formulierung, die entweder auf seine Bekehrung verweist, in der er mit dem Messias Jesus verbunden wurde (vgl. 6,1-14), oder auf die Hingabe an den Messias Jesus, die, analog dem Erstlingsopfer, das Jahwe geweiht wurde,130 die Anbetung des Messias Jesus signalisiert.131 6 Es folgt ein Gruß für Maria (Μαρι'α [Maria]).132 Ihre ethnische Herkunft ist unklar. Der hebr. Name [ ִמ ְרָיםMirjam/Marjam] kann im Griechischen als Μαρι' α [Maria] geschrieben werden. 133 Jüdische Frauen, die Mirjam (Mariam, Mariamne) hießen, wurden nicht nach Moses Schwester genannt, sondern nach Mariamne, der Frau des Herodes.134 Der Name Mirjam/Mariam war der populärste Frauenname in Palästina vor 200 n.Chr. sowie in der westlichen Diaspora; im östlichen Mittelmeerraum ist der Name nur selten be-legt, ebenfalls in Palästina nach 200 n.Chr., was man mit der Assoziation dieses Namens mit der Mutter Jesu erklären kann.135 In Rom ist Maria mehrmals in jüdischen Inschriften belegt.136 Andererseits ist der Name Maria häufig in Rom belegt, als Femininform des nomen gentilicium Marius.137 Wahrscheinlich war die in V. 6 genannte Maria Heidenchristen: In der Namensliste V. 3-16 sind nur Aquila, Andronikus, Junia und Herodion ————————————————————
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Vgl. Lev 2,12; Deut 18,4; 26,2.10; Num 18,8-12. Dunn II 893 sowie Jewett 960. Zur textkritischen Frage, ob Μαρια' μ oder Μαρι' α (Maria) zu lesen ist, s. oben II. Bauckham, Latin Names, 372 Anm. 2; Bauckham, Gospel Women, 184 Anm. 319. Vgl. J.J. Price / H. Misgav, in Cotton/Ameling, Corpus Inscriptionum Iudaeae/Palestinae I/1, Nr. 168: Die zweite in dem betreffendem Ossuar beigelegte Frau, die in Zeile (b) und (c) den biblischen Namen Mariam ( )מריםhat, wird in Zeile (a) Maria ( )מריהgenannt. Ilan, Notes, 196-199 listet Mariah als alternative Form für Mariam auf; Hachlili, Funerary Customs, 199 erwägt die Möglichkeit, dass Maria die Diminutivform von Mariam ist. Ilan, Notes, 192; vgl. Bauckham, Gospel Women, 93. Gegen Black 208; Fitzmyer 737; Jewett 960; d.h., der Verweis in Bauer/Aland s.v. Μαρι' α ist irreführend. Ilan, Lexicon of Jewish Names I (Palästina vor 200 n.Chr.: 70 Belege, 25 % der Frauennamen); III (Westliche Diaspora: 23 Belege) sowie II (Palästina nach 220 n.Chr.: 5 Belege); IV (Östliche Diaspora: 5 Belege). Zur Erklärung der abnehmenden Popularität („fall from grace“) des Namens Mariam/Maria unter Juden vgl. Ilan, Lexicon II, 7. Vgl. Bauckham, Eyewitnesses, 89. Vgl. JIWE II 56.97.109.179.222.271.353.481.553.554.556. Weitere Belege bei Lampe, Christen, 58 Anm. 154.146 Anm. 70 (der die JIWE Belege noch nach CIJ angibt). Lampe, Christen, 146: ca. 108 Belege in CIL VI; weitere Belege in Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 229-230. LGPN hat 54 Belege für Μαρι' α.
882 Römerbrief ————————————————————————————————————
sicher als Judenchristen belegt, und biblische Namen wurden von Heidenchristen erst ab Mitte des 3. Jh.s verwendet.138 Als Trägerin des Gentilicium Marius/Maria ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass sie die Freigelassene der Gens Marius war.139 Wenn sie eine jüdische Jesusbekennerin war, die Mariam/Maria hieß, könnte sie von Jerusalem aus nach Rom gekommen sein wie – zu einem nicht bekannten Zeitpunkt – Petrus, Silvanus/Silas (1Petr 5,13), Johannes Markus (1Petr 5,13) und vielleicht Rufus und seine Mutter (Röm 16,13; vgl. Mk 15,21). In diesem Fall könnte sie mit Maria, der Mutter von Jakobus und Joses identisch sein, von der die Evangelisten annehmen, dass ihre Leser sie kennen.140 Maria hat sich viel um euch gemüht. Das Verb κοπια' ω ([kopiaō]; „müde werden, sich erschöpfen; sich abmühen, sich plagen, sich abarbeiten, sich um jdm. bemühen“) bezeichnet, zusammen mit dem Subst. κο' πος [kopos], die „harte, anstrengende Arbeit“ oder „schwere Mühsal“, sowohl im Blick auf schwere körperliche Arbeit wie auch im Blick auf geistige und seelische Anstrengung. An vielen ntl. Stellen beschreibt die Wortgruppe die Anstrengungen, die Paulus auf sich nimmt (2Kor 6,5; 11,23.27), sowohl im Blick auf die Missionsarbeit (1Kor 3,8; 2Kor 10,15; 1Thess 3,5) als auch auf die Gemeindearbeit (1Kor 15,58; 1Thess 1,3; 1Tim 5,17).141 Es fällt auf, dass Paulus das Verb κοπια' ω in Röm 16 nur für Frauen verwendet (V. 12a für Tryphäna und Tryphosa, V. 12b für Persis).142 Die Präpositionalangabe ————————————————————
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Vgl. Lampe, Christen, 115.147; der folgende Punkt ebd. 147: Die Freigelassenen einer Gens stellen die Mehrheit der Träger des Gentilicium, nicht die vornehmen Patrone. Prominente Träger des Gentilicium Marius im 1. Jh. war der reiche Spanier Sextius Marius, der mit Kaiser Tiberius befreundet war, der später seinen Tod veranlasste (Tacitus, Ann 4,36,1; 6,19,1; Cassio Dio 58,22,2); der Senator Marius Nepos, dem Tiberius seine Schulden bezahlte (Seneca, Ben 2,7,2; Tacitus, Ann 2,48,3); Marius Cordus, der Suffektkonsul um 45 n.Chr. und vor 58 n.Chr. Prokonsul der Provinz Asia war (Head, Catalogue, Nr. 143-145); vgl. Lampe, Christen, 147. Mt 27,56.61; 28,1; Mk 15,40.47; 16,1; Lk 24,10. Vgl. Bauckham, Gospel Women, 181. Vgl. 1Kor 15,10; 2Kor 6,5; 11,23.27; Gal 4,11; Phil 2,16. Vgl. F. Hauck, Art. κο' πος κτλ., ThWNT III, 827-829; H. Fendrich, EWNT II, 760-761; Seitz/Thiele, ThBLNT I, 62-64; Harnack, Κο' πος; Schnabel, Urchristliche Mission, 1376; Schreiber, Arbeit, 205-209 und passim; Schreibers Schlussfolgerung, dass das Verb die spezifische Bedeutung leitender Aufgaben annimmt, während die Verwendung des Substantivs offener bleibt (ebd. 223), ist linguistisch nicht haltbar, zumal die Bewertungsbasis viel zu schmal ist (κοπια' ω ist 14 Mal im Corpus Paulinum belegt, κο' πος 11 mal). Für Ollrog, Mitarbeiter, 71.75 ist κοπια' ω terminus technicus der Missionsarbeit, was sich angesichts der Belege für körperliche Arbeit (1Kor 4,12; 1Thess 2,9) nicht halten lässt. Schreiber, Arbeit, 210 schließt aus der Tatsache, dass die Hinweise auf die harte Arbeit dieser vier Frauen nicht im Blick auf inhaltliche Tätigkeitsmerkmale präzisiert wird, dass die römische Gemeinde offensichtlich sowohl die Bedeutung der Terminologie als auch die genannten Frauen kennt, sodass keine Erläuterung nötig ist.
Grüße 16,3-16 883 ————————————————————————————————————
„um euch“ (ει� ς υ� μαñ ς [eis hymas]) und das Adj. „viel“ (πολλα' [polla]) kennzeichnet sie als Frau, die für die römische Gemeinde eine wichtige Rolle gespielt hat. Da Paulus die in V. 3-5.7-9 genannten Personen persönlich kennt, ist dies auch für Maria anzunehmen. Das heißt, sie hat offenkundig infolge des Claudiusedikts des Jahres 49 n.Chr. Rom verlassen und ist in den Osten gegangen, wo sie Paulus in Makedonien (Philippi, Thessalonich, Beröa), Achaia (Athen, Korinth, Kenchreae) oder der Provinz Asia (Ephesus) getroffen hat. Ob sie an den missionarischen Aktivitäten der römischen Hausgemeinden beteiligt war oder sich auf die Arbeit in den bestehenden Gemeinden konzentrierte, lässt sich nichts sagen: Beide Bereiche geben Anlass zu anstrengender Arbeit.143 Dass sie eines der ersten Gemeindeglieder in Rom und für die Organisation der Gemeinden verantwortlich war,144 bleibt spekulativ. Paulus hat jedenfalls Kenntnis (Aor. ε� κοπι'ασεν) über Marias großes persönliches Engagement für das Evangelium. 7 Ein weiteres Ehepaar,145 das Paulus grüßen lässt, sind Andronikus und Junia.146 Der griech. Name �Ανδρο' νικος ([Andronikos], lat. Andronicus)147 ist in Rom mehrmals als Name von (freigelassenen) Sklaven belegt, was im Kontext von V. 7 irrelevant ist, weil Andronikus Jude war und sehr wahrscheinlich aus dem Osten kam (s. unten). Der Name � Ιουνι'α [Iounia]148 ist ein lateinischer Frauenname, der häufig in Rom als Name von (freigelassenen) Sklaven belegt ist. Da Iunius eine angesehene gens Roms war, zu der z.B. Brutus gehörte, geht Lampe davon aus, dass Junia „zu den Freigelassenen oder den Nachkommen eines Freigelassenen der Gens Iunia“ gehörte,149 sieht jedoch davon ab, sie mit der senatorischen Dame Iunia Lepida ————————————————————
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Gnilka, Paulus, 143 bezeichnet Maria und die anderen „sich Mühenden“ als „Missionshelfer“ des Paulus, was einseitig aus der Zuordnung zu Paulus gesehen ist. Jewett 961, mit Verweis auf Murray II 229, der nur eine Vermutung äußert. Wie bei Priska und Aquila erschlossen aus der durch και' verbundenen Nennung, sowie aus den vier Aussagen, die Paulus über beide macht; vgl. Haacker 379. Vgl. P. Lampe Art. Andronikus 3, ABD I, 247-248; ders., Art. Junias, ABD III, 1127; Brooten, Junia; Fàbrega, Junia(s); Lampe, Iunia/Iunias; Wendel, Priska; Epp, Junia; Winter, Roman Wives, 200-204; Hvalvik, Named Jewish Believers, 155-157.165; Cohick, Women, 130-131.214-217.314-316; Stenschke, Frauen, 18-22; Mathew, Women, 8-9.96108. Zur Frage, ob das mask. � Ιουνιαñ ν oder das fem. � Ιουνι' α zu lesen ist, s. unter II (mit Lit. Anm. 84); die Frage ist entschieden, die definitive Studie hat Epp, Junia/Junias Variation geschrieben. Vgl. Lampe, Christen, 148-149: 10 von 19-20 zeitgenössischen Belegen; Solin, Personennamen, 17. Lampe hält es für wahrscheinlich, dass Andronikus ein ehemals Unfreier war, ebenso Junia (Lampe, Iunia/Iunias); so auch Jewett 961; vgl. Cohick, Women, 131. LGNP hat 415 Belege für �Ανδρο' νικος. Vgl. Lampe, Christen, 147-148: über 250 Belege. LGPN hat 8 Belege für � Ιουνι' α. Lampe, Christen, 148; so auch Stuhlmacher 219.
884 Römerbrief ———————————————————————————————————— zu identifizeren, der Tochter des Konsuls M. Silanus (19 n.Chr.), der „abscheuliche Opferbräuche“ nachgesagt werden.150 Die jüdische Herkunft Junias, verbunden mit ihrer in 16,7 skizzierten Geschichte – frühe Bekehrung zum Glauben an Jesus vor 32/33 n.Chr. und Prominenz unter den Aposteln – spricht gegen diese Annahme. E.A. Judge meint, die feminine Form des nomen markiere eine Frau als römische Bürgerin.151 Da Junia eine Jüdin war, die zusätzlich zu ihrem jüdischen Namen (den Paulus nicht nennt) einen lateinischen Namen hatte, konnte sie sich (oder ihre Eltern ihr) nur ein nomen geben.
Paulus macht vier Angaben über Andronikus und Junia. Er bezeichnet sie zuerst als meine Landsleute (συγγενειñς μου [syngeneis mou]; vgl. 9,3; 16,11.21), d.h. als Juden.152 Die Annahme, dass συγγενειñς auch hier Blutsverwandte bezeichnet und Andronikus und Junia Verwandte von Paulus sind,153 ist möglich, aber unwahrscheinlich – Paulus würde in 16,7.11 mit Andronikus, Junia, Herodion drei Verwandte grüßen, die in Rom sind, und in 16,21 mit Lucius, Jason und Sosipater drei Verwandte nennen, die von Korinth aus die römischen Christen grüßen lassen. C. Spicq, erwägt, ob συγγενειñς für die in Röm 16 so charakterisierten Personen auf gemeinsame Herkunft aus Tarsus verweist,154 was eine erstaunliche Präsens von Jesusbekennern aus Tarsus in Korinth und in Rom wäre, was, obwohl nicht unmöglich, weder belegbar noch wahrscheinlich ist. Paulus beschreibt Andronikus und Junia als meine Mitgefangenen. Das Wort συναιχμαλω' τος [synaichmalōtos] signalisiert eine militärische Bedeutung,155 d.h. die Gefangenschaft von Paulus ist „Kriegsgefangenschaft“ im Kampf für das Evangelium. Er bezeichnet Epaphroditus und Archippus als seine „Mitstreiter“ (συστρατιω' της [systratiōtēs]; Phil 2,25; Phlm 2). Paulus verwendet συναιχμαλω' τος als Wort für Epaphras und Aristarchus (Phlm 23; Kol 4,10). Als Paulus Phlm und Kol schreibt, befindet er sich in Gefangenschaft in Rom; es scheint, dass Epaphras und Aristarchus sich als Mitarbeiter und Freunde von Paulus abwechselten, um ihm im Gefängnis behilflich zu sein.156 Andronikus und Junia waren, wie Epaphras und Aristarchus spä————————————————————
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Diese Identifikation erwägt Koestermann, Cornelius Tacitus. Annalen IV, 349. Judge, Base, 561-562; für die folgende Kritik vgl. Bauckham, Latin Names, 390-391; Bauckham, Gospel Women, 169 Vgl. Bauer/Aland s.v. συγγενη' ς. Im Sinn von „Verwandter“ in Lk 1,58; 14,12; 21,16; Joh 18,26; Apg 10,24. Im Sinn von „Landsmann, Stammesgenosse“ in Röm 9,3; 16,7.11.21; vgl. W. Michaelis, Art. συγγενη' ς, ThWNT VII, 736-742; G. Schneider, EWNT III, 675; so generell in den Kommentaren, vgl. Michel 475; Dunn II 894; Wilckens III 135; Lohse 408; vgl. Lampe, Christen, 58. Jüngst Judge, Base, 558; als Möglichkeit Haacker 379. C. Spicq, Art. συγγενη' ς, TLNT III, 310-311. Vgl. G. Kittel, Art. αι� χμαλω' τος κτλ., ThWNT I, 195-196; H. Balz, EWNT III, 711; eine übliche Gefangenschaft wurde mit δεσμο' ς bezeichnet. Eine nur bildhafte Verwendung des Wortes (Kittel, ebd. 196) ist nicht plausibel.
Grüße 16,3-16 885 ————————————————————————————————————
ter in der römischen Gefangenschaft, in einer früheren Gefangenschaft zusammen mit Paulus im Gefängnis, entweder freiwillig oder unfreiwillig. Es muss sich hier um eine frühere Gefangenschaft gehandelt haben, vielleicht während der Arabien/Nabatäa-Mission ca. 32 n.Chr., oder während der Antiochien-Mission ca. 42–44 n.Chr.157 Es ist nicht unmöglich, dass Paulus sie in diesem Sinn als „Mitgefangene“ bezeichnet, da sie, wie er selbst auch, im Gefängnis waren, jedoch zu einer anderen Zeit.158 Andronikus und Junia nehmen unter den Aposteln eine hervorragende Stellung ein. Das Adjektiv [episēmos] bedeutet „ausgezeichnet, hervorragend, prominent“; die Wendung ε� ν τοιñς α� ποστο' λοις [en tois apostolois] kann unterschiedlich verstanden werden. Bereits die Kirchenväter haben die Formulierung in dem Sinn verstanden, dass Andronikus und Junia prominente Glieder des Apostelkreises waren.159 Manche übersetzen mit „im Kreis der Apostel in gutem Ansehen stehen“ und bestreiten, dass Andronikus bzw. Junia als Apostel galten.160 Diese Interpretation ist nicht überzeugend:161 ε� πι'σημος ist kein vergleichendes Adjektiv; es ist am plausibelsten, die Formulierung nicht exklusiv, sondern inklusiv zu verstehen, wobei die Präposition ε� ν die Person(en) anzeigt, zu der (denen) der Betreffende gehört. Paulus hat das Wort „Apostel“ (α� πο' στολος [apostolos]; s. zu 1,1) nicht auf die Zwölf beschränkt, sondern für Jesusbekenner verwendet, die den Auferstandenen gesehen hatten und durch ihn gesandt wurden (1Kor 15,5 [Kephas, die Zwölf].7 [Jakobus, dann alle Apostel]; vgl. 9,5 [die übrigen Apostel]; 2Kor 11,5.13; Gal 1,19 [Jakobus]).162 Wenn man diese Grundvoraussetzung in Anschlag bringt, deutet die Bezeichnung von Andronikus und Junia als „Apostel”, dass sie dem Auferstandenen begegnet ————————————————————
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Vgl. Dunn, Colossians and Philemon, 275-276; Bauckham, Gospel Women, 170-171. Vgl. Bauckham, Gospel Women, 171 Anm. 263 (ohne die Daten). Riesner, Frühzeit, 190 nimmt Ephesus an, was angesichts der Tatsache, dass Andronikus und Junia offensichtlich frühe Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde waren, vielleicht zu spät ist. Sanday/Headlam 423; Cranfield II 788-789; vgl. Bauckham, Gospel Women, 172. Vgl. Cranfield II 789; Michel 476; Wilckens III 135; Dunn II 849; Moo 923; Fitzmyer 739; Schreiner 796; Lohse 408; Penna 1086; Jewett 963; Haacker 379; Fàbrega, Junia(s). GN: „sie nehmen unter den Aposteln einen hervorragenden Platz ein“. Elb.Ü, EÜ, LÜ lesen den männlichen Namen Junias (EÜ übersetzt mit „sie sind angesehene Apostel“). So Zahn 608, der von zwei Männern (Andronikus und Junias) ausgeht; so auch Murray II 230. Burer/Wallace, Junia, 76-91 haben diese Interpretation, die möglich aber unwahrscheinlich ist, neu belebt; Légasse 950-951 findet ihre Argumente erwägenswert. Vgl. Bauckham, Gospel Women, 172-179, mit einer Untersuchung der relevanten griechischen Texte. Vgl. Belleville, Re-Examination, 231-249. Hengel/Schwemer, Paulus, 217 Anm. 877, die auch auf Röm 16,7 verweisen. Auch Lukas, der das Wort α� πο' στολος für die Zwölf verwendet, weiß von einem größeren Kreis von Missionaren, die er als „Apostel“ bezeichnet: Paulus und Barnabas (Apg 14,3-5.14). Vgl. Hvalvik, Named Jewish Believers, 156-157.
886 Römerbrief ————————————————————————————————————
sind und – wie die Zwölf, Paulus und andere – von Jesus mit dem Auftrag ausgesandt wurden, das Evangelium zu verkündigen. Dass damit eine Frau als Apostel bezeichnet wird, ist nicht mit dem Argument zu widerlegen, dass dies nicht sein kann.163 Manche interpretieren die Apostelschaft Junias im Sinne einer reisenden Missionarin,164 ohne zu begründen, weshalb es ausgeschlossen ist, dass sie zusammen mit Andronikus den Auferstandenen gesehen haben kann. Schreiner stellt die Vermutung an, dass Junia sich im Rahmen der patriarchalischen Gesellschaft auf die missionarische Arbeit unter Frauen konzentriert und keine Autorität über Männer ausgeübt hat, sodass 2Tim 2,11-15 als „apostolic pattern“ erhalten bleibt. Die Lehrtätigkeit von Priska, die zusammen mit Aquila in Ephesus den gebildeten Apollos unterwies (Apg 18,26) – ohne als Apostel bezeichnet zu werden! – passt nicht in dieses Schema. Da Paulus keine Einzelheiten nennt, sollten Ausleger keine Detailvermutungen über das apostolische Wirken Junias anstellen. Inhaltlich grundlegend ist für den Begriff des „Apostels“ die missionarische Verkündigung des Evangeliums, die zu Gemeindegründung und Gemeindeaufbau führt.165
Weshalb sie als „hervorragend“ bezeichnet werden, wird nicht gesagt. Wenn sie als Jerusalemer Missionare als Erste das Evangelium nach Rom, der Hauptstadt des Reiches gebracht haben,166 dann wäre dies ganz sicher eine Mission, die sie von anderen Aposteln abhebt – und Paulus müsste den römischen Christen keine weiteren Begründungen geben: Er würde ihnen nichts Neues sagen. Keine der anderen Personen, die Paulus in 16,3-16 grüßt, nicht einmal Priska und Aquila, haben eine derartige „urchristliche Prominenz“ wie Andronikus und Junia. Wenn sie Mitte der 30er-Jahre von Jerusalem aus nach Rom kamen, dann hätten sie im Jahr 56/57 n.Chr., als Paulus den Röm schreibt, bereits ca. 25 Jahre lang in Rom und Umgebung das Evangelium verkündigt. Das Ehepaar gehörte zu den ersten Christen: Paulus sagt, dass sich Andronikus und Junia schon vor mir zum Messias bekehrt haben (οι� και` προ` ε� μουñ γε' γοναν ε� ν Χριστω ñ, ), d.h. vor 32/33 n.Chr. Da sie sich vor Paulus bekehrt haben, und da sie als „Apostel“ offenkundig den Auferstandenen gesehen haben, ist anzunehmen, dass sie zum (erweiterten) Jüngerkreis Jesu gehörten. ————————————————————
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So offensichtlich Schnackenburg, Apostel, 346. Zu Recht Stuhlmacher 219: „Daß auch Frauen zum Kreis der Apostel gezählt haben, kann nur den befremden, der die Apostel auf den Zwölferkreis beschränken will, den Jesus selbst gesammelt hatte“. Moo 923-924; Schreiner 796-797 (zum Folgenden ebd. 797); Köstenberger, Women, 231. Vgl. Schreiber, Arbeit, 213-214, der mit 1Kor 9,5 vergleicht, wo Paulus vom Recht der Apostel spricht, eine „Schwester als Frau“ auf ihren Missionsreisen mitzunehmen. Als Möglichkeit auch Hengel, Geschichtsschreibung, 84.
Grüße 16,3-16 887 ———————————————————————————————————— Wenn man dies nicht akzeptiert, ist die Annahme plausibel, dass sie zu den frühen Jesusbekennern in Jerusalem gehörten, so sie vor der Bekehrung des Paulus als Apostel missionarisch aktiv waren. Das Argument von Lampe, der aus der statistischen Auswertung der in Rom belegten Namen schließt, dass Andronikus und Junia römische Christen sind, die Freigelassene sind oder von Freigelassenen abstammen,167 greift im Kontext einer Bekehrung vor dem Jahr 32/33 (Bekehrung des Paulus) nur im Fall von zwei Szenarien. Entweder gehörten sie zu den jüdischen Festpilgern aus Rom, die im Mai des Jahres 30 n.Chr. anlässlich des Pfingstfestes Jerusalem besuchten (Apg 2,10), Petrus hörten, sich zum Glauben an Jesus als Messias Israels bekehrten (Apg 2,41), nach Rom zurückkehrten und dort verantwortlich an der Gründung der römischen Gemeinde beteiligt waren. Oder ein anderer römischer Jerusalempilger des Jahres 30 brachte das Evangelium nach Rom und führte Andronikus und Junia zum Glauben an Jesus. Diese Szenarien sind grundsätzlich möglich, können aber den Hinweis, dass Andronikus und Junia unter den Aposteln eine prominente Stellung einnehmen, nicht erklären.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Andronikus und Junia zum (erweiterten) Jüngerkreis gehörten, wird zur Gewissheit, wenn R. Bauckham recht hat, der Junia (Röm 16,7) mit Johanna (Lk 8,3; 24,10) identifiziert.168 Lukas beschreibt in Lk 8,1-3 Johanna (� Ιωα' ννα) [Iōanna]) 1. als Frau des Chuza (Χουζαñ [Chouza]), der ein Beamter des Herodes (ε� πι' τροπος � Ηρω', δου [epitropos Hērōdou]) war, 2. als Frau, die zusammen mit Maria Magdalena und Susanna, wie die Zwölf, Jesus begleitete (8,3), offensichtlich früh im galiläischen Wirken Jesu. Die Erwähnung von Maria Magdalena und Johanna in Lk 24,10 erinnert den Leser daran, dass Frauen das gesamte Wirken Jesu begleiteten. Lukas fügt in 8,3 hinzu, dass die drei Frauen, neben ihrer Begleitung Jesu, diesem und seinen Jünger dienten (διηκο' νουν [diēkonoun]) „mit dem was sie besaßen (ε� κ τω ñ ν υ� παρχο' ντων αυ� ταιñς)“,169 d.h. mit finanziellen Zuwendungen, mit denen sie das Wirken Jesu und der Zwölf unterstützen.170 Dass Lukas nur den Ehemann Johannas nennt und beschreibt, ohne für Maria Magdalena oder Salome ähnliche Angaben zu machen, fällt auf. Chuza war als ε� πι' τροπος ein hoher Beamter am Hof des Herodes Antipas, der als Tetrarch über Galiläa herrschte. Chuza ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein nabatäischer Name: Vier der gesicherten Belege für den Namen Chuza außer Lk 8,3 wurden entweder in Nabatäa gefunden oder weisen nabatäischen Einfluss auf.171 Herodes Antipas hatte eine Nabatäerin zur Großmutter, und er selbst heiratete die Tochter des nabatäischen Königs Aretas IV. (ehe er sich scheiden ließ und seine Schwägerin Herodias heiratete), sodass die Ernennung eines nabatäischen Beamten vorstellbar ist. In der herodianischen Familie wurden Töchter oft mit ————————————————————
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Lampe, Christen, 146-147.148-149. Es ist bezeichnend, dass er Andronikus einen „Apostel(schüler)“ nennt (ebd. 149). Diese Einschränkung ist nicht begründbar. Bauckham, Gospel Women, 109-202; Bauckham, James and the Jerusalem Community, 86-87; Bauckham, Latin Names, 214.219-220; als Möglichkeit positiv aufgenommen von Croft, Text Messages, 90; Witherington, Joanna; Witherington 388-389; Haacker 379380; Stenschke, Frauen, 21: Die durchaus plausible Identifikation ist hypothetisch. Zu dem Ausdruck τα` υ� πα' ρχοντα vgl. Lk 11,21; 12,15.33.44; 14,33; 16,1; 19,8; Apg 4,32. Zur Möglichkeit, dass jüdische bzw. palästinische Frauen Eigentum besitzen und über Eigentum verfügen konnten, vgl. Bauckham, Gospel Women, 121-135. Vgl. Bauckham, Gospel Women, 135-150, mit den Belegen. Die extreme Seltenheit des Namens Chuza belegt die historische Glaubwürdigkeit von Lk 18,3 (ebd. 161).
888 Römerbrief ———————————————————————————————————— heidnischen Männern verheiratet, wobei stets darauf bestanden wurde, dass diese sich beschneiden ließ und zum Judentum übertraten.172 Da für die Mitglieder des Hofes von Herodes Antipas dasselbe zu erwarten ist, kann man davon ausgehen, dass Chuza beschnitten war. Unter den Aristokraten in Tiberias fallen die vielen lateinischen Namen auf, die Josephus erwähnt (Julius Capella, Crispus, Justus; ihre Väter haben fast immer griechische Namen).173 Wenn Juden zusätzlich zu ihrem jüdischen Namen einen griechischen oder lateinischen Namen bekamen, wählte man oft einen Namen, der ähnlich klang – für griech. Namen zum Beispiel Alkimos/Eliakim, Aster/Esther, Kleopas/Klopas, Mnason/Manasse, Simon/Simeon, für lat. Namen z.B. Annia/Hanna, Julius/Juda, Justus/Joseph, Maria/Mirjam, Paulus/Saulus, Rufus/Ruben, Silvanus/Silas.174 Und der lat. Name Junia klingt ähnlich wie der hebr. Name Johanna (Jehochannah od. Jochannah).175 Die Tatsache, dass die Johanna von Lk 8,3; 24,10 zu den Jüngern Jesu gehörte, sie Augenzeugin der Auferstehung Jesu in Jerusalem war, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Junia von Rom 16,7 zu den frühen Aposteln (vor 32/33 n.Chr.) gehörte, macht diese Identifizierung plausibel. Andere frühe Jerusalemer Jesusbekenner hatten (später?) ebenfalls einen jüdischen und einen lateinischen Namen: Lukas verweist auf „Josef, mit dem Beinamen Barsabbas, der auch Justus genannt wurde“ (Apg 1,23) und auf „Johannes, der auch Markus genannt wurde“ (Apg 12,12.25). Was Chuza, Johannas Ehemann, betrifft, so könnte er in einem römischen Kontext den Namen Andronikus gewählt haben;176 oder Chuza war gestorben und der Andronikus von Röm 16,7 ist ihr zweiter Ehemann, der dann ebenfalls zu den frühen Jesusanhängern gehört haben musste.177 Johanna/Junia und Chuza wären nicht die einzigen Jesusbekenner in den aristokratischen Kreisen Galiläas gewesen. Die Evangelien erwähnen weitere Beamte am Hof des Herodes Antipas, die an Jesus glaubten: Der „königliche Beamte“ (βασιλικο' ς) in Joh 4,46, der „mit seinem ganzen Haus“ zum Glauben an Jesus kam (vielleicht der für eine der Toparchien Galiläas verantwortliche Beamte), und Manaen, der „Vertraute“ (συ' ντροφος) von Herodes Antipas, dem Tetrarch, der im syrischen Antiochien zu den führenden Jesusbekennern gehörte (Apg 13,1).178 Wenn Junia und Johanna identisch sind, wissen wir über sie mehr als über fast alle anderen ntl. Apostel, von Petrus und Paulus abgesehen:179 Sie war Jüngerin Jesu in Galiläa, trotz ihres aristokratischen Status, und hat sein Wirken finanziert. Sie war in Jerusalem Zeugin der Auferstehung Jesu – Lukas scheint sich für seinen Auferstehungsbericht nicht auf Markus, sondern auf Johanna zu verlassen 180 – und wurde zusammen mit ihrem Mann (Chuza/Andronikus, oder Andronikus als zweitem Ehemann) von Jesus als Apostel berufen. ————————————————————
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Josephus, Ant 16,220-225; 20,139.145; vgl. Kokkinos, Dynasty, 183. Seit der Zeit von Esra u. Nehemia gab es ein starkes jüdischen Tabu im Blick auf die Heirat von Heiden. Josephus, Vit. 32.65.69.296 (Julius Capella); 33 (Crispus); Vit. 34.87.175 (Justus). Vgl. Bauckham, Gospel Women, 183-184 für die relevanten Belege. Junia ist mit über 250 Belegen in Rom einer der häufigsten lat. Frauennamen (s. oben); Johanna steht in der Liste der populärsten Frauennamen in Palästina (vor 200 v.Chr.) nach Maria/Mariam, Salome, Shelamzion und Martha an fünfter Stelle; Ilan, Lexicon of Jewish Names I; vgl. Bauckham, Eyewitnesses, 89. Juden mit dem Namen Andronikus werden von Josephus, Ant 13,75.78.79 erwähnt; vgl. CPJ I 18; Horbory/Noy, Jewish Inscriptions, 322; Noy, Jewish Inscriptions I, No. 85; vgl. Bauckham, Gospel Women, 186; ebd. für die folgende Vermutung. Haacker 380 erwägt, ob Chuza seine Frau wegen ihres Anschlusses an Jesus entlassen, d.h. sich von ihr hatte scheiden lassen können; so auch Witherington 46-47. Bauckham, Gospel Women, 137-138. Das heißt, sie wäre in Metzner, Die Prominenten, aufzunehmen. Vgl. Bauckham, Gospel Women, 186-194 für Einzelheiten.
Grüße 16,3-16 889 ———————————————————————————————————— Sie war zusammen mit ihrem Mann in Jerusalem tätig und hat dann zusammen mit Paulus missioniert, vielleicht in Arabien/Nabatäa, vielleicht in Antiochien. Schließlich ging das Ehepaar nach Rom, wo die beiden offensichtlich ebenfalls in der Verkündigung des Evangeliums tätig sind und wo Paulus sie grüßen lässt.
8 Die siebte Person, die Paulus grüßen lässt, ist Ampliatus (�Αμπλιαñ τος [Ampliatos]), der nur hier im Neuen Testament erwähnt wird (wie auch die in V. 9-12 genannten Personen). Die Belege für den Namen Ampliatus machen deutlich, dass er für Sklaven und Freigelassene typisch ist.
Lampe meint, der Name sei in den niedrigen Schichten verwendet worden, „da er zu deutlich den Stempel der Herkunft trug, um in vornehmen Kreisen adaptiert zu werden“.181 Andererseits ist in Pompeii der reiche Freigelassene N. Popidius Ampliatus belegt, der nach einem Erdbeben den Isistempel neu aufgebaut hat (CIL X 847); der Freigelassene Ampliatus besitzt, zusammen mit L. Popidius Secundus, die große Villa Casa del Citarista; ein Sohn, Lucius Popidius Ampliatus, stellte sich für die Wahl zum Ädil auf (CIL IV, 1143l; Franklin 173). Der bekannteste Agent (lanista) für Gladiatoren im Pompeii war ein Numerius Festius Ampliatus, der zwischen Claudius und Nero aktiv war (CIL IV 1183.1184).182
Dass Ampliatus einen unfreien Hintergrund hat, ist wahrscheinlich, wenn auch nicht gesichert. Paulus nennt ihn meinen geliebten (α� γαπητο' ς μου [agapētos mou]; vgl. V. 5.9.12), was auch hier persönliche Bekanntschaft und Zuneigung signalisiert. Auch Ampliatus war im Osten gewesen, wo Paulus ihn kennengelernt hat. Die Bestimmung im Herrn (ε� ν κυρι'ω, [en kyriō]; vgl. V. 9.12) deutet darauf hin, dass Ampliatus sich für das Evangelium einsetzte. In der Domitilla-Katakombe an der Via Appia /Via Ardeatina hat man in einer der reich dekorierten Grabkammern zwei Inschriften mit dem Namen Ampliatus gefunden. In der Inschrift über dem arcosolium, die in das 1. Jh. oder das frühe 2. Jh. datiert wird, steht das Wort „Ampliat[i]“; in der zweiten, nicht vor dem Ende des 2. Jh.s datierten Inschrift werden ein Aurelius Ampliatus und sein Sohn Gordianus erwähnt, vielleicht ein Nachkomme des Ampliatus’ der ersten Inschrift. G. Edmundson ist sich sicher, dass der Ampliatus der ersten Inschrift, ein Freigelassener der gens Aurelius, der von Paulus erwähnte Ampliatus ist.183 Mehrere Ausleger verbinden den Fundort in der Domitilla-Katakombe mit der Möglichkeit, dass Flavia Domitilla durch Ampliatus vom christlichen Glauben gehört hat und Jesusbekennerin wurde.184 Im Anschluss an De Rossi185 haben viele angenommen, dass das Ge————————————————————
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Lampe, Christen, 144: Von den 80 stadtrömischen Belegen sind ca. 30 Sklaven. Zu den Belegen für Ampliatus in Pompeii vgl. Franklin, Pompeii, 45.115.169. Edmundson, Church in Rome, 282. Vgl. Diehl, Inscriptiones, Nr. 4338. Das sog. Ampliatus-Cubiculum ist eines der nuclei im Flavierhypogaeum; Lampe, Christen, 21. Sanday/Headlam 424; Cranfield II 790; Jewett 954; vgl. Wilckens III 136, der es für möglich hält, dass der Ampliatus der Katakombeninschrift mit dem Ampliatus von 16,8 identisch ist. Penna 1087 kommentiert nicht. Kritisch P. Lampe, Art. Ampliatus, ABD I 217. Rossi, Roma sotteranea cristiana I, 186ff.266ff.
890 Römerbrief ———————————————————————————————————— lände der Katakombe der Flavia Domitilla gehörte und diese zum Christentum übergetreten sei. Es ist jedoch nicht gesichert, und für viele wenig wahrscheinlich, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den dort beerdigten Christen und Flavia Domitilla, da die frühesten unterirdischen Gräber (hypogea) heidnischen Ursprungs sind.186 Flavia Domitilla war die Enkelin von Kaiser Vespasian, die mit T. Flavius Clemens, Konsul des Jahres 95 n.Chr. und Neffe von Kaiser Domitian verheiratet war (laut Inschrift CIL VI 8942 hatten Flavius Clemens und Domitilla sieben Kinder) und von Domitian wegen „Atheismus und jüdischen Gebräuchen“ verurteilt und in die Verbannung geschickt wurde (Cassius Dio 67,14,1-3; vgl. Sueton, Dom 15,1). Es ist jedoch nicht eindeutig erwiesen, ob sie sich zum Judentum oder zum Christentum bekehrt hat.187 Wenn sie Christin war, könnte sie „eine distanzierte Patronin“ gewesen sein, „die nicht direkt am Gemeindeleben teilnahm, aber mit der Gemeinde sympathisierte, und weniger als aktives Gemeindeglied“.188 Auch wenn Flavia Domitilla Christin war, beweist dies weder, dass sie das Evangelium durch Ampliatus gehört hat, noch dass dieser Christ war.189
9 Als Nächstes grüßt Paulus Urbanus (Ου� ρβανο' ς [Ourbanos]).190 Der latei-
nische Name drückt den Wunsch aus, urbanus zu sein, „fein, geistreich“. Der Name ist häufig in Rom bezeugt. Da Urbanus ein cognomen ist, kann man schließen, dass er römischer Bürger war.191 Paulus nennt ihn, wie sonst nur noch Priska und Aquila, unseren Mitarbeiter im Messias (ο� συνεργο` ς η� μω ñ ν ε� ν Χριστω ñ, ; V. 3). Er war im Osten des Mittelmeerraums und hat dort mit Paulus zusammengearbeitet, wahrscheinlich während der Makedonien-, Achaia- oder Asiamission. Paulus unterstreicht die persönliche Bekanntschaft und den gemeinsamen Einsatz für das Evangelium von Gottes Heilshandeln im Messias Jesus. Der Gruß an Stachys (Στα' χυς [Stachys]),192 den Paulus als mein geliebter (α� γαπητο' ς μου; vgl. V. 5.8.12) bezeichnet, signalisiert persönliche ————————————————————
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Vgl. Lampe, Christen, 21; Cook, Attitudes, 129-130. Sympathie für bzw. Bekehrung zum Judentum: Barnes, Legislation, 36; Solin, Juden, 661; Cook, Attitudes, 128-131.117-121; Weiß, Elite, 160-165. Bekehrung zum Christentum: Eusebius, HistEccl 3,18,4; Lightfoot, Apostolic Fathers I: Clement, 34-35; Brown/Meier, Antioch and Rome, 161-162; Lampe, Christen, 166-172; Caragounis, Obscurity, 266; Theißen, Structure, 21; Metzner, Die Prominenten, 594. Nicht zu klären: M. Strothmann, Art. Flavia 3. F. Domitilla, DNP III, 542; Eck, Senatorenstand, 392; Jones, Domitian, 48. Theißen, Pauperismus, 120. Lampe, Christen,21:Diechristlichen Spurenim Flavierhypogaeum datieren aus dem 3. Jh. Vgl. Lampe, Christen, 150-151; ders. Art. Urbanus, ABD VI, 767. Von 95 Belegen in Rom sind ca. 25 Sklaven, d.h. ein Sklavenhintergrund ist nicht anzunehmen; so auch Solin, Beiträge, 152. Anders Cranfield II 790; Dunn II 895; Fitzmyer 740; Moo 924; Jewett 965, ohne konkrete Belege. Zwei Belege des Namens für kaiserliche Freigelassene beweisen nicht, dass Urbanus zu dieser Gruppe gehört. Judge, Base, 562. Vgl. Lampe, Christen, 150.154; ders. Art. Stachys, ABD VI 183. Von 11 zeitgenössischen stadtrömischen Belegen lassen drei Belege auf unfreie Herkunft schließen – CIL VI 26732: ein Unfreier des kaiserlichen Hauses, CIL 4452: ein medicus unfreier Her-
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Bekanntschaft und Zuneigung. Die Tatsache, dass der griech. Name äußerst selten in Rom bezeugt ist, könnte darauf hindeuten, dass Stachys aus dem Osten stammt, wo Paulus ihn kennenlernte, und dass er sich später in Rom niederließ. Ob Stachus als aktiver Missionar oder aus persönlichen Gründen nach Rom ging, ist nicht zu klären. Das Argument, dass α� γαπητο' ς kein „Aktivitätshinweis“ sei, ist richtig, verkennt jedoch, dass Paulus nach Röm 12,6-8 davon ausgeht, dass jeder Jesusbekenner am Aufbau der Gemeinde beteiligt ist. 10 Von Apelles (�Απελληñ ς [Apellēs])193 sagt Paulus, dass er im Messias bewährt ist, d.h. er war offenbar ein Mitarbeiter, der sich in schwierigen Situationen bewährt hat194 und auf den Paulus sich verlassen konnte. Der griech. Name ist in Rom selten belegt, was auf eine Herkunft aus dem Osten hinweist. Da manche Juden griech. Namen hatten, kann man nicht ausschließen, dass Apelles ein Judenchrist ist, was sich aber nicht erhärten lässt.195 Die Grüße an den Haushalt des Aristobulos (οι� ε� κ τω ñ ν �Αριστοβου' λου [hoi ek tōn Aristoboulou]) gelten nicht Aristobulos selbst, sondern denen, die zu ihm, d.h. zu seinem Haushalt gehören.196 Bei den Gegrüßten handelt es sich um Sklaven und/oder Freigelassene, die Aristobulos gehören bzw. gehörten.197 Die Tatsache, dass dieser nicht selbst gegrüßt wird, kann nur so verstanden werden, dass er selbst kein Jesusbekenner ist. Die Formulierung ————————————————————
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kunft. D.h., ein Sklavenhintergrund ist für Stachys nicht anzunehmen. Anders Solin, Beiträge, 120; vgl. Jewett 965. LGPN hat 29 Belege für Stachys. Zur Bewertung von α� γαπητο' ς zu Lampe, Christen, 137 Anm. 39. Lampe, Christen, 138-142.146.153; ders., Art. Apelles, ABD I, 275. Da nur drei von 15 zeitgenössischen Belegen des Namens wahrscheinlich unfreie Herkunft anzeigen (CIL VII 9183 ist ein kaiserlicher Freigelassener), ist eine solche für Apelles nicht anzunehmen; gegen Lightfoot, Philippians, 174. LGPN hat 135 Belege für Apelles. Codex Sinaiticus liest in Apg 18,24-28 �Απελληñ ς statt �Απολλω ñ ς und identifiziert damit offensichtlich den alexandrinischen Christen mit dem in Rom lebenden Apelles; im 2. Jh. lehrte ein aus Alexandrien stammender (gnostischer) Christ namens Apelles in Rom, was der Hintergrund für die Lesart in אsein könnte; vgl. Lampe, ebd. 350-352; ABD I, 275. Zu δο' κιμος vgl. 14,18; 1Kor 11,19; 2Kor 10,18; 13,7; 2Tim 2,15. Bauer/Aland s.v. �Απελληñ ς behauptet aufgrund der Tatsache, dass Horaz, Sat 1,5,100 von einer Jüdin namens Apella spricht, dass der Name Apelles unter Juden häufig vorkam. Diese Auskunft ist falsch: Weder in JIGRE, JIWE noch in IJudO ist der Name Apelles belegt (in der berühmten Aphrodisias-Inschrift ist in B Z. 47 ein �Απελλαñ ς belegt, der jedoch auch ein [heidnischer] Gottesfürchtiger sein könnte; IJudO II 14). BDR §162,5: Zugehörigkeit von Sklaven zur Familie: Röm 16,10.11; 1Kor 1,11. HvS §159b: Bloßer Artikel als übergeordneter Ausdruck kann beim gen. possessoris stehen. Plinius bemerkt in der Beschreibung seiner Villa, dass ein Teil des Hauses von seinen Sklaven und Freigelassenen verwendet wird (reliqua pars lateris huius servorum libertorumque usibus detinetur), obwohl die meisten Räume dieses Flügels gut genug sind, um Gäste unterzubringen (Ep 2,17,9).
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ε� κ τω ñ ν (statt οι� �Αριστοβου' λου) zeigt an, dass nicht alle, sondern nur ein Teil seines Haushalts Christen sind. Aristobulos war eher kein in Rom geborener Patron.198 Es ist sehr wohl möglich, dass dieser Aristobulos der Sohn von Herodes von Chalkis und Enkel von Herodes I. (d. Gr.) ist, der seinen Bruder Herodes Agrippa I. beim syrischen Statthalter wegen Bestechung anzeigte und im Jahr 40 n.Chr. die Delegation leitete, die Petronius veranlasste, trotz des Befehls von Caligula dessen Statue nicht im Jerusalemer Tempel aufzustellen, der die Gunst von Kaiser Claudius genoss und 45 n.Chr. als Privatperson in Rom starb.199 Nach seinem Tod könnte Claudius die Angehörigen des Haushalts von Aristobulos in seine kaiserliche Administration integriert haben, die als Aristobuliani bekannt gewesen wären. Sklaven aus seinem Haushalt könnten sich bereits in Syrien zum christlichen Glauben bekehrt haben und mit ihm nach Rom gekommen sein – in diesem Fall „sind wir auf einen der Kanäle gestoßen, durch die das Christentum in die Hauptstadt eingedrungen ist“.200 Ob zu seinen Sklaven und Freigelassenen Juden gehörten, ist anzunehmen, bleibt aber eine Vermutung. Die Jesusbekenner im Haushalt des Aristobulos können sich aber auch erst in Rom bekehrt haben.201 Die Annahme, dass diese Jesusbekenner eine eigene Hausgemeinde bildeten, gründet in der Tatsache, dass sie als Gruppe genannt werden. 11 Der Name Herodion (� Ηρω, δι'ων [Hērōdiōn]),202 Kurzform von Herodes, ist in Rom nicht belegt, dafür aber der lat. Name Herodianus. Paulus bezeichnet ihn als Landsmann (συγγενη' ς [syngenēs]; vgl. 7.21), d.h., er ist ein Judenchrist. Da Paulus in V. 10 Jesusbekenner aus dem Haushalt des ————————————————————
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Lampe, Christen, 136: Die Maskulinform seines Namens (Aristobulus) ist nur zwei Mal in stadtrömischen Inschriften belegt (CIL 17577.29104); die Femininform Aristobula nur ein Mal (CIL VI 18908, eine Sklavin). Josephus, Ant 18,133-278;20,13; Bell 2,221-222. Vgl. K. Bringmann, Art. Aristoboulus 5, DNP I 1106; S.T. Carroll, Art. Aristobulos (Person) 7., ABD I, 383. Für diese Identifikation s. Lightfoot, Philippians, 174-175; Lampe, Christen, 136; Lampe, Roman Christians, 222-223; Kokkinos, Dynasty, 270; Bauckham, Gospel Women, 139 Anm. 110; Wilckens III 136 Anm. 652; Dunn II 896; Fitzmyer 740; Moo 925; Lohse 407.409; Witherington 393-394; Jewett 966; Haacker 380. Zurückhaltender Lampe, Missionswege, 126: Der Name Aristobul war in der herodianischen Familie beliebt, was aber „kein ausreichendes Fundament für weiterreichende Schlüsse“ ist. Lampe, Christen, 136. Nach Tacitus konnten Sklaven eine andere Religion als die des Besitzers praktizieren (Ann 14,44,3). Die Annahme, dass diese (ehemaligen) Sklaven, die Jesusbekenner waren, ein gewisses Maß an Bildung und Unabhängigkeit besaßen (Jewett 966), ist von der Annahme abhängig, dass sie inzwischen zum kaiserlichen Haushalt gehörten, was nicht sicher ist. Lampe, Christen, 140.148: Der Name Herodes ist 18 Mal belegt, der Name Herodianus 6 Mal (CIL VI 9005.32624.13126; Solin, Personennamen, 214.1362.
Grüße 16,3-16 893 ————————————————————————————————————
Aristobulos grüßt, der wahrscheinlich zur herodianischen Familie gehört, ist es plausibel, dasselbe für Herodion anzunehmen, nur dass dieser sich zum Glauben an Jesus als Messias Israels bekehrt hatte. Manche interpretieren den griech. Namen Herodion im Sinn des lat. Namens Herodianus und vermuten infolge der Endung „-anus“, dass Herodion unfreier Herkunft war: Der Judenchrist Herodion ist in diesem Fall „ein ehemaliger herodianischer Sklave gewesen, der am ehesten an das Kaiserhaus oder die öffentliche Hand verkauft worden war“.203 In Rom ist eine Synagoge der Herodier bzw. Herodianer (συναγωγη` � Ηροδι'ων) belegt (Band I, S. 22). Wenn der in V. 10 erwähnte Aristobulos ein Glied des herodianischen Königshauses war, dann ist auch der Vorschlag möglich, dass Herodion mit dem Sohn dieses Aristobulos identisch ist, der Herodes hieß.204 Der Gruß an die Jesusbekenner aus dem Haushalt des Narcissus (οι� ε� κ τω ñ ν Ναρκι'σσου [hoi ek tōn Narkissou]) geht wieder an Sklaven und/oder Freigelassene, die zum Haushalt eines nichtchristlichen Patrons gehörten. Narcissus (Ναρκι'σσος [Narkissos])205 kann selbst ein Freigelassener sein. Nicht alle Personen, die zum Haushalt des Narcissus gehören, sind Christen, sondern nur diejenigen, „die im Herrn sind“ (οι� ο» ντες ε� ν κυρι'ω, ; vgl. V. 8). Diese Sklaven/Freigelassenen, die sich zum Glauben an Jesus bekehrt haben, haben sich, wie die Sklaven/Freigelassenen des Aristobulos, offenkundig zu einer Hausgemeinde zusammengeschlossen, analog zu jüdischen Sklaven und Freigelassenen, die die Synagoge der Agrippenser, der Augustenser, der Volumnesianer und der Herodianer bildeten.206 ————————————————————
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Lampe, Christen,148,mit Verweis auf Coetus Herodian(us), ein kaiserlicher Praegustator in Rom (CIL VI 9005), der Sklave von Herodes d.Gr. war und später in den Besitz des Kaisers Augustus überging; ders., Art. Herodion, ABD III 176; vgl. Chantraine, Freigelassene, 317. Vgl. Lightfoot, Philippians, 174-175; Horbury, Messianism, 116; Hvalvik, Named Jewish Believers, 163-164; Cranfield II 791-792; Fitzmyer 741; Dunn II 896; Witherington 394; Jewett 967; Lohse 409. Haacker 381 verweist auf Apg 13,2, wo mit Manaen (hebr. Menachem), der zusammen mit Herodes Antipas aufgezogen wurde, ein Höfling der herodianischen Dynastie zur Leitung der Gemeinde in Antiochien gehörte. Josephus, CAp 1,51: Josephus verkaufte sein Werk De Bello Judaico an viele Römer, die den Krieg mitgemacht hatten, „sowie ferner an viele meiner Landsleute. Unter den letzteren befanden sich Männer, die auch mit griechischer Weisheit wohlvertraut waren, wie Julius Archelaus, der erlauchte Herodes und der hoch bewunderte König Agrippa selbst“ (Clementz). Kokkinos, Dynasty, 313. Dieser Herodes, der sonst nicht bekannt ist, wäre zur Zeit, als Paulus den Röm schrieb, ein Junge gewesen, was die Kurzform des Namens erklären würde; Bauckham, Gospel Women, 139 Anm. 110. Lampe, Christen, 136: In Rom ist Narcissus über 50 Mal als Sklavenname belegt. Mächtige Freigelassene mit dem Namen Narcissus waren mit Claudius und Nero verbunden (Sueton, Claud 28; Cassios Dio 64,3). Der Freigelassene Narcissus der Inschrift CIL VI 9035 hatte mehrere Sklaven. LGPN hat 74 Belege für Ναρκι' σσος. Lampe, Christen, 319.
894 Römerbrief ————————————————————————————————————
12 Paulus grüßt jetzt drei Frauen. Tryphäna (Τρυ' φαινα [Tryphaina])207 ist
ein griech. Name, der in Rom als Name von freien Frauen und von Frauen unfreier Herkunft belegt ist. Tryphosa (Τρυφω ñ σα [Tryphōsa])208 ist ebenfalls ein griech. Name, der unfreie Herkunft anzeigen kann. Die gemeinsame, durch και' verbundene Nennung und der ähnliche Name deuten darauf hin, dass sie Schwestern oder Verwandte waren.209 Die beiden Frauen sind sehr wahrscheinlich Heidenchristen, vielleicht Freigelassene.210 Paulus beschreibt sie als Frauen, die sich im Herrn gemüht haben (τα` ς κοπιω' σας ε� ν κυρι'ω, ; s. zu V. 6.12b), d.h. als Mitarbeiter in seiner Mission, die er möglicherweise persönlich kennt, oder Mitarbeiter in einer Gemeinde, von denen er gehört hat, und die sich vermutlich jetzt in Rom aktiv für das Evangelium einsetzen. Persis (Περσι' ς [Persis])211 ist griech. Ethnikon („Perserin“), das wie ähnliche Ethnica als typischer Rufname von Sklaven, die nach ihrem „Ausfuhrland“ benannt wurden, eine unfreie Herkunft anzeigt und sie als (ehemalige) Sklavin und Heidenchristin erweist. Das Adjektiv geliebte (τη` ν α� γαπητη' ν; s. zu V. 5.8.9) zeigt persönliche Bekanntschaft. Paulus hat Persis offensichtlich im Osten kennen und schätzen gelernt als Jesusbekennerin, die sich viel im Herrn gemüht hat (η« τις πολλα` ε� κοπι'ασεν ε� ν κυρι'ω, ; vgl. V. 6.12a). Sie hatte sich in der Mitarbeit in der Mission (des Paulus?) oder in einer Gemeinde bewährt. Sie lebt jetzt in Rom und ist wahrscheinlich dort in einer der Gemeinden aktiv. 13 Der lat. Name Rufus (� Ρουñ φος [Rhouphos])212 beweist nicht römische Herkunft dieses Jesusbekenners: Die Tatsache, dass Paulus Rufus’ Mutter ————————————————————
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Lampe, Christen, 150: Von 60 stadtrömischen Belegen sind 47 Belege zeitgenössisch, von denen 15 sicher und 5 wahrscheinlich unfreie Herkunft anzeigen. Aber auch eine Herrin kann so heißen (CIL VI 8163). Der Name ist auch für Jüdinnen bezeugt: CPJ II 421,183; III 453,20; vgl. Lampe, Christen, 58 Anm. 154. LGPN hat 61 Belege des Namens. Der mask. Name Tryphon (376 Mal in LGPN) ist auch für Juden bezeugt: IJudO II 22,5; 194,2; CIIP 358b.358d.220; Ilan, Lexicon of Jewish Names I, 308-309. Lampe, Christen, 150: Von 29 zeitgenössischen Inschriften sind 8 Belege sicher, 5 Belege wahrscheinlich unfreier Herkunft (CIL VI 1528017862.26281); in CIL VI 4866.25090 ist jeweils eine patrona mit dem Namen Tryphosa belegt. LGPN hat 44 Belege des Namens. Wilckens III 136 hält Zwillingsschwestern für möglich. Die Vermutung, dass die Namen, „die ein weiches Luxusleben assoziieren“, vielleicht in bewusstem Gegensatz zu der harten Arbeit stehen, die sie in der Mission geleistet haben, erübrigt sich, wenn man eine unfreie Herkunft annimmt. Lampe, Christen, 153 hält eine unfreie Herkunft für „sehr wahrscheinlich“; vgl. Lampe, Art. „Tryphaena and Tryphosa“, ABD VI, 669. Lampe, Christen, 145-146: Je größer die Entfernung von Rom, desto mehr traten Völkernamen gegenüber Städtenamen in den Vordergrund. In Rom ist der Frauenname Περσι' ς 6 Mal belegt, davon sind 3 zeitgenössisch, von denen 2 mit Sicherheit Sklavinnen bzw. Freigelassene sind. LGPN hat 12 Belege. Vgl. P. Lampe, Art. Persis, ABD V 244. Lampe, Christen, 151: Der Name Rufus („der Rothaarige“) ist in Inschriften Roms ca.
Grüße 16,3-16 895 ————————————————————————————————————
kennt und als die auch meine ist (και` ε� μουñ ) bezeichnet,213 zeigt eine Herkunft aus dem Osten an. Juden wählten Rufus oft als lat. Äquivalent für Ruben.214 Da das Markusevangeliumsehr wahrscheinlich in Rom geschrieben wurde,215 ist es möglich, dass Rufus identisch ist mit dem in Mk 15,21 erwähnten Rufus, der zusammen mit seinem Bruder Alexander – die Söhne des Simon aus Kyrene, der gezwungen worden war, das Kreuz bzw. den Querbalken des Kreuzes Jesu nach Golgatha zu tragen – der römischen Gemeinde offenbar bekannt war.216 Beweisen lässt sich diese Identifizierung nicht, sie ist jedoch mehr als „nur erbauliche Spekulation“:217 Rufus und seine Mutter kommen aus dem Osten, wo Paulus seine Mutter gut kannte; es gab enge Verbindungen zwischen der Jerusalemer Gemeinde und Rom (Andronikus und Junia, V. 7; vgl. 1Petr 5,12-13 Petrus, Silvanus und Johannes Markus); und die römischen Christen kannten einen Jerusalemer namens Rufus (Mk 15,21). Die Beschreibung von Rufus als der im Herrn Erwählte (ο� ε� κλεκτο` ς ε� ν κυρι'ω, [ho eklektos en kyriō]) will vielleicht nicht nur das α� γαπητο' ς von V. 5.8.912 steigernd aufnehmen, sondern betont die besondere Bedeutung, die Rufus für die Gemeinde (in Jerusalem? In Rom?) hat.218 Die Beziehung zur Mutter des Rufus könnte, wenn diese Identifizierung richtig ist, in die Zeit zurückreichen, als Paulus als Student in Jerusalem lebte (vgl. Apg 22,3; 26,4).219 Jedenfalls sind Rufus und seine Mutter ————————————————————
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374 Mal belegt; davon zeigen nur 30 Belege unfreie Herkunft an (z.B. CIL VI 13208 ein kaiserlicher Freigelassener); zur Zeit Ciceros war Rufus noch ein gängiger Sklavenname, was aber ein Jh. vor Röm 16 datiert. Im 1. Jh. haben Konsuln den Namen Rufus (CIL VI 8639b.2051.541.397). LGPN hat 385 Belege für griech. � Ρουñ φος; nach Kajanto, Cognomina sind über 1500 Personen mit dem cognomen Rufus belegt. Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 34 vergleicht mit IG XIV 1728,10 (3./4. Jh.), wo eine gewisse Faustina als μητρο` ς πλειñον ε� μοι` φιλι' η („mir lieber als meine Mutter“) bezeichnet wird. Jewett 969 interpretiert im Sinn von Gastfreundschaft und Patronage, die Rufus und seine Mutter Paulus erwiesen, sodass dieser fast ein Glied der Familie war. Vgl. LevR 32,5; HldR 56,6. Vgl. CIIP 385.1113.1402.1740; Lüderitz, Corpus, Nr. 45a; app.18d.19. Cohen, Names, 117-128; Bauckham, Latin Names, 374.479-480 mit Anm. 60. Vgl. Hengel, Entstehungszeit, 523-525; Garland, Mark, 70-80. Die Identifizierung halten viele für möglich: Lightfoot, Philippians, 176; Gnilka, Markus II, 315; Bauckham, Latin Names, 371.384-385; Bauckham, Gospel Women, 181; Bauckham, Eyewitnesses, 52; Cranfield II 793-794; Michel 477; Wilckens III 137; Dunn II 897; Witherington 394; Jewett 969; Haacker 381; ungewiss: Hengel, Entstehungszeit, 491 Anm. 51; Lohse 410. Skeptisch Fitzmyer 741; Penna 1090 Anm. 70; Pesch, Markusevangelium II, 477; P. Lampe, Art. Rufus 2. ABD V, 839. Käsemann 398. Sanday/Headlam 427; Lagrange 369; Michel 477; Dunn II 897; Fitzmyer 741; Jewett 969. Haacker 381: „vielleicht eine mit Mark. 15,21 zusammenhängende providentia Dei specialissima“. Vgl. ZÜ: „Rufus, der sich im Dienst für den Herrn ausgezeichnet hat“; NGÜ Anm.: „den herausragenden Diener des Herrn“. Vgl. Haacker, Werdegang, 41-44; Haacker, Paulus, 50-90. Der Einwand von Jewett 969
896 Römerbrief ————————————————————————————————————
nicht nur für Paulus wichtige Mitarbeiter gewesen – wenn nicht in Jerusalem, dann vielleicht im syrischen Antiochien, in Korinth oder in Ephesus, wo Paulus sich jeweils länger aufgehalten hat –, sondern auch für die römische Gemeinde. 14 Mit der Formulierung die Brüder bei ihnen (οι� συ` ν αυ� τοιñς α� δελφου' ς [hoi syn autois adelphous])220 grüßt Paulus eine Hausgemeinde. Die fünf Genannten sind vielleicht die Gemeindeleitung. Asynkritus (�Ασυ' γκριτος [Asynkritos]; „der Unvergleichliche“)221 ist ein griech. Name, der nur zwei Mal in stadtrömischen Inschriften belegt ist, was anzeigt, dass er ursprünglich aus dem Osten kommt und sich in Rom niederließ. Phlegon (Φλε' γων [Phlegōn]),222 dessen griech. Name in Rom selten belegt ist und deshalb auf eine Herkunft aus dem Osten schließen lässt, war wohl Heidenchrist. Hermes (� Ερμηñ ς [Hermēs])223 war als Göttername neben Eros der am weitesten verbreitete Sklavenname, was die stadtrömischen Inschriften für das 1. Jh. bestätigen. Wahrscheinlich hatte dieser in seiner Hausgemeinde verantwortliche Heidenchrist einen unfreien Hintergrund. Patrobas (Πατροβαñ ς [Patrobas])224 ist wohl ebenfalls Heidenchrist und kommt aus dem Osten. ————————————————————
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Anm. 214, der auf Gal 1,22 verweist, ist nicht stichhaltig: Paulus spricht von „Gemeinden“, denen er persönlich unbekannt war, nicht von Einzelpersonen. Zu α� δελφοι' s. zu 1,13. Vgl. Lampe, Christen, 148.153; ders., Art. Asyncritus, ABD I 508. Von den zwei Belegen ist einer zeitgenössisch: Der Asynkritus in CIL VI 12565 ist ein kaiserlicher Freigelassener. Der in P.Oxy. XII 1412,21-21 (3. Jh.) erwähnte Asynkritos gehörte zu den Reichen der Stadt; dasselbe gilt für den Asynkritos von P.Lips. I 98 Kol. 1,2 (4. Jh.). Vgl. Horsley/Llewelyn, New Documents II, 108: Es bleibt eine Möglichkeit, dass der seltene Name Asynkritos zunächst als Sklavenname und später auch von Personen eines höheren Status verwendet wurde. LGPN hat insgesamt 10 Belege. Lampe, Christen, 150.153; ders., Art. Phlegon, ABD V, 347. Von 7 Belegen des 1. Jh.s in Rom sind drei unfreier Herkunft (CIL 8965; 26146, 15202). LGPN hat 7 Belege. Die Tatsache, dass Φλε' γων im alten Griechenland als Hundename vorkommt (Xenophon, Cyneg 7,5), spielt für das 1. Jh. keine Rolle. Lampe geht davon aus, dass Phlegon nicht unfreier Herkunft war. Anders Lietzmann 126 und im Anschluss an diesen Bauer/Aland s.v. Φλε' γων; vgl. Cranfield II 795; Dunn II 898; Fitzmyer 741. Wenn Phlegon Juden-christ wäre, würde Paulus dies wahrscheinlich wie in V. 7.11.21 klarmachen. Lampe, Christen, 144-145.153; ders. Art. Hermes, ABD III, 156. Von den 640 zeitgenössischen Inschriften weisen 240 sicher auf eine unfreie Herkunft, 42 wahrscheinlich auf Freigelassenenstatus; auffallend viele Freigelassene des Claudius heißen Hermes; der Freigelassene Claudius Hermes besitzt eigene Sklaven und Freigelassene (CIL VI 15102); Besitzer von Sklaven und Freigelassenen, die Hermes heißen, sind öfter bezeugt. Vgl. Lampe, Christen, 148.153; ders., Art. Patrobas, ABD V, 186. Der Name Πατροβαñ ς (Kurzform für Πατρο' βιος) ist nur bei Martial 2,32 für einen fingierten kaiserlichen Freigelassenen belegt; der Name Patrobios ist nur 4 Mal im 1. Jh. belegt, drei mit unfreier Herkunft; CIL VI 11095 belegt einen M. Aemilius Patrobius libertus für das 1. Jh. LGPN hat 6 Belege für Patrobios. Weil Patrobas offensichtlich aus dem Osten kommt, kann man über seine freie/unfreie Herkunft keine Aussage machen. Anders Jewett 970-791.
Grüße 16,3-16 897 ————————————————————————————————————
Hermas (� Ερμαñ ς [Hermas])225 stammt sicher ebenfalls aus dem Osten und war Heidenchrist. Aufgrund der offensichtlichen Herkunft aus dem Osten (Name sehr selten in Rom belegt) kann man über die soziale Herkunft von Asynkritus, Phlegon, Patrobas und Hermas nichts aussagen. R. Jewett schließt aufgrund der Namen in V. 14 auf unfreie Herkunft.226 Wenn Hermes und vielleicht einer der anderen in V. 14 genannten Christen unfreier Herkunft war, kann man daraus kein Argument für die soziale Herkunft der anderen Personen ableiten: Christen mit freier und unfreier Herkunft haben in derselben Gemeinde gelebt, es sei denn, Freigelassene eines bestimmten Besitzers (z.B. des Aristobulos, V. 10) hätten eine eigene Gemeinde organisiert. Dass die Bezeichnung als α� δελφοι' („Brüder“) ein egalitäres Ethos dieser „proletarischen“ Gemeinde anzeigen soll, ist angesichts von 1,13 nicht gerechtfertigt.
15 Mit der Formulierung alle Heiligen bei ihnen (οι� συ` ν αυ� τοιñς πα' ντες
α� γι'οι [hoi syn autois pantes hagioi])227 grüßt Paulus eine Hausgemeinde, die mit vier Namen (und fünf Personen) verbunden ist. Philologus (Φιλο' λογος [Philologos])228 war wohl ebenfalls ein Heidenchrist, der ursprünglich aus dem Osten kam; über eine freie/unfreie Herkunft lässt sich deshalb nichts sagen. Julia (� Ιουλι'α [Ioulia]),229 vielleicht Philologus’ Frau oder Schwester,230 war wahrscheinlich Heidenchristin unfreier Herkunft, die infolge ihrer Freilassung römische Bürgerschaft hatte.231 ————————————————————
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Lightfoot, Philippians, 176-177: Vielleicht ein Freigelassener des reichen Patrobius, eines Freigelassenen Neros (Sueton, Galba 20); er organisierte 66 n.Chr. Gladiatorenspiele in Puteoli zu Ehren des armenischen Königs Tiridates und wurde von Galba hingerichtet; W. Eck, Art. Patrobius, DNP IX, 414). Dies ist möglich, aber nicht beweisbar. Vgl. Lampe, Christen, 150.153; ders., Art. Hermas (Person), ABD III, 147-148. Der Name ist vom Götternamen Hermes abgeleitet. In CIL VI finden sich nur drei Belege aus dem 1. Jh., davon einer mit unfreiem Hintergrund. LGPN hat 97 Belege. Jewett 971; für das Folgende ebd. Die Berufung auf Solin, Beiträge, 135-138 für die Auskunft, dass griech. Namen in Rom fast exklusiv eine soziale Herkunft aus dem Sklavenstand oder dem Kreis der Freigelassenen belegen, lässt außer Acht, dass stadtrömische Jesusbekenner mit griech. Namen, die offensichtlich aus dem Osten kommen, sehr wohl zu den Freigeborenen gehören können. Zu α� γι' οι s. zu 1,7. Vgl. Lampe, Christen, 149.153; ders., Art. Philologus, ABD V 345. Von 18 zeitgenössischen Belegen sind 9 Sklaven oder Freigelassene, z.B. ein kaiserlich-claudischer ab epistulis (Verantwortlicher für die kaiserliche Korrespondenz; CIL VI 8601), ein aedituus (Tempelhüter; CIL 2215). Als der griechische Kriegsgefangene L. Ateius Praetextatus im 1. Jh. v.Chr. als Grammatiker in Rom zu Ruhm gelangte, legte er auf den Beinamen „Philologus“ Wert (Sueton, Gramm 10). LGPN hat 26 Belege. Vgl. Lampe, Christen, 58 (Anm. 154).146.153; ders., Art. Julia, ABD III 1125. Der Name Julia ist in CIL VI über 1400 Mal belegt; der lat. Name ist ein nomen gentilicium der gens Julia. LGPN hat 119 Belege. Vgl. Mathew, Women, 112. Diese Annahme gründet auf der Verbindung von Julia und Philologus mit και' , wie Nereus und seine Schwester mit και' verbunden sind. Jüngst Lohse 410; Jewett 972.
898 Römerbrief ———————————————————————————————————— Die Frauen, die den Namen Julia trugen, gehören zu einer von drei Gruppen: 1. Die aristokratischen Mitglieder des iulisch-claudischen Kaiserhauses; 2. Provinziale, die von Cäsar oder Augustus das römische Bürgerrecht verliehen bekamen, sowie deren Nachkommen; 3. die zahlreichen Freigelassenen der gens Julia und ihre Nachkommen. Die erste Gruppe kommt kaum infrage, die dritte Gruppe war bedeutend zahlreicher als die zweite Gruppe. Deshalb kann man davon ausgehen, dass die von Paulus gegrüßte Julia eine Freigelassene oder Nachkomme eines Freigelassenen der iulischen gens war. Damit dürfte sie römische Bürgerin gewesen sein. Julia könnte jüdischen Hintergrund haben,232 was weniger wahrscheinlich ist, wenn sie Philologus’ Frau oder Schwester war, bei dem man aufgrund des Namens wohl von einem nichtjüdischen Hintergrund ausgehen muss.
Ob Julia als Freigelassene der gens Julia zum kaiserlichen Haus gehörte, in dem es nach Phil 4,22 Jesusbekenner gab, ist damit nicht unbedingt gesagt, da viele Patrone, die Sklaven hatten, den Namen der gens Julia trugen und diesen an ihre Freigelassenen weitergaben.233 Nereus (Νηρευ' ς [Nēreus])234 ist wahrscheinlich unfreier Herkunft, ebenso wie seine Schwester. Beide hatten in der von Paulus gegrüßten Hausgemeinde offenbar eine wichtige Funktion. Olympas (�Ολυμπαñ ς [Olympas])235 war offenkundig ein Heidenchrist aus dem Osten, der wie die anderen in V. 15 Genannten für die „Heiligen“, die sich mit ihnen versammelten, verantwortlich war. 16 Paulus fordert alle Jesusbekenner in den verschiedenen stadtrömischen Gemeinden auf, einander mit dem heiligen Kuss (ε� ν φιλη' ματι α� γι'ω, [en philēmati hagiō]) zu grüßen (vgl. 1Kor 16,20; 2Kor 13,12; ähnlich 1Thess 5,26; 1Petr 5,14).236 Der Kuss ist ein Erweis der Liebe innerhalb der Familie, hier der Familie derer, die an das Evangelium Gottes glauben (1,1) und zum Glauben an den Messias Jesus (1,3-4) gekommen sind. Das Adjektiv „heilig“ betont den Bezug auf Gott: Der Kuss ist heilig, weil die Christen infolge des Heilshandelns Gottes im Messias Jesus „berufene Heilige“ sind ————————————————————
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Judge, Base, 558.545.562; Lampe, ABD III, 1125. Lampe, Christen, 146 für das Folgende. CIIP 545c.554a-b belegen jüdische Frauen mit dem Namen Julia in Jerusalem. Vgl. Tacitus, Hist 1,76; Ann 3,40; 13,10; 15,50. Vgl. Lampe, Christen, 145.153; Art. Nereus, ABD IV, 1074. Nereus hat, wie Hermes, als Göttername eine Affinität mit Sklaven bzw. Freigelassenen. In CIL VI sind 28 Belege zeitgenössisch, 15 sind sicher unfreier Herkunft. Die relativ zahlreichen Belege für Freigelassene des Kaiserhauses mit dem Namen Nereus beweisen nicht, dass der von Paulus begrüßte Nereus ein kaiserlicher Freigelassener (mit römischem Bürgerrecht) ist. LGPN hat 30 Belege für Νηρευ' ς. Vgl. Lampe, Christen, 149.153; Art. Olympas, ABD V, 15. � Ολυμπαñ ς ist die mask. Kurzform eines mit � Ολυμπ- beginnenden Namens. Die beiden einzigen Belege für � Ολυμπαñ ς aus Rom stammen aus dem frühen 2. Jh. und gehören kaiserlichen Freigelassenen; Namen mit � Ολυμπ- sind meist Namen von Sklaven/Freigelassenen. LGPN hat 13 Belege. Jewett 972 geht von einem unfreien Hintergrund aus (missversteht Lampe). Für das Folgende s. bereits Schnabel, 1. Korinther, 1029-1030.
Grüße 16,3-16 899 ————————————————————————————————————
(1,7).237 Das gegenseitige Grüßen mit einem Kuss sollte nicht auf die Begegnung in der Gemeindeversammlung eingeschränkt werden.238 Es gibt keinen Grund, auszuschließen, dass Paulus auch an Begegnungen in der Öffentlichkeit denkt, z.B. auf dem Marktplatz. Der Kuss ist Zeichen für die Zugehörigkeit zur Gemeinde, die aus Brüdern und Schwestern besteht, und gleichzeitig Ausdruck der engen Gemeinschaft, die die Jesusbekenner miteinander verbindet, unabhängig von ihrer ethnischen Identität, ihrem gesellschaftlichen Status oder ihrem Geschlecht (Gal 3,28). In der heidnischen Umwelt gibt es für die Praxis, dass Anhänger einer religiösen Gruppe einander küssen, keine Analogien.239 Im privaten Bereich ist der Begrüßungskuss nicht unüblich, vor allem in gehobenen Kreisen,240 aber er setzt verwandtschaftliche oder emotionale Nähe voraus. Dio Chrysostomus stellt kategorisch fest: „In den Städten küssen sich die Menschen nicht“ (Or 7,59). E. Ebel betont, dass der heilige Kuss, mit dem sich die Christen untereinander grüßen, die antiken Kussgewohnheiten in mehrfacher Weise durchbricht: „In der Öffentlichkeit ist der Kuß eine Geste der Ehrerbietung eines Untergebenen bzw. der huldvollen Gewogenheit eines Höhergestellten und dient somit der Bestätigung und Demonstration hierarchischer Verhältnisse. Wenn dagegen bei Paulus bereits Ansätze einer ‚religiös-sozialen‘ Interpretation des Kusses im Sinne des ‚Bruderkusses‘ vorliegen, handelt es sich beim ‚heiligen Kuß‘ um eine deutliche Erweiterung bzw. Umkehrung des paganen Begrüßungskusses“.241
Bei Paulus ist der heilige Kuss, der wahrscheinlich mit einer Umarmung verbunden war und sich nicht nur auf Brüder beschränkte, Ausdruck der geschwisterlichen Verbundenheit, der persönlich-freundschaftlichen Kommunikation und der Gleichrangigkeit der Jesusbekenner. ————————————————————
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Dass Paulus den „heiligen“ Kuss von erotischen oder sinnlichen Küssen abgrenzen will, ist möglich (Murray II 232; Jewett 973), aber nicht belegbar. Und schon gar nicht auf die Mahlfeier (nach Justin, Apol 1,65,2 beginnt die Mahlfeier mit dem heiligen Kuss). Michel 478: „Der heilige Kuß gehört in den liturgischen Teil des Gottesdienstes“; Wilckens III 137: „feste(r) Ort im Gottesdienst, wo er offenbar den Übergang vom Verkündigungsteil zur Eucharistiefeier markierte“; vgl. Käsemann 400; Lohse 410. Richtig Jewett 973-974; vgl. Schrage, 1. Korinther IV, 469-470, der die im Anschluss an JosAs 19,10-11 vertretene These zurückweist, der „heilige Kuss“ habe eine pneumatische Bedeutung oder liturgisch-sakramentalen Charakter (so H. Windisch ThWNT I, 499; G. Stählin, ThWNT IV 138; Klauck, Herrenmahl, 352-353; Schäfer, Gemeinde, 434-440). Vgl. W. Kroll, Art. Kuß, PW Sup V, 511-520; G. Binder, Art. Kuß, DNP VI, 939-947; A. Standhartinger, Art. Kuß II, RGG4 IV, 1907; Thraede, Ursprünge, 142-143; Klassen, Kiss, 126-128; Ebel, Attraktivität, 212-213 Anm. 188. Plinius, NatHist 26,3,3-4 erklärt so die Infektion mit einer Krankheit aus Kleinasien, die sich Aristokraten zuzogen, vermittelt durch den Sekretär eines Quästors; Frauen, Sklaven und die niedrigen und mittleren Schichten blieben offenbar verschont. Ebel, Attraktivität, 213 Anm. 188.
900 Römerbrief ————————————————————————————————————
Paulus schließt die lange Grußliste nicht mit einer Aufforderung ab, sondern mit einer Aussage, die seinen Grüßen an die stadtrömischen Jesusbekenner eine feierliche und zugleich autoritative Note verleiht:242 alle Gemeinden des Messias (αι� ε� κκλησι'αι παñ σαι τουñ Χριστουñ [hai ekklēsia pasai tou Christou]) lassen die Christen in Rom grüßen.243 Der Gruß, der mit 1Kor 16,19 verglichen werden kann (Gruß „aller Kirchen der Asia“), korrespondiert mit dem Lob „aller in Rom, die von Gott Geliebten, die berufenen Heiligen“ (Röm 1,7), von deren Glauben „in der ganzen Welt“ berichtet wird (1,8). Mit „allen“ Gemeinden sind mindestens alle Gemeinden im paulinischen Missionsgebiet gemeint, deren Vertreter aus den Gemeinden der Provinzen Achaia, Makedonien, Galatien und Asia sich in Korinth anlässlich der Reise nach Jerusalem zur Überbringung der Kollekte treffen (Apg 20,3-4). Wenn Paulus den Plan seiner Spanienmission in Antiochien und vielleicht auch in Jerusalem – und in anderen Städten, in denen er in den vergangenen Jahren Gemeinden besuchte – mit den dortigen Verantwortlichen besprochen hatte, kann das „alle“ möglicherweise eine in der Tat „universale“ Bedeutung haben: Paulus zeigt an, dass er die Rückendeckung aller Gemeinden des östlichen Mittelmeerraums hat.244 IV Die Grußliste zeigt die Vielfalt der römischen Gemeinden, die Paulus nicht gegründet hat, und ist damit zugleich ein Abbild der urchristlichen Gemeinden in anderen Städten des Römischen Reichs – Jesusbekenner, die als Freie geboren wurden, beten zusammen mit Jesusbekennern unfreier Herkunft, solche mit römischem Bürgerrecht sitzen neben Immigranten aus dem Osten; Männer und Frauen und Juden und Griechen dienen gemeinsam; frühere Mitarbeiter von Paulus haben Verantwortung zusammen mit Jesusbekennern der ersten Stunde in Jerusalem. Wenn die in Abschnitt II vorgeschlagene Rekonstruktion der Zusammensetzung einiger Hausgemeinden in Rom richtig ist, ergibt sich im Einzelnen folgendes Bild: 1. Asynkritus, Phlegon, Patrobas, Hermas kommen ursprünglich aus dem Osten und sind wohl Freie, während Hermes wahrscheinlich ein Sklave oder Freigelassener aus Rom ist: Sie haben zusammen gemeindeleitende Verantwortung. 2. Der wahrscheinlich aus dem Osten stammende Philologus leitet zusammen mit ————————————————————
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Michel 478. Paulus lässt sonst nur von den anwesenden Mitarbeitern grüßen (Phlm 2324; Kol 4,10-14) oder von den Gemeinden, bei denen er sich gerade aufhält (1Kor 16,19; Phil 4,22). Vgl. jedoch 2Kor 13,12; Phil 4,22, wo „alle Heiligen“ grüßen. Müller, Schluß, 217 spricht von einem „ökumenischen Gruß“; s. ebd. für das Folgende. Müller spricht wie Theobald, II 200 von einer inclusio mit 1,7-8. Vgl. Jewett 977; Weima, Endings, 277; Stenschke, Gehorsam, 79.
Grüße 16,3-16 901 ————————————————————————————————————
seiner Frau oder Schwester Julia, einer Freigelassenen mit römischem Bürgerrecht, eine Gemeinde, neben Nereus und seiner Schwester, die ebenfalls unfreier Herkunft sind, aber wohl immer in Rom gewohnt haben, und Olympas, einem Griechen, der wohl ebenfalls aus dem Osten kommt. 3. Der Freigelassene (?) Ampliatus und Urbanus, der wie dieser einen lateinischen Namen hat und aus dem Osten kommt, aber wahrscheinlich das römische Bürgerrecht besitzt, haben Verantwortung in Gemeinde und Mission zusammen mit Andronikus und Junia, die zu den ersten Christen in Jerusalem gehörten, Jesus gesehen haben und, im Fall von Junia, wahrscheinlich mit Jesus in Galiläa unterwegs war; die Griechen Apelles, Epänetus und Stachys, die wie Ampliatus, Andronikus und Junia aus dem Osten kommen, arbeiten genauso verantwortlich mit wie Maria, die vielleicht eine Jüdin ist und möglicherweise Paulus nicht persönlich kennt. 4. In der Gemeinde, in der Rufus und seine Mutter, die lateinische Namen haben, vielleicht Juden sind und aus dem Osten kommen, leitende Verantwortung haben, arbeiten drei Frauen (Persis, Tryphäna, Tryphosa), die vielleicht unfreier Herkunft sind. Mindestens zwölf, vielleicht fünfzehn der in Rom aktiven Christen, die Paulus grüßt, sind ihm persönlich bekannt als zuverlässige Mitarbeiter in der Missions- und Gemeindearbeit. Wenn er viele von ihnen als von ihm Geliebte bezeichnet, ist dies nicht Gefühlsduselei, sondern Evidenz persönlicher Verbundenheit, die sich in konkreter Zusammenarbeit bewährt hat. Die früheren Mitarbeiter dienen nicht ihm, sondern dem Messias Jesus. Über mehrere der ihm bekannten verantwortlichen Jesusbekenner macht er kurze Angaben, mehr ist in einer Grußliste nicht möglich. Diese Angaben machen jedoch deutlich, dass jeder Name für eine bestimmte Geschichte steht: Jeder Jesusbekenner hat eine profane aber auch, was immer wieder durch Wendungen wie „im Herrn“ oder „im Messias“ unterstrichen wird, eine geistlich-theologische Biographie. Die dramatischste Biographie hatten Andronikus und Junia: Sie haben wahrscheinlich Jesus den Auferstandenen gesehen und wurden von ihm zum missionarischen Dienst beauftragt. Wenn die Identifizierung von Junia und Johanna richtig ist, was hypothetisch bleibt, dann hat Junia, die dann mit hebräischem Namen Johanna heißt, Jesus und seinen Jüngern in Galiläa gedient, indem sie ihren Unterhalt und ihre Reisen mitfinanziert hat, was als Folge ihres aristokratischen Status möglich war, ein Status als Frau des Chuza, der zur Regierung von Herodes Antipas in Tiberias gehörte, den sie durch den Anschluss an Jesus, der abseits der Regierenden in Galiläa und Jerusalem wirkte, um der Botschaft vom Anbruch der Königsherrschaft Gottes willen aufgegeben hat. Ob Chuza und Andronikus identisch sind, oder ob Junia von Chuza verlassen wurde,
902 Römerbrief ————————————————————————————————————
oder Witwe war, und wieder heiratete, wissen wir nicht: Sie hat zusammen mit Andronikus jedenfalls mit Paulus missioniert, vielleicht in Arabien (Nabatäa), vielleicht in Kilikien und Antiochien oder später in Makedonia oder Achaia. Schließlich gingen sie nach Rom, wo sie – zwei oder drei Jahre länger aktiv als Paulus – das Evangelium verkündigten und erklärten. Der manchmal explizite, oft implizite Hinweis auf persönliche Bekanntschaft verfolgt einerseits das Ziel, Freunde als Freunde zu grüßen. Gleichzeitig weist Paulus darauf hin, dass er nicht als Fremder nach Rom kommen wird, auch nicht einfach nur als der Apostel, der im Blick auf seinen bevorstehenden Besuch in Jerusalem mit Schwierigkeiten rechnet: Er kommt als Missionar, der auf der Durchreise nach Spanien ist und in Rom nicht nur mit Gastfreundschaft rechnen kann, sondern missionserfahrene Christen in Rom kennt, die wahrscheinlich bereit sind, sich in der geplanten Spanienmission zu engagieren – ein Projekt, von dem wahrscheinlich alle Gemeinden des Messias im Osten des Römischen Reiches wissen.
Ermahnung zur Wachsamkeit gegenüber Irrlehrern 16,17-20 I 17 Ich ermahne euch aber, Brüder, auf die achtzugeben, die Spaltungen und Verführungen anrichten im Widerspruch zu der Lehre, die ihr gelernt habt. Und wendet euch von ihnen ab. 18 Denn solche Leute dienen nicht unserem Herrn, dem Messias, sondern ihrem Bauch, und sie täuschen die Herzen der Arglosen durch Schönrednerei und wohlklingende Reden. 19 Denn euer Gehorsam ist allen bekannt. Ich freue mich über euch. Ich will aber, dass ihr im Blick auf das Gute weise seid, unverdorben gegenüber dem Bösen. 20 Der Gott des Friedens wird jedoch in Kürze den Satan unter eure Füße zermalmen. Die Gnade unseres Herrn Jesus sei mit euch. II Paulus warnt in diesen drei Sätzen245 die römischen Gemeinden, sich von Lehren fernzuhalten, die Spaltungen verursachen, verführen, selbstsüchtig sind und durch schöne Reden die Arglosen täuschen (V. 17-18). Ausleger sind sich über die falsche Lehre, deren Vertreter als egoistische Schönredner und Verführer gebrandmarkt werden, nicht einig: Die Vorschläge reichen von judaistischen Agitatoren zu libertinistischen Gnostikern, wobei nicht ————————————————————
245
Vgl. NA28 (V. 17-18/19/20), der Segenswunsch in V. 20b nicht mitgerechnet.
Ermahnung zur Wachsamkeit 16,17-20 903 ————————————————————————————————————
selten beides kombiniert wird.246 Die seit F.C. Baur oft wiederholte These, es handle sich um judaisierende Judenchristen, die die Beschneidung fordern,247 argumentiert mit dem Kontext der historischen Situation, in der Paulus den Röm schreibt. Diese historische Situation der Auseinandersetzung mit Gegnern in 16,17-20 muss bei diesen Voraussetzungen rekonstruiert werden. U. Wilckens verweist mit F.C. Baur248 auf die Kontroversen in Gal 5–6, Phil 3; 2Kor 11, in denen es jeweils um judenchristliche Gegner gehe. Wenn Paulus den Gal als ersten seiner Briefe schrieb,249 vielleicht im Jahr 48, dann liegt diese Kontroverse fast zehn Jahre in der Vergangenheit und ist nicht unbedingt für Röm 16,17-20 relevant. Wenn der Phil in die Zeit der römischen Gefangenschaft datiert, liegt die dort angesprochene Kontroverse mindestens zwei Jahre in der Zukunft. Am nächsten liegt 2Kor, der wohl nur ein Jahr vor dem Röm geschrieben wurde. Die Identifikationsversuche der in 2Kor 10–13 angesprochenen Gegner – judaisierende Gegenmissionare, pneumatischenthusiastische Gnostiker, jüdisch-hellenistische Wandermissionare, apostolische Visitatoren aus Jerusalem – hat allerdings zu keinem Ergebnis geführt, sodass oft Skepsis über die Lösbarkeit der Frage geäußert wird.250 Schmellers These, Paulus habe sich die Gegner zu großen Teilen selbst geschaffen, und Kern des Streits seien Anerkennung, Autorität und Einfluss in der korinthischen Gemeinde gewesen, ausgelöst durch Missionare, die von auswärts nach Korinth gekommen waren,251 überschätzt den Einsatz rhetorischer Mittel, die Paulus einzusetzen bereit gewesen wäre (vgl. 1Kor 1–4), und unterschätzt den Ernst der Aussagen über die Folgen, die sich für die korinthische Gemeinde ergeben, wenn man die Position(en) der neuen Lehrer übernimmt. Schmellers Lösung für die Kommentierung von 1Kor 10–13, auf eine ausgearbeitete Identifizierung der Gegner zu verzichten, ist beachtenswert und nachvollziehbar, führt allerdings dazu, dass man 2Kor für die mögliche Kontroverse in Rom, die in Röm 16,17-20 angesprochen wird, als „Folie“ verliert. Die Annahme, dass die Mahnung in 16,17-18 eine vorbeugende Maßnahme ist, wird von Käsemann mit dem Argument abgelehnt, es liege eine akute Gefährdung der Gemeinde vor.252 Da eine solche Gefährdung in Röm 1–15 an keiner Stelle sichtbar wurde, ist diese Annahme nur haltbar, wenn man annimmt, das Paulus nach Abschluss des Röm Nachrichten über eine neue Situation in Rom erhielt, die Paulus alarmiert haben.253 Wenn es in der Tat ————————————————————
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Michel 472 Anm. 5.481. Schmithals, Irrlehrer, im Anschluss daran Käsemann 402: „der Libertinage verdächtige, gnostisierende Judenchristen“. Lohse 413: sowohl judaistische Gesetzeslehrer wie gnostische Libertinisten sind möglich. Wilckens III 144-145, im expliziten Anschluss an F.C. Baur; vgl. Suhl, Paulus, 282; Schenke/Fischer, Einleitung I, 139; vgl. Schmithals 560. Zum Folgenden Wilckens, ebd. Vgl. Baur, Zweck und Veranlassung, 148-149. Vgl. Riesner, Frühzeit, 351-352. Hotze, Paradoxien, 191; Lambrecht, Second Corinthians, 7; Seifrid, Second Corinthians, XXVIII; vgl. Schmeller, Korinther II, 156-157. Schmeller, Korinther II, 157-171; vgl. Berger, Theologiegeschichte, 463-464; Mödritzer, Stigma, 199-120; Schellenberg, Education, 113-114 u.a. Käsemann 401. Caragounis, Obscurity, 263 schließt aus 16,17-20, dass die römische Gemeinde von Spaltungen heimgesucht wurde, die Paulus auf den Satan zurückführt. Eine Verbindung von V. 17-20 mit V. 1-2.3-16 ist weder im vorausgehenden Kontext angelegt noch in V. 17-20 als aktuelle Situation angezeigt: Nach V. 19 freut sich Paulus über die römischen Gemeinden. So Barrett 261; Wilckens III 143.
904 Römerbrief ———————————————————————————————————— eine neue, alarmierende Situation in den römischen Gemeinden gegeben haben sollte, wäre unverständlich, weshalb Paulus sie gerade einmal mit drei Sätzen behandelt.
Vier Gründe lassen die Annahme plausibel erscheinen, dass die Mahnung in 16,17-20 prophylaktisch gemeint ist, an die Erwähnung aller christlichen Gemeinden in V. 16b anknüpft und so als Summe der Erfahrungen verstanden werden kann, die Paulus in den Kontroversen der vergangenen zwanzig Jahre in anderen Städten und Gemeinden gemacht hat.254 1. Nach nahezu einhelliger Meinung ist die Kontroverse zwischen den Starken und den Schwachen in 14,1–15,13 nicht der Hintergrund für 16,17-20, da es nicht um die Speisegebote geht. 2. Damit fallen auch die früheren Kontroversen als Hintergrund für 16,17-20 aus, in denen es um die Forderung von Judenchristen ging, dass Heidenchristen sich beschneiden lassen und die Reinheitsgebote, das Sabbatgebot und andere die Erwähltheit Israels qualifizierenden Gebote halten sollen (Gal, vielleicht Phil). 3. In 2Kor wird keine eindeutige Front sichtbar, mit deren Lehren Paulus sich auseinanderzu-setzen hat, sodass man auch hier kaum entscheidend relevante Vergleiche mit Röm 16,17-20 anstellen kann. 4. Die rhetorische Strukturierung des Briefschlusses enthält bei Paulus häufig eine Schlussmahnung (1Kor 16,13-22; 2Kor 13,11; Gal 6,11-18; Phil 4,8-9; 1Thess 5,25-27; Phlm 20), die nicht so konsequent strukturiert ist, wie andere Elemente des Briefschlusses, sondern ad hoc Schöpfung des Apostels ist. 255 Im „epistolographischen Gefälle“ von Röm 16 ist es „nicht verwunderlich, daß Paulus jenem ökumenischen Gruß eine Schlußmahnung (16,17-20a) folgen läßt“.256 Ausleger bezeichnen die Sätze in V. 17-18 gerne als Polemik: „Man darf in den paulinischen Sätzen keine ‚Beschreibung‘ des gegnerischen Standpunkts sehen, sondern eine ganz bestimmte polemische Charakterisierung des Gegners, die ihn karikiert“.257 Dies ist schon deshalb nicht angebracht, ————————————————————
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Vgl. Schmidt 257; Zahn 609; Cranfield II 797-798; Dunn II 902.904; Haacker 383; Müller, Schluß, 217-218; potenzielle Gefahr: Moo 929; Schreiner 801; Lampe, Christen, 131. Vgl. Weima, Endings, 145-148; Weima, Letter Closings, 320-321. Müller, Schluß, 217. Vgl. Zeller 246; Haacker 383; Lohse 411-412, mit Verweis auf Betz, Composition, 68: Es entspricht antiker Rhetorik, am Ende einer Rede eine indignatio vorzutragen, die Feindschaft in Richtung des Gegners hervorruft. Lohse, ebd. will 16,17-20 mit Bornkamm, Anathema, 129, als Anathema verstehen, das dem Kontext der Abendmahlsliturgie, der aus dem heiligen Kuss V. 16a abgeleitet wird, entspreche. Michel 472 Anm. 5; ebd. 479: „Die Polemik des Paulus will den Gegner nicht beschreiben, sondern karikieren und schelten“. Wilckens III 142 konstatiert „eine pauschale, polemisch-böse Abqualifikation dieser Leute“, Zeller 249 eine „moralische Diffamierung“. Ob Paulus die Irrlehrer karikiert, d.h. verzerrt darstellt, abqualifziert oder diffamiert, ließe sich nur dann sagen, wenn man deren Lehre, Auftreten und Identität genau kennen würde. Kritik muss erlaubt sein – was Michel und Wilckens nicht bestreiten können, die immerhin selbst Paulus kritisieren.
Ermahnung zur Wachsamkeit 16,17-20 905 ————————————————————————————————————
weil man mit dieser Bezeichnung eine Vorstellung von den Gemeindeverhältnissen in Rom in den Text einträgt, die man dann „zu Recht als ohne benennbaren Bezug auf die sonstige im Brief sich reflektierende Situation stehend erklären muss“.258 Zu dem oft als „scharf “ oder „polemisch“ bezeichneten Ton ist zu sagen, dass Paulus als Apostel die theologische Verantwortung für Gemeinden hat: Er behandelt in seinen Briefen falsche Lehre nicht mit akademischer Distanz, sondern mit einer scharfen Klarheit, die keinen Zweifel lässt, dass er nicht nur die von problematischen Lehrern vertretenen Positionen ablehnt, sondern diese selbst von den Gemeinden fernhalten will.259 Es gibt jedenfalls keinen Grund, 16,17-20 als spätere Interpolation auszuscheiden.260 Textkritische Anmerkungen. In V. 17 liest D* latt statt παρακαλω ñ das Verb ε� ρωτω („ich frage“), was zwar die schwierigere Lesart ist, aber wegen ñ der minimalen Bezeugung als sekundär gelten muss. Die Plus-Lesart α� σφαλω ñ ς σκοπειñτε („genau achtzugeben“) in D F G verschärft die Mahnung; die Minus-Lesart ist vorzuziehen. Das Partizip ποιουñ ντας wird durch die Lesart λε' γοντας η� ποιουñ ντας (d46 [+ η� vor λε' γοντας] D F G) verstärkt; die Minus-Lesart ist bestens bezeugt ( אA B C L P Ψ 33 81 104 u.a.). Die Auslassung von και' in d46 1175 will stilistisch glätten. Statt des Imp. Präs. ε� κκλι'νετε ( *אB C Ψ 6 630 1505 1739 1881 2464) lesen d46 א2 A D F G L P 33 81 104 365 1175 1241 Byz den Aorist ε� κκλι'νατε, der als sekundär gelten muss.261 In V. 18 lassen D F G 33 81 και` ευ� λογι'ας aus, und 460 618 1738 lesen και` ευ� γλωττι' ας („und aalglattes Reden“); die Änderungen hängen offensichtlich damit zusammen, dass für ευ� λογι'α im Kontext von V. 18 eine ungewöhnlich pejorative Bedeutung angenommen werden muss.262 In V. 19 gibt es für ε� φ’ υ� μιñν ουò ν χαι'ρω ( *אA B C L P 81 365) zwei Lesarten: χαι'ρω ουò ν ε� φ’ υ� μιñν (d46 D* F G 323 1881 latt), und χαι'ρω ουò ν το` ε� φ’ υ� μιñν (א2 D1 Ψ 33 104 630 1175 1241 1505 1739 Byz syh), die weniger gut bezeugt sind und als sekundär gelten müssen; die Umstellungen wollen vielleicht die Mahnung auf alle Gemeinden ausdehnen.263 Die Formulierung θε' λω δε' ist ————————————————————
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261 262 263
Müller, Schluß, 217-218, mit Kritik an Theobald II 250. Michel 479 spricht von einer „amtlichen Verwarnung“, die „kultische Bedeutung“ hat. Käsemann 401 richtig: Dies ist weder beweisbar noch wahrscheinlich. Von einer nachträglichen Interpolation gehen aus Baur, Zweck und Veranlassung, 148149; Schmithals, Irrlehrer; Ollrog, Mitarbeiter, 226-234; Ollrog, Abfassungsverhältnisse, 230-234; Jewett, Tolerance, 17-23; Boismard, Vocabulaire; Mora, Romains; Theobald, Der Römerbrief, 19-20; Theobald I 19-20; Byrne 446.455-3456; Jewett 986-988. Kritik bei Wilckens III 140; Dunn II 901; Haacker 383; Lohse 411; Wolter I 26-27. Cranfield II 798-799; Jewett 985. Vgl. North, Good Wordes, 601; Jewett 985. Jewett 985.
906 Römerbrief ————————————————————————————————————
bestens bezeugt. Die Minus-Lesart ohne με' ν vor ειòναι, das אA C P 33 81 104 630 u.a. Byz syh lesen, ist etwas besser bezeugt (d46 B D F G L Ψ 6 365 1505 latt); die Plus-Lesart will rhetorisch verbessern.264 In V. 20 ist der Opt. συντρι'ψαι (A 365 630) der Versuch einer stilistischen Verbesserung. Die Hinzufügung von Χριστουñ nach � Ιησουñ (A C L P Ψ 33 81 104 365 630 1175 1241 1505 1739 2464 Byz lat sy co) ist eine sekundäre Angleichung an die volle „liturgische“ Formulierung.265 Die Auslassung des Segenswunsches V. 20b in D*vid F G m vgms, der an dieser Stelle bestens bezeugt ist, ist se-kundär, genauso wie die Einfügung eines (volleren) Segenswunsches nach V. 23 (s. dort). III
17 Auf die Grüße an die Briefadressaten folgt, wie auch in anderen Briefen, eine Schlussmahnung. Paulus setzt mit der Anrede Brüder (zu α� δελφοι' s. 1,13)266 und ich ermahne euch aber (zu παρακαλω ñ s. 12,1; 15,30) noch einmal zu einem neuen, wenn auch kurzen Gedankengang an. Er mahnt die römischen Gemeinden und ihre in V. 3-16 gegrüßten verantwortlichen Mitarbeiter, auf nicht weiter beschriebene Leute267 achtzugeben. Das Verb σκοπε' ω [skopeō] bedeutet hier nicht „spähen“, sondern „mit prüfender Unterscheidung in den Blick nehmen“ bzw. „achtgeben“.268 Die römischen Christen sollen auf Leute achtgeben, die Spaltungen und Verführungen anrichten. Das Ptz. Präs. ποιουñ ντας [poiountas]269 muss linear interpretiert werden, wenn man davon ausgeht, dass Paulus bestimmte Irrlehrer meint, deren „Schaffen“ in den römischen Gemeinden gerade zu Gange ist. Wenn man iterativ interpretiert, spricht Paulus von Lehrern, die immer wieder so handeln, wie er es beschreibt – in anderen Gemeinden, und vielleicht bald auch in Rom. Wenn man konativ interpretiert, spricht Paulus von den wiederholten Versuchen bestimmter Lehrer, die Gemeinden wie beschrieben zu ————————————————————
264 265 266 267 268
269
Vgl. Zuntz, Text, 197-198; Jewett 985. Metzger, Textual Commentary, 476. Vgl. neben 1,13 und 16,17 auch 7,1.4; 8,12; 10,1; 11,25; 12,1; 15,14.30. Der Artikel der Formulierung του` ς… ποιουñ ντας ist als genereller Artikel zu verstehen, der eine bestimmte Gruppe bzw. (hier) eine bestimmte Kategorie von Leuten bezeichnet. Vgl. E. Fuchs, σκοπε' ω, ThWNT VII, 416-418 zu Phil 3,17: „etwas prüfend betrachten und dann auf Grund des Vergleichs etwas als Vorbild im Auge haben“, weniger präzise Röm 16,17, wobei die im Folgenden genannte Lehre durchaus das Vorbild ist, anhand dessen die Lehren der schönredenden Lehrer verglichen werden sollen. Im NT kommt das Verb, außer Lk 11,35, nur bei Paulus vor: Röm 16,17; 2Kor 4,18; Gal 6,1; Phil 2,4; 3,17. In vielen Papyri wird σκοπε' ω in dem auch in Röm 16,17 vorliegenden übertragenen Sinn von „erwägen, bedenken“ bzw. „aufpassen, achtgeben“ verwendet; R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 2. Korinther, 314-315: P.Ross.Georg. III 2,15-16; P.Tebt. III.1 759,9-10. Zur linearen, iterativen und konativen Bedeutung des Präsens s. HvS §194b-d.
Ermahnung zur Wachsamkeit 16,17-20 907 ————————————————————————————————————
beeinflussen. Das seltene Wort διχοστασι'αι [dichostasiai] bezeichnet das Auseinandertreten, die Uneinigkeit, den Streit, konkret auch den (politischen) Aufstand, hier „die objektive Uneinigkeit in der Gemeinde“,270 der Plural die in den Gemeinden unterschiedlichen Situationen, in denen Lehrer Uneinigkeit verursachen. Mit σκα' νδαλα [skandala]271 sind die unterschiedlichen Situationen angesprochen, in denen Lehrer „Anstoß“ zum Abfall von der rechten Lehre geben bzw. „Verführung“ zum Abfall verursachen.272 Die Lehren dieser Leute, die Spaltungen und Verführungen verursachen, stehen im Widerspruch zu der Lehre, die ihr gelernt habt (παρα` τη` ν διδαχη` ν η� ν υ� μειñς ε� μα' θετε). 273 Das Substantiv „Lehre“ (διδαχη' [didachē]) kommt bei Paulus nur hier und in 6,17 vor; das Verb διδα' σκω [didaskō] ist häufiger.274 Die Lehrtradition, die teilweise im Wortlaut (1Kor 15,1-5), teilweise dem Inhalt nach fixiert war, wird in Mission und Evangelium verkündigt und in den Versammlungen der Gemeinde erläutert und dem Gedächtnis einprägt – die „Grundgestalt der Lehre“ (τυ' πος διδαχηñ ς), die auch den Jesusbekennern in Rom „übergeben wurde“ (παρεδο' θητε; 6,17).275 Da Paulus die römischen Gemeinden nicht gegründet hat, setzt die Aussage voraus, dass es eine urchristliche Lehrüberlieferung im Blick auf Gottes Heilshan-deln in Jesus gibt, die in allen Gemeinden akzeptiert war. Lehrer, die von dieser rechten Lehre abwichen und die von anderen gegründeten Gemeinden besuchten, waren wohl auf der Suche nach einer Gemeinde, in der sie das Sagen hätten. Da ihre Aktivitäten allerdings zu Spaltungen führen, wie Paulus sagt, sind ihre Reisen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das bedeutet nicht, dass ihre Lehren harmlos sind. Im Gegenteil: Paulus macht die Gefahr sichtbar und mahnt die römischen Christen, der Täuschung zu begegnen (V. 18), indem sie auf solche Leute achtgeben (σκοπειñν), die Spaltungen verursachen, und sich abwenden (ε� κκλι'νετε)276 von denen, die von der rechten Lehre wegführen wollen.277 ————————————————————
270
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Vgl. H. Schlier, διχοστασι' α, ThWNT I, 511. Vgl. 1Makk 3,29 sowie Herodot 5,75; Plutarch, Mor 20C; Solon, Frag 3,37; Theogn 78. In Gal 5,20 zwischen ε� ριθειñαι (Eifersucht) und αι�ρε' σεις (Parteiungen) für die Parteibildung in der Gemeinde. Bauer/Aland s.v. διχοστασι' α: „d. Zwist, d. Spaltung“. S. zu 9,33; 11,9; 14,13. Vgl. H. Giesen, Art. σκα' νδαλον, EWNT III, 596 bzw. G. Stählin, ThWNT VII, 356. Vgl. Müller, Anstoß, 46-67. Zu διδαχη' s. 6,17. Die Präp. παρα' m. Akk. hat hier adversative Bedeutung („gegen, wider“); Bauer/Aland s.v. παρα' 6; HvS §184m.c(cc1). Röm 2,21(2x); 12,7; 1Kor 4,17; 11,14; Gal 1,12; Eph 4,21; Kol 1,28; 2,7; 3,16; 2Thess 2,15; 1Tim 2,12; 4,11; 6,2; 2Tim 2,2; Tit 1,11. Neben διδα' σκω verwendet Paulus für die „empfangene“ Lehrtradition die Verben παραδι' δωμι (Röm 6,17; 1Kor 11,2.23; 15,3) und παραλαμβα' νω (1Kor 11,23; 15,1.3; Gal 1,9.12; Phil 4,9; 1Thess 2,13; 4,1; 2Thess 3,6).
908 Römerbrief ————————————————————————————————————
Paulus warnt nicht vor Kontroversen im Blick auf theologische Fragen, die manchmal notwendig sind – der Röm selbst ist ein Beispiel! –, sondern vor Angriffen auf den gemeinsamen Glauben an das Evangelium Gottes (1,1) von Gottes Heilshandeln im Messias Jesus (1,3-4.16-17). Leuten, die das Evangelium so uminterpretieren, dass es nicht mehr Evangelium ist, soll man aus dem Weg gehen.278 18 Die Aussage, dass solche Leute (οι� τοιουñ τοι) nicht unserem Herrn, dem Messias, sondern ihrem Bauch dienen (V. 18a), kann auf zweierlei Weise verstanden werden. Man kann die Wendung „dem Messias (als Sklave) dienen“ (Χριστω ñ, δουλευ' ειν [Christō douleuein])279 im Sinn von 12,11; 14,18 (Kol 3,24; Eph 6,7) als Beschreibung des Lebens der Jesusbekenner verstehen, dessen Kriterien die Anerkennung von Jesus als Messias und der Gehorsam ihm gegenüber als dem erhöhten Herrn (1,3-4) als „Gehorsam des Glaubens“ (υ� πακοη` πι'στεως) sind (1,5; vgl. 6,15-23; 14,9; 15,2-3). In diesem Kontext sagt Paulus, dass diese Leute, die in Gemeinden eindringen und dort spalten und verführen, keine Jesusbekenner sind. Er spricht ihnen pauschal das Christsein ab. Oder Paulus spricht diesen Lehrern die Autorität ab, „Sklaven des Messias“ (δουñ λοι Χριστουñ ) zu sein, wie er (1,1) und die anderen Apostel es sind. Paulus betont jedenfalls, dass das Verhalten der Lehrer, die Spaltungen auslösen und Verführung verursachen und jenseits der überlieferten Lehre lehren, im Widerspruch steht zu dem, was das Verhalten eines Gläubigen ausmacht: dem Herrn zu dienen (τω ñ, κυρι'ω, δουλευ' οντες; 12,11). Den Gegnern in Korinth – wo er sich gerade aufhält – hatte er nicht abgesprochen, „Diener des Messias“ (δια' κονοι Χριστουñ ) zu sein (2Kor 11,23), aber dann seine apostolische Wirksamkeit (in Schwachheit) und seine Autorität betont. Jedenfalls gilt: Diese Leute dienen ihrem Bauch (δουλευ' ουσιν τηñ, ε� αυτω ñ ν κοιλι'α, ). Das Reflexivpronomen (ε� αυτω ñ ν) zeigt die verkehrte Richtung ihres Dienstes an: Diese Leute dienen nicht dem Herrn, sondern sich selbst. Das Wort „Bauch“ (κοιλι'α [koilia])280 steht hier metaphorisch für ————————————————————
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Bauer/Aland s.v. ε� κκλι' νω: „ausweichen, sich abwenden“. Im NT kommt das Verb nur in Röm 3,12; 16,17; 1Petr 3,11 vor, in der LXX ca. 146 Mal, mit einer großen Bedeutungsbreite, s. Muraoka s.v. ε� κκλι' νω. Dunn II 902 bezeichnet die Formulierung der Mahnung als charakteristisch für die weisheitliche Ermahnung: LXX Ps 34,14; 37,27; Spr 1,15; 3,7; 4,15; 14,16; 16,6; sowie Sir 2,7; 22,13. Vgl. M. Bachmann, σκα' νδαλον, ThBLNT II, 1804. Ob man sie nicht als Brüder betrachten und behandeln soll, wie Wilckens III 141 meint, wird von Paulus nicht konkret gesagt. Paulus spricht kein α� να' θεμα aus wie in Gal 1,8.9. Zu δουñ λος s. 1,1; Paulus verwendet das Verb δουλευ' ω im Röm in 6,6; 7,6.25; 9,12; 12,11; 14,18; 16,18. Vgl. J. Behm, Art. κοιλι' α, ThWNT III, 787-789; F.G. Untergaßmair, EWNT II, 744-745;
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„das Verhaftetsein an die Eigenart und Gebundenheit der menschlichen Leiblichkeit in dieser Weltzeit“ und ist synonym zu „Fleisch“ (σα' ρξ).281 Dienstherr dieser Leute ist ihre eigene fleischliche Existenz, nicht der Herr Jesus (vgl. Phil 3,19: ω ð ν ο� θεο` ς η� κοιλι'α [„ihr Gott ist der Bauch“]). Die Aussage „sie dienen ihrem Bauch“ ist keine „polemisch-böse Abqualifikation“,282 weil Paulus eine verbreitete Metapher verwendet,283 die nur dann „böse“ wäre, wenn sie nicht zuträfe. Nicht die Metapher vom Dienst am Bauch ist böse, sondern das Verhalten dieser Leute: Was sie lehren, dient weder dem Messias Jesus noch dem Aufbau der Gemeinde, die sich in Spaltungen auflöst, sondern dem eigenen, vergänglichen, irdischen Vorteil. Sie haben den Tod des sündigen Ich durch die Verbindung mit dem Sühnetod Jesu (vgl. 6,1-14) nicht verstanden oder nicht angenommen, und haben sich deshalb von der Neuheit des Lebens im Messias Jesus selbst disqualifiziert. In V. 18b beschreibt Paulus, wie diese Leute Spaltungen verursachen und wegführen von der rechten Lehre: sie täuschen die Herzen der Arglosen durch Schönrednerei und wohlklingende Reden. Das Verb ε� ξαπατα' ω ([exapataō], „betrügen, täuschen, hintergehen“) beschreibt vielleicht die Absicht, in jedem Fall die Folge ihres Lehrens.284 Das Wort „die Arglosen“ (οι� α» κακοι [hoi akakoi]) beschreibt die Jesusbekenner als Menschen, die „ohne Bosheit“ (α» κακος) sind – nicht als naive „Einfältige“, die sich leicht verführen lassen,285 sondern als Aufrichtige, die das Schlechte nicht von sich aus verwirklichen.286 Wenn Täuschung stattfindet, dann im „Herzen“ ————————————————————
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S. Wibbing, ThBLNT II, 1278-1279. Im NT kommen die Bedeutungen „Bauch, Magen“ (Mt 12,40; Lk 15,16; Offb 19,9-10), „Mutterleib“ (Lk 1,15.41.42; 2,21; 11,27; Apg 3,2; 14,8; Gal 1,15) und „das Innere“ (Joh 7,38) vor. Michel 480; das Wort κοιλι' α ist angesichts der Verwendung pars pro toto für „Mutter“ (Lk 11,27; 23,29) und der metaphorischen Verwendung für das Innere (Joh 7,38) gegenüber σα' ρξ kaum „vergröbernd“ (gegen Michel ebd.; Schlier 448). Wilckens III 142. Wilckens ebd. hat recht, dass die Formulierung „sie dienen ihrem eigenen Bauch“ die Gegner nicht als „Libertinisten“ charakterisieren will, die nach der Devise von 1Kor 6,12 oder 1Kor 15,32 leben. Die Metapher liegt auch in 3Makk 7,11 (προφερο' μενοι του` ς γαστρο' ς); Plutarch, Mor 525c (ει� ς τη` ν γαστε' ρα ε� δημαγω' γει); 1087d-e (τηñ ς περι` γαστε' ρα η� δονηñ ς); Seneca, Ben 7,26,4 (abdomini servit) vor; NW II/1, 230-231. Vgl. Berger, Weisheitsschrift, 426 für jüdisch-weisheitliche Belege. Die Metapher betont weder das Triebhafte (Michel 480481: libertinistische Gnostiker) noch moralischen Niedergang (Haacker 385). In 7,11 beschreibt ε� ξαπατα' ω die Absicht der personifizierten Sünde, in 2Kor 11,3; 1Tim 2,14 die Schlange, die Eva im Garten Eden täuschte; in 1Kor 3,18; 2Thess 2,3 von der Täuschung durch (Irr-)Lehrer. Lohse 413; vgl. Schlatter 402: Menschen, die „keine Erfahrung vom Umfang und den mancherlei Gestalten der Schlechtigkeit“ haben. Vgl. W. Grundmann, α» κακος, ThWNT III, 483, der dann aber im Sinn von „einfältig“ interpretiert. In LXX Hi 2,3; 8,20 36,5 ist α» κακος der, der vor Gott bestehen kann. In Hebr 7,26 von Jesus als dem Hohepriester, der „heilig, ohne Bosheit, unbefleckt“ ist.
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(zu καρδι'α s. 1,21): Nicht primär in den Gefühlen, sondern dort, wo man denkt, will und entscheidet. Das Wort χρηστολογι' α ([chrēstologia], „Schönrednerei“) kann mit „freundliche Reden“ oder „süße Worte“ wiedergegeben werden. 287 Das Wort ευ� λογι' α [eulogia] bezeichnet hier den „schönen Ausdruck der Rede“ im negativen Sinn von „Schönrednerei“.288 Die Lehrer, vor denen Paulus warnt, pflegen einen angenehmen, sanften Redestil und verwenden eine salbungsvolle Sprache, mit der sie Gutgläubige einwickeln und für sich einnehmen wollen.289 19 Paulus begründet (γα' ρ) die Mahnung von V. 17-18: Die Gemeinden in Rom werden solchen Leuten nicht auf den Leim gehen, denn ihr Gehorsam ist allen bekannt (V. 19a),290 d.h. allen Jesusbekennern „in der ganzen Welt“, die von ihrem Glauben gehört haben (1,8). Ihr „Gehorsam“ (υ� πακοη' [hypakoē]; s. zu 1,5) ist ihr Glaube an das Evangelium Gottes (1,1), ihre Unterordnung unter den gekreuzigten und erhöhten Herrn Jesus (1,3-4), ihre Treue gegenüber der empfangenen Lehre (16,17). Wenn die Konj. γα' ρ nicht nur verknüpfend ist,291 sondern begründende Bedeutung hat, sagt Paulus: Da euer Glaubensgehorsam weltweit bekannt ist, und ihr diesen Ruf nicht verlieren wollt, werdet ihr dafür sorgen, dass falsche Lehrer bei euch keinen Erfolg haben.292 Die römischen Christen gehören nicht zu den Naiven, die sich verführen lassen. ————————————————————
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K. Weiß, χρηστολογι' α, ThWNT IX, 481; H. Balz, EWNT III, 1137-1138: Das Wort beschreibt das Reden eines an sich guten Menschen, wird aber durchweg im negativen Sinn vom Reden, das mit dem Handeln nicht übereinstimmt, verwendet; vgl. Scriptores Historiae Augustae I, Pertinax 13,5: christologus (χρηστολο' γος) ist, qui bene loqueretur et male faceret („der Gutes redet und Böses gut“). Bauer/Aland s.v. ευ� λογι' α 2. In 15,29 steht wo ευ� λογι' α für den Segen des Messias. North, Good Wordes, 606-614 sieht eine Anspielung auf magisch-pharmakologische Vorstellungen und damit auf ein gerade in Tarsus beheimatetes Verhalten. Haacker 385 hat recht: „Die spärlichen, weit auseinanderliegenden Indizien, die dafür sprechen, lassen befürchten, daß den ersten Lesern des Röm. das Vergnügen dieses Beziehungsreichtums verborgen bleiben mußte.“ Wörtl. „euer Gehorsam ist zu allen hingelangt“; vgl. Elb.Ü: „Denn [die Kunde von] eurem Gehorsam ist zu allen gekommen“. Das Verb α� φικνε' ομαι kommt nur hier im NT vor; in LXX Gen 28,12; 38,1; 47,9; Spr 1,27; Hi 11,7; 13,27; 15,8; 16,20 u.a. In 1Thess 1,8 macht Paulus mit dem Verb ε� ξελη' λυθεν eine gleichbedeutende Aussage. So Lohse 413-414: „Weil das vorbildliche Verhalten der Christen in Rom allerorten bekundet wird, darum mögen zwar Irrlehrer versuchen, sich an sie heranzumachen; doch sie werden keinen Erfolg bei ihnen haben.“ Cranfield II 802: „The Roman Christians have a reputation to live up to.“ Stenschke, Gehorsam, 81 interpretiert im Blick auf die Aufnahme des Paulus in Rom und die Unterstützung, die er für seine Spanienreise erwartet, und meint, die Verweise in V. 16.19 auf andere Christen bedeuteten, dass die römischen Christen „keine wirkliche Wahl“ haben; da Paulus in 15,14-33 sehr zurückhaltend ist, was seine Pläne betrifft, ist wenig wahrscheinlich, dass er sie in 16,16.19 rhetorisch unter Druck setzen will.
Ermahnung zur Wachsamkeit 16,17-20 911 ————————————————————————————————————
Deshalb sagt Paulus: Ich freue mich über euch (ε� φ’ υ� μιñν ουò ν χαι'ρω; V. 19b). Die Christen in Rom halten am Glaubensgehorsam fest (1,8), sie stehen zu der rechten Lehre, die sie empfangen haben (16,17). Sie werden den freundlichen Worten selbstgefälliger Lehrer, die spalten und verwirren, widerstehen. Die römischen Gemeinden sind intakt (trotz der Kontroverse zwischen den Starken und Schwachen!), es gibt keine Spaltungen oder Verführungen, über die Paulus schreiben müsste. Das autoritative ich will aber (θε' λω δε' ) kritisiert nicht nachträglich doch noch, sondern dient der Förderung ihres Glaubensgehorsams. Paulus wünscht, dass die römischen Jesusbekenner im Blick auf das Gute weise sind (σοφου` ς ειòναι ει� ς το` α� γαθο' ν), jedoch unverdorben gegenüber dem Bösen (α� κεραι'ους ει� ς το` κακο' ν; V. 19c). Die pointierte Kombination der Adj. „weise“ (σοφο' ς [weise]) und „unverdorben“ (α� κε' ραιος [akeraios]) erinnert an die missionarische Rede Jesu in Mt 10,16: „Seid klug (φρο' νιμοι) wie die Schlangen, und unverdorben (α� κε' ραιοι) wie die Tauben“. Da Paulus in Phil 2,15 das Wort α� κε' ραιοι ohne die Kombination mit „klug“ oder „weise“ verwendet, bleibt unklar, ob Paulus bewusst auf ein Jesuswort anspielt. Jesusbekenner, die im Anschluss an die Erbarmungen Gottes sich selbst Gott als lebendiges Opfer darbringen und von Gott die Erneuerung ihres Denkens geschenkt bekommen, die es ihnen ermöglicht, den Willen Gottes zu erkennen und das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene zu tun (12,1-2), sind im Blick auf das Gute weise und im Blick auf das Böse, das sie als solches erkennen und meiden, unverdorben. So bewahren sie den Glaubensgehorsam, für den sie bekannt sind. 20 Paulus schließt diesen kurzen Abschnitt mit einer höchst dramatischen Aussage ab, die den Charakter einer Prophetie hat: Der Gott des Friedens wird jedoch in Kürze den Satan unter eure Füße zermalmen (V. 20a). Von Gott als „Gott des Friedens“ (ο� θεο` ς τηñ ς ει� ρη' νης), d.h. dem Gott, der ihnen Frieden geschenkt hat, war im Segen von 15,33 bereits die Rede. Der Gott des Friedens wird den Satan „zermalmen“ (συντρι' ψει το` ν Σαταναñ ν [syntripsei ton Satanan]),293 und zwar „unter eure Füße“ (υ� πο` του` ς πο' δας υ� μω ñ ν), d.h. sichtbar und vollständig, und „in Kürze“ (ε� ν τα' χει [en tachei]), d.h. bald. Paulus bezeichnet implizit Lehrer, die Gemeinden spalten und Christen zu falscher Lehre verführen, als Handlanger Satans, die, wenn sie nicht umkehren, dessen Schicksal teilen werden.294 Nach 2Kor 2,11 gehören ————————————————————
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Vgl. G. Bertram, Art. συντρι' βω κτλ., ThWNT VII, 919-925; H. Balz, EWNT III, 743-744. Die physische Bedeutung „miteinander reiben“ wird zur metaphorischen Bedeutung „zerbrechen, zerstören, zermalmen“ ausgeweitet. Ein Fluch über die Irrlehrer (Müller, Prophetie,188; Wilckens III 143) ist nicht impliziert.
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Streit und Spaltungen zur Strategie Satans, Gemeinden und Jesusbekenner zu Fall zu bringen. In 2Kor 11,14-15 nennt Paulus die falschen Apostel, die seine Autorität bestreiten, „Diener“ (δια' κονοι) Satans, die dessen Tarnung als „Engel des Lichts“ (Vulg. angelus lucis; d.h. Lucifer) nachahmen. Nach Mal 3,21 werden die Gerechten am Tag des Herrn „die Ruchlosen unter euren Fußsohlen (υ� ποκα' τω τω ñ ν ποδω ñ ν υ� μω ñ ν) zertreten“. Das vom hebr. Verb [( ָׂש ָטןsātān], „anfeinden, anklagen“) abgeleitete Wort σαταναñ ς [Satanas] bezeichnet den transzendenten Widersacher Gottes und Ankläger der Menschen.295 In TestLev 18,12 heißt es, dass Beliar in der kommenden Zeit des Paradieses gebunden und den Gerechten Gewalt gegeben wird, „auf die bösen Geister zu treten“. Nach Lk 10,18-19 wurde Satan im Zusammenhang des Wirkens Jesu besiegt: Jesus sagt, „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“. Nach Offb 20,1.10 wird der Satan/Teufel „in den See von brennendem Schwefel geworfen, wo auch das Tier und der falsche Prophet sind. Tag und Nacht werden sie gequält, in alle Ewigkeit“. Es gibt zwar keine sprachliche Verbindung zu Gen 3,15, aber inhaltlich ist eine Anspielung kaum von der Hand zu weisen: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse“ (EÜ).296
Der Hinweis auf die Kürze, in der dies geschehen wird, erinnert an die in 13,11 geäußerte Naherwartung.297 Gott besiegt als Friedensbringer den Satan und lässt seine Gemeinde in der Endvollendung an diesem Sieg teilhaben: Die Jesusbekenner setzen ihre Füße auf den Besiegten und zertreten ————————————————————
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Vgl. Hi 1,6-12; 2,1-7; Sach 3,1-2; 1Chron 21,1; die LXX übersetzt jeweils mit δια' βολος ([diabolos], „Teufel“). Die griech. Transkription σαταναñ ς in Sir 21,27; TestDan 3,6; 5,6; 6,1; TestGad 4,7; TestAss 6,4. Qumrantexte nennen diese Gestalt „Engel der Feindschaft“: 1QM 13,11; CD 16,5; vgl. 1QS 3,23. Vgl. W. Foerster, σαταναñ ς, ThWNT VII, 151-164; O. Böcher, EWNT III, 558; H. Bietenhard, ThBLNT I, 1540-1543. Der Satan wird im NT 34 Mal erwähnt: 16 Mal in den Evangelien (z.B. Mt 4,10; 12,26; Mk 1,13; 8,33; Lk 10,18; 22,3.31; Joh 13,27) und 10 Mal bei Paulus: Röm 16,20; 1Kor 5,5; 7,5; 2Kor 2,11; 11,14; 12,7; 1Thess 2,18; 2Thess 2,9; 1Tim 1,20; 5,15. Vgl. Thate, Ecclesia, 151-169. Vgl. Ps 74[73],13-15; 91[90],13; 110[109],1.5; Jes 24,1; 26,5-6; 71,1; Dan 7,11; Jub 5,6; 10,7-11; 23,29; äthHen 10,4.11-12; 13,1-2. Da die Erwartung von Paulus auf Gottes endgültigen Sieg gerichtet ist, scheiden Auslegungen aus, die „Satan“ im Sinn des Kaisers (Macky, Satan, 125) oder als politische Metapher für Rebellion (Blumenfeld, Political Paul, 88) interpretieren. Zur Kritik s. Thate, Ecclesia, 163-164. Wenn das Bild vom Satan, der mit Füßen zermalmt wird, die römischen Leser an die kaiserliche Propaganda erinnern soll, die auf Münzen Claudius und Nero mit ihrem Knie auf den besiegten Gegnern Britannien bzw. Armenien darstellen (Harrison, Authorities, 161-162), würde dies mehrere Gedankenschritte erfordern – Gott besiegt Rom, Gott beteiligt sein messianisches Volk an diesem Sieg, Jesusbekenner besiegen (politisch? geistlich?) Rom –, die wenig wahrscheinlich sind.
Ermahnung zur Wachsamkeit 16,17-20 913 ————————————————————————————————————
ihn, d.h. sie ergreifen selbst eschatologische Macht.298 Nach Phil 4,7.9 bewahrt der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, die Herzen und Gedanken der Jesusbekenner in der Gemeinschaft mit dem Messias Jesus, weil der Friede Gottes mit ihnen ist – bis Gott endgültigen Frieden schafft. Der abschließende Segenswunsch wendet den Blick von der Niederlage Satans zu Jesus, durch dessen Heilswerk Gott die Macht Satans gebrochen (5,12-21; 7,7-25) und die Niederlage Satans bewirkt hat: Die Gnade unseres Herrn Jesus sei mit euch (η� χα' ρις τουñ κυρι'ου η� μω ñ ν � Ιησουñ μεθ’ υ� μω ñ ν; V. 20b). Schon in 1,7 hatte Paulus den Jesusbekennern in Rom Gottes Gnade und Frieden gewünscht. Seit 1,18 hatte Paulus die Gnade Gottes durch das Heilshandelns des Messias Jesus erkläutert, der als der Gekreuzigte, Auferstandene und Erhöhte der Herr ist (1,3-4), durch den Gott Gerechtigkeit für Sünder erwirkt hat (1,16-17). Jesusbekenner sind Gottes teilhaftig geworden. In der Anfechtung durch die Sünde (6,15-23) und das Leiden (8,18-30) sowie durch Irrlehrer (16,17-20a) bedürfen sie der Gnade Gottes jeden Tag aufs Neue. Der Gott des Friedens, dessen Kinder sie sind, schenkt ihnen die Gnade, die ihnen Vollmacht gibt, in allen Anfechtungen siegreich zu bestehen. IV Die Warnung vor Lehrern, die Autorität in der christlichen Gemeinde beanspruchen und durchaus angenehm und gewandt reden können, aber Spaltungen verursachen und zum Verlassen der überlieferten rechten Lehre anleiten, war damals aktuell und ist es bis heute geblieben. Die Geschichte der Kirche veranschaulicht in tragisch-vielfältiger Weise, was geschieht, wenn man die Mahnung von 16,17-20 nicht ernst nimmt. Manche Trennungen sind notwendig, um der Wahrheit des Evangeliums willen, wie Jesus (Mt 10,34-36) und Paulus (Gal 1,8-10) betonen. Oft ist die Wahrheit selbst das skandalon, über das Menschen stolpern (Röm 9,32-33; vgl. Lk 7,23).299 Es ist für die Gemeinde nicht immer einfach zu erkennen, welche Lehrer und Verkündiger ein notwendiges skandalon verursachen, und welche zwar rhetorisch geschickt und überzeugend reden, aber von der Wahrheit der rechten Lehre wegführen. Beispiele eines notwendigen skandalon war die Betonung Luthers des sola gratia, sola fide, sola Scriptura und solus Christus im Kontext der römisch-katholischen Kirche des 15. Jh.s und die Betonung der persönlichen Bekehrung durch Erweckungsprediger im Kontext der evange————————————————————
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Käsemann 403. Michel 482: „Der eschatologische Sieg Gottes wird der Gemeinde Vollmacht und Herrschaft über dämonische Mächte schenken“. Cranfield II 798.
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lischen Kirchen des 18. und 19. Jh.s. Ein Beispiel für ein skandalon, das unnötig Spaltung verursachte, war Luthers Kontroverse mit Zwingli zum rechten Verständnis des Abendmahls, die die Reformation spaltete, oder Verkündiger im Kontext der Pfingst- und charismatischen Bewegung, die das Zungenreden zur Norm christlicher Reife machten und zum Zerbrechen vieler Gemeinden und zur Entstehung einer fast unübersehbaren Zahl neuer Konfessionen geführt haben. Die Frage, wann ein skandalon notwendig ist und wann nicht, ist nicht einfach zu beantworten, entscheidet sich aber am Gehorsam des Glaubens (16,19) an das Evangelium Gottes, das auf sein Heil schaffendes Handeln im fleischgewordenen, gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus konzentriert ist (1,3-4.16-17), d.h. auf die Gnade, die der Gott des Friedens im Herrn Jesus gewährt hat und weiterhin gewährt (16,20-21). Die letzte Verheißung des Römerbriefs – die endgültige Niederlage Satans am Ende der Zeit (16,20) – ist theologisch von größter Bedeutung. Der Friede Gottes, von dem ebenfalls in 16,20 die Rede ist, besteht in der Versöhnung mit Gott (5,1) und im gegenwärtigen neuen und im ewigen Leben (8,6). Dieser Friede gründet, und das betont 16,20, im Sieg Gottes über die feindlichen Mächte. K. Haacker kommentiert: „Daß Gott einmal alles in allem sein wird, bedeutet nicht die Synthese alles irdisch Auseinanderstrebenden und seine Integration in ‚Gott‘, sondern setzt die Destruktion des Destruktiven voraus (vgl. 1. Kor 15,25-28). Das 20. Jh. gibt Anlaß genug, diese Dimension des urchristlichen Wirklichkeitsverständnisses theologisch wieder ernster zu nehmen, als es unter den optimistischen Vorzeichen der Aufklärung im protestantischen Bildungsbürgertum üblich gewesen ist“.300
Grüße aus dem Umfeld des Apostels 16,21-23 I 21 Es grüßen euch Timotheus, mein Mitarbeiter, und Lucius, Jason und Sosipater, meine Landsleute. 22 Ich, Tertius, grüße euch, der diesen Brief im Herrn geschrieben hat. 23 Es grüßt euch Gaius, mein Gastgeber und der der ganzen Gemeinde. Es grüßen euch Erastus, der Verwaltungsbeamte, und der Bruder Quartus. ————————————————————
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Haacker 387. Zu dem „in Kürze“ bemerkt Haacker: „Was als Prognose nachzusprechen schwerfällt, könnte als Gebet gerade heute an der Zeit sein“.
Grüße aus dem Umfeld des Apostels 16,21-23 915 ————————————————————————————————————
II Die Grüße aus dem Umfeld des Apostels nennen acht Personen: den Mitarbeiter Timotheus, den langjährigen Mitarbeiter von Paulus, sowie die Judenchristen Lucius, Jason und Sosipater (V. 21); Tertius, dem Paulus den Brief diktierte, und seinen Namen selbst unter den Brief setzt (V. 22); die korinthischen Christen Gaius, bei dem Paulus wohnt, sowie Erastus, ein städtischer Beamter, und Quartus (V. 23). Diese lassen die Gemeinden in Rom grüßen, weil sie die stadtrömischen Christen, die in der Paulusmission mitgearbeitet haben, persönlich kennen. Die Korinther Tertius, Erastus und Quartus dürften mindestens Priska und Aquila gekannt haben, die in Korinth gewohnt hatten. Die Übermittlung von Grüßen aus dem Umfeld der Gemeinde, von der aus Paulus schreibt, nach Grüßen von Paulus an ihm bekannte Adressaten findet sich auch in 1Kor 16,15-20; Phil 4,21-22. In Kol 4,10-18 grüßen Mitarbeiter, die bei Paulus sind, ehe Paulus selbst grüßt. In Phlm 23-24 stehen Grüße von Mitarbeitern, die bei Paulus sind, am Ende des Briefes, ohne dass persönliche Grüße von Paulus vorausgehen. Die „Unordnung“, die E. Käsemann für V. 21-23 konstatiert,301 verkennt einmal die flexiblen Konventionen des Briefschlusses,302 zum anderen die Bedeutung dieses Abschnitts für den historischen Kontext des Röm, der für Paulus und seine Mitarbeiter den Weg nach Rom und von dort nach Spanien bahnen soll, nachdem Paulus die in den makedonischen und achaischen Gemeinden organisierte Sammlung nach Jerusalem gebracht hat. Die in V. 21 genannten Christen gehören sehr wahrscheinlich zu der Gruppe von Mitarbeitern, die sich in Korinth mit Paulus getroffen haben, um die Kollekte nach Jerusalem zu bringen.303 Wenn dieser Vorschlag zutrifft, ist die Liste in V. 21 mit Apg 20,4 in Verbindung zu bringen, wo Lukas sieben Mitarbeiter aufführt, die Paulus auf dem Weg nach Jerusalem begleiten: „Sopater, der Sohn des Pyrrhus, aus Beröa, Aristarch und Sekundus aus Thessalonich, Gaius aus Derbe und Timotheus sowie Tychikus und Trophimus aus der Provinz Asia“. In dieser Liste sind Repräsentanten von den makedonischen Gemeinden (Sopater aus Beröa, Aristarch und Sekundus ————————————————————
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Käsemann 404, der den Röm in 15,33 für beendet sieht und Kap. 16 für ein Empfehlungsschreiben nach Ephesus hält. Zur Kritik s. Wilckens III 146 Anm. 692; Jewett 975975. Das Argument von Jewett, 975; Jewett, Sequences, 231-236, die fünffache Wiederholung von α� σπα' ζεται υ� μαñ ς spiegle die für Juden heilige Zahl „fünf“ wieder, die angesichts des Zieles von Paulus, mit der judenchristlichen Minderheit in den römischen Gemeinden Roms Kontakt herzustellen, kaum zufällig sein könne, funktioniert nur, weil er V. 16b zwischen V. 20 und V. 21 plaziert. Müller, Schluß, 219 verweist auf die Papyrusbriefe BGU 1079; P.Fay. 112, in denen sowohl vor als auch nach dem Schlusswunsch ε» ρρωσο je ein Gruß folgt. Vgl. Ollrog, Mitarbeiter, 58; Müller, Schluß, 219-220 u.a.
916 Römerbrief ————————————————————————————————————
aus Thessalonich), den galatischen Gemeinden (Gaius aus Derbe, Timotheus [aus Lystra]) sowie aus den Gemeinden der Provinz Asia (Tychikus, Trophimus [Ephesus?]) genannt. Einiges spricht dafür, dass Apg 20,4– 21,17 von einem schriftlichen Bericht der Delegation stammt, die die Kollekte nach Jerusalem gebracht hat.304 Die Liste Apg 20,4 stimmt mit der Liste Röm 16,21 in zwei Namen überein: Timotheus und Sosipater, wenn dieser mit dem lukanischen Sopater identisch ist. Lukas war wahrscheinlich der Delegierte der Gemeinde in Philippi:305 Der Wir-Bericht des Lukas endet mit Apg 16,12-16 in Philippi und wird in 20,5 wieder aufgenommen, wo Paulus von Korinth über Makedonien nach Jerusalem reist – Lukas war offensichtlich in Philippi geblieben, um sich um die neue Gemeinde zu kümmern. Lucius oder Jason von der Liste Röm 16,21 könnten je ein weiterer Delegierter der Gemeinde in Korinth oder Philippi bzw. Thessalonich sein (s. unten). Paulus könnte sich als Delegierter der Gemeinde in Korinth betrachtet haben. Außerdem gehörte Titus zur Delegation: Er war von Ephesus aus nach Korinth gereist, weil er offenkundig im Endstadium des Kollektenprojekts Verantwortung hatte (2Kor 8,16-24).306 So käme man auf zwölf Delegierte der Kollektenreise nach Jerusalem: Delegierte aus Gemeinden Achaias: 1. Paulus (Korinth) 2. Lucius (Korinth?) Röm 16,21 Delegierte aus Gemeinden Makedoniens: 3. Jason (Philippi? Thessalonich?) Röm 16,21 4. Lukas (Philippi) (erschlossen aus Apg 16,12-16; 20,5) 5. Aristarch (Thessalonich) Apg 20,4 6. Sekundus (Thessalonich) Apg 20,4 7. Sosipater/Sopater (Beröa) Röm 16,21/Apg 20,4 Delegierte aus Gemeinden Galatiens: 8. Gaius (Derbe) Apg 20,4 9. Timotheus (Lystra) Röm 16,21 Delegierte aus Gemeinden der Provinz Asia: 10. Tychikus (Ephesus?) Apg 20,4 11. Trophimus (Ephesus?) Apg 20,4; vgl. 21,29 12. Titus (erschlossen aus 2Kor 8,16-24) ————————————————————
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305 306
Koch, Kollektenbericht, 374-381: Als Verfasser kommt nur einer der makedonischen Gemeindedelegierten infrage; Thornton, Zeuge, 305-313 argumentiert für Lukas als Autor. Vgl. Thornton, Zeuge, 306-307, der Titus und die zwei Apostel von 2Kor 8,18-23 dazurechnet. Zur Erweiterung der Delegiertenliste Apg 20,4 Koch, Kollektenbericht, 376-377. Nach 2Kor 8,16-24 sind zwei ungenannte Delegierte mit Titus nach Korinth gereist; es kann sich dabei um zwei der in Apg 20,4 genannten Mitarbeiter handeln; vgl. Thrall, Second Corinthians I, 560-562; Harris, Second Corinthians, 601-602. Wo Titus herstammt, wissen wir nicht: Er wird im Zusammenhang mit Antiochien, Korinth, Kreta und Dalmatien erwähnt (2Kor 7,6-7,13-15; 8,6, Tit 1,5, 2Tim 4,10).
Grüße aus dem Umfeld des Apostels 16,21-23 917 ————————————————————————————————————
Paulus wollte mit dem Schiff von Korinth aus nach Cäsarea/Jerusalem reisen und reiste nur deshalb zunächst über Land nach Makedonien und von dort nach Troas in der Provinz Asia, weil korinthische Juden einen Anschlag verüben wollten (Apg 20,3). Das heißt, mit Ausnahme von Lukas, der wohl erst in Philippi zu der Reisegruppe stieß, wären diese Delegierten alle in Korinth gewesen. Vielleicht nennt Paulus in Röm 16,21 nur Timotheus, Lucius, Jason und Sosipater, weil Timotheus seit Jahren einer seiner wichtigsten Mitarbeiter war, der mehrere der in 16,3-16 genannten Christen in Rom persönlich kannte, und weil Lucius, Jason und Sosipater Judenchristen sind und Paulus mit ihren Grüßen seine Verbundenheit mit den Judenchristen Roms darstellen kann.307 Die Grüße seiner Mitarbeiter und Landsleute in V. 21-23 verfolgen wie seine eigenen Grüße das Ziel, das Vertrauen der Gemeinden in Rom in seine Missionspläne zu stärken und die Einheit von Judenchristen und Heidenchristen, die mit der Kollekte auf dem Spiel steht und implizit das Thema von 14,1–15,13 war, zu unterstreichen. Textkritische Anmerkungen. Der Mehrheitstext liest in V. 21 die Pluralform α� σπα' ζονται (D2 L 33 104 1175 1241 2464 Byz vgms syp) statt des gut bezeugten Sing. α� σπα' ζεται, und stellt so formale Kongruenz mit dem pluralen Subjekt her. Die Auslassung von μου nach ο� συνεργο' ς (B 6 1739) ist wahrscheinlich ein Schreibfehler (Haplographie). Die Plus-Lesart am Ende von V. 21: και` αι� ε� κκλησι'αι παñ σαι τουñ Χριστουñ wurde von D* F G aus V. 16b an diese Stelle gesetzt, ein offensichtlich sekundärer Versuch, das Ende des Röm zu glätten. Die Lesart Τερε' ντιος in 7, die einen anderen Namen des Sekretärs wissen will, ist infolge der singulären Bezeugung sekundär. In V. 23 lesen F G die Pluralfassung ο« λαι αι� ε� κκλησι'αι statt der Formulierung im Singular ο« λης τηñ ς ε� κκλησι'ας, was in diesen beiden MSS den von V. 16b nach V. 21 verschobenen Gruß wiederholt. Nach V. 23 liest der Mehrheitstext eine Doxologie, die in den (älteren) Bibelübersetzungen als V. 24 gedruckt wurde: η� χα' ρις τουñ κυρι'ου η� μω ñν � Ιησουñ Χριστουñ μετα` πα' ντων υ� μω ñ ν. α� μη' ν (D F G L Ψ 629 630 1175 1241 1505 1881 Byz ar vgcl syh; Varianten: F G 629 lassen � Ιησουñ Χριστουñ weg, 630 schreibt μεθ’ υ� μω ñ ν und lässt α� μη' ν weg); in 33 104 365 syp boms erscheint diese Doxologie nach V. 25-27. Die frühesten und besten MSS (d46.61 אA B C 81 1739 2463 b vgst co) haben die Doxologie V. 24, die 2Thess 3,18 entspricht, nicht. Die Minus-Lesart ist ursprünglich.308 ————————————————————
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Das Letzte betonen Müller, Schluß, 220; Schnider/Stenger, Studien, 128; Jewett 976. Zur folgenden Beobachtung Müller, ebd. Zu den Lesarten in 16,14.25-27 s. Band I, 45-47.
918 Römerbrief ————————————————————————————————————
III
21 Zunächst übermittelt Paulus Grüße von vier Personen an die Gemeinden
in Rom. Als Ersten nennt er Timotheus (Τιμο' θεος [Timotheos]),309 der seit vielen Jahren sein Mitarbeiter (συνεργο' ς [synergos]; vgl. V. 3.9) ist und der mehrere der jetzt in Rom wohnenden Christen, die mit Paulus zusammengearbeitet hatten, kannte.310 Timotheus, der eine jüdische Mutter und einen griechischen Vater hatte (Apg 16,1), bekehrte sich während der Galatienmission im Jahr 46, als Paulus in Lystra missionierte (Apg 14,620). Er wurde von Paulus drei Jahre später als Mitarbeiter mitgenommen und war an der Makedonien- und Achaiamission beteiligt (Apg 16,1-3). Als Paulus Thessalonich verließ und mit Silas nach Beröa ging (Apg 17,10), blieb Timotheus offensichtlich zurück. Als Paulus Beröa verlassen muss, blieb Timotheus, der inzwischen nachgereist war, mit Silas in Beröa zurück (Apg 17,14), folgte Paulus nach Athen (Apg 17,15), wurde von ihm zurück nach Thessalonich gesandt, um der jungen Gemeinde zu helfen (1Thess 3,15). Einige Monate später reiste Timotheus nach Korinth, mit guten Nachrichten von der Gemeinde in Thessalonich (1Thess 3,6). Er missionierte offensichtlich zusammen mit Paulus in Korinth (2Kor 1,19). Er wird als Mitverfasser zweier in Korinth geschriebener Briefe genannt (1Thess 1,1; 2Thess 1,2). Timotheus war an der Ephesus-Mission der Jahre 52–55 beteiligt (vgl. 1Kor 4,17, von Ephesus aus geschrieben). Vor seiner Abreise aus Ephesus schickte Paulus Timotheus nach Makedonien voraus, zusammen mit Erastus (Apg 19,22). Wahrscheinlich ist er in Philippi oder Thessalonich wieder auf Paulus gestoßen; er wird als Mitsender des im Jahr 55/56 in Makedonien geschriebenen 2Kor genannt (2Kor 1,1). Er reiste mit Paulus nach Korinth und ist anwesend, als dieser den Röm schreibt. Er reist, offensichtlich als Mitglied der Kollektendelegation, mit Paulus nach Jerusalem (Apg 20,3.5-6). Wenn Phil und Kol während der römischen Gefangenschaft des Paulus geschrieben wurden, war Timotheus, der als Mitsender genannt wird (Phil 1,1; Kol 1,1), in den Jahren 60–62 in Rom. Wenn die traditionelle Lokalisierung der Pastoralbriefe richtig ist, dann hatte Timotheus später, vielleicht nach 62, Verantwortung für die Gemeinden in der Provinz Asia. Paulus bringt seine Wertschätzung für Timotheus dadurch zum Ausdruck, dass er den ersten Platz der grüßenden Personen einnimmt. ————————————————————
309 310
Τιμο' θεος ist ein griech. Name (ca. 400 Belege in LGPN). Vgl. J. Gillman, Art. Timothy, ABD VI, 558-560; Bruce, Pauline Circle, 29-34; Mounce, Pastoral Epistles, lvi-lix; Maness, Congregations, 21-26.83-87.119-22; Hvalvik, Named Jewish Believers, 170; Schnabel, Timothy.
Grüße aus dem Umfeld des Apostels 16,21-23 919 ————————————————————————————————————
Von Lucius (Λου' κιος [Loukios])311 wissen wir nichts, außer dass er wahrscheinlich ein Heidenchrist war und als Kollektendelegierter mit Paulus nach Jerusalem reiste, was ihn zu einem verantwortlichen Jesusbekenner macht. Weder die Identifizierung mit Lucius von Kyrene (Λου' κιος ο� Κυρηναιñος), einem der Gemeindeleiter im syrischen Antiochien (Apg 13,1), oder die Identifizierung mit Lukas dem Arzt (Λουκαñ ς ο� ι� ατρο' ς), dem in Kol 4,14; Phlm 24; 2Tim 4,11 genannten Mitarbeiter (und Verfasser der Apg),312 ist plausibel.313 Er gehört, wie Jason und Sosipater, zu den Landsleuten (συγγενειñς [syngeneis]; s. V. 7.11) von Paulus, ist also Judenchrist. Lucius gehört wahrscheinlich zur korinthischen Gemeinde. 314 Jason (� Ι α' σων [Iasōn])315 ist möglicherweise der Gastgeber des Paulus in Thessalonich (Apg 17,5-7). Er ist Judenchrist und wird in Verbindung mit Sosipater/ Sopater genannt, der aus dem Thessalonich benachbarten Beröa kommt, was die Plausibilität der Identifizierung mit Jason aus Thessalonich stärkt.316 Wenn er der Kollektendelegierte von Thessalonich ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der zuvor erwähnte Lucius nicht auch aus Makedonien kommt, sondern Delegierter der korinthischen Gemeinde ist. Sosipater (Σωσι'πατρος [Sōsipatros]) ist die Langform von Sopater (Σω' πατρος [Sōpatros]),317 der in Apg 20,4 als Kollektendelegierter erwähnt wird.318 Sopater, Sosipater, sowie Pyrrhus, der in Apg 20,4 als Vater des Sosipater bezeichnet
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311 312 313 314
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Lucius ist ein lat. Name, und ist in LGPN ca. 285 Mal als griech. Name dokumentiert, belegt als Name eines Juden in Rom und in Kyrene (Noy, Jewish Inscriptions, 214-215; CIJ 155; Lüderitz, Corpus, No. 51a). Wilckens III 146 sieht beides als Möglichkeit, Dunn II 909 die Identifizierung mit Lukas, die seit Origenes belegt ist; offen Haacker 388. Bauckham, Latin Names, 371-372 Anm. 1; vgl. Lohse 415; Jewett 977; Hvalvik, Named Jewish Believers, 166-167. Manche halten Lucius für einen Kollektendelegierten einer der makedonischen Gemeinden – wahrscheinlich von Philippi, zusammen mit Lukas dem Arzt; nach Apg 20,4 sind Aristarchus und Sekundus die Delegierten von Thessalonich, und Sosipater/Sopater ist Delegierter von Beröa. Der Name Jason (� Ια' σων) wurde von Juden häufig als griech. Name für hebr. ֵיׁשו ַּע, [Jeschū’a], „Jesus“ verwendet; Josephus, Ant 12,239. Vgl. Cohen, Translators, 46-48; Bauckham, Latin Names, 374.30-381; vgl. Horbory/Noy, Jewish Inscriptions, 421-422; Ilan, Lexicon of Jewish Names, s.v. � Ια' σων. LGPN hat ca. 350 Belege für � Ια' σων. Vgl. Wilckens III 146; Dunn II 909; Fitzmyer 749; Lohse 415; Jewett 977-978; Haacker 388; Hvalvik, Named Jewish Believers, 164. Skeptisch Käsemann 405. Der griech. Name Σωσι' πατρος ist 165 in LGPN belegt, Σω' πατρος ca. 200 Mal. Viele halten die Identifizierung für möglich, wahrscheinlich oder sicher: Wilckens III 146; Dunn II 909; Jewett 978; Haacker 388; F. Morgan Gillman, Art. Sopater, ABD VI, 159; Art. Sosipater 2., ABD VI, 160; Hvalvik, Named Jewish Believers, 169.
920 Römerbrief ————————————————————————————————————
wird, sind in makedonischen Quellen belegt.319 Sosipater war Kollektendelegierter aus Beröa (Apg 20,4). Er war wie Lucius und Jason Judenchrist. Die in V. 7.11.21 betonte Identität von Judenchristen in Rom (Andronikus, Junia, Herodion) und bei Paulus in Korinth (Lucius, Jason, Sosipater) unterstreicht die Einheit von Judenchristen, die in Rom wohl in der Minderheit sind, und Heidenchristen, die Paulus gerade angesichts seiner Identifizierung mit den „Starken“ (15,1) in den römischen Gemeinden wichtig sind und die einen der Hauptgründe für das Kollektenprojekt darstellen. 22 Paulus hat den Römerbrief im Haus des Gaius geschrieben, indem er ihn Tertius (Τε' ρτιος [Tertios], „Dritter“)320 diktierte. Tertius identifiziert sichs durch die Auskunft dass er den Brief (ε� πιστολη' [epistolē]) im Herrn geschrieben hat (γρα' ψας ε� ν κυρι'ω, [grapsas en kyriō]), als Jesusbekenner.321 Er war wahrscheinlich ein Heidenchrist und gehörte als Sklave322 oder Freigelassener vermutlich zu Gaius, bei dem Paulus wohnte (V. 23).323 Paulus hat den Brief entweder syllabatim diktiert, d.h. langsam gesprochen, sodass der Text Silbe für Silbe niedergeschrieben werden konnte, oder viva voce, d.h. mit der üblichen Sprechgeschwindigkeit, die von Tertius die im 1. Jh. nicht unübliche Fähigkeit verlangt hätte, den Text stenographisch, d.h. mit Kurzschrift, festzuhalten, um ihn anschließend als Langtext auszuschreiben.324 Die Vermutung, der Gruß des Tertius gebe nur einen Sinn, wenn die————————————————————
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Vgl. Hemer, Acts, 236. Palästinische Juden mit dem Namen Σωσι' πατρος sind ebenfalls bezeugt (2Makk 12,19; Josephus, Bell 4,235; Ant 14,241.248; vgl. Ilan, Lexicon of Jewish Names I s.v. Σωσι' πατρος), was für Röm 16,21 nicht unbedingt relevant ist. Der lat. Name Tertius war typischer Sklavenname, vgl. Solin, Sklavennamen, 152-153; in LGPN 35 Mal für Griechen belegt. Die adv. Bestimmung ε� ν κυρι' ω, ist weder mit α� σπα' ζομαι zu verbinden noch auf den Besitzer (Patron) zu beziehen. Es waren meistens Sklaven, die als amanuensis arbeiteten. Vgl. P.Oxy. XLIV 3197 (datiert 20. Okt. 111): Der verstorbene Tiberius Julius Theon hatte offenbar über hundert Sklaven, darunter zwei προχειροφο' ροι (amanuenses, Schreiber) und fünf νωτα' ριοι (Stenographen); Horsley/Llewelyn, New Documents I, 69-70. Wenn der korinthische οι� κονο' μος Erastus wohlhabend war, könnte Tertius auch diesem gehört haben. Jewett 979 vermutet Phöbe als Patronin. Zum Diktat syllabatim vgl. Richards, Secretary, 25-26, zur Stenographie (Tachygraphie) in der Antike ebd. 26-43; N. Giovè Marchioli / G. Menci, Art. Tachygraphie, DNP XI, 1206-1209. Laut Plutarch, CatoMinor 23,3 war die Rede am 5. Dez. 63 v.Chr., in der Cato die Todesstrafe für die an der katilinarischen Verschwörung Beteiligten forderte, die erste mit Kurzschrift niedergeschriebene Rede. Nach der Auskunft von Isidorus, Orig 1,22 hat Tiro, Ciceros Freigelassener und Sklave (98 v.Chr. – 2 n.Chr.) ein System von Symbolen für die Nachschrift von Vorlesungen erfunden (deshalb notae Tironianae genannt). Ursprünglich wurde Kurzschrift nur von Sklaven und Freigelassenen, die als Schreiber arbeiteten, verwendet; vgl. Teitler, Notarii, 27-34. Offenbar dauerte es zwei Jahre, Kurzschrift zu lernen; vgl. den Kontrakt eines Tachygraphie-Lehrers P.Oxy. IV 724 (155 n.Chr.).
Grüße aus dem Umfeld des Apostels 16,21-23 921 ————————————————————————————————————
ser den römischen Christen bekannt war,325 ist plausibel, aber nicht zwingend. Weshalb soll Paulus den heidenchristlichen Bruder, mit dem er über mehrere Tage, vielleicht Wochen, den Röm geschrieben hatte, nicht gebeten haben, mit seiner „Unterschrift“ seine Mitarbeit zu dokumentieren?326 Grüße der schreibenden Sekretäre waren nicht unüblich. Sie sind dann zu erwarten, wenn der Sekretär den Empfängern bekannt ist, oder wenn er für den Briefschreiber mehr als ein Sklave oder Angestellter war, vielleicht ein Freund oder Kollege.327 Das zweite Kriterium trifft auf Tertius schon allein als Jesusbekenner zu, der wie Paulus dem Herrn Jesus dient. Wenn Tertius mit Phöbe nach Rom reiste und den Brief an die römischen Gemeinden überbrachte, hätte er jedes Wort, jede Wendung, jedes Argument des Briefes gekannt, was ihm beim Vorlesen des Briefes zugutegekommen wäre328 – wenn nicht Phöbe den Brief vorgelesen hat. 23 Drei weitere Jesusbekenner aus Korinth grüßen die Christen in Rom. Zunächst übermittelt Paulus Grüße von Gaius (Γα' ¨ιος [Gaios]). Dies ist wahrscheinlich Gaius von 1Kor 1,14, den Paulus als einen der wenigen Neubekehrten in Korinth selbst getauft hat, und möglicherweise der Titius Justus von Apg 18,7, ein Gottesfürchtiger, der sich früh zum Glauben an Jesus bekehrt hatte und in dessen Haus, das direkt neben der Synagoge war, Paulus seine missionarische Verkündigung fortsetzte, als dies in der Synagoge unmöglich geworden war.329 Wenn die zweite Identifikation richtig ist, zeigt der Name Gaius Titius Justus an, dass er römischer Bürger war und er mit Titius ein seit dem 1. Jh. v.Chr. bezeugtes nomen trug.330 Ob er zur Elite Korinths gehörte oder Freigelassener war, lässt sich aus dem lat. ————————————————————
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Zahn 613; Lagrange 376; Käsemann 405; Richards, Secretary, 170; vgl. Jewett 979, der spekuliert, Tertius sei mit Phöbe, seiner Patronin aus Kenchreä, die vermutlich in der Schifffahrt engagiert war, vielleicht schon mehrfach in Rom gewesen. Diese Möglichkeit ist mindestens so plausibel wie der Vorschlag von Lohse 415, Tertius, der Bekannte in Rom hatte, habe „eine kurze Pause beim Diktat“ genutzt, „um seinen Zwischenruf anzubringen“. Vgl. Hengel, Evangelienüberschriften, 561 Anm. 103: Nachdem Tertius „die harte Arbeit des Mitstenographierens abgeschlossen hat, meldet auch er sich zu Wort. Bei einem ganz kurzen Schreiben wäre seine ‚Intervention‘ unverständlich.“ Richards, Secretary, 76.170 Jewett 23.978-979; vgl. Richards, Secretary, 171. Chapple, Phoebe, 212-213 bleibt skeptisch: Wahrscheinlich hat Phöbe den Brief vorgelesen. Zur Plausibilität der Identifizierung des Titius Justus von Apg 18,7 mit dem Gaius von Röm 16,23, die auf der Tatsache basiert, dass beide in Korinth ein Haus besaßen, in dem sich die Gemeinde treffen konnte, vgl. Dunn II 910; Jewett 980; Goodspeed, Gaius Titius Justus; Blue, House Church, 174; Keener, Acts III, 2745. Weil Gaius der häufigste röm. Vorname (praenomen) war – allein LGPN hat ca. 490 Belegen für griech. Γα' ¨ιος – ist die Identifizierung völlig sicher. In Apg 19,29 begegnet ein makedonischer Mitarbeiter von Paulus namens Gaius, in Apg 20,4 ein Gaius aus Derbe, der Delegierter der Kollektenreise war, in 3Joh 1 als Empfänger dieses Briefs.
922 Römerbrief ————————————————————————————————————
Namen natürlich nicht ableiten. Die Tatsache, dass er Gastgeber (ξε' νος [xenos])331 von Paulus und wahrscheinlich auch der sich momentan in Korinth aufhaltenden Mitarbeiter des Apostels war, zeigt an, dass er ein nicht zu kleines Haus besaß. Die Aussage, dass er auch der Gastgeber der ganzen Gemeinde (ο� ξε' νος … ο« λης τηñ ς ε� κκλησι'ας) ist, kann anzeigen, dass sein Haus groß genug war, dass sich die gesamte korinthische Ortsgemeinde bei ihm versammeln konnte,332 oder bedeuten, dass Gaius durchreisenden Christen Gastfreundschaft gewährte.333 Grüßen lässt auch Erastus ( » Εραστος [Erastos]). Sein lateinischer Name passt zu der Geschichte der Stadt Korinth, die nach der Zerstörung im Jahr 146 v.Chr. durch den römischen General Lucius Mummius – als Strafe für die führende Rolle im Widerstand der griechischen Städte gegen Rom – im Jahr 44 v.Chr. durch Julius Cäsar als römische Kolonie (Colonia Laus Iulia Corinthiensis) neu gegründet wurde; er siedelte zunächst 3000 Freigelassene und Veteranen in der Stadt an, die die neue römische Verwaltung bildeten;334 seit 27 v.Chr. war Korinth das Verwaltungszentrum der senatorischen Provinz Achaia. Der Name Erastus ist nicht häufig belegt,335 es gibt jedoch Beispiele für Verwaltungsbeamte in Korinth und Athen mit dem Namen Erastus.336 Die Angabe seines Status als städtischer Verwaltungsbeamter (ο� οι�κονο' μος τηñ ς πο' λεως [ho oikonomos tēs poleōs]) erlaubt Rückschlüsse auf seine Position in der Verwaltung der Stadt Korinth.
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K.-L. Elvers, Titius, DNP XII.1, 630 betont, dass die Träger dieses Namens gewöhnlich nicht miteinander verwandt waren. Die Auskunft von Jewett 980, der lat. Name von Gaius Titius Justus zeige seine Verbindung mit der von Horaz und Cicero erwähnten angesehenen Familie, ist zu korrigieren. Bauer/Aland s.v. ξε' νος 2c; G. Stählin, Art. ξε' νος κτλ., ThWNT V, 22.23; J.H. Friedrich, EWNT II, 1190; J. Gillman, Art. Gaius, ABD II, 869. Dunn II 911; Haacker 388; Fitzmyer 749-750; Schreiner 808; Lohse 416. Die Kritik von Jewett 980 u.a. argumentiert mit den vielen Hausgemeinden, deren Glieder sich sicher nicht alle gleichzeitig im Haus des Gaius versammeln konnten; Jewett, der zwischen sechs und zehn Gruppen von Gläubigen zählt, greift wohl zu hoch; die Zahl der Christen in Korinth wird von manchen auf über einhundert Mitglieder geschätzt (Lindemann, Korintherbrief, 13), von anderen auf drei oder vier Dutzend (Dunn, 1 Corinthians, 17-18). Die Bezeichnung von Gaius als ξε' νος der Gemeinde ist sicher nicht problematisch. Michel 483; Käsemann 405; Schlier 451; Wilckens III 146; Jewett 981. Strabo 8,6,23; Plutarch, Caes 57; Cassius Dio 43,50,3-4. Walbank, Early Roman Corinth. LGPN hat 40 Belege für griech. » Εραστος, davon 14 in Attika (Athen, Korinth). Solin, Sklavennamen, 456 listet sechs Belege für Erastus als Name eines Sklaven, darunter vier Belege vom 1. Jh.; daraus kann man allerdings nicht bestätigen wollen, dass Erastus ein Freigelassener war (gegen Jewett 981 Anm. 58). S. jetzt Clarke, Another Corinthian Erastus Inscription, 146-151.
Grüße aus dem Umfeld des Apostels 16,21-23 923 ———————————————————————————————————— Die Schwierigkeit besteht einmal darin, dass das Wort οι� κονο' μος für unterschiedliche Ämter und Funktionen verwendet wurde. Im ptolemäischen Ägypten war der οι� κονο' μος der Finanzverwalter eines Gaus bzw. Bezirks, der für die Vergabe und Kontrolle der Steuerpacht und für die Vergabe der öffentlichen Arbeiten verantwortlich war; im 2. Jh. v.Chr. sank der Rang des οι� κονο' μος; in römischer Zeit wurde das Wort sowohl für kaiserliche Verwalter als auch für die Verwalter großer Landgüter verwendet.337 Zum anderen war die Ämterstruktur selbst in den römischen coloniae, zu denen Korinth gehörte, unterschiedlich: Korinth hatte Ädile und Duumviri, während in der nicht weit entfernten Kolonie Patara Quästoren, Ädile und Duumviri bezeugt sind. Die Administration einer Kolonie kann nicht ohne Weiteres zum Verständnis von Ämtertiteln in einer anderen Kolonie herangezogen werden. Schließlich ist unklar, welche lateinische Amtsbezeichnung dem griechischen Wort οι� κονο' μος entspricht. Vorgeschlagen wurden der arcarius (subalterner Beamter),338 der quaestor (Finanzmagistrat)339 und der aedilis (Beamter verantwortlich für Marktaufgaben).340
Wenn man bedenkt, dass Paulus kein offizielles Dokument verfasst, sondern einen Privatbrief schreibt, in dem es nicht auf institutionelle Exaktheit ankam, dann ist die „Übersetzung“ von aedilis mit dem Wort οι� κονο' μος, auch wenn α� γορανο' μος [agoranomos] besser gepasst hätte, sehr wohl vorstellbar – eine standardisierte Bezeichnung für die Ädilen hat es in Korinth offenbar nicht gegeben, was Epiktet (ca. 55–135 n.Chr.) bestätigt, der Korinth gut kannte und „das dortige Amt des Ädilen mit dem Begriff des Astynomos wiedergibt, während sich in den griechischen Inschriften Korinths im 2. Jh. der Terminus Agoranomos durchsetzt“.341 Die Übersetzung von aedilis mit οι� κονο' μος ist insofern sogar naheliegend, als im lat. aedilis das Wort aedes steckt, was man u.a. mit „Haus“ übersetzen kann, das im griechischen Wort οιòκος heißt. Das Ehrenamt des aedilis, für das man in Korinth für ein Jahr gewählt wurde, beinhaltete die Verantwortung für die Erhaltung und Überwachung öffentlicher Plätze und Bauten, einschließlich der Marktplätze (deshalb die Bezeichnung agoranomos), für die aus diesen ————————————————————
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R.E. Kritzer, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 162-163; Horsley/Llewelyn, New Documents IV, 160-161; auch Landvogt, Untersuchungen. C. Gizweski, Art. Arcarius, DNP II, 123: Der arcarius ist Subalternbeamter bei der Verwaltung einer öffentlichen Kasse [arca] im Verantwortungsbereich eines höheren Beamten. Vgl. Cadbury, Erastus, 42-58; Meggitt, Erastus, 218-223; Friesen, Erastus, 245-249. W. Kierdorf, Art. Quaestor, DNP X, 689-692: Die unterste Stufe des cursus honorum. Man muss zwischen munizipalen, d.h. städtischen Quästoren (subalterne Finanzbeamte) und senatorischen Quästoren unterscheiden, die im Dienst der Stadt Rom, im Dienst des Kaisers oder als quaestor provinciae im Stab eines Provinzstatthalters dienten; vgl. Weiß, Quästoren, 578-579. In diesem Sinn verstehen Erastus Theißen, Soziale Schichtung, 243-245; Meeks, First Urban Christians, 59; Murphy-O’Connor, Paul, 268-270; Goodrich, Erastus, 90-115, zur Kritik Weiß, Quästoren, 576-581; Weiß, Elite, 115-121. C. Gizewski, Art. Aediles, DNP I, 140-141. Vgl. Clarke, Leadership, 46-56; Gill, Erastus, 293-301; Winter, Welfare, 180-195; Weiß, Elite, 121-141. Weiß, Elite, 140, mit Verweis auf Epiktet, Diss 3,1,34; Winter, Welfare, 185-187. Zur folgenden Bemerkung Weiß ebd.
924 Römerbrief ————————————————————————————————————
Einrichtungen eingenommenen Finanzen, für die Getreideversorgung und die Abhaltung von Spielen. Im Jahr 1929 wurde auf der Platzanlage östlich des korinthischen Theaters eine Platte mit einer Inschrift gefunden, die einen Ädil mit dem Namen Erastus bezeugt. Die ergänzte und vervollständigte Inschrift (die mehrere Abkürzungen verwendet) lautet: „[praenomen nomen] Erastus pro aedilit[at]e s(ua) p(ecunia) stravit “, d.h. „[…] Erastus hat diese Pflasterung als Gegenleistung für seine Wahl ins Ädilenamt auf seine Kosten gelegt.“342 Die Identifikation des Erastus in Röm 16,23 mit dem Erastus der Inschrift Kent Nr. 232 ist möglich, aber nicht beweisbar.343
Auch wenn die Identifizierung des Erastus, dessen Grüße an die römischen Christen Paulus in Röm 16,23 ausrichten lässt, mit dem Erastus der Inschrift auf dem Platz vor dem korinthischen Theater in Zweifel zu ziehen wäre: Der Erastus von Röm 16,23 war offensichtlich ein Mann, der Ansehen in der Stadt Korinth genoss, sodass er in ein wichtiges Ehrenamt gewählt werden konnte. Das Haus, das er in Korinth besaß, war offenbar groß genug, dass er Paulus und seine Mitarbeiter sowie durchreisende Missionare und Lehrer bei sich aufnehmen konnte, vielleicht groß genug, dass sich alle Jesusbekenner Korinths zu gemeinsamen Mahlzeiten und Gottesdiensten bei ihm versammeln konnten. Wenn der Erastus von Röm 16,23 identisch ist mit dem Erastus von Apg 19,22 (Paulus schickt Erastus und Timotheus von Ephesus nach Makedonien voraus) und mit dem Erastus von 2Tim 4,20 (Erastus blieb, offenbar im Verlauf einer gemeinsam mit Paulus unternommenen Reise, in Korinth), dann hat „Erastus als ehemaliger Magistrat seine Karriere nicht weiter (verfolgt), sondern sie zugunsten des Evangeliums aufgegeben“, sodass er „von Paulus in Röm 16,23 als Exempel angeführt werden kann für jemand, der ernst gemacht hat mit der christlichen Nachfolge und nicht mehr den traditionellen Denkmustern verhaftet ist“.344 Ob die Angaben zum Status von Erastus, in dessen Haus Paulus Gast ist, das Prestige der Missionspläne mit der impliziten Unterstützung durch Erastus maximieren ————————————————————
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Kent, Inscriptions, 99-100 (Nr. 232); Übersetzung bei Theißen, Soziale Schichtung, 242. Kent, ebd. 100 nimmt ein Datum der Inschrift in der Mitte des 1. Jh.s n.Chr. an. Sehr zuversichtlich ist Winter, Welfare, 180-195; Jewett 981-982. Sturgeon, Theater, 48 akzeptiert die Identifikation als möglich. Kritisch jüngst Friesen, Erastus, 242 mit dem Argument, dass die Erastus-Inschrift in die Mitte des 2. Jh.s n.Chr. zu datieren sei, bemerkt allerdings, dass diese Datierung nicht als völlig gesichert gelten kann, die Inschrift könne auch aus früherer Zeit stammen. Weiß, Elite, 108-115 hält auch angesichts der Studie von Friesen die Identität der beiden Erasti für eine Möglichkeit, die jedoch auf der Grundlage der Datierung der Inschrift nicht zu erweisen ist. Weiß, Elite, 144-145. Zur Identität der drei Erasti s. Theißen, Soziale Schichtung, 237.
Grüße aus dem Umfeld des Apostels 16,21-23 925 ————————————————————————————————————
sollen,345 ist möglich, aber unwahrscheinlich: Paulus hätte diesen Sachverhalt in 15,14-33 auch explizit ansprechen können. Schließlich lässt der Bruder Quartus die römischen Christen grüßen. Der lat. Name Quartus (Κου' αρτος [Kouartos], „Vierter“) ist ein Name von Sklaven und Freigelassenen. Die Beschreibung als „der Bruder“ (ο� α� δελφο' ς [ho adelphos]) ist nicht anti-klimaktisch.346 Die Verwendung des Artikels vor α� δελφο' ς verleiht bei Paulus in den Fällen, in denen er Mitsender seiner Briefe mit der Wendung ο� α� δελφο' ς beschreibt,347 dem Genannten offenbar eine bestimmte Autorität.348 Dies könnte auch auf Quartus zutreffen. Welchen gesellschaftlichen Status Erastus und andere Jesusbekenner auch haben mögen – die wichtigste Wirklichkeit ihres Lebens besteht darin, dass sie alle von Gottes Gnade beschenkte, von Gottes Geist erfüllte Söhne Gottes und deshalb untereinander Bruder und Schwester sind.
Doxologie 16,25-27 I 25 Dem aber, der die Macht hat, euch zu stärken nach meinem Evangelium und der Verkündigung vom Messias Jesus, nach der Offenbarung des Geheimnisses, das in ewigen Zeiten verschwiegen war, 26 jetzt aber offenbart worden ist und durch die prophetischen Schriften nach dem Auftrag des ewigen Gottes kundgetan wurde, damit der Glaubensgehorsam für alle Völker bekannt gemacht wurde, 27 – dem allein weisen Gott, ihm gebührt die Herrlichkeit durch den Messias Jesus für alle Zeiten. Amen. II Die Doxologie gehört mit großer Wahrscheinlichkeit zum Römerbrief.349 Die in der Einleitung (Band I, S. 46-47) vorgetragenen Argumente seien an ————————————————————
345 346
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So Jewett 982-983. Jewett 983 (der 16,25-27 für unecht hält): Der Brief schließt mit einem „faintly resounding thud“ (etwa: mit einem dumpfen, kaum hörbaren Aufschlag). Jewett 983-984 interpretiert α� δελφο' ς im familiären Sinn als Bruder des Erastus. Dieser Vorschlag scheitert an der parallelen Formulierung in V. 23b: Das Verb α� σπα' ζεται mit Akk.-Obj. υ� μαñ ς hat zwei mit και' verbundene Subjekte – » Εραστος und Κου' αρτος –, die beide mit einer Subjektergänzung, jeweils mit dem Artikel ο� eingeführt, näher bestimmt werden: Erastus ist ο� οι� κονο' μος τηñ ς πο' λεως, Quartus ist ο� α� δελφο' ς. 1Kor 1,1 (Sosthenes); 2Kor 1,1 (Timotheus); Kol 1,1 (Timotheus); Phlm 1 (Timotheus). Trebilco, Self-Designations, 23. Bruce 281; Stuhlmacher 225; Moo 936-937; Wright 768; Johnson 221-223; Schreiner
926 Römerbrief ————————————————————————————————————
dieser Stelle kurz wiederholt. 1. Die Form des Röm, die den meisten als ursprünglich gilt – Röm 1,1–16,23 (ohne 16,24) – liegt in keinem einzigen Manuskript vor. 2. Formulierungen in 16,25-27 knüpfen an frühere Aussagen im Röm an350 und entsprechen Formulierungen in anderen Paulusbriefen (vgl. 1Kor 16,22.24). 3. Das Argument, dass Formulierungen in 16,25-27 nur in den angeblich nichtpaulinischen Briefen (Epheserbrief und Pastoralbriefe) vorkommen, ist insofern ein Zirkelschluss, als man die Unechtheit von Eph und Past vor allem mit dem Argument behauptet, dass Wörter und Formulierungen nicht in den als echt akzeptierten Paulusbriefen vorkommen. Es gibt nichts in 16,25-27, was Paulus nicht selbst hätte schreiben oder aus der urchristlichen liturgischen Tradition hätte übernehmen können.351 4. Im Vergleich mit dem Schluss der anderen Paulusbriefe wäre ein Briefschluss mit dem Gruß von Quartus an die Adressaten (16,23) als Ende des Röm äußerst seltsam.352 5. Paulus beendet seine Briefe üblicherweise mit einem Segenwunsch,353 was allerdings auch in Eph und Past der Fall ist,354 mit denen man 16,25-27 vergleicht. 6. Die Aufnahme von Motiven des Präskripts 1,1-7 ist ein Argument nicht für Unechtheit, sondern für Echtheit: Die Verwendung einer inclusio kommt im Röm mehrfach vor.355 8. Wenn die Beweislage für oder gegen Echtheit ausgewogen ist, sollte die handschriftliche Tradition den Ausschlag geben, in der sich die Doxologie einer starken Bezeugung erfreut: Das Argument, dass die Doxologie in manchen Handschriften fehlt, ist nicht beweiskräftig, da man nur auf F G 629 verweisen kann, Manuskripte, die aus dem 9. bzw. 14. Jh. stammen. Die Minus-Lesart ist nicht immer die ursprüngliche. Die Tatsache, dass die Doxologie von vielen Handschriften an anderen Stellen des Briefes erscheint (z.B. d46 nach 15,33, A sowohl nach 14,23 als auch nach 16,23), ————————————————————
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810-811;Witherington 400; Keener 192; Kruse 587; Segalla, Obbedienza, 334-338; Borse, Schlußwort,173-192;Weima, Endings, 218f;Marshall, Conclusion, 170-184; Grieb, Story, 146; Longenecker, Introducing Romans, 34-38; vgl. Hurtado, Doxology, 185-199. Vgl. 16,25 mit 1,1.4.9.11.16.17; 2,17; 16,26 mit 1,2.5; 16,27 mit 3,29-30; 11,33-36. Schmithals 119-120; Wilckens III 148. Theobald II 255: Mit 16,23 klingt „der so grandiose Römerbrief … unspektakulär – gleichsam im pianissimo“ aus. 1Kor 16,23; 2Kor 13,13; Gal 6,18; Phil 4,23; 1Thess 5,28; 2Thess 3,18; Phlm 25. Eph 6,24; 1Tim 6,21; 2Tim 4,22; Tit 3,15; auch Kol 4,18. Vgl. Jewett 1089 s.v. Inclusio. Für Wilckens III 148 ist die Anknüpfung an 1,1-7 das entscheidende Argument, das den Ausschlag für die Entscheidung im Sinn der Unechtheit gibt; aus dem Sachverhalt, die Anknüpfung an 1,1-7 lasse „eine spezifisch literarische Absicht“ erkennen, „den Briefschluß wie das letzte Glied einer Kette an die [sic] erste anzuschließen und den Brief als ganzen so abzurunden“, ergibt sich der Schluss: „Das kann nur das Werk eines Redaktors sein“, nur dann, wenn man dies bereits beschlossen hat.
Doxologie 16,25-27 927 ————————————————————————————————————
ist das Hauptproblem; eine Eliminierung ist die einfachste Lösung, und deshalb verdächtig. Die Doxologie ist mit d61vid אB C D 81 365 630 1739 2464 hervorragend bezeugt.356 Als „Doxologie“ bezeichnet man einen Text, der dem Gegenüber ein nominal formuliertes Heilsgut zuspricht, wobei das Zusprechen „weder nur deskriptiv noch konstitutiv (die Herrlichkeit wird durch das Verherrlichen nicht erst begründet), sondern intensivierend für die Beziehung zwischen dem Adressaten und dem, der spricht“ erfolgt.357 Die übliche Form der Doxologie ist: Nomen (Heilswort) + Dativ der Person, der das Heilswort zugesprochen wird + (fakultativ) „in Ewigkeit“ + „Amen“.358 Die Person im Dativ kann nachgestellt sein, wie in V. 27. Das „Amen“ am Schluss ist liturgische Antwort. Die Doxologie fasst den Inhalt des Röm in hymnischer Sprache zusammen.359 Paulus spricht noch einmal von der Macht Gottes (V. 25), die in der Definition des Evangeliums in 1,16 eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Paulus schreibt noch einmal von der Macht Gottes, weil Gott sie, die Jesusbekenner in Rom, stärken kann (V. 25; 1,11). Paulus spricht noch einmal von „seinem“ Evangelium (V. 25; 2,16) und unterstreicht damit noch einmal, dass die Darstellung des Evangeliums in 1,18–15,13 genau das Evangeliums ist, das er „von Jerusalem aus im Bogen bis nach Illyrien“ verkündigt hat (15,19) und jetzt in Spanien verkündigen will, eine Mission, für die er die Unterstützung durch die römischen Gemeinden erhofft (15,2232), was der Anlass seines Briefes ist. Paulus spricht noch einmal von der Verkündigung vom Messias Jesus (V. 25), der in der Definition des Evangeliums in 1,3-4 und in der Beschreibung seines Verkündigungsauftrags in 1,9 eine grundlegende Bedeutung hatte, wie auch in der Erläuterung des Weges des Evangeliums zum jüdischen Volk (10,8.14.15). Paulus spricht noch einmal vom Geheimnis der messianischen Offenbarung Gottes (V. 25; 11,25), das „jetzt“ offenbart worden ist (V. 26; 3,21).360 Paulus spricht noch ————————————————————
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Kommentatoren, die 16,25-27 für unpaulinisch halten, sollten so konsequent sein und diese drei Verse nicht, oder in einem Anhang, kommentieren, wie Penna 1113: „Appendice redazionale (16,25-27)“. Barth 521 verweist in einer Fußnote auf die Streichung der Doxologie 16,25-27, die er nicht kommentiert. Manche weisen immerhin in Überschriften auf ihre text- bzw. literarkritische Entscheidung hin: Käsemann 405: „Eine unechte Schlußdoxologie“; Byrne 461: „(Inauthentic) Concluding Doxology“; Jewett 996: „The Second Interpolation“. Berger, Formen und Gattungen, 294-295; vgl. Güting, Amen, 133-162. Vgl. Lk 2,14; Röm 11,36; Eph 3,20-21; 1Tim 1,17; 2Tim 4,18; Jud 24-25; Offb 1,5-6; 5,13; 7,10; 7,12. Vgl. Dunn II 913; Matera 346; Weima, Endings, 229. μυστη' ριον V. 25 ist in 11,25 ein zentraler Begriff, ist also kein „Offenbarungsterminus, der wiederum nur in den Deuteropaulinen Verwendung findet“ (Müller, Schluß, 231).
928 Römerbrief ————————————————————————————————————
einmal von den prophetischen Schriften, in denen Gott sein endzeitliches Heilshandeln angekündigt hatte (V. 26; 1,2; 3,21). Paulus schreibt noch einmal vom Glaubensgehorsam für alle Völker (V. 26; 1,5). Und Paulus schreibt noch einmal rühmend von der Herrlichkeit Gottes (V. 27; 9,23; 11,36), die von den Polytheisten gegen selbst gemachte Götter ausgetauscht (1,23) und auch von Israel verpasst wurde (3,7.23), die aber Gottes Verheißung für sein Volk ist (2,7.10) und infolge seines Sühnehandelns im Messias Jesus, in dessen Auferweckung Gottes Herrlichkeit offenbart wurde (6,4), für alle, die wie Abraham glauben und allein Gottes Herrlichkeit im Blick haben (4,20; 15,7), gegenwärtige Hoffnungswirklichkeit ist (5,2; 8,18.23). Die Doxologie 16,25-27 ist im griech. Text ein einziger Satz. Das Subjekt (η� δο' ξα) steht in der letzten Zeile, das Verb (ει»η, Opt.) ist elliptisch ausgelassen; das betont an erster Stelle stehende Dat.-Objekt (τω ñ, δε` δυναμε' νω, υ� μαñ ς στηρι'ξαι) wird in V. 27 mit μο' νω, σοφω ñ, θεω ñ, aufgenommen und erläutert, an der sich das im Sinn von ε� κει'νω, zu interpretierende Rel.-Pronomen ω ð, mit dem Subjekt des Satzes anschließt. Die Struktur des griech. Satzes lässt sich wie folgt darstellen: 25
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τω ñ, δε` δυναμε' νω, υ� μαñ ς στηρι' ξαι κατα` το` ευ� αγγε' λιο' ν μου και` το` κη' ρυγμα � Ιησουñ Χριστουñ κατα` α� ποκα' λυψιν μυστηρι' ου χρο' νοις αι� ωνι' οις σεσιγημε' νου φανερωθε' ντος δε` νυñ ν δια' τε γραφω ñ ν προφητικω ñν κατ’ ε� πιταγη` ν τουñ αι� ωνι' ου θεουñ ει� ς υ� πακοη` ν πι' στεως ει� ς πα' ντα τα` ε» θνη γνωρισθε' ντος μο' νω, σοφω ñ, θεω ñ, δια` � Ιησουñ Χριστουñ ω ð, η� δο' ξα ει� ς του` ς αι� ω ñ νας α� μη' ν
Textkritische Anmerkungen. In V. 26 ist nach προφητικω ñ ν die Plus-Lesart και` τηñ ς ε� πιφανειñας τουñ κυρι'ου η� μω ñ ν � Ιησουñ Χριστουñ (Or Hiermss) zwar früh, aber minimal bezeugt und muss als sekundär gelten. In V. 27 ist die Ersetzung durch αυ� τω ñ, (P 81 104) oder Auslassung (B 630 f syp) des nicht eindeutigen Rel.-Pronomens ω ð, sekundärer Verbesserungsversuch. Die MinusLesart ει�ς του` ς αι� ω ñ νας (d46 B C L Ψ 33 104 365 630 1175 1241 1505 1506 1739 1881 Byz syh sams) kann Anpassung an die einfachere Formel sein, die
Doxologie 16,25-27 929 ————————————————————————————————————
im NT überwiegt, und es gibt keinen guten Grund, weshalb die Plus-Lesart mit τω ñ ν αι� ω' νων (d61 אA D P 81 2464 lat syp bo) ausgelassen worden sein sollte.361 Andererseits spricht für eine sekundäre Hinzufügung der Wendung die Tendenz von Abschreibern, den Text erläuternd zu erweitern.362 Die Minus-Lesart ist früh und breit bezeugt und verdient den Vorzug. Die meisten Handschriften setzen eine subscriptio an das Ende des Röm.363 Die früheste Version nennt die Adressaten: προ` ς � Ρωμαι' ους („an die Römer“; אA B* C D*). Später folgen erweiterte Angaben: προ` ς � Ρωμαι' ους ε� γρα' φη α� πο` Κορι' νθου („an die Römer, geschrieben von Korinth“; B1 D1); προ` ς � Ρωμαι' ους ε� γρα' φη δια` Φοι' βης α� πο` Κορι' νθου („an die Römer, geschrieben durch Phöbe von Korinth“; 35); ε� γρα' φη δια` Φοι' βης α� πο` Κορι' νθου („geschrieben durch Phöbe von Korinth“; 201); προ` ς � Ρωμαι' ους ε� γρα' φη α� πο` Κορι' νθου δια` Φοι' βης τηñ ς διακο' νου („an die Römer, geschrieben von Korinth durch Phöbe, die Diakonin“; 42 90 216 339 462 466* 642); τουñ α� γι' ου και` πανευφη' μου α� ποστο' λου Παυ' λου ε� πιστολη` προ` ς � Ρωμαι' ους ε� γρα' φη α� πο` Κορι' νθου δια` Φοι' βης τηñ ς διακο' νου („Brief des heiligen und von allen zu preisenden Apostels Paulus an die Römer, geschrieben von Korinth durch Phöbe, die Diakonin“; L); ε� γρα' φη η� προ` ς � Ρωμαι' ους ε� πιστολη` Τερτι' ου· ε� πε' μφθη δε` δια` Φοι' βης α� πο` Κορινθι' ων („der Brief an die Römer wurde von Tertius geschrieben, aber gesandt durch Phöbe von den Korinthern“; 337); ε� γρα' φη η� προ` ς � Ρωμαι' ους ε� πιστολη` Τερτι' ου· ε� πε' μφθη δε` δια` Φοι' βης τηñ ς ε� ν Κεγχρεαιñς ε� κκλησι' ας α� πο` Κορινθι' ων („der Brief an die Römer wurde von Tertius geschrieben, aber gesandt durch Phöbe, die aus der Gemeinde in Kenchreä kommt, von den Korinthern“). Auffällig die nach dem 4./5. Jh. durchgehend zu beobachtende Erwähnung der Phöbe als Überbringerin des Briefs.
III
25-26 Paulus schließt den Brief an die römischen Jesusbekenner mit einem
letzten Hinweis auf Gott, der, wie in 11,36b, nur viel ausführlicher, hymnisch gepriesen wird. Die einleitende Wendung Dem, der die Macht hat (τω ñ, δυναμε' νω, [tō dynamenō]), die auch am Anfang der Doxologien in Eph 3,20; Jud 24 steht, betont die Macht Gottes, den die Jesusbekenner anerkennen und anbeten. Das Evangelium Gottes (ευ� αγγε' λιον θεουñ ; 1,1), das Paulus in dem nun fertig geschriebenen Brief entfaltet und erklärt hat, ist grundsätzlich mit der Macht Gottes verbunden, wie die Definition des Evangeliums in 1,3-4.16-17 deutlich gemacht hat: Das Evangelium ist die Botschaft vom gekreuzigten Messias, den Gott infolge seiner Macht (δυ' ναμις [dynamis]) auferweckt und erhöht und als Sohn und Herr (κυ� ριος [kyrios]) proklamiert hat, und im Evangelium offenbart sich die Macht Gottes (δυ' ναμις θεουñ [dynamis theou]), der Sünder aus Juden und Griechen rettet, indem er ihnen im Anschluss an sein Sühnehandeln im Messias Jesus Gerechtigkeit gewährt. Dieser Gott hat die Macht, die Jesusbekenner in der Hauptstadt des ————————————————————
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Cranfield II 813; Jewett 97. Die Plus-Lesart liest NA25. Vgl. Metzger, Textual Commentary, 477. So lesen NA26-28. Vgl. NA25; Metzger, Textual Commentary, 477.
930 Römerbrief ————————————————————————————————————
Römischen Reiches (υ� μαñ ς) zu stärken (στηρι'ξαι [stērixai]); s. zu 1,11), d.h. ihren Glauben und ihren Gehorsam (1,5) zu festigen und zu erhalten. Der Glaube an Gott und seinen Messias ist immer angefochten – von Tod und Leben, von Engeln und Mächten, von Gegenwärtigem und Zukünftigem (8,38-39) – und bedarf deshalb der Stärkung, die bei aller Unterweisung in den Versammlungen der Gemeinde (und im Röm selbst!) nur von Gott kommen kann. Paulus selbst bedarf der stärkenden Macht Gottes, wenn er bald nach Jerusalem aufbricht und wenn er, wenn alles nach Plan geht, über Rom nach Spanien reist und dort eine neue missionarische Arbeit beginnt, in der die römischen Christen mitarbeiten können und sollen. Die Stärkung im Glauben geschieht nach meinem Evangelium (κατα` το` ευ� αγγε' λιο' ν μου [kata to euangelion mou]). Das Evangelium Gottes ist sowohl das Mittel, wodurch der allmächtige Gott die Jesusbekenner stärkt, als auch die Norm, an der sich die Stärkung des Glaubens und des Gehorsams ausrichtet.364 Wie in 1,1, wo auf das Stichwort „Evangelium“ eine ausführliche, definitorische Erläuterung folgt (1,2-4), beschreibt Paulus in den folgenden Formulierungen noch einmal das Evangelium. Erstens, das Evangelium ist die Verkündigung vom Messias Jesus (το` κη' ρυγμα � Ιησουñ Χριστουñ [to kērygma Iēsou Christou]).365 Im Röm verwendet Paulus das Wort κη' ρυγμα nur hier,366 das Verb κηρυ' σσω (s. zu 10,8) kommt häufiger vor.367 Das Evangelium von Gottes heilschaffendem Handeln im Messias Jesus ist die Macht Gottes, und das Evangelium ist der Maßstab, nach dem sich der Glaube und der Gehorsam der Jesusbekenner immer ausrichten wird und muss. Mit der Formulierung „mein Evangelium“ verweist Paulus nicht auf eine Besonderheit seiner Verkündigung, sondern auf das Evangelium, das er und alle anderen Apostel und Mitarbeiter (von denen er eine ganze Reihe in V. 3-16 grüßte) kontinuierlich verkündigen. ————————————————————
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Die Präp. κατα' + Akk. hat hier sowohl normative („gemäß, nach, entsprechend“) als auch modale („durch, infolge“) Bedeutung. Vgl. HvS §184k.cc(1) u. (4). Beide Bedeutungen verbinden auch Schlier 452-453; Dunn II 914. Schlatter 405 betont das Mittel, Käsemann 408 die Norm. Das και' , das ευ� αγγε' λιον und κη' ρυγμα verbindet, ist epexegetisch (explikativ). Der Gen. � Ιησουñ Χριστουñ ist gen. objectivus. Möglich wäre ein gen. auctoris: Der Messias Jesus ist der Urheber des Evangeliums, das Paulus und die Apostel verkündigen; im Kontext, in dem Paulus Gottes Handeln betont, ist dieses Verständnis weniger wahrscheinlich. Vgl. 1Kor 1,21; 2,4; 15,14; 2Tim 4,17; Tit 1,3. In den Papyri bezeichnet κη' ρυγμα formelle Kundgebungen und öffentliche Bekanntgaben, vor allem im öffentlichen Rechtswesen; die Kundgebung richtet sich an den Adressaten „mit der implizierten Aufforderung, auf den Inhalt zu reagieren“ (F. Winter, in Arzt-Grabner, 1. Korinther, 92-93; vgl. P.Petr. III 125; P.Hamb. I 29; P.Fuad I Univ. 31). Röm 2,21; 10,8.14.15; 1Kor 1,23; 9,27; 15,11.12; 2Kor 1,19; 4,5; 11,4; Gal 2,2; 5,11; Phil 1,15; Kol 1,23; 1Thess 2,9; 1Tim 3,16; 2Tim 4,2.
Doxologie 16,25-27 931 ————————————————————————————————————
Zweitens, das Evangelium, d.h. die Verkündigung vom Messias Jesus, ist die Offenbarung des Geheimnisses (α� ποκα' λυψις μυστηρι'ου [apokalypsis mystēriou]). Das Subst. α� ποκα' λυψις368 bezeichnet hier nicht das zukünftige endzeitliche Gericht (2,5) oder die zukünftige Manifestation der Kinder Gottes am Übergang von dieser zur neuen Schöpfung (8,18), sondern die Offenbarung des endzeitlichen, in der Gegenwart Heil schaffenden Handelns Gottes im gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus, das alle Sünder aus Heiden und Juden erfasst und das messianische Gottesvolk aus Heiden und Juden schafft, die wie Abraham glauben und erfahren, dass Gott den Gottlosen rechtfertigt. Das Wort μυστη' ριον (s. zu 11,25) bezeichnet Gottes Heilshandeln in Tod und Auferweckung des Messias Jesus, vgl. 1Kor 2,1 mit der Betonung des gekreuzigten Messias. In Kol 1,26-27 und Eph 3,5-6 entfaltet Paulus dieses „Geheimnis“ der Heil schaffenden Offenbarung Gottes ausführlicher.369 Drittens, das Evangelium war in ewigen Zeiten verschwiegen (χρο' νοις αι� ωνι' οις σεσιγημε' νου [chronois aiōniois sesigēmenou]). In 1Kor 2,7 beschreibt Paulus das Evangelium als „Gottes Weisheit, die ein verborgenes Geheimnis darstellt“: Das Geheimnis der Weisheit Gottes ist die Tatsache der Heilsoffenbarung Gottes im Tod Jesu am Kreuz – insofern ein Geheimnis, als es Juden und Griechen, die die Verkündigung von einem gekreuzigten und auferstandenen Messias und Kyrios als Ärgernis und als Torheit ablehnen, verborgen ist (α� ποκεκρυμμε' νην). Hier geht es weniger um die missionarisch-existenzielle Dimension der Verborgenheit der messianischen Heilsoffenbarung Gottes, als um die heilsgeschichtliche Dimension: Gott hat sein messianisches Heilshandeln durch den Sühnetod und die Auferweckung seines Sohnes „in ewigen Zeiten“,370 d.h. seit dem Eintritt der Sünde in die Welt (dazu 5,12-21; 7,7-11) „verschwiegen“, d.h. nicht offenbart. Das Ptz. σεσιγημε' νου ist pass. divinum; das Perfekt beschreibt einen Zustand, der die Vergangenheit seit dem Sündenfall kennzeichnet. Das Evangelium ist in der Vergangenheit nicht zur Verlautbarung gekommen: Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, kein Herz hat es erkannt (1Kor 10,9, mit Zitat Jes 64,3).371 ————————————————————
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S. zu 2,5, zum Verb α� ποκαλυ' πτω s. 1,17.18; 2,5. Vgl. 2Tim 1,9-10; Tit 1,2-3; 1Petr 1,20. Die Angabe χρο' νοις αι� ωνι' οις ist temporaler Dativ (selten); HvS §182b. Die Aussage vom „Schweigen“ Gottes ist singulär im NT. Verbindungen zu 4Esr 6,3839; 7,30; syrApkBar 3,7 bestehen nicht, wo vom Schweigen Gottes vor der Schöpfung, die durch sein Sprechen entstand, die Rede ist. Käsemann 409: „Unser Text handelt nicht vom göttlichen Wort, das ins Schweigen der Welt springt, sondern von demjenigen, das auf göttliches Schweigen folgt“. Die gnostische σιγη' -Spekulation hat wohl an diesen Text angeknüpft; Lührmann, Offenbarungsverständnis, 122-123; Käsemann, ebd.
932 Römerbrief ————————————————————————————————————
Viertens, das Evangelium ist jetzt aber offenbart worden (φανερωθε' ντος δε` νυñ ν [phanerōthentos de nyn]).372 Diese Aussage greift 3,21 auf: „Jetzt aber (νυνι` δε' ) ist unabhängig vom Gesetz Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden (πεφανε' ρωται), bezeugt vom Gesetz und den Propheten“. Vgl. Kol 1,26; 2Tim 1,10; Tit 1,3. Das Ptz. φανερωθε' ντος ist wieder pass. divinum; der Aorist verweist auf die Heil schaffende, im Evangelium verkündigte Offenbarung Gottes als Ereignis. Was der Inhalt des offenbarten Geheimnisses ist, wurde in V. 25 mit dem Wort „Evangelium“ und der Wendung „Verkündigung vom Messias Jesus“ angezeigt – und bildet den Inhalt des Hauptteils des Röm. Das „jetzt“-Ereignis der Offenbarung Gottes ist das Kommen des davidischen Messias, sein Tod am Kreuz, seine Auferweckung und seine Erhöhung zum Herrn (1,3-4) – eine Offenbarung, die den Sündern aus Griechen und Juden (1,18–3,20) infolge der göttlichen Gnade die Sühnung der Sünden, Gottes Gerechtigkeit, Frieden mit Gott und die gewisse Hoffnung auf die Teilhabe an der Herrlicheit Gottes gewährt (3,21– 5,21) und ihnen das Leben als Gottes Volk ermöglicht, das Gottes Willen verpflichtet ist und in der Kraft des Heiligen Geistes lebt (6,1–8,39) und zu dem alle Jesusbekenner aus den Heiden und aus Israel gehören (9,1–11,36). Die folgenden Wendungen beschreiben die Heil schaffende Offenbarung Gottes, die das Evangelium ist und im Evangelium vom Messias Jesus verkündigt wird, im Blick auf die Autorisierung durch die Schrift, im Blick auf die heilsgeschichtliche Autorität Gottes, im Blick auf das Ziel des Evangeliums und im Blick auf die geographische Reichweite des Evangeliums. Erstens, das Evangelium wurde als Offenbarung des Geheimnisses Gottes durch die prophetischen Schriften kundgetan.373 Das (nicht übersetzte) τε verbindet diese Aussage mit den folgenden Beschreibungen.374 Das Verb γνωρι' ζω [gnōrizō] bedeutet „bekanntmachen, zu erkennen geben, offenbaren“. Das Ptz. γνωρισθε' ντος ist wieder pass. divinum; der Aorist zeigt wieder das jetzt eingetretene Ereignis der göttlichen Offenbarung an. Die „prophetischen Schriften“ (γραφαι` προφητικαι' [graphai prophētikai]) sind in erster Linie die atl. Schriften (1,1-2), auf die sich Paulus immer wieder bei seiner Erläuterung des Evangeliums berufen hat. Ausleger, die 16,25-27 als nachpaulinischen Text verstehen, sehen in den prophetischen Schriften „den im Entstehen begriffenen Kanon heiliger Schriften, deren ‚prophetischer‘
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Zum sog. Revelationsschema vgl. 1Kor 2,7-10; Kol 1,26-27; Eph 3,5.9-10; 2Tim 1,9-10; Tit 1,2-3; 1Petr 1,20. Käsemann 409; Wilckens III 150-151; Berger, Formen und Gattungen, 327. Die Wendung δια' τε γραφω ñ ν προφητικω ñ ν ist mit dem Ptz. γνωρισθε' ντος zu verbinden. Cranfield II 811; Wilckens III 150 Anm. 708; Dunn II 915; Lohse 418 Anm. 5; gegen Käsemann 410; Schlier 454.
Doxologie 16,25-27 933 ———————————————————————————————————— Charakter offenbar (griechisch gedacht) eben für ihn, den Paulusschüler, in der Offenbarung des ‚Geheimnisses‘ besteht“ zu dem, gerade für diesen, der Röm gehört, der mit dieser Aussage indirekt autorisiert wird.375 Selbst wenn man an einen späteren Autor denkt, ist diese Interpretation nicht überzeugend: Diese Aussage am Schluss des Briefes erinnert an die fast identische Aussage am Anfang (1,2) und an die vielen atl. Zitate und Anspielungen, die die Erläuterung des Evangeliums in Kap. 1-15 durchgehend begründen und begleiten.
Die heiligen Schriften Israels waren das Medium von Gottes Offenbarung, in dem er das endzeitliche Heil angekündigt und vorbereitet hat, das jetzt durch den Messias Jesus Wirklichkeit geworden ist. „Prophetisch“ bedeutet hier, „die messianische Heilsoffenbarung Gottes bezeugend“. Zweitens, das Evangelium steht unter der heilsgeschichtlichen Autorität Gottes: Die heilschaffende Offenbarung im Messias Jesus geschah nach dem Auftrag des ewigen Gottes. Die Offenbarung „jetzt“ im gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias Jesus, nach den langen Zeiten des Schweigens, geschah nach der konkreten „Anordnung“ (ε� πιταγη' [epitagē]) Gottes.376 Die Präpositionalwendung κατ’ ε� πιταγη` ν τουñ αι� ωνι'ου θεουñ ist nicht mit den beiden folgenden Wendungen zu verbinden und im Sinn des Auftrags zur Verkündigung des Evangeliums vor allen Völkern zu interpretieren,377 sondern im Kontext der vorausgehenden Aussage auf die volle Offenbarung des von Gott beschlossenen Heils zum Zeitpunkt des Kommens des Messias Jesus zu interpretieren.378 Das Gottesprädikat „ewig“ kommt nur hier im NT vor, entspricht jedoch atl. und jüdischen Formulierungen.379 In 1,23 spricht Paulus vom „unvergänglichen Gott“ (α» φθαρτος θεο' ς), in 1Tim 1,17 vom „König der Ewigkeit“ (βασιλευ` ς τω ñ ν αι� ω' νων). Drittens, das Evangelium hat das Ziel, Glaubensgehorsam (ει� ς υ� πακοη` ν πι'στεως [eis hypakoēn pisteōs]) zu bewirken. Paulus knüpft bewusst an 1,5 an: Das Ziel der Offenbarung Gottes in seinem Evangelium vom Messias ————————————————————
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Wilckens III 150; vgl. Käsemann 410: „Paulinische Briefe müssen … einbezogen werden, Evangelien können mitgemeint sein“; Lohse 418: „urchristliche Bücher“. Ähnlich Hengel, Überlegungen, 337. Weshalb Paulus sich nicht auf die atl. Schriften beziehen können soll, ist nicht einzusehen. Paulus verwendet ε� πιταγη' von der konkreten Anordnung Gottes hinsichtlich seiner Berufung zum Apostel in 1Tim 1,1; Tit 1,3; von der konkreten Weisung Jesu in 1Kor 7,6; 7,25; vom Einsatz seiner apostolischen Autorität in 2Kor 8,8; Tit 2,15. So Wilckens III 150; Haacker 393; Lohse 418. W. Grimm, EWNT II, 103; G. Delling, Art. ε� πιταγη' , ThWNT VIII, 37; Käsemann 410; Cranfield II 812; Schlier 454; Moo 940; Schreiner 813. Gen 21,33 ( ;ֵאל ע ֹוָלםLXX Θεο` ς αι� ω' νιος); Jes 26,4 ( ;ְיהָוה צּור ע ֹוָלִמיםLXX: ο� θεο` ς ο� με' γας ο� αι� ω' νιος); 40,28 ( ;ֱאל ֵֹהי ע ֹוָלםLXX θεο` ς αι� ω' νιος ο� θεο' ς); sowie Dan LXX Sus 35; Bar 4,8; 2Makk 1,25; äthHen 75,3; Jub 12,29; 13,8; 25,15; Philo, Plant 8.74.89. Vgl. H. Sasse, Art. αι� ω' ν κτλ., ThWNT I, 200-202; Dupont, Μο' νοι θεοι' ; Delling, ΜΟΝΟΣ ΘΕΟΣ; Michel 489; Dunn II 916.
934 Römerbrief ————————————————————————————————————
Jesus, und damit das Ziel der missionarischen Verkündigung des Evangeliums, das ihm und anderen Verkündigern aufgetragen ist, besteht darin, Glauben an Gottes Heilsoffenbarung zu wecken und Menschen zum Gehorsam gegenüber Gott und seinem Messias zu führen.380 Viertens, das Evangelium hat eine alle Völker umfassende geographische Reichweite: Es gilt für alle Völker (ει� ς πα' ντα τα` ε» θνη [eis panta ta ethnē]). Auch diese Formulierung knüpft an 1,5 an, geht aber über diese vielleicht in dem Sinn hinaus, dass mit ε» θνη nicht nur die heidnischen, nichtjüdischen, polytheistischen Völker gemeint sind, wie sonst im Röm,381 sondern – am Ende der Erläuterung von Gottes Evangelium, das für Griechen/Heiden (1,18-32) genauso gilt wie für die Juden/Israel (2,1–3,10; 9,1– 11,32) – alle Völker im Sinn des Missionsbefehls Jesu Mt 28,19, der seine Jünger zu πα' ντα τα` ε» θνη [panta ta ethnē] sendet, zu allen Völkern, ohne Unterscheidung von Heiden und Juden.382 Heiden, die glauben wie Abraham geglaubt hat, gehören zum messianischen Volk Gottes (4,1-25) wie Juden, die sich nicht auf ihr Israel-Sein verlassen (9,1–11,32), die nicht über das Evangelium vom gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Messias als Stein des Anstoßes stolpern, sondern der im Messias Jesus offenbarten Gerechtigkeit Gottes gehorchen und gerettet werden (10,1-13; 11,25-32). 27 Der Lobpreis des Apostels gilt – jetzt kommt der Höhepunkt – dem allein weisen Gott (μο' νω, σοφω ñ, θεω ñ, [monō sophō theō]). Das „allein“ erinnert an das Grundbekenntnis Israels Deut 6,4 „Gott ist einer“ (ειðς ο� θεο' ς), auf das Paulus in 3,29-30 verwiesen hatte.383 Die „allein“-Prädikation ist hier ein hymnisches Element.384 In 11,33-34 hatte Paulus die „Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes“ gerühmt, dessen Gerichte unerforschlich und dessen Wege unergründlich sind, dessen Sinn kein Mensch durchschaut und der keine Ratgeber braucht. Auch die Erläuterung des Evangeliums im Röm hat die Weisheit Gottes nicht ausgeschöpft. Weil Gott allein weise ist, gilt: ihm gebührt die Herrlichkeit (ω ð, η� δο' ξα [hō hē doxa]). Das Rel.-Pronomen ω ð, bezieht sich im Kontext der Doxologie auf den allein weisen Gott:385 Diesem Gott, der die Macht hat, die Jesus————————————————————
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Von υ� πακοη' sprach Paulus nach 1,5 in 5,19; 6,16; 15,18; 16,19. 1,5.13; 2,14.24; 3,29; 4,17.18; 9,24.30; 10,19; 11,11-13.25; 15,9-12.16.18.28; 16,4. Die LXX verwendet ε» θνη häufig in diesem Sinn, vgl. K.L. Schmidt, ThWNT II, 366-367. Vgl. Hahn, Mission, 109-111; Trilling, Israel, 26-28; Frankemölle, Jahwe-Bund, 119123; Davies/Allison, Matthew III, 684; Schnabel, Urchristliche Mission, 356-358. Vgl. 1Tim 1,17; 6,15; Joh 5,44; 17,3; Jud 25. Zu den jüdischen Parallelen Dupont, Μο' νοι θεοι' , 362-375; Delling, ΜΟΝΟΣ ΘΕΟΣ, 474-475; Kamlah, Untersuchungen, 83-84. Vgl. Berger, Formen und Gattungen, 299. D.h. ω ð, nimmt θεω ñ, auf und ist im Sinn von ε� κει' νω, zu interpretieren; vgl. 1Petr 4,11.
Doxologie 16,25-27 935 ————————————————————————————————————
bekenner in Rom zu stärken, der sich im Evangelium zum Heil und zum Glaubensgehorsam der Völker geoffenbart hat, gehört der Machtglanz, die Herrlichkeit, der Rang und die Würde, und zwar für alle Zeiten (ει� ς του` ς αι� ω ñ νας [eis tous aiōnas]), für immer und ewig. Die Herrlichkeit Gottes strahlt durch den Messias Jesus (δια` � Ιησουñ Χριστουñ ) auf: Da Gott seine Heil schaffende Gerechtigkeit in Jesus geoffenbart hat, wird er als der eine, weise Gott im Anschluss an den Glauben an Jesus als gekreuzigter, auferstandener und erhöhter Kyrios angebetet. Man kann das Relativpronomen ω ð, auch auf den Messias Jesus (� Ιησουñ ς Χριστο' ς) beziehen: Paulus geht unversehens vom Lobpreis der Herrlichkeit Gottes über zum Lobpreis der Herrlichkeit des erhöhten Messias Jesus, sozusagen ohne Rücksicht auf die grammatische Unebenheit, die dabei entsteht.386 Kein Zweifel besteht, dass Gottes Heilshandeln in und durch Jesus der Anlass und der Inhalt des Lobpreises ist, der in der Doxologie ausgedrückt wird, und dass Jesus der Kyrios ist (10,13 [Joel 2,32]), der zwar nach dem Fleisch aus Israel kommt, aber „über allem ist“ und deshalb als „der in Ewigkeit gepriesene Gott“ (9,5) angebetet wird. Weil Jesus das Ja zu allem ist, was Gott verheißen hat, „rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auf das Amen“ (2Kor 1,20). Glaube an den allein weisen Gott, der sich zum Heil der Völker geoffenbart hat, ist der Glaube an Jesus als den gekreuzigten, auferstandenen, erhöhten Kyrios. Paulus bestätigt die Wahrheit des Evangeliums, die er im Röm erläutert und in V. 25-27 doxologisch gepriesen hat, mit dem Wort Amen (α� μη' ν [amēn]; hebr. ’[ ָאֵמןāmen]).387 Gleichzeitig lädt er die römischen Jesusbekenner ein, die den vorgelesenen Sätzen des Röm bis hierher gefolgt sind, ebenfalls die Wahrheit Gottes im Evangelium vom Messias Jesus mit einem von Herzen kommenden, triumphierenden Amen zu bekräftigen: Das ist wahr!388 Wer Gott die Ehre gibt, der gibt dem Messias Jesus die Ehre und betet den einen wahren, weisen Gott an: Soli Deo Gloria. ————————————————————
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Cranfield II 813. Zur folgenden Bemerkung s. Hurtado, Lord Jesus Christ, 151-152. H. Schlier, Art. α� μη' ν, ThWNT I, 339-342; H.-W. Kuhn, EWNT I, 166-168; H. Bietenhard, ThBLNT II, 1845f. In der LXX wird אֵמן ָ in der Regel mit γε' νοιτο [genoito] („so sei es“) wiedergegeben (Num 5,22; Deut 27,15; Ps 71,19 LXX), manchmal mit α� μη' ν (1Chron 16,36; Neh 5,13; 8,6). Eine Röm 16,27 vergleichbare Stelle ist Neh 8,6: Als Esra das Buch des Gesetzes vor dem versammelten Volk aufschlug und den Herrn, den großen Gott, pries, „antworteten alle mit erhobenen Händen: Amen, amen! Sie verneigten sich, warfen sich vor dem Herrn nieder, mit dem Gesicht zur Erde“. Im NT ist α� μη' ν 136 Mal belegt: 101 Mal in den Evangelien, 12 Mal bei Paulus: Röm 1,25; 9,5; 11,36; 15,33; 16,27; 1Kor 14,16; 2Kor 1,20; Gal 1,5; 6,18; Eph 3,21; Phil 4,20; 1Thess 3,13; 1Tim 1,17; 6,16; 2Tim 4,18. Jesus bekräftigte seine eigenen Worte mit einem vorangestellten, sog. nicht-responsorischen Amen, das seine Vollmacht zum Ausdruck bringt. Bengel 621: et omnis lector fidelis dicat: Amen!
Literaturverzeichnis 937 ————————————————————————————————————
1. Literaturverzeichnis Kommentare werden mit Nennung von Autor und Seitenangabe zitiert, die übrige Sekundärliteratur mit dem Namen des Autors und abgekürztem Titel. Artikel aus Wörterbüchern und Enzyklopädien werden im Literaturverzeichnis nicht eigens aufgeführt. Für Abkürzungen, die im Abkürzungsverzeichnis nicht aufgeführt sind, konsultiere man S. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (Berlin 21992, 32014), sowie L. Coenen/K. Haacker, Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament (Wuppertal 1997–2000) und H. Cancik, H. Schneider / M. Landfester, Der Neue Pauly (Stuttgart/Weimar 1996–2010).
Kommentare zum Römerbrief Für die Liste der Römerbriefkommentare, die seit der Alten Kirche bis 2014 geschrieben wurden, siehe Band I, S. 589-616. Neu veröffentlichte Kommentare, die nicht berücksichtigt werden konnten: Longenecker, Richard N. The Epistle to the Romans. New International Greek Testament Commentary. Grand Rapids 2016 (Februar) Porter, Stanley E. The Letter to the Romans. A Linguistic and Literary Commentary. Sheffield 2015 (November) Thielman, Frank. Romans. Zondervan Exegetical Commentary on the New Testament. Grand Rapids 2016
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994 Römerbrief ————————————————————————————————————
2. Autorenverzeichnis Aageson, James W. 284, 505 Aalen, Sverre 721 Aasgaard, Reidar 258, 811, 814, 845 Abasciano, Brian J. 289, 291, 305, 309, 313, 320 Achtemeier, Paul J. 571 Adam, Traute 666 Adams, Edward 697 Adams, James N. 857 Ådna, Jostein 564 Agersnap, Søren 19, 34, 38, 43, 57 Agosto, Efrain 855 Aland, Barbara 21 Aland, Kurt 21, 178, 665, 677 Albrecht, F. 781 Aletti, Jean Noël 122, 167, 285, 504 Alexander, Philip S. 171, 483 Alkier, Stefan 823 Allen, Roland 181, 827 Allison, Dale C. 457, 615, 632, 758, 778, 934 Althaus, Paul 84, 103, 717, 868 Ameling, Walter 383, 881 Amstutz, Joseph 608 Andé, G. 760 Andreau, J. 695 Arichea, Daniel C. 855, 858 Armstrong, Elizabeth 474 Arzt-Grabner, Peter 23, 28, 46, 52, 56, 70, 73, 88, 106, 114, 132, 154, 175, 197, 208, 239, 244, 274, 278, 310, 321, 354, 363, 370, 371, 374, 387, 391, 414, 431, 443, 451, 490, 559, 567, 574, 590, 593, 598, 599, 605, 609, 610, 618, 620, 623, 630, 642, 644, 647, 679, 682, 685, 688, 693, 703, 740, 743, 745, 757, 769, 771, 815, 828, 832, 835, 837, 839, 843, 855, 856, 858, 867, 872, 906, 919, 923, 930 Ascough, Richard S. 839, 843 Aune, David E. 101, 600-603, 649 Aus, Roger D. 827 Ausbüttel, Frank M. 677, 690 Aust, H. 290 Avemarie, Friedrich 31, 33, 377, 378, 381384, 597, 782
Baarda, Tjitze 395 Bacher, Wilhelm 129 Bachmann, Michael 167, 363, 500, 502, 507, 757, 908 Backhaus, Knut 34 Badenas, Robert 376, 377 Baker, Murray 448, 939 Balch, David L. 549 Balz, Horst R. 22, 41, 81, 88, 89, 188, 233, 237, 240, 243, 251, 257, 264, 266, 289, 332, 410, 411, 455, 542, 543, 568, 570, 573, 603, 604, 622, 637, 651, 672, 682, 686, 692, 694, 695, 716, 755, 757, 762, 773, 790, 793, 817, 834, 855, 864, 884, 910, 911 Bammel, Ernst 672, 678, 681 Barceló, P. 833 Barclay, John M.G. 23, 62, 63, 71, 78, 284, 303, 314, 346, 462, 501, 502, 504, 546, 547, 669, 731, 732, 742, 746, 773, 774, 775 Barentsen, Jack 637 Barnes, Timothy D. 890 Barnikol, Ernst 666 Barrett, C.K. 42, 43, 108, 122, 167, 192, 242, 257, 335, 431, 447, 456, 461, 462, 499, 549, 568, 570, 592, 593, 608, 637, 651, 686, 689, 713, 723, 730, 763, 769, 771, 774, 788, 903 Bartchy, S. Scott 623, 637 Barth, Gerhard 37, 43 Barth, Karl 61, 124, 295, 315, 349, 382, 446, 460, 465, 493, 568, 676, 818, 927 Barth, Markus 42, 493, 537, Bartsch, H.-W. 569, 570, 572 Bassler, Jouette M. 858 Battles, Ford Lewis 667 Bauckham, Richard J. 483, 548, 550, 551, 716, 857, 865, 868, 881, 882, 884, 885, 887, 888, 892, 893, 895 Bauer, Johannes B. 253 Bauer, Karl-Adolf 54, 562 Bauer, Thomas Johann 222 Bauer, Walter 665
Autorenverzeichnis 995 ———————————————————————————————————— Bauernfeind, O. 239, 250, 322, 607, 608, 655 724 Baum, Gregory 286 Baumbach, Günther 620 Baumert, Norbert 597, 598, 787 Baumgärtel, W. 111 Baumgarten, J. 576, 620, 815 Baur, Ferdinand Christian 903, 905 Baxter, A.G. 466 Bayer, H.F. 688 Beale, Gregory K. 326 Becker, Jürgen 163, 446, 504, 596, 645, 657, 872, 879 Becker, O. 88, 89, 861 Beckheuer, Burkhard 837 Behm, J. 290, 545, 563, 574, 576, 577, 727, 815, 908 Bell, Richard H. 413, 414, 418, 444, 446, 461, 500, 501, 524 Belleville, Linda 560, 872, 885 Belli, Filippo 284 Benoit, Pierre 135, 234 Berger, Klaus 69, 233, 306, 462, 467, 589, 597, 708, 730, 837, 840, 860, 903, 909, 927, 932, 934 Bergmeier, R. 40, 375 Bertone, John A. 220 Bertram, G. 40, 132, 206, 243, 636, 771, 875, 911 Betz, Hans Dieter 34, 43, 169, 330, 331, 386, 387, 570, 584, 676, 837, 840, 904 Betz, Otto 362, Beutler, J. 857 Beyer, H.W. 451, 609 Beyer, W. 631 Beyreuther, E. 620, 815 Bielefeldt, Heiner 664 Bietenhard, H. 31, 370, 451, 567, 607, 629, 682, 828, 857, 912, 935 Birkel, Simone 261 Bjerkelund, Carl Johan 557, 559, 845 Black, David A. 616 Black, Matthew 42, 108, 650, 881 Blank, Josef 582 Bläser, Peter 705 Bleicken, Jochen 677, 690 Blue, Bradley B. 921 Blumell, Lincoln H. 867, 880 Blumenfeld, Bruno 912
Böcher, O. 385, 912 Böckler, Annette 39 Boismard, Marie-Émile 905 Bölte, F. 859 Bolton, David L. 760 Bolyki, János 638, 639 Bonda, John 548 Bonhoeffer, Dietrich 66, 67 Borek, Waclaw 55 Borg, Marcus J. 672 Bornkamm, Günther 42, 43, 119, 121, 123, 128, 130, 212, 333, 490, 537, 548, 688, 827, 904 Borowski, O. 244 Borse, Udo 76, 926 Bosch, Jorge Sánchez 605 Botha, Jan 675, 676, 679 Bourke, Myles M. 460, 465 Bousset, Wilhelm 34 Bouyer, Louis 490 Bowers, W. Paul 826, 832, 833 Bradley, Keith R. 71 Brandenburger, Egon 198, 502, 620 Brandis, C.G. 860 Brändl, Martin 322, 323, 846, 847, 853, 854 Bratsiotis, N.P. 111 Brauer, S. 683 Braumann, G. 559 Braun, Herbert 124, 329 Braunert, Horst 690 Bremmer, J.N. 563 Breytenbach, Cilliers 242, 834, 944 Brieskorn, Norbert 664 Bring, Ragnar 377 Brockhaus, Ulrich 55, 597, 598, 858 Brockmeyer, Norbert 71 Broer, Ingo 330, 504, 676 Brooten, Bernadette J. 872, 883 Brown, Raymond E. 491, 890 Brox, Norbert 571 Bruce, F.F. 121, 282, 295, 385, 461, 499, 826, 918, 925 Bryan, Christopher 353 Buchegger, Jürg 557, 558, 560, 574, 576-578 Büchsel, Friedrich 75, 165, 329, 471, 577, 622, 623, 632, 639, 648, 832 Bultmann, Rudolf 74, 91, 100, 119, 121, 128, 141, 165, 177, 181, 213, 219, 273, 289, 321, 372, 377, 400, 408, 470, 492, 559,
996 Römerbrief ———————————————————————————————————— 560, 562, 592, 595, 598, 604, 610, 611, 666, 689, 762, 792 Burchard, Christoph 102-105 Burer, Michael H. 885 Burke, Trevor J. 222, 944 Burnett, Gary W. 121, 122 Byrne, Brendan J. 32, 188, 199, 202, 227, 233, 237, 240, 267, 269, 292, 295, 377, 454, 554, 604, 705, 713, 905, 927 Cadbury, Henry J. 549, 923 Calhoun, Robert M. 766 Calpino, Teresa J. 862 Calvin 32, 43, 145, 231, 349, 357, 456, 473, 505, 552, 561, 568, 603, 644, 652, 656, 667, 763, 773, 799, 800, 852 Campbell, J.G. 782 Campbell, Joan Cecelia 855 Campbell, William S. 592 Campenhausen, Hans von 392, 672, 676 Camponovo, Odo 765 Cancik, Hubert 667, 676 Caragounis, Chrys C. 88, 89, 490, 879, 890, 903 Carraway, George 295 Carrez, Maurice 878 Carroll, S.T. 892 Carter, Timothy L. 669, 687 Casabona, Jean 563 Catchpole, David R. 122 Cepas, Adela 834 Cervin, Richard S. 872 Chae, Daniel J.-S. 501 Chang, Hae-Kyung 122, 233, 234, 242 Chantraine, Heinrich 893 Chapple, Allan 855, 870, 879, 921 Charitonidis, Séraphin 862 Charlesworth, James H. 10, 111, 946 Chen, Diane G. 39 Cheung, Alex T.M. 733 Chevallier, Max-Alain 598 Chilton, Bruce D. 268, 505 Choi, Young Sook 273 Christiansen, Ellen Juhl 287 Christoffersson, Olle 237, 238, 239 Christoph, Monika 192 Cifrak, Mario 211 Cineira, David Alvarez 873
Clark, Bruce T. 228, 665 Clarke, A. D. 699, 857, 858, 862, 922, 923 Classen, Carl J. 708 Coenen, L. 387, 388, 410, 609, 682 Cohen, Naomi G. 895, 919 Cohick, Lynn H. 855, 862, 863, 865, 873, 883 Coleman, Thomas M. 689-691, 693, 695 Collins, John N. 451, 858 Conzelmann, Hans 530, 596-598, 792 Cook, John Granger 890 Coppens, Joseph 491 Corley, Jeremy 634 Cothenet, Edouard 601 Cotter, Wendy 855 Cotton, Hannah M. 881 Cranfield, C.E.B. 17, 19, 21, 22, 24, 35, 38, 44, 52, 57, 61, 74, 75, 82, 84, 86, 102, 108, 110, 119, 121, 122, 131, 132, 135, 152, 153, 156, 157, 164, 167, 169, 175, 178, 188, 192, 198, 199, 202, 217, 220, 223, 224, 227, 234, 235, 237, 241, 243, 245, 246, 249-253, 257, 265, 268, 269, 278, 279, 282, 287-289, 292-295, 302306, 309, 310, 312, 315, 318, 319, 321, 322, 324-326, 328, 332, 335, 341, 344, 352-354, 357, 359, 360, 369, 377, 382, 385, 390, 402, 407, 408, 418, 422, 431, 444, 446, 448, 451, 454, 456, 459, 460, 461, 463, 465, 466, 471, 472, 489, 490, 493, 497, 499, 502, 511, 518, 520, 523, 526, 541, 554, 557, 558, 568, 570, 571, 588, 589, 593, 597, 603-607, 614, 617, 623, 636, 637, 641, 644, 650, 651, 656, 657, 673, 675, 676, 681, 689, 692, 694, 696, 703, 705, 713, 714, 731, 732, 735737, 738, 742, 745, 758, 759, 764, 767, 769, 772-774, 778, 784, 787-789, 791, 795, 811-816, 818, 826, 831, 835, 849, 856, 858, 870, 872, 874, 885, 889, 890, 893, 895, 896, 904, 905, 910, 913, 929, 932, 933, 935, 947 Croft, Steven 887 Crosby, H. Lamar 683 Cross, Frank Moore 425 Cullmann, Oscar 42, 249, 553, 676, 839 D’Angelo, Mary R. 707 Dabelstein, Rolf 819
Autorenverzeichnis 997 ———————————————————————————————————— Dahl, Nils Alstrup 268 Dassmann, E. 878 Daube, David 615 Dautzenberg, Gerhard 600, 740, 846 Davies, Philip R. 268 Davies, William D. 778, 934 Day, John N. 650 Dehn, Güther 676, 948 Deichgräber, Reinhard 537, 539 Deines, Roland 706 Deissmann, Adolf 135, 136, 227, 680, 877 Deißmann-Mertern, M.-L. 221 Delatte, Louis 666 Delling, Gerhard 31, 36, 106, 202, 244, 268, 355, 374, 375, 377, 448, 455, 460, 542, 580, 668, 674, 676, 677, 680-682, 689, 693, 716, 790, 835, 843, 933, 934 Demandt, Alexander 71 Denis, Albert-Marie 819 Denzinger, Heinrich 63, 528, 582 Derrett, J. Duncan M. 760 Dettwiler, Andreas 24, 27 Dewey, Arthur J. 832 Dibelius, Martin 556, 666, 669, 676 Diego Santos, F. 834 Diehl, Ernst 889 Diels, Hermann 623 Dillmann, August 428 Dingel, Irene 582 Dinkler, Erich 305, 314 Dochhorn, Jan 129, 130, 131, 133, 135, 137, 265, 269 Docter, R.F. 330-332 Dodd, Brian J. 122 Dodd, C.H. 109, 282, 295, 463, 526, 556, 588, 717, 758, 759 Donaldson, Terence L. 284, 448, 454, 497, 505, 788, 794 Donfried, Karl P. 556, 765 Downs, David J. 837, 839 Dräger, Michael 880 Duchrow, Ulrich 672, 676 Dülmen, Andrea van 128, 167, 192, 705 Dunn, James D.G. 17, 19, 23, 24, 30, 32, 34, 37, 41-44, 48, 52, 57, 58, 64, 71, 74, 76, 82, 89, 102, 108, 113, 119, 121, 122, 132, 135, 153, 156, 157, 164, 167, 168, 172, 175, 188, 192, 194, 195, 197, 199202, 209, 213, 220, 224, 227, 231, 233,
234, 237, 242, 244-246, 249, 251, 257, 260, 265-270, 278, 279, 282, 288, 293295, 299, 302, 305, 307-314, 318-326, 328, 332-335, 337, 340, 344, 345, 352360, 376-380, 382-386, 390, 394, 398, 406-409, 413, 415, 423, 428, 429, 431, 434, 436, 437, 447, 448, 450, 454, 456, 459-463, 466, 471, 472, 479, 480, 489, 490, 493, 495, 497, 499, 502, 511, 512, 514, 518-524, 526, 537, 539, 541, 542, 548, 554, 556-570, 575, 576, 589, 591, 595, 597, 598, 600, 603, 606-610, 614, 615, 617, 623, 625, 632, 636, 637, 641, 645, 651, 657, 659, 672, 676, 681, 682, 687, 689, 692, 694, 696, 703, 705, 708, 713, 714, 717, 718, 721, 723, 726, 731, 734, 741-748, 758, 759, 764, 766-768, 771, 774, 778, 780, 781, 784, 787, 788, 791, 794, 795, 812, 814, 816, 826, 831, 834, 835, 842, 844, 849, 850, 858, 861, 872, 881, 884, 885, 890, 892, 893, 895, 896, 904, 905, 908, 919, 921, 922, 927, 930, 932, 933 Dupont, Jacques 548, 933, 934 Ebel, Eva 542, 899 Ebel, G. 40 Ebeling, Gerhard 145, 519 Eberhart, Christian A. 563, 568 Ebner, Martin 264, 273 Eck, Otto 685, 692, Eck, Werner 677, 848, 890, 897 Eckert, Jost 823, 837 Eckstein, Hans-Joachim 44, 288, 361, 362, 383, 384, 387-389, 399, 408, 535, 682, 689 Edmundson, George 889 Eggs, E. 25 Ehrhardt, Norbert 684 Eichler, J. 226 Eisen, Ute E. 624, 826, 855, 879 Elliott, John H. 571 Elliott, Mark Adam 304, 306, 344, 501 Elliott, Neil 669, 697, 786 Ellis, E. Earle 284, 405, 544, 601, 649, 833, 836, 857 Engberding, Rainer 659 Engberg-Pedersen, Troels 100, 160, 177, 667 Engelmann, Helmut 694, 880
998 Römerbrief ———————————————————————————————————— Engels, Donald 859 Epp, Eldon J. 872, 883 Ernst, Michael 855, 863 Esler, Philip F. 465 Eßer, H.H. 321, 560, 597, 636, 638 Evans, Christopher 557, 568, 570, 571 Evans, Craig A. 642 Fàbrega, Valentin 872, 883, 885 Fabry, H.J. 860 Fazekaš, Ĺudovít 30 Fears 666, 667, 951 Fee, Gordon D. 230 Feldman, Louis H. 30 Feldmeier, Reinhard 571, 655, 656, 846 Fendrich, H. 883 Fewster, Gregory P. 238 Fiedler, P. 722 Fiorenza, Elisabeth Schüssler 858 Fischer, Karl Martin 903 Fischer, Shlomo 484 Fitzer, G. 843 Fitzgerald, John T. 273 Fitzmyer, Joseph A. 17, 18, 22, 35, 42, 44, 74, 76, 80, 89, 100, 102, 107, 108, 119, 121, 156, 167, 178, 188, 189, 192, 199, 200, 202, 213, 227, 234, 237, 243, 249251, 257, 266, 268, 269, 278, 295, 335, 352, 354, 357, 359, 377, 391, 406, 409, 431, 448, 454, 456, 461, 466, 489, 499, 504, 507, 512, 514, 518, 523, 525, 541, 549, 570, 579, 593, 603, 604, 616, 636, 641, 649-652, 657, 676, 681, 696, 713, 714, 763, 767, 773, 826, 831, 844, 863, 872, 881, 885, 890, 892, 893, 895, 896, 919, 922 Flaig, Egon 840 Flebbe, Jochen 302, 304-306, 313, 319, 333, 335, 352, 357, 360, 497, 500, 503, 511, 523, 527 Flender, O. 410 Fletcher-Louis, Crispin 198, 295 Floyd, Michael H. 600 Foerster, W. 225, 226, 330, 518, 567, 642, 676, 779, 912 Fohrer, G. 363 Forbes, Christopher B. 600, 601 Frankemölle, Hubert 30, 42-44, 934 Franklin, James L. 889, 952
Frede, M. 667 Frenschkowski, M. 79, 600, 772 Freund, Richard A. 667 Frey, Jörg 111 Friedrich, Gerhard 199, 387, 600, 601, 603 Friedrich, Johannes 226, 672, 680, 686, 689, 691, 922 Friesen, Steven J. 699, 862, 864, 923, 924 Fruchtenbaum, Arnold G. 504 Fuchs, Ernst 123, 906 Fuchs, Rüdiger 39, Führer, Werner 79, 95, 391, 609, 804 Fuller, Daniel P. 456 Fung, Ronald. K. 122 Fung, William Chi-Chau 502 Funk, Robert W. 615 Furnish, Victor P. 57, 556, 651, 675, 689 Fürst, D. 391, 790 Fuß, Barbara 55, 339, 340, 406, 822, 825 Gäckle, Volker 562, 569, 570, 572, 581, 730734, 739-748, 754, 755, 757-760, 762, 764, 766, 768, 769, 772, 774-779, 781, 782, 784, 786-791, 797, 798 Gagnon, Robert A.J. 75, 76, 730 Gale, Herbert M. 109 Galsterer, Hartmut 690, 693, 833 Garland, David E. 609, 618, 895 Garlington, Don B. 122 Garnsey, Peter 243 Gärtner, Bertil 88, 549, 607, 608 Gaston, Loyd 312, 499, 501, 504 Gaugler, Ernst 251, 283, 296, 312, 461, 603, 831 Gäumann, Niklaus 24, 27, 34, 43, 74 Gaventa, Beverly R. 241, 311, 313 Gebauer, Roland 249, 639, 849 Gehring, Roger W. 879 Gempf, Conrad 241, 243 Gemünden, Petra von 19, 24 Georgi, Dieter 837, 840, 843 Gerber, Christine 58 Gese, Harmut 35, 146, 363 Gewiess, Josef 43 Gibbs, John G. 239, 240 Giblin, Charles H. 505 Gielen, Marlis 666, 674, 863, 864, 872, 879 Gieniusz, Andrzej 100, 217, 240 Giese, Ernst 122
Autorenverzeichnis 999 ———————————————————————————————————— Giesen, Heinz 142, 192, 363, 618, 636, 637, 715, 724, 907 Giesriegl, Richard 600, 605, 606 Gignac, Alain 119, 199 Gill, David W.J. 699, 923, 942 Gillespie, Thomas W. 592, 600, 601 Gillman, Florence Morgan 41, 42, 855, 918, 919, 922 Given, Mark D. 421 Gizewski, C. 686, 687 Glad, Clarence E. 730 Gnilka, Joachim 431, 883, 895 Godet, Frédéric 43, 44, 282, 484 Goetzmann, J. 206, 521 Goldingay, John 436 Goldstein, H. 644, 687, 724 Goodenough, Erwin R. 666 Goodrich, John K. 122, 157, 923 Goodspeed, Edgar J. 921 Goppelt, Leonhard 571, 596 Göse, Frank 534 Grabner-Haider, Anton 557, 559 Graf, Fritz 34, 570 Gräßer, Erich 501, 530 Greeven, H. 722 Grieb, A. Katherine 838, 926 Grimm, Bernhard 879 Grimm, W. 933 Grimm, Werner 660 Grindheim, Sigurd 313, 314, 346 Groenewald, Alphonso 435 Grudem, Wayne A. 600, 601 Grundmann, Walter 38, 41-43, 234, 327, 620, 636, 637, 641, 688, 769, 815, 820, 861, 909 Gschnitzer, Fritz 744 Guarducci, Margherita 859 Gundry, Judith M. 546 Gundry, Robert H. 121, 128 Gundry-Volf, Judith M. 456, 493, 499, 504, 562, 762, 763, Günther, Sven 690 Günther, Wolfgang 105, 568, 569, 618, 655, 656, 684 Gutbrod, W. 103, 167, 293, 705 Güting, Eberhard W. 738, 927 Haacker 17, 19, 24, 27, 35, 44, 57, 64, 71, 74, 76, 86, 108, 121, 122, 126, 135, 167,
178, 181, 188, 192, 196, 197, 213, 218, 236, 240, 243, 245, 249, 251, 253, 261, 266-269, 278, 282, 285, 291, 293, 295, 296, 319, 331, 333, 335, 352-354, 357, 360, 363, 372, 373, 377, 409, 445-448, 453, 454, 456, 458-460, 463, 473, 482, 493, 497, 501-503, 511, 512, 518, 526, 537, 548, 550, 553, 554, 566, 570, 592, 593, 603, 604, 606, 609, 612, 613, 622, 628, 630, 632, 634, 636, 641, 643, 648, 650, 659, 660, 666, 672, 681, 683, 689, 691, 694, 706, 731, 746, 748, 759, 767, 768, 785-789, 794, 816-819, 821, 831, 834, 843, 844, 850, 851, 858, 872, 878, 879, 883-888, 892, 893, 895, 904, 905, 909, 910, 914, 919, 922, 933, 937, 956, 963, 978 Haak, Robert D. 600 Haas, Odo 833 Haase, Wolfgang 657 Habermann, Jürgen 197 Hachlili, Rachel 881 Hackenberg, W. 372 Hafemann, Scott J. 788-795 Hagenow, Stephan 121 Hahn, Ferdinand 167, 172, 192, 197-199, 418, 499, 603, 604, 785, 791, 934 Hahn, H.C. 371, 861, 875 Hahne, Harry A. 237-239, 241, 243 Hainz, Josef 55, 597, 839, 860 Halter, Hans 19, 27 Hamerton-Kelly, Robert G. 648 Hanse, H. 114 Hanson, Anthony T. 460, 465, 544 Hanson, Kenneth C. 667 Harder, Günther 537, 610, 623 Harnack, Adolf 152, 836, 875, 882 Harris, J. Rendel 318 Harris, Murray J. 295, 754, 916 Harrison, James R. 597, 598, 912 Hartman, Lars 31, 828 Hartung, Matthias 460, 463-466, 481 Harvey, Richard 533 Haubeck, W. 175 Hauck, F. 23, 79, 84, 105, 624, 628, 642, 693, 703, 704, 772, 843, 882 Haufe, Günter 765, 832 Hausleiter, A. 330
1000 Römerbrief ———————————————————————————————————— Hausmann, Jutta 344 Haussleiter, Johannes 730 Haverkamp, Anselm 25 Hay, David M. 272, 957 Hayes, John W. 331 Hays, Richard B. 377, 475, 563, 791, 793 Head, Barclay V. 882 Headlam, Arthur C. 42, 57, 84, 102, 213, 290, 306, 335, 352, 375, 383, 409, 455, 460, 558, 588, 597, 615, 681, 717, 730, 736, 763, 773, 874, 880, 885, 889, 895 Heckel, U. 112, 290, 631, 873 Heidland, Hans-Wolfgang 88, 89, 307, 785 Heil, John Paul 377 Heilig, Christoph 669 Heiligenthal, R. 40, 542, 620, 815 Heine, Susanne 855 Heitmüller, Wilhelm 31, 34 Heitsch, Ernst 152, 153, 160 Hellholm, David 19, 24, 100, 102, 103, 109, 110 Hemer, Colin J. 836, 920 Hengel, Martin 146, 223, 270, 272, 371, 372, 504, 526, 527, 531, 564, 631, 836, 874, 885, 886, 895, 921, 933 Henrix, Hans Hermann 528-530 Hensel, R. 84 Hentschel, Anni 451, 605, 685, 787, 840, 855, 857, 858, 863 Herntrich, V. 343 Herrmann, Peter 675, 684 Heß, K. 451, 857 Hidal, Sten 483 Hill, David 600, 601 Hills, Julian V. 377 Hock, Ronald F. 873 Höcker, C. 752, 771 Hoffmann, Klaus 623, 658 Hofius, Otfried 35, 121, 122, 124, 126, 130, 135, 136, 152, 158, 162, 164, 165, 172, 177, 357, 360, 377, 378, 391, 392, 444, 447, 448, 454-456, 460, 465, 479, 485, 486, 493, 496, 498, 499, 503, 504, 511, 518, 527, 683, 755, 790, 793
Hollander, Harm W. 571 Holmes, Joan M. 615 Holtz, T. 655, 657 Holzhausen, Jens 569, 570 Hommel, Hildebrecht 123, 158, 160, 253, 549 Homoth-Kuhs, Clemens 690 Honsell, Heinrich 225 Hopkins, Keith 243 Horbury, William 782, 893 Horn, Friedrich W. 19, 251, 591, 837 Horrell, David G. 261, 840 Horsley, Greg H. R. 88, 140, 165, 221, 227, 238, 426, 621, 622, 642, 676, 680, 688, 690, 691, 693, 723, 839, 846, 855, 859, 880, 881, 895, 896, 920, 923 Horsley, Richard A. 697, 863 Horst, F. 55 Horst, Pieter W. van der 725 Hossfeld, F.L. 860 Hotze, Gerhard 903 Hre Kio, Stephen 651 Hübner, Hans 58, 61, 117, 192, 252, 284, 298, 304-312, 319, 321, 322, 324, 334, 335, 341, 346, 349, 352, 355, 357, 359, 360, 375, 377, 378, 381, 382, 413, 428, 433, 445, 447, 493, 494, 499, 501, 511, 580, 668, 705, 707, 709, 844 Hultgren, Arland J. 17, 19, 43, 119, 121, 167, 178, 188, 192, 202, 210, 352, 377, 591, 651, 713 Humphreys, Sally C. 243 Hunt, Cherryl 261, 644 Hurtado, Larry W. 197, 295, 391, 550, 754, 926, 935 Huttunen, Pertti 875 Hvalvik, Reidar 249, 483, 501, 867, 873, 883, 885, 893, 918, 919
Hofmann, Johannes 529, 705, 737, 875, 879 Hofmann, Johann Christian Konrad von 124, 705, 737 Hölkeskamp, Karl-Joachim 840, 841
Jackson, T. Ryan 237 Jacobs, L. 575 Janowski, Bernd 35, 563 Jassen, Alex P. 600
Ilan, Tal 881, 888, 894, 919, 920 Inselmann, Anke 626, 633, 634 Isaac, Benjamin H. 528 Islami, Selim 826 Ito, Akio 377
Autorenverzeichnis 1001 ———————————————————————————————————— Jegher-Bucher, Verena 454 Jellinek, Georg 664 Jeremias, J. 150, 362, 385, 489, 497-499, 505, 514, 522, 523, 550, 600, 831 Jervell, Jacob 530, 823, 851, 873 Jervis, L. Ann 122, 140, 870 Jewett, Robert 17, 21, 22, 24, 32, 43, 44, 47, 57, 69, 71, 74, 76, 82, 84, 86, 101, 102, 104, 108, 119, 121, 124-126, 164, 167, 177, 188, 189, 192, 199, 202, 213, 227, 234-237, 240, 242-244, 254, 257, 265270, 282, 287, 288, 295, 301, 318-320, 322, 324, 325, 333, 335, 352- 354, 357, 359, 369, 370, 377, 396, 402, 406, 408, 421, 422, 427, 430, 431, 441-444, 447, 448, 450, 451, 453, 454, 456, 459, 460, 465-467, 471, 472, 479, 486, 488-493, 495, 497, 499, 500, 510-512, 518, 521, 523-525, 538, 539, 548, 554, 558, 570, 577, 588-592, 596, 597, 603, 605, 607, 608, 610, 614-617, 623, 628, 636, 637, 641, 645, 648, 651, 657, 666, 672-675, 681, 683, 686, 687, 689, 691, 692, 694, 703, 707, 713-716, 718, 723, 735, 736738, 744, 745, 749, 758, 759, 763, 767, 771, 774, 788, 793, 795, 811-814, 826, 831, 832, 834, 835, 837, 838, 840, 843845, 850, 855, 856, 858, 862, 863, 867869, 871, 872, 874, 876-878, 880, 881, 883, 885, 889-893, 895-900, 905, 906, 915, 917, 919-927, 929 Joest, Wilfried 145, 185 Johnson, E. Elizabeth 501, 537, 538, 838 Johnson, L. T. 838, 925 Johnson, Todd M. 484, 660 Jones, Brian W. 890 Jones, F. Stanley 77, 82, 194 Jones, Henry S. 24 Jonge, Marinus de 571 Joubert, Stephan 837 Judant, Denise 456, 505 Judge, Edwin A. 426, 688, 862, 864, 876, 884, 890, 897 Junack, Klaus 738 Jülicher, A. 102, 119, 295, 489, 499, 500, 652 Jüngel, Eberhard 193, 766, 767 Kajanto, Iiro 895 Kallas, James 666
Kamlah, Ehrhard 374, 934 Kammler, Hans Christian 295, 539, 545, 580 Kampling, Rainer 529 Kanjuparambil, Philip 615 Karrer, Martin 197 Karris, Robert J. 730 Kasch, W. 174, 856 Käsemann, Ernst 17, 18, 24, 27, 30, 32, 34, 35, 42, 44, 48, 54, 57, 65, 74-76, 79, 80, 86, 87, 89, 92, 100, 102, 107, 110, 115, 117, 119, 121, 123, 124, 128, 130, 135, 156, 160, 164, 165, 167, 177, 184, 188, 192, 194, 197-199, 202, 203, 212-214, 220, 224, 227, 234, 236, 237, 239, 243, 244, 246, 249, 251, 255, 257, 266, 270, 282, 288, 293, 295, 301, 302, 304, 306, 309, 312, 318, 319, 324, 326, 334-338, 341, 345, 352-354, 357, 360, 366, 377, 382, 385, 400, 409, 418, 423, 426, 427, 429, 436, 447, 448, 454, 456, 457, 459, 460, 463, 471, 472, 477, 482, 485, 486, 488, 489, 492, 495, 499, 502, 504, 511, 512, 518, 520, 521, 523, 524, 527, 528, 537, 539, 541, 548, 549, 552-557, 562, 563, 568-570, 576, 582-584, 589, 591, 592, 595, 603, 604, 606, 607, 610, 614, 615, 617, 622, 623, 625, 632, 636, 637, 640, 644, 651, 652, 659, 660, 666, 672, 673, 676, 677, 681, 685, 689, 695, 704, 705, 717, 723, 726-728, 730, 735-737, 739, 740, 744, 745, 747, 750, 751, 755, 763, 767, 769, 771, 773, 775, 780-789, 791, 795, 797, 798, 812, 815-817, 819, 824, 827, 828, 831, 833-835, 838, 840, 843, 844, 849, 852, 858, 859, 860, 861, 871, 895, 899, 903, 905, 913, 915, 919, 921, 922, 927, 930-933, 963 Kaser, Max 71, 225, Kauppi, Lynn A. 549 Kautzsch, Emil 544, 647 Kearsley, Rosalinde A. 855, 862, 863 Keay, Simon J. 833 Keck, Leander E. 164, 192, 840 Keel, Othmar 436 Keener, Craig S. 19, 188, 554, 593, 855, 921 Keesmaat, Sylvia C. 220 Keienburg, Fritzhermann 665 Keller, Winfried 501 Kellermann, 572, 575, 576
1002 Römerbrief ———————————————————————————————————— Kennel, Gunter 537 Kent, John Harvey 699, 924 Ker, Donald P. 840 Kern, Steffen 66 Kern, O. 490 Kerrigan, Alexander 831 Kertelge, Karl 38, 53, 766 Kettunen, Markku 834 Khalil, Jack 305 Kienast, Dietmar 677 Kiessling, Emil 644 Kindl, E.M. 860 Kittel, G. 386, 409, 569, 570, 603, 884 Kim, Byung-Mo 837, 839, 840 Kim, Chan-Hie 855 Kim, Jung Hoon 725, 726 Kim, Seyoon 385, 493, 494, 499 King, Helen 243 Klaar, Erich 48 Klappert, Bertold 52, 501, 503, 529 Klassen, William 206, 651, 657, 899 Klauck, Hans-Josef 391, 568, 730, 855, 862, 863, 867, 879, 899 Klein, Günter 526, 572, 829 Kleinknecht, K.T. 167, 846 Klinzing, Georg 570 Kloppenborg, John S. 839 Knibbe, Dieter 694, 880 Knight, George W. 577, 836 Koch, Dietrich-Alex 36, 308, 313, 318, 320, 324, 329, 339-343, 345, 361, 362, 380, 383, 384, 386, 405, 406, 412, 413, 415, 425, 427-429, 433, 435, 506, 509-512, 529, 544, 647, 649-651, 754, 781-783, 789-793, 916 Koch, Stefan 331, 832, 833, 835 Koester, H. 832 Koestermann, Erich 884 Kokkinos, Nikos 888, 892, 893 Kolb, Frank 677, 694 Kollmann, Bernd 772, 823 Konen, Heinrich 690, 693 Konradt, Matthias 733 Kooten, George H. van 253, 562, 570, 575 Körtner, Ulrich H.J. 145 Köstenberger, A. J. 197, 855, 865, 873, 886 Köster, H. 476 Krämer, H. 600 Krämer, J. 490
Kraus, Wolfgang 454-456, 459, 460, 465, 466, 469, 470, 477, 479, 485, 496, 497, 499, 502, 503, 507, 529, 531, 595, 597, 739, 786, 788, 791, 860 Krauter, Stefan 129, 133, 374, 665-670, 672, 674-677, 680-687, 691, 697-701 Kretzer, A. 856 Kreinecker, Christina M. 140, 244, 370, 559, 648, 703 Kremer, J. 112 Kremers, Heinz 454 Kretschmar, Georg 19, 699 Kreuzer, S. 772 Kritzer, Ruth Elisabeth 88, 106, 132, 208, 274, 567, 590, 599, 605, 606, 609, 610, 620, 623, 647, 743, 745, 769, 828, 835, 843, 906, 923 Kroll, W. 899 Kruse, Colin G. 19, 32, 57, 76, 121, 122, 167, 188, 192, 199, 377, 592, 636, 651, 681, 926 Kuhl, Josef 197 Kühlschelm, Roman 261 Kuhn, H.-W. 290, 935 Kühner, Raphael 71 Kümmel, Werner Georg 100, 109, 110, 119, 121, 123, 124, 135, 138, 140, 152, 153, 164, 178, 605 Kürzinger, Josef 76, 84 Kuss, Otto 17, 18, 27, 32, 35, 41-43, 57, 75, 82, 84, 92, 102, 119, 121, 122, 135, 152, 167, 188, 192, 200, 213, 217, 224, 227, 237, 245, 266, 268, 286, 295, 309, 312, 314, 331 Kutsch, Ernst 146 Küttler, Thomas 535 Laak, Werner van 527 Labahn, Antje 34 Labahn, Michael 34 Laboa, J.M. 833 Lagrange, Marie-Joseph 17, 43, 75, 84, 113, 119, 199, 200, 227, 295, 326, 340, 385, 459, 489, 518, 592, 619, 686, 736, 759, 763, 772, 773, 783, 788, 872, 895, 921 Lahey, Lawrence 484 Lake, Kirsopp 549 Lambrecht, Jan 100, 104, 107, 121, 284, 352, 903
Autorenverzeichnis 1003 ———————————————————————————————————— Lamp, Jeffrey S. 615 Lampe, Geoffrey W.H. 453, Lampe, Peter 52, 718, 731, 732, 867-875, 879, 881-884, 887, 889-898, 904 Landmesser, Christof 144 Landvogt, Peter 923 Lang, Friedrich 377, 652 Lange, N.R.M. de 528 Lapide, Pinchas 530, 531 Larsson, Edvin 30 Latte, Kurt 106, 563, 781 Laubach, F. 521 Lausberg, Heinrich 90, 103, 166, 269, 271, 523 Lawrence, Jonathan D. 34 Lee, Jae Hyun 188 Légasse, Simon 17, 19, 27, 34, 43, 44, 119, 122, 132, 135, 156, 167, 178, 188, 192, 199, 243, 268, 282, 295, 352, 377, 448, 454, 456, 504, 554, 593, 603, 636, 652, 696, 713, 764, 768, 872, 885, 967 Lendon, Jon E. 623, 695 Leonhardt, Jutta 669 Levine, Lee I. 669, 868 Levinskaya, Irina A. 868 Levy, Jacob 545 Lewis, Naphtali 692, 940 Libero, L. de 677 Lichtenberger, Hermann 102, 103, 107, 113, 119, 121-124, 128, 130, 135, 155, 167, 169, 172, 174, 177, 868 Lietzmann, Hans 27, 32, 42, 75, 102, 119, 126, 136, 164, 189, 213, 234, 251, 254, 278, 295, 312, 357, 377, 409, 429, 448, 461, 463, 489, 499, 518, 525, 526, 544, 562, 568, 575, 607, 608, 616, 617, 640, 689, 706, 723, 741, 816, 871, 896 Lightfoot, Joseph B. 836, 890-893, 895, 897 Lindemann, Andreas 305, 330, 332, 381, 539, 595, 601, 609, 765, 815, 836, 922 Lindner, Hugo 669 Link, H.-G. 631, 861 Linton, O. 860 Lipiński, E. 225 Lips, Hermann von 597, 598 Little, Joyce A. 109 Llewelyn, Stephen R. 10, 88, 140, 165, 221, 227, 238, 426, 621, 622, 642, 676, 680, 688, 690, 691, 693, 723, 839, 846, 855, 859, 880, 881, 895, 896, 920, 923
Lohmeyer, Ernst 128 Löhr, Hermut 591, 836 Lohse, Eduard 17, 19, 22, 24, 26, 32, 34, 42, 44, 45, 50, 56, 57, 61, 64, 70, 71, 74, 76, 79, 84, 86, 92, 100, 102, 104, 107, 109, 111-115, 119, 121, 123, 126, 132, 153, 157, 163, 165, 167, 169, 175, 178, 184, 185, 188, 189, 192, 197, 199, 203, 208, 209, 221, 223, 224, 233, 234, 237, 238, 240, 243, 245, 253, 257, 259, 264, 268, 269, 278, 282, 292, 293, 295, 300, 301, 304-306, 312-314, 319, 322-325, 329, 332- 335, 340, 341, 345, 346, 349, 352355, 359, 360, 363, 373, 377-379, 381, 382, 386, 390, 400, 405, 406, 408, 409, 412, 413, 422, 423, 426, 427, 429, 431, 437, 444, 447, 451-454, 456, 460, 462, 463, 465, 466, 472, 489, 493, 497, 499, 502, 504, 508, 510-512, 514, 518, 521, 524, 525, 527, 535, 537, 540, 541, 548, 554, 557, 563, 570, 584, 586, 589, 591, 593, 597, 598, 600, 603, 604, 606, 607, 609, 610, 612, 614, 615, 623, 625, 626, 632, 636, 640, 645, 651, 657, 660, 666, 670-672, 677, 680, 682, 686, 687, 689, 691-693, 696, 700, 703, 705, 709, 710, 713, 714, 717, 726, 730, 736, 740, 744, 745, 748, 751, 753, 754, 759, 764, 767769, 771, 772, 775, 778, 780, 782, 784, 785, 789, 791, 795, 817, 823, 826, 830, 831, 835, 842, 843, 856, 858, 861, 870872, 878, 884, 885, 892, 893, 895, 897, 899, 903-905, 909, 910, 919, 921, 922, 932, 933, 968 Longenecker, Bruce W. 167 Longenecker, Richard N. 249, 926 Löser, Ph. 25 Louw, Johannes P. 188 Luck, U. 590, 636 Lübking, Hans-Martin 302 Lüdemann, Gerd 286, 493 Lüderitz, Gert 895, 919 Lührmann, Dieter 931 Lütgert, Wilhelm 24, 471 Luther, M. 19, 63, 64, 88, 104, 122, 145, 185, 249, 250, 290, 349, 556, 557, 603, 612, 651, 661, 709, 727, 777, 852 Luz, Ulrich 100, 252, 266, 267, 293, 318, 326, 327, 335, 339, 400, 408, 449, 493, 499, 511, 519, 521, 765
1004 Römerbrief ———————————————————————————————————— Lyonnet, Stanislas 130, 135, 705 Maas, F. 760 Maaß-Lindemann, G. 330, 332 Mackie, Nicola 833 Mack, Peter W. 912, 969 MacMullen, Ramsay 833, 863 Mahoney, R. 370, 843 Maier, Friedrich Wilhelm 312, 409, 447, 511, 523 Maier, Gerhard 310, 324, 335, 648, 661, 662, 969 Maier, Johann 111, 372, 460, 565 Malherbe, Abraham J. 607 Malmendier, Ulrike 694 Maness, Stephen 873, 918 Manthe, U. 225 Manuwald, Gesine 667 Marcus, Joel 36, 53 Markschies, Christoph 169 Marshall, I. Howard 8, 30, 577, 618, 926 Martin, Brice L. 121 Martin, Ralph P. 185, 505, 661 Martitz, W. v. 221 Marxsen, Willi 705 Mason, Hugh J. 687 Matera, Frank J. 19, 42, 121, 167, 188, 454, 593, 603, 636, 652, 769, 927 Mathew, Susan 855, 858, 862, 865, 873, 874, 883, 897 Mathewson, David 57 Matthews, Shelly 9, 863 Mau, R. 145 Mauerhofer, Erich 46, 81, 122 Maurer, C. 218, 288, 333, 461, 794 Mayer, Bernhard 488, 501 Mayer-Maly, Theo 225 McKnight, Scot 837 Meeks, Wayne A. 874, 876, 923 Meggitt, Justin J. 675, 840, 863, 865, 874, 923 Meier, John P. 890 Meinhold, Arndt 651 Mell, Ulrich 879 Merk, Otto 53, 387, 576, 682, 705 Merkelbach, Reinhold 874 Merklein, Helmut 199, 493, 595, 596, 672, 682, 689, 708, 709, 765, 864 Merz, Annette 765, 855, 862, 863
Metzger, Bruce M. 21, 22, 69, 101, 125, 126, 189, 234, 235, 265, 287, 295, 318, 319, 353, 369, 402, 421, 422, 441, 442, 489, 490, 558, 617, 673, 703, 714, 732, 735738, 811-814, 871, 906, 929 Metzger, Wolfgang 826, Metzner, Rainer 888, 890 Meyer, Ernst 683 Meyer, H.A.W. 518, 773 Meyer, R. 600, 772 Michaelis, W. 112, 227, 247, 443, 444, 475, 477, 542, 543, 686, 873, 884 Michel, Otto 17, 19, 24, 29, 42, 43, 47, 48, 58, 75, 84, 86, 102, 107, 119, 121-124, 135, 138, 156, 162, 163, 164, 167, 188, 192, 199, 212, 217, 220, 224, 225, 227, 235, 239, 240, 242, 243, 245, 246, 249, 250-252, 254, 255, 260, 264, 266, 268, 269, 282, 288, 290, 292, 294-296, 301, 306, 309, 311-313, 318, 319, 322, 324328, 332, 334, 335, 337, 338, 340, 348, 352-354, 357, 360, 373, 377, 382, 387, 391, 400, 402, 405, 407-410, 412, 418, 423, 426, 428, 431, 436, 444, 445, 447, 449, 451, 453, 454, 456, 459, 460, 463, 467, 470, 472, 475, 480, 489, 493, 497, 500, 502, 511, 519-521, 523-526, 537, 548, 554, 556, 557, 568, 569, 572, 579, 586, 589, 591, 597, 600, 603, 605, 608, 610, 614-617, 623, 627, 632, 635, 636, 639, 640, 643, 646, 650, 651, 657, 659, 666, 672, 676, 682, 683, 685-687, 691, 696, 703 Miller, Patrick D. 249 Minear, Paul S. 732 Misgav, Haggai 881 Mitchell, Margaret M. 609, 971 Mitchell, Stephen 688 Mödritzer, Helmut 903 Mommsen, Theodor 686 Montevecci, Orsolina 862 Moo, Douglas J. 17, 19, 44, 47, 57, 82, 84, 102, 119, 121, 122, 135, 140, 152, 157, 167, 178, 188, 192, 199, 202, 227, 236, 237, 241, 243, 244, 249, 268, 269, 295, 305, 311, 333, 354, 357, 377, 406, 409, 431, 447, 448, 450, 451, 454, 456, 457, 460, 465, 466, 471, 475, 489, 490, 499, 502, 504, 507, 511, 524, 527, 548, 554,
Autorenverzeichnis 1005 ———————————————————————————————————— 570, 593, 603, 604, 623, 637, 641, 651, 672, 674, 675, 681, 682, 687, 689, 696, 714, 731, 758, 762, 763, 767, 768, 769, 773, 784, 788, 831, 844, 858, 870, 872, 885, 886, 890, 892, 904, 925, 933 Moo, Jonathan 240 Mora, Vincent 905 Morenz, Siegfried 651 Morettini, Angelo 464 Morgan, Florence A. 43, 919 Morrison, Clinton D. 676 Moulton, James H. 615 Mounce, William D. 918 Mühlen, K.-H. zur 185 Mulder, Martin Jan 782 Müller, Christian 335, 426, 499 Müller, Christoph G. 873 Müller, D. 290, 682, Müller, Friedrich 177 Müller, G. 414, 724, Müller, H. 75 Müller, H.P. 860 Müller, Jörn 160, 161 Müller, Karlheinz 286, 433, 437, 758, 907 Müller, Markus 858, 867, 869, 900, 904, 905, 915, 917, 927 Müller, Peter 409 Müller, Ulrich B. 493, 494, 499, 589, 600603, 713, 911 Munck, Johannes 326, 409, 426, 448 Munro, Winsome 666 Murariu, Cosmin-Constantin 124 Murphy-O’Connor, Jerome 826, 836, 873, 875, 923 Murray, John 75, 84, 456, 470, 527, 772, 773, 883, 885, 899 Mustakallio, Antti 615, 622, 623, 632, 638, 640, 651, 654, 659, 696, 758, 759 Mußner, Franz 447, 454, 465, 495, 501, 504, 530 Nababan, Albert E.S. 730, 748, 764, 788 Nägele, S. 621 Naiden, F.S. 563 Nanos, Mark D. 447, 448, 456, 461, 676, 730 Nauck, Wolfgang 560, 642 Nebe, Gottfried 236, 795 Neesen, Lutz 690, 693 Neirynck, Frans 759
Neubrand, Maria 465 Neudorfer, Heinz-Werner 391, 782, 790 Neugebauer, Fritz 696, 861 Ng, Esther Yue L. 855, 864 Nicklas, Tobias 863 Nickle, Keith F. 839, 840 Nida, Eugene A. 245 Niebuhr, Karl-Wilhelm 328, 377, 454 Nieder, Lorenz 764 Niederwimmer, K. 77 Nimtz, Ursula 738 Nissen, Andreas 330, 708 Nissen, H.J. 330 Nobbs, Alanna 880 Nonn, Ulrich 66 Norden, Eduard 411, 537, 539, 548, 880 North, Helen 591 North, J. Lionel 288, 905, 910 Noy, David 874, 888, 919 Nussbaum, Martha C. 659 Nützel, J.M. 574-576 Nygren, Anders 101, 135, 162, 689 O’Brien, Peter T. 278, 490 Obeng, Emmanuel A. 250 Oberlinner, L. 680 Oepke, Albrecht, 27, 140, 221, 624, 719 Oertel, Friedrich 682 Ogereau, Julien M. 839, 840 Oke, C. Clare 245 Ollrog, Wolf-Henning 835, 858, 875, 882, 905, 915 Omerzu, Heike 687, 878 Onken, B. 693 Ortkemper, Franz-Josef 570, 603, 634, 640, 718 Ostmeyer, Karl-Heinrich 249, 818 Overbeck, Franz 198 Packer, James I. 122 Paget, James Carleton 782 Pallas, Dimitrios I. 272, 862 Palzkill, A. 861 Papathomas, Amphilochios 56, 273, 354, 578, 630, 676, 724, 743, 769, 863 Parker, Barry F. 122 Parker, David 529 Parrott, Rodney L. 666 Paschen, Wilfried 759, 760
1006 Römerbrief ———————————————————————————————————— Patsch, H. 631 Pattarumadathil, Henry 39 Patzig, Günther 663 Paulsen, Henning 188, 199, 206, 212, 213, 215, 233, 251, 254, 264, 267, 268 Pedersen, S. 792 Peek, Werner 667 Penna, Romano 17, 19, 27, 30, 37, 42, 43, 74-76, 84, 102, 119, 121, 135, 167, 177, 188, 192, 199, 217, 268, 295, 352, 454, 456, 458, 489, 500, 554, 557, 593, 637, 676, 689, 713, 872, 885, 889, 895, 927, 975 Percy, Ernst 596 Pesch, Rudolf 36, 185, 566, 642, 851, 895 Pesch, W. 592 Peterman, Gerald 838 Petersen, Anders K. 19 Peterson, Erik 312, 539, 543, 725, 771 Pfister, Stefanie 533 Pfitzner, Victor C. 322, 846, 853 Philips, C.R. 563 Philonenko, Marc 157 Pilhofer, Peter 687, 975 Pingel, V. 330 Piper, John 312, 314, 319, 321, 324, 332, 335, 650, 651 Plag, Christoph 448, 488, 489, 494, 495, 497, 499, 523 Pleket, Henri W. 874 Plümacher, E. 105, 621, 686 Pohlenz, Max 549 Pöhlmann, Wolfgang 672, 680, 686, 689, 691 Ponsot, Hervé 505 Popkes, Enno Edzard 386, 435, 436 Popkes, Wiard 92, 371 Poplutz, Uta 846 Porter, Stanley E. 287, 441, 615, 672, 674, 681, 689, 692 Potterie, Ignace de la 220 Pratscher, W. 75 Preisker, C.H. 156, 834 Preisker, Herbert 156, 650, 724, 793 Preuß, Horst Dietrich 74, 244, 344, 545, 547, 600 Price, Jonathan 881 Price, Simon R.F. 669 Proksch, O. 81, 386 Prieur, Alexander 765
Prümm, Karl 490, 580 Purvis, James D. 413 Rad, Gerhard von 130, 600, 651, 976 Radke, G. 834 Radl, Walter 386, 727, 831 Rainer, J. Michael 677 Räisänen, Heikki 54, 103, 167, 192, 284, 286, 335, 360, 377, 706, 759 Ramsay, William M. 466 Rance, Philip 276 Rapske, Brian M. 878 Rauer, Max 730, 739 Reader, William W. 622 Reasoner, Mark 665, 697, 730, 731, 739, 764 Rebell, W. 690, 691 Rechberger, Uwe 66 Reed, Jeffrey T. 84 Refoulé, François 377, 502 Rehfeld, Emmanuel L. 101, 121, 142, 144 Reichert, Angelika 119, 177, 470, 526, 558, 561, 570-572, 730, 734, 770, 788 Reicke, B. 56, 426, 610, 861 Reinbold, Wolfgang 359, 377, 413, 873 Reiser, H. 105 Reitzenstein, Richard 34 Rendtorff, Rolf 528, 529, 530, 600 Rengstorf, Karl Heinrich 459, 460, 462, 465, 467, 476, 605 Reumann, John 766 Reynolds, Joyce 863 Richards, E. Randolph 920, 921 Richardson, John S. 833 Richardson, Neil 313 Richardson, Peter 528, 868 Richter Reimer, Ivoni 873 Ridderbos, Herman N. 592 Riedweg, Christoph 490 Riekkinen, Vilho 689 Riesenfeld, H. 199 Riesner, Rainer 76, 632, 633, 759, 782, 824, 826, 827, 836, 885, 903 Rife, Joseph L. 859, 864 Rimbach, James A. 261 Ringwald, A. 846 Robert, Louis 621 Robinson, Donald W.B 460, 819 Robinson, John A.T. 562 Roddey, Thomas 528
Autorenverzeichnis 1007 ———————————————————————————————————— Röder, Jörg 620 Röhser, Günter 19, 35 Roloff, Jürgen 596, 860 Romanello, Stefano 121 Romaniuk, Kazimierz 855 Romaroson, Léonard 651 Roque, Denis 863 Rosenau, Hartmut 527 Rosner, Brian S. 142, 202 Rossano, Pietro 641 Rossi, Giovanni Battista De 889 Ruck-Schröder, Adelheid 31 Ruffing, Kai 690, 693 Rüger, Hans Peter 169, 223 Sabou, Sorin 30, 42, 43 Saller, Richard P. 695, 863 Salom, A.P. 615 Sampley, J. Paul 723, 730 Sand, A. 244, 545, 577, 628, 639, 648, 861 Sanday, William 42, 57, 84, 102, 213, 290, 306, 335, 352, 375, 383, 409, 455, 460, 558, 588, 597, 615, 681, 717, 730, 736, 763, 773, 874, 880, 885, 889, 895 Sanders, Ed P. 60, 360, 366 Sanders, Jack T. 634 Sandnes, Karl Olav 249, 493, 600 Sänger, Dieter 285, 454, 456, 465, 469, 488, 490-496, 498-504, 530, 573-576 S˘ as˘el Kos, M. 826 Sasse, H. 573, 933 Schäfer, Klaus 899 Schäfer, Peter 528 Schaller, Bernd 453, 454, 510, 544, 545, 752 Schaper, Joachim 782 Scharffenorth, Gerta 666 Scheibler, Ingeborg 330, 331 Schelbert, Georg 223 Schelkle, Karl Hermann 121, 135, 198, 237, 311, 665 Schellenberg, Ryan S. 903 Schenk, W. 717 Schenke, Hans-Martin 903 Schenker, Adrian 563 Schiefer-Ferrari, Markus 273 Schiemann, G. 106, 687 Schiering, Wolfgang 332 Schille, Gottfried 259, 264 Schilson, Arno 411
Schimanowski, G. 790, 793 Schlarb, Robert 36, 37 Schlatter, Adolf 19, 33, 43, 75, 102, 103, 119, 135, 167, 179, 199, 213, 224, 225, 237, 242, 249, 251, 282, 290, 332, 333, 377, 382, 407, 408, 437, 438, 462, 544, 568, 570, 581, 591, 603, 611, 637, 652, 660, 661, 739, 763, 767, 778, 783, 816, 844, 871, 909, 930 Schlier, Heinrich 18, 24, 31, 32, 37, 43, 44, 57, 74-77, 84, 102, 107, 119, 128, 132, 135, 153, 155, 156, 167, 177, 188, 192, 195, 199, 202, 213, 217, 220, 224, 235, 237, 240, 243, 246, 250, 252, 254, 264, 268, 269, 271, 282, 295, 304, 318, 321, 324, 328, 341, 345, 352, 357, 360, 366, 377, 382, 385, 406, 409, 423, 436, 444, 448, 451, 456, 460, 470, 471, 489, 499, 512, 518, 523, 538, 539, 549, 559, 570, 574, 576, 579, 583, 589, 590, 591, 595, 597, 598, 600, 603, 604, 607, 608, 610, 616, 617, 623, 625, 632, 636, 640, 651, 657, 658, 691, 692, 694, 695, 705, 708, 709, 713, 714, 723, 726, 736-738, 741, 748, 755, 764, 767, 769, 771, 784, 788, 793, 795, 814, 816, 835, 857, 871, 907, 909, 922, 930, 932, 933, 935 Schlosser, Jacques 240 Schmeller, Thomas 264, 460, 465, 822, 837, 838, 839, 840, 855, 864, 903 Schmidt, Eckart David 560 Schmidt, Karl Ludwig 52, 192, 443, 500, 620, 676, 764, 860, 904, 934 Schmidt, M.A. 326, 431 Schmithals, Walter 74, 100, 119, 123, 163, 165, 177, 199, 352, 666, 730, 742, 764, 840, 855, 903, 905, 926 Schmitt, Rainer 302 Schmitz, Florian 67, 372, 559, 785 Schnabel, Eckhard J. 24, 28, 30, 37, 63, 93, 146, 192, 215, 220, 236, 251, 274, 375, 377, 385, 406, 410, 411, 416, 491, 494, 507, 536, 539, 545, 549, 575, 580, 588, 595, 597, 600, 637, 662, 682, 687, 705, 726, 733, 753, 755, 765, 770, 783, 790, 798, 800, 817, 822, 824, 826, 827, 832, 833, 837, 838, 848, 851, 854, 865, 867, 868, 873, 875, 879, 882, 898, 918, 934 Schnackenburg, Rudolf 48, 100, 184, 661, 886
1008 Römerbrief ———————————————————————————————————— Schneider, A.M. 752 Schneider, Gerhard 391, 447, 454, 566, 609, 621, 624, 716, 723, 779, 818, 861, 877, 884 Schneider, H. 464 Schneider, J. 175, 695, 781 Schnelle, Udo 19, 27, 42, 43, 559, 562, 596, 697 Schnider, Franz 600, 917 Schoeps, Hans-Joachim 521, 955 Schöllgen, G. 878 Schönweiß, H. 846, 853 Schottroff, Luise 669 Schottroff, W. 72 Schrage, Wolfgang 43, 92, 117, 164, 195, 539, 557, 584, 597, 601, 604, 609, 696, 899 Schramm, T. 607 Schreiber, Stefan 662, 678, 823, 858, 872, 882, 886 Schreiner, Thomas R. 17, 19, 43, 47, 48, 84, 119, 121, 140, 167, 172, 188, 192, 199, 202, 234, 236, 237, 243, 257, 268, 295, 352, 354, 357, 377, 454, 456, 460, 489, 504, 511, 527, 554, 591, 597, 603, 636, 641, 650, 651, 676, 681, 713, 831, 858, 870, 885, 886, 904, 922, 925, 933 Schrenk, G. 343, 354, 370, 644, 687, 818, 819 Schröter, Jens 119, 121, 177 Schubart, Wilhelm 245, 666 Schultz, Richard 794 Schulz, Ray R. 793, 855, 872 Schulze, C. 730 Schumacher, Rudolf 861 Schunack, Gerd 74, 123 Schürer, Emil 833 Schürmann, Heinz 600, 605 Schütz, H.G. 55 Schwahn, W. 690 Schwarzmann, Heinrich 42, 43 Schweizer, Eduard 156, 197, 199, 221, 562, 595, 596, 604 Schwemer, Anna Maria 504, 526, 527, 531, 564, 836, 885 Schwertheim, Elmar 622 Schwindt, Rainer 457, 459, 460, 462, 464, 465, 466, 470 Scott, James M. 221, 222, 940, 951, 956
Scranton, Robert Lorentz 859 Scroggs, Robin 48, 135 Seebass, H. 568 Seeberg, Alfred 75, 197, 391 Seesemann, H. 40 Segal, Alan F. 122 Segalla, Guiseppe 926 Segert, Stanislav 650 Seidel, Johannes 465, 967 Seidl, T. 459, 772 Seifrid, Mark A. 122, 123, 308, 339, 377, 383, 385, 386, 458, 903 Seim, Jürgen 983 Seitz, M. 542, 882 Selb, Walter 225 Sema, Aheto 855 Siegert, Folker 111, 294, 302, 319, 324-326, 333-336, 349, 357-359, 377, 446, 450, 454, 456, 457, 463, 466, 470-472, 475, 477, 490, 493, 522, 523, 535, 536, 564, 566, 568, 569, 570, 572, 576 Sijpesteijn, Pieter J. 694 Skarsaune, Oskar 483 Smiga, George 845 Smith, Claire S. 559, 605 Smith, Edgar W. 123 Snodgrass, Klyne 167 Soden, H. von 621 Söding, Thomas 197, 577, 578, 595, 618, 710 Solin, Heikki 833, 857, 883, 890-892, 897, 920, 922 Southall, David J. 377 Southgate, Christopher 261 Sovik, Arne 528 Spicq, Ceslas 41, 76, 88, 114, 174, 244, 245, 321, 374, 521, 590, 607, 608, 610, 618, 621, 623, 624, 629, 650, 692, 722, 724, 817, 820, 836, 884 Spitaler, Peter 104 Sprinkle, Preston M. 381 Stadelmann, H. 815 Stählin, G. 360, 363, 559, 629, 717, 718, 757, 899, 907, 922 Stalder, Kurt 202 Stanley, Christopher D. 339, 340, 342, 343, 361, 362, 380, 384, 386, 405, 406, 410, 413, 425, 427, 433, 435, 509, 510, 511, 617, 647, 649 Stanley, David M. 456
Autorenverzeichnis 1009 ———————————————————————————————————— Starck, Helmut 529 Starling, David I. 339 Starnitzke, Dierk 360, 460, 501, 698, 835 Standhartinger, A. 899 Staudinger, F. 321 Stauffer, E. 846 Steck, Odil Hannes 425 Stegemann, Wolfgang 530 Stein, Robert H. 682, 689 Stein-Hölkeskamp, Elke 840 Steinmetz, David C. 666 Stendahl, Krister 501, 504, 535, 650 Stenger, Werner 471, 917 Stenschke, Christoph 282, 873, 883, 887, 900, 910 Stepp, Perry Leon 32 Stettler, Hanna 32, 58, 64, 76, 80, 81, 84, 195, 202, 229, 568, 570, 581 Stolz, Fritz 244, 474, 477, 823, 985 Stommel, Eduard 38 Stowers, Stanley K. 124, 779, 876, 972 Strack, Wolfram 7, 568, 570 Strathmann, H. 224, 568, 692, 817, 818 Strobel, August 279, 538, 676, 677, 680, 682, 683, 686-688, 692, 693, 694, 817, 879 Strotmann, Angelika 39 Strüder, Christof W. 576, 577, 578 Stuckenbruck, Loren T. 278 Stuhlmacher, Peter 17, 18, 76, 77, 119, 122, 123, 145-147, 150, 167, 178, 199, 202, 261, 282, 295, 363, 377, 378, 409, 465, 488, 494, 497, 499, 518, 570, 593, 603, 632, 672, 680, 686, 689, 691, 696, 765, 772, 860, 879, 883, 886, 925 Stuhlmann, Rainer 448, 498 Stumpff, A. 371 Sturgeon, Mary C. 924 Suhl, Alfred 826, 903 Süld, Elo 122 Süssenbach, Claudia 436 Synofzik, Ernst 652, 687
Taubes, Jacob 697 Taylor, Nicholas H. 38 Teitler, Hans C. 920 Thate, Michael J. 912 Theißen, Gerd 122, 135, 167, 765, 864, 874, 890, 923, 924 Then, Reinhold 600, 987 Theobald, Michael 19, 24, 27, 34, 43, 53-55, 62, 67, 119, 121, 122, 177, 185, 192, 261, 268, 285, 286, 295, 300, 302, 304, 305, 456, 511, 554, 591, 592, 600, 603, 604, 609, 611, 612, 615, 635, 636, 641, 646, 648, 650-652, 655-657, 665, 676, 701, 748, 749, 759, 764, 798, 844, 900, 905, 926 Thiele, F. 244, 563, 861, 875, 882 Thielman, Frank 72, 74, 192, 202, 377 Thiessen, Jakob 504 Thiessen, Werner 873 Thiselton, Anthony C. 602, 609 Thoma, C. 528 Thomas, J. 559, 560, 606 Thomas, Sheralee N. 237 Thompson, Michael B. 615, 622, 623, 632, 637, 638, 640, 654, 696, 717, 726, 758, 759, 778 Thompson, Richard W. 202 Thorley, John 872 Thornton, Claus-Jürgen 916 Thraede, Kurt 537, 899 Thrall, Margaret E. 916 Thurén, Lauri 122 Thyen, Hartwig 48, 454, 563, 772 Tiwald, Markus 863 Tobin, Thomas H. 497 Toit, Andrie du 821 Toney, Carl N. 731, 758, 759 Tönges, Elke 39 Towner, Philipp H. 672 Trebilco, Paul R. 873, 878, 925 Trilling, Wolfgang 114, 934
Tachau, Peter 24, 74, 79, 100 Taeger, Jens-Wilhelm 655 Tajra, Harry W. 836 Talbert, Charles H. 593, 615, 870 Tanghe, Vincent 27 Tannehill, Robert C. 42, 43 Tannenbaum, Robert 863
Trummer, P. 577, 873 Tsui, Teresa Kuo-Yu 44 Turner, Max M. B. 30, 597, 598, 601 Turner, Nigel 615 Twelftree, Graham H. 613, 823 Unnik, Willem C. van 607, 641, 680, 682, 683
1010 Römerbrief ———————————————————————————————————— Untergaßmair, F.G. 908 Vahrenhorst, Martin 81, 142, 290, 459, 460, 490, 572, 731, 761, 818 Vanni, Ugo 42, 43 Vénencie, Jacques 862 Vogt, Ernst 72, 436, 989 Vögtle, Anton 234, 236, 237, 242, 591, 717 Völkel, M. 55, 543 Vollenweider, Samuel 77, 92, 168, 261, 537 Vollmer, Hans A. 544, 647 Vos, Jacobus Cornelis de 226 Vos, Johan S. 167, 394, 395 Waanders, Frits M. J. 375, 376 Waard, Jan de 510 Wächter, L. 459 Waddell, James A. 295 Wagner, Günter 34 Wagner, J. Ross 106, 284, 299, 330, 334, 339, 340, 342-346, 360, 362, 363, 377, 382, 389, 402, 405, 413, 421, 425, 433435, 497, 504, 505, 507, 509, 510, 514, 544, 629, 734, 754, 789, 790, 793, 794, 831 Wagner-Hasel, B. 106, 630 Walbank, Mary E. H. 922 Walde, C. 25 Walker, Rolf 674, 686, 689 Walker, William O. 873 Wallace, Daniel B. 885 Wallace, Sherman L. 690 Walter, Nikolaus 169, 466, 645, 665, 759 Walton, Steve 865 Wander, Bernd 636, 638, 827, 832, 833, 836 Warnach, Victor 43 Wasserman, Emma 123 Watson, Francis 502, 731, 732 Wayment, Thomas A. 867 Weber, Otto 528 Weber, Reinhard 122 Wedderburn, Alexander J.M. 27, 34, 731, 837 Wege, H.-Th. 84 Wegenast, K. 605 Wehnert, Jürgen 730 Weima, Jeffrey A.D. 648, 867, 870, 900, 904, 926, 927 Weinrich, Michael 529
Weiser, A. 451, 857, 873 Weiß, Alexander 868, 890, 923, 924 Weiß, H.-F. 605 Weiß, Joh. 42, 84, 102, 119, 132, 167, 254, 269, 335, 422, 454, 497, 518, 621, 690 Weiss, Herold 746 Weiß, Wolfgang 823 Welborn, Laurence L. 743 Welker, Michael 563 Wendel, Ulrich 840, 855, 873, 883 Wenger, L. 221 Wenham, David 632, 696, 717, 759, 765 Wenschkewitz, Hans 568, 570 Wessel, B. 103 Westenholz, Joan G. 868 Westerholm, Stephen 377 Westermann, Claus 11, 509 Wetter, Gillis P. 597 Whelan, Caroline F. 855, 863 White, Joel R. 244, 245, 459, 460, 461, 669, 827, 880 White, John L. 867 Whiteley, Denys E.H. 505 Whitford, David M. 666 Wibbing, Siegfried 55, 562, 590, 591, 908 Wick, Peter 572 Wilckens, Ulrich 14, 17, 18, 22, 24, 26, 27, 31, 33-37, 42-45, 48, 50, 52, 55, 57, 58, 61, 65, 69, 71, 75, 76, 79, 84-86, 89, 98, 100, 102, 103, 107, 110, 112-119, 121124, 126, 128, 130-135, 137, 138, 142, 152, 155-158, 162-169, 172, 173, 177, 184, 188-192, 193, 198-200, 202, 203, 205, 206, 212, 213, 215, 216, 218-224, 227, 229-238, 240-246, 249-253, 257, 259, 262-269, 272, 276, 278, 281-284, 287, 291, 293, 295, 301, 302, 306, 307, 309-314, 318-320, 322, 324, 327, 328, 332, 334, 336, 338, 341, 345, 346, 352354, 357, 359, 360, 363-366, 372, 373, 377, 378, 382, 385, 387, 391, 398, 402, 405, 406, 408, 409, 411, 415, 422, 426, 428, 429, 431, 436, 437, 444-449, 451, 453, 454, 456, 459, 460, 462, 465, 470, 472, 481, 484, 486-490, 493, 497-499, 502, 511, 512, 518-520, 523-528, 537, 539-541, 545, 548, 549, 554, 557, 559563, 565, 568, 570, 576, 578, 581-583, 589, 593, 595-597, 598, 600, 603, 604,
Autorenverzeichnis 1011 ———————————————————————————————————— 606-610, 612-619, 621, 623-625, 630, 632, 637, 638, 640, 644, 645, 648, 651, 657, 659, 664-666, 671, 672, 674, 676, 677, 682, 683, 685-687, 689, 692, 695, 696-700, 704, 705, 708-711, 713-717, 723, 731, 732, 736-738, 741, 742, 744, 745, 747, 749, 754, 755, 760, 763, 765, 767-769, 771, 773-775, 778, 780, 781, 784, 785, 788-790, 795, 797, 811, 812, 815, 816, 819, 821, 822, 824, 825, 827830, 835, 842, 843, 846, 849, 853, 858, 860, 871, 872, 874, 878, 884, 885, 892, 894, 895, 899, 903-905, 908, 909, 915, 919, 922, 926, 932, 933, 991 Wildberg, Christian 253 Wildberger, Hans 343, 509 Wilk, Florian 284, 298, 377, 405, 497, 511, 544, 754, 794, 795, 831 Wilkes, John J. 826 Williams, Guy 278 Wilson, Walter T. 615, 616, 643, 657 Windisch, Hans 385, 873, 899 Wink, Walter 676 Winter, Bruce W. 683, 685, 691, 699, 732, 855, 858, 859, 862, 864, 865, 874, 883, 923, 924 Winter, F. 197, 310, 363, 387, 682, 815, 930 Wischmeyer, Oda 253, 273, 618, 667, 710 Witetschek, Stephan 871 Witherington, Ben 122, 377, 448, 566, 591, 603, 838, 887, 888, 893, 895 Witte, Klaus 738 Wolff, Christian 609, 986 Wolter, Michael 14, 17, 19, 21, 22, 24, 26, 27, 31, 33-38, 41-44, 47-49, 51, 52, 55, 57, 58, 60, 64, 65, 69-72, 74-76, 79, 80, 82, 84, 86, 89-92, 94, 100, 102-113, 115, 119, 121, 122, 124-133, 135, 138, 140, 142, 152, 155-164, 166, 167, 169, 172, 174, 175, 177, 178, 184, 189, 193, 194, 196, 197, 199, 200, 202, 203, 206, 208-210, 212, 213, 215-217, 220, 222224, 227, 228, 230, 233-236, 238, 240247, 249-254, 256, 257, 259-264, 266271, 273, 274, 276-278, 445, 454, 502, 518, 681, 693, 703, 704, 905
Wright, N.T. 17, 122, 135, 153, 167, 220, 230, 233, 295, 296, 304, 382, 456, 460, 461, 465-467, 475, 486, 497, 501, 505, 512, 513, 515, 534, 554, 593, 651, 669, 672, 925
199, 448, 496, 552,
Yarnold, E.J. 28 Yinger, Kent L. 630 Ysebaert, Joseph 30 Zahn, Theodor 22, 24, 43, 51, 57, 71, 75, 84, 102, 113, 119, 124, 135, 142, 156, 162, 164, 167, 200, 213, 227, 235, 240, 249, 251, 257, 268, 269, 288, 290, 295, 301, 326, 333, 345, 359, 383, 409, 411, 431, 432, 448, 454, 456, 470, 472, 489, 499, 511, 518, 554, 592, 597, 604, 617, 622, 623, 628, 636, 640, 641, 673, 681, 689, 705, 714, 731, 736, 738, 741, 771, 773, 811, 812, 814, 836, 871, 885, 904, 921 Zamfir, Korinna 873, 879 Zapella, Marco 993 Zeller, Dieter 17, 19, 32, 34-36, 74, 108, 119, 121, 158, 178, 188, 192, 199, 202, 240, 251, 266, 268, 295, 344, 385, 447, 456, 465, 470, 497, 499, 501, 511, 527, 530, 554, 590-592, 597, 598, 603, 605, 636, 650, 651, 658, 788, 791, 794, 825, 831, 843, 844, 878, 904 Zenger, Erich 529, 530, 534 Zerbe, Gordon 632, 643, 650, 652 Ziesler, John A. 456, 466, 500, 562, 730 Zimmermann, Alfred F. 605 Zimmermann, Christiane 39, 223 Zingg, Edith 39 Zobel, H.-J. 304 Zoccali, Christopher 501, 502 Zsifkovits, Valentin 665 Zuntz, Günther 177, 714, 814, 906
1012 Römerbrief ——————————————————————————————————
3. Verzeichnis griechischer Wörter α� γιασμο' ς 81 α� μη' ν 935 α� να' γκη 688 α� να' θεμα 290 α� νυπο' κριτος 618 α� παρχη' 459 α� ποβολη' 453-454 α� πο' στολος 885 α� ποτομι' α 476 α» ρχοντες 682 βαπτι' ζω 27-31 βη' μα 752 διακονι' α 451-452 δια' κονος 857-858 διαταγη' 680 διω' κω 322, 359, 630-631 ε� ξουθενε' ω 743 ε� κκλησι' α 860 ε� κλογη' 310 ε� λευθερο' ω 77 ε� ξαπατα' ω 909 ε� ξουσι' α 330, 675-676 ε� πι' γνωσις 372 ε� πιθυμι' α 54, 128 ευ� α' ρεστος 567 ευ� λογε' ω 630-631 ζε' ω 624 ζηñ λος 724 θυσι' α 563 καρπο' ς 84 κη' ρυγμα 930 κηρυ' σσω 387 κληρονο' μος 225 κοινο' ς 731 κοινωνε' ω 628 κολλα' ω 620 κοπια' ω 882 κο' σμος 448 κρι' νω 271, 744, 746 λειτουργο' ς 692 λογικο' ς 568-569 με' λη 55 μερι' ζω 593 μυστη' ριον 490-491 νικα' ω 655 νο' μος 142-152
νουθετε' ω 607, 815-816 οι� κοδομη' 770 οι� κουμε' νη 410-411 ο� νομα' ζω 828 παρακαλε' ω 559-560 παραζηλω' σω 414, 446, 452 περιπατε' ω 40 παρι' στημι 562 πιπρα' σκω 156 πι' πτω 443 πλησι' ον 708 προ' θεσις 254 προ' σκομμα 363, 757 προστα' τις 862-864 προφητει' α 600 πται' ω 443 ο� ψω' νιον 88 προ' σλημψις 455 ρ� ηñ μα 384, 386-387 ρ� υ' ομαι 512 σα' ρξ 110, 196, 204 σκα' νδαλον 363 σπουδη' 610 συγκλει' ω 525 συ' μβουλος 546 συ' μφυτος 41 συναπα' γω 637 συνεργο' ς 875-876 σω ñ μα 47, 53, 174, 212-213, 215, 562-563 σωφρονε' ω 590 τε' λος 86, 150, 375-378, 693-694 ταλαι' πωρος 174 ταπεινο' ς 636 τυ' πος 75-76 υ� περφρονε' ω 590 υ� πο` νο' μον 60 υ� ποτα' σσω 374, 674-675 φιλοξενι' α 629 φο' ρος 690 φρονε' ω 473, 590 φθα' νω 358 χαι' ρω 633 χα' ρις 23 χα' ρισμα 520, 597-598 χρει' α 628
Stichwortverzeichnis 1013 ——————————————————————————————————
4. Stichwortverzeichnis Aaron 871 Abendmahlsliturgie 904 Abendmahlstradition 817 Abfall 196, 363, 519, 753, 907 Abgrenzungsparolen 850 Abhängigkeit 249, 461, 550, 595, 615, 841 Ablassbriefe 145 Abraam 305, 423 Abraham 150, 226, 268, 293, 297, 303-308, 311-315, 320, 338, 346, 356, 366, 371, 373, 384, 423, 440, 457-460, 462, 464471, 475, 481, 484, 495-497, 502-507, 513-515, 519, 520, 533, 536, 546, 553, 555, 579, 582, 629, 745, 788-790, 844, 928, 934; -kinder 466; -nachkommenschaft 507; -verheißung 441, 503 Absolutheitsanspruch 535 Abstammung 298, 303, 306-308, 311, 314317, 322, 349, 467, 478, 667, 808 Abstinenz 733, 741 Achaia 450, 460, 701, 809, 825-828, 832, 837, 841, 842, 859, 868, 877, 880, 883, 890, 900, 902, 922; -mission 829, 831, 918 Achtung 623, 635, 644, 701, 748 Ächtung 106 Adam 13, 32, 43, 46, 52, 59, 74, 88, 113, 121-123, 129-131, 136, 140, 146, 153, 157, 173, 179-183, 200, 212, 229, 233, 240-243, 259, 270, 279, 349, 367, 374, 396, 455, 460, 514, 539-542, 551, 596, 655, 660, 750, 753, 766, 807; neuer Adam 38, 726 Ädil 677, 678, 889, 923, 924 Adoption 221, 222, 225, 297 Adoptivkinder 225; -vater 794 Aeschylus 41, 443, 590, 591, 629, 666, 857 Aesop 238 Affekte 160, 161, 633, 634, 819; -lehre 633; betontheit 371 Agrippa I. 752, 847, 892, 893 Agrippa II. 669 Ägypten 32, 74, 82, 156, 174, 315, 325, 413, 432, 496, 536, 546, 622, 690, 694, 701, 836, 923
Ahab 425 Akklamation 224, 538, 604, 755; -ruf 223 Alexandria 383, 669, 851 Allherrscher 539, 620 Allmacht 317, 331, 347, 552; -formel 538 Allversöhnung 486, 511, 524, 526 Almosen 547, 608, 840, 850 Almosengeben 610; -verteiler 607 Altar 420, 421, 424-426, 509, 566, 582, 696, 820 Amen 223, 296, 551, 659, 852, 925, 927, 935 Amoriter 413 Amos 620 Amphitheater 860, 874 amplificatio 271 Amt 375, 376, 612, 628, 661, 667, 677, 679, 695, 698, 818, 828, 858, 923; -ausübung 858; -zeichnung 923; -gewalt 330, 677; -handlungen 686; -inhaber 667, 676, 677, 680, 692, 699; -träger 583, 675, 677, 678, 680, 681, 685, 697, 752 Anathema 145, 290, 581, 582, 904 Anbetung 146, 249, 414, 443, 524, 538, 550, 551-553, 772, 820, 881 Androhung 84, 171, 700 Andronikus 866-872, 881, 883-888, 895, 901, 902, 920 Anfechtung 175, 185, 653, 702, 913 Angst 275, 414, 549, 683, 684, 694, 697, 724, 816 Anklage 262-264, 269, 270, 297, 327, 331, 424, 425, 630, 715, 877; -erhebung 269 Anordnung 381, 665, 669, 675, 679, 680, 700, 933 Anpassung 234, 403, 433, 575, 798, 928 Anrede 100, 101, 188, 223, 328, 370, 413, 425, 460, 463, 468, 490, 539, 560, 600, 646, 730, 734, 775, 810, 814, 845, 906 Anspielung 122, 140, 239, 241, 245, 269, 398, 434, 435, 461, 467, 512, 572, 591, 615, 641, 659, 759, 792, 880, 910, 912, 933 Anspruch 48, 54, 84, 96, 97, 161, 195, 202, 203, 295, 313, 315, 322, 388, 410, 412, 417, 475, 493, 552, 572, 579, 607, 668, 805, 806, 831
1014 Römerbrief —————————————————————————————————— Anstoß 183, 271, 360, 363, 435, 442, 729, 734, 757, 762, 772-774, 776, 907 Anthropologie 53, 55, 78, 111, 177, 206, 212, 213, 219, 562, 577 antienthusiastisch 771 antiimperialistisch 669, 697 antijüdisch 285, 304, 530, 535 Antinomie 91, 97, 394, 807 Antiochien (Syrien) 191, 445, 482, 675, 825, 827, 830, 855, 885, 888, 889, 893, 896, 900, 902, 916, 919 Antiochien (Phrygien) 450, 453, 477, 828, 829 Antipas 106, 887, 888, 893, 901 Antisemitismus 472, 518, 528 Antithese 22, 72, 91, 115, 126, 155, 168, 226, 312, 313, 338, 477, 569, 720 Anwendung 20, 25, 51, 91, 110, 245, 335, 346, 347, 406, 416, 428, 430, 436, 539, 601, 672, 673, 689, 698, 759, 765, 803 Äon 117, 238, 574, 576, 651, 716, 718, 722, 748, 801; -wechsel 212; -wende 728 Apameia 880 Apelles 866, 868, 869, 870, 891, 901 Aphrodite 859; -tempel 859 Apis 593 Apokatastasis 526 Apollon 684 Apollos 624, 829, 830, 862, 875, 876, 880, 886 Apologetik 121, 123, 489, 503, 582 Aporie 284 Aposiopese 333 Apostel 95, 235, 276, 387, 399, 404, 411, 416, 418, 450, 451, 496, 513, 519, 523, 588, 601, 604, 605, 631, 697, 804, 817, 830, 832, 833, 841, 872, 885-888, 902, 905, 908, 912, 916, 930, 933; -amt 407, 816; -konvent 838, 850, 851; -konzil 759; -titel 451; -zeichen 823 Appell 261, 559, 648, 739, 772, 777, 786, 800, 801, 828 Appellationsrechtsprechung 678 Apphia 865 Aqiba 252, 769 Aquila 238, 362, 544, 630, 829, 832, 861, 866, 867, 868, 869, 870, 871, 873-881, 883, 886, 890, 915
Arabien 824, 827, 885, 889, 902 Aramäisch 8, 189, 223, 615, 647 Arbeit 84, 88, 89, 95, 174, 222, 330, 568, 589, 664, 684, 692, 707, 745, 746, 771, 805, 822, 830, 832, 835, 843, 876, 882, 883, 886, 894, 921, 930 Archippus 884 Architekt 770 Archive 694 Archonten 682, 701 Aretalogie 667 Aretas 887 Ärgernis 352, 361, 363, 491, 541, 729, 757, 758, 824, 931 Aristarchus 884, 919 Aristobulos 550, 866, 867, 869, 870, 891893, 897 Aristokraten 682, 874, 888, 899 Ariston 590 Aristoteles 25, 28, 41, 43, 54, 60, 76, 104, 154, 178, 273, 376, 454, 464, 546, 548, 549, 590, 596, 629, 666, 817 Armenien 897, 912 Armenpfleger 607 Armut 253, 839 arrogant 463, 437, 471, 474, 480, 484, 494, 636 Artemis 857 Arthasastha 680 Arzt 28, 874, 919 Aschera 426 Asia, Provinz 450, 684, 694, 823, 827, 828, 829, 831, 848, 866, 868, 877, 878, 880883, 900, 915, 916, 917, 918; -mission 831, 890 Asklepios 859 Assimilation 125, 421, 703, 842 Assimilierung 253, 361, 588, 736, 737, 812 Astronomie , 267, 278, 573 Asyl 629, 684 Asynkritus 867-870, 896, 897, 900 Ataraxie 633 Atheisten 527, 534, 552 Athen 450, 546, 828, 829, 837, 883, 918, 922 Athenagoras 570 Athene 272 Äthiopien 33, 411, 412 Athletik 322
Stichwortverzeichnis 1015 —————————————————————————————————— Attentat 848; -pläne 848 Auferbauung 94, 602, 612, 729, 732, 734, 740, 741, 762, 770, 771, 777, 780, 784, 802, 829 Auferstehung, s. Auferweckung Auferweckung 14-20, 27, 37, 39, 40-47, 4953, 57-63, 73-75, 90-94, 100, 108, 115, 116, 150, 151, 176, 183-191, 215-217, 227, 228, 231, 233, 245, 256, 268, 271, 280, 290, 294, 355, 366-369, 384, 387, 391, 399, 400, 406, 410, 458, 457-459, 506, 512, 527, 543, 564, 561, 574-577, 627, 635, 653-656, 661, 664, 696, 710, 715-717, 728, 741, 750-754, 788-791, 795, 800, 804, 807, 825, 828, 841, 888; bericht 888; -existenz 577; -leben 214; sprache 245; -weissagungen 795 Aufforderung 52, 53, 55-58, 60, 78, 91, 209, 387, 573, 574, 576, 579, 585, 587, 668, 672, 673, 675, 692, 693, 706, 713, 739, 900, 930 Aufpfropfen 463, 466 Aufrichtigkeit 74, 586, 607, 608 Aufruf 519, 583, 592, 594, 635, 636, 642, 643, 660, 693, 713, 722, 734, 792, 793 Aufruhr 635, 877 Auftrag 240, 243, 324, 344, 396, 450, 451, 568, 602, 644, 677, 678, 685, 687, 700, 755, 787, 818, 821, 841, 854, 886, 925, 933; -wort 409 Aufzählung 263, 265, 278, 279, 289, 292, 293, 294, 295, 392, 435, 587, 588, 599, 605 Augustus 667, 669, 675, 678, 684, 694, 707, 746, 794, 833, 880, 893, 898 Ausbeutung 262 Auschwitz 528 Auspeitschung 678, 683, 686, 822 Aussendungsrede 872 Auswahl 301, 303, 308, 310, 311, 315, 346, 421, 427, 429, 431, 495 Ausweglosigkeit 174, 181, 184 Auswendiglernen 387 autobiographisch 121, 122, 176 Autonomie 77, 158, 584 Autorität 93, 94, 148, 167, 246, 272, 277, 321, 330, 339, 346, 376, 387, 395, 401, 407, 412, 414, 417, 426, 451, 492, 503, 534, 552, 560, 572, 583, 589, 601, 649,
668, 676, 685, 691, 698, 701, 737, 754, 782, 801, 811, 841, 845, 858, 861, 886, 903, 912, 925, 933; -strukturen 679 Axiom 520, 521 Baal 420, 425-429; -propheten 426; -tempel 425 Babel 334 Babylonien 413, 417, 536, 648, 668, 701 Bacchus 723 Bäder 678, 694 bagatellisieren 50, 52, 62, 91, 204, 214 Bann 290; -fluch 290 Barbaren 316, 411, 452, 541, 695, 818, 833; völker 410 Barmherzigkeit 63, 157, 182, 185, 299, 303, 315, 321-327, 337-339, 341, 346-348, 365-367, 373, 403, 416, 429, 446, 477, 496, 516, 519, 521, 526, 537, 547, 557, 560-563, 586, 588, 600, 608, 610, 635, 640, 704, 711, 793 Barnabas 453, 477, 829, 831, 855, 885 Barsabbas 888 Baumveredelung 464 Beamte 88, 245, 278, 330, 374, 665, 677, 682, 684, 692, 697, 699, 701, 752, 887, 888 Beauftragung 197, 451, 452, 604, 605, 685, 787, 840, 842 Bedrängnis 112, 260, 262, 273, 274, 276, 362, 613, 627, 648, 656, 762, 796, 797, 854 Beelzebul 504, 781 Befehl 29, 76, 219, 697, 784; -form 57, 558; gewalt 674 Befreiung 14, 18, 19, 40, 41, 47, 48, 58, 77, 78, 90, 99, 100, 104, 107, 113-116, 146, 149, 150, 157, 191, 192, 195, 200, 202204, 207, 218, 220, 241, 242, 246, 250, 262, 349, 449, 499, 555, 565, 568, 716, 823 Befreiungstheologie 699 Befriedigung 727 Begehren 111, 128-133, 141, 143, 154, 159, 162, 172, 179, 180, 259, 707, 709 Begierde 18, 42, 46, 52-55, 62, 64, 73, 79, 110, 112, 118, 127-138, 160, 208, 217, 219, 220, 648, 711, 727, 761 Begräbnis 36, 37, 38, 39, 40, 41, 45; -riten 38
1016 Römerbrief —————————————————————————————————— Behörden 191, 269, 278, 671, 675, 676, 677, 680, 683, 686, 691, 692, 703, 862, 865; sprache 676 Bekehrung 14, 18, 20, 27, 31, 34, 36, 38-42, 44-49, 53, 56-58, 65-68, 70, 73, 74, 77, 79-82, 84-86, 92, 97, 99, 107, 110-116, 121-125, 157, 170, 174, 178, 180, 184, 190-192, 204-206, 213, 217, 219, 228, 247, 256, 258, 260, 285, 291, 340, 372, 412, 417, 419, 420, 448, 449, 453, 456458, 478, 480-482, 484-487, 494, 496, 498, 499, 500, 503, 505, 508, 512, 515, 536, 561, 575, 595, 713, 721, 790, 795, 819, 820, 824, 829, 831, 881, 887, 890, 913; -bewegung 726; -geschehen 77, 221; -taufe 33, 65; -vorgang 109, 110 Bekennen 389, 391, 392-394, 399, 400, 502, 790 Bekenntnis 369, 385, 389, 390-395, 400, 448, 486, 503, 509, 513, 530, 587, 603, 706, 748, 785, 790, 792 Belehrung 160, 729, 782, 783, 803 Beleidigung 468, 654, 658, 762 Beliar 54, 446, 721, 912 Beröa 450, 828, 829, 837, 883, 915, 916, 918-920 Beruf 330, 604, 685, 874, 875; -bild 858; gilden 628 Berufung 121, 233, 255, 258, 308, 318, 336, 338-342, 345, 347, 349, 405, 446, 450, 451, 487, 493, 506, 513, 520, 521, 529, 589, 592, 612, 689, 726, 758, 816, 817, 821, 822, 897, 933; -bericht 450, 818 Beschäftigungstherapie 665 Beschämung 651, 652 Beschimpfung 128, 631 Beschneidung 13, 28, 94, 110, 145, 147, 149, 151, 203, 229, 297, 365, 374, 388, 423, 507, 513, 555, 730, 731, 740, 757, 772, 787, 788, 790, 791, 903 Besessenheit 163, 728 Besitz 114, 123, 146, 170, 193, 205, 212, 222, 229, 248, 293, 354, 355, 384, 414, 446, 475, 571, 607, 686, 690, 724, 893 Bestrafung 172, 240, 647, 689, 694, 697, 699 Besuch 483, 746, 810, 811, 825, 826, 829, 832, 834, 870, 902 Betanien 50 Betäubung 420, 432-434, 438
Beten 249, 250, 397, 553, 579, 625, 628, 718, 841, 845, 853 Beteuerung 287-289, 310, 368; -formel 288 Bethlehem 511 Bewahrung 138, 147, 445, 491, 660, 663, 701 Bewährung 92, 625, 627, 696, 744, 745, 797 Bild 36, 46, 56, 75, 79, 109, 110, 173, 222, 232, 256-258, 315, 317, 330-332, 360, 366, 437, 440, 444, 459, 461-467, 473, 478, 480, 481, 484, 495, 497, 506, 526, 542, 557, 563, 564, 595-597, 624, 630, 655, 670, 698, 712, 716, 718, 720, 725, 745, 758, 770, 771, 819, 829, 846, 853, 900, 912; -sprache 624; -worte 51, 463 Bildung 571, 601, 664, 782, 892 Biographie 14, 20, 27, 47, 52, 68, 73, 80, 116, 190, 393, 638, 877, 901 Bithynien 831, 859, 880 Bitte 155, 249, 321, 367, 370, 391, 436, 437, 443, 553, 575, 810, 811, 840, 845, 846, 849, 854, 861-863, 872 Blasphemie 334 Bluträcher 525 Blutsverwandte 884 Böse 13, 96, 118, 129, 132, 135, 138, 141, 158-160, 165-175, 178-183, 613-616, 619-621, 639, 643, 645, 652-659, 665, 670-672, 682, 683, 685-689, 697, 709, 806, 911 Boshaftigkeit 41, 654 Bosheit 85, 145, 326, 514, 656, 710, 815, 909 Boten 351, 387, 401, 404, 406-410, 412, 414, 417-419, 438, 600, 876; -formel 600 Brandopfer 104, 565, 566, 820; -fleisch 565 Brot 302, 459, 553, 582, 596, 652, 748, 875; -teig 440,459 Bund 74, 145-147, 150-153, 181, 226, 253, 275, 283, 293, 297, 305, 319, 338, 344, 351, 354, 358, 365, 372, 373, 382, 399, 422, 425, 426, 469, 487, 501, 509, 513517, 519, 520, 530, 546; -bestimmungen 501, 516; -gerechtigkeit 282-284, 319, 346, 356, 357, 513; -gesetz 365; -gott 542; -partner 146; -schluss 293; 286, 293, 307, 513, 520; -theologie 344; verpflichtung 146; -versammlung 862, 863; -volk 147, 151, 298, 307, 350, 356, 399, 469, 480, 529, 530; -vorteile 598
Stichwortverzeichnis 1017 —————————————————————————————————— Bürgerrecht 898, 900, 901 Buße 24, 147, 149, 445, 497, 513, 575, 648, 651, 792 Caligula 892 Callimachus 322 Calvin, s. Autorenverzeichnis Cäsar 826, 874, 898, 922 Cäsarea 630, 675, 680, 752, 825, 834, 847, 848, 917 Cassius 41, 171, 542, 675, 890, 922 Charisma 592, 609; Charismen 231, 600, 613 Christenverfolgung 645, 688 christologisch 36, 93, 215, 368, 503, 510, 545, 734, 748, 754, 773, 801, 831 Chrysostomus 28, 29, 71, 224, 237, 246, 454, 456, 634, 650, 740, 899 Chuza 865, 887, 888, 901 Cicero 394, 411, 590, 629, 633, 634, 658, 667, 675, 687, 841, 849, 922 Claudius 104, 678, 680, 690, 732, 840, 889, 892, 893, 896, 912; -edikt 463, 628, 630, 631, 645, 868, 883 Clemens 29, 36, 836, 890 coercitio 686 cognomen 857, 890, 895 concupiscentia 62, 63 curatores 677, 678 Cyprian 736 Dalmatien 826, 916 Damaskus 450, 493, 503, 824, 827, 829, 841, 855 Dämonen 134, 163, 278, 326, 413, 415, 676 Daniel 253, 668, 731, 742 Dank 67, 73, 118, 120, 123, 126, 175, 176, 451, 565, 582, 700, 842; -gebet 73, 748; -opfer 582; -ruf 187 Dankbarkeit 145, 552, 563, 727, 840, 851 David 110, 134, 154, 155, 228, 293, 294, 297, 366, 384, 420, 423, 434, 435, 436, 437, 462, 511, 515, 520, 608, 616, 632, 667, 791, 792, 794; -sohn 531 Deifikation 230 Dekalog 54, 55, 105, 584, 702, 705, 706, 708, 718, 746, 748, 804; -gebot 54, 129 Delos 465 Delphi 859 Demokratie 596, 675, 700, 701
Demosthenes 60, 375, 546, 629, 683, 693, 719, 817, 846 Demut 474, 550, 552, 623, 638, 727, 787 Derbe 828, 829, 915, 916, 921 Diakonie 6, 451, 604 Diakonin 858, 859, 929 Diaspora 343, 455, 536, 563, 566, 670, 698, 731, 742, 881; -gemeinde 510; -juden 372, 576, 618, 731 Diatribe 70, 264, 463, 468, 730 Dieb, Diebstahl 85, 678, 707, 709, 717, 721, 759 Dienst 57-59, 81, 86, 87, 97, 115, 122, 184, 192, 194, 297, 331, 375, 426, 439, 440, 451, 508, 547, 556, 562, 568, 573, 575, 581, 586-588, 600, 604, 605, 611-614, 625, 628, 637, 692, 695, 768-771, 789, 798, 805, 810, 817, 818, 837, 839-842, 849, 855, 858, 860, 880, 895, 901, 909, 923 Diffamierung 904 Dignität 197, 211, 366, 392, 753, 755, 840 Diktat 69, 282, 617, 920, 921; -fehler 489, 538; -pause 178 Diogenes 73, 376, 566, 569, 730, 855 Diognetus 196 Dionysius 27, 54, 206, 213, 240, 246, 293, 546, 571 Dirnen 639 Domitian 890 Domitilla 889, 890 Dorf 65, 834, 847 Doxologie 4, 264, 287, 295, 296, 537, 539, 550, 553, 737, 797, 808, 917, 925-929, 934, 935 Drangsal 274, 280 Dualismus 53, 79, 175, 177, 337, 344 Duumviri 687, 923 Ebenbild 173, 541, 576 Edikt 387, 590, 680, 732, 863 Edom 315, Edomiter 315, 334 Ehe 95, 103, 106, 113, 213, 273, 298, 707, 711, 758, 805; -gesetz 106, 707; -gewalt 225; -metaphorik 108; -recht 100, 103, 104, 106, 109; -scheidung 147; -verträge 106 Ehebruch 105, 106, 128, 584, 707, 709, 759, 804; Ehebrecher 85, 99, 105, 106, 339
1018 Römerbrief —————————————————————————————————— Ehre 38, 266, 332, 430, 514, 550, 551, 552, 556, 563, 565, 580, 623, 665, 669, 671, 677, 693, 694, 695, 707, 730, 754, 756, 781, 786, 787, 791, 794, 809, 821, 828, 935 Ehrenamt 923, 924; -bezeichnung 865; -bezeigung 622, 623; -inschriften 683, 695, 722; -namen 292, 356, 423; -titel 305 Ehrerbietung 622, 623, 635, 694, 695, 697, 703, 899 Ehrerweisung 613, 622, 623, 784 Ehrfurcht 474, 550, 552, 650, 694, 697, 700, 702, 703 Ehrung 668, 683, 684, 691, 863 Eifer 64, 348, 358, 367, 368, 371, 372, 399, 414, 426, 610, 611, 624, 724, 781 Eifersucht 111, 205, 402, 414, 415, 419, 439, 440, 444, 446, 452, 453, 457, 482, 488, 495, 505, 506, 508, 523, 532, 711, 724, 754, 803, 808, 907; -suchtmotiv 415 Eigengesetzlichkeit 302; -interesse 707; -leistung 378; -liebe 708; -mächtigkeit 713, 727; -nutz 111, 205, 608, 646 Einführungsformel 488 Einpfropfen 441, 466-468, 470, 472, 473, 480, 485, 497 Ekklesiologie 43, 93, 107, 752, 765, 773, 778, 799, 802 Ekstase 220, 636, 637 Elija 371, 420, 421, 424-426, 428, 429, 553; -geschichte 424, 430 Eltern 85, 88, 654, 704, 884 Empfehlungsbriefe 855, 856, 861, 862 Endgericht 13, 23, 47, 59, 84, 86, 147, 149, 150, 187, 207, 213, 238, 261, 269, 270, 272, 290, 315, 327, 332, 334, 335, 337, 364, 369, 390, 395, 421, 444, 445, 449, 480, 508, 513, 648, 653, 681, 688, 712, 716, 750, 752, 753 Endzeit 150, 233, 236, 274, 291, 294, 312, 337, 406, 418, 432, 438, 448, 491, 493, 494, 497, 500, 507, 532, 554, 661, 711, 713, 715, 782, 794, 860; -rede 273, 376 Engel 64, 147, 238, 250, 262, 268, 277, 278, 582, 629, 653, 676, 699, 912; -mächte 148, 237, 278, 676; -welt 237, 238 Enterbungstheorie 536 Epänetus 866-870, 879, 880, 881, 901 Epaphras 884
Epaphroditus 884 Ephesus 165, 331, 450, 482, 823, 825-829, 831, 851, 873-880, 883, 885, 886, 896, 915, 916, 918, 924; -mission 832 Epiktet 73, 160, 174, 194, 213, 273, 276, 387, 569, 596, 626, 633, 634, 722, 855, 923 Epikuräer 502 Erastus 699, 914, 915, 918, 920-925 Erbarmen 64, 285, 298, 316, 321-325, 329, 335-338, 346, 347, 350, 353, 365, 366, 487, 488, 517, 522-527, 532, 561, 572, 579, 583, 635, 640, 654, 727, 748, 789, 791, 793, 808 Erbe 222, 225-227, 288, 305, 310, 460, 536, 721, 754; Erben 29, 150, 186, 188, 222, 225, 226, 248, 259, 306, 491, 507, 515, 532, 536, 540, 568, 744, 751, 841; Erbfall 225; Erbfolge 670 Erblasser 225 Erbquote 225 Erbrecht 225 Erbschaftssteuer 245, 690 Erbsünde 582 Erfüllung 99, 115, 147, 150-152, 181, 196, 202-205, 229, 248, 254, 298, 301, 308, 340, 344, 345, 365, 375, 376, 379, 390, 394, 430, 448, 449, 469, 470, 471, 486, 487, 505, 512, 514, 519, 533, 553, 554, 564, 567, 583, 625, 682, 693, 702, 704, 705, 706, 709, 710, 728, 788, 797, 808, 828, 841, 843, 844; -beweis 790; -zitate 147 Erhöhung 256, 264, 272, 284, 296, 297, 355, 367, 378, 391, 396, 401, 409, 410, 414, 514, 787, 789, 791, 800, 801, 807, 828, 932; -aussage 272 Erinnerung 19, 66, 90, 211, 317, 343, 434, 435, 648, 754, 800, 803, 809, 817 Erkenntnis 47, 60, 66, 96, 111, 127, 129, 135, 138, 140, 148, 160, 161, 171, 174, 181, 182, 220, 229, 367, 368, 372, 373, 375, 376, 397, 399, 402, 414, 491, 509, 537-539, 541, 545, 548, 550, 551, 553, 583, 588, 663, 664, 721, 770, 805, 806, 809, 815, 816, 934; -fähigkeit 161 Erlebnisorientierung 585 Erleuchtung 604, 720 Erlöser 527, 546, 551, 595, 661
Stichwortverzeichnis 1019 —————————————————————————————————— Erlösung 64, 149, 175, 232, 241, 245-250, 257, 260, 262, 268, 373, 396, 397, 449, 540, 575, 661, 841 Ermahnung 52, 53, 55, 95, 209, 515, 558, 560, 561, 572, 573, 586-588, 602, 605608, 633, 635, 734, 757, 804, 806, 811, 815, 902, 908 Ermutigung 81, 237, 252, 587, 602, 606, 853 Erneuerung 96, 185, 327, 365, 513, 529, 532, 557, 558, 573, 576, 577, 578, 580, 585, 626, 632, 633, 639, 710, 719, 726, 799, 801, 806, 911 Ernte 207, 245, 440, 459, 680; -früchte 244 Erregung 333, 624, 633 Errettung 3, 74, 176, 285, 420, 440, 487, 488, 517, 794, 808, 847 Erstgeborene 225, 232, 257, 258, 272, 541 Erstgeburt 233, 244 Erstling 244, 245, 257, 460; -gabe 232, 233, 244, 248, 439, 440, 459-461, 866, 880, 881; opfer 881 Erwählung 74, 82, 146, 147, 149, 220, 253, 255, 256, 258, 270, 279, 282, 285, 286, 298-301, 303, 305-311, 313-320, 322, 323, 327, 338, 346, 350, 353, 359, 365, 372, 420, 429-431, 438, 440, 449, 460, 462, 470, 487, 488, 495, 497, 500-502, 517-521, 527, 529, 532-534, 540, 666669, 808; -begriff 255; -bewusstsein 381; -handeln 309, 314, 320, 322, 467, 506, 541; -terminologie 860; -zusage 283 Erwartung 23, 146, 147, 209, 221, 227, 233, 238, 240, 246, 325, 415, 446, 458, 490, 493, 498, 500, 516, 527, 531, 629, 633, 655, 727, 794, 840, 844, 852, 912 Erzengel 569 Erzväter 294, 440, 460-462, 465, 469, 470, 488, 853 Esau 299, 309, 310, 312-315, 334, 340, 429, 518 Eschatologie 94, 135, 147, 150, 151, 157, 260, 272, 394, 406, 411, 457, 462, 496, 503, 519, 524, 536, 573, 717, 721, 751, 804, 833 Essen 302, 460, 650, 723, 729, 730, 731, 733, 742, 743, 746, 751, 752, 759, 761, 762, 764, 766, 768, 774-777, 800
Ethik 63, 92, 93, 95-97, 354, 554, 555, 559, 563, 584, 596, 675, 723, 746, 800, 802, 805-807 Eucharistie 107; -feier 899 Euodia 865 Euripides 28, 41, 160, 245, 543, 590, 634, 695, 724 Eva 56, 129, 130, 131, 137, 140, 141, 153, 180, 909 Evangelium 20, 37, 74, 77, 145, 179, 183, 187, 204, 241, 282-285, 298, 300, 302, 316, 338, 351, 376, 382, 386-389, 392397, 399-404, 406-412, 416-419, 432, 434, 437, 445, 448-450, 452, 453, 456, 461, 473, 474, 479, 480, 487, 488, 491, 494-498, 503, 508, 511, 515-519, 524, 525, 532-534, 545, 554-565, 568, 571, 585, 593, 603, 624, 643, 648, 671, 695, 710, 734, 758, 764, 771, 777, 782, 785, 798, 799, 805, 807-810, 817-821, 824829, 833, 841, 842, 846, 847, 850, 853, 854, 875, 876, 883-890, 894, 898, 902, 907, 910, 914, 925, 929, 930-935; -verkündigung 419, 571, 573, 605, 843 Ewigkeit 286, 296, 297, 443, 505, 509, 515, 537, 541, 547, 548, 550, 571, 668, 719, 748, 791, 793, 912, 927, 933, 935 Exil 144, 157, 182, 183, 275, 293, 340, 348, 417, 423, 516, 545 Existenz 26, 44, 46, 47, 54, 79, 81, 88, 90, 98-100, 109-113, 117-119, 122, 123, 136, 151-156, 164, 173, 178, 184-188, 192, 206-209, 221, 239, 259, 260, 283, 296, 324, 439, 462, 482, 531, 550, 562, 570, 581, 615, 631, 653, 660, 680, 713, 722, 733, 749, 797, 801, 802, 839, 840, 909; -minimum 707, 864; -verwandlung 821; -weise 14, 71, 88, 98, 100, 110, 149, 187, 207, 577; -wirklichkeit 98 Exklusivitätsanspruch 484 Exkommunikation 290; -formeln 212 Exodus 32, 373, 536; -generation 37; -geschichte 320, 324, 326; -tradition 220 Exorzismen 768 Fabel 463, 596 Fähigkeit 96, 292, 323, 328, 437, 577, 593, 598, 599, 605, 609, 805, 823, 840, 920
1020 Römerbrief —————————————————————————————————— Familie 29, 221-223, 423, 460, 463, 507, 513, 532, 534, 560, 622, 630, 664, 684, 722, 744, 751, 845, 857, 865, 874, 875, 887, 891, 892, 893, 895, 898, 922 Fegefeuerstrafen 145 Fehllosigkeit 820 Feinde 188, 208, 209, 266, 272, 284, 377, 383, 391, 436, 458, 487, 488, 517-519, 525, 580, 620, 632, 646, 648, 649, 651, 652, 655, 656, 658, 708, 718 Feindesliebe 640, 650-652, 665, 706, 708, 779 Feinkeramik 331 Felix 680, 834, 847, 848, 850 Feste 151, 626, 747 Festus 752, 834, 848 Feuer 30, 34, 276, 416, 553, 625, 648, 650652, 753 Finanzmagistrat 923; -verwaltung 278, 923 Finsternis 56, 85, 111, 304, 385, 455, 711, 716, 718-723, 725, 801, 803 Fleisch 28, 29, 32, 97, 99, 100, 101, 110-119, 127, 156, 164, 169, 170, 177-180, 184, 186-188, 192, 196, 197, 198, 200, 201, 204, 206-209, 216-220, 227, 228, 286, 289, 290, 292-296, 307, 308, 347, 366, 379, 384, 398, 437, 507, 547, 711, 720, 727, 729-733, 739-748, 751-758, 761, 764, 765, 768, 770, 773-779, 799, 807, 842, 909, 935; -abstinenz 730, 731, 734; -verzicht 742 Fluch 139, 149, 150, 195, 202, 253, 291, 352, 377, 432, 436, 513, 516, 520, 631, 632, 873; -worte 632 Forderung 63, 79, 121, 202, 381, 575, 602, 640, 673-675, 679, 683, 688, 692, 765, 766, 798, 904 Formel 27, 31, 70, 73, 185, 197, 215, 383, 398, 549, 550, 553, 572, 596, 649, 661, 731, 774, 928 formgeschichtlich 123, 264, 492, 493 Fragen 70, 144, 230, 263, 264, 269, 270, 286, 328, 351, 380, 401, 403, 406, 409, 418, 538, 543, 544, 546, 556, 662, 670, 675, 698, 699, 730, 740, 748, 749, 751, 761, 764, 772, 776, 799, 822, 908 Freie 222, 411, 483, 678, 701, 704, 725, 869, 870, 900
Freigelassene 678, 882-684, 701, 864, 867, 869, 882, 887, 889-891, 893, 894, 896898, 901, 922; -status 896 Freiheit 19, 37, 55, 58-60, 63, 67, 73, 80, 82, 86, 96, 97, 105, 108, 114, 126, 145, 184, 190, 194, 205, 228, 232, 241, 242, 311, 312, 314, 317, 319, 322, 324-327, 330, 332, 335, 338, 341, 346, 350, 372, 424, 429, 536, 553, 583, 611, 631, 664, 698, 707, 712, 727, 741, 743, 747, 763, 764, 776, 798, 806, 807 Freilassung 225, 848, 873, 897 Fremde 315, 629, 667, 849, 864 Fremdherrschaft 184, 668, 688 Freude 34, 118, 120, 145, 168-172, 178-180, 205, 226, 259, 281, 323, 483, 579, 611, 625-627, 633, 729, 730, 754, 763, 766770, 775, 795-797, 800-802, 808, 810, 835, 841, 847, 851, 854 Freudenboten 405, 418 Freunde 33, 273, 553, 634, 652, 684, 731, 742, 877, 884, 902, 921 Freundespflicht 634 Freundlichkeit 205, 483, 610, 611, 754, 802 Freundschaft 634, 635, 658, 862 Freundschaftsbriefe 559 Freundschaftsethik 273 Frieden 19, 52, 59, 72, 82, 150, 186, 191, 205, 207, 300, 338, 389, 405, 406, 473, 567, 614, 626, 635, 642-644, 651, 657, 672, 700, 729, 730, 734, 741, 754, 756, 763, 766-771, 775, 777, 784, 795-797, 800, 801, 802, 807, 808, 826, 841, 852, 854, 911, 913, 914, 932; -bringer 912; gruß 623; -stiftung 642 Frucht 14, 67, 84, 85, 87, 99, 100, 108, 109, 110-115, 129-131, 170, 205, 207, 218, 463, 483, 516, 565, 567, 568, 580, 618, 722, 751, 754, 764, 766, 767, 796, 797, 802, 815, 843 Führungsämter 608 Fülle 23, 70, 93, 238, 269, 323, 439, 447, 448-450, 487, 488, 494, 496, 498, 499, 505, 506, 508, 532, 533, 540, 569, 612, 709, 789, 801, 809, 844 Fürbitte 3, 233, 249, 271, 285, 286, 291, 371, 493, 494, 695, 770, 795, 807, 845, 846, 847, 851
Stichwortverzeichnis 1021 —————————————————————————————————— Furcht 90, 160, 222, 223, 253, 414, 441, 485, 624, 665, 671, 682, 686, 693, 694, 723 Fürsorge 298, 315, 338, 451, 609, 622, 727 Fürsprache 250 Fürsten 52, 667, 668 Fürstenspiegel 667, 668, 670 Gaben 195, 230, 231, 281, 292, 397, 448, 521, 554, 556, 581, 582, 586-588, 591600, 604, 605, 608, 612-614, 618, 619, 625, 637, 659, 704, 784, 796, 797, 808, 823, 841, 842, 854 Gades 411, 832-834 Galatien 482, 827-829, 880, 900; -mission 918 Galiläa 536, 630, 865, 887, 888, 901 Gallia 29, 694, 836 Gallio 752, 877 Gamaliel 48 Ganzopfer 569, 581 Garizim 293 Gastfreundschaft 613, 622, 629, 630, 657, 861, 863, 865, 895, 902, 922 Gastgeber 29, 732, 914, 919, 922 Gastmahl 724 Gebet, Gebete 155, 165, 223, 225, 234, 249, 250, 289, 370, 398, 404, 538, 553, 563, 566, 613, 627, 628, 631, 748, 798, 811, 845, 851, 852, 853, 914; -bitte 53; kampf 853; -wunsch 291, 734, 784, 786, 787, 795, 852 Gebildete 316, 329, 323, 452, 541, 637, 638, 639, 695 Gebot, Gebote 29, 61, 67, 74, 97, 103, 105, 115, 117-120, 127-148, 151-155, 159, 161, 168, 170-173, 176, 179-182, 202, 204, 240, 323, 358, 379, 384, 385, 426, 640, 645, 689, 700, 702-709, 711, 734, 758, 777, 799, 804, 807, 808, 904; -erfüllung 48, 103; -übertretung 153 Gebräuche 490, 890 Gebrauchskeramik 331 Gebrechlichkeit 111 Geburt 28, 42, 242, 243, 306, 308-310, 312314, 319, 346, 443, 557; -schmerzen 242; -urkunde 245; -wehen 243, 245 Gedächtnis 415, 435, 582, 907 Geduld 232, 248, 260, 316, 317, 327, 333, 335, 336, 348, 397, 476, 540, 607, 625,
627, 727, 729, 754, 778, 783, 784, 786, 801 Gefahren 145, 274, 848, 878; -katalog 274 Gefangenschaft 122, 171, 185, 446, 525, 526, 610, 835, 878, 884, 885, 903, 918 Gefäße 315-317, 327, 331, 333-338, 347-349 Gefühl 85, 123, 561, 910 Gefühllosigkeit 634 Gefühlsduselei 901 Gefühlsregung 313 Gegner 137, 150, 278, 319, 328, 371, 377, 394, 436, 472, 632, 640, 646, 650, 651, 655, 724, 739, 846, 903, 904, 909 Geheimlehre 490, 491 Geheimnis 36, 282, 313, 487, 488, 490-493, 502, 505, 517, 532, 533, 536, 543, 927, 931 Gehorsam 18, 32, 47, 52, 55, 58, 62-78, 95, 97, 115, 161, 182, 191, 192, 202, 203, 217, 228, 229, 258, 293, 379, 388, 407, 416, 434, 496, 501, 507, 522, 524, 525, 527, 556, 559, 560, 563, 565, 566, 575, 582, 669, 671, 675, 694, 695, 701, 711, 712, 745, 746, 755, 798, 800, 804, 806, 807, 809, 819, 822, 840, 854, 902, 908, 910, 914, 930, 934; -verweigerung 416 Geist 30, 34, 46, 47, 53, 60, 66, 81, 93, 95101, 110, 111, 114-117, 134, 150, 151, 154-157, 163, 183, 185-189, 191-196, 203-233, 238, 244-254, 257, 259, 260, 266, 272, 284, 286-288, 294, 297, 323, 341, 342, 366, 372, 379, 382, 384, 388, 395, 397, 398, 420, 432-434, 438, 446, 491, 493, 498, 509, 513, 515, 532, 539, 544, 545, 548, 555, 556, 562, 565, 567, 568, 577-581, 584, 592, 598, 602, 603, 612, 619, 624, 628, 636, 653, 660, 706, 709, 711, 720, 728, 729, 751, 754, 762, 765, 767-771, 781, 795, 798, 800-809, 820-824, 829, 841, 842, 845, 852, 925 Geistesgaben 154, 587, 588, 589, 614, 844 Geld 88, 629, 683, 703, 810, 834, 839, 863 Geldsammlung 837-839 Geltungssucht 360 Gelübde 48, 65, 151, 565 Gemeindeamt 858 Gemeindearbeit 799, 882, 901 Gemeindeaufbau 886 Gemeindefunktionen 605
1022 Römerbrief —————————————————————————————————— Gemeindekatechese 633 Gemeindeleitung 609, 798, 850, 896 Gemeindeordnung 612 Gemeindeunterweisung 765 Gemüse 728, 733, 742, 748, 775 Gerechtigkeit 18-20, 23-25, 35, 40, 46, 52, 56-64, 67, 68, 70-74, 77-91, 94, 97, 100, 109, 113-116, 126, 129, 139, 143-145, 148-150, 157, 176, 185-188, 190, 191, 207, 212-214, 229, 231, 254, 263, 281285, 290, 298, 311, 312, 317, 319, 320, 323, 327, 328, 330, 343, 346, 349-360, 364-375, 377-384, 387-389, 392-396, 400, 402, 404, 407, 409, 414-417, 420, 422, 430-432, 438, 445-447, 469, 475479, 482, 485, 491, 501, 505, 522, 525, 532, 537, 539, 547, 551, 554, 555, 562, 565, 567, 580, 590, 595, 635, 648, 651, 661, 698, 700, 710, 711, 720-722, 725, 727, 729, 739, 748, 750, 754-756, 761, 766-770, 783, 790, 795-797, 799, 800802, 807, 808, 819, 821, 841, 913, 929, 932, 934, 935 Gerechtsprechung 270, 521 Gericht 23, 64, 94, 146, 175, 190, 191, 201, 218, 222, 231, 265, 306, 312, 317, 334336, 343-348, 364, 380, 392, 416, 434, 437, 441, 455, 458, 468, 469, 475, 476, 478, 480, 484, 496-499, 513, 516, 521, 523, 527, 531, 540, 542, 548, 603, 630, 640, 644-646, 650-655, 661, 664, 681, 682, 711, 712, 753-777, 792, 794, 803, 931; -androhung 416; -ansage 345; handeln 325, 432, 467, 476, 485, 648, 650; -hoheit 648, 649; -predigt 431; rede 602; -urteil 348, 387, 476, 496, 542, 646; -verfahren 269, 271, 675; wort 344, 363; -zorn 355, 753 Geschenk 23, 62, 66, 71, 78, 90, 123, 185, 202, 210, 216, 284, 355, 394, 430, 485, 551, 575, 598, 796, 807, 840 Geschichtsbild 669 Geschichtstheologie 669 Gesetz 18, 24, 29, 56, 59-61, 63, 67-70, 79, 80, 94, 97-131, 134-139, 141-159, 161188, 192-197, 200-205, 208, 209, 214, 217, 222, 225, 229, 231, 237, 244, 253, 259, 284, 293, 294, 297, 298, 304, 314, 344, 351-354, 356-360, 364-368, 371-
375, 377-382, 384, 385, 388, 390, 394396, 399, 414, 415, 430, 432, 437, 438, 450, 457, 476, 501, 520, 531, 539, 555, 556, 564, 565, 579, 583, 608, 619, 664, 667, 683, 697, 702, 704, 705, 706, 707, 708, 709, 710, 738, 741, 742, 745, 747, 751, 760, 773, 779, 782, 787, 790, 802, 803, 804, 806, 807, 819, 850, 932; -erfüllung 24, 352, 356, 358; -gehorsam 147, 284, 374-576; -gerechtigkeit 368, 378, 382; -offenbarung 146, 147; -praxis 147; -studium 103;-theologie 149; -treue 365, 742, 850, 851; -übertretung 138, 147, 148; -vorschrift 105; -geber 394, 668; s. auch Gebote, Mose, Tora, Werke Gesetzlosigkeit 24, 29, 67, 79, 80, 82, 85, 87, 98, 509, 721 Gestirne 278, 667 Gestirnmächte 278 Gethesemane 553 Getreide 563, 678, 746; -versorgung 678, 924 Gewaltanwendung 174, 276, 654; -ausübung 330 Gewalten 262, 278, 653, 665, 671, 673, 674, 677, 679, 684, 688, 691, 753 Gewerbebetrieb 874, 879 Gewissen 64, 96, 286-288, 585, 600, 671, 689, 699, 701, 733, 758, 763, 776-778, 780, 800, 806, 877 Gewissheit 15, 44, 45, 219, 235, 236, 256, 260, 275-277, 280, 364, 475, 509, 525, 542, 601, 648, 653, 754, 759, 776, 783, 800, 822, 887 Glaube 18, 20, 27-43, 45-49, 60, 65-67, 7279, 85, 91, 100, 107-110, 116, 142, 150, 170, 181, 190-192, 200-210, 216-219, 228, 241, 255, 257, 258, 261, 284, 291, 304, 311-315, 351, 357-360, 364-374, 378-385, 387-396, 399-404, 407-409, 415-418, 431-433, 440, 445-449, 452, 455-458, 464, 468-475, 477-490, 496507, 515-518, 525, 530-536, 551, 555, 561, 575, 579, 586, 591-595, 599, 603, 604, 627, 631, 635, 644, 654-657, 660, 675, 698, 700, 705, 709-711, 721, 728730, 734, 738-746, 753-758, 762, 775777, 788, 795, 796, 797, 800, 803, 815, 817-822, 829, 843, 846, 868, 876, 884, 888, 892, 893, 900, 908, 910, 921, 930,
Stichwortverzeichnis 1023 —————————————————————————————————— 934, 935; -auffassung 592; -aussagen 392; -bekenntnis 77, 369, 386, 391, 404; -fähigkeit 592; -formel 604; -freiheit 775; -gehorsam 72, 74, 910, 911, 928, 933, 935; -gerechtigkeit 25, 87, 298, 369, 378, 382, 386, 389, 399; -kapazität 593; -satz 749; -tradition 662 Gleichnis 51, 71, 197, 627, 638, 640, 717 Glosse 27, 74, 132, 177, 178, 408, 454, 666, 689, 735 Glossolalie 251, 602, 612, 613; s. auch Zungenrede Gnade 18, 22-26, 34-37, 45, 47, 52, 58-63, 66-73, 81, 82, 87, 90, 92, 97, 98, 101, 114, 125, 126, 145, 151, 176, 191, 223, 253, 254, 281, 284, 290, 305, 314, 315, 317, 321, 338, 346, 348, 355, 357, 364367, 371-374, 382, 388, 390, 396, 397, 403, 407, 420, 421, 427-431, 438, 448450, 455, 458, 462, 470, 473-479, 484489, 495-501, 503-506, 519-521, 525531, 536, 540-542, 546-548, 554-556, 561, 565, 567, 580-583, 586, 589, 592, 598, 599, 611, 618, 625, 631, 632, 653, 657, 715, 748, 756, 766, 767, 807-810, 816, 817, 821, 902, 913, 914, 925, 932; gabe 68, 89, 90, 487, 520, 521, 525, 592, 598; -geschenk 598; -wahl 303, 305, 331, 421, 430, 431 Gnosis 539, 636, 725, 902 Gold 331, 608, 769, 826, 833 Goldschmiede 875 Golgatha 44, 895 Gomorra 317, 345, 346, 371 Götter 153, 272, 387, 414, 426, 459, 525, 565, 568, 569, 667, 669, 701, 852, 928; bilder 443; -namen 897; -welt 857 Gottesdienst 66, 81, 223, 225, 246, 251, 286, 294, 297, 391, 392, 428, 520, 557, 565, 568-570, 572, 573, 576, 581-583, 612, 658, 739, 746, 779, 801, 811, 879, 899 Gottesebenbildlichkeit 576 Gottesferne 80, 157, 179, 183, 196, 722 Gottesfurcht 376, 474, 475, 629, 782, 787 Gottesfürchtige 102, 477, 593, 730, 731, 833 Gotteskindschaft 221, 224, 225, 239, 259, 308, 311, 621 Gottesknecht 269, 545, 778, 830, 831; -lied 830; -tradition 778
Gotteslob 791, 792, 819, 850 Gottessohn 342, 519, 531, 552, 661, 725, 750, 766 Gottesvolk 33, 92, 150, 226, 270, 285, 298, 316, 338, 346, 350, 365, 419, 438, 468, 471, 473, 475, 487, 511, 540, 786, 931; typologie 255 Gottgleichheit 253 Gotthasser 85 Gottheit 198, 244, 290, 563, 564, 609, 622, 629, 657, 666, 667 Gottlose 23, 24, 266, 309, 311, 377, 430, 464, 471, 473, 474, 478, 485, 489, 503, 515, 528, 539, 540-543, 547, 744, 745, 748, 766, 795, 807, 931 Gottlosigkeit 22, 47, 58, 77, 78, 86, 146, 181, 208, 209, 327, 509, 515-517, 543, 551, 578, 635, 641, 648, 653, 688, 756, 760, 789 Götzen 34, 239, 567, 733, 820, 852; -bilder 509; -diener 85; -dienst 37, 86, 110, 205, 219, 239, 428, 568, 668, 733, 757, 760, 799; -tempel 733; 742, 760, 761 Götzenopferfleisch 733, 758 Grab 37, 38, 39, 415, 832, 865, 890; -frevel 383; -inschrift 470 Gruß, Grüße 245, 808, 827, 855, 856, 866870, 872, 873, 879, 881, 883, 884, 889891, 893, 898-900, 902, 904, 906, 914922, 924-926; -liste 808, 867, 868, 872, 881, 900, 901 Gunst 267, 598, 631, 816, 892 Güte 101, 141, 157, 180-182, 205, 281, 310, 372, 397, 422, 439, 441, 450, 475-477, 480, 483, 485, 496, 521, 540, 561, 598, 608, 611, 622, 628, 652, 658, 668, 722, 727, 748, 754, 802, 809, 815 Güter 29, 546, 607, 608, 629, 650, 839, 841 Habgierige 85 Habsucht 85, 219, 710 Hadrian 833 Hafen 467, 855, 859, 860, 865 Handauflegung 35, 65 Handwerker 266, 329, 864, 873-875 Hass 313, 383, 471, 644, 655, 658 Hausgemeinde 589, 635, 645, 867, 869, 871, 874, 878, 879, 892, 893, 896-898, 900, 922
1024 Römerbrief —————————————————————————————————— Haushalt 71, 332, 866, 867, 880, 891, 892, 893 Haussklave 744 Hebopfer 459, 565 Heiden 30, 43, 50, 60, 66, 74, 79, 91-93, 115, 122, 124, 147, 148, 151, 160, 181-184, 196, 203, 211, 216, 223, 226, 228, 233, 254, 255, 267, 270, 282-285, 287-298, 300, 303, 310, 315-318, 324, 334-342, 345, 347, 350-356, 360, 364, 371, 373, 379, 380, 393, 396-402, 409, 414, 415, 419, 420, 427, 433, 440, 441, 446-452, 455-459, 464-469, 472, 473, 475-489, 491-499, 501, 504-528, 531, 532, 535, 536, 539, 540-543, 547, 548, 551, 554556, 561, 564, 565, 568, 572, 581, 628, 638, 639, 659, 660, 706, 709, 710, 712, 719, 730, 731, 738, 744, 745, 748, 752, 753, 756, 760, 761, 766, 772, 780-795, 800, 803, 807-810, 818-822, 825, 828, 830, 831, 841-844, 848-851, 854, 866, 878, 880, 882, 888, 898, 931, 932, 934 Heidenchristen 24, 60, 80, 84, 102, 123, 145, 221, 226, 297, 318, 338, 341, 397, 400, 431, 433, 439-441, 446-450, 459, 460, 461, 463, 465, 466, 468-474, 477, 480, 483-485, 488, 489, 492-494, 503, 505507, 517, 522, 541, 555, 557, 565, 567, 581, 590, 639, 730-732, 742, 749, 786, 787, 791-793, 795, 839, 842, 845, 860, 871, 881, 894, 897, 904, 917, 920 Heidenmission 453, 457, 499, 793, 794 Heil 23, 24, 31, 35, 37, 52, 58, 62, 68, 70-75, 80, 90-93, 148-151, 164, 176-184, 190, 204, 207, 218, 223, 230-237, 247, 252, 258, 260-263, 267, 270, 273, 274, 279285, 290, 291, 296-298, 300, 302-306, 312-315, 322-324, 337-340, 349-352, 357, 364-375, 379, 381, 390-393, 399, 400, 409, 417-422, 430, 438-440, 444449, 452-461, 471-483, 485-488, 495519, 523-533, 536, 537, 541-543, 547, 548, 552-556, 564, 601, 603, 632, 646, 660, 718, 720, 725, 739, 744, 753, 764766, 770, 783, 786-790, 797-803, 818, 819, 845, 860, 914, 931-933, 935; -ankündigungen 509; -bedeutung 107, 108, 513; -bereich 94, 445, 803; -botschaft 284, 406, 452, 808; -bringer 406; -ferne
440; 452; -folge 24, 72, 207, 247, 267, 498; -gaben 764, 768, 769; -geschehen 39, 200, 242, 492, 514, 772; -geschenk 475; -verheißung 294, 465, 516, 519, 555; -verlust 444, 762; -verschlossenheit 485 Heilige 25, 34, 66, 81, 98, 187, 213, 223-225, 229, 233, 245, 252, 255, 258, 288, 310, 521, 529, 567, 612, 662, 744, 748, 754, 767-769, 772, 802, 821, 822, 837, 840, 898 Heiligkeit 35, 46, 64, 68, 81, 82, 87, 89, 94, 97, 119, 145-149, 151, 157, 181, 204, 227, 245, 294, 352, 366, 372, 384, 440, 459-462, 547, 569, 579, 727, 747, 748, 760, 804, 807, 819, 820, 821 Heiligtum 244, 361, 371, 562, 564, 576 Heiligung 34, 67, 68, 81, 82, 85, 87, 90, 91, 108, 109, 151, 218, 231, 338, 562, 565, 567, 568, 579, 581, 761, 821, 841 Heillosigkeit 80, 442, 471, 506 Heilsgemeinde 124, 283, 304, 314, 317, 338, 340, 350, 362, 436, 465, 497, 500, 507, 508, 521, 635, 645, 782, 784, 786 Heilsgeschichte 282, 283, 340, 440, 445, 456, 457, 488, 489, 494, 495, 530 Heilsgewissheit 147, 255, 259, 260, 261, 264, 278, 280, 281, 303, 314, 394, 712, 762, 767 Heilsoffenbarung 24, 147, 149, 298, 366, 367, 374, 402, 415-417, 422, 423, 428432, 434, 437, 438, 446, 448, 452, 468, 474, 475, 476, 487, 488, 491, 493, 496, 504, 507, 515-519, 525, 527, 532-537, 545, 546, 603, 606, 739, 741, 745, 790, 815, 841, 847, 854, 931, 933, 934 Heilsplan 254, 255, 258, 326, 330, 332, 337, 399, 488, 492, 602 Heilsvolk 304, 340, 351, 364, 366, 441, 473, 474, 481, 483-485, 491, 501, 505, 506, 508, 519, 535, 536, 555 Heilsvollendung 243, 249, 254, 260, 262, 268, 279, 377, 449, 497, 765 Heilsweg 117, 122, 354, 381, 501 Heilswirklichkeit 91, 107, 227, 347, 452, 456, 458, 469, 664, 849 Heilszeit 72, 115, 116, 183, 194, 195, 235, 236, 373, 379, 380, 514, 536, 767 Heilszukunft 260, 285
Stichwortverzeichnis 1025 —————————————————————————————————— Heilszusage 362, 473, 501 Heilszusagen 226, 301 Heilung 147, 446, 553, 588, 612, 613, 823 Heiratsvertrag 862 Heiterkeit 610, 611 Heraklit 542 Hermas 31, 636, 867-870, 897, 900 Hermes 593, 867-870, 896-898, 900 Herodes 106, 669, 752, 847, 881, 887, 888, 892, 893, 901 Herodias 106, 887 Herodotus 278, 375, 376, 443, 525, 590, 695 Herrenmahl 733, 766, 839; -tradition 596 Herrenworte 94 Herrschaft 24, 32, 40, 43, 46, 47, 50-55, 5861, 68, 70-73, 80, 90, 93, 97-99, 101, 107, 110-114, 117, 120, 133, 137, 148152, 156, 158, 160, 176, 179-184, 195, 205, 210, 218, 222, 229, 241, 246, 262, 278, 296, 334, 377, 390, 552, 575, 653, 661, 664, 666-670, 690, 712, 713, 725, 726, 734, 747, 749-751, 754, 757, 759, 765, 768, 777, 779, 786, 794, 795, 800, 801, 845, 913; -anspruch 26; -ausübung 53; -bereich 41, 58, 61, 151, 200, 201, 204; -legitimation 669; -wechsel 18, 33, 68, 73, 98-100, 109, 149, 158, 807 Herrscherkult 668 Herrschertraditionen 666 Herrschertugenden 667, 668 Herrscherwürde 670 Herz 29, 146, 150, 151, 226, 281, 323, 351, 369, 371, 389, 394, 411, 431, 433, 434, 496, 559, 565, 594, 611, 634, 719, 800, 820, 931 Hesekiel 216, 820 Hesiod 267, 443, 624, 666, 857 Heuchelei 658, 702 Hilfeleistung 588, 609, 629, 839 Hilferuf 120 Hilflosigkeit 119 Hilfsbedürfigkeit 451, 474, 552, 611 Hillel 573 Himmel 144, 247, 250, 256, 277, 279, 302, 325, 367, 368, 384-386, 399, 410, 419, 449, 476, 512, 533, 539, 544, 545, 547, 548, 550, 620, 648, 667, 718, 767, 912 Hingabe 38, 74, 140, 561, 566, 570, 579, 581, 587, 606, 621, 658, 709, 711, 881
Hinrichtung 142, 274, 426, 675 Hiob 264, 269, 274, 328, 331, 376, 377, 629, 720 Hippocrates 41 Hippolytus 28, 160, 539 Hirten 386 Hiskija 144 Hispania 694, 833, 834 Hochmut 64, 439, 441, 473-475, 484, 494, 507, 590, 593, 594, 636, 668 Hoffnung 49, 59, 64, 82, 90, 94, 114, 232, 233, 236, 239-241, 244, 247-249, 254, 257, 259, 260, 276, 297, 341, 346, 361, 367, 371, 397, 417, 419, 423, 429, 439, 441, 446, 452, 462, 473, 482, 490, 508, 517, 525, 540, 548, 585, 613, 625-627, 633, 712, 718, 720, 722, 729, 730, 753, 754, 783, 784, 795-797, 803, 807, 810, 841, 932 Hohepriester 272, 582, 783, 848, 909 Holocaust 501 Homer 242, 272, 322, 375, 376, 411, 443, 590, 629, 666 Homologie 392 Homosexualität 85, 86, 799 Horeb 426 Hören 401, 403, 404, 407-409, 417, 446, 452, 502, 830 Hosanna 223 Hosea 316, 339, 340-343, 371, 424 Hunger 54, 262, 273, 274, 275, 627, 633, 650, 656, 822 Hungersnot 635, 840 Hure 648 Hygieneverordnungen 702 Hymnenstil 259 Hymnus 65, 264, 537, 538, 544, 549, 667, 713, 714, 929 Iamblichus 623, 730 Iberien 411, 833, 836 Idumäa 848 Ikonium 450, 477, 682, 828, 829 Illyrien 410, 458, 809, 812, 824-828, 831, 841, 852, 927; -mission 827, 832 Immanuel 147, 661 Inspiration 342, 601, 662 Institutionen 388, 676, 677, 679, 680, 694, 697, 698, 701, 702, 711
1026 Römerbrief —————————————————————————————————— Irenäus 326, 505, 570, 836 Ironie 82, 89, 135, 358, 472, 669, 687, 705, 742 Irrlehre 603, 662, 663, 782 Irrlehrer 808, 902, 904, 906, 910, 911, 913 Irrtum 111, 381, 534, 634 Isaak 268, 293, 294, 299, 300, 304-309, 312, 313-315, 320, 384, 462, 466, 475, 519, 520, 788 Isai 730, 793, 794 Isebel 425, 426 Isis 34, 667, 859; -tempel 859, 889 Ismael 29, 267, 300, 303, 305-307, 313 Isokrates 54, 565 Israel 79, 82, 92, 105, 110, 122, 135, 138, 139, 146-149, 153, 181-183, 221, 226, 233, 244, 253, 255, 257, 266, 270, 274, 282-287, 292, 296-306, 312-322, 328336, 338-374, 379-384, 390, 394-403, 406-469, 480, 482, 484-495, 500-537, 541-545, 563, 597, 641, 648, 660, 661, 667, 701, 715, 741, 753, 757, 782, 787794, 807, 808, 820, 830, 840, 849, 860, 928, 934, 935 Italien 331, 536, 678, 690 Jähzorn 111, 205 Jakob 139, 202, 294, 299, 300, 303, 304, 306, 309, 310, 312-315, 320, 322, 329, 340, 384, 429, 462, 466, 475, 479, 487, 509, 514, 518-520, 788, 853 Jakobus 128, 275, 483, 686, 713, 715, 742, 841, 850, 865, 882, 885 Jason 884, 914-917, 919, 920 Jeremia 146, 150, 250, 362, 385, 600, 831 Jerusalem 32, 33, 79, 80, 84, 202, 226, 274, 362, 391, 398, 410, 416, 417, 423, 434, 437, 445, 447, 450, 451, 455, 458, 482, 483, 511-516, 536, 546, 563, 624, 628, 630, 675, 680, 682, 697, 718, 752, 785, 794, 808-814, 824-827, 831, 832, 836852, 882, 886-889, 895-898, 900-903, 915-919, 927, 930 Jerusalembesuch 411, 493, 832, 846, 852 Jesaja 144, 302, 316, 329, 330, 342, 343-345, 361-363, 371, 389, 401, 405, 408, 415, 720, 730, 753, 793, 820, 830 Jesuslogion 696, 759; Jesuswort 745, 911 Jesusnachfolge 858
Jesustradition 492, 497, 515, 606, 659, 696, 759, 778, 804, 876 Joel 74, 183, 211, 221, 245, 255, 264, 293, 321, 369, 395, 397, 398, 405, 437, 505, 506, 510, 513, 715, 935 Johannes 28-34, 36, 272, 303, 449, 531, 566, 699, 715, 718, 882, 888, 895 Johannestaufe 34 Joppe 50, 630 Jordan 8, 28-30 Josephus 22, 29, 41, 42, 54, 60, 75, 84, 105, 106, 134, 140, 144, 146, 148, 154, 155, 158, 161, 166, 167, 171, 174, 196, 206, 237, 238, 246, 267, 268, 275, 362, 374, 388, 411, 443, 453-455, 542, 550, 562, 566, 590, 591, 608, 618, 624, 629, 646, 655, 657, 669, 670, 681, 689, 690, 693, 717, 719, 731, 757, 760, 772, 846, 848, 849, 861, 888, 892, 893, 919, 920 Jubel 281, 767, 792 Juda 146, 423, 426, 657, 699, 701, 888 Judäa 76, 391, 412, 417, 516, 536, 681, 701, 810, 827, 832, 847, 848 Judas 742, 847 Juden 24, 30, 42, 50, 60, 66, 74, 79, 91-93, 102, 110, 115, 121-123, 126, 135, 144, 145, 148-151, 157, 176, 181-185, 196, 203, 208, 211, 216, 223, 226, 228, 233, 254, 255, 267, 270, 275, 282-298, 303310, 314-320, 324, 327, 334, 337-341, 344-347, 350-361, 364-382, 396-400, 404, 409-412, 421, 429, 431, 432, 437, 440-450, 453-457, 463-543, 547-557, 565, 568, 572, 575, 581, 628, 630, 639, 643, 648, 649, 659, 669, 680, 690, 696, 706, 709, 712, 718, 719, 725-732, 742, 744, 746, 752, 753, 757, 766, 774, 780791, 800, 807, 818, 821, 827, 828, 833, 842, 847, 850, 869, 878, 881, 891, 894, 895, 900, 915, 919, 920, 932, 934 Judenchristen 102, 122, 147, 221, 286, 297, 305, 314, 338, 341, 346, 364, 397, 400, 421, 431, 438, 439, 460, 462, 466, 470, 471, 483, 484, 489, 491, 505-507, 533, 555, 566, 628, 631, 639, 645, 731-734, 742, 746, 749, 786, 787, 791-795, 839, 842, 845, 850, 860, 867, 868, 871, 878, 882, 903, 904, 917, 920 Judenmission 286, 530, 532, 533, 535
Stichwortverzeichnis 1027 —————————————————————————————————— Judensteuer 245 Judenverfolgung 286 Judenvernichtung 285 Jünger 30, 400, 406, 409, 605, 642, 759, 887, 934 Junia 862, 863, 865-872, 881, 883-888, 895, 901, 920 Junias 872, 883-886 Jupiter 629, 667 Justin 28, 29, 33, 899 Justinianus 71 Justus 888, 921, 922 Kaiser 400, 411, 667-669, 675, 677-680, 684, 685, 687, 691, 695, 696, 752, 794, 833, 840, 848, 882, 890, 892; -briefe 683; haus 893; -opfer 669; -verehrung 669 Kalenderfragen 731, 740, 764, 775 Kalenderobservanz 733, 734, 739, 741, 748, 773 Kapitalgerichtsbarkeit 686 Kardinaltugend 57, 591 Karfreitag 753 Karikatur 739, 904 Kasuistik 798 Katakombe 874, 889, 890; -inschrift 889 Katalogform 273 Katechese 211, 604, 606, 749 Kenchreä 854, 857-861, 863-865, 921, 929 Kephas 76, 885 Keramikhandel 331 Kettenschluss 233, 255, 256, 258, 259, 261, 351, 403, 418 Keuschheit 754 Kilikien 331, 621, 827, 832, 855, 902 Kilikienmission 829 Kindererziehung 724 Kindertaufe 65 Kirche 28, 62, 65, 103, 108, 283, 286, 288, 304, 312, 465, 482-484, 501, 503, 528532, 533, 535, 536, 582, 583, 605, 613, 663, 665, 698, 700, 728, 748, 838, 860, 913 Kirchenspaltungen 663 Kirchenväter 237, 348, 361, 454, 650, 885 Kirchenverfassungen 530 Klage 123, 174, 286, 289, 295, 298, 383, 408, 420, 421, 424-428, 691 Klageanspruch 644
Klagelied 123 Klageruf 174 Kleanthes 666 Kleinasien 470, 536, 621, 690, 715, 873, 899 Kleopas 888 Kollekte 84, 628, 811, 825, 837-844, 847, 849, 851, 853, 900, 915-917 Kollektendelegation 918, 919 Kolossä 411, 731 Konflikt 5, 122, 168, 177, 178, 183, 308, 414, 645, 653, 732-743, 746, 757, 763, 775, 784, 786, 816, 871 Konfliktlösung 732, 770 Konformität 573 Konfrontation 61, 330, 698 König 52, 134, 143, 362, 374, 405, 423, 425, 476, 479, 562, 575, 593, 655, 666, 667, 669, 680, 681, 694, 697, 748, 791, 794, 800, 847, 893, 933 Königsherrschaft 147, 226, 374, 497, 640, 661, 668, 669, 706, 764, 795, 796, 802, 839, 841, 901 Königsideologie 666 Königstitel 847 Konkupiszenz 62 Kontroverse 740-742, 746, 747, 754, 756, 759, 761, 763, 768, 786, 787, 795, 797, 800, 808, 816, 846, 903, 904, 911, 914 Konvention 95, 96, 637, 694, 696, 704, 805, 806, 915 Kopf 35, 56, 311, 594, 595, 596, 614, 650, 651, 655, 661, 912 Kopfbedeckung 798 Kopfsteuer 690 Korban 147 Korinth 20, 24, 81, 112, 160, 251, 391, 450, 482, 491, 589, 609, 618, 630, 642, 643, 675, 678, 699, 733, 752, 823, 825-832, 837, 843, 846, 848, 851, 852, 859, 861, 862, 865, 873-878, 883, 884, 896, 900, 903, 908, 915, 916, 917, 918, 920, 921, 922, 923, 924, 929 Kornelius 33 Körper 28, 41, 54, 238, 596, 634 Körperlichkeit 112 Körperorgane 56 Kosmokrator 751 Kosmos 95, 146 Krankenheilung 609
1028 Römerbrief —————————————————————————————————— Krankheit 41, 253, 553, 628, 635, 772, 778, 899 Kreatürlichkeit 124, 765 Kreuz 37, 43-45, 59, 69, 94, 107, 115, 147, 150, 176, 185, 191, 200, 207, 227, 231, 254, 267, 273, 280, 290, 291, 338, 349, 364, 367, 371, 373, 374, 379, 393, 399, 406, 434, 506, 514-516, 548, 581, 631, 642, 658, 661, 709, 728, 753, 763, 780, 785, 799, 803, 819, 821, 895, 932 Kreuzigung 39, 45, 410, 686, 825 Kreuzzeichen 631 Kreuzzüge 585 Krieg 54, 118, 170-172, 274, 443, 479, 536, 630, 635, 655, 657, 719, 893 Kult 294, 332, 436, 459, 566, 568, 583, 678 Kultur 65, 86, 423, 470, 585, 698, 863 Kuss 27, 32, 35, 41-43, 57, 75, 82, 84, 92, 102, 119, 122, 135, 152, 167, 188, 192, 200, 213, 217, 224, 227, 237, 244, 266, 268, 286, 295, 309, 312, 314, 331, 357, 359, 409, 411, 429, 448, 454, 511, 518, 867, 898, 899, 904 Kyrene 895, 919 Kyrios 47, 54, 59, 76, 91, 103, 120, 175, 183, 257, 294, 366, 369, 379, 389, 393, 395400, 438, 499, 503, 513, 534, 536, 541, 550, 574, 578, 661, 700, 726, 749, 767, 785, 828, 931, 935 Lampe 52, 718, 869, 873, 875, 883, 887, 889, 891, 894-898 Land 82, 182, 226, 283, 315, 325, 354, 377, 384, 386, 412, 423, 447, 475, 476, 565, 684, 827, 848, 917 Landverteilung 226 Landwirtschaft 41, 84, 88, 461 Langmut 205, 238, 347, 397, 419, 476, 483, 540, 802 Laodizäa 64 Lasterkatalog 79, 85, 86, 606, 713, 714, 723, 724, 765, 799 lästern 763, 764, 769 Lästerung 284, 781 Lazarus 50 Lebensführung 27, 40, 55, 72, 92, 109, 230, 604, 722, 723, 725, 800 Lebensvollzug 59, 63, 93, 97, 115, 116, 144, 188, 203, 204, 206, 209, 218-220, 230, 231, 356, 365, 372, 416, 572, 580
Lebenswandel 40, 41, 203, 204, 206, 711, 713, 722, 723, 725, 726, 803 Lederarbeiter 822, 873 Lehre 27, 29, 33, 62, 67, 75-78, 198, 230, 231, 261, 285, 309, 348, 349, 492, 528, 535, 566, 573, 581, 584, 586, 587, 598, 601, 604-606, 633, 641, 663, 698, 700, 715, 765, 774, 782, 783, 797, 798, 815, 829, 876, 902-911, 913 Lehren 588, 600, 601, 602, 604, 605, 641, 706, 782, 902, 904, 906, 907 Lehrentscheid 774 Lehrer 78, 432, 491, 587, 588, 605, 606, 782, 830, 862, 865, 876, 903, 906-911, 913, 924 Lehrgespräche 638 Lehrmeister 606 Lehrsatz 134, 252, 375, 475, 517, 772, 773, 782, 821 Lehrtätigkeit 845, 886 Lehrtradition 759, 817, 907 Lehrüberlieferung 907 Leib 29, 30, 43, 46-55, 59, 78, 85, 99, 106108, 113, 118, 134, 149, 163, 174, 175, 186, 190, 193, 212-216, 219, 230, 245247, 249, 256, 260, 276, 310, 491, 502, 555, 556, 562, 563, 566, 567, 581, 582, 585, 586, 594-599, 634, 635, 727, 739, 765, 784, 787, 802, 839 Leibeigenschaft 664 Leiblichkeit 54, 111, 169, 175, 215, 216, 562, 909 Leibmetapher 595, 596 Leichtsinn 590 Leid 280, 281, 289 Leiden 36, 100, 112, 199, 227-233, 235-237, 242, 244, 248, 253, 254, 259, 260, 273, 275-281, 585, 625-628, 634, 646, 653, 655, 687, 778, 780, 783, 807, 913 Leidenschaften 29, 41, 85, 98-100, 110-114, 116, 117, 119, 126-128, 170, 171, 180, 184, 185, 187, 192, 204, 217, 218, 220, 229, 624 Leidensdruck 246 Leidenserfahrungen 236, 242, 263, 273, 274, 276, 277 Leidenskataloge 273, 274, 276; s. auch Peristasenkatalog Leistung 89, 145, 311, 312, 322, 373, 383, 477, 485, 486, 622, 660, 711, 771, 840
Stichwortverzeichnis 1029 —————————————————————————————————— Leistungsstreben 128, 324, 381 Leitaffekte 90 Leitungsaufgabe 471, 609 Leitungsfunktion 608, 609, 858, 859, 863, 864, 866 Leiturgien 684 Leviten 692, 818 Libationsopfer 731 Libationswein 774 Licht 94, 117, 124, 147, 151, 183, 185, 199, 244, 325, 348, 385, 406, 448, 455, 469, 492, 580, 594, 625, 648, 712, 718, 720723, 782, 793, 871 Liebe 34, 96, 97, 114, 160, 205, 211, 253, 255, 262-268, 270-280, 291, 300, 312314, 339-341, 377, 414, 483, 519, 524526, 533, 567, 578-580, 583, 613-628, 631-635, 640, 645, 646, 653, 655-660, 663, 671, 700, 704, 708-711, 720, 723, 727-729, 732, 740, 748, 750-755, 768, 770, 775, 777, 784, 785, 795-799, 802, 805-810, 845, 852, 861, 898 Liebesgebot 203, 448, 584, 618, 645, 702, 705-708, 740, 770, 778, 804 Liste 32, 219, 273, 275, 277, 279, 294, 296, 297, 432, 502, 587, 599, 602, 609, 612, 654, 868, 869, 888, 915, 916 Liturgie 114 Liturgien 694 Livius 596, 635, 836 Lob 281, 296, 540, 565, 566, 569, 580, 581, 622, 641, 665, 671, 683-685, 754, 756, 786, 790, 792, 816, 900 Lobgebet 845 Lobpreis 3, 249, 251, 281, 285, 537, 538, 543, 546, 547, 550, 551, 565, 635, 755, 785, 787, 789, 790-792, 795, 808, 934, 935 Lobrede 635 Lobsingen 790 Logik 48, 109, 110, 190, 226, 291, 328, 340, 449, 456, 457, 460, 472, 481, 566, 571, 578, 604, 616, 868 Lohn 68, 87-90, 568, 650, 754, 756, 864 Lohnarbeit 822 Lösegeld 787 Löwe 655, 699 Loyalität 547, 675, 698, 751 Loyalitätspflicht 688
Lukas 36, 37, 249, 412, 531, 566, 626, 764, 823, 824, 827, 835, 836, 850, 851, 876, 877, 885, 887, 888, 915-917, 919 Lust 111, 130, 160, 565, 626, 633 Luther, s. Autorenverzeichnis Luxusartikel 875, 894 Lydda 848 Lykaonien 823 Lykien 862, 880 Lystra 477, 823, 828, 829, 916, 918 Machtanspruch 400 Mächte 175, 194, 262, 277-280, 377, 527, 595, 653, 655, 656, 658, 676, 682, 753, 913, 914 Machthaber 330, 410, 433, 665, 667, 669, 673-683, 691, 694, 695, 699, 709, 794 Machtlosigkeit 59, 156, 186, 195, 196, 202204, 208 Machtstrukturen 585 Magen 596, 759, 908 Magie 140 Magistrate 675, 677, 678, 924 Mahlgemeinschaft 739 Mahlzeiten 151, 623, 724, 733, 748, 758, 761, 762, 774, 775, 777, 779, 799, 924 Mahnung 188, 440, 441, 463, 464, 471, 473475, 493, 556, 560, 561, 563, 583, 585, 586, 589, 591, 599, 601, 604, 609, 611, 614, 617, 619, 622-625, 632, 634, 639, 640-645, 649-654, 666, 670-672, 684, 689, 694, 696, 700-704, 711-714, 719, 727, 734, 738, 741, 743, 747, 752, 754, 756-758, 763-766, 777-780, 786, 795, 801, 805, 845, 903-905, 908, 913 Makedonien 450, 809, 823, 825-829, 831, 832, 837, 841, 842, 851, 859, 883, 890, 900, 916-919, 924; -mission 831 Makkabäerzeit 142, 371, 698 Maleachi 322, 660 Mangel 197, 418, 447, 591, 628, 840, 874 Manna 624 Maranatha 223, 391 Maria 197, 626, 865-871, 881-883, 887, 888, 901 Markion 735, 737 Markt 733, 761 Markus 37, 882, 888, 895 Martha 888
1030 Römerbrief —————————————————————————————————— Märtyrer 29, 648, 655 Martyrium 142, 291, 585 Melanchthon 145, 671 Melchisedek 582 Menschenrechte 664 Menschenwürde 701 Menschheit 111, 121, 184, 237, 335, 337, 338, 348, 448, 506, 526, 527, 710 Menstruation 772 Menügestaltung 799 Messias; s. Verzeichnis in Band I Messiaserwartungen 533 Messordnung 582 Metapher 25, 26, 31, 36, 37, 41, 42, 45, 58, 62, 71-73, 78, 79, 84, 85, 89, 108, 156, 169, 171, 220, 221, 225, 226, 243, 245, 276, 322, 331, 334, 360, 437, 443, 444, 461, 462, 464, 466, 497, 571, 572, 596, 597, 625, 638, 713, 716, 718, 719, 725, 726, 909, 912 Midrasch 7, 305, 446, 454, 652 Milch 78, 563, 571 Milde 658, 667, 668, 727 Milet 245, 684, 880 Mischzitat 339, 352, 360, 361, 509 Mission 65, 274, 338, 400, 410, 411, 417419, 448, 482-484, 494-496, 519, 524, 530, 605, 728, 764, 808, 812, 821-833, 836, 854, 863, 865-869, 875-880, 885, 894, 901, 918, 927 Missionar, Missionare 32, 76, 147, 291, 292, 298, 372, 404, 451, 484, 493, 502, 503, 508, 613, 630, 687, 701, 770, 817, 818, 822, 853, 869, 870, 891, 902, 903, 924 Missionsarbeit 371, 410, 417, 450, 452, 453, 456, 478, 482, 484, 524, 535, 612, 648, 806, 810, 818, 821-828, 831, 832, 838, 850, 857, 862, 877, 882 Missionsstützpunkt 879 Missverständnis 37, 61, 120, 152, 212, 360, 377, 378, 555, 660, 813 Mitarbeit 810, 830, 835, 858, 859, 894, 921 Mitarbeiter 838, 850, 857, 866, 870, 875877, 884, 890, 891, 894, 896, 900, 901, 906, 914-919, 921, 922, 924, 930 Mitgefangene 866, 884, 885 Mitleid 321, 561 Mose 28, 30, 60, 82, 136, 138, 144, 146-148, 155, 201, 221, 250, 291, 293, 304, 316,
320-326, 346, 351, 367, 371, 373, 380, 382, 383, 388, 395, 396, 398, 401, 412, 419, 432, 434, 469, 475, 546, 601, 660, 792, 871 Mutter 29, 300, 309, 546, 584, 622, 857, 865, 867-869, 870, 881, 882, 894, 895, 901, 909, 918 Mutterleib 329, 450, 909 Mysterienkulte 34 Mystik 549, 569, 570 Nabatäa 701, 827, 885, 887, 889, 902 Nachahmung 95, 623, 667, 670, 804 Nächstenliebe 3, 203, 554, 556, 613, 614, 619, 653, 702, 710, 714, 779, 808 Nacht 29, 385, 711, 712, 716-719, 721-723, 728, 912 Naherwartung 245, 489, 494, 524, 717, 912 Nahrungsmittel 89, 556, 650, 678, 733, 761 Narcissus 866, 867, 893 Nasiräatsgelübde 566, 850 Nasiräer 731 Nehemia 253, 660, 888 Neid 85, 111, 205, 414, 710, 724, 754 Nereus 867, 869, 870, 872, 897, 898, 901 Nero 667, 672, 687, 688, 690, 691, 874, 889, 893, 912 Normen 85, 86, 94-97, 151, 209, 559, 566, 654, 659, 682, 698, 723, 799, 803-806 Offenbarung 20, 24, 70, 72, 75, 78, 94, 117, 126, 138, 147, 149, 151, 176, 177, 190, 193, 207, 231-233, 236-242, 245-248, 254, 257, 260, 263, 282, 290, 300, 304, 315, 334, 340, 349, 352, 355, 366, 367, 373, 375, 379, 381, 383, 390, 393, 409411, 416, 417, 419, 434, 438, 449, 469, 476, 479, 491, 493, 496, 498, 515, 517, 522, 523, 525, 531, 534, 536, 537, 543, 554, 556, 565, 589, 601, 602, 627, 646, 653, 654, 661, 715, 739, 741, 786, 788, 795, 797, 798, 803, 815, 819, 850, 925, 927, 931-933 Ölbaum 439-441, 461-474, 477-482, 484, 488, 495, 497, 502, 506, 513, 516, 535, 542, 555, 567 Ölbaumkultivierung 479 Ölbaumveredelung 463 Ölberg 718, 859
Stichwortverzeichnis 1031 —————————————————————————————————— Oliven 467, 469, 470 Olivenöl 463, 464 Opfer 109, 133, 145, 147-151, 202, 267, 268, 284, 291, 357, 358, 374, 415, 546, 554, 556-558, 562-570, 572-574, 581, 582, 585, 586, 589, 611, 658, 669, 772, 779, 801, 818-820, 849, 861, 884, 911 Opferaltar 436, 819 Opfergabe 459, 582, 809, 818-820, 849 Opferkult 148, 297, 437, 507, 564, 820 Opfersprache 199, 562, 565 Opfertier 35, 151, 569 Opfertod 148, 582, 770 Ordnungen 95, 96, 144, 146, 698, 805, 806 Origenes 36, 37, 75, 348, 454, 456, 465, 505, 570, 651, 674, 735, 742, 768, 773, 853, 919 Ortsgemeinde 601, 612, 660, 770, 837, 879, 922 Palästina 483, 645, 836, 881, 888 Pamphylien 827, 828; -mission 829 Paradies 120, 135, 141, 152, 153, 155, 157, 175, 180-182, 240, 250, 337, 483 Paradiesgeschichte 131, 138, 153, 159 Parallelismus 414, 425, 522, 649, 714, 793 Paränese 17, 53, 92, 212, 556, 559, 615, 649, 666 Parenthese 39, 102, 103, 309, 314, 359, 758 Parteiungen 111, 205, 821, 907 Passafest 564 Passage 122 Patronatswesen 863 Patron, Patrone 266, 684, 704, 854, 862, 863, 882, 898, 920, 921 Paulusbriefe 203, 483, 488, 602, 765, 825, 827, 835, 860, 926 Pergamon 331, 827, 874, 880 Perge 828, 829 Peristasenkatalog 273; s. Leidenskataloge Petrus 211, 377, 493, 531, 566, 571, 630, 713, 715, 759, 830, 836, 841, 871, 882, 887, 888, 895 Pfingsten 33, 836, 887 Pflanzen 463, 464, 742 Pflicht, Pflichten 139, 288, 375, 627, 628, 660, 671, 682, 685, 690, 695, 708, 843, 846 pfropfen 465, 467, 482
Pharao 221, 316, 317, 320, 324-328, 334336, 347, 396, 637 Pharisäer 372, 436, 566 Philemon 629, 675 Philippi 33, 580, 609, 630, 682, 687, 701, 823, 828, 829, 837, 883, 916-919 Philippus 858, 859 Philo 22, 27, 29, 42, 44, 47, 54, 57, 79, 84, 104, 105, 111, 124, 128-130, 140, 144, 146, 148, 154, 155, 158, 161, 163, 167, 169, 199, 213, 241, 243, 254, 259, 290, 294, 312, 313, 383, 385, 387, 395, 396, 443, 453, 462, 467, 490, 491, 521, 546, 549, 550, 565, 569, 570, 571, 590, 591, 596, 597, 608, 610, 618, 624, 626, 629, 633, 636, 668, 669, 675, 676, 683, 686, 690, 691, 707, 708, 719, 721, 723, 746, 757, 772, 782, 933 Philologus 867-870, 897, 898, 900 Philosophie 11, 76, 375, 568, 591, 626, 633, 670 Phlegon 867-870, 896, 897, 900 Phöbe 4, 808, 835, 854-859, 861-866, 870, 920, 921, 929 Pilatus 446, 682, 697, 701, 752, 847 Pilgerfahrt 794 Pioniermission 448, 826, 829, 830, 832 Pioniermissionar 826, 829, 832, 854 Pläne 539, 545, 809, 810, 825, 834, 869, 910 Plato 41, 43, 44, 54, 60, 76, 160, 161, 169, 178, 237, 245, 253, 273, 329, 331, 375, 376, 443, 453, 455, 525, 549, 568, 590, 596, 609, 626, 629, 633, 689, 695, 749, 766, 815, 816, 817, 861 Plinius 667, 675, 836, 859, 874, 875, 891, 899 Plutarch 28, 29, 38, 76, 104, 157, 158, 178, 236-238, 240, 254, 256, 267, 268, 272, 290, 293, 375, 454, 455, 525, 543, 568, 571, 573, 609, 621, 637, 646, 695, 719, 724, 749, 851, 907, 909, 920, 922 Pneumatiker 212, 222, 636, 779 Polemik 413, 568, 589, 636, 757, 904, 905, 909 Politik 590, 635, 698 Polizei 677, 686, 687 Polybius 28, 41, 104, 132, 158, 167, 171, 238, 254, 310, 443, 525, 546, 590, 646, 677, 740, 771
1032 Römerbrief —————————————————————————————————— Polykarp 632, 735, 736 Polytheisten 508, 522, 527, 534, 537, 578, 726, 785, 928 Pontus 831, 873-875, 878 Popularphilosophie 568, 570, 590, 615 Poseidon 859 Prädestination 261, 282, 314, 315, 324, 335, 349 Präfekt 678, 825, 847, 848 Prätoren 677, 678, 868, 691 Praxis 30-34, 38, 51, 65, 66, 71, 147, 459, 463, 466, 479, 533, 553, 554, 630, 649, 659, 673, 700, 710, 726, 756, 840, 855, 899 Priester 79, 88, 151, 244, 250, 371, 562, 563, 566, 570, 581, 684, 731, 742, 809, 818820, 842, 849, 880 Priesterinnen 622 Priscilla, Priska 630, 866-870, 873-881, 883, 886, 890, 915 Privathäuser 733, 761, 822, 874, 879 Privatoffenbarung 493 Privilegien 297, 356, 379, 399, 552, 622 profan 36, 128, 490, 570, 633, 817, 842, 901 Progymnasmata 571 proistamenos 608 Prokonsul 880, 882 Propheten 29, 147, 154, 183, 221, 223, 250, 298, 301, 306, 339, 342, 347, 371, 388, 398, 408, 415, 418, 420, 421, 424-426, 428, 431-433, 491, 501, 588, 600, 601, 602, 603, 605, 606, 648, 649, 655, 661, 663, 706, 708, 715, 750, 765, 790, 798, 829, 848, 932; -spruch 601; -wort 313, 340, 345, 405 Prophetie 216, 340, 343, 415, 508, 512, 586, 588, 600, 601-604, 612, 794, 911 Prophezeiungen 410, 419, 449, 507, 510, 516, 602, 794 Proselyten 60, 102, 355, 467, 477, 480, 840 Protest 117, 126, 144, 181, 504, 530, 535, 681, 745, 798, 799 Psalm, Psalmen 239, 275, 435, 455, 780, 790, 793; Dank- 791; Klage- 435 Pythagoras 76 Pythagoreer 76, 566, 730, 731 Quästor, Quästoren 677, 678, 899, 923 Quartus 914, 915, 925, 926
Quintilian 103, 394, 833 Qumran 10, 111, 146, 157, 304, 306, 323, 344, 362, 383, 491, 647, 708, 721, 782 Rache 614, 644-651, 653, 665 Racheverzicht 665 Rang 171, 312, 455, 642, 826, 840, 864, 866, 923, 935 Rat 250, 362, 450, 546, 560, 607, 683, 814 Ratgeber 537, 544, 546, 934 ratiocinatio 16 Ratschluss 232, 233, 252, 254, 255, 261, 266, 299, 300, 310, 311, 312, 327, 344, 429, 538, 545, 720, 747 Räucherwerk 415, 416 Rebekka 299, 300, 309, 310, 312 Rebellion 134, 135, 336, 432, 434, 912 Rechenschaft 316, 327, 328, 349, 383, 605, 648, 729, 756, 803 Rechtfertigung 24, 34, 37, 57, 63-65, 67, 70, 87, 90, 97, 123, 148, 181, 185, 200, 228, 231, 254, 258, 259, 281-283, 298, 309, 338, 367, 394, 430, 479, 489, 503, 528, 531, 542, 552, 554, 555, 767, 788, 807, 846 Rechtschaffenheit 815, 816 Rechtsforderung 99, 135, 143, 150, 186, 187, 192, 201-205, 208, 229, 231, 297, 379, 388, 556, 567, 706, 802, 841 Rechtsgrundsatz 640 Rechtssatz 103, 106, 108, 143, 205 Rechtsvorschriften 138, 139 Reformatoren 581, 582 Reiche 332, 668, 698, 860 Reichtum 23, 316, 323, 336, 337, 347, 349, 350, 368, 397, 439, 440, 447, 448, 452, 457, 458, 506, 538, 540, 548, 550, 551, 553, 696 Reinheit 94, 202, 436, 372, 569, 760, 761, 772, 776, 804 Reinheitsgebote 151, 730, 731, 741, 742, 760, 778, 781, 784, 786, 792, 795, 799, 800, 803, 804, 808, 846, 850, 904 Reinigungsopfer 566 Reinigungsriten 30, 378, 772 Reinigungsvorschriften 201 Reisepläne 808, 810, 811, 831, 844, 851, 854 Religion 8, 11, 285, 603, 701, 892 Retter 27, 34, 45, 69, 82, 109, 147, 157, 174, 179, 201, 247, 256, 429, 432, 445, 452,
Stichwortverzeichnis 1033 —————————————————————————————————— 469, 473, 474, 477, 478, 479, 483, 487, 490, 496, 497, 502, 508-517, 522-525, 533-536, 581, 644, 656, 695, 696, 726 Rettung 20, 23, 31, 37, 52, 76, 149, 182, 184, 191, 253, 285, 286, 290, 292, 315, 325, 330, 337, 343, 344, 349, 367-371, 373, 380, 384, 389, 390, 393-398, 403-405, 409, 415-418, 430, 435, 438, 440, 444446, 449, 452, 453, 455, 457-469, 474, 479, 486-488, 492-510, 512-517, 520, 521, 524-526, 532, 536, 539, 543, 555, 565, 577, 580, 598, 711-713, 716, 739, 788, 791, 794, 803, 842, 846, 878 Reue 520, 521, 651, 652, 656 Rhetorik 8, 91, 212, 628, 708, 824, 904 Richter 13, 56, 280, 319, 331, 347, 385, 476, 542, 628, 653, 655, 752, 754-756; -stuhl 527, 729, 752, 803 Ritual 37, 66 rituell 34, 94, 147, 182, 202, 357, 378, 570, 709, 760, 761, 772, 773, 776 Ritus 27, 30, 32, 36, 37, 65 Ruben 888, 895 Ruhm 54, 173, 821, 874, 897 Rühmen 226, 247, 274, 276, 366, 441, 451, 470-472, 552, 555, 627, 711, 722, 767, 809, 821, 822, 873 Saat 307, 567 Sabbat 28, 147, 151, 731, 733, 746, 747, 751, 752, 754, 756-758, 776, 820 Sabbatgebot 708, 747, 773, 781, 792, 795, 800, 803, 804, 904 Sacharja 718 Samarien 455, 825 Samaritaner 33, 413, 708 Same 110, 228, 299, 302, 304-308, 316, 345, 346, 461, 555, 597 Sanftmut 205, 483, 754, 802 Sanhedrin 682, 834, 848 Sara 299, 305, 306, 308, 309, 373, 507 Satan 133, 152, 153, 240, 269, 270, 655, 720, 831, 902, 903, 911, 912 Saufgelage 723 Säuglinge 28, 37, 66 Säuglingstaufe 28 Saul 33, 134, 521, 645 Säulenapostel 451, 842 Saulus 503, 531, 855, 888
Scham 86, 651 Schamlosigkeit 219 Schande 111, 266, 437, 638, 772 Schechinah 230 Scheideformel 212 Scheidung 304, 363-365; -geld 105; -recht 273 Schema 6, 253, 294, 492, 551, 574, 718, 719, 788, 886 Scheol 385 Scheu 624, 723, 744 Schicksal 32, 80, 156, 282, 376, 426, 428, 475, 753, 853, 911 Schilfmeer 37, 325, 637 Schlachtopfer 565, 820 Schlachtschafe 262, 275 Schlachttiersorten 760 Schlaf 325, 711, 716, 717 Schlange 56, 130, 131, 133, 136, 137, 140, 152, 153, 162, 661, 909, 911 Schlußdoxologie 927 Schlußmahnung 904 Schmähungen 729, 780, 781 Schmerz 159, 232, 242, 243, 286, 289, 297, 303, 449, 633, 634, 762 Schoa 286, 297, 528 Schönrednerei 844, 902, 909, 910 Schöpfer 47, 54, 249, 267, 316, 317, 324, 329, 331, 332, 336, 347, 348, 350, 467, 542, 545, 546, 548-553, 577, 585, 653, 658, 697, 785, 799 Schöpfergott 346, 411 Schöpfung 40, 41, 46, 62, 72, 74, 93-96, 132, 146, 205, 232, 233, 237-244, 246-248, 251, 253, 259, 261, 262, 279, 280, 325, 331, 383, 449, 534, 539, 541, 546-548, 550, 551, 574, 575, 591, 654, 661, 698, 700, 712, 718, 722, 753, 768, 795, 805, 806, 931; -aussage 549; -ethik 261 Schöpfungsordnung 146, 491, 689, 697, 698, 701 Schriftlektüre 318 Schriftlesung 782 Schuld 48, 98, 120, 126, 144, 146, 150, 179, 217, 280, 289, 320, 352, 366, 438, 444, 445, 474, 479, 514, 561, 640, 693, 704, 809, 830, 841, 842 Schuldbrief 753 Schulden 29, 128, 693, 726, 882
1034 Römerbrief —————————————————————————————————— Schwache 450, 554, 556, 592, 622, 728-734, 738-748, 751, 752, 756-760, 762-764, 773, 775-779, 781, 784, 786, 790, 798, 803, 808, 816, 871, 904, 911 Schweinefleisch 415, 758, 761 Schwert 262, 273-277, 424-426, 476, 525, 627, 656, 665, 684, 686, 687, 720, 753 Schwur 669 Seele 29, 41, 47, 53, 111, 123, 128, 156, 169, 175, 213, 253, 323, 329, 491, 562, 569, 580, 593, 596, 626, 674, 718 Seelsorge 6, 606, 660 Segen 85, 139, 150, 231, 253, 283, 294, 343, 419, 458, 496, 509, 516, 519, 582, 763, 781, 795, 810, 842, 844, 845, 852, 873, 910, 911; -spruch 460; -wunsch 631, 810, 811, 902, 906, 913 Sehnsucht 64, 111, 440, 452, 832 Sekten 660 Selbstbeherrschung 205, 483, 590, 626, 802 Selbstbescheidung 591, 593 Selbstbestimmung 141, 180, 181 Selbstbetrug 67 Selbsteinschätzung 586, 590, 591, 593, 594, 597, 599, 611, 635, 639, 802 Selbstopfer 3, 554, 556, 557, 614, 618, 819 Selbstvergötterung 701 Selbstzufriedenheit 383 Seligpreisung 642, 775 Sendung 96, 191, 197, 199-202, 230, 289, 399, 403-407, 417, 418, 450-452, 786, 787, 789, 805, 806 Sendungsaussage 197 Sendungsbewußtsein 482 Seneca 160, 163, 276, 549, 569, 596, 643, 658, 668, 670, 720, 746, 749, 833, 877, 882, 909 Sieg 172, 228, 262, 276, 280, 323, 653, 655658, 754, 794, 833, 912, 913, 914 Siegeslied 264 Silas 687, 882, 888, 918 Silber 331, 332, 608, 769, 826, 833, 877 Silvanus 882, 888, 895 Sinai 74, 130, 144, 146, 148, 172, 181, 293, 366, 373, 381, 515 Sinaibund 151, 374, 375 Sinnesänderung 651, 652 Sklave, Sklaven 47, 54, 59, 62, 67, 70-74, 7780, 82, 85-89, 99, 108, 113, 129, 156-
158, 171, 187, 198, 211, 218, 222, 225228, 382, 388, 392, 407, 411, 423, 437, 483, 562, 565, 567, 622, 625, 675, 678, 680, 684, 690, 696, 701, 704, 725, 728, 744, 768, 780, 787, 815, 828, 831, 841, 857, 859, 865, 873, 883, 889-891, 892900, 908, 920-922, 925 Sklavenfreilassung 690 Skythen 411 Sodom 317, 345, 346, 371, 553 Sohnschaft 186, 197, 221, 223, 225, 227, 232, 245, 246, 257, 286, 293, 297, 299, 341 Soldaten 42, 656, 680, 723, 846 Sonderweg 501-504, 530, 531, 535 Sonne 323, 446, 447, 547, 620, 718 Sopater 915, 916, 919 Sorge 224, 711, 727 Sosipater 884, 914, 915, 916, 917, 919, 920 Sosthenes 925 Soteriologie 24, 96, 230, 269, 344, 381, 488, 501, 504, 530, 743, 765, 773, 787, 800, 848 Souveränität 211, 254, 296, 302, 313, 317, 325, 327, 328, 350, 422, 487, 526, 532, 537, 668 Spaltungen 111, 205, 365, 754, 902, 903, 906-909, 911, 912, 913 Spanien 411, 448, 458, 483, 695, 794, 808811, 813, 825, 826, 829, 832-837, 842, 844, 852, 854, 902, 910, 915, 927, 930 Spanienmission 554, 764, 825, 832-836, 845, 851, 855, 862, 869, 870, 900, 902 Speisegebote 145, 731, 741-749, 751, 768, 769, 778, 904 Spruchliteratur 556 Staat 95, 128, 554, 596, 665, 667, 675-677, 687, 688, 690, 693, 695, 697, 698, 700, 805; -gewalt 645, 676, 683, 685, 752 Staatslehre 697; -paränese 670; -philosophie 675; -theorien 677 Stachys 866, 868-870, 890, 891, 901 Status 147, 149, 222, 225-227, 230, 245, 260, 270, 288, 311, 314, 325, 341, 437, 439, 461, 473, 518-520, 531, 581, 626, 695, 840, 858, 864, 876, 888, 896, 899, 901, 922, 924 Stellvertretung 35, 176, 260 Stephanus 297, 445, 473, 824, 825, 829, 858, 859
Stichwortverzeichnis 1035 —————————————————————————————————— Sterben 18, 26, 35, 49, 50, 57, 107, 199, 271, 277, 748-750, 780 Steuer, Steuern 376, 556, 609, 665, 671-675, 689-696, 700, 703, 848, 923; -abgaben 672, 690; -beamte 692; -befreiunge 694; -einnehmer 677; -gesellschaften 694 Stiftshütte 151, 293, 294 Stoa, stoische Philosophie 194, 230, 376, 387, 548, 550, 568, 569, 570, 590, 591, 626, 633, 652 Stolz 139, 244, 474, 477 Strafe 89, 134, 137, 173, 180, 190, 200, 239, 274, 280, 334, 432, 469, 476, 521, 639, 647, 655, 665, 678, 681, 682, 685-687, 697, 725, 922 Strafgericht 325, 551 Strafgewalt 686, 687, 694 Streit 41, 56, 85, 110, 205, 637, 638, 642, 643, 645, 663, 710, 711, 724, 740, 751, 758, 803, 907, 912 Substitutionstheorie 536 Südgalatien 541, 747, 823 Suetonius 669, 672, 691, 694, 746, 874, 890, 893, 897 Sühne 35, 48, 199, 200, 291, 323, 373, 763, 766, 929 Sühneleiden 781 Sühneriten 284, 436, 651 Sühnetod 24, 31, 48, 50, 59, 60-62, 77, 93, 94, 99, 114, 116, 147-151, 176, 187, 190, 191, 194, 195, 200, 204-207, 217, 222, 229, 231, 254, 268, 271, 279, 280, 283, 290, 296, 300, 350, 355, 364, 366368, 373, 378, 380, 389, 396, 409, 414, 429, 430, 437, 453, 514-516, 524-526, 542, 551, 555, 565, 618, 628, 661, 721, 727, 732, 734, 744, 753, 755-758, 771, 785, 787, 789, 799, 801, 803, 807, 819, 821, 845, 909, 931 Sühnopfer 296, 582 Sühnung 34, 94, 148-151, 199, 202, 300, 338, 349, 358, 379, 506, 582, 706, 804, 932 Sünde 18-27, 34, 38, 40-64, 66-74, 76-94, 96-103, 107-121, 126-210, 212-222, 228, 231, 237-243, 246, 262, 277, 279281, 284, 291, 322, 325, 334, 347, 349, 363, 366, 374, 377, 390, 396, 402, 416, 436, 442, 444-457, 469, 474, 489, 497,
499, 509, 514-516, 519, 525, 527, 531, 537, 539, 541-543, 551, 555, 561, 565, 568, 573, 579, 581, 626, 628, 653, 664, 706, 720, 721, 729, 740, 744, 750, 751, 753, 754, 756, 762, 766, 768, 776, 777, 780, 798, 800, 805-807, 821, 909, 913, 931; -bekenntnis 755; -erkenntnis 126 Sündenfall 15, 73, 135, 136, 140, 141, 173, 184, 241, 297, 399, 725, 931; -geschichte 129, 130 Sündenmacht 18, 164, 184, 199, 200 Sündenvergebung 90, 145, 149, 150, 521, 564 Sündlosigkeit 198 Sündopfer 104, 186, 197, 199, 200, 201, 202, 215 Symbol 28, 35, 37, 52, 130, 411, 428, 569, 642, 650-652, 677, 735, 880, 920 Symbolik 718, 721, 880 Synagoge 102, 294, 312, 334, 355, 372, 392, 416, 419, 445, 450, 471, 484, 511, 538, 564, 566, 569, 643, 669, 670, 676, 682, 691, 730, 731, 746, 758, 763, 824, 829, 833, 836, 867, 868, 876, 893, 921 Synagogengottesdienst 564 Syrien 331, 455, 483, 701, 825, 827, 832, 836, 848, 855, 861, 875, 892 Tacitus 672, 675, 691, 723, 746, 836, 874, 882, 892, 898 Targum 11, 129, 330, 362, 383, 385, 436, 493, 511, 647, 652 Tarsus 827, 884, 910 Tauchbad 34, 37, 38 Taufbekenntnis 748 Taufbewerber 65, 739 Taufe 18, 28, 29, 31-38, 43, 44, 58, 64-67, 77, 107, 190, 213, 231, 391, 412, 531, 576, 713, 717, 725, 726, 735, 765 Taufformel 31, 32; -handlung 36, 37; -lehre 64, 65; -lied 713; -paränese 576, 713; ritual 34, 726; -sakrament 19; -sprache 726; -symbol 76; -tradition 19, 27, 765; -unterricht 77 Täufer 30, 31-34, 303 Täufling 28, 31-33, 36, 38, 43 Täuschung 120, 140, 141, 176, 179, 907, 909 Täuschungsmotiv 133 Teig 332, 439, 440, 459, 460, 461
1036 Römerbrief —————————————————————————————————— Teighebe 460 Tempel 80, 151, 155, 202, 210, 244, 290, 293, 294, 297, 436, 437, 520, 536, 556, 564, 566, 567, 576, 629, 669, 680, 684, 771, 781, 819, 820, 832, 848, 892 Tempelkult 294, 464, 564, 565, 576 Tertius 914, 915, 920, 921, 929 Theater 618, 619, 677, 683, 684, 924 Theodotion 343, 344, 362, 376, 544, 597 theozentrisch 93, 755, 800 Thessalonich 450, 592, 622, 717, 828, 829, 837, 883, 915, 916, 918, 919 Thron 476, 546, 752 Thukydides 132, 171, 244, 278, 376, 546, 629, 646 Tiberias 888, 901 Timotheus 862, 914, 915, 916, 917, 918, 924, 925 Tischgemeinschaft 436, 638 Titel 52, 171, 532, 546, 621, 666, 837, 866 Titius 921, 922 Titus 843, 848, 862, 916 Tod 18-20, 24, 27, 29, 33-68, 71-77, 80-91, 94, 97, 99, 103, 107-109, 112-120, 128, 134, 137-141, 148-159, 163, 165, 168, 170, 172-176, 179, 183-188, 190, 193208, 213-218, 222-228, 230-233, 237, 241, 258, 262-266, 268, 271-281, 291, 297, 303, 323, 325, 371, 376-379, 387, 393, 400, 449, 458, 469, 491, 494, 498, 501, 506, 513, 520, 525, 527, 536, 541, 543, 547, 561, 564, 577, 579, 580, 627, 628, 635, 638, 653-656, 664, 688, 696, 706, 712, 717, 725, 741, 749, 750, 751, 753, 763, 772, 780, 788, 800, 804, 807, 819, 828, 847, 862, 880, 882, 892, 909, 930, 931, 932 Todesfolge 47, 107, 113, 115, 141, 149, 150, 153-155, 171, 173 Todesstrafe 48, 105, 109, 113, 120, 149, 154, 157, 176, 686, 753, 920 Todesurteil 48, 61, 86, 98, 107, 109, 114, 116, 127, 134, 135, 148, 149, 153, 168, 175, 176, 187, 190, 193, 201, 222, 229, 378, 751, 878 Todesverfallenheit 144 Todeswirkung 151 Tongefäße 330-332 Töpfer 315-317, 329, 330-332, 347
Tora 79, 82, 92, 94, 101-105, 116, 122, 126, 130, 135, 138, 142, 144, 146-151, 161, 165, 167, 172, 195, 202-205, 230, 257, 283, 286, 293, 351, 357, 359, 363, 365, 375, 378, 380-382, 384, 387, 413, 421, 432, 436, 564, 575, 591, 626, 652, 705710, 742, 760, 761, 772, 803, 850; -gebote 145, 705; -gerechtigkeit 148; s. auch Gesetz, Mose Torheit 29, 54, 491, 541, 824, 931 Totenauferstehung 312, 456, 457, 502 Totenwelt 386 Tötung 133, 219, 425, 426, 445, 585, 825, 829 Tradition 38, 39, 47, 75, 95, 103, 105, 109, 111, 133, 139, 145, 146, 148, 160, 169, 195, 221, 235, 237, 243, 263, 264, 272, 278, 285, 303, 320, 341, 362, 412, 434, 448, 462, 463, 491, 492, 497, 501, 509, 510, 534, 544, 561, 566, 569, 575, 591, 600, 602, 610, 629, 632, 636, 638, 639, 643-646, 651, 662, 666, 670, 675, 679, 688, 708, 710, 713, 718-720, 725, 747, 749, 778, 781, 783, 792, 793, 805, 819, 831, 926 Trajan 667, 833, 859 Trauer 286, 287, 289, 293, 295, 298, 349, 355, 368, 432, 449, 485, 486, 494, 633, 634, 762, 763 Treue 181, 205, 276, 282, 284, 298, 302, 305, 313, 323, 355, 358, 366, 413, 438, 461, 483, 487, 501, 519, 521, 526, 529, 561, 698, 742, 754, 802, 877, 910 Trinitätslehre 211, 230 Trinken 28, 650, 729-731, 746, 766, 768, 774, 800 Trinkgelage 711, 723, 724, 803 Trophimus 915, 916 Trost 561, 606, 607, 729, 783-786 Trösten 559, 586, 606, 607, 704 Tryphäna 865-870, 882, 894, 901 Tryphosa 865-870, 882, 894, 901 Tugend 253, 310, 565, 591, 626, 630, 634, 695, 853 Tugendlehre 591 Tychikus 915, 916 Typologie 268, 791 Typus 340, 770 Tyrus 630, 833
Stichwortverzeichnis 1037 —————————————————————————————————— Übereignungsformel 31 Überfluss 23, 24, 63, 797, 840, 844 Überheblichkeit 123, 463, 480, 492, 636, 639, 646, 672 Überrest 316, 318, 342-346, 350, 353, 365, 371, 420, 431, 447, 449, 495, 499, 500 Überschrift 18, 19, 54, 188, 302, 337, 514, 554, 557, 620, 713, 927 Übertretung 134, 135, 137, 148, 153, 171, 525 Umkehr 30, 33, 34, 36, 48, 147, 336, 434, 452, 476, 496, 498, 575, 576, 651, 656 Unbeschnittene 46, 411, 753, 789, 839 Unbestechlichkeit 607 Ungehorsam 61, 72, 139-141, 148, 155, 159, 171-173, 180, 208, 343, 416, 419, 422, 434, 454, 487, 522, 524-528, 535, 542, 776, 777 Ungerechtigkeit 18, 22, 47, 55-58, 77, 85, 143, 145, 208, 281, 283, 316, 319, 322, 327, 336, 350, 438, 453, 514, 539, 543, 551, 561, 578, 641, 648, 653, 654, 668, 688, 710, 719, 756, 789 Unglaube 284-291, 295-298, 301, 303, 306, 313, 327, 346, 349, 350-352, 356, 363, 401, 409, 416, 421, 427, 434, 438-448, 453, 457, 467, 472-479, 481, 484-487, 490, 494, 518, 522, 524, 532, 534, 539, 590, 788, 808 Unglück 105, 275, 443, 631, 632, 634 Unheil 58, 90, 124, 159, 184, 306, 314, 315, 499, 507, 632 Unheilsfolge 35, 74, 77, 112, 152, 157, 175, 179, 180, 182, 185, 187, 190-195, 201, 207, 213, 215, 222, 246 Universalität 74, 120, 197, 292, 395-397, 755 Unrecht 56, 143, 156, 276, 323, 621, 639, 642, 644-648, 650, 658, 699, 831 unrein 79, 89, 202, 378, 729, 731, 733, 741, 742, 759-761, 772, 804, 821 Unreinheit 32, 67, 79, 80-82, 85, 87, 151, 358, 754, 760, 761, 772, 820 Unterdrückung 238, 326, 484, 578, 692 Untergang 30, 291, 316, 333-336, 348-350, 353, 437, 496, 547 Unterordnung 374, 670, 672-675, 680, 685, 688-691, 695, 698, 701, 858, 910 Unterwerfung 240, 261, 435, 553, 676, 755 Untreue 284, 298, 413, 473, 519
unverständig 85, 340-414, 578, 653, 719 Urbanus 866, 868-870, 890, 901 Ursünde 62, 129, 130 Väter 36, 198, 223, 225, 286, 294, 297, 300, 312, 325, 372, 413, 416, 462, 469, 479, 487, 519, 561, 661, 788, 791, 888 Vätergeneration 309, 310 Vaterunser 223, 553 verachten 436, 565, 590, 636, 638, 728, 729, 743, 751, 756, 777, 792, 802, 803, 808 Verachtung 85, 751, 752, 756, 852 Veränderung 66, 137, 150, 554, 577, 585, 710, 740, 754, 779, 843, 872 Verbot 52, 84, 105, 129, 131-134, 138, 148, 182, 240, 644, 664, 707, 731, 798, 804 Verdammung 150, 190, 193; -urteil 13, 190, 191, 222, 480 Verderben 79, 207, 323, 334, 432, 443, 476, 519, 649, 656, 769 Verdienst 90, 314, 319, 346, 357, 552, 683, 862 Veredelungspraxis 467 Verehrung 240, 294, 426, 563, 565, 568, 569, 576, 666, 668, 755, 771, 859 Vereinigungsfreiheit 664 Verfolgung 262, 273, 274, 416, 425, 484, 627, 630-633, 645, 656, 668, 678, 829, 846 Verfügungsfreiheit 347 Verfügungsgewalt 73, 80, 116 Verfügungsrecht 316, 330, 331, 349 Verführung 64, 120, 128, 130, 133, 140, 153, 156, 182, 217, 227, 363, 443, 446, 724, 757, 902, 906-911 Vergebung 23, 31, 37, 40, 50, 51, 66, 90, 149, 176, 182, 202, 207, 254, 283, 373, 397, 437, 449, 516, 540, 542, 561, 607, 640, 721, 750, 753 Vergeltung 420, 435, 436, 639, 640, 644-650, 685, 712 Vergleich 48, 79, 108, 133, 135, 143, 237, 265, 309, 334, 343, 356, 386, 428, 457, 468, 590, 594, 596, 598, 623, 632, 669, 732, 761, 868, 926 Verhalten 20, 52, 57, 58, 75, 84, 94-96, 103, 120, 132, 146, 154, 163, 180, 202, 204, 210, 219, 238, 240, 310, 315, 317, 326, 350, 377, 393, 432, 474, 482, 517, 547,
1038 Römerbrief —————————————————————————————————— 556, 560-563, 565, 568, 573, 577, 584, 616-620, 625, 630, 633, 636, 639-645, 649, 654, 659, 669, 671, 675, 683, 689, 693, 698, 706, 710, 712, 716, 719, 723, 725, 734, 739, 741, 743, 745, 747, 749, 758, 761-765, 769, 771-775, 777, 779, 785, 797, 798, 802-808, 815, 854, 861, 866, 908-910 Verhaltensweisen 85, 96, 99, 183, 218, 359, 556, 574, 580, 584, 654, 664, 680, 709, 712, 713, 719, 725, 740, 752, 761, 785, 799, 806 Verhärtung 327, 431, 432, 433, 437, 455, 458, 487, 494-500, 505, 506, 508, 532 Verheißung 59, 146-151, 205, 211, 219, 221, 283, 285, 294, 297-301, 305, 307-313, 322, 338-347, 365, 373, 383, 388, 418, 420, 423, 434, 446, 457, 461, 466, 469471, 481, 484, 487, 491, 493, 496, 501, 505, 508, 512, 515, 519, 536, 546, 553, 555, 625, 635, 661, 730, 784, 788-791, 793, 796, 808, 810, 844, 853, 914, 928; geschichte 469; -line 306; -träger 304, 350; -wort 301, 345 Verherrlichung 97, 242, 246, 257, 259, 266, 268, 280, 283, 583, 807 Verkündigung 43, 95, 144, 258, 262, 288, 377, 385, 387-389, 391, 401, 406-412, 418, 432, 445, 452-455, 458, 469, 479, 486, 501-504, 512, 520, 531, 533, 535, 539, 571, 576, 584, 601, 604, 661, 675, 764-767, 804, 817, 819, 822, 824-827, 831, 876, 880, 886, 889, 921, 925, 927, 930-934; -auftrag 927; -tätigkeit 418, 824, 858, 859, 874; -wort 822 Verlangen 54, 128, 129, 502, 649, 707, 832 Verleumdung 128, 235, 631, 643, 759, 763 Verlust 73, 105, 137, 334, 423, 439, 447, 449, 453-455 Vermittlung 227, 491, 560, 605, 606, 685, 847 Vernunft 96, 118, 160, 169-173, 176, 178, 230, 569, 571, 584, 592, 626, 689, 701, 806 Verordnungen 685, 702 Verpflichtung 62, 71, 74, 78, 81, 114, 116, 146, 150, 188, 205, 216-220, 253, 375, 547, 554, 613, 645, 652, 665, 670, 675, 691, 702-705, 716, 749, 778, 799, 843
Versammlungen 446, 556, 568, 634, 746, 763, 764, 774, 775, 798, 878, 907, 930 Versklavung 14, 98, 157, 181, 232, 241-243, 449, 712 Versöhnung 23, 147, 149, 191, 367, 439, 440, 454-458, 498, 526, 564, 655, 767, 914 Versöhnungstag 147 Verstockung 313, 326, 434, 496, 500, 503, 532; -aussage 433 Versuchung 53, 227, 620, 865 Verteidigung 117, 119, 181; -rede 850 Vertrauen 207, 293, 323, 351, 361, 362, 365, 366, 537, 583, 593, 628, 641, 767, 800, 917 Vertreibung 138, 153-155, 157, 159, 175, 180, 182, 445, 628, 732 Verurteilung 47, 61, 86, 135, 179, 186, 190, 193, 194, 200-204, 207, 231, 263, 270272, 280, 290, 332, 334, 378, 382, 421, 542, 555, 681, 725, 744, 760, 848, 849 Verwaltung 677, 678, 684, 690, 692, 695699, 722, 827, 860, 863, 922, 923 Verwandlung 44, 245, 247, 256, 257, 554, 558, 573, 575-577 Verwerfung 313-315, 320, 326, 335, 340, 439, 453-456, 458, 484, 493, 521, 798 Vision 493, 526, 648, 759, 786, 824, 877 Völker 28, 79, 147, 221, 275, 278, 294, 297, 312, 328, 338, 353, 410, 439, 445-451, 456-458, 468, 470, 475, 487-494, 496, 498-500, 503, 505, 507-510, 522, 525, 527, 530, 532, 539, 564, 605, 667, 690, 730, 753, 786, 790, 792-795, 820, 826, 830, 844, 894, 925, 928, 935 Völkerapostel 450-452 Völkerwallfahrt 497 Volkskirche 65, 66, 404 Vollendung 15, 49, 151, 245, 247, 248, 280, 337, 375, 376, 409, 449, 768, 827 Vorbild 65, 76, 470, 472, 477, 478, 553, 610, 629, 658, 780, 782, 785, 787, 864, 867, 906 Vorleistung 24, 542, 547 Vormund 88, 862 Vorwurf 144, 150, 305, 366, 472, 486, 531, 629, 715, 764, 827 Wachsamkeit 716, 902
Stichwortverzeichnis 1039 —————————————————————————————————— Wachstum 508, 532, 595, 780 Waffen 18, 21, 42, 55-58, 79, 87, 109, 561, 567, 595, 711, 719-722, 725, 803 Wahrheit 36, 39, 70, 75, 79, 86, 121, 126, 139, 141, 161, 169, 273, 282, 286-288, 297, 302-304, 320, 324, 331, 336, 342, 347, 350, 369, 392, 416, 418, 424, 432, 438, 474, 488, 514, 522, 529, 530, 578580, 601, 604, 606, 619, 621, 627, 635, 640, 646, 660-664, 719, 722, 756, 759, 761, 773, 782, 787, 789, 790, 793, 797801, 824, 913, 935 Wahrheitsanspruch 535 Wandel 157, 203, 214, 229, 554, 565, 608, 726, 755, 765 Warnung 252, 382, 443, 475-477, 484, 492, 494, 589, 636, 660, 672, 719, 727, 756, 758, 762, 772, 779, 783, 913 Waschungen 28, 32, 34, 65, 147, 148, 151, 182, 202, 284, 357, 358, 374, 759 Wassertaufe 19, 27, 28, 30-34, 36, 37, 65, 726, 821, 876 Weihegaben 109; -geschenk 290, 849 Weihrauch 566; -opfer 569 Weihungen 669, 684 Wein 28, 563, 567, 723, 729, 731-733, 766, 768, 774 Weinabstinenz 730, 731, 774 Weisheit 95, 97, 139, 146, 230, 245, 252, 330, 368, 383, 385, 397, 485, 491, 509, 513, 537-541, 545-553, 574, 579, 588, 590, 591, 642, 652, 661, 668, 770, 805, 806, 824, 893, 931, 934 Weisheitsliteratur 545, 667; -tradition 146, 658 Weissagung 587, 602 Weisung 60, 72, 80, 95, 147, 157, 203, 554, 583, 604, 649, 652, 701, 710, 804, 933 Weltende 376, 833 Weltenrichter 755 Weltflucht 584 Werke 12, 60-64, 85, 110, 126, 143, 147, 149, 204, 206, 218, 299, 300, 311-314, 323, 331, 352, 357-360, 364-367, 374, 377, 380, 417, 420, 429, 436, 449, 473, 496, 539, 543, 546, 557, 579, 620, 646, 654, 673, 711, 716, 720-725, 754, 761, 801-803, 850; Werkgerechtigkeit 145 Werte 393, 574, 575, 693, 701, 713, 767
Wertehierarchie 768 Wiederaufnahme 672, 739, 845 Wiedereinpfropfen 466, 467, 488 Wiedergeburt 571, 577 Wiederkunft Jesu 44, 93, 216, 235, 239, 241, 246, 254, 385, 391, 449, 456, 494, 498, 501, 504-508, 511-513, 524, 535, 556, 574, 627, 711, 713, 715-719, 723, 727, 753, 795, 801, 803, 808 Wille 42, 95, 97, 146, 151, 153, 159, 172, 180, 205, 229, 250, 299, 301, 322, 327, 370, 388, 557, 576, 580, 584, 601, 611, 644, 711, 799, 801, 805, 851, 854, 861 Willensanstrengung 184, 219, 346 Willensfreiheit 348 Wissen 45, 48, 51, 141, 160, 211, 255, 286, 323, 546, 556, 561, 574, 590, 591, 594, 650, 700, 712, 716, 758, 761, 773 Wohltat 237, 598, 652, 658, 700 Wohltäter 683, 684 Wohltätigkeit 608, 621, 668 Wunder 50, 308, 325, 336, 398, 482, 504, 540, 612, 613, 638, 823 Wunsch, Wünsche 54, 130, 159, 160, 183, 250, 252, 289-291, 326, 367, 370, 796, 829, 890 Wunschdenken 285 Würdetitel 725 Wurzel 133, 439, 440, 441, 461, 464-472, 474, 478, 481, 532, 536, 567, 795 Wüste 37, 274, 293, 433, 525 Wüstengeneration 507 Xenophon 54, 73, 158, 171, 443, 562, 590, 695, 896 Zauberei 110, 205, 754 Zeloten 371, 645, 672 Zerstörung 182, 240, 275, 332, 425, 426, 436, 576, 762, 820, 922 Zeuge 24, 69, 125, 215, 224, 272, 288, 329, 342, 369, 415, 421, 450, 558, 673 Zion 149, 151, 226, 341, 352, 360-366, 370, 378, 380, 398, 405, 415, 418, 438, 446, 448, 458, 487, 497, 503, 508-517, 522, 531, 535 Zionstora 146 Zitat, Zitate 27, 36, 54, 63, 88, 92, 123, 124, 140, 144, 157, 161, 174, 245, 275, 283,
1040 Römerbrief —————————————————————————————————— 300, 305, 308, 310, 313, 317-320, 322, 324, 339-341, 342, 346-349, 361, 365, 368, 369, 378, 380, 382-386, 390, 392395, 398-402, 405, 408, 412, 414, 418, 421, 424-427, 432-437, 473, 488, 494, 499, 504, 509-511, 517, 544, 549, 556, 572, 575, 583, 600, 611, 632, 639, 647, 649, 657, 659, 700, 706, 715, 721, 726, 753, 773, 778, 781, 791-794, 798, 820, 827, 830, 843, 931 Zitatkette 789, 790; -sammlung 318; -formel 339, 345, 424, 500, 510, 544, 703 Zoll, Zölle 376, 665, 674, 691, 693, 694, 700, 703, 704; -bezirke 694; -gesetz 694, 880; -grenzen 694; -wesen 691 Zöllner 615, 639 Zollpächter 691 Zorn 52, 126, 160, 191, 194, 207, 222, 261, 282, 290, 298, 316, 327, 332-336, 346, 348-350, 413-415, 419, 445, 455, 476, 496, 527, 561, 565, 614, 624, 645, 657, 658, 687, 712, 716, 722, 753-756, 792 Zorngefäße 336 Zorngericht 40, 336, 371, 644, 653, 665, 687 Zügellosigkeit 86, 711, 724, 803
Zukunft 24, 40, 44, 49, 52, 59, 81, 93, 114, 189, 209, 214, 216, 225-230, 236-242, 245, 247, 256, 272, 280, 366, 390, 394, 432, 440, 449, 456, 457, 478, 488, 498, 502-505, 508, 510, 517, 524, 536, 543, 551, 574, 601, 645, 668, 690, 712, 751, 754, 768, 791, 796, 801, 810, 851, 903 Zuneigung 288, 519, 614, 621, 622, 635, 880, 889, 891 Zunge 155, 594, 595, 729, 754, 755 Zungenrede 251, 914; s. auch Glossolalie Zusage 58, 146, 282, 302, 309, 444, 521 Zweifel 84, 141, 235, 302, 449, 559, 627, 736, 751, 777, 905, 924, 935 Zweige 303, 439, 440, 461-474, 476-482, 485, 488, 497, 502, 506, 516, 535, 567, 845 Zwietracht 612, 635, 754 Zwillinge 309, 310, 311, 314 Zwillingsbrüder 312, 309 Zwillingsschwestern 894 Zwölf 76, 410, 451, 817, 825, 830, 841, 885887 Zwölfstämmevolk 303 Zypern 450, 823, 827, 829, 868