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German Pages 1134 [1135] Year 2006
HistorischTheologische Auslegung
Der erste Brief des Paulus an die Korinther
Eckhard J. Schnabel
SCM M R.Brockhaus Brunnen
Historisch Theologische Auslegung ______________________________________________________________________________
Neues Testament
Herausgegeben von Gerhard Maier ▪ Heinz-Werner Neudorfer ▪ Rainer Riesner ▪ Eckhard J. Schnabel
Eckhard J. Schnabel
Der erste Brief des Paulus an die Korinther
SCM R.BROCKHAUS WITTEN ▪ BRUNNEN VERLAG GIESSEN
2., berichtigte und ergänzte Auflage 2010 © 2006 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten Satz: E. J. Schnabel (NotaBene Lingua Workstation Version 9) Umschlaggestaltung: krausswerbeagentur.de, Herrenberg Druck: Finidr, s. r. o., Tschechien ISBN 978-3-417-29724-9 (SCM R.Brockhaus) ISBN 978-3-7655-9724-4 (Brunnen Verlag) 'DWHQNRQYHUWLHUXQJ6WHSKDQ0DLHU$FKHUQ
INHALT Vorwort der Herausgeber ............................................................................ 7 Abkürzungen ............................................................................................... 9 I. Einleitung ............................................................................................... 13 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Die Stadt Korinth im 1. Jahrhundert .................................................... 14 Paulus und die Christen in Korinth ...................................................... 23 Anlass des Ersten Korintherbriefs ....................................................... 29 Literarische Integrität ......................................................................... 39 Apostelbrief und Rhetorik .................................................................. 42 Theologische Anliegen ........................................................................48 Textüberlieferung ............................................................................... 53
II. Auslegung ............................................................................................. 55 1. Gruß und Danksagung 1,1-9 ................................................................ 55 1.1 Präskript: Absender, Adressaten, Gruß 1,1-3 ................................. 55 1.2 Einleitung: Danksagung 1,4-9 ......................................................... 69 2. Konflikt I: Spaltungen in der Gemeinde 1,10–4,21 ............................... 79 2.1 Spaltung im Namen der Weisheit 1,10-17 ....................................... 83 2.2 Das Wort vom Kreuz als Antithese zur Weltweisheit 1,18–2,5 ..... 110 2.3 Die verborgene Weisheit Gottes 2,6-16 .........................................160 2.4 Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 ................ 181 2.5 Die Folgen von falscher Weisheit und Selbstruhm 3,18-23 ........... 219 2.6 Die Gemeinde von Korinth und Paulus als ihr Apostel 4,1-21 ....... 228 3. Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 ............... 3.1 Das Urteil des Apostels 5,1-5 ....................................................... 3.2 Die Reinheit der Gemeinde 5,6-8 ................................................. 3.3 Die Gemeinde und in Unzucht lebende Christen 5,9-13 ................
270 271 285 291
4. Konflikt II: Das Prozessieren von Gemeindegliedern 6,1-11 .............. 301 4.1 Die Schlichtung von Streitfällen in der Gemeinde 6,1-6 ................ 303 4.2 Der Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts 6,7-11 ..... 314
4———————————————————————————————————— Erster Korintherbrief
5. Kompromiss II: Der Verkehr mit Prostituierten 6,12-20 .....................327 5.1 Die falsche Auffassung von christlicher Freiheit 6,12-14 .............. 331 5.2 Das Argument gegen die Prostitution 6,15-20 ............................... 336 6. Kompromiss III: Ehe und Verlobung 7,1-40 ........................................ 6.1 Sexualität in der Ehe 7,1-7 ............................................................ 6.2 Ehe und Ehelosigkeit der Unverheirateten und Witwen 7,8-9 ........ 6.3 Ehescheidung verheirateter Christen 7,10-16 ................................ 6.4 Die Bewährung des Christen im status quo 7,17-24 ...................... 6.5 Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 .........
348 352 367 369 382 397
7. Kompromiss IV: Götzenopferfleisch und Götzentempel 8,1–11,1 ....... 7.1 Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 ......... 7.2 Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen 8,7-13 ............. 7.3 Paulus als positives Beispiel 9,1-27 ............................................... 7.4 Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 ............................................ 7.5 Herrenmahl und Götzenopfermahl 10,14-22 .................................. 7.6 Ratschläge zu Fleisch und Götzenopferfleisch 10,23–11,1 ............
426 433 451 470 520 545 561
8. Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 ............ 8.1 Die Sitte der Kopfbedeckung 11,2-6 ............................................. 8.2 Die Zuordnung von Mann und Frau 11,7-12 ................................. 8.3 Appell an die Einsicht 11,13-16 ....................................................
587 593 606 615
9. Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 .................... 9.1 Das egoistische Verhalten der Reichen 11,17-22 .......................... 9.2 Die Überlieferung vom Herrenmahl 11,23-26 ............................... 9.3 Folgerungen für die Behebung der Missstände 11,27-34 ...............
625 630 643 658
10. Konflikt IV: Die Gaben des Geistes in der Gemeinde 12,1–14,40 .... 10.1 Das Kennzeichen des Geistes Gottes 12,1-3 ................................. 10.2 Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 ......................... 10.3 Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 ................. 10.4 Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 ............................................ 10.5 Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 ................ 10.6 Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 ...........................................
676 680 690 722 753 784 826
11. Kompromiss VI: Der Alltag und die Auferstehung 15,1-58 ............... 862 11.1 Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 ......................................... 866 11.2 Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 ................................... 904
Erster Korintherbrief 5 ————————————————————————————————————
11.3 Der Leib der Auferstehung 15,35-49 ............................................ 954 11.4 Die Gewissheit des Sieges über den Tod 15,50-58 ....................... 976 12. Briefschluss: Mitteilungen und Grüße 16,1-24 ................................. 996 12.1 Die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem 16,1-4 ...................... 996 12.2 Die Reisepläne von Paulus, Timotheus und Apollos 16,5-12 ...... 1007 12.3 Schlussmahnungen 16,13-18 ...................................................... 1016 12.4 Grüße und Zuspruch der Gnade 16,19-24 ................................... 1025 III. Abbildungen..................................................................................... 1037 1. Korinth............................................................................................... 2. Korinth: Stadtzentrum......................................................................... 3. Asklepios-Tempel .............................................................................. 4. Atriumhaus: Haus der Vettii in Pompeji..............................................
1037 1038 1039 1040
IV. Verzeichnisse ................................................................................... 1041 1. Literaturverzeichnis ........................................................................... 1041 2. Autorenverzeichnis ............................................................................ 1094 3. Verzeichnis griechischer Wörter ...................................................... 111 4. Stichwortverzeichnis ..........................................................................
Vorwort der Herausgeber Die Kommentarreihe „Historisch-theologische Auslegung des Neuen Testaments“ will mit den Mitteln der Wissenschaft die Aussagen der neutestamentlichen Texte in ihrer literarischen Eigenart, im Hinblick auf ihre historische Situation und unter betonter Berücksichtigung ihrer theologischen Anliegen erläutern. Dabei sollen die frühere wie die heutige Diskussion und neben den traditionellen auch neuere exegetische Methoden berücksichtigt werden. Die gemeinsame Basis der Autoren der einzelnen Kommentare ist der Glaube, dass die Heilige Schrift von Menschen niedergeschriebenes Gotteswort ist. Der Kanon Alten und Neuen Testaments schließt den Grundgedanken der Einheit der Bibel als Gottes Wort ein. Diese Einheit ist aufgrund des Offenbarungscharakters der Heiligen Schrift vorgegeben und braucht nicht erst hergestellt zu werden. Die Kommentatoren legen deshalb das Neue Testament mit der Überzeugung aus, dass die biblischen Schriften vertrauenswürdig sind und eine Sachkritik, die sich eigenmächtig über die biblischen Zeugen erhebt, ausschließen. Wo Aussagen der biblischen Verfasser mit außerbiblischen Nachrichten in Konflikt stehen oder innerhalb der biblischen Schriften Spannungen und Probleme beobachtet werden, sind Klärungsversuche legitim und notwendig. Bei der Behandlung umstrittener Fragen möchten die Autoren vier Regeln folgen: 1. Alternative Auffassungen sollen sachlich, fair und in angemessener Ausführlichkeit dargestellt werden. 2. Hypothesen sind als solche zu kennzeichnen und dürfen auch dann nicht als Tatsachen ausgegeben werden, wenn sie weite Zustimmung gefunden haben. 3. Offene Fragen müssen nicht um jeden Preis entschieden werden. 4. Die Auslegung sollte auch für denjenigen brauchbar sein, der zu einem anderen Ergebnis kommt. Unser Kommentar will keine umfassende Darstellung der Auslegung eines neutestamentlichen Buches in Geschichte und Gegenwart geben. Weder bei der Auflistung der Literatur noch in der Darstellung der Forschungsgeschichte oder der Auseinandersetzung mit Auslegungspositionen wird Vollständigkeit angestrebt. Die einzelnen Autoren haben hier im Rahmen der gemeinsamen Grundsätze die Freiheit, beim Gespräch mit der früheren und aktuellen Exegese eigene Akzente zu setzen. Die Kommentarreihe unternimmt den Versuch einer „geistlichen Auslegung“. Über die möglichst präzise historisch-philologische Erklärung hinaus soll die Exegese die Praxis von Verkündigung, Seelsorge sowie Diakonie im Blick behalten und Brücken in
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die kirchliche Gegenwart schlagen. Die Autoren gehören zu verschiedenen Kirchen und Freikirchen der evangelischen Tradition. Unterschiede der Kirchen- oder Gemeindezugehörigkeit, aber auch unterschiedliche exegetische Meinungen wollen sie weder gewaltsam einebnen noch zum zentralen Thema der Auslegung machen. Die Auslegung folgt einem gemeinsamen Schema, das durch römische Ziffern angezeigt wird. Leserinnen und Leser finden unter I eine möglichst genaue Übersetzung, die nicht vorrangig auf eine eingängige Sprache Wert legt. Unter II ist Raum für Bemerkungen zu Kontext, Aufbau, literarischer Form oder Gattung sowie zum historischen und theologischen Hintergrund des Abschnitts. Unter III folgt eine Vers für Vers vorgehende Exegese, die von Exkursen im Kleindruck unterbrochen sein kann. Abschließend findet man unter IV eine Zusammenfassung, in der das Ziel des Abschnitts, seine Wirkungsgeschichte und die Bedeutung für die Gegenwart dargestellt werden, soweit das nicht schon im Rahmen der Einzelexegese geschehen ist. Alle Auslegung der Bibel als Heiliger Schrift ist letztlich Dienst in der Gemeinde und für die Gemeinde. Auch wenn die „Historisch-theologische Auslegung“ keine ausdrückliche homiletische Ausrichtung hat, weiß sie sich dem Ziel verpflichtet, der Gemeinde Jesu Christi für ihren Glauben und ihr Leben in der säkularen Moderne Orientierung und Weisung zu geben. Die Herausgeber hoffen, dass die Kommentarreihe sowohl das wissenschaftlichtheologische Gespräch fördert als auch der Gemeinde Jesu Christi über die Konfessionsgrenzen hinaus dient. Im Frühjahr 2004 Bischof Dr. Gerhard Maier, Stuttgart Dekan Dr. Heinz-Werner Neudorfer, Marbach Prof. Dr. Rainer Riesner, Dortmund Prof. Dr. Eckhard J. Schnabel, Deerfield/Chicago
Abkürzungen ABD AGJU ALGHJ AncB ANRW AThANT BA BAR BASOR Bauer/Aland BBB BBR BDAG BDR BEThL Bib. BiKi Bill. BJRL BJS BNot BS BWANT Byz BZAW BZ BZNW CBQ CBQ.MS DJD DJG DLNT DNP DNTB DPL DSD EB
Anchor Bible Dictionary. Hg. v. D. N. Freedman Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums Arbeiten zur Literatur und Geschichte des hellenistischen Judentums Anchor Bible Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Hg. W. Haase/H. Temporini Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments Biblical Archaeologist Biblical Archaeology Review Bulletin of the American Schools of Oriental Research Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. Hg. v. W. Bauer/K. Aland/B. Aland Bonner Biblische Beiträge Bulletin for Biblical Research A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature. Third Edition. Hg. v. W. Bauer/F. W. Danker/W. F. Arndt/ F. W. Gingrich Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. F. Blass/A. Debrunner/ F. Rehkopf Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium Biblica Bibel und Kirche Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch. Hg. v. (H. L. Strack) P. Billerbeck Bulletin of the John Rylands Library Brown Judaic Studies Biblische Notizen Bibliotheca Sacra Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Byzantinischer Text (Mehrheitstext) Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Biblische Zeitschrift Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Catholic Biblical Quarterly Catholic Biblical Quarterly Monograph Series Discoveries in the Judaean Desert (of Jordan) Dictionary of Jesus and the Gospels. Hg. v. J. B. Green u.a. Dictionary of the Later New Testament and Its Developments. Hg. v. P. H. Davids u.a. Der Neue Pauly. Hg. v. H. Cancik/H. Schneider Dictionary of New Testament Background. Hg. v. C. A. Evans u.a. Dictionary of Paul and His Letters. Hg. v. G. F. Hawthorne u.a. Dead Sea Discoveries Echter Bibel
10 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— EdF EKK EtB ET EThL EÜ Elb.Ü EvQ EvTh EWNT FilN FRLANT fzb GBL GN GNB HAL Hfa HNT HS HThK HThR HUCA HWR ICC IEJ Int. ISBE JAC JBL JBTh JETh JETS JJS JSHRZ JSNT JSNT.SS JSP JSP.SS JThS KEK KG KJV KP KuD
Erträge der Forschung Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament Études Bibliques Expository Times Ephemerides Theologicae Lovanienses Einheitsübersetzung. Revision 1979 Elberfelder-Übersetzung. Revision 1985 Evangelical Quarterly Evangelische Theologie Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Hg. H.Balz/G. Schneider Filologia Neotestamentaria Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Forschungen zur Bibel Das Große Bibellexikon. Hg. v. H. Burkhardt Gute Nachricht Bibel. Revision 1997 Good News Bible Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament. Hg. v. W. Baumgartner/L. Koehler/J. J. Stamm Hoffnung für alle. Die Bibel Handbuch zum Neuen Testament Griechische Grammatik zum Neuen Testament. E. Hoffmann/ H. von Siebenthal Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament Harvard Theological Review Hebrew Union College Annual Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. v. G. Ueding International Critical Commentary Israel Exploration Journal Interpretation International Standard Bible Encyclopedia. Hg. v. G. W. Bromiley Jahrbuch für Antike und Christentum Journal of Biblical Literature Jahrbuch für Biblische Theologie Jahrbuch für Evangelikale Theologie Journal of the Evangelical Theological Society Journal of Jewish Studies Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit Journal for the Study of the New Testament Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series Journal for the Study of Pseudepigrapha Journal for the Study of Pseudepigrapha. Supplement Series Journal of Theological Studies Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. R. Kühner/B. Gerth King James Version Der Kleine Pauly. Hg. v. K. Ziegler/W. Sontheimer/H. Gärtner Kerygma und Dogma
Abkürzungen 11 ———————————————————————————————————— LEH LN LSJ LThK LÜ LXX Menge MM MNT NA27 NGÜ NIV NEB Neot. NewDocs NICNT NIGTC NRSV NSS NTA NTD NT NTOA NTS NT.S NW OCD ÖTK OTP PEQ Preisigke PW RAC RB RdQ RGG RNT RSV SBB SBLDS SBLMS SBL.SP
A Greek-English Lexicon of the Septuagint. J. Lust/E.Eynikel/K. Hauspie Greek-English Lexicon of the New Testament Based on Semantic Domains. J. P. Louw/E. A. Nida A Greek-English Lexikon. H. G. Liddell/R. Scott/H. S. Jones Lexikon für Theologie und Kirche Lutherbibel. Revision 1984 Septuaginta Die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments. Übersetzt von H. Menge The Vocabulary of the Greek Testament Illustrated from the Papyri and Other Non-Literary Sources. J. H. Moulton/G. Milligan Münchener Neues Testament. Hg. v. J. Hainz/M. Schmidl/J. Sunckel Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 27. Auflage Neue Genfer Übersetzung New International Version Neue Echter-Bibel Neotestamentica New Documents Illustrating Early Christianity. G. Horsley/S. Llewelyn New International Commentary on the New Testament New International Greek Testament Commentary New Revised Standard Version Neuer sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament. W. Haubeck/H. von Siebenthal Neutestamentliche Abhandlungen Das Neue Testament Deutsch Novum Testamentum Novum Testamentum et Orbis Antiquus New Testament Studies Novum Testamentum Supplement Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Hg. v. G. Strecker/U. Schnelle Oxford Classical Dictionary. Hg. v. S. Hornblower/A. Spawforth Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament Old Testament Pseudepigrapha. Hg. v. J. H. Charlesworth Palestine Exploration Quarterly Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden. Hrsg. v. F. Preisigke Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft. Hg. v. A. F. Pauly/G. Wissowa Reallexikon für Antike und Christentum Revue Biblique Revue de Qumran Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Auflage Regensburger Neues Testament Revised Standard Version Stuttgarter Biblische Beiträge Society of Biblical Literature Dissertation Series Society of Biblical Literature Monograph Series Society of Biblical Literature Seminar Papers
12 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— SBS SKKNT SNTSMS SNTU StANT StUNT SÜ TANZ THAT ThBeitr ThBLNT ThHK ThLZ ThR ThWAT ThWNT ThZ TNIV TRE TU TynB VF VT VT.S WBC WdF WMANT WUNT ZAW ZBK ZNW ZPE ZThK ZB
Stuttgarter Bibelstudien Stuttgarter Kleiner Kommentar Neues Testament Society of New Testament Studies Monograph Series Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Studien zum Alten und Neuen Testament Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Schlachter-Übersetzung. Revision 2002 Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament. Hg. v. E. Jenni/ C. Westermann Theologische Beiträge Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Neubearbeitete Ausgabe. Hg. v. L. Coenen/K. Haacker Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament Theologische Literaturzeitung Theologische Rundschau Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Theologische Zeitschrift Today’s New International Version Theologische Realenzyklopädie Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur Tyndale Bulletin Verkündigung und Forschung Vetus Testamentum Vetus Testamentum Supplements Word Biblical Commentary Wege der Forschung Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Zürcher Bibelkommentare Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik Zeitschrift für Theologie und Kirche Zürcher Bibel. Revision 1931 (2003)
Weitere Abkürzungen sind S. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (Berlin 21992) zu entnehmen.
Einleitung 13 ————————————————————————————————————
I. Einleitung Das frühe Christentum ist ohne christliche Ortsgemeinde nicht vorstellbar. Der Glaube an Jesus Christus wurde nicht von Religionsphilosophen in Akademien als Diskussionsvorschlag vorgetragen, sondern von Männern und Frauen, von Juden und von Griechen, von Freien und von Sklaven gelebt und gepredigt, die in großen und kleinen Städten des Römischen Reichs zu Hause waren. Kein anderer Text des Neuen Testaments zeigt die konkrete Wirklichkeit einer christlichen Ortsgemeinde so deutlich wie die Briefe des Paulus an die Christen in Korinth, und kaum ein anderer Text des Neuen Testaments demonstriert die Verbindung zwischen apostolischer Lehre und den lokalen gesellschaftlichen Gegebenheiten so deutlich wie der Erste Korintherbrief. Die beiden Korintherbriefe zeigen, was es bedeutet hat, in einer der großen Städte des Mittelmeerraums als Jesusbekenner zu leben. Paulus reagiert in seinen beiden Briefen nach Korinth auf Krisen in der christlichen Gemeinde und beschreibt die Konsequenzen der Botschaft von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus für die Christen, die in der Stadt Korinth und somit in einer bestimmten Kultur und einer konkreten Gesellschaft des ersten Jahrhunderts leben. Anfragen von korinthischen Christen und mündlich übermittelte Berichte von Schwierigkeiten in der Gemeinde fordern Paulus zur Stellungnahme heraus. Er geht im Ersten Korintherbrief der Frage nach, welchen Einfluss konkrete gesellschaftliche Gegebenheiten auf die Einstellung und auf das Verhalten der Christen haben oder nicht haben dürfen: Sollen Heidenchristen weiterhin heidnische Tempel besuchen? Können Christen einen Rechtsstreit anfangen? Dürfen Christen zu Prostituierten gehen? Wie sollen sich Christen verhalten, die zur gesellschaftlichen Elite Korinths gehören?. Der Erste Korintherbrief demonstriert, wie Paulus theologische Fragen angeht, die sich infolge gesellschaftlicher Realitäten oder philosophischer Einflüsse stellen. Der Erste Korintherbrief zeigt, weshalb die Botschaft von Jesus, dem Messias und Kyrios, der am Kreuz gestorben und am dritten Tag auferstanden ist, ein notwendiger Maßstab für den Glauben und für das Leben der Jesusbekenner ist, die sich im ersten Jahrhundert den komplexen Herausforderungen eines authentischen Christenlebens stellen. 1 Dieser Nexus zwischen Stadt und Gemeinde und Theologie (und Ethik) legt es nahe, zunächst die Stadt Korinth im ersten Jahrhundert und die Grün————————————————————
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Winter, Welfare, 105-121.145-177; ders., Corinth; Vgl. Dunn, 1 Corinthians, 110-111; Thiselton, xvii-xviii.
14 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
dung und Gestalt der korinthischen Gemeinde zu beschreiben, ehe wir den Anlass des Briefs, die Argumentation des Apostels und die theologischen Schwerpunkte des Schreibens behandeln. 1. Die Stadt Korinth im 1. Jahrhundert Korinth (Κο' ρινθος; mod. Archaia Korinthos), ungefähr 10 km westlich des Isthmus gelegen, der Peloponnes und Attika verbindet, war seit 900 v.Chr. besiedelt. Seit 600 v.Chr. prägte die Stadt eigene Münzen. 2 Der Aufschwung der zwischen Athen und Sparta gelegenen Stadt war mit der strategisch günstigen Lage am Isthmus und mit der Bedeutung von Handel und Gewerbe verknüpft. Mehrere Industriezweige hatten in Korinth bedeutende Zentren: das Töpfereihandwerk („korinthische Vasen“), die Keramikproduktion (Tonziegel), Teppichwebereien und die Produktion und Verarbeitung von Metallen, z.B. die „korinthische Bronze“, welche nach Josephus (Bell. 5.201) den wertvollsten Teil der Tempeltore an der Außenseite des herodianischen Tempels in Jerusalem darstellte.3 Die Stadtmauer, die die südlich der Stadt gelegene 575 Meter hohe Akropolis (Akrokorinth, mit dem Tempel der Aphrodite) einschloss, hatte einen Gesamtumfang von 12 km. Die Straße zu dem 2 km entfernten, am korinthischen Golf gelegenen Hafen Lechaion war ebenfalls von einer Mauer umgeben. Kenchreä, der zweite Hafen Korinths, lag am saronischen Golf südöstlich der Stadt. Nach den Perserkriegen, in denen sich Korinth nach 480 v.Chr. als Versammlungsort der verbündeten Griechen („korinthischer Bund“) hervortat, hatte die Stadt, zeitweise mit oder gegen Athen, Sparta und Theben verbündet, eine wechselhafte Geschichte. Unter Philipp II., dem makedonischen König, war Korinth Sitz des neu gegründeten Bundes der Griechen. Die führende Rolle Korinths im Widerstand der griechischen Städte gegen Rom führte zur Zerstörung der Stadt im Jahr 146 v.Chr., nachdem der römische Konsul Lucius Mummius Korinth erobert, Kunstschätze abtransportiert und die Bevölkerung getötet oder in die Sklaverei verkauft hatte. Als Cicero zwischen 79–77 v.Chr. die Stadt besuchte, machten die Trümmer einen größeren Eindruck auf ihn als die Bewohner (Cicero, Tusc. 3.22.53). Es dauerte über ein ganzes Jahrhundert, ehe Korinth ————————————————————
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Für das Folgende vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1130-1135; Elliger, Paulus, 200242; Murphy-O’Connor, Corinth; Engels, Roman Corinth; Winter, Corinth, 7-22; Sanders, Urban Corinth, 11-24. Ausgrabungsberichte: Corinth: Results of Excavations Conducted by the American School of Classical Studies at Athens, Cambridge/Princeton: American School of Classical Studies at Athens 1929–2003 (wird fortgesetzt). Wiseman, Corinth, 512; Schrage I 26. Zur korinthischen Bronze vgl. Mattusch, Corinthian Bronze, 219-232. Siehe Plinius, Nat. Hist. 34,1; 34,6-8; 34,48; Cicero, Tusc. 4,32; Verr. 2,1,55-56; 4,1.50.131; Petronius, Sat. 15,31,50; Athenaeus 4,128d; Pausanias 2,3,3.
Einleitung 15 ————————————————————————————————————
wieder aufgebaut wurde. Iulius Caesar sorgte im Jahr 44 v.Chr. für eine Neugründung Korinths als römische Kolonie unter dem Namen Colonia Laus Iulia Corinthiensis. Er ließ die Stadt zunächst mit dreitausend freigelassenen Sklaven und Veteranen besiedeln. 4 Die aristokratischen Familien des römischen Senats, die für die Neugründung Korinths stimmten und die aus rechtlichen Gründen den Handel der neuen Handelsroute von Osten nach Westen, die über Korinth lief, nicht direkt kontrollieren konnten, hofften offensichtlich, dass sie sich der in der neuen Kolonie angesiedelten Freigelassenen als Mittelsleute bedienen können würden. Das heißt, Korinth sollte als Kolonie des römischen Senats die Kontrolle des Ost-West-Handels garantieren.5 Caesar hatte den in römischen Kolonien neu angesiedelten Freigelassenen das Recht gewährt, für Magistratspositionen zu kandidieren. Augustus hatte den Freigelassenen dieses Privileg wieder genommen, eine Tatsache, die erklärt, dass die Magistratsinhaber in Korinth sämtlich römische Bürger waren.6 Schon 27 v.Chr. wurde Korinth das Verwaltungszentrum der senatorischen Provinz Achaia (zwischen 15–44 n.Chr. war Achaia kaiserliche Provinz; Tacitus, Ann. 1.76.80).7 Ab 50 n.Chr. wurden die panhellenischen Spiele, die im nahegelegenen Isthmia abgehalten wurden, wieder von Korinth kontrolliert. Die alle zwei Jahre organisierten Spiele boten den aus der ganzen Region anreisenden Zuschauern nicht nur sportliche Wettkämpfe, sondern auch Wettbewerbe in musikalischen Darbietungen, Deklamation (Vorträge) und Malerei. Eine Innovation der „römischen“ Spiele in Isthmia waren die Veranstaltung von Wettbewerben für Frauen.8 Paulus hat bei seinem Aufenthalt in Korinth, der am plausibelsten von Februar/März des Jahres 50 bis September 51 zu datieren ist,9 die Bedeutung der isthmischen Spiele für Korinth und seine Einwohner persönlich erleben können.10 Im Jahr 54 wurde aus Anlass der Thronbesteigung von Kaiser Nero von den Städten des Achäischen Bundes in Korinth der Kaiserkult etabliert, offensichtlich auf ————————————————————
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Strabo 8.6.23; Plutarch, Caes. 57; Dio Cassius 43.50.3-4; Appian, Lyb. 136. Vgl. Walbank, Foundation, 95-130. Williams, Roman Corinth, 33; Spawforth, Corinth, 167-182; Walters, Identity, 397-417. Engels, Roman Corinth, 67-68. Zur gesellschaftlichen Elite in der Stadt vgl. Clarke, Leadership, 9-39 (Appendix A, 135-157 enthält eine prosopographische Liste der 160 aus Inschriften und Münzen bekannten führenden Bürger des römischen Korinth). C. Heius Pollio und C. Heius Pamphilus bekleideten um 27/26 v.Chr. das Amt der duoviri; vgl. Amandry, Duovirs, 47-49.55.140. Vgl. Kent, Corinth VIII, iii, 29. Vgl. Riesner, Frühzeit, 180-187; Schnabel, Urchristliche Mission, 1130. Der Präsident (agonothetes) der neu begründeten isthmischen Spiele im Jahr 51 n.Chr. war Lucius Rutilius (West, Corinth VIII, ii, Nr. 82); einer der beiden duoviri des Jahres 50-51 n.Chr. – Cn. Publicus Regulus – war Präsident der Spiele zu einem späteren Zeitpunkt (Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 153); vgl. Winter, Corinth, 276-277; Thiselton 11.
16 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Betreiben der römischen Provinzverwaltung.11 Das jährlich gefeierte Fest zu Ehren des Kaisers ging einher mit Tierhetzen (venationes) und Gladiatorenkämpfen. Der erste Hohepriester des Kults, auf Lebenszeit gewählt, war C. Iulius Spartiaticus. Im Jahr 54/55 (d.h. als Paulus den 1. Korintherbrief schrieb), bekleideten M. Acilius Candidus und Q. Fulvius Flaccus das Amt der duoviri.12 Korinth ist im ersten Jahrhundert konsequent als römische Kolonie zu betrachten, eine Tatsache, die unter Exegeten nicht immer genügend Beobachtung gefunden hat. 13 Für die Interpretation der mit Korinth im ersten Jahrhundert verbundenen Geschichte und Literatur, einschließlich der Korintherkorrespondenz des Apostels Paulus, sind römische Traditionen wichtiger als griechische Traditionen. So sind 101 der 104 Inschriften, die in die Zeit vor Kaiser Hadrian (117–138 n.Chr.) datieren, in lateinischer Sprache und nur drei in griechischer Sprache geschrieben.14 Latein war offizielle Amtssprache, wobei die meisten Einwohner auch (und in vielen Fällen nur) Griechisch sprachen. Das Straßensystem der neu gegründeten Stadt Korinth weist ein typisch römisches Muster auf: die Stadt wurde bei der Neugründung konsequent in vier ungefähr gleich große Quadranten zu je 32 mal 15 actus (35,2 m) eingeteilt. Die 29 Hauptstraßen teilten die vier großen Stadtviertel in 29 gleich große Häuserblocks (insulae). Die Nord-Süd-Straßen (cardines) waren rund 3,6 m breit, die Ost-West-Straßen (decumani) waren rund 6 m breit, während die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Hauptstraße (cardo maximus), die nach Lechaion führte, rund 15 m breit war. Die nördlich Korinths gelegene Ebene, die sich bis zum Meer erstreckte und zum territorium der Stadt gehörte, wurde für die landwirtschaftliche Nutzung in 16 actus breite Streifen eingeteilt.15 Die im Zuge des Neuaufbaus von Korinth nach 44 v.Chr. errichteten Gebäude – Apollon-Tempel, Südstoa, Peirene-Brunnen, GlaukisBrunnen, Theater, Asklepios-Tempel – entsprachen den Kriterien römischer Architektur. Die oberste Behörde Korinths bildete der Magistrat (decurio) mit den duoviri, die jährlich von den comitia tributa gewählt wurden.16 Dass die Bevölkerung Korinths sich im ersten Jahrhundert als Bewohner einer römischen colonia verstanden, zeigt sich auch an der Tatsache, dass es in der Stadt keinen Kult der Roma gab (dieser ist erst im zweiten Jahrhundert nachzuweisen): der Kult der Roma war eine politische Institution, die es Nicht————————————————————
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Spawforth, Imperial Cult, 218-228. Amandry, Duovirs, 22-24.201. Vgl. Gill, Corinth, 259-264; Winter, Corinth, 7-25; Thiselton 3-5. Kent, Corinth VIII, iii, 18-19 (Stand 1950/1966). Romano, Land Use, 9-30; ders., Urban and Rural Planning, 25-59. Wiseman, Corinth, 497-502.
Einleitung 17 ————————————————————————————————————
Römern ermöglichte, die Größe Roms zu feiern. Der römische Charakter der Stadt wird, wie wir sehen werden, eine wichtige Rolle für die Interpretation des 1Kor spielen, zum Beispiel bei der Diskussion der Kopfbedeckung von Männern und Frauen (11,2-16) oder bei der Diskussion des Verhaltens einiger Gemeindeglieder (11,17-34), das einem Missbrauch des Herrenmahls gleichkam. Gleichwohl ist der griechische Einfluss auf das Leben im römischen Korinth nicht zu unterschätzen, vor allem im Blick auf die Religiosität der Einwohner und im Blick auf die Kulte und die Tempel der Stadt. Nach dem Wiederaufbau Korinths unter römischer Ägide wurden die alten griechischen Tempel den traditionellen griechischen Göttern neu geweiht, wenn auch teilweise mit Hilfe lateinischer Inschriften. Korinth hatte im ersten Jahrhundert ungefähr 80 000 Einwohner, eine Zahl, die auf 100 000 ansteigt, wenn man die Einwohner der fünf Städte und 45 Dörfer hinzurechnet, die zum Territorium der Stadt gehörten.17 Das römische Korinth war eine wohlhabende Handelsstadt, das bedeutendste Dienstleistungszentrum der Provinz Achaia – London, Paris oder New York vergleichbar – ein geschäftiger Umschlagplatz zwischen dem westlichen und dem östlichen Mittelmeerraum, ein urbanes Zentrum, in dem wirtschaftliche Effizienz, Wettbewerb und das pragmatische Streben nach Erfolg täglich eine wichtige Rolle spielten. 18 Der Wohlstand der Stadt rührte vom Handel, von Menschen auf der Durchreise und von Touristen her.19 Strabo nennt Korinth „reich wegen ihres Handels“ (δια` το` ε μπο' ριον, 8.6.20). Er verweist in diesem Zusammenhang auf die beiden Häfen Lechaion und Kenchreä sowie auf die Isthmischen Spiele, die alle zwei Jahre im Frühjahr Tausende von Menschen in die Stadt brachten.20 Plutarch berichtet, dass Korinth vor allem durch seine Makler (πραγματευτη' ς) bekannt war (Mor. 831a). Der floriende Handel in der „neuen“ römischen Stadt Korinth erlaubte Männern wie Gnaeus Babbius Philinus einen raschen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg. Er war wohl einer der Freigelassenen, der es zu Wohlstand gebracht hatte, welcher es ihm ermöglichte, in die regierenden Kreise der Stadt auszusteigen – die Inschrift des Babbius-Monuments verkündet, dass er es zum Ädil, Pontifex und duovir gebracht hatte.21 Das Phänomen des Eigenlobs und der ————————————————————
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Engels, Roman Corinth, 79-84.178-181. Romano, Roman Colonies, 103 mit Anm. 71 und andere gehen von niedrigeren Zahlen aus. Vgl. Engels, Roman Corinth, 1-7.22-65. Engels, Roman Corinth, 22-39; Williams, Roman Corinth, 31-32. Vgl. Broneer, Isthmia II; Winter, Corinth, 276-278; Thiselton 10-11. Zu den neueren Ausgrabungen vgl. Gebhard u.a., Isthmia III. Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 155.241 (Plates 14, 19); vgl. Murphy-O’Connor, Corinth, 171; Wiseman, Corinth, 518; Thiselton 8. Zur sozialen Struktur Korinths s. auch Theißen, Studien, 260-263.
18 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Selbstpromotion kennzeichnete die Elite in vielen römischen Städten, aber eben gerade auch in Korinth, ein Umstand, der manche Schwierigkeiten erklärt, mit denen Paulus, für den Demut und Dienst herausragende Kennzeichen eines Apostels (und eines jeden Christen) waren, im Blick auf die korinthische Gemeinde zu kämpfen hatte. Beschreibungen Korinths in antiken Quellen – vor allem bei Pausanias, der in seiner Rundreise durch Griechenland das Korinth in der Mitte des zweiten Jahrhunderts n.Chr. beschreibt (2,1,1–5,5) – sowie die Resultate archäologischer Ausgrabungen ermöglichen es uns, die Stadt näher zu beschreiben (s. Abb. 1-2).22 Wenn man vom Hafen Lechaion herkommend der Nord-Süd-Achse folgte, betrat man Korinth durch eine monumentale Toranlage. Wenn man der zum Forum führenden Straße folge, kam man an einem linker Hand liegenden Fleisch- und Fischmarkt vorbei, den Quintus Cornelius Secundus gestiftet hatte.23 Diese Straße führte zum Nordmarkt, der 58 mal 46 Meter maß und in fünfzig Räumen Handelsleuten und Schiffsmaklern Arbeitsmöglichkeiten bot. Wenn man auf der Hauptstraße geradeaus Richtung Forum ging, kam man an den Bädern des Eurykles vorbei, an die sich südlich öffentliche Latrinen und, an der Stelle eines alten griechischen Heiligtums, ein weiteres Marktgebäude anschlossen. Von dieser Stelle führte der cardo maximus über mehrere Stufen hinauf zu einem monumentalen Triumphbogen, durch den man das römische Forum betrat, das Zentrum Korinths. Der Marktplatz (α γορα' ) der alten Stadt Korinth maß 225 mal 127 Meter. Die Ausmaße des römischen Forum, das nach 44 v.Chr. an dieser Stelle entstanden war, betrugen 165 mal 65 Meter (Abb. 2). An der Nordostecke des Platzes konnte man den prunkvollen Peirene-Brunnen bestaunen, der aus einem offenem Wasserbassin und drei Apsiden bestand. An der Ostseite ————————————————————
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Den von D. Peck gezeichneten Stadtplan von Korinth (Abb. 1) findet man in Williams/ Bookidis, Corinth XX, xxviii, den Plan vom Stadtzentrum Korinths (Abb. 2) in Williams, Roman Corinth, 32; Schnabel, Urchristliche Mission, 1560. Diese von Waele, Market, 453-454 vorgeschlagene Lokalisierung an der Stelle, an der im ausgehenden 1. Jahrhundert der sog. Peribolos des Apollo errichtet wurde, ist nicht gesichert. Zum Thema vgl. Cadbury, Macellum, 134-141. Die relevante Inschrift – zum Text siehe unten zu 10,25 – setzt sich aus dreizehn Fragmenten zusammen (West, Corinth VIII, ii, Nr. 124.125; Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 321). A. West war der Meinung, dass es einen separaten Fleischmarkt (macellum) und Fischmarkt (macellum piscarum) gab; J. Kent bestätigte diese Interpretation. Diese Interpretation wurde von Nabers, Note, 73-74 in Frage gestellt: es sei unwahrscheinlich, dass die Cornelii zwei Marktgebäude stifteten, die derselben Funktion dienten. Andere Inschriften, die macella bezeugen, lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass das macellum in Korinth den Fleischmarkt mit einer Vorkehrung zum Verkauf von Fischen kombinierte. Die griechische Inschrift Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 353 (vgl. Broneer, Corinth I, iv, 101 Plate 25,2) ist entgegen ersten Vermutungen für den Fleischmarkt irrelevant. Vgl. Gill, Meat-Market, 389-391.
Einleitung 19 ————————————————————————————————————
stand eine Basilika, die 38 m lang und 23 m hoch war, dekoriert mit Statuen der kaiserlichen Familie, unter anderem mit den Statuen von Kaiser Augustus und seinen Enkeln Gaius und Lucius. Auf der Südseite des Oberen Forums befanden sich die Verwaltungsgebäude der Provinz Achaia. An der Südostecke stand ein im frühen ersten Jahrhundert errichtetes Gebäude, das administrativen Zwecken diente. Möglicherweise war hier das Archiv untergebracht, in dem öffentliche und private Urkunden aufbewahrt wurden. An der Südseite stand das größte öffentliche Gebäude Griechenlands: Die zweistöckige SüdStoa war 164 m lang und 25 m breit, und machte mit ihren 71 dorischen und 34 ionischen Säulen einen imposanten Eindruck. Die römischen Neubürger hatten das im vierten Jahrhundert v.Chr. errichtete Gebäude nach dem Jahr 44 v.Chr. renoviert. Hier befand sich das Büro des Agonothetes, der die Isthmischen Spiele organisierte, das Büro des Statthalters der Provinz, das Ratshaus (βουλευτη' ριον) der Stadt Korinth, ein öffentliches Bad und das Büro der Duoviri. Archäologen datieren die wichtigste römische Bauphase des Forums ab rund 50 n.Chr. – das Jahr, in dem Paulus in Korinth ankam. Das Forum wurde durch die sog. Zentralen Läden in das Untere und das Obere Forum geteilt. Die siebzehn kleinen (ca. 2 mal 4 m), mit Fresken dekorierten Räume dieser „Ladenkette“ wurden entweder von Kaufleuten benutzt, die mit Edelmetallen handelten, oder sie beherbergten Bankierbüros. In der Mitte der Zentralen Läden befand sich eine monumentale Rednerbühne (βη^ μα, lat. rostrum), auf der die Statthalter der Provinz und die städtischen Magistratsvertreter zur Bevölkerung sprachen. An der Westseite des Forums standen mehrere Tempel und Monumente: der Tempel der Venus Victrix (Tempel F), der Tempel der Roma, des römischen Senats und der Kaiser (Tempel G), ein Poseidon-Brunnen, das Babbius-Monument mit Tempel (K, vielleicht identisch mit dem von Pausanias erwähnten „Pantheion“) und ein Tyche-Tempel (Tempel D, von anderen als Hermes-Tempel identifiziert). An der Nordseite des Forum befand sich eine weitere Säulenhalle (100 m lang und 9 m breit). Von dieser Säulenhalle aus gelangte man in das alte Heiligtum des Apollon, ein Areal von rund 100 mal 80 Meter Größe. Der um 540 v.Chr. gebaute und nach 164 v.Chr. restaurierte Tempel maß 53 mal 12 Meter und bestand aus einem Peristyl von 38 sieben Meter hohen Säulen. An der Nordwestecke des Forum, an der nach Sikyon führenden Straße, stand ein weiterer Tempel (Tempel C), der von manchen mit dem Tempel der Hera Akraia identifiziert wird. Südlich davon traf man auf ein weiteres großes Tempelareal (Tempel D, mit Ausmaßen von 120 mal 90 Metern); dieser Tempel wird häufig als Tempel der Octavia bezeichnet, während manche Archäologen ihn mit dem Capitolium-Tempel identifizieren, in dem die Göttertrias Jupiter Optimus Maximus, Juno und Minerva verehrt wurden. Der Tempel der
20 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Athena Chalinitis befand sich in der Nähe des Theaters. Im Nordwesten der Stadt befanden sich ein Zeus-Heiligtum, der große Lerna-Brunnen, der heilige Bezirk des Asklepios (Abb. 3) und das „alte Gymnasium“ (Pausanias; vgl. Abb. 1). Im Westen befanden sich ein viertes Marktgebäude und das Theater, das rund 15 000 Besuchern Platz bot (das kleinere Odeion wurde erst im zweiten Jahrhundert errichtet). Östlich der Bühnengebäude des Theaters befindet sich ein gepflasterter Platz mit Ausmaßen von wahrscheinlich 19 mal 19 Metern. Eine bei Ausgrabungen im Jahr 1929 gefundene Inschrift informiert über die Tatsache, dass ein gewisser Erastus als Dank für seine Wahl in das Ädilenamt das Pflaster gestiftet hat: „Erastus ließ von seinem Geld (das Straßenpflaster) legen, aus Anlass seiner Wahl zum Ädil“ (ERASTUSTPROTAEDILIT[AT]ET S(UA)TP(ECUNIA)T STRAVIT).24 Gute Argumente sprechen für die Möglichkeit, dass dieser Erastus mit dem in Röm 16,23 von Paulus erwähnten Stadtkämmerer (ο οι κονο' μος τη^ ς πο' λεως) und dem in Apg 19,22 und 2Tim 4,20 erwähnten Mitarbeiter von Paulus identisch ist.25 Im Osten der Stadt befand sich das Amphitheater. Am Aufgang zur Akropolis im Süden Korinths befand sich ein Töpferviertel und ein Heiligtum der Demeter und Kore, das seit dem 7. Jh. v.Chr. bestand und offensichtlich bald nach der Neugründung Korinths wiederhergestellt wurde. Der Umbau hatte zur Folge, dass die Speiseräume der alten Tempelanlage, in denen insgesamt 200 Gäste speisen konnten, in römischer Zeit anderen Zwecken dienten.26 Auf der Akropolis stand der AphroditeTempel, von dem so gut wie nichts erhalten ist. In der Stadt gab es mindestens drei weitere Aphrodite-Tempel, und in Lechaion sowie in Kenchreä gab es zwei weitere der Aphrodite geweihte Heiligtümer. Neben Aphrodite war Poseidon eine der wichtigsten in Korinth verehrten Gottheiten.27 Die lateinisch sprechende Elite engagierte sich im Kaiserkult (in der Julischen Basilika; vielleicht auch in Tempel E) 28: zwanzig der 32 lateinischen Inschrif————————————————————
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Kent, Corinth VIII, iii, 99 (Nr. 232); vgl. Gill, Erastus, 293-301; Clarke, Leadership, 4656; Schnabel, Urchristliche Mission, 1141-1143. Vor kurzem wurde eine zweite Inschrift entdeckt, die einen Erastus erwähnt; s. Clarke, Erastus Inscription, 146-151. Theißen, Studien, 236-245; Murphy-O’Connor, Paul, 268-270; Winter, Welfare, 179-197; Horrell, Social Ethos, 97; vgl. Collins 168; Garland 11-12; Lindemann 10; Merklein I 3839; Schrage I 33; Thiselton 9; ausführlich Clarke, Leadership, 55-57, der zur Vorsicht rät. Vgl. Bookidis/Stroud, Corinth XVIII, iii, 273-276.434. Zu den Tempeln und Kulten Korinths vgl. Fotopoulos, Food, 49-157; Bookidis, Religion, 141-164; Gäckle, Die Starken, 127-142. Eine im Mai 1997 gefundene Inschrift scheint einen Pluto-Tempel in Korinth zu dokumentieren; vgl. Dixon, Inscription, 335-342. Zur Präsenz des Kaiserkults in der Julischen Basilika vgl. Scotton, Inscription, 95-100, mit einer Diskussion zu einem neuen Inschriftenfragment; zu Tempel E siehe Bookidis, Sanctuaries, 257.
Einleitung 21 ————————————————————————————————————
ten, die man bislang in Korinth gefunden hat, betreffen den Kaiserkult. Augustus wurde als Apollon verehrt (CIL III.1 534). Livia (58 v. bis 29 n.Chr.), die Frau des Augustus und Mutter von Kaiser Tiberius, wurde noch zu ihren Lebzeiten in Korinth als „Diva“ bzw. „Thea“, d.h. göttlich verehrt. 29 Eine in das Jahr 54/55 n.Chr. datierende Münzprägung in Korinth stellt Claudia Octavia, die Frau von Kaiser Nero, auf der Rückseite als Astralgottheit (Artemis-Selene) dar.30 Unter der ärmeren Bevölkerung waren offensichtlich Demeter und Kore sowie Isis und Sarapis besonders populär. Andere Götter, die in Korinth angebetet wurden, waren Artemis Bendis, Artemis Ephesia, Helios, Triton. Was die Topographie Korinths betrifft, erwähnt Paulus im Ersten Korintherbrief einen Fleischmarkt (μα' κελλον, 10,25) und einen Tempel, in dem man Mahlzeiten einnehmen kann (8,10). Lukas erwähnt den „Richterstuhl“ (βη^ μα; Apg 18,12.16), der mit der oben erwähnten Anlage am Forum identisch sein wird, sowie eine Synagoge (Apg 18,4). Der Ruf der Stadt Korinth wird oft als denkbar schlecht bezeichnet, was auf andere Hafenstädte jedoch ebenfalls zutrifft.31 Der Geograph Strabo, der Korinth in den Jahren 44 und 29 v.Chr. besucht hat, schreibt, dass tausend Tempeldirnen (Hierodulen) im hoch über der Stadt gelegenen Tempel der Aphrodite den Einwohnern sowie den vielen Touristen zu Diensten waren. 32 Die Aktualität dieser Information für das römische Korinth des ersten Jahrhunderts n.Chr. wird in der Forschung oft in Frage gestellt. Tempelprostitution ist für das römische Korinth nicht nachzuweisen, die Praxis gilt als eher unwahrscheinlich, zumal Tempelprostitution kein griechischen Phänomen war.33 In griechischen Texten wird die Wendung „ich praktiziere Prostitution“ mit dem Ausdruck κορινθια' ζομαι („ich korinthisiere“) bezeichnet. Mehrere Komödien des 4. Jh. v.Chr. tragen den Titel Ο Κορινθιαστη' ς („Der Hurenbock“). 34 Weil die Mehrheit der antiken Autoren, die Korinth mit Prostitution gleichgesetzen, Athener sind, gelten solche Urteile als Polemik und nicht als objektive Darstellungen der Sittenverderbnis Korinths. In einer neueren Arbeit akzeptiert Charles Williams, der frühere Direktor der Aus————————————————————
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Siehe die Ehreninschriften Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 55; AE 1920 Nr. 1, sowie die Inschrift, die ein Heiligtum (sacrum) für Dianae Paciluciferae Augustae bezeugt (West, Corinth VIII, ii, Nr. 15), mit der Livia gemeint ist; vgl. Hahn, Frauen, 38-39.49.57.62. Hahn, Frauen, 210; die Vorderseite stellt Nero mit Lorbeerkranz dar. Siehe Cicero, Rep. 2.4; vgl. Schrage I 28. Strabo 8,6,20; vgl. Athenaeus, Deipn. 13,573C–574E (2./3. Jh. n.Chr.). Elliger, Paulus, 237-246; Murphy-O’Connor, Corinth, 55-56; Winter, Corinth, 87-88; Schrage I 28. Aristophanes, Frag. 354; Philetaerus 13.559a; Poliochus 7,31,3c; vgl. Plato, Rep. 404c, der eine Prostituierte als „korinthisches Mädchen“ bezeichnet.
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grabungen in Korinth, mit Berufung auf archäologische Funde und literarische Texte allerdings die Existenz sakraler Prostitution im Zusammenhang des (vorrömischen) Aphrodite-Tempels als historisch.35 Er argumentiert, dass der Aphrodite-Kult ein Import aus Phönizien war und mit Astarte in Verbindung steht. Pausanias erwähnt, dass der Kult der Aphrodite Ourania in Kythera aus Askalon importiert wurde. 36 Es ist wohl kein Zufall, dass Aphrodite in Korinth als Aphrodite Ourania und Aphrodite Kypri bezeichnet wird.37 Williams meint, dass die sakrale Prostitution nach dem Import von dem Kult nicht isoliert werden konnte. Er erwägt, dass die Hierodulen der Aphrodite auf dem zweiten Stock der Südstoa ihre Dienste anboten. 38 W. Schrage meint, es sei „vielleicht kein Zufall, daß das mit recht in düsteren Farben gemalte Bild der ‘Sittenverderbnis’ von Röm 1,18-31 in Korinth geschrieben wurde“.39 Diese Stelle ist jedoch kaum als Beleg für die Laszivität Korinths zu deuten: Paulus beschreibt in Röm 1–2 das Geschick des Menschen grundsätzlich. Nach über zwanzig Jahren Missionsarbeit in großen und kleinen Städten des östlichen Mittelmeerraums hegte Paulus gewiss keine Illusionen mehr, was die menschliche Natur betrifft, zumal das AT und jüdische Traditionen ganz Ähnliches über den Menschen sagen. Die Anwesenheit von Juden in Korinth ist, von Apg 18 und einer Stelle bei Philo (Leg.Gai. 281-282) abgesehen, durch einen Türsturz mit der Aufschrift „Synagoge der Hebräer“ (συνα]γωγη` Εβρ[αι' ων, CIJ I 718) belegt.40 Allerdings ist die Datierung des Türsturzes in das erste Jahrhundert nicht gesichert, die meisten Forscher datieren die Inschrift in das dritte Jahrhundert n.Chr.41 Die Bezeichnung „Synagoge der Hebräer“ hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass diese Synagoge die erste in Korinth war (und älter als der gefundene Türsturz sein kann) und sich deshalb nach der ethnischen Herkunft benannte. Wenn man in dieser Synagoge ursprünglich hebräisch oder aramäisch gesprochen hat, ging man später wahrscheinlich zur Verwendung der griechischen Sprache über.
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Williams, Cult of Aphrodite, 17-21; vgl. jetzt auch Lanci, Sacred Sex, 205-220. Pausanias 1,14,7. Pindar, Frag. 107; Simonides, in Athenaeus, Deipn. 13,573. Williams, Cult of Aphrodite, 21, im Anschluss an Broneer, Corinth I, iv, 157. Schrage I 29. Noy u.a., Inscriptiones Judaicae Orientis I, Ach 47; Levinskaya, Diaspora, 162-163; Levine, Synagogue, 105.115-117.303-304. Zur Existenz einer Synagoge im ersten Jahrhundert s. auch Wiseman, Corinth, 503-504. Panayotov, in Noy, u.a., Inscriptiones Judaicae Orientis I, 183-184.
Einleitung 23 ————————————————————————————————————
2. Paulus und die Christen in Korinth Lukas schildert die Gründung der Gemeinde in Korinth in Apg 18,1-18. Die Zeitangaben in Apg 18,11.18 ergeben, dass Paulus über 18 Monate lang in Korinth gewirkt hat, wahrscheinlich von Februar oder März des Jahres 50 bis September 51.42 L. Paconius Flaminius und Cn. Publicius Regulus bekleideten im Jahr 50/51 die Magistratsämter der duoviri.43 Nachdem Paulus den Beratungen des Apostelkonvents beigewohnt hatte (Apg 15,6-29), kehrt er zusammen mit Barnabas nach Antiochien zurück, der Hauptstadt Syriens. Er erläutert die Beschlüsse des Konvents nicht nur in der dortigen Gemeinde, sondern, zusammen mit Silas/Silvanus als neuem Mitarbeiter, auch in den Gemeinden Syriens, Kilikiens und Südgalatiens, die durch seine frühere Missionsarbeit dort entstanden waren (Apg 15,20-35.4041; 16,1-5). Da die geplante Mission in der Provinz Asia nicht durchgeführt werden kann – wahrscheinlich war Ephesus als nächster Einsatzort in den Blick genommen worden – und nachdem auch der neu gefasste Plan, in den Städten Bithyniens zu evangelisieren, nicht realisierbar ist (Apg 16,6-7),44 reisen Paulus und seine Mitarbeiter über Troas nach Philippi in Makedonien (Apg 16,9-13). In der zweiten Hälfte des Jahres 49 entstehen in Philippi, in Thessalonich und in Beröa christliche Gemeinden (Apg 16,14–17,15). Anfang des Jahres 50 wirkt Paulus in Athen, ebenfalls nicht ohne Erfolg (Apg 17,16– 17,34). Im Februar oder März erreicht der Apostel Korinth – allein, ohne Mitarbeiter, weil Lukas offenkundig in Philippi geblieben war45 und weil sich Silas und Timotheus in Beröa und in Thessalonich um die Konsolidierung der jungen Gemeinden kümmerten (Apg 17,14-15; 1Thess 3,1-5). Der lukanische Bericht von der Korinth-Mission des Apostels Paulus in Apg 18,1-18 lässt vier Etappen apostolischer Tätigkeit erkennen.46 (1) Paulus trifft in Korinth ein und begegnet dem jüdischen Ehepaar Aquila und Priscilla, die es ihm ermöglichen, durch handwerkliche Arbeit seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Der aus Pontus im nördlichen Kleinasien stammende Aquila war zusammen mit seiner Frau Priska (Priscilla ist Diminutivform) ein Jahr zuvor aus Italien gekommen, Opfer des ————————————————————
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Riesner, Frühzeit, 180-187; zur Diskussion s. auch Schrage I 34-35. Amandry, Duovirs, 72-74.195; zu L. Paconius Flaminius Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 35. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1083.1088-1089.1098; für die im Folgenden skizzierte paulinische Mission in Makedonien ebd. 1100-1119, zum Aufenthalt in Athen ebd. 1119-1128. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1369-1370. Tannehill, Narrative Unity II, 221; Schnabel, Urchristliche Mission, 1135-1144.
24 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Claudius-Edikts des Jahres 49, das alle Juden anwies, Rom zu verlassen.47 Hinweise in den Primärquellen deuten darauf hin, dass die Ausweisung der Juden aus Rom die Folge missionarischer Aktivitäten der stadtrömischen Judenchristen war. Aquila und Priscilla waren vermutlich vermögend. Sie kamen in Korinth nicht als mittellose Flüchtlinge an: Sie besaßen in Korinth entweder eine Dependance ihres römischen Handwerksbetriebs als Lederarbeiter und Sattler (tabernacularii),48 oder es standen ihnen finanzielle Mittel zur Verfügung, bald nach ihrer Ankunft in Korinth eine Werkstatt zu eröffnen, in der sie Mitarbeiter beschäftigten konnten.49 Im lukanischen Bericht deutet nichts darauf hin, dass Aquila und Priscilla sich infolge der Missionspredigt des Paulus bekehrt hätten. Dies lässt vermuten, dass sie schon in Rom Christen geworden waren. Möglicherweise gehörten sie in Rom zum Führungskreis der stadtrömischen Gemeinde. Wenn diese Vermutung richtig ist, dann ist auffallend, dass Aquila und Priscilla in Korinth offensichtlich nicht missioniert haben. Man kann vermuten, „daß das Ehepaar nach den durch das Claudiusedikt erlittenen Schwierigkeiten in Rom beschlossen hatte, in ihrer neuen Heimat in Frieden zu leben“.50 Manche Ausleger gehen davon aus, dass das Ehepaar missionarisch aktiv war, gekoppelt mit der Annahme, „daß es bereits eine kleine, um sie gescharte judenchristliche Gruppe in Korinth vor dem Eintreffen des Paulus gegeben hat“.51 Beide Vermutungen bleiben hypothetisch. Die Aussagen des Apostels Paulus in 1Kor 2,1-5 (vgl. 3,6) sind jedenfalls kaum anders zu verstehen, als dass die Gründung der korinthischen Gemeinde auf Paulus zurückgeht.
Neben seiner Erwerbsarbeit lehrt Paulus regelmäßig in der Synagoge vor „Juden und Griechen“, d.h. vor Juden, Proselyten, Gottesfürchtigen und Sympathisanten, die er in den Gottesdiensten und Lehrveranstaltungen der Synagoge treffen kann. In dieser Anfangsphase scheint Paulus finanziellen Mangel gelitten zu haben (2Kor 11,9), was sich änderte, als Silas und Timotheus aus Makedonien ankamen und Paulus sich ganz auf die missionarische Arbeit konzentrieren konnte (Apg 18,5; vgl. Phil 4,16).52 (2) Die Juden, die Paulus mit der Botschaft von Jesus Christus bekannt macht, reagieren teils positiv, teils negativ. Zu den ersten Bekehrten gehören Stephanas und seine Familie (1Kor 16,15), Gaius (Röm 16,23), Titius Iustus (Apg 18,7), sowie Crispus, der Präsident der Synagoge (α ρχισυνα' γωγος) mit seiner Familie (Apg 18,8a; 1Kor 1,14). Lukas erwähnt weder Gaius, einen weiteren korinthischen Christen, den Paulus als Gastgeber erwähnt (Röm 16,23), noch Stephanas und seine Familie, die „erste Frucht Achaias“ (1Kor 16,15), die sich vermutlich in den ersten Wochen oder Monaten der Missionsarbeit ————————————————————
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Vgl. Riesner, Frühzeit, 139-180; Cineira, Religionspolitik, 196-216. W. Michaelis, ThWNT VII, 394-396; Schneider, EWNT III, 602; Hock, Social Context. Pesch, Apostelgeschichte II, 147. Cineira, Religionspolitik, 221. Roloff, Apostelgeschichte, 270. Zur Versorgung des Apostels während seiner gemeindegründenden Missionstätigkeit in Korinth vgl. Harris, Second Corinthians, 762.
Einleitung 25 ———————————————————————————————————— von Paulus in Korinth bekehrten. Der Vorschlag, dass der in Apg 18,7 erwähnte Titius Iustus mit dem in 1Kor 1,14 und Röm 16,23 erwähnten Gaius identisch ist – sein vollständiger römischer Name hätte dann Gaius Titius Iustus gelautet53 – lässt sich nicht beweisen.
Als die Zahl der Bekehrten größer wird, spitzt sich die Situation zu. Korinthische Juden stoßen „Lästerungen“ aus (Apg 18,6), was vermutlich bedeutet, dass sie Paulus der Gotteslästerung bezichtigen. Anstoß erregt wohl nicht nur die Botschaft, dass Jesus der Messias ist, sondern vor allem, dass ein am Kreuz Hingerichteter der Messias sein soll und dass die heilschaffende Gegenwart Gottes nicht mehr an die Tora, an den Tempel und an die Institutionen Israels gebunden ist. Paulus sieht sich schließlich gezwungen, die Synagoge zu verlassen. Er verlagert seine Predigttätigkeit in das Haus eines gewissen Titius Iustus, eines bekehrten gottesfürchtigen Juden, dessen Haus direkt neben der Synagoge lag (Apg 18,7). Die Neubekehrten, die sich taufen lassen (Apg 18,8b), werden das Evangelium von Jesus Christus gehört haben, als Paulus in der Synagoge, im Haus des Titius Iustus und in der Werkstatt von Aquila und Priscilla – und vielleicht auch auf dem Marktplatz (vgl. Apg 17,17) – gelehrt hat. Die Probleme in der Gemeinde Korinths, die Paulus im Ersten Korintherbrief behandelt, setzen voraus, dass sich unter den „vielen Korinthern“ (Apg 18,8), die sich bekehren, Angehörige der Elite befanden – Männer, die man zu den Weisen und Mächtigen rechnete (1Kor 1,26; 3,18), die an öffentliche Vorträge rhetorische Ansprüche stellen (2,1-5), die sich Prozesse vor den Gerichten der Stadt leisten können (6,1-11), die wahrscheinlich im Rahmen von Festbanketten in den Häusern ihrer reichen Freunde mit Prostituierten verkehren (6,12-18), die in den Tempeln der Stadt speisen (8,10), die wie bei traditionellen priesterlichen Amtshandlungen in den heidnischen Tempeln ihr Haupt als Zeichen ihrer sozial herausgehobenen Stellung bedecken (11,4), und die schon am Nachmittag Zeit für Festmahle haben (11,21-22). (3) Da Paulus häufig und oft rasch die Städte verlassen muss, in denen er missioniert, weil der Widerstand in den Synagogen oder im Stadtrat (lebens-) bedrohlich wurde, ist es gut möglich, dass er angesichts der aktuellen Schwierigkeiten in Korinth erwog, die Stadt zu verlassen. Jedenfalls schildert Lukas eine Vision, in der Jesus Christus den Apostel zur Fortsetzung der Missionsarbeit ermutigt und ihm ankündigt, dass seine Missionsarbeit Erfolg haben werde (Apg 18,9-10). Lukas kommentiert diese Vision mit dem Hinweis, dass Paulus ein Jahr und sechs Monate in Korinth blieb und lehrte (18,11). Zentren des Gemeindelebens waren aller Wahrscheinlichkeit nach das Haus von Aquila und Priscilla (Apg 18,2; 1Kor 16,19; vgl. Röm 16,5), das Haus ————————————————————
53
Blue, House Church, 174-175; Reinbold, Propaganda, 137-138.
26 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
des Stephanas (1Kor 16,15), das Haus des Crispus (Apg 18,8) und das Haus des Gaius (Röm 16,23), in dem sich möglicherweise die ganze Gemeinde versammeln konnte. (4) In der letzten Szene schildert Lukas die Anklage, die korinthische Juden gegen Paulus vor dem römischen Gouverneur L. Iunius Gallio anstrengen, der seit Sommer des Jahres 51 neuer Prokonsul der Provinz Achaia war.54 Die Juden bringen Paulus zum „Richterstuhl“ (bema), wahrscheinlich identisch mit dem Bauwerk, dessen Fundamente auf der Agora Korinths heute noch zu sehen sind. Man wirft Paulus vor, „die Menschen zu einer Gottesverehrung, die gegen das Gesetz verstößt“ zu verführen (Apg 18,13). Wenn man den Hinweis auf das „Gesetz“ im Sinn des jüdischen Gesetzes interpretiert, könnte die Anklage das Ziel verfolgen, den Prokonsul davon zu überzeugen, dass den (Juden-)Christen der Schutz entzogen werden müsste, den sie als Teil der offiziell tolerierten jüdischen Gemeinschaft genossen. Wahrscheinlich ist νο' μος an dieser Stelle eher im Sinn des staatlichen Gesetzes zu verstehen. Das heißt, die Ankläger werfen Paulus die Anstiftung zum Widerstand gegen den Kaiser und seine Weltherrschaft vor (so die Anklage der Juden in Thessalonich in Apg 17,7). Gallio weigert sich, einen Prozess in Gang kommen zu lassen, weil er erkennt, dass die staatlichen Gesetze von den ihm vorgetragenen „Streitfragen“ nicht tangiert werden (Apg 18,14-16). Ein römischer Magistrat muss eine Angelegenheit extra ordinem nicht behandeln.55 Lukas schließt mit der Notiz, dass Paulus noch „eine Zeit lang“ in Korinth blieb, ehe er nach Syrien reiste (Apg 18,18). Sind konkrete Gründe auszumachen, weshalb Paulus in Korinth missioniert hat? Manche Ausleger meinen, Paulus sei von der strategischen Lage Korinths, von den Touristenströmen, die durch Korinth kamen, und durch die Aufbruchsmentalität der noch jungen römischen Stadt angezogen worden. 56 Es ist gut möglich, dass Paulus Korinth als ideales Missionsziel ansah, weil die Stadt infolge ihrer Lage, ihrer Bedeutung und ihres Charakters ein strategisches Zentrum für die Evangelisierung Griechenlands sein konnte. Andererseits hat Paulus mit großem Eifer auch in Kleinstädten der Binnenregionen Anatoliens missioniert, die eine weit geringere strategische Bedeutung hatten als Korinth – Lystra, Ikonion (Iconium) und Derbe sind Beispiele. Die strategische Bedeutung einer Stadt war höchstens einer von mehreren Faktoren, die ————————————————————
54
55 56
Murphy-O’Connor, Corinth, 141-152; Riesner, Frühzeit, 180-185; Winter, Gallio’s Ruling; vgl. Haacker, Gallio-Episode; ders., Art. Gallio, ABD II, 901-903; Murphy-O’Connor, Paul and Gallio. Zur Gallio-Inschrift, die in Delphi gefunden wurde, s. Plassart, Fouilles de Delphes III/4, 26-32 (Nr. 286; Abb. VII); Barrett/Thornton, Texte, 59 (Nr. 53). Sherwin-White, Roman Society, 102. Murphy-O’Connor, Corinth, 108-110, gefolgt von Thiselton 19-20.
Einleitung 27 ————————————————————————————————————
Paulus halfen, eine Entscheidung im Blick auf den nächsten Missionsort zu treffen. Die missionarische Verkündigung des Apostels Paulus wurde durch die gesellschaftliche Kultur der Stadt erschwert: Die römischen Bürger wollten in höhere Ämter aufsteigen, ihr eigenes Ansehen und ihren Einfluss vermehren. Dazu schreckten sie nicht davor zurück, sich selbst zu loben und andere zu manipulieren. Sie betonten ihre Unabhängigkeit und pochten auf ihre Rechte.57 Die Entscheidung des Apostels, nicht als professioneller Redner und Philosoph in der Stadt aufzutreten, ist gerade in diesem Zusammenhang zu verstehen. Die Verkündigung eines Erlösers, der an einem Kreuz in Jerusalem hingerichtet wurde, eignet sich denkbar schlecht als „Konsumgut“, das man den ästhetischen oder religiösen Bedürfnissen und Wünschen der Zuhörer anpassen kann, um Beifall und Zustimmung zu erhalten (1Kor 2,1-4). Die Macht des Evangeliums hat mit dem Inhalt der Botschaft vom gekreuzigten Messias zu tun, für den sich der eine Gott, der die Welt erschaffen hat, selbst verbürgt hat – eine Macht, die in der Auferweckung Jesu von den Toten drei Tage nach seinem Tod unter Beweis gestellt wurde und die in der Veränderung von Männern und Frauen zutage tritt, die zum Glauben an Jesus, den gekreuzigten Erlöser, kommen (1Kor 1,18-25). Das Evangelium von Jesus Christus ist überzeugend – nicht infolge ausgeklügelter Kommunikationsstrategien, einer möglichst brillianten rhetorischen Verpackung oder des anbiedernden Eigenlobs des Verkündigers, sondern infolge der souveränen Macht Gottes, die in der Verkündigung des Evangeliums gegenwärtig ist und Heil schafft, wo unheilige Menschen hören, glauben und gehorchen. Die Theorie, dass Paulus im Ersten Korintherbrief die Weisen, die Philosophen und die Dialektiker deshalb so scharf angreift, weil er einige Wochen zuvor in Athen trotz eindrücklicher rhetorischer Eloquenz nur geringen Erfolg hatte,58 ist wenig überzeugend. Nach den Aussagen des Apostels in 1Thess 2,1-12 zu urteilen, hat Paulus bei der Verkündigung des Evangeliums schon früher bewusst darauf verzichtet, gesellschaftliche Moden als Kriterium für seine Missionsarbeit gelten zu lassen. Die korinthische Gemeinde war kulturell und gesellschaftlich vielgestaltig.59 Unter den Mitgliedern befanden sich Juden (Apg 18,4.8; 1Kor 7,18), ————————————————————
57 58 59
Thiselton 21; zum Folgenden ebd. 20-22; vgl. auch Winter, Philo and Paul, 147-161; Winter, Corinth, 31-43; Schnabel, Urchristliche Mission, 1266-1269. So Ramsay, St. Paul, 252-253; vgl. Gempf, Mission Strategies, 126-142. Vgl. Theißen, Studien, 231-271; Banks, Community, 1-25; Stegemann / Stegemann, Sozialgeschichte, 249-256; Clarke, Leadership, 41-57; Meggitt, Poverty, 53-73; Friesen, Demography, 351-370; Merklein, 31-42; Schrage I 31-33; Thiselton 25-29. Vgl. auch die Studien von Chow, Patronage; Judge, Conformitiy; Marshall, Enmity; Stambaugh /Balch, Umfeld. Zur Geschichte der Diskussion s. Horrell, Social Ethos, 91-101.
28 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Proselyten und Gottesfürchtige (Apg 18,4.7) sowie Heiden, d.h. ehemalige Polytheisten (1Kor 8,7). Einige Gemeindeglieder gehörten zu den gehobenen Schichten der Stadt: Crispus, der Synagogenvorsteher (Apg 18,8a; 1Kor 1,14); Sosthenes, ein weiterer Synagogenvorsteher (vorausgesetzt, dass der Sosthenes von 1Kor 1,1 mit dem Sosthenes von Apg 18,17 identisch ist); Titius Iustus, in dessen Haus Paulus zeitweise beherbergt war (Apg 18,7); Erastus, der Stadtkämmerer (Röm 16,23; Apg 19,22; 2Tim 4,20); Gaius, in dessen Haus Paulus den Römerbrief schreibt (Röm 16,23); vielleicht auch Stephanas (1Kor 1,16; 16,15.17), von dessen „Haus“ zwei Mal die Rede ist und dessen Familienangehörige sich am Aufbau der Gemeinde beteiligen. Einige dieser Christen waren römische Bürger, mindestens für Erastus ist dies anzunehmen. Für diese wohlsituierten Christen sind gute Vermögens- und Besitzverhältnisse, eine gewisse Bildung und wenigstens teilweise Einfluss auf Gesellschaft und Politik der Stadt Korinth anzunehmen. In 1Kor 11,21-22 werden wohlhabendere Christen erwähnt, die ihre Häuser für Versammlungen der Gemeinde zur Verfügung stellten und die im Rahmen ihrer vorgezogenen Mahlzeiten die Bedürfnisse der ärmeren Gemeindeglieder ignorierten. Laut 1,26-29 waren die Gemeindeglieder, die sich zu den Weisen, den Mächtigen und den Leuten von vornehmer Geburt rechnen konnten, in der Minderheit, d.h. die meisten Christen hatten einen niedrigen Sozialstatus. Zu diesen armen und einflusslosen korinthischen Christen gehörten „die (Leute) der Chloe“ (1,11), die man sich am besten als Sklaven oder sonstige von Chloe Abhängige vorstellen muss; vielleicht Achaikus und Fortunatus, die Begleiter des Stephanas (16,17); vielleicht Tertius, ein Schreiber im Haus des Gaius (Röm 16,22); sowie ohne Namen erwähnte Sklaven (1Kor 7,21-22). Was die Berufszugehörigkeit betrifft, so wissen wir, dass Erastus im öffentlichen Dienst der Stadt stand. Aquila und Priscilla gehörten als Zeltmacher bzw. Lederarbeiter dem Handwerkerstand an. Phöbe war vielleicht eine Vertreterin der Kaufleute. Auf christliche Sklaven wurde schon verwiesen. Was den Leser des Ersten Korintherbriefs überrascht, ist nicht so sehr die komplexe ethnische und gesellschaftliche Zusammensetzung der Gemeinde, sondern die Macht des Evangeliums, Männer und Frauen von so unterschiedlicher Herkunft derart zu verändern, dass sie eine gemeinsame Identität als der „eine Leib“ haben (12,13). Was die Größe der korinthischen Gemeinde zur Zeit der Abfassung des 1Kor betrifft, so deuten die vielfältigen Beziehungen von verheirateten und unverheirateten Christen und von christlichen Mischehen (vgl. Kap. 7) darauf hin, dass die Gemeinde über einhundert Mitglieder hatte. 60
Einleitung 29 ————————————————————————————————————
3. Anlass des Ersten Korintherbriefs Der Erste Korintherbrief gibt uns einige Informationen über die Zeit zwischen der Abreise des Paulus von Korinth im September des Jahres 51 und der Abfassung seines ersten Briefes aus Ephesus im Jahr 54, d.h. drei Jahre später. Durch das Zeugnis der Gemeinde scheint es zu Gründungen von Tochtergemeinden in der Umgebung gekommen zu sein. Nach Röm 16,1-2 gab es eine eigene Gemeinde im östlichen Hafenvorort Kenchreä. Die Adressenangabe in 2Kor 1,1 setzt Jesusbekenner in der Provinz Achaia voraus, mindestens in Kenchreä und in Athen (Apg 17,34). Belege für weitere Gemeinden in dieser Region gibt es nicht, aber die Vokabeln πα^ σιν und ο« λη, in 2Kor 1,1 deuten darauf hin, dass eine nicht unbeträchtliche Zahl von Gläubigen, die es in Achaia gab, außerhalb Korinths gewohnt haben muss. 61 Es gibt keine direkten Hinweise für die Annahme, dass diese Gemeinden durch eine missionarische Tätigkeit von korinthischen Gemeindegliedern entstanden sind. Diese Gemeinden könnten auch durch Paulus gegründet worden sein; für Athen ist dies anzunehmen. Die Tatsache, dass in 2Kor 1,1 die Christen in Korinth „samt allen Heiligen in ganz Achaia“ gegrüßt werden, könnte darauf hindeuten, dass die Gemeinde Korinths das Zentrum der achäischen Christen war. Nachdem Paulus Korinth verlassen hatte, wahrscheinlich im September des Jahres 51, hat Apollos, ein neubekehrter Jude aus Alexandrien, in der Gemeinde gewirkt. Apollos war in Ephesus von Priscilla und Aquila im Glauben an Jesus Christus unterrichtet worden (1Kor 3,6; vgl. Apg 18,24-28; 19,1). Manche Ausleger machen ihn für eine ungesunde Betonung von „Weisheit“ in der korinthischen Gemeinde verantwortlich. Die Tatsache, dass Apollos aus Alexandrien stammt, wo der jüdische Religionsphilosoph Philo tätig war, reicht als Argument für solche Annahmen nicht aus. Die Aussagen, die Paulus über Apollos macht (1Kor 1,12; 3,4.5.6.22; 4,6; 16,12), lassen kein Zerwürfnis zwischen Paulus und Apollos erkennen. Nicht Apollos war ein Problem, sondern das, was Glieder der korinthischen Gemeinde aus ihm und anderen theologischen Lehrern gemacht haben. Paulus besuchte nach einem Zwischenstop in Ephesus (Apg 18,19-21) Jerusalem und Antiochien (Apg 18,22), ehe er die Gemeinden in Galatien und Phrygien aufsuchte (Apg 18,23) und in Ephesus ein neues Zentrum seiner missionarischen Arbeit einrichtete (Apg 19,1-41), wo er von 52 bis 55 n.Chr. das Evangelium verkündigte und die entstehende Gemeinde betreute. ————————————————————
60 61
Lindemann 13; Suhl, Paulus, 115 geht von höchstens hundert Gemeindegliedern aus; Dunn, 1 Corinthians, 17-18 von höchstens drei oder vier Dutzend. Harris, Second Corinthians, 134; vgl. auch Schrage I 36.
30 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
In 1Kor 5,9 erwähnt Paulus einen früheren Brief, den er an die korinthische Gemeinde schrieb. In diesem Brief behandelte er die Frage, wie Christen mit Menschen umgehen sollen, die in sexueller Unmoral leben. 62 Offenbar hat man aus seiner Antwort gefolgert, Christen sollten jeden gesellschaftlichen Umgang mit unmoralischen Menschen vermeiden. Paulus weist dieses Missverständnis ab und präzisiert seine Antwort (vgl. 5,10-11). Dieser Vorbrief zeigt, dass Paulus sich bei der Abfassung des Ersten Korintherbriefs bewusst war, dass man ihn in Korinth falsch interpretieren konnte. Es ist nicht überraschend, dass er wiederholt seine Aussagen sorgfältig differenzierend klärt (4,14; 9,15; 10,19).63 Nach 1Kor 4,17 schickte Paulus seinen Mitarbeiter Timotheus von Ephesus aus nach Korinth, damit dieser die korinthischen Christen an seine „Wege in Christus Jesus“ erinnert, wie er sie „überall in jeder Gemeinde“ lehrt. Timotheus war den Christen in Korinth bekannt, da er zusammen mit Silas Paulus bei der Gründung der Gemeinde unterstützt hatte (Apg 18,5; 2Kor 1,19). Offenbar hat Paulus schon seit einiger Zeit von Schwierigkeiten gehört, die in der korinthischen Gemeinde aufgetreten sind. Es ist unklar, ob er hofft, dass Timotheus in Korinth diese Schwierigkeiten durch eine Lehrtätigkeit lösen kann, in der er das von Paulus verkündigte Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus erneut darlegt und die korinthischen Christen an die Konsequenzen für das persönliche Leben erinnert. Deutlich ist jedenfalls, dass sich Paulus durch mehrere Entwicklungen in der korinthischen Gemeinde veranlasst sieht, einen Brief an die Gemeinde zu schreiben. Paulus hat bei seiner Behandlung von Problemen in der korinthischen Gemeinde aus zwei Informationsquellen geschöpft. Es lagen ihm eine briefliche Anfrage der Korinther sowie Berichte der Leute der Chloë vor.64 1. Paulus reagiert im Ersten Korintherbrief auf einen Brief, den die ν ε γρα' ψατε). Er wurde korinthische Gemeinde geschrieben hat (7,1: περι` δε` ω in diesem Brief gebeten, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob Christen überhaupt heiraten sollen und wie die sexuellen Beziehungen zwischen Eheleuten zu bewerten sind (7,1-40). Aus der Tatsache, dass die Formel περι` δε' in 7,25; 8,1; 12,1; 16,1; 16,12 wiederholt wird, haben manche Ausleger geschlossen, dass der Brief der Korinther sechs Themen ansprach: (a) Eheleute (7,1-24); ————————————————————
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Manche haben 2Kor 6,14–7,1 mit diesem ersten Brief identifiziert, vgl. Hurd, Origin, 235239. Die Argumente sind jedoch nicht überzeugend, vgl. Victor P. Furnish, II Corinthians, 379-380; Harris, Second Corinthians, 14-25. Garland 20. Hurd, Origin, 61-211 schlägt Kriterien vor, die es ermöglichen sollen zu entscheiden, ob Paulus auf den Brief der Korinther oder auf mündliche Berichte reagiert. Zur Diskussion vgl. Conzelmann 21-22; Thiselton 34-36; Dunn, 1 Corinthians, 20-21.
Einleitung 31 ————————————————————————————————————
(b) Unverheiratete (7,25-38); (c) Götzenopferfleisch (8,1–11,1); (d) Gaben des Geistes (12,1–14,40); (e) die Kollekte (16,1-4); (d) Apollos (16,12).65 Margaret Mitchell hat jedoch gezeigt, dass die Formel περι` δε' kein sicheres Kriterium für die Rekonstruktion des Briefes der Korinther darstellt, da sie häufig der Fortführung oder auch der Einführung eines Themas dient, ohne dass etwas über die Herkunft des Inhalts ausgesagt wird.66 Die Ausführlichkeit, in der Paulus der Frage der Ehe, des Götzenopferfleisches und der Geistesgaben behandelt, könnte darauf hindeuten, dass diese drei Themen Gegenstand der brieflichen Anfrage der Korinther waren.67 Dies ist aber nicht sicher, weil Paulus auch von mündlichen Nachrichten über die Situation in der Gemeinde spricht, die er erhalten hat. 2. Leute der Chloë haben Paulus Nachrichten überbracht (1,11a: ε δηλω' θη γα' ρ μοι περι` υ μω ^ ν . . . υ πο` τω ^ ν Χλο' ης), die ihn über den Parteienstreit in der Gemeinde informiert haben (1,11b-12). Möglich ist, dass die nach dem ersten großen Abschnitt Kap. 1–4 in Kap. 5–6 behandelten Probleme von den Leuten der Chloë vorgetragen wurden (vgl. 5,1: α κου' εται). Dies würde bedeuten, dass die Leute der Chloë vier Themen ansprachen: (a) den Parteienstreit (1,11–4,21); (b) die inzestuöse Lebensweise eines Gemeindeglieds (5,1-13); (c) das Prozessieren von Gemeindegliedern (6,1-11); (d) den Verkehr mit Prostituierten (6,12-20). Möglicherweise (vgl. 11,18: α κου' ω) kommen (e) die Frage nach der Kopfbedeckung im Gottesdienst (11,2-16) und (f) Missstände beim Herrenmahl (11,17-34) hinzu, vielleicht auch (g) die Nachricht über die Leugnung der leiblichen Auferstehung der Toten (15,1-58), die nach Meinung mancher Ausleger mit der problematischen Weisheitschristologie zusammenhängt, die den Parteienstreit auslöst. Dies ist jedoch nicht sicher, da mit zusätzlichen Informationen durch Stephanas, Fortunatus und Achaikus zu rechnen ist, und man nicht vergessen darf, dass sich weitere Mitarbeiter bei Paulus aufhalten, als er den Ersten Korintherbrief schreibt, Mitarbeiter, die zur korinthischen Gemeinde gehören bzw. gehörten: Sosthenes (1,1), Apollos (16,12), Aquila und Priscilla (16,19).68 Helmut Merklein meint, die schriftliche Anfrage und die mündlichen Mitteilungen könnten Indizien für unterschiedliche Darstellungsweise und für die Gewichtung der angezeigten Probleme sein. Die schriftliche Anfrage artikuliert demnach die theologischen und ethischen Fragen aus der Perspektive der gebildeten Schicht, während die mündlichen Mitteilungen den Erfahrungshorizont der einfacheren Leute widerspiegelt, was mit der Auskunft verbun————————————————————
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Hurd, Origin, 65-74; Dunn, 1 Corinthians, 19. Mitchell, Concerning, 229-256; vgl. Merklein I 49; Thiselton 34-35. Merklein I 49. Schrage I 38; Thiselton 33.
32 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
den wird, dass die „Leute der Chloë“ Sklaven waren. 69 Nach dieser Rekonstruktion waren die gebildeten Christen in Korinth an Sachproblemen interessiert – Ehe, Götzenopferfleisch, Geistesgaben –, während die einfacheren Christen sich um den Autoritätskonflikt Sorgen machten. Die Auslegung von 1Kor 1–4 wird zeigen, dass die hier angesprochenen Probleme weniger mit Autoritätsfragen zu tun haben, als mit den rhetorischen Fähigkeiten und dem Status der theologischen Lehrer der Gemeinde, Fragen also, an denen gerade die gebildeten Christen in Korinth interessiert waren. Außerdem darf man nicht vergessen, dass der niedrige Sozialstatus von Sklaven über deren Bildung nichts aussagt, da griechische Sklaven, gerade in römischen Städten, oft über eine nicht unbeträchtliche Bildung verfügten. Bruce Winter hat die im Ersten Korintherbrief behandelten Themen nach der Häufigkeit der verwendeten Vokabeln aufgelistet:70 THEMEN
WÖRTER
Leitung (1,10–4,21) Gaben (12–14) Götzentempel (8,1–11,1) Auferstehung (15) Ehe etc. (7,1–24) Verlobung (7,25-40) Herrenmahl (11,17-34) Kopfbedeckung (11,2-16) Inzest (5) Prozesse (6,1-11) Hurerei (6,12-20) Danksagung (1,4-9) Kollekte (16,1-4) Grüße (16,19-24) Reisepläne (16,5-9) Stephanas etc. (16,15-18) Eingangsgruß (1,1-3) Apollos (16,12-14) Timotheus (16,10-11)
1349 1276 1164 851 383 307 298 227 219 173 172 90 64 62 61 60 55 39 37
19,59 % 18,53 % 16,90 % 12,37 % 5,56 % 4,46 % 4,33 % 3,30 % 3,18 % 2,50 % 2,50 % 1,30 % 0,93 % 0,90 % 0,88 % 0,87 % 0,79 % 0,56 % 0,54 %
Auffällig ist, dass die Themen Inzest, Prozesse (Rechtsstreitigkeiten) und Hurerei (Prostitiution) im Vergleich zu anderen Themen wenig Platz einnehmen, obwohl sie nach 6,18 als Sünden gegen den eigenen Leib zu den ————————————————————
69 70
Merklein I 49; für das Folgende ebd. 50. Winter, Underlays, 141; die gesperrt gedruckten Themen wurden von den Korinthern an Paulus herangetragen; die Prozentzahlen beziehen sich auf den Gesamtbestand an Wörtern des Ersten Korintherbriefs. Die nachfolgende Analyse referiert Winters Studie.
Einleitung 33 ————————————————————————————————————
ganz ernsten Themen zu rechnen sind (vgl. 6,9-10). Die statistische Analyse der im Ersten Korintherbrief behandelten Themen und die Bedeutung der behandelten Themen sind also nicht kongruent. Die plausibelste Erklärung für diesen Sachverhalt ist die Beobachtung, dass sich die verschiedenen Einzelthemen zu Clustern zusammenfügen, die mit zwei Hauptthemen verbunden sind, die sich aus zwei grundlegenden kulturellen Problemen in der korinthischen Gemeinde ergeben – Konflikte in der Gemeinde und Kompromisse mit der römischen Gesellschaft Korinths. Sechs der aufgelisteten Themen reflektieren Konfliktsituationen innerhalb der korinthischen Gemeinde: KONFLIKTSITUATIONEN
WÖRTER
Leitung (1,10–4,21) Prozesse (6,1-11) Herrenmahl (11,17-34) Gaben (12–14) Stephanas etc. (16,15-18) Apollos (16,12-14)
1349 173 298 1276 60 39 ____ 3195
19,59 % 2,50 % 4,33 % 18,53 % 0,87 % 0,56 % _______ 46,38%
Sieben der im Ersten Korintherbrief behandelten Themen betreffen Bereiche, in denen die korinthischen Christen Kompromisse mit den Werten und Traditionen der römischen Gesellschaft und Kultur geschlossen hatten: KOMPROMISSSITUATIONEN
WÖRTER
Inzest (5) Hurerei (6,12-20) Ehe etc. (7,1-24) Verlobung (7,25-40) Götzentempel (8,1–11,1) Kopfbedeckung (11,2-16) Auferstehung (15)
219 172 383 307 1164 227 851 ____ 3323
3,18 % 2,50 % 5,56 % 4,46 % 16,90 % 3,30 % 12,37 % _______ 48,47 %
Nach dieser Analyse sind 46 % der Diskussion Themen gewidmet, die mit Konflikten in der Gemeinde zusammenhängen, und 48 % Themen, die Kompromisse mit der heidnischen Gesellschaft behandeln. Diese Analyse erklärt, weshalb die Diskussion des Konflikts wegen Leitungsfragen in Kap. 1–4 und der sich daraus ergebenden Streitigkeiten in der Gemeinde in Kap. 4 nicht
34 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
beendet ist, sondern in Kap. 6, 11 und 12–14 fortgeführt wird und wieder in Kap. 16 auftaucht, wo Paulus erklärt, weshalb Apollos der Bitte korinthischer Christen im Augenblick nicht Folge leistet, die ihn gebeten hatten, nach Korinth zu kommen (16,12). Der Konflikt im Blick auf die theologischen Lehrer (Kap. 1–4) spiegelt sich in den Problemen wider, die sich in der Feier des Herrenmahls ergeben (11,17-34), sowie in den Problemen, die die Ausübung der Gaben des Geistes im Gottesdienst (Kap. 12–14) verursacht haben. Nach dieser Analyse ist die Annahme plausibel, dass Paulus in Kap. 12–14 nicht nur die Frage nach der rechten Verwendung der Geistesgaben behandelt, sondern darlegt, wie das rechte Verhalten in der Gemeinde als Leib Christi die aktuellen Konflikte löst und ein harmonisches Zusammenleben ermöglicht. Die Diskussion von Kompromissen, die (einzelne) Christen mit dem hedonistischen Lebensstil des römischen Korinth geschlossen hatten, ist nicht nur für die Behandlung von Inzest (Kap. 15) und Hurerei (6,12-20) und für die Ausführungen über Ehefragen (Kap. 7) und Götzentempel (Kap. 8–10) relevant. Sie taucht abschließend und grundsätzlich in der Behandlung der Auferstehungsfrage (Kap. 15) auf, wo Paulus die Korinther an die Tatsache erinnert, dass die Sünde der Stachel des Todes ist (15,57a), dass Christen aber durch den Herrn Jesus Christus einen Sieg errungen haben und in endgültiger Weise bei der Auferstehung des Leibes erringen werden (15,57b) – eine Tatsache, die ein Leben nach der Devise „lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ ausschließt und die den Christen hilft, fest und unerschütterlich zu sein und im Werk des Herrn voranzukommen (15,58). Die Abfolge verschiedener „praktischer“ Themen im Ersten Korintherbrief darf den Ausleger also nicht dazu verleiten, diesen Brief als ein Schreiben zu verstehen, in dem Paulus nacheinander auf schriftliche Anfragen und mündliche Nachrichten reagiert, deren Zuordnung zu verschiedenen Gruppen in der korinthischen Gemeinde zu rekonstruieren ist. A. Thiselton betont zu Recht, dass der Ausleger bei aller Vielfalt und Komplexität der angesprochenen Fragen die Kohärenz und die Einheit des Anliegens von Paulus im Ersten Korintherbrief nicht verkennen darf.71 Paulus leistet weitaus mehr als die Behandlung einer Reihe von Themen, die sich aus Uneinigkeit und aus einseitigen theologischen Nuancierungen heraus ergeben haben. Es mag durchaus sein, auch wenn der Beweis im Einzelnen schwer zu erbringen ist, dass die im Ersten Korintherbrief behandelten Fragen mit Überzeugungen von spezifischen Gruppen innerhalb der korinthischen Gemeinde zusammenhängen – richtige Erkenntnis, effektive Rhetorik, pastorale Dienste, ethische Gleichgültigkeit, juristische Rechthaberei, Ehe und Ehelosigkeit, Götzen————————————————————
71
Thiselton 34; für das Folgende ebd. 33-34; vgl. Furnish, Theology, 18-19.25-27.
Einleitung 35 ————————————————————————————————————
opferfleisch, Götzentempel und dort veranstaltete Mahlzeiten, Kleiderordnung in den gottesdienstlichen Versammlungen, unsensibles Verhalten bei den Feiern des Herrenmahls, die Rolle von Prophetie und Glossolalie sowie die Auferstehung der Toten. Was die Argumentation im Ersten Korintherbrief in erster Linie kennzeichnet ist jedoch die Tatsache, dass Paulus alle diese Fragen unter den Horizont des Evangeliums von Jesus Christus, und das heißt unter den Horizont des Kreuzes stellt und zeigt, welche Konsequenzen sich aus der Person und dem Werk Jesu, des gekreuzigten und auferstandenen Messias und Kyrios, für alle diese Themen und für die Gemeinde und ihre einzelnen Glieder ergeben. Das Thema des Ersten Korintherbriefs ist nicht einfach die Einheit der Gemeinde und die Überwindung der Spaltungen, 72 sondern die Realität des Kreuzestodes Jesu Christi und dessen Konsequenzen für das Leben der Gemeinde und des Einzelnen – eine Realität, die zu einer Transformation des gesellschaftlichen Wertesystems des römischen Korinth führt (1,26-31). Das Hauptthema des Ersten Korintherbriefs ist nicht die Ekklesiologie oder die Ethik, sondern das Kreuz Jesu Christi und die Gnade Gottes und die Bedeutung beider für den Gläubigen. Die großen Themen des Römerbriefs sind im Ersten Korintherbrief genauso zentral; der Unterschied ist die Anwendung dieser Themen auf verschiedene konkrete Lebensbereiche der Gemeinde und des einzelnen Gläubigen. Der Pragmatismus marktorientierten Denkens und Handelns der postmodernen Gesellschaft ist für die Christen Europas im 21. Jahrhundert genauso eine Gefahr, wie er in der korinthischen Gemeinde zu einer Geringschätzung von Wahrheit, Tradition, Rationalität und universalen Werten geführt hat. 73 Welche Ursachen und Entwicklungen sind für die Schwierigkeiten verantwortlich, mit denen die korinthische Gemeinde zu kämpfen hatte? Diese Frage wurde in der Forschung unterschiedlich behandelt, oft unter dem Stichwort „korinthische Theologie“, womit häufig die theologischen Betonungen der „Parteien“ in der korinthischen Gemeinde oder mindestens der maßgeblichen Lehrer innerhalb der Gemeinde gemeint sind. Johannes Weiss hat sich schon 1910 über die „unendliche Literatur“ zu diesem Thema beklagt. 74 Die wichtigsten Positionen sind folgende. 1. Die Parteiungen hängen mit einer durch die Taufe verursachten Bindung an den jeweiligen Täufer, also mit einem fragwürdigen Sakramentalis-
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So Mitchell, Rhetoric, 180-181 und öfter; vgl. Collins, Hellenistic Letter, 59-61. Thiselton 34. Weiss xxx. Zur neueren Diskussion s. Merklein I 134-153; Schrage I 38-63.142-152; Thiselton 123-133; Sellin, Hauptprobleme, 3011-3016; Voss, Kreuz, 30-35.
36 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
mus zusammen.75 Diese Erklärung ist im Blick auf Christus problematisch, und wohl auch im Blick auf Petrus, von dem eine missionarische Tätigkeit in Korinth hypothetisch bleibt, wenig ergiebig. 2. Die über viele Jahre hinweg einflussreiche These von F. C. Baur ging davon aus, dass es in Korinth eine judaistische Opposition gegen Paulus gab, die sich auf Petrus/Kephas berief und dessen Primat mit seiner besonderen Beziehung zu Christus zu untermauern suchte. 76 Die exegetische Forschung hat gezeigt, dass es keine zuverlässigen Hinweise auf eine „Kephasideologie“ im Ersten Korintherbrief gibt, zumal Paulus in 15,5.11 ohne jeden Vorbehalt von Petrus spricht.77 Die Tatsache, dass Paulus in 7,18 die Beschneidung erwähnt, ohne auf die Strittigkeit dieses Themas hinzuweisen, deutet darauf hin, dass es in der korinthischen Gemeinde keine judaisierende Tätigkeit von Christen gab, die sich auf Petrus (oder Christus) berufen haben könnten. 3. Seit W. Lütgert sahen viele Exegeten das Hauptproblem in der Gemeinde darin, dass korinthische Christen die paulinische Predigt von der Freiheit, die der Glaube an Jesus Christus verleiht, unter gnostischem Einfluss ihre Erfahrung des Heiligen Geistes enthusiastisch pervertiert hätten. Sie redeten einer Geringschätzung der Schrift das Wort, sie verstanden sich als Vollkommene, sie vertraten einen dualistischen Spiritualismus, der sich sowohl mit sexuellem Libertinismus als auch mit asketischen Tendenzen verbinden konnte.78 Die These von innergemeindlichen Entwicklungen, die aus der missionarischen Erstverkündigung des Paulus einseitige bzw. falsche Schlüsse gezogen haben, vor allem in Bezug auf die Erfahrung des Heiligen Geistes, war lange populär.79 Manche meinten, eine „überrealisierte Eschato————————————————————
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Heinrici 41-42.89-90; vgl. Heitmüller, Im Namen Jesu; Chester, Conversion, 290-294. Von einem korinthischen Missverständnis der Taufe ging auch Weiss xxxi, aus. Die korinthischen Gruppen werden von manchen Exegeten mit einem je unterschiedlichen Taufverständnis in Verbindung gebracht; vgl. Schnelle, Paulus, 207-208. Zur Kritik vgl. Dunn, Reconstructions, 298-299; Merklein I 145. Baur, Christuspartei, 61-206; ähnlich u.a. Meyer 24-30; Vielhauer, Kephaspartei, 179; Barrett, Essays, 28-39; ders. Diversity, 296. Vgl. Lüdemann, Paulus II, 118-125, für den die Kephaspartei der „Träger des Antipaulinismus“ in Korinth ist. Zur Kritik vgl. Dunn, Reconstructions, 297-298; Conzelmann 32; Schrage I 47-48.144-148; Thiselton 129-130. Zur Beziehung von Paulus und Petrus s. Schnabel, Urchristliche Mission, 942-978. Lütgert, Freiheitspredigt, 98.115-117.135. Bornkamm, Paulus, 90 spricht von „Erscheinungen eines ausgewucherten Enthusiasmus“, Käsemann, Exegetische Versuche I, 111 von einem „pneumatische[n] Enthusiasmus“, Lindemann 14 von einem „religiösen Enthusiasmus“ (er lehnt jedoch die gnostische These ab); vgl. jüngst Yeo, Rhetorical Interaction, 122-155. Zur Diskussion und Kritik vgl. Sellin, Auferstehung, 221-222; Sellin, Hauptprobleme, 3016-3023; Conzelmann 32; Schrage I 48-49. Zum Beispiel Becker, Paulus, 210-211; vgl. Fee 4-15, der die Probleme in Korinth auf die überzogene, gegen Paulus gerichtete Überzeugung der Korinther zurückführt, sie seien pneumatikoi; vgl. Pearson, Pneumatikos; Horsley, Pneumatikos, 269-288; Lindemann 14.
Einleitung 37 ————————————————————————————————————
logie“ der Korinther sei für die Probleme verantwortlich, mit denen sich Paulus auseinandersetzen muss.80 W. Schrage meldet zu Recht Bedenken an gegen die These, „die korinthischen Irrungen allein als Extrapolation und endogene Fehlentwicklung der paulinischen Theologie entstehen zulassen“. 81 Die Exegese wird zeigen, dass Einflüsse der römisch-heidnischen Gesellschaft Korinths mindestens genauso, wenn nicht allein, relevant sind für das Verhalten der korinthischen Christen wie theologische Positionen (oder Rechtfertigungsversuche). 4. Die häufige Verwendung der Vokabeln σοφι' α and γνω ^ σις in 1Kor und Einzelbeobachtungen am Text veranlassten viele Exegeten, die Gnosis für die korinthische Theologie verantwortlich zu machen, mit der Paulus sich auseinandersetzt. Die gnostische These wurde vor allem von W. Schmithals und U. Wilckens vertreten und fand viele Anhänger.82 Im Gefolge neuer Erkenntnisse über die Gnosis als Religion und Gnostizismus als ausgearbeitete christliche Denksysteme des 2. Jahrhunderts83 ist man vorsichtiger geworden und spricht von „Gnosis in statu nascendi“, von Frühgnosis oder Protognosis,84 oder von „gnostisierenden“ Pneumatikern oder gnostisierenden Tendenzen. 85 Heute sind viele Exegeten von der gnostischen These abgerückt. A. Lindemann schreibt zu Recht: „Eine spezifische Beziehung zum zeitgenössischen religiösen Phänomen der Gnosis, einer vom dualistischen Denken bestimmten Erlösungsreligion, ist weder im Zusammenhang mit dem Stichwort γνω ^ σις (1,5; 8,1.7.10f.; 12,8; 13,2.8; 14,6) noch sonst innerhalb der Aussagen des 1 Kor erkennbar“.86 ————————————————————
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Soden, Sakrament, 239-275; Schniewind, Leugner, 110-139; Bultmann, Theologie, 172; Käsemann, Apokalyptik, 119-131; Thiselton „Realized Eschatology, 510-526. Zur Kritik vgl. Winter, Corinth, 25-26; Dunn, Reconstructions, 301-302; Hays, Conversion, 7-8.1720; Wright, Resurrection, 279-280. Zur Diskussion vgl. Kuck, Judgment, 16-31; Sellin, Auferstehung, 15-37. Schrage I 49. Schmithals, Gnosis in Korinth; vgl. Bultmann, Theologie, 172.177; Wilckens, Weisheit; ders., ThWNT VII, 510-514.519-523; Bornkamm, Paulus, 170; Käsemann, Paulinische Perspektiven, 11; Schottroff, Der Glaubende, 115-169; Winter, Pneumatiker, 205-206; vgl. Barrett, Diversity, 291-292; Schrage I 11.13. Entscheidend war das Messina-Kolloquium von 1966; s. Bianchi, Origini, passim; vgl. Dunn, 1 Corinthians, 36; C. Colpe, in Eltester, Christentum, 129-132; Theißen, Religion, 314-315; Schrage I 52. Vgl. Conzelmann 34; Baumann, Mitte, 12-13; Dunn, Unity and Diversity, 277-279; Wilson, Gnosis at Corinth; s. ders. TRE XIII, 535-550. Vielhauer, Kephaspartei, 181; Painter, Paul, 237-250; Schrage I 52. Zum Problem solcher Hypothesen vgl. Yamauchi, Pre-Christian Gnosticism, passim. Lindemann 14; ähnlich Becker, Paulus, 209; Dunn, 1 Corinthians, 34-37; Dunn, Reconstructions, 299-301; Sevrin, La gnose à Corinthe, 121-139; Voss, Kreuz, 22-26.
38 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
5. Seit den Arbeiten von G. Theißen87 hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass gesellschaftliche Phänomene, Werte und Traditionen die neubekehrten korinthischen Christen beeinflussten und zu Verhaltensweisen in der Gemeinde führten, die die Schwierigkeiten verursachten, mit denen sich Paulus beschäftigen muss.88 Die Probleme in der korinthischen Gemeinde lassen sich zum großen Teil auf dem Hintergrund der kulturellen und gesellschaftlichen Realität im römischen Korinth erklären. B. Winter schlägt darüber hinaus vor, dass drei externe Entwicklungen in Korinth das Denken und Verhalten der korinthischen Christen beeinflusst haben – Entwicklungen, die stattfanden, nachdem Paulus Korinth verlassen hatte und nach Ephesus aufgebrochen war: 1. die Einrichtung des provinzialen Kaiserkults in Korinth und die Wiederaufnahme der Isthmischen Spiele im nur 10 Kilometer entfernten Isthmia; 2. die Hungersnöte in der Region und die damit einhergehende Weizenknappheit; 3. die Aufhebung der offiziellen kaiserlichen Konzessionen im Blick auf Nahrungsmittel für die in der Diaspora lebenden Juden. 89 W. Schrage schreibt, dass Paulus im Ersten Korintherbrief „weniger gegen irrige Theorien und Lehren als gegen verfehlte Praktiken“ argumentiert.90 Der Einwand, dass Paulus sich die Sache hätte einfacher machen können, wenn es „lediglich um die Geltung soziokultureller Normen“ gehen würde, 91 verkennt die Bedeutung säkularer Normen für die Gemeinde, wenn diese ungebrochen und unreflektiert übernommen werden. Gerade dies zeichnet Paulus aus, dass er konkrete Schwierigkeiten, die aus gesellschaftlichen Bedingungen und religiösen sowie ethischen Traditionen resultieren, nicht mit ein paar praktischen Ratschlägen abtut, sondern das ganze ihm zur Verfügung stehende Instrumentarium theologischer Reflexion einsetzt, um bei den Christen, an die er schreibt, richtige Einsicht und dauerhaftes Verständnis zu bewirken. Paulus schrieb den Ersten Korintherbrief in Ephesus vor dem Pfingstfest (1Kor 16,8), d.h. wahrscheinlich im Frühjahr des Jahres 54.92 Er schreibt, weil der Besuch, den er in 16,2-8 ankündigt, nicht unmittelbar bevorsteht,93 die Probleme in der Gemeinde aber so schwerwiegend sind, dass sie eher ————————————————————
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Theißen, Soziale Schichtung, 231-271; ders., Die Starken und Schwachen, 272-289. Vgl. Dunn, Reconstructions, 302-305; Winter, Philo and Paul, 113-244; Pogoloff, Logos, 97-281; Clarke, Leadership, 90-92; Pickett, Cross, 38-39.44-45; Vos, Church, 215-220; Dutch, Elite, passim; Garland 7; Gäckle, Die Starken, 197-205. Winter, Corinth, 27-28.215-301. Schrage I 62; ähnlich Voss, Kreuz, 30, und (heute) viele Ausleger. Vollenweider, Weisheit, 46 Anm. 8. Vgl. Wolff 12-13; Thiselton 31-32; Witherington 73 (53 oder 54 n.Chr.). Ähnlich Schrage I 36; Merklein I 51; Kremer 16; Garland 20, die das Frühjahr 55 als Alternative nennen. Zu den Reiseplänen von 1Kor 16,2-8 und 2Kor 1,15-16 siehe Gilchrist, Paul and the Corinthians; Harris, Second Corinthians, 59-64.194-195.
Einleitung 39 ————————————————————————————————————
früher als später angesprochen werden müssen. Wer den Brief von Ephesus nach Korinth überbracht hat, ist unbekannt. Paulus hofft jedenfalls, dass der Brief noch vor Timotheus in Korinth eintrifft (16,10).94 Ein Jahr später, wahrscheinlich im Spätsommer des Jahres 55, schreibt Paulus den Zweiten Korintherbrief von Philippi aus. Der im Winter 56/57 verfasste Römerbrief, den Paulus in Korinth im Haus des Gaius schreibt (Röm 16,23), kann ebenfalls als Dialog mit den korinthischen Christen verstanden werden: Paulus schreibt an die Christen in Rom, „wendet sich aber insgeheim auch an die Korinther, welche die Entstehung seines Römerbriefs verfolgt haben“.95 4. Literarische Integrität Die Wahrnehmung von Spannungen zwischen 1Kor 11,18-19 und 1,10–4,21 und zwischen 8,1–9,23; 10,23–11,1 und 9,24–10,22 hat seit dem 19. Jahrhundert Exegeten immer wieder zu der These veranlasst, der Erste Korintherbrief stelle in seiner vorliegenden Form keine literarische Einheit dar, sondern sei das Ergebnis eines Redaktionsprozesses, der mehrere paulinische Briefe oder Briefstücke miteinander kombiniert habe.96 Mehrere Gelehrte gehen davon aus, dass der Erste Korintherbrief aus zwei ursprünglich selbständigen Briefen bestehe. J. Weiss argumentiert, dass man von zwei Briefen auszugehen habe: „Kor A“ mit dem Abschnitten 10,122(23); 6,12-20; 9,24-27; 11,2-34; 16,7b-9.15-20, und „Kor B“ mit den Abschnitten 1–5; 6,1-11; 7–8; 13; 10,24–11,1; 9,1-23; 12; 14–15; 16,1-7a.1014.21-24.97 Er gesteht allerdings zu, dass im Fall der literarischen Integrität des 1Kor „über dem Ganzen eine geschickt disponierende Hand gewaltet hat“. W. Schmithals geht in seiner Studie zur Gnosis in Korinth ebenfalls von einem „Brief A“ (2Kor 6,14–7,1; 1Kor 6,12-20; 9,24–10,22; 11,2-34; 15; 16,13-24) und einem „Brief B“ (1–5; 6,1-11; 7–8; 9,1-23; 10,23–11,1; 12– 14; 16,1-12) aus.98 Ph. Vielhauer rechnet 11,2-34 zu „Brief A“ und 1,1–11,1; 12–16 zu „Brief B“.99 H.-M. Schenke und K. M. Fischer rechnen zu „Brief ————————————————————
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Origenes 50 und Chrysostomus 12 nehmen an, dass Timotheus der Überbringer des Briefes ist; dagegen Theodoret, 228; Heinrici 565; Conzelmann 119.367; Schrage I 36. Hartwig/Theißen, Nebenadressat, 251. Vgl. die Überblicke bei Hurd, Origin, 45; Schenke/ Fischer, Einleitung, 99; Merklein, Einheitlichkeit, 154-156; Sellin, Hauptprobleme, 2964-2968; Collins 10-14; Lindemann 35; Thiselton 37-39. Weiss, xl-xlii; das folgende Zitat xliii. Schmithals, Gnosis in Korinth, 84-89; er nahm an, dass 2Kor 6,14-7,1 ursprünglich ein Bestandteil von „Kor A“ war. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 140-141.
40 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
A“ 6,12-20; 9,24–10,22; 11,2-34; 13; 15 und zu „Brief B“ 1–5; 6,1-11; 7–8; 9,1-23; 10,23–11,1; 12; 14; 16.100 Von zwei Briefen gehen ebenfalls E. Dinkler, A. Suhl, J. Héring, H.-J. Klauck, G. Bornkamm und W. Marxsen aus. J. Weiss revidierte seine frühere Meinung und nahm in einer späteren Veröffentlichung drei ursprünglich selbständige Briefe an: „Kor A“ mit 10,122; 6,12-20; 9,24-27; 11,2-34; 16,7b-9.15-20 (2Kor 6,14–7,1); „Kor B“ mit 7–8; 13; 10,24–11,1; 9,1-23; 12; 14–15; 16,1-7a.10-14.21-24.101 G. Sellin nimmt drei ursprünglich selbständige Briefe an, die von einem Redaktor zusammengestellt wurden: „Kor A“ mit 11,2-34; 5,1-8; 6,12-20; 9,24–10,22; 6,1-11; „Kor B“ mit 5,9-13; 7; 8; 9,1-23; 10,23–11,1; 12–16; „Kor C“ mit 1– 4.102 Von drei Briefen gehen auch A. Loisy und M. Goguel aus. Von vier ursprünglich selbständigen Briefen geht W. Schenk aus: „Kor A“ mit 1,1-9; 2Kor 6,14–7,1; 1Kor 6,1-11; 11,2-34; 15; 16,13-24; „Kor B“ mit 9,1-18; 9,24–10,22; 6,12-20; 5,1-13; „Kor C“ mit 7–8; 9,19-23; 10,23– 11,1; 12,1-31a; 14,1c-40; 12,31b–13,13; 16,1-12; „Kor D“ mit 1,10-31; 2– 4.103 W. Schmithals revidierte seine frühere Meinung und nimmt in einer späteren Studie ebenfalls vier Briefe an: „Kor A“ mit 11,2-34; „Kor B“ mit 6,1-11; 2Kor 6,14–7,1; 1Kor 6,12-20; 9,24–10,22; 15; 16,13-24; „Kor C“ mit 5; 7–8; 9,19-22; 10,23–11,1; 12,1-31a; 14,1c-40; 12,31b–13,13; 16,1-12; „Kor D“ mit 1–4.104 Ch. Senft schlägt folgende Analyse vor: „Kor A“ mit 6,1-11; 15; 16,13-24; vielleicht auch 6,12-20; 11,2-34; „Kor B“ mit 5; 9,24– 10,22; vielleicht auch 6,12-20; 11,2-34; „Kor C“ mit 7; 8; 9,19-23; 10,23– 11,1; 12–14; 16,1-12; vielleicht auch 9,1-18; „Kor D“ mit 1–4.105 R. Pesch geht ebenfalls von vier Briefen aus: „Kor A“ mit 1–4; 5,1-8; 6,1-11; „Kor B“ mit 5,9-13; 6,12-20; 10–11; „Kor C“ mit 15; „Kor D“ mit 7–9; 12–14; 16.106 Hermann Probst nimmt fünf Briefe an, die ein Redaktor in der richtigen chronologischen Reihenfolge im kanonischen 1Kor zusammengestellt hat: die Briefe Kap. 1–4; Kap 5–6, 7; Kap 8–10, 11; Kap 12–14, und Kap 15, 16.107 M. Widmann, R. Jewett und K. Yeo gehen von sechs in 1-2Kor inkorporierten Paulusbriefen aus, mit je unterschiedlichen literarkritischen Analysen,108 W. Schmithals nimmt in seiner letzten Äußerung zum Thema dreizehn ————————————————————
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Schenke/Fischer, Einleitung, I, 92-94. Weiss, Urchristentum, 265-275. Sellin, Auferstehung, 49-51; ders., Hauptprobleme, 2979. Schenk, 1. Korintherbrief, passim; ders., Korintherbriefe, 622-624. Schmithals, Korintherbriefe. Senft 19. Pesch, Vier Briefe, 75-100; zum Inhalt und Aufbau der vier Briefe ebd. 101-246. Probst, Brief, 361-371. Widmann, Vier Phasen; vgl. Sellin, Hauptprobleme, 2967; Jewett, Redaction; Yeo, Rhetorical Interaction, 81-82.
Einleitung 41 ————————————————————————————————————
Briefe an, die Paulus in einem Zeitraum von sechs bis acht Monaten verfasst habe und die später von einem Redaktor „in gefälliger Form“ thematisch zusammengestellt worden seien.109 Diese literarkritischen Analysen können nicht überzeugen. Die meisten Paulusforscher und Kommentatoren gehen heute von der literarischen Integrität des 1Kor aus.110 Theoretisch ist der Hinweis richtig, dass die Uneinheitlichkeit der Teilungshypothesen noch kein Beweis für die literarische Integrität des 1Kor ist. Aber die angenommenen literarischen Brüche oder Widersprüche können doch nicht allzu groß sein, wenn sie von manchen Forschern als nicht vorhanden betrachtet werden.111 Eine weitere wichtige Beobachtung ist der Hinweis, der sich aus der Analyse anderer Paulusbriefe ergibt, dass Paulus bei der literarischen Gestaltung seiner Briefe eine „große konzeptionelle Wandlungsfähigkeit“ besitzt, was zu der Schlussfolgerung führt, dass „fehlende Brücken zwischen den einzelnen Abschnitten oder kleinere Unebenheiten bei der relativ geschlossenen Behandlung zwischen dem einen oder anderen Thema noch keinen Grund hergeben, zu literarkritischen Operationen überzugehen“.112 Schließlich ist mit D. Trobisch an die grundsätzliche Problematik zu erinnern, dass es keine antiken Belege dafür gibt, „daß Briefe zerteilt und die Teile neu zusammengestellt werden“. 113 Die folgenden Beobachtungen sprechen gegen die erwähnten Teilungshypothesen. Erstens, die Angaben im 1Kor lassen keine unterschiedlichen Situationen von Autor oder Leser erkennen, die eine Zerlegung des Briefes zwingend notwendig machen. Zweitens, die Situation der Kontakte zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde mit ihren vielfältigen Informationsquellen ergibt eine Struktur, die mit hinreichender Stimmigkeit den 1Kor sowohl literarisch als auch inhaltlich kohärent erklären kann. Paulus reagiert auf schriftliche Anfragen und auf mündliche Berichte, und er behandelt verschiedene Fragen, die sich aus dem Verhalten der korinthischen Christen ————————————————————
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Schmithals, Briefe, 19-85, Zitat 19; vgl. die letzten Modifizierungen in ders., Methodische Erwägungen, 139 Anm. 96. Vgl. Merklein, Einheitlichkeit; Belleville, Continuity; Mitchell, Rhetoric, 186-192; Becker, Paulus, 198-208; Jerome Murphy-O’Connor, Paul, 253; Hall, Corinthian Correspondence, 41-50; Fenske, Argumentation, 66-67; Conzelmann 15-17; Fee 15-16; Collins 13-14; Lang 6-7; Merklein I 46-48; Schrage I 63-71; Garland 20; Hays 8-9; Kremer 14; Lindemann 3-6; Thiselton 36-39. Lindemann 5; vgl. die Mahnung zur methodischen Stringenz von Schmithals, Methodische Erwägungen, passim. Becker, Paulus, 199, der sich sonst nicht scheut, kanonische Paulusbriefe aufzuteilen, vgl. ebd. 325-332 zum Philipperbrief. Trobisch, Paulusbriefsammlung, 120; Trobisch meint allerdings, Paulus habe den 1Kor selbst „aus seiner Korrespondenz mit Korinth“ erstellt (ebd. 129). Diese These ist sehr unwahrscheinlich, vgl. Heil, Ablehnung, 184-195.
42 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
ergeben haben. Drittens, der 1Kor lässt Stichwortverbindungen und thematische Zusammenhänge erkennen, die als Hinweise auf die literarische Kohärenz zu gelten haben.114 Viertens, der angenommene „Bruch“ zwischen 11,18-19 und 1,10-12 besteht nur, wenn man die σχι' σματα („Spaltungen“ oder „Meinungsverschiedenheiten“) und die αι ρε'σεις („Parteiungen“ oder „Lehrmeinungen“) von 11,18-19 mit den σχι' σματα von 1,10 identifiziert. Diese Annahme ist jedoch nicht notwendig, da sich die αι ρε'σεις von 11,18 auf die Missstände bei der Feier des Herrenmahls und auf die „Spaltung“ zwischen Armen und Reichen in der Gemeinde beziehen, die zur Verachtung der Armen führt. Die σχι' σματα von 1,10 dagegen führen zu Streit und Eifersucht (1,11; 3,3). Fünftens, die angenommene Spannung zwischen 8,1-13; 10,23–11,1 auf der einen und 10,1-22 auf der anderen Seite entfällt, wenn man die sachlichen Verbindungen zwischen diesen Abschnitten und die Unterschiedlichkeit der von Paulus behandelten Gesichtspunkte und Situationen erkennt.115 Die angeblichen Widersprüche, die die Vertreter von Teilungshypothesen in 8,1–11,1 finden, lösen sich auf, wenn man erkennt, dass Paulus in Kap. 9 erklärt, dass es einen potentiellen „Widerspruch“ zwischen Freiheit und Liebe gibt, wenn Christen auf ihre Freiheit pochen und die Liebe zum Mitchristen vernachlässigen. Die Argumente für die literarische Integrität des Ersten Korintherbriefs überzeugen; die Annahme einer Zerteilung des Briefes in ursprünglich selbständige paulinische Briefe, die von einem späteren Redaktor sekundär kombiniert wurden, erweist sich als unnötig. 5. Apostelbrief und Rhetorik Das einleitende Präskript in 1,1-3, das antiken Briefkonventionen folgt, charakterisiert 1Kor als Brief. Damit stellt sich die Frage, ob man die neutestamentlichen Briefe im Allgemeinen und 1Kor im Besonderen auf dem Hintergrund der antiken Briefe näher beschreiben kann. Sowohl die erhaltenen antiken Briefe als auch die Handbücher machen deutlich, dass es viele unterschiedliche Briefformen gab. Pseudo-Demetrius, dem das vor 50 n.Chr. entstandene Handbuch Typoi epistolikoi zugeschrieben wird, nennt 21 verschiedene Briefformen. Der spätere Pseudo-Libanius (5./6. Jh. n.Chr.) beschreibt in Epistolimaioi charaktēres 41 Briefformen.116 Während manche ————————————————————
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Vgl. Becker, Paulus, 202-208; zur Frage eines Gesamtthemas siehe Thiselton 39-41. Vgl. die detaillierten Argumente von Merklein, Einheitlichkeit, 163-173; Heil, Ablehnung, 182-188; Delobel, Coherence. Für den folgenden Punkt vgl. Thiselton 611. Vgl. Aune, Dictionary, 164. Nur dreizehn der von Pseudo-Demetrius und Pseudo-Libanius genannten Kategorien überlappen. Stowers, Letter Writing, 49-173 entwirft eine Typologie von sechs Briefformen. Text und (englische) Übersetzung der relevanten Passagen in Pseudo-Demetrius und Pseudo-Libanus in Malherbe, Theorists, 30-41.66-81.
Einleitung 43 ————————————————————————————————————
meinen, die Benutzung solcher Handbücher sei auf den kleinen Kreis der Gebildeten beschränkt gewesen, 117 nehmen andere Forscher an, dass die Handbücher eine bestehende Praxis des Briefschreibens widerspiegeln und ihrerseites das Briefschreiben beeinflusst haben. 118 Das Briefformular der paulinischen Briefe weist Ähnlichkeiten nicht nur mit griechischen Briefen, z.B. hellenistischen Freundschaftsbriefen, auf, sondern auch mit alttestamentlichen und jüdischen Briefen.119 Die Meinung A. Deissmanns, wirkliche Briefe seien von der Epistel zu unterscheiden, die eine literarische Kunstform darstelle, 120 gilt zu Recht als überholt. Die Gattungsmerkmale antiker Briefe sind zu vielfältig, als dass man sie auf eine derart einfache Formel bringen könnte. Außerdem gilt, dass die Paulusbriefe unbestreitbar „wirkliche Briefe“ sind,121 mit bestimmten Adressaten und konkreten historischen Situationen. Gleichzeitig sind sie kunstvoll gestaltet und besitzen literarischen Charakter. Nach Cicero wurden Briefe erfunden, um Abwesenden eine Nachricht zukommen zu lassen (Cicero, Fam. 4,1). Viele antike Briefe betonen das Gespräch zwischen Verfasser und Adressaten, ein Motiv, dem der Gedanke der „Anwesenheit“ des Verfassers bzw. des Lesers entspricht. 122 Cicero spricht vom quasi adesse des Lesers (Fam. 15,16,1), Seneca beschreibt Briefe als imagines amicorum absentium (Ep. 40,1). R. Funk argumentiert in einem einflussreichen Aufsatz, dass für Paulus der Brief im Blick auf seine Bedeutsamkeit erst an dritter Stelle hinter einem persönlichen Besuch und dem apostolischen Boten rangiere: Der Bote fungiere als Stellvertreter des Apostels, während der Brief bestenfalls eine schriftliche Autorität für die mündliche Botschaft des Boten darstelle. Weil Paulus das gesprochene Wort bevorzuge, könne ein schriftlicher Brief nicht als primäres Medium seines apostolischen Amtes gelten.123 Die Länge der Paulusbriefe, die Fülle und die Bedeutung der angesprochenen Einzelthemen und die persönliche Fürsorge, die uns in ihnen entgegentritt, entkräften diese These. Michael Bünker ————————————————————
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Koskenniemi, Studien, 62-63. Bünker, Briefformular, 19-20. Zur antiken Brieftheorie vgl. Thraede, Brieftopik; Malherbe, Theorists; Stowers, Letter Writing, 1-14. Vgl. Berger, Gattungen, 1334; Taatz, Frühjüdische Briefe, passim. Zu den Ähnlichkeiten zwischen griechischen und jüdischen Briefen s. Klauck, Briefliteratur, 181-226; vgl. Stowers, Letter Writing, 41-42; Aune, Literary Environment, 177-178; zur Form antiker Briefe s. Probst, Brief, 55-105; Klauck, Briefliteratur, 148-180. Deissmann, Licht vom Osten, 118-119.193-196. Kritisch Probst, Brief, 34; Merklein I 43. An dieser Tatsache ändert auch die Länge des 1Kor nichts. Koskenniemi, Studien, 38-42; Bünker, Briefformular, 24-26; Probst, Brief, 88; für die folgenden Zitate s. Schrage I 73. Die wichtigsten Passagen von Cicero und Seneca sind bei Malherbe, Theorists, 20-29 abgedruckt. Funk, Apostolic Parousia, 266; kritisch S. R. Llewelyn, in NewDocs VII, 52-53.
44 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
versteht die neutestamentlichen Briefe als Reden in Briefform, 124 Irene Taatz als „Mittel der Gemeindeleitung“.125 Die Annahme eines Gegensatzes zwischen mündlicher Apostelpredigt und schriftlichem Apostelwort ist nicht sinnvoll, und von einem minderen Wert des Geschriebenen sollte man schon gar nicht reden. Paulus bezeichnet das, was er den Korinthern schreibt, als Gebot des Herrn (14,37). Paulus begnügt sich in seinen Briefen nicht mit rein pragmatischen Antworten auf Fragen und Konflikte. Das heißt, seine Briefe sind keine reinen Gelegenheitsbriefe. Er nimmt die Probleme, die er zu behandeln hat, „zum Anlaß lehrhafter Ausführungen, die, ohne ihre situative Gebundenheit zu verleugnen, in die Dimensionen grundsätzlicher theologischer Reflexion vorstoßen“.126 Diese Tendenz macht seine Briefe den philosophischen Briefen der Antike vergleichbar, unter denen es überdies Beispiele für Briefe gibt, die „gutachterlich zu vorgelegten Fragen Stellung“ nehmen. Ein wichtiges Merkmal der paulinischen Hauptbriefe ist ihre Öffentlichkeit. Die in 1Kor behandelten Schwierigkeiten wurden von bestimmten Personen oder Gruppen innerhalb der Gemeinde verursacht, aber Paulus spricht mit seinem Brief die gesamte Gemeinde an. Dieser Tatsache entspricht von der Absenderangabe her der Umstand, dass Paulus nicht allein, sondern zusammen mit Sosthenes an die korinthische Gemeinde schreibt (1,1). Das heißt, der 1Kor ist genauso so wie die anderen Paulusbriefe kein reiner Privatbrief.127 K. Berger spricht vom „Apostelbrief“, der als „schriftlich fixierte, adressierte apostolische Rede“ charakterisiert werden kann.128 Wichtig ist der Hinweis von H. Merklein: „Der apostolische Charakter schließt in keiner Weise die Argumentation aus, sondern verlangt sie im Gegenteil sogar, weil die Autorität des Apostels sich nicht aus dem formalen Amt, sondern aus dem von ihm zu vertretenden Inhalt des Evangeliums ergibt.“ 129 Was die Anwendung klassischer rhetorischen Kategorien auf den Ersten Korintherbrief betrifft, so hat die Forschung der letzten Jahre gezeigt, dass es nicht möglich ist, den Aufbau des Ersten Korintherbriefs mit einer rhetorischen Gesamtanalyse zu erfassen. 130 Für einzelne Abschnitte (z.B. Kap. 15) ————————————————————
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Bünker, Briefformular, 14; zum folgenden Punkt s. Schrage I 82. Taatz, Frühjüdische Briefe, 112. Merklein I 43, das folgende Zitat ebd. 44; vgl. Berger, Gattungen, 1134-1338. Merklein I 44; vgl. Doty, Letters, 7-8; Berger, Gattungen, 1134; vgl. Schrage I 85. Berger, Apostelbrief, Zitat 231; vgl. Berger, Gattungen, 1333-1340; White, New Testament Epistolary Literature, 1739. Merklein I 44-45; vgl. Thiselton 45; Lindemann 7, mit Verweis auf Vouga, Brief. Müller, Bedeutung, 36-47 kritisiert an solchen Entwürfen, dass sie eine kritische Reflektion über die Spannung des antiken Rhetorikbegriffs vermeiden – in der Antike gab es keinen einheitlichen Rhetorikbegriff. Siehe auch Anderson, Theory, 114-117.245-265.
Einleitung 45 ————————————————————————————————————
ist dies eher möglich, aber auch hier sind die Unterschiede in den vorgeschlagenen Analysen größer als die Gemeinsamkeiten. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass 1Kor nicht aus seiner Serie von Texten besteht, die in abschließender Weise verschiedene Themen behandelt: Wir haben gesehen, dass sich die von Paulus behandelten Fragen als Cluster zu größeren Einheiten zusammenfügen lassen, was gegen die rhetorische Eigenständigkeit der einzelnen Abschnitte spricht.131 Und man sollte bei der rhetorischen Analyse von Paulustexten nicht vergessen, was der Apostel in 2,1-5 über die Verwendung zeitgenössischer Rhetorik in der Verkündigung des Evangeliums vom Gekreuzigten sagt. Wenn Paulus in einzelnen Abschnitten rhetorischen Gepflogenheiten folgt, dann muss man angesichts seiner Kritik der σοφι' α λο' γου davon ausgehen, dass er seine Leser mit dem Aufbau seiner Argumentation nicht manipuliert, dass es ihm auf die Brillianz rhetorischer Strukturen nicht ankommt, und dass die aufrichtige Darstellung seiner theologischen und ethischen Überzeugungen immer Priorität hat.132 Ist es möglich, von der antiken Brieftheorie her 1Kor genauer zu bestimmen? Übereinstimmung besteht in der Auskunft, dass man 1Kor nicht einer einzigen Klassifikation zuordnen kann. Wenn man die von PseudoDemetrius in Typoi beschriebenen Kategorien heranzieht, fallen gewisse Ähnlichkeiten mit fünf oder sechs Briefformen auf: dem Typ des Ermahnungsbriefs (nouthetētikos typos) entsprechen 1Kor 4,14 u.a.; dem Kritikbrief (epitimētikos typos) Stellen wie 3,1-4; 5,1-8; 6,1-11; 11,17-34; dem Beratungsbrief (symbouleutikos typos) bzw. dem Antwortbrief (apophantikos typos) entsprichen die Reaktion des Apostels auf erhaltene Informationen aus Korinth; dem apologetischen Brief (apologētikos typos) entspricht von der Tendenz her Kap. 1–4; 9,3; 15,9-10. Wenn man von Pseudo-Libanius ausgeht, weist 1Kor vor allem mit dem paränetischen Brief (parainetikē) Ähnlichkeiten auf, der dann vorliegt, wenn der Schreiber dem Leser zuredet, indem er ihn ermuntert, auf etwas zuzugehen oder etwas zu vermeiden, häufig mit der Ermahnung, tugendhafte Männer nachzuahmen (Motiv der mimēsis).133 Im 1Kor findet sich mehrfach die Aufforderung zur Nachahmung (4,16; 7,7-8; 9,1-23; 10,33; 11,1). Andere Parallelen bestehen zum Lehrbrief (didaskalikē), vgl. 7,17; Gebotsbrief (parangelmatikē), vgl. 7,10; 11,17; und Empfehlungsbrief (systatikē), vgl. 16,3.15-18. Eine Analyse des 1Kor im Sinn eines Freundschaftsbriefs134 kann den Brief als ganzen kaum erklären. ————————————————————
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Winter, Underlays, 154. Thiselton 94; ausführlich Pogoloff, Logos, 99-128. So die Erläuterung von Pseudo-Libanius, Charakteres 5, bei Schrage I 87. Lührmann, Freundschaftsbrief; zur Kritik vgl. Schrage I 89.
46 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
M. Mitchell argumentiert für die Gattung des deliberativen (symbuleutischen) Briefs:135 das Briefcorpus bestehe aus propositio (1,10), narratio (1,11-17), einer in drei große Abschnitte gegliederten probatio (1,18–15,57) und einer conclusio (15,58). Diese These setzt voraus, das 1Kor durchgehend vom Thema der Parteiungen und der Aufforderung zur Einheit bestimmt ist. Die inhaltliche Analyse sieht Richtiges, die rhetorische Klassifizierung ist jedoch zu schematisch. Zugleich darf man nicht vergessen, dass nach antikem Verständnis Rhetorik und Epistolographie zwei verschiedene Dinge sind. Wenn die klassischen rhetorischen Handbücher überhaupt auf Briefe zu sprechen kommen, dann markieren sie häufig den Unterschied zu Reden. 136 Die antiken Handbücher über Epistolographie enthalten keine Auskünfte über eine Anordnung des Stoffes (dispositio) analog zu rhetorischen Kategorien. Die drei üblichen Bestandteile eines Briefes (Eingang, Hauptteil, Schluss) weisen Ähnlichkeiten mit den vier Hauptmustern der rhetorischen Anordnung auf (exordium, narratio, confirmatio, conclusio), aber diese Ähnlichkeit ist nicht formal, sondern funktional. Es gibt keinen notwendigen Zusammenhang zwischen der Theorie epistolographischer Struktur und den technischen Anleitungen für die Anordnung des Stoffes in rhetorischen Reden. Diese Ähnlichkeiten lassen sich im Licht der modernen Linguistik erklären: Sprache wird oft in unterschiedlichen Gattungen pragmatisch für ähnliche Zwecke verwandt.137
Markus Müller weist darauf hin, dass Paulus als Apostel – im Unterschied zu den zeitgenössischen Rhetorikern – Menschen nicht für sich, sondern für Gott zu gewinnen hatte, und dass dabei das Evangelium als „Wort vom Kreuz“ die entscheidende Rolle spielte. Die Aussagen in 1,18-25 und 2,4-5 machen deutlich, dass Paulus über das Verhältnis von „Verständigung“ und „Erfolg“ nachgedacht hat und dass er sich durch die Botschaft von Gottes Handeln im Kreuzestod Jesu Christi veranlasst sieht, die Sprachpragmatik der Rhetorik zu durchbrechen.138 Weil sich Ermahnung und Beratung oft überschneiden, und ————————————————————
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Mitchell, Rhetoric, 20-60; sie stützt sich auf Kennedy, Classical Rhetoric, 129-160. Generell positiv ist Thiselton 48-49. Zur Kritik s. Lindemann 7. Vgl. Quintilian Inst. Orat. 9.4.19-22. Julius Victor, Ars rhetorica (4. Jh. n.Chr.), ist der erste Rhetoriker, der eine ausführlichere Diskussion vom Briefeschreiben bietet, allerdings nur in einem Anhang (§ 27). Reed, Rhetorical Categories, 304-308; Müller, Bedeutung, 36-56; vgl. Stamps, Rhetorical Criticism, 141-148. Müller, Bedeutung, 52-53. Müller kommt zu dem Schluss: „Das ‚Netz‘, das die Vertreter der ‚rhetorischen Analyse‘ über die paulinischen Briefe werfen, ist im wesentlichen nach dem Muster der erfolgsorientierten Rede geknüpft, so daß die besondere Verschränkung des Bemühens um ‚Verständigung‘ und ‚Erfolg‘ – um die gerade Paulus in seinen Briefen ringt – durch die Maschen eben jenes ‚rhetorischen Netzes‘ zu fallen droht“ (53).
Einleitung 47 ————————————————————————————————————
weil beide Elemente den Ersten Korintherbrief charakterisiere, bezeichnet W. Schrage den Ersten Korintherbrief als „primär paränetisch-symbuleutischen Brief“.139 A. Lindemann beschreibt den Ersten Korintherbrief allgemeiner, aber zutreffend, als „eine Antwort auf die vielfältigen Informationen, die Paulus aus Korinth erhalten hatte und die nach seinem Urteil eine sofortige Stellungnahme erforderten, obwohl ein persönlicher Besuch in Korinth geplant war (4,19; 16,7f.)“.140 Versucht man die Frage nach der Struktur des 1Kor im Hinblick auf den Inhalt des Briefes zu beantworten, stellt man fest, dass Paulus in erster Linie zwei Laster bzw. Sünden behandelt, die nach jüdischer Lehre im Rückgriff auf das AT als typisch für Heiden galten: sexuelle Unmoral und Götzendienst.141 Paulus will diese beiden Sünden ausdrücklich im alttestamentlichen Kontext verstanden wissen (5,11; 10,7-8). In Kap. 5–7 behandelt Paulus vor allem Fragen, die mit unmoralischer Sexualität zusammenhängen – auf eine negative Darstellung (Kap. 5–6) folgt eine positive Darstellung (Kap. 7). Diese Darstellungsweise finden wir in hellenistisch-jüdischer Paränese, die sexuelle Devianzen wie Inzest und Homosexualität im Zusammenhang mit sexuellem Verhalten in der Ehe behandeln. 142 In Kap. 8–14 behandelt Paulus die Frage des Götzendienstes, beginnend mit einer negativen Darstellung der Manifestationen von Götzendienst in Korinth (Kap. 8–10), gefolgt von einer positiven Darstellung der richtigen Anbetung des einen wahren Gottes (Kap. 11–14). Die Diskussion wahrer und falscher Weisheit in Kap. 1–4, gefolgt von einer Diskussion von sexueller Unmoral (Kap. 5–7) und von Götzendienst (Kap. 8–14), entspricht der Logik von Röm 1,21-25, wo Paulus fehlende Weisheit (Röm 1,22) ursächlich mit Götzendienst und sexueller Unmoral (Röm 1,23-25) verbindet.143 Die Diskussion von Weisheit beginnt ebenfalls mit einer negativen Darstellung (1,18–2,5), der eine positive Darstellung (2,616; 3,1-4) folgt. Im Rahmen dieser strukturellen Analyse ist Kap. 15 der Höhepunkt des Briefes: Paulus beschreibt die Auferstehung als Triumph Jesu Christi über alle feindlichen Mächte und als endgültige Umwandlung unserer vergänglichen menschlichen Natur in eine Natur, die Gottes Herrlichkeit in
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Schrage I 87-88, vgl. Stowers, Letter Writing, 96; siehe Berger, Formgeschichte, 216; ders., Formen und Gattungen, 273-274, der alle ntl. Briefe zur „symbuleutischen Gattung“ rechnet. Lindemann 7. Ciampa /Rosner, 695-696; s. ebd. für die folgende Analyse. Niebuhr, Gesetz und Paränese, 232. Zum Zusammenhang von Röm 1,18–2,16 und 1Kor 1,18–2,5 s. auch Hartwig/Theißen, Nebenadressat, 236-238.
48 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
einer vollkommenen Weise widerspiegelt. Das heißt: die Auferstehung ist die entscheidende Grundlage der ethischen Unterweisung des Apostels Paulus. 144 6. Theologische Anliegen Paulus behandelt im Ersten Korintherbrief eine Reihe von ethischen Fragen, eine Tatsache, die den Leser dazu verleiten kann, den theologischen Charakter der Diskussion zu verkennen. Wir sehen im Ersten Korintherbrief so deutlich wie sonst nirgends im Corpus Paulinum, wie Paulus sein Verständnis des Evangeliums von Jesus Christus im konkreten Alltag der Gemeinde und ihrer Glieder umsetzt. Die Theologie des Apostels, verstanden im eigentlichen Sinn von θεολογι' α als „Rede über Gott“ (SIG 1109, 115), ist im Ersten Korintherbrief Rede über das richtige Verhalten von Christen, die das Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus nicht nur gedanklich akzeptiert haben, sondern es zugleich und kontinuierlich konsequent in ihren Beziehungen zu den Mitchristen, zu den theologischen Lehrern der Gemeinde und zu den heidnischen Mitbürgern in den konkreten und vielfältigen Situationen des Alltags ausleben. Die theologischen Anliegen, die Paulus im Vollzug der Anwendung des Evangeliums auf Fragen des Verhaltens betont, können hier nur skizzenhaft zusammengefasst werden. 145 Das zentrale Anliegen ist das Evangelium selbst. Das unchristliche Verhalten der korinthischen Christen zeigt, dass sie die erlösende, und das heißt die verwandelnde Kraft des Evangeliums nicht wirklich begriffen haben. Dies ist der Grund, weshalb Paulus eine ganze Reihe von Fragen des alltäglichen Verhaltens behandelt. Dies ist aber auch der Grund, weshalb er nicht nur ethische Fragen behandelt und die korinthischen Christen zur Veränderung ihres Verhaltens ermahnt und ermutigt, sondern den Schwerpunkt seiner Darlegungen auf die theologische Grundlage christlichen Denkens und Handelns legt. Wenn er zum Beispiel in 1,10–4,21 die Parteiungen in der Gemeinde behandelt, ermahnt er die Korinther nicht einfach, ihre Streitigkeiten einzustellen und die Einheit der Gemeinde zu bewahren. Er klärt sie gleichzeitig und vor allem über das richtige Verständnis des Evangeliums von Christus dem Gekreuzigten (1,18–2,16), über das Wesen der Gemeinde (3,5-17) und über den Charakter wahrer Apostelschaft (4,1-13) auf. Von 11,2-16 und 12,1–14,40 abgesehen, argumentiert Paulus immer mit dem Hinweis auf den Kreuzestod Jesu Christi und mit den Konsequenzen, die ————————————————————
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Ciampa /Rosner, 696, mit Verweis auf O’Donovan, Resurrection and Moral Order. Vgl. Becker, Paulus, 209-229; Dunn, 1 Corinthians, 90-107; Fee, Theology; Furnish, Theology; Hafemann, Corinthians; Schnelle, Paulus, 201-250
Einleitung 49 ————————————————————————————————————
sich aus dem Werk Jesu ergeben. 146 1. In der Auseinandersetzung mit den Parteiungen in der korinthischen Gemeinde und mit der Kritik, die sich aus der Gemeinde gegen ihn richtet, verweist Paulus auf Jesus Christus den Gekreuzigten als Gottes Weisheit (1,18-25.26.30; 2,1-2; 3,11; 4,15). 2. In der Diskussion des Falles von Inzest verweist Paulus auf Christus, „unser Passalamm“ (5,7). 3. Im Blick auf die gegeneinander prozessierenden Gemeindeglieder erinnert Paulus die Korinther daran, dass sie reingewaschen, geheiligt und gerecht geworden sind „durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“ (6,11). 4. Was den Verkehr mit Prostituierten betrifft, verweist Paulus auf die Tatsache, dass Christen „um einen teuren Preis“ erkauft wurden (6,20). 5. Derselbe Hinweis steht in der Diskussion der Frage, ob die Veränderung des gesellschaftlichen Standes ein religiöser Wert ist (7,23). 6. Die Diskussion der Frage, ob Christen in heidnischen Tempeln essen können, ist mit dem wiederholten Hinweis auf den Tod Christi verbunden (8,11; 10,16). 7. Die schlechte Behandlung der Armen bei den Gemeindemahlzeiten ist wieder mit dem Hinweis auf den Tod Christi verknüpft (11,23-27). 8. Die Diskussion der Leugnung der Auferstehung des Leibes ist ebenfalls mit einem Verweis auf den Tod Jesu Christi verbunden (15,1-5.11). Paulus beschreibt, im Anschluss an sein jüdisches Erbe, den einen wahren Gott als Schöpfer alles Seins und als Ziel der Schöpfung (8,6). Ohne dies eigens zu betonen, ist für Paulus die Überzeugung selbstverständlich, dass Gott das Subjekt, d.h. der Urheber des Erlösungshandelns ist. Siehe 1,21; 2,7 und die Argumentation in 1,18-25.26-31; 2,7-13; vgl. auch 1,9; 3,6-7; 4,5; 5,13; 7,17-24; 10,13; 12,6-7. Die Auseinandersetzung mit den Parteiungen in der Gemeinde zeigt, dass für Paulus schlechte Theologie die Quelle des Fehlverhaltens der Korinther ist; anders ist das Argument mit dem Kreuzestod Jesu als Handeln Gottes kaum zu verstehen. 147 Paulus spricht von Jesus, dem Sohn Gottes (1,9; 15,28), und von Gott dem Schöpfer im selben Atemzug (8,6): Jesus, der Messias und Kyrios, ist genauso Schöpfer alles Seins wie Gott der Vater. Diese Überzeugung ist auf dem Hintergrund biblischer und frühjüdischer Traditionen von Gottes personifizierter Weisheit zu verstehen.148 Weil Jesus genauso Kyrios ist wie Gott der Vater, kann Paulus Jesus mit göttlichen Funktionen und mit göttlichem Handeln verbinden (1,2.8; 2,8.16; 4,4-5; 10,22; 11,31). Gnade und Friede ————————————————————
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Fee, Theology, 39-40. Was 11,2-16 und 12,1-14,40 betrifft, weist Fee darauf hin, dass es in diesen Abschnitten um den Gottesdienst der Gemeinde geht, ein Thema, das eine andere Art der Argumentation erfordert (ebd. 39 Anm. 9). Fee, Theology, 41-42. Schnabel, Law and Wisdom, 236-264 zu 8,6 ebd. 244-246; Lips, Traditionen, 290-317; jüngst Hurtado, Lord Jesus Christ, 123-126.
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kommen von Gott dem Vater und von dem Herrn Jesus Christus (1,3). Die Reinigung, Heiligung und Rechtfertigung von Menschen, die Gott in seiner Gnade gewährt, geschehen durch die Autorität des Herrn Jesus Christus und des Geistes Gottes (6,11). Die Bedeutung Jesu für die Gemeinde wird durch deren Beschreibung als „Leib Christi“ herausgestellt (12,27). Das Wirken des Heiligen Geistes war für die korinthischen Christen wichtig, ihre Sicht der Rolle des Geistes wird von Paulus jedoch korrigiert.149 Angesichts der langen mahnenden Passagen ist es auf den ersten Blick erstaunlich, dass Paulus nur an zwei Stellen ausdrücklich vom „Heiligen“ Geist spricht (6,19; 12,3). Paulus spricht vom „Geist Gottes“ (2,11.14.16; 6,11; 7,40; 12,3) oder vom „Geist der aus Gott stammt“ (2,12; 6,19) und betont damit, dass der Geist keine unabhängige Kraft oder Macht ist, sondern nichts anderes als die Gegenwart Gottes darstellt, die in ihrer Mitte am Werk ist (6,11; 12,3.7-8). Deshalb weist der Apostel die korinthischen Christen ironisch darauf hin, dass sie als πνευματικοι' , als Menschen die den Geist besitzen, eigentlich das Kreuz als Gottes Weisheit verstehen müssten, weil der Geist die Tiefen Gottes ergründet und offenbart, was früher verborgen war (2,6-16). Er erinnert sie daran, dass sie ihr Christsein allein dem Wirken des Geistes verdanken, der sie die Botschaft vom Gekreuzigten als Kraft Gottes verstehen lehrte (2,4-5), der sie zum lebendigen Gott bekehrte und sie heilig machte (6,11) und der sie befähigte, den gekreuzigten Jesus Christus als Kyrios zu bekennen (12,3). Das Wirken des Geistes in der Gemeinde, d.h. konkret in den wöchentlichen Versammlungen der Gemeinde, dient einzig und allein der Erbauung der Gemeinde und ihrer Glieder (Kap. 12–14). Der Mensch erscheint bei Paulus „als Adressat des Evangeliums“.150 In 1,18-31 beschreibt Paulus das „Wort des Kreuzes“ als Gottes Handeln zur Errettung des Menschen. Das heißt: der Mensch erhält sein „Profil“ vom Evangelium her. Indem der Mensch dem Evangelium begegnet, steht er vor der Entscheidung, zu Gottes Handeln in Jesus Christus Ja oder Nein zu sagen. In der Begegnung des Menschen mit dem Evangelium zeigt sich, dass jeder ein bestimmtes Vorverständnis von Gott hat. Juden erwarten Gottes Selbstmitteilung in Macht und Herrlichkeit, während Griechen Gott mit Weisheit in Verbindung bringen. Bei aller Differenzierung zwischen Juden und Heiden bringt Paulus beide auf einen Nenner: sowohl die Heiden wie die Juden können die Realität Gottes, wie sie sich im Kreuz Jesu geoffenbart hat, nicht begreifen. Für den Juden ist das Kreuz ein Anstoß, für die Heiden eine Torheit. Dass Gott sich im Kreuz offenbart, dass Gott sich in Jesus Christus auf ————————————————————
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Zum Heiligen Geist in 1Kor s. ausführlich Fee, Presence, 81-281 und passim; vgl. Fee, Theology, 45-47; Furnish, Theology, 94-96. Vgl. Eichholz, Theologie, 41-62, mit Ausführungen zu 1,18-31.
Einleitung 51 ————————————————————————————————————
die Ebene des Menschen begibt, dass Gott, ohne eine Vorleistung des Menschen zu erwarten, im Tod Jesu Christi Heil schenkt, all das können weder Juden noch Heiden begreifen. Paulus ist überzeugt, dass der Mensch von sich aus keine hermeneutischen Parameter besitzt, die ihm helfen, Gott in seiner Wirklichkeit zu verstehen. Das Zentrum des Evangeliums, das Kreuz Jesu Christi, lässt sich nicht in die Voraussetzungen menschlichen Denkens integrieren. Der Mensch kann Gott nur dann erkennen, wenn er seine vorgefertigten Vorstellungen von Gott, d.h. seine Kriterien und Maßstäbe für das erwartete Handeln Gottes, aufgibt und sich für das Handeln Gottes öffnet. Welt, Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft sind Mächte, die den Menschen bestimmen (3,22), Mächte, die Christus bei seiner Wiederkunft zerstören wird (15,24-26). Menschen, die ohne die Gegenwart des Geistes Gottes leben, sind ψυχικοι' , „natürliche Menschen“, die Gott und Jesus Christus nicht verstehen (2,14). Sie sind σα' ρκινοι/σαρκικοι' , „irdische Menschen“ (3,1), die als solche der Sünde verfallen sind (3,3) und κατα` α»νθρωπον leben (3,3). Die konkreten Formen des „natürlichen“ Lebens ohne Gott und ohne das Evangelium, die das göttliche Verdammungsurteil zur Folge haben (11,32), werden von Paulus oft im Anschluss an biblische und jüdische Vorbilder geschildert: Götzendienst (5,10-11; 6,9; 8,10; 10,7.14), sexuell unmoralisches Verhalten (5,1-2.10-11; 6,10; 6,18; 10,8), Habgier (5,10-11; 6,1-6), Diebstahl (5,10-11; 6,10), Trunkenheit (5,11; 6,10), Freude an Unrecht (13,6), aber auch Stolz (4,6.18-19; 5,2.6; 8,1; 13,4), die Konzentration auf den eigenen Vorteil (10,33; 13,5), die Verachtung der Armen (11,22), das Nicht-Vergeben-Können (13,5), Uneinigkeit und Spaltungen (1,10; 11,18), Streit (1,11; 3,3), Neid und Eifersucht (3,3; 13,5), Beschimpfung (5,11; 6,10), Raub (6,8; 7,5), Murren (10,10). Die Darstellung der Erlösung konzentriert sich in 1Kor auf den Tod Jesu Christi (8,11; 11,26; 15,3) als Passalamm (5,7), vor allem auf seine Kreuzigung (1,13.17.18.23; 2,2.8). Jesus wurde „für euch“ gekreuzigt (1,13; 11,24), d.h. „für eure Sünden“ (15,3). Das Herrenmahl erinnert durch die Worte, die zum Kelch gesprochen werden, an den „Neuen Bund in meinem Blut“ (11,25). Die Metaphern, mit denen Paulus das von Gott durch Jesus Christus gewährte Heil beschreibt, haben alle einen Bezug zu ethischem Verhalten: Rechtfertigung (1,30; 6,11), Heiligung (1,30; 6,11), Erlösung (1,30; 6,20; 7,23), Waschung (6,11). In den langen ethischen Abschnitten beginnt Paulus nie mit einem Imperativ (den es auch gibt, vgl. 6,18-20; 10,14-22): das neue Leben der Gerechtfertigten und Erlösten im Neuen Bund ergibt sich aus der Realität des Evangeliums von Jesus Christus, in dem Gott durch seinen Geist gegenwärtig ist.151 Für Paulus ist die Frage nach dem richtigen ethi————————————————————
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Zum Zueinander von Indikativ und Imperativ im 1Kor vgl. Fee, Theology, 51-53.
52 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
schen Verhalten der Christen eine theologische Frage: Das Ziel christlicher Ethik ist die Ehre Gottes (10,31); das Modell christlicher Ethik ist das Verhalten Jesu Christi (11,1); das Prinzip christlicher Ethik ist die Liebe, die allein Gottes Wesen reflektiert (8,2-3; 13,1-8); die Kraft christlicher Ethik ist der Heilige Geist (6,11.19). Die meisten direkten Mahnungen betreffen die Einheit der Gemeinde (1,10; 3,1-3; 4,14.16; 5,4.5.7.8; 6,1.4.6-7.18.20; 8,9.13; 10,24; 11,33-34; 12,14). Das heißt, die Ekklesiologie ist eines der großen und wichtigen Themen des Ersten Korintherbriefs. Die Gemeinde, d.h. die Ortsgemeinde in Korinth, ist die „Gemeinde Gottes“ (ε κκλησι' α του^ θεου^ , 1,2). Paulus beschreibt das Wesen der Gemeinde mit zwei wichtigen Metaphern. Die (Orts-) Gemeinde ist der „Tempel Gottes“ (ο ναο` ς του^ θεου^ , 3,16-17), als Ort der Gegenwart Gottes in Korinth (vgl. 14,24-25). Und die Gemeinde ist der „Leib Christi“ (σω ^ μα Χριστου^ , 12,27; vgl. 10,17; 11,29; 12,12-27), was sowohl die Wichtigkeit der Einheit der Christen in der Gemeinde als auch die Vielfalt ihrer Gaben und Funktionen innerhalb der Gemeinde unterstreicht. Paulus setzt verschiedene Mittel ein, um die Christen in Korinth zu einer größeren Integrität des Glaubens und zu einer größeren Konsequenz des Lebens zu bewegen. 1. Paulus beruft sich häufig auf die Autorität der Heiligen Schrift. Formal eingeleitete explizite Schriftzitate finden wir in 1,19.31; 2,9; 3,19.20; 6,16; 9,9.10; 10,7; 14,21; 15,45.54-55 (die Herkunft von 2,9b und 9,10 sind unklar).152 An vielen Stellen finden sich Anspielungen auf alttestamentliche Stellen (5,7-8; 8,4; 9,13; 10,5.18-22; 11,7-9; 14,25; 15,25, u.a.). An manchen Stellen könnten jüdische Bibelauslegungen eine Rolle spielen (10,1-13).153 Paulus liegt daran, den Korinthern zu zeigen, dass seine Überzeugung von der zentralen Bedeutung des Kreuzestodes Jesu „gemäß der Schrift“ war (15,3-4). Für die ethischen Mahnungen spielt die Berufung auf die Schrift eine wichtige Rolle. Paulus kann einerseits Beschneidung und Speisegebote für aufgehoben erklären (7,19; 10,25), obwohl sie Gebote der Heiligen Schrift sind. Andererseits betont er, dass die (alttestamentliche) Heilige Schrift „unseretwegen“ geschrieben wurde (9,10; vgl. 10,11).154 2. Paulus verweist an mehreren Stellen – nur in 1Kor! – auf Jesusworte: 7,10 (Mk 10,11-12); 9,14 (Lk 10,7/Mt 10,10); 11,23-25.155 In 13,2 hat man oft eine Anspielung auf Mt 17,20; 21,21/Mk 11,23 gesehen. Der Hinweis auf den ————————————————————
152 153 154 155
Zur Zitierweise in 1Kor s. Stanley, Language, 185-215; zur Argumentation mit der Schrift in 1Kor s. Stanley, Arguing with Scripture, 75-96. Ellis, Paul’s Use of the Old Testament, 66-70. Zur normativen Verwendung der Schrift in der ethischen Argumentation des Apostels Paulus vgl. Rosner, Paul, passim. Dungan, Sayings, 83-131; Wenham, Paul, 144-147.156-159.192-193.242-249.
Einleitung 53 ————————————————————————————————————
Skandal des Kreuzestodes Jesu könnte eine Anspielung auf Mt 11,6/Lk 7,23 sein; das Wort vom weisen Bauen auf eine sichere Grundlage in 3,10-14 könnte Mt 7,24-27/Lk 6,47-49 reflektieren; für 4,1-2 vgl. Lk 12,42. Manche sehen in der Diskussion über Weisheit und Torheit in Kap. 1–4 ein Echo von Mt 11,25-27/Lk 10,21-22,156 und in 9,1-14 den Einfluss der Missionsrede in Mt 10,1-10.157 3. Paulus beruft sich in 15,3-8 ausdrücklich auf die Autorität des Evangeliums, d.h. auf die Autorität der apostolischen Tradition. In 5,7; 6,14.20; 7,23; 8,11; 11,23-26 und in 15,12.20 verweist er auf das Evangelium von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus. 7. Textüberlieferung Das älteste erhaltene griechische Manuskript, das die Paulusbriefe und damit auch den Ersten Korintherbrief enthält, ist der um 200 kopierte Chester Beatty Papyrus II (d46).158 Für 1Kor weist d46 in 1,23; 2,3; 3,5 Lücken auf, und 16,24 fehlt. Aus dem 3./4. Jh. haben wir das Fragment P.Oxy. 1008 (d15), das 7,18–8,4 enthält. Im 4. Jh. geben Codex Sinaiticus ( )אund Codex Vaticanus (B) den Ersten Korintherbrief vollständig wieder. Im 4./5. Jh. belegt die Majuskel 0270 die Verse 15,10-15.19-25. Für das 5. Jh. haben wir d14 (1,25-27; 2,6-8; 3,8-10.20).159 Codex Alexandrinus (A) und Codex Claramontanus (D) haben den Text von 1Kor vollständig. Im Codex Ephraemi Syri rescriptus (C) fehlen 1,1-2; 7,18–9,6; 13,8–15,40; die Majuskeln I (016) und 048 sind lückenhaft; die Majuskel 0201 bezeugt 12,2-3.6-13; 14,20-29. Aus dem 5./6. Jh. bezeugt die Majuskel 088 die Verse 15,53–16,9. Aus dem 6. Jh. liegen vor d11 (1,17-22; 2,9-12.14; 3,1-3.5-6; 4,3–5,5.7-8; 6,5-9.11-18; 7,3-6.10-14), d68 (4,12-17; 4,19–5,3), sowie die Majuskeln H (015) mit 10,22-29; 11,9-16, die Majuskel 0222 mit 9,5-7.10.12-13, und die Majuskel 0285 mit 4,2-7; 12,21-28; 14,26-34. Weitere Handschriften, die NA27 als „ständige Zeugen erster Ordnung“ aufführt, sind d34 (16,4-7.10; spätes 6. Jh.160), d61 (1,1-6; 5,1-6.9-13; 7. Jh.161), F (9. Jh.), G (9. Jh.), Ψ (9./10. Jh.), 075 (10. Jh.), 0121 (10. Jh.), 0185 (4. Jh.), 0199 (6./7. Jh.), 0243 (10. Jh.), 0289 (7./8. Jh.), 33 (9. Jh.), 1739 (10. Jh.), 1881 (14. Jh.). ————————————————————
156 157 158 159 160 161
Fjärstedt, Synoptic Tradition, 138-150; Wenham, Paul, 129-136. Dungan, Sayings, 1-80; Fjärstedt, Synoptic Tradition, 66-94; Wenham, Paul, 190-200. Vgl. Junack, Das Neue Testament auf Papyrus II.1, xliv-xlv, zur Datierung. Zur Kritik an Kim, Dating, der d46 ins späte 1. Jh. datiert, vgl. Pickering, Dating. Zur Zusammengehörigkeit von d11 und d14 s. Junack, Das Neue Testament auf Papyrus II.1, xxiv; zur Datierung in das 6. Jahrhundert ebd. xxv. Junack, Das Neue Testament auf Papyrus II.1, xxxvi; NA27 datiert in das 7. Jh. Junack, Das Neue Testament auf Papyrus II.1, xlviii. NA27 datiert „ca. 700“.
54 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Der um 96–98 n.Chr. geschriebene 1. Clemensbrief enthält in 47,1-4 die erste literarische Bezeugung des Ersten Korintherbriefs. In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts spielt Ignatius in seinen Briefen mehrfach auf 1Kor an; in IgnEph 12,2 erwähnt er den Brief auch ausdrücklich.162 Der Polykarpbrief an die Philipper zitiert in 11,2 unter expliziter Berufung auf Paulus 1Kor 6,2. Der Apostolos im Kanon des Marcion, der 1Kor mit beinhaltet, ist ein Reflex der Geltung des Briefes in der Kirche um 150 n.Chr. Der wahrscheinlich um 200 n.Chr. verfasste Canon Muratori erwähnt die Korintherbriefe nach den Evangelien und der Apostelgeschichte, offensichtlich in der Annahme, Paulus habe den Ersten und Zweiten Korintherbrief als erste seiner Briefe geschrieben. Die Überschrift ΠΡΟΣ ΚΟΡΙΝΘΙΟΥΣ Α ist mit d46 um 200 n.Chr. bezeugt.163 Dieselbe inscriptio haben א2 B2 C D 0142 0151.
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Lindemann, Paulus, Apostel und Lehrer, 270-271. Junack, Das Neue Testament auf Papyrus II.1, 152: Die Überschrift zum 1. Korintherbrief steht „nach dem Hebräerbrief und den entsprechenden Stichenangaben . . . innerhalb von 6 kurzen Zierstrichen“). Keine inscriptio haben *אB* 056. Bei den textkritischen Analysen steht die Abkürzung „Byz“ für den Byzantinischen Text (vgl. Editio Critica Maior).
Gruß und Danksagung 1,1-9 55 ————————————————————————————————————
II. Auslegung Gruß und Danksagung 1,1-9 Präskript: Absender, Adressaten, Gruß 1,1-3 I 1 Paulus, berufener Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, und Sosthenes der Bruder, 2 der Gemeinde Gottes, die sich in Korinth befindet, den in Christus Jesus Geheiligten, den berufenen Heiligen, mit allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus an jedem Ort anrufen, ihrem und unserem. 3 Gnade euch und Frieden von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
II Das Präskript des 1Kor besteht aus zwei Sätzen: die superscriptio nennt den Absender (V. 1), die adscriptio die Adressaten (V. 2), sodann folgt mit grammatikalischem Neueinsatz in der salutatio der Gruß, den Paulus immer als Gnaden- und Segenswunsch formuliert. Während der Gruß fast immer ähnlich formuliert wird, variieren superscriptio und adscriptio in den paulinischen Präskripten oft beträchlich. Paulus verwendet das antike Briefschema nie schematisch.1 Er nimmt die ersten beiden Glieder des traditionellen Schemas zum Anlass, die Situation, in der und für die er schreibt, schon im Briefeingang anzusprechen: Paulus ist als Apostel von Gott berufen, und Christen sind in Jesus Christus geheiligte Menschen. Damit ist ein Zweifaches angesprochen: die Autorität und die Verkündigung des Apostels einerseits und das Wesen der Gemeinde und das Verhalten ihrer Glieder andererseits. Es wäre zu einfach, wenn man den Inhalt des Ersten Korintherbriefs auf diese beiden Themen reduzieren wollte, verteilt auf Kap. 1–4 und Kap. 1–15. Aber es besteht kein Zweifel, dass diese Themen zum Kern der Diskussion gehören. Die Tatsache, dass Paulus einen Mitabsender nennt 2 und seinen Brief nicht an eine Einzelperson richtet, sondern an eine größere Gruppe von Men————————————————————
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In der Antike konnte jedes Element der einfachen Formel „A an B χαι'ρειν“ ausgeschmückt werden; in Papyrusbriefen ist dies schön zu beobachten; vgl. Arzt-Grabner, in ArztGrabner 35; ders., Philemon, 111-121, zur salutatio ebd. 115-121. Richards, Secretary, 47 findet in 645 untersuchten griechischen Papyrusbriefen nur sechs Beispiele für die Nennung eines Mitabsenders in der superscriptio.
56 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
schen, zeigt, dass es sich auch beim Ersten Korintherbrief nicht um einen Privatbrief handelt, sondern um ein öffentliches Schreiben.3 Textkritische Anmerkungen. Einige Handschriften lassen in V. 1 κλητο' ς aus (d61vid A D 81), das jedoch gut bezeugt ist (d64 אB u.a.). Vielleicht wurde κλητο' ς ausgelassen, weil es in V. 2 auf die Korinther bezogen noch einmal oder weil es bei Paulus sonst kaum vorkommt (nur noch in Röm 1,1).4 Die Reihenfolge Χριστου^ Ιησου^ (d46 B D F G 33) in V. 1 ist nicht sehr viel besser bezeugt als Ιησου^ Χριστου^ ( אA Ψ 1739 1881 Byz), entspricht aber der in den meisten Paulusbriefen üblichen Praxis (vgl. 2Kor 1,1; Phil 1,1; Kol 1,1; 1Tim 1,1; 2Tim 1,1; Phlm 1, jeweils ohne abweichende Lesart). Die früheren Briefe 1Thess 1,1; 2Thess 1,1 und Gal 1,1 schreiben „Jesus Christus“ ohne abweichende Lesart. Ähnliche Varianten wie 1Kor 1,1 haben Röm 1,1; Eph 1,1. In V. 2 fügen spätere Handschriften (א2 Ac D2 Ψ 1739 1881 Byz) hinter αυ τω ^ ν die Partikel τε ein.5
III 1 Paulus nennt zunächst seinen Namen als Absender des Briefes. Der Name Paulus könnte das supernomen des Apostels sein, d.h. sein lateinisch klingender Beiname, der in der Familie in Gebrauch war. Oder es handelt sich bei Παυ^ λος um das cognomen, d.h. um den Individualnamen, der zunächst das praenomen ergänzt und später ersetzt hat.6 Wenn Paulus in der superscriptio seinen Status als Apostel erwähnt, bestimmt er stets den Aposteltitel näher, entweder weil er in der betreffenden Gemeinde keine Autorität als der Missionar besitzt, der die Gemeinde gegründet hat (Röm 1,1), oder weil seine apostolische Autorität oder Kompetenz angefochten wird (V. 1; 2Kor 1,1; Gal 1,1).7 Paulus bezeichnet sich in V. 1 als Apostel Christi Jesu, als autorisierten Repräsentanten des Herrn, der ihn beauftragt hat, das Evangelium zu verkündigen. Das urchristliche Verständnis von α πο' στολος kann aufgrund von Mk 3,13-15 erhoben werden. Die Zwölf werden von Jesus ausgesandt (α ποστε'λλω), d.h. sie sollen wie Boten, die einen Botenweg zurücklegen und anderen Menschen eine Sache oder eine Information überbringen, zu Menschen hingehen; sie erhalten den Auftrag, zu verkündigen ————————————————————
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Roller, Formular, 59; Schrage I 98; vgl. die Bibliographie in Thiselton 57-59. Junack u.a., Das Neue Testament auf Papyrus II.1, 152 führt Raumgründe an. Zu dieser Lesart s. schon Hofmann 7-8. Zum Namen und zur Herkunft s. Riesner, Frühzeit, 126-129; Schnabel, Urchristliche Mission, 887-890. Zu den römischen Namen s. H. Rix, KP IV, 659-660; H. Solin, OCD 1024-1026; Holtheide, Bürgerrechtspolitik, 16-17.139. Baumann, Mitte, 21 formuliert zu stark, wenn er im Blick auf V. 1 von „Antithese und Polemik“ spricht. Zu α πο' στολος siehe unten zu 12,28.
Gruß und Danksagung 1,1-9 57 ————————————————————————————————————
(κηρυ' σσω), d.h. sie sollen eine Botschaft weitergeben, die Botschaft, die Jesus selbst verkündigt; sie erhalten Vollmacht (ε ξουσι' α), in Mk 3 Macht über Dämonen, d.h. sie werden wie Jesus Menschen von der Macht des Bösen befreien und haben somit Anteil an der Vollmacht Jesu. 8 Die beiden Momente der Bevollmächtigung und der Stellvertretung sind besonders wichtig. Paulus macht drei Aussagen über seine Bevollmächtigung als Apostel. Erstens, der Genitiv Χριστου^ Ιησου^ drückt entweder Urheber oder Besitzer aus: Paulus wurde von Jesus als Apostel beauftragt, und er gehört als Apostel Jesus Christus (als „Sklave“ Christi Röm 1,1; Gal 1,10; Phil 1,1; vgl. Tit 1,1: „Sklave Gottes und Apostel Jesu Christi“). In der Wendung Christus Jesus ist Christus (Χριστο' ς) nicht nur ein weiterer Name für Jesus, wie manchmal behauptet wird.9 Das Wort Χριστο' ς, die Übersetzung von hebr. „( ָמ ִשיַחder Gesalbte“), das mit „Messias“ übersetzt wird, wies für Judenchristen immer auf Jesus als die von Gott autorisierte endzeitliche Gestalt, die als Bevollmächtigter Gottes handelt.10 Dasselbe gilt für Heidenchristen, die in der Synagoge als Proselyten und Gottesfürchtige mit der Jesusbotschaft in Kontakt kamen. Die Bezeichnung von Christus als „Erstling“ der endzeitlichen Totenauferstehung (15,20-23) und seine Beschreibung als von Gott eingesetzter inthronisierter Regent, der die vollständige Herrschaft Gottes durchsetzt (15,24-28), ist ohne die frühjüdischen Messiasvorstellungen nicht verständlich. Paulus, der das Wort Χριστο' ς in seinen Briefen 383 Mal verwendet (von insgesamt 531 Belegen im NT), ist als „Apostel Christi Jesu“ der von Gott bevollmächtigte Stellvertreter des Messias Jesus. Zweitens, die Vokabel κλητο' ς unterstreicht, dass er von Jesus Christus zum Apostel berufen wurde; vgl. die Selbstzeugnisse in Gal 1,15; 1Kor 9,1-2; 15,8 und die lukanischen Berichte in Apg 9,15.17; 26,16-18. Weil er berufen ist, liegt ein „Zwang“ (α να' γκη) auf ihm, das Evangelium zu verkündigen (9,16). Paulus hat sich nicht freiwillig zum Missionsdienst gemeldet, sondern Jesus hat ihn zu dieser ————————————————————
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J.-A. Bühner, EWNT I, 340. Zum Apostelbegriff vgl. K. H. Rengstorf, ThWNT I, 406446; J.-A. Bühner, EWNT I, 342-351; K. Haacker, ThBLNT II, 1654-1667; J. Roloff, TRE III, 430-445; Schnabel, Urchristliche Mission, 280-283; Schrage I 99. Mitchell, Envoys, will das ntl. Verständnis des Apostelamts von den Konventionen der zeitgenössischen Diplomatie ableiten. W. Grundmann, ThWNT IX, 533-534; Kramer, Christos, 131-148.203-214. Richtig F. Hahn, EWNT III, 1149, der herausstellt, dass an den Stellen, wo Χριστο' ς mit Ιησου^ ς verbunden ist, die titulare Bedeutung von Χριστο' ς durchaus erhalten bleibt; siehe auch Wright, Covenant, 41-48; Hurtado, Lord Jesus Christ, 98-101. Zur weiten Verbreitung des Namens Jesus unter Juden innerhalb und außerhalb Palästinas s. die Belege aus den Papyri bei Arzt-Grabner, Philemon, 142-144. Zur endzeitlichen Gestalt des Messias im Frühjudentum s. Collins, Scepter; Horbury, Jewish Messianism; zu den Messiasvorstellungen der Qumrangemeinde s. Charlesworth u.a., Qumran-Messianism; Zimmermann, Messianische Texte.
58 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Arbeit berufen. Paulus wurde auch nicht von den Korinthern in Dienst gestellt, ein Thema, auf das Paulus später noch zurückkommen wird (4,1-5). Seine Autorität als Apostel gründet auch nicht auf bestimmte Qualifikationen, auf rhetorische oder missionarische Begabungen, die man in Korinth anerkennt oder anerkennen müsste (vgl. 2,1-5; 4,6-13).11 Drittens, die Bevollmächtigung als Apostel wird mit der Wendung δια` θελη' ματος θεου^ charakterisiert (s. auch 2Kor 1,1; Kol 1,1; Eph 1,1; 2Tim 1,1).12 Paulus betont, dass seine Berufung durch den Willen Gottes veranlasst wurde (s. Apg 22,13). Die Formulierung in Gal 1,1 zeigt, dass hier keine theologische Verwirrung vorliegt, sondern dass Paulus seine Berufung und Bevollmächtigung als Apostel bewusst zugleich auf Jesus Christus und auf Gott zurückführt; in Gal 1,1 verbindet die Präposition δια' in demselben Kontext Ιησου^ Χριστου^ mit θεου^ πατρο' ς. Die Diskussion in 1Kor hat im Vergleich zum Zweiten Korintherbrief keine Passagen, in denen Paulus seine apostolischen Qualifikationen explizit verteidigt. Die Betonung des Berufenseins und der Bevollmächtigung als Apostel durch Gott und durch Jesus Christus in V. 1 deutet in der Meinung mancher Ausleger darauf hin, dass die korinthischen Christen nicht nur untereinander im Streit liegen, sondern auch mit Paulus als ihrem Apostel Schwierigkeiten haben.13 Der Erste Korintherbrief kennt noch keine Konfrontation zwischen Gemeinde und Apostel, setzt aber Irritationen in der Gemeinde voraus, die auf einen gewissen Autoritätsverlust von Paulus zumindest in Teilen der Gemeinde hinweisen. 14 Mitabsender des Briefs ist Sosthenes der Bruder. Es ist unklar, ob dieser Sosthenes mit dem in Apg 18,17 erwähnten Vorsteher der Synagoge Korinths identisch, d.h. ein Kollege oder der Nachfolger des in Apg 18,8 erwähnten Synagogenvorstehers Krispus ist. Dieser Sosthenes spielte in dem von den korinthischen Juden (vergebens) angestrengten Prozess gegen Paulus eine Rolle. In diesem Fall wäre Sosthenes nach der Gallio-Episode Christ geworden und später nach Ephesus gereist, wo er Paulus als Mitarbeiter zur Seite stand.15 Die Erwähnung von Sosthenes als Mitabsender – kaum als Mit————————————————————
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Betont von Schrage I 100. Die Wendung wird in Hfa unterschlagen; GN übersetzt „nach dem Willen Gottes“, was die Nuance der „wirkenden Ursache“ (Bauer/Aland 360 s.v. δια' Α.ΙΙI.d.; BDR §223.3; HS §184f.cc.) vernachlässigt. Betont von Calvin 307-308; anders Bengel 622; Godet I 18; Garland 24-25; Thiselton 68. Fee 6-11.28-30 sieht große Spannungen zwischen den Korinthern und Paulus. Merklein I 67-68. Als Möglichkeit bei Pesch, Apostelgeschichte II, 151. Clemens von Alexandrien will wissen, dass dieser Sosthenes einer der 70 Jünger war, die Jesus nach Lk 10,1 ausgesandt hat (Eusebius, Hist. Eccl. 1,12,1).
Gruß und Danksagung 1,1-9 59 ————————————————————————————————————
autor16 – deutet darauf hin, dass die Korinther ihn kannten. Möglicherweise nennt Paulus ihn bewusst als Mitabsender, um die durch diesen Mitarbeiter verwirklichte Mitverantwortung der korinthischen Gemeinde an seinem missionarischen Wirken zu unterstreichen.17 Es bleibt in diesem Fall allerdings unklar, weshalb Paulus in V. 1 nicht (auch) die leitenden korinthischen Christen nennt, die sich gerade bei Paulus aufhalten, nämlich Stephanas, Fortunatus und Achaikus (16,15-18). Nun ist Sosthenes ein oft belegter griechischer Name, es könnte sich also um einen der zahlreichen Mitarbeiter von Paulus handeln.18 Die Bezeichnung Bruder beschreibt ihn als Mitchrist, d.h. als einen Menschen, der zur Familie Gottes gehört, die die Ortsgemeinde darstellt. Die Anrede und Selbstbezeichnung α δελφο' ς (lat. frater) war in den paganen Vereinen (collegia) nicht üblich,19 kommt jedoch in den dokumentarischen Papyri als Bezeichnung für den Amtsbruder, einen Freund, einen Standesgenossen, einen Berufskollegen oder einen Gleichgestellten vor. 20 Für die Anrede mit „Bruder“ konnte Paulus auf alttestamentliche und jüdische Gepflogenheiten zurückgreifen.21 Der christliche Gebrauch der Anrede, der auch für die alltägliche Begegnung auf der Straße oder auf dem Marktplatz anzunehmen ist, grenzt die Jesusbekenner, die „geschwisterlich“ miteinander verbunden sind, von „den Außenstehenden“ (5,12-13) ab und betont ihre quasi-familiäre Zusammengehörigkeit. Es fällt auf, wie Paulus oft mit großer Wärme von seinen Mitarbeitern spricht (vgl. Kol 4,7.9). Die Bezeichnung von Sosthenes als α δελφο' ς unterstreicht die persönliche Freundschaft und die kollegiale Verbundenheit des Apostels mit Sosthenes. 22 2 Paulus schreibt an die Gemeinde Gottes, die sich in Korinth befindet, d.h. an die Ortsgemeinde in Korinth, die zur weltweiten Gemeinde Gottes gehört.23 Das Verständnis von ε κκλησι' α ist zunächst von der üblichen Bedeutung der Vokabel in der hellenistischen Welt her zu bestimmen, wo das Wort ————————————————————
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So jedoch Murphy-O’Connor, Co-Authorship, 567-570 im Blick auf das „wir“ in 1,18-31; 2,6-16; dagegen Lindemann 26. Zu Mitabsendern in jüdischen Briefen vgl. Taatz, Frühjüdische Briefe, 113. Schrage I 101; vgl. ebd. zur folgenden Bemerkung. Zu den Mitarbeitern des Paulus s. Ollrog, Mitarbeiter (zu Sosthenes ebd. 187-189); E. E. Ellis, DPL 183-189; Schnabel, Urchristliche Mission, 1365-1384. Ebel, Attraktivität, 204-211 hat die antiken Belege neu gesichtet; für die folgende Bemerkung vgl. ebd. 211-213. Der christliche Gebrauch der Anrede ist „eine Quelle für Mißverständnisse oder gar Entsetzen auf seiten statusbewußter Mitmenschen“ (213). Vgl. Arzt-Grabner, Brothers, 185-204; ders., Philemon, 145-156 für Belege. Vgl. E. Jenni, THAT I, 98-104; H. Ringgren, ThWAT I, 205-210; K. H. Schelkle, Art. Bruder, RAC II, 635-636. Vgl. Lev 19,17; 25,46; Dtn 3,18; 2Sam 1,26; 2Kön 9,2; Josephus, Bell. 2,122; 1QS 6,10.22; CD 6,20; 7,1-2; vgl. Bill. II, 766. Vgl. Arzt-Grabner 39; Banks, Community, 51; Thiselton 70-71. Die Übersetzung „Mitarbeiter“ (Hfa) ist zu farblos. Zu α δελφο' ς bei Paulus vgl. Schäfer, Gemeinde, 21-28.
60 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
die Volksversammlung beschreibt, die aus den stimmberechtigten freien Männern bestand.24 Auf diesem Hintergrund ist ε κκλησι' α „dort, wo man sich versammelt, um ε κκλησι' α zu sein“, im christlichen Bereich also „das Geschehen gottesdienstlicher Versammlung“. 25 Gleichzeitig ist ε κκλησι' α του^ θεου^ das griechische Äquivalent für ( ְקָהל ֵאלqehal el), ein Ausdruck, der in frühjüdischen Texten26 wie 1QM 4,10 und 1QSa 1,25 im apokalyptischem Sinn das endzeitliche Aufgebot Gottes bezeichnet, d.h. die Menschen in Israel, die Gott im Zusammenhang der Ereignisse der Endzeit in seinen Dienst beruft.27 Auf diesem Hintergrund bezeichnet ε κκλησι' α του^ θεου^ die Schar der Menschen, die Jesus als Messias und Kyrios bekennen. Der Ausdruck charakterisiert damit die Versammlung der Juden- und Heidenchristen in heilsgeschichtlicher Kontinuität mit Israel als das endzeitliche Volk Gottes – auch in Korinth. Der Genitiv του^ θεου^ bezeichnet den Urheber oder Besitzer: die Gemeinde wurde durch Gott ins Leben gerufen (s. die mit ε κκλησι' α verbundene Erwählungsterminologie in 1Thess 1,4; 2,12; 4,7; 5,9.24), und deshalb gehört sie Gott (vgl. 3,23). Weder Paulus und seine Mitarbeiter noch die Korinther bestimmen, wer zur Gemeinde gehört – Gott ist es, der das durch sein erwählendes Heilshandeln in Jesus Christus bestimmt. Die Bedeutung des Wortes ε κκλησι' α für den Ersten Korintherbrief zeigt sich an der Tatsache, dass von den 62 Belegen der Vokabel in den Paulusbriefen mehr als ein Drittel, nämlich 22 Belege, für den Ersten Korintherbrief zu verzeichnen sind.28 Die Näherbestimmung der korinthischen Gemeinde und ihrer Glieder als die in Christus Jesus Geheiligten und als berufene Heilige macht deutlich, dass die Gemeinde keine von Menschen organisierte Institution ist. Das sub————————————————————
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K. L. Schmidt, ThWNT III, 508 überinterpretiert die Formulierung, wenn er übersetzt: „die Gemeinde, Kirche, Versammlung, wie sie in Korinth ist“; er argumentiert für die Vorstellung, „daß nicht erst eine Addition von Einzelgemeinden die Gesamtgemeinde, die Kirche ergibt, sondern daß jede, wenn auch noch so kleine, Gemeinde die Gesamtgemeinde, die Kirche darstellt“. Zur Kritik vgl. Thiselton 74. Neben den Wörterbüchern s. Roloff, Kirche, 83-85.96-99; Kraus, Volk Gottes, 124-126, zur Ekklesiologie in 1Kor ebd. 156-196. Die Ableitung aus ε κ („heraus“) und καλε' ω („rufen“) und die Charakterisierung der in der ε κκλησι'α versammelten Christen als die aus der Welt „Herausgerufenen“ (z.B. Hodge 26: „called out from the world“) kann aus dem ntl. Befund nicht bestätigt werden. Kraus, Volk Gottes, 124; die folgenden Bemerkungen ebd. 125. In der Septuaginta wird קהלmit ε κκλησι'α, aber auch mit συναγωγη' (häufig in Gen, Lev, Num, Jer, Ez) übersetzt. J. Roloff, EWNT I, 1001; K. Berger, TRE XVIII, 214-215; Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 210-212; Kraus, Volk Gottes, 125. Die Formulierung τη^, ου» ση, ε ν Κορι'νθω, ist nicht “Kanzleisprache”, wie Conzelmann 36 Anm. 3 meint, sondern eine schlichte Ortsangabe, wie die Papyrusbelege dokumentieren; vgl. Arzt-Grabner 40-41.
Gruß und Danksagung 1,1-9 61 ————————————————————————————————————
stantivierte passivische Partizip η γιασμε'νοι verweist auf Gott als den Ursprung und Urheber aller Heiligkeit. Die Formulierung unterstreicht das Heilshandeln Gottes als das entscheidende Charakteristikum der Gemeinde als geheiligtes Volk Gottes. Die Menschen, die zur ε κκλησι' α gehören, haben nur infolge des von Gott selbst gestifteten (neuen) Bundes mit dem heiligen Gott Gemeinschaft (vgl. Ex 19,6; Lev 19,2; 22,32; Dtn 7,6; 28,9).29 Im AT bezeichnet Heiligkeit „einen in der Macht und Vollkommenheit Gottes begründeten und von daher den Menschen aus einer außer- und überweltlichen Wirklichkeit treffenden Anspruch“.30 Das Verb benennt „den Vorgang der Zueignung und Übergabe von Sachen und Personen an Gott, wodurch diese dem alltäglichen Gebrauch entzogen werden“. Die Wendung η γιασμε' νοι kommt in Briefpräskripten sonst nicht vor. Paulus erinnert die korinthische Gemeinde an Gottes heiligendes Wirken, das ihnen eine in ihrer Geltung fortdauernde Würde verleiht (Perfekt). Während Paulus in den folgenden Ausführungen oft genug veranlasst ist, den Imperativ zu gebrauchen, setzt er in 1,2 mit dem Indikativ ein. Als Geheiligte sind die Korinther berufene Heilige. Das Verbaladjektiv κλητοι' (nicht „Heilige“ sind berufen worden, sondern die „Berufenen“ sind heilig31) verbindet den neuen Status der Korinther, von denen eine Mehrzahl Heiden gewesen sein dürften, mit dem erwählenden (Heils-)Handeln Gottes. Es ist die Berufung durch Gott, die Heiligkeit verleiht und garantiert, nicht das moralische Handeln der Gemeindeglieder. Das Adjektiv α«γιοι verweist noch einmal auf die Beziehung zu Gott und sein Heil und Heiligkeit schaffendes Handeln. Im AT sind Stellen wie Ex 19,6 („Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein“) und Lev 19,2 („Ihr sollt heilig sein, denn ich der Herr, euer Gott, bin heilig) zu vergleichen. Wichtig sind Stellen in der LXX, in denen die Wendung κλητη` α γι' α für die heilige Versammlung des Gottesvolks am ersten Tag und an den letzten Tagen des Passafestes verwandt wird.32 Wichtig ist die Bestimmung in Christus Jesus: die Berufung durch Gott, die Heiligkeit verleiht, geschah ε ν Χριστω ^, Ιησου^ . ————————————————————
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Vgl. H.-P. Müller, THAT II, 605-608; H. Balz, EWNT I, 42-43; Merklein I 73-74; Schrage I 103. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 185-186; Schnelle, Gerechtigkeit, 45-46; Kraus, Volk Gottes, 161-162; Merklein I 201-202; Schrage I 104 u.a. meinen, dass sich hinter dem Ausdruck Tauftradition verberge. Dies ist (vom volkskirchlichen Taufverständnis her?) in den Text hineingetragen. H. Balz, EWNT I, 43, mit Verweis auf Lev 19,2; 1Kön 2,2; Jes 31,1; Hos 11,9; für die folgende Definition von α για' ζω vgl. ebd. In außerbiblischen literarischen und dokumentarischen Texten kommt α«γιος relativ selten vor; Arzt-Grabner, Philemon, 180-181. Lindemann 26. Zum Gebrauch von καλε' ω κτλ. bei Paulus s. neben den Wörterbüchern Chester, Conversion, 59-112.325-327. Chester, Conversion, 89; vgl. Ex 12,16; Lev 23,2.3.4.7.8.21.24.27.35.36.37; Num 28,25. Ein deutlicher Hinweis auf das Passafest findet sich in 1Kor 5,6-8.
62 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die Präposition ε ν hat in dieser von Paulus oft gebrauchten Wendung sowohl eine instrumentale als auch eine lokale Bedeutung. Unheilige Menschen werden allein durch Jesus Christus heilig, indem Gott durch den Kreuzestod und in der Auferstehung Jesu die Schuld des Sünders gesühnt und Sünde vergeben hat (vgl. 1,18.21.24.30; Röm 3,24-25). Die bei Paulus häufige Formulierung ε ν Χριστω ^, zeigt jedoch, dass die Verwendung von ε ν mit dem Dativ der Person über die instrumentale Bedeutung hinausgeht und oft die persönliche Gegenwart oder eine enge persönliche Beziehung anzeigt.33 Unheilige Menschen erhalten und bewahren allein in Jesus Christus Heil und Heiligkeit, d.h. in dem von Jesus Christus und seiner Heilstat bestimmten ^, Ιησου^ sehr wahrHeils- und Herrschaftsbereich.34 Schließlich hat ε ν Χριστω 35 scheinlich auch eine heilsgeschichtliche Dimension: Paulus verwendet die Formulierungen ε ν (τω ^, ) Χριστω ^, und ε ν (τω ^, ) Χριστω ^, Ιησου^ insgesamt 78 Mal und die Formulierung ε ν (τω ^, ) κυρι' ω, 47 Mal, während die Formulierungen ε ν ^, nur 2 Mal verwendet werden. Die Präposition Ιησου^ und ε ν Ιησου^ Χριστω ε ν weist auf die korporative Bedeutung des Messias hin, der das Gottesvolk repräsentiert und „in“ dem die Glieder des Gottesvolkes ihre neue Identität finden. Die folgenden Abschnitte des Ersten Korintherbriefs machen rasch deutlich, dass die Korinther alles andere als heilig gelebt haben. Dass Paulus sie ausdrücklich bereits im Präskript auf ihre Heiligkeit anspricht, sollte nicht als rhetorische captatio benevolentiae beurteilt werden: der erwählende Ruf Gottes machte die korinthischen Jesusbekenner tatsächlich zu Heiligen, und er ermöglicht und fordert gleichzeitig ein entsprechendes Verhalten, auf das Paulus sie mit seinem Brief erneut verpflichtet.36 Die Wendung die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen ist eine Bezeichnung für Christen, die zu Jesus Christus als Kyrios beten. 37 ————————————————————
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Bauer /Aland 521-523 s.v. ε ν I.3/5. Die meisten Übersetzungen übertragen ε ν in V. 2 mit „in“ („in Christus Jesus“), s. LÜ, EÜ, Elb.Ü, SÜ, NIV, NRSV; anders NGÜ; GN übersetzt in V. 2 sinngemäß richtig „durch die Verbindung mit Jesus Christus“. Schrage I 103. Die räumliche Vorstellung darf nicht in mystischem Sinn als Eingliederung in den mystischen Leib Christi verstanden werden; s. Merklein I 74. Vgl. Wright, Covenant, 41-55 zu den folgenden Ausführungen. Merklein I 74, der damit sachlich das bei Paulus zu beobachtende Gefälle vom Indikativ zum Imperativ vorbereitet sieht. Die Formulierung kommt öfter in der LXX als Beschreibung von Menschen vor, die den wahren Gott anbeten: Gen 4,26; 12,8; 13,4; 21,33; 26,25; 1Kön 18,24; 1Chron 16,8; Ps 75,1; 79,6; 80,18; 99,6; 116,4.13; Jes 64,7; Klgl 3,55; Joel 3,5 [2,32]; Zef 3,9; Sach 13,9. Man sollte das Beten nicht auf die „Akklamation im Gottesdienst“ (Schrage I 105-106 mit Anm. 50) beschränken. Gegen Weiss 3-4 (gefolgt von Fascher 81; Jewett, Redaction, 423423; Schmithals, Briefe, 48) besteht keine Notwendigkeit, den Satz als Interpolation zu streichen; zur Kritik s. Baumann, Mitte, 26; Schrage I 104 Anm. 42; Thiselton 73.
Gruß und Danksagung 1,1-9 63 ————————————————————————————————————
Der Name (το` ο» νομα) steht für die Person. Die Anrufung des Namens „vergegenwärtigt die Wirklichkeit, Stellung und Würde der benannten Person“. 38 Die Tatsache, dass Paulus auch am Ende des Briefes (16,23) vom κυ' ριος Ιησου^ ς spricht, wies die Leser im römischen Korinth auf den Kontrast zum Kaiser hin: „Schließlich war damit vom κυ' ριος Ιη σου^ ς an der Stelle die Rede, wo unmittelbar danach die Datierung folgte, die in den zeitgenössischen Papyri äußerst häufig auf den κυ' ριος Claudius oder auf Νε' ρων ο κυ' ριος bezogen war!” 39 Schwierig ist die Formulierung συ` ν πα^ σιν . . . ε ν παντι` το' πω, , die alle (Christen) an jedem Ort als weitere Adressaten neben den Korinthern zu nennen scheint. Paulus gebraucht die Wendung ε ν παντι` το' πω, auch in 2Kor 2,14; 1Thess 1,8. Im Vergleich mit dem einen Ort der richtigen Anbetung Gottes im AT40 unterstreicht die Formulierung die Ausbreitung des Evangeliums in der Welt durch seine Missionsarbeit. Man vergleiche Mal 1,11, wo Gott ankündigt, dass die Zeit kommen wird, wo die Heiden ihn „an jedem Ort“ anbeten werden: „Denn vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang ist mein Name herrlich unter den Heiden, und an allen Orten [LXX: ε ν παντι` το' πω, ] wird meinem Namen geopfert und ein reines Opfer dargebracht; denn mein Name ist herrlich unter den Heiden, spricht der Herr Zebaoth.“ Dieses atl. Echo weist darauf hin, dass die korinthischen Christen Teil der Erfüllung von Gottes endzeitlichem Handeln sind, das die Nationen der Erde erreicht.41 Manche Ausleger haben gemeint, Paulus habe seine Briefe immer auch an alle Christen gerichtet. 42 Zu beachten ist, dass Paulus συ' ν und nicht και' schreibt: er nennt keine weiteren Adressaten des Briefes, sondern erinnert die Korinther an die Tatsache, dass sie nicht alleine Christen sind, sondern mit anderen Christen im Glauben an Jesus Christus verbunden sind.43 Die nachklappenden Pronomina ihrem und unserem werden von manchen Auslegern auf Ort bezogen: Christus ist der eine Herr der Christen, die an unterschiedlichen Orten wohnen. 44 Andere beziehen die Wendung auf Herr: Jesus ist der Herr der Christen an allen Orten und der ————————————————————
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Vgl. Arzt-Grabner 42; der Papyrus UPZ I 77 enthält den einzigen vorpaulinischen Beleg für die Verwendung von ε πικαλε' ω zur Bezeichnung der Anrufung einer Gottheit. Arzt-Grabner 43; ders., Philemon, 174-175. Claudius: P.Oxy. I 37; P.Oxy. XXXVIII 2837; SB I 4331; Nero: P.Oxy. XXXVIII 2851; P.Ryl. IV 595; SB VI 9545; in den Papyri gibt es über 120 Belege für die Anwendung des κυ' ριος-Titels auf Nero. Vgl. Dtn 12,11.21.26; 14,23-24; 16,2.6.11; 17,8.10; 26,2. Vgl. Ciampa /Rosner 696. Vgl. Fascher 81. Trobisch, Paulusbriefsammlung, 81-83 meint, in V. 2b liege die Adressenangabe einer zweiten „allgemeinen“ Ausgabe des 1Kor innerhalb einer Briefsammlung vor, zu der Röm, Hebr, 1Kor und Eph gehört hätten. Vgl. Fee 33-34; Merklein I 77; Schrage I 102-103; Lindemann 27; Garland 29. So Chrysostomus; die Vulgata übersetzt in diesem Sinn: in omni loco ipsorum et nostro; vgl. Wilckens NT; Schlatter, Merklein, Schrage, z.St.
64 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Herr der Christen in Korinth und ihres Apostels.45 Beide Erklärungen ergeben einen Sinn, die zweite scheint im Kontext (s. V. 13) plausibler. Die Bezeichnung von Jesus Christus als Kyrios46 hat einen zweifachen Hintergrund. 1. Griechisch sprechende Juden verwendeten kyrios als Übersetzungsäquivalent für hebräisch adonai und aramäisch maryah (die unbestimmte Form ist marēh), also für die gängigen Substitute des hebräischen Namens Gottes (YHWH). Josephus verwendet meistens δεσπο' της als Bezeichnung für den Namen Gottes, Philo zieht κυ' ριος vor. Die Auskunft, die LXX übersetze den Gottesnamen יהוהmit κυ' ριος, ist nur bedingt richtig: In den großen Codizes des 4./5. Jh.s kann man diesen Brauch in der Tat beobachten, aber hier handelt es sich um christliche Abschriften. In Texten, die für Griechisch sprechende Juden geschrieben wurden, hat man יהוהin hebräischen oder althebräischen Buchstaben in den griechischen Text eingefügt (vgl. Papyrus Fouad 266; 8HevXII gr). Gleichzeitig gibt es eindeutige Belege für den einsetzenden Brauch, den Gottesnamen יהוהim Aramäischen als ( ָמֵרהmarēh; 1QGenApoc 20,12-13) oder ( ַמְרָיאmarja; 4QHenb 1, IV 5), im Hebräischen als ’( ָאדֹוןadon; 11QPsa 28,7-8) und im Griechischen als κυ' ριος (kyrios; Josephus, Ant. 13,68 als Zitat von Jes 19,19; TestLev 18,2; grHen 10,9) wiederzugeben. 47 2. Griechisch sprechende Juden verwendeten κυ' ριος als Bezeichnung für Gott. Die Herleitung der ntl. Bedeutung von κυ' ριος vom griechisch-hellenistischen Bereich, in dem κυ' ριος Menschen mit höherem gesellschaftlichen Status sowie Gottheiten und den (vergöttlichten) Kaiser bezeichnete, kann mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden. Die ersten Jesusbekenner, allesamt fromme Juden, hätten angesichts der jüdischen Antipathie gegenüber der heidnischen Religiosität kaum die religiöse Bedeutung von κυ' ριος in der griechischrömischen Gesellschaft als Vorbild für die Beschreibung von Jesus Christus entliehen. Andererseits ist die Annahme durchaus plausibel, dass Paulus als Missionar in Städten, in denen verschiedene Götter sowie die Kaiser als Kyrios und als Soter verehrt wurden, ganz bewusst Jesus Christus als Kyrios verkündigt, „in polemischem Kontrast zum Machtanspruch aller heidnischen Kultgottheiten, vor allem aber auch zum kyrios Kaisar des Herrscherkultes“.48 Dass Paulus sich solcher Konnotationen sehr wohl bewusst war, zeigt 8,5. Die Bezeichnung von Jesus Christus als κυ' ριος (275 Mal in den Paulusbriefen, von insgesamt 719 Belegen im NT) ist vor allem dort auffallend, wo Paulus atl. Zitate, die sich auf Gott beziehen, auf Jesus anwendet, d.h. wo er Jesus als κυ' ριος bezeichnet (1Kor 1,31/Jer 9,23-24; 10,26/Ps 24,1; 2Kor 10,17/Jer 9,23-24; Röm 10,13/Joel 2,32; vgl. 1Kor 10,21/Mal 1,7.12; 10,22/Dtn 32,21; 2Kor 3,16/Ex 34,34; 1Thess 3,13/Sach 14,5; 4,6/Ps 94,2; und vor allem Phil 2,10-11, wo Jesus auf dem Hintergrund von Jes 45,23-25 beschrieben wird, ein Text, der die Unterwerfung der Schöp————————————————————
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Godet I 22-23; Lietzmann 5; Ellingworth/Hatton 8; Garland 28; Thiselton 77-78. W. Foerster / G. Quell, ThWNT III, 1038-1098; J. A. Fitzmyer, EWNT II, 811-820; L. W. Hurtado, DPL 560-569; Fitzmyer, A Wandering Aramean, 115-143; Hurtado, Lord Jesus Christ, 108-118; vgl. Turner, ‚Divine‘ Christology, 413-436; Capes, Yahweh Texts; Dunn, Theology of Paul, 244-252; Richardson, Language; Schnabel, Urchristliche Mission, 1345-1349. Vgl. J. A. Fitzmyer, EWNT II, 816-817 zur traditionsgeschichtlichen Herkunft. Roloff, Apostelgeschichte, 55; Schnabel, Urchristliche Mission, 1212.1344-1345.
Gruß und Danksagung 1,1-9 65 ———————————————————————————————————— fung unter Gott beschreibt). Diese Stellen zeigen, dass Jesus Christus für Paulus in fundamentaler Hinsicht auf direkte und einzigartige Weise mit Gott verbunden ist.49 Ein weiterer Hinweis ist die atl. Tradition vom „Tag des Herrn“, den Paulus mit dem endzeitlichen Sieg Jesu identifiziert (1Thess 5,2; 1Kor 5,5), wobei Jesus in 1Kor 1,8; 2Kor 1,14 explizit als κυ' ριος bezeichnet wird.50 Die Akklamationen Jesu im frühchristlichen Gottesdienst, in denen die Formulierung Κυ' ριος Ιησου^ ς eine zentrale Rolle gespielt hat (Röm 10,9-10; Phil 2,9-11; 1Kor 8,5-6; vgl. 1Kor 16,22, mit dem Gebetsruf Μαρανα θα („Unser Herr, komm!“; vgl. Offb 22,20). Die ungefähr 65 Stellen, an denen κυ' ριος zusammen mit Ιησου^ ς oder Χριστο' ς vorkommt (wie in V. 2), zeigen, wie routinemäßig die ersten Christen von Jesus Christus als „Herr“ gesprochen haben. An vielen Stellen ist der „Herr“ der Auferstandene und der zur Rechten Gottes Erhöhte, der wiederkommen wird (1Thess 4,16-17; 5,2; 1Kor 11,26). Aber der „Herr“ ist keine bloß transzendente Größe, sondern durch seinen Geist gegenwärtig. Auch deshalb ist er unser Herr (V. 2).
3 Der in Briefen übliche Gruß in der salutatio am Ende des Präskripts ist bei
Paulus immer zugleich ein Segenswunsch (LÜ, EÜ: „Gnade sei mit euch“). 51 Paulus formuliert in Gal 1,3; 2Thess 1,2; 2Kor 1,2; Röm 1,7; Eph 1,2; Phil 1,2; Phlm 3 identisch. Gnade ist ein zentraler Begriff der paulinischen Theologie, der die Zuwendung Gottes zum Sünder und damit das durch Jesus, den stellvertretend für die Sünden gestorbenen und auferstandenen Messias und Kyrios, ermöglichte Heil schlechthin beschreibt. 52 Während schon Aristoteles das Ungeschuldetsein der χα' ρις betont, die damit im Gegensatz zum Lohn steht, versteht Paulus im Anschluss an alttestamentliche und jüdische Aussagen χα' ρις als „die Ermöglichung des Zugangs zu Gott überhaupt durch diesen Gott selbst“.53 Weil der heilige Gott selbst dem sündigen Menschen Gemeinschaft mit sich gewährt, ist die Gnade Gottes der Grund des erwählenden Rufs, der den Menschen Erlösung und Vergebung der Sünden schenkt. Die Bedeutung des Wortes χα' ρις bei Paulus legt es nahe, davon auszugehen, dass die Verwendung der Vokabel in den Briefanfängen und Briefschlüssen nicht als bloße Höflichkeitsfloskel zu verstehen ist, die das in antiken Briefen gebräuchliche χαι' ρειν ersetzt.54 Paulus spricht in V. 3 den Christen in Korinth „die Segensfülle“ der Heilstat Gottes in Jesus Christus zu, ————————————————————
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Hurtado, Lord Jesus Christ, 112; das Folgende ebd. 113-114. Kreitzer, Jesus and God, 116. D.h. die Kopula ει»η ist zu ergänzen; vgl. BDR §1288; NSS II, 55; Lindemann 28. Vgl. die salutatio in 1Petr 1,2; 2Petr 1,2; Jud 2. Vgl. 1,4; 3,10; 10,30; 15,10.57; 16,3.23; s. Röm 1,5.7; 3,24; 4,4.16; 5,2.15.17.20.21; 6,1.14.15.17; 7,25; 11,5.6; 12,3.6; 15,15; 16,20. Von 155 ntl. Belegen finden sich 100 bei Paulus. Zu χα' ρις vgl. H. Conzelmann, ThWNT IX, 350-405; K. Berger, ThWNT III, 1095-1102; Zeller, Charis, 129-200; Harrison, Grace, passim. K. Berger, EWNT III, 1096, mit Verweis auf 2Tim 1,9; Eph 1,6.7; 2,5.8; Gal 1,15. Vgl. Aristoteles, Rhet. 2,7,1385a.
66 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
die in seinem Opfertod am Kreuz geschehen ist. 55 Friede (ει ρη' νη) ist hier das Resultat der Gnade und bezeichnet im Anschluss an die atl. Vorstellung vom schalom „das Ganz-, Wohl- und Heilsein der Menschen und ihrer Verhältnisse bis hin zum endzeitlichen Heil, das die Prophetie für die messianische Heilszeit ankündigt“.56 Nach Paulus haben Jesusbekenner „Frieden mit Gott durch Jesus Christus“ (Röm 5,1), und das heißt: Versöhnung (Röm 5,10). Der „Friede Gottes“ ist eine Heilsmacht, die alles übersteigt, was sich menschliches Denken und Verstehen vorstellen kann, und die deshalb die Herzen und Gedanken „in der Gemeinschaft mit Jesus Christus“ bewahrt (Phil 4,7). Der Friede, den Christen jetzt haben und den Paulus den Korinthern weiterhin wünscht und zuspricht, ist zusammen mit Gerechtigkeit und Freude ein primäres Kennzeichen der angebrochenen Gottesherrschaft (Röm 14,17). Es ist damit zu rechnen, dass die Kombination von „Gnade“ und „Friede“ 57 – beides Vokabeln, die in der kaiserlichen Propaganda seit Kaiser Augustus eine wichtige Rolle spielten – die Leser veranlasste, die vom Kaiser gewährte Gunst für die Stadt Korinth und den in Griechenland herrschenden Frieden mit der von Jesus Christus gewährten Gunst und den durch diese erwirkten umfassenden Frieden mit Gott zu vergleichen. 58 Der Urheber (α πο' )59 von Gnade und Friede ist Gott der Vater und Jesus Christus der Herr. Der Hintergrund des Grußes in antiken Briefen macht deutlich, dass Paulus sich mit seiner Formulierung als Vermittler beschreibt: χα' ρις und ει ρη' νη kommen nicht von ihm, sondern von Gott und Jesus Christus.60 Die Wendung Gott unser Vater (θεου^ πατρο` ς η μω ^ ν) erinnert die Leser an eine zentrale Überzeugung der Verkündigung Jesu sowie der urchristlichen ————————————————————
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Arzt-Grabner, Philemon, 110 weist darauf hin, dass das Grußwort χαι'ρειν seinen Ursprung in der Aufforderung an den Gastfreund hat, (Begrüßungs- oder Abschieds-) Geschenke freudig anzunehmen und zu genießen; die Verwendung von χαι'ρειν im Eingangsgruß erweist den Brief als „ein Medium, das – als eine Art Geschenk – Freude vermitteln soll, vor allem auch darüber, dass die Beziehung zwischen Absenderin bzw. Absender und Adressatin bzw. Adressat (nach wie vor) aufrecht ist“. Zeller, Charis, 132-133 geht aufgrund der Verwendung dieses Segenswunsches am Briefeingang in Offb 1,4; 1Petr 1,2; 2Petr 1,2; 1Clem (inscriptio) davon aus, dass es diese Formel schon im hellenistischen Judentum gab; so auch Berger, Apostelbrief, 101-206. Moffatt, Grace, 146-147 nimmt an, Paulus habe diese Form des Wunsches eingeführt. H. H. Eßer, ThBLNT I, 821; vgl. Schrage I 106. Schrage I 106, mit Verweis auf Jes 9,5-6; 32,17-18; 52,7; 54,10. Vgl. 2Kor 1,2; Röm 1,7; Gal 1,3; Eph 1,2; Kol 1,2; 1Thess 1,1; 2Thess 1,2; Phlm 3; 1Tim 1,2; 2Tim 1,2; Tit 1,4. Zu der Formel „Gnade und Friede (sei) mit euch“ vgl. Lieu, Apostolic Greeting, 161-178. Harrison, Grace, 230 mit Anm. 71. Die Wendung α πο` θεου^ ist sowohl mit χα' ρις als auch mit ειρη' νη zu verbinden, nicht nur mit ειρη' νη. Arzt-Grabner, Philemon, 122.
Gruß und Danksagung 1,1-9 67 ————————————————————————————————————
Theologie. Im AT ist die Bezeichnung Gottes als „Vater“ auf das Volk Israel und auf den König Israels beschränkt, sie wird sonst nie auf einen einzelnen Menschen oder auf die Menschheit allgemein angewandt. 61 Während Gott in der Antike oft als „Vater“ bezeichnet wird, ist im AT und von daher auch im NT die Vaterschaft Gottes „nicht biologisch oder mythologisch, sondern soteriologisch verstanden . . . Die Gotteskindschaft stellt nicht eine natürliche Qualität dar, sie ist vielmehr im Wunder der göttlichen Erwählung und Erlösung begründet“. Die Wendung „Gott unser Vater“ korrespondiert in den Briefpräskripten mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus als dem „Herrn“. Das heißt, wenn Paulus Gott als Vater der Jesusbekenner bezeichnet, zu denen in Korinth auch ehemalige Heiden gehören, dann spricht er „nicht von einer natürlichen Gegebenheit, sondern von dem Wunder der Zuwendung Gottes zu den Verlorenen, die in der Menschwerdung, dem Kreuzestod und der Auferstehung des Sohnes Gottes Ereignis geworden ist und die Gott selbst durch seinen Heiligen Geist erschließt“.62 Die Wendung unser Vater (πατρο` ς η μω ^ ν) ist möglicherweise eine Anspielung auf das Vater Unser (πα' τερ η μω ^ ν, Mt 6,9). Neben Gott ist der Herr Jesus Christus der Urheber und Ursprung von Gnade und Friede. Diese Koordination von Gott dem Vater und Jesus Christus setzt die Erhöhung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus zum Kyrios voraus63 und impliziert gleichzeitig die göttliche Würde Jesu Christi.64
IV Paulus erwähnt in der ersten Zeile seines Briefes an die Korinther seine Berufung zum Apostel. Er wird in einem späteren Abschnitt darauf hinweisen, dass Apostel Mitarbeiter Gottes und Diener der Gemeinde sind, und dass deshalb Statusfragen und Ruhmsucht ausgeschlossen sind. Und trotzdem ist die Berufung zum Missionar, zum theologischen Lehrer, zum Pastor von Gemeinden eine Wirklichkeit, die Paulus auf den ausdrücklichen Willen ————————————————————
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O. Hofius, ThBLNT II, 1724: Dtn 32,6; Jes 63,16; 64,7; Jer 31,9; Mal 1,6; 2,10 (Israel); 2Sam 7,14; 1Chron 17,13; 22,10; 28,6; Ps 89,27 (Israels König); das folgende Zitat ebd. O. Hofius, ThBLNT II, 1727, mit Verweis auf Röm 8; Gal 4. Es ist grammatikalisch möglich, η μω^ ν mit κυρι'ου parallel zu setzen („der Vater von uns und von dem Herrn Jesus Christus“); die eindeutigen Formulierungen in 2Thess 1,1 und in 1Kor 8,6; Gal 1,1; 1Thess 1,1; 3,11 und die Parallelen in 1Tim 1,2; 2Tim 1,2; Tit 1,4 schließen dieses Verständnis aus; vgl. Harris, Second Corinthians, 136 (für 2Kor 1,2); s. Lindemann 28. Schrage I 106, der hinzufügt: „Beide sind jetzt zusammenzusehen und zusammenzudenken. . . . Nur derjenige kann Gott zum Vater haben, der Jesus Christus zum Herrn hat. Gott ist da Vater, wo Jesus Christus Herr ist“ (106-107). Vgl. Merklein I 79. Harris, Second Corinthians, 136.
68 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gottes zurückführt. Martin Luther schreibt zum Apostelamt, zu dem Paulus, wie die anderen urchristlichen Apostel, berufen ist: „Wenn es sich nun also bei den heiligen Ämtern um etwas so Erhabenes handelt, so muß man sich davor mehr als vor allen anderen Gefahren dieser und der künftigen Welt hüten, ja dies ausschließlich und allen als die allergrößte Gefahr ansehen: ein Amt anzutreten ohne göttliche Berufung. Aber o weh, wie unempflindlich und verhärtet sind heute die vielen, die an all dies auch nicht einmal mit einem leisen Gedanken rühren“.65 Es handelt sich nicht um Karrieren, zu denen man sich entschließt. Missionar, Theologe, Pastor können richtig nur die Jesusbekenner werden, die Gott zu diesen Aufgaben beruft. Paulus erinnert die Korinther daran, dass Christen Sünder sind, Sünder jedoch, die von Gott berufen und durch Jesus Christus geheilgt sind, Sünder also, deren Sünde vergeben ist und die als Heilige leben wollen und sollen. Kirche Jesu Christi ist nur dort, wo Menschen dem Ruf Gottes gefolgt sind und das Heilswerk Jesu Christi in ihrem Leben Realität werden lassen. Angesichts der Tatsache, dass die korinthischen Christen alles andere als „Heilige“ waren, findet man bei den Reformatoren den oft mit V. 2 begründeten Hinweis, eine vollkommene Kirche sei nicht verheißen, die in Korinth vorhandene Predigt und die Sakramente reichten als notae ecclesiae aus.66 Die Charakterisierung der korinthischen Christen in V. 2 schiebt in der Tat jedem Ansinnen, es gäbe eine perfekte Gemeinde, einen Riegel vor. Andererseits gilt ebenfalls, dass Menschen, die sich Christen nennen, aber das Heilswerk Jesu Christi weder ergriffen noch erfahren haben und die noch nicht einmal bemüht sind, in Unterordnung unter den „Herrn Jesus Christus“ nach dem Willen des heiligen Gottes als „Heilige“ zu leben, diese Bezeichnung nicht verdient haben. Paulus spricht die korinthischen Christen als Glieder der weltweiten Gemeinde Jesu Christi an, zu der alle gehören, die den Herrn Jesus Christus anrufen.67 Eine Kirche ohne Ortsgemeinden ist keine Kirche Jesu Christi. Richtig ist aber auch, dass Ortsgemeinden ohne Kontakt mit anderen Gemeinden eine Unabhängigkeit pflegen, die eher dem Individualismus der westlichen Gesellschaft oder der Eigensinnigkeit des Gemeindeleiters verpflichtet ist als dem Herrn Jesus Christus. Und richtig ist auch, dass Christen überall dort zu Hause sind, wo Christus angerufen wird.68
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Luther, Römerbrief, 9; vgl. Thiselton 68. Calvin, Unterricht, IV,1,14 (S. 695); vgl. Schrage I 108. Schrage I 108 verweist auch auf Bonhoeffer, Sanctorum Communio, 85. Hofmann 8.
Gruß und Danksagung 1,1-9 69 ————————————————————————————————————
Einleitung: Danksagung 1,4-9 I 4 Ich danke meinem Gott ständig für euch im Blick auf die Gnade Gottes, die er euch in Christus Jesus geschenkt hat, 5 denn ihr seid in ihm in allem reich geworden, in aller Rede und in aller Erkenntnis, 6 insofern als das Zeugnis von Christus unter euch befestigt worden ist, 7 so dass ihr an keiner Gnadengabe Mangel habt, während ihr auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus wartet, 8 der euch auch festigen wird bis ans Ende, so dass ihr am Tag unseres Herrn Jesus Christus ohne Tadel seid. 9 Gott ist treu, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus unserem Herrn.
II Paulus schließt an das Präskript wie auch sonst in seinen Briefen (außer Gal) eine Einleitung an, die vom Dank an Gott bestimmt ist. Dies entspricht der Praxis antiker Briefe, die im Proömium (oder exordium) die Götter bzw. Gott anrufen.69 P. O’Brien hat gezeigt, dass sich Paulus vom formalen Gesichtspunkt aus gesehen an das Proömium griechischer Briefe anschließt, 70 dass aber der Inhalt der brieflichen Danksagung jüdischen Einfluss zeigt 71 und von den aktuellen pastoralen Anliegen des Apostels gekennzeichnet ist. 72 Wenn man P. Arzt folgt, der gezeigt hat, dass die zeitgenössischen Papyrusbriefe keine formalen „einleitenden Danksagungen“ aufweisen, da Aussprüche und Wendungen des Dankes individuellen Situationen erwachsen und an mehr oder weniger beliebigen Stellen eines Briefes anzutreffen sind, 73 wird man die „Danksagung“ als formale Kategorie fallen lassen und V. 4-9 als Einleitung in das Briefkorpus behandeln. Im Vergleich mit den Proömien antiker Briefe fällt auf, dass ein Dank für äußeres Wohlergehen, Gesundheit oder Erfolg fehlt. Paulus denkt nicht an ————————————————————
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Koskenniemi, Studien, 130-145; White, Letter Tradition, 94-95; Arzt-Grabner, Philemon, 123-129. Zur formalen Analyse Schubert, Thanksgivings, 35-36.158-179; Schnider / Stenger, Briefformular, 46-47; Schrage I 111-112. Betont von Schubert, Thanksgivings, 24-27.39-94.180-184. Vgl. Robinson, Hodajot-Formel, 194-235, der auf die Formen der Danksagung und des Segens in Qumran verweist. O’Brien, Introductory Thanksgivings; vgl. ders., DPL, 68-71. Zum Thema vgl. jetzt Pao, Thanksgiving. Zu den folgenden Bemerkungen s. Baumann, Mitte, 44-46; O’Brien, ebd. 13-15.136-137; Wiles, Prayers, 97-99; Gebauer, Gebet, 194-196; Merklein I 85-57; Witherington 88-89; Thiselton 86-87. Arzt, Thanksgiving; vgl. Arzt-Grabner, Philemon, 135-140; zur Kritik von Reed, Thanksgivings, 87-99 siehe ebd. 136 Anm. 111; zum Folgenden ebd. 135.137.140.
70 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
sich, sondern an die Gemeinde. Zweitens fällt die Betonung der Gnade Gottes und ihres Reichtums auf (V. 4-5.7), der mit dem Evangelium von Jesus Christus verbunden ist (V. 6). Paulus verwendet mehrmals das passivum divinum (δοθει' ση, V. 4, ε πλουτι' σθητε V. 5, ε βεβαιω' θη V. 6, ε κλη' θητε V. 9). Drittens muss auf die eschatologische Perspektive verwiesen werden, die Paulus explizit anspricht (V. 7-8) und die mit dem Gericht Gottes (V. 8) und mit der Treue Gottes (V. 9) verbunden ist. Viertens ist nicht zu übersehen, dass Paulus mehrere Punkte anspricht, die auf die aktuellen Fragen hinweisen, die er in seinem Brief besprechen wird: Fragen effektiver Rede (λο' γος) und geistlicher Erkenntnis (γνω ^ σις, V. 5), das Evangelium von Jesus als Botschaft der apostolischen Zeugen (μαρτυρι' α, V. 6), die Gabe(n) des Heiligen Geistes (χα' ρισμα, V. 7a), die Wiederkunft (α ποκα' λυψις) Jesu Christi und das sich daran anschließende Endgericht (η με' ρα του^ κυρι' ου, V. 7b-9). Fünftens ist das pastorale Anliegen am Ende des Abschnitts nicht zu übersehen: Die Gemeinde braucht Stärkung (βεβαιω' σει υ μα^ς, V. 8a) und die Vergebung aktueller Sünden, damit sie vor Gott im Endgericht bestehen kann (α νεγκλη' τους ε ν τη^, η με'ρα, , V. 8b), und beides kann geschehen, weil Gott treu ist (πιστο` ς ο θεο' ς) und weil die Gemeinschaft (κοινωνι' α) mit Jesus Christus das „Stehen“ am Tag des Herrn im Endgericht ermöglicht (V. 9). Wenn man den Inhalt des Proömiums V. 4-9 in Rechnung stellt, kann man dieses kaum als captatio benevolentiae mit bloß rhetorischer Funktion verstehen.74 Indem Paulus die Gemeinde an den geistlichen Reichtum erinnert, den sie infolge des vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Handelns Gottes besitzt, beschreibt er die Voraussetzung und die Begründung seiner Mahnung, die ab V. 10 beginnt.75 Gliederung. Der Abschnitt beginnt mit einem Hauptsatz (V. 4), dem drei Nebensätze folgen (ο« τι V. 5; καθω' ς V. 6; ω « στε V. 7), in denen Paulus auf den geistlichen Reichtum verweist, den Gott den korinthischen Christen gegeben hat.76 V. 4 nennt den Tatbestand (ευ χαριστω ^ ), die Intensität (πα' ντοτε), die Ursache (περι` υ μω ^ ν) und den Grund (ε πι' ) des Dankes. Der ο« τι-Satz V. 5 erläutert den Inhalt des vorausgehenden Hauptsatzes; das dreimalige πα^ς unterstreicht den Reichtum an geistlichen Gütern, die Gott den Korinthern geschenkt hat. V. 6 benennt den Grund (καθω' ς) des Reichtums der Gemeinde: die Stärkung des Zeugnisses von Jesus Christus. Der Konsekutivsatz V. 7a (ω « στε) nennt die Folge des göttlichen Reichtums, der der Gemeinde geschenkt ist: die Gnadengaben in der Gemeinde. Der am besten temporal zu interpretierende Partizipialsatz V. 7b (α πεκδεχομε' νους) eröffnet den Ausblick ————————————————————
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So mit Recht Merklein I 85; Schrage I 110. Merklein I 86. Zur Analyse von V. 4-9 s. Schrage I 112-113; Merklein I 82-83; Lindemann 29.
Gruß und Danksagung 1,1-9 71 ————————————————————————————————————
auf die in der Zukunft liegende Wiederkunft Jesu Christi. Der Relativsatz V. 8 (ο ς και' ) bezieht sich entweder auf Gott oder auf Jesus Christus; er beschreibt das göttliche Heilshandeln in Jesus Christus, das im Endgericht die Rechtfertigung vor Gott gewährt. Der grammatikalische Neueinsatz in V. 9 formuliert einen doxologischen Treuespruch, der die Treue Gottes preist, die in der heilschaffenden Gemeinschaft mit Jesus Christus konkret wird. 77 Textkritische Anmerkungen. In V. 4 lassen zwei wichtige Handschriften das Personalpronomen μου aus ( *אB),78 das aufgrund der breiteren Bezeugung jedoch als ursprünglich zu gelten hat.79 In V. 6 ersetzen mehrere Handschriften Χριστου^ durch θεου^ (B* F G 81 1175); die breitere und ebenfalls frühe Bezeugung (d46 אA B2 C D Ψ 33 1739 1881 Byz) und die wahrscheinliche Angleichung an 2,1 (το` μυστη' ριον του^ θεου^ ) sprechen für die Beibehaltung von Χριστου^ .80 In V. 8 liest d46 τελει' ους statt τε'λους, was den Sinn stark verändert („bis ihr vollkommen seid“). Einige Zeugen des westlichen Textes ersetzen η με'ρα, durch παρουσι' α (D F G), was sinngleich ist (vgl. 1Thess 5,23), aber als sekundär ausscheidet. Die Auslassung von Χριστου^ durch d46 und B ist auffallend, aber sekundär.81
III 4 Wenn Paulus an die korinthische Gemeinde denkt, dankt er Gott. Er hat zwar die Gemeinde gegründet (4,15; 9,2), aber sie ist trotzdem nicht sein Werk (3,5-17), sondern das Werk Gottes. Deshalb dankt er Gott für die Existenz der Christen in Korinth (περι` υ μω ^ ν als Angabe der Ursache). Weil die missionarische Verkündigung der Apostel ihren „Erfolg“ immer und ausschließlich dem Wirken Gottes verdankt, „gehört Dank zum Wesen apostolischer Existenz“.82 Wenn Paulus sagt, dass er ständig Gott für die Korinther dankt, ist dies nicht floskelhafte Sprache, die die Adressaten beeindrucken soll: πα' ντοτε bedeutet hier „unentwegt“ im Sinn von „immer wieder“ (vgl. Röm 1,10; Phil 1,4; 1Thess 1,2; Phlm 4; zur Sache 1Thess ————————————————————
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Die These von Osten-Sacken, Gottes Treue, 177, dass Paulus sich in V. 7b-9 eines „fast unversehrt erhaltenen Traditionsstückes“ bedient, das seinen Sitz im Leben in der Taufe habe, kann nicht überzeugen; zur Kritik vgl. Schrage I 112. So die Lesart in NA25; vgl. EÜ, Hfa, RSV, NIV, Wilckens; Barrett 35, Ellingworth/ Hatton 11; man verweist auf die Möglichkeit, dass Abschreiber an Röm 1,8; Phil 1,3 und Phlm 4 angeglichen haben. NA27, LÜ, Elb.Ü, GN, MNT, NRSV, TNIV, Menge; Fee 35 Anm. 1; Lindemann 29; Schrage 113, Thiselton 89; Metzger, Commentary, 478. Vgl. Elliott, Divine Names, 11. Vgl. Metzger, Commentary, 479; Elliott, Divine Names, 5. Merklein I 87. Zur theozentrischen Orientierung des Danks s. Pao, Thanksgiving, 33-38.
72 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
5,17; Röm 1,9; 12,12).83 Paulus dankt Gott für den Glauben der Korinther nicht nur jetzt, aus Anlass des Briefes, den er gerade schreibt, sondern immer, wenn er für seine Missionsarbeit und für die Gemeinden und Menschen betet, die durch seinen Einsatz zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Anlass (ε πι' mit Dativ: „aufgrund von“) des Dankes ist nicht eine besondere Leistung oder Haltung der Korinther, schon gar nicht ihr Verhalten, auch nicht ihr Reichtum an Gnadengaben als solcher, sondern die Gnade Gottes. Paulus sagt, dass die ευ χαριστι' α in der χα' ρις gründet (vgl. 2Kor 4,15): der Dank gründet in der Gnade Gottes (s. V. 3). Paulus verwendet Passivformen von διδο' ναι im Zusammenhang mit χα' ρις öfter (3,10; Gal 2,9; Röm 12,3; 15,15): die Gnade wird von Gott geschenkt, und zwar in Christus Jesus, d.h. in Folge und im Anschluss an das Heilswerk Jesu Christi des Gekreuzigten und Auferstandenen. Der Aorist δοθει' ση, verweist nicht auf die Taufe,84 sondern eher auf die missionarische Verkündigung des Paulus in Korinth,85 noch wahrscheinlicher auf das Ereignis des Heilsempfangs, als sich die Korinther zum Glauben an den einen wahren Gott und an Jesus den Messias und Kyrios bekehrten, durch den Glauben mit Jesus Christus vereinigt wurden und deshalb „in Christus Jesus“ sind.86 Auffallend ist, wie häufig Paulus Χριστο' ς in diesem Abschnitt verwendet: vier Mal in V. 1-3 und fünf Mal in V. 4-9. Die χα' ρις, die Gott durch Jesus Christus schenkt, hat mit dem χα' ρισμα (V. 7) zu tun, d.h. mit der Gabe und den Gaben, von denen später ausführlich die Rede sein wird (Kap. 12–14). 5 Paulus erklärt in diesem Nebensatz, worin die Gnade besteht, die Gott den Korinthern in Christus geschenkt hat. Der Hinweis, dass die Korinther in allem (ε ν παντι' ) reich geworden sind, ist ebenfalls nicht einfach eine freundliche Floskel, und schon gar nicht ironisierend, was zu einem Dankgebet nicht passen würde. Paulus meint, was er sagt: Die Korinther sind tatsächlich reich, denn das von Gott gewährte Heil sprengt immer jegliches Maß.87 Allerdings qualifiziert Paulus diesen Reichtum in zweifacher Hinsicht: Das Passiv der Formulierung reich geworden (ε πλουτι' σθητε) verweist auf den göttlichen Ursprung ihres geistlichen Reichtums, d.h. ihr Reichtum ist nicht Eigenproduktion, sondern Geschenk Gottes; und sie haben ihren Reichtum in ihm (ε ν ————————————————————
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Zur Verbindung von ευ χαριστω ^ mit einem Adverb im Briefeingang vgl. Taatz, Frühjüdische Briefe, 33, die mit 2Makk 1,11 vergleicht. So Baumann, Mitte, 32.44; vgl. Schrage I 114. O’Brien, Introductory Thanksgivings, 112. Vgl. Thiselton 90; zur nächsten Bemerkung ebd. Ambrosiaster kommentiert V. 4, dass Gott den Menschen, der an Jesus Christus glaubt, ohne Werke, allein durch den Glauben die Sünden vergibt: „quia hoc constitutum est a deo, ut qui credit in Christum salvus sit sine opera. sola fide gratis accipit remissionem peccatorum“ (CSEL 81, 7). Merklein I 88, mit Verweis auf Röm 5,12-21.
Gruß und Danksagung 1,1-9 73 ————————————————————————————————————
αυ τω ^, ist betont nachgestellt), d.h. ihr geistlicher Reichtum ist durch Christus gewirkt (instrumental) und bleibend an ihn und seine Gegenwart gebunden (lokal).88 Der Reichtum „in allem“ ist nicht in perfektionistischem Sinn zu verstehen, und es besteht auch kein Widerspruch zwischen V. 5 und 4,8, wo Paulus den von den Korinthern reklamierten Reichtum ironisiert. In V. 7 konstatiert Paulus, dass die Korinther an keiner Gnadengabe einen Mangel haben – und er weist gleichzeitig darauf hin, dass sie die Wiederkunft Christi erwarten. Das heißt, der geistliche Reichtum der Jesusbekenner hat angesichts des eschatologischen Horizonts immer Stückwerkcharakter (vgl. 13,9). Die als Apposition angefügte Formulierung in aller Rede und in aller Erkenntnis konkretisiert den Reichtum, den die korinthischen Christen infolge des Geschenks der Gnade Gottes besitzen. Manche Ausleger meinen, das Fehlen von Glaube und Liebe zeige, dass Paulus mit dieser Formulierung indirekte Kritik an den Korinthern übe. 89 Aber Ironie passt nicht in ein Dankgebet. Mit „Rede“ und „Erkenntnis“ nennt Paulus die beiden Bereiche, die von den Korinthern besonders hoch geschätzt wurden. Mit λο' γος verweist Paulus – das macht der Kontext in Kap. 1–4 und 11–14 deutlich – auf die verschiedenen Arten (ε ν παντι' ) geistlicher Rede, die in der korinthischen Gemeinde praktiziert wurden: Gebet, Lehre, Wort der Weisheit, Wort der Erkenntnis, Offenbarung, Prophetie, Psalmen, Glossolalie und wohl auch auch rhetorische Fähigkeiten.90 Alle diese Arten von „Wort“ oder „Rede“ repräsentieren geistliche Gaben, die der Erbauung der Gemeinde dienen und deren Vorhandensein deshalb Grund zum Danken ist. Entsprechend bezeichnet γνω ^ σις91 die Erkenntnis, die der Gemeinde nützt, d.h. alle (πα' ση, ) Urteilsfähigkeit, die sich aus dem von Gott in Jesus Christus geschenkten geistlichen Reichtum ergibt. 6 Der Grund (καθω' ς) für den geistlichen Reichtum der Gemeinde ist die Tatsache, dass Gott das Zeugnis von Jesus Christus in der korinthischen Gemeinde gefestigt hat. Die satzeinleitende Konjunktion καθω' ς hat kausale Bedeutung („da ja, insofern als“).92 Das Zeugnis von Christus (το` μαρτυ' ριον του^ Χριστου^ ), eine Formulierung, die bei Paulus sonst nicht vorkommt (vgl. ————————————————————
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Schrage I 114; Lindemann 30; vgl. Merklein I 88, der einen klaren theologischen „Kontrapunkt“ gesetzt sieht zur Überheblichkeit der Korinther (4,6-8.18-19). Für die folgende Bemerkung vgl. Schrage I 115. Bousset 75; Weiss 6; zur Kritik vgl. Schrage I 115. Lindemann 30 interpretiert einseitig im Sinn von „Redegabe, Rhetorik“. Ausgewogener Garland 33; vgl. Fee 39; Kramer 24; Schrage I 116; Thiselton 91-92; vgl. auch Fee 39 Anm. 18. Lightfoot 147 nennt die verschiedenen Alternativen. Die Bedeutungsbreite von λο' γος in der griech. Literatur sowie in den dokumentarischen Papyri ist groß. Das Wort kommt in 1,5; 8,1a.1b.7.10.11; 12,8; 13,2.8; 14,6 vor. BDR §453.2; HS §277a; Bauer /Aland 794 s.v. καθω' ς 3; NSS II, 55.
74 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
μαρτυ' ριον του^ κυρι' ου, 2Tim 1,8), bezieht sich auf die missionarische Verkündigung93 des Apostels, in der das Evangelium von Jesus Christus im Mittelpunkt steht (του^ Χριστου^ ist gen. obj.). Die Aussage, dass die Christusbotschaft unter euch (ε ν υ μι^ν), d.h. in der korinthischen Gemeinde94 befestigt worden ist, will nicht die Rechtskräftigkeit des verkündigten Evangeliums unterstreichen, sondern verweist auf die Durchsetzungskraft des Evangeliums, das selbst „feste Wurzeln geschlagen“ hat, 95 eine Tatsache, von der der geistliche Reichtum der Gemeinde zeugt. Paulus betont, dass Gott selbst (Subj. der Passivform ε βεβαιω' θη) die Gründung und die Konsolidierung der Gemeinde bewerkstelligt hat und das weitere innere und äußere Wachstum der Gemeinde gewährleistet. Die Gründung und das Wachstum der Gemeinde gehen nicht auf das Konto der von den Korinthern hochgeschätzen Geistesgaben oder ihrer subjektiven Glaubenserfahrungen, sie sind auch nicht mit dem Einsatz des Apostels zu erklären, sondern sie sind einzig und allein das Werk Gottes. Das Zeugnis von Jesus Christus sagt, „was Gott tun wird, und bekommt die Bestätigung dadurch, daß das göttliche Wirken mit dem göttlichen Wort untrennbar verbunden ist“.96 7 Das Resultat (konsekutives ω« στε) des Wirkens Gottes in der Gemeinde Korinths, das dem Evangelium von Jesus Christus zur Durchsetzung und Befestigung verhalf, ist die Tatsache, dass die Korinther an keiner Gnadengabe Mangel haben. Im Kontext von V. 5 bezeichnet χα' ρισμα nicht allgemein die Erlösung,97 sondern die Gaben des Geistes, von denen in Kap. 12–16 die ————————————————————
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Vgl. 15,15, wo sich das Verb μαρτυρε' ω auf die missionarische Verkündigung von Jesus Christus und seiner Auferstehung bezieht. Lukas verwendet μαρτυ' ς als Bezeichnung für die Missionare als „Zeugen“ Jesu Christi, vgl. Apg 1,8.22; 2,32; 3,15; 5,32; 10,41; 13,31; 22,15; 26,16. Vgl. die parallelen Formulierungen in den Proömien anderer Paulusbriefe: 1Thess 1,5; Röm 1,9; Phil 1,5. Nicht in den Korinthern (so Meyer 18: in animis vestris); zur Kritik s. Schrage I 119. Kümmel 167; vgl. Calvin 311; Schrage I 119; Garland 35; Thiselton 94-95. Zur Kritik an der juridischen Interpretation von H. Schlier (ThWNT I, 603) vgl. Conzelmann 45 Anm. 29; Schrage I 118. Vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 49, der feststellt, dass die sog. Bebaiosis-Klausel, die in den dokumentarischen Papyri bis ins 2. Jh. n.Chr. in Vertragstexten vorkommt und die Garantie des Verkäufers formuliert, dass er für Ansprüche Dritter haftbar gemacht werden kann (z.B. PSI X 1098; SB XII 10942), nicht als Grundlage der Interpretation herangezogen werden kann: die Formulierung in V. 6 ist zu eigenständig und zu unabhängig. Im Vordergrund steht nicht die juridische Bedeutung „bestätigen, garantieren, gewährleisten“, sondern die Grundbedeutung „festigen, festmachen“. Schlatter 63. Merklein I 90 denkt „an die (in der Taufe erfolgende) Übergabe in den Herrschaftsbereich Christi“, was im Text keinen Anhaltspunkt hat. Blass bleibt Hfa in V. 6 („die Botschaft von Christus hat euer Leben völlig verändert“); besser GN: „weil die Botschaft von Jesus Christus zum festen Grund eues Glaubens geworden ist“. Wie in Röm 5,15-16; 6,23; so Calvin 311; O’Brien, Introductory Thanksgivings, 124.
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Rede ist (vgl. Röm 12,6).98 Im Kontext der Betonung des Wirkens Gottes in V. 4-9 ist es plausibel, χα' ρισμα auf das gesamte gnadenhafte Handeln Gottes zu beziehen, primär auf das Sich-Selbst-Schenken Gottes in Jesus Christus, in der Bekehrung der Korinther, in der Konsolidierung ihres Glaubens, und in den geistlichen Gaben, die ihnen geschenkt sind. 99 Die Aussage100 in V. 7a unterstreicht die Bedeutung von υ μα^ς: es geht nicht um „pneumatische Solisten“, sondern um die Gemeinde als Gesamtheit. In Kap. 12–14 argumentiert Paulus mit Nachdruck, dass alle Geistesgaben in den Dienst der gesamten Gemeinde zu deren Auferbauung aller Jesusbekenner gestellt werden müssen, wenn sie richtig gehandhabt werden. Weil das Verb υ στερε'ω auch mit „zurückstehen“ übersetzt werden kann, haben manche Ausleger gemeint, dass Paulus den Korinthern versichere, sie schnitten was die Geistesgaben betrifft ebenso gut ab wie die anderen Gemeinden. 101 Da die Korinther kaum von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt waren, ist diese Interpretation wenig wahrscheinlich. Der Satz wiederholt mit einer negativen Formulierung, was Paulus in V. 5 („ihr seid in ihm in allem reich geworden“) positiv formulierte V. 7b eröffnet den Ausblick auf die Zukunft. Die Korinther sind von Gott reich mit geistlichen Gaben gesegnet, während sie auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus warten (α πεκδεχομε' νους τη` ν α ποκα' λυψιν του^ κυρι' ου η μω ^ ν Ιησου^ Χριστου^ ). Diese Aussage wird zurecht als Vorgriff auf die spätere Kritik am Verhalten der Korinther im Sinn eines „eschatologischen Vorbehalts“ interpretiert.102 Paulus erinnert die korinthischen Christen an die Tatsache, dass ihr geistlicher Reichtum von Warten begleitet ist. 103 Erst die Wiederkunft Jesu Christi104 bringt Vollendung und Vollkommenheit. ————————————————————
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Fee 41-42; Schrage I 119; Merklein I 90; Lindemann 31. In den dokumentarischen Papyri ist das Wort χα' ρισμα in der Bedeutung „Schenkung“ oder „Wohltat“ erst ab dem 4. Jh. n. Chr. belegt: in der Deklaration über den Besitzstand einer Kirche aus dem Jahr 304 heißt es, dass diese nichts aus Schenkungen besitzt (P.Oxy. XXXIII 2673; vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 51). Vgl. Thiselton 98. Man sollte nicht vergessen, dass Paulus in V. 7 den Sing. χα' ρισμα verwendet; der Plur. χαρι'σματα kommt erst in 12,4.9.28.30.31 vor. Doppelte Verneinung μη` . . . ε ν μηδενι' verbunden mit dem negativen Verb υ στερε' ω. Der Inf. υ στερει^σθαι bezeichnet nach ω « στε eine wirkliche Folge, nicht eine nur beabsichtigte; vgl. Schrage I 119, die folgende Bemerkung ebd.; Lindemann 31. Schlatter 64; Conzelmann 46; zur Kritik Schrage I 119; richtig Fee 42. Lindemann 31; vgl. Fee 42; Schrage I 120 spricht von einem „Stopsignal für das korinthische Kirchenschiff, das schon auf dem Meer der Seligkeit zu segeln wähnt“. Das Ptz. Präs. α πεκδεχομε' νους ist am besten temporal zu verstehen; vgl. NSS II, 55; SÜ, ZB; anders EÜ, Elb.Ü, GN, NRSV, TNIV, die konsekutiv interpretieren („und so“). Schrage I 120 sieht die Gleichzeitigkeit mit einer modalen oder konditionalen Interpretation ausgedrückt. Für diese Bedeutung von α ποκα' λυψις siehe 2Thess 1,7; Röm 2,5; 8,18-19; 1Kor 3,13; vgl. Phil 3,20. Die Formulierung in V. 7 deutet darauf hin, dass Paulus mit der Möglichkeit
76 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
8 Der Hinweis auf die Parusie soll die korinthischen Christen nicht entmutigen. Im Rückgriff auf V. 6, wo Paulus seine Leser an die Befestigung des Evangeliums in ihrer Mitte durch Gott erinnert hatte (ε βεβαιω' θη), versichert er ihnen, dass Jesus Christus105 sie festigen wird (βεβαιω' σει) in der Zeit des Wartens bis ans Ende. Die Bewährung als Christ ist nicht in erster Linie das Werk des Jesusbekenners selbst, sondern das Werk Jesu Christi. Das Ende (τε'λος)106 ist der Tag unseres Herrn Jesus Christus, d.h. der Tag, an dem Jesus wiederkommt (vgl. 5,5 und 1Thess 5,2: „Tag des Herrn“; 2Kor 1,14: „Tag unseres Herrn Jesus“; Phil 1,10: „Tag Jesu Christi“). Der Ausdruck η με' ρα του^ κυρι' ου übersetzt in der LXX den Ausdruck יום יהוה, eine Wendung, die im AT das vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Handeln Gottes bezeichnet, meist ein Gerichtshandeln, das an Israel oder an den Völkern vollzogen wird. Für Amos ist der „Tag Jahwes“ auch für Israel ein Un-heilstag (Am 5,18-20). Mehrere Propheten beziehen den „Tag Jahwes“ auf das Gericht Gottes über die heidnischen Völker – ein Tag, an dem Israel Heil widerfahren wird (Joel 1,15; 2,1.11; 3,1-16; Sach 14,1; Mal 3,23). In der griechischen Literatur und in den Papyri bezeichnet η με'ρα häufig den „(gerichtlichen) Verhandlungstag“.107 Paulus betont, dass Jesus Christus dafür sorgen wird, dass die korinthischen Christen an diesem Tag ohne Tadel (α νεγκλη' τους) vor Gott stehen werden, d.h. als unbescholtene Menschen, denen Gott nichts vorzuwerfen hat. Diese „eschatologische Vorwurfsfreiheit“108 ist das Resultat des Rufes Gottes, der sie in Jesus Christus geheiligt hat (V. 2), und das Resultat der Stärkung durch Jesus Christus (V. 8), d.h. das Resultat der Rechtfertigung (Röm 8,33-34), die zur „Frucht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus“ führt (Phil 1,10-11). Mag hier schon eine indirekte Kritik an den unmoralischen Verhaltensweisen einiger Gemeindeglieder anklingen, die vor allem in Kap. 5–6 behandelt werden, so kommt es ————————————————————
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rechnete, dass sich die Wiederkunft Jesu Christi bald ereignen könnte. Das Relativpronomen ο« ς kann sich auf Gott (Baumann, Mitte, 39-40; Weiss 10; Conzelmann 47; Fee 44; Merklein I 92; Kremer 26) oder auf Christus (Robertson/Plummer 7; Barrett 39) beziehen. Schrage I 122 weist zu Recht darauf hin, dass Paulus das Handeln Gottes und das Handeln Jesu Christi so eng zusammen denkt, „daß sachlich nicht allzuviel darauf ankommt, wer die Christen bis zum Tag Jesu Christi unsträflich bewahrt“. Das auf ο« ς folgende και' ist pleonastisch und bleibt unübersetzt; HS §252,29.a8. Die Wendung ε«ως τε' λους wird von manchen als intensives Idiom interpretiert und mit „völlig, ganz und gar“ übersetzt, so Schlatter 65; G. Delling, ThWNT VIII, 57; Baumann, Mitte, 41; als Möglichkeit Schrage I 121; dagegen Bauer /Aland 1618 s.v. τε' λος 1d.β; BDAG 998 τε' λος 2b.β; Conzelmann 47; Thiselton 101. Vgl. R. Kritzer, in Arzt-Grabner 52. Schrage I 122; zum Folgenden vgl. ebd. Das Adj. α νε' γκλητος („tadellos, unbescholten“) spielt in der juristischen Fachsprache eine Rolle; vgl. Arzt-Grabner 52.
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Paulus hier in erster Linie darauf an, die Gewissheit zu markieren, dass der Richter der Welt am „Tag unseres Herrn Jesus Christus“ seine Zusage einlöst, die Jesusbekenner festzumachen. 109 Deshalb ist der „Tag Jahwes“ der „Tag unseres Herrn Jesus Christus“: Christus macht die an ihn Glaubenden unerschütterlich, deshalb trifft sie keine Anschuldigung am Tag des Gerichts. 9 Die Einleitung des Briefs schließt mit einem Lob der Treue Gottes, von der die Heilsgewissheit der Jesusbekenner lebt. Die Wendung Gott ist treu (πιστο` ς ο θεο' ς) nimmt die wichtige atl. Überzeugung von dem treuen Gott auf, „der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten“ (Dtn 7,9). 110 Paulus wiederholt die Formulierung in 10,13; 2Kor 1,18 (vgl. 1Thess 5,24). Hier fungiert sie als Benediktion, die die Danksagung abschließt. 111 Sie unterstreicht die Überzeugung des Apostels, dass Gott, der die Jesusbekenner in der korinthischen Gemeinde berufen, geheiligt und befestigt hat, sie weder jetzt noch im Endgericht im Stich lassen wird.112 Die Wendung durch den ihr berufen worden seid (δι’ ου ε κλη' θητε) wiederholt (vgl. V. 2) den Grund der Heilsgewissheit.113 Gottes Ruf zum Heil und zum Geheiligtsein ist „wirksamer Ruf, nicht bloße Einladung“ und deshalb „als Anfang seines Werkes die Bürgschaft, daß er dieses Werk auch vollenden“ wird. 114 Das Ziel (ει ς) von Gottes Ruf ist die Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus unserem Herrn. Paulus spricht nicht vom Ruf in die Gemeinde, sondern vom Ruf in die Gemeinschaft mit dem Gottessohn Jesus Christus – eine Gemeinschaft, die nicht mit einer partnerschaftlichen Sozietät zu verwechseln ist, in der die Mitglieder den Ton und die Themen angeben, sondern eine Gemeinschaft, die dadurch konstituiert wird, „daß Gott an der Sohnschaft seines Sohnes Anteil gibt“. 115 Unter κοινωνι' α ist die real existierende Teilhaberschaft an Jesus Christus zu verstehen, die aus dem Ruf Gottes resultiert und die sich auf die in der vorausgehenden Wendung angezeigten Treue Gottes gründet. In der LXX kommt der Ausdruck κοινωνι' α nur ————————————————————
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Gundry Volf, Perseverance, 78-79; Schrage I 122-123; Schlatter 65. Vgl. Dtn 32,4; 1Kön 8,23; Neh 1,5; 9,23; Jes 49,7; Dan 9,4; Ps 144,13 LXX; vg. A. Weiser, ThWNT VI, 185; G. Barth, EWNT III, 232. O’Brien, Introductory Thanksgivings, 130-131; Schrage I 123. Osten-Sacken, Gottes Treue, 176-199 sieht in V. 9.8.7 einen Treuespruch verarbeitet, der ursprünglich auf Gott bezogen war und den Paulus christologisch akzentuiert hat; kritisch Lindemann 32. GN übersetzt dem Sinn nach richtig („er ist treu: Er steht zu seinem Wort“), schwächt die Bedeutung der Aussage durch die Versetzung an das Ende von V. 9 jedoch ab. Héring formuliert: „Dieu n’est pas que l’auteur du salut, il en agence aussi les voies“. δια' verweist auf den Ursprung der Berufung; BDR §223.3; Lindemann 32. Schrage I 123, mit Verweis auf Röm 8,28.30; 1Thess 5,24; Phil 1,6. Merklein I 93, der weiter schreibt: „Gnade ist keine Sache, sondern personale Gemeinschaft mit Jesus Christus, der als ‚Sohn‘ die Selbstmitteilung Gottes ist“.
78 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
drei Mal vor (Lev 5,21; 3Makk 4,6; Weish 8,18). Da 13 der 19 ntl. Belege in den paulinischen Briefen vorkommen,116 ist die Annahme plausibel, dass Paulus diesen Ausdruck in das frühchristliche Vokabular eingeführt hat. Die Tatsache, dass in den dokumentarischen Papyri der Ausdruck häufig vorkommt und oft in Heiratsurkunden für die engste aller menschlichen Beziehungen verwendet wird,117 ist wahrscheinlich kein Zufall. Die Gemeinschaft mit Jesus Christus verleiht, wie A. Schlatter formuliert, „das Mitgekreuzigt- und das Mitauferwecktsein mit ihm und macht es zum Ziel, das Gottes Vorbestimmung feststellte, ‚gleich geformt mit der Gestalt seines Sohnes zu sein‘ (Röm 8,29)“.118 Der nochmalige Hinweis auf das Herrsein Jesu Christi könnte im Kontext des folgenden ersten Hauptabschnitts anzeigen, dass mit κοινωνι' α die Gemeinschaft der Christen im Leib Christi angedeutet ist,119 um die es in der korinthischen Gemeinde nicht allzu gut bestellt ist: Wenn die Korinther der Gemeinschaft mit Jesus Christus die ihr zukommende fundamentale Priorität einräumen, und wenn sie seinem Willen als Herrn der Gemeinde Folge leisten, werden sie sich in ihren Häusern, in den Gemeindeveranstaltungen und auf dem Marktplatz mit seinen Götzentempeln anders verhalten.
IV Die auf das Handeln Gottes konzentrierten Aussagen in der Danksagung V. 4-9 machen deutlich, dass das an Gott adressierte Gebet nicht menschliche Bedürfnisse oder Erfahrungen in den Mittelpunkt stellt, sondern Gottes vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Handeln. Wenn Paulus im Gebet an die korinthische Gemeinde denkt, dann hat er ganz sicher die vielen Missstände vor Augen, über die ihm aus verschiedenen Quellen Informationen zugegangen sind. Aber primär denkt er an Gott – im Gebet eigentlich nicht überraschend! – und an das Werk Gottes, das auch in Korinth Heil geschaffen, Menschen zum rettenden Glauben an Jesus Christus den Herrn geführt und eine Gemeinde ins Leben gerufen hat, in der geistlicher Reichtum vorhanden ist und Menschen im Glauben an das Evangelium gestärkt werden. So können wir vielleicht am besten die oft beobachtete Diskrepanz zwischen dem Realzustand der Gemeinde und der Danksagung für die Christen in ————————————————————
116 117 118 119
Röm 15,26; 1Kor 1,9; 10,16.16; 2Kor 6,14; 8,4; 9,13; 13,13; Gal 2,9; Phil 1,5; 2,1; 3,10; Phlm 6. Arzt-Grabner, Philemon, 182-183: In BGU IV 1052,1,6-7; P.Babatha 18,6-7; P.Oxy. VI 905,4-5; XII 1473,33.35 wird die künftige Gemeinschaft des Brautpaars als Lebensgemeinschaft (βι'ου κοινωνι'α) bzw. als Hochzeitsgemeinschaft (γα' μου κοινωνι'α) bezeichnet. Schlatter 66. Baumann, Mitte, 42-43 rät, dieses Anteilhaben „möglichst voll“ zu verstehen. GN: „für immer mit seinem Sohn Jesus Christus . . . verbunden zu sein“. Schrage I 124; Merklein I 94.
Gruß und Danksagung 1,1-9 79 ————————————————————————————————————
Korinth erklären. Wer sich zu sehr auf die Irrungen und Wirrungen in Korinth konzentriert,120 der ist nicht nur Pessimist, sondern der leugnet das vergangene Heilswerk Gottes an den Korinthern, der leugnet die gegenwärtige Wirksamkeit des Evangeliums als heiligende Kraft in der korinthischen Gemeinde, und der leugnet die Treue Gottes, die die Errettung der Korinther in der Zukunft des Endgerichts verbürgt. Im Zusammenhang des korinthischen Streits um authentisches Leben im Geist ist mit V. 4 die zentrale Tatsache festzuhalten, dass die Gnade immer auf Jesus Christus bezogen bleibt; sie „steht nicht wie ein Depot auch unabhängig von ihm selbst zur Verfügung“. 121 Das Leben einer Gemeinde darf sich nie vom Heilshandeln Gottes, das in Jesus Christus Heil und Heiligkeit schafft, verselbständigen. Das Vorlesen von Evangelientexten im Gottesdienst allein ist noch keine Garantie, dass die anwesenden Christen von der Gnade Gottes in Jesus Christus erfasst wurden und werden. Wenn aber Singeteams und Theaterstücke Gebet und Schriftlesung ersetzen, dann ist durchaus zu fragen, ob das „Zeugnis von Christus“, in dem die Gnade Gottes gegenwärtig ist, das Leben dieser Gemeinde trägt. Der Verweis auf die Zukunft der Wiederkunft Jesu und des Endgerichts macht deutlich, dass der Besitz der Geistesgaben noch nicht die Verwirklichung des sichtbaren Königreiches Gottes darstellt, sondern nur das Unterpfand dessen ist, was sein wird. Bei allem Glauben, bei allem heiligen Leben und bei aller christlichen Aktivität ist Christsein immer zugleich Wartezustand. Christen warten auf die Wiederkunft Jesu Christi – erst dann wird das Vollkommene enthüllt (13,10). Was Christen sind und haben, auch im Blick auf die Geistesgaben, ist und bleibt Stückwerk (13,10.12), aber doch ganz bestimmt ein Werk Gottes, dessen Treue die gegenwärtige und zukünftige Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus garantiert.
Konflikt I: Spaltungen in der Gemeinde 1,10–4,21 Die Auslegung des Abschnitts 1,10–4,21 hängt in nicht unbeträchtlichem Maße von der Analyse der Parteiungen ab, von denen Paulus spricht. Die Aussagen in 1,12 und 3,21 lassen den Schluss zu, dass es möglicherweise ————————————————————
120 121
Zur Wirkungsgeschichte vgl. Schrage I 125-127. Es sei hier an den Aphorismus von Ludwig Marcuse erinnert: „Jeder große Pessimismus ist Ablehnung einer Zuversicht“. Schrage I 114.
80 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
drei Gruppierungen in der korinthischen Gemeinde gab, die sich je auf einen Apostel bzw. Verkündiger beriefen: eine Paulusgruppe, eine Petrusgruppe und eine Apollosgruppe. Wenn 4,6 zu Grunde gelegt wird, gab es vielleicht zwei Hauptgruppen: eine Paulus- und eine Apollosgruppe. Eine ChristusPartei1 scheint es nicht gegeben zu haben: in 3,21-23 führt Paulus die ausschließliche Bindung an Christus als Korrektiv zu anderen Bindungen an. 2 Die Häufung der Vokabeln σοφι' α/σοφο' ς in Kap. 1–33 veranlasst Ausleger zu der These, dass Paulus mit dem Begriff der Weisheit ein Thema aufgreift, das in Korinth nach seiner Abreise wichtig geworden war. Viele Exegeten nehmen an, dass Apollos selbst4 oder die Gruppierung, die sich auf ihn berief,5 den Konflikt innerhalb der Gemeinde ausgelöst hat. Apollos wird bei solchen Erklärungen mit Alexandrien (vgl. Apg 18,24) und mit einer für Alexandrien angenommenen Weisheitstheologie in Verbindung gebracht.6 Dass Apollos selbst in der korinthischen Gemeinde einen Konflikt provoziert hat, ist eher unwahrscheinlich: Paulus erwähnt Apollos immer nur wohlwollend (3,4.5.6.22; 4,6; 16,12; Tit 3,13), und es gibt keinerlei Belege für die Annahme, dass Apollos in Korinth eine problematische „Weisheitstheologie“ eingeführt hat. 7 Manche Ausleger meinen, dass Paulus in seinem Brief Apollos deshalb als positives Beispiel erwähnt, weil er in seinem Fall deutlich zeigen kann, dass das rivalisierende Verhalten der Parteiungen an den „Oberhäuptern“, auf den sich die Gruppen berufen, keinen Anhaltspunkt hat.8 Unhaltbar ist auch die Hypothese, der Parteienstreit sei von den Anhängern des ————————————————————
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Vgl. Hofmann 15; Godet I 33-40; Gutjahr 17-18; Robertson/Plummer 12-13; Schlatter 30-40.71-72; Bachmann 65-66; Kuss 121; Lietzmann 6-7; Kümmel 167; Wendland 18-19; Bruce 33; Conzelmann 51-53; Klauck 21-22; Lang 23.25-26; Fee 58-59; Wolff 28; Lindemann 39-40; Thiselton 133; Wright 8; Schmithals, Gnosis in Korinth, 188-194; Schnelle, Gerechtigkeit, 136-138. Schrage I 136.147; Kammler, Kreuz, 7-14. Vgl. Schrage I 143-146 zu den nicht sehr erfolgreichen Versuchen, die Parteien, die sich auf Paulus, Petrus und Apollos berufen, näher zu beschreiben (vgl. jüngst Barrett, Sectarian Diversity, 295-297). Insgesamt 20 Belege: 1,17.19.20.21.22.24.25.26.27.30; 2,1.4.5.6.7.13; 3,10.18.19.20. Wilckens, Zu 1 Kor 2.1–16, 518-519; Ollrog, Mitarbeiter, 215-219; Horn, Angeld, 259260; Horsley, Wisdom; Sellin, Geheimnis, 74-79.95-96; Litfin, Proclamation, 228-232; Pickett, Cross, 49-51; Merklein I 134-139.162; Witherington 85-87.96; Wolff 25; Kremer 17.32. Jüngst Smit, What is Apollos?, 231-251; Konradt, Weisheit, 193-194.213-214. Vgl. Theis, Weisheitslehrer, 460-461.480-481; Sterling, Wisdom, 382-383; Konradt, Weisheit, 193; Merklein I 134-139. Kritisch Munck, Paulus, 136; Barrett, Essays, 4; Kammler, Kreuz, 8-9. Vgl. Konradt, Weisheit, 192-194.214; Kammler, Kreuz, 8-9. Sellin, Geheimnis, 75 will aus 4,6 entnehmen, dass es nur um den Streit zwischen der Apollos- und der Paulusgruppe geht; vgl. schon Weiss 104. Kritisch Lindemann 103. Polhill, Factionalism, 333-334; Kuck, Judgment, 161-164; Konradt, Weisheit, 192.
Konflikt I: Spaltungen in der Gemeinde 1,10-4,21 81 ————————————————————————————————————
Petrus ausgegangen.9 Zur Diskussion über die Parteiungen in der korinthischen Gemeinde haben wir in der Einleitung (Punkt 3: Anlass) das Wesentliche gesagt. Die Auskunft, dass „die Fragen, worin sich die ersten drei Gruppen von 1 Kor 1,12 theologisch wie soziologisch voneinander unterschieden haben“ aufgrund der Quellenlage „unbeantwortet bleiben“ müssen, 10 ist allerdings allzu pessimistisch. Zunehmend gehen Exegeten davon aus, dass die Streitigkeiten in der korinthischen Gemeinde nicht primär theologische, sondern in erster Linie sozioökonomische und philosophisch-rhetorische Ursachen haben. Die Vertreter der sozioökonomischen Erklärung11 argumentieren, dass sich die zur Elite Korinths gehörenden Christen, in deren Häusern sich die einzelnen Hausgemeinden trafen, als Patrone wichtig machten und Mitchristen als ihre „Klienten“ behandelten und kontrollieren wollten. Die Vertreter der philosophisch-rhetorischen Erklärung12 konzentrieren sich auf die rhetorische Praxis der Sophisten und auf die rhetorischen Ansprüche ihrer Anhänger, die es offensichtlich auch in der korinthischen Gemeinde gab und die von der Verkündigung des Apostels Paulus nicht beeindruckt waren. Beide Erklärungen, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sind plausibel. Eine eingehende Untersuchung von 1,10–4,21 zeigt, dass man für die korinthischen Christen weder entscheidende Unterschiede im Blick auf theologische Basisüberzeugungen noch den Einfluss einer von Philo beeinflussten Weisheitschristologie nachweisen kann. 13 Dies schließt nicht aus, dass es in der korinthischen Gemeinde unterschiedliche Lehrmeinungen gab. Diese gab es ganz offensichtlich im Blick auf zahlreiche Themen: in der Frage des Sexualverhaltens (Kap. 6– 7), des Götzenopferfleisches (Kap. 8–10), der Geistesgaben (Kap. 12–14) und der Auferstehung (Kap. 15). Aber den einzelnen Parteiungen lassen sich diese Lehrdifferenzen nicht mit hinreichender Plausibilität zuordnen. Der Ernst der apostolischen Ermahnung (1,10) und der Hinweis auf Spaltungen (1,10), Streit (1,11; 3,3) und Eifersucht (3,3) machen jedenfalls deutlich, dass ————————————————————
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Vertreten von Heinrici 14-17; J. Weiss xxxiv-xxxvi; Vielhauer, Kephaspartei, 169-170; Lüdemann, Paulus II, 118-125. Zur Kritik s. Kammler, Kreuz, 9-11. Kammler, Kreuz, 10. Martin, Body, 55-68; Chow, Patronage, 93-112; Clarke, Leadership, 112-113; Winter, Corinth, 190-194. Winter, Philo and Paul, 145-202; vgl. Vos, Argumentation, 25-27. Einen rein rhetorischen Hintergrund nimmt Litfin, Proclamation, an. Zu den Sophisten vgl. M. Narcy, Art. Sophistik, DNP XI, 723-726; Guthrie, Sophists; Kerferd, Sophistic Movement; Anderson, Sophists; Romilly, Sophists; zur zweiten Sophistik vgl. Gleason, Sophists; Schmitz, Bildung. Vgl. jüngst Konradt, Weisheit, 212, der ebenfalls darauf hinweist, dass sich die einzelnen Parteiungen nicht spezifischen Lehrmeinungen zuordnen lassen.
82 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
man das Problem, das Paulus konstatiert und behandelt, nicht bagatellisieren darf.14 Die semantische Kohärenz von 1,10–4,21 wird im allgemeinen nicht bestritten, aber unterschiedlich beschrieben.15 Einige Ausleger sehen die Thematik von mehreren dominanten Themen bestimmt: Parteiungen und Weisheit, 16 Parteiungen und Leitungsfragen,17 Parteiungen, Leitungsfragen und Weisheit.18 Andere gehen von einem einzigen, zentralen Thema aus: der Gekreuzigte als Gottes Weisheit,19 der Kampf gegen Parteiungen, 20 der Kampf gegen Weisheit, deren Kriterien von der sophistischen Rhetorik abgeleitet werden,21 das Vorbild des Apostels Paulus,22 die Autorität des Apostels Paulus,23 richtige christliche Leitung in der Gemeinde.24 Wir werden dem Abschnitt 1,10–4,21 am ehesten gerecht, wenn wir die Einleitung in 1,10-17 ernst nehmen und von zwei Themen ausgehen, die Paulus behandelt: die Frage der Parteiungen und Loyalitätsbekundungen, sowie den Inhalt der apostolischen Verkündigung.25 Gliederung. Der erste Hauptteil des Briefs (1,10–4,21) besteht aus sieben Abschnitten. Zunächst behandelt Paulus in einer Einleitung (1,10-17) die Spaltungen im Namen der Weisheit.26 Der zweite Abschnitt (1,18–2,5) erläutert das Evangelium als Wort vom Kreuz, das als Antithese zur Weltweisheit ————————————————————
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22 23 24 25 26
Richtig Schrage I 143. Vgl. Smit, What is Apollos?, 233 für das Folgende. Weiss 12; Barrett 40. Bünker, Briefformular, 53. Fee 47-51; vgl. Merklein I 101-107, der als „Hyper-Thema“ formuliert: „Das Verhältnis der Verkündiger zur Gemeinde im Lichte des Gekreuzigten als der wahren Weisheit Gottes“ (107). Schrage I 127-128. Mitchell, Rhetoric, 207-210. Pogoloff, Logos, 129-172; Litfin, Proclamation, 160-173; Winter, Philo and Paul, 145146.179-202; Winter, Corinth, 31-43. Winter sieht drei entscheidende Fragen behandelt, die durch die sophistische Tradition aufgeworfen werden: Status (1,4-7.30; 4,8-13), Loyalität (1,10-16; 3,18-23; 4,10-17) und das Sich-Rühmen (1,17-31; 3,18-23; 4,6-21). Fiore, Covert Allusion, 87-88; Castelli, Imitating Paul, 97-111. Wanamaker, Rhetoric of Power, 121-137; ebd. 121: „attempt to reestablish his own dominance over the community“; vgl. Vos, Argumentation, 29-64. Clarke, Leadership, 109-127. Smit, What is Apollos?, 240; er verteilt die Behandlung dieser in 1,10-17 angekündigten beiden Themen auf 1,18–3,4 sowie 3,5–4,21, was zu schematisch ist und dem Inhalt dieser Abschnitte nicht gerecht wird. Schrage I 129 und Lips, Traditionen, 326 bezeichnen 1,10-17 als „narratio des Sachverhalts“; Merklein I 109 bezeichnet 1,10-17 als exordium „im Sinne der insinuatio“; Mitchell, Rhetoric, 199-200 identifiziert 1,10 als propositio und 1,11-17 als narratio; Vos, Argumentation, 32; bezeichnet 1,13 als Anfang der argumentatio. Lindemann 34 warnt zu Recht „vor einer mechanischen Übertragung von rhetorischen Theorien auf den Text“.
Konflikt I: Spaltungen in der Gemeinde 1,10-4,21 83 ————————————————————————————————————
zu verstehen ist. In drei Gedankengängen behandelt Paulus das Evangelium vom gekreuzigten Messias (1,18-25), die (Orts-)Gemeinde als Gemeinde des gekreuzigten Messias (1,26-31) und die missionarische Predigt als Wort vom Kreuz (2,1-5). Im dritten Abschnitt (2,6-16) erläutert der Apostel die Verkündigung und die Erkenntnis des gekreuzigten Messias als der rettenden Weisheit Gottes. Der vierte Abschnitt (3,1-4) wendet das Gesagte auf die korinthische Gemeinde an: Paulus erinnert an seine apostolische Pioniermission in Korinth, an die gegenwärtige Situation in der Gemeinde und an ihre Orientierung an menschlichen Maßstäben. Im fünften Abschnitt (3,5-17) erläutert Paulus seine Aussagen von 1,10-12 zu den Parteiungen, indem er die Bedeutung der Apostel und der Lehrer grundsätzlich erklärt und auf die Gemeinde bezieht: Verkündiger sind Diener und Mitarbeiter Gottes (3,5-9) und sie sind Gott verantwortlich (3,10-15), da die Gemeinde der Tempel Gottes ist (3,1617). Im sechsten Abschnitt (3,18-23) behandelt Paulus die Folgen von falscher Weisheit und Selbstruhm: Er warnt vor der Selbsttäuschung, ein Weiser zu sein (3,18-21a), er erklärt nochmals das richtige Verhältnis zwischen der Gemeinde und ihren Verkündigern (3,21b-22), und er betont, dass Christen Christus und Gott gehören (3,23). Im siebten Abschnitt (4,1-21) konzentriert Paulus seine Ermahnung wegen der Spaltungen auf die Beziehung zwischen der korinthischen Gemeinde und sich selbst als ihrem Apostel: Er betont, dass er als Apostel durch Jesus Christus beurteilt wird (4,1-5), und er schildert die wahren Kennzeichen apostolischer Existenz (4,6-13), ehe er die korinthischen Christen als „Vater“ der Gemeinde abschließend ermahnt und zur Änderung ihres Verhaltens auffordert (4,14-21).27
Spaltung im Namen der Weisheit 1,10-17 I 10 Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch, sondern seid miteinander verbunden in demselben Sinn und in derselben Meinung. 11 Es wurde mir nämlich von den Leuten der Chloë über euch berichtet, meine Brüder, dass es Streitigkeiten unter euch gibt. 12 Ich meine damit, dass jeder von euch sagt: „Ich gehöre zu Paulus“, „ich gehöre zu Apollos“, „ich gehöre zu Kephas“, „ich gehöre zu Christus“. 13 Ist Christus denn zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt, oder wurdet ihr auf den Namen des Paulus getauft? 14 Ich danke Gott, ————————————————————
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Für eine etwas abweichende Gliederung vgl. Smit, What is Apollos?, 235-240.
84 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
dass ich unter euch niemand getauft habe außer Crispus und Gaius, 15 damit keiner sagen kann, ihr wäret auf meinen Namen getauft worden. 16 Ich habe aber auch noch die Familie des Stephanas getauft; ob ich sonst noch jemand getauft habe, weiß ich nicht. 17 Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkündigen, nicht durch gewandte Rede, damit das Kreuz Christi nicht beseitigt wird.
II Der erste Hauptteil des Briefes ist der Behandlung der Parteiungen in der korinthischen Gemeinde gewidmet, die durch eine fehlgeleitete Loyalität gegenüber den Lehrern der Gemeinde verursacht wurden. Die Länge der Diskussion lässt die Vermutung zu, dass dieser Konflikt, den Paulus als ersten von mehreren Konflikten in der Gemeinde behandelt, das Grundproblem markiert, das die anderen Konflikte – Prozesse (6,1-11), das Verhalten beim Herrenmahl (11,17-34), den Umgang mit den Geistesgaben (12–14) – ursächlich erklärt. Die Kohärenz der Diskussion in 1,10–4,21 ergibt sich einerseits durch die Thematik, andererseits durch das einleitende παρακαλω ^ in 1,10-17, das in 4,16 wiederholt wird. Der Abschnitt 1,10-17 wird von manchen Auslegern als narratio beschrieben, in der Paulus über den zu verhandelnden Gegenstand informiert, 28 von anderen als exordium, das die Leser für das im Folgenden behandelte Thema gewinnen will.29 Beide Bestimmungen lassen sich am Text nicht verifizieren: V. 10 setzt mit einer Ermahnung ein, V. 13 bringt grundlegende Argumente, was weder zu einem exordium noch zu einer narratio passt. Der Abschnitt lässt sich am besten als Paraklese beschreiben:30 Paulus ermahnt die korinthischen Christen, ihr falsches Denken über ihre Lehrer abzulegen, das Spaltungen und Streit erzeugt. Gliederung. Paulus nennt in V. 10b (ι«να) das Thema der Ermahnung mit einer positiven und einer negativen Formulierung. V. 11 nennt begründend (γα' ρ) den Anlass der Ermahnung, V. 12 (λε' γω δε` του^ το) benennt die Parteilosungen als Symptome der Streitigkeiten. In V. 13 formuliert Paulus seine Kritik am Verhalten der Korinther in Form von drei rhetorischen Fragen, die alle eine negative Antwort verlangen. Paulus geht es darum, an die Einheit der Christen in der Gemeinde und an ihre exklusive Zugehörigkeit zu Jesus Christus zu erinnern. V. 14-16 ist ein biographischer Bericht zur ————————————————————
28 29 30
Vgl. Lips, Traditionen, 326; Mitchell, Rhetoric, 277-279; vgl. Schrage I 134-135, der gleichzeitig Gegenargumente liefert. Bünker, Briefformular, 53-54; Pesch, Vier Briefe, 121-124; Merklein I 109-110.158-159. Lindemann 35. Für die folgende Gliederung s. Schrage I 135-136; Lindemann 35-36.
Spaltung im Namen der Weisheit 1,10-17 85 ————————————————————————————————————
Taufpraxis in Korinth anlässlich der Gründung der Gemeinde: da er kaum getauft hat, macht es keinen Sinn, wenn sich korinthische Christen auf Paulus berufen wollen. Die kategorische Aussage V. 14a und die Selbstkorrektur V. 16a zeigen, wie gering Paulus die Bedeutung des Taufens einschätzt. Die mit begründendem γα' ρ angeschlossene Grundsatzerklärung V. 17a beschreibt das Hauptziel des göttlichen Auftrags, den Paulus in seinem missionarischen Wirken erfüllt: die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus. Die Antithese V. 17b bereitet mit den Stichworten „Weisheit“ und „Kreuz“ den Abschnitt 1,18-25 vor. Textkritische Anmerkungen. In V. 10 schreiben d46 33 pc σχι' σμα statt σχι' σματα, was im Blick auf V. 12 als sekundär gelten muss. In V. 11 lassen d46 C* 104 pc ar b d das Personalpronomen μου aus, das jedoch gut bezeugt ist. In V. 13 addieren d46 326 2464* pc die Negation μη' ; dadurch wird die Mehrdeutigkeit der Aussage, die als (rhetorische) Frage oder als Aussage gelesen werden kann,31 eliminiert, und zugleich wird der Satz an die folgenden Fragen angeglichen. Der Austausch von υ πε'ρ durch περι' in d46 B D* ändert an der Bedeutung der Formulierung nichts grundsätzlich; infolge des sonstigen paulinischen Gebrauchs ist υ πε' ρ als ursprüngliche Lesart zu ^, θεω ^, in wichtigen Textzeugen ( *אB6 1739 bevorzugen.32 In V. 14 fehlt τω sams bopt), das Resultat einer zufälligen Auslassung oder einer theologischen Korrektur: wie kann man Gott dafür danken, nur wenige Menschen getauft zu ^ gewöhnlich das Dativobjekt τω ^, θεω ^, haben?33 Paulus hat nach ευ χαριστω (1,4; 14,18; Röm 1,8; 7,25; Phil 1,3; Kol 1,3; 1Thess 1,2; 2,13; Phlm 4). Andere Manuskripte ergänzen hinter τω ^, θεω ^, ein μου (A 33 81 326 pc ar vgmss syp.h. sams bomss); als Angleichung an V. 4 ist dieser Zusatz sekundär. In V. 17 fügen d46 B F G 323 pc den bestimmten Artikel ο vor Χριστο' ς ein, was Angleichung an V. 13 sein könnte.
III 10 Das einleitende ich ermahne euch (παρακαλω^ δε` υ μα^ς) formuliert
keinen Zuspruch (wie in Hebr 13,22; Röm 1,11), auch keine bloße Bitte, 34 ————————————————————
31 32 33 34
Thiselton 137 bezeichnet die Variante als frühe und richtige Interpretation der Aussage; vgl. Garland 58. Zuntz, Text, 87. Vgl. Metzger, Commentary, 479; Lindemann 41; Thiselton 139-140. Anders urteilen Lietzmann 8; Conzelmann 49; Schrage I 133. Bjerkelund, Parakalô, 74-58.109-110 meint, diese Formulierung entspreche in Stil und Form offiziellen diplomatischen Briefen oder Freundschaftsbriefen. J. Thomas, EWNT III, 59 meint, die Paraklese der ntl. Briefe gründe „nicht auf gesetzlichen Normen“ sondern „mildert die Gehorsamsforderung zum Bitten ab“. Thiselton 111-114 folgt Bjerkelund; vgl. Merklein I 160; Lindemann 36. Taatz, Frühjüdische Briefe, 69 vergleicht mit syrBar 81,
86 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
sondern eine dringlich ausgesprochene Mahnung, wie der folgende Kontext erweist. Die Anrede Brüder markiert nicht nur den neuen Abschnitt, sondern erinnert die Korinther an die Zugehörigkeit zur Familie Gottes, die sie mit dem Apostel in einer quasifamiliären Beziehung verbindet. Das Wort α δελφοι' bezeichnet sowohl die „Brüder“ als auch die „Schwestern“ in der Gemeinde, also die „Geschwister“.35 Die Wendung τις α δελφο` ς ο νομαζο' μενος in 5,11 zeigt, dass sich die korinthischen Christen mit „Bruder“ und „Schwester“ angeredet haben. Die übertragene Verwendung der Bezeichnung „Bruder“ kommt in den dokumentarischen Papyri vor, wo einzelne Beamtenkollegen, Geschäftspartner, Freunde oder Mitglieder einer religiösen Gruppe ein besonders nahes Verhältnis zum Ausdruck bringen.36 Die Anrede mit „Bruder“, die innerhalb der Gemeinde alle ethnischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und familiären Schranken überschreitet, ist „ein Charakteristikum der neuen Gemeinschaft“ und beschreibt die Christen als „in ‚geschwisterlicher‘ Weise miteinander verbunden und untereinander gleichberechtigt“. 37 Die δια' -Formel im Namen unseres Herrn Jesus Christus weist – Röm 12,1 und 2Kor 10,1 entsprechend – auf „Voraussetzung, Kraft und Grund“ der Ermahnung hin.38 Die Formel δια` του^ ο νο' ματος bringt die Überzeugung des Apostels zum Ausdruck, dass Jesus Christus selbst mahnend gegenwärtig ist, wenn er mit seinem Brief die korinthischen Christen zum rechten Verhalten ermahnt. Der Hinweis auf den „Herrn Jesus Christus“ betont, dass die folgende Ermahnung nicht nur die Privatmeinung des Apostels ist, sondern dass Jesus Christus selbst der Urheber der Mahnung ist.39 Ein Hinweis auf die Autorität der apostolischen Mahnung ist also mitzuhören: Paulus spricht als Gemeinde gründender und Gemeinde leitender Apostel des Herrn Jesus Christus immer „an Christi statt“ (2Kor 5,20). Gleichzeitig erinnert er sie im Rückbezug auf 1,2 daran, dass seine Ermahnung von Jesus Christus ————————————————————
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wobei das dort betonte „Wort des Trostes“ in V. 10 dem Kontext nicht angemessen ist. Richtig GN: „Brüder und Schwestern“; NRSV, TNIV („brothers and sister“); vgl. Bauer /Aland 28-29, s.v. α δελφο' ς 1 mit Belegen aus der antiken Literatur; vgl. Euripides, El. 536; Andocides 1,47; für Belege in den Papyri vgl. Arzt-Grabner 64, mit Verweis auf BGU XI 2100; SB XVI 12391; P.Oxy. IV 713; XII 1452; LII 3690; P.Freiburg II 8; P.Fouad I 30. Die Anrede „Brüder“ kommt im Ersten Korintherbrief 21 Mal vor. Vgl. Arzt-Grabner, Brothers, 185-204. Ebel, Attraktivität, 203-212 zeigt anhand einer Durchsicht aller relevanten Belege, dass die Anrede mit „Bruder“ unter den religiösen Gemeinschaften der Antike keine echten Parallelen hat und nicht auf den Einfluss des antiken Vereinswesens zurückzuführen ist. Ebel, Attraktivität, 212-213. Vgl. den „heiligen Kuss“, mit dem sich die Christen grüßen sollen (s. zu 16,20). Schrage I 136, die folgende Bemerkung ebd. 137. Bjerkelund, Parakalô, 188-189 meint, eine Betonung der apostolischen Autorität sei nicht angesprochen; anders Müller, Prophetie, 122.
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ausgeht, den sie als ihren Kyrios anrufen; und er deutet im Vorgriff auf 1,13 an, dass sie infolge ihrer Taufe auf den Namen Jesu Christi rechtens dem Herrn Jesus Christus gehören.40 Der Inhalt der Mahnung (mit «ινα formuliert) ist ein Aufruf zur Einheit: seid alle einmütig meint wörtlich „sagt alle dasselbe“ (το` αυ το` λε'γητε).41 Diese in antiken Texten häufig belegte Wendung bezeichnet die Einmütigkeit, die Einstimmigkeit, die Einigkeit z.B. von politischen Versammlungen, die frei sind von Fraktionsdenken. Die Mahnung, dasselbe zu sagen, ist ein Aufruf, bestehende Unterschiede auszuräumen und im Frieden miteinander zu leben.42 Bei der Mahnung, „dasselbe zu sagen“, denkt Paulus 43 nicht an identische theologische Formulierungen, er denkt auch nicht nur an das Reden im Gottesdienst (vgl. 11,18). Er will, dass sie ihr Fraktionsdenken aufgeben und Partei für dieselbe Sache ergreifen – sie haben immerhin alle ihre (neue) Identität durch den Anschluss an Jesus Christus erhalten und sich mit der Integration in das Volk Gottes unter seine Autorität als der Herr gestellt. Der positiv formulierte Aufruf wird durch eine negative Formulierung erläutert: duldet keine Spaltungen unter euch. Das selten gebrauchte Wort σχι' σματα bezeichnet die Spalten des Kamelhufes und die Einschnitte des Ahornblatts; eine in das 1. Jh. v.Chr. datierte Inschrift einer Kultgenossenschaft des Zeus Hypsistos stellt das Sich-Aufspielen als Fraktionsführer (συνταγματαρχη' σειν) und die Trennung (σχι' σματα) von der Bruderschaft bzw. das Erzeugen von Spaltungen genauso unter Strafe wie das Bestehlen und Belügen der anderen Mitglieder.44 Das Wort bezeichnet hier weder eine Kirchenspaltung (Schisma) noch unterschiedliche theologische Programme,45 ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 5. LÜ „dass ihr alle mit einer Stimme redet“; EÜ „seid alle einmütig“; GN „seid einig“; Wilckens „lasst euer Reden einstimmig sein“; NRSV „that all of you be in agreement“; NGÜ paraphrasiert: „redet so, dass eure Worte euch nicht gegeneinander aufbringen“. Thucydides, 4,20,4; 5,31,6; Polybius, 2,62,4; 5,104,1; Dio Chrysostomus, Or. 4,135; Josephus, Ant. 18,375.378. Vgl. Lightfoot 151; Garland 41; Thiselton 116-118; vgl. Mitchell, Rhetoric, 68; s. ebd. 91-111 für Belege aus dem politischen Bereich. Schrage I 138 Anm. 243 weist darauf hin, dass die Wendung auch in nicht-politischen Kontexten vorkommt, z.B. auf einer Grabinschrift eines Ehepaars von Rhodos (IG XII,1 149). Vgl. auch 2Kor 13,11; Röm 12,16; 15,5; Phil 2,2; 4,2. P. London VII 2193; SB V 7835; HThR 29 (1936) 39-40; NewDocs I, 28-29; vgl. Aristoteles, Hist. An. 2,499a 27; Theophrast, Hist. 3,11,1. Zu σχι' ζω κτλ. vgl. Chr. Maurer, ThWNT VII, 963-965; W. Radl, EWNT III, 762-764. Vgl. Mitchell, Rhetoric, 99-101 für Belege für das Verb σχι'ζειν im Sinn des Auseinanderbrechens von Gemeinschaften; vgl. Martyn, Epistemology, 2-11; Thiselton 116-117. Eine Suche nach σχι'σμα im TLG hat für das 8. bis 1. Jh. v.Chr. nur 13 Belege zutage gefördert. In der LXX kommt σχι'σμα nicht vor. Baur, Christuspartei, 61-206 argumentiert, mit großem Einfluss auf die Auslegungsgeschichte, im Sinne gegeneinander abgegrenzter Parteien mit dezidiert eigener Theologie.
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aber auch nicht spalterische Randgruppen oder harmlose Meinungsverschiedenheiten.46 Die ausführliche und grundsätzliche Diskussion in 1,10–4,21 und die von Paulus gebrauchten Vokabeln und Wendungen, die in der griechischrömischen Welt einen politischen Hintergrund haben, machen deutlich, dass es in Korinth ernste innergemeindliche Differenzen gab, die offensichtlich auf ein Streben nach Einfluss und Rang zurückgingen, sich von entsprechenden Tendenzen in der römischen Gesellschaft speisten (vgl. die Exegese zu Kap. 5–6; 11) und die ganze Gemeinde gefährdete. Paulus kann Fraktionsbildungen schon aus theologischen Gründen nicht akzeptieren, wie die Mahnung „im Namen unseres Herrn Jesus Christus“ und die nachfolgende Argumentation zeigen. Die zweite positiv formulierte Aufforderung seid miteinander verbunden (η τε κατηρτισμε'νοι)47 betont die Notwendigkeit, dieselbe Denk-, Redeund Handlungsweise wiederzugewinnen. Das Verb καταρτι' ζειν wird in griechischen Texten für die „Wiederherstellung des rechten Verhältnisses durch die Beseitigung von Aufruhr“ und die „Überwindung von Uneinigkeit bzw. Zwietracht“ verwendet.48 In der Wendung in demselben Sinn und in derselben Meinung bezeichnet die Vokabel νου^ ς Einsicht, Sinn, Überzeu^, αυ τω ^, νοι΅ hat gung, Gesinnung, Urteilsfähigkeit.49 Die Formulierung ε ν τω Parallelen in politischen Kontexten und kann deshalb als Synonym von ο μο' νοια („Eintracht“) bzw. concordia angesehen werden. 50 Mit γνω' μη bezeichnet man den Beschluss, die Meinung, das Urteil, den Rat, die Entscheidung, aber auch die Gesinnung. 51 Paulus will, dass die korinthischen Christen gleich urteilen und dasselbe wollen, dass ihr Denken und ihre Entscheidungen von einer Gemeinsamkeit charakterisiert ist, die dem Wesen der Gemeinde als „Gemeinde Gottes“ (1,2) und als Familie von Geschwistern (1,10; 1,11) und ihrer Bindung an den Herrn Jesus Christus (1,2; 1,10) entspricht. 11 Es waren die Leute der Chloë (οι Χλο' ης), die Paulus von den Schwierigkeiten in der korinthischen Gemeinde unterrichtet hatten. Diese „Leute“ ————————————————————
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Richtig Baumann, Mitte, 48; Fee 54; Schrage I 138-139. LÜ „haltet aneinander fest“, EÜ „seid ganz [eines Sinnes]“, GN „haltet zusammen“, Wilckens „steht fertig gerüstet bereit“, Menge „steht geschlossen da“, MNT „seiet vollendet“, NGÜ „haltet in völliger Übereinstimmung zusammen“, NRSV „be united“, TNIV „be perfectly united“; Schrage übersetzt mit „zurechtgebracht“; Mitchell, Rhetoric, 75: „be reconciled as one community“. Das Ptz. Pass. hat im Kontext von V. 10 imperativischen Sinn, das Perf. unterstreicht die generelle Gültigkeit. Kammler, Kreuz, 5. Siehe Herodot 5,106,5; Dionysius Halikarnassus, Ant.Rom. 3,10; vgl. Herodot 5,28; 30,1; Heinrici 53; Weiss 14. Schrage I 140; vgl. J. Behm, ThWNT IV, 950-958; Jewett, Terms, 360-361.375-376. Mitchell, Rhetoric, 76-80.105.108-109. R. Bultmann, ThWNT I, 717-718; O. Knoch, EWNT I, 615-616. Kammler, Kreuz, 5 interpretiert νου^ ς und γνω' μη als gleichbedeutend (Hendiadyoin).
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sind weder Kinder der Chloë52 noch Parteigänger der Chloë,53 sondern wahrscheinlich Sklaven oder sonstige von Chloë Abhängige. Ob Chloë 54 eine Christin war, wissen wir nicht. Wenn dies der Fall war, wird sie zur korinthischen Gemeinde gehört haben. Ihre Erwähnung ohne weitere Erklärung setzt jedenfalls voraus, dass sie den Korinthern bekannt war.55 Die Leute der Chloë haben Paulus (wahrscheinlich briefliche) Nachrichten überbracht (ε δηλω' θη),56 die ihn über die Zustände in der Gemeinde informiert haben (1,11b12) – mindestens über die Parteiungen (1,11–4,21), vielleicht auch über die inzestuöse Lebensweise eines Gemeindeglieds (5,1-13), das Prozessieren von Gemeindegliedern (6,1-11) und den Umgang mit Prostituierten (6,12-20). Möglicherweise haben sie Paulus auch die Frage nach der Kopfbedeckung im Gottesdienst (11,2-16) und die Missstände beim Herrenmahl (11,17-34) vorgetragen. Dies ist jedoch nicht sicher, da wir auch mit mündlichen Informationen rechnen müssen, die Stephanas, Fortunatus und Achaikus weitergegeben haben können. Wir haben oben (Einleitung) auch daran erinnert, dass sich mindestens vier weitere Mitarbeiter bei Paulus aufhalten, als er den Ersten Korintherbrief schreibt, Mitarbeiter, die zur korinthischen Gemeinde gehören bzw. gehörten: Sosthenes (1,1), Apollos (16,12), Aquila und Priscilla (16,19). Die Leute der Chloë berichten von Streitigkeiten: ε»ριδες (sonst ist der Plural ε»ρεις gebräuchlich) bezeichnet „Streit, Streitereien“, die als Grund oder als Folge57 der σχι' σματα ausgelegt werden. Andere interpretieren „Spaltungen“ und „Streitigkeiten“ als Korrelatbegriffe.58 „Streit“ erinnert zu sehr ————————————————————
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Vgl. Theißen, Studien, 229: Familienangehörige wären nach dem Vater benannt worden, auch wenn er verstorben wäre. Fiorenza, Rhetorical Situation, 154. Χλο' η (die „Blonde“, die „Grüne“) ist als Frauenname häufig bezeugt, sowie als Beiname der Göttin Demeter. Die Auskunft, dass Freigelassene und Sklavinnen bzw. Sklaven oft den Namen einer Gottheit trugen, wird oft dahingehend ausgewertet, dass eine Frau mit dem Namen Chloë zur Gruppe der Freigelassenen oder Sklaven gehört haben könnte (Theißen, Studien, 254-255), lässt sich jedoch nicht durch literarische oder dokumentarische Belege untermauern; vgl. Arzt-Grabner 68-69. Fee 54 vermutet, dass Chloë eine in Ephesus lebende wohlhabende Frau war, deren Sklaven oder Geschäftspartner nach Korinth gereist waren und von dort Nachrichten überbrachten; ebenso Thiselton 121. In den Papyri wird das Verb δηλο' ω häufig im Zusammenhang von amt-lichen Meldungen, Deklarationen und Registrierungen verwendet; vgl. Arzt-Grabner 59-64 mit Hinweis auf P.Oxy. VII 1023; XII 1422; P.London VI 1912; in manchen Texten wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Übermittlung einer Nachricht durch einen Brief erfolgte; vgl. P.Sarap. 90; P.Gießen I 20; SB XIV 11644. Arzt-Grabner weist darauf hin, dass Papyrusbelege für eindeutig mündlich überbrachte Nachrichten äußerst selten sind (vgl. P.Mich. VIII 477; P.Oxy. VII 1070) und nie mit passiver Formulierung begegnen. Weiss 13; Bachmann 56 (Grund); Schrage I 142 (Folge). Heinrici 54; jüngst Kammler, Kreuz, 6-7.
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an emotionales und aggressives Verhalten, was weder zum Plural ε»ριδες noch zum Kontext passt.59 Paulus wird über Streitigkeiten informiert, in denen es um Machtkämpfe,60 Geltungssucht und Statusfragen geht. Wenn man den Streit primär oder exklusiv auf die theologische Lehre bezieht,61 muss man die Informationen der Leute der Chloë auf die Diskussion in 1,11–4,21 beschränken. Dies ist aber nicht plausibel, wie die weitere Exegese zeigen wird. Wenn Paulus die Gemeinde noch einmal mit meine Brüder anspricht, verweist er damit wieder auf den sachlichen Grund der Mahnung zur Einigkeit (s. zu V. 10) und unterstreicht sein Bestreben, die Schwierigkeiten integrierend zu lösen.62 12 Nachdem Paulus von „Spaltungen“ und von „Streitigkeiten“ geredet hat, nennt Paulus nun konkret, was er meint.63 Mit der Formulierung jeder von euch sagt meint Paulus sicherlich nicht, dass jedes einzelne Gemeindeglied in die Spaltungen, die er im Folgenden behandelt, verwickelt ist. 64 In dem Satz ε«καστος υ μω ^ ν λε'γει ist ε«καστος Gegensatz zu πα' ντες V. 10, das heißt: die ganze Gemeinde ist von der rivalisierenden Berufung auf die theologischen Lehrer erfaßt.65 Die Formulierung ε γω` με'ν (ει μι) mit Gen. drückt Zugehörigkeit aus;66 der auffällige Gebrauch der 1. Pers. Sing. zeigt, dass es nicht um Gruppenbildungen geht, sondern um „die Bindung des jeweils einzelnen an eine Leitfigur“.67 Zur Diskussion über die Parteiungen wurde oben bereits das Wesentliche gesagt.68 Die Erklärungen, die nicht primär theologische, sondern vor allem sozioökonomische und philosophisch-rhetorische Ursachen für die Konflikte in der Gemeinde verantwortlich machen, sind m.E. am plausibelsten. Die Konzentration auf Einzelpersönlichkeiten war ein Kennzeichen der römischen Gesellschaft.69 Es scheint, dass diejenigen unter den korinthischen Christen, die zur Elite ————————————————————
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Anders Martyn, Epistemology, 3; vgl. Garland 43. Martyn, Epistemology, 7; Thiselton 121. Jüngst Kammler, Kreuz, 4-48 und passim. Vgl. Merklein I 161. Die einleitende Wendung λε' γω δε` του^ το dient dazu, die Aufmerksamkeit der Adressaten auf den genannten Punkt zu lenken und diesen hervorzuheben; Arzt-Grabner 69 nennt PSI VIII 974; P.Oxy. XLII 3063; SB XIV 12178 als Beispiele in den Papyri. Anders Schlatter 69. Merklein I 161; Kammler, Kreuz, 7 Anm. 19. BDR §162.7; HS §159b; Bauer /Aland 455 s.v. ειμι IV. 3. Mitchell, Rhetoric, 85 schlägt einen gen. relationis vor. Lindemann 38. Siehe oben Einleitung Punkt 3, und die Einleitung zu 1,10-4,21. Epstein, Enmity, 31: „Die häufigsten Bindungen unter den führenden Römern, die um Machtpositionen konkurrierten, waren persönliche Beziehungen, nicht Ideologie“. Vgl.
Spaltung im Namen der Weisheit 1,10-17 91 ———————————————————————————————————— der Stadt Korinth gehörten, in der Gemeinde weiterhin das praktizierten, was unter ihren Zeitgenossen gang und gäbe war. Die Institution der Klientel bzw. des Patronats ordnete die in der Regel wirtschaftlich schwachen oder abhängigen, politisch nur bedingt selbständigen freien Kleinbauern und Bürger der Autorität eines patronus zu, eines Familienoberhaupts, der in seiner Familie nahezu unbeschränkte Gewalt ausübte und dem die clientes neben Respekt allerlei Dienste schuldeten. Letzteres traf vor allem auf die Freigelassenen zu, die zu operae, d.h. zu Arbeitsleistungen im Haus oder im Betrieb des Patrons verpflichtet waren. Das Sozialprestige des Patrons beruhte auf der Gefolgschaft möglichst vieler Klienten. Patrone demonstrierten ihre hervorgehobene Stellung dadurch, dass sie ihren Klienten Tagegelder (sportulae) und Naturalleistungen zukommen liessen.70 A. Clarke betont, dass ein römisch-säkulares Verständnis des Rangunterschieds zwischen den „apostolischen“ Persönlichkeiten Paulus, Kephas und Apollos dazu führte, dass man sich einer dieser Persönlichkeiten verpflichtete, um sich persönliche Vorteile zu sichern.71 Ein zweiter, mit den gesellschaftlichen Realitäten des römischen Korinth verbundener Umstand ist für die Erklärung der Parteiungen in der korinthischen Gemeinde ebenfalls relevant. Die Bewegung der sophistischen Philosophie, die im Rahmen der sog. Zweiten Sophistik auch Korinth erreichte, betonte und begünstigte die Imitation von geachteten Lehrern durch loyale Studenten.72 Die Bedeutung der Redekunst in den Städten der griechisch-römischen Welt ist im Zusammenhang der Tatsache zu sehen, dass die Angehörigen der Elite ihre Macht über die Masse der Bevölkerung, die in Krisenzeiten rasch in Existenznot gerieten, immer wieder neu legitimieren mussten. Ein wesentliches Element dieser Legitimationsbestrebungen der Elite war die Zurschaustellung ihrer überlegenen Qualitäten. Die Bildung (παιδει'α), die zum „Tugendkatalog“ der Elite gehörte und häufig in Inschriften erwähnt wird, gehörte zu den Vorzügen, die den Einwohnern der Städte Eindruck machen sollte. Den Mächtigen wurde „per definitionem Bildung zugeschrieben“.73 In Ehreninschriften werden Männer als „ausgezeichnet an Charakter und Bildung“ oder als „an Charakter und Redegewalt (λο' γοις) den ersten Rang einnehmend“ geehrt. Lukian erwähnt eine rhetorische Ausbildung als Mittel zum Erwerb von Reichtum und als Voraussetzung des gesellschaftlichen Aufstiegs (Lukian, Somn. 18; Philostratus, Vit. Soph. 538). Das „Streben nach Distinktion“ war eine Konstante der römischen Gesellschaft, die im Begriff der φιλοτιμι'α („Ehrliebe“) zusammengefasst wurde.74 Der der „Ehrliebe“ entsprechende Konkurrenzgeist wurde den Kindern der Familien der Oberschicht schon früh anerzogen. Die Auftritte berühmter Sophisten, die prachtvoll inszeniert wurden ————————————————————
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Clarke, Leadership, 92; ebd. 93 für die folgenden Bemerkungen. Vgl. Christ, Geschichte, 18-19.367-368.382-383.443; vgl. Chow, Patronage, 38-82. Clarke, Leadership, 93, mit Verweis auf Plutarch, Mor. 805E-F. Winter, Philo and Paul, 113-178; vgl. Clarke, Leadership, 93-94. Zur zweiten Sophistik vgl. Gleason, Sophists; Schmitz, Bildung. Schmitz, Bildung, 46; zur Bildung als Legitimation der Herrschaft ebd. 44-50; zu den Ehreninschriften ebd. 83 (Zitat aus SIG3 836 und I.Selge 17).101-102; zu den gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten der Sophisten ebd. 50-66; zu den finanziellen Forderungen der Sophisten ebd. 60-61. Schmitz, Bildung, 97-135; s. ebd. für die folgenden Bemerkungen; zur Konkurrenz sophistischer Rhetoren ebd. 112-127; zum Massenpublikum ebd. 12.113-115.126-127. 198-220; zur Improvisation ebd. 112-119.156-159.
92 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— und ein Massenpublikum anzogen, stellten „Wettkampfsituationen“ dar, in denen sie mit anderen Rhetoren konkurrieren konnten. Weil der Kreis der Themen begrenzt war – die fiktiven Reden (μελε' ται), die Personen aus dem Mythos oder aus der Geschichte hätten halten können, beschränkten sich meist auf bekannte Episoden aus den Perserkriegen, aus dem peloponnesischen Krieg und aus der Zeit des Aufstiegs Makedoniens bis zum Tod Alexanders des Großen –, konnten die auftretenden Sophisten miteinander verglichen werden. Plutarch belegt, wie wichtig das öfffentliche Konkurrieren war: „Dies widerfährt vielen Rednern und Sophisten, weil die einen sich aus Ruhmliebe und Ehrgeiz (υ πο` δο' ξης και` φιλοτιμι'ας), die anderen wegen Lohn oder politischer Konkurrenz dazu hinreißen lassen, über das zuträgliche Maß hinaus zu wetteifern“ (Plutarch, Tuend. 15,131a). Die Redner waren bestrebt, „den Gegner als ungebildet und unwissend zu entlarven, alle Mittel waren recht“.75 Als Philagros vorgab, eine Rede zu improvisieren, lasen die Schüler des Herodes Atticus den Text der bereits schriftlich veröffentlichen Rede laut mit, was dazu führte, dass die ganze Veranstaltung kippte (Philostratus, Vit. Soph. 579-580). Man konnte sich durch einen einzigen Grammatikfehler lächerlich machen. Für einen Rhetor, der Berühmtheit erlangen wollte, waren solche „professionellen“ Streitigkeiten eine Notwendigkeit.76 Wer Berühmtheit erlangt hatte, konnte manchmal Tausende von Zuhörern an sich ziehen (Philostratus, Vit. Soph. 619; Dio Chrysostomus, Diss. 32,2; Epiktet 3,23,19.35). Der Druck, dem ein Sophist ausgesetzt war, machte ihn von Beifalls- oder Missbilligungsbezeugungen abhängig. Philostratus schreibt in einer Anekdote über den Sophisten Herakleides im Blick auf den Erwartungsdrang des Publikums: „Verdachtsmomente solcher Art umnebeln den Geist und fesseln die Zunge“ (Philostratus, Vit. Soph. 614). Epiktet (55–135 n.Chr.) beschreibt einen Rhetorikstudenten aus Korinth und dessen übertriebene Sorge um seine äußere Erscheinung, seinen korinthischen Lehrer imitierend, mit der er auf seine Hörer Eindruck machen wollte.77 Epiktets Beschreibung zeigt, welchen gesellschaftlichen Status ein in Rhetorik geschulter Bürger Korinths erreichen konnte: er konnte „städtischer Verwalter“ (α στυνο' μος), „Superintendent der Epheben“ (ε φη' βαρχος), „Magistrat“ (στρατηγο' ς) oder „Superintendent der Spiele“ (α γωνοθε' της) werden. Epiktet teilt dem korinthischen Studenten mit, dass sein Sohn „ein feiner Bürger“ (καλο` ς πολι'της), ein „Senator“ (βουλευτη' ς) und ein „Redner“ (ρ η' τωρ) werden konnte.78 In einem anderen Diskurs über das Thema rhetorischer Deklamationen, eine anti-sophistische Polemik, informiert Epiktet über die sophistisch geschulten Redner: ihre rhetorischen „Vorführungen“ resultieren nicht in dem Entschluss der Zuhörer, ihr Verhalten zu ändern (was richtige Philosophen bewirken wollen; Epiktet, Diss. 3,23,17), und es geht ihnen nicht um die Frage, wie man leben soll – diese Redner wollen Beifall erhalten (3,23,7-11.23-24.32) und vor einer möglichst großen Zuhörerschaft reden (3,23,17-19). Dio Chrysostomus von Prusa (40–112 n.Chr.), der offensichtlich Korinth besucht hat, beschreibt in seiner achten ————————————————————
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Schmitz, Bildung, 117; zu Philagros ebd. 121; zum Erwartungsdruck ebd. 214-220. Gleason, Sophists, 27-28.72-73; Schmitz, Bildung, 125. Epiktet, Diss. 3,1,1.14.26-27.32. Das Werk Epiktets war L. Gellius Menander gewidmet, einem der führenden Bürger Korinths; vgl. Bowersock, New Inscription, 279-280. Epic Diss 3,1,34-36; vgl. Winter, Philo and Paul, 119-121 für Beispiele von Korinth; vgl. Wiseman, Corinth, 498-515.
Spaltung im Namen der Weisheit 1,10-17 93 ———————————————————————————————————— Rede („Diogenes oder von der Tugend“) die Aktivitäten der Sophisten während der Isthmischen Spiele (Or. 8,9). Er macht sich über die Rivalitäten zwischen den einzelnen Rednern lustig; er bezeichnet ihre Schüler als „sogenannte“ Schüler (μαθηται'), die sich als ζηλωτη' ς („Nachfolger“) in die Rivalitäten ihrer Lehrer verwickeln lassen (vgl. Or. 55,3-4) und ihren Lehrern Ruhm (δο' ξα) einbringen (Or. 1,38; 4,122), denen es gefällt, viele Jünger und Anhänger zu haben und im Theater vor großen Menschenmengen zu sprechen (Or. 4,14; 8,27; 12,15; 66,12); er bezeichnet die „Dümmsten unter den Sophisten“ als „aufgeblasene Prahlhänse“ (Or. 55,7). Die Berichte über den Rhetoriker Herodes Atticus haben als gemeinsame Konstante, „daß Herodes nie allein auftritt, sondern ihm immer eine große Zahl von Jüngern folgt“.79 Neben seinen Vorlesungen in Athen richtete er eine Art Oberseminar ein, das als Klepsydrion (Wasseruhr) bekannt war und zu dem nur die zehn begabtesten Schüler zugelassen wurde, die als „die (nach Wissen) Dürstenden“ bekannt waren (Philostratus, Vit. Soph. 2,10,1).
Paulus, Apollos und Kephas (Petrus) waren Lehrer. Paulus war der Gründer der Gemeinde. Er lehrte im Jahr 50/51 n.Chr. achtzehn Monate lang in Korinth als Gründer der Gemeinde (3,6.10; 9,2; 15,1-11; Apg 18,1-18). Apollos hat in der korinthischen Gemeinde gelehrt, nachdem Paulus Korinth verlassen hatte (3,6-9). Die positiven Aussagen über Apollos (1,12; 3,4.5.6. 22; 4,6) lassen kein Zerwürfnis zwischen Paulus und Apollos erkennen. Nach 16,12 wollte Paulus ihn nach Korinth schicken, was dieser jedoch hinausschob (zu Apollos s. unten zu 3,6). Petrus war nach dem Bericht der Apostelgeschichte der erste und einer der bedeutendsten urchristlichen Lehrer. Die Hinweise in 1,12; 3,22; 9,5; 15,5 lassen erkennen, dass er den Korinthern bekannt war. Es lässt sich jedoch nicht erhärten, dass er Korinth besucht hatte.80 Die Rekonstruktion der Situation in der korinthischen Gemeinde muss in mancher Hinsicht hypothetisch bleiben, weil Paulus sich bei seiner Diskussion in 1,10–4,21 für entsprechende Einzelheiten nicht interessiert. 81 Wichtig sind folgende Beobachtungen. 1. Die Häufigkeit der Vokabeln σοφι' α und σοφο' ς in Kap. 1–4 führt die meisten Ausleger mit Recht zu der Vermutung, dass es die „Weisheitsrede“ (1,17) war, die den Korinthern Anlass gab, sich verschiedener Lehrer zu rühmen (1,12; 3,4.21), sich wichtig zu machen (4,6.19), andere zu (be)urteilen und zu richten (4,3-5) und zu streiten (1,11; 3,3).82 Die Reaktion von Paulus lässt vermuten, dass dieses Verhalten der Korinther mit einem falschen Verständnis von „Weisheit“ zusammenhängt. ————————————————————
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Ameling, Herodes Atticus I, 126; für die folgende Bemerkung ebd. 127-128. Anders Barrett, Christianity at Corinth, 271.273; Strobel, 40-41; vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 709. Vgl. Schrage I 148. Hermeneutisch problematisch ist die Meinung von Kammler, Kreuz, 10, solche Fragen seien vielleicht historisch wichtig, aber sachlich „bedeutungslos“. Schrage I 150, der von „Weisheitshypertrophie“ redet, die er als „Vorliebe für geistbestimmte Weisheit“ der pneumatischen „Enthusiasten“ beschreibt (158).
94 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
2. Der unmittelbare Kontext von 1,12 in V. 13-15 zeigt, dass es in diesem Ab-schnitt um die Bindung an bestimmte Lehrer geht. Paulus demonstriert mit dem Hinweis auf seine Tauftätigkeit, dass es keine plausiblen Gründe gibt, weshalb sich Christen an Apostel oder Lehrer binden sollten – der Kreuzestod Jesu begründet eine „schlechthin exklusive Bindung“ an Jesus Christus. 83 3. In 1,17 zeigt die Präposition ε ν in der Wendung ε ν σοφι' α, λο' γου sowie die Tatsache, dass die Wendung ου κ ε ν σοφι' α, λο' γου das Verb ευ αγγελι' ζεσθαι näher bestimmt, dass es in Korinth um das Wie der Verkündigung geht. 4. Die Bewertung der Weisheit, der sich die korinthischen Christen rühmen, als σοφι' α α νθρω' πων (2,5) ist ein weiteres Indiz, dass das Problem weniger eine korinthische „Weisheitstheologie“ war, sondern wertende Beurteilungen des Auftretens der Apostel und der Lehrer in der Gemeinde. Die Exegese von 2,1-5 wird zeigen, dass Paulus zentrale Begriffe der zeitgenössischen Rhetorik aufgreift und mit dem Inhalt des Evangeliums und mit der Verkündigung des Kreuzes kontrastiert. 5. In 3,3 verbindet Paulus ε»ρις („Streit“) mit ζη^ λος („Eifer“). Beide Vokabeln spielten in der philosophischen Bewegung der Zweiten Sophistik eine wichtige Rolle. Die Rivalität berühmter philosophischer Redner war sprichwörtlich und wird z.B. von Philo als ε»ρις beschrieben. Beispiele werden von Dio Chrysostomus (40–112 n.Chr.) und Herodes Atticus (101–177 n.Chr.) beschrieben, die sich beide in Korinth aufhielten.84 Der Ausdruck ζη^ λος wird von den loyalen Anhängern bekannter Philosophen verwendet.85 Das Verb περιπατει^τε deutet darauf hin, dass es nicht primär um Meinungen ging, sondern um konkrete Verhaltensweisen, die in 3,4 im Sinn der Loyalität zu Paulus bzw. Apollos erläutert werden. 6. Die Argumentation in 3,21-22 bestätigt, dass das Problem mit der Bewertung der Lehrer und in Loyalitätsbekundungen verknüpft ist: Paulus beklagt noch einmal die Abhängigkeit von Aposteln und Lehrern (καυχα' σθω ε ν α νθρω' ποις), konkret von Paulus, Apollos und Kephas. 7. In 4,6 betont Paulus, dass er seine bisherigen Ausführungen auf sich und auf Apollos bezieht, verbunden mit der Mahnung, dass sich niemand „zugunsten des einen und zum Nachteil des anderen wichtig machen darf“ (μη` ει ς υ πε` ρ του^ ε νο` ς φυσιου^ σθε κατα` του^ ε τε'ρου). ————————————————————
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Schrage I 150; für die folgende Beobachtung ebd. 150.158-159; Schrage macht jedoch die Überschätzung der Redekunst nicht allein für die Parteiungen verantwortlich (159). Philo, Congr. 129; Mut. 10; Her. 246; vgl. Winter, Philo and Paul, 93.128.140. Vgl. bereits Munck, Paulus, 127-161. Herodes Atticus galt als der ungekrönte König der Sophisten (Philostratus, Vit. Soph. 586). Winter, Philo and Paul, 129-130.170, mit Verweis auf Dio Chrysostomus, Or. 47,22; 55,1.3.5 (Sokrates war ζηλωτη' ς Homers); Philostratus, Vit. Soph. 504 (Demosthenes war ζηλωτη' ς des Isokrates); vgl. Winter, Corinth, 31-43. W. Elliger übersetzt ζηλωτη' ς mit „Nachfolger“ (Elliger, Dion Chrysostomos, 646-649).
Spaltung im Namen der Weisheit 1,10-17 95 ————————————————————————————————————
Diese Hinweise im Text lassen sich zu einem Gesamtbild verdichten: die korinthischen Christen, jedenfalls einige unter ihnen – wahrscheinlich einflussreiche, gebildete Korinther, die auf rhetorische Brillianz und berühmte Rhetoriker fixert waren –, trugen die Wertmaßstäbe der zeitgenössischen römischen Gesellschaft Korinths in die Gemeinde hinein, indem sie ihre exklusive Loyalität zu einem einzelnen theologischen Lehrer erklärten und damit gleichzeitig andere Lehrer abwerteten – manche eben Paulus. Loyalitätsparolen („Ich gehöre zu Paulus“, „ich gehöre zu Apollos“, „ich gehöre zu Kephas“), Streben nach Ruhm und Streit über Apostel und Lehrer charakterisieren das Gemeindeleben. Die Reaktion des Apostels auf die genannten Missstände bestätigt diese Analyse.86 Paulus erinnert die Korinther in 2,1-5 an seinen ersten Aufenthalt in Korinth und an die von ihm verkündigte Botschaft vom gekreuzigten Messias Jesus, beides Dinge, die weder mit brilliantem Auftreten noch mit den rhetorisch ausgeklügelten Beweisen der Philosophen etwas zu tun haben. In 3,21-22 erklärt Paulus den Korinthern, dass sie ihre Beziehung zu Apollos, Petrus und Paulus falsch verstanden haben: Jesusbekenner „gehören“ nicht ihren Lehrern, sondern die Lehrer gehören der Gemeinde und diese gehört Christus. In 3,5-8 beschreibt Paulus sich und Apollos im Hinblick auf ihre Funktion als dienende „Landarbeiter“ und „Bauhandwerker“, nicht im Sinne von Status und Referenzen. Paulus spricht die Korinther nie als seine „Schüler“ an, sondern (29 Mal!) als seine „(geliebten) Brüder“: er gehört zusammen mit ihnen zur Familie Gottes; er ist nicht ihr παιδαγωγο' ς, sondern ihr „Vater“ (πατη' ρ). Die Parole ich gehöre zu Christus ist kein Hinweis auf eine ChristusPartei in der korinthischen Gemeinde (s. oben), auch wenn die Formulierung syntaktisch den vorausgehenden Parolen parallel konstruiert ist.87 Manche Ausleger nehmen eine ironisch gemeinte Überspitzung an: „Es kommt noch soweit, daß man selbst Christus für sich und seine Gruppe allein reklamiert“.88 Andere interpretieren den Satz als eine polemische Antithese des Apostels, die er den zuvor genannten Parolen emphatisch entgegenstellt (man vergleiche ε γω` δε` Χριστου^ mit υ μει^ς δε` Χριστου^ in 3,23, wo es ebenfalls um ————————————————————
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Vgl. Winter, Corinth, 42-43 für die folgende Zusammenfassung. Auf die syntaktische Parallelität weisen hin Hofmann 15; Heinrici 56; Weiss 16; Lang 23; Fee 58-59 Anm. 54; Wolff 28; Collins 72; Lindemann 39; Thiselton 132-133, die aber ihrerseits die Schwierigkeiten herunterspielen, die sich für die Annahme einer ChristusPartei ergeben. Kammler, Kreuz, 16 meint, die korinthischen Christen hätten als Empfänger des Briefs „sehr wohl“ gewusst, „welche und wie viele Gruppen es in der korinthischen Gemeinde gab. Schrage I 148; so interpretiert bereits Chrysostomus; vgl. Baumann, Mitte, 54.64; Bünker, Briefformular, 53-54; Lampe, Wisdom, 117; Kremer 32.
96 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
die korinthischen Parolen geht).89 Vielleicht hat Paulus seine Position ganz bewusst in genauer sprachlicher Angleichung an die Parteiparolen formuliert, um pointiert zum Ausdruck zu bringen, wie absurd die Parteiungen und Streitigkeiten um Personen wirklich sind.90 13 Mit drei rhetorischen Fragen, die alle eindeutig mit Nein zu beantworten sind, will Paulus den Korinthern die Ungeheuerlichkeit ihrer Berufung auf favorisierte Lehrer vor Augen führen. Wenn den korinthischen Christen die Bekenntnisse bekannt waren, mit denen Bürger Korinths ihre Zugehörigkeit zu Aphrodite, Apollos und Dionysos demonstrierten,91 will Paulus ihnen mit den rhetorischen Fragen vielleicht klarmachen, dass ihre „Parteizugehörigkeit“ nicht anderes ist als Loyalität zu den Göttern, die sie früher angebetet hatten.92 Ist Christus denn zerteilt? (μεμε'ρισται ο Χριστο' ς;) Der Artikel in der Formulierung ο Χριστο' ς (bei Paulus selten) zeigt, dass Paulus von Jesus als dem Messias redet, in dem die (juden- und heidenchristlichen) Gläubigen ihre neue Identität als Glieder des Gottesvolkes finden; das heißt, „der Christus“ steht wie in 12,12 abgekürzt für den „Leib Christi“, d.h. die Gemeinde.93 Μερι' ζω, hier in negativem Sinn gebraucht, bedeutet „spalten, zerteilen“. Wer „in Christus“ ist, wer zur Gemeinde des gekreuzigten und auferstandenen Jesus gehört, der kann, der darf nie riskieren, dass die Gemeinde durch sein Verhalten und sein Reden gespalten wird. Weder Christus noch die Gemeinde lässt sich wie irgendein Gegenstand zwischen konkurrierenden Besitzern aufteilen. Es gibt nur einen Messias, es gibt nur eine Gemeinde: Eine Spaltung der Gemeinde in Fraktionen und Loyalitätsgrüppchen, die sich um berühmte Lehrer scharen, ist genauso grotesk wie die Zerspaltung des Messias, als ob es einen Messias des Paulus, einen Messias des Apollos oder einen Messias des Petrus gäbe. 94 ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 15-16; vgl. Bousset 76; Barrett 45; Hurd, Origin, 105; Mitchell, Rhetoric, 83. Kammler, Kreuz, 16. Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 3; die um 500 v.Chr. datierende, auf einer kleinen Bronzeschale angebrachten Inschrift lautet: τα^ς Αφ ροδι' τας ε μι; Roebuck, Corinth XIV, Nr. 1; Bookidis/Stroud, Demeter, 27. Winter, Philo and Paul, 186. Bengel 623; Lightfoot 154; Weiss 16-17; Kuss 121; Kümmel 167-168; Conzelmann 53; Schrage I 152; Thiselton 137. Anders Wolff 29 Anm. 36; Merklein I 163; Kremer 32-33; Lindemann 41; Halter, Taufe, 136; s. Kammler, Kreuz, 17-20, dessen These, im Zentrum der Auseinandersetzung mit den Korinthern gehe es nicht um die Ekklesiologie, sondern um die Christologie und Soteriologie, weder der Struktur noch den Aussagen des Ersten Korintherbriefs gerecht wird. Wer von einer Christus-Partei ausgeht, versteht V. 13a als Herausstellung der Tatsache, dass die Berufung auf Christus in der Kirche niemals zur „Parteiparole“ werden darf; vgl. Lindemann 41.
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Die zweite rhetorische Frage entlarvt die Absurdität der korinthischen Loyalitätsbekundungen gegenüber bestimmten Lehrern am Beispiel von Paulus selbst: Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt? (μη` Παυ^ λος ε σταυρω' θη υ πε` ρ υ μω ^ ν). Die zu erwartende negative Antwort erinnert die Korinther an die zentrale Realität ihres Glaubens und ihres Selbstverständnisses als Jesusbekenner: sie sind Christen geworden, weil sie das Heilsangebot Gottes angenommen haben, das die Vergebung von Schuld und Sünde mit dem Tod Jesu am Kreuz verbunden hatte. Jesus Christus, nicht Paulus, wurde für95 Sünder gekreuzigt. Die Loyalität der Gläubigen in Korinth kann deshalb nie Paulus oder irgend einem anderen Lehrer gelten, sondern nur und immer exklusiv Jesus Christus. Der Stolz auf rhetorisch gewandte Lehrer und die Hochschätzung ihrer Verkündigung verträgt sich nicht mit dem Evangelium vom gekreuzigten Jesus Christus. Weil die Taufe als „Ausdruck der gültigen Zugehörigkeit zu Jesus Christus“ zugleich „Partizipation an seinem Geschick“ ist,96 kommt Paulus von der Kreuzigung im nächsten Satz auf die Taufe zu sprechen.97 Die dritte Frage: Wurdet ihr auf den Namen des Paulus getauft? ist ebenso zu verneinen. Die urchristlichen Missionare haben ει ς το` ο» νομα Ιησου^ getauft, wie aus der ironischen Formulierung von Paulus indirekt hervorgeht (vgl. Apg 8,16; 19,5). Es wird oft darauf hingewiesen, dass die Formel ει ς το` ο» νομα ein terminus technicus der hellenistischen Rechts- und Geschäftssprache ist („auf das Konto von jemandem buchen“).98 Wenn dieser Vorstellungshintergrund im Vordergrund steht, was für die korinthischen Heidenchristen sicher anzunehmen ist, dann erklärt Paulus den Korinthern: durch die Taufe wurden sie Eigentum Jesu Christi, sie gehören Jesus Christus, sie stehen unter seiner Herrschaft; als Menschen, die sich Jesus Christus übereignet haben, können sie sich unmöglich mit Loyalitätsbekundungen zu besonderen Lehrern hervortun wollen. Der griechische Ausdruck „taufen“ ————————————————————
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Die Präposition υ πε' ρ gehört zu den Formulierungen der Bekenntnissprache, vgl. 1Kor 11,24; 15,3; 2Kor 5,14-15; Röm 5,6-8; 8,32; 14,15; Gal 1,4; 2,20; 3,13; 1Thess 5,10; vgl. H. Patsch, EWNT III, 949-951. Hahn, Theologie I, 281. Die Kreuzigung und Taufe Jesu werden auch in anderen Kontexten gemeinsam genannt: Röm 6,2-3; Kol 2,12-15. Vgl. Fee 61; Thiselton 138. Bauer /Aland 1160 s.v. ο» νομα Ic.β; A. Oepke, ThWNT I, 537; Heitmüller, Im Namen Jesu; Dunn, Baptism, 117-118. Vgl. den Inkassoauftrag P.Cair.Zen. V 59808, die Pachtzinsquittung SB XVIII 13089 und den Privatbrief P.Mich. VIII 477. Anders Bietenhardt, ThWNT V, 274-275 und Hartman, Auf den Namen, 40-42; ders., EWNT II, 1276, die im Sinn des rabbinischen Ausdrucks לשםinterpretieren, der den bestimmenden Grund nennt; die Taufe ist ein Ritus, „der von Jesus, seiner Person und seinem Werk grundlegend bestimmt war“ (ebd.). Zur Taufe „auf den Namen Jesu“ vgl. Wilckens, Römer II, 48-50. Zur folgenden Erklärung vgl. Schrage I 154.
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(βαπτι' ζω) bezeichnet zunächst nicht die christliche Wassertaufe, sondern „untertauchen“, deshalb auch „versenken, ertrinken, untergehen“; manchmal ist die Bedeutung „baden, waschen“ belegt. 99 In der LXX bedeutet βαπτι' ζω „eintauchen, untertauchen“ (in 2Kön 5,14 für das siebenmalige Eintauchen Naemans in den Jordan). Viele Ausleger setzen voraus, dass für βαπτι' ζω die „technische“ Verwendung im Sinn der christlichen Wassertaufe anzunehmen ist, und übersetzen mit der Glosse „taufen“.100 Angesichts dieses heute weit verbreiteten Verständnisses von „taufen“ ist es wichtig festzuhalten, dass das Wort βαπτι' ζω in jüdischen und in urchristlichen Texten generell die Bedeutung „untertauchen“ hat, auch wenn der technische Gebrauch für „taufen“ an den meisten ntl. Stellen gemeint ist (s. unten zu 12,13).101 Die Verknüpfung von Kreuzestod und Taufe in der Doppelfrage V. 13bc zeigt auf dem Hintergrund der Soterologie des Apostels Paulus (vgl. die zentralen Texte 2Kor 5,14-21 und Röm 5,1-11), dass nicht erst die Taufe den einzelnen Menschen mit dem Geschehen von Kreuz und Auferstehung Jesu verbindet. Es ist nicht zufällig, dass Paulus in V. 13 zuerst vom Kreuzestod Jesu, dann von der Taufe spricht: Menschen werden getauft, die die Gültigkeit des Kreuzestodes zur Vergebung von Schuld und Sünde im Glauben ergriffen und deshalb die Wirkmacht des Kreuzestodes Jesu Christi in ihrem Leben erfahren haben. H.-C. Kammler schreibt deshalb zu Recht: „In der Taufe eignet der Auferstandene dem Einzelnen somit nicht anderes zu, als ihm bereits in seiner Person und in seinem Werk geschenkt ist“. 102 14 Paulus nimmt die rhetorische Frage V. 13c zum Anlass, kurz über seine Taufpraxis in Korinth zu schreiben. Er dankt Gott ausdrücklich dafür, dass er nur Crispus und Gaius getauft hat. In V. 16 trägt er die Familie des Stephanas nach. Paulus hat offensichtlich in der Regel die Menschen, die infolge seiner missionarischen Verkündigung zum Glauben an Jesus Christus kamen und sich der Gemeinde anschlossen, nicht selbst getauft. Er hat, zumindest in den ersten Monaten der Gemeindegründung, das Taufen seinen Mitarbeitern überlassen – Silas und Timotheus, vielleicht Aquila und Priscilla. Weshalb ————————————————————
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A. Oepke, ThWNT I, 527-528; G. R. Beasley-Murray, ThBLNT II, 1694. F. Winter, in Arzt-Grabner 72 verweist auf UBZ I 70, einen Brief aus dem Archiv der Tempelakten des Serapeions in Memphis aus dem Jahr 152/151 v.Chr., in dem das Verb βαπτι'ζω jedoch ebenfalls in dem profanen Sinn „untertauchen” gebraucht ist. Der Duden definiert „Taufe“ als „(christl. Rel.) Sakrament, durch das man in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen wird . . . Ritual, bei dem ein Geistlicher die Taufe spendet, indem er den Kopf des Täuflings mit (geweihtem) Wasser besprengt od. begießt od. den Täufling in Wasser untertaucht“; das Verb „taufen“ wird definiert als „1. an jmdm. die Taufe vollziehen . . . 2. einem Täufling im Rahmen seiner Taufe einen Namen geben“. G. R. Beasley-Murray, ThBLNT II, 1694. Kammler, Kreuz, 22. Zur Taufpraxis des Apostels Paulus s. V. 14.16.
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schreibt Paulus ich danke Gott (ευ χαριστω ^ τω ^, θεω ^, )? Er ist angesichts der korinthischen Loyalitätsbekundungen gegenüber bestimmten Aposteln und Lehrern dankbar, dass man dies zumindest in seinem Fall nicht mit der Taufe begründen kann. Er hat nur ein paar Menschen getauft, das Taufen gehörte nicht zu seinen regelmäßigen Tätigkeiten, und das Taufen stellt eine exklusive Abhängigkeit von Jesus Christus her (V. 13c) – deshalb kann er als der Apostel, der die Gemeinde gegründet hat, dankbar sagen, dass er nichts getan hat, das Anlass gegeben haben könnte, die Rivalitäten und die Streitereien um prominente Lehrer in Gang zu setzen. Crispus (Κρι' σπος), ein römischer (Bei-) Name, ist wahrscheinlich mit dem in Apg 18,8 erwähnten Synagogenvorsteher gleichen Namens identisch. Ob Paulus auch seine Familie getauft hat, die nach Auskunft von Lukas zum Glauben kam, ist nach Apg 18,8b gut möglich und durch die Formulierung in V. 14, wo sein „Haus“ nicht erwähnt wird, nicht ausgeschlossen (vgl. V. 16). Gaius (Γα' ¨ιος; Lat. Gaius oder Caius), der häufigste römische Vorname (praenomen), ist vielleicht mit dem Hausbesitzer identisch, dessen Gastfreundschaft Paulus in Korinth genießt, als er den Brief an die römischen Christen schreibt (Röm 16,23). Lukas kennt zwei weitere Christen, die Gaius hießen: ein makedonischer Mitarbeiter von Paulus (Apg 19,29) und ein Christ aus Derbe, der Paulus von Griechenland nach Jerusalem begleitet (Apg 20,4). 15 Paulus nennt den Grund für die in V. 14 konstatierte Dankbarkeit: damit keiner sagen kann, ihr wäret auf meinen Namen getauft worden. GN („sonst würdet ihr am Ende noch sagen, dass ihr auf meinen Namen getauft worden seid!“) hat den Sinn richtig erfasst: Paulus sagt nicht, dass es in Korinth Leute gibt, die sagen, sie seien „auf den Namen“ von Paulus getauft worden (ει ς το` ε μο` ν ο» νομα). Er will ganz rigoros die Möglichkeit ausschliessen, dass jemand so etwas behauptet. Die Formulierung mit einem Konsekutivsatz (ι«να μη' τις ει»πη, )103 könnte andeuten, dass der Ausschluss dieser Möglichkeit die von Paulus beabsichtigte Folge seiner Taufpraxis war. Da Paulus die rivalisierenden Loyalitätsbekundungen der Anhänger von sophistischen Philosophen, Rednern und Lehrern in der römischen Gesellschaft kannte, 104 hat er als Missionar offensichtlich alles vermieden, was falsche Schlussfolgerungen oder einen falschen Eindruck erwecken konnte. Gerade seine Ausführungen im Ersten Korintherbrief zeigen, dass es ihm an einer dem Evan————————————————————
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Der Konjunktiv ει»πη, in der Wendung «ινα μη' τις ει»πη, ist durch «ινα bedingt, impliziert hier aber gleichzeitig „etwas noch nicht Eingetretenes“ (BDR §363). Zu den in der Koine und im NT seltenen Konsekutivsätzen mit «ινα vgl. HS §279a; §278. Dies verkennt Weiss 17, wenn er meint, Paulus habe „die schädliche Folge der Menschenvergötterung“ vorher nicht geahnt; ahnungslose Missionare hat es immer wieder gegeben – Paulus gehörte jedoch ganz bestimmt nicht zu ihnen!
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gelium vom gekreuzigten Jesus Christus gerecht werdenden Verkündigung und an einer dem kulturellen Kontext adäquaten Gemeindegründung gelegen war. 16 Paulus korrigiert seine Aussage von V. 14: Ich habe aber auch noch die Familie des Stephanas getauft. In 16,17 bringt Paulus seine Freude über die Ankunft des Stephanas zum Ausdruck, der von Korinth nach Ephesus gekommen war – ob dieser Paulus auf die Unvollständigkeit der kurzen „Liste“ in V. 14 aufmerksam gemacht hat?105 Möglich ist auch, dass Paulus bewusst mit einer „Gedächtnislücke“ spielt, um zu unterstreichen, wie absurd die Loyalitätsbezeugung gegenüber den Aposteln und Lehrern der Gemeinde ist. Wie unwichtig ist, wer Neubekehrte tauft, zeigt der Nachsatz: ob ich sonst noch jemand getauft habe, weiß ich nicht. Paulus weiß es nicht (ου κ οι δα), aber die möglicherweise lückenhafte Erinnerung kümmert ihn nicht. Wen hat Paulus getauft, als er die Familie bzw. das „Haus“ (so wörtlich οι κος) des Stephanas getauft hat? Das attische Recht definiert οι κος wie folgt: „ein vollständiges Haus besteht aus Sklaven und Freien“ (Aristoteles, Pol. 1253b 4-7); zum „Haus“, d.h. zur „Familie“ gehören Herr, Frau, Kinder und Sklaven. Dieses Verständnis findet sich auch in der LXX. 106 Wenn οι κος „Familie“ (oder „Hausgenossenschaft“) bedeutet, ist der genaue Umfang der „Familie“ aus dem Kontext zu erschließen; nur so lässt sich klären, welche Mitglieder des Hausverbandes – abhängige Verwandte, Sklaven, Klienten – dazugehören. Manche Texte unterscheiden zwischen οι κος und τε'κνα, d.h. zwischen dem Hausverband und Säuglingen bzw. Kleinkindern. 107 Mehrere ntl. Texte sagen, dass der οι κος eines bestimmten Menschen („Haus des N.N.“) getauft (V. 16; Apg 16,15.33 [v.l. d45]), gerettet (Apg 11,14; 16,31) oder gläubig (Apg 18,8) wurde. Der Kontext dieser Stellen lässt den Schluss zu, dass Säuglinge und Kleinkinder nicht zum οι κος gehören.108 Die Frage, ob die urchristlichen Missionare Säuglinge oder Kleinkinder getauft haben oder nicht, kann man aufgrund dieses Sachverhalts allein jedoch nicht beantworten.109 Im Blick auf die Taufe des Stephanas und seiner Familie im römischen Korinth ist die Beachtung der Missionssituation wichtig. Und hier gilt, ————————————————————
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Lindemann 42; ebd. die folgende Bemerkung. Weigandt, Oikosformel, 52-55; ders., EWNT II, 1226; Stuhlmacher, Philemon, 73. ArztGrabner 75-76 verweist auf P.Petaus 28; P.Tebt. II 413; P.Lond. VI 1926; CPR V 19; P.Oxy. VIII 1158. Zur Architektur des antiken Hauses siehe zu 11,22. 1Tim 3,12; Ignatius, Sm. 13,1; Pol. 8,2; Herm Mand. 12,3,6; s 5,3,9; 7,6. P. Weigandt, EWNT II, 1227 verweist auf P.Hamb. 54 II; P.Gen. I 54. P. Weigandt, EWNT II, 1226. Zu diesem Thema vgl. Aland, Säuglingstaufe, 60-67; Aland, Kinder, 30-33; Jeremias, Kindertaufe, 23-28; Jeremias, Nochmals, 9-27; Klauck, Hausgemeinde, 15-20; BeasleyMurray, Taufe, 407-421.
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was U. Wilckens in seiner Auslegung von Röm 6 prägnant auf den Punkt gebracht hat: „In der Missionssituation des Urchristentums ist es selbstverständlich, daß nur Glaubende getauft werden.“ 110 17 Paulus formuliert die Erläuterung (γα' ρ) seiner in V. 14.16 angesprochenen Taufpraxis, die sich auf das Ziel und den Inhalt seiner Sendung konzentriert, zunächst negativ: Christus hat mich nicht gesandt zu taufen (ου γα` ρ α πε'στειλε'ν με Χριστο` ς βαπτι' ζειν). Dieser Satz unterstreicht im Zusammenhang der folgenden Formulierung die Priorität der Evangeliumsverkündigung, die der primäre Auftrag des Apostels ist. Die Antithese ου . . . α λλα' beschreibt nicht nur eine relative Negation („nicht so sehr . . . sondern vielmehr“);111 sie kann, ohne dass man abschwächen muss, als absoluter Gegensatz verstanden werden: Paulus spricht konkret und ausschließlich von seinem missionarischen Auftrag, der in der Verkündigung des Evangeliums besteht.112 Dieser Auftrag schließt das Taufen nicht aus, zielt aber nicht auf den Taufvollzug ab. Wertet Paulus mit dieser Aussage die Taufe ab?113 Da Paulus selbst getauft hat, kann er die Taufe nicht als zu vernachlässigenden Ritus gering geschätzt haben. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass die Meinung, der Ritus der Taufhandlung vermittle das Heil, für Paulus ausscheidet: wenn die Heilsmitteilung in der Taufe oder durch sie geschieht, dann muss ein Missionar taufen. Die Taufe vermittelt nicht das Heil, sondern sie bildet das Heil ab. Sie vergibt keine Sünden, sondern versichert den zum Glauben an den gekreuzigten Jesus Christus gekommenen Menschen, dass ihre Sünden getilgt und sie in das von Gott geschenkte neue Leben eingetreten sind. Der Satz Christus hat mich gesandt . . . das Evangelium zu verkündigen (α πε'στειλε'ν με Χριστο` ς . . . ευ αγγελι' ζεσθαι) formuliert einen Grundsatz des missionarischen Selbstverständnisses des Apostels. 114 Paulus hat bei aller Erfahrung als Missionar und Gründer von Gemeinden und bei aller theologischer Kompetenz nie vergessen, dass er ein von Jesus Christus Gesandter ist, dem eine Botschaft aufgetragen wurde. Auffallend ist, dass Christus als der Sendende bezeichnet wird (α πε'στειλε'ν με Χριστο' ς; in Gal 1,15-16; 2Kor 5,18-19 ist Gott der Sendende; eine sachliche Parallele ist Röm 1,5). Da die in dieser Formulierung zum Ausdruck kommende Beziehung zwischen Chris————————————————————
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Wilckens, Römer II, 27; vgl. ebd. 31: „daß im Urchristentum die Empfänger der Taufe πιστευ' σαντες waren, kann nicht bestritten werden“. HS § 249b, mit Verweis auf 1Kor 1,17; NSS II, 56. Schrage I 157 interpretiert im Sinn einer hyperbolischen Überspitzung. Vgl. Meyer 33; Heinrici 65; Lindemann 42; Kammler, Kreuz, 25. So Lietzmann 9; Craig 24. Die Mehrheit der Ausleger protestiert regelmäßig, vgl. Conzelmann 55; Kümmel 168; Fee 63; Merklein I 165; Lindemann 42; Thiselton 142. Zum missionarischen Selbstverständnis des Paulus s. Schnabel, Urchristliche Mission, 907-941. Zu α ποστε' λλω vgl. die Ausführungen zu α πο' στολος V. 1.
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tus als Sendendem und Paulus als dem Gesandten „ihre einzige Analogie in der Relation zwischen Jahwe und seinen Propheten“ hat, ergibt sich der Schluss, dass der erhöhte Christus dem Apostel als „göttliche Person“ gegenübersteht.115 Das Verb ευ αγγελι' ζομαι116 übersetzt in der LXX hebr. בשר, ein Verb, welches das „Verkündigen einer frohen Botschaft“ bezeichnet. Paulus verwendet das Verb in seinen Briefen für die von Gott oder Jesus Christus autorisierten Verkündiger der Heilsbotschaft. Der Hintergrund von Jes 40–66 spielt für das Verständnis des Ausdrucks eine entscheidende Rolle. Stellen wie Jes 40,9; 52,7 und 61,1 transponieren die profane Botschafter-Sprache auf eine eschatologische Ebene, um die Botschafter zu beschreiben, die Israels Gott beauftragt, seine Heilsherrschaft anzukündigen.117 Im JesajaTargum wird diese Tradition aufgenommen (Tg Jes 40,9; 61,1). In Röm 10,15 bezieht sich Paulus mit dem Verweis auf Jes 52,7 explizit auf diese Tradition: Die ευ αγγελιζο' μενοι von Jes 52,7 sind die α πο' στολοι.118 Im NT ist das Verb terminus technicus für die Verkündigung der Botschaft von Jesus Christus, in dessen Leben, Kreuzestod und Auferweckung der Gott Israels sich geoffenbart und das von den Propheten versprochene endzeitliche Heil geschenkt hat.119 Die Botschaft von Jesus Christus erweist sich für die Glaubenden als rettende, von Schuld und Sünde befreiende Kraft Gottes (V. 18; Röm 1,16). Heilsgeschehen ist nicht die Proklamation des Evangeliums an sich, 120 sondern die heilschaffende Offenbarung Gottes im Kreuzestod und in der Auferweckung des Messias Jesus und die Aktualisierung dieser Offenbarung im Leben der Menschen, die an Jesus Christus glauben. Paulus verdankt seine Mission der Initiative des Messias Jesus, der ihm auf der Straße nach Damaskus begegnet ist. Die Botschaft, die er im Vollzug dieser Mission verkündigt, ist ihm ebenfalls aufgetragen: er proklamiert die frohe Botschaft von Jesus Christus, durch dessen Kreuzestod der Gott Israels Schuld und Sünde vergibt (1,23; 2,2; 3,11; 15,2). In 3,6.10 beschreibt Paulus seine Sendung als Berufung zum Pioniermissionar, der „pflanzt“ und als „sachkundiger Bau————————————————————
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Kammler, Kreuz, 26. G. Friedrich, Art. ευ αγγελι'ζομαι κτλ., ThWNT II, 705-735; G. Strecker, EWNT II, 173176; O. Betz, ThBLNT I, 432-441; O. Michel, RAC VI, 1108-1160; P. Stuhlmacher, EKL I, 1217-1221; Stuhlmacher, Evangelium, 63-108. Dickson, Mission-Commitment, 176; vgl. O. Betz, ThBLNT I, 433. Vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 314-315; s. ebd. zum Kontrast der Kaiserinschriften, in denen τα` ευ αγγε' λια die Nachrichten von Geburt und Herrschaftsantritt, von Siegen und Wohltaten des Kaisers bezeichnet; vgl. die Kalenderinschrift von Priene (SEG IV 490). Für die absolute Verwendung von ευ αγγελι'ζεσθαι, die in V. 17 vorliegt, vgl. 9,16.18; 2Kor 10,16; Röm 1,15; 15,20; Gal 1,8.9; 4,13. Mit Objekt 15,1.2; 2Kor 11,7; Röm 10,15; Gal 1,11.16.23. Bultmann, Theologie, 306-311; vgl. Schrage I 157.
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meister“ das Fundament legt, also Gemeinden gründet. Für den Missionar bezeichnet ευ αγγελι' ζω immer die mündliche Verkündigung der Christusbotschaft, aus der der Glaube erwächst (15,1-2.11; Röm 10,14-17). Die Grundregel des ευ αγγελι' ζειν ist das konsequente Ernstnehmen des Hörers, seien sie Juden oder Heiden (9,19.22). V. 17b erläutert ευ αγγελι' ζεσθαι durch eine negative Bemerkung: nicht durch gewandte Rede. Mit der Formulierung ου κ ε ν σοφι' α, λο' γου führt Paulus das Wort σοφι' α ein, das in der folgenden Diskussion eine herausragende Rolle spielt. Die unterschiedlichen Übersetzungen von σοφι' α λο' γου zeigen, dass das Verständnis der Formulierung schwierig ist.121 Man kann vier Interpretation unterscheiden. 1. Paulus betont die Unvereinbarkeit rhetorisch gestylter Reden mit der Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten Christus. 122 2. Paulus argumentiert gegen den Inhalt einer christlichen Verkündigung, in der die „Weisheit“ im Mittelpunkt steht.123 3. Paulus spricht mit λο' γος sowohl die Form wie den Inhalt der Verkündigung an: Er argumentiert gegen rhetorische Überredungskunst, und er lehnt gleichzeitig und vor allem den weisheitlichen Inhalt der Reden ab, die die Korinther verlangen.124 4. Paulus argumentiert gegen eine religiöse Rede, die den Anspruch erhebt, rettende Weisheit zu vermitteln.125 Die vierte Interpretation operiert vor allem mit der Häufigkeit der Vokabel „Weisheit“ im Kontext, und mit sprachlichen Verbindungen zu 2,1.4.13, ohne jedoch mögliche Verbindungen zur außersprachlichen Realität, d.h. zur historischen Situation im Korinth des 1. Jahrhunderts zu untersuchen. Wenn die Korinther tatsächlich eine religiöse Rede propagierten, die am Kreuzestod Jesu vorbei ————————————————————
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Man findet „Redeweisheit“ (Meyer, Heinrici, Elb.Ü, SÜ), „Weisheit der Rede“ (Schlatter, Strobel, ZB), „Weisheitsrede“ (Kammler), „Wortweisheit“ (Conzelmann, Schrage), „Weisheit des Wortes“ (Kremer, Merklein), „beredte Weisheit“ (Lietzmann), „Worte tiefsinniger Weisheit“ (GN), „rednerische Weisheit“ (Wiese), „geschliffene Reden“ (Hfa), „kluge Worte“ (LÜ), „gewandte und kluge Worte“ (EÜ), „kunstvolle Rede“ (NSS), „prunkvolle Rede der Weltweisheiten“ (Albrecht), „words of human wisdom“ (NIV), „eloquence“ (TNIV), „rhetorical skill“ (Barrett), „geschwätzige Weisheit“ (Bauer/Aland; BDAG ist neutraler: „cleverness in speaking“). Litfin, Proclamation, 2-8; Kammler, Kreuz, 28-35. Calvin 316-317; Meyer 34; Heinrici Sendschreiben, 91 (anders in KEK, 65); Hofmann 23; Lightfoot 157; Schmiedel 98; Robertson/Plummer 15; Barrett 49; Bruce 34; Strobel 44; Schrage I 159 (als Möglichkeit); Lindemann 43; Thiselton 143-147; Garland 55-56; Pogoloff, Logos, 108-113; Winter, Philo and Paul, 186-194; Litfin, Proclamation, 187192; Vos, Argumentation, 35-37. Wilckens, Weisheit, 20; Schrage I 159. Godet I 44; Gutjahr 27; Weiss 23; Bousset 88; Schlatter 78; Conzelmann 56; Klauck 2324; Lang 22-23; Fee 64; Lips, Traditionen, 321; Söding, Kreuzestheologie, 37-38. Kammler, Kreuz, 32-33.38-39, der die Wendung ε ν σοφι'α, λο' γου als rhetorische Figur der Hypallage (vgl. HS §295s) interpretiert: sie steht für λο' γος σοφι'ας; vgl. Hofius, Paulusstudien II, 162 Anm. 42.
104 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Heil vermitteln will, dann wäre zu erwarten, dass Paulus ausführlicher über die Bedeutung des Todes Jesu schreibt; analog zum Galaterbrief würde man Paulus die Erregung über diese theologische Fehlleistung deutlicher anmerken. Für die zweite Interpretation spricht vor allem der Kontext, in dem der negierte Hauptbegriff die Weisheit ist. Unklar und ohne Konsens in der Forschung ist jedoch die Näherbestimmung von σοφι' α: Ausleger sprechen von einem griechisch-philosophisch geprägten Umgang mit Inhalten des christlichen Glaubens,126 von einer nicht näher bestimmten religiösen Weisheit, 127 von einer hypostatischen Identifikation des Christus mit der Sophia,128 von Weisheitshypertrophie und Geist-inspirierter Durchdringung der Gottesfrage, 129 oder von einer allgemeinen Sophia-Spekulation mit weisheitlichmythologischem Anschauungsrahmen.130 Dies macht auch die dritte Interpretation unwahrscheinlich, die die erste und die zweite Position zu verbinden sucht. Für die erste Interpretation sprechen mehrere Gründe: (a) die Präposition ε ν, die am besten modal zu fassen ist: es geht um die Form der Verkündigung, nicht um deren Inhalte; (b) das von σοφι' α, λο' γος, πειθο' ς, πειθω ^, 131 α πο' δειξις, πι' στις, υ περοχη' , δυ' ναμις markierte Wortfeld begegnet in der griechischen und römischen Literatur dort, wo es um die Kriterien, die Praxis und die Ansprüche der griechisch-römischen Rhetorik geht,132 wie wir sie vor allem in der sophistischen Philosophie finden.133 Die Formulierung παιδει' α και` λο' γος („Ausbildung und Rhetorik“) bezeichnet die Ausbildungsinitiative von Kaiser Vespasian aus dem Jahr 75 n.Chr. (Dio Chrysostomus, Or. 32,60). In diesem Zusammenhang bedeutet die Wendung σοφο` ς λε' γειν „geübt im Reden“,134 und die Formulierung σοφι' α λο' γου bezeichnet die „gewandte Rede“, d.h. die rhetorisch geschliffene und philosophisch kompetente Rede der zeitgenössischen Sophisten und anderer Philosophen und professioneller ————————————————————
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Lietzmann 9; Schlier, Grundzüge, 207; Baumann, Mitte, 70. Wendland 20. Schmithals, Gnosis in Korinth, 239-252. Schrage I 150.160. Weder, Kreuz, 129 mit Anm. 34. Munck, Paulus, 151-152 Anm. 62; Lim, Words of Wisdom, 145-148; Litfin, Proclamation, 187-192.204-207; Winter, Philo and Paul, 153-155; Vos, Argumentation, 36-37. Munck, Paulus, 151-152; Litfin, Proclamation, 187-192; Winter, Philo and Paul; Pogoloff, Logos, 108-127; Vos, Argumentation, 33-39; Lim, Words of Wisdom, 145-148; vgl. Dutch, Elite, zur Bildung im antiken Gymnasium. Die Gegenargumente von Kammler, Kreuz, 30-31 sind nicht überzeugend: Die rhetorischen und stilistischen Mittel, die wir in den paulinischen Briefen finden, sind von den Kriterien, Inhalten und vor allem Ansprüchen der griechisch-römischen Rhetorik zu unterscheiden. Chrysostomus hat z.St. bemerkt, dass Paulus keine Rhetorik angreife, die im Gebrauch der Heiligen Schrift gründet. Winter, Philo and Paul, 179-194; vgl. Witherington 103-104; Munck, Paulus, 151-152. Vgl. Plato, Prot. 310e; Phaed. 266c; Symp. 182b.
Spaltung im Namen der Weisheit 1,10-17 105 ————————————————————————————————————
Redner. Die Formulierung ου κ ε ν σοφι' α, λο' γου in V. 17 bedeutet auf diesem Hintergrund nicht durch gewandte Rede oder „ohne rhetorische Gewandtheit“. Bei dieser Interpretation ist wichtig festzuhalten, dass es weder in der sophistischen Rhetorik noch in der antiken Rhetorik allgemein nur um die Kriterien rhetorischer Brillianz ging. Eine wichtige Rolle spielten gleichzeitig das persönliche Verhalten, gesellschaftliche und sozioökonomische Realitäten sowie philosophische Inhalte (vgl. V. 12). Paulus lehnt rhetorische Redegewandtheit ab, damit das Kreuz Christi nicht beseitigt wird. Paulus formuliert mit diesem Finalsatz (ι«να μη' κενωθη^, ), der hier eine reale, nicht nur eine gedachte Möglichkeit beschreibt, das Hauptthema, mindestens das des Abschnitts 1,18–2,5. 135 Das Verb κενο' ω bedeutet „ausleeren, entleeren, um seinen Inhalt bringen“; im Kontext der in V. 19 verwendeten Verben α πο' λλυμι und α θετε'ω ist die übertragene Bedeutung „zunichte machen, ungültig machen, beseitigen“ anzunehmen. 136 Die Wendung „das Kreuz Christi“ (ο σταυρο` ς του^ Χριστου^ ) verweist auf das Ereignis der Kreuzigung Jesu am Freitag, den 7. April des Jahres 30, von dem die Jesusbekenner glauben, dass er der Messias, der Christus ist. Wie kann das Kreuz „beseitigt“ werden? In der antiken Rhetorik war die argumentatio (oder probatio; Griechisch πι'στις, deutsch Beweisführung) der zentrale, ausschlaggebende Teil der Rede, vorbereitet durch das exordium und die narratio; sie stellt die Glaubwürdigkeit des vertretenen Standpunktes dar und setzt sich deshalb aus einem oder mehreren Beweisen zusammen.137 Die nicht kunstgerechten Beweise (genus inartificiale probationum) sind Beweise, die ohne Mithilfe der Rhetorik vorgegeben sind, z.B. (schriftliche oder mündliche) Zeugenaussagen und bereits ergangene gerichtliche Entscheidungen. Die kunstgerechten oder sachlichen Beweise (genus artificiale probationum) sind solche, die durch die rhetorische Kunst mit Hilfe der Reflexion aus dem Prozessgegenstand herausgeholt werden. Für die nicht kunstgerechten Beweise gelten bestimmte Regeln, zum Beispiel die Regeln der vier Schlussfolgerungstypen. Antike Theoretiker unterscheiden 1. Beweise durch den vertrauenswürdigen Charakter des Redners (η θος), 2. Beweise durch die Erregung von Leidenschaften im Hörer (πα' θος), und 3. Beweise durch die logische Folgerichtigkeit der Darlegung der Sache selbst (α πο' δειξις). Die ————————————————————
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Litfin, Proclamation, 189; Winter, Philo and Paul, 187 Anm. 41; Thiselton 145. Kammler, Kreuz, 42-43. Vgl. LÜ „damit nicht das Kreuz Christi zunichte werde“; EÜ „nicht um seine Kraft gebracht wird“, Menge „nicht entleert werde“; Hfa paraphrasiert: „Denn auf diese Weise würde ich die Menschen nur daran hindern zu erkennen, warum Christus verachtet am Kreuz für uns starb“. Für die übertragene Bedeutung „wertlos“ oder „nichtig machen“ gibt es in den Papyri keine Parallelen; dort liegt die eigentliche Bedeutung „entleeren“ vor, z.B. für das Ausleeren von Gefäßen oder das Ausladen von Gütern aus Transportmitteln (Arzt-Grabner 79). Zu σταυρο' ς siehe V. 18. Lausberg, Handbuch, 190 (§348); das Folgende ebd. 190-1236 (§§348-430); W. F. Veit, Art. Argumentatio, HWR I, 904-910.
106 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— kunstgerechten Beweise werden in drei Klassen eingeteilt: 1. signa (σημει^α): ein sinnlich wahrnehmbares Zeichen, d.h. eine sinnlich unmittelbar feststellbare Tatsache, die einen anderen Sachverhalt begleitet und deshalb eine Schlussfolgerung auf den Sachverhalt ermöglicht; 2. argumenta (ε νθυμη' ματα): Beweise, die rational-schlussfolgernd aus den Gegebenheiten der zu verhandelnden Sache entwickelt werden können, z.B. psychologische oder physische Ursachen; 3. exempla (παραδει΄γματα): Beispiele, die dem behandelten Gegenstand ähnlich sind und das zu Beweisende glaubhaft machen, z.B. das historische exemplum; um ein Beispiel mit der causa zu verknüpfen, was mit Hilfe der Methode der inductio geschieht, bedarf es eines außerhalb der causa stehenden Sachverhalts, der unbezweifelt ist. Das exemplum ist der auctoritas verwandt, ein allgemeiner Weisheitsspruch aus der Folklore oder aus der Dichtung, der ebenfalls zu den außerhalb der causa liegenden Beweisen gehört und der ebenfalls auf einer geschichtlichen Begebenheit beruht.138
Paulus weiß, dass er seine Zeitgenossen nicht mit den traditionellen Mitteln der Rhetorik von der Wahrheit des Evangeliums überzeugen kann, in welchem es zentral um den Kreuzestod Jesu Christi geht. Er hatte zwar (nicht kunstgerechte) Beweise vorzubringen: die Zeugenaussagen der vielen Menschen, die Jesus nach seiner Kreuzigung als Auferstandenen gesehen haben (1Kor 15,5-8). Aber das von diesen Zeugen bezeugte Ereignis erinnerte die griechischen und römischen Zuhörer so sehr an mythologische Erzählungen, dass sie schnell an der Sachlichkeit dieser πι' στις (probatio, argumentum) zweifeln mussten. Und die Überzeugung, dass der Kreuzestod dieses Auferstandenen das Heilshandeln des allmächtigen Gottes und Weltschöpfers darstellen sollte, konnte man mit Auferstehungszeugen doch nicht beweisen. Im Repertoire der sachlichen Beweise gab es weder signa noch argumenta, mit denen man die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu sichern konnte. Unter den exempla konnte man höchstens auf Menschen verweisen, die mutig für ihre Überzeugungen gestorben waren. Aber dass der Tod des jüdischen Messias allen Menschen, die an ihn glauben, Erlösung und Sündenvergebung garantieren, kann man durch solche Beispiele nicht glaubhaft machen. Auf die auctoritas einer allgemein anerkannten Grundannahme (ε»νδοξα)139 oder eines allgemein anerkannten Weisheitsspruchs konnte man sich als Verkündiger des Evangeliums als „Wort vom Kreuz“ auch nicht berufen. Persönliche ————————————————————
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Vgl. M. Kraus/H.-D. Spengler, Art. Indiz, HWR IV, 333-339; J. Klein, Art. Beweis, HWR I, 1533-1540; M. Kraus, Art. Enthymem, HWR II, 1197-1210; W. Gast, Art. Causa, HWR II, 140-142; J. Klein, Art. Beispiel, HWR I, 1432-1433; L. Calboli Montefusco, Art. Auctoritas, HWR I, 1177-1182; W. F. Veith, Art. Induktion/Deduktion, HWR IV, 351-362. P. Ptassek, Art. Endoxa, HWR II, 1134: „Jede rhetorische Überzeugungsstrategie muß, um erfolgreich zu etwas überreden zu können, was ohne Erläuterung, Beweis oder Beispiel strittig oder unplausibel bleiben würde, solche Grundannahmen zu ihrem Ausgangspunkt nehmen, die bereits allgemein geteilt werden und somit plausibel und einleuchtend sind“.
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Glaubwürdigkeit (η θος) besaß Paulus schon, zumal als weitgereister römischer Bürger und jüdischer Toraexperte, aber die Schändlichkeit des Kreuzes, von dem in der Evangeliumsverkündigung die Rede war, konnte auch von der eindrucksvollsten Persönlichkeit nicht überwunden werden. Und die Leidenschaften, die Paulus als Redner hätte erregen können (πα' θος), konnten angesichts des Kreuzestodes Jesu bestenfalls Mitleid, schlimmstenfalls Abscheu sein. Wenn man mit Aristoteles die Komödie als „unschädliche Nachahmung eines Häßlichen“, d.h. sinnlich wahrnehmbaren Schlechten definiert, an dem das Lächerliche (το` γελοι^ον) teilhat, oder wenn man mit Cicero das Lächerliche (ridiculum) als „gewisse Hässlichkeit oder Missgestalt“ bestimmt,140 dann muss die Rede von einem Gekreuzigten als Erlöser der Menschen auf die Zuhörer einen komischen (κωμικο' ς, lat. comicus) Eindruck gemacht haben. Im Zusammenhang der Interpretation von σοφι' α λο' γου im Sinn zeitgenössischer Rhetorik und der mit dieser verbundenen Werten sind im Kontext der folgenden Ausführungen in 1,18–2,5 drei Wege ins Auge zu fassen, wie das Kreuz Christi aus der Evangeliumsverkündigung beseitigt werden könnte.141 1. Antike Rhetorik ersetzt die Dynamik der überzeugenden Kraft, die der Botschaft vom gekreuzigten Messias inhärent ist, durch die Dynamik logischer Argumentation und rhetorischer Überredung. Bei Aristoteles spielt das Wort δυ' ναμις (vgl. V. 18) eine zentrale Rolle in der Definition von Rhetorik: sie ist die „Macht“, die möglichen Mittel des Überzeugens zu entdecken, Beredsamkeit ist die „Macht des Redens“ (δυ' ναμις του^ λε' γειν); Quintilian spricht von der vis persuadendi, und Dio Chrysostomus bezeichnet die Gabe der Beredsamkeit ganz einfach als δυ' ναμις.142 Wenn die Aufmerksamkeit christlicher Lehrer der „gewandten Rede“ gilt, dann werden die Zuhörer durch die rhetorische Brillianz des vortragenden Redners mitgerissen,143 aber nicht von der Macht des Kreuzes überwunden. Der Inhalt der Kreuzes————————————————————
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Aristoteles, Poet. 1449a; Cicero, De Orat. 2,58,236; vgl. M. Winkler, Art. Komik, das Komische, HWR IV, 1167. Für das Folgende vgl. Garland 57-58; vgl. Litfin, Proclamation, 191-192; Winter, Philo and Paul, 187; Thiselton 145-146. Aristoteles, Rhet. 1,2,2,1; Quintilian, Or. 2,15,2-4; Dio Chrysostomus, Or. 33,1-6: „Oder denkt ihr, wir hätten in Worten und Gedanken eine besonders durchschlagende, wahrhaft gewaltige Überzeugungskraft (η» δυ' ναμιν α»λλην ε»χειν ε»ν τε ο νο' μασι και` διανοη' μασι δριμυτε' ρας τινο` ς πειθου^ ς και` τω ^, ο» ντι δεινη^ ς)? Ihr nennt sie Rhetorik (η ν καλει^τε ρ ητορικη' ν), und auf Marktplätzen und Tribünen feiert sie Triumphe (ε»ν τε α γοραι^ς και` περι` το` βη^ μα δυναστευ' ουσαν)“. Vgl. Cicero, Orator 28,97: „An dritter Stelle nun erscheint jener weitausgreifende, wortreiche und wortgewaltige Redner in seinem Schmuck: er besitzt in der Tat die höchste Wirkungskraft. . . . Diese Beredtsamkeit vermag die Hörer zu beeinflussen, vermag auf jede Weise zu bewegen; bald bricht sie gewaltsam ein, bald schleicht sie sich ein in die Sinne, sät neue Gedanken, reißt aus die alteingewurzelten“.
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botschaft ist wichtiger als die rhetorische Fähigkeit des Verkündigers, die es selbst bei der eloquentesten Aufbietung von η θος, πα' θος und α πο' δειξις nicht schaffen wird, Griechen oder Juden davon zu überzeugen, dass Vergebung von Schuld und Sünde für alle Menschen an den Kreuzestod Jesu gebunden ist. Es ist unmöglich, dass ein Verkündiger adäquat vom Kreuzestod Jesu redet, wenn es ihm vor allem darum geht, von den Zuhörern bewundert zu werden. Das unverdiente Geschenk, das Gott den sündigen Menschen im Kreuzestod Jesu gemacht hat, ist mit Egoismus und Selbstlob absolut unvereinbar. 2. Die antike Rhetorik war an die Werte der aristokratischen Elite einer Stadt gebunden, an die „Schönen und Reichen“, an die einflussreichen und mächtigen Bürger der Stadt. In der Verkündigung des Kreuzes Jesu Christi geht es um das Gegenteil: um Unschönes und um Machtlosigkeit. Es ist nicht möglich, der Evangeliumsbotschaft, in deren Zentrum der gekreuzigte Jesus Christus steht, gerecht zu werden, wenn es dem Lehrer um Status und Macht, um Schönheit und Eloquenz geht. 3. Besonders die sophistische Rhetorik war oberflächlich. Den sophistischen Rhetoren ging es nicht darum, die Zuhörer zu einer veränderten Lebensweise aufzurufen und anzuleiten, sondern um ihren Beifall. Und um diesen zu erhalten, war man bereit, an Emotionen zu appellieren, ohne sich im einzelnen mit Argumenten zu beschäftigen und ernsthaft nach der Wahrheit zu suchen. Paulus betont in V. 17, dass die Verkündigung des Evangeliums ihrem Wesen nach Rede vom Kreuz Jesu ist, d.h. Zeugnis von dem gekreuzigten Messias als Inbegriff des Heilshandelns Gottes für Juden und für Heiden – und diese Verkündigung des Kreuzestodes Jesu ist unvereinbar mit einem Bemühen um rhetorisch gestylte Eloquenz.144
IV Paulus ermahnt die korinthische Gemeinde zur Einheit, ohne im einzelnen auf die Personen einzugehen, die hinter den Parolen stehen, mit denen einzelne Christen ihre Loyalität zu den Aposteln und Lehrern der Gemeinde bekunden. V. 17b zeigt, dass der Anlass des Konflikts korinthische Christen waren, wahrscheinlich Vertreter der gebildeten Schicht der Stadt, die großen Wert auf rhetorische Eloquenz und auf den damit gegebenen herausragenden Status eines bestimmten Lehrers legten. Wir sehen hier, wie die säkularen Maßstäbe, Werte und Traditionen der Stadt Korinth viele Mitglieder der Gemeinde beeinflussen und bestimmen. Sie halten es für nötig, für den einen und gegen alle anderen prominenten Lehrer der Gemeinde Stellung zu ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 45-48 vergleicht mit Gal 5,11, wo das Evangelium jedoch von anderer, nämlich inhaltlicher Seite bedroht ist.
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nehmen. Dabei merken sie nicht, wie sie durch ihr Verhalten die Einheit der Gemeinde gefährden. Die Mahnung zur Einmütigkeit in V. 10 unterstreicht das hohe Gut der Einheit der Gemeinde, das gegen menschliches Fehlverhalten bewahrt werden muss. Wenn Paulus in V. 13 die Zerspaltung des Messias als grotesk bezeichnet – es gibt keinen Messias des Paulus, noch einen Messias des Apollos oder einen Messias des Petrus –, dann ist die Bereitschaft moderner Theologen und Theologinnen in Frage zu stellen, von einem „afrikanischen Jesus“ oder einem „asiatischen Jesus“ oder einem „Jesus für Frauen“ zu reden. Manche sehen von Paulus die „Gemeinsamkeit der Willensrichtung und der Intentionen“ betont.145 Wer in Korinth Lehrunterschiede angesprochen sieht, betont an dieser Stelle, dass Uneinigkeit eine Funktion von unterschiedlicher, teilweise eben problematischer Lehre ist, eine Situation, die Korrektur und Versöhnung erfordert.146 Von V. 13.17 her ergibt sich, dass es das Kreuz ist, d.h. der Glaube an den gekreuzigten Messias Jesus, der es unmöglich macht, menschliche Verkündiger zu rühmen und dadurch Spaltungen zu riskieren. Die Botschaft vom Kreuz verträgt sich weder mit Wichtigtuerei und Lobhudelei noch mit hochfahrenden Parolen oder Parteigezänk. Die Geschichte der Kirche kann angesichts der Fragen von V. 13 und der Mahnung zur Einmütigkeit und angesichts von rund 37 000 christlichen Denominationen147 eigentlich nur als Skandal bezeichnet werden. Sicher, manche Trennungen waren notwendig, wenn das Evangelium über eine längere Zeit hinweg und ohne Bereitschaft zur Korrektur verraten wurde und die Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus nicht mehr im Mittelpunkt stand. In nicht wenigen Fällen waren es jedoch persönliche Rivalitäten, Intoleranz oder ethnische Identität, die für die Entstehung neuer kirchlicher Denominationen verantwortlich waren. Das Gebet Jesu um Einheit (Joh 17) und die paulinischen Mahnungen zur Einmütigkeit gelten für viele als schöne Utopie. Unser Text stellt die Frage, ob wir uns mit dem status quo zufrieden geben und fröhlich unsere eigenen Wege gehen, oder ob wir uns aktiv darum bemühen, vor Ort, d.h. da, wo es wirklich zählt, durch gemeinsame Gottesdienste und gemeinsame Aktionen die Einheit der Jesusbekenner zu demonstrieren.
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Schrage I 140-141, der allerdings blass bleibt: „Die Gemeinde soll auf dasselbe aussein, dasselbe im Blick und im Sinn haben, aber auch zur Tat werden lassen“ (141). Barrett 42. Barrett, Missiometrics, 29 (Nr. 44); im Jahr 1900 waren es „nur“ 1900 Denominationen.
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Das Wort vom Kreuz als Antithese zur Weltweisheit 1,18–2,5 Der Kontrast zwischen der Weisheit der Welt und der Verkündigung des Kreuzestodes Jesu Christi, der in 1,18–2,5 entfaltet wird, erläutert V. 17b: Paulus verkündigt das Evangelium von Jesus Christus „nicht durch gewandte Rede, damit das Kreuz Christi nicht beseitigt wird“. Das Kreuz Jesu Christi sühnt nicht nur die Sünde der Menschen, die an Jesus Christus glauben, es ist nicht nur der Inhalt seiner Predigten, sondern es bestimmt gleichzeitig die Art und Weise seiner missionarischen Verkündigung (1,23; 2,1-5). Und wenn das Kreuz das Verhalten der korinthischen Christen bestimmen würde, gäbe es keine Parteiungen, die durch die Loyalitätsbekundungen der einzelnen Christen den verschiedenen Aposteln und Lehrern der Gemeinde gegenüber verursacht werden, ein Verhalten, das von den Maßstäben der gefallenen Welt kontrolliert wird, wie sie sich in der Gesellschaft Korinths manifestiert. Für die „Weisen“, d.h. für die Gebildeten, für die Angehörigen der Elite der korinthischen Gesellschaft ist die Botschaft von einem gekreuzigten Erlöser Torheit (1,18.21.23.25.27), und für Juden ist die Botschaft von einem gekreuzigten Messias ein empörendes Ärgernis (1,23). Weder Juden noch Griechen oder Römer haben die erkenntistheoretischen (oder hermeneutischen) Voraussetzungen, das Handeln Gottes zum Heil der Menschheit im Kreuz Jesu Christi zu erkennen. Aber es ist gerade das Kreuz Jesu Christi, das die Identität der Jesusbekenner und ihre Transformation in der Gegenwart und in der Zukunft bestimmt (1,30). Paulus kontrastiert deshalb die Erkenntis κατα` σα' ρκα, die die menschliche Gesellschaft kennzeichnet (1,26; 2,1), mit dem Erkennen κατα` σταυρο' ν, von dem das Erkennen κατα` πνευ^ μα abhängig ist.148 Das heißt: die heilschaffende Offenbarung Gottes im Kreuzestod Jesu bestimmt, wie wir und was wir über Gott und über die Welt, über uns selbst und über die Gemeinde der Jesusbekenner denken sollen; und sie bestimmt, wie und was Apostel und andere Lehrer der Gemeinde verkündigen und lehren. Der Erweis von Geist und Kraft (2,4) ist und bleibt an den Kreuzestod Jesu Christi gebunden (2,2), weil die Kraft Gottes unabhängig ist von der Weisheit der Menschen (2,5). Der Text 1,18–2,5 gliedert sich in drei Abschnitte: In 1,18-25 behandelt Paulus das Evangelium vom gekreuzigten Messias, in 1,26-31 die Gemeinde des gekreuzigten Messias, und in 2,1-5 die missionarische Predigt vom ge-
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Thiselton 147-148, mit Verweis auf Martyn, Epistemology, 272.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 111 ————————————————————————————————————
kreuzigten Messias.149 Der Begriff δυ' ναμις wird in 1,18 und in 2,4-5 zur inclusio verwendet.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 I 18 Denn das Wort vom Kreuz ist für diejenigen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. 19 Denn es steht geschrieben: „Ich werde die Weisheit der Weisen zunichte machen, und ich werde die Klugheit der Klugen verwerfen“. 20 Wo ist ein Weiser? Wo ist ein Schriftgelehrter? Wo ist ein Philosoph dieser Weltzeit? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? 21 Da nämlich die Welt durch ihre Weisheit an der Weisheit Gottes Gott nicht erkannt hat, hat es Gott gefallen, durch die Torheit der Verkündigung die Glaubenden zu erretten. 22 Denn Juden fordern Zeichen, und Griechen streben nach Weisheit, 23 wir hingegen verkündigen den gekreuzigten Messias, der für Juden ein Ärgernis und für Heiden eine Torheit ist, 24 für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, (den Messias,) Gottes Macht und Gottes Weisheit. 25 Denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.
II Paulus geht in diesem Abschnitt nicht explizit auf die Parteiungen ein, von denen in den vorhergehenden Versen die Rede war. Die „allgemeine“ theologische Argumentation des Textes verweist die korinthischen Christen jedoch indirekt auf zentrale Defizite der Kriterien, mit denen sie die Apostel und die Lehrer der Gemeinde bewerten.150 Die Vokabeln σοφι' α (V. 19.20.21.22.24) und σοφο' ς (V. 19.20.25) kommen acht Mal in diesem Abschnitt vor, die Stichworte μωρι' α (V. 18.21.23), μωρο' ς (V. 25.27) und μωραι' νω (V. 20) sechs Mal. Neben der Antithese Weisheit/Torheit (V. 20-21.23-24) mit der implizierten Opposition Ärgernis/Kraft (V. 23-24) finden wir zwei weitere Antithesen: Verlorene/Gerettete (V. 18) und Gott/Welt (V. 20.21.25). 151 ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 50 gliedert in zwei Abschnitte: in 1,18-25 stellt Paulus die Unvereinbarkeit von Weisheit und Kreuz grundsätzlich dar, was dann in einem zweiten Schritt an der Gestalt der korinthischen Gemeinde (1,26-31) und an seiner missionarischen Verkündigung (2,1-5) illustriert wird. Schrage I 166-167. Merklein I 171-173; Schrage I 167; Weber, Kreuz, 118-120; Kammler, Kreuz, 52.
112 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Paulus erinnert die korinthischen Christen an den Inhalt der Verkündigung, durch die sie zum Glauben und zur Gemeinde gekommen waren: Das Evangelium ist die Botschaft vom gekreuzigten Messias. Dies ist der λο' γος (betont vorangestellt in V. 18), den Paulus erläutert: er ist eine Botschaft, deren öffentliche Verkündigung den Angehörigen der gebildeten Elite Korinths, die sophistisch-rhetorische Kriterien zur Beurteilung öffentlicher Redner einsetzen, als Torheit erscheinen muss, die aber Gottes Weisheit ist. Die Behauptung, ein von römischen Behörden gekreuzigter Jude aus Galiläa sei ein Erlöser von Sünden, ja der einzige Erlöser für alle Menschen, kann mit den Prinzipien menschlicher Logik nicht nur nicht bewiesen werden, sondern muss von dieser Warte aus als barer Unsinn gelten. Und für Juden ist die Botschaft von einem gekreuzigten Messias ein Skandal, da aufgrund der Aussagen der Propheten ein Messias zu erwarten ist, der Israel wiederherstellen und die Feinde Gottes richten wird. Nun haben aber die korinthischen Christen diese Botschaft von Jesus dem Erlöser angenommen und geglaubt. Deshalb erinnert Paulus sie an die Tatsache, dass es die „törichte“ Botschaft vom gekreuzigten Jesus Christus war, die ihnen Heil und Erlösung brachte, und nicht rhetorisch geschliffene Reden, von denen sie (nur) beeindruckt gewesen wären. Wenn sich die korinthischen Christen auf den λο' γος bestimmter Apostel und Lehrer berufen, entlarven sie dadurch die Kriterien ihrer Beurteilung als rein menschliche: Die wahre Weisheit, die Weisheit Gottes, ist der λο' γος vom Kreuz, an dem Jesus Christus zum Heil der Welt gestorben ist. Die Weisheit Gottes, die am Kreuz offenbart wurde, führt die Kriterien und die Inhalte menschlicher Weisheit genauso in die Krise wie die Begeisterung für rhetorisch geschliffene Argumentation und die Bindung an Statusdenken und an das eigene Prestige.152 Manche Ausleger rechnen den Abschnitt 1,18-25 zur narratio153 oder zur probatio,154 andere identifizieren ihn als exordium155 oder als argumentatio.156 Eine mechanische Übertragung rhetorischer Strukturen, die den einzelnen Analysen inhärent sind, sollte jedenfalls vermieden werden. 157 Die Annahme einer an den homiletischen Midrasch angelehnten Struktur158 hat nicht ————————————————————
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Vgl. Merklein I 173-174 zum „semantischen Paradigmenwechsel“, den die Realität des Kreuzestodes Jesu im Blick auf die Begriffe von „Weisheit“ und „Torheit“ auslöst. Bünker, Briefformular, 55; Merklein I 110.176. Mitchell, Rhetoric, 199-200. Probst, Brief, 307. Schrage I 167; Witherington 106; Thiselton 149; Sänger, Christus, 175. So richtig die Warnung von Lindemann 34. Vgl. Ellis, Prophecy, 213-216; für ähnliche Vorschläge vgl. Schrage I 168. Zur Kritik siehe Merklein I 174-175; Ciampa /Rosner 696-697.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 113 ————————————————————————————————————
überzeugt. Paulus zitiert Jes 29,14 in V. 19, und in 1,18-21 könnte Paulus das Weisheitslogion Mt 11,25 aufnehmen (s. die Einzelauslegung). Gliederung. Paulus setzt in V. 18 mit der grundsätzlichen Aussage ein, dass das Wort vom Kreuz für Nichtchristen Torheit ist, für Jesusbekenner aber Gottes Kraft. Diese Grundüberzeugung wird in drei Teilabschnitten erläutert. In V. 19-21 liefert Paulus einen Beweis aus der Schrift, aus der Erfahrung und aus der Geschichte.159 Das Zitat aus Jes 29,14 in V. 19 bekräftigt, dass Gott die Weisheit der σοφοι' vernichtet. Die vier rhetorischen Fragen von V. 20 verifizieren die Wahrheit des Schriftzitats: Vor dem Urteil Gottes kann kein Weiser, Schriftgelehrter oder philosophischer Forscher bestehen, was den Erfahrungsbeweis ergibt, dass Gott durch die Wirkung des λο' γος του^ σταυρου^ die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht hat. V. 21 liefert einen Beweis (ε πειδη` γα' ρ) aus der Geschichte: Weil die Welt Gott trotz aller weisheitlichen Bemühungen nicht erkannt hat, rettet Gott die Menschen durch die „törichte“ Verkündigung des gekreuzigten Messias. V. 22-25 erläutern diese theologisch grundlegende Aussage im Hinblick auf die Reaktion von Juden und von Heiden (V. 22-23) und im Hinblick auf die effektive Wirkung der Evangeliumsverkündigung (V. 24.25). Textkritische Anmerkungen. Einige Handschriften lassen in der Wendung ο του^ σταυρου^ V. 18 den Artikel ο aus (d46 B F* G* 630 1739 1881); da die Nachstellung des Artikels im NT selten ist (BDR §271.1b), ist die Formulierung mit der nachgestellten Wiederholung des Artikels als die schwierigere Lesart wohl ursprünglich.160 Die Einfügung von του^ του nach του^ κο' σμου in V. 20b in späteren Handschriften (einschließlich Byz) ist Angleichung an του^ αι ω ^ νος του' του in V. 20a. In V. 23 ersetzen spätere Handschriften (einschließlich Byz) ε»θνεσιν durch « Ελλησι, um die Wortwahl in V. 22.23.24 einheitlich zu gestalten. In V. 24b hat d46 die Akkusative Χριστο' ν κτλ. in Nominative umformuliert und damit den Satz zu einer eigenständigen Aussage gemacht, was syntaktisch nicht notwendig ist.
III 18 Mit γα' ρ ist der Beginn eines längeren erläuternden Abschnitts markiert. Das vorangestellte ο λο' γος bezeichnet das Wort der Verkündigung, die Kunde, die Predigt; in 2,4 steht ο λο' γος μου parallel zu και` το` κη' ρυγμα' μου, mit deutlichem Bezug auf die Verkündigung des Apostels. Das heißt, es geht in diesem Abschnitt um die Verkündigung (d.h. το` κη' ρυγμα V. 21 ist ein Synonym zu ο λο' γος). Die Voranstellung von λο' γος benennt das Thema des ————————————————————
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Vos, Argumentation, 40-42. Vgl. Zuntz, Text, 67.
114 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
folgenden Abschnitts: Es geht um das Reden der Apostel und der Lehrer der Gemeinde. Paulus beschreibt seine Verkündigung in grundsätzlicher Weise als Wort vom Kreuz (του^ σταυρου^ ist gen. obj.). Die im NT ungewöhnliche Formulierung ο λο' γος ο του^ σταυρου^ – Wiederaufnahme des Artikels vor dem nachgestellten Genitivattribut – hebt betont das Kreuz als Kennzeichen der Verkündigung des Apostels hervor.161 Die Formulierung steht in beabsichtigtem Gegensatz zu ε ν σοφι' α, λο' γου V. 17. Paulus bemüht sich in seiner Missionspredigt nicht um rhetorische Eloquenz, sondern er redet vom Kreuz. So richtig die Auskunft ist, dass es Paulus, wie die folgenden Sätze zeigen, nicht auf das Kreuz als historisches Faktum ankommt, sondern auf das Kreuz „als geschichtliche Macht der Gegenwart“, 162 so wichtig ist es doch, dass diese sich im Wort der Predigt offenbarende Macht an die geschichtliche Tatsache der Kreuzigung Jesu am 14. Nisan, am Freitag den 7. April des Jahres 30 gebunden ist. Das Wort vom Kreuz ist die Predigt vom gekreuzigten Messias. Paulus verwendet „Kreuz“ (σταυρο' ς) zehn Mal und „kreuzigen“ (σταυρο' ω) acht Mal in sechs seiner Briefe (σταυρο' ς: 1Kor 1,17.18; Gal 5,11; 6,12.14; Phil 2,8; 3,18; Eph 2,16; Kol 1,20; 2,14; σταυρο' ω: 1Kor 1,13.23; 2,2.8; 2Kor 13,4; Gal 3,1; 5,24; 6,14; als Kompositum Gal 2,20). Die Kreuzigung als Instrument der Hinrichtung hat eine lange Geschichte, die Römer haben sie seit den Punischen Kriegen praktiziert.163 Konstantin der Große hat sie nach dem Jahr 320 abgeschafft. Die Römer praktizierten die Kreuzigung als Strafe für Sklaven und Freigelassene, in Palästina wurden Aufständische und deren Sympathisanten am Kreuz hingerichtet. Die Kreuzigung Jesu ist aus römischer Perspektive die Hinrichtung eines politischen Anführers. Das Handeln der Verantwortlichen des jüdischen Volkes, die die Kreuzigung Jesu betrieben, ist auf dem Hintergrund von Dtn 21,22 zu verstehen, wo ein am „Holz“, d.h. an einem Baum Hängender als von Gott Verfluchter beschrieben wird. Diese Stelle wird in der in Qumran gefundenen Tempelrolle im Zusammenhang der Kreuzigungsstrafe zitiert, die dort für den Verrat von Landesgeheimnissen (an Nichtjuden) und für die Desertion zum Feind vorgeschrieben wird (11QTemple 64,6-13). Die schrecklichen Qualen, die der Gekreuzigte erleiden musste, werden in einer Bemerkung Senecas deutlich, der die Kreuzigung als „das stückweise Sterben aller Gliedmaßen und das tropfenweise Verlieren des Lebens“ beschreibt (Seneca, Ep. 101,14). Der Horror und die Schändlichkeit der Kreuzigung spiegeln sich in dem oft zitierten Wort Ciceros wider: „Die bloße Bezeichnung (Kreuz) sei nicht nur von Leib und Leben der römischen Bürger verbannt, sondern auch von ihren Gedanken, Augen und Ohren. Denn alle diese ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 56-57, mit Verweis auf KG II/1, 617. Schrage I 171, der richtig darauf hinweist, dass das Wort vom Kreuz nicht „ein Kreuzigungsportrait oder ein Martyriumsbericht, eine Kulterzählung oder die Rezitation der Passionsgeschichte, erst recht nicht eine Reproduktion historischer Tatsachen oder ein geheimnisumwittertes Symbol“ ist. Vgl. Hengel, Mors Turpissima Crucis, 125-184; Kuhn, Kreuzesstrafe, 648-793; Lanczkowski, Kreuz, 712-713; Taeger, Kreuz/Kreuz Christi II, 1745-1746.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 115 ———————————————————————————————————— Dinge sind eines römischen Bürgers und freien Mannes unwürdig“ (Cicero, Rab. 5,16). Im frühen Christentum hat die Kreuzigung Jesu immer eine wichtige Rolle gespielt, und zwar nicht einfach als historisches Datum, sondern im Sinn der Heilsbedeutung des Todes Jesu. Weder für den palästinischen noch für den griechischen Raum kann eine Gemeinde nachgewiesen werden, für die die Botschaft von Kreuz und Auferstehung Jesu bedeutungslos war.164 Die ersten Gemeinden von Jesusbekennern, deren Verständnis des Kreuzestodes Jesu in den wahrscheinlich vorpaulinischen Glaubensformeln 1Kor 15,3-5 und Röm 4,25 zum Ausdruck kommt, deuten den Kreuzestod Jesu (auf dem Hintergrund von Jes 43,3-4; 52,13–53,12) als stellvertretenden Sühnetod: Gott hat durch das Kreuz Jesu Heil und Erlösung heraufgeführt, da Jesus „für uns“ und „an unserer Stelle“ „für unsere Sünden“ gestorben ist.165 Für Paulus ist der Kreuzestod Jesu Christi fundamental der Ort der sühnenden Gegenwart Gottes (Röm 3,25; vgl. 2Kor 5,21), was die Aufhebung des Sühnekults im Jerusalemer Tempel zur Folge hat.166 Der Hintergrund der Sühne des Großen Versöhnungstages (Lev 16) macht deutlich, dass im „stellvertretenden Sühnetod Jesu Sühne, Sühnopfer, Stellvertretung, Todesgericht, Neuschöpfung und Sündenvergebung“ auf engste zusammengehören.167 Paulus hat seine „Kreuzestheologie“ nicht einfach ad hoc in der Bewältigung der Krise in der korinthischen Gemeinde kreativ entwickelt – sie wird in der Rechtfertigungslehre, wenn auch mit anderer Begrifflichkeit, sachgemäß ausgelegt. Das Wort vom Kreuz bringt „das Grundprinzip der paulinischen Theologie“ zur Sprache.168
Die folgenden zwei Dativobjekte (τοι^ς α πολλυμε'νοις/τοι^ς σω, ζομε'νοις) und Prädikatsnomen (μωρι' α/δυ' ναμις) beschreiben sowohl die objektive Wirkung des Wortes vom Kreuz als auch das subjektive Urteil der Hörer des Wortes vom Kreuz als Kontrast (με'ν . . . δε'). Das substantivierte Partizip οι α πολλυμε'νοι (diejenigen, die verloren gehen) bezeichnet die Ungläubigen als Menschen, die dem endgültigen Zustand des Verderbens geweiht sind: wer dem Schicksal eines hoffnungslosen Todes entgegengeht, der ist ein Mensch, der verloren geht.169 Die Glieder der Qumrangemeinde bezeichneten alle, die ————————————————————
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Vgl. Strecker, Literaturgeschichte, 165 kritisch zu Thesen, die aus dem Fehlen einer Passions- und Auferstehungsgeschichte aus der (rekonstruierten) Logienquelle schließen, für die Q-Gemeinde sei Leiden, Tod und Auferweckung Jesu bedeutungslos gewesen. Vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 191-192. Merklein I 271; ders., Bedeutung, 15-34; Wilckens, Römer, I 190-202. Popkes, Anfänge, 68.82, meint, für Paulus sei die Kreuzespredigt mit der Heilsfrage „direkt nahezu gar nicht verbunden“ (82). Diese Aussage ist schon aus linguistisch-hermeneutischen Gründen unhaltbar. Man kann die Inhalte der paulinischen Kreuzespredigt nicht adäquat erfassen, wenn man lediglich Stellen analysiert, in denen die Vokabeln σταυρο' ς und σταυρο' ω vorkommen und Texte ignoriert, in denen der Tod Jesu mit anderen Ausdrücken beschrieben wird. Im Ersten Korintherbrief weist nichts darauf hin, „daß die Hervorhebung des Wortes vom Kreuz im Gegenüber zu anderen christologischen Ansätzen erfolgte“ (ebd. 70). Stuhlmacher, Theologie I, 193. Zumstein, Wort, 41. A. Oepke, ThWNT I, 395; A. Kretzer, EWNT I, 325-327.
116 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
nicht zur Gemeinschaft gehörten, als „Männer und Söhne des Verderbens“ (1 QS 9,16.22; CD 6,15). Für Nichtchristen ist die Kreuzespredigt Torheit (μωρι' α), weil das, was im Wort vom Kreuz verkündigt wird – der Sohn Gottes wird durch den Kreuzestod hingerichtet und von Gott auferweckt, als Voraussetzung und Verursachung von Sündenvergebung und Erlösung – unlogisch und vernunftwidrig erscheint. Kein Redner der Antike hat positiv vom einem Gekreuzigten gesprochen. Kein Redner, der mit Eloquenz und Argumenten seine Zuhörer zu Beifallsstürmen hinreißen will, wird je von einem am Kreuz Hingerichteten sprechen. Und kein Redner, der etwas auf sich hält, wird seine rhetorische Technik mit den Verben ευ αγγελι' ζω, κηρυ' σσω, καταγγε'λλω oder μαρτυρε'ω beschreiben. 170 Sowohl der Inhalt der missionarischen Verkündigung (das Wort vom Kreuz) als auch die Form der Evangeliumsverkündigung (die Bekanntgabe einer frohen Botschaft als Zeuge und Herold) sind für gebildete Griechen und Römer „Blödsinn“.171 Nach Dio Chrysostomus ist jeder Redner, der sich nicht an die rhetorischen Bedürfnisse des Augenblicks anpasst, nicht richtig vorbereitet, ein Laie (ι διω' της) und nicht viel wert (ο λι' γου α»ξιον).172 Wenn die korinthischen Christen weiterhin Wert auf rhetorische Loyalitätsbekundungen auf der Grundlage rhetorischer Brillianz legen und sich damit (eigentlich) dem μωρι' α-Urteil ihrer Zeitgenossen anschließen (müssen), dann gehören sie streng genommen ins Lager der α πολλυμε'νοι. Der Satz enthält damit zugleich eine Mahnung und Warnung an die Korinther. 173 Das zweite mit einem Part. Präs. formulierte Dativobjekt für uns aber, die gerettet werden (τοι^ς δε` σω, ζομε' νοις η μι^ν) ist nicht genau parallel formuliert: Paulus fügt das Personalpronomen η μι^ν hinzu, um anzuzeigen, dass die korinthischen Christen zu der Gruppe der Menschen gehören, die Heil empfangen haben. Das Verb σω', ζω kann sich sowohl auf das gegen————————————————————
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Litfin, Proclamation, 195-196: der κη^ ρυξ braucht sich nicht um rhetorische Eloquenz zu kümmern, weil er keine überzeugende Botschaft formulieren muss, sondern lediglich die ihm vorgegebene Botschaft effektiv weitersagen soll. F. Winter, in Arzt-Grabner 81-82 verweist auf P.Brem. 61 und SB XVI 12579 für die Auskunft, dass das durch μωρι'α angezeigte Wortfeld sehr emotional besetzt ist und die Vokabel mit „Blödsinn“ zu übersetzen sei, während das sachlichere „Torheit“ eher zu der Wortfamilie um α»φρων passe. Welborn, Fool, 25-247 will μωρι'α im Sinne der Komödiantenrolle des antiken Mimus verstehen, der mit derben und oft vulgärem Humor „das Leben des kleinen Mannes mit seinen Schrullen und Abwegigkeiten“ (K. Vretska, Art. Mimus, KP III, 1310; vgl. W. D. Furley/L. Benz, Art. Mimos, DNP VIII, 201-207) darstellte. Die Meinung, die „Rhetorik“ von 1Kor 1–4 sei von der Suche nach „humoristischer Wirkung“ gekennzeichnet (ebd. 120), wird dem Ernst nicht gerecht, mit dem Paulus die Verkündigung des Evangeliums als Wort vom Kreuz theologisch und christologisch erläutert. Dio Chrysostomus, Or. 71,1; vgl. Quintilian, Or. 12,10,69. Litfin, Proclamation, 197. Best, Power, 17; Kammler, Kreuz, 69.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 117 ————————————————————————————————————
wärtige Heilsein, die göttliche Errettung und Hilfe in der Gegenwart, die aktuelle geistliche Vitalität als auch auf das ewige Leben in der Zukunft beziehen.174 Gerettete sind Menschen, die der Verkündigung des gekreuzigten Messias glauben (V. 21). Weil α' πο' λλυμι nicht nur die aktuelle Todesverfallenheit meint, sondern das ewige Verderben der Nicht-Glaubenden, sind die σω, ζο' μενοι die Menschen, die ewiges Heil haben. Der Gegenbegriff zu μωρι' α wäre σοφι' α, Paulus formuliert aber mit δυ' ναμις: „uns, die gerettet werden“ ist das Wort vom Kreuz Gottes Kraft (δυ' ναμις θεου^ ε στιν). Dies ist nicht so überraschend, wie viele Ausleger meinen. Wir haben oben darauf hingewiesen (V. 17), dass das Wort δυ' ναμις in der Definition von Rhetorik die Mittel des Überzeugens im Sinn der „Macht des Redens“ (δυ' ναμις του^ λε'γειν) die Gabe der Beredsamkeit schlechthin beschreibt. In 2,4-5 verknüpft Paulus δυ' ναμις mit λο' γος, was den rhetorischen Hintergrund bestätigt. Das Wort vom Kreuz ist nicht deshalb „Kraft“, weil der Prediger Juden und Heiden unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden rhetorischen Mittel zum Glauben an dieses Wort überreden kann. Auch mit rhetorischen Glanzleistungen lässt sich die augenscheinliche Vernunftwidrigkeit der Botschaft von einem gekreuzigten Erlöser nicht vernünftiger machen. Das Wort vom Kreuz ist deshalb „Kraft“, weil der allmächtige Gott in der Verkündigung dieses Wortes am Werk ist: das Wort vom Kreuz ist „Gottes Kraft“ (gen. subj.).175 Die Kraft Gottes, die im Wort vom Kreuz operativ wird, macht aus Verlorenen Gerettete176 und – das wird Paulus in den folgenden Kapiteln noch häufig ansprechen, wenn auch mit anderen Vokabeln – will den korinthischen Christen helfen, als „in Christus Jesus Geheiligte“ (1,2) in allen Bereichen des Alltags zu leben. Das Wort vom Kreuz hat also eine zweifache Wirkung: Es bringt Heil, und es offenbart Verderben. Eine neutrale Zone gibt es nicht: Es gibt nur Gerettete und Verlorene. Und das Wort vom Kreuz erfährt eine zweifache ————————————————————
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In den Papyri bezeichnet σω', ζω „den von einer einflussreichen Persönlichkeit als potentiell ausführendem freiwillig gewährten Akt, der einem in einer Notlage Befindlichen zuteil wird“ (F. Winter, in Arzt-Grabner 83-84 mit Hinweis auf P.Col. III 9; PSI IV 405; PSI V 541; P.Tebt. I 56; P.Oxy. I 41 u.a.; für die „Rettung“ durch Götter vgl. P.Amh. II 35; BGU II 423; SB V 7530). W. Grundmann, ThWNT II, 298-299 verweist auf jüdische Aussagen, die die Tora als Macht Gottes verstehen. In 1Kor 1,18 geht es Paulus aber nicht um die Ersetzung der Tora durch das Kreuz (!) Jesu. Vgl. Gräbe, Power, 17-35 für den atl. und jüdischen Hintergrund des Begriffs der δυ' ναμις. F. Winter, in Arzt-Grabner 84-85 verweist auf die Tatsache, dass δυ' ναμις in den Papyri erst in späten christlichen Texten mit dem Wirken eines Gottes verbunden wird (vgl. SB XIV 11882), während in Texten wie BGU VII 1563 δυ' ναμις die Macht des Kaisers beschreibt. Vgl. Röm 1,16, wo Paulus das Evangelium als δυ' ναμις θεου^ ε στιν εις σωτηρι'αν παντι` τω ^, πιστευ' οντι beschreibt.
118 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Beurteilung: für die Verlorenen ist es Torheit, für die Geretteten ist es Kraft Gottes. Bringt das Präsens „die Unabgeschlossenheit des Weges zur σωτηρι' α bwz. α πω' λεια zum Ausdruck?177 Richtig ist einerseits, dass Paulus das Verb σω', ζω überwiegend im Futur gebraucht und dass er hier nicht mit aoristischen oder perfektischen Partizipien formuliert. Andererseits darf man nicht außer Acht lassen, dass der Gebrauch der Verben α πο' λλυμι und σω', ζω auf einen eschatologischen Kontext verweist und dass im Präsens formulierte Partizipien häufig futurisch gebraucht werden.178 Die Auskunft, dass die gegensätzliche Reaktion der Hörer auf die Verkündigung des Kreuzes „keineswegs in einem freien Akt des menschlichen Willens gründet“, sondern „vielmehr durch das erwählende Handeln Gottes selbst“ bedingt ist, 179 mag theologisch richtig sein,180 geht aber über das im Text Gesagte hinaus. In V. 18 formuliert Paulus, der immer auch als Missionar denkt, prägnant die Mitte seines Denkens. 181 Verlorene Menschen können sich nicht selbst retten, sie können nur durch die Macht Gottes gerettet werden. Diese Macht Gottes wurde am Kreuz offenbar, als Jesus Christus zur Errettung der Sünder starb, und sie wird im Leben der Menschen wirksam, die als Glaubende die Botschaft vom gekreuzigten Messias annehmen. Angesichts der Diskussion in Kap. 12–14 über Glossolalie und Prophetie sagt Paulus den Korinthern schon hier, dass die Kraft Gottes primär und fundamental nicht in spektakulären Phänomenen erfahrbar ist, sondern in der glaubenden Annahme und in der kontinuierlichen Erfahrung des Evangeliums als Wort vom Kreuz. 19 In V. 19-20 erläutert Paulus zunächst die negative Aussage V. 18a. Die Wendung denn es steht geschrieben leitet ein begründendes (γα' ρ) Schriftzitat ein. 182 Die Verwendung dieser Formel zeigt, dass die Autorität der Schrift für Paulus, wie für die anderen ntl. Autoren, unverrückbar fest stand.183 ————————————————————
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So W. Foerster, ThWNT VII, 993, gefolgt von Weder, Kreuz, 142 Anm. 85; zur folgenden Bemerkung s. ebd. Müller, Anstoß, 84; BDR §339.2a. Kammler, Kreuz, 59-60, im Anschluss an Conzelmann 60-61; Fascher 98; Hofius, Paulusstudien I, 173; Heckel, Kraft in Schwachheit, 291. Anders urteilen z.B. Kuss 124; Kremer 42; Schrage I 172; Merklein I 177-178: „Eben darin besteht die Glaubensentscheidung, daß das Wort vom Kreuz, das aus menschlicher Sicht ‚Torheit‘ ist, als ‚Kraft Gottes‘ anerkannt wird“. Weder, Kreuz, 138; vgl. Eichholz, Theologie, 102. Die Passivform γε' γραπται (67 ntl. Belege) steht entweder mit einleitendem καθω' ς („wie geschrieben steht“) oder mit nachgestelltem γα' ρ („denn es steht geschrieben“); die 31 paulinischen Belege für γε' γραπται findet man in Röm 1,17; 2,24; 3.4.10; 4:17; 8,36; 9,13.33; 10,15; 11,8.26; 12,19; 14,11; 15,3.9.21; 1Kor 1,19.31; 2,9; 3,19; 4,6; 9,9; 10,7; 14,21; 15,45; 2Kor 8,15; 9,9; Gal 3,10.13; 4,22.27. Vgl. H. Hübner, EWNT I, 631, der fortfährt: „Doch muß sie im Autoritätengefüge zusammen mit der Autorität Jesu und der des christologischen Kerygmas gesehen werden“.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 119 ————————————————————————————————————
Paulus zitiert Jes 29,14: „Ich werde die Weisheit der Weisen zunichte machen, und ich werde die Klugheit der Klugen verwerfen“. Paulus folgt der LXX, ersetzt jedoch das letzte Wort (κρυ' ψω „ich werde verbergen“) durch α θετη' σω „ich werde verwerfen“. W. Schrage schreibt zu diesem Zitat: „Paulus verändert, wie seine Zeitgenossen auch, sonst oft genug den Wortlaut von Zitaten, reißt unbekümmert Sätze und Satzteile aus ihrem Zusammenhang heraus und gibt ihnen ohne Rücksicht auf ihren ursprünglichen Sinn die für ihn passende Deutung.“184 Dies ist ein Fehlurteil, das aus einer Verkennung der Methoden (früh)jüdischer Exegese herrührt: Eine genaue Analyse des atl. Kontexts und der jüdischen Auslegungsgeschichte zur betreffenden Stelle ist in den meisten Fällen in der Lage, die Kontextgemäßheit des ntl. Schriftzitats aufzuzeigen.185 Im Blick auf die Ersetzung von κρυ' ψω durch α θετη' σω in V. 19 schlägt E. Kautzsch vor, dass die Verwendung dieses Wortes durch den Einfluss von Ps 32,10 erklärt werden kann und in V. 19 von einem Gedächtnisfehler auszugehen ist.186 J. Weiss nimmt eine Übersetzungsvariante an, die durch eine andere LXX-Textvorlage zu erklären ist.187 Der chiastisch gestaltete synonyme Parallelismus, der sich aus der Ersetzung von κρυ' ψω durch α θετη' σω ergibt – α πολω ^ τη` ν σοφι'αν τω ^ ν σοφω^ ν // και` τη` ν συ' νεσιν τω ^ ν συνετω^ ν α θετη' σω – kann allein die Veränderung des LXX-Textes nicht erklären. C. Stanley meint, Paulus habe durch die Veränderung sicherstellen wollen, dass die Leser erkennen, wie das Schriftzitat in seine Argumentation im Kontext passt.188 Der ursprüngliche Kontext von Jes 29,14 ist ein Weheruf gegen „Ariel“, d.h. Jerusalem (Jes 29,1-24), in dem mehrere Verhaltensweisen Jerusalemer Juden angeprangert werden. In 29,13 wirft Gott dem Volk vor, dass man ihn mit dem Mund und mit den Lippen ehrt, während das Herz fern von Gott ist, was man daran erkennt, dass man Menschengebote lehrt und befolgt und die Gottesgebote vernachlässigt.189 In 29,1521 kündigt Gott den politischen Führern Israels an, dass er in Kürze seine Schöpfermacht zu ihrem Schaden demonstrieren wird; dann werden die Tyrannen zugrunde gerichtet (α πω' λετο) und die Spötter werden verschwinden, „und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten“ (29,20). Im hebr. Text hat die dreimalige Wiederholung der Wurzel „( פלאwunderbar sein, Wundertaten, Wunder“) angesichts von Jes 9,6 und 28,29 (der Heilsplan Jahwes wird als „Rat“ bezeichnet, der „wunderbar“ ist) möglicherweise messianische Konnotationen. Das Verb α πω' λετο in Jes 29,20 LXX ist hier bedeutungsgleich mit α θετη' σω im Schriftzitat Jes 29,14 in 1Kor 1,19, und ist genau die Vokabel, die Paulus im vorausgehenden V. 18 verwendet (α πολλυμε' νοις); und das weisheitliche Thema von Jes 29,13 verbindet den Weheruf Jes 29 mit dem Kontext 1Kor 1,18-25. In jüdischen Texten, die Jes 29,14 aufgreifen – Bar 3,9-14; 2Bar 48,31-37; 70,3-6; 4Esra 5,9-13; 13,29-32; äthHen 39,8; 1Q27 1 i 1-9; 1QH 3,12-17; 3Makk 6,19-29; Targum Jes 29,13-14 –, geht es um das Fehlen von Weisheit in Situationen, wo das ————————————————————
184 185 186 187 188 189
Schrage I 175. Vgl. die ausführlichen Analysen der ntl. Schriftzitate in Ciampa /Rosner. Kautzsch, De Veteris Testamenti locis, 55. Weiss 27 Anm. 1; zur Kritik s. Koch, Schrift, 153 Anm. 20. Stanley, Language, 185-186.263; vgl. Koch, Schrift, 152-153; Kammler, Kreuz, 71-72. Vgl. Ciampa /Rosner 697-698; ebd. für das Folgende.
120 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Volk bzw. die Glaubensgemeinschaft gespalten und zerstritten ist. Die fehlende Weisheit verweist auf das kommende Gericht in den Tagen des Messias, zugleich aber auch auf das Eingreifen Gottes, der den Seinen hilft, ihre Schwierigkeiten zu regeln.190 Die Themen von fehlender Weisheit und Spaltungen verbinden Jes 29,14 über die frühjüdische Rezeption mit 1Kor 1,10–4,21, wo es genau um diese Themen geht.
Indem Paulus im Zitat von Jes 29,14 LXX das Verb κρυ' ψω („ich werde verbergen“) durch das stärkere α θετη' σω („ich werde verwerfen“) ersetzt, betont er, dass Gott das Verstehen der „Weisen“ nicht nur „verborgen“ hat, sondern dass er im Kreuzestod Jesu Christi etwas getan hat, was das rein menschlichrationale Verstehen übersteigt.191 Die Fixierung auf rhetorische Traditionen bei der mündlichen Verkündigung, die Paulus in Kap. 1–4 anprangert, erinnert an den oberflächlichen „Lippendienst“ von Jes 29,13. Die „wunderbaren“ und „schockierenden“ Ereignisse, die der Prophet in 29,13-14 ankündigt, sind in der Interpretation des Apostels als Hinweis auf die Kreuzigung Jesu zu verstehen. Auf dem Hintergrund der Verwendung von Jes 29 in der jüdischen Exegese gibt Paulus den Korinthern zu verstehen, dass das angekündigte Gerichts- und Heilshandeln Gottes in ihrer Mitte stattfindet, indem Gott die Weisheit der „Weisen“ durch die Torheit des Kreuzes zunichte macht.192 20 Paulus erläutert die Wahrheit des Schriftzitats mit vier rhetorischen Fragen, die über Jes 29,14 hinaus an atl. Aussagen erinnern, vor allem an Jes 33,18 LXX, wo ebenfalls drei Fragen mit που^ eingeleitet werden, die die Antwort „nirgends“ erwarten: „Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Ratgeber? Wo ist der, der die zählt, die heranwachsen, ein kleines und großes Volk?“. Sowohl Jes 33,18 als auch V. 20 beziehen sich auf die Wirkungslosigkeit des Widerstandes gegen Gottes Volk. Die erste Frage Wo ist ein Weiser? (που^ σοφο' ς;) erinnert sowohl an Jes 33,18 (που^ ει σιν οι συμβουλευ' οντες;) als auch an Jes 29,12 (που^ ει σιν νυ^ ν οι σοφοι' σου;). Der Ausdruck σοφο' ς ist allgemein zu interpretieren: Er bezieht sich auf die Vertreter der Weltweisheit, die in den beiden folgenden Begriffen auf das jüdische und auf das griechische Streben nach Weisheit konkretisiert werden.193 Die zweite ————————————————————
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Williams, Wisdom, 61-73. Stanley, Language, 186; Ciampa /Rosner 698; ebd. das Folgende. F. Winter, in ArztGrabner 88 betont den juristischen Kontext, in dem α θετη' σω zur Bezeichnung des Außerkraftsetzens von rechtlichen Vorgängen oder Urkunden verwendet wird. Ciampa /Rosner 698; vgl. Hays, Conversion, 14-15. Zu den Verständnisschwierigkeiten der Korinther vgl. Stanley, Arguing with Scripture, 79-83. Meyer 37; Schmiedel 99; Wolff 37; Schneider, ThWNT VII, 748 Anm. 3; Lautenschlager, Disputierer, 284-285; Pogoloff, Logos, 153-156; Kammler, Kreuz, 74; vgl. ebd. 75 für andere Interpretationen (unberücksichtigt bleiben Munck, Paulus, 151-152 Anm. 62; Winter, Philo and Paul, 189-192, die σοφο' ς im Sinn der sophistischen Philosophen interpretieren).
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 121 ————————————————————————————————————
Frage Wo ist ein Schriftgelehrter? (που^ γραμματευ' ς;) erinnert an Jes 33,18 (που^ ει σιν οι γραμματικοι' ;). Das Wort für „Schriftgelehrter“ kommt sonst im NT nur in den Evangelien und in der Apostelgeschichte vor. Der γραμματευ' ς bezeichnet den Torakenner, den jüdischen Ausleger und Lehrer der Heiligen Schriften Israels. Für den durchschnittlichen Zuhörer bedeutete das Wort „Sekretär“, im römischen Korinth auch den höhergestellten Verwaltungsbe^ νος amten.194 Die dritte Frage Wo ist ein Philosoph? (που^ συζητητη` ς του^ αι ω του' του;) hat keine Entsprechung in der LXX. Das seltene Wort συζητητη' ς195 ist das genaue griechische Gegenstück zum jüdischen γραμματευ' ς und bezeichnet den schulmäßig ausgebildeten griechisch-hellenistischen Berufsphilosophen, den philosophischen Forscher,196 vielleicht konkret den sophistischen Philosophen. Das nachklappende Genitivattribut του^ αι ω ^ νος του' του (dieser Weltzeit) bezieht sich auf alle drei vorausgehenden Begriffe: die griechischen Philosophen gehören genauso zu dem „gegenwärtigen, bösen Äon“ (Gal 1,4)197 wie die jüdischen Schriftgelehrten. Diese beiden Gruppen repräsentieren die herausragenden Vertreter des menschlichen Strebens nach Weisheit. Paulus betont mit den drei rhetorischen Fragen, dass Gott die angekündigte Verwerfung der menschlichen Weisheit vollzogen hat. Wenn συζητητη' ς sich nicht konkret auf die sophistischen Philosophen bezieht, die auch von zeitgenössischen Philosophen scharf kritisiert wurden, dann verwendet Paulus die Begriffe γραμματευ' ς und συζητητη' ς nicht in abwertendem Sinn, sondern als Hinweise auf „das Beste der in Juden und Heiden gegliederten Menschheit“; Paulus betont in diesem Zusammenhang, dass auch das „höchste Vernunftvermögen“ der Menschen keine wirkliche Erlösung erreichen kann.198 Dies ist deshalb der Fall, weil die Vernunft von der in der Welt mächtigen Sünde erfasst ist und an weltliche Werte gebunden bleibt. ————————————————————
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Vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 88-89; zum Amt des γραμματευ' ς in der römischen Zeit siehe Kruse, Schreiber; vgl. P.Oxy. II 279; P.Gen. II 92. Das Wort begegnet in der gesamten griech. Literatur nur hier (aufgenommen in Ignatius, Eph. 18,1). Zur Bedeutung vgl. Lautenschlager, Disputierer, 276-285. Lautenschlager, Disputierer, 276-285, der darauf hinweist, dass die Vorsilbe συν- zum Ausdruck bringt, „daß die Regelform philosophischen Forschens der Dialog ist“ (285). Sein Hinweis, dass „der irreführende, weil pejorative ‚Disputierer‘ und ‚Wortfechter‘ sowie der arg mißverständliche ‚Disputator‘“ in den Wörterbüchern durch „philosophischer Forscher“ ersetzt werden sollte, wurde von Lindemann 35.45; Garland 65; Voss, Kreuz, 71; Kammler, Kreuz, 74.76 aufgenommen (nicht von BDAG). Vgl. 1Kor 2,6.8; 3,18; 2Kor 4,4; Röm 12,2; vgl. 1Tim 6,17; 2Tim 4,10; Tit 2,12. Die Bedeutung von αιω' ν als „Welt, Zeitalter“ ist in den Papyri bisher nicht nachgewiesen. Lautenschlager, Disputierer, 285, der hinzufügt, dass „Gottes Heilshandeln im gekreuzigten Christus nicht bloß ein Zerrbild menschlicher Weisheit, sondern deren Inbegriff vernichtet hat“. Diese Interpretation setzt voraus, dass man σοφι'α als rettende Macht versteht.
122 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Paulus schließt den ersten Schritt seiner Argumentation V. 19-20 mit einer weiteren rhetorischen Frage ab, die eine positive Antwort erzwingt (ου χι' ): Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Das Wort κο' σμος beschreibt hier nicht die Welt als Gottes Schöpfung, sondern die Welt als Ort menschlicher Selbstsucht, Selbstverwirklichung, Selbstgenügsamkeit und Statusbesessenheit. Paulus fordert in V. 20b keine wahre Weisheit im Gegensatz zur falschen Weisheit der Welt; es geht ihm auch nicht darum, den Geltungsbereich der menschlichen Weisheit auf die ihr zugewiesenen Themen einzuschränken. Paulus erklärt den korinthischen Christen, für die Statusfragen und Loyalitätsbekundungen gegenüber prominenten Lehrern eine wichtige Rolle spielen, dass Gott die Weisheit der Welt „als Torheit entlarvt“ und damit zerstört hat. Die Weisen dieser Welt, die Toraexperten und die Philosophen, die auf der Grundlage menschlicher Weisheit bewerten und beurteilen, haben das Heilshandeln Gottes in der Kreuzigung Jesu nicht erkannt. Es ist diese Weisheit, die Gottes Handeln im Kreuz Jesu als töricht, inkompetent und nutzlos entlarvt hat. 199 Diese Vernichtung der Weltweisheit hat im geschichtlichen Ereignis des Kreuzestodes Jesu Christi stattgefunden; sie konnte weder aus den Heiligen Schriften noch aus allgemeinen Prinzipien abgeleitet werden. Die Wahrheit des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu konnte weder von den Schriftgelehrten noch von den Philosophen erkannt werden.200 21 Nach dem Schriftbeweis V. 19 und dem Erfahrungsbeweis V. 20 zeigt Paulus nun mit einem Beweis (ε πειδη` γα' ρ) aus der Geschichte, dass Gott die Menschen durch die „törichte“ Verkündigung des gekreuzigten Messias rettet, weil die Welt trotz aller weisheitlichen Bemühungen Gott nicht erkannt hat. Der Satz die Welt hat durch ihre Weisheit Gott nicht erkannt (ου κ ε»γνω ο κο' σμος δια` τη^ ς σοφι' ας το` ν θεο' ν) fasst V. 20 zusammen: Die Experten und die Philosophen haben es trotz ihrer intellektuellen Anstrengungen nicht vermocht, das zu erkennen, was in der apostolischen Verkündigung (V. 21b) proklamiert wird, nämlich das Handeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu zum Heil der Welt. Die Formulierung ε ν τη^, σοφι' α, του^ θεου^ wird unterschiedlich interpretiert. Wir unterscheiden eine schöpfungstheologische, eine heilsgeschichtliche und eine christologische Interpretation. Die von vielen Auslegern vertretene schöpfungstheologische Interpretation versteht die Formulierung im Sinn der ————————————————————
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Schrage I 177; Barbour, Wisdom, 62. Kammler, Kreuz, 76-77 verweist auf Joh 3,1-21: Nikodemus, der „Lehrer Israels“, kann Jesus nur dann verstehen, wenn er eine Neugeburt erfährt. Weder, Kreuz, 146, der hinzufügt: „Darum ist das Wort vom Kreuz auf das Daß und das Wie der Geschichte des Kreuzes angewiesen“.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 123 ————————————————————————————————————
sich in der Schöpfung manifestierenden Weisheit Gottes, oft mit Berufung auf die Weisheitstradition, in der die Weisheit Gottes Schöpfungsmittlerin ist. Häufig wird auf Röm 1,18–3,20 hingewiesen (GN: „obwohl die Weisheit Gottes sich in der ganzen Schöpfung zeigt“). 201 Dem Kontext adäquater ist die heilsgeschichtliche Interpretation. Sie verbindet die Wendung in der Weisheit Gottes mit dem weisen Vorsatz Gottes, der es in seiner Providenz so eingerichtet hat, dass die Welt ihn nicht durch ihre eigene Weisheit begreift, sondern nur infolge der Torheit der Verkündigung des Kreuzes erkennen kann.202 Hier kann man auf das Schriftzitat V. 19 und auf die Formulierung ευ δο' κησεν ο θεο' ς V. 21b verweisen. Ebenfalls plausibel ist die christologische Interpretation: die „Weisheit Gottes“ ist der gekreuzigte Jesus Christus und das in ihm beschlossene Heil (vgl. 1,24.30; 2,6-7). Es ergibt sich als Aussage: die heillose Welt hat trotz der Aufbietung menschlicher Weisheit an der Weisheit Gottes, d.h. an Jesus Christus, Gott nicht erkannt.203 Diese Auslegung entspricht dem folgenden Kontext V. 22-24 und der Antithese von 2,8a.10a. Ob die Hörer diese Verbindungen sofort erkannt hätten, ist allerdings zweifelhaft. V. 21b setzt mit Gott als Subjekt ein: es hat Gott gefallen (ευ δο' κησεν ο θεο' ς). Das Verb ευ δοκε'ω beschreibt in der biblischen Tradition meistens den souveränen Heilsratschluss Gottes, seine Erwählung. Gott ist souverän und barmherzig. Er ermöglicht aus Gnade das Heil und stellt es durch den Kreuzestod des Messias Jesus bereit. Gott beschließt das durch den Tod Christi bewirkte Heil der Menschen völlig frei, nicht abhängig von menschlicher Weisheit.204 Mit der Torheit der Verkündigung (μωρι' α του^ κηρυ' γματος) ist die Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu gemeint. Paulus kommentiert nicht den Modus jener Verkündigung, der die Menschen von der Wahrheit des Evangeliums überzeugen kann. Er kennzeichnet nicht die apostolische Verkündigung als Torheit,205 und er sagt auch nicht, dass Gott durch das Kerygma rettet, „sondern er betont, daß sich die Rettung durch den ————————————————————
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Meyer 39; Godet I 49; Weiss 29; Conzelmann 58; Merklein I 167; Schrage I 166; Eichholz, Theologie, 159-160; Lips, Traditionen, 329-331; Voss, Kreuz, 76-80. Zur Kritik Kammler, Kreuz, 81-86; vgl. Thiselton 167-169. Lightfoot 161; Robertson/Plummer 16; Barrett 50.53; Fee 72-73; Strobel 49-50; Garland 67; vgl. Schrage I 180. Zur Kritik s. Kammler, Kreuz, 87-88. Kammler, Kreuz, 88-89, zur Begründung ebd. 89-100. Die Präposition ε ν ist zum Verb γινω' σκω zu ziehen (γινω' σκω τινα` ε» ν τινι „jemanden an etwas erkennen“, d.h. ε ν bezeichnet das Objekt, an dem etwas erkannt werden kann. Schrage I 181, mit Verweis auf G. Schrenk, ThWNT II, 736-748; Müller, Anstoß, 93. Luther übersetzte „durch törichte Predigt“; vgl. Albrecht „durch eine Predigt, die als Torheit gilt“; Hfa „die einer scheinbar so unsinnigen Botschaft glauben“; vgl. Wendland 22; Baumann, Mitte, 106-107. Richtig Schrage I 181.
124 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gekreuzigten ereignet hat“. 206 In der Formulierung δια` τη^ ς μωρι' ας του^ κηρυ' γματος liegt der Ton auf dem Nomen regens: Paulus kontrastiert die μωρι' α der Weltweisheit, die die Verkündigung (κη' ρυγμα)207 des gekreuzigten Jesus Christus als Torheit beurteilt, mit der σοφι' α Gottes, die sich im gekreuzigten und auferstandenen Messias als Gottesweisheit offenbart hat. Die Verkündigung vom Gekreuzigten erscheint den Toraexperten und den Philosophen als Torheit, weil sie sowohl ihren Inhalt (Jesus der Gekreuzigte als Heilsoffenbarung Gottes) als auch ihre Form (Verkündigung als ευ αγγελι' ζειν, κηρυ' σσειν, καταγγε'λλειν, μαρτυρει^ν; s. zu V. 18) nach menschlichen, d.h. rhetorischen Maßstäben beurteilen. Der Infinitivsatz σω ^ σαι του` ς πιστευ' οντας beschreibt den Inhalt des souveränen Heilsratschlusses Gottes: die Glaubenden zu erretten. Das Gerettetwerden gründet nicht auf einer menschlichen Entscheidung, sondern auf der Entscheidung Gottes.208 Diese Heilsansage impliziert in V. 21a eine korrespondierende Gerichtsaussage: dem Ja Gottes zu den πιστευ' οντες entspricht das Nein Gottes zu den Menschen, die nicht glauben, die „weisen“ Exponenten unter ihnen eingeschlossen. 22 Paulus erläutert die theologisch grundlegende Aussage V. 21, die sich auf die Vergangenheit bezog, in V. 22-23 im Hinblick auf die Reaktion von Juden und von Heiden in der Gegenwart.209 Die kausale Konjunktion ε πειδη' ist hier nicht subordinierend mit „weil“ zu übersetzen (wie in V. 21a), sondern koordinierend mit „denn“.210 Der κο' σμος V. 21 ist in V. 22 die Menschheit, die aus Juden und Griechen besteht. Die Gegenüberstellung von Ιουδαι^οι und « Ελληνες, die sich auch in V. 24 findet, entspricht der Gegenüberstellung von Ιουδαι^οι und ε»θνη in V. 23. Paulus weiß als Jude, der sich in der jüdischen Theologie auskennt, aber auch und vor allem als Missionar, der mit Hunderten von Menschen über das Evangelium von Jesus Christus gespro————————————————————
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Kammler, Kreuz, 96. Richtig GN: „durch die Botschaft vom Kreuzestod, die der menschlichen Weisheit als Torheit erscheint“. Anders Schlatter 89; Wendland 22. Bei Paulus nur noch in 2,4; 15,14; 2Tim 4,17; Tit 1,3; das Verb ist 19 Mal belegt. In den Papyri bezieht sich κη' ρυγμα auf formelle Kundgebungen und öffentliche Bekanntgaben, vor allem im öffentlichen Rechtswesen; die Kundgebung richtet sich an den Addressaten „mit der implizierten Aufforderung, auf den Inhalt zu reagieren“ (F. Winter, in ArztGrabner 92-93, mit Hinweis auf P.Petr. III 125; P.Hamb. I 29; P.Fuad I Univ. 31). Schrage I 181 Anm. 465; Lindemann 45-46; Kammler, Kreuz, 94 mit Anm. 170 legt betont erwählungstheologisch aus. Anders z.B. Mayer, Heilsratschluß, 120-121, der του` ς πιστευ' οντας konditional versteht: der Glaube ist „die von Gott geforderte Bedingung, ohne die es keine Rettung gibt“ (120). Bachmann 91.98; Kammler, Kreuz, 110. BDR §456.3; HS §277a.c; vgl. Weiss 30; Kümmel 169; Schrage I 182; Voss, Kreuz, 7475; Kammler, Kreuz, 101-103 (ebd. ausführlich zur Syntax von V. 22-24). Lindemann 35.46 übersetzt mit „während“.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 125 ————————————————————————————————————
chen hat, zwischen den religiösen Vorstellungen von Juden und Griechen zu unterscheiden. Paulus geht es hier nicht um die heilsgeschichtliche Unterscheidung von Juden und Griechen/Heiden, sondern um ihre Reaktion auf die missionarische Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten Jesus Christus.211 Das Fehlen des Artikels lässt offen, inwiefern die Aussage des Apostels für jeden einzelnen Juden oder Heiden gilt. Juden fordern Zeichen (Ιο υδαι^οι σημει^α αι του^ σιν): Paulus erläutert nicht, um welche σημει^α es sich handelt. Die Evangelisten weisen wiederholt darauf hin, dass die jüdischen Zeitgenossen Jesu ein σημει^ον gefordert haben,212 ein „Zeichen“ im Sinn eines Beweises, woran man etwas erkennt. 213 Das Wort σημει^ον V. 22 steht dem Ausdruck θεου^ δυ' ναμις V. 24 antithetisch gegenüber. Das heißt, das von den Juden geforderte „Zeichen“ ist die Forderung, einen Beweis zu erbringen, an dem man erkennen kann, dass Gottes Heilsmacht im Kreuzestod Jesu offenbart wurde.214 Angesichts des messianischen Anspruchs Jesu und der apostolischen Verkündigung von Jesus als dem gekreuzigten Messias handelt es sich bei den „Zeichen“ bzw. „Beweisen“ wahrscheinlich um die kosmischen und gesellschaftlichen Manifestationen, die nach jüdischer Erwartung das Kommen des Messias begleiten sollen. 215 Juden besaßen mit der Tora bereits „Weisheit“, sie benötigten aber „Zeichen“, um ihre Stellung innerhalb der göttlich geweissagten Heilsgeschichte lokalisieren zu können.216 Die Auferstehung Jesu wäre ein solches Zeichen, aber die Kreuzigung Jesu ist dies ganz sicher nicht. Paulus argumentiert nicht so gegen „Zeichen“, dass er auf die Zweideutigkeit von wunderhaften Ereignissen hinweist – „Zeichen“ werden auch vom Antichristen vorgezeigt ————————————————————
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Conzelmann 66 interpretiert im Sinn des unterschiedlichen psychologischen Verhaltens: die Juden „fordern“, die Griechen „forschen“. Psychologische Bewertungen von Volksgruppen sind immer problematisch, und der Kontext in 1Kor 1 lässt eine grundsätzlich-hermeneutische Interpretation plausibler erscheinen. Mt 12,38-39 / Lk 11,16.29-32; Mk 8,11-13 / Mt 16,1-4; Joh 2,18-22; 6,30, formuliert mit ζητε' ω bzw. ε πιζητε' ω. Paulus verwendet in V. 22 mit αιτε' ω ein Verb, das bei Paulus sonst nur noch in Eph 3,13.20; Kol 1,9 vorkommt. Zur Formel „Zeichen und Wunder“ im AT und Judentum vgl. Weiß, Zeichen, 5-39, zu Mt 24,24 / Mk 13,22 ebd. 133-139. F. Winter, in Arzt-Grabner 95-96, mit Hinweis auf P.Petaus 28; SB V 7574; vgl. Youtie, ΣΗΜΕΙΟΝ, 105-116. K. H. Rengstorf, Art. σημει^ον, ThWNT VII, 222-223.258; Weiß, Zeichen, 24-33.69-70. Bill. I, 640-641.726-727; vgl. Fee 74; Lindemann 46; Garland 69. Anders Weiß, Zeichen, 69-70, der meint, die Zeichenforderung sei der von der Welt „anerkannte und angewendete Erkenntnisweg auf Gott hin im Rahmen der Weisheit“. Schrage I 182 will die Objekte σημει^α bzw. σοφι'αν „nicht streng den zwei Subjekten zuordnen“, weil Paulus „primär das Gemeinsame, nämlich den Sicherungswunsch mittels der ‚Weisheit der Welt‘, im Auge hat“. Diese Auskunft nimmt weder die Grammatik von V. 22 noch die hermeneutischen Kriterien der jüdischen bzw. griechischen Gotteserkenntnis ernst. Thiselton 170.
126 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
(vgl. Sib 2,167-168; 3,63-68), und „Zeichen“ sind auch unter Griechen und Römern verbreitet (vgl. Apg 14,8-13).217 Paulus weist die jüdische Forderung von machtvollen „Zeichen“ ab, weil sie angesichts der „Schwäche“ des Kreuzes keine Beweiskraft haben. Der Hinweis, dass Menschen Gott grundsätzlich keine Forderungen zu stellen haben, auch nicht Forderungen nach Beglaubigung und Bestätigung, 218 ist theologisch richtig, aber an den Formulierungen in V. 22 nicht abzulesen. Griechen streben nach Weisheit ( « Ελληνες σοφι' αν ζητου^ σιν): Paulus bezieht sich hier auf das Weisheitsstreben der Griechen, das in der Antike sprichwörtlich war. Herodot erzählt, dem König der Skythen sei berichtet worden, „die Hellenen seien alle sehr hinter jeder klugen Kunst (ε ς πα^ σαν σοφι' ην) her, nur die Lakedaimonier nicht“ (Hdt 4,77,1). Aelius Aristides bezeichnet noch im 2. Jahrhundert n.Chr. die Athener als „Führer aller Weisheit“ (η γεμο' νες . . . σοφι' ας α πα' σης; 1,330). 219 Im Zusammenhang der korinthischen Loyalitätsbekundungen gegenüber ihren prominenten Lehrern ist der Hinweis wichtig, dass die Griechen σοφι' α immer auch mit Redekunst, d.h. Rhetorik, verbunden haben, 220 und dass σοφι' α immer zugleich ein Hinweis auf gesellschaftlichen Status und Einfluss war.221 Die Interessen der Griechen und der Juden kann man schematisch etwa so formulieren: „Suchen die Griechen die Epiphanie des Göttlichen im Raum, im Kosmos, so die Juden in der Zeit, in der Geschichte“.222 23 Paulus stellt den Juden und den Griechen betont „wir“ (η μει^ς) entgegen, d.h. sich selbst und die anderen Apostel und urchristlichen Missionare.223 Der zentrale Vorgang missionarischer Aktivität wird mit der Wendung η μει^ς κηρυ' σσομεν Χριστο` ν ε σταυρωμε'νον beschrieben: Missionare verkündigen den gekreuzigten Messias. Das Verb κηρυ' σσω224 bedeutet „verkündigen, bekannt machen“. ————————————————————
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Schrage I 183; ebd. die folgende Bemerkung. Schrage I 184; mit Verweis u.a. auf Schlatter 91; Conzelmann 67; Eichholz, Theologie, 59-60; Becker, Paulus, 221. NW II.1, 238; vgl. ebd. für weitere Belege. Vgl. Lindemann 46. Vgl. Litfin, Proclamation, 200 Anm. 63, mit Verweis auf Isocrates, Antid. 293-296; Paneg. 45-50; Philostratus, Vit. Soph. 571.588.613.617. Garland 69; Pickett, Cross, 54-55. Vollenweider, Weisheit, 48. Auf die Gemeinde als ganze interpretieren Conzelmann 67; Barrett 54; Fascher 102; Lang 30; Merklein I 188; Wolff 40; zur Kritik vgl. Kammler, Kreuz, 116-117, der allerdings einseitig „ausschließlich“ auf Paulus „als den apostolischen Träger der Evangeliumsverkündigung“ (116) einschränkt. Vgl. G. Friedrich, ThWNT III, 682-717; O. Merk, EWNT II, 711-720; L. Coenen, ThBLNT II, 1755-1761; vgl. ebd. 1755-1756 für die folgende Charakterisierung.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 127 ———————————————————————————————————— Die Institution des κη^ ρυξ sollte man zur Erklärung von κηρυ' σσω nur mit Vorsicht heranziehen. In den griechischen Stadtstaaten war der „Herold“ ein Amtsdiener mit offiziellen Aufgaben in der Öffentlichkeit, der unter der Autorität der Stadt oder einer ihrer Behörden stand, deren Sprecher er ist. Er übermittelt die ihm aufgetragene Botschaft seines Auftraggebers. Die von ihm ausgerufene Botschaft tritt (z.B. im Fall von Gerichtsurteilen) mit dem Ausrufen in Kraft. Im 1. Jahrhundert war dieses Amt jedoch schon lange verschwunden. Epiktet bezieht das Wort κη^ ρυξ auf den (stoischen) Philosophen, der als (selbsternannter) Bote, Kundschafter und Herold der Götter (α»γγελος, κατα' σκοπος, κη^ ρυξ) und als Wächter über die Einhaltung der öffentlichen Moral von Stadt zu Stadt zieht (Epiktet, Diss. 3,22,69).225 In der LXX bezeichnet κη^ ρυξ keine israelitische oder jüdische Institution (vgl. Gen 41,43; Dan 3,4; 4Makk 6,4; Sir 20,15). Das Verb κηρυ' σσω wird in der LXX insgesamt 32 Mal verwendet, meistens für „( קראrufen“), dessen über 650 Belege größtenteils mit καλε' ω übersetzt werden. Bei Josephus ist der κη^ ρυξ der Ausrufer öffentlicher Bekanntmachungen und militärischer Verhandlungsführer (vgl. Bell. 2,13; Ant. 4,296). Im NT liegen weder ein „geschützes“ Amtsverständnis noch Anleihen an griechische Institutionen vor. Gleichwohl lässt sich sagen, dass das Substantiv κη' ρυγμα als „Phänomen des mit Anspruch an die Hörer ergehenden Rufes“ verstanden werden kann: „es ist das, was dem Auftreten und Reden der Propheten entspricht“.226 Das Verb κηρυ' σσω kommt neben anderen Verben der mündlichen Mitteilung vor: διδα' σκω, α γγε' λλω, λε' γω, ω μολογε' ω, μαρτυρε' ω, ευ αγγελι'ζω, γνωρι'ζω – keines dieser Verben wird bevorzugt als terminus technicus gebraucht. Aus κηρυ' σσω lassen sich weder ein bestimmter Modus des Auftretens noch ein bestimmter Inhalt der Verkündigung herauslesen; diese müssen aus dem jeweiligen Kontext erschlossen werden.
In V. 23 geht es um die missionarische Verkündigung: Paulus benennt die ablehnende Reaktion von Juden und Heiden. Inhalt der Verkündigung ist der gekreuzigte Messias. Das heißt, Paulus hat in seinen Missionspredigten nicht nur von Jesus als dem Prediger der Gottesherrschaft und Verkündiger der Feindesliebe gesprochen, auch nicht nur von Jesus als dem Erlöser von Sünden, sondern konkret von seinem Tod am Kreuz. Das Part. Perf. ε σταυρωμε'νον bringt gerade dies zum Ausdruck: Jesus bleibt der Gekreuzigte, auch nach der Auferstehung. Der Karfreitag wird nicht von Ostern „überholt“, sondern bleibt zentrales Heilsereignis. Viele Ausleger interpretieren ε σταυρωμε'νον in dem Satz κηρυ' σσομεν Χριστο` ν ε σταυρωμε'νον als Objektprädikat: Paulus verkündigt Christus „als den Gekreuzigten“.227 Die analoge Formulie————————————————————
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Vgl. Billerbeck, Epiktet, 78 zu dieser Stelle. Zu den (nicht sehr häufigen) Papyrusbelegen vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 98, der mit Verweis auf P.Lond. VII 1997 und P.Hamb. I 29 schreibt: „Bei κηρυ' σσω handelt es sich also um das Kundgeben in einem öffentlichen Raum, vornehmlich innerhalb des Gerichtswesens, das die Aufforderung zu einer Reaktion auf den Inhalt impliziert“. L. Coenen, ThBLNT II, 1758. Meyer 42; Heinrici 75; Schmiedel 100; Weiss 32; Bachmann 94; Wendland 21; Conzelmann 58; Fascher 102; Wolff 34; Schrage I 184; Voss, Kreuz, 86; vgl. EÜ.
128 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
rung in 2Kor 4,5 zeigt, dass dieses Verständnis grundsätzlich möglich ist. Die Fokussierung auf den Inhalt der Verkündigung und das Anliegen des Apostels, den Menschen zu erklären, was Jesus Christus für die Menschen ist, lässt diese Auslegung jedoch nicht ganz befriedigend erscheinen. Man kann ε σταυρωμε'νον als Apposition verstehen, als Nebenbestimmung zum Substantiv Χριστο' ν: Paulus verkündigt „Christus, den Gekreuzigten“, d.h. den Messias, der gekreuzigt wurde.228 Weil jedoch die Kreuzigung Jesu das eigentliche σκα' νδαλον ist, und nicht bloß die Verkündigung, ist diese Interpretation nicht überzeugend. Vorzuziehen ist die Interpretation von ε σταυρωμε'νον als direktes Attribut zu Χριστο' ν: Paulus verkündigt den gekreuzigten Christus.229 Χριστο' ς bedeutet hier Messias, ist also kein bloßer Eigenname.230 Die Verkündigung eines gekreuzigten Messias ist für Juden ein Ärgernis. Das Wort σκα' νδαλον bezeichnet „das Anstößige, das Widerspruch Herausfordende“, den „Gegenstand der Entrüstung oder Mißbilligung“.231 Gal 5,11 zeigt, dass der σκα' νδαλον του^ σταυρου^ damit zusammenhängt, dass ein Gekreuzigter nach Dtn 21,22-23 als von Gott Verfluchter gilt. Justins Dialog mit dem Juden Tryphon illustriert genau diese Abscheu: Tryphon kann nicht akzeptieren, dass der Messias „eines so schmachvollen und ehrlosen, im Gesetz verfluchten Todes sterben mußte, denn so etwas können wir uns nicht einmal denken“ (Justin, Dial. 90,1; vgl. 32,1; 89,2). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die Qumrangemeinde die Kreuzigung als Strafe für Volksverrat vorsah, interpretiert als Fluchtod im Sinn von Dtn 21,22-23 (11QTemple 64,6-13). In der jüdischen Eschatologie hat man keinen sterbenden Messias erwartet, der durch seinen Tod Heil erwirken sollte. Die Messiasgestalten der jüdischen Erwartung sind generell siegreiche Retter (vgl. PsSal 17,21-45). W. Schrage schreibt: „Hofft man auf einen Messias, was keineswegs alle Juden tun, dann nicht auf einen gekreuzigten . . . Wer sich zu einem Gekreuzigten bekennt, beleidigt und karikiert ————————————————————
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Lietzmann 8; Kuss 122-123; Strobel 45; Merklein I 167.172; Lindemann 35; Weder, Kreuz, 50; vgl. SÜ, ZB. Lightfoot 162; Robertson/Plummer 22; Kremer 37.40; vgl. LÜ, GN, NGÜ, Wilckens. Hofmann 30; Heinrici 75; Fee 75; Merklein I 188; Garland 70; H. Giesen, EWNT III, 595; Müller, Funktion, 266 Anm. 123; Lindemann 47 als Möglichkeit; vgl. Hengel, Der vorchristliche Paulus, 179; Voss, Kreuz, 88. Dagegen Bachmann 94; Schrage I 185 (s. jedoch ebd. 186); Kammler, Kreuz, 103: die Verkündigung eines jüdischen Messias als Retter der Griechen ist genauso Torheit wie die Predigt von einem gekreuzigten Erlöser. Bauer /Aland 1505, s.v. σκα' νδαλον 3. Das Wort ist in der griech. Literatur selten belegt; der früheste Beleg findet sich in dem Papyrus P.Cair. Zen. IV 59608 a (ca. 250 v.Chr.) mit der ursprünglichen, technischen Bedeutung „Stellholz (einer Falle)“; vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 99. Die Akk. σκα' νδαλον und μωρι'αν sind keine Prädikate zu κηρυ' σσομεν („wir verkündigen . . . als Ärgernis/Torheit“, sondern Appositionen: Paulus beschreibt die faktische Reaktion der Hörer; Bachmann 94; Schrage I 186 Anm. 497; Voss, Kreuz, 87.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 129 ————————————————————————————————————
Gott, der seinen Messias nicht wie einen Verbrecher an den Galgen schlagen lassen wird. Ein Χριστο` ν ε σταυρωμε' νος konnte am Maßstab der traditionellen Titel und Erwartungshorizonte tatsächlich nur als Zumutung und Provokation empfunden werden“.232 Die Verkündigung eines gekreuzigten Messias entspricht für Juden weder den Heiligen Schriften noch ihrer Vorstellung von Gott, noch ihrer Erwartung vom Eingreifen Gottes in den letzten Tagen.233 Das Wort σκα' νδαλον könnte schließlich eine Anspielung auf Jes 28,16 sein, ein Text, der in der frühen Kirche eine wichtige Rolle spielt:234 V. 21 verwendet wie Jes 28,16 das Part. von πιστευ' ω, verbunden mit der Aussage, dass Gott „diejenigen, die glauben“ rettet; und σκα' νδαλον ist vielleicht ein Echo der Tradition vom Grundstein (vgl. 1Kor 3,10-11), der zum Stein des Anstoßes wurde (Röm 9,33 zitiert Jes 28,16 LXX πε'τρα πτω' ματι als πε'τρα σκανδα' λου). Die Verkündigung des gekreuzigten Messias ist für Heiden eine Torheit. Das Wort μωρι' α bedeutet hier „Absurdität, Unsinn, Blödsinn“. Schon die Verkündigung eines jüdischen Erlösers musste für griechische σοφοι' eine Zumutung gewesen sein, erforderte sie doch eine Einführung in die Grundlagen des jüdischen Glaubens und jüdischer Erwartungen. Die zentrale, mit Heil verknüpfte Bedeutung eines Kreuzes war nicht nur ein Widerspruch zur Logik und Schönheit menschlicher Weisheit, sondern aufgrund der Schändlichkeit dieser schrecklichen Sklavenstrafe ein Affront für den guten Geschmack. Die Ausführungen Ciceros in Rab. 16 reflektieren den Horror, den Kreuzigungen damals ausgelöst haben: „Elend ist die Schande öffentlicher Prozesse, elend die Vermögensstrafe, elend die Verbannung; aber dennoch bleibt bei allem Unheil eine Spur von Freiheit erhalten! Wenn vollends der Tod angedroht wird, so wollen wir in Freiheit sterben, doch der Henker, die Verhüllung des Hauptes und die bloße Bezeichung ‚Kreuz‘ (nomen ipsum crucis absit) sei nicht nur von Leib und Leben der römischen Bürger verbannt, sondern auch von ihren Gedanken, Augen und Ohren (etiam a cogitatione, oculis, auribus). Denn alle diese Dinge sind eines römischen Bürgers und freien Menschen unwürdig: nicht nur daß sie eintreten können und man sie erleiden muß, sondern auch daß sie zulässig sind, daß man mit ihnen rechnet, ja selbst, daß sie erwähnt werden“. Lucian spottete über den „gepfählten Sophisten“ der Christen (το` ν δε` α νεσκολοπισμε' νον ε κει^νον σοφιστη` ν; Peregr. Mort. 13). Plinius d.J. bezeichnete den Glauben der Christen, denen er in Verhören begegnete, als supersitio prava, immodica, d.h. als „wüsten, ————————————————————
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Schrage I 186-187. Zum Thema s. Hengel, Mors Turpissima Crucis, 125-184. Eichholz, Theologie, 60. Vgl. Mt 21,42 / Mk 12,10 / Lk 20,17; Mt 21,44 / Lk 20,18; Apg 4,11; Röm 9,33-10,14; 1Petr 2,4.6-8; vgl. Eph 2,20; 2Tim 2,19.
130 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
maßlosen Aberglauben“ (Ep. 10,96,8). Im Museum auf dem Palatin ist das Graffito ausgestellt, das einen Gekreuzigten mit Eselskopf darstellt und auf einer in den Stein geritzten Unterschrift spottet: „Alexamenos betet Gott an“.235 Die Götter Griechenlands und Roms waren unsterblich: ein Glaube, der den einzigen Sohn des einen wahren Gottes den „schändlichsten Tod“ (mors turpissima)236 erleiden lässt, ist ein unsinniger Affront. Die Verkündigung vom Kreuz, die Paulus als Kern der christlichen Botschaft versteht, widerspricht „gemeinantiker Religiosität und hier wieder besonders dem Gottesbild aller Gebildeten“.237 Die Rede von einem gekreuzigten jüdischen Erlöser lässt sich weder mit der σοφι' α verifizieren noch mit den Kategorien der Vernunft einordnen.238 Die Antithese V. 23a sagt im Hinblick auf V. 22: „Ein gekreuzigter Messias ist kein Beglaubigungszeichen und kein Bild zur Verkörperung der Weisheit“.239 Die Hermeneutik der Juden, die für einschneidende heilsgeschichtliche Ereignisse – zumal für die Ankunft und das Wirken des Messias – beglaubigende Zeichen benötigen, kann die Verkündigung des gekreuzigten Messias nicht als Heilsbotschaft erfassen. Die Hermeneutik der Griechen, die mit dem Einsatz logischer Argumente überzeugt sein wollen und mit rhetorischer Eloquenz überredet werden können, stellt noch weniger eine Grundlage dar, auf der die Botschaft vom gekreuzigten Erlöser verstehbar würde. Für Juden ist die Botschaft vom gekreuzigten Messias ein Ärgernis, deshalb lästern sie; den Griechen genügt das Spotten. A. Schlatter kommentiert: „Beide sind somit, solange sie nichts anderes als Juden oder Griechen sind, Sterbende, weil beide nicht fähig zum Glauben sind“. 240 24 Paulus verifiziert seine grundlegende Aussage von V. 21, dass die Weisen der Welt Gottes Heilsoffenbarung in Jesus Christus nicht erkannt haben, dass Gott jedoch die Menschen durch die „Torheit“ der Verkündigung des gekreuzigten Messias rettet, in V. 24 anhand der effektiven Wirkung der Evangeliumsverkündigung. Die Dativobjekte τοι^ς κλητοι^ς, Ιο υδαι' οις und « Ελλησιν werden von dem Verb κηρυ' σσομεν V. 23 regiert. Die Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten Messias richtet sich an alle Menschen, Juden wie Heiden; sie wird jedoch von manchen Juden als Ärgernis und von manchen Heiden als Torheit abgelehnt (V. 23). Nun erinnert Paulus ————————————————————
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Abbildung in Leipoldt, Umwelt, III, 213; im Internet mit dem Suchbegriff „Spottkruzifix“ oder „Alexamenos“ zu finden. Origenes, Comm in Mt 27,22-26 (GCS 38, 259,7). Hengel, Mors Turpissima Crucis, 127. Schrage I 184; Kammler, Kreuz, 115. Merklein I 188; vgl. ebd. 189-190 für die folgende Bemerkung. Schlatter 92.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 131 ————————————————————————————————————
die korinthischen Christen an die Tatsache, dass es unter Juden und Heiden Menschen gibt, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Als die Verkündigung des Gekreuzigten die Berufenen (οι κλητοι' ) erreichte, kamen diese zum Glauben. Die κλητοι' , die aus Juden wie Griechen ( Ιουδαι' οις τε και` « Ελλησιν) bestehen, werden mit den Juden und Heiden von V. 23 kontrastiert, für die das Evangelium von Jesus Christus Ärgernis und Torheit war. Der Ausdruck οι κλητοι' entspricht οι σω, ζο' μενοι V. 18b und οι πιστευ' οντες V. 21b. Paulus erklärt das Zum-Glauben-Kommen der korinthischen Christen sowie anderer Juden und Heiden nicht mit dem Verweis auf deren Glauben, sondern mit dem erwählenden und rettenden Ruf Gottes. Der Ausdruck οι κλητοι' erklärt, wie es zum Glauben kommt: „Wird das Wort Jesu im Menschen wirksam, so macht es aus ihm den Glaubenden“. 241 Dass es κλητοι' gibt, ist in dem ευ δο' κησεν ο θεο' ς V. 18 begründet. 242 H.-C. Kammler formuliert: „Wenn es unter Juden und Griechen Menschen gibt, die den gekreuzigten Christus nicht für ein Ärgernis bzw. eine Torheit halten, sondern in ihm Gottes rettende Macht und Weisheit erblicken, so verdankt sich dieses Urteil einzig und allein dem erwählenden Handeln Gottes, der in seiner göttlichen Freiheit aus Verlorenen Gerettete und aus Nichtglaubenden Glaubende macht“.243 Durch die Berufung zum Heil und zum Glauben und durch die Wirksamkeit dieser Berufung in ihrem persönlichen Leben erfahren οι κλητοι' , dass die ethnischen und gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Juden und Griechen in der ε κκλησι' α keine Rolle mehr spielen. 244 Die Berufenen erfahren die Verkündigung des gekreuzigten Messias als Gottes Macht und Gottes Weisheit. Das Wort Χριστο' ν nimmt das Akkusativobjekt Χριστο` ν ε σταυρωμε'νον von V. 23 wieder auf; die Wiederholung von Χριστο' ν wirkt störend,245 sie dient lediglich der Betonung. Die beiden Näherbestimmungen θεου^ δυ' ναμιν und θεου^ σοφι' αν sind nicht Objektprädikate (Paulus hat den Gekreuzigten nicht „als Kraft“ oder „als Weisheit“ verkündigt), sondern als direkte Attribute zu interpretieren: Paulus verkündigt den gekreuzigten Messias, der für die Berufenen Gottes Macht und Gottes Weisheit ist. Das vorangestellte θεου^ betont die Aktivität Gottes in der ————————————————————
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Schlatter 92. Wiederkehr, Berufung, 112; Thiselton 172. Kammler, Kreuz, 117; vgl. Voss, Kreuz, 93: Das Geschehen, in dem der Gekreuzigte für jemanden Gottes Kraft und Weisheit wird, verdankt sich „völlig Gott und nicht einer freien menschlichen Entscheidung“. Weiss 33; Merklein I 190; Kammler, Kreuz, 117. Weiss 33: Der Sinn des Textes wird „durch die rhetorisch kräftige Wiederholung von Χριστο` ν verdunkelt. Denn dadurch wird der Leser genötigt, das κηρυ' σσομεν zu wiederholen und den Dativ αυ τοι^ς δε` τοι^ς κλητοι^ς davon abhängig zu machen. Das ist aber nicht die Absicht von P[aulus].“ Vgl. Lietzmann 10; Kammler, Kreuz, 107.
132 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Hervorrufung von Glauben unter Juden und Griechen. Dass Menschen zum Glauben kommen, ist nie die Folge der Demonstration menschlicher Macht, z.B. durch Wunder, und sie ist nie die Folge des Einsatzes menschlicher Weisheit, z.B. durch logische Argumentation oder durch rhetorische Eloquenz. A. Schlatter kommentiert treffend: „Paulus gleicht sich weder dem Griechen noch dem Juden an. Er wirbt um sie weder als Wundertäter noch als Denker, sondern ist der Ausrufer, der die Ankunft des Christus meldet; dieser aber ist Gottes Kraft und Gottes Weisheit“.246 Dass Paulus die Macht Gottes zuerst nennt, entspricht der grundsätzlichen Aussage V. 18, wo er die δυ' ναμις θεου^ mit dem Empfang des Heils verknüpft hatte. Im AT ist „Macht“ ein Kennzeichen Gottes (Dtn 3,24; Jos 4,24; Ps 77,15; 145,12; Jer 16,21). Macht und Name Gottes können synonym gebraucht werden (Ps 53,3; Jer 16,21). In rabbinischen Texten ist „Macht“ eine Umschreibung für den Gottesnamen. 247 Die Macht Gottes ist jene Kraft, die Tote auferweckt (1Kor 6,14; 15,43). Es ist diese endzeitliche Schöpfermacht Gottes, die durch die Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten Messias die Menschen vom Verderben errettet (vgl. 2,4-5; Röm 1,16). Im AT wurden dem erwarteten davidischen Retter sowohl Kraft als auch Weisheit zugeschrieben (Jes 11,2). Von der Weisheit Gottes ist im AT und in der jüdischen Tradition öfter die Rede als „Mittlerin der Schöpfermacht und der Heilsmacht Gottes seit Anbeginn“.248 Die personifizierte Gestalt der Weisheit ist weder Hypostase, noch ein bloßes Attribut der Welt, sondern Gott der Herr selbst, der sich um seine Schöpfung kümmert und seine Geschöpfe aufruft, seine Nähe, sein Handeln und seinen Ruf wahrzunehmen. Die göttliche Weisheit ist Gottes Mitteilung an den Menschen, die den Weg zum Leben aufzeigt. 249 Wenn Paulus schreibt, dass Jesus Christus von den Glaubenden als „Gottes Weisheit“ erfahren wird, dann argumentiert er nicht gegen eine gnostische SophiaSpekulation oder gegen eine auf die Tora konzentrierte Weisheitslehre. 250 Paulus hat, vielleicht schon seit seiner Bekehrung,251 den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Jesus Christus mit der präexistenten, personifizierten göttlichen Weisheitsgestalt als „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ und als „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ verbunden (Kol 1,15; vgl. Weish 7,26, sowie Prov 8,22-29; Sir 1,4; 24,9; Weish 9,9). Aber Paulus ————————————————————
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Schlatter 92. Bill. I, 1007; vgl. G. Friedrich, EWNT I, 862; Gräbe, Power, 17-35. H. Hegermann, EWNT III, 621. Vgl. Hiob 28,24-27; Prov 8,27-30; Sir 24. Vgl. Schnabel, Wisdom, 845. Wilckens, Weisheit, 5-96.205-224; ders., ThWNT VII, 518-525; s. die Korrektur in Wilckens, Kreuz Christi, 43-81; sowie Davis, Wisdom. Vgl. Kim, Origin, 223-233.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 133 ————————————————————————————————————
kommt es in V. 24 gerade nicht darauf an, den Juden zu zeigen, dass die von ihm verkündigte Botschaft von Jesus Christus ihren weisheitlichen Traditionen entspricht, noch will er den Griechen demonstrieren, dass seine Botschaft mit ihrer Weisheitssuche mithalten kann.252 Paulus betont, dass der gekreuzigte Messias der Inbegriff der mächtigen Weisheit Gottes ist, die Leben schafft, wo vorher kein Leben war und so, als Resultat der Wirksamkeit der Macht Gottes, Verlorene erwählt und zu Erretteten macht. Die Funktion Jesu Christi als Heilsmittler, der Heil für die „Nicht-Seienden“ (V. 28) bewirkt, beschrieben als „Weisheit Gottes“, erinnert an die Beschreibung Jesu Christi als präexistenten Schöpfungsmittler (8,6; Phil 2,6-11).253 25 Mit einem Begründungssatz (ο« τι) bringt Paulus sein Argument zu einem vorläufigen Abschluss.254 Er formuliert einen zweifachen paradoxen, chiastisch aufgebauten Sachverhalt, der den Ausdruck θεου^ σοφι' α und den Ausdruck θεου^ δυ' ναμις erklärt. Der Satz das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen (το` μωρο` ν του^ θεου^ σοφω' τερον τω ^ ν α νθρω' πων ε στι' ν) kommentiert die Tatsache, dass die Menschen, die zu den Verlorenen gehören, das Heilshandeln Gottes im gekreuzigten Messias als Torheit betrachten. Paulus erklärt, dass Gott auch da, wo sein Handeln töricht erscheint, den Menschen weit überlegen ist. Der Komparativ σοφω' τερον ist als substantivierter Ausdruck zu verstehen (το` σοφω' τερον), d.h. das „dumme“ Gotteshandeln ist, im Gegensatz zum Handeln der Menschen, das eigentlich Weise. 255 Für die Macht Gottes gilt dasselbe: das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen (το` α σθενε` ς του^ θεου^ ι σχυρο' τερον τω ^ ν α νθρω' πων). Gottes Handeln im Kreuzestod Jesu sieht schwach aus, es erscheint geradezu als Gipfel menschlicher Schwäche und Ohnmacht. Aber dieses „schwache“ Handeln Gottes ist mächtiger als alles, was Menschen schaffen können – gemeint ist die Rettung der Verlorenen, die Ermöglichung von Heil für die Heillosen, die Vergebung von Schuld und Sünde, die sich im Kreuzestod Jesu ereignet haben. 256 V. 25 ist keine „zeitlose Regel über das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Potenz“,257 Der bestimmte Artikel vor μωρο' ν und α σθενε'ς macht deutlich, dass Paulus im Blick auf die konkrete, geschichtliche Heilstat Gottes im Kreuzestod Jesu formuliert.258 ————————————————————
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Conzelmann 68; Fee 77; Lindemann 47; Lips, Traditionen, 322.333.349-350; grundsätzlich kritisch Schrage I 188 Anm. 513; Kammler, Kreuz, 118. Anders Windisch, Weisheit, 225-226; Pate, Reverse, 277-278. Schnabel, Law and Wisdom, 236-264; Hurtado, Lord Jesus Christ, 125-126. Senft 41 spricht von einer „conclusion triomphale“. Lindemann 48; vgl. BDR §246.2: Der Komparativ bezieht sich manchmal nicht auf einen Gradunterschied, sondern bezeichnet einen Gegensatz. Vgl. Voss, Kreuz, 97-98. Im Hinblick auf 2Kor 13,4 kann man an die Auferweckung von den Toten denken. So Conzelmann 69.
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IV In der Geschichte der Kirche hat es die Theologie des Kreuzes, wie Paulus sie in 1Kor 1,18-25 expliziert, schwer gehabt, sich gegenüber theologischen, philosophischen und allgemein religiösen Anschauungen zu behaupten. 259 Die Gnostiker bestritten, dass der Erlöser wirklich gelitten hat (I Apc Jac). In der Alten Kirche wurde das Kreuz, wenn es nicht ganz verschwunden ist, zum Triumphzeichen und Mysterium (Origenes, Philoc. 235). Im Mittelalter spielt das Kreuz in der Liturgie (Bekreuzigung) und in der Frömmigkeitspraxis oft eine wichtige Rolle (Passionsspiele), aber auch in der Herrschaftssymbolik der Kaiser und Könige. Es war Martin Luther, der die theologia crucis des Apostels Paulus bewusst aufgenommen und in den Mittelpunkt gestellt hat. Der Satz crux sola est nostra theologia in seinem Psalmenkommentar (WA V, 176, zu Ps 5,12) wendet die Theologie vom Kreuz gegen den Moralismus und die theologische Spekulation der scholastischen Theologie: Gott kann nur per crucem erkannt werden, nicht durch Spekulation, nicht durch das Betrachten der Schöpfung oder aus der Geschichte. Das Kreuz Christi negiert den Eigenwillen des Christen, der mit Christus gekreuzigt ist. Luther hält immer an der Tatsache fest, dass das Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu ein externes Ereignis ist. Die lutherische Theologie des Kreuzes fand in den Passionen Johann Sebastian Bachs und in den Passionschorälen Paul Gerhards eindrücklichen und bleibenden Ausdruck. Für die „aufgeklärten“ Menschen war und blieb das Kreuz Jesu ein odium. So schreibt J. W. Goethe im West-Östlichen Divan: „Mir willst du zum Gotte machen Solch ein Jammerbild am Holze!“ F. Nietzsche verflucht „das Kreuz als Erkennungszeichen für die unterirdischste Verschwörung, die es je gegeben hat – gegen Gesundheit, Schönheit, Wohlgeratenheit, Tapferkeit, Geist, Güte der Seele, gegen das Leben selbst“ (Antichrist, Nr. 62). Missionsverkündigung ist Verkündigung des Kreuzestodes Jesu, in dem Gottes Macht und Weisheit zum Heil und zur Errettung der Berufenen am Werk war. Ohne den Kreuzestod Jesu Christi kann die Sünde der Verlorenen nicht gesühnt werden, kann es keine Errettung vor dem Verderben geben. Ohne den Kreuzestod Jesu gibt es kein Evangelium. Deshalb ist die Verkündigung des gekreuzigten Messias das Zentrum der missionarischen Botschaft. Im Vollzug dieser Verkündigung zeigt sich, dass das Kreuz Jesu nicht kontextualisiert werden kann. Für jüdische Zuhörer ist die Behauptung, dass der an einem Kreuz hingerichtete Jesus von Nazareth der erwartete Messias Gottes sein soll, eine skandalöse Provokation, ja eine Gotteslästerung, da an ————————————————————
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Schrage, 189-190; vgl. Kammler, Kreuz, 120. Schrage I 192-193; vgl. ebd. 192-203 zur Auslegungs- und Wirkungsgeschichte; siehe auch Murray u.a., Kreuz III-VII, TRE XIX, 726-768.
Das Evangelium vom gekreuzigten Messias 1,18-25 135 ————————————————————————————————————
einem Pfahl hingerichtete Leute vom Gesetz als von Gott Verfluchte deklariert wurden. Für griechische und römische Zuhörer war eine Rede, in der behauptet wurde, dass ein Jude, der den Tod der Sklaven und der gemeinen Verbrecher gestorben war, der Welterlöser sein sollte, lächerlicher Blödsinn. Angesichts der Tatsache, dass weder Juden noch Heiden mit der Botschaft vom Kreuzestod Jesu etwas anfangen können, käme der Versuch, dies mit rhetorischen Mittel überspielen zu wollen, dem Bestreben gleich, „durch Beredsamkeit die schwächere Sache zur stärkeren“ (quem ad modum . . . causa inferior dicendo fieri superior posset) machen zu wollen.260 Die entsprechende griechische Wendung το` ν η« ττω λο' γον κρει'ττω ποιει^ν, die man in der antiken Literatur häufig findet, hat fast immer eine negative moralische Färbung: „das, was sich bei oberflächlicher Betrachtung als Stärke manifestiert“ entspricht „in den Augen derer, die besser sehen können, nicht einer wirklichen Stärke . . . Das Kennzeichnende der ‚Schwachen Rede‘ ist, daß sie nach der traditionellen Norm im Unrecht ist, aber durch ihre Gewandtheit im Reden trotzdem den Sieg erringt“.261 Aristoteles beschreibt die argumentativen Techniken als Mittel, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen. Die wiederholten Empfehlungen persuasiver Techniken in der Rhetorik und in der Topik haben jedoch „eher den Sieg als die Wahrheit im Auge“. Johan Vos argumentiert, für Paulus sei die Wahrheit das, „was er jeweils für seine Argumentation braucht“, er habe also die Kunst verstanden und angewendet, mit rhetorischen Mitteln „die schwächere Rede zur stärkeren zu machen“ oder sie „stärker erscheinen zu lassen“ per fas et nefas, mit Recht wie mit Unrecht.262 Richtig ist, dass Paulus in seinen Briefen „keine Sondersprache und erst recht keine Sonderlogik“ verwendet und dass er, von der Verwendung der Heiligen Schrift und dem Rückgriff auf die urchristliche Botschaft und die Verkündigung Jesu abgesehen, keine hermeneutischen Evidenzmittel verwendet, „die nicht zu seiner Zeit in breitestem Gebrauch gewesen wären“.263 J. Vos beschränkt sich in seiner Studie zu ausschließlich auf den Vergleich mit zeitgenössischen rhetorischen Strategien und zieht andere Auslegungsmöglichkeiten kaum in Betracht. Gegen Vos ist daran zu erinnern, dass es für Paulus beim „Wort vom Kreuz“ nicht nur um eine historische, sondern zugleich um eine zutiefst theologische Wirklichkeit geht, und dass es für Paulus schon gar nicht um rhetorische Strategien geht, bei deren Anwendung er bereit wäre, die Wahrheit zur Disposition zu stellen (vgl. 2,1-5). Man muss bei Paulus auch zwischen der missionarischen Predigt, in der die Wahrheit des Evangeliums proklamiert wird, und seinen Briefen unterscheiden, in denen er die bereits vom Evangelium überzeugten Jesusbekenner für das richtige Verständnis und für die richtige Praxis ethischer und gesellschaftlicher ————————————————————
260 261 262 263
Cicero, Brutus 8,30 im Rückblick auf sophistische Rhetoren, die er als arrogant bezeichnet; vgl. Guthrie, Sophists, 261-198. Vos, Argumentation, 3-4.5; vgl. Aristophanes, Nu. 1038-1042.1420-1424; Plato, Ap. 19b; Aristoteles, Rep. 1402a 24; Sextus Empiricus, Math. 2,46; Philostratus, Vit. Soph. 1,483; für die folgende Bemerkung vgl. ebd. 20-21, das Zitat 21 Anm. 115. Vos, Argumentation, 81.172; zu dieser für die sophistische Rhetorik charakteristischen Strategie (Aristophanes, Nu. 882-885, 1336-1337; Plato, Euthyd. 272a-b) s. ebd. 80-83. Siegert, Argumentation, 243.
136 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Konsequenzen gewinnen will, die sich aus dem Evangelium ergeben. Das Kriterium für den richtigen Einsatz rhetorischer Mittel ist die Wahrheit – für Paulus in seiner missionarischen Verkündigung konkret die Wahrheit des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu. Überzeugungskraft gewinnt diese Wahrheit nicht durch rhetorische Strategien, sondern durch den Beweis des Geistes Gottes.
Der Einsatz rhetorischer Strategien, in denen die Wahrheit zur Disposition steht und der „Sieg“ des Vortrags das höchste Ziel ist, würde die machtvolle Wahrheit des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu beseitigen. Das Kreuz Jesu kann den Kriterien, mit denen Juden, Griechen und Römer religiöse Aussagen beurteilen, nicht angepasst werden. Das ist deshalb der Fall, weil Paulus vom Kreuz nicht einfach als historischem Faktum redet, sondern als Ereignis, in dem der eine Gott machtvoll in die Geschichte eingegriffen und Heil geschaffen hat. Wir sollten aus diesem Grund nicht vergessen, dass Jesusfilme nur eine möglichst authentische Reproduktion der historischen Tatsache der Kreuzigung Jesu leisten können. Das Wort vom Kreuz als Predigt vom gekreuzigten Messias, der sich als Gottes Sohn zur Erlösung der sündigen Menschheit opfert, ist mit der filmischen Darstellung aber noch nicht gesprochen, sondern muss zusätzlich zu solchen Darstellungen zu Gehör gebracht werden. Wenn alle Menschen, selbst die Juden, das Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi nicht verstehen können, wie können sie dann zum Glauben an Jesus Christus kommen? Wie können aus Verlorenen Errettete werden? Wer vom Kreuz Jesu redet, kann dies nur in erzählender Weise tun: der Missionar erzählt vom Leiden und Sterben Jesu, von seinem Begräbnis, von seiner Auferweckung durch Gott, von seinen Erscheinungen (1Kor 15,35; vgl. die Missionspredigten der Apostelgeschichte). Für dieses Erzählen gilt jedoch, dass die Torheit und die Machtlosigkeit des Kreuzes, die sich in der Torheit und Schwachheit der Verkündigung des Kreuzes widerspiegeln, weder durch intellektuelle Argumentation, noch durch die persönliche Dynamik des Missionars oder durch die rhetorische Eloquenz des Verkündigers überwunden werden können. Menschen kommen deshalb zum Glauben, weil Gottes Macht im Kreuzestod Jesu offenbar wurde und im „Wort vom Kreuz“ verlorene Menschen beruft und rettet, weil Gottes Weisheit im Kreuzestod Jesu konkret wurde und in der Verkündigung des Kreuzes die Weisen als Toren entlarvt und die glaubenden Menschen vor dem Verderben rettet. Die Verkündigung des gekreuzigten Messias ist eine Provokation für menschliche Gottesvorstellungen.264 Das Wort vom Kreuz stellt die traditionellen Beweise für das Dasein Gottes in Frage. Wer ist der Gott der christli————————————————————
264
Für das Folgende vgl. Barrett, Paulus als Missionar und Theologe, 9-13.
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chen Verkündigung, wenn er den Tod Jesu fordert? Der kosmologische Gottesbeweis schließt von der Bedingtheit alles Seienden auf Gott als unbedingtes, absolutes Wesen. Wie soll man sich aber einen Gott vorstellen, der nicht verhindern kann, dass sein einziger und ewiger Sohn einen so schmählichen Tod stirbt? Der teleologische Gottesbeweis will Gott mit der Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt beweisen. Aber es gibt kein Ereignis, das so „außer der Ordnung“ ist, das so sinnlos ist, wie die Kreuzigung des Sohnes Gottes. Der moralische Gottesbeweis argumentiert, dass das moralische Bewusstsein und Empfinden des Menschen einen Urheber haben muss. Aber wie soll man sich einen Gott vorstellen, der durch die unmenschliche Strafe der Kreuzigung die Welt erlösen will? Im Kreuz Jesu zeigt sich, dass Gott sich nicht vor dem Forum menschlichen Denkens, Argumentierens und Urteilens verantwortet. Er ist nicht vom Kreuz herabgestiegen, um so seine Sache zu beweisen. Im Gegenteil, das Kreuz ist deutlicher Hinweis darauf, dass Gott von der Welt grundsätzlich verschieden ist. Mit menschlichen Maßstäben kann Gott und sein Handeln nicht erfasst werden. Deshalb besteht die Verkündigung des Evangeliums nicht in Argumenten für die Existenz Gottes, sondern in der Verkündigung des Kreuzes. Gott will nicht bewiesen, sondern im Gehorsam gegenüber der Botschaft vom gekreuzigten Messias und Kyrios erkannt werden. Rechte Verkündigung wird das Kreuz nie zum „Symbol der Religiosität“ werden lassen und in „erbauliche Watte“ packen. 265 Der Skandal des Kreuzes beseitigt alle religiöse Illusion und verweist uns an die barmherzige Allmacht Gottes, der Sünder in ihrer Ohnmacht rettet. Das Wort vom Kreuz ist auch eine Provokation für menschliche Vorstellungen von Jesus. Die Verkündigung vom Kreuz stellt die Frage nach der Identität Jesu: Wer ist Jesus, wenn Gott ihn in den Tod am Kreuz führt? Viele sehen in Jesus den Prediger der Feindesliebe und das Vorbild für Mitmenschlichkeit und Moralität. Solche romantischen Vorstellungen von Jesus werden angesichts der anstößigen Grausamkeit der Kreuzigung Jesu zunichte. Weshalb wurde er wie ein gefährlicher Verbrecher hingerichtet? Jesus ist die fleischgewordene Offenbarung von Gottes Macht, die rettet (V. 18), und deshalb zugleich die Offenbarung von Gottes Weisheit (V. 24) – in seinem Kreuzestod. Der Tod Jesu am Kreuz zeugt von Gottes Liebe zum Menschen. Er redet nicht aus der Ferne, sondern aus allergrößter Nähe. Er gibt nicht auf, er gibt sich selbst. Das Kreuz Jesu Christi zeigt, dass alle von Menschen ausgedachten Erlösungswege Irrwege sind: auf das Kreuz wäre kein Mensch gekommen. Das Kreuz zeigt, dass die Orientierung an religiösen Standards keine Lösung ist: der Mensch kann sich nicht selbst erlösen. Menschen ————————————————————
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Käsemann, Perspektiven, 64.69; Schrage I 201.
138 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
können nur errettet werden, wenn „von außerhalb“ Hilfe kommt: deshalb ist das Wort vom Kreuz „Gottes Macht“. Die Verkündigung vom Kreuz weiß, dass der Glaube eine creatio ex nihilo ist, die nur Gott schaffen kann. Das Wort vom Kreuz ist schließlich eine Provokation für moderne Evangelisationstechniken. Die rettende Macht, die das Wort vom Kreuz ansagt, hängt weder von einer perfekten Organisation, noch von begeisternden musikalischen Darbietungen oder von einer rhetorisch brillianten Argumentation ab. Die wirksame Durchschlagskraft des Wortes vom Kreuz kommt immer nur von Gott, dessen Macht Jesus von den Toten auferweckt hat. Wenn man das Evangelium von Jesus Christus weitersagt, hilft eine bloße Rezitierung traditioneller (und durchaus richtiger) Glaubenssätze nicht weiter. Man muss das Leben und das Sterben Jesu erklären. Dies beinhaltet und erfordert Informationen über das Judentum. Eine evangelistische „Schnellbleiche“ kann dies nicht leisten. Aber solche Informationen können den Missionserfolg letztlich auch nicht garantieren. Dass Gott seinen Sohn den grausamen Tod am Kreuz sterben läßt, ist rational nicht begreifbar. Missionarische und evangelistische „Erfolge“ sind immer und ausschließlich das Resultat des machtvollen Handelns Gottes, der Verlorene ruft und zu Glaubenden macht.
Die Gemeinde des gekreuzigten Messias 1,26-31 I 26 Seht doch auf eure Berufung, Brüder! Da sind nicht viele Weise nach irdischen Maßstäben, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene, 27 sondern Gott hat das Törichte in der Welt erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und Gott hat das Schwache in der Welt erwählt, um das Starke zuschanden zu machen, 28 und Gott hat das Niedrige in der Welt und das Verachtete erwählt – das, was nichts ist –, um das, was etwas ist, zu vernichten, 29 damit sich kein Mensch vor ihm rühmen kann. 30 Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung, 31 damit, wie geschrieben steht: „Wer sich rühmt, rühme sich des Herrn“.
II Nach der Darstellung des Evangeliums vom gekreuzigten Messias in 1,18-25 erläutert Paulus in 1,26-31 die Konsequenzen für die Gemeinde. W. Schrage
Die Gemeinde des gekreuzigten Messias 1,26-31 139 ————————————————————————————————————
klassifiziert den Abschnitt als exemplum: Paulus erinnert die korinthischen Christen an ihre eigene Erfahrung, die somit als Beweis dafür dient, dass die Wertmaßstäbe der Gesellschaft überholt sind. 266 Weil 1,26-31 jedoch mit den Stichworten „Weise, Mächtige, Angesehene, Welt“ und „rühmen“ den zu verhandelnden Gegenstand der Parteiungen behandelt, ist der Text nicht als „Beispiel“ zu verstehen, sondern eher als descriptio 267 oder einfach als Fortsetzung der Argumentation, in der es Paulus darauf ankommt, nicht nur die hermeneutische Bedeutung des Kreuzes Jesu zu betonen, sondern auch die verwandelnde Kraft des Kreuzestodes Jesu zu erläutern, die zu gesellschaftlichen und ethischen Konsequenzen und zu einem veränderten Verhalten in der Gemeinde führt. 268 Gliederung. V. 26 setzt mit einem Imperativ und einer direkten Anrede ein. Paulus fordert die Korinther auf, sich daran zu erinnern, wer sich in Korinth alles bekehrt hat, was in einem ο« τι-Satz in drei Gliedern erläutert wird: nicht viele Weise, Mächtige oder Angesehene (dreifache Anaphora ου πολλοι' ). V. 27-28 greifen diese drei Glieder auf und beschreiben in drei parallelen Sätzen das Erwählungshandeln Gottes (drei Hauptsätze mit jeweils einem finalen «ι να-Satz), wie die korinthischen Christen dieses konkret erfahren haben: es haben sich Törichte, Schwache und Niedrige bekehrt. Der Gegensatz zwischen Gott und der Welt, der bereits in V. 18-25 wichtig war, wird im Hinblick auf die Gestalt der korinthischen Gemeinde wieder aufgenommen. Paulus stellt drei Mal του^ κο' σμου betont ο θεο' ς entgegen. Dem „Zunichtemachen“ der Weltweisheit V. 19-21 entspricht in V. 26-28 die Erwählung der Geringen. V. 29 beschreibt aus negativer Perspektive die Folge der göttlichen Erwählung der Törichten, Schwachen und Niedrigen: Niemand darf sich vor Gott rühmen. V. 30 setzt mit einer einleitenden Präpositionalkonstruktion neu ein und formuliert grundsätzlich das Sein in Christus Jesus, dessen beabsichtigte Folge (ι«να) in V. 31, mit einem Zitat aus Jer 9,23/1Sam 2,10 LXX, positiv V. 29 aufnimmt. Textkritische Anmerkungen. In V. 26 ersetzen Vertreter des westlichen Textes γα' ρ durch ου ν (D F G), was das Argument des Apostels jedoch umkehrt.269 In V. 28 fügen mehrere Zeugen und der Mehrheitstext (א2 B C3 D2 Ψ 1881 Byz f r vg sy) vor τα` μη` ο» ντα ein και' ein; sie verkennen, dass τα` μη` ————————————————————
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Schrage I 204; vgl. Quintilian, Or. 5,11,6. Kleinknecht, Gerechtfertigte, 210 bestimmt 1,26-31 als empirische Verifikation der thetischen Aussagen von 1,18-25. Lindemann 49, mit Verweis auf A. W. Halsall, HWR II, 549-553. Thiselton 175; vgl. Brown, Cross, 14-25, die aus der Sprechakttheorie den Ausdruck „performativ“ (eine Äußerung, mit der man etwas tut) borgt, um das „Wort vom Kreuz“ zu beschreiben; s. auch Pickett, Cross, 24-27. Barrett 56; Thiselton 178; Zuntz, Text, 203 (Beeinflussung durch Eph 5,15).
140 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
ο» ντα kein Glied der vorausgehenden Aufzählung ist, sondern eine Näherbestimmung aller Glieder darstellt.270
III 26 Der einleitende Imperativ271 βλε'πετε (vgl. 8,9; 10,18; 16,10) und die Anrede mit α δελφοι' spricht die korinthischen Christen direkt an. Nachdem Paulus in 1,18-25 grundsätzlich theologisch und christologisch argumentiert hatte, stellt er sicher, dass seine Leser wissen, dass es in diesem ganzen Abschnitt um die Probleme in ihrer Gemeinde geht. Die Aufforderung seht weist die Korinther an, sich die empirische Geschichte und Gestalt ihrer Gemeinde in Erinnerung zu rufen und die sich daraus mit Notwendigkeit ergebenden Schlussfolgerungen zu erkennen. Die Anrede mit Brüder (nach 1,10) macht deutlich, dass Paulus die korinthischen Christen trotz der „Fraktionen“ in der Gemeinde nach wie vor als eine Gemeinde anspricht.272 Die Korinther sollen sich an ihre Berufung erinnern. Die Wendung η κλη^ σις υ μω ^ ν nimmt αυ τοι^ς δε` τοι^ς κλητοι^ς V. 24 (s. dort) auf und erinnert an 1,2.9, wo Paulus die korinthischen Christen als „Berufene“ bezeichnet hatte. Paulus versteht unter „Berufung“ den Ruf Gottes, der die Korinther durch seine missionarische Verkündigung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus als Messias und Kyrios erreicht und infolge der Macht und Weisheit Gottes zum Glauben an Jesus Christus und so zum Heil geführt hatte. 273 Der folgende ο« τι-Satz ist eine Ellipse; zu ergänzen ist ε κλη' θησαν274 oder ει σι' ν.275 Die Litotes ου πολλοι' (nicht viele) bedeutet „sehr wenige“. Weise (σοφοι' ) sind die Gebildeten, die Intellektuellen. Mächtige (δυνατοι' ) sind die wirtschaftlich Vermögenden und die gesellschaftlich Einflussreichen.276 Angesehene (ευ γενει^ς) sind die Angehörigen der aristokratischen Familien der Stadt.277 Dass Paulus an Menschen mit gehobenem Sozialstatus denkt, zeigt Philo, der in ähnlicher Weise Starke, Mächtige und Verständige miteinander verbindet.278 Dio Chrysostomus schreibt, dass die Klasse der „Unwis————————————————————
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Bachmann 102; Zuntz, Text, 211; Metzger, Textual Commentary, 480; Thiselton 183. Schlatter 93 und Barrett 56 wollen βλε' πετε als Indikativ verstehen. Lindemann 49. In GN („Schaut doch euch selbst an, Brüder und Schwestern! Wen hat Gott denn da berufen?“) ist der Bezug der Berufung auf die Korinther nur ein indirekter, was dem Text nicht entspricht. Hfa löst die Berufung in den Satz „Jesus nachfolgen“ auf. Angemessener NGÜ: „Was für Leute hat Gott sich ausgesucht, als er euch berief?“ Heinrici 78. Schrage I 208; Kammler, Kreuz, 129 Anm. 11; vgl. die parallele Aussage V. 20a. Sänger, Die δυνατοι', 285-291; vgl. Schrage I, 208; Lindemann 49; Kammler, Kreuz, 130. Schrage I 209, der unnötigerweise das Wort „Bourgeoisie“ verwendet. Philo, Som. 155; vgl. Theißen, Studien, 233.
Die Gemeinde des gekreuzigten Messias 1,26-31 141 ————————————————————————————————————
senden“ die Nachkommen der Familien mit altem Reichtum ευ γενει^ς nennen.279 Neuere Ausleger interpretieren die drei Bezeichnungen konkreter als Hinweis auf die Sophisten und die von den Sophisten unterrichteten Angehörigen der lokalen Eliten: die δυνατοι' und ευ γενει^ς repräsentieren jene Bürger, die von den Sophisten unterrichtet wurden, und die σοφοι' sind die Sophisten, deren Eltern oder Vorfahren δυνατοι' und ευ γενει^ς waren.280 Die Begriffe „Weise, Mächtige, Angesehene“ in V. 26 beschreiben Angehörige der herrschenden Klasse Korinths, unter denen sich Redner und Sophisten befinden. 281 Die Näherbestimmung nach irdischen Maßstäben (κατα` σα' ρκα) verweist auf das Kriterium, nach dem Menschen zu den Weisen, Mächtigen und Angesehenen gerechnet werden:282 σα' ρξ meint hier nicht die (Menschen-)Welt in ihrem widergöttlichen Wesen,283 sondern verweist (zunächst neutral) auf die Maßstäbe, die in der Gesellschaft gelten. 284 Gerade in diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass man die Formulierung ου πολλοι' wörtlich verstehen muss: es gab unter den korinthischen Christen in der Tat solche, die Mitglieder der herrschenden Klasse waren.285 Erastus der Stadtkämmerer (ο οι κονο' μος τη^ ς πο' λεως, Röm 16,23) war einer von ihnen (s. die Einleitung). A. Schlatter kommentiert: „Die allein bestimmende Freiheit des göttlichen Wirkens zeigt sich auch darin, daß es in der Gemeinde auch Weise, Mächtige und Vornehme gab. Nichts, was der Mensch ist und hat, zieht Gottes Gnade zu ihm herab; aber auch nichts, was der Mensch ist und hat, verwehrt es Gott, ihn zu begnadigen.“ 286 Dieses Urteil ist nicht nur „abstrakt betrachtet“ theologisch korrekt:287 die Berufung von V. 26a bezieht ————————————————————
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Dio Chrysostomus, Or. 15,29-30: οι ε κ τω^ ν πα' λαι πλουσι'ων και` τω ^ ν ε νδο' ξων υ πο' τινων ευ γενει^ς ε κλη' θησαν. Munck, Paulus, 155-156 mit Anm. 68; Winter, Philo and Paul, 187-191; Clarke, Leadership, 41-46; Thiselton 182. Munck verweist auf Philostratus und Diogenes Laertius. Die Studien von Bowersock, Sophists; Bowie, Sophists; Winter, Philo and Paul, bestätigen Muncks Analyse. NW II.1 unterlässt es, auf diese Parallelen hinzuweisen. Winter, Philo and Paul, 191 Anm. 64 verweist auf die Inschrift Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 226 (ca. 170-200 n.Chr.), die den Redner Publius Aellius Sospinus ehrt, der die kostenträchtige Liturgie des Präsidenten der Isthmischen Spiele drei Mal übernahm. Lindemann 50 bleibt, ohne gute Gründe zu nennen, skeptisch. Der Ausdruck bezieht sich nicht nur auf die πολλοι` σοφοι', sondern auch auf die δυνατοι' und ευ γενει^ς; vgl. Lightfoot 165; Robertson/Plummer, 25; Fee 79-80; anders Meyer 45; Heinrici 79; Bachmann 101; Conzelmann 70; Schrage I 209. Schrage I 211. Lietzmann 10; Bousset 79; Merklein I 198; Lindemann 49. Menge „im Sinn der Welt“; GN, NGÜ „nach menschlichen Maßstäben“. Lindemann 50. Bengel formuliert prägnant: Non multi. Ergo tamen non nulli. Schlatter 95; vgl. Wolff 42. Kammler, Kreuz, 131 Anm. 23, der argumentiert, Paulus hebe „einzig“ auf die Erwählung der Törichten, Schwachen und Unedlen ab, was eo ipso die Verwerfung der Weisen,
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sich notwendigerweise auf die ganze, direkt angesprochene korinthische Gemeinde, zu der laut V. 26b auch einige Glaubende gehören, die man zu den Weisen, Starken und Vornehmen rechnet. 27-28 Den wenigen Weisen und Starken in der Gemeinde stehen die vielen korinthischen Christen gegenüber, die man zur Klasse (man beachte die neutrischen Formulierungen)288 der Törichten (τα` μωρα' ) und Schwachen (τα` α σθενη^ ), der Niedrigen (τα` α γενη^ ) und Verachteten (τα` ε ξουθενημε' να) rechnet. Diese Bezeichnungen ergeben sich aus den menschlichen Maßstäben der Welt: das dreifache του^ κο' σμου entspricht dem κατα` σα' ρκα V. 26. In V. 28 verweist Paulus mit der Wendung τα` μη` ο» ντα (das, was nichts ist) auf „die schärfste Form sozialer Diskriminierung“.289 B. Winter verweist auf einen Text Philos, der eine Debatte zitiert, in der die Sophisten ihren Lebensstil verteidigen (Det. 33-45) und ihren gesellschaftlichen Status, ihren Reichtum und ihren Erfolg mit der Obskurität, der Armseligkeit und der Niedrigkeit ihrer Gegner vergleichen.290 Die beiden „Listen“ in V. 26-28 sehen ganz ähnlich aus: den Weisen, Mächtigen und Angesehenen in der Gesellschaft Korinths stehen die Törichten, Schwachen, Niedrigen und Verachteten gegenüber. Die meisten Gemeindeglieder Korinths gehörten den niedrigen Schichten an; zu denken ist an Freigelassene, einfache Handwerker, Landarbeiter, Hafenarbeiter, Arbeiter in der Unterhaltungs- und Tourismusindustrie, städtische Angestellte, Sklaven (vgl. 7,21; 12,13). Die dreifach wiederholte Wendung ε ξελε'ξατο ο θεο' ς betont das erwählende Handeln Gottes. Paulus betont, dass Gott die Törichten, Schwachen, Niedrigen und Verachteten erwählt hat. Wen Gott erwählt hat, der darf von Christen nicht gering geschätzt werden (vgl. die Diskussion über das Götzenopferfleisch und das falsche Verhalten beim Herrenmahl in Kap. 8–10; 11). Hier betont Paulus den Sinn des göttlichen Erwählungshandelns mit zwei identischen «ινα-Sätzen und einem weiteren parallelen «ινα-Satz: «ινα καταισχυ' νη, V. 27a, «ινα καταισχυ' νη, V. 27b, «ινα . . . καταργη' ση, V. 28. Gott wird die ————————————————————
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Starken und Vornehmen beinhalte. Godet I 57; seine Interpretation, dass die Neutra eine Masse bezeichnen, in der die Einzelperson wenig Wert hat, ist in den Text hineingetragen. Im Sinn des verächtlichen Urteils der oberen Kreise interpretieren Klauck 26; Kremer 46; Wilckens, Weisheit, 41; Baumann, Mitte, 127; Weder, Kreuz, 158 Anm. 138; zur Kritik s. Schrage I 210. BDR §138.1 mit Anm. 1 erklärt die Wahl des Neutrums damit, dass es sich auf Personen bezieht, wenn es dem Autor „nicht auf die Individuen, sondern auf eine generelle Eigenschaft ankommt“. Lindemann 50, mit Verweis auf Epiktet, Diss. 3,9,14; vgl. Hollander 37. Die Interpretation von τα` μη` ο» ντα im Sinn der Kosmologie (vgl. Röm 4,17), vertreten von Weiss 37; Strobel 55; Schrage I 212; Voss, Kreuz, 114-115, ist nicht kontextgemäß. Zur Kritik vgl. Kammler, Kreuz, 134-135. Winter, Philo and Paul, 107-109.192-193.
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Weisen, Mächtigen und Angesehenen zuschanden machen und vernichten. Die Verben καταισχυ' νω und καταργε'ω sind nicht psychologisch oder moralisch zu verstehen. Auch eine sozialkritische Interpretation geht ins Leere: Es geht nicht um die Umwertung der geltenden Maßstäbe;291 dies würde bedeuten, dass jetzt die Armen und die Machtlosen den Ton angeben und über die Weisen und Mächtigen bestimmen. Paulus geht es jedoch nicht um die Aufwertung der Armen, sondern um das rettende Erwählungshandeln Gottes. Die Verben haben eine objektiv-eschatologische Bedeutung: Gott übergeht (weithin) die Angehörigen der gesellschaftlichen Elite Korinths, an denen sich Gottes Gericht vollziehen wird.292 29 Das Ziel, das Gott mit seinem erwählenden und verwerfenden Handeln verfolgt, wird in V. 29 prägnant mit einem Finalsatz (ο« πως) formuliert: damit sich kein Mensch vor ihm rühmen kann. Es gibt kein Rühmen der Weisen, Mächtigen und Angesehenen Korinths, das vor Gott zählt. Das Verb καυχα^σθαι bedeutet in Verbindung mit der Wendung ε νω' πιον του^ θεου^ : „vor Gott im Blick auf die eigene Person einen Anspruch erheben“. 293 Der Aorist καυχη' σηται bezieht sich auf das Endgericht, hat aber für das Verhalten in der Gemeinde konkrete Konsequenzen. Rettung und Heil aller Glaubenden sind ausschließlich an das Erwählungshandeln Gottes gebunden und deshalb von allen menschlichen Kriterien, mit denen der gesellschaftliche Status bestimmt wird, unabhängig. Deshalb ist es auch vollkommen sinnlos, wenn sich die korinthischen Christen auf bestimmte Apostel und Lehrer berufen, um einen Zugewinn an Status zu erreichen. Die Wendung πα^ σα σα' ρξ bezeichnet die von Vergänglichkeit gekennzeichnete Welt der Menschen in ihrer Gesamtheit (vgl. Jes 40,5-6). Paulus verwendet diese Formulierung sonst nur noch in Röm 3,20 und Gal 2,16, wo es um die Rechtfertigung geht, die im Kontext von V. 29 mit den wiederholten Verweisen auf das Erwählungshandeln Gottes angesprochen ist. 30 Der Satz von ihm her seid ihr in Christus Jesus (ε ξ αυ του^ δε` υ μει^ς ε στε ε ν Χριστω ^, Ιησου^ ) erklärt die in V. 27-29 beschriebene Erwählung der Schwachen, Niedrigen, Verachteten und Nicht-Seienden im Hinblick auf die ————————————————————
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So Lindemann 50-51; der Verweis auf SyrBar 70,4-5 ist wenig hilfreich, da es dort um die Beschreibung von apokalyptischen Ereignissen geht, während Paulus von der korinthischen Gemeinde im 1. Jh. und vom Endgericht redet. Fee 83; Schrage I 211; Kammler, Kreuz, 132-133 mit Anm. 33. Zum atl. Hintergrund von καταισχυ' νω vgl. R. Bultmann, ThWNT I, 188-189. Für die Bedeutung von καταργε' ω „ungültig machen, außer Wirksamkeit setzen“ in den Papyri verweist Arzt-Grabner 108 auf P.Oxy. I 38; PSI Congr.XX 11. Lindemann 51.
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Quelle294 und Ursache295 (ε ξ αυ του^ ) ihrer neuen Existenz:296 Gott hat sie zum Sein „in Christus Jesus“ berufen.297 Paulus betont das barmherzige Handeln Gottes, d.h. den Willen Gottes, sie zu retten (V. 21), sie zu berufen (V. 24.26) und sie zu erwählen (V. 27-28). In Eph 2,8-9 formuliert er den Gedanken ausführlicher: „Denn aus Gnade seid ihr durch Glauben errettet, und das nicht aus euch (ου κ ε ξ υ μω ^ ν): Gottes Gabe ist es (θεου^ το` δω ^ ρον), nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.“ Die Formulierung in Christus Jesus (ε ν Χριστω^, Ιη σου^ )298 hat keine konstante „techni-sche“ Bedeutung. Viele Ausleger gehen von der lokalen Bedeutung von ε ν als der ur-sprünglichen Bedeutung von „in Christus“ aus – interpretiert im Sinne der Identität von Christus (quasi-physisch verstanden) und dem Geist, „in“ dem die Gläubigen le-ben (A. Deissmann, W. Bousset), oder im Sinn des Mythos des kosmischen Urmen-schen (H. Schlier, E. Käsemann, U. Schnelle), oder im Sinn einer Christus-Mystik, die sich an die jüdische Erwartung einer physischen Vereinigung der Erwählten mit dem Messias anschließt (A. Schweitzer), oder im Sinn der Vorstellung der „corporate personality“, d.h. einer übergreifenden Persönlichkeit, mit dessen Erfahrung und Schicksal die einzelnen Glieder der Gemeinschaft verbunden sind (H. Wheeler Robinson, E. Best, C. F. D. Moule).299 Die Verwendung in den paulinischen Briefen ist in einem dreieckigen Bedeutungsfeld zu verstehen, dessen „Ecken“ durch die lokale, instrumentale und modale Bedeutung der Formulierung markiert werden.300 Stellen, in denen von der Gemeinde als Leib Jesu die Rede ist und das „Sein“ der Erretteten „in Christus“ ansprechen (Röm 16,7.22; Gal 1,22; 1Thess 3,8; 2Kor 12,2), setzen die lokale Bedeutung voraus: die an Jesus Christus Glaubenden gehören zu dem von Jesus Christus markierten „Bereich“, in dem durch seinen Tod und seine Auferstehung die seit Adam bestehende Unheilsgeschichte aufgehoben wurde und in dem die neue Menschheit des neuen Bundes lebt (vgl. 1Kor 15,22; Röm 5,12-21; Gal 3,28; Eph 4,22-24; Kol 3,9-11). Stellen, in denen von der Heilstat Gottes die Rede ist, die durch Jesus Christus Erlö————————————————————
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EÜ, ZB „von ihm her“, Menge „von Gott her“, GN „euch hat Gott“. LÜ, SÜ „durch ihn“; vgl. Wilckens. Schrage I 213; Thiselton 188-189; Garland 79 verbinden beide Gedanken. Das ε στε ist wohl nicht als selbständiges Prädikat von ε ν Χριστω ^, Ιησου^ zu konstruieren (Weiss 39; Schlatter 97; Allo 21; Moffatt 20; jüngst Lindemann 51: die schwachen und niedrigen Korinther sind durch Gott zu wirklich Seienden geworden), sondern mit ε ξ αυ του^ zu verbinden; Kümmel 169; Merklein I 200; Schrage I 213. Paulus verwendet auch ε ν Χριστω ^, und ε ν κυρι'ω, , ein Mal ε ν Ιησου^ , nie ε ν Ιησου^ Χριστω ^, . Zur ε ν Χριστω ^, Ιη σου^ Formel vgl. A. Oepke, ThWNT II, 537-538; W. Grundmann, ThWNT IX, 544; F. Hahn, EWNT III, 1159; B. Witherington DPL, 98-99; M. A. Seifrid, DPL, 433-436. Zur Kritik an der Auffassung, die von einer primär lokalen (und quasi-physischen) Vorstellung ausgeht, vgl. Neugebauer, In Christo, 124-138; Bouttier, En Christ; zur Kritik an der Vorstellung des kosmischen Urmenschen vgl. Roloff, Kirche, 92-93; zur Kritik an der oft vertretenen Vorstellung der „corporate personality“ vgl. Wedderburn, Observations, 83-97; Porter, Two Myths, 289-307; Perriman, Corporate Christ, 241-263. M. A. Seifrid, DPL, 433.
Die Gemeinde des gekreuzigten Messias 1,26-31 145 ———————————————————————————————————— sung bewirkt hat (vgl. Röm 3,24; 2Kor 5,19), haben eine instrumentale Bedeutung: Jesus Christus ist das Instrument des Heilshandelns Gottes, „durch“ ihn hat Gott die Welt mit sich versöhnt. Die modale Bedeutung bezeichnet die „Art und Weise“, in der Paulus z.B. „in Christus“ die Wahrheit spricht (Röm 9,1). In V. 30 ergibt sowohl die instrumentale als auch die lokale Bedeutung einen Sinn. Die korinthischen Gemeindeglieder wurden durch Jesus Christus, d.h. durch seinen Tod am Kreuz errettet, deshalb sind sie „in Christus“. Als Glaubende gehören sie zur Gemeinde und damit zu dem Bereich, „in“ dem das Heilshandeln Gottes aus Verlorenen Errettete und aus Unheiligen Heilige gemacht hat und macht.301
Gott hat Jesus Christus für uns zur Weisheit gemacht. Die Wendung ο ς ε γενη' θη σοφι' α η μι^ν greift V. 24 Χριστο` ν θεου^ δυ' ναμιν και` θεου^ σοφι' αν auf (s. dort). Die folgenden drei Glieder der Aufzählung machen deutlich, dass „Weisheit“ in V. 30 als Heilsbegriff zu verstehen ist. Paulus betont, dass die korinthischen Christen theologisch legitim nur dann von „Weisheit“ reden, wenn sie diese auf Jesus Christus beziehen bzw. durch Jesus Christus von Gott302 empfangen. Die nächsten drei Glieder der Liste – Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung – können als weitere Prädikate neben der zuerst genannten Weisheit interpretiert werden, 303 oder als epexegetische Näherbestimmung zu „Weisheit“.304 Neben der Syntax305 macht der Kontext die zweite Interpretation wahrscheinlicher: Der zwischen Paulus und den Korinthern umstrittene Begriff der „Weisheit“ bedarf der weiteren Klärung, was Paulus durch die „Definition“ wahrer Weisheit im Sinne des rettenden Heilshandelns Gottes erreicht. Gerechtigkeit (δικαιοσυ' νη)306 ist Gottes Gerechtigkeit für die Ungerechten – die Heilsmacht und die Heilsgabe Gottes, die im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi offenbart und wirklich wurde und von den Verlorenen durch den Glauben an Jesus Christus ergriffen und erfahren ————————————————————
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Vgl. Schrage I 214, der schreibt: „In Christus ist man nur durch Christus . . . Man ist nur so in Christus, daß man in seiner Gemeinde ist“. Die präpositionale Wendung α πο` θεου^ ist auf ε γενη' θη zu beziehen, nicht auf σοφι'α (wie Schlatter 97; Merklein I 201; Vos, Argumentation, 46, vorschlagen); vgl. Meyer 50; Godet I 60; Heinrici 83; Weiss 40; Kammler, Kreuz, 138. LÜ, SÜ, Menge, MNT; Meyer 49; Godet I 60-61; Bousset 80; Schlatter 97; Lietzmann 10-11; Grosheide 53; Conzelmann 73 Anm. 27; Schrage I 215; Voss, Kreuz, 120. EÜ; Lightfoot 167; Heinrici 81; Weiss 41; Robertson/Plummer 27; Fee 85-86; Merklein, 201; Kammler, Kreuz, 138-139. Bender, Bemerkungen, 263-268 will ο ς ε γενη' θη σοφι'α η μι^ν α πο` θεου^ als Parenthese verstehen („ihr seid die Gerechtigkeit“). Zwischen σοφι'α und den drei folgenden Gliedern ist η μι^ν α πο` θεου^ geschoben, und die drei Vokabeln δικαιοσυ' νη, α γιασμο' ς und α πολυ' τρωσις sind durch τε και' . . . και' als Trias gekennzeichnet. Das Substantiv kommt im 1Kor nur hier vor; für das Verb vgl. 4,4; 6,1; in 2Kor wird δικαιοσυ' νη sieben Mal gebraucht (im Römerbrief 33 Mal).
146 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
wird.307 Heiligung (α γιασμο' ς) ist ebenfalls das Werk Gottes „in Christus Jesus“, durch das die korinthischen Gläubigen zu „Geheiligten“ (V. 2) wurden. Bei Paulus bezeichnet das Wort „Heiligung“ sonst oft das dem Heilsstand entsprechende Leben für Gott (vgl. Röm 6,19.22; 1Thess 4,3-4.7), oft imperativisch beschrieben und angemahnt. Dieses ethische Moment spielt in V. 30 jedoch keine Rolle, wie die Stellung des Wortes zwischen „Gerechtigkeit“ und „Erlösung“ zeigt. Paulus spricht hier von „Heiligung“ als „Gabe und Gnade Gottes“, deren „Grund und Vermittler“ der gekreuzigte Christus ist.308 A. Schlatter kommentiert die Verbindung von „Gerechtigkeit“ und „Heiligung“ so: „Die Befreiung von der Schuld, die durch die Verwerflichkeit unseres Begehrens entsteht, durch die Gewährung der Rechtschaffenheit, die uns das göttliche Wohlgefallen verleiht, und die Beseitigung der Entfernung von Gott durch die Gewährung der Verbundenheit mit ihm, die uns Anteil an der göttlichen Würde und Reinheit gibt, beides wird durch dasselbe Erlebnis empfangen; beides haftet für die Gemeinde vollständig an dem, was Christus für sie ist, und ist die Gabe, die ihr von Gott aus zugeteilt wird“.309 Erlösung (α πολυ' τρωσις) kann sich in juristischen Zusammenhängen auf den Loskauf von Gefangenen oder Sklaven beziehen, ist aber in der LXX nicht mit dem Gedanken eines Kaufpreises oder eines Lösegeldes (λυ' τρον) verbunden, sondern bezieht sich, z.B. im Hinblick auf das Exodusgeschehen, auf die Rettung Israels durch das machtvolle Eingreifen Jahwes. 310 Paulus meint hier, im Kontext von „Gerechtigkeit“ und „Heiligung“, die Befreiungstat Gottes, die durch den Kreuzestod Jesu Christi Erlösung erwirkt hat, vor allem die Befreiung von Schuld durch die Vergebung der Sünden. Paulus betont mit der Trias von „Gerechtigkeit, Heiligung, Erlösung“, dass Jesus Christus nicht nur der Grund und der Vermittler des Heils ist, sondern „dessen Inbegriff und also das Heil selbst“.311 Die Heilsgaben sind und bleiben an Jesus Christus gebunden, das Heil gibt es nur in der Bindung an ihn. Das bedeutet für die Loyalitätsbekundungen der korinthischen Christen gegenüber ihren Aposteln und Lehrern, dass solche Bindungen absurd sind – das Heil gibt es nicht „an sich“ und es wird auch nicht durch prominente Apostel vermittelt, von manchen Lehrern effektiver als von anderen Lehrern; das Heil gibt es nur „in Christus Jesus“, der die „Weisheit Gottes“ schlechthin ist. ————————————————————
307 308 309 310 311
Vgl. Röm 1,17; 3,21-22.25-26; 5,17.21; 10,3-10; 2Kor 5,21; Gal 2,21; 3,21; Phil 3,9. Weiss 42; vgl. Schrage I 216; Kammler, Kreuz, 140. Schlatter 97. Vgl. O. Procksch, ThWNT I, 333-334; K. Kertelge, EWNT I, 333-334; Schrage I 216. Das Wort λυ' τρον kommt nur in Mt 20,28 / Mk 10,45 vor, wird von Paulus jedoch nicht verwendet; vgl. aber die Interpretation von η γορα' σθητε τιμη^ ς in 1Kor 6,20; vgl. 7,23. Kammler, Kreuz, 141; ebd. für die folgende Bemerkung.
Die Gemeinde des gekreuzigten Messias 1,26-31 147 ————————————————————————————————————
31 Der abschließende Vers des Abschnitts folgert aus der Tatsache, dass Gott in Jesus Christus für das Heil in seiner ganzen Fülle gesorgt hat, dass für Christen nur das Rühmen des Kyrios übrig bleibt, d.h. das Rühmen von Aposteln und Lehrern ausgeschlossen ist. Paulus formuliert diese Schlussfolgerung mit einem Schriftzitat (καθω` ς γε'γραπται): „Wer sich rühmt, rühme sich des Herrn“ (ο καυχω' μενος ε ν κυρι' ω, καυχα' σθω; vgl. 2Kor 10,17). Das Zitat stammt aus Jer 9,23 LXX,312 ist aber auch mit 1Sam 2,10 LXX (wo MT erweitert ist) zu verbinden.313 Beide Texte wenden sich gegen das Rühmen von Weisheit, Macht und Reichtum und schärfen das exklusive Rühmen Gottes ein. In Jer 9,23b ist von Jahwe die Rede, der mit Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit handelt (Jer 9,23b), ein Gedanke, den Paulus in V. 30 aufnimmt. Das Gebet Hannas spricht in 1Sam 2,10 LXX von einer Umkehrung des Status der Armen und der Niedergeschlagenen, ein Thema, das Paulus in V. 27-28 aufgreift. In 1Sam 2,3 LXX wird das „Rühmen“ mit „Großsprecherei“ (μεγαλορρημοσυ' νη) verbunden, was der Begeisterung der Korinther für Rhetorik entspricht.314 Mit Herr kann Gott gemeint sein, 315 aber auch Jesus Christus:316 Paulus rühmt sich in Phil 3,3 Jesu Christi und in Gal 6,14 des Kreuzes Jesu Christi. In V. 31 formuliert Paulus absichtlich mit dem Imperativ des Zitats: an Jesus Christus Glaubende dürfen sich nur des Herrn rühmen.
IV Paulus erinnert die korinthischen Christen an ihre soziale Herkunft und an ihre Erfahrung als Menschen, die (in der Mehrheit) zu den Ungebildeten, Schwachen, Niedrigen und Verachteten Korinths gehören. Die Tatsache, dass Gott sie durch Jesus Christus erwählt und gerecht gemacht, geheiligt und erlöst hat, bedeutet, dass die Parolen, die prominente Apostel und Lehrer in den Mittelpunkt stellen und als Kriterium für Status und Einfluss propagieren, in der Gemeinde keinen Platz haben. Gott allein hat durch sein Handeln in Jesus Christus für Heil gesorgt – ohne die Mithilfe der Weisen, Mächtigen und Angesehenen, ja gerade gegen die herrschende Klasse, deren „Weisheit“ sich angesichts des Kreuzestodes Jesu, durch den Gott Heil schafft und schenkt, als Torheit erweist. Wenn manche Ausleger von einer „Umwertung ————————————————————
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Jer 9,23: ε ν του' τω, καυχα' σθω ο καυχω' μενος, συνι'ειν και` γινω' σκειν ο« τι ε γω' ειμι κυ' ριος. 1 Sam 2:10: ε ν του' τω, καυχα' σθω ο καυχω' μενος, συνι'ειν και` γινω' σκειν το` ν κυ' ριον. Vgl. Hays 34-35; Ciampa /Rosner 699-700. Hays, Conversion, 16; vgl. Ciampa /Rosner 700. Weiss 43, der Gott als das logische Subjekt von V. 26-30 betont; vgl. Schlatter 97. Bousset 80; Lietzmann 11; Fee 87; Merklein I 203; Kremer 47.
148 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
aller Werte“ sprechen,317 so trifft das nicht allgemein zu, sondern bezieht sich auf die Werte, mit denen in der römischen Gesellschaft Korinths der „Wert“ von Personen bemessen wurde, d.h. auf die Bildung, die in der öffentlichen Rede demonstriert wird, und auf den damit gegebenen gesellschaftlichen Status als einflussreiche, mächtige und angesehene Bürger der Stadt. Diese Werte spielen angesichts des Kreuzestodes Jesu keine Rolle mehr, was sich in der Zusammensetzung der korinthischen Gemeinde zeigt. Wenn es um Gottes Erwählungshandeln und um die Bekehrung von Menschen geht, so sind es gerade die Niedrigen und Verachteten, die sich dem Evangelium geöffnet haben und zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Deshalb dürfen es die korinthischen Christen nicht zulassen, dass diese „säkularen“ Werte im Leben der Gemeinde doch wieder eine Rolle spielen. Selbstruhm ist ausgeschlossen – die Schrift gebietet, dass man sich des Herrn rühmt. Die christliche Legitimation des Adels318 geht auf Hieronymus zurück, der erklärte, die Berufung der kleinen Leute sei nur am Anfang der Kirche notwendig gewesen, jetzt sei es notwendig und hilfreich, Noble und Mächtige in der Kirche zu haben. Im Blick auf den privilegierten Zugang des Adels zu den höheren kirchlichen Ämtern argumentierte Gerson im 15. Jahrhundert, dass Paulus keine innerweltliche Gleichmacherei gefordert habe. Es war Blumhardt, der in einer Ansprache über 1Kor 1,23-24 ausgeführt hat, dass Christen „auf eine gewisse hohe gebildete Gesellschaft“ verzichten und sich zu den Menschen halten müssen, „die am Boden liegen“. In der Befreiungstheologie wird 1Kor 1,26-31 oft gegen soziale Gleichgültigkeit angeführt. W. Schrage formuliert: „Sowenig Sozialstatus und Weisheitsniveau über die Wahrheit entscheiden, sosehr bleibt es dabei, daß da, wo die Kirche die Rechtfertigung der Gottlosen und die Annahme der Niedrigen predigt, sie nicht auf die Großen setzen, mit den Mächtigen paktieren und den Weltweisen das Wort überlassen kann“. 319
Die missionarische Predigt vom gekreuzigten Messias 2,1-5 I 1 Und ich bin, Brüder, als ich zu euch kam, nicht mit einem Übermaß an Beredsamkeit oder Weisheit gekommen, als ich euch das Geheimnis ————————————————————
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Schrage I 217, der allerdings zu Recht bemerkt, dass Paulus „keine Umkehrung der Klassenunterschiede“ ankündigt. Vgl. Schreiner, Legitimation, 323-324.341-342; zur Wirkungsgeschichte vgl. Schrage I 218-222 (ebd. 221 zu Blumhardt und zur Befreiungstheologie). Schrage I 221-222.
Die missionarische Predigt vom gekreuzigten Messias 2,1-5 149 ————————————————————————————————————
Gottes verkündigte. 2 Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten. 3 Und ich bin in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern bei euch gewesen, 4 und mein Wort und meine Verkündigung erging nicht mit Überredungskunst der Weisheit, sondern im Beweis des Geistes und der Kraft, 5 damit euer Glaube nicht auf menschlicher Weisheit beruhe, sondern auf der Macht Gottes.
II Nachdem Paulus das Evangelium vom gekreuzigten Messias (1,18-25) und die Gemeinde als Gemeinde des gekreuzigten Messias behandelt und gegen die Parteiparolen der korinthischen Christen gestellt hat (1,26-31), skizziert er in 2,1-5 seine missionarische Verkündigung als Wort vom Kreuz. Die Anrede mit „Brüder“ markiert 2,1 als Beginn eines neuen Abschnitts, der zahlreiche Beziehungen zu 1,17-25 aufweist.320 Gliederung. Paulus schildert in V. 1-2 sein Verhalten und seine Verkündigung als Pioniermissionar in Korinth, in V. 3-4 die Form seiner missionarischen Verkündigung. V. 5 nennt den Grund für sein Auftreten und für den Inhalt und die Form seiner Verkündigung.321 Die von Paulus verwendete Begrifflichkeit – λο' γος, υ περοχη' , σοφι' α (V. 1), λο' γος, πειθω' , σοφι' α, α πο' δειξις, δυ' ναμις (V. 4), πι' στις, σοφι' α, δυ' ναμις (V. 5) – stammt aus dem Bereich der Rhetorik und zeigt, dass Paulus sich von dem Beifall heischenden Auftreten zeitgenössischer sophistischer Redner abgrenzt. 322 Textkritische Anmerkungen. In V. 1 lesen viele Handschriften μαρτυ' ριον („Zeugnis“) statt μυστη' ριον (א2 B D F G Ψ 33 81 614 1739 1881 Byz;323 μυστη' ριον wird von d46vid *אA C gelesen).324 Die beiden Vokabeln können in Majuskelschrift leicht verwechselt werden. Weil μαρτυ' ριον bei Paulus selten ist, kann es als die schwierigere Lesart gelten, außerdem passt das Wort zur Beschreibung der pioniermissionarischen Verkündigung, um die es geht.325 Das Wort μυστη' ριον ist nicht so gut (alexandrinische Lesart), dafür ————————————————————
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Vgl. Schrage, 223; Kammler, Kreuz, 144-145. Kammler, Kreuz, 148 teilt aufgrund des wiederholten κα γω' in die Abschnitte V. 1-2 (Inhalt der Missionsverkündigung) und V. 3-5 (Wirkung und Evidenz der Verkündigung). Lim, Words of Wisdom, 146-147; Litfin, Proclamation, 205-206; Winter, Philo and Paul, 145-155; Pogoloff, Logos, 99-178; Bullmore, Rhetorical Style, 173-222; vgl. Hays 35-36; Lindemann 53; Thiselton 218 (von Schrage I 233 nur als Nebenton anerkannt). Zu beachten ist, dass πειθω' und α πο' δειξις im NT hapax legomena sind. So auch NA25; EÜ, SÜ, ZB, NRSV, TNIV, z.T. mit Verweis auf die alternative Lesart. Zur Diskussion s. Voss, Kreuz, 125-126; Kammler, Kreuz, 149-151. Vgl. Fee 88 Anm.1, der für μαρτυ' ριον als die ursprüngliche Lesart argumentiert; ebenso Zuntz, Text, 101; Barrett 62-63; Wolff 47; Wilckens, Zu 1 Kor 2,1–16, 504 Anm. 4; Winter, Philo and Paul, 156 Anm. 51; Voss, Kreuz, 125-126.
150 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
aber sehr früh bezeugt; es ist dem Kontext angemessen und bereitet V. 7 vor, während μαρτυ' ριον eine Erinnerung an 1,6 sein könnte, ein Umstand, der es nahelegt, μαρτυ' ριον als sekundär zu betrachten.326 Zur Wendung ε ν πειθοι^ς σοφι' ας λο' γοις V. 4 „in überredenden Worten der Weisheit“ ( )*(אBD 33 1175 1506 1739 1881; *אliest den Nominativ λο' γος) gibt es elf Varianten, von denen NA27 fünf verzeichnet. 327 Die Hinzufügung von α νθρωπι' νης vor oder nach σοφι' ας kann als erläuternde Glosse ausgeschieden werden. Die Lesart ε ν πειθοι` ς σοφι' ας „mit Überredungskunst der Weisheit“ findet sich in d46 F G. Das Adjektiv πειθο' ς, das kein anderer griechischer Text belegt, 328 ist offensichtlich eine sekundäre Bildung aus πειθοι^ (Dativ von πειθω' „Überredungskunst“). Wenn die Variante ohne λο' γοις als die kürzere und schwierigere Lesart zu bevorzugen ist, muss die Lesart von d46 als ursprünglich gelten, und zwar in der Form ε ν πειθοι^ σοφι' ας (das σ in πειθοι' ς329 ist entweder Dittographie des Anfangsbuchstabens von σοφι' ας oder Hörfehler).330 Die Hauptschwierigkeit dieser Entscheidung besteht darin, dass keine Handschrift die Lesart ε ν πειθοι^ σοφι' ας belegt.331 Die Entstehung der anderen Lesarten kann bei dieser Annahme hinreichend plausibel erklärt werden, und πειθω' ist ein im klassischen Griechisch geläufiges Substantiv. Wenn die Lesart ε ν πειθοι^ σοφι' ας ursprünglich ist, lässt sich in der antithetischen Aussage von V. 4 die Korrespondenz mit ε ν α ποδει' ξει πνευ' ματος beobachten.332
III 1 Mit dem Satz als ich zu euch kam (ε λθω` ν προ` ς υ μα^ς) erinnert Paulus an den Beginn seiner missionarischen Arbeit in Korinth.333 Er knüpft an das
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Lietzmann 11; Merklein I 205; Schrage I 226; Collins 118; Lindemann 54; Thiselton 207208; Garland 88; Metzger, Textual Commentary, 480; Kammler, Kreuz, 149-151. Zur Diskussion vgl. Merklein I 205; Schrage I 231-232; Thiselton 215-216; Lindemann 55-56; Zuntz, Text, 23-25; Metzger, Textual Commentary, 481; Lips, Traditionen, 334336; Kammler, Kreuz, 163-164. Für Erklärungen, wie das Adjektiv entstanden sein könnte, vgl. Heinrici 88 („ein nur der mündlichen Gemeinsprache gehörendes Adjectiv“); Lietzmann 11; Barrett 65. Die Bildung des Wortes ist sprachgeschichtlich korrekt, das Wort wurde von den Kirchenvätern nicht beanstandet. πειθοι^ findet sich im Zusammenhang mit einer anderen Variante in 2,4. Weiss 49; Héring, 15; Fee 88; Garland 88-89; Zuntz, Text, 24-25; Lips, Traditionen, 334; Pogoloff, Logos, 137; Gräbe, Power, 51; Voss, Kreuz; 131; Kammler, Kreuz, 163-164. Für die in NA27 gedruckte Lesart ε ν πειθοι^ς σοφι'ας λο' γοις votieren Lietzmann 11; Barrett 62; Conzelmann 76-77; Wolff 49; Lindemann 56; Thiselton 216. Weiss 49; Thiselton 216 bemerkt richtig, dass die Bevorzugung der einen oder der anderen Lesart am Sinn der Aussage praktisch nichts ändert. Das einleitende κα γω' ist autobiographisch und kann mit „gerade ich“ oder „ich zum Beispiel“ übersetzt werden; vgl. Bauer /Aland s.v. κα γω' 4; BDAG 4. Das Aor. Ptz. ε λθω' ν hat temporale Bedeutung, der Aor. ist komplexiv-konstatierend.
Die missionarische Predigt vom gekreuzigten Messias 2,1-5 151 ————————————————————————————————————
Auftreten sophistischer Rhetoren an, die zum ersten Mal eine Stadt besuchen.334 Bekannte Vertreter der Zweiten Sophistik, die in Korinth gewirkt haben, sind Favorinus von Arles (ca. 85–165 n.Chr.)335 und Herodes Atticus von Athen (101–177).336 Der erste Besuch eines Sophisten in einer Stadt legte den Grundstein für ein möglichst ruhmvolles Wirken. Deshalb war es wichtig, dass er bei seinem ersten Auftreten durch die Kostproben seiner Beredsamkeit die Zuhörer beeindruckte, was es ihm ermöglichte, mit den wichtigen Familien der Stadt in Kontakt zu kommen. Favorinus, der zu Beginn des 2. Jahrhunderts Korinth besuchte, erinnert in seiner Rede die Bürger Korinths an seinen zehn Jahre zurückliegenden ersten Besuch in der Stadt, als er seine rhetorischen Fähigkeiten (λο' γος) unter Beweis stellte, die Einwohner beeindruckte und mit den Stadtvätern freundschaftliche Beziehungen aufbaute (Dio Chrysostomus, Or. 37,1). Anlässlich seines zweiten Besuchs waren die Bürger so dankbar, dass sie in der Stadtbibliothek eine Bronzestatue aufstellten, die Favorinus als „edelsten unter den Griechen“ ehrte (Or. 37,8-10).337 Das erste „Kommen“ eines Sophisten in eine Stadt, das offensichtlich bestimmten Konventionen folgte, sollte seine Reputation als Redner etablieren. Wenn er Erfolg hatte und vor den Gebildeten und Mächtigen der Stadt Anerkennung fand, konnte er finanziell profitieren. Als Paulus zum ersten Mal nach Korinth kam, verhielt er sich ganz absichtlich „unrhetorisch“. Die Aussage in V. 2 ich hatte mich entschlossen (ε»κρινα, Aor. von κρι' νω) spricht von einem bewussten Entschluss und Plan, dem Paulus bei seinem Auftreten in Korinth als Verkündiger des Evangeliums vom gekreuzigten Retter folgte. Paulus kam (η λθον)338 nicht mit einem ————————————————————
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Winter, Philo and Paul, 147-165; vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1266-1269; ähnlich Lim, Words of Wisdom, 224-239; Bullmore, Rhetorical Style; Schrage I 225; Lindemann 53-54. Zur zweiten Sophistik des 2./3. Jahrhunderts vgl. Schmitz, Bildung und Macht; Winter setzt die Anfänge im ersten Jahrhundert an. Die korinthische Rede des Favorinus findet sich bei Dio Chrysostomus, Or. 37; vgl. Litfin, Proclamation, 144-146; Gleason, Sophists, 3-20; Holford-Strevens, Favorinus, 188-217; Schmitz, Bildung, 175-177; Winter, Philo and Paul, 132-137; Swain, Hellenism, 43-46; White, Favorinus, 61-110; zum Text s. Amato, Studi su Favorino. Vgl. Ameling, Herodes Atticus, I, 118-135 zu seiner Tätigkeit als Redner und Lehrer griechischer Rhetorik; vgl. Schmitz, Bildung, 190-193.226-227 und passim. Zur Statue des Favorinus, die von den Korinthern noch zu dessen Lebzeiten entfernt wurde, vgl. Gleason, Sophists, 3-20. Zur ersten Rede des Sophisten Aristides in Smyrna im Jahr 176 (Aristides, Or. 51,29-34) vgl. Russell, Greek Declamation, 76-77; Winter, Philo and Paul, 149-150; Schnabel, Urchristliche Mission, 1267. Das Verb η λθον ist nicht mit ου καθ’ υ περοχη' ν zu verbinden (so Weiss 44; Conzelmann 74 Anm. 2 und die meisten Übersetzungen), sondern mit dem Ptz. καταγγε' λλων (Meyer 52; Heinrici 85-86; Lightfoot 170; Kammler, Kreuz, 151-152), das modal zu interpretieren ist, was der Vergleich mit 1,17 und die Parallele 2,4 zeigt. Kammler übersetzt: „da kam ich nicht dergestalt, daß ich euch in überragender Weisheitsrede das Geheimnis Gottes
152 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Übermaß an Beredsamkeit oder Weisheit. Die Vokabeln λο' γος und σοφι' α bedeuten, im Kontext der anderen rhetorischen Begriffe in diesem Abschnitt, nicht allgemein „Rede“ und „Weisheit“ sondern „Beredsamkeit“ und „Weisheit“ im Sinn von „Cleverness“.339 Der Ausdruck υ περοχη' („Übermaß“) wird von Aristoteles zur Beschreibung des Gefühls der Überlegenheit verwendet, das Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Macht und ihrer Tugend haben, sowie zur Beschreibung der Überlegenheit des eloquenten Redner über inkompetente Kollegen. 340 Paulus hatte den programmatischen Entschluss gefasst, λο' γος und σοφι' α von seinem λο' γος fernzuhalten – nicht aus Gründen persönlicher Veranlagung oder Kompetenz, nicht aus taktischen Gründen (z.B. um die Ungebildeten besser erreichen zu können), sondern weil er Jesus den gekreuzigten Messias verkündigt und weil diese Botschaft alles Interesse an Beifall, Ruhm und Einfluss verbietet. Das Verb, das Paulus für verkündigen verwendet (καταγγε'λλω), ist eine nicht-rhetorische Vokabel. Für den κη^ ρυξ sind die Kriterien und Prinzipien rhetorischer Eloquenz irrelevant.341 Seine Aufgabe ist es nicht, zu analysieren, welche Aspekte seines „Themas“ überzeugend sind, welche Argumente seinen Hörern besonders einleuchten und wie er seinen Vortrag so formulieren kann, dass ihm möglichst viele Zuhörer Beifall zollen. Ein Botschafter produziert keine überzeugende Botschaft, sondern er verkündigt genau die Botschaft, die ihm ein anderer aufgetragen hat. Das Ptz. Präs. καταγγε'λλων signalisiert, dass Paulus bei seiner missionarischen Verkündigung immer, nicht nur manchmal, auf rhetorische Feuerwerke verzichtet. Das Geheimnis Gottes (το` μυστη' ριον του^ θεου^ ), das Paulus verkündigt, wird in 2,6-16 näher ————————————————————
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verkündigte“; vgl. ZB. Zu λο' γος und σοφι'α in diesem Sinn vgl. Dio Chrysostomus, Or. 47,1,3-8. EÜ übersetzt „glänzende Reden oder gelehrte Weisheit“, GN „tiefsinnige Weisheit und geschliffene Redekunst“, Menge „mit überwältigender Redekunst“, NGÜ „geschliffene Rhetorik und scharfsinnige Argumente“, NSS II, 58 „nicht mit überragender Rede(kunst)“. Manche Ausleger beziehen λο' γος auf die (rhetorisch geschliffene) Form, σοφι'α auf den (weisheitlich geprägten) Inhalt der Rede; vgl. Heinrici 85-86; Wolff 47; Merklein I 208; Schrage I 224-226. Andere Ausleger lehnen jeden Bezug auf die rhetorische Form ab und legen ausschließlich im Sinne eines inhaltlichen Gegensatzes aus; vgl. Schlatter 98; Weder, Kreuz, 162-163; Kammler, Kreuz, 153-155 (der beide Vokabeln in der Übersetzung „Weisheitsrede“ kombiniert, σοφι'α verstanden als „rettende Weisheit“). Aristoteles, Rhet. 2,2,7; vgl. Winter, Philo and Paul, 155. Die Interpretation der Formulierung „im Sinne der das rechte Maß einhaltenden Nüchternheit“ (Schrage I 225) geht im Hinblick auf V. 2 an der Sache vorbei; richtig Lindemann 54. F. Winter, in Arzt-Grabner 111-112 schließt mit Bezug auf die Papyri P.Tebt. III/1 734; P.Oxy. XXIV 2411; SB IV 7354, dass die Vokabel υ περοχη' den Gedanken des „Höherstehens“ im sozialen Gefüge impliziert und in V. 1 „ein Sich-Unterscheiden-Wollen in Bezug auf die Redefähigkeit und das geistige Vermögen, den Wunsch, darin über anderen zu stehen“ bezeichnet. Litfin, Proclamation, 196; vgl. ebd. für die folgende Bemerkung.
Die missionarische Predigt vom gekreuzigten Messias 2,1-5 153 ————————————————————————————————————
erläutert: es geht um die Offenbarung Gottes im gekreuzigten Messias und Kyrios Jesus (V. 2.7-8). Die Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten Retter verdankt sich als „Geheimnis Gottes“ der Heilsoffenbarung Gottes im Kreuzestod Jesu Christi, nicht rhetorischer Beredsamkeit oder cleveren Argumenten. 2 Die Begründung (γα' ρ) für den Entschluss (ε»κρινα), bei der Verkündigung des Evangeliums auf rhetorisch eloquente, auf den Beifall der Zuhörer hin konstruierte Reden zu verzichten,342 sollte nicht im Sinn einer neuen Taktik der missionarischen Verkündigung des Apostels verstanden werden, als ob Paulus sich nach dem (angeblichen) Misserfolg in Athen vorgenommen hätte, in Korinth „auf den ganzen Apparat philosophischer Unterbauung und Beweisführung zu verzichten“. 343 W. Schrage kommentiert zu Recht im Blick auf diese Auslegung: „Die paulinische Kreuzespredigt ist keine Missionsmethode oder -taktik und die paulinische Theologie ist keine Bedarfstheologie, die sich an dem orientiert, was auf dem religiösen Markt jeweils gefragt und zu verkaufen ist“.344 Der Ausdruck ich hatte mich entschlossen (ε»κρινα) beschreibt keinen neuen Entschluss, sondern das unvermeidliche Urteil für die Form der Verkündigung, die sich aus ihrem Inhalt als Wort vom Kreuz ergibt.345 Wenn ein Gegensatz impliziert ist, dann ein Gegensatz zu den sophistischen Rhetoren.346 Das theologische Wissen, von dem Paulus spricht, war ihm von Gott in seiner Bekehrung und Berufung zum Apostel erschlossen wurden und hatte seither seine Missionsarbeit und seine Verkündigung bestimmt. Paulus verkündigte bei seinem ersten Besuch als Pioniermissionar in Korinth347 Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten. Die urchristlichen Missionare sprachen nicht generell vom göttlichen Angebot der Sündenvergebung, von der Möglichkeit der Versöhnung mit dem einen wahren Gott oder vom Leben nach dem Tod, sondern von Jesus Christus – von Jesus aus Nazareth, dem Messias, der am Kreuz gestorben ist und dadurch, infolge des Heilshandelns Gottes in diesem Tod, Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung (1,30) erwirkt hat. Der betonte Nachsatz και` του^ τον ε σταυρωμε'νον348 ————————————————————
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ου verneint τι, nicht ειδε' ναι; Weiss 46; Conzelmann 74 Anm. 74; Lindemann 54; anders Heinrici 86-87; Thiselton 211; Kammler, Kreuz, 157. Weiss 47; ähnlich Bousset 80; Fascher 115. Schrage I 229; vgl. auch Lindemann 54; Theis, Weisheitslehrer, 204-205. ε»κρινα ist komplexiver Aorist, der einen länger andauernden Zustand zusammenfasst. Fee 92; Winter, Philo and Paul, 157. ε ν υ μι^ν meint nicht „in der Gemeinde“ sondern „in Korinth“: Paulus schildert seine missionarische Verkündigung anlässlich seines Gründungsaufenthalts in der Stadt. Das και' ist epexegetisch-erklärend; zu και` ου τος s. KG 246-247; BDR §442.6a; Voss, Kreuz, 127; Kammler, Kreuz, 159.
154 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
zeigt, dass Paulus auch und gerade in seiner missionarischen Verkündigung vor Juden, Proselyten und Polytheisten nie von Jesus Christus gesprochen hat, ohne zugleich von seinem Kreuzestod zu reden. Die Perfektform des attributiven (vgl. 1,23) Partizips ε σταυρωμε'νον hat resultative Funktion: es unterstreicht, dass der auferstandene und erhöhte Christus der Gekreuzigte bleibt. Der Tod Jesu hat ohne die Auferweckung Jesu keine Bedeutung, aber die Bedeutung des Kreuzes wird dadurch nicht überholt. Das Gekreuzigtsein Jesu wird nicht als vergangenes historisches Ereignis erwähnt, das man (leider) nicht verschweigen kann – Jesus ist bleibend der Gekreuzigte, weil Gott im stellvertretenden Opfertod Jesu am Kreuz Sünde vergibt, Schuld tilgt und Heil gewährt. Über den Kreuzestod Jesu kann man nicht mit rhetorischer Eloquenz und cleverer Argumentation reden. Man kann das Heilshandeln Gottes, das in diesem als skandalös empfundenden Geschehen stattgefunden hat, nur proklamieren.349 3 Paulus beschreibt die Form seiner missionarischen Verkündigung in Korinth350 in V. 3-4, in V. 3 zunächst mit einem dreigliedrigen Satz: und ich bin in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern bei euch gewesen. Mit α σθε'νεια verweist Paulus nicht auf eine persönliche physische Schwäche, und φο' βος und τρο' μος beschreiben keine psychologische Behinderung des Apostels.351 Sicher kann man nicht ausschließen, dass die physischen Schwierigkeiten, unter denen Paulus zu leiden hatte (vgl. 2Kor 12,7; Gal 4,13-15),352 genauso eine Rolle spielen wie das Wissen des Missionars um die Tatsache, dass er es in der Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus unmittelbar mit Gott zu tun hat.353 Der Kontext macht aber deutlich, dass es Paulus um den grundsätzlichen „Gegensatz zwischen seiner Person an sich und seiner Verkündigung“ ————————————————————
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Vos, Argumentation, 48 spricht vom „Argument der Kongruenz oder des aptum“, das Paulus verwendet, um den Gegnern die Waffen aus der Hand zu schlagen. ε γενο' μην deutet gegenüber ε λθω' ν V. 1 einen Wechsel der Perspektive an: In V. 1 beschreibt Paulus sein Kommen, in V. 3 sein Auftreten in Korinth. In den Papyustexten trägt die Wendung γι'γνομαι προ' ς (mit Akk.) durchgehend die Bedeutung „zu jemandem gelangen”; vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 117-118. Zur Auslegungsgeschichte vgl. Baumann, Mitte, 157-159. Lietzmann 11 meint, Paulus habe sich gefürchtet, weil er sich seines Erfolges nicht sicher gewesen sei. Wilckens, Weisheit, 47-48 deutet im Sinn der atl. Furcht von Menschen in Epiphanien. F. Winter und Arzt-Grabner 116-117 legen im Sinn der „Ehrfurcht“ gegenüber den Gemeindemitgliedern aus; diese Auslegung verkennt die Situation der missionarischen Erstverkündigung. Betont von Jervell, Charismatiker, 191-196; Merklein, 210. In den Papyri bezeichnet α σθε' νεια am häufigsten die „körperliche Schwäche, Krankheit“, sodann auch die wirtschaftliche Schwäche; vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 115. Lindemann 55; vgl. Voss, Kreuz, 130.
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geht.354 Paulus beschreibt sein Auftreten als das genaue Gegenteil des idealen Rhetors und der Sophisten: „φο' βος und τρο' μος sind das Gegenteil von παρρησι' α und θα' ρσος, Eigenschaften, die zum Idealbild des Weisen und Rhetors gehören“.355 Paulus beschreibt sich als Redner, der auf η θος und auf πα' θος verzichtet (s. zu 1,17). Er kann und will die Glaubwürdigkeit seiner Botschaft nicht dadurch „beweisen“, dass er die Vertrauenswürdigkeit seiner eigenen Person herausstreicht, oder dass er die Zuhörer durch die Erregung von Leidenschaften überredet.356 4 Dem Auftreten des Verkündigers entspricht die Art und Weise des missionarischen Vortrags, der mit den Vokabeln Wort (λο' γος) und Verkündigung (κη' ρυγμα) beschrieben wird.357 Die beiden Vokabeln bezeichnen (von 1,18 bzw. von 1,21.23 her) die Verkündigung vom Kreuz als eine einzige Größe. Paulus verkündigt nicht mit Überredungskunst der Weisheit (ου κ ε ν πειθοι^ σοφι' ας).358 Sowohl πειθω' („Überredungskunst, Überzeugungskraft“) als auch σοφι' α sind rhetorische Begriffe. πειθω' (lat. persuadere) wird definiert als „die Gewinnung des Publikums (der iudices) für die Entscheidung der res im Sinne der Partei des Redners“ mit den drei Graden des docere, delectare und movere (Quintilian 12,10,59).359 In V. 3 betonte Paulus, dass er sich bei seiner missionarischen Verkündigung ganz absichtlich nicht auf η θος und πα' θος verlässt; in V. 4 erklärt er, dass er auch auf den dritten Beweis verzichtet, auf den Beweis durch die logische Folgerichtigkeit der Darlegung der Sache selbst (α πο' δειξις).360 Er verlässt sich bei der Verkündigung des Kreuzestodes Jesu nicht auf die Überzeugungskraft (πειθω' ) logischer Argumentation (α πο' δειξις), wie man sie von prominenten Rhetoren lernen ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 162. Vos, Argumentation, 47, mit Verweis auf Plato, Leg. 646e-649d; Philo, Her. 3-29. Vos meint, Paulus bediene sich des rhetorischen Mittels der dissimulatio, d.h. hier der „Selbstverkleinerung“. Da die dissimulatio das Element der Ironie enthält (Lindemann 55), und da Paulus im 2,1-5 grundsätzlich formuliert, ist diese Interpretation fraglich. Winter, Philo and Paul, 158; Bullmore, Rhetorical Style, 212-213; vgl. Pogoloff, Logos, 131-136; Thiselton 213; Garland 85. Weiss 48-49 erklärt λο' γος als Form und κη' ρυγμα als Inhalt der Verkündigung (so auch BDAG); Fee 94 interpretiert gerade umgekehrt. Bauer /Aland 968 s.v. λο' γος 1.a.β erklärt λο' γος als privaten seelsorgerlichen Zuspruch und κη' ρυγμα im Sinn der öffentlichen Predigt. Zur Kritik vgl. Kammler, Kreuz, 164-165. Zum schwierigen textkritischen Problem s. oben unter II. Lausberg, Handbuch, 140, §257; das docere ist „der intellektuelle Weg der persuasio, der besonders in der narratio und in der argumentatio eingeschlagen wird“ (ebd). Das delectare entspricht dem η θος (§257.2), das movere dem πα' θος (§257.3). Zu πειθω' vgl. Buxton, Persuasion, 10-20.48-53. Winter, Philo and Paul, 158-159.
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konnte.361 Seine missionarische Verkündigung entspricht nach Inhalt und Form nicht den Kriterien und Normen der σοφι' α.362 Er verlässt sich auf den Beweis (α πο' δειξις) des Geistes und der Kraft (πνευ' ματος και` δυνα' μεως). V. 5 macht deutlich, dass es um den Geist Gottes und um die Kraft Gottes geht. Die Genitive sind als Gen. subj. zu verstehen: „Geist und Macht“, d.h. Gott selbst, führen den Beweis für die Wahrheit der Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu Christi.363 Die Formulierung πνευ' ματος και` δυνα' μεως ist als Hendiadyoin zu verstehen: es geht nicht um zwei Beweise, sondern um den einen Beweis des „machtvoll wirkenden Geistes Gottes“.364 An „Zeichen“ im Sinn von Wunder denkt Paulus nicht, wie 1,22 deutlich macht.365 Der „Beweis der Macht des Geistes“ ist die Tatsache, dass sich in Korinth Juden und Heiden zum Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus bekehrt haben, ohne dass Paulus mit rhetorischer Eloquenz und argumentativer Brillianz dazu überredet hätte, sondern allein als Resultat des machtvollen Wirkens des Geistes Gottes. 366 Die drei Größen „Wort“, „Geist“ und „Glaube“ (bzw. „Überzeugung“) beschreiben einen in sich geschlossenen Kreis, „in den der Mensch nicht von sich und seinen – gerade auch seinen geistigen – Möglichkeiten aus, sondern nur durch das schöpferische Wirken Gottes hineingelangen kann“. 367 5 In dem abschließenden Finalsatz (ι«να) erklärt Paulus sein Verhalten als Pioniermissionar in Korinth. Damit sich die Absicht Gottes erfüllen konnte, hat er sich gerade nicht um rhetorische Kunst und logische Plausibilität bemüht. Der Glaube der Korinther (η πι' στις υ μω ^ ν) soll nach der Absicht Gottes nicht auf menschlicher Weisheit beruhen (μη` η , ε ν σοφι' α, α νθρω' πων), d.h. nicht auf „gewandter Rede“ (σοφι' α λο' γου; 1,17), nicht auf der „Weisheit der ————————————————————
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Plutarch, Mor. 456b schreibt von der „Überzeugungskraft der Rede“ (πειθοι^ και` λο' γω, ); ebenso Polybius 2,38,7. Vgl. Kammler, Kreuz, 168-169 für Belege für πειθω' . Lindemann 56. In der Wendung ε ν πειθοι^ σοφι'ας ist σοφι'ας gen. subj.; vgl. Weiss 49; Bachmann 114; Kammler, Kreuz, 171; anders Conzelmann 77; Schrage I 232. Es geht also nicht um den „Beweis von Geist und Macht“ (Gen. obj.; vgl. Schlatter 106; Bachmann 115); vgl. Weiss 50; Schreiber, Wundertäter, 243-246; Voss, Kreuz, 131; Kammler, Kreuz, 171. Kammler, Kreuz, 171, mit Verweis auf 1Thess 1,5; Lk 1,17; Apg 10,38; vgl. Röm 15,13.19; vgl. Schrage I 234; Lindemann 56. Im Sinn von apostolischen Wundern interpretieren Bousset 81; Lietzmann 11; Grosheide 61; Fascher 116; Alkier, Wunder, 160-170; Dobbeler, Glaube, 33-35; vgl. Gräbe, Power, 65. Merklein I 211 denkt an „außergewöhnliche Geistwirkungen“ wie die Glossolalie; ähnlich Fee 95, der aber primär im Sinn der Bekehrung der Korinther interpretiert. Richtig Schreiber, Wundertäter, 241-252. Bousset 81; Barrett 66; Klauck 28; Schrage I 233; Lindemann 56; Garland 87; Baumann, Mitte, 166; Kammler, Kreuz, 171-173, der mit Meyer 65 und Heinrici 89 vom testimonium Spiritus Sancti internum spricht. Kammler, Kreuz, 174.
Die missionarische Predigt vom gekreuzigten Messias 2,1-5 157 ————————————————————————————————————
Welt“ (σοφι' α του^ κο' σμου; 1,20), sondern auf der Macht Gottes.368 Wer einen „Beweis“ (πι' στις) für die Wahrheit des Evangeliums vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus fordert, der wird von Paulus an das machtvolle Wirken Gottes gewiesen, der durch seinen Geist in der Verkündigung des Evangeliums gegenwärtig ist und der Menschen zum „Glauben“ (πι' στις) führt, d.h. von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt. 369 Das Wort πι'στις, das meist mit „Glaube“ übersetzt wird, bedeutet „Treue, Zuverlässigkeit, Vertrauen, Zutrauen“ gegenüber Menschen, sodann „Verantwortlichkeit, Glaubwürdigkeit“ (im Zusammenhang der Rechtssicherheit) und „Sicherheit“ (im Sinn von Pfandsicherheit, Schutzurkunde, Schutzbrief).370 Im NT ist πι'στις ein theologischer Zentralbegriff (Substantiv und Verb kommen je 243 Mal vor; Paulus verwendet das Verb 54 Mal, das Substantiv 142 Mal), „der das rechte Gottesverhältnis und das Wesen der christl. Religion überhaupt umschreibt“.371 In der hellenistischen und jüdischen Umwelt hat die Vokabel nur eine geringe Rolle gespielt. Dies gilt auch für hebr. אמן, ein Stamm, der in der LXX in der Regel mit Wörtern des Stammes πιστübersetzt wird. Trotzdem sind die Bedeutungen von „( אמןBeständigkeit gewinnen, sich unbedingt verlassen auf jemanden, einer Botschaft Glauben schenken“) für das Verständnis von πι'στις im NT entscheidend. Angesichts der Bedeutung von πι'στις in der griechischen Welt und im NT kann man zwei Bedeutungsbereiche unterscheiden: 1. „Glaube“ als „das, was Vertrauen, Glaube hervorruft“, konkret Treue, Zuverlässigkeit, feierliches Versprechen, Schwur, Beweis; 2. „Vertrauen, das man übt, Glaube“, konkret Vertrauen auf Gott. Im Zusammenhang der griechischen Rhetorik bedeutet πι'στις auch „Überzeugung“,372 die auch hier in V. 5 vorliegen könnte. Generell bedeutet πι'στις bei Paulus die Annahme der Botschaft von Gottes Heilshandeln im Kreuzestod und in der Auferweckung Jesu Christi.373 Der Glaube kommt für Paulus immer aus dem Wort.374 Glaube und Gnade gehören bei Paulus eng zusammen: „Hat Gott ein für allemal im Kreuz Christi heilschaffend gehandelt, so kann die Antwort des Menschen nur in der gehorsamen Annahme, im Sich-Verlassen auf Gottes χα' ρις, im Sich-Beschenken-Lassen mit und im Leben aus dieser Gabe bestehen“.375
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In dem Satz ε ν δυνα' μει θεου^ gibt ε ν nicht den Inhalt des Glaubens an, sondern das Fundament; Schrage I 235. Winter, Philo and Paul, 160. LSJ 1408 s.v. πι'στις; Preisigke s.v. πι'στις; zu den Papyri vgl. Arzt-Grabner 119-120; ders. Philemon, 178-180. G. Barth, EWNT III, 217; das Folgende ebd. 216-231. Für Paulus s. Dobbeler, Glaube. Die Bedeutung „religiöser Glaube“ ist in den Papyri aus der Zeit vor Paulus nicht bezeugt; vgl. Arzt-Grabner 119. Zur Deutung des ntl. Glaubensbegriffs im Kontext der griechischen Rhetorik s. Kinneavy, Origins; vgl. Arzt-Grabner, Philemon, 178 Anm. 322. Vgl. 1Kor 1,21; 2,5; 15,2.11; Röm 10,9.14; 13,11; Gal 2,16. Röm 10,8.17; Gal 3,2.5. G. Barth, EWNT III, 225.
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Gott selbst ist in der Verkündigung des Evangeliums von Kreuz und Auferweckung Jesu Christi am Werk – eine Verkündigung, die weder durch rhetorische Eloquenz noch durch argumentative Stringenz einleuchtend und überzeugend „gemacht“ werden kann, eine Verkündigung jedoch, die infolge der machtvollen Gegenwart Gottes im Wort vom Kreuz Menschen zum Glauben an Jesus Christus, zur Umkehr, zum Heil und zur Gemeinschaft mit den anderen Jesusbekennern führt. Die Betonung des machtvollen Geistes Gottes, der angesichts von Schwachheit und Ohnmacht die verheißene Rettung verwirklicht, spielt vielleicht auf Sach 4,6 LXX an: „Es soll nicht durch große Macht (δυνα' μει) oder Kraft geschehen, sondern durch meinen Geist (ε ν πνευ' ματι' μου), spricht der Herr der Allmächtige“. Sowohl Paulus als auch Serubbabel legen das Fundament eines neuen Tempels (Sach 4,6-10; 1Kor 3,10-11; vgl. 3,16-17; 9,13-14); und in beiden Texten kommt δυ' νμις und πνευ^ μα vor. Wenn Paulus auf diesen Text anspielt, dann betont er, dass die Korinther den „Tag des geringen Anfangs“ (Sach 4,10) nicht gering achten sollen, da Gott durch die Verkündigung des Evangeliums trotz der Schwäche des Verkündigers das Fundament des „Tempels“ der Gemeinde in Korinth legt – nicht durch menschliche Macht, nicht durch rhetorische Brillianz, sondern durch den Geist Gottes.376
IV Paulus ist als Missionar, der das Evangelium verkündigt, in der Öffentlichkeit nicht als Redner aufgetreten, der die Zuhörer mit einer rhetorisch glänzend aufgebauten und mitreißend vorgetragenen Rede unterhält. Missionarische Verkündigung ist, wie christliche Verkündigung generell, nicht Unterhaltung, sondern Proklamation. Paulus war nicht bereit, auf Forderungen einer „zeitgemäßen“ Verkündigung einzugehen. Im Gegenteil: er stellt deutlich heraus, was an solchen Forderungen falsch ist, wenn man den für Christen einzig gültigen Maßstab anlegt – den Kreuzestod Jesu, der alles christliche Denken und Handeln bestimmt. Paulus benutzt die von den Korinthern geschätzten rhetorischen Begriffe, entleert sie jedoch ihres säkularen Inhalts und bezieht sie auf das Evangelium vom gekreuzigten Retter. 377 Aber er macht dies nicht, um wiederum clever zu sein, etwa um die Skeptiker in der korinthischen Gemeinde mit einer eloquenten Anti-Rhetorik zu beeindrucken. Wie die „Analogie des Kreuzes“ die Gemeinde und ihre Zusammensetzung bestimmte, so be————————————————————
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Williams, Wisdom, 133-156; Ciampa/Rosner 700-701. Vgl. Judge, Classical Education, 170-171, der für diesen Vorgang den von den Kirchenvätern häufig gebrauchten Begriff des „Plünderns der Ägypter“ verwendet.
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stimmt sie auch das Auftreten des Missionars und des Verkündigers.378 Es geht Paulus nicht um die Ablehnung jeglicher Rhetorik und Rationalität, sondern es geht ihm darum, dass Jesus als der gekreuzigte Messias und Retter verkündigt wird. Wenn menschliche Weisheit und Gottes Geist diametrale Gegensätze sind, was nirgends so deutlich wird wie bei der Verkündigung des Gekreuzigten, dann ist nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form der Verkündigung betroffen. Wenn Missionare und Pfarrer, Evangelisten und Hauskreisleiter sich auf formale Kriterien, Normen und Konstruktionen zeitgenössischer Kommunikationsstrategien verlassen – angefangen von einem möglichst cleveren Vortrag, geistreichen Meditationen, technologisch hochgerüsteten Powerpoint Demonstrationen und Videoclips, bis hin zu Tanzeinlagen und Klangteppichen, die mit mehr oder wenig großer Lautstärke über die Zuhörer ausgebreitet werden, um Stimmung zu erzeugen –, anstatt konkret und konsequent mit dem Wirken Gottes zu rechnen, dann setzen sie sich dem Urteil des Apostels Paulus aus, den Glauben auf menschliche Weisheit bauen zu wollen. Paulus redet ganz sicher weder altmodisch-langweiligen Veranstaltungen noch theologischem Unverstand das Wort. Aber er stellt mit diesem Text die Frage, worauf sich der Verkündiger letztlich verlässt, wenn er das Evangelium von Jesus Christus verkündigt: auf die von ihm vorbereiteten Wort- und Gesangsbeiträge oder auf das Wirken des allmächtigen Gottes, der in der Verkündigung des Gekreuzigten gegenwärtig ist. Paulus ist bereit, die Wahrheit des Evangeliums als Wort vom Kreuz für sich selbst sprechen zu lassen, ohne die Zuhörer durch rhetorische Eloquenz, logische Argumente oder Erregung von Emotionen überreden zu wollen. Es ist dieses machtvolle Wirken des in der Verkündigung des Evangeliums gegenwärtigen Gottes, das den „garstigen breiten Graben“ überwindet, den Gotthold Ephraim Lessing in seiner Schrift „Über den Beweis des Geistes und der Kraft“ von 1777 beklagte. Es sind gerade nicht Wunder, die die Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus beweisen. Diese sind in der Tat immer nur „historische Wahrheiten“ die letztlich nicht überzeugen können, weil sie bloße Nachrichten bleiben. Philipp Jakob Spener hat richtig erkannt, dass man sich auf die efficacia verbi als fundamentum fidei verlassen kann.379 Die Verkündigung des Wortes vom Kreuz wird unweigerlich – nicht alle, aber immer einzelne, weniger die gebildeten, aber oft die bedürftigen – Menschen zum Glauben an Jesus Christus führen und ihr Leben rechtfertigend, heiligend und erlösend verändern. ————————————————————
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Schrage I 235; ebd. für die folgende Beobachtung. Anders Schrage I 237, der meint, mit dem Hinweis auf die Wirksamkeit des Wortes Gottes sei Lessings Graben noch nicht überwunden.
160 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die verborgene Weisheit Gottes 2,6-16 I 6 Und wir verkündigen Weisheit unter den Vollkommenen, Weisheit jedoch weder dieser Weltzeit noch der Herrscher dieser Weltzeit, die zunichte werden, 7 sondern wir verkündigen Gottes Weisheit, die ein verborgenes Geheimnis darstellt, von Gott vorherbestimmt vor allen Zeiten zu unserer Herrlichkeit; 8 diese hat keiner der Herrscher dieser Weltzeit erkannt; wenn sie sie erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Sondern (wir verkündigen) wie geschrieben steht: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz Eingang gefunden hat, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben“. 10 Uns aber hat Gott sie (die Weisheit) geoffenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes. 11 Denn wer von den Menschen versteht das Denken des Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? So versteht auch niemand das Denken Gottes, ausgenommen der Geist Gottes. 12 Wir haben aber nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der von Gott kommt, damit wir erkennen, was Gott uns geschenkt hat. 13 Das reden wir auch – nicht mit Worten, wie sie von menschlicher Weisheit gelehrt werden, sondern wie sie vom Geist gelehrt werden, indem wir geistlichen Menschen geistliche Sachverhalte auslegen. 14 Denn der natürliche Mensch erfasst nicht das, was der Geist Gottes kundgibt, denn es ist für ihn Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muss. 15 Der geistliche Mensch beurteilt jedoch alles, wird aber selbst von niemandem beurteilt. 16 Denn „wer hat die Gedanken des Herrn erkannt, so dass er ihn belehren könnte?“ Wir aber haben die Gedanken Christi.
II Der Abschnitt 2,6-16 gehört zu den schwierigsten Texten innerhalb der Paulusbriefe.380 Dies zeigt sich schon an der Abgrenzung. Manche Ausleger betrachten 2,6–3,2,381 andere 2,6–3,4382 als Einheit. Auffallend ist sicherlich, dass Paulus in 2,6-16 mit der 1. Pers. Plural formuliert, während in 2,1-5 und 3,1-2 die 1. Pers. Sing. verwendet wird. Dies berechtigt jedoch nicht dazu, ————————————————————
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Vgl. Baumann, Mitte, 171-192; Winter, Pneumatiker, 3-55; Kammler, Kreuz, 176-185. Lietzmann 11. Robertson/Plummer 34; Bachmann 117; Baumann, Mitte, 204-209; Theis, Weisheitslehrer, 218-220.
Die verborgene Weisheit Gottes 2,6-16 161 ————————————————————————————————————
2,6-16 als Glosse auszuscheiden. 383 Auch die Annahme, der Abschnitt stelle ein Traditionsstück dar,384 ist nicht plausibel. Aufgrund der bei Paulus singulären Wendung „Herr der Herrlichkeit“ (V. 8) und des Kontrasts zwischen „Pneumatikern“ und „Psychikern“ (V. 1415) nehmen manche Ausleger an, Paulus habe sich in diesem Abschnitt so konsequent an die Sprache und an die theologische Position der korinthischen Christen angepasst, dass man den wirklichen Paulus nur unter Anwendung von Sachkritik auffinden kann.385 Die Auslegung wird zeigen, dass diese Hypothese unnötig ist: Der Abschnitt 2,6-16 fügt sich sowohl sprachlich als auch theologisch nahtlos in Kap. 1–4 ein. Viele Ausleger gehen davon aus, dass Paulus zwar korinthische Schlagworte aufgreift, sachlich aber seiner Position treu bleibt, indem er die von den Korinthern verwendeten Begriffe theologisch klärt.386 Diese These ist nicht unmöglich, kann aber vom Text her nicht belegt werden, der eine deutliche Auseinandersetzung zwischen korinthischen Schlagwörtern und paulinischer Korrektur nicht erkennen lässt.387 In der Forschung finden wir zwei wichtige Interpretationsmodelle, die beide problematisch sind.388 1. Die in der Missionssituation verkündigte Kreuzesrede richtet sich prinzipiell an alle Menschen, während die Weisheitsrede, die Paulus in 2,6-16 erläutert, sich nur an einen besonderen Kreis innerhalb der Gemeinde richtet, an die geistig und geistlich fortgeschrittenen Christen, die Paulus als die „Vollkommenen“ bezeichnet. 389 Diese Interpretation scheitert an der grundlegenden Aussage in 2,2: Paulus redet von Jesus dem Gekreuzigten nicht nur als Missionar, sondern auch in seiner Verkündigung vor Christen, wie nicht zuletzt sein Brief an die Korinther zeigt. Dass Paulus ein Zwei-Stufen-Christsein vertritt, ist weder aus 2,6-16 noch aus ————————————————————
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Widmann, 1 Kor 2,6–16, 44-53; Walker, Interpolations, 127-146. Zur Kritik s. MurphyO’Connor, Interpolations, 81-84. Ellis, Prophecy, 25-26.213-218 geht von einem christlichen Midrasch aus; Conzelmann Paulus und die Weisheit, 184-185 meint, es handle sich um einem Text, der in einer paulinischen Weisheitsschule entstanden ist. Bultmann, Glauben und Verstehen I, 42-44; Bornkamm, Paulus, 170-171; Wilckens, Weisheit, 21-96 (man notiere die Korrektur in Wilckens, Zu 1 Kor 2,1–16, 501-537). Vgl. Pearson, Pneumatikos, 27-39; Reiling, Wisdom, 200-211; Horsley, Spiritual Elitism, 203-206; Kammler, Kreuz, 201-202; Fee 99-101; Thiselton 225. Schrage I 240; Wanamaker, Rhetoric of Power, 128-129. Zu den zahlreichen Hypothesen im Blick auf den religionsgeschichtlichen Hintergrund des Textes vgl. Schrage I 242-245, der bestenfalls eine „größere Nähe zur Apokalyptik“ sieht. Für Darstellung und Kritik vgl. Kammler, Kreuz, 176-185. Meyer 75-58; Godet I 67-68; Weiss 53-55; Robertson / Plummer 34-36; Bousset 81; Lietzmann 11-12; Strobel 61-62; Conzelmann 80-85; Bauer, Mündige, 123.143-149; Jeremias, Abendmahlsworte, 119-125; Winter, Pneumatiker, 209-210. Zur Kritik vgl. Kammler, Kreuz, 179-180.
162 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
anderen paulinischen Texten zu entnehmen. Die nachhaltige Betonung der Einheit der Christen in der Gemeinde, die sich wie ein roter Faden durch seine Briefe zieht, macht diese These unhaltbar. 2. Andere Ausleger unterscheiden ebenfalls Weisheitsrede und Kreuzesrede, weisen diese aber nicht zwei unterschiedlichen Gruppen von Zuhörern zu, sondern unterschiedlichen Reflexionsebenen: die Weisheitsrede für die Gläubigen führt tiefer in das rechte Verständnis der Kreuzesrede hinein.390 Während diese Interpretation das Wort vom Kreuz auch im Blick auf die Weisheitsrede als zentral ansieht, geht sie davon aus, dass Paulus zwischen einer elementaren Anfangsverkündigung und einer fortgeschrittenen Weisheitsrede unterscheidet. Diese Auslegung nimmt eine graduelle Unterscheidung von „Unmündigen“ und „Vollkommenen“ an. Diese Annahme steht im Widerspruch zu dem absoluten Gegensatz in 2,6-16 zwischen Menschen, die den Geist Gottes besitzen und Menschen, die den Geist Gottes nicht haben. Zudem ist diese Interpretation letztlich gezwungen, die Verkündigung vom Kreuz, die Paulus in 1,18 als „Macht Gottes“ bezeichnet hatte, als „Milch“ (3,2) zu verstehen, die reifere Christen nicht mehr brauchen. Beide Ansätze interpretieren 2,6-16 von 3,1-4 her und tragen die Unterscheidung von πνευματικοι' und νη' πιοι (3,1) sowie die Unterscheidung von βρω ^ μα und γα' λα (3,2) in den Text ein. Dies soll in der folgenden Auslegung vermieden werden – 2,6-16 ist konsequent von 1,18–2,5 her zu verstehen.391 Die Tatsache, dass Paulus in 2,6 positiv von der Weisheit redet (σοφι' αν δε` λαλου^ μεν), weist darauf hin, dass es ihm in diesem Abschnitt darum geht, im Anschluss an seine vorherigen Ausführungen die Weisheit Gottes, die im rettenden Kreuzestod Jesu Christi offenbar wurde, im Blick auf seine Verkündigung und im Blick auf die richtige geistliche Erkenntnis zu erläutern. 392 Die Opposition von Gott und Welt, von den „vollkommenen“ geistlichen Menschen und den „adamitischen“ natürlichen Menschen bleibt in diesem Abschnitt genauso erhalten wie der Gegensatz von Weisheit und Torheit. 393 ————————————————————
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Heinrici 93.104; Schmiedel 107; Wolff 51-53; Lang 41; Schrage I 240 („Weisheit auf höherer Ebene mit neuen Inhalten für Fortgeschrittene“); Baumann, Mitte, 274-276; Sellin, Geheimnis, 79-90 (Paulus rede auf der Ebene der Metasprache); Theißen, Aspekte, 346-349 (die „vollkommene Weisheit“ macht einen vorher unbewussten Inhalt bewusst); vgl. Litfin, Proclamation, 215-216. Zur Kritik vgl. Kammler, Kreuz, 183-185. Lindemann 74; Voss, Kreuz, 155-156; Kammler, Kreuz, 185. Vgl. Bornkamm, Paulus, 170-171; ders., ThWNT IV, 825-826; Lindemann 60; Kammler, Kreuz, 191-199. Vos, Argumentation, 50-57.59, meint, Paulus wolle in diesem Abschnitt den Korinthern klarmachen, dass sie gar nicht befugt sind, über ihn zu urteilen, weil er als Pneumatiker über jede Kritik erhaben ist, d.h. der Abschnitt 2,6–3,4 repräsentiere eine theologia gloriae. Diese Interpretation geht an den Aussagen des Textes vorbei; sie ist angesichts des unmittelbar vorausgehenden Kontextes 1,18–2,5 nicht plausibel.
Die verborgene Weisheit Gottes 2,6-16 163 ————————————————————————————————————
Die Weisheit des Geheimnisses, das im Evangelium vom gekreuzigten Christus verkündigt wird (2,1.6.7), ist von der Weisheit des gegenwärtigen Äons radikal geschieden, sie kann nur vom Geist Gottes offenbart und nur von wahren Gläubigen erkannt werden (2,7-16). Damit hat Paulus die thetische Aussage von 1,17b begründet und erläutert: Paulus verkündigt das Evangelium nicht durch rhetorisch brilliante Reden, die nur das Kreuz Jesu Christi beseitigen würden. Der Abschnitt 2,6-16 bringt die Behandlung der Parteiungen, die im Namen der Weisheit in der korinthischen Gemeinde entstanden sind (1,1017), zu einem vorläufigen Abschluss. In 1,18–2,5 erläuterte Paulus das Evangelium als Wort vom Kreuz, das als Antithese zur Weltweisheit zu verstehen ist und das infolge der Zentralität des gekreuzigten Messias sowohl die Gestalt der Gemeinde als auch Form und Inhalt der Verkündigung bestimmt. Der Abschnitt 2,6-16 ist mit 2,1-5 eng verbunden: 1. In V. 1 bezeichnet Paulus seine Verkündigung mit der ungewöhnlichen Formulierung το` μυστη' ριον του^ θεου^ , die er in V. 7 aufgreift, wo er seine Predigttätigkeit mit der Wendung θεου^ σοφι' αν ε ν μυστηρι' ω, beschreibt. 2. In V. 4 verwendet Paulus (zum ersten Mal in 1Kor) die Vokabel πνευ^ μα, die in V. 10 aufgegriffen wird und sodann in dem gesamten Abschnitt eine wichtige Rolle spielt (V. 11.12.13. 14). 3. Die antithetische Aussage von V. 4 hat in V. 13 eine deutliche Parallele:394 ο λο' γος μου και` το` κη' ρυγμα' μου (V. 4a) entspricht α και` λαλου^ μεν (V. 13a), ου κ ε ν πειθοι^ σοφι' ας (V. 4b) entspricht ου κ ε ν διδακτοι^ ς α νθρωπι' νης σοφι' ας (V. 13a) und α λλ’ ε ν α ποδει' ξει πνευ' ματος και` δυνα' μεως (V. 4c) entspricht α λλ’ ε ν διδακτοι^ς πνευ' ματος (V. 13c). In V. 6-16 erläutert Paulus die Verkündigung und die Erkenntnis des gekreuzigten Messias als rettende Weisheit Gottes.395 Gliederung. Der Abschnitt 2,6-16 besteht aus zwei parallel aufgebauten Teilen: V. 6-12 und V. 13-16. Beide Teile lassen sich in zwei Unterabschnitte einteilen: der erste Unterabschnitt (V. 6-7 / V. 13) behandelt jeweils die Verkündigung der Weisheit Gottes, der zweite Unterabschnitt (V. 8-12 / V. 14————————————————————
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Vgl. Kammler, Kreuz, 186-189 zur konsequenten argumentativen Weiterführung von 1,18-2,5 in 2,6-16. Vgl. Schrage I 239-240. Kammler, Kreuz, 147.191. Vgl. Kammler, Kreuz, 195-199, dessen Strukturanalyse ich mich anschließe. Für die Diskussion anderer Gliederungsvorschläge vgl. ebd. 192-193.194 Anm. 66. Man findet Gliederungen in die beiden Abschnitte 2,6-9 / 2,10-16 (Bousset, Schlatter, Wilckens, Conzelmann, Lang, Merklein, Kremer, Thiselton), in die beiden Abschnitte 2,6-10a / 10b16 (Schmiedel, Sellin, Klauck, Lips), in die beiden Abschnitte 2,6 / 2,7-16 (Wilckens, Stuhlmacher, Theis, Voss), in die drei Abschnitte 2,6-9 / 2,10-12 / 2,13-16 (Weiss, Strobel, Schrage, Wolff, Lindemann), in die drei Abschnitte 2,6-10a / 2,10b-12 / 2,13-16 (Baumann). Vos, Argumentation, 50-57 teilt in vier Abschnitte ein: 2,6a / 2,6b-12 / 2,13 / 2,14-16. Garland 90 teilt in fünf Abschnitte ein: 2,6a / 2,6b-9 / 2,10-13 / 2,14-16a / 2,16b.
164 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
16) behandelt jeweils die Erkenntnis dieser Weisheit. In V. 6-7 / V. 13 erscheint das Verb λαλου^ μεν, während in V. 8-12 / V. 14-16 Verben des Erkennens verwendet werden (γινω' σκω, οι δα). Die von der Verkündigung handelnden Abschnitte setzen mit einer thetischen Feststellung ein (V. 6a / V. 13a), die von der Erkenntnis handelnden Abschnitte beginnen mit einer Aussage, die antithetisch aufgebaut ist (V. 8-10 / V. 14-15). Textkritische Anmerkungen. In V. 10 lesen d46 B 6 365 1175 1739 γα' ρ, während אA C D F G Ψ 33 1881 Byz δε bezeugen. Für die Gliederung des Abschnitts ist diese Lesart von einiger Bedeutung. Die Lesart von d46 B ist wahrscheinlich eine Verbesserung der Abschreiber; δε ist als die schwierigere Lesart zu bevorzugen.396 In V. 15 lässt sich kaum entscheiden, ob man τα` πα' ντα (d46 A C D*; vgl. P 6 33 81 365 630 1739, die με` ν τα` πα' ντα bieten) oder unter Streichung des Artikels πα' ντα liest (F G; με` ν πα' ντα bieten א1 B D2 Ψ 0289vid 1881 Byz). Die Lesart von d46 A ist wahrscheinlich zu bevorzugen.397 In V. 16b ersetzen B D* F G 81 Χριστου^ durch κυρι' ου, was wohl eine Assimilierung an κυρι' ου in V. 16a ist und deshalb als sekundär gelten muss.
III 6 Paulus knüpft mit der Aussage von V. 6 unmittelbar an V. 4-5 an:398 nachdem er in V. 1-5 die Korinther an seine missionarische Verkündigung anlässlich der Gründung der Gemeinde erinnerte, beschreibt er jetzt die Gegenwart. In dem Satz wir verkündigen Weisheit ist das „wir“ nicht betont;399 es ist kaum auf alle Christen zu beziehen, 400 sondern entweder auf Paulus allein401 oder auf Paulus zusammen mit den anderen urchristlichen Missionaren und Lehrern.402 Das Verb λαλου^ μεν hat hier die Bedeutung „verkündigen“ (wie in 1Thess 2,2.4.16; Phil 1,14), da es ευ αγγελι' ζομαι (1,17), κηρυ' σσω (1,23) und καταγγε'λλω (2,1) und vor allem ο λο' γος μου και` το` κη' ρυγμα' μου (2,4) aufgreift. Das Stichwort Weisheit ist im Anschluss an ————————————————————
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Metzger, Textual Commentary, 481; Weiss 60; Bachmann 125 Anm. 1; Lietzmann 13; Merklein I 216; Lindemann 67; Kammler, Kreuz, 193. Für die Ursprünglichkeit von γα' ρ plädieren Kümmel 170; Fascher 126; Conzelmann 89; Fee 97 Anm.1; Schrage I 256 Anm. 204; Thiselton 254-255 bleibt unentschlossen. Zuntz, Text, 109-110; Metzger, Textual Commentary, 482. Die Partikel δε ist nicht adversativ, sondern kopulativ, was mit „und, da, dann“ übersetzt werden kann, oder unübersetzt bleibt. HS §252.12. Strobel 62 sieht einen Hinweis auf die Ebenbürtigkeit des Apostels mit Apollos. Lindemann 61; Garland 91; Voss, Kreuz, 145. Lietzmann 11; Fee 101; Kammler, Kreuz, 200 Anm. 80. Hofmann 44; Meyer 52; Heinrici 92; Weiss 53; Bachmann 138; Grosheide 62; Schrage I 248-249; Collins 128.
Die verborgene Weisheit Gottes 2,6-16 165 ————————————————————————————————————
1,24.30 als Gottes Heilsoffenbarung im Kreuzestod Jesu zu verstehen – dies ist die Botschaft, die Paulus verkündigt. Die Wendung unter den Vollkommenen ist im Zusammenhang anderer Beschreibungen von Christen im vorausgehenden Kontext zu verstehen: die οι τε'λειοι sind parallel zu sehen zu οι σω, ζο' μενοι (1,18), οι πιστευ' οντες (1,21) und οι κλητοι' (1,24), sowie im nachfolgenden Kontext parallel zu πνευματικο' ς (2,13.15). Das heißt, es handelt sich um die Menschen, die Gott zum Heil berufen und infolge der Macht seines Geistes durch die Verkündigung des gekreuzigten Messias Jesus zu Glaubenden gemacht hat. 403 Die Präposition ε ν zeigt sowohl den Ort als auch die Adressaten der Verkündigung an: Paulus verkündet in der korinthischen Gemeinde genauso das Evangelium von Gottes Heilshandeln im Kreuzestod Jesu wie auf dem Marktplatz oder in der Synagoge, wenn er vor Juden und Heiden redet.404 Paulus sagt also nicht, dass prinzipiell alle Christen zu den Vollkommenen gehören können, weil sie den Geist besitzen, dass aber nur diejenigen wirklich zu den Vollkommenen gehören, die sich in ihrem Lebensalltag ganz von der Erkenntnis Christi bestimmen lassen. 405 Paulus sagt auch nicht, dass er Weisheit nur den reifen Christen verkündigt.406 Da die korinthischen Christen offensichtlich nicht zu den „Erwachsenen“ gehören, ergäbe es keinen Sinn, den Abschnitt 2,6-16 in dem Brief, den er an sie schreibt, aufzunehmen. Die Vollkommenen sind die an Jesus Christus glaubenden Menschen, d.h. alle, die den Geist Gottes empfangen haben. Die „Vollkommenheit“ ist für Paulus „kein menschlicher bzw. christlicher Habitus, und sie darf auch nicht als eine dem Glaubenden inhärente Eigenschaft und Qualität verstanden werden. Sie ist vielmehr eine Wirklichkeit, die dem Menschen von Gott in seiner Gnade zugesprochen wird und immer Gabe ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 202, mit Verweis auf Fee 102-103; Käsemann, Exegetische Versuche I, 269; G. Delling, ThWNT VIII, 77; Weder, Kreuz, 170-171; Voss, Kreuz, 153-154; vgl. auch Schrage I 249; Witherington 126; Lindemann 61-63; Garland 92; Carson, Mystery, 416-417. Zu Analogien für den Begriff οι τε' λειοι im zeit- und religionsgeschichtlichen Kontext, die man vor allem bei Philo und in der Gnosis sieht, vgl. Winter, Pneumatiker, 56-206; Voss, Kreuz, 146-152. Wenn die Korinther (was im Text nicht gesichert ist) mit den Vokabeln οι τε' λειοι / πνευματικο' ς und ψυχικο` ς α»νθρωπος Christen mit höherer Erkenntnis und Christen mit niedrigerer Erkenntnis unterscheiden, also einen graduellen Unterschied unter Christen im Sinn eines Zwei-Stufen-Christentums annehmen, dann „verwendet der Apostel die gleiche Begriffsdistinktion zur Beschreibung des absoluten, innerhalb der Menschheit bestehenden und die Soteriologie betreffenden Gegensatzes von Glaubenden und Nichtglaubenden“ (Kammler, Kreuz, 203). So Wolff 51-52; Baumann, Mitte, 205-206; Wilckens, Zu 1 Kor 2,1–16, 526-528; zur Kritik Kammler, Kreuz, 203; ebd. 204 das folgende Zitat. So Bockmuehl, Revelation, 157-166. F. Winter, in Arzt-Grabner 121-122 verweist auf Papyrustexte, in denen τε' λειος „erwachsen, gereift” bedeutet; vgl. BGU IV 1100; P.Yale I 77; P.Oxy. LXV 4497; SB XVI 12333,27.
166 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gottes bleibt“. Die „Vollkommenheit“ bleibt dabei immer an den Kreuzestod Christi gebunden: die „Weisheit unter den Vollkommenen“ ist und bleibt Gottes rettende Weisheit, die im Kreuzestod Jesu offenbart wurde. Die Vollkommenen sind die „in Christus Jesus Geheiligten“ und die „berufenen Heiligen“ (1,2), die durch Jesus Christus „in allem reich geworden“ sind (1,5) und die deshalb an keiner Gnadengabe einen Mangel haben (1,7) – Vollkommene, die wissen, dass sie täglich der Festigung durch Jesus Christus und der Treue Gottes bedürfen (1,8-9). Die Fortsetzung mit dem Satz Weisheit jedoch weder dieser Weltzeit noch der Herrscher dieser Weltzeit, die zunichte werden bestätigt diese Auslegung. Es geht nicht um eine Abstufung von Christen, sondern um die radikale Opposition von Gottesweisheit und Weltweisheit. Die Formulierungen „Weisheit dieser Weltzeit“ und „Weisheit der Herrscher dieser Weltzeit, die zunichte werden“ sind synonym zu der Wendung „menschliche Weisheit“ in V. 5 sowie zu den Formulierungen „Weisheit der Weisen“ (1,19), „Weisheit der Welt“ (1,20) und „menschliche Weisheit“ (2,13). Alle Weisheit, die nicht Gottes Weisheit ist, ist Weisheit „dieser Weltzeit“ – auch die brillanteste Rhetorik und Argumentation, die sich die Korinther vorstellen können. Die Wendung Herrscher dieser Weltzeit bezieht sich deshalb nicht auf überirdische, widergöttliche dämonische Mächte, 407 sondern auf irdische Machthaber.408 Wie V. 8 deutlich macht, sind mit den α»ρχοντες konkret zunächst die irdischen Machthaber gemeint, die Jesus gekreuzigt haben, d.h. Kaiphas und der Sanhedrin in Jerusalem, die politischen Repräsentanten der jüdischen Welt, und Pilatus als Repräsentant der griechisch-römischen Welt. Wie Paulus in der Verkündigung des Evangeliums bewusst auf rhetorische Eloquenz und clevere Argumentation verzichtet, so ist er auch von den Mächtigen nicht beeindruckt, die die „Weisheit dieses Äons“ repräsentieren, auch nicht von den Angehörigen der gebildeten Elite Korinths – er verlässt sich auf die Macht Gottes (2,4.5). Die Mächtigen der gesellschaftlich————————————————————
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So Weiss 53-54.55; Bousset 81; Lietzmann 12-13; Kümmel 170; Barrett 70; Conzelmann 85; Fascher 122-123; Kremer 57-58; Schrage I 250; Bultmann, Theologie, 258; Baumann, Mitte, 211-214; O. Merk, Art. α»ρχων, EWNT I, 403-404. Lightfoot 174-175; Robertson/Plummer 36-37; Bachmann 119-120; Lang 42; Fee 103104; Lindemann 63-64; Carr, Angels and Principalities, 118-120; Clarke, Leadership, 114-117; Voss, Kreuz, 156-158; Kammler, Kreuz, 205-207. Vgl. die von F. Winter, in Arzt-Grabner 123 genannten Papyrusbelege, in denen α»ρχων die Repräsentanten der offiziellen staatlichen Verwaltung bezeichnet; vgl. P. Lond. VI 1912,64; III 604 A,13; im Blick auf die Verantwortlichen einer Synagoge in P.Lond. III 1177 Rekto. Manche Ausleger sehen eine Doppelbedeutung: οι α»ρχοντες bezeichnen sowohl irdische Machthaber als auch Werkzeuge dämonischer Mächte; vgl. Schrage I 253-254; Collins 129; Thiselton 233-239 (als Konnotation); Garland 94; Cullmann, Staat, 46-47; Theißen, Aspekte, 365366.370-374; Wink, Naming the Powers, 40-45.
Die verborgene Weisheit Gottes 2,6-16 167 ————————————————————————————————————
politischen Strukturen „vergehen“: ihre Existenz ist immer zeitlich begrenzt, ihre Wirkung vorläufig (καταργουμε'νων ist Ptz. Präsens). 7 Der Satz wir verkündigen Gottes Weisheit (wieder mit λαλου^ μεν formuliert) greift 1,23-24 auf: die σοφι' α, die Paulus verkündigt, ist die Botschaft von Gottes machtvollem Heilshandeln im Kreuzestod Jesu, die von den Glaubenden als „Gottes Macht“ erfahren und als „Gottes Weisheit“ erkannt wird, d.h. der gekreuzigte Messias als Inbegriff der rettenden Weisheit Gottes. 409 Weil diese Weisheit Gottes für Juden ein Ärgernis und für Griechen eine Torheit ist, handelt es sich um ein verborgenes Geheimnis. Mit μυστη' ριον meint Paulus also keine Geheimlehre für fortgeschrittene Christen, sondern die Weisheit Gottes, wie sie sich im Tod Jesu am Kreuz offenbart hat.410 Die Weisheit Gottes ist das Geheimnis der Heilsoffenbarung im Kreuz Jesu (V. 1-2), das der Welt verschlossen bleibt und nur den Erwählten geoffenbart wird – ein zentraler Gedanke in V. 6-16. Das Ptz. Pf. α ποκεκρυμμε'νην bezieht sich auf „diese Weltzeit“ und auf die „Herrscher dieser Weltzeit“ (V. 6), vor denen die Bedeutung des gekreuzigten Jesus Christus verborgen bleibt. Der Relativsatz von Gott vorherbestimmt vor allen Zeiten hält fest, dass Gott diese „Weisheit“, d.h. die Wirklichkeit seines Heilshandelns im Kreuzestod des Messias Jesus „vor allen Zeiten“, d.h. schon vor der Schöpfung, „vorherbestimmt“ hat. Die Wendung προ` τω ^ν αι ω' νων und das Verb προω' ρισεν (Aor.) beschreiben die „Priorität und Überlegenheit des göttlichen Heilsratschlusses“. 411 Das Verb προορι' ζω bedeutet „im voraus entscheiden, vorherbestimmen“.412 Die Wendung zu unserer Herrlichkeit (ει ς δο' ξαν η μω ^ ν) bezieht sich nicht auf die gegen413 wärtige Heilserfahrung, sondern auf die „in Christi Tod und Auferstehung ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 206, der die von vielen vertretene Meinung ablehnt, mit „Gottes Weisheit“ sei der göttliche Heilsplan gemeint, der sich im Kreuzestod Jesu verwirklicht hat; so z.B. Weiss 55-57; Bousset 82; Bachmann 122-123; Lietzmann 12-13; Conzelmann 86; Merklein I 228-229; Wolff 55-56. Schrage I 250-251, sieht beides angesprochen, Heilsplan und Heilsgut. ε ν μυστηρι'ω, ist nicht mit λαλου^ μεν zu verbinden („wir verkündigen . . . in geheimnisvoller Weise“), so Meyer 60; Hofmann 45; Weiss 55, sondern adnominal mit dem Akk. Obj. θεου^ σοφι'αν („Gottes Weisheit, die ein Geheimnis darstellt“), so Godet I 70-71; Heinrici 96; Lightfoot 175; Bachmann 121; Fee 104-105; Schrage I 251; Merklein I 228; Lindemann 63; Voss, Kreuz, 159-160; Kammler, Kreuz, 209. Schrage I 252, mit Verweis auf Röm 8,29-30; Eph 1,5. Zu προ` τω ^ ν αιω' νων vgl. Eph 1,4; 2Tim 1,9; Tit 1,2; Joh 17,5.24; die engste sachliche Parallele ist 1Petr 1,20. Bauer /Aland 1420; K. L. Schmidt, ThWNT V, 457; H. Balz, EWNT III, 384 geben als Bedeutung lediglich „vorherbestimmen“ (und „prädestinieren“), was eher die jahrhundertelange theologisch-philosophische Diskussion über die Prädestination widerspiegelt als griechische Lexikographie. BDAG 873: „decide upon beforehand, predetermine“. Conzelmann 86; Barrett 71; Lindemann 64.
168 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
begründete und deshalb gewisse, aber gleichwohl doch zukünftige Größe“. 414 Das heißt, Paulus verweist auf die δο' ξα, die das Wesen Gottes beschreibt und die Gott dem Menschen vor dem Sündenfall eigen war, die aber den Nachkommen Adams infolge der Sünde verwehrt ist, und die sich jetzt machtvoll im Kreuzestod Jesu geoffenbart hat und den erwählten Gläubigen als Teilnahme am ewigen Leben in der unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott geschenkt wird. Gleichzeitig gilt für die Glaubenden, wie Paulus im Römerbrief schreiben wird, dass Gott sie im voraus dazu bestimmt hat, „dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes“ (Röm 8,29); dazu gehört, dass sie „allezeit das Sterben Jesu“ an ihrem Leib tragen, „damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde“ (2Kor 4,10). Diese Verwandlung hat bereits in der Gegenwart begonnen: „Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und werden so in sein eigenes Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn“ (2Kor 3,18).415 8 Nachdem Paulus in V. 6-7 den Inhalt seiner Verkündigung des gekreuzigten Jesus Christus als Weisheit Gottes beschrieben hat, kommt er in V. 8-12 auf die Erkenntnis der Weisheit Gottes zu sprechen. In V. 8 konkretisiert er seine Aussage von der Verborgenheit der Weisheit Gottes: diese hat keiner der Herrscher dieser Weltzeit.416 Die Herrschenden haben die Weisheit Gottes, d.h. die Heilsoffenbarung im Kreuzestod Jesu des Messias, nicht erkannt,417 sonst hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Der konkrete Bezug auf die Kreuzigung Jesu (ε σταυ' ρωσαν) identifiziert die α»ρχοντες – Kaiphas und Pilatus – als die Repräsentanten der aus Juden und Heiden bestehenden „Welt“. Weil das Verb, das das Nicht-Erkennen der Weisheit Gottes beschreibt (ε» γνωσαν), im Perfekt formuliert ist, d.h. die Gegenwart in dieses Nicht-Erkennen mit einbezieht, ist es angebracht, die Herrschenden von 2,6.8 mit den „Weisen, Schriftgelehrten, Philosophen“ von 1,20 und mit den „Mächtigen, Angesehenen, Weisen“ von 1,26 in Verbindung zu bringen. Paulus sagt den Korinthern, die immer noch von der ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 212, im Anschluss an Meyer 60-61; Schlatter 112; Wendland 28; Strobel 66; Fee 106; Schrage I 252; Voss, Kreuz, 165; vgl. auch Robertson /Plummer 38; Garland 96. Vgl. Röm 3,23; 5,2; 8,17.18.21; 1Kor 15,43; Phil 3,20-21; 1Thess 2,12. Als gleichzeitig gegenwärtige und zukünftige Größe interpretieren Wolff 55; Merklein I 229. Vgl. Garland 96. Das Relativpronomen (η« ν) ist als relativischer Satzanschluss zu bestimmen (BDR §293.3c; HS §142g, 289g), vgl. Kammler, Kreuz, 194 Anm. 68.212. Die meisten Ausleger interpretieren als Relativsatz, der auf σοφι'α und nicht auf δο' ξα zu beziehen ist; vgl. Lindemann 64; anders Schrage I 252, der beides miteinander verbinden will. Der Konditionalsatz ει γα` ρ ε»γνωσαν, ου κ α ν το` ν κυ' ριον τη^ ς δο' ξης ε σταυ' ρωσαν ist ein Irrealis (BDR §360 mit Anm. 1); vgl. Lindemann 59.65.
Die verborgene Weisheit Gottes 2,6-16 169 ————————————————————————————————————
Brillianz der Rhetoren, von der Argumentation der Philosophen und von der Macht der Einflussreichen beeindruckt sind und deren Kriterien auf die Apostel und Lehrer der Gemeinde anwenden, dass die Elite der jüdischen und griechisch-römischen Welt damals die Offenbarung Gottes nicht erkannte, als Jesus lebte und am Kreuz starb, und auch heute nicht (oder nur selten) erkennt, dass Jesus der Gekreuzigte als Gottes Weisheit verkündigt wird. 418 Die Formulierung Herr der Herrlichkeit (το` ν κυ' ριον τη^ ς δο' ξης) als Beschreibung für Jesus ist auffallend (vgl. Jak 2,1). Sie erinnert an ein atl. und jüdisches Gottesprädikat (ο θεο` ς τη^ ς δο' ξης; Ps 29,3; vgl. Apg 7,2; Eph 1,17; vgl. äth Hen 22,14; 25,3.7; 27,3.4). Für Paulus gehört Jesus „wesen- und ursprunghaft auf die Seite Gottes“, und zwar als der irdische Jesus.419 Als die irdischen Herrscher Jesus gekreuzigt haben, bewiesen sie ihr Nicht-Erkennen der Weisheit Gottes gerade darin, dass sie die Identität des Gekreuzigten nicht erkannten. „Das Kreuz war nicht Ort des Triumphes der α»ρχοντες, sondern es war ein Triumph des Gekreuzigten selbst“.420 Aber ihr NichtErkennen war nicht einfach ein historischer Unfall, genauso wenig wie der Tod Jesu ein mutiger Akt oder ein politischer Märtyrertod war. Der Kreuzestod Jesu war der von Gott „vor allen Zeiten“ beschlossene Ort der Heilsoffenbarung, der Ort, an dem die machtvolle Weisheit Gottes über die Macht des Todes und der Sünde triumphierte. Die „Herrlichkeit“ des Herrn am Kreuz ist deshalb zu verstehen als die Sünde sühnende Heilsoffenbarung Gottes.421 9 Paulus bekräftigt mit einem Schriftzitat (καθω` ς γε'γραπται) die Aussage von V. 8b und damit zugleich die negative Feststellung V. 8a: Die mit dem Gekreuzigten identische Weisheit Gottes kann der Mensch weder mit seiner eigenen Wahrnehmungskraft fassen (was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat) noch mit seiner Vernunft denken (was in keines Menschen Herz Eingang gefunden hat). Gott hat das Erkennen seiner Weisheit denen gewährt, die ihn als „berufene Heilige“ lieben. „Herz“ (καρδι' α) bezeichnet hier, wie in der LXX, das Innere des Menschen, „den Sitz von Verstand, Er————————————————————
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Die These, V. 8b gäbe Einblick in den kosmischen Hintergrund der Kreuzigung, findet im Text keinen Anhaltspunkt. Im gnostischen Gedanken des Abstiegs einer präexistenten Sophiagestalt wird betont, dass diese den Archonten, den dämonischen Mächten, aufgrund einer Verkleidung verborgen geblieben war; vgl. Lietzmann 12-13; Conzelmann 87; Käsemann, Exegetische Versuche I, 272; Wilckens, Weisheit, 71.97-213. Zur Kritik vgl. Schrage I 253; Wolff 56-57; Merklein I, 230; Lindemann 65. Kammler, Kreuz, 214, der Bousset 82 und Weiss 56 kritisiert, die meinen, die Aussage sei proleptisch zu verstehen, d.h. Jesus sei erst aufgrund seiner Auferstehung und Erhöhung zum „Herrn der Herrlichkeit“ geworden. Lindemann 65. Vgl. Hotze, Paradoxien, 85: „Die provozierende Infragestellung des menschlichen Vorverständnisses will positiv den radikalen Heilswillen Gottes zum Ausdruck bringen“.
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kenntnis und Wille“.422 Der Ausdruck denen, die Gott lieben (τοι^ς α γαπω ^ σιν αυ το' ν) greift eine atl.-frühjüdische Wendung auf, mit denen die Glaubenden beschrieben werden. 423 Das Verb bereitet (η τοι' μασεν, Aor.) bezieht sich nicht auf den Kreuzestod Jesu, sondern auf das vorzeitliche Erwählungshandeln Gottes.424 Die Herkunft des Schriftzitats ist nicht ganz eindeutig.425 Am wahrscheinlichsten ist eine lockere Zitierung von Jes 64,3 (MT: „und von Ewigkeit her hat man es nicht gehört, nicht vernommen; kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der handelt an dem, der auf ihn harrt“; LXX: „von Ewigkeit her haben wir nicht gehört und unsere Augen haben nicht gesehen einen Gott außer dir und deinen Werken, was du tun wirst denen, die auf (deine) Barmherzigkeit harren“). Die Wendung ins Herz Eingang finden (wört. „hinaufgehen“) findet sich nicht in Jes 64,3, sondern im griech. Text von Jes 65,17. Die Formulierung in V. 9 und in Jes 65,17 macht es jedoch unwahrscheinlich, dass Paulus in dem Schriftzitat Jes 64,3 und Jes 65,17 kombiniert hat. Mit dem Zitat von Jes 64,3 verweist Paulus die Korinther auf die Tatsache, dass denen, die Gott lieben, die Erkenntnis des göttlichen Heils als die wahre Weisheit geschenkt wird. Jes 64,3 erinnert daran, dass unsere Beziehung zu Gott primär durch die Liebe, nicht durch die Weisheit oder Erkenntnis bestimmt ist. „Vollkommene“ (V. 6) sind nicht diejenigen, die sich ihrer Weisheit und Erkenntnis rühmen, sondern diejenigen, die Gott lieben, weil sie wissen, dass ihre Erkenntnis der Offenbarung Gottes im Kreuzestod Jesu und ihr Ergriffensein von der Heilsmacht Gottes als „berufene Heilige“ ein Geschenk Gottes ist.
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A. Sand, EWNT II, 616. Die Wendung ε πι` καρδι'αν α νθρω' που α νε' βη übersetzt in der LXX hebr. ;עלה על לבvgl. Jes 65,16; Jer 3,16; 39,35 (32); 51,21 (MT 44,21); im NT vgl. Lk 24,38; Apg 7,23. In den Papyri gibt es für die Wendung α ναβαι'νω ε πι' keine Parallele. Vgl. Ex 20,6; Dtn 5,10; 7,9; Ri 5,31; Neh 1,5; Ps 145,20; Sir 1,10; PsSal 4,25; 6,6; 10,3; 14,1; bei Paulus siehe noch 1Kor 8,3; Röm 8,28. Schrage I 256; Lindemann 65; Garland 98; Kammler, Kreuz, 216. Für diese Bedeutung von ετοιμα' ζω vgl. Hebr 11,16; vgl. Röm 9,23; Eph 2,10; 1Petr 1,5. Zur Diskussion vgl. Schrage, 245-246; Lindemann 67; Thiselton 251; Hays 44-45; Ponsot, I Corinthiens II,9, 229-242; Koch, Schrift, 36-41; Stanley, Language, 188-189; Kammler, Kreuz, 217-218; Ciampa/Rosner 701. Die folgenden Übersetzungen sind nach Lindemann zitiert. Die These eines Apokryphons (Kümmel 170; Conzelmann 88), vielleicht aus einer verlorenen Elia-Apokalypse (Heinrici 98; Weiss 58-59; Lietzmann 13; Michel, Paulus, 33-37), ist nicht stichhaltig (kritisch Verheyden, Origin). Die These, das Zitat sei ein nicht-kanonisches Jesuswort aus EvThom 17 (Robinson, Study, 47-48; Patterson, Jesus Tradition, 36-37), kann ebenfalls nicht aufrecht erhalten werden (kritisch Tuckett, Jesus Tradition, 55-73).
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aus dem Schriftzitat V. 9 auf 426 und formuliert die Gegenaussage zu V. 8a: Während die „Herrscher dieser Weltzeit“ die Weisheit Gottes,427 d.h. das Heilshandeln Gottes im gekreuzigten Messias, nicht erkannten und nicht erkennen, hat Gott sie „uns“, den „berufenen Heiligen“ (V. 2), geoffenbart durch den Geist. Paulus verwendet hier im Ersten Korintherbrief zum ersten Mal das Wort α ποκαλυ' πτω (vgl. 3,13; 14,30).428 Im Kontext von V. 4-5 bezeichnet das Verb die rettende Erkenntnis des gekreuzigten Messias als Weisheit Gottes, die man nur infolge göttlicher Offenbarung durch den Heiligen Geist haben kann.429 Weil die menschliche Weisheit zu „dieser Weltzeit“ gehört, kann sie Gott und seine Absichten nicht erkennen (vgl. Jes 55,8; Mi 4,12). Ohne den „Beweis des Geistes und der Kraft“ Gottes (V. 4) bleibt der Kreuzestod Jesu Ärgernis und Unsinn. Es ist allein der Macht Gottes, d.h. dem Wirken des Geistes Gottes vorbehalten, πι' στις zu schenken (V. 5), d.h. Nicht-Erkennende zu der Überzeugung (d.h. zum Glauben) zu führen, dass der Kreuzestod Jesu der Ort des Heilshandelns Gottes ist, und so aus den „Unheiligen“ „berufene Heilige“ zu machen. Paulus setzt hier voraus, dass Menschen, die zum Glauben an Jesus als den gekreuzigten Retter und „Herrn der Herrlichkeit“ gekommen sind, den Heiligen Geist empfangen haben (vgl. 3,16; 6,19; 12,13; 2Kor 13,5; Röm 8,9; Gal 6,1; Eph 1,17). Der Nebensatz V. 10b begründet (γα' ρ), weshalb nur der Geist Gottes den Menschen die Weisheit Gottes, die ein „verborgenes Geheimnis“ ist (V. 7), offenbaren kann: denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes. πα' ντα sollte nicht auf das Heilsgut eingeschränkt werden, 430 sondern bezieht sich auf die verborgenen Absichten und Pläne Gottes. Nur der Geist Gottes, der die „Tiefen Gottes“ und damit den Heilsratschluss Gottes und seinen Zusammenhang mit dem Kreuzestod des Messias Jesus kennt (V. 7-8), kann den Inhalt dieses „Geheimnisses“ den Menschen in der von Gott abgefallenen Welt offenbaren. Der Ausdruck „die Tiefen Gottes“ (τα` βα' θη του^ θεου^ ) beschreibt die „Unergründlichkeit und Unermeßlichkeit Gottes“, in die der ————————————————————
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Mit η μι^ν sind also alle Glaubenden gemeint (Lightfoot 178; Weiss 60; Merklein I 234; Lindemann 67-68), nicht exklusiv Paulus (Godet I 75) oder die Verkündiger (Meyer 64; Heinrici 100; B. Weiß, 143), schon gar nicht die „Pneumatiker“ als besondere Gruppe in der Gemeinde (Conzelmann 89). Das in V. 10 zu ergänzende Akk. Obj. ist θεου^ σοφι'αν V. 7a, da V. 10a sich antithetisch auf V. 8a zurückbezieht. Vgl. Kammler, Kreuz, 219 mit Anm. 152. Die meisten Ausleger und Übersetzungen interpretieren als neutrisches Pronomen („es“), mit Rückbezug auf das zweimalige α« V. 9; GN, Hfa, NGÜ ergänzen „dieses Geheimnis“. Vgl. Röm 1,17.18; 8,18; Gal 1,16; 3,23; Eph 3,5; Phil 3,15; 2Thess 2,3.6.8. Es geht weder um visionär-ekstatische Offenbarungserlebnisse (Bousset 83), noch um die Offenbarung des göttlichen Heilsplans (Merklein I 234); Kammler, Kreuz, 219 Anm. 153. So Conzelmann, 93.
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Mensch nur durch Offenbarung Einblick erhält.431 In 2,4-5 hatte Paulus betont, dass der Geist Gottes jene Realität ist, die die Verkündigung vom gekreuzigten Messias den zuhörenden Juden und Heiden, die er als Missionar erreichen will, erschließt. Genau dieser Gedanke wird hier und in den folgenden Versen erläutert. 11 Paulus erklärt die Aussage V. 10 über den Geist, der die „Tiefen Gottes“ erforscht und den Menschen die Weisheit Gottes offenbart, mit einem Vergleich: Ein Mensch versteht (οι δεν) das Denken des Menschen (τα` του^ α νθρω' που), d.h. seine innersten Gedanken, nur deshalb, weil der Geist des Menschen (το` πνευ^ μα του^ α νθρω' που) in ihm (ε ν αυ τω ^, ) ist. Der „Geist des Menschen“ ist „das Ichzentrum und Selbstbewußtsein, durch das der Mensch weiß, was ‚in seinem Herzen‘ ist, d.h. was in seinem Denken, Fühlen, und Wollen vor sich geht“.432 Genauso verhält es sich auch mit dem „Denken“ Gottes, d.h. mit dem göttlichen Heilsratschluss: Niemand (ου δει' ς) versteht das Denken Gottes (τα` του^ θεου^ ), ausgenommen der Geist Gottes (το` πνευ^ μα του^ θεου^ ). Der Hintergrund dieses Vergleichs ist das Erkenntnisprinzip, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt wird (Plato, Leg. 4,716c: es gilt das alte Wort „dass nämlich das Ähnliche dem Ähnlichen, wenn es Maß hält, lieb ist“).433 Paulus will mit der Analogie nicht sagen, dass der menschliche Geist das Göttliche im Menschen sei. Für Paulus ist der göttliche Geist die machtvolle Gegenwart Gottes (V. 5) und, als Geist Christi, die irdische Manifestation des erhöhten Kyrios (2Kor 3,17) – nur dieser Heilige Geist Gottes vermag das Denken Gottes zu ergründen und wahrhafte Erkenntnis des Heilsratschlusses Gottes zu gewähren, „Gottes Geist allein ist authentische und verläßliche Quelle wahrer Offenbarung und eines darauf bezogenen γινω' σκειν“.434 Paulus hebt auf den „für das biblische Offenbarungsverständnis charakteristischen Sachverhalt ab, daß dem Menschen von sich ————————————————————
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Schrage I 257; vgl. Lindemann 68; Kammler, Kreuz, 220 interpretiert im Sinn der „zutiefst verborgenen Gedanken und Pläne Gottes“. Der traditionsgeschichtliche Hintergrund des Ausdrucks ist nicht die Gnosis (so Kümmel 170; H. Schlier, ThWNT I, 515516; Wilckens, Weisheit, 82-83), sondern das AT (. Hi 11,7; Ps 92,6; Jdt 8,14; Dan 2,22) und das Frühjudentum (TestHi 37,6; syrBar 14,8-9; äthHen 63,3; 1QS 11,18-19); Wolff 58-59; Merklein I 236; Schrage I 257; Lindemann 68-69; Kammler, Kreuz, 220 Anm. 158. Lang, 45. Die Wendung το' τινος bzw. τα' τινος bedeutet „jmds. Sache, Angelegenheit“ (Bauer/Aland 1119 s.v. ο II.7). Kammler, Kreuz, 221 Anm. 162 lehnt die häufig gewählte Übersetzung „Wesen“ ab und weist zusätzlich darauf hin, dass „der Mensch sich selbst in seinem Wesen ein Geheimnis bleibt und somit gerade nicht durchsichtig ist“; so auch Schrage I, 259, der betont, dass von den „Tiefen“ beim Menschen gerade nicht gesprochen wird. Vgl. Müller, Gleiches zu Gleichem. Lindemann 69 verweist ferner auf Sextus Empiricus, Math. 7,116 und Philo, Gig. 9 (NW II nennt keine Parallelen). Schrage I, 259.
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aus die heilvolle Erkenntnis des der Welt transzendenten Gottes prinzipiell unmöglich ist und Gott nur da als Gott erkannt werden kann, wo er sich selbst zu erkennen gibt“.435 Dem Menschen ist von sich aus die Erkenntnis Gottes nicht möglich. Auf das Anliegen der Korinther angewendet, dass die christliche Botschaft mit eloquenter Rhetorik und überzeugender Argumentation vorzutragen sei, bedeutet der Hinweis auf dieses Erkenntnisprinzip und seine Folgen für die Gotteserkenntnis, dass auch die brillanteste, rhetorisch ausgefeilte und begeisternd vorgetragene Argumentation nicht in der Lage ist, das alles entscheidende Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu zu beweisen. 12 Mit einer Gegenaussage zu V. 11 erläutert Paulus V. 10a („uns aber hat Gott sie [die Weisheit] geoffenbart durch den Geist“). Das emphatisch vorangestellte uns (η μει^ς) hebt die an Jesus Christus den Gekreuzigten glaubenden Menschen von den übrigen Menschen V. 11 ab. Die Glaubenden haben nicht den Geist der Welt, sondern sie haben den Geist, der von Gott kommt, erhalten und können deshalb erkennen, was Gott uns geschenkt hat. Der Gegensatz von „Geist der Welt“ (το` πνευ^ μα του^ κο' σμου) und „Geist aus Gott“ (το` πνευ^ μα το` ε κ του^ θεου^ ) in V. 12a entspricht in formaler und inhaltlicher Hinsicht dem Gegensatz von „Weisheit dieser Weltzeit“ (σοφι' α του^ αι ω ^ νος του' του) und „Gottes Weisheit“ (θεου^ σοφι' α) in V. 6-7 (vgl. 1,20 σοφι' α του^ κο' σμου). Mit Geist der Welt ist keine dämonische Größe gemeint,436 sondern der „weltliche“ Geist als „die Kraft des bloß menschlichen Erkenntnisvermögens“. 437 Die Formulierung Geist aus Gott betont die göttliche Herkunft des Heiligen Geistes, den die Glaubenden erhalten haben, und unterstreicht, „daß der Geist niemals zu einem Besitz des Christen wird, über den dieser die Verfügungsgewalt erhielte“. 438 Der Geist, der aus Gott kommt, hat die Glaubenden zu „neuen Geschöpfen“ gemacht (2Kor 5,17) und schafft die Realität des „Christus lebt in mir“ (Gal 2,20), das rational nicht ————————————————————
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Kammler, Kreuz, 221, der den Hinweis auf das Erkenntnisprinzip allerdings nicht im Sinne der antiken Rhetorik interpretiert. So Meyer 66; Weiss 63. Kammler, Kreuz, 222, mit Hinweis auf Heinrici 102-103. Lindemann 70 macht es sich zu einfach, wenn er zu der Aussage, dass wir den Geist der Welt nicht empfangen haben, anmerkt, dass wir uns deshalb nicht überlegen brauchen, was mit dem „Geist der Welt“ gemeint ist. Merklein I 238 meint, der „Geist der Welt“ sei „wohl nicht als reale Größe vorgestellt“. Thiselton 260-261 verweist auf die stoische πνευ^ μα-Vorstellung. Kammler, Kreuz, 222, mit Verweis auf Iwand, Predigt-Meditationen I, 378; vgl. Schrage I 260. Wenn Ausleger ohne nähere Begründung vom Empfang des Heiligen Geistes in der Taufe sprechen (z.B. Schlatter 119; Schrage I 260), so ist dies in den Text eingetragen. Der Empfang des Geistes Gottes ist zeitlich mit dem Zum-Glauben-Kommen des Menschen zusammen zu sehen. In Apg 2,37-38 ist nicht die Taufe das Primäre, sondern die Umkehr und der Glaube an Jesus den Gekreuzigten und Auferstandenen. Vgl. Apg 9,17; 10,44-47 (die Taufe folgt auf den Geistempfang); 19,2.
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erklärt werden kann, aber an der „Frucht des Geistes“ offenbar wird (Gal 5,19-24).439 Der Satz damit wir erkennen, was Gott uns geschenkt hat beschreibt das Ziel und die Wirkung (ι«να final bzw. konsekutiv) des Heiligen Geistes, den die Glaubenden von Gott empfangen haben: Sie sollen verstehen (ει δω ^ μεν), was Gottes Gnade geschenkt hat. Die Wendung τα` υ πο` του^ θεου^ χαρισθε'ντα ist, verstanden als Rückgriff auf die beiden α«-Sätze im Schriftzitat von V. 9, auf Jesus Christus den Gekreuzigten zu beziehen, die Weisheit Gottes (1,21.24.30; 2,6.7) und das Geheimnis Gottes (2,1.7), und damit auf das Heil, das Gott im Kreuzestod Jesu erwirkt und geschenkt hat.440 Das Verb χαρι' ζω das gewährende, wohlwollende Geben Gottes. 441 Dieser Satz darf nicht zum Anlass genommen werden, V. 11b („so versteht auch niemand das Denken Gottes, ausgenommen der Geist Gottes“) zu ergänzen: „und der Mensch, dem es der Geist offenbart“. 442 Der Geist Gottes durchdringt die „Tiefen Gottes“ und kennt Gott so, wie nur Gott sich kennt, aber er erschließt den Glaubenden (einzig) Jesus den gekreuzigten Messias als Gottes rettende Weisheit. „Der Geist Gottes verschafft dem Menschen also nicht einen umfassenden Einblick in Gottes Gedanken und Geheimnisse. Die Gabe des Geistes ist vielmehr ausschließlich die heilvolle Erkenntnis von Person und Werk Jesu Christi“.443 13 Paulus beginnt den zweiten Teilabschnitt V. 13-16 wie in V. 6-7 mit einer Aussage über seine Verkündigung, wobei er jetzt nicht den Inhalt seiner Verkündigung beschreibt, sondern die jenem Inhalt entsprechende Qualität seiner Verkündigung. 444 Der Relativsatz das reden wir auch (α και` λαλου^ μεν) bezieht sich zurück auf τα` υ πο` του^ θεου^ χαρισθε'ντα V. 12b, d.h. ————————————————————
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Lang 45. Hays 44; Kammler, Kreuz, 222-223. Andere Ausleger interpretieren im Sinn von Gottes Heilsplan (Merklein I 239), der Geistesgaben (Wilckens, Weisheit, 86-87), des zukünftigen Heils (Meyer 67; Heinrici 103-104; Weiss 64), des gegenwärtigen und zukünftigen Heilshandelns Gottes (Schrage I 260; Lindemann 70). In den Papyri hat χαρι'ζω die oft nur schwer auseinanderzuhaltenden Grundbedeutungen „Gunst/Wohlwollen erweisen, willfährig sein“ sowie „gern und freudig geben, schenken, überlassen“; seit dem 1. Jh. findet man verstärkt die Bedeutung „gewähren, (aus eigenem Ermessen) schenken“; vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 131 mit Hinweis auf P.Lond. VI 1912; CPR XXIII 2,9; SB XII 11012. So Conzelmann 92; vgl. Weiss 62.64; Bachmann 131; Wendland 29; Lang 44-45; Schrage I 257; Voss, Kreuz, 174-175. Nach Weiss 62 deutet das δε' in V. 12 „den Untersatz eines Schlußverfahrens an: a) Niemand als der Geist Gottes hat Gottes Wesen erkannt; b) wir aber haben den Geist Gottes empfangen; c) folglich – können wir Gottes Gedanken erkennen“. Zur Kritik Kammler, Kreuz, 213 Anm. 171; s. auch Kümmel 170; Lindemann 70. Kammler, Kreuz, 213. Vgl. Kammler, Kreuz, 223-224.
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meint die Verkündigung des gekreuzigten Messias als rettende Weisheit Gottes und das von Gott durch Jesus Christus geschenkte Heil. 445 In dem Kontrast nicht mit Worten, wie sie von menschlicher Weisheit gelehrt werden und (mit Worten,) wie sie vom Geist gelehrt werden sind die Genitive α νθρωπι' νης σοφι' ας und πνευ' ματος als gen. auctoris zu verstehen: Paulus stellt Belehrung durch menschliche Weisheit und Belehrung durch den Geist Gottes einander gegenüber. Die Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu, der Paulus in seiner Missionsarbeit verpflichtet ist, entspringt nicht menschlichem Denken, sondern dem offenbarenden Wirken Gottes und seines Geistes (vgl. 1,17; 2,1.4). Und das bedeutet für die Korinther, dass das Wort des Kreuzes für seine Glaubwürdigkeit nicht auf rhetorische Eloquenz und Argumentation angewiesen ist, sondern vom machtvollen Geist Gottes gelehrt wird und deshalb glaubende Aufnahme findet. Die Bedeutung des Partizipialsatzes indem wir geistlichen Menschen geistliche Sachverhalte auslegen (πνευματικοι^ς πνευματικα` συγκρι' νοντες) ist umstritten. Wenn man πνευματικοι^ς als Maskulinum versteht und συγκρι' νω im Sinn von „deuten, auslegen“ interpretiert, ergibt sich die Bedeutung „indem wir geistlichen Menschen Geistliches deuten“. 446 Wenn man πνευματικοι^ς als Neutrum versteht und συγκρι' νω mit „zusammenbringen, verbinden“ übersetzt, ergibt sich die Bedeutung „indem wir geistliche Inhalte mit geistgewirkten Formen verbinden“.447 Wenn man πνευματικοι^ς als Neutrum versteht und συγκρι' νω mit „vergleichen, deuten“ übersetzt, ergibt sich die Bedeutung „indem wir Geistliches mit Geistlichem vergleichen (deuten)“. 448 Die dritte Möglichkeit ist wenig wahrscheinlich: die πνευματικα' können keine neuen Offenbarungsinhalte bezeichnen, die gedeutet werden müssen, was anhand der bereits erhaltenen Offenbarung(en) geschieht, sondern diese sind mit τα` υ πο` του^ θεου^ χαρισθε'ντα V. 12b identisch;449 zudem würde die Regel, ————————————————————
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Merklein I 239: „Inhaltlich gemeint ist die Kreuzespredigt. Von etwas anderem kann der Apostel nicht reden, da nur dies der Gegenstand seines ‚Wissens‘ sein kann (2,2)“. LÜ, EÜ, ZB, NRSV, sowie TNIV als Option; Bengel 628; Hofmann 55-56; Heinrici 105106; Schlatter 120-121 (als Möglichkeit); Fee 115; Lang 45-46; Merklein I 240; Wolff 60; Lindemann 71; Thiselton 264-267; Garland 100; F. Büchsel, Art. συγκρι'νω, ThWNT III, 955; Voss, Kreuz, 180-181; Kammler, Kreuz, 225-227. Menge „indem wir geistgewirkten Inhalt mit geistgewirkter Sprache verbinden“, MNT „mit Geistigem Geistiges beurteilend“, TNIV „explaining spiritual realities with Spirittaught words“; vgl. Lightfoot 180-181; B. Weiß 144; Bousset 83; Schlatter 121 (als Möglichkeit); Grosheide 72; Morris 59-60; Hollander, 45; Vos, Argumentation, 54-55. NGÜ „wir erklären das, was Gott uns durch seinen Geist offenbart hat, mit Worten, die Gottes Geist uns eingibt“; vgl. GN, Hfa, SÜ, Wilckens; Bachmann 133-134; Lietzmann 12-14; Conzelmann 78; Kümmel 170; Fascher 118; Strobel 72; Fee 114-115; Schrage I 262; Theis, Weisheitslehrer, 257. Zur Kritik Kammler, Kreuz, 226-227. Man beachte, dass der modale Partizipialsatz den Hauptsatz α και` λαλου^ μεν näher
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dass der Geist den Geist prüft, hermeneutische Willkür zur Folge haben. 450 Die Prüfung von Offenbarung(en) wird bei Paulus nicht dem Geist anheimgestellt, sondern dem Vergleich mit der fest umrissenen Lehre (Röm 6,17; 16,17; Gal 1,6-9; 6,16).451 Der zweite Interpretationsvorschlag passt nur auf den ersten Blick zum Kontext der Diskussion in Kap. 1–2 über die Fixierung der Korinther auf rhetorische Eloquenz und Argumentation: Paulus könnte den Korinthern erklären, dass er die geistlichen Inhalte, die er verkündigt, in geistlichen Formen vorträgt. Aber gerade das Letztere ist in Kap. 1–2 kein erkennbares Anliegen des Apostels: Er wirft den Korinthern nicht eine falsche Rhetorik oder eine problematische Verkündigungsweise vor, sondern ihre Fixiertheit auf rhetorische Konventionen überhaupt. Die erste Interpretation ist die plausibelste, was sich vor allem daraus ergibt, dass der modale Partizipialsatz in der These σοφι' αν δε` λαλου^ μεν ε ν τοι^ς τελει' οις V. 6a eine Parallele hat, die den Abschnitt eröffnete. Der Dativ πνευματικοι^ς V. 13b entspricht der präpositionalen Wendung ε ν τοι^ς τελει' οις V. 6a, das Akkusativobjekt πνευματικα' V. 13b entspricht dem Obj. σοφι' αν V. 6a, und das Ptz. συγκρι' νοντες V. 13b entspricht λαλου^ μεν V. 6a.452 Das Wort πνευματικα' beschreibt also den gekreuzigten Messias als die vom Geist Gottes erschlossene heilschaffende Weisheit Gottes. Paulus betont in V. 13a, dass er als Verkündiger des Evangeliums über ein Thema spricht, das ihm vom Geist Gottes geoffenbart wurde – die Botschaft vom Heilshandeln Gottes im Kreuzestod des Messias Jesus. In V. 13b betont er im Blick auf die Hörer des Evangeliums, dass sie das Wort vom Kreuz nur deshalb verstehen können, weil sie „geistliche Menschen“ sind, d.h. weil der Geist Gottes ihnen das Verstehen ermöglicht hat. 14 Nachdem Paulus in V. 13 noch einmal den Inhalt seiner Verkündigung des gekreuzigten Jesus Christus als Weisheit Gottes beschrieben hat, erläutert er in V. 14-16 erneut die Erkenntnis der Weisheit Gottes. Zunächst kontrastiert er mit der Aussage V. 13b: der natürliche Mensch erfasst nicht das, was der Geist Gottes kundgibt. Der Ausdruck was der Geist Gottes kundgibt (τα` του^ πνευ' ματος του^ θεου^ )453 nimmt πνευματικα' V. 13b und τα` υ πο` του^ θεου^ χαρισθε'ντα η μι^ν V. 12b auf, bezeichnet also (wieder) das Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu. Der natürliche Mensch (ψυχικο` ς α»νθρωπος) ————————————————————
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erläutert und dass der Gegenstand des λαλει^ν der gekreuzigte Messias ist. Vgl. Käsemann, Exegetische Versuche I, 275; Kammler, Kreuz, 227. Vgl. Hofius, Paulusstudien II, 29-33. Wilckens, Zu 1 Kor 2,1-16, 511; Kammler, Kreuz, 226, das Folgende ebd. Zur Bedeutung „deuten, auslegen“ von συγκι'νω s. mehrere Belege in der LXX: Gen 40,8.16.22; 41,1213.14; Dan 5,7 LXX; Dan 5,2.16 θ’. Zur dieser Übersetzung vgl. Kammler, Kreuz, 228 mit Anm. 190.
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steht im Gegensatz zum „geistlichen Menschen“ (ο πνευματικο' ς); in 15,44.46 spricht Paulus vom Gegensatz von σω ^ μα ψυχικο' ν und σω ^ μα πνευματικο' ν. Jakobus unterscheidet die „Weisheit von oben“ (η σοφι' α α»νωθεν) von der Weisheit, die irdisch, „psychisch“ und dämonisch ist (ε πι' γειος, ψυχικη' , δαιμονιω' δης; Jak 3,15). Judas betont, dass „psychische Menschen“ (ψυχικοι' ) den Geist nicht haben (Jud 19). Der „natürliche Mensch“ (ψυχικο` ς α»νθρωπος) ist der Mensch, der im Gefolge des Schöpfungshandelns Gottes zu einer „lebendigen Seele“ bzw. einem „lebendigen Menschen“ (ψυχη` ζω ^ σα) wurde (Gen 2,7 LXX), aber noch nicht den Heiligen Geist empfangen hat, der ihn zu einem „geistlichen Menschen“ (πνευματικο` ς α»νθρωπος) macht. 454 Der adamitische Mensch, der den Geist Gottes nicht empfangen hat, muss die Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu für eine Torheit (μωρι' α) halten (vgl. die parallele Aussage in 1,18.23). Das Nicht-Verstehen des Wortes vom Kreuz ist nicht nur eine Tatsache: er kann es nicht erkennen (ου δυ' ναται γνω ^ ναι). Der adamitische Mensch erfasst die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus dem Gekreuzigten nicht, weil er es nicht erkennen kann. Den Grund benennt der abschließende Kausalsatz: weil es geistlich beurteilt werden muss (ο« τι πνευματικω ^ ς α νακρι' νεται). Das Wort vom Kreuz kann nur dann erfasst werden, wenn der Geist Gottes Verstehen schenkt.455 Calvin kommentiert: „Wen nennt er hier ‚natürlicher Mensch‘? Doch offenbar den, der sich auf das Licht der Natur verläßt. Und der, sage ich, begreift nichts von den geistlichen Geheimnissen Gottes. Wieso das? Unterläßt er es aus Bequemlichkeit? Nein, er vermag auch nichts, wenn er sich noch so anstrengt, denn es will eben geistlich beurteilt sein. Und was bedeutet das? Diese Dinge sind der menschlichen Einsicht gänzlich verborgen und werden also nur durch die Offenbarung des Geistes zugänglich, und deshalb gelten sie notwendig als Torheit, wo die Erleuchtung durch den Geist Gottes fehlt“.456 ————————————————————
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E. Schweizer, Art. ψυχικο' ς, ThWNT IX, 664; Wilckens, Zu 1 Kor 2,1–16, 528-537; vgl. Fee 116; Kammler, Kreuz, 228; Konradt, Weisheit, 208-209. Andere Ausleger leiten von der dualistischen Anthropologie der Gnosis ab, vgl. Conzelmann 93-94; Schrage I 263264; Lindemann 71-72; zur Diskussion der gnostischen Belege vgl. Winter, Pneumatiker, 157-202; Horn, Angeld, 192-194. Nach Arzt-Grabner 135 bedeutet α νακρι'νω in den Papyri „ausfragen, erfragen“, z.B. bei der genauen Befragung im Verhör (P.Tebt. III/1 701 Verso, 300-301), dann auch „die Prüfung einer Person, aufgrund deren der gegenwärtige Status genauestens festgelegt werden soll“ (P.Coll.Youtie I 20). Für das Verständnis des Verbs als terminus technicus der Gerichtssprache in Sinn der formellen „Voruntersuchung, die dem eigentlichen Prozesse vorausgeht“ (F. Büchsel, ThWNT III, 945; vgl. Weiss 67) lassen sich weder literarische noch papyrologische Belege anführen (Arzt-Grabner ebd.). Calvin, Unterricht, 2,2,20 (S. 157).
178 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
15 Dem „natürlichen“ oder adamitischen Menschen V. 14 steht der geistliche Mensch (ο πνευματικο' ς) gegenüber, der alles beurteilt (α νακρι' νει τα` πα' ντα). Diese Aussage ist die logische Konsequenz von V. 14. Der „geistliche Mensch“ ist der Mensch, der vom Geist Gottes erfasst die Verkündigung von Gottes Heilshandeln im Kreuzestod Jesu verstanden und glaubend angenommen hat und jetzt als Glaubender vom Geist bestimmt wird. Das Wort alles bedeutet nicht, dass der „geistliche Mensch“ allwissend oder unfehlbar ist. Der Artikel τα' bezieht sich anaphorisch auf τα` του^ πνευ' ματος του^ θεου^ V. 14 zurück: der „geistliche Mensch“ beurteilt genau das richtig, was der Geist Gottes erschließt – das Wort vom Kreuz als Verkündigung des gekreuzigten Messias, durch dessen Tod Gott Heil schafft und schenkt. 457 Viele Ausleger verstehen die Wendung „das alles“ in einem umfassenden Sinn.458 H. Merklein sieht zwischen τα` πα' ντα V. 15a und το` γα` ρ πνευ^ μα πα' ντα ε ραυνα^, , και` τα` βα' θη του^ θεου^ V. 10b eine Parallele und interpretiert τα` πα' ντα als „das umfassende, die Tiefen Gottes einschließende Wissen, also letztlich den Sinn- und Heilsplan des Ganzen . . . Insofern durchschaut der Pneumatiker wirklich ‚alles‘: Gott und Welt“. A. Strobel schreibt: „Der Christusglaube bezeichnet den Schritt zu einer neuen Weltsicht und Weltdeutung, die ‚alles‘ einschließt. Was meint dieses ‚alles‘? Es ist gewiß nicht auf Glaubensfragen zu beschränken. Die Urteilskraft des Christen erstreckt sich vor allem auf Zusammenhänge der Geschichte und der Welt“. W. Schrage kommentiert: „Dieses πα' ντα α νακρι'νειν ist durch nichts einzuschränken und schließt konkrete Fragen wie Ehe (vgl. 7,40), Rechtsstreitigkeiten (vgl. 6,5), Konventionen (vgl. 11,13) u.ä. ein“. Etwas eingeschränkter urteilt F. Lang: „Das bedeutet nicht, daß der Christ ein perfekter Alleswisser in den Bereichen des menschlichen Erkennens wäre, sondern daß er alles, was ihm begegnet, von der Erkenntnis des Heilswirkens Gottes in Christus aus beurteilt und daran sein ganzes Verhalten orientiert“. Wenn man 1Thess 5,21 („prüft alles, und das Gute behaltet“) als „Paralleltext“ zu V. 15 heranzieht, kann man in diese Richtung denken (obwohl zu beachten ist, dass dem δοκιμα' ζειν in 1Thess 5,21 keine „Verheissung“ des immer richtigen Urteils beigegeben ist). In V. 15 bezieht sich τα` πα' ντα jedoch im Kontext von V. 14 konsequent auf Person und Werk Jesu Christi. Dass die Gegenwart des Geistes Gottes dem Glaubenden dann auch Einsicht in die Verlorenheit der Welt offenbart,459 ist richtig, aber von Paulus hier nicht angesprochen, da der „geistliche Mensch“ nicht im Gegenüber zum „natürlichen Menschen“ geschildert wird,460 sondern im Gegensatz zu ihm. ————————————————————
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Vgl. Kammler, Kreuz, 230 Für die folgenden Zitate s. Merklein I 242-243; Strobel 72; Schrage I 265; Lang 47. Merklein I 243. So Schlatter 122-123 als Möglichkeit, wenn man πα' ντα maskulin denkt: Der zum Glauben Gekommene „verhört jeden“ und „bringt bei jedem ans Licht, was er ist . . . Bei dieser Fassung hätten wir daran zu denken, daß der mit dem Geist Begabte in seinem ganzen Verkehr mit den anderen zum Träger der Botschaft Jesu gemacht ist. Der Macht seines Worts kann sich aber keiner entziehen; ob er glaube oder nicht, es wird enthüllt, was in ihm ist“. Diese Interpretation hat weder in V. 15 noch im Kontext V. 6-16 einen
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Paulus erklärt in V. 15b, dass der „geistliche Mensch“ selbst von niemandem beurteilt wird. „Von niemandem“ (υ π’ ου δενο' ς) meint den adamitischen Menschen von V. 14. Dieser Satz ist genauso wenig zu verallgemeinern, wie die Aussage in V. 15a. Paulus will ganz sicher nicht sagen, dass der „geistliche Mensch“ über jede Kritik erhaben ist. 461 Die Aussage ist kein „Axiom“, sondern eine Aussage, die sich im Kontext konsequent auf die Erkenntnis des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu bezieht. Paulus sagt, dass der Gläubige, der durch das Wirken des Geistes Gottes das Wort vom Kreuz verstanden und Jesus Christus als Retter von den Sünden angenommen hat, sich um die Kriterien nicht zu kümmern braucht, mit dem seine nichtgläubigen Zeitgenossen ihn und seinen Glauben beurteilen wollen. Menschen, die Gottes Geist nicht haben, können weder den Kreuzestod Jesu verstehen, in dem sich Gott heilschaffend geoffenbart hat, noch den an Jesus Christus Glaubenden, der die Verkündigung vom Gekreuzigten infolge des machtvollen Wirkens des Geistes Gottes verstanden und angenommen hat. 462 16 Paulus schließt den Gedankengang V. 13-16 mit einem (nicht markierten) Schriftzitat aus Jes 40,13 LXX, das der Erläuterung von V. 15 dient.463 Aus der formalen und sachlichen Parallele von V. 16 zu V. 11-12 ergibt sich: 1. Die Frage (wer? τι' ς) ist eine rhetorische Frage, die mit „Niemand!“ zu beantworten ist.464 2. Der Ausdruck die Gedanken des Herrn (νου^ ς κυρι' ου) nimmt die Wendung „das Denken Gottes“ (τα` του^ θεου^ ) V. 11 auf (die ihrerseits den Ausdruck „die Tiefen Gottes“, τα` βα' θη του^ θεου^ ) V. 10 aufgreift. Gemeint ist das planende Denken Gottes, die innersten Gedanken und Absichten Gottes.465 Paulus wiederholt abschließend, unterstrichen mit der ————————————————————
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Anhaltspunkt, außerdem ist die substantivierte artikellose Verwendung von πα' ντα im Singular selten (z.B. Lk 16,16), wie BDAG und LSJ zeigen. Vgl. Weiss 67; Merklein I 243 meint, das „paulinische Axiom“ sei gefährlich, weil es „zur Legitimation nicht mehr hinterfragbarer Herrschaft mißbraucht werden“ könne, weil es „übergeordnete Kriterien nicht zuzulassen scheint“. Kammler, Kreuz, 231, der sich zu Recht auch gegen die Auslegung wendet, es handle sich in V. 15b um situationsbedingte Polemik – Paulus wolle seinen Kritikern in Korinth das Recht absprechen, über ihn als Apostel zu urteilen (so Weiss 67; Klauck 31; Wolff 62; Schrage I 266; Kremer 62; Vos, Argumentation, 55-56. Thiselton 272-273 meint, Paulus zitiere eine Maxime der Korinther. Kritisch auch Voss, Kreuz, 186-187. Die Verwendung von Jes 40,13 in V. 16 ist in der jüdischen Interpretation der Stelle vorbereitet; vgl. Williams, Wisdom, 216-225; zu 1Kor 2,12–3,4 ebd. 225-234. Anders Lindemann 73, der die Antwort in V. 16b gegeben sieht. Diese Interpretation lässt die Bedeutung des adversativen δε' außer Acht. Wolff 62; Kammler, Kreuz, 232 mit Anm. 204; Schrage I 267 interpretiert im Sinn von Gottes Heilsgedanken; Merklein I 244 im Sinn des göttlichen Heilsplans. Damit ist die Interpretation des νου^ ς κυρι'ου im Sinn des νου^ ς Χρισου^ V. 16b aufgeschlossen (so jedoch Bousset 83; Lang 47; Lindemann 74; Theis, Weisheitslehrer, 263-264).
180 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Autorität der Heiligen Schrift, dass kein Mensch von sich aus die intellektuellen Möglichkeiten hat, die Gedanken Gottes und damit seine Heilsoffenbarung im Kreuzestod Jesu zu erkennen. Und wer die Gedanken Gottes nicht erkennen kann, der kann Gott auch nicht belehren (συμβιβα' ζω), etwa im Blick auf seine Offenbarung im Kreuzestod Jesu. Bei der Interpretation des Schlusssatzes V. 16b wir aber haben die Gedanken Christi ist das adversative δε' zu beachten. Die Aussage η μει^ς δε` νου^ ν Χριστου^ ε»χομεν entspricht V. 12 η μει^ς δε` . . . το` πνευ^ μα το` ε κ του^ θεου^ , «ινα ει δω ^ μεν τα` υ πο` του^ θεου^ χαρισθε'ντα η μι^ν. Das bedeutet, dass νου^ ς Χριστου^ die Wendung το` πνευ^ μα το` ε κ του^ θεου^ aufgreift, beeinflusst durch das Schriftzitat, in dem vom νου^ ς κυρι' ου die Rede ist.466 Vielleicht hat Paulus auch ganz bewusst νου^ ς Χριστου^ formuliert, um „in äußerst gedrängter sprachlicher Gestalt auszusagen, daß ‚wir‘ Christen jenen Geist empfangen haben, der um den νου^ ς κυρι' ου weiß und der ‚uns‘ Christus, den Gekreuzigten, als das eschatologische Heil Gottes erschlossen hat“. 467
IV Die Interpretation des als schwierig betrachteten Abschnitts 2,6-16 hat sich infolge der konsequenten Interpretation des vorausgehenden Kontexts 1,18– 2,5 als doch nicht so schwierig erwiesen. Die Weisheit, von der Paulus in 2,616 spricht, ist keine andere Weisheit als die in 1,24.30 erwähnte. Paulus führt den Korinthern in stringenter Argumentation, untermauert durch zwei Schriftzitate, vor Augen, dass wahre Weisheit – die Weisheit Gottes, die sich im Kreuzestod Jesu Christi heilschaffend offenbart – ein „Geheimnis“ darstellt, das nur solche Menschen verstehen können, die es vom Geist Gottes offenbart bekommen. Mit menschlicher Argumentation ist dieses „Geheimnis“ nicht zu ergründen: Für die Nachkommen Adams ist Gottes Heilshandeln im Kreuzestod Jesu eine Torheit, weil sie die Gegenwart Gottes im gekreuzigten Messias und im Wort vom Kreuz nicht erkennen können. Das Unverständnis der Welt zeigt sich in nicht zu überbietender Deutlichkeit daran, dass die Herrschenden der Welt den „Herrn der Herrlichkeit“ ans Kreuz geschlagen haben. H. Hübner nennt den Abschnitt einen „Exkurs über die christliche Hermeneutik“.468 Paulus schärft den auf rhetorisch eloquente und konsistente Argumentation fixierten Korinthern ein, dass wahres Erkennen der Wirklichkeit Gottes nur als Geschenk des Geistes Gottes, d.h. als Geschenk Gottes ————————————————————
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Schrage I 267; Kremer 63. Kammler, Kreuz, 233-234 interpretiert (im Anschluss an Conzelmann 78) νου^ ς Χριστου^ als „Geist Christi“, mit Verweis auf Röm 8,9; 2Kor 3,17; Gal 4,6; Phil 1,19. Kammler, Kreuz, 234; vgl. Ciampa/Rosner 702-703. Hübner, Theologie II, 120.
Die verborgene Weisheit Gottes 2,6-16 181 ————————————————————————————————————
selbst möglich ist, der allein rechte Erkenntis offenbart – und zwar im Blick auf die alles entscheidende Wirklichkeit: seine heilschaffende Offenbarung im Kreuzestod Jesu Christi. Dass das Evangelium, das in seinem Kern Wort des Kreuzes ist, von den adamitischen Menschen als Torheit abqualifiziert wird, braucht die korinthischen Christen nicht zu kümmern. Der Geist Gottes hat ihnen die Wirklichkeit Gottes und sein heilschaffendes Handeln geoffenbart. Dies zeigt sich daran, dass sie das „Denken Gottes“ im Blick auf den Kreuzestod Jesu verstanden haben. Deshalb sollen sie wissen, dass sie mit dem Geist Gottes den Geist Jesu Christi haben, der sie die Gedanken Gottes erkennen lässt und ihnen heilvolle Gemeinschaft mit dem „Herrn der Herrlichkeit“ schenkt. Der Geist Gottes führt „nicht am Kreuz vorbei oder darüber hinaus“.469 Rechtes Erkennen ist und bleibt auf das Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu bezogen. Deshalb ist das Wort vom Kreuz die Grundlage, von der aus die Schwierigkeiten, die es in der korinthischen Gemeinde gibt, bewertet werden müssen und einer Lösung zugeführt werden können.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 I 1 Und ich, Brüder, konnte mit euch nicht reden als mit geistlichen, sondern (nur) als mit fleischlichen Menschen, als mit kleinen Kindern in Christus. 2 Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht feste Speise, denn die konntet ihr noch nicht vertragen, 3 denn ihr seid noch fleischlich. Denn wo es Rivalität und Streit unter euch gibt, seid ihr da nicht fleischlich und handelt nach menschlicher Weise? 4 Wenn nämlich jemand sagt: „Ich gehöre zu Paulus“, und wenn ein anderer sagt: „Ich gehöre zu Apollos“, seid ihr da nicht Menschen? 5 Was ist nun Apollos? Was ist Paulus? Sie sind Diener, durch die ihr zum Glauben gekommen seid, und zwar wie der Herr es einem jeden gegeben hat. 6 Ich habe gepflanzt, Apollos hat bewässert, Gott aber ließ es wachsen. 7 Folglich ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der bewässert, sondern (nur) Gott, der es wachsen lässt. 8 Der, der pflanzt, und der, der bewässert, sind eines; jeder aber wird seinen eigenen Lohn erhalten gemäß seiner eigenen Arbeit. 9 Denn wir sind Mitarbeiter Gottes – Gottes Ackerfeld, Gottes Bauwerk seid ihr. 10 Ich habe gemäß der mir geschenkten Gnade Gottes als sachkundiger Architekt das Fundament gelegt, aber ein ande————————————————————
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Schrage I 268; vgl. ebd. 269-278 (Auslegungsgeschichte); Thiselton 276-286.
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rer baut darauf auf. Jeder aber sehe zu, wie er aufbaut. 11 Denn niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das gelegt ist, und das ist Jesus Christus. 12 Wenn aber jemand auf dem Fundament Gold, Silber, wertvolle Steine, Holz, Heu oder Stroh aufbaut, 13 so wird eines jeden Werk offenbar werden; denn der Tag wird es zu erkennen geben, weil er es mit Feuer offenbart. Denn das Feuer wird prüfen, wie das Werk eines jeden beschaffen ist. 14 Wenn jemandes Werk, das er darauf aufgebaut hat, Bestand haben wird, so wird er Lohn erhalten. 15 Wenn jemandes Werk verbrennen wird, so wird er Schaden leiden, er selbst aber wird errettet werden, doch so wie durchs Feuer. 16 Wisst ihr nicht, dass ihr der Tempel Gottes seid und dass der Geist Gottes in euch wohnt? 17 Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn der Tempel Gottes ist heilig – und das seid ihr!
II In 3,1 kehrt Paulus zum Ich-Stil zurück und wendet sich mit direkter Anrede wieder unmittelbar an die korinthischen Christen. In V. 3-4 spricht Paulus zum ersten Mal nach 1,10-12 wieder direkt von den Loyalitätsbekundungen und Rivalitäten innerhalb der Gemeinde. Dies bedeutet aber nicht, dass 3,1-4 zu den vorhergehenden Ausführungen zu rechnen und V. 4 als Beginn eines neuen Abschnitts zu verstehen ist (so die meisten Ausleger). Die Einheit des Abschnitt470 ergibt sich 1. aus der thematischen Kohärenz: V. 5 und die folgenden Ausführungen knüpfen an V. 1-4 unmittelbar an; 2. aus der Reihung von Metaphern: Milch und feste Speise V. 1, Feldarbeit V. 6-9, Hausbau V. 9-15 (mit der Anwendung auf die Gemeinde als „Tempel Gottes“ V. 1617); 3. aus der Korrelation von ου κ η δυνη' θην λαλη^ σαι υ μι^ν ω ς πνευματικοι^ς V. 1 und το` πνευ^ μα του^ θεου^ οι κει^ ε ν υ μι^ν V. 16.471 Die Argumentation in 3,1-17 zielt auf die Aussage V. 16 und deren Anwendung auf die Situation in der korinthischen Gemeinde in V. 17: die Gemeinde ist der „Tempel Gottes“ und deshalb der heilige Ort, an dem der Geist Gottes, d.h. Gott selbst gegenwärtig ist. Diese „geistliche“ Realität der Gemeinde, der die aktuelle Realität der korinthischen Gemeinde nicht entspricht, ist der Grund, weshalb alle Lehrer der Gemeinde vor Gott Rechenschaft ablegen werden müssen – Paulus als der Missionar, der die Gemeinde gegründet hat, sodann Apollos als Lehrer, der in Korinth gewirkt hat, zugleich ————————————————————
470 471
Lindemann 76; Garland 104. Die Klassifizierung von 3,1-4 als Übergang von der narratio in 1,18–2,16 und der argumentatio in 3,5-17 (Merklein I 111.248) überzeugt nicht, weil Paulus auch in 3,1-4 inhaltlich argumentiert; vgl. Lindemann 76. Bünker, Briefformular, 56 will 3,1-17 als probatio verstehen.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 183 ————————————————————————————————————
aber alle Lehrer und verantwortlichen Mitarbeiter, die aktuell in der korinthischen Gemeinde maßgeblich sind. Gliederung. Der Text lässt sich in vier Teile gliedern. 1. Der Abschnitt 3,1-4 behandelt die Orientierung der Korinther an menschlichen Maßstäben, die ihrem tatsächlichen Status als „Vollkommene“ widerspricht. In V. 1 spricht Paulus die korinthischen Christen auf die Tatsache an, dass er sie noch nicht als reife Christen ansprechen kann, weil sie sich wie Kinder verhalten. In V. 2 greift Paulus mit der Metapher von Milch und fester Speise dieses Problem auf, ehe er in V. 3-4 konkret auf die Rivalitäten in der Gemeinde zu sprechen kommt, die er als rein menschliches Verhalten kritisiert. 2. Der Abschnitt 3,5-9 verwendet die Metapher von der Feldarbeit, um den Status der Apostel und Lehrer der Gemeinde, konkret von Apollos und von sich selbst, als Diener und Mitarbeiter Gottes zu erläutern. Die Schlussbemerkung V. 9 bezeichnet die Gemeinde als Gottes Bauwerk. 3. Der Abschnitt 3,10-15 greift die Metapher vom Hausbau auf: Paulus beschreibt seine Aufgabe als Pioniermissionar und die Rolle der Lehrer der Gemeinde als Arbeiter, die für die Auferbauung der Gemeinde verantwortlich sind. 4. Der Abschnitt 3,16-17 wendet die Metapher vom Hausbau auf die korinthische Gemeinde an: die Gemeinde ist der heilige Tempel Gottes, in dem der Geist Gottes wohnt. Paulus schließt in V. 17 mit einer Warnung an die Lehrer und Mitarbeiter, die nach der Phase der Gemeindegründung und nach der Lehrtätigkeit des Apollos die Arbeit in Korinth fortsetzen: wenn sie durch ihre Rivalitäten und den dadurch ausgelösten Streit die Gemeinde zerstören, dann droht ihnen die Vernichtung durch Gott. Textkritische Anmerkungen. In V. 1 lesen C3 D2 F G Ψ 1881 Byz das bei Paulus viel häufiger vorkommende Adj. σαρκικοι^ς statt σαρκι' νοις (d46 אA B C* D* u.a.),472 was als Angleichung an V. 3 zu betrachten ist. In V. 2 lassen d46 B 0185 das Wort ε»τι aus, was eine bewusste Stilverbesserung ist und als sekundär gegenüber der besser bezeugten und schwierigeren Lesart ου δε` ε»τι gelten muss.473 In V. 3a wird das Adj. σαρκικοι' vom westlichen Text D*.c F G (und in V. 3b zusätzlich von d46) in σαρκι' νοι abgeändert.474 Mehrere Textzeugen fügen nach ε»ρις die Wendung και` διχοστασι' αι „und Spaltungen“ ein (d46 D F G 33 Byz ar b sy; Ir Cyp), was wahrscheinlich eine westliche Glosse und Angleichung an Gal 5,20 ist; die kürzere und ebenfalls sehr früh ————————————————————
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σα' ρκινος kommt bei Paulus außer in 3,1 noch zwei Mal vor: 2Kor 3,3; Röm 7,14; σαρκικο' ς ist bei Paulus sechs Mal belegt: 3,3a.3b; 9,11; 2Kor 1,12; 10,4; Röm 15,27. Ein Bedeutungsunterschied liegt nicht vor; vgl. E. Schweizer, ThWNT VII, 144; A. Sand, EWNT III, 548. Zuntz, Text, 40.285; vgl. Lindemann 77. Vgl. Zuntz, Text, 99.
184 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
bezeugte Lesart von אB ist vorzuziehen.475 In V. 4 ersetzen א2 Ψ Byz sy die Wendung ου κ α»νθρωποι' (d46 א2 A B C 048 0289.33 u.a.) durch ου χι` σαρκικοι' , was interpretierende Klärung ist und als sekundär zu gelten hat. In V. 5 liest der Mehrheitstext (sowie d46vid *אC D F G Ψ 1881 sy) die mask. Form τι' ς „wer?“, während *אA B 0289 33 u.a. das neutr. τι' „was?“ lesen; die maskuline Lesart ist sekundäre Angleichung an das nachfolgende δια' κονοι.476 Der Mehrheitstext (Byz, außerdem D1 L Ψ 6 88 u.a.) kehrt die Reihenfolge „Apollos . . . Paulus“ um, was durch die prominentere Rolle des Paulus verständlich wird und als Angleichung an V. 4 zu gelten hat; die Lesart von d46 אA B ist vorzuziehen. In V. 10 lassen d46 81 1505 b f vgmss; Cl die Wendung του^ θεου^ aus; die besser bezeugte Lesart ist vorzuziehen. 477 Der Mehrheitstext (sowie א2 C3 D Ψ 1881) schreibt τε'θεικα (Perf.) und betont damit die Permanenz des gelegten Fundaments; die Lesart ε»θηκα (Aor.) ist besser belegt (d46 *אA B C* 0289 33 1175 u.a.). In V. 12 fügt die Mehrheit der Handschriften hinter θεμε' λιον das Wort του^ τον ein, das die Verständlichkeit erleichtern soll; die Lesart von d46 *אA B C* ist ursprünglich. Die Lesart χρυσο' ν (Gold als Rohmetall), vertreten von A D Ψ 33 1881 Byz latt co (vgl. d46 χρυσο' ν και' ), ist als ursprünglich zu akzeptieren; die Lesart χρυσι' ον (Gold als wertvolles Metall, Schmuck; אCvid 630 1175 1506 1739; vgl. B 0289vid [syp], Cl, die χρυσι' ον και' schreiben) entspricht der späteren Tendenz, die -ιον Formen zu verwenden.478 In V. 13 lassen wichtige Handschriften das Pronomen αυ το' aus (d46 אD Ψ 0289 1881 Byz latt; Cl), vielleicht weil es überflüssig scheint; die Lesart von A B C P 6 33 81 1175 1739 u.a. ist vorzuziehen.479 In V. 16 ist die Umstellung von οι κει^ ε ν υ μι^ν durch B P 0289 33 630 1175 1739 (von NA25 bevorzugt) gegenüber der Lesart von d46 אAC D F G Ψ 1881 Byz sekundär. In V. 17 lesen hauptsächlich Vertreter des westlichen Texts (D F G), beeinflusst durch das vorausgehende Wort, die Präsensform φθει' ρει; das Futur φθερει^ ist besser bezeugt (d46 אA B C Ψ 1739 1881 Byz).480
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Zuntz, Text, 170; Metzger, Textual Commentary, 482-483; vgl. Schrage I 283 Anm. 33; Lindemann 79; Thiselton 292. Zuntz, Text, 132; Metzger, Textual Commentary, 483; vgl. Schrage I 290 Anm. 75. Anders Zuntz, Text, 47. Vgl. Zuntz, Text, 133. Zuntz, Text, 132; Metzger, Textual Commentary, 483-484; Lindemann 86 bleibt unentschieden; Thiselton 311 votiert für Auslassung. Vgl. Zuntz, Text, 111-112; Metzger, Textual Commentary, 484.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 185 ————————————————————————————————————
III 1 Der Einsatz mit und ich, Brüder (κα γω' , α δελφοι') ist für viele Ausleger der Anlass, die folgende Aussage mit 2,1 (κα γω' ) in Verbindung zu bringen und als Rückblick auf den Gründungsaufenthalt des Apostels in Korinth auszulegen: Paulus erkläre den korinthischen Christen, dass er damals auf „Weisheitsrede“ verzichten musste, weil sie als Neubekehrte elementare Rede, eben „Milch“, benötigten, und entschuldige sich damit dafür, dass er ihnen damals die höhere Weisheit vorenthalten habe. 481 Diese Interpretation ist schwierig, weil Paulus als Pioniermissionar seine Zuhörer weder als „geistliche Menschen“ noch als „kleine Kinder in Christus“ ansprechen kann; wenn Paulus sagt, er habe in Korinth neu bekehrte Christen zurückgelassen, die in nicht ausreichender Weise in den christlichen Glauben eingeführt wurden, dann wäre ihm vorzuwerfen, für diese Situation selbst verantwortlich zu sein. 482 Auch die Auslegung, Paulus werfe den Korinthern geistliches Versagen vor, ist angesichts V. 5-9.16-17 problematisch. Plausibler ist der Vorschlag, Paulus konnte als Missionar gar nicht anders reden, als er es tat: er verkündigte das Evangelium als Wort vom Kreuz, als sie in „infantiler“ Weise (wie „kleine Kinder“) auf rhetorisch-argumentative Brillianz fixiert waren.483 Ein anderer Vorschlag interpretiert die Gegensatzpaare „geistliche Menschen / fleischliche Menschen“ und „kleine Kinder / Vollkommene“ (2,6) in kontrastierendem Sinn: Paulus stellt die korinthischen Christen durch hyperbolisch-polemische Redeweise de facto auf eine Stufe mit den Ungläubigen, um ihnen vor Augen zu halten, dass sie sich in eklatantem Widerspruch zu ihrem „Sein in Christus“ befinden.484 Ein anderer, überzeugender Vorschlag weist darauf hin, dass Paulus auf seine Beziehungen zu den korinthischen Christen in allgemeiner Weise zurückblickt und dabei feststellt, er habe sich bisher mit ihnen nicht wie mit „geistlichen Menschen“ unterhalten können. Das heißt, die Formulierung ου κ η δυνη' θην λαλη^ σαι υ μι^ν ω ς πνευματικοι^ς beschreibt nicht den aktuellen Status der Korinther (als „Ungeistliche“), sondern die Beziehung zwischen Apostel und Gemeinde: „ich kann euch nicht als die behandeln, die ihr eigentlich seid“. 485 Paulus kann mit den Korinthern nur als mit fleischlichen Menschen reden. Mit σα' ρκινος ist die „Sphäre des Fleisches“ gemeint; der Ausdruck ————————————————————
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Strobel 75; Merklein I 248; Schrage I 280. Lindemann 77; ebd. zur folgenden Bemerkung; vgl. auch Vos, Argumentation, 57. Vgl. Francis, Babes, 43.53, gefolgt von Thiselton 290-291. Kammler, Kreuz, 240-244; er lehnt die Interpretation ab, nach der die Anrede mit „Brüder“ die Kritik in 3,1-4 abmildern will (Godet I 84; Morris 62; Schrage I 281; Winter, Pneumatiker, 223), s. ebd. 239 Anm. 12. Lindemann 77; vgl. Barrett 79.
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beschreibt, analog zu πνευματικο' ς, die rein weltliche Existenz der korinthischen Christen.486 In ihren Loyalitätsbekundungen gegenüber prominenten Lehrern, in ihrer Fixiertheit auf rhetorische Eloquenz und argumentative Stringenz und in den Rivalitäten, die es deshalb in der Gemeinde gibt, lassen sie sich von den Maßstäben und Kriterien der Welt leiten, aber nicht vom Geist Gottes. Die mit ω ς σαρκι' νοις koordinierte Wendung ω ς νηπι' οις (als mit kleinen Kindern) bestätigt diese Interpretation. Die „fleischlichen“ Menschen sind die Christen, die „unmündig“ und im Vergleich mit dem „starken“ Erwachsenen schwach sind, Säuglinge, die nur Milch, aber keine feste Speise vertragen können (V. 2). Der Ausdruck νη' πιοι beschreibt die juristisch Unmündigen, d.h. die kleinen Kinder, die unreif und schwach sind und des Schutzes der Eltern oder eines Vormunds bedürfen. 487 Der Zusatz in Christus (ε ν Χριστω ^, ) zeigt, dass Paulus den Korinthern ihr Christsein nicht 488 bestreitet. Sie sind Christen – Christen jedoch, die sich wie kleine Kinder verhalten, die nicht wissen, was Erwachsene wissen. Das Nicht-Wissen bezieht sich in diesem konkreten Fall auf ihre Fixiertheit auf „Weisheitsrede“, auf rhetorische Brillianz und überzeugende Argumentation. Wer solche Dinge für wichtig hält und als Maßstab zur Bewertung der Lehrer der Gemeinde heranzieht, der hat nicht verstanden, dass solche Kriterien der Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu Christi widersprechen. 2 Dem Ausdruck νη' πιοι V. 1 entspricht „Milch“, die auch in der Antike als Kindernahrung galt. Paulus erläutert in V. 2 mit einer Metapher das in V. 1 Gesagte. Der Satz ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht feste Speise stützt sich auf ein unmittelbar verständliches Bild, das in der griechisch-römischen pädagogischen Unterweisung einen festen Platz hatte. 489 ————————————————————
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Bauer /Aland 1487 s.v. σα' ρκινος 2; A. Sand, EWNT III, 547. Vgl. Gal 4,1.3; Mt 21,15-16. Zum übertragenen Gebrauch siehe neben 1Kor 3,1 auch Mt 11-25-26 / Lk 10,21; Röm 2,20; Gal 4,3; Eph 4,14; Hebr 5,13. Vgl. G. Bertram, ThWNT IV, 913-925; vgl. S. Légasse, EWNT II, 1142-1143, der darauf hinweist, dass beim übertragenen Gebrauch der Bezug auf das Kindsein keine Rolle spielt, sondern dass hier das Adj. „unwissend“ bedeutet (vgl. in der LXX Prov 1,32; Ps 18,8; 114,6 [MT 116,6]; 118,130 [MT 119,130]). Zur Verwendung in den Papyri (UPZ I 20; P.Mil.Vogl. I 24) vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 136; der reguläre terminus technicus für „minderjährig“ im Sinn von „(noch) nicht rechtsfähig“ ist die häufig belegte Vokabel α φη^ λιξ. Kammler, Kreuz, 214 will den „theologisch gefüllten Sinn“ des ε ν Χριστω ^, ausschließen und mit „unmündige Christen“ übersetzen, gleichzeitig aber festhalten, Paulus stelle die Korinther „de facto auf eine Stufe mit denen, die keine Christen sind“ (242, Hervorhebung Kammler). Diese Auslegung erscheint widersprüchlich. NW II.1 verweist auf Philo, Agr. 9; Congr. 19; Epiktet, Diss. 2,16,39-40; siehe auch Artemidorus 1,16, wo von Erwachsenen (τε' λειοι) die Rede ist, die Milch gebrauchen (γα' λακτι χρω ^ νται), „wenn sie infolge einer Krankheit keine Nahrung (τροφη^, ) vertragen können“. In Ammenverträgen wird oft die Notwendigkeit betont, dass die von der Amme zu gebende Milch rein ist (BGU IV 1058,27-30; C.Pap.Gr. I 13,16-18); hervorgehoben
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 187 ————————————————————————————————————
Bei der Formulierung mit dem Verb trinken (ε πο' τισα) liegt ein Zeugma vor: das Verb passt nur zu Milch, nicht zu fester Speise.490 Als Kritik begegnet das Bild von Milch (γα' λα) und fester Speise (βρω ^ μα) in Hebr 5,12-14 (positiv in 1 Petr 2,2). In Hebr 5,12 steht γα' λα für τα` στοιχει' α τη^ ς α ρχη^ ς, d.h. für die Grund- und Anfangslehren des christlichen Glaubens, die die νη' πιοι benötigen, während τε'λειοι nach fortgeschrittener Unterweisung verlangen. In Hebr 6,1-2 werden als „Grund legende“ Lehren die Abkehr von toten Werken, der Glaube an Gott, Taufen, Handauflegung, die Auferstehung der Toten und das ewige Gericht genannt. Paulus erläutert nicht, was er unter „Milch“ und „fester Speise“ versteht. Auszuschließen ist die Auslegung, nach der Paulus die Kreuzespredigt von einer für erwachsenen Christen vorbehaltenen „Weisheitspredigt“ unterscheiden würde. 491 Paulus verwendet die den Korinthern sicherlich bekannte, aber auch unmittelbar verständliche Metapher von Milch und fester Speise, um ihnen „ihre Stellung als νη' πιοι plastisch vor Augen zu führen“.492 Im Kontext von 2,6-16 wird deutlich: Paulus erklärt den korinthischen Christen nicht, dass sie eine andere Diät brauchen, sondern dass sie eine andere Perspektive benötigen.493 Paulus macht in V. 2 nicht primär eine Aussage über sich selbst als Verkündiger, sondern über die Korinther.494 Im Kontext ihrer Fixierung auf rhetorische Brillianz macht Paulus ihnen klar: die Tatsache, dass die Botschaft vom Kreuz ihnen wie Milch erscheint, zeigt, dass sie nicht zu den „Vollkommenen“ gehören und dass sie durch die Wirklichkeit des Geistes Gottes495 nachhaltiger erfasst werden müssen, wenn sie zu den „Vollkommenen“, d.h. zu den erwachsenen Christen gehören wollen. ————————————————————
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wird auch der „Lohn für die Milch und die Ernährung“ (BGU IV 1106,15; 1107,10; 1108,8). Diese Beispiele unterstreichen die Bedeutung, die der Milch für die Ernährung von Kleinkindern zukommt. Vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 137-138. Zur Figur des Zeugma, eine Sonderform der Ellipse, vgl. BDR §479.2; HS §293d. Das Verb δυ' νασθε V. 2b ist absolut gebraucht; zu ergänzen ist der fehlende Infinitiv ε νεγκει^ν (Aor 2 von φε' ρω) „vertragen“ (vgl. Bauer/Aland s.v. δυ' ναμαι 2). Vgl. Meyer 80; Lightfoot 185-186; Robertson/Plummer 52-53; Barrett 80; Conzelmann 96-97; Wilckens, Weisheit, 52-53; vgl. Schrage I 282, der allerdings richtig festhält, dass die „feste Speise“ „vor allem vertiefende Explikation der Weisheit der Kreuzespredigt“ ist, und nicht an esoterisch-spekulative Mysterienlehre zu denken sei. Lindemann 78; vgl. ebenso Kammler, Kreuz, 241. Fee 125; Merklein I 249; Soards 67; Lindemann 78; Thiselton 292; Garland 107-109; Hooker, I Corinthians 3:2, 19-22. Kammler, Kreuz, 241. Richtig ist jedoch der Hinweis von Gaventa, Milk, 103-110, dass sich Paulus, der in der 1. Pers. Sing. formuliert, in 3,1-2 als „stillende Mutter“ beschreibt, während er in 4,15-16 das Bild des zeugenden Vaters für die gemeindegründende Missionsarbeit verwendet. Vgl. in V. 2 den Kontrast σαρκικοι'.
188 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
3 Der Grund (γα' ρ) für die Unfähigkeit der korinthischen Christen, die Verkündigung vom Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi als „feste Speise“ zu erkennen und in ihrem Gemeindealltag und in ihrem persönlichen Leben konkret anzuwenden und umzusetzen, wird mit Rückgriff auf V. 1 mit dem Satz ihr seid noch fleischlich (σαρκικοι' ε στε) angezeigt. Die Begründung (kausales ο« που) für die Aussage, dass die korinthischen Christen immer noch weltlichen Werten hörig sind, ist der Hinweis auf Rivalität und Streit in der Gemeinde (ε ν υ μι^ν). Das Wort „Rivalität“ (ζη^ λος), das im 1Kor nur hier vorkommt und an manchen Stellen eine positive Bedeutung hat, 496 ist hier sensu malo gebraucht, wie in Lasterkatalogen (2Kor 12,20; Röm 13,13; Gal 5,20; vgl. Jak 3,14.16; 4,2; vgl. ζηλο' ω in 1Kor 13,4).497 Im politischen Kontext beschreibt ζη^ λος die „Rivalität“ zwischen Fraktionen und Personen,498 im Kontext der sophistischen Bewegung bezeichnet das Wort ζηλωται' die Schüler und Anhänger der berühmten Redner, die sich mit exklusiver Loyalität an ihren Lehrer banden (vgl. zu 1,12).499 Von „Streit“ (ε»ρις) war schon in 1,11 die Rede (dort mit Plur. ε»ριδες). In 1,10-12 war neben ε»ριδες von σχι' σματα („Spaltungen“) die Rede. Die Konkurrenz zwischen den Anhängern verschiedener Sophisten wurde oft als ε»ρις oder ε ριστο' ς beschrieben. Die Rivalitäten und der Streit resultierten aus der Fixierung korinthischer Christen auf rhetorische Brillianz und auf gesellschaftliche Geltung. Für Paulus gehören ζη^ λος und ε»ρις zu den „Werken des Fleisches“ (Gal 5,19.20; vgl. 2Kor 12,20; Röm 13,13). Die Frage seid ihr da nicht fleischlich, auf die die Antwort „Ja“ erwartet wird, appelliert an das Urteilsvermögen der Korinther,500 das Paulus ihnen nicht abspricht. Sie sind „in Christus“ (V. 1) und müssten die Diskrepanz zwischen ihrem Status als „Vollkommene“ und ihrem tatsächlichen „fleischlichen“ Verhalten erkennen. Der Vorwurf V. 3a, dass die korinthischen Christen fleischlich sind (σαρκικοι' ε στε), wird in V. 3b mit der Wendung (ihr) handelt nach menschlicher Weise (κατα` α»νθρωπον περιπατει^τε) erläutert. Der übertragene Sinn des Adj. σαρκικοι' ist vom Gegensatz πνευματικο' ς her bestimmt: der „geistliche“ Mensch „lebt nicht mehr in einer fleischlichen, d.h. nur weltlichen Existenz“.501 Verhalten, das „fleischlich“ ist, orientiert ————————————————————
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Vgl. 2Kor 7,7; Röm 10,2; Phil 3,6; Hebr 10,27; Joh 2,17. In der Apostelgeschichte (Apg 5,17; 7,9; 13,45; 17,5) beschreibt die Vokabel häufig „die bes. durch Missgunst bedingte Feindseligkeit“ (W. Popkes, EWNT II, 248). Mitchell, Rhetoric, 97; Lindemann 79. Winter, Philo and Paul, 129-130.170, mit Verweis auf Dio Chrysostomus, Or. 55,3; Philostratus, Vit.Soph. 504; ebd. 93.170 zur folgenden Bemerkung, mit Verweis auf Philo, Mut. 10; Her. 246; Congr. 129; Det. 36.45. Lindemann 79. A. Sand, Art. σαρκικο' ς, EWNT III, 547.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 189 ————————————————————————————————————
sich nach den Wertmaßstäben und den traditionellen Verhaltensweisen der Menschen (d.h. nicht Gottes; vgl. Röm 3,5; Gal 3,15). Das Wort α»νθρωπος bezeichnet hier „den, der weiter nichts als ein Mensch und folglich in den für den Menschen, wie er nun einmal ist, charakteristischen Abstand von Gott oder Widerspruch gegen ihn gebannt ist“.502 Das Verb περιπατε' ω, das ursprünglich „umhergehen“ bedeutet, wird in der griechischen Übersetzung des AT und im NT als Bezeichnung für den Lebenswandel verwendet, vor allem in ethischer Hinsicht.503 Die Rivalitäten und die Loyalitätsbekundungen in der Gemeinde sind nicht von Gott und seinem Geist inspiriert, sondern von menschlichen Maßstäben. Die korinthischen Christen verhalten sich genauso wie die anderen Bürger Korinths. 4 Die zweite rhetorische Frage, die Paulus den Korinthern im Blick auf ihr Verhalten stellt – seid ihr da nicht Menschen? – erfordert ebenfalls die Antwort „Ja“ und will somit V. 3 bestätigen. Wenn man in Korinth auf Loyalitätsbekundungen gegenüber Paulus oder Apollos beharrt – Paulus knüpft an die in 1,10-12 konstatierte Problematik an –, dann sind sie „Menschen, wirklich nur Menschen“, wobei sie aber doch in Wirklichkeit „Geistesmenschen und Christuszugehörige“ sind.504 Was die beiden Namen bzw. Personen Paulus und Apollos betrifft, so waren sie beide in Korinth aktiv (was man von dem in 1,12 zusätzlich erwähnten Kephas/Petrus nur vermuten kann). 5 Die beiden Suggestivfragen Was ist nun Apollos? Was ist Paulus? greifen chiastisch die Namen der in V. 4 genannten Parteiparolen auf. 505 Sie zielen darauf ab, Apollos und Paulus und damit potentiell alle anderen Apostel und Lehrer der Gemeinde zu relativieren. Die neutrische Formulierung τι' ε στιν („was ist“) wirkt abwertend: Wer an Statusfragen interessiert ist, der formuliert mit der maskulinen Form τι' ς (wie die abweichende Lesart von d46vid א2 C D Byz). ————————————————————
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Bachmann 144; vgl. Kammler, Kreuz, 244. H. Seesemann, ThWNT V, 944; zur LXX siehe G. Bertram, ThWNT V, 942-943; Banks, Walking, 303-313; Holloway, ΠΕΡΙΠΑΤΕΩ, 8-13, zu V. 3 ebd. 59-70; Duvall, Analysis, 18-31; Finsterbusch, Thora, 113-120. Parallelen aus klassischen griechischen Texten fehlen. F. Winter, in Arzt-Grabner 140 verweist auf BGU III 846,9 (2. Jh. n.Chr.) als Beleg für den Übergang von der Bedeutung „umhergehen“ zur Bedeutung „leben“. Bachmann 144; ebenso Kammler, Kreuz, 244, der zu Recht die Auslegung ablehnt, die aus der Frage ου κ α» νθρωποι' ε στε; ableitet, die Korinther hätten als „Pneumatiker“ beansprucht, mehr als Menschen zu sein (vgl. Barrett 82; Sellin, Geheimnis, 82; Schrage I 284); zur Kritik s. auch Lindemann 79. Lindemann 79-80 erklärt das einleitende ου ν im Sinne eines unausgesprochenen Zwischengedankens: „Wenn V. 4b mit ‚Ja‘ beantwortet werden mußte, welche Folgerung ergibt sich daraus hinsichtlich des Urteils über Apollos und Paulus?“
190 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
In V. 5b-10 beschreibt Paulus die Funktion der Apostel und Lehrer der Gemeinde und stellt dadurch deutlich heraus, dass die Verkündigung des Evangeliums keine exklusive Verbindung zwischen Gemeinde und Apostel herstellt, sondern eine Verbindung zu Jesus Christus schafft, die alle Apostel und Lehrer in der Gemeinde coram Deo relativiert.506 Paulus stellt in V. 5-10 den Funktionsbeschreibungen, die die Apostel und Lehrer der Gemeinde charakterisieren, das Wirken Gottes gegenüber:507 Apostel/Lehrer Apollos/Paulus Paulus Apollos Apollos/Paulus Apollos/Paulus Apollos/Paulus
Tätigkeit/Status Diener (δια' κονοι) pflanzt (ε φυ' τευσα) bewässert (ε πο' τισεν) sind nichts (ου» τε ε στι'ν) sind eins (ε«ν εισιν) Mitarbeiter (συνεργοι')
Paulus andere
Architekt (α ρχιτε' κτων) bauen (ε ποικοδομει^)
Gott wies Aufgabe zu (ε»δωκεν) lässt wachsen (ηυ» ξανεν) lässt wachsen (ηυ» ξανεν) ist alles (ο αυ ξα' νων θεο' ς) gibt jedem seinen Lohn gehört der „Acker“ (γεω' ργιον) gehört der „Bau“ (οικοδομη' ) wies Aufgabe zu (δοθει^σαν) vor Gott (βλεπε' τω)
V. 5 V. 6 V. 6 V. 7 V. 8 V. 9 V. 9 V. 10 V. 10
Die Betonung des Wirkens Gottes und die Relativierung des Status der Verkündiger zeigt, wie Paulus die Fraktionsbildungen in der korinthischen Gemeinde lösen möchte: Wenn die Korinther begreifen, dass die Apostel und Lehrer immer nur von Gott abhängige Diener der Gemeinde sind, dann werden sie die Attraktivität der säkularen Bindung an Prominente und Einflussreiche preisgeben und sich auf das Wesentliche konzentrieren – auf die machtvolle Gegenwart Gottes in der Gemeinde, die allein Wachstum und Auferbauung schenkt.
Paulus versteht sich und Apollos und alle anderen Apostel und Lehrer der Gemeinde als Diener. Das Wort δια' κονος, das im 1Kor nur hier vorkommt, betont im Kontext der korinthischen Rivalitäten, dass alle Eigenmächtigkeit und alles Eigeninteresse im Blick auf die Missionsarbeit und ihre Erfolge ausgeschlossen sind.508 Der Verweis auf kynisch-stoischen Parallelen, in denen der philosophische Lehrer sich als δια' κονος Gottes, als „Stellvertreter Gottes“ versteht (Epiktet, Diss. 3,22,63), gehen an dem von Paulus Gemeinten ————————————————————
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Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 906, gegen Schröter, Versöhner, 343, der im Rahmen einer rekonstruierten „Gesandtentheologie“ meint, eine Gemeinde habe sich „nicht mehrere Apostel teilen können“, weil sich der Apostel, der die Gemeinde gründete, in einer „exklusiven Position“ als „Medium Gottes“ befunden hätte (195, 341). Vgl. Kuck, Judgment, 164; Garland 111. Schrage I 290; für das Folgende s. Lindemann 80, mit Kritik an Conzelmann 98, im Anschluss an Ollrog, Mitarbeiter, 73-74; vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 908. Die Verwendung von δια' κονος zeigt, dass das Wort für Paulus keine exklusive „technische“ Bedeutung im Sinn von „(Gemeinde-)Diakon“ hat.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 191 ————————————————————————————————————
vorbei. Er stellt sich nicht als „Stellvertreter Gottes“ der Gemeinde vor, im Gegenteil: er betont, dass er an den Herrn gebunden ist, eine Tatsache, die ausschließt, dass er oder ein anderer Lehrer die Loyalität der Gemeinde beanspruchen kann. Der Nachsatz „durch die ihr zum Glauben gekommen seid“ deutet an, dass der Dienst der „Diener“ der Gemeinde gilt: die Apostel und Lehrer sind als Diener Gottes die Diener der Gemeinde. Paulus stellt mit der Beschreibung der Verkündiger als „Diener“ die Werteskala des griechischrömischen Sozialprestiges auf den Kopf: Apostel und andere Verkündiger sind nur Diener, für aufgeregte und spaltende Loyalitäten und Rivalitäten ist in der Gemeinde kein Platz.509 Im Zusammenhang der Metaphern aus der Landwirtschaft und dem Hausbau impliziert das Wort δια' κονος die untergeordnete Arbeit, die Anweisungen von Autoritätspersonen ausführt. Diener sind Menschen, derer man sich bedient. Die Arbeit von Dienern ist deshalb kein Anlass zum Rühmen. Diener sind keine prominenten Patrone, sondern einfache Menschen, die ihren Lebensunterhalt durch alltägliche Arbeit verdienen und deren Lebensinhalt ganz auf den Dienst für ihren Herrn abgestellt ist. Diener dienen nicht als Leitfiguren. Der Satz durch die ihr zum Glauben gekommen seid, der sich direkt an das Wort „Diener“ anschließt, macht deutlich, dass es nicht die Überzeugungskraft der Verkündiger war, die aus Verlorenen „Vollkommene“ gemacht hat, sondern dass dies allein das Werk Gottes ist, der „Herr“ der dienenden Apostel und Lehrer. Der Glaube an Jesus Christus den Gekreuzigten, den die korinthischen Christen haben, geht allein auf die Macht Gottes ν ε πιστευ' σατε510 macht gleichzeitig deutlich, zurück. Die Formulierung δι’ ω dass die entscheidende Grunderfahrung der korinthischen Christen nicht die Taufe oder die Aufnahme in die Gemeinde ist, sondern das Zum-GlaubenKommen. Die Wendung wie der Herr es einem jeden gegeben hat511 betont Folgendes: 1. Alle Apostel und Lehrer der Gemeinde sind dem Herrn zugeordnet und ihm allein verantwortlich. 2. Die Aufgabe eines jeden (ε κα' στω, ) Apostels und Lehrers wurde von Gott zugewiesen (ε» δωκεν). Unterschiedliche Auf————————————————————
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Clarke, Leadership, 119-120; zur Bedeutung von δια' κονος, mit kritischer Diskussion der Thesen von Collins, Diakonia, vgl. ebd. 234-245. In den Papyri beinhaltet der Ausdruck δια' κονος, der in vielen verschiedenen Kontexten erscheint, die Unterordnung unter eine übergeordnete Institution oder Person; vgl. Arzt-Grabner 140-141. Das Tempus von ε πιστευ' σατε wird als ingressiver Aorist bezeichnet: Paulus meint das Zum-Glauben-Kommen von Menschen, die noch nicht an Jesus Christus als gekreuzigten und auferstandenen Retter und Herr geglaubt haben. Der Satz εκα' στω, ω ς ο κυ' ριος ε»δωκεν heißt vollständig εκα' στω, ω ς αυ τω ^, ο κυ' ριος ε»δωκεν mit Attraktion des Dativ, der zur Betonung an erster Stelle steht; vgl. BDR §475.1; Lindemann 80.
192 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
gaben können deshalb nie der Grund für unterschiedliche Loyalitäten der Gemeindeglieder sein. 3. Der „Erfolg“ der Arbeit der Apostel und Lehrer ist ein Geschenk Gottes (ε»δωκεν), nicht die Leistung der einzelnen Verkündiger. 6 Paulus erläutert in V. 6 die Aussage „wie der Herr es einem jeden gegeben hat“ mit Hilfe der Metapher von der Feldarbeit, die er nicht näher erläutert, weil er sie offensichtlich als bekannt voraussetzen kann. 512 Wahrscheinlich liegt in der Rede vom Pflanzen und Bewässern ein Echo des Weinberglieds Jes 5,1-7 vor, ein Text, der in der frühjüdischen Exegese eine wichtige Rolle gespielt hat. 513 Gemeinsame Züge von V. 5-9 und Jes 5,1-7 sind 1. die Pflanzung als Beschreibung des Volkes Gottes (V. 5 ε γω` ε φυ' τευσα; Jes 5,2: ε φυ' στευσα α»μπελον); 2. die Rolle Gottes als der wichtigste „Arbeiter“ und als Besitzer des Weinbergs bzw. des Ackers; 3. die relativierte Bedeutung der menschlichen Arbeiter; 4. die Rolle der menschlichen Arbeiter als Mittler; 5. die Vorstellung von nicht-adäquater Frucht; 6. die Mischung der Metaphern vom Pflanzen und Bauen (Jes 5,2; vgl. Jer 18,9; 24,6; Ez 36,9-10). Wenn Paulus in V. 5-9 an Jes 5,1-7 denkt, setzt er die Überzeugung voraus, dass die Gemeinde der an Jesus Christus Glaubenden, und zwar jede Ortsgemeinde, das wahre Gottesvolk darstellt. Möglicherweise liegt zugleich eine Anspielung auf die 15. Bitte des 18-Bitten-Gebets (Babylonische Fassung) vor: „Den Sproß Davids (= Messias) laß eilends aufsprossen und sein Horn erhebe sich durch deine Hilfen. Gepriesen seiest du, Jahwe, der sprossen läßt das Horn des Heils“.514 Der Satz ich habe gepflanzt (ε γω` ε φυ' τευσα) verweist auf die Pioniermission des Apostels, mit der Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus als Retter und Herr vor Juden und Heiden und der Gründung von Gemeinden als wichtigste Aktivitäten. 515 In ————————————————————
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Zur Metapher des Pflanzens vgl. Gemünden, Vegetationsmetaphorik, 53-54.59-63.78-84, zum Judentum ebd. 101-103.107-112.116-117. Das Bildfeld Saat – Wachstum – Ernte beschreibt in den atl. prophetischen Büchern in erster Linie Gericht (über Israel, andere Völker, die Welt), in weisheitlichen Texten meist den Tun-Ergehen-Zusammenhang. Williams, Wisdom, 243-249, mit Verweis auf Jes 5,1-9 LXX; Philo, Som. 2,172; äthHen 93; Jub 1,16-17; 36,6; 38,1-14; Ant.Bibl. 12,8-9; 18,10-11; 23,12-13; 28,4; 30,4; 39,7; 1QS 8,4-5; 1QH 8,21-26; vgl. Hübner, Theologie II, 129; Ciampa / Rosner 703. Lindemann 80 hält diesen Vorschlag für wenig wahrscheinlich. Die Metapher der Pflanzung ist in jedem Fall ein traditionelles Bild für die Gemeinde: neben Jes 5,1-7 siehe Jes 63,3; Jer 1,10; 24,6; 1QS 8,5; 11,8; 1QH 6,15; 7,18-19; 8,5-26; CD 1,7; vgl. Gemünden, Vegetationsmetaphorik, 273. Instone Brewer, Traditions I, 116; dt. Übersetzung in Bill. IV, 213. Die Rede vom Pflanzen in übertragenem Sinn ist im AT und im Frühjudentum häufig belegt, vgl. Jes 5,7; 60,21; 61,3; Ez 17,1-8; 34,29; Weish 4,3-5; Jub 16,26; äthHen 10,16; 84,6; 93,2.5.10; Ant.Bibl. 18,10; 1QS 8,5; 11,8; 1QH 6,15; 8,4-10.20-21; CD 1,7; im NT vgl. Mt 15,13; 20,1-15; Mk 4 (mit Parallelen); Röm 11,16-24. Vgl. Fujita, Plant, 30-45.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 193 ————————————————————————————————————
4,15 schreibt Paulus, dass er die korinthischen Christen „gezeugt“ hat (ε γω` υ μα^ς ε γε'ννησα). Der Schwerpunkt liegt, wie die Fortsetzung zeigt, auf der Gemeindegründung.516 Der Satz Apollos hat bewässert ( Απολλω ^ ς ε πο' τισεν)517 beschreibt die Lehrtätigkeit des Apollos in der von Paulus gegründeten Gemeinde. Apollos stammte nach Auskunft von Apg 18,24-26 aus Alexandrien (Αλεξανδρευ` ς τω ^, γε' νει, V. 24). Er war „ein beredter Mann“ (α νη` ρ λο' γιος), der „mächtig war in den Schriften“ (δυνατο` ς ω
ν ε ν ται^ς γραφαι^ς) und „im Weg des Herrn“ unterwiesen war (η ν κατηχημε' νος τη` ν ο δο` ν του^ κυρι'ου). Wo Apollos ein Anhänger Jesus geworden war, wird nicht mitgeteilt. Er kam nach Ephesus, wo er „mit glühendem Geist“ die „Lehre vo n Jesus“ ( τα` περι` του^ Ιησου^ , V. 25) „offen in der Synagoge“ (παρρησια' ζεσ-θαι ε ν τη^, συναγωγη^, , V. 26) „genau vortrug“ (ε λα' λει και` ε δι'δασκεν α κριβω ^ ς, V. 25). Allerdings kannte Apollos zu diesem Zeitpunkt nur die Taufe des Johannes. Nachdem Priscilla und Aquila ihm „den Weg Gottes“ noch genauer ausgelegt hatten, wurde die-ses Defizit offensichtlich ausgeglichen. In Apg 18,27-28 berichtet Lukas, dass Apollos von den „Brüdern“, d.h. den ersten Christen in Ephesus, in seinem Bestreben, nach Achaja zu gehen, ermutigt und unterstützt wurde und nach seiner Ankunft den Gläubigen eine große Hilfe wurde, weil er „öffentlich aus der Schrift nachwies, dass Jesus der Messias ist“. Die Stadt in Achaja, in der Apollos wirkte, bleibt ungenannt; es handelt sich jedoch offensichtlich um Korinth. Der in Ephesus wirkende Apollos (Apg 18,24-26) wird in der Forschung unterschiedlich verstanden: 1. Er war ein jüdischer Missionar mit Beziehungen zur Bewegung des Täufers Johannes.518 2. Er war ein Jünger Johannes des Täufers, der vor der Kreuzigung ein Jünger Jesu wurde, aber wegen seiner Abwesenheit aus Palästina Pfingsten „verpasst“ hatte.519 Vielleicht war er in Alexandrien durch einen Schüler des Täufers in dessen Theologie eingeführt worden.520 3. Er kam als jüdischer Jesusanhänger nach Ephesus, der noch nicht Christ war.521 4. Er war ein christlicher Missionar, der ein besonderes Taufverständnis hatte: Er verstand die Taufe als Bußtaufe, die eine besondere Bindung der Getauften an den Täufer impliziere.522 Nach 1Kor 1,12; 3,4-9.22; 4,6 hat Apollos in der Gemeinde in Korinth gewirkt, offensichtlich nach der Abreise des Apostels Paulus. Nach Tit 3,13 überbringt Apollos zusammen mit Zenas, einem christlichen Juristen, einen Brief des Paulus an Titus, der auf Kreta missioniert. Manche haben aufgrund der südlichen Reiserichtung und der ————————————————————
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Hays 51; vgl. Fee 132; Schrage I 291, die jedoch die Bedeutung der Bekehrung einzelner Menschen unnötigerweise herunterspielen – ohne die Bekehrung von einzelnen Menschen, seien dies Juden, Proselyten, Gottesfürchtigen oder Polytheisten, gibt es keine Gemeindegründung. Die Übersetzung „bewässern“ passt besser zu „Ackerfeld“ V. 9 als „begießen“ (was allgemein bevorzug wird, vgl. LÜ, EÜ, Elb.Ü, GN, Hfa, NGÜ, ZB). Vgl. Lindemann 80. H. Merklein, EWNT I, 328-329; Roloff, Apostelgeschichte, 279. Michaelis, Johannes-Jünger, 717-735. Schumacher, Apollos, 11. Schneider, Apostelgeschichte II, 261. Thiessen, Christen in Ephesus, 43-60; Dobbeler, Philippus, 195-197.
194 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Rolle des Apollos als begabtem und wirksamem Lehrer vermutet, dass das eigentliche Ziel der Reise, mindestens von Apollos, Alexandrien war.523
Paulus differenziert nicht nur zeitlich, sondern auch in der Sache: Apollos hat nicht nur chronologisch später in der korinthischen Gemeinde gearbeitet, sondern er hat auch eine andere Aufgabe. Zu beachten ist, dass es nicht um die Abgrenzung und Wahrung von Kompetenzen und Ressorts geht. Der Satz „durch die ihr zum Glauben gekommen seid“ V. 5 bezieht sich auch auf Apollos, das heißt: auch durch die Verkündigung von Apollos waren Menschen in Korinth zum Glauben gekommen. Gleichzeitig gilt, dass Paulus nicht nur als Pioniermissionar Gemeinden gegründet hat, sondern er hat sich durch wiederholte Besuche, durch die Entsendung von Mitarbeitern und durch seine Briefe auch um die theologische und ethische Auferbauung der Gemeinden gekümmert. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es bei der Nennung der Funktionen des Pflanzens und Bewässerns um Grundsätzliches geht, nicht um die rechte Methode des Pflanzens oder um die Beschaffenheit des Ackerfeldes. 524 Zu beachten ist schließlich, dass eine Rivalität von Pflanzern und Bewässerern absurd ist: ohne den anderen wären alle beide bedeutungslos; sie ergänzen sich gegenseitig und arbeiten beide an dem gemeinsamen Ziel, eine Ernte zu erzielen. 525 Der für Paulus entscheidende (α λλα' ) Satz lautet Gott aber ließ es wachsen (ο αυ ξα' νων θεο' ς). 526 Alles Verkündigen und Lehren bleibt unfruchtbar, wenn Gott kein Gedeihen schenkt. Der Wechsel vom Aor. (ε φυ' τευσα, ε πο' τισεν) zum Imperfekt ist wichtig: „Dieses Wunder des göttlichen Wirkens ist die Konstante und das für alle christliche Effizienz Primäre“.527 In 2,4 machte Paulus dieselbe Aussage: wenn Menschen sich zum Glauben an Jesus Christus bekehren, den gekreuzigten und auferstandenen Retter und Herrn, und wenn sie sich mit anderen Jesusbekennern zu einer neuen Gemeinschaft zusammenschließen, dann ist dies allein das Resultat des machtvollen Wirkens Gottes in der Gegenwart seines Geistes. Der Wechsel von „Herr“ (κυ' ριος) V. 5 zu Gott (θεο' ς) V. 6 zeigt, dass Jesus Christus und Gott „ontologisch“ unterschieden, „soteriologisch“ aber eine Einheit sind.528 ————————————————————
523 524 525 526 527 528
Mounce, Pastoral Epistles, 458. Merklein I 260. NW II.1, 252 vergleicht die Metaphern des Pflanzens und Bewässerns mit Galenus 10,458-459. Godet I 89; Garland 111-112; Kuck, Judgment, 166. Anders Fiore, Personal Example, der eine „Subordination“ von Apollos angezeigt sehen will. Vom „Wachsen“ des Wortes Gottes ist in Apg 6,7; 12,24; 19,20 die Rede. Schrage I 292. Conzelmann 99; Lindemann 81.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 195 ————————————————————————————————————
7 Die Schlussfolgerung (ω« στε) aus V. 6 liegt auf der Hand. Sowohl der „Pflanzer“ (ο φυτευ' ων) als auch der „Bewässerer“ (ο ποτι' ζων) ist etwas (ου» τε . . . ε στι' ν). Alle Apostel und Lehrer sind von sich aus nicht tauglich (ου χ α φ’ ε αυτω ^ ν ι κανοι' ε σμεν, 2Kor 3,5), alle haben nichts (μηδε` ν ε»χοντες, 2Kor 6,10) – alle sind in der Tat „nichts“ (ου δε'ν), „ein Nichts, aus dem nur Gottes Schöpfertat etwas zu machen vermag“.529 Entscheidend ist (nur) Gott, der es wachsen lässt (α λλ’ ο αυ ξα' νων θεο' ς).530 J. A. Bengel verweist scharfsichtig auf den Kontrast zu einem mechanischen Dienstmodell: Wenn Gott kein organisches Wachstum schenkte, wäre die Saat oder das Weizenkorn „bereits von Beginn des Säens an wie ein Kieselstein: aus diesem Wachstum heraus entspringt anschließend der Glaube“. 531 Der Hinweis auf die wirkmächtige Souveränität Gottes sowohl in der Pioniermission als auch in der Gemeindegründung, in der evangelistischen Predigt wie in der Lehrpredigt, entlarvt die Absurdität der korinthischen Fixiertheit auf Rhetorik und sozialen Status: Wenn Gott allein für das Wachsen der gepflanzten Saat sorgt, wenn Gott es ist, der Menschen zum Glauben an Jesus Christus und zur Eingliederung in die Gemeinde der Gläubigen führt, dann sind Loyalitätsbekundungen gegenüber prominenten Aposteln und Lehrern in der Tat kindisch.532 8 Paulus behandelt weiter den Pflanzer (ο φυτευ' ων) und den Bewässerer (ο ποτι' ζων): Nachdem er auf die Verschiedenheit ihres Wirkens und auf ihr gemeinsames Angewiesensein auf Gott hingewiesen hat, betont er jetzt ihre Einheit. Der Apostel, der pflanzt, und der Lehrer, der bewässert, sind „nichts“ (V. 7), aber gleichzeitig gilt: Sie sind eines (ε«ν ει σιν). Das betonte ε«ν unterstreicht 1. ihre Einheit: Bei aller Unterschiedlichkeit der Funktion gibt es zwischen ihnen keinen entscheidenden Unterschied, da beide als Diener und Gottes Mitarbeiter von der souveränen Macht Gottes abhängig sind, die ihrem Wirken zur Frucht verhilft; 2. ihre Kooperation: Ihre Arbeit ergänzt sich, sie sind keine Konkurrenten, die sich übertreffen müssten oder könnten; 3. ihre nur relative Bedeutung als Arbeiter, die einander brauchen und deren Arbeit eine ist – eine Tatsache, die es unmöglich macht, dass man sich auf den einen oder den anderen als Leitfigur beruft. 533 ————————————————————
529
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Schrage I 292; vgl. Merklein I 261: „Soteriologisch haben die Verkündiger, so sehr ihre Funktionen auch unterscheidbar sind und aufgrund der unterschiedlichen Gabe des Herrn auch unterschieden werden müssen, keine Bedeutung“. GN übersetzt: „Es kommt alles auf Gott an, der es wachsen lässt“. θεο' ς ist Apposition zum subst. Ptz. ο αυ ξα' νων (parallel zu ο φυτευ' ων und ο ποτι'ζων). Bengel, Gnomon, 629: „Sine hoc incremento granum a primo sationis momento esset instar lapilli: ex incremento protinus fides germinat.“ Thiselton 302-303; Garland 110; Clarke, Leadership, 119-120; Winter, Corinth, 42. Schrage I 292; Lindemann 81; vgl. Konradt, Gericht, 224.
196 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Der Nachsatz V. 8b verweist auf den künftigen Lohn im Endgericht, den jeder (ε« καστος) erhalten wird. Der individuellen Leistung, die in der mühevollen Arbeit (κο' πος) des Pflanzens und Bewässerns besteht, entspricht der Lohn im Endgericht. Der Satz jeder aber wird seinen eigenen Lohn erhalten ist futurisch (λη' μψεται) formuliert: Paulus stellt die Apostel und Lehrer vor den Richterstuhl Gottes (im Vorausblick auf 3,15-17; 4,4-5). Von der Belohnung im Endgericht gemäß der getanen Arbeit ist im NT mehrfach die Rede (Mt 16,27; Röm 2,6; 2Kor 11,15; 2Tim 4,14; 1Petr 1,17; Offb 2,23; 20,12-13; 22,13). Die Wendung »ιδιος μισθο' ς unterstreicht, dass der Apostel und der Lehrer „in unmittelbarer persönlicher Verantwortung für sich selber vor Gott stehen“.534 Gott ist der „Arbeitgeber“ der Apostel und Lehrer, ihm sind sie rechenschaftspflichtig. Ein zweiter Gedanke ist ausgesprochen: Gott allein entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Arbeit der Apostel und der Lehrer – nicht die Gemeinde, nicht andere Mitarbeiter. Bewertet wird der Apostel, der Gemeinden gründet, und der Lehrer, der die Gemeinde unterweist, gemäß seiner eigenen Arbeit (κατα` το` ν »ιδιον κο' πον). Das Wort κο' πος, das oft die mühevolle, anstrengende Arbeit bezeichnet, beschreibt bei Paulus oft die Arbeit, die die Verkündigung des Evangeliums darstellt.535 Die individuelle „mühevolle Arbeit“ darf nicht auf die subjektive Anstrengung reduziert werden: „Als für den Lohn relevanter Maßstab hat sie ihre objektiven Koordinaten. Dies ist einerseits der vom Herrn zugemessene konkrete Dienst als die Vorgabe (5cβ), der die ‚Mühe‘ zu entsprechen hat, und andererseits das objektive ‚Werk‘, das durch die ‚Mühe‘ zustande kommt (VV. 12-15)“. 536 Nachdem Paulus das Eins-Sein des Apostels und des Lehrers herausgestellt hatte, betont er nun die Arbeit und Leistung des einzelnen Mitarbeiters am Bau der Gemeinde. 537 In V. 12-17 wird Paulus ausführlicher erklären, was er meint. Der Lohn (μισθο' ς) wird nicht beschrieben.538 Er besteht ganz sicher nicht ————————————————————
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Lindemann 81-82; vgl. Konradt, Gericht, 224-227. Das Wort μισθο' ς bezeichnet den Arbeitslohn und die Entschädigung für einen geleisteten Dienst; zu Belegen in den Papyri vgl. Arzt-Grabner 143. 2Kor 11,23.27; 1Thess 2,9; 3,5; mit κοπια' ω: 1Kor 15,10; 16,16; Gal 4,11; Röm 16,6.12; vgl. Joh 4,38. Vgl. F. Hauck, ThWNT III, 827-829; Kuck, Judgment, 168-169. Merklein I 262. Die meisten beschränken das ε»ργον (V. 12-13) auf das Werk der Apostel, konkret „auf die Art der Weitergabe der Lehre“; vgl. Heiligenthal, Werke, 212.215. In 2Kor 5,10 weitet Paulus den Gedanken des Lohngerichts auf alle Christen und auf alle Lebensbereiche aus. μισθο' ς kommt bei Paulus nur hier in V. 8.14 als Ausdruck für das Endgericht vor. Für den eschatologischen Bezug von μισθο' ς vgl. Weish 2,22; 5,15-16; Ant.Bibl. 64,7; äthHen 25,4; grHen 51,3; 4Esra 7,83; 8,33; 13,56; syrApkBar 52,7; 54,16; 59,2; die relevanten ntl. Stellen sind Mt 5,12 / Lk 6,23; Mt 6,1; 10,41-42; Mk 9,41; Lk 6,35; 2Joh 8; Offb 11,18; 22,12; vgl. Did 4,7; 5,2; 1Clem 34,3; 2Clem 3,3; 9,5; 11,5-6; 20,4; Hermas s
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 197 ————————————————————————————————————
in der finanziellen Vergütung, auch nicht in der eschatologischen Vereinigung der Gemeinde mit ihrem Lehrer.539 Paulus will in V. 8b sagen, dass bei aller Einheit der Apostel und Lehrer „jeder seine individuelle Mühe und Leistung aufbringt“ und dass Gott „die individuelle Leistung des Menschen bewerten wird“.540 Die Aussage lässt die Möglichkeit zu, dass die Löhne unterschiedlich ausfallen, „aber betont ist das hier nicht“.541 Paulus betont in V. 5-9 gerade nicht die je unterschiedlichen Leistungen der Apostel und Lehrer, sondern die Tatsache, dass das Ergebnis ihrer Arbeit von Gott abhängt, der das Wachstum schenkt. H. Merklein setzt den „Lohn“ (in 3,14) in Beziehung zum „Werk“, d.h. zur Gründung und zum (Weiter-) Bau der Gemeinde, und beschreibt ihn „als die eschatologische Fixierung der gemeindewirksamen Tätigkeit des Verkündigers . . . Zur Auferbauung der Gemeinde beigetragen zu haben ist Teil der eschatologischen Beglückung“.542 Mehrere Ausleger meinen, dass κο' πος nicht Bild-, sondern Sachaussage ist und ε»ργον entspricht (V. 13-14). H. Conzelmann schreibt: „Paulus muß am Jüngsten Tag nicht von seinen Anstrengungen erzählen, sondern seine Gemeinden, also den Erfolg vorweisen“.543 Im Kontext von V. 6-7 ist diese Interpretation nicht überzeugend: Der sichtbare „Erfolg“ ist immer direktes Resultat des Wirkens Gottes, der erst im Endgericht das abschließende Urteil sprechen wird. Das heißt, was authentischer, was „bleibender“ Erfolg ist, wird sich erst in der Zukunft der Neuen Welt Gottes entscheiden. D. Kuck weist darauf hin, dass trotz der Parallele von κο' πος V. 8 und ε»ργον V. 13-15 und der Implikation, dass die Qualität der Arbeit von Gott bewertet wird, der Schwerpunkt in V. 8 auf dem individuellen Einsatz, auf der Arbeit des einzelnen Apostels und Lehrers liegt.544 Im Blick auf die Frage, was die Bemessensgrundlage des Lohnes ist, muss die Wendung „gemäß seiner eigenen Arbeit“ (κατα` το` ν »ιδιον κο' πον) nicht zwingend in diesem Sinn gelesen werden („nach Maßgabe von“), da κατα' auch mit „auf Grund von, wegen“ übersetzt werden kann.545 Im Kontext von V. 5-9 geht es bei κο' πος weniger ————————————————————
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5.6.7; Barn. 19,10-11; 21;3; Ignatius, Pol. 6,2. Siehe auch 1Kor 9,17.18; Röm 4,4. So Klauck 34; Pesch, Sonderlohn, 199-206; ders., EWNT II, 1065; zur Kritik Schrage I 293 Anm. 92; Kuck, Judgment, 168-169. Paulus erwartet an keiner Stelle für sich etwas, was nicht alle Christen erwarten, vgl. 1Kor 9,24-25; 15,58; Gal 6,4. Lindemann 81, der betont, dass Paulus vom Lohn, nicht aber von der Strafe spricht, und dass die Aussage in V. 8b nicht als Drohung gegen Apollos zu verstehen ist (82); vgl. Winter, Bedeutung, 178-179. Konradt, Gericht, 229, ebd. die folgende Bemerkung. Merklein I 268. Conzelmann 100 Anm. 51; vgl. Ollrog, Mitarbeiter, 171; Schrage I 292 Anm. 88; zur Kritik Konradt, Gericht, 229. Kuck, Judgment, 167; vgl. Gnilka, Fegfeuer, 119; Konradt, Gericht, 229-230. Bauer /Aland 826-827 s.v. κατα' 5.a.δ („oft ist die Norm zugleich der Grund, so daß nach Maßgabe von u. auf Grund von ineinanderfließen“); Konradt, Gericht, 228-229. Bauer/ Aland listet V. 8 allerdings unter 5.a.β („v. der Norm, nach der ein Urteil gefällt wird, Belohnung u. Strafe ausgeteilt werden“).
198 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— um das Ergebnis der Arbeit, das ganz wesentlich von Gott abhängt, der das Gedeihen gibt, sondern um die Mühsal der Arbeit als Apostel und Verkündiger. Kann es unterschiedlichen Lohn geben? A. Schlatter bejaht diese Frage: Gott belohnt je nach der Arbeit des einzelnen Apostels und Lehrers, d.h. je „nach der aufgewendeten Kraft und übernommenen Beschwerung . . . Sein Maß hängt nicht von der Größe der Begabung und nicht vom Umfang des Erfolgs ab; denn sowohl über die Begabung als über den Erfolg entscheidet der, der ‚wachsen läßt‘. Einzig der persönlichen Aufopferung ist der Lohn verheißen, und mit ihr verband Paulus die Erwartung des Lohnes ohne jede Hemmung, 9,17.18. Dem menschlichen Wirken antwortet das göttliche, der Hingabe des Menschen das göttliche Geben“.546 Worin solche Unterschiede im Lohn liegen, wird nicht gesagt. Im AT ist nie vom eschatologischen Lohn die Rede, Stellen wie Jes 40,10; 62,11; Jer 31,16 sind allgemein gehalten. In frühjüdischen Texten547 erscheinen Lohnaussagen in Weisheitsschriften548 und in der apokalyptischen Literatur.549 In den Evangelien spielt der von Gott gegebene Lohn mehrfach eine Rolle,550 in anderen ntl. Schriften eher selten,551 in den Apostolischen Vätern stärker.552 Mehrere Jesusworte sprechen von einer „Differenzierung innerhalb des positiven eschatologischen Ergehens“.553 In Mt 5,12 / Lk 6,23; Lk 6,35 wird ein „großer Lohn“ verheißen, in Mt 10,41 werden verschiedene Stufen des Lohns vorausgesetzt, allerdings nicht im einzelnen erläutert.554 Andererseits erklärt Jesus mit dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-15), dass die unter den Menschen gültige Vorstellung von der Entsprechung von Arbeit und Lohn im Reich Gottes nicht gilt: Hier erhalten alle denselben Lohn, trotz unterschiedlicher Arbeit. Der aramäisch überlieferte rabbinische Ausspruch in mAb 5,23 („Nach Maßgabe der Mühe ist der Lohn“) kommt 1Kor 3,8 sprachlich am nächsten. In den frühjüdischen Texten wird häufig darauf hingewiesen, dass es einen Lohn gibt, um zur Befolgung der Gebote zu motivieren (vgl. Sir 51,13-29.30), aber eine Differenzierung des individuellen eschatologischen Ergehens ist den meisten Texten fremd.555 Meistens wird der Lohn der Gerechten mit der Verdammnis der Sünder kontrastiert. Wo von einem „großen“ Lohn gesprochen wird, wie in den Evangelien, bleibt offen, worin der Lohn besteht. Das bedeutet, dass man 1Kor 3,8 ————————————————————
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Schlatter 131. Vgl. Hezser, Lohnmetaphorik, 117-127; Konradt, Gericht, 234-253. Weish 2,22; 5,15; 10,17; Sir 2,8; 11,12; 51,30. 4Esra 3,33; 4,35; 7,35.83.98; 8,33.39; 13,56l; grApkEsra 1,14; syrApkBar 52,7; 54,16; 59,2; 66,6; slHen 44,5; 45,1; 51,3; 63,1; äthHen 104,13; 105,1; 108,7-11. Mt 5,12 / Lk 6,23; Mt 5,46; 6,1.2.5.16; 10,41-42; Mk 9,41; Lk 6,35; Joh 4,36. Hebr 10,35; 11,6.26; 2Joh 8; Offb 11,18; 22,12. Did 4,7; 5,2; Barn 1,5; 4,12; 11,8; 19,11; 20,2; 21,3; 1Clem 34,3; 2Clem 3,3; 9,5; 11,5; 20,4; Herm Sim 2,5; 5,6,7. Konradt, Gericht, 238; für die folgende Übersicht s. ebd. 238-253. Ohne Rede von „Lohn“ vgl. noch Mt 5,19; 11,11; 18,1-4; Mk 10,37.40. In Offb 22,12 geht es im Kontext um den doppelten Ausgang des Gerichts und entspricht damit der Darstellung des Endgerichts in 20,11-15, d.h. das „siehe ich komme bald“ in 22,12 ist keine Drohung, sondern Verheißung der Einlösung der Zusage des Heils. Vgl. Konradt, Gericht, 255: „Im jüdischen Traditionsreservoir sind mit dem Lohnbegriff keine Reflexionen darüber verbunden, worin eine (über das Heil selbst hinausgehende) eschatologische Auszeichnung bestehen soll“.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 199 ———————————————————————————————————— nicht automatisch auf dem Hintergrund einer Differenzierung des individuellen Ergehens nach (!) dem göttlichen Gericht interpretieren sollte, weil dies „weder den Facettenreichtum der Verwendungsweisen der Lohnvorstellung im frühjüdischen Schrifttum adäquat in den Blick kommen ließe noch dem Aussagezusammenhang in 1Kor 3,8 entspräche“.556 Wenn man nach dem Inhalt des Lohns fragt, den Paulus in V. 8 nicht näher erläutert, sind folgende Stellen heranzuziehen. Die Beschreibung der „Offenbarung“ in 1Kor 4,5, die nach der Wiederkunft Jesu stattfinden wird und bei der „die Absichten der Herzen“ aufgedeckt werden, spricht von Gottes „Lob“ (ε»παινος). In 9,24 spricht Paulus von einem „Siegespreis“ (βραβει^ον), in 9,25 von einem „unvergänglichen Siegeskranz“ (στε' φανος); in 2Kor 5,9 ist vom Wohlgefallen Gottes (ευ α' ρεστοι) die Rede, in Röm 2,10 von „Herrlichkeit, Ehre und Friede“ (δο' ξα και` τιμη` και` ειρη' νη; Röm 8,1718 spricht zwei Mal von „Herrlichkeit“), in 2Tim 4,8 von einem „Siegeskranz der Gerechtigkeit“ (ο τη^ ς δικαιοσυ' νης στε' φανος).557 Diese Begriffe machen es allesamt schwierig wenn nicht unmöglich, sich eine Differenzierung des individuellen Ergehens in der Ewigkeit konkret vorzustellen. An keiner Stelle beschreibt Paulus unterschiedliche „Ehrengrade“ als Konsequenz einer göttlichen Bewertung, wie jemand Christ war.558
Der Kontext der Bindung korinthischer Christen an prominente Apostel und Lehrer lässt vermuten, dass Paulus nicht die differenzierende Lohnzuteilung betont (was die rivalisierenden Loyalitätsbekundungen weiter fördern könnte), sondern die Tatsache, dass alle von Gott gemäß ihrer Arbeit belohnt werden.559 In diesem Zusammenhang hat der Verweis auf die Beurteilung κατα` το` ν »ιδιον κο' πον wahrscheinlich eine korrigierende Spitze: Die Apostel und Lehrer werden nicht nach ihrer „Weisheit“, d.h. nicht nach ihrer rhetorischen Brillianz und beeindruckenden Argumentation beurteilt, sondern nach der Mühsal ihrer Arbeit. Gleichzeitig gilt Folgendes: Paulus setzt in V. 8 voraus, dass Gott weiß, was die Arbeit der Missionare und der Verkündiger wert ist.560 Der oberflächliche, gebetslose, Beifall erheischende Dienst eines Missionars oder Verkündigers sieht möglicherweise nie einen „Lohn“ im Sinn ————————————————————
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Konradt, Gericht, 253. Petrus spricht vom „unvergänglichen Siegeskranz der Herrlichkeit“ (το` ν α μαρα' ντινον τη^ ς δο' ξης στε' φανον, 1Petr 5,4), Jakobus und Johannes vom „Siegeskranz des Lebens“ (ο στε' φανος τη^ ς ζωη^ ς, Jak 1,12; Offb 2,10). Konradt, Gericht, 528; dezidiert anders Mattern, Verständnis,141-212; vgl. Kuck, Judgment, 185. Verfehlt ist die Argumentation von Pesch, Sonderlohn, 199-206, der Röm 4,4 als prinzipielle Ablehnung der Lohnvorstellung interpretiert und 1Kor 3 unter Verweis auf ihre begrenzte Relevanz (es geht nicht um Heil oder Unheil) marginalisiert. Konradt, Gericht, 227-228, der eine Betonung der jeweiligen Lohnhöhe der Gesamtintention von 1Kor 1–4 zuwiderlaufen sieht, „wenn doch auch in Gottes Lohnzuteilung unterschiedliche Wertschätzungen zutage treten werden, also auch Gott durch seine Lohnzuteilung quasi eine Hierarchie unter den Aposteln begründet“ (228); zum Folgenden 229. Vgl. Thiselton 304, der von der „internen Grammatik“ des Bildes von der Belohnung spricht; ebd. für die folgenden Bemerkungen.
200 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
von Menschen, die zum Glauben kommen und zu reifen Christen heranwachsen, während der geistliche, authentische, auf die Verkündigung des Heilshandelns Gottes in Tod und Auferweckung Jesu Christi konzentrierte Dienst eines Missionars oder Verkündigers vielleicht einen „Lohn“ produziert, den nur Gott oder der Verkündiger selbst kennen.561 Im Licht der Aussagen in 3,13-14 und 4,3-5 betont Paulus, dass die aktuelle Bewertung seines Wirkens durch die Korinther, samt ihren Vergleichen mit Apollos und mit Petrus, irrelevant ist, weil die abschließende Bewertung von Gott vorgenommen wird, und dies erst am Tag des Gerichts. Die Belohnung, welche die zu einem neuen Leben auferstandenen Verkündiger (vgl. 15,44-49) an jenem Tag erhalten werden, hängt mit der Arbeit zusammen, die sie in ihrem Dienst getan haben und die in der neuen Ordnung der Neuen Welt Gottes „bleibt“ (vgl. 13,8-13), d.h. als Frucht des Geistes oder als Werk des Reiches Gottes eine bleibende Wirkung auf der Neuen Erde hat. Der Verweis auf das Endgericht verweist die Loyalitätsbekundungen der korinthischen Christen noch einmal in die Schranken. Paulus und Apollos müssen sich weder vor den Christen in Korinth verantworten, noch spielen die Maßstäbe, die die Korinther an die Apostel und Lehrer anwenden, im Endgericht eine Rolle. 562 Gleichzeitig ist daran zu erinnern, dass der Wert eines authentischen Verkündigungsdienstes für Paulus von der Zentralität der Predigt vom Kreuz abhängt. 9 Paulus begründet (γα' ρ) seinen Hinweis auf die Einheit der Verkündiger und auf die Bewertung der Arbeit des einzelnen Verkündigers durch Gott V. 8. Paulus und Apollos sind „eins“ und sie erhalten je ihren „eigenen Lohn“, weil sie Mitarbeiter Gottes (θεου^ συνεργοι' ) sind.563 Die Vorsilbe συν- und der Genitiv θεου^ können unterschiedlich interpretiert werden. Die erste Interpretation verbindet συν- mit θεου^ : die Verkündiger arbeiten in Gemeinschaft mit Gott, sie sind „Gehilfen und Handlanger Gottes“. 564 Die zweite Interpretation bezieht συν- auf die Verkündiger und versteht θεου^ als possessiven Genitiv: Die Apostel (Paulus) arbeiten in Gemeinschaft mit den
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Vgl. Konradt, Gericht, 231 Anm. 153: „Die Missionare werden nicht nach dem Zustand ihrer Gemeinden beurteilt, sondern nach ihrem κο' πος, ihrem Einsatz“. Deshalb ist der Satz V. 8b nicht überraschend, wie Lindemann 81 meint. Der Ausdruck kommt sonst nur noch in 1Thess 3,2 vor, wo frühe Lesarten jedoch δια' κονος statt συνεργο' ς schreiben. In 2Kor 6,1 liegt das Verb συνεργε' ω in einem ähnlichen Kontext vor. Menge, Wilckens („Arbeiter in Gottes Dienst“); G. Bertram, ThWNT VII, 872; vgl. Godet I 90-91; Lightfoot 188; Weiss 78; Robertson/Plummer 58; Bachmann 157; Wendland 33; Lietzmann 15; Schrage I 293-294. Die Vulgata übersetzt Dei enim sumus adjutores.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 201 ————————————————————————————————————
Lehrern (Apollos) an dem Werk, das Gott gehört.565 Genitivkonstruktionen mit συνεργο' ς (Röm 16,9.21; Phil 2,25; 4,3) lassen die erste Interpretation als plausibel erscheinen: die Apostel und Verkündiger sind Mitarbeiter Gottes. Vor einem Synergismus sollte man bei diesem Verständnis keine Angst haben: Paulus hat in Kap. 1–2 mehrfach deutlich betont, dass der Status aller Jesusbekenner als heilige, vollkommene und geistliche Glaubende ganz von Gottes erwählendem Berufen abhängig ist, und in 3,5-7 hatte er erklärt, dass die Apostel und Lehrer „nichts“ sind, Gott jedoch alles ist, weil er es ist, der die Arbeit sowohl der Apostel als auch der Lehrer gelingen lässt. Andererseits ist das vorangestellte θεου^ betont; den Genitiv kann auch im Rahmen der ersten Interpretation als Genitiv des Besitzes aufgefasst werden: Die Apostel und Lehrer, die mit Gott zusammen am „Werk“ der Gemeinde arbeiten, gehören Gott, d.h. sie sind auf ihn angewiesen und ihm gegenüber verantwortlich. Ihr Werk ist Werk Gottes – gerade deshalb sind sie „eins“, und deshalb sind Bindungen an prominente Lehrer absurd.566 Das Bild von der Gemeinde (ε στε, 2. Pers. Plural) als Gottes Ackerfeld (θεου^ γεω' ργιον) – das Bild könnte sich auch auf einen Weinberg beziehen – geht auf die Metaphern des Pflanzens und Bewässerns V. 6 zurück. 567 Der Genitiv θεου^ unterstreicht, dass die Gemeinde genauso wie die Verkündiger das Eigentum Gottes sind.568 Paulus geht ohne nähere Erläuterung von Metaphern aus der Landwirtschaft zu einer Metapher aus der Architektur über: Die Gemeinde (ε στε) ist ————————————————————
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NGÜ („Gottes Werk, an dem wir miteinander arbeiten“); NRSV („God’s servants working together“); Bauer / Aland s.v. συνεργο' ς 1571; Heinrici 121; Fee 133-134; Wolff 68; Merklein I 262-263; Collins 146; Lindemann 82; Thiselton 306; Garland 113; W.-H. Ollrogg, EWNT III, 727; Furnish, Fellow Workers, 364-370; Mitchell, Rhetoric, 135. Die deutschen Übersetzungen, die den Ausdruck mit „Gottes Mitarbeiter“ wiedergeben, lassen eine Entscheidung offen; SÜ bietet beide Auslegungsmöglichkeiten in einer Anmerkung. Schrage I 294. Anders Stanley, Arguing with Scripture, 84, der die Stelle im Sinn der Betonung der Autorität des Apostels Paulus missversteht. Gott wird in Joh 15,1 als γεωργο' ς bezeichnet. In den Evangelien kommt γεωργο' ς öfter im Zusammenhang eines Weinbergs vor (Mt 23,33-35.38.40-41; Mk 12,1.2.7.9; Lk 20,9.10.14.16; Joh 15,1). Das Subst. γεω' ργιον V. 9 ist hapax legomenon; für die LXX vgl. Gen 26,14; Prov 6,7; 9,12; 24,5.30; 31,16; Jer 28,23. Das bedeutungsgleiche α γρο' ς ist häufiger, kommt aber bei Paulus nicht vor. Lindemann 82 meint, dass ein Verständnis der „Mitarbeiter Gottes“ als Gehilfen Gottes den Missionaren „Kooperation mit Gott“ bescheinige, „der Gemeinde dagegen im Grunde Passivität Gott gegenüber“ zuschreibe. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig, weil das Bild von „Gottes Ackerboden“ nicht zu einer Allegorie ausgeweitet werden darf. Dieser Hinweis ist auch bei solchen Auslegungen zu beachten, die aus der „Passivität“ der Metaphern schließen, dass Paulus auf die Parteiparolen der Korinther reagiere und sie als „Objekte von Gottes Werk“ bezeichne (Ker, Paul and Apollos, 87; Garland 113).
202 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gottes Bauwerk (θεου^ οι κοδομη' ). In 14,3.5.12.26 beschreibt das Wort οι κοδομη' die Auferbauung der Gemeinde. G. K. Beale erklärt den scheinbar abrupten Wechsel der Metaphern mit der engen Beziehung zwischen „Garten“ und „Tempel“ im AT und im Judentum, wo der Garten Eden, das einem Garten ähnliche Gelobte Land Israels und die zukünftige Wiederherstellung Israels in einem gartenähnlichen Land mit einem Tempel verbunden oder identifiziert wurde.569 Der einzige Text, der neben V. 10-17 von einer Grundsteinlegung und vom Bauen mit Gold, Silber und kostbaren Steinen spricht, ist die Beschreibung des salomonischen Tempels (1Kön 5,17; 6,20-21.28.30.35; 1Chron 29,17). Die Beschreibung von Salomos Tempel verweist wiederholt auf botanische Ornamente (1Kön 6,18.29.32; 7,18-20.22.24-26.42.49-50). Im rabbinischen Judentum konnte man ebenfalls vom Tempel Salomos als „Feld“ sprechen (Targum PseudoJonathan Gen 27,27; Pesikta Rabbati Piska 39). Dieser Hintergrund macht die Annahme plausibel, dass Paulus in V. 6-17 die Bilder von der Pflanzung und vom Bauwerk nicht nur als Metaphern verwendet, sondern mit dem salomonischen „GartenTempel“ vergleicht, der in der atl. Prophetie in der messianischen Endzeit wieder hergestellt werden sollte.
Das Bild vom „Bauwerk“ beschreibt nicht allein das Resultat und Ergebnis des „Mitarbeitens“ von Paulus und Apollos, sondern zugleich den Prozess des Bauens. Der Kontext macht deutlich, dass das Bauen noch nicht fertig ist.570 Der Genitiv θεου^ betont wieder, dass die Gemeinde Gott gehört: sie ist Gottes Werk und Eigentum, nicht das Werk und Eigentum der Apostel und Lehrer. Wichtig ist der Hinweis, dass das Bild vom „Bau“ nicht am Einzelnen orientiert ist: „Nicht der einzelne ist ein Bau und Objekt von Erbauung, sondern die Gemeinde, in die die einzelnen eingebaut werden“. 571
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Beale, Temple, 29-167, bes. 66-80.123-167, mit Verweis u.a. auf Gen 2,15; 1Kön 6.18.29.32; 7,20.22.42.49; Ps 52,8; 92,13-15; Klgl 2,6; Jes 33,20-21; 51,2-3; 54,2-3; 60,13.21; Sir 24,8-34; Jub 3,27; 4,23-25; 8,19; TestLev 18,6.10; äthHen 24–27; 90,2836; 1QH 6,12-19; 8,20; 1QS 8,5; 4QFlor 1,6; 4Q418 Frag. 81. Zu den atl. Stellen vgl. Stordalen, Echoes of Eden, 411-414.435-436. Die letzte Vision der Johannesoffenbarung von der Neuen Welt, in der Gott wohnt (Offb 21,1–22,5), verbindet das Motiv des Gartens und des Tempels; dazu Beale, Temple, 23-26; 365-373. Lindemann 82; Kitzberger, Bau, 302; vgl. Philo, Cher. 98-105, der die unsichtbare Seele allegorisch als „Haus“ (οι κος) des unsichtbaren Gottes beschreibt. Das Wort οικοδομη' bezeichnet jegliche „bauliche Herstellung oder Erweiterung oder Veränderung eines Hauses oder eines sonstigen Bauwerks“ (Preisigke, Wörterbuch, s.v. οικοδομη' ). Schrage I 295, mit Verweis auf 1Petr 2,5. Vgl. Kitzberger, Bau, 282-283: Die Gemeinde ist „als ganze vorrangiges Objekt des Bauens . . . wo einzelne als Objekt aufscheinen, sind sie dies ausschließlich als bereits zur Gemeinde gehörende (Röm 14,19; 1Thess 5,11) oder potentielle Glieder (1Kor 14,17)“.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 203 ————————————————————————————————————
10 Paulus entfaltet das Bild von der Gemeinde als Bauwerk Gottes: Er selbst hat als sachkundiger Architekt das Fundament gelegt. Dieser Satz konkretisiert die besondere Aufgabe, die Paulus von Gott zugewiesen bekommen hatte. Er ist Pioniermissionar – er zieht von Stadt zu Stadt, von Region zu Region und verkündigt das Evangelium von Gottes Heilshandeln im Tod und in der Auferweckung Jesu Christi vor Juden und Heiden, die diese Botschaft noch nicht gehört haben; er führt sie zum Glauben an Jesus Christus und führt die Jesusbekenner in der neu entstehenden Gemeinde zusammen. Die Wendung σοφο` ς α ρχιτε'κτων deutet darauf hin, dass Paulus wahrscheinlich nicht an den Bau eines Privathauses denkt, sondern an die Errichtung eines Monumentalbaus (z.B. eines Tempels oder Ratsgebäudes, einer Markthalle oder eines Theaters, oder einer großen Villa). Der Erbauer eines Gebäudes schloss in der Antike mit den einzelnen Arbeitern einen Vertrag; diese wurden von einem τε'κτων (Bauhandwerker, Zimmermann) koordiniert und beaufsichtigt, der ihnen an Erfahrung und Kenntnissen voraus war und deshalb als α ρχιτε'κτων bezeichnet wurde, als der „erste“ Bauhandwerker und „Chef der Arbeiter“ (ε ργατω ^ ν α»ρχων, Plat Pol 259), d.h. als Bauleiter.572 Solche Architekten, die die Verantwortung für die Planung und den Bau öffentlicher Gebäude hatten, waren begehrte Fachleute, die ein weit höheres Ansehen besaßen als Steinmetze, Zimmerleute, Mosaikleger oder Kaufleute.573 Auffällig und für den Kontext von 3,1-17 bedeutsam ist die Tatsache, dass in der römischen Architektur die Bauten überwiegend mit dem Namen der Auftraggeber verbunden sind, nur selten mit einem Architekten.574 Das Adj. σο' φος bedeutet hier sachverständig: Paulus unterstreicht, dass er die Aufgabe, die ihm aufgetragen wurde, in einer Art und Weise erfüllt, die höchsten Ansprüchen entspricht.575 Im Kontext ist σο' φος auch auf das Wort vom Kreuz zu beziehen: Paulus hat sich als weiser Architekt erwiesen, weil er bei seiner missionarischen Verkündigung in Korinth Jesus Christus den Gekreuzigten (2,2) als die „Weisheit“ Gottes (1,30) verkündigt hat und in seinem Auftreten als Verkündiger dieser Botschaft entsprach (2,1-5).576 Das ————————————————————
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Thiselton 308; vgl. Spicq, Notes I, 150-151; F. Winter in Arzt-Grabner 146-148 (mit Belegen aus den Papyri und Ostraka); Shanor, Master Builder, 461-471; Derrett, MasterBuilder, 130-133; Lanci, Temple, 59. Das Wort α ρχιτε' κτων kommt im NT nur hier vor, in der LXX drei Mal: Jes 3,3; Sir 38,27; 2Makk 2,29. Für den Hinweis auf Plato, Pol. 259 siehe Barrett 86-87; Lindemann 83. W. H. Groß, KP I, 848-850; Chr. Höcker, Art. Architekten, DNP I, 1003-1006; ders., Art. Bautechnik II, DNP II, 514-522; R. A. Tomlinson, OCD 147; Müller, Architekten. Höcker, DNP I, 1005; nur knapp 30 römische Architekten sind namentlich überliefert. Lindemann 83. Konradt, Gericht, 260.
204 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Fundament (θεμε'λιος)577 ist die grundlegende Verkündigung der Botschaft von Gottes Heilshandeln in Tod und Auferweckung Jesu Christi (V. 11), die infolge des machtvollen Wirkens Gottes zur Gründung der Gemeinde in Korinth geführt hat.578 Das Bild vom Bauen eines Bauwerks in V. 10-17 spielt in V. 10 auf Jes 3,3 und in V. 12-15 auf Mal 3,2-3 an.579 Die Bezeichnung σοφο` ς α ρχιτε' κτων „sachkundiger Architekt“ kommt nur noch in Jes 3,3 vor (σοφο` ν α ρχιτε' κτονα). Sowohl V. 10 als auch Jes 3,3 sprechen von Weisheit und von Gericht in Bezug auf die führenden Leute des Volkes Gottes. In Ex 35,31-32 LXX wird Bezalel vom Stamm Juda als von Gott berufener Mann beschrieben, „erfüllt mit einem göttlichen Geist der Weisheit (σοφι'ας) . . . damit er als Architekt (α ρχιτεκτονει^ν) gemäß allen Werken der Architektur (κατα` πα' ντα τα` ε»ργα τη^ ς α ρχιτεκτονι'ας) Gold und Silber . . . und Steinarbeiten fertige“ (vgl. Ex 31,4; 35,35 LXX).580
Das Fundament eines Bauwerks wird nur einmal gelegt. Das heißt für die missionarische Arbeit des Apostels: Die Verkündigung des Evangeliums vom Heilshandeln Gottes in Tod und Auferweckung Jesu Christi ist die grundlegende, entscheidende Wirklichkeit, die durch kein „Weiterbauen“ rückgängig gemacht werden kann und darf.581 Der Satz gemäß der mir geschenkten Gnade Gottes (κατα` τη` ν χα' ριν του^ θεου^ τη` ν δοθει^σα' ν μοι), der im griech. Text betont an erster Stelle steht, unterstreicht, dass Paulus nicht für sich selbst arbeitet, sondern dass er Diener Gottes ist (vgl. v.5). Er hat sich für das Apostelamt nicht freiwillig gemeldet, weil er sich für diese Arbeit begabt hielt, sondern Gott selbst hat ihn an diese Aufgabe gestellt (vgl. Gal 1,15-16; Röm 15,20; Apg 9,15).582 ————————————————————
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Für die metaphorische Verwendung von θεμε' λιος vgl. Philo, Cher. 101; Gig. 30; Mut. 211; Som. 2,8; Epiktet, Diss. 2,15,7-9; im NT: Röm 15,20; Eph 2,20; 2Tim 2,19; Hebr 6.1. Merklein I 264 nimmt einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang mit Jes 28,16 und Ps 118,22 (der Grundstein, den Gott in Zion gelegt hat; vgl. 1QS 5,5-6; 8,7-10; 1QH 6,26-27; 7,6-9) an, auf die in Mk 12,10-11; Röm 9,33; Eph 2,20; 1Tim 3,15; 1Petr 2,1-4; Offb 21,14.19 Bezug genommen wird. Schrage I 296, der darauf hinweist, dass im Bild vom Bauwerk die Grundmauern im Ausdruck „Fundament“ mit eingeschlossen sind. Vgl. Robertson/Plummer 60; Ciampa /Rosner 703; Proctor, Fire in God’s House, 9-14; Hübner, Theologie II, 131; Williams, Wisdom, 257-300; Beale, Temple, 245-252. Beale, Temple, 247; vgl. Williams, Wisdom, 294-295. Vgl. Schrage I 297, der mit dem Hinweis auf „das zeitliche und sachliche Prä seines apostolischen Wirkens“ gleichzeitig die „Autorität und Sonderstellung“ des Paulus betont sehen will. Diese Auslegung wird dem Kontext in Kap. 3 nicht gerecht. Eine Spitze gegen Petrus, dem Paulus hier „die Würde, Baugrund des Tempels Christi zu sein“ abspreche (Walter, Vorstellungen, 193), liegt hier nicht vor: Paulus spricht nicht von der Kirche schlechthin, sondern von der Ortsgemeinde in Korinth. Schrage I 296 meint, dass Gottes χα' ρις „nicht privatisiert“ wird, sondern dass Paulus
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 205 ————————————————————————————————————
Die Wendung ein anderer baut darauf auf (α»λλος δε` ε ποικοδομει^) öffnet die Perspektive für alle Verkündiger und Lehrer der Gemeinde (das Verb ist im Präsens formuliert).583 Das Wort α»λλος („ein anderer“) ist im Sinn des folgenden Wortes ε«καστος zu interpretieren: Es geht nicht um bestimmte Personen, sondern um jeden, der am Gemeindeaufbau beteiligt ist. 584 Das Weiterbauen auf dem Fundament „ist für eine lebendige Gemeinde unabdingbar, ja ein Fundament ohne Weiterbau hat überhaupt keinen Sinn“. 585 Paulus schließt mit dem Mahnung, jeder aber sehe zu, wie er aufbaut (V. 10c). Da Paulus immer noch von dem einen Bauwerk spricht, das die korinthische Gemeinde darstellt, unterstreicht dieser Satz die Notwendigkeit des Weiterbauens (ε ποικοδομει^, Präs.). Der „Bau“ der Gemeinde ist nach der Abreise von Paulus und von Apollos noch nicht fertig, es muss noch weitergebaut werden. Die Verantwortung für das Weiterbauen tragen alle diejenigen (ε«καστος), die Gott in den Dienst an der Gemeinde stellt. Die Formulierung stellt heraus, dass es nicht gleichgültig ist, wie in der korinthischen Gemeinde weitergebaut wird. Authentische Gemeindearbeit muss „sehend“ (βλεπε'τω, Imp. Präs.) sein, d.h. mit Sorgfalt und Kompetenz geschehen. Und das Bauen der Gemeinde muss in der richtigen Art und Weise (πω ^ ς) erfolgen, in Entsprechung zum gelegten Fundament, d.h. in Überstimmung mit der apostolischen Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus.586 11 Der Satz niemand kann ein anderes Fundament legen begründet (γα' ρ) die Mahnung V. 10, das Weiterbauen mit sachverständiger Umsichtigkeit zu besorgen. Wenn ein Architekt das Fundament eines Bauwerks gelegt hatte, konnte es nach seinem Weggang oder Tod katastrophale Folgen haben, wenn sich die Fachleute, die den Bau weiterführten, nicht genau an die durch das ————————————————————
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„durch sie sofort in den Dienst an andere gerufen“ wird. Merklein I 264-265 interpretiert im Hinblick auf Apollos; wenn er von einer gewissen Reserve gegen Apollos spricht, dann ist das in den Text eingetragen: nichts deutet darauf hin, dass die abschließende Mahnung auf einen „konkreten Anlaß“ hindeutet. Lüdemann, Paulus II, 121-122 interpretiert im Hinblick auf Petrus, was spekulativ und dem Kontext nicht angemessen ist. So Hollander 92, der auf den Kontext V. 5-9 verweist; vgl. Konradt, Gericht, 258-229. Im Sinne der ganzen Gemeinde interpretieren Fee 138-139; Wolff 69-70; Garland 115 (mit Verweis auf Eph 4,11-12); Kitzberger, Bau, 70 (für V. 10c); vgl. Kuck, Judgment, 172, der hervorhebt, dass sich die Aussagen von Paulus an alle Christen in Korinth richten. Lindemann 83 bleibt unentschieden. Schrage I 297; vgl. Schlatter 133: „Auf der Grundmauer muß weitergebaut werden. Unmöglich kann die Gemeinde so bleiben, wie Paulus sie hergestellt hat. Sie kann nicht nur bewahren, was sie von ihm empfangen hat; sie verlöre es, wenn sie es nur bewahren wollte“. Schrage I 297, der eine polemische Spitze gegenüber solchen impliziert sieht, die statt der Predigt des Gekreuzigten die Weisheit betonen und einer „Neufundierung“ das Wort reden.
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Fundament vorgegeben Maße hielten (z.B. in der Frage, wie viel Gewicht das Fundament aushalten konnte). Als Herodes der Große bei seinem Neu- bzw. Umbau des Tempels die früher gelegten Fundamente ignorierte und sein monumentales Bauwerk auf neu gegrabenen Fundamenten errichten wollte, sanken diese ein (Josephus, Ant. 15,391). Wenn man auf den Fundamenten, die ein anderer Architekt gelegt hat, weiterbaut, muss man sich sorgfältig an dessen Vorgaben halten, selbst wenn einem der Baustil veraltet vorkommt. 587 Was Paulus vom Bild des Bauwerks sagt, gilt „auch und besonders in der Sache“.588 Das Fundament, das Paulus als Missionar in Korinth gelegt hat, das ist Jesus Christus (ο« ς ε στιν Ιη σου^ ς Χριστο' ς). Gemeint ist, wie der Kontext 1,23 und 2,2 zeigt, die Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu, welcher der Messias und der Retter ist – ja Jesus Christus selbst. Jesus Christus der Gekreuzigte ist das fundamentum essentiale der Gemeinde.589 Authentische Gemeinde ist und bleibt Gemeinde Jesu Christi. 12 Das Weiterbauen auf dem Fundament (ε ποικοδομει^ ε πι` το` ν θεμε'λιον) beschreibt die Situation in der korinthischen Gemeinde nach der Abreise des Apostels Paulus, einschließlich der aktuellen Zustände, die Paulus veranlassen, der Gemeinde zu schreiben. 590 Das Wort τις (jemand) bezieht sich auf keine konkrete Person, sondern auf alle korinthischen Christen, die am Weiterbau (ε ποικοδομει^) bzw. am Aufbau der Gemeinde (οι κοδομη' , οι κοδομε'ω, 8,1; 10,23; 14,3.4.5.12.17.26; vgl. 12,4-11) beteiligt sind. Paulus beschreibt nicht das Bauwerk als solches, sondern er nennt die Baumaterialien.591 Paulus nennt zwei Gruppen von je drei Materialien, die nach ihrer Kostbarkeit (sowie nach ihrer Brennbarkeit) gegliedert sind: Gold, Silber, wertvolle Steine, sowie Holz, Heu oder Stroh. Die Aufzählung beginnt mit dem wertvollsten (Gold) und endet mit dem billigsten Baustoff (Stroh). Es fällt auf, dass weder Steine (λι' θοι) noch Ziegel (πλι' νθοι) erwähnt werden. Die Liste der Baumaterialen erweckt den Eindruck, als würden die Mauern des auf einem Fundament errichteten Gebäudes bereits stehen. 592 Nur ————————————————————
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Derrett, Master-Builder, 132. Lindemann 84. Meyer 87; Schrage I 298. Die Meinung, dass Paulus gegen die „Kephas-Gruppe“ argumentiere, die Petrus (πε' τρα „Fels“) als das wahre Fundament der Kirche behaupte (so Barrett 87-88; Bruce 43; Lüdemann, Paulus II, 120-122), findet im Text keinen Anhaltspunkt; zur Kritik vgl. Merklein I 265; Lindemann 84; Garland 115-116; Kuck, Judgment, 171-172. Der Konditionalsatz ει δε' τις ε ποικοδομει^ ist ein realis; vgl. BDR §372; HS § 281. Lindemann 84 bemerkt, dass die Nennung der Baumaterialien zum Selbstverständnis des Paulus als Architekt passt: „Im Grunde hat er nicht nur das Fundament, sondern den Entwurf des ganzen Hauses bereits festgelegt“. Arzt-Grabner 150-152; siehe ebd. für die folgende Bemerkung.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 207 ————————————————————————————————————
Holz wurde neben Steinen und Ziegeln für die Konstruktionen des Gebäudes verwendet. Gold, Silber und wertvolle Steine wurden zur Ausschmückung benutzt, Holz für das Dach und Heu und Stroh für den Verputz. Wenn Paulus an konkrete Bauten denkt, verweisen die Materialien Gold (χρυσο' ς), Silber (α»ργυρος) und wertvolle Steine (λι' θοι τι' μιοι) auf einen Palast oder auf eine reich ausgestattete Privatvilla; die „wertvollen Steine“ sind in diesem Zusammenhang ein Hinweis auf teure Marmorböden und auf Marmorverkleidungen.593 Holz (ξυ' λον) wurde für die Dachkonstruktion und für Türen und Fenster verwendet. Heu (χο' ρτος) und Stroh (καλα' μη) können als Rohprodukte verstanden werden, die „vor ihrer Verwendung im Häuserbau zu hochwertigeren Baustoffen verarbeitet wurden, die man dann zum Verfestigen oder Abdichten eines Daches oder zur Herstellung der Zimmerdecke einsetzte“. 594 Die Materialen Holz, Heu und Stroh können in der konkreten Welt der antiken Architektur auch auf ein billiges Holzhaus oder auf Hütten hinweisen595. Manche Ausleger denken an den Bau der Stiftshütte (Ex 31,1-5) und des salomonischen Tempels (1Chron 22,14.16; 29,2; 2Chron 3,6), 596 wozu jedoch die Erwähnung von Heu und Stroh weniger gut passt. Der Ausdruck χο' ρτος („Heu“) beschreibt im metaphorischen Gebrauch die „Hinfälligkeit menschlicher Macht und Ordnung“. 597 Der konkrete Hintergrund der genannten Baumateralien ist weniger wichtig als die Anwendung V. 13, in der es um den Bestand im göttlichen Endgericht geht.598 Im Zusammenhang der Warnung am Ende von V. 10 unterstreicht Paulus, dass alle am Weiterbau der Gemeinde Beteiligten darauf achten sollen, dass sie ein Bauwerk errichten, das ewigen Bestand hat. In der konkreten Situation der in Kap. 1–4 behandelten Schwierigkeiten in der korinthischen Gemeinde bedeutet dies, ————————————————————
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Deissmann, Paulus, 244-247 denkt im Anschluss an 1Kön 7,9-10 (Palast Salomos) an kostbare Quadersteine; vgl. 1QM 5,5-6; 12,12; Lindemann 85. Bauer/Aland 962 s.v. λι'θος 1c und Klinzing, Kultus, 171 denken an Edelsteine. Arzt-Grabner 151, mit dem Hinweis auf die Verwendung von Schilfrohr (κα' λαμος), das zu Binsengeflechten oder Schilfmatten (ω λε' ναι) verarbeitet wurde und in (ägyptischen) Bauwerken Verwendung fand; vgl. P.Cair.Zen. III 59480,13-14; IV 59647,16-19; BGU IV 1116,12; 1117,16; P.Petr. III 46,6. Diodorus Siculus, Bibl.Hist. 20,65,1 berichtet von Militärhütten, die ε κ καλα' μου και` χο' ρτου gefertigt waren – und durch Feuer vernichtet wurden; vgl. 5,21,5 im Blick auf die Bewohner Britanniens; zum Stroh vgl. auch Seneca, Ep. 90,10. Fee 140-141: Paulus greift voraus auf das Bild von der Gemeinde als Tempel Gottes; vgl. Kuck, Judgment, 177; Beale, Temple, 247. Strobel 82 denkt im Anschluss an Josephus, Bell. 5,201-202.205 an den herodianischen Tempel. H. Balz, EWNT III, 1129, mit Verweis auf Jes 40,6-8; 51,12; Ps 37,2; 92,8; 102,12, sowie im NT Jak 1,10.11; 1Petr 1,24. Merklein I 266; Lang 53; Schrage I 299-300; Lindemann 84-85; Thiselton 311-312; Garland 116-117; Synofzik, Vergeltungsaussagen, 39-40; Kuck, Judgment, 177-178; Konradt, Gericht, 263-264.
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dass die Fixierung auf rhetorische Brillianz und argumentative Stringenz und die Bindung an prominente Apostel und Lehrer im Vergleich mit der Verkündigung des gekreuzigten Jesus Christus einem Bauwerk entspricht, das im Endgericht verbrennen wird. 13 Der Tag (η η με'ρα), gemeint ist der Tag des zukünftigen Endgerichts (γενη' σεται ist Fut.),599 wird eines jeden Werk offenbar werden lassen. Das „Werk“ (το` ε» ργον) ist das Ergebnis des Bauens, „der am Ende der Zeit ‚offenbar‘ werdende Zustand der Gemeinde“.600 Es geht dabei um „eines jeden“ (ε κα' στου) Werk: zuallererst um das Wirken von Paulus und Apollos, sodann um das Wirken anderer Verkündiger, Lehrer und Mitarbeiter, die für das Weiterbauen der Gemeinde in Korinth verantwortlich sind. Der Tag des Endgerichts wird mit Feuer (πυ^ ρ) in Verbindung gebracht, das zur Betonung zwei Mal erwähnt wird.601 Die Beschreibung des göttlichen Gerichts mit Feuer in V. 12-15 spielt auf mehrere atl. Stellen an, wobei die Verbindungen zu Mal 3,2-3 besonders eng sind.602 In beiden Texten kommen ähnliche Vokabeln vor (Gold, Silber, Tag, Feuer), in beiden Texten geht es um ein Gericht, in dem Feuer die Materialien vernichtet, und in beiden Texten werden der Tempel (vgl. V. 16) und die für den Tempel verantwortlichen Leute mit dem göttlichen Gericht in Beziehung gesetzt – ein Gericht, das gültigen und unwirksamen Dienst bewertet und unterscheidet.
Auffallend sind die vier Verben, die eine „apokalyptische Epiphanie“ beschreiben:603 offenbar werden (φανερο` ν γενη' σεται, Fut.), zu erkennen geben (δηλω' σει, Fut.), offenbart (α ποκαλυ' πτεται, Präs.), prüfen (δοκιμα' σει, Fut.). Die Wendung das Feuer wird prüfen ist auf dem Hintergrund der atl. Überzeugung zu verstehen, dass Gott ein verzehrendes Feuer ist (Dtn 4,24, zitiert in Hebr 12,29; vgl. Dtn 9,3; Jes 33,14). Gott wird am Tag des Gerichts prüfen, wie das Werk eines jeden beschaffen ist (ο ποι^ο' ν ε στιν entspricht ————————————————————
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Vgl. 1,8; 5,5; 2Kor 1,14; Röm 13,12; Phil 1,6.10; 2,16; 1Thess 5,2; 2Thess 2,2. Zum atl. Hintergrund vgl. E. Jenni, THAT I, 723-726. Lindemann 85. Vgl. Kuck, Judgment, 38-149 zu den oft mit Feuer verbundenen Vorstellungen vom Gericht im Judentum und in der griechisch-römischen Welt (ebd. 180 Anm. 155 mit Belegstellen). Vgl. F. Lang, ThWNT VI, 927-948; H. Lichtenberger, EWNT III, 477-484; H. Bietenhard, ThBLNT I, 465-468. Lindemann 86 verweist auf Joel 3,3; Mal 3,19; Jes 66,15-16; Ez 38,22; äthHen 18,9-11; 20,23; Bar 48,39.43; 1QS 2,8; 1QH 3,29-36; für Paulus vgl. 2Thess 1,8; Röm 12,19-20; vgl. weiter Konradt, Gericht, 265 Anm. 331. Vgl. Ciampa /Rosner 703; Proctor, Fire in God’s House; Beale, Temple, 250-252, der darauf hinweist, dass Jesus in Mt 11,10 den Text Mal 3,1 bereits auf sich bezogen hat. Konradt, Gericht, 265 Anm. 331 bleibt skeptisch. Thiselton 312.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 209 ————————————————————————————————————
πω ^ ς in V. 10).604 Das Ziel der Prüfung durch Feuer ist hier nicht Bestrafung (Jud 7; Offb 18,8; 19,20; 21,8), Vernichtung (Mt 3,10; 13,40.42.50; Hebr 10,27) oder Reinigung bzw. Läuterung (1Petr 1,7), sondern die Offenbarlegung der Qualität der Beteiligung an der Auferbauung der Gemeinde. 605 Paulus geht es in diesem Vers nicht um das Gericht über den einzelnen Menschen, sondern um die göttliche Beurteilung des Wirkens von Aposteln, Lehrern und anderen Verkündigern und Mitarbeitern, das auf den Aufbau bzw. den Weiterbau der Gemeinde bezogen ist. Wichtig ist der Sing. το` ε»ργον: es geht nicht um „die Werke“, d.h. um das persönliche Verhalten des einzelnen Verkündigers, sondern um „das Werk“ der Mitarbeit am „Bau“ der Gemeinde. Paulus bezeichnet in 9,1 die korinthische Gemeinde als sein „Werk im Herrn“ (το` ε»ργον μου υ μει^ς ε στε ε ν κυρι' ω, ). H. Merklein formuliert: das Werk „ist das, was der einzelne Verkündiger – im Rahmen des einmal gelegten Fundamentes – spezifisch zum Aufbau der Gemeinde beigetragen hat. Dies kann sich sowohl durch die Gewinnung neuer Gemeindeglieder als auch auf die Bestärkung der Gemeinde durch auferbauende Verkündigung bzw. Bestätigung (vgl. z.B. 14,3.5.12.26) beziehen“. 606 Die meisten Ausleger meinen, das in V. 12 skizzierte Bild späche für sich: Gold, Silber und wertvolle Steine werden das Feuer des Gerichts überstehen, während Holz, Heu und Stroh vernichtet werden. Das „Werk“, das im Feuer des Gerichts geprüft wird, ist allerdings nicht das verwendete Material, sondern die Art und Weise des Bauens (πω ^ ς, V. 10c) auf dem Fundament (V. 11) mit den unterschiedlichen Materialien (V. 12), die bei der Errichtung eines Bauwerks eingesetzt werden: Gold und Silber verbrennen zwar nicht wie Holz, Heu und Stroh verbrennen, aber auch ein Palast, ein Tempel oder eine prachtvolle Villa, die mit den wertvollsten Materialen ausgeschmückt sind, können durch ————————————————————
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Lindemann 86, der auf Sach 13,9 und TestAbr 13,11-13 (Rezension A) als nächste Parallelen verweist. Die Konstruktion des Satzes ο« τι ε ν πυρι` α ποκαλυ' πτεται ist nicht eindeutig: το` ε»ργον ist wahrscheinlich nicht das Obj. zu δηλω' σει, mit η η με' ρα als Subj. („der Tag wird das Werk offenbar machen“, begründet im folgenden ο« τι-Satz; so die Mehrheit, vgl. Heinrici 98; Weiss 81; Lietzmann 16; Robertson /Plummer 63; Conzelmann 96; Merklein I 267; Schrage I 301-302), sondern das Subj. zu α ποκαλυ' πτεται („der Tag wird kundtun, dass das Werk im Feuer offenbart wird“; Bachmann 168-169; Hollander 55; Lindemann 85; Konradt, Gericht, 265). NGÜ „im Feuer des Gerichts wird das Werk jedes Einzelnen auf seine Qualität geprüft werden“; GN „das Werk eines jeden wird im Feuer auf seinen Wert geprüft“; vgl. Robertson/Plummer 64; Hollander 103; Lindemann 86; Garland 118; Heiligenthal, Werke, 207.212; Lanci, Temple, 67-68; Konradt, Gericht, 266. In antiken Schmelzöfen zur Metallverarbeitung wurden Temperaturen von über 1 000 Grad Celsius erreicht; vgl. H. Schneider, Art. Metallurgie III., DNP VIII, 72-76. Merklein I, 266.
210 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
ein Feuer vernichtet werden.607 Paulus will nicht wertvolle von wertlosen Baumaterialien unterscheiden, sondern „Bauwerke“, die im Endgericht Bestand haben, und „Bauwerke“, die im Endgericht vernichtet werden. Es gibt Verkündiger, Lehrer und Mitarbeiter, deren „Werk“ vernichtet wird (Paulus sagt gerade nicht, dass diejenigen vernichtet werden, die für das „Werk“ verantwortlich sind, das verbrennt). Paulus wendet sich mit diesem ernsten Satz gegen jene korinthischen Christen, die meinen, jetzt schon über Wert und Unwert der Apostel und Lehrer urteilen zu können.608 Gleichzeitig macht er deutlich, dass man die Qualität der von den verschiedenen Aposteln und Lehrern getanen Arbeit schon jetzt erkennen kann:609 die Verkündigung des gekreuzigten Messias wird im Blick auf die Resultate, die sich aus ihr für die Auferbauung der Gemeinde ergeben, ewigen Bestand haben, während brilliante Rhetorik und gesellschaftlicher Status, die auch das säkulare Korinth kennzeichnet, im Feuer des Endgerichts vergehen werden. 14 Zunächst nennt Paulus das positive Ergebnis der Bewertung der auf den Bau der Gemeinde bezogenen Arbeit: das Werk (το` ε»ργον) von manchen (τινος) wird Bestand haben (μενει^), d.h. es wird vom Feuer des Gerichts nicht vernichtet werden, sondern es wird in die Zeit der Neuen Welt Gottes hinein bestehen bleiben und Bedeutung haben. 610 Der Relativsatz (der Bezug ist το` ε»ργον) das er darauf aufgebaut hat (ο ε ποικοδο' μησεν) ist auf das Fundament V. 11-12 zu beziehen: Die positive Bewertung der am Bau der Gemeinde Beteiligten im Endgericht findet anhand des jetzt schon gültigen Kriteriums der zentralen Maßgeblichkeit des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus statt.611 Wenn das Werk eines Apostels, Lehrers oder Verkündigers im Endgericht Bestand hat, so wird er Lohn erhalten (μισθο` ν λη' μψεται). Diese Aussage entspricht V. 8b. Worin der Lohn (μιστο' ς) besteht, wird in V. 14 nicht gesagt. Im Kontext von V. 15 kann es sich auf jeden Fall nicht um das Heil oder um das ewige Leben handeln (siehe V. 8 zum „Lohn“). Das Wort τινος unterstreicht, dass der Lohn nicht pauschal zubemessen wird. ————————————————————
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Vgl. Arzt-Grabner 150-152, der darauf hinweist, dass bei einem direkten Bezug von V. 14-15 zu V. 12 bestimmte Gruppen automatisch bestraft werden würden: im verwendeten Bild z.B. Zimmerleute, deren „Werk“ aus Holz ohne Zweifel verbrennen würde. Kuck, Judgment, 181. Lindemann 87, der unnötigerweise die zuvor erwähnte Bedeutung ausschließen will. Die Übersetzung in GN („wenn das, was ein Mensch gebaut hat, die Probe besteht“) und NGÜ („Wenn das, was jemand auf dem Fundament aufgebaut hat, die Feuerprobe besteht“) läuft mit dem Wort „Probe“ Gefahr, den grundsätzlichen Charakter des Gerichts zu unterlaufen: das Gericht Gottes, von dem Paulus hier spricht, ist kein „Versuch, bei dem jmds. od. einer Sache Fähigkeit, Eigenschaft, Beschaffenheit, Qualität o. Ä. festgestellt wird“ (Duden), sondern eine letzte Wirklichkeit, deren Konsequenzen nicht mehr nachgebessert werden können. Merklein I 267-268.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 211 ————————————————————————————————————
15 In einer zu V. 14 parallelen Formulierung stellt Paulus das negative Ergebnis der Bewertung im Gericht Gottes fest, das sich im Blick auf die Christen ergeben wird, deren Weiterbau am Bau der Gemeinde dem Fundament vom gekreuzigten Jesus Christus nicht entspricht. Das wertlose Werk (το` ε»ργον) wird verbrennen (κατακαη' σεται); das Verb „verbrennen“ ergibt sich aus dem Bild vom Gerichtsfeuer und darf nicht buchstäblich verstanden werden. Paulus will sagen, dass es nutzlose Gemeindearbeit gibt, deren Wertlosigkeit sich im Endgericht herausstellen wird. Auf die von Paulus im Kontext behandelten Kompromisse der korinthischen Christen mit der säkularen Gesellschaft angewendet bedeutet dies: Die fortbestehende Faszination der Rhetorik, das Bemühen um gesellschaftlichen Status und die Bindung an prominente Persönlichkeiten – das sind alles Dinge, die in dieser Welt eine wichtige Rolle spielen, die aber in der kommenden Welt Gottes ohne Nutzen sind. Wertvoll in der neuen Schöpfung ist nur, was im Gericht Gottes Bestand haben wird, und das ist Gottes Heilshandeln in Jesus Christus samt allen Konsequenzen, die sich daraus für die Gemeinde und für die Mitarbeiter am Bau der Gemeinde ergeben. Der Satz so wird er Schaden leiden, er selbst aber wird errettet werden, doch so wie durchs Feuer ist in der Auslegungsgeschichte unterschiedlich verstanden worden. An das Fegefeuer ist selbstverständlich nicht gedacht, wie heute fast alle Ausleger betonen. 612 Der Ausdruck ζημιωθη' σεται („er wird Schaden leiden“) bedeutet hier nicht „bestraft werden“,613 sondern „einen Verlust davontragen, Einbuße erleiden, Schaden davontragen“. 614 Die Aussage, dass einer „einen Verlust davonträgt“, ist die Gegenaussage zum „Lohn empfangen“ V. 14. Im Bild des Hausbaus handelt es sich um eine Vertragsstrafe, die der Architekt oder der Bauhandwerker wegen Verzögerung ————————————————————
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Vgl. Fee 144; Schrage I, 303-304.307-308; Merklein I 270; Lindemann 87; Thiselton 314; vgl. Gnilka, Fegfeuer, 125-126; E. Koch, Art. Fegefeuer, TRE XI, 70-71. Paulus sagt nicht, dass das „Feuer“ Läuterung bewirkt; das ω ς zeigt metaphorischen Gebrauch. So jedoch Bauer /Aland 684-685 s.v. ζημιο' ω 2; BDAG 428 s.v. ζημιο' ω 2; GN, MNT, NGÜ (Anm.), Wilckens; vgl. Lietzmann 17; Allo 62; Senft 60; Strobel 83; Mattern, Verständnis, 109-110; Heiligenthal, Werke, 213-217; zur Kritik vgl. Konradt, Gericht, 268. Filson, Recompense, 92-93 meint, dass die Sünde der Christen, die in das Reich Gottes eingehen, durch die Zuweisung reduzierter Privilegien oder eines niedrigen Standes im Gottesreich bestraft wird. Wenn Harris, Second Corinthians, 408 Anm. 244 auf 1Kor 5,45; 11,29-30 verweist und argumentiert, dass Christen sehr wohl Schaden erleiden können für Sünden, die vergeben wurden, so ist dies nicht stichhaltig: in 1Kor 5,4-5; 11,29-30 weist Paulus nicht darauf hin, dass diese sündigenden Christen Buße getan hatten. EÜ, Elb.Ü, LÜ, NGÜ („seinen Lohn verlieren“), NRSV, TNIV, SÜ, Vulgata (detrimentum patietur); vgl. A. Stumpff, ThWNT II, 892; G. Schneider, EWNT II, 252253; B. Siede/K. Haacker, ThBLNT II, 1337; so auch die meisten Kommentare; vgl. Heinrici 129; Barrett 89; Fee 143 Anm. 43; Schrage I 303; Merklein I 268-269; Lindemann 87; Kuck, Judgment, 182.
212 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
der Fertigstellung oder wegen inadäquater Arbeit im Sinn einer finanziellen Einbuße zu erleiden hatte.615 Für Paulus als missionierenden Verkündiger des Evangeliums ist die Existenz der Christen in der Gemeinde in Thessalonich der „Ruhmeskranz“, die „Hoffnung“, die „Ehre“ und die „Freude“ bei der Ankunft des Herrn Jesus, d.h. im Gericht (1Thess 2,19-20), sein „Lohn“ ist also die gemeinsame Ankunft in der „kommenden Welt“. Der „Verlust“ des Lohnes, den manche Verkündiger als „Schaden“ erleiden werden, ist mindestens das Ausbleibens des Lobes von Gott, die fehlende Frucht erfolgreicher Gemeindearbeit, die fehlende Freude über Menschen, die infolge der Verkündigung von Jesus dem Gekreuzigten zum Glauben gekommen sind und im Glauben gestärkt wurden. Das Bild vom Bauwerk ist keine Allegorie: Der Arbeiter am Bau der Gemeinde, der auf dem Fundament der Verkündigung des gekreuzigten Messias Jesus in inadäquater Weise weiterbaut, wird seinen Lohn verlieren, aber sein Heil behalten – er selbst aber wird errettet werden (αυ το` ς δε` σωθη' σεται). Das persönliche Heil ist von dem „Werk“ der Mitarbeit am Bau der Gemeinde unabhängig. Es geht hier, wie der Kontext zeigt, nicht um die Werke allgemein, sondern konkret um die Art und Weise der Mitarbeit an der Auferbauung der Gemeinde. 616 Der Status der zum Glauben an Jesus Christus gekommenen Sünder als von Gott „berufene Heilige“ gilt auch und gerade im Gericht. Dass diese Tatsache jedoch kein sanftes Ruhekissen bedeutet, zeigt der Nachsatz: doch so wie durchs Feuer (ω ς δια` πυρο' ς). Ausleger verweisen zur Erklärung dieser Wendung auf Am 4,11 und Sach 3,2: „Wie ein angekohltes Holzscheit gerade noch aus dem Feuer gerissen wird, so wird mit knapper Not auch der gerettet werden, dessen Werk verbrennt“.617 Stellen wie Num 31,23; Sach 13,9 und Jes 43,2, in denen vom „Gehen durchs Feuer“ (δια` πυρο' ς) die Rede ist, sind bessere Parallelen.618 Das heißt: Der Mitarbeitende am Bau der Gemeinde muss mitsamt seiner Bauarbeit durch das vernichtende Feuer hindurchgehen, wobei ihm allerdings verheißen wird, „daß er dabei nicht verbrennen, sondern schließlich doch gerettet werden wird“. Paulus verweist die korinthischen Christen mit großem Ernst auf die Tatsache, dass die Rettung, die aufgrund des Glaubens an Jesus Christus feststeht, nicht als Sicherheit so in Anspruch zu nehmen ist, dass eine eventuelle Einbuße im Gericht nur ein Schönheitsfehler wäre.619 Die Arbeit am Bau der Gemeinde Jesu Christi geschieht im ————————————————————
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Vgl. Shanor, Master Builder, 469-470; Lanci, Temple, 66; Thiselton, 314. Betont von Konradt, Gericht, 271; vgl. ebd. Anm.362 zur Kritik an Heiligenthal, Werke, 214-215, nach dem der Geistbesitz der Christen das Vernichtungsurteil im Endgericht verhindert, trotz ihrer Sündhaftigkeit. Schrage I 304; vgl. Conzelmann 103; Fee 144; Thiselton 315; Garland 119. Lindemann 87, ebd. das folgende Zitat. Merklein I 270; vgl. Lindemann 88.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 213 ————————————————————————————————————
Wissen um das kommende Gericht Gottes, in dem die Qualität des Bauens eines jeden Einzelnen bewertet und entweder belohnt oder nicht belohnt wird. Diese Qualität bemisst sich, wie V. 10-11 deutlich macht, an der Zentralität des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus. Manche Ausleger meinen, Paulus unterscheide diese zweite Gruppe, die inadäquat auf dem gelegten Fundament weiterbaut, von einer in V. 16-17 erwähnten dritten Gruppe, die zerstörerisch in der Gemeinde wirkt.620 Diese Auslegung ist nicht überzeugend: Paulus unterscheidet in V. 10-17 nur zwei Gruppen von Mitarbeitern am Bau der Gemeinde: Mitarbeiter, die sachverständig das richtige Fundament legen, d.h. die Jesus den Gekreuzigten Messias verkündigen, und die das diesen Grundmauern entsprechende Bauwerk sachgemäß errichten, und Mitarbeiter, die ein anderes Fundament legen wollen oder die auf dem bereits gelegten Fundament inadäquat weiterbauen, d.h. die sich in ihrer Gemeindearbeit nicht am Evangelium von Jesus Christus dem Gekreuzigten ausrichten. 16 Mit der Frage in V. 16 spricht Paulus die korinthischen Christen wieder direkt an (vgl. V. 1), was die Bedeutung der bejahenden Antwort unterstreicht, die auf die rhetorische Frage zu erwarten ist: Wisst ihr nicht, dass ihr der Tempel Gottes seid? Mit der Wendung „wisst ihr nicht“ (ου κ οι»δατε)621 appelliert Paulus nicht nur an das Urteilsvermögen der Korinther, sondern an ihre theologischen Kenntnisse und – im Kontext nicht zu verkennen – an ihr Wissen um die Konsequenzen für ihr Verhalten, mithin an ihre Verantwortung.622 Nachdem Paulus das Bild des Bauwerks in allgemeiner Hinsicht auf die Gemeinde angewendet hatte, spricht er nun konkret vom Tempel Gottes (vgl. 6,9). Als „Tempel“ (ναο' ς) wird nicht der einzelne Gläubige, sondern die Gemeinde bezeichnet. Der Gen. θεου^ beschreibt die Zugehörigkeit zu Gott (vgl. V. 9 θεου^ οι κοδομη' ): Die (Orts-)Gemeinde ist das Eigentum Gottes. In den Evangelien bezeichnet ναο' ς den Jerusalemer Tempel (z.B. Mt 23,16-17; Mk 14,58; Lk 1,9; Joh 2,19); in der Apostelgeschichte sagt Stephanus, dass Gott nicht in von Händen gemachten Tempeln ————————————————————
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Vgl. Bachmann 171; Robertson/Plummer 64-65; Lindemann 84; Konradt, Gericht, 266267. Vgl. 1Kor 5,6; 6,2.3.9.15-16.19; 9,13.24; Röm 6,16; 11,2; ohne Negation in 1Kor 12,2; 16,15; Gal 4,13; Phil 4,15; 1Thess 1,5; 2,1.2.5.11; 3,3.4; 4,2; 5,2; 2Thess 2,6; 3,7. Bultmann, Stil, 13 verweist auf Parallelen aus den Diatriben Epiktets. Zur Diatribe vgl. D. E. Aune, Art. Diatribe, RGG4 II, 832-833; ders., Dictionary, 127-129; H. Görgemanns, Art. Diatribe B, DNP III, 531-532. Wenn οι δα im NT tatsächlich wie im klassischen Griechisch „den theoretischen Besitz von Wissen“ bzw. „ein rein geistiges Erkennen ohne Erfahrung an sich selbst“ bezeichnet (A. Horstmann, EWNT II, 1207), dann argumentiert Paulus mindestens in 1Kor 3,16 mit der Erfahrung der Gegenwart des Heiligen Geistes, die das „Wissen“ der Korinther in praktischen Konsequenzen für ihr Verhalten umsetzen sollte.
214 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
wohnt (Apg 7,48); in der Offb bezeichnet ναο' ς das himmlische Heiligtum.623 Im Zusammenhang des zeitgenössischen Verständnisses von ναο' ς steht nicht das Gebäude im Mittelpunkt, sondern die mit dem ναο' ς verbundene Verehrung.624 Der Grund, weshalb die Gemeinde als Tempel Gottes bezeichnet werden kann, ist die Gegenwart Gottes in der Gemeinde der Jesusbekenner durch seinen Geist. Dies macht der erläuternde625 Nachsatz deutlich: und dass der Geist Gottes in euch wohnt. In 2,10-16 hatte Paulus vom Geist Gottes als hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis der Heilsoffenbarung Gottes im Kreuzestod Jesu Christi gesprochen. Hier spricht Paulus vom Geist Gottes als Grund der Einheit der Gemeinde. 626 Die Vorstellung von der Gemeinde als „Tempel Gottes“ hat Parallelen in der alttestamentlichen (Jes 28,16-17; Ez 40–48) und frühjüdischen Erwartung eines endzeitlichen Tempels (Tob 14,5; äthHen 90,28-29; 91,13; Jub 1,17; Sib 3,290; 4Q174 3,2-69; 4Q554 1,1,4; 1,2,18; 11QTemple 29,8-10).627 Die Qumrangemeinde, die sich als das wahre Israel verstand, beschrieb sich im Sinne des endzeitlichen Tempels, als „Heiligtum in Aaron“, als „Haus der Wahrheit in Israel“ und als „Ort des Allerheiligsten für Aaron“ (1QS 5,6; 8,8; vgl. 9,3-6; 11,7-9; 1QH 6,24-28; 4QFlor 1,2-3; CD 3,19– 4,4).628 Trotz der auffallenden Parallelen zu Qumran sind die Unterschiede im Ansatz und im Detail zu erheblich, als dass sich eine direkte Abhängigkeit annehmen ließe.629 Die Jesusbekenner betrachteten den Jerusalemer Tempelkult nicht als illegitim oder korrupt, sondern durch den die Sünden sühnenden Tod Jesu am Kreuz zu seiner endzeitlichen und damit abschließenden Erfüllung gekommen. Für Paulus ist der Kreuzestod Jesu Christi der Ort der sühnenden Gegenwart Gottes (Röm 3,25), was die Aufhebung des Sühnekultes im Jerusalemer Tempel zur Folge hat.630 Wichtig ist die Vorstellung vom Wohnen Gottes bzw. von Gottes Schekhina (Herrlichkeit) unter seinem Volk (vgl. Ex 25,8; 29,45-46; 40,34-35; Lev 26,11; Num 5,3; 35,34; 1Kön 6,13; 8,10-11; Jes 8,18; Ez 37,27; Sach 8,3; Ps 74,2; 135,21). Die Ankunft des endzeit————————————————————
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Offb 3,12; 7,15; 11,1.2.19; 14,15.17; 15,5.6.8; 16.1.17; 21,22. Winter und Arzt-Grabner 155-156, die zugleich darauf hinweisen, dass sowohl Claudius als auch Nero die Errichtung von Tempeln zu ihren Ehren abgelehnt haben (vgl. P.Lond. VI 1912,48-51; SB XII 11012, Kol. I 2-6): „Die Gemeinde versteht sich also als etwas, dessen Errichtung zu seinen Ehren selbst der römische Kaiser zurückweist. Dieser scharfe Kontrast unterstreicht den hohen Anspruch des frühchristlichen Selbstverständnisses“. Explikatives και'; vgl. BDR §442.6a; HS §252,27.a7. Garland 120; Kuck, Judgment, 186-187. Merklein I 271; Schrage I 305; Sanders, Jesus, 296-305; Roloff, Kirche, 110-114. Bruce, 44-45; Gärtner, Temple, 58; Klinzing, Kultus, 51-93.168-172.210-213. Merklein I 271; Schrage I 305; Garland 120; Williams, Wisdom, 266-267; Roloff, Kirche, 112-113; ablehnend Lindemann 89, der allerdings zu Recht manchmal vermutete stoische Einflüsse auf den Gedanken von der Einwohnung Gottes im einzelnen Menschen als inadäquat zurückweist; Epiktet 2,8,10-14 spricht vom einzelnen Menschen, während Paulus kollektiv von der Gemeinde spricht (NW II.1 verweist auf Epiktet, Diss. 2,8,10-14; Ovid, Pont. 2,1,31-35; 3,6,21-26; Seneca, Ep. 66,2; Lucan 9,564-584; Valerius Maximus 4,7,1). Merklein I 271; ders., Bedeutung, 15-34; Wilckens, Römer, I 190-202.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 215 ———————————————————————————————————— lichen Heiligen Geistes (Apg 2), dessen Besitz die Jesusbekenner kennzeichnet (1Kor 6,19; 12,13; 2Kor 13,5; Röm 8,9; Gal 6,1; Eph 1,17), macht sie zum messianischen Tempel Gottes.
Die Verbindung des Tempelmotivs mit der Gegenwart des Heiligen Geistes besagt auf diesem Hintergrund: „Tempel ist die Gemeinde in dem Sinne, daß sie der Ort des Wohnens Gottes ist. Sie ist jener Bereich, der der Macht des Geistes Gottes bleibend untersteht und von ihr als sein Eigentum reklamiert wird“.631 Die präpositionale Bestimmung in euch (ε ν υ μι^ν) bezieht sich nicht auf den einzelnen Christenmenschen, sondern auf die Gemeinde. Man erkennt zurecht in diesem Ausdruck eine Spitze gegen die Parteiparolen, die der Einheit der Gemeinde nicht dienlich sind. W. Schrage kommentiert: „In diesen Tempel der Gemeinde aber zieht das Pneuma nicht nur dann und wann ein, es wirkt in ihr nicht nur sporadisch und punktuell in vorübergehenden Augenblicken, sondern ‚wohnt‘ in ihr, und zwar als regierender Herr und schöpferische Macht. Der Geist nimmt in der Kirche nur als Herr Wohnung“.632 17 Paulus beschließt diesen Abschnitt mit einer Drohung: wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Mit „jemand“ (τις) ist nicht eine bestimmte Person in Korinth gemeint (darauf weist im Kontext der Kap. 1–4 nichts hin), sondern Lehrer und Verkündiger, die durch ihr Verhalten die Gemeinde Gottes zerstören. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Paulus eine dritte Gruppe im Auge hat, der er vorwirft, dass sie durch ihr Wirken die Gemeinde zerstöre. Die Drohung in V. 17 bezieht sich auf jene korinthischen Christen, die inadäquat auf den bestehenden Grundmauern weiterbauen, d.h. die durch ihre Fixierung auf säkulare Werte dabei sind, die Gemeinde der Jesusbekenner als Ort der heiligenden Gegenwart des Geistes Gottes zu zerstören. Das mit „verderben“ übersetzte Verb (φθει' ρω)633 ist als Gegenbegriff zum „aufbauen“ (ε ποικοδομε'ω, V. 10.12.14) zu verstehen. Wer die Gemeinde mit den säkularen Werten der urbanen Elite Korinths leiten will und Streit, Konkurrenz und Spaltungen nicht nur toleriert, sondern ganz bewusst in den Vordergrund stellt, der baut nicht auf, sondern ab, der zerstört den von Gott und seinem Geist begonnen Bau. Paulus geht also davon aus, dass die Gemeinde von Gemeindegliedern, d.h. von innen, zerstört werden kann.634 Die Ankündigung „den wird Gott verderben“ (φθερει^ του^ τον ο θεο' ς) ————————————————————
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Roloff, Kirche, 113; vgl. Böttrich, Tempelmetaphorik, 416. Schrage I 305. Andere Übersetzungsmöglichkeiten sind „zugrunde richten, vernichten, zerstören“. Shanor, Master Builder, 470-471 verweist auf Bauverträge, in denen sich φθει'ρω auf unabsichtliche Beschädigungen während der Bautätigkeit bezieht; er meint, es gehe in V. 17 nicht um Zerstörung, sondern um Beschädigung; vgl. Lanci, Temple, 67-68.
216 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
ist eine ernste Warnung.635 Auf Tempelschändung standen in der Antike schwere Strafen.636 Ob dieses „Verderben“ über das „Schaden erleiden“ V. 15 hinausgeht, ist nicht klar, aber am Bezug zum Endgericht sollte nicht gezweifelt werden. Der Grund für das angedrohte göttliche Gericht ist die Heiligkeit des Tempels: Denn der Tempel Gottes ist heilig – und das seid ihr! Der Relativsatz „und das seid ihr“ (οι«τινε'ς ε στε υ μει^ς) ist nicht nur auf „heilig“ und nicht nur auf „Tempel“ zu beziehen, sondern auf das ganze Urteil „der Tempel Gottes ist heilig“.637 Diese betonte Aussage V. 17b schwächt die Drohung V. 17a nicht ab, lässt aber erkennen, dass Paulus mit einer Umkehr der Korinther und einer Abkehr von den Kompromissen mit den säkularen Werten der römischen Gesellschaft rechnet. 638 Paulus erinnert die Korinther an ihre Verantwortung, sich der Heiligkeit der Gemeinde als Ort der Gegenwart und damit auch der Herrschaft Gottes bewusst zu sein – ein Ort, der säkulare Maßstäbe und Verhaltensmuster ausschließt.
IV Paulus scheut sich nicht, den geistlichen Zustand der korinthischen Christen in einem öffentlichen Brief zu beurteilen. Er wirft ihnen vor, dass sie sich in ihrem Denken und Handeln wie Menschen benehmen, die einfach nur Nachkommen Adams sind und die sich von der machtvollen, heiligenden Gegenwart des Geistes Gottes noch nicht konsequent erfassen lassen. Ihre Kompromisse mit den säkularen Werten der römischen Gesellschaft, wie sie in ihrer Fixierung auf eloquente Rhetorik, hochfliegende Argumentation und Statusfragen zum Ausdruck kommen – die Ursache für die Rivalitäten und den Streit in der Gemeinde –, stehen im Widerspruch zu ihrem neuen Status als geistliche Menschen (V. 1-4). Paulus definiert für die Korinther die Rolle und die Funktion der verantwortlichen Mitarbeiter in der Gemeinde: Sie sind Diener, Landarbeiter und Bauhandwerker (V. 5-9), d.h. keine Glieder einer elitären Oberschicht, die an Fragen der eigenen Prominenz, Herrschaft, Einfluss und Legitimierung interessiert sind. Sie sind Diener, deren Arbeit von Anfang bis Ende von Gott und seinem machtvollen Wirken abhängig ist. Sie ————————————————————
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Käsemann, Exegetische Versuche II, 69-82 spricht von einem „Satz heiligen Rechts“, den er mit urchristlichen Propheten verbindet. Zur Diskussion Merklein I 273-275; Lindemann 89; Thiselton 317-318; Konradt, Gericht, 278-280. Vgl. Herodot, Hist. 8,35-38; vgl. Josephus, Bell. 5,193-194; 6,124-126; Ant. 15,417 zu den Warntafeln, die Heiden die Todesstrafe im Falle des Betretens des inneren Tempelbezirks des herodianischen Tempels in Jerusalem androhten. Merklein I 276. Lindemann 90; für den folgenden Gedanken Konradt, Gericht, 282.
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 217 ————————————————————————————————————
sind Diener Gottes, die verschiedene Aufgaben zugeteilt bekommen haben und die Gott verantwortlich sind. Sichtbarer Erfolg ist nicht das Ergebnis der Begabung des Apostels oder der Anstrengung des Lehrers, sondern immer das Resultat des Wirkens Gottes. Gott allein ist für die Entstehung und für das Wachstum der Gemeinde verantwortlich (V. 6-7). Wenn sich korinthische Christen an (in ihren Augen) prominente Apostel und Lehrer binden und dadurch an Status gewinnen wollen, dann ist dies absurd, eben deshalb, weil die Kriterien, die dabei angelegt werden, nicht der Wirklichkeit Gottes und der Gemeinde entsprechen, sondern den Maßstäben der römischen Gesellschaft. Wenn Paulus in V. 5-6 vom Erfolg seiner Arbeit als Missionar und Verkündiger spricht, dann fällt auf, dass er weder hier noch an irgend einer anderen Stelle statistische Angaben über die Zahl der Neubekehrten oder der von ihm gegründeten Gemeinden macht. Die mehrfachen Volkszählungen im AT, mit exakten statistischen Angaben (Num 1,1-46; 3,15-39; 26,1-5; 2Sam 24,1-9; 1Chron 21,1-6; Esra 2,1-65; Neh 7,6-72), waren für ihn offenbar kein Vorbild (für Lukas auch nicht, der in der Apostelgeschichte nur runde Zahlenangaben macht). Paulus war weder an Zahlen noch an Projektionen messbaren Erfolgs interessiert. Er hat „gesät“: Er hat Menschen das Evangelium verkündigt, die von Jesus dem messianischen Retter und Herrn noch nicht gehört hatten oder noch nicht an ihn glaubten, und er hat Menschen, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren, in Gemeinden zusammengeführt und ihnen die Grundlagen, die Inhalte und die Konsequenzen des christlichen Glaubens erläutert. Apollos hat „bewässert“: Er hat vor allem Christen im Glauben unterwiesen und sich um das äußerliche und innerliche Wachstum der Gemeinde gekümmert. Paulus hält kategorisch fest: Effektivität in der Pioniermission und in der Gemeindearbeit hängt weder von Personen und Programmen noch von rhetorischen Techniken oder akkommodierenden Methoden ab, sondern allein vom Wirken Gottes. Alle Verkündiger sind „nichts“ (3,7), ein Nichts, wie W. Schrage bemerkt, „aus dem nur Gottes Schöpfertat etwas zu machen vermag. Rechte Verkündiger des Evangeliums können sich und ihre Arbeit nur von der creatio ex nihilo her begreifen“.639 Die Tatsache, dass Gott allein für die Entstehung und das Wachstum von Gemeinden verantwortlich ist, bedeutet nicht, dass die „Mitarbeiter Gottes“ (V. 9) keine Verantwortung haben. Im Gegenteil! Richtiges Säen, wirkungsvolles Bewässern, dauerhaftes Bauen muss gekonnt sein. Deshalb bezeichnet sich Paulus, eingedenk seiner Erfahrungen, als sachverständigen „Architekten“ (V. 10). Man kommt nicht sehr weit, wenn man etwas Gitarre spielen, ————————————————————
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Schrage I 292. Zur Auslegungs- und Wirkungsgeschichte vgl. Thiselton, 330-335.
218 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
eine Lichtmaschine bedienen und ein paar Bibelverse auswendig hersagen kann. Zu einem verantwortungsvollen Dienst als Gottes Mitarbeiter gehört Sachverstand und Kompetenz. Jesus hat nicht umsonst seine Jünger drei Jahre lang geschult. Und es ist gewiss kein Zufall, dass Paulus, im ersten Jahrhundert einer der wirkungsvollsten Missionare, eine solide rabbinische Ausbildung genossen hatte. Gleichzeitig gilt, dass das bleibende und dauerhafte Säen, Bewässern und Bauen nicht vom Sachverstand der Verkündiger abhängt. Paulus betont als Kriterium für den „Erfolg“ die sachgemäße, konsequente Ausrichtung des Bauens am Fundament, das die Baurichtung vorgibt. Das heißt: die Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu Christi ist der bleibend gültige Maßstab für Mission und Evangelisation, für Gemeindebau und Gemeindearbeit. Es gibt ein unsolides und vergängliches Bauen, das dem Fundament nicht entspricht, sondern das sich nach selbstgewählten Maßstäben richtet – Maßstäbe, die gerade weil sie selbstgewählt sind, allzu häufig und oft automatisch den Werten und Kriterien der säkularen Umwelt entsprechen. Das solide und bleibende Bauen, das Gottes Gericht übersteht, zeichnet sich dadurch aus, dass Jesus Christus der tragende Grund und die maßgebliche Mitte der Verkündigung und der Gemeinde ist (V. 11). Authentische Gemeinde ist Gemeinde Jesu Christi – nicht römisch-katholische, lutherische, methodistische, freikirchliche Kirche, sondern Jesus Christus gehörende und von ihm bestimmte Gemeinde. Wenn Paulus schreibt, dass manche Missions- und Gemeindearbeit das Gericht Gottes nicht überstehen wird (V. 13.15), dann wird deutlich, dass auch einem christlichen „Werk“ täuschender Schein anhaften kann. Jedes Werk der Kirche wird sich im Gericht Gottes als wertlos erweisen, bei dem es den Verantwortlichen und Beteiligten nicht um das Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus geht, sondern um den Ruhm der Institution, um das herausragende Prestige des Bischofs, um den Bekanntheitsgrad des prominenten Gemeindepfarrers, um die Bewunderung eines bekannten Evangelisten, um die Überlegenheit eines bestimmten Gemeindemodells, um den Kenntisreichtum eines theologischen Lehrers, um das ganz besondere Einfühlungsvermögen eines Seelsorgers, oder auch nur um die Bewahrung des status quo. Paulus spricht sehr ernst von der Verantwortlichkeit der Arbeit in Mission, Evangelisation und Gemeindearbeit. Das Heil, das vor der ewigen Verdammnis rettet, ist allen an Jesus Christus Glaubenden sicher. Aber die Mitarbeiter am Bau der Gemeinde können sich mit dieser Zusage nicht beruhigen – ihre Verantwortung vor Gott bleibt erhalten. Wer auf sichtbaren Erfolg verweisen kann, der darf allerdings nicht meinen, einen dieser
Die menschliche Einschätzung der Verkündiger 3,1-17 219 ————————————————————————————————————
„Leistung“ entsprechenden Anspruch erheben zu können: Kein Mensch kann und darf Gottes bewertendes Urteil im kommenden Gericht vorwegnehmen. Paulus identifiziert den „Mitarbeiter Gottes“ nicht mit seiner Leistungsfähigkeit. Aber er redet auch nicht einer Resignation das Wort, die in der bequemen Ausflucht enden kann, dass der Mensch ja ohnehin nichts leisten kann.640 Von Gott in Beschlag genommene Mitarbeiter am Bau der Gemeinde können und wollen nicht faulenzen, gerade weil die Gemeinde der „Wohnort Gottes“ ist. Die Identität der Gemeinde als Tempel Gottes relativiert die Bedeutung des einzelnen Verkündigers und schließt alles Konkurrenzdenken aus. Wo Gott wohnt, da gibt es Vielfalt, aber Vielfalt in Einheit (V. 8).
Die Folgen von falscher Weisheit und Selbstruhm 3,18-23 I 18 Niemand betrüge sich selbst. Wenn jemand meint, ein Weiser unter euch in dieser Weltzeit zu sein, so soll er ein Narr werden, um weise zu werden. 19 Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott. Denn es steht geschrieben: „Er fasst die Weisen in ihrer Schlauheit“; 20 und wiederum: „Der Herr kennt die Gedanken der Weisen, er weiß, dass sie nichtig sind“. 21 Deshalb soll sich niemand mit Menschen rühmen; denn alles gehört euch – 22 sei es Paulus, sei es Apollos, sei es Kephas, sei es die Welt, sei es Leben, sei es Tod, sei es Gegenwärtiges, sei es Zukünftiges – alles gehört euch, 23 ihr aber gehört Christus, Christus aber gehört Gott.
II Nachdem Paulus in 3,1-17 die korinthischen Loyalitätsbekundungen im Licht der Rolle der Apostel und Lehrer, im Licht der Identität der Gemeinde als Tempel Gottes und im Licht des Berichts Gottes als destruktiv bewertet hatte, kommt er in 3,18-23 wieder auf die Thematik menschlicher Weisheit und göttlicher Weisheit zu sprechen. In 2,6-16 hatte Paulus die Weisheit Gottes im Sinne der Verkündigung des Evangeliums von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus als das „verborgene Geheimnis“ Gottes (V. 7) erläutert. Manche Ausleger fassen 3,18–4,5 als Einheit, die vorangegangene Themen rekapituliert.641 Die Analyse von 3,18-23 im Sinn einer peroratio642 ist nicht über————————————————————
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Lindemann 88. Robertson/Plummer 68-69; Garland 122. Bünker, Briefformular, 57; Schrage I 311; Merklein I 280; zur Kritik Lindemann 91.
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zeugend. Andere interpretieren 3,18-23 als inclusio, die die Argumention 1,10–3,23 vorläufig abschließt.643 Gliederung. Paulus beginnt in V. 18a mit einem Imperativ, der die Korinther im Blick auf ihre Fixierung auf die säkulare „Weisheit“ vor Selbsttäuschung warnt. Der imperativische Bedingungssatz V. 18b fordert zur richtigen Weisheit auf, die für die Menschen dieses Äons Torheit ist (Wiederaufnahme von 1,18-25; 2,14). V. 19-20 begründet die Aussage, dass das, was in der säkularen Gesellschaft als „Weisheit“ gilt, vor Gott Torheit ist (V. 19a), mit zwei atl. Schriftzitaten (Hiob 5,13; Ps 94,11), die analog zu 1,18-25 die paradoxe Umkehrung von (menschlicher/göttlicher) Weisheit und Torheit bestätigen. V. 21a zieht die Konsequenz: Niemand soll sich rühmen (Wiederaufnahme von 1,29-31). In V. 22-23 wendet Paulus den in V. 21b formulierten thesenartigen Satz „alles gehört euch“, der am Ende von V. 22 wiederholt wird, in einer „wirkungsvollen, furiosen Klimax“644 auf die menschlichen Leitfiguren der korinthischen Christen und über diese hinaus auf Leben und Tod, Gegenwart und Zukunft an. Die fundamentale Unterordnung unter Gott bedeutet die Befreiung von den Kriterien säkularer Bildung. Textkritische Anmerkungen. Textkritische Schwierigkeiten gibt es in 3,18-23 nicht. In V. 18 fügt D nach ε ξαπατα' τω die Wendung κενοι^ς λο' γοις ein; dies ist ein vielleicht von Eph 5,6 her eingetragener erläuternder Zusatz, der als sekundär gelten muss.
III 18 Paulus formuliert abrupt, ohne Übergang, imperativisch (ε ξαπατα' τω) eine Warnung vor Selbsttäuschung: Niemand betrüge sich selbst. Das Wort für „betrügen, täuschen, hintergehen“ (ε ξαπατα' ω) kommt im NT nur bei Paulus vor.645 Die Warnung gilt der Gemeinde (unter euch, ε ν υ μι^ν). Die Selbsttäuschung betrifft die Meinung, ein Weiser zu sein (σοφο` ς ει ναι). Das Wort σοφο' ς ist als Substantiv zu verstehen (vgl. 1,20; 3,19.20)646 und auf die rhetorisch gebildeten und deshalb in der Gesellschaft einflussreichen Christen in der korinthischen Gemeinde zu beziehen (s. zu 1,12.17). Dazu passt die Wendung in dieser Weltzeit (ε ν τω ^, αι ω ^ νι του' τω, ; zu αι ω' ν s. 1,20), ein Ausdruck, der konkret die säkulare Gesellschaft Korinths beschreibt und allgemein auf die Werte, Kriterien und Maßstäbe der „natürlichen“ oder „adamitischen“ Menschen zu beziehen ist, die nicht vom Geist Gottes be————————————————————
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Collins 162-163; vgl. Thiselton 319. Merklein I 279. Röm 7,11; 16,18; 1Kor 3,18; 2Kor 11,3; 2Thess 2,3; 1Tim 2,14; vgl. α πατα' ω in Eph 5,6; für außerbiblische Parallelen vgl. Josephus, Ant. 13,89; Epiktet, Diss. 2,22,15. Ebenso Lindemann 91.
Die Folgen von falscher Weisheit und Selbstruhm 3,18-23 221 ————————————————————————————————————
stimmt werden (vgl. 3,1-3). Der Selbstbetrug bezieht sich auf das Pflanzen und Bewässern von Gottes „Ackerfeld“, auf das „Bauen“ am Bau der Gemeinde (3,1-17): Wer die Maßstäbe für Missions- und Gemeindearbeit aus „diesem Äon“ bezieht und nach den Werten säkularer Bildung und säkularer Arbeit ausrichtet und sich dabei für einen „Weisen“ hält, der betrügt sich selbst. Die Warnung vor Selbsttäuschung ist im Anschluss an 3,17 so abrupt formuliert, weil es um eine angebliche „Weisheit“ geht, die das Bauen der Gemeinde nicht am Fundament ausrichtet, d.h. um Mitarbeiter und Christen, für die das Kreuz Jesu Christi nicht mehr zentral ist. Die imperativisch (γενε' σθω) formulierte Weisung so soll er ein Narr werden, um weise zu werden ist auf dem Hintergrund von 1,18-25 zu verstehen. Wirklich weise (σοφο' ς) ist nur der, der sich von Gott und seinem Heilshandeln im Kreuzestod Jesu Christi bestimmen lässt. Weil das Wort vom Kreuz nach den Maßstäben „dieser Weltzeit“ Torheit ist, ist der ein „Narr“ (μωρο' ς), der an Jesus Christus den Gekreuzigten und Auferstandenen als Retter und Herr glaubt. 19 Paulus gibt in V. 19 die Erläuterung (γα' ρ): die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott. Dieser Satz greift auf den radikalen Gegensatz zwischen Welt (κο' σμος, hier gleichbedeutend mit ε ν τω ^, αι ω ^ νι του' τω, ) und Gott zurück, von dem in 1,20-25 die Rede war. Die „Weisheit dieser Welt“ (η σοφι' α του^ κο' σμου του' του) ist nicht das menschliche Denken als solches (zu dem auch die Schwachen, Niedrigen und Verachteten in der Lage sind), sondern – hier ist der konkrete Kontext der römischen Stadt Korinth zu beachten – die Hochschätzung der griechisch-römischen Bildung und Rhetorik, die die Weisen, Mächtigen und Angesehenen kennzeichnete (vgl. 1,26-27). Paulus hält wie schon in 1,25 kategorisch fest, dass die „Weisheit dieser Welt“ keinen Anspruch auf Geltung auch in der Gemeinde hat. Die Loyalitätsbekundungen der korinthischen Christen, die sich an prominente Apostel und Lehrer binden, um so an Status zu gewinnen und ihre eigene Prominenz herauszukehren, sind typisch für das, was in Korinth als „Weisheit“ gilt. Vor Gott ist solches Verhalten aber Torheit (μωρι' α παρα` τω ^, θεω ^, ε στιν). Damit dreht Paulus die in 1,18-25 skizzierte Wertung der Welt um: Während die Welt meint, das Wort vom Kreuz sei Torheit, sagt Gott, dass die Weisheit der Welt Torheit ist. Paulus bekräftigt die Nichtigkeit der menschlichen Weisheit mit einem Schriftzitat (γε'γραπται γα' ρ) aus Hiob 5,13: Er fasst die Weisen in ihrer Schlauheit. Der Text von Hiob 5,13 LXX unterscheidet sich vom Text des Zitats in V. 19 vor allem in zweierlei Hinsicht: Paulus schreibt statt δρασσο' μενος (LXX) ο καταλαμβα' -
222 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— νων und πανουργι'α, statt φρονη' σει. Diese Unterschiede können verschieden erklärt werden: Paulus, dessen Text näher beim hebräischen Text liegt, könnte 1. eine eigene, „hebraisierende“ Version der LXX bieten, 2. direkt aus dem Hebräischen übersetzen, oder 3. nach einer anderen griechischen Übersetzung des hebräischen Texts zitieren.647
Im Kontext von Hiob 5,13 (die erste Rede des Eliphas) geht es um die Überlegenheit Gottes über alle menschliche Weisheit und Macht, weil er „Großes und Unerforschliches“ tut, „Wunder bis zur Unzahl“ (5,9), sowie um den Gegensatz zwischen den „Weisen“ und den „Armen“ (5,8-16). Im unmittelbaren Kontext von 5,13 ist davon die Rede, dass Gott „die Anschläge der Klugen“ vereitelt (5,12; V. 14: „am Tag stoßen sie auf Finsternis, und am Mittag tasten sie umher wie in der Nacht“) und „dem Geringen Hoffnung“ verschafft (5,16).648 Obwohl die Reden der Freunde Hiobs im Gesamtaufriss des Buches eher wenig hilfreich sind, zitiert Paulus Hiob 5,13 als autoritative Aussage über die Wirklichkeit Gottes, der die menschliche Weisheit als nichtig erweist. Trotz ihrer „Schlauheit“ (πανουργι' α kann auch „Hinterlist, Tücke, Verschlagenheit“ bedeuten) werden die angeblich „Weisen“ von Gott „gefasst“.649 20 Ein zweites Schriftzitat schließt sich an (και` πα' λιν): „Der Herr kennt die Gedanken der Weisen, er weiß, dass sie nichtig sind“. Das Zitat aus Ps 94,11 (LXX Ps 93,11)650 gehört in den Zusammenhang eines Gebets, in dem der Fromme Gott bittet, den Hochmütigen ihr Tun zu vergelten, die Unterdrücker niederzuwerfen und die Gerechten ins Recht zu setzen. Die Aussage in Ps 94,11 betont, dass Gott die Gedanken der Menschen, d.h. der korrupten und manipulativen Führung des Volkes, durchschaut. Er weiß, dass sie ein „Hauch“, ein Nichts sind. Die Pläne dieser Leute versagen, weil die besten Denker fehlbar sind.651 Paulus formuliert das Zitat konkret im Blick auf die „Weisen“ dieser Welt: Gott kennt sie und ihre Fehlbarkeit. Der Psalm verheißt in 94,12-23 den Menschen, die sich auf Gott verlassen, göttlichen Segen. Die beiden Schriftzitate unterstreichen die Nichtigkeit menschlichen ————————————————————
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Vgl. Schaller, Hiobzitate, 21-26; Koch, Schrift, 71-72; Stanley, Language, 188-194; Ciampa /Rosner 703-704; vgl. Hays 59-60. Vgl. Ciampa /Rosner 704. Zur frühjüdischen Verwendung von Hiob 5,13 vgl. Williams, Wisdom, 307-315. δρα' σσομαι „fassen, ergreifen“ ist hapax legomenon. Hiob 5,13 LXX hat das viel häufigere, bedeutungsgleiche Verb καταλαμβα' νω. In BGU VIII 1816 und in P.Oxy. 1298,9-11 kommt δρα' σσομαι mit einem menschlichen Objekt in der Bedeutung „ergreifen, tätlich angreifen“ vor; vgl. F. Winter in Arzt-Grabner 156-157. Paulus schreibt σοφω ^ ν statt α νθρω' πων, was angesichts von 3,21 keinen Unterschied in der Bedeutung ausmacht. Vgl. Stanley, Language, 194-195; Williams, Wisdom, 305-307; Thiselton 323; Ciampa/ Rosner 704-705.
Die Folgen von falscher Weisheit und Selbstruhm 3,18-23 223 ————————————————————————————————————
Denkens, das sich verabsolutiert und ohne Gottes Offenbarung auskommen will. 21 Die Tatsache, dass menschliche Weisheit die Gedanken Gottes für Torheit hält und sich gerade darin als nichtig erweist, führt Paulus zu der Schlussfolgerung (ω « στε) von V. 21, die den Zusammenhang von Loyalitätsbekundungen, Fixierung auf „Weisheit“ und Bindung an prominente Apostel und Lehrer deutlich macht (vgl. 1,28-29).652 Paulus wiederholt den Schluss von 1,29, der im Kontext von 1,18-25 alles Rühmen angesichts des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu ausschließt: deshalb soll sich niemand mit Menschen rühmen. Die Präposition ε ν bezieht sich auf das Objekt des Rühmen („sich der Menschen“ oder „mit Menschen“ rühmen).653 Ein Bezug auf das Forum, vor dem das Rühmen stattfindet („vor Menschen“), kann mitschwingen, vor allem wenn Paulus an die Rivalitäten sophistischer Rhetoren denkt. Dies ist das erste Mal, dass Paulus den Korinthern Selbstruhm vorwirft (vgl. 4,7; 5,2.6). Das Rühmen war eine gerade in der römischen Gesellschaft anerzogene Praxis der oberen Schicht, der Gebildeten und Reichen, das in der sophistischen Bewegung auf die Spitze getrieben wurde. 654 Paulus sagt den korinthischen Christen, die nach ihrer Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus immer noch auf Selbstruhm Wert legten, kategorisch, dass sie diese säkulare Praxis einstellen sollen. Der Satz denn alles gehört euch (πα' ντα γα` ρ υ μω ^ ν ε στιν) kann auf zweifache Weise verstanden werden. 1. Paulus greift eine Parole der Korinther auf,655 die das Denkprinzip des stoischen Weisen vor Augen hat, der über alles „herrscht“, was die Geschicke des Lebens an ihn herantragen. Nach Diogenes von Sinope gehört den Weisen alles: „Alles gehört den Göttern; die Götter aber sind Freunde der Weisen; den Freunden gehört alles in Gemeinschaft; alles also gehört den Weisen (πα' ντα τω ^ ν σοφω ^ ν ει ναι; Diogenes Laertius 6,72). Der Weise ist leidenschaftslos und deshalb „wahrhaft frei“ und somit in der Lage, selbständig zu handeln; ja er ist ein König, der niemand Rechenschaft schuldig ist, weil er sich ein sicheres Urteil über das Gute und das Böse bilden kann. Und weil er alles mit gutem Erfolg vollzieht, ge————————————————————
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Schrage I 313. So praktisch alle Übersetzungen, vgl. GN: „Darum soll sich niemand etwas auf einen Menschen einbilden“; NGÜ: „niemand soll sich an andere Menschen hängen und damit auch noch prahlen“. Mit Nachdruck Schrage I 313. Vgl. die parallele Formulierung 1,31: ο καυχω' μενος ε ν κυρι'ω, καυχα' σθω. Lang 57-58 sieht beide Möglichkeiten. Clarke, Leadership, 97-99. Vgl. Plutarch, Mor. 539A.D.540A. 542C.543A. Zur sophistischen Bewegung vgl. Winter, Philo and Paul, 195-203. Zur φιλοτιμι' α „Ehrliebe“ als Konstante der römischen Gesellschaft der Kaiserzeit vgl. Schmitz, Bildung, 97-135. Vgl. Fascher 141; Merklein I 283; Collins 166; Thiselton, 325.
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hört den Weisen alles (Diogenes Laertius 7,117.121-122.125).656 Paulus setzt dieser Denkweise den kategorischen Hinweis auf die Zugehörigkeit zu Jesus Christus V. 23 entgegen (υ μει^ς δε` Χριστου^ ). Menschen, die Jesus Christus dem Gekreuzigten und Auferstandenen gehören, sind nicht selbständig Handelnde, sondern Menschen, die aus ihrer Selbstsicherheit umgekehrt sind und in der Bindung an Jesus Christus wahre Freiheit gefunden haben. 2. Wahrscheinlich ist, dass Paulus mit dem Satz „alles gehört euch“ die Gegenaussage zu den Loyalitätsbekundungen formuliert, mit der sich korinthische Christen an prominente Apostel und Lehrer binden wollen. Die Wiederholung dieser Aussage „alles gehört euch“ am Ende von V. 22 zeigt, dass die Fortsetzung in V. 22 die Aussage πα' ντα υ μω ^ ν ε στιν entfaltet. Möglicherweise greift Paulus auf die atl. Verheißung der Herrschaft des Gottesvolkes über die Welt zurück (Dan 7,13-14; 12,1-3; vgl. äthHen 5,6-7; 4Esra 6,59; Jub 32,19), die in der Herrschaft des gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn Jesus Christus angebrochen ist, der die Macht des Bösen und damit die Mächte dieser Welt besiegt hat, und an der die an Jesus Christus Glaubenden (wenn auch in immer noch angefochtener Weise) Anteil haben (6,2; 7,31; Röm 8,28).657 22 Paulus betont, dass die drei prominenten Apostel und Lehrer, die für die korinthischen Christen eine so große Rolle spielen – sei es Paulus, sei es Apollos, sei es Kephas – alle der Gemeinde gehören. Sie sind in dem euch (υ μω ^ ν; Gen. poss.) eingeschlossen. Es gilt nicht „ich gehöre zu Paulus“ (ε γω` ει μι Παυ' λου, 1,12), sondern es gilt „Paulus gehört euch“ (Παυ^ λος . . . υ μω ^ ν).658 Dasselbe gilt für Apollos und Petrus. Die Apostel und Lehrer sind Diener (3,5), nicht Herrschende – Diener Gottes am Bau der Gemeinde, und deshalb Diener der Gemeinde. Die Stellung der drei „Leitfiguren“ vor dem Ausdruck Welt (κο' σμος) ist ein Zeichen dafür, dass auch die Apostel und Lehrer zum Bereich des Vergänglichen gehören. Die folgenden Glieder der Aufzählung bilden Paare (Leben/Tod, Gegenwärtiges/Zukünftiges): „Welt“ ist entweder die Überschrift des zweiten Teils der Aufzählung659 oder der abschließende vierte Begriff nach Paulus, Apollos und Kephas, d.h. ein Hinweis ————————————————————
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NW II.1, 257-258 nennt noch Seneca, Ben. 7,2,5; 7,3,2-3 als Parallelen; vgl. auch Cicero, Fin. 3,22,75. Weiss 89-90; Robertson/Plummer 72; Conzelmann 107; Schrage I 314-315; Thiselton 327; vgl. Barrett 96, der von der Erneuerung des Schöpfungsauftrags (Gen 1,26.28; Ps 8,6-9) spricht. Lindemann 93. Conzelmann 107: Paulus umschreibt κο' σμος in den folgenden beiden Paaren durch „Existenzbegriffe“ (zur Kritik Schrage I 315 Anm. 241). Merklein I 283-284 rechnet „Welt“ zu „Leben“ und „Tod“ als Dreiergruppe, die „die Dimension der menschlichen Existenz“ formuliert.
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auf die Welt der Menschen, die den Korinthern gehören. 660 Paulus bleibt bei der konkreten Situation der korinthischen Gemeinde nicht stehen. Die nächsten vier Glieder der Aufzählung – sei es Leben, sei es Tod, sei es Gegenwärtiges, sei es Zukünftiges – nennt die Größen, die die menschliche Existenz bestimmen und begrenzen.661 „Leben“ (ζωη' ) bezeichnet das Leben in dieser Welt „mit seiner Anfechtung und Gefährdung, vielleicht auch mit seinen verlockenden und versklavenden Möglichkeiten“. 662 „Tod“ (θα' νατος) ist die Macht, die unentrinnbar jeden Menschen einholt und seit Gen 3 die Folge der Sünde aller Menschen ist. Er ist auch für Christen der mächtigste und letzte Feind (15,26), aber er wird von Paulus in die Aufzählung der Größen einbezogen, die über die Jesusbekenner keine Herrschaft mehr ausüben. Beide Größen, „Gegenwärtiges“ (ε νεστω ^ τα) und „Zukünftiges“ (με'λλοντα), sind dem Menschen nicht verfügbar, mag er noch so weise handeln und planen. Das abschließend wiederholte alles gehört euch (πα' ντα υ μω ^ ν) will diese Mächte nicht der „Entscheidungsfreiheit“ der korinthischen Christen unterstellen,663 sondern deutlich machen, dass es unnötig, ja falsch ist, wenn die Korinther sich von irgend etwas beherrschen lassen, das nicht von Jesus Christus und von Gott bestimmt ist. Dies macht der Schluss der Aufzählung deutlich. 23 Der Satz ihr aber gehört Christus (υ μει^ς δε` Χριστου^ ) nennt die Grenze der in dem Satz „alles gehört euch“ beschriebenen christlichen Freiheit. 664 Der Genitiv Χριστου^ ist besitzanzeigender Genitiv: Jesusbekenner gehören buchstäblich Jesus Christus als dem Herrn (κυ' ριος). Die Konjunktion δε' („aber“) drückt nach J. Weiss einen „einschränkenden Gegensatz“ aus, der das Hochgefühl dämpfen will, das die Korinther aus den vorausgehenden Aussagen schöpfen könnten.665 Angesichts des Rühmens der Korinther ist diese Interpretation nicht ausgeschlossen, auch wenn sie angesichts von δε' im nächsten Satz wenig wahrscheinlich ist. Wenn man δε' kopulativ deutet, wird man die Aussage als Begründung interpretieren: Die Herrschaft über Apostel und Lehrer, über Tod und Leben, über Gegenwart und Zukunft „gilt gerade ————————————————————
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Senft 63; Lindemann 93-94. Röm 8,38: „weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges“. Vgl. Lindemann 94; zum Folgenden Merklein I 284; Schrage I 316. Schrage I 316. So Lindemann 94, der meint, Paulus formuliere in Röm 8,39 „deutlich zurückhaltender“. Die Wendung πα' ντα υ μω^ ν darf jedoch nicht abgelöst von V. 23 interpretiert werden. Schrage I 316, der in dieser Aussage „neben der einzigen Grenze auch den einzigen Grund christlicher Freiheit“ genannt sieht. Weiss 91. Bousset 86 meint, Paulus lasse „dies stolze Bewußtsein des Christen in tiefreligiöser Demut ausklingen“.
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und letztlich nur deshalb, weil sie zu Christus gehören“. 666 In der kategorischen Betonung der Zugehörigkeit zu Jesus Christus als „Besitzer“ der Gemeinde und der einzelnen Christen wird der Unterschied zur stoischen Freiheitsidee deutlich: „Nicht innere Unerschütterlichkeit und Distanz zu den Dingen, sondern Abhängigkeit vom Kyrios begründen die Freiheit des Christen“.667 Es ist gut möglich, dass Paulus im Römerbrief, den er in Korinth schreibt, die Aussage „ihr aber gehört Christus“ in Röm 14,7-9 näher erläutert: „Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebende Herr sei“. Die Herrschaft Jesu Christi gründet auf seinem Kreuzestod und seiner Auferweckung, d.h. in seinem Handeln für die sündigen Menschen. Deshalb ist die Freiheit des Christen von den Mächten dieser Welt eine Freiheit zum Dienst für Jesus Christus (vgl. 2Kor 5,15) und zum Dienst am Bau der Gemeinde. Vielleicht ist es kein Zufall, dass auf die zitierte Stelle aus dem Römerbrief die Aussage folgt: „Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden“ (Röm 14,10). Wer dem Kyrios Jesus Christus unterstellt ist, der kann die Brüder nicht richten oder verachten und einen Apostel oder einen Lehrer über andere Apostel und Lehrer stellen. In 2Kor 10,7 beschreibt Paulus ebenfalls die Grundwirklichkeit des Christseins als „Christus gehören“ (Χρισου^ ει ναι; vgl. Gal. 3,29; Röm 8,9). Weil Jesusbekenner Christus gehören, ist dieser ihr Herr (κυ' ριος, lat. dominus) und sie sind seine „Sklaven“ (δου^ λος, lat. servus). Die Macht (potestas) eines Herrn über seine Sklaven ist unbeschränkt und absolut, sie erstreckt sich auf sein Leben und seinen Tod (ius vitae necisque).668 Da Jesusbekenner vor ihrer manumissio, ihrer Freilassung in die Freiheit, keine „Sklaven“ Jesu Christi waren, sie also nicht „seine Freigelassenen“ sind, gehören sie zu Jesus Christus nicht als patronus (der für seine ehemaligen Sklaven sorgt, solange diese ihm zu Diensten sind), sondern als dominus, der Befehlsgewalt besitzt. Der letzte Satz ist „wuchtig, alles Gesagte durchleuchtend und befestigend“:669 Christus aber gehört Gott (Χριστο` ς δε` θεου^ ). Dies ist nicht nur ————————————————————
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Heinrici 137; Lindemann 94; vgl. Schrage I 316; Thüsing, Per Christum in Deum, 11. Fee 154 deutet konsekutiv und übersetzt mit „und“. Merklein I, 284; vgl. Schrage I 316: „Frei ist man nicht, wenn man sich von der Welt in das Innere zurückzieht, frei ist man unter der Herrschaft des Christus“. Harris, Slave of Christ, 110-111; die folgende Bemerkung ebd. 150 Anm. 28. Vgl. Kaser, Privatrecht, 78-81 (§15.1). In der Kaiserzeit wird gegen die Tötung des eigenen Sklaven rechtlich eingeschritten. Schlatter, 144.
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ein liturgisch feierlicher Ausklang,670 sondern die betonte Feststellung, dass Christen sich immer ihrer Verantwortung vor Gott bewusst sein sollen. Wenn Christus Gott gehört, dann erst recht die Christen. Gleichzeitig macht dieser Satz deutlich, dass Paulus, wenn er von Jesus Christus redet, immer vom Handeln Gottes spricht. Die Subordination Jesu Christi „unter“ Gott ist nicht ontologisch zu verstehen (als ob Jesus doch nicht ganz göttlich wäre), sondern funktional-soteriologisch. Das heißt: Paulus spricht hier und an ähnlichen Stellen (vgl. 11,3; 15,27-28) nicht von der göttlichen Würde Jesu Christi, sondern von seiner Funktion als Retter – er ist der messianische Herr und Erlöser, durch den der eine Gott Israels (Dtn 6,4) die Schuld der Menschen gesühnt und Sünde vergeben hat.671 A. Schlatter kommentiert den Satz „Christus aber gehört Gott“ im Hinblick auf die Schwierigkeiten in der korinthischen Gemeinde wie folgt: „Das stellt ihn über alle, die in der Gemeinde reden und die sie mit vollem Recht hört, verehrt und liebt; sie alle sind deshalb Gottes, weil sie des Christus sind; er aber ist Gottes in der unmittelbaren und vollständigen Einheit, die den Sohn zum Eigentum des Vaters macht. Das Bekenntnis zu ihm ist dadurch vollends von jeder parteisüchtigen Verwendung abgeschieden . . . Der Gemeinde war damit gezeigt, wie sie zum Frieden kommen könnte“.672
IV Paulus betont in diesem Abschnitt noch einmal, dass die korinthischen Christen, die sich zu den „Weisen“ rechnen, bedenken müssen, dass sie es mit Gott zu tun haben. Der allmächtige und barmherzige Gott, der in Tod und Auferweckung Jesu Christi zum Heil der Welt gehandelt hat, lässt weder sich noch seine Gemeinde von säkularen Werten und Kriterien beurteilen. Die Herrschaft Gottes und die Herrschaft Jesu Christi machen die Loyalitätsparolen und die Versuche des Statuszugewinns, an denen sich Glieder der korinthischen Gemeinde ergötzen, unmöglich. Der Satz, dass die Weisheit der Welt vor Gott Torheit ist, darf nicht als allgemeines Prinzip verstanden werden, das einem sacrificium intellectus das Wort redet oder gar einer existentialistischen Irrationalität Vorschub leisten möchte. 673 Die Konstatierung der Nichtigkeit der Weisheit der Welt ist konsequent auf den Kreuzestod Jesu zu beziehen: wenn Gottes Heilshandeln in Jesus Christus von der Weisheit der Welt nicht erfasst werden kann, dann kann es mit dieser „Weisheit“ nicht weit her sein, ja sie ist in der Tat „Tor————————————————————
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Weiss 91; kritisch Merklein I 285; Schrage I 317. Fee 155; vgl. Merklein I 285; Schnelle, Paulus, 445. Schlatter 144. Richtig Schrage I 313; s. auch die Diskussion in Lindemann 92.
228 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
heit“, weil ihr Begreifen gerade an der Stelle versagt, wo es um die entscheidende und endgültige Antwort auf die tiefsten Fragen und Nöte des Menschen geht. Die christliche Freiheit, die Paulus in V. 21-22 formuliert, schließt eine Abhängigkeit von Menschen aus, „auch von Gemeindegründern und anderen verdienten Gestalten der ‚Kirchengeschichte‘“. 674 Ein Christenmensch ist, wie Luther mit Paulus formuliert, ein freier Herr aller Dinge.675 Das bezieht sich auf Paulus und Petrus genauso wie auf Luther und Calvin, auf die eigene Kirche genauso wie auf die andere Kirche. Die einzig legitime, ja notwendige Qualifizierung der Freiheit des Christen ist die Zugehörigkeit zu Jesus Christus, dem Herrn. Der Schluss des Textes eröffnet den Blick auf die kosmische Reichweite des Evangeliums. Christen sind bei allem Tun Gott verantwortlich, der die Welt erschaffen hat und der die Menschen durch sein Heilshandeln in Jesus Christus erlöst. Angesichts dieser Wirklichkeit und der aus dieser Wirklichkeit erwachsenden Aufgabe der Evangelisation und des Gemeindebaus sind Parteikämpfe und Rekrutierungsversuche der einen Gruppe gegen die andere Gruppe genauso schädlich wie Selbstruhm und Eigenliebe Sünde gegen Gott sind. Christen gehören Jesus Christus, und weil Jesus Christus zu Gott gehört, müssen und können Jesusbekenner Einheit und Bruderschaft im Glauben an Gott und seinen Sohn Jesus Christus finden, der ihr Herr ist.
Die Gemeinde von Korinth und Paulus als ihr Apostel 4,1-21 Paulus ist bei seiner Behandlung der Parteiparolen und der Fraktionsbildungen in 1,10–3,23 größtenteils indirekt vorgegangen. Er hat sich zwar nicht gescheut, kritische Fragen zu stellen (1,13.20; 2,11.16; 3,3.4.5.16), mit Imperativen (1,31; 3,10.18.21) zu formulieren und mit Metaphern und mit Ironie die korinthischen Christen dazu zu bewegen, ihr säkulares Verhalten zu überdenken und zu ändern.676 In 4,1–21 konfrontiert Paulus die Korinther direkt und unverblümt mit einem zweifachen Problem, das er ihnen attestiert: ihre anmaßende Beurteilung der Apostel und Lehrer (4,1-5) und das arrogante Rühmen ihrer überlegenen Redekunst und ihres gehobenen Standes (4,6-13). Im Schlussabschnitt schlägt er einen wärmeren Ton an: er bemüht sich ————————————————————
674 675 676
Schrage I 314. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen; WA 7, 21. Hays 64; für das Folgende ebd.
Die Gemeinde von Korinth und Paulus als ihr Apostel 4,1-21 229 ————————————————————————————————————
mahnend um die Korinther, wie sich ein Vater um sein Kind bemüht, ehe er jenen korinthischen Christen eine Warnung ausspricht, die sich seiner Autorität widersetzen (4,14-21). Helmut Merklein bewertet 4,1-5 als Übergangsstück (transitus) zwischen der peroratio (3,18-23) und der refutatio (4,6-13), in dem die Thematik der probatio (3,5-17) noch einmal aufgenommen wird, um der Kritik der Korinther den Boden zu entziehen. W. Schrage betrachtet 4,1-5 als refutatio und 4,14-21 als eine zweite peroratio, die im Sinn einer recapitulatio vorher Gesagtes aufgreift, um die Leser abschließend beeinflussen zu können.677 Diese Klassifikationen haben nicht alle Ausleger überzeugt. 678 Die für eine refutatio charakteristische Zurückweisung einer gegnerischen Position liegt weder in V. 1-5 noch in V. 6-13 vor. In V. 1-5 betont Paulus, dass er zu einer Selbstverteidigung gar nicht verpflichtet ist. In V. 6-13 benutzt Paulus zwar das Stilmittel der Ironie, setzt sie aber nicht gegen einen Dritten (wie z.B. Apollos) ein, was für die Widerlegung der entsprechenden gegnerischen Position notwendig wäre.679 Das heißt, die Ironie dient nicht der Widerlegung der korinthischen Position, sondern Paulus versucht, „seine Adressaten durch eine ironisch-übertreibende Beschreibung ihres eigenen Selbstbewußtseins von ihrem bisherigen Weg abzubringen“. 680
Die Beurteilung der Apostel und Lehrer durch Christus 4,1-5 I 1 Auf diese Weise soll man uns einschätzen: als Gehilfen Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes. 2 Dabei verlangt man von den Haushaltern, dass sie als treu erwiesen werden. 3 Mir ist es aber gleichgültig, ob ich von euch oder von einem menschlichen (Gerichts-)Tag beurteilt werde; ja ich beurteile mich nicht einmal selbst. 4 Ich bin mir nämlich keiner Schuld bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt. Der mich aber beurteilt, ist der Herr. 5 Richtet also nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen ————————————————————
677 678 679
680
Merklein I 289.305.322; vgl. Schrage I 319.331.352, im Anschluss an Bünker, Briefformular, 57-58 (der 4,1-13 zur refutatio rechnet). In der folgenden Kritik schließe ich mich Lindemann 95.101 an. Lindemann 101, mit Verweis auf Lausberg, Handbuch, 449 (§902.4), der die GedankenIronie als „eine sermocinatio [d.h. der fingierte Ausdruck] aus der Gedankenwelt der Gegenpartei zu deren Charakterisierung“ beschreibt und kommentiert: „Sie hat letztlich ihren technisch passenden Platz in der refutatio, wo sie der Wiedergabe des gegnerischen Standpunkts dient“. Lindemann 101.
230 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
und die Pläne der Herzen offenbaren wird; und dann wird einem jeden das Lob von Gott zuteil werden.
II Paulus wendet das im vorhergehenden Abschnitt in 3,5-15.18-23 Gesagte noch einmal (vgl. 3,21-22) und ausführlicher auf die Apostel und Lehrer der Gemeinde an. Die korinthischen Christen („man“, V. 1) sollen erkennen, dass die Apostel und Lehrer („uns“, V. 1) sich nicht als Fixpunkte säkularen Rühmens eignen, sondern dass sie Diener Christi sind (V. 1; vgl. 3,5). Die Verben der kurzen Sätze (neun Haupt- und fünf Nebensätze) dieses Abschnitts bezeichnen fast durchweg das „Einschätzen, Urteilen, Beurteilen, Werten“ der Korinther.681 Gliederung. V. 1 formuliert die richtige Bewertung der Beziehung zwischen Gemeinde und Verkündiger als imperativische Mahnung. V. 2 benennt das einzig adäquate Kriterium, mit dem eine solche Bewertung vorgenommen werden kann. In V. 3-4 erläutert Paulus das richtige Bewerten der Verkündiger am Beispiel seiner eigenen Person. V. 5 zieht die Konsequenz: Mit einem Rückgriff auf seine früheren Hinweise auf das Gericht Gottes (3,8.12-14) mahnt Paulus die Korinther, alles wertende Urteilen vor der Wiederkunft Jesu Christi zu unterlassen. Textkritische Anmerkungen. In V. 2 schreiben die meisten Handschriften δε λοιπο' ν, obschon unge δε (d46 אA B C D* u.a.); aber ω (Byz) ο δε' statt ω 682 wöhnlich, ist als Redewendung bezeugt und muss als besser bezeugte und als schwierigere Lesart als ursprünglich gelten. Statt ζητει^ται (B Ψ 0289 Byz latt sy co) bezeugen viele Handschriften den Imp. ζητει^τε (d46 ]*[אA CD F G P 6 33 104 u.a.), was als Angleichung an den Imperativ von V. 1 oder an V. 3 (υ φ’ υ μω ^ ν) interpretiert wird.683
III 1 Paulus zieht die Konsequenz (ου« τως) aus dem Aufweis, dass alles menschliche Rühmen irrsinnig ist (3,21-23). Weil die korinthischen Loyalitätsbekundungen keinen Sinn ergeben, weil die Apostel und Lehrer der Gemeinde ————————————————————
681 682 683
Merklein I 288; nur der Hinweis auf das „Kommen“ des Herrn scheint aus dieser einheitlichen semantischen Isotopie herauszufallen. Siehe auch Kaspar, Assistants, 61-90 zur syntaktischen Analyse. Epiktet, Diss. 2,12,23-24; vgl. auch Suda, Ε 1456, 3. Schrage I 322 Anm. 28; Lindemann 96; vgl. die Diskussion in Weiss 94-95. Héring 34 folgt d46 )*(אA. Im gesprochenen Griechisch konnte man die beiden Formen kaum unterscheiden (Itazismus).
Die Gemeinde von Korinth und Paulus als ihr Apostel 4,1-21 231 ————————————————————————————————————
gehören, weil Christen Christus gehören und weil Christus zu Gott gehört, deshalb soll man (α»νθρωπος, mit abstrakter Bedeutung) die Apostel und Lehrer als Gehilfen Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes einschätzen.684 Statt δια' κονοι „Diener“ verwendet Paulus das hier gleichbedeutende Wort υ πηρε'ται Gehilfen, das einen Menschen bezeichnet, „der einem Meister, einem Höherstehenden od. Vorgesetzten zur Hand geht“. 685 Das Wort kommt in den Paulusbriefen nur hier vor (insgesamt 20 Mal im NT); vgl. jedoch Apg 26,16, wo Paulus seine Berufung zum υ πηρε' της και` μα' ρτυς („Diener und Zeugen“) beschreibt. K. H. Rengstorf definiert den υ πηρε' της im Unterschied zu δια' κονος und θερα' πων als Helfer, der sich „willig seine Aufgabe und sein Ziel durch einen andern zuweisen läßt, der im Rahmen einer organischen Ordnung über ihm steht, ohne daß er dadurch in seiner persönlichen Würde und in seinem Wert beeinträchtigt wird“.686 Diese Definition, die Wortbedeutung und Referenz verwechselt, ist genausowenig hilfreich wie die etymologische Herleitung von einem angeblich ursprünglichen „Unter-Ruderer“, die linguistisch unhaltbar ist.687 Die von A. Lindemann vorgetragene Definition, nach der das Wort υ πηρε' της im griech.hellenistischen Sprachgebrauch „den mit einer besonderen Würde ausgestatteten Diener (des Staates, des Königs, einer Gottheit), im Unterschied zum wirklich ‚dienenden‘ δια' κονος oder gar zum δου^ λος“ bezeichnet, scheitert daran, dass sich die (relative) „Würde“ des υ πηρε' της immer aus dem Kontext ergibt (wo sie nicht immer vorhanden ist), aber nicht zur Wortbedeutung als solcher gehört.688 Ein υ πηρε' της ist ein Helfer, der einem Höherstehenden, z.B. einem Vorgesetzten (z.B. als Adjudant im Militär) oder Meister (z.B. als Assistent eines Arztes, oder als Gehilfe eines Priesters) zur Hand geht und in seinem Auftrag Anweisungen ausführt;689 υ πηρε' της und δια' κονος sind quasi Synonyme.690 Im Judentum wird ————————————————————
684
685 686 687 688 689
690
λογι'ζομαι kommt bei Paulus 33 Mal vor (in 1Kor noch in 13,5.11); es bedeutet hier nicht „berechnen, erwägen, bedenken“ oder „meinen, denken, glauben“ (so GN, NGÜ „wie ihr von uns denken müsst“), sondern „bewerten, taxieren, erachten, ansehen als“; vgl. Bauer /Aland 966 s.v. λογι'ζομαι 1b. Vgl. EÜ, SÜ „betrachten“. Bauer /Aland 1679 s.v. υ πηρε' της. K. H. Rengstorf, Art. υ πηρε' της, ThWNT VIII, 533. Hofmann, Wörterbuch, 91 s.v. ε ρε' της; G. Schneider, EWNT III, 956; Thiselton 335; Garland 125; zur Kritik vgl. Richardson, ΥΠΗΡΕΤΗΣ, 55-61 (ebd. 58-59 zu einer möglichen Etymologie); K. H. Rengstorf, ThWNT VIII, 534; Louw, Semantics, 26-27. Lindemann 95. Zu der folgenden Beschreibung vgl. Bauer/Aland 1679 s.v. υ πηρε' της, mit Belegen (vgl. auch NewDocs VIII, 66); Schrage I 320; vgl. Kaspar, Assistants, 116-140. In den Papyri bezeichnet υ πηρε' της im Allgemeinen einen „Hilfsbeamten“; vgl. Preisigke, s.v. υ πηρε' της; Kupiszewski/Modrzejewski, ΥΠΗΡΕΤΑΙ, 141-166; F. Winter, in ArztGrabner 162: „subalterne Funktionäre, denen die Ausführung von aufgetragenen Geschäften und deren Überwachung obliegt. Sie stehen in einem loyalen Verhältnis zur ihnen vorgeordneten Instanz und garantieren mit ihrer Tätigkeit den regelrechten Ablauf vorgeschriebener Gesetzesgänge“. Vgl. Louw, Semantics, 27. Ob die Vokabel υ πηρε' της die Leser des 1Kor an das Selbstverständnis der kynischen Wanderprediger denken ließ, die als „Gehilfen Gottes“ (d.h. von Zeus) beschrieben werden (Epiktet, Diss. 3,22,82.95; als Möglichkeit Merklein I
232 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— υ πηρε' της u.a. für die Engel (Philo, Post. 92), für Könige als Diener Gottes (Weish 6,4), für Priester (Josephus, Bell. 2,321) oder Mose als Verkündiger im Auftrag Gottes (Josephus, Ant. 3,16) verwendet.691
Der Genitiv Χριστου^ kann als gen. subj. gedeutet werden: die Apostel und Lehrer sind Helfer, deren sich Christus bedient (GN „Menschen, die im Dienst von Christus stehen“). Die Interpretation als gen. obj. beschreibt Christus als den Inhalt des Dienstes der Apostel und Lehrer. Die Interpretation als gen. poss. betont, gegen die korinthischen Parolen, die Abhängigkeit der Apostel von Christus allein. 692 Das mit Verwalter übersetzte Wort οι κονο' μος bezeichnet allgemein den Verwalter, zu dessen Pflichten die Personalaufsicht eines Haushalts gehört. In Inschriften und Papyri bezeichnet die Vokabel häufig den „Verwalter der einzelnen Haushaltungszweige: Hausmeister, Gutsinspektor, Oberkoch usw.“693 In den Inschriften und Papyri ist das Wort οικονο' μος über 500 Mal belegt. Vgl. NewDocs IV, 160-161 für Belege, die zeigen, dass ein (Guts-)Verwalter sehr jung sein konnte, dass Frauen solche Positionen bekleideten und dass sowohl Sklaven als auch Einflussreiche dieses Amt ausübten. In Röm 16,23 wird Erastus, ein korinthischer Christ, als ο οικονο' μος τη^ ς πο' λεως beschrieben.694
Die Wendung Verwalter der Geheimnisse Gottes ist im Sinne von 2,1-2.7-8 zu verstehen: Die Apostel und Lehrer der Gemeinde haben die Verantwortung für die rechte Verkündigung der Heilsoffenbarung Gottes im Kreuzestod Jesu Christi.695 Der Plural μυστη' ρια, für das NT ungewöhnlich (vgl. noch 13,2; 14,2; Mt 13,11; Lk 8,10), verweist auf den vielfältigen Inhalt der Verkündigung (in der es gerade nicht nur um das historische Faktum der Kreuzigung Jesu geht). Die Mysterienkulte haben den ntl. Sprachgebrauch nicht beeinflusst.696 W. Schrage schreibt zu Recht: „Die Apostel sind keine Mystagogen. Eher ist wie Lk 12,42-48 an ————————————————————
691 692 693 694 695 696
291; vgl. Lindemann 96), darf bezweifelt werden. K. H. Rengstorf, ThWNT VIII, 535-538; zu Epiktet 531. Im Blick auf 1Kor 4,1 stellt er mit Recht fest, dass sich das Bild des υ πηρε' της mit dem Epiktets nicht deckt (543). Merklein I 291 (gen. obj.); Fee 156; Schrage I 320 mit Anm. 10 (gen. poss.). O. Michel, ThWNT V, 151; vgl. H. Kuhli, EWNT II, 1218-1222; Theißen, Studien, 237239; Kaspar, Assistants, 140-155; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 162-163. Zur Identität mit dem in der Inschrift Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 232 erwähnten Erastus, der als Dank für das Ädilenamt das Pflaster vor dem Theater gestiftet hat, vgl. Theißen, Studien, 236-245; Clarke, Leadership, 55-57; Schnabel, Urchristliche Mission, 1134. In 1Petr 4,10 ist jeder Glaubende ein „Verwalter“ der vielfältigen Gnade Gottes. Zur Diskussion der Wendung „Geheimnisse Gottes“ in V. 1 vgl. Kaspar, Assistants, 175-221. Conzelmann 109; H. Kuhli, EWNT II, 1220; Chester, Conversion, 286-287.
Die Gemeinde von Korinth und Paulus als ihr Apostel 4,1-21 233 ———————————————————————————————————— einen Sklaven zu denken“.697 Wenn H. Merklein im Horizont von 13,2 und 14,2 meint, mit dem Plural sei (auch) auf die von den Charismatikern geoffenbarten Geheimnisse verwiesen, „die eschatologisch oder heilsgeschichtlich neue Perspektiven eröffnen“,698 so ist dies im Text nicht zu erkennen.
2 Der Verweis auf die Funktion der Apostel und Lehrer in V. 1 wird im Hinblick auf die von ihnen geforderte Treue entfaltet: dabei699 verlangt man von den Haushaltern, dass sie als treu erwiesen werden. Die treuhänderischen Anforderungen, die an einen οι κονο' μος als Verwalter fremden Vermögens gestellt werden, „machen seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit zu wesentlichen Qualifikationsmerkmalen“.700 Während πιστο' ς sonst „gläubig“ bedeutet (Gal 3,9), ist es hier im Sinn von „treu“ oder „zuverlässig“ gebraucht. Bei einem „Verwalter“ ist mit diesem Ausdruck die Eigeninitiative gerade nicht ausgeschlossen. Die Interpretation von ζητει^ται als pass. divinum im Sinn eines betonten Hinweises auf die „Forderung“ Gottes701 ist möglich, aber im Kontext von V. 1.2 nicht wahrscheinlich. Mit dem Aor. Pass. ευ ρεθη^, verweist Paulus auf die Feststellung, die sich aus einer Erwägung, Beobachtung oder Prüfung ergibt.702 Die Erläuterung der Funktion von Verwaltern macht den Korinthern deutlich, dass eine Beurteilung der Apostel und Lehrer (V. 1) auf die verwaltete Sache bezogen sein muss, um adäquat zu sein. Das Kriterium ist nicht das eigene Gefallen (oder Missfallen) am Auftreten der Verkündiger, an der rhetorischen Eloquenz ihres Vortrags oder an der Plausibilität ihrer Argumentation. Solche Beurteilungen, die sachfremd nach anderen (säkularen) Maßstäben urteilen, machen die Verkündiger zum Kriterium der verkündigten Botschaft – und führen zu den Loyalitätsbekundungen, Rivalitäten und Streitereien, mit denen sich Paulus seit 1,10 beschäftigt.703 3 Die Aussage mir ist es aber gleichgültig, ob ich von euch oder von einem menschlichen (Gerichts-)Tag beurteilt werde macht deutlich, dass es Paulus mehr als um die Zurückweisung einer unsachgemäßen Bewertung geht: Er verzichtet durchaus auf eine Selbstbeurteilung. Das Kriterium, mit der die Korinther die Apostel und Lehrer sachgemäß einschätzen können, ist ihre Treue gegenüber der Verkündigung des Kreuzestodes Jesu. Die Treue der Verkündiger ist aber nicht der Gegenstand, über den die Gemeinde zu ————————————————————
697 698 699 700 701 702 703
Schrage I 321. Merklein I 291. δε λοιπο' ν s. die Einleitung zu 4,1-5 (textkritische Anm.). Zu der seltenen Wendung ω H. Kuhli, EWNT II, 1220. Schrage I 321-322, der deshalb meint, V. 2 formuliere „keine allgemeine Wahrheit oder Belehrung über notwendige Berufspflichten von Verwaltern“. Bauer /Aland 658 s.v. ευ ρι'σκω 2. Vgl. Merklein I 293; ebd. die folgenden Bemerkungen.
234 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gericht sitzen kann – die Korinther sollen „vor der Zeit“ der Wiederkunft Jesu überhaupt nicht richten (V. 5).704 V. 3 ist ein Hinweis darauf, dass korinthische Christen mit dem Auftreten oder mit der Verkündigung des Apostels Paulus unzufrieden waren. Dass die Formulierung ε μοι` δε` ει ς ε λα' χιστο' ν ε στιν (mir ist es aber gleichgültig; EÜ übersetzt: „mir macht es allerdings nichts aus“) „Schroffheit und Härte“ ausdrückt,705 wird von manchen Auslegern behauptet, steht aber nicht im Text, was der Verweis auf menschliche Gerichte zeigt. 706 Das Verb α νακρι' νω bedeutet allgemein beurteilen (vgl. 2,14-15), kann aber im Kontext des Gerichts in V. 3b.4 das Verhör als Vorbereitung der Urteilsfindung im Blick haben.707 Angesichts der Paulus-Parole sollte man die Beurteilung, die Paulus gleichgültig ist, nicht nur negativ auffassen: Die Aussage von Paulus gilt auch für das positive Beurteilen durch korinthische Christen.708 Die Verwendung des Wortes Tag (η με'ρα) für den „Gerichtstag“ ist ein der römischen Kanzleisprache entlehnter Latinismus,709 der den dies forensis bezeichnet, den regelmäßig abgehaltenen Gerichtstag in den „Hauptorten“ der römischen Provinzen. Die Wendung menschlicher (Gerichts-) Tag betont den Unterschied zwischen einem menschlichen Gericht und dem Endgericht, in dem der Herr (d.h. Christus) die Treue der „Verwalter“ beurteilen wird (V. 4-5). Der Hinweis auf menschliche Gerichtstage unterstreicht, dass das Beurteilen der Apostel und Lehrer, das in der korinthischen Gemeinde fröhliche Urstände feierte, grundsätzlich falsch ist, da es die Kompetenz der Korinther übersteigt. Mit dem Satz ja ich beurteile mich nicht einmal selbst betont Paulus, dass er auf die Beurteilung der Korinther keinen Wert legt, weil er sich selbst nicht beurteilt. W. Schrage kommentiert: „Der Christ ist nicht einmal kompetent, Richter über sich selbst zu sein, ob er sich nun schuldig- oder freispricht“.710 Der folgende Satz V. 4a zeigt, dass Paulus Selbstprüfung und Selbstbeurteilung nicht grundsätzlich ablehnt (vgl. 11,28; 2Kor 13,5; Gal 6,4). ————————————————————
704 705
706 707 708 709 710
Vgl. Konradt, Gericht, 286. Schrage I 322; vgl. Conzelmann 110; Lindemann 96. Zur Formulierung vgl. Bauer/Aland 454 s.v. ειμι' III.2; O. Michel, ThWNT IV, 660. Schrage I 323 richtig: „Hier wird jedoch kein Unfehlbarkeitsanspruch erhoben und keine Diskussionsverweigerung oder Geringschätzung gegenüber der Gemeinde zum Ausdruck gebracht, erst recht keine amtlichhierarchische Überheblichkeit“. Richtig Fee 161; vgl. Garland 127; Kuck, Judgment, 203; Konradt, Gericht, 286-287. Weiss 96; Bachmann 185; Fee 160-161. Der Wechsel zu κρι'νω V. 5 legt es nahe, den Unterschied zwischen α νακρι'νω und κρι'νω nicht zu betonen; so Schrage I 323; Konradt, Gericht, 287 Anm. 439; anders Lindemann 97. Kuck, Judgment, 199, gefolgt von Lindemann 97; Garland 127. BDR §5.3b Anm. 16; anders Lindemann 97, der den Gegensatz zum „Tag des Herrn“ (1,8; 5,5; vgl. 3,13) betont sieht. Schrage I 323; ebd. für die folgende Bemerkung; vgl. Fee 161; Lindemann 97.
Die Gemeinde von Korinth und Paulus als ihr Apostel 4,1-21 235 ————————————————————————————————————
Es gilt jedoch, dass alle Urteile und Selbsturteile nur vorläufigen Charakter haben, weil das Gericht Christi erst noch kommen wird. 4 Die Aussage in diesem Vers ist als Einschub zu verstehen, mit dem Paulus seine Ablehnung der Selbstbeurteilung in V. 3b qualifiziert. Der Satz ich bin mir nämlich keiner Schuld bewusst ist im Zusammenhang atl. Parallelen zu verstehen; vgl. Hiob 27,6 LXX: „meine Gerechtigkeit gebe ich nicht preis, denn ich bin mir nicht bewußt, etwas Falsches getan zu haben (ου γα` ρ συ' νοιδα ε μαυτω ^, α»τοπα πρα' ξας)“. Dieser Satz und ähnliche Aussagen z.B. in den Klagepsalmen dürfen nicht absolut verstanden werden. Sie sind auf die Anklage der Gegner zu beziehen, die den Gerechten in seine beklagenswerte Lage gebracht haben. Das heißt, es geht Paulus um das Bewusstsein, „daß er in Hinsicht auf die Vorwürfe und Urteile der Gegner unschuldig ist“.711 Wenn das Wort „Gewissen“ absolut verwendet wird, muss der Kontext entscheiden, ob das „Zeugnis“ des Gewissens positiv oder negativ aufällt: Für Paulus ist die συνει' δησις „die in diesem Sinne neutrale Instanz und nicht der nach ‚Gut‘ und ‚Böse‘ klassifizierte Bewußtseinszustand“. 712 Um ein „robustes“ Gewissen des Paulus geht es hier also nicht. Für K. Stendahl ist 1Kor 4,4 eine Schlüsselstelle bei seinem Vorwurf an die ntl. Exegese, das Sünden- und Rechtfertigungsverständnis des Apostels Paulus im Licht der Gewissensängste Luthers zu interpretieren. Letztere seien Paulus, der ein robustes Gewissen gehabt habe, im Unterschied zum „introspektiven Gewissen des Westens“ fremd gewesen.713 T. George wirft dieser Interpretation vor, Luther durch die „moderne“ Linse der Gewissensproblematik bei S. Kierkegaard zu lesen.714
Es geht Paulus allein darum, wie H.-J. Eckstein betont, „daß nicht einmal er sich richten und beurteilen kann, selbst wenn er sich weder der Schuld einer Übertretung des Verbotenen noch der Auslassung einer Pflicht oder eines Gebotes bewußt ist. Ihn, den ‚Diener‘, darf und will nur der ‚Herr‘ beurteilen“.715 Das heißt, die Unzulänglichkeit des Gewissens ist nicht darin begründet, dass das Gewissensurteil des Apostels sich nicht auf sein Christsein, sondern nur auf seine Amtsführung beziehe,716 oder weil das Gewissen sich ————————————————————
711
712 713 714 715
Eckstein, Syneidesis, 207. Das Verb συ' νοιδα begegnet bei Paulus nur hier, das Subst. συνει'δησις ist häufiger, vgl. 8,7.10.12; 10,25.27.28.29; 2Kor 1,12; 4,2; 5,11; Röm 2,15; 9,1; 13,5; 1Tim 1,5.19; 3,9; 4,2; 2Tim 1,3; Tit 1,15. Vgl. Chr. Maurer, ThWNT VII, 897-918; G. Lüdemann, EWNT III, 721-725; J. Gundry Volf, Art. Conscience, DPL, 153156; vgl. Eckstein, ebd. 137-300 zu Paulus. Eckstein, Syneidesis, 209, das folgende Zitat ebd. 211; vgl. Merklein I 294-295. Stendahl, Gewissen, 19-33. George, Modernizing Luther, 442-446, Eckstein, Syneidesis, 211.
236 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
täuschen kann, oder weil der Mensch sich letztlich rätselhaft bleibt, oder weil die Reichweite des Gewissensurteils begrenzt ist – sie ist begründet in der prinzipiellen Unzuständigkeit des Gewissens, welches das Urteil Gottes im Endgericht nicht vorweg nehmen kann. 717 Es ist daran zu erinnern, dass Paulus sich in 3,11 als „weiser Architekt“ bezeichnet hat. A. Schlatter verbindet die Aussage mit den Stellen, in denen Paulus sich den Gemeinden als Vorbild hinstellt und sein Verhalten zur Regel für ihr Handeln macht. 718 Der Satz dadurch bin ich nicht gerechtfertigt betont: Auch wenn die Selbstbeurteilung zu einem einwandfreien Ergebnis führt, so kann auch dies nicht rechtfertigen. Das Pass. Perf. δεδικαι' ωμαι bezieht sich auf das Urteil Gottes im Endgericht.719 Es gilt: der mich aber beurteilt, ist der Herr. Paulus unterstreicht, dass es keine menschliche Instanz gibt, die das Gericht Gottes bzw. Christi vorwegnehmen könnte.720 5 Als Konsequenz (ω« στε) aus dem Gesagten formuliert Paulus: richtet also nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt. Das will nicht heißen: wenn der Herr kommt, dann sind die Korinther berechtigt, ihre bewertenden Urteile abzugeben. Paulus betont, dass die Korinther ihr vergleichendes und richtendes Urteilen (κρι' νετε ist Imp. Präs.) unterlassen sollen, weil es allein der kommende Herr ist, der richten wird. Die Wiederkunft (hier ausgedrückt mit dem Verb ε»ρχομαι)721 des Kyrios Jesus Christus ist der Zeitpunkt (καιρο' ς) des ————————————————————
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Calvin 342 meint, Paulus rede „nur von seiner apostolischen Wirksamkeit“, nicht jedoch „von seinem ganzen Leben“; ähnlich Spener 311; Gutjahr 91; Allo 70; kritisch Weiss 98; Schrage I 324 mit Anm. 47. Schrage I 324. Eckstein, Syneidesis, 206-207 betont zurecht: „der optimistische Grundzug seiner Selbstbeurteilung und Einschätzung der Möglichkeiten des christlichen Wandels darf damit aber nicht verdeckt werden“. Schlatter 150. Weiss 98; Fee 162; Schrage I 325; Wolff 81; Lindemann 98; Konradt, Gericht, 288. Das Ptz. Präs. α νακρι'νων hat fut. Bedeutung, wie der Kontext von V. 5 zeigt. Anders Heinrici 143, der meint, Paulus wolle sagen, dass er nicht aufgrund seines guten Gewissens, d.h. seiner Rechtschaffenheit gerechtfertigt werde, sondern dass der „Realgrund für die Rechtfertigung“ allein der Glaube ist. Merklein I 294-295; Konradt, Gericht, 288. Zur Kritik von Theißen, Aspekte, 67-74 (aufgenommen von Thiselton 341), der die „Unschuldsbeteuerung“ mit Hilfe der tiefenpsychologischen Kategorie des Unbewussten als Hinweis auf eine mögliche unbewusste Schuld deutet, vgl. Merklein I 295-296; Lindemann 98; Kuck, Judgment, 203-205; Konradt, Gericht, 289 Anm. 454. Vgl. 11,26; Röm 11,26; 1Thess 4,16; zum Thema 1Kor 1,7-8; 5,5; 2Kor 1,14; 1Thess 2,19; 3,13; 4,15; 5,2.24. Weiss 99 betont, dass nicht von der „Wiederkunft“ die Rede sei (wie „meist nicht“ im Urchristentum), sondern vom „Kommen“, was damit zu erklären sei, dass „die eigentlich messianische Ankunft“ noch ausstehe – „als Messias war Jesus noch nicht da“ (Merklein I 296 schließt sich Weiss an; vgl. Schrage I 325). Diese Interpretation geht am messianischen Anspruch Jesu vorbei; vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 107-125; Wright, Jesus, 477-539. Das Wort καιρο' ς, das in den Papyri häufig belegt ist, bezeichnet
Die Gemeinde von Korinth und Paulus als ihr Apostel 4,1-21 237 ————————————————————————————————————
Gerichts. Mit Verweisen auf das Endgericht verbundene Mahnungen, nicht zu richten, finden wir auch in anderen ntl. Stellen. 722 Mit einem Relativsatz beschreibt Paulus Jesus Christus als Herr, der das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Pläne der Herzen offenbaren wird. Die beiden Verbalformen φωτι' σει723 und φανερω' σει sind Futura. Die Formulierung nimmt traditionelle atl. und jüdische Motive auf. Die Aussage, dass Gott das Herz724 der Menschen sieht bzw. prüft und dass er ihre Gedanken kennt,725 sowie die Aussage, dass Gott das Tun des Menschen nicht verborgen ist,726 unterstreicht die Allwissenheit Gottes. Mit der singulären Formulierung das Verborgene der Finsternis (τα` κρυπτα` του^ σκο' τους) weist Paulus darauf hin, dass der Tag des Herrn alle verborgenen Dinge, alles Unerkannte, 727 ans Licht bringen wird. Die Pläne der Herzen (τα` ς βουλα` ς τω ^ ν καρδιω ^ ν), die der kommende Herr aufdecken wird, beziehen sich auf „die unausgesprochenen bzw. nicht in die Tat umgesetzten ‚Wünsche der Herzen‘“.728 Das heißt im Blick auf den Dialog zwischen den korinthischen Christen und Paulus: Menschen können das Verborgene nicht aufdecken, sie haben keinen letztgültigen Einblick in das Wollen anderer Menschen – nur der Herr allein kann dies. Erstaunlich ist der Schlusssatz – dann wird einem jeden das Lob von Gott zuteil werden – angesichts des ebenfalls nur positiv ausgerichteten Ausgangs der göttlichen Gerichtsprüfung in 3,8 eigentlich nicht. Im Blick auf die Korinther heißt dies erstens, dass nur Gottes Lob zählt; und zweitens, dass Gott lobt, während die Korinther manche Apostel und Lehrer mit Geringschätzung behandeln. Das „Lob“ (ε»παινος) Gottes ist als anerkennend ————————————————————
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dort überwiegend eine mehr oder weniger punktuelle Zeit; vgl. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 166, mit Verweis auf BGU IV 1050; VIII 1756; P.Oxy. XLIX 3464. Mt 7,1 / Lk 6,37; Jak 4,12; 5,9; Röm 14,10-13. Strobel 89 meint, Paulus greife in 1Kor 4,5 auf Mt 7,1 zurück. Vgl. Konradt, Gericht, 291. φωτι'ζω sonst nur noch in Offb 22,5 in einem eschatologischen Zusammenhang (vgl. Lk 11,36); Lindemann 98. καρδι'α als Sitz von Verstand, Erkenntis und Wille, als Sitz menschlichen Wollens und Planens; vgl. A. Sand, EWNT II, 616. 1Sam 16,7; 1Kön 8,39; 2Chron 6,30; Jer 11,20; 17,9-10; 20,12; Ps 7,10; 17,3; 26,2; 44,22; 94,11; 139,23; Prov 15,11; 20,27; 21,2; 24,12; Weish 1,6; 6,3; Sir 42,18; Philo, Cher. 16-17; weitere Belege bei Konradt, Gericht, 290 Anm. 458. Ntl. Belege: Lk 16,15; Apg 1,24; 15,8; Röm 8,27; 1Thess 2,4; Hebr 4,12. Jer 16,17; Ps 139,1-12; 2Makk 12,31; Sir 1,30; 16,17; 17,15.20; 23,18-19; TestJud 20,34; Arist 132-133; Philo, Somn. 1,87; Josephus, Ant 4,41. NT: Mt 6,6; Hebr 4,13. σκο' τος beschreibt hier nicht metaphorisch „das Böse“, sondern das Unerkannte; vgl. Merklein I 297; Lindemann 98; Schrage I 325; H. Conzelmann, ThWNT VII, 443; Kuck, Judgment, 206, mit Verweis auf Jes 29,15; Dan 2,22; Mt 10,27; Lk 12,3. Lindemann 98; Merklein I 297 spricht von den „inneren, öffentlich verborgenen Antrieben der menschlichen Person“. Vgl. die Formulierung in Sir 37,13.
238 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
geäußerte, positive Beurteilung der Jesusbekenner, vor allem der am Bau der Gemeinde aktiv Mitarbeitenden (vgl. V. 6), zu verstehen. In V. 5 scheint eine Aufgabenteilung vorzuliegen: Christus bringt das Verborgene ans Licht und beurteilt, Gott vollstreckt das Urteil (in Form eines Lobs).729 Dass Paulus nur Lob, aber keinen Tadel erwähnt, hat weniger mit der grundsätzlichen Rettungsgewissheit von 3,15 zu tun,730 als mit dem „Loben“ prominenter Verkündiger in der korinthischen Gemeinde. Paulus stellt den Lobeshymnen, die die korinthischen Christen auf „ihren“ Apostel oder Lehrer singen und dabei wie die von Epiktet geschilderten Rhetoren (Diss. 2,16,6.10) den einen gegen den anderen Apostel ausspielen und sich dabei aufblasen (V. 6!), das Endgericht entgegen – erst dann, nicht schon jetzt, „wird jedem von Gott, nicht von euch, Lob zuteil werden, dort aber auch jedem, nicht nur einem“.731
IV Paulus erinnert die Korinther noch einmal an die Rolle, die die Apostel und Lehrer der Gemeinde spielen: Sie sind Helfer Jesu Christi und Verwalter Gottes. Das heißt, eine Beurteilung der Qualität ihres Wirkens, auch eine positive, steht allein Jesus Christus bzw. Gott zu. Bei dieser Beurteilung wird nicht das Auftreten bewertet, sondern die Treue. A. Schlatter schreibt: „In Korinth verlangen sie von ihm: sei mächtig, sprich ein starkes Wort, überwinde die Widersacher! Sie verlangen damit, was er nicht erfüllen kann. Einzig Treue ist seine Pflicht, die ein Verwalter damit auf sich nimmt, daß ihm sein Amt gegeben wird. Für das, was er zu verwalten hat, ist nicht er verantwortlich; denn es ist das Eigentum seines Herrn. Daß aber der Wille des Herrn unverkürzt und unverfälscht geschehe und sein Gut unvermindert bewahrt und in vollem Umfang fruchtbar gemacht werde, das ist die Pflicht, unter der ein Verwalter steht“.732 Amt und Titel sind nicht entscheidend. Calvin betont, dass Paulus mehr will als die bloße Berufung zum Amt: „Er will dessen treue Ausführung“.733 Die alleinige Zuständigkeit des Herrn im Blick auf das Bewerten bringt Paulus dazu, sich einer abschließenden Beurteilung seines Dienstes zu enthalten. A. Lindemann kommentiert: „Damit aber macht Paulus sich (und gleichzeitig auch seine Adressaten) frei von der ————————————————————
729 730 731 732 733
Vgl. Wolff 83; Lindemann 99; Kuck, Judgment, 201. Da in Röm 14,10 vom βη^ μα του^ θεου^ , in 2Kor 5,10 vom βη^ μα του^ Χριστου^ , die Rede ist, lässt sich keine Systematik entwickeln; vgl. Konradt, Gericht, 292 Anm. 482. So Merklein I 298. Konradt, Gericht, 292, der meint, dass aufgrund der positiven Gerichtsaussage εκα' στω, „auf die auswärtigen Verkündiger zu beziehen ist“; Synofzik, Vergeltungsaussagen, 43. Schlatter 147. Calvin 341: „Auch die ‚rechte Lehre‘ (Predigt) allein genügt Paulus nicht. Wir müssen auch von ganzem Herzen Gott dienen und das Reich Christi fördern wollen“.
Die Gemeinde von Korinth und Paulus als ihr Apostel 4,1-21 239 ————————————————————————————————————
Bindung sowohl an fremde wie auch an selbst gesetzte Maßstäbe, und er gewinnt so den Spielraum des Handelns und Denkens, den er als Apostel und den die Gemeinde braucht“. 734
Die wahren Kennzeichen apostolischer Existenz 4,6-13 I 6 Brüder, ich habe dies als Anwendung auf mich und Apollos dargestellt um euretwillen, damit ihr an uns lernt, dass der Grundsatz gilt: „Nicht über das hinaus, was in der Schrift steht“, damit sich keiner zugunsten des einen und zum Nachteil des anderen aufbläht. 7 Denn wer räumt dir einen Vorrang ein? Was aber hast du, was du nicht erhalten hast? Wenn du es aber erhalten hast, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht erhalten? 8 Ihr seid schon satt, ihr seid schon reich, ihr seid ohne uns zur Herrschaft gelangt. Wäret ihr doch nur zur Herrschaft gelangt, damit auch wir mit euch zusammen herrschen könnten! 9 Ich meine nämlich, dass Gott uns, die Apostel, als die Letzten hingestellt hat, wie dem Tod Geweihte. Denn wir sind für die Welt und für die Engel und für die Menschen ein Schauspiel geworden. 10 Wir sind Toren um Christi willen, ihr dagegen aber seid Verständige in Christus. Wir sind Schwache, ihr dagegen seid Starke. Ihr seid Angesehene, wir dagegen sind Verachtete. 11 Bis zur jetzigen Stunde hungern wir und dürsten und gehen in Lumpen umher und werden geschlagen und sind heimatlos 12 und mühen uns ab, während wir mit unseren eigenen Händen arbeiten. Als Geschmähte segnen wir, als Verfolgte dulden wir, 13 als Beschimpfte reden wir freundlich. Wir sind sozusagen der Abschaum der Welt geworden, jedermanns Kehricht, bis heute.
II Die erneute Anrede mit „Brüder“ markiert den Beginn eines neuen Abschnitts, der bis V. 13 reicht (vgl. den Wechsel von der 1. Pers. Plural zur 1. Pers. Sing. in V. 14). In V. 6 blickt Paulus auf seine Ausführungen in 1,10– 4,5 zurück. Er betont noch einmal, dass es nicht angeht, wenn man sich in der Gemeinde an bestimmte Apostel und Lehrer bindet, wenn man sich „aufbläht“ und Fronten aufbaut. Paulus erwartet, dass sich die korinthischen Christen an die in 1,19 und 3,19.20 zitierten Direktiven der Heiligen Schrift halten und angesichts der von Gott geschenkten wahren Weisheit ihr auf ————————————————————
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Lindemann 99.
240 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Menschen gerichtetes Rühmen lassen (V. 7). 735 Mit ironischen Anfragen an das Selbstverständnis der korinthischen Christen und mit ganz ernst gemeinten Beschreibungen des missionarischen Wirkens der Apostel in V. 8-13 zeigt Paulus der Gemeinde, dass die Weisheit des Kreuzestodes Jesu Christi Konsequenzen für das persönliche Verhalten hat. Der Gegensatz zwischen der Arroganz der korinthischen Christen und der Demut der Apostel markiert zugleich den Grund für die Streitigkeiten in der Gemeinde. K. Kleinknecht schreibt dem Abschnitt „den Charakter eines summierenden Höhepunkts der ersten vier Kapitel“ zu.736 Der Abschnitt V. 11-13 bietet den einzigen Leidenskatalog des Briefs. 737 Leidenskataloge kommen nicht nur in der kynisch-stoischen Diatribe vor,738 sondern auch in frühjüdischen Texten.739 Der leidende Gerechte, der in vielen Psalmen beschrieben wird, ist für das Verständnis dieser Listen wichtig. 740 Die Aufzählung von Widrigkeiten und Notlagen dient nicht der Information über biographische Einzelheiten des Lebens des Apostels (obschon sich das konkrete Erleben des Paulus durchaus in der Aufzählung widerspiegelt). Sie dient nicht dazu, analog des Ideals des (kynischen und stoischen) Weisen die eigene Unerschütterlichkeit und Autarkie zu beweisen, die eigene Charakterbildung herausstellen oder die Unerheblichkeit der äußeren Lebensumstände zu illustrieren. Der Leidenskatalog „soll vielmehr die Entsprechung des apostolischen Lebens zu Tod und Auferweckung Jesu illustrieren“ und den korinthischen Christen ein „Paradigma der ‚Wege in Christus‘ vor Augen stellen“.741 Zur rhetorischen Analyse s. die Einleitung zu 4,1-21. ————————————————————
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Vgl. Garland 130. Kleinknecht, Gerechtfertigte, 222; vgl. Schrage I 330; Hafemann, Suffering, 60. Neben 1Kor 4,11-13 vgl. 2Kor 4,7-12; 6,4-10; 11,23-29; 12,10; Röm 8,35; Phil 4,12-13; vgl. auch Hebr 11,35-38. Zu den Leidenskatalogen (Peristasenkatalogen) vgl. Fitzgerald, Cracks, zu 4,11-13 ebd. 117-148; Ebner, Leidenslisten, zu 4,11-13 ebd. 20-92; Hotze, Paradoxien, 139-226; Schiefer-Ferrari, Sprache, passim; Stuhlmacher, Theologie I, 322.346-347; Schnelle, Paulus, 65-66.263-264; Hahn, Theologie I, 294-295; Schrage I 331-332; zu 1Kor 4,11-13 auch Plank, Affliction. Der Ausdruck „Peristasenkatalog“ geht auf R. Bultmann zurück. Die Vokabel περι'στασις bezeichnet die äußeren Umstände, besonders von Not und Gefahr (siehe ausführlich Fitzgerald, Cracks, 33-46). Das Wort kommt im NT nicht vor. Epiktet, Diss. 2,1,35; 2,10,14; 2,19,24; 3,22,45-47; Plutarch, Mor. 326D-333C; Dio Chrys., Or. 8,15-16; Seneca, Ep. 82,14; 107,5; Horaz, Sat. 2,7,83-84; Cicero, Mur. 61. Jub 23,13.22; äthHen 103,9-13; slHen 66,6; Sib 3,601-603; 4,68-69; TestJos 1,4-7; Philo, Det. 34; Josephus, Bell. 2,51-52; 4,165; Ant. 3,46; 4,127. Schrage, Peristasenkataloge, 141-175 hält den jüdischen Traditionshintergrund für primär wichtig. Vgl. Ps 10; 15; 22; 24; 31; 37; 39; 42; 44; 54; 66; 69; 73; 88; 139; 147. Vgl. Kleinknecht, Gerechtfertigte, 28-32.56-65.369-370. Schrage I 333; vgl. Fitzgerald, Cracks, 122; Hodgson, Tribulation Lists, 65.
Die wahren Kennzeichen apostolischer Existenz 4,6-13 241 ————————————————————————————————————
Gliederung. V. 6 verbindet das Beispiel von Paulus und Apollos mit dem Verhalten der Korinther, das sich, was ihr Rühmen betrifft, ändern muss. V. 7 formuliert drei kritische Fragen, denen sich die korinthischen Christen selbstkritisch stellen sollen. In V. 8 beschreibt Paulus mit drei ironischen Feststellungen und einem ironischen Wunsch das Selbstbewusstsein der Korinther. V. 9-13 beschreiben, ohne jede Ironie, die apostolische Existenz von Paulus und anderen Missionaren. Nach einer grundsätzlichen Feststellung in V. 9 formuliert V. 10 drei Antithesen, die das Selbstverständnis des Apostels mit der Einstellung der Korinther kontrastieren. V. 11-12a beschreiben in sieben Gliedern das Leidensgeschick des Apostels. 742 V. 12b-13a formulieren mit drei Antithesen die paradoxe Reaktion der Apostel auf die Bedrängnis, die sie erfahren. V. 13b schließt mit einer Zuspitzung, die „bis an die Grenzen der Selbstkarikatur“ geht:743 Paulus und seine Mitapostel gelten als Abschaum der Welt. Textkritische Anmerkungen. In V. 6 lesen die meisten Handschriften (D F G Byz) ο« (Sing.) statt α« (Plur.); der Plural ist jedoch gut bezeugt (d46 אAB C u.a.); die Änderung lässt an einen einzigen Bibeltext denken, während α« auf die zuvor zitierten Schriftstellen verweist.744 Nach γε'γραπται ergänzen א2 Cvid D2 0285vid 33 Byz vgms sy den Infinitiv φρονει^ν, was der Verdeutlichung dient und deshalb als sekundär gelten muss. In V. 9 dient die Einfügung von ο« τι (א2 D1 Ψ Byz vgcl sy) ebenfalls der verdeutlichenden Klärung. In V. 10 ^, durch κυρι' ω, . In V. 11 schreiben manche Handschriften ersetzt d11 Χριστω statt γυμνιτευ' ομεν ( אA B C D F G P Ψ 0289 630 1881c 2464 l 249) γυμνητευ' ομεν (d46 33 1739 1881*vid Byz), was eine orthographische Variante ist.745 In V. 13 ersetzen manche Handschriften das Verb δυσφημου' μενοι „Beschimpfte“ (d46 *אA C P 33 81 1175 1506 u.a.) durch βλασφημου' μενοι „Verfluchte“ (d68 א2 B D F G u.a., Byz), was gebräuchlicher ist (vgl. 10,30; Röm 3,8; 14,16) und deshalb als sekundär gegenüber dem seltenen Verb δυσφημε'ω gelten muss.746
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Lindemann 100 will den Peristasenkatalog auf V. 11.12a begrenzen; vgl. Ebner, Leidenslisten, 27-38. Bei diesem Ansatz wird die formkritische Kategorie „Katalog“ zu schematisch verwendet: V. 9.12b.13 beschreiben zweifellos ebenfalls das apostolische Leiden; vgl. Hotze, Paradoxien, 156-158. Merklein I 317. Lindemann 102; vgl. Schrage I 334 Anm. 107. Weiss 111 Anm.1; vgl. Bauer /Aland 334 s.v. γυμνητευ' ω und γυμνιτευ' ω. Fee 165 Anm. 4. Weiss 113 erwägt, ob βλασφημου' μενοι ursprünglich ist, da „an eine Lästerung ins Angesicht“ gedacht sei.
242 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
III 6 Mit der erneuten Anrede „Brüder“ einsetzend verweist Paulus mit ταυ^ τα auf die Ausführungen von 3,5–4,5, die er als „exemplarische Anwendung des zuvor dargelegten Sachverhalts“ kennzeichnet. 747 Das richtige Verständnis des Satzes ich habe dies als Anwendung auf mich und Apollos dargestellt ist umstritten. 1. Das Verb μετασχηματι' ζω bezeichnet an dieser Stelle748 nach der Meinung vieler Ausleger die rhetorische Figur des σχη^ μα (lat. figura), die nach Quintilian eine „von der alltäglich gewohnten Redeweise abweichende Ausdrucksweise“ darstellt749 und nach Demetrius von Phaleron als „etwas mit Hilfe einer Redefigur [d.h. durch die Blume] sagen“ umschrieben werden kann.750 Antike Redner setzen verdeckte Anspielungen aus unterschiedlichen Gründen ein, zum Beispiel um die Angesprochenen zu schonen. Nach dieser Auslegung war die Kritik, die Paulus an den ungenannten Verantwortlichen der korinthischen Gemeinde übt, so harsch, dass er schreibt, als ob seine kritischen Ausführungen ihn selbst beträfen. 751 2. Manche Ausleger argumentieren, dass im Text nichts darauf hinweist, dass Paulus von sich und Apollos nur stellvertretend, also „fiktiv“ schreibt, aber in Wirklichkeit die Korinther meint. Viele schlagen deshalb als Bedeutung von μετασχηματι' ζω „in ungewohnter Weise darstellen, exemplifizieren“ vor. 752 Paulus erwähnt sich und Apollos als eines von mehreren Beispielen. Wie ist zu entscheiden? Richtig ist, dass Paulus in den vorausgehenden Ausführungen von führenden korinthischen Christen gesprochen hat, ohne diese beim Namen zu nennen. Gleichzeitig ist deutlich, dass Paulus sich selbst und Apollos von den Mahnungen und Warnungen der vorausgehenden Abschnitte nicht ausnimmt. Paulus hat ————————————————————
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752
Merklein I 306; Schrage I 334 mit Anm. 102; Lindemann 101. Sellin, Geheimnis, 75 will ταυ^ τα nur auf 4,1-5 beziehen. Auf den Hauptsatz μετεσχημα' τισα folgen zwei «ινα-Sätze, die positiv (ι«να . . . μα' θητε) und negativ (ι«να μη` . . . φυσιου^ σθε ) formulieren. In Phil 3,21 „umgestalten“, in 2Kor 11,13.14.15 „sich verwandeln“. Quintilian, Or. 9,1,4. Lausberg, Handbuch, 267 (§499); zu den rhetorischen Figuren ebd. §604-754 (figurae elocutionis als „Veränderung der elocutio durch die drei Veränderungskategorien der adiectio, detractio, transmutatio“, §604). Demetrius, Elocut. 287.292-294; vgl. Bauer /Aland 1039 s.v. μετασχηματι'ζω. Chrysostomus 97; vgl. Ambrosius 214-215; Theodoret, 255; Meyer 111-112; Lightfoot, 199 („covert allusion“); Heinrici 146-147; Godet I 110-111; Robertson/Plummer 81; Schrage I 334; Collins 176; Lindemann 101; Garland 132; Fiore, Covert Allusion, 93-94; Fitzgerald, Cracks, 119-122; Hall, Disguise, 144; Winter, Philo and Paul, 196-197. Vgl. BDAG 641 s.v. μετασχηματι'ζω: „I have applied this to Apollos and myself = I have given this teaching of mine the form of an exposition concerning Apollos and myself“. Weiss 101; Lietzmann 19; Barrett 106; Conzelmann 112; Fee 167; Merklein I 301-302; Klauck 37; Lindemann 101; J. Schneider, ThWNT VII, 958; J. M. Nützel, EWNT II, 1032; Hooker, Things, 295-309; Vos, ΜΕΤΑΣΧΗΜΑΤΙΣΜΟΣ, 154-172. EÜ, Elb.Ü, SÜ, Wilckens: „auf mich und Apollos bezogen“, ZB „habe ich auf mich und Apollos angewandt“; NGÜ „mit immer neuen Vergleichen von mir und Apollos gesprochen“.
Die wahren Kennzeichen apostolischer Existenz 4,6-13 243 ————————————————————————————————————
„an sich selbst und Apollos die rechte Haltung aufgezeigt“.753 Paulus erwartet, dass die Korinther an uns lernt, d.h. von seinem und des Apollos Verhalten das richtige Verhalten lernen. Der Ausdruck ε ν η μι^ν steht für die Einigkeit von Apollos und Paulus. Das Verständnis der Wendung το` μη` υ πε` ρ α γε'γραπται (in unserer Übersetzung: dass der Grundsatz gilt: „Nicht über das hinaus, was in der Schrift steht“), als Akkusativobjekt zu μα' θητε, ist schwierig. Folgende Lösungen wurden vorgeschlagen.754 (1) Die Wendung ist schlicht unverständlich, oder als Glosse eines Abschreibers in den Text eingedrungen. (2) Die Formulierung bezieht sich auf die Heilige Schrift, d.h. das ganze AT, als Verweis auf die Norm der Schrift. (3) Paulus erinnert an die vier atl. Zitate der vorausgehenden Abschnitte. (4) Der Satz bezieht sich auf die vorausgehenden Ausführungen des Paulus, in denen er gegen das Rühmen argumentiert hat. (5) Paulus zitiert einen bekannten Ausspruch. (6) Die Wendung bezieht sich auf Briefe, die ein Kind nicht richtig nachvollziehen kann, d.h. Paulus erneuert seinen Angriff auf das kindische Verhalten der Korinther. Manche Ausleger schlagen eine Kombination mehrerer der genannten Auslegungsmöglichkeiten vor. Die Schwierigkeit des Verständnisses spiegelt sich in den unterschiedlichen Übersetzungen wider: LÜ „lernt, was das heißt: Nicht über das hinaus, was geschrieben steht!“; EÜ „lernt, daß der Grundsatz gilt: ‚Nicht über das hinaus, was in der Schrift steht!‘“; Menge: „damit ihr an uns (beiden) das Wort (oder: die Mahnung) verstehen lernt: ‚Nicht hinausgehen über das, was geschrieben steht!‘“; NGÜ „An unserem Beispiel wollte ich euch zeigen, was es bedeutet, die Grenzen nicht zu überschreiten, die uns durch die Schrift gesetzt sind“ (Anmerkung: „was es bedeutet, sich – wie man so schön sagt – ‚an die Regeln zu halten‘“; TNIV „learn from us the meaning of the saying, ‚Do not go beyond what is written‘“ (ähnlich NRSV).
Mit A. Thiselton ist eine dreifache Betonung festzuhalten. 755 1. Paulus verwendet Aussagen der Heiligen Schrift, um das problematische Verhalten korinthischer Christen zu korrigieren. 2. Paulus beruft sich auf einen Grundsatz, der allgemeine Gültigkeit besitzt. 3. Paulus argumentiert mit der Wahrheit des Glaubens, der sich auf das Kreuz Jesu konzentriert und der jene Verhaltensweise als illegitim und ungeistlich entlarvt, die aufgrund der Maßstäbe menschlicher Weisheit einen Apostel gegen einen anderen Apostel ausspielt. Paulus will, dass sich keiner zugunsten des einen und zum Nachteil des anderen aufbläht. Das seltene Verb φυσιο' ω bedeutet (im Pass.) „sich ————————————————————
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Schrage I 334; Thiselton 351. Vgl. Fiore, Personal Example, 171-175. Für Einzelheiten siehe die Diskussionen in Merklein I 302; Schrage I 334-336 („eine der schwierigsten Stellen des ganzen Briefes“); Collins 177-180; Lindemann 101-103; Garland 133-134; Thiselton 351-356; Welborn, Politics, 43-75; Ebner, Leidenslisten, 33-36; dort jeweils auch die Belege für die genannten Positionen. Thiselton 356.
244 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
aufblasen, wichtig machen“, bezeichnet also ein „eitles, überhebliches Gebaren“.756 In Korinth machen sich einzelne Christen dadurch wichtig, dass sie sich für einen bestimmen Apostel (ει ς υ πε` ρ του^ ε νο' ς) und damit gegen den anderen Apostel (κατα` του^ ε τε'ρου) aussprechen, d.h. einen Apostel gegen den anderen ausspielen. Beides ist falsch: die Loyalitätsbekundung für den einen Lehrer genauso wie die hochmütige Kritik am anderen Lehrer. 757 7 Die drei kritischen Fragen – Wer? Was? Warum? –, denen sich die korinthischen Christen selbstkritisch stellen sollen, sind im Singular formuliert (wohl im Anschluss an ει ς und ε« τερος in der vorausgehenden Wendung).758 Die erste Frage lautet: Wer räumt dir einen Vorrang ein? Das Verb διακρι' νω bedeutet „unterscheiden, beurteilen, ein Urteil fällen“, in der Gerichtssprache „entscheiden“. Wenn einer sich „zugunsten des einen und zum Nachteil des anderen aufbläht“ (V. 6), beinhaltet dies immer ein negatives Urteil über den einen und ein positives Urteil über den anderen Apostel oder Lehrer, dem damit ein „Vorrang“ eingeräumt wird.759 Viele Ausleger nehmen die Antwort „niemand“ an;760 andere gehen von einer positiven Antwort aus: Sie haben einen „Vorrang“, sie sind „besondere Leute“, aber nur deshalb, weil Gott sie gerettet (1,18), erwählt (1,27-28) und mit der Offenbarung seiner Geheimnisse beschenkt (2,10-12) hat, was bedeutet, dass keiner einen Grund hat, sich zu rühmen.761 Es ist auch eine andere Antwort möglich: es sind Menschen, und nur Menschen, die einem betreffenden Apostel oder Lehrer einen Vorrang einräumen, was im Gericht Gottes keine Bedeutung haben wird (V. 4-5). Die Antwort auf die zweite Frage – Was aber hast du, was du nicht erhalten hast? – ist: „Nichts!“ Alles, was man an den Aposteln und Lehrern rühmen könnte, und alles, was die einzelnen korinthischen Christen „haben“ (ε»χω), ist Gabe, die sie von Gott „erhalten“ (λαμβα' νω) haben. Die dritte Frage zeigt, dass die Korinther das Empfangen nicht radikal genug verstanden und dass sie es unterlassen haben, die rechten Konsequenzen aus dem Empfangen zu ziehen. 762 Wenn du es aber erhalten hast, warum rühmst ————————————————————
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Lindemann 103; H. Balz, EWNT III, 1062. Schrage I 337. Vgl. Lindemann 103, der die Fragen auf jeden einzelnen Christen in Korinth beziehen will, was möglich, aber nicht zwingend ist: Paulus kann sich auch nur an diejenigen unter den Korinthern wenden, die sich an den Loyalitätsrivalitäten beteiligen. Vgl. Bauer /Aland 370 s.v. διακρι'νω; G. Dautzenberg, EWNT I, 733. Moffatt 48; Fee 171; Merklein I 309; Lindemann 103; Kuck, Judgment, 215. Wenn man „wer hat euch zum Richter gemacht?“ übersetzt (Winter, Philo and Paul, 198; vgl. Marshall, Enmity, 205), ist die Annahme einer negativen Antwort notwendig. Thiselton 356; Garland 136-137; vgl. Calvin 343-344: „Der Herr hat uns in seiner Kirche jeden auf seinen Platz unter Christus als dem einen Haupt gestellt“ (344). Schrage I 336, mit Verweis auf Marshall, Enmity, 205: im Rahmen der antiken Patronatsbeziehungen verpflichtet die Annahme einer Gabe den Empfänger dem Geber.
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du dich, als hättest du es nicht erhalten? Weil das christliche Selbstverständnis vom Wissen um das Beschenktsein von Gott geprägt ist, und weil deshalb gerade die in Mission und Lehre Verantwortlichen wissen, dass sie ihre Botschaft, ihre Gaben und ihre „Erfolge“ dem allmächtigen Gott verdanken, ist jede Möglichkeit ausgeschlossen, sich auf irgend eine Gabe etwas einzubilden. Die Gabe, um die es in der Mission und in der Gemeinde geht – die Botschaft vom Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu und das Heil, das sich aus der treuen Verkündigung und aus der glaubenden Annahme dieser Botschaft ergibt –, unterscheidet sich von allen anderen Gaben, mit denen die Korinther es zu tun hatten: Diese Gabe, die eine Gabe des allein mächtigen Gottes ist, bleibt an den Geber gebunden und wird nie das Eigentum des Beschenkten. Deshalb gilt im Unterschied zu 3,21 in diesem Zusammenhang: „Nichts gehört euch!“ 763 8 Die drei Feststellungen764 und der Wunsch, mit dem Paulus das Selbstbewusstsein der Korinther beschreibt, sind ironisch gemeint, was spätestens V. 8b deutlich macht. 765 Das von Paulus referierte Selbstverständnis der Korinther steht in scharfem Kontrast zu der Dankbarkeit und Demut, die sich aus den Aussagen in V. 7 ergeben. Das korinthische Selbstverständnis wird häufig im Sinn einer präsentischen Eschatologie interpretiert: Die Gemeinde glaubte sich „schon am Ziel“ und meinte in schwärmerischer Steigerung, die der Gabe des Heiligen Geistes (zumal der Glossolalie) entsprechende Heilsvollendung bereits in der Gegenwart zu besitzen.766 Diese Interpretation ist aus zwei Gründen nicht überzeugend: 1. Die besten Parallelen zu dem referierten arroganten Selbstverständnis stammen aus Texten, die die zeitgenössische kynischstoische sowie sophistische Philosophie und Rhetorik beschreiben.767 2. Paulus ant————————————————————
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Schrage I 338. Lindemann 104 meint, die Korinther würden das λαμβα' νειν als solches „bestreiten oder einfach übersehen“; die zweite Möglichkeit ist gegeben, die erste kaum. Bachmann 186 interpretiert im Sinne rhetorischer Fragen; seit Heinrici 152 interpretieren die meisten Ausleger in Sinne ironischer Feststellungen, die den Vorwurf noch deutlicher hervortreten lassen; vgl. BDR §495.2 mit Anm. 8; Schrage I 338. Neander 91 schreibt: „Gegen den Dünkel der Bornirtheit redet man am allerbesten ironisch, sarkastisch“; vgl. Schrage I 338 Anm. 136. Barrett 109; Fee 172; Merklein I 311; Schrage I 338; Lindemann 104; Thiselton 357-358; Wedderburn, Denial, 233-236. Schrage I 339 meint, η» δη sei entscheidend. Merklein I 310 und Lindemann 105 lehnen gnostische Einflüsse (Conzelmann 114, u.a.) mit Recht ab. Garland 138; Winter, Philo and Paul, 198; Clarke, Leadership, 123. Das von Schrage und Thiselton als „entscheidend“ angesehene η» δη muss sich nicht mit Notwendigkeit auf das vorweg genommene Eschaton beziehen; η» δη beschreibt eine gegenwärtige Realität, und die Parallelen aus der kynischen und sophistischen Bewegung zeigen, dass ein Sophist sich in gleicher Weise präsentischer „Vorzüge“ rühmen konnte. Außerdem kann η» δη die logische Unmittelbarkeit bezeichnen; Bauer /Aland 697 s.v. η» δη 2; BDAG 434 s.v. η» δη 3 (vgl. auch Bedeutung 4: „marker of intensification“, im Sinn von „wirklich, tatsächlich“); LSJ 764 s.v. η» δη I.4; R. Peppermüller, EWNT II, 282 („gibt an, dass sich etwas aus vorhergehen-
246 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— wortet auf das „Grundproblem“ der Korinther nicht mit Ausführungen über die Eschatologie, sondern mit Ausführungen über die Ethik. Das Problem der Korinther besteht nicht darin, dass sie glaubten, sie hätten das Endgericht schon hinter sich, was sie zum Rühmen über ihr Sattsein, ihren Reichtum und ihre Herrschaft veranlasste. Ihr Problem bestand darin, dass sie an Gottes Gericht überhaupt nicht mehr dachten.768
Die Beschreibung der Sophisten durch Philo (Det. 33-34) hilft uns, das Selbstverständnis der korinthischen Christen zu verstehen.769 Der korinthischen Behauptung wir sind schon satt (η» δη κεκορεσμε'νοι) entspricht der Anspruch der Sophisten, „gesund“ (υ γιεινοι' ) zu sein. Der korinthischen Behauptung wir sind schon reich (η» δη ε πλουτη' σατε) entspricht der Anspruch der Sophisten, „reich“ (πλου' σιοι) und „angesehen“ (ε»νδοξοι) zu sein. Und der korinthischen Behauptung wir sind ohne euch zur Herrschaft gelangt (χωρι` ς η μω ^ν ε βασιλευ' σατε) entspricht der Anspruch der Sophisten, „Fürsten“ (η γεμο' νες) zu sein (vgl. weitere Belege bei 3,21).770 Die korinthischen Christen sind immer noch einem säkularen Selbstverständnis verpflichtet, das sich auf ihre gesellschaftliche Stellung und auf ihre Beziehungen zu Prominenten und zu Einflussreichen stützt. Paulus fügt mit bissiger Ironie hinzu: Wäret ihr doch nur zur Herrschaft gelangt, damit auch wir mit euch zusammen herrschen könnten! Der Wunsch, die Korinther könnten wirklich zur Herrschaft gelangt sein, ist unerfüllt (ο» φελον, durch και' . . . γε verstärkt)771 – wenn dies so wäre, dann würden Paulus und Apollos und die anderen Apostel an dieser Herrschaft ja doch teilhaben. Die Korinther haben nicht erkannt, dass sie einem König dienen, der vom Kreuz aus herrscht – dem Kreuz, an dem Gott jene Weisheit offenbart hat, die allein satt und reich macht. 772 Die Tatsache, dass Paulus und die anderen Apostel noch nicht „zur Herrschaft gelangt“ sind (begründendes γα' ρ V. 9), wird in den nächsten Versen ausgeführt.
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den Umständen ergibt“). Kuck, Judgment, 216-219; betont von Garland 138 als entscheidendes Argument. Vgl. Winter, Philo and Paul, 106-107.198. Auf diese Parallelen, vor allem im Blick auf ε βασιλευ' σατε, weisen auch die Ausleger hin, die von einer präsentischen Eschatologie der korinthischen Christen ausgehen; vgl. Merklein I 310; Schrage I 339; Lindemann 104-105; vgl. NW II.1, 264-266, mit Verweis auf Philo, Sobr. 55-57; Post. 138; Somn. 2,243-244; Epiktet, Diss. 3,22,79; 3,22,94-95; Diogenes Laertius 7,122; Horaz, Ep. 1,10,8-11. BDR §359.1; 439.2; Lindemann 105, der anmerkt, dass das Verb συμβασιλευ' ω „im Kontext der eschatologischen βασιλει'α-Erwartung nicht“ begegnet, ohne allerdings die These einer korinthischen „präsentischen Eschatologie“ kritisch zu überdenken. Garland 138.
Die wahren Kennzeichen apostolischer Existenz 4,6-13 247 ————————————————————————————————————
9 Paulus beschreibt in V. 9-13, jetzt ohne jede Ironie, das Leben der Apos-
tel.773 In V. 9 macht er zunächst eine grundsätzliche Feststellung (δοκω ^ ), die sich konkret auf die Apostel bezieht, zu denen Paulus sich selbst und offensichtlich auch Apollos rechnet (vgl. den Kontext V. 6).774 Gott hat die Apostel nicht als Herrschende eingesetzt, sondern als die Letzten hingestellt (ο θεο` ς η μα^ς . . . ε σχα' τους α πε'δειξεν). Das Verb α ποδει' κνυμι bedeutet „ernennen, bestellen zu“, hier „jemanden zu etwas machen“, vielleicht auch konkret „öffentlich darstellen“.775 Das prädikative776 ε σχα' τους betont „im Unterschied zu der von den Korinthern reklamierten Position den letzten an Rang und Geltung, an Bedeutung und Höhe“. 777 Die Apostel sind als umherreisende Missionare nirgendwo richtig zu Hause, sie gehören in keiner Stadt zu den „Ersten“, zu den maßgebenden Bürgern, zur Elite, die das Sagen hat. Die Apostel stehen am unteren Ende der sozialen Leiter, sie sind bedeutungslose Menschen, auf die niemand Rücksicht nehmen muss. 778 Paulus erklärt mit mehreren Vergleichen (ω ς), was er unter der Bezeichnung „Letzte“ versteht. Das Bild von Menschen als dem Tod Geweihte (ε πιθανατι' ους)779 greift auf das in V. 9b erwähnte römische Theater voraus, in dem zum Tod verurteilte Menschen den Einwohnern einer Stadt vorgeführt wurden.780 Die ————————————————————
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Anders Hotze, Paradoxien, 145-159, der „eine paradoxe Doppelbödigkeit von Ironie und ernsthaftem Bekenntnis“ (155) zu erkennen meint. Weiss 101 und Merklein I 312 wollen Apollos ausschließen, was mit ihrer Meinung zusammenhängt, Paulus würde in Kap. 1–4 Front gegen Apollos beziehen. Richtig Lindemann 106; Kuck, Judgment, 212. Vielleicht ist auch an Silvanus und Timotheus gedacht, die bei der Gründung der Gemeinde beteiligt waren (2Kor 1,19; Apg 18,5). Anders Ebner, Leidenslisten, 26, der η μει^ς im Sinn des schriftstellerischen Wir „exklusiv“ auf Paulus interpretiert. Zur letzten Bedeutung s. Schrage I 341, mit Verweis auf Beza 111; Godet I 114; Heinrici 155. Weiss 109 betont, dass das Bild der Arena noch nicht angesprochen sei, eine Kritik, die Thiselton 359 treffen würde. ε σχα' τους ist nicht adjektivisch zu α ποστο' λους zu stellen: Paulus sagt nicht, dass er zu den „Letzten“ unter den Apostel zählt; er betont, dass alle Apostel „Letzte“ sind. Schrage I 341. Lindemann 106 hält eine ironische Bedeutung für möglich. Vgl. Fitzgerald, Cracks, 136 mit Anm. 58; er zitiert Apuleius, Met. 4,31, wo das Wort extremus für Ausgestoßene der Gesellschaft verwendet wird, für Menschen, die Status und Besitz verloren haben; ähnlich Dio Chrysostomus, Or. 38,26-27; Fronto, Ep. 2,130; Diodorus Siculus 8,18,3; Cicero, Rosc. 47,137. Das Wort ist selten; vgl. Hippokrates 11,36,1; Demosthenes, Or. 50,60,1; Theophrast, Caus.Plant. 6,4,5; Dionysius Halicarnensis 7,7,4; 7,35,4; Appian, Bell.Civ. 2,16,116; 2,21,153; in der LXX nur Bel 31; im NT nur hier (vgl. jedoch 2Kor 4,11-12; 6,9; 11,23). Lindemann 106 interpretiert im Sinn des Zirkuskämpfers, für den das Schauspiel tödlich sein kann. Die Vokabel ε πιθανα' τιος bezeichnet jedoch nicht nur die Möglichkeit des Todes, sondern dessen baldiges Eintreten.
248 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Sklaven, die Verbrecher und die Kriegsgefangenen, die nicht das römische Bürgerrecht besaßen und ad bestias (zum Kampf mit wilden Tieren) verurteilt wurden, hatten keine Überlebenschancen, da sie als Verurteilte gefesselt den Raubtieren vorgeworfen wurden.781 Dio Chrysostomos beschreibt in seiner Rede an die Rhodier Gladiatorenkämpfe in Korinth: „Mit ihren Gladiatorenkämpfen haben sie [die Athener] es den Korinthern nachgemacht, ja mehr noch, sie und alle andern mit diesem Wahnsinn übertrumpft. Während die Korinther die Kämpfe außerhalb der Stadt in einer Schlucht veranstalteten, an einem Ort, der zwar eine große Zuschauermenge aufnehmen kann, im übrigen aber so schmutzig ist, dass man keinen Freigeborenen dort begraben möchte, betrachten sich die Athener dieses ausgesuchte Schauspiel (θεω^ νται τη` ν καλη` ν ταυ' την θε' αν) im Theater (ε ν τω^, θεα' τρω, ) am Fuße der Akropolis, wo sie den Dionysos auf der Orchestra aufstellen“ (Or. 31,121).
Zu beachten ist, dass Paulus an dieser Stelle nicht von konkreten Gefahren spricht, denen er ausgesetzt war: er hat nie in der Arena mit wilden Tieren gekämpft. Der „Status“ der Apostel als „dem Tod Geweihte“ ist nicht das Resultat äußerer Umstände782 oder das Ergebnis persönlicher Entscheidungen, sondern die Absicht Gottes. Paulus stellt im Kontext von V. 9 den korinthischen Christen die Realität des Kreuzes Jesu Christi vor Augen, wie sie im Leben der Apostel, die das Evangelium vom Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi verkündigen, zum Audruck kommt. Was Paulus und die anderen Apostel als die Letzten und als Todgeweihte erscheinen läßt, ist ihre Überzeugung und ihre Botschaft: dass Jesus Christus, der Gekreuzigte (1,23; 2,2) die Weisheit Gottes (2,5-6.10) und die Offenbarung von Gottes Macht (2,4-5) ist. Wer eine solche Botschaft verkündigt, der ist in der Tat der Letzte. Die Verkündiger dieser Botschaft sind nach dem säkularen Urteil der Einwohner Korinths aussichtslose Akteure. Wenn die korinthischen Christen Paulus und einzelne seiner Mitstreiter negativ beurteilen, dann beweisen sie nur, dass sie sich dem weltlichen Urteil ihrer Zeitgenossen anschließen. 783 Mit einem ο« τι-Satz begründet Paulus, weshalb er und die anderen Apostel als die Letzten und als Todgeweihte dastehen: wir sind für die Welt und für die Engel und für die Menschen ein Schauspiel geworden. Paulus ver————————————————————
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Vgl. O. W. Reinmuth, Art. Bestiarii, KP I, 876; A. Hönle, Art. Munus, Munera III. Gladiatorenspiele, DNP VIII, 486-494; Bomgardner, Amphitheatre, 35.141-143; Fitzgerald, Cracks, 140. Dies sollte man nicht aus dem Aorist α πε' δειξεν herauslesen. Merklein I 313; Hafemann, Suffering, 60-64. Schrage I 341-342 interpretiert ebenfalls im Horizont des Todes Jesu, begnügt sich aber mit allgemeinen Vorstellungen, wenn er schreibt: „Der Tod Jesu, den Paulus auch hier als eine gegenwärtige und nicht als vergangene Macht begreift, prägt ihn bis in die Leiblichkeit hinein“.
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gleicht sich mit Menschen, die in der Arena (θε'ατρον) zur Volksbelustigung vorgeführt werden. Das Akk. Obj. θε'ατρον (ε γενη' θημεν) bedeutet „das, was man auf dem Theater sieht, das Schauspiel“. 784 Paulus geht es in der Aufnahme dieses Bildes nicht um die Bewährungsprobe, 785 sondern um den aussichtslosen Kampf der zum Tod Verurteilten, der den im großen Rund des (Amphi-)Theaters sitzenden Zuschauern einen Schauder über den Rücken jagt. Paulus spricht von einem Schauspiel für die Welt und für die Engel und für die Menschen (τω ^, κο' σμω, και` α γγε'λοις και` α νθρω' ποις), d.h. für den ganzen Kosmos, der aus Engeln und Menschen besteht. 786 Die Engel und die Menschen sind, im Kontext des Bildes und der Stelle V. 9, nicht als die Kämpfer anfeuernde oder zumindest neutrale Zuschauer zu denken, sondern als Größen, die sich an dem erniedrigenden Schauspiel ergötzen.787 Der Hintergrund des Bildes ist nicht nur in zeitgenössischen Parallelen von Spektakeln im Theater zu suchen, sondern auch in der atl. Tradition vom leidenden Gerechten, der „zum Paradigma des öffentlichen Spotts“ wird. 788 10 Die folgenden drei Antithesen kontrastieren das Selbstverständnis des Apostels mit der Einstellung der Korinther, die von säkularen Maßstäben bestimmt ist und die schon in 1,26 beschrieben wurde.789 Status der Apostel 4,10
Status in Korinth 4,10 1,26
die Christen in Korinth 1,27-28
Toren Schwache Verachtete
Verständige Starke Angesehene
Törichte Schwache Niedrige Verachtete
Weise Mächtige Angesehene
Paulus beschreibt das Selbstverständnis der Apostel mit drei substantivierten Adjektiven. Die Apostel sind Toren (μωροι' ; zu μωρο' ς s. 1,18.21.23). Der Nachsatz um Christi willen (δια` Χριστο' ν) zeigt, dass Paulus das „Prestige“ beschreibt, das Paulus und die anderen Apostel in den Augen ihrer jüdischen, ————————————————————
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Vgl. Sallust, Bell.Jug. 14,23: „Doch ich unglücklicher Mensch, ich bin vom väterlichen Thron in dieses große Leiden gestürzt, ich biete ein Schaustück der menschlichen Verhältnisse (rerum humanarum spectaculum praebeo)“. So in der stoischen Verwendung des Bildes vom Kampf des Weisen mit dem Geschick, das als Schauspiel beschrieben wird, an dem sich Götter und Menschen erfreuen (Seneca, Prov. 2,9,11; Ep. 64,1-10; Epiktet, Diss. 2,19,25; 3,22,59). Merklein I 313; vgl. Schrage I 342; Fitzgerald, Cracks, 141-142. Vgl. äthHen 9,1; 4Makk 17,14; Ignatius, Thrall. 9,1. Fitzgerald, Cracks, 141 Anm. 71, mit Verweis für auf 1Kor 2,6-8; Kol 2,15, sowie 1Kor 6,3; 11,10; 2Kor 11,14; 12,7; Gal 1,8. Kleinknecht, Gerechtfertigte, 228, mit Verweis auf Ps 69,12-13; vgl. Lindemann 106. Zur folgenden Gegenüberstellung s. bes. Winter, Philo and Paul, 199.
250 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
griechischen und römischen Zuhörer haben, wenn sie die Botschaft vom Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi verkündigen. Der Satz ist also nicht ironisch gemeint: Paulus macht es nichts aus, als „Narr“ zu gelten, wenn seine Zuhörer so auf die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus reagieren. Die Apostel sind Schwache (α σθενει^ς), 1. weil sie in den Städten, in denen sie das Evangelium verkündigen, keinen Einfluss haben und nicht zur Bildungselite gehören;790 2. weil sie mit ihrer Botschaft vom Kreuz schwach wie „dem Tod Geweihte“ dastehen; 3. weil sie sich gegen Schmähungen, Verfolgungen und Beschimpfungen nicht verteidigen, sondern segnen, dulden, freundlich reden (V. 12-13) und bereit sind, auf die Durchsetzung ihrer Rechte zu verzichten (vgl. 6,7; 9,1-23).791 Die Apostel sind Verachtete (α»τιμοι), d.h. sie haben in den Augen der griechischen und römischen Bürger der Städte, in denen sie tätig sind, keinen Status und deshalb keine Ehre (τιμη' ). Der Ausdruck nimmt sachlich 1,28 (τα` ε ξουθενημε' να, „das Verachtete“) auf. Das Selbstverständnis der korinthischen Christen ist ein ganz anderes – mindestens jener Korinther, die für die Loyalitätsbekundungen und die Parteislogans verantwortlich sind und die Apostel mit den Maßstäben der säkularen Gesellschaft Korinths messen. Sie halten sich für Verständige, Starke und Angesehene, und sie messen die Apostel an den Maßstäben der Gesellschaft, wo solche Wertungen vorgenommen werden. Paulus greift diese Wertungen auf und wendet sie auf die gesamte Gemeinde in Korinth an, die mehrheitlich aus Törichten, Schwachen, Niedrigen und Verachteten besteht (1,27-28) – der Gipfel der Ironie für jene korinthischen Christen, für die die traditionellen Wertungen der römischen Gesellschaft so wichtig sind. In Korinth halten sich maßgebliche Christen für Verständige (φρο' νιμοι). Das Wort φρο' νιμοι („Verständige“) entspricht σοφοι' („Weise“, 1,18.19.26), ist aber nicht nur eine stilistische Variante, sondern bereitet die Diskussion in Kap. 5–6 vor. 792 Nach zeitgenössischem, vor allem kynischem und sophistischem Verständnis handelt der „Weise“ immer „verständig“ (φρο' νιμος), weil er immer weiß, was er tun und was er nicht tun soll (Philo, Mut. 152), und weil er deshalb alles tun darf. Dio Chrysostomus formuliert diese Haltung in seiner Rede über „Knechtschaft und Freiheit“ so: „Also dürfen die vernünftigen Leute alles tun, ————————————————————
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Fitzgerald, Cracks, 139 Anm. 71 verweist auf die philosophische Tradition, in der die Vokabel „schwach“ für diejenigen verwendet wird, die nicht „Weise“ geworden sind; vgl. Cicero, Fin. 4,28,77; Plutarch, Mor. 1057B; SVF 3,124,5 (§473). Schrage I 343 Anm. 178; Black, Astheneia, 106; Fitzgerald, Cracks, 139. Fitzgerald, Cracks, 137; vgl. Schrage I 343 Anm. 177. Vgl. J. P. Wils, Art. Klugheit, HWR IV, 115, der „Klugheit“ (φρο' νησις, lat. prudentia) als „praktisches Situationswissen in ethischer Hinsicht“ beschreibt. Vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 175-176 für Belege aus den Papyri.
Die wahren Kennzeichen apostolischer Existenz 4,6-13 251 ————————————————————————————————————
was sie wollen (οι φρο' νιμοι ο« σα βου' λονται πρα' ττειν), die unvernünftigen aber nicht. Daher sind die Vernünftigen notwendig auch frei und dürfen handeln, wie sie wollen (ποιει^ν ω ς ε θε' λουσι), die Unvernünftigen aber Sklaven, die tun, was sie nicht dürfen“ (Or. 14,17). Angesichts der konkreten Zusammensetzung der korinthischen Gemeinde, die Paulus in 1,26-28 beschreibt, ist dieser Begriff in seiner Anwendung auf die Gemeinde höchst ironisch. In Röm 11,25; 12,6 warnt Paulus die römischen Christen davor, sich nicht selbst (παρ’ ε αυτου' ς) für klug zu halten. Der Nachsatz in Christus (ε ν Χριστω ^, ) ist nicht ironisch gemeint,793 was ganz ungewöhnlich für Paulus wäre, spiegelt aber auch nicht einfach das Selbstbewusstsein der Korinther wider.794 Die Wendung zeigt vielmehr, dass Paulus die Begriffe, mit denen die gesellschaftliche Elite Korinths ihren „hohen Status“ beschreibt, den „führenden“ Christen entwendet, um sie auf alle Christen Korinths anzuwenden. Die führenden korinthischen Christen halten sich für Starke (ι σχυροι' ), gerade weil sie sich für Weise und Verständige halten, die alles verstanden haben und deshalb „frei“ sind, alles zu tun was sie wollen. Sie halten sich für stark, weil sie zur Elite Korinths gehören oder zumindest an der „Stärke“ der Einflussreichen und Mächtigen Anteil haben (deshalb auch die Loyalitätsbekundungen). Da die korinthische Gemeinde mehrheitlich aus Schwachen besteht (1,27), ist die Anwendung dieser Kategorie auf die gesamte Gemeinde wieder ein beeindruckender Einsatz rhetorischer Ironie. Im dritten Glied der Antithesen heißt es, dass die Korinther stolz darauf sind, Angesehene (ε»νδοξοι) zu sein, Menschen also, die von anderen geehrt und gefeiert werden.795 Auch hier ist die Ironie mit Händen zu greifen: in Wirklichkeit gehören die meisten korinthischen Christen zu den Niedrigen und Verachteten (1,28). „In Christus“ gilt jedoch, dass sie alle „Angesehene“ sind, nicht nur die Gemeindeglieder, die zur lokalen Elite gehören. 11 In V. 11-12a beschreibt Paulus in sieben Gliedern das Leidensgeschick des Apostels. V. 12b-13a formulieren mit drei Antithesen die paradoxe Reaktion der Apostel auf die schwierigen und notvollen Erfahrungen, die sie in ihrem Dienst machen. Der einleitende Präpositionalsatz bis zur jetzigen Stunde (α»χρι τη^ ς α»ρτι ω « ρας) zeigt, dass die folgende Liste nicht einfach Teil ————————————————————
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So jedoch Schrage I 343 mit Anm. 177: die Korinther „verkehren das In-Christus-Sein, das unter der Herrschaft des Gekreuzigten gelebt sein will, zu einem ungebrochenen φρο' νιμοςSein . . . In Wahrheit sind die Korinther gerade nicht ε ν Χριστω ^, “. So Lindemann 107. Schrage I 344. Andere Ausleger interpretieren das Wort (und die gesamte Aufzählung) nicht im Sinne sozialer, sondern religiöser Kategorien: die Korinther glauben sich im Besitz der göttlichen „Herrlichkeit“ (δο' ξα) und halten sich deshalb für Angesehene (ε»νδοξοι), für Starke und für Verständige.
252 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
der literarischen Gattung „Leidenskatalog“ ist, sondern die gegenwärtige Situation der Apostel beschreibt. Auch wenn die Leidensliste nicht im strengen Sinn autobiographisch ist, so kann sie sich „andererseits auch nicht zu weit von der erfahrbaren Realität entfernen, da sonst die Argumentation des Paulus erheblich an Gewicht verlöre“.796 Die einzelnen Glieder der Liste sind nicht mit Verben formuliert, was das Moment der konkreten Erfahrung verstärkt. Paulus und die anderen Apostel hungern (πεινω ^ μεν) und dürsten (διψω ^ μεν). Der Hinweis auf Hunger und Durst steht im Kontrast zum Sattsein, das die Korinther für sich reklamieren (V. 8).797 Die Erfahrung von Hunger und Durst wird Paulus auf seinen Reisen und bei Gefängnisaufenthalten gemacht haben (vgl. 2Kor 11,27; Phil 4,12). Die Formulierung γυμνιτευ' ομεν soll nicht buchstäbliche Nacktheit beschreiben, sondern „das Fehlen der nötigen Kleidung oder dürftige, abgerissene Kleidung“;798 wir übersetzen mit wir gehen in Lumpen umher (vgl. 2Kor 11,27: γυμνο' της). Apostel werden geschlagen (κολαφιζο' μεθα): das Verb bezeichnet den „Empfang“ von Faustschlägen und Ohrfeigen, allgemein die körperliche Misshandlung.799 Paulus hat mehrfach Schläge erhalten; in 2Kor 11,24-25 erwähnt er die jüdische Geißelstrafe, die von Synagogalgerichten verhängt und vollstreckt wurde, sowie die römische Prügelstrafe (vgl. auch Apg 14,19; 23,2; vgl. Mt 10,17 als Ankündigung Jesu). Missionare sind heimatlos (α στατου^ μεν) – Jesus selbst war heimatlos (Mt 8,20 / Lk 9,58), und er hat die Zwölf bei ihrer Schulung als „Menschenfischer“ darauf vorbereitet, dass sie keine eigenen Häuser haben (Mt 10,11-14). 12 Die Apostel mühen sich ab (κοπιω^ μεν), d.h. ihre Missionsarbeit und ihre Lehrtätigkeit ist anstrengende, oft mühevolle Arbeit.800 Das letzte Glied der Kette lautet: während wir mit unseren eigenen Händen arbeiten (ε ργαζο' ————————————————————
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Lindemann 108. Schrage I 345 interpretiert V. 11-13 als Korrektur der „schon“-Sätze von V. 8 im Sinn einer „anti-enthusiastischen Spitze“; ebenso Lindemann 108. Ebner, Leidenslisten, 52-55 interpretiert „Hunger“ und „Durst“ als Hinweis auf die „Bedürfnislosigkeit“ (ο λιγο' δεια) des Apostels Paulus, was im Kontext von Kap. 4 jedoch nicht viel Sinn ergibt. Schrage I 345; vgl. Lindemann 108, der zu Recht die Auslegung ablehnt, dass die Formulierung den für den kynischen Wanderphilosophen typischen Verzicht auf das Untergewand beschreibe. In dem Heiratsvertrag P.Ross.Georg. III 28 bedeutet γυμνιτευ' ω „ohne geeignete Mittel, arm“. K. L. Schmidt, ThWNT III, 818-819; G. Schneider, EWNT II, 756; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 178: in SB III 6263,20-24 wird das „Ohrfeigen“ als Strafe für unannehmbares Verhalten erwähnt. Zu κοπια' ω als Bezeichnung der Missionsarbeit vgl. 15,10; 16,16; Röm 16,6.12; Gal 4,11; Phil 2,16; vgl. κο' πος in 3,8; 2Kor 11,23.27.
Die wahren Kennzeichen apostolischer Existenz 4,6-13 253 ————————————————————————————————————
μενοι).801 Paulus hat sich immer wieder, gerade auch in Korinth (9,6; Apg 18,3), seinen Lebensunterhalt durch „Handarbeit“ selbst verdient. Paulus wollte als Missionar, der die Einwohner einer Stadt mit der Botschaft von Jesus Christus erreichen und neue Gemeinden gründen will, seinen jüdischen und heidnischen Zuhörern nicht durch Honorarforderungen zur Last fallen (9,18; 2Kor 11,7-10; 12,14).802 Ob Paulus bewusst den Kontrast zu der oft negativen Einstellung der römischen Elite zur handwerklichen Tätigkeit hervorhebt, ist möglich, aber nicht sicher.803 Jedenfalls steht Cicero mit seinem Urteil nicht allein, der schreibt: „Alle Handwerker befassen sich mit einer schmutzigen Tätigkeit, denn eine Werkstätte kann nichts Edles an sich haben“ (Cicero, Off. 1,42,150). In V. 12b.13a beschreibt Paulus mit drei Antithesen die Reaktion der Apostel und Lehrer auf Leiden und Anfechtungen. Die Präsensformen der Verben unterstreichen, dass Paulus nicht nur von vergangenen Ereignissen schreibt, sondern grundsätzliche Feststellungen macht. Als Geschmähte segnen wir erinnert an Mt 5,44 / Lk 6,28 (vgl. Röm 12,14; 1Petr 2,23; 3,9). Das Verb λοιδορε'ω „beschimpfen, schmähen, verleumden“ kommt in 2Makk 12,14 neben dem im NT häufigeren Verb βλασφημε'ω („schmähen, verleumden, lästern“) vor.804 Wenn man mit „beschimpfen“ übersetzt, ist an spontane Reaktionen von Zuhörern zu denken, die auf die missionarische Verkündigung der Apostel mit persönlichen, verbalen Attacken auf ihre Botschaft reagieren. Wenn man mit „verleumden“ übersetzt, kann man an Situationen wie die in Philippi, Thessalonich und Korinth (Apg 16,20-21; 17,5-8; 18,1213) denken, wo opponierende Zuhörer den Aposteln vorwerfen, sie würden mit ihrer Botschaft die Bevölkerung zum Aufruhr gegen die Gesetze und gegen den Kaiser anstiften. Die Apostel antworten auf Schmähungen nicht mit eigenen Schmähungen oder mit Strafanzeigen, sondern sie segnen ihre
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Das Ptz. ε ργαζο' μενοι ist nicht als modale Näherbestimmung zu κοπιω ^ μεν zu verstehen, sondern als temporale Bestimmung; vgl. Schrage I 346 Anm. 194; anders Fitzgerald, Cracks, 130 Anm. 35. Vgl. F. Hauck, Art. Arbeit, RAC I, 585-590; K. H. Schelkle, Art. Arbeit 3, TRE III, 622624; S. von Reden, Art. Arbeit, DNP I, 963-969. Die Kyniker nahmen eine bewusst andere Einstellung ein; zur Praxis der kynischen Wanderphilosophen vgl. Ebner, Leidenslisten, 69-75. Zum Verständnis der Arbeit im frühen Christentum vgl. Hengel, Arbeit, 174-212. λοιδορε' ω kommt bei Paulus nur hier vor; sonst in Joh 9,28; Apg 23,4; 1Petr 2,23; vgl. λοι'δορος 1Kor 5,11; 6,10. In den Papyri kommt das Verb hauptsächlich in Petitionen und Strafanzeigen vor, in denen es um unrechtmäßige Vorwürfe geht, „die von einem böswilligen Gegenüber erhoben werden und oftmals zu schlimmen Verleumdungen führen, gegen die sich der Beschuldigte zur Wehr setzen muss“ (F. Winter, in Arzt-Grabner 180).
254 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gegner. „Segnen“ (ευ λογε'ω)805 bedeutet, anders als im Profangriechischen, nicht „gut reden“ (so das Subst. in Röm 16,18) sondern, im Anschluss an die LXX und die atl. Bedeutung von ברך, „Gott um eine besondere Gunst bitten, bes. um seine gnädige Kraft“.806 Das heißt, die Apostel antworten auf Schmähungen mit der Bitte an Gott, die Schmähenden zum heilmachenden Glauben an Jesus Christus zu führen. Paulus hat in seinem eigenen Leben erfahren, dass Gott einen Christenverfolger zum Glauben an Christus führen kann. Die zweite Antithese steigert die erlittene Not: als Verfolgte dulden wir.807 Aus Geschmähten können schnell Verfolgte (διωκο' μενοι ) werden. In Philippi und Korinth war der Widerstand der lokalen Bevölkerung so stark, dass Paulus ins Gefängnis überführt bzw. vor den Gouverneur der Provinz gebracht wurde (Apg 16,23-24; 18,12-16). Im pisidischen Antiochien, in Ikonion, Lystra, Thessalonich und Beröa musste Paulus erfahren, dass der Widerstand der Bevölkerung so intensiv war, dass er fliehen musste (Apg 13,50-51; 14,5-6.19; 17,5-10.13-14). Das Verb α νε'χω bedeutet „aushalten, ertragen, sich gefallen lassen“. Die Bitte, dass Gott die Schmähenden segnen soll, wird nicht immer erhört. Fortgesetzter Widerstand gegen die Verkündigung des Evangeliums kann nur ausgehalten werden – was der Feindesliebe entspricht.808 13 Die dritte Antithese als Beschimpfte reden wir freundlich wiederholt wahrscheinlich die erste Gegenüberstellung. 809 Das Verb παρακαλε' ω bedeu————————————————————
805 806
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Bei Paulus sonst noch in 10,16; 14,16; Röm 12,14; Gal 3,9; Eph 1,3; in der LXX über 500 Belege; für das Subst. ευ λογι'α vgl. Röm 15,29; 16,18; 1Kor 10,16; 2Cor 9,5.6; Gal 3,14; Eph 1,3. BDAG 408 s.v. ευ λογε' ω 2; Bauer /Aland 652 s.v. ευ λογε' ω 2 hat „segnen, indem man Gottes gnadenreiche Kraft herabwünscht“. U. Heckel, Art. Segen/Fluch III, ThBLNT II, 1635 gibt als Bedeutung das Wort „segnen“ an, was keine „Bedeutung“ sondern eine Glosse ist. Die gleiche Unsicherheit im Blick auf die Bedeutung von ברךbzw. ευ λογε' ω findet sich in W. Beyer, ThWNT II, 751-763; H. Patsch, EWNT II, 198-201 sowie im Duden. Das deutsche Wort „segnen“ kommt aus dem mittelalterlichen Kirchenlatein, wo signare (wörtlich „mit einem Zeichen versehen“) die Bedeutung „(mit dem Kreuz) bezeichnen“ oder „das Kreuzeszeichen machen“ hat; vgl. U. Heckel, ThBLNT II, 1633. F. Winter, in Arzt-Grabner 180., interpretiert „im einfachen griechischen Sinn“ von „über jemanden etwas Gutes sagen“, d.h. „loben“. In den Leidenskatalogen wird die Verfolgung regelmäßig erwähnt, vgl. 2Kor 4,9; 12,10; Röm 8,35. Vgl. Pobee, Persecution, 72. Schrage I 348, mit Verweis auf Kol 3,13; Eph 4,2; Röm 2,4. Lindemann 109 meint, dass δυσφημου' μενοι sich auf die zwischenmenschliche Ebene bezieht, während λοιδορου' μενοι die religiös begründete Schmähung bedeute. Es ist jedoch nicht klar, ob die beiden geschilderten Reaktionen – im ersten Fall παρακαλου^ μεν, im zweiten Fall ευ λογου^ μεν – in diesem Sinn interpretiert werden müssen. Fitzgerald, Cracks, 142 Anm. 85 meint mit Blick auf Plutarch, Pel. 8,5, dass δυσφημου' μενοι ein intensiverer Ausdruck sei.
Die wahren Kennzeichen apostolischer Existenz 4,6-13 255 ————————————————————————————————————
tet hier „gut zureden, freundlich zusprechen“.810 Wie aggressiv die Zuhörer auf die Verkündigung des Evangeliums auch immer reagieren mögen, die Apostel bleiben freundlich und lassen nicht ab, sich um sie im Namen Jesu Christi zu bemühen. In V. 13b schließt Paulus seinen „Bericht“ über die apostolische Existenz mit einer zuspitzenden Beschreibung der Apostel als Abschaum der Welt und jedermanns Kehricht. Die beiden mit „Abschaum“ bzw. „Kehricht“ übersetzten griech. Vokabeln sind praktisch bedeutungsgleich. Das Wort περικαθα' ρματα (Plur.; häufiger ist κα' θαρμα) bezeichnet „das, was bei einer Generalreinigung entfernt wird, d. Schmutz, d. Auswurf, d. Unrat“.811 Es handelt sich um „ein Schimpfwort für einen nichtswürdigen, heruntergekommenen Menschen“. Das Wort περι' ψημα beschreibt „das, was beim Reinigungsprozess abfällt, d. Unrat, d. Schmutz, d. Abschaum“.812 Die beiden Schimpfwörter813 bezeichnen die Apostel als dahergelaufene Vagabunden, auf die man spuckt, als den letzten Dreck. 814 Und dies geschieht bis heute (ε« ως α»ρτι), da „die Welt“ (der Gen. του^ κο' σμου bezeichnet das urteilende Subjekt) die Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu für Unsinn hält und die Verkündiger dieser Botschaft mit entsprechendem Hohn und Spott bedenkt.
IV Paulus wiederholt zu Beginn dieses Abschnitts, dass die Korinther das Vergleichen und Bewerten von Aposteln und Lehrern unterlassen sollen. Dann geht er zu einer Beschreibung des Kontrasts zwischen dem Selbstverständnis der Korinther und der Realität seiner eigenen Erfahrung als Verkündiger des Evangeliums über. Mit ironischen Fragen und Feststellungen ————————————————————
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Bauer /Aland 1248 s.v. παρακαλε' ω 5. Bauer /Aland 1305 s.v. περικα' θαρμα; das Wort kommt nur hier im NT vor, in der LXX nur in Prov 21,18; vgl. F. Hauck, ThWNT III, 434, die folgende Definition ebd. Bauer /Aland 1317 s.v. περι'ψημα; G. Stählin, ThWNT VI, 83-92. Vgl. Demosthenes, Or. 21,185; Petronius, Sat. 74; Lucian, Pisc. 34; Symp. 40; Epiktet, Diss. 3,22,78; Dio Chrysostomus, Or. 7,30; Julian, Or. 6,197C; Demosthenes, Or. 21,185.198; Josephus, Bell. 4,241; Philo, Mos. 1,30; Virt. 174; vgl. NW II.1, 271-272; Fitzgerald, Cracks, 142. Bauer /Aland; Fee 180; Merklein I 316-317; Schrage I 349-350; Lindemann 110 lehnen zu Recht die kultische Deutung (die Apostel als „Sündenböcke“) ab; sie ist angesichts der umgangssprachlichen Verwendung der beiden Vokabeln und des Kontexts, in dem Paulus ein Schauspiel vor der Welt (nicht zugunsten der Welt) ist, unwahrscheinlich. Anders interpretieren F. Hauck, ThWNT III, 434; G. Stählin, ThWNT VI, 89-90; Lietzmann 21. F. Winter, in Arzt-Grabner 183-184, verweist auf P.Mich. VIII 473 (2. Jh. n. Chr.), in dem περι' ψημα mit „Sühnegeld“ übersetzt wird (Zeile 17-18). Barrett 113 hält eine doppelte Bedeutung für möglich.
256 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
will Paulus die korinthischen Christen zur Besinnung rufen, die sich analog des Selbstverständnisses der zeitgenössischen Bildungselite als „gesunde“ und „reiche“ Fürsten verstehen. Sie sind immer noch einem säkularen Selbstverständnis verpflichtet, das auf rhetorische Bildung, gesellschaftliche Stellung und Beziehungen zu Prominenten und Einflussreichen Wert legt. Paulus konfrontiert dieses Denken mit der Wirklichkeit, wie sie die Apostel und Lehrer der Kirche erfahren – eine Wirklichkeit, in der sie wie der letzte Dreck behandelt werden. Paulus fordert die Korinther nicht auf, die schwierigen und notvollen Erfahrungen zu suchen, die das Leben der Apostel charakterisieren. Er fordert sie auf, die Unsinnigkeit ihrer Loyalitätsbekundungen gegenüber den Aposteln und Lehrern der Gemeinde einzusehen. Die Apostel geben für die Nichtchristen als „Letzte“ und als „Abschaum der Welt“ ein klägliches Schauspiel ab. Deshalb sollen sie von den Christen in Korinth auch nicht als Schausteller behandelt werden. Wenn Paulus betont, dass er und die anderen Apostel als Geschmähte, Verfolgte und Beschimpfte daran festhalten, Menschen zu segnen und freundlich mit ihnen zu reden, dann ist dies „auch ein Reflex der Auferstehungsmacht“, 815 die den Verkündigern des Evangeliums die Macht gibt, auch ihre Feinde zu lieben.
Ermahnung als Vater der Gemeinde 4,14-21 I 14 Nicht um euch zu beschämen schreibe ich dies, sondern um euch als meine geliebten Kinder zu ermahnen. 15 Denn wenn ihr auch ungezählte Erzieher in Christus hättet, so habt ihr doch nicht viele Väter; denn in Jesus Christus habe ich euch gezeugt durch das Evangelium. 16 Darum ermahne ich euch: Seid meine Nachahmer. 17 Deshalb habe ich Timotheus zu euch geschickt, der mein geliebtes und treues Kind im Herrn ist; der wird euch an meine Wege in Christus Jesus erinnern, wie ich überall in jeder Gemeinde lehre. 18 Weil sie meinten, ich würde nicht selbst zu euch kommen, haben sich einige aufgeblasen. 19 Ich werde aber bald zu euch kommen, wenn der Herr will, und ich werde dann nicht die Redegewandtheit der Aufgeblasenen erkennen, sondern ihre Macht. 20 Denn die Königsherrschaft Gottes erweist sich nicht in gewandter Rede, sondern in Macht. 21 Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock zu euch kommen, oder mit Liebe und dem Geist der Sanftmut? ————————————————————
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Schrage I 350.
Ermahnung als Vater der Gemeinde 4,14-21 257 ————————————————————————————————————
II Der Wechsel von der 1. Pers. Plural (V. 10-13) zur 1. Pers. Sing. markiert den Beginn eines neuen Abschnitts. Nachdem Paulus in V. 6-13 mit ironischer und antithetischer Provokation die Korinther zum Umdenken und zur Änderung ihres Verhaltens ermahnt hatte, unterstreicht er in diesem den ersten Hauptteil abschließenden Abschnitt, dass er die Christen in Korinth nicht beschämen will (V. 14).816 Gliederung. In V. 14-15 erläutert Paulus für die korinthischen Christen, weshalb er an sie schreibt: Nicht um sie zu beschämen, sondern um sie zurechtzuweisen, wie ein Vater seine Kinder zurechtweist, eine Funktion, die nur er für die Korinther ausüben kann. V. 16 formuliert die Folgerung: Sie sollen seinem Vorbild, wie er es beschrieben hat, folgen. V. 17 erläutert die Sendung des treuen Mitarbeiters Timotheus nach Korinth, der sie an das von ihm überall in gleicher Weise verkündigte Evangelium erinnern soll. In V. 1821 kündigt Paulus seinen Besuch an, dessen Ziel er im Hinblick auf die Redegewandtheit der Aufgeblasenen und im Hinblick auf die Wirklichkeit der Königsherrschaft Gottes erläutert. Textkritische Anmerkungen. In V. 14 lesen wichtige Handschriften statt des Ptz. νουθετω ^ ν (d11vid אA C P 6 33 104 356 u.a.) die 1. Pers. Sing. νουθετω ^ (d46 B D F G Ψ 1881 Byz latt); dies ist wahrscheinlich eine Angleichung an das vorausgehende γρα' φω, die jedoch verkennt, dass νουθετει^ν sich nicht auf γρα' φω bezieht, sondern auf ε ντρε'πων.817 In V. 15 lassen d46 pc g das begründende γα' ρ aus, das jedoch bestens bezeugt ist. Statt Χριστω ^, Ιησου^ pt ^, . In V. 16 fügen mehrere Handschriften schreiben B 1506 Cl nur Χριστω cl ^ ς καγω` Χριστου^ ein, was aus 11,1 ergänzt ist. In (104 614 pc ar vg ) καθω V. 17 fügen wichtige Handschriften nach δια` του^ το das Wort αυ το' „eben deshalb“ ein (d11vid *אA P 33 81 1175 1505), aber die kürzere Lesart ist genauso gut bezeugt (d46.68 א2 B C D F G Ψ 1739 1881 Byz latt) und muss als ursprünglich gelten. Statt Χριστω ^, Ιησου^ (d46 אC D1 6 33 81 u.a.) lesen manche Handschriften nur Χριστω ^, (A B D2 Ψ Byz b vgst syp sa), während einige Handschriften κυρι' ω, Ιησου^ lesen (D* F G bo). Die dritte Variante scheidet aus (westlicher Text, Verschreibung aufgrund des vorausgehenden κυρι' ω, ), während die beiden ersten Lesarten gut bezeugt sind, die längere Form besser als die kürzere, welche deshalb vorzuziehen ist. 818
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Vgl. Lindemann 111-112 zu der These, 4,14-21 wirke wie ein Briefschluss. Lindemann 113; vgl. Merklein I 319. Die schwierigere Lesart ist nicht automatisch die ursprüngliche. Zuntz, Text, 181; Metzger, Textual Commentary, 484; Thiselton 373; Garland 149.
258 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
III 14 Paulus klärt im Schlussabschnitt des ersten Hauptteils, mit welcher Absicht er dies (ταυ^ τα) schreibt (γρα' φω, Präs.), d.h. vor allem 4,6-13, aber auch insgesamt 1,10–4,13.819 Paulus zielt nicht darauf ab, sie zu beschämen (ε ντρε'πων, finales Ptz.). Er ermahnt sie als seine Kinder. Das Verb νουθετε'ω bedeutet „ermahnen, warnen, zurechtweisen“ und kommt im außerbiblischen Griechisch oft in pädagogischen Texten vor.820 Der „Beiklang des Liebevollen“ 821 steckt nicht im Verb, sondern ergibt sich aus dem Kontext. Paulus will die Korinther zurechtweisen. Das väterliche Zurechtweisen kann durchaus auf die Beschämung der Kinder zielen, wenn dies für die Korrektur des fehlerhaften Verhaltens förderlich ist.822 Das heißt, es geht hier nicht um den Gegensatz von „beschämen“ und „zurechtweisen“, sondern um einen pragmatischen oder rhetorischen Gegensatz: Seine vorausgehenden Ausführungen haben die Korinther vielleicht durchaus beschämt, aber dies war nicht seine Absicht.823 Diese Beteuerung darf nicht so verstanden werden, als ob Paulus einlenken wolle.824 Paulus erklärt, dass seine kraftvoll vorgetragenen Darlegungen an die Korinther als seine geliebten Kinder (τε' κνα μου α γαπητα' )825 gerichtet waren. Er will das durch die Loyalitätsbekundungen und die bewertenden Vergleiche mit anderen Aposteln gestörte Verhältnis zu ihm als Vater der ————————————————————
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Schrage I 354 Anm. 235; Lindemann 112 beziehen ταυ^ τα auf 4,6-13; andere beziehen ταυ^ τα auf 3,5–4,13 oder 1,10–4,13; Fiore, Covert Allusion, 97-98; Fee, 184 Anm.8. J. Behm, ThWNT IV, 1013 beschreibt διδα' σκειν als Einwirken auf den Intellekt und νουθετει^ν als Einwirkung auf Willen und Gemüt des Menschen im Sinn der Überwindung eines Widerstandes. Bei Paulus kommt das Verb noch in Röm 15,14; Kol 1,28; 3,16; 1Thess 5,12.14; 2Thess 3,15 vor, sonst im NT nur noch in Apg 20,31; vgl. νουθεσι'α in 1Kor 10,11; Eph 6,4. Die Verwendung von νουθετει^ν in den Papyri zeigt, dass der Kontext entscheidet, „wie stark die im Wort angesprochene Ermahnung gemeint ist, denn es wird sowohl in Briefen mit eher besänftigendem Ton als auch in sehr scharfen und fordernden Texten verwendet“ (F. Winter, in Arzt-Grabner 185-186; vgl. P.Polit.Iud. 2,511; P.Brem. 61,29-32; PSI XIII 1334,16-18; SB III 6263,26-28). Lindemann 113; dem Verweis auf Plato, Leg. 8,845b, der im Blick auf Strafaktionen zwischen Sklaven und Freien unterscheidet – der Sklave soll geschlagen werden, den Freien soll man „ermahnen und belehren“ (νουθετη' σαντα και` διδα' ξαντα) – kann man andere Verweise gegenüberstellen, in denen das Verb das Erteilen von körperlicher Züchtigung bezeichnet (Aristophanes, Vesp. 254; Plato, Leg. 9,879d). Vgl. Epiktet, Diss. 1,5,5; Diogenes Laertius 2,29. In 6,5; 15,34 schreibt Paulus den Korinthern dann doch „zur Beschämung“. Merklein I 323; Thiselton 369. So aber Weiss 115, mit Verweis auf Röm 15,14-15; 2Kor 7,3; 1Thess 4,1.9; 5,1-2; Lietzmann 21 spricht von einem Stimmungsumschwung; zur Kritik vgl. Merklein I 323. Diese Bezeichnung ist bei Paulus singulär; τε' κνον (Sing.) für Timotheus (V. 17; 1Tim 1,2; 2Tim 1,2) und für Onesimus (Phlm 10); das Wort α γαπητοι' kommt häufiger vor: 10,14; 15,58; 2Kor 7,1; 12,19; Röm 12,19; Phil 2,12; 4,1; 1Thess 2,8.
Ermahnung als Vater der Gemeinde 4,14-21 259 ————————————————————————————————————
korinthischen Gemeinde wiederherstellen. Und er will gleichzeitig unterstreichen, dass er durch das, was er in den vorausgehenden Abschnitten geschrieben hat, sein Verhältnis zu ihnen als Vater nicht in Frage stellt. 826 Die Bezeichnung „geliebte Kinder“ ist nicht ironisch gemeint. Paulus will den korinthischen Christen, für die Statusfragen von herausragender Bedeutung sind, die Sorge um ihren Status nicht verbieten, sondern ihnen deutlich machen, welcher Status wirklich zählt. Während säkulare Maßstäbe zur Bemessung von Status in der Gemeinde illegitim sind, gelten jetzt vom Kreuz Jesu Christi her kommende Kriterien.827 Sie sind Christen, weil sie seine „geliebten Kinder“ sind, d.h. weil er als Missionar die Gemeinde gegründet hat – mit seiner „törichten“ Botschaft vom Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi, in einem Verkündigungsdienst, der von harter Arbeit, Leiden und Ablehnung begleitet war. Das „Rühmen“ der Korinther soll sich nicht auf Apostel und Lehrer konzentrieren, sondern auf ihn als ihr Vater und damit auf den Gekreuzigten, den er verkündigt. Die Metapher der Vater-Kind-Beziehung impliziert in der Antike 1. Hierarchie: die Strukturen der Familie sind Vater/Kind, Herr/Sklave, Ehemann/Ehefrau; der Vater bzw. die Eltern „herrschen“, während die Kinder „dienen“;828 2. Autorität: der pater familias hat praktisch uneingeschränkte Autorität über die Kinder;829 3. Nachahmung: Väter modellieren für ihre Kinder richtiges Verhalten, das diese imitieren sollen;830 4. Liebe: Väter lieben ihre Kinder vom Augenblick der Geburt an, während Kinder ihre Eltern erst lieben, wenn sie verständig geworden sind;831 5. Erziehung: Eltern, besonders Väter, haben eine didaktische Aufgabe, vor allem im Blick auf die Tugenden.832 15 Das Verhältnis der Korinther als „Kinder“ zu Paulus als „Vater“ beinhaltet dessen Autorität. Dies zeigt der Hinweis auf ungezählte Erzieher,833 die die Korinther haben könnten (ε α` ν . . . ε»χητε ist potentialer oder irrealer Konditionalsatz). Das Wort „Erzieher“ (παιδαγωγο' ς) bezeichnet in der Antike nicht den Pädagogen im modernen Sinn, sondern den Aufseher (oft ein ————————————————————
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Merklein I 324. Thiselton 369, mit Verweis auf Martin, Slavery, 122-123. Aristoteles, Pol. 1,3,2; 1,1,2; vgl. Eth.Nic. 8,11,2; Philo, Spec.Leg. 2,226; Dec. 165-166; Josephus, Ap. 2,201. Vgl. Burke, Father, 100; vgl. ebd. 101-105 für das Folgende. Aristoteles, Pol. 1,13,6-7; Eth.Nic. 5,6,8; 8,11,6; Seneca, Ben. 3,37,1-3; Epiktet, Diss. 2,10,7; Philo, Spec.Leg. 2,231.236. Isokrates, Dem. 4,11; Plutarch, Lib.Educ. 20,14b; Philo, Sacr. 68; Josephus, Ap.1,204. Aristoteles, Eth.Nic. 8,12,2; Plutarch, Amor. 3,495C.496C; Frat.Amor. 5,480C; Seneca, Clem. 1,14,2; Prov. 2,5; Philo, Spec.Leg. 2,240. Aristoteles, Eth.Nic. 8,12,5; 10,9,15; Plutarch, Lib. 5,3E; Musonius Rufus 4,46,35-36; Philo, Leg. 210; Spec.Leg. 2,228; Josephus, Ap. 1,60; 2,173-174. μυ' ριος bedeutet „zahllos“, davon abgeleitet μυ' ριοι „zehntausend“; das Wort kommt im NT nur hier und in 14,19 vor.
260 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Sklave), „der mit der äußeren Erziehung (Anstands- und Tischregeln, Benehmen) der Söhne (etwa vom 6. bis zum 16. Lebensjahr) beauftragt war“ und diese zur Schule (oder zum Privatunterricht) geleiten musste. 834 Mit den „Erziehern in Christus“ hat Paulus offensichtlich nicht konkrete Lehrer in der Gemeinde vor Augen, die die korinthischen Christen eine Zeit lang auf dem Weg des Glaubens beaufsichtigen;835 das Adjektiv „ungezählte“ spricht gegen diese Vermutung. Angesichts der Tatsache, dass die Zuständigkeit der „Erzieher“ sowohl zeitlich als auch inhaltlich beschränkt war, unterstreicht Paulus durch die Betonung seiner Funktion als „Vater“ seine Autorität. 836 Er betont hier nicht, dass er der „Bruder“ der Korinther ist: Er ist ihr „Vater, der sie gezeugt hat durch das Evangelium (δια` του^ ευ αγγελι' ου ε γω` υ μα^ ς ε γε'ννησα), d.h. der Menschen zum Glauben an Jesus Christus geführt und die Gemeinde gegründet hat. Das „zeugen“ (γεννα' ω) entspricht dem „pflanzen“ (φυτευ' ω) von 3,6.837 So richtig der Hinweis ist, dass die apostolische Vaterschaft nicht durch das damals patriarchalische Leitbild des Vaters vorgeprägt sei, dass sie z.B. „keine patria potestas, keine Herrschafts- und Rechtsabhängigkeit“ begründe, 838 so richtig ist auch die Tatsache, die Metapher „Vater“ nicht einfach ein „emotionales, persönliches oder ‚familiäres‘“ Verhältnis Apostel/Gemeinde beschreibt, sondern auf das Moment der Autorität und der Verantwortung abhebt. Diese Autorität wollen einige (τινες, V. 18) unterminieren – einer der Gründe, weshalb Paulus die ersten Kapitel des Briefes schreibt. Es mag in der Gemeinde viele Lehrer geben, die die Gemeinde beeinflussen; es gibt aber nur einen „Vater“, durch den die Gemeinde entstanden ist. In dem Satz in Jesus Christus habe ich euch gezeugt durch das Evangelium ist zunächst die betont vorangestellte Ortsangabe „in Christus Jesus“ entscheidend. Die „Vaterschaft“ des Paulus ist nicht das Ergebnis seiner eigenen Anstrengungen, so mühevoll und hingebungsvoll diese auch sind und waren. Die Wendung will nicht einfach vor dem Missverständnis warnen, dass Paulus nicht von einer natürlichen Verwandtschaft spricht,839 sondern betont, dass er der Gemeinde nicht mit autonomer Autorität gegen————————————————————
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G. Schneider, Art. παιδαγωγο' ς, EWNT III, 4; vgl. G. Bertram, Art. παιδευ' ω, ThWNT V, 618-620; H. Groß, Art. Paidagogos, KP IV, 408; J. Christes, Art. Paidagogos, DNP IX, 150. Der παιδαγωγο' ς ist vom διδα' σκαλος bzw. καθηγητη' ς zu unterscheiden. So Merklein I 324; richtig Fee 185; Schrage I 356; Lindemann 113; Garland 146. Weiss 117; Thrall 37; Fee 185; vgl. Burke, Father, 108, der unnötigerweise eine Spitze gegen Petrus und Apollos sehen will. Vgl. rabbinische Aussagen, nach denen der Mensch, der einen anderen die Tora lehrt, als jemand gilt, der ihn gezeugt hat (Bill. III, 340-341). Lindemann 114. Schrage I 355, das folgende Zitat ebd. Weiss 117. Zur geistlichen Vaterschaft 2Kor 12,14; Gal 4,19; Phlm 10; Joh 1,13; 4,24.
Ermahnung als Vater der Gemeinde 4,14-21 261 ————————————————————————————————————
übersteht, sondern als an Jesus Christus gebundener und von ihm bestimmter „Diener“ und „Mitarbeiter“ Gottes (3,5.9). Sodann unterstreicht die Wendung „durch das Evangelium“ (δια` του^ ευ αγγελι' ου),840 dass die Gemeinde allein durch das Wort der Verkündigung vom Heilshandeln Gottes in Jesus Christus ins Leben gerufen wurde – ein Wort, „das als Gottes Wort wirkt (1Thess 2,13) und als solches rettet (15,2) und in die neue Schöpfung stellt (2Kor 5,17)“.841 Das Fundament der Gemeinde ist die Botschaft (ευ αγγε'λιον) vom heilschaffenden Handeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi. Die „Zeugungskraft“ des „Vaters Paulus“ als Gemeindegründer wurde allein durch das verkündigte Evangelium wirksam. Authentische Gemeinde Jesu verdankt sich immer nur der Predigt des Evangeliums vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus. Gemeinde entsteht nicht durch rhetorische Brillianz und argumentative Stringenz (1,17), sondern durch die rettende Kraft Gottes (1,18.24), die mit der Verkündigung des Gekreuzigten unlösbar verbunden ist (2,4). 16 Die Mahnung V. 16 zeigt, dass die „Vaterschaft“ des Apostels mit dem „Zeugen“ der Gemeinde nicht erschöpft ist, sondern eine fortdauernde Autorität und Verantwortung beinhaltet. Paulus erwartet zwar, dass die korinthischen Christen „erwachsen“ werden (3,1-2; vgl. 14,20), und er anerkennt die Tatsache, dass sie einen Überfluss an geistlichen Gaben besitzen (14,12). Aber aus seiner Verantwortung konnte er die Gemeinde noch nicht entlassen. W. Schrage meint, die Gemeinde „kann und soll sich“ trotz aller notwendigen Freiheit (3,21-22) und Eigenverantwortung (10,15) „nicht irgendwann von diesem Vater emanzipieren“.842 Richtig ist, dass im natürlichen Leben ein Vater immer Vater, die Kinder immer Kinder bleiben. Aber eine Loslösung der Kinder findet eben doch statt. Wie Paulus sich die langfristige Beziehung zwischen sich und den von ihm gegründeten Gemeinden vorstellt, hat er in seinen uns erhaltenen Briefen nirgends dargelegt. Die Tatsache, dass er sich im Jahr 57 n.Chr. von den Gemeinden im Osten des Römischen Reiches dauerhaft verabschiedet (Apg 20,25; Röm 15,27-28), um nach Spanien zu reisen, deutet darauf hin, dass er keine Strukturen geschaffen hat, in denen die von ihm gegründeten Gemeinden an seine Person gebunden blieben.
Paulus zieht die Schlussfolgerung aus der Metapher vom Vater-Kind-Verhältnis, das zwischen ihm und der Gemeinde besteht: Darum ermahne ich euch: Seid meine Nachahmer. Paulus hatte die Korinther zu Beginn des in 1,10 beginnenden großen Abschnitts mit direkter Anrede ermahnt (παρακαλω ^ δε` υ μα^ς), einmütig zu sein und keine Spaltungen zu dulden. Wenn er in 4,16 ————————————————————
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Das Wort ευ αγγε' λιον kommt hier zum ersten Mal in 1Kor vor. Paulus kann offensichtlich voraussetzen, dass die Korinther verstehen, was er meint; vgl. 15,1. Schrage I 355. Schrage I 356-357.
262 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
am Schlussabschnitt des ersten Hauptteils die direkte Mahnung wiederholt (παρακαλω ^ ου ν υ μα^ς), dann zieht er den Schluss aus dem Gesagten – nicht nur aus V. 14-15 oder aus V. 6-13.14-15, sondern aus der gesamten vorausgehenden Diskussion. Wenn die Korinther ihn nachahmen, den Apostel, der ein dienender „Landarbeiter“ und „Bauhandwerker“ ist, der in der Abhängigkeit von Jesus Christus als Mitarbeiter Gottes und inmitten konstanter Anfeindung und Leiden das Evangelium vom Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi verkündigt, dann werden sie die säkularen Maßstäbe aufgeben, mit denen sie die Apostel und Lehrer der Gemeinde vergleichen und beurteilen. Dann werden sie die Unsinnigkeit der Rivalitäten erkennen, die sie unbekümmert fördern und tolerieren. Dann werden sie in der Lage sein, die Einheit der Gemeinde Jesu Christi auf der Grundlage des Kreuzes Jesu zu erkennen und zu praktizieren. Die Wortgruppe, zu der das hier gebrauchte Subst. μιμητη' ς („Nachahmer“)843 gehört, bezeichnet die Nachahmung eines Vorbilds – die Nachahmung des Lehrers durch den Schüler, die Nachahmung des Vaters durch den Sohn, die Nachahmung frommer Männer, die Nachahmung der Märtyrer, die Nachahmung Gottes.844 In V. 16 ist an die Nachahmung des Apostels als Vater und als Lehrer zu denken. Auf dem Hintergrund der frühjüdischen Konzentration auf das Thema der Bewährung des Glaubens im Leiden denkt Paulus offensichtlich an die Beschimpfungen, Schmähungen und Verfolgungen von V. 9-13. Paulus fordert die Korinther, die das Wort vom Kreuz gehört haben und die von der Verfolgung der Apostel wissen, auf, ein Leben in Konformität mit Jesus dem Gekreuzigten zu führen. 845 Wenn die korinthischen Christen das von Paulus und den anderen Aposteln verkündigte und gelebte Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus begreifen und in ihrem Verhalten beherzigen, dann wird dies einschneidende ————————————————————
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Die Wortgruppe hat im NT 11 Belege: μιμητη' ς: 1Kor 4,16; 11,1; Eph 5,1; 1Thess 1,6; 2,14; Hebr 6,12; μιμε' ομαι: 2Thess 3,7.9; Hebr 13,7; 3Joh 11; συμμιμε' ομαι Phil 3,17. Vgl. auch die Aufforderung zur Vorbildlichkeit in 1Tim 4,12; Tit 2,6-7 (mit τυ' πος formuliert). In der LXX kommt die Wortgruppe nur in den Apokryphen vor: Weish 4,2; 15,9; 4Makk 9,23; 13,9. Vgl. W. Michaelis, Art. μιμε' ομαι κτλ., ThWNT IV, 661-678; E. Larsson, EWNT II, 1053-1057. Es lassen sich drei Bereiche der μιμη' σις (lat. imitatio) unterscheiden: 1. die künstlerische Nachahmung der Wirklichkeit (imitatio naturae); 2. die rhetorische Nachahmung von Texten, auch von Werken der bildenden Kunst und der Musik (imitatio auctorum); 3. die moralische Nachahmung vorbildlicher Menschen (imitatio morum); vgl. N. Kaminiski, Art. Imitatio 1, HWR IV, 235. Lehrer/Schüler: Xenophon, Mem. 1,2,3; 6,3; Philo, Virt. 66 (Mose/Josua); Vater/Sohn: Philo, Sacr. 68; fromme Männer: TestBen 3,1; 4,1; Josephus, Ant 8,315; Philo, Virt. 66; Märtyrer: 4Makk 9,23; 13,9; Gott/Mensch: Seneca, Ep. 95,50; Philo, Conf. 63; Decal. 111; Leg.All. 1,48; Virt. 168; Spec.Leg. 4,73; Op.Mund. 79 (konkret im Blick auf das Zeugen von Kindern: Decal. 51.120; Spec.Leg. 2,225). Schrage I 358; vgl. Merklein I 327; Garland 146-147.
Ermahnung als Vater der Gemeinde 4,14-21 263 ————————————————————————————————————
Konsequenzen haben. Sie werden ihre Fixierung auf Statusfragen preisgeben, weil sie bereit sind, wie die Apostel die Schmähungen ihrer Zeitgenossen um Christi willen zu ertragen. Sie werden sich aller Loyalitätsbekundungen enthalten, weil sie wie die Apostel erkannt haben, dass ihre Loyalität allein Jesus Christus dem Gekreuzigten gilt. Sie werden über ihre Rivalitäten Buße tun, weil sie als Nachahmer der Apostel wie diese keinen Wert darauf legen, „Erste“ und „Angesehe“ zu sein, sondern bereit sind, als „Letzte“ der Gemeinde Gottes zu dienen. Paulus ist nicht arrogant, wenn er die Korinther auffordert, ihn nachzuahmen: In 11,1 wiederholt er die Aufforderung, ihn nachzuahmen, verbunden mit dem Nachsatz: „wie auch ich Christi Nachahmer bin“. Weil Paulus Jesus Christus als dessen Gesandter repräsentiert, so ist Jesus Christus der Maßstab seines Dienstes. Das heißt: wenn die Korinter Paulus nachahmen, dann ahmen sie Jesus Christus nach. 846 So schreibt Paulus denn auch in Eph 5,1: „Werdet Nachahmer Gottes“. Paulus verkündet das Heilshandeln Gottes im Kreuzestod und in der Auferweckung Jesu Christi, und führt ein dem Kreuz Christi entsprechendes Leben. Dazu fordert er auch die korinthischen Christen auf. Sowohl der Imperativ als auch das Moment des Gehorsams, das in der antiken Kultur in der Nachahmung impliziert ist,847 bringen die Autorität des Apostels zum Ausdruck, der seine Autorität aber immer nur als Gesandter und Diener Jesu Christi hat. 17 Der begründende Anschluss (δια` του^ το) erläutert die Sendung des Timotheus nach Korinth: Er soll die Gläubigen in Korinth an seine „Wege in Christus Jesus“ erinnern, die er in jeder Gemeinde lehrt. Paulus bezeichnet seinen Mitarbeiter Timotheus als sein geliebtes und treues Kind im Herrn (ο« ς ε στι' ν μου τε'κνον α γαπητο` ν και` πιστο` ν ε ν κυρι' ω, ). Diese Formulierung zeigt einmal das enge, persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Paulus und Timotheus (vgl. α γαπητο` ς τε'κνον in 2Tim 1,2),848 sodann auch die Zuverlässigkeit, die Timotheus in seiner Mitarbeit kennzeichnete. 849
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Paulus fordert Gemeinden auf, andere Gemeinden nachzuahmen: 1Thess 2,14; Phil 3,17. W. Michaelis, ThWNT IV, 670. Paulus bezeichnet auch andere Mitarbeiter als α γαπητο' ς: Epänetus (Röm 16,5), Ampliatus (Röm 16,8), Stachys (Röm 16,9), Persis (Röm 16,12), Tychikus (Eph 6,21; Kol 4,7), Epaphras (Kol 1,7), Onesimus (Kol 4,9), Lukas (Kol 4,14), Philemon (Phlm 1.16). In 15,58 bezeichnet Paulus die korinthischen Christen als seine „geliebten Brüder“; vgl. Eph 5,1; Phil 2,12; 4,1; 1Thess 2,8. Als πιστο' ς (hier „treu, zuverlässig“, nicht „gläubig“) bezeichnet Paulus auch Epaphras (Kol 1,7), Tychikus (Kol 4,7) und Onesimus (Kol 4,9), jeweils verbunden mit α γαπητο' ς.
264 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Timotheus850 bekehrte sich wohl im Jahr 46, als Paulus in Galatien missionierte und in Lystra, dem Heimatort des Timotheus, eine Gemeinde gründete (Apg 14,6-20). Der Ausdruck „Kind“ (τε' κνον) deutet wohl darauf hin, dass Timotheus infolge der Verkündigung des Apostels Paulus zum Glauben an Jesus Christus gekommen war. Er wurde von Paulus im Jahr 49 als Mitarbeiter mitgenommen, als der Apostel in der Provinz Asia missionieren wollte, aber schlussendlich in Makedonien und in Achaia missionierte (Apg 16,1-3). Als Paulus Thessalonich verlassen muss, weil die ortsansässigen Juden ihm nach dem Leben trachteten (Apg 17,10), bleibt Timotheus in Thessalonich zurück. Er reist einige Wochen später nach Beröa, wo er wieder auf Paulus trifft (Apg 17,14). Als Paulus Beröa vorzeitig verlassen muss, bleibt Timotheus mit Silas zusammen in Beröa (Apg 17,14). Einige Wochen später folgt er Paulus nach Athen (Apg 17,15), wird von ihm aber nach Thessalonich zurückgesandt, um der jungen Gemeinde zu helfen (1Thess 3,1-5). Einige Monate später reist Timotheus nach Korinth (1Thess 3,6), wo er an der Missionsarbeit des Apostels Paulus beteiligt ist (2Kor 1,19; Apg 18,5). Er begleitet Paulus bei dessen letztem Aufenthalt in Korinth im Jahr 56/57 (Röm 16,21) und auf dessen Rückreise nach Jerusalem im Jahr 57 (Apg 20,4), wo Paulus verhaftet wird. Während der Gefangenschaft des Apostels wird Timotheus mit wichtigen Aufgaben betraut (Phil 2,19-20). Timotheus ist Mitabsender von sechs Paulusbriefen (1Thess 1,1, 2Thess 1,1, Phil 1,1, 2Kor 1,1, Kol 1,1, Phlm 1). Wenn die traditionelle Lokalisierung der Pastoralbriefe in Ephesus richtig ist, dann hatte Timotheus nach dem Jahr 62 die Verantwortung für die Gemeinden in der Provinz Asia.
Paulus hat Timotheus von Ephesus nach Korinth gesandt (ε»πεμψα, Aor.), offensichtlich am Ende seiner Ephesusmission im Jahr 55, und zwar zusammen mit Erastus auf dem Landweg über Makedonien (Apg 19,22). Die Notiz in 1Kor 16,10, verbunden mit der Tatsache, dass Timotheus weder im Präskript noch in der Grußliste erwähnt wird, deutet darauf hin, dass er bereits abgereist ist. Paulus erwartet allerdings, dass sein Brief an die Korinther noch vor Timotheus in Korinth eintreffen wird (16,10), was leicht vorstellbar ist, wenn der Brief einem mit dem Schiff reisenden Boten mitgegeben wird und Timotheus über Land reiste. Dies bedeutet zugleich, dass Timotheus nicht den konkreten Auftrag hatte, die gemeindlichen und ethischen Probleme der korinthischen Christen mit dem Hinweis auf das Vorbild des Apostels Paulus anzugehen und zu lösen. 851 Die Wege in Christus Jesus bezeichnen nicht den Lebensweg des Apostels Paulus, sondern seinen persönlichen Lebenswandel (V. 9-13)852 und ————————————————————
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Vgl. P. Trummer, EWNT III, 860-862; J. Gillman, ABD VI, 558-560; Ollrog, Mitarbeiter, 20-23; Bruce, The Pauline Circle, 29-34; Mounce, Pastoral Epistles, lvi-lix; Schnabel, Urchristliche Mission, 1368. Schrage IV 443; Merklein I 328-329; Lindemann 115. Zu „Weg“ als Bezeichnung des (ethischen und geistlichen) „Wandels“ des Menschen vgl. Ps 16,11 LXX; 25,4-5; 37,23; Prov 10,17; von „Wegen der Weisheit“ ist in Prov 3,17; 8,34-36; Sir 6,26-28; 14,20-21 die Rede. Vgl. W. Michaelis, ThWNT V, 47-60.
Ermahnung als Vater der Gemeinde 4,14-21 265 ————————————————————————————————————
seine Lehre (V. 17c: „wie ich überall in jeder Gemeinde lehre“). 853 Der Inhalt des Lehrens überall in jeder Gemeinde (πανταχου^ ε ν πα' ση, ε κκλησι' α, ) ist die Botschaft von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus sowie die Einführung und Einübung in die Konsequenzen des Glaubens an den einen Gott Israels und an Jesus Christus für das Verhalten im Alltag. Im AT und im Judentum stehen die „Wege“ (ο δοι' ) des Herrn für den Wandel, die der Herr dem Menschen befohlen hat.854 Das Verb lehren (διδα' σκω) kommt in 1Kor nur hier und in 11,14 vor.855 Paulus lehrt in jeder Stadt und in jeder Gemeinde das gleiche Evangelium. Das gilt für ihn als Missionar, als Gemeindegründer und als Lehrer der Gemeinden. Der fundamentale Lehrinhalt ist die Botschaft vom Heilshandeln des Gottes Israels im Kreuzestod Jesu Christi. Die Paulusbriefe zeigen, dass Paulus über viele andere, mit diesem Grundthema verbundene Themen gesprochen und gelehrt hat. Paulus betont mit dem Verweis auf die Allgemeingültigkeit seines Lehrens, dass er genauso wenig wie die anderen Apostel eine Lokalgröße ist, der den Menschen in einer bestimmten Gemeinde nach dem Mund redet. Paulus unterstreicht gegenüber den auf Status und Rhetorik fixierten korinthischen Christen, dass es nicht die jeweilige lokale Situation ist, die darüber entscheidet, „was für Wege in den Gemeinden die richtigen und zu lehrenden sind“. 856 18 Der Hinweis auf die Ankunft des Timotheus in Korinth veranlasst Paulus, den Hintergrund dieser Entsendung zu klären. Er hat offensichtlich die Nachricht erhalten (von den Leuten der Chloe?), dass einige (τινε'ς) Christen meinen, er habe Angst, nach Korinth zu reisen.857 Es ist möglich, im Text jedoch nicht angedeutet, dass Paulus einen Besuch versprochen hatte, der ————————————————————
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Eine Beschränkung der „Wege“ des Apostels auf seine Lebensführung und damit auf ethische Weisungen (Barrett 117; Héring 38; Fascher 153; W. Michaelis, ThWNT V, 670; Schrage, Einzelgebote, 132-133;) ist nicht notwendig; Weiss 119 beschränkt einseitig auf die Lehre. Richtig Fee 189; Merklein I 331; Schrage I 359-360; Schulz, Nachfolgen, 309. Deut 8,6; 10,12-13; 11,22; 19,9; 30,16; Jos 22,5; 1Kön 2,3; 3,14; 2Chron 17,6; Ps 24,4; 26,11; 119,3-4.15.26; Prov 2,8; Jes 55,3; Sach 3,7; syrApkBar 14,5; Jub 5,13; 20,2-3; 21,2; 4Esra 7,24.79.88; 8,56; äthHen 71,16; TestJud 26,1; an manchen Stellen konkret die Gebote des Gesetzes: Dtn 5,33; 9,12; 11,218; Ps 103,7; 1Kön 11,33; syrApkBar 44,3; Jub 1,20; 23,26; äthHen 82,4. Vgl. W. Michaelis, ThWNT V, 50-52.57. διδα' σκω kommt außer in 1Kor 4,17; 11,4 bei Paulus an folgenden Stellen vor: Röm 2,21; 12,7; Gal 1,12; Eph 4;21; Kol 1,28; 2,7; 3,16; 2Thess 2,15; 1Tim 2,12; 4,16; 6,2; 2Tim 2,2; Tit 1,11; διδασκαλι'α „Unterweisung, Lehre“: Röm 12,7; 15,4; Eph 4,14; Kol 2,22; 1Tim 1,10; 4.1.6.13.16; 5,17; 6,1.3; 2Tim 3,10.16; 4,3; Tit 1,9; 2,1.7.10; διδα' σκαλος „Lehrer“: Röm 2,20; 1Kor 12,28.29; 1Tim 2,7; 2Tim 1,11; 4,3; διδαχη' „Unterweisung, Lehre“: Röm 6,17; 16,17; 1Kor 14,6.26; 2Tim 4,2; Tit 1,9. Schrage I 360. Das Relativadverb ω ς bezeichnet hier einen subjektiven Grund („in der Meinung, dass“, „mit der Behauptung, dass“; BDR §425.3; HS §252.61bb. Der Partizipialsatz μη` ε ρχομε' νου δε' μου προ` ς υ μα^ς ist gen. abs. mit kausalem Sinn; NSS II 64.
266 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
aufgrund der Umstände der Gemeindegründung in Ephesus nicht stattfinden konnte.858 Paulus nennt – wie immer solchen Fällen, in denen er von Gegnern spricht – keine Namen.859 In V. 6 war vom „Aufblähen“ korinthischer Christen zugunsten eines bestimmten Apostels und gegen einen anderen Apostel die Rede. Es handelt sich bei den τινε'ς offensichtlich um die Christen, deren Loyalitätsbezeugungen sich gegen Paulus richten. 860 Die Gemeinde hat beim Vorlesen des Briefes gewusst, wen Paulus meint. Gleichzeitig zeigt τινε'ς, dass es Paulus nicht mit einer Opposition der gesamten Gemeinde zu tun hat. Es sind nur „einige“, die von Paulus nichts halten und gerne auf seinen Besuch verzichten. 19 Die Erwähnung eines Besuchs in Korinth in V. 18 veranlasst Paulus, etwas über seine Reisepläne zu sagen. Er will nach Korinth kommen (προ` ς υ μα^ς), und zwar bald, wobei die Vokabel ταχε'ως keine Auskunft über den anvisierten Zeitplan gibt. In 16,5-9 informiert er die Gemeinde detaillierter: Er will bis Pfingsten, also bis Mitte Juni (des Jahres 54), in Ephesus bleiben, wo er augenblicklich große Möglichkeiten in seiner Missionsarbeit hat (16,8-9). Dann will er über Makedonien, d.h. auf dem Landweg (wahrscheinlich über Philippi, Thessalonich und Beröa), nach Korinth reisen und dort einige Zeit bleiben (16,5-7). Der Konditionalsatz wenn der Herr will (ε α` ν ο κυ' ριος θελη' ση, ) unterstreicht, dass Paulus bei allem Planen immer vom Willen Gottes abhängig bleibt.861 Das „Wollen“ des Herrn meint die Zustimmung Gottes zu den Plänen, die Paulus gemacht hat. Bei seinem Besuch in Korinth interessiert sich Paulus nicht für die Redegewandtheit (λο' γος; vgl. 1,17; 2,4) der „Aufgeblasenen“, d.h. der Christen, die die Apostel und Lehrer der Gemeinde anhand der säkularen Kriterien der Bildungselite der Stadt vergleichen und beurteilen. Er wird vielmehr erkennen (γνω' σομαι), ob sie Macht (δυ' ναμις) haben. In 1,24 hatte Paulus Gottes Weisheit mit Gottes Macht verbunden und beides auf die Verkündigung des gekreuzigten Messias bezogen. In 2,5 hatte Paulus unterstrichen, dass der „Beweis“ für die Gegenwart Gottes nicht in der Überredungskunst der Weisheit besteht, sondern im Zum-Glauben-Kommen von Menschen, für die das Wort vom Kreuz Ärgernis und Torheit ist. Das Kriterium für „Macht“ ist die Gemeinde und der Aufbau der Gemeinde. Das heißt, ————————————————————
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Bachmann 196; Merklein I 331-332; Schrage I 361; Lindemann 116. Vgl. 8,7; 15,12; 2Kor 10,2.12; Gal 1,7; 2,12; Phil 1,15. Merklein I 331 denkt konkret an die Apollosanhänger, was jedoch hypothetisch bleibt. In 16,7 verwendet Paulus einen fast identischen Satz: ε α` ν ο κυ' ριος ε πιτρε' ψη, („wenn der Herr es zulässt“). Jak 4,15 formuliert: „Wenn der Herr will (ε α` ν ο κυ' ριος θελη' ση, ), werden wir leben und dies oder das tun“. Vgl. Röm 1,10; 15,32; Apg 18,21; Hebr 6,3. Für außerbiblische Parallelen vgl. 1QS 11,10-11; Josephus, Ant. 7,373; Plato, Phaed. 80d; Pseudo-Plato, Alc. 135d; Epiktet, Diss. 1,1,17.
Ermahnung als Vater der Gemeinde 4,14-21 267 ————————————————————————————————————
Paulus wird bei seinem bevorstehenden Besuch herausfinden, ob jene korinthischen Christen, die sich „aufblasen“, nur schöne Worte machen und beeindruckende Reden halten, oder ob durch ihren Beitrag Menschen zum Glauben gekommen sind und in ihrem Glauben sichtbar gestärkt wurden. 20 Paulus begründet (γα' ρ) sein in V. 19 angedeutetes Verständnis von Redegewandtheit, auf die manche Korinther fixiert sind, mit der wirksamen Macht, die seinen missionarischen Dienst kennzeichnet. Die Königsherrschaft Gottes (η βασιλει' α του^ θεου^ ) greift einen von Jesus häufig gebrauchten Ausdruck auf, der den Anbruch der erwarteten Herrschaft Gottes über sein Volk und über die Welt in der Person und im Werk Jesu beschreibt.862 Wie Gott unmittelbar in den Worten und Taten Jesu machtvoll wirkend gegenwärtig war, so ist er in der Verkündigung des Heil schaffenden Kreuzestodes Jesu machtvoll gegenwärtig. Deutlich ist, dass für Paulus das Reich Gottes nicht eine in der Gegenwart verborgene, rein zukünftige Größe ist. W. Schrage betont zu Recht, dass Paulus alles andere als eine Theologie der totalen Verborgenheit Gottes vertritt: „Gewiß ist die δυ' ναμις nicht manipulierbar oder als solche evident ausweisbar, aber dort, wo Gottes Herrschaft anbricht, manifestiert sich zeichenhaft auch seine δυ' ναμις, bleibt der λο' γος vom Kreuz nicht bloßes ‚Wort‘, sondern erweist seine Durchschlagskraft, seine efficacia“.863 Die Tatsache, dass der Ausdruck „Königsherrschaft Gottes“ bei Paulus relativ selten vorkommt,864 bedeutet nicht, dass er für Paulus ein „Randbegriff“ ist.865 Da Paulus in V. 20 analog einer sprichtwortartigen Sentenz formuliert, und da er die Formulierung nicht erläutert, können wir davon ausgehen, dass Paulus in seinem missionarischen und gemeindegründenden Dienst ausführlich und konkret von der Königsherrschaft Gottes und ihrer Bedeutung für die Gemeinde der an Jesus Christus Glaubenden gesprochen hat. Seine Frage in 6,9 bestätigt dies: „Oder wißt ihr nicht, daß Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden?“ Der Erweis der Königsherrschaft Gottes in Macht (ε ν δυνα' μει) entspricht dem „Beweis des Geistes und der Kraft“ (ε ν α ποδει' ξει πνευ' ματος και` δυνα' μεως), von dem in 2,4 die Rede war. Dieser „Beweis“ war die wirkmächtige Verkündigung des Evangeliums vom Gekreuzigten, durch die Menschen zum Glauben an Jesus Christus kommen – Menschen, die zuvor das missionarische Wort vom Kreuz als Ärgernis und Unsinn betrachteten. ————————————————————
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Vgl. U. Luz, EWNT I, 483-487; A. Lindemann, Art. Herrschaft Gottes IV, TRE XV, 196218; Merklein, Gottesherrschaft, 119-161; Schnabel, Reich Gottes, 115-131; Stuhlmacher, Theologie I, 66-75. Schrage I 363. 1Kor 4,20; 6,9-10; 15,50; Gal 5,21; Röm 14,17; Kol 4,11; 2Thess 1,5; vgl. 1Kor 15,24; 1Thess 2,12; Eph 5,5; Kol 1,13; 4,11; 2Tim 4,1.18. So U. Luz, EWNT I, 490. Anders Fee, 192; Thiselton 377; vgl. Wenham, Paul, 71-97.
268 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
21 Paulus beschließt den Abschnitt und damit den ersten großen Teil seines Briefes mit leicht ironischen Fragen. Paulus nennt zwei Möglichkeiten, wie sich sein Besuch in Korinth abspielen kann. Die Frage was wollt ihr? (τι' θε'λετε;) lässt die Korinther wissen, dass sie es selbst in der Hand haben, wie sein Besuch aussehen wird. Paulus kann entweder mit dem Stock (ε ν ρ α' βδω, , lat. baculus) zu den Korinthern kommen (ε»λθω προ` ς υ μα^ς), d.h. als „Erzieher“ (παιδαγωγο' ς), der sie mit Strenge zurechtweist, unter Umständen gar bestraft. Möglicherweise denkt Paulus an den Ausschluss der Christen aus der Gemeinde, die für die Rivalitäten verantwortlich sind, vielleicht auch nur an eine Strafpredigt.866 Oder er kann mit Liebe und dem Geist der Sanftmut (ε ν α γα' πη, πνευ' ματι' τε πραυ¨' τητος) kommen, d.h. als Vater, der mit seinen „Kindern“ in Liebe umgeht. Mit dem Wort „Sanftmut“ (πραυ¨' της), die zur Frucht des Geistes gehört (Gal 5,23), ist „das moderate und versöhnliche Verhalten im Gegensatz zum zornigen und aufbrausenden gemeint, das den anderen, z.B. den gefallenen Bruder (Gal 6,1), freundlich und gelassen wieder zurecht bringt“.867 In der römischen Kolonie Korinth wusste man, dass der Kaiser oder der Vater einer Familie die Menschen, für die sie verantwortlich waren, sowohl rügen als auch fürsorglich behandeln konnten. Paulus stellt den Korinthern die Frage, welche von den beiden Möglichkeiten realisiert werden soll.868 Paulus will jedenfalls alles in seiner Macht Stehende tun, damit die Situation in der korinthischen Gemeinde, in der einige Mitglieder ein gestörtes Verhältnis zu ihm und zu anderen Aposteln haben, wieder zurechtkommt.
IV Nachdem Paulus den korinthischen Christen ihr törichtes Fehlverhalten zuletzt mit scharfer Ironie vor Augen gehalten hatte, erklärt er in diesem Abschnitt das Ziel seines vehementen Vorstoßes. Er hat die Gemeinde als ihr „Vater“ ins Leben gebracht, und er sorgt sich immer noch liebevoll um ihr Wohlergehen. Da er der Gründer der Gemeinde ist, hat er durchaus das ————————————————————
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Schrage I 364. Wenn Lindemann 118 meint, dass die Drohung mit dem Stock im Kontext nicht gerechtfertigt ist, sondern eher zu Kap. 5 passt, verkennt er die katastrophalen Konsequenzen, die sich aus fortgesetzter, aus säkularen Quellen gespeister Rivalität für die Existenz der Gemeinde ergeben könnten. Schrage I 365, mit Verweis auf Eph 4,2; Kol 3,12; Aristoteles, Eth.Nic. 4,11,1125b1126a; Plutarch, Frat.Amor. 18,489C; vgl. F. Hauck/S. Schulz, ThWNT VI, 645-651; H. Frankemölle, EWNT III, 351-353. F. Winter, in Arzt-Grabner 193-194, verweist auf P.Lond. VI 1912,100-104 als wichtige Parallele. Auf die Frage, ob man besser mit Strenge oder mit Liebe erzieht, oder auf die Frage, ob der Gebrauch des „Stocks“ ein Ausdruck der Liebe sein kann, geht Paulus hier nicht ein; richtig Schrage I 364. Vgl. Lassen, Father Image, 134-136; Thiselton 378.
Ermahnung als Vater der Gemeinde 4,14-21 269 ————————————————————————————————————
Recht, die Gemeindeglieder zu ermahnen und zum rechten Verhalten aufzufordern. Paulus, der als Apostel Jesu Christi die Botschaft vom Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi verkündigt und demütig Schmähungen aushält, stellt sich den Korinthern als Vorbild vor. Wenn sie sich an seinem eigenen Verhalten orientieren, dann verschwinden die Loyalitätsbekundungen, die Rivalitäten und der Streit, die die Gemeinde nachhaltig beeinträchtigen. Deshalb hat er Timotheus zu den Korinthern gesandt, damit er diese an die in allen Gemeinden geltenden „Wege“ des Evangeliums vom Kreuz und von der Auferstehung Jesu erinnert. Paulus will mit der Sendung des Timotheus, mit seinem Brief und mit seinem bevorstehenden Besuch dafür sorgen, dass die Gemeinde in Korinth die Gemeinschaft der „in Christus Jesus Geheiligten“ (1,2) bleibt. Mit 4,21 geht der erste Hauptteil des Ersten Korintherbriefs zu Ende, der in 1,10 mit dem Satz „ich ermahne euch“ eingesetzt hatte. Paulus behandelt in diesem langen Abschnitt die Rivalitäten und die Streitigkeiten, die in der korinthischen Gemeinde dadurch ausgelöst wurden, dass sich Gemeindeglieder mit Loyalitätsparolen an bestimmte Apostel und Lehrer binden wollten, fixiert auf säkulare Kriterien, mit denen sie die rhetorischen und argumentativen Künste der einzelnen Verkündiger bewerten und einen Zugewinn an Status und Einfluss zu gewinnen hoffen. Paulus fordert die Christen in Korinth auf, ihre Bindung an weltliche Maßstäbe und damit ihre Bindung an prominente Lehrer aufzugeben. Er fordert sie auf, seine Nachahmer zu werden – was gerade nicht heißt, dass sie sich mit der Parole „ich gehöre zu Paulus“ an Paulus binden. Es geht im Gegenteil darum, „die Bindung der Gemeinde an Christus als das unverrückbare Fundament anzuerkennen und nicht zu versuchen, den jeweils anderen übertreffen zu wollen“.869 Weil Jesus, der gekreuzigte und auferstandene Messias und Herr das Fundament des Glaubens der korinthischen Christen und damit das Fundament der korinthischen Gemeinde ist, muss das Kreuz Jesu das gesamte Gebäude bestimmen, das auf diesem Fundament errichtet wird. In 1,18–2,5 erläutert Paulus den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen weltlicher Weisheit, wie sie die Bildungs- und Machtelite in den Städten des römischen Reiches versteht und praktiziert, und der Weisheit Gottes, die sich in Jesus Christus offenbart. Gerade weil die apostolische Verkündigung von Gottes machtvoller Heilsoffenbarung im Kreuzestod Jesu Christi von den Mitmenschen nicht verstanden wird, ja als Ärgernis und Unsinn abgelehnt wird, können die säkularen Kriterien, mit denen diese Wertung vorgenommen wird, in der Gemeinde der Jesusbekenner keine Geltung beanspruchen. Gottes heilschaffende Offenba————————————————————
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Lindemann 119.
270 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
rung in Jesus dem Gekreuzigten setzt die in der römischen Gesellschaft gültigen Maßstäbe zur Beurteilung von Verkündigern außer Kraft. Paulus hat als Missionar in Korinth bewusst auf den Einsatz rhetorischer Eloquenz und argumentativer Brillianz verzichtet – und trotzdem sind Menschen zum Glauben an Jesus Christus gekommen und ist eine Gemeinde entstanden, eine Tatsache, die man nur mit dem unmittelbaren Wirken des allmächtigen Gottes und seines Geistes erklären kann. Jesusbekenner, die den Geist Gottes erhalten haben, verstehen Gottes Heilsoffenbarung im Kreuz Jesu, im Unterschied zu ihren Zeitgenossen, die im Wort vom Kreuz nur Torheit sehen (2,6-16). Weil sich die Korinther immer noch an menschlichen Maßstäben orientieren, verhalten sie sich im Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Status als „Vollkommene“ (3,1-4). Die Korinther können und sollen von Paulus, Apollos, Kephas und den anderen Aposteln und Lehrern lernen, dass es in der Gemeinde nicht um prominente Persönlichkeiten geht, sondern um den gemeinsamen Bau des „Tempels Gottes“, der infolge der aktuellen Streitigkeiten zerstört werden könnte, wenn die Korinther nicht ihr Verhalten ändern. Paulus und die anderen Apostel und Lehrer sind Diener Jesu Christi (4,1-5). Sie taugen nicht als Statussymbole, da ihre Existenz von Leiden, Schmähungen und Verfolgung gekennzeichnet ist (4,6-13), weil sie das Wort vom Kreuz verkündigen und leben. Und gerade darin sind sie ein Vorbild für die Gemeinde (4,14-21).
Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 In 5,1-13 behandelt Paulus einen Fall schwerer sexueller Verfehlung eines korinthischen Christen. Konkret geht es um das sexuelle Verhältnis eines Mannes mit seiner Stiefmutter (siehe die Exegese zu V. 1). Paulus hatte von der Angelegenheit durch korinthische Christen gehört (V. 1), vielleicht durch die Leute der Chloë (1,11), was aber nicht sicher ist. Besonders schwerwiegend ist für Paulus die Tatsache, dass die sexuelle Verfehlung von der Gemeinde toleriert wird (V. 2). Der Abschnitt wird durch den Gegensatz von heilig und profan, von rein und unrein bestimmt: alter/neuer Sauerteig (V. 6-8), die draußen/die drinnen (V. 12-13); Heiden (Welt)/Gemeinde (V. 1.10), Satan/Christus (V. 5-7). Diese Thematik bestimmt auch Kap. 6, was dazu berechtigt, Kap. 5–6 als Einheit unter dem übergreifenden Thema „die Reinheit und Heiligkeit der Gemeinde“ zu verstehen. 1 Wenn der Charak————————————————————
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Merklein II 26; vgl. Fenske, Argumentation, 72. Für die folgende Bemerkung siehe Winter,
Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 271 ————————————————————————————————————
ter der von Paulus behandelten Probleme das entscheidende Kriterium für die Gliederung ist, dann geht es in Kap. 5 in der Frage der Duldung einer illegitimen sexuellen Liaison um einen Kompromiss mit der römischen Kultur, während das Prozessieren von Gemeindegliedern in 6,1-11 einen Konflikt innerhalb der Gemeinde darstellt (wie 1,10–4,21). In 6,12-20, wo Paulus den in der Gemeinde bagatellisierten Verkehr mit Prostituierten behandelt, geht es wieder um einen Kompromiss mit der heidnischen Kultur. Die Thematik von Kap. 5 scheint auf den ersten Blick sehr abrupt auf die Ausführungen in Kap. 1–4 zu folgen. Die semantische Kohärenz ist jedoch nicht zu übersehen. Erstens geht es in 1,10–4,21 um einen durch Loyalitätsbekundungen und Rivalitäten ausgelösten Konflikt in der Gemeinde, der durch die säkularen Maßstäbe der römischen Bildungselite ausgelöst wurde, mit denen maßgebende Christen die Apostel und Lehrer der Gemeinde bewerteten. Die Tolerierung der illegitimen sexuellen Beziehung eines Gemeindeglieds ist ein kompromisshafter Umgang mit den geltenden römischen Gesetzen und reflektiert damit wieder die Anpassung der korinthischen Christen an die Praktiken der römischen Gesellschaft, die Angehörige der Elite oft mit Samthandschuhen anfasste. Zweitens argumentiert Paulus in 3,16-17 mit der Gefährdung der Gemeinde in ihrem Wesen als Tempel Gottes; die Argumentation in Kap. 5 (und Kap. 6) zeigt, dass Paulus durch das hier behandelte konkrete Fehlverhalten korinthischer Christen ebenfalls die Gemeinde als ganze gefährdet sieht.2 Drittens moniert Paulus, nachdem er in 1,29.31; 3,21; 4,6.7.18-19 die Überheblichkeit der Korinther gerügt hatte, in 5,2.6 das „Aufgeblasensein“ und das Rühmen der Gemeinde.
Das Urteil des Apostels 5,1-5 I 1 Überhaupt hört man von einer sexuellen Verfehlung bei euch, und zwar von einer Verfehlung, die nicht einmal unter den Heiden vorkommt, dass nämlich einer mit der Frau seines Vaters lebt. 2 Und ihr seid aufgeblasen und nicht vielmehr traurig geworden, dass derjenige, der diese Sache tut, aus eurer Mitte entfernt werde. 3 Ich habe nämlich – körperlich abwesend, geistig aber anwesend – das Urteil bereits über den gefällt, der dies begangen hat, als wäre ich anwesend. 4 Wenn ihr im Namen unseres Herrn Jesus versammelt seid samt meinem Geist und ————————————————————
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Underlays, 142-151. Merklein II 23; vgl. ebd. 23-24 für den nächsten Punkt.
272 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
der Kraft unseres Herrn Jesus, 5 soll dieser Mann dem Satan übergeben werden zum Verderben des Fleisches, damit sein Geist am Tag des Herrn gerettet werde.
II In 5,1-13 behandelt Paulus das Verhalten der korinthischen Christen, die einen Mann in der Gemeinde dulden, der mit seiner Stiefmutter in einer inzestuösen Beziehung lebt. Nach atl.-jüdischem und nach römischem Recht war eine sexuelle Beziehung sowohl mit der Mutter als auch mit einer Stiefmutter verboten. In 5,1-5 benennt Paulus den Tatbestand des konkreten sexuellen Fehlverhaltens des Gemeindeglieds sowie den Tatbestand der Tolerierung dieses unglaublichen Inzestfalls in der Gemeinde. Er lässt die Gemeinde wissen, wie er in diesem Fall urteilt und welches Urteil er von der Gemeinde erwartet. Paulus sorgt sich um die Reinheit der Gemeinde, gleichzeitig will er aber auch die Umkehr des unzüchtigen Sünders erreichen. Gliederung. V. 1-2 nennen den Tatbestand einer inzestuösen Beziehung eines Gemeindeglieds mit seiner Stiefmutter (V. 1) und die Duldung durch die Gemeinde (V.2). In V. 3 informiert Paulus die Korinther über das Urteil, das er über den Übeltäter trotz seiner Abwesenheit bereits gefällt hat. In V. 4 fordert er die Gemeinde auf, in ihrer Versammlung dasselbe Urteil zu fällen. V. 5 formuliert den Inhalt des Urteils: Der Übeltäter soll aus der Gemeinde ausgeschlossen und dem Satan übergeben werden, damit er am Tag des Herrn gerettet wird. Textkritische Anmerkungen. In V. 1 ergänzen zahlreiche Handschriften hinter ε»θνεσιν das Verb ο νομα' ζεται (d68 א2 Ψ 1881 Byz vgmss sy), was inhaltlich keinen Sinn ergibt (vgl. zu V. 1) und vielleicht aus Eph 5,3 ergänzt ist. In V. 2 verstärkt der Mehrheitstext (ε ξαρθη^, ) das von d11.46.61.68 אA B u.a. bezeugte α ρθη^, und nähert die Formulierung an Dtn 17,7 an (vgl. V. 13). Das im NT und bei Paulus häufig bezeugte ποιη' σας, das die meisten Handschriften lesen (d46.68 B D F G Byz), ist gegenüber πρα' ξας (d11vid אA C 33 81 104), der schwierigeren Lesart, sekundär;3 einen Unterschied in der Bedeutung gibt es nicht. In V. 4 stehen vier Lesarten zur Auswahl: 1. „der Herr Jesus“ (A Ψ 1505 pc); 2. „der Herr Jesus Christus“ ( אar); 3. „unser Herr Jesus“ (B D* 1175 1739 pc b d); 4. „unser Herr Jesus Christus“ (d46 D2 F G 33 1881 Byz ^ ν plauvg sy co). Die Handschriften d46 B D* lassen den Einschluss von η μω 4 5 sibel erscheinen, während Χριστου^ als sekundär zu gelten hat. In V. 5 ergänzen d61vid אΨ Byz hinter κυρι' ου mit Ιησου^ ; die Lesart von d46 B u.a. ist ————————————————————
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Metzger, Commentary, 484; Thiselton 387; anders Zuntz, Text, 131. Zuntz, Text, 235-236; Metzger, Commentary, 484-485; anders Lindemann 126. Fee 198 Anm. 12; anders Zuntz, Text, 236.
Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 273 ————————————————————————————————————
als kürzere Lesart, die die anderen Varianten am besten erklärt, vorzu-ziehen (vgl. auch 1Thess 5,2; 2Thess 2,2).6
III 1 Mit dem Wort überhaupt (ο« λως) geht Paulus von der Ankündigung seines energischen Durchgreifens im Blick auf die für die Rivalitäten verantwortlichen korinthischen Christen in 4,14-21 zur Behandlung weiterer Kompromisse mit Maßstäben und Verhaltensweisen der römischen Gesellschaft in Korinth über.7 Die Wendung hört man (α κου' εται, Pass. Präs.) lässt offen, wer Paulus die Nachrichten überbracht hat, um die es im Folgenden geht. 8 Die passivische Formulierung kann jedenfalls so verstanden werden, dass Paulus „Beschwerden erreicht haben, die jederzeit zu Protokoll gebracht werden könnten bzw. für die es auch Zeugenaussagen gibt“. 9 Der mit sexuelle Verfehlung10 übersetzte Ausdruck πορνει' α bezeichnet jede Art illegitimen Geschlechtsverkehrs. Versuchungen und Verfehlungen im sexuellen Bereich gehörten zu den größten Herausforderungen der neubekehrten Jesusbekenner, vor allem der Heidenchristen. Dies zeigt sich einmal daran, dass porneia („Unzucht“, „sexuelle Zügellosigkeit“) in den ntl. Lasterkatalogen an erster Stelle steht. Sodann ist die Mahnung des Apostels in seinem Brief an die Christen in Thessalonich instruktiv, an die er nur wenige Monate nach der Gemeindegründung schreibt: „Das ist es, was Gott will: eure Heiligung. Das bedeutet, dass ihr die Unzucht meidet, dass jeder von euch lernt, mit seiner Frau in heiliger und achtungsvoller Weise zu verkehren, nicht in leidenschaftlicher Begierde wie die Heiden . . . wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben“ (1Thess 4,3-6). Mit bei euch (ε ν υ μι^ν) ist die korinthische Gemeinde gemeint. Das heißt, der Schuldige ist ein Mitglied der Gemeinde. Darauf weisen auch V. 9-13 hin, wo Paulus die Gemeinde auffordert, die zu richten, die „drinnen“ sind. Weil Paulus keine Direktiven bezüglich der Frau gibt, mit denen das Gemeindeglied sexuelle Beziehungen unterhält, ist davon auszugehen, dass diese keine Christin war. Das Wort einer (τι' να, Akk. in dem AcI) lässt die Identität des Schuldigen ungenannt. ————————————————————
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Zuntz, Text, 184; Metzger, Commentary, 485; Fee 198 Anm. 14. D.h. ο« λως ist nicht nur eine Übergangswendung; Merklein II 23; anders Lindemann 122. Vgl. die von R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 200, angeführten Belege aus den Papyri für ein am Satzanfang stehendes ο« λως: SB VI 9050,8-9; P.Giss.Univ. III 25,16-18. Lindemann 122 meint, α κου' εται zeige „den Grad der Mißbilligung des Gehörten“; dies ist in den Text hineingelesen. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 196. Fast alle Übersetzungen geben πορνει'α mit „Unzucht“ wieder (LÜ, EÜ, Elb.Ü, GN, Hfa, Menge, MNT, SÜ, ZB; vgl. Conzelmann, Merklein, Schrage); NGÜ übersetzt mit „Unmoral“, Lindemann mit „sexuelle Verfehlung“.
274 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Da Paulus direkte Nachrichten aus Korinth hatte, und da das betreffende Gemeindeglied vermutlich aus einer der in Korinth angesehenen Familien kam (siehe unten), ist anzunehmen, dass Paulus genau wusste, um wen es sich handelte. Paulus hat bei direkten Mahnungen von Gemeindegliedern, von der Ausnahme in Phil 4,2-3 abgesehen, nie die Namen der Missetäter genannt. Diese Praxis ist im Sinn einer gewissen menschlichen Schonung zu interpretieren, was aber nicht zur Schlussfolgerung berechtigt, dass Paulus sich vorsichtig taktierend ausgedrückt hätte: bei der öffentlichen Verlesung des Briefes in der Gemeindeversammlung wussten alle Anwesenden sofort, wer gemeint war. Der Satz dass nämlich einer mit der Frau seines Vaters lebt (ω « στε γυναι^κα' τινα του^ πατρο` ς ε»χειν) benennt das Delikt. Die mit „lebt“ übersetzte Vokabel ε»χειν bezeichnet hier die sexuelle Beziehung; die Formulierung mit dem Präsens zeigt, dass es sich nicht um einmaligen oder gelegentlichen geschlechtlichen Verkehr handelte, sondern um eine eheähnliche Beziehung, um eine „wilde Ehe“.11 Die Aoristpartizipien in V. 2-3 könnten auf einen Eheschluss hindeuten, was aber unklar bleibt. Nach römischem Recht war die Ehe eine private Vereinbarung, beruhte also nicht auf einem öffentlichen Rechtsakt.12 Mit der Frau seines Vaters ist sehr wahrscheinlich nicht die Mutter gemeint: In diesem Fall hätte Paulus sich sicherlich noch viel deutlicher ausgedrückt, ausserdem schreibt er nicht „seine Mutter“. Es handelt sich vermutlich um die zweite Frau des Vaters, d.h. um die Stiefmutter (Hebr. ֵא ֶשת ; ¼אבLXX: γυνη` πατρο' ς, statt Griech. μητρυια' ; vgl. Lev 18,8; 20,11; Dtn 23,1; 27,20).13 Weniger wahrscheinlich ist der Vorschlag,14 dass der Mann sexuelle Beziehungen zur Konkubine seines Vaters pflegte. Ein Mitglied der korinthischen Gemeinde lebte also in einer ehelichen oder eheähnlichen Gemeinschaft mit seiner Stiefmutter. Nach dem im atl. Gesetz geoffenbarten Willen Gottes war eine solche Beziehung verboten. 15 Die Verfehlung ist so ungeheuerlich, dass sie nicht einmal unter den Heiden vorkommt, d.h. dass sie auch von der nicht-christlichen Bevölkerung scharf verurteilt wird. Paulus will mit dieser Formulierung der Gemeinde ————————————————————
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In den Papyri beschreibt der Ausdruck γυναι^κα ε»χειν das Verheiratetsein: SB XIV 11846; BGU VI 1463; P.Enteux. 23; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 196-197. E. Bund, Art. Matrimonium, KP III, 1081-1082: „Die Ehe wurde dadurch geschlossen, daß die Gatten die Lebensgemeinschaft aufnahmen in dem Willen, als Mann und Frau zusammenzuleben“. Vgl. Veyne, Das römische Reich 45-46. Lietzmann 23; Conzelmann 123; Lang 71; Fee 200; Schrage I 369; Merklein II 32. Lindemann 124 hält eine sexuelle Beziehung zur leiblichen Mutter für möglich. Vos, Stepmothers, 104-114; Konradt, Gericht, 298. Tomson, Paul, 100; Rosner, Paul, 82-83; Konradt, Gericht, 298; Ciampa /Rosner 705706.
Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 275 ————————————————————————————————————
deutlich nicht nur „Schimpf und Schande dieses Falls“ vor Augen führen.16 Er verweist die Korinther an die Tatsache, dass eine eheliche oder eheähnliche Beziehung zwischen Stiefverwandten nach römischem Recht verboten war. Gaius schreibt: „Ebenso ist es nicht erlaubt (non licet), die Schwester des Vaters oder die Schwester der Mutter zu heiraten; ebenso diejenige, die mir zeitweilig Schwiegermutter oder Schwiegertochter oder Stieftocher oder Stiefmutter (nouerca) gewesen ist“ (Institutiones 1,63). M. Kaser erklärt: „Die Schwägerschaft (adfinitas), also die Beziehung einer Person zu den Verwandten ihres Ehegatten, begründet ein Ehehindernis zunächst nur in gerade Linie, also zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Schwiegerelten und Schwiegerkindern“.17 Der Geschlechtsverkehr zwischen Stiefmutter und Stiefsohn war nach römischem Recht Inzest. M. Kaser schreibt: „Die Blutsverwandtschaft macht unter Personen, zwischen denen der Geschlechtsverkehr wegen incestum bestraft wird, auch die Ehe wegen mangelnden conubium nichtig. Für Verwandte in auf- und absteigender Linie gilt das Verbot zu allen Zeiten. Unter Seitenverwandten wird es fortschreitend gemildert . . . In der klassischen Periode reicht das Hindernis bis zum 3. Grad, schließt also Ehen zwischen Geschwistern (auch Stiefgeschwistern) sowie zwischen Onkel und Nichte, Tante und Neffe aus“.18 Die Strafe für eine solche Beziehung war hart: Sowohl Sohn als auch Stiefmutter wären zum Exil auf einer Insel verurteilt worden (relegatio ad insulam), und beide hätten den Verlust ihres Vermögens und ihres gesellschaftlichen Status hinnehmen müssen.19 Apuleius bezeichnet die (fiktive) Beziehung einer Frau zu ihrem Stiefsohn als extremum flagitium (Met. 10,2,3).20 Im AT ist jede Form von Inzest streng verboten. Lev 18,8 formuliert grundsätzlich: „Du sollt mit der Frau deines Vaters (d.h. deiner Stiefmutter) nicht ehelichen Umgang pflegen, damit schändest du den Vater“. Nach Lev 20,11 sollen die beiden Schuldigen getötet werden (vgl. Dtn 23,1; 27,20). Diese rechtliche Regelung wurde im Judentum beibehalten.21 Nach mSan 7,4 wäre eine Ehe zwischen Stiefmutter und Stiefsohn auch ————————————————————
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So Schrage I 369; vgl. Lindemann 122, richtig jedoch ebd. 122-123: „das erwähnte Handeln steht außerhalb aller anerkannten Normen“. Kaser, Privatrecht, 261; ders. Privatrecht I, 316 (§74.II.5); Hausmaninger / Selb, Privatrecht, 100-101. Vgl. G. Delling, Art. Ehehindernisse, RAC IV, 685. Kaser, Privatrecht I, 316 (§74.II.5); vgl. ders., Privatrecht, 261; vgl. Gardner, Women, 126; Clarke, Leadership, 77; W. Eisenhut, Art. Incestus, KP II, 1386-1387; C. Ebner, Art. Incestus, DNP V, 963-964. So die Regelungen in der lex Iulia de adulteriis coercendis des Augustus (18-16 v.Chr.), vgl. Digesten 48,5; vgl. Gardner, Women, 126-127; Mette-Dittmann, Ehegesetze, 42-49; Winter, Corinth, 49-50. Zur lex Iulia vgl. Mommsen, Strafrecht, 688-699; Kaser, Privatrecht I, 318-321 (§75); Raditsa, Legislation, 278-339; Mette-Dittmann, Ehegesetze, 33-130; Edwards, Immorality, 37-62. Vgl. Clarke, Leadership, 79. Zur Missbilligung von sexuellen Beziehungen zwischen Stiefmutter und Stiefsohn vgl. Diodorus Siculus, Bibl.Hist. 20,33,5; Martial, Epigr. 4,16; vgl. Catull, Carm. 88. In Cicero, Cluent. 14-15 geht es um die Verbindung eines Mannes mit seiner (früheren) Schwiegermutter. Jub 33,10; Josephus, Ant. 3,274; Philo, Spec.Leg. 3,13-14.20-21; Arist 152; Sib 5,390; Pseudo-Phokylides 179; mSan 7,4; 9,1; mKer 1,1; tSan 10,1; zum Inzest vgl. auch CD 5,7-11; 11QTemple 66,11-17.
276 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— dann unzulässig, wenn der Ehemann der Stiefmutter verstorben war. P. Billerbeck meinte, die meisten Rabbinen hätten nichts gegen die Ehe eines Heiden oder Proselyten mit der Stiefmutter einzuwenden gehabt; bei einem Proselyten wären infolge der Neugeburt, die seine Bekehrung zum Judentum darstellte, die früheren Verwandtschaftsverhältnisse aufgehoben worden, mit der Folge, dass die Inzestverbote nicht mehr gelten; diese Position habe man in der korinthischen Gemeinde „als Beruhigungsmittel über ihre eigene laue u[nd] schlaffe Haltung“ zur Entschuldigung vorgebracht.22 Solche rabbinischen Traditionen können 1Kor 5 nicht erklären: Paulus wirft den korinthischen Christen weder eine illegitime Anwendung rabbinischer Theologie vor, noch spricht er von Bekehrung oder Neugeburt; zudem wäre bei dieser Interpretation die Strafe der Exkommunikation zu harsch.
Wahrscheinlich war der Vater des Gemeindeglieds, d.h. der Ehemann der Stiefmutter, verstorben; hätte er noch gelebt, wäre er rechtlich (unter Strafandrohung) verpflichtet gewesen, sich sofort scheiden zu lassen und seine Frau und seinen Sohn innerhalb von sechzig Tagen anzuzeigen. 23 Möglich ist auch, dass die Stiefmutter geschieden war; nach römischem Recht hätte eine Ehe mit der verwitweten Stiefmutter trotzdem als Inzest gegolten. Nicht ganz ausschließen lässt sich die Möglichkeit, dass der Vater noch lebte und die Ehe mit der Stiefmutter seines Sohnes noch bestand; manche Ehemänner zogen es vor, den Ehebruch der Ehefrau zu übersehen und eine Scheidung samt öffentlicher Anklage zu vermeiden, die Schande und den Verlust der dignitas mit sich brachten.24 Die Vermutung, dass die Motivation für das inzestuöse Verhältnis eine finanzielle war – die Ehe der Frau mit dem (verstorbenen?) Vater des Gemeindeglieds war kinderlos geblieben; die Frau hoffte auf Kinder durch die Beziehung mit dem Stiefsohn, was ihr gleichzeitig das volle Erbe ihres Mannes sicherte; gleichzeitig sorgte der Stiefsohn dafür, dass er das Erbe seines Vaters nicht verlor, wenn seine Stiefmutter wieder heiratete25 – ist plausibel, kann aber nicht beweisen werden. Der entscheidende Ausdruck ist bei euch (ε ν υ μι^ν). So unfasslich das kriminelle sexuelle Verhalten des Gemeindeglieds auch ist, noch unfasslicher ist die Tatsache, dass dieses Verhalten von der korinthischen Gemeinde, die als Tempel Gottes die Wohnstätte des Heiligen Geistes ist (3,17), toleriert wird. 2 Auf die Angabe bei euch folgt das direkte ihr (υ μει^ς). Paulus stellt fest, dass die Korinther aufgeblasen (πεφυσιωμε'νοι ε στε') sind (vgl. 1,29.31; 3,21; 4,6.18-19). Manche Ausleger meinen, die Gemeinde habe das sexuelle (Fehl-) ————————————————————
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Bill. III, 358, Belege 343-358; vgl. Lightfoot 203; Suhl, Paulus, 116; Merklein II 33 als Möglichkeit; kritisch Clarke, Leadership, 74-76. Mette-Dittmann, Ehegesetze, 37; Clarke, Leadership, 84; vgl. Lindemann 123. Winter, Corinth, 51. Clarke, Leadership, 80-85. Nach dem Ehegesetz des Augustus bekam der überlebende Partner einer kinderlosen Ehe nur 10% der Erbmasse; vgl. Raditsa, Legislation, 323.
Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 277 ————————————————————————————————————
Verhalten des Gemeindeglieds nicht nur geduldet, sondern man sei auf den Inzest geradezu stolz gewesen – man habe ihn als Akt christlicher Freiheit analog des in 6,12 zitierten Slogans „alles ist erlaubt“ verstanden. 26 Diese Interpretation scheidet aus zwei Gründen aus. Erstens, wenn das sexuelle Verhalten des Gemeindeglieds mit theologischen Gründen gerechtfertigt worden wäre, würde man von Paulus eine gründliche theologische Argumentation erwarten, die er in 5,1-13 gerade nicht bietet.27 Zweitens, es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Gemeinde, oder jedenfalls die Mehrheit der korinthischen Christen, ein Verhalten, das nach römischem Recht als kriminell galt, bewusst gelobt hätte. Paulus wirft den Korinthern nicht vor, dass sie sich wegen des Inzests rühmen. Er wirft ihnen vor, dass sie sich trotz des Inzests rühmen.28 Das selbstgefällige Überlegenheitsgefühl einiger Gemeindeglieder (4,18 τινες), das mit einem Hochmut gekoppelt war, der sich in der Fixierung auf ekstatische Phänomene äußerte (Kap. 12–14), hatte die ethischen Konkretionen des Glaubens an Jesus Christus aus dem Blick verloren. Paulus wirft der Gemeinde vor, nicht zu merken, wie schlimm es um sie steht. Neuere Ausleger29 erklären die Duldung des in einer inzestuösen Beziehung lebenden Gemeindeglieds mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, dass der Missetäter und (oder) die Frau der höheren Schicht angehörte. Die Behandlung des Falls in einem früheren Brief des Paulus (V. 9) und die wiederholte Aufforderung (V. 11), mit diesem Mann keinen Umgang zu haben und nicht mit ihm zusammen zu essen, deuten darauf hin, dass die Gemeinde auf den gesellschaftlichen Verkehr mit diesem Mann Wert legte. Bei einem armen Gemeindeglied ohne Einfluss wäre dies kaum denkbar. Nur solche Gemeindeglieder, die auf derselben gesellschaftlichen Stufe standen wie der Missetäter, hätte es wagen können, in diesem das römische Recht tangierenden Fall etwas gegen das ————————————————————
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So GN: „Und darauf seid ihr noch stolz und gebt es als Zeichen eurer christlichen Freiheit aus!“; ebenso die Anm. der NGÜ: „Und darauf bildet ihr euch auch noch etwas ein (als wären dieses Verhältnis und diese Toleranz Zeichen christlicher Freiheit)?“; vgl. die Anmerkung zu V. 2 in SÜ. So Schlatter 171; Fee 202; Bruce 54; Lang 70-71; Kremer 101; Merklein II 34; Schrage I 372-373; Schmithals, Gnosis in Korinth, 224; Friedrich, Wort, 136; Thiselton, Meaning, 211; ders., Eschatology, 516; Roetzel, Judgement, 116; Harris, Beginnings, 14; als Möglichkeit Lindemann 124. Garland 160; Vos, Stepmothers, 109-110; Clarke, Leadership, 74. So Wilckens „Und da seid ihr mit eurer Aufgeblasenheit beschäftigt, statt vielmehr diesen Fall (vor Gott) zu beklagen“; vgl. Weiss 133; Allo 116; Robertson / Plummer 97; Conzelmann 123-124; Wolff 101; Garland 159-161; Clarke, Leadership, 76-77.87; Konradt, Gericht, 300-308, ebd. 301 für die folgende Bemerkung. Garland 162-163; Chow, Patronage, 139-140; Clarke, Leadership, 85-88; Dunn, 1 Corinthians, 52-53; Vos, Church, 208; Winter, Corinth, 53-57; vgl. schon Meyer 133; kritisch Lindemann 124.
278 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gemeindeglied zu unternehmen. 30 Die sozial Höherstehenden waren rechtlich davor geschützt, von Angehörigen der niedrigeren Schichten in gerichtliche Streitigkeiten verwickelt zu werden, die sie der infamia ausgesetzt hätten. Wenn diese Rekonstruktion zur Interpretation herangezogen wird, dann stellt die Tatsache, dass Paulus die sexuelle Beziehung kommentiert und Direktiven zum Ausschluss aus der Gemeinde gibt, einen Bruch sozialer Etiquette dar. 31 Gleichzeitig riskiert Paulus die Feindschaft des gesellschaftlich höher stehenden Gemeindeglieds und seiner Freunde. Die richtig Reaktion wäre vielmehr (μα^λλον), dass sie traurig gewesen wären (ε πενθη' σατε). Das Verb πενθε'ω meint nicht nur ein Bedauern, sondern ein „Klagen“ über diese schwere Sünde. Wer über eine konkrete Sünde klagt und trauert, der trifft ein Urteil über die Sünde und duldet sie nicht.32 Die Gemeinde müsste wissen, dass derjenige, der diese Sache tut (ο το` ε»ργον του^ το πρα' ξας), aus ihrer Mitte entfernt werden muss. Die Wendung αι»ρω ε κ με'σου υ μω ^ ν beschreibt den Ausschluss aus der Gemeinde. Der atl. Hintergrund für diese Anweisung ist Lev 18,8; 20,11; Dtn 27,20; 23,1. Die Formulierung mit αι»ρω kommt sonst im NT nicht vor; zur Sache vgl. Mt 13,49; 2Kor 6,17.33 In V. 13 zitiert Paulus Dtn 17,7 (vgl. Dtn 22,22.24; s. unten). Ein Mann, der eine inzestuöse Beziehung eingegangen war, wurde aus Israel durch das Todesurteil entfernt. In der jüdischen Tradition wurde das Todesurteil durch den Ausschluss aus der Gemeinschaft ersetzt. Die Entfernung des Sünders aus Israel hatte drei Gründe: der Bruch des Bundes Gottes, die gemeinsame Verantwortung für die Sünden des Einzelnen und die Aufrechterhaltung der Heiligkeit des Gottesvolkes. Die drei Motive der Heiligkeit, des Bundes und der gemeinsamen Verantwortung beschreiben drei fundamentale Perspektiven des Selbstverständnisses Israels als heiliges Volk, als Bundes————————————————————
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Clarke, Leadership, 87 meint, dass die Korinther den Schuldigen vor Gericht hätten anzeigen sollen; für die folgende Bemerkung ebd. 86. Vgl. Digesten 4,3,11,1; 37,15,2. Winter, Corinth, 56. Conzelmann 124; Fee 202-203; Lang 71; Wolff 101. Andere beziehen das Trauern auf den bevorstehenden Verlust des sündigenden Bruders (Robertson/Plummer 97; Héring 39; Schlatter 175). Konradt, Gericht, 302 interpretiert im Sinne der Trauer über die eigene Untätigkeit. Rosner, Paul, 71-73 (vgl. Ciampa /Rosner 706) interpretiert auf dem Hintergrund von Esra 10,6.8 im Sinn des Trauerns über die Sünde des Bruders, als sei sie die eigene Sünde (kritisch Konradt, Gericht, 302). NSS II, 65 interpretiert «ινα konsekutiv, Barrett 122 imperativisch. Im AT nur in Jes 57,2 LXX (ohne Entsprechung im hebr. Text). R. E. Kritzer, in ArztGrabner 201 folgert aus der Tatsache, dass in den Papyri die negative Bedeutung von αι»ρω durchwegs in Verbindung mit Sachgütern vorkommt (BGU II 388 Kol. II 23 u.a.), dass Paulus den Übeltäter „bereits wie einen Gegenstand ansieht, dessen man sich einfach entledigen soll“. Diese Schlussfolgerung ist schon aus linguistischen Gründen nicht gerechtfertigt, zumal literarische griechische Texte eine breitere Verwendung von αι»ρω bezeugen.
Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 279 ————————————————————————————————————
volk und als Gemeinschaft Jahwes. 34 Der atl. Hintergrund für den Ausschluss des in schwerer sexueller Sünde beharrenden Gemeindeglieds zeigt, dass es Paulus nicht um Bestrafung geht, sondern um die Heiligkeit und um die Identität der Gemeinde. Nach der Überzeugung des Apostels gehören die Heidenchristen Korinths zum Gottesvolk (Israel) und haben sowohl an den Privilegien als auch an den Pflichten der Bundesgemeinde Anteil. 35 3 Paulus teilt der Gemeinde mit, dass er das Urteil bereits über den gefällt hat, der dies begangen hat, als sei er in Korinth körperlich anwesend (ω ς παρω' ν). Der Hauptsatz in V. 3, der von zwei Parenthesen unterbrochen wird, lautet: ε γω` με`ν γα' ρ . . . η» δη κε' κρικα . . . το` ν ου« τως του^ το κατεργασα' μενον. Das Objekt το` ν κατεργασα' μενον nimmt das Subjekt ο πρα' ξας des «ινα-Satzes V. 2 auf. Möglich, aber wenig wahrscheinlich ist der Vorschlag, το` ν ου« τως του^ το κατεργασα' μενον als Obj. zu παραδου^ ναι V. 5 zu ziehen (mit Wiederholung des Objekts in V. 5 nach dem eingeschobenen gen. abs.).36 Bengel kommentiert die Satzkonstruktion V. 3-5: „graviter suspensa manet et vibrat oratio“. Mit dem einleitenden ε γω` με`ν γα' ρ hebt Paulus den Gegensatz zu υ μει^ς und zur Handlungsunfähigkeit der Gemeinde hervor.
Das Verb κρι' νω bedeutet hier, wie in V. 12-13, „richten, ein Urteil fällen“.37 Der Sinn der Aussage ist nicht adäquat erfasst, wenn man meint, Paulus ordne einen Rechtsvorgang an, sodass die Gemeinde dem Urteil nur noch zuzustimmen braucht.38 Die Beteiligung der korinthischen Gemeinde an der Lösung des schwerwiegenden Problems ist nicht fiktiv, sondern real, wie die Aufforderung an die Gemeinde in V. 13 unterstreicht. 39 Paulus ist körperlich abwesend (α πω` ν τω ^, σω' ματι), aber geistig anwesend (παρω` ν τω ^, πνευ' ματι). Die Vokabeln σω' μα und πνευ^ μα sind zunächst auf die körperliche Abwesenheit von Korinth und auf die innerliche, d.h. gedankliche Präsenz in der korinthischen Gemeinde zu deuten. 40 Der Verweis in V. 4 auf seinen Geist, der bei der Versammlung der Gemeinde gegenwärtig ist, macht es jedoch wahrscheinlich, dass Paulus gleichzeitig an den Heiligen Geist denkt, den er hat: Paulus ist „im Geist“ „und daher auch wirksam“ in Korinth anwesend.41 ————————————————————
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Rosner, Paul, 61-93; Ciampa/Rosner 706; vgl. Merklein II 34.35; Hays 82-83. Vgl. Hays, Conversion, 22-24. Weiss 127.129. Zu den verschiedenen Optionen vgl. Conzelmann 124. Lindemann 125; vgl. Merklein II 35; anders Bauer/Aland 916 s.v. κρι'νω 3 („sich entscheiden für, beschließen, sich vornehmen“). Käsemann, Exegetische Versuche II, 72-73; Conzelmann 124. Schrage I 373-374; Merklein II 35, mit Kritik an Hainz, Ekklesia, 54. Vgl. Lindemann 125, der auf diese Formel als Brieftopos verweist; vgl. Kol 2,5; Ovid, Her. 18,299-230; Eusebius, Hist.Eccl. 7,11,12. Merklein II 35.
280 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
4 Die Wendung im Namen unseres Herrn Jesus (ε ν τω^, ο νο' ματι του^ κυρι' ου η μω ^ ν Ιησου^ ) ist syntaktisch am besten mit dem folgenden gen. abs. συναχθε'ντων υ μω ^ ν και` του^ ε μου^ πνευ' ματος zu verbinden.42 Wenn sich die Gemeinde versammelt (συναχθε' ντων),43 dann geschieht das immer „im Namen unseres Herrn Jesus Christus“. Die Realität der Bekehrung und der Taufe, bei denen der Sünder den „Namen“ Jesu Christi anruft, d.h. Christi Eigentum wird und sich unter seine Herrschaft stellt (s. oben zu 1,2.13), ist bei jeder Versammlung der Gemeinde aktuell gegeben. V. 5 zeigt, dass Paulus hier an die konkrete Gemeindeversammlung denkt, in der der Übeltäter aus der Gemeinde entfernt wird. Offensichtlich denkt er an die gesamte Gemeinde in Korinth (υ μω ^ ν), nicht nur an eine Sitzung des Leiter- bzw. Ältestenkreises. Der Text schweigt allerdings über die Art des Verfahrens; möglich wäre eine förmliche Abstimmung oder Akklamation.44 Weil Paulus dieses Urteil für sich schon getroffen hat und weil er will, dass die Gemeinde genauso urteilt, fügt er hinzu: samt meinem Geist (και` του^ ε μου^ πνευ' ματος). Die Wendung (samt) der Kraft unseres Herrn Jesus entspricht inhaltlich der Wendung „im Namen unseres Herrn Jesus“: Wenn sich die Gemeinde unter die Herrschaft Jesu stellt, steht sie im Kraftfeld seiner Macht (δυ' ναμις). Das bedeutet im konkreten Fall, dass sich die Gemeinde nicht scheuen soll, gegen das Gemeindemitglied vorzugehen, auch wenn dies für die Gemeinde negative Konsequenzen haben könnte – gerade wenn der Missetäter zu den wohlhabenden Patronen der Gemeinde gehört. 5 Paulus hat das Urteil gefällt und hofft, dass die Gemeinde dieselbe Entscheidung treffen wird, dass dieser Mann dem Satan übergeben werden soll (παραδου^ ναι το` ν τοιου^ τον τω ^, Σατανα^). , Der Inf. παραδου^ ναι ist am besten im imperativischen Sinn zu interpretieren. Das von Hebr. „ שטןanfeinden, anklagen“ abgeleitete Wort σατανα^ς bezeichnet den transzendenten
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EÜ, Elb.Ü, GN, LÜ, NGÜ, Menge, Wilckens, ZB; Heinrici 42; Weiss 127; Lietzmann 23; Lightfoot 204; Barrett 124. Es gibt drei andere syntaktische Möglichkeiten. 1. ε ν τω ^, ο νο' ματι bezieht sich auf το` ν ου« τως του^ το κατεργασα' μενον V. 3: „der dies getan hat im Namen unseres Herrn Jesus“ (NA27; Schrage I 367.372; Lindemann 126; Konradt, Gericht, 310-311; Ebel, Attraktivität, 181). 2. ε ν τω ^, ο νο' ματι bezieht sich auf κε' κρικα V. 3: „ich habe das Urteil gefällt im Namen Jesu“ (TNIV; Schlatter 176; Fee 207-208; Soards 112). 3. ε ν τω ^, ο νο' ματι bezieht sich auf παραδου^ ναι V. 5: „den Betreffenden im Namen unseres Herrn Jesus . . . dem Satan zu übergeben“ (SÜ; Allo 121; Lang 69.71; Wolff 102; Kremer 100; Merklein II 27). Paulus verwendet συνα' γω nur hier; in 11,17.18.20.33.34; 14,23.26 steht συνε' ρχομαι. Merklein II 35; Godet I 127 sieht ein „durch Stimmenmehrheit herbeigeführtes Beschließen“, Olshausen 574 „eine demokratische Gleichheit aller Gemeindeglieder“.
Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 281 ————————————————————————————————————
Widersacher Gottes und Ankläger des Menschen.45 Das mit „übergeben“ übersetzte Wort παραδι' δωμι bedeutet auch „ausliefern, überlassen“, als Ausdruck der Polizei- und Gerichtssprache „zwangsweise vorführen, gefangen einliefern“.46 Was Paulus konkret meint, hängt mit dem Verständnis der Vokabeln Fleisch (σα' ρξ) und Geist (πνευ^ μα) zusammen. Wenig plausibel ist die Auslegung, die „Geist“ im Sinne des Heiligen Geistes und die Rettung auf die Gemeinde deutet – es gehe Paulus um die Bewahrung des in der Gemeinde präsenten Geistes Gottes durch die Ausmerzung des Übeltäters. 47 Diese Erklärung hat zwar richtig erkannt, dass es Paulus primär um die Heiligkeit der Gemeinde geht, die bewahrt werden soll. Dies wäre jedoch die einzige Stelle, an der Paulus von der Bewahrung des Geistes in der Gemeinde zur Rettung am Tag des Herrn spräche. Und da „Fleisch“ sich deutlich auf den Übeltäter bezieht, ist es von der Argumentation her naheliegend, dass dies auch für den „Geist“ gilt. Nun kann „Fleisch“ (σα' ρξ) bei Paulus unterschiedliche Bedeutungen haben, mit fließenden Übergängen, was zu unterschiedlichen Interpretationen der Wendung zum Verderben des Fleisches (ει ς ο» λεθρον τη^ ς σαρκο' ς) geführt hat. 1. Wenn man „Fleisch“ als physischen Leib interpretiert, kann man die Wendung in Analogie zu der in Lev 20,11 vorgesehenen Strafe für Inzest im Sinn des Todes des Übeltäters interpretieren. 48 Die Wendung „dem Satan übergeben“ wird in diesem Zusammenhang dann meist als Fluch interpretiert, mit dem der Sünder dem von Gott zu verhängenden Todesschicksal überantwortet wird.49 Oft wird Apg 5,1-11 als Analogie angeführt. Dort heißt es ————————————————————
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Hiob 1,6-12; 2,1-7; Sach 3,1-2; 1Chron 21,1; die LXX übersetzt jeweils mit δια' βολος. Die griech. Transkription σατανα^ς findet sich in Sir 21,27; TestDan 3,6; 5,6; 6,1; TestGad 4,7; TestAss 6,4. In Qumrantexten wird er als „Engel der Feindschaft“ bezeichnet; 1QM 13,11; CD 16,5; vgl. 1QS 3,23. Vgl. O. Böcher, EWNT III, 558. Aus den Papyri gibt es bisher keine zeitlich relevanten Belege für σατανα^ς; der von MM 570 s.v. σατανα^ς angeführte Zauberpapyrus P.Par. 574,1238 (Pap.Graec.Mag. I 4,1238) ist in Koptisch geschrieben, nicht in Griechisch; vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 208. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 207-208, verweist auf zwei Vereinssatzungen, in denen παραδι'-δωμι „übergeben“ im Sinn einer „Vorführung“, „Auslieferung“ oder Inhaftierung straffäl-liger Personen die Rede ist (P.Mich. V 243,8-9; P.Mich. V 244,9-12). Collins 213; Lindemann, 128; Donfried, Justification, 108-109; Schade, Christologie, 5657; Mitchell, Rhetoric, 111-116; Yarbro Collins, Function, 259-260; zur Kritik Hays 8586; Garland 174-175; Konradt, Gericht, 313-314. Lietzmann 23; Conzelmann 125; Bruce 55; Strobel 98; Collins 212; Mattern, Verständnis, 106; Käsemann, Exegetische Versuche II, 73. Wilckens „er soll in seinem leiblichen Dasein vernichtet werden“; Weiss 130-131; Conzelmann 125; Klauck 42; Lang 72; Wolff 103; Kuck, Judgment, 241. Oft beruft man sich auf die von Deissmann, Licht vom Osten, 256-257 angeführten Papyri, in denen solche „Devotionsakte“ vorkommen. Ein technischer Sprachgebrauch für das 1. Jh. kann jedoch nicht belegt werden; vgl. South, Critique, 545-546; Schrage I 374-375. Das Substan-
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jedoch, dass der Satan das Herz des Hananias erfüllt; von einer Übergabe an den Satan ist nicht die Rede. Die ebenfalls oft angeführte Stelle 2Kor 12,7 zeigt, dass Paulus ein physisches Leiden mit Satan in Verbindung bringen konnte. Aber von einer Übergabe an den Satan ist auch dort nicht die Rede. Die Hauptschwierigkeit dieser Auslegung, die den Tod des Übeltäters angesprochen sieht, ist die Tatsache, dass es völlig unklar bleibt, wie in diesem Fall der „Geist“ des Übeltäters gerettet werden soll. Außerdem sieht Paulus die Möglichkeit gegeben, dass die Gemeinde auch in der Zukunft mit dem Mann noch Umgang haben könnte (V. 9-12), d.h. er erwartet keinen baldigen Tod. Dass Paulus dem Tod des Sünders eine sühnende Wirkung zuschreiben könnte, ist kaum denkbar.50 Die Meinung, das Heil des Übeltäters, der dem Satan und damit dem Tod überantwortet werden soll, sei durch die Taufe gesichert,51 kann nicht überzeugen, da dies der Auffassung des Paulus von den „Sakramenten“ (10,1-22) widerspricht. Genauso wenig überzeugend ist die Meinung, dass Paulus durch den Tod des Missetäters seinem sündigen Leben ein Ende setzen will, damit er gerade noch gerettet werden kann. 52 Und für die These, Paulus rechne mit einer Umkehr des Übeltäters nach dessen Tod, die die Rettung seines Geistes bewirke, 53 gibt es keinerlei Anhaltspunkte. 2. Wenn man unter „Fleisch“ den physischen Leib des Missetäters versteht, kann man das „Verderben“, das Paulus als Ausgang des Verfahrens in der Gemeinde erwartet, im Sinn von körperlichen Gebrechen verstehen.54 Diese Interpretation kann auf Hiob 2,4 verweisen, wo Hiob dem Satan ausgeliefert (παραδι' -δωμι) und von diesem mit Krankheit geschlagen wird. Die Rettung des „Geistes“ des Übeltäters setzt dessen durch die Krankheit ausgelöste Umkehr zwischen V. 5a und V. 5b voraus. Diese abgeschwächte Bedeutung von ο» λεθρος ist jedoch lexikalisch schwierig; wenn „Fleisch“ den physischen Leib bezeichnet, ist mit „Verderben“ sehr wahrscheinlich der Tod gemeint. 3. Das Wort σα' ρξ hat bei Paulus oft eine negativ qualifizierte Bedeutung als Ort der Begierden und der Leidenschaften.55 „Unzucht“ (πορνει' α) gehört ————————————————————
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tiv ο» λεθρος kommt in den dokumentarischen Papyri nur in einem Beleg auf dem Jahr 360 n.Chr. vor (BGU IV 1027, Kol. XXVI 11); vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 208-209. Fee 210-212; South, Critique, 557-558; Konradt, Gericht, 315-316. Klauck 42; Strobel 99; Schrage I 378; Roloff, Kirche, 115; Fenske, Argumentation, 75; kritisch Donfried, Justification, 109-110; Konradt, Gericht, 316; Merklein II 37. Bachmann 219; Klauck 42: „Dem Sündigen wird ein plötzliches Ende gesetzt, Schlimmeres wird verhindert, das göttliche Pneuma, das auch dieser Mann seit seiner Taufe als fremde Würde in sich trägt, erweist sich als unzerstörbar“. Bousset 91; Lietzmann 23. Marshall, Power, 114; Travis, Judgment, 79-80; vgl. South, Critique, 548-551; kritisch Konradt, Gericht, 317. Röm 7,5.18.25; 8.3-9; 13,14; 2Kor 10,2-3; Gal 5,13-25.
Kompromiss I: Die wilde Ehe eines Gemeindeglieds 5,1-13 283 ————————————————————————————————————
zu den „Werken des Fleisches“ (Gal 5,19). Mit „Geist“ ist der von Gott gegebene Geist als Antrieb für das neue, erlöste Leben des Jesusbekenners gemeint. Der Kontext von 1Kor 3 legt es nahe, dieses Verständnis von „Fleisch“ und „Geist“ den anderen Interpretationen vorzuziehen.56 Paulus hatte in 3,1 den Korinthern vorgeworfen, dass er mit ihnen nicht wie mit geistlichen Menschen (ω ς πνευματικοι^ς), sondern nur wie mit fleischlichen Menschen (ω ς σαρκι' νοις) reden konnte. Paulus identifizierte das fleischliche Verhalten der Korinther mit den Rivalitäten und Streitigkeiten (3,3), die aus ihrer Fixiertheit auf gesellschaftlichen Status und auf die Maßstäbe der Bildungselite resultieren. Die Befolgung der säkularen Traditionen der römischen Gesellschaft scheint auch in dem vorliegenden Fall das Problem verursacht zu haben: die Gemeinde hatte den als Christ geltenden Mann, der in einer vom geltenden Recht untersagten sexuellen Beziehung lebte, geduldet, weil man sich offensichtlich scheute, gegen einen Angehörigen der höheren Schichten vorzugehen. Die Korinther hatten nicht gemerkt, dass sich ihre Loyalitätsbekundungen mit der Gegenwart des Heiligen Geistes in der Gemeinde nicht vertragen. Und sie hatten nicht gemerkt, dass die Duldung eines Mannes, der mit seiner Stiefmutter schläft, mit dem Besitz des Heiligen Geistes ebenfalls nicht vereinbar ist. Paulus sagt also: Erst muss die sündige Existenz des Mannes vernichtet werden, d.h. er muss seine inzestuöse Beziehung aufgeben, damit er als Jesusbekenner, der den Geist Gottes besitzt, am Tag des Herrn gerettet werden kann. Wie geschieht diese „Vernichtung“? M. Konradt weist zu Recht darauf hin, dass die Syntax der Wendung ει ς ο» λεθρον τη^ ς σαρκο' ς („zum Verderben des Fleisches“) das handelnde Subjekt offenlässt.57 Gemeinhin wird darunter Satan verstanden, was aber nicht zwingend ist. Es ist möglich, die Wendung als Zweckangabe zu lesen, die beschreibt, was das Treiben Satans bei dem Übeltäter auslöst, d.h. Subjekt des Handelns bei der Vernichtung des „Fleisches“ ist dann der Unzüchtige selbst. Die Erfahrung des Lebens außerhalb der Gemeinde, im ungeschützten, von Satan kontrollierten Bereich der Wirklichkeit ohne Jesus Christus – mit Erfahrungen von Leid, die vielleicht, aber nicht unbedingt, mit Krankheit verbunden sind 58 – ————————————————————
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NGÜ Anm. „damit er aufhört, der sündigen menschlichen Natur zu folgen“; TNIV „destruction of the sinful nature“; Fee 212-213; Hays 85-86; Thiselton, 395-400; Konradt, Gericht, 318-319; ebenso Merklein II 35-38, der allerdings meint, Paulus rechne mit dem alsbaldigen Tod des Unzüchtigen (38). Konradt, Gericht, 320; ebd. für das Folgende. In 11,31 werden Krankheit und Todesfälle auf unwürdiges Verhalten beim Herrenmahl zurückgeführt, aber von einer Auslieferung an Satan ist dort genauso wenig die Rede wie von einem (von Paulus gewünschten) Ausschluss aus der Gemeinde. Schrage I 376 sieht trotzdem eine Analogie.
284 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
soll der Unzüchtige sein „Fleisch“ im Sinn des von seinen Begierden bestimmten Lebenswandels „vernichten“ (vgl. Gal 5,24) und zur Umkehr gelangen. Im Rahmen dieser Interpretation ist die Wendung „dem Satan übergeben“ wahrscheinlich eine drastische Metapher für die Konsequenzen des Ausschlusses aus der Gemeinde, 59 die im Kontext des in V. 6-8 ausgeführten Bildes vom Passafest zu verstehen ist, für das das Wegschaffen von Sauerteig ein zentraler und notwendiger Vorgang war. Indem die Gemeinde den Unzüchtigen ausschließt, befindet sich dieser nicht mehr in dem „Haus“ (vgl. 3,9), dessen Türpfosten mit dem Blut Jesu bestrichen sind. Er existiert fortan in der von Satan kontrollierten Welt, wo er dem „Gott dieser Welt“ (2Kor 4,4) und den von diesem kontrollierten zerstörerischen Mächten hilflos ausgeliefert ist. Aufschlussreich ist der Hinweis, dass nach Ex 12,23 das Passalamm die Israeliten vom „Zerstörer“ (LXX ο ο λεθρευ' ων) beschützte, der durch Ägypten ging. In 2Thess 2,10 spricht Paulus von der Macht Satans, der zur Ungerechtigkeit verführt „die verloren werden, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, dass sie gerettet würden“. Paulus hofft, dass die Erfahrung, als Christ außerhalb der Gemeinde in der von satanischen Mächten beherrschtenWelt leben zu müssen, den Unzüchtigen zur Besinnung und Umkehr bringt, so dass er seine sündige Lebensweise (σα' ρξ) „vernichtet“ und er als Christ, der den Geist (πνευ^ μα) besitzt, am Tag des Herrn gerettet werde (σωθη^, ε ν τη^, η με'ρα, του^ κυρι' ου). Mit dem „Tag des Herrn“ ist die Wiederkunft Jesu und das Endgericht gemeint. Von einer Wiederaufnahme in die Gemeinde spricht Paulus nicht, was aber nicht viel heißen muss. Er rechnet jedenfalls mit der Umkehr des Unzüchtigen, der im Endgericht gerettet wird.60 Der Ausschluss aus der Gemeinde soll also einerseits die Heiligkeit der Gemeinde als Tempel Gottes und Volk Gottes bewahren, andererseits soll er den Unzüchtigen zur Umkehr veranlassen.
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Fee 209; Hays 85; South, Critique, 553-555; Konradt, Gericht, 320. Vgl. Hays 85 für das Folgende. Von einer implizierten Umkehr gehen viele Ausleger aus; vgl. Heinrici 145; Fee 213; Wolff 104-105; Hays 86; Merklein II 37-38; Marshall, Power, 114-115; Gundry Volf, Perseverance, 119-120; Konradt, Gericht, 320-321. Anders Lindemann 127; Ebel, Attraktivität, 185, die eine Rückkehr in die Gemeinde nicht als Möglichkeit sehen.
Die Reinheit der Gemeinde 5,6-8 285 ————————————————————————————————————
Die Reinheit der Gemeinde 5,6-8 I 6 Euer Rühmen ist nicht gut. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? 7 Fegt den alten Sauerteig hinaus, damit ihr neuer Teig seid, wie ihr ja in der Tat Ungesäuerte seid. Denn unser Passalamm, Christus, ist geopfert worden. 8 Deshalb lasst uns das Fest feiern nicht mit altem Sauerteig, nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit dem Ungesäuerten der Reinheit und der Wahrheit.
II Nachdem Paulus sein Urteil über den Inzestfall, der von der Gemeinde toleriert wird, formuliert hat, weist er das Rühmen der Gemeinde noch einmal zurück (V. 6a, vgl. V. 2). Auf dem Hintergrund des Inzestfalls behandelt er die Reinheit der Gemeinde in ihrer Identität als das Volk Gottes des neuen Bundes. Paulus verwendet mehrere Bilder, um das Wesen der Gemeinde zu beschreiben: Sie ist ein Haus, das rein gehalten werden muss; sie ist ein neuer (ungesäuerter) Teig, der die rettende Gegenwart Gottes gewährleistet; sie ist der Ort, an dem das Volk Gottes ein Fest feiert. Gliederung. In V. 6a weist Paulus das Rühmen der Korinther zurück. V. 6b-7 betont mit dem atl. Bild vom auszufegenden Sauerteig die Notwendigkeit, die Reinheit der Gemeinde aufrecht zu erhalten und durchzusetzen, weil Christus das Passalamm der Gemeinde ist. V. 8 formuliert zusammenfassend die Mahnung, die durch Jesus Christus bewirkte Befreiung mit rechter Festfreude im Zustand der Reinheit zu feiern. Textkritische Anmerkungen. In V. 6 lesen Vertreter des westlichen Textes (D* itd vg) statt ζυμοι^ das wertende δολοι^ „verfälscht“, das als sekundär zu gelten hat.61 In V. 7 ergänzen viele Handschriften hinter „unser Passalamm“ die Bestimmung υ πε` ρ η μω ^ ν (א2 C3 Ψ 1881 Byz); die Auslassung dieser Wendung ist schwerer zu erklären, deshalb ist die von d11vid.46vid *אA B C* D F bezeugte Lesart ursprünglich.
III 6 Paulus wiederholt die in V. 2 ausgesprochene Rüge, dass die Korinther aufgeblasen sind und sich rühmen (vgl. 1,29.31; 3,21; 4,6.18-19). Dabei be————————————————————
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Metzger, Commentary, 485; Schrage I 380 Anm. 76; Lindemann 128; anders Zuntz, Text, 114-115.
286 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
deutet nicht gut (ου καλο' ν) „sehr schlecht“ (Litotes).62 Angesichts der Duldung einer derart schweren sexuellen Verfehlung, wie sie der Inzest des Gemeindeglieds darstellt, haben die korinthischen Christen wirklich keinen Grund, stolz zu sein. Mit einer rhetorischen Frage erinnert Paulus die Korinther an eine Erfahrungstatsache: Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? (μικρα` ζυ' μη ο« λον το` φυ' ραμα ζυμοι^).63 Die zitierte Sentenz kann positiv (Mt 13,33) oder negativ (Gal 5,9, mit gleicher Formulierung in Mt 16,6 / Mk 8,15 / Lk 12,1; Plutarch, Mor. 289e-f) verwendet werden.64 Das Bild vom Sauerteig ist nicht mit dem Ausfegen von Sauerteig vor dem Passsafest zu verbinden: Der Begriff der Ausbreitung spielt dort keine Rolle. Paulus waren gewiss die rabbinischen Diskussionen über die Ausbreitung von „Ansteckung“ durch geweihten oder durch unreinen Sauerteig bekannt (vgl. mOrl 2,4-5; mToh 1,5). Die entsprechenden Bestimmungen hatten für jeden jüdischen Haushalt eine enorme Bedeutung: Ein kleines Stück unreinen Sauerteigs konnte, wenn es in einen Mehlbehälter fiel, den Vorrat mehrerer Monate von der normalen Verwendung in der Küche ausschalten.65 Der Kontext des Inzestfalls, an den zunächst zu denken ist, zeigt, dass das Bild hier negativ gemeint ist. Die Fortsetzung zeigt, dass Paulus zugleich an unmoralisches Verhalten allgemein denkt (der Unzüchtige wird erst in V. 13 wieder explizit erwähnt), sowie an dessen Duldung in der Gemeinde. Wenn die korinthischen Christen das unmoralische Verhalten des inzestuösen Gemeindeglieds tolerieren, dann verhelfen sie der alten Lebensweise (des „Fleisches“) zu fortgesetzter Existenz und dulden – und praktizieren – früher oder später jede Sünde, so dass die ganze Gemeinde infiziert wird. 7 Vom Stichwort „Sauerteig“ kommt Paulus auf das Passafest zu sprechen, das den Hintergrund für V. 7-8 bildet.66 Das jährlich gefeierte Passafest erinnerte die Juden an den überhasteten Auszug aus Ägypten, als die Israeliten keine Zeit hatten, Brot mit Sauerteig zu backen (Ex 12,14-20). Die Feier des Passafestes, das sieben Tage dauerte und an Gottes Rettungstat im Exodus aus Ägypten erinnerte, begann damit, dass die Juden allen Sauerteig aus ihren Häusern entfernen und während des Festes keine gesäuerten Brote essen sollten (Ex 13,3-10; 23,15; Dtn 16,3-8). Sauerteig ist ein Teil des Teigs der vorausgehenden Woche, der fermentiert hat und mit dem man das nächste ————————————————————
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GN trifft den Sinn: „wahrhaftig unangebracht“; EÜ übersetzt mit „zu Unrecht rühmt ihr euch“, Hfa mit „ihr habt wirklich nicht den geringsten Grund“. Zu dem Wissen, das Paulus in 1Kor 5 voraussetzt, vgl. Fenske, Argumentation, 86-87. H. Windisch, ThWNT II, 906-907; W. Popkes, EWNT II, 259-261. Instone Brewer, Traditions I, 384-385. Vgl. neben den Kommentaren bes. Ciampa /Rosner 708.
Die Reinheit der Gemeinde 5,6-8 287 ————————————————————————————————————
Brot bäckt. Wenn der Sauerteig nicht jede Woche aufgefrischt wird, besteht die Gefahr, dass wilde Säure entsteht. Deshalb begann man ab und zu den Prozess mit einem frisch fermentierten Teig, einem neuen Sauerteig. Dies war mit der Grund, weshalb die Israeliten ihre Häuser sowie den Tempel von allem Sauerteig reinigen sollten (vgl. 2Chron 29,5.35b mit 30,1-22). Paulus interpretiert diesen Vorgang allegorisch. Mit dem Satz fegt den alten Sauerteig hinaus (ε κκαθα' ρατε τη` ν παλαια` ν ζυ' μην) fordert er die Korinther noch einmal auf, den Unzüchtigen aus der Gemeinde zu entfernen. Wenn die Gemeinde das unmoralische Handeln des Unzüchtigen in diesem Fall hinnimmt, wird bald die ganze Gemeinde verdorben (aus Sauerteig selbst kann man kein Brot backen!). Deshalb soll der „Sauerteig“ entfernt werden. 67 Mit der Qualifizierung des aus der Gemeinde zu entfernenden „Sauerteigs“ als „alt“ (παλαια' ) verschiebt sich das Bild: Paulus erinnert die korinthischen Christen daran, dass sie zur neuen Schöpfung Gottes gehören (καινη` κτι' σις: 2Kor 5,17; Gal 6,15; καινο' της ζωη' ς: Röm 6,4; καινο' της πνευ' ματος: Röm 7,6; vgl. 2Kor 3,6; Kol 3,9; Eph 4,22). Paulus beschreibt das Ziel der Aussonderung des Unzüchtigen mit dem Satz damit ihr neuer Teig seid (ι«να η τε νε'ον φυ' ραμα). Das in V. 6 verwendete Adj. νε'ος ist hier gleichbedeutend mit καινο' ς: Paulus verweist auf das Neue, das mit Gottes Heilshandeln in Christus und mit dem Glauben an Jesus eingetreten ist. 68 Die Gemeinde soll das sein, was sie ist: Durch die Beseitigung des „Sauerteigs“, der zur alten Existenz gehört, soll sie sicherstellen, dass sie „Teig“ der neuen Existenz ist – wie ihr ja in der Tat Ungesäuerte seid. Neuer Teig, der mit Sauerteig nicht in Kontakt gekommen war, war ungesäuert (α»ζυμος). Das Ergebnis des die Gemeinde reinigenden Handelns ist das, was die Gemeinde von Gott her bereits ist. In theologischer Fachsprache formuliert: Der Indikativ begründet69 den Imperativ, die Heilszusage begründet die Heilsmahnung. ————————————————————
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Das Verb ε κκαθαι'ρω, das im NT nur hier und in 2Tim 2,21 vorkommt, ist in der LXX selten (nur in Dtn 26,13; Jos 17,15; Ri 7,4); vgl. das häufigere ε κκαθαρι'ζω in Dtn 32,43; Jos 17,18; Ri 20,13; Jes 4,4; Hld 2,43. Nach F. Hauck, ThWNT III, 433 ist ε κκαθαι'ρω die Übersetzung des rabbinischen terminus technicus ִּבֵער ָחֵמץ. Das Verb bedeutet je nach Kontext „reinigen, gründlich säubern, wegfegen, ausrotten, aussondern, aus einer größeren Zahl ausscheiden“. In den Papyri ist es in P.Cair.Zen. IV 59729,10-11 (Reinigung von Geräten) und in P.Tebt. III.2 908,1 (Säuberung eines Kanals) belegt; vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 210. Schrage I 380 vermutet, dass die Verwendung von νε' ος auf Jos 5,11 (ε φα' γοσαν . . . α»ζυμα και` νε' α) zurückgehen könnte; die klass. Unterscheidung von νε' ος (das der Zeit nach Neue) und καινο' ς (das der Art nach Neue) spielte im hellenistischen Griechisch keine Rolle. Man beachte das begründende καθω' ς; vgl. BDR §453.2; HS §277a; Bauer /Aland 794 s.v. καθω' ς 3.
288 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Mit W. Schrage ist dieser Sachverhalt wie folgt zu entfalten.70 1. Das unmittelbare Nebeneinander von Indikativ und Imperativ zeigt, dass weder der Indikativ uneigentlich gemeint noch der Imperativ ein Kompromiss ist. Beide haben ihr je eigenes Gewicht. Die korinthischen Christen sind tatsächlich „Ungesäuerte“, d.h. Menschen, die dem neuen Äon zugehören (Gal 1,4) und von der Macht der Sünde befreit sind (Röm 6,22). Als Glieder der neuen Schöpfung leben sie jedoch unter den Bedingungen des alten Äons, angefochten von den Mächten der Sünde, der Welt und des Todes, weshalb sie ermahnt werden müssen, den „alten Sauerteig“ auszufegen. 2. Indikativ und Imperativ haben denselben Inhalt: Die Korinther sollen den alten Sauerteig ausfegen, damit sie „neuer Teig“ sind (V. 7a), weil gilt, dass sie „Ungesäuerte“, d.h. neuer Teig sind (V. 7b). Der Imperativ bezieht sich also nicht nur „auf ein paar Überbleibsel und Restbestände des alten Wesens“, als ob es „bloß noch um ein paar nicht sonderlich ernstzunehmende Nachhutgefechte oder Kinderkrankheiten“ gehe. Gleichzeitig gilt, dass der Indikativ nicht nur als Ideal gilt oder als „optimistische Theorie, die sich von der empirischen Wirklichkeit wieder korrigieren lassen muß, als ob der alte Sauerteig das eigentlich Bestimmende und der neue Teig erst anfangs- und ansatzweise da sei“. 3. Paulus spricht die ganze Gemeinde mit Imperativ und Indikativ an. Der Imperativ gilt nicht nur den sündigenden Christen, und der Indikativ gilt nicht nur den geistlichen Christen. 4. Die Begründung des Imperativs durch den Indikativ bedeutet, dass die von Gott geschenkte neue Existenz „die Mahnung zum Kampf gegen das alte Wesen zur Folge“ hat.
Der begründende (γα' ρ) Satz V. 7c unser Passalamm, Christus, ist geopfert worden ist sowohl auf den Imperativ V. 7a als auch auf den Indikativ V. 7b zu beziehen. In 16,8 teilt Paulus den Korinthern mit, bis Pfingsten in Ephesus bleiben zu wollen, d.h. Paulus hat seinen Brief in zeitlicher Nähe zum Passafest geschrieben. Dies könnte ihn bewogen haben, das Bild vom Ausfegen des Sauerteigs auf die Passa-Symbolik auszudehnen, die explizit bei ihm nur hier vorkommt.71 Das Verb θυ' ω72 bezeichnet meistens das Opfern, d.h. die Darbringung eines geschlachteten Tieres zur Sühnung von Sünde (Wiederherstellung des gestörten Bundesverhältnisses) als Dankesgabe an Gott oder als Gemeinschafsopfer. In der atl. und jüdischen Tradition bezeichnet το` πα' σχα (von aram. ַּפְסָחא, für hebr. )ֶּפַסחdas Passafest und das Passamahl, und insbesondere das Passalamm. Das Passalamm war ein männliches, einjähriges, fehlerloses Schaf- oder Ziegenlamm (Ex 12,5), das am Nachmittag des 14. ————————————————————
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Schrage I 381-382, ebd. die folgenden Zitate; vgl. auch ders., Ethik, 170-175. Vgl. Weiss 137; Barrett 129-130; Fee 217-218; Collins 208; Fenske, Argumentation, 77. Im NT vgl. Joh 1,29.36; 19,32-36; 1Petr 1,19; Offb 5,6.9.12; 12,11; vgl. die Abendmahlstradition Mk 14,12-16.22-25. Vgl. J. Jeremias, ThWNT V, 899-890. Sonst bei Paulus nur noch in 10,20 (für heidnisches Opfern). In Joh 10,10 bedeutet θυ' ω „töten, morden“. In der LXX 137 Mal verwendet, meist als Übersetzung von hebr. זבח „(als Gemeinschaftsopfer) schlachten“, aber auch für („ שחטkultisch-rituelles) schlachten“. In 2Chron 30,15.17; 35,1.6.11 wird θυ' ω als Übersetzung für das Schlachten der Passalämmer (Griech. φασε' κ bzw. φασε' χ) verwendet.
Die Reinheit der Gemeinde 5,6-8 289 ————————————————————————————————————
Nisan (März/April) im Tempel geschlachtet und nach Sonnenuntergang (d.h. am 15. Nisan) in den Häusern gegessen wurde. Nach der Chronologie des Johannesevangeliums starb Jesus am Nachmittag des 14. Nisan, 73 d.h. in den Stunden, in denen im Tempel die Passalämmer geschlachtet wurden. Paulus setzt bei den korinthischen Christen die Kenntnis der jüdischen Passatradition und der urchristlichen typologischen Deutung des Todes Jesu als Passalamm voraus.74 Paulus sieht im Passa, das Israel an den Exodus erinnerte, einen Typos (Vor-Bild) der göttlichen Befreiungstat, die im Kreuzestod Jesu Christi stattgefunden hat. Der Befreiung Israels aus der Sklaverei entspricht bei Paulus die Befreiung aus der Sklaverei der Sünde. Der Tod Jesu hat befreiende, erlösende, Sünden sühnende Kraft. In der atl. und jüdischen Tradition hatte zwar das übliche Passaopfer keine sühnende Wirkung, diese ist aber im Blick auf das Blut der geschlachteten Passalämmer beim Auszug aus Ägypten sowie im Blick auf die in der Endzeit geopferten Lämmer betont (Ez 45,1822).75 In diesem Zusammenhang ist Χριστο' ς als Wort für den Messias zu verstehen. Mit Jesus Christus als endzeitlichem Passalamm hat die erwartete Heilszeit begonnen. Die Deutung des (Kreuzes-) Todes Jesu durch die Passasymbolik soll die korinthischen Christen an den Grund und an das Wesen ihres Lebens als Jesusbekenner erinnern: der Tod Jesu bewirkte die Befreiung von Sünde, die Gemeinde ist rein, und deshalb sollen sie das mutwillig und unbußfertig sündigende Gemeindeglied nicht länger in ihren Reihen dulden. 76 Durch den Tod Jesu wurde die neue Heilszeit eingeleitet, deshalb sollen sie als Volk des neuen Bundes nach dem Willen Gottes leben. 8 Souverän wechselt Paulus vom Sauerteig über das Passalamm zum (symbolisch verstandenen) Passafest.77 Der Satz deshalb lasst uns das Fest feiern (ω « στε ε ορτα' ζωμεν) betont, dass die Festzeit begonnen78 und dass in ————————————————————
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Joh 19,31.42; vgl. 12,1; 18,28.39; 19,14; vgl. 19,36 mit Ex 12,46; Num 9,12. H. Patsch, EWNT III, 120; vgl. Fee 217-218; Schrage I 383; Merklein II 39-40. Jeremias, Abendmahlsworte, 216-217; Lohse, Märtyrer, 142; Dunn, Theology of Paul, 216-217; Schrage I 383; Merklein I 40. Hahn, Theologie II, 394: die Schlachtung der Passalämmer erfolgte im Tempel und stand deshalb „in einem kultischen Zusammenhang“. Vgl. Fenske, Argumentation, 78, der meint, dass die Hinweise auf Sauerteig, neuer Teig, Christus als Passalamm und Feier eine „Argumentationskonzentration“ darstellen, mit der Paulus den Korinthern „kaum Raum für Gegenargumente“ gelassen hat, weil er das Bild aufgreift, das die Gemeinde von sich selbst hat und deshalb bestätigen muss, was Paulus sagt und will. Dies ist nicht Unkonzentriertheit, wie Fenske, Argumentation, 76 meint, sondern souveräner Umgang mit Metaphern, der sich bei Paulus auch sonst findet. Das Verb εορτα' ζω kommt im NT nur hier vor (in der LXX 16 Vorkommen); das Subst. εορτη' kommt bei Paulus nur in Kol 2,16 vor (kritisch zum Richten wegen Festen und anderer jüdischer Traditionen), in den Evangelien 22 Mal. Die Theorie, die Christen hätten weiterhin das jüdische Passafest gefeiert (J. Jeremias, ThWNT V, 900; Jeremias, Abendmahlsworte, 53-54), lässt sich nicht mit V. 8 begründen; Schrage I 384.
290 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
der „Passazeit“ des neuen Bundes „alter Sauerteig“ keinen Platz hat. Paulus bezeichnet das ganze Christenleben als Festzeit, 79 in der die Befreiung von der Sünde durch den Kreuzestod Jesu Christi gefeiert wird. Das Passafest wird nicht mit altem Sauerteig gefeiert, sondern mit dem Ungesäuertem (μη` ε ν ζυ' μη, παλαια^, . . . α λλ’ ε ν α ζυ' μοις). Im Mittelpunkt der Mahnung ε ορτα' ζωμεν (adhortativer Konjunktiv) steht aber nicht die Aufforderung zur Festfreude, sondern die Mahnung zum richtigen Feiern, das dem Willen Gottes entspricht. Paulus wechselt mit einer erneuten allegorischen Interpretation noch einmal die Sprachebene.80 Bosheit (κακι' α) und Schlechtigkeit (πονηρι' α)81 gehören zur alten Existenz, in der der Mensch ein Sklave der Mächte der Sünde ist. Reinheit (ει λικρι' νεια) und Wahrheit (α λη' θεια) gehören zur neuen Existenz, die von der Befreiungstat Gottes in Jesus Christus und von Gottes Gegenwart durch seinen Geist gekennzeichnet ist. Die Vokabel ει λικρι' νεια bedeutet „Reinheit, Integrität“.82 Αλη' θεια bezeichnet in griechischen Texten die „Erschlossenheit des sich zeigenden und deshalb wahrgenommenen wirklichen Tatbestandes“, also die „Wirklichkeit und Eigentlichkeit bzw. Richtigkeit der Aussage des sehenlassenden Redens“. 83 Insofern das Verhalten des Redenden im Blick ist, meint α λη' θεια „Wahrhaftigkeit“. Im Kontext der LXX und ihrer Übersetzung von hebr. ֱאֶמת, ֱאמוָּנה, ַצִּדיקund anderer Vokabeln bezeichnet α λη' θεια den Vollzug der Wahrheit im Sinn der Gerechtigkeit und kann deshalb manchmal mit „Rechtschaffenheit“ übersetzt werden. Paulus meint mit α λη' θεια84 hier die Gerechtigkeit des neuen Äons, die im Blick auf das Verhalten des Einzelnen im Sinn der „Eindeutigkeit“ und „Integrität“ zu verstehen ist.85 Die christliche Gemeinde soll als Festgemeinde des Messias in ihrem Verhalten der Reinheit und der Integrität entsprechen, die Gott von seinem Bundesvolk fordert.
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So schon Theophylakt und Chrysostomos; Schrage I 384. Merklein II 40; Lindemann 129. Die Genitive ζυ' μη, κακι'ας και` πονηρι'ας sind epexegetisch zu interpretieren. F. Büchsel, ThWNT II, 396; H. Goldstein, EWNT I, 949-950 bieten eine etymologische Erklärung: ειλικρινη' ς als Kompositum aus ει«λη („Sonnenlicht“) und κρι'νω („prüfen“) bedeute „an der Sonne geprüft (bei Tageslicht besehen), absolut rein, lauter, redlich, integer“. Dies ergibt einen guten Sinn, ist aber linguistisch problematisch. Eine „Prüfung im Sonnenlicht“ darf in die Bedeutung von ειλικρι'νεια nicht eingetragen werden. H. Hübner, EWNT I, 139-140; vgl. Aristoteles, Interpr. 4,17a; das Folgende ebd. 140. Sonst in 1Kor nur noch in 13,6, als Gegenbegriff zur Ungerechtigkeit (α δικι'α). Vgl. Schrage I 385; Robertson/Plummer 104; R. Bultmann, ThWNT I, 243 führt 1Kor 5,8 als Beleg für die Bedeutung „Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit“ an.
Die Gemeinde und in Unzucht lebende Christen 5,9-13 291 ————————————————————————————————————
Die Gemeinde und in Unzucht lebende Christen 5,9-13 I 9 Ich habe auch in dem Brief geschrieben, mit sexuell zügellos lebenden Menschen keinen Umgang zu haben, 10 das heißt nicht generell mit den Unzüchtigen dieser Welt oder mit den Habgierigen und Räubern oder Götzenanbetern, denn sonst müsstet ihr ja aus der Welt auswandern. 11 Jetzt aber schreibe ich euch, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, als sexuell Zügelloser lebt oder als Habgieriger oder Götzenanbeter oder Lästerer oder Säufer oder Räuber – mit einem solchen Menschen sollt ihr nicht einmal zusammen essen. 12 Denn was geht es mich an, die Menschen zu richten, die draußen sind? Richtet ihr nicht diejenigen, die drinnen sind? 13 Die Menschen, die draußen sind, wird Gott richten. „Schafft den Bösen aus eurer Mitte!“
II Am Ende des Abschnitts über den Inzestfall kommt Paulus wieder konkret auf die Situation in der Gemeinde zu sprechen. Paulus hatte in einem früheren Brief geschrieben (ε»γραψα V. 9), dass Christen mit unzüchtig lebenden Menschen keinen Umgang haben sollen. 86 Diese Direktive wurde in Korinth missverstanden oder ignoriert. Paulus präzisiert, was er gemeint hatte und fordert die Gemeinde noch einmal auf, den mit seiner Stiefmutter lebenden Mann aus der Gemeinde auszuschließen. Wenn man ε»γραψα („ich habe geschrieben“) in V. 11 als Aorist des Briefstils betrachtet, dann muss man νυ^ ν in V. 11 logisch im Sinn von „in Wirklichkeit“ interpretieren (EÜ „in Wirklichkeit meinte ich damit“).87 Dies ist möglich, obwohl V. 11 dann nach der Klärung des Missverständnisses in V. 10 redundant erscheint. Es ist deshalb besser, in V. 10 die übliche temporale Bedeutung von „jetzt“ anzunehmen (GN „ich schreibe euch darum jetzt ausdrücklich“).88 Gliederung. V. 9 nennt ein Missverständnis, das durch einen zuvor geschriebenen Brief ausgelöst worden sein könnte. Paulus erklärt, dass er keinen radikalen Abbruch sämtlicher Beziehungen zu Nichtchristen gefordert hatte (V. 10). In V. 11 klärt Paulus, dass Jesusbekenner mit solchen Gemeindegliedern keine Gemeinschaft haben sollen, die bewusst in notorischen Sün————————————————————
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Versuche, diesen Brief mit 2Kor 6,14–7,1; 1Kor 6,12-20; 1Kor 5,1-8; 1Kor 5,1-8 + 6,111 zu identifizieren, können nicht überzeugen. Vgl. Merklein, Einheitlichkeit, 372-374. Hfa, LÜ, SÜ, ZB, Wilckens; Heinrici 183; Conzelmann 131; Wolff 109; Schrage I 386.388; Lindemann 131; NSS II, 66. Menge, NRSV, TNIV; Lietzmann 25; Barrett 131; Fee 230; Collins 220-221; Merklein I 41; Thiselton 413.
292 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
den verharren. In V. 12-13 kommt Paulus auf den konkreten Fall der illegitimen sexuellen Beziehung eines Gemeindeglieds zurück: Nach einem Hinweis auf das kommende Gericht Gottes fordert er den Ausschluss des sündigenden, offensichtlich unbußfertigen Gemeindeglieds. Textkritische Anmerkungen. Das einleitende, die Syntax verbessernde και' 2 ( אD1 Ψ Byz vgms sy) in V. 10 ist sekundär (nicht bezeugt von d46 *אA B C u.a.). Statt και` α«ρπαξιν (d61 *אA B C D* u.a.) lesen d46 א2 D2 Ψ 1881 Byz η» α«ρπαξιν, was mechanisch an den Kontext angepasst ist. In V. 12 lassen d46 syp ου χι' aus und lesen das Verb als Imperativ: του` ς ε»σωθεν υ μει^ς κρι' νατε („richtet die, die drinnen sind“); die in NA27 gedruckte Lesart wird von אA B u.a. bezeugt und ist vorzuziehen.
III 9 Paulus hatte in einem früheren Brief, der verloren gegangen ist, geschrieben, mit sexuell zügellos lebenden Menschen keinen Umgang zu haben (μη` συναναμι' γνυσθαι πο' ρνοις). Diese briefliche Mahnung kann sich kaum auf den konkreten Inzestfall bezogen haben, da Paulus von diesem offenbar erst vor kurzem gehört hat (V. 1). Das Verb συναναμι' γνυμι bedeutet allgemein „zusammenmischen, sich mit anderen vermischen“. 89 In der LXX wird in Hos 7,8 und Ez 20,18 mit diesem Wort den Gliedern des Gottesvolkes die eheliche Verbindung mit heidnischen Partnern untersagt: Ehen mit Heiden setzen die Reinheit des Gottesvolkes aufs Spiel. In V. 9 bezeichnet das Verb den gesellschaftlichen Umgang. Im Judentum war die religiös bedingte Abgrenzung bekannt – nach außen gegen die Heiden (Jub 22,16; 1Makk 1,11.15.62-63; 2Makk 6,18–7,42) und nach innen gegen Juden, denen man eine nicht adäquate Gesetzespraxis vorwarf, so vor allem bei den Pharisäern und in der Qumrangemeinschaft.90 Ein Mitglied der Qumrangemeinde wurde aufgrund von Blasphemie, Schmähung der Gemeinschaft, Apostasie, flagranter Verletzung einer Bestimmung des mosaischen Gesetzes oder unnatürlichem Geschlechtsverkehr mit der Ehefrau ausgeschlossen.91 Eine für die außerbiblische Antike ungewöhnliche Parallele für den Ausschluss aus einer Gemeinschaft wegen moralischen und sexuellen Fehlverhaltens bietet die aus dem 1. Jahrhundert v.Chr. stammende Inschrift eines Privatvereins aus dem kleinasiatischen Philadelphia, in dem List, Gift, Zaubersprüche, Liebestrank, Verhütungs- und Abtreibungsmittel, außereheliches sexuelles Verhältnis eines Mannes mit einer anderen freien Frau oder einer verheirateten Sklavin oder mit einem Jungen oder einer Jungfrau als Gründe für den Ausschluss ————————————————————
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H. Greeven, ThWNT VII, 851. Im NT nur in 1Kor 5,5.11; 2Thess 3,14 belegt. Merklein I 42; Fitzmyer, Marriage, 511-515 1QS 7,1.16-17.22; 8,22; 4Q270 7,1,12-13. Manche Vergehen, z.B. öffentliche Nacktheit oder lautes Rügen „ohne Beschluss“, wurden mit einer zeitlich befristeten Strafe belegt; vgl. 4Q270 7,1,2.6-7 (Abegg/Wacholder). Vgl. Weinfeld, Pattern, 42-43.
Die Gemeinde und in Unzucht lebende Christen 5,9-13 293 ———————————————————————————————————— aus dem Verein genannt werden (Verkehr mit Prostituierten oder einer unverheirateten Sklavin scheint möglich zu bleiben).92 Dieses Beispiel ist jedoch singulär. Ein Korinther, der sich im Vereinsleben der Stadt auskannte und neu zu den Jesusbekennern hinzustößt, „wird über deren Ausschlußpraxis ziemlich überrascht sein“, da in den paganen Vereinen Mitglieder nur für schlechtes Benehmen während der Zusammenkünfte gemaßregelt wurden, und dies auch nur für eine beschränkte Zeit.93
Mit πο' ρνοι sind sexuell zügellos lebende Menschen gemeint, Menschen, die außerehelichen, illegitimen Geschlechtsverkehr haben.94 In der griechischrömischen Gesellschaft sind dies also Menschen, die Konkubinen haben, sich Affären mit den Ehefrauen oder den Ehemännern anderer Männer oder Frauen leisten, mit Sklavinnen oder Sklaven schlafen, homosexuelle oder inzestuöse Verhältnisse haben oder regelmäßig zu Prostituierten gehen (s. unten zu 6,15). Paulus hatte in seinem Brief die Mahnung, mit solchen Menschen keinen Umgang zu haben, so formuliert, dass man daraus folgern konnte, jeglicher gesellschaftliche Kontakt mit Menschen, die als πο' ρνοι gelten konnten, sei zu unterlassen. Dies hätte für viele, vielleicht für die Mehrheit der Männer in der römischen Gesellschaft gegolten (vgl. unten zu 6,12-20). Es ist nicht sicher, ob das Missverständnis der Korinther eine bequeme Ausrede war oder ob man Paulus mit einem absichtlichen Missverständnis die Absurdität einer solchen Mahnung demonstrieren wollte.95 Die Tatsache, dass man den Mann, der mit seiner Stiefmutter ein sexuelles Verhältnis hatte, in der Gemeinde duldete, zeigt jedenfalls, dass man sich um die Mahnung des Apostels entweder nicht scherte oder dass man sich scheute, von einem reichen Patron die Einhaltung des vom Evangelium gebotenen Verhaltens zu fordern. Wahrscheinlich nimmt Paulus den ihm zu Ohren gekommenen Inzestfall zum Anlass, seine briefliche Mahnung zu klären. 10 Paulus unterstreicht, dass er nicht allgemein (ου πα' ντως) vom Umgang mit den Unzüchtigen dieser Welt (πο' ρνοι του^ κο' σμου του' του) gewarnt hat, d.h. er hat nicht Kontakte mit sämtlichen sexuell ausscheifend lebenden Nichtchristen untersagt. Auf das Stichwort πο' ρνοι folgen drei weitere Gruppen von Menschen, die zu „dieser Welt“ gehören, die also Nichtchristen sind und mit denen der gesellschaftliche Kontakt vielleicht nicht vermieden ————————————————————
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Sokolowski, Lois sacrées de l’Asie Mineure, 53-55 (Nr. 20); Lasterkatalog und Ausschlussbestimmungen finden sich in Z. 14-31. Eine deutsche Übersetzung bieten Klauck, Umwelt I, 65-68 und Ebel, Attraktivität, 228-232, vgl. ebd. 183 zu 1Kor 5,11-13. Ebel, Attraktivität, 188. Bauer /Aland 1389 s.v. πορνει'α; F. Hauck/S. Schulz, ThWNT VI, 587.593. Zur These von Malina, Porneia, 10-17, dass πορνει'α im AT und Judentum im Sinne nicht-kultischen und nicht-kommerziellen vor- und außerehelichen heterosexuellen Geschlechtsverkehrs nicht bezeugt sei, vgl. die Kritik von Jensen, Porneia, 161-184; Schrage I 390. Schrage I 389.
294 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
werden kann.96 Habgierige (πλεονε'κται) sind Menschen, die besessen sind vom ungehemmten „Verlangen nach Besitz, das sich über das Recht des anderen hinwegsetzt“ – oft die Haltung der Mächtigen, häufig verwendet im Sinn von „Streben nach unrechtmäßiger Bereicherung“.97 Es handelt sich also um Menschen, bei denen die Liebe zu Gott durch die Liebe zu sich selbst ersetzt wird.98 Die Voranstellung der „Unzüchtigen“ und „Habgierigen“ ist wahrscheinlich kein Zufall: Es geht im Kontext um einen Fall von Inzest, einen der schlimmsten Fälle von πορνει' α; und wie wir vermutet haben, handelte es sich bei dem Übeltäter um einen Angehörigen der höheren Schichten, der die Beziehung zur Stiefmutter vielleicht wegen des väterlichen Erbes eingegangen war.99 Im griechischen Text sind die Habgierigen mit den Räubern (α«ρπαγες) durch και' und einen gemeinsamen Artikel verbunden: Wer raubt, ist habgierig, wer habgierig ist, neigt zum Rauben. Das mit „Räuber“ übersetzte Wort beschreibt Menschen, die sich fremdes Gut mit Gewalt nehmen; im Unterschied zum λη, στη' ς („Räuber, Straßenräuber“; vgl. 6,10) ist bei Aufzählungen wie in V. 10 vielleicht die Bedeutung „Spitzbube“ anzunehmen. 100 Götzenanbeter (ει δωλολα' τραι)101 sind Menschen, die Götzen (ει»δωλα) anbeten, von Menschen gemachte, unbewegliche, vom Wirklichen verschiedene Abbilder von Göttern.102 ————————————————————
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Die Liste in V. 10 wird oft unter die Lasterkataloge (Gal 5,19-21; Röm 1,29-31; 13,13; 1Kor 6,9-10; 2Kor 12,20-21; Kol 3,5.8; Eph 5,3-5; 1Tim 3,2-5; Tit 3,3; Mk 7,21-22; 1Petr 2,1; Offb 21,8; 22,15) eingereiht (Schrage I 386-387; Merklein II 43), was aber von Lindemann 130 abgelehnt wird: Paulus nennt in V. 10 Menschengruppen und nicht Laster. Zu den ntl. Lasterkatalogen s. unten zu 6,9-10. G. Delling, ThWNT VI, 269; ebd. 266-269 zur außerbiblischen Kritik an der πλεονεξι'α; vgl. G. Finkenrath/K.-W. Niebuhr, ThBLNT I, 133-135. In den dokumentarischen Papyri ist das Wort selten; F. Winter, in Arzt-Grabner 217 nennt nur P.Enteux. 58,7. Robertson/Plummer 105; Garland 186. Die Habgier erscheint oft im NT: 1Kor 6,10; Röm 1,29; Eph 4,19; 5,3; Kol 3,5; 1Thess 2,5; vgl. Mk 7,22; Lk 12,15. Reinmuth, Geist, 22-47. Vgl. Thiselton 412; Garland 188; Zaas, Catalogues, 623-624; ähnlich Merklein II 43. Gegen Conzelmann 129; Schrage, Einzelgebote, 43-44; Schrage I 386 u.a., die meinen, die Lasterkataloge hätten keinen Bezug zu der aktuellen Situation der Gemeinde, an die der betreffende ntl. Brief gerichtet ist. Bauer /Aland 219 s.v. α«ρπαξ; W. Trilling, EWNT I, 378-379; Lindemann 130; zum α«ρπαξ vgl. G. Delling, ThWNT I, 471; W. Klaiber, ThBLNT I, 102-103. In dem Brief P.Mich. I 63,10-11 steht α«ρπαγες für eine Räuberbande; vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 217. Schrage I 392 betont, dass es sich kaum um den „kleinen Spitzbuben“ handelt, „der aus Schiffen und Lagerräumen etwas verschwinden läßt“ (Fascher 165), sondern um den Räuber, „der durch Einbrecherei, Wegelagerei oder sonstwie durch Gewalt eines andern Eigentum an sich reißt“. Das Subst. ειδωλολα' τρης ist außer im NT (1Kor 5,10.11; 6,9; 10,7; Eph 5,5; Rev 21,8; 22,15) nur in Hermas, Mand. 11,4 und Or.Sib. 3,38 sowie in der vom NT abhängigen christlichen Literatur belegt. Die Übersetzung mit „abergläubisch“ (Hfa) ist flach. F. Büchsel, Art. ει»δωλον, ThWNT II, 373, zu ειδωλολα' τρης ebd. 377.
Die Gemeinde und in Unzucht lebende Christen 5,9-13 295 ————————————————————————————————————
Die Griechen bezeichneten die Abbilder von ihren Göttern mit dem Wort α»γαλμα. Der Sprachgebrauch der LXX, die sowohl die Götterbilder als auch die Götter selbst mit ει»δωλον beschreibt, entspricht der Kritik des AT an der Spiritualität der Heiden, in der das Vorhandensein von Götterbildern und der diesen gewidmete Kultus benutzt wird, um zu unterstreichen, dass die heidnischen Götter machtlos oder sogar wirklichkeitslos sind.103
Paulus beendet diese Aufzählung von Menschengruppen „dieser Welt“ mit dem Kommentar, dass die Korinther aus der Welt auswandern müssten,104 wollten sie zu allen solchen Menschen den Kontakt vermeiden. Die Wendung ε κ του^ κο' σμου ε ξελθει^ν kann den Rückzug aus der Welt beschreiben. Der Ausdruck kommt in 2Clem 5,1; 8,3 in der Bedeutung „sterben“ vor,105 was auch hier einen Sinn gibt. Paulus weist die korinthische Gemeinde nicht an, 106 sich in die Isolation zu begeben und im christlichen Ghetto zu leben. Für die kleinen Gemeinden im 1. Jahrhundert wäre dies wahrscheinlich auch gar nicht möglich gewesen, zumal der missionarische Auftrag der Gemeinde durch einen Rückzug untergraben würde (in den Evangelien wird die Gemeinschaft der Jesusbekenner mit einem Fischerboot verglichen, nicht mit einer Arche!). Die Diskussion der Mischehe in Kap. 7 unterstreicht, dass Paulus nicht zu einer Emigration aus der Welt aufruft, sondern zur Bewährung des christlichen Glaubens inmitten der Welt, dessen Denk- und Verhaltensschemata der Christ allerdings nicht übernehmen soll (Röm 12,2). 11 Paulus stellt jetzt (νυ^ ν) ausdrücklich klar, mit wem Christen, auch die Jesusbekenner in Korinth, keinen Umgang (μη` συναναμι' γνυσθαι) haben sollen: mit dem Bruder (τις α δελφο` ς ο νομαζο' μενος), d.h. dem Mitchristen,107 der zu den in V. 10 beschriebenen Personengruppen gehört. Ob mit ο νομαζο' μενος dem Missetäter faktisch das Christsein abgesprochen wird, 108 ist wenig wahrscheinlich. Paulus sagt nicht, dass solche notorischen Sünder keine Christen sind, sondern er fordert den Ausschluss aus der Gemeinde, mit dem Ziel der Rettung des Betreffenden (V. 5). ————————————————————
103 104 105 106 107 108
Vgl. F. Büchsel, ThWNT II, 374; H. Hübner, EWNT I, 937. Der Impf. ω φει'λετε (ο φει'λω bedeutet „schulden, verpflichtet sein, müssen“) bezeichnet eine Notwendigkeit, die nicht eintritt; BDR §358 Anm. 2; NSS II 66. Bauer /Aland 556 s.v. ε ξε' ρχομαι 1b.δ; dort weitere Belege. Der Impf. ω φει'λετε bezeichnet etwas Notwendiges, das nicht geschieht; BDR §358 Anm. 2; NSS II, 66. Deshalb auch potentiell um bewusst sündigende Schwestern; zu α δελφο' ς s. 1,1.10. Weiss 140; Barrett 131; Wolff 98; Konradt, Gericht, 326. Ebel, Attraktivität, 203 übersetzt die Wendung mit „Bruder genannt werden“ und bezeichnet sie als Synonym für „Christ sein“.
296 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die im folgenden genannte, aus sechs Gliedern bestehende Liste, in denen Paulus Sünder nennt, die aus der Gemeinde auszuschließen sind, könnte mit Stellen aus dem Buch Deuteronomium zusammenhängen, in denen dieselben Sünden als Grund für den Ausschluss aus der Bundesgemeinde Israels genannt werden (Dtn 22,21-22.30: Hurerei; 13,1-5; 17,2-7: Götzendienst; 19,16-19: mutwillig falsches Zeugnis geben; 21,18-21: der rebellische trunkene Sohn; 24,7: Dieb).109 Paulus wiederholt in V. 11 die vier bereits in V. 10 genannten Gruppen von Sündern. Die sexuell zügellos Lebenden und die Habgierigen stehen wieder an erster Stelle, was wahrscheinlich mit dem konkreten Fall des im Inzest lebenden Gemeindeglieds zu tun hat. Die Tatsache, dass πορνει' α in den meisten ntl. Lasterkatalogen an erster Stelle steht, ist nicht nur traditionell, sondern hat konkret damit zu tun, dass der außereheliche, illegitime Sexualverkehr das größte Problem der neu zum Glauben gekommenen, aber auch der schon länger im Glauben stehenden Heidenchristen war. An dritter Stelle folgt der auch in V. 10 genannte Götzenanbeter. An vierter und fünfter Stelle fügt Paulus den Lästerer und Säufer ein. Mit λοι' δορος (im NT nur hier und in 6,20) wird ein Mensch bezeichnet, der schmäht und lästert, also ein „Lästermaul“ ist.110 In Sir 22,24 wird das ehrabschneidende Schimpfen als Vorstufe des Tötens bezeichnet, was an Jesu Auslegung des 5. Gebots in der Bergpredigt erinnert (Mt 5,21-22).111 Der με'θυσος112 ist der dem übermäßigen Weingenuss verfallene Mensch, der „Säufer“ oder „Trunkenbold“. Im AT und im Judentum galt der Wein als Gabe Gottes (Gen 27,28; Ps 104,15; Sir 31,27).113 Man findet im Frühjudentum Mahnungen, die „Grenze des Weins“ zu beachten, weil der übermäßige Weingenuss oft schlimme Folgen habe (TestJud 16,1). In Prov 23,21 LXX steht der Säufer parallel zum Schlemmer (πορνοκο' πος). Als letztes Glied der Aufzählung nennt Paulus den schon in V. 10 genannten Räuber. Die Anweisung des Apostels lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wenn ein Gemeindeglied einen Lebenswandel an den Tag legt, der mit einem dieser sechs Begriffe beschrieben werden kann, dann gilt: Mit einem ————————————————————
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Prior 85; Ellingworth/Hutton 105; Thiselton 412; Garland 189; Ciampa /Rosner 708-709; Rosner, Paul, 68-70. Habgier hat in Dtn keine Parallele, sie wird jedoch in 1Kor 5,9 mit dem Räuber gekoppelt. Fascher 165; Schrage I 393 betont, dass es nicht um gelegentliches Verleumden oder Zanken geht, da es um „schwergewichtige, von der Gemeinde ausschließende Verhaltensweisen“ geht. H. Hanse, ThWNT IV, 296. Der Duden definiert „schmähen“ als „mit verächtlichen Reden beleidigen, beschimpfen, schlecht machen“. Im NT nur hier und in 6,20; die Verben μεθυ' ω und μεθυ' σκω begegnen häufiger. bTaan 11a meint, wer sich dem Weingenuss entziehe, sei ein Sünder.
Die Gemeinde und in Unzucht lebende Christen 5,9-13 297 ————————————————————————————————————
solchen Menschen sollt ihr nicht einmal zusammen essen (τω ^, τοιου' τω, μηδε` συνεσθι' ειν). Die Aufkündigung der Tischgemeinschaft, auch bei privaten Mahlzeiten, bedeutet Ausschluss aus der Gemeinde. 114 Wer heidnisch lebt, der kann nicht zur Gemeinde gehören. Das Verb συνεσθι' ω („zusammen essen“) kommt in Ps 101,5 (LXX 100,5) in einem ähnlichen Kontext vor: „Wer seine Nachbarn heimlich verleumdet, der wird vertrieben (ε ξεδι' ωκον), wer hochmütige Augen und ein unersättliches Herz hat, mit dem will ich nicht essen (του' τω, ου συνη' σθιον)“.115 Die Diskussion der Mischehe in Kap. 7 und der Teilnahme an Mahlzeiten in den Häusern von heidnischen Gastgebern in Kap. 8–10 (bes. 10,27) zeigt, dass Paulus das Speisen mit heidnischen Mitbürgen nicht untersagt.116 Dies unterstreicht, wie radikal das Trennungsgebot ist. Der Vergleich mit dem Ausschluss aus antiken Vereinen zeigt, dass Paulus nicht bloß das Verhalten der Gemeindeglieder bei ihren Zusammenkünften anspricht, sondern für einen Ausschluss aufgrund von Charaktereigenschaften und aufgrund des Verhaltens im Alltag auch außerhalb der christlichen Zusammenkünfte plädiert.117 Die Tatsache, dass Paulus keine brüderliche Zurechtweisung vor dem Gemeindeausschluss nennt (vgl. Gal 6,1 und bes. Mt 18,15-17), heißt nicht, dass Paulus in V. 11.13 davon absieht. 12 Die rhetorische Frage in V. 12a begründet V. 10. Die Wendung die Menschen (οι ε»ξω) bezieht sich auf die Nichtchristen von V. 10, mit denen die Christen die Kontakte nicht abbrechen sollen. Paulus ist für die heidnischen lebenden Nichtchristen nicht zuständig, 118 er kann sie auch nicht richten (κρι' νειν). Er kann sie nicht von der Gemeinde ausschließen, zu der sie ja nicht gehören, und er kann auch keine anderen Sanktionen verhängen. Die Wendung diejenigen, die drinnen sind (οι ε»σω) beschreibt die Gemeindeglieder, die zum Bundesvolk Gottes gehören und die dem Heilshandeln Gottes in Jesus Christus entsprechend leben sollen. Die Frage richtet ihr nicht diejenigen, die drinnen sind? will den korinthischen Christen wohl ————————————————————
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Anders z.B. Fenske, Argumentation, 80-81, der meint, Paulus wolle an dieser Stelle betonen, „daß nicht alles sofort mit Ausschluß geahndet werden muß, sondern daß es andere Formen gibt“. Wer mit Christen nicht mehr zusammen essen kann, d.h. auch nicht das Herrenmahl feiert, der ist faktisch ausgeschlossen, zumindest im 1. Jahrhundert. Hays 88; Ciampa /Rosner 709-710; Newton, Purity, 95; Rosner, Paul, 87-88; kritisch Konradt, Gericht, 325 Anm. 663. Die Meinung von Schrage I 394, dass „die private, häusliche, aber auch öffentliche (in Vereinen oder bei Festen stattfindende) Mahlgemeinschaft“ gemeint sei, ist deshalb zu revidieren. Vgl. Ebel, Attraktivität, 182-183, die mit den Strafkatalogen der Verehrer der Diana und des Antinous in Lanuvium und der Bacchusverehrer in Athen vergleicht. Der Ausdruck τι' (ε)μοι bedeutet „was habe ich (damit) zu tun?“ oder „lass mich in Ruhe!“; Bauer /Aland 438 s.v. ε γω' ; BDR §127 Anm. 4.
298 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
vor Augen halten, dass sie ihre Verantwortung, notorisch sündigende Gemeindeglieder zu richten, nicht wahrnimmt.119 13 Wenn Paulus und die Gemeinde nur die heidnisch lebenden Gemeindeglieder richten, nicht aber die heidnisch lebenden Nichtchristen (V. 12), bedeutet dies nicht, dass die Nichtchristen dem Gericht entkommen. Der Satz die Menschen, die draußen sind, wird Gott richten (του` ς δε` ε»ξω ο θεο` ς κρινει^) verweist auf das göttliche Endgericht, in dem sich alle Menschen verantworten müssen, die nicht in Gemeinschaft mit Gott und im Gehorsam gegenüber seinem Willen gelebt haben. Paulus beendet den Abschnitt mit einer erneuten Aufforderung, den mit seiner Stiefmutter inzestuös zusammenlebenden Mann aus der Gemeinde zu entfernen. Ohne dass Paulus den Satz als Zitat markiert, formuliert er die Aufforderung zum Ausschluss des Übeltäters aus der Gemeinde mit Dtn 17,7b LXX (vgl. Dtn 19,19; 21,21; 22,21.24; 24,7): „Schafft den Bösen aus eurer Mitte!“ (ε ξα' ρατε το` ν πονηρο` ν ε ξ υ μω ^ ν αυ τω ^ ν).120 Das Verb ε ξαι' ρω („wegnehmen, entfernen“) kommt in NT nur hier vor, was den Bezug auf die DtnStellen wahrscheinlich macht. 121 Vielleicht liegt ein Wortspiel vor (πονηρο' ς / πο' ρνος). Paulus spricht mit dem Zitat, das die Verantwortung Israels für die Ausführung der göttlichen Bundesbestimmung im Leben des Volkes und seiner Glieder zum Inhalt hatte, die Gemeinschaft der Juden- und Heidenchristen in Korinth als „Israel“ an.122 Mit der Ausschlussformel aus Dtn unterstreicht Paulus am Ende seiner Behandlung des Inzestfalls noch einmal die gemeinschaftliche Verantwortung der Gemeinde für das Leben ihrer Glieder. Die „berufenen Heiligen“, die sich in der Gemeinde Gottes versammeln, können keine heidnischen Verhaltensweisen in ihrer Mitte dulden. Die Frage, wie sich die Aufforderung zum Gemeindeausschluss in 1Kor 5,1-13 zu 2Kor 2,5-8 verhält, wo Paulus die korinthischen Christen zur Versöhnung mit einem schuldigen Gemeindeglied aufruft, ist nicht so schwierig, wie W. Schrage meint.123 ————————————————————
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Merklein II 46. Ein Widerspruch zu 4,5 (und Röm 14,10.13), wo Paulus das Richten untersagt, liegt nicht vor: In 4,5 geht es um das Beurteilen der Apostel nach säkularen Maßstäben, in Röm 14,10.13 geht es um die Verachtung des Bruders und der Schwester, die das eigene Verhalten auch in Nebensachen zum Kriterium des Verhaltens anderer machen; Schrage I 395. Paulus ändert im Zitat den Sing. Fut. Ind. ε ξαρει^ς in den Plur. Aor. Imp. ε ξα' ρατε, weil er nicht vom Volk spricht, das den Ausschluss vollziehen soll, sondern von den korinthischen Christen. Fee 227; Hays 88; Schrage I 394; Merklein II 46; Lindemann 132; Thiselton 417-418; Garland 191; Ciampa /Rosner 709-710; Hays, Echoes, 96-97; Rosner, Paul, 64-68; ders., Function, 514; von Stanley, Language, 33-36, nur kursorisch behandelt. Thiselton 417; Hays 88. Schrage I 395; vgl. ebd. für die folgende Diskussion.
Die Gemeinde und in Unzucht lebende Christen 5,9-13 299 ———————————————————————————————————— Paulus fordert in 2Kor 2,5-8 die Korinther nicht zur Wiederaufnahme eines schuldigen Gemeindeglieds auf, sondern nur zur Vergebung und Versöhnung. Von einem vorausgegangenen Gemeindeausschluss ist nicht die Rede. Es ist deshalb unnötig, zwischen einer endgültigen, mit Exkommunikation verbundenen Form des Gemeindeausschlusses und einer weniger strengen Form zu unterscheiden. Außerdem lässt 1Kor 5,5 die Möglichkeit der Umkehr offen, nach der einer Wiederaufnahme in die Gemeinde nichts im Weg stünde.124
IV Für Paulus gibt es keine Privatethik. Auch und gerade Fragen der Sexualität werden nicht je und je „persönlich“ von dem einzelnen Christen entschieden. Eheähnliche Beziehungen, die vom offenbarten Willen Gottes verurteilt werden, müssen als Sünde erkannt und aufgelöst werden. Es ist die Gesamtgemeinde, die für solche Situationen die Verantwortung trägt. Die Gemeinde ist nicht eine Vereinigung von Privatpersonen, die sich zur Pflege gemeinsamer Interessen regelmäßig treffen. Die Gemeinde ist der Ort der heilschaffenden und heiligenden Gegenwart Gottes, das Bundesvolk Gottes, auf dessen Wort die Glieder der Gemeinde hören und dessen Willen sie befolgen. Dieses Verständnis der Gemeinde ist nicht die Privatmeinung des Apostels Paulus, sondern zentrales Charakteristikum des Volkes Gottes im AT sowie der „kleinen Herde“, die zur Königsherrschaft Gottes gehört, wie Jesus sie beschrieben hat. Als Bürger der westlichen Demokratien, in denen seit Humanismus und Aufklärung Ethik immer mehr zur Privatsache wird, finden wir es problematisch, dass wir uns von anderen sagen lassen sollen, wie wir zu leben haben. Und genau dies ist die entscheidende Frage: Hören wir auf Gott und gehorchen wir seinem Wort, weil wir ihm als dem allwissenden und zugleich barmherzigen Schöpfer die Autorität dessen zutrauen, der besser weiß als wir Menschen, wie man am besten in dieser Welt leben kann? Oder hören wir auf uns selbst und gehorchen unseren Trieben oder, um es vornehmer auszudrücken, unseren Wünschen, weil wir meinen, besser zu wissen als alle anderen, was uns nützt? Diese Fragen sind nicht neu, wie jeder weiß, der die von der Bibel erzählte menschliche Geschichte kennt: Adam und Eva standen vor genau derselben Frage. Die Folgen ihrer Entscheidung gegen Gottes Willen und zugunsten der privaten Selbstverwirklichung, die sich ergeben haben, waren katastrophal. Das Verständnis dessen, was Kirche ist, ergibt sich bei Paulus aus der Tradition der Heiligen Schrift, in der die gemeinschaftliche Verantwortung des Gottesvolkes für das Verhalten des Einzelnen und für die Reinheit der Gemeinde immer wieder an zentralen Stellen betont wird. Sündiges Verhalten ————————————————————
124
Ebenso Konradt, Gericht, 328.
300 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
kann und darf nicht einfach hingenommen werden. Eine Schlüsselstelle im AT ist die Sünde Achans, die zu einer schweren Niederlage Israels führte (Jos 7). Das Heiligkeitsgesetz im Buch Levitikus fordert wiederholt die Eliminierung von Israeliten, die bestimmte Sünden begehen. Wenn Israel Menschen toleriert, die schwere Sünden begehen, wird das Land das Volk Israel „ausspeien“ (Lev 18,24-30; 20,22-24). Der Segen und der Fluch, der laut Dtn 28 zum Bund Gottes mit Israel gehört, betrifft nicht nur den einzelnen Israeliten, sondern das gesamte Volk. Die Sünde der im Exil lebenden und aus dem Exil zurückkehrenden Juden führen Daniel, Esra und Nehemia zu Trauer und Sündenbekenntnis (Dan 9,4-19; Esra 9,6-15; Neh 9,6-37).125 Paulus will nicht, dass sich die Christen von ihren Mitmenschen isolieren. Christen haben häuslichen, verwandtschaftlichen und gesellschaftlichen Verkehr mit Nichtchristen, und zwar, wie W. Schrage richtig bemerkt, „nicht einfach wegen der faktischen Verflechtung in die wirtschaftlichen, sozialen und familiären Beziehungen“, sondern auch wegen der missionarischen Verpflichtung, von der Paulus in seiner Weltsicht und Theologie nie absieht. 126 Der „Exodus“ der Christen von der Welt, von dem Paulus in Röm 12,2 spricht, betrifft nicht menschliche Beziehungen, sondern heidnische Denk- und Verhaltensweisen. Paulus schreibt in V. 12-13, dass Christen nicht zuständig sind, Nichtchristen zu „richten“. Das heißt, die christliche Gemeinde kann und darf ihre „Hausregeln“ der Gesellschaft „draußen“ als Maßstab nicht aufdrücken.127 Das bedeutet nicht, dass Christen in der Öffentlichkeit nicht über den guten Willen Gottes reden können, der als Schöpfer und Erlöser besser als die Menschen weiß, wie man am besten unter den Bedingungen einer gefallenen Schöpfung leben kann. Aber in der Kirche Jesu Christi weiß man, dass Nichtchristen den Willen Gottes in vielen wichtigen Bereichen nicht tun wollen und ohne die Hilfe des Geistes Gottes auch nicht tun können. Was jedoch die heidnische Lebensweise eines Menschen betrifft, der als Christ gilt und zur Gemeinde gehört, so fordert Paulus nicht nur zu einer geistigen Distanz auf, sondern zum Abbruch aller Ausdrucksformen der Verbundenheit.128 Kirche Jesu Christi ist keine Konsumgesellschaft, wo die persönlichen Bedürfnisse des Einzelnen befriedigt werden. Sie ist das Bundesvolk Gottes, dessen Glieder auf den Willen Gottes hören und in sichtbarer Unterscheidung von den Werten der säkularen Gesellschaft den Willen Gottes tun. Die Grenze der Liebe zum Bruder und zur Schwester ist dort erreicht, wo Gemeindeglieder heidnisch leben und von ihrem heidnischen Verhalten nicht ————————————————————
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Hays 82. Schrage I 389-390. Thiselton 417; ebd. für die folgende Bemerkung. Schrage I 394.
Die Gemeinde und in Unzucht lebende Christen 5,9-13 301 ————————————————————————————————————
lassen wollen. Paulus fordert in Übereinstimmung mit dem Alten Testament und den Traditionen des Judentums zum Ausschluss des sündigenden und unbußfertigen Christen aus der Heilsgemeinde auf. H. Olshausen meinte bereits im 19. Jahrhundert, es sei ein Zeichen des Verfalls der Kirche, dass die Weisung des Apostels „nicht nur nicht ausgeführt wird, sondern nicht ausgeführt werden kann“.129 Nun ist die Geschichte der kirchlichen Strafgewalt keine rühmliche gewesen, wenn man nur an die Rechtfertigung der Folter in der Inquisition denkt. Die Reformatoren haben in Kenntnis dieser Problematik den „großen Bann“ der weltlichen Strafe abgelehnt und lediglich den Ausschluss aus der Gemeinde (und von den Sakramenten) gefordert. Dietrich Bonhoeffer meinte, dass die in 1Kor 5 angemahnte Exkommunikation nur in „einer reinen Bekenntnisgemeinde möglich und sinnvoll ist“, in einer Volkskirche aber keinen Sinn habe.130 Die Praxis des Gemeindeausschlusses in Gemeinden außerhalb der Volkskirchen ist allerdings auch nicht unproblematisch, finden Ausgeschlossene doch meistens eine Gemeinde, bei der sie ohne peinliche Befragung über die Vorgeschichte Aufnahme finden. Ein Zeichen der geistlichen Kraft der Kirche ist es sicher nicht, wenn man die zentrale biblische Mahnung zur aktiven Aufrechterhaltung der Heiligkeit und Reinheit des Gottesvolkes zwar theologisch und geistlich ernst nimmt, aber nie den Mut aufbringt, klare Trennungsstriche bis hin zum Gemeindeausschluss zu ziehen.
Konflikt II: Das Prozessieren von Gemeindegliedern 6,1-11 In 6,1-11 geht es um das Prozessieren von Gemeindegliedern, also wie in 1,10–4,21 um einen Konflikt in der korinthischen Gemeinde. Paulus geht scheinbar abrupt zu diesem Thema über. Zu beachten ist jedoch, dass seine Hinweise auf das gemeindeinterne Richten von ethischen Fragen auch für die juristischen Konflikte relevant sind, in die Gemeindeglieder verwickelt sind. Vor allem die Unterscheidung zwischen Jesusbekennern und Außenstehenden (5,9-13) ist wichtig: die korinthischen Christen sollen ihre Kontroversen nicht vor den „Ungerechten“ und „Ungläubigen“ verhandeln (6,1.6), sondern durch
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129 130
Olshausen 580. Zur Wirkungsgeschichte von 1Kor 5 vgl. Schrage I 396-402; s. auch J. H. Leith, Art. Kirchenzucht, TRE XIX, 183-191. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, 196-197; vgl. Schrage I 400.
302 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
einen „Weisen“ in der Gemeinde (6,5) regeln lassen. 1 Der Abschnitt enthält in den ersten neun Versen acht Fragen (V. 1.2a.2b.3.4.5b.7b.9a), weshalb er von manchen Auslegern als „affektbeladen“ bezeichnet wird, 2 eine Analyse, der allerdings nicht alle zustimmen. Der Text enthält mehrere juristische Fachausdrücke. Die Fragen und die Argumentation dienen jedenfalls dazu, die korinthischen Christen zu beschämen (V. 5). Er hält der Gemeinde die Absurdität vor Augen, die der Gang streitender Christen vor weltliche Gerichte darstellt. Es geht Paulus nach wie vor um die Heiligkeit der Gemeinde (V. 1.11). Deshalb stellt er die Heiligen (V. 1-2), die Gemeinde (V. 4), den Bruder (V. 5-6.8) und das Reich Gottes (V. 9-10) den Ungerechten (V. 1.9), der Welt (V. 2), den in der Gemeinde nichts geltenden Menschen (V. 4), den Ungläubigen (V. 6) und den Übeltätern (V. 9-10) gegenüber. Die Auslegung hat sich lange kaum mit den gesellschaftlichen Faktoren beschäftigt, die für die in 6,1-11 angesprochene Situation eine Rolle spielen. 3 J. Chow und A. Mitchell argumentieren in neueren Studien, dass Angehörige der höheren Schichten weniger einflussreiche Christen vor Gericht zerrten und dabei die Einheit der Gemeinde dem Einfluss gesellschaftlicher Machtstrukturen opferten.4 B. Winter hat das relevante Material aus der römischen Umwelt zusammengetragen und gezeigt, dass in der Tat im allgemeinen nur die gesellschaftlich Höherstehenden die Mittel besaßen, Prozesse in Gang zu setzen, dass der soziale Status des Prozessgegners offen bleiben muss, dass sowohl Richter als auch die Geschworenen nicht selten ungerecht waren, und dass Rechtshändel oft nur dazu dienten, andere prominente Familien der Stadt zu schikanieren.5 Der Abschnitt wird verschieden gegliedert. Manche Ausleger gehen von einer Zweiteilung (V. 1-6 / 7-11) aus,6 andere von einer Dreiteilung (V. 1-6 / 7-8 / 9-11).7 Syntaktische Beobachtungen, die sich pragmatisch auswerten ————————————————————
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Schrage I 403-404; Lindemann 134; Merklein II 50. Nicht überzeugend ist der Vorschlag, der Rechtsstreit von 6,1-11 habe eine sexuelle Angelegenheit betroffen (womit Kap. 5–6 thematisch durchgehend dasselbe Thema behandelte); so schon Mosheim 230; vgl. Richardson, Sexual Matters, 53-55; Ebel, Attraktivität, 197. Siegert, Argumentation, 231; Fenske, Argumentation, 88-89; kritisch Merklein I 51. Vgl. Vischer, Auslegungsgeschichte (bis 1954); jetzt Schrage I 419-425. Chow, Patronage, 123-124; Mitchell, Courts, 562-563; vgl. Theißen, Studien, 258. Winter, Civil Litigation, 85-103; ders., Corinth, 58-75; vgl. Crook, Law, 74.78-79.86; Garnsey, Status, 4-6.181-187.199-209; Kelly, Litigation, 62-72.98-99; Epstein, Enmity, 34.90-103; Clarke, Leadership, 59-71; Thiselton 421-438. Fee 229.239; Strobel 105; Lindemann 134; Meurer, Recht, 141. Schrage I 404 teilt in V. 1-8 / 9-11 ein. NA27; Merklein I 50; Garland 193-194; Vischer, Auslegungsgeschichte, 6-7. Weiss 145 teilt in vier Abschnitte (V. 1-5a / 5b-6 / 7-8 / 9-10) ein.
Konflikt II: Das Prozessieren von Gemeindegliedern 6,1-11 303 ————————————————————————————————————
lassen, sprechen zwar für die Dreiteilung, aber inhaltliche Gründe machen eine Zweiteilung plausibler.
Die Schlichtung von Streitfällen in der Gemeinde 6,1-6 I 1 Bringt es einer von euch fertig, der eine Streitsache mit einem anderen hat, vor den Ungerechten zu prozessieren und nicht vor den Heiligen? 2 Oder wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden? Und wenn durch euch die Welt gerichtet wird, seid ihr da nicht zuständig für die geringfügigsten Rechtshändel? 3 Wisst ihr nicht, dass wir über Engel richten werden? Erst recht über Dinge des Alltagslebens! 4 Wenn ihr nun alltägliche Rechtshändel habt, da setzt ihr die zu Richtern ein, die in der Gemeinde nichts gelten? 5 Zur Beschämung sage ich euch das. Ist denn unter euch wirklich kein Weiser, der zwischen Bruder und Bruder ein Urteil fällen kann? 6 Statt dessen prozessiert ein Bruder gegen den anderen – und das vor den Ungläubigen?
II Paulus stellt in V. 1 fragend fest, dass Gemeindeglieder einander in Prozesse verwickeln. Dass Paulus dafür kein Verständnis aufbringt, zeigt sich bereits darin, dass Paulus die Christen als Heilige und die römischen Richter als Ungerechte bezeichnet. In V. 2-6 argumentiert Paulus gegen dieses Verhalten mit dem Hinweis auf die endzeitliche Wirklichkeit, in der die Jesusbekenner am Gericht über die Welt und die Engel beteiligt sind. Die Gemeinde sollte deshalb in der Lage sein, die Streitigkeiten, die zwischen Gemeindegliedern aufgekommen sind, selbst zu klären. Textkritische Anmerkungen. In V. 2 lesen einige Handschriften das Präsens κρι' νουσιν (B2 81 1175 u.a.) statt des Futur κρινου^ σιν (d46 אA C DF G P haben keinen Akzent), das NA27 und die meisten Ausleger bevorzugen.8 In V. 5 ersetzt B das sonst durchweg bezeugte λε'γω durch λαλω ^ . Statt ου δει` ς 46 σοφο' ς (d אB C Ψ 33 1505 pc) finden sich die Lesarten σοφο` ς ου δε` ει ς (D2 L Byz), ου δε` ει ς σοφο' ς (F G P 1739 pc) und σοφο' ς (d11vid D* 6 1881 pc). Die abgekürzte Wendung α να` με'σον του^ α δελφου^ αυ του^ wurde in einigen Übersetzungen sinngemäß richtig ergänzt (inter fratrem et fratrem suum: f g vg; ähnlich sy bo), die Griechisch και` του^ α δελφου^ entspricht.9 ————————————————————
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Schrage I 409-410; Lindemann 135. Vgl. Rosner, Paul, 104-106, der vorschlägt, dass die grammatikalisch irreguläre Syntax
304 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
III 1 Paulus benennt mit einer emphatisch formulierten Frage einen Konflikt in der korinthischen Gemeinde, von dessen aktueller Lösung er sich sofort distanziert. Die Wendung bringt es einer von euch fertig (τολμα^, τις υ μω ^ ν) 10 drückt Befremden und Kritik aus. Die Formulierung τις υ μω ^ ν kann sich auf einen Einzelfall beziehen (dann wäre die Aussage V. 7 eine Verallgemeinerung), oder sie ist als generalisierende Redeweise zu verstehen, die im Kontext von V. 7 mehrere solcher Vorfälle zusammenfasst. Es gibt in der korinthischen Gemeinde die Situation, dass ein Gemeindeglied eine Streitsache mit einem anderen hat (πρα^ γμα ε»χων προ` ς το` ν ε«τερον).11 Πρα^γμα bedeutet allgemein „Vorfall, Ereignis“, was hier einen Sinn ergeben würde: Ein Christ hat „etwas“ gegen (προ' ς) einen anderen, und zieht damit vor Gericht. Die Wendung πρα^ γμα ε»χων bedeutet aber auch „einen Prozess führen“. 12 Es ist allerdings nicht sehr sinnvoll, den Satz so zu konstruieren: Ein Christ, der einen Prozess gegen einen anderen Christen führt, bringt es fertig, vor ein weltliches Gericht zu ziehen. Es ist deshalb vorzuziehen, πρα^ γμα als „Streitsache“ zu verstehen, aus der sich dann ein Prozess entwickelt. Um was es sich bei dem πρα^ γμα handelt, wird nicht gesagt. Nach V. 2 handelte es sich um eine geringfügige Sache. Es gibt Gemeindeglieder, die sich erdreisten, vor den Ungerechten zu prozessieren (κρι' νεσθαι ε πι` τω ^ ν α δι' κων). Das Verb κρι' νω ist hier juristischer terminus technicus und bedeutet im Med. und Pass. „sich vor Gericht auseinandersetzen, prozessieren“. 13 Paulus kritisiert zunächst, dass das Prozessieren vor Außenstehenden geschieht. Mit οι α»δικοι sind – im direkten Gegenüber zu den Heiligen (α«γιοι) – die nichtchristlichen Richter (vgl. V. 6 οι α»πιστοι) gemeint, die die Rechtshändel der Christen entscheiden sollen. ————————————————————
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des Satzes damit zusammenhängt, dass Paulus Dtn 1,16 abkürzt. τολμα' ω bedeutet „wagen, ein Wagnis auf sich nehmen, mutig sein“, aber auch (wie hier) „sich erkühnen, fertig bringen, sich erdreisten“. Weiss 146 sieht weniger Mut als die Schamlosigkeit betont; vgl. Heinrici 188; Wolff 114; Schrage I 406. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 222 verweist auf Chrest.Mitt. 68,2-4; P.Ryl. II 144,20-23; P.Oxy. IX 1203,3-5 für den Bezug des Verbs auf Handlungen, „die dem Sprecher seinem Empfinden nach ungerecht erscheint und von deren Ungerechtigkeit er sein Gegenüber überzeugen will“. Das Ptz. ε»χων ist als (realer) Konditionalsatz aufzulösen. Der Inf. κρι'νεσθαι ist auf τολμα^, zu beziehen. Bauer /Aland 1397 s.v. πρα^γμα 5; für die Papyrusbelege vgl. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 198-199, mit Verweis auf P.Ryl. II 113,12-20; BGU I 22,8-9; SB IV 7331,8-10, P.Oxy. IV 743,19; P. Oxy. IV 706,2-5: je nach Kontext liegt die Bedeutung „Streit“ (zwischen zwei oder mehreren Parteien) oder „rechtlicher Fall“ oder „Prozess“ vor. Bauer /Aland 917 s.v. κρι'νω 4a.β; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 222-223.
Die Schlichtung von Streitfällen in der Gemeinde 6,1-6 305 ————————————————————————————————————
Mit dieser Wortwahl will Paulus sie allerdings nicht als „Verletzer des göttlichen Rechts“ bezeichnen. 14 Ältere und neuere Studien zu den römischen Provinzialgerichten haben gezeigt, dass es in Zivilprozessen oft nicht gerecht zu ging. Augustus geht in einem Edikt des Jahres 7-6 v.Chr. gegen Korruption in den Jury-Gerichten der Provinz Kyrene vor (SEG 9,8 A). Petronius beklagt, dass überall das Geld regiert, die Armen kein Recht bekommen können und ein Prozess nichts weiter ist als eine öffentliche Auktion (Sat. 14). Apuleius schreibt, dass „heutzutage alle Richter ihre Urteile für Geld verschachern“ (Met. 10,33,1). Korinth war keine Ausnahme. Dio Chrysostomus sagt in einer seiner Reden, dass Korinth, vor allem zur Zeit der Isthmischen Spiele, voller Rechtsanwälte war, die das Recht pervertieren (Or. 8,9). Um überhaupt einen Streitfall vor Gericht bringen zu können, benötigte man honor und dignitas. Das heißt, dass nur die Angehörigen der oberen Schichten einen Prozess gegen einen Mitbürger anstrengen konnten.15 Cicero nennt als die drei mächtigsten Mittel, mit denen man das Urteil eines Richters oder einer Jury günstig beeinflussen kann, pecunia, d.h. (Bestechungs-) Gelder, potentia, d.h. gesellschaftlich hoher Status sowie Vermögen, und gratia, d.h. Einfluss und Wohlwollen.16 Sulpicius Similis, der Präfekt Ägyptens, beklagt in einem Edikt des Jahres 111 die Bezahlung von Bestechungsgeldern (δωροδοκι'α; P.Oxy. XXXV 2754,7-8; vgl. P.Lond. 1337,21). Persönliche Loyalitäten zwischen Richter und Kläger spielten schon im Vorfeld eines Prozesses eine Rolle. Um einen Prozess zu gewinnen und die eigene Ehre zu bewahren, von finanziellen Vorteilen ganz zu schweigen, war man bereit, alle notwendigen Mittel einzusetzen, vor allem die vituperatio (Tadel). Bei dem Bestreben, den Gegner zu besiegen, war es geradezu unvermeidlich, Feindschaft (inimicitia) zu erregen. Freunde zu unterstützen war in vielen Fällen wichtiger als die Wahrheit zu sagen und ein gerechtes Urteil herbeizuführen.17
Die α»δικοι sind also Richter, deren Urteil „ungerecht“ ist.18 In der römischen Kolonie Korinth wurden Zivilprozesse nicht von Geschworenen entschieden, sondern von den beiden duoviri iure dicundo, den Obersten Richtern, munizipale Höchstmagistrate, die je für ein Jahr gewählt wurden. 19 In römischen ————————————————————
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So G. Schrenk, ThWNT I, 151; Schrage I 406; Lindemann 135. In 1Clem 45,4; 60,3 werden Christen als οι δι'καιοι bezeichnet. Vgl. auch Barrett 135; Conzelmann 133 Anm. 12; Klauck 44-45; Fee 232; Merklein II 52. Kaser, Privatrecht, 350; ders. Privatrecht I, 274-275 (§64.III.2). Cicero, Caec. 73; Inv. Rhet. 2,56,169; vgl. Garnsey, Status, 207; Clarke, Leadership, 63. Winter, Civil Litigation, 85-103; ders., Welfare, 107-116; ders., Corinth, 58-68; Clarke, Leadership, 60-68. Winter, Corinth, 60-67; Clarke, Leadership, 59-62; Witherington 163; Hays 93; Garland 195; jetzt auch Konradt, Gericht, 337. Die Wendung κρι'νεσθαι ε πι` τω ^ ν α δι'κων ist also eine contradictio in adiecto, der ein ironischer Unterton beiwohnt; Heinrici 188; Ebel, Attraktivität, 193. Lindemann 135 hat mit seiner Kritik an B. Winter verkannt, dass dieser nicht behauptet, „das römische Rechtswesen sei per se“ ungerecht. Ein Widerspruch zu Röm 13,1-7 stellt sich bei dieser Interpretation von 1Kor 6,1 nicht ein: Hier ist von Zivilprozessen um Bagatellsachen die Rede, dort geht es um das Kriminalrecht. Wiseman, Corinth, 498; Clarke, Leadership, 61; ebd. für das Folgende.
306 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Kolonien gab es keine Prätoren. Die höchsten juristischen Funktionen wurden von diesen beiden örtlichen duoviri ausgeübt, denen die Gouverneure der Provinzen die Mehrzahl der kleinen Fälle überließen. Der Ausdruck α»δικοι (Plur.) bezieht sich also wahrscheinlich konkret auf einen der beiden duoviri sowie auf den von diesem ernannten Richter. Wenn die korinthischen Christen, die sich in Rechtshändel verwickelten, nicht um den Unterhalt von Verwandten oder um Honorare für Dienstleistungen von Angehörigen der höheren Stände stritten – Rechtsstreitigkeiten, für die auch in einer Senatsprovinz wie Achaia das Kognitionsverfahren (extraordinaria cognitio) zuständig war –, strengten sie einen Formularprozess an.20 Das Verfahren wurde mit der Ladung (in ius vocatio) eingeleitet, durch die der Kläger seinen Gegner zwingt, vor Gericht zu erscheinen. Der Kläger trägt vor dem Gerichtsmagistrat das Begehren vor, für das er die Erteilung einer bestimmten actio beantragen will und für das ein Urteilsgericht (iudicium) eingesetzt werden soll. Der Beklagte kann dem Begehren des Klägers widersprechen, er kann eine Abänderung der Prozessformel beantragen, oder er kann den Anspruch des Klägers anerkennen. Wenn der Magistrat dem Kläger die beantragte actio gewährt, wird ein Richter bestellt und der Streit eingesetzt. Der Streit wird in der Prozessformel niedergeschrieben, in der das „Prozessprogramm“ und der Name des Richters festgehalten werden. Der Magistrat erlässt ein Dekret, das dem Kläger ein Urteilsgericht zuweist, dem sich die Parteien im voraus unterwerfen (litis contestatio). Das Verfahren vor dem Richter dient der Beweisführung und der Urteilsfällung. Bei der Würdigung der vorgetragenen Beweise galt das Prinzip der Ermessensfreiheit. Die Beweislast hatte der Kläger, aber starre Regeln gab es hier nicht. Das Urteil des Richters lautet bei Leistungsklagen auf condemno oder absolvo; im ersten Fall wurde zu einer bestimmten Geldsumme verurteilt, im zweiten Fall erfolgte ein Freispruch.
Dieser sozialgeschichtliche Hintergrund macht Folgendes deutlich. 21 1. Die Christen, die Prozesse angestrengt hatten, gehörten offenbar zu den höheren, wohlhabenden Schichten der korinthischen Gesellschaft. 2. Die zur Gemeinde gehörenden Prozessgegner waren vor den römischen Gerichten und ihren Richtern denselben Ungerechtigkeiten ausgesetzt, wie andere Bürger auch. Und sie hätten sich der üblichen Taktiken bedient, mit denen ihre Zeitgenossen versuchten, Prozesse zu gewinnen. Das heißt, diese Christen waren bereit, mit dem Einsatz von pecunia, potentia, gratia und vituperatio den Prozess zu gewinnen. 3. Diese Christen strengten (vielleicht) einen Prozess an, um die christliche Gegenpartei zum inimicus (Feind) zu stempeln und die eigene dignitas zu vermehren, wie dies viele römische Bürger taten, die Prozesse wegen Bagatellsachen anstrengten. ————————————————————
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Kaser, Privatrecht, 354; zum Folgenden ebd. 359-381; ders., Zivilprozeßrecht, 151-407 (§22-65); Hausmaninger/Selb, Privatrecht, 374-386. Clarke, Leadership, 68.
Die Schlichtung von Streitfällen in der Gemeinde 6,1-6 307 ————————————————————————————————————
Paulus hält es für eigentlich selbstverständlich, dass Christen ihre Streitigkeiten vor den Heiligen (ε πι` τω ^ ν α γι' ων) regeln. In V. 5 kommt er ausführlicher auf diese Möglichkeit zu sprechen. Das Verbot von Prozessen vor heidnischen Gerichten und die Empfehlung, rechtliche Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde zu lösen, entsprechen jüdischer Praxis. 22 2 Paulus polemisiert nicht einfach gegen die prozessierenden Christen in Korinth, und er gibt auch nicht schnell einen Rat, wie der konkrete Fall intern geregelt werden soll. Paulus argumentiert theologisch,23 indem er auf das Endgericht verweist: Oder wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden? Das einleitende ου κ οι»δατε könnte ironisch gemeint sein. Wahrscheinlicher ist, dass Paulus die Korinther dazu zwingt, ihr vorhandenes theologisches Wissen mit ihrem Verhalten im Alltag in Verbindung zu bringen. Gleichzeitig macht Paulus deutlich, dass der juristische Streit der prozessierenden Gemeindeglieder die ganze Gemeinde angeht, d.h. er macht die Gemeinde (wie in Kap. 5) für das Verhalten der einzelnen Christen verantwortlich. Mit κο' σμος ist hier die Menschenwelt gemeint. Der Gedanke, der von Paulus hier nicht weiter ausgeführt wird, dass die Heiligen des Volkes Gottes am Endgericht beteiligt sind, kommt seit Dan 7,22 mehrfach in der jüdischen und ntl. Tradition vor.24 Das Argument (a maiore ad minus) ist durchschlagend: Wer die Welt richten wird, der kann sich nicht durch einen weltlichen Richter richten lassen. Er ist deshalb nicht „unwürdig“ (α να' ξιοι' ε στιν),25 Streitigkeiten intern selbst zu entscheiden – gerade dann, wenn es sich um die geringfügigsten Rechtshändel handelt. Mit κριτη' ρια ε λαχι' στων sind nicht „niedrige Gerichte“ gemeint, die die Korinther bilden sollen, 26 auch nicht eine perspektivische Transformation irdischer Wirklichkeit, in der angesichts der eschatologischen Dimension alle Rechtsfälle nur „allergeringste“ Dinge sind.27 Im Kontext des römischen Rechtswesens, um das es im vorliegenden Fall geht, bezeichnet der Superlativ ε λα' χιστος Bagatellsachen, um die gestritten wurde.28 Die Feindschaft zwischen einzelnen korinthischen ————————————————————
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Schrage I 408, mit Verweis auf Josephus, Ant. 14,235; Apg 9,2; 18,12-16; 22,19; 26,11; 2Kor 11,24; bGitt 80 Bar; 1QS 5,1-4.13-18. Dies hat Fenske, Argumentation, 89 verkannt, der meint, Paulus argumentiere nur emotional, „ohne daß sachliche Argumente ins Spiel gebracht werden müssen“. Weish 3,8; 4,16; äthHen 38,5; 48,9; 94,10; 98,12; 1QpHab 5,4-6; Mt 19,28 / Lk 22,30; Offb 20,4. Bei Paulus kommt dieser Gedanke nur hier vor; vgl. Schrage I 410. α να' ξιος (im NT hapax leg.) bedeutet „nicht entsprechend, unwürdig“ (mit gen. pretii). Bauer /Aland 921 s.v. κριτη' ριον; Allo 133; Barrett 136; Thiselton 428; Derrett, Judgement, 27. In V. 2 liegt nicht die wörtliche Bedeutung „Gerichtshof, Tribunal“ vor, sondern die Bedeutung „Gerichtsverhandlung, Rechtsfall, Rechtssache“ (vgl. P.Oxy. II 261,12: „Prozessvollmacht“); vgl. A. Papathomas, in Arzt-Grabner 223-224. Schrage I 410; vgl. Merklein 56; Lindemann 136. Winter, Corinth, 64-67; vgl. Epstein, Enmity, 90-100; Konradt, Gericht, 332.335-336.
308 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Christen, die V. 6-8 bezeugen (vgl. 3,3, wo von Rivalität und Streit die Rede war), wurde entweder durch Zivilprozesse hervorgerufen, oder diese wurden wegen Bagatellsachen angestrengt, um persönliche oder familiäre Feindseligkeiten öffentlich auszutragen.29 Paulus konfrontiert die Korinther mit der Frage, weshalb sie nicht fähig sind, ihre Streitigkeiten um unbedeutende Angelegenheiten intern in der Gemeinde zu entscheiden. 3 Die rhetorische Frage in V. 3a entspricht der Frage in V. 2a, jetzt in der 1. Pers. Plur. und im Hinblick auf die Engel formuliert. Die Beteiligung am Gericht über die α»γγελοι überbietet die Beteiligung am Gericht über den κο' σμος.30 Paulus lässt offen, welche Engel gemeint sind. Vorgeschlagen wurden: 1. die gefallenen Engel von Gen 6; 2. die gefallenen, bösen Engel allgemein;31 3. die Engel als Gegenüber zur Welt (V. 2), d.h. die Völkerengel als „die metahistorischen Drahtzieher weltlicher Herrschaft“;32 4. alle Engel.33 Auf eine Engellehre kommt es Paulus hier jedoch nicht an. Entscheidend ist der Nachsatz erst recht über Dinge des Alltagslebens! Mit βιωτικα' (wörtlich „was man zum Leben braucht“) sind Alltäglichkeiten gemeint, „Dinge, die zur vergehenden Gestalt dieser Welt gehören“. 34 Da es sich um Zivilprozesse handelt (V. 7-8), geht es in den Rechtshändeln offensichtlich um finanzielle oder materielle Angelegenheiten. 35 Es kann jedoch kaum um hohe Summen gehen, da es sich um κριτη' ρια ε λαχι' στων handelt (V. 2), um Prozesse wegen Bagatellsachen des alltäglichen Lebens. 4 Die in V. 3 eingeführte Beschreibung der geringfügigen Rechtshändel als bloß „Alltägliches“ betreffend steht nun in der nächsten kritischen Frage betont vor der Konjunktion ε α' ν: die κριτη' ρια ε λαχι' στων (V. 2) sind βιωτικα` κριτη' ρια, d.h. es geht nur um alltägliche Dinge, die von der Gemeinde geregelt werden können und sollen.36 Der Präs. Konj. ε»χητε ist wohl iterativ zu fassen: Es geht (potentiell oder aktuell) um alle solche Fälle. 37 ————————————————————
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Winter, Corinth, 65; ob die Rechtshändel durch die Loyalitätsbekundungen gegenüber Lehrern der Gemeinde entstanden waren, wie B. Winter meint, lässt sich nicht erkennen. Schrage I 411; Lindemann 136; Garland 202. Vgl. Jes 24,21-23; Mt 25,41; 2Petr 2,4; Jud 6; vgl. äthHen 10,12-14; 19,1; 21,1-10. Merklein I 57; vgl. Cullmann, Christus, 176. Heinrici 191; Barrett 136. Wolff 113; vgl. Konradt, Gericht, 336. Wolff 113; Hays 92; Lindemann 136; Theißen, Studien, 258; Mitchell, Courts, 582-583; Konradt, Gericht, 336. A. Papathomas, in Arzt-Grabner 224-225, weist darauf hin, dass in den Papyri βιωτικο' ς nie mit der Terminologie des Gerichtsverfahrens verbunden wird, Paulus also einen innovati-ven Sprachgebrauch einführt. Lindemann 136, mit Verweis auf BDR §373.2
Die Schlichtung von Streitfällen in der Gemeinde 6,1-6 309 ————————————————————————————————————
Für das Verständnis von V. 4b ist die Interpretation des Verbs καθι' ζετε ausschlaggebend. In der exegetischen Literatur findet man drei Vorschläge: Es handelt sich um einen Imperativ, um eine indikativische Aussage oder um eine indikativische Frage. Die Entscheidung bestimmt, wie man den Ausdruck οι ε ξουθενημε'νοι versteht. 1. Wenn man den Satz als Imperativ versteht, dann fordert Paulus die Gemeinde auf, Menschen, „die in der Gemeinde nichts gelten“, zu Richtern über solche Streitfälle einzusetzen (LÜ: „nehmt solche, die in der Gemeinde nichts gelten, und setzt sie zu Richtern“). 38 Man versteht dann den Ausdruck „die in der Gemeinde nichts gelten“ als ironischen Hinweis auf Gemeindeglieder, die nach Einschätzung der korinthischen Gesellschaft nicht zu den „Oberen“ gehören. Paulus teilt den korinthischen Christen mit, dass selbst jene Gemeindeglieder, die von der Gesellschaft verachtet werden, qualifiziert sind, Streitigkeiten wegen geringfügiger Angelegenheiten unter Christen zu regeln. 2. Wenn man den Satz als indikativische Aussage versteht, referiert Paulus die Situation in der korinthischen Gemeinde (Menge: „da laßt ihr solche Leute über euch zu Gericht sitzen, die sonst in der Gemeinde keine Achtung genießen!“). 39 Die Wendung „die in der Gemeinde nichts gelten“ bezieht sich bei dieser Interpretation auf die heidnischen Richter Korinths, vor denen korinthische Christen ihre Rechtshändel austragen, als „Menschen, die nichts gelten“, d.h. die in der Gemeinde nichts gelten, weil sie Ungläubige sind. 3. Wenn man den Satz als Frage versteht (vgl. NA27), dann äußert Paulus sein Befremden darüber, dass korinthische Christen ihre Streitigkeiten um geringfügige Angelegenheiten vor heidnischen Gerichten austragen: Ihr setzt die zu Richtern ein, die in der Gemeinde nichts gelten?40 Die erste Möglichkeit ist angesichts von V. 5 ausgeschlossen, wo Paulus den Korinthern vorwirft, nicht zu den Weisen in der Gemeinde zu gehen, die den Streitfall regeln können. Die Oppositionen, die den Text bestimmen, beschreiben die Christen positiv, die Außenstehenden negativ.41 Die letzten beiden Verständnismöglichkeiten liegen dicht beieinander. Die dritte Interpretation ist angesichts der Tatsache vorzuziehen, dass Paulus im Kontext mehrere rhetorische Fragen stellt. ————————————————————
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Chrysostomus 133; Theodoret 265; Lightfoot 211; Bachmann 229-230; Strobel 108; Godet I 148; Allo 134-135; Clarke, Leadership, 70-71; die folgende Erläuterung ebd. Vgl. Hfa, SÜ, ZB; vgl. Meyer 158; Schmiedel 121; Senft 78. Es wäre möglich, ε ν τη^, ε κκλησι'α, als Verweis auf die Ratssitzung der Stadt Korinth zu beziehen, was aber unwahrscheinlich ist; Clarke, Leadership, 70 Anm. 45. EÜ, Elb.Ü, GN, MNT, Wilckens; NRSV, TNIV; vgl. Lietzmann 26; Barrett 137; Conzelmann 132-134; Fee 236; Schrage I 402.412; Merklein II 47.58; Lindemann 133.136; Winter, Civil Litigation, 97-98. Merklein II 58.
310 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Das Verb καθι' ζω bedeutet wörtlich „hinsetzen“. Im Hintergrund steht die zeitgenössische Praxis der Richter, die in der Öffentlichkeit der Agora bzw. des Forum auf dem βη^ μα sitzen; im juristischen Kontext der Stelle bedeutet es „auf dem Richterstuhl sitzen, zu Gericht sitzen“, hier „zu Richtern einsetzen“.42 Paulus wirft den Korinthern nicht vor, dass sie heidnische Richter offiziell „ins Amt eingesetzt“ haben, sondern dass sie diese für ihre Streitigkeiten in Anspruch nehmen.43 S. Meurer meint, das Verb bezeichne die Einigung der streitenden Parteien über den Richter, den sie in ihrem Prozess anerkennen wollen.44 Dies ist im Kontext jedoch wenig plausibel. Der Ausdruck ε ξουθενημε'νοι (Ptz.; vgl. 1,28) ist im Zusammenhang der im Kontext betonten Kontrastierung der Christen und der Nichtchristen zu verstehen. Paulus formuliert mit diesem Wort das Gegen-Urteil gegen die Einschätzung durch die „Welt“, für die das Evangelium vom gekreuzigten Christus Torheit und für die die Apostel „Letzte“ sind. Deshalb liegt hier weder eine persönliche Verächtlichmachung („die Verachteten“) noch eine Verurteilung der heidnischen Richter vor, die der Aussage in 5,12-13 widersprechen würde.45 Die heidnischen Richter sind Menschen, die in der Gemeinde „nichts gelten“. 5 Der Satz zur Beschämung sage ich euch das (προ` ς ε ντροπη` ν υ μι^ν λε'γω) bezieht sich sowohl auf V. 4 als auch auf die folgenden Fragen. In 4,14 hatte Paulus den Korinthern geschrieben, dass er sie mit seinen Aussagen nicht beschämen will, laut 6,5 will er sie bewusst in Verlegenheit bringen. Diese Spannung ist mit der anderen Thematik zu erklären. Die Streitigkeiten, die Paulus in Kap. 1–4 behandelt, haben mit der mangelhaften Einsicht in die Bedeutung des Gekreuzigten zu tun, sind also Konsequenz der fehlenden Reife der korinthischen Christen (3,1-4; 4,14). Die Streitigkeiten, die Christen vor heidnischen Gerichten austragen, sind so eindeutig verkehrt, dass es keiner besonderen Reife bedarf, um dies zu erkennen. Deshalb kann Paulus „nicht mehr mahnen, sondern nur noch beschämen“.46 Die rhetorische Frage ist denn unter euch wirklich kein Weiser, der zwischen Bruder und Bruder ein Urteil fällen kann? ist möglicherweise ————————————————————
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Vgl. Joh 19,13; Apg 12,21; 251,6.17; Josephus, Bell. 2,172; Ant. 20,130. Schrage I 412; Merklein II 58; Lindemann 136. Vgl. A. Papathomas, in Arzt-Grabner 225: das Verb bezieht sich auf „die faktische Anerkennung der Kompetenz heidnischer Richter durch Mitglieder der christlichen Gemeinde“. Meurer, Recht, 147-148. Richtig Merklein II 58, gegen Schrage I 413, der eine Spannung sieht. Merklein II 59. Schrage I 413 meint, Paulus könne beschämen, weil es in Kap. 5 nicht um die Bewertung der Apostel geht und er deshalb nicht mehr persönlich involviert ist. In den Papyri bedeutet ε ντροπη' „Achtung, Ehrfurcht“ (SB XVIII 13867,38-39; P.Lond. I 46,1617); vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 225.
Die Schlichtung von Streitfällen in der Gemeinde 6,1-6 311 ————————————————————————————————————
ironisch gemeint: Die korinthischen Christen, die sich um „Weisheit“ streiten und die Kategorien der juristisch kundigen Bildungselite an die Apostel und Lehrer der Gemeinde anlegen, versagen gerade dort, wo Weisheit gebraucht wird. Die zur Elite Korinths gehörenden Gemeindeglieder hätten es fertig bringen müssen, den Streitfall intern zu lösen. Es gab sowohl im römischen als auch im jüdischen Recht die Einrichtung von Schlichtern, die mit der Zustimmung der streitenden Parteien eine bindende Entscheidung herbeiführen konnten. Nach römischem Recht konnte man einen arbiter einsetzen, einen Schiedsrichter, dessen Entscheidung aufgrund einer Einigung (compromissus) der streitenden Parteien als verbindlich anerkannt wurde.47 Aber Paulus will gerade nicht, dass Christen ihren Streit vor Außenstehenden austragen. Möglich ist auch, dass Paulus bei dem Stichwort ο σοφο' ς („der Weise“) an den ָחָכםdenkt, den gottesfürchtigen und gesetzeskundigen „Weisen“. 48 An ein permanentes christliches Amt denkt Paulus nicht.49 Manche Ausleger schließen aus dem Wechsel von κρι' νω („urteilen“) zu διακρι' νω („beurteilen, entscheiden“), dass Paulus zwei unterschiedliche Verfahren anspricht: Er lehnt den juristischen Streit vor Gericht mit seinem Recht-Haben-Wollen ab und rät stattdessen zu einer innergemeindlichen Schiedsgerichtsbarkeit, wo weise Gemeindeglieder strittige Fragen friedlich schlichten.50 W. Schrage erwägt eine Anspielung auf Ez 34,17.20 (mit der Wendung διακρι' νειν α να` με'σον), wo es darum geht, dass Gott den „matten Schafen“ gegenüber den „fetten Schafen“ Recht verschaffen wird; auf diesem Hintergrund würde Paulus die Korinther daran erinnern, dass Gott für das Recht des schwächeren Bruders eintritt.51 B. Rosner schlägt vor, dass die von Mose eingesetzten Richter von Dtn 1,9-17 und Ex 18,13-26 für die von Paulus vorgeschlagenen Schlichter den Prototyp bilden.52 V. 5b (διακρι^ναι α να` με'σον του^ α δελφου^ αυ του^ ) kann als Kurzfassung von Dtn 1,16 LXX verstanden werden: „Und ————————————————————
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Th. Mayer-Maly, Art. Arbiter, KP I, 495-496; Chr. Paulus, Art. Arbiter, DNP I, 974-975; zum arbiter ex compromisso vgl. Crook, Law, 78-79; Winter, Civil Litigation, 96-97. U. Wilckens, ThWNT VII, 506; Dinkler, Signum crucis, 208; Fee 237 bleibt skeptisch; kritisch auch Ebel, Attraktivität, 199 Anm. 139. Richtig Schlatter 194, der den Ausdruck „der Weise“ mit 3,10 verknüpft: Wie die Gemeinde einen weisen Baumeister hatte, so braucht sie jetzt weise Friedensstifter. Bachmann 230-231; Grosheide 137; Lindemann 137. Godet I 149 meint, die Präsensform κρι'νεσθαι (V. 1) unterstreiche „die Umständlichkeit eines Prozesses“, während der Aorist διακρι^ναι (V. 5) „eine kurze, schiedsrichterliche Entscheidung“ beschreibe; vgl. Garland 208. Dieses Verständnis der griech. Tempora ist aus grammatikalisch-linguistischen Gründen abzulehnen. Schrage I 414, der jedoch selbst darauf hinweist, dass Paulus sich sonst nirgends auf Ez stützt; vgl. Koch, Schrift, 45; kritisch auch Merklein II 59. Rosner, Paul, 100-101.104-106; ders., Moses, 275-278; vgl. Ciampa /Rosner 711; vgl. Lindemann 137; Merklein II 59; als Möglichkeit Konradt, Gericht, 323 Anm. 697.
312 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
ich gebot euren Richtern zu jener Zeit: Stellt Verhöre an inmitten eurer Brüder und richtet gerecht zwischen einem Mann und seinem Bruder (κρι' νατε δικαι' ως α να` με'σον α νδρο` ς και` α να` με'σον α δελφου^ ) und seinem Fremdling“. Die verbalen Verbindungen zwischen 6,1-6 und Dtn 1/Ex 18 und vor allem zwischen 6,5b und Dtn 1,16 sind in der Tat auffallend.53 Da Paulus diese atl. Stellen nicht explizit zitiert, ist es unwahrscheinlich, dass er in der korinthischen Gemeinde als „zweiter Mose“ innergemeindliche Schiedsgerichte einrichtet.54 Die Anspielung auf Dtn 1,16 und Ex 18,13-26 lässt die Vermutung plausibel erscheinen, dass Paulus sich von der Heiligen Schrift leiten lässt, wenn er der Gemeinde vorschlägt, weise Männer strittige Fragen entscheiden zu lassen. Wie hat Paulus sich ein innergemeindliches Schiedsgericht vorgestellt?55 Die meisten Ausleger verweisen auf die jüdische Gerichtsbarkeit, die es auch in der Diaspora gab. Josephus berichtet, dass Lucius Antonius, der Proprätor der Stadt Sardes, den ortsansässigen Juden, die das römische Bürgerrecht besitzen, zugesteht, „dass sie eine eigene ‚Synode‘ haben gemäß den väterlichen Gesetzen von Anfang an mit einem eigenen Ort, vor dem sie Prozesse führen und Streitfragen klären“ (Josephus, Ant. 14,235). In diesen jüdischen Gerichten, die Zivilfragen klärten, wurde aufgrund von Ex 21,1 das jüdische Recht angewandt. 56 Die Entscheidungen wurden von einem aus drei Männern bestehenden Gremium getroffen, aber es gibt auch Belege, wo ein einziger Sachkundiger die Entscheidungen fällte. Andere formale Parallelen gibt es aus dem zeitgenössischen Vereinswesen. Manche Vereine (collegia) hatten ihr eigenes internes Schiedsgericht. Das bekannteste Beispiel ist die in den Statuten der Athener Iobakchen überlieferte Regelung, dass ein Mitglied, das ein anderes schlägt, im Rahmen eines internen Gerichtsverfahrens bestraft werden soll; die Gesamtheit der Mitglieder muss verpflichtend an der Gerichtssitzung teilnehmen; dem Geschädigten war es unter Androhung einer hohen Geldstrafe untersagt, ein öffentliches Gericht anzurufen (SIG III 1109,84-94.96-99). 57 Ein wichtiger Unterschied zur Aussage in V. 5 ist der Umstand, dass „die Entscheidung in rechtlichen Konflikten zwischen einzelnen Gemeindegliedern nicht Teil der üblichen Aufgaben eines Amtsträgers oder eine Angelegenheit der gesamten Gemeinde sein [soll]; vielmehr wird in V. 5 mindestens ein σοφο' ς gefordert, der speziell für diese Aufgabe auf nicht klar definierte Weise eingesetzt werden soll“. Wahrscheinlich hat Paulus sich auch keine Bestrafung des Täters vorgestellt, sondern auf eine Schlichtung des Streits ————————————————————
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In der gesamten griech. Literatur kommt die Kombination einer Form von κρι'νω mit der Wendung α να` με' σον mit einer Form von α δελφο' ς nur in Dtn 1,16; 1Kor 6,5 und im Jesajakommentar von Basilius vor (102,9), der 1Kor 6,5 zitiert. Richtig Rosner, Paul, 101-103; ebd. 103-104 für die folgende Bemerkung. Zur Diskussion vgl. Schrage I 408; Lindemann 141-142; Merklein II 53-54; Richardson, Sexual Matters, 51-53; Ebel, Attraktivität, 192-203. bGit 88b Bar; Bill. III, 362-363; Lindemann 142; Applebaum, Legal Status, 420-463. Leipoldt/Grundmann, Umwelt II, 87; Klauck, Umwelt I, 55-56; Ebel, Attraktivität, 76142.195-202, die folgende Zitat ebd. 199-200.
Die Schlichtung von Streitfällen in der Gemeinde 6,1-6 313 ———————————————————————————————————— und auf eine Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen den streitenden Parteien gehofft, was der mehrfache Hinweis auf den „Bruder“ nahelegt. Die gemeindeinternen „Richter“ bzw. Schlichter werden vermutlich bei ihren Entscheidungen „beide Parteien an christliche Verhaltensgrundsätze erinnern und die Folgen für das weitere Gemeinschaftsleben bedenken“.
Der Hinweis auf die richterliche Kompetenz der Gemeinde ist mit den Aussagen in V. 7-8 zu verbinden, wo Paulus betont, dass es unter Christen zu Rechtsstreitigkeiten erst gar nicht kommen sollte, da Christen zum Verzicht auf ihr Recht bereit sein müssten. Das heißt, V. 5 ist keine Skizze innergemeindlicher Schiedsgerichte im Sinn einer idealen Lösung, sondern dient eher der Kritik am Gang vor heidnische Gerichte.58 Wahrscheinlich teilt Paulus gerade deshalb keine Einzelheiten darüber mit, wie er sich die praktische Umsetzung der Möglichkeit interner Schlichtung in der Gemeinde vorstellt – wir erfahren nichts darüber, aus wie vielen „Weisen“ das Gremium bestehen soll, wie diese „Weisen“ eingesetzt werden sollen, welche Kompetenzen sie haben und welche Sanktionen sie verhängen können. 6 Paulus stellt erneut mit Entrüstung fest, dass ein Bruder gegen den anderen (α δελφο` ς μετα` α δελφου^ ) prozessiert. Die Anrede als „Bruder“ (und „Schwester“, vgl. 7,16; 9,5; s. oben zu 1,1), die die Wirklichkeit der Gemeinde Jesu Christi als die Familie der Kinder Gottes reflektiert, unterstreicht, wie skandalös es ist, wenn Christen vor Gericht gegeneinander prozessieren. Streitfälle unter Geschwistern sollen innerhalb der Familie geregelt werden. Dieser Grundsatz galt auch in der römischen Gesellschaft. In der Familie war man vor inimicitiae (Feindschaft) sicher, prozessierende Brüder waren eine Horrorvorstellung.59 Die Frage in V. 6b – und das vor den Ungläubigen? (και` του^ το ε πι` α πι' στων;) – kann so verstanden werden, dass Paulus mindestens implizit die Außenwahrnehmung der Gemeinde anspricht: Wenn Gemeindeglieder ihre schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit Korinths von Ungläubigen waschen lassen, beschneidet dies ihre missionarischen Möglichkeiten.60
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58 59 60
Merklein II 59; Konradt, Gericht, 332; Ebel, Attraktivität, 198-199. Epstein, Enmity, 27-28; Winter, Corinth, 71; Konradt, Gericht, 331. Barrett 135; Schlatter 195; Dinkler, Signum crucis, 214. Merklein II 53 hält den Vorschlag, Paulus gehe es um „das Image der Kirche“, das Schaden leiden könne, für „kleinkarierte Angst“. Um eine bloße Imagefrage geht es sicherlich nicht, aber die Außenwirkung eines öffentlichen Streits von Christen darf nicht unterschätzt werden.
314 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Der Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts 6,7-11 I 7 Nun ist es überhaupt schon eine Niederlage für euch, dass ihr Prozesse gegeneinander führt. Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht antun? Warum lasst ihr euch nicht lieber berauben? 8 Statt dessen begeht ihr Unrecht und beraubt – und das an Brüdern! 9 Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Königreich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht: Weder sexuell Zügellose, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Homosexuelle, 10 noch Diebe, noch Habgierige, noch Säufer, noch Lästerer, noch Räuber werden das Königreich Gottes erben. 11 Und das waren einige von euch! Aber ihr seid abgewaschen worden, aber ihr seid geheiligt worden, aber ihr seid gerechtfertigt worden im Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
II In V. 1-6 betonte Paulus die Unmöglichkeit des Prozessierens vor heidnischen Gerichten. In V. 7-8 spitzt Paulus die Forderung, Mitchristen nicht vor weltliche Richter zu ziehen, zu: Christen sollen auf gegenseitiges Prozessieren verzichten und bereit sein, Unrecht zu erleiden. In V. 9-11 formuliert Paulus mit Hilfe eines zehngliedrigen Lasterkatalogs das grundsätzliche, negative Urteil über das Ethos der Welt, von dem sich Christen prinzipiell unterscheiden, weil sie durch ihren Glauben an Jesus Christus geheiligt und gerechtfertigt wurden und Erben des Reiches Gottes sind. Textkritische Anmerkungen. In V. 7 lassen wichtige Handschriften (d46 *אD* 6 33 630 1505 1739 1881) die Konjunktion ου ν (א2 A B C D1 Ψ Byz sy) aus, vielleicht weil die Konstruktion überladen erscheint.61 Einige Handschriften lesen statt Plural κρι' ματα den Singular κρι' μα ( א629 1241 1881 pc sy), vielleicht wegen Homoioteleuton.62 In V. 8 schreibt der Mehrheitstext ταυ^ τα statt des hervorragend bezeugten του^ το und macht dadurch aus dem einen Fehlverhalten derer zwei. In V. 11 gibt es zu Ιησου^ Χριστου^ wie in 5,4.5 mehrere Varianten; der Lesart von d11vid.46 אD* ist der Vorzug zu geben.63
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61 62 63
Lindemann 138; anders Zuntz, Text, 139; Fee 239 Anm.1. Fee 239 Anm. 2. Metzger, Commentary, 486; Fee 239 Anm. 5.
Der Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts 6,7-11 315 ————————————————————————————————————
III 7 Paulus bezeichnet Rechtshändel unter Christen als Niederlage. Das seltene Wort η« ττημα (in LXX und NT nur hier und in Jes 31,8; Röm 11,12) ist kein Wort der Prozesssprache; es bezeichnet hier grundsätzlich die „Niederlage“ der Gemeinde als Gemeinde. 64 Wenn Christen Prozesse (κρι' ματα)65 gegeneinander (μεθ’ ε αυτω ^ ν) führen, dann haben sie bereits verloren – ihre Bruderschaft, die Wirklichkeit der im Kreuz Jesu geoffenbarten Liebe Gottes, die Integrität ihres Status als „berufene Heilige“ ist nichtig, wenn sie gegeneinander prozessieren. Die Wendung μεθ’ ε αυτω ^ ν66 spricht beide an, den Schuldigen und den Geschädigten. Johannes Chrysostomus kommentiert: „Der eine mag Unrecht tun, der andere Unrecht leiden, so verdienen doch beide Tadel, weil sie prozessieren, und keiner ist in dieser Hinsicht besser als der andere“.67 Die beiden rhetorischen Fragen in V. 7b sind parallel formuliert: Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht antun? (δια` τι' ου χι` μα^λλον α δικει^σθε;) und warum lasst ihr euch nicht lieber berauben? (δια` τι' ου χι` μα^λλον α ποστερει^σθε;). Während das erste Verb (α δικε'ομαι Pass. „ungerecht behandelt werden“) allgemein ist, deutet das zweite Verb (α ποστερε'ομαι Pass. „beraubt werden“) den konkreten Hintergrund des Rechtsstreits der korinthischen Christen an. Sie sind in Zivilprozesse verwickelt in denen es offensichtlich um finanzielle oder materielle Angelegenheiten geht. 68 Paulus beschreibt das eigentlich zu erwartende Verhalten von Jesusbekennern mit dem komparativischen μα^λλον und mit negierten und deshalb zu bejahenden Fragesätzen.69 Statt gegeneinander zu prozessieren, sollen Christen „vielmehr“ auf ————————————————————
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Merklein II 60; Schlatter 195: „einen Prozeß führen zu müssen, dies schon ist Verlust“. In den Papyri ist das Wort η« ττημα bisher nicht belegt; vgl. A. Papathomas, in Arzt-Grabner 227. Viele Ausleger interpretieren im Sinn einer moralischen Niederlage, vgl. Heinrici 194; Bachmann 232; Barrett 138. Petrus Lombardus 1578 bezeichnet das Prozessieren von Christen als Sünde: peccatum enim est litigare. Schrage I 415 paraphrasiert die einleitende Wendung η» δη με` ν ου ν ο« λως mit dem Satz „abgesehen von dem erschwerenden Umstand der Inanspruchnahme heidnischer Richter“. κρι'μα bezeichnet das Urteil im Strafprozess („der Urteilsspruch des Richters“); die Pluralform hat hier jedoch offensichtlich die Bedeutung „Rechtsstreitigkeiten, Prozesse“ (wie πρα^γμα); vgl. M. Rissi, EWNT II, 785. Die Wendung μεθ’ ε αυτω ^ ν darf nicht so interpretiert werden, dass Prozesse „gegen andere“, d.h. gegen Nichtchristen, erlaubt sind; so jedoch Strobel 106. Chrysostomus 134, zitiert bei Schrage I 414. Wolff 113; Lindemann 136; Theißen, Studien, 258; Clarke, Leadership, 59; Schrage I 405 als Möglichkeit. Das Verb α ποστερε' ω kommt öfter in Petitionen vor, in denen eine erlittene „Beraubung“ beklagt wird; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 228. Durch μα^λλον wird in dieser Konstruktion das Verhalten, zu dem geraten wird, gegenüber dem zuvor abgelehnten Verhalten zusätzlich hervorgehoben; M. Wolter, Art. μα^λλον, EWNT II, 941.
316 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
die Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche verzichten. Wenn jemand infolge des Verhaltens eines „Bruders“ oder einer „Schwester“ materiell oder finanziell geschädigt wurde, dann soll diese(r) das Unrecht hinnehmen, anstatt vor Gericht zu ziehen. Die Mahnung zum Rechtsverzicht erinnert an die entsprechende Mahnung Jesu in der Bergpredigt (Mt 5,39-40; vgl. Röm 12,17-21).70 Paulus will die Korinther wahrscheinlich nicht an dieses Jesuswort erinnern: Ein ausdrücklicher Hinweis wie in 7,10, der jedoch hier ausbleibt, hätte das Gewicht seiner Direktive gestärkt. 71 Die Mahnung zum Rechtsverzicht hat nichts mit Passivität oder Resignation zu tun, sie ist auch kein ethisches Prinzip oder eine Maxime praktischer Klugheit; sie darf auch nicht mit dem stoischen Streben nach Unerschütterlichkeit verwechselt werden.72 Die Grundlage und das Ziel der Mahnung ist die von Gott geschenkte Heiligkeit der Gemeinde und die in der Gemeinde präsente Wirklichkeit der Liebe Gottes, die im Kreuzestod Jesu offenbart wurde und die sich nach 13,5 nicht ungehörig verhält, die nicht den eigenen Vorteil sucht, die sich nicht erbittern lässt und die das Böse nicht nachträgt.73 8 Paulus wiederholt die beiden Verben aus V. 7 (im Aktiv statt im Passiv) und formuliert als Anklage: Statt dessen begeht ihr Unrecht und beraubt (α λλα` υ μει^ς α δικει^τε και` α ποστερει^τε). Während er in V. 1 die heidnischen Richter als α»δικοι bezeichnet hat, beschreibt er hier die korinthischen Christen als Menschen, die Unrecht und Raub begehen. Die Verben sind nicht buchstäblich, sondern als paradoxe Zuspitzung zu interpretieren.74 Paulus unterscheidet nicht zwischen denen, die juristisch im Recht sind, und denen, die Unrecht getan haben. Beide sind „Ungerechte“, wenn sie es zum Prozess vor heidnischen Richtern kommen lassen – was Brüder nicht tun sollen. 9-10 In der letzten rhetorischen Frage des Abschnitts verdichtet Paulus seine Kritik am Verhalten der prozessierenden Christen in dem Ausdruck Ungerechte (α»δικοι). Im Unterschied zu V. 1 sind nicht die Heiden gemeint, sondern die korinthischen Christen, vor allem die in V. 8 angesprochenen christlichen Prozessgegner. Was „Ungerechte“ sind, wird in der folgenden Liste erläutert. Paulus geht wie in V. 2 davon aus, dass die Korinther über die Grundlagen und die Inhalte der urchristlichen Eschatologie unterrichtet sind ————————————————————
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Vgl. Lev 19,18; Dtn 32,35; Prov 20,22; 24,29; Jes 50,6; Klgl 3,30; 1QS 10,18-19; slHen 50,4; zum jüdischen Hintergrund vgl. Zerbe, Non-Retaliation. Das Motiv des leidenden Gerechten mag ebenfalls im Hintergrund stehen; vgl. Ciampa /Rosner 712. Schrage I 415; vgl. Wenham, Paul, 252 Anm. 91. Die Behauptung von Lindemann 138, „eine direkte Beziehung besteht nicht“, ist zu apodiktisch. Vgl. Schrage I 415-416; Merklein II 61, mit Verweis auf Plato, Gorg. 509c; Xenophon, Mem. 2,9,1; Musonius X 52,1-14; Seneca, Ep. 95,52. Schrage I 415; Merklein II 61; s. jedoch Lindemann 138. Vgl. Schrage I 417, ebd. die folgende Bemerkung.
Der Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts 6,7-11 317 ————————————————————————————————————
(oder wisst ihr nicht?). Die Formulierung das Königreich Gottes erben (θεου^ βασιλει' αν κληρονομη' σουσιν) kommt bei Paulus hier und in 6,10; 15,50; Gal 5,21; Eph 5,5 vor (vgl. 1Thess 2,12; s. oben zu 4,10). In Gal 5,21 und Eph 5,5 („Erbe“) ist die Formulierung ebenfalls mit einem Lasterkatalog verbunden.75 Die Kombination von „Reich Gottes“ und „erben“ zeigt, dass Paulus hier an die zukünftige souveräne Heilsvollendung denkt, die Gott herbeiführen wird und an der die Jesusbekenner Anteil haben werden – insofern sie nicht zu den Ungerechten, sondern zu den Gerechten gehören (vgl. V. 11). In 15,50 ist die Wendung „das Reich Gottes erben“ ein Synonym für „auferstehen“. In den drei anderen Paulusstellen ist der Ausdruck „das Reich Gottes erben“ mit dem Endgericht verbunden: Die gerechten Jesusbekenner werden das Reich Gottes erben (vgl. Mt 25,34), und wer zu den Ungerechten und Lasterhaften gehört wird das Reich Gottes nicht erben (1Kor 6,10; Gal 5,21; Eph 5,5). Die parallele Wendung „ewiges Leben erben“ bezieht sich ebenfalls auf die positive Belohnung im Gericht.76 In V. 9 steht im griech. Text θεου^ auffällig betont vor βασιλει' αν und direkt nach α»δικοι, was den Kontrast zwischen den „Ungerechten“, d.h. den prozessierenden Korinthern und Gott unterstreicht.77 Die Parallele Gal 5,21, wo Paulus auf seine frühere Verkündigung verweist, und die Erinnerung der Korinther in V. 9a an das Wissen, das sie haben, deutet darauf hin, dass die Ausschlussformel zur missionarischen Anfangsverkündigung des Apostels gehörte. 78 Die Warnung täuscht euch nicht (μη` πλανα^ σθε; Imp.Präs.) unterstreicht die permanente Notwendigkeit der Selbstprüfung, die entgegen aller falschen Sicherheit um die Möglichkeit der schuldhaften Selbsttäuschung weiß. 79 Der in V. 9b.10 folgende Lasterkatalog (bzw. „Täterkatalog“) umfasst zehn Glieder. Die ersten sieben Vokabeln sind durch ου» τε verbunden, die letzten drei Vokabeln asyndetisch durch ου /ου χ. Die Aufzählung schließt in V. 10b – entsprechend V. 9a – mit der Aussage, dass solche Menschen das Königreich Gottes nicht erben werden (κληρονομη' σουσιν). Ein Vergleich der Lasterkataloge in 5,10.11 und 6,9-10 ergibt folgenden Sachverhalt: ————————————————————
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Konradt, Gericht, 339-340 kommentiert, dass zwar einerseits die Rede vom „Erben des Reiches“ und die Verwendung von Lasterkatalogen in der ethischen Unterweisung traditionell ist, andererseits die Verbindung zwischen diesem Syntagma und einem Lasterkatalog nur bei Paulus vorkommt und wahrscheinlich als dessen Schöpfung im Kontext seiner ethischen Anfangsunterweisung zu gelten hat. Vgl. Mk 10,17 / Lk 18,18; Lk 10,25; Mt 19,29; Tit 3,7; Kol 3,24; 1Petr 3,7.9; Offb 21,7. J. H. Friedrich, EWNT II, 738. Bachmann 233; Lindemann 138. Schrage I 429; Konradt, Gericht, 339. Vgl. 15,33; Gal 6,7; Jak 1,16; Lk 21,8. Siehe auch Epiktet, Diss. 4,6,23; für weitere Belege aus der Diatribe vgl. H. Braun, ThWNT VI, 233.245. Zur theologischen Relevanz der Warnung vgl. Gundry Volf, Perseverance, 132-141.
318 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
5,10 5,11 6,9f
1. πο' ρνοι, 2. πλεονε' κται, 3. α«ρπαγες, 4. ειδωλολα' τραι 1. πο' ρνος, 2. πλεονε' κτης, 3. ειδωλολα' τρης, 4. λοι'δορος, 5. με' θυσος, 6. α«ρπαξ 1. πο' ρνοι, 2. ειδωλολα' τραι, 3. μοιχοι', 4. μαλακοι', 5. α ρσενοκοι^ται, 6. κλε' πται, 7. πλεονε' κται, 8. με' θυσοι, 9. λοι'δοροι, 10. α« ρπαγες
Der Vergleich zeigt, dass von der traditionellen Voranstellung der sexuellen Zügellosigkeit abgesehen die Reihenfolge der einzelnen Glieder nicht vorgegeben war. Gegenüber 5,10.11 bietet 6,9-10 vier neue Ausdrücke in den Gliedern 4-6: μοιχοι', μαλακοι', α ρσενοκοι^ται, κλε' πται. Vier der zehn Glieder (1, 3, 4, 5) nennen sexuelle Verfehlungen, zwei nennen Eigentumsdelikte (6, 10, vielleicht auch 7). Der Schwerpunkt gilt dem Sexualverhalten und der illegitimen Bereicherung samt der Habgier.
Die in der Liste genannten „Täter“ entfalten den Hinweis auf die „Ungerechten“, die das Reich Gottes nicht erben werden. Die Voranstellung der sexuell Zügellosen ist nicht nur traditionell, sondern weist vermutlich auf die häufigste Sünde der zum christlichen Glauben bekehrten Heiden hin, vor allem der Männer (s. oben zu 5,1.9). Im nächsten Abschnitt 6,12-20 wird es konzentriert um diese Thematik gehen. Schon an zweiter Stelle werden die Götzendiener genannt (s. oben zu 5,10).80 Die für die Christen Korinths relevante Problematik von Besuchen in heidnischen Tempeln wird in Kap. 8– 10 thematiert. An dritter Stelle folgen die Ehebrecher (μοιχοι' ).81 Ehebruch war im AT der mit einer verheirateten oder verlobten Israelitin begangene „Einbruch in eine andere Ehe“, der mit dem Tod bestraft wurde.82 Die Verletzung einer fremden Ehe war immer zugleich Störung des Bundes mit Jahwe.83 Dasselbe galt für das Judentum, 84 wobei die Todesstrafe infolge der politischen Verhältnisse nur selten vollstreckt wurde. Obschon der sexuelle Verkehr mit einer heidnischen Frau straffrei blieb, wurde vor dem Ehebruch im weiteren Sinn immer wieder nachdrücklich gewarnt. Philo bezeichnet den Ehebruch als das größte Unglück und als abscheuliche und gottverhasste Sache (Decal. 121.131).85 Griechen und Römer verurteilten den Ehebruch ebenfalls, definiert als „der heimliche geschlechtliche Verkehr mit der freien Frau ohne Zustimmung ihres κυ' ριος“.86 Der sexuelle Verkehr mit Skavinnen, ————————————————————
80 81 82 83 84 85 86
HfA flach kontextualisierend: „keiner, dem irgend etwas wichtiger ist als Gott“. Vgl. Gal 5,19; Hebr 13,4; Mk 7,22; Lk 18,11. Lev 20,10; Dtn 22,22. Schrage I 430. Vgl. das Zitat des sechsten Gebots in Röm 13,9. E. Plümacher, EWNT II, 1074. Vgl. Jub 30,8; 39,6; mSanh 11,1; vgl. Joh 8,5. Vgl. Schrage I 430; s. auch Test.Jos. 4,6; Sib 3,763; 5,166. K. Latte, PW XV/2, 2449; G. Schiemann, Art. Adulterium, DNP I, 134-135; B. WagnerHasel, Art. Ehebruch I. Griechenland, DNP III, 900-901; G. Delling, Art. Ehebruch, RAC IV, 666-677. Zu den Papyri vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 229: Eheverträge machen deutlich, dass die μοιχει'α als „widerrechtliche, moralisch zu verurteilende Tat“ galt.
Der Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts 6,7-11 319 ————————————————————————————————————
Hetären und Hierodulen wurde nicht als anstößig empfunden und musste von der Ehefrau akzeptiert werden.87 Philosophen wie Plato und Aristoteles und Stoiker wie Musonius, Dio Chrysostomus und Plutarch waren zwar anderer Meinung,88 dürften aber auf das Verhalten der Bevölkerung wenig Einfluss gehabt haben. Die beiden nächsten Vokabeln beschreiben Homosexuelle. Das mit Weichlinge übersetzte Wort μαλακοι' bezeichnet wahrscheinlich den passiven Homosexuellen;89 viele folgen Bauer und interpretieren im Sinn des „Lustknaben“, der sich sexuell missbrauchen lässt. 90 Das Wort für Homosexuelle (α ρσενοκοι^ται) bezeichnet Männer, die mit Männern sexuell verkehren.91 Der sexuelle Verkehr mit Kindern oder Jugendlichen (Päderastie) war die am weitesten verbreitete Form homosexuellen Verhaltens; deshalb übersetzen viele mit „Knabenschänder“ (wofür es im Griech. das Wort παιδοφθο' ρος gibt; vgl. Lev 17,11 LXX). Der Ausdruck bezeichnet allgemein den Homosexuellen (vgl. Röm 1,27; Lev 18,22 LXX).92 Im Anschluss an das AT galt Homosexualität im Judentum als charakteristische Sünde der Heiden,93 die die Todesstrafe verdient.94 In der griechisch-römischen Gesellschaft waren Kochkünstler, Masseure, Redner (besonders unter den Sophisten), Kitharoiden, Flötenspieler, Schauspieler, Mimen, Pantomimen und Dichter für die Neigung zur Homosexualität bekannt. 95 Die Aufzählung der zahlreichen Laster in V. 9 und der Hinweis auf die Konsequenz, die sich aus der Praxis dieser Laster ergibt (V. 10), macht deutlich, dass Paulus die ————————————————————
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Vgl. Plutarch, Praec.Coniug. 16,140B. Plato, Pol. 7.1335b; Epiktet, Diss. 2,4. Musonius 63-65 zählt die πορνει'α zu den Sünden. Für Dio Chrysostomus, Or. 7,134.138 ist πορνει'α unnatürlich, weil sie unfruchtbar bleibt und ein Widerspruch zur Menschenwürde ist. Plutarch, Mor. 144B bezeichnet sie als schädlich. H. Balz, EWNT II, 939; Lindemann 139, mit Verweis auf Diogenes Laertius 7,173; Schrage I 431-432, mit Verweis auf Philo, Spec.Leg. 3,37-39. Bauer /Aland 991 s.v. μαλακο' ς; vgl. LÜ, EÜ, Elb.Ü, ZB. Menge und Wilckens übersetzen mit „Lüstling“. NGÜ fasst diese und die nächste Vokabel in der Übersetzung „(der) homosexuelle Beziehungen hat“ zusammen; NRSV und TNIV übersetzen mit „male prostitutes“. Scroggs, Homosexuality, 108 interpretiert μαλακο' ς als „effeminate call-boy“, als weichlichen Strichjungen. Die Vokabel α ρσενοκοι^ται kommt im NT sonst nur noch in 1Tim 1,10 vor. Die deutlichste Verurteilung der Homosexualität findet sich in Röm 1,26-27. Vgl. D. F. Wright, Homosexuals, 127-130; ders., Art. „Homosexuality“, DPL 413-415; C. S. Keener, Art. Adultery, DLNT 14-15; Scroggs, Homosexuality, 108.130.138-139, der allerdings meint, V. 9 verbiete nur das Verhältnis eines sexuell aktiven Erwachsenen mit einem sexuell passiven Jugendlichen sowie homosexuelle Prostitution. Vgl. E. Hartmann, Art. Homosexualität, DNP V, 703-707; K. Hoheisel, Art. Homosexualität, RAC XVI, 289-364. Zur Homosexualität im römischen Korinth vgl. Winter, Corinth, 110-120. Ep.Arist. 152; Sib.Or. 3,185-186.596-600; 5,166.387; yQid 4,11 (§6). Lev 18,22-23; 20,13-16; Josephus, Ant. 3,275; Ap. 2,199.215. H. Herter, Art. Effeminatus, RAC IV, 627-628.
320 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Homosexualität nicht nur aufgrund seiner jüdischen Herkunft negativ beurteilt. Zu beachten ist, dass die Toleranz gegenüber homosexuellen Beziehungen in der römischen Gesellschaft spätestens seit dem 1. Jahrhundert v.Chr. immer geringer wurde, nicht zuletzt infolge offizieller Edikte.96 Diebe (κλε'πται) gibt es in jeder Kultur und Gesellschaft; Diebstahl war im Dekalog97 genauso verboten wie im griechischen und römischen Recht. Von Habgierigen, Säufern, Lästerern und Räubern war bereits in 5,10-11 die Rede (s. dort). Paulus wiederholt von V. 9a die Warnung, dass Menschen, deren Lebensweise mit einer dieser Vokabeln beschrieben werden kann, auf keinen Fall das Königreich Gottes erben werden. Für Paulus ist das Gericht Gottes eine in der Zukunft eintreffende Realität, an der sich die moralischen Vorstellungen und Verhaltensweisen der Gesellschaft, in der die Christen Korinths leben, massiv stoßen. Aber er kontextualisiert die Sünden der heidnischen Umwelt – und der eigenen Glaubensgemeinschaft – genauso wenig wie Philo in Alexandrien, weil er überzeugt ist, dass sich die Maßstäbe Gottes für die Beurteilung des menschlichen Verhaltens nicht ändern. 11 Mit dem Satz und das waren einige von euch (και` ταυ^ τα' τινες η τε) erinnert Paulus die korinthischen Christen an die Tatsache, dass einige von ihnen vor ihrer Bekehrung zu Jesus Christus so gelebt hatten (η τε Impf). Die Differenzierung, die Paulus mit dem Wort „einige“ (τινες) vornimmt, bedeutet nicht, dass die „anderen“ vor ihrer Hinwendung zu Christus bereits Geheiligte gewesen seien. Sie zeigt, wie W. Schrage formuliert, dass Paulus „aus den Menschen als Sündern nicht einfach moralische Krüppel“ macht. 98 Paulus beschreibt in Röm 1,18–3,20 die Universalität der Macht der Sünde ausführlich und eindrücklich. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle Heiden ein lasterhaftes Leben führen. Mit drei α λλα' -Sätzen und drei im Aorist formulierten Verben beschreibt Paulus den Wechsel von der sündigen Vergangenheit zur geheiligten Gegenwart, die Transformation der Ungerechten (V. 9) zu Gerechten.99 Viele Ausleger verbinden die Aussage V. 11 mit der Taufe. W. Schrage schreibt: „Als einschneidendes, die gegenwärtige von der vergangenen Zeit trennendes Ereignis hat
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R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 231 verweist auf die Lex Scantinia (Mitte 1. Jh. v.Chr.). Ex 20,14; Dtn 5,19; vgl. Philo, Decal. 135.138.171. Schrage I 433; vgl. Merklein II 64. Bachmann 234 spricht von einem „frohlockenden α λλα' “.
Der Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts 6,7-11 321 ———————————————————————————————————— dabei die Taufe zu gelten“.100 G. Heinrici formuliert vorsichtiger; er kommentiert das Verb α πελου' σασθε „ihr ließet euch abwaschen“ mit dem Satz: „nicht nur durch euer Untertauchen in’s Taufwasser (Meyer), sondern überhaupt durch die Verbindung mit Christus, die nicht in die Taufe aufgeht (Holsten, Godet), aber ihr Symbol in der Taufe hat (Rom 6,1f.)“.101 Es ist jedoch fraglich, ob in V. 11 traditionelle Taufterminologie vorliegt.102 1. Angesichts der kategorischen Aussage in 1,17, in der Paulus die Verkündigung des Evangeliums von Gottes Heilshandeln im Kreuzestod Jesu Christi vom Vollzug der Taufe absetzt, ist es unwahrscheinlich, dass er das Widerfahrnis der Reinigung, Heiligung und Rechtfertigung mit dem Vollzug der Wassertaufe gleichsetzt. 2. Das Verb „abwaschen“ (α πελου' σασθε) kommt im NT an keiner Stelle als Beschreibung des Taufgeschehens vor.103 Entscheidend ist der Kontext: Was weggewaschen wird, sind die in V. 9-11 erwähnten Sünden, d.h. die moralische und geistliche Verunreinigung des Herzens und des Gewissens. Dass die korinthischen Leser bei der Metapher des „Abwaschens“ an ihre Taufe erinnert wurden, kann man nicht ausschließen. Wenn jedoch Paulus das Geschehen der Taufe hätte beschreiben wollen, hätte er seine Aussage einfacher mit der Vokabel βαπτι' ζειν formulieren können. 3. Das Verb „geheiligt werden“ (η για' σθητε) wird im NT ebenfalls nicht für das Taufgeschehen verwendet; die einzige Ausnahme ist vielleicht Eph 5,26.104 4. Die präpositionelle Formulierung „im Namen des Herrn Jesus Christus“ (ε ν τω^, ο νο' ματι του^ κυρι' ου Ιη σου^ Χριστου^ ) ist keine Taufformel. Wenn die Präposition ε ν im Zusam-menhang der Taufe verwendet wird, beschreibt sie das Element, in dem getauft wird (für Paulus vgl. 1Kor 10,2; 12,13). Wenn Paulus „taufen“ und „Name“ kombiniert, verwendet er die Präposition εις (1Kor 1,13-15; vgl. Gal 3,28). 105 5. Die Gesamt-struktur der Aussage ist zu beachten. Die abschließenden Präpositionalsätze „im Namen des Herrn Jesus Christus“ und „durch den Geist unseres Gottes“ beziehen sich beide auf alle drei Verben – und an keiner ntl. Stelle wird gesagt, dass man „durch den Geist“ getauft wird oder dass man in der Taufe geheiligt und gerechtfertigt wird.
Paulus beschreibt mit drei Metaphern die „Statusveränderung“ der Korinther, die „Ungerechte“ waren und jetzt „in Christus Jesus Geheiligte“ (1,2) sind. In 1,21 hatte Paulus betont, dass es die „Glaubenden“ sind, die errettet werden; ————————————————————
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Schrage I 433, mit dem Zusatz, dass Paulus „die Taufe nicht nur kognitiv, sondern effektiv-kausativ versteht“. Vgl. Godet I 152; Bousset 94-95; Weiss 154; Bachmann 234; Schlatter 196; Wendland 49; Klauck 46; Kremer 117; Garland 216; Beasley-Murray, Taufe, 215-220; Halter, Taufe, 148-149; Schnelle, Gerechtigkeit, 38-42; Chester, Conversion, 141. Heinrici 196; ebenfalls zurückhaltend sind Lindemann 140; Merklein II 64. Fee 246-227; Hollander 99; Thiselton 453-454; Barth, Taufe, 186.454-456; Dunn, Baptism, 120-123; Fee, Empowering Presence, 130-131. Auch nicht in Apg 22,16, wie Schrage I 427 selbst betont; das Verb steht dort parallel zu βα' πτισμα und hat eine metaphorische Bedeutung. Vgl. jedoch die Einwände von O’Brien, Ephesians, 422: die Erwähnung von „waschen“ oder „Wasser“ verweist nicht automatisch auf die Taufe. Zu beachten ist auch, dass Paulus an keiner Stelle von der Taufe der Gemeinde (!) spricht. Schnelle, Gerechtigkeit, 40-42 hat diese Schwierigkeit übersehen.
322 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
es ist der von Gottes Macht gewirkte Glaube (2,5), mit dem dieser Wechsel zusammenhängt. Mit anderen Worten, Paulus beschreibt in V. 11 die Bekehrung der Korinther.106 Der Satz ihr seid abgewaschen worden (α πελου' σασθε)107 beschreibt mit der Metapher des (Reinigungs-) Bades die geistliche Reinigung von den Sünden, auch und vor allem von den in V. 9-10 genannten Sünden. Die „Abwaschung“ von den Sünden heißt, „daß die Bindung an die sündhafte Vergangenheit aufgelöst worden, die Existenz unter der Herrschaft der Mächte der Finsternis zu Ende ist“.108 Manche sehen im Medium der Verbform „den freiwilligen Entschluß des Täuflings, ins Wasser zu steigen, angedeutet“;109 im hellenistischen Griechisch kommt das Verb jedoch fast immer in dieser Form vor und steht für die Passivform.110 Gott hat die Sünden der korinthischen Jesusbekenner abgewaschen, d.h. vergeben. Der Satz ihr seid geheiligt worden (η για' σθητε) unterstreicht mit der passivischen Formulierung die Initiative Gottes in der Bekehrung. Für Paulus sind Reinheit und Heiligkeit nicht durch tugendhaftes Verhalten zu erlangen, sondern nur infolge des Handelns Gottes. 111 Gott macht aus Unheiligen Heilige (s. oben zu 1,2). Der Ausdruck „ihr seid geheiligt worden“ beschreibt denselben Vorgang wie das vorausgehende Verb, beinhaltet gleichzeitig aber eine Steigerung: die Gewährung von Heiligkeit durch Gott bedeutet über die Vergebung der Sünden hinaus die „Ausgrenzung aus der Machtsphäre der Unheiligkeit und die Beschlagnahmung durch Gott in der Gegenwart“. 112 Die Konsequenz der Heiligung durch Gott ist eine neue Lebenswirklichkeit, die mit dem Bild von der Gemeinde als „Tempel Gottes“ beschrieben wird (3,16-17). Im Hintergrund des Verbs steht die Metapher von der kultischen Aussonderung. Der Satz ihr seid gerechtfertigt worden (ε δικαιω' θητε) beschreibt nicht „gemeinchristlich“ lediglich die Sündenvergebung,113 sondern die forensisch-imputa-
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Dies betont auch Bachmann 234, obwohl er generell im Sinn der Taufe interpretiert: „Die Selbsttätigkeit, welche im Empfang der Taufe enthalten ist“, wurzelt „ihrer Natur nach in der gläubigen Hinnahme der von Gott ausgehenden Wirkung. Damit ist zugleich gezeigt, welcher Zeitpunkt dem Apostel vor Augen steht, nämlich der der einstmaligen Bekehrung“. Vgl. Fee 247; Chester, Conversion, 125-147. Das Verb α πολου' ω im NT nur hier und in Apg 22,16; in der LXX nur in Hiob 9,30. Beasley-Murray, Taufe, 218. Schrage I 427; so auch Neander 113; Meyer 163; Heinrici 196; Robertson/Plummer 119; Bachmann 234; Barrett 141-142; Bultmann, Theologie, 138-139; Beasley-Murray, Taufe, 216-217; Hahn, Theologie I, 250; vgl. BDR §317 Anm. 1. Barrett 141; Fee 245 Anm. 31; Chester, Conversion, 141 Anm. 99. Vgl. Merklein II 65, mit Hinweis auf Philo, Som. 1,82; Spec.Leg. 1,198-211. Schrage I 427, ebd. 433 für die folgende Bemerkung; vgl. Merklein II 64-65. So Bultmann, Theologie, 139.
Der Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts 6,7-11 323 ————————————————————————————————————
tive Gerechterklärung114 und zugleich die effektive Gerechtmachung durch Gott als Wirkung der Gerechtigkeit Gottes.115 Die Formulierung im Passiv unterstreicht noch einmal das Handeln Gottes: Es ist Gott selbst, der die Ungerechten zu Gerechten macht. Die Ungerechten werden das Reich Gottes nicht erben (V. 9a), nur Gerechte haben an der Heilsvollendung Anteil. Im Rückgriff auf V. 9a verbindet Paulus die Abwaschung der Sünden, die Heiligung und die Gerechtmachung mit der Zugehörigkeit zur Königsherrschaft Gottes. Im Kontext des Lasterkatalogs von V. 9-11 ist die ethische Implikation deutlich. Die korinthischen Jesusbekenner sind als „berufene Heilige“ (1,2) Menschen, deren Sünden abgewaschen wurden, die als von Gott Geheiligte zum Volk Gottes gehören und die als von Gott Gerechtfertigte gerecht sind. Weil die Möglichkeit, auch als Jesusbekenner noch ungerecht zu handeln, fortbesteht, was die Wirklichkeit der korinthischen Gemeinde deutlich zeigt, deshalb ist die Waschung, Heiligung und Gerechtmachung nicht nur eine von Gott bewirkte Wirklichkeit (Indikativ), sondern zugleich Verpflichtung, in Entsprechung zu dieser Wirklichkeit im Alltag zu leben (Imperativ).116 Die im Passiv formulierten Verben verweisen auf das Handeln Gottes in der Bekehrung (passivum divinum). Die beiden abschließenden Präpositionalsätze verweisen auf das Handeln Jesu Christi und des Heiligen Geistes. Das heißt: Paulus beschreibt das Geschehen in der Bekehrung mit einer implizit trinitarischen Aussage.117 In der Wendung im Namen des Herrn Jesus Christus (ε ν τω ^, ο νο' ματι του^ κυρι' ου Ιη σου^ Χριστου^ ) verweist das Wort „Name“ auf die Macht und die Autorität der Person, die den Namen hat. Was „im Namen“ 118 einer Person gesagt oder getan wird, gilt unbedingt und offiziell. Wer „im Namen des Herrn Jesus Christus“ spricht und handelt, der nimmt dessen Autorität für sich in Anspruch. Hier verbindet Paulus den Ausdruck mit passiven Verben, deren handelndes Subjekt Gott ist. Das heißt, Gott reinigt, heiligt und rechtfertigt die Sünder in Verbindung mit der Autori————————————————————
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Das Verb δικαιο' ω ist eine Metapher aus dem juristischen Bereich. Zur Diskussion mit Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 471.492.498.502, der die forensische Dimension herunterspielt, vgl. Chester, Conversion, 126-129. Schnelle, Gerechtigkeit, 40 behauptet, die Stelle stehe in keinem Zusammenhang mit der paulinischen Rechtfertigungslehre; dezidiert anders Schrage I 433-434. Vgl. Barrett 142; Fee 245; Schrage I 433-434; Beasley-Murray, Taufe, 220. Fee 246; Witherington 167. H. Bietenhard, ThWNT V, 270 meint, der Ausdruck ε ν τω ^, ο νο' ματι sei Übersetzungsgriechisch für hebr. ְּב ֵשם. In vorbyzantinischen Papyri ist die Wendung zwar nicht häufig belegt, kommt aber eben doch vor mit der Bedeutung, „dass etwas auf den Namen einer bestimmten Person verbucht ist, also ihr offiziell gehört oder in ihrer Verantwortung liegt“; vgl. M. Ernst, in Arzt-Grabner 70-72 mit Verweis auf P.Mert. I 8,8-9; P.Col. VIII 209,1011; P.Lond. III 908,24; P.Oxy. XLV 3242,9 u.a.
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tät Jesu als des gekreuzigten und auferstandenen Messias, der als der Erhöhte der Herr ist.119 Gottes Handeln in der Bekehrung von Sündern eröffnet den Zugang zur Machtfülle des Herrn Jesus Christus, der durch seinen Tod am Kreuz, durch seine Auferweckung und durch seine Erhöhung zur Rechten Gottes über die Sünde triumphiert hat, die in der korinthischen Gemeinde immer noch ihr hässliches Haupt erhebt. Die präpositionale Wendung ist mit allen drei vorhergehenden Verben zu verbinden: Gott reinigt, heiligt und rechtfertigt die Sünder durch das machtvolle Werk Jesu Christi, des gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Die Wendung und durch den Geist unseres Gottes (και` ε ν τω ^, πνευ' ματι του^ θεου^ η μω ^ ν) ist instrumental zu verstehen. Der Heilige Geist lässt Gottes Handeln Wirklichkeit werden. Das heißt: Der Geist Gottes verwirklicht die Autorität des Herrn Jesus Christus in der Reinigung, Heiligung und Rechtfertigung der Sünder. 120 Auch diese Wendung ist mit allen drei vorausgehenden Verben verbunden: Der Geist Gottes bewirkt Reinigung (Apg 15,9), Heiligung (2Thess 2,13-14) und Gerechtmachung (Gal 3,1-14).
IV Die gegeneinander prozessierenden Christen waren sich offenbar nicht bewusst, dass die in der Gesellschaft Korinths alltäglichen Rechtshändel um Bagatellsachen nicht kompatibel sind mit der Liebe, die die Geschwister einer Familie miteinander verbindet. Das Grundproblem von Kap. 6 entspricht damit 1,10–4,21.121 Wenn Christen nicht merken, dass ihr Verhalten im Alltag weltlichen Verhaltensweisen entspricht, jedoch dem vom Evangelium geforderten Ethos widerspricht, dann „leben“ sie eine Niederlage. Genau das wirft Paulus der korinthischen Gemeinde vor (V. 6), die nicht in der Lage ist, den Streit der prozessierenden Christen zu schlichten. Das den Sünder verwandelnde Handeln des Geistes Gottes betrifft alle in V. 9-10 genannten Sünden, auch die sexuellen Sünden, nicht zuletzt auch die Homosexualität. Wenn Paulus und mit ihm die gesamte atl. und ntl. Tradition Recht hat, dann besitzt die Homosexualität genauso wenig „konstituellen Charakter“122 wie Unzucht und Verkehr mit Prostituierten konstituellen Charakter besitzt, mag man dies in der griechischen und römischen Gesellschaft ————————————————————
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Dunn, Baptism, 122. Lindemann 141 erklärt wenig: „Das neue Leben der Korinther ist verwirklicht worden . . . in Christus, dessen Name bei der Taufe genannt worden war“. Dunn, Baptism, 122, der zu Recht bemerkt, dass die Frage, ob dieses Wirken des Geistes Gottes im Zusammenhang mit der Taufe geschieht, hier nicht im Blick ist. Konradt, Gericht, 335. Vgl. Merklein II 63; Schrage I 436 und andere, die auf die „Erkenntnisse“ der Humanwissenschaften verweisen.
Der Verzicht auf die Durchsetzung des eigenen Rechts 6,7-11 325 ————————————————————————————————————
auch anders gesehen haben. Dass Homosexualität bei manchen Menschen zur (genetischen) „Konstitution“ gehört, wird zwar oft behauptet, ist aber nicht bewiesen. Und selbst wenn dies so wäre: Wer „konstitutionell“ zur Gewalttätigkeit oder zum sexuellen Verkehr mit Minderjährigen neigt, darf sich diesen „Tendenzen“ genauso wenig ungestraft hingeben wie die Menschen, die „konstitutionell“ zur Unfreundlichkeit neigen – letztere werden zwar vom Gesetz nicht bestraft, müssen aber trotzdem mit den Konsequenzen unfreundlichen Verhaltens leben, die vom Verlust des Arbeitsplatzes bis zum Verlust von Freunden reichen können. Eine „Konstitution“ begründet noch lange kein Recht. Wenn man das, was als Recht gilt, allein auf biologische Tendenzen aufbauen und durch demokratischen Mehrheitsentscheid festgelegen will, wie es in unseren (post-)modernen westlichen Demokratien geschieht, dann ist grundsätzlich alles möglich – von der Folter bis zu rassistischer Diskriminierung, von der Tolerierung der Kleinkriminalität bis zur Beseitigung von angeblich unwertem Leben. Eine tragfähige Grundlage für die Ethik eines Gemeinwesens kann es nur geben, wenn man die transzendente Dimension einbezieht. Mit anderen Worten: Es kommt alles darauf an, was nach dem Willen Gottes Recht und Unrecht, richtiges Verhalten und sündiges Verhalten ist. Was legitim und was illegitim, was rechtlich und was strafbar ist, entscheidet sich vor dem Gericht Gottes. Wer Sachkritik an der paulinischen Ächtung der Homosexualität üben will, muss konsequenterweise auch bereit sein, an der Rede vom Gericht Gottes Kritik zu üben. Die Bereitschaft zur Sachkritik am alttestamentlichen und paulinischen Verbot der Homosexualität123 kann man kaum mit dem Liebesgebot (16,14; Röm 14,15) begründen. Liebe begründet keine Ethik. Die Liebe ist der Maßstab für die Art und Weise, wie bestehende Werte und Gebote zu praktizieren sind. Die Unterscheidung der Rolle und des Verhaltens beider Geschlechter gehört im AT, was die grundsätzlichen Perspektiven betrifft, zur Schöpfungsordnung, nicht zur kulturellen Vereinbarung. Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen und angeordnet, dass Männer mit (Ehe-)Frauen und Frauen mit (Ehe-) Männern sexuell verkehren. Die „Täterliste“ in V. 9-10 zeigt, dass Gott das ungezügelte Verlangen – sei es auf sexuellem Gebiet oder im Bereich der materiellen Güter – als „Ungerechtigkeit“ bewertet, die von der Gegenwart Gottes in seinem Reich ausschließt. Dieser Abschnitt zeigt wieder, dass Paulus Konflikte weder mit moralischen Apellen noch mit apostolischen Direktiven löst, sondern mit theologischer Überzeugungsarbeit. Für Paulus ist Theologie keine abstrakte akademische Angelegenheit und schon gar nicht „trocken“, sondern wirksame Wirk————————————————————
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Schrage I 436.
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lichkeit, die, wenn sie recht begriffen wird und wenn sie auf die Bereitschaft zum Gehorsam trifft, Konflikte löst und Lösungen findet. Paulus erwartet, dass die Korinther dem mit den rhetorischen Fragen von V. 7-8 beschriebenen Imperativ wirklich Folge leisten – und eher Unrecht hinnehmen, als ihre schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit eines römischen Provinzialgerichts von heidnischen Richtern waschen lassen. Er unterstreicht die Dringlichkeit eines dem Evangelium gemäßen Lebens in V. 9-10 mit dem warnenden Hinweis auf das Gericht Gottes, das wiederum einen Imperativ beinhaltet. Aber Paulus motiviert beide imperativischen Mahnungen mit dem Hinweis auf das Werk Gottes, das infolge der Autorität des Herrn Jesus Christus und durch das Wirken des Heiligen Geistes die korinthischen Jesusbekenner in eine neue Existenzweise hineingeführt hat. Als gereinigte, geheiligte und gerecht gemachte Sünder sollen sie und können sie sich anders verhalten, als sie es gegenwärtig tun – weil sie in der Gegenwart des Geistes Gottes leben (2,12; 3,16; 5,4), durch dessen machtvolles Wirken sie das Evangelium vom Kreuzestod Jesu Christi glaubend angenommen haben (2,1-5; 6,11).124 Für Paulus ist die Erfahrung der Gnade Gottes und das Verhalten im Alltag aufs engste miteinander verbunden.125 Die Erfahrung der Gnade Gottes ist keine Funktion rechten moralischen Verhaltens: Es ist Gott, der durch seine unverdiente Gnade den Sünder gereinigt, geheiligt und gerechtfertigt hat. Gleichzeitig gilt jedoch, dass die Erfahrung der Gnade Gottes eben gerade dies ist – die Erfahrung der machtvollen, heilschaffenden Gegenwart Gottes im Leben des einzelnen Christen und im Leben der christlichen Gemeinde. Worte sind keine Erfahrung, persönliches Erleben ist Erfahrung. Wenn die Erfahrung der Gnade Gottes ein bloßes „Wortereignis“ bleibt, ohne Lebenswirklichkeit zu werden, dann befinden sich die weiterhin sündigenden Christen in der prekären Lage, dass sie einen Lebensstil pflegen, der mit dem Lasterkatalog von V. 9-10 beschrieben werden kann: Die dort erwähnten habituell Ungerechten haben keinen Zutritt zum Reich Gottes. Die Warnungen, die Paulus formuliert, sind also ernst zu nehmen. Wie das Handeln Gottes im Kreuzestod Jesu Christi wirksam ist, der Reinigung, Heiligung und Rechtfertigung bewirkt, genauso ist das Wirken des Heiligen Geistes wirksam, der jene Sünder, die zu Jesusbekennern wurden, zu reinen, heiligen, gerecht handelnden Menschen macht.
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Es wirkt etwas hilflos, wenn Weiss 154 im Blick auf V. 11, den er auf den Empfang der Gnade Gottes in der Taufe interpretiert, schreibt: „Man besann sich auf sein besseres Ich, ließ die Erinnerung an die große Stunde wieder aufleben, erweckte das Gefühl himmlischer Kräfte von neuem“.
Kompromiss II: Der Verkehr mit Prostituierten 6,12-20 327 ————————————————————————————————————
Kompromiss II: Der Verkehr mit Prostituierten 6,12-20 Paulus greift in 6,12-20 erneut das Thema sexueller Zügellosigkeit auf, das bei der Behandlung des Inzestfalls in 5,1-13 und im Lasterkatalog in 6,9-10 eine wichtige Rolle gespielt hatte. In 6,12-20 geht es konkret um die Frage, ob Jesusbekenner mit Prostituierten verkehren können. Dieses Thema wird zwar nicht bereits in den Eingangsversen genannt, sondern erst in V. 15-16 eingeführt, dort aber umso deutlicher. Die Meinung, dass es in 6,12-20 allgemein um sexuelle Unmoral gehe, 1 scheidet deshalb aus. Es geht konkret um den Verkehr mit Prostituierten.2 Versuche, die freizügige Sexualmoral der korinthischen Christen mit dem Hinweis auf eine gnostisierende, libertinistische Ethik zu verstehen, die alles und jedes für erlaubt erklärt, sind nicht sehr überzeugend.3 Erstens ist zu beachten, dass Paulus in 6,12-20 didaktisch, nicht polemisch argumentiert. 4 Es geht nicht um eine verfehlte korinthische Theologie, sondern um das Argument, dass der Verkehr mit einer Prostituierten eine schwere Sünde ist. Zweitens darf man nicht vergessen, dass völlige sexuelle Freizügigkeit im 1. Jahrhundert nur von den Kynikern mit einem philosophischen Unterbau versehen wurde. Sie verteidigen Inzest durch einen Hinweis auf Hähne, Hunde und Esel (Dio Chrysostomus, Or. 10,29-30). Philodemus berichtet, dass in der πολιτει' α des Diogenes sowohl Prostitution, als auch Homosexualität, Ehebruch, Inzest und Kannibalismus zulässig waren (18,11-15).5 Offensichtlich waren die Probleme, mit denen Paulus im Blick auf korinthische Christen zu kämpfen hatte, Überbleibsel ihrer heidnischen Gepflogenheiten, die sie noch nicht abgelegt hatten.6 Das in 6,16 erwähnte Wort πο' ρνη ist nicht eindeutig. In der griechischen Gesellschaft gab es 1. die πο' ρνη („Prostituierte“), die niedrige Bordelldirne, ————————————————————
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Fee 248, ebd. für die folgende Bemerkung. Heinrici 199; Bousset 96; Weiss 156; Robertson/Plummer 121; Lietzmann 27; Grosheide 143; Morris 95; Hurd 68; Conzelmann 138; Schrage II 8-9; anders bereits Schlatter 197. Fee 250-251; Lindemann 154; Garland 221; Winter, Corinth, 88. Deming, Unity, 294-295 meint, es geht auch in 6,12-20 um die Stiefmutter von 5,1-13, die als Prostituierte ihre Dienste angeboten haben soll. Diese Rekonstruktion der „Fallgeschichte“ ist kreativ, aber am Text nicht festzumachen; zur Kritik vgl. Rosner, Temple Prostitution, 338-341. Vgl. Garland 222-223.226-229; Lindemann 145; Kirchhoff, Sünde, 74-76.197. Furnish, Theology, 58; vgl. Schrage II 9. Krapinger, Oratio 6, 109 erklärt diese Aussage als stoische Diskreditierungsabsicht gegenüber dem Kynismus; vgl. ebd. 95 den Hinweis auf die kynische Überzeugung, der öffentliche Geschlechtsverkehr zwischen Krates und Hipparchia mache dem Attribut κυνοκο' ς alle Ehre (Stoic. P.Herc. 339; vgl. Laktanz, Inst. 3,15,21). Garland 223; Winter, Corinth, 86-93; anders Schrage II 13.
328 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
die zumeist die Sklavin eines Bordellwirts (πορνοβο' σκος) war, die nicht viel kostete;7 2. die ε ται' ρα („Hetäre“),8 die höher eingestufte, nicht an ein Bordell gebundene Prostituierte, die, wenn sie Sklavin war, von einem Bordellwirt an einen Haushalt vermietet wurde, oder die als freie Kurtisane ihrem Gewerbe nachging; 3. die παλλακη' („Konkubine“), die während der durch einen Vertrag festgelegten Zeit einem Liebhaber treu blieb; 4. die ι ερο' δουλος („Hierodule“),9 die religiöse Prostituierte (Tempelprostituierte), die im Zusammenhang eines bestimmten Kults sexuelle Dienste anbot. Im hebr. AT unterscheidet man die (männliche oder weibliche) Kultprostituierte (ָקֵדש, )ְקֵד ָשהvon der normalen Prostituierten ()ָֹנה, זdie gelegentlich oder gewerbsmässig Unzucht trieb. Im NT wird kein terminologischer Unterschied zwischen säkularer und sakraler Prostitution gemacht.10 In den Ausführungen von 6,12-20 weisen einige Faktoren darauf hin, dass der Verkehr mit Prostitutierten, den Christen in Korinth weiterhin pflegen, in einem religiösen Zusammenhang zu sehen ist. 11 1. Paulus behandelt den Verkehr mit Prostituierten als Sünde gegen Gott. Es fällt auf, dass er sie nicht als Sünde gegen die Ehefrau oder als Bruch des Ehebundes bezeichnet. Paulus spricht grundsätzlich von religiöser, geistlicher Loyalität. In den neun Versen kommen θεο' ς und κυ' ριος je vier Mal vor, Χριστο' ς zwei Mal und α«γιον πνευ^ μα ein Mal. 2. In V. 16 spricht Paulus auf dem Hintergrund von Gen 2,24 von der eheähnlichen Vereinigung des Jesusbekenners mit Jesus Christus. Dieses Argument verweist ebenfalls auf einen religiösen Hintergrund der praktizierten Prostitution. 3. Im AT und in der jüdischen Tradition werden sowohl sakrale wie auch säkulare Prostitution abgelehnt, letztere durch Hinweise auf das persönliche und gesellschaftliche Stigma des Verkehrs mit Prostituierten,12 erstere durch nachdrückliche Verurteilung als Treulosigkeit ————————————————————
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Für die römische Landstadt Pompeii, die zwischen 8.000 und 10.000 Einwohner hatte, sind mindestens 22 Bordelle (πορνει^ον, οι»κημα, χαμαιτυνει^ον, lupanar, lupanarium, fornix) belegt. Man konnte eine Prostituierte bereits für 1 As (Martial 1,103,10) oder 3 As (CIL IV 5105) bekommen; eine Tagesportion Brot oder zwei Krüge gewöhnlicher Wein kosteten normalerweise 2 As. Vgl. W. Krenkel, Art. Prostitution, KP IV, 1192-1194; I. Stahlmann, Art. Bordelle, DNP II, 747-748. In der LXX in Ri 11,2; Prov 19,13; 2Makk 6,4; Sir 41,22 erwähnt. In der LXX in 2Chron 35,3; 1Esra 1,3; 5,29.35; 8,5.22 für die Diener des Tempels bzw. für die Leviten gebraucht, also nicht für Tempelprostituierte. Die Vokabel πο' ρνη kommt 12 Mal vor: Mt 21,31.32; Lk 15,30; 1Cor 6,15.16; Hebr 11,31; Jak 2,25; Offb 17,1.5.15.16; 19,2. Für das Folgende vgl. Rosner, Temple Prostitution, 342-347. Dezidiert anders Schrage II 11-13, der im Sinn einer gnostisierenden liberalistischen Ethik interpretiert, die den Leib für bedeutungslos erklärte und das individuelle Verhalten mit einem exzessiv weltüberlegenen Freiheitsverständnis rechtfertigte (15); kritisch Lindemann 154. Vgl. Gen 34,31; Lev 12,29; Ri 11,2; Am 7,17; Prov 23,28 u.a.
Kompromiss II: Der Verkehr mit Prostituierten 6,12-20 329 ————————————————————————————————————
gegenüber Jahwe.13 Allerdings ist zu beachten, dass das hebr. AT zwar Kultprostituierte und Huren unterscheidet, die LXX aber für beide Gruppen normalerweise die πορν-Wortgruppe verwendet und Prostitution generell als Abfall von Gott behandelt. 4. Die einzige Direktive gegen den Verkehr mit Prostituierten in 6,18 (φευ' γετε τη` ν πορνει' αν, „flieht die sexuelle Zügellosigkeit!“) entspricht der parallelen Direktive in 10,14 (φευ' γετε α πο` τη^ ς ει δωλολατρι' ας, „flieht den Götzendienst!“). Damit ist eine Verbindung zwischen dem Verkehr mit Prostitutierten seitens korinthischer Christen mit Götzendienst hergestellt. 5. Der Satz von V. 12 („alles ist mir erlaubt“) taucht in 10,23-24 im Zusammenhang mit Götzendienst auf. 6. Während „sexuelle Zügellosigkeit“ in den Lasterkatalogen regelmäßig an erster Stelle steht, ist πορνει' α nur in 6,9 direkt mit Götzendienst verbunden. Wie das zweite Laster, das Paulus in der Liste in 5,10.11 nennt (Habgier), wahrscheinlich die folgende Diskussion in 6,1-11 vorbereitet, so könnte das zweite Laster, das Paulus in der Liste in 6,9-10 nennt (Götzendiener), die folgende Diskussion in 6,1220 vorbereiten. 7. In 6,19-20 verwendet Paulus die Metapher vom Tempel: der Leib des Christen ist ein „Tempel des Heiligen Geistes“. Die Verwendung der Metapher gibt in jedem Fall einen Sinn, vor allem auf dem Hintergrund von 3,16-17. In 6,12-20 macht die Verwendung der Metapher besonders dann Sinn, wenn sie auf eine Situation angewendet wird, in der es um den Verkehr mit Prostituierten in einem Tempel geht. Die Verwendung religiöser Terminologie in 6,12-20 beweist allerdings nicht zwingend, dass Paulus Fälle von sakraler Prostitution behandelt. In der jüdischen Tradition wurden Verbote bestimmter sexueller Handlungen häufig im Zusammenhang kultischer Reinheit behandelt. 14 Viele Forscher sind der Ansicht, dass es keine Belege für die Praxis sakraler Prostitution im römischen Korinth gibt. Die Notiz Strabos, der von tausend Prostituierten im Tempel der Aphrodite schreibt (8,6,20), bezieht sich auf den im Jahr 146 v.Chr. zerstörten Tempel und gilt als problematisch, da die Kultprostitution ein Phänomen des östlichen Mittelmeerraums darstellte, das im griechischen Kulturraum unbekannt gewesen sei. 15 Neuere Arbeiten akzeptieren mit Berufung auf archäologische Funde und literarische Texte die Existenz sakraler Prostitution im Zusammenhang des (vor-römischen) Aphrodite-Tempels als historisch.16 Manche Archäologen vermuten, dass die Hierodulen der Aphrodite in ————————————————————
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Ex 34,11-16; Dtn 23,17-18; Am 2,7; vgl. Num 25,1; Ri 2,17; 1Kön 14,24; 2Kön 23,7. In diesem Zusammenhang findet man auch die Assoziierung von sexueller Zügellosigkeit, Götzendienst und Dämonen, vgl. Dtn 32,17; Jes 55,11 LXX; äthHen 19,1; 99,7; Jub 1,11; vgl. Dautzenberg, Sexualethik, 291. Dautzenberg, Sexualethik, 288-289; Rosner, Temple Prostitution, 346-347. Conzelmann, Aufsätze, 152-166; Murphy-O’Connor, Corinth, 55-56; Winter, Corinth, 8788; vgl. Fauth, Sakrale Prostitution, 24-39; Lanci, Sacred Sex, 205-220.
330 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Räumen auf dem zweiten Stock der Südstoa ihre Dienste anboten. 17 Unter sakraler Prostitution versteht man traditionell den religiös legitimierten Sexualverkehr mit Fremden in oder in der Nähe eines Tempels, der einen rituellen Charakter besaß und von der Priesterschaft organisiert oder mindestens geduldet wurde. Auf dem Hintergrund der neueren Forschung zur Kultprostitution, die von einer restriktiveren Definition ausgeht und den finanziellen oder materiellen Profit des betreffenden Tempels in den Mittelpunkt stellt, beschreibt K. van der Toorn die sakrale Prostitution als „Prostitution, von der der Tempel und seine Verwaltung profitierte und von dieser manchmal organisiert wurde“.18 Solche Prostitution ist für die griechischen Städte bezeugt, häufig im Zusammenhang mit Tempelfesten und agnostischen Spielen und den festlichen Mahlzeiten, die in solchen Zusammenhängen häufig organisiert wurden. In Korinth boten sich die Tempel der Demeter und der Aphrodite für den Verkehr mit Prostituierten an, oder der große Poseidon-Tempel im benachbarten Isthmia. Aristophanes bezeugt, dass es in Korinth viele Dirnen gab (Plut. 149-152). Als die Isthmischen Spiele von Sikyon nach Isthmia zurückkehrten, veranstaltete Lucius Castricus Regulus, der Präsident der Spiele, ein Bankett für alle (römischen) Bürger, wahrscheinlich im Jahr 51 n.Chr. (Paulus gründete im Jahr 50/51 die Gemeinde).19 Plutarch berichtet, dass der Präsident der Isthmischen Spiele mehrere Male alle Bürger einlud (Mor. 723A). Sexuelle Vergnügungen waren häufig das „Dessert“ eines Banketts.20 Antike Texte nennen in diesem Zusammenhang neben Sängern, Tänzern und Mimen, die für sexuelle Bedürfnisse zur Verfügung standen, 21 ausdrücklich auch Prostituierte.22 Für viele antike Autoren stellten Essen, Trinken und sexuelle Zügellosigkeit eine „unheilige Trinität“ dar. 23 Das Problem des Besuchs von Götzentempeln, das Paulus in Kap. 10 behandelt, war sehr wahrscheinlich mit πορνει' α verbunden, wie der Ausdruck „aufzustehen, um zu spielen“ in 10,7 belegt. Das gewichtigste Argument für einen konkre————————————————————
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Williams, Cult of Aphrodite, 17-21; Fotopoulos, Food, 172-172. Siehe oben die Einleitung zur Stadt Korinth im 1. Jahrhundert (unter 1.). Williams, Cult of Aphrodite, 21, im Anschluss an Broneer, Corinth I, iv, 157. K. von der Toorn, Art. Prostitution: Cultic Prostitution, ABD V, 510, übernommen von Rosner, Temple Prostitution, 348. Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 153. Vgl. Winter, Welfare, 93-94. Cicero, Phil. 2,104-105; Fin. 2,23; Seneca, Ep. 47,7; 95,23; Dio Chrysostomos, Or. 78,4. Für eine Beschreibung des Mahlverlaufs, der Speisen und der Unterhaltung bei Privat- und Vereinsmählern vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 45-129. Juvenal 11,162-170; Cicero, Mur. 13; Verr. 2,5,92-94.137; Pis. 42; Phil. 2,104-105; Sallust, Cat. 13,3; Livius 39,15,9. Vgl. Corbeill, Dining Deviants, 104. Plinius, Ep. 9,17. Vgl. Edwards, Immorality, 188; Winter, Welfare, 174; Rosner, Temple Prostitution, 350. Booth, Reclining, 105; Rosner, Temple Prostitution, 349; Yardley, Symposium, 151-152.
Kompromiss II: Der Verkehr mit Prostituierten 6,12-20 331 ————————————————————————————————————
ten Hintergrund des Problems ist die Verknüpfung von Essen, sexueller Zügellosigkeit und Prostituierten (6,12-13.15-16). Paulus spricht in 6,12-20 nicht von Bordellen: Die korinthischen Christen, die Paulus anspricht, hatten offenbar mit Prostituierten im Zusammenhang eines (Fest-) Mahls sexuelle Beziehungen.24 Bruce Winter meint, dass Paulus in 6,12-20 konkret das Verhalten von jungen Männern anspricht, die im Alter von ungefähr 18 Jahren als Zeichen ihres Erwachsenseins die toga virilis erhielten, zusammen mit der Erlaubnis, Bankette zu besuchen und offiziell (d.h. liegend) am symposium und convivium teilzunehmen.25 Mehrere antike Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von sexuellen Aktivitäten.26 Wenn es in 6,12-20 um den sexuellen Verkehr mit Sklavinnen oder mit Prostitutierten geht, mit denen sich korinthische Christen in heidnischen Tempeln und bei Festmählern vergnügten, stellt sich die Frage, weshalb Paulus dieses Thema nicht in Kap. 10 im Zusammenhang seiner Diskussion des Besuchs von Götzentempeln behandelt. Die Antwort hängt wahrscheinlich mit der jüdischen Tradition zusammen, sexuelle Sünden und Sexualverkehr in der Ehe zusammen zu behandeln, was die Reihenfolge 6,12-20/7,1-40/8,1–11,1 erklären könnte.27 Der Abschnitt 6,12-20 lässt sich in zwei Teile einteilen. 28 In V. 12-14 führt Paulus in das Thema des Umgangs mit Prostituierten ein, indem er den Zusammenhang von wahrer christlicher Freiheit, menschlichem Körper und der Bindung an den Herrn Jesus Christus entfaltet. In V. 15-20 erläutert Paulus in drei argumentativen Schritten, weshalb Christen nicht mit Prostituierten verkehren können.
Die falsche Auffassung von christlicher Freiheit 6,12-14 I 12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt. Alles ist mir erlaubt, aber ich werde mich von nichts beherrschen lassen. 13 Die Speisen sind für ————————————————————
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Winter, Corinth, 87-88. Winter, Corinth, 89-90; Booth, Reclining, 105-120, mit Verweis auf Persius 5,34-44; Apuleius 100; Plutarch, Quaest.Rom. 33; Nikolaus von Damaskus 8-12.18.28.36; Cicero, Cael. 6.9.11; Phil. 2,44-45; Cat. 2,23; Sallust, Bell.Cat. 14,5-7; Quintilian 1,2,6-8. Tacitus, Ag. 21; Xenophon, Mem. 2,1,21; Cicero, Cael. 20,48; Plutarch, Mor. 37C-D. Rosner, Temple Prostitution, 350-351; vgl. Niebuhr, Gesetz, 232; Schrage II 8. Lindemann 143-144 teilt aufgrund des Imperativs in V. 18a und V. 20b in die beiden Teile V. 12-17 / 18-20. Kirchhoff, Sünde, 106, nimmt drei Unterabschnitte an: V. 13-14 / 15-17 / 18-20. Garland 223-224 teilt in vier Abschnitte: die Einleitung in V. 12-14 und die drei, durch das dreimalige ου κ οι»δατε markierte Argumente in V. 15 / 16-18 / 19-20.
332 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
den Bauch und der Bauch für die Speisen, Gott wird aber sowohl diesen wie auch jene vernichten. Der Leib ist aber nicht für die sexuelle Zügellosigkeit da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib. 14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Macht.
II In V. 12-14 führt Paulus in die Diskussion zum Thema ein, ob Christen mit Prostituierten verkehren können. Die meisten Ausleger nehmen an, dass Paulus mit dem zwei Mal wiederholten Satz „alles ist mir erlaubt“ eine Parole zitiert, mit der korinthische Christen ihre sexuelle Freizügigkeit rechtfertigen.29 D. Garland meint ironisch, dass die Zahl der Ausleger, die sich dieser These anschließen, gewichtiger ist als die Argumente, mit denen sie sich untermauern lässt.30 Zitate aus dem AT werden im allgemeinen mit Zitationsformeln eingeführt,31 und korinthische Positionen werden genauso explizit markiert32 wie Dialoge mit hypothetischen Gesprächspartnern. 33 Es ist sehr unwahrscheinlich, dass korinthische Christen die Unterweisung des Apostels, die sie als Neubekehrte erhalten hatten, so missverstehen oder bewusst so verzerren konnten, dass sie den Verkehr mit Prostituierten für erlaubt hielten. Sie mussten den Besuch von Prostituierten mit keiner Parole rechtfertigen, da er in der zeitgenössischen Gesellschaft gang und gäbe war. Paulus kann einen von der stoischen Popularphilosophie her bekannten Satz zitieren, auf die Situation in der korinthischen Gemeinde anwenden und christlich umformulieren. Das „Ich“ kann (analog zu Röm 7,7-25) als Intensivierung der Argumentation verstanden werden. Paulus hält in V. 12-14 zweierlei fest. 1. Das Verhalten von Christen ist nicht von wirklichen oder vermeintlichen persönlichen Freiheiten bestimmt, sondern von dem, was anderen nützt und was sie selbst nicht beherrscht. 2. Der Körper des Christen steht diesem nicht zur freien Verfügung, sondern er gehört dem Herrn Jesus Christus und er wird von Gott zu neuem Leben auferweckt werden. Textkritische Anmerkungen. In V. 14 findet man in den Handschriften drei verschiedene Tempora für das Verb ε ξεγει' ρω: das Futur ε ξεγερει^ (d46c1 ————————————————————
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Weiss 157; Barrett 144; Conzelmann 138; Fee 251, Schrage II 10.11.20; Witherington 167; Merklein II 71; Wolff 125; Hays 102; Thiselton 461; Becker, Paulus, 224. Garland 226; für das Folgende ebd. 226-229; zur Kritik dieser Position siehe auch Kirchhoff, Sünde, 73-83; Dodd, Paradigmatic ‘I’, 39-58; Lindemann 145. 1,19.31; 2,9; 3,19; 6,16; 9,9; 10,7; 14,21; 15,45.54-55. 1,12; 3,4; 7,1; vielleicht auch 8,1.4. 10,3.28; 15,35. Vgl. Dodd, Paradigmatic ‘I’, 44; Garland 226.
Kompromiss II: Der Verkehr mit Prostituierten 6,12-20 333 ————————————————————————————————————
אC D2 Ψ 33 1881 Byz vg sy co), den Aorist ε ξη' γειρεν (d46c2 B 6 1739 pc it vg) und das Präsens ε ξεγει' ρει (d11.46* A D* P 1241 pc). Der Kontext erfordert das Futur; die Aoristform gleicht an das vorausgehende η» γειρεν an oder interpretiert im Sinn des Taufgeschehens.34
III 12 Der Satz alles ist mir erlaubt (πα' ντα μοι ε»ξεστιν) ist wahrscheinlich keine korinthische Parole, sondern eine Maxime, mit der Paulus das Verhalten der korinthischen Christen beschreibt (s. die Einleitung zu 6,12-14).35 Diese Maxime wird oft mit dem stoischen Freiheitsideal verglichen, das Epiktet wie folgt formuliert: „Frei ist, wer lebt, wie er will, wer unter keiner Notwendigkeit, unter keiner Gewalt, unter keinem Zwange lebt; dessen Trieben nichts im Weg steht; dessen Begierden jedesmal erhalten, wonach sie streben“ (Diss. 4,1,1).36 Philo verbindet den Gedanken der Freiheit mit dem Gedanken der Autorität (ε ξουσι' α), wenn er schreibt, dass derjenige, der gut handelt, die Autorität hat, „alles zu tun und zu leben wie er will; und wem das möglich ist, der ist frei“ (ω « στ ε ξουσι' αν σχη' σει πα' ντα δρα^ν και` ζη^ ν ω ς , δε` ταυ^ τ ε»ξεστιν, ε λευ' θερος α ν ει»η, Prob. 59). Es ist allerdings zu βου' λεται: ω beachten, dass Paulus nicht von „Freiheit“ spricht, sondern von „Rechten“. Das Wort „alles“ ist nicht ohne jede Einschränkung zu verstehen, sondern auf den hier behandelten Bereich sexueller Betätigung zu beziehen. An eine theologische Rechtfertigung der πορνει' α durch korinthische Christen ist nicht zu denken (s. Einleitung zu 6,12-20). Paulus interpretiert die Aussage mit einem „Gegen-Satz“. Der mit adversativem α λλα' eingeführte Satz nicht alles nützt (ου πα' ντα συμφε'ρει) nennt das fundamentale Kriterium christlichen Handelns: Es muss nützlich sein. Die Betonung, dass „das Nützliche“ der kritische Maßstab für „das Erlaubte“ ist, erinnert zunächst an ähnliche Aussagen in der philosophischen Tradition.37 Im Zusammenhang von 12,7 (vgl. 7,35; 10,33) lässt sich der von Paulus hier offen gelassene Bezugspunkt angeben: Das eigene Verhalten soll primär anderen nützen. Die vom Evangelium eröffnete Freiheit von Bindungen ist keine Freiheit für mich selbst, sondern eine Freiheit für andere. Der ————————————————————
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Metzger, Commentary, 486-487; Lindemann 147; Garland 241; zur zweimaligen Änderung von d46 vgl. Zuntz, Text, 256-257. Anders Robertson/Plummer 125, die an die Taufe denken. Vgl. Lindemann 145; Garland 225-229. Zitiert in NW II.1, 281. Man beachte die Fortsetzung in Epiktet in Diss. 4,1,2-3: „Ist nun aber irgend ein Mensch, der in Sünden leben wollte? – Nicht einer . . . – Demnach lebt kein böser Mensch, wie er will, und folglich ist auch kein Böser frei“. Für Belege vgl. K. Weiß, ThWNT IX, 73-75; vgl. Merklein II 71; Lindemann 145.
334 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Maßstab des Nützlichen ist der Aufbau der Gemeinde (vgl. 10,23.33). 38 Der Schaden, der sich aus der Missachtung dieses Grundsatzes ergibt, ist nicht nur auf die Gemeinde und ihre Heiligkeit zu beziehen, sondern im Zusammenhang des Personalpronomens „mir“ (μοι) durchaus auch auf den einzelnen Christen.39 Sexualverkehr mit Prostituierten, den Christen begehen und tolerieren, beschädigt die Gemeinde, aber sie ist auch eine Sünde gegen den eigenen Leib (V. 18). Die zweite Begrenzung der Freiheit wird mit dem Satz formuliert: Ich werde mich von nichts beherrschen lassen (ου κ ε γω` ε ξουσιασθη' σομαι υ πο' τινος).40 Die Freiheit des Christen ist keine Freiheit in Unabhängigkeit. Paulus sagt, im Gegensatz zum oben zitierten stoischen Freiheitsideal, gerade nicht: „alles ist mir erlaubt, und deshalb wird mich nichts beherrschen“. Paulus weiss, dass ein mit dem Satz „alles ist mir erlaubt“ formuliertes Verständnis der Freiheit in der Gefahr steht, sich selbst aufzuheben und in neue Abhängigkeiten hineinzugeraten.41 Das Personalpronomen ε γω' unterstreicht den Blick auf den Einzelnen. Wie Röm 1,18-31 zeigt weiß Paulus, der mit vielen Hunderten von Menschen über ihr Leben geredet hat, nur zu gut, dass kein Mensch frei, sondern dass jeder Mensch abhängig ist, gerade im Bereich der Sexualität. Wenn Menschen tun, was sie nicht lassen wollen, können sie es oft nicht lassen, auch wenn sie wollen. Das nachgestellte τινος ist neutrisch, bezeichnet also alle möglichen Arten von Bindungen, in denen sich auch Jesusbekenner gefangennehmen lassen können. 42 13 Viele Ausleger sehen in dem Satz die Speisen sind für den Bauch und der Bauch für die Speisen eine weitere korinthische Parole, ein Argument der Libertinisten, die meinten, die sexuelle Befriedigung sei ebenso „natürlich“ wie Essen und Trinken.43 Möglich ist es durchaus, dass korinthische Christen ihren hedonistischen Lebensstil mit der platonischen Anthropologie rechtfertigten. Eine mindestens genauso große Rolle spielten die gesellschaftlichen Konventionen, für die der Verkehr mit Prostituierten seit dem Jugendalter selbstverständlich war. Wahrscheinlich zitiert Paulus einen Grund-Satz, der sich auf die Schöpfungsordnung bezieht: Nahrungsmittel sind für den Bauch, und der Bauch für die Nahrungsmittel, Gott wird aber sowohl diesen ————————————————————
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Calvin 359; Conzelmann 139; Merklein II 27; Schrage II 19, der betont, dass nicht der „Nutzen für die eigene sittliche Charakter- und Persönlichkeitsbildung“ im Blick ist. Garland 229; anders Merklein II 70. Lindemann 145 interpretiert μοι gnomisch. Mit den Verben ε»ξεστιν und ε ξουσιασθη' σομαι liegt wohl ein Wortspiel vor. Lindemann 146. Allo 141 interpretiert sowohl neutrisch als auch personal im Sinn der Hörigkeit gegenüber der Prostituierten. Schlatter 201; Conzelmann 140; Barrett 146-147; Collins 244-245; Schrage II 20; Merklein II 72; Thiselton 462.
Kompromiss II: Der Verkehr mit Prostituierten 6,12-20 335 ————————————————————————————————————
wie auch jene vernichten, während der Leib . . . für den Herrn da ist und nicht zerstört werden wird (V. 14).44 Das Argument von Paulus ist am besten so zu erklären: Die Speisen (τα` βρω' ματα) und der Bauch (η κοιλι' α) erfüllen ihre jeweilige Rolle nur, wenn sie in ihrer gegenseitigen Beziehung handeln. Genauso erfüllt der Leib (το` σω ^ μα) seine ihm bestimmte Rolle nur dann, wenn er in seiner Beziehung zum Herrn (ο κυ' ριος) handelt. Und Jesus Christus ist der Herr für diejenigen, die ihm gehören.45 Die Speisen und der Bauch vergehen, aber der Leib wird auferweckt werden, wie Jesus Christus auferweckt wurde. Unter Leib ist nicht ein „Teil“ des Menschen gemeint, der anders bewertet werden könnte als andere „Bestandteile“ des Menschen wie etwa die Seele. „Leib“ ist der Körper (V. 16; 2Kor 4,10-11; Röm 6,12.13), der Ort, an dem der Mensch Leben und Tod erfährt (Röm 4,19; Phil 1,20). Der „Leib“ ist aber kein bloßes Attribut des Menschen, sondern dessen „leibliche Gegenwart und Erscheinungsweise“ (2Kor 10,10)46 und deshalb gleichbedeutend mit dem „Ich“ des Menschen (V. 13-15; 12,27). „Der Mensch hat nicht einen Leib, sondern ist Leib“. Der Leib ist in den Worten E. Käsemanns „jenes Stück Welt, das wir selber sind und für das wir als die erste uns gegebene Gabe des Schöpfers auch Verantwortung tragen“, und er ist „der Mensch in seiner Weltlichkeit, also in seiner Kommunikationsfähigkeit“. 47 Als Geschöpf Gottes, der durch den Glauben an Jesus Christus von seiner Sündhaftigkeit befreit wurde, ist der Mensch in seiner Leiblichkeit nicht auf sich selbst bezogen – und alsdann frei, nach seinem eigenen Belieben zu tun und zu lassen, was er will –, sondern er ist in das Verhältnis zum Herrn Jesus Christus gestellt, dessen er sich würdig verhalten will, kann und soll. Wenn man den eingangs geschilderten Zusammenhang von sexuellen Vergnügungen mit Prostituierten bei Festmählern in Anschlag bringt, ist die Rede von den „Speisen“ (τα` βρω' ματα) nicht überraschend. Paulus erklärt den korinthischen Christen, dass der Leib, der für den Herrn (τω ^, κυρι' ω, ) da ist, nicht für die sexuelle Zügellosigkeit (ου τη^, πορνει' α, ) bereitliegen kann. Der Leib der Jesusbekenner ist der Ort, wo der Herr jetzt schon zur Herrschaft kommt. Deshalb gilt: Der Herr ist für den Leib (ο κυ' ριος τω ^, σω' ματι). Jesus Christus „kommt hier oder nirgends zu seinem Recht und zu seiner Herrschaft“.48 ————————————————————
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Kirchhoff, Sünde, 121-129; Garland 230. Kirchhoff, Sünde, 124-125; Furnish, Theology, 58. Schrage II 22, ebd. das folgende Zitat, mit Verweis u.a. auf Käsemann, Leib, 119; Bultmann, Theologie, 195. Käsemann, Exegetische Versuche II, 129; vgl. Schrage II 22; Lindemann 147. Schrage II 23-24; Käsemann, Exegetische Versuche II, 129; Merklein II 73. Die Wendung τω ^, σω' ματι ist dat. commodi.
336 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
14 Weil Gott den Herrn auferweckt hat (το` ν κυ' ριον η» γειρεν) und weil wir mit unserem Leib zum Herrn gehören, wird Gott auch uns auferwecken (και` η μα^ς ε ξεγερει^) durch seine Macht. In Kap. 15 wird Paulus dieses Argument ausführlich entfalten. Diese Aussage stellt die logische Basis der Argumentation in diesem Abschnitt dar.49 Wir, d.h. unsere Leiber, werden nach unserem Tod durch die Schöpfermacht Gottes (δια` τη^ ς δυνα' μεως αυ του^ ) zu neuem Leben in der Gegenwart des heiligen Gottes auferweckt. Deshalb sollen und können Jesusbekenner, die „berufene Heilige“ (1,2) und „Tempel Gottes“ (3,16-17) sind, in ihrer leiblichen Existenz heilig leben. Daraus ergibt sich die indirekte Warnung, dass Menschen, die sich zur Gemeinde rechnen, aber dem Herrn bewusst und konstant den leiblichen Gehorsam verweigern, an der verheißenenen Auferstehung nicht teilhaben werden.
Das Argument gegen die Prostitution 6,15-20 I 15 Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Soll ich nun die Glieder Christi nehmen und zu Gliedern einer Prostituierten machen? Auf keinen Fall! 16 Oder wisst ihr nicht, dass der, der sich an eine Prostituierte hängt, ein Leib (mit ihr) ist? „Es werden nämlich“, heißt es, „die zwei zu einem Fleisch“. 17 Wer sich aber an den Herrn hängt, ist ein Geist (mit ihm). 18 Flieht die sexuelle Zügellosigkeit! Jede (andere) Sündenverfehlung, die ein Mensch begeht, ist außerhalb des Leibes. Wer aber sexuell zügellos lebt, sündigt gegen seinen eigenen Leib. 19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr euch nicht selbst gehört? 20 Ihr seid nämlich für einen Preis gekauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!
II Wenn man den Satz „Wisst ihr nicht?“ als Gliederungsmerkmal des Abschnitts heranzieht,50 ergeben sich drei Unterabschnitte, in denen Paulus auf den Leib der Jesusbekenner verweist und zu einer Schlussfolgerung oder einer Mahnung übergeht. V. 15 argumentiert, dass der Leib des Christen ein Organ des Leibes Christi ist. Darauf folgt, dass der Leib des Christen unmöglich mit einer Prostituierten verbunden werden kann. In V. 16-18 argumentiert ————————————————————
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Lindemann 147. Vgl. die analoge Argumentation in 2Kor 4,14; Röm 8.11. Kirchhoff, Sünde, 106; Fisk, Sexual Sin, 551; Garland 223.
Das Argument gegen die Prostitution 6,15-20 337 ————————————————————————————————————
Paulus, dass jede sexuelle Beziehung eine „Ein-Fleisch-Einheit“ im Sinn der Schöpfungsordnung von Gen 2,24 herstellt. Weil dies auch für den sexuellen Verkehr mit der Dirne gilt, und weil zwischen dem Jesusbekenner und Jesus Christus eine Beziehung im Sinne einer „Ein-Geist-Einheit“ besteht, ist dem Jesusbekenner geboten, alle sexuelle Zügellosigkeit aufzugeben und zu vermeiden, da sexuelle Sünde ein Angriff auf den Leib ist. In V. 19-20 argumentiert Paulus, dass der Leib der Jesusbekenner ein Tempel des Heiligen Geistes ist und diese sich deshalb nicht selbst gehören, sondern Gott. Deshalb können und sollen Christen mit ihrem Leib Gott verherrlichen. Damit formuliert Paulus ein dreifaches Argument gegen sexuelle Zügellosigkeit: Sie ist ein Verstoß gegen Jesus Christus (V. 15), sie ist ein Verstoß gegen den eigenen Leib (V. 16-18) und sie ist ein Verstoß gegen den Heiligen Geist (V. 19-20). ^ ν, was sachlich Textkritische Anmerkungen. In V. 15 lesen *אA Irarm η μω richtig ist; die Lesart υ μω ^ ν ist besser bezeugt und konzentriert die Aussage auf die korinthischen Leser. In V. 19 ersetzen viele Handschriften το` σω ^ μα 46 * c (d אA B C D F G K P 630.1241.1739 u.a.) durch τα` σω' ματα (A L Ψ 33.81.104.365.1175 u.a.), was grammatikalisch richtig ist (vgl. das folgende υ μω ^ ν), aber die Betonung des individuellen Leibes eliminiert. 51 In V. 20 gab δη' Anlass zu sechs verschiedenen Lesarten:52 1. Handschrift 1611 liest α»ρα γε vor δοξα' σατε. 2. Chrysostomus liest δη` α»ρατε. 3. Lateinische Zeugen erweitern den Satz zu glorificate et portate Deum in corpore vestro („verherrlicht und tragt Gott in eurem Leib“; itg vg Marcion, Cyprian); die Lesart entstand offensichtlich durch die Verlesung von α»ρα γε als α»ρατε. 4. Syrische und koptische Zeugen lesen ου ν (syrp copsa Pseudo-Athanasius), das häufigere Äquivalent zu δη' . 5. Einige Handschriften haben keine Partikel nach δοξα' σατε ( *אitd syh bo). 6. Der von NA27 gedruckte Text δοξα' σατε δη` το` ν θεο' ν ist am besten bezeugt (d46 א1 A B C D F G K L P Byz); es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die (bei Paulus sonst nicht vorkommende) Partikel δη' hinzugefügt wurde, um den abrupten Anakoluth zu korrigieren. Am Ende des Verses erweitern C3 D2 Ψ 1739mg 1881 Byz vgms sy mit dem Satz και` ε ν τω ^, πνευ' ματι υ μω ^ ν, α«τινα' ε στιν του^ θεου^ („und in eurem Geist, die Gott gehören“); diese Lesart will wahrscheinlich den Bezug des „Verherrlichens“ vom Leib auf den Geist ausweiten. Die kürzere Lesart ohne diesen Zusatz ist besser bezeugt (d46 א1 A B C* D* F G 33 81 1739* it vg sa bo aeth Irla Tertullian Origenes u.a.).53
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Lindemann 152. Vgl. Metzger, Commentary, 487; Thiselton 475. Zuntz, Text, 169.190-191; Metzger, Commentary, 487-488; Lindemann 153.
338 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
III 15 Paulus geht von dem Hinweis auf die Macht Gottes, die den Leib auferwecken wird, zu der Aussage über, die den Korinthern bekannt ist (wisst ihr nicht?, ου κ οι»δατε): eure Leiber sind Glieder Christi. Er argumentiert – anders als in 12,12-16.27 (Röm 12,5) – nicht christologisch und ekklesiologisch mit der Vorstellung von der Gemeinde als „Leib Christi“.54 Im Anschluss an V. 13 („der Leib ist . . . für den Herrn“) betont Paulus, dass der Leib jedes Jesusbekenners in realer Weise an Christus gebunden ist (με'λη Χριστου^ ). Jesus greift nicht nur nach den Gedanken der an ihn Glaubenden, sondern auch nach ihrem Leib und bestimmt deshalb auch das, was sie tun. 55 Aus diesem Grund ist die Frage, ob man die Glieder des einen Leibes, die „Glieder Christi“ sind, zu Gliedern einer Prostituierten (πο' ρνης με' λη) machen56 kann, aufs schärfste zu verneinen: Auf keinen Fall!57 Mit dem Hinweis auf die „Glieder“ ist die Identität der Christen im Hinblick auf ihre Leiblichkeit angesprochen. Jesusbekenner gewinnen ihre Identität „durch die Verbindung mit Christus, der insofern auch der Herr ist“. Das heißt: Sie können unmöglich diese Identität als an Christus Glaubende durch den Verkehr mit Prostituierten bestimmen lassen.58 Das Wort Prostituierte (πο' ρνη) wird hier zum ersten Mal erwähnt. Es bedeutet im Kontext der zeitgenössischen Situation nicht immer nur „käufliche Dirne“, sondern bezeichnet eine Frau, mit der ein Mann illegitime Sexualkontakte unterhält.59 Weil es im konkreten Fall faktisch vor allem um gewerbsmäßige Prostituierte geht, ist die Übersetzung mit „Prostituierte“ oder „Dirne“ berechtigt.60 In der hellenisti————————————————————
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Merklein II 74; Lindemann 147-148; anders Weiss 162; Conzelmann 141. Schlatter 202; vgl. Schrage II 25. ποιη' σω ist hier nicht Fut. sondern dubitativer Konj.; vgl. NSS II, 68. μη` γε' νοιτο kommt in 1-2Kor nur hier vor; vgl. sonst Röm 3,4.6.31; 6,2.15; 7,7.13; 9,14; 11,1.11; Gal 2,17; 3,21; 6,14. Mit dieser Wendung schneidet Paulus die Diskussion nicht ab, sondern setzt zu einem neuen Argumentationsgang an; Lindemann 148. Für Papyrusbelege vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 237: Besonders in Verträgen versucht man mit der Wendung μη` γε' νοιτο „das Eintreten eines Ereignisses abzuwehren, das – sollte es doch eintreten – die Abmachung verändern oder gar aufheben könnte“ (vgl. BGU IV 1108,1113; P.Ryl. II 153,39; SB XIV 11705,12 u.a.). Merklein II 74.75. Zum sprachlichen Befund vgl. Kirchhoff, Sünde, 18-37; vgl. F. Hauck/S. Schulz, Art. πο' ρνη κτλ., ThWNT VI, 579-595. Siehe oben zu 5,9 sowie die Einleitung zu 6,12-20. Das Wort wird von πε' ρνημι „kaufen“ abgeleitet, vielleicht weil es sich bei den betreffenden Frauen um gekaufte Sklavinnen handelte. Merklein II 75; Kirchhoff, Sünde, 196; vgl. ebd. 18, wo „Prostituierte“, „Hure“ und „Dirne“ im heutigen Sprachgebrauch definiert wird im Sinn von „Personen, die ihren Körper gelegentlich oder gewerbsmäßig im allgemeinen beliebigen ‚Kunden‘ zu deren sexueller Befriedigung gegen materielle Entlohnung preisgeben“. Lindemann 143 übersetzt allgemeiner mit „eine sich prostituierende Frau“. Die deutschen Übersetzungen geben
Das Argument gegen die Prostitution 6,15-20 339 ————————————————————————————————————
schen Welt galt außerehelicher Sexualverkehr (vom Ehebruch abgesehen) fast ohne Ausnahme als natürlich, selbstverständlich und unvermeidbar. 61 In der pseudo-demosthenischen Rede gegen Neaira heißt es: „Die Hetären haben wir zum Vergnügen, die Konkubinen zur täglichen leiblichen Pflege, die Ehefrauen, um rechtmäßige Kinder zu erzeugen und um eine treue Wächterin für die häuslichen Dinge zu haben“.62 Angehörige der oberen Schicht verkehrten mit Hetären und Konkubinen, die Angehörigen der unteren Schicht mit Prostituierten, die sich aus Sklavinnen, Kriegsgefangenen, Findelkindern und geraubten Mädchen rekrutierten; freiwillige Prostituierte kamen aus den Kreisen der Musikantinnen, Tänzerinnen und Schauspielerinnen. Von den Kynikern bis zu den Bordellwirten findet man die Überzeugung, dass der sexuelle Verkehr mit Prostituierten das größere Übel des Ehebruchs zu verhindern helfe.63 In Anth. Graec. 7,403 heißt es von einem verstorbenen Bordellbesitzer, er habe „Dirnen gehalten und so (junge) Männer vor dem Ehebruch bewahrt“. Der Umgang mit Prostituierten wird damit als eine Art Sozialhygiene gerechtfertigt. Die Tatsache, dass es im Lateinischen ungefähr 50 Synonyme für das Wort „Prostituierte“ gibt,64 ist kein Zufall. Zeitgenössische Papyri belegen, dass von der Ehefrau eheliche Treue verlangt wurde, der Ehemann jedoch nur ermahnt wird, keine dauerhafte zweite sexuelle Beziehung einzugehen und keine außerehelichen Kinder zu zeugen.65 Plutarch rät den Frauen, nicht ärgerlich zu werden, wenn sich ihre Ehemänner infolge mangelnder Selbstkontrolle mit einer anderen Frau einlassen, z.B. einer Geliebten oder einer Sklavin; sie sollten erkennen, dass es gerade der Respekt der Ehemänner für ihre Ehefrauen ist, der sie dazu führt, ihre (manchmal erniedrigenden) sexuellen Phantasien nicht mit ihnen, sondern mit einer anderen Frau auszuleben (Plutarch, Mor. 140B; vgl. 142C-D; 144A). Diogenes, der zeitweise in Korinth lebte, dort begraben war und in der Stadt durch Bildsäulen geehrt wurde, war für demonstrative sexuelle Freizügigkeit bekannt: „Er pflegte alles in voller Öffentlichkeit zu tun, sowohl was die Demeter als auch was die Aphrodite betrifft“.66 Im griechischen Korinth hieß das Wort für „ich praktiziere Prostitution“ buchstäblich „ich korinthisiere“ (κορινθια' ζομαι).67 ————————————————————
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πο' ρνη mit Prostituierte (NGÜ), Dirne (EÜ, MNT, ZB), Hure (Elb.Ü, LÜ, Hfa, SÜ, Wilckens, vgl. Schrage) oder Buhlerin (Menge) wieder. E. Hartmann, Art. Prostitution II. Klassische Antike, DNP X, 451-452; A. Herrmann/ H. Herter, Art. Dirne, RAC III, 1149-1213; P. Gerlitz, Art. Prostitution I, TRE XXVII, 527-531; Herter, Soziologie, 70-111; Kirchhoff, Sünde, 16-68; Stumpp, Prostitution; zu den Kynikern vgl. Krapinger, Oratio 6, 94-95.109. Pseudo-Demosthenes 59,122; Athenaeus, Deipnosophistae 13,573B; vgl. F. Hauck, ThWNT IV, 740 Anm. 10; Schrage II 12. Vgl. Horaz, Sat. 1,4,113-114; 2,7,46-71. Adams, Words for Prostitute in Latin, 321-358. Rupprecht, Marriage Contract, 60-76; Peterman, Marriage, 164-167, mit Verweis auf P.Tebt. I 104 (92 v.Chr.); BGU IV 1052 (13 v.Chr.); vgl. ebd. zu Plutarch, Mor. 140B. Diogenes Laertius 6,69; vgl. Dio Chrysostomus 6,17,19-20; vgl. Schrage II 12. Aristophanes, Frag. 354; Philetaerus 13,559a; Poliochus 7,31,3c. Plato, Rep. 404d bezeichnet eine Prostituierte als „korinthisches Mädchen“ (Κορινθι'αν κο' ρην φι'λην).
340 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— A. Lindemann weist darauf hin, dass man „zwischen den Beschreibungen faktischen Verhaltens und deren individueller Rechtfertigung einerseits und ethisch begründeter moralischer Kritik andererseits“ unterscheiden muss.68 Er verweist auf den stoischen Philosophen Musonius Rufus (1. Jahrhundert n.Chr.), der nichteheliche sexuelle Beziehungen als unsittlich (αισχρα' ) bezeichnet, weil sie durch Zuchtlosigkeit motiviert sei: „Wie sich ja auch niemand, der ein sittlicher Charakter ist, jemals mit einer Dirne einlassen würde oder mit einer freigeborenen Frau (außerhalb der Ehe) oder, bei Gott, mit seiner eigenen Magd. Denn das Unsittliche und Unschickliche eines solchen Verkehrs bedeutet eine schwere Schande für die, die solche Verhältnisse suchen“ (Musonius 12,64). Solche kritischen Äußerungen, die man auch bei Dio findet (Or. 7,133-152), blieben in der Praxis ohne Widerhall.69
Paulus geht auf die Hintergründe der Prostitution und auf die Prostituierten selbst nicht ein. Die These, dass Paulus, der die Prostituierten als solche nicht verurteile, um die soziale Not wisse, die mit der Praxis der Prostitution gegeben ist,70 ist nicht überzeugend. Der Grund für dieses Schweigen liegt eher in der Tatsache begründet, dass Paulus das Verhalten von Gemeindegliedern behandelt und sich in seinem Brief nicht um das Verhalten von Nichtchristen kümmert.71 Paulus lehnt vor- und außerehelichen Sexualverkehr dezidiert ab. Er erläutert die Begründung mit dem Hinweis auf die Identität des Jesusbekenners und seine Einheit mit Jesus Christus, die durch den Verkehr mit Prostituierten kompromitiert wird, in V. 16a; in V. 16b untermauert er diese Begründung mit einem Hinweis auf den in der Heiligen Schrift offenbarten Willen Gottes. 16 Mit einer weiteren rhetorischen Frage, mit der Paulus die korinthischen Christen zum Nachdenken provozieren will, 72 erläutert er die vorherige Aussage in V. 15b. Die Korinther sollten wissen, dass der, der sich an eine Prostituierte hängt, ein Leib (mit ihr) ist. Das Verb κολλα' ω im Passiv (mit Dativ) bedeutet „sich an jemanden hängen“. Während manche Ausleger das Verb im Sinn des Sexualverkehrs interpretieren,73 deutet der Gebrauch des ————————————————————
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Lindemann 148-149. Stumpp, Prostitution, 286, ebd. 271-292 zu den philosophischen Positionen. Zu Musonius vgl. Houser, Eros, 249-252; zu Dio Chrysostomus vgl. Swain, Hellenism, 84.125126.214-216; Houser, Eros, 235-258. Baltensweiler, Ehe, 201. Fenske, Argumentation, 112-113. Ob diese Frage an ein Wissen der Korinther anknüpfen will, ist nicht sicher. Vielleicht hatten sie sich über die „Einverleibung“ des „Kunden“ in die Prostituierte noch keine Gedanken gemacht. Vgl. Mt 19,5; in Gen 2,24 (Eph 5,31) mit der Vorsilbe προσ-; in Sir 19,2 für den Sexualverkehr mit Prostituierten. So Barrett 149; Robertson /Plummer 126; Schrage II 2627; Merklein II 76; Lindemann 149.
Das Argument gegen die Prostitution 6,15-20 341 ————————————————————————————————————
Wortes im Sinn der umfassenden Beziehung zwischen Eheleuten 74 darauf hin, dass dies nicht ausschließlich gemeint ist, sondern eine umfassendere Beziehung angesprochen ist.75 Dies wird durch die Beobachtung bestätigt, dass Paulus die Beziehung zur Prostituierten in Analogie zur Gemeinschaft mit der Ehefrau mit „ein Leib sein“ erläutert, und dass er im Kontext vom „Eins-Sein“ mit dem Herrn spricht. Mit dem Verb κολλα' ω beschreibt Paulus also eine dauerhafte Beziehung, für die in dem konkreten Fall des Verkehrs mit der Prostituierten der Sexualverkehr „inaugurativen Charakter“ hat und die einer Grundorientierung entspricht, die der Beziehung zum Herrn widerspricht, der solche Sexualkontakte verboten hat. Die Wendung „er ist (mit ihr) ein Leib“ (εν σω ^ μα) betont, dass Sexualverkehr mehr ist das die Befriedigung sexueller Bedürfnisse: „Sexuelle Kommunikation schafft neue Identität“.76 Das Zitat (φησι' ν) aus Gen 2,24 bestätigt diesen Sachverhalt: „Es werden nämlich die zwei zu einem Fleisch“. Mit diesem Zitat wird in Mk 10,7-8 und Mt 19,5 die Ehescheidung untersagt und in Eph 5,31 die Einheit von Christus und der Gemeinde unterstrichen.77 „Fleisch“ (σα' ρξ) darf hier nicht als Gegenbegriff zu „Geist“ interpretiert werden,78 sondern als Äquivalent zu „Leib“ (σω ^ μα): σα' ρξ μι' α entspricht ε ν σω ^ μα. 79 Der Verkehr mit einer Prostituierten ist nicht nur eine flüchtige Berührung, sondern „eine starke, bleibende Gemeinschaft“. 80 Er verletzt die Beziehung zu Christus dem Herrn. Darauf will Paulus hier grundlegend hinweisen. Andere Gründe, die den Verkehr mit Prostituierten verwerflich machen, nennt er nicht: den Bruch des Ehegelöbnisses, die Verletzung des Liebesgebots in der Behandlung einer Frau als Ware, die Eigensüchtigkeit der Handlung. Aus der Zitierung von Gen 2,24 – eine Stelle, die an die Schöpfungsordnung der von Gott gestifteten Ehe ————————————————————
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Jub 3,7; Philo, Quaest. in Gen. 1,29; 1Esra 4,17-22 LXX; vgl. den späteren Text P.Lond. V 1731,16 (585 n.Chr.), in dem eine junge Frau namens Tsone darauf hinweist, dass ihre Mutter nach der Scheidung eine Beziehung mit einem anderen Mann eingegangen ist (κολλα^ σθαι ετε' ρω, α νδρι'); vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 237-238. Fascher 174; Fee 259; Kirchhoff, Sünde, 169-171, ebd. 170-171 für die folgende Bemerkung. Porter, κολλω' μενος, 105-106, schlägt mit Verweis auf V. 20a die Bedeutung „sich verkaufen“ vor, die sich jedoch sonst nicht belegen lässt; zur Kritik Thiselton 467. Merklein II 76. Sampley, One Flesh, 77-85; Kirchhoff, Sünde, 158-67; Dautzenberg, Sexualethik, 277-84. Anders Schlatter 203, der schreibt, dass durch die Umarmung der Mann und seine Ehefrau zu einem Leib im Sinn einer vollständigen Gemeinschaft verwachsen, wie auch die Verbundenheit, die Christus den Gläubigen gewährt, vollständig ist, während im Verkehr mit der Dirne „nicht Körper mit Körper, sondern Geist mit Geist“ verkehrt. Schrage II 28; Merklein II 76. Schlatter 203. Aus der Formulierung kann man jedoch nicht ableiten, dass die Korinther den Verkehr mit der Dirne als „Ersatz für die Ehe begehrten“ (Schlatter ebd.).
342 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
erinnert – sollte man nicht schließen, dass Paulus meint, der Verkehr mit der Prostituierten stelle eine eheähnliche Gemeinschaft her. Das Argument mit dem Hinweis auf das „Ein-Leib-Sein“ betont, dass der Christ, der zur Prostituierten geht, dieser die Herrschaft über den eigenen Leib einräumt und dass in der leiblichen Vereinigung mit ihr eine Identität gestiftet wird, die den mit ihr Verkehrenden zu einem Unzüchtigen macht, d.h. zu einem Sünder. 81 17 Indem Paulus das Wort „Prostituierte“ durch „Herr“ ersetzt und „Leib“ durch Geist, kontrastiert er die verwerfliche Vereinigung mit einer Prostituierten mit der Einheit, die Christen mit dem Herrn Jesus Christus haben: Wer sich aber an den Herrn hängt, ist ein Geist (mit ihm). Die in V. 16 im Blick auf die Prostituierte verwendete Vokabel κολλα' ω hat hier eine metaphorische Bedeutung.82 Wenn Christen ihren Leib und damit ihr ganzes Ich „für den Herrn“ bereitgestellt und damit seiner Herrschaft unterstellt haben (V. 13), dann sind sie „ein Geist“ (εν πνευ^ μα) mit dem Herrn, d.h. sie leben „im Geist“ und sie sind „Geist“. Paulus spricht hier nicht einfach von der Gabe des Heiligen Geistes, den die Gläubigen erhalten haben. Er beschreibt die neue Identität, die Jesusbekenner als „Glieder Christi“ (V. 15), die dem Herrn in engster Gemeinschaft „anhangen“ (V. 17), erlangt haben – eine neue Seinsweise, die Paulus in 2Kor 5,17 als „neue Schöpfung“ bezeichnet. 83 Deshalb sind die Jesusbekenner, gerade in ihrer Leiblichkeit, ein „Tempel des Heiligen Geistes“ (V. 19). Und der Geist Gottes, der als Geist Jesu Christi die neue Kommandozentrale des Jesusbekenners wird, schließt den Verkehr mit Prositutierten aus. Der außereheliche Sexualverkehr gehört zu den Werken des sündigen Fleisches (Gal 5,18), während die Selbstbeherrschung zur Frucht des Heiligen Geistes gehört (Gal 5,22-23).84 In V. 16-17 schließt Paulus durch die Zuordnung des „Leibes“ zum Herrn Jesus Christus die leibliche Gemeinschaft mit Prostituierten aus, während er in 7,2-5 betont, dass Ehepartner Vollmacht über ihren Leib haben und von der Abstinenz vom ehelichen Geschlechtsverkehr abrät. Die Argumentation mit dem „Ein-Leib-Sein“ lässt sich aber nicht gegen die Ehe kehren.85 W. Schrage hat recht: „Paulus kennt offenbar ein εν σω^ μα-Sein auf verschiedenen Ebenen, die sich nicht gegenseitig ausschließen, d.h. das εν σω^ μα der Ehepartner ist von V 16 nicht mitbetroffen. Nicht die γυνη' , sondern die πο' ρνη korrumpiert die Kommunikation mit dem Kyrios“.86 ————————————————————
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Merklein II 76; Schrage II 28. Fenske, Argumentation, 103 hat dies verkannt, wenn er meint, es falle schwer, „dem Text tiefe theologische Schlußfolgerungen zu entnehmen“. Vgl. Dtn 10,20; Ps 73,28 LXX; 2Kön 18,6 LXX. Merklein II 78: „Wer ‚ein Geist‘ mit dem Herrn ist, hat teil an der gleichen geistlichen Identität wie der Herr, dessen Existenzweise und Existenzsphäre der Geist ist“. Garland 235; vgl. Schrage II 30. So jedoch Schmiedel 125-126; Weiss 164; Senft 84. Schrage II 28; vgl. Fee 260.
Das Argument gegen die Prostitution 6,15-20 343 ————————————————————————————————————
18 Paulus setzt mit einem Imperativ neu ein: Flieht die sexuelle Zügellosigkeit! Die Formulierung mit dem Imperativ Präsens (φευ' γετε) unterstreicht die Tatsache, dass die Flucht vor Unzucht eine fortwährende Herausforderung, Pflicht und Aufgabe bleibt. Die Formulierung, die sich wörtlich in TestRub 5,5 findet,87 ist möglichweise ein Echo der Josefsgeschichte: In Gen 39,12 LXX wird dasselbe Verb zur Flucht Josefs vor Potiphars Frau verwendet.88 Es gibt Situationen, in denen man nicht mit einer Demonstration der eigenen Willensstärke oder mit geistlichen Argumenten, sondern nur durch Flucht bestehen kann. Die Begründung des Imperativs in V. 18b und 18c wird unterschiedlich interpretiert.89 Es ist unwahrscheinlich, dass der Satz jede (andere) Sündenverfehlung, die ein Mensch begeht, ist außerhalb des Leibes eine korinthische Parole ist, die Paulus zitiert.90 Die Formulierung lässt nicht erkennen, dass es sich um ein Zitat handelt, und die Wendung „gegen seinen eigenen Leib“ im nächsten Satz wäre keine Entgegnung auf eine solche Parole, die das nicht-leibliche Wesen der Sünde betonen würde. 91 Die meisten Ausleger interpretieren den Satz als Argument des Paulus. Manche verstehen die Aussage in quantitativem Sinn. Nach Paulus gibt es eine quantitative Aussage zwischen den Auswirkungen der verschiedenen „Sündenverfehlungen“ (α μα' ρτημα).92 Sexuelle Sünden sind besonders destruktiv.93 Die meisten Ausleger sehen einen qualitativen Unterschied zwischen der Sünde der sexuellen Zügellosigkeit und anderen Sünden.94 Paulus betont, dass bei der Unzucht der Leib betroffen ist, der nach V. 13 „für den Herrn“, nach V. 15 Glied Jesu Christi und nach V. 19 ein Tempel des Heiligen Geistes ist. Andere Sünden geschehen „außerhalb des Leibes“ (ε κτο` ς του^ σω' ματος) – wer aber sexuell zügellos lebt, sündigt gegen seinen eigenen Leib (ει ς το` »ι διον σω ^ μα). ————————————————————
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Vgl. auch TestGad 5,2; TestBenj 7,1; 4Makk 8,19. Für Beispiele in den Papyri, in denen das Verb φευ' γω mit einem abstrakten Begriff verbunden wird, vgl. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 239-240, mit Hinweis auf P.Tebt. III.1 703 Verso,274; PSI X 1160,13-14. Godet I 159; Schrage II 30 Anm. 345; Rosner, Paul, 138-140; Ciampa /Rosner 714. Im Kontext von TestRub 5 wird auf Gen 39 verwiesen (vgl. 4,8). Vgl. Garland 236-238; Dautzenberg, Sexualethik, 271-276; Kirchhoff, Sünde, 177-188; Fisk, Sexual Sin, 542-543. So jedoch Thrall 49; Klauck 48; Hays 105; Murphy-O’Connor, Slogans, 393. Byrne, Sinning, 608-616; vgl. Fee 262. Paulus verwendet α μα' ρτημα, das die konkrete sündige Einzeltat bezeichnet, nur hier und in Röm 3,25; vgl. Mk 3,28.29; 4,12 (in 2Petr 1,9 die Lesart von אA K Ψ u.a.). In den Papyri wird α μα' ρτημα als juristischer Ausdruck verwendet, der ein „Vergehen“ gegen das Gesetz bezeichnet; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 240. Calvin 360; Barrett 150; Conzelmann 143. Vgl. den Überblick bei Fisk, Sexual Sin, 542-543.
344 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Paulus will nicht sagen, dass der Leib bei anderen Sünden nicht mit beteiligt oder betroffen ist. Er betont vielmehr, dass der Verkehr mit Prostituierten ein direkter Angriff auf (ει ς) den Leib ist.95 Diese Sicht, dass manche, aber nicht alle Sünden als destruktive Handlungen gegen sich selbst angesehen werden, ist in der atl. und jüdischen Weisheitstradition zu Hause. 96 Das „Ein-LeibSein“, das der Sexualverkehr einer Dirne herstellt, ist bei anderen Sünden nicht gegeben. Weil von Gott verbotener Geschlechtsverkehr in einzigartiger Weise Leiber vereinigt, verunreinigt er den Leib in einzigartiger Weise. 97 19 Mit einer erneuten rhetorischen Frage spricht Paulus die korinthischen Christen auf ihr theologisches Wissen an: Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist? Damit formuliert der Apostel das dritte Argument gegen sexuelle Zügellosigkeit: Diese ist ein Verstoß gegen Jesus Christus (V. 15), sie ist ein Verstoß gegen den eigenen Leib (V. 16-18) und sie ist ein Verstoß gegen den Heiligen Geist (V. 19-20).98 Paulus sagt im Blick auf den Leib (το` σω ^ μα) des Jesusbekenners, dass dieser ein „Tempel des Heiligen Geistes in euch“ ist (ναο` ς του^ ε ν υ μι^ν α γι' ου πνευ' ματος). Das Adjektiv α γι' ου ist betont vorangestellt, und die attributive Wortstellung von ε ν υ μι^ν unterstreicht, dass der Heilige Geist im Leben des einzelnen Gläubigen gegenwärtig ist. 99 In 3,16 hatte Paulus die (Orts-) Gemeinde, in der sich die korinthischen Christen versammeln, als „Tempel Gottes“ (ναο` ς θεου^ ) bezeichnet, in dem der Geist Gottes wohnt (το` πνευ^ μα του^ θεου^ οι κει^ ε ν υ μι^ν). Die Gemeinde ist nur dann richtig und vollständig „Tempel Gottes“, wenn jedes einzelne Gemeindeglied „Tempel des Heiligen Geistes“ 100 ist und sich im Alltag entsprechend verhält. Nur kultisch reine und in diesem Sinn „geheiligte“ Israeliten bzw. Juden durften den Tempel betreten, da dieser dem ————————————————————
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Fisk, Sexual Sin, 546-547; für α μαρτα' νω ει ς vgl. Bauer /Aland 83 s.v. α μαρτα' νω 4b; Robertson/Plummer 127; vgl. in der LXX Gen 20,6.9; 43,9; 44,32; Ex 10,16; 1Sam 2,25; 15,18; 19,4.5; 24.12; Prov 8,36; 20,2 u.a. Vgl. Prov 8,36; 20,2; Sir 10,29; 19,4; im Blick auf sexuelle Sünde, insbesondere den Verkehr mit der promiskuitiven Frau, vgl. Prov 5,9-11.22; 6,2629.32; 7,22-23. Vgl. Fisk, Sexual Sin, 546; Lindemann 151; Thiselton 473; Garland 237-238. Fisk, Sexual Sin, 558. Kirchhoff, Sünde, 182-187 interpretiert den Verkehr mit der Prostituierten als Sünde gegen den Heiligen Geist, durch die „der Handelnde den Status verliert, den er in der Taufe gewonnen hat . . . ihre Handlungsbefähigung und die Bestimmung zur Auferstehung, so daß der Leib als Organ des Handelns seine besondere Funktionsfähigkeit verliert“ (187). Vgl. Fisk, Sexual Sin, 557. Anders Fenske, Argumentation, 104, der das Argument für „wenig schlüssig“ hält, weil man argumentieren könne, dass Geist und Leib getrennt sind; immerhin sieht er, dass Paulus bemüht ist, „der paganen Aufteilung des Menschen in Leib und Geist zu begegnen und die Einheit beider . . . zu begründen“ (ebd. 104-105). Schrage II 34 betont richtig, dass ε ν υ μι^ν nicht auf einen Bereich im Innern des Christen verweisen soll, sondern „das Regiment des Geistes über den Menschen“ verstärkt. Zur Vorstellung vom „Tempel“ s. oben zu 3,16-17.
Das Argument gegen die Prostitution 6,15-20 345 ————————————————————————————————————
heiligen Gott gehört. Die korinthischen Christen, deren Leib „Tempel“ ist, sollen sich daran erinnern, dass ihr Leib als Wohnstatt Gottes dem heiligen Gott gehört, und dass sie in diesem Tempel die Größe und Heiligkeit Gottes sichtbar werden lassen sollen.101 Paulus unterstreicht mit dem Relativsatz den ihr von Gott habt (ου ε»χετε α πο` θεου^ ), dass sie den Heiligen Geist von Gott empfangen haben. Der Verkehr mit Prostituierten beschädigt die Gabe Gottes und damit zugleich die Integrität der Gemeinde als Ort der Gegenwart Gottes. Der zweite Teil der rhetorischen Frage – oder wisst ihr nicht . . . dass ihr euch nicht selbst gehört? (ου κ ε στε` ε αυτω ^ ν) – formuliert die Konsequenz aus der Tatsache, dass jeder Gläubige ein Ort der Gegenwart des heiligen Geistes ist. Weil sie Gottes Geist erhalten haben und weil der Heilige Geist sie – als machtvoll wirkende Gegenwart Gottes – bestimmt, gehören sie sich nicht selbst. Weil ihre Leiber Glieder Christi sind (V. 15), werden sie von Jesus Christus beherrscht. Und weil ihre Leiber Tempel Gottes sind, werden sie vom Geist der heiligenden Gegenwart Gottes bestimmt. Deshalb können die Christen in Korinth auch nicht nach eigenem Gutdünken beschließen, mit Prostituierten zu verkehren, was dem in der Schrift geoffenbarten Willen Gottes widerspricht. Wenn sie gegen ihren Leib sündigen, dann sündigen sie zugleich gegen den heiligen Geist Gottes. Calvin kommentiert: „Der Geist Gottes wohnt nicht an unreinen Orten; wir können ihn nicht aufnehmen, wenn wir uns nicht ihm zum Tempel weihen. Es ist unsere Würde und Ehre, daß Gott in uns wohnen will. Darum sollen wir uns hüten, daß wir ihn durch Entweihung zürnen und damit von uns vertreiben“.102 20 Wie in 5,7 und 6,11 begründet Paulus mit dem Hinweis auf die objektive Grundlage seiner Aussage, hier mit der Betonung, dass Christen „ein Geist“ mit dem Herrn Jesus Christus und „Tempel des Heiligen Geistes“ sind.103 Der Satz ihr seid nämlich für einen Preis gekauft worden (η γορα' σθητε γα` ρ τιμη^ ς) begründet die Aussage, dass Christen sich nicht selbst gehören (V. 19), mit dem Bild vom Kauf gegen Barzahlung. Weil Paulus erwartet, dass die Korinther das Bild verstehen, und weil sich dieses auf alle korinthischen Christen bezieht, kommt für die Aktion, in der ihr „Kauf“ stattgefunden hat, nur der Kreuzestod Jesu Christi in Frage.104 Im Zusammenhang von 7,23 ist das Bild vom Kauf auf dem Hintergrund des Loskaufs von der Sklaverei zu interpretieren. Das Verb α γορα' ζω ist in griechischen Papyri, was den Kauf ————————————————————
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Vgl. Böttrich, Tempelmetaphorik, 419-420. Calvin 360-361. Die von Robertson / Plummer 128; Lindemann 152 u.a. angeführte Parallele Epiktet, Diss. 2,8,12-13 ist wegen des stoischen Gottesverständnisses nicht geeignet, V. 19 zu erhellen. Merklein II 80-81; Schrage II 34. Vgl. Gal 3,13; 2Kor 5,21; vgl. 1Kor 1,13; 8,11; 15,3. Merklein II 81.
346 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
von Personen anbelangt, im Zusammenhang mit dem Kauf eines Sklaven oder einer Sklavin geläufig.105 Der Genitiv τιμη^ ς (gen. pretii) bedeutet „gegen Barzahlung, für einen Preis“, wobei über die Höhe des Preises in V. 20 nichts gesagt ist.106 Wenn man allerdings den (wohl vor 1Kor geschriebenen) Galaterbrief zur Interpretation des Ausdrucks zu Rate zieht – in Gal 3,13; 4,5 wird mit dem Verb ε ξαγορα' ζω der Loskauf vom Fluch des Gesetzes durch den Kreuzestod Jesu Christi beschrieben –, kann man sicherlich sagen, dass der Preis hoch war.107 In Gal 3,13; 4,5 ist Jesus Christus das Subjekt des Verbs, d.h. er hat den Preis bezahlt. Die Parallelen in 1Petr 1,18-19 und Offb 5,9 zeigen, dass der bezahlte Preis das Blut Jesu ist. In 1Petr 1,18-19 heißt es, dass Jesusbekenner „nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft“ wurden (ου φθαρτοι^ς . . . ε λυτρω' θητε), „sondern mit dem kostbaren Blut (τιμι' ω, αι«ματι) Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel“. Ob „Preis“ auf die Käuflichkeit der Prostituierten anspielt, ist möglich, aber nicht beweisbar. A. Deissmann erklärt das Bild in V. 20 auf dem Hintergrund des in zahlreichen Inschriften in Delphi belegten sakralen Sklavenloskaufs, in denen von dem fiktiven Ankauf eines Sklaven durch eine Gottheit die Rede ist: „Der seitherige Herr kommt mit dem Sklaven in den Tempel, verkauft ihn dort dem Gott und erhält aus der Tempelkasse den Kaufpreis (den tatsächlich der Sklave vorher aus seinen Ersparnissen erlegt hatte). Damit ist der Sklave Eigentum des Gottes, aber nicht sein Tempelsklave, sondern nur sein Schützling; den Menschen und besonders seinem seitherigen Herrn gegenüber ist er ein völlig Freier, höchstens werden einige Pietätspflichten gegen den alten Herrn noch festgesetzt“.108 Die bestehenden Unterschiede dieses Vorgangs sind gewichtiger als die Ähnlichkeiten: In den relevanten ntl. Stellen bezahlt der „versklavte“ Mensch den Preis für die Freilassung nicht selbst; Hinweise auf den früheren Besitzer fehlen; Christen sind einerseits frei, andererseits gehören sie einem anderen Herrn; der Loskauf durch Jesus Christus ist real, nicht fiktiv; der Christ hat gegenüber seinem früheren Besitzer keinerlei Verpflichtungen; das im NT verwendete Verb (ε ξ)α γορα' ζω kommt in den Inschriften von Delphi als terminus technicus der Freilassung nicht vor. Andere Ausleger denken entweder an den Freikauf von Sklaven, die durch Kriegsgefangenschaft in Sklaverei geraten waren (redemptio ab hostibus)109 oder an den gewöhnlichen Sklavenfreikauf (manumissio).110 W. Haubeck erklärt das Bild auf dem ————————————————————
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Vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 241, mit Verweis auf C.Ord.Ptol. 21-22,53-54; BGU IV 1128,6-9; P.Oxy. I 94,12 (α γορασμο' ς, „Sklavenversteigerung“) u.a. Bauer /Aland 1629 s.v. τιμη^ ς 1; J. Schneider, ThWNT VIII, 171.180. Anders die Vulgata, die mit pretio magno übersetzt; so auch LÜ, SÜ, ZB, Menge („teuer erkauft“), EÜ („um einen teuren Preis“), Wilckens, Hfa („für einen hohen Preis“). H. Hübner, Art. τιμη' , EWNT III, 859, gegen Lietzmann 28-29; Conzelmann 143-144. Deissmann, Licht vom Osten, 274; zur Diskussion Haubeck, Loskauf, 1-3.164-165; kritisch Bartchy, Slavery, 121-125; Harris, Slave of Christ, 121-122; Schrage II 35. Elert, Redemptio ab hostibus, 265-270; Eichholz, Theologie, 196. K. H. Rengstorf, ThWNT II, 278; Conzelmann 137; Merklein II 81; Lindemann 153.
Das Argument gegen die Prostitution 6,15-20 347 ———————————————————————————————————— Hintergrund vom „Loskauf“ Israels durch Gott aus der ägyptischen Sklaverei (wo im Dtn häufig das Verb פדהverwendet wird) und aus dem babylonischen Exil (גאל, Jes 52,3).111 Manche Ausleger verbinden die Vorstellung vom gewöhnlichen Sklavenfreikauf mit dem „Freikauf“ des Gottesvolkes Israel aus der Knechtschaft.112
Im Zusammenhang von 6,12-20 betont Paulus, dass die korinthischen Christen durch den Glauben an Jesus Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, aus dem Versklavtsein an das eigene Ich und damit zugleich aus der Tyrannei der Verhaltensweisen der römischen Gesellschaft befreit wurden, die Sex mit Prostituierten als selbstverständliches Vergnügen betrachtete.113 Der Preis der „Transaktion“ ist im 1. Jahrhundert wichtig gewesen, da er den Herrschaftswechsel besiegelt.114 Jesusbekenner gehören nicht sich selbst. Als Glieder Christi und als Tempel Gottes und des Heiligen Geistes gehören sie ganz dem Herrn Jesus Christus, der deshalb das Eigentumsrecht an ihrem Leib hat. Aus dem Indikativ (η γορα' σθητε) folgt der Imperativ (δοξα' σατε): Verherrlicht also Gott in eurem Leib! Die Korinther sollen Gott ehren – nicht nur im Geist und mit den Lippen im Gottesdienst, sondern mitten im Alltag und in den Versuchungen und Herausforderungen, die dieser in einer heidnischen Stadt mit sich bringt. Als Tempel des heiligen Gottes soll der einzelne Jesusbekenner von der „Herrlichkeit“ (δο' ξα) Gottes erfüllt sein.115 Der Gehorsam gegenüber Gott und seinem heiligen und heilsamen Willen ist Anbetung Gottes – konkret die Flucht vor sexueller Sünde, die Abkehr vom Verkehr mit Prostituierten. Es zählt nicht, „was mir erlaubt ist“ (V. 12), sondern „was Gottes Lob vermehrt“.116
IV Paulus fordert in V. 15-17 von den korinthischen Christen, den Verkehr mit Prostituierten zu unterlassen. Der allgemein gehaltene Einstieg in dieses Thema in V. 12-14 und der theologische Schluss in V. 18-20 zeigen, dass es gleichzeitig um die rechte christliche Einstellung zum Hedonismus einer Gesellschaft geht, wo die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zur zentralen Rechtfertigung persönlichen Handelns geht. Paulus begegnet dem Problem, dass korinthische Christen mit Prostituierten verkehren, d.h. (vor- und) außer————————————————————
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Haubeck, Loskauf, 136-141.330. Von einem Kaufpreis ist hier nicht die Rede, aber der Gedanke des heilvollen Herrschaftswechsels ist zentral. Vgl. Schrage II 35-36. Marshall, Redemption, 158-159; Harris, Slave of Christ, 122. Schrage II 36 schränkt auf die Befreiung von der „Bindung an uns selbst“ ein. Collins 249; Thiselton 477; anders Schrage II 36. Merklein II 81, mit Verweis auf Ex 40,34-35; Ez 43,5; Ps 26,8. Schrage II 37.
348 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
ehelichen Sexualverkehr haben, nicht mit moralischen Appellen oder mit Argumenten über die persönlichen oder gesellschaftlichen Vor- und Nachteile solchen Verhaltens. Er argumentiert auch hier konsequent theologisch. Der grundlegende Maßstab für das Verhalten auch in Fragen der Sexualität ist die Frage, ob dieses gegen die Beziehung zu Jesus Christus (V. 15), gegen den eigenen Leib als Ort der Gegenwart Gottes (V. 16-18) und gegen den Heiligen Geist verstößt (V. 19-20). Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der Verkehr mit einer Prostituierten den Tatbestand des „Ein-Leib-Seins“ erfüllt und deshalb automatisch unvereinbar ist mit der Tatsache, dass er als Glied Christi zum Leib Jesu gehört. Die Vereinigung mit einer Prostituierten widerspricht auch dem Wesen des Leibes des Christen, der „Tempel des Heiligen Geistes“ ist und deshalb die Heiligkeit Gottes reflektieren und praktizieren soll. Da nicht nur der einzelne Jesusbekenner, sondern auch und primär die Gemeinde der „Tempel“ ist, müssen wir das Argument des Apostels in einen größeren Kontext stellen: Die Handlungen des einzelnen Christen stören oder erbauen die Gemeinde. 117 Der Leib des Christen ist keine nebensächliche Größe, sondern Tempel des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist kein Gast oder Untermieter, 118 sondern – als heiligende Gegenwart Gottes des Schöpfers und Erlösers – der Herr, dem jeder einzelne Christ gehört. Alle Handlungen, die sich der Herrschaft des Geistes entziehen und nur denkbar und vollziehbar sind außerhalb des „Tempels Gottes“, sind ein Angriff auf die Stätte der Gegenwart Gottes und damit auf Gott selbst. Dies trifft besonders auf alle Formen vor- und außerehelicher sexueller Zügellosigkeit zu. Jesusbekenner wurden durch Jesus Christus von aller Fremdherrschaft freigekauft. Die damit gewonnene Freiheit ist eine Freiheit von der Bindung an die eigenen egoistischen Begierden, und zugleich die Freiheit von den Gepflogenheiten einer hedonistischen Gesellschaft, die die ethischen Maßstäbe und Gebote des heiligen Gottes ignoriert.
Kompromiss III: Ehe und Verlobung 7,1-40 Der mit περι` δε' eingeleitete Hinweis auf einen Brief der korinthischen Christen in 7,1, auf den Paulus in Kap. 7 antwortet, und das mit einem erneuten ————————————————————
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Fenske, Argumentation, 105. Richtig Schrage II 34.
Kompromiss III: Ehe und Verlobung 7,1-40 349 ————————————————————————————————————
περι` δε' eingeführte Thema des Götzenopferfleisches markieren 7,1-40 als eigenen Abschnitt. Es geht in Kap. 7 auch um Fragen der Sexualität, es handelt sich jedoch nicht einfach um eine Fortführung von 5,1-13 (Inzestfall) und 6,12-20 (Verkehr mit Prostituierten), sondern um eine neue Thematik. Es ist möglich (aber nicht sicher), dass die Themen von Kap. 7–16 in dem Brief der Korinther angesprochen wurden, den Paulus beantwortet. Manche Ausleger betrachten die Wendung περι` δε' in 7,1.25; 8,1; 12,1; 16,1 als Beleg für diese These. Die Reihenfolge, in der Paulus die verschiedenen Themen behandelt, wird nach G. Fee allerdings nicht von dem Brief der Korinther diktiert, sondern von der Logik der Argumentation:1 Die Behandlung von Ehefragen in Kap. 7 folgt auf die Diskussion sexueller Zügellosigkeit in 5,113 und 6,12-20; Kap. 8–10 greift das Thema des Götzendienstes auf, das mehrere Berührungspunkte mit der in 6,12-20 behandelten und in 5,10-11 verurteilten Unzucht aufweist; der Abschnitt über „falsche Gottesverehrung“ führt zu einer Behandlung von Fragen des christlichen Gottesdienstes in Kap. 11 und in Kap. 12–14, ehe Paulus in Kap. 15 die Frage der leiblichen Auferstehung der Gläubigen behandelt, die als theologische Frage hinter dem in Kap. 12-14 besprochenen Verhalten im Gottesdienst steht. Ausleger haben häufig die Meinung vertreten, Paulus betrachte die Ehe als notwendiges Übel. Manche Kirchenväter meinten, Paulus lasse die Ehe nur als Konzession für jene Menschen gelten, die ihre sexuellen Begierden nicht bezwingen können. 2 Augustin und Thomas von Aquin erklärten, der zur Zeugung führende Sexualverkehr sei schuldlos, der eheliche Verkehr zur Befriedigung sexueller Begierden eine lässliche Sünde. 3 Hieronymus begründete mit V. 5 das Priesterzölibat.4 Diese Auslegungstradition war lange bestimmend. Selbst bei den Reformatoren, die eine weitaus positivere Sicht der Ehe hatten – für Luther waren Ehe und Ehelosigkeit nicht nur „gleich“, sondern die Ehe war der geistlichere Stand5 –, findet man das Urteil, die Ehe sei gegenüber der Hurerei das geringere Übel. Calvin beginnt seine Auslegung von Kap. 7 mit dem Satz: „Von der Unzucht her kommt Paulus nun zur Frage der Ehe als einem Mittel gegen die Unzucht“. 6 In der Exegese begegnen wir immer wieder der Meinung, Paulus habe eine negative Einstellung zur Sexua————————————————————
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Fee 267; ebd. für das Folgende. Schrage II 50 ist zurückhaltender. Siehe Schrage II 76-81 für Einzelheiten und Belege. Augustin, Bon. Coniug. 6 (CSEL 41, 195); Thomas Aquinas 298; Schrage II 77. Hieronymus, Adv. Jov. 1,34 (PL 23, 269); Schrage II 80 mit Anm. 173. Siehe schon Cyprian, De Habitu Virginum, sowie Pseudo-Cyprian, De Singularitate Clericorum. Vgl. Ford, Philogamist, 326-348. Luther, Großer Katechismus zum 6. Gebot, BSLK 613; vgl. WA 12, 105; Schrage II 85. Calvin 361.
350 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
lität und deshalb letztlich auch zur Ehe. 7 G. Bornkamm schreibt in seinem Paulusbuch: „Eine positive Würdigung der Liebe zwischen den Geschlechtern oder des Reichtums menschlicher Erfahrung in Ehe und Familie sucht man in den eingehenden Erörterungen von 1Kor 7 in der Tat vergebens“.8 In den letzten Jahren urteilen Ausleger positiver. J. Becker schreibt in seiner Darstellung der Theologie des Apostels Paulus: „Auch läßt Paulus es nicht zu, daß über eine asketische Forderung die Sexualität oder die Frau herabgestuft oder tabuisiert werden: Die Ehelosigkeit ist eine besondere Gabe und gerade angesichts der Endzeit hoch einzuschätzen. Aber die Ehe bleibt die generelle Regel und wird in keiner Weise herabgewürdigt (1.Kor 7)“.9 Grundsätzlich ist zunächst festzuhalten, dass Paulus zu konkreten Fragen und Problemen in der korinthischen Gemeinde Stellung nimmt. Im Blick auf eine systematische Auswertung von Kap. 7 zur Frage nach dem rechten christlichen Eheverständnis betrifft sollte man zurückhaltend sein. Die zahlreichen Komparative, die auf die Möglichkeit verweisen, dass man in einigen der angesprochenen Fragen unterschiedlicher Meinung sein kann (7,7.8-9.2021.28.30.38.40), raten zur Vorsicht. Paulus gibt den Korinthern nicht zu allen von ihm behandelten Punkten allgemein gültige Anweisungen. In V. 10.12 unterscheidet er sorgfältig zwischen seiner eigenen Meinung und der Anordnung Jesu Christi. Gleichwohl darf man nicht übersehen, dass Paulus seine Darlegungen in V. 40 mit dem Hinweis abschließt, dass er den Geist Gottes hat. Das heißt, man kann Kap. 7 nicht als zeit- und kontextbedingte Abhandlung abtun, die für spätere Christen keinerlei Bedeutung besitzt. Die Ausführungen des Apostels sind durchaus grundsätzlicher Natur.10 Mehrere Autoren verweisen auf Berührungspunkte mit der Diskussion stoischer und kynischer Philosophen über die Ehe (s. unten zu V. 1).11 Andere interpretieren Kap. 7 auf dem Hintergrund atl. und frühjüdischer sowie rabbinischer Auffassungen.12 Zunehmend weisen Ausleger auf die strukturellen Nachteile hin, die sich in der römischen Gesellschaft für die Position und die Rolle von Ehefrauen ergaben, während Paulus den Ehefrauen mehr Sicherheit in der Ehe gibt und sogar von der Freiheit spricht, keine Ehe einzu————————————————————
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Schmiedel 134; Weiss 172; Lietzmann 29. Schrage II 86-87 zitiert weitere negative Urteile von O. Pfister, H. Thielicke und W. Neidhart. Siehe auch den Forschungsüberblick bei Deming, Marriage, 1-44. Bornkamm, Paulus, 214. Delling, Frau, hält die Ausführungen in Kap. 7 für verworren; Hübner, Theologie II, 154 stellt eine „nicht ganz konsistente Argumentation“ fest. Becker, Paulus, 466. Vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 388-389; Hahn, Theologie I, 292. Vgl. Schrage II 52; Hübner, Theologie II, 149. Yarbrough, Marriage, 31-63; Wimbush, Ascetic, 56-62; Deming, Marriage, 47-206. Yarbrough, Marriage, 7-28; Rosner, Paul, 147-161.
Kompromiss III: Ehe und Verlobung 7,1-40 351 ————————————————————————————————————
gehen.13 Mehrere Autoren verweisen auf die große Hungersnot des Jahres 51, die den Rat des Apostels zum Eheverzicht erklären könnte. 14 Entscheidend für die Interpretation des Kapitels ist die Tatsache, dass V. 1b („es ist für den Menschen gut, keine Frau zu berühren“) nicht die Position von Paulus ist,15 sondern das Motto korinthischer Christen, das Paulus referiert und in den folgenden Versen kommentiert.16 Da Paulus im ersten Satz seiner Entgegnung auf diese korinthische Parole von der Unzucht (πορνει' α, 7,2) spricht, die auch für christliche Eheleute eine Versuchung ist (7,2-5; vgl. 7,9.36), ehe er das sexuelle Verlangen unverheirateter und verwitweter (V. 9) sowie verlobter Christen (V. 36) behandelt, rechnen wir Kap. 7 zu den Passagen, in denen es um Kompromisse geht, die Christen mit Werten der römischen Gesellschaft eingehen (können). 17 Wenn korinthische Christen auf ihrem Entschluss zu sexueller Abstinenz beharren, kann es leicht passieren, dass manche vor- und außerehelichen Geschlechtsverkehr praktizieren, was eine Sünde ist. Gliederung. Die Gliederung des Abschnitts ist in der Sache klar, auch wenn Ausleger unterschiedlich viele Einzelabschnitte annehmen. 18 Ich gehe von fünf Abschnitten aus. In V. 1-7 behandelt Paulus das sexuelle Verhalten von Eheleuten; in V. 8-9 geht es um die Ehe oder Ehelosigkeit von Unverheirateten und Verwitweten; in V. 10-16 um die Ehescheidung von Verheirateten und in Mischehen Lebenden. In V. 17-24 behandelt Paulus den Grundsatz, der seine Ausführungen zu Ehe und Sexualität bestimmt: Christen sollen sich ————————————————————
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Witherington 170-181; Thiselton 490-491. Siehe auch die kulturanthropologische Studie von Gordon, Sister. Winter, Famines, 86-106; ders., Corinth, 215-268; Blue, Famine, 221-239; Thiselton 492. Diese Auslegung vertrat Methodius von Olympus (260-311 n.Chr.) als erster der Kirchenväter, während Clemens von Alexandrien und Origenes noch anders interpretiert hatten. Vgl. Ford, Philogamist, 343-344. So schon Origenes, Fragmenta (Jenkins, JThS 9 [1908] 500); vgl. Ford, Philogamist, 329330. Vgl. Barrett 154-155; Fee 272-277; Lang 89; Schrage II 53-54.59; Collins 258; Hays 112-113; Lindemann 157; Merklein II 100.103; Thiselton 498-500; Garland 243.247-251; Wolbert, Argumentation, 78; Yarbrough, Marriage, 93-96; Rosner, Paul, 151; Deming, Marriage, 107-113. Anders Lietzmann 29. Baumert, Ehelosigkeit, 37-47 vertritt eine Mittelposition: V. 1b bezieht sich auf eine konkrete Anfrage bezüglich der Eheleute, die im Licht von V. 2-5 zu verstehen sei, d.h. sie betrifft zeitweilige sexuelle Abstinenz aus religiösen Gründen, der Paulus mit einem „Augenzwinkern“ (44) zustimmt, während er in V. 2-5 die Korinther bittet, daraus kein Prinzip zu machen; zur Kritik s. Merklein II 104. Vgl. Winter, Underlays, 146. Fee und Baumert teilen in drei Abschnitte ein: V. 1-16 / 17-24 / 25-40; Schrage und Lindemann in vier Abschnitte: V. 1-7 / 8-16 / 17-24 / 25-40; Merklein in fünf Abschnitte: V. 1-7 / 8-16 / 17-24 / 25-38 / 39-40; Garland in fünf abweichend arrangierte Abschnitte: V. 1-5 / 6-9 / 10-16 / 17-24 / 25-40; Thiselton in sieben Abschnitte: V. 1-7 / 8-9 / 10-11 / 12-16 / 17-24 / 25-38 / 39-40.
352 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
in dem gesellschaftlichen status quo bewähren, in dem sie zum Glauben an Jesus Christus gefunden hatten. In V. 25-40 behandelt Paulus die Frage der Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen (zu Einzelheiten s. unten die einzelnen Abschnitte).
Sexualität in der Ehe 7,1-7 I 1 Wovon ihr aber geschrieben habt „Es ist gut für einen Menschen, seine Frau nicht zu berühren“: 2 Wegen der sexuellen Zügellosigkeiten soll jeder seine eigene Frau haben, und jede Frau soll ihren eigenen Mann haben. 3 Der Mann soll seiner Frau gegenüber seine Pflicht erfüllen, genauso die Frau gegenüber ihrem Mann. 4 Die Frau verfügt nicht über ihren eigenen Leib, sondern der Mann; ebenso verfügt der Mann nicht über seinen eigenen Leib, sondern seine Frau. 5 Entzieht euch einander nicht, es sei denn nach gemeinsamer Übereinkunft für eine bestimmte Zeit, um euch dem Gebet zu widmen und dann wieder zusammen zu sein, damit euch der Satan nicht wegen eures ungezügelten Verlangens in Versuchung führt. 6 Dies sage ich aber als Erlaubnis, nicht als Befehl. 7 Ich wünschte jedoch, dass alle Menschen wären wie ich; aber jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so.
II Paulus reagiert in diesem einleitenden Abschnitt auf eine schriftliche Mitteilung der Korinther, in dem diese unter anderem die Möglichkeit erwogen oder die Meinung vertreten haben, dass es besser ist, wenn verheiratete Christen ganz auf den Sexualverkehr verzichten. Die Formel περι` δε' kommt hier zum ersten Mal im 1Kor vor. Paulus antwortet in V. 2-7 mit einer grundsätzlichen Stellungnahme zur Sexualität in der Ehe. Gliederung. In V. 1 erinnert Paulus die Korinther an den Brief, den sie ihm geschrieben haben. Er zitiert ihre Meinung, es wäre besser, wenn Eheleute ganz auf Geschlechtsverkehr verzichten. In V. 2 spricht er in einer zweigliedrigen imperativischen Aussage sowohl die Ehemänner als auch die Ehefrauen in der Gemeinde an, die er auffordert, sexuell miteinander zu verkehren, damit es nicht zu sexueller Zügellosigkeit kommt. V. 3 wiederholt erläuternd die vorausgehende Aussage. V. 4 begründet mit indikatischen Präsensformen: Wie der Leib der Frau nicht der Frau gehört, sondern dem Mann, so
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gehört der Leib des Mannes nicht dem Mann, sondern der Frau. V. 5 wiederholt zunächst die Mahnung von V. 2, ehe Paulus das gemeinsame Beten als Grund für eine zeitweilige sexuelle Abstinenz nennt und nochmals auf außereheliche Unzucht als Gefahr für die Ehe hinweist. Der Kommentar in V. 6, dass Paulus das Gesagte erlaubt, aber nicht befiehlt, bezieht sich sicher auf die zeitlich befristete sexuelle Abstinenz, von der in V. 5 die Rede war. In V. 7 beschreibt Paulus seine eigene Ehelosigkeit als Ideal, formuliert aber sofort den Grundsatz, dass jeder sein eigenes Charisma hat – das Charisma der Ehe oder das Charisma der Ehelosigkeit. Textkritische Anmerkungen. In V. 1 ergänzen A D F G Ψ Byz ar b vgcl sy co sachlich richtig μοι hinter ε γρα' ψατε; die Hinzufügung ist gegenüber der Auslassung (d46 אB C 33 81 1739 1881 2464 pc r vg) jedoch weniger gut bezeugt. In V. 2 lesen F G latt sy den Sing. τη` ν πορνει' αν. In V. 3 schwächt der Mehrheitstext τη` ν ο φειλη` ν α ποδιδο' τω („seine Pflicht erfüllen“, bezeugt von d אA B C D u.a.) mit der Wendung τη` ν ο φειλομε'νην ευ» νοιαν („die Zuneigung, die sie verdient“) ab. In V. 5 fügen א2 K L 88 614 Byz sy vor der Wendung τη^, προσευχη^, („dem Gebet“) die Wendung τη^ νηστει' α, και' („dem Fasten und“) ein. Der kürzere Text wird von den frühen und besten Handschriften bezeugt (d11vid.46 *אA B C D F G P Ψ 6 33 81 104 630 1175 1739 1881 2464 al latt co; Cl Epiph);19 es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Lesart des Mehrheitstexts einen Hinweis auf die richtige Interpretation enthält (s. unten). Mehrere Zeugen ersetzen das etwas farblose η τε („haben“) durch das Verb συνε' ρχεσθε (d46 P 614 pc) bzw. συνε'ρχησθε (Ψ Byz lat syh; Ambst), das „zusammenkommen“ bedeutet und als sekundäre Erklärung gelten muss (vielleicht im Anschluss an 11,20); η τε ist durch d11vid אA B CD F G 33 81 365 630 1175 1739 1881 2464 pc b r gut bezeugt.20 In V. 7 lesen die meisten Handschriften statt des abgrenzenden δε' (d46 *אA C D* F G 33vid 81 326 629 2464 pc it vgst; Cyp Ambst) ein begründendes γα' ρ (א2 B D2 Ψ 1739 1881 Byz vgcl sy); damit soll wohl die Zustimmung zur zeitlich begrenzten sexuellen Abstinenz mit der Ehelosigkeit des Apostels begründet werden, während Paulus jedoch offensichtlich seine „Erlaubnis“ relativieren will; 21 die Partikel δε' ist besser bezeugt.
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SÜ schließt sich dem Mehrheitstext an: „damit ihr euch dem Fasten und dem Gebet widmen könnt“. Metzger, Commentary, 488; Lindemann 160; vgl. Schrage II 69 Anm. 101, der die alternative Lesart für möglicherweise ursprünglich hält, wie Zuntz, Text, 50 es tut. Metzger, Commentary, 489; Schrage II 72 Anm. 116; Lindemann 161. Anders Garland 275; Baumert, Ehelosigkeit 58 Anm. 121.
354 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
III 1 Der Satz Wovon ihr aber geschrieben habt (περι` δε` ω ν ε γρα' ψατε) ist der erste Hinweis in 1Kor, dass der erste Brief des Apostels an die korinthische Gemeinde nicht nur eine mündliche (1,11), sondern auch eine schriftliche Vorgeschichte hat.22 Diese Bemerkung zeigt, dass man die folgenden Ausführungen nicht als systematische und umfassende Lehre über die christliche Ehe verstehen sollte. Paulus antwortet auf konkrete Anfragen und reagiert auf spezifische Positionen der korinthischen Christen, die ihn einerseits zu grundsätzlichen Aussagen veranlassen, andererseits aber erklären, weshalb manche Themen nicht zur Sprache kommen (wie z.B. Partnerwahl, Sinn und Ziel der Ehe, Aufgaben der Ehepartner, der Eltern und der Kinder). Der Satz „es ist gut für einen Menschen, seine Frau nicht zu berühren“ steht in Anführungszeichen, um ihn als Zitat eines korinthischen Mottos kenntlich zu machen (s. die Einleitung zu 7,1-40). Mit „Mensch“ (α»νθρωπος) ist der (Ehe-) Mann gemeint, mit „Frau“ (γυνη' , ohne Artikel oder Pronomen) die (Ehe-) Frau. Die Formulierung „es ist gut . . . nicht“ (καλο` ν . . . μη' ) signalisiert ein Werturteil,23 das möglicherweise im Sinn eines Superlativs zu verstehen ist („es ist am besten“). 24 Das Wort „berühren“ (α«πτεσθαι) steht euphemistisch für die sexuelle Berührung, d.h. den Geschlechtsverkehr. 25 Im Kontext ist der eheliche Sexualverkehr gemeint; vor- und außerehelicher Geschlechtsverkehr ist von vornherein ausgeschlossen und würde von Paulus nachdrücklicher zurückgewiesen. Folgende Beobachtungen zeigen, dass Paulus in V. 1b ein korinthisches Motto zitiert.26 1. Wenn V. 1b eine These des Apostels wäre, bliebe der Hinweis auf die schriftliche Mitteilung der Korinther in V. 1a ohne inhaltliche Füllung. 2. Wenn V. 1b eine These des Apostels wäre, ergäben die Aussagen in V. 2-3 keinen Sinn, weil sie die „Norm“ von V. 1b aufheben. 3. In V. 1b ist von α»νθρωπος/γυνη' die Rede, in V. 2-39 von α νη' ρ/γυνη' .27 4. Das vom AT ————————————————————
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Zu περι` δε' vgl. Mitchell, Concerning, 229-256, die argumentiert, dass diese Wendung nicht unbedingt auf einen korinthischen Brief verweist, sondern lediglich den Einsatz eines neues Themas markieren kann. Lindemann 157, mit Verweis auf Röm 14,21; Gal 4,18; Mk 7,27; 9,42.43.45.47. Schrage II 59, mit Verweis auf Radermacher, Grammatik, 225. Vgl. Gen 20,4.6 LXX; Rut 2,9 LXX; Prov 6,29 LXX; Josephus, Ant. 1,163; TestRub 3,15; Plato, Leg. 8,840a; Aristot. Pol. 7,14,12; Plutarch, Alex. 21,9; Marcus Aurelius, Ant. 1,17,6. In den Papyri kommt α«πτομαι nicht in einem direkt vergleichbaren Kontext vor; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 254. Zur Diskussion vgl. Fee, 1 Corinthians 7:1–7 Revisited, 204-206. Schrage II 53-54; Lindemann 157; Thiselton 498-499; Garland 248-251. α νη' ρ/γυνη' wird in V. 2.3.4.10.11.13.14.16.34.39 verwendet; die Vokabel α»νθρωπος kommt in V. 7.23.25 vor, aber nicht als Komplentärbegriff zu γυνη' .
Sexualität in der Ehe 7,1-7 355 ————————————————————————————————————
her zu verstehende Eheverständnis des Apostels erlaubt es nicht, V. 1b als grundlegendes Motto zu verstehen. Gen 2,18 formuliert grundsätzlich: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“. 5. Das Motto in V. 1b ist ausschließlich von der Perspektive der Mannes aus formuliert; in V. 2-34 formuliert Paulus seine Aussagen und Instruktionen stets sowohl für den Mann als auch für die Frau.28 6. Paulus betont in V. 7-8.32-35.40, dass Christen in dem gesellschaftlichen status quo bleiben sollen, in dem sie Christen geworden waren, d.h. Ledige sollen ledig bleiben und Verheiratete sollen verheiratet bleiben. An keiner Stelle wird sexuelle Abstinenz als grundsätzlich lobenswert oder gut bezeichnet. Paulus lehnt nur πορνει' α ausdrücklich ab (V. 2), nicht jedoch die Ehe, die er in V. 14-15.38 als „heiligende“ und gute Institution bezeichnet. 7. In Kol 2,20-21 und 1Tim 4,3 lehnt Paulus die Askese grundsätzlich ab. Der Einwand kritischer Neutestamentler, dass Kol und 1Tim nicht von Paulus geschrieben wurden, ist an dieser Stelle kein Gegenargument: Es ist kaum denkbar, dass Vertreter der „Paulusschule“, die manche für diese Briefe verantwortlich machen wollen, den Apostel Paulus in dieser Frage korrigiert hätten, zumal die Entwicklung der frühen Kirche in der Frage der Askese in eine andere Richtung ging. 29 Manche neueren deutschen Übersetzungen machen V. 1b als Zitat kenntlich. 30 Der Hintergrund des korinthischen Mottos wird von Auslegern kontrovers diskutiert, ein Konsens ist nicht in Sicht. Die folgenden Vorschläge findet man in der exegetischen Literatur.31 1. Die Position der korinthischen Christen ist eine Überreaktion gegen die sexuelle Zügellosigkeit ihrer Zeitgenossen (F. Godet). 2. Das korinthische Motto entspringt einem gnostischen Dualismus, dessen Leibfeindlichkeit in Korinth zur Ablehnung des ehelichen Sexualverkehrs und der Ehe generell geführt hat, als Gegenposition gegen den Libertinismus (H. Conzelmann, W. Schrage). 3. Die korinthische Position hängt mit der jüdischen Weisheitsspekulation zusammen, deren Dualismus von Leib und Seele einige Korinther zur Aufgabe ehelicher sexueller Beziehungen führte (R. Horsley). 4. Der Antrieb, auf sexuelle Beziehungen in der Ehe zu verzichten, kam von dem Bestreben, im Anschluss an die Askese Moses (Philo, Mos. 2,66-70) den Status „heiliger Männer“ zu erreichen (D. Balch). 5. Im Isis-Kult und in anderen ägyptischen Kulten, die auch in Korinth zu Hause waren, wurde die Forderung des sakralen Zölibats erho————————————————————
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Acht Mal in V. 2.3.4.10-11.12-13.16.28.32-34. Vgl. Garland 250. Fee 276 Anm. 40; Garland 251. EÜ setzt Anführungszeichen, ebenso NRSV, TNIV; NGÜ: „Ihr sagt: ‚Es ist das Beste, wenn ein Mann überhaupt keinen Geschlechtsverkehr mit einer Frau hat‘“; ähnlich GN; MNT: „Über das aber, was ihr schreibt, recht (sei es) für einen Menschen, eine Frau nicht zu berühren“; vgl. SÜ Anmerkung. LÜ spiegelt die ältere Auslegung wider: „Wovon ihr aber geschrieben habt, darauf antworte ich: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren“; ähnlich Menge, Hfa. Für den folgenden Überblick vgl. Garland 263-266.
356 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— ben (R. Oster). 6. Griechische und römische Ärzte wie Soranus und Galen lehrten, dass der Sexualverkehr den Geist des Menschen mindert und der Samenerguss sowohl den Mann als auch die Frau schwäche. Möglicherweise waren die korinthischen Asketen davon beeinflusst (C. Osiek/D. Balch). 7. Das ehefeindliche Motto der Korinther geht auf die Position der Kyniker zurück, die auf Ehe und sexuelle Beziehungen verzichteten, um sich ganz der Philosophie widmen zu können. Paulus antwortet auf diese Einstellung mit atl. und christlichen Argumenten gegen Hurerei sowie mit Argumenten, die der Position der Stoiker entsprechen, die die Ehe als gesellschaftliche Institution zur Zeugung von Kindern betrachteten, von den Eheleuten die Erfüllung ihrer ehelichen Pflichten forderten, aber zeitlich befristete sexuelle Abstinenz gut hießen (W. Deming). 8. Die der Ehe gegenüber skeptisch eingestellten korinthischen Christen vertraten eine „über-realisierte Eschatologie“, d.h. sie glaubten, dass sie als Gläubige, die den Heiligen Geist besitzen und in den Sprachen der Engel reden, bereits jetzt in der Wirklichkeit der Auferstehung leben, in der man nicht mehr heiratet (vgl. Mk 12,24-25; Lk 20,34-36; 17,26-27). Sie wollten nicht nur in der Sprache der Engel reden, sondern wie die Engel leben (G. Fee, A. Thiselton, H. Merklein). 9. Einige der vom Geist Gottes erfassten Frauen waren froh, nicht mehr heiraten und eine unbegrenzte Anzahl von Kindern zeugen zu müssen; sie verstanden sich als Prophetinnen und vertraten eine religiöse Rechtfertigung ihres Anliegens, keinen Sexualverkehr mehr ausüben zu müssen (A. Wire). 10. Infolge einer starken Betonung der Gegenwart des Heiligen Geistes betrachteten manche Frauen in der Gemeinde aufgrund der Überzeugung, dass der Leib dem Herrn gehört, den Geschlechtsverkehr als Sünde. Sie glaubten, dass der Anbruch der neuen Schöpfung sowohl Ehe als auch Sexualverkehr ausschließt. Gleichzeitig ist der Einfluss einer „über-realisierten“ Eschatologie sowie des Mottos (Gal 3,28), dass es in Jesus Christus nicht mehr Mann und Frau gibt, anzunehmen (J. Gundry Volf). 11. Eine asketische Einstellung des Apostels Paulus, die manche Ausleger in der Bevorzugung der Ehelosigkeit sehen (s. jedoch unten zu V. 8), werden mit asketischen Einstellungen des zeitgenössischen Judentums erklärt, die es nicht nur in Qumran gab, sondern auch unter den Therapeutae in Alexandrien (B. Rosner). Pseudepigraphische Texte lassen ebenfalls asketische Tendenzen erkennen, und einige rabbinische Texte haben Regelungen für Unverheiratete.32 12. Als Paulus in Korinth wirkte, suchte eine Hungersnot den Mittelmeerraum heim. Paulus spielt mit der Wendung „gegenwärtige Notlage“ (V. 26) auf diese Hungersnot an. Die Folgen dieser Hungersnot veranlassten die Korinther, in Erwägung zu ziehen, ob es sich hier um die messianischen Wehen handelt, die dem Ende unmittelbar vorausgehen sollten (vgl. Mk 13,8; Mt 24,7-8). In diesem Zusammenhang wandten sie sich mit einer zweifachen Frage an Paulus: Ist es richtig, auf ehelichen Geschlechtsverkehr zu verzichten, um in dieser schwierigen Zeit keine Kinder zu erzeugen; und: Sollen verlobte Paare in dieser Situation heiraten oder sollen sie ledig bleiben (B. Winter). Einige dieser Vorschläge sind nicht sehr plausibel. Einen gnostischen Libertinismus und eine von der Gnosis inspirierte dualistische Leibfeindlichkeit kann man als Hintergrund des 1Kor nicht überzeugend belegen. Die These einer „über-realisierten“ Eschatologie lässt sich genauso wenig aus dem Text belegen wie die These von theo————————————————————
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Rosner, Paul, 153-158; vgl. 2Esdras 16,44; Weish 3,13; Sib. 2,48; TestIss 2; mQid 4,1314; 5,10; bQid 82a.
Sexualität in der Ehe 7,1-7 357 ———————————————————————————————————— logisch problematischen Folgerungen, die korinthische Christen aus dem Besitz des Heiligen Geistes gezogen haben. In den Ausführungen über das Wirken des Geistes in Kap. 12–14 korrigiert Paulus keine falschen theologischen Positionen, sondern eine problematische Praxis. Allerdings kann man nicht ganz ausschließen, dass einzelne korinthische Christen zugleich auch problematische theologische Positionen vertraten. Eher plausibel ist die Annahme von kynischen und stoischen Einflüssen auf das Denken korinthischer Christen, die Annahme von Einflüssen der jüdischen Askese und die Annahme eschatologischer Spekulationen im Blick auf das nahe Weltende, ausgelöst durch eine aktuelle Hungersnot.33
2 Paulus reagiert auf die korinthische Anfrage kritisch (δε'). Er verweist auf die Möglichkeit der sexuellen Zügellosigkeiten (δια` δε` τη^ ς πορνει' ας)34 als Argument für die Ehe, wo Männer mit ihren Ehefrauen und Frauen mit ihren Ehemännern sexuell verkehren sollen. Paulus formuliert sowohl für Männer als auch für Frauen: Jeder soll seine eigene Frau haben, und jede Frau soll ihren eigenen Mann haben. Das Verb ε»χω („haben“) bedeutet hier kon-kret „Geschlechtsverkehr haben“. Die Formulierungen α»νδρα ε»χω und γυναι^κα ε»χω können aber auch „heiraten“ bedeuten. 35 Die Possessivpronomen ε αυτου^ („seine eigene Frau“) und »ιδιον („ihren eigenen Mann“)36 beschränken den Sexualverkehr auf den Ehepartner. Das imperativische, zwei Mal wiederholte ε χε'τω formuliert einen Rat und einen Befehl: Paulus empfiehlt den Unverheirateten, zu heiraten, wenn sie sich nicht enthalten können (V. 9); den Verheirateten befiehlt er, nur mit dem Ehepartner Geschlechtsverkehr zu haben. Das Pronomen ε«καστος (jeder) bezieht die Aussage auf alle korinthischen Christen, die Verheirateten und die Verlobten (von denen in V. 8-9.25-40 die Rede sein wird), und deutet zugleich darauf hin, dass für Paulus die Ehe im allgemeinen der Normalfall ist, und nicht die Ehelosigkeit.37 Das „Haben“ des Ehepartners bewahrt Mann und Frau vor sexueller Verirrung und Zügellosigkeit – eine Sicht, die uns auch im Judentum begegnet. In TestLev 9,9 wird die Warnung vor sexueller Sünde mit der Mahnung, zu heiraten verbunden: „Hüte dich vor dem Geist der Unzucht (πνευ^ μα τη^ ς πορνει'ας) . . . Nimm dir eine Frau, wenn du noch jung bist“. Ähnlich heißt es in dem späteren rabbinischen ————————————————————
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Von einer Kombination von Faktoren gehen auch Hays 114-115 und Garland 266 aus. Der Plural πορνει'αι kommt nur hier und in Mt 15,19 / Mk 7,21 vor. V. 12-13; Gal 4,27; Mk 6,17-18; 12,23; 1Esra 9,12. In den Papyri ist nur die Wendung γυναι^κα ε»χω bezeugt, vgl. zu 5,1; siehe R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 254-255. Vgl. Schrage II 62; Lindemann 158; Fee, 1 Corinthians 7:1–7 Revisited, 209-211. Ein Bedeutungsunterschied von εαυτου^ und »ιδιον liegt hier nicht vor; vgl. Fee 278 Anm. 278; Lindemann 158; Schrage II 63 Anm. 71. Anders Heinrici 214; Lightfoot 221; Bachmann 214; Grosheide 155, die aus τη` ν εαυτου^ die dominante Stellung des Ehemannes herauslesen wollen. Diese Interpretation widerspricht der Aussage V. 3-4. Schrage II 63, vgl. ebd. 61 für die folgende Bemerkung.
358 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Text bQid 29b Bar: „Rab Huma hat gesagt: Wenn jemand zwanzig Jahre alt ist und keine Frau genommen hat, so sind alle seine Tage voll von (Unzuchts-) Sünden . . . Rabbi Chisda hat gesagt: Dass ich vorzüglicher bin (mehr leiste) als meine Genossen, kommt daher, weil ich mit 16 geheiratet habe; und wenn ich mit 14 geheiratet hätte, dann hätte ich (bei Versuchungen zur Unkeuschheit) dem Satan sagen können: Ein Pfeil in deine Augen (d.h. du kannst mir nichts anhaben)“.
Die Tatsache, dass Paulus sich im Zusammenhang mit der Warnung vor sexueller Zügellosigkeit für die Ehe ausspricht, bedeutet nicht, dass er die Ehe und den ehelichen Geschlechtsverkehr nur als „Präservativ“ gegen die Unzucht betrachtet.38 Eine systematische Behandlung der Ehe aus alttestamentlich-biblischer Sicht würde mit der Schöpfungsordnung von Gen 1–2 argumentieren und zeitgenössische Begründungen mit der Fortpflanzung des Menschen aufnehmen. Aber Paulus schreibt in Kap. 7 keine grundsätzliche Einleitung zum rechten Verständnis der Ehe, sondern er behandelt konkrete korinthische Fragen. 3 Paulus erklärt, was mit dem „Haben“ des vorausgehenden Satzes gemeint ist: Der Mann soll seiner Frau gegenüber seine Pflicht erfüllen, d.h. er soll seine ehelichen Pflichten erfüllen. Das Subst. ο φειλη' ist hier Euphemismus für den ehelichen Geschlechtsverkehr, der als „Pflicht“ beschrieben wird. Zu den ehelichen Pflichten gehört ganz sicher auch die Zuneigung (der Mehrheitstext formuliert im Sinn der geschuldeten ευ» νοια, s. oben). Aber Paulus beschreibt in V. 3-5 die eheliche Gemeinschaft nicht umfassend, sondern er betont, dass eheliche Gemeinschaft den Intimverkehr einschließt. Der Imperativ (α ποδιδο' τω) bringt die Selbstverständlichkeit dieser Aussage zum Ausdruck; die Formulierung im Präsens unterstreicht, dass der eheliche Sexualverkehr eine dauerhafte Pflicht ist. Wenn Paulus schreibt, dass der Mann Pflichten gegenüber seiner Frau hat, wird deutlich, dass die Frau nicht einfach Sexualobjekt des Mannes ist, sondern ein „Mensch mit eigenen sexuellen Bedürfnissen“.39 Analog (ο μοι' ως) gilt die Weisung auch für die Frau: Genauso (soll) die Frau gegenüber ihrem Mann (ihre Pflicht erfüllen). Dass Ehefrauen Pflichten haben, ist in der griechisch-römischen Gesellschaft selbstverständlich. Wenn Paulus von Pflichten des Mannes gegenüber seiner Frau spricht, d.h. vom Verfügungsrecht der Frau gegenüber ihrem Mann, dann klang das ————————————————————
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So jedoch Schmiedel 134; ähnlich Lietzmann 29; E. Stauffer, ThWNT I, 650; Bultmann, Theologie, 203; Delling, Frau, 67.70. Zur Kritik vgl. Schrage II 60-61, der auf die Tatsache verweist, dass Paulus in Kap. 7 keine vollständige Eheauffassung vorträgt und dass man die positiven Aussagen in 7,3-4.7; 9,5 und in 1Thess 4,4 nicht ignorieren darf. Lindemann 159; vgl. Garland 259.
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überraschend. Zumindest was die Sexualität betrifft, sind Frau und Mann gleichberechtigt. Die Rede von einer „Pflicht“ ist oft als anstössig empfunden werden. Sie wird jedoch auf dem Hintergrund von V. 5 verständlich, wo Paulus verheiratete korinthische Christen, die dauerhaft auf Geschlechtsverkehr verzichten wollen, ermahnt, sich nicht einander zu entziehen. Die Pflicht ehelicher Beziehungen ist sicherlich nicht juristisch begründet,40 sondern – für den rabbinisch geschulten Paulus selbstverständlich – theologisch konzipiert:41 Paulus denkt wahrscheinlich an Gen 2,24: „Deshalb verlässt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele“ (GN). Dass Paulus in diesem Zusammenhang nicht von der Zeugung von Kindern spricht, hängt sicherlich damit zusammen, dass er keine allgemeine Lehre von der Ehe entwirft, sondern zu korinthischen Fragen Stellung nimmt. Im Zusammenhang zeitgenössischer Äußerungen – Philo spottet über Ehepaare, die „zum Vergnügen“ sexuell miteinander verkehren, dass sie sich wie „Schweine und Ziegen“ verhalten, anstatt Kinder zu zeugen (Spec.Leg. 3,36.113) – ist vielleicht aber doch der Schluss berechtigt, dass Paulus den ehelichen Intimverkehr als solchen, ohne weitere Begründung, gut heißt und von Ehepaaren fordert.42 4 Nachdem Paulus den ehelichen Geschlechtsverkehr als selbstverständlich und als eheliche Pflicht beschrieben hatte, weil sonst die Versuchung zu sexueller Unzucht zu groß werden kann, nennt er in V. 4 einen zweiten Grund, weshalb verheiratete Christen nicht auf sexuelle Beziehungen zueinander verzichten sollen: Die Frau verfügt nicht über ihren eigenen Leib, sondern der Mann. Paulus begründet die eheliche sexuelle Gemeinschaft mit dem Charakter der Ehe. Das Verb ε ξουσια' ζω (mit Gen.) bedeutet „das Recht oder die Macht zu etwas oder über jemanden haben“ und bezeichnet hier das Ver————————————————————
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Anders Deming, Marriage, 114-115, der auf die Papyri (P. Oxy. II 286; datiert in das Jahr 82 n.Chr.) und auf Ehe- und Scheidungsverträge verweist. Die Tatsache, dass die Vokabeln α ποδι'δωμι und ο φειλη' in juristischen Zusammenhängen vorkommen, beweist noch nicht, dass Paulus in V. 3 in juristischen Kategorien denkt. In den Papyri bezieht sich das Wortfeld um ο φει'λω auf finanzielle und wirtschaftliche Schulden; für den Bezug auf sexuelle Verpflichtungen wurden in den Papyri bislang keine Parallelen gefungen; Kritzer, in Arzt-Grabner 255-256. Kritisch auch Schrage II 67 mit Anm. 91. Merklein II 108; vgl. F. Hauck, ThWNT V, 564; Schrage II 64 mit Anm. 76. Garland 258 erinnert an Ex 21,10 und an rabbinische Instruktionen, vgl. mKet 5,8-9; tQid 3,7; Mekilta de Rabbi Ishmael Nez 3 (zu Ex 21,10); Targum Onkelos zu Ex 21,11. Garland 259, der noch auf Josephus, Bell 2,160-161 und TestIss 2,3 verweist. Ähnlich Héring 51; Schlatter 215; kritisch Schrage II 65 Anm. 81. Zur Begründung der ehelichen Sexualität mit der Kinderzeugung siehe auch Seneca, Helv. 13,3; Musonius 64; Philo, Spec.Leg. 1,112; 3,34; Josephus, Ap. 2,199.
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fügungsrecht über den „eigenen Leib“ (του^ ι δι' ου σω' ματος). Dass der Mann das Verfügungsrecht über den Körper seiner Ehefrau besitzt, war in der Antike Allgemeinplatz. Plutarch schreibt in seinem Werk „Ehevorschriften“: „Eine junge Spartanerin antwortete, als sich jemand danach erkundigte, ob sie sich ihrem Mann bereits genähert hätte: ‚Ich mich ihm nicht, aber er sich mir‘. Dieses Verhalten ist nach meinem Dafürhalten charakteristisch für die [wahre] Hausherrin, weder davor zurückzuweichen noch es zu mißbilligen, wenn der Mann die Initiative ergreift, andererseits nicht selbst die Initiative zu ergreifen. Denn letzteres ist nach Hetärenart und lüstern, ersteres hochmütig und lieblos“ (Plutarch, Mor. 140c-d).43
Paulus formuliert aber auch analog (ο μοι' ως) im Blick auf den Mann: Ebenso verfügt der Mann nicht über seinen eigenen Leib, sondern seine Frau. Für diesen Satz gibt es in der Antike kaum Parallelen.44 Was die Sexualität betrifft, sind Mann und Frau in der Ehe völlig gleichberechtigt. Die „Neubewertung der Frau“, von der man hier reden kann, unterscheidet sich deutlich von der in der Antike verbreiteten Diskriminierung und Deklassierung der Frau.45 Paulus formuliert beide Sätze als Verneinungen, mit der Frau und mit dem Mann als Subjekte. Er betont also nicht, welches Recht der Mann bzw. die Frau hat, sondern welches Verfügungsrecht jeder nicht hat. Der Satz „mein Körper gehört mir“ gilt für Paulus gerade nicht. Christen leben nicht nach dem Prinzip der Selbstbestimmung und Selbstbefriedigung. Das ist der Unterschied zur Unzucht, die nur an der Befriedigung der eigenen Wünsche interessiert ist: Christliche Eheleute suchen die „Befriedigung“ des anderen, weil die Liebe Gottes sie gelehrt hat, auf ihre Rechte (ε ξουσι' α) zur verzichten (13,5).46 5 Der imperativisch formulierte Satz entzieht euch einander nicht (μη` α ποστερει^τε α λλη' λους) wendet das zuvor Gesagte auf die Frage der Korinther an, ob es vorzuziehen sei, sexuelle Abstinenz zu üben. Es lässt sich nicht entscheiden, ob manche korinthischen Christen von der Frage bereits zur ————————————————————
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Zitiert nach NW II/1, 284; vgl. Euripides, Med. 230-237; Aristophanes, Plut. 3-7. Verwiesen wird oft auf den Stoiker Musonius, der schreibt, dass Eheleute allen Besitz gemeinsam haben und keiner der beiden etwas für sich allen reklamiert, „nicht einmal den Leib“ (Musonius 67-68). Ähnliche Aussagen finden sich bei Antipater (Stobaeus IV, 508,14-18) und Hierokles 54,19-22 (Stobaeus IV, 505,14-16). Vgl. Deming, Marriage, 117-119, der die Position von Paulus als „stoisch“ bezeichnet. Lindemann 159 weist darauf hin, dass bei Musonius der Gedanke der Gleichheit der Eheleute eine eher untergeordnete Rolle spielt, verglichen mit der Betonung des Zusammenlebens und der wechselseitigen Fürsorge. Schrage II 65; vgl. Fee 280; Lindemann 159. Merklein II 108 sieht in V. 4 nur „negative[n] Feststellungen“. Schrage II 64-65; Garland 260.
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Praxis fortgeschritten waren und sich dem ehelichen Geschlechtsverkehr verweigerten.47 Paulus fordert (wieder im Blick auf den Mann und die Frau) die verheirateten Christen auf, sich einander „nicht zu entziehen“, d.h. sich dem anderen nicht sexuell zu verweigern. 48 Paulus formuliert mit ει μη' τι α»ν (es sei denn) eine zweifache Bedingung für eine mögliche sexuelle Abstinenz von Eheleuten. Diese ist also nicht selbstverständlich und schon gar nicht das Normale, sondern eine „nur unter bestimmten Umständen möglicherweise vorkommende Ausnahme . . . der keinerlei Notwendigkeit zukommt“. 49 Erstens, die sexuelle Enthaltsamkeit ist nur nach gemeinsamer Übereinkunft (ε κ συμφω' νου) möglich, d.h. wenn sich die Eheleute einvernehmlich verständigt haben und beide dies wollen (die Vulgata übersetzt mit ex consensu).50 Im Zusammenhang von V. 4 und von 13,4-7 stellt sich Paulus offensichtlich vor, dass sich die Eheleute im Gespräch über eine mögliche sexuelle Abstinenz von der Liebe leiten lassen. Zweitens, der sexuelle „Entzug“ soll nur für eine bestimmte Zeit (προ` ς καιρο' ν) anberaumt werden, und auch nur dann, um sich während dieser Zeit dem Gebet zu widmen (ι«να σχολα' σητε τη^, προσευχη^, ). Paulus spricht auch hier beide Ehepartner an, d.h. auch die Entscheidung, intensiver51 zu beten und dafür auf den Geschlechtsverkehr zu verzichten, rechtfertigt keinen einseitigen Rückzug des Mannes oder der Frau. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie sich zum intensiveren gemeinsamen Gebet entscheiden. Der Verzicht auf den Intimverkehr deutet eher darauf hin, dass die Eheleute die Gebets————————————————————
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So die Annahme von Lietzmann 29-30; Fee 282 und anderen. In 6,7-8 bedeutete das Verb α ποστερε' ω „berauben“, hier bedeutet es „sich entziehen“; vgl. Bauer /Aland 199 s.v. α ποστερε' ω; LSJ 219 s.v. α ποστερε' ω 2 („withdraw oneself from a person or thing“), mit Verweis auf Sophokles, Oed.Tyr. 1381; Antipho 5,78; Thukydides 1,40; 7,6; Crobylus 3; Plutarch, Aem. 26. Schrage II 67; BDR §376 Anm. 3: „hypothetische Modifizierung“. Die Wendung ε κ συμφω' νου kommt in den dokumentarischen Papyri bei rechtlichen und geschäftlichen Vereinbarungen vor und hat die technische Bedeutung „in gegenseitiger Übereinstimmung, nach Übereinkunft“; vgl. P.Mich. IX 554,12; V 285-286,1-5; vgl. A. Papathomas, in Arzt-Grabner 257. O. Betz, ThWNT IX, 298 verweist auf P.Mil.Vogl. I 22; PSI XIII 1341,18; P.Lond. II 334,188-19; P.Oxy. IV 914,9; VIII 1103,6. Zu beachten ist, dass es in V. 5 nicht um eine geschäftliche Abmachung geht, sondern um Eheleute, die im Alltag aufeinander angewiesen sind; vgl. H. Balz, Art. συ' μφωνος, EWNT III, 696; Schrage II 67. Das Verb σχολα' ζω bedeutet hier nicht „Muße haben“ (Deming, Marriage, 120-121; kritisch Winter, Corinth, 231), sondern „Zeit für etwas haben“ (in den Papyri vgl. BGU II 424,13-14; P.Iand. VI 104,5-6; P.Yale I 34,6-7; SB XIV 12034,10), und konkret „sich hingeben an, sich beschäftigen mit“; vgl. Bauer /Aland 1591 s.v. σχολα' ζω 1; LSJ 1747 s.v. σχολα' ζω III.2-3; vgl. P.Brem 16,7-8; P. Brem. 63,25-26; vgl. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 258: σχολα' ζω ist eine Voraussetzung für Tätigkeiten, „die Ernsthaftigkeit und Engagement vom Ausübenden erfordern“.
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zeiten nicht zusammen verbringen. 52 Hinweise auf atl., jüdische und außerbiblische Belege, nach denen Geschlechtsverkehr kultisch verunreinigt und deshalb vor bestimmten religiösen Handlungen wie Opfer oder Gebet zu unterlassen ist,53 spielen hier keine Rolle. Paulus sagt nicht, dass der Geschlechtsverkehr das Beten unmöglich macht oder erschwert. Sexuelle Abstinenz ist eine zeitweilige (nicht periodische) Möglichkeit, aber keine Notwendigkeit.54 Oft wird für die Praxis bestimmter jüdischer Kreise verwiesen, zu bestimmten Gebetszeiten auf den Sexualverkehr zu verzichten: „Denn es gibt eine Zeit für das Zusammenkommen mit seiner Frau und eine Zeit der Enthaltsamkeit für sein Gebet“ (TestNaph 8,8); diese Instruktion wird als „Gebot des Gesetzes“ bezeichnet. Trotz sprachlicher Berührungspunkte 55 gilt, dass Paulus die sexuelle Enthaltsamkeit gerade nicht fordert, sondern im Gegenteil lediglich als eine zeitlich begrenzte Möglichkeit ins Auge fasst. Über die Länge des Zeitraums sagt Paulus nichts; man muss sicherlich mindestens an einige Tage denken. Die Ausnahme vom regelmäßigen ehelichen Intimverkehr, die Paulus zugesteht und auf das Beten beschränkt, setzt offensichtlich voraus, dass korinthische Christen bereit waren, die normalen ehelichen Beziehungen auszusetzen, um zu beten. Der Vorschlag von W. Deming, den Wunsch der korinthischen Christen nach sexueller Abstinenz mit apokalyptischen Vorstellungen vom nahen Ende zu verbinden, 56 ist im Zusammenhang zweier Faktoren plausibel: 1. Der zitierte Text TestNaph 8,8 könnte eine breitere jüdische Tradition der sexuellen Enthaltsamkeit für das Gebet voraussetzen; 2. die urchristliche Tradition verknüpfte die Erwartung der baldigen Wiederkunft Jesu mit intensivem Wachen und Beten (Lk 21,34-36; Mt 25,13 / Mk 13,33; Phil 4,5-6; 1Petr 4,7). Die Erwartung der baldigen Wiederkunft Jesu hat offensichtlich bei korinthischen Christen den Wunsch ausgelöst, sexuell enthaltsam zu leben, um in den „letzten Tagen“ wachen und beten zu können. In V. 25-35 begründet Paulus seine Bevorzugung der Ehelosigkeit mit dem Hinweis auf die „gegenwärtige Notlage“ (V. 26) und auf das Vergehen der ————————————————————
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Merklein II 109. Vgl. Ex 19,15; 1Sam 21,5; zu Sexualverkehr und ritueller Unreinheit vgl. Lev 15,18; mYom 8,1 verbietet den Geschlechtsverkehr am Versöhnungstag, Jub 50,8 am Sabbat. Nach mBer 2,5–3,6 rezitieren frisch Verheiratete in der Hochzeitsnacht das Shema nicht (dazu Instone Brewer, Traditions I, 48-49). Vgl. auch Livius 39,9,3-4; Ovid, Fast. 4,657; Amor. 3,10,1-4.15-16.43-48; Metam. 10,431-443; Juvenal 6,535-536; Plutarch, Quaest. Conv. 3,655D; siehe NW II/1, 285-288 für weitere Belege. Anders Delling, Frau, 73: „Verkehr mit dem Ehegatten macht unfähig zum Verkehr mit Gott“; zur Kritik vgl. Schrage II 68 mit Anm. 98. Vgl. Deming, Marriage, 121-123, mit Verweis auf Becker, Untersuchungen, 214-218.228, der TestNaph 2, 3 und 8 mit dem Stil von Synagogenpredigten vergleicht. Vgl. Deming, Marriage, 122-123.
Sexualität in der Ehe 7,1-7 363 ————————————————————————————————————
„Gestalt dieser Welt“ (V. 31). B. Winter verknüpft den Wunsch korinthischer Christen nach sexueller Enthaltsamkeit mit urchristlichen Endzeitvorstellungen, die durch eine Hungersnot in Griechenland verstärkt worden sein könnten, die zwischen dem Frühjahr des Jahres 51 und dem Herbst 52 (oder Frühjahr 55) anzusetzen ist.57 Paulus wirkte vom Frühjahr 50 bis Herbst 51 in Korinth, und schrieb den Ersten Korintherbrief im Jahr 54. In der Endzeitrede Jesu ist in Mt 24,7 / Mk 13,8 / Lk 21,11 von Hungersnöten als „Anfang der Wehen“ (der Ankunft des Messias) die Rede. Johannes spricht in Offb 6,6.8; 18,8 von Nahrungsmittelknappheit und Hungersnöten, die sich in der Zeit vor dem Ende ereignen werden. Der christliche Prophet Agabus hatte um das Jahr 41 n.Chr. eine weltweite Hungersnot vorausgesagt (Apg 11,28). Für die Jahre 45-47 sind Nahrungsmittelkrisen für Ägypten, Syrien, Judäa und Griechenland bezeugt.58 Die Stadt Korinth versuchte, der Getreideknappheit der Jahre 51-55 durch die dreimalige Ernennung von Tiberius Claudius Dinippus als curator annonae (Kurator der Getreideverteilung) Herr zu werden.59 Tacitus beschreibt das Jahr 51 n.Chr. als ominöses Jahr, in dem es Erdbeben gab und eine Getreideknappheit zu einer Hungersnot führte, was von manchen als übernatürliches Zeichen und als Warnung gedeutet wurde (Tacitus, Ann. 12,43).60
Angesichts der Getreidemittelknappheit, die wahrscheinlich für nicht wenige Menschen auch in Korinth mit einer richtigen Hungersnot verbunden war, ist es durchaus möglich, dass korinthische Christen im Zusammenhang einer intensivierten Naherwartung auf eine bald bevorstehende Wiederkunft Jesu geschlossen haben und die Warnung von Mt 24,19 / Mk 13,17 / Lk 21,23 beherzigen wollten, nicht schwanger zu sein und kein Kind zu stillen. Die Konsequenz wäre der Wunsch nach sexueller Enthaltsamkeit gewesen. Diese Rekonstruktion kann nicht als historisch zutreffend bewiesen werden, sie ist jedoch im Kontext von der Aussagen von V. 25-35 plausibler als die Annahme, der Wunsch nach sexueller Abstinenz sei philosophisch zu erklären. Nach der Zeit der gemeinsam beschlossenen und zeitlich befristeten sexuellen Enthaltsamkeit sollen61 die Eheleute darauf achten, wieder zusammen zu sein (πα' λιν ε πι` το` αυ το` η τε). Damit ist nicht das Gebet gemeint,62 auch ————————————————————
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Vgl. Winter, Famines, 86-106; ders., Corinth, 216-231; vgl. Rosner, Paul, 162-163. Garnsey, Famine, 21; Winter, Food Shortages, 68. Mehrere in Korinth gefundene Inschriften sprechen von diesem Vorgang, vgl. Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 158-163. Im 1. und 2. Jh. n.Chr. ist kein anderer Fall belegt, in dem dieselbe Person das Amt des curator annonae drei Mal innehatte. Von Getreideknappheit im Jahr 51 sprechen auch Sueton, Claud. 18; Orosius, Hist. 7,6,17; Eusebius, Chron. 2,151. Winter, Food Shortages, 64. Das vor πα' λιν ε πι` το` αυ το` η τε zu ergänzende «ινα kann imperativisch (Barrett 157) oder als Hinweis auf den Inhalt der Vereinbarung (Weiss 174) verstanden werden. Bachmann 258.
364 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
nicht nur die normale eheliche Lebensgemeinschaft, 63 sondern die sexuelle Gemeinschaft.64 In einem zweiten «ινα-Satz begründet Paulus, weshalb Eheleute nicht zu lange sexuell enthaltsam leben sollen: damit euch der Satan nicht wegen eures ungezügelten Verlangens in Versuchung führt. In 1Thess 3,5 beschreibt Paulus den Satan als „der Verführer“ (ο πειρα' ζων).65 Paulus warnt, wie W. Schrage es ausdrückt, „vor allen asketischen Verstiegenheiten und Bravourstücken. Wer dem Satan infolge der Überschätzung seiner eigenen Kraft durch allzu asketische Lebensweise zu entlaufen meint, läuft ihm nur um so sicherer ins offene Messer und erliegt ihm“.66 Der Satan will Christen „in Versuchung führen“ (πειρα' ζη, ) und in der Versuchung zum Sündigen verleiten. Im Kontext von V. 1-5 bedeutet dies: Der Satan will den Mann (eher noch als die Frau) in außereheliche sexuelle Beziehungen verwickeln. Das μη' signalisiert keine „unerwartete“ Möglichkeit;67 Paulus ist Realist genug, um zu wissen, dass Versuchung immer eine Möglichkeit ist. Das mit ungezügeltes Verlangen übersetzte Wort α κρασι' α beschreibt nicht nur die sexuelle Leidenschaft, sondern ungezügeltes Verhalten allgemein. Philo verbindet mit dem Wort Trunksucht, Gefräßigkeit und Schlemmerei (Philo, Op. 158; in Decal. 169 spricht er von den vielfältigen Formen der α κρασι' α). Josephus verwendet die Vokabel zur Beschreibung der leidenschaftlichen sexuellen Lust Salomos und der heidnischen Götter (Josephus, Ant. 8,191; Ap. 2,244).68 Deshalb ist festzuhalten, dass Paulus nicht behauptet, der sexuelle Trieb sei als solcher schon „Zügellosigkeit“. 69 A. Schlatter kommentiert: „Paulus sagt nicht, daß das geschlechtliche Verlangen eine Wirkung des Satans sei; er sagt im Gegenteil, daß der Anspruch, dem natürlichen Trieb überlegen zu sein, unter die Gewalt des Satans bringe“. 70 6 Paulus kommentiert seine Weisung, sich für das intensivere Beten für eine zeitlich begrenzte Zeit des ehelichen Geschlechtsverkehrs zu enthalten, mit dem Satz dies sage ich aber als Erlaubnis, nicht als Befehl. Das Wort ————————————————————
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Merklein II 109. Schmiedel 126 schließt auf eine „vorherige Trennung nach Zimmern“, was im Blick auf den Kontext nicht notwendig und im Blick auf die Lebensverhältnisse der Mehrheit der armen Gemeindeglieder nicht sehr plausibel ist. Schrage II 69. Lindemann 160 spricht vom „Status der sexuellen Verbindung“. Zur Aktivität Satans in der Anfechtung von Christen vgl. 2Kor 2,11; 11,14; 12,7; 1Thess 2,18; Röm 16,20; siehe auch 1Kor 5,5; 10,20-21; 2Kor 4,4. Schrage II 69, mit Verweis auf Bengel 408, der kommentiert, dass sich der Satan bei den exercitia virtutis sublimioris den größten Anlass zu schaden verschafft. So Baumert, Ehelosigkeit, 36. Vgl. Philo, Abr. 94; Jos. 56; Spec.Leg. 3,34; Virt. 36. Schrage 70. Die Erklärung von α κρασι'αν bei Baumert, Ehelosigkeit, 33-36 ist sprachlich nicht überzeugend. Schrage II 69-70, gegen W. Grundmann, ThWNT II, 340; Lietzmann 29; Conzelmann 149 Anm. 28 und andere. Schlatter 217, mit Hinweis auf Mt 4,1; 6,13; Lk 22,31.
Sexualität in der Ehe 7,1-7 365 ————————————————————————————————————
συγγνω' μη bedeutet hier nicht „Meinung“, „Nachsicht“ oder „Konzession“, 71 sondern „Erlaubnis, Zustimmung“ oder „mitfühlendes Verständnis“.72 Mit dies (του^ το) ist nicht das in V. 5b angesprochene eheliche (sexuelle) „Zusammenkommen“ gemeint (das Paulus nur als „Konzession“ an den Sexualtrieb „erlaubt“),73 wahrscheinlich auch nicht auf die in den folgenden Versen als Möglichkeit eröffnete Ehelosigkeit, 74 sondern entweder auf die in V. 2-5 und speziell in V. 2 besprochene Ehe von Christen, die nicht als Gebot sondern als „Erlaubnis“ beschrieben wird,75 oder (am ehesten) auf die in V. 5b eingeräumte Möglichkeit zeitweiliger sexueller Abstinenz. 76 Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass Paulus weder die Ehe noch den Geschlechtsverkehr als „Konzession“ hinstellt. Paulus hat „mitfühlendes Verständnis“ für die zeitlich begrenzte sexuelle Abstinenz (oder er will die Ehe bzw. das Heiraten nicht als „Befehl“ zur Pflicht machen). Paulus gibt im Blick auf den Wunsch korinthischer Christen keinen Befehl (ε πιταγη' ), sondern erlaubt verständnisvoll sexuelle Enthaltsamkeit christlicher Eheleute, die intensiver beten wollen, wenn sie gemeinsam beschlossen wird und zeitlich begrenzt ist. 7 Paulus formuliert nicht als Befehl, sondern als Wunsch (θε'λω), dass alle Menschen wären wie ich, d.h. im Kontext von V. 1-7: dass alle Menschen in sexueller Abstinenz leben, wie er selbst. 77 Dies setzt im Kontext von V. 3-5 voraus, dass Paulus unverheiratet war.78 Dass Paulus die Ehelosigkeit als ————————————————————
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SÜ übersetzt mit „Nachsicht“; EÜ, GN, NGÜ, ZB, Menge mit „Zugeständnis“, so auch Lietzmann 30; R. Bultmann, Art. γινω' σκω, ThWNT I, 717; Caragounis, Fornication, 557558 hält die Bedeutung „persönliche Meinung“ für möglich (Aristot. Eth. 6,11,1-2). Lindemann 161. Caragounis, Fornication, 554-559 interpretiert sowohl im Sinn von „Pardon!“, „Erlaubnis“ und „persönliche Meinung“. In den Papyri kommt συγγνω' μη in Zusammenhängen vor, in denen eine geschädigte Partei bzw. deren gerichtliche Vertretung um „Nachsicht“ gebeten wird, d.h. jemand entschuldigt sich für einen angerichteten Schaden; P.Cair.Zen. I 59044,35-38; P.Mich. I 83,2-4; P.Flor. I 61,14-16. Tertullian, Origenes, Hieronymus; Weiss 175; Héring 52; Delling, Frau, 69; ders., ThWNT VIII, 37; kritisch Schrage II 70-71. Orr/Walther 207; Garland 269-270; Baumert, Ehelosigkeit, 57; Winter, Corinth, 233-240; kritisch Fee 283; Schrage 71 Anm. 112; Lindemann 160. Bachmann 259; Lietzmann 30; Heinrici 216; Conzelmann 149; Merklein II 111. Barrett 157-158; Héring 52; Weiss 175; Fee 283-284; Schrage II 71; Hays 117; Wolff 137; Lindemann 160; Thiselton 511; NSS II, 69. Meyer 186 und Schrage II 72 wollen die Aussage nicht auf die Ehelosigkeit beziehen, sondern auf das Charisma der Ehelosigkeit. Diese Auslegung wirkt gezwungen. Man kann nur spekulieren, ob Paulus nie geheiratet hat oder ob er Witwer geworden war; letzteres nehmen viele Ausleger an, vgl. Barrett 161; Jeremias, Witwer, 321-323; MurphyO’Connor, Paul, 62-65. Manche vermuten aufgrund von 9,5, dass Paulus nie geheiratet hat; vgl. Fascher, Witwenschaft, 62-69; Lindemann 161. Die These, dass Paulus geschieden war (Bouwman, Celibaat, 380-381; Wili, Privilegium, 100-108; Phipps, Attitude, 128), ist vollkommen hypothetisch. Vgl. Schrage II 94-96; Merklein II 111; Thiselton 512513; Garland 276-277.
366 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Möglichkeit beschreibt, ja (unter bestimmten Bedingungen, s. den nächsten Satz) als wünschenswert darstellen kann, ist eine Abweichung von der jüdischen Regel, dass man im Gehorsam gegenüber Gen 1,28 heiraten soll. 79 In V. 8-9.25-40 wird Paulus mehr zu diesem Thema sagen.80 Paulus hält zunächst fest: Jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so. Beschreibt Paulus mit dieser Aussage sowohl die Ehelosigkeit als auch die Ehe als „Gnadengabe“ (χα' ρισμα)? M. Luther hat so interpretiert: „Beydes ist seyn göttliche gabe“.81 Gegen diese Interpretation wird eingewandt, dass die Ehe kein Werk der Gnade Gottes ist, sondern zur Schöpfungsordnung gehört und besser mit dem Wort „Berufung“ beschrieben werden kann (vgl. 7,17).82 Im Zusammenhang der Ausführungen in V. 1-7 und der Bedeutung von χα' ρισμα bei Paulus83 ist die Feststellung möglich, dass Paulus nicht die Ehelosigkeit als solche als Gabe „von Gott“ (ε κ θεου^ ) bezeichnet, sondern sie als „Möglichkeit ungeteilter, besonders intensiver Hingabe zum Dienst“ versteht.84 Die Formulierung der eine so, der andere so (ο με` ν ου« τως, ο δε` ου« τως) unterstreicht, das die Christen, die nicht sexuell enthaltsam leben können und also verheiratet sind, eine andere Gabe von Gott bekommen haben. Die Kennzeichnung der verschiedenen Gaben als von Gott (ε κ θεου^ ) betont, dass die Gabe der sexuellen Abstinenz in der Ehelosigkeit weder durch den eigenen Wunsch noch durch persönliche Willenskraft oder durch einen Befehl von Christen „hergestellt“ werden kann, sondern eine unverfügbare Gabe Gottes ist.85
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Vgl. die Belege bei Bill. II, 372-373. Siehe oben den Exkurs zu V. 1 (Punkt 11). Bachmann 260 meint, für Paulus sei „das eigentlich Unerwünschte“ nicht die Ehe, sondern die „Ohnmacht gegenüber dem geschlechtlichen Triebe“; Paulus wünsche, dass die Korinther „gegen sinnliche Reizungen“ genauso widerstandsfähig sind „wie er für seine Person sich ihrer zu erfreuen andeutet“, dass sie also ohne den sexuellen Drang leben können, der zur Unzucht führt und in V. 2 als „Motiv zur Eheschließung“ genannt wurde – eine Gabe, die er selbst als ehelos Lebender hat; vgl. Barrett 158. Luther, WA XII, 103; er betont allerdings im nächsten Satz, dass die Ehe der Ehelosigkeit vorzuziehen ist: „wie wol eyns besser ist denn das ander“. Für die Ehe als Charisma votieren de Wette 61; Godet I 167-168; Fee 285; Thiselton 513; Baumert, Ehelosigkeit, 59-62. Schrage II 73; vgl. Meyer 186; Heinrici 217; Weiss 176; Barrett 158-159; Lindemann 161; Merklein II 112; Garland 271; Brockhaus, Charisma, 136-137. Paulus versteht χα' ρισμα als eine Gabe Gottes, die auf die Auferbauung der Gemeinde ausgerichtet ist; vgl. unten zu 12,4. Schrage II 73; zurückhaltend Merklein II 112. Betont von Schrage II 72; Garland 271.
Ehe und Ehelosigkeit der Unverheirateten und Witwen 7,8-9 367 ————————————————————————————————————
Ehe und Ehelosigkeit der Unverheirateten und Witwen 7,8-9 I 8 Ich sage aber den Unverheirateten und den Witwen, dass es gut für sie ist, wenn sie bleiben so wie ich. 9 Wenn sie aber nicht enthaltsam leben können, sollen sie heiraten; denn es ist besser zu heiraten, als zu brennen.
II Dieser Abschnitt steht zwischen der Behandlung sexueller Enthaltsamkeit von Eheleuten in V. 1-7 und der Diskussion über die Ehescheidung verheirateter Christen in V. 10-16. Viele Ausleger schlagen V. 8-9 zum nachfolgenden Abschnitt, was dann plausibel ist, wenn man die Thematik des Abschnitts V. 816 weiter fasst und die Behandlung von „Ehe und Ehescheidung“ attestiert. 86 Paulus spricht in V. 25-40 ausführlich zum Thema der Unverheirateten (Verlobte und Witwen). In V. 8-9 formuliert Paulus sein grundsätzliches Urteil: Wer unverheiratet ist, soll besser unverheiratet bleiben, wer aber nicht sexuell enthaltsam leben kann, der soll heiraten. Gliederung. V. 8 spricht (indirekt) die unverheirateten und verwitweten Gemeindeglieder an, deren Stand der Ehelosigkeit Paulus gut heißt. V. 9 gibt ihnen den Rat, zu heiraten, wenn sie nicht die Gabe der sexuellen Enthaltsamkeit besitzen. Textkritische Anmerkungen. In V. 9 lesen d46 א2 B C2 D F G Ψ 1739 1881 Byz den Inf. Aor. γαμη^ σαι, während *אA C* 33 81 945 1505 pc den präsentischen Infinitiv γαμει^ν lesen. Ein Bedeutungsunterschied – etwa, dass der Inf. Präs. den „Status“ des Verheiratetseins betone, während der Inf. Aor. die Handlung des Heiratens meint – könnte sowohl bei Paulus als auch bei den Abschreibern eine Rolle gespielt haben. Eine Änderung ist in beiden Richtungen möglich. Aufgrund der etwas besseren Bezeugung von γαμη^ σαι ist diese Lesart vorzuziehen.87
III 8 Das mit Unverheiratete (οι α»γαμοι) übersetzte Wort bezieht sich auf die Männer und Frauen in der korinthischen Gemeinde, die nicht verheiratet sind (γαμο' ς ist das Wort für „Hochzeit“ und für „Ehe“). In V. 11 werden geschiedene Frauen als α»γαμος bezeichnet, in V. 34 wird α»γαμος von der Jungfrau ————————————————————
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So Lindemann 162. Schrage II 88 wählt als Überschrift „Mahnungen an verschiedene Gruppen“; Merklein II 112: „Zur Änderung des sexuellen Status“. Thiselton 514 analysiert 7,8-9 ebenfalls als eigenen Abschnitt. Fee 286 Anm. 2; anders Barrett 161.
368 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
unterschieden. Mit den „Unverheirateten“ sind also nicht nur die „Junggesellen“ gemeint. Da οι α»γαμοι parallel zu den „Witwen“ erscheint, nehmen manche Ausleger die Bedeutung „Witwer“ an. 88 Da in der Antike vor allem Frauen verwitwet waren, ist die besondere Erwähnung der Witwen (αι χη' ραι, fem.) plausibel, ohne dass man οι α»γαμοι (mask.) auf Witwer einschränken müsste.89 Man könnte die α»γαμοι deshalb mit den (männlichen) Junggesellen, Geschiedenen und Witwern identifizieren, die χη' ραι mit den Witwen. Da man jedoch auch mit Jungfrauen und geschiedenen Frauen rechnen muss, wie V. 11 zeigt, ist es vorzuziehen, das Wort α»γαμοι sowohl auf Männer als auch auf Frauen zu beziehen, die noch nie geheiratet haben oder die wegen Scheidung nicht mehr verheiratet sind. Mit den χη' ραι hebt Paulus besonders die Frauen hervor, die nach dem Tod des Ehepartners nicht mehr verheiratet sind. Paulus sagt den noch nicht und den nicht mehr verheirateten Christen, dass es richtig ist (καλο` ν αυ τοι^ς), unverheiratet zu bleiben und sexuell enthaltsam zu leben. Wenn die oben (V. 5) skizzierten endzeitlichen Erwartungen bei dem Wunsch nach sexueller Abstinenz eine Rolle gespielt haben, ist der Rat des Apostels nicht nur durch ein persönliches „Werturteil“ motiviert, sondern durch einen heils- bzw. endgeschichtlichen Horizont. Paulus formuliert in dem Satz wenn sie bleiben so wie ich (ε α` ν μει' νωσιν ω ς κα γω' ) jedoch keinen Befehl, sondern mit dem Aor. Konj. seine Meinung. 9 Die Formulierung wenn sie aber nicht enthaltsam leben können nimmt den realen Fall (ει mit Ind.) an, dass Unverheiratete (einschließlich der Witwen) nicht ohne Sexualverkehr leben können. Ob der Indikativ Präsens ε γκρατευ' ονται anzeigt, dass korinthische Christen außerehelichen Intimverkehr haben, ist damit nicht unbedingt gesagt, aber ausschließen kann man das nicht: Seit V. 2 stehen die Ausführungen des Paulus unter dem Stichwort der πορνει' α. Für die Fälle, in denen unverheiratete Christen sich nicht sexuell beherrschen können, empfiehlt Paulus: Sie sollen heiraten (γαμησα' τωσαν, Imp. Aorist).90 Die Begründung (γα' ρ) für den Befehl steht im nächsten Satz: Denn es ist besser zu heiraten, als zu brennen. Das Wort „brennen“ (πυρου^ σθαι) steht ————————————————————
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Beza 121; Fascher 183; Fee 287; vgl. die Diskussion in Garland 275-276. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 263-264 betont im Hinblick auf P.Mich. I 29,12; BGU VIII 1849,20-22; SB XIV 11904,8-10, dass Witwen in vielen Fällen nicht nur benachteiligt und schwach waren, sondern sich selbst auch so darstellten und gelegentlich diesen Status sogar ausnutzten: „Paulus möchte vielleicht in ähnlicher Weise die Witwen als gesonderte Gruppe darstellen und hebt sie deshalb aus der der ‚Unverheirateten‘ heraus“. Das Verb γαμε' ω kommt in den Papyri am häufigsten in Eheverträgen vor (vgl. BGU IV 1050,29; P.Ryl. II 154,19.30; P.Oxy. II 265,6), aber auch in Aufzeichnungen über Mitgiftübergaben und Scheidungsurkunden. Vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 265.
Ehe und Ehelosigkeit der Unverheirateten und Witwen 7,8-9 369 ————————————————————————————————————
metaphorisch für die intensive sexuelle Begierde. 91 Paulus geht wieder von der paritätischen Gleichheit von Männern und Frauen aus: Witwen können genauso sexuell entflammt sein wie Junggesellen. Um sexuelle Zügellosigkeit zu vermeiden, sollen sie heiraten. Die praktische Frage, wie unverheiratete Jungfrauen oder wie Witwen einen passenden Ehepartner finden können, spricht Paulus allerdings nicht an.
Ehescheidung verheirateter Christen 7,10-16 I 10 Den Verheirateten gebiete ich – nicht ich, sondern der Herr –, dass sich eine Frau von ihrem Mann nicht scheiden soll; 11 wenn sie sich aber doch geschieden hat, soll sie unverheiratet bleiben oder sich mit ihrem Mann versöhnen – und dass ein Mann seine Frau nicht entlassen soll. 12 Den übrigen sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und diese einverstanden ist, mit ihm zusammenzuleben, soll er sie nicht entlassen. 13 Und wenn eine Frau einen ungläubigen Mann hat und dieser ist einverstanden, mit ihr zusammenzuleben, soll sie ihren Mann nicht entlassen. 14 Denn der ungläubige Mann ist durch die Frau geheiligt und die ungläubige Frau ist durch den Bruder geheiligt. Denn sonst wären eure Kinder ja unrein, nun aber sind sie heilig. 15 Wenn sich der Ungläubige aber scheidet, soll er sich scheiden. Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht gebunden. Im Frieden hat Gott euch berufen. 16 Denn was weißt du, Frau, ob du deinen Mann vielleicht doch erretten wirst? Oder was weißt du, Mann, ob Du deine Frau vielleicht doch erretten wirst?
II In diesem Abschnitt wendet Paulus sich an die verheirateten Christen. Zunächst erinnert er die Verheirateten an Jesu Verbot der Ehescheidung (V. 1011), dann ermahnt er die mit Nichtchristen verheirateten Gläubigen, ihre Ehe aufrechtzuerhalten (V. 12-16).92 Sowohl im ersten wie im zweiten Teil gibt Paulus Anweisungen für Verhalten, das von der Grundregel des Ehescheidungsverbots abweicht. In V. 11a weist er Geschiedene an, unverheiratet zu ————————————————————
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Schrage II 96 verweis auf Sir 9,8; 23,17; Prov 6,27-28; 4Makk 3,17; NW II/1, 291-293 auf Vergil, Aen. 4,1-5.20-23.54.66-69; Ecl. 2,68-69; Tibullus 4,5,3-6; Juvenal 6,206-211. Dass das Verb με' νω den Abschnitt beherrscht (Schrage II 90), kann man kaum sagen; es kommt nur in V. 8.11 vor, dann erst wieder in V. 20.24.40.
370 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
bleiben oder sich mit dem früheren Ehepartner zu versöhnen. In V. 15a verweist er auf die Möglichkeit, dass der ungläubige Ehepartner eines Christen die Ehe aufkündigt; für solche Ehescheidungen tragen Christen keine Schuld. Paulus schließt mit einem Hinweis auf den Frieden Gottes und auf die Möglichkeit, dass sich ungläubige Ehepartner bekehren können. Gliederung. In V. 10-11 konfrontiert Paulus gläubige Männer und Frauen, die verheiratet sind, mit dem von Jesus ausgesprochenen Verbot der Ehescheidung. In V. 11a formuliert Paulus die Anweisung, dass in Fällen, wo eine Scheidung bereits stattgefunden hat, die Geschiedenen ledig bleiben und wenn möglich sich mit ihrem früheren Ehepartner versöhnen sollen. In V. 1216 wendet Paulus das Verbot der Scheidung auf Mischehen an: Mit Ungläubigen verheiratete Christen sollen keine Scheidung initiieren. Textkritische Anmerkungen. In V. 10 wird der Inf. Aor. Pass. χωρισθη^ ναι ( אB C Ψ 33vid 1739 Byz; Cl Epiph) von manchen Handschriften durch den Inf. Präs. Pass. χωρι' ζεσθαι (A D F G 1505 1881 pc) oder durch den Imp. Präs. Pass. χωριζε'σθω (d46 614 pc) ersetzt. Der schwierigeren und besser bezeugten Lesart des Inf.Aor.Pass. ist der Vorzug zu geben.93 In V. 13 lesen frühe Handschriften das Relativpronomen η« τις (A B D2 Ψ 33 1739 1881 Byz syh bo) statt der Konjunktion ει» τις (d46 אD* F G P 1505 al latt sa),94 die V. 12 entspricht.95 Die gut bezeugte Verbalform συνευδοκει^ wird von d46 B 81 1881* 2464 pc durch ευ δοκει^ ersetzt, vielleicht um die Autorität des Mannes zu unterstreichen. 96 Der Mehrheitstext schreibt statt το` ν α»νδρα in Angleichung an αυ τη' ν in V. 2 αυ το' ν (Ψ 1881 Byz syh; Tert). In V. 14 fügt der westliche Text (D F G 629 latt sy; Tert) nach γυναικι' ein erklärendes τη^, πιστη^, ein. Spätere Zeugen ersetzen α δελφω ^, (d46 *אA B C D* F G P Ψ 33 365 1175 1739 pc co) durch α νδρι' (א2 D2 Byz syh), das als Korrektur und damit als sekundär gelten muss; eine weitere erklärende Modifikation findet sich in 629 lat sy; Ir Tert Ambst, die hinter α νδρι' die Wendung τω ^, πιστω ^, ein97 * fügen. In V. 15 lesen manche Handschriften υ μα^ς ( אA C K 81 326 1175 pc bo), während ebenfalls frühe Handschriften η^ μα^ς lesen (d46 א2 B D F G Ψ 33 1739 1881 Byz latt sy sa), was wohl auf die Tendenz von Abschreibern zurückzuführen ist, den Bezug allgemeiner Aussagen auszuweiten. 98 ————————————————————
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Fee 290 Anm.1.293 Anm.14; vgl. Thiselton 519. NA25; Conzelmann 151 Anm. 7; Schrage II 90. NA27; Fee 296; Lindemann 162; Merklein II 113. Zuntz, Text, 40, der die Lesart für ursprünglicher hält und συνευδοκει^ als Assimilierung an V. 12 betrachtet. Metzger, Commentary, 489; Thiselton 527. Metzger, Commentary, 489; Thiselton 534; Lindemann 167 meint, die Lesart η^ μα^ς verfehle den Sinn der Aussage.
Ehescheidung verheirateter Christen 7,10-16 371 ————————————————————————————————————
III 10-11 Paulus spricht gegenüber den verheirateten korinthischen Christen einen eindeutigen Befehl aus: Den Verheirateten gebiete ich . . . dass sich eine Frau von ihrem Mann nicht scheiden soll . . . und dass ein Mann seine Frau nicht entlassen soll. Ausleger, die in Korinth „pneumatische Frauen“ oder Prophetinnen identifizieren, nehmen an, dass der Wunsch zur Auflösung der Ehe von diesen ausging, da sie ihre Erfahrung des Geistes als nicht kompatibel mit den leiblichen Aspekten der Ehe ansahen. Davon ist im Text jedoch nichts zu lesen.99 Plausibler ist der Vorschlag, dass Paulus deshalb von der Ehescheidung spricht, weil durch die in V. 8-9 angezeigte „bloß relative Wertigkeit der Ehe“ die Frage aufkam oder aufkommen konnte, was die verheirateten Christen machen sollen, die auf Intimverkehr verzichten können.100 Das Verb παραγγε'λλω bezeichnet das normative Gebieten, das Präsens zeigt die dauernde Geltung an. Paulus formuliert in der 1. Pers. Sing., qualifiziert (ου κ ε γω` α λλα' ) den Befehl dann aber sogleich dahingehend, dass der Herr (ο κυ' ριος), d.h. Jesus Christus, den Befehl gegeben hat, sich nicht scheiden zu lassen. In V. 12 schreibt Paulus: „den übrigen sage ich, nicht der Herr“. W. Schrage erläutert die Bedeutung der deutlichen Unterscheidung zwischen einem Befehl des Apostels und einem Befehl Jesu Christ in drei Punkten: 1. Paulus ist sich über den Inhalt und über den Umfang des Jesuswortes im klaren. 2. Er weitet das Jesuswort nicht beliebig aus. 3. Er misst dem Jesuswort eine Autorität zu, die eine Autorität der letzten Instanz ist (vgl. V. 25) und die er als ihm vorgegebene Norm akzeptiert und respektiert.101 Weshalb hat Paulus nicht häufiger Herrenworte zitiert? A. Schweitzer meinte, im angebrochenen Eschaton habe man das Zitieren von Worten des irdischen Jesus als anachronistisch empfunden.102 Diese Position wird heute kaum noch vertreten, geht sie doch von einer einseitigen Interpretation der paulinischen Eschatologie aus. J. Weiss meint, Paulus habe Herrenworte nur zur Begründung von Rechtsordnungen zitiert.103 Diese These kann nicht überzeugen, weil gerade 7,10-11 eine ethische und nicht einfach eine rechtliche Frage betrifft. C. K. Barrett meint, Paulus zitiere Herren————————————————————
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Schrage II 100 stellt zu Recht fest, dass Paulus in V. 11 im Fall einer eingetretenen Scheidung nur das Ehelos-Bleiben oder die Versöhnung zulässt – das Gebot des Ehelos-Bleibens hätte Paulus sich sowohl bei Asketinnen als auch bei scheidungswilligen Enthusiastinnen ersparen können, ja er würde im Unterschied zu V. 1-7 ihr „Programm“ sogar unterstützen. Barrett 161; vgl. Schrage II 97 Anm. 255. Schrage II 97. Es ist deshalb historisch nicht plausibel, wenn kritische Exegeten wie Becker, Paulus, 12 meinen, eine anonyme urchristliche Mahnung sei „im Laufe der Zeit der Autorität Jesu innerhalb der synoptischen Überlieferung unterstellt worden“. Schweitzer, Mystik, 288-289; kritisch Schrage II 98; vgl. ebd. für das Folgende. Weiss 239; ders., Urchristentum, 118-119.
372 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— worte nur dort, wo Jesus sich vom AT oder vom Judentum abgrenze.104 Damit kann man aber kaum 9,14 erklären. Die These, dass Paulus nur im 1Kor explizite Herrenworte aufnehme, weil sich die korinthische Opposition auf Herrenworte berief, lässt sich nicht falsifizieren. Plausibler ist schon die Erklärung, dass für Paulus die Worte Jesu zu den Voraussetzungen seiner Lehre und zum Inhalt des Gemeindeunterrichts gehörten, den Paulus in seinen Briefen voraussetzt.105 Restlos befriedigend ist diese Antwort allerdings auch nicht, weil Paulus in seinen Briefen regelmäßig Gemeindetradition zitiert, die er ebenfalls voraussetzen kann. Schließlich muss man in Betracht ziehen, dass Paulus in den Briefen auf unklare oder strittige Fragen eingeht, die es ihm nicht nötig erscheinen ließen, Geschichten von Jesus zu erzählen. Außerdem schreibt er in einem neuen, nachösterlichen Kontext, in dem Paulus vor allem die Bedeutung von Tod und Auferstehung Jesu erläutert und betont.106
Das Gebot, dass eine Ehe nicht geschieden werden soll, stimmt inhaltlich mit Mt 5,32 / 19,9 / Mk 10,11 / Lk 16,18 überein. Die Formulierungen sind im einzelnen unterschiedlich.107 Paulus nennt zuerst die verheiratete Frau, die eine Scheidung von ihrem Mann in Betracht zieht. Er stimmt damit mit Mk 10,11 überein, wo das Herrenwort auf die römische und hellenistische Rechtssituation angepasst wird, wo eine Frau die Scheidung initiieren konnte, 108 was nach jüdischem Recht nicht bzw. nur sehr eingeschränkt möglich war. 109 Die Fassung des Scheidungsverbots Jesu bei Markus zeigt, dass der Evangelist und die Gemeinden, für die er schreibt, das Gebot Jesu durchaus als konkrete Handlungsanweisung verstand.110 Paulus verwendet hier wie Mk 10,9 und Mt 19,6 das Verb χωρι' ζομαι (Pass.) im Sinn von „sich trennen, sich scheiden (lassen)“. Für die Scheidung des Mannes von der Frau (V. 11b) verwendet Paulus das Verb α φι' ημι, das „fortlassen, wegschicken, entlassen“ bedeutet (die synoptische Tradition verwendet das Verb α πολυ' ω). Zwischen χωρι' ζομαι und α φι' ημι gibt es hier keinen Bedeutungsunterschied, beide werden in ————————————————————
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Barrett 162. Fee 291; Weiss, Urchristentum, 167-168; Stuhlmacher, Theologie I, 301; Wenham, Paul, 402-405, der zugleich darauf hinweist, dass Paulus sich sehr viel häufiger auf Jesustradition bezieht, als gemeinhin angenommen wird (vgl. ebd. 34-372). Wenham, Paul, 405-408. Vgl. Zimmermann, Zitation, 97-100 für Einzelheiten. Vgl. G. Schiemann, Art. Divortium, DNP III, 719-720. Zu griechisch-römischen Eheverträgen (P.Ryl. II 154; P.Tebt. I 104; BGU IV 1103), in denen häufig die Richtlinien für eine mögliche Scheidung festgelegt wurden, und zu Scheidungsurkunden (BGU IV 1103) vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 266-269. mYev 14,1: „Nicht gleicht der Mann, der (die Frau durch Scheidebrief) entlässt, der Frau, die entlassen wird; denn die Frau wird entlassen, sie mag wollen oder nicht wollen; der Mann aber entlässt (seine Frau) nur freiwillig“. Vgl. Bill. I, 318-319; ebd. II, 23-24 zu der Scheidungsmöglichkeit von Frauen. Vgl. Merklein II 115.
Ehescheidung verheirateter Christen 7,10-16 373 ————————————————————————————————————
griechischen Texten zur Beschreibung der Auflösung einer Ehe gebraucht. 111 Das absolute Verbot der Ehescheidung durch Jesus (Mk 10,2-12)112 ist in der Antike ohne Parallele. Auch Paulus formuliert in V. 10 keine Ausnahme von der Regel. Im römischen Recht war die Ehe (matrimonium) weniger ein Rechtsverhältnis als eine „soziale Tatsache“, die zwar rechtliche Wirkungen auslöste, aber zunächst und prinzipiell eine „verwirklichte Lebensgemeinschaft“ von Mann und Frau war, die von der Absicht und dem Bewusstsein der Eheleute getragen war, „daß ihre Gemeinschaft eine Ehe ist“.113 Neben der usus-Ehe konnte der Beginn der Ehe durch einen von zwei Formalakten markiert werden: Die confarreatio war ein sakraler Akt vor zehn Zeugen und zwei Priestern; in der coemptio tritt der pater familias der Frau vor fünf Zeugen und dem libripens („Waagehalter“) die Gewalt über sie für einen symbolischen Kaufpreis dem Ehemann ab.114 Entsprechend ist die Scheidung (divortium) kein rechtlicher, sondern „ein faktischer, privater Vorgang, der weder an feste Gründe gebunden noch unter gerichtliche Kontrolle gestellt ist. Die römische Scheidung besteht darin, daß die eheliche Lebensgemeinschaft von einem oder beiden Gatten aufgehoben wird im Bewußtsein, daß die Ehe damit beendet sein soll“.115 Im AT wird die Ehescheidung nicht ausdrücklich erlaubt und gesetzlich geregelt, aber vorausgesetzt, wie Dtn 24,1-4 zeigt. Im zeitgenössischen Judentum war Scheidung relativ leicht möglich, vor allem wenn man sich ein Rechtsgutachten eines Vertreters der Schule Hillels einholte.116 Es scheint, dass Rabbi Simeon ben Shetah im 1. Jahrhundert v.Chr. das Ehegesetz dahin abgeändert hat, dass eine Eheschließung kostengünster, eine Ehescheidung jedoch teurer wurde.117 Aber auch im Judentum wurde die Ehescheidung nicht einhellig gutgeheißen. Schon in der Tora wird die Scheidung bei bestimmten Bedingungen untersagt (Dtn 22,28.29). Der Prophet Maleachi erklärt ————————————————————
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LSJ 2016 s.v. χωρι'ζομαι III; ebd. 290 s.v. α φι'ημι II.1.d. Andere wollen die Verwendung von χωρι' ζομαι für die „Trennung“ der Frau vom Mann auf dem Hintergrund des privatrechtlichen Charakters einer Scheidung in der griechisch-römischen Welt verstehen (Merklein II 116). Kritisch Schrage II 99, nach dem man auch aus der Verwendung der Passivform bei der Trennung der Frau vom Mann exegetisch nichts gewinnen kann. Zur Diskussion um die Ausnahmeklauseln in Mt 5,32; 19,9 vgl. Luz, Matthäus I, 268276; Davies/Allison, Matthew I, 527-532; Baltensweiler, Ehe, 82-119; Instone-Brewer, Divorce, 152-159.173-177. Kaser, Privatrecht, 257; ebd. 266-267 zur Ehescheidung. Vgl. Kaser, Privatrecht I, 310311 (§73.I), zur Scheidung 325-328 (§77); Hausmaninger and Selb, Privatrecht, 100, zur Scheidung 102-104. Zu den Regelungen der lex Iulia de adulteriis coercendis vgl. MetteDittmann, Ehegesetze, 53-58. Papyrusfunde belegen zahlreiche Eheverträge; vgl. S. R. Llewelyn, in NewDocs IV, 82-98; Kritzer, in Arzt-Grabner 247-253, sowie die im Internet publizierten Beispiele von D. Instone Brewer, Art. Marriage and Divorce Papyri of the Ancient Greek, Roman and Jewish World . Kaser, Privatrecht I, 324 (§76.II.2); ders. Privatrecht, 264. Kaser, Privatrecht, 266-267; vgl. G. Schiemann, Art. Divortium, DNP III, 719-720. Vgl. Instone-Brewer, Divorce, 59-132 zur jüdischen und rabbinischen Tradition. In P.Murabba’at 19 (in das 3. Jh. n.Chr. datiert) liegt ein jüdischer Scheidebrief vor. Instone-Brewer, Divorce, 82-83, mit Verweis auf tKet 12,1.
374 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— im Rückgriff auf Gen 2,24, dass Gott die Ehescheidung hasst. Die Qumrangemeinde lehnte neben der Polygamie wahrscheinlich auch die Ehescheidung ab (CD 4,19–5,5 mit Verweis auf Gen 1,27, und 11QTemple 57,17-19 mit Rückgriff auf Lev 18,18),118 was jedoch umstritten ist.119 Nach bGit 89a sagte Rabbi Jochanan: „Gott hasst das Wegschicken; gehasst ist, wer von seiner Frau sich trennt“.
Die Parenthese120 in V. 11a – wenn sie sich aber doch geschieden hat, soll sie unverheiratet bleiben oder sich mit ihrem Mann versöhnen – will das Ehescheidungsverbot von V. 10 nicht einschränken, sondern einen wahrscheinlich bereits eingetretenen Fall (oder Fälle) regeln. 121 Wenn eine Ehescheidung stattgefunden hat, dann gibt es nach Paulus nur zwei Möglichkeiten des Handelns für die geschiedene Frau: Sie „bleibt unverheiratet“ (μενε'τω α»γαμος), d.h. sie verändert ihren Status nicht durch eine Wiederheirat mit einem anderen Mann, oder sie „versöhnt sich mit ihrem Mann“ (τω ^, α νδρι` καταλλαγη' τω). Da die Scheidung nach römischem Recht die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft bedeutet, wo eher private als gerichtliche Übereinkünfte eine Rolle spielten, wäre zu erwägen, ob die „Scheidung“, von der Paulus hier spricht, nicht eher der „Trennung“ im heutigen Recht entspricht. Das Verb καταλλα' σσω ist auch sonst für die Aussöhnung von Eheleuten belegt.122 Das implizite Verbot der Wiederheirat soll die Möglichkeit der Versöhnung mit dem früheren Ehemann offen halten. 12 In V. 12-16 wendet sich Paulus an die übrigen (τοι^ς δε` λοιποι^ς), d.h. an die in Mischehen lebenden Christen. Der Satz den übrigen sage ich, nicht der Herr charakterisiert die folgende Direktive nicht im Blick auf ihre Autorität, sondern im Blick auf ihre Herkunft: Im Blick auf die konkrete Frage, ob Christen sich von einem ungläubigen Ehepartner scheiden lassen können, gibt es kein Wort des Herrn, das Paulus zitieren könnte. Paulus trägt nicht einfach eine Privatansicht vor: In P.Murabba’at 19 (in das 3. Jh. n.Chr. datiert) liegt ein jüdischer Scheidebrief vor: Er spricht nicht in eigener Autorität, sondern ————————————————————
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Fitzmyer, Marriage, 512. Vgl. Schiffman, Laws, 217; Instone-Brewer, Divorce, 65-68; Holmén, Divorce, 397-408. Die Annahme einer Interpolation (Weiss 178-179) ist unnötig. Heinrici 221; Weiss 178; Allo 163; Conzelmann 152; Lindemann 164; Senft 92; Schrage II 101. Andere interpretieren den ε α` ν δε -Satz als zukünftigen bzw. generellen Eventualfall (Meyer 190; Robertson/Plummer 140; Godet I 170-171; Fee 295), was man grammatikalisch nicht ausschließen kann, aber vor zwei Schwierigkeiten steht: Paulus behandelt in 1Kor 7 Mann und Frau parallel, hier spricht er nur von der Frau, und angesichts des absoluten Herrenworts in V. 10 ist es plausibler, von der Regelung eines konkreten Falls auszugehen. Merklein II 117 und andere nehmen an, es handele sich wohl um eine Frau, die sich vor ihrer Bekehrung von ihrem Mann getrennt hatte. Vgl. F. Büchsel, ThWNT I, 255; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 269; Breytenbach, Versöhnung, 20.78.
Ehescheidung verheirateter Christen 7,10-16 375 ————————————————————————————————————
mit der Autorität eines Apostels, d.h. eines vom Herrn gesandten Boten, der sich auf die ihm vom Herrn gegebene Autorität beruft. Die Anweisung in V. 12-13 wendet den Grundsatz des in V. 10-11 zitierten Herrenworts auf Mischehen an. Es geht um den Fall, 123 dass ein Bruder eine ungläubige Frau hat. Mit „ungläubig“ (α»πιστον) sind nicht „untreue“ Ehepartner gemeint, sondern nicht-christliche Ehefrauen, heidnische wie jüdische. 124 Die Anweisung wenn diese einverstanden ist, mit ihm zusammenzuleben, soll er sie nicht entlassen wendet den Grundsatz des Herrenworts auf solche Mischehen an. Ein Christ, der in ehelicher Gemeinschaft mit einer ungläubigen Frau lebt, soll diese nicht entlassen (μη` α φιε'τω αυ τη' ν).125 Das Verb συνευδοκε'ω bedeutet „zustimmen, einwilligen, einverstanden sein“ und bezieht sich auf die aktive Zustimmung der ungläubigen Ehefrau, mit ihrem an Jesus Christus glaubenden Mann „zusammenzuleben“ (οι κει^ν μετ’ αυ του^ ), d.h. die eheliche Lebensgemeinschaft aufrecht zu erhalten. Paulus befiehlt, dass der gläubige Mann seine Ehefrau „nicht entlassen“ soll (μη` α φιε' τω αυ τη' ν). Paulus setzt offensichtlich voraus, dass beide Ehepartner zur Zeit ihrer Eheschließung Nichtchristen waren.126 13 Im umgekehrten Fall gilt genauso: Wenn eine Jesusbekennerin einen ungläubigen Mann hat, d.h. mit einem Nichtchristen verheiratet ist, und dieser ist einverstanden, mit ihr weiter in ehelicher Gemeinschaft zu leben, soll sie ihren Mann nicht entlassen (μη` α φιε' τω το` ν α»νδρα). Wenn eine Ehescheidung unausweichlich werden sollte, so soll die Initiative nicht vom christlichen Ehepartner ausgehen. Paulus formuliert in V. 12-13 keine Ausnahme, d.h. ein „Privileg“, das festlegt, wann Christen sich doch scheiden lassen können. H. Merklein beobachtet richtig, dass sich die Formulierung hinreichend unter der Voraussetzung erklärt, „daß das Herrenwort nur für Christen und Christinnen gilt“.127 Paulus wird ganz bestimmt gewusst haben, was er mit dieser Direktive von der Frau verlangte (mehr noch als von dem gläubigen Ehemann in V. 12): die Einwilligung, mit einem Mann zu leben, der im Haus und in den Tempeln der Stadt andere Götter anbetet, der die Anwesenheit der Ehefrau bei gesell————————————————————
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Konditionalsätze mit ει + Ind. lassen das Verhältnis der Protasis zur Wirklichkeit offen, stellen aber die Schlussfolgerung als notwendig hin. HS §280c(a). 281. Schrage II 103 Anm. 288; Garland 282; anders Lindemann 165, der nur an heidnische Ehepartner denkt. Deming, Marriage, 141-144 will den Ausdruck sowohl in einem stoischen als auch in einem christlichen Sinn verstanden wissen, was nicht überzeugt. Paulus verwendet hier dasselbe Verb wie in V. 11 (μη` α φιε' ναι). Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, ist der Fall, dass ein Christ eine ungläubige Frau geheiratet hat. Schrage II 104 Anm. 290. Merklein II 119.
376 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
schaftlichen Anlässen wie Banketten erwartet, der sich eine Konkubine hielt oder mit einer Sklavin oder Prostituierten schläft. 14 Paulus hält fest: Der ungläubige Mann ist durch die Frau geheiligt, und die ungläubige Frau ist durch den Bruder geheiligt. Das einleitende γα' ρ begründet die Anweisung an christliche Ehepartner, sich nicht von ungläubigen Eheleuten scheiden zu lassen, wenn diese die Scheidung nicht verlangen. Die Bedeutung des Perf. Pass. η γι' ασται („ist geheiligt“) ist unklar. Es kann sich nicht um den heiligenden Glauben an Jesus Christus handeln, da der ungläubige Ehepartner weiterhin ungläubig bleibt (V. 16). Wir finden folgende Auslegungen in der exegetischen Literatur: 1. Der ungläubige Ehepartner legt durch sein Verbleiben in der Ehe ein Verhaltensmuster an den Tag, das dem entspricht, was man von den „Heiligen“ erwartet. 128 Diese Auslegung ist wenig wahrscheinlich: Ohne Indikativ gibt es keinen Imperativ, d.h. ohne die Heiligung durch den Glauben an das rettende Heilshandeln Gottes in Jesus Christus gibt es keine Praxis der Heiligung. 2. Der Geschlechtsverkehr der Eheleute überträgt Heiligkeit vom gläubigen auf den ungläubigen Partner.129 Diese Erklärung macht jedoch die Schlussaussage in V. 14c überflüssig. 3. Der ungläubige Ehepartner erhält durch den gläubigen Ehepartner ein christliches Zeugnis, das er bzw. sie sonst nicht erhalten würde und eine künftige Bekehrung wahrscheinlich macht.130 Die Formulierung im Perfekt macht die Annahme einer zukünftigen Möglichkeit jedoch unwahrscheinlich. 4. Der Ungläubige bekommt Anteil an dem Status des christlichen Ehepartners als Glied des Bundesvolkes Gottes.131 5. Der christliche Ehepartner bringt durch seinen Glauben den ungläubigen Partner in das Kraftfeld des Heiligen Geistes, der dessen Potential neutralisiert, den gläubigen Partner unrein zu machen.132 Diese Interpretation, die das Passiv η γι' ασται als passivum divinum versteht, ist dem Kontext am ehesten angemessen, in dem es um Gläubige und Außenstehende, um Christen als „berufene Heilige“ und (implizit) um Unreine geht. Zu beachten ist, dass Paulus keine Aussage zur „heiligenden Macht“ der Ehe oder des christlichen Ehepartners macht, auch erklärt er den ungläubigen Ehepartner nicht für gerettet.133 Paulus spricht die Befürchtung korinthischer Christen an, die Ehe mit unheiligen Heiden könnte „anstek————————————————————
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Murphy-O’Connor, Works, 356; Thiselton 530; zur Kritik Schrage II 105. Lietzmann 31; Senft 93; zur Kritik vgl. Weiss 181; Bachmann 267; Schrage II 105. Fee 300-301; zur Kritik Garland 287. Godet 369-370; Collins 266-267. Conzelmann 155; Lang 93; Schrage II 105-106; Lindemann 165; Garland 288. Vgl. NGÜ „hat durch die Gemeinschaft mit seiner Frau teil an dem Segen, den Gott ihr gibt“. Richtig Schrage II 106: „Bei aller Hoffnung, daß auch solche Rettung durch den Christen geschehen kann (vgl. zu V 15), erfolgt sie doch nicht ohne Glauben, und einen stellvertretenden Glauben gibt es nicht“.
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kend“ sein. Die heiligende Kraft Gottes und seines Geistes ist stärker als der Unglaube und die Unheiligkeit des Nichtchristen. Die Befürchtung korinthischer Christen, die in Mischehen leben, ist der Hintergrund der Aussage in V. 14c, mit der Paulus die Anweisung, sich aus gemischen Ehen nicht zu entfernen, in einem weiteren Schritt begründet: Denn sonst wären eure Kinder ja unrein, nun aber sind sie heilig. Dieses Argument, mit dem Paulus die Befürchtung der Korinther ad absurdum führt, setzt voraus, dass für diese die Vorstellung selbstverständlich war, dass ihre Kinder sich nicht in einem Status der Unheiligkeit befinden, der eine Trennung von den Kindern verlangen würde.134 Mit den „Kindern“ (τα` τε'κνα) sind offensichtlich die Kinder aus Mischehen gemeint.135 Die Frage, wie die Heiligkeit den Kindern vermittelt wird, wurde von manchen Auslegern mit dem Hinweis auf die Taufe beantwortet.136 Dies zerstört allerdings das Argument, da die Analogie zum nichtchristlichen Ehepartner wegfällt.137 Es geht also um nichtgetaufte Kinder aus Mischehen. J. Jeremias hat die Frage, weshalb Kinder aus Mischehen nicht getauft wurden, mit dem Hinweis auf die jüdische Proselytentaufe beantwortet, die an Kindern von Proselytinnen, die nach dem Übertritt der Mutter zum Judentum geboren wurden, nicht vollzogen wurde.138 Historisch wahrscheinlicher ist der Hinweis, dass die Praxis der Kindertaufe in den urchristlichen Gemeinden nicht bekannt war.139 Wie die „Heiligkeit“ der Kinder zustande kommt und worin die Heiligkeit besteht, sagt Paulus hier genauso wenig wie im Fall der ungläubigen Ehepartner. B. Rosner verweist auf drei Gedanken, die offensichtlich eine Rolle spielen: 1. Die Heiligkeit der Christen als Tempel Gottes (3,16-17; 6,19); 2. die Übertragbarkeit dieser Heiligkeit auf andere Personen analog atl. Vorstellungen (Ex 29,37; 30,29; Lev 6,18); 3. der Gedanke der Solidarität der Familie und der Fürsorge Gottes für das Wohlergehen der ganzen Familie (Gen 6,18; 17,7-27; Dtn 30,19; Ps 78,1-7; 103,17-18).140 Jesusbekenner müssen vor nichtchristlichen, heidnischen Familienangehörigen keine Angst haben – sie werden von deren Unreinheit und Unheiligkeit nicht angesteckt. Im Gegenteil, Christen dürfen wissen, dass es gerade ihre Heiligkeit ist, die ————————————————————
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Bachmann 270; Godet I 174; Lindemann 166; Garland 289; Deming, Marriage, 130. Anders Klauck 55: es geht um „nichtgetaufte Kinder aus der vorchristlichen Zeit des Ehepaares“; so auch Senft 93-94. Andere meinen, Kinder aus Ehen christlicher Ehepaare seinen (mit) gemeint: Godet I 174; Heinrici 223-224. Godet I 175. Lang 94; Schrage II 107; Merklein II 121. bYeb 78a; vgl. Bill. I, 112. Jeremias, Kindertaufe, 52-56; ders., Nochmals, 30-32. Zur Kritik vgl. Schrage II 108. Aland, Säuglingstaufe, 54-55; Lang 94; Schrage II 108. Rosner, Paul, 169-170; Garland 289.
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Gott ihnen im Glauben an Jesus den Gekreuzigten gewährt hat, die einen Einfluss auf ihre ungläubigen Ehepartner und Kinder ausübt. 15 Paulus weiß, vielleicht aus der Erfahrung konkreter Fälle in den Gemeinden, dass Ungläubige nicht immer bereit sind, mit den zum Glauben an Jesus Christus gekommenen Ehepartnern weiter zusammenzuleben. Deshalb behandelt er die Alternative, die sich aus V. 12-13 ergibt. Der Satz wenn sich der Ungläubige aber scheidet formuliert eine reale Möglichkeit (ει . . . χωρι' ζεται). Der nichtchristliche Ehepartner – ο α»πιστος bezeichnet den Ehemann oder die Ehefrau – will in manchen Fällen die Trennung, vielleicht weil er das christliche Zeugnis oder die christliche Lebensweise nicht ertragen will.141 Paulus schreibt, dass der ungläubige Partner, wenn er sich trennen will, dies tun wird. Die Formulierung mit Imp. Pass. soll er sich scheiden (χωριζε'σθω) richtet sich formal an den Ungläubigen, spricht aber den christlichen Ehepartner an. Ob dieser ausdrücklich die Zustimmung zu der Scheidung geben soll142 steht nicht im Text. Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht gebunden (ου δεδου' λωται). Die Bedeutung dieser Formulierung ist umstritten. Bezieht sie sich nur auf die Bindung an die bisherige Ehe? Oder schließt sie die Freiheit zur Wiederheirat ein (privilegium Paulinum)? H. Conzelmann argumentiert für die zweite Interpretation: „Der Christ wird durch das Verhalten des Heiden keinem Zwang unterworfen. Er kann wieder heiraten“. 143 Diese Auslegung wird oft damit begründet, dass in V. 15 nicht vom „Bleiben“ oder von Versöhnung die Rede ist und dass die Wendung „er ist nicht gebunden“ sich deshalb kaum auf die Scheidung selbst, sondern eigentlich nur auf die Folgen der Scheidung beziehen kann. Ein anderes Argument erinnert an die Tatsache, dass jüdische und griechisch-römische Scheidungsurkunden die Wiederheirat explizit vorsehen.144 G. Fee argumentiert mit Nachdruck für die erste Interpretation: 1. In einem Kontext, in dem korinthische Christen für das Recht votieren, bestehende Ehen aufzulösen, ist die Annahme nicht plausibel, Paulus würde eine Wiederheirat geschiedener Christen in einer kurzen Nebenbemerkung ansprechen. 2. In V. 11 untersagt Paulus ausdrücklich eine Wiederheirat in einem Fall, der ebenfalls eine Ausnahme darstellt. 3. Die Grundtendenz des Kapitels betont, keine Veränderung des gesellschaftlichen Status zu ————————————————————
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Schrage II 109 Anm. 327 verweist auf Chrysostomus 155, der auf die Möglichkeit verweist, dass der nichtchristliche Ehepartner die Teilnahme am Götzenopfer oder an heidnischen Gebräuchen zur Bedingung des Zusammenlebens macht. So Merklein II 122; Schrage II 109. Conzelmann 156; vgl. Héring 53; Fascher 188; Klauck 53; Lindemann 166; Keener 65. Instone-Brewer, Jewish Marriage, 238-239; vgl. P.Muraba’at 19 (DJD II 19); mGit 9,3; CPJ II 10-12; P.Grenf. II 76; BGU IV 1103.
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suchen, in dem man sich befindet; die Ausnahmen, die Paulus formuliert, erlauben keinen Wechsel des Partners, sondern des Status, d.h. von ledig zu verheiratet oder umgekehrt, aber nicht beides gleichzeitig. 145 Dem Argument, dass Paulus angesichts der zeitgenössischen Praxis der Wiederheirat, die in Ehe- und Scheidungsurkunden explizit erlaubt wird, ein Verbot der Wiederheirat konkret hätte aussprechen müssen, ist mit dem Hinweis zu begegnen, dass Paulus in 7,1-16 gerade nicht mit den Konventionen der griechischrömischen und jüdischen Ehe- und Scheidungspraxis argumentiert, sondern mit dem Scheidungsverbot eine Direktive formuliert, die dieser konträr ist. Manche Ausleger lassen die Frage offen, 146 manchmal mit dem Hinweis, dass Paulus von Wiederheirat nicht spricht, manchmal mit dem caveat verbunden, dass Paulus keiner Situationsethik das Wort redet, in der ziemlich alles möglich ist, was gerechtfertigt werden kann.147 W. Deming schlägt vor, dass V. 15b nicht auf die Scheidung von einem ungläubigen Ehepartner in V. 15a bezogen ist (was die Konj. γα' ρ erwarten lasse), sondern den Abschnitt V. 15a-24 einleite (ohne verbindende Partikel). Mit anderen Worten: Paulus betont in V. 15a, dass die Christen, die in Mischehen leben, nicht „versklavt“ sind (ου δεδου' λωται), eine Meinung, die es offenbar in der korinthischen Gemeinde gab.148 Dieser durchaus überlegenswerte Vorschlag hat jedoch Schwierigkeiten, V. 16 zu erklären, der besser zu den vorausgehenden Aussagen passt. Das Verb „(sklavisch) gebunden sein“ (δουλο' ω), das in 1Kor nur hier und in 9,19 vorkommt und nicht ohne weiteres als Synonym von δε' ω/δε' ομαι (vgl. 7,27.39) betrachtet werden kann, unterstreicht, dass die Ehebeziehung respektiert werden soll und nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf.149 Der Schlusssatz im Frieden hat Gott euch berufen (ε ν δε` ει ρη' νη, κε'κληκεν υ μα^ς ο θεο' ς) wird von manchen Auslegern dahingehend verstanden, dass Paulus den in Mischehen lebenden Christen rät, sich lieber von dem ungläubigen Ehepartner zu trennen, als im ständigen Streit mit diesem zu leben.150 Die Konj. δε' ist aber nicht begründend, sondern adversativ: Paulus ————————————————————
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Fee 303; der weitere von ihm angeführte Punkt, dass das Verb „gebunden sein“ sonst nicht für die Ehe steht, wurde von Deming, Marriage, 147-150 beantwortet: In Texten, die mit der stoisch-kynischen Ehediskussion verbunden sind, wird die Ehe als eine Form der Sklaverei bezeichnet; vgl. Philo, Hypoth. 11,3.17; Musonius 12,1-2 (Frag. 3,42,8); Aristoteles, Oec. 3,1; Antipater 44-47; Stobaeus IV, 506,19-20; 4,532,15; 4,494,10; 4,496,11; Epictetus, Diss. 2,20,26-27. Für den jüdischen Hintergrund dieser Vorstellung vgl. Instone-Brewer, Jewish Marriage, 238-239. Schlatter 225; Lang 95; Schrage II 110; Hays 121-122; Garland 291.296-297. Thiselton 536-537. Deming, Marriage, 146-147. Instone-Brewer, Marriage, 240-241; Garland 291. Weiss 183; Bachmann 272; vgl. Merklein II 123.
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schränkt die in V. 15a als Möglichkeit formulierte Trennung ein, die der ungläubige Ehepartner initiieren kann, und fordert die christlichen Ehepartner auf, die Ehe möglichst zu bewahren.151 „Friede“ bezeichnet hier konkret das harmonische Zusammenleben eines Ehepaars, von dem nur ein Teil als Christ lebt. Die Präposition ε ν beschreibt den Status der harmonischen Ehe, in den hinein der Ruf Gottes zum Glauben an Jesus Christus erging, dem aber nur einer der Eheleute Folge geleistet hat.152 Die Alternative zur „sklavischen Bindung“, d.h. der Aufrechterhaltung der (Misch-) Ehe, ist somit nicht die Freiheit, sondern der Friede. 16 Die doppelte Frage, die Paulus im Blick auf die gläubige Ehefrau und den gläubigen Ehemann formuliert, erläutert (γα' ρ) V. 15c. Das Verb erretten (σω' σεις, Fut.) ist hier ein Ausdruck der Missionssprache; es bedeutet „für den rettenden Glauben an Jesus Christus gewinnen“. Die Formulierung was weißt du . . . ob (τι' οι δας . . . ει ) ist nicht negativ-resignativ,153 sondern positivermutigend:154 „Wer weiß? Vielleicht kannst du, Frau, deinen Mann retten!“ (NGÜ Anm.).155 Entscheidend für diese Interpretation ist der historische und sprachliche Kontext: 1. Das Argument, Paulus ermahne die in einer Mischehe lebenden Christen, auf ein krampfhaftes Festhalten an der Ehe zu verzichten, weil Gott uns zum Frieden berufen habe und weil die Aussicht auf eine Bekehrung des Ehepartners, der sich trennen will, ohnehin gering ist, verkennt die historische Realität. Gläubige Eheleute hatten angesichts der Leichtigkeit, mit der sich der ungläubige Partner trennen kann, keine reelle Möglichkeit, die Ehe aufrechtzuerhalten, wenn sich der ungläubige Ehepartner scheiden lassen will. 2. Im Kontext von V. 10-15 geht die Tendenz der Argumentation auf die Aufrechterhaltung der Ehe, auch im Fall einer Ehe mit ungläubigen ————————————————————
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Schrage II 111; Lindemann 167; Garland 291-292. Anders Merklein II 123, der meint, dass der „semantische Duktus, der nach der . . . grundsätzlichen Freigabe des christlichen Teils in 15b kaum ein erneutes (mit der vagen Hoffnung auf Bekehrung motiviertes) Drängen in die gegenteiligen Richtung erwarten läßt“. Der Schwerpunkt von V. 10-15 ist jedoch nicht die „Freigabe“ der Ehescheidung, sondern die Aufrechterhaltung der Ehe. Garland 292; Deming, Marriage, 150-151. Lietzmann 31; Barrett 166; Schrage II 111 interpretieren im Sinn von ει ς: der Friede ist das Ziel, das die Berufung zum Glauben hat, d.h. die Aufrechterhaltung der Ehe ist als der Normalfall anzustreben. LÜ „denn was weißt du, Frau, ob du den Mann retten wirst?“; EÜ „woher weißt du denn, Frau, ob du den Mann retten kannst?“; ähnlich GN. Die „negative“ Interpretation wird seit Nikolaus von Lyra vertreten. Weiss 183; Heinrici 226-227; Robertson/Plummer 144; Schlatter 226; Senft 95; Lang 95; Klauck 53; Kremer 141-142; Merklein II 123; Kubo, Pessimistic, 539-544. Tertullian, Augustin, Theodoret; vgl. Calvin 371; Lightfoot 227; Moffatt 84; Barrett 167; Murphy-O’Connor 64-66; Bruce 70; Fee 305; Schrage II 112; Hollander I 119; Hays 121122; Collins 272; Lindemann 167; Garland 294; Jeremias, Aufgabe, 292-298; Baumert, Ehelosigkeit, 68; Rosner, Paul, 171. Vgl. NRSV „wife, for all you know, you might save your husband“.
Ehescheidung verheirateter Christen 7,10-16 381 ————————————————————————————————————
Ehepartnern (V. 12-13). Die korinthischen Christen bedürfen der Ermutigung, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Ehe aufrecht zu erhalten. Paulus nennt in V. 16 ein weiteres Argument, weshalb christliche Eheleute die Mischehe möglichst aufrecht erhalten sollen. 3. Paulus ist im Blick auf die Möglichkeit der Bekehrung von Menschen in der Zukunft kaum fatalistisch.156 4. Ein resignierender Kommentar widerspräche der positiven Beurteilung der Mischehe in V. 14. 5. Die Wendung τι' οι δας („wie willst du wissen“) kommt in optimistischen Zusammenhängen vor,157 und die Konj. ει kann im Sinn von ει μη' („vielleicht wirst du“) verstanden werden.158 Paulus weiß um die Schwierigkeiten, die sich für Christen ergeben, die mit ungläubigen Ehepartnern verheiratet sind. Er ermahnt sie, alles was an ihnen liegt zu tun, um die Ehe aufrecht zu erhalten und im Frieden mit dem Ehemann oder der Ehefrau zu leben. Dass dies ein Opfer für die Christen darstellt, die in solchen Ehen leben, weiß Paulus. Wenn die ungläubigen Ehepartner bereit sind, die Ehe fortzusetzen, dann besteht die Möglichkeit, dass sie sich durch das Lebenszeugnis ihrer christlichen Partner bekehren. Nicht nur Paulus ist Missionar: In den Häusern und Stadtwohnungen der korinthischen Christen, die mit Nichtchristen verheiratet waren, gab es lebendige Gespräche über den christichen Glauben, die zur Bekehrung des ungläubigen Partners führen konnten.159 Auch deshalb sollen die korinthischen Christen, die sich in einer solchen Situation wiederfinden, die Ehe nicht aufgeben. Die Frageform von V. 16 zeigt allerdings, dass es bei allem Optimismus keine Gewissheit gibt, ob sich die ungläubigen Ehepartner tatsächlich einmal bekehren werden. 160
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Siehe die parallele Erwartung in 1Petr 3,1, wo von der Möglichkeit die Rede ist, dass eine gläubige Frau ihren ungläubigen Ehemann durch ihr Zeugnis „ohne Worte“ für das Evangelium gewinnen kann. 2Sam 12,22; Esth 4,14; Joel 2,14; Jona 3,9; Zus. Esth. 8,14; Tob 13,8; Ant.Bibl. 9,6; 25,7; 30,4; 39,3; Jos.As. 11,12; Epiktet, Diss. 2,20,28-31. Jeremias, Aufgabe, 292-293. BDR §375 u. Anm.1 (ει zum Ausdruck des Erwartens); KG II 533; HS §273f; Jeremias, Aufgabe, 292-296; Burchard, Ει, 75. Vgl. Lindemann, Mission, 125; Schnabel, Urchristliche Mission, 1405. Schlatter 226 weist zu Recht die „Anspannung des Glaubens“ zurück, mit dem man versuchen könnte, eine solche Gewissheit zu erreichen: „Das war für Paulus ein unmöglicher Gedanke, weil hier ein Verhalten Glaube genannt wird, das er niemals Glauben hieß. Vermutungen und Postulate hieß er nie Glauben; denn bei ihm entsteht der Glaube durch das dem Menschen gesagte Wort“.
382 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die Bewährung des Christen im status quo 7,17-24 I 17 Wenn (das aber) nicht (der Fall ist) – jeder soll so leben, wie der Herr es ihm zugeteilt, wie Gott einen jeden berufen hat. Und so ordne ich es in allen Gemeinden an. 18 Wurde jemand als Beschnittener berufen, so soll er die Beschneidung nicht rückgängig machen lassen. Wurde jemand in Unbeschnittenheit berufen, soll er sich nicht beschneiden lassen. 19 Die Beschneidung ist nichts und die Unbeschnittenheit ist nichts, sondern das Halten der Gebote Gottes. 20 Jeder soll in der Berufung bleiben, in der er berufen wurde. 21 Wurdest du als Sklave berufen, so kümmere dich nicht darum; wenn du aber auch frei werden kannst, nutze es um so lieber. 22 Denn der im Herrn berufene Sklave ist ein Freigelassener des Herrn; in gleicher Weise ist der berufene Freie ein Sklave Christi. 23 Ihr seid für einen Preis erkauft worden. Werdet keine Sklaven von Menschen. 24 Brüder, jeder soll in dem Stand vor Gott bleiben, in dem er berufen wurde.
II Die Aussagen des Apostels Paulus in 7,1-16 zur Ehe, zur Sexualität in der Ehe und zur Ehescheidung lassen sich in der Devise zusammenfassen, dass die Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus keine Änderung des ehelichen Standes verlangt, den der Christ bei seiner Bekehrung inne hatte. In V. 17-24 erhebt Paulus diese Devise zum Grundsatz, den er in V. 17.20.24 drei Mal vorträgt. Der Grundsatz, in dem Stand zu bleiben, in dem man sich zur Zeit der Bekehrung befand, hat für Kap. 7 eine zweifache Funktion. 161 Er markiert die theologische Grundlage für die Korrektur an der Bereitschaft korinthischer Christen, auf Sexualverkehr innerhalb der Ehe oder auf die Ehe überhaupt zu verzichten in V. 1-17. Und er reflektiert die Grundlage für die Bevorzugung der Ehelosigkeit von verlobten oder verwitweten Christen, die im nächsten Abschnitt V. 25-40 behandelt wird.162 Wenn man den Abschnitt als digressio behandelt, dann sollte man beachten, dass es sich nicht um eine Abschweifung oder um einen Einschub handelt. 163 ————————————————————
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Merklein II 124; vgl. Collins 274; Garland 298. Anders Deming, Marriage, 154, der V. 17-24 als Abschluss der Arguments von V. 15 behandelt. Der Grundsatz von 7,17-24 darf deshalb nicht verabsolutiert werden: Er gilt zum Beispiel ganz sicher nicht für die Prostituierte! Vgl. Fenske, Argumentation, 126. Schrage II 131. Weiss 183 spricht von einer wohlabgerundeten „Einlage“ mit „einer prinzipielleren Ausführung“, Vollenweider, Freiheit, 233 von einem „exkursartige(n) Abschnitt“ mit einer „theologische(n) Reflexion“. Zur digressio in der antiken Rhetorik
Die Bewährung des Christen im status quo 7,17-24 383 ————————————————————————————————————
Paulus illustriert die Geltung des Grundsatzes V. 17 anhand der Unterschiedenheit von Juden und Griechen (V. 18-19) sowie der Unterscheidenheit von Sklaven und Freien (V. 21-23).164 Diese beiden Beispiele sind nicht als genaue Parallelen formuliert.165 In V. 18 ist von der Berufung als beschnittener Jude einerseits und als unbeschnittener Heide andererseits die Rede, während in V. 21-22 nur von der Berufung als Sklave die Rede ist; die Berufung als Freier bleibt unerwähnt. Der Hinweis auf die mögliche Gewinnung der Freiheit eines christlichen Sklaven (V. 21b) hat in V. 18-19 keine Parallele. Auch inhaltlich ist das Beispiel vom Sklaven und Freien keine bloße Variation des Beispiels vom Beschnittenen und Unbeschnittenen. Die Bekehrung von Juden und Heiden illustriert den Grundsatz, dass es im Blick auf das von Gott geschenkte Heil keinen Unterschied macht, ob man beschnitten oder unbeschnitten ist – genauso wie es irrelevant für das Heil ist, ob man verheiratet oder unverheiratet ist. Das Beispiel von Sklaven und Freien illustriert diesen Grundsatz genauso, geht dann aber darüber hinaus mit dem Hinweis, dass ein Sklave, der die Möglichkeit hat, frei zu kommen, diese wahrnehmen soll. Damit nennt Paulus ein Beispiel für das „bessere“ Verhalten, das man wählen kann, oder für die Alternativmöglichkeit, die er pragmatisch konzediert.166 Die Behandlung von unbeschnittenen Heiden und von Sklaven, die Christen geworden sind, erlaubt nicht die Schlussfolgerung, dass Paulus unerledigte theologische Fragen in der korinthischen Gemeinde aufarbeitet. 167 Der Text enthält weder Hinweise auf christliche Sklaven, die auf Freilassung drängen,168 noch auf Judenchristen, die von Heidenchristen die Beschneidung fordern. Wenn man von Einflüssen reden will, so ist auf die Formel von Gal 3,28 („Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“) zu verweisen, die urchristliche Tradition wiedergibt und den korinthischen Christen bekannt gewesen sein dürfte (vgl. 11,11; 12,13).169 W. Deming nimmt den ————————————————————
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vgl. S. Matuschek, Art. Exkurs, HWR III, 126-129; Lausberg, Handbuch, §340-342. Schrage II 130 weist das erste Beispiel dem „religiösen“ Bereich zu; Juden und Heiden unterschieden sich jedoch – jedenfalls in der antiken Gesellschaft – nicht nur in Glaubensfragen, sondern auch im Blick auf die Sozialisation. Schrage II 130. Schrage II 130 verweist für diese beiden Optionen auf Dawes, Freedom, 696 sowie auf Hofmann 149; Vollenweider, Freiheit, 234-235. Bartchy, Slavery, 130.163; Schrage II 130; Garland 298. Anders Weiss 191, der einen besonderen „Freiheitsdrang“ der christlichen Sklaven erkennen will; ähnlich Olshausen 611; Moffatt 85; Vollenweider, Freiheit, 233. Anders Schulz, Sklavenhalter, 159-165; zur Kritik Stuhlmacher, Philemon, 47-48. Schrage II 130-131; Merklein II 125; Thyen, Nicht mehr, 138-145; Paulsen, Einheit, 7689; Dautzenberg, Stellung, 214-221.
384 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Einfluss des kynisch-stoischen Diatribenstils und stoischer Überzeugungen an.170 B. Rosner unterstreicht für V. 18-19.21-22 den Einfluss atl. Stellen.171 Gliederung. Paulus formuliert in V. 17 die Grundaussage des Abschnitts bzw. des Kapitels und betont, dass dieser Grundsatz nicht nur für die Korinther, sondern für alle Gemeinden gilt. V. 18-20 explizieren diesen Grundsatz am Thema Beschneidung/Unbeschnittenheit. Auf das Beispiel (V. 18) folgt die Begründung (V. 19) und die Wiederholung des Grundsatzes (V. 20). V. 21-24 erläutern den Grundsatz am Thema Sklave/Freier. Auf das Beispiel (V. 21a) folgt ein Ausnahmefall (V. 21b), die Begründung (V. 22-23) und die Wiederholung des Grundsatzes (V. 24). Textkritische Anmerkungen. In V. 17 lesen (d46c) *אB 81 630 1739 pc das Perf. μεμε'ρικεν statt des Aor. Ind. ε με'ρισεν (d46* א2 [A] C D F G Ψ 33 Byz), offensichtlich in Angleichung an das folgende κε'κληκεν; die gut bezeugte Aor.-Form ist deshalb als ursprünglich zu betrachten.172 Die Abfolge von κυ' ριος und θεο' ς in V. 17 hat zu verschiedenen Lesarten geführt: 1. Zwei Mal θεο' ς lesen Ψ 629 1881 pc vg; 2. Byz syh lesen θεο' ς, dann κυ' ριος; 3. zunächst κυ' ριος, dann θεο' ς lesen d46 אA B C D F (G) 33 81 104 365 1175 1739 2464 pc b vg sy co; Ambst. Die dritte Lesart ist bei weitem am besten bezeugt; zur theologischen Klärung des Mehrheitstextes s. unten. In V. 18b wiederholen D2 Byz ε κλη' θη von V. 18a, während die besten Handschriften das Perf. Pass. κε'κληται lesen (d46 אA B P 33 81).
III 17 Das einleitende ει μη' („wenn nicht, außer wenn“)173 schränkt eine vorausgehende negative Aussage ein, und zwar nicht nur die in V. 12-16 angesprochene Möglichkeit, dass der ungläubige Ehepartner die Ehe nicht mehr fortsetzen will, sondern alle in V. 1-16 angesprochenen Ausnahmen (vgl. das verallgemeinernde Pronominaladjektiv ε κα' στω, ).174 Wenn eine Trennung von einem ungläubigen Ehepartner erfolgt (V. 15) oder wenn sich jemand bereits (vor der Bekehrung) von seinem Ehepartner scheiden ließ (V. 11), dann gilt in diesen und ähnlichen Fällen: Jeder soll so leben, wie der ————————————————————
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Deming, Marriage, 152-169, mit Verweis auf Stobaeus IV, 520,9-12; Teles, Frag. 2,10,65-80; Philo, Jos. 143-144; Seneca, Tranq. 4,3-4; Plutarch, Mor. 829F; Epiktet, Ench. 11.15. Vgl. Lindemann 169; Garland 300. Rosner, Paul, 173-175, mit Verweis auf Ex 6,30; 21,5-6; Lev 19,23; Dtn 10,16; Jer 4,4; 6,10; 9,26; mGit 1,4-6; 4,4-6; bQid 22b. Siehe unten zu V. 18-19.21-22. Zu den Lesarten in d46 vgl. Zuntz, Text, 256. Viele Ausleger übersetzen adversativ im Sinn von α λλα' oder πλη' ν mit „aber, doch“; vgl. BDR §448 Anm. 9, 449 Anm. 4; Bauer /Aland 443 s.v. ει 9; NSS II 70; Merklein II 126; Lindemann 170; Garland 302. Anders Schrage II 129.132-133, dem ich mich anschließe. Schrage II 133, zur folgenden Bemerkung ebd. Vgl. Jeremias, Abba, 297; Fee 309.
Die Bewährung des Christen im status quo 7,17-24 385 ————————————————————————————————————
Herr es ihm zugeteilt hat (ε κα' στω, ω ς ε με' ρισεν ο κυ' ριος . . . ου« τως περιπατει' τω). Das Verb περιπατε' ω beschreibt den konkreten Lebensvollzug im Alltag; μερι' ζω bedeutet im Med. (mit Dativ der Person) „verteilen, zuteilen“. Paulus sagt nicht, was der Herr zugeteilt hat. In Röm 12,3 spricht er vom „Maß der Glaubens“, in 1Kor 7,7 von den verschiedenen „Gaben“, die jeder Jesusbekenner von Gott erhalten hat. Mehrere Ausleger interpretieren deshalb im Sinn der besonderen Begabung, die jeder von Christus erhalten hat.175 Jeder Christ soll in Übereinstimmung mit seiner konkreten Gabe, z.B. der Ehelosigkeit, im Alltag leben; dies ist von einem Christen zum anderen unterschiedlich, weil nicht alle dieselben Gaben von Gott erhalten haben. Andere Ausleger interpretieren im Sinn der vom Herrn gewirkten Zuteilung der jeweiligen irdischen Lebensumstände. 176 Wenn man den Satz ω ς ε με'ρισεν ο κυ' ριος als bedeutungsgleich mit dem folgenden Satz ω ς κε'κληκεν ο θεο' ς interpretiert, ist die erste Interpretation naheliegend: Als Gott einen jeden berufen hat, d.h. als Gott die korinthischen Christen zum rettenden Glauben an Jesus Christus geführt hat (vgl. 1,1.2.24), hat er jedem Gläubigen zusammen mit dem Heil auch Gaben gegeben. Da die beiden Sätze jedoch verschiedene Subjekte (Herr/Gott) und verschiedene Verben haben (zuteilen/ berufen), ist die zweite Interpretation plausibler. Gott hat jeden zum Heil berufen, und der Herr hat jedem seinen „existentiellen Ort“ zugeteilt, d.h. den gesellschaftlichen (ehelichen) Status, „an dem der Ruf Gottes den Menschen trifft“, der „als Möglichkeit christlicher Existenz zu bejahen“ ist.177 Zu diesen „Orten“ des christlichen Lebensvollzugs gehört die Möglichkeit, dass ein verheirateter Christ nach einer Ehescheidung allein leben muss, wenn eine Versöhnung mit dem früheren Ehepartner nicht möglich ist (V. 11) oder wenn sich der ungläubige Ehepartner getrennt hat (V. 15). Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass sich der ungläubige Ehepartner bekehrt (V. 16). Der Ruf Gottes weist mir „ein Stück Welt zu, das es durch meinen Wandel zu heiligen und damit der Profanität zu entreißen gilt“. Die „Zuteilung“ des gesellschaftlichen Status durch den Herrn bedeutet nicht, dass dieser Status sich nicht ändern kann. Die Diskussion in V. 1-16 hat dies bereits gezeigt: Unverheiratete Christen können heiraten, und bei verheirateten Christen kann es zur Scheidung kommen. Paulus betont, dass der gesellschaftliche Stand, in dem sich Christen befinden, letztlich irrelevant für den Lebensvollzug ist, zu dem Jesusbekenner aufgerufen sind. Der ————————————————————
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Conzelmann 158; Lang 96; Schrage II 133; Merklein II 127. Zu den Schwierigkeiten dieser Auslegung s. Schrage II 134 Anm. 469. Godet I 180; Lightfoot 228; Meyer 199; Fee 310; Collins 283; Thiselton 549. Kritisch Bartchy, Slavery, 135-137, s. ebd. 10-25 den Forschungsüberblick. Merklein II 127, ebd. 128 das folgende Zitat.
386 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Wunsch korinthischer Christen, auf sexuelle Beziehungen zum Ehepartner zu verzichten (V. 1b) oder sich scheiden zu lassen (V. 10), ist deshalb verfehlt, weil sie an der falschen Stelle – im Status der Ehe oder der Ehelosigkeit – ein geistliches Plus sehen. Gottes Ruf, der Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen trifft, transzendiert und transformiert alle äußerlichen Lebensumstände, ohne dass es notwendig ist, dass der einzelne Jesusbekenner diese ändern müsste. Man kann in jeder Situation, in jedem gesellschaftlichen Stand, ob verheiratet oder ledig oder geschieden, im Gehorsam gegenüber dem Ruf Gottes das in Jesus Christus geschenkte Heil im Alltag Wirklichkeit werden lassen – auch und gerade angesichts der Wiederkunft Jesu Christi (siehe oben zu 7,5). Das Adj. ε κα' στω, (jeder) ist betont vorangestellt: Was Paulus sagt, gilt für alle Christen. Die Allgemeingültigkeit des Grundsatzes, dass Christen in dem Stand, in dem sie sich bekehrt haben, bleiben sollen und können, wird durch den Satz unterstrichen: Und so ordne ich es in allen Gemeinden an. Das Verb διατα' σσομαι („anordnen“) ist im Präs. formuliert.178 Paulus formuliert den Grundsatz V. 17 nicht ad hoc aufgrund der konkreten Situation in der korinthischen Gemeinde, sondern theologisch grundsätzlich. Wir beobachten hier weniger „das Entstehen eines allgemeinen Kirchenrechts“, 179 sondern die Autorität des Apostels, der weiß, dass seine Weisung dem Willen Gottes und Jesu Christi entspricht. 18 Das erste Beispiel für den konkreten Lebensvollzug der Jesusbekenner, für die der gesellschaftliche Status irrelevant ist, ist die Unterscheidung zwischen Juden und Heiden. Diese Unterscheidung war, von jüdischer Seite aus gesehen, fundamental. Im Aristeasbrief wird der Unterschied von Heiden und Juden auf den Punkt gebracht: „Da nun der Gesetzgeber als Weiser, der von Gott zur Erkenntnis aller Dinge befähigt wurde, (dies) alles [d.h. den Polytheismus] klar erkannte, umgab er uns mit undurchdringlichen Wällen und eisernen Mauern, damit wir uns mit keinem anderen Volk irgendwie vermischen, (sondern) rein an Leib und Seele bleiben und – befreit von den törichten Lehren – den einzigen und gewaltigen Gott überall in der ganzen Schöpfung verehren. . . . Damit wir nun nicht besudelt und durch schlechten Umgang verdorben werden, umgab er uns von allen Seiten mit Reinheitsgeboten in bezug auf Speisen und Getränke und Berühren, Hören und Sehen“ (Arist. 139.142). Paulus erreichte als Missionar Juden und Heiden, so dass in den von ihm gegründeten Gemeinden Judenchristen und Heidenchristen Ge————————————————————
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In den Papyri bezieht sich das Verb διατα' σσομαι in der Regel auf kaiserliche Erlasse und Verfügungen hoher Beamter; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 273. Weiss 184. Merklein II 128 bemerkt: „Weder eine doktrinäre Theorie noch ein formales Kirchenrecht stellen die Einheit der Gemeinden her“.
Die Bewährung des Christen im status quo 7,17-24 387 ————————————————————————————————————
meinschaft hatten. Wenn man den Grundsatz von V. 17 auf diese Tatsache anwendet, dann ergibt sich für die Judenchristen: Wurde jemand als Beschnittener berufen, so soll er die Beschneidung nicht rückgängig machen lassen. Ein Jude, der Gottes Ruf gehört hatte und zum Glauben an Jesus Christus gekommen war und jetzt Gemeinschaft mit Heidenchristen hat, soll seine Beschneidung (η περιτομη' ) nicht rückgängig machen. Das Verb ε πισπα' ομαι bedeutet als medizinischer Fachausdruck „die Vorhaut überziehen“. Mehrere antike Texte zeigen, dass es Juden gegeben hat, die ihre Beschneidung durch eine Operation rückgängig machten oder durch andere Mittel kaschieren wollten.180 Im Kontext der römischen Gesellschaft Korinths war es von Vorteil, den ethnischen Status als Jude, der durch die Beschneidung markiert war und sichtbar wurde, aufzugeben, wenn man zu den Epheben im Gymnasium gehören und die Karrieremöglichkeiten haben wollte, die sich durch eine höhere Ausbildung eröffneten. Die lakonische Art und Weise, in der Paulus vom Epispasmos spricht, deutet darauf hin, dass er mit dieser Möglichkeit rechnet. Die Beiläufigkeit des Hinweises lässt es allerdings als unwahrscheinlich erscheinen, dass Judenchristen in Korinth oder in anderen Gemeinden den Epispasmos tatsächlich vollzogen hatten. 181 Umgekehrt gilt: Wurde jemand in Unbeschnittenheit berufen, soll er sich nicht beschneiden lassen. Ein Heide, der sich zum Glauben an Gottes Heilshandeln in Jesus Christus bekehrt hatte und mit Judenchristen Gemeinschaft hat, soll sich nicht beschneiden lassen und Jude werden. Die Tatsache, dass Paulus dieses Beispiel verwenden kann, ohne theologisch zu argumentieren, zeigt, dass die Frage der Beschneidung der Heidenchristen in der korinthischen Gemeinde – anders als in den galatischen Gemeinden – keine Rolle gespielt hat. 19 Für Juden war die Beschneidung ein Symbol des Bundes, den Gott mit Abraham und mit Israel geschlossen hatte, ein Zeichen der Erwählung und der Zugehörigkeit zum Volk Gottes.182 Die Aussage die Beschneidung ist nichts und die Unbeschnittenheit ist nichts (η περιτομη` ου δε'ν ε στιν, και` η ————————————————————
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Aulus Cornelius Celsus, De Medicina 7,25; Martial 7,82; 1Makk 1,15; Josephus, Ant 12,241; AssMos 8,3; vgl. Bill. IV, 33-34. Bauer /Aland 606-607; Hall, Epispasm, 71-86; Blaschke, Beschneidung, 139-141, ebd. 350-353 zu Celsus, ebd. 397-401 zu V. 18; Winter, Welfare, 147-152. In den Papyri bedeutet ε πισπα' ω bzw. ε πισπα' ομαι „sich anklammern“ (z.B. an einen Mantel, P.Enteux. 79,6), „heranziehen“ (z.B. von Menschen zu einer Leistung, P.Lund III 10, Kol. III 11-12), „an sich ziehen“ (eines Prozesses, C.Ord.Ptol. 53,218); vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 273-274. Blaschke, Beschneidung, 400. R. Meyer, Art. περιτομη' , ThWNT VI, 72-83; O. Betz, Art. περιτομη' , EWNT III, 186189; H. Wißmann/O. Betz/F. Dexinger, Art. Beschneidung, TRE V, 714-724; Blaschke, Beschneidung, 19-322.
388 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
α κροβυστι' α ου δε'ν ε στιν) ist für einen Juden angesichts des Beschneidungsgebots Gen 17,10-14 ungeheuerlich.183 Vergleichbar sind höchstens jene Stellen, in denen die Zugehörigkeit zum Volk Gottes nicht von einem äußerlichen Zeichen, sondern von der Einstellung des Herzens abhängig gemacht wird (Dtn 10,16; Jer 4,4), oder wo von „Beschneidung“ in metaphorischer Hinsicht die Rede ist im Sinn der Beschneidung der Lippen, der Ohren und des Herzens (Ex 6,30; Jer 6,10; 9,26; vgl. Lev 19,23).184 An keiner dieser Stellen wird jedoch die Beschneidung als solche für irrelevant erklärt. Für Paulus ist diese kategorische Aussage eine fundamentale Beschreibung der neuen Situation, die sich mit Gottes Heilsoffenbarung im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi ergeben hat. Wenn die Beschneidung noch „etwas“ wäre, d.h. wenn sie immer noch in irgend einer Weise als Zeichen der Zugehörigkeit zu Gott und zu seinem Heilsvolk Geltung hätte, wäre die Wirksamkeit des Heilswerkes Jesu Christi in Frage gestellt, durch das die neue Schöpfung in Gang gesetzt wurde (vgl. Gal 5,2.6; 6,15). Dass die Unbeschnittenheit „nichts ist“ (ου δε'ν ε στιν), ist für Juden dagegen selbstverständlich. Die Unterschiede von Juden und Heiden werden nicht eingeebnet – vom ethnischen Standpunkt aus gesehen bleiben Juden Juden und Heiden bleiben Heiden. Aber im Blick auf das Heil sind beide gleichgestellt. Eine Statusveränderung ist für keinen notwendig. Paulus formuliert die Gegenaussage (α λλα' ): sondern das Halten der Gebote Gottes (τη' ρησις ε ντολω ^ ν θεου^ ). Die Tora wurde durch das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus dahingehend modifiziert, dass die Beschneidung – und mit dieser alle anderen Begrenzungen des Heils auf Israel, auf das Heilige Land, auf den Tempel und auf die Priesterschaft – im Blick auf ihre Heilsmächtigkeit und deshalb auch im Blick auf ihre universale Gültigkeit aufgehoben wurde. Was jedoch nicht aufgehoben wurde, was immer noch Gültigkeit besitzt, sind die Gebote Gottes. Das Ende des Gesetzes als Heilsweg (Röm 10,4) bedeutet nicht, dass die Gebote Gottes ihre Funktion als Weisung zum Leben nach dem Willen Gottes verloren haben. Die „Gebote Gottes“, die Juden- und Heidenchristen halten sollen, sind kein allgemeiner Hinweis auf den Willen Gottes,185 auf christliche „Regeln“ für bekehrte Juden und Heiden,186 auf die konkreten Forderungen Gottes von 1Kor 1–7,187 auf ————————————————————
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Die urchristlichen Diskussionen, von denen Gal 2,1-10 und Apg 15 zeugen, spiegeln diese „erhebliche Irritation“ (Merklein II 128) wider. Rosner, Paul, 173-174; vgl. Ciampa /Rosner 715. Barrett 169; Baltensweiler, Ehe, 151. Senft 97; Orr/Walther 216; Deidun, Morality, 160. Lindemann 171.
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die Noachitischen Gebote188 oder auf die dem wahren Philosophen unmittelbar zugänglichen Gebote Gottes.189 Die „Gebote Gottes“ sind die Gebote des Gesetzes, insofern sie nicht durch Gottes Heilshandeln in Jesus Christus aufgehoben oder modifiziert wurden (vgl. Röm 3,31; 8,1-4).190 Zu den Geboten Gottes gehört die Schöpfungsordnung, auf die das Gebot des Herrn von 7,12 verweist.191 Paulus betont, dass Jesusbekenner die Gebote Gottes halten. 192 20 Zum Abschluss des ersten Unterabschnitts greift Paulus den in V. 17 formulierten Grundsatz auf: Jeder soll in der Berufung bleiben, in der er berufen wurde. Das vorangestellte ε«καστος unterstreicht wieder, dass alle Christen gemeint sind, die Judenchristen genauso wie die Heidenchristen. Die Formulierung ε ν τη^, κλη' σει η , ε κλη' θη kann sich auf den gesellschaftlichen Status beziehen, den der einzelne Christ zum Zeitpunkt seiner Bekehrung hatte und an dem er festhalten soll.193 Oder sie bezieht sich auf die Berufung selber, d.h. auf die Bekehrung und ihre Folgen, die man bewahren soll. A. Lindemann hält richtig fest, dass man diese beiden Möglichkeiten nicht gegeneinander ausspielen muss: Da die Berufung den Juden und den Heiden immer im Kontext eines bestimmten gesellschaftlichen Status trifft, „kann und soll aus ihr nicht die Verpflichtung zum Wechsel dieses Status abgeleitet werden, als gehöre ein solcher Wechsel gleichsam zur Vollendung der ————————————————————
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Garland 306; Tomson, Paul, 271-272. Die Noachitischen Gebote waren, aus jüdischer Perspektive, eine Art Fundamentalmoral für Heiden; vgl. D. Flusser, TRE XXIV, 582585. Novak, Noachide Laws, 3-41. Die Warnung vor sexueller Zügellosigkeit in 1Kor 5–7 und vor Götzendienst in Kap. 8–10 kommen dort ebenfalls vor. Die Annahme, dass Paulus in den heidenchristlichen Gemeinden die Gültigkeit der Noachitischen Gebote – und nur dieser Gebote – unter der Rubrik „Gebote Gottes“ gelehrt habe, ist nicht überzeugend. Deming, Marriage, 167-168, mit Verweis auf Epiktet, Diss. 1,25,3; 3,5,8; 3,24,113-114; 4,3,9-12; 4,7,16-18; Philo, Leg.All. 1,93-95; vgl. Lindemann 171. Diese Auslegung setzt für Paulus eine Gottesunmittelbarkeit und eine völlige Lösung von dem zuvor in den heiligen Schriften (des AT) offenbarten Gotteswillens voraus, die sich aus den Texten nirgends belegen lassen. Schrage II 136-137; H. Riesenfeld, Art. τη' ρησις, ThWNT VIII, 146; Wilckens, Entwicklung, 158-159; Räisänen, Paul, 68; Schnabel, Law and Wisdom, 279-280; Thielman, Coherence, 237-240. Merklein II 130, der zu Recht die Meinung von Weiss 186 zurückweist, der meint, V. 19 sei ein Zitat, das hier „am wenigsten christlichen Klang“ habe. Das Subst. τη' ρησις kommt im Sinn von „Einhaltung“ (der Gebote) nur hier im NT vor; das Verb τηρε' ω kommt in den Papyri häufig in Verbindung mit der Einhaltung von rechtlichen Verbindlichkeiten (Vereinbarungen, Erlässe, Befehle, Gesetze) vor; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 274-275 für Belege. Zu κλη' σις s. oben 1,1.2.24. Das Subs. κλη' σις bezeichnet hier über den Vorgang der Berufung zum Heil (Phil 3,14) hinaus die Lebenssituation des Menschen, der den Ruf Gottes hört und sich bekehrt. Vgl. K. L. Schmidt, ThWNT III, 492; J. Eckert, EWNT II 599; Schrage II 137; ebd. zur Übersetzung Luthers mit „Beruf“.
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Berufung“. 194 Die Anweisung, dass Christen in dieser ihrer „Berufung“ bleiben sollen (ε ν ταυ' τη, μενε'τω), unterstreicht, dass die Bekehrung den Menschen nicht aus seinem gesellschaftlichen Stand herausreißt. Die Formulierung mit dem Imperativ Präsens zeigt, dass diese Direktive kontinuierliche Gültigkeit besitzt. Die Aufforderung zum „Bleiben“ ist nicht im Sinn einer konservativen Gesellschaftspolitik zu interpretieren, als ob Paulus alle Initiativen zur Veränderung untersage. Paulus betont, dass jeder Ort, an dem Menschen den Ruf Gottes hören und zum Glauben an das Evangelium von Jesus Christus kommen, „zum Ort von Dienst und Gottesdienst werden kann, ja soll“.195 21 In V. 21-23 behandelt Paulus die Berufung des Sklaven und des Freien. Mit dem Satz wurdest du als Sklave berufen (δου^ λος ε κλη' θης) spricht Paulus die Sklaven an, die zur korinthischen Gemeinde gehören. Die direkte Anrede ist auffällig: „Sklaven sind in der Gemeinde nicht Objekte theologischer Argumentation, sondern Adressaten“.196 Dem gläubigen Sklaven sagt Paulus im Blick auf seinen Sklavenstand: So kümmere dich nicht darum (μη' σοι μελε' τω), d.h. „Befasse dich nicht damit! Es soll dich nicht beschäftigen! Kümmere dich nicht darum!“.197 Paulus verbietet dem gläubigen Sklaven nicht, unter seiner Situation zu leiden und den Schmerz seiner Lage zu empfinden. Die Übersetzung „so sorge dich nicht“ (LÜ) oder „mach dir nichts daraus“ (GN) ist deshalb unpassend. Paulus rät nicht zu einer „stoischen Stimmung“ im Sinn eines inneren Seelenfriedens, der durch die äußeren Umstände nicht berührt wird.198 Er fordert den gläubigen Sklaven nicht auf, die Leiden seines Sklavenloses zu ignorieren. Er fordert ihn auf, sich sein Sklavendasein nicht derart intensiv zu Herzen zu nehmen, dass er davon ganz in Beschlag genommen wird. Sklave wurde man durch Geburt als Kind einer unfreien Mutter, durch Kriegsgefangenschaft, durch Aufnahme als Findelkind oder durch gerichtliche Bestrafung.199 In ————————————————————
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Lindemann 171; vgl. ebd. zur folgenden Bemerkung. Schrage II 138. Lindemann 172. Die Anrede mit der 2. Person Sing. ist deshalb mehr als nur ein typisches Merkmal des Diatribenstils. Bauer /Aland 1014 s.v. με' λει 4 (abs.); LSJ 1100 s.v. με' λω I.5 (abs.). Baumert, Ehelosigkeit, 126-127 meint, μελε' τω beschreibe meistens eine „ziemlich affektfreie Aussage über das Beschäftigen mit einer Sache“. Die Verwendung des Verbs in den Papyri spricht gegen diese Definition: Während es in vielen Belegen um die Erledigung von mehr oder weniger alltäglichen Angelegenheiten geht (in BGU III 884, Kol. I 21-22 geht es z.B. um die Besorgung und Lieferung von Pech), bezieht sich με' λει (τινι) in anderen Texten (P.Lond. III 897, Kol. II Verso 26-28; SB III 6823,11-12; P.Brem. 61,29-32) auf eine echte „Sorge“ als „emotionale Anteilnahme, die auf eine intensive Beteiligung der angesprochenen oder betroffenen Person abzielt“ (Kritzer, in Arzt-Grabner 276).
Die Bewährung des Christen im status quo 7,17-24 391 ———————————————————————————————————— der Kaiserzeit zog die Verurteilung zum Tod, zum Tierkampf oder zur Bergwerksarbeit die Versklavung nach sich. Nach einem Edikt des Claudius wurde eine römische Bürgerin versklavt, die mit einem Sklaven ohne die Erlaubnis seines Herrn sexuell verkehrt hatte. Zwischen 15 und 20% der Gesamtbevölkerung des Römischen Reiches waren Sklaven. Sie arbeiteten in der Landwirtschaft, in Bergwerken, im Hausdienst, im Bauhandwerk (als Architekten, Steinmetze und Zimmerleute), in der Keramikmanufaktur, in der Ziegelproduktion, in der Lederherstellung, in der Metallverarbeitung, als Boten, Stenografen, Musiker, Ammen, Prostituierte, als Verwalter und Vertrauensleute ihrer Besitzer. Rechtlich waren Sklaven sowohl res (Rechtsobjekte) als auch personae: Sie waren Eigentum ihres Herrn, der sie verkaufen, verpfänden, vererben und vermieten konnte. Als Eigentum war ein Sklave weder rechtsnoch vermögensfähig. Das römische Privatrecht verkannte allerdings nicht, dass der Sklave ein Mensch ist. Als persona alieni iuris stand der Sklave und die Sklavin unter der potestas des Herrn, der ihm bzw. ihr ein peculium als Sondergut zu selbständiger Bewirtschaftung überlassen konnte, zunächst eine Herde von Kleinvieh (pecus), später Vermögensgegenstände. Trotz humanisierender Tendenzen in der Kaiserzeit, in der sich der rechtliche Schutz von Sklaven besserte, war das Los der meisten Sklaven alles andere als glücklich oder beneidenswert.
Paulus fordert die gläubigen Sklaven auf, dass ihr leidvolles Sklavendasein sie nicht so sehr beschäftigen soll, dass sie sich nicht mehr über die Würde ihrer Berufung durch Jesus Christus und die im Glauben an den Herrn gefundene innere Freiheit von ihrem irdischen Herrn freuen können. Das Verständnis von V. 21b ist von der Interpretation von μα^λλον χρη^ σαι abhängig. Zwei Möglichkeiten stehen zur Auswahl. 1. Wenn man V. 21b als Fortsetzung von V. 21a im Sinn von V. 20 interpretiert und mit τη^, δουλει' α, ergänzt, ergibt sich die Übersetzung: „selbst wenn du frei werden kannst, bleibe dabei“, d.h. in der Sklaverei.200 Diese Interpretation hat Paulus den Vorwurf eingetragen, er habe mit seiner Position eine am Evangelium orientierte Sozialpolitik auf lange Zeit verhindert.201 Diese Kritik verkennt einerseits den Charakter des Evangeliums, das nicht mit einer bestimmten ————————————————————
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So Weiss 187, mit Verweis auf Epiktet, Diss. 2,6,18; 4,6,21; 5,22. Vgl. W. L. Westermann, Art. Sklaverei, PW.Sup VI, 894-1068; H. Volkmann, KP V, 230-234; Straus, L’esclavage, 841-911; Stuhlmacher, Philemon, 46-48; Arzt-Grabner, Philemon, 85-108; Gayer, Sklaven, 19-110; Bartchy, Slavery, 37-125; Brockmeyer, Sklaverei, 178-197 (Zeit des Prinzipats); Bradley, Slavery, 57-106; Harris, Slave of Christ, 25-45.69-73; Schumacher, Sklaverei, 91-238 (Arbeitseinsatz); zur rechtlichen Situation vgl. auch Kaser, Privatrecht I, 283-297 (§67-69); Kaser, Privatrecht, 78-81. EÜ: „auch wenn du frei werden kannst, lebe lieber als Sklave weiter“; ähnlich Hfa, Menge, Wilckens, ZB; NRSV („make use of your present condition now more than ever“). Chrysostomus 156; Theodoret 280; Heinrici 231-232; Weiss 187-188 (im Blick auf die Möglichkeit eines eigenen Loskaufs); Lietzmann 32-33; Kümmel 177; Barrett 170-171; Conzelmann 160-161; Strobel 124; Fascher 192-193; Senft 98; Thiselton 553-559; Schrage, Einzelgebote, 23; Gayer, Sklaven, 206-209. Schulz, Sklavenhalter, 173-177.
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Gesellschaftspolitik identifiziert werden kann, und erliegt andererseits einer anachronistischen Wertung der historischen Situation.202 Die antike Sklaverei ist differenziert zu beurteilen, und Sozialreformer, die auf eine allgemeine Abschaffung der Sklaverei drängten, gab es nirgends. Es ist vom Kontext her durchaus möglich, dass Paulus den gläubig gewordenen Sklaven in der Gemeinde rät, sich nicht aktiv um ihre Freilassung zu bemühen. 2. Wenn man V. 21b als Kontrast interpretiert und mit τη^, ε λευθερι' α, ergänzt, ergibt sich die Übersetzung: Wenn du aber auch frei werden kannst, nutze es um so lieber, d.h. nutze die Freiheit, die dir angeboten wird.203 Folgende Argumente sprechen für diese Interpretation. a) Die Einleitung mit α λλα' verweist nicht auf eine Fortsetzung, sondern auf eine Alternative.204 b) Elliptische Sätze sind meistens durch ein Wort oder eine Wendung in demselben Satz zu ergänzen, in diesem Fall „Freiheit“. c) και' („auch“) ist mit ει („wenn“) zu verbinden, nicht mit δυ' νασαι, d.h. es wird nicht der Bedingungssatz eingeschränkt („aber auch/selbst wenn es dir möglich wäre, frei zu kommen“), sondern zeigt eine weitere Möglichkeit des Handelns auf („wenn es dir aber auch/sogar möglich ist, freizukommen“).205 d) Die Unterbrechung des Diatribenstils durch den Einschub von V. 21b zwischen den Imperativ V. 21a und die Erklärung V. 22 markiert V. 21b als Ausnahme, zumal schon in V. 21a der Imperativ nicht mit dem Satz „suche nicht frei zu kommen“ formuliert wird, sondern mit einer ————————————————————
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Merklein II 132; zur Kritik an Schulz s. auch Stuhlmacher, Philemon, 46-48. Gayer, Sklaven, 212-222 erklärt diese Position mit dem christologischen Interesse, der antienthusiastischen Frontstellung und der theologiegeschichtlichen Situation (akute Parusienaherwartung) des Apostels. LÜ, Elb.Ü, GN („wenn dir allerdings die Freilassung angeboten wird, dann nutze ruhig die Gelegenheit“), NGÜ, SÜ, TNIV. Godet I 182-184; Lightfoot 229-230; Findlay 830; Robertson/Plummer 147-148; Moffatt 87; Schlatter 213-233; Murphy-O’Connor 67; Fee 316-318; Wolff 149-150; Schrage II 139-140; Hays 125-126; Lindemann 172-173; Merklein II 131-134; Garland 308-314; S. R. Llewelyn, in NewDocs VI, 67-70; Bartchy, Slavery, 158.183; Stuhlmacher, Philemon, 44-48; Wolbert, Argumentation, 113-115; Baumert, Ehelosigkeit, 114-137.315-318; Schäfer, Gemeinde, 283-290; Winter, Welfare, 152-154; Vollenweider, Freiheit, 234-235; Harrill, Manumission, 109-126; Harris, Slave of Christ, 60-61; Braxton, Resolution, 225. Das Argument, der Imp. Aor. χρη^ σαι sei am einfachsten als ingressiver Aorist zu interpretieren, was auf eine Veränderung des Status hindeute (Lindemann 172; Schrage II 139), ist nicht überzeugend, da im Koine-Griechischen der Unterschied zwischen Imp. Präs. und Imp. Aor. nicht konsequent beachtet wird; vgl. BDR §335; Merklein II 132. Die Syntax von α λλ’ ει και' ist allerdings nicht eindeutig; vgl. Thrall, Particles, 78-81. Wichtig ist die Beobachtung, dass ει και' mit der Bedeutung „obwohl“ in Kap. 7 zwar nicht vorkommt, dass aber in 7,11.28 zwei Beispiele für die Verwendung eines emphatischen και' in der Protasis eines Konditionalsatzes voliegen. Das heißt, V. 21 ist wahrscheinlich ein drittes Beispiel dieses Idioms, was bedeutet, dass Paulus Sklaven rät, die Möglichkeit der Emanzipation wahrzunehmen (ebd. 81).
Die Bewährung des Christen im status quo 7,17-24 393 ————————————————————————————————————
„weichen“ Alternative („so kümmere dich nicht darum“).206 e) Historisch ist darauf hinzuweisen, dass es einem Sklaven, den sein Herr freilassen wollte, kaum möglich war, sich der Freilassung (manumissio) zu widersetzen.207 f) Wenn man nach χρη^ σαι nichts ergänzt und das absolut gebrauchte Verb im Sinn von „aktiv umgehen mit“ interpretiert, ist ebenfalls der Rat, die Möglichkeit einer Freilassung anzunehmen, impliziert: Wer Sklave ist und frei werden kann, der soll seinen neuen Status als Freigelassener für Christus nutzen. Ein Sklavenhalter konnte seinen Sklaven zum Lohn für treue Dienste freilassen.208 Die manumissio vindicta, d.h. die Freilassung durch die Auflegung eines Stabs,209 fand in Gegenwart des Prätors und seines Liktors statt; in einem fiktiven Prozess, d.h. unter Schweigen des Sklavenhalters (als Kläger), verlangte ein Sachwalter für den Sklaven oder die Sklavin die Freiheit; der Sklave wird mit einer Formel (hunc hominem liberum esse volo) freigesprochen. Die manumissio testamento, d.h. die Freilassung durch Testament,210 die häufiger vorkam, gewährte Sklaven infolge des testamentarisch festgeschriebenen Freilassungswillens ihres Herrn bei dessen Tod die Freiheit. Wenn der Herr ein römischer Bürger war, erhielt der freigelassene Sklave das Bürgerrecht.211 Freilassungen wurden in der lex Aelia Sentia (4 n.Chr.) rechtlich geregelt; so wurde zum Beispiel das Mindestalter mit 30 Jahren festgelegt. Eine aus dem griechischen Bereich stammende Form der Freilassung fand vor einem Notar statt;212 entweder der Sklave oder der Herr musste ein Lösegeld zahlen (λυ' τρα), und einer von beiden musste eine Steuer für den Transfer von Eigentum sowie eine Zahlung an die Vollstreckungsbeamten entrichten; die Freilassung wurde durch einen Anschlag im Vorhof eines Tempels öffentlich bekannt gemacht, und der Notar stellte eine Freilassungsurkunde aus.
Paulus betont in V. 21: Man kann auch als Sklave ein aktiver Jesusbekenner sein. Wenn man die Möglichkeit hat, frei zu werden, dann darf und soll man diese Möglichkeit nutzen und als Freigelassener gemäß Gott dienen. 213 ————————————————————
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Garland 310-311; Deming, Diatribe Pattern, 130-137; Horrell, Social Ethos, 164. Bartchy, Slavery, 97-98.106-107; Merklein II 133. Kritisch zu dem Argument, dass ein Sklave keinerlei Einfluss auf seine Freilassung hatte, Harrill, Manumission, 94-102. Zur römischen Gesetzgebung s. Alföldy, Gesellschaft, 340-346; vgl. Straus, L’esclavage, 887-892. Für Papyrusbelege vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 278-280. Vgl. P.Mich. VII 462; P.Oxy. XL 2937 Fr. 1 + 2,14. Vgl. P.Petr.2 I 3; I 16; P.Oxy. III 494; SB XXII 1545; P.Col. X 267; BGU I 326. Kaser, Privatrecht I, 293-295 (§69); ders., Privatrecht, 82-83. Es gab allerdings auch die manumissio minus iusta, die informelle Freilassung, bei der das römische Bürgerrecht nicht verliehen wurde. P.Stras. IV 238; P.Turner 26; P.Freib. II 10. Merklein II 134 erwägt, dass Paulus vielleicht an Fälle denkt, wo einem Sklaven anlässlich der Bekehrung seines Herrn und dessen „Hauses“ die Freilassung angeboten wird. Dieses Szenario ist in christlichen Texten erst später belegt; vgl. P.Kell. I 48 (355 n.Chr.); P.Köln III 157 (589 n.Chr.). Dieser Vorgang entsprach der manumissio inter amicos, d.h. der Freilassung eines Sklaven aufgrund eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Herrn
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22 Mit diesem Satz begründet (γα' ρ) Paulus V. 21a: Der im Herrn berufene Sklave ist ein Freigelassener des Herrn. Ein gläubiger Sklave muss deshalb nicht auf sein Sklavenschicksal fixiert sein, weil er ein „Freigelassener des Herrn“ ist. Paulus deklariert den gläubigen Sklaven nicht als „Freien“, sondern als „Freigelassenen des Herrn“, d.h. er betont nicht die Freiheit, sondern die Zugehörigkeit zu Jesus Christus. Die Wendung α πελευ' θερος κυρι' ου ist eine juristische Metapher,214 die den Lesern in der römischen Kolonie Korinth unmittelbar verständlich war. Iulius Caesar hatte im Zug der Neugründung Korinths viele Freigelassene in der Stadt angesiedelt (Strabo 8,6,23). Ein Freigelassener (lat. libertus, libertinus) war zwar rechtsfähig, stand aber unter der Patronatsgewalt seines ehemaligen Herrn.215 Der ehemalige Sklave war seinem patronus zu Ehrerbietung und Gehorsam (obsequium) und zur Leistung bestimmter Dienste (operae) verflichtet. Zur Erfüllung dieser Arbeiten kam der libertus zum Haus seines ehemaligen Besitzers. Der patronus verspricht dem Freigelassenen seinen Schutz und gewährt ihm Treu- und Ehrenrechte. Der Freigelassene konnte Haus und Grundbesitz, Vieh und Vermögen besitzen, aber sein Erbrecht war eingeschränkt: wenn er starb, erhielt sein ehemaliger Herr die Hälfte seines Vermögens.216 Wenn eine freigelassene Sklavin heiraten wollte, brauchte sie die Zustimmung ihres ehemaligen Herrn als ihres Vormunds.
Die „Freiheit“ des christlichen Sklaven erinnert manche Ausleger an stoische Texte, in denen die Freiheit ebenfalls nicht von säkularer Bindung abhängig gemacht wird, sondern der Sklave als Sklave ein „Freier“ ist, wenn er die wahre innere Freiheit besitzt.217 Der entscheidende Unterschied zu der Aussage des Apostels ist die Definition der Freiheit als Bindung an den Herrn (der Genitiv κυρι' ου ist gen. poss.), der die Identität der Jesusbekenner be————————————————————
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und Sklaven. Diese Form der Freilassung ist nur durch drei Papyri nach der Constitutio Antoniniana (212 n.Chr.) sicher bezeugt: Chrest.Mitt. 362,1-11 (221 n.Chr.); P.Lips II 151 (246-267 n.Chr.); P.Oxy. IX 1205 (291 n.Chr.). Die von Ignatius erwähnte Möglichkeit, dass Sklaven auf Kosten der Gemeinde freigekauft werden (Ignatius, Pol. 4,3), ist in V. 21 nicht im Blick; anders Braxton, Resolution, 221-231. Zu diesem Thema vgl. Harrill, Manumission, 158-192. Das Adj. α πελευ' θερος ist terminus technicus für einen ehemaligen Sklaven; vgl. SB X 10222,2; P.Oxy. II 255,8; P.Oxy. LVIII 3915,3; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 281282. Kaser, Privatrecht I, 298-301 (§70). Ein Widerruf der Freilassung (revocatio in servitutem) wegen der Weigerung des Freigelassenen, die Forderungen des ehemaligen Herrn zu erfüllen, ist für das Recht der klassischen Kaiserzeit nur in Einzelfällen belegt (seit Konstantin eine feste Einrichtung). Die lex Aelia Sentia sah höchstens die Verbannung oder die Verurteilung des Freigelassenen zur Zwangsarbeit vor. Vgl. Andreau, Der Freigelassene, 209; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 281-284. Epiktet, Diss. 1,19,9; 4,1; Philo, Prob. 50. Vgl. Weiss 187; H. Schlier, ThWNT II, 488492; Jones, Freiheit, 27-37; Deming, Marriage, 160-161.
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stimmt, unabhängig davon, ob sie dem Sklavenstand angehören, ob sie Freigelassene sind oder frei geborene Bürger. Die Freiheit als Bindung an den Herrn verlangt nicht die (stoische) Loslösung von der Welt, sondern sie ermöglicht dem gläubigen Sklaven – wie allen Jesusbekennern – die Freiheit in der Welt als Dienst an der Welt. Frei ist der gläubige Sklave „nur als Eigentum seines Herrn, nicht als sein eigener Herr“.218 Im Blick auf die als Freie geborenen Christen betont Paulus, dass sie gegenüber den „freigelassenen“ gläubigen Sklaven keinerlei Vorteile haben: In gleicher Weise ist der berufene Freie ein Sklave Christi. Der „Freie“ (ο ε λευ' θερος), d.h. der Freigeborene (lat. ingenui), der den Ruf Gottes gehört hat und Christ geworden ist,219 ist „Sklave Christi“ (δου^ λος Χριστου^ ), d.h. er gehört Jesus Christus. Paulus bezeichnet sich selbst als „Sklave Jesu Christi“ (Röm 1,1; Phil 1,1). Da alle Jesusbekenner Christus als Herrn bekennen, trifft dies auch auf die gläubigen Freien zu. 220 Die Annahme des Heilshandelns Gottes in Jesus Christus macht aus dem Freien einen Sklaven Christi und aus dem Sklaven einen Freigelassenen des Herrn. Der bekehrte Sklave darf wissen, dass sein Sklavenschicksal in der Gemeinde Gottes irrelevant ist: Er hat als Freigelassener in der Bindung an Jesus Christus Heil und Gemeinschaft mit Gott. Der bekehrte Freie wird daran erinnert, dass sein privilegierter gesellschaftlicher Status in der Gemeinde Gottes irrelevant ist: Er ist nicht mehr sein eigener Herr, weil er als Jesusbekenner Sklave Christi geworden ist, dem er dient. Die gemeinsame Zugehörigkeit zu Jesus Christus transzendiert alle gesellschaftlichen Kategorien, Klassifizierungen und Gewichtungen. 23 Paulus begründet die Bindung an den Herrn V. 22 mit einer praktisch wörtlichen Wiederholung von 6,20 (η γορα' σθητε τιμη^ ς): Ihr seid für einen Preis erkauft worden (τιμη^ ς η γορα' σθητε). Paulus spricht vom Loskauf von ————————————————————
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Schrage II 142. Der sakrale Sklavenfreikauf ist nicht im Blick; Haubeck, Loskauf, 146-47. κληθει'ς ist mit dem vorausgehenden subst. Adjektiv ο ε λευ' θερος zu verbinden („der berufene Freie“; so praktisch alle Übersetzungen); unmöglich ist es allerdings nicht, κληθει'ς mit der nachfolgenden Wendung zu konstruieren („berufener Sklave Christi“). Als Parallelen kann man lediglich auf ein Graffito verweisen, in dem sich zwei Personen als „Sklave des Sarapis“ und als Sklave des Apis bzw. der Isis zu erkennen geben (SB V 7898; der Text datiert vermutlich aus ptolemäischer Zeit). Das Wort ιερο' δουλος bezeichnet nicht Sklaven, die einer Gottheit dienen, sondern freie Ägypter oder ägyptisierte Griechen und Römer, „die in einem nicht sicher zu bestimmenden Verhältnis zu einer ägyptischen Gottheit stehen“, so Scholl, Ιε ρο' δουλος, 487, zitiert bei R. E. Kritzer, in ArztGrabner 286. Martin, Slavery, 65-66 will in der Beschreibung des gläubigen Sklaven als Freigelassener und des gläubigen Freien als Sklave eine Umkehrung der Hierarchie der Familie erkennen; vgl. Garland 315; Thiselton 561. Zur Kritik an Martin vgl. Harris, Slave of Christ, 129-130, der zu Recht dessen Konzentration auf den Gedanken der „Status-Verbesserung“ mit Verweis auf 1Kor 4,9-10 als suspekt zurückweist.
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der Macht der Sünde durch den Kreuzestod Jesu221 und von der daraus resultierenden Zugehörigkeit zu Jesus Christus dem Herrn, der beiden, dem bekehrten Sklaven und dem bekehrten Freien, einen neuen Status als Erben des Reiches Gottes (6,9-10) und als Kinder in Gottes Familie (Röm 8,14-16) verleiht und beide dem Schutz und der Fürsorge Jesu Christi unterstellt. Die Mahnung V. 23b: werdet keine Sklaven von Menschen kann in buchstäblichem oder in übertragenem Sinn verstanden werden. Es kam immer wieder vor, dass sich Menschen an eine einflussreiche Familie verkauften, um z.B. als servus actor oder Finanzverwalter zu arbeiten und nach einer bestimmten Zeit als Freigelassener in derselben Funktion eine höhere gesellschaftliche Stellung zu bekommen. 222 Im Kontext von Kap. 1–4 und 7 ergibt eine buchstäbliche Interpretation deshalb durchaus einen Sinn: Paulus warnt die korinthischen Christen vor einer Fixierung auf Status und Statusverbesserung, und er ermahnt sie, in ihrem aktuellen gesellschaftlichen Stand zu bleiben. Wenn korinthische Christen ein Gemeindeglied tolerierten, der im Inzest lebte, ist es nicht ausgeschlossen, dass junge Christen in Korinth bereit waren, sich um der gesteigerten gesellschaftlichen Integration willen für einige Jahre als Sklaven zu verkaufen. Die meisten Ausleger gehen allerdings von der metaphorischen Bedeutung der Mahnung aus: Paulus ermahnt die Christen in Korinth, sich nicht zu „Sklaven“ jener Zeitgenossen zu machen, die den Wert oder Unwert von Sklaven und von Freigeborenen festlegen und dabei die Sklaven stigmatisieren.223 24 Paulus wiederholt zum Abschluss des Abschnitts V. 17-24 noch einmal den Grundsatz von V. 17.20, sich nicht um die Veränderung seiner jeweiligen gesellschaftlichen Position zu mühen, sondern sich als Jesusbekenner an dem Platz zu bewähren, an den Gott einen jeden gestellt hat. Auffällig ist die Anrede mit Brüder und die Ergänzung von bleiben mit vor Gott (μενε'τω παρα` θεω ^, ). Mit παρα` θεω ^, betont Paulus nicht das Bleiben „bei Gott“, sondern er markiert den theologischen Grund für die Mahnung zum „Bleiben“ in dem jeweiligen gesellschaftlichen Status. Sowohl der Sklave als auch der ————————————————————
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Heinrici 233; Godet I 185; Merklein II 135; anders Schrage II 142 mit Anm. 519, der eine Näherbestimmung der erlangten Freiheit unterlässt. Digesten 54, XL,12,7; Petronius, Sat. 57-58; Dio Chrysostomus, Or. 15,23; P.Oxy. XLIX 3312. Vgl. Meyer 205; Thiselton 561; Bartchy, Slavery, 46-47.181; Winter, Welfare, 154159, der auf die kultischen Zeremonien verweist, die bei der Selbstversklavung eine Rolle spielten und für Christen problematisch wären. Kritisch Schrage II 142 Anm. 521. Barrett 171; Garland 315; Deming, Marriage, 161. Lindemann 173 interpretiert im Sinn der Versklavung an die Ziele, die korinthische Christen ihren Mitchristen vorschreiben wollen, bleibt aber die Konkretisierung im Kontext schuldig. Ähnlich Schrage II 143: christliche Enthusiasten neigen dazu, durch ihre schwärmerischen Thesen andere Christen zu versklaven. Davon ist im Text nichts zu erkennen.
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Freie steht in seiner Berufung vor Gott. Dies gilt auch für die Verheirateten und die Unverheirateten. H. Merklein kommentiert: „In bezug auf die Ehe ist damit tatsächlich eine vorzügliche Faustregel für das praktische Verhalten gewonnen. Dies gilt nicht in gleicher Weise in bezug auf die Unverheirateten. Deshalb geht er auf sie im folgenden noch einmal (nach VV. 8f.) gesondert ein“.224
Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 I 25 Was aber die Jungfrauen betrifft, habe ich keinen Befehl des Herrn. Ich gebe aber meine Meinung als einer, der vom Herrn begnadet worden ist, glaubwürdig zu sein. 26 Ich meine nun: Dies ist gut wegen der gegenwärtigen Notlage, dass es für den Menschen gut ist, so zu sein. 27 Bist du an eine Frau gebunden, suche keine Trennung. Bist du ohne Frau, suche keine Frau. 28 Wenn du aber doch heiratest, sündigst du nicht. Und wenn die Jungfrau heiratet, sündigt sie nicht. Solche werden jedoch Bedrängnis für das Fleisch haben; ich möchte euch jedoch schonen. 29 Dies aber sage ich, Brüder: Die Zeit ist zusammengedrängt. Dementsprechend gilt, dass auch die, die Frauen haben, sein sollen, als hätten sie keine, 30 und die weinen, als weinten sie nicht, und die sich freuen, als freuten sie sich nicht, und die kaufen, als behielten sie es nicht, 31 und die die Welt gebrauchen, als gebrauchten sie sie nicht. Denn die Gestalt dieser Welt vergeht. 32 Ich möchte aber, dass ihr ohne Sorgen seid. Der Unverheiratete sorgt sich um die Dinge des Herrn, wie er dem Herrn gefalle. 33 Der Verheiratete aber sorgt sich um die Dinge der Welt, wie er seiner Frau gefalle, 34 und so ist er gespalten. Auch die unverheiratete Frau und die Jungfrau sorgt sich um die Dinge des Herrn, damit sie heilig sei an Leib und Geist. Die Verheiratete aber sorgt sich um die Dinge der Welt, wie sie ihrem Mann gefalle. 35 Das sage ich aber zu eurem eigenen Nutzen, nicht um euch eine Schlinge überzuwerfen, sondern damit ihr in Anstand und beharrlich ohne Ablenkung für den Herrn da sein könnt. 36 Wenn aber jemand meint, er handle unanständig gegenüber seiner Jungfrau (Verlobten), wenn er übermäßig stark verlangend ist und wenn es daher geschehen muss, so tue er, was er will; er sündigt nicht; sie sollen heiraten. 37 Wer aber in seinem Herzen fest steht und keine Not ————————————————————
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Merklein II 136.
398 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
hat, sondern Gewalt hat über seinen eigenen Willen und hat in seinem Herzen beschlossen, seine Jungfrau (Verlobte) nicht zu heiraten, der handelt gut. 38 Folglich handelt der, der seine Jungfrau (Verlobte) heiratet, gut, und der, der nicht heiratet, handelt besser. 39 Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt. Wenn aber der Mann entschlafen ist, ist sie frei zu heiraten, wen sie will, (jedoch) nur im Herrn. 40 Glücklicher aber ist sie, wenn sie bleibt (wie sie ist) – nach meiner Meinung. Ich meine aber, dass auch ich den Geist Gottes habe.
II Paulus wendet den in V. 17-24 erläuterten Grundsatz, dass Jesusbekenner in dem Stand bleiben sollen, in dem sie berufen wurden, auf die Jungfrauen (παρθε'νοι) an, d.h. auf die unverheirateten (jungen) Frauen, die verlobt sind. Das Wort „Jungfrau“ kommt in dem Abschnitt sechs Mal vor (V. 25.28.34. 36.37.38). Paulus rät den Verlobten dieser Jungfrauen, nicht zu heiraten, wenn dies für sie und für ihre Bräute möglich ist. Das Argument, das er für das Unverheiratet-Bleiben ins Feld führt, ist ein zweifaches: die Nähe des Vergehens der „Gestalt dieser Welt“ (V. 31) und die Sorgen im Alltagsleben, die Verheiratete haben (V. 28.32-35). Paulus unterstreicht allerdings zwei Mal, dass es keine Sünde ist, wenn sie doch heiraten (V. 28.36), und er betont am Anfang und am Ende des Abschnitts, dass es sich um einen Rat (γνω' μη) handelt, den er ihnen gibt (V. 25.40; vgl. V. 26). Allerdings weist er auch darauf hin, dass er aufgrund der Barmherzigkeit Gottes vertrauenswürdig ist und dass auch er den Geist Gottes hat (V. 25.40). Gliederung. Im ersten Abschnitt V. 25-28 gibt Paulus nach einer einleitenden Bemerkung (V. 25) den unverheirateten Christen, die verlobt sind, den Rat, nicht zu heiraten (V. 26-28). Die Gründe sind die „gegenwärtige Notlage“ (V. 26) und die „Bedrängnis für das Fleisch“ (V. 28). Im nächsten Abschnitt V. 29-31 erläutert und begründet Paulus seinen Ratschlag mit dem Hinweis auf den Zeitpunkt des Endes, das näher gerückt ist (V. 29). Aus der Tatsache, dass das Ende nahe ist, folgert Paulus fünf prägnant formulierte Handlungsanweisungen, die dem Grundsatz entsprechen sollen, dass Jesusbekenner sich nicht von den Bindungen und Aktivitäten des Alltags bestimmen lassen. Im dritten Abschnitt V. 32-35 erläutert Paulus die praktischen Gründe, die es für das Unverheiratet-Bleiben gibt. Im vierten Abschnitt V. 36-38 greift Paulus das im ersten Abschnitt (V. 26-28) Gesagte nochmals auf und erklärt, dass Verlobte heiraten können, dass es aber besser ist, unverheiratet zu bleiben. Im fünften Abschnitt V. 39-40 wendet Paulus die Maxime (V. 25-28) auf die Witwen in der Gemeinde an.
Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 399 ————————————————————————————————————
Textkritische Anmerkungen. In V. 28 ersetzen D F G ex latt? sy γαμη' ση, ς („wenn du heiratest“) durch λα' βη, ς γυναι^κα („wenn du [sie] zur Frau nimmst“). Der Artikel in der Wendung η παρθε'νος wird von B F G ausgelassen, vielleicht aus Sorge, man könnte annehme, es gehe um eine bestimmte Jungfrau.225 In V. 31 ist der Akk. το` ν κο' σμον (d15.46 *אA B bo) als die schwierigere Lesart dem Dativ τω ^, κο' σμω, του' τω, (א2 D1 Ψ 1739c 1881 Byz ^, (F G lat; Tert syh; Eus) vorzuziehen.226 In V. 32 liest der westliche Text θεω Cyp Ambst) statt κυρι' ω, . Für die ersten zehn Worte von V. 34 gibt es eine Vielzahl von Lesarten, die größtenteils die Reihenfolge betreffen. 227 Die Auslassung des και' vor μεμε'ρισται (D2 F G Ψ Byz) ist entweder ein Versehen (nach γυναικι' ), oder Absicht in dem Bestreben, η γυνη' und η παρθε'νος nicht mit einem Verb im Singular (μεριμνα^) , zu konstruieren. Die Mehrzahl der Exegeten (und die Übersetzungen) folgt der Lesart von frühen alexandrinischen und westlichen Textzeugen, die και` μεμε'ρισται. και` η γυνη` η α»γαμος και` η παρθε'νος lesen, d.h. και` μεμε'ρισται als Abschluss von V. 33 betrachten (d15 B 104 vg sa bo). B. Metzger nennt es die „am wenigsten unbefriedigende“ Lesart. Die Lesart von d46 אA 33 81 1739 1881 Or, die hinter η παρθε'νος das Adj. η α»γαμος wiederholen, ist wahrscheinlich als Konflation aus mehreren Lesarten zu erklären. Die Auslassung von τα` του^ κο' σμου in B ist entweder Zufall, oder bewusste Korrektur (Frauen kümmern sich nicht um die „Dinge der Welt“).228 In V. 35 ersetzen א2 D2 F G Ψ 1739 1881 Byz das Wort συ' μφορον (d15.46 *אA B D* 33 pc latt) durch das bedeutungsgleiche συμφε'ρον. In V. 37 ist ε ν und die Reihenfolge ε ν τη^, καρδι' α, αυ του^ ε δραι^ος gut bezeugt ( *אA B D P 0278vid 33 81 104 365 1175 2464 pc lat); die Auslassung von ε ν in d15vid ist wohl ein Versehen nach ε«στηκεν; die Umstellung von ε δραι^ος vor ε ν τη^, καρδι' α, ist nur in späteren Handschriften bezeugt (א2 Ψ 1881 Byz). In V. 38 ist die Lesart ο γαμι' ζων („der heiratet“) bestens bezeugt (d15vid.46 *אA B D [F G] 0278vid 33 81 u.a.); der Mehrheitstext sowie א2 Ψ schreiben ο ε κγαμι' ζων („der verheiratet“). Die Formulierung τη` ν ε αυτου^ παρθε'νον ist schwierig und wurde wohl deshalb vom Mehrheitstext ausgelassen. Statt Präs. ποιει^ lesen d15.46 B 6 1739 1881 pc das Fut. ποιη' σει, was als Assimilierung an das Fut. der nächsten Wendung anzusehen ist. In V. 39 ergänzen א2 D1 F G Ψ Byz ar vgcl sy Epiph Ambst nach γυνη` δε'δεται interpretierend (vgl. Röm 7,2) den instrumentalen Dativ νο' μω, , der weniger gut ————————————————————
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Lindemann 177; Metzger, Commentary, 489-490. Die Ergänzung durch του' τον findet man auch für die Akkusativ-Konstruktion in D* F G 33 81 1739* pc sa; Or1739mg. Zur Diskussion vgl. Metzger, Commentary, 490; Weiss 202-203; Lietzmann 34-35; Bachmann 280-284; Fee 334-335 Anm. 4; Schrage II 178 Anm. 721; Garland 346; Thiselton 588-589. Lindemann 181.
400 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
bezeugt ist und als sekundär ausscheidet. Das Verb κοιμηθη^, wird in A 0278 pc syhmg Cl Epiph durch das häufigere α ποθανη^, ersetzt, was eine sekundäre Erleichterung ist. In V. 40 lesen d46 Cl μακα' ρια statt μακαριωτε'ρα, was als sekundäre Glättung des Textes gelten muss.
III 25 Die Formulierung περι` δε' (was aber . . . betrifft) markiert den Anfang eines neuen Abschnitts. Möglicherweise wurde das Thema der Jungfrauen, um das es im Folgenden geht, von den korinthischen Christen angesprochen. Paulus hatte bisher über folgende Gruppen geschrieben: Ehepaare (V. 2-7), Unverheiratete und Verwitwete (V. 8-9), Verheiratete, die sich scheiden lassen wollen (V. 10-11), Verheiratete, die ungläubige Ehepartner haben (V. 1216), Christen, die ihre Situation oder ihren Status verbessern wollten (V. 1724). Jetzt führt er mit dem Stichwort Jungfrauen (παρθε'νοι) eine neue Kategorie ein. In Offb 14,4 beschreibt das Wort παρθε'νος Männer, die sich nie mit Frauen eingelassen haben. Im Allgemeinen bezieht sich παρθε'νος auf junge, noch unverheiratete Frauen. Diese Bedeutung ist auch hier vorauszusetzen (vgl. den femininen Artikel in V. 28.34.36.37.38).229 Paulus stellt fest, dass er keinen Befehl des Herrn hat (ε πιταγη` ν κυρι' ου ου κ ε»χω), anders als in V. 10-11, als er ein Wort des Herrn zitierte, als er für Christen die Ehescheidung für unzulässig erklärte. Wie in V. 12-16 ist auch hier der Rat, den er den Jungfrauen gibt, seine Meinung (γνω' μην δι' δωμι). Das Wort γνω' μη bedeutet nicht nur „Meinung, Auffassung, Urteil, Rat“ wie in V. 25.40, sondern auch „Sinn, Überzeugung“ (1,10), „Beschluss, Entscheidung“ (Apg 20,3), „Einverständnis, Einwilligung“ (Phlm 14), „Entschluss, Entscheidung, Absicht“ (Offb 17,17).230 Paulus bekräftigt jedoch mit dem nächsten Satz, dass er nicht einfach seine Privatmeinung zum besten gibt, die genauso viel oder genauso wenig zählt wie die Meinung anderer Christen. Er unterstreicht, dass er als einer schreibt, der vom Herrn begnadet worden ist (ω ς η λεημε'νος υ πο` κυρι' ου), d.h. der vom Herrn zum Apostel erwählt wurde und deshalb als Beauftragter seines Herrn spricht231 und genau aus diesem Grund glaubwürdig ist. Mit πιστο' ς wird in den Inschriften ein Vertrauens————————————————————
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Elb.Ü, Hfa, LÜ, SÜ, ZB, Wilckens; Meyer 206; Heinrici 236; Lietzmann 33; Conzelmann 164; Lang 98; Fee 327; Schrage II 156; Hays 126; Merklein II 137; Garland 319-320. Andere beziehen παρθε' νος auf unverheiratete Männer und Frauen: EÜ, GN, NGÜ; Bengel 410; Weiss 194; Allo 177; Klauck 55; Wolff 155; Kremer 154; Collins 293; Thiselton 570-571, manchmal im Sinn einer „geistlichen Ehe“ von Männern und Frauen, die auf Sexualverkehr verzichten (Lightfoot 231). Manche schlagen vor, παρθε' νος beziehe sich auf Männer, die zölibatär leben (M. Black) oder auf junge Witwen und Witwer (J. M. Ford). Lindemann 176 interpretiert im Sinn von „eine bestimmte Art von Verlöbnissen“. O. Knoch, Art. γνω' μη, EWNT I, 616; vgl. R. Bultmann, ThWNT I, 717-718.
Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 401 ————————————————————————————————————
mann und ein Beauftragter beschrieben.232 Die zurückhaltende Art, mit der Paulus auf seine apostolische Autorität hinweist, ist in der Sache begründet um die es geht: Weil die Fähigkeit, unverheiratet zu bleiben, eine Gabe Gottes ist (V. 7), und weil die Motivation für das Unverheiratet-Bleiben mit der Beurteilung der Zeitumstände als „gegenwärtige Notlage“ zu tun hat (V. 26.29.31), befiehlt er nicht, sondern gibt einen Ratschlag, auf den sich die unverheirateten jungen Frauen in der Gemeinde allerdings verlassen können. 26 Der Infinitivsatz V. 26a formuliert das Motiv, der ο« τι-Satz das Urteil.233 Die Konstruktion des Satzes ist durch das zweifache καλο' ν kompliziert. Das mit der Wendung dies ist gut (του^ το καλο` ν) bzw. es ist gut für den Menschen (καλο` ν α νθρω' πω, ) markierte Urteil so zu sein (το` ου« τως ει ναι) kann man 1. auf den in V. 1b zitierten Wunsch korinthischer Christen nach sexueller Enthaltsamkeit und auf den in V. 8 gegebenen Rat zur Ehelosigkeit beziehen,234 oder 2. auf die Mahnung von V. 17.20.24, in dem Stand zu bleiben, in dem man sich bei seiner Bekehrung befand. 235 Der erste Vorschlag ist plausibler: Er erklärt die komplizierte Satzstruktur am besten, und er stellt eine Verbindung her zwischen dem Wunsch korinthischer Christen und der Bevorzugung der Ehelosigkeit durch Paulus und dem Thema der „Jungfrauen“, das er in den folgenden Versen behandelt. „So zu sein“ heißt also, wie Paulus unverheiratet sein. In V. 26a nennt Paulus zum ersten Mal ein Motiv für seine Bevorzugung der Ehelosigkeit: wegen der gegenwärtigen Notlage (δια` τη` ν ε νεστω ^ σαν α να' γκην). Das Wort α να' γκη bedeutet „Nötigung, Zwang“, z.B. im Sinn von göttlicher Fügung,236 dann auch „Zwangslage, Not, Bedrängnis, Krise“. 237 ————————————————————
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Schrage II 155; Lindemann 176; Garland 322 interpretieren mit Hinweis auf 2Kor 4,1 das Verb η λεημε' νος als Verweis auf die Beauftragung zum Dienst der Mission. Merklein II 137 interpretiert im Sinn der „Gunst der Vertrauenswürdigkeit“. Bauer /Aland 1336 s.v. πιστο' ς 1.a.α. Merklein II 138. Lietzmann 33; Bachmann 281; Allo 177; Fee 330; Wolff 155; Merklein II 138. Robertson/Plummer 152; Heinrici 238-239; Schrage II 157; Garland 323. In philosophischen Texten bedeutet α να' γκη manchmal „Notwendigkeit“ im Sinn eines „Weltprinzips“ (Plato, Resp. 10,616), das göttlichen Charakter besitzt, oder im Sinn von „Hemmnisse für die Seele“ (Plato, Tim. 48a), deren letzter Grund das Todesschicksal ist (Euripides, Herc.Fur. 282f). Bauer /Aland 102 s.v. α να' γκη 1-2; LSJ 101 s.v. α να' γκη 4; LEH I, 27. Diese Bedeutung liegt oft in der LXX vor: 1Sam 22,2; Hiob 5,19; 7,11; 15,24; 20,22; 27,9; 30,25; 36,19; Ps 25,17; 107,6.13.19.28; Prov 17,17; vgl. TestJos 2,4; Josephus, Bell. 5,571. Die Formulierung α να' γκην ε»χειν ist in manchen Texten eine Umschreibung für „müssen“. Vgl. W. Grundmann, ThWNT 347-350; A. Strobel, EWNT I, 185-190. Zu den Papyri vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 290-291: α να' γκη bezieht sich häufig auf eine bestehende Notlage, in der sich jemand gerade befindet und die man zu lindern versucht; vgl. P.Warr. 15,5-6; UPZ I 42,8-9.16; SB XIV 12026,3-5.9-10; P.Oxy. XVIII 2182,16-17.
402 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Eine in Clarus gefundene Ehreninschrift ist einem gewissen Menippus gewidmet, der „in Zeiten der Bedürftigkeit“ (ε ν καιροι^ς α ναγκαι' οις) der Stadt mit großem Eifer als Gönner geholfen hat.238 Offensichtlich handelt es sich um eine Krise der Stadt, in der Menippus die Bevölkerung vor einer Katastrophe bewahrt hat. In Lk 21,23 wird die Zeit vor der kommenden Zerstörung Jerusalems als α να' γκη μεγα' λη beschrieben. In Zef 1,15 heißt „der große Tag des Herrn“ η με'ρα θλι' ψεως και` α να' γκης.239 Viele Ausleger interpretieren die „gegenwärtige Notlage“ deshalb im Sinn der großen Drangsal, die nach apokalyptischer Erwartung die Zeit vor dem Ende charakterisiert.240 Die „Not“, von der Paulus redet, sind nicht einfach die „Bedrängnisse, die dem Christen auf Grund seines Glaubens in mannigfacher Weise jetzt zuteil werden“.241 Auch die Interpretation im Sinn von „konkreten gegenwärtigen als bedrängend wahrgenommenen Lebenssituationen“ 242 hilft ohne Konkretion nicht weiter, die angesichts der Ermutigung zur Ehelosigkeit der unverheirateten korinthischen Christen im Kontext notwendig ist. Der Tenor der Begründung, die Paulus in den folgenden Versen für seine Bevorzugung der Ehelosigkeit gibt, bestätigt die eschatologisch-apokalyptische Interpretation. In V. 29 betont er, dass die Zeit „zusammengedrängt“ ist, in V. 30, dass „die Gestalt dieser Welt vergeht“. Eine ausschließlich endzeitliche Interpretation ist allerdings sprachlich problematisch: 1. Das Subst. α να' γκη ist bei Paulus kein geprägter Ausdruck für die apokalyptische Drangsal wie θλι^ψις,243 sondern wird zur Bezeichung notvoller Erfahrungen (2Kor 6,4; 12,10; 1Thess 3,7) und von Gott gesetzter Notwendigkeit (1Kor 9,16; Röm 13,5) verwen^ σαν kann „gegenwärtig“ oder „bevorstehend“ bedet.244 2. Das Adj. ε νεστω deuten. Die erste Bedeutung ist im Kontext und analog des sonstigen paulinischen Gebrauchs vorzuziehen (vgl. 3,22; Röm 8,38; Gal 1,4). 245 ————————————————————
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S. Sahin, EA 9 (1987) 62 Nr. 3; SEG 37 (1987) 957; J. R. Harrison, in NewDocs IX, 7. Vgl. grHen 100,7; 103,7; Jub 23,11-31; 4Esra 5,1-13; 6,18-24; 9,1-2; syrBar 25–27. Conzelmann 164; Lang 99; Klauck 55; Senft 102; Schrage II 156-157; Kremer 155; Merklein II 138; Garland 324-325; A. Strobel, Art. α να' γκη, EWNT I, 188. Wolff 155; vgl. Godet I 189; Fee 329; Grundmann, ThWNT I, 349-350. Mit der „Not“ meint Paulus auch nicht die Beschwerlichkeit der Ehe (so Deming, Marriage, 172, der auf das περι'στασις-Argument der Stoiker verweist, dem Paulus verpflichtet sein soll). Lindemann 177. So Lindemann 177; Baasland, α να' γκη, 367-371. Im klass. Griechisch beschreibt α να' γκη die menschliche „Zwangslage“, die keine freie Entscheidung ermöglicht; vgl. Euripides, Or. 1330; Xenophon, An. 3,1,43. Vgl. Strobel, EWNT I, 188. Präsentisch interpretieren NGÜ („wegen der bedrängten Lage, in der wir uns befinden“), SÜ („um der gegenwärtigen Not willen“); die meisten dt. Übersetzungen deuten futurisch: LÜ („kommende Not“), EÜ, ZB („bevorstehende Not“), GN („bevorstehende Notzeit“), Wilckens („die bevorstehende große Not“). In den Papyri bezeichnet das Perfektpartizip ε νεστω' ς „einen gegenwärtigen Zustand oder eine ‚laufende‘ Zeit“, R. E. Kritzer, in Arzt-
Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 403 ————————————————————————————————————
Die eschatologische Begründung in V. 29-30 und der paulinische Sprachgebrauch in V. 26, der eine aktuelle Notlage anspricht, lässt sich mit dem Vorschlag von B. Winter verbinden, der die Hungersnot in Griechenland im Jahr 51/52 n.Chr. für die Interpretation von Kap. 7 heranzieht (Paulus wirkte 50/51 in Korinth und schrieb im Jahr 54 den Ersten Korintherbrief).246 Diese Hungersnot und die damit verbundene Lebensmittelknappheit haben korinthische Christen möglicherweise zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass die Wiederkunft Jesu unmittelbar bevorsteht. Wenn dies richtig ist, liegt der Gedanke nahe, dass korinthische Christen die Warnung von Mt 24,19 / Mk 13,17 / Lk 21,23 beherzigen wollten, nicht schwanger zu sein und kein Kind zu stillen – mit der Konsequenz, sexuell enthaltsam zu leben. In diesem Zusammenhang kann man den der Rat des Apostels, dass es „gut“ ist, „wegen der gegenwärtigen Notlage“ ehelos zu bleiben, verstehen. In diesem Kontext beschreibt α να' γκη die konkrete Notsituation, die durch die Hungersnot entstanden ist und die als Zeichen des nahen Endes verstanden werden kann; ε νεστω ^ σαν hat dann sowohl eine gegenwärtige und zukünftige Bedeutung in Bezug auf die aktuelle Notsituation und die anstehende Drangsalszeit vor dem Ende. 27 Mit kurzen, unverbundenen Sätzen wendet sich Paulus in direkter Anrede an die Männer in der Gemeinde. Wenn ein gläubiger Mann an eine Frau gebunden ist (δε'δεσαι γυναικι' ), soll er keine Trennung suchen (μη` ζη' τει λυ' σιν). Auf den ersten Blick scheint Paulus mit diesem Satz seinen Rat an die verheirateten Männer von V. 11b zu wiederholen. 247 Diese Auslegung ist jedoch problematisch:248 1. Sie stellt eine Wiederholung von V. 11 dar, die unnötig ist; zudem ist die Formulierung „suche keine Trennung“ angesichts des strikten Scheidungsverbots in V. 10-11 zu schwach. 2. Der Abschnitt richtet sich an die „Jungfrauen“, nicht an die Verheirateten. 3. Die Fortsetzung V. 28 passt nicht recht zu dieser Auslegung, da dort wie in V. 11 eine Ausnahme von dem Grundsatz V. 27 formuliert würde, was aber bei der Interpretation im Sinn der Ehescheidung V. 11 widersprechen würde, wo Geschiedenen die Wiederheirat untersagt wird. 4. Paulus verwendet mehrere Verben für die Ehescheidung (α φι' ημι, χωρι' ζομαι), nicht jedoch λυ' ω. Die Vokabel γυνη' beschreibt häufig verheiratete Frauen, aber an vielen Stellen ————————————————————
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Grabner 291, mit Verweis auf P.Athen. 26,15; P.Mich. II 121 Rekto, Kol. II ix,2; BGU IV 1201,4-5; P.Oxy. II 278,5 u.a. Vgl. Winter, Famines, 86-106; ders., Corinth, 216-231; vgl. Blue, Famine, 221-239; Rosner, Paul, 162-163; Thiselton 573; Garland 324. So Robertson/Plummer 153; Moffatt 92; Conzelmann 165; Lang 99; Merklein II 139. Vgl. Schrage II 158; Lindemann 177; Thiselton 576-577; Garland 325; s. auch Weiss 194; Fee 331; Wolff 156; Kremer 155; Baumert, Ehelosigkeit, 174-181.
404 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
auch Unverheiratete.249 Da λυ' σις in zeitgenössischen Papyri die „Lösung“ von Obligationen oder Schulden bezeichnet, 250 kann an die Auflösung eines Verlöbnisses gedacht sein. Im jüdischen Recht hatte ein Verlöbnis fast dieselbe rechtliche Qualität wie eine vollzogene Ehe. 251 Im römischen Recht hatte das wechselseitige Eheversprechen im Verlöbnis (sponsalia) rechtliche Wirkungen, die über die „sittlich gebotene Pflicht zur Eheschließung“ hinausgingen.252 Paulus denkt also konkret und realistisch im Kontext des römischen Rechts: Ein Eheversprechen, das ein Christ einer Frau (d.h. seiner Braut) gegeben hat, soll nicht gebrochen werden. Und wer ohne Frau ist, d.h. wer keine verpflichtenden Eheversprechen eingegangen ist, 253 der suche keine Frau, d.h. der soll sich – angesichts der „gegenwärtigen Notlage“ – nicht auf die Suche nach einer Ehefrau machen. Dieser Rat entspricht von der Sache her dem Grundsatz V. 17.20.24. 28 Allerdings teilt Paulus dem (verlobten) Jesusbekenner, der doch heiratet, mit: Du sündigst nicht. Der Rat von V. 26-27 ist kein Befehl. Die Tempusformen von γαμη' ση, ς, γη' μη, , η« μαρτες und η« μαρτεν sind als proleptische (futurische) Aoristformen zu interpretieren.254 Und wenn Jungfrauen, d.h. verlobte junge Frauen heiraten, dann ist dies ebenfalls keine Sünde. Weshalb betont Paulus, dass die Unverheirateten, die sich zur Ehe entschließen und heiraten, nicht gegen den Willen Gottes verstoßen? Möglicherweise spiegelt sich in der (für einen Juden erstaunlichen) Aussage, dass es keine Sünde ist, wenn Unverheiratete heiraten, die Position einiger korinthischer Christen wieder, die entweder die Ehe selbst oder (ehelichen) Sexualverkehr als Sünde ————————————————————
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1Kor 7,34; Mt 9,20.22; 13,33; 15,22.28; 27,55; Mk 14,3; Lk 1,42; 8,2.3; 13,11 u.a.; vgl. Bauer /Aland 335-336 s.v. γυνη' 1. BGU IV 1149 (13 n.Chr.); P.Oxy. III 510 (101 n.Chr.); vgl. MM 382. Arzt-Grabner 292293 weist darauf hin, dass λυ' ω in den Papyri im rechtlichen Kontext grundsätzlich für das Lösen einer Vertragsverbindlichkeit verwendet wird, aber auch für das Auflösen einer Ehe verwendet werden konnte; vgl. P.Oxy. XII 1473,6 (210 n.Chr.). In Scheidungsverträgen wird auch das Kompositum περι'λυσις verwendet, vgl. Stud.Pal. XXII 51,3.12-13 (153 n.Chr.); P.Oxy. XLIII 3139,15-16 (3./4. Jh. n.Chr.); P.Stras. III 142,21 (391 n.Chr.). Vgl. Dtn 22,23-27; Philo, Spec.Leg. 3,72; vgl. Mt 1,18-19; Bill. II, 393-394. Kaser, Privatrecht I, 313 (§74.3): „Das Verlöbnis begründet eine Art Schwägerschaft und, darauf gestützt, ein Hindernis für andere Ehen der Beteiligten. . . . Tötung des Verlobten ist parricidium“. Die Auflösung des Verlöbnisses konnte von jedem Teil einseitig erklärt werden (ebd. 314, §74.4) und galt nicht als Ehebruch. Fee 332; Schrage II 159. Die Wendung λε' λυσαι α πο` γυναικο' ς könnte sich auf Männer beziehen, die ihr Verlöbnis gelöst und sich von ihrer Verlobten getrennt haben; so Lindemann 177. BDR §333 Anm.7; Schrage II 159 Anm. 617. Anders Heinrici 239; Lietzmann 33; Schrage II 159 Anm. 615, die im Sinn eines gnomischen Aorist interpretieren. Gnomische Aorist-Formen sind im NT jedoch selten, HS 327 (§199.l.). Der Aor. Konj. γη' μη, (statt γαμη' ση, ) ist klassisch; BDR §101 Anm. 16.
Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 405 ————————————————————————————————————
betrachten. Eine solche theologisch akzentuierte Einstellung korinthischer Christen lässt sich jedoch aus den Aussagen in Kap. 7 nicht erheben. Deshalb ist es wahrscheinlicher, dass der Wunsch korinthischer Christen, auf Ehe und Sexualverkehr zu verzichten, den Eindruck erwecken konnte, dass eine Heirat gegen den Willen Gottes verstößt. Paulus betont deshalb mit Nachdruck, und dies gleich zwei Mal, dass eine Eheschließung auch angesichts der „gegenwärtigen Notlage“ keine Sünde ist.255 Der Grund, weshalb die Verlobten heiraten, wird von Paulus nicht genannt. Er ist wohl in der Tatsache zu sehen, dass sie nicht enthaltsam leben können (V. 9). Paulus unterscheidet zwischen zwei Arten von Fragen. Es gibt Fragen, deren Antworten nicht erst gesucht werden müssen, weil der Wille Gottes in seiner Offenbarung oder durch ein Wort des Herrn feststeht. Und es gibt Fragen, die der einzelne Gläubige in der Verantwortung seines Glaubens selbst und frei entscheiden kann und soll. Sexualverkehr außerhalb der Ehe und die Initiierung der Ehescheidung gehören zu den bereits entschiedenen Fragen. Die Frage, ob man heiraten soll oder nicht, gehört zu den Bereichen, in denen der Christ die Verantwortung der freien Gewissensentscheidung hat, die er im Kontext der Ratschläge treffen soll und kann, die Paulus (und andere Lehrer der Gemeinde) formulieren. In V. 28c qualifiziert Paulus die Qualifizierung seines Ratschlags, unverheiratet zu bleiben (V. 26-27), in V. 28ab: die heiraten (οι τοιου^ τοι) werden jedoch Bedrängnis für das Fleisch haben. „Fleisch“ (σα' ρξ) hat hier eine neutrale Bedeutung und beschreibt den ganzen Menschen in seiner Kreatürlichkeit, die vergängliche und vergehende Gestalt, die mit der Welt vergeht (V. 31).256 Das Wort θλι^ψις beschreibt nicht nur (vgl. V. 33) die „Sorgen im Alltagsleben“,257 sondern – im Zusammenhang des Hinweises auf das Ende ————————————————————
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Weiss 196 bezieht das „Nicht-Sündigen“ auf „Jungfrauen“, die ein „geistliches Verlöbnis“ eingegangen waren, in dem sich junge Männer und Frauen verlobt und sich dabei gelobt haben, jungfräulich zu bleiben, d.h. auf Sexualverkehr zu verzichten (194-195); vgl. Lietzmann 36 (für V. 36-38); Moffatt 99; Delling, Frau, 86-91; ders. ThWNT V, 835; A. Adam, Art. Syneisakten, RGG3 VI, 560-561; Enslin, Ethics, 176-177; dagegen Kümmel 179; Merklein II 139-140; Oepke, Irrwege, 449-452; vgl. S. Elm, Syneisakten, RGG4 VII, 1956. Das Institut des Syneisaktentums ist erst seit dem 3. Jahrhundert belegt. Zu beachten ist, dass Paulus keine Neigung zu asketischen Anstrengungen erkennen lässt. Deming, Marriage, 172-173 meint, Paulus weiche hier von der kynisch-stoischen Position in Sachen Ehe ab, in der das Heiraten unter widrigen Umständen eine „Sünde“ (α μα' ρτημα) ist; vgl. Arius Didymus, in Stobaeus II, 86,1-16. Zu bedenken ist allerdings, dass Paulus auch sonst nicht einfach stoische bzw. kynische Positionen vorträgt. E. Schweizer, ThWNT VII, 125; A. Sand, EWNT III, 550-551; Merklein II 140. Lindemann 177. Nach Calvin 374 meint Paulus „den Kummer und die Ängste, die den Eheleuten aus ihren irdischen Verpflichtungen entstehen“; vgl. Merklein II 140. Godet I 191 interpretiert im Sinn der „Kampfesstellung“, in der sich die Kirche befindet.
406 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
der Welt (V. 31) –, wie die „gegenwärtige Notlage“ (V. 26), die Bedrängnis der Drangsal in der Endzeit.258 An das von Jesus ausgesprochene Wehe über die Schwangeren und Stillenden und der Hinweis auf die θλι^ψις, die so groß ist wie nie zuvor,259 wurde oben bereits erinnert (vgl. zu V. 26). Verheiratete Christen haben angesichts der aktuellen Notlage und des Leidens der Christen in der Endzeit mehr auszuhalten als unverheiratete Christen, die sich nicht um Frau und Kinder kümmern müssen. Einer egoistischen Scheu vor Verantwortung redet Paulus allerdings ganz gewiss nicht das Wort.260 Vielleicht denkt er auch – als Vorbild für korinthische Christen, die Gott dienen wollen – an die Mühen seines apostolischen Dienstes, in dem er weder auf Frau noch Familie Rücksicht nehmen musste. 29 Mit Nachdruck (του^ το δε' φημι) und erneuter direkter Anrede (α δελφοι')261 bekräftigt Paulus: Die Zeit ist zusammengedrängt. Das Wort καιρο' ς, auch bei Paulus teilweise synonym zu χρο' νος („Zeitdauer im linearen Sinn“),262 bezieht sich auf einen vergangenen Zeitpunkt (Röm 5,6), auf eine unbestimmte Zeitdauer (1Kor 7,5; Röm 9,9; 1Thess 2,17; Gal 6,10), oder auf die gegenwärtige Zeit (Röm 3,26; 8,18; 11,5; 2Kor 8,14). In dem mit V. 31 deutlich markierten eschatologischen Kontext bezeichnet ο καιρο' ς die noch verbleibende Zeit zwischen Auferstehung Jesu und Wiederkunft Jesu. 263 Die häufigste Bedeutung von συστε'λλω ist „zusammendrängen, beschränken, verkleinern“.264 Die Wendung ο καιρο` ς συνεσταλμε'νος ε στι' ν ist nicht mit „die Zeit ist kurz“ zu übersetzen,265 sondern mit „die Zeit ist zusammengedrängt“ oder „die Zeit ist reduziert, kürzer als zu erwarten“.266 Möglich, aber nicht ————————————————————
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In den Papyri bezeichnet θλι^ψις manchmal eine wirtschaftliche Notlage, „die bestimmte, unverzügliche Maßnahmen erforderlich macht“, so R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 293, mit Verweis auf BGU IV 1139,4; P.Erasm. I 6,11-12; P.Münch. III 127,21-22 u.a. Mt 24,19 / Mk 13,17 / Lk 21,23; vgl. Sib 2,190-192; syrBar 10,13-14; äthHen 99,5. Richtig Schrage II 160 Anm. 622; ebd. die folgende Bemerkung. Dieselbe feierliche Einleitung und Anrede kommt bei Paulus nur noch in 15,50 vor, wo es in V. 50-58 um die Verwandlung bei der Auferstehung des Leibes geht. J. Baumgarten, Art. καιρο' ς, EWNT II, 572. Schrage II 170-171; Merklein II 141-142; Wolff 157; Hays 127; Garland 328; Baumgarten, Apokalyptik, 222; ders., EWNT II, 573. Bauer /Aland 1585; LSJ 1735 s.v. συστε' λλω I.1-5. In den Papyri bedeutet συστε' λλω „aneinanderreihen, mitschicken“, sodann „(quantitativ) reduzieren“, zumeist auf Geldbeträge bezogen; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 295, mit Verweis auf BGU VIII 1785,12-13; P.Amh. II 70,3; auf ein Territorium bezogen: P.Berl.Salmen. 20,6. Vgl. auch Baumert, Ehelosigkeit, 431-438. LÜ, EÜ, ZB. Ein „kurzer Zeitraum“ wird sonst mit βραχυ' ς, ο λι'γος, ε λαχυ' ς, μικρο' ς bezeichnet; Baumert, Ehelosigkeit, 531. GN „die Tage dieser Welt sind gezählt“, NGÜ „es geht immer schneller dem Ende zu“. Das Perf. des Partizips verweist auf einen bestehenden Sachverhalt, nicht auf einen (göttlichen) Akt der Verkürzung.
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sehr wahrscheinlich ist der Vorschlag, dass das Motiv der Verkürzung der Tage267 eine Rolle spielt: Paulus spielt auf diesen Gedanken in den folgenden Versen nicht an. An die dem einzelnen Christen verbleibende Zeit bis zu seinem Tod268 ist angesichts des eschatologischen Kontexts ebenfalls nicht gemeint.269 Am plausibelsten erscheint die von J. Chr. K. von Hofmann und F. Godet vorgeschlagene Interpretation: Mit dem Verb συνεσταλμε'νος verweist Paulus auf die Eingeschränktheit der Zeit, die durch die Ansage der Wiederkunft Jesu gegeben ist. „Der Apostel will also nicht den Gedanken aussprechen, daß die gegenwärtige Epoche so oder so viele Jahre dauern werde, vielmehr, daß es dieser Epoche eigentümlich sei, zwischen zwei genau bestimmten Grenzpunkten eingeschlossen zu sein, über welche hinaus sie sich nicht ins Unendliche ausdehnen kann“. 270 Die Grenzpunkte sind auf der einen Seite das erste Kommen Jesu Christi und auf der anderen Seite die Wiederkunft Jesu, die bald stattfinden kann und durch die „die Zeit“ abgeschlossen wird. Weil Christen wissen, dass die letzte Stunde angebrochen ist (Röm 13,11; 1Joh 2,18), deren Dauer niemand kennt, ziehen sie in ihrem Alltagsleben die notwendigen Konsequenzen. Diese Konsequenzen werden in V. 29b-31a in fünf parallel formulierten Maximen skizziert.271 Mit ω ς μη' („als [ob] nicht“) verbietet Paulus nicht den persönlichen Umgang mit der Welt, er ruft nicht zum asketischen Rückzug aus der Welt auf, zu Eskapismus oder Gefühlstemperierung. 272 Er stellt den korinthischen Christen vor Augen, wie sie als Jesusbekenner ihrem Glauben an Jesus Christus und seine Wiederkunft gemäß so in der Welt leben, dass sie nicht von der Welt beherrscht werden, dass sie in der Welt frei sind von der Welt. Das Wissen um die „zusammengedrängte Zeit“ (V. 29a) und um das „Vergehen“ der Gestalt dieser Welt (V. 31b) hat Konsequenzen für die christliche Lebensbewältigung in Zusammenhang der Strukturen dieser Welt. ————————————————————
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Mt 24,22 / Mk 13,20: ε κολοβω' θησαν/ε κολο' βωσεν. So interpretiert Lindemann 178. Calvin 375; kritisch Schrage II 171. K. H. Rengstorf, ThWNT VII, 597; Baumert, Ehelosigkeit, 211 nehmen eine sprichwörtliche Redensart an (Rengstorf verweis auf mAb 2,15: „der Tag ist kurz, die Arbeit groß). Dieser Vorschlag hat wenig Ausleger überzeugt, da es an Belegen fehlt. Godet I 192; vgl. Hofmann 158; Fee 339 mit Anm. 14. Thiselton 566 übersetzt: „limits have been placed on the critical time“. Dieser Abschnitt wird von manchen Auslegern als „apokalyptisches Traditionsstück“ betrachtet; Schrage, Welt, 139.153; ders. II, 168-169, mit Hinweis auf 6Esra (= 4 Esra 16,42-45) als Parallele; vgl. Merklein II 141; Baumgarten, Apokalyptik, 221; Müller, Prophetie, 160-152; Deming, Marriage, 176-177. Andere vergleichen mit kynisch-stoischen Aussagen; vgl. Weiss 199; Lindemann 179; Braun, Studien, 159-167; mit Verweis auf Epiktet, Diss. 3,22,67-76; 3,24,59-60; 4,1,159; 4,7,5; Seneca, Ep. 1,2; 47; 74,18; zur Kritik s. Schrage II 171-173. Merklein II 143; Lindemann 179; Schrage II 174.
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Calvin kommentiert: „Wer darum weiß, daß er in dieser Welt ein Fremdling ist, kann auch die Dinge dieser Welt so benutzen, als wären sie ihm fremd und nur für einen Tag gegeben. Als Christen dürfen wir uns nicht beschlagnahmen lassen von irdischen Geschäften und dürfen nicht in ihnen unsere Ruhe suchen. Wir müssen jeden Tag zum Tod bereit sein“. 273 Paulus sagt im Unterschied zur Apokalyptik nicht, dass die Gegenwart nichts, die Zukunft aber alles sei. Im Unterschied zur Schwärmerei sagt er nicht, die Zukunft sei nichts aber die Gegenwart sei alles. 274 Weil mit dem Kommen des Messias Jesus Christus das Ende der Weltgeschichte ins Blickfeld gerückt ist, sind die Strukturen der weltlichen Gesellschaft immer etwas Vorletztes. Jesusbekenner sollen die vergehenden Dinge der Welt und der Geschichte nicht generell als Sünde abqualifizieren (V. 28) oder „desinteressiert bagatellisieren“, sie sollen sich aber auch nicht krampfhaft „an das Vergehende klammern und es als etwas Definitives ansehen“. Nachfolger Jesus sind „in der Welt“ (ε ν τω ^, κο' σμω, , Joh 16,33; 17,11) und gleichzeitig sind sie „nicht von der Welt“ (ου κ ε κ του^ κο' σμου, Joh 17,14.16). Die Formulierung der verschiedenen Lebenserfahrungen mit präsentischen Partizipien – verheiratet sein (οι ε» χοντες γυναι^κας), weinen (κλαι' οντες), freuen (χαι' ροντες ), kaufen (α γορα' ζοντες), die Welt gebrauchen (οι χρω' μενοι το` ν κο' σμον) – unterstreicht, dass es nicht nur um kurzfristige existentielle Erfahrungen handelt, sondern um Grunderfahrungen christlicher Existenz. Die erste Maxime (V. 29b)275 lautet: Die, die Frauen haben, sollen sein, als hätten sie keine. Die Verheirateten sollen sich von ihrer Bindung an den Ehepartner nicht völlig beherrschen lassen. Paulus spricht nur die Ehemänner an; die nächsten drei Maximen zeigen, dass der Satz auch für die Ehefrauen ————————————————————
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Calvin 375. Schrage II 173; er meint, gegenüber den „Asketen und Spiritualisten mit ihrer realized eschatology wäre eigentlich weniger das ω ς μη` ε»χοντες . . . als das ε»χοντες zu betonen“. Aber Paulus betont gerade das ω ς μη` ε»χοντες! Für das Folgende s. ebd. Die Wendung το` λοιπο' ν ist mit dem folgenden «ινα-Satz zu konstruieren, am besten mit begründendem Sinn („also, mithin“); vgl. Kümmel 178; Lindemann 178; Baumert, Ehelosigkeit, 212-213; vgl. Bauer/Aland 974 s.v. λοιπο' ς 3.b (folgernd „darum“); Thrall, Particles, 25-30, die ebd. 26 eine temporale Bedeutung vorschlägt: „in der verbleibenden Zeit“, d.h. von der Gegenwart bis zur Parusie. In den Papyri kommt die Wendung το` λοιπο' ν sowohl modal-überleitend („ferner, übrigens“) also auch mit temporaler Bedeutung („in Zukunft, fortan“) vor; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 296, mit Verweis auf P.Wash.Univ. II 106,5-6; P.Princ. III 161,4-7 bzw. P.Hib. II 206,13-14; P.Oxy. XVII 2149,5-7; XLVIII 3417,14-15. Die Konj. «ινα bezieht sich nicht auf του^ το δε' φημι („ich sage jedoch dies, dass . . .“), sondern auf die folgende Aussage und ist deshalb imperativisch zu interpretieren; vgl. BDR §387.3a; HS §268b Anm.1; NSS II 72. Das einleitende και' übersetzt man am besten mit „auch“ (d.h.: nicht nur die Unverheirateten, sondern auch die Verheirateten); andere interpretieren και' hier als das erste Glied in der Aufzählung, vgl. Fee 338 Anm. 11; Baumert, Ehelosigkeit, 217.
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gilt. Dass sexuelle Enthaltsamkeit nicht gemeint sein kann, zeigen V. 2-6. Der Horizont der Wiederkunft Jesu und des Endes der Weltgeschichte ist nicht nur für die Verlobten wichtig, für die das „sie haben keine Frauen“ gilt. So wie die Verlobten angesichts der „gegenwärtigen Notlage“ von einer Eheschließung absehen sollen, wenn sie können (V. 26-28), so sollen die Verheirateten in ihrem Eheleben primär gebunden sein an das Heil der Weltvollendung, das Gott ihnen im Glauben an Jesus Christus geschenkt hat und schenkt.276 30 Die zweite Maxime lautet: Die weinen (sollen sein), als weinten sie nicht. Das Leid der gegenwärtigen Notlage, wie generell die Tiefen menschlicher Lebenserfahrung, veranlasst Christen, zu weinen (οι κλαι' οντες).277 In Krisensituationen empfinden auch Jesusbekenner Schmerz, Angst und Erschöpfung. Gerade Christen, die die Hintergründe des Leidens in der Welt kennen, sind weit davon entfernt, das Leid zu bagatellisieren. Gleichzeitig gilt, dass Jesusbekenner, die um das Vergehen der Welt und um die kommende Heilsvollendung wissen, an der Verheißung festhalten, dass kein Leid dieser Welt sie von dem Leben, das Gott ihnen geschenkt hat und ihnen in Vollkommenheit schenken wird, trennen kann (vgl. Röm 8,35-39). Als μη` κλαι' οντες, als solche, die als Weinende zugleich „Nicht-Weinende“ sind, erfahren sie die Wirklichkeit der Freude mitten im Leid. Die dritte Maxime lautet: Die sich freuen (sollen sein), als freuten sie sich nicht. Christen sind Menschen, die sich über das Heil freuen, das sie und andere erhalten haben und in der Vollendung erhalten werden. 278 Sie freuen sich, weil sie zum Herrn gehören (Phil 3,1; 4,4). Aber Christen sind keine Menschen, die griesgrämig ihr Leben auf dieser Erde hinter sich bringen und sich nur auf die Wiederkunft Jesu freuen. Im Auf und Ab des Lebens erfahren sie die Höhen ganz bewusst, nicht verstohlen oder im Stillen, sondern voller Freude und Fröhlichkeit. Christen sind nicht immer, aber eben doch immer wieder erneut οι χαι' ροντες, freudige und fröhliche Menschen – ob verheiratet oder ehelos, ob Sklaven oder Freie. Gleichzeitig gilt, dass Christen, die um ————————————————————
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Merklein II 143-144 erinnert an die Aussage Jesu in Mk 12,25 („Wenn sie von den Toten auferstehen werden, so werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie die Engel im Himmel“), die er im Kontext von Mk 12 als Kommentar zur Ehe „als Institution zur Erzeugung von Nachkommen“ versteht. „Als Institution wird es die Ehe nach der Neuschöpfung nicht mehr geben. Die Ewigkeitsverheißung eines sich fortzeugenden Lebens ist aufgehoben und erfüllt in der ewigen Fortdauer des gezeitigten Lebens“ (143). In V. 29b betont Paulus mit der Wendung ω ς μη` ε»χοντες „die Einsicht, daß auch die Nachkommenschaft den Wunsch nach Leben nicht stillen kann“. Paulus spricht von seinem eigenen Weinen bzw. seinem Traurigsein in Röm 9,2; 2Kor 2,4; Phil 2,25-30; 3,18. Vgl. Mt 5,12 sowie die Seligpreisungen 5,3-11; Lk 10,20; 15,6.9.32; Röm 12,12; vgl. die Aufforderung, „allezeit freut euch“ in 1Thess 5,16; vgl. 2Kor 13,11.
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die Vergänglichkeit der Welt wissen, die irdische Freude als das erkennen, was sie ist: Vor-Freude auf die Freude der Heilsvollendung in der Gegenwart Gottes und seiner neuen Welt. Sie freuen sich nicht in ungebremster Lust, sondern im Gebundensein an den Herrn, der allein wahre Freude schenkt. Die vierte Maxime lautet: Die kaufen (sollen sein), als behielten sie es nicht. Christen ziehen sich nicht aus der Welt zurück: Sie leben in der Welt und deshalb kaufen sie auf dem Markplatz der Stadt dort angebotene Waren ein (οι α γορα' ζοντες). Gleichzeitig sollen sie wissen, dass das Einkaufen nicht Lebensinhalt ist. Als μη` κατε'χοντες („als behielten sie es nicht“) weigern sie sich, das Eingekaufte krampfhaft als Besitz festhalten zu wollen. 279 Sie tragen Sorge, dass die eingekauften Besitztümer nicht zu ihrem Eigentümer werden.280 Jesus warnt im Gleichnis vom reichen Mann vor Besitz, der den Besitzer völlig in Beschlag nimmt (Lk 12,16-21). Im Gleichnis vom großen Festmahl warnt er vor einer Kaufhaltung, die vom Entscheidenden ablenkt und zum Ausschluss von der Gegenwart Gottes führt (Lk 14,15-24). In der Rede über das Kommen des Reiches Gottes warnt Jesus vor der ausschließlichen Konzentration auf das Essen, Trinken, Heiraten, Kaufen, Verkaufen, Pflanzen und Bauen (Lk 17,26-37). Wer nur in die Dinge dieser Welt investiert, wird am Ende dieser Weltzeit bankrott sein. 31 Die fünfte Maxime lautet: Die die Welt gebrauchen (sollen sein), als gebrauchten sie sie nicht. Christen „gebrauchen“ die Welt (οι χρω' μενοι), d.h. sie sind in den Strukturen der Welt im Alltag (Part. Präs.) involviert. Das heißt für die korinthischen Christen konkret: Sie leben innerhalb der gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen der Stadt Korinth. Sie arbeiten in einer Werkstatt, sie wohnen in einem Appartmentblock, sie kümmern sich um ihre Kinder, sie sorgen sich um Hygiene und Gesundheit, sie kaufen für ihren täglichen Bedarf ein, sie pflegen familiäre und freundschaftliche Beziehungen. Aber Christen „gebrauchen“ die Welt nicht281 in einer Weise, dass sie von ————————————————————
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H. Hanse, ThWNT II, 830 Anm. 8; Schrage II 174 mit Anm. 697. In den Papyri bedeutet κατε' χω häufig „besitzen“, im Zusammenhang diverser Güter: Häuser und Wohnungen (z.B. P.Yale I 46, Kol. I 8-9), Tiere (P.Ryl. II 238,11-13), Land (P.Stras. VII 601,29), Weingarten (SB XII 10989,12a-13a), Geld (P.Oxy. XX 2267,13), Schriftstücke (P.Oxy. IX 1189,12-16); vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 298. Garland 330; vgl. ebd. für die folgende Bemerkung. In den Papyri bedeutet das Kompositum καταχρα' ομαι zum einen „etwas verbrauchen, aufbrauchen“, zum anderen „verschleudern, missbrauchen“; vgl. Preisigke, Wörterbuch s.v.; A. Papathomas, in Arzt-Grabner 299. In V. 31b ist von der ersten Bedeutung „etwas verbrauchen“ auszugehen, d.h. das Wort καταχρω' μενοι unterscheidet sich kaum vom Simplex χρω' μενοι in V. 31a; vgl. Bauer /Aland 856 s.v. καταχρα' ομαι. Das heißt, Paulus warnt nicht vor dem Missbrauch der Welt oder vor einer exzessiven Intensität des Verhältnisses zur Welt, sondern es geht mit Schrage II 175 um „eine letzte Freiheit und Distanz, die es angesichts des Kommenden verhindert, von der Welt absorbiert zu werden“.
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der Welt ganz und ausschließlich beansprucht werden. Der in V. 31b folgende, mit γα' ρ eingeleitete Satz begründet die fünf Maximen: denn die Gestalt dieser Welt vergeht. Das Wort το` σχη^ μα beschreibt die äußerliche, d.h. die von Menschen wahrnehmbare „Erscheinungsform“ und die allgemeine Beschaffenheit und den Zustand der Welt. 282 Es geht um die Verhältnisse und Bedingungen des irdischen Lebens, im Zusammenhang der fünf vorausgehenden Maximen um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Infrastruktur der Welt, konkret der Stadt Korinth.283 Jesus spricht wiederholt vom Vergehen von Himmel und Erde.284 Augustin betont, dass es nicht um den Weltuntergang geht, sondern um die Verwandlung der Welt: „Die Gestalt geht vorüber, nicht die Natur“.285 Die Frage nach dem Wie des Übergangs von dieser Welt zur neuen Welt Gottes, d.h. die Frage, ob es eine Kontinuität zwischen dieser und der kommenden Welt gibt, oder ob die kommende Welt eine Neuschöpfung ist, lässt sich wegen der nicht eindeutig festzulegenden Bedeutung von σχη^ μα von V. 31 her nicht klären. Die Formulierung im Ind. Präsens (παρα' γει) beschreibt nicht nur die Vergänglichkeit der Welt, sondern unterstreicht, dass das Vergehen der Wirklichkeit der Welt bereits in Gang gesetzt wurde und die „Gestalt“ der kommenden Welt Gottes in der Gemeinde und im Leben der Jesusbekenner angebrochen ist. Deshalb sollen sich Christenmenschen in ihrem Verhalten im Alltag vom σχη^ μα dieser Welt unterscheiden (Röm 12,2).286 ————————————————————
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Schrage II 176; Lindemann 179; Wolff 158 („die der Welt eigene Erscheinungsweise“); vgl. J. Schneider, ThWNT VII, 957. In den Papyri bezeichnet σχη^ μα zum einen „die äußere Erscheinung“, zum anderen allg. „die Beschaffenheit oder den Zustand von Personen oder auch Dingen“, so R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 299-300, mit Hinweis auf P.Giss. I 40, Kol. II 16-29; P.Oxy. XLVII 3345,74-76; P.Rain.Cent. 85,6-7. Einseitig Conzelmann 166: „nicht die Form, sondern das Wesen“; vgl. Bultmann, Theologie, 194. Barrett 178; Wimbush, Ascetic, 34; Deming, Marriage, 181. Schlatter: „Das σχη^ μα ist die Weise, wie die Welt lebt, die Art, wie sie sich verhält“. Baumert, Ehelosigkeit, 232 schlägt für das Verb παρα' γει die Sonderbedeutung „nimmt gefangen“ vor (228-231.453-478) und interpretiert σχη^ μα als „Verhaltensweise der Welt“, die „den Menschen vereinnahmt, (ihn) wegzufangen und zu fesseln sucht“. Zu den verschiedenen Deutungen vgl. Hierzenberger, Weltbewertung, 61-63. Mt 5,18 / Lk 6,17; Mt 24,35 / Mk 13,31 / Lk 21,33; vgl. 1Joh 2,17; 2Petr 3,10. Augustin, Civ. D. 20,14. vgl. Schrage II 184. Die kosmologischen Elemente bleiben im Hintergrund; vgl. Baumgarten, Apokalyptik, 223-224; Deming, Marriage, 181. Lindemann 179 verweist auf die „Gegenaussage“ in Kol 4,5 und Eph 6,15, wo davon die Rede ist, dass Christen die „Zeit“ (καιρο' ς) auskaufen sollen. Wichtig ist sein Hinweis, dass bei Paulus die theologischen und ethischen Fragen nicht von der Naherwartung kontrolliert, sondern dass diese allgemeiner vom eschatologischen Horizont bestimmt sind (180). Bei seiner Auskunft, in V. 31 handele es sich um „die ersten Aussagen zum Thema Eschatologie im 1Kor überhaupt“ (180), hat er allerdings 6,14 übersehen.
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32 In V. 32-35 kehrt Paulus zum Thema der Unverheirateten und Verlobten zurück und betont im Horizont von V. 29-31 sein Anliegen, dass die korinthischen Christen ohne Sorge sind (α μερι' μνους ει ναι; vgl. Phil 4,6: μηδε` ν μεριμνα^ τε).287 Paulus denkt an das Sorgen um irdische Dinge, die sowohl die Verheirateten wie auch die Unverheirateten haben. 288 Die beiden folgenden Sätze V. 32b und V. 33a verdeutlichen, dass beide Gruppen sich „sorgen“, ohne dass das Sorgen der Unverheirateten um „die Dinge des Herrn“ positiv, das Sorgen der Verheirateten um „die Dinge der Welt“ negativ sind. 289 In V. 32a bezieht sich das Adv. α με'ριμνος („sorgenfrei, sorglos“) auf die negative Bedeutung des Verbs μεριμνα' ω („besorgt sein, sich Sorgen machen, ängstlich sein“). In V. 32b ist die positive Bedeutung im Blick: „Sorge tragen für, sich kümmern um, sich einsetzen für, sich beschäftigen mit“. 290 Unverheiratete Christen sorgen sich um die Dinge des Herrn (τα` του^ κυρι' ου), d.h. sie setzen sich für ihre Mitchristen, für die Auferbauung Gemeinde und für die Verkündigung des Evangeliums in Korinth und in der Provinz Achaia ein (vgl. 2Kor 1,1). Bei seinem Einsatz für den Herrn fragt der Jesusbekenner, wie er dem Herrn gefalle. Das Verb α ρε'σκω hat hier nichts mit ästhetischem „Gefallen“ zu tun, sondern beschreibt das Leben in Übereinstimmung mit dem Willen Jesu Christi.291 ————————————————————
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Vgl. Mt 6,25; Mk 4,19; Lk 21,34; 1Petr 5,7 für weitere Mahnungen zur Sorglosigkeit. Lindemann 180 interpretiert das Sorgen als „die alltägliche Suche nach Anerkennung und Erfolg“. Von diesen (für die meisten korinthischen Christen ohnehin irrelevanten) Ursachen des „Sorgens“ ist im Text nichts zu erkennen. Die Papyri zeigen, dass ein „sorgenfreier“ Gemütszustand auf unterschiedliche Weise erreicht werden kann: durch Nachrichten über das Wohlbefinden von Familienangehörigen (P.Mich. XV 751,8-9) oder dadurch, dass jemand entlastet wird, indem ihm andere Arbeit abnehmen oder sich um bestimmte Angelegenheiten kümmern (P.Lips. I 105,19-21; P.Oxy.Hels. 47b,6-10); vgl. Kritzer, in Arzt-Grabner 300-301, mit weiteren Beispielen. Betont von Merklein II 146-147. Anders Barrett 179, der in V. 32-35 alle Vorkommen des Wortes im negativen Sinn verstehen will. Wenn dies richtig wäre, müsste Paulus die Ehe ablehnen; Merklein II 146. Nach D. Zeller, Art. με' ριμνα κτλ., EWNT II, 1005 bedeutet das Wort, „daß existentiell Wichtiges das Herz in Beschlag nimmt“. Deming, Marriage, 200-201 nimmt einen stoischen Hintergrund des Hinweises auf das „Sorgen“ an (vgl. Hierokles 53,30); die Wortgruppe με' ριμνα- spielt aber auch bei Posidippus (Anth. Graec. 9, 359-360) und Menander (Frag. 571. 575. 578-579 [Körte/Thierfelder]) eine Rolle, die keine Stoiker oder Kyniker waren; vgl. 15,33, wo Paulus aus dem Schauspiel Thais von Menander zitiert. Für Belege aus den Papyri, in denen ebenfalls eine positive („sich kümmern um“) und eine negative Bedeutung („besorgt sein, sich Sorgen machen“) vorkommt, vgl. Arzt-Grabner 301-302. Lindemann 180; vgl. Baumert, Ehelosigkeit, 247: „die ganzheitliche persönliche Beziehung zum Herrn“. Das Verb wird oft mit dem Dativ θεω ^, gebraucht (Röm 8,8; 1Thess 2,4.15; 4,1); in Röm 15,2 im Blick auf den Nächsten, in 1Kor 10,33 im Blick auf „alle“; negativ in Röm 15,1 im Blick auf „sich selbst“, in 1Thess 2,4; Gal 1,10 im Blick auf „Menschen“.
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33 Ein verheirateter Christ sorgt sich um die Dinge der Welt (τα` του^ κο' σμου). Er beschäftigt sich mit der Frage, wie er seiner Frau gefalle, d.h. er kümmert sich um das Wohl und die Wünsche seiner Ehefrau. Viele Ausleger interpretieren dieses Sorgen „um die Dinge der Welt“ negativ, auch und gerade im Kontext des Ehelebens. W. Schrage spricht vom „Sorgen um irdische Geschäfte und Dinge, das in die Welt verstrickt . . . Verheiratete sind ‚zwiespältigen Sinnes‘ (V. 34), weil sie bestimmte Interessen und Energien, Pflichten und Zeiten ausgleichen und auch Wohl, Wunsch und Wille des Ehepartners respektieren müssen“.292 Diese Interpretation verkennt, dass Paulus die Ehe ablehnen müsste, wenn er die Sorge der Verheirateten um „die Dinge der Welt“ negativ beurteilte, was er aber gerade nicht tut. Das heißt, das „Sich-Sorgen“ der Verheirateten und der Unverheirateten ist keine Antithese. Verheiratete Christen müssen und dürfen sich selbstverständlich um „die Dinge der Welt“ kümmern und darauf achten, dass sie dem Ehepartner „gefallen“.293 Paulus sagt nicht, dass es unmöglich ist, sich als Verheirateter um „die Dinge des Herrn“ zu kümmern. F. Lang kommentiert: „Ein Leben, in dem ausschließlich die Sorge um die Dinge dieser Welt regierte, wäre Unglaube und würde von Paulus scharf verurteilt“.294 Und die Unverheirateten sorgen sich auch nicht nur um „die Dinge des Herrn“: Sie leben genauso wie die Verheirateten in den Strukturen dieser Welt, deren „Gestalt“ vergeht, sie müssen sich genauso um Essen und Trinken, Arbeit und Wohnung kümmern. 34 Der Verheiratete, der sich um „die Dinge der Welt“ kümmert und sich um das Wohl seiner Frau und Familie sorgt, ist gespalten (μεμε'ρισται).295 Das heißt einmal, dass auch der verheiratete Christ als „Gespaltener“ um „die Dinge des Herrn“ besorgt ist. Zweitens wird deutlich, worauf es Paulus ankommt: nicht um das Sich-Sorgen im Gegensatz zum Sich-Nicht-Sorgen, sondern um die ungeteilte Sorge für „die Dinge des Herrn“, die dem Verheirateten infolge seiner umfassenderen Aufgaben, die Ehe und Familie mit einschließen, nicht möglich ist.296 Von einem inneren Zwiespalt, etwa im Blick auf die Priorität von Ansprüchen des Ehepartners oder des Herrn, ist, wie Chr. Wolff richtig feststellt, nicht die Rede.297 Festzuhalten ist auch der ————————————————————
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Schrage II 178. Vgl. Conzelmann 167: „Die Ausdrucksweise ist hier rein asketisch: dem Herrn oder der Welt, als deren Repräsentant der Ehegatte fungiert, zu ‚gefallen‘“. Merklein II 146-147; vgl. Wolff 159 („das ist von Paulus nicht als Vorwurf gemeint“). Lang 102. Calvin 376: „Daraus könnte nun jemand schließen, alle Verheirateten seien fern vom Reich Gottes, weil sie an nichts als an diese Welt denken. Das aber sagt Paulus nicht“. Zum Text s. oben die textkritischen Anmerkungen. Merklein II 147. Schrage II 179 gibt lediglich die Auskunft, dass Paulus rhetorisch verallgemeinere und zugespitzt formuliere. Wolff 159. Anders Baumert, Ehelosigkeit, 500-504, der im Sinn einer „innerlichen Zerrissenheit“ interpretiert; zur Kritik an Baumert vgl. Merklein II 151.
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Hinweis, dass für Paulus das Heiraten keine Sünde ist (V. 28.36) und dass Ehen nicht aufgehoben werden sollen (V. 10-14). Der Verheiratete steht dem Herrn nicht distanzierter gegenüber als der Unverheiratete. Aber er kann sich nicht mit demselben Zeit- und Kraftaufwand für den Herrn einsetzen, weil er eheliche und familiäre Pflichten hat. Da auch der Unverheiratete sich um „Dinge der Welt“ kümmern muss und über Familie, Arbeit und Besitz mit der Welt verwoben ist, ist der Hinweis auf ihr Gespalten-Sein als Hilfsargument anzusehen.298 Das heißt, wenn man das Gespalten-Sein nicht als Gegensatz zu dem im Kontext implizierten Ungeteilt-Sein der Verheirateten versteht, sondern als grundsätzliche Aussage, beschreibt es „den Grundzustand christlicher Existenz“. Das Gespalten-Sein des Christen in der Bindung an den Herrn inmitten der Bindungen der Welt ist der Hintergrund der ω ς μη' Maximen in V.29-31, d.h. des Verhaltens „als ob nicht“. Die unverheiratete Frau, d.h. die verwitweten und (vor ihrer Bekehrung?) geschiedenen Frauen (vgl. zu V. 11),299 und die Jungfrau, d.h. die Verlobten (vgl. V. 25), können sich um die Dinge des Herrn kümmern. Mit diesem Satz formuliert Paulus die für die gläubigen Frauen geltende analoge Aussage zu V. 32b. Mit einem «ινα-Satz beschreibt er die Sorge um „die Dinge des Herrn“: damit sie heilig sei an Leib und Geist. Mit „heilig“ (α γι' α) ist hier der ungeteilte Einsatz für den Herrn gemeint, nicht das Heiligsein als solches. Die Heiligung ist die Aufgabe aller Jesusbekenner (1Thess 4,3-4), auch im Blick auf den Leib (1Kor 6,13.19; 1Thess 5,23; Röm 6,12; 12,1).300 Das Bemühen der unverheirateten und verlobten Frauen, „heilig“ zu sein, entspricht offensichtlich dem Bemühen der verheirateten Männer, dem Herrn zu „gefallen“ (V. 32c). In V. 34b formuliert Paulus im Blick die Verheiratete (η γαμη' σασα), was er in V. 33 vom verheirateten Mann gesagt hatte: Sie sorgt sich um die Dinge der Welt, wie sie ihrem Mann gefalle. Die separate Erwähnung der verheirateten Frau, die sich nicht ungeteilt den „Dingen des Herrn“ widmen kann, weil ihre Alltagspflichten die Fürsorge für den Ehemann und die Familie einschließen, zeigt, wie hoch Paulus die Frauen einschätzte. Sie sind nicht nur Anhängsel ihres Ehemannes, sondern selbständige Persönlichkeiten, die dem Herrn dienen – und dies umso intensiver tun können, wenn sie ————————————————————
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Merklein II 149, s. ebd. für das folgende Zitat. Schlatter 237 rechnet zu den unverheirateten Frauen auch solche, „die ohne Ehe geschlechtlichen Verkehr erfahren hatten, z.B. Sklavinnen“; Schrage II 180 Anm. 724. Schrage II 180; Merklein II 147; Wolff 160. Schrage II 180 hält die Formulierung auch hier für „rhetorisch zugespitzt“, vielleicht als „Konzession“ an die korinthischen Asketen, deren „Losung, daß Verheiratetsein Geist und Leib beflecke“, Paulus positiv umdrehe (ebd. Anm. 728). Als „Konzession“ klingt die Formulierung jedoch nicht.
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unverheiratet sind. Die Mitarbeit von Priszilla und Phöbe in der Missionsund Gemeindearbeit des Apostels Paulus sind die bekanntesten Beispiele. 301 35 Paulus beschreibt seine Bevorzugung der Ehelosigkeit V. 25-28.32-34 als Ratschlag: Das sage ich aber zu eurem eigenen Nutzen, nicht um euch eine Schlinge überzuwerfen. Eine „Schlinge“ (βρο' χος)302 ist ein Seil, mit der man ein Tier fängt oder einen Feind fesselt. Paulus will die korinthischen Christen mit seiner Bevorzugung der Ehelosigkeit nicht an seine Meinung binden, noch will er ihnen durch einen bindenden Befehl ihre Entscheidungsfreiheit in dieser Sache nehmen. 303 Er hat ganz im Gegenteil ihren „Nutzen“ (συ' μφορον) vor Augen; dieser besteht in der uneingeschränkten Konzentration der einzelnen Unverheirateten auf „die Dinge des Herrn“, oder (wie in 10,23) in der Auferbauung der Gemeinde durch den Dienst der Unverheirateten. Mit dem α λλα' -Satz304 beschreibt Paulus die Absicht seines Ratschlags, dass Unverheiratete und Verlobte nicht heiraten sollten, in dreifacher Hinsicht. Erstens, sie können als Unverheiratete in Anstand für den Herrn dasein. Das subst. Adj. το` ευ» σχημον bezeichnet die moralisch-ethisch einwandfreie Haltung, bei Paulus mehrfach den „Anstand“, die „Wohlanständigkeit“. 305 Paulus kann dabei auf das verweisen, was in der Gesellschaft generell als ευ σχημο' νως gilt (1Thess 4,12: προ` ς του^ ς ε»ξω).306 Wie kann die von Paulus hier gemeinte Ehelosigkeit in der griechisch-römischen Umwelt als Kennzeichen einer allgemeinen ethischen Vernunft verstanden werden, wenn dort die Ehelosigkeit eher auffällig war?307 Die angedeutete Kongruenz in der paganen Gesellschaft geltender und christlicher Maßstäbe ist nicht im Sinn ————————————————————
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Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1374-1375. Nur hier im NT; vgl. Prov 6,5; 7,21; 22,25; Philo, Vit.Mos. 2,252; Josephus, Bell. 7,250; Xenophon, Cyn. 9,13,4; Plutarch, Mor. 641E, 915D. In P.Oxy. I 51,15-17 ist βρο' χος die Schlinge, mit der sich ein Selbstmörder aufgehängt hat. Bengel 646; Schmiedel 132; Weiss 204; Lindemann 181 interpretieren im Sinn von „zu Fall bringen“, was sich nur im Sinn der Zumutung der Ehelosigkeit verstehen lässt, die ein „Fallstrick“ zur sexuellen Zügellosigkeit werden kann; davon ist im Text und in der Metapher nichts zu erkennen; zur Kritik vgl. Heinrici 244; Schrage II 181 Anm. 730. Zur Syntax des Satzes vgl. Lietzmann 35; Barrett 182; Deming, Marriage, 198. Vgl. 12,24; 14,40; Röm 13,13; 1Thess 4,12; vgl. das Subst. ευ σχημοσυ' νη in 12,23. Vgl. Schrage, Einzelgebote, 196-197; ders. II 181. Merklein II 151 verweist lediglich auf den nächsten Ausdruck; Schrage II 181-182 stellt die Frage nicht. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 304-306 im Zusammenhang der Tatsache, dass ευ» σχημος in den dokumentarischen Papyri als Attribut oder in substantivierter Form Personen oder Personengruppen als angesehene, hervorragende Menschen bezeichnet, die wohlhabend sind und deshalb gerne zur Liturgie herangezogen wurden (BGU VII 1563,1011; P.Flor. I 61,60-61; PSI VIII 967,19-20; P.Brem. 23,7-9). Das heißt, wie man in der Gesellschaft von den ευ σχη' μονες (lat. honesti), den reichen und wohlhabenden Menschen, ein bestimmtes Verhalten erwartet, das ihr Ansehen nicht in Verruf bringt, so sollen sich die korinthischen Christen dem Herrn gegenüber verhalten.
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der kynischen Ehelosigkeit zu verstehen, die nicht allgemein akzeptiert war, sondern eher im Kontext der „gegenwärtigen Notlage“ (z.B. einer großen Hungersnot), in der es generell als „anständig“ gelten kann, auf eine Eheschließung zu verzichten.308 Zweitens, Unverheiratete können beharrlich für den Herrn da sein. Das subst. Adj. το` ευ πα' ρεδρον309 beschreibt den dauernden, unablässigen Einsatz für den Herrn. Im Kontext weist nichts darauf direkt hin, dass an Mitarbeiter in der Gemeindearbeit und in der Mission gedacht ist, 310 obwohl die „Unablässsigkeit“ des Da-Seins „für den Herrn“ (τω ^, κυρι' ω, ) besonders hier von Nutzen ist. Drittens, Unverheiratete können ohne Ablenkung für den Herrn dasein. Das Adverb α περισπα' στως bedeutet „unzerstreut, ungestört, unabgelenkt, konzentriert“. Unverheiratete können sich, ohne „von verschiedenen Interessen und Ablenkungen hin- und hergerissen“ zu sein, für „die Dinge des Herrn“ in ihrem eigenen Leben und in der Gemeinde einsetzen. 311 Die Formulierung τω ^, κυρι' ω, („für den Herrn“) ist entscheidend: In der Bindung an den Herrn setzen sich die verheirateten Christen genauso wie die unverheirateten Christen für „die Dinge des Herrn“ ein, die Unverheirateten können dies allerdings beharrlicher und mit weniger Ablenkung tun. 36 Nun greift Paulus das Thema der Jungfrauen (V. 25) wieder auf und spricht den bereits in V. 28a erwähnten Sachverhalt an, dass der Verzicht auf die Ehe nicht durchgehalten werden kann. Es geht um seine Jungfrau (τη` ν παρθε'νον αυ του^ ), d.h. wie in V. 25 um die Verlobten junger Männer. Für die Identität des jemand (τις) sind drei Vorschläge zu erwägen.312 ————————————————————
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P. Fiedler, EWNT II, 216 spricht von „Anstandsregeln“ für Christen in Naherwartung. Die Vokabel kommt nur hier im NT vor und ist in der griech. Literatur vor Paulus nicht belegt. Das Verb παρεδρευ' ω bedeutet „dabeisitzen, sich eifrig mit etw. befassen, sich dauernd mit etw. beschäftigen“, vgl. 1Kor 9,13. Hays 129 spricht von „freedom for mission“. Vgl. Schlatter 246: „Im ehelosen Teil der Gemeinde sah Paulus ihre immer bereite, zu allem brauchbare Streiterschar“. Schrage II 182. Ausleger verweisen auf Epiktets Beschreibung des Kynikers in Diss. 3,22,69: Der (kynische) Philosoph will frei sein von aller Ablenkung (α περι'σπαστον), um im Dienst Gottes stehen zu können (διακονια' του^ θεου^ ), was der Grund ist, ehelos zu leben; s. Weiss 205; Schrage II 182; Hays 128-29; Lindemann 181; Yarbrough, Marriage, 105-106; Balch, Debates, 429-431; Deming, Marriage, 196-197. Den gegenteiligen Rat gibt Antipater von Tyrus: Je mehr sich ein Mann von den Dingen des Haushalts abwendet, desto eher muss er heiraten, damit seine Frau diese für ihn erledigt und ihn α περι'σπαστον macht (Stobaeus IV,256-257); vgl. Balch, ebd. 432; Deming, ebd. 196; Schrage II 182 Anm. 740. Merklein II 152 lässt Epiktet, Diss. 3,22,69 nur als formale Parallele gelten. Zur folgenden Darstellung und Diskussion vgl. Merklein II 152-153; Thiselton 593-602; Garland 336-340. Der Vorschlag, dass mit dem „jemand“ der Besitzer eines Sklaven (S. Schiwietz), und der Vorschlag, dass es sich um den Schwager handelt, der zur Leviratsehe mit der (verwitweten) Schwägerin verpflichtet ist (J. M. Ford), hat im Text keinen
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1. Der „jemand“ ist ein gläubiger Mann, der mit „seiner Jungfrau“ ein geistliches Verlöbnis eingegangen ist und sexuelle Enthaltsamkeit versprochen hat, ein Versprechen, das er doch nicht halten kann. 313 Diese Interpretation ist aus mehreren Gründen problematisch. Die Praxis einer „geistlichen Heirat“ ist erst spät bezeugt. Da für Paulus sexuelle Beziehungen ganz selbstverständlich zur Ehe gehören (V. 1-5), ist nicht vorstellbar, dass Paulus die Praxis einer rein „geistlichen“ Ehe gutheißen würde. Der Rat am Ende von V. 36, sie sollen heiraten, gibt keinen Sinn, weil die beiden Personen bereits (wenn auch nur „geistlich“) verheiratet sind. Bei dieser Interpretation hat allein der Mann die Entscheidung darüber, ob Sexualverkehr in der bereits bestehenden (geistlichen) Ehe stattfinden soll, was den Direktiven in V. 2-5 widerspricht, nach denen weder der Mann noch die Frau allein über ihren eigenen Leib verfügen. 2. Der „jemand“ ist der Vater, der vor der Entscheidung steht, ob er seine jungfräuliche Tochter verheiraten soll oder nicht.314 Das Hauptargument für diese Interpretation ist die Verwendung des Verbs γαμι' ζω („verheiraten, in den Stand der Ehe geben“) in V. 38, die Kausativform von γαμε'ω („heiraten, in den Stand der Ehe treten“): Die Kausativform lässt sich nur für den Vater oder Vormund einer unverheirateten jungen Frau verwenden. Ein weiteres Argument ist der Hinweis, dass von den am Zustandekommen einer Ehe beteiligten Personen in Kap. 7 die Eltern bzw. der Vormund der Braut noch nicht berücksichtigt wurden. Diese Interpretation ist jedoch ebenfalls problematisch. Die Unterscheidung zwischen γαμι' ζω und γαμε' ω wurde im hellenistischen Griechisch nicht konsequent durchgehalten. 315 Die Einführung von elterlichen Pflichten ist durch keinen Hinweis im Text vorbereitet oder ————————————————————
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Anhaltspunkt und wird im Folgenden nicht behandelt. Es scheint, dass keine deutsche Übersetzung diese Interpretation voraussetzt; im Englischen vgl. NEB: „if a man has a partner in celibacy“. Vgl. Weiss 206-209; Lietzmann 3537; Moffatt 98-99; Héring 60-61; Murphy-O’Connor 72; Achelis, Virgines; Delling, Frau, 86-91; ders. ThWNT V, 835; A. Adam, Art. Syneisakten, RGG3 VI, 560-561; Bultmann, Theologie, 572. Menge: „meint doch jemand, an seiner unverheirateten Tochter nicht recht zu handeln“; Bruns: „wenn nun aber einer meint, es sei etwa für seine Tochter nicht gut, wenn sie über die Jahre unverheiratet bliebe“; NASB „if any man thinks that he is acting unbecomingly toward his virgin daughter“. Vgl. Theodor von Mopsuestia, Chrysostomus, Theodoret, Augustin, Ambrosiaster; Edwards 200-202; Godet I 198-199; Lightfoot 234; Heinrici 245; Findlay 836-837; Robertson/Plummer 158-160; Parry 121-124; Schlatter 246; Grosheide 184; Morris 120-122; R. E. Kritzer und Arzt-Grabner 308-309 mit Belegen für die Autorität des Vaters bzw. des Vormunds der Braut (P.Oxy. II 237, Kol. VII 288-29; P.Mil.Vogl. IV 229,19; PSI VIII 967,16-19). MM 121 s.v. γαμι'ζω; BDR §101 Anm. 16; Lietzmann 35-36 mit Belegen; Fee 355. ArztGrabner 308 weist darauf hin, dass eindeutige Beispiele für γαμι'ζω im Sinn von „heiraten“ bislang nicht beigebracht wurden. In den Papyri ist γαμι'ζω bisher nicht belegt.
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angezeigt. Der Verweis auf eine dritte Person neben der Jungfrau und dem Vater, die durch den Plural γαμει' τωσαν angezeigt ist (und sich auf den Bräutigam beziehen muss), macht diese Auslegung schwierig, nach der ein Bräutigam in V. 36-38 nicht erwähnt wird. Der Ausdruck „seine Jungfrau“ ist im Bezug auf einen Vater oder einen Vormund problematisch (in Apg 21,9 ist von den „jungfräulichen Töchtern“ des Philippus die Rede). Das üblicherweise für υ πε'ρακμος (Nebensatz) zu erwartende Subjekt ergibt sich aus dem Subjekt im Hauptsatz: Der „übermäßig stark Verlangende“ ist nicht der Vater, sondern der Verlobte. Die Vorstellung, dass ein Vater für eine Tochter Ehelosigkeit durchsetzen könnte, ist weder in der zeitgenössischen Gesellschaft noch für Paulus ein plausibler Gedanke. 316 3. Der „jemand“ ist ein Christ, der mit einer Jungfrau verlobt ist. Diese Interpretation gibt den besten Sinn. Sie wird von fast allen Übersetzungen vorausgesetzt.317 Paulus betont, dass ein Verlobter, der sich veranlasst sieht, seine Verlobte zu heiraten (γαμει' τωσαν), nicht sündigt (ου χ α μαρτα' νει). Der ει -Satz formuliert einen ersten Anlass, der dies ratsam erscheinen lassen kann: Wenn aber jemand meint, er handle unanständig gegenüber seiner Jungfrau. Das Wort α σχημονει^ν („sich unschicklich benehmen, unanständig handeln, die Sitte verletzen“) kann sich auf ein Verhalten beziehen, dass die in der Gesellschaft geltende Sitte verletzt. 318 Eine neue Studie hat gezeigt, dass das Verb, wenn es im Kontext der Beziehung von Männern und Frauen vorkommt, sexuelle Konnotationen hat.319 Die Konstruktion mit ει und Ind. Präs. deutet an, dass Paulus nicht nur spekuliert, was einige verlobte junge Männer in der korinthischen Gemeinde mit ihrer Verlobten getan haben, sondern dass er konkrete Informationen hat, sich aber aus Rücksichtnahme zurückhaltend ausdrückt. In der Gesellschaft der römischen Stadt Korinth wurde das Wort pudicus für einen Mann verwendet, der sich verant————————————————————
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Vgl. Schrage II 199; Merklein II 153, die darauf hinweisen, dass in hellenistischer und römischer Zeit der Vater keinen Zwang auf die Tochter bei einer Verheiratung ausüben durfte; seit Kaiser Tiberius war dies rechtlich festgelegt, vgl. Digesten 23,1,11. Kaser, Privatrecht I, 313 mit Anm. 7 (§74.2); vgl. Kümmel, Heilsgeschehen I, 317-320. Vgl. Barrett 184; Conzelmann 168; Fee 323.327; Schrage II 199; Wolff 161; Hays 126; Merklein II 153; Thiselton 597; Garland 340; Winter, Puberty, 71-89. P. Fiedler, EWNT I, 424; Collins 301; Merklein II 154. Es bleibt unklar, weshalb Paulus einen etwaigen gesellschaftlichen Druck, einer Verlobten die Eheschließung anzubieten, den Korinthern als Kriterium für das entsprechende Verhalten empfehlen würde. Winter, Puberty, 74-80 hat 87 Vorkommen der Vokabel in literarischen und nicht-literarischen Quellen untersucht. Vgl. Cato Minor 24,3; Plutarch, Dion. 7,4; Epiktet, Diss. 4,9,5; Dio Chrysostomus, Or. 30,41; 40,29; Josephus, Ant. 16,223; P.Oxy. XVI 1837. Schrage II 199 Anm. 830 verweist auf 12,23; Röm 1,27; Gen 34,7; Sir 26,8; 30,13; 2Makk 9,2. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 310-311 behandelt nur Belege, in denen α σχημονε' ω die allg. Bedeutung „von der Ordnung abweichen, außerhalb der Norm liegen“ hat.
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wortlich verhält, d.h. der bestimmte „Dinge“ nicht tut. Über das Verhalten, das von Verlobten erwartet wurde, wissen wir wenig.320 Wahrscheinlich haben die jungen korinthischen Christen mit ihren Verlobten keinen vorehelichen Geschlechtsverkehr (den Paulus konsequent ablehnt) gehabt; aber er sagt dies nicht. In 12,23-24 verwendet Paulus das Wort τα` α σχη' μονα zur Beschreibung der „unanständigen“ Teile der menschlichen Anatomie (d.h. der primären Geschlechtsorgane). Es ist daran zu erinnern, dass im Gegensatz zur griechischen Tradition die römischen Statuen in der Stadt Korinth im 1. Jh. bekleidete Männer und Frauen dargestellt haben. 321 Wir wissen nicht, welche sexuellen „Unanständigkeiten“ stattgefunden haben. Im folgenden Konditionalsatz bringt Paulus offensichtlich sein Verständnis dieser Vorfälle zum Ausdruck (ε α' ν mit Konj. Präs.): wenn er übermäßig stark verlangend ist. Das Adj. υ πε'ρακμος ist nicht auf die verlobte Frau zu beziehen,322 sondern auf den verlobten jungen Mann. Das Wort bezeichnet entweder das Erreichen der Pubertät und die Reproduktionsfähigkeit der Frau, oder die sexuelle Erregtheit von Männern.323 In Verbindung mit dem durch den Kontext des vorhergehenden Satzes gegebenen Bezuges auf die verlobten (jungen) Männer in der korinthischen Gemeinde ist die zweite Bedeutung vorzuziehen. Die „Unanständigkeiten“, die einzelnen Christen in ihrem Verhältnis zur Verlobten passiert sind, waren die Konsequenz sexueller Lust.324 Mit einem folgernden ου« τως („daher“) formuliert Paulus, dass es geschehen muss (ο φει' λει γι' νεσθαι), d.h. dass es angesichts der sexuellen Erregung, die durch das Verhalten der verlobten Paare entstanden ist, mit Notwendigkeit zum Geschlechtsverkehr kommen muss. Die Wendung ο φει' λει γι' νεσθαι beschreibt die in V. 37 mit α να' γκη beschriebene sexuelle Notlage, „die zum ————————————————————
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Vgl. Winter, Puberty, 80-82, mit Hinweis auf Treggiari, Marriage, 159-160. In Ovid, Her. 21,195-196 beschwert sich eine Frau, die sich über die Nervosität des Mannes beklagt, der sich um sie bemüht; konkret werden allerdings nur „wenig Küsse“ und eine „ängstliche Stimme“ erwähnt. Die Statuen der beiden adoptierten Söhne des Augustus, die man in der Julischen Basilika in Korinth gefunden hat und die nackte Portraits analog griechischer Athleten darstellen, sind kein Gegenargument: Als Verstorbene wurden sie im Kaiserkult als Götter behandelt; Winter, Puberty, 81 Anm. 50. So der erste Vorschlag von Bauer /Aland 1673 s.v. υ πε' ρακμος, mit der Übersetzung „hinaus über den Höhepunkt, überreif“; d.h. die (verlobte) Frau ist über ihre Blütezeit hinaus; so die Vulgata (superadulta); Meyer 215; Heinrici 245; vgl. Godet I 198; Conzelmann 168; Baumert, Ehelosigkeit, 291-292. Für die Bedeutung „über die Blütezeit hinaus“ gibt es jedoch die Vokabel παρακμη' ; vgl. Winter, Puberty, 77. Vgl. Winter, Puberty, 74-78 für eine Analyse der Belege in den griech. Quellen. Schrage II 200l; Lindemann 182; Garland 341. Winter, Puberty, 86: Die sexuelle Lust ist die Folge des „unanständigen“ Verhaltens.
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Vollzug der leiblichen Gemeinschaft in der Ehe drängt“. 325 Die Beziehung ist an einem Punkt gekommen, an dem „die Entscheidungsfreiheit nicht mehr ohne weiteres besteht“.326 In diesem Fall tue er, was er will (ο θε' λει ποιει' τω), d.h. der Verlobte will seine Braut heiraten, um mit ihr intim verkehren zu können. Wenn er sich zur Eheschließung entschließt, sündigt er nicht (ου χ α μαρτα' νει).327 Paulus hatte in V. 28 im Blick auf die Unverheirateten dieselbe Aussage formuliert. Die beiden sollen heiraten. Der Plural γαμει' τωσαν zeigt, dass Paulus nicht nur vom Mann her denkt, sondern auch die Frau im Blick hat. Sie ist an der Entscheidung zur Heirat beteiligt. 37 Es gibt aber auch den Fall, dass einer in seinem Herzen fest steht und keine Not hat. Paulus spricht von dem verlobten (jungen) Mann in der Gemeinde, der – zusammen mit der Verlobten, die bei solchen Entscheidungen im 1. Jahrhundert beteiligt war – den Entschluss gefasst hat, nicht zu heiraten. Dieser Entschluss, der „im Herzen“ als Sitz des Willens getroffen wird, wird mit bedeutungsgleichen Formulierungen beschrieben: „er steht in seinem Herzen fest“ (ε«στηκεν ε ν τη^, καρδι' α, αυ του^ ) und „er hat in seinem Herzen beschlossen“ (κε'κρικεν ε ν τη^, ι δι' α, καρδι' α, ). Der Verlobte hat sich entschlossen nicht zu heiraten (τηρει^ν τη` ν ε αυτου^ παρθε'νον). In dieser Wendung, die wörtlich „seine Jungfrau (als Jungfrau) zu bewahren“ bedeutet, ist das Verb τηρει^ν im Sinn des με'νειν („bleiben“) in V. 20.24.40 zu interpretieren: Er soll, weil er kann, auf den sexuellen Vollzug der mit der Eheschließung gegebenen Beziehung zu seiner Verlobten verzichten. Dies ist dann möglich, wenn er keine Not hat (μη` ε»χων α να' γκην), d.h. wenn er von keiner sexuellen Notlage bedrängt und in Richtung des für die Ehe reservierten Geschlechtsverkehrs gedrängt wird. In diesem Fall zeigt sich, dass er Gewalt hat über seinen eigenen Willen (ε ξουσι' αν δε` ε»χει περι` του^ ι δι' ου θελη' ματος), d.h. er kann den „Willen“ des Geschlechtstriebs beherrschen. 328 Wer dazu in der Lage ist, der handelt gut (καλω ^ ς ποιη' σει), d.h. der kann sich ganz den „Dingen des Herrn“ widmen. 38 Die Schlussfolgerung (ω« στε) stellt die beiden in V. 36-37 erwähnten Möglichkeiten nebeneinander und bringt die Behandlung des Themas der Verlob————————————————————
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Schrage II 201; vgl. ebd. die Kritik an der Interpretation im Sinn einer moralischen oder gesellschaftlichen Notlage (Meyer 215; Heinrici 246; Merklein II 154; Baumert, Ehelosigkeit, 291) oder im Sinn der Rücksicht auf Sitte und Recht (Weiss 207; Kümmel, Heilsgeschehen I, 325). Lindemann 182. Wolff 161 spricht von der „Notwendigkeit (ο φει'λει), sofern die menschliche Natur danach verlangt“. Senft 106 schließt aus diesem Satz auf „une défaite“ des Entschlusses zur Heirat, den ein Verlobter aufgrund seiner „Not“ treffen muss. Die Bewertung als „gut“ in V. 37.38 spricht gegen diese Bewertung. Schrage II 202; Garland 342; Winter, Puberty, 85.
Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 421 ————————————————————————————————————
ten (V. 25-38) zum Abschluss.329 Der gläubige Mann, der seine Jungfrau heiratet (ο γαμι' ζων τη` ν ε αυτου^ παρθε'νον), d.h. der nicht sexuell enthaltsam leben kann und will und deshalb die Eheschließung vollzieht, 330 der handelt gut (καλω ^ ς ποιει^). Er tut das Richtige. Der Verlobte, der nicht heiratet (ο μη` γαμι' ζων), d.h. der ehelos bleibt (unter Aufrechterhaltung der Verlobung?), der handelt besser (κρει^σσον ποιη' σει). Die Wertung „besser“ hat, wie die Diskussion seit V. 1 gezeigt hat, nichts mit geistlicher Überlegenheit zu tun, sondern bezieht sich auf praktische Vorteile: Unverheiratete können sich ungeteilt, mit größerer Konzentration und mit intensiverem Einsatz um „die Dinge des Herren“ kümmern.331 39 Die Ratschläge für Witwen V. 39-40 sind kein Postskript zu V. 8-9.332 Sie setzen das Grundmuster von Kap. 7 fort, für Männer und Frauen alternierend Instruktionen zu formulieren. In V. 39-40 wendet Paulus das in V. 25-28 im Blick auf gläubige Männer, die verlobt waren, auf gläubige Frauen an, die verheiratet waren.333 Der Satz eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt beschreibt die Stellung der Frau in der Ehe: Sie ist nach einer gültigen Eheschließung rechtlich an ihren Ehemann „gebunden“ (δε'δεται, Pass. Perf.). Nach römischem Recht gilt: „Wer in gültiger Ehe lebt, kann eine zweite Ehe nicht eingehen“.334 Eine verheiratete Frau soll sich also nicht scheiden lassen (vgl. V. 10-11). Wenn der Ehemann einer Frau entschlafen (κοιμηθη^, ), d.h. ————————————————————
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Eine „gewisse Korrektur des Gesagten“ (Lindemann 182) vermag ich in V. 38 nicht zu erkennen. Paulus formuliert den gleichen Grundsatz wie in V. 7.8-9.27-28.36-37. Zur Interpretation von γαμι'ζω im Sinn der Bedeutung von γα' μεω s. oben V. 36. Schrage II 203 Anm. 866 erwägt mit Robertson/Plummer 160, ob der Wechsel vom Präs. ποιει^ zum Fut. ποιη' σει auf die Zukunft verweist, wo sich der Entschluss, unverheiratet zu bleiben, als der bessere herausstellt. So allerdings die meisten Kommentare; kritisch Schrage II 204, der allerdings im Sinn von „verwitweten Verlobten“ interpretiert; dagegen Lindemann 183, der zu Recht auf das „erstaunliche Ungleichgewicht“ hinweist, das bei dieser Interpretation entsteht: Männliche Verlobte haben die freie Entscheidung, ob sie heiraten sollen oder nicht, während die weibliche Verlobte bis zum Tod ihres Verlobten an diesen gebunden wäre. Vgl. Merklein II 156l; Garland 343. Kaser, Privatrecht I, 315 (§74.3). Wenn ein Mann oder eine Frau den Ehekonsens aufgibt und eine zweite Ehe schließt, macht diese Verbindung infam, sie ist aber nicht strafbar, d.h. „die klassische Zeit (sieht) in der Bigamie noch keine Straftat“ (ebd. Anm. 35; anscheinend hat Iulius Caesar erwogen, die Polygamie zuzulassen: Sueton, Iul. 52,3). Nach jüdischem Recht konnte ein Mann polygam leben. Eine Frau war jedoch im Blick auf sexuelle Beziehungen an ihren Ehemann gebunden; vgl. Instone-Brewer, Divorce, 59-72.97-98. Das Versprechen ehelicher Treue auf Lebenszeit ist in griechischen Eheverträgen belegt. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 314-315 zitiert P.Tebt. I 104,18-21 (92 v.Chr.): „Philiskos soll es nicht erlaubt sein, eine andere Frau ins Haus zu bringen als Apollonia, und auch nicht, eine Geliebte oder einen Knaben zu haben oder Kinder zu zeugen mit einer anderen Frau zu Lebzeiten (ζω' σης Απολλωνι'ας), und nicht, ein anderes Haus zu bewohnen“.
422 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
verstorben ist,335 dann ist sie frei zu heiraten, wen sie will. Der Tod des Ehemannes entbindet die Ehefrau von der ersten Ehe, was ihr die Freiheit (ε λευθε'ρα ε στι' ν) gibt, sich nach ihrem eigenen Willen (θε'λει) von einem , . . . γαμηθη^ ναι, Aor. Pass. mit Dativ). In Röm Mann „heiraten zu lassen“ (ω 7,2-3 finden wir dieselbe Aussage ausführlicher formuliert. Manche Ausleger schließen aus dieser Formulierung, dass eine geschiedene Frau nicht wieder heiraten kann, solange ihr erster Ehemann lebt.336 Die einzige Bedingung ist nach Paulus, dass sie nur im Herrn heiratet. In jüdischen Scheidungsurkunden findet man die Bestimmung, dass die geschiedene Frau wieder heiraten kann, aber nur einen Juden.337 Die Wendung μο' νον ε ν κυρι' ω, beschreibt in diesem Zusammenhang nicht nur allgemein „die Bezogenheit auf den Herrn“ als „Grund und Maß allen rechten Verhaltens“, 338 sondern konkret das Christsein des zweiten Ehemannes. 339 Wenn Paulus unverheirateten Christen angesichts der „gegenwärtigen Notlage“ die Ehelosigkeit vorschlägt, da die Ehe nur zusätzliche Beschwernisse mit sich bringt, ist es kaum vorstellbar, dass er sich Witwen vorstellen kann, die sich durch die Heirat eines Nichtchristen freiwillig noch weitere Schwierigkeiten auflädt. Die einzigen gemischten Ehen, deren Gültigkeit Paulus anerkennt, sind bestehende Ehen, in denen sich ein Partner zum Glauben an Jesus Christus bekehrt hatte. 340 40 Der seit V. 1 häufiger geäußerte Ratschlag, unverheiratet zu bleiben, wird auch den Witwen gegeben: Glücklicher aber ist sie, wenn sie bleibt (wie sie ist). Der Komparativ μακαριωτε'ρα entspricht dem κρει^σσον V. 38, d.h. es ist nicht auf eine höhere Stufe der Heiligung oder des Heils verwiesen. 341 Die Witwe, die unverheiratet bleibt, ist angesichts der „gegenwärtigen Notlage“ (V. 26) „glücklicher“ als verheiratete Christen. Wie schon in V. 25 unter————————————————————
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Aus dem euphemistisch für „sterben“ gebrauchten Verb κοιμα' ω „entschlafen“ kann man nicht schließen, dass der Verstorbene ein Christ war, auch wenn Paulus die Vokabel sonst nur im Blick auf Christen verwendet, vgl. 11,30; 15,6.18.20.51; 1Thess 4,13-15. Der einzige Papyrusbeleg für die Bedeutung von κοιμα' ω im Sinn von „sterben“ ist P.Fay. 22 (1. Jh. v.Chr.); vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 315. Fee 355; Heth/Wenham, Divorce, 142; kritisch Garland 343. Instone-Brewer, Divorce, 122; vgl. P.Murabba’at 20 (DJD II, 104-109); mGit 9,2. Schrage II 205; vgl. Hollander I 136; Merklein II 1257; vgl. Wolff 163: „stets in dem Bewußtsein, daß ihre höchste Autorität der Kyrios ist. Dann wird sie einen Mann wählen, der ihre Verbundenheit mit Christus voll respektiert, der also am besten ein Christ ist“. Meyer 217; Robertson/Plummer 161; Fee 355; Senft 106; Lindemann 183; Thiselton 604; Garland 343. Nach Tertullian machen sich Christen, die eine Ehe mit Ungläubigen eingehen, der Hurerei schuldig; vgl. Tertullian, Ad Uxorem 2,3; vgl. Ambrosius, Ep. 19,7 (PL 16, 1026); Hieronymus, Ep.123,5 (CSEL 56, 76-77); für weitere Belege vgl. Schrage II 210 mit Anm. 911-913. Thiselton 604; Garland 343. Mit Nachdruck Schrage II 206, gegen die Position der Alten Kirche, die mit diesem Ausdruck das Zölibat begründet hat.
Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 423 ————————————————————————————————————
streicht Paulus, dass dies kein Befehl ist, sondern seine Meinung (κατα` τη` ν ε μη` ν γνω' μην). Der den Abschnitt abschließende Satz ich meine aber, dass auch ich den Geist Gottes habe lässt erahnen, dass sich korinthische Christen für ihren Rückzug vom ehelichen Sexualverkehr und von Eheschließungen überhaupt auf den Heiligen Geist berufen haben. Paulus unterstreicht, dass sowohl seine Meinung, das Unverheiratet-Bleiben sei vorzuziehen, als auch sein Rat an die Unverheirateten, zu heiraten wenn sie heiraten müssen und wollen, vom Geist Gottes (πνευ^ μα θεου^ ) gewirkt sind.
IV Paulus ist nicht gegen die Ehe, ganz im Gegenteil: Er kennt und anerkennt sie als gute Schöpfungsordnung Gottes, nicht nur als Notordnung, als Notwendigkeit für Menschen, die sich beherrschen können. Aber die Begründung der Ehe ist nicht das Thema in diesem Abschnitt. Paulus behandelt ganz konkret und gezielt zwei Themen, die sich durch bestimmte Parolen korinthischer Christen und durch das konkrete Verhalten einzelner Gemeindeglieder ergeben: 1. sexuelle Enthaltsamkeit von Eheleuten, 2. der Vorteil der Ehelosigkeit von Unverheirateten, Verlobten und Witwen. Entscheidend für die Interpretation von Kap. 7 ist die Tatsache, dass V. 1b („Es ist für den Menschen gut, keine Frau zu berühren“) nicht die Position des Apostels Paulus wiedergibt, sondern eine Parole korinthischer Christen repräsentiert, die er in den folgenden Ausführungen kommentiert. Paulus spricht im ersten Satz seiner Entgegnung auf das korinthische Motto von der Unzucht (V. 2), die auch für christliche Eheleute eine Versuchung ist (V. 2-5). Er spricht jedoch auch vom sexuellen Verlangen unverheirateter und verwitweter (V. 9) sowie verlobter Christen (V. 36). Die korinthischen Christen verzichten angesichts einer „gegenwärtigen Notlage“ (V. 26) auf Sexualverkehr und auf Eheschließungen, um (wahrscheinlich) die Zeugung von (weiteren) Kindern zu verhindern und Bindungen zu vermeiden, die das Bestehen der augenblicklichen Notlage erschweren. Dieses Verhalten ist, wenn es absolut gesetzt wird, als Kompromiss mit säkularen Werten zu sehen, die das eigene Wohlbefinden über alles andere setzen. Paulus ist Realist und sieht auf der einen Seite die Gefahr eines absolut gemeinten Entschlusses zu sexueller Abstinenz. Wenn verheiratete Eheleute und unverheiratete Christen einen solchen Entschluss fassen, dann kann es angesichts der vorhandenen sexuellen Erregung leicht passieren, dass sie voroder außerehelichen Geschlechtsverkehr praktizieren, was vor Gott eine Sünde ist. Paulus sieht andererseits aber auch auf die Gefahr, die sich aus der „gegenwärtigen Notlage“ (V. 26) für Ehe und Familie ergibt. Angesichts der
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Tatsache, dass die Zeit „zusammengedrängt“ ist (V. 29) und „die Gestalt dieser Welt vergeht“ (V. 30), kann die „gegenwärtige Notlage“, gerade wenn sie mit einer Hungersnot in Griechenland zusammenhängt, zu der Erwartung führen, dass die Wiederkunft Jesu nahe bevorsteht. Die Argumentation in Kap. 7 ist von der in V. 17.20.24 formulierten Regel getragen, dass jeder in der Berufung bleiben soll, in der er berufen wurde. Die Anwendung dieses Grundsatzes hängt von der persönlichen Situation ab. Der Grundsatz gilt normativ für die christlichen Eheleute: Sie sollen weiterhin geschlechtlich miteinander verkehren (V. 2-5) und sie dürfen ihre Ehe nicht auflösen, d.h. sie dürfen sich nicht scheiden lassen (V. 10-11). In dieser Frage ist Paulus an das Wort des Herrn gebunden. Das Wort des Herrn gilt auch für einen Christen, der sich (vor seiner Bekehrung?) von seinem Ehepartner getrennt hat: Er bzw. sie soll unverheiratet bleiben, um die Möglichkeit der Versöhnung offen zu halten (V. 11). Der Grundsatz gilt auch für die Mischehen (V. 12-14); wenn sich allerdings der ungläubige Partner trennen will, so besteht Paulus nicht auf der Aufrechterhaltung der Ehe. Jesusbekenner, die als Verlobte oder als Verwitwete unverheiratet sind, sollten ehelos bleiben (V. 25-40). Hier stimmt Paulus faktisch dem korinthischen Motto zu, weil er als Realist die Schwierigkeiten kennt, die sich aus der „gegenwärtigen Notlage“ (V. 26) für Ehe und Familie ergeben. Aber er widersteht allen Versuchen, aus dieser von ihm unterstützten Möglichkeit eine Norm für alle Unverheirateten zu machen. Wer nicht sexuell enthaltsam leben kann oder will und deshalb heiratet, der handelt richtig (V. 9.28.38.39). Viele Ausleger meinen, dass Paulus überzeugt war, das Kommen des Herrn stehe unmittelbar bevor, und dass er deshalb die Ehelosigkeit bevorzuge und aus diesem Grund den korinthischen Christen den Ratschlag gäbe, unverheiratet zu bleiben, selbst wenn man bereits verlobt ist. Diese These, die eine historische Möglichkeit bleibt (vorausgesetzt, dass Paulus, wenn er von Jesu Prophezeiung der Zerstörung Jerusalems wusste, diese noch abwarten musste),342 lässt sich allerdings aus den Aussagen von Kap. 7 nur indirekt erschließen; sie ergibt sich also nicht mit Notwendigkeit. Ebenso gut ist die Annahme möglich, dass einige korinthische Christen eine intensive Naherwartung hatten und Paulus, der das baldige Kommen des Herrn nicht ausschließen kann, ihrem durch die Naherwartung motivierten Verzicht auf die Eheschließung zustimmt. Wenn er seinen entsprechenden Rat deutlich als seine „Meinung“ beschreibt, könnte er sich gegen Korinther ————————————————————
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Paulus schreibt den 1Kor im Jahr 54 n.Chr., der jüdische Aufstand gegen die römische Oberherrschaft begann im Jahr 66, also nur zwölf Jahr später.
Ehelosigkeit und Heirat von Verlobten und Witwen 7,25-40 425 ————————————————————————————————————
wenden, die die eschatologischen Überlegungen ihrer Mitchristen für überspannt halten und auf Eheschließungen drängen. Genauso plausibel ist die Annahme, dass die apokalyptische Dimension in Kap. 7 keine zentrale Rolle gespielt hat, sondern dass es die „gegenwärtige Notlage“ war, die korinthische Christen zum Verzicht auf ehelichen Sexualverkehr und zum Verzicht auf die Ehe motivierte. Paulus stimmt dem ersten Wunsch nur sehr eingeschränkt zu: Eheleute verkehren miteinander geschlechtlich, dies gehört ganz selbstverständlich zu einer normalen Ehe. Er begrüßt jedoch den geäußerten Wunsch von unverheirateten und verlobten Christen, unverheiratet zu bleiben, weil das Leben in Ehelosigkeit es tatsächlich einfacher macht, die „gegenwärtige Notlage“ zu überstehen. Paulus ist kein ehefeindlicher Asket. Er befürwortet die Ehelosigkeit nur für Unverheiratete und nur in der Spezialsituation der „gegenwärtigen Bedrängnis“. Und er unterstreicht wiederholt, dass man, wenn man heiratet, nicht im Widerspruch zum Willen Gottes handelt. Wer die Naherwartung als Grundposition des Apostels Paulus in den Mittelpunkt rückt, der kann H. Merklein zustimmen, der einerseits betont, dass „diese Situation“ für uns „heute nicht mehr gegeben“ ist.343 Man wird dann das Votum, das Paulus für die Ehelosigkeit abgibt, nicht unbedingt als überholt bezeichnen. „Es kann immer Situationen der verdichteten Zeit geben: aus persönlichen Gründen, um eines Zieles willen (Evangelium, Zeichenhaftigkeit). Es ist abzuwägen. Es kann aber nicht als situationslos geltende Gesetzmäßigkeit vorausgesetzt werden, daß die Unverheirateten selbstverständlich und mehr um die Sache des Herrn besorgt sind als die Verheirateten. Es kann auch das Gegenteil der Fall sein! Die Bindungslosigkeit kann neue Knechtschaften produzieren. Ob die von Paulus favorisierte Ehelosigkeit zu praktizieren ist, muß also im Einzelfall entschieden werden“. Protestanten haben lange die Möglichkeiten eines aktiven, um „die Dinge des Herrn“ besorgten Lebens in der Ehelosigkeit unterschätzt. Christliche Organisationen, Gremien und Verantwortungsträger tun gut daran, sich an die „Bedrängnis für das Fleisch“ (V. 28) zu erinnern, die das Ehe- und Familienleben mit sich bringt. Paulus denkt in Kap. 7 wahrscheinlich auch an die Mühen seines apostolischen Dienstes, in dem er weder auf Frau noch auf Familie Rücksicht nehmen musste. Wer weiß, dass er sich in seinem zukünftigen Dienst in Gemeinde und Mission nicht um eine Familie kümmern kann, der soll nicht heiraten. Und wer verheiratet ist, der muss seinen Einsatz für das Evangelium so gestalten, dass ihn sein „Dienstplan“ nicht so in Beschlag nimmt, dass er seine Ehefrau und seine Kinder vernachlässigt. ————————————————————
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Merklein II, 150, ebd. 150-151 für das folgende Zitat.
426 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Angesichts der Bedeutung der Ehelosigkeit in der Geschichte der Kirche ist allerdings auch an das Wort Calvins zu erinnern: „Nicht nur Toren haben hier gesündigt und die Meinung von Paulus und Christus übersehen und die menschliche Schwachheit vergessen; auch berühmte Kirchenlehrer haben übersehen, daß die ‚Jungfräulichkeit‘ nur eine Gabe für wenige Menschen und nicht die höchste erreichbare Tugend oder gar Gottesdienst ist. Im Glauben an solche Irrlehre gelobten viele unüberlegt die ewige Enthaltsamkeit, von denen doch kaum der hunderste Teil die Gabe dazu besaß“. 344 Schließlich ist an die Zentralität der Berufung (V. 17.18.20.22.24) und an die Betonung des Dienstes (V. 32-34) in der Argumentation des Paulus zu erinnern. Diese Überzeugungen stehen in deutlichem Gegensatz zu der privilegierten Stellung des Autonomiegedankens der Moderne und zur Betonung der Erfüllung der eigenen Sehnsüchte in der Postmoderne. 345 Das Prinzip der Befriedigung der eigenen Wünsche, wie immer diese begründet und motiviert sein mögen, passt eher zur paganen Gesellschaft Korinths denn zu Paulus. Im Blick auf die Mahnung „Brüder, jeder soll in dem Stand, in dem er berufen wurde, vor Gott bleiben“ (V. 24) ist nochmals der Schlusssatz hervorzuheben, der die Argumentation des Apostels bestimmt. Es geht nicht darum, dass wir als Christen „bei uns“ bleiben, sondern dass wir „bei Gott bleiben“. F. Godet hat diesen Satz so kommentiert: „Dadurch bleibt der Gläubige bewahrt vor den Versuchungen, welche ihm aus der Lage, in der er sich befindet erwachsen; dadurch bekommen die niedrigsten Pflichten, welche sie ihm auferlegt, den hehren Charakter gottesdienstlicher Handlungen“. 346
Kompromiss IV: Götzenopferfleisch und Götzentempel 8,1–11,1 Der von 8,1 bis 11,1 reichende Abschnitt behandelt einen vierten Bereich, in dem korinthische Christen Kompromisse mit den säkularen Werten und Verhaltensweisen der Umwelt schließen. In 5,1-13 ging es um einen Fall von Inzest eines Christen, den die Gemeinde toleriert. In 6,1-11 rügt Paulus die Gemeinde, dass sie nicht in der Lage ist, Konflikte zwischen Gemeindegliedern wegen Bagatellangelegenheiten intern zu regeln, und dass sie es zulässt, dass Christen sich vor heidnischen Gerichten öffentlich verklagen. In ————————————————————
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Calvin 366. Thiselton 548. Godet I 186.
Kompromiss IV: Götzenopferfleisch und Götzentempel 8,1-11,1 427 ————————————————————————————————————
7,1-40 behandelt Paulus die Frage sexueller Enthaltsamkeit in der Ehe sowie die Frage des Verzichts auf die Ehe überhaupt. Wenn manche Gemeindeglieder einer absoluten sexuellen Enthaltsamkeit das Wort reden, motiviert von der „gegenwärtigen Notlage“, dann verhalten sie sich egoistisch – sie nehmen keine Rücksicht auf den Ehepartner oder auf die Verlobte, und sie verkennen womöglich ihre eigene Schwachheit, ihren Entschluss durchzuhalten. Ihr Egoismus, der auf den eigenen Vorteil fixiert ist, entspricht den Werten der paganen Gesellschaft. In 8,1–11,1 geht es nun um die Teilnahme korinthischer Christen an Mahlzeiten im Götzentempel und um das Essen von Fleisch aus Tempelschlachtungen, das dort auf dem Speiseplan stand. Das heißt, es geht um die Kompromittierung ihres christlichen Glaubens im Rahmen von Kontakten mit den traditionellen religiösen Kulten der Stadt Korinth. Offensichtlich haben die Korinther ihr Verhalten mit der Devise „alles ist mir erlaubt“ (10,23) begründet, vielleicht auch mit der Parole „die Speisen sind für den Bauch“ (vgl. 6,12-13). Und sie verweisen auf ein (offizielles) Recht, das ihnen die Teilnahme an Festmählern im Tempel gestattet (8,9). Seit der ausführlichen Studie von W. Willis zu 1Kor 8–10 sind mehrere größere Arbeiten zu diesem zentralen Abschnitt erschienen. 1 Die traditionelle Interpretation geht von einer Auseinandersetzung zwischen den „Starken“ und den „Schwachen“ aus, zwischen „progressiven“ und „konservativen“ Christen, die sich nicht einig waren, ob Christen das Fleisch von Tieren essen dürfen, die in heidnischen Tempeln rituell geschlachtet worden waren.2 H. Merklein meint, der Konflikt, der in diesen drei Kapiteln sichtbar werde, sei der „Anschlußkonflikt“ des Antiochenischen Konflikts „zwischen der in Antiochien siegreichen (von Kephas und Barnabas vertretenen) Kompromißlösung und der Position des mit diesem Kompromiß nicht einverstandenen Paulus“.3 Die „Starken“, die mit den Parolen „wir haben Erkenntnis“ (8,1) und „alles ist erlaubt“ (10,23) operierten, aßen Fleisch, das aus Tempelschlachtungen stammte, sei es im Tempel selbst, bei Freunden oder zu Hause. Sie beriefen sich mit ihren Parolen wahrscheinlich ————————————————————
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Willis, Idol Meat, 1985; Probst, Brief, 1993; Gooch, Food, 1993; Gardner, Gifts, 1994; Yeo, Interaction, 1995; Newton, Deity and Diet, 1998; Cheung, Idol Food, 1999; Oropeza, Apostasy, 2000; Smit, Idol Offerings, 2000; Fotopoulos, Food, 2003; Gäckle, Die Starken, 2005; vgl. Heil, Speisegebote, 1994, 177-235. Bousset 107; Weiss 211-212; Conzelmann 170; Murphy-O’Connor 544-546; Merklein II 170; Thiselton 644-645; Soden, Sakrament, 239-275; Theißen, Studien, 272-289; Willis, Idol Meat, 92-96; Söding, Starke, 69-92; Oropeza, Apostasy, 61-66; Fotopoulos, Food, 240-250; Konradt, Gericht, 346; Schnelle, Paulus, 223-228; Heil, Speisegebote, 212-234. Vgl. Schrage II 218-219, der jedoch die Bezeichnungen „Schwache“ und „Starke“ zurückhaltend verwendet (Anm. 24.34). Merklein II 170-171; ähnlich Barrett, Essays, 40-59. Zum sog. Antiochenischen Konflikt und zum Apostelkonzil vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 961-978.
428 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
auf Paulus. Die „Starken“ gehörten eher der gehobenen Schicht an, besaßen eine gewisse Bildung und verfügten über einen bestimmten Wohlstand – sie hätten sich sonst den Kauf von Fleisch nicht leisten können. Die „Schwachen“, die an dieser Praxis Anstoß nahmen, gehörten eher zu den einfachen Leuten. Zu den „Schwachen“ gehörten mehrheitlich Heidenchristen (8,7), aber sicherlich auch die Judenchristen in der Gemeinde (d.h. Vertreter der Kephas-Partei). Manche Ausleger nehmen an, dass die „Starken“ Paulus für ihre Argumentation einspannen wollten, mit der sie die „Schwachen“ überzeugen wollten, ihre Skrupel aufzugeben und in der Freiheit des Geistes zu leben. Die Vertreter der traditionellen Sicht argumentieren, dass Paulus mit den „Starken“ theologisch übereinstimmt (10,19.25.27). Er werfe ihnen jedoch gleichzeitig vor, dass sie ihre Freiheit nicht richtig gebrauchen, da sie es unterlassen, die „Schwachen“ zu lieben. Das Problem für Paulus ist nicht, dass die „Starken“ Götzenopferfleisch essen, sondern dass sie sich den „Schwachen“ gegenüber rücksichtslos verhalten. Paulus weist die „Starken“ an, ihre Freiheit um der „Schwachen“ willen, nicht jedoch infolge irgendwelcher Skrupel im Blick auf das Götzenopferfleisch einzuschränken. Das einzige, was Paulus verbietet, ist die Anbetung eines Götzen (10,14-22). Diese Interpretation hat einige ihrer Vertreter veranlasst, Zweifel an der literarischen Integrität von 8,1–11,1 zu äußern. J. Weiss war der Ansicht, Paulus habe zunächst einen rigorosen Standpunkt eingenommen und vor der Teilnahme am Götzenopfermahl gewarnt (10,1-22). Als die Korinthern ihm vorhielten, dass sie sich bei Befolgung der entsprechenden paulinischen Direktive von allem trennen müssten, habe er in dem nachträglich geschriebenen Text 8,1-11 / 10,23–11,1 seine frühere Meinung revidiert.4 Es gibt jedoch keine plausiblen Gründe, weshalb man die thematische, rhetorische und theologische Einheit des Abschnitt 8,1–11,1 in Frage stellen sollte. W. Schrage argumentiert, dass Paulus in Kap. 8 zunächst die grundsätzliche Problematik erörtert, aber in V. 10 das Thema des Besuchs eines Götzentempels bereits anklingen lässt. Paulus betont zunächst die Notwendigkeit, aus christlicher Liebe heraus auf den „Schwachen“ Rücksicht zu nehmen (Kap. 8); dann erwähnt er seine apostolische Existenz als Beispiel (Kap. 9), ehe er die Teilnahme an kultischen Handlungen im Götzentempel untersagt und die damit gegebenen Gefahren behandelt (Kap. 10).5
Die traditionelle Interpretation wird in der neueren Forschung aus mehreren Gründen in Frage gestellt. 1. Paulus verwendet die Vokabeln „Starke“ und ————————————————————
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Weiss 210-213; vgl. Schmithals, Briefe, 23; Klauck, Herrenmahl, 283-284; Sellin, Hauptprobleme, 2972-2974; Yeo, Interaction, 76-83.120-211. Schrage II 213-214. Zur Kritik der Zweifel an der literarischen Integrität von 8,1–11,1 vgl. auch Lindemann 186-187; Merklein II 164-168; ders., Einheitlichkeit, 163-169; Hurd, Origin, 117-125.143-148; Probst, Brief, 149-153; Heil, Speisegebote, 179-188; Gäckle, Die Starken, 112-115.
Kompromiss IV: Götzenopferfleisch und Götzentempel 8,1-11,1 429 ————————————————————————————————————
„Schwache“ in 1Kor 8–10 nirgends als Bezeichnung bestimmter Gruppen in der Gemeinde (anders in Röm 14,1–15,13). In 8,7-10 spricht Paulus vom „schwachen Gewissen“ und in 9,22 schreibt er von „den Schwachen“, denen er „ein Schwacher“ geworden ist. Der Begriff „Starke“ kommt jedoch nicht vor. Die These von M. Mitchell, Paulus kritisiere in Kap. 8–10 wie in Kap. 1–4 die Bildung von Fraktionen und bemühe sich auch hier um die Einheit der Gemeinde,6 ist deshalb nicht stichhaltig. Auch wenn es sicherlich richtig ist, dass es Gruppen gab, für die eine bestimmte Praxis im Blick auf das Einkaufen und das Essen von Fleisch und im Blick auf den Besuch von Götzentempeln charakteristisch war, zeigt die Argumentation des Apostels, dass es ihm nicht um das Verhalten von Gruppen geht, sondern um das Verhalten einzelner Christen. 7 2. Die traditionelle Sicht geht davon aus, dass Paulus in Kap. 8–10 zum ersten Mal den korinthischen Christen seine Position im Blick auf die Frage des Götzenopferfleisches und der Götzentempel erläutert. Diese Annahme ist nicht plausibel.8 Für Paulus, der als gemeindegründender Missionar Heiden im christlichen Glauben unterweist, die in den verschiedenen Tempeln und Kulten der Stadt Korinth zu Hause waren, gehörten diese Themen zum Elementarunterricht (vgl. 12,2; 1Thess 1,9-10; Gal 4,8-9).9 Die Position von Paulus war, wie die Argumentation in Kap. 8 zeigt, von der exklusiven Bindung an den einen wahren Gott bestimmt, die für den atl.-jüdischen Glauben charakteristisch war. Auch als zum Glauben an Jesus Christus bekehrter Jude lehnt Paulus alles ab, was als Kompromiss mit paganen Kulten, Tempeln und Göttern ausgelegt werden konnte. Dazu gehörte auch der Verzehr von Fleisch, das in heidnischen Tempeln geschlachtet und anschließend zum Verkauf angeboten wurde. 10 Paulus ist nicht ein „ehemaliger Jude“, wie J. Weiss meint.11 Im Glauben an den einen wahren Gott und mit seiner Ablehnung heidnischer Religiosität samt ihrer Tempel und ihrer Kulte ist der Apostel Paulus genau so „jüdisch“ wie der Prophet Jesaja. Es geht in 8,1– 11,1 nicht nur um Fleisch, das auf dem Markt angeboten wird, sondern zunächst und primär um Mahlzeiten, die man in den Räumlichkeiten eines Tempelkomplexes einnimmt. Paulus behandelt Situationen, in denen die korinthischen Christen sehr wohl wissen, dass sie Fleisch essen, das Götzen ————————————————————
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Mitchell, Rhetoric, 126-149.237-258; ebenso Thiselton 611-612. Lindemann 186; Garland 358-360, ebd. zu den Unterschieden zwischen 1Kor 8–10 und Röm 14–15. Garland 353; vgl. ebd. 353-357 für die folgenden Bemerkungen. Vgl. Witherington 166188; Tomson, Paul, 190. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1325-1332. Vgl. Gooch, Food, 96-97; Cheung, Idol Food, 41-81. Weiss 264. Garland 355 kritisiert diese Beschreibung als „anti-jüdisch“.
430 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
geopfert worden war. Die Lokalitäten sind verschieden: Sie essen Götzenopferfleisch während eines öffentlichen Festes, im Speisesaal eines TempelRestaurants, als Teilnehmer an einer heidnischen Opferhandlung oder während einer Mahlzeit in einem Privathaus.12 Es ist davon auszugehen, dass korinthische Christen nach dem Weggang des Apostels Paulus Zweifel an der Durchführbarkeit von dessen Weisungen geäußert haben und sich die Freiheit nahmen, wieder Götzentempel zu besuchen und an heidnischen Festmählern teilzunehmen. B. Winter meint, dass zwei Ereignisse, die in diesen Jahren stattfanden, die Kompromissbereitschaft korinthischer Christen förderte, vor allem jener Gemeindeglieder, die zu den oberen Kreisen Korinths gehörten. 13 Das erste Ereignis war die Einrichtung des von der Provinz Achaia verantworteten Kaiserkults in der Provinzhauptstadt Korinth um das Jahr 54 n.Chr., die vom Kaiser und vom römischen Senat genehmigt wurde und für die Stadt von enormer politischer, gesellschaftlicher und finanzieller Bedeutung war. Das zweite Ereignis war die Wiedereröffnung der Isthmischen Spiele an ihrem angestammten Ort in Isthmia, nur wenige Kilometer von Korinth entfernt. Die Rückkehr der Spiele nach Isthmia fand in den 50er Jahren des 1. Jahrhunderts statt; die Spiele waren nach der Zerstörung des griechischen Korinth im Jahr 146 v.Chr. nach Sikyon verlegt worden. Wie immer man diese historischen Präzisierungen einschätzt: Für die korinthischen Christen, die den höheren Kreisen angehörten, war es nicht nur unpraktisch, ihre Kontakte mit den Tempeln und den Festen der Stadt ganz aufzugeben. Die Preisgabe solche Kontakte war gesellschaftlich und zweifelsohne auch finanziell von großem Nachteil. Kontakte mit befreundeten Familien und Geschäftspartnern fanden in den örtlichen Tempeln, auf Festen und anlässlich von Banketten statt.14 Bei allen diesen Anlässen wurde Fleisch serviert, das aus den Tempelschlachtungen stammte. Die Praxis dieser korinthischen Christen ist also sehr wahrscheinlich das Resultat von Kompromissen mit der heidnischen Umwelt, und nicht eine taktisch eingesetzte theologische Position.15 Wahrscheinlich haben diese Christen mit der Nicht-Existenz der Götter argumentiert (8,4-6). Es ist möglich, dass diese Argumente nicht die Motiva————————————————————
12 13 14 15
Cheung, Idol Food, 82-162; vgl. Fotopoulos, Food, 33-35.208-250. Winter, Imperial Cult, 93-103; ders., Imperial Cult II, 169-178; ders., Welfare, 165-174; ders., Corinth, 269-301; vgl. auch Newton, Deity and Diet, 264-265. Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Mahlzeiten vgl. Gooch, Food, 40-46.106; Yeo, Interaction, 308; Smit, Idol Offerings, 72. Anders Merklein II 169, der meint, dass die Starken ihr „aufklärerisches“ Wissen von der Nicht-Existenz der Götter „aggressiv missionarisch zur ‚Überzeugung‘ der ängstlichen Gemeindeglieder“ einsetzten, indem sie provozierend an Kultmählern im Tempel teilnahmen, „um die noch nicht Überzeugten zu gleich aufgeklärter Praxis ‚aufzuerbauen‘“.
Kompromiss IV: Götzenopferfleisch und Götzentempel 8,1-11,1 431 ————————————————————————————————————
tion ihres Verhaltens erklären, sondern eine sekundäre Rechtfertigung sind. 16 3. Die traditionelle Sicht legt zu viel Nachdruck auf die Warnung des Apostels vor den Folgen, die das Essen von Götzenopferfleisch für die Gemeindeglieder mit dem schwächeren Gewissen haben kann. Die subtile Argumentationsweise in Kap. 8 hat dem Urteil Vorschub geleistet, Paulus gehe es in Kap. 8–10 in erster Linie um die Rücksichtnahme auf die schwächeren Christen.17 Für Paulus war das Essen von Fleisch, das aus Tempelschlachtungen kam und (bewusst) als Götzenopferfleisch gegessen wurde, kein Adiaphoron, sondern eine Sünde. Das Hauptproblem war nicht die Lieblosigkeit jener korinthischen Christen, die Götzenopferfleisch aßen. Das Hauptproblem für Paulus ist ihr Kompromiss mit den Tempeln, Kulten, Festen und Banketten Korinths, die Anlass waren, sich mit den heidnischen Freunden und Bekannten zu treffen und zu vergnügen. Aber Paulus beginnt seine Diskussion nicht mit einer Verurteilung ihres Verhaltens. Er will überzeugen, nicht ein bestimmten Verhalten erzwingen. Er warnt die korinthischen Christen, vor dem Götzendienst zu fliehen (10,14), aber er will auch – und damit beginnt er seine Diskussion –, dass sie die theologischen Hintergründe ihres Verhaltens erkennen. Aus diesem Grund behandelt er in 8,1-6 zunächst die Themen Monotheismus, göttliche Erwählung und Heiligkeit. Die Konsequenzen dieser Themen für die Frage nach dem Umgang mit Tempeln, Festen, Banketten und dem Fleisch aus Tempelschlachtungen werden erst in 10,1-22 ausgesprochen. Der Grund, weshalb Paulus die Frage des Besuchs von heidnischen Tempeln und des Essens von Fleisch aus Tempelschlachtungen nicht gleich direkt anspricht und behandelt, ist wahrscheinlich darin zu sehen, dass die korinthischen Christen die Position des Apostels sehr wohl kannten, aber nach seiner Abreise zu einer anderen Verhaltensweise übergegangen waren. Paulus gibt deshalb in Kap. 8 keine „eindeutige“, klare Antwort – nicht weil die Situation zu komplex war für eine einfache Lösung, sondern weil er sie mit Geduld und Liebe zum richtigen theologischen Verständnis und zum richtigen praktischen Verhalten anleiten will. Nach den theologischen Grundsätzen der Diskussion, die in 8,1-6 angesprochen werden, spricht Paulus die Korinther auf ihre Liebe zu ihren Mitchristen an, die durch ihr Verhalten zur Sünde verführt werden könnten (8,7-13). Dann spricht er von seinem eigenen Verhalten als Missionar, das sich nicht an seinen Rechten und Freiheiten orientierte, sondern an dem Ziel, Menschen für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen (9,1-27). Erst dann ermahnt er die Korinther, alles zu unterlassen, ————————————————————
16 17
Garland 355-356; Cheung, Idol Food, 120. Zur „seelsorgerlichen Verantwortung für die Schwachen“ vgl. Gäckle, Die Starken, 242257.283. Für die folgenden Bemerkungen vgl. Garland 360-362; Wright, Covenant, 122; Cheung, Idol Food, 112-117; Fotopoulos, Food, 39.208-250; vgl. Chrysostomus 20-25.
432 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
was mit Götzen und Götzendienst zu tun hat: Auf der Grundlage der Auslegung der Schrift (10,1-13) mahnt er sie, vor dem Götzendienst zu fliehen (10,14) und die Unvereinbarkeit der christlichen Feier des Herrenmahls mit den heidnischen Kulten und Kultmählern zu erkennen (10,15-21). Dann stellt er die rhetorische Frage, ob sie den Herrn zur Eifersucht reizen wollen und ob sie stärker sind als der Herr (10,22). Zum Schluss gibt er praktische Ratschläge zu der Frage, ob man Fleisch essen kann, dessen Herkunft unklar oder unbekannt ist und das man entweder auf dem Fleischmarkt kaufen kann oder bei einer Mahlzeit im Haus eines Bekannten serviert bekommt (10,2330). Paulus beendet die Diskussion mit der abschließenden Mahnung, untadelig zu sein und sich nicht auf den eigenen Nutzen zu konzentrieren, sondern um die Errettung von Nichtchristen bemüht zu sein (10,31–11,1). Paulus behandelt in Kap. 8–10 also ein Thema: Jesusbekenner sollen keine Kompromisse mit den paganen Göttern, Kulten und Tempeln eingehen. Er bespricht vier verschiedene Situationen. 1. Die Teilnahme an ει δωλολατρι' α, d.h. am Götzenopferdienst (10,14-22). Paulus argumentiert prinzipiell, dass die Teilnahme an heidnischen Kulthandlungen für Christen ausgeschlossen ist. 2. Die Teilnahme an Festmählern im ει δωλει^ον, d.h. im heidnischen Tempel (8,10). Paulus verbietet den korinthischen Christen, an heidnischen Banketten teilzunehmen, die in den Tempeln der Stadt veranstaltet werden. Der Grund für das Fernbleiben ist einmal die Rücksichtnahme auf den „schwachen“ Mitchristen, zum anderen gibt es aber auch prinzipielle Gründe. 3. Der Einkauf von Fleisch im macellum (10,25), bei dem die Möglichkeit besteht, dass es sich um Opferfleisch handelt. Paulus gestattet den Christen, Fleisch auf dem Markt zu kaufen, dessen Herkunft unbekannt ist. 4. Die Teilnahme an einer Mahlzeit in einem Privathaus (10,27-29). Paulus gestattet den Korinthern, mit heidnischen Freunden zu speisen. Wenn diese ihnen allerdings mitteilen, dass das Fleisch, das serviert wird, aus den Tempelschlachtungen stammt, dann sollen sie es nicht essen. Diese Regelung macht es wahrscheinlich, dass Christen, die im macellum Fleisch kaufen und vom Verkäufer darauf hingewiesen werden, dass es sich um Fleisch aus Tempelschlachtungen handelt, das Fleisch nicht kaufen und nicht essen sollen. 18 Gliederung. Die meisten Ausleger gliedern in fünf oder sechs Abschnitte. Ich gehe von der folgenden Gliederung aus:19 ————————————————————
18 19
M. Wolter, Art. Gewissen II, TRE XIII, 215; Koch, Macella, 218. Vgl. Garland 362. Lindemann 187 gliedert in 8,1-6; 8,7-13; 9,1-18; 9,19-27; 10,1-22; 10,23–11,1. Merklein II 171-172 gliedert in 8,1-13; 9,1-23; 9,24-27; 10,1-13; 10,13-22; 10,23–11,1. Schrage II 213-214 und Thiselton 612-779 gliedern in fünf Abschnitte: 8,113; 9,1-27; 10,1-13; 10,14-22; 10,23–11,1.
Kompromiss IV: Götzenopferfleisch und Götzentempel 8,1-11,1 433 ———————————————————————————————————— 1. Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis (8,1-6) 2. Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen (8,7-13) 3. Paulus als positives Beispiel (9,1-27) 4. Israel als warnendes Beispiel (10,1-13) 5. Herrenmahl und Götzenopfermahl (10,14-22) 6. Ratschläge zu Fleisch und Götzenopferfleisch (10,23–11,1) John Fotopoulos gliedert 8,1–11,1 in sieben Abschnitte und schlägt folgende rhetorische Analyse vor:20 partitio
8,1-9
Die Erkenntnis der Korinther (propositiones) und die Position des Apostels Paulus (refutationes) narratio 8,10-13 Angabe der Fakten, die das Verhalten der Korinther erklären (das Speisen in heidnischen Tempeln) exemplum 9,1-27 (als probatio:) Das positive Vorbild des Apostels, der zugunsten der Schwachen auf seine apostolische Freiheit verzichtet exempla 10,1-13 (als probatio:) Die Geschichte Israels als Argument gegen das Verhalten der Korinther refutatio 10,14-22 Argument gegen den Götzendienst der Korinther refutatio 10,23-24 Argument gegen die propositio der Korinther im Blick auf die Freiheit paraenesis 10,25–11,1 Nahrung unbekannter Herkunft auf dem Markt und in Privathäusern
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 I 1 Was aber das Götzenopferfleisch betrifft: Wir wissen, dass wir alle Erkenntnis haben. Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe baut auf. 2 Wenn jemand meint, etwas erkannt zu haben, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen muss. 3 Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt. 4 Was nun das Essen des Götzenopferfleisches betrifft, so wissen wir, dass es keinen Götzen in der Welt gibt und dass kein Gott ist außer einem. 5 Denn auch wenn es sogenannte Götter gibt, sei es im Himmel, sei es auf der Erde, wie es ja tatsächlich viele Götter und viele Herren gibt, 6 so ist für uns doch nur der eine Gott, der Vater, aus dem alles ist und wir zu ihm, und der eine Herr, Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn. ————————————————————
20
Fotopoulos, Food, 195-206, mit ausführlicher Analyse der rhetorischen Einheiten.
434 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
II Dieser Abschnitt gehört zu den theologisch wichtigsten Texten in den Paulusbriefen, lässt er doch in knappen, prägnanten Sätzen erkennen, wie Paulus als Missionar und Theologe die Frage nach der Existenz der vielen heidnischen Götter, die Frage nach der Existenz des einen wahren Gottes und die Frage nach der Beziehung zwischen dem einen wahren Gott und Jesus Christus, dem auferstandenen Herrn, behandelt hat. Manche Ausleger halten V. 6 für das wörtliche Zitat einer vorpaulinischen Bekenntnisformel,21 andere für eine eigene Formulierung des Apostels Paulus.22 V. 6 enthält in der Tat jüdische (Dtn 6,4: der Glaube an den einen wahren Gott) und vorpaulinische Formulierungen (vgl. 1Kor 12,3; Röm 10,9; Phil 2,11: Jesus als Kyrios), aber es gibt weder zu V. 6a, noch zu V. 6b noch zu der Kombination des Gottes- und des Christusbekenntnisses in V. 6 echte Parallelen (auch nicht 1Tim 2,5). Während es durchaus möglich ist, dass Paulus eine frühchristliche Bekenntnisformulierung zitiert, gibt es andererseits keinen stichhaltigen Grund, weshalb Paulus die Aussage nicht selbst hätte formulieren können.23 Der Text enthält offensichtlich Zitate korinthischer Christen, die Paulus kommentiert. Vor allem für V. 1b („wir wissen, dass wir alle Erkenntnis haben“) und V. 4 („ es gibt keinen Götzen in der Welt und es ist kein Gott außer einem“) wird dies angenommen.24 Manche sehen auch in V. 5 ein Zitat (s. unten die Einzelexegese). 25 Der Abschnitt wird von manchen Auslegern ————————————————————
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Conzelmann 178; Schrage II 221-225; Merklein II 187; Wolff 172-176; Kramer, Christos, 91-95; Wengst, Formeln, 136-141; Kerst, Taufbekenntnis, 130-139; Murphy-O’Connor, I Cor VIII.6, 255-259 (Taufbekenntnis); Hengel/ Schwemer, Paulus, 417-418; Schnelle, Paulus, 446. Robertson/Plummer 168; Héring 65; Fee 374; Horsley 120; Garland 375; Thüsing, Per Christum in Deum, 225; Dunn, Christology, 179-180; ders., Theology of Paul, 253; Richardson, Language, 300; Denaux, Theology, 605; Hengel/Schwemer, Paulus, 418 (als Möglichkeit); Bauckham, Monotheism, 37-40. Andere lassen die Frage offen; vgl. Lindemann 192. Schrage II 222 verweist für die Annahme einer vorpaulinischen Formel auf den anakoluthischen Anschluss, auf die vom diskursiven Stil abweichende Form (parallelismus membrorum) und auf den „über die Kontextfunktion hinausgehende(n) inhaltliche(n) Überschuß“. Anakoluthische Anschlüsse gibt es im 1Kor immer wieder, der bekenntnishafte Stil kann von Paulus auch ad hoc formuliert worden sein, und ob es einen „inhaltlichen Überschuss“ gibt, muss die Exegese zeigen. Schrage II 221 rekonstruiert folgende Passage für den Brief der Korinther: „Wir haben die Vollmacht, Götzenopferfleisch zu essen, denn wir haben alle γνω ^ σις und wissen, daß es keinen Götzen in der Welt und keinen Gott gibt außer dem einen“. Willis, Idol Meat, 83 sieht in V. 5-6 ein korinthisches Zitat. Hofius, Einer ist Gott, 99-101 betrachtet V. 4-6 als Zitat aus dem korinthischen Brief. Vgl. die Diskussion von Gäckle, Die Starken, 37-43.
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 435 ————————————————————————————————————
rhetorisch als propositio klassifiziert.26 Paulus führt allerdings in V. 1-6 nicht nur den Standpunkt der Korinther oder seinen eigenen Standpunkt an, sondern bringt ansatzweise Argumente und kritische Einwände. 27 Gliederung. Der Text ist durch περι' in zwei Teile gegliedert. Der Abschnitt V. 1-3 spricht mit Verweis auf das Wort „Götzenopferfleisch“ (V. 1) wiederholt von „Erkenntnis“, die mit der „Liebe“ kontrastiert wird. Paulus betont, dass die Liebe der Jesusbekenner zueinander wichtiger ist als Erkenntnis, die zu Arroganz führt. V. 4-6 erläutert mit Verweis auf das Wort „Essen“ inhaltlich, was mit „Erkenntnis“ gemeint ist. Paulus betont mit dem Hinweis auf den christologischen Monotheismus des christlichen Glaubens, dass sich Jesusbekenner, die zum Glauben an den einen wahren Gott und an Jesus Christus als Herrn gekommen sind, von ihren Mitmenschen unterscheiden, die viele Götter und viele Herren anbeten. Das Bekenntnis zu dem einen Gott und zu dem einen Herrn erfordert eine exklusive Loyalität gegenüber dem einen Gott und dem einen Herrn. Jesusbekenner dürfen diese Loyalität – so das implizite Argument – durch keine Kompromisse mit der heidnischen Praxis in den Tempeln und Kulten der Stadt gefährden.28 Textkritische Anmerkungen. In V. 2 lesen westliche Textzeugen sowie der Mehrheitstext δε' nach ει»; die Auslassung ist gut bezeugt (d46 אA B P Ψ 0278 33 81); die Hinzufügung von δε' hebt den asyndetischen Anschluss auf.29 Der Mehrheitstext und andere Zeugen ersetzen ε γνωκε'ναι durch das häufigere ει δε'ναι (K L 6 614 629 1241 1505 Byz lat; Ambst), das zwar dieselbe Bedeutung hat, aber das Wortspiel mit γινω' σκω nicht beachtet. Das Wort τι fehlt in d46 und Ambrosiaster, ist aber sonst gut bezeugt.30 Es gibt keinen Grund, mit Byz sy ου δε'πω ου δε'ν („überhaupt noch nicht“) statt ου» πω („noch nicht“; d46 אA B P 0278 33 81 u.a.) zu lesen. In V. 3 lassen d46 und Clemens Alexandrinus το` ν θεο' ν und υ π’ αυ του^ aus ( *א33 lassen nur υ π’ αυ του^ aus, was wahrscheinlich ein Versehen ist). Das Verb ε»γνωσται ist dann nicht als Passiv, sondern als Medium zu interpretieren: „Wenn aber jemand liebt, der erkennt“. Die magere Bezeugung dieser Lesart kann kaum durch das Argument überwunden werden, dass der Vers so einen guten Sinn ergibt (es gehe nicht um die Liebe zu Gott, sondern um die Liebe zueinander; oder: ————————————————————
26 27 28 29 30
Schrage II 225; Smit, Idol Offerings, 67-81; Fotopoulos, Food, 199 (V. 1-9). Schrage II 225, mit Hinweis auf Berger, Formgeschichte, 221 (vgl. ders., Formen und Gattungen, 269), der von einem „Normendiskurs“ spricht. Da der Abschnitt 8,1-13 eng mit 10,1–11,1 zusammen gehört, wird die Diskussion von Paulus erst nach der Kommentierung von 10,1–11,1 unter IV zusammengefasst. Fee 364 Anm. 24; nach Zuntz, Text, 188 verdunkelt die Hinzufügung das Argument. Zuntz, Text, 31-32; Fee 364 Anm. 26.367 halten die Lesart von d46 für ursprünglich. Kritisch Schrage II 232 Anm. 127: Fee verkennt den mit τι gegebenen Situationsbezug; vgl. Garland 376.
436 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Liebe ist wahre Erkenntnis).31 Was den Sinn der kürzeren Lesart betrifft, so setzt diese für G. Fee voraus, dass das Hauptproblem der Korinther ein Mangel an Liebe zum Mitchristen ist, nicht der Flirt mit Götzendienst. Die Exegese wird zeigen, dass diese Auslegung, die als Argument für die kürzere Lesart angeführt wird, suspekt ist. In V. 4 fügen der Mehrheitstext und die syrischen Übersetzungen (sowie א2) hinter ου δει` ς θεο' ς das Wort ε«τερος („kein anderer Gott“) ein, was eine Glosse ist, die an Stellen wie Ex 20,3 erinnert (die kürzere Lesart ist von d46 *אA B D F G u.a. gut bezeugt). Das V. 6 einleitende α λλα' wird von d46 B (33) b sa ausgelassen, offensichtlich um die Syntax zu glätten. Am Ende von V. 6 fügen mehrere Textzeugen (0142 234 , τα` 460 618 630 u.a.) eine trinitarische Erweiterung και` εν πνευ^ μα α«γιον, ε ν ω πα' ντα και` η μει^ς ε ν αυ τω ^ („und ein heiliger Geist, in dem alle Dinge sind und wir in ihm“) ein. Diese trinitarische Formulierung wird bereits im 4. Jahrhundert von Gregor von Nazianz zitiert, ist jedoch sekundär.
III 1 Die Einführung mit περι` δε' (was aber . . . betrifft) verweist möglicherweise auf ein weiteres Thema, das die korinthischen Christen in ihrem Brief ansprachen (vgl. 7,1). Dies ist jedoch nicht sicher. Die Wendung περι` δε' kann genauso gut das neue Thema markieren, das Paulus jetzt anspricht. 32 Da Paulus in den folgenden Bemerkungen auf Argumente korinthischer Christen eingeht, ist die Annahme plausibel, dass sie die Instruktionen wenigstens teilweise hinterfragten, die Paulus während seiner Lehrtätigkeit zur Zeit der Gemeindegründung zum Thema der heidnischen Götter und ihrer Kulte gegeben hatte. Paulus hatte von den neuen Entwicklungen Kenntnis bekommen. Deshalb behandelt er in Kap. 8–10 das Thema noch einmal ausführlich. Es scheint, dass die korinthischen Christen bei der Frage nach den Götzen und dem Fleisch aus Tempelschlachtungen mit den Begriffen „Erkenntnis“ und „Freiheit“ argumentierten. Der Ausdruck Götzenopferfleisch (τα` ει δωλο' θυτα, Pl.) beschreibt das Fleisch von rituell geschlachteten (geopferten) Tieren, d.h. das Fleisch, das aus Tempelschlachtungen stammte.
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31 32
Zuntz, Text, 31-32; Fee 367-368; vgl. Maly, Gemeinde, 102-103; Yeo, Interaction, 187188; Cheung, Idol Food, 118 Anm.106; Thiselton 626-627. Zur Kritik vgl. Metzger, Commentary, 490-491; Schrage II 233-234 Anm. 131; Garland 376-377. Mitchell, Concerning, 229-256. Lindemann 189 weist darauf hin, dass der Text nicht von der Voraussetzung her gelesen werden darf, „Paulus antworte auf eine ihm gestellte Frage“. Anders Fee 365; Thiselton 617; vgl. Schrage II 226 („vermutlich“); Garland 364.
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 437 ———————————————————————————————————— Das Wort τα` ειδωλο' θυτα (Pl.) bzw. το` ειδωλο' θυτον (Sing.) kommt nur in jüdischen (4Makk 5,2; Sib 2,96; Ps.Phok. 31) und in christlichen Texten vor. Die Verwendung der Vokabel in 1Kor ist der früheste Beleg in der griechischen Literatur (einschließlich der Papyri). Nichtjuden sprachen von ιερο' θυτον („das Heilige, das der Gottheit Geopferte“; vgl. 1Kor 10,28) oder von θεο' θυτον („das der Gottheit Geopferte“). Die Bedeutung „Götzenopferfleisch“ ergibt sich aus dem Zusammenhang (vgl. 8,13). Die Vokabel το` ειδωλο' θυτον bezeichnet allg. „das einem Götzen Geopferte“. Neben Tieropfer gab es auch andere Opferarten. Bei Paulus geht es konkret um geopferte Tiere, deren Fleisch teilweise zum Verkauf freigegeben war. In 4Makk 5,2 wird „Götzenopferfleisch“ präzise mit κρε' α ειδωλο' θυτα bezeichnet. Der Ausdruck το` ειδωλο' θυτον hat einen polemischen, negativen Klang, der auf die LXX zurückgeht. In der LXX wird das Wort ει»δωλα im negativen Sinn von „Götze“ oder „falsche, nichtige Gottheit“ verwendet. Manche nehmen an, dass die Vokabel ειδωλο' θυτον in christlichen, vielleicht paulinischen Kreisen geprägt wurde.33 Manche Ausleger wollen in der Interpretation von 1Kor 8–10 ειδωλο' θυτον von ιερο' θυτον unterscheiden: Der erste Ausdruck beziehe sich nur auf Fleisch, das man in der Gegenwart eines Götzenbildes oder auf dem Gelände des Tempels verzehrt, während sich der zweite Ausdruck auf Fleisch bezieht, das man außerhalb des Tempels kaufen konnte.34 Diese Unterscheidung ist weder plausibel noch für die Interpretation von Kap. 8–10 notwendig. Aufgrund des macellum von Pompeii gehen viele Ausleger davon aus, dass der größte Teil des Fleisches, das man auf dem Markt kaufen konnte, von Tieren stammte, die im Zusammenhang einer Opferzeremonie in einem der nahen Tempel geschlachtet worden war.35 In der Mitte der östlichen Seite des Fleischmarkts in Pompeii befindet sich ein großer Raum (6 mal 6,50 m), der als Kultraum identifiziert und mit dem Kaiserkult in Verbindung gebracht wird. Ein nordöstlich angeschlossener Eckraum diente ebenfalls kultischen Zwecken; auf der Rückseite dieses Raumes bedindet sich eine Nische, in der wahrscheinlich eine Kultstatue stand. Vor diesem Gebäude stand ein Altar. Neuere Forschungen haben jedoch gezeigt, dass der Fund von Pompeii nicht repräsentativ ist: Es handelt sich um einen Einzelfall, dem kein anderes der archäologisch bezeugten macella entspricht.36 Die differenzierende Aussage in 1Kor 10,25.28 deutet darauf hin, dass man in Korinth durchaus Fleisch kaufen konnte, das nicht aus Tempelschlachtungen stammte. Weder die Meinung von H. Lietzmann, dass „auch der normale Fleischlieferant des Bürgers, der berufsmäßige Metzger“ wenigstens „einige Stirnhaare des Tieres“ in die Flamme eines Opfers geworfen hat,37 noch die Meinung von J. Weiss, dass es „überhaupt kein Fleisch“ gab, „das nicht in irgend————————————————————
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36 37
Witherington, Thoughts, 237-354; Gardner, Gifts, 15-16. Fee 482-485; Witherington, Thoughts, 246. Zur Kritik vgl. Garland 365 Anm. 5; Fisk, Meat, 49-70; Newton, Deity and Diet, 268. J. Schneider, ThWNT IV, 373-374; Cadbury, Macellum, 134-141; Wiseman, Corinth, 469-472. Für eine Beschreibung des macellum in Pompeii siehe Ruyt, Macellum, 137-149 (Skizze 142); Koch, Macella, 201-202. Zu den Opferpraktiken in Griechenland und in Rom vgl. J. N. Bremmer/C. R. Phillips, Art. Opfer III-IV, DNP VIII, 1240-1250. Ruyt, Macellum, hat 78 bekannte macella untersucht; siehe jetzt auch das macellum von Gerasa in der Dekapolis; vgl. Zayadine, Jerash II, 177-199; Koch, Macella, 205-208. Vgl. die Schlussfolgerungen in Koch, Macella, 213-215. Lietzmann 49.
438 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— einer Weise mit den Göttern in Berührung gekommen wäre“,38 lässt sich aus den Quellen beweisen oder als historisch wahrscheinlich begründen. 1Kor 10,25.28 spricht gegen diese Interpretation.39 Richtig ist jedoch, dass die Jesusbekenner bei jedem Fleischeinkauf und bei jeder Einladung von Freunden und Bekannten mit der Frage konfrontiert waren, ob sie Fleisch aus Tempelschlachtungen angeboten bekamen. In Korinth befand sich der große Nordmarkt unmittelbar nördlich des großen Apollon-Tempels. Die ausgesprochen große Anlage des Nordmarkts (56 mal 45 m), die einen riesigen Innenhof hatte (34 mal 23 m), entspricht allerdings nicht dem Bautyp eines macellum, sondern einer mittleren Handelsagora.40 Ein besserer Kanditat für das macellum in Korinth ist das von Quintus Cornelius Secundus gestiftete Marktgebäude, das direkt am cardo maximus vor dem Eingangstor zur alten agora lag (im ausgehenden 1. Jahrhundert wurde an der Stelle dieses Marktes der sog. Peribolos des Apollo errichtet).41 Die Durchschnittsbevölkerung hat selten Fleisch gegessen. G. Theißen schreibt: „In Griechenland ernährte sich die breite Masse der Bevölkerung hauptsächlich mit Mehlspeise: mit aus Gerstenmehl gekochtem Brei (α»λφιτα) und aus Weizenmehl gebackenem Brot (α»ρτος). Daß σι^τος und α»λφιτα schlicht ‚Unterhalt‘ bedeuten können, spricht für sich. Aus Delos erfahren wir zudem, daß drei Steinmetzen von ihrem Monatslohn von 30 Drachmen allein 19 Drachmen und 4 Obolen für Gerstenmehl ausgaben, also fast zwei Drittel ihrer Einkünfte. Für weitere Speise blieb da nicht viel übrig“.42 Wenn es darum geht, dass man auf dem Markt eventuell nur Fleisch aus Tempelschlachtungen bekommen konnte, dann war dies nur das Problem von wenigen Gemeindegliedern. Die ärmeren Christen waren für Fleischgenuss „weitgehend auf die öffentlichen Fleischverteilungen angewiesen, die immer in festlichem Rahmen veranstaltet wurden . . . Sie kannten also Fleisch fast ausschließlich als Bestandteil heidnisch-religiöser Feiern. Fleischgenuß und Götzendienst mußte für sie daher viel enger zusammengehören als für Mitglieder höherer Schichten, die auch alltags Fleisch zu essen gewohnt waren“. Öffentliche Fleischverteilungen gab es in Griechenland und Rom 1. unregelmäßig bei Siegesfeiern, bei Leichenfeiern und bei Bewerbungen für kommunale Ämter; 2. häufiger bei Stiftungen öffentlicher Opfermahlzeiten für bestimmte Tage; 3. regelmäßiger bei den großen religiösen Festen, finanziell getragen durch den Staat bzw. durch Spenden einzelner wohlhabender Bürger; vielleicht hat es bei den internationalen Isthmischen Spielen öffentliche Opfermähler gegeben; 4. in den vielen Vereinen, die in ihren Satzungen bestimmte Feste vorsahen, wobei die unteren Schichten hier allerdings selten Fleisch genossen haben dürften; 5. private Einladungen in einen Tempel, die man sich allerdings unter den armen Leuten kaum leisten konnte. ————————————————————
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Weiss 211; vgl. Heinrici 249-250. Schrage II 216-217 mit Verweis auf Klauck, Herrenmahl, 275, der Laktanz, Mort. Pers. 37,2 für die Auskunft anführt, dass erst der christenfeindliche Kaiser Maximinius Daia die Regelung einführte, dass sämtliche Tiere von Priestern geschlachtet werden mussten. Koch, Macella, 210, der diese Anlage trotzdem mit dem macellum identifiziert; ebenso Gäckle, Die Starken, 177. Fowler /Stillwell, Corinth I, i, 31-38.151-158; Gill, Meat-Market, 389-406; Williams, Roman Corinth, 39-40. Theißen, Studien, 276, das folgende Zitat ebd. 278-279.
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 439 ————————————————————————————————————
Für Juden war das Essen von Fleisch aus Tempelschlachtungen verboten. Die Verweigerung des Verzehrs von Götzenopferfleisch, der als Abfall vom Judentum betrachtet wurde, galt als „status confessionis, der bis zum Martyrium durchgehalten wurde“.43 Schon in Ex 34,15 wird geboten: „Hüte dich, einen Bund zu schließen mit den Bewohnern des Landes, damit sie, wenn sie ihren Göttern nachlaufen und ihnen opfern, dich nicht einladen und du von ihrem Opfer essest“. Deshalb gehört die Enthaltung von Götzenopferfleisch zu den vier Forderungen, die auf dem Apostelkonzil des Jahres 50 n.Chr. in Jerusalem beschlossen wurden (Apg 15,20.29). Nach Auskunft von Offb 2,14.20 haben falsche Lehrer den Christen in Pergamon und Thyatira gesagt, sie könnten ει δωλο' θυτα („Götzenopferfleisch“) verzehren. Die Tatsache, dass Paulus den Ausdruck ει δωλο' θυτα verwendet, deutet schon zu Beginn seiner Diskussion darauf hin, dass er das Verhalten der Korinther nicht als neutral betrachtet. Die Diskussion in Kap. 8–10 wird zeigen, dass Paulus allen Verzehr von Fleisch ablehnt, von dem bekannt ist, dass es sich um Fleisch aus den Schlachtungen der Götzentempel handelt. Bei der Behandlung der Frage nach dem Einkauf vom Fleisch auf dem Markt (10,25-26) verwendet er den Ausdruck „Götzenopferfleisch“ nicht. Die Wendung wir wissen, dass (οι»δαμεν ο« τι) leitet ein Zitat aus dem Brief der Korinther oder eine Parole korinthischer Christen ein, die Paulus zur Kenntnis gebracht worden war. Der Satz wir alle haben Erkenntnis (πα' ντες γνω ^ σιν ε»χομεν) formuliert offenbar das Motto korinthischer Christen, mit dem sie den Verzehr von Götzenopferfleisch rechtfertigen. 44 Vielleicht hat Paulus das Wort „alle“ hinzugefügt, um deutlich zu machen, dass die Christen, die sich in der Götzenopferfrage auf ihre Erkenntnis berufen, weder von ihren Mitchristen noch von Paulus absetzen dürfen: Alle Jesusbekenner haben „Er^ σις, das mit „Erkenntnis“ übersetzt wird, hat kenntnis“.45 Das Wort γνω 46 weder mit der Gnosis noch mit der „Weltwirklichkeit“ 47 zu tun. Dass ————————————————————
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Schrage II 217, mit Verweis auf 4Makk 5,2: Antiochus IV. Epiphanes befahl „jeden einzelnen der Hebräer herzuschleppen und ihn zu zwingen, Schweine- und Götzenopferfleisch zu kosten . . .; die sich aber weigerten, Unreines zu essen, sollten durch Rädern umgebracht werden“. Vgl. auch Dan 1,8; Tob 1,10-11; Est 4,17 LXX; JosAs 8,5; Arist 142; tHul 2,18; mAZ 2,3. Probst, Brief, 111-115 weist darauf hin, dass οι»δαμεν bei Paulus sonst nie ein Zitat einleitet. Die Formulierung zeigt jedoch, dass der folgende Satz den Korinthern bekannt ist; vgl. Lindemann 190. Theodoret 285; Chrysostomus 161; Calvin 383; Olshausen 622; Garland 366-367; Smit, Idol Offerings, 73; kritisch Schrage II 229. Heinrici 63; Weiss 124; Schlatter 249-250; Schmithals, Gnosis in Korinth, 134; Jewett, Terms, 40; vgl. R. Bultmann, Art. γνω ^ σις, ThWNT I, 709. Zur Kritik vgl. Arai, Gegner, 430-437; Probst, Brief, 115-123.
440 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
γνω ^ σις in der korinthischen Gemeinde eine „zentrale Bedeutung“ hatte, 48 ist gut möglich, bleibt aber Vermutung: Fünf der zehn Belege des Wortes in 1Kor kommen in Kap. 8 vor;49 den „Zusammenhang mit Offenbarung“ stellt Paulus her (13,2; 14,6); und dass die Korinther ihre „Erkenntnis“ als „heilsrelevant“ bewertet haben, ist im Text nirgends zu erkennen. Der Inhalt der Erkenntnis wird hier mit dem Stichwort „Götzenopferfleisch“ angedeutet und in V. 4 im Blick auf die Begründung des Essens von Götzenopferfleisch mit der Nichtigkeit der heidnischen Götter näher erläutert (s. unten zu V. 4). Der nächste Satz korrigiert die Absolutsetzung der Erkenntnis: Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe baut auf. Trotz des bestimmten Artikels (η γνω ^ σις) will Paulus keine allgemeine Wahrheit über die Erkenntnis formulieren: In 12,8 gehört das „Wort der Erkenntnis“ (λο' γος γνω' σεως) zu den Gaben des Geistes. Paulus kommentiert den Erkenntnisanspruch der Korinther und ihren Mangel an Liebe. In 4,6 hatte Paulus die korinthischen Christen ermahnt, sich nicht zum Nachteil von Mitchristen „aufzublähen“. Das Verb φυσιο' ω bedeutet „sich aufblasen, wichtig machen“, bezeichnet also ein „überhebliches Gebaren“. Die Überheblichkeit zeigt sich in der mangelnden Rücksicht auf andere Christen in der Gemeinde, die am Essen von Götzenopferfleisch Anstoß nehmen. Wer Erkenntnis hat, auch wer vom Geist die Gabe „Wort der Erkenntnis“ erhalten hat, muss diese recht gebrauchen. Die Liebe „bläht sich nicht auf“ (ου φυσιου^ ται, 13,4), weil sie nicht „das Eigene“ (13,5) sucht. Deshalb wird sie, anders als die Erkenntnis, auch in der Ewigkeit nicht aufhören (13,8.9). Die „Liebe“ (η α γα' πη) ist kein Gegensatz zur Erkenntnis, sondern „deren Rahmen und Leitbegriff“.50 Die Liebe ist ihrem Grundverständnis nach auf andere gerichtet. Bei der Erkenntnis ist dies nicht unbedingt der Fall. Deshalb erinnert Paulus an die Problematik der Erkenntnis und an die Notwendigkeit der Liebe. Der Verweis auf die Liebe verdeutlicht, dass mit dem „Aufbauen“ (οι κοδομει^) nicht individualistisch das eigene geistliche Vorwärtskommen gemeint ist, sondern die Erbauung der Gemeinde. Die Art und Weise, wie Paulus die korinthischen Christen korrigiert, die sich (wieder) auf Götzentempel und Götzenopferfleisch eingelassen haben, ist ein Beispiel dafür, wie ————————————————————
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Lindemann 190, der diesen Ausdruck nicht weiter erläutert. Schrage II 228, ebd. für die folgenden Bemerkungen. Auch Merklein II 179 meint, für die Korinther habe „Erkenntnis“ ein „soteriologisches Wissen“ beinhaltet; er verbindet diese Christen mit der Apollo-Gruppe. 8,1b.1c.7.10.11; vgl. 1,5; 12,8; 13,2.8; 14,6. Weitere paulinische Belege sind 2Kor 2,14; 4,6; 6,6; 8,7; 10,5; 11,6; Rom 2,20; 11,33; 15,14; Eph 3,19; Phil 3,8; Col 2,3; 1Tim 6,20. Merklein II 180. Anders z.B. Kitzberger, Bau, 74: „Im Unterschied zum blossen Wissen stellt die Liebe eine personale Beziehung her“; sie versteht οικοδομει^ν im absoluten Sinn und ergänzt deshalb kein Objekt (ebd. 78).
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 441 ————————————————————————————————————
rechte Erkenntnis mit Liebe vermittelt und durchgesetzt wird:51 Er konfrontiert die Korinther weder mit einer abrupten Kritik ihrer Position noch mit einem autoritativen Befehl. Paulus erinnert sie an theologische Grundüberzeugungen, die ihr Verhalten als Jesusbekenner kennzeichnen sollte und er erinnert sie an sein eigenes Verhalten, ehe er Direktiven zum rechten christlichen Verhalten gibt. 2 Paulus kommentiert den Erkenntnisanspruch der Korinther auch im nächsten Satz: wenn jemand meint, etwas erkannt zu haben. Mit τις sind offensichtlich die korinthischen Christen gemeint, die „erkannt“ haben, dass die heidnischen Götter nichts sind und deshalb glauben, Götzenopferfleisch essen zu können. W. Schrage meint, die Formulierung „wenn jemand meint“, verbunden mit dem Perf. ε γνωκε'ναι, beschreibe das „Erkennen“ dieser korinthischen Christen als „ein die Grenzen und die Realität vergessendes δοκει^ν“, das „der Arroganz und Illusion“ verfallen ist.52 An der Formulierung selbst kann man dies alles nicht ablesen. Paulus will die Korinther gewinnen, was man mit Ironie eher schlecht erreichen kann. Er will sie nicht vor den Kopf stoßen, deshalb formuliert er vorsichtig.53 Der Satz so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen muss beschreibt nicht die Vorläufigkeit aller Erkenntnis (so in 13,9-12). 54 Die Formulierung ist von V. 1b her zu verstehen. Die korinthischen Christen, die sich aufgrund ihrer „Erkenntnis“ auf Götzenopferfleisch einlassen, haben nicht erkannt, dass rechte Erkenntnis nicht lieblos praktiziert werden darf.55 Richtige Erkenntnis ist von der Liebe geleitet. 3 Paulus formuliert die Alternative zum mangelhaften Erkennen: wenn aber jemand Gott liebt (ει δε' τις α γαπα^, το` ν θεο' ν). Die Grundbeziehung zwischen dem Menschen und Gott ist nicht die Erkenntnis, sondern die Liebe zu Gott. ————————————————————
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Garland 369, mit Kritik an Newton, Deity and Diet, 392-393, der meint, eine Lösung, die man „from the top“ hätte anordnen können, habe es nicht gegeben. Schrage II 232. Lindemann 190 liest aus der Perfektform ab, der betreffende Mensch glaube, „über den offenbar beliebigen . . . Gegenstand des Erkennens verfügen zu können“. Mit dieser Interpretation ist das Perf. überfrachtet; man sollte nicht vergessen, dass das Perf. oft präsentische Bedeutung hat (BDR §341) und generell meist „einen erreichten Zustand der Gegenwart“ beschreibt (HS §200a). Richtig Merklein II 181. Conzelmann 175; so auch Schlatter 251: „Wer sagt, er habe die Erkenntnis, sagt von seinem Erkennen, es sei zum Ziel gekommen und zur Gewißheit vollendet, die ihm nun wie eine unveränderliche Eigenschaft für immer gegeben sei und die Macht habe, sein Verhalten richtig zu machen. Für ihn ist das Erkennen nicht mehr ein Ziel, sondern ein Besitz, nicht mehr eine Tätigkeit, sondern ein Zustand . . . Diese Schätzung der Erkenntnis beweist ihre Unechtheit. An der echten Erkenntnis haftet das Bewußtsein ihrer Unfertigkeit“. Aus V. 1-2 ist eine solche Einstellung der Korinther nicht zu erkennen. Meyer 222; Schmiedel 136; Schrage II 233; Wolff 170; Merklein II 181.
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Paulus hätte statt „wenn jemand Gott liebt“ auch „wenn jemand Gott erkennt“ schreiben können (vgl. Gal 4,9: „jetzt aber habt ihr Gott erkannt, vielmehr ihr seid von Gott erkannt worden“). Dass Paulus „erkennen“ durch „lieben“ ersetzt, passt einerseits besser zu der korinthischen Situation, in der Paulus einen Mangel an Liebe moniert (V. 1b), ergibt sich andererseits aber auch aus seiner biblischen Sprachkompetenz: „lieben“ ist nicht einfach Gefühl und schon gar nicht ein mystisches Verhältnis zu Gott, sondern die existentielle Anerkennung Gottes als Herr, „die dauerhafte und ganzheitliche Anerkenntnis Gottes“.56 Diese Dimension der Beziehung zu Gott ist ein Grundbestandteil von Israels Glaubensbekenntnis: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“ (Dtn 6,4-5). 57 „Lieben“ hat mit Hören und mit Gehorchen zu tun – genauso wie „erkennen“, das ebenfalls die gehorchende Anerkennung beschreibt.58 Und Gott lieben bedeutet in Dtn 6,5; 11,13, dass Israel Jahwe anbetet und ihm allein gehorsam ist und sich von anderen Göttern abwendet! Paulus formuliert allerdings nicht: Wer Gott liebt, der ist der wahrhaft und richtig Erkennende. Er beschreibt stattdessen in der Apodosis den Realgrund sowohl der Liebe zu Gott als auch der Erkenntnis Gottes: der ist von ihm erkannt (ου τος ε»γνωσται υ π’ αυ του^ ). Diese Formulierung (Pass. Perf., mit Gott als Subj.) ist vom atl. ידעher zu verstehen: ידעmit Gott als Subjekt bedeutet „sich eines Menschen annehmen“ 59 und bezeichnet das Sonderverhältnis zwischen Jahwe und Israel bzw. einzelnen Israeliten. 60 An einigen Stellen ————————————————————
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Merklein II 181; vgl. Schrage II 234. E. Jenni, Art. אהב, THAT I, 60-73, hier 70-73. G. Wallis, Art. אהבII-IV, ThWAT II, 108-129, hier 113: „So gibt sich die Liebe zu JHWH klar und deutlich an der Haltung zu erkennen. Das JHWH liebende Israel folgte ihm in Gehorsam“. Siehe auch unten zu 13,1. Vgl. Dtn 13,3; Mk 12,30; Schrage II 234, ebd. für die folgende Bemerkung. W. Schottroff, Art. ידע, THAT I, 694-696: Wenn ידעmit Jahwe als Objekt von Menschen ausgesagt ist, beschreibt das Verb „durchweg nicht bloß ein intellektuelles Kennen oder Nichtkennen, sondern einen das praktische Verhalten mit einschließenden Bezug zur Gottheit: ‚Jahwe kennen‘ im Sinne von ‚vertraut sein mit‘, ‚sich kümmern um‘, ‚anerkennen‘“ (ebd. 694). Vgl. 1Kön 8,43; 1Chron 28,9; 2Chron 6,33; Ps 9,11; 91,14; 119,79; Prov 1,7; 2,5; Jes 11,2; 43,10; Jer 10,25; 31,34; Hos 2,2. HAL 374 s.v. ידע7a; vgl. W. Schottroff, Art. ידע, THAT I, 691-693; G. J. Botterweck, Art. ידע, ThWAT III, 498-499: „Ausdruck eines besonderen Verhältnisses zwischen JHWH und Israel oder einer Erwählung zu einem Dienst“ (498), mit Verweis auf Am 3,2; Gen 18,19; Ex 33,12.17; Deut 34,10; Jer 1,5; 2Sam 7,20; in Nah 1,7-8; Ps 1,6; 31,8; 37,18; 144,3 kommt ידעin der Bedeutung „Wohlwollen, Fürsorge, Schutz“ Jahwes für Israel oder für die Frommen vor. So interpretieren die meisten Exegeten, vgl. auch R. Bultmann, ThWNT I, 709. Anders Weiss 218; Lietzmann 37; W. Schmithals, EWNT I, 601, die im Sinn der hellenistischen Mystik interpretieren. Israel: Dtn 9,24; Hos 13,5; Am 3,2. Einzelne: Gen 18,19 (Abraham); Ex 33,17; Dtn 34,10
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 443 ————————————————————————————————————
wird ידעim Sinn von „( בחרerwählen“) gebraucht (vgl. Num 16,5). Die grundlegende Wirklichkeit ist für Christen, genauso wie für Israel, die Initiative Gottes: Weil er sie „erkannt“ hat, d.h. weil er sie erwählt und geliebt hat, deshalb können sie Gott lieben und erkennen (vgl. Röm 8,29; 11,2). Nicht nur das Heil ist Geschenk Gottes, sondern auch das richtige Erkennen in der liebevollen Rücksichtnahme auf den Bruder und die Schwester. Die Liebe, die in der Protasis des Konditionalsatzes erwähnt wird, ist nicht die Bedingung des Erkanntwerdens von Gott, sondern die Antwort auf das Erkanntwerden durch Gott – eine Antwort, die in der korinthischen Gemeinde bei denen zu vermissen ist, die sich erneut auf Götzentempel und auf Götzenopferfleisch einlassen. 4 Paulus kehrt zu dem in V. 1 mit dem Stichwort τα` ει δωλο' θυτα beschriebenen Fragenkomplex zurück. Die Wendung das Essen des Götzenopferfleisches präzisiert das Problem: Es geht in Korinth nicht um eine theoretische Diskussion über Götzenopfer, sondern um den Verzehr (βρω ^ σις) von 61 Fleisch, das aus Tempelschlachtungen stammt. Der mit so wissen wir (οι»δαμεν ο« τι) eingeleitete Satz ist (wie in V. 1b) entweder ein direktes Zitat aus dem Brief der korinthischen Christen oder ein Satz, der den korinthischen Christen als Formulierung einer Position bekannt war, die Paulus teilt. Die Position der korinthischen Christen, mit der sie das Essen von Götzenopferfleisch rechtfertigen, wird in zwei Teilen formuliert. Erstens: Es gibt keinen Götzen in der Welt (ου δε` ν ει»δωλον ε ν κο' σμω, ). Mit κο' σμος ist hier sicherlich primär die Welt der Menschen gemeint: es geht um Fleisch, das von Opfern stammt, die Menschen den Göttern dargebracht haben. Da die griechischen und römischen Götter nicht nur auf der „Erde“, sondern auch im „Himmel“ lokalisiert werden (vgl. V. 5: ει»τε ε ν ου ρανω ^, ει»τε ε πι` γη^ ς), ist zugleich an die Bedeutung „Universum“ gedacht. In der „Welt“, die aus „Himmel und Erde“ besteht und die Gott geschaffen hat (Gen 1,1), gibt es keine anderen Götter. Der Satz bestreitet die reale Existenz der in den Tempeln Korinths angebeteten Götter.62 Das Wort ει»δωλον bedeutet in griech. Texten ————————————————————
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(Mose); 2Sam 7,20; 1Chron 17,18 (David); Jer 1,5 (Jeremia). R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 328-329 will aus der Tatsache, dass βρω ^ σις in den Papyri „ausschließlich“ dann verwendet wird, wenn vom Weiden des Viehs die Rede ist (P.Lond. III 1223 aus dem Jahr 121 n.Chr. ist der früheste Beleg), schließen, dass für Paulus ein polemischer Sprachgebrauch zu vermuten ist. Die generelle Bedeutung von βρω ^ σις, das häufig das Essen als menschliche Tätigkeit beschreibt, spricht gegen diese Interpretation. Vgl. H.-J. van der Minde, Art. βρω ^ σις, EWNT I, 550-552. Diese Interpretation geht von der attributivischem Verwendung von ου δε' ν aus. Einige Exegeten votieren für ein prädikatives Verständnis: „ein Götze ist ein Nichts“; vgl. schon die Vulgata: nihil est idolum; Giblin, Texts, 530-531; Murphy-O’Connor, Freedom, 10; Probst, Brief, 128; Yeo, Interaction, 188. Trotz der atl. Aussagen in Jes 41,24; 44,12-17; Jer 2,27-28; 10,3 ist diese Interpretation im Kontext kaum möglich, vgl. in V. 4c das
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„Bild, Abbild, Schattenbild“, sodann „Kultbild“, d.h. ein Bild, das zur Verehrung eines (heidnischen) Gottes diente.63 In der LXX werden die hebräischen Vokabeln für „Götterbild“ nie mit dem im Griechischen üblichen Wort το` α»γαλμα übersetzt; die Götzenbilder und die Götter, die in diesen dargestellt werden, werden metonymisch oft so miteinander verbunden, dass die Komponente „Bild“ weniger wichtig ist als die Komponente des „Phantoms“, d.h. der fehlenden Realität der dargestellten Gottheit. 64 Nach atl. und jüdischer Überzeugung haben die Götter der Heiden keine Wirklichkeit. 65 Insofern sie dämonische Wirklichkeit repräsentieren, sind sie geschaffene Wesen und somit der Wirklichkeit Gottes unterworfen; und als geschaffene Wesen dürfen sie nicht angebetet werden.66 Diese beiden Anschauungen, die auch in der rabbinischen Literatur zu finden sind, schließen sich nicht gegenseitig aus. 67 In V. 4b bedeutet ει»δωλον nicht „Götzenbild“: Die „Realität“ von Götzenbildern ist unbestreitbar. In Korinth konnte man Hunderte von bildhaften Darstellungen von Göttern sehen. Das Wort bezeichnet überirdische Wesen, die in der nichtjüdischen Welt z.B. mit Opfern verehrt werden. Die Korinther argumentieren offensichtlich, dass es keine Götzen gibt und dass deshalb das aus den Tempelschlachtungen stammende Fleisch unbedenklich ist – wenn es keine Götzen gibt, dann gibt es auch kein Götzenopferfleisch. Zweitens: Es ist kein Gott außer einem (ου δει` ς θεο` ς ει μη` ει ς). Dieser Satz erinnert an das Shema in Dtn 6,4-5 (s. V. 3) und an das monotheistische Bekenntnis des Alten Testaments und des Judentums. 68 Monotheistische ————————————————————
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parallele ου δει`ς θεο' ς; vgl. Schrage II 236; Merklein II 183-184. Im klass. Griechisch ist die Bedeutung „Kultbild“ nicht bezeugt (vgl. jedoch Polybius 30,25,13). Belege für diese Bedeutung sind P.Stras. II 91,10-11 (87 v.Chr.; Ibis- und Falkenbilder im Tempel); PSI VIII 901 (46 n.Chr.; Fischer leisten den Eid, niemals göttliche Abbilder, d.h. den Oxyrhynchosfisch und den Lepidotosfisch, zu jagen); T.Mom.Louvre 245 (2./3. Jh. n.Chr.; das ει»δωλον des verstorbenen Pachumis Pelilios wird dem großen Gott Osiris von Abydos zu Diensten stehen); vgl. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 329. Literarische Belege für die Bedeutung „Kultbild“ sind Chaeremon, Frag. 25 (1. Jh. n.Chr.); Vettius Valens 67,5; 113,17 (2. Jh. n.Chr.). BDAG 281 s.v. ει»δωλον; vgl. 1Chron 16,26; Ps 113,12 LXX; Jes 41,18; siehe auch Gen 31,19.34.35; Ex 20,4; Lev 19,4; Josephus, Ant. 9,273; 10,50; TestRub 4,6; TestJos 4,5. Jes 41,29; 44,9-17; Jer 10,3-11; 16,19-20; Ep.Jer. 2-73; Arist. 135-137; Josephus, Ant. 10,50; Philo, Spec.Leg. 1,5.28; Decal. 52-82. Deut 4,19; 32,17; 1Chron 16,26 LXX; Ps 106,36-37; Jes 8,19; Jub 1,11; 11,4-6; äthHen 19,1; 99,6-10; TestNaph 3,3-4. Vgl. die Kritik von Garland 372; Newton, Deity and Diet, 146-148 meint, es sei unmöglich zu wissen, welche dieser beiden Position Paulus vertrat. Das Shema bestand aus den Texten Dtn 6,4-9; 11,13-21; Num 15,37-41. Zum Shema vgl. K. Herrmann, Art. Shema I, RGG4 VII, 1277-78; Gerhardsson, Shema. Monotheistische Texte im AT und frühen Judentum sind Ex 20,3; Dtn 4,35.39; 5,7; 32,39; 1Kön 8,60; Jes 43,10; 44,6; 45,5-6; Sib 3,11-16; Sib. Frag. 1,32-35; Arist. 132; Ps.Phok. 54; Josephus, Ant. 4,201; 5,112; 8,335; Philo, Leg.Gai. 115.
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 445 ————————————————————————————————————
Tendenzen im zeitgenössischen gebildeten Heidentum69 spielten bei den Sympathien eine Rolle, die im 1. Jahrhundert nicht wenige Heiden für die jüdische Religion hatten. Solche Sympathien erklären die Konversionen vielen Heiden zum Judentum, die durch die Beschneidung Proselyten wurden, sowie die Anwesenheit der sog. „Gottesfürchtigen“ in den Synagogen. 70 Im atl. Kontext ist mit dem Shema nicht die Schlussfolgerung verbunden, dass die Realität des einen wahren Gottes jegliche Gefahr von den Göttern der Heiden ausschließt. Im Gegenteil: Die Anbetung des einen wahren Gottes erfordert die bewusste und konsequente Abkehr von allen anderen Göttern. Im Blick auf V. 4b bleibt zunächst unklar, wie die Korinther den Satz verstanden haben und ob Paulus von der Wirkungslosigkeit oder von der Machtlosigkeit der heidnischen Götter ausgeht. Im ersten Fall betont er die alleinige Existenz des Gottes Israels, im zweiten Fall den allein wahren Gott als einzig legitimen Adressaten der Anbetung. 71 Die Aussage in V. 5 zeigt, dass er den Satz von der Nicht-Existenz der Götzen nicht absolut versteht. Er gilt aber „für die Christen, die sich zu dem einen Gott und einen Herrn bekennen“.72 In 10,19-20 verbindet Paulus das den Götzen Geopferte (ει δωλο' θυτον) und das Götzenbild (ει»δωλον) mit den „Dämonen“ (δαιμο' νια). In Gal 4,8 bezeichnet er die Götter, denen die galatischen Christen vor ihrer Bekehrung gedient haben, als φυ' σει μη` ου σιν θεοι^ („die der Natur nach nicht Götter sind“). 5 Paulus lässt in seinem Kommentar in V. 5-673 zu dem monotheistischen Bekenntnis V. 4 zunächst erkennen, dass er die Aussage von V. 4 bejaht (γα' ρ). Der mit ει»περ eingeleitete Satz zeigt, dass Paulus eine differenziertere Sicht der Wirklichkeit hat als die korinthischen Christen, die sich (wieder) auf Götzentempel und Götzenopferfleisch einlassen. Der Satz wenn es sogenannte Götter gibt, sei es im Himmel, sei es auf der Erde konzediert, dass es „im Himmel“ oder „auf der Erde“ Götter (θεοι' ) gibt.74 Pausanias nennt die ————————————————————
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Vgl. Plutarch, Mor. 393A-D; 420A; Mark Aurel 7,9; Cicero, Nat.Deor. 1,31. Mitchell, Die Gottesfürchtigen, 64; Schnabel, Urchristliche Mission, 125-135.1242. Merklein II 184; zum Folgenden vgl. Schrage II 237. Schrage II 238, der sich zu Recht gegen Weiss 219-220; Bousset 108 und andere Ausleger wendet, die die Position der Korinther bzw. von Paulus im Sinn hellenistischer Aufklärung und einem popularphilosophischen Rationalismus erklären wollen. Der Satz V. 5 ist ein Anakoluth; auf die Nebensätze folgt kein Hauptsatz. Schrage II 239; Merklein II 185 gegen die Interpretation von ει»περ im Sinn von „selbst wenn“, bei der Paulus die Frage nach der Existenz der Götter in der Schwebe lässt (Schmiedel 137; Weiss 220). Vgl. Bachmann 229: die Konstruktion mit ει»τε . . . ει»τε lässt nicht zu, „den Vordersatz von bloß gedachten oder geglaubten Göttern zu verstehen“. Zur konzessiven Bedeutung von ει»περ vgl. BDR §454.2 Anm.2; NSS II 73; vgl. Mayser, Grammatik II.3, 153; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 329-330: Die Verwendung von ει»περ lässt erkennen, dass der Sprecher im Blick auf die Wahrscheinlichkeit, dass das im Kon-
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folgenden Gottheiten, die in Korinth verehrt wurden: Chronos, Poseidon, Sol, Uranos, Aphrodite, Artemis, Isis, Dionysos, ein Baum, Tyche, Apollon, Hermes, Zeus, Asklepios, Bunaea (Pausanias, Per. 2,1,1-5). Weitere in Korinth verehrte Gottheiten waren Hera Akraia, Jupiter Optimus Maximus, Juno, Minerva, Demeter, Kore und Sarapis. Die römischen Bürger verehrten in ihren Häusern die Lares familiares, die Schutzgottheiten von Haus und Familie, und die Penates, die Schutzgottheiten des pater familias. In Korinth werden sodann die Personifikationen von Abstraktionen verehrt worden sein, d.h. Fortuna, Victoria, Libertas, Salus, Fides, Pietas, Honos, Virtus, Mens, Aequitas, Spes und Concordia.75 Paulus attestiert die Existenz heidnischer Götter, aber er schwächt diese Konzession sogleich ab, indem er die Götter als sogenannte (λεγο' μενοι) Götter bezeichnet. Mit diesem abwertenden Ausdruck, der die Benennung der von den Heiden verehrten Wesen mit dem Wort „Gott“ als Missbrauch charakterisiert,76 stellt Paulus „die Legitimität der religiösen Symbolwelt des Heidentums“ in Frage.77 Dabei handelt es sich nicht um eine nominalistische Herunterstufung zu bloßen Begriffen (nomina), als ob der Glaube an solche Götterwesen einfach im Sinn einer „Eigendynamik im falschen Bewußtsein ihrer Anhänger“ erklärt werden könnte.78 Paulus will mit der Bezeichung „sogenannte Götter“ die heidnischen Gottheiten nicht als bloße Gedankengebilde oder Hirngespinste abtun. Er bestreitet nicht ihre Existenz oder ihre Mächtigkeit, sondern ihre Würde und ihre Gottheit.79 Die Wendung sei es im Himmel, sei es auf der Erde (ει»τε ε ν ου ρανω ^, ει»τε ε πι` γη^ ς) ist als Ortsbestimmung zu verstehen, d.h. auf den Ort, wo die Götter von ihren Verehrern gedacht werden.80 Paulus spricht umfassend von allen griechischen und römischen Göttern, die man in Korinth anbetet, von ————————————————————
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ditionalsatz Beschriebene zutrifft oder eintritt, skeptisch ist (P.Col. IV 88,18-19; P.Lond. VI 1912,72; SB XXII 15708,26-27 u.a.). Zu den römischen Göttern vgl. Muth, Einführung, 238-287; Klauck, Umwelt I, 37-40; zu den Tempeln und Kulten Korinths vgl. Fotopoulos, Food, 49-157. Vgl. Philo, Som. 1,229: Der wahre Gott ist einer, die missbräuchlich so genannten Götter sind viele (ο με` ν α ληθει'α, θεο` ς ει ς ε στιν, οι δ ε ν καταχρη' σει λεγο' μενοι πλει'ους). Schrage II 239 Anm. 165 verweist weiter auf TestJud 19,1; 2Thess 2,4; Eph 2,11. Merklein II 185, vgl. ebd. für folgende Bemerkung; ebenso Schrage II 239. Klauck 61; vgl. Orr /Walther 233; Fee 370: „they do not objectively exist, but they do ‚exist‘ for those who have given them reality by believing in them“; Lindemann 191: „sie existieren, indem sie ‚genannt‘ werden“. Conzelmann 177-178; Schrage II 239-240; Garland 374; Winter, Religious Pluralism, 130-131, der für λεγο' μενοι auf Epiktet, Diss. 4,1,51 und Dio Chrysostomus, Or. 13,11,77 verweist. Conzelmann 178 schließt aus der Existenz der Götter „in der Schöpfung“ auf die Tatsache, dass diese selbst Geschöpfe sind. Dieser Gedanke ergibt sich jedoch eher aus V. 6; Schrage II 241 Anm. 177.
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 447 ————————————————————————————————————
den chthonischen Gottheiten genauso wie von den himmlischen, sowie von den Planeten, den Gestirnen und den vergöttlichten Herrschern, die die Nichtchristen verehren. Der mit ω « σπερ („tatsächlich“) eingeleitete nächste Satz konstatiert ebenfalls die Existenz der Götter: Wie es ja tatsächlich viele Götter und viele Herren gibt (ω « σπερ ει σι` ν θεοι` πολλοι` και` κυ' ριοι πολλοι' ). Die Bezeichnung Jahwes als „Gott der Götter und Herr der Herren“ (Dtn 10,17)81 formuliert einen ähnlichen „Hinweis auf die gesellschaftliche Realität der Götterwelt“. 82 In 10,20-21 beschreibt Paulus die Götter als Dämonen. In Röm 1,23-25 beschreibt er die von den Menschen verehrten Götter als verkehrte Vergötterung der Schöpfung Gottes, als Verirrung, der Gott die Menschen preisgegeben hat (Röm 1,24.26).83 Mit „Götter“ und „Herren“ sind weder die Engel als die Göttersöhne noch die apokalyptischen Völkerengel gemeint, wie manche vermuten.84 Ein Bezug der „Götter“ ausschließlich auf die griechisch-römischen Gottheiten und der „Herren“ auf die neuen orientalischen Kulte85 ist genauso wenig im Text angezeigt wie eine Interpretation ausschließlich im Sinn des Kaiserkults.86 Wenn Paulus mit „Herren“ nicht auf die Macht anspielt, die die Götter auf ihre Verehrer haben, formuliert er den Doppelausdruck „viele Götter und viele Herren“ im Hinblick auf V. 6, wo er von dem einen Gott und dem einen Herrn spricht. 6 Paulus stellt der Existenz der θεοι` πολλοι` και` κυ' ριοι πολλοι' das Bekenntnis zu dem ει ς θεο' ς und ει ς κυ' ριος gegenüber.87 Mit uns (η μι^ν) meint Paulus sich selbst und alle Jesusbekenner. Der Dativ η μι^ν (mit ει ναι) betont die Beziehung der Christen zu Gott und zu dem Herrn: „wir haben, d.h. wir
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Dtn 10,17 LXX: ο γα` ρ κυ' ριος ο θεο` ς υ μω^ ν, ου τος θεο` ς τω ^ ν θεω ^ ν και` κυ' ριος τω ^ ν κυρι'ων. Vgl. Ps 82,1; 97,7; 136,2-3; 138,1; Dan 2,47; vgl. 1QH 10,8; 1QM 14,16. Merklein II 186. Wolff 172, mit Verweis auf Demke, Gott, 480-481. Bachmann 300, mit Verweis auf Hiob 1,6; 38,7; Ps 29,1; 89,7; Meyer 225; Schmiedel 137; Héring 65. Zur Kritik Heinrici 258; Weiss 221; Schrage II 240; Merklein II 187. Wold, Kyrios, 149-160 will die These, dass mit den κυ' ριοι Engel gemeint sind, mit dem Qumrantext 4Q316 2 iii, Z.15-18 wieder beleben. Für die Leser des 1Kor kann man diesen jüdischen Hintergrund und die dabei dabei angenommenen Verbindungen (u.a. zur Hekhalot-Literatur) jedenfalls nicht voraussetzen. Weiss 221; Fee 373; Hays 139; Klauck 61; ders., Herrenmahl 244-245. Zur Kritik vgl. Schrage II 240-241. Schlatter 254; vgl. W. Foerster, ThWNT III, 1090. Kritisch Schrage II 240: Paulus hat „übermenschliche Wesen und nicht deren irdische Repräsentanten“ im Auge. Zur Diskussion, ob es sich in V. 6 um eine urchristliche Bekenntnisformel handelt, s. oben (Einleitung zu 8,1-6).
448 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
anerkennen“.88 Die folgende Aussage hat zwei Glieder, an die jeweils zwei relationale Aussagen angefügt sind. a b c d e f
ει ς θεο` ς ο πατη' ρ ε ξ ου τα` πα' ντα και` η μει^ς εις αυ το' ν και` ει ς κυ' ριος Ιησου^ ς Χριστο' ς δι’ ου τα` πα' ντα και` η μει^ς δι’ αυ του^
es ist nur der eine Gott, der Vater, aus dem alles ist und wir zu ihm und es ist der eine Herr, Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn
Im Kontext von V. 5 betrachtet ist die Aussage von V. 6 einfach: Wenn auch andere Menschen viele Götter und viele Herren haben, so haben wir, die wir an Jesus Christus glauben, nur einen Gott und nur einen Herrn. Die Aussage, dass es nur einen Gott (ει ς θεο' ς) gibt (Zeile a), entspricht atl. und jüdischer Überzeugung (s. oben zu 1,3). Paulus formuliert mit den Worten des Shema, des Glaubensbekenntnisses Israels: κυ' ριος ο θεο` ς η μω ^ν κυ' ριος ει ς ε στιν. Paulus schreibt prägnant ει ς θεο' ς – es gibt nur einen Gott. Paulus erläutert das Bekenntnis zu dem einen wahren Gott mit dem Hinweis, dass Gott der Vater (ο πατη' ρ) ist, d.h. er ist der Urheber der Schöpfung: aus dem alles ist (Zeile b).89 Mit der Formulierung ε ξ ου verweist Paulus wohl auf die Schaffung aus dem Nichts (creatio ex nihilo). In den entsprechenden griechischen und jüdisch-hellenistischen (philonischen) Aussagen wird ε ξ mit der Materie verbunden, aus der erschaffen wird (vgl. Röm 4,17; 11,36). Mit τα` πα' ντα wird in griech. Texten häufig das „All“ bezeichnet. Die Propheten heben wiederholt die absolute Macht Jahwes als Schöpfer von Himmel und Erde hervor, eine Macht, die ihn von den heidnischen Göttern abhebt, die ihrerseits menschliche Schöpfungen sind (Jes 44,9-24; Jer 10,3-16). Die Formulierung und wir zu ihm (Zeile c) spiegelt die atl. und urchristliche Überzeugung wider, dass Gott der Erste und der Letzte, das A und das Ω ist (Offb 1,8; Jes 41,4; 44,6; 48,12): Er ist der Herr der Geschichte, die auf die vollkommene Erfüllung der Heilsverheißungen in der Neuen Welt zuläuft. Das heißt: für „alles“ ist Gott der Urheber des Daseins (Zeile b), für „uns“ (η μει^ς) bringt er die Vollendung des Heils (Zeile c). Die Zielbestimmung (ει ς αυ το' ν) bezieht sich also auf die Erwählung der zur Gemeinde Gottes Gehö————————————————————
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Schrage II 241 Anm. 180; Merklein II 189; anders Lindemann 192; Bultmann, Theologie, 229; Hübner, Theologie II, 156, die als dat. commodi im soteriologischen Sinn des pro nobis interpretieren. Schrage II 241-242; Merklein II 189; Lindemann 192. Gott als „Vater Jesu Christi“ ist hier nicht im Blick (anders Bachmann 301 u.a.). Wenn man V. 6 als Teil der korinthischen Argumentation interpretiert, ergibt sich der Gedanke, dass nichts, was Gott geschaffen hat, „unrein“ sein kann; so Schrage II 242; s. ebd. für die folgende Bemerkung.
Einführung: Götzenopferfleisch und wahre Erkenntnis 8,1-6 449 ————————————————————————————————————
renden, auf die Erlösung der Jesusbekenner, die Anteil haben an der Offenbarung und Verherrlichung des Schöpfers in der Vollendung seines Heilswillens (vgl. Röm 8,18-30). Im zweiten Teil der Aussage formuliert Paulus in Zeile d wieder mit den Worten des Shema: κυ' ριος ο θεο` ς η μω ^ ν κυ' ριος ει ς ε στιν. Paulus schreibt: (es ist nur) der eine Herr (ει ς κυ' ριος). Paulus hat jedoch in den Zeilen a und d die Worte des Shema neu arrangiert: Er schreibt nicht, dass der Herr, der der Gott Israels ist (ο θεο` ς η μω ^ ν), der eine wahre Herr und Gott ist. Er bezieht das Wort „Gott“ auf Gott den Vater, den Urheber der Schöpfung, und er bezieht das Wort „Herr“ auf Jesus Christus. Das heißt: Paulus wagt eine Neudefinition des jüdischen Monotheismus im Sinne eines christologischen Monotheismus.90 Er fügt den Jesus Christus nicht zum monotheistischen Glaubensbekenntnis hinzu (was Ditheismus wäre und dem Bekenntnis der Einzigartigkeit Gottes widersprechen würde), sondern er schließt Jesus Christus in die einzigartige Identität des einen Gottes mit ein, zu dem sich die Glieder des Volkes Gottes im Shema bekennen. Er identifiziert Jesus mit dem „Herrn“, den das Shema als „einzig“ bekennt. Paulus lehnt den jüdischen Monotheismus nicht ab, er revidiert ihn auch nicht, sondern er modifiziert ihn als Bekenntnis zu dem einen Gott, der als Vater und als Messias Jesus sein Dasein hat.91 Die Formulierungen der Zeilen e und f setzen diese Neuformulierung des jüdischen Monotheismus als christologischen Monotheismus fort. Mit den monotheistischen Formeln durch den alles ist (δι’ ου τα` πα' ντα) und wir durch ihn (η μει^ς δι’ αυ του^ ) spricht Paulus so von Jesus, wie er von Gott spricht. Während er in den Zeilen b und c Gott als effektive Ursache (ε ξ ου ) und als finales Ziel (ει ς αυ το' ν) beschrieben hat, beschreibt er hier Jesus Christus als instrumentale Ursache der Schöpfung (δι’ ου / δι’ αυ του^ ). Als Schöpfungsmittler hat Jesus Christus Anteil an dem exklusiv göttlichen Werk der Schöpfung. Diese Funktion als Schöpfungsmittler setzt eine Identifizierung von Jesus Christus mit dem schöpfungsmächtigen Wort Gottes 92 oder ————————————————————
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Bauckham, Monotheism, 36-40, ebd. für die folgenden Bemerkungen. Lindemann 193 verkennt die Struktur von V. 6 und seine Beziehung zum Shema, wenn er gegen die Annahme von „trinitarischen Implikationen“ meint, ει ς κυ' ριος und ει ς θεο` ς ο πατη' ρ würden „nicht zueinander in Beziehung gesetzt“. Das Argument, dass „insbesondere“ der Christustitel υιο' ς fehle, ist nicht stichhaltig: Jesus trägt den Titel Χριστο' ς. Merklein II 191 schreibt: „Was religionsgeschichtlich als die Kombination von monotheistischem (in Bezug auf Gott) und henotheistischem (in Bezug auf Christus) Modell erscheint, wird unter dem Vorzeichen des biblischen Gottesglaubens zu einer Handlungseinheit“. Gen 1,3-26; Ps 33,6; vgl. Ex 15,1-18; Ps 107,20; Jes 55,1; Philo, Migr. 6.
450 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
mit der personifizierten Weisheit Gottes93 (oder mit beiden Größen zugleich) voraus. Damit ist zugleich die Präexistenz Jesu Christi vor der Schöpfung vorausgesetzt (vgl. Kol 1,16-17).94 Die Auskunft von W. Schrage, dass „die enge Zuordnung keine Identität“ bedeute,95 ist richtig – Paulus unterscheidet Gott und Jesus Christus. Der formal richtige Hinweis, dass „Jesus Christus bei Paulus nie θεο' ς genannt wird“, muss im Licht von V. 6 präzisiert werden: Jesus Christus gehört für Paulus zur „Definition“, besser: zum Bekenntnis des einen wahren Gottes hinzu. Während die Aussage von Zeile e die Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi beschreibt (analog zur Aussage von der Schöpfertätigkeit Gottes in Zeile b), beschreibt die Aussage von Zeile f („wir durch ihn“) – analog zum Hinweis auf Gottes Heilsziel in Zeile c – die Erlösungsmittlerschaft Jesu Christi. „Wir“, d.h. die an Jesus Christus Glaubenden, wurden „durch ihn“ vom Heilswillen Gottes erfasst. Jesus Christus steht am Anfang der Schöpfung, und er steht am Anfang der Neuschöpfung. Wer V. 6 als Teil der korinthischen Position versteht, etwa als „programmatisches Instrument zur Durchsetzung einer bestimmten Praxis, nämlich des unbedenklichen Genusses von Götzenopferfleisch“,96 der sieht in V. 4b die Götter ontisch ausgehebelt und in V. 6 auch als gesellschaftliche Wirklichkeit ausgeschaltet. Das heißt, Paulus betont, dass die Götter für Christen irrelevant sind. Die Aussage, dass alles aus Gott stammt bzw. durch den Herrn Jesus Christus vermittelt ist, kann jedoch kaum zur Rechtfertigung des unbedenklichen Essens von Götzenopferfleisch gedient haben: Wenn die Korinther Fleisch aus den Tempelschlachtungen bewusst als Götzenopferfleisch essen, dann würden sie nach diesem Vorschlag behaupten, Gott habe auch die Götter geschaffen, denen die Tempel und das dort geopferte Fleisch gehören. Dass korinthische Christen so argumentiert haben könnten, ist nicht plausibel. Die Formulierung der Zeile c („wir zu ihm“) enthält eher einen „Apell an die eschatologische Verantwortung“,97 was weniger gut zu korinthischen Christen passt, die ihren Verzehr von Götzenopferfleisch rechtfertigen wollen, gibt aber als eine (indirekte, aber deutliche) Mahnung des Apostels Paulus guten Sinn. Auch die mit Zeile f („wir durch ihn“) angesprochene Heilswirklichkeit weist eher von den Götzentempeln und ihren Opfern weg und verweist auf die Wirklichkeit der angebrochenen neuen Schöpfung, in der Götter und ihre Tempel keinen Platz haben.
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Prov 8,22-31; Hiob 28,25-27; Sir 24,9; Weish 7,22; 78,4; 9,9; Bar 3,32-37. Vgl. Schnabel, Law and Wisdom, 244-246; Lips, Traditionen, 290-317. Conzelmann 180; Lindemann 193; Schrage II 244; Habermann, Präexistenzaussagen, 177180; Hurtado, Lord Jesus Christ, 123-124. Schrage II 243, das folgende Zitat ebd. Warum Paulus „hier nicht an Lehraussagen“ interessiert sein soll (244), bleibt unverständlich: Wer das Shema modifiziert, muss an „Lehraussagen“ interessiert sein! Merklein II 191, vgl. ebd. für das Folgende; vgl. Schrage II 244-245. Richtig Schrage II 244.
Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen 8,7-13 451 ————————————————————————————————————
Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen 8,7-13 I 7 Aber nicht alle haben die Erkenntnis. Vielmehr essen einige infolge der bis jetzt bestehenden Gewöhnung an den Götzen (das Fleisch) als Götzenopferfleisch, und da ihr Gewissen schwach ist, wird es befleckt. 8 Speise aber wird uns nicht vor Gott stellen. Weder haben wir einen Nachteil, wenn wir nicht essen, noch einen Vorteil, wenn wir essen. 9 Achtet aber darauf, dass dieses euer Recht nicht für die Schwachen zum Anstoß wird. 10 Denn wenn jemand dich, der du Erkenntnis hast, im Götzentempel zu Tisch liegen sieht, wird da nicht sein Gewissen, da er doch schwach ist, „erbaut“ werden zum Essen des Götzenopferfleisches? 11 Denn der Schwache geht an deiner Erkenntnis zugrunde, der Bruder, für den Christus gestorben ist. 12 Wenn ihr aber so gegen die Brüder sündigt und ihr schwaches Gewissen misshandelt, sündigt ihr gegen Christus. 13 Deshalb, wenn Speise meinen Bruder zu Fall bringt, will ich in Ewigkeit kein Fleisch mehr essen, um meinen Bruder nicht zu Fall zu bringen.
II Paulus lehnt jeglichen religiösen Synkretismus ab, wie seine deutlichen Aussagen in Kap. 10 zeigen werden. Anstatt die korinthischen Christen zu attackieren, die wieder in Götzentempeln speisen und Götzenopferfleisch essen, wählt Paulus einen anderen, eher indirekten Weg, um sie zu korrigieren.98 Er begann in V. 1-6 mit grundsätzlichen theologischen Erwägungen über Erkenntnis, Liebe und das Bekenntnis zu dem einen Gott und dem Herrn Jesus Christus, der die Welt erschaffen und den Glaubenden das Heil der neuen Schöpfung geschenkt hat. In V. 7-13 verweist Paulus die korinthischen Christen, die sich auf Götzentempel und Götzenopferfleisch einlassen, auf die Mitchristen mit einem schwachen Gewissen, die aufgrund ihres Verhaltens zur Schlussfolgerung gelangen könnten, es sei für Christen akzeptabel, das Fleisch aus den Tempelschlachtungen zu essen. Paulus fordert die „Erkennenden“ in Korinth auf, ihr Verhalten im Blick auf die möglichen Konsequenzen für andere Christen in der Gemeinde zu untersuchen und zu revidieren. Er geht offensichtlich davon aus, dass die sich auf ihre Erkenntis berufenden Christen in der korinthischen Gemeinde bereit sind, Rücksicht auf andere zu ————————————————————
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Dies zeigt sich syntaktisch daran, dass Paulus mit Ausnahme des βλε' βετε in V. 9 keine Imperative verwendet, obwohl er durchweg Anweisungen erteilt; vgl. Schrage II 253; Lindemann 195. Für die folgenden Bemerkungen vgl. Garland 378.
452 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
nehmen. Paulus erinnert sie in V. 11 an den Tod Jesu Christi zugunsten des Bruders und der Schwester. Diese Tat der Liebe für die Verlorenen sollte sie veranlassen, ihr Verhalten von der Liebe zum Bruder bestimmen zu lassen und dessen Situation und dessen Bedürfnisse über die eigene Erkenntnis zu stellen. Wenn Jesus für den Christen mit dem schwachen Gewissen gestorben ist, dann sollten sie in der Lage sein, ihren Speiseplan zu ändern. Wenn Jesus sich in seinem Tod am Kreuz zugunsten der Verlorenen geopfert hat, dann sollten sie bereit sein, auf ihre Besuche in den Götzentempeln und auf die Teilnahme an Banketten zu verzichten, bei denen Fleisch aus den Tempelschlachtungen serviert wird, auch wenn dies vom gesellschaftlichen Standpunkt aus ein Opfer ist. Paulus argumentiert in diesem Abschnitt nicht theologisch. Er argumentiert mit dem (hypothetischen) Fall eines Christen, der seinen Mitchristen im Götzentempel speisen sieht und daraus schließt, dass solches Verhalten für Jesusbekenner akzeptabel ist und dadurch zur Rückkehr zum Götzendienst verführt wird. Gliederung. In V. 7 spricht Paulus von den verschiedenen Erfahrungsund Erkenntnisstufen innerhalb der Gemeinde. Einige haben sich dem Umgang mit den Götzen noch nicht ganz entwöhnt und stehen in der Gefahr, aufgrund eines schwachen Gewissens falsche Entscheidungen im Blick auf das Fleisch aus Tempelschlachtungen zu treffen. V. 8 betont, dass Nahrungsmittel als solche die Beziehung zu Gott nicht tangieren. In V. 9-11 ermahnt Paulus die Korinther zur Rücksichtnahme auf Mitchristen, die durch das Essen von Götzenopferfleisch zum Abfall verleitet werden könnten. V. 12 schärft Paulus den korinthischen Christen ein, dass die Verführung von Mitchristen zum Sündigen eine Sünde gegen Jesus Christus selbst ist. V. 13 schließt mit der Mahnung, aus Rücksichtnahme auf andere Christen auf das Essen von Götzenopferfleisch zu verzichten. Textkritische Anmerkungen. In V. 7 lesen א2 D F G Byz lat sy Ambst συνειδη' σει („mit Gewissen“) statt des gut bezeugten συνηθει' α, („aus Gewöhnung“; *אA B P Ψ 33 81 630 1739 1881 pc vg sy co), was entweder ein Versehen oder eine Angleichung an das nachfolgende Wort συνει' δησις ist.99 In V. 8 schreiben einige Handschriften υ μα^ς ( *אΨ 33 365 1241s 1881*) statt des besser bezeugten η μα^ς. Das gut bezeugte Futur παραστη' σει (d46 *אA B 6 33 81 365 1175 1241s 1739 pc co; Cl Orpt) wird im Mehrheitstext durch das Präsens παρι' στησι ausgetauscht (א2 D Ψ 1881 Byz latt; Orpt). V. 8b ist im Blick auf die Wortfolge textkritisch unsicher. Lesart I (d46 B 81 pc vgst co; abgedruckt von NA27) stellt die negative Aussage vor die positive Aussage. ————————————————————
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Metzger, Commentary, 491; Fee 376 Anm.1; Schrage II 255 Anm. 258; Lindemann 195; Eckstein, Syneidesis, 237-238.
Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen 8,7-13 453 ————————————————————————————————————
Lesart II (A*) bringt ebenfalls die negative vor der positiven Aussage, dreht jedoch die beiden Hauptverben υ στερου' μεθα und περισσευ' ομεν um. Aufgrund der singulären Bezeugung in A* muss diese Lesart als sekundär gelten.100 Lesart III ( אAc 33 (1881) pc vgcl; Tert Orpt)101 stellt die positive Aussage vor die negative Aussage. 102 Der früh bezeugten Lesart I ist als schwierigere Lesart der Vorzug zu geben. 103 In V. 10 lassen d46 B F G latt das Pronomen σε aus; die starke Bezeugung ( אA D Ψ 33 1739 1881 Byz sy co) und die größere Wahrscheinlichkeit, dass eine spezifische Aussage verallgemeinert wurde, erweisen die Auslassung als sekundär. 104 In V. 11 ist die durch d46 *אB 33 1175 pc bo Cl bezeugte Konjunktion γα' ρ die ursprüngliche Lesart (A P pc lesen ου ν, der Mehrheitstext setzt vor das Verb και' ); die schwierigere Lesart ist γα' ρ.105 In V. 12 lässt d46 Cl das Wort α σθενου^ σαν aus, was entweder ein Versehen ist oder eine bewusste Änderung, die die Annahme verhindern sollte, die Verwundung des Gewissens eines Bruders sei erlaubt, außer wenn es „schwach“ ist.106 In V. 13 lassen die westlichen Textzeugen (D*) F G ar (b) (Cl) Cyp Ambst zwei Mal das Wort μου aus.
III 7 Paulus setzt wieder mit einem Hinweis auf γνω^ σις ein: Aber nicht alle haben die Erkenntnis. Mit „nicht alle“ (ου κ ε ν πα^ σιν) bezieht sich Paulus offensichtlich auf die Christen mit einem schwachen Gewissen. Viele Ausleger verweisen für das Verständnis von „Erkenntnis“ in V. 7 im Kontext von V. 1.4-6 darauf hin, dass Paulus in V. 1 von der theoretischen Erkenntnis der Nichtigkeit der Götzen spricht, während es in V. 7 um „das Aneignen und Bedenken der Wahrheit sowie das Ziehen von praktischen Folgerungen aus dem Erkannten“ geht, zu dem die (Heiden-)Christen mit dem schwachen Gewissen noch nicht durchgedrungen sind. 107 Diese Christen, deren monotheistische Überzeugungen vielleicht noch nicht ausgereift sind, haben aus der formalen Erkenntnis der Nichtigkeit der Götzen noch nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen. Diese Interpretation ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch: 1. Die Bedeutung „emotionale Akzeptanz“ oder „praktische Aneignung“ für γνω ^ σις, parallel zur Bedeutung „formale“ ————————————————————
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Anders Murphy-O’Connor, Freedom, 11-12; kritisch Fee 377 Anm.6; Garland 394. Dieselbe Lesart bezeugen, jedoch mit γα' ρ nach ου» τε, D F G Ψ Byz ar b sy; Cl Orpt. Von Zuntz, Text, 161-162 als ursprünglich akzeptiert. Fee 377 Anm.6; Thiselton 645; Garland 394; Delobel, Textual Criticism, 104-107. Metzger, Commentary, 491; Fee 376 Anm.7; anders Zuntz, Text, 92. Fee 377 Anm. 9. Metzger, Commentary, 491; Garland 395. Schrage II 254; vgl. Moffatt 110; Barrett 194; Conzelmann 181; Fee 379.381; Collins 324; Merklein II 192; Murphy-O’Connor, Freedom, 25-27.
454 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
oder „theoretische Erkenntnis“, ist weder lexikalisch überzeugend noch im Kontext notwendig. 2. Paulus spricht weder von emotionalen Konflikten der „Schwachen“ noch von einer „kognitiven Dissonanz“ zwischen theologischer Erkenntnis und alltäglichem Verhalten aufseiten der Schwachen.108 Das „Problem“ der Schwachen ist, dass sie zu Recht Bedenken haben, Götzenopferfleisch zu essen. Paulus ermahnt die „Schwachen“ an keiner Stelle, zur vollen Erkenntnis durchzudringen und den Verzehr von Fleisch aus den Tempelschlachtungen zu akzeptieren.109 Was Paulus im Blick auf die „Schwachen“ konkret sagt, wird in V. 11 zu behandeln sein: Er befürchtet, dass sie „zugrunde“ gehen, d.h. dass sie sich wieder der Verehrung von Götzen zuwenden. Es geht nicht um mögliche Gewissensbisse der „Schwachen“, son^ σις dern um ihr ewiges Heil!110 Der bestimmte Artikel in dem Ausdruck η γνω ist deshalb am besten als Demonstrativpronomen zu interpretieren. Es geht um die in V. 1 erwähnte und in V. 4-6 entfaltete Erkenntnis, dass es nur den einen wahren Gott gibt, dass es deshalb keinen Götzen in der Welt gibt und dass diese Wahrheit es einem Christen ermöglicht, Fleisch aus Tempelschlachtungen als normale Speise (βρω ^ σις) zu essen (und nicht als ι ερο' θυτον, als heilige, der heidnischen Gottheit geopferte Speise). Während manche Christen dies „erkennen“, haben andere Christen in der Gemeinde ein schwaches Gewissen infolge der bis jetzt bestehenden Gewöhnung an den Götzen (τη^, συνηθει' α, ε«ως α»ρτι του^ ει δω' λου). Die Bestimmung „bis jetzt“ zeigt, dass es nicht um Judenchristen geht, sondern um Heidenchristen. Für Judenchristen war das Essen von Fleisch aus den Schlachtungen heidnischer Tempel schon immer verboten. Das Wort συνη' θεια bezeichnet „die Gewohnheit, die Gepflogenheit, die Gewöhnung“. Der Dativ τη^, συνηθει' α, gibt den Grund für das Verhalten dieser Christen an (dat. causae), του^ ει δω' λου ist gen. obj.: Sie waren an die heidnischen Götter und ihren Kult gewöhnt, d.h. sie hatten in den Tempeln der Götter geopfert, gefeiert und gespeist, wie dies in der griechisch-römischen Kultur selbstverständlich ist.111 Wenn diese Christen Fleisch essen, das aus Tempelschlach————————————————————
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Gardner, Gifts, 40; Cheung, Idol Food, 127-128; vgl. Witherington 197-198 Anm. 40; Thiselton 639; Garland 379. Anders Murphy-O’Connor, Freedom, 30-35, der in 8,1–10,22 das Programm einer „Erziehung des Gewissens“ und der „Transformation der Schwachen“ erkennen will. Cheung, Idol Food, 129; Garland 380. Von den Gefahren der συνη' θεια (siehe Philo, Praem. 18; Ebr. 164; Ps-Clementinen Hom. 4,11,1) ist in V. 7 nicht die Rede; anders Schrage II 256. Zu Belegen in den Papyri vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 332-333, mit Verweis auf P.Mich. V 252,5; BGU III 906,7; P.Rain.Cent. 57,3-4; SB I 5252,12-13.24; die häufig anzutreffende Wendung κατα` (τη` ν) συνη' θειαν bedeutet „der Gewohnheit gemäß“; diverse Attribute machen deutlich, „dass eine Gewohnheit auf einer langen Entwicklung beruht und – einmal zur ‚Tradition‘ geworden – in der Gegenwart schon allein aus diesem Grund weitergepflegt wird“.
Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen 8,7-13 455 ————————————————————————————————————
tungen kommt, und wenn sie das wissen, dann essen sie es als Götzenopferfleisch (ω ς ει δωλο' θυτον ε σθι' ουσι). Für die „Erkennenden“ sind die Räumlichkeiten im Tempelareal, in dem sie an einem Bankett teilnehmen und dabei das von den Tempelschlachtungen stammende Fleisch serviert bekommen, ein Gebäude wie jedes andere, und das Fleisch ist „Speise“ wie alle anderen Nahrungsmittel. Für Christen, die diese „Erkenntnis“ jedoch nicht haben, ist der Verzehr dieses Fleisches immer noch ein Akt der Verehrung der Gottheit, die sich hinter dem Götzenbild verbirgt, das vielleicht in Raum steht, in dem man speist. Paulus kommentiert die Folgen für diese Christen: Da ihr Gewissen schwach ist, wird es befleckt (η συνει' δησις αυ τω ^ ν α σθενη` ς ου σα μολυ' νεται). Das mit „befleckt“ übersetzte Verb μολυ' νω bedeutet „beschmutzen, beflecken, verunreinigen“. Es wird hier (metaphorisch) nicht nur im Sinn von „religiöser und sittlicher Verunreinigung“ verwendet,112 sondern hat im Zusammenhang der Verwendung in der LXX und der Thematik der Götzenopfer zugleich kultische Implikationen.113 Gemeint ist nicht primär das Schuldgefühl, das „schlechte Gewissen“ oder „Gewissensbisse“, sondern „die Entweihung und damit übertragen das ‚objektive Schuldigwerden‘ vor Gott“.114 Was ist mit dem „schwachen Gewissen“ gemeint? Chr. Wolff interpretiert wie viele Ausleger: „Das ‚schwache‘ Gewissen findet sich bei denen, die die Freiheit des Glaubens noch nicht vollständig erfaßt haben, die die Befreiung von den anderen sog. Göttern durch Christus nicht wirklich geschehen sein lassen und die daher dem Opferfleisch noch eine religiöse Bedeutung beimessen“.115 Man findet im Zusammenhang dieser Interpretation häufig den Hinweis, dass Paulus keine Vorschläge macht, wie diese Christen ihre „schwache“ Haltung überwinden können. Die ideale Situation, die von dieser Auslegung ins Auge gefasst wird, wäre die Freiheit aller Christen in der korinthischen Gemeinde, auch der Judenchristen, die es ihnen ermöglicht, das Fleisch aus den Tempelschlachtungen ohne Bedenken zu essen – zu Hause genauso wie anlässlich von Einladungen von Freunden in deren Privathäusern oder in den Räumlichkeiten des Tempels, in dem man ein Festmahl besucht (vgl. V. 10). Diese Interpretation ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch.116 1. Paulus deutet an keiner Stelle an, dass es wünschenswert, ja theologisch ————————————————————
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So F. Hauck, ThWNT IV, 744-745; Schrage II 258. Maly, Gemeinde, 112; vgl. Jer 23,11; Jes 65,4. Kritisch Schrage II 258 Anm.276. Eckstein, Syneidesis, 241, mit Verweis auf Apg 5,38; Sir 21,28; Jer 23,11. Wolff 179; vgl. Robertson/ Plummer 170; Conzelmann 181-182; Fee 381; Lang 111; Klauck 62-63; Schrage II 256; Kremer 176; Lindemann 195. Für die folgende Diskussion vgl. Garland 380-383; Cheung, Idol Food, 124-137.
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notwendig wäre, wenn die Schwachen ihre Skrupel aufgeben würden. 117 Er will sie im Blick auf die im Gewissen empfundene Begegnung mit heidnischen Göttern nicht deprogrammieren. Paulus spricht die Schwachen in dem ganzen Abschnitt nirgends an und wirft ihnen auch nicht indirekt vor, ein unvollständiges „Erkennen“ oder ein mangelhaftes Verständnis des monotheistischen Glaubens zu haben. 2. Was Paulus in 10,14-22 über den „Tisch der Dämonen“ und das „Anteilhaben“ an Dämonen sagt, muss die „Schwachen“ im Blick auf ihr Gewissen bestärken. 3. Wenn den „Schwachen“ von manchen Auslegern „Ängstlichkeit“ im Blick auf den Kontakt mit den heidnischen Göttern vorgeworfen wird, müsste man von 10,14-22 her auch Paulus „Angst“ vor Kontakten mit Dämonen vorwerfen. Diese waren auch für den Apostel jedenfalls keine quantité négligeable. 4. In den folgenden Versen scheint sich Paulus von der „Erkennntis“ der Christen, die im Verzehr von Götzenopferfleisch nichts Bedenkliches sehen, zu distanzieren: Er spricht von „diesem eurem Recht“ (η ε ξουσι' α υ μω ^ ν αυ« τη, V. 9) sowie von der Möglichkeit, dass jemand „dich, der du Erkenntnis hast“ (σε` το` ν ε»χοντα γνω^ σιν, V. 10), im heidnischen Tempel sieht und „durch deine Erkenntnis“ (ε ν τη^, ση^, γνω' σει, V. 11) zugrunde geht. Das Wort Gewissen (συνει' δησις) bezeichnet im Sprachgebrauch des Apostels Paulus „die innere Kontrollinstanz, mit der der Mensch sich selbst beurteilt und richtet“, eine Instanz also, „die das Verhalten im Lichte einer bestehenden Norm reflektiert und überprüft, nicht aber selbst Norm setzt“.118 Die mit der Erfahrung des Heils im Glauben an den einen wahren Gott und an den Herrn Jesus Christus bewirkte Erneuerung des Menschen besteht nicht in einer prinzipiellen Veränderung des Gewissens oder dessen Funktion, sondern ist „durch die grundsätzliche Veränderung des vorausgesetzten sittlichen und religiösen Normenbewußtseins, auf Grund dessen die Syneidesis ihre Urteile fällt, gegeben“.119 Durch die Bekehrung zum Glauben an den einen wahren Gott und Herrn Jesus Christus wurde sowohl das sittliche als auch das religiöse Normenbewusstsein verändert. Christen glauben nicht an viele Götter, sondern an den einen wahren Gott. Jesusbekenner beziehen die Normen ihres Verhaltens nicht primär aus der religiösen, ethischen und gesellschaftlichen Tradition der Gesellschaft und der Stadt, in der sie leben, ————————————————————
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Anders z.B. Lindemann 198: Die Christen mit dem schwachen Gewissen werden von Paulus zwar nicht direkt angesprochen; sie hören aber im Brief, dass ihr Gewissen als „schwach“ gilt, „was indirekt als Aufforderung zur Überprüfung ihrer Haltung gewertet werden kann“. Dies ist aber an keiner Stelle in 1Kor 8–10 angedeutet. Merklein II 193; vgl. Schrage II 257-258; Thiselton 640-644; M. Wolter, Art. Gewissen II, TRE XIII, 213-218; Eckstein, Syneidesis, 232-256 (zu 1Kor 8,7-13), zur Begriffsbestimmung ebd. 311-314; Gooch, Conscience, 44-54; Schrage, Ethik, 200-201. Eckstein, Syneidesis, 314.
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sondern von dem Willen des einen wahren Gottes, der sich im Volk Israel und seinen heiligen Schriften und im Herrn Jesus Christus geoffenbart hat. Auf die Diskussion in Kap. 8 angewendet, wirft dieser Sachverhalt die Frage auf, ob durch diese Normenveränderung sowohl die Götzentempel als auch das Fleisch, das aus den dort durchgeführten Schlachtungen stammt, entsakralisiert und damit neutralisiert wurden. In der korinthischen Gemeinde gab es offenkundig Christen, die dies bejahten und als „Erkenntnis“ ausgaben. Gleichzeitig gab es Gemeindeglieder, die sich dieser „Erkenntnis“ nicht anschlossen. Ihr Gewissen signalisierte beim Verzehr von Fleisch aus Tempelschlachtungen, wahrscheinlich auch beim Speisen in einem zum Tempelareal gehörenden Raum (V. 10), dass sie es hier – wie früher, als sie sich noch nicht bekehrt hatten – mit den heidnischen Göttern und deren Verehrung zu tun haben. Die Wertung des Gewissens dieser Christen als schwach (η συνει' δησις αυ τω ^ ν α σθενη' ς) wird unterschiedlich erklärt. 1. Manche Ausleger meinen, es handle sich um einen Ausdruck, den jene korinthischen Christen, die ihr Essen von Götzenopferfleisch verteidigen, für die Gemeindeglieder verwendeten, die Skrupel hatten, Fleisch aus Tempelschlachtungen zu essen.120 Diese Erklärung ist angesichts des Sprachgebrauchs von Paulus nicht überzeugend, der diese Christen als „Brüder“ bezeichnet (V. 13) und an keiner Stelle kritisiert. 2. Es geht auch nicht um die fehlende Willenskraft dieser Christen, die richtige „Erkenntnis“ in die Tat umzusetzen. 121 3. Viele Ausleger meinen, die Schwachheit bestehe in der fehlenden Eindeutigkeit des theologischen Urteils und der entsprechenden Umsetzung im Alltag. Paulus fürchte deshalb, diese Christen könnten durch die „Starken“ zu einem Verhalten angeleitet werden, so dass sich ihr Verhalten und ihre Gewissensentscheidung widersprechen, sie sich selbst verurteilen und dann ihr „totus homo“ auseinanderbricht.122 Diese Interpretation liest Kap. 8 im Licht von Röm 14– 15, wo es jedoch nicht um Götzenopferfleisch geht, sondern um die atl.jüdischen kaschrut-Regeln zur Unterscheidung von reinen und unreinen Speisen. Die generelle Aussage in Röm 14,14 („an sich ist nichts unrein“) kann nicht ohne weiteres auf Nahrungsmittel übertragen werden, die heidni————————————————————
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Horsley 121; Hays 136; Collins 321.326; vgl. Wolff 178-179. So Weiss 228; Schlatter 260: Das Gewissen ist dann schwach, d.h. kraftlos, „wenn es ein Verhalten, das es als verwerflich oder mindestens als gefährlich verurteilt, nicht zu verhüten vermag“. Zur Kritik Eckstein, Syneidesis, 243. Schrage II 256: „Weil sie nicht definitiv und eindeutig von den Residuen der schon überholten Vergangenheit loskommen und die freiheitlichen Implikationen und Konsequenzen des Bekenntnisses zu dem einen Gott und Herrn nicht zu erkennen vermögen“. Vgl. Robertson/Plummer 172-173; Barrett 194-195; Lang 112; Wolff 179; Kremer 176.
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schen Göttern geopfert worden waren.123 4. Der Vorschlag von G. Theißen, dass es sich bei den „Schwachen“ um Christen handelt, die den gesellschaftlich niedrigen Schichten angehörten und fast nur bei öffentlichen Fleischverteilungen im Zusammenhang eines Tempelfestes oder anderer, immer auch religiös bestimmter öffentlicher Anlässe Fleisch gegessen haben,124 ist historisch plausibel, hat aber im Text keine direkten Anhaltspunkte. Paulus spricht von Erkenntnis und Gewissen als Ursache des Verhaltens, nicht von Sozialstatus.125 5. Vielleicht ist das Verständnis von „schwach“ auf dem Hintergrund der stoischen Moralphilosophie zu verstehen: Der Begriff der „Schwachheit“ beschreibt Menschen, die geistig und moralisch unreif sind, die keine festen Überzeugungen haben und die sich oft rasch falschen Urteilen anschließen.126 Es ist denkbar, dass Christen, die das Essen von Götzenopferfleisch für unbedenklich halten, solche Mitchristen, die Skrupel hatten, als in diesem Sinn „schwach“ bezeichneten. Paulus hätte allerdings diese Bewertung von Christen als „schwach“ in diesem philosophischen Zusammenhang schwerlich geteilt. 6. Manche Ausleger schlagen vor, dass die Person mit einem schwachen Gewissen ein hypothetisches Konstrukt ist. 127 Angesichts der emotionalen Aussage in V. 13 ist dieser Vorschlag keine brauchbare Erklärung. Folgende Überlegungen helfen uns, eine Antwort zu finden. Ein „schwaches Gewissen“ hat ein Mensch, der keine richtigen, verantwortbaren moralischen Entscheidungen treffen kann, oder ein Mensch, der von seinem Denken „schwache“ Normen vorgegeben bekommt. Die zweite Möglichkeit scheidet für V. 7 aus: Das Nicht-Essen von Götzenopferfleisch ist keine „schwache“ Norm; in Kap. 10 wird Paulus dies begründen. So bleibt die erste Möglichkeit: Die Korinther mit einem „schwachen Gewissen“ sind Christen, die in dem Sinn „schwach“ sind, dass sie keine festen Überzeugungen haben; sie lassen sich leicht von anderen Meinungen beeinflussen und scheuen nicht davor zurück, Verhaltensweisen gut zu heißen und zu übernehmen, die auf falschen Kriterien und Normen beruhen. Die korinthischen Christen mit dem „schwachen Gewissen“ sind Gemeindeglieder, die von jenen, die wieder in Götzentempeln verkehren (V. 10) und Fleisch aus Tempelschlachtungen essen, dazu verleitet werden, sich auf polytheistische Praktiken einzulassen, ————————————————————
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Garland 381-382; Cheung, Idol Food, 135-136; Konradt, Gericht, 351-353. Theißen, Studien, 272-289; Witherington 190; Hays 136-137; Martin, Slavery, 119-124; Meggitt, Meat Consumption, 137; Cheung, Idol Food, 125; Garland 382; zur Diskussion vgl. Konradt, Gericht, 349-351. Zu α σθε' νεια bei Paulus vgl. Black, Astheneia, 84-168. Cheung, Idol Food, 125; Garland 382-384; Collins 324, mit Verweis auf SVF 1,67; 3,177; Plutarch, Mor. 1122C, Cicero, Tusc. 4,15.26. Hurd, Origin, 125; Fee, Ειδωλο' θυτα, 176; Gooch, Food, 66-68; Garland 383.
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an die sie aus ihrer Vergangenheit gewöhnt waren. 128 Die kultische Metaphorik der „Befleckung“ des Gewissens deutet darauf hin, dass die Frage, „ob man im Falle einer völlig angeeigneten Erkenntnis, die den Zusammenhang mit den Götzen gänzlich zerbrochen hat, bedenkenlos Götzenopferfleisch essen darf“, damit noch nicht beantwortet ist, da es „höhere Grenzen gibt, die bei aller ethischen Freiheit nicht überschritten werden dürfen“.129 8 Die Aussage Speise aber wird uns nicht vor Gott stellen wird von manchen Auslegern als weiteres Argument der korinthischen Christen betrachtet, die das Essen von Götzenopferfleisch rechtfertigen. 130 Wenn diese mit der „Neutralität“ der Nahrungsmittel argumentierten, wäre diese Auslegung im Recht – auf den ersten Blick. Da der eine wahre Gott die Welt und alles, was in ihr ist, geschaffen hat, und weil Gott durch die Heilstat Jesu Christi alle Speisen für rein erklärt hat (Apg 11,9), können Christen alles essen, was bei einer Mahlzeit serviert wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass Paulus jenen Christen beipflichtet, die dieses Argument auf das Fleisch aus Tempelschlachtungen anwenden.131 In 10,1-13 warnt er die Korinther mit einem Hinweis auf Beispiele aus der Geschichte Israels, dass Götzenopferfleisch nicht so harmlos ist, wie sie meinen. In 10,14-22 fordert er sie auf, vor dem Götzendienst zu fliehen und nicht durch das Sitzen am „Tisch der Dämonen“ Gemeinschaft mit den Dämonen zu haben. In 11,29-30 schreibt er, dass falsches Essen und Trinken im Zusammenhang mit dem Herrenmahl zu Krankheit und Tod führen kann. Die kaschrut-Bestimmungen der atl.-jüdischen Tradition sind zwar infolge des Heilstodes Jesu Christi aufgehoben. Das bedeutet jedoch nicht, dass Götzenopferfleisch „neutral“ ist und als Adiaphoron behandelt werden kann. Die mit „vor Gott stellen“ übersetzte Wendung ist nicht im forensischen Sinn von Röm 14,10 („vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen“) zu verstehen.132 Nach V. 7 ist es kaum denkbar, dass Paulus mit einem Hinweis auf das Endgericht die These unterstützt, das Essen von Götzenopferfleisch sei grundsätzlich irrelevant. Zu beachten ist, dass Paulus in V. 8 nicht von „Fleisch“ (κρε'α) oder konkret von „Götzenopferfleisch“ (ει δωλο' θυτα) spricht, sondern von „Speise“ (βρω ^ μα). Das Verb παρι' στημι hat hier die allgemeinere Bedeutung „nahe bringen, in engere Beziehung bringen“. Paulus betont, dass Speise, jede Art von Speise, uns Gott nicht näher bringt. ————————————————————
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Garland 384; Borgen, Participation, 51; Dawes, Idolatry, 94-95. Merklein II 194. Fee 383-384; Hays 136; Hfa markiert den Satz als Zitat. Zum textkritischen Problem s. die Einleitung zu 8,7-13. Garland 385; Cheung, Idol Food, 134-136. So Robertson / Plummer 170; Lang 111; Murphy-O’Connor, Food, 296-297; kritisch Bachmann 304; Godet II 12; Schrage II 259; Merklein II 195; Konradt, Gericht, 356-358.
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Deshalb gilt: Weder haben wir einen Nachteil, wenn wir nicht essen, noch einen Vorteil, wenn wir essen. Wenn man die von G. Theißen skizzierten gesellschaftlichen Zusammenhang133 in Anschlag bringt, ergibt sich ein deutlich kritischer Gegen-Satz des Apostels gegen die korinthischen Christen, die wieder Götzentempel besuchen, an Festen und Banketten ihrer Freunde und Bekannten teilnehmen und bei diesen Anlässen Fleisch aus Tempelschlachtungen essen. Wenn korinthische Christen, die den höheren Kreisen angehörten, argumentieren, dass sie bei einer Weigerung, Veranstaltungen im Tempel zu besuchen oder Einladungen ihrer Freunde und Bekannten Folge zu leisten, gesellschaftliche Nachteile hätten, dann hält Paulus dagegen: vor Gott (τω ^, θεω ^, ) haben sie keinen Nachteil, wenn sie „nicht essen“ (ε α` ν μη` φα' γωμεν); und wenn sie essen (ε α` ν φα' γωμεν), haben sie keinen Vorteil. Im Licht von V. 12-13 und 10,14-22 beinhaltet die letzte Formulierung vielleicht die Warnung, dass das Essen von Götzenopferfleisch keinen Vorteil, aber sehr wohl einen Nachteil nach sich ziehen kann. 134 9 Die erste imperativische Mahnung in Kap. 8–10 gilt denen, die Götzenopferfleisch essen: Achtet aber darauf, dass dieses euer Recht nicht für die Schwachen zum Anstoss wird. Aus dem Ausdruck „die Schwachen“ (οι α σθενει^ς) wird oft der Gegenbegriff „die Starken“ herausgelesen.135 Die Formulierung „dieses euer Recht“ (η ε ξουσι' α υ μω ^ ν αυ« τη) spricht gegen diese Interpretation: Paulus distanziert sich in subtiler Weise von den korinthischen Christen, durch deren Verhalten jene Gläubigen unter Druck geraten, die nicht bereit sind, das Fleisch aus den Tempelschlachtungen zu essen. Das Wort ε ξουσι' α kann mit „Freiheit“ oder „das Recht zu handeln“ übersetzt werden, bedeutet aber auch „Fähigkeit zu handeln, Macht, Gewalt“ und „Autorität, Vollmacht, Befugnis“. Paulus verwendet das übliche Wort für „Freiheit“ (ε λευθερι' α) in 10,29 (vgl. ε λευ' θερος in 9,1.19). Deshalb ist ε ξουσι' α hier nicht mit „Freiheit“,136 sondern mit „Freiheitsrecht“ (Schrage) oder „Recht“ (ZB, TNIV, Merklein) zu übersetzen. Paulus spricht von einem „Recht“, das korinthische Christen für ihre Teilnahme an Festmählern in heidnischen Tempeln in Anspruch nehmen (V. 10).137 Ein „Recht“ kann durch ein Gesetz (νο' μος) oder durch einen Brauch (ε»θος) begründet sein; hier ist an letzteres zu denken. ————————————————————
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Theißen, Studien, 275-282. Cheung, Idol Food, 134; vgl. Garland 385-386. Conzelmann 183; Schrage II 261; Lindemann 196; Gäckle, Die Starken, 43-44.185-205. EÜ, Elb.Ü, GN, LÜ, NGÜ, NRSV, SÜ, Menge, Wilckens; Lindemann 194 („Vollmacht“ als Alternative). Schrage II 251 übersetzt mit „Freiheitsrecht“, meint aber, Paulus könne statt ε ξουσι'α hier auch ε λευθερι'α gebrauchen (261 Anm. 291). Winter, Welfare, 166-168.
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Bruce Winter konkretisiert die oben erwähnte Interpretation G. Theißens mit dem Vorschlag, dass korinthische Christen darauf bestanden, das einem römischen Bürger zustehende „Recht“ zu haben, Einladungen des Präsidenten der Isthmischen Spiele zu Feiern im Poseidontempel anzunehmen. Dieses „Recht“ ist vielleicht im Zusammenhang der Rückführung der Isthmischen Spiele nach Isthmia und der Einrichtung eines neuen Kaiserkults der Provinz Achaia für die Städte des Achäischen Bundes in Korinth um das Jahr 54 zu verstehen – Entwicklungen und Ereignisse, die nach der Abreise des Apostels aus Korinth stattfanden und eine neue Situation schufen. 138 Die Teilnahme an solchen Banketten war nicht nur ein gesellschaftliches Privileg, auf das eingeladene Christen nur ungern verzichten mochten, sondern zugleich eine Demonstration bürgerlicher Loyalität. Es liegt in der Natur der Quellen, dass man nicht beweisen kann, ob dieser konkrete zeitgeschichtliche Hintergrund für die in Kap. 8–10 behandelte Problematik bzw. für die Formulierungen von Paulus eine ursächliche Rolle spielte. Zu beachten ist, dass Paulus von regelmäßig wiederkehrenden Gelegenheiten zu sprechen scheint, wo Christen Götzenopferfleisch nicht nur auf dem Markt, sondern auch bei Freunden und bei Festmählern in einem Tempelbezirk essen konnten. Die von B. Winter angeführten Anlässe illustrieren jedoch den gesellschaftlich-religiösen Kontext, in dem das Verhalten der korinthischen Christen zu verstehen ist. Es ist kaum vorstellbar, dass Paulus das Thema des Besuchs von Götzentempeln und der Teilnahme an Banketten im Tempel als Missionar und Gemeindegründer nicht angesprochen hätte. Es ist gut möglich, dass manche Christen nach der Abreise des Apostels aus Korinth zu ihren früheren Gewohnheiten zurückgekehrt sind, als sie die Konsequenzen einer Verweigerung von Einladungen zu solchen Anlässen zu spüren bekamen. Der Hinweis, dass Paulus das Recht dieser ε ξουσι' α nicht bestreitet,139 ist formal richtig. Daraus darf aber nicht abgeleitet werden, dass er den „Wissenden“ zugesteht, dass das von ihnen in Anspruch genommene Freiheitsrecht „an und für sich richtig“ sei.140 In V. 9a kommentiert Paulus die ε ξουσι' α jener korinthischen ————————————————————
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Winter, Imperial Cult II, 170-172; ders., Welfare, 171-174; ders., Corinth, 93-94.276277, mit Verweis auf Lucius Castricus Regulus, der für die römischen Bürger der Stadt ein Bankett gab, wahrscheinlich im Jahr 51. Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 153: „Lucius Castricus Regulus . . . der (als erster) den Isthmischen Spielen am Isthmus vorstand, unter der Schirmherrschaft der Colonia Laus Iulia Corinthiensis . . . und nachdem die Gebäude Caesareas renoviert worden waren . . . gab ein Bankett für alle Kolonisten (epulumo omnibus colonis). Kritisch zu diesem Vorschlag Garland 386; Fotopoulos, Food, 219. Lindemann 196; vgl. Schrage II 260; die folgende Bemerkung bei Merklein II 197. Ob es sich bei ε ξουσι'α um ein korinthisches Schlagwort handelt (Willis, Idol Meat, 98-104), was gut möglich ist, lässt sich nicht beweisen. So mit Recht Garland 387.
462 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Christen eher distanzierend, und in V. 9b und V. 10 warnt er vor den Folgen, die sich aus ihrem Verhalten ergeben. Das Essen von Götzenopferfleisch kann für die „Schwachen“ leicht zum Anstoß werden. Das Wort προ' σκομμα kann 1. die Folge des Fallens, d.h. das Verderben, 2. das Zu-Fall-Kommen und 3. die Ursache des Fallens bezeichnen.141 Hier steht die dritte Bedeutung im Vordergrund. Die korinthischen Christen, die Götzentempel besuchen und dort speisen (V. 10) und auch sonst Götzenopferfleisch essen (V. 1-2.4), veranlassen die Christen mit einem „schwachen Gewissen“, ihren Glauben an den einen wahren Gott und Herrn durch synkretistisches Verhalten im Götzentempel zu kompromittieren. In Ez 14,3.4.7 werden die heidnischen Götter als „Anstoß“ (שול ֹ )ִמְכbezeichnet: Der Prophet redet von Männern, die „haben ihre Götzen in ihrem Herzen aufkommen lassen und den Anstoß zu ihrer Schuld vor ihr Gesicht gestellt“. In Ex 23,33 LXX heißt es: „Und sie [die früheren Bewohner] sollen nicht in deinem Land wohnen, damit sie dich nicht zum Sündigen gegen mich veranlassen, denn wenn du ihren Göttern dienst, werden sie ein Anstoß (προ' σκομμα) für dich sein“ (vgl. Ex 34,12 LXX). Mit dem Hinweis auf den „Anstoß“ für die Schwachen meint Paulus nicht deren subjektive Entrüstung über das Verhalten der Götzenopferfleischesser, sondern die Gefahr, dass sie vom Glauben abfallen. Es geht also nicht einfach darum, dass die Schwachen „über ihren Schatten“ springen142 und das Verhalten ihrer Götzenfleisch essenden Mitchristen tolerieren, wenn nicht sogar imitieren sollen. Ganz im Gegenteil, der synkretistische Kompromiss, mit dem die schwachen Christen konfrontiert sind, ist der Maßstab für das Verhalten jener Christen, die meinen, das Recht zu haben, an Festmahlen in heidnischen Tempeln teilzunehmen. 10 Mit einem Konditionalsatz, der einen eventuellen Fall anzeigt (ε α` ν γα' ρ τις »ιδη, σε')143 und eine rhetorische Frage stellt, will Paulus jene korinthischen Christen, die in Götzentempeln speisen, zur Änderung ihres Verhaltens bewegen: Denn wenn jemand dich, der du Erkenntnis hast, im Götzentempel zu Tisch liegen sieht. Mit der „Erkenntnis“ ist das „Recht“ gemeint, mit dem manche Christen in Korinth ihren Besuch im Götzentempel (ει δωλει^ον)144 be————————————————————
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G. Stählin, ThWNT VI, 746-747; H. Balz, EWNT III, 417-418; Schrage II 261-262. Schrage II 255. ε α' ν mit Konj. bezeichnet hier „das Erwartete, das auf eine eventuelle Verwirklichung hindeutet“ (eventualis); BDR §371.4a. Das Wort ειδωλει^ον kommt nur hier im NT vor. In Dan 1,2 LXX wird das Wort für den Tempel Nebukadnezars in Babylon gebraucht; vgl. 1Makk 10,83; 1Esra 2,7; Bel 10. Der Ausdruck ist (wie ει»δωλον) aus jüdischer Perspektive formuliert. Die von Nichtjuden gebräuchlichen Ausdrücke waren ναο' ς („Tempel“), ιερο' ν („Heiligtum, Tempel“) und τε' μενος („heiliger Bezirk“); kleinere sakrale Rundbauten hießen θο' λος (oft dem Heroenkult gewidmet).
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gründen. Die Verwendung des Ausdrucks „zu Tisch liegen“ (κατα' κειμαι)145 deutet an, dass es sich nicht um eine normale Mahlzeit, sondern wahrscheinlich um ein Festmahl handelt, an dem die Teilnehmer auf Speisesofas liegen. Paulus lässt offen, wie ein Christ mit einem „schwachen“ Gewissen einen Mitchristen in einem der für Festmahle reservierten Räume des Tempelkomplexes speisen sehen konnte. Vielleicht muss man sich die Situation auch so vorstellen, dass in der Gemeinde bekannt wird, wer zu welcher Feier eingeladen wurde und wer der Einladung Folge leistete. In der Stadt Korinth ist der Tempelkomplex des Asklepieions (Abb. 3) der beste Kandidat für einen Tempel mit Räumlichkeiten, in denen Bankette abgehalten werden konnten.146 Auf dem ersten Stockwerk des als Abaton identifizierten Gebäudes im westlichen Teil des Tempelareals – zwischen dem Asklepieion und dem LernaBrunnen – befanden sich drei Räume (ca. 6,80 mal 6,80 m), die mit je sieben Speisesofas ausgestattet waren, auf denen elf Gäste Platz fanden.147 Die Nahrungsmittel, die Asklepios geopfert wurden, wurden anschließend für das Festmahl zubereitet. Dies geschah offensichtlich nicht in einer eigenen Küche, sondern entweder in dem Peristylhof oder in der Säulenhalle nördlich der Speisezimmer. Einladungen zu einem Festmahl im Asklepieion wären aus Anlass einer Heilung durch den Gott Asklepios an Freunde, Bekannte und Geschäftspartner ausgesprochen worden. Andere Anlässe zu privaten Einladungen waren die Geburt eines Kindes,148 das Erreichen der Volljährigkeit,149 Hochzeiten150 oder der Tod von heidnischen Verwandten, Freunden, Bekannten oder Nachbarn. Die Ablehnung einer solchen Einladung musste als Affront empfunden worden sein. Die Frage, ob Christen solchen Einladungen Folge leisten können, war also höchst brisant. Deutlich wird jedenfalls, dass Paulus keine abstrakte Grundsatzdiskussion zur Illustration eines theologischen Prinzips führt. H. Merklein stellt mit Recht fest: „Es bestand ein erheblicher gesellschaftlicher Druck, das Essen ————————————————————
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Vgl. Mk 14,3; Lk 5,29; 7,37; Joh 12,2. Fotopoulos, Food, 221, ebd. 49-70 zur Beschreibung des Asklepiostempels; vgl. MurphyO’Connor, Corinth, 164; Wiseman, Corinth, 475-476; Oster, Use, 65-66. Siehe den Ausgrabungsbericht von Roebuck, Corinth XIV, 23-64. Die Evidenz für Speisemöglichkeiten im Tempel der Demeter und Kore sowie in den Tempeln der Isis und des Sarapis in Korinth lässt es nach Fotopoulos, ebd. 86-92.127-128.155-157 weniger wahrscheinlich erscheinen, dass Christen dort gespeist haben. Aufgrund der immer mangelhaften archäologischen Quellen muss man sich vor generellen Urteilen jedoch hüten. Roebuck, Corinth XIV, 41-55. In P.Oxy. XXXVI 2791 (2. Jh.) wird zum ersten Geburtstag der Tochter in den Sarapistempel eingeladen. Vgl. P.Oxy. XII 1484 (mit BL 8,243; 2./3. Jh.), wo die Volljährigkeit zweier Brüder der Anlass ist, im Thoerion Sarapis zu würdigen. P.Köln VI 280 (2./3. Jh. n.Chr.): „Pasion [und NN] laden dich ein zu speisen anlässlich der Hochzeit ihrer Kinder [im Haus des] Horos, morgen [am - -]“. S. R. Llewelyn, in NewDocs IX, 62-63 verweist für weitere Hochzeitseinladungen auf P.Fouad. I Univ. 7 (2. Jh. n.Chr.?); P.Oxy. III 524; SB V 7745 (beide 2. Jh.); SB 11652 (2./3. Jh.); P.Oxy. I 111; I 181; XII 1579; XII 1580; XXXIII 2678; P.Fay. 132 (alle 3. Jh.); P.Oxy. XII 1486 (3./4. Jh.); P.Oxy. XII 1487 (4. Jh.).
464 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— von Götzenopferfleisch mit Hilfe der ‚Erkenntnis‘ zu rationalisieren. Die einen schafften das, die anderen waren um so mehr verunsichert“.151
Wenn W. Schrage schreibt, dass eine Teilnahme an kultischen Mahlzeiten angesichts von 10,7.20ff „in keinem Fall zur christlichen ε ξουσι' α zählen“ kann,152 verkennt er erstens, dass es Paulus ist, der sich in 10,7.20-22 gegen die Teilnahme an kultischen Mahlzeiten ausspricht, was nicht ausschließt, dass es korinthische Christen gegeben hat, die es als ihr Recht ansahen, wie früher kultischen Handlungen beizuwohnen.153 Zweitens verkennt er, dass alle Mahlzeiten innerhalb eines Tempelareals kultischen Charakter hatten und generell „in den Opferrahmen eingebettet“ waren. 154 H. Merklein bemerkt zu Recht, dass „die Vorstellung von einem rein geselligen Beisammensein im Tempelrestaurant oder von einem Picknick im Tempelhain“ das Geschehen „in unzulässiger Weise“ verniedlicht. 155 Offensichtlich hat Paulus Informationen über die korinthischen Christen und ihre Einstellung zu Götzentempeln und Götzenopfern, dass er davon ausgehen kann, dass manche Gemeindeglieder den Besuch eines heidnischen Tempels anlässlich einer Einladung zu einem Festmahl annehmen würden oder angenommen haben. Wahrscheinlich haben diese Christen eine solche Aktion nicht als Götzendienst betrachtet. Die Einschätzung des Geschehens durch Paulus ist jedoch eine andere. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Paulus das Speisen in einem Götzentempel nicht als Götzendienst bewertet hätte. Wenn Paulus in 10,23-28 Situationen behandelt, in denen der Verzehr von Fleisch für Christen unbedenklich ist, so spricht er vom Fleischmarkt (macellum) und von privaten Mahlzeiten, bezeichnenderweise jedoch nicht von Tempeln.156 Paulus verurteilt an dieser Stelle ein solches Verhalten nicht – er wird dies in 10,14-22 tun. Im Rahmen seiner ethischen Argumentation in 8,1-13 ————————————————————
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Merklein II 200. Schrage II 264; ebenso Lindemann 197. Zur Kritik Merklein II 199-200. So Weiss 230; Lang 112; Wolff 181. Klauck, Herrenmahl, 248; vgl. Murphy-O’Connor, Corinth, 172. Merklein II 199, gegen Schrage II 263 Anm. 300. Conzelmann 184 hat das Argument von Paulus gründlich missverstanden, wenn er zu V. 10 schreibt: „Paulus vermeidet eine gesetzliche Regulierung. Er verbietet nicht den Besuch des Tempelrestaurants, der rein geselliger Art sein kann. Paulus erklärt: Dein Verhalten betrifft nicht dich; deine innere Freiheit, dorthin zu gehen, ist gar kein Problem. Das Problem ist, was du deinem Bruder demonstrierst“. Für eine Kritik an Conzelmann vgl. Fee 391 mit Anm. 74. Cheung, Idol Food, 95; Garland 388. Wenn Luther in WA.B 7, 366 Nr. 2296 schreibt, Paulus lasse „die Christen in Götzenhäusern zu Gast gehen, und sind doch damit der Götzen nicht teilhaftig“ (zitiert bei Schrage II 272), ist dies keine adäquate Exegese von 1Kor 8–10, sondern ein ad hoc Argument.
Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen 8,7-13 465 ————————————————————————————————————
verweist er die korinthischen Christen wieder auf die Wirkung, die ihr Verhalten auf ihre Mitchristen hat. Er stellt eine rhetorische Frage, die mit bissiger Ironie formuliert ist: Wird da nicht sein Gewissen, da er doch schwach ist, „erbaut“ werden zum Essen des Götzenopferfleisches? Das Problem ist nicht, dass Christen mit einem „schwachen“ Gewissen (η συνει' δησις αυ του^ α σθενου^ ς ο» ντος) zum Essen von Götzenopferfleisch gedrängt werden, obwohl sie wissen, dass sie (entgegen ihrem Gewissen) falsch handeln, dass sie also gegen ihre Überzeugung handeln. Das Problem ist vielmehr, dass Christen mit einem schwachen Gewissen verleitet werden können zu glauben, das Speisen in einem Götzentempel sei unbedenklich. Dieser „Fortschritt“ in der „Erkenntnis“ des Christen mit dem schwachen Gewissen ist für diesen vielleicht „Auferbauung“ (οι κοδομηθη' σεται),157 aber eine Auferbauung, die ihn zugrunde richtet (V. 11). Möglicherweise zeigt sich in dieser Formulierung das aktive Bemühen jener Christen, die wieder in Götzentempeln speisen, ihre „schwachen“ Mitchristen, die ein solches Verhalten nach wie vor ablehnen, davon zu überzeugen, dass es geistlich unbedenklich ist, wenn man Einladungen zum Dinieren in einem heidnischen Tempel annimmt. Wenn diese ein „schwaches“ Gewissen haben, dann lassen sie sich überreden, dem Beispiel dieser „Liberalen“ Folge zu leisten. Vielleicht ist dies die Erklärung für die Frage, wie Christen mit einem schwachen Gewissen andere Christen im Götzentempel essen sehen: Sie haben ihr Gewissen von der Unbedenklichkeit eines Besuchs im Götzentempel bereits überzeugt.158 11 Paulus beschreibt die Folge (γα' ρ) des in V. 10 angesprochenen Verhaltens: Der Schwache geht an deiner Erkenntnis zugrunde. Der Christ mit dem schwachen Gewissen, der sein Verhalten den Mitchristen anpasst, die im Götzentempel speisen, und vermutlich seinerseits den Besuch der heidnischen Tempel als akzeptabel betrachtet, „geht zugrunde“. Das Verb α πο' λλυμι wird häufig im Sinn des ewigen, endgültigen Verderbens interpretiert. 159 Diese Bedeutung liegt in 1Kor 15,18 und in Röm 2,12 vor; in 1Kor 10,9.10 und in 2Kor 4,9 bezeichnet das Verb das vorzeitige Sterben von Menschen, und in 1Kor 1,18; 2Kor 2,15; 4,3; 2Thess 2,20 dient es zur Beschreibung der Nichtchristen, für die Paulus die Hoffnung auf eine glaubende Hinwendung zu Jesus Christus nie aufgegeben hat. Mit α πο' λλυμι will Paulus sagen, dass ein ————————————————————
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Die Wendung „das Gewissen auferbauen“ ist sonst in der Literatur nicht belegt; Conzelmann 184 spricht von „grimmiger Ironie“; vgl. Lindemann 197. Vgl. Weiss 230; Bachmann 306; Lietzmann 39; Fee 386. Heinrici 238-239; Weiss 230; Conzelmann 185; Klauck 63; Fee 387; Schrage II 265; Wolff 181; Kremer 177-178; Merklein 201; Lindemann 197; Garland 389; Eckstein, Syneidesis, 249-250; Gundry-Volf, Perseverance, 96-97; Konradt, Gericht, 359. Schlatter 265 spricht von der „Verurteilung, durch die ihm das Leben genommen wird“.
466 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Christ mit einem schwachen Gewissen, der sich dem Verhalten jener Mitchristen anschließt, die in Götzentempeln speisen, das Fleisch aus den Tempelschlachtungen als Götzenopferfleisch isst (V. 10) und damit in Götzendienst zurückfällt, seinen Glauben an Jesus Christus aufgibt. Dies ist dann gleichbedeutend mit dem Verlust des ewigen Heils, wenn er in diesem Zustand verharrt.160 Wenn Paulus in 5,5 für den Mann, der eine inzestuöse Beziehung unterhält und dem Satan übergeben werden soll, die Hoffnung hat, dass „sein Geist am Tag des Herrn gerettet werde“, wenn er Buße tut und sein Verhalten ändert, dann besteht gewiss auch für jene Christen Hoffnung, die sich wieder auf die heidnischen Tempel und das dort angebotene Opferfleisch eingelassen haben. Entscheidend ist, dass Paulus nicht den Schwachen mit dem Verderben droht, sondern sich kritisch an jene Christen wendet, die die Schwachen durch ihr Verhalten zum Götzendienst verleiten. Paulus ermahnt die Christen, die auf ihr Recht pochen, in heidnischen Tempeln speisen zu können, alles daran zu setzen, Mitchristen mit einem schwachen Gewissen nicht zum Götzendienst zu verführen. Paulus führt das Verderben der Schwachen auf die „Erkenntnis“ jener Christen zurück, die im Götzentempel speisen. In der Wendung ε ν τη^, ση^, γνω' σει hat ε ν instrumentale Bedeutung. Das betont vorangestellte Possessivpronomen ση^, 161 unterstreicht, dass das Problem nicht nur in dem schwachen Gewissen des Mitchristen besteht, sondern in der „Erkenntnis“ derer, die im Götzentempel speisen. Die Folgen ihrer „Erkenntnis“ und ihres Verhaltens sind deshalb so gravierend, weil es sich nicht einfach um einen Menschen mit einem schwachen Gewissen handelt, sondern um einen Bruder (α δελφο' ς), d.h. um ein Familienmitglied, für das man verantwortlich ist. Paulus fügt hinzu: für den Christus gestorben ist. 162 Jesus Christus hat diesen Bruder, der zum Glauben an Jesus Christus gekommen war, aus seiner Bindung an die heidnischen Götter und vor dem Verderben errettet. Deshalb darf sein ewiges Heil nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Der rückhaltlose Einsatz Jesu Christi zugunsten der schwachen Sünder soll für jene Christen, die in den heidnischen Tempeln Korinths speisen, ein Vorbild sein: Sie sollen in gleicher Weise für das geistliche Wohlergehen ihrer Mitchristen in der Gemeinde Sorge tragen. ————————————————————
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Hays 142. Die Formulierung im Präsens (α πο' λλυται) könnte zwar futurische Bedeutung haben oder „die Gewißheit des schon eintretenden Verderbens“ (Schrage II 265 Anm. 313) unterstreichen. Oder Paulus beschreibt den in der Gegenwart stattfindenen Abfall, ohne über das zukünftige Schicksal des Betreffenden eine Aussage zu machen. Bei Paulus sonst nur noch in 14,16; Phlm 14. Die Formulierung δι’ ο ν . . . α πε' θανεν ist ungewöhnlich; im NT wird α ποθνη,' σκω meist mit υ πε' ρ konstruiert; vgl. 1,13; 15,3; 2Kor 5,14-15; 1Thess 5,10; Röm 5,6.8; 14,15.
Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen 8,7-13 467 ————————————————————————————————————
12 Paulus beschreibt das Verhalten der Christen, die durch ihr Essen im Götzentempel ihre Mitchristen direkt oder indirekt unter Druck setzen, als Sünde: Wenn ihr aber so gegen die Brüder sündigt und ihr schwaches Gewissen misshandelt, sündigt ihr gegen Christus. Paulus spricht mit dem Wechsel zur 2. Pers. Plur. die ganze Gemeinde an. Im Blick sind konkret jene Gemeindeglieder, die sich wie in V. 10 beschrieben verhalten, aber auch jene, die dieses Verhalten tolerieren. Wer durch sein Verhalten andere Christen dazu bringt, im Götzentempel das aus den Tempelschlachtungen stammende Fleisch als Götzenopferfleisch zu essen, der veranlasst, dass diese Brüder sündigen. Und wer Brüder zum Sündigen veranlasst, der sündigt „gegen die Brüder“ (α μαρτα' νοντες ει ς του` ς α δελφου' ς). Von der „Sünde gegen die Brüder“ spricht Paulus nur an dieser Stelle.163 Die Sünde besteht zweitens164 darin, dass jene Christen das schwache Gewissen dieser Brüder „misshandeln“. Das Verb τυ' πτω bedeutet „schlagen, verprügeln“ oder „tätlich beleidigen“. Allerdings spricht Paulus nicht von dem „schlagenden“ oder „schlechten“ Gewissen der Christen, die von anderen Gemeindegliedern zum Essen von Götzenopferfleisch angeleitet werden. Paulus sagt nicht, dass diese Christen Gewissenbisse haben, sondern dass sie „geschlagen“, d.h. misshandelt, verletzt und verwundet werden. Durch das Verhalten und vielleicht auch durch das Zureden der Christen, die in heidnischen Tempeln essen, wird das Gewissen der Brüder durch „Schläge“ gefügig gemacht. 165 Schließlich stellt Paulus fest, dass die Sünde gegen die Brüder eine Sünde „gegen Christus“ ist (ει ς Χριστο` ν α μαρτα' νετε). Gemeint ist kaum, dass „Christi Sterben, das den Heilsstand des Schwachen und das Eigentumsrecht Christi an ihm begründet, wieder rückgängig“ gemacht wird.166 Paulus betont, dass eine Sünde gegen die Brüder, für die Christus gestorben ist (V. 11), zugleich eine Sünde gegen Jesus Christus ist. Manche Ausleger interpretieren (analog Mt 25,31-46; Apg 26,14-15; Hebr 6,6) das Sündigen „gegen Christus“ im Sinne des Gedankens, dass der Bruder – auch und gerade der Bruder mit dem schwachen Gewissen – Jesus Christus repräsentiert. 167
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Vgl. sonst Mt 18,21 / Lk 17,4; Apg 28,5. Wenn man και' als explikativen Anschluss interpretiert, klärt Paulus in V. 12b, worin die „Sünde gegen die Brüder“ besteht. Schlatter 266: Diese Christen brechen „durch die stolze Ausstellung ihrer Freiheit den Widerstand des Unselbständigen und erzwingen von seinem Gewissen seine Zustimmung“. Vgl. Schrage II 266-267; Eckstein, Syneidesis, 250-251. So Schrage II 267; vgl. Wolff 183; Hays 142. Heinrici 264; Conzelmann 185; Moffatt 113; Fee 389. Kritisch Schrage II 267.
468 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
13 Die Folgerung (διο' περ)168 aus der in V. 9-12 beschriebenen realen Gefahr, dass Christen mit einem schwachen Gewissen zum Essen von Götzenopferfleisch verleitet werden können, sich somit wieder auf die heidnischen Götter einlassen und aus diesem Grund zugrunde gehen, liegt für Paulus auf der Hand: Wenn Speise meinen Bruder zu Fall bringt, will ich in Ewigkeit kein Fleisch mehr essen. Mit dieser Aussage, die wie ein Gelübde klingt, 169 will Paulus den korinthischen Christen einen Weg weisen, wie sie in der Frage des Götzenopferfleisches verfahren sollen. Der Konditionalsatz beschreibt einen möglichen Fall.170 Das Verb σκανδαλι' ζω bedeutet „Anstoß geben, zur Sünde verführen, zu Fall bringen“. Es hat dieselbe Bedeutung wie προ' σκομμα γι' νομαι („zum Anstoß werden“) in V. 9. In der LXX wird σκανδαλι' ζω bzw. das Subst. σκα' νδαλον als Metapher verwendet, in der die „Falle“, in der man gefangen wird, die Sünde ist, oft die Sünde des Götzendienstes.171 In V. 11 sprach Paulus davon, dass der Bruder mit dem schwachen Gewissen „zugrunde“ geht, wenn er dem Beispiel jener Christen folgt, die in Götzentempeln speisen. Wenn eine „Speise“ (βρω ^ μα), und sei es „Fleisch“ (κρε'α), einen Bruder oder eine Schwester zur Sünde verführt, dann ist Paulus bereit, auf das Essen dieser Speise völlig172 zu verzichten. „Fleisch“ steht gerade nicht „verkürzend für ει δωλο' θυτον“ 173 – Paulus weist mit ————————————————————
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Die Konjunktion διο' περ kommt im NT sonst nur noch in 10,14 vor. In den Papyri leitet διο' περ eine Entscheidung der Obrigkeit ein, „die nach reiflicher Überlegung oder intensiver Auseinandersetzung mit einer Sache getroffen wird“ (R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 337, mit Hinweis auf P.Lond. VI 1912,28-29.42-43.82-83; UPZ I 6,32; u.a. Godet II 15; Schrage II 204; Merklein II 204. ει mit Indikativ beschreibt hier einen potentialen Fall (der im NT im Verschwinden begriffen ist, was dazu führt, dass ει durch ε α' ν stark zurückgedrängt wird); HS §280d. Deut 7,16; Jos 23,13; Ri 2,3; Ps 105,36. Willis, Idol Meat, 108-109; Garland 390. In der vorchristlichen Literatur kommt das Verb nur in den apokryphen Spätschriften der LXX in übertragener Bedeutung vor (Sir 9,5; 23,8; 32,15; vgl. PsSal 16,7); das Substantiv σκα' νδαλον bedeutet in der LXX an drei Stellen „Hindernis, Anstoß“ im Sinn von „Ursache des Verderbens“; vgl. Lev 19,14; 1Kön 25,31; Ps 119,165 (LXX 119,165). Vgl. G. Stählin, Art. σκα' νδαλον, σκανδαλι'ζω, ThWNT VII, 338-358; H. Giesen, Art. σκανδαλι'ζω, EWNT III, 592-594; M. Bachmann, Art. σκα' νδαλον, ThBLNT II, 1800-1806. Das Verb σκανδαλι' ζω ist in den dokumentarischen Papyri bisher nur einmal belegt; vgl. P.Oxy. XXIV 2407,43 (3. Jh. n.Chr.); in den Inschriften kommt das Verb in einer Inschrift aus Delphi vor; vgl. FD III.1 226,5. ου μη' mit Aor. Konj. (in BDR §365 Anm.1 als „niedere Koine“ bezeichnet) ist die stärkste Verneinung zukünftigen Geschehens; vgl. BDR §365; HS §247a. Mayser, Grammatik II.1, 233 beschreibt die Bedeutung von ου μη' in den Papyri so: „Als besonders kräftige, bestimmteste, ursprünglich voluntativ gedachte (daher die Negation μη' ), dann aber kategorisch klingende Verneinung ist die Konstruktion ου μη' mit Konj. Aor. . . . zu betrachten“. Die Wendung ου μη' wird von Paulus sonst nur noch in Röm 4,8; Gal 5,16; 1Thess 4,15; 5,3 verwendet. So Lindemann 198, ohne Begründung.
Götzenopferfleisch und die Gefahr für Mitchristen 8,7-13 469 ————————————————————————————————————
großem Ernst und Nachdruck darauf hin, dass er bereit ist, sogar auf Fleisch zu verzichten, wenn dies notwendig sein sollte, damit der Bruder nicht zugrunde geht. Die Bereitschaft zum generellen Fleischverzicht ist eine Zuspitzung, wie die Wendung „bis in Ewigkeit“ (ει ς το` ν αι ω ^ να) zeigt. Paulus ist bereit alles zu tun und zu lassen, um meinen Bruder nicht zu Fall zu bringen (ι«να μη` το` ν α δελφο' ν μου σκανδαλι' σω). Die Tatsache, dass Paulus von „Speise“ und „Fleisch“ spricht und nicht von „Götzenopferfleisch“, sollte nicht unterschätzt werden. Hätte Paulus das Fleisch von Tempelschlachtungen gegessen, weil er prinzipiell den Standpunkt der „Starken“ teilt und Essen und Trinken als neutral, als „ambivalent bzw. adiaphorisch“ betrachtete,174 wäre es an dieser Stelle für die Argumentation erforderlich gewesen, den Korinthern zu sagen, dass er im Blick auf den Bruder mit dem schwachen Gewissen bereit ist, auf das Essen von Götzenopferfleisch zu verzichten. Die Tatsache, dass er anders formuliert, weist darauf hin, dass er selbst kein Götzenopferfleisch gegessen hat. 175 Um seine radikale Bereitschaft deutlich zu machen, Christen mit einem schwachen Gewissen keinen Anstoß zu geben, muss er deshalb einen Schritt weiter gehen und vom generellen Verzicht auf das Essen von Fleisch reden. Essen und Trinken sind für Paulus gerade nicht „ambivalent“, wie 10,20 zeigt, wo Paulus das Essen von Götzenopferfleisch als „Gemeinschaft mit den Dämonen“ bezeichnet. So richtig auch der Hinweis ist, dass „nicht die Materie des ει δωλο' θυτον bedrohlich ist“, so deplaziert ist an dieser Stelle der Hinweis auf Jesu Haltung zu reinen und unreinen Speisen (Mk 7,1-23).176 Jesus spricht von Nahrungsmitteln, für die traditionell die jüdischen kaschrutBestimmungen (jiddisch koscher) galten, nicht von Götzenopferfleisch. Die „Materie“ des Fleisches, das aus Tempelschlachtungen kommt, hat in der Tat keine numinose Macht, die Christen zum Schaden gereichen könnte. Daraus kann man jedoch nicht schließen, dass das Essen von Götzenopferfleisch deshalb harmlos und neutral und folglich akzeptabel ist. Das Argument, das auf den falschen Umgang mit dem Bruder abhebt, der ein schwaches Gewissen hat, ist nicht das einzige Argument des Apostels. In 8,1-13 verwendet Paulus dieses ethische Argument, um die korinthischen Christen aufzufordern, auf das Essen von Götzenopferfleisch zu verzichten. In 10,14-22 argumentiert Paulus theologisch, dass das Essen von Götzenopferfleisch für Christen nicht in Frage kommt. Die Direktive für das Verhalten in dem Fall, dass der Gastgeber bei einer privaten Einladung auf die kultische Herkunft des Fleisches ————————————————————
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Schrage II 268, ebd. 268-269: Paulus verfechte „trotz V. 13 auch keine grundsätzliche Abstinenz von Götzenopferfleisch“. Zur Kritik Merklein II 204. Fee 390; Garland 391; Cheung, Idol Food, 136-137; Fotopoulos, Food, 222. Lindemann 198 (Hervorhebung durch Lindemann).
470 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
hinweist, das auf dem Speiseplan steht – in diesem Fall soll der Christ das Fleisch nicht essen (10,28) –, erlaubt einen Rückschluss für das „Liegen im Götzenhaus“, eine Situation, die Paulus in 8,10-13 zunächst nicht abschließend klärt. Für Paulus ist jedoch klar: Mit der Teilnahme an einem Festmahl in einem Götzentempel „würde sich ein Christ in eine Situation begeben, in der von vornherein deutlich ist, daß hier ganz bewußt Götzenopferfleisch zum Verzehr kommen kann. . . . Diese Einladung, also die Einladung zu einem Gastmahl in einem Bankettraum eines Tempels, die sollte man erst gar nicht annehmen“.177
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 I 1 Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? 2 Wenn ich für andere kein Apostel bin, so bin ich es doch für euch. Denn ihr seid das Siegel meines Aposteldienstes im Herrn. 3 Dies ist meine Antwort an die, die mich kritisieren. 4 Haben wir etwa nicht das Recht zu essen und zu trinken? 5 Haben wir etwa nicht das Recht, eine Schwester als Ehefrau mitzunehmen wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas? 6 Oder haben allein ich und Barnabas nicht das Recht, nicht zu arbeiten? 7 Wer leistet denn Kriegsdienst auf eigenen Sold? Wer pflanzt einen Weinberg und genießt nicht dessen Früchte? Oder wer weidet eine Herde und genießt nicht von der Milch der Herde? 8 Rede ich etwa nach Menschenart, oder sagt das nicht auch das Gesetz? 9 Denn im Gesetz des Mose steht geschrieben: „Du sollst dem dreschenden Ochsen keinen Maulkorb anlegen“. Kümmert sich Gott um die Ochsen? 10 Oder redet er nicht offensichtlich unseretwegen? Denn um unseretwillen steht geschrieben, dass wer pflügt, der soll auf Hoffnung pflügen, und wer drischt, der soll auf Hoffnung dreschen, seinen Anteil zu bekommen. 11 Wenn wir für euch Geistliches säen, ist es da etwas Besonderes, wenn wir von euch das Irdische ernten wollen? 12 Wenn andere an dem Recht an euch teilhaben, steht es dann nicht erst recht uns zu? Aber wir haben dieses Recht nicht in Anspruch genommen, sondern wir ertragen alles, damit wir dem Evangelium von Christus kein Hindernis in den Weg legen. 13 Wisst ihr nicht, dass die, die im Heiligtum Dienst tun, auch vom Ertrag des Heiligtums essen, dass die, die am ————————————————————
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Koch, Macella, 218.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 471 ————————————————————————————————————
Altar tätig sind, vom Altar ihren Anteil erhalten? 14 So hat auch der Herr denen, die das Evangelium verkündigen, befohlen, vom Evangelium zu leben. 15 Aber ich habe von diesen Dingen keinen Gebrauch gemacht. Ich habe das aber nicht geschrieben, damit so mit mir verfahren werde. Lieber wollte ich sterben, als – meinen Ruhm soll niemand zunichte machen. 16 Denn wenn ich das Evangelium verkündige, habe ich keinen Grund, mich zu rühmen. Denn ein Zwang liegt auf mir. Denn wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündige! 17 Denn wenn ich dies freiwillig täte, erhielte ich Lohn, wenn aber unfreiwillig, so wurde mir dieser Auftrag anvertraut. 18 Was ist also mein Lohn? Dass ich als Verkündiger das Evangelium ohne Entgelt anbiete, so dass ich von meinem Recht am Evangelium keinen Gebrauch mache. 19 Denn weil ich frei bin von allen, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen. 20 Und so bin ich den Juden wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne; denen, die unter dem Gesetz sind, wie einer unter dem Gesetz, obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin, damit ich die unter dem Gesetz gewinne; 21 den Gesetzlosen wie ein Gesetzloser, obwohl ich nicht ohne Gesetz Gottes, sondern im Gesetz Christi bin, um die Gesetzlosen zu gewinnen; 22 den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Allen bin ich alles geworden, damit ich auf jeden Fall einige rette. 23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm (dem Evangelium) Anteil zu bekommen. 24 Wisst ihr nicht, dass die, die im Stadion laufen, zwar alle laufen, aber nur einer den Siegespreis bekommt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt! 25 Jeder Wettkämpfer aber übt völlige Enthaltsamkeit, jene (im Stadion), um einen vergänglichen Siegeskranz zu erhalten, wir aber einen unvergänglichen. 26 Ich laufe deshalb so wie einer, der nicht wie ins Blaue hinein läuft; ich boxe so wie einer, der nicht in die Luft schlägt. 27 Vielmehr treffe ich meinen Leib mit Schlägen und beherrsche ihn, damit ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, etwa selbst disqualifiziert werde.
II Die vier in der 1. Pers. Sing. formulierten rhetorischen Fragen in 9,1 schließen unmittelbar an 8,13 an, wo Paulus seine Bereitschaft erklärt hatte, persönlich auf das Essen von Fleisch generell zu verzichten, um den Bruder nicht zu Fall zu bringen. Die ältere These, Kap. 9 sei eine aus einem anderen thematischen Kontext stammende Interpolation,178 wird heute kaum noch ver————————————————————
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Weiss xli-xliii.231-232; Schmithals, Gnosis in Korinth, 86-87.
472 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
treten. Die meisten Ausleger gehen von der literarischen Einheit von 8,1–11,1 und vom Bezug von Kap. 9 auf die Frage des Götzenopferfleisches aus. 179 Kontrovers diskutiert wird die Funktion von Kap. 9 im Kontext von Kap. 8 und Kap. 10. Manche Ausleger interpretieren das Kapitel als Apologie, d.h. als Verteidigung des Apostels Paulus gegenüber Bestreitern seiner apostolischen Autorität. Korinthische Christen haben nach dieser Interpretation bestritten, dass Paulus die notwendige apostolische Autorität besitzt, mit der er den Verzicht auf Götzenopferfleisch begründen kann.180 Manche Ausleger plädieren dafür, dass Paulus in Kap. 9 eine Doppelstrategie verfolge: Er argumentiert, dass er das gleiche Recht wie andere Apostel besitzt, und er betont, dass sein Rechtsverzicht Beispiel und Vorbild für das rechte Verhalten in der Götzenopferfleischproblematik ist.181 Die Interpretation im Sinn einer Selbstverteidigung des Apostels Paulus ist jedoch nur auf den ersten Blick überzeugend. Die folgenden Argumente sind zu beachten. 182 1. Die rhetorischen Fragen in V. 1 beweisen nicht, dass Paulus sich verteidigt. Sie unternehmen nicht den Versuch, die apostolische Autorität von Paulus zu beweisen, sondern setzen im Gegenteil eine zustimmende Antwort der korinthischen Leser voraus. 2. Das Wort α πολογι' α in V. 3 kann für sich genommen noch keine apologetische Funktion von V. 1-2 begründen. Angesichts der Tatsache, dass sich keine weiteren eindeutigen Hinweise auf eine Selbstverteidigung in Kap. 9 finden, ist es keine „Entschärfung“,183 wenn man V. 2a („wenn ich für andere kein Apostel bin“) im Licht von V. 2b („so bin ich es doch für euch“) interpretiert und α»λλοι auf die Tatsache bezieht, dass Paulus für die Gemeinden, die er nicht gegründet hat, nicht im formalen Sinn „ihr“ Apostel ist.184 Dass es sich um „Gegner“ von Paulus innerhalb der korinthischen Gemeinde handelt, ist genauso hypothetisch wie solche Vorschläge. 3. In V. 4-27 finden sich weder Hinweise auf eine Bestreitung der apostolischen Autorität von Paulus noch auf eine Verteidigung derselben. Die Argumenta————————————————————
179
180 181 182 183 184
Schrage II 278-279; Wolff 184; Merklein II 209-212; Lindemann 200-201; Thiselton 661662; Hall, Corinthian Correspondence, 49-50. Garland 396 Anm. 1 verweist auf folgende Stichwortverbindungen: ε λευ' θερος (9,1.19; 10,29); ε ξουσι'α (8,9; 9,4-6.12-18; 10,23); α σθενη' ς (8,7-12; 9,22); μετε' χειν (9,10-12; 10,17.21.30); προ' σκομμα/ε γκοπη' (8,9; 9,12); vgl. auch die antithetischen Begriffe σκανδαλι'ζω (8,13) und κερδαι'νω (9,19-23). Weiss 233-234; Robertson/Plummer 180-181; Barrett 200-202; Conzelmann 187-188; Fee 393-394; Héring 70; Harrisville, 143. Barrett 199-202; Senft 116; Schrage II 279-283; Hays 146-147; Kremer 181; Wolff 185; Merklein II 210-211; Lindemann 200-201; Thiselton 661-663; Cheung, Idol Food, 137142; Newton, Deity and Diet, 317; Hall, Corinthian Correspondence, 179. Garland 397-400; Willis, Apologia, 33-48; Hafemann, Suffering, 130-133; Mitchell, Rhetoric, 243-250. Schrage II 280 Anm. 14 zur Argumentation von Willis, Hafemann und Mitchell. Vgl. Schrage II 290; Lindemann 201.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 473 ————————————————————————————————————
tion in diesem langen Abschnitt trägt für den apostolischen Status von Paulus nichts aus. In V. 15 betont Paulus, dass er nicht schreibt, um sein Recht auf Unterhalt zu verteidigen. Diese Aussage setzt voraus, dass sie ihn finanziell unterstützen würden, wenn er dies akzeptieren würde. Dieses Argument zeigt, dass Paulus in Kap. 9 nicht in defensiver Weise sein Recht betont, als Apostel finanziell unterstützt zu werden. Was Paulus betont ist die Tatsache, dass er auf sein apostolisches Recht verzichtet. 4. Wenn es korinthische Christen gab, die die apostolische Autorität von Paulus in Zweifel zogen, hätte sie die ausführliche Beschreibung seines Verzichts auf sein apostolisches Recht nicht überzeugt, sondern im Gegenteil diese Zweifel eher bestärkt. Kap. 9 darf nicht im Licht von 2Kor 11,5-12 gelesen werden, wo Paulus gegen „Überapostel“ argumentiert. 5. Der Verzicht auf finanziellen Unterhalt wäre kaum ein hinreichender Grund gewesen, die apostolische Autorität von Paulus in Frage zu stellen. In Kap. 9 werden andere Gründe für eine solche Infragestellung jedoch nicht sichtbar. 6. Der Skopus von Kap. 9 sind die „Rechte“ und der Verzicht auf Rechte. Das Stichwort ε ξουσι' α, das in V. 4.5.6.12.18 vorkommt, greift 8,9 auf, wo Paulus von dem „Recht“ sprach, das korinthische Christen für sich in Anspruch nehmen und mit dem sie den Verzehr von Götzenopferfleisch im Tempel rechtfertigen. Paulus betont, dass er auf seine Rechte um der Menschen willen verzichtet, die er als Missionar zum Glauben an Jesus Christus führen will. Paulus ist bereit, um des Evangeliums willen auf den „hohen Status“ eines „Freien“ (V. 1.19) und eines „Apostels“ (V. 2), der Rechte besitzt (V. 4-15), zu verzichten und den „niedrigen Status“ eines „Sklaven“ (V. 19) und eines „Schwachen“ (V. 22) anzunehmen. 185 Und genau dieser Punkt ist der Skopus von Kap. 9. Paulus beschreibt sein Verhalten als Missionar, der auf Status und die damit zusammenhängenden Rechte verzichtet, damit Menschen für den Glauben an Jesus Christus gewonnen werden. Paulus beschreibt sein Verhalten als Missionar, um die korinthischen Christen zu einem entsprechenden Verhalten zu bewegen. Das Thema ist immer noch das Essen von Götzenopferfleisch anlässlich von Einladungen in einen heidnischen Tempel. Da man davon ausgehen kann, dass nur die Angehörigen der höheren Kreise solche Einladungen erhalten haben, kann man verstehen, weshalb Paulus die Themen „Freiheit“ und „Recht“ thematisiert. Das Thema „Essen“ taucht in 9,4.7.9.10.13 in dem wiederholten Hinweis des Apostels auf, dass er auf das „Recht“ der finanziellen Unterstützung verzichtet, die ihm das Essen erleichtern würde. Paulus verlangt von den korinthischen Christen, die mit dem Hinweis auf ihr Recht Götzenopferfleisch essen, nichts, was er nicht auch von sich selbst verlangt: ————————————————————
185
Garland 399; Martin, Slavery, 121
474 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
den Verzicht um des Evangeliums willen. Er überlässt es allerdings den Korinthern, diese Schlussfolgerung zu ziehen. Kap. 9 ist also keine „Digression“ (oder Exkurs)186 zur Frage der apostolischen Autorität von Paulus, sondern ein παρα' δειγμα bzw. exemplum.187 Kap. 9 hat im Kontext von Kap. 8–10 nicht die psychologische Funktion, ein ermüdetes Publikum wieder zur Aufmerksamkeit zu führen (vgl. Rhetorica ad Herennium 1,6,10). Als exemplum gehört es neben den Indizien (signa) und den deduktiven Argumenten zu den Beweismitteln. Paulus empfiehlt sein Verhalten als Apostel den korinthischen Christen als Vorbild für die Frage, ob man Götzenopferfleisch essen soll. Gliederung. In V. 1-2 erinnert Paulus mit vier rhetorischen Fragen (V. 1) und mit dem Hinweis auf die Existenz der korinthischen Gemeinde (V. 2) an seine apostolische Autorität. In V. 3 leitet Paulus die Erläuterung seines Verhaltens ein, das er gegen Kritiker in Korinth verteidigt. In V. 4-6 unterstreicht Paulus mit drei rhetorischen Fragen die Rechte, die er und seine Mitarbeiter (V. 4-5) sowie Barnabas (V. 6) haben. Er spricht allgemein vom Recht auf finanziellen Unterhalt, konkret vom Recht „zu essen und zu trinken“ (V. 4), was den Zusammenhang mit der Frage des Götzenopferfleisches herstellt. In V. 7-14 wird das Recht auf Unterhalt illustriert und begründet: mit Beispielen aus dem Alltagsleben (V. 7), mit einem Schriftzitat (V. 8-10, Folgerung V. 11), mit dem historischen Beispiel des levitischen Opferdienstes (V. 13) und mit einem Wort des Herrn (V. 14). Die Argumentation in drei Stufen – Alltags- und Vernunftgründe, mosaisches Gesetz, Herrenwort – stellt offensichtlich eine bewusste Steigerung dar: Das Herrenwort ist die letzte, nicht mehr überbietbare Begründung.188 Im Kontext dieser Illustrationen und Begründungen betont Paulus in V. 12, dass er auf die Inanspruchnahme seines Rechts auf Unterhalt verzichtet, „damit wir dem Evangelium von Christus kein Hindernis in den Weg legen“. In V. 15-18 erläutert Paulus sein von dem Recht auf Unterhalt abweichendes Verhalten mit dem ihm von Gott auferlegten „Zwang“, das Evangelium zu verkündigen. In V. 19-23 erläutert Paulus in einem zweiten, stärker biographisch ausgerichteten Durchgang sein paradoxes Verhalten, dass er sich als „Freier“ mit Rechten zum „Sklaven“ (V. 19) aller Menschen (V. 20-22) gemacht hat, um des Evangeliums willen (V. 23). In V. 24-27 beschreibt Paulus Grundrealitäten christlicher Existenz, ————————————————————
186 187
188
Meyer 235; Weiss 231; Lietzmann 43; kritisch Schrage II 279; Mitchell, Rhetoric, 249. Schrage II 281-282; Witherington 203-206; Garland 399-400; Willis, Apologia, 33-48; Mitchell, Rhetoric, 243-250; Gardner, Gifts, 68-69; Eriksson, Traditions, 145-147; Fotopoulos, Food, 223; vgl. Lindemann 201; Fenske, Argumentation, 144-145. Zum exemplum in der antiken Rhetorik vgl. J. Klein, Art. Exemplum, HWR III, 61-64. Schrage II 295 mit Anm. 100.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 475 ————————————————————————————————————
die sein Leben als Missionar (V. 26-27), die aber auch das Leben aller Christen (V. 24-25) charakterisieren. Textkritische Anmerkungen. In V. 1 vertauschen D F G Ψ Byz ar b sy die Reihenfolge von ε λευ' θερος und α πο' στολος, wahrscheinlich um den wichtigeren Ausdruck zuerst zu nennen; die Vertauschung verkennt die Struktur des Arguments; die Reihenfolge ε λευ' θερος . . . α πο' στολος ist gut bezeugt (d46 א A B P 33 104 365 u.a.).189 In V. 7 lesen d46 א2 C3 D1 Ψ 1881 Byz it vgcl sy(p) bo ε κ του^ κα' ρπου statt το` ν καρπο' ν ( *אA B C* D* F G P 0222 33 1175 1739 pc vgst sa; diese (sekundäre) Assimilation an die folgende Formulierung muss schon früh stattgefunden haben. 190 Mehrere, zum Teil frühe Textzeugen lassen η» aus (B C2 D F G Ψ 81 104 u.a.), was eine Angleichung an den vorausgehenden Satz ist; die Lesart mit η» ist gut bezeugt (d46 אA C* 33 1881 Byz). In V. 9 lässt d46 das Wort Μωυ¨ σε'ως aus (D* F G haben nur γε'γραπται γα' ρ); der längere und besser bezeugte Text ( אA B u.a.) ist als ursprünglich zu betrachten.191 Die meisten und sehr frühe Handschriften zitieren Dtn 25,4 in Übereinstimmung mit dem LXX-Text und lesen φιμω' σεις (d46 אA B2 C D1 Ψ 33 1881 Byz; Or Epiph; vgl. 1Tim 5,18), während B* D* F G 1739 κημω' σεις lesen; die von LXX abweichende Lesart, die eine weniger literarische Vokabel darstellt, ist als ursprünglich zu werten.192 In V. 10 erklärt die Lesart ε π’ ε λπι' δι του^ μετε'χειν (d46 *אA B C P 33 81 u.a.) die Entstehung der beiden anderen Lesarten: Der westliche Text (D* F G ar b syhmg) liest τη^ ς ε λπι' δος αυ του^ μετε'χειν („[der Dreschende] soll seine [d.h. des Pflügers] Hoffnung erhalten“), was man als Folge des Ausfalls von α λοα^ν nach α λοω ^ν erklären kann; der Mehrheitstext kombiniert die beiden Lesarten: τη^ ς ε λπι' δος αυ του^ μετε'χειν ε π’ ε λπι' δι.193 In V. 13 ist die Lesart τα` ε κ του^ ι ερου^ („die Dinge [d.h. der Ertrag] des Heiligtums“) gut bezeugt ( אB D* F G 6 81 1739 pc lat co); die Lesart ohne τα' (d46 A C D2 Ψ 33 1881 Byz b d sy; Ambst), die eine Parallele mit V. 14 darstellt, ist wahrscheinlich ursprünglich.194 In V. 15 verkennen mehrere Lesarten, dass Paulus nach η» den Satz abbricht (Aposiopese).195 In V. 16 ist die Lesart καυ' χημα (d46 א2 A B C D2 Ψ 33 u.a.) ursprünglich; *אD* F G lesen χα' ρις. Die Aoristform ευ αγγελι' σωμαι (B C DF G ————————————————————
189 190 191 192 193 194 195
Fee 394 Anm. 9; Schrage II 287 Anm. 52. Zuntz, Text, 50; Fee 397 Anm. 2. Fee 398 Anm. 5, gegen Zuntz, Text, 138-139. Zuntz, Text, 37; Metzger, Commentary, 492; Fee 398 Anm. 6; Schrage II 298 Anm. 119; anders Stanley, Language, 195-196. Metzger, Commentary, 492; Fee 398 Anm. 7. Zuntz, Text, 50; Fee 398 Anm. 8; A. Sand, EWNT II, 430; anders Conzelmann 192 Anm. 2; ohne Urteil Schrage II 307 Anm. 175. Zur Diskussion der Lesarten vgl. Metzger, Commentary, 492; Schrage II 320; Thiselton 693. Heinrici 279-280 argumentiert zugunsten der Lesart des Mehrheitstextes.
476 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
945 lat) am Ende von V. 16 ergibt einen besseren Sinn als die Präsensform (ευ αγγελι' ζωμαι), die an den Anfang von V. 16 angleicht und trotz der besseren Bezeugung als sekundär anzusehen ist. 196 In V. 18 ergänzen der westliche Text und der Mehrheitstext hinter ευ αγγε'λιον die Worte του^ Χριστου^ ; der kürzere und besser bezeugte Text (d46 אA B C D* Ψ 33 81 365 u.a.) ist ursprünglich. In V. 20 lassen (F) G* 6* 326 1739 u.a. vor Ιο υδαι^ος die Vergleichspartikel ω ς aus, wahrscheinlich um die Vorstellung zu korrigieren, dass ein Jude „wie ein Jude“ wird. Der Mehrheitstext sowie D 2 (L) Ψ 1881 Byz syp lassen die Parenthese μη` ω
ν αυ το` ς υ πο` νο' μον aus, wahrscheinlich aufgrund von Homoioteleuton; die von NA27 gedruckte Lesart ist gut bezeugt ( אA B C D* F G P 33 104 365 1175 u.a.).197 In V. 22 lesen א2 C D F G Ψ 33 1881 Byz vgms sy co ω ς vor α σθενη' ς, dies stellt eine Angleichung an die vorangehenden Sätze dar, vielleicht in dem Bemühen, die Bescheibung von Paulus als „schwach“ zu vermeiden; die Lesart ohne ω ς ist besser bezeugt (d46 *אA B 1739 pc lat; Cyp). In V. 23 liest der Mehrheitstext του^ το statt πα' ντα (d46 אA B C D F G P 6 33 81 104 u.a.), offenbar in dem Bestreben, die Bedeutung präziser zu formulieren.198
III 1 Paulus erinnert zu Beginn dieses Abschnitts die korinthischen Christen mit vier rhetorischen Fragen an sein Wirken als Apostel. Da die vier Fragen sämtlich mit „Ja“ zu beantworten sind, wird deutlich, dass Paulus die Korinther an Sachverhalte erinnert, die ihnen bekannt sind. Paulus formuliert die Prämisse des exemplum, das er der Gemeinde vor Augen stellt: Er hat als Apostel das Recht auf finanzielle Unterstützung hat – ein Recht, auf das er verzichtet. 199 Die erste Frage: Bin ich nicht frei? (ου κ ει μι` ε λευ' θερος;) knüpft an 8,13 an, wo Paulus sein Verhalten von dem Bruder abhängig gemacht hat, der zu Fall kommen könnte. Korinthische Christen könnten aus dieser betonten persönlichen Aussage schließen, dass die Freiheit von Paulus eingeschränkt ist. Mit ε λευ' θερος meint Paulus nicht die Freiheit von der Sünde und von dem Gesetz,200 die Freiheit zum Essen von Götzenopferfleisch, 201 die Unabhängigkeit von Menschen,202 die Freiheit des apostolischen Amtes analog der Frei————————————————————
196 197 198 199 200 201 202
Zuntz, Text, 110. Zuntz, Text, 140 Anm. 5; Metzger, Commentary, 493; Fee 422 Anm. 3. Metzger, Commentary, 493. Vgl. Smit, Idol Offerings, 90-96 zur rhetorischen Strategie in 9,1-23. Lietzmann 39. Schlatter 269: „Seine Freiheit hat er gemeinsam mit allen, die der Herr berufen hat“. Godet II 16; Grosheide 201. Heinrici 267.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 477 ————————————————————————————————————
heit der kynischen Wanderprediger,203 sondern die Freiheit zum Verzicht auf sein Recht.204 Die Korinther konnten diese Bedeutung aufgrund des Kontextes 8,13 verstehen: Paulus ist frei, auf das Essen von Fleisch zu verzichten. In 9,19-23 wird diese Bedeutung von „Freiheit“ erläutert: Paulus hat die Freiheit, sich in seinem missionarischen Dienst freiwillig zum Sklaven aller Menschen zu machen. In der korinthischen Gemeinde gibt es Christen, die ihre Freiheit in Jesus Christus im Sinn des Mottos von 6,12 und 10,23 verstehen: „Alles ist mir erlaubt“. In 9,1.19; 10,29 unterstreicht Paulus, was unter der Freiheit eines Christenmenschen zu verstehen ist: nicht die Freiheit, zu tun und zu lassen was einem selbst nützt, sondern die Freiheit, das zu tun, was der Verbreitung des Evangeliums und der Erbauung der Gemeinde dient. Die zweite Frage: Bin ich nicht ein Apostel? (ου κ ει μι` α πο' στολος;) formuliert eine den Korinthern bekannte Tatsache (1,1) und unterstreicht im Licht des folgenden Kontexts den Vorbildcharakter, wenn Paulus auf sein Recht verzichtet, finanzielle Unterstützung zu bekommen. 205 Die dritte Frage: Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? (ου χι` ^ ν ε ω' ρακα;) begründet die Bejahung der zweiten Ιη σου^ ν το` ν κυ' ριον η μω Frage: Apostel im engeren Sinn sind diejenigen, die den Auferstandenen gesehen haben (15,8; vgl. Apg 1,22).206 Das „Sehen“ ist buchstäblich zu verstehen: Paulus hat Jesus, den vom Tod Auferstandenen, mit eigenen Augen gesehen, genauso wie die Zwölf, die fünfhundert Brüder und Jakobus Jesus den Auferstandenen gesehen haben (15,5-8). Gleichzeitig betont Paulus, dass das Sehen des Auferstandenen ein Ereignis war, das auf die Initiative der Gnade Gottes zurückging (15,8: ω» φθη; Gal 1,16: α ποκαλυ' ψαι). Die vierte Frage: Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? (ου το` ε»ργον μου υ μει^ς ε στε ε ν κυρι' ω, ;) bestätigt und qualifiziert die dritte Frage: Paulus hat nicht nur den auferstandenen Herrn gesehen, sondern er wurde vom Herrn als Apostel berufen. Die Existenz der Gemeinde in Korinth ist das Ergebnis seiner missionarischen Arbeit (το` ε»ργον μου) und damit die Bestätigung seiner Apostelschaft.207 Die Auferstehungsmacht des Herrn Jesus Christus zeigt ————————————————————
203 204 205 206 207
Conzelmann 187; Merklein II 213; Lindemann 201; Vollenweider, Freiheit, 201-202. Schrage II 287; Garland 404; Gardner, Gifts, 70. Schrage II 287: „Je größer das Recht, desto eindrücklicher wirkt der Verzicht darauf“. Die Perfektform εω' ρακα unterstreicht den Status von Paulus als Apostel: „daß Paulus den Herrn gesehen hat, gibt ihm dauernd die Weihe des Apostels“(BDR §342 Anm. 3). Calvin 387-388 erklärt den Anspruch, den Paulus mit dem Ausdruck „mein Werk“ erhebt, so: „Gott ist die eigentliche Wirkkraft; der Mensch ist mit seiner Predigt nur ein Werkzeug, das von sich aus nichts vermag. Darum kann man von einem Erfolg unseres Wirkens nur so sprechen, daß er ein Lob des Handelns des einen Gottes ist . . . Tatsächlich sagt die Schrift im Blick auf Gott, daß seine Diener nichts sind. Aber wo von dem Amt dieser Diener die Rede ist und der Vergleich mit Gott nicht angestellt wird, da wird die Wirksamkeit dieses Amtes hoch gelobt“.
478 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
sich im missionarischen Wirken des Apostels darin, dass Menschen zum Glauben kommen und dass Gemeinden entstehen. 208 2 Der Satz so bin ich es doch für euch (α λλα' γε υ μι^ν ει μι) unterstreicht die Wahrheit von V. 1c (Paulus ist Apostel) und V. 1d (die Korinther sind sein „Werk im Herrn“): Paulus ist für die Korinther (υ μι^ν) der Apostel, von dem sie das Evangelium von Jesus Christus gehört haben und durch den die Gemeinde entstanden ist, zu der sie gehören. Der Bedingungssatz wenn ich für andere kein Apostel bin (ει α»λλοις ου κ ει μι` α πο' στολος) ist als realis zu verstehen: Es gibt andere Gemeinden (α»λλοις), für die er nicht als Apostel gewirkt hat.209 Mit α»λλοι sind weder Bestreiter der apostolischen Würde innerhalb der korinthischen Gemeinde210 noch „konkurrierende Missionare“ von außerhalb gemeint,211 sondern Christen, die Paulus nicht missioniert und deren Gemeinde er nicht gegründet hat. Die Christen in Korinth können kaum bestreiten, dass Paulus ein Apostel ist: Denn ihr seid das Siegel meines Aposteldienstes im Herrn. Das Subst. η α ποστολη' kommt bei Paulus sonst nur noch in Röm 1,5 und Gal 2,8 vor.212 Wenn man mit „Apostelamt“ übersetzt213 sollte man institutionelle Konnotationen im Sinn einer kirchlichen Behörde oder Dienststelle von der Interpretation fernhalten. Die Grundbedeutung des Abstraktums ist „Bevollmächtigung, Sendung“, in den paulinischen Stellen kann das Wort durchweg mit „Gesand————————————————————
208 209
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Schrage II 289 Anm. 60 kommentiert: „Paulus ist auch hier kein Anwalt einer Theologie der totalen Verborgenheit und Unanschaulichkeit, und er hat es nicht für den Ausweis des wahren Glaubens gehalten, wenn man überhaupt nichts sieht“. Bachmann 308-309: „Da aber Pl [Paulus] in der Tat nicht der Universalapostel, sondern Apostel mit besonderen Aufträgen und für ein besonderes Gebiet war (Rm 1,5; Gl 2,7; I [Kor] 1,17) und da neben den von ihm begründeten Gemeinden zahlreiche andere bestehen, an deren Entstehung er nicht im Geringsten beteiligt ist, so ist jene Konzession als Benennung einer wirklichen Tatsache zu verstehen“. Vgl. Heinrici 268; Godet II 17; Schrage II 290; Collins 335; Lindemann 201; vgl. Garland 405, der den ει -Satz als hypothetischen Bedingungssatz versteht und die Möglichkeit erwägt, dass α»λλοι sich auf Nichtchristen bezieht. Vgl. NGÜ Anm. c: „Auch wenn ich anderswo nicht als Apostel tätig gewesen bin – bei euch war ich es auf jeden Fall“. Weiss 233: „die judaistischen Führer der Kephas-Partei“ oder „die Christiner“; vgl. Wolff 189. Klauck 64 interpretiert im Sinn von „alle Zweifler und Pauluskritiker innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen“; ähnlich Strobel 143; Fee 396. Merklein II 215 mit Verweis auf Theißen, Studien, 223; vgl. auch Senft 117. Lüdemann, Paulus II, 109-113 versteht sie als Träger des „Antipaulinismus“, die mit der KephasPartei zusammenhängen. Gegner, die von außerhalb in die korinthische Gemeinde eingedrungen sind, werden jedoch erst in 2Kor 11,4 sichtbar. Sonst nur noch in Apg 1,25. EÜ, Elb.Ü, LÜ, MNT, ZB, Menge, Wilckens; Bauer / Aland 199 s.v. α ποστολη' . SÜ übersetzt mit „Aposteldienst“.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 479 ————————————————————————————————————
tenvollmacht“ übersetzt werden.214 Σφραγι' ς kann den Siegelring oder Siegelstein (Offb 7,2), den Siegelabdruck (2Tim 2,19; Offb 9,4) und (metaphorisch) das, was bestätigt und beglaubigt wird (Röm 4,11), bezeichnen. Die metaphorische Bedeutung liegt auch hier vor: die korinthische Gemeinde ist das „Siegel“, d.h. die „rechtsgültige Beglaubigung“ oder das „beglaubigende Zeichen“ seines Wirkens als Apostel.215 In 2Kor 3,2-3 bezeichnet Paulus die korinthische Gemeinde als sein „Beglaubigungsschreiben“. Paulus weiß sehr wohl, dass aller „Missionserfolg“ das Resultat des Wirkens Gottes ist (2,1-5) und die Gründung und Existenz einer Gemeinde deshalb ein Zeichen für das Wirken Gottes darstellt. Er weiß aber auch, dass dieses Wirken Gottes immer durch Boten vermittelt wird, die der Herr gesandt hat, das Evangelium zu verkündigen, Menschen zum Glauben an Jesus Christus zu führen, Gemeinschaften von Jesusbekennern zu gründen und diese zu lehren, alles zu befolgen, was Jesus gesagt hat (Mt 28,19-20). 3 Die Frage, ob V. 3 den Abschluss zu V. 1-2216 oder die Einleitung zu V. 427217 bildet, wird unterschiedlich beantwortet. Die zweite Alternative ist die wahrscheinlichere. Dies ergibt sich weniger aus der Stellung des Demonstrativpronomens αυ« τη am Schluss des Satzes, als aus der Überlegung, dass die rhetorischen Fragen in V. 1 und der Hinweis auf einen unbestreitbaren Tatbestand in V. 2 keine „Verteidigung“ (α πολογι' α) darstellen, sondern Bekanntes und Unbestreitbares voraussetzen und konstatieren. Die Vokabel α πολογι' α hat nicht immer eine forensische Bedeutung, sondern bedeutet häufig Antwort.218 Das Verb α νακρι' νω kommt häufig in juristischen Zusammenhängen vor, wo es „eine Untersuchung anstellen“ oder (mit Obj.) „verhören“ bedeutet. In einem nicht-forensischen Kontext liegt die Bedeutung „fragen, Fragen stellen, kritisieren“ vor. Gibt es in der korinthischen ————————————————————
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215 216 217 218
J.-A. Bühner, Art. α πο' στολος 7, EWNT I, 351. BDAG 121 definiert: „In our lit[erature] only of God’s elite emissaries for the Christian message: office of a special emissary, apostleship, office of an apostle, assignment“. Zu den papyrologischen Belegen, in denen α ποστολη' eine andere Bedeutung hat (P.Tebt. III.1 703 Verso,222: Überstellung von zuvor aufgegriffenen Menschen, P.Oxy. IX 1190,12: Sendung von Rekruten); Arzt-Grabner 339. T. Schramm, EWNT III, 759; G. Fitzer, ThWNT VII, 939-954, bes. 949; R. Schippers/ R. Heiligenthal, ThBLNT II, 1116-1119, bes. 1118. Menge; Robertson/Plummer 179; Edwards 227; Schrage II 285; Lindemann 201. NA27; EÜ, GN, LÜ, MNT, NGÜ, NRSV, SÜ, TNIV, Wilckens; NSS II 75; Weiss 233; Lietzmann 40; Allo 211; Bachmann 309-311; Conzelmann 188; Klauck 64; Fee 397; Senft 114; Colins 335; Wolff 189; Merklein II 209-210. Bauer /Aland 192 s.v. α πολογι'α 1; GN, LÜ; Merklein II 216; vgl. Lindemann 202; Smit, Idol Offerings, 92. Anders Schrage II 290: die α πολογι'α richtet sich gegen diejenigen, „die ihn zum Gegenstand einer Untersuchung und Beurteilung machen und seinen Apostolat in Zweifel ziehen“; er übersetzt mit „Apologie“ (278). Die meisten dt. Übersetzungen geben α πολογι'α mit „Verteidigung“ wieder. Bauer /Aland 110 s.v. α νακρι'νω 1b führen V. 3 unter der Rubrik „V. Verhöre“ auf.
480 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gemeinde Christen, die Paulus kritisieren, was seinen Verzicht auf Unterstützung durch die Gemeinde betrifft? In 1,10-17; 3,1-17 begegneten wir Christen, die bei Paulus rhetorische Eloquenz und argumentative Weisheit vermissen. Es ist deshalb möglich, dass Paulus solchen Kritikern (τοι^ς α νακρι' νουσιν), die sich wundern, weshalb er sich nicht wie andere Rhetoren in der Stadt nach einem patronus umgesehen hat, der ihn finanziell unterstützte, in den folgenden Versen eine Antwort gibt. Die Ausführlichkeit, mit der Paulus in den folgenden Versen argumentiert, sollte bei dieser Interpretation nicht als Hinweis auf die Vehemenz der Kritik an Paulus verstanden werden. Sie hat mit dem Ziel der Argumentation zu tun: Paulus zeigt den Korinthern mit dem Beispiel seines Rechtsverzichts, wie Christen mit „Rechten“ umgehen sollen. Da der apostolische Status von Paulus in der korinthischen Gemeinde nicht negativ bewertet wurde, und da die rhetorischen Fragen in V. 4-6 ebenfalls voraussetzen, dass man sein Recht auf Unterstützung auf Kosten der Gemeinde anerkannte, ist die Annahme plausibel, dass Paulus auf potentielle Einwände antwortet.219 V. 3-4 sind dann als anticipatio (Griech. prokatalepsis), d.h. als Vorwegnahme von möglichen Einwänden zu verstehen. 4 Die erste von sechs rhetorischen Fragen setzt eine bejahende Antwort voraus (μη` ου κ): Haben wir etwa nicht das Recht zu essen und zu trinken? Mit „essen“ (φαγει^ν) und „trinken“ (πει^ν) ist der Lebensunterhalt gemeint.220 Das „Recht“ (ε ξουσι' α), das er und andere Apostel haben,221 ist das Recht, den Lebensunterhalt „auf Kosten der Gemeinde“ zu bestreiten. 222 Paulus ist befugt, als Apostel von christlichen Gemeinden materiell und finanziell unterstützt zu werden. 5 Die zweite Frage bezieht die Ehefrauen der Apostel in das Recht der Versorgung mit ein: Haben wir etwa nicht das Recht, eine Schwester als Ehefrau mitzunehmen wie die übrigen Apostel? Mit γυνη' ist die Ehefrau gemeint, die durch die Bezeichnung „Schwester“ (α δελφη' ) als Christin gekennzeichnet wird. In V. 4 ging es nicht um das Recht zu essen und zu trinken (im Gegensatz zum Fasten), analog geht es in V. 5 nicht um das ————————————————————
219 220 221
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Bachmann 310-311; Garland 406; Smit, Idol Offerings, 92; Sandnes, Paul, 119-120; Dodd, Personal Example, 102-103. Mit „essen“ ist nicht das „Recht“ zum Essen von Götzenopferfleisch gemeint: Dies ist kein apostolisches Recht und wird von Paulus in Kap. 10 den Korinthern untersagt. Der Plural ε»χομεν könnte sich auf Paulus beziehen, aber wahrscheinlicher ist eine Interpretation im Kontext von V. 6, wo Paulus von sich und Barnabas spricht. Die Erklärung von Wolff 190, die Formulierung in der 1. Pers. Plur. betone „die Würde des paulinischen Apostolats“, ist in den Text eingetragen. Heinrici 269; Weiss 234; Lietzmann 40; Schrage II 291; Wolff 190; Merklein II 217.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 481 ————————————————————————————————————
Recht, verheiratet zu sein223 oder eine Frau mitzunehmen,224 sondern um das Recht (ε ξουσι' α), dass nicht nur der Apostel, sondern auch seine ihn begleitende Ehefrau von der Gemeinde versorgt wird.225 Das Verb „mitnehmen“ (περια' γω) ist ein Hinweis auf Missionsreisen.226 Die Kirchenväter interpretieren die Stellen im Sinn von Haushälterinnen oder Missionsgehilfinnen. Theophylakt meint, es handele sich um reiche Frauen, die mit den Aposteln gereist sind und diese mit dem Nötigsten versorgt haben. Die Vulgata übersetzt γυναι^κα mit mulierem (nicht mit uxorem) und stellt um: mulierem sororem bedeutet „eine Frau als Schwester“ (vgl. die Handschriften F und G, die α δελφη' ν auslassen). Die Reformatoren interpretieren V. 5 als Beleg für das Recht kirchlicher Amtsträger, verheiratet zu sein.227
Die Wendung „wie die übrigen Apostel“ deutet darauf hin, dass die Mehrheit der Apostel verheiratet waren (sonst wäre die Argumentation des Paulus nicht beweiskräftig). Dass Petrus verheiratet war, belegt Mk 1,30. Die Beispiele der Ehepaare Priscilla und Aquila (16,19; Röm 16,3-4; Apg 18,2-3.18-19.26) und Andronicus und Junia (Röm 16,7) belegen, dass die Ehefrauen an der Verkündigung des Evangeliums beteiligt waren. 228 Gerade bei Einladungen in Privathäusern konnten die Ehefrauen der Apostel die in dem Haus lebenden Frauen mit dem Evangelium erreichen, was den Aposteln nur eingeschränkt möglich war.229 W. Schrage kommentiert: „Die angeblich neurotisierende und inhumane Art der Geschlechterbeziehung in der Urkirche erweist sich auch hier als Märchen. Gleichbegnadung und Gleichverpflichtung der Frauen äußern sich freilich nicht in spektakulären Emanzipationsaktionen, sondern im gemeinsamen Dienst“. 230 Mit den übrigen Aposteln (οι λοιποι` α πο' στολοι) sind nicht nur die Zwölf gemeint. Die Gruppe der α πο' στολοι ist für Paulus offen.231 Gemeint sind im Kontext von V. 1b-d und V. 2 alle, die den Auferstandenen gesehen haben ————————————————————
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Schlatter 270; Lindemann 202. Hofmann 179-180 und Bachmann 312 sprechen von „Lebensannehmlichkeit“ und wollen die Ehefrauen von der Gemeindeversorgung ausnehmen. Weiss 234; Klauck 64; Schrage II 291-292; Wolff 190-191; Kremer 185; Merklein II 217; Thiselton 680; Garland 406. Vgl. die Bedeutung von περια' γω in Mt 4,23; 9,35; Mk 6,6. Vgl. Schrage II 315-316, mit Verweis auf Theophylakt 665 sowie Luther, WA 12, 109; Calvin 389; ders., Institutio 4,12,25. Schnabel, Urchristliche Mission, 1372-1374; zur Rolle von Frauen in der Mission Jesu s. ebd. 283-286. Schrage II 292, mit Verweis auf Joh 4,27 und rabbinische Belege (Bill. I, 299-300; II 438) für die jüdische Sitte, die davon abriet, dass Männer mit fremden Frauen sprechen. Schrage II 293. Vgl. 12,28; 15,5.7; Gal 1,17.19; Röm 16,7; vgl. Did 11.
482 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
und von Jesus zum missionarischen Dienst ausgesandt wurden. Zu den Aposteln gehören neben den Zwölf eine unbekannte Zahl der in 15,6 erwähnten „fünfhundert Brüder“, die Jesus nach der Auferstehung gesehen haben. Die Brüder des Herrn (οι α δελφοι` του^ κυρι' ου) sind die in Mt 13,55 / Mk 6,3 erwähnten leiblichen Geschwister Jesu: Jakobus, Joseph, Judas und Simon.232 Der Argumentationszusammenhang setzt auch hier voraus, dass sie verheiratet waren. Im frühen 3. Jh. berichtet Julius Africanus, dass die „Herrenverwandten“ (δεσπο' συνοι), d.h. Verwandte Jesu, von den galiläischen Städten Nazareth und Kochaba aus missionarisch aktiv waren, vielleicht in Galiläa und im südlichen Syrien (Phönizien, Dekapolis, Damaskus).233 Da für die „Brüder des Herrn“ das Verb περια' γω zu übernehmen ist, zeigt V. 5, dass sowohl Paulus als auch die korinthischen Christen über Missionsreisen der Brüder Jesu informiert waren. Die namentliche Erwähnung von Kephas und die Stellung am Schluss der Aufzählung deuten auf die Sonderstellung des Apostels Petrus hin (vgl. Gal 1,18). 6 Die dritte rhetorische Frage erwähnt neben Paulus Barnabas, der um das Jahr 35 n.Chr. von der Jerusalemer Gemeinde nach Antiochien gesandt wurde, um die Missions- und Gemeindearbeit in der Hauptstadt der Provinz Syrien zu konsolidieren. Barnabas hat zwischen 45-47 n.Chr. zusammen mit Paulus auf Zypern und in Südgalatien missioniert, ab dem Jahr 49 mit Johannes-Markus auf Zypern.234 Die Tatsache, dass Paulus voraussetzen kann, dass der Name und das Wirken des Barnabas den korinthischen Christen bekannt ist, gibt wie einen Einblick in den regen Informationsaustausch der frühen Gemeinden und ihrer Gründer, von dem auch die Grußlisten der ntl. Briefe zeugen. Die Erwähnung von Barnabas in V. 5 deutet darauf hin, dass das zu Beginn der sog. zweiten Missionsreise gestörte Verhältnis zwischen Paulus und Barnabas (Apg 15,36-41) wieder repariert worden war.235 ————————————————————
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Aufgrund des Dogmas der Jungfräulichkeit der Maria wurde in der katholischen Exegese seit Hieronymus lange die These vertreten, bei den „Brüdern und Schwester“ Jesu handele es sich um dessen Vettern und Basen oder um Halbgeschwister aus einer ersten Ehe des Joseph; vgl. zuletzt Blinzler, Brüder. Diese These wird heute von den meisten katholischen Exegeten nicht mehr vertreten, vgl. Klauck 64; Kremer 186; Merklein II 218; Pesch, Markusevangelium, I 319.322-324; Meier, Brothers, 1-28. Eusebius, Hist. Eccl. 1,7,14. Vgl. Bauckham, Relatives, 57-68.375; Schnabel, Urchristliche Mission, 729-730.733. Zu Barnabas vgl. Ollrog, Mitarbeiter, 14-17; Kollmann, Barnabas; Reinbold, Propaganda, 84-106; Schnabel, Urchristliche Mission, 766-768.1032-1076.1368-1369. Paulus erwähnt Barnabas in Gal 2,1.9.13; vgl. Apg 4,36; 9,27; 13,1–15,39; Kol 4,10. Ob der sog. Antiochenische Konflikt bei der Trennung eine Rolle gespielt hat, in dessen Zusammenhang Paulus in Gal 2,13 Barnabas erwähnt, ist unklar.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 483 ————————————————————————————————————
Auch in dieser bejahend zu beantwortenden rhetorischen Frage geht es um das Unterhaltsrecht: Oder haben allein ich und Barnabas nicht das Recht, nicht zu arbeiten? Mit dem Verb arbeiten (ε ργα' ζομαι) ist die körperliche Arbeit gemeint, im Fall des von Paulus erlernten Berufs konkret die handwerkliche Arbeit. Das Recht, nicht zu arbeiten (ε ξουσι' αν μη` ε ργα' ζεσθαι) bezieht sich weder auf die Arbeitsscheu von Paulus und Barnabas noch auf den Wunsch, für Meditation und andere geistliche Übungen Zeit zu haben. Es geht um das Recht, das Paulus und Barnabas haben, als Missionare nicht selbst ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, sondern von den Gemeinden versorgt zu werden. 2Kor 11,8-9 und Phil 4,15-18 belegen, dass Missionare von bestehenden Gemeinden finanziell unterstützt wurden und dass Paulus durchaus bereit war, diese Unterstützung anzunehmen. Die Gemeinde in Philippi unterstützte seine Missionsarbeit mindestens in Thessalonich und in Korinth durch finanzielle Gaben. Mit diesem Verhalten setzte er sich von den Wanderphilosophen ab, die in den Städten, in denen sie gerade tätig waren, ihre Zuhörer um Geld baten. Der in V. 15.18 explizit betonte Verzicht auf das Recht zur materiellen Unterstützung236 ist deshalb nicht prinzipieller Natur, sondern bezieht sich zum einen auf die Menschen, denen er das Evangelium verkündigt und von denen er kein Geld annimmt, und zum anderen auf Gemeinden, die ihn nicht aus eigener Initiative finanziell unterstützen und die er nicht mit Hinweisen auf sein apostolisches Recht dazu zwingen will. 7 Auf die drei rhetorischen Fragen in V. 4-6, die auf die Missionsarbeit bezogen waren, folgen in V. 7 drei rhetorische Fragen, die mit Beispielen aus dem Alltag belegen, dass es allgemein üblich ist, dass Menschen vom Ertrag ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die mit „wer“ (τι' ς) eingeleiteten rhetorischen Fragen erwarten die Antwort „Niemand“. Das erste Beispiel stammt aus dem militärischen Bereich: Wer leistet denn Kriegsdienst auf eigenen Sold? Das Verb στρατευ' ομαι bedeutet „Kriegsdienst tun, als Soldat dienen“.237 Das Wort ο ψω' νιον bedeutet allgemein „Lohn, Löhnung, Gehalt, Kostgeld“, hier konkret der „Sold“ gemeint, d.h. „die Ration, die der Soldat erhält“.238 Die Soldaten der römischen Legio————————————————————
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Aus 2Kor 11,9 wird ersichtlich, dass Paulus darauf verzichtete, sich in Korinth um finanzielle Unterstützung zu bemühen, als er Not litt. In den Papyri bedeutet στρατευ' ομαι „Soldat sein, als Soldat dienen“; als στρατευο' μενοι wurden nicht nur die aktiven Soldaten bezeichnet, sondern alle, die zum Heer gehörten, auch die momentan Nicht-Aktiven, vgl. BGU V 1210,146; die Soldaten, die an einem Feldzug teilnahmen, wurden als οι ε ν στρατει'α, bezeichnet, vgl. C.Ord.Pol. 28,3-4. Vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 340-341. Bauer /Aland s.v. ο ψω' νιον 1; H. W. Heidland, ThWNT V, 591; Spicq, Notes II, 635; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 341-342.
484 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
nen erhielten nicht nur einen Lohn im Sinn von finanzieller Vergütung, sondern auch Naturalien.239 Im zweiten Beispiel, das aus der Landwirtschaft stammt, ist explizit von Essen die Rede: Wer pflanzt einen Weinberg und genießt nicht dessen Früchte? Das Anpflanzen eines Weinbergs (α μπελω' ν) ist nicht die einzige Arbeit, die in einem Weingarten getan werden muss, damit der Weinbauer einen Ertrag erhält.240 In einem Arbeitsvertrag werden detailliert die Arbeiten aufgezählt, die in einem Weinberg anfallen: Ausjäten von Schilf, Sammlung und Abtransport des ausgejäteten Schilfs, Anfertigung von Bündeln (wohl von Schilf), Beseitigung von Blättern, Pflanzen der benötigten Setzlinge, Umgraben, Aufhäufeln der Erde, Anlegen kleiner Gruben, Zerkleinern der Erdschollen, Schneiden der Reben, Aufpropfen (?), Beachtung des richtigen Abstands der Weinstöcke, Beseitigung der Triebe, Laubsammeln, Beaufsichtigung der Esel, die Erde herbeischaffen, Überprüfung der Weinkrüge, Aufstellen der Weinkrüge auf dem Sonnenplatz, wenn sie mit Wein gefüllt sind, Abdichten der Weinkrüge, Bewegen der Krüge, Filtern des Weins, Bewachung der Weinkrüge.241 Die „Frucht“, die der Arbeiter in einem Weinberg242 genießt (το` ν καρπο` ν αυ του^ ε σθι' ει), ist der Unterhalt, der ihm aus dem Ertrag des Weinbergs zuwächst. Dabei kann es sich je nach den Vereinbarungen des Pachtvertrags um die Trauben und die Weinerträge handeln, die der Pächter nicht an den Verpächter abführen kann, 243 oder um finanzielle Vergütung und Naturalien.244 Paulus spricht vom „Essen“ der Frucht des Weinbergs, weil es im Kontext von Kap. 8–10 um das Recht auf Essen geht. Auch das dritte Beispiel aus der Landwirtschaft spricht explizit vom Essen: Oder wer weidet eine Herde und genießt nicht von der Milch der Herde? Der Hirte einer Herde245 ernährt (ε σθι' ει) sich von Produkten, die ————————————————————
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Für diese Bedeutung argumentiert Caragounis, ΟΨΩΝΙΟΝ, 35-57 mit Hinweisen auf Papyri und Inschriften; kritisch Schrage II 296, vgl. jedoch Thiselton 683-684. Vgl. Arzt-Grabner 342-345 für das Folgende. P.Oxy. XIV 1631,8-18 (280 n.Chr.); ähnlich P.Oxy. XLVII 3354,8-28; XIV 1692,10-25. An den Besitzer des Weinbergs ist hier wohl nicht gedacht. Im Bild gesprochen wäre der Verpächter im Sinn der Gemeinden zu interpretieren, die Paulus gegründet hat und von denen er finanzielle Unterstützung erwarten kann. In theologischer Perspektive gehört die Gemeinde als Weinberg allerdings Gott und Jesus Christus dem Herrn. P.Harr. I 137,8-11 (2. Jh. n.Chr.). In dem Teilpachtvertrag P.Soter 1,12-15 (69 n.Chr.) wird vereinbart, dass „dem Pächter ein Drittel der jährlichen Trauben und Weinerträge frei von Staatsabgaben und jeglichen Steuern zukommt“. In dem erwähnten Arbeitsvertrag P.Oxy. XIV 1631 sollen die Arbeiter als Lohn 4.500 Silberdrachmen, zehn Artaben Weizen und vier Keramien Wein erhalten (Z. 19-20). Das Wort πoι'μνη wird besonders von der Schafherde verwendet; Bauer /Aland 1372. In Palästina und auch sonst im Mittelmeerraum weideten Schafe und Ziegen tagsüber gemeinsam; vgl. J. Jeremias, ThWNT VI, 498.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 485 ————————————————————————————————————
seine Herde ergibt, sonst würde er die oft mühsame Arbeit des Weidens einer Herde nicht auf sich nehmen. Es bleibt unklar, ob Paulus neben der buchstäblichen Bedeutung der drei Beispiele – Menschen leben von ihrer Arbeit – auch eine metaphorische Bedeutung intendiert.246 Die militärische Metapher wird in 2Kor 10,3-6 und 2Tim 2,3-7 für den apostolischen Dienst verwendet. Mit der Metapher des Pflanzens wird in 1Kor 3,6-8 die Arbeit der Gemeindegründung beschrieben. Die Metapher vom Hirten und der Herde wird an mehreren ntl. Stellen ebenfalls für die Gemeindearbeit verwendet (Joh 10,16; 21,16; Apg 20,28; Eph 4,11; 1Petr 5,2). 8 Mit zwei rhetorischen Fragen unterstreicht Paulus, dass das Prinzip, dass Menschen vom Ertrag ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten, nicht nur der Alltagserfahrung entspricht, sondern zugleich auch dem Gesetz. Die rhetorische Frage rede ich etwa nach Menschenart? (κατα` α»νθρωπον ταυ^ τα λαλω ^ ) ist wie in Gal 3,19 und Röm 3,5 positiv gemeint. Die in V. 7 angeführten Beispiele aus dem militärischen und landwirtschaftlichen Bereich stammen „aus dem Bereich menschlicher Berufserfahrung und Argumentationsweise“.247 Die zweite rhetorische Frage weist mit der erwarteten bejahenden Antwort auf die Bestätigung der menschlichen Erfahrung durch die Tora: Sagt das nicht auch das Gesetz? (η και` ο νο' μος ταυ^ τα ου λε'γει). Das mosaische Gesetz ist zwar weder die letzte noch die einzige „Instanz für die christliche Lebensführung“, was aber nichts daran ändert, dass das Gesetz für Paulus Zeuge des Evangeliums und als die „durch Mose gegebene Weisung Gottes“ nicht erledigt ist.248 9-10 Paulus führt das Zitat aus Dtn 25,4 mit der Wendung im Gesetz des Mose steht geschrieben (ε ν τω ^, Μωυ¨ σε'ως νο' μω, γε'γραπται) ein.249 Paulus zitiert nach der LXX: ου κημω' σεις βου^ ν α λοω ^ ντα („Du sollst dem dreschen————————————————————
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Bengel 413; Bachmann 313; Gutjahr 226; Strobel 144; Garland 409; H. W. Heidland, ThWNT V, 591; als Möglichkeit Lindemann 203; ablehnend Schrage II 296-297; Kremer 187; Wolff 193; wohl auch Gemünden, Vegetationsmetaphorik, 269-270. Schrage II 297, vgl. ebd. 298: „Das, was jeder Mensch weiß und sozusagen natürliches Menschenrecht ist“. Schrage II 298; vgl. Schnabel, Ethik, 63-81; ders., Law and Wisdom 313-315; Rosner, Paul, 177-194. Merklein II 220: Es wird deutlich, „daß Paulus das Gesetz weiterhin fraglos für das Dokument göttlicher Autorität hält“. Zu γε' γραπται s. oben zu 1,19. Der Ausdruck ο νο' μος Μωυ¨ σε' ως kommt im NT sonst nur bei Lukas (Lk 2,22; 24,44; Apg 13,38; 15,5; 28,23), Johannes (Joh 7,23; vgl. 1,45) und in Hebr 9,19; 10,28 vor. Paulus formuliert sonst mit „das Gesetz sagt“ (14,34; Röm 3,19; 7,7). Die Formulierung „im Gesetz Mose steht geschrieben“ stimmt exakt mit der Formel ככתוב בתורה משהüberein, die wir in rabbinischen Quellen finden (bYom 35b, 66a); Instone Brewer, Do Not Muzzle the Ox, 564.
486 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
den Ochsen keinen Maulkorb anlegen“). Dieser Satz gehört zu den Tierschutzbestimmungen, von denen es mehrere im AT gibt.250 Das Gesetz befiehlt den Israeliten an, dass sie den Ochsen, der auf der Dreschtenne das Korn aus den Getreidehalmen austritt oder den Dreschschlitten über die Getreidehalme zieht, nicht durch das Anlegen eines Maulkorbs (κημο' ς, Vb. κημο' ω)251 am Fressen hindern. Paulus kommentiert das Schriftzitat in V. 9c und V. 10a mit zwei Fragen: Kümmert sich Gott um die Ochsen? Oder redet er nicht offensichtlich unseretwegen? Die Frage in V. 9c, die offenkundig eine verneinende Antwort erwarten lässt, 252 wird von manchen Auslegern so interpretiert, dass Paulus die buchstäbliche Bedeutung von Dtn 25,4 verlasse und in V. 10a allegorisch interpretiere.253 In jüngerer Zeit haben mehrere Exegeten herausgearbeitet, dass Paulus in V. 9-10 eine komplexere hermeneutische Strategie verfolgt, als viele Ausleger ihm zugestehen. 254 Folgende Beobachtungen sind für das Verständnis der hermeneutischen Methode wichtig, mit der Paulus hier operiert. 1. Eine sorgfältige Analyse des Kontextes von Dtn 25,4 zeigt, dass das hermeneutische Prinzip von Paulus – Gott geht es in Wirklichkeit um Menschen, nicht um Ochsen – dort durchaus verankert ist. In Dtn 24,10– 25,3 geht es um die Notwendigkeit einer humanitären Behandlung der Armen und der Randsiedler der israelitischen Gesellschaft. In 24,19-22 finden wir die Regelung, dass man Fremdlingen, Waisen und Witwen erlauben soll, das einzusammeln, was sie auf einem abgeernteten Feld finden. In 25,1-3 wird die Prügelstrafe auf vierzig Hiebe beschränkt, damit der Bestrafte seine Ehre nicht vollständig verliert. In 25,5-10 geht es um die Leviratsehe. Wenn Paulus in diesem Zusammenhang die Regelung in 25,4 im Sinn von Gerechtigkeit in den wirtschaftlichen Belangen der Glieder des Volkes Gottes interpretiert, ist dies nicht erstaunlich. 2. Philo führt in Virt. 145 die Stelle Dtn 25,4 als Beispiel für ein Gesetz an, in dem die humane Behandlung von Tieren geregelt wird. Zu Beginn seiner Interpretation dieser Stelle informiert er seine Leser, dass er die Prinzipien der Menschlichkeit und des Mitleids, die für alle Menschen gelten, auf die „irrationalen Tiere“ ausweiten will (Virt. 125). Am Ende seiner Auslegung ————————————————————
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Ex 20,10; 23,12; vgl. Prov 12,10; Ps 104,14; 147,9. Schrage II 299 Anm. 121. Zum Dreschen vgl. 2Sam 24,22-23; Mich 4,12-13; Jes 28,27-28. Das in Dtn 25,4 gebrauchte Verb חסםbedeutet „das Maul des Dreschochsen zubinden“; HAL I, 324. Kritisch Merklein II 220: „Selbstverständlich will Paulus nicht die tierfreundlichen Bestimmungen der Bibel außer Kraft setzen“. Weiss 236; Conzelmann 191; Klauck 65; Lang 116; Senft 119; Schrage II 297-300; Wolff 193; Kremer 187; Koch, Schrift, 203-204. Bousset 111 meint, der Schriftbeweis des Paulus sei „im allgemeinen für uns wertlos“. Hays 151-152; Lindemann 204-205; Merklein II 220; Thiselton 686-687; Garland 409411; Ciampa /Rosner 718-722; vgl. Fee 407-409; Strobel 144; Instone Brewer, Do Not Muzzle the Ox, 554-565; in der älteren Exegese Robertson/Plummer 183-184; Bachmann 314-315; Schlatter 272.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 487 ———————————————————————————————————— weist er nochmals auf die Bedeutung der Gesetze für Tiere und anderer niedriger Lebensformen hin und unterstreicht, dass, wenn wir Menschen lernen, die niedrigeren Lebensformen human zu behandeln, wir dieselbe Behandlung dann auch den Menschen zugute kommen lassen (Virt. 160). Wir finden hier bei Philo, genauso wie bei Paulus, eine übertragene Interpretation der Tierschutzbestimmung von Dtn 25,4, die die Bestimmung auf die Behandlung von Menschen anwendet. Josephus kommt in Ant. 4,233 auf Dtn 25,4 zu sprechen, und zwar im Kontext einer Diskussion der Gesetze zur Nachlese (Lev 19,9; 23,2) und des erlaubten Mundraubs (Dtn 23,25-26). Die Diskussion von Dtn 25,4 inmitten von Bestimmungen, die den Zugang zu Nahrung für Bedürftige und Hungrige regeln, könnte darauf hinweisen, dass Josephus das Gesetz über Arbeitstiere als Ausweitung von Gesetzen betrachtet, die für Menschen gelten. Die rabbinische Diskussion in bBM 88b verbindet Dtn 25,4 mit einem menschlichen Arbeiter. Dass die Gleichsetzung von dem Ochsen in Dtn 25,4 und einem menschlichen Arbeiter frühen Datums ist, zeigen andere halakhische Diskussionen.255 Das Schadensersatzrecht gründet sich in weiten Teilen auf die Äquivalenz zwischen einem Menschen und einem gefährlichen Ochsen. Die Verbindung von Dtn 25,4 mit Regelungen für die in Dtn 25,5-6 stipulierte Leviratsehe in rabbinischen Diskussionen ist hier ebenfalls relevant.256 Wenn Josephus die in Dtn 25,4 erwähnten Ochsen als „unsere Mitarbeiter“ bezeichnet, lässt er erkennnen, dass selbst eine buchstäbliche Interpretation der Stelle die Anwendung auf den menschlichen Bereich durchscheinen lässt.257 3. Die Logik des Beispiels von Dtn 25,4 passt zur Logik der anderen Beispiele aus dem landwirtschaftlichen Bereich in V. 7 und V. 11. Wenn man die Möglichkeit einer übertragenen Bedeutung von Dtn 25,4 einräumt, ergibt sich eine elegante Metapher für den Punkt, auf den es Paulus ankommt: Wie der Ochse, der auf der Dreschtenne geduldig das Korn austritt, nicht grausam behandelt werden soll, indem man ihm vom Fressen abhält, so sollen auch die Apostel behandelt werden.258 4. Mehrere sprachliche Einzelheiten, die man für die allegorische Deutung von Dtn 25,4 durch Paulus anführt, können im Sinn der Kontextgemäßheit der paulinischen Interpretation verstanden werden. a) Das die rhetorische Frage in V. 9c einleitende μη' lässt nicht unbedingt eine verneinende Antwort erwarten, sondern kann als zögernde Frage verstanden werden („kümmert sich Gott etwa um die Ochsen?). b) Das Adverb πα' ντως in V. 10a bedeutet weder „ganz und gar nicht“259 noch „überall“ (LÜ); es kann mit „unter allen Umständen“ übersetzt werden,260 aber auch mit „sicherlich, ge————————————————————
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bSanh 19ab; mYad 4,7; beide Diskussionen datieren vor das Jahr 70; vgl. Instone Brewer, Do Not Muzzle the Ox, 561-562, ebd. 562-563 zur folgenden Bemerkung, mit Hinweis auf mBQ 3,8.10; 8,2; mBM 7,3; bBM 91b. bMak 23a; bYeb 4a. Nach Ginzberg, Allegorical Interpretation, 127-150 und Bonsirven, Exégèse rabbinique, 227-228 hätte Paulus seine Interpretation von Dtn 25,4 in 1Kor 9,911 allein von dieser rabbinischen Interpretation ableiten könnten; vgl. Instone Brewer, Do Not Muzzle the Ox, 563. Zu Philo, Virt. 125.145.160; Josephus, Ant. 4,233, und zur rabbinischen Diskussion von Dtn 25,4 in mTer 9,3; mBQ 5,7; bBM 88b, 89a; bYev 4a siehe Ciampa /Rosner 719-720; Instone Brewer, Do Not Muzzle the Ox, 558-563; ders., Traditions I, 311. Hays 151. Diese Bedeutung erfordert nach Bauer /Aland 1232 s.v. πα' ντως 5 eine Verneinung, die in V. 10a nicht vorliegt. Bauer /Aland 1232 s.v. πα' ντως 1; GN „bei allem, was er sagt“, ZB „ganz und gar“.
488 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— wiss“.261 Das heißt, der Kommentar von Paulus sollte nicht als absolute Verneinung verstanden werden („Gott redet nicht von den Ochsen“), sondern als nachdrückliche Betonung, dass Gott sich noch mehr um Menschen kümmert. Dass Paulus in V. 9-10 einen qal-vachomer-Schluss verwendet, bestätigt sich in V. 11, wo er mit einem umgekehrten qal-vachomer-Schluss argumentiert.262
Paulus betont in V. 10a, dass Gott in der Schrift unseretwegen (δι’ η μα^ς) redet. Damit könnte hier das Recht der Apostel gemeint sein, von deren materieller Versorgung im Kontext die Rede ist. Die Aussage ist aber allgemein und klingt wie „eine Art hermeneutischer Grundregel“ 263 des christlichen Selbstverständnisses der eschatologischen Heilsgemeinde, für die die Schrift in besonderer Weise gilt.264 Paulus liest die Schrift und ihre konkreten Gebote als Gottes Wort an die Gemeinde der Jesusbekenner, das diese anweist, die Apostel materiell zu versorgen, da Gott ihnen ein „Werk“ aufgetragen hat (V. 1). In V. 10b scheint die Wendung denn um unseretwillen steht geschrieben (δι’ η μα^ς γα` ρ ε γρα' φη, ο« τι) ein zweites Zitat einzuleiten (ο« τι recitativum; vgl. NA27), das bestätigen würde, dass mit dem dreschenden Ochsen in V. 9b Menschen gemeint sind. Diese Auslegung setzt voraus, dass Paulus aus mehreren atl. Stellen (Jes 28,24.28; 45,9 LXX) ein „Zitat“ zusammengesetzt hat, das an Sir 6,19 erinnert.265 Manche Ausleger behelfen sich mit der Annahme, es handele sich um das Zitat eines apokryphen Wortes. 266 Plausibler ist die Interpretation, nach der die Wendung eine Erläuterung dafür ist, in welcher Weise Dtn 25,4 „um unseretwillen“ geschrieben wurde (ο« τι explicativum).267 Bei Paulus leitet ε γρα' φη keine neuen Zitate ein, sondern verweist auf vorangegangene Zitate (10,11; Röm 4,23; 15,4). Der parallelismus membrorum beweist für sich noch nicht, dass es sich um ein Zitat handelt. Das heißt, der Satz wer pflügt, der soll auf Hoffnung pflügen, und wer drischt, der soll auf Hoffnung dreschen, seinen Anteil zu bekommen ist die Erklärung des Zitats von V. 9b. Die Metapher des dreschenden Ochsen V. 9 mit zwei weiteren Metaphern gedeutet: dem Bild vom pflügenden und ————————————————————
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Bauer /Aland 1232 s.v. πα' ντως 1; Menge „ohne allen Zweifel“; NGÜ „in erster Linie“; vgl. Findlay 848; Thiselton 686-687. Instone Brewer, Do Not Muzzle the Ox, 559; Ciampa /Rosner 720-721. Kritisch Schrage II 299 mit Anm. 124, der kritisch-apologetisch alle „Rettungsversuche“ zurückweist. Koch, Schrift, 322; Schrage II 301. Hays 151; ders., Echoes, 165-166; Wolff 193-194; Thiselton 687. Koch, Schrift, 41-42. Stanley, Language, 196-197 bleibt unentschieden. Weiss 237; Conzelmann 191; Schrage II 302 Meyer 242; Bachmann 315; Lietzmann 41; Klauck 67; Fee 409; Garland 411; vgl. Wolff 194; Lindemann 205.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 489 ————————————————————————————————————
vom dreschenden Bauern.268 Die Regelung von Dtn 25,4, dass man einem dreschenden Ochsen nicht das Maul verbinden soll, bedeutet: Der Arbeiter, der „pflügt“ (α ροτρια' ω) und „drischt“ (α λοα' ω), arbeitet, um „seinen Anteil zu bekommen“ (του^ μετε'χειν), d.h. er hat einen Anspruch auf einen Teil des Ernteertrags.269 Ein Bezug auf das in 3,9 erwähnte „Ackerfeld Gottes“ liegt wahrscheinlich nicht vor.270 Es geht Paulus um das Prinzip, dass sich Arbeiter von ihrer Arbeit ernähren. 11 Die Konsequenz, die sich aus den landwirtschaftlichen Metaphern von V. 7-10 ergibt, wird wieder mit einer rhetorischen Frage formuliert, auf die eine bejahende Antwort zu erwarten ist: Wenn wir für euch Geistliches säen, ist es da etwas Besonderes, wenn wir von euch das Irdische ernten wollen? Die im Konditionalsatz angezeigte Bedingung ist tatsächlich erfüllt (ει mit Ind.): Paulus hat „gesät“, deshalb ist es nichts Besonderes,271 wenn er „ernten“ will. „Säen“ (σπει' ρω) ist eine Metapher für die Missionsarbeit,272 konkret für die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus in der Stadt Korinth (υ μι^ν), durch die die Gemeinde entstanden ist. „Ernten“ (θερι' ζω) bezeichnet hier nicht den Missionserfolg, sondern die materielle Unterstützung. Während das „Säen“ im Aorist (ε σπει' ραμεν), d.h. als abgeschlossener Tatbestand formuliert ist, wird das „Ernten“ im Futur (θερι' σομεν) formuliert, d.h. als nicht-realisierte Möglichkeit (deshalb die Übersetzung „ernten wollen“).273 ————————————————————
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Instone Brewer, Do Not Muzzle the Ox, 558-559 meint, Paulus beziehe sich auf eine mündlich tradierte rabbinische Regel, die später in mBM 7,2 schriftlich aufgezeichnet wurde: „Folgende dürfen nach der Tora essen: Wer bei am Boden Haftendem bei der Abschlussarbeit arbeitet, und wer bei vom Boden Getrenntem vor der Abschlussarbeit arbeitet, aber nur bei Bodenerzeugnissen“. In der Gemara bBM 88b wird in diesem Zusammenhang auf Dtn 25,4 verwiesen. Vgl. Collins 340; Lindemann 205. Da in Arbeitsverträgen als Entlohnung für das Dreschen Geldbeträge angeführt werden (P.Lond. I 131 rekto,502-503.524.571.576.592-593), kann man vermuten, dass Paulus bei μετε' χειν nicht nur an einen Ernteanteil denkt, sondern auch an finanzielle Vergütung als Lohn für die Arbeit; vgl. Arzt-Grabner 348. Robertson/Plummer 185 sprechen von Metaphern, die verschiedene Stadien der Missionsarbeit beschreiben. με' γα ει (Neutr.) im Sinn von „ist es etwas Großes?“, d.h. „ist es zuviel verlangt? ist es erstaunlich?“. Bauer /Aland 1010 s.v. με' γας 2b.β. Vgl. 3,6-8; 2Kor 9,10; in 16,15 beschreibt er die Gläubigen, die sich als erste in Achaia bekehrt haben, als „Erstlingsfrucht“. Möglicherweise hat Paulus das Gleichnis Jesu vom Sämann (Mt 13,1-23 / Mk 4,1-20 / Lk 8,4-15) und das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29) gekannt; vgl. Riesenfeld, Tradition, 190-195; Richardson/Gooch, Logia, 48; zurückhaltend Wenham, Paul, 87. Elb.Ü, EÜ, LÜ, SÜ, ZB, Menge, Wilckens übersetzen mit dem Präsens „ernten“; NGÜ konjunktivisch: „wenn wir – gewissermaßen als unseren Anteil an der Ernte – das von euch bekämen“. Schrage II 278; Lindemann 199 übersetzen mit „ernten wollen“.
490 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Das Wort τα` πνευματικα' („Geistliches, die geistlichen Güter“) bezeichnet die vom Geist gewirkte Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn als heilschaffendes Wort Gottes, das Schuld sühnt, Sünde vergibt, neues Leben schafft und in das Volk Gottes integriert. Mit τα` σαρκικα' („das Irdische, irdische Güter“) ist die materielle Versorgung der Apostel gemeint, hier konkret von Paulus.274 Anders als in 3,3 besteht zwischen dem „Irdischen“ und dem „Geistlichen“ kein Gegensatz. Man kann aus der Litotes με'γα schließen, dass die „geistlichen Güter“ wichtiger sind als die „irdischen Güter“.275 Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Betonung, dass dort, wo die Saat des Evangeliums aufgeht, die Gemeinde ganz selbstverständlich als „irdische Frucht“ die Missionare und Evangelisten mit dem zum Leben Nötigen versorgt.276 In Röm 15,27 wendet Paulus diese Regel auf die Beziehung zwischen den heidenchristlichen Gemeinden und der Gemeinde in Jerusalem an in dem Bestreben, die notwendig gewordene finanzielle Unterstützung der „Muttergemeinde“ zu organisieren. Nach D. InstoneBrewer ist die Regel V. 11, die Paulus in V. 7 aus der Alltagserfahrung und in V. 9-10 aus einem Schriftwort entwickelt wurde, das einzige Beispiel einer neuen Halakha, das nach rabbinischem Denken genau dieselbe Autorität besitzt wie das Wort der Schrift.277 Anders als die Rabbinen verlangt Paulus jedoch von den Christen in Korinth keinen Gehorsam. 12 Paulus bekräftigt die Regel V. 11 mit einer weiteren rhetorischen Frage, die nicht anders als mit „Ja“ zu beantworten ist: Wenn andere an dem Recht an euch teilhaben, steht es dann nicht erst recht uns zu? Das mit ε ξουσι' α bezeichnete „Verfügungsrecht“ über die korinthischen Christen ist das Recht, mit den für den Lebensunterhalt notwendigen materiellen Gütern versorgt zu werden. Wer die „anderen“ (α»λλοι) sind, die dieses Recht tatsächlich in Anspruch nehmen,278 wissen wir nicht. Die in 2Kor 11,13 erwähnten „Falschapostel“ sind hier noch nicht im Blick.279 Manche schlagen ————————————————————
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Bei η μει^ς könnte angesichts V. 6 auch an Barnabas gedacht sein. Der Gegensatz zwischen η μει^ς und υ μι^ν und der Hinweis auf das Säen υ μι^ν, d.h. in Korinth, verweist auf Paulus und seine Mitarbeiter, die in Korinth missioniert haben; Bachmann 316. Lindemann 206. Schrage II 304: „Wo der Same des Evangeliums tatsächlich aufsprießt . . . da öffnen sich nicht nur die Herzen, sondern auch die Hände“. Instone Brewer, Do Not Muzzle the Ox, 564: „This is the only occasion when Paul musters all his legal expertise to derive a new ruling, using arguments that a contemporary rabbi would have been proud of“; vgl. ebd. 565 zur folgenden Bemerkung. Der ει-Satz beschreibt mit der Verbform μετε' χουσιν (Präs. Ind.) einen tatsächlichen, aktuellen Vorgang. In der Wendung τη^ ς υ μω^ ν ε ξουσι'ας ist υ μω^ ν als gen. obj. zu fassen. Anders Weiss 238; Robertson / Plummer 185; Lang 116; Marshall, Enmity, 232. Lüdemann, Paulus II, 124 sieht in den α»λλοι judenchristliche Missionare, deren Wirken zur Bildung der Kephas-Partei geführt habe. Kritisch Schrage II 289; Merklein II 222.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 491 ————————————————————————————————————
Apollos vor,280 manche Apollos und Petrus,281 andere die Lehrer, die nach Paulus in der korinthischen Gemeinde gewirkt haben,282 manche die Gemeinde in Jerusalem.283 Angesichts der Information, dass Apollos in Korinth als Lehrer gewirkt hat (3,5) und Paulus ihn wiederholt gebeten hatte, Korinth zu besuchen (16,12), ist Apollos die wahrscheinlichste Erklärung. Die korinthischen Christen haben jedenfalls gewusst, wen Paulus meint, d.h. welchen apostolischen Lehrern er das Recht einräumt, sich von der korinthischen Gemeinde materiell versorgen lassen. Mit ου μα^λλον unterstreicht Paulus, dass er als Gründer der Gemeinde den größten Anspruch auf Unterstützung hat. In V. 12b formuliert Paulus den Punkt, auf den die Argumentation seit V. 1 zusteuerte:284 Aber wir haben dieses Recht nicht in Anspruch genommen (α λλ’ ου κ ε χρησα' μεθα τη^, ε ξουσι' α, ταυ' τη, ). Mit ε ξουσι' α ist das in V. 4-12a behandelte Recht der Apostel und Verkündiger des Evangeliums auf materielle Versorgung gemeint. Paulus beschreibt sein Verhalten mit ου κ ε χρησα' μεθα (Aor.).285 Er hat das allgemeingültige und biblische Recht auf Versorgung nicht angewandt. Er hat darauf verzichtet, sich von den Korinthern materiell unterstützen zu lassen. Paulus deutet den Grund für sein Verhalten zunächst nur kurz an: Wir ertragen alles, damit wir dem Evangelium von Christus kein Hindernis in den Weg legen (V. 12c). Paulus „erträgt alles“ (πα' ντα στε'γομεν): Gemeint sind die Beschwernisse des missionarischen Dienstes, die er in 4,9-13 aufgezählt hat und zu denen Hunger, Durst, abgerissene Kleidung (V. 11) und die Arbeit mit den eigenen Händen (V. 12) zählte.286 Mit ausreichender finanzieller Versorgung hätten diese Beschwernisse vermieden werden können. Die Vokabel ε γκοπη' (nur hier im NT) bedeutet „Hemmung, Hindernis“. Paulus will „dem Evangelium von Christus“ (τω ^, ευ αγγελι' ω, του^ Χριστου^ ), d.h. der Verkündigung des Heilshandelns Gottes im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi, kein Hemmnis in den Weg legen. Paulus will mit dieser Begründung ————————————————————
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Wolff 194; Garland 412; erwogen von Kremer 188; Lindemann 206; Merklein II 222. Lietzmann 42; Bousset 112; Fee 410. Heinrici 276; Klauck 66; Schrage II 304 mit Anm. 158; Collins 341; Merklein II 222. Bachmann 316, mit Hinweis auf Gal 2,10; 1Kor 16,1; Röm 15,27. Die Kollekte für Jerusalem ist hier jedoch nicht im Blick (erst in 16,1-4, mit konkreten Anweisungen), sondern das „Recht“ einzelner Missionare. Nach den vielen rhetorischen Fragen ist V. 12b der erste Aussagesatz seit V. 4. Das Verb χρα' ομαι bedeutet „in Gebrauch nehmen, anwenden, benutzen“. Vgl. A. Sand, Art. χρα' ομαι, EWNT III, 1130-1133. An den Satz η α γα' πη . . . πα' ντα στε' γει (13,7) hätten sich die Korinther sicherlich beim zweiten Lesen des Briefs erinnert. Dass es die Liebe ist, die Paulus alles ertragen lässt, ist theologisch richtig, aber in 9,12 nicht festgehalten. Schrage II 304 lehnt zu Recht eine „asketisch-meritorische Motivation“ für Paulus mit dem Argument ab, dass er von anderen Gemeinden materielle Unterstützung angenommen hat.
492 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
gewiss nicht sagen, dass die anderen Apostel, die finanzielle Unterstützung akzeptieren, den Lauf des Evangeliums behindern. 287 Er hat selbst von den makedonischen Gemeinden materielle Unterstützung angenommen (2Kor 11,8-9). Weshalb verzichtet er in Korinth darauf, von diesem Recht Gebrauch zu machen? Manche Ausleger verweisen auf die spezifische Situation in Korinth, verzichten aber auf eine nähere Erklärung.288 Weil Paulus seine Aussage nicht erläutert, sind wir auf Vermutungen angewiesen. 1. Der Vorschlag, Paulus wolle mit der Verknüpfung von Verkündigung und handwerklicher Arbeit die Menschen mit einem niedrigen Sozialstatus für das Evangelium gewinnen,289 berücksichtigt zwar richtig, dass Paulus sicherlich die Kontakte und die Begegnungen, die ihm seine handwerkliche Arbeit ermöglichte, zur Verkündigung des Evangeliums genutzt hat.290 Aber man kann nirgends erkennen, dass seine handwerkliche Arbeit eine bewusst eingesetzte missionarische Taktik war. 2. Paulus akzeptierte materielle Unterstützung, wenn das Verhältnis zu der betreffenden Gemeinde besonders herzlich war, wie zum Beispiel im Fall der Gemeinde in Philippi.291 Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Paulus einen „Barometer“ seines Verhältnisses zu den Gemeinden gehabt hätte, nach dessen Stand er entschied, ob er die angebotene Unterstützung annehmen soll oder nicht. 3. Paulus nahm nur von wirtschaftlich leistungsfähigen Gemeinden finanzielle Unterstützung an.292 Dieser Vorschlag scheitert an der Tatsache, dass Paulus von makedonischen Gemeinden Unterstützung erhielt (2Kor 11,8-9), obwohl sie arm waren (2Kor 8,2). 4. Paulus hat nur dort finanzielle Unterstützung angenommen, wo sie ihm freiwillig angeboten wurde.293 Dieser Vorschlag ist nicht auszuschließen, wobei wir allerdings nicht wissen, ob die Korinther Paulus ihre Unterstützung nicht doch freiwillig angeboten haben. 5. Paulus nahm nur von Gemeinden finanzielle Unterstützung an, wo keine Fehldeutungen zu erwarten waren.294 Die Angaben in 1Thess 2,5-6 zeigen, dass Paulus manchmal mit wandernden Rhetoren und Philosophen verwechselt wurde, denen nicht selten Habgier und Schmeichelei vorgeworfen wurde. Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass Paulus sich als Missionar nicht von einem patronus abhängig machen,295 sondern sich die Freiheit als Verkündiger des Evangeliums bewahren wollte. Er verzichtete deshalb auf lokale finanzielle Zuwendungen in der Stadt, in der er gerade missionierte. Dies geht aus 2Kor 11,9; Phil 4,11.14-15; 1Thess 2,9 hervor. Von der korinthischen Gemeinde nimmt er vielleicht deshalb immer noch keine finan————————————————————
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Merklein II 222; ob diese auf ihrem Recht „bestehen“ (ebd.), d.h. die materielle Unterstützung durch die Gemeinden aktiv einfordern, wissen wir jedoch nicht. Merklein II 223; Lindemann 206; Pratscher, Verzicht, 284-298. Young, Mission, 82; Martin, Slavery, 120-124. Hock, Tentmaking, 560 Anm. 31; Schnabel, Urchristliche Mission, 1270. Sampley, Partnership, 87, der allerdings selbst vor Psychologierung warnt. Dungan, Sayings of Jesus, 15. Kritisch Schrage II 306. Erwogen von Schrage II 306. Barrett 207; Grosheide 207-209; Garland 413;P. W. Barnett, Art. Tentmaking, DPL 926; Pratscher, Verzicht, 290-295; Schnabel, Urchristliche Mission, 1388-1390. Thiselton 689; Garland 419; Hock, Social Context, 61-62; Chow, Patronage, 106-107; vgl. die Diskussion in Peterman, Gift.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 493 ———————————————————————————————————— zielle Unterstützung an, weil er sich nicht von Christen vereinnahmen lassen will, für die Statusfragen eine wichtige Rolle spielen und die sich mit Loyalitätsbekundungen für und gegen Apostel und Lehrer aussprechen. Nach 2Kor 1,11; 5,11–6,13; 10–13 erwartet er von der korinthischen Gemeinde fürbittendes Gebet und Loyalität.
Der entscheidende Punkt von V. 12 ist im Kontext von Kap. 8–10 zu formulieren: Man kann Rechte haben – zum Beispiel das Recht, Einladungen zu einem Bankett in einem Götzentempel anzunehmen –, aber man kann auf sein Recht auch verzichten, was geradezu eine Notwendigkeit ist, wenn es um das Evangelium geht. 13 Paulus kehrt in V. 13-14 noch einmal zum Thema des Rechts zurück, von seiner Arbeit zu leben. In V. 13 spricht er mit einer zweiteiligen rhetorischen Frage, die eine bejahende Antwort erwarten lässt, vom Dienst der Priester im Tempel. Es ist nicht klar, ob die, die im Heiligtum Dienst tun (οι τα` ι ερα` ε ργαζο' μενοι) von denen, die am Altar Dienst tun (οι τω ^, θυσιαστηρι' ω, παρεδρευ' οντες) zu unterscheiden sind, d.h. ob von Leviten und Priestern die Rede ist, 296 oder ob Paulus allgemein vom Kultpersonal in Tempeln schreibt.297 Unklar ist auch, ob Paulus vom Tempel in Jerusalem298 oder auch von der Opferpraxis der Heiden spricht.299 Es ist denkbar, dass Paulus an den jüdischen Tempelkult denkt und dabei weiss, dass den Heidenchristen in Korinth dieselben Vorgänge aus den heidnischen Tempeln vertraut waren. 300 Die Opferanteile der Leviten und Priester werden in Lev 6,9-11.19; Num 18,8-20; Dtn 18,1-5 beschrieben. 301 In heidnischen Kulten erhielten die Priester ebenfalls Anteil am Opferfleisch sowie an den Erträgen des Tempelbesitzes und an Spenden.302 Entscheidend ist das Argument, dass Priester vom Kult und vom Altar leben. Nach den Ausführungen in V. 4-12a könnten die Argumente in V. 13-14 als unnötig erscheinen. Wahrscheinlich geht es Paulus in V. 13-14 aber darum, nicht nur von der Kompensation im säkularen Bereich her zu argumen————————————————————
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Héring 73; Collins 342; Schrage II 206-307. Robertson/Plummer 187; Fee 412. Meyer 246; Schlatter 273-274; Bachmann 317; Schrage II 308; Merklein II 223. So schon Ambrosiaster 101; vgl. Bousset 112; Fee 412. Lindemann 206 argumentiert mit dem Hinweis auf 10,14–11,1 gegen einen Bezug auf den heidnischen Kult. Das Verb παρεδρευ' ω („sich beschäftigen mit, sich kümmern um“) kommt in der LXX nicht vor, wird aber im Zusammenhang heidnischer Kulte zur Beschreibung des Priesterdienstes am Altar verwendet (Diodorus Siculus 4,3,3; IG XIV 1728; P.Mich. V 233,13-18; vgl. NewDocs IV, 34; Arzt-Grabner 351-352). Andererseits wird die Vokabel θυσιαστη' ριον („Altar“) in der LXX und im NT fast ausnahmslos vom Tempel in Jerusalem verwendet. Vgl. Schrage II 307; Garland 414. Klauck 66; Senft 120; Kremer 189. Vgl. auch Lev 7,6-8; Num 5,9-10; Dtn 10,9; 1Sam 2,28; 2Chron 31,4. Muth, Einführung, 147.307; Klauck, Umwelt I, 42.
494 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
tieren, sondern auch von der Vergütung und Versorgung im geistlichen bzw. religiösen Bereich zu sprechen. 14 Nachdem sich Paulus auf die Autorität des Gesetzes (V. 9-10) und das Vorbild des priesterlichen Dienstes im Heiligtum (V. 13) berufen hat, beruft er sich nun auf ein Wort des Herrn:303 So hat auch der Herr denen, die das Evangelium verkündigen, befohlen, vom Evangelium zu leben. Der Satz „die das Evangelium verkündigen, sollen vom Evangelium leben“ (τοι^ς το` ευ αγγε'λιον καταγγε'λλουσιν ε κ του^ ευ αγγελι' ου ζη^ ) ist kein wörtliches Zitat eines Jesuswortes, sondern eine Anspielung auf Mt 10,10b / Lk 10,7b. 304 Die Wendung „die das Evangelium verkündigen“ fehlt in dem Logion Mt 10,10 und Lk 10,7, trifft aber das im Kontext von Mt 10 und Lk 10 Gemeinte genau. Diese Formulierung zeigt, dass Paulus nicht nur das Herrenwort kannte, sondern offensichtlich auch die Aussendungsrede.305 Das Verb διατα' σσω bedeutet „anordnen, befehlen“. Die Autorität des Jesuswortes wird mit dem κυ' ριος-Titel unterstrichen. Mit ευ αγγε'λιον ist im Zusammenhang des Verbs καταγγε'λλω („verkündigen“) der Inhalt der Verkündigung gemeint, d.h. die Botschaft von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus. In Verbindung mit dem Verb ζα' ω („leben, seinen Lebensunterhalt beziehen“) beschreibt es den Vorgang der Evangeliumsverkündigung.306 Paulus sagt mit dem Jesuswort: Wer als Missionar und Apostel das Evangelium verkündigt, der soll sich nicht selbst um seine Versorgung mit den lebensnotwendigen Gütern kümmern müssen. War Paulus dieser Weisung des Herrn ungehorsam? Manche Ausleger wollen den Dativ τοι^ς το` ευ αγγε'λιον καταγγε'λλουσιν als dat. commodi interpretieren: Jesus hat „zugunsten“ der Evangeliumsverkündiger geboten, d.h. Jesus hat eine Erlaubnis ausgesprochen bzw. ein Angebot gemacht. 307 Das Verb διατα' σσω wird jedoch mit dem Dat. der Person konstruiert, sodass diese Interpretation ausscheidet. Andere schlagen vor, dass διατα' σσω nicht ————————————————————
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Ob es sich bei der Berufung auf ein Wort Jesu um die höchste Autorität handelt, auf die Paulus sich berufen kann (Weiss 239; Strobel 146; Klauck 86; Garland 414; vgl. Schrage II 308), sei dahingestellt; man sollte im Blick auf Paulus die Autorität des Redens Gottes in den heiligen Schriften nicht gegen Herrenworte ausspielen. Zur Bedeutung der Herrenworte s. oben zu 7,10. Mt 10,10b: „Der Arbeiter ist seiner Nahrung wert“ (α»ξιος γα` ρ ο ε ργα' της τη^ ς τροφη^ ς αυ του^ ); Lk 10,7b: „Denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert“ (α»ξιος γα` ρ ο ε ργα' της του^ μισθου^ αυ του^ ). In 1Tim 5,18 wird dasselbe Herrenwort zitiert. Wenham, Paul, 191-196. Schrage II 309: „Diese Bedeutungsverschiebung auf engstem Raum . . . bestätigt (vgl. 4,15), daß für Paulus beides konstitutiv zusammengehört und nicht zu trennen ist. Der Inhalt des Evangeliums begegnet und erschließt sich im Akt der Verkündigung, der viva vox evangelii, die für Paulus nicht nur Heilsgeschehen bezeugt, sondern Heil mit sich bringt“. Godet II 26; Barrett 208; Fee 413 Anm. 96; S. Kim, Art. Jesus, Sayings of, DPL 475.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 495 ————————————————————————————————————
„befehlen“, sondern „erlauben“ bedeutet. 308 Dies ist ebenfalls eine Verlegenheitslösung, obschon in Mt 10 / Lk 10 deutlich ist, „daß es sich faktisch eher um eine Erlaubnis als um ein Gebot handelt“. 309 Andere schlagen vor, Paulus wolle seinen Lesern klarmachen, dass der Apostel das Recht hat, von ihnen versorgt zu werden; deshalb habe die Anordnung des Kyrios die Verpflichtung der Adressaten im Blick, nicht unmittelbar die Verpflichtung des Apostels.310 Diese Erklärung ist ebenfalls nicht überzeugend. Die Instruktion Jesu wendet sich nicht an die galiläischen Dorfbewohner, sondern an die Jünger. Zu beachten ist, dass es im Kontext der Aussendungsrede Jesu um das Unterhaltsrecht der Jünger geht, die er in die Städte und Dörfer Galiläas aussendet. Paulus sieht, dass das Wort Jesu dazu verwendet werden kann, das Recht auf materielle Unterstützung zu begründen. Aber er sieht sich selbst nicht verpflichtet, sich an das Wort Jesu zu halten, das sich auf die kurzfristige Galiläa-Mission der Jünger vor Ostern bezieht.311 15 Paulus bekräftigt (emphatisches ε γω' ), was er in V. 12b bereits kurz gesagt hatte: Ich habe von diesen Dingen keinen Gebrauch gemacht. Mit ου δενι` του' των („von keinem einzigen dieser Dinge“) sind wohl nicht die angeführten Begründungen gemeint,312 sondern die Rechte selbst.313 Die Formulierung mit einem Perfekt (κε'χρημαι; in V. 12 Aor. ε χρησα' μεθα) unterstreicht den festen Entschluss des Apostels, das Recht auf materielle Unterstützung nicht in Anspruch zu nehmen. W. Schrage kommentiert im Blick auf die finanzielle Gabe der Philipper, dass „dort nicht von regelmäßiger Versorgung zu sprechen ist“, während „es hier allein auf das Verhältnis zu den Korinthern ankommt“. 314 In V. 15b beugt Paulus einem möglichen Missverständnis vor: Er hat in den vorangehenden Ausführungen V. 4-14 nicht deshalb vom Recht auf materielle Unterstützung geschrieben (ε»γραψα ταυ^ τα), damit die Korinther dementsprechend (ου« τως) mit ihm verfahren (γε'νηται ε ν ε μοι' ). Er will die korinthischen Christen weder auffordern, bisher Versäumtes nachzuholen, noch sie informieren, dass er seine Meinung geändert hat und er jetzt bereit ist, sich von ihnen unterstützen zu lassen. Paulus würde lieber sterben (καλο` ν μοι μα^λλον α ποθανει^ν). Er beginnt den zu erwarteten Nebensatz mit der Vergleichspartikel η» , bricht den Satz aber ab (Anakoluth; zu ergänzen ————————————————————
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Wolff 199; vgl. Bruce, Paul, 107-108; Neirynck, Sayings, 175. Schrage II 310 Anm. 192. Merklein II 224. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1388. Heinrici 278; Weiss 239; Wolff 199; Lindemann 207: „keines der genannten Argumente ist verbindlich“. Kremer 190; Schrage II 319; Merklein II 225; Garland 422. Schrage II 320 Anm. 240; vgl. Fee 416 Anm. 11.
496 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
wäre: „als mein Recht in Anspruch zu nehmen, vom Evangelium zu leben“).315 Viele Ausleger erklären den Abbruch des Satzes mit der Erregung des Apostels (Aposiopese).316 W. Schrage hat sicherlich Recht, wenn er schreibt, dass es hier nicht einfach um einen Gefühlsausbruch geht, sondern „in leidenschaftlicher Weise um den Apostolat, der für Paulus von seiner Person unabtrennbar ist“ und bei dem er sich des Risikos seines Unterhalts bewusst war.317 Paulus bezeichnet die Tatsache, dass er das Recht auf Unterhalt nicht in Anspruch nimmt, als meinen Ruhm (το` καυ' χημα' μου), den er sich von niemand zunichte machen (ου δει` ς κενω' σει) lassen will. Paulus will nicht sagen, dass sein Verzicht eine Leistung ist, die Gott als Verdienst werten wird.318 Er will auch nicht sagen, dass er sich rühmen kann, weil er größere Opfer bringt als die anderen Apostel, die von Gemeinden finanzielle Unterstützung annehmen. Die Auslegung im Sinn des Ruhmes „nicht vor Gott . . ., sondern vor ihm selbst“ 319 ist wenig wahrscheinlich, da Paulus in dieser Interpretation von seinem Verzicht nur selbst profitiert. Die Feststellung passt nicht zum Skopus von Kap. 9, in dem Paulus sein Verhalten als Beispiel für das Verhalten in der Frage des Götzenopferfleisches beschreibt. P. Gardner erinnert an die Verwendung der Vokabel „Ruhm“ in der LXX, wo das Rühmen positiv gewertet wird, wenn es sich aus der Beziehung eines Menschen zu Gott ergibt.320 In V. 16 verbindet Paulus sein Rühmen mit seiner Verkündigungstätigkeit, die er als „Zwang“ beschreibt, den Gott auf ihn gelegt hat. Sein Rühmen würde zunichte gemacht, wenn er sich von Menschen dazu bringen liese, seinen bisherigen modus operandi aufzugeben und die Abhängigkeit von Gott mit der Abhängigkeit von einer geregelten materiellen Versorgung einzutauschen. ————————————————————
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318 319
320
Zu den Änderungen in der Handschriftentradition s. die textkritischen Anmerkungen. Bachmann 319; Weiss 239; Lindemann 208; NSS II 76; zur Aposiopese vgl. BDR §482 (wo V. 15 nicht als Beispiel genannt wird). Schrage II 321. Schlatter 275: „Es war immer wieder fraglich, ob er sich durch seine Arbeit das Leben erhalten könne“. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1388, mit Verweis auf 2Kor 11,9: Gerade in Korinth war Paulus in finanzielle Schwierigkeiten geraten, obwohl er seinen Lebensunterhalt selbst verdiente. Zur Kritik an Interpretationen im Sinn von einem Leistungsdenken des Apostels vgl. Schrage II 321 mit Anm. 251; ebd. 322 zur folgenden Bemerkung. R. Bultmann, ThWNT III, 652. Heinrici 279 interpretiert als „Bewusstsein des inneren sittlichen Werthes seines Verfahrens“, Weiss 239 im Sinn eines „Selbstgefühls“ als „eine innere Gehobenheit und Freudigkeit“, Lietzmann 43 als „das stolze Gefühl der Uneigennützigkeit“. Schlatter 275 bezieht den Ruhm auf die handwerkliche Tätigkeit. Gardner, Gifts, 88-91, mit Verweis auf Dtn 10,21; Ps 5,12; 88,18 LXX; Jer 9,22-23 (zitiert in 1Kor 1,29.31); vgl. Garland 422-423.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 497 ————————————————————————————————————
16 Paulus erklärt (γα' ρ) in V. 16-18, was er mit dem „Ruhm“ meint, den er sich nicht nehmen lassen will. Die Verkündigung des Evangeliums ist für Paulus als solche nicht die Ursache seines Rühmens (ου κ ε»στιν μοι καυ' χημα). Er verkündigt das Evangelium (ευ αγγελι' ζωμαι), weil ein Zwang auf ihm liegt. Mit α να' γκη ist nicht eine bedrückende Zwangslage gemeint (wie in den Leidenskatalogen, vgl. 2Kor 6,4; 12,10; 1Thess 3,7), sondern der Ruf Gottes, der Paulus in der Begegnung mit dem Auferstandenen vor Damaskus erreicht hat und der ihn nicht nur in die Nachfolge Jesu Christi rief, sondern ihn zugleich mit der Aufgabe betraute, „ihn unter den Heiden zu verkündigen“ (Gal 1,16). Von einem unausweichlichen, von Gott verhängten „Schicksal“ zu sprechen,321 ist für das Verständnis, das Paulus von seiner Berufung zum Missionar hat, zu unpersönlich. Hilfreicher ist der Hinweis, dass α να' γκη denselben Sachverhalt bezeichnet, den Paulus sonst mit δου^ λος beschreibt: Als Sklave Jesu Christi (Röm 1,1) ist er dem Tun des Willens Gottes verpflichtet. Eine Parallele sind die Berufungen Moses und der Propheten.322 Die Formulierung von Paulus erinnert an Jer 20,9: „Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich es nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen“. Wenn Paulus es unterlassen würde das Evangelium zu verkündigen (ε α` ν μη` ευ αγγελι' σωμαι), befände er sich in einem beklagenswerten Zustand (ου αι` μοι' ε στιν).323 Paulus sorgt sich nicht um die Folgen der Verkündigung des Evangeliums, die er regelmäßig als Beschwernis und Leiden erfährt, als Schauspiel für die Welt und als dem Tod Geweihter (4,9; 2Kor 1,8-10). Er sorgt sich um die Folgen des Verschweigens des Evangeliums, um die Konsequenzen, die sich aus einem Abbruch des Zeugendienstes für Jesus Christus ergeben würden. ————————————————————
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Käsemann, Exegetische Versuche II, 263; Schrage II 323; kritisch Merklein II 226. Ex 3,11-12; 4,10-17; Jer 1,5-6; 20,9; Ez 3,17-18; Am 3,8. Sandnes, Paul, 125-129 schließt aus diesen Parallelen auf das prophetische Selbstbewusstsein des Paulus. Ου αι', das in der LXX für אויund הויsteht, ist hier weder Drohung noch Angstruf, sondern eine Klage. Die Weherufe sind nicht von kultischen Fluchworten herzuleiten, sondern von der Leichenklage: „Das wohl ursprünglich der Totenklage zugehörige hōj soll deutlich machen, daß einem bestimmten menschlichen Verhalten der Keim des Todes bereits innewohnt“ (G. Wanke, ZAW 78 [1966] 215-218, hier: 218); vgl. E. Jenni, Art. הוי, THAT I, 474-477. Von daher ist die Interpretation von Käsemann, Exegetische Versuche II, 234, übernommen von Schrage II 324, dass es sich bei dem Wehe in V. 16 um „die Macht des göttlichen Fluches und eschatologischen Zornes“ handelt, zu revidieren. Gleichfalls unhaltbar ist die Interpretation von Sandnes, Paul, 124, der den Weheruf als Drohung mit dem Gericht interpretiert und meint, das Heil des Paulus sei mit seinem apostolischen Dienst verknüpft!
498 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
17 Paulus illustriert mit einem Vergleich aus der Arbeitswelt, was er meint. Der Satz wenn ich dies freiwillig täte, erhielte ich Lohn formuliert den im Alltag zu beobachtenden Tatbestand, dass „freiwillig“ (ε κω' ν) geleistete Arbeit324 mit Lohn (μισθο' ς) vergütet wird. Die Wendung του^ το πρα' σσω meint die Verkündigung des Evangeliums. Wenn er unfreiwillig (α»κων) arbeitet, dann wurde ihm der Auftrag anvertraut (οι κονομι' αν πεπι' στευμαι), d.h. dann leistet er einen unbezahlten Dienst, zu dem er gezwungen wird. Als Erklärung von V. 15-16 bedeutet dies Folgendes: Wenn Paulus freiwillig als Missionar das Evangelium von Jesus Christus verkündigt, dann hätte er „Lohn“, d.h. das selbstverständliche Recht auf Entlohnung, auf materielle Unterstützung. Aber er ist nicht aus freien Stücken Apostel geworden, sondern aus Gehorsam gegenüber der Berufung durch den erhöhten Herrn, dem er auf der Straße nach Damaskus begegnet ist. Er ist „unfreiwillig“ Missionar, „gezwungen“ von Jesus Christus, der ihn zum Apostel berufen hat. Deshalb hat er keinen „Lohn“, d.h. keinen Grund, sich zu rühmen (V. 16).325 Paulus spricht also nicht von seinen Gefühlen im Blick auf seine Berufung zum Missionarsdienst, sondern von seinem Status. Ein οι κονο' μος (s. zu 4,1) ist nicht Herr seines Tuns, sondern führt aus, was ihm aufgetragen ist. Der „Zwang“, von dem Paulus in V. 16 sprach, hat mit der „Unfreiwilligkeit“ seines Missionsberufs und mit der „Verwaltertätigkeit“ als Sklave Jesu Christi zu tun. Die Aussage in V. 17 erinnert an den Schluss des Gleichnisses vom unnützen Knecht: „So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan“ (Lk 17,10). 18 Die Betonung des unfreiwilligen Arbeitens ohne Lohnzahlung (V. 17) wirft die Frage auf: Was ist also mein Lohn? (τι' ς ου ν μου' ε στιν ο μισθο' ς;). Der folgende Satz erklärt,326 ob Paulus Lohn erhält und worin der Lohn besteht. Paulus erhält Lohn; dieser besteht jedoch paradoxerweise darin, dass er als Verkündiger das Evangelium ohne Entgelt weitersagt (ευ αγγελιζο' μενος α δα' πανον θη' σω το` ευ αγγε'λιον).327 Das Adv. α δα' πανον (nur hier im NT) bedeutet „kostenlos, ohne Entgelt“; das Verb τι' θημι328 hat im Kontext ————————————————————
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In den Papyri begegnet εκω' ν hauptsächlich in Verträgen: Jemand bestätigt, dass er einer Abmachung „aus freien Stücken“ zustimmt; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 358. Schrage II 325 lehnt zu Recht die Interpretation von μισθο' ς in V. 17 im Sinn von Lebensunterhalt (Robertson/Plummer 189), der Paulus in jedem Fall zusteht, sowie die Interpretation im Sinn des himmlischen Lohns wie in 3,8.14-15 (Meyer 250) ab. «ινα erklärt hier epexegetisch μισθο' ς; vgl. BDR §394 Anm.3; HS §272a; NSS II 76. Das Ptz. Med. ευ αγγελιζο' μενος ist temporal zu verstehen: „wenn ich das Evangelium verkündige, bei meiner Verkündigung“; NSS II 76. Das Futur θη' σω steht hier für den Aor. Konj; vgl. BDR §369 Anm.5.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 499 ————————————————————————————————————
die kaufmännische Bedeutung „anbieten“. 329 Der Lohn und der Ruhm des Paulus besteht darin, dass er auf Lohn verzichtet, d.h. auf das Recht, materielle Unterstützung zu erhalten. Paulus will damit nicht sagen, dass seine unentgeltliche Evangeliumsverkündiung von Gott als besondere geistliche Leistung einmal vergolten werden würde.330 Paulus sagt, dass die Evangeliumsverkündigung, wie er sie praktiziert, sein Lohn war, ist und bleibt. Die Absicht (oder die Folge) seiner unentgeltlichen Missionsarbeit wird von Paulus so formuliert: so dass ich von meinem Recht am Evangelium keinen Gebrauch mache. Das „Recht“ (ε ξουσι' α) ist das Recht auf Versorgung, das er als Apostel besitzt, aber nicht in Anspruch nimmt. Das Verb καταχρα' ομαι bedeutet „gebrauchen“; eine negative Nuance („missbrauchen, ausnutzen“) liegt nicht vor.331 Der Lohn, den Paulus hat, besteht in seinem Rechtsverzicht, d.h. in der Besorgung seines missionarischen Dienstes, ohne das Recht auf materielle Versorgung in Anspruch zu nehmen. Er sieht die Tatsache seiner Verkündigung des Evangeliums bereits als Lohn an. 332 19 Paulus erklärt seinen Verzicht auf das Recht zur materiellen Versorgung nicht als Verzicht auf Freiheit, „sondern als Möglichkeit und Konkretion seiner Freiheit“.333 Diese Konkretion besteht in dem missionarischen Programm, so viele Menschen wie möglich für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen. Der Satz weil ich frei bin (ε λευ' θερος ω
ν ) greift auf die bejahende Antwort der rhetorischen Frage in V. 1a zurück. Paulus hatte in V. 1ab zwei Fragen gestellt: „Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel?“. Er hatte zunächst die zweite Frage aufgegriffen und gezeigt, dass er das Recht eines Apostels besitzt, materielle Unterstützung zu erhalten (V. 1-14). In V. 15-23 beantwortet er die Frage nach seiner Freiheit. Die Bestimmung von allen (ε κ ————————————————————
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Bauer /Aland 1626 s.v. τι'θημι 1b.γ: Als terminus technicus des kaufmännischen Lebens bedeutet das Verb „niederlegen, einzahlen, deponieren“. Die folgende Wendung εις το' mit Inf. hat finale oder konsekutive Bedeutung; NSS II 76. Schrage II 326; Garland 426. Schrage II 327 weist ein stoisches oder idealistisches Verständnis zurück, nach dem der Lohn „im Tun der guten Tat selbst besteht oder gar im Bewußtsein um den sittlichen Wert einer solchen Tat“; seine Erklärung, der Verzicht auf Unterhalt sei bei Paulus „der Ausdruck seines Gehorsams gegenüber dem Gebot der Liebe“ (ebd.) geht über den Text hinaus, in dem von der α γαπη' nicht die Rede ist. „Ausnutzen“ im Sinn von „missbrauchen“ durfte keiner der Apostel das Evangelium! Nach Bauer /Aland 856 unterscheidet sich das Kompositum καταχρα' ομαι („verbrauchen, missbrauchen“) in den beiden ntl. Stellen 1Kor 7,31; 9,18 nicht vom Simplex χρα' ομαι und ist deshalb mit „gebrauchen“ zu übersetzen. Zustimmend Schrage II 327 mit Anm. 291, der dann aber doch mit „ausnutzen“ übersetzt (ebd. 318). Anders Fee 421. Lindemann 209 meint, Paulus teile den korinthischen Christen mit „daß sie keine Geldforderungen zu befürchten haben“. Davon ist im Text nichts zu erkennen. Merklein II 228; vgl. Schrage II 334. Weiss 242 bezeichnet V. 19-23 als „Kabinettstück überlegtesten Aufbaues“, dessen Sätze „im Einzelnen die anmutigsten, symmetrischen, klanglichen und gedanklichen Feinheiten zeigen“; vgl. Schrage II 335; Lindemann 210.
500 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
πα' ντων) ist hier maskulinisch interpretiert: Paulus ist nicht von Menschen abhängig, sondern allein von Gott und Jesus Christus. Das personale Verständnis passt zum Kontext V. 19b. Weil es in V. 15-18 um den Rechtsverzicht auf materielle Unterstützung geht, kann man diese nicht ausklammern, d.h. ein neutrisches Verständnis schwingt vielleicht mit: Paulus ist unabhängig von Menschen und Rechten, „von Ansprüchen und Abhängigkeiten, Urteilen und Konventionen“.334 Paulus ist in der Begegnung mit Jesus Christus der barmherzigen Liebe Gottes begegnet, die ihn nicht nur von Schuld und Sünde befreit hat, sondern in seiner Berufung zum Heidenapostel auch von Menschen und deren Erwartungen. Als Verkündiger des Evangeliums vom Heilshandeln Gottes in Jesus Christus ist er nur Gott bzw. Christus verpflichtet. In V. 19b formuliert Paulus die Grundregel seiner missionarischen Existenz: Ich habe mich allen zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen.335 Zum Sklaven „machen“ (ε δου' λωσα) kann sich nur ein Freier. Paulus macht sich als Missionar von seinen Hörern abhängig, er wird ihr „Sklave“. Paulus spricht natürlich nicht von einer persönlich-rechtlichen Abhängigkeit, sondern davon, dass die Hörer über die Lebensweise entscheiden, die ihn als Verkündiger des Evangeliums charakterisiert. A. Schlatter kommentiert: „Er gewinnt die Menschen nicht dadurch, daß er sich von ihnen sondert, wie er es in Kraft seiner Freiheit könnte, sondern dadurch, daß er sich unter sie stellt, ihnen gehört und ihnen dient. Von ihrer Not bekommt er die Weisung, was er tun soll, und ihr Heil ist das, was er begehrt. Damit sie auf ihn hören, hört er auf sie, und weil sie tun sollen, was er von ihnen verlangt, tut er, was sie von ihm erbitten“.336 Aus dem von Paulus genannten „identifikatorischen“ Grundsatz missionarischen Verhaltens folgt, dass über die Sprache, in der die Verkündigung geschieht, vorentschieden ist, „vom Hörer her, weil der Hörer das Evangelium verstehen soll . . . Wer das Evangelium verkündigt, darf es nicht sprachlich verschlüsseln, sind doch die neutestamentlichen Zeugen selbst immer sprachlich im Vorstoß zum Hörer hin begriffen, zu immer neuer Interpretation der Tradition aufgerufen“.337 Paulus sagt, dass er Menschen gewinnen will (κερδαι' νω). Dieses Verb ist ein Schlüsselwort für V. 19-23 (vgl. V. 19.20a.20b.21.22). Im außerbiblischen Griechisch bedeutet das Verb „Gewinn/Nutzen haben, profitieren, sich ————————————————————
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Schrage II 337. Vgl. Merklein II 228: „Die Freiheit von aller menschlichen Abhängigkeit gibt ihm aber auch die Möglichkeit, auf seine Apostelrechte zu verzichten“. Für das richtige Verständnis von V. 19b ist es wichtig, die Funktion des Partizipialsatzes V. 19a richtig zu verstehen: ω » ν ist nicht konzessiv zu verstehen („obwohl ich frei bin, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht“), sondern kausal („weil ich frei bin“); Schrage II 338; Merklein II 228 (modal oder kausal); anders NSS II 77. Schlatter 279. Eichholz 1972, 49; vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 914.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 501 ————————————————————————————————————
geneigt machen“, kommt aber an keiner Stelle in übertragenem Sinn mit Menschen als Objekt vor. David Daube meint, der von Paulus verwendete Ausdruck stamme aus der jüdischen Missionsterminologie: Das Verb שכרbedeutet „verdienen, profitieren“. Der griechische Ausdruck wurde von Symmachus als Übersetzung von שכרverwendet (Pred 4,9). Das hebr. Wort kommt in einigen rabbinischen Texten im Sinn von „Menschen gewinnen“ vor, und zwar im Blick auf Israeliten, die Gott verworfen hatte und die er wieder „gewinnt“.338 Daube führt diese Bedeutung des Wortes auf Juden bzw. Rabbinen zurück, die Proselyten „gewannen“. Nicht wenige Ausleger haben sich ihm angeschlossen,339 obwohl Daube darauf hingewiesen hatte, dass er in den rabbinischen Texten keine Stelle finden konnte, wo die Ausdrücke נשכרoder השכרdie Bekehrung eines Heiden zum Glauben an den Gott Israels beschreiben. Als terminus technicus der jüdischen Proselytenmission sollte man den Ausdruck also nicht bezeichnen, zumal eine solche historisch nicht nachzuweisen ist.340
Deutlich ist jedenfalls, dass das Wort „gewinnen“ in der urchristlichen Mission eine wichtige Rolle spielte (vgl. neben V. 19-21 auch 1Petr 3,1). Einen Menschen „gewinnen“ bedeutet, ihn „retten“, wie die Formulierung in V. 22 zeigt. Das heißt es ist der Mensch, der zum Glauben an Jesus Christus kommt, der einen „Gewinn“ hat. Das ist die primäre Bedeutung. Angesicht von 3,12-15 kann man nicht ausschließen, dass Paulus auch an einen „Gewinn“ für den Missionar denkt: Er weiß sich als Verkündiger des Evangeliums Gott verantwortlich, der im Endgericht seine Arbeit auf ihre Dauerhaftigkeit prüfen wird.341 Seine Missionsarbeit hat dann Bestand, wenn Juden und Heiden sich durch seine Verkündigung des Evangeliums zum Glauben an Gottes heilschaffende Offenbarung in Jesus Christus bekehren und in der Ortsgemeinde als Jesusbekenner leben. Paulus will möglichst viele (του` ς πλει' ονας) Menschen gewinnen. Diese Wendung bedeutet nicht „die Mehrheit, die meisten“:342 Paulus weiss aus der Erfahrung seiner seiner Missionsarbeit, dass meistens nur „einige“ Menschen glauben (vgl. V. 22: «ινα πα' ντως τινα` ς σω' σω). Vielleicht will Paulus sagen, dass bei einem anderen Verhalten, d.h. wenn er immer im Vollzug seiner Freiheit auftreten oder wenn er auf das Recht auf materielle Versorgung nicht verzichten würde, sich nur sehr wenige Menschen für den Glauben an Jesus gewinnen lassen würden. 343 ————————————————————
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Daube, Maxims, 352-361; vgl. Pesiqta Rabbati 166b; 32b-33a; bPes 119a. Schrage 339; Thiselton 701; H. Schlier, ThWNT III, 672; G. Schneider, EWNT II, 700. Schnabel, Urchristliche Mission, 94-174. In der Septuaginta kommt κερδαι'νω nicht vor. Thiselton 701. Bauer /Aland 1382 s.v. πολυ' ς 2a.α („viell.“); Schrage II, 333.339. Schlatter 280; Kremer 193; Lindemann 211; Schnabel, Urchristliche Mission, 918.
502 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
20 In V. 20-22 illustriert Paulus sein Verhalten als Missionar, der so viele Menschen wie möglich für den Glauben an Jesus Christus gewinnen will, mit drei Beispielen.344 Der Satz so bin ich den Juden wie ein Jude geworden will sagen: Paulus hat unter Juden wie ein Jude gelebt. Die Formulierung γι' νομαι ω ς τις beschreibt, wie Paulus auftritt, d.h. welche Aspekte der Evangeliumsbotschaft er betont hervorhebt, in welcher Sprache er redet, welche Beispiele und Argumente er verwendet, welchen Sitten und Gebräuchen er folgt. Das Verhalten „wie ein Jude“ war wichtig (z.B. im Blick auf Sabbatobservanz und die Einhaltung der Speisegebote), wenn er sich in jüdischen Städten wie Jerusalem aufhielt, war aber genauso notwendig, wenn er in griechischen und römischen Städten Synagogen und jüdische Familien besuchte. Aus der Wendung ω ς Ιουδαι^ος sollte man nicht schließen, dass Paulus einfach Jude „ist“, sondern es „wird“, um Juden zu gewinnen.345 Die in den folgenden beiden Beispielen qualifizierende Bemerkung „obwohl ich nicht . . . bin“ fehlt hier. Das heißt: Paulus hat nie aufgehört, Jude zu sein. Im ethnischen Sinn ist Paulus selbstverständlich Jude geblieben. Aber im religiösen Sinn er hat nicht konsequent als Jude gelebt, sondern eben nur dann, wenn er sich unter Juden aufhielt. Paulus muss die mit dem Glauben an Jesus Christus geschenkte Freiheit nicht demonstrativ in jeder Situation und in jeder Hinsicht praktizieren. Die Freiheit des Evangeliums kann auch so gelebt werden, dass er sich nach den jüdischen Sitten und Gebräuchen richtet. Der Satz damit ich die Juden gewinne (ι«να Ιο υδαι' ους κερδη' σω) bestätigt den lukanischen Bericht in der Apostelgeschichte, dass Paulus nicht nur Heidenmissionar war, sondern auch Juden für den Glauben an Jesus Christus gewinnen wollte. Die Tatsache, dass Paulus in V. 20 zuerst von der Judenmission spricht, kann als Bestätigung der lukanischen Darstellung der Apostelgeschichte verstanden werden, nach der Paulus in den Städten immer zuerst die Synagoge besucht und dort gepredigt hat (Apg 13,14-45.46-15 u.ö.). Wolfgang Reinbold argumentiert, dass Paulus sich nie als Judenmissionar verstanden hat, sondern nur unter Nicht-Juden das Evangelium verkündigte.346 Die Argumenta————————————————————
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Das einleitende και' ist explikativ. Die Meinung von Chadwick, All Things to All Men, 263 und Marshall, Enmity, 308-311, Paulus bediene sich in V. 20-22 der Sprache seiner Gegner, die ihm seine Anpassungswilligkeit vorwarfen, kann aus dem Text nicht begründet werden und ist angesichts der prinzipiellen Formulierungen nicht plausibel. So Schrage II 340; Vollenweider, Freiheit, 214; kritisch zu Recht Merklein II 341. Problematisch ist auch die Auslegung von Barrett 211, der meint, sein Judesein sei nur eine Maske, die er je nach Bedarf aufsetzen oder abnehmen konnte. Reinbold, Propaganda, 164-182, zur Darstellung der Apostelgeschichte ebd. 117-163. 207-210. Zur Kritik vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 900-901.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 503 ———————————————————————————————————— tion Reinbolds ist nicht überzeugend. Zunächst ist festzuhalten, dass Paulus in der Beschreibung seiner Bekehrung und seiner Berufung in Gal 1,15-16 in der Tat von Heiden und nicht von Juden spricht. Man darf jedoch nicht vergessen, dass dieser Text zu einem historischen und theologischen Kontext gehört, in dem Paulus nicht neutral von seiner Berufung spricht, sondern gegenüber den galatischen Christen seine beschneidungsfreie Botschaft als Missionar unter Nichtjuden verteidigt. Zweitens, in Röm 11,13-15 beschreibt Paulus nicht seine apostolische Aufgabe, sondern seine Hoffnung, wie es zur Bekehrung von immer mehr Juden kommen kann. Die Formulierungen, die Paulus in Röm 11 verwendet, schließen missionarische Predigten in Synagogen nicht aus. Drittens, die Meinung, das „Schema“ Synagogenpredigt – Erfolg – Konflikt – Vertreibung, das uns in der Apostelgeschichte begegnet, sei stilisiert, redaktionell und historisch wertlos, lässt sich nur halten, wenn man dem lukanischen Bericht mit einer generellen Skepsis begegnet. Wenn Paulus die Juden nicht aufgegeben hat, sondern hofft, dass sich mindestens einige Juden gewinnen lassen, und wenn Paulus in den Städten, in denen er das Evangelium verkündigt, die Synagoge besucht (was Reinbold z.B. für Korinth und Philippi gelten lässt), dann ergibt sich fast zwingend, dass er in Synagogen Missionspredigten gehalten hat: Als Rabbi, der in Jerusalem unter dem berühmten Toralehrer Gamaliel studierte, hätte Paulus sich bei seinen Besuchen in jüdischen Diasporagemeinden von Lehrbeiträgen in der Synagoge nur dann fernhalten können, wenn er prinzipiell und konsequent auf diese verzichtet hätte – für einen aktiven Missionar, der für die Errettung seiner jüdischen Stammesgenossen sein eigenes Heil drangeben würde, wenn er dies könnte, eine kuriose Vorstellung. Viertens, Reinbolds Bemerkungen zu 1Kor 9,19-23 müssen als Fehlinterpretation bezeichnet werden. Das Verb κερδαι' νω bedeutet nicht „für sich und die Ekklesia einnehmen“, sondern „(für die Wahrheit des Evangeliums) gewinnen“, und das heißt im Blick auf Juden (V. 20), „Juden für den Glauben an Jesus als Messias gewinnen“. Manche Ausleger meinen, die Hoffnung auf die „Rettung wenigstens einiger“ (V. 22b) zeige, Paulus spreche von seinem Verhalten, das „indirekt“ zur Bekehrung einiger weniger Juden führe. Diese Meinung geht jedoch an der Aussage des Textes vorbei. a) Das Verb κερδαι'νω ist intransitiv, wird also konsequent mit Akkusativobjekt gebraucht: Paulus will Menschen „gewinnen“, und zwar für die „Errettung“ (V. 22c), die durch Gottes Heilshandeln in Jesus Christus möglich geworden ist. Er will sie nicht „für sich“ oder „für die Ekklesia“ „einnehmen“ (was immer dies auch heißen soll). b) Die parallelen Formulierungen in V. 20 und V. 21 zeigen, dass die Absicht, die Paulus in seinen Kontakten mit Juden verfolgt, genau seiner Motivation und seinen Zielen entspricht, die seine Missionsarbeit unter Heiden charakterisieren. c) Selbst wenn es sich bei den „Schwachen“, die Paulus „gewinnen“ will (V. 22a), um Christen handeln sollte,347 bleibt κερδαι'νω in V. 20-21 auf die missionarische Gewinnung von Nichtchristen bezogen. d) Die Rettung „einiger“ in V. 22b bezieht sich nicht nur auf Juden, sondern auch auf Heiden. Paulus weiß, dass es immer nur „einige“ sind, die sich zum Glauben an Jesus bekehren, ob dies Juden oder Heiden sind.
Die Anpassung (Akkommodation), von der Paulus hier und in den nächsten Sätzen spricht, soll zum Heil von Juden und Heiden führen (V. 22). Es geht ————————————————————
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Barrett 215; Reinbold, Propaganda, 178 Anm. 57; vgl. Kremer 195; Collins 355. Im kontextuellen Sinn von Nichtchristen interpretieren Schrage II 346; Thiselton 705-706.
504 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
nicht um eine inhaltliche Anpassung des Evangeliums „an den Geschmack der Hörer oder den jeweiligen Zeitgeist“, sondern um die Variabilität des Apostels, der sein Verhalten den Menschen angleicht, unter denen er lebt. 348 In V. 20b konkretisiert Paulus die Aussage V. 20a. Denen, die unter dem Gesetz sind (τοι^ς υ πο` νο' μον), wurde Paulus wie einer unter dem Gesetz (ω ς υ πο` νο' μον). Im Kontext von V. 20a bezieht sich νο' μος auf das mosaische Gesetz, nicht auf alle möglichen anderen Gesetze. Und die Wendung οι υ πο` νο' μον beschreibt an die Tora gebundene Juden, nicht eine andere Gruppe.349 Wenn Paulus unter Juden lebt, befolgt er das Gesetz und hält sich an die aus dem Gesetz entwickelten halachischen Vorschriften. Paulus qualifiziert seine Aussage aber sofort mit dem Satz obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin (μη` ω
ν αυ το` ς υ πο` νο' μον). Was Paulus von Juden unterscheidet, die sich dem Gebot Gottes gemäß an die Tora halten, ist die Tatsache, dass das Halten der Tora nicht mehr in der Weise seine jüdische Identität bestimmt, wie dies im traditionellen Judentum der Fall ist.350 Dass Paulus nicht mehr υ πο` νο' μον ist, bedeutet nicht, dass das Gesetz jede Bedeutung für ihn verloren hat.351 Dass Paulus nicht mehr „unter dem Gesetz“ ist bedeutet erstens, dass er nicht mehr unter dem Fluch steht, den das Gesetz über die Sünder ausspricht, weil Jesus Christus in seinem Tod am Kreuz die Strafe für die Sünde erlitten hat (Gal 3,13). Zweitens wurde durch das sühnende, die Sünde vergebende Heilshandeln Gottes im Tod und in der Auferweckung Jesu Christi das Heilsparadigma der Tora aufgehoben, nach dem die Sünden durch Opfer und rituelle Waschungen gesühnt werden. Paulus kann sich an Vorschriften des Gesetzes halten, im Blick auf manche Regelungen des Gesetzes muss er dies tun (z.B. Dekalog). Aber als Jesusbekenner, der an die Messianität Jesu, an die Heilswirkung seines Todes am Kreuz und an seine Würde als auferstandener und erhöhter Kyrios glaubt, ist er nicht mehr zum Tun des Gesetzes als Voraussetzung und Bedingung des Heils verpflichtet (Gal 2,16-21; Röm 3,21-30). Paulus ist aber bereit und in der Lage, auch solche Vorschriften des Gesetzes zu befolgen, die für ihn als Jesusbekenner keine (Heils-)Bedeutung mehr besitzen, damit er die unter
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Schrage II 341. Heinrici 285 und Findlay 854 interpretieren im Sinn von Proselyten, Ellison, All Things to All Men, 196 im Blick auf die Gottesfürchtigen, Lindemann 212 im Sinn von „betont toratreue(n) Juden oder auch ‚judaisierende(n)‘ Christen“. Kritisch Schrage II 341-342. Merklein II 230; vgl. ebd. für die folgenden Bemerkungen. Vgl. 7,19; Röm 3,31; 7,12; 8,3-4, sowie die wiederholte Begründung des richtigen ethischen Verhaltens von Christen mit Berufung auf Texte und Bestimmungen der Tora.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 505 ————————————————————————————————————
dem Gesetz gewinne (ι«να του` ς υ πο` νο' μον κερδη' σω).352 Ein Widerspruch zur der Aussage in V. 21 besteht hier nicht. Gerade weil Paulus weiß, dass das Heil nicht vom Halten des Gesetzes abhängt, kann er z.B. die Speisevorschriften halten oder auch nicht halten. Es kommt ihm als Missionar vor allem darauf an, dass Menschen für den Glauben an Jesus Christus gewonnen werden. 21 Das zweite Beispiel für die Anpassung des Apostels Paulus an seine Zuhörer ist die Heidenmission. Mit den Gesetzlosen (οι α»νομοι) sind die NichtJuden gemeint, d.h. die Menschen, die sich nicht an das Gesetz halten, also die polytheistischen Einwohner der Städte, in denen Paulus das Evangelium verkündigt.353 Das Wort α»νομος ist deskriptiv, nicht moralisch wertend gemeint. In 1,24; 10,32; 12,13 verwendet Paulus als Gegenbegriff zu Ιουδαι^ος das Wort « Ελ λην, in 1,23 ε» θνος. Unter Heiden hat sich Paulus wie ein Gesetzloser (ω ς α»νομος) verhalten. Es war gerade dieses „gesetzlose“ Verhalten von Judenchristen, die nicht mehr konsequent alle Gebote der Tora befolgt haben, das in der Urgemeinde zu Konflikten geführt hat. Die Heidenmission war als solche nicht umstritten, der modus operandi der Heidenmission jedoch sehr wohl.354 Die hellenistischen Judenchristen um Stephanus sowie Petrus nach seiner Erfahrung in Joppe und Cäsarea öffneten den Weg zur Heidenmission, indem sie auf die Einhaltung der Tora als Voraussetzung der Eingliederung der Heidenchristen in die Gemeinschaft des Volkes Gottes verzichteten. Manche Judenchristen forderten, dass judenchristliche Missionare wie Paulus und die Heidenchristen, die sich zum Glauben an Jesus Christus bekehrten, das Gesetz befolgen sollten, einschließlich des Gebotes der Beschneidung. Paulus, aber auch Petrus und Jakobus wandten sich konsequent gegen solche Versuche, eine Schranke für das Evangelium aufzurichten, die Gott selbst beseitigt hatte. Der Grund, weshalb Paulus unter Heiden wie ein Nichtjude lebt, ist wieder, um die Gesetzlosen zu gewinnen (ι«να κερδα' νω του` ς α νο' μους, V. 21c). Paulus will Polytheisten zum Glauben ————————————————————
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Schrage II 343 schreibt: „In statu confessionis gibt es für Paulus keine Konzessionen, und dieser status confessionis ist dann gegeben, wenn das Gesetz post Christum als Heilsweg verstanden und mit Christus und dem Evangelium kombiniert werden soll“. Dem wäre hinzuzufügen, dass für Paulus als Missionar, der Menschen für den Glauben an Jesus gewinnen will, der status praedicationis als status accomodationis praedicatoris gegeben ist. Proselyten und die in den Synagogen zu findenden Gottesfürchtigen sind wohl nicht mit gemeint; selbst die Gottesfürchtigen haben sich mindestens an die grundlegenden Gebote des mosaischen Gesetzes gehalten. Zu Proselyten und Gottesfürchtigen vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 125-135; G. W. van Henten, RGG4 III, 1219; I. Wandrey, RGG4 VI; dies., DNP X, 437-439. Vgl. ausführlich Schnabel, Urchristliche Mission, 689-700.961-989.
506 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
an das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus führen und in die Heilsgemeinde des Volkes Gottes integrieren. Um Missverständnisse auszuschließen betont Paulus in V. 21b: obwohl ich nicht ohne Gesetz Gottes, sondern im Gesetz Christi bin. Paulus stellt klärend fest, dass er nicht ohne das „Gesetz Gottes“ lebt (μη` ω
ν α»νομος θεου^ ). Der in der Wendung α»νομος θεου^ implizierte Ausdruck νο' μος θεου^ bezieht sich auf die Tora. Auch als Christ steht Paulus noch immer unter dem Anspruch des Gesetzes als Offenbarungswort des ewigen Gottes. Der Text Gal 5,13–6,2 zeigt, dass der Glaube an Jesus Christus den Jesusbekennern ermöglicht, das ganze Gesetz zu erfüllen, „nicht als Bedingung, sondern als Frucht des Heils“.355 In diesem hermeneutischen Zusammenhang stellt Paulus fest, dass er im Gesetz Christi ist (α λλ’ ε»ννομος Χριστου^ ). Das „Gesetz Christi“ (vgl. Röm 8,2; Gal 6,2) sind nicht die Worte Jesu,356 das Liebesgebot (Gal 5,14)357 oder die „Norm“ des Lebens Jesu bzw. die Norm des Gehorsams gegenüber Jesus,358 sondern das infolge des eschatologischen Heilshandelns Gottes in Tod und Auferstehung Jesu Christi modifizierte mosaische Gesetz.359 Paulus protestiert in Röm 3,31 gegen das Ansinnen, in seiner Theologie sei das mosaische Gesetz aufgehoben. Stellen wie Röm 3,31; 7,12; 8,3-4 und die Verwendung des Gesetzes in den ethischen Anweisungen seiner Briefe zeigen, dass Paulus das Gesetz als Gottes Offenbarung nicht aufgehoben hat. Das Gesetz ist aufgehoben als Voraussetzung und Bedingung des Heils, es hat jedoch weiterhin Geltung als „Gesetz Gottes“ und „Gesetz Christi“. Jesus Christus „besitzt“ durch seinen Sühnetod die Tora, nachdem zuvor die Tora der Eigentümer des Sünders war. Das Gesetz wird im Licht des Sühnetodes und der Auferstehung Jesu Christi qualifiziert und modifiziert. So lebt der Glaubende ε»ννομος Χριστου^ : Die Existenz des Gläubigen „in Christus“ ist ein Leben im Bereich des von Jesus Christus zur Erfüllung gebrachten und deshalb modifizierten Gesetzes. In diesem Sinn ist die Tora das „Gesetz des Glaubens“ (νο' μος πι'στεως, Röm 3,27) geworden. Die Tora erfüllt infolge des Heilshandelns Gottes in Jesus Christus ihre ursprüngliche Absicht: Sie spricht dem Gerechten Leben zu, sie bestimmt ihn von innen her und ermöglicht so ein dem guten Willen des heiligen Gottes entsprechendes Leben. Deshalb ist die Tora für den an Jesus Christus Gläubigen das „Gesetz des Geistes des Lebens“ (ο νο' μος του^ πνευ' ματος τη^ ς ζωη^ ς ε ν Χριστω^, Ιησου^ ; Röm 8,2). Das Gesetz schenkt und ermöglicht Leben im Herrschafts————————————————————
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Merklein II 231. Heinrici 285; Dodd, Ennomos Christou, 134-148. Wolff 204; Schrage II 345; ders., Einzelgebote, 100; Heil, Speisegebote, 196. Conzelmann 198; Hays 276; Lindemann 212; Garland 432. Vgl. Wilckens, Entwicklung, 160; Schnabel, Law and Wisdom, 277-282. In den Papyri wird das Wort ε»ννομος in juristischen Dokumenten zur Bezeichnung von Menschen verwendet, die „im Gesetz stehen“, d.h. die im Einklang mit dem Gesetz leben; siehe A. Papathomas, in Arzt-Grabner 360, mit Verweis auf P.Oxy. II 247 (90 n.Chr.).
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 507 ———————————————————————————————————— bereich Jesu Christi – in der Wirklichkeit des Neuen Bundes, angesichts und mit Hilfe des gekommenen Geistes Gottes. Die Wirkung des vom Heiligen Geist bestimmten Gesetzes ist Leben, nachdem die Todeswirkung des Gesetzes durch den Tod Jesu Christi aufgehoben wurde. Für die vom Gläubigen erwartete, ihm in Jesus Christus geschenkte und ermöglichte Erfüllung der Gebote Gottes ist die Wirklichkeit und Wirksamkeit des Geistes Gottes grundlegend. Da der Tod Jesu Christi die Sünden der Welt sühnte und durch die Identifikation mit diesem Tod dem Sünder den Weg in den Heilsbereich Gottes hinein ebnete, wird das Gesetz im Licht des Sühnetodes und der Auferstehung Jesu Christi qualifiziert, d.h. neu gewertet und neu gewichtet. Teile des Gesetzes sind in der neuen Wirklichkeit des Neuen Bundes aufgehoben, d.h. ihr Ziel wurde in der mit Jesus Christus gekommenen Königsherrschaft Gottes erreicht. Viele Bereiche der Gebote der Tora müssen für Paulus als in diesem Sinn aufgehoben gegolten haben. 1. Die Bestimmungen für den Eintritt in das Volk Gottes: Gesetze über die Beschneidung und Gesetze über die Absonderung von den Nichtisraeliten. 2. Die Bestimmungen für die Sühnung von Sünde: Gesetze über Opfer und Opfertiere und Gesetze über kultische Handlungen. 3. Die Bestimmungen für die Aufrechterhaltung von Heiligkeit: Gesetze über die Grenzen der Heiligkeit und Gesetze über Reinigung von Unreinheit (rituelle Handlungen). 4. Die Bestimmungen für den Ort der Heiligkeit: Gesetze über den Tempel, Gesetze über die Priester und Gesetze über reine und unreine Tiere. 5. Die Bestimmungen aus der nationalen Geschichte und Gesellschaft Israels: Gesetze über die Beschneidung und über die jüdischen Feste, Gesetze zur Organisation der Gesellschaft (Gesetze über Sabbat und Jubeljahr, über Gelübde und über Strafgerichtsbarkeit) und Gesetze zur Identität Israels (Gesetze über die Beschneidung und über Nahrung und ihre Vorbereitung).
22 Das dritte Beispiel formuliert Paulus so: Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Im Vergleich mit den vorausgehenden Sätzen fällt auf, dass Paulus die Partikel ω ς („wie“) weglässt. Er ist tatsächlich „ein Schwacher“ (α σθενη' ς) geworden. Dies ist ein Hinweis auf die Identität der Schwachen. Viele interpretieren im Sinn von „schwachen“ Christen, d.h. jenen korinthischen Christen, die kein Fleisch aus den Tempelschlachtungen aßen und aufgrund des Verhaltens von Mitchristen, die in heidnischen Tempeln speisten, in der Gefahr standen, den Glauben zu verlieren (8,10-11).360 Wenn man den Konflikt in Kap. 8–10 als Konflikt zwischen „Starken“ und „Schwachen“ interpretiert, gibt diese Auslegung einen Sinn: Paulus ist bereit, seine eigenen Überzeugungen zu opfern und sich mit den Schwachen zu identifizieren, um deren Glauben nicht zu gefährden. Von den Schwierigkeiten, die sich aus dieser Interpretation von Kap. 8–10 ergeben, war oben schon die Rede (s. die Einleitung zu Kap. 8). Das in diesem Zusammenhang vorgeschlagene Verständnis der „Schwachen“ in V. 22 ist auch aus den folgenden Gründen nicht plausibel. 1. In den drei ————————————————————
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Godet II 34-35; Robertson/Plummer 192; Lietzmann 43; Barrett 215; Hays 155; Gardner, Gifts, 99; Vollenweider, Freiheit, 213.
508 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
vorausgehenden Sätzen beschreibt das Wort κερδαι' νω immer das „Gewinnen“ von Nichtchristen, ist also synonym mit „Bekehrung“. Das „Gewinnen“ der „schwachen“ Christen sähe ganz anders aus als das Gewinnen von ungläubigen Juden und Heiden zum Glauben an Jesus Christus. 361 2. Die in V. 20-21 genannten Gruppen, mit denen Paulus seine in V. 16-19 skizzierte missionarische Berufung illustriert, sind allesamt keine Gemeindeglieder, was für die letzte Gruppe in V. 22a dieselbe Interpretation nahelegt. 3. Paulus schreibt nicht, dass er „wie ein Schwacher“ wurde, sondern dass er „ein Schwacher“ bzw. „schwach“ wurde. Dies lässt sich kaum mit der Meinung in Übereinstimmung bringen, dass die „Schwachen“ Christen sind, deren Glauben schwach ist und deshalb gestärkt („gewonnnen“) werden muss. Plausibler ist deshalb die Interpretation der Schwachen im Kontext soziologischer Kategorien. Die Schwachen sind hier die in der Gesellschaft „schwachen“ Menschen, d.h. die einfachen Menschen in Korinth, die kein römisches Bürgerrecht und deshalb keine Macht und keinen Einfluss haben, die Freigelassen und die Fremden und die Sklaven, Menschen also, die von einem Patron, einem Arbeitgeber, einem Besitzer abhängig sind. 362 In V. 22b fasst Paulus das Grundprinzip seines missionarischen Verhaltens zusammen: Allen bin ich alles geworden, damit ich auf jeden Fall einige rette. Mit dem Wort „alle“ (πα' ντες) wird deutlich, dass die drei Beispiele (bzw. die vier Gruppen) in V. 20-22b in der Tat nur Beispiele waren und keine „Zielgruppen“ bezeichnen, auf die Paulus seine Missionsarbeit konzentriert. Diese richtete sich an alle Menschen, unabhängig von ihrer ethnischen, religiösen oder gesellschaftlichen Stellung. Die Bereitschaft „allen alles“ zu werden (τοι^ς πα^ σιν γε'γονα πα' ντα) „entspricht dem Gegenstand seiner Verkündigung. Es geht um mehr als um eine Taktik des Verhaltens. Es geht um die Konsequenz des Evangeliums. . . . Paulus sucht den Hörer auf, wo er zu Hause ist, wobei dieses Zuhause weit genug zu fassen ist: räumlich, sprachlich, geschichtlich“.363 Aus dem Wort πα' ντα („allen alles werden“) ergibt sich, „daß die Akkommodation um des Evangeliums willen grundsätzlich keine Begrenzungen ————————————————————
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Vollenweider, Freiheit, 213 Anm. 75 will mit Mt 18,15 beweisen, dass κερδαι'νω auch „ad intra“ verwendet werden könne; vgl. Lindemann 213. Dies ist grundsätzlich richtig, aber man muss dann für κερδαι' νω in V. 22a eine andere Bedeutung annehmen als in V. 20a.b.21, was nicht plausibel ist. Wolff 204; Thiselton 706; Garland 434; Black, Weak, 240-242. Schrage II 346 interpretiert die Schwachen als „ängstliche und abergläubische Nichtchristen“; ähnlich Weiss 245; Bachmann 324. Cheung, Idol Food, 143 meint, eine konkrete Identifikation der „Schwachen“ in V. 22 sei für die Argumentation nicht notwendig, da es Paulus im Zusammenhang von Kap. 8 auf die emotive Wirkung des Wortes „schwach“ ankomme. Eichholz, Theologie, 49.53.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 509 ————————————————————————————————————
kennt und durch nichts im voraus festzulegen ist“.364 Obwohl Paulus nicht mehr von den Geboten des Gesetzes bestimmt wird, die das Verhalten im Alltag regeln, hat er den Juden den Zugang zum Evangelium nicht durch provokativ gesetzloses Verhalten erschwert. Er hält sich nicht an alle Vorgaben der Tora, vor allem nicht mehr an jene Gebote, die zwischen Juden und Heiden unterscheiden. Aber er stellte in V. 21 klar, dass seine Freiheit vom Gesetz keine Abschaffung des Gesetzes beinhaltet und deshalb kein Antinomismus ist. Insofern das Gesetz als Gesetz Gottes in Jesus Christus weiter Gültigkeit besitzt, lebt er „im Gesetz“. Gleichzeitig bewahrt er in seinen Kontakten mit Heiden die in Jesus Christus geschenkte Freiheit: Er macht sie nicht zu Juden. Paulus sagt allerdings nicht, dass er „den Heiden ein Heide geworden“ ist. Der weltanschauliche Relativismus und der religiöse Polytheismus macht es unmöglich, dass man als Missionar ganz „wie ein Heide“ leben kann. W. Schrage kommentiert: „Auch mit einem SichAnbiedern oder missionstaktischen Kniffen hat das nichts zu tun. Wäre das die Devise des Paulus, hätte er sich viele Kämpfe und auch den 1. Korintherbrief sparen und die Enthusiasten weiterhin Unfug anrichten lassen können. Insofern gibt es doch eine Grenze. Das Evangelium und das ε»ννομος Χριστου^ Sein sind Grund und Chance, aber auch Maß und Grenze der Akkommodation“.365 Die Formulierung mit dem Perfekt γε'γονα (in V. 20a.22a Aor. ε γενο' μην) unterstreicht die Permanenz des Verhaltens, zu dem Paulus sich bei seiner Missionsarbeit verpflichtet sieht. Das Verb σω', ζω („retten“) beschreibt das Ziel der missionarischen Arbeit (vgl. 1Thess 2,16; Röm 11,14). Das Adv. πα' ντως bedeutet hier „auf jeden Fall, wenigstens“; die Bedeutung „unter allen Umständen“ gibt jedoch auch einen guten Sinn: Das Verhalten von Paulus im missionarischen Alltag hat das Ziel, in jeder Situation Menschen mit dem Evangelium anzusprechen. Das Obj. τι' νας („einige“) hat in diesem Zusammenhang nichts mit einer „weniger optimistischen Perspektive“ zu tun, 366 sondern mit der nüchternen Erwartung eines erfahrenen Missionars. 23 Paulus begründet seine Missionsarbeit in allen ihren Einzelheiten (πα' ντα) mit dem Satz: Alles aber tue ich um des Evangeliums willen. Die Formulierung δια` το` ευ αγγε'λιον zeigt, dass er bei seinen missionarischen Aktionen und in seinem persönlichen Verhalten im Alltag der Begegnungen mit Menschen stets darauf achtet, dass die Wahrheit des Evangeliums nicht verdunkelt ————————————————————
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Schrage II 347. Weder begründbar noch plausibel ist die These von Marshall, Enmity, 300-317, der Satz sei als Vorwurf der korinthischen Christen an Paulus zu verstehen. Schrage II 347; vgl. Garland 435; Carson, Inconsistency, 10-11.33; Schnabel, Urchristliche Mission, 916. So Lindemann 213; richtig Schrage II 348.
510 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
wird. Paulus lebt nicht im Vollzug liebgewordener Gewohnheiten, er orientiert sein Verhalten nicht an Traditionen, sondern er stimmt sein Leben auf das ab, was der Förderung des Evangeliums dient, was die Akzeptanz der Botschaft von Jesus Christus erhöhen kann und was Menschen zum rettenden Glauben an Jesus Christus verhelfen könnte. Der «ι να-Satz in V. 23b: um an ihm (dem Evangelium) Anteil zu bekommen, wird unterschiedlich verstanden. Man kann συγκοινωνο` ς αυ του^ γε' νωμαι mit „sein Teilhaber werden“ übersetzen. Viele interpretieren mit Verweis auf Röm 11,17 und Phil 1,7 das Wort συγκοινωνο' ς in einem passiven Sinn: Paulus will an den Heilsgütern, die das Evangelium bereithält, Anteil gewinnen, da sein eigenes Heil davon abhängt, „daß er seinem apostolischen Auftrag treu bleibt“.367 Diese Auslegung wird oft mit dem Hinweis verbunden, dass man Paulus keinen Heilsegoismus vorwerfen sollte. Diese Warnung deutet darauf hin, dass diese Interpretation problematisch ist. Es ist nicht notwendig, eine Verschiebung im Verständnis von ευ αγγε' λιον anzunehmen, eine Verschiebung von der Verkündigung des Evangeliums auf das im Evangelium angebotene Heil. 368 Es wäre auch kurios, wenn Paulus den Abschnitt, in dem er seine selbstlose und opferbereite missionarische Arbeit beschreibt, in der er Juden und Heiden, Gesetzlose und Schwache für den Glauben an Jesus Christus gewinnen will, mit einem Satz abschließen würde, in dem das Ziel (ι«να) seines missionarischen Wirkens sein eigenes Heil ist. 369 Es ist deshalb vorzuziehen, das Wort συγκοινωνο' ς370 in seiner aktiven Bedeutung zu verstehen: Paulus will Anteil haben an der Arbeit des Evangeliums, er will seiner Berufung zum Apostel treu bleiben und die Sache des Evangeliums födern und vorantreiben.371 24 In V. 24-26 verwendet Paulus Bilder aus dem Bereich des Sports, um seine Mahnung im Blick auf das Essen von Götzenopferfleisch zu untermauern. ————————————————————
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Lang 121; vgl. Calvin 394 („seine Frucht empfangen“); Godet II 36 („das Heil des Paulus selbst“); Heinrici 287; Barrett 216; Conzelmann 199; Klauck 68; Fee 432; Senft 125; Wolff 205; Kremer 196; Merklein II 232; NSS II 77. In diesem Sinn übersetzen EÜ, GN, NGÜ, Menge, Wilckens, NIV, NRSV, TNIV. Das Wort ευ αγγε' λιον, ohne Verb gebraucht, beschreibt die Verkündigung der guten Botschaft von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus; vgl. 9,14; 2Kor 2,12; 10,14; Röm 1,1; Gal 2,7; Phil 2,22; 4,15; vgl. Hooker, Partner, 87. Garland 436; Hooker, Partner, 85. συγκοινωνο' ς bedeutet „Teilhaber, Genosse,“, auch im Sinn von „Geschäftsteilhaber“; Vgl. Arzt-Grabner 360, mit Verweis auf P.Bad. II 19b,19; zu κοινωνο' ς in der Bedeutung „Geschäftspartner“, die in den Papyri häufig vorkommt, vgl. Arzt-Grabner, Philemon, 226-228 mit Verweis auf BGU II 530,12-22; IV 1123,4; P.Oxy. XLIX 3468,10-15. Schrage II 349; Lindemann 436; Thiselton 706; Garland 437; Gundry Volf, Perseverance, 247-254; Hooker, Partner, 89. Vgl. NGÜ Anm. „denn ich möchte mithelfen, Menschen für diese Botschaft zu gewinnen“.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 511 ————————————————————————————————————
Er erinnert die Korinther an die Anstrengung, die Enthaltsamkeit und die Selbstdisziplin des Athleten, der einen Sieg erringen will. In 10,23 zitiert Paulus das Motto „Alles ist erlaubt!“ – in 9,24-27 betont Paulus, dass nicht alles erlaubt ist, wenn ein Athlet den Siegespreis erringen will. Die athletischen Metaphern können leicht von der Absicht ablenken, in der sie von Paulus angeführt werden: Es handelt sich um eine „verdeckte“ Art und Weise, den Korinthern klar zu machen, dass sie sich von Götzenopferfleisch enthalten sollen.372 Die erste Metapher stammt vom Wettlauf im Stadion: Wisst ihr nicht, dass die, die im Stadion laufen, zwar alle laufen, aber nur einer den Siegespreis bekommt? Die zahlreichen Bezugnahmen auf athletische Wettkämpfe in literarischen Texten, in Inschriften und Papyri und viele archäologischen Funde dokumentieren die weite Verbreitung von Kenntnissen der Bevölkerung über Wettspiele (Agone), auf die sich Paulus beruft (οι»δατε).373 Eine in das Jahr 3 n.Chr. zu datierende, in Korinth gefundene Inschrift, die von den Einwohnern der Stadt auch noch im Jahr 50/51 gelesen werden konnte, als Paulus in der Stadt missionierte, erwähnte nach dem Namen des Präsidenten der Isthmischen Spiele die Sieger der verschiedenen Wettbewerbe.374 Das Wort „Stadion“ (στα' διον) kommt nur hier im NT vor. Paulus erwähnt das Laufen allerdings häufiger als Metapher für das Leben als Jesusbekenner.375 Das Wort „Stadion“ bezeichnet die Arena, d.h. die Rennbahn, in der athletische Wettkämpfe stattfanden, sodann den kürzesten der Laufwettbewerbe.376 In Korinth gab es in archaischer und hellenistischer Zeit eine 165 m lange Laufbahn (dromos), die auf dem flachen Gelände südlich des Tempelhügels und der Heiligen
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Smit, Idol Offerings, 96-97; vgl. Garland 438-439. Zum Sport in der Antike vgl. Jüthner, Leibesübungen I-II, zu den Laufwettbewerben ebd. II, 15-156; W. Decker, Art. Athleten, DNP II, 204-207; Harris, Athletes; Romano, Athletics; Gardiner, Athletics; Miller, Athletics; Poplutz, Athlet, 35-217. Zu den agonistischen Inschriften siehe Moretti, I.Agon. (1953); zu den Papyri siehe Vandoni, Feste (1964); Frisch, Pap.Agon. (1986); Papathomas, Motiv, 223-241. Zu persönlichen Kontakten von Paulus mit sportlichen Wettkämpfen in Tarsus, in Jerusalem und auf den Missionsreisen vgl. Metzner, Wettkampf, 566-580. Meritt, Corinth VIII, i, Nr. 14. Die Namen der Sieger der Wettläufe im Stadion werden ab Zeile 33 aufgelistet (Posidippus von Samos gewann bei den Männern). Röm 9,16; Gal 2,2; 5,7; Phil 2,16; 2Thess 3,1; vgl. Hebr 12,1. Vgl. O. Bauernfeind, ThWNT VIII, 225-233; s. die ausführliche Studie von Poplutz, Athlet, 221-392. O. W. Reinmuth/S. Oppermann, Art. Stadion, KP V, 336-338; H.-J. Schulzki/W. Decker, Art. Stadion, DNP XI, 886-888. Zu den antiken Stadien in Griechenland und Kleinasien vgl. Jüthner, Leibesübungen II, 57-65.
512 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Quelle angelegt worden war.377 Der hellenistische dromos wurde offensichtlich im Jahr 146 v.Chr. im Zusammenhang der Zerstörung Korinths aufgegeben. Das in hellenistischer Zeit gebaute Stadion im nur 10 Kilometer nordöstlich von Korinth gelegenen Isthmia bot 21 000 Zuschauern Platz. Auf der ungefähr 600 dorische Fuß langen Laufbahn (192 m, später reduziert auf 181 m) konnten zwölf Läufer gleichzeitig laufen.378 Ein ausgeklügelter Startmechanismus sorgte für Chancengleichheit (ein Frühstart wurde mit Rutenhieben bestraft). Die Distanzen, die gelaufen wurden, waren das stadion (entspricht unserem 200 m Lauf), der diaulos (400 m), der dolichos (wahrscheinlich 24 Stadionlängen, also ungefähr 5.000 m). Im hoplitodromos (400 m) mussten die Läufer „bewaffnet“ mit Schilden und Helmen laufen. Die Isthmischen Spiele gehörten zusammen mit den Spielen in Olympia, Delphi und Nemea zu den sog. „Kranzspielen“ (στεφανι^ται α γω' νες). Die Isthmischen Spiele wurden alle zwei Jahre im Frühling veranstaltet, im Zusammenhang mit dem Poseidontempel in Isthmia. Die Zuschauer konnten dieselben Athleten bewundern, die in den anderen großen Wettkämpfen antraten.
Paulus spricht in V. 24 vom „Siegespreis“ oder Kampfpreis (το` βραβει^ον),379 in V. 25 vom „Siegeskranz“ (στε'φανος). Es gab Agone, die ausdrücklich Geldprämien als Preise hatten,380 während die „heiligen“ Agone als Preis theoretisch den Siegern nur einen Kranz verliehen.381 Allerdings war der Sieg in den „heiligen Agonen“ mit bedeutenden materiellen Prämien in der Heimatstadt der Sieger verbunden, die für Siege in bedeutenden Wettkämpfen oft durch die Aufstellung von Statuen geehrt wurden.382 Die Professionalisierung der Athleten lässt sich daran erkennen, dass sie spätestens seit dem 1. Jh. v.Chr. in einer Gilde organisiert waren, deren Zentrale bis ca. 100 n.Chr. in Kleinasien war. Aber schon vor Ende des 5. Jahrhunderts v.Chr. hatte das Wort α θλητη' ς „die Bedeutung Professional angenommen im Gegensatz zum ι διω' της (Amateur)“.383 Die Athleten erhielten nicht nur materielle Belohnun————————————————————
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Williams, Corinth Excavations of 1980, 1-15; Romano, Athletics, 43-75.85-93; zur Aufgabe des hellenistischen dromos vgl. Williams, ebd. 13. Broneer, Isthmia I, 174-81; Romano, Athletics, 90 geht von einer Länge von 165 m aus. Die Vokabel βραβει^ον ist terminus technicus aus der Sportwelt und steht für das häufigere α θλον; vgl. Poplutz, Athlet, 264 (ebd. Anm. 106 kritisch zu R. Gebauer, ThBLNT II 1105, der βραβει^ον und α θλον voneinander unterscheidet). Der „Schiedsrichter“ wurde βραβευτη' ς genannt, vgl. P.Oxy. VII 1050,11. Diese Agone wurden als χρηματι^ται α γω ^ νες, α ργυρι^ται α ., ταλαντιαι^οι α . oder η μιταλαντιαι^οι α . bezeichnet. Papathomas, Motiv, 226; ebd. 226-233 für das Folgende. Diese Agone wurden als ιεροι' α γω ^ νες, εισελαστικοι' α . oder στεφανι^ται α . bezeichnet. Die ältere Meinung, dass in den στεφανι^ται α γω ^ νες der Sieg und der daraus entstehende Ruhm die einzige Belohnung für den Sieger waren (vgl. Pfitzner, Agon Motif, 17), ist zu revidieren. Solon hat schon 590 v.Chr. für den Sieger in Olympia einen Preis von 500 Drachmen und für den Sieger in den Isthmischen Spielen einen Preis von 100 Drachmen festgelegt (Plutarch, Sol. 23,3). Auch bei den Trainern ist eine Professionalisierung zu beobachten. Vgl. Papathomas, Motiv, 226-227.229-300. Jüthner, Leibesübungen I, 91; vgl. Papathomas, Motiv, 230.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 513 ————————————————————————————————————
gen. Nach Beendigung ihrer athlethischen Laufbahn bekleideten sie nicht selten hohe Ämter in den Stadtmagistraten. Paulus kannte agonistische Wettkämpfe als Diasporajude aus Tarsus in Kilikien. Palästinische Juden kannten Wettkämpfe, nachdem das Gymnasium und die Ephebie in Jerusalem unter Antiochos IV. Epiphanes im frühen 2. Jh. v.Chr. eingeführt wurde. Herodes I. etablierte die griechisch-römischen Spiele in mehreren Städten Palästinas. 384 Wenn Paulus die korinthischen Christen ermahnt, so zu „laufen“, dass sie den Siegpreis erringen, dann verweist er mit βραβει^ον auf einen wertvollen Lohn, der mehr ist als ein unbedeutendes Symbol.385 Ob man aus dem Bild vom Laufen im Stadion schließen kann, dass es eher unwahrscheinlich ist, „daß Christen, wie es später der Fall war, die Wettkämpfe nicht mehr besuchten oder jedenfalls besuchen sollten“ 386 bleibt unsicher, weil wir von Paulus kein Votum zu diesem Thema besitzen. Die imperativisch formulierte Mahnung lauft so, dass ihr ihn gewinnt wendet das Bild vom Laufen auf die Gemeinde an. 387 Die Anwendung auf die gesamte Gemeinde ergibt auch im Kontext des Bildes vom Wettkampf durchaus Sinn: In der Antike durften nicht nur erwachsene Männer, sondern auch Knaben und (in geringerem Ausmaß) Frauen an Wettkämpfen teilnehmen. 388 Der Vergleichspunkt ist nicht, dass im Stadion nur einer (ει ς) gewinnt und den Siegespreis bekommt. Die sich daraus ergebene Mahnung, andere Christen zu übertreffen, würde Kap. 1–4 völlig widersprechen. In der Antike gab es keine Mannschaftssportarten, die Paulus zum Vergleich hätte heranziehen können. Das tertium comparationis ist die Anstrengung des Laufens (ου« τως), die notwendig ist, um das Ziel zu erreichen und den Siegespreis zu erhalten (λαμβα' νει/καταλα' βητε). U. Poplutz weist den Vorwurf, die Metapher sei nicht ganz glücklich, mit Recht zurück: Diese Kritik geht an der Sache vorbei ————————————————————
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Josephus, Ant. 15,268-271; vgl. Lichtenberger, Baupolitik, 74-125; Weiss, Roman Games, 23-49; Günther, Herodes, 231-233. Poplutz, Athlet, 268, die sich von der olympischen Idee „Dabei sein ist alles“ als anachronistisch distanziert: „Wenn Paulus das Bild vom Wettkampf aufnimmt, gehört ein wertvoller Preis zwingend dazu“. Lindemann 214. Die Parallelen der metaphorischen Verwendung des Wettkampfs in der stoischen Philosophie z.B. bei Epiktet (Diss. 2,18,27-28; 3,10,6-8 u.a.) und Seneca (Ep. 17,1; 78,16 u.a.; vgl. Pfitzner, Agon Motif, 23-35; Probst, Brief, 216-218) sowie in der jüdisch-hellenistischen Literatur (vgl. Weish 4,2; 4Makk 17,11-16; Philo, Agr. 111-120) thematisieren häufig den Kampf gegen die Leidenschaften. Im Neuen Testament kommen die Begriffe α ρετη' , α πα' θεια oder α ταραξι'α nicht im Zusammenhang des Wortfeldes vom Wettkampf vor; G. Dautzenberg, Art. α γω' ν, EWNT I, 60; Schrage II 364. Papathomas, Motiv, 235 mit Verweis auf die Oden Pindars, in denen Siege von Knaben in den vier großen griechischen Wettspielen besungen werden; vgl. IGR IV 1519 (= I.Agon. 84); zu der Teilnahme von Frauen vgl. Harris, Athletes, 179-186; Poplutz, Athlet, 86-95; vgl. FD III 1.534 (= I.Agon. 63).
514 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
und verkennt das Potential einer Metapher, denn „der kommunikative Clou besteht aber nun gerade darin, daß dieser singuläre Sieger mit einer pluralen Größe gleichgesetzt wird: Ihr sollt der eine Sieger sein! . . . Die Pointe, um die es geht, ist die Anstrengung und die Zielstrebigkeit, mit der alle aufgerufen werden“.389 Das heißt, Paulus erinnert die Korinther an die Tatsache, dass die Läufer, die sich auf der Laufbahn im Stadion aufstellen, nicht nur „dabei sein“ wollen, sondern dass sie ihre ganze Kraft einsetzen, um zu gewinnen. Die Christen in Korinth werden angespornt, ihr Christsein nicht für selbstverständlich zu nehmen, sondern mit ganzer Konzentration und mit konsequenter Ausdauer als Christen zu „laufen“, d.h. sich im Alltag als authentische Jesusbekenner zu verhalten. Und sie sollen erkennen, wie der nächste Vers zeigt, dass ihr „Laufen“ als Jesusbekenner Opfer verlangt. 25 In der Antike war die in V. 25a genannte Grundregel bekannt: Jeder Wettkämpfer übt völlige Enthaltsamkeit (πα^ ς δε` ο α γωνιζο' μενος πα' ντα ε γκρατευ' εται). Das Verb ε γκρατευ' ομαι bedeutet „sich einer Sache enthalten“, in den Papyri „etwas in Besitz haben, über etwas Gewalt haben“. Die „Enthaltsamkeit“ beschreibt die Trainingsdisziplin, die jeder erfolgreiche Wettkämpfer einhalten muss. Es geht hier also nicht um das Laufen im Stadion, sondern um die Vorbereitung auf den Wettkampf. Die bei den olympischen Spielen antretenden Athleten mussten eidlich versichern, dass sie während der zehnmonatigen Vorbereitungszeit auf Wein, Fleisch und Geschlechtsverkehr verzichtet hatten (Pausanias 9,24,9). In anderen Texten werden Speisevorschriften erwähnt. Nach Epiktet gönnen sich Athleten keinen Leckerbissen, sie trinken keinen Wein, sie härten sich ab, sie essen ο« σα δει^ (was sie müssen) und sie hören auf den Trainer, weil man ohne Schweiß nicht Olympiasieger wird (Epiktet, Diss. 3,10,8). In der stoischen Popularphilosophie wurde der Verzicht der Athleten auf andere Gebiete übertragen, wobei der Verzicht mit der Vollendung des Menschen oder mit dem Wohl der Polis verbunden wurde.390 Paulus leitet die Übertragung der sportlich motivierten Enthaltsamkeit auf das Leben der Christen mit dem Hinweis ein, dass Athleten enthaltsam leben, um einen vergänglichen Siegeskranz zu erhalten (V. 25b). Zu „Siegeskranz“ (στε'φανος) s. oben zu V. 24. Paulus denkt konkret an die Kränze aus Zweigen, die in den Agonen verliehen wurden. In den Isthmischen Spielen ————————————————————
389 390
Poplutz, Athlet, 269-270, mit Kritik an Wolff 206. Schrage II 366, mit Verweis auf Lucan, Anach. 15. In der antiken Ethik bedeutet die Enthaltsamkeit „die Vollendung des Menschen“; in den meisten Texten ist mit ε γκρα' τεια „die Beherrschung der sinnlichen Triebe gemeint, die Mäßigung und Kontrolle der natürlichen Begierde, insbesondere die Beherrschung des sexuellen Triebes und der Lust an Essen und Trinken“ (ebd.). Vgl. auch Poplutz, Athlet, 270-277.
Paulus als positives Beispiel 9,1-27 515 ————————————————————————————————————
wurde ein Fichtenkranz (στε' φανος ε κ πι' τυος) verliehen, im 1. Jahrhundet vielleicht auch ein Kranz aus Eppich (σε'λινον; eine mit Sellerie bzw. Petersilie verwandte Pflanze), in den Olympischen Spielen einen Kranz aus Ölbaumzweigen.391 Im südlichen Teil der Südstoa im korinthischen Forum fand man in einem Büro, in dem wahrscheinlich der Leiter der Agone amtierte (α γωνοθετει^ον), ein Bodenmosaik, das um 50-100 n.Chr. datiert und einen Sieger der Isthmischen Spiele darstellt (der Siegeskranz besteht offensichtlich nicht aus Fichten).392 Paulus weist darauf hin, dass der Siegeskranz, der in den Agonen verliehen wird, „vergänglich“ (φθαρτο' ς) ist, d.h. dass er verwelkt. In V. 25c formuliert Paulus die Übertragung auf die Christen mit dem Satz: wir aber einen unvergänglichen (η μει^ς δε` α»φθαρτον). Der „Siegeskranz“ der Jesusbekenner ist das unvergängliche ewige Leben, konkret die leibliche Auferstehung (15,42.50.53-54).393 Paulus will nicht sagen, dass sich die korinthischen Christen das ewige Heil durch ihre Anstrengung erst noch verdienen oder „festmachen“ müssen. Die unausgesprochene Schlussfolgerung a minori ad maius betrifft nicht das Erreichen (oder Nicht-Erreichen) des Ziels, sondern die Enthaltsamkeit: Wenn Athleten, die einen bloß vergänglichen Siegeskranz erhalten, in ihrer Vorbereitung in allen Bereichen ihres Lebens (πα' ντα) enthaltsam leben (ε γκρατευ' εται), dann gilt dies erst recht für Jesusbekenner, die infolge ihres Glaubens an Jesus Christus einen unvergänglichen Siegeskranz erhalten werden. Die „Enthaltsamkeit“, die Paulus von den korinthischen Christen erwartet, ist nicht Askese (Paulus warnt nicht prinzipiell vor dem Genuss von Wein und Fleisch oder vor dem Geschlechtsverkehr), sie ist auch nicht Mittel zur Selbstentfaltung des Menschen, zur Verwirklichung eines Freiheitsideals oder zur Charakterbildung. 394 Paulus will die korinthischen Christen aber auch nicht nur daran erinnern, „daß jeder Sieg etwas kostet und einen hohen Einsatz verlangt“ und ein Christ deshalb „sein ganzes Leben daraufhin auszurichten“ hat, den Sieg zu erringen. Selbstkontrolle gehört für Paulus zur Frucht des Geistes (Gal 5,23). Aber hier will er nicht einfach sagen, dass Christen ihr ganzes Leben hindurch, das Vorbereitung auf das ewige Leben ist, in „guter Kondition“ bleiben müssen und ihr ganzes Verhalten auf das Erreichen dieses Ziels aus————————————————————
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Lucian, Anach. 9; Pindar, Isthm. Ode 2,15-16; Plutarch, Mor. 675D-677B; zu den Olympischen Spielen vgl. Pindar, Olymp. Ode 3,13-18). Sturgeon, Corinth IX, iii, 133136 (Nr. 27) bildet die Skulptur eines Siegers der Isthmischen Spiele (oder eines Offiziellen?) ab, der mit einem Fichtenkranz bekränzt ist. Vgl. Broneer, Crown, 259-263; Papathomas, Motiv, 231. Broneer, Crown, 261.267 (Abb. 3). „Unvergänglichkeit“ ist bei Philo (Sacr. 95; Vit.Mos. 2,171) und Josephus (Ant. 3,88) ein Prädikat Gottes; vgl. Röm 1,23. Schrage II 367; vgl. ebd. für das folgende Zitat.
516 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
richten. Die „Enthaltsamkeit“ betrifft im Zusammenhang von 8,9.13; 9,12.15.19-23 den Verzicht auf das Recht, Götzenopferfleisch zu essen. 395 26 Nachdem Paulus das Bild vom Athleten, der im Wettlauf alle Kräfte aufbietet, um das Ziel siegreich zu erreichen, der im Training diszipliniert und enthaltsam lebt, generell auf Jesusbekenner übertragen hat, bezieht er die athletische Metapher jetzt auf sich selbst (betontes ε γω' ): Ich laufe deshalb so, wie einer, der nicht wie ins Blaue hinein läuft. Die Wendung τρε'χω ω ς ου κ α δη' λως bedeutet, dass er ein festes Ziel hat und nicht ins Ungewisse hineinläuft.396 Er vergleicht sich mit den Wettläufern im Stadion, die von ihren Startblöcken aus das Ziel sehen und geradeaus auf das Ziel zulaufen. Paulus richtet seinen Blick und seinen Einsatz konsequent auf das Ziel (vgl. Phil 3,14). In V. 26b ist vom Faustkämpfer die Rede, was im NT singulär ist: Ich boxe so, wie einer, der nicht in die Luft schlägt. Der kompetente Faustkämpfer (πυ' κτης) macht keine „Lufthiebe“ (ω ς ου κ α ε'ρα δε'ρων),397 sondern versucht, den Gegner zu treffen.398 Schläge an den Kopf waren die bevorzugte Taktik der Faustkämpfer. Auf Vasen sind Boxer oft mit blutenden Nasen dargestellt. In der hellenistischen Zeit hatten die Faustkämpfer „Handschuhe“ aus laminierten Lederstreifen zum Schutz der Knöchel und zur Maximierung des Schadens für den Gegner. Es gab keine festgelegte Anzahl von Runden und keine zeitliche Begrenzung. Ein Faustkämpfer wurde dann zum Sieger erklärt, wenn sein Gegner nicht weiterkämpfen konnte oder oder aufgab. Dass Paulus zwei völlig unterschiedliche Sportarten erwähnt, die verschiedene Fähigkeiten fordern, weist vielleicht darauf hin, dass er den korinthischen Christen deutlich machen will, „wie schwierig die Aufgabe des Christen und besonders die des Apostels ist“.399 Paulus betont wie in V. 26a seine zielgerichtete, disziplinierte und konzentrierte Lebensweise als Apostel, die für die korinthischen Christen ein Vorbild ist. 27 Der Hinweis auf den Faustkampf in V. 26 war nicht buchstäblich gemeint. Paulus stellt dies in dem folgenden Satz klar, in dem deutlich wird, ————————————————————
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Vgl. Merklein II 235. Zu anderen Vorschlägen vgl. Schrage II 368-369 Anm. 537. Papathomas, Motiv, 238-239 stellt fest, dass α ε' ρα δε' ρων zwar in einem späten Scholion zu Lukian im Blick auf den Faustkämpfer vorkommt, aber in den Inschriften und Papyri nicht als agonistischer Begriff belegt ist. Es handelt sich bei dem Verb δε' ρω um „eine eher volkstümliche Beschreibung der Tätigkeit des Boxers“ (239). Zur Auslegung im Sinn eines imaginären Gegners bzw. des Schattenboxens vgl. die Kritik von Fee 438; Schrage II 369. Das Verb δε' ρω begegnet in den Papyri in seiner eigentlichen Bedeutung „das Fell abziehen“, öfter aber auch in der übertragenen Bedeutung „durchprügeln“. Vgl. W. Decker, Art. Faustkampf, DNP IV, 445-446; Miller, Athletics, 51-57. Papathomas, Motiv, 237.
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dass der Gegner, der von den Faustschlägen des Apostels getroffen wird, Paulus selbst ist: Vielmehr treffe ich meinen Leib mit Schlägen und beherrsche ihn. Das Verb υ πωπια' ζω bedeutet wörtlich „unter das Auge schlagen, ins Gesicht schlagen“. 400 Auch wenn Faustkämpfer die „Quälerei“ des Boxens aushalten und die Spuren ihres Berufs sichtbar im Gesicht tragen, so traktieren sie sich jedoch nicht selbst mit Schlägen. Paulus geht von der Vorbereitung auf den Agon (ε γρατευ' ω) und vom Wettkampf (τρε'χω, πυ' κτευω) zu den Folgen für seine Lebenspraxis über. Paulus verlässt die Bildebene im Interesse der Sache. Er will nicht sagen, dass er sich selbst misshandelt, 401 auch spricht er nicht metaphorisch vom Kampf gegen die Sünde402 oder davon, dass er „seinen widerstrebenden Leib den Anforderungen seines apostolischen Dienstes gewaltsam gefügig macht und unterwirft“, 403 auch wenn die beschwerlichen Bedingungen seines missionarischen Dienstes anklingen mögen. Paulus will mit diesem Bild betonen, dass sich „am Leib entscheidet, wem der Mensch eigentlich gehört und von wem er bestimmt wird“.404 Das Verhalten von Paulus macht unübersehbar deutlich, dass sein Leib, d.h. sein Leben, dem Herrn und dem missionarischen Dienst gehört, den der Herr ihm auferlegt hat. Im Vollzug seiner missionarischen Arbeit, zu deren „Sklaven“ er sich im Gehorsam gegenüber der Berufung durch den erhöhten Herrn gemacht hat (δουλαγωγω ^ ), tut er alles, was für deren Erfolg notwendig ist. Dazu gehört für Paulus der in V. 1-18 beschriebene Verzicht auf die materielle Versorgung durch die Gemeinde. Dazu gehört aber auch der (nicht weiter beschriebene) Verzicht auf andere Aspekte des menschlichen Eigeninteresses, wie Bequemlichkeit, Freizeit, Häuslichkeit. Implizit kann man im Kontext des Themas von Kap. 8–10 eine Mahnung an die korinthischen Christen erkennen, auf ihr angebliches Recht zum Essen von Götzenopferfleisch und zur Annahme von Einladungen in die Götzentempel zu verzichten und die damit gegebenen gesellschaftlichen Nachteile in Kauf zu nehmen. V. 27b unterstreicht, dass es um den missionarischen Dienst von Paulus geht: damit ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, etwa selbst ————————————————————
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K. Weiß, Art. υ πωπια' ζω, ThWNT VIII, 588: „jemand so ins Gesicht (unters Auge) schlagen, daß er blaue Flecken (‚ein blaues Auge‘) bekommt u. dadurch entstellt wird“; vgl. ebd. 589 für die folgende Bemerkung. Die Ausführungen zur ehelichen Sexualität in Kap. 7 machen deutlich, dass Paulus alles andere als leibfeindlich war. Lindemann 215 weist zu Recht darauf hin, dass die Wendung μου το` σω ^ μα als „Objekt der Schläge“ aus der Sportmetaphorik resultieren konnte. Vgl. in dieser Hinsicht die Aussagen Jesu in der Bergpredigt Mt 5,29-30. Im Sinn vom Kampf gegen die Sünde interpretieren Meyer 259; Heinrici 291. K. Weiß, ThWNT VIII, 589. Dass Paulus oder sein „Leib“ der missionarischen Realität aktiv widerstreben, wird in keinem Text sichtbar. Merklein II 235 verweist auf die Peristasenkataloge 4,9-13; 2Kor 4,7-12; 6,4-10, 11,23-33; 12,10. Schrage II 370, mit Verweis auf Käsemann, Perspektiven, 43.
518 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
disqualifiziert werde. Paulus hat „anderen gepredigt“ (α»λλοις κηρυ' ξας),405 konkret Juden und Heiden in Korinth und in anderen Städten, sowie vor den Christen in den von ihm gegründeten Gemeinden. Paulus predigt jedoch immer auch sich selbst. Sein Einsatz für das Evangelium von Jesus Christus ist deshalb konsequent und konzentriert, damit er nicht selbst „disqualifiziert“ wird (μη' πως . . . αυ το` ς α δο' κιμος γε'νωμαι). Das Verständnis von α δο' κιμος im Sinn der Verwerfung im Endgericht406 wäre ein ungewöhnlicher Gebrauch dieses Wortes. Es bezeichnet nicht „disqualifiziert vom Heil“ sondern „disqualifiziert als Apostel“.407 Paulus begann in V. 1-2 mit einem betonten Hinweis auf seinen Status als Apostel, der in V. 3-12 im Hinblick auf seine apostolischen Rechte erläutert wurde. Er beendet in V. 27 das Kapitel mit einem nachdrücklichen Hinweis auf sein Verhalten als Apostel, unter anderem dadurch motiviert ist, dass er seinen Status als Apostel nicht verliert. Gott hat ihn als qualifiziert erachtet (δεδοκιμα' σμεθα υ πο` του^ θεου^ ), das Evangelium zu verkündigen (1Thess 2,4). Deshalb setzt er seine ganze Kraft und Energie für die Gewinnung von Juden und Heiden, von Gesetzlosen und Schwachen ein, damit er von Gott nicht disqualifiziert (α δο' κιμος) werden muss.408 Dieser Schlusssatz enthält allerdings zugleich eine Warnung an die Korinther, nicht der Illusion zu verfallen, ihr Glaube an Christus sei eine Garantie gegen Gottes Missfallen. Dieser Gedanke wird in 10,1-22 weiter entfaltet.
IV In 8,1-13 hatte Paulus die Frage des Götzenopferfleisches unter dem Aspekt der Erkenntnis und der Liebe behandelt und betont, dass Christen, die von der Rücksichtnahme auf die Schwachen geleitet sind, auf ein Verhalten verzichten, bei dem es ihnen nur um die eigenen Rechte geht. Damit schloss er, ohne dies konkret zu sagen, eine Teilnahme an Mahlzeiten in Götzentempeln praktisch aus. In 9,1-27 beschreibt Paulus ausführlich sein Verhalten als Apostel, das vom Verzicht auf das Recht der materiellen Versorgung gekennzeichnet ist. Paulus versteht seinen missionarischen Dienst als „Haushalterschaft“: In der Ausübung dieses Dienstes geht es um den Willen des Haus————————————————————
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An die Herolde (κη' ρυκες, Sg. κη^ ρυξ), die bei den Agonen die Namen der Wettkämpfer, die Kampfbedingungen und die Namen der Sieger ausrufen, ist hier nicht zu denken. Schrage II 371; Lindemann 215; Papathomas, Motiv, 239; anders Bengel 651. Schrage II 371; Wolff 207; Merklein II 236; Schwankl, Wettkampfmetaphorik, 189; Konradt, Gericht, 368-369, der allerdings argumentiert, Paulus rede von sich nur als Illustration, d.h. der mögliche Heilsverlust sei „eigentlich“ auf die „Starken“ gemünzt. Collins 362-363; Lindemann 215; Gundry-Volf, Perseverance, 233-247. Bachmann 329 und Weiss 249 interpretieren im Kontext des agonistischen Bildes im Sinn des unfähigen Kämpfers. Möglich ist auch die Erklärung, dass Paulus betont, er sei noch nicht am Ziel, „sondern noch mitten im Kampf in der Arena“ (Schrage II 371).
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herrn, er geht nicht um die „Rechte“ des Dieners. Der einzige „Lohn“, auf dem er besteht und auf den er stolz ist, ist die aktive Verkündigung des Evangeliums. Paulus beschreibt seine missionarische Berufung und Aufgabe als Arbeit, die er nicht freiwillig tut (und für die er deshalb Bezahlung in Anspruch nehmen könnte), sondern zu der Gott ihn „gezwungen“ hat. Calvin kommentiert diese Sicht der Berufung zum vollzeitlichen Dienst am Evangelium mit Worten, die heute noch wichtig sind: „Wer einmal berufen ist, ist nicht länger frei und kann den Weg nicht nach eigenem Belieben wieder zurückgehen, wenn ihm etwa sein Amt verleidet ist und Schwierigkeiten ihn bedrängen. Er gehört dem Herrn der Kirche und ist daran mit einem heiligen Band gebunden, das zu zerreißen Gotteslästerung wäre“. 409 Die Grundregel missionarischer Existenz, die Paulus in V. 19 formuliert, ist das konsequente Ernstnehmen des Hörers. Das Verhalten des Verkündigers ist der Verkündigung des Evangeliums untergeordnet. Von einer „Solidarität mit dem Hörer“410 kann man dann sprechen, wenn damit nicht nur ein Betroffenheitsgefühl gemeint ist, das für das eigene Verhalten ohne Konsequenzen bleibt. Die Freiheit, die der Glaube an Jesus Christus schafft, ist eine Freiheit, die zum Einsatz für den Nächsten verpflichtet. Paulus verzichtet gerne auf seine Freiheit, wenn er dadurch Menschen gewinnen kann. A. Schlatter kommentiert: „Gewinnen will er die Menschen, und er würde sie nicht gewinnen, wenn er, der Freie, der keinem etwas schuldig und von niemand abhängig ist, mit den anderen auf Grund seiner Freiheit verkehrte und von seinem Recht nicht weichen wollte“. 411 Die Bilder aus dem Bereich des Sports in V. 24-27 beschreiben das Leben des Christen in dreifacher Hinsicht.412 Erstens machen diese Bilder den Unterschied zwischen zeitlichem Ruhm und ewigem Leben deutlich. Der Siegeskranz der Sieger in den olympischen und isthmischen Spielen verwelkte bald wieder. Der Siegeskranz der Jesusbekenner ist die Auferstehung des Leibes zum ewigen Leben. Paulus kommentiert indirekt das Verhalten der korinthischen Christen, die sich mit Loyalitätsbekundungen gegenüber prominenten Aposteln und Lehrern wichtig machen wollen und die auf die Durchsetzung ihrer Rechte und auf die damit garantierte Wahrung ihrer gesellschaftlichen Privilegien bestehen. Paulus betont: Christen sollen sich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist und was ewigen Bestand hat. Zweitens, wie Athleten sich mit Ausdauer, Training und Selbstdisziplin auf den Wettkampf vorbereiten, so sollen sich Christen auf das Ziel der Aufer————————————————————
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Calvin 392. Schrage 346, mit Hinweis auf Eichholz, Theologie, 49. Schlatter 279. Garland 438.
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stehung zum ewigen Leben einstellen, in dem sie ihr Verhalten hier und heute dem Erreichen dieses Zieles unterordnen. In diesem Zusammenhang sind die eigenen Rechte weniger wichtig als der erfolgreiche Wettkampf. Für Paulus selbst bedeutet dies, dass er auf seine apostolischen Rechte verzichtet, um Menschen mit dem Evangelium zu erreichen und sie für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen. Drittens, Selbstdisziplin und zielgerichtetes Leben sind notwendig, um von Gott nicht als unfähig disqualifiziert zu werden. Dies gilt für den Apostel, und dies gilt für die korinthischen Christen. Das Antreten zum Wettkampf garantiert noch nicht, dass man am Ziel ankommt. Paulus mahnt die Korinther, nicht der Illusion zu verfallen, als sei Versagen ausgeschlossen. Das Leben als Jesusbekenner ist wie das Leben eines professionellen Athleten nicht einfach. Es kostet Disziplin, Verzicht und Opfer. Diese Warnung leitet den nächsten Abschnitt 10,1-13 ein, in dem Paulus den Korinthern das Versagen Israels als warnendes Beispiel vor Augen hält.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 I 1 Ich will euch nämlich nicht in Unkenntnis lassen, Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer gezogen sind, 2 und alle auf Mose getauft wurden in der Wolke und im Meer, 3 und alle dieselbe geistliche Speise gegessen haben 4 und alle denselben geistlichen Trank getrunken haben. Sie tranken nämlich von dem geistlichen Felsen, der ihnen nachfolgte, dieser Fels aber war der Christus. 5 Aber an den meisten von ihnen hatte Gott kein Gefallen, denn sie wurden in der Wüste getötet. 6 Dadurch aber sind sie (die Väter) für uns Vorbilder geworden, damit wir nicht nach Bösem begehren, so wie jene begehrten. 7 Werdet auch nicht Götzendiener wie einige von ihnen, wie geschrieben steht: „Das Volk setzte sich, um zu essen und zu trinken, und sie standen auf, um zu spielen“. 8 Lasst uns nicht sexuell zügellos leben, wie einige von ihnen Unzucht getrieben haben, und es fielen an einem einzigen Tag dreiundzwangigtausend. 9 Lasst uns auch nicht Christus versuchen, wie einige von ihnen (ihn) versuchten, und sie kamen durch die Schlangen um. 10 Murret auch nicht, wie einige von ihnen gemurrt haben, und sie kamen um durch den Verderber. 11 Das aber ist jenen als Vorbild widerfahren, es wurde aber aufgeschrieben zu unserer Warnung, die das Ende der Zeiten erreicht hat. 12 Wer also zu stehen meint, der sehe zu, dass er nicht falle. 13 Es hat euch keine Versuchung ergriffen als nur
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menschliche. Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, dass ihr mehr versucht werdet, als ihr ertragen könnt, sondern er wird mit der Versuchung auch den Ausweg schaffen, so dass ihr sie ertragen könnt.
II Der Abschnitt 10,1-13 knüpft an 9,24-27 an, ein Text, in dem Paulus das konsequente und konzentrierte „Laufen“ vom Start des Lebens als Jesusbekenner bis zum Ziel der Vollendung betont hatte. Paulus führt in Kap. 10 kein neues Thema an,413 sondern er argumentiert mit Hilfe der Schrift, dass die korinthischen Christen kein Götzenopferfleisch essen sollen. In 8,7-13 behandelte Paulus den bewussten Genuss von Götzenopferfleisch (zum Beispiel aus Anlass einer Feier in einem der heidnischen Tempel Korinths) unter der subjektiven Perspektive, d.h. der Frage, „ob die Erkenntnis vom Nicht-Sein der Götzen das Essen von Götzenopferfleisch zum Adiaphoron macht“. 414 In 10,1-13 wird dieselbe Frage unter der christologischen Perspektive behandelt, d.h. es geht um die Frage, ob der Glaube an Jesus Christus den Kontakt mit den heidnischen Göttern zum Adiaphoron macht und damit das Essen von Götzenopferfleisch und das Speisen im Götzentempel für Christen akzeptabel ist. Die christologische Perspektive von 10,1-13 wurde in Kap. 8 vorbereitet. In 8,1-6 hatte Paulus im Blick auf die Frage, ob Christen das Fleisch aus Tempelschlachtungen essen können, unterstrichen, dass die vielen Götter und die vielen Herren, die es in der Welt gibt, für Christen keine Relevanz mehr besitzen, weil sie sich zu dem einen Gott und Vater und zu dem einen Herrn Jesus Christus bekehrt haben. Diese christologische Betonung steht in 10,113 im Vordergrund. In Kap. 8 argumentiert Paulus gegen das Essen von Fleisch aus den Tempelschlachtungen mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, auf die schwachen Christen Rücksicht zu nehmen. In Kap. 9 argumentiert er gegen das Pochen korinthischer Christen auf ihr Recht, in den Tempeln zu speisen, mit dem Hinweis auf sein eigenes Verhalten als Apostel und Missionar. In 10,1-13 argumentiert er gegen den Götzendienst mit dem Hinweis auf das AT als autoritative Quelle für christliche Unterweisung und Ermahnung. Paulus warnt die Korinther, die Fleisch aus den Tempelschlachtungen essen, dass sie mit ihrem Verhalten nicht nur die Schwachen gefährden, sondern dass sie ihr eigenes Heil aufs Spiel setzen. Indem sie leichtfertig an götzendienerischen Handlungen teilnehmen (V. 7), versuchen sie Christus (V. 9). ————————————————————
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Diese Annahme wird nur dann notwendig, wenn man annimmt, Paulus gestatte das Essen von Götzenopferfleisch. Dies ist jedoch nicht der Fall (s. oben die Einleitung zu 8,1-13). Merklein II 240; vgl. ebd. für die folgende Bemerkung.
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Paulus beruft sich auf die Geschichte Israels zur Zeit des Exodus und der Wüstenwanderung. Die Argumentation mit der Geschichte Israels unterstreicht, dass der Gott, an den die bekehrten Heidenchristen glauben, nicht ein abstraktes Prinzip ist, das sie von polytheistischem Aberglauben befreit, sondern dass sie an den Gott Israels glauben, der ein eifersüchtiger Gott ist (V. 22), der Götzendienst verurteilt und Götzendiener bestraft, auch wenn sie Angehörige des Gottesvolkes sind.415 Die Anwendung der Geschichte Israels auf die korinthischen Christen wird als Midrasch interpretiert.416 Da manche Formelemente fehlen, die traditionell mit der Gattung „Midrasch“ verbunden werden417 und da die Definition von „Midrasch“ im Blick auf Texte, die chronologisch vor den rabbinischen Midraschim (Bibelkommentare) geschrieben wurden, schwierig bleibt,418 ist es im Hinblick auf 10,1-13 besser, die Bezeichung „Midrasch“ zu vermeiden. 419 Hilfreicher ist die Beschreibung als „paränetisch orientierte Nacherzählung von im Alten Testament aufgezeichneten Ereignissen“.420 Traditionsgeschichtliche Hypothesen, nach denen Paulus einen vorchristlichen oder urchristlichen Midrasch421 oder ein von ihm selbst zu einem früheren Zeitpunkt komponierten Midrasch422 zitiert, haben nicht überzeugen ————————————————————
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Hays 159. Weiss 250; Klauck 70; Senft 128; Collins 364; Schrage II 382; Lindemann 217; Meeks, Midrash, 64-78; Ellis, Prophecy, 209; Sellin, Hauptprobleme, 2953. Der klassische rabbinische Midrasch hat folgende Kennzeichen: 1. Klare Trennung von geoffenbartem Bibeltext und Kommentar; 2. explizites Zitieren der Bibeltexte, häufig mit Einleitungsformeln; 3. häufige Nennung von Rabbinen als Urheber oder Tradenten einer der (vielen möglichen) Auslegungen; 4. häufige Nennung der Regeln, nach denen eine bestimmte Auslegung abgeleitet wird. Manchmal scheint jede traditionelle jüdische Form des Umgangs mit der Bibel oder gar alles rabbinische Denken als Midrasch zu gelten. Stemberger, Midrasch, 10 definiert „Midrasch“ als „gläubiger Umgang mit dem Text, in dem man Gott hört, mit ihm ins Gespräch kommt. Im sorgfältigen Hinhören auf den Text, im Achten auf das kleinste Detail sprachlicher Formulierung der Bibel ergründet man die Tiefen der Offenbarung, erlebt Gott als stets gegenwärtig, ist sich seiner Verheißungen gewiss. Midrasch ist eine Form gläubiger Daseinsbewältigung“. Vgl. Stemberger, Midrasch, 23-24: „An sich besagt der Ausdruck Midrasch nicht eine bestimmte Methode der Bibelauslegung, etwa eine erbauliche oder allegorische Auslegung, der der Erhebung des Wortsinns, dem peshat, gegenübergestellt werden könnte. . . . Midrasch ist nicht ‚objektive‘ Fachexegese, auch wenn er sich zuweilen deren Methoden aneignet, die philologische Fragestellung ebenso kennt wie textkritisches Interesse“. Wolff 212. Barrett 220; Conzelmann 202; Senft 128; Luz, Geschichtsverständnis, 118-119; Meeks, Midrash, 65; Koch, Schrift, 214-215; Jeske, Rock, 251; Habermann, Präexistenzaussagen, 196-202. Collier, Evil, 72; Gardner, Gifts, 114.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 523 ————————————————————————————————————
können.423 Paulus konnte sich für sein Argument, dass die Ablehnung von Gottes Barmherzigkeit ernsthafte Konsequenzen hat, auf mehrere atl. Texte beziehen,424 ohne von einer dieser Stellen abhängig zu sein. Die Tatsache ist vielleicht nicht zufällig, dass Philo und Josephus auf die gleichen Ereignisse als Beispiele für Spaltungen im Volk Gottes verweisen wie Paulus. 425 Spaltungen, die mit Götzendienst und sexueller Zügellosigkeit zusammenhängen, gab es im Volk Gottes bereits früher. Paulus greift diesen Tatbestand auf und wendet ihn auf die Situation in Korinth an. Es gibt keinen Grund, der die Annahme widerlegen kann, dass Paulus den Text 10,1-13 anlässlich seines Briefes an die Korinther geschrieben hat. Die Meinung, Paulus beschäftige sich mit einem „massiven Sakramentalismus“ der Korinther, 426 findet im Text keine Bestätigung. Die Hinweise auf „Taufe“ (V. 2) sowie auf „Speise“ und „Trank“ (V. 3-4) ergeben sich aus alt. Texten und der jüdischen Exegese dieser Texte (s. unten). Keine der von Paulus verwendeten Vokabeln verweist mit Notwendigkeit auf die christliche Wassertaufe oder auf das Herrenmahl. Schließlich ist auf den Wechsel von dem kollektiven „alle“ (vier Mal in V. 1-4) zu dem partikularen „einige“ (vier Mal in V. 7-10) zu verweisen. H. Merklein kommentiert, dass dieser Wechsel „textstrategisch“ den Lesern deutlich macht, „daß aus der prinzipiell kollektiven Heilsgabe nicht automatisch ein kollektives Heil folgt“.427 Gliederung. In V. 1-5 legt Paulus mehrere Stellen aus dem Pentateuch aus, die den Exodus und die Wüstengeneration beschreiben. Er betont, dass zwar „alle Väter“ in der Wüste die göttlichen Heilsgaben erhielten, dass aber „die meisten von ihnen“ kein Gefallen vor Gott fanden. V. 6-11 wendet diese Ereignisse typologisch auf die korinthische Gemeinde an, die ermahnt wird, nicht dieselben Fehler zu begehen. V. 12-13 fassen diese Warnung zusammen ————————————————————
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Vgl. Schrage II 383-384; Wolff 213-214; Merklein 243; Garland 469-470; Broer, Wer da meint zu stehen, 307-309; Kollmann, Mahlfeier, 52-58. Schrage II 384 Anm. 11 verweist auf Ps 78; 105; 106; Ez 20; Neh 9,9-20; Dtn 32,1-43; vgl. Weish 11-12; 19; äthHen 85-90. Mit atl. Stellen übereinstimmende Themen sind 1. die Erwähnung der Väter (Ps 77,12; 105,7); 2. die Teilung des Meers (Ps 77,13; 105,9); 3. die Wolke (Ps 77,14; 104,39); 4. das Wasser aus dem Felsen (Ps 77,15-16; 104,31); 5. das Manna (Ps 77,24-25; 104,40; vgl. Dtn 32,13); 6. Mose (Dtn 32,44); 7. die Sünden der Väter (Ps 77,18; 105,7.14.25.36; Dtn 32,16-17); 8. die Strafe (Dtn 32,19-25); 9. die Treue Gottes (Dtn 32,4.36-43). Mitchell, Rhetoric, 138-140, mit Verweis auf Philo, Spec.Leg. 4,129; Mos. 1,161164.305; 2,174.283; Post. 182-185; Ebr. 95; Josephus, Ant. 3,295; 4,12.140; vgl. Ciampa /Rosner 722-723 für die folgende Bemerkung. Lietzmann 46; Barrett 220; Conzelmann 205; Schrage 385-386; Wolff 212: die Warnung vor dem Fall in V. 12 lasse erkennen, „daß die in Kap. 8 angesprochenen ‚Wissenden‘ meinten, durch den Empfang der Sakramente vor dem Abfall zum Götzendienst und seinen Folgen geschützt zu sein“. Merklein II 241-242.
524 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
und formulieren grundsätzlich, dass Christen die Gefährlichkeit von Götzendienst und sexueller Zügellosigkeit nicht bagatellisieren dürfen. Der Abschnitt endet mit einem Hinweis auf die Treue Gottes, die es dem Volk Gottes ermöglicht, Versuchungen zu überwinden. Textkritische Anmerkungen. Die Aor. Pass.-Form ε βαπτι' σθησαν, die von אA C D F G Ψ 33 81 104 365 630 1505 2464 al latt bezeugt wird (d46* hat Impf. Pass. ε βαπτι' ζοντο), ist gegenüber der Aor. Med.-Form ε βαπτι' σαντο (d46c B 1739 1881 Byz; Or) wahrscheinlich als die ursprüngliche Lesart zu betrachten. Nicht wenige Exegeten argumentieren für die Ursprünglichkeit der Medium-Form, weil die Passivform die übliche Konstruktion sei, weil das Medium dem jüdischen Brauch der Proselytentaufe entspreche (wo der Konvertit sich selbst taufte) und weil eine Änderung der Passivform in das sonst bei Paulus nicht vorkommende Medium (also die schwierigere Lesart) wenig wahrscheinlich sei. 428 Dem gegenüber steht der externe Befund, der die Passivform etwas stärker stützt, sowie die Feststellung, dass es die Proselytentaufe im 1. Jh. möglicherweise noch nicht gegeben hat; die Ersetzung der Passivform durch das Medium könnte nach R. Collins durch das Bestreben motiviert gewesen sein, die „Taufe auf Mose“ von der Taufe auf Jesus Christus zu unterscheiden.429 In V. 3 lassen d46 A C* u.a. das betonte αυ το' aus, das jedoch gut bezeugt ist (א2 B (C2) D F G Ψ 33 1739 1881 Byz latt sy(p) co; Irlat Or Epiph). In V. 4 lassen d46 A ebenfalls αυ το' aus. In V. 8 lesen späte Textzeugen (81 pc vg sy) in Übereinstimmung mit Num 25,9 die Zahl 24 000. In V. 9 ist die Lesart Χριστο' ν (d46 D F G Ψ 1739 1881 Byz latt sy co; Irlat Or1739mg) ursprünglich: Sie ist besser bezeugt als die Lesart κυ' ριον ( אBC P 33 104 326 365 1175 2464 pc syhmg) oder θεο' ν (A 81 pc) und ist gegenüber dem weniger „problematischen“ Wort κυ' ριον und θεο' ν die schwierigere Lesart (Versuchung Christi durch die Israeliten in der Wüste).430 Die Handschriften (d46) אC D* F G P 33 81 104 u.a. schreiben ε ξεπει' ρασαν statt ε πει' ρασαν (A B D2 Ψ Byz), in Angleichung an ε κπειρα' ζωμεν. Das Imperfekt α πω' λλυντο (d46 אA B 81 pc; Or) ist besser bezeugt als der Aor. α πω' λοντο (C D F G Ψ 33 1739 [1881] Byz), der an die übliche Aor.-Form (vgl. V. 10) angleicht. Der 2. Pers. Plur. Imp. γογγυ' ζετε (A B C Ψ 1739 1881 Byz lat sy sa; Irlat ————————————————————
428 429 430
Robertson/Plummer 200; Barrett 220-221; Fee 441 Anm. 2; Schrage II 390 Anm. 44; Thiselton 722; Zuntz, Text, 234; Metzger, Commentary, 493 (Meinung von B. Metzger und A.Wikgren); Oropeza, Apostasy, 77. Collins 368; vgl. Lindemann 218; Garland 470; Metzger, Commentary, 493. Merklein II 239 bleibt unentschieden. Zuntz, Text, 126-127; Metzger, Commentary, 494; Osburn, Text, 201-212; Bachmann 332; Fee 450 Anm. 2; Schrage II 400 Anm. 101; Thiselton 740; Garland 470-471. Anders NA25; Robertson/Plummer 205-206; Lietzmann 47; Senft 130 Anm. 20; Wolff 211.219; Habermann, Präexistenzaussagen, 219-220.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 525 ————————————————————————————————————
Ambst) wird in אD F G 33 pc bo durch den 1. Pers. Plur. Konj. γογγυ' ζωμεν ersetzt, in Angleichung an die Verbformen in V. 8.9. In V. 11 ist ταυ^ τα δε' (A B 33 630 1175 1739 1881 2464 pc sa; Epiph) die ursprüngliche Lesart; die Plazierung eines zusätzlichen πα' ντα vor ( אD F G 81 pc bo?; Irarm, latpt) oder nach (C Ψ Byz lat sy bo?; Irlatpt) ταυ^ τα ist ein Hinweis darauf, dass es sich um ^ ς συνε'βαινεν (d46 eine interpretierende Glosse handelt. 431 Die Lesart τυπικω אB C K P 33 81 104 u.a.) ist besser bezeugt als τυ' ποι συνε'βαινον ([A]D F G [Ψ]Byz syh; Irarm), das an V. 10 angleicht. In V. 13 fügen א2 (D2) Ψ Byz nach δυ' νασθαι das das Verständnis erleichternde Pronomen υ μα^ς ein; der von d46 *אA B C D*.c F G L P 6 33 81 u.a. bezeugte Text ist ursprünglich.
III 1 Paulus begründet (γα' ρ) seine Warnung vor Disqualifizierung vor dem Erreichen des Ziels (9,24-27) mit einer Behandlung biblischer Texte, die für das Thema des Essens von Fleisch aus Tempelschlachtungen grundlegend sind. Nachdem er in 9,1-27 die mit diesem Thema verbundenen Fragen mit Beispielen aus seinem apostolischen Dienst geklärt hat, wendet er sich jetzt Beispielen aus der Geschichte Israels zu. Der Satz ich will euch nämlich nicht in Unkenntnis lassen, Brüder kommt bei Paulus mehrfach vor und führt eine hervorgehobene Mitteilung ein. Wenn man die Litotes auflöst, lautet der Satz: „Ich will euch mitteilen, ihr sollt wissen“ (vgl. 11,13).432 Die Formulierung kann auf eine einfache Information (2Kor 1,8; Röm 1,13), auf die Mitteilung einer theologischen Erkenntnis (1Thess 4,13; Röm 11,25) oder auf die Erläuterung von grundsätzlich bekannten Sachverhalten (1Kor 12,1) hinweisen. Die Form dieser Einleitung lässt offen, ob Paulus den Korinthern im folgenden Abschnitt neue Information mitteilt, oder ob er sie an bereits Bekannntes erinnert bzw. dieses näher erläutert. Die folgende Diskussion deutet darauf hin, dass Paulus davon ausgeht, dass die Episoden der Geschichte Israels, auf die er sich bezieht, den korinthischen Christen bekannt sind.433 Er will sicherstellen, dass sie die Bedeutung der in den folgenden Sätzen behandelten atl. Stellen für das Thema des Essens von Götzenopferfleisch kennen, das er seit 8,1 behandelt. 434 Das Beispiels Israels hält den ————————————————————
431 432 433 434
Zuntz, Text, 166 Anm.5; Metzger, Commentary, 494; Fee 451 Anm. 4. W. Schmithals, Art. α γνοε' ω κτλ., EWNT I, 49. Fee 443; Garland 448; Oropeza, Apostasy, 70; Hays, Conversion, 8-9; anders Wolff 214. Fee 443; vgl. Schrage II 387 Anm. 27; Lindemann 218. Merklein II 243 erwägt mit Verweis auf 1Thess 4,13; Röm 11,25, ob die typologische Schriftauslegung in 10,1-13 „ein Beispiel prophetischer Rede“ ist. Diese liegt aber auch in diesen beiden Stellen nicht mit Sicherheit vor: Die Erläuterung eschatologischer Fragen ist nicht selbst schon „prophetische Rede“. Auch eine „leicht ironische Note“ gegenüber den „Wissenden“ in der korinthischen Gemeinde (ebd. 244) ist im Text nicht zu erkennen; vgl. Garland 448.
526 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Korinthern jenes „Wissen“ vor Augen, das gewährleistet, dass sie alle ans Ziel kommen. Der Hinweis auf unsere Väter (οι πατε'ρες η μω ^ ν) macht deutlich, dass für Paulus die Väter Israels zugleich die Väter der Gemeinschaft der Jesusbekenner sind, zu denen die Heidenchristen in der korinthischen Gemeinde gehören. Die Kontinuität zwischen Israel, dem Gottesvolk des alten Bundes, und der Ekklesia, dem aus Judenchristen und Heidenchristen bestehenden Gottesvolk des neuen Bundes, ist die Voraussetzung für den typologischen Vergleich der folgenden Verse. Auch wenn darauf nicht der Hauptakzent liegt: Indem Paulus in einem Brief an eine aus Judenchristen und Heidenchristen bestehende Gemeinde die Israeliten der Exoduszeit als „unsere Väter“ bezeichnet, unterstreicht er die Überzeugung, dass sie zusammen Volk Gottes sind, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft. Paulus setzt „ein Vater-Kinder-Verhältnis voraus, das nicht auf biologischer Erbfolge, sondern auf der Identität Gottes in seinem Handeln in der Geschichte beruht. Gott sammelt, errettet und geleitet Menschen mit seinen Heilsgaben, so daß sie sein Volk werden“. 435 Die Heidenchristen, die zum Glauben an Gottes Heilshandeln in Jesus Christus gekommen sind, wurden in das Bundesvolk Gottes eingepfropft (Röm 11,17-24), so dass sie jetzt zu Israel gehören (Gal 6,16). Das bedeutet, dass die Geschichte Israels für die Heidenchristen nicht die Geschichte eines anderen Volkes ist, sondern ihre eigene Geschichte, die Geschichte ihrer eigenen geistlichen Vorfahren.436 In V. 1b-4 führt Paulus mehrere Beispiele aus der Geschichte Israels an, die die Heilserfahrung der „Väter“ demonstrieren. Er erinnert die korinthischen Christen zunächst an die Israeliten der Wüstengeneration, die alle unter der Wolke waren. Die Wolkensäule (LXX στυ^ λος νεφε'λης, für hebr. )ַעּמּוד ָעָנןist nach Ex 13,21-22 als Zeichen der Gegenwart Jahwes vor dem Volk Israel hergezogen. Die Formulierung „sie waren unter der Wolke“ (υ πο` τη` ν νεφε'λην η σαν) entspricht Ex 14,24, wo davon die Rede ist, dass Jahwe von der Feuer- und Wolkensäule auf die die Israeliten verfolgenden Ägypter ————————————————————
435
436
Roloff, Kirche, 120; vgl. Fee 444; Collins 368; Hays 160; ebd. die folgende Bemerkung. Garland 448-449 kontrastiert mit der Bestimmung in mBik 1,4, nach der zum Judentum konvertierte Heiden nicht beten sollten, „unser Gott und der Gott unserer Väter“, sondern „unser Gott und der Gott ihrer Väter“. Ganz anders Bultmann, Bedeutung, 333: „Für den christlichen Glauben ist das Alte Testament nicht mehr Offenbarung, wie es das für die Juden war und ist. Wer in der Kirche steht, für den ist die Geschichte Israels vergangen und abgetan. . . . Israels Geschichte ist nicht unsere Geschichte, und sofern Gott in jener Geschichte gnädig gewaltet hat, gilt diese Gnade nicht uns. . . . Die Ereignisse, die für Israel etwas sagten, Gottes Wort waren, sagen uns für uns nichts mehr“.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 527 ————————————————————————————————————
„herabschaute“.437 In Ps 105,39 heißt es, dass Gott eine Wolke ausbreitete, um die Israeliten zu decken. Paulus betont den Schutz Gottes, unter dem das Volk Israel im Exodusgeschehen stand.438 Paulus erinnert zweitens an den Durchzug durch das Schilfmeer: alle sind durch das Meer gezogen. Nach Ex 14,21-22 (vgl. Ps 78,13) ermöglichte Jahwe den Israeliten durch das Wunder der Teilung des Wassers, dass sie das Schilfmeer trockenen Fußes durchziehen konnten. Manche Ausleger schlagen vor, dass dem Wasser des Schilfmeeres, in dem die Ägypter umkamen, die Israeliten jedoch gerettet wurden, Gerichtsfunktion zukommt: „Mit den ägyptischen Herren stirbt zugleich die sklavische Existenz Israels (vgl. Tert[ullian], Bapt 9). Das Vernichtungswasser setzt Israels altem sklavischem Sein ein Ende“.439 Im Rahmen der typologischen Interpretation ist dieses Verständnis durchaus sinnvoll; zu beachten ist allerdings, dass Paulus weder die Ägypter noch Gottes Gericht am Schilfmeer erwähnt. 2 Der Satz und alle wurden auf Mose getauft in der Wolke und im Meer deutet auf das in V. 1b erinnerte Geschehen in Analogie zur christlichen Wassertaufe. Dass die Ereignisse der Wüstengeneration der Typos sind, zu dem das Erleben der Christen den Antitypos bilden, wird erst in V. 6a explizit ausgesprochen. Die Formulierung „auf Mose getauft“ (ει ς το` ν Μωυ¨ ση^ ν ε βαπτι' σθησαν) kommt weder im AT noch in der jüdischen Tradition vor. Sie wurde von Paulus offensichtlich in Anlehnung an die Formel „auf Christus Jesus getauft“440 gebildet. Sie spricht, wenn im Hintergrund die Formulierung „auf den Namen“ steht, von der Zugehörigkeit zu Mose als Retter und von der Verpflichtung auf die Autorität Moses als der Mann, dem Jahwe die Führung seines Volkes anvertraute.441 Die Formulierungen „in der Wolke“ (ε ν τη^, νεφε'λη, ) und „im Meer“ (ε ν τη^, θαλα' σση, ) lassen keine sakramentalistische Interpretation von Israels Erfahrungen während der Wüstenwanderung
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439 440 441
Vgl. Ex 13,21.22; Num 9,15-22; 14,14; Dtn 1,33; Ps 78,14; Ciampa /Rosner 723. Vgl. Godet II 41; Hofmann 197; Garland 449; Ostmeyer, Taufe, 141; vgl. Merklein II 244; Lindemann 218 (der Verweis auf Lev 9,15-22 ist ein Versehen); kritisch Schrage II 389 Anm. 39. Viele deuten die Wolke auf die Gegenwart des Geistes (bei der Taufe) bzw. auf die Geistestaufe; vgl. Schrage II 389; Halter, Taufe, 158; Habermann, Präexistenzaussagen, 216; Oropeza, Apostasy, 90-97. Zur Taufe passt das Bild von der Wolke jedoch schlecht, wie Merklein II 244 zu Recht bemerkt. Lindemann 218 bleibt unentschieden. Ostmeyer, Taufe, 143. Röm 6,3; Gal 3,27; vgl. 1Kor 1,13.15; Apg 2,38; 8,16; 19,5. Die Annahme, der Hintergrund der Formulierung sei die Proselytentaufe (A. Oepke, ThWNT I, 533; G. Friedrich, ThWNT VI, 839; Barrett 221), ist nicht plausibel; Schrage II 390 Anm. 45. Vgl. Heinrici 293; Weiss 250; jüngst Schrage II 391; Wolff 215; Lindemann 218; Ostmeyer, Taufe, 143-144.
528 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
erkennen.442 Sie sind vielmehr aus der typologischen Analogie der christlichen Wassertaufe heraus zu verstehen sowie auf dem Hintergrund der offensichtlich vorausgesetzten (jüdischen) Überzeugung, dass sich die Zeit Moses und die Zeit des Messias entsprechen. In rabbinischen Texten kommt der Satz „wie der erste Erlöser (Mose), so auch der letzte“ wiederholt vor.443 In QohR zu 1,9 (9b) heißt es: „Wie der erste Erlöser das Manna herabfallen ließ . . ., so wird auch der letzte Erlöser das Manna herabfallen lassen. Wie der erste Erlöser den Brunnen aufsteigen ließ . . ., so wird auch der letzte Erlöser das Wasser aufsteigen lassen“. Allerdings ist der eigentliche Typos in V. 1-4 nicht Mose, sondern das Gottesvolk Israel, und für Paulus ist nicht Mose der Ausgangspunkt des Vergleichs, sondern er liest die Exodusgeschichte im Licht der Heilsoffenbarung Gottes in Jesus Christus.444 Mose, der Israel in die Freiheit führte, ist ein Typos Jesu Christi, der durch seinen Tod am Kreuz denen Freiheit bringt, die sich zu ihm bekennen. Paulus geht von dem Gedanken aus, dass die Taufe, die an den Menschen vollzogen wurde, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind, den Beginn des Lebens als Jesusbekenner markiert. Angewandt auf den Beginn der Geschichte Israels des Bundesvolkes Gottes bedeutet dies, dass die Rettung aus der Sklaverei in Ägypten eine „Taufe“ ist.445 Zu beachten bleibt, dass Paulus die Gemeinde der Jesusbekenner mit dem Gottesvolk Israel vergleicht, um die Frage nach dem Essen von Fleisch aus Tempelschlachtungen einer endgültigen Antwort näherzubringen. 446 Der Hinweis auf die „Wolke“ und auf das „Meer“ spielt vielleicht auf die Trennung an, die aus dem Auszug aus Ägypten resultierte: Die Feuer- und Wolkensäule trennte das Bundesvolk der Israeliten von den verfolgenden Ägyptern, und das Rote Meer markierte die Grenze zwischen Ägypten und Israel. 447 Das Bundesvolk ————————————————————
442 443 444
445 446 447
Weiss 250 spricht von einem „Erleben sakramentaler Wirkungen“. Kritisch Fee 445; Merklein II 245; Garland 451; Dunn, Baptism, 124; Beasley-Murray, Taufe, 239-240; Oropeza, Apostasy, 89. Vgl. Bill. I, 85-88. J. Jeremias, ThWNT IV, 862-868; vgl. Schrage II 391; Garland 450. Zur Vorstellung eines messianischen „neuen“ Mose vgl. Allison, Moses, 11-134. Schrage II 391; Dunn, Baptism, 126-127. Als Typos bzw. Antitypos für Jesus Christus verwendet Paulus Adam, vgl. 1Kor 15,22; Röm 5,12-21. Allegorisch legt Paulus das Exodusgeschehen nicht aus, wie es z.B. Theodoret 301 tut: Für diesen bedeutet das „Meer“ das Bad der Taufe, die „Wolke“ die Gnade des Heiligen Geistes, „Mose“ den Priester Jesus Christus, der „Stab Moses“ das Kreuz, „Ägypten“ die Dämonen, „Pharao“ den Teufel und der „Felsen“ die Seite Jesu. Fee 444; Garland 451; ebd. für die folgende Bemerkung. Die Konzentration auf das paulinische Verständnis von Taufe und Geistempfang wird deshalb dem Kontext nicht gerecht. So bestimmt z.B. Oropeza, Apostasy, 91-99 in seiner Diskussion von V. 1-2 die „Taufe“ als Metapher für das Erfülltwerden mit dem Geist. Gardner, Gifts, 119-120; Oropeza, Apostasy, 99-104, mit Verweis auf Dtn 4,9-14.32-33; Neh 9,9-12; Philo, Her. 202-204; Mos. 1,178-179; 2,254.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 529 ————————————————————————————————————
Israel wurde von Gott durch das Exodusgeschehen gerettet und aus Ägypten ausgesondert. Die Gemeinde der Jesusbekenner wurde, so die implizite Erinnerung, von Gott aus der Welt der Götzen, der Götzenopfer und des Götzenopferfleisches ausgesondert (vgl. 8,4). 3 Mit dem Satz und alle haben dieselbe geistliche Speise gegessen erinnert Paulus an das Manna- und Wachtelwunder (Ex 16,1-16; Num 11,4-34).448 Die Beschreibung des Manna als „geistlich“ (πνευματικο' ς) hängt zunächst damit zusammen, dass in der atl. und jüdischen Tradition das Manna als „Himmelsbrot“ und „Engelsspeise“ bezeichnet wird.449 Das Adj. unterstreicht die übernatürliche Herkunft des Manna und der Wachteln. Auf das Abendmahl angewendet bezeichnet πνευματικο' ς die überirdische, vom Geist Gottes gewirkte Erfahrung und Bestätigung des empfangenen Heils. 450 Gleichzeitig ist auch hier zu vermuten, dass Paulus die Bezeichnung verwendet, weil er Manna und Wachteln als Typos der „geistlichen“ Speise des Herrenmahls interpretiert.451 Die Wendung το` αυ το' („dieselbe“) ist im Blick auf V. 5 formuliert, wo die gemeinsame Erfahrung, die „alle“ gemacht haben, mit den „meisten“ kontrastiert wird, an denen Gott trotz dieser Erfahrungen keinen Gefallen hatte. Darauf liegt im Kontext der Ton, nicht auf dem korinthischen oder paulinischen Verständnis des Herrenmahls.452 4 Der Satz und alle haben denselben geistlichen Trank getrunken erinnert die Korinther, wie der folgende begründende Satz (γα' ρ) zeigt, an das Wunder in der Wüste, als Mose am Berg Horeb auf einen Felsen schlug und Wasser herauskam (Ex 17,1-7; Num 20,7-11).453 Auch hier bezeichnet „geistlich“ die übernatürliche Herkunft des Trankes, nicht eine besondere Eigenschaft des Wassers. ————————————————————
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453
Vgl. Dtn 8,3.16; Neh 9,20; Ps 78,24; 105,40. Ps 105,40 (LXX 104,40): α»ρτος ου ρανου^ ; Weish 16,20: α γγε' λων τροφη' ν; vgl. Neh 9,15 (LXX 2Esra 19,15), wo in 9,20 der Geist parallel zum Manna erwähnt wird; vgl. Philo, Her. 191; Josephus, Ant. 3,30; Joh 6,31-32. Weiss 251; Lietzmann 45; Bachmann 330; Schlatter 288; Lang 124; Fee 446; Witherington 219; Wolff 216; Probst, Brief, 228. Andere Ausleger interpretieren im Sinn von „(im Sakrament) den Geist vermittelnd“; vgl. Conzelmann 204; Klauck 71; Schrage II 392-393; Halter, Taufe, 159-162; Kollmann, Mahlfeier, 55; Horn, Angeld, 169-170. Zur Diskussion s. ausführlich Wedderburn, Baptism, 241-248, der versucht, die verschiedenen Auslegungsoptionen miteinander zu kombinieren. Conzelmann 204; Schrage II 392; Merklein II 245; Garland 452. Dies wird schon daran deutlich, dass die „geistliche Speise“ in der Wüste nicht nur das Manna ist, sondern auch an die Wachteln erinnert, was von vielen Auslegern ausgeblendet wird. In den meisten atl. Stellen werden das Mannawunder und das Wachtelwunder zusammen erwähnt. Vgl. Dtn 8,15; Neh 9,15; Ps 78,20; 105,41; 114,8; Jes 48,21.
530 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Der „geistliche Trank“ (πνευματικο` ν πο' μα) wird in V. 4b mit dem „geistlichen Felsen“ (πνευματικη` πε'τρα) gleichgesetzt, der in V. 4c mit Christus identifiziert wird (η πε'τρα δε` η ν ο Χριστο' ς): Sie tranken nämlich von dem geistlichen Felsen, der ihnen nachfolgte, dieser Fels aber war der Christus. Die Voraussetzung dieser Identifizierung ist die Vorstellung von dem „Felsen“, der dem Volk Israel „nachfolgte“ (α κολουθου' σης πε'τρας), eine Vorstellung, die Paulus in der jüdischen Auslegungstradition vorfand.454 Die übernatürliche Versorgung mit Wasser in der Wüste wird zu Beginn455 und am Ende der Wüstenwanderung456 erwähnt. Indem man den Felsen von Ex 17 und den Felsen von Num 20 miteinander identifizierte, ergab sich der Schluss, dass der Felsen bzw. der Brunnen das Volk Israel begleitet hat. Diese Interpretation könnte durch eine Unklarheit in Num 21,16-20 begünstigt worden sein: Die jüdische Tradition verstand die Verheißung Gottes, Israel mit Wasser aus dem Brunnen zu versorgen (V. 16), in dem Sinn, dass Gott ihnen den Brunnen selbst gibt; in V. 17 singen die Israeliten dem Brunnen ein Lied, in dem er aufgefordert wird, „herauf zu steigen“; das hier verwendete Verb beinhaltet sonst generell Bewegung von einem Ort zum anderen. 457 Paulus denkt nicht an einen buchstäblichen Felsen oder Brunnen, der Israel gefolgt ist, sondern an die göttliche Wasserquelle, die mit dem Volk reiste. Und er versteht die Versorgung durch den Felsen nicht in einem physischen Sinn, sondern in einem geistlichen Sinn („geistlicher Felsen“). Indem Paulus in V. 4c den „nachfolgenden Felsen“ mit Christus identifiziert, betont er seine Überzeugung, dass die Heilsgaben des Volkes Gottes von Jesus Christus geschenkt werden. Die Identifizierung des Felsens mit Christus beinhaltet den Gedanken der Präexistenz Christi.458 Der atl. und jüdische Hintergrund, der diese Identifizierung möglich macht, wird unterschiedlich beurteilt, wobei sich die verschiedenen Vorschläge nicht ausschließen. 1. Wie Paulus die Bezeichung Gottes als „Herr“ auf Jesus übertrug, so bezeichnet er Christus als „Felsen“ analog der atl. Beschreibung ————————————————————
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Vgl. Ant.Bibl. 10,7 („und den Brunnen mit dem nachfolgenden Wasser ließ er für sie ausziehen“); 11,15; tSuk 3,11; bShab 35a; bPes 54a; Gen. Rab. 62,4; Num. Rab. 1,2; 9,14; 19,25-26; Targum Onkelos zu Num. 21,16-20; Targum Neofiti zu Num. 21,16-20 vgl. Bill. III, 406-407. Vgl. Weiss 251; Schlatter 290; Bachmann 330; Fee 448; Schrage II 394; Wolff 213-214; Lindemann 219; Garland 456; Ciampa/Rosner 724; Ellis, Use, 6670; Ellis, Prophecy, 209-212; Konradt, Gericht, 373; Enns, Well, 23-38; vgl. ebd. für die folgende Erklärung. Ex 17,1-7: Rephidim; vgl. die Wasser von Elim in Ex 15,22-27. Num 20,1-11: Kadesh; Num 21,16-18: Beer. 1Sam 25,35; Jes 21,2; 40,9; Jer 22,20; 46,11. Vgl. Ciampa /Rosner 724. Paulus schreibt η ν, nicht ε στι' ν. Vgl. Robertson / Plummer 201; Lietzmann 44-45; Conzelmann 204; Schrage II 394; vgl. Lindemann 219, der zu Recht darauf hinweist, dass dieser Gedanke im Kontext nicht weiter entfaltet wird.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 531 ————————————————————————————————————
Gottes als „Fels“, auf den Israel sich verlassen kann. 459 2. Die jüdische Tradition identifizierte den Felsen mit der göttlichen Weisheit460 und mit dem göttlichen Logos,461 beides Größen, die Paulus mit Jesus Christus verbindet.462 3. Von der Vorstellung, dass Jesus Christus der Schöpfungsmittler (8,6) ist, gelangte Paulus zu der Vorstellung, dass die Versorgung Israels in der Wüste durch Christus gewährleistet wurde.463 Paulus will die korinthischen Christen jedoch nicht über die Präexistenz Jesu Christi, über die Gegenwart und das Handeln Christi in der Geschichte Israels,464 über die (auch hier vorausgesetzte) Kontinuität zwischen Israel und der Gemeinde oder über die „Sakramente“ der Taufe und des Herrenmahls belehren.465 Er will sie an den heilvollen Anfang der Geschichte des Volkes Israels erinnern, als alle Israeliten Gottes übernatürliche Rettung und Versorgung erfuhren, aber aufgrund ihres Götzendienstes in der Wüste zugrunde gingen. Manche Ausleger interpretieren V. 1-4 auf dem Hintergrund eines problematischen Sakramentsverständnisses der korinthischen Christen, das als magisch charakterisiert wird.466 A. Oepke schreibt: „Paulus kämpft in 1 K 10,1-13 mit höchster Energie gegen eine dinglich-superstitiöse Wertung von Taufe und Herrenmahl, als wären ihre Empfänger gegen jede Möglichkeit göttlichen Zorns gefeit“.467 Chr. Wolff meint, die Warnung vor dem Fall in V. 12 lasse erkennen, dass die „Wissenden“ in der korinthischen Gemeinde überzeugt waren, „durch den Empfang der Sakramente vor dem Abfall zum Götzendienst und seinen Folgen geschützt zu sein . . . Hier mag die in den Mysterienreligionen vertretene Anschauung eingewirkt haben, daß die genossenen Mysterien das Heil garantieren“.468 Diese Interpretation hat trotz ihrer Popularität zu Recht nicht alle Exegeten überzeugt.469 Zum einen ist festzuhalten, dass die Gnosis und die Mysterienreligionen keine echten Parallelen für das angeblich abergläubische ————————————————————
459 460 461 462 463 464 465 466 467 468 469
Dtn 32,4.15.18.30.31; Ps 19,14 u.ö. Godet II 44; Fee 449; Gardner, Gifts, 147. Philo, Leg. All. 2,86; vgl. Weish 10,15–11,4. Philo, Det. 115-118. 1Kor 1,24.30; 8,6; Kol 1,15-17. Schrage II 394-395; Wolff 217; Thiselton 728-729; Lindemann 219. Garland 457. Lindemann 219 schreibt, dass Paulus nicht sagt, „die Geschichte der ‚Väter‘ sei durch Christus bestimmt gewesen; eher kann man annehmen, daß Christus analog zu 8,6c die ‚heilvolle Gottesgegenwart‘ repräsentiert“. Richtig Merklein II 247; vgl. Garland 458. Weiss 250; Lietzmann 45-46; Barrett 220; Conzelmann 203-204; Fee 442-443; Schrage II 381.385.393-396; Wolff 212 u.a. A. Oepke, Art. βα' πτω κτλ., ThWNT I, 540; vgl. W. Bieder, EWNT I, 467. Wolff 212. Zur folgenden Kritik s. Garland 453-454; Willis, Idol Meat, 139-142.159-160; Mitchell, Rhetoric, 251-253; Sandelin, Sacramentalism, 165-182; Gardner, Gifts, 117119; Newton, Deity and Diet, 217; Smit, Idol Offerings, 129. Dass ein magisches Sakramentsverständnis damals (wie heute) möglich ist, steht außer Frage. Entscheidend für die Interpretation von 10,1-4 ist jedoch, ob der Text ein solches Verständnis fordert oder notwendig macht.
532 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Sakramentsverständnis der korinthischen Christen aufweisen. W. Schrage will die Schwierigkeiten, die sich bei der religionsgeschichtlichen Ableitung ergeben, mit folgendem Satz beiseite wischen: „Ungeachtet der unterschiedlichen Sicht der gnostischen Bewertung der Sakramente und ihrer Verbindung mit Mysterienpraktiken wird großenteils mit Recht erklärt, daß die Korinther die Sakramente in magischer Manier als quasi ex opere operato wirksam verstehen“.470 Aber so einfach kann man es sich nicht machen. Zweitens wird an keiner Stelle in Kap. 10 erkennbar, dass Paulus ein falsches Sakramentsverständnis kritisiert oder korrigiert. Das Problem der korinthischen Christen ist kein „Hypersakramentalismus“, sondern das Essen von Fleisch aus Tempelschlachtungen im Götzentempel. Paulus warnt nicht vor einem falschen Sakramentsverständnis, sondern vor Götzendienst (vgl. V. 7). Paulus spielt in 10,1-4 auf die Feier des Herrenmahls in der Gemeinde nicht deshalb an, weil die Korinther das Herrenmahl in magischer Weise missverstanden hatten, sondern um (im Kontext der Diskussion von Kap. 8–10) das Herrenmahl mit dem Mahl im Götzentempel zu vergleichen: Beide Feiern haben einen „geistlichen“ Kontext, wobei die Realität und die Feier des Herrenmahls die unbedingte Loyalität des Gottesvolkes erfordert – wie Israels Erfahrung der göttlichen Versorgung in der Wüste. An Jesus Christus Glaubende können nicht gleichzeitig das Herrenmahl feiern und anlässlich von Götzenmahlzeiten speisen. Die beiden Mahlzeiten schließen sich gegenseitig aus.
5 Die Erfahrung der göttlichen Versorgung beim Auszug aus Ägypten und während der Wüstenwanderung (V. 1-4) hielt das Gottesvolk nicht davon ab, gegen Gott zu rebellieren und dadurch Gottes Zorn auf sich zu ziehen. In V. 5-10 listet Paulus die Sünden Israels auf, die Gottes Zorn zur Folge hatten. V. 5a führt diese Auflistung ein: aber an den meisten von ihnen hatte Gott kein Gefallen. Paulus kontrastiert (α λλα' ) die Erfahrung göttlichen Heils, die „alle“ (fünf Mal πα' ντες in V. 1-4) beim Auszug aus Ägypten gemacht hatten, mit den „ganz wenigen“,471 an denen Gott Gefallen hatte. Das Verb ευ δοκε'ω beschreibt in der biblischen Tradition meistens den souveränen Heilsratschluss Gottes (s. oben zu 1,21). Zusammen mit der Negation ου κ bezeichnet es hier die Verwerfung der Israeliten in der Wüste, die gegen Gott rebellieren. Nach Num 14,30-32; 26,64-65 sind nur zwei Israeliten, Josua und Kaleb, in das verheißene Land gelangt. 472 Die Frage, ob in dem Satz denn sie wurden in der Wüste getötet das Verb κατεστρω' θησαν473 den Verlust des Heils an————————————————————
470 471 472 473
Schrage II 385. οι πλει'ονες („die meisten“) ist Litotes, die in dem negierten Satz (ου κ . . . ευ δο' κησεν) mit „nur ganz wenige“ aufzulösen ist. Schrage II 396 meint, die Wendung ου κ ε ν τοι^ς πλει'οσιν sei ein understatement, das das Ausmaß des göttlichen Gerichts abschwächt. Lindemann 220 meint dagegen, dass die Formulierung in V. 5a nicht speziell an Josua und Kaleb denken lässt. καταστρω' ννυμι („niederstrecken, töten“), das nur hier im NT vorkommt, wird in 2Makk 5,26 von den in der Wüste getöteten Israeliten verwendet; vgl. Num 14,16 LXX, wo Mose allerdings eine Aussage der Feinde Israels zitiert.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 533 ————————————————————————————————————
zeigt474 oder ob lediglich das Umkommen in der Wüste bzw. der vorzeitige (unnatürliche) Tod gemeint ist, steht für Paulus nicht im Mittelpunkt.475 Ihm geht es um die Warnung, die in V. 6-10 ausgesprochen wird. 6 Das Erleben von Gottes Gnade und Gericht in der Wüste bedeutet, dass die Väter Vorbilder „für uns“ wurden.476 Die meisten Ausleger interpretieren anders: Sie fassen ταυ^ τα als Subj. des Satzes und beziehen die τυ' ποι auf die in V. 1-5 genannten Ereignisse („diese Dinge aber sind für uns als Vorbilder geschehen“).477 Zu dieser Interpretation passt allerdings nur das letzte Ereignis, der Tod in der Wüste (V. 5), während die in V. 1-4 geschilderten Heilsereignisse keine warnende Funktion haben. Sie müssen jedoch mit gemeint sein, da Paulus den Plural τυ' ποι verwendet. Außerdem sind typologische Erwägungen über die atl. „Vor-Bilder“ der Sakramente „als Argumente in einer Mahnrede ungeeignet“. 478 Es ist deshalb vorzuziehen, ταυ^ τα als acc. graecus (Akkusativ der Beziehung: „in bezug darauf“) aufzufassen und die τυ' ποι mit den Vätern zu verbinden.479 K.-H. Ostmeyer kommentiert: „Die Väter in der Wüste können zur Warnung dienen, denn ihnen ist sowohl Heil als auch, sofern sie ungehorsam waren, Strafe widerfahren. Damit repräsentieren sie die Gläubigen, denen ebenfalls Heil widerfuhr und denen bei zu großer Überheblichkeit der Fall droht (V. 12). Das Tertium comparationis bei diesem τυ' πος-Verständnis liegt auf dem Verhalten der Wüstenväter und der Gläubigen in Korinth und nicht auf den Ereignissen“.480 Diese Interpretation von τυ' ποι in V. 6 entspricht dem mahnenden Kontext von 10,1-13, und sie stimmt mit der Verwendung des Wortes in Phil 3,17; 1Thess 1,7; 2Thess 3,9; 1Tim 4,12; Tit 2,7 überein, wo die Bedeutung „Beispiele“ oder „Vorbilder“ im Sinne ethischer Vorbildlichkeit eindeutig ist.481 ————————————————————
474 475
476 477 478 479
480
So Bachmann 331, der von der „Wegnahme des Heilsstandes“ spricht; Schrage II 396. In der rabbinischen Diskussion war die Meinung zu dieser Frage geteilt: R. Aquiba meinte mit Verweis auf Num 14,35, die Israeliten der Wüstenwanderung hätten keinen Anteil an der zukünftigen Welt gehabt, während R. Eliezer unter Berufung auf Ps 50,5 dieser Meinung widersprach (bSanh 110b). η μω^ ν ist gen. obj. („für uns“); vgl. Heinrici 298; Weiss 252; Robertson/Plummer 203; Schlatter 291; Bachmann 331; Senft 129; Collins 369; NSS II 78; anders Schrage II 397. Heinrici 297-298; Weiss 252; Bousset 116; Robertson/Plummer 202; Bachmann 331; Lietzmann 45; Barrett 219; Conzelmann 201; Fee 450; Senft 127; Schrage II 381.397; L. Goppelt, ThWNT VIII, 251. Ostmeyer, Taufe, 138: Es „werden nicht Ereignisse der Vergangenheit und der Gegenwart, sondern Menschen der Wüstenzeit und korinthische Gemeindeglieder parallelisiert“. Strobel 153; Wolff 211 Anm. 280; Lindemann 220; Auerbach, Figura, 465; G. Schunack, EWNT III, 897-898; Koch, Schrift, 216-217; Ostmeyer, Taufe, 137-139; Hays, Conversion, 11. Zu beachten ist jedenfalls, dass Aor. Pass.-Formen von γι'νομαι nicht immer eine passivische Bedeutung haben (BDR §78.1a; HS §191f). Ostmeyer, Taufe, 139.
534 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Das Wort τυ' πος bezeichnet das „Vorbild“, das etwas „abbildet“, und drückt damit ein Verhältnis zwischen zwei Größen aus, die in Beziehung zueinander gesetzt werden. Seit L. Goppelt interpretieren viele deutsche Ausleger das Wort τυ' πος in V. 6 (vgl. das Adv. τυπικω ^ ς in V. 11) als hermeneutischen Ausdruck im Sinn von „Vorausdarstellung, die endzeitliches Geschehen ankündigt“,482 wie in Röm 5,14.483 Die weithin maßgebliche Typos-Definition von L. Goppelt lautet: „Gegenstand typologischer Deutung können nur geschichtliche Fakta, d.h. Personen, Handlungen, Ereignisse und Einrichtungen sein . . . Eine typologische Deutung dieser Objekte liegt vor, wenn sie als von Gott gesetzte, vorbildliche Darstellungen d.h. ‚Typen‘ kommender, und zwar vollkommener und größerer Fakta aufgefaßt werden. Fehlt zwischen Typ und Antityp die Steigerung, stellt also letzterer nur eine Wiederholung des ersteren dar, so kann von Fall zu Fall nur bedingt von Typologie geredet werden“.484 Er kommentiert V. 6 folgendermaßen: „Der Blick des Apostels [ging] von der Situation der Gemeinde aus in die bisherige Gottesgeschichte zurück, um von ihr her die Gegenwart zu beleuchten. Auf diese Weise entdeckt er Vorgänge, die Gott als τυ' ποι für das der Gemeinde der Endzeit Widerfahrende hatte geschehen und in der Schrift aufzeichnen lassen. . . . Dabei ist die Entsprechung nicht nur in äußeren Ähnlichkeiten der Vorgänge, sondern vor allem in der Wesensgleichheit von Gottes Handeln zu suchen“. 485 Nach W. Schrage kann der Ausdruck τυ' πος nicht auf die Bedeutung „paränetisches Vorbild“ festgelegt werden, sondern fasst eine „strukturelle Analogie“ ins Auge, die im Zusammenhang eschatologischer Erwartungen im Sinn des Urzeit-EndzeitSchemas zu verstehen ist: „Weil die Wende der Äonen in Christus Ereignis geworden ist, darum kann der eschatologische Glaube in den alttestamentlichen Geschehnissen Vorabbildungen und Vorausdarstellungen des endzeitlichen Geschehens entdecken. Von der Situation der Gemeinde am Ende der Tage her erschließt sich das Alte Testament als Typos“.486 Dieses Verständnis von τυ' πος ist aufgrund der Studie von K.-H. Ostmeyer zu revidieren.487 Ostmeyer schreibt: „Τυ' πος bezeichnet das, was etwas anderes sichtbar werden läßt oder formt . . . Die Art des Sichtbar-werden-Lassens, Abbildens oder Formens ist nicht festgelegt: a) Sie kann im Wahrnehmbarmachen oder Offenbarung des Abgebil————————————————————
481
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EÜ „Beispiel“, GN „warnendes Beispiel“, NGÜ „eine Warnung an uns“; LÜ, SÜ übersetzen mit „Vorbild“, Elb.Ü, ZB, Wilckens mit „Vorbilder“. Mit „Vor-Bild“ übersetzen Lang, Schrage und Lindemann, mit „Modell“ Wolff und Thiselton („formative model“). Vgl. Collins 370; Garland 459; Spicq, Notes, 894-897. G. Schunack, Art. τυ' πος κτλ., EWNT III, 897-898 weist mit Recht darauf hin, dass es unwahrscheinlich ist, dass Paulus mit dem einen Ausdruck τυ' πος „zwei völlig disparate Bedeutungen“ verknüpft hat. L. Goppelt, Art. τυ' πος κτλ., ThWNT VIII, 252. In diesem Sinn interpretieren die Mehrzahl der dt. Exegeten; vgl. aber auch Hays 162. In Röm 5,14 wird Adam als τυ' πος του^ με' λλοντος, d.h. Jesu Christi, bezeichnet. Goppelt, Typos, 18-19. Zur Typosdefinition Goppelts vgl. Ostmeyer, Taufe, 11. L. Goppelt, ThWNT VIII, 251. Schrage II 403.407. Vgl. Ostmeyer, Taufe, 9-52 für die folgende Definition von „Typos“ (Zitate ebd. 49.50); siehe auch ders., Typologie, 112-131.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 535 ———————————————————————————————————— deten bestehen. b) Der τυ' πος kann das, das in ihm sichtbar wird, zugleich verkörpern, so daß, wie bei Götterbildern oder in sakramentalem Kontext, eine Identifikation möglich ist. c) Der τυ' πος kann genealogisch als erster in einer Kette nachfolgender Menschen, Dinge oder Lehren verstanden werden, der alles spätere vorbildet: Er figuriert als Urbild oder Prototyp“. Die zeitliche Reihenfolge der Entstehung des Typos und dessen, was in ihm sichtbar wird, spielt genauso wenig eine Rolle wie der „Wert“ des Typos (in Barn 19,7; Did 4,11 ist der Mensch τυ' πος Gottes). Gleichzeitig gilt: „Τυ' πος drückt ein Verhältnis und kein Sein aus, d.h. was jeweils τυ' πος und was Abgebildetes ist, ist eine Frage des Aspektes und der Intention“ (ein Mensch kann zum τυ' πος einer Statue werden, und eine Statue kann τυ' πος eines Menschen sein).488
In V. 6b formuliert Paulus die Absicht, die er mit dem Rückblick auf das Ergehen der Wüstengeneration verfolgt. Dieser Hinweis dient zur Warnung, damit wir nicht nach Bösem begehren (ε πιθυμηται` κακω ^ ν, wörtlich 489 „Begehrende von Bösem“). Im Kontext der Diskussion des Essens von Götzenopferfleisch in Kap. 8–10 ist das „Böse“ (Neutr. Plur. κακα' ) das Fleisch aus Tempelschlachtungen, das als einem Götzen geopfertes Fleisch (im Götzentempel oder bei privaten Einladungen) gegessen wird. V. 6c ist entweder als Überschrift zu V. 7-10 zu verstehen,490 oder als das erste von fünf Beispielen. 491 Die erste Alternative ist vorzuziehen: ε πιθυμι' α bzw. ε πιθυμε'ω ist in der jüd. Tradition das Grundübel, das die konkreten Sünden „erklärt“;492 die Angabe „das Böse“ ist sehr allgemein, und V. 6c dient als einleitender Hinweis auf Num 11, eine Stelle, auf die in V. 7-10 wiederholt angespielt wird.493 Die Verbindung mit Num 11 wird durch die einleitende Wendung so wie jene begehrten hergestellt (καθω` ς κα κει^νοι ε πεθυ' μησαν; LXX Num 11,14: ε πεθυ' μησαν ε πιθυμι' αν; 11,34: μνη' ματα τη^ ς ε πιθυμι' ————————————————————
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Dieses Verständnis stimmt mit dem Befund der Papyri überein, in denen das Wort τυ' πος „Form“, „Typ“ oder „Musterstück“ bedeutet: In PSI VII 854,8 (257 v.Chr.) geht es um ein Muster bestellter Wollkleider, in P.Tebt. II 342,23.25 (2. Jh. n.Chr.) um eine bestimmte Form oxyrhynchitischer Töpferware. Häufig bedeutet τυ' πος „Abfassungsform“ eines Schriftstücks (z.B. P.Brem. 51,5). Vgl. Arzt-Grabner 366. Die Konstruktion εις το` μη` ει ναι η μα^ς ε πιθυμητα` ς κακω ^ ν ist als AcI aufzulösen: η μα^ς ist Subj., ε πιθυμητα' ς ist Prädikatsnomen. NSS II 78. Robertson/Plummer 203; Allo 233; Conzelmann 205; Barrett 244; Fee 453; Hays 163; Wolf 218; Collins 370; Merklein II 248; Thiselton 733; Willis, Idol Meat, 143.147; Collier, Evil, 60.63; Gardner, Gifts, 150; Newton, Deity and Diet, 327; Oropeza, Apostasy, 135-136; Smit, Idol Offerings, 124; Konradt, Gericht, 374-375. Schrage II 386; Lindemann 220; Garland 460; Meeks, Midrash, 68; Yeo, Interaction, 168. Vgl. ApkMos 19,3; ApkAbr 24,8; Philo, Decal. 173; Spec. Leg. 4,84. Collier, Evil, 60 analysiert V. 6-10 als Chiasmus: ταυ^ τα δε` τυ' ποι V. 6 entspricht ταυ^ τα δε` τυπικω ^ ς V. 11 (A, A'), γι'νεσθε V. 7 entspricht γογγυ' ζετε V. 10 (B, B', zwei Mal Imp. Präs.) und πορνευ' ωμεν V. 8 entspricht ε κπειρα' ζωμεν V. 9 (C, C', zwei Mal adhortativer Konjunktiv).
536 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
ας . . . το` ν λαο` ν το` ν ε πιθυμητη' ν).494 In Num 11 geht es um die Begierde der Israeliten nach Fleisch – genau das Thema, das Paulus seit 8,1 behandelt. 7 Das Hauptanliegen der Diskussion wird in V. 7a mit einer imperativisch formulierten Warnung zusammengefasst: Werdet auch nicht Götzendiener wie einige von ihnen. Der Ausdruck „Götzendiener“ (ει δωλολα' τραι) macht deutlich, dass für Paulus das Essen von Götzenopferfleisch gleichbedeutend mit Götzendienst ist. Angesichts der weiteren Warnungen und Imperative in Kap. 10 ist es nicht ausreichend, V. 7a als „Andeutung“ zu interpretieren, das Essen des Götzenopferfleisches „könne zum Götzendienst führen“. 495 Das folgende Zitat zeigt gerade nicht „die Differenz zwischen dem bloßen Essen und der ει δωλολατρι' α an“, sondern, so Chr. Wolff richtig, es bringt zum Ausdruck, „daß heidnische Kultmahlzeit und aktive Götterverehrung auf das engste miteinander verbunden sind“.496 Das in V. 7b aus Ex 32,6 zitierte atl. Wort – „Das Volk setzte sich, um zu essen und zu trinken, und sie standen auf, um zu spielen“ – ist mit Num 11 durch die beiden Verben καθι' ζω (Num 11,4) und α νι' στημι (Num 11,32) verbunden. Diese beiden Verben bilden eine inclusio am Anfang und am Schluss des Berichts von Israels rebellischer Begierde nach dem Verzehr von Fleisch in Num 11. Paulus interpretiert Ex 32,6, indem er Num 11 auf den Punkt bringt. Das Zitat von Ex 32,6 gehört zur Episode des goldenen Kalbs und konzentriert die Diskussion auf das Essen und Trinken im Rahmen von Opfermahlzeiten. Die Verben „essen“ (φαγει^ν) und „trinken“ (πει^ν) passen in den Kontext von Kap. 8–10: Wie „einige“ der Israeliten (τινες αυ τω ^ ν) in der Gegenwart des goldenen Stiers (dem sie Opfer darbrachten, Ex 32,6a.31c) aßen und tranken, so essen und trinken einige korinthische Christen in der Gegenwart heidnischer Götter in deren Tempeln. Das Verb „spielen“ (παι' ζειν) beschreibt in der LXX oft kultisches Tanzen;497 in Ex 32,17.18.19 ist von „schreien“, „singen“ und „Tänzen“ (χο' ροι) die Rede. Das Aufstehen zum παι' ζειν bezeichnet hier kaum „den eigentlichen Götzendienst“,498 wahrscheinlich auch nicht nur kultisch-orgiastisches Tanzen, sondern beinhaltet entsprechend jüdischer Tradition auch eine sexuelle Konnotation.499 Eine erotisch-sexuelle Note des Verbs passt zum zeitgenössi————————————————————
494 495 496 497 498 499
Collier, Evil, 63-64 (sechs der sieben von Hays, Echoes, 29-32 genannten Kriterien für die Annahme eines „Echos“ eines atl. Texts liegen vor); Wolff 218; Ciampa /Rosner 724. Lindemann 220; ebd. für die folgende Bemerkung. Wolff 219. 1Sam 18,7; 2Sam 6,5.21; 1Chron 13,8; 16,29. Konradt, Gericht, 376. G. Bertram, ThWNT V, 629 mit Hinweis auf die Bedeutung von ( צחקEx 32,6) in Gen 26,8; vgl. tSot 6,6; Shem.Rab. 42 zu Ex 32,7; vgl. Fee 454; Lindemann 221; Merklein II 249; Garland 461. Zurückhaltend Schrage II 399 Anm. 90.
Israel als warnendes Beispiel 10,1-13 537 ————————————————————————————————————
schen Kontext, in dem Bankette in Götzentempeln oder in den Privathäusern der Wohlhabenden mit Essen, Trinken und sexueller Zügellosigkeit verbunden waren.500 8 Die Warnung vor sexueller Zügellosigkeit wird in V. 8a explizit ausgesprochen: Lasst uns nicht sexuell zügellos leben (μηδε` πορνευ' ωμεν). Diese in der 1. Pers. Plur.501 formulierte Warnung wird mit dem Hinweis auf Num 25,1 begründet: wie einige von ihnen Unzucht getrieben haben, und es fielen an einem einzigen Tag dreiundzwangigtausend. In Num 25,1-9 sind Götzendienst und Hurerei miteinander verbunden: Die Israeliten, die sich mit moabitischen Frauen einlassen, werden von diesen zum Götzendienst verführt. In Num 25,2 ist vom Essen die Rede (LXX: και` ε»φαγεν ο λαο` ς τω ^ν θυσιω ^ ν αυ τω ^ ν). Von sexueller Zügellosigkeit als Verhalten korinthischer Christen war bereits in 5,1-13 und 6,12-20 die Rede (vgl. 7,2-5). Die Warnung vor sexueller Zügellosigkeit im Zusammenhang der Götzenopferproblematik ist nicht metaphorisch,502 sondern buchstäblich gemeint (vgl. oben zu V. 7 sowie die Einleitung zu 6,12-20). Die Bezugnahme auf Num 25 enthält zum ersten Mal einen direkten Hinweis auf eine göttliche Strafe im Zusammenhang der Diskussion der Frage des Götzenopferfleisches. Die Formulierung „sie fielen“ (ε»πεσαν) bedeutet im Kontext von Num 25, dass die Israeliten, die Unzucht getrieben haben, tot umgefallen sind. Nach Num 25,9 starben 24 000 Israeliten. Paulus spricht von 23 000 Israeliten. Das Problem der fehlenden Tausend mit dem Tod bestraften Israeliten wurde unterschiedlich gelöst.503 1. Paulus hat sich beim Zitieren aus dem Gedächtnis geirrt. Vornehm ausgedrückt: es liegt ein lapsus memoriae vor.504 2. Es liegt eine Verwechslung mit Num 26,62 vor, wo sich die Zahl 23 000 allerdings auf die Anzahl der gemusterten männlichen Israeliten bezieht.505 3. Paulus stützt sich mit seiner Zahlenangabe auf eine andere Tradition.506 4. Die Zahl der tatsächlich Gefallenen betrug 23 500, was Num 25,9 auf und Paulus abgerundet hat.507 5. Paulus zieht Tausend Gefallene ————————————————————
500 501
502 503 504 505 506 507
Booth, Reclining, 105; Winter, Welfare, 174; Rosner, Temple Prostitution, 349. Davidson, Typology, 258 Anm. 1 erwägt die Möglichkeit, dass die Formulierung mit der 1. Pers. Plur. möglicherweise persönliche ethische Anfechtungen des Apostels widerspiegelt. Plausibler ist der Hinweis von Schrage II 400 Anm. 94, dass es sich um eine rhetorische Variation nach dem Schema a/b/b'/a' handelt. Merklein II 249; Garland 461. Vgl. Hos 1–3; 4,11-19; Offb 2,14.21. Vgl. den Überblick bei Garland 462. Robertson/Plummer 205; Lietzmann 47; Barrett 225; Schrage II 400; Merklein II 249. Conzelmann 206; Schrage II 400; Wolff 219; Collins 371; Merklein II 249. Weiss 253 als Möglichkeit; vgl. Fee 456, der diese Lösung allerdings ablehnt. Die Zahl 24 000 wird auch in Ant.Bibl. 47,1; Philo, Vit. Mos. 1,304; Spec. Leg. 3,126 genannt. Josephus, Ant. 4,155 nennt 14 000 Gefallene. Calvin 401; Bengel 653.
538 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— ab, um die von den israelitischen Richtern Erschlagenen (Num 25,5) unterzubringen.508 6. Paulus subtrahierte Tausend Gefallene, um Übertreibungen zu vermeiden.509 7. Nachdem an einem einzigen Tag 23 000 gefallen waren, starben weitere Tausend etwas später.510 8. Paulus spielt bewusst sowohl auf Num 25,9 als auch auf die Episode vom goldenen Kalb in Ex 32,28 an,511 wo von 3 000 Toten die Rede ist, die von den Leviten als Strafe für Götzendienst getötet wurden. Paulus kombinierte die Texte, um die Strafe von Num 25,1-9 anlässlich der Hurerei mit den moabitischen Frauen mit der Sünde des Götzendienstes anlässlich der Episode mit dem goldenen Kalb zu verbinden: Er übernahm von Ex 32,28 „drei tausend“ (τρει^ς χιλια' δες) und kombinierte mit „zwanzigtausend“ (ει»κοσι) von Num 25,9. Paulus macht mit der Anspielung auf Ex 32,28 deutlich, dass die Strafe Gottes nicht zur Auslöschung des Volkes Gottes führt, sondern dass Gott treu ist und nicht zulässt, dass sein Volk über Vermögen versucht wird (vgl. 10,13).512
9 Mit dem Satz sie kamen durch die Schlangen um (υ πο` τω^ ν ο» φεων α πω' λλυντο) verweist Paulus auf die in Num 21,5-6 berichtete Episode von den Giftschlangen, deren Kenntnis er bei den Korinthern voraussetzt. Das Volk Israel beklagt sich, kein Brot und kein Wasser zu bekommen und immer Manna essen zu müssen, und es äußert den Wunsch, lieber in Ägypten geblieben zu sein, mit dem Resultat, dass von Gott unter das Volk geschickte Giftschlangen513 viele Israeliten töten. Ohne dass Paulus explizit darauf hinweist, hängt auch dieses Beispiel mit dem Thema „Essen“ zusammen. Paulus bezeichnet das Verhalten der Israeliten als gegen Gott gerichtete Versuchung: wie einige von ihnen (ihn) versuchten (καθω' ς τινες αυ τω ^ν ε πει' ρασαν). Das Verb πειρα' ζω kommt in Num 21,5-6 nicht vor, dafür aber in Ps 78,18-19 (LXX 77,18-19), wo diese Episode ebenfalls aufgegriffen wird: „Sie versuchten Gott (ε ξεπει' ρασαν το` ν θεο' ν) in ihrem Herzen, indem sie Speise forderten für ihr Gelüste. Und sie redeten gegen Gott; sie sprachen: Sollte Gott imstande sein, uns in der Wüste einen Tisch zu bereiten?“ 514 Paulus liest also Num 21,5-6 im Licht von Ps 78,18.515 Das „Versuchen“ ————————————————————
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Morris 143. Godet II 46. Mare 249. In 10,8 verweisen die Verbform ε»πεσαν und die Angabe μια^, η με' ρα, („an einem Tag“) auf Ex 32,28 (beide Angaben fehlen in Num 25,9); Koet, Background, 612. Koet, Background, 607-615; vgl. Garland 462-463; Lindemann 221; Ciampa/Rosner 725726. Num 21:6: και` α πε' στειλεν κυ' ριος εις το` ν λαο` ν του` ς ο» φεις του` ς θανατου^ ντας. Siehe auch Ex 17,2-3.7; Dtn 6,16; Ps 78,18.41.56; 106,14; vgl. Ps 95,8-9. Die Erklärung von Schrage II 400, Paulus denke „vor allem“ an Ps 78,18, ist genauso unnötig wie die Meinung von Konradt, Gericht, 377-378, Paulus habe auf die atl. Stellen aus dem Gedächtnis verwiesen; dabei sei er von den Psalmtexten ausgegangen, deren Verweise auf das Versuchen Gottes durch Israels Verlangen nach Speise er mit der Stelle Num 21,4-9 identifizierte.
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Gottes entspricht dem in Num 21,5 erwähnten „Reden gegen Gott“. Heinrich Seesemann erklärt die Formulierung „Gott versuchen“ als „seine Macht nicht erkennen und seinen Heilswillen nicht ernst nehmen“. 516 In Dtn 6,16 heißt es in der Erklärung des Ersten Gebotes: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen, wie ihr ihn versucht habt in Massa“. Paulus formuliert den Satz ohne Objekt; zu ergänzen ist im Anschluss an V. 9a „Christus“. Nachdem er in V. 4 den Felsen in der Wüste mit Christus identifiziert hatte, ist der Gedanke, dass die Israeliten in der Wüste Christus versuchten, nicht gewagt. Paulus kommt es auf die Warnung an: Lasst uns auch nicht Christus versuchen. Angesichts der Tatsache, dass die Israeliten in der Wüste wegen Speise und Trank Gott versuchten, damit gegen das Erste Gebot verstießen und infolgedessen Gottes Strafe erleiden mussten, so sollen die korinthischen Christen nicht meinen, dass sie ungestraft Gottes Geduld testen können, indem sie auf ihr Recht pochen, Götzenopferfleisch in Götzentempeln zu essen. 10 Die Mahnung murret auch nicht (μηδε` γογγυ' ζετε) wird wieder mit einem Hinweis auf die Geschichte Israels begründet. Der atl. Hintergrund des Satzes wie einige von ihnen gemurrt haben (καθα' περ τινε` ς αυ τω ^ν ε γο' γγυσαν) ist allerdings nicht eindeutig. Vorgeschlagen werden Ex 17,1-7 (Massa und Meriba),517 Num 11 (Murren wegen Nahrung),518 Num 14 (Weigerung, in das gelobte Land einzuziehen), 519 Num 16 (Korachs Rebellion),520 Num 17,6-11 (Murren nach der Bestrafung Korachs), 521 Ps 106522 oder sämtliche Hinweise auf das Murren der Wüstengeneration.523 G. Collier weist darauf hin, dass Num 11 der einzige atl. Text ist, in dem vier Elemente zusammen vorkommen, die im Kontext von V. 10 eine Rolle spielen: 1. das murrende Volk (ο λαο` ς γογγυ' ζων, V. 1); 2. die „sehr große Plage“ (πληγη` ν μεγα' λην σφο' δρα, V. 33); 3. Begierde (μνη' ματα τη^ ς ε πιθυμι' ας, als Übersetzung von Kibrot-Hattaawa, V. 34-35; vgl. 1Kor 10,6); 4. das Verlangen nach Fleisch (V. 4.13.18). Das Subst. der Verderber (ο ο λοθρευτη' ς) kommt in NT nur hier vor; in Ex 12,23 (vgl. Weish 18,25; Hebr 11,28) wird das subst. Ptz. ο ο λοθρευ' ων verwendet. Man kann an den Satan denken (vgl. 5,5, ————————————————————
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H. Seesemann, ThWNT VI, 27; vgl. W. Popkes, EWNT III, 154. Nach Meyer 269 heißt Gott versuchen, „es darauf ankommen lassen, ob er sich als Gott zeigen, hier: ob er strafen werde“; vgl. Heinrici 299; Schrage II 401. Merklein II 250. Collier, Evil, 66-67. Hays 165; Collins 372. Heinrici 299; Weiss 253; Bachmann 332; Schrage II 402; Kremer 206. Wolff 220; vgl. Konradt, Gericht, 378. Garland 464. Orr/Walther 246; Strobel 125; Thiselton 742; vgl. Lindemann 221.
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wo Paulus das Wort ο» λεθρος „Verderben“ verwendet), oder in Anlehnung an atl. Sprache an den Strafengel, der Gottes Gericht ausführt. 524 Das Murren, vor dem Paulus warnt, ist der Widerstand gegen das Verbot, Fleisch aus Tempelschlachtungen zu essen. 525 An welche Strafe Paulus denkt, wird in V. 10 nicht deutlich. In 11,30 spricht er von Krankheiten und von Todesfällen, die das Fehlverhalten einiger Gemeindeglieder bei der Feier des Herrenmahls nach sich gezogen hatte. 11 Der Satz das aber ist jenen als Vorbild widerfahren nimmt V. 6 auf.526 Das Adv. τυπικω ^ ς bedeutet „beispielhaft, vorbildlich“. Das Verb συμβαι' νω bedeutet „zustoßen, begegnen“; Paulus verwendet es, um noch einmal auf das Verderben hinzuweisen, das Israel in der Wüste traf (vgl. V. 5.8.9.10). Was den Israeliten, die von Gott aus der Sklaverei Ägyptens errettet wurden, widerfahren ist, wurde aufgeschrieben zu unserer Warnung (ε γρα' φη δε` προ` ς νουθεσι' αν η μω ^ ν). Die Ereignisse der vergangenen Geschichte des Gottesvolkes haben eine unmittelbare Bedeutung für das Gottesvolk der Gegenwart. Juden war der Gedanke geläufig, dass die Texte der heiligen Schrift, in denen vergangene Ereignisse berichtet werden, eine Bedeutung für spätere Generationen haben. Für Paulus gehört die „Warnung“ und die sich aus ihr ergebende „Zurechtweisung“ (νουθεσι' α) zur regelmäßigen ethischen Ermah^ ν schließt Paulus sich in den Kreis derer ein, nung der Christen.527 Mit η μω die sich von der Schrift, deren Autorität er voraussetzt, ermahnen lassen.528 Der Relativsatz (uns), die das Ende der Zeiten erreicht hat bringt erstens die urchristliche Überzeugung zum Ausdruck, dass mit dem Kommen des Messias Jesus die letzte Zeitepoche, die Endzeit, die letzten Tage angebrochen sind.529 Zweitens impliziert der Satz im Zusammenhang von ————————————————————
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Ex 12,23; 2Sam 24,16; 1Chron 21,12.15; 2Chron 32,21; Jes 37,36; CD 2,6; zu den rabbinischen Belegen Bill. III, 412-416; vgl. Apg 12,23. Vgl. J. Schneider, ThWNT V, 170-171; Merklein II 250; Lindemann 221; Garland 463. Vgl. Weiss 253; Fee 458; Schrage II 402; Merklein II 250. Die Vokabel τυπικω ^ ς kommt nur hier in der griech. Bibel vor. Das Wort ist in der griech. Literatur äußerst selten belegt. Der bisher einzige Beleg in den Papyri (P.Cair.Masp. II 67154 verso, 20) datiert in das 6. Jh. n.Chr. Das Subst. νουθεσι'α kommt sonst noch in Eph 6,4; Tit 3,10 vor, das Verb νουθετε' ω in 4,14; Röm 15,13; Kol 1,28; 3,16; 1Thess 5,12.14; 2Thess 3,15; vgl. Apg 20,31. Schlatter 292 verweist auf die Tatsache, dass Paulus mit dem Passiv ε γρα' φη formuliert und schließt, es werde hier „besonders deutlich, wie wenig ihn die Frage, wie die Schrift entstanden sei, beschäftigt hat“. Aus Röm 10,5.19 und 2Kor 3,15 wird deutlich, dass Paulus die traditionelle mosaische Verfasserschaft des Pentateuch akzeptiert hat. Vgl. 1Thess 5,4-8; 2Kor 5,1-5; Hebr 1,2; 9,26; 1Petr 1,20; vgl. Lk 24,49; Apg 1,4; 2,38; 2,14-36. Der Plural τα` τε' λη in V. 11 wird unterschiedlich erklärt: als Schnittstelle des alten und des neuen Äons (Weiss 254), im Sinn von „Zielsetzungen der Zeit“ (G. Delling, ThWNT VIII, 55), als Hinweis auf die Welt Israels und auf die Welt des Heidentums (Hofmann 206; Grosheide 226), als sukzessive Perioden des Wirkens Gottes in der Ge-
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V. 11a, dass sich das im AT aufgeschriebene Erleben des Gottesvolkes von der Situation der Heilsgemeinde der Endzeit her als Typos erschließt.530 Bei den Rabbinen findet man eine ähnliche Überzeugung: „Rabbi Chijja ben Abba sagte im Namen Jochanans: Alle Propheten weissagten ausschließlich von den Tagen des Messias“ (bSanh 99a). Die eschatologische Existenz der Gemeinde der Jesusbekenner ermöglicht ein neues Lesen der Schrift, bei dem die „Decke auf dem Herzen“ entfernt wurde (2Kor 3,14-18).531 Drittens unterstreicht der Satz den Ernst der Mahnung des Apostels: Wenn schon die Zeit der Wüstenwanderung ernst war, dann ist dies umso mehr die Endzeit, „weil es die letzte Zeit ist, in der überhaupt noch Entscheidungen getroffen werden können“.532 Viertens zeigt die Formulierung mit τα` τε'λη (Subjekt des Satzes),533 dass der Nachdruck nicht auf einer Analyse der Zeitläufte liegt, die den Apostel zu dem objektiven Urteil veranlasst, dass die Endzeit angebrochen ist. Paulus geht es um das heilsgeschichtliche Wirken Gottes, der das „Ende der Zeiten“ herbeigeführt hat (und das deshalb von den Menschen außerhalb der Heilsgemeinde nicht bemerkt wird). 12 Paulus formuliert die Folgerung (ω« στε) aus den atl. Beispielen (V. 7-10) und aus der Warnung von V. 11c: Wer also zu stehen meint, der sehe zu, dass er nicht falle. Das Wort ε στα' ναι (Inf. Perf.) „stehen“ erinnert an die Bundestreue Gottes, auf die man sich verlässt,534 beschreibt hier jedoch das „Stehen“ im Glauben.535 H. Conzelmann bezieht die Formulierung „wer zu stehen meint“ (ο δοκω ^ ν ε στα' ναι) auf ein Verständnis der Taufe und des Herrenmahls, das die Korinther zu einer verfehlten Glaubenssicherheit geführt habe. W. Schrage bezieht sie auf „selbstgewisse, selbstvermessene Pneumatiker“.536 Andere Ausleger formulieren allgemeiner, dass die „Wissenden“ in ————————————————————
schichte Israels und der Menschheit (Robertson/Plummer 207; Garland 465), als Äquivalent des Singulars το` τε' λος als „das Ende des Weltlaufs“ (Schrage II 408; Lindemann 222). Die zuletzt genannte Erklärung ist am plausibelsten. 530
Schrage II 407; Wolff 221; Merklein II 251: „Erst in der Endzeit wird der wahre Sinn der Schrift deutlich“. Vgl. andererseits von Rad, Theologie II, 281-282.390391, der betont, dass das AT selbst typologisch ausgelegt sein will.
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Wenn Broer, Wer da meint zu stehen, 315 in V. 11 eine antijüdische Tendenz wahrnehmen will, dann ist das in den Text eingelesen. Merklein II 251; zur folgenden Bemerkung ebd. 252. Das Verb καταντα' ω („gelangen, erreichen, kommen zu“) sollte theologisch nicht aufgeladen werden, wie dies O. Michel, ThWNT III, 627 tut („Aus der Ewigkeit kommt also ein Handeln Gottes auf die Gemeinde zu, das eine Absicht und einen Sinn für die Menschen in sich trägt“); zur Kritik vgl. Schrage II 208 Anm. 140. Das Verb bezeichnet hier die „Begegnung der Menschen mit etwas, das auf sie zukommt“ (Balz, EWNT II, 654). Vgl. Jer 7,8-15; Ps 105:10 (LXX 104:10). Vgl. Gardner, Gifts, 152-53. Vgl. 1Kor 15,1; 16,13; 2Kor 1,24; 1Thess 3,8; Gal 5,1.4; Phil 1,27; Röm 11,11.20; 14,4. Conzelmann 207; Schrage II 409.
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der korinthischen Gemeinde von ihrer Festigkeit im Glauben so überzeugt sind, dass die Teilnahme an heidnischen Kultmahlzeiten sie nicht gefährden ^ ν nicht kann.537 A. Schlatter weist darauf hin, dass die Formulierung ο δοκω sagt, dass das Urteil, von dem Paulus hier redet, Einbildung ist; Paulus erinnert (wie in 8,2) die Korinther an die Beschränkung des Selbstbewusstseins, die nicht zulässt, „daß wir jemals die Möglichkeit des Fallens vergessen“. 538 Paulus mahnt: „der sehe zu, dass er nicht falle“ (βλεπε'τω μη` πε'ση, ). Die Frage, ob sich das „Fallen“ auf eine Einzelsünde oder auf den Heilsstand 539 bezieht, geht an der von Paulus intendierten Aussage vorbei. Es geht nicht um die Frage, ob Jesusbekenner ihr Heil verlieren können. Es geht vielmehr um Christen in der korinthischen Gemeinde, die das Essen von Fleisch aus Tempelschlachtungen infolge einer falschen (Selbst-)Sicherheit für unbedenklich halten.540 13 Paulus bezeichnet die Situation, in der sich die korinthischen Christen befinden, als menschliche Versuchung (πειρασμο' ς . . . α νθρω' πινος). Das Adj. „menschlich“ meint eine Versuchung, die von Menschen selber gemacht ist.541 An welche „Versuchung“ denkt Paulus? Angesichts des Kontexts, in dem es um das Essen von Fleisch aus Tempelschlachtungen geht, ist es unwahrscheinlich, dass es um die Versuchung geht, die Gemeinde in verschiedene Gruppierungen zu spalten,542 um die Versuchung, in vermessener Selbstsicherheit das „Wissen“ um die Unbesiegbarkeit durch die Götzen zur Schau zu stellen,543 oder um die Versuchung, alle sich bietenden Gelegenheiten zum Besuch von Banketten und anderen Vergnügungen zu nutzen. 544 Das Verb ει»ληφεν (Perf., λαμβα' νω bedeutet hier „erfassen, ergreifen“) deutet darauf hin, dass Paulus nicht von einer internen Versuchung zum Sündigen ————————————————————
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Wolff 223; Garland 466. Vgl. Thiselton 747: die „Wissenden“ vertrauen auf ihre eigene Theologie „rather on a day-by-day reappropriation of divine grace“. Schlatter 292. An den Verlust des Heils denken Fee 459; Wolff 223; Roetzel, Judgement, 172; Broer, Wer da meint zu stehen, 320; Oropeza, Apostasy, 178-88.196; Konradt, Gericht, 381. Vgl. Schrage II 409: „Der Glaubensstand der Christen bleibt ein Stand in der Anfechtung“. Robertson/Plummer 208; Lindemann 222; Garland 467. Lindemann 222; Konradt, Gericht, 382-385 (der allerdings die Teilnahme korinthischer Christen an Mahlzeiten im Götzentempel als „relativ ungefährlich“ bezeichnet). Anders Lietzmann 47; Bachmann 342; Conzelmann 207; Schrage II 410; Wolff 224; Merklein II 253, die im Sinn einer von Menschen tragbaren Versuchung interpretieren. Der folgende Hinweis auf die Treue Gottes, „der nicht zulassen wird, dass ihr mehr versucht werdet, als ihr ertragen könnt“, würde bei dieser Interpretation jedoch nur die gegenwärtige Situation bestätigen. Mitchell, Rhetoric, 254. Gardner, Gifts, 154; Wire, Women Prophets, 103. Willis, Idol Meat, 467.
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spricht, sondern von einer Versuchung, die von außen an sie herantritt.545 Die Vokabel, die Paulus in der letzten Formulierung des Verses für das „Ertragen“ der Versuchung verwendet (υ πενεγκει^ν, Aor. Inf. von υ ποφε'ρω), steht in den beiden übrigen ntl. Stellen, in denen sie vorkommt, in Zusammenhang mit Verfolgungen (2Tim 3,11 und 1Petr 2,19). Das „Ende der Zeiten“, von dem in V. 11 die Rede war, lässt ebenfalls an externen Druck denken. 546 Die „menschliche Versuchung“ ist die Anziehungskraft der Götzentempel mit den dort gefeierten Banketten, eine Versuchung, der sich die Christen in Korinth aussetzen. Die Versuchung ist „menschlich“, weil die korinthischen Christen nicht von Dämonen gezwungen werden, die Götzentempel zu besuchen, sondern aus eigenem Antrieb dort hingehen.547 Die „Versuchung“ hängt gleichzeitig mit dem sozialen Druck zusammen, der die korinthischen Christen veranlasst, die Einladungen ihrer Verwandten, Freunde und Geschäftspartner zum Speisen im Götzentempel und in ihren Privathäusern anzunehmen. Sie fürchten sich wahrscheinlich vor den Folgen, die eine Ablehnung solcher Einladungen nach sich ziehen würde. Wenn ein Gast das servierte Fleisch aus der Tempelschlachtung eines Gottes ablehnte, konnte der Gastgeber dies als Beleidigung des von ihm verehrten Gottes und als Affront gegen sich selbst interpretieren, mit der Folge, dass der sich zu Jesus bekennende Gast gesellschaftlicher Ächtung preisgegeben wird. Der Druck solcher Situationen stellte für Christen eine Versuchung dar, Kompromisse einzugehen.548 In V. 13a will Paulus die korinthischen Christen nicht ermutigen oder beruhigen, sondern daran erinnern, dass sie es selbst sind, die sich der Versuchung mutwillig aussetzen. 549 Gleichzeitig erinnert er sie an die Tatsache, dass die Gastgeber, die sie zum Essen einladen, nur Menschen sind, vor denen sie sich nicht fürchten sollten. Paulus versichert den Korinthern in V. 13b, dass Gott ihnen in der Versuchung helfen wird: Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, dass ihr mehr versucht werdet, als ihr ertragen könnt. Dass Gott „treu“ ist (πιστο` ς δε` ο θεο' ς), wird im AT mehrfach betont, häufig im Kontext des Bundes, den er mit Israel geschlossen hat.550 Gottes Treue zeigt sich darin, dass er nicht zulassen wird, dass ihr mehr versucht werdet, als ihr ertragen könnt. Die korinthischen Christen sind dem Druck menschlicher Versuchung nicht hilflos ausgeliefert, sodass sie keine andere Wahl hätten, als nachzugeben. Das Verb ————————————————————
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Fee 460 Anm. 50; Garland 467. Garland 467; Smit, Idol Offerings, 131-132; Konradt, Gericht, 383. Schrage II 409 verweist ebenfalls auf V. 11. Bengel 654 unterscheidet die tentatio humana von der tentatio daemoniaca. Garland 468; Cheung, Idol Food, 38.146-147; vgl. Witherington 224. Vgl. 1Petr 4,3-4. Schrage II 410. Ex 34,6-7; Dtn 7,9; 32,4; Ps 31,5; 69,13; 1431; 145,13; Jes 25,1; 49,7.
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ε α' ω („zulassen, geschehen lassen“) spricht nicht davon, dass Gott die Versuchung zulässt,551 sondern dass die Versuchung, die an die Korinther herantritt,552 der Macht Gottes untersteht und dass sie ihr deshalb widerstehen können. Von Menschen geschaffene Versuchungen sind immer weniger mächtig als die Allmacht Gottes. Gott gibt den Menschen, die sich auf seine Treue verlassen, Anteil an seiner Macht (δυ' νασθε). Paulus erläutert in V. 13c mit dem Satz er wird mit der Versuchung auch den Ausweg schaffen, so dass ihr sie ertragen könnt die Hilfe Gottes in der Versuchung. Gott sorgt in seiner Allmacht dafür, dass es einen „Ausweg“ (ε»κβασις) gibt, d.h. dass sie die „Kraft“ erhalten, die Versuchung zu ertragen (του^ δυ' νασθαι υ πενεγκει^ν).553 Der „Ausweg“ bedeutet nicht das Ende der Versuchung, sondern die konstante Bereitstellung der Kraft (Präs. Pass. Inf. δυ' νασθαι), die zum Widerstand gegen das Nachgeben notwendig ist. Dieser „Ausweg“ wird von Gott geschaffen (ποιη' σει, Fut.).554 Dieses Verheißungswort ist Ermutigung und Warnung zugleich: Die korinthischen Christen sollen wissen, dass Gott treu ist und ihnen die Kraft gibt, der Anfechtung zu widerstehen. Wenn sie die von Gott angebotene Kraft zum Widerstand ausschlagen und die Teilnahme an Mahlzeiten im Götzentempel für ungefährliche Vergnügungen halten und den Versuchungscharakter dieses Verhaltens leugnen, dann erhalten sie von Gott keine Hilfe und kommen zu Fall (V. 12).555 Angesichts der Erfahrungen Israels in der Wüste (V. 1-10) fordert Paulus die korinthischen Christen zum Aushalten in der Anfechtung auf. Wer Gott versucht, kommt im Gericht Gottes um. Wer in der Versuchung ————————————————————
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Und schon gar nicht davon, dass Gott die Versuchung bewirkt, wie Meyer 273-274; Weiss 255 u.a. meinen. Vgl. Schrage II 411; siehe Gen 22,1; Ex 15,25; 16,4; 20,20; Dtn 13,3. Die Präposition συ' ν in der Formulierung ποιη' σει συ` ν τω ^, πειρασμω^, bedeutet nicht, dass Gott sowohl die Versuchung als auch den Ausweg schafft, sondern gleichzeitig mit der Versuchung den Ausweg gewährt; Kuhn, Πειρασμο' ς, 217-218; Hahn, Teilhabe, 164. πειρασθη^ ναι (Aor. Inf. Pass.) ist Prädikat des AcI; das logische Subjekt des Pass. ist nicht Gott, sondern die Menschen, von denen die Versuchung geschaffen wird und diese zu einer „menschlichen Versuchung“ machen. Das Verb δυ' νασθε ist mit υ πενεγκει^ν zu ergänzen („über das hinaus, was ihr ertragen könnt“); NSS II 79. Die Inf.-Konstruktion hat konsekutiven (NSS II 79) bzw. explikativen (Schrage II 412) Sinn. Schrage II 412: „Die verheißene ε»κβασις ist die von Gott geschenkte δυ' ναμις“. Der „Ausweg“ ist nicht einfach mit dem Kommen des Tages des Herrn zu identifizieren, durch das Gott der Versuchung ein Ende bereitet (so Konradt, Gericht, 384). Besser Lindemann 222-223: Gott wird „dafür sorgen, daß die Fähigkeit, die Versuchung zu bestehen, bis zum eschatologischen Ende . . . erhalten bleibt“. Vgl. Hahn, Teilhabe, 164165: Bei den Bedeutungen „Ausweg“ und „Ende“ handelt es sich nicht um echte Alternativen, „die göttliche Absicht ist es jedenfalls, daß Menschen auch bei schwerster Anfechtung noch in der Lage sind, durchzuhalten“. Fee 460; Garland 469.
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auf Gottes Treue vertraut, wird ihr mit Gottes Hilfe widerstehen können und treu bleiben.
Herrenmahl und Götzenopfermahl 10,14-22 I 14 Daher, meine Geliebten, fliehet vor dem Götzendienst! 15 Ich rede zu euch wie zu verständigen Menschen: Beurteilt selbst, was ich sage. 16 Der Kelch des Segens, über dem wir das Lobgebet sprechen, ist er nicht Teilhabe an dem Blut Christi? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht Teilhabe an dem Leib Christi? 17 Weil es ein Brot ist, sind wir, die vielen, ein Leib, denn wir haben alle teil an dem einen Brot. 18 Schaut auf das Israel nach dem Fleisch: Sind nicht diejenigen, die die Opfer essen, Teilhaber an dem Altar? 19 Was meine ich damit? Dass das Götzenopferfleisch etwas ist, oder dass der Götze etwas ist? 20 (Nein,) Sondern dass sie das, was sie opfern, Dämonen und nicht Gott opfern. Ich will aber nicht, dass ihr Teilhaber der Dämonen werdet. 21 Ihr könnt nicht den Kelch des Herrn trinken und den Kelch der Dämonen. Ihr könnt nicht am Tisch des Herrn teilhaben und am Tisch der Dämonen. 22 Oder wollen wir den Herrn herausfordern? Sind wir etwa stärker als er?
II Nachdem Paulus die Problematik von Christen, die auf dem Recht beharren, das Fleisch aus Tempelschlachtungen essen zu können, mit Beispielen aus der Exodusüberlieferung illustriert hatte (V. 1-13, besonders V. 1-11), argumentiert er in V. 14-22 mit der urchristlichen Praxis des Herrenmahls. Der einleitende, imperativisch formulierte Satz konzentriert das bisher zu diesem Thema Gesagte auf die Mahnung, vor dem Götzendienst zu fliehen (V. 14). Der Imperativ von V.18 („schaut auf das Israel nach dem Fleisch“) greift auf die Erfahrung der Exodusgeneration zurück und verbindet diese mit der Erfahrung der korinthischen Christen im Herrenmahl (V. 16-17.21). Paulus argumentiert, dass die Teilhabe am Blut und am Leib Christi (V. 16-17), d.h. am Tisch des Herrn (V. 21), die Teilnahme an Mahlzeiten im Götzentempel ausschließt. Loyalität zu Jesus Christus schließt Loyalität zu den Götzen aus, die durch das Essen an ihrem Tisch im örtlichen Tempel angezeigt ist (V. 18-21). Für die Einwohner Korinths, die sich zum Glauben an Jesus Christus bekehrt hatten, war der angemahnte Verzicht auf den Gang zum Götzentempel zunächst nicht einsichtig. Schon die Griechen und jetzt auch die
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Römer waren immer tolerant, wenn es um die Anbetung von Gottheiten und um den Besuch ihrer Tempel ging. Keiner der griechischen und römischen Götter beanspruchte exklusive Loyalität. Wer am Morgen des ersten Tages der Woche im Apollon-Tempel ein Opfer darbrachte, konnte das Mittagessen im Asklepius-Tempel einnehmen, am zweiten Tag der Woche im Tempel der Roma dem Kaiser seine Reverenz erweisen und am dritten Tag im TycheTempel für den Erfolg einer neuen Geschäftsverbindung beten. Die griechischen und römischen Götter wollen Loyalität, aber keine exklusive Loyalität. Paulus setzt in diesem Text die jüdische und urchristliche Überzeugung voraus, dass es nur einen Gott und Herrn gibt, der eine alle anderen Götter ausschließende Loyalität fordert (vgl. 8,6). Jesusbekenner können nicht an den einen wahren Gott und an Jesus Christus glauben und gleichzeitig die Göttertempel Korinths besuchen. Sie können nicht im Herrenmahl ihre Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus Christus feiern und gleichzeitig in einem örtlichen Götzentempel speisen. Paulus entfaltet in V. 14-17 die theologische Bedeutung des Herrenmahls. In 11,17-34 kommt Paulus noch einmal und ausführlicher auf das Thema des Herrenmahls zurück. Zur Frage, ob Paulus in V. 14-17 (oder in V. 16) Tradition übernimmt, siehe unten zu V. 16. Paulus schließt in V. 22 mit der Warnung, den Herrn nicht zur Eifersucht zu reizen, was sachlich der Warnung vor dem Götzendienst in V. 14 entspricht. Wenn Christen versuchen, die Teilnahme am Herrenmahl mit der Teilnahme an Mahlzeiten im Tempel zu verbinden, entspricht dies dem Versuch, Christus und die Dämonen miteinander zu kombinieren. Solch kompromisshaftes Verhalten reizt den Herrn zur Eifersucht und zieht das Gericht Gottes nach sich. Gliederung. V. 14 formuliert mit einem Imperativ die Warnung, die sich aus dem in 8,1–10,13 Gesagten ergibt: Die korinthischen Christen sollen alles daran setzen, Götzendienst zu vermeiden, d.h. alle Kontakte zu den heidnischen Göttern unterlassen. V. 15-17 begründet die Unvereinbarkeit des Herrenmahls mit der Teilnahme an Mahlzeiten in heidnischen Tempeln mit der theologischen Wirklichkeit des Herrenmahls, dessen christologische und ekklesiologische Bedeutung Paulus erläutert. In V. 18-20 begründet die Unvereinbarkeit des Herrenmahls mit der Teilnahme an Mahlzeiten in heidnischen Tempeln mit der dämonischen Wirklichkeit der Mahlzeiten in den Götzentempeln. V. 21-22 zieht die Schlussfolgerung: Die Teilnahme am Herrenmahl schließt die Teilnahme an Mahlzeiten im Götzentempel aus. Textkritische Anmerkungen. Einige Handschriften (F G 365 pc; Irlatpt) schreiben in V. 16 statt ποτη' ριον τη^ ς ευ λογι' ας, unter Angleichung an die Einsetzungsworte in Mt 26,27 / Mk 14,23, ποτη' ριον τη^ ς ευ χαριστι' ας. Die Mehr-
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zahl der Handschriften ( אC D F G Ψ 33 1739 1881 Byz lat; Irlat) versetzt das erste ε στι' ν nach Χριστου^ ; trotz der frühen Bezeugung durch אhandelt es sich hier um eine Angleichung an die Formulierung des folgenden Satzes; die von d46 A B P 2464 ar gut bezeugte Lesart muss als ursprünglich gelten. In V. 17 ergänzen D F G (629) it vg Ambst mit και` του^ ε νο` ς ποτηρι' ου (D ohne ε νο' ς); es ist aber kein Zufall, dass Paulus betont nur von dem einen Brot spricht.556 In V. 18 schreiben d46 א2 B D1 Ψ 1881 Byz das verstärkte ου χι' statt ου χ; die einfache Negation ist jedoch durch *אA C D* F G 33 630 u.a. gut bezeugt; ein ursprüngliches ου χι' wäre kaum durch ου χ ersetzt worden. In V. 19 lassen d46 *אA C* 6 945 1881 pc vg die zweite Frage η ο« τι ει»δωλο' ν τι' ε στιν; aus (Homoioteleuton).557 In V. 20 ergänzen die Mehrzahl der Handschriften hinter α θυ' ουσιν mit τα` ε»θνη (d46 אA C P Ψ 33vid 81 u.a.);558 diese Lesart ist zwar früh bezeugt, muss aber als erläuternde Glosse gelten, die das Missverständnis ausschließen will, dass das Subjekt des zweimaligen θυ' ουσιν das Israel nach dem Fleisch ist (V. 18); die Auslassung von τα` ε»θνη ist durch B D ^, werden von d46vid D F G Ambst Spec gut bezeugt.559 Die Wörter και` ου θεω F G 104 1505 al latt sy (Byz) Epiph hinter das zweite θυ' ουσιν gestellt, wahrscheinlich um die Bedeutung der Formulierung klar zu stellen; die Reihenfolge και` ου θεω ^, θυ' ουσιν ist durch אA B C P Ψ 33 81 u.a. gut bezeugt.560
III 14 Mit der Konj. διο' περ („daher, darum, deshalb“; vgl. 8,13) zieht Paulus die Schlussfolgerung aus den Ausführungen von V. 1-13 bzw. von 8,1–10,13. Mit der Anrede meine Geliebten (α γαπητοι' μου, vgl. 15,58)561 hebt Paulus nicht nur die Bedeutung der folgenden Aussage hervor, sondern unterstreicht seine persönliche, emotionale Verbundenheit mit den korinthischen Christen.562 Die Formulierung der Mahnung fliehet vor dem Götzendienst mit dem Imp. Präs. (φευ' γετε) unterstreicht die konstante Pflicht der Jesusbekenner im Blick auf die heidnische Religiosität ihrer Umgebung. Die Präp. α πο' ist im Kontext der Frage nach dem Essen von Fleisch aus Tempelschlach————————————————————
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Lindemann 225. Zuntz, Text, 140 mit Anm. 5; Fee 462 Anm. 3. K 88 326 614 1881 Byz schreiben α θυ' ει τα` ε»θνη, eine grammatikalische Verbesserung im Anschluss an das Subj. im Ntr. Plur., die als sekundär gelten muss. Zuntz, Text, 102; Metzger, Commentary, 494; Fee 462 Anm. 4; Lindemann 226; Garland 484-485. Zuntz, Text, 102 Anm. 3; Metzger, Commentary, 494. Phil 2,12; 4,1; vgl. 2Kor 7,1; 12,19; Röm 12,19. Wischmeyer, ΑΓΑΠΗΤΟΣ, 476-480. EÜ übersetzt mit „liebe Brüder“; NGÜ sachlich richtig: „meine lieben Freunde“; vgl. NRSV, TNIV „my dear friends“.
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tungen durchaus buchstäblich im räumlichen Sinn gemeint:563 Die korinthischen Christen sollen sich von allen Orten fernhalten, an denen Götzendienst praktiziert wird. M. Konradt hebt zu Recht hervor, dass damit auch „alle (primär) gesellschaftlichen Veranstaltungen, die in Speiseräumen eines ει δωλει^ον stattfinden, betroffen“ sind.564 Das Subst. ει δωλολατρι' α beschreibt in Anlehnung an jüdische Sprachgewohnheit die Anbetung der heidnischen Götter als Anbetung von falschen, nichtigen Gottheiten (s. oben zu 5,10; 8,1). Die Begründung für diese Mahnung, die in V. 1-13 aus der Geschichte Israels entwickelt wurde, wird in den folgenden Versen mit dem Hinweis auf die Praxis des Herrenmahls theologisch verankert. Der Verweis auf die Treue Gottes, der einen Ausweg aus der Versuchung schafft, entbindet Christen nicht von der Pflicht, selbst aktiv und entschieden dafür zu sorgen, dass sie sich nicht in Situationen begeben, in denen sie bei götzendienerischen Riten anwesend sind. 15 Der Satz ich rede zu euch wie zu verständigen Menschen: Beurteilt selbst, was ich sage appelliert an die Einsicht und an die Urteilskraft der korinthischen Christen. Paulus bezeichnet sie als φρο' νιμοι, als Verständige, was nicht sarkastisch oder kritisch gemeint ist.565 Er befiehlt nicht nur, sondern er argumentiert. Er erwartet von den Christen in Korinth keinen blinden Gehorsam, sondern er will sie überzeugen und sie zum eigenen, theologisch begründeten, richtigen Urteil anzuleiten. Die folgenden Ausführungen dienen diesem Ziel. Mit sieben rhetorischen Fragen V. 16-20 lädt Paulus die Korinther ein, die Richtigkeit seines Verbots, Götzenopferfleisch zu essen, zu beurteilen (κρι' νω). D. Garland betont, dass es am Ende jedoch nicht auf ihr Verstehen ankommt, sondern auf ihre Bereitschaft, sich vom Götzendienst in allen seinen Formen fernzuhalten, ohne Rücksicht auf die persönlichen Kosten. 566 16 Das in V. 15 angekündigte neue Argument greift auf die Feier des Herrenmahls in der christlichen Gemeinde zurück. ————————————————————
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Conzelmann 209 Anm. 9 hält die Formulierung mit α πο' und mit Akk.-Obj. (vgl. 6,18; 1Tim 6,11; 2Tim 2,22) für gleichbedeutend. Einen räumlichen Sinn der Präposition nehmen Héring 83; Lindemann 223; Konradt, Gericht, 385 an. Konradt, Gericht, 386 Anm. 1004. Anders Gäckle, Die Starken, 264-275, der die prestigeträchtige Teilnahme am eigentlichen Opferritual, verbunden mit dem Essen des Opferfleisches „im Kreis der im engeren Sinne am Opferritus Beteiligten“ (162) vom Besuch eines privaten Mahls im Tempelbezirk unterscheiden will (ebd. 153-163). Robertson/Plummer 211; Lietzmann 47-48; Conzelmann 209 Anm. 12; Fee 464-465; Merklein 259; Garland 475; Smit, Idol Offerings, 133; vgl. Schrage II 435 Anm. 314, der aber eine „gewisse kritische Spitze“ nicht ganz ausschließen will. Anders Weiss 256; Barrett 231; Witherington 224; Gardner, Gifts, 168; Fotopoulos, Food, 234. Garland 475.
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In der exegetischen Literatur wird ausführlich die Frage behandelt, ob es sich in V. 16 um eine traditionelle Überlieferung handelt. W. Schrage meint, es sei „seit langem bekannt“, dass in V. 16 Gemeindeüberlieferung vorliege.567 Andere Exegeten gehen von einer paulinischen ad-hoc-Bildung aus.568 Folgende Punkte gelten als Hinweise für Gemeindeüberlieferung: 1. Der Parallelismus der Formulierung; 2. die ungewöhnlichen Formulierungen „Becher des Segens“ und „Brotbrechen“ (vgl. 11,23-24); 3. die Verwendung des Verbs „segnen“ (ευ λογε' ω) statt „danken“ (ευ χαριστε' ω); 4. die Parallelität von „Blut“ und „Leib“ (statt „Leib“ und „Bund“, wie in 11,23-25), was an die Abendmahlstradition bei Markus (Mk 14,22-24) erinnert. Mehrere Beobachtungen machen die Annahme einer traditionellen Überlieferung schwierig: 1. Die genaue Abgrenzung der postulierten Gemeindeüberlieferung ist umstritten. Manche rechnen den Hinweis auf die „Teilhabe“ (κοινωνι' α) am Blut bzw. Leib Christi zur Tradition, manche nicht. 2. Die Wendung ο« φημι in V. 15 beschreibt die in V. 16 folgenden Ausführungen als Aussage des Paulus, die den Korinthern als noch nicht bekanntes Argument vorgestellt werden. 3. Der Ausdruck κοινωνι'α wird von Paulus häufig verwendet, kommt in der Tradition vom Herrenmahl sonst nicht vor und ist deshalb als paulinische Formulierung anzusprechen.
Der Kelch des Segens (το` ποτη' ριον τη^ ς ευ λογι' ας) bezeichnet den Segensbecher des jüdischen Gastmahls. Es handelte sich um einen Becher Wein, über dem ein Dankgebet gesprochen wurde. 569 Beim Passamahl wurde über dem dritten Becher ein Lobspruch gesprochen.570 Der „Becher des Segens“ muss sich nicht auf einen besonderen Kelch des Passa-Seders beziehen, auf den Paulus sich zusammen mit der Abendmahlstradition bezieht, 571 sondern kann ein allgemeiner Hinweis auf einen von Jesus gesegneten Kelch sein. 572 Der Relativsatz ο ευ λογου^ μεν (über dem wir das Lobgebet sprechen), der ————————————————————
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Schrage II 431, mit Verweis auf Weiss 256; Conzelmann 210; Käsemann, Exegetische Versuche I, 12-13; Willis, Idol Meat, 193-195; vgl. auch Lang 127; Senft 133; Kremer 211; Wolff 226-228; L. Goppelt, ThWNT VI, 156; Klauck, Herrenmahl, 262; Hahn, Beiträge, 310; Konradt, Gericht, 419. Fee 468 Anm. 28; Lindemann 223; Smit, Idol Offerings, 132. Merklein II 257-260 bleibt unentschieden. Bill. IV, 72-73.630-631; III, 419; vgl. JosAs 8,5; 19,5. Der Segensbecher des jüdischen Gastmahls heißt ּכֹוס ַהְּבָרָכה. L. Goppelt, ThWNT VI, 148: Trinkgefäße konnten in ntl. Zeit aus Ton, Stein, Metall oder Glas sein. Schrage II 436 lehnt zu Recht die Interpretation im Sinn von „Kelch, der segnet“ ab: ποτη' ριον ist wie α»ρτος Obj. des im Relativsatz beschriebenen Handelns (Bachmann 336). Es geht nicht um eine segenbringende Wirkung des Kelchs, sondern um den Dank, der über dem Kelch gesprochen wird. Bill. IV, 628.630-631. Cohn-Sherbok, Note, 707-709, hält auch einen Bezug auf den vierten Becher des Passamahls für möglich. Dort ist nicht von ευ λογε' ω die Rede, sondern von ευ χαριστε' ω (Mt 26,27 / Mk 14,23); in Lk 22,17 und 1Kor 11,25 wird ohne Verb formuliert. Die Verben ευ λογε' ω und ευ χαριστε' ω können als Synonyme betrachtet werden; vgl. Heinrici 306; Schrage II 436; Patsch, EWNT II, 200. Cohn-Sherbok, Note, 704-709.
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den Genitiv τη^ ς ευ λογι' ας erläutert, erinnert mit der 1. Pers. Plur. die Korinther an das Lob- und Dankgebet, das die Christen bei der Feier des Abendmahls über dem Kelch sprechen. Aus dem Plural kann man entnehmen, „daß jeder diesen Segen sprechen konnte“.573 Die Präsensform deutet auf die Wiederholung der Mahlhandlung hin. Dass Paulus nicht von einer beliebigen Mahlzeit spricht, sondern von der Feier des Herrenmahls, zeigt der Hinweis auf das „Blut Christi“. Mit der rhetorischen Frage „ist der Kelch des Segens nicht Teilhabe an dem Blut Christi?“ interpretiert Paulus den Kelch, genauer den Inhalt des Kelches, als Teilhabe an dem Blut Christi. Mit der Wendung „Blut Christi“ (του^ αι«ματος του^ Χριστου^ ) ist das am Kreuz vergossene Blut Jesu gemeint, das in der urchristlichen Tradition im Sinne des stellvertretenden Sühnetodes des Messias Jesus interpretiert wird.574 Das Wort κοινωνι' α bedeutet „Gemeinschaft (mit jemandem) durch (gemeinsame) Teilhabe (an etwas)“ haben.575 Die Frage, ob κοινωνι' α „Gemeinschaft“ (communio)576 oder „Teilhabe“ (participatio) bedeutet, formuliert eine falsche Alternative.577 Der Kontext, in dem Paulus vor Götzendienst warnt, und die Verwendung des Verbs μετε'χω in V.17 verweisen auf eine vertiefte Partizipation. Von V.18.20 her wird deutlich: Das Trinken aus dem Abendmahlskelch erinnert die Jesusbekenner daran, dass sie Anteil haben am Todesgeschick Jesu Christi, der an ihrer Stelle und damit für ihr Heil am Kreuz gestorben ist. Die Kopula ε στι' ν macht keine Identitätsaussage, sondern formuliert die Deutung des Kelchs bzw. seines Inhalts.578 Die „Teilhabe an dem Blut Christi“, von der das ————————————————————
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Schrage II 437; ebd. Anm. 324: „Im Neuen Testament ist auch sonst von einer spezifischen Amtskompetenz beim Mahl nichts zu erkennen“. Anders in Qumran, wo es der Priester ist, der den Erstling des Brotes segnet (1QSa 2,19-20). Merklein II 261 erklärt den Plural „aus der Feierlichkeit des Stils“. Blut (αι μα), auf den (Heils-)Tod Jesu bezogen, kommt bei Paulus auch in Röm 3,25; 5,9; Kol 1,14.20; Eph 1,7; 2,13 vor. J. Hainz, Art. κοινωνι'α, EWNT II, 751; vgl. F. Hauck, ThWNT III, 798-810; Klauck, Herrenmahl, 260; Schrage II 437. Vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 309, der V.16a vom Nachtisch-Becher des Gemeinschaftsmahls der christlichen Gemeinde her deuten will; der Becher, über dem gebetet wurde, repräsentiere die Gemeinschaft der versammelten Christen untereinander, „die durch das Blut Christi gestiftet wurde“. Ähnlich de Wette 95; Fee 467. Merklein II 261; zum Folgenden ebd. sowie Schrage II 437 Anm. 328; Lindemann 224. Lindemann 224. Gutjahr 268 argumentiert für die Transsubstantiation, Schrage II 438 gegen eine substanzhafte Vorstellung. Merklein II 262 kritisiert als anachronistisch alle „Überlegungen, die hier die Transsubstantiation abgelehnt oder bestätigt finden wollen“. Schrage II 438 schreibt: „Die Gegenwart Jesu Christi in seinem Mahl ist also nicht bloß geistig oder symbolisch vorgestellt – über das Wie der Realität schweigt Paulus –, sondern als eine durch Brot und Wein vermittelte“. Dies ist gut lutherisch gedacht, geht aber über die Aussage von V. 16 hinaus, in der nicht von der Gegenwart Christi die Rede ist, sondern
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Trinken aus dem Kelch zeugt, bedeutet die personale und die sachliche Gemeinschaft mit Jesus Christus, der sein Blut „für uns“ vergossen und den von Gott verheißenen neuen (Heils-) Bund gestiftet hat (11,23-25). H. Merklein betont, dass die Wirksamkeit der Teilhabe am Blut Christi nicht nur „durch die Gedanken der Teilhabenden“ zustande kommt, weil Paulus sonst die Teilhabe an den Dämonen (V. 20) für unbedenklich erklären könnte: „Vielmehr kommt durch die Teilhabe an Leib und Blut Christi eine wirkliche und wirksame Gemeinschaft mit dem zu unserem Heil handelnden Christus zustande“.579 Diese Teilhabe am Heilstod Christi war durch den Glauben an Jesus Christus zustande gekommen (Röm 6,4-5). Die Teilhabe am Blut und am Leib Christi im Herrenmahl, das die christliche Gemeinde regelmäßig feiert, bewirkt deshalb nichts Neues, sondern bestätigt und bestärkt, was die Jesusbekenner schon sind.580 Der Satz das Brot, das wir brechen (το` ν α»ρτον ο ν κλω ^ μεν)581 beschreibt zunächst die alltägliche Handlung bei Mahlzeiten, 582 verweist hier aber konkret auf das Brechen des Brotes beim Herrenmahl. Die rhetorische Frage ist es nicht Teilhabe an dem Leib Christi? ist parallel zu V. 16a formuliert und setzt ebenfalls eine bejahende Antwort voraus. Mit „Leib Christi“ (του^ σω' ματος του^ Χριστου^ ) ist nicht die (Orts-)Gemeinde der Jesusbekenner gemeint (vgl. 12,27), sondern der Leib des am Kreuz gestorbenen Jesus Christus. Die „Teilhabe“ (κοινωνι' α) an dem Leib Christi betont, wie die „Teilhabe an dem Blut Christi“, die Heilsbedeutung des Todes Jesu. 583 Das Brechen des Brotes bei der Feier des Herrenmahls „ist“ (ε στι' ν) Teilhabe an dem Leib Christi, d.h. es bestätigt und bestärkt die Partizipation der Jesusbekenner am Geschick Jesu. ————————————————————
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von der Wirklichkeit und Wirksamkeit seines (Heils-)Todes. Merklein II 262; ebd. 263: „Im Sinn des Paulus zielt die Teilhabe an Leib und Blut Christi letztlich auf Identitätsstiftung und -stabilisierung“. Lindemann 223 macht zu Recht darauf aufmerksam, dass Paulus kaum die κοινωνι'α mit Christus in V. 16 so sehr betonen würde, wenn in Korinth ein massiver Sakramentalismus geherrscht habe; zur Kritik an dieser von vielen Exegeten vertretenen These vgl. auch Willis, Idol Meat, 159-160. Anders Schrage II 439, der meint, dass man durch die Teilhabe am Mahl „so real in das Sterben Jesu hineingezogen“ wird, „daß über die Teilhabe an der Sühnkraft und Heilswirkung des Todes Jesu hinaus zugleich κοινωνι'α mit dem Gekreuzigten und seinem Sterben entsteht“. Die Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten entsteht jedoch nicht durch die Teilnahme am Herrenmahl, sondern durch die von der Macht Gottes durch das Kreuz und die Auferstehung Jesu bewirkte Errettung der an Christus Glaubenden (1,21; 2,5), durch die sie zu „in Christus Jesus Geheiligten“ wurden (1,2). ο« ν ist attractio inversa; vgl. BDR §295; HS §289f. Vgl. Mt 14,19; 15,36; Mk 8,6.19. Vgl. 11,24: το` σω ^ μα το` υ πε` ρ υ μω^ ν; vgl. Lk 22,19.
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Die gegenüber der Herrenmahlstradition (Brot/Kelch) veränderte Reihenfolge Kelch/Brot verweist nicht auf eine andere Abendmahlspraxis, in der zuerst der Wein, dann das Brot dargereicht wurde. Sie ist vielmehr durch die Funktion des Verweises auf das Herrenmahl im Kontext von Kap. 8–10 zu erklären. Die Nennung des Brotes nach dem Kelch erlaubt es Paulus, seine Interpretation des „Leibes“ in V. 17-20 anzuschließen, auf die es ihm bei seiner Warnung vor Götzendienst ankommt.584 17 Das Essen des Brotes im Herrenmahl bestätigt und bekräftigt die Einheit der Gemeinde: Weil es ein Brot ist, sind wir, die vielen, ein Leib. Bei der Feier des Herrenmahls wird „ein Brot“ (ει ς α»ρτος) gebrochen, das von den „vielen“ (οι πολλοι' ) gegessen wird, die sich dadurch als „ein Leib“ (εν σω ^ μα) erweisen. Das „eine Brot“, d.h. der eine Brotlaib, ist durchaus wörtlich zu verstehen: Die Christen in der korinthischen Gemeinde haben offensichtlich beim Abendmahl ein Brot geteilt.585 Das betonte ει ς α»ρτος ergibt sonst wenig Sinn und kann kaum als Begründung für den Nachsatz „(so) sind wir, die vielen ein Leib“ dienen.586 Die Bezeichnung der (Orts-)Gemeinde als „Leib (Christi)“ wird in Kap. 12 entfaltet. Die Einheit des Leibes gründet nach der Aussage in 12,13 auf dem Wirken des heiligen Geistes, nicht auf der Teilnahme am Abendmahl.587 Die Begründung (γα' ρ) denn wir haben alle teil an dem einen Brot erläutert die Logik V. 17a: Das Essen (μετε'χομεν ε κ) des einen Brotes, das den am Kreuz hingerichteten Leib Jesu Christi und seinen (Heils-)Tod repräsentiert, symbolisiert wirkmächtig die Einheit der Gemeinde als der eine Leib Christi. V. 17 ist kein „Exkurs“, 588 sondern ein wesentlicher Bestandteil der Argumentation.589 Indem die korinthische Gemeinde beim Herrenmahl von einem Brot isst, das Jesus Christus den Gekreuzigten repräsentiert, und sich als der eine Leib Christi erfährt, wird ihre exklusive Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus Christus deutlich. Im zeitgenössischen Kontext nahmen die Men————————————————————
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Schrage II 433; Lindemann 224. Klauck 73; Lindemann 224; Hainz, Koinonia, 19; Smit, Idol Offerings, 132. Allo 241; Schrage II 441 Anm. 358; Wolff 231 u.a. halten das für unwahrscheinlich. Wir wissen in der Tat nicht, wie groß die Gemeinde in Korinth war und wie realistisch die Annahme ist, dass die Gemeinde um des Symbolgehalts willen einen einzigen Brotlaib verwendete. Die alternative Erklärung von Wolff 231, dass „selbst mehrere Brote durch ihre Bedeutung zu einer Einheit verbunden sind“ (Hervorhebung Wolff), setzt den Gedanken der Einheit voraus, begründet ihn aber nicht. Die meisten Ausleger interpretieren ο« τι als begründenden, elliptischen Vordersatz; vgl. Bengel 417; Heinrici 309; Bachmann 337; Godet II 57; Schrage II 440-441; anders Meyer 280; Conzelmann 208 Anm. 3. Fee 470; Garland 477-478; anders Conzelmann 211; Schrage II 441. Wolff 228; Merklein II 264. Lindemann 224; Smit, Idol Offerings, 129; vgl. Walter, Christusglaube, 106-107.
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schen an den Opfermahlzeiten mehrerer Gottheiten teil. Eine exklusive Bindung an einen einzigen Gott war unbekannt. Man hatte mal mit dem einen, mal mit einem anderen Gott kultische Gemeinschaft. Die Mehrzahl der korinthischen Christen hatten solche abwechselnden, sich nicht gegenseitig ausschließenden „Gemeinschaften“ mit verschiedenen Göttern praktiziert. Einige von ihnen wollen dies offensichtlich weiterhin tun. Paulus sagt diesen Christen, dass Jesusbekenner exklusiv an den einen wahren Gott und an den einen Herrn Jesus Christus gebunden sind. Es gibt einen Leib Christi, durch dessen Tod am Kreuz sie das Heil empfangen haben. Das eine Brot, das sie im Herrenmahl essen und das ihre Bindung an den einen Gott und Herrn repräsentiert, erinnert sie an die Tatsache, dass diese Bindung exklusiv ist. Wenn man die Teilnahme am Herrenmahl im Kontext des antiken Patronatssystems interpretiert, ergibt sich ein weiterer Gedanke: Es ist unmöglich, die Einladung zum Mahl des Patrons anzunehmen, unter dessen Schutz man steht und dem man zu Gefolgschaft verpflichtet ist, und gleichzeitig die Einladung des bittersten Rivalen des Patrons anzunehmen, ohne den Patron zu wechseln.590 Die exklusive Bindung an Jesus Christus, die in dem einen Brot deutlich wird und die in der Einheit der Jesusbekenner in dem einen Leib Christi ihren Ausdruck findet, hat Konsequenzen für den Wunsch korinthischer Christen, das Fleisch aus Tempelschlachtungen (im Götzentempel) zu essen. 18 Paulus verweist die Korinther auf das Beispiel Israels. Die Wendung Israel nach dem Fleisch (Ι σ ραη` λ κατα` σα' ρκα), die im NT nur hier vorkommt, bezieht sich nicht auf das messiasungläubige Israel, als Gegenbegriff zu einem „Israel nach dem Geist“. 591 Auch wenn es richtig ist, dass das empirische Israel und Israel als Gottesvolk für Paulus nicht identisch sind (vgl. Röm 9,6), so ist an keiner Stelle von einem „Israel nach dem Geist“ die Rede. Paulus beschreibt in 10,1-4 die Israeliten in der Wüste als „unsere Väter“, die von dem „geistlichen Felsen“ tranken. Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass er sich von Israel distanziert, zumal dies seine Argumentation in 10,1-13 unterminieren würde. Der Ausdruck „Israel nach dem Fleisch“ bezeichnet entweder das durch biologische Abstammung konstituierte Israel592 oder das götzendienerische Israel der Wüstengeneration.593 Im ersten Fall ————————————————————
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Neyrey, Ceremonies, 361-387; Smit, Idol Offerings, 133; Garland 478. Lindemann 224; Merklein II 264; Schrage II 442-443; Garland 478. Anders Weiss 260; Lietzmann 48; Wolff 232: „Der Zusatz ‚nach dem Fleisch‘ . . . impliziert, daß es noch ein anderes Israel gibt: das neue Gottesvolk der Christen (Gal 3,29; 6,16; Phil 3,3)“. Bachmann 338; Barrett 235; Conzelmann 212; Lang 128; Fee 470 Anm. 38; Wolff 232; Collins 380; Lindemann 225; Konradt, Gericht, 388. Schrage II 443; Merklein II 264; Thiselton 771-775; Garland 478-479; Hahn, Teilhabe, 168; Hays, Echoes, 96; Probst, Brief, 266-267; Gardner, Gifts, 165-167; Cheung, Idol Food, 149-150; Smit, Idol Offerings, 127.
554 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
bezieht sich Paulus auf Dtn 14,22-26 (die Israeliten sollen von dem Zehnten im Jerusalemer Tempel opfern und davon „vor dem Herrn“ essen),594 im zweiten Fall auf Ex 32 (die Israeliten verehren das Goldene Kalb, opfern Brandopfer und feiern ein Festmahl). Der Bezug auf den Jerusalemer Kult ist wahrscheinlicher: 1. Wollte Paulus erneut von der götzendienerischen Wüstengeneration und von der Episode vom Goldenen Kalb reden, dürfte man nach den Ausführungen über das Herrenmahl in V. 16-17 wohl einen deutlicheren Hinweis erwarten. 2. Die präsentische Formulierung spricht gegen einen Bezug auf die Wüstengeneration, deren Verhalten in V. 1-11 mit Aoristformen beschrieben wurde. 3. Der Hinweis auf den Opferbetrieb in V. 18 hat keine negativen Konnotationen, sondern setzt im Gegenteil die Gegenwart Gottes im Tempel voraus. 4. Die Formulierung „Israel nach dem Fleisch“ bezieht sich auf eine grundsätzliche Aussage; dass sie eine negative Wertung von Israel in der Wüste vornimmt, ist in V. 18 nicht zu erkennen. 5. Die Aussagen in V. 19-20 sind kaum auf die Opferpraxis des götzendienerischen Israel zu beziehen (s. unten). Die rhetorische Frage Sind nicht diejenigen, die die Opfer essen, Teilhaber an dem Altar? bezieht sich nach dem Hinweis auf Israel in V. 18a auf den Opferkult im Jerusalemer Tempel. Manche Opfer wurden nur von den Priestern gegessen, 595 manche Opfer konnten auch von den Israeliten gegessen werden.596 Wahrscheinlich denkt Paulus an die Erstlingsopfer, die von den Israeliten „vor dem Herrn“ gegessen werden: „Du sollst gewissenhaft allen Ertrag deiner Saat verzehnten, was auf dem Feld wächst, Jahr für Jahr, und sollst essen vor dem Herrn, deinem Gott (φα' γη, αυ το` ε»ναντι κυρι' ου του^ θεου^ σου), an der Stätte, die er erwählen wird, um seinen Namen dort wohnen zu lassen, nämlich den Zehnten deines Getreides, deines Mostes und deines Öles und die Erstgeborenen deiner Rinder und deiner Schafe, damit du lernst, den Herrn, deinen Gott, alle Tage zu fürchten . . . Und iss dort vor dem Herrn, deinem Gott (φα' γη, ε κει^ ε ναντι' ον κυρι' ου του^ θεου^ σου), und freue dich, du und dein Haus“ (Dtn 14,23.26b; vgl. 12,6-7.17-18). Indem die Israeliten „vor Gott“ speisen, sind sie als Mahlgemeinschaft mit Gott verbunden. Wie V. 19-20 zeigen, kommt es Paulus auf die Gemeinschaft an, die das Essen des Opfers mit dem Altar bzw. mit Gott stiftet, dem der Altar gehört und der mit dem Opfer geehrt wird. In Dtn 12 und 14 ist von einer κοινωνι' α mit Gott nicht explizit die Rede, aber der Kontext spricht von der Bundes————————————————————
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So auch Robertson/Plummer 215; Bruce 95; Klauck 74; Witherington 226; Kremer 213; Hays 168; Horsley 140-141; Maly, Gemeinde, 139-141. Lev 7,6; 10,12-20; Num 18,8-32; Dtn 18,1-8. Lev 7,11-21; Dtn 12,5-28; 14,22-26; 15,20.
Herrenmahl und Götzenopfermahl 10,14-22 555 ————————————————————————————————————
beziehung zwischen Gott und dem Volk, die durch das Opfermahl bestätigt und bekräftigt wird. Paulus prägt die Formulierung „Teilhaber am Altar“ (κοινωνοι` του^ θυσιαστηρι' ου) im Hinblick auf die Übertragung seines Beispiels auf einen heidnischen Kult. Das Wort κοινωνο' ς597 bedeutet „Genosse, Freund, Teilhaber“ und kommt in den Papyri häufig in der Bedeutung „Geschäftspartner“ vor.598 Paulus verwendet die Wörter κοινωνο' ς und κοινωνι' α häufig in einem übertragenen Sinn, was aber nicht ausschließt, dass die Bildebene von der rechtlichen Dimension der Sachebene beeinflusst sein kann. 599 Gerade bei den im Jerusalemer Heiligtum amtierenden Priestern besteht ein rechtlicher Anspruch der Priester auf einen Teil der Opfer, die im Tempel geschlachtet und auf dem Altar geopfert werden. Der Grund, weshalb Paulus auf den atl. Opferkult verweist, ist wohl in der Tatsache zu sehen, dass dieser größere Ähnlichkeiten mit den heidnischen Kulten aufweist, um die es hier im Kontext von Kap. 8–10 geht, als dies beim Herrenmahl der Fall ist, wo zwar gegessen, aber nicht geopfert wird. 19 Mit der Frage Was meine ich damit? leitet Paulus die Zurückweisung eines möglichen Einwands ein. Paulus hatte in 8,4 betont, „dass es keinen Götzen in der Welt gibt“. In 10,16-17.18 hatte er jedoch mit den beiden Beispielen des Herrenmahls und des atl. Opfermahls argumentiert, dass beide (Opfer-)Mahlzeiten eine bindende Gemeinschaft (κοινωνι' α) mit Gott herstellen. Weil man nur mit jemand Gemeinschaft haben kann, der existiert, ergibt sich für die Anwendung dieser beiden Beispiele auf die Frage, ob Christen das Fleisch aus den Schlachtungen heidnischer Tempel essen können, ein Erklärungsbedarf. Wenn Paulus in 10,14 mahnt, vor dem Götzendienst (ει δωλολατρι' α) zu fliehen, meint er, dass das Götzenopferfleisch etwas ist, oder dass der Götze etwas ist? Die Antwort kann im Licht von 8,4 nur eine negative sein: Götzen sind nichts (implizit verneintes τι' ε στιν). Wenn dies stimmt, dann kann man einwenden, dass die beiden Beispiele von 10,16-18 für die Frage nach dem Essen von Götzenopferfleisch belanglos sind. Paulus nimmt von seiner Aussage in 8,4 nichts zurück, er zeigt aber in V. 20, dass die Wahrheit über Götzenopferfleisch (ει δωλο' θυτος) und Götzen (ει»δωλον) durchaus mit einer transzendenten Realität zu tun hat, nämlich mit der Wirklichkeit der Existenz dämonischer Mächte.
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F. Hauck, ThWNT III, 798-810; J. Hainz, EWNT II, 749-755; W. Popkes, ThBLNT I, 712-718. Arzt-Grabner, Philemon, 226-228; BGU II 530; IV 1123; SB XVIII 13134; P.Oxy. 3468. Vgl. Arzt-Grabner, Philemon, 228 Anm. 186 im Blick auf Phlm 17.
556 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
20 Paulus meint nicht, dass Götzen überhaupt nicht existieren.600 Er meint, dass sie das, was sie opfern, Dämonen und nicht Gott opfern. In 8,5 hatte Paulus seine Bestreitung der Existenz von Göttern dahingehend präzisiert, dass er darauf hinwies, dass es „sogenannte Götter gibt, sei es im Himmel, sei es auf der Erde, wie es ja tatsächlich viele Götter und viele Herren gibt“. In 10,20a erläutert er diese Präzisierung: Hinter der Realität der Götzentempel samt Tempelschlachtungen und Götzenopferfleisch steht das Wirken der Dämonen (δαιμο' να). Das nachbiblische Judentum schloss aus Gen 6,1-4, dass die Dämonen durch Sexualverkehr der Engel mit Menschentöchtern entstanden bzw. mit den von Gott auf die Erde gestürzten Engeln identisch sind.601 Dämonen sind „unreine Geister“ (Jub 10,1; TestBen 5,2), die die Menschen schädigen und verderben (äthHen 15,11-12; Jub 10,5), indem sie sexuelle Sünden provozieren (Tob 3,7-8; 8,1-3; TestRub 2,8-9; 1QM 7,5-6) und Krankheiten (VitProph 16,28-42; bRH 28a) und Tod (Jub 10,1-2; 49,2; Weish 1,14) verursachen. In der griechischen Religiosität verstand man die Dämonen als Wesen zwischen den Göttern und den Menschen, die man mit magischen Formeln zu beeinflussen und zu besänftigen suchte. Homer konnte die hohen olympischen Götter als Dämonen bezeichnen. Unter „Dämonen“ verstand man „vor allem nicht nennbare Gottheiten, also göttliche Kräfte, die sich der individuellen Bezeichnung oder persönlichen Gestaltung entzogen, andererseits solche mit einer undurchschaubaren Wirkungsweise, also Götter, die man sich als unvorhersehbar Unglück oder Glück bringend in das menschliche Leben eingreifend dachte“.602 Nach der Differenzierung der Bedeutung von θεο' ς und δαι' μων durch Plato und Xenokrates, vor allem in hellenistischer Zeit, sind die Dämonen „zwar Wesen göttlichen Charakters, aber doch von niedrigerem Rang und vor allem Schaden stiftende Mächte“. Im AT waren Opfer an böse Geister im Gesetz untersagt (Lev 17,7). Dämonische Gestalten kommen in Jes 13,21; 34,14 vor. Wichtig ist die Aussage in Ps 96,5 LXX und Dtn 32,17: Die Götter der Völker sind δαιμο' νια (vgl. Ps 106,37; Jes 65,3; Bar 4,7). Nach Mk 3,22 und Eph 2,2 sind die Dämonen die Engel des Satan. In den Evangelien ist von Menschen die Rede, die von Dämonen besessen sind und deshalb unter Krankheiten (z.B. Lk 13,11.16) und Persönlichkeitsveränderungen (z.B. Mk 5,5) leiden. Es werden jedoch nicht alle Krankheiten auf Dämonen zurückgeführt. Da das Wirken Jesu den Anbruch der Königsherrschaft Gottes herbeiführt, treibt er machtvoll die Dämonen aus (Mt 12,28). Paulus und Johannes rechnen für die Endzeit mit einer verstärkten Wirksamkeit der Dämonen (1Tim 4,1; Offb 16,13-14). Und beide sehen wie die atl. und jüdische Tradition Dämonen als Wirklichkeit hinter dem Heidentum (1Kor 10,20-21; Offb 9,20). Von Dämonen spricht Paulus nur in 1Kor 10,20-21. Die ————————————————————
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Das V. 20 einleitende α λλα' impliziert das „Nein“ auf die Fragen von V. 19b. äthHen 6–11; 15,3-12; 18,13-16; 19,1-2; 86–88; Jub 5,1-10; 10,5-11; TestRub 5,5-7; TestNaph 3,5; Philo, Gig. 6–18.Vgl. O. Böcher, Art. δαιμο' νιον, EWNT I, 650-651; M. Hutter /M. Görg, RGG4 II, 533-544; C. Colpe/J. Maier, RAC IX, 579-688; O. Böcher/ G. Wanke, TRE VIII, 270-286; G. Foerster, ThWNT II, 1-21; H. Bietenhard, ThBLNT II, 1537-1540; S. I. Johnston, Art. Dämonen V, DNP III, 262-264. Muth, Einführung, 129, ebd. das folgende Zitat.
Herrenmahl und Götzenopfermahl 10,14-22 557 ———————————————————————————————————— Bestreitung der Existenz anderer Götter und die Auskunft, dass hinter den heidnischen Göttern Dämonen als widergöttliche Mächte stehen, „setzen unterschiedliche Akzente, schließen sich aber logisch nicht aus“.603
Wenn Heiden Opfer darbringen, dann opfern sie nicht Gott, sondern Dämonen (α θυ' ουσιν, δαιμονι' οις και` ου θεω ^, θυ' ουσιν).604 Viele Ausleger sehen in dieser Formulierung ein Zitat von (bzw. eine direkte Anspielung auf) Dtn 32,17 LXX (ε»θυσαν δαιμονι' οις και` ου θεω ^, ).605 M. Konradt kommentiert die Bedeutung dieser Aussage für das Thema von Kap. 8–10 wie folgt: „Von kultischen Riten begleitete Mahlzeiten im Tempel lassen sich daher nicht von der Höhe eines aufgeklärten Geistes aus als rein gesellschaftliche Zusammenkünfte etikettieren und als harmlos qualifizieren, sondern sind dämonische Veranstaltungen. Götzen sind zwar, objektiv betrachtet, nonexistent, aber die Dämonen inszenieren ihre Verehrung, um dem einen Gott die alleinige Verehrung zu entziehen. Wer daher an einem heidnischen Kultmahl teilnimmt, tritt zwar nicht in Gemeinschaft mit den Götzen, wohl aber mit den Dämonen“.606 Paulus greift die Mahnung von V. 14 auf, wenn er in V. 20b schreibt: Ich will aber nicht, dass ihr Teilhaber der Dämonen werdet.607 Die Wendung „Teilhaber der Dämonen“ (κοινωνοι` τω ^ ν δαιμονι' ων) will nicht nur sagen, dass Christen, die Götzenopferfleisch essen, mit den Heiden eine Gemeinschaft bilden, die den Götzen und damit den Dämonen opfern. 608 Er spricht auch nicht von einem Essen der Dämonen, die durch die Kultmahlzeit ^ ν δαιμονι' ων betont, dass eine Bezie„einverleibt“ werden.609 Der Genitiv τω hung zu den Dämonen entsteht. ————————————————————
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Konradt, Gericht, 389 Anm. 1022. Schrage II 444; Merklein II 266. Garland 480 interpretiert im Sinn des Opferns des götzendienerischen Volkes Israel in der Wüste: Israel opferte in der Episode des Goldenen Kalbs nicht Jahwe, sondern den Dämonen. Diese Interpretation ist unwahrscheinlich. Wolff 233; Hays 169; Kremer 213; Garland 480; Ciampa/Rosner 728; vgl. Schrage II 444; Merklein II 266; Lindemann 226. Konradt, Gericht, 389. Lindemann 226 schreibt: „Das Gegenüber wird durch die reale kultische Verehrung überhaupt erst konstituiert – dann ist es aber real“. Paulus ist jedoch überzeugt, dass die Wirklichkeit der Dämonen real ist: deshalb entsteht durch das Essen von Götzenopferfleisch (im Tempel) eine Gemeinschaft, die an die Dämonen bindet. θε' λω leitet im Vergleich mit V. 14 keine weniger nachdrückliche Aussage ein, wie Garland 481 meint, sondern formuliert „die autoritative Willensäußerung des Paulus“, wie Lindemann 226 zu Recht feststellt; vgl. Schrage II 445 Anm. 380. So Willis, Idol Meat, 189: „He prohibits Christians from becoming partners with their pagan friends in demonic idolatry“; vgl. Oropeza, Apostasy, 64. Kritisch Schrage II 446. Wie Lietzmann 49-50 u.a. meinen; kritisch Probst, Brief, 239-242. Die Vorstellung der „Theophagie“ spielt in den heidnischen Kultmahlen der Antike keine Rolle; vgl. Willis, Idol Meat, 21-47; Newton, Deity and Diet, 251-255; Konradt, Gericht, 389. Wenn Paulus dem Götzenopferfleisch eine numinose, dämonische Qualität zuerkennen würde, wäre er in V. 25.27 inkonsequent.
558 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Im Sarapishymnus des Aelius Aristides (Or. 45,27-28) ist von der Opferfeiergemeinschaft zwischen den Menschen und „diesem Gott“ die Rede: „Sie laden ihn zum Mahl, geben ihm als Tischherrn und Gastgeber den besten Platz, so daß dieser, während an den anderen Festmählern bald der, bald jener Gott teilnimmt, gleicherweise bei allen die ehrende Krone bedeutet, indem er als Symposiarch waltet inmitten derer, die sich in seinem Namen versammeln. . . . Ähnlich ist aber auch die Gemeinschaft, die die Menschen mit ihm sonst pflegen (προ` ς αυ το` ν κοινωνι'α), ein Bund unter Gleichen . . . So sehr wird der Gott eins mit den Menschen“ (A. Höfler; zitiert nach NW II 332).
Der Hintergrund dieser Feststellung ist der Gedanke, dass die Dämonen als „Gastgeber“ präsent sind: Es ist ihr Tisch, an dem die im Tempel Speisenden sitzen, und ihr Kelch, aus dem sie trinken (V. 21). Die Wendung κοινωνοι` τω ^ ν δαιμονι' ων spricht deshalb nicht nur von einem Risiko, das mit dem Essen von Götzenopferfleisch gegeben ist, sondern von der Wirklichkeit einer Partnerschaft mit den Dämonen.610 Für die korinthischen Christen, die auf ihrem Recht bestanden, wie vor ihrer Bekehrung an festlichen Mahlzeiten in Götzentempeln teilzunehmen, mag es sich um harmlose Vergnügungen oder um die Pflege von gesellschaftlichen Kontakten handeln. Paulus sagt ihnen jedoch mit apostolischer Autorität, dass der Besuch von Götzentempeln und das Essen von Götzenopferfleisch sie mit der Realität der Dämonen in Verbindung bringt, einer Realität, die sie auf die Seite der Gegner Gottes stellt und von der sie nur Schlechtes zu erwarten haben. 21 Paulus formuliert mit zwei parallelen Sätzen die Unvereinbarkeit der christlichen Mahlfeier mit der Teilnahme an Feiern in heidnischen Tempeln. Er beginnt mit der aus der Abendmahlstradition stammenden Vokabel „Kelch“ (ποτη' ριον), weil sich von den Begriffen „Brot“ oder „Leib“ eine Parallelisierung von Herrenmahl und Mahlfeier im heidnischen Tempel nicht erreichen lässt.611 Paulus hält kategorisch fest: Ihr könnt nicht den Kelch des Herrn trinken und den Kelch der Dämonen. Mit dem Ausdruck „Kelch des Herrn“ (ποτη' ριον κυρι' ου) ist der dem Herrn gehörende, an den Heilstod Jesu Christi erinnernde, die Gemeinschaft mit dem Herrn bekräftigende Kelch des Abendmahls gemeint. Der „Kelch der Dämonen“ (ποτη' ριον δαιμονι' ων) verweist auf den Libationsbecher bzw. auf das Trankopfer (meistens Wein), das bei der Mahlzeit im Götzentempel das Trinken der Mahlteilnehmer einleitet.612 Auch das rituelle Trinken aus einem einzigen Becher nach dem Essen zu Ehren einer Gottheit ist belegt. 613 ————————————————————
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Vgl. Garland 481. Merklein II 267. Vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 101-106. Th. Klausner, Art. Becher, RAC II, 40-41.
Herrenmahl und Götzenopfermahl 10,14-22 559 ————————————————————————————————————
Die parallele Formulierung im nächsten Satz, die vom Essen im heidnischen Tempel spricht, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Ihr könnt nicht am Tisch des Herrn teilhaben und am Tisch der Dämonen. Die Wendung „Tisch des Herrn“ (τρα' πεζα κυρι' ου) ist eine Anspielung auf den Altar des Jerusalemer Tempels, der in Mal 1,7.12 als „Tisch des Herrn“ (τρα' πεζα κυρι' ου; MT ; ֻשְלַחן ְיהָוהvgl. Ez 44,16) bezeichnet wird. Hier ist der Tisch gemeint, an dem die Gemeinde das Herrenmahl isst. Der Ausdruck „Tisch der Dämonen“ (τρα' πεζα δαιμονι' ων) ist eine polemische Bezeichnung für den Tisch, an dem im heidnischen Tempel gespeist wird (vgl. Jes 65,11). Einladungen zum Speisen in einem Tempel konnten als Einladungen zum „Tisch des Gottes“ formuliert werden: „Chairemon lädt dich ein zum Mahl an der Tafel (κλι' νη) des Herrn Sarapis im Sarapeum, morgen, d.h. am 15., von 9 Uhr an“.614 Solche Einladungen betreffen nicht nur explizit kultische Mahlfeiern, sondern auch Festmahle im Tempel aus familiären und gesellschaftlichen Anlässen. Die κλι' νη bezeichnet eigentlich das Speisesofa (lat. lectus oder triclinium); in diesen Einladungen steht das Wort pars pro toto für das Festmahl. M. Konradt hat Recht: „Ein rein geselliges Beisammensein ε ν ει δωλελι' ω, ohne religiöse-kultische Einbettung hat es nicht gegeben“. 615 Die von manchen Auslegern vorgeschlagene Unterscheidung zwischen der Teilnahme an einem eigentlichen Opferritual (samt Opfermahlzeit) im Tempelgebäude und der Teilnahme an einem privaten oder kommunalen Mahl im Tempelbezirk616 kann die Aussagen des Paulus in diesem Abschnitt nicht erklären. Wenn es Paulus nur um das Verbot der aktiven Teilnahme an einem heidnischen Opferritual gegangen wäre, hätte er lediglich die Praxis des Götzendienstes verbieten müssen. Dass die Aussagen des Apostels über ein solches Verbot hinausgehen, ahnt V. Gäckle, wenn er schreibt: „Dies darf nun umgekehrt nicht einfach als explizite Erlaubnis zur bedenkenlosen Teilnahme an den in der Regel daran anschließenden öffentlichen Mahlfeiern gewertet ————————————————————
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P.Oxy. I 110 (2. Jh. n.Chr.). Weitere Einladungen zu einem Mahl im Sarapistempel sind P.Oxy. XXXI 2592 (1./2. Jh. n.Chr.); P.Oxy. III 523; LII 3696; P.Coll.Youtie I 55 (alle 2. Jh.); P.Oxy. XIV 1755; LXII 4339; SB XII 11049; SB XVIII 13875; P.Coll.Youtie I 51–54 (alle 2./3. Jh.); P.Köln I 57 (3. Jh.). Einladungen zu einem Mahl für Isis sind P.Fouad I 76 (2. Jh.); P.Oxy. LXVI 4539 (2./3. Jh.). Belegt sind auch Einladungen für ein Essen im Tempel der Demeter (P.Oxy XII 1485; 2./3. Jh.), im Tempel der Göttin Thoeris (P.Oxy. XII 1485; 2. Jh.) und im Hadrianstempel (SB XVI 12596; 2.Jh.). Ähnlich formulierte Einladungen betrafen Festmahle in Privathäusern. In P.Osl. III 157 (2. Jh. n.Chr.) heißt es: „Sarapion, der ehemalige Gymnasiarch, lädt dich zum Essen zur Kline des Herrn Saparis, im eigenen Haus morgen, das ist der 15., von der achten Stunde an“; vgl. P.Oxy. III 523; P.Yale I 85 (beide 2. Jh.). Vgl. Horsley/Llewelyn, New Documents I, 5-9; R. E. Kritzer /Arzt-Grabner, in Arzt-Grabner 321-327. Konradt, Gericht, 391. Newton, Deity and Diet, 364-371; Gäckle, Die Starken, 162-163.272-273; ebd. 273 das folgende Zitat.
560 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— werden. Direkt darauf angesprochen hätte Paulus wohl auch hier sehr zurückhaltend reagiert“.
Paulus unterstreicht: Wer am Tisch der Dämonen „teilhat“ (μετε'χειν), d.h. wer an einem Festmahl in einem Götzentempel teilnimmt, der gerät in eine Partnerschaft mit den Dämonen und ist ihrem widergöttlichen Einfluss und ihrer Macht ausgesetzt. Die Formulierung der Unvereinbarkeit von Herrenmahl und Feiern in heidnischen Tempeln entspricht pragmatisch der Aufforderung an die korinthischen Christen, sich von Götzentempeln fernzuhalten und Einladungen zu Banketten, die in den örtlichen Tempeln stattfinden, nicht anzunehmen. 22 Mit zwei rhetorischen Fragen, die beide die Antwort „Ja“ erwarten lassen, beschließt Paulus den Abschnitt. Die Frage Oder wollen wir den Herrn herausfordern? verweist auf die Folgen, die sich für Christen ergeben, die Fleisch aus Tempelschlachtungen essen und im Tempel speisen. Das Verb παραζηλο' ω bedeutet „zur Eifersucht reizen, herausfordern“.617 Die Frage erinnert an Dtn 32,21 LXX: „Sie haben mich zur Eifersucht gereizt (παρεζη' λωσα' ν με) durch einen Nicht-Gott, sie haben mich erzürnt durch ihre Götzen“. Paulus überträgt die Rede vom eifersüchtigen Gott auf den Herrn Jesus Christus. Vom eifersüchtigen Gott ist im AT öfter die Rede.618 H. D. Preuß betont, dass es bei dieser Formulierung nicht um Götterneid geht, „sondern JHWH will in und für Israel sein Gottsein mit niemandem teilen. JHWHs Eifer richtet sich aufgrund des besonderen Verhältnisses, das er geschichtlich zu Israel eingegangen ist, gegen seine und dessen Feinde (Nah 1,2), vor allem aber gegen den Abfall zu anderen Göttern“. Und N. Walter weist darauf hin, dass die Vorstellung von einem „eifersüchtigen Gott“ für „aufgeklärte Heiden, die dabei vielleicht an diese oder jene mythische Erzählung aus althellenischer Tradition denken mochten, eher eine lächerliche Vorstellung (μωρι' α), jedenfalls ein fremder Gedanke“ ist.619 Die zweite rhetorische Frage: Sind wir etwa stärker als er? könnte ebenfalls an Dtn 32 erinnern, wo in 32,30.36-38 Israel an seine Schwachheit und an die große Macht Jahwes erinnert wird, gegen die andere Götter nicht konkurrieren können: „Und er wird sagen: Wo sind ihre Götter, ihr Fels, auf den sie trauten, die das Fett ihrer Schlachtopfer essen sollten und trinken den ————————————————————
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In NT nur noch in Röm 10,19; 11,11.14. Ex 20,5; 34,14; Dtn 4,24; 5,9; 6,15; 32,21; weitere Belege bei Preuß, Theologie I, 276 Anm. 734; ebd. 277 das folgende Zitat. Walter, Christusglaube, 109, der betont, dass dieser Sachverhalt erklärt, weshalb Paulus „exegetische und rhetorische Mittel“ aufbieten muss, um gegen die hellenistische „Tendenz zum synkretistisch gemeinten Monotheismus“ die Erkenntnis durchzusetzen, dass es nur einen Gott, den Schöpfer, und nur einen Erlöser, Jesus Christus, gibt (ebd.).
Herrenmahl und Götzenopfermahl 10,14-22 561 ————————————————————————————————————
Wein ihrer Trankopfer? Lasst sie aufstehen und euch helfen und euch schützen!“ Paulus betont, dass niemand gegen die „Eifersucht“ des Herrn etwas ausrichten kann. Es geht ihm nicht um die Gefährlichkeit der Macht der Dämonen, von der in Kap. 10 nirgends explizit die Rede ist, sondern um die konsequent exklusive Bindung an den Herrn und um die Warnung vor dem Gerichtshandeln Gottes, der sich Kompromisse seines Volkes mit Götzen und Götzendienst nicht gefallen lässt.620 Wie Jahwe leidenschaftlich darüber wacht, dass Israel ausschließlich ihn anbetet – er hat Israel Rettung und Heil geschenkt und erwartet deshalb die ungeteilte Hingabe seines Bundesvolkes – so wird es sich der Herr Jesus Christus nicht gefallen lassen, wenn Christen in Korinth Fleisch aus Tempelschlachtungen essen und an Festmählern in Götzentempeln teilnehmen. 621
Ratschläge zu Fleisch und Götzenopferfleisch 10,23–11,1 I 23 „Alles ist erlaubt“, aber nicht alles nützt. „Alles ist erlaubt“, aber nicht alles baut auf. 24 Niemand suche das Seine, sondern (jeder suche) das des anderen. 25 Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, esst, ohne es um des Gewissens willen zu untersuchen. 26 Denn „des Herrn ist die Erde und ihre Fülle“. 27 Wenn einer von den Ungläubigen euch einlädt und ihr hingehen wollt, dann esst alles, was euch vorgesetzt wird, ohne es um des Gewissens willen zu untersuchen. 28 Wenn aber jemand zu euch sagt: „Dies ist Opferfleisch“, dann esst es nicht um dessen willen, der den Hinweis gab, und (zwar) um des Gewissens willen. 29 Mit dem Gewissen meine ich nicht das eigene, sondern das des anderen. Denn weshalb wird meine Freiheit von einem anderen Gewissen beurteilt? 30 Wenn ich mit Dank (am Essen) teilnehme, was werde ich in üblen Ruf gebracht für das, wofür ich danke? 31 Ob ihr nun esst oder trinkt oder sonst etwas tut – tut alles zur Ehre Gottes. 32 Gebt keinen Anstoß, weder Juden noch Griechen noch der Gemeinde Gottes, 33 so wie ich in allem allen zu Gefallen lebe, indem ich nicht meinen (eigenen) Nutzen suche, ————————————————————
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Schrage II 447-448 schließt aus ισχυρο' τεροι, dass „speziell die Starken in Korinth“ meinten, Gottes Macht testen zu können. Kritisch Lindemann 227, der zu Recht darauf hinweist, dass Paulus diese Vokabel gerade nicht zur Bezeichnung einer Gruppe verwendet. Vgl. Wolff 235. Merklein II 268: „Die Einzigkeit des Herrn, die für die Korinther der Grund war, unbedenklich mit Götzenopferfleisch umzugehen, wird zum Argument, daß eine Teilnahme an Kultmählern nicht in Frage kommt“.
562 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
sondern den der vielen, damit sie gerettet werden. 11,1 Werdet meine Nachahmer, wie auch ich (Nachahmer) Christi (bin).
II Paulus hatte in seiner Diskussion der Frage, ob Christen Götzenopferfleisch bei Mahlfeiern in einem Tempel essen können (8,1), ausführlich seine Ablehnung der Teilnahme an heidnischen Festmählern begründet (8,1–10,22). In dem letzten Abschnitt, der der Frage des Essens von Fleisch aus Tempelschlachtungen gewidmet ist (10,23–11,1), behandelt er die in diesem Zusammenhang noch nicht geregelten Fälle: das Einkaufen auf dem Fleischmarkt (V. 25-26) und die Einladung zu einem Essen im Haus eines heidnischen Bekannten (V.27-30). Die Behandlung dieser beiden Fälle ist eingerahmt von allgemeinen Aussagen (10,23-24.31-33; 11,1), die Grundsätze christlichen Verhaltens formulieren. Der Abschnitt 10,23–11,1 ist weder eine Wiederholung von 8,1-13,622 auch keine eine Rekapitulation der bisherigen Diskussion623 oder ein praktischer Anhang,624 sondern die Klärung potentieller Missverständnisse und möglicher Einwände.625 Die Ablehnung des Essens von Götzenopferfleisch könnte die korinthischen Christen, die daran gewohnt waren, Einladungen zum Speisen im Tempel anzunehmen, zu der Replik veranlassen, Paulus plädiere für einen völligen Rückzug aus der Gesellschaft. Ein solches Missverständis war im Blick auf den Abbruch von Kontakten mit sexuell zügelllos lebenden Menschen aufgekommen (5,9-10). Dasselbe Missverständnis ist im Zusammenhang der Frage nach dem Essen von Götzenopferfleisch leicht vorstellbar. Paulus betont, dass Christen auf dem Markt eingekauftes und bei Mahlzeiten in Privathäusern zum Menü gehörendes Fleisch essen können, ohne dass sie zuerst durch eine Untersuchung feststellen müssten, ob das Fleisch aus einem der heidnischen Tempel stammt. Wenn ein Gastgeber allerdings das Fleisch, das er seinen Gästen anbietet, als Fleisch identifiziert, das aus Tempelschlachtungen stammt, dann sollen Christen auf das Fleisch verzichten. Die These, Paulus fordere in diesem Abschnitt die „Schwachen“ auf, ihre Skrupel aufzugeben und in christlicher Freiheit Fleisch zu essen, ohne sich ————————————————————
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Schrage II 460-461; vgl. Weiss 263; Conzelmann 215. Barrett 239; Willis, Idol Meat, 223; Watson, Rhetorical Questions, 310-312. Fee 476; Tomson, Paul, 203. Garland 486; vgl. Smit, Idol Offerings, 135-147, der vorschlägt, 10,23-30 als anticipatio und 10,31–11,1 als recapitulatio zu lesen; vgl. Lindemann 229. Zu diesen rhetorischen Figuren siehe Lausberg, Handbuch, §855.434-435; M. Backes, Art. Antizipation, HWR I, 750-752.
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darum zu kümmern, ob es sich eventuell um Götzenopferfleisch handelt, 626 lässt sich am Text nicht verifizieren. Paulus redet weder von Skrupeln noch von einem „schwachen“ Gewissen. Die Qualifizierung der Handlungsfreiheit im Hinblick auf das Verhalten, das dem anderen nützt und das die Gemeinde auferbaut eignet sich kaum als Korrektur „schwacher“ Christen. Wenn Paulus eine bestimmte Gruppe in der Gemeinde anspricht (was sich im Text allerdings nicht zeigen lässt), dann höchtens die „Wissenden“: Sie stehen am ehesten in der Gefahr, sich nur um ihren eigenen Nutzen zu kümmern. Bruce Winter hält es für unwahrscheinlich, dass Paulus bei seinem Gründungsaufenthalt in den Jahren 50–51 n.Chr. nicht auf die Frage des Fleischverzehrs eingegangen sein soll. 627 Er geht davon aus, dass nach der Abreise des Apostels Veränderungen in Korinth stattgefunden haben, die diese Frage in einer neuen Weise aufgeworfen haben. Das von Josephus aufgezeichnete Edikt des Magistrats der Stadt Sardis vom Oktober des Jahres 47 v.Chr., in dem das Leben der jüdischen Einwohner geregelt wurde, legt in der Schlussbestimmung fest, dass die Verantwortlichen der Marktbehörde (οι τη^ ς πο' λεως α γορανο' μοι) dafür sorgen sollen, dass für Juden geeignete Nahrungsmittel (z.B. koscheres Fleisch) angeboten werden sollen.628 Wenn eine solche Regelung zwischen dem Jahr 50 n.Chr. (Gründung der Gemeinde) und dem Jahr 54 (Abfassung des Ersten Korintherbriefs) in Korinth in Kraft gewesen wäre, wäre der Einkauf von Fleisch, das Christen ohne Bedenken essen konnten (vgl. die Bestimmungen des Apostelkonvents aus dem Jahr 48, Apg 15,23-29), unproblematisch gewesen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass Gallio, der Gouverneur der Provinz, durch sein Urteil aus dem Jahr 51 festgelegt hatte, dass Jesusbekenner rechtlich als Juden zu behandeln sind (Apg 18,14-15). Was hat sich geändert? B. Winter vermutet, dass „der Rat und das Volk“ der Stadt Korinth Gesetze verabschiedet haben, die gegen die Juden (und damit gegen die Christen) diskriminierten, was sich am einfachsten durch die Zurücknahme des Rechts auf Bereitstellung von koscherem Fleisch im macellum bewerkstelligen ließ. Die Bevölkerung Korinths hatte sich bereits in der Gallio-Episode antijüdisch verhalten (Apg 18,17), vielleicht ermutigt durch das im Jahr 49/50 erlassene Edikt des Kaisers Claudius (41-54), durch das die Juden aus Rom ausgewiesen wurden (vgl. Apg 18,2). Die Frage, ob man als Christ auf dem Fleischmarkt einkaufen könne, war deshalb eine neue Frage, weil Christen in Korinth kein koscheres Fleisch mehr kaufen konnten, das garantiert keine Kontakte mit einem heidni————————————————————
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Hall, All Things, 132; zur Kritik Garland 486-487. Winter, Corinth, 287-301. Josephus, Ant. 14,259-261. Zu diesem Edikt vgl. Pucci Ben Zeev, Rights, 217-225; zur Authentizität der von Josephus aufgezeichneten römischen Edikte ebd. 381-408.
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schen Tempel hatte.629 Dieser Vorschlag ist im Blick auf das Fleisch, das man im macellum kauft, plausibel; es lässt sich jedoch nicht beweisen, dass dies der konkrete historische Hintergrund für die Aussagen des Apostels Paulus sind. Außerdem trägt dieser Vorschlag nichts für die Frage aus, wie Christen sich bei Einladungen zu Mahlzeiten in Privathäusern verhalten sollen. Gliederung. In V. 23-24 betont Paulus, dass die Freiheit der Christen durch das Kriterium der Auferbauung der Gemeinde und der Rücksichtnahme auf andere begrenzt wird. V. 25-26 behandeln das Einkaufen auf dem Fleischmarkt: Christen können ohne Nachprüfung und ohne Gewissensängste das dort angebotene Fleisch kaufen, weil nach Ps 24,1 die Erde und alles, was in ihr ist, dem Herrn gehört. V. 27 behandelt die Einladung zur Mahlzeit in ein Privathaus: Christen können ohne Nachprüfung und ohne Gewissensängste das dort angebotene Fleisch essen. V. 28-29a formuliert eine Ausnahme: Wenn ein Gastgeber das Fleisch ausdrücklich als Tempelopferfleisch identifiziert, dann sollen Christen das Fleisch nicht essen. In V. 29b-30 beschreibt Paulus mit zwei Fragen die Freiheit, Fleisch zu essen. In V. 31-33 und 11,1 mahnt Paulus, dass Christen immer zur Ehre Gottes handeln sollen, d.h. in untadeliger Weise und zum Nutzen der Nichtchristen, die gerettet werden sollen. Textkritische Anmerkungen. In V. 23a und V. 23b fügen א2 C3 H (P) Ψ Byz t vgcl sy nach πα' ντα das Pronomen μοι ein, wahrscheinlich im Rückgriff auf 6,12; die kürzere Lesart ist durch d46 *אA B C* D F G (33) 81 1739(c) 1881 2464 lat co u.a. gut bezeugt. In V. 24b ergänzt der Mehrheitstext das Subjekt ε«καστος, in Entsprechung zu μηδει' ς in V. 24a; die kürzere Lesart ist auch hier bestens bezeugt (d46 אA B C D* u.a.). In V. 27 ergänzen D* FG it vg sa sachlich richtig ει ς δει^πνον; die kürzere Lesart ist besser bezeugt. In V. 28 schreiben C D F G Ψ 33 1739c 1881 Byz lat syh bo das Wort ει δωλο' θυτον statt ι ερο' θυτον (d46 אA B H 1175* 1739* b sa; Ambst), eine unnötige, die Pointe verderbende Korrektur.630 Nach τη` ν συνει' δησιν wiederholen Hc Ψ Byz syh das Psalmzitat von V. 26; die frühe Bezeugung des kürzeren Textes ( אA B C* D F G H* P u.a.) legt es nahe, in diesem Zusatz eine Glosse zu sehen.631 In V. 29 ersetzen F G ar b d vgmss α»λλης durch α πι' στου (bzw. infidele) und charakterisieren damit denjenigen, der aufgrund seines Gewissens einen Einwand erhebt, als Ungläubigen; diese Lesart spiegelt eine ————————————————————
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Winter, Corinth, 288-301. Winter gründet seine Vermutung 1. auf die oben erwähnte Inschrift, die den Juden von Sardis verschiedene Rechte gewährt, u.a. das Recht, im Markt koscheres Fleisch kaufen zu können, 2. auf die Tatsache, dass in Korinth eine substantielle jüdische Bevölkerung wohnte (Philo, Leg. 281; Apg 18,4-5; Meritt, Corinth VIII, i, Nr. 111), und 3. auf das Recht der jüdischen Bevölkerung auf Zutritt zum Provinzialgericht (Apg 18,12-17; vgl. Pucci Ben Zeev, Rights, 433). Zuntz, Text, 134; Lindemann 233. Zuntz, Text, 163; Metzger, Commentary, 495.
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plausible Erklärung der Stelle,632 ist aber weniger gut bezeugt als α»λλης, das die Identität des „anderen“ offen lässt.
III 23 Der Satz „alles ist erlaubt“ (πα' ντα ε»ξεστιν) ist eine fast wörtliche Wiederholung des Slogans von 6,12 (πα' ντα μοι ε»ξεστιν). Der Satz formuliert eine Maxime, mit der Paulus das Verhalten der korinthischen Christen beschreibt. Die Wendung wird häufig auf dem Hintergrund des kynischen oder stoischen Freiheitsideals erklärt.633 Zu beachten ist allerdings, dass Paulus in V. 23 nicht von „Freiheit“ spricht, sondern von einem „Recht“ (ε ξουσι' α), das in Anspruch genommen wird. Es macht wenig Unterschied, ob man dieses Recht auf die Teilnahme am Festmahl bezieht, zu dem Lucius Castricus Regulus als Präsident der Isthmischen Spiele im nahegelegenen Poseidon-Tempel die römischen Bürger Korinths einlud,634 oder allgemeiner auf das Recht, Einladungen zu Mahlzeiten in einem der heidnischen Tempel Korinths anzunehmen. Wie in 6,12 interpretiert Paulus die (korinthische) Maxime uneingeschränkter Handlungsfähigkeit kritisch mit einem „Gegen-Satz“: aber nicht alles nützt (α λλ’ ου πα' ντα συμφε'ρει), d.h. nicht alles Verhalten ist förderlich, nicht jede Handlung nützt. Wer den „Nutzen“ empfangen soll ist nicht der Handelnde selbst (wie in 6,12), sondern der Bruder und die Schwester bzw. die Gemeinde, wie die Fortsetzung in V. 24 zeigt. In V. 23cd unterstreicht Paulus durch die Wiederholung635 der Maxime und der Hinzufügung eines sprachlich variierten, aber bedeutungsgleichen Nachsatzes die kritische Perspektive, in die er diese Maxime stellt: „Alles ist erlaubt“, aber nicht alles baut auf (πα' ντα ε»ξεστιν, α λλ’ ου πα' ντα οι κοδομει^). Paulus kontert636 das Beharren korinthischer Christen auf ihrem Recht, an Festmählern in einem heidnischen Tempel teilzunehmen, mit einem ethischen Argument: Nicht alles Verhalten „erbaut“ die Gemeinde. 24 Der verneinte Imperativ (μηδει'ς . . . ζητει'τω) und das zum dritten Mal erscheinende α λλα' unterstreichen, dass das Kriterium christlichen Handelns nicht ein Recht ist, das man besitzt. Das entscheidende Kriterium christlichen ————————————————————
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Vgl. Lindemann 233. Merklein II 272; vgl. Schrage II 463: „Der Christ braucht sich durch nichts seine Freiheit nehmen und nicht durch irgendeinen Zwang verbiegen zu lassen“. Schrage ebd. 464 widerspricht dieser Aussage, wenn er angesichts der „Nachsätze“ in V. 23b.d schreibt: „Es gibt keinen Raum der Freiheit ohne Verantwortung für andere“. Vgl. Winter, Corinth, 93-94, der die im Folgenden genannte allgemeinere Interpretation unnötigerweise ablehnt. Rhetorisch liegt Isocolon oder Parison vor; vgl. BDR §489; Lausberg, Handbuch, §719. Man beachte das zweifache adversative α λλα' in V. 23, das in V. 24 noch einmal wiederholt wird (dort verbunden mit einem Imperativ).
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Handelns ist der Nutzen für den anderen, d.h. der Nutzen für die Gemeinde: Niemand suche das Seine, sondern (jeder suche) das des anderen. Die Wendung το` ε αυτου^ bezeichnet das Eigeninteresse, das in der korinthischen Gemeinde das Handeln einzelner Christen bestimmt und nach dem sie „suchen“ (ζητε'ω), d.h. das sie erreichen und fördern wollen. Wenn W. Schrage die „Suche nach dem Eigenen“ als Suche „nach egozentrischer Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung“ beschreibt,637 dann ist dies sehr modern und psychologisierend formuliert, sachlich jedoch grundsätzlich richtig. Wenn korinthische Christen auf ihrem Recht beharren, in einem der Tempel Korinths (oder im Poseidon-Tempel in Isthmia) zu speisen (vgl. 8,7.10), dann haben sie nur ihren eigenen Vorteil (το` ε αυτου^ ) vor Augen und handeln ohne Rücksichtnahme auf den Bruder und die Schwester (το` του^ ε τε'ρου). Gerade dazu fordert Paulus die Christen in Korinth jedoch auf: Sie sollen nicht auf den eigenen Vorteil bedacht sein, sondern auf den Nutzen für die Gemeinde. Chr. Hinz schreibt zu Recht, dass es sich hierbei nicht um einen formalen Altruismus handelt, um „Kollektivgeist statt Individualismus, sondern (um) eine vom Gekreuzigten qualifizierte Agape. Sie lebt für Brüder, weil Christus für Brüder gekreuzigt ist“.638 Einige korinthische Christen hatten die imitatio Christi (vgl. 11,1; Phil 2,4.21) durch eine imitatio amicorum ersetzt, eine Nachahmung der Verhaltens von Freunden und Bekannten. Sie beriefen sich auf das säkulare Recht, das sie als römische Bürger besaßen und rechtfertigten ihre Teilnahme an Festmahlen in den örtlichen Tempeln mit dem Argument, dass Götzen „nichts“ sind. Sie handelten dabei ohne Rücksicht auf die Folgen für ihre Mitchristen (8,10) und ohne einen Gedanken an das Gerichtshandeln Gottes zu verschwenden (vgl. 10,22). S. Mitchell bemerkt, dass Christen im ersten oder zweiten Jahrhundert kaum deshalb rückfällig wurden und sich wieder dem Heidentum zuwandten, weil sie ihre Meinung im Blick auf den christlichen Glauben änderten: Es war der gesellschaftliche Druck zur Konformität, den die Institutionen der Stadt und die Aktivitäten der Nachbarn auf einen Christen ausübten, die diesen zur Aufgabe seines Glaubens bringen konnten. 639 Paulus hatte gezeigt, dass Christen, die gemäß der säkularen Maxime „alles ist erlaubt“ leben, ohne Rücksicht auf den Bruder und die Schwester zu nehmen, in die Falle des Götzendienstes geraten, der die Eifersucht des Herrn provoziert (10,1422). Im Gegensatz zu dieser Maxime orientiert sich rechtes christliches Verhalten immer (ζητει' τω ist Imp. Präs.) an dem Nutzen für den Mitchristen. ————————————————————
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Schrage II 464. Hinz, Bewahrung, 416; Schrage II 464 Anm. 497; vgl. Winter, Corinth, 95. Mitchell, Anatolia II, 10; Winter, Corinth, 95.
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25 Paulus behandelt in V. 25 einen neuen Fall: den Einkauf von Fleisch auf dem Markt. Der Fleischmarkt (μα' κελλον),640 von dem Paulus spricht, ist durch eine im Jahr 1898 gefundene Inschrift bezeugt. Der Markt wurde von Quintus Cornelius Secundus gestiftet, einem Angehörigen der gesellschaftlichen Elite der neu etablierten römischen Kolonie. 641 Der Text der Inschrift lautet: „Quintus Cornelius Secundus, Sohn des [---], vom Stamm der Aemilia, und seine Frau Maecia, Tochter des [Quintus], sein Sohn [--Cornelius Secundus] Maecianus, sein Sohn Quintus Cornelius Secundus, seine [Tochter] Cornelia [Secunda, die Frau des Quintus] Maecius Cleogenes, Freigelassener des Quintus (Maecius), [baute?] den Fleischmarkt [---] zusammen mit [---] und Vorrichtungen für Fische [-----]“. J. Schneider beschreibt die Anlage eines macellum wie folgt: „Ein rechteckiger Säulenhof mit einem Brunnen in der Mitte, über dem sich ein von Säulen getragenes Kuppeldach wölbte (Tholus); an den Seiten die Verkaufsläden; vor ihnen (wohl allgemein) Säulenhallen“.642
Paulus formuliert eine eindeutige Regelung: Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, esst (πα^ ν το` ε ν μακε'λλω, πωλου' μενον ε σθι' ετε). Diese Regelung beinhaltet, was für Paulus nicht überrascht, dass die jüdischen, kultisch begründeten Speisevorschriften, die koscheres Fleisch voraussetzen, von Christen nicht eingehalten werden müssen.643 Da das macellum in Pompeji, in der nordwestlichen Ecke des Forum gelegen, mehrere Räume enthielt, die mit dem Kaiserkult in Verbindung standen, hat man oft gemeint, dass ein macellum gewöhnlich Teil eines kultischen „Raums“ war und dass das auf einem römischen Fleischmarkt verkaufte Fleisch immer „Opfer————————————————————
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Das Wort μα' κελλον, das nur hier im NT vorkommt, ist kein lateinisches Lehnwort (macellum); das griech. Wort ist zum ersten Mal in einer um 400 v.Chr. datierenden Inschrift aus Epidaurus belegt, wo es „Umzäunung“ bedeutet (IG IV2/1, 102,107.296. 298.301). Die Bedeutung „Fleischmarkt“ ist für lat. macellum im 3./2. Jh. v.Chr. bei Plautus (Amph. 1012; Aul. 264) bezeugt. Der früheste griechische Beleg für die Bedeutung „(Fleisch-) Markt“ ist die Inschrift SIG 783 (IG V/2, 268,45) aus dem 1. Jh. v.Chr. Vgl. BDAG 611 s.v. μα' κελλον; J. Schneider, ThWNT IV, 373-374. Erstveröffentlichung in West, Corinth VIII, ii, Nr. 124.125; Kent, Corinth VIII, iii, Nr. 321. Vgl. die Diskussion in Fowler/Stillwell, Corinth I, i, 31-38.151-158; Gill, MeatMarket, 389-406; Williams, Roman Corinth, 39-40; Fotopoulos, Food, 139-142. Ruyt, Macellum, 55-61 und Koch, Macella, 208-210 identifizieren das macellum Korinths mit der Nordagora. J. Schneider, ThWNT IV, 374; vgl. auch Schrage II 465. Ausführlich K. Schneider, Art. Macellum, PW XIV.1, 129-133. Lindemann 230 sieht einen Gegensatz zum Aposteldekret Apg 15,29; differenzierter urteilt Merklein II 275. Schrage II 464 meint, „die Freiheit“ stehe auch hier „zunächst im Vordergrund“. Von „Freiheit“ (ε λευθερι'α, ε λευ' θερος) ist im unmittelbaren Kontext jedoch nicht die Rede.
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fleisch“ gewesen sei. 644 Vergleiche mit anderen macella haben jedoch gezeigt, dass man die Situation der Kleinstadt Pompeji nicht verallgemeinernd auf größere Städte übertragen darf.645 Paulus betont ausdrücklich, dass man Fleisch einkaufen kann, ohne es um des Gewissens willen zu untersuchen (μηδε` ν α νακρι' νοντες δια` τη` ν συνει' δησιν). Die Formulierung μηδε` ν α νακρι' νοντες setzt voraus, dass man im macellum unterschiedliches Fleisch kaufen konnte. Offensichtlich wurde neben Fleisch von Tieren, die außerhalb von Tempeln geschlachtet worden waren, auch Fleisch aus Tempelschlachtungen angeboten. Das Verb α νακρι' νω bedeutet hier „untersuchen, prüfen“. Der Hinweis auf das Gewissen ist nicht als Rücksichtnahme auf das Gewissen des „schwachen“ Bruders (8,713) zu verstehen. Die Formulierung legt es nahe, an das eigene Gewissen zu denken.646 Paulus sagt nicht, dass die Korinther am Gewissen vorbei handeln, sondern dass sie die Herkunft des im macellum verkauften Fleisches nicht wegen möglicher Einwände ihres Gewissens erforschen sollen. 647 Die Regelung des Falles einer privaten Einladung, bei der der Gastgeber (oder ein andere Teilnehmer an dem Festmahl) auf die kultische Herkunft des Fleisches auf dem Speiseplan verweist (10,28), legt den Rückschluss nahe, dass ein Christ, der auf dem Markt vom Fleischverkäufer auf die kultische Herkunft des angebotenen Fleisches aufmerksam gemacht wird, dieses Fleisch nicht kaufen soll.648 26 Die Begründung (γα' ρ) für die Regelung von V. 25 wird mit einem Schriftzitat aus Ps 24,1 (Ps 23,1 LXX) gegeben: Denn „des Herrn ist die Erde und ihre Fülle“ (του^ κυρι' ου η γη^ και` το` πλη' ρωμα αυ τη^ ς). Dieser Satz, der den atl. Glauben an Gott, den Schöpfer der Erde, formuliert, wurde im rabbinischen Judentum als Begründung für das Tischgebet verwendet.649 Paulus teilt die biblische und jüdische Überzeugung, dass die Schöpfung gut ————————————————————
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Vgl. Lietzmann 51-52; Schrage II 465. Das Verb πωλε' ω („verkaufen“) ist in den Papyri häufig belegt; die vielen Komposita mit -πω' λης illustrieren die Vielseitigkeit des Handels im hellenistischen Ägypten, der in Korinth nicht weniger vielseitig gewesen sein dürfte: wir finden α ρτοπω ^ λαι („Brothändler, Brotverkäufer“), ε λαιοπω ^ λαι („Ölhändler“), οινοπω ^ λαι („Weinhändler“) und λαχανοπω ^ λαι („Gemüsehändler“). Cadbury, Macellum, 141; Koch, Macella, 212-215; vgl. Lindemann 230. Merklein II 274; Lindemann 231; Garland 490; Gooch, Conscience, 247-248. Anders Schrage II 466, der in V. 25 die „Starken“ angesprochen sieht; er bezieht δια` τη` ν συνει'δησιν auf das Gewissen der „Schwachen“: „Die Freien brauchen über das gekaufte Fleisch also keine Urteile zu fällen, um eine eventuelle Beunruhigung der Gewissen von Schwachen a priori auszuschließen“. Im Text weist jedoch nichts darauf hin, dass Paulus sich an die religiös und/oder sozial „Starken“ wendet: Von „Starken“ ist in Kap. 8–10 nirgends die Rede, die Anweisung richtet sich grundsätzlich an alle Gemeindeglieder. Wolff 237; Merklein II 274; Eckstein, Syneidesis, 259-261. Koch, Macella, 218.
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ist und dass die Nahrung, die wir zu uns nehmen, von Gott kommt und mit Danksagung angenommen werden kann und soll. Er schließt aus der in Ps 24,1 formulierten Schöpfungstheologie, dass den Nahrungsmitteln, die man im Markt einkauft, kein Makel anhaftet, unabhängig davon, wie sie von anderen Menschen infolge religiöser Ignoranz missbraucht wurden. Das Fleisch, das die Korinther im macellum kaufen können, gehört Gott und nicht etwa einem der heidnischen Götter oder einem Dämon. 650 27 Die zweite Situation, für die Paulus eine Regelung formuliert, betrifft Einladungen durch heidnische Gastgeber: Wenn einer von den Ungläubigen euch einlädt und ihr hingehen wollt. Die Einladung, die ein Christ von einem Ungläubigen (τις . . . τω ^ ν α πι' στων) erhält, setzt voraus, dass dieser den bessergestellten Schichten angehört. Arme Menschen, ob Freie, Freigelassene oder Sklaven, hatten weder die Räumlichkeiten noch die finanziellen Mittel, Freunde und Bekannte zum Essen zu sich nach Hause einzuladen und Fleisch auf den Speiseplan zu setzen. 651 Das Verb καλε'ω bedeutet hier „einladen“.652 Die Wendung „wenn . . . ihr hingehen wollt“ (θε' λετε πορευ' εσθαι) unterstreicht die Entscheidungsfreiheit, die Paulus Christen bei der Frage einräumt, ob sie Einladungen zu privaten Gastmählern annehmen sollen. Die Meinung, die Formulierung zeige, dass Paulus es vorzieht, wenn sie solche Einladungen nicht annehmen oder dass er mindestens diesen reserviert gegenübersteht, 653 ist unbegründet. Paulus überlässt es der Entscheidung des Einzelnen, ob er die Einladung annimmt. Die Formulierung lässt jedoch die Möglichkeit offen, ————————————————————
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tBer 4,1; bShab 119a. Vgl. Instone Brewer, Traditions I, 72-73, der darauf hinweist, dass das Argument von Paulus an Durchschlagskraft gewinnt, wenn der Leser weiß, dass Ps 24,1 der traditionelle biblische Beleg für die Praxis war, Gott für jeden „Gang“ des Mahlzeit zu danken (ebd. 74). Vgl. Ciampa /Rosner 730. Schrage II 467 meint, Paulus übe mit seiner Verwendung von Ps 24,1 „so etwas wie eine inneralttestamentliche Sachkritik“, die „zugleich die jüdischen Reinheitsvorschriften trifft“. Merklein II 276 hält dies im Rahmen der Pluriformität, „die man dem zeitgenössischen Judentum zutraut“, für „keineswegs ausgemacht“, zumal man im Blick auf die Semantik des Satzes einen nicht realisierten Gegensatz „nicht ohne weiteres voraussetzen darf“. Zur Aufhebung der atl. Speisegebote vgl. Mk 7,1-19 (Jesus) und Röm 14,14 (Paulus). Schrage II 468-469 meint, Paulus halte es für möglich, dass Christen die Einladung zu einer festlichen Mahlzeit im Tempelrestaurant annehmen; vgl. Collins 384.387; Willis, Idol Meat, 238-239; Gooch, Food, 15-26.88-89; Conzelmann 217 und Senft 137 als Möglichkeit. Dies ist aber durch 8,10.13; 10,14 ausgeschlossen; vgl. Weiss 264; Robertson /Plummer 221; Lang 131; Fee 482-483; Wolff 238; Lindemann 232; Merklein II 277; Garland 492; Cheung, Idol Food, 156-157; Fotopoulos, Food, 241-243; Konradt, Gericht, 398. Vgl. Mt 22,3.9; Lk 7,39; 14,8-10.12-13.16. Diese Bedeutung finden wir auch in den Einladungen zu einem Festmahl in der Gegenwart eines Gottes; vgl. P.Oxy. XII 1486,1; XII 1487,1; P.Köln I 57,1. Calvin 408; Weiss 264 („nicht völlig unbedenklich“); Schlatter 304: Paulus verlange „die ernsthafte Überlegung, ob der Christ der Einladung folgen wolle“.
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dass Christen eine ausgesprochene Einladung nicht annehmen. Wenn ein Christ weiß, dass der Gastgeber heidnische Riten mit dem Gastmahl verbindet und Sklavinnen oder Prostituierte zum „vergnüglichen“ Abschluss des Mahls bereitstellt, wäre dies ein hinreichender Grund, die Einladung auszuschlagen. Die Speisen, die auf dem Menü des Festmahls stehen, sind jedenfalls kein Grund, die Einladung auszuschlagen: Esst alles, was euch vorgesetzt wird, ohne es um des Gewissens willen zu untersuchen. Paulus wiederholt die Aussage von V. 25: Die korinthischen Christen sollen die Annahme einer Einladung und das Verhalten bei einem Festmahl in einem Privathaus nicht von einer Prüfung des angebotenen Essens abhängig machen. Die Wendung „um des Gewissens willen“ (δια` τη` ν συνει' δησιν) ist auf das Gewissen des Eingeladenen zu beziehen. 654 Der Rat, von einer Prüfung des Essens abzusehen, demonstriert im Vergleich mit dem zeitgenössischen Judentum ein „erstaunliches Maß an Unbefangenheit“. 655 Die Frage, wie rigoros die Gesetze der Absonderung von Heiden anzuwenden sind, wurde allerdings im Judentum unterschiedlich beantwortet. In manchen Texten wird es Juden untersagt, zusammen mit Heiden zu speisen (Jub 22,16); Rabbi Shimeon ben Eleazar bezeichnet das Essen mit Nichtjuden als Götzendienst (tAZ 4,6). Andererseits wird in dem jüdisch-hellenistischen Roman „Joseph und Aseneth“ eine Mahlzeit beschrieben, die Joseph im Haus des ägyptischen Priesters von Heliopolis einnahm – allerdings an einem separaten Tisch (JosAs 7,1). Nach Arist 181186 gibt es keine Bedenken gegen das Essen mit Heiden, so lange die Speisegebote eingehalten werden (so auch die Regelungen in mAZ 4,9–5,10). Im Unterschied zu diesem auf den Reinheits- und Speisegeboten des mosaischen Gesetzes basierenden Verhalten ist Paulus überzeugt, dass das gemeinsame Essen von Christen und Heiden die Jesusbekenner weder verunreinigt noch sie dem Einfluss der heidnischen Götter oder der Dämonen aussetzt. 656 28 Christen können sich frei in einer Gesellschaft bewegen, in der die Verehrung heidnischer Götter eine alltägliche Wirklichkeit ist. Aber es gibt Grenzen: Christen können keinen heidnischen Tempel besuchen und dort an einem Festmahl teilnehmen (8,7-13; 10,14-22). Eine Grenze ist auch dann erreicht, wenn jemand zu euch sagt: „Dies ist Opferfleisch“. In diesem Fall gilt: Esst es nicht um dessen willen, der den Hinweis gab, und (zwar) um des Gewissens willen. Die meisten Ausleger verbinden diesen „Sonderfall“ mit ————————————————————
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Merklein II 277. Schrage II 468, mit Verweis auf Barrett, Essays, 49-51. Lindemann 232; Garland 493.
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der Einladung in ein Privathaus.657 Andere sehen in V. 28 eine generelle Regel, die sowohl auf den Einkauf von Fleisch im macellum (V. 25) als auch auf Mahlzeiten anlässlich von Einladungen ins Privathaus (V. 27) anwendbar ist.658 Weil Paulus den Informanten (τις bzw. ο μηνυ' σας) nicht beschreibt, lässt sich diese Frage nicht entscheiden. Paulus geht von dem möglichen Fall659 aus, dass jemand die angebotene Speise ausdrücklich als „Opferfleisch“ identifiziert. Der im Vergleich zu der (kritisch-wertenden) Vokabel ει δωλο' θυτον „neutrale“ Ausdruck ι ερο' θυτον660 weist darauf hin, dass die Warnung von einem Heiden ausgesprochen wird. 661 Das Szenario, das Paulus den korinthischen Christen vor Augen malt, ist nicht in allen Einzelheiten eindeutig. Es ist erstens umstritten, ob der „Informant“ 1. der Gastgeber ist, der auf die Sensibilitäten des eingeladenen Christen Rücksicht nimmt;662 2. ein heidnischer Tischgast, der den Christen auf die Probe stellen oder in freundlicher Absicht warnen will;663 2. ein miteingeladener Mitchrist, der ein „schwaches“ Gewissen hat. 664 Manche Aus————————————————————
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Weiss 264 spricht von einem „Fragment eines Tischgesprächs“; vgl. Conzelmann 217; Schrage II 462; Wolff 238; Merklein II 277; Lindemann 232. Bachmann 342; Wolter, Gewissen, 215; Willis, Idol Meat, 243; Smit, Idol Offerings, 143; Konradt, Gericht, 398. Der mit ε α' ν + Konj. Aor. formulierte Konditionalsatz beschreibt einen eventuellen oder iterativen Fall; BDR §371.4a; 373.1. Merklein II 277 meint, die Abfolge von Realis V. 27 und Eventualis V. 28 zeige, dass V. 28 nur ein Spezialfall der in V. 27 gesetzten Annahme sein kann. Dies ist weder syntaktisch noch semantisch zwingend. Die Möglichkeit bleibt, dass V. 28 einen Spezialfall der in V. 25.27 geschilderten Situationen formuliert. Das Wort ιερο' θυτον kommt nur hier im NT vor; vgl. G. Schrenk, ThWNT III, 252-253. Witherington, Thoughts, 240.247-248 sieht einen Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Vokabeln: ειδωλο' θυτον beziehe sich auf ein Tier, das in der „Gegenwart“ eines heidnischen Gottes geschlachtet und im Tempel verzehrt wird, ιερο' θυτον sei Nahrung, die vom Tempel kommt, aber nicht im Tempel gegessen wird. Kritisch Konradt, Gericht, 399 Anm. 1066. In den Papyri ist die Vokabel ιερο' θυτον bislang nicht belegt. Anders Weiss 265, der meint, ι ερο' θυτον sei im Mund eines Christen „höfliche Rücksichtnahme auf den Wirt“; vgl. Bousset 123. Craig 119; Lang 131; Witherington 227; Bultmann, Theologie, 220; Merk, Handeln, 129; Walter, Christusglaube, 100; Winter, Imperial Cult II, 175-176; Winter, Welfare, 175176. Der heidnische Gastgeber kannte die Herkunft der aufgetischten Speisen. Cheung, Idol Food, 158 Anm. 240 weist darauf hin, dass es in vielen kulturellen Kontexten Asiens vorkommt, dass ein Gastgeber seinen Gast auf die Herkunft des Essens hinweist. Der Gastgeber wurde in V. 27 mit τις eingeführt, was in V. 28 αυ το' ς erwarten ließe, wenn er gemeint ist; bei einem Bezug von V. 28 auf V. 25 und auf V. 27 verliert dieses Argument allerdings an Beweiskraft. Lietzmann 51; Fee 484; Wolff 238-239; Lindemann 233; Vollenweider, Freiheit, 222. Meyer 289; Bousset 123; Weiss 265; Godet II 64; Robertson/Plummer 221; Barrett 242; Schrage II 470; Hays 177; Kremer 220; Thiselton 787; G. Schrenk, ThWNT III, 253; Murphy-O’Connor, Freedom, 34; Eckstein, Syneidesis, 263-265; Fisk, Meat, 67. Es ist unklar, wie der miteingeladene Christ Informationen über die Herkunft der Speisen haben konnte; Collins 384 und Konradt, Gericht, 399 stellen die Überlegung an, ein christlicher
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leger lassen die Frage offen,665 andere interpretieren im Sinn eines Heiden, ohne zwischen Gastgeber oder Gast zu unterscheiden. 666 Die zuletzt genannte Alternative scheint durch die fehlende Präzision des Textes angezeigt. Zweitens, die Motive des Warners sind unklar. Das Verb μηνυ' ω wird oft in juristischem Sinn verwendet („bei einer Behörde anzeigen“, vgl. Apg 23,30), hat aber die allgemeine Bedeutung „kundtun, anzeigen, aufdecken“, die hier vorzuziehen ist. H. von Soden schreibt, dass der Hinweis auf das Opferfleisch „in wohlmeinender Rücksicht oder in lauernder Absicht oder auch etwa in naiver Äußerung der eigenen Religiosität“ gegeben worden sein konnte.667 Für die Direktive, die Paulus formuliert, spielt die Motivation keine Rolle. Drittens ist darauf hinzuweisen, dass die Antwort auf die Frage, um welches Gewissen es sich handelt, das den Ausschlag für den Verzicht auf das Essen des Fleisches gibt, mit der Identität des Sprechers zusammenhängt, der den Hinweis auf das Opferfleisch gibt (δι’ ε κει^νον το` ν μηνυ' σαντα και` τη` ν συνει' δησιν).668 Wenn es sich um einen Mitchristen handelt, soll man aus Rücksicht auf das Gewissen dieses Christen auf das Essen des als Götzenopferfleisch identifizierten Fleisches verzichten. Die Rede vom Gewissen zwingt jedoch nicht dazu, in dem ε κει^νος einen Mitchristen zu sehen. Von einem „schwachen“ und einem „starken“ Gewissen ist im Kontext nirgends die Rede. Zwei Faktoren sind zu beachten: Erstens ist das „Gewissen“ für Paulus „ein allgemein menschliches Phänomen“, 669 das im Sinn von „moralisches Bewusstsein“ interpretiert werden kann;670 zweitens ist die Annahme vorzuziehen, dass der Hinweis auf das Opferfleisch eher von dem heidnischen Gastgeber oder einem heidnischen Mitgast gegeben wurde. Das bedeutet, dass Paulus hier an das moralische Urteil eines Nichtchristen denkt, der den Jesusbekenner auf den religiösen Charakter des Fleisches hinweist. ————————————————————
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Haussklave könne solche Informationen besitzen. Ein Christ mit einem „schwachen“ Gewissen wäre der Einladung jedenfalls kaum gefolgt. Heinrici 316-317; Lindemann 232; Konradt, Gericht, 398-399. Klauck 76; Merklein II 277; Garland 494-496. Soden, Sakrament, 251; vgl. Merklein II 278. Anders Mosheim 469; vgl. Vollenweider, Freiheit, 222-223, der den Warner im Sinne eines Mitgastes interpretiert und das „Gewissen“, von dem Paulus spricht, als Gewissen der (nicht anwesenden) „schwachen Mitchristen“ versteht, die hinterher vom Verhalten des zum Gastmahl eingeladenen Christen hören. Kritisch Schrage II 470 Anm. 533, der zu Recht das και' explikativ interpretiert; Merklein II 279. Bultmann, Theologie, 218; Lindemann 233. G. Lüdemann, EWNT III, 723: συνει'δησις bezeichnet in 1Kor 8.10 „das handelnde und beurteilende (Selbst-)Bewußtsein, die Überzeugung von einer Sache, die einer bestimmten Norm entspricht und die ein bestimmtes Verhalten fordert“; vgl. Fee 485; Garland 496.
Ratschläge zu Fleisch und Götzenopferfleisch 10,23–11,1 573 ————————————————————————————————————
Wenn der Jesusbekenner konkret darauf hingewiesen wird, dass das Fleisch auf dem Speiseplan Opferfleisch aus Tempelschlachtungen ist, ist der status confessionis erreicht. Der ausdrückliche Hinweis auf die Verbindung des Fleisches mit der Verehrung eines heidnischen Gottes macht es notwendig, dass er sich als Verehrer des einen wahren Gottes und des Herrn Jesus Christus bekennt. Das heißt konkret, er soll „nicht essen“ (μη` ε σθι' ετε) und damit seine exklusive Loyalität zu dem einen wahren Gott und Herrn bekennen, der keine Kompromisse mit irgendeiner Form von Götzendienst duldet.671 Die Reaktion des Jesusbekenners auf den verbalen Hinweis auf die Identität des Fleisches ist nicht nur der Verzicht auf den Verzehr des Fleisches, sondern schließt eine verbale Erklärung ein, mit der er vor den versammelten Gästen sein Verhalten erläutert. Die Frage, weshalb Paulus Abstinenz gebietet, lässt sich gerade bei einem Heiden leicht beantworten.672 Wenn ein Jesusbekenner trotz der von einem anwesenden Heiden ausgesprochenen Warnung das Fleisch aus heidnischen Tempelschlachtungen isst, dann bestätigt er dessen religiöse Ansichten und signalisiert seine Tolerierung heidnischer Götter. Heiden brauchen keine Demonstration christlicher Freiheit, sondern ein Bekenntnis des Christen zu dem wahren Gott und dem Herrn Jesus Christus. Wenn ein Christ heidnischen Göttern geweihtes Opferfleisch isst, das als solches kenntlich gemacht wurde, kann er die heidnischen Götter nicht mehr als falsche Götter bzw. als dämonische Mächte charakterisieren. Seine Kritik an den Göttern bliebe letztlich ohne praktische Konsequenzen und könnte dann als Heuchelei gebrandmarkt werden. Deshalb verzichtet der Jesusbekenner auf das Essen von Fleisch, von dem er weiß, dass es aus heidnischen Tempelschlachtungen stammt. 29 Der Satz mit dem Gewissen meine ich nicht das eigene, sondern das des anderen stellt Paulus klar, dass es nicht das eigene Gewissen des Christen (συνει' δησιν . . . ου χι` τη` ν ε αυτου^ ) ist, von dem er in V. 28 spricht, sondern vom Gewissen des anderen, der auf die kultische Herkunft des angebotenen Fleisches hinweist. Paulus will sagen, dass das Gewissen des Nichtchristen falsche Schlüsse zieht, wenn ein Christ den Eindruck entstehen lässt, er erkenne die „Heiligkeit“ des angebotenen Fleisches an (was geschieht, wenn er das als Götzenopferfleisch identifizierte Fleisch isst). Es geht ————————————————————
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Lang 131; Wolff 239; Merklein II 278; Garland 497; Walter, Christusglaube, 100; vgl. Konradt, Gericht, 399. Anders Schrage II 470 mit Anm. 534, der gegen Lang 131 argumentiert, das Essen des Götzenopferfleisches könne gegenüber einem heidnischen Informanten „gerade die christliche Freiheit“ bezeugen. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Paulus in Kap. 10 (von V. 29 abgesehen) weder von „Freiheit“ spricht noch von „schwachen“ und „starken“ Christen. Zum Folgenden vgl. Merklein II 279; Garland 497; Cheung, Idol Food, 159.
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hier wieder nicht um das Gewissen als moralische Instanz, 673 sondern um das bewusste Urteil, das der andere fällt.674 Der Satz in V. 29b: Denn weshalb wird meine Freiheit von einem anderen Gewissen beurteilt? gilt als schwierig, was sich an der Fülle der Interpretationsvorschläge zeigt. 1. Die Aussagen in V. 29b-30 repräsentieren den Ausruf eines „Starken“, der gegen die von Paulus in V. 28 formulierte Regel protestiert.675 Gegen dieses Verständnis spricht das begründende γα' ρ (statt eines sonst zu erwartenden adversativen δε' oder α λλα' ), sowie die Tatsache, dass Paulus einem solchen Protest eine Antwort schuldig bliebe. 2. Etwas plausibler ist der Vorschlag, dass Paulus im Stil der Diatribe auf mögliche Einwände korinthischer Christen reagiert: Die Handlungskriterien, welche die in V. 29b-30 formulierten Fragen beinhalten, beschränken sich auf den eigenen Nutzen. 676 Von kritischen Reaktionen der „Schwachen“ ist im Kontext jedoch nicht die Rede. Man vermisst bei dieser Auslegung wieder ein adversatives δε' oder α λλα' , sowie eine Antwort des Apostels auf diese Einwände. 3. Wenig überzeugend ist auch der Vorschlag, dass Paulus sich an aggressive „Schwache“ wendet und sie ermahnt, die Position der Starken nicht zu bestreiten.677 4. Ebensowenig plausibel ist der Vorschlag, Paulus verteidige sein eigenes, früheres Verhalten, d.h. sein gelegentliches Essen von Götzenopferfleisch.678 Die Verwendung der 1. Pers. Plural reicht als Argument für diese Erklärung nicht aus: Wenn Paulus in 9,19-23 sich nicht selbst verteidigt, ist dies auch in 10,29-30 nicht wahrscheinlich. 5. Viele Ausleger interpretieren V. 29b-30 als Erklärung von V. 29a: Paulus stellt klar, „daß mit der Rücksichtnahme auf das Gewissen des anderen nicht die eigene Freiheit und das eigene Urteil preisgegeben wird“. 679 Diese Interpretation setzt voraus, dass es ein „schwacher Mitchrist“ ist, dessen Gewissen verletzt wird, wenn ein Christ an einer Mahlzeit teilnimmt, die von einem heidnischen Gastgeber in dessen Privathaus abgehalten wird. Diese Voraussetzung ist problematisch: Wo Paulus vom „schwachen“ Gewissen korinthischer Mitchristen spricht, geht es um die Gefahr, dass sie rückfällig werden und zum ————————————————————
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Dies ist nur der Fall, wenn der andere ein Mitchrist ist (vgl. 8,7), was jedoch nicht wahrscheinlich ist (s. zu V. 28); vgl. Merklein II 278-279. Lindemann 233, mit Verweis auf Tomson, Paul, 217. Lietzmann 52; Soden, Sakrament, 252; Merk, Handeln, 129; Klauck, Herrenmahl, 277278. Weiss 265-266 hält diese Aussagen für die Randbemerkung eines „Hyperpauliners“. Kritisch Schrage II 471-472; Merklein II 279-280; Garland 497. Oster 250; Witherington 228; Soards 217; Thiselton 790-791; Watson, Rhetorical Questions, 302-303; Gooch, Food, 92. Zur Kritik vgl. Garland 498. Grosheide 244; Héring 88; Murphy-O’Connor, Freedom, 19; kritisch Schrage II 471-471. Fee 486-487; Oropeza, Apostasy, 57; kritisch Garland 498. Schrage II 472; vgl. Barrett 243-244; Conzelmann 218-219; Lang 132; Collins 388; Willis, Idol Meat, 247-250; Cheung, Idol Food, 161.
Ratschläge zu Fleisch und Götzenopferfleisch 10,23–11,1 575 ————————————————————————————————————
Götzendienst zurückkehren, nicht um die Belastung ihres Gewissens, das Christen vermeiden sollen. 6. Überzeugender ist die Auslegung, die V. 29b30 auf V. 27 bezieht und V. 28-29a als Parenthese versteht, die eine Sondersituation beschreibt: ein Mitgeladener weist den Christen auf die Herkunft des beim Festmahl angebotenen Fleisches aus Tempelschlachtungen hin. 680 In V. 27 erlaubt Paulus den korinthischen Christen die Teilnahme an Mahlzeiten in den Häusern ihrer heidnischen Verwandten, Freunde und Bekannten: Sie können alles essen, was ihnen dort angeboten wird (außer in dem in V. 28 angesprochenen Sonderfall). In V. 29a-30 erläutert er, weshalb es erlaubt ist, alles zu essen, was von heidnischen Gastgebern angeboten wird. Die „Freiheit“ (ε λευθερι' α) des Christen ist nicht als Freiheit zum Essen von Götzenopferfleisch zu verstehen, sondern als Freiheit von der Macht der Götzen und des Götzendienstes zu interpretieren. 681 Die Freiheit von der Bindung an die Götter erlaubt dem Christen den Einkauf von Fleisch im macellum und den Genuss von Fleisch anlässlich von privaten Einladungen. Die Frage in V. 29b rechnet mit der Möglichkeit, dass diese Freiheit von einem heidnischen Bekannten, der ebenfalls zum Festmahl eingeladen ist, nicht verstanden und deshalb getadelt wird. Ph. Bachmann kommentiert, dass man dem „Gewissen“ des Heiden ein solches Urteil zuschreiben kann, wenn dieser „unter dem Zwange seines eigenen unmittelbaren sittlichen Gefühls sich selber solche Freiheit versagt“, wenn er immer noch „durch die Überzeugung von der Realität der Götzen beherrscht wird und darum nicht verstehen kann, wie der den Götzendienst verwerfende Christ doch das Opferfleisch zu genießen wagen kann“. 682 Der Jesusbekenner, der in der Freiheit des Glaubens an den Herrn Jesus Christus lebt, muss sein Verhalten nicht auf die potentiellen Gewissensgründe heidnischer Zeitgenossen einstellen. Er kann das angebotene Fleisch essen, ohne auf eine beurteilende Kritik seiner ungläubigen Bekannten Rücksicht nehmen zu müssen. 683 Damit ist die grundsätzliche Regelung nicht aufgehoben: Wenn er auf die Herkunft ————————————————————
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Craig 120; Bruce 100-101; Hays 177-178; Blomberg 203; Garland 499; Newton, Deity and Diet, 377; vgl. Merklein II 280. Vgl. Merklein II 280; Garland 499; Jones, Freiheit, 194; Tomson, Paul, 216. Anders Vollenweider, Freiheit, 222-225, der die ε λευθερι'α als gleichbedeutend mit dem Verzicht auf die ε ξουσι'α versteht, d.h. als Freiheit vom „Recht“ auf das Essen von Götzenopferfleisch; vgl. Lindemann 234. Bachmann 343. Vgl. Merklein II 280: „Es geht darum, wer oder was die Freiheit definiert. Wenn der Heide – wiederum nach seiner Norm – es als Freiheit beurteilt, wenn der Christ Opferfleisch ißt, dann hat er eben nicht erfaßt, daß für den Christen die Freiheit gerade darin besteht, daß er sich ‚von den Götzen zu Gott hingewandt hat, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen‘ (1 Thess 1,9). Freiheit besteht für den Christen nicht in der Toleranz der Beliebigkeit, sondern im Herrschaftswechsel“.
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des Fleisches aus den Tempelschlachtungen hingewiesen wird, dann soll er auf den Verzehr des Fleisches verzichten (V. 28). 30 Die Frage in V. 30 unterstreicht die Aussage von V. 29b: Wenn ich mit Dank (am Essen) teilnehme, was werde ich in üblen Ruf gebracht für das, wofür ich danke? Wenn Christen Nahrungsmittel vorgesetzt bekommen, für die sie Gott danken können, einschließlich Fleisch, das ihnen anlässlich einer Einladung im Haus eines heidnischen Bekannten serviert wird, dann gibt es keinen Grund für Angriffe von anderen. Der Ausdruck χα' ρις beschreibt hier nicht die in Jesus Christus empfangene Gnade Gottes, er ist auch kein Hinweis auf ein beim Essen gesprochenes Dankgebet, 684 sondern beschreibt eine „Grundhaltung der Dankbarkeit“,685 die Christen kennzeichnet. Der Dank für die Gaben des Schöpfers (vgl. V. 26) erlaubt es dem Jesusbekenner, alles zu essen, was ihm angeboten wird, da die von Gott kommenden Gaben weder Sünde noch von Dämonen beherrscht sind. Das Verb βλασφημε'ω bedeutet „in üblen Ruf bringen, verleumden, verunglimpfen“ und bezieht sich auf das negative Urteil des Heiden, das den Christen um seinen guten Ruf bringt, weil er ihm vorwirft, gegen die eigene (christliche) Überzeugung das vom Gastgeber angebotene Fleisch zu essen. Wenn sich ein Christ (aus der Sicht eines Heiden) „tolerant“ verhält, weil er Fleisch isst, ohne zu prüfen, ob es aus Tempelschlachtungen stammt, könnte ein Heide diesem Christen gotteslästerliches Verhalten vorwerfen, weil er gegen die christliche Überzeugung handelt, nach dem Kontakt mit Götzen konsequent zu vermeiden ist.686 Die Möglichkeit solcher Verleumdungen soll die korinthischen Christen nicht bekümmern. 31 Die mit nun (ου ν) eingeleiteten Aussagen in V. 31-33 und 11,1 ziehen aus dem Abschnitt 10,23-30 die Schlussfolgerung und beschließen zugleich die Diskussion der Frage nach dem Essen von Götzenopferfleisch in 8,1– 10,30. Paulus formuliert zunächst einen allgemeinen Grundsatz: Ob ihr nun esst oder trinkt oder sonst etwas tut – tut alles zur Ehre Gottes. Der Hinweis auf „essen“ (ε σθι' ετε), auf „trinken“ (πι' νετε) und auf „sonst etwas tun“ (τι ποιει^τε) beschreibt nicht generalisierend das christliche Verhalten, sondern ist auf die in Kap. 8–10 behandelte Thematik zu beziehen. 687 Ob sie ————————————————————
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Wolff 240; vgl. Klauck, Herrenmahl, 66-67.173-174.278-279 für die Sitte des jüdischen und auch hellenistischen Tischgebets. Kritisch Merklein II 280: „Man müßte dann schon an ein stilles Gebet denken, das aber keine Kritik hervorgerufen hätte“. Schrage II 473; Merklein II 280. Bachmann 343; Garland 499-500; Merklein II 280-281: „Erst durch den Hinweis von seiten des Heiden und durch dessen Kontrollsystem (Gewissen) wird der Christ in üblen Ruf gebracht“. Anders Schrage II 473-474, mit Verweis auf Kol 3,17.
Ratschläge zu Fleisch und Götzenopferfleisch 10,23–11,1 577 ————————————————————————————————————
Fleisch essen (10,25-27) oder in bestimmten Situationen nicht essen (8,7-13; 10,14.19-22.28), ob sie in konkreten Fällen trinken oder nicht trinken (10,21), und was immer sie sonst noch tun – sie sollen dafür sorgen, dass ihr Verhalten immer zur Ehre und Verherrlichung Gottes gereicht (πα' ντα ει ς δο' ξαν θεου^ ποιει^τε; vgl. 6,20; Röm 15,7; Phil 1,11). H. Merklein kommentiert zu Recht, dass mit diesem Grundsatz deutlich wird, dass „Paulus mit keiner der angegebenen Regelungen irgendwelche Freiräume schaffen wollte, in denen der Christ vom Gehorsam gegen Gott frei und nur seinem eigenen Belieben verpflichtet wäre“.688 Der Grundsatz, dass die Ehre und Herrlichkeit Gottes das Kriterium christlichen Handelns ist, widerspricht der Maxime korinthischer Christen, die behaupten, „alles ist erlaubt“ (10,23). Die Diskussion sexueller Freizügigkeit setzte in ähnlicher Weise mit dem Hinweis auf die Maxime „alles ist mir erlaubt“ ein (6,12) und endete mit der Mahnung, Gott (im Leib) zu verherrlichen (6,20). Es ist eben nicht alles erlaubt: Für Jesusbekenner ist nur das erlaubt, was Gottes Ehre und Herrlichkeit entspricht, bekräftigt und mehrt – ein Maßstab christlichen Verhaltens, das Götzendienst ausschließt und den Verzicht auf Fleisch aus heidnischen Tempelschlachtungen notwendig und möglich macht. 32 Das Handeln zur Ehre Gottes hat nicht nur eine innerchristliche Perspektive, sondern ist mit einem missionarischen Anliegen verbunden. Paulus formuliert dieses Anliegen zunächst im Hinblick auf das Verhalten der korinthischen Christen: Gebt keinen Anstoß, weder Juden noch Griechen noch der Gemeinde Gottes. Die Mahnung „gebt keinen Anstoß“ (α προ' σκοποι . . . γι' νεσθε), die mit einer ähnlichen Formulierung in 8,9 (vgl. Röm 14,13) im Zusammenhang mit dem schwachen Bruder verwendet wurde, ist hier auf Juden, auf Griechen und auf die Gemeinde bezogen. Die Nennung der „Gemeinde Gottes“ (η ε κκλησι' α του^ θεου^ ) neben Juden und Griechen ist der zeitlich früheste Beleg in der urchristlichen Literatur für die Tendenz, die Gemeinde der Jesusbekenner als eigenständige Größe den Juden ( Ιουδαι' οι) und den Griechen ( « Ελληνες), d.h. den Nicht-Juden, den Polytheisten gegenüberzustellen.689 Der Hinweis auf „die Gemeinde Gottes“ bezieht sich im Kontext
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Merklein II 281. Lindemann 234: „ει»τε . . . ει»τε . . . ει»τε betont hier nicht die Beliebigkeit, sondern den umfassenden Bereich der Herrlichkeit und Ehre Gottes“. Lindemann 234-245; vgl. 1,22.24; Gal 3,28; Röm 1,16. Der früheste Beleg für die Wendung ε κκλησι'α του^ θεου^ liegt in 1Thess 2,14; Gal 1,13; 1Kor 1,2; 10,32; 11,22 vor; vgl. Roloff, Kirche, 83. Von der christlichen Gemeinde als tertium genus spricht allerdings erst Clemens von Alexandrien: „Ihr aber seid es, die ihn (Gott) neu auf dritte Weise verehrt, die Christen“ (Stromata 6,5,41). Nach Merklein II 282 geht es in V. 32 „um eine Zweiteilung zwischen Juden und Griechen einerseits und der Gemeinde Gottes andererseits“.
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der vorausgehenden Aussagen auf die korinthische Ortsgemeinde. 690 Das Adj. α προ' σκοπος691 bedeutet „unversehrt, tadellos, keinen Anstoß gebend, unanstößig“. Worin der „Anstoß“ besteht, ergibt sich aus dem Kontext, der deutlich macht, dass Paulus tatsächlich überzeugt ist, dass man es allen recht machen kann, wenn man sich an die Ausführungen in Kap. 8.10 hält und seinem in Kap. 9 beschriebenen Beispiel folgt. 692 Mit dem konsequenten Fernbleiben von heidnischen Tempeln durch die Ablehnung der Teilnahme an Kult- und Gastmählern (8,1–10,22) vermeiden Jesusbekenner den schlimmsten Anstoß bei den Juden. Mit der Bereitschaft, im macellum Fleisch einzukaufen und private Einladungen zu Mahlzeiten im Haus von Verwandten und Bekannten anzunehmen und bei diesen Anlässen die angebotenen Speisen zu genießen (10,25-30), vermeiden Christen, sich aus ihrer Umgebung ganz abzusondern, was ihre heidnischen Freunde vor den Kopf gestoßen hätte. Innerhalb der christlichen Gemeinde sollen alle, gerade die schwachen Christen, mit Rücksicht behandelt werden (8,7-13). Ein Leben zur Ehre Gottes beinhaltet das Bemühen, sich so zu verhalten, dass weder Ungläubige noch Christen vor den Kopf gestoßen werden, was immer dann geschieht, wenn man sich nach eigennützigen Maximen richtet und nicht auf Rechte pocht, die man hat oder zu haben meint. 33 Im Rückgriff auf 9,22b („allen bin ich alles geworden, damit ich auf jeden Fall einige rette“) und 10,24 („niemand suche das Seine, sondern jeder suche das des anderen“) setzt Paulus das Verhalten, das er von den korinthischen Christen erwartet, mit seinem eigenen missionarischen Verhalten parallel: So wie ich in allem allen zu Gefallen lebe, indem ich nicht meinen (eigenen) Nutzen suche, sondern den der vielen, damit sie gerettet werden. Paulus lebt „in allem allen zu Gefallen“ (πα' ντα πα^ σιν α ρε'σκω): Er versucht,693 weder Juden noch Griechen einen Anstoß zu geben (V. 32). Dies hat weder mit einem zu jedem Kompromiss bereiten Opportunismus zu tun, noch mit dem Versuch, sich bei den Menschen, denen er begegnet, einzu————————————————————
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Merklein II 282; Collins 389; Garland 504; Hainz, Ekklesia, 251; Willis, Idol Meat, 256. Viele interpretieren im Kontext der „universalen Kategorien“ von Juden und Heiden auf die Gesamtkirche; vgl. Heinrici 319; Weiss 267; Klauck 77; Schrage II 475; Wolff 241. Lang 133 spricht von der korinthischen Gemeinde als „Ortsgemeinde im Rahmen der ganzen Christenheit“; vgl. Kremer 221. Im NT nur noch in Phil 1,10; Apg 24,16; vgl. 1Kor 9,12; Röm 14,13. In den Papyri bedeutet α προ' σκοπος meistens unversehrt, gesund“; die Bedeutung „ohne Anstoß, unanstößig“ liegt in P.Giss. I 79, Kol. IV,8-9 vor; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 379. Bachmann 344; Merklein II 282; vgl. ebd. für die folgenden Bemerkungen. Anders Schrage II 474-475, der von einer „Quadratur des Zirkels“ spricht und meint, dies könne „jedenfalls nicht ohne Zugeständnisse“ abgehen. α ρε' σκω ist Präsens de conatu; NSS II 80; Lindemann 235.
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schmeicheln und allen nach dem Mund zu reden. Das Bestreben, keinen Anstoß zu geben, sondern auf alle Menschen Rücksicht zu nehmen, hat deshalb Aussicht auf Erfolg, weil Paulus nicht seinen eigenen Nutzen sucht (μη` ζητω ^ν το` ε μαυτου^ συ' μφορον). Der Einsatz seines Lebens gilt dem Nutzen der Vielen (το` συ' μφορον . . . τω ^ ν πολλω ^ ν), d.h. ihrer Errettung (ι«να σωθω ^ σιν). Paulus geht es in seinem Alltagsleben nie um den eigenen Vorteil. Er ordnet sein Verhalten in allen Situationen dem missionarischen Ziel unter, Juden und Griechen mit dem Evangelium von Jesus Christus zu erreichen. Wenn man diesen Satz in den Kontext der Thematik von Kap. 8–10 stellt und den abschließenden Satz 11,1 in Betracht zieht, legt sich die Schlussfolgerung nahe, dass die Fragen, die mit dem Essen von Götzenopferfleisch zusammenhängen, einer der Ehre Gottes und dem Nutzen aller dienenden Lösung zugeführt werden können. Dies ist dann der Fall, wenn die korinthischen Christen den Blick auf das Heil ihrer ungläubigen Zeitgenossen richten. Für die Auseinandersetzungen, von denen in Kap. 1–7 die Rede war und von denen in Kap. 11–15 die Rede sein wird, gilt dies in gleicher Weise. Die von Paulus behandelten Schwierigkeiten korinthischer Christen resultieren aus dem Pochen auf Rechte, auf den eigenen Nutzen und auf der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse. Das Verhalten dieser Christen hat wenig oder überhaupt nichts mit der Ehre Gottes oder mit der Aufgabe der Mission und Evangelisation zu tun. Paulus verweist die Korinther in V. 28-30 „nicht auf den Weg gefälliger Liberalität und Toleranz, sondern auf den Weg des status confessionis“, 694 weil er selbst, wenn er „in allem allen zu Gefallen“ lebt, das missionarische Ziel verfolgt, Menschen zum rettenden Glauben an den Herrn Jesus Christus zu führen. 11,1 Paulus wiederholt zum Schluss695 des langen Abschnitts über das Götzenopferfleisch die Aufforderung von 4,16:696 Werdet meine Nachahmer, wie auch ich (Nachahmer) Christi (bin) (μιμηται' μου γι' νεσθε, καθω` ς κα γω` Χριστου^ ). Formal hat diese Aufforderung, die die Reihenfolge Gemeinde – Apostel – Christus voraussetzt, mit einer zweifachen Realität zu tun. Erstens mit der apostolischen Autorität, d.h. mit dem Auftrag des Apostels Paulus, als Repräsentant Jesu Christi die Offenbarung Christi (Gal 1,12) der Welt und der Gemeinde bekannt zu machen. Zweitens mit der Identität aller Jesusbekenner „in Christus“, die der Apostel und alle Christen gemeinsam ha————————————————————
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Merklein II 283. Dass 11,1 den Abschnitt 8,1–11,1 beschließt, ist Konsens der Exegeten. Schon Calvin 410 schrieb: „Hier sieht man, wie sinnlos oft die Kapiteleinteilungen sind, so wenn sie diesen Satz von den vorherigen trennen, zu denen er doch gehört“. Vgl. 7,7; Gal 4,12; Phil 3,17; 4,9; 1Thess 1,6; 2Thess 3,6-9.
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ben.697 Paulus fordert die korinthischen Christen nicht auf, seine Nachahmer zu werden, weil er Apostel ist, sondern weil er Nachahmer Christi ist. Die imitatio Pauli hängt an der imitatio Christi. Paulus ist den Korinthern gerade darin ein Vorbild, dass er selbst ein Vorbild hat: Jesus Christus.698 Bei der Nachahmung Christi, die das Verhalten des Apostels charakterisiert und die auch für das Verhalten der korinthischen Christen Vorbildcharakter hat, ist im Kontext von Kap. 8–10 und besonders 10,33 an seinen Verzicht auf das eigene Recht zu denken, an seine Liebe zu den Menschen, die ein συ' μφορον brauchen, und an seine Lebenshingabe zur Rettung der „Vielen“.
IV Die Frage des Verzehrs von Fleisch aus Tempelschlachtungen kommt im Zusammenhang des Verhaltens korinthischer Christen auf, die auf ihr Recht pochen, in den Tempeln Korinths zu speisen (8,9-10). Paulus bezeichnet den Besuch von heidnischen Tempeln und die Teilnahme an Festmählern, die dort veranstaltet werden, zwar nicht sofort, dann aber ohne Umschweife als Götzendienst: „Werdet nicht Götzendiener . . . fliehet vor dem Götzendienst!“ (10,7.14).699 Ein mit der Teilnahme an Banketten verbundenes Problem war ein sexuell zügelloses Verhalten, das Paulus im gleichen Kontext erwähnt: „Fliehet vor dem Götzendienst . . . Lasst uns nicht sexuell zügellos leben, wie einige von ihnen Unzucht getrieben haben“ (10,7.8). Im kulturellen Kontext des 1. Jahrhunderts waren die Teilnahme an Festmählern in Tempeln und in Privathäusern und sexuelle Ausschweifungen miteinander verbunden. Beide Verhaltensweisen gehören zum Problemfeld „Kompromiss“: Die Bedenkenlosigkeit, mit der korinthische Christen Bankette in heidnischen Tempeln besuchen und (offensichtlich) an den angebotenen sexuellen Vergnügungen ————————————————————
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Merklein II 283; vgl. Schrage II 477, der zu Recht die Vorstellung eines abgestuften Imitationsgedanken ablehnt, der für die Christen in der Gemeinde eine direkte Orientierung an Jesus Christus ausschließen würde. Vgl. Schrage II 477, der die kausale Bedeutung von καθω' ς („weil ich Christi Nachahmer bin“) mit einer komparativen Bedeutung („in dem Maße, wie ich Christi Nachahmer bin“) kombiniert. Anders z.B. Lindemann 236, der schreibt: „Das Essen im ‚Götzenhaus‘ ist prinzipiell möglich“. Dieses Verständnis der Position von Paulus geht an den Aussagen in 10,7.14 vorbei. Verfehlt ist auch die Meinung von Newton, Deity and Diet, 397-399, Paulus habe im Blick auf die Frage nach der Bewertung von Götzendienst eine „Außenseiter-Perspektive“ gehabt, die nach seiner Abreise aus Korinth den neu bekehrten Christen nicht helfen konnte, ein unlösbares Problem zu lösen – unlösbar deshalb, weil die kultische Bedeutung von religiösen Ritualen von Insidern und Outsidern unterschiedlich beurteilt werden. So richtig es ist, auf die Komplexität der Fragestellung hinzuweisen und vor oberflächlichen Lösungen „von außen“ zu warnen, so unangebracht ist es, auf biblische Antworten, theologische Maßstäbe und praktikable Handlungsanweisungen zu verzichten.
Ratschläge zu Fleisch und Götzenopferfleisch 10,23–11,1 581 ————————————————————————————————————
teilnehmen, kommt dem Rückfall in heidnische Verhaltensweisen gleich. Die Rechtfertigung, die man in der korinthischen Gemeinde offensichtlich hören konnte, kann über die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass dieses Verhalten einen Kompromiss mit den gesellschaftlichen Werten und Traditionen der heidnischen Gesellschaft im römischen Korinth darstellt. Es waren wohl vor allem zwei Gründe, mit denen korinthische Christen ihre Teilnahme an Mahlzeiten im Götzentempel rechtfertigten. Sie argumentierten theologisch, dass die heidnischen Götter keine Realität haben (8,1-6), und sie pochten auf ihr Recht als Bürger Korinths, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen (8,9; 10,23). Paulus formuliert zunächst keine Mahnungen und Direktiven, weil er theologisch überzeugen will. Er behandelt deshalb zunächst in Kap. 8 die Themen Monotheismus, göttliche Erwählung und Heiligkeit. Die Konsequenzen dieser Themen für die Frage nach dem Besuch heidnischer Tempel, nach der Teilnahme an dort veranstalteten Festmählern und nach dem Verzehr von Fleisch aus Tempelschlachtungen werden erst in Kap. 10 formuliert. Der Grund für die eher indirekte Annäherung an die am Ende doch deutlich ausgesprochenen Anweisungen ist offensichtlich darin zu sehen, dass die Korinther die Meinung des Apostels zu diesen Fragen sehr wohl kannten, aber nach seiner Abreise zu ihrem früheren Verhalten zurückgekehrt waren. Paulus will die korinthischen Christen zunächst zum richtigen theologischen Verständnis christlicher Identität zurückführen. Das Kriterium christlichen Handelns, das Paulus in 8,7-13 formuliert (und in 10,23-24 wiederholt) – der Nutzen und der Aufbau der Gemeinde – gründet auf der Liebe zu den Mitchristen, die durch das Verhalten der Christen, die auf ihr Recht zum Besuch von Götzentempel pochen, zur Sünde des Götzendienstes verführt werden könnten. Das Thema des „Rechts“ bestimmt die Diskussion in Kap. 9, in dem Paulus sein Leben als Missionar beschreibt, der auf Rechte und Freiheiten verzichtet, weil er Menschen für den Glauben an Jesus Christus gewinnen will. In Kap. 10 wird Paulus direkt: Er ermahnt die korinthischen Christen, alles zu unterlassen, was mit Götzen und Götzendienst zu tun hat. Sie sollen vor dem Götzendienst fliehen, da heidnische Kulte und Festmähler die Menschen mit dämonischen Mächten in Kontakt bringen und mit der Feier des Herrenmahls unvereinbar sind (10,14-22). Schließlich regelt Paulus die Frage, ob man Fleisch essen kann, dessen Herkunft unbekannt ist und das man auf dem Fleischmarkt einkauft oder bei einer Mahlzeit im Haus eines Bekannten serviert bekommt (10,23-30). In diesen Fällen können Christen unbedenklich Fleisch essen, es sei denn, sie werden ausdrücklich auf die Herkunft des Fleisches aus den Tempelschlachtungen hingewiesen. Paulus beendet die Diskus-
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sion mit der Mahnung, sich untadelig zu verhalten und weniger auf den eigenen Nutzen bedacht zu sein, als sich um die Errettung der ungläubigen Zeitgenossen zu bemühen (10,31–11,1). Paulus behandelt in Kap. 8–10 nicht verschiedene Themen, sondern ein Thema: Christen sollen keine Kompromisse mit den heidnischen Göttern und ihren Kulten und Tempeln eingehen. Paulus verbietet, Götzentempel zu besuchen. Er untersagt damit die Teilnahme an Festmählern, die in Tempeln heidnischer Götter stattfinden. Er gestattet den Einkauf von Fleisch im macellum: Die Herkunft des Fleisches muss den Christen nicht bekümmern. Das gemeinsame Essen mit heidnischen Bekannten in Privathäusern ist möglich. Aber Paulus verbietet den Verzehr von Fleisch, von dem bekannt wird, dass es aus den Schlachtungen heidnischer Tempel stammt. Die Applikation der Gesamtthematik und der Einzelaussagen von 8,1– 11,1 steht vor einer zweifachen Herausforderung. Zunächst ist noch einmal auf die traditionelle Interpretation dieser Kapitel hinzuweisen, die von dem Kontrast zwischen den „Schwachen“ und den „Starken“ in der korinthischen Gemeinde ausgeht und in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Recht bzw. Freiheit und ethischer Verantwortung behandelt.700 Dabei wird oft „der Theologie“ die Aufgabe zugeschrieben, die Schwachen anzuleiten und zu stärken, was bei einem Verzicht auf arrogante Selbstsicherheit Erfolg haben soll – das ist dann die „Anwendung“ von Kap. 8–10. Solche Interpretationen gehen an der Aussage des Textes vorbei, in dem weder von einer Auseinandersetzung um Rechte zwischen schwachen und starken Christen noch von der Aufgabe die Rede ist, schwache Christen zu starken Christen zu formen. Im Zusammenhang dieser Erklärung wird oft die Gefahr behandelt, dass die Gemeinde sich in Anpassung an die Umwelt auflöst oder dass sie ins Ghetto gerät.701 Wie kann man tolerante Freizügigkeit und enge Gesetzlichkeit miteinander ausgleichen? Die Relevanz von Kap. 8 wird häufig für die Behandlung der Adiaphora betont, d.h. von Grauzonen, in denen man so oder so entscheiden kann. Auch hier ist dann oft von schwachen und starken Christen die Rede, wobei die schwachen Christen im Blick auf bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Alkoholgenuss, Kinobesuch, Rauchen, Tanzen) Skrupel haben und ihren Mitchristen vorschreiben wollen, wie sie sich verhalten sollen. Es ist ganz gewiss nicht verkehrt, aus 8,7-13 und 10,31-33 grundlegende „Prinzipien“ christlichen Verhaltens zu entwickeln: Rücksichtnahme auf den Schwächeren um der Liebe willen; Vermeidung der Extreme des Hedonismus auf der einen und der Ghettoisierung auf der anderen Seite; Beschränkung der ————————————————————
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Vgl. Merklein II 284-286; vgl. ebd. zu den folgenden Bemerkungen. Vgl. Fee 491; Murphy-O’Connor, Freedom, 38; Newton, Deity and Diet, 399.
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christlichen Freiheit auf Verhaltensweisen, die von der Schrift nicht eindeutig als Widerspruch gegen Gottes Gebot gekennzeichnet werden (wie dies bei Götzendienst, Mord, Diebstahl, außerehelicher Sexualverkehr, Homosexualität, Trunkenheit, Schlemmerei der Fall ist); Priorität der eigenen Motivation („Warum handle ich so und nicht anders?“) vor dem persönlichen Nutzen („Was maximiert meine Lebensqualität? Wie weit kann ich gehen?“). Aber solche Fragen stehen für Paulus nicht im Mittelpunkt. Die Voraussetzung dieser Diskussion ist die oft vorgetragene Auslegung, Paulus erlaube grundsätzlich das Essen von Götzenopferfleisch. Die Exegese hat gezeigt, dass dieses Verständnis des Textes verfehlt ist. Für Paulus ist der Besuch eines heidnischen Tempels und die Teilnahme an einem dort veranstalteten Festmahl kein Adiaphoron, sondern eine Sünde, vor der Jesusbekenner fliehen müssen. Kap. 8 gibt für die Frage des Umgangs mit Grauzonen nicht viel her. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang immerhin der Hinweis von Kommentatoren, dass Paulus nicht so zu verstehen sei, dass die Christen mit den meisten Skrupeln das Verhalten der gesamten Gemeinde bestimmen. Bei der Rücksichtnahme auf den schwachen Bruder geht es nicht darum, dass dieser das Verhalten einiger Mitchristen nicht „gut findet“. Paulus spricht in 8,11 davon, dass der schwache Bruder das (falsche!) Verhalten von Mitchristen übernimmt, damit zum sündigen Verhalten veranlasst wird und als Konsequenz „zugrunde geht“. Das Hauptproblem, das Paulus in 8,1–11,1 behandelt, ist der Besuch korinthischer Christen in Götzentempeln und ihre Teilnahme an dort veranstalteten Festmählern. Paulus untersagt das eine wie das andere. Er stimmt dem theologischen Argument zu, dass heidnischen Göttern keine Realität zukommt. Aber er lehnt das gesellschaftliche Argument korinthischer Christen ab, die ihre Teilnahme an Banketten in heidnischen Tempeln mit ihrem „Recht“ (ε ξουσι' α) begründen. Das Pochen auf die Rechte, die man hat und die man einfordert, ist ein Kennzeichen vieler westlicher Gesellschaften. Die Aussagen in 8,7-13 unterstreichen, dass Christen, die „ohne Rücksicht auf Verluste“ auf ihren Rechten beharren, ihre Loyalität zu dem einen wahren Gott kompromittiert haben. Der Individualismus, der in solchem Verhalten zum Ausdruck kommt, steht in krassem Gegensatz zu der Priorität, die nach der Überzeugung des Apostels der geistlichen Gesundheit der Gemeinde und der Auferbauung des Bruders und der Schwester zukommt. Die zweite Herausforderung betrifft den heidnischen Kontext der Problematik des Götzenopferfleisches. Der historische „Graben“, den viele Ausleger zwischen der Götzenopferfleischthematik und der modernen, angeblich aufgeklärten Welt attestieren, wird immer mehr eingeebnet, da das christ-
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liche Abendland (das oft gar nicht so christlich war) in Europa zunehmend nur noch in der Erinnerung lebt und der Anteil von Menschen aus anderen kulturellen und religiösen Kontexten größer wird.702 Götter gibt es auch in einer säkularen Gesellschaft – es sind die Werte, die sinnstiftende Macht haben. Sie werden in von weitem erkennbaren Räumlichkeiten verehrt: „Geld“ und „Sicherheit“ in Banken, „Gesundheit“ und „Körperkultur“ in Fitnesszentren, „Spaß“ in Stadien und Freizeitparks, „Information“ im Fernsehen und im Internet. Eine Illustration für die Infiltration der Kirche durch säkulare Werte sind die „Deutschen Christen“, die nicht erkannten, dass es keine anderen Herrn neben dem Herrn Jesus Christus geben kann. Der Einfluss säkularer Werte zeigt sich auch an der Verbreitung von „Segne mich-Liedern“ und an dem Er-folg von Büchern, in denen Christen ungeniert angeleitet werden, für den sichtbaren Erfolg der eigenen Lebensplanung zu beten. Paulus betont einerseits, dass es „keinen Götzen in der Welt“ gibt (8,4-6; 10,19), d.h. er betrachtet die heidnischen Götter, die in Korinth angebetet werden, als Größen, die keine Realität haben. Andererseits bringt er die heidnischen Götter mit den Dämonen in Verbindung, deren Wirklichkeit er nicht bezweifelt (10,20-22). In der liberalen, existentiellen und postmodernen Theologie ist es Mode geblieben, den Glauben an die Existenz von Dämonen als Ausdruck mythologischer Volksfrömmigkeit und als antiquierten Aberglauben zu belächeln. Wenn je Zweifel an der Existenz böser Mächte bestanden, sollten diese durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts ausgeräumt worden sein. Die dämonischen Mächte haben im „Durchgang“ von der Antike zur Moderne nur ihre Taktik, nicht jedoch ihre Strategie geändert. Sie wollen uns nicht mit Götzenopferfleisch vom Tisch des Herrn weglocken – sie laden uns in „Tempel“ ein, in denen es vor allem darum geht, so viel Reichtum wie möglich anzuhäufen und so viel Spaß wie nur möglich zu haben, wobei jedes Mittel recht ist.703 Was macht christliche Identität in einer heidnischen Welt nach außen hin sichtbar?704 Handlungen wie Taufe, Gottesdienst und Abendmahl haben eher Binnenwirkung, sie wurden im 1. Jahrhundert von Nichtchristen der persönlichen Frömmigkeit zugeordnet. Außenwirkung hatte die Weigerung, Götzentempel zu besuchen, gegründet auf den Glauben an den einen wahren Gott, ————————————————————
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Es überrascht deshalb, dass Merklein II 284 noch im Jahr 2000 schreiben kann: „In einer Welt, in der sich niemand mehr (zumindest ausdrücklich) zu Göttern bekennt, ja viele (zumindest nach ihrer eigenen Einschätzung) nicht einmal mehr an Gott glauben, erscheint ein Text wie 8,1–11,1 wie ein Relikt aus einer vergangenen, fremden Welt. . . . Niemand hierzulande bewegt die Frage des Essens von Götzenopferfleisch“. Vgl. Hays 172-173. Für die folgende Diskussion vgl. Merklein II 288, der allerdings zu sehr auf die „hohe (aus dem Judentum adaptierte) Sittlichkeit“ der Christen abhebt.
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der im Herrn Jesus Christus und seinem Kreuzestod Heil geschaffen hat. Die Überzeugung, zur Gemeinde des Gottesvolkes der Endzeit zu gehören, zur Versammlung der Heiligen und Gerechtfertigten, die Tempel Gottes ist, in dem der Heilige Geist wohnt (3,16; 6,19), begründete und formte das Ethos der Christen. Dieses Ethos kam in der Nonkonformität konkreter Verhaltensweisen zum Ausdruck. Gerade deshalb fordert Paulus die Korinther mit Nachdruck auf, dem Götzendienst zu entfliehen (10,7.14) und sexuelle Zügellosigkeit zu meiden (10,8). Er argumentiert, dass der monotheistische Glaube der Jesusbekenner eine Exklusivität verlangt, die sich in der Trennung von der symbolischen Welt der heidnischen Kultur äußert. Der Glaube an den einen wahren Gott, der die Verehrung aller anderen Götter und Größen ausschließt, einschließlich des Kaisers und seiner Familie, führte die Christen im ersten und dann vor allem im zweiten und dritten Jahrhundert in die existentielle Gefährdung. Das moderne Pendant ist die Brandmarkung von Christen, die auf der objektiven Wahrheit des christlichen Glaubens bestehen, als ignorante und intolerante Fundamentalisten. Und das Beharren auf biblischen Werten und Maßstäben in ethischen Fragen, zum Beispiel in der Frage der Homosexualität, gerät in zunehmenden Konflikt mit Antidiskriminierungsgesetzen, deren Folgen für Christen zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch nicht abzusehen sind. Viele Christen halten Gebote und Verbote und Intoleranz für die große Gefahr. Paulus sah im Kompromiss mit heidnischen Verhaltensweisen und in der Akkommodation an säkulares Denken die größere Gefahr.705 Wenn Heiden sich zum Glauben an den einen wahren Gott und an den Herrn Jesus Christus bekehren, müssen sie nicht Juden werden – aber sie können auch keine Heiden bleiben. Die christliche Identität darf in einer toleranten polytheistischen Umwelt nicht kompromitiert werden. Die traditionelle Auslegung, dass Paulus mit den „aufgeklärten Starken“ übereinstimme und von diesen nur etwas mehr Liebe und Rücksichtnahme gegenüber den Schwachen einfordere, harmoniert auffallend mit der Tendenz protestantischer Kirchen, ihren Mitgliedern möglichst wenig zuzumuten. Paulus argumentiert jedoch nicht pragmatisch, sondern theologisch. Er ist sich ganz gewiss der praktischen Konsequenzen seines Verbots bewusst, mit dem er Christen die Teilnahme an Banketten in heidnischen Tempeln verbietet: Sie riskieren gesellschaftliche Nachteile, wenn sie auf solche Kontakte mit Verwandten und Freunden, mit Patronen und Bekannten verzichten. Für Paulus ist jedoch die Bewahrung der christlichen Identität wichtiger als die Bewahrung des gesellschaftlichen Status. ————————————————————
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Garland 392; ebd. 392-393 zu den folgenden Bemerkungen.
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Korinthische Christen rechtfertigten ihre Teilnahme an Festmählern im heidnischen Tempel mit dem Glauben an den einen Gott, der die Existenz anderer Götter ausschließt (8,1-6). Paulus argumentiert in 10,14-22, dass diese „Erkenntnis“ die Wirklichkeit nicht hinreichend erfasst. Dieser Vorgang illustriert, wie problematisch Erkenntnis sein kann, auch prinzipiell richtige Erkenntnis, wenn sie nur einen partiellen Ausschnitt der Realität wahrnimmt, relevante Aussagen der Schrift ignoriert und die Erkenntnis vor allem für den eigenen Nutzen ausschlachten will. Die Kirchengeschichte kennt viele Beispiele, wo man mit „Erkenntnis“ selbst grobe Sünden gerechtfertigt hat. Man denke nur an die Einführung der Polygamie durch Thomas Müntzer. Wer „Erkenntnis“ hat, handelt noch nicht automatisch richtig, gerade dann nicht, wenn es in der betreffenden Frage ein deutliches biblisches Mandat gibt. Paulus verurteilt konsequent den Götzendienst, aber er hat keine Berührungsängste mit der heidnischen Welt. Er ist Missionar und wird „allen alles“, um möglichst viele für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen (9,19-23; 10,32-33). Die Begegnung mit der Welt ist für den Missionar – und damit für alle Christen – ein komplexer Vorgang, „der weder in prinzipieller Öffnung zur Welt noch in prinzipieller Abgrenzung zu ihr zu bewältigen ist“. 706 Wo wir der Welt als Schöpfung Gottes begegnen, dürfen wir die guten Gaben Gottes ohne Bedenken annehmen und gebrauchen. Wie die Korinther das im Markt oder auf einem Speiseplan angebotene Fleisch nicht auf eine dämonische Herkunft überprüfen müssen, so sind wir heute nicht angehalten, an jeder Stelle nach einer möglichen „heidnischen“ Dimension zu fragen. Wo die säkulare, d.h. heidnische Sinnkonstruktion offensichtlich in gesellschaftlichen Phänomenen ist, da gebietet das Evangelium die Abgrenzung und den Verzicht. Paulus bekehrt die heidnische Gegenwelt „nicht durch Konformität, sondern durch Alternative – dies freilich nicht mit Druck (dazu hatte das Urchristentum gar keine Möglichkeit), sondern mit Überzeugungskraft der eindeutigen Entscheidung (Identität) und der besseren Lebenspraxis“. Der christliche Glaube überwindet ethnische und gesellschaftliche Barrieren. Die Freiheit des Christenmenschen bedeutet, dass es keine Rolle spielt, ob jemand Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau ist. Aber die christliche Freiheit ist nicht mit dem „Recht“ zu verwechseln, das der einzelne hat oder zu haben meint und auf das er pocht. So wie der christliche Glaube Barrieren abbaut, so richtet die christliche Identität andere Barrieren auf – gegen den Götzendienst, gegen Gottlosigkeit, gegen sexuelle Zügellosigkeit, gegen eigensüchtigen Individualismus und Materialismus. Christsein bedeutet nicht, das Recht zu haben, zu tun und zu lassen was man will. ————————————————————
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Merklein II 286; vgl. ebd. 287 für das folgende Zitat.
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Paulus beschreibt in Kap. 9 seine missionarische Arbeit als Vorbild für das Verhalten aller Christen. Er betont einerseits die Verantwortung der (Orts-)Gemeinde, für das materielle Auskommen der Apostel und Lehrer zu sorgen (9,4-14). Gleichzeitig unterstreicht er, dass er selbst von dem Recht auf Versorgung keinen Gebrauch gemacht hat (9,12b.15-18). Paulus wollte bei seiner missionarischen Pionierarbeit von lokaler Patronage frei sein. Die von Paulus bevorzugte Praxis wurde von den anderen Aposteln und Lehrern offensichtlich nicht übernommen. Sie ist auch für heutige Gemeinde- und Missionsarbeit nicht normativ. Missionare sind nicht selten gerade dort effektiv, wo sie einem Beruf nachgehen und in der verbleibenden Zeit den Menschen das Evangelium nahebringen. Pfarrer, Prediger und theologische Lehrer, die ein Gehalt beziehen, sollten sich regelmäßig bewusst machen, wer sie „bezahlt“, und sich fragen, ob die Strukturen, in denen sie arbeiten, ihnen möglicherweise die Freiheit zur Verkündigung des Evangeliums rauben und ungesunde, einschränkende Abhängigkeiten vom Geldgeber entstanden sind. Das Evangelium wird nur dort richtig verkündigt, wo es frei verkündigt wird. Die Aussagen von Paulus in Kap. 9 machen deutlich, dass authentische Verkündiger des Evangeliums die Freiheit haben, auf „Rechte“ zu verzichten, dass sie ihren Dienst ganz auf den Dienst am anderen und auf den Aufbau der Gemeinde ausrichten, und dass sie sich konsequent und mit großem Ernst der Arbeit widmen, die sich aus ihrem Dienst ergibt. Ein weiteres Thema, das sich aus 10,1-13.14-22 ergibt, betrifft das Zueinander von Sakramenten und Ethik. Der Ritus der Taufe garantiert genauso wenig das Heil (10,1-13) wie die Teilnahme am Abendmahl (10,14-22). Für Paulus steht außer Frage: Jesusbekenner halten sich von den Götzen fern und von sexuell zügellosem Verhalten fern und sie erfahren die Treue Gottes im Überwinden der Versuchung.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 Ab 11,2 behandelt Paulus mehrere Themen, die das Verhalten in den Versammlungen der Gemeinde betreffen: das Verhalten von Männern und Frauen beim Gebet und beim Prophezeien (11,2-16), die Feier des Herrenmahls (11,17-34), die Vielfalt der Gaben des Heiligen Geistes (12,1-31), die Liebe als Kriterium christlichen Verhaltens (13,1-13), und die Handhabung der Geistesgaben der Glossolalie und der Prophetie (14,1-40). Während es zutreffend ist, die Einheit dieser Themen im Bezug auf das Verhalten in den Ge-
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meindeversammlungen zu sehen, 1 so wird schnell deutlich, dass der Grund, weshalb Paulus diese Themen behandelt, nicht das Bestreben ist, eine mehr oder weniger systematische Darstellung des rechten Verhaltens im Gottesdienst zu formulieren. Es sind wieder zwei Gründe, die Paulus veranlassen, diese Themen zu behandeln: Kompromisse mit den säkularen Werten der römischen Gesellschaft (die Frage der Kopfbedeckung im Gottesdienst, 11,216), und Konflikte innerhalb der Gemeinde (die Missstände beim Herrenmahl, 11,17-34; die Gaben des Geistes in der Gemeinde, 12,1–14,40). 2 Paulus behandelt in 11,2-16 das äußerlich wahrnehmbare Verhalten von Männern und Frauen in den Versammlungen der Gemeinde. Das Verständnis des Textes hängt mit der Bedeutung von mehreren Ausdrücken zusammen, die umstritten ist – die Bedeutung von κεφαλη' („Haupt“, V. 3-5), „etwas auf dem Haupt tragen“ (V. 4), „mit unverhülltem Haupt beten oder prophezeien“ (V. 5.13), δο' ξα (V. 7), „ε ξουσι' α über ihr Haupt haben“ (V. 10), „um der α»γγελοι willen“ (V. 10), „das Haar ist ihr anstatt eines περιβο' λαιον gegeben“ (V. 15). Entscheidend für das Verständnis sind die kulturellen Hintergründe, die von Paulus stillschweigend vorausgesetzt und von den korinthischen Christen offensichtlich verstanden werden. Exegeten sind sich jedoch nicht einig, welche kulturellen Einzelheiten für die Auslegung relevant sind. Frühere Exegeten gingen bei ihrer Rekonstruktion häufig von griechischen Bräuchen im Blick auf Haartracht und Kopfbedeckung aus, manche verweisen auch auf jüdische Sitten. Die historisch-politische Situation der Stadt Korinth im 1. Jahrhundert zwingt jedoch dazu, für die Interpretation des Textes römische Sitten und Gebräuche als Vergleiche beizubringen. Während einige Ausleger meinen, es gehe primär um die Haartracht, 3 sind die meisten Exegeten überzeugt, dass es um die Frage der Kopfbedeckung geht. 4 Mit „Kopfbedeckung“ ist nicht unbedingt ein Schleier (als separates Kleidungsstück) gemeint, sondern der über den Kopf gezogene Teil des Obergewandes. Zum Hintergrund der Frage, ob man in den Gemeindeversammlungen eine Kopfbedeckung (oder einen bestimmten Haarstil) tragen soll oder nicht, gibt es ebenfalls verschiedene Meinungen. Manche Ausleger sprechen von „Emanzipationstendenzen“, die durch eine enthusiastische Einstellung korin————————————————————
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Schrage II 487; Lindemann 237. Winter, Underlays, 149-151. Klauck 78; Schrage II 493-494; Hays 185; Collins 296-401.406; Lindemann 240; Lösch, Frauen, 216-261; Isaksson, Marriage, 168-169; Martin, Interpretation, 231-241; Hurley, Veils, 195-200; Murphy-O’Connor, Sex, 482-500; Baumert, Antifeminismus, 56-65; Gielen, Beten, 223-237. Conzelmann 225; Lang 139; Strobel 166; Witherington 231-240; Wolff 246; Thiselton 823-826; Garland 506-507; Delobel, 1 Corinthians 11,2–16, 371-376; Oster, Veils, 481505; Perriman, Head, 621; Belleville, Head Covering, 217-221.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 589 ————————————————————————————————————
thischer Christen ausgelöst wurden, 5 die manchmal mit charismatischen Betonungen,6 manchmal mit einer „überrealisierten Eschatologie“ verbunden werden.7 Da Paulus die Verschiedenheit von Mann und Frau betont, schließen viele Ausleger, dass es in der korinthischen Gemeinde Tendenzen gab, diese Unterscheidung aufzuheben.8 M. Gielen meint, korinthische Frauen hätten infolge einer innovatorischen Interpretation von Gal 3,28 das typisch weibliche Geschlechtssymbol langer Haare abgelehnt und sich für eine Kurzhaarfrisur entschieden, um damit die Aufhebung der mit den traditionellen Rollenvorgaben gegebenen Unterprivilegierung durch die neue Identität „in Christus“ unter Beweis zu stellen.9 Viele Ausleger scheinen die archäologischen Quellen nicht zu kennen, 10 die die Praxis der Kopfbedeckung von Männern und Frauen erhellen und relevanter sind als Parallelen bei Philo, Tertullian, der Gnosis oder in rabbinischen Texten.11 Statuen, Reliefs und Münzen zeigen, dass Männer bei religiösen Handlungen, vor allem bei Gebets- und Opferhandlungen, eine Kopfbedeckung trugen, und dass Frauen, die ihren Kopf bedeckten, als Modell der vorbildlichen Ehefrau galten. Die Bedeutung, die das Verhalten und die Kleidung von Männern und von Frauen in der Öffentlichkeit und bei religiösen Anlässen hatte, wird von Neutestamentlern häufig unterschätzt. Kein Kommentar hat bisher auf die in der Altertumsforschung seit langem bekannte Einrichtung des Amtes eines γυναικονο' μος verwiesen. Die Inhaber dieses seit dem 4. Jahrhundert v.Chr. belegten städtischen Amtes waren dafür verantwortlich, für die Einhaltung der Luxusgesetze zu sorgen, übermäßige Ausgaben von Frauen für Kleider anlässlich von religiösen Festen zu drosseln, die Zurschaustellung von Reichtum einzuschränken, zuchtvolles Verhalten der Frauen zu fördern und die Kleiderordnung für Prozessionen zu regeln.12 ————————————————————
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Heinrici 322; Lang 138. Schlatter 309; Schrage II 495. Fee 498; Thiselton, Eschatology, 521; Murphy-O’Connor, Sex, 490. Schlatter 309; Senft 141; Belleville, Head Covering, 230-231. Gielen, Beten, 231-237. Weiss 271 und Bruce 104 sprechen im Zusammenhang von 11,4 von einer rein hypothetischen Aussage, Fee 506 von Spekulationen der Ausleger, und Schrage II 494 Anm. 36 bezeichnet David Gills reich dokumentierte Diskussion des historischen Hintergrundes der Funktion von Kopfbedeckungen in der römischen Gesellschaft als „phantasiereiche These“. Gill, Head Coverings, 245-260; Oster, Veils, 481-505; ders., Use, 68-69; Winter, Corinth, 120-141; ders., Roman Wives, 77-96. Neuere Arbeiten zu Fragen der Kleidung in der römischen Gesellschaft sind Sebesta/Bonfante, Roman Costume (1994); Croom, Clothing (2000); Llewellyn-Jones, Women’s Dress (2002); Pomeroy, Spartan Women (2002). Winter, Roman Wives, 85, mit Verweis auf Cartledge/ Spawforth, Sparta, 200-201; Ogden, Women’s Dress, 203-226; Pomeroy, Spartan Women, 127-128; vgl. auch Garland, Gynaikonomoi, 71-176; H. Bellen, Art. Gynaikonomoi, KP II, 893; P. J. Rhodes, Art. Gynaikonomoi, DNP V, 36.
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Dieses Amt, das mit Strafbefugnis ausgestattet war, ist bis ins 2. Jahrhundert n.Chr. in Griechenland und in Kleinasien belegt. 13 Weshalb Paulus den Männern und Frauen unterschiedliche Direktiven gibt, muss im Verlauf der Auslegung geklärt werden. Der ausführliche Kommentar über Frauen, die ihr Haupt nicht bedecken wollen (V. 5b.6), hat viele Ausleger zu der Meinung veranlasst, dass das Verhalten der Frauen in der Gemeindeversammlung im Mittelpunkt steht. Die in V. 4-15 wiederholt durchgeführten parallelen Aussagen über Männer und Frauen machen diese These eher unwahrscheinlich. V. 4 jeder Mann . . . schändet sein Haupt V. 5 jede Frau . . . schändet ihr Haupt V. 7a der Mann ist Abglanz Gottes V. 7b die Frau ist Abglanz des Mannes V. 11a im Herrn ist die Frau nichts ohne den Mann V. 11b im Herrn ist der Mann nichts ohne die Frau V. 12a die Frau ist aus dem Mann V. 12b der Mann ist durch die Frau V. 14 es ist für den Mann eine Schande V. 15 es ist für die Frau eine Ehre
Die Diskussion der Kopfbedeckung des Mannes hat mit der Symbolik des Auftretens von Männern bei religiösen Handlungen in paganen Tempeln zu tun: Die Kopfbedeckung von Männern, die offiziell an Opferhandlungen beteiligt waren, signalisierte gesellschaftlichen Status. Die Kopfbedeckung von Frauen ist mit der Symbolik von Geschlechtsrollen verknüpft und hat mit Vorstellungen von Scham, Schande und Ehre zu tun, was der Verweis auf kahlgeschorene Frauen in V. 5-6 deutlich macht. 14 In der römischen Gesellschaft symbolisierte das Familienoberhaupt – Ehemann, Vater der Kinder und Haushaltsvorstand – die Ehre der Familie. Von Familienangehörigen wurde erwartet, dass sie sich in der Öffentlichkeit so verhalten, dass sie dem Familienoberhaupt und der Familie keine Schande bereiteten. M. Kaser kommentiert: „Eine Minderung der Ehre beeinträchtigt die gesellschaftliche und häufig
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Aristoteles, Pol. 1300a; Plutarch, Solon 21.84.361; I.Cret. IV 252; I.Milet 264; I.Ilion 10; IG V/1 1390; Artemidorus von Daldis, Onei. 2,30. Im hellenistisch-römischen Sparta hatte der Inhaber dieses Amtes fünf als συνγυναικονο' μοι bezeichnete Juniorkollegen, vgl. IG V/1 170.209; SB 9559; SEG XI 493.500.626.627.629. Vgl. Kaster, Shame, 1-19 zu der Bedeutung von Scham in der römischen Gesellschaft. Scham (pudor) ist das Missfallen über sich selbst, verursacht durch die Verletzlichkeit, die eine gerechtfertigte Kritik auslöst, welche gesellschaftlich herabwürdigt.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 591 ————————————————————————————————————
auch die rechtliche Stellung der Person“.15 Die Rechtsfolgen des Ehrverlusts (ignominia, infamia) waren nicht einheitlich geregelt und hingen von der konkreten Situation ab. Sie betrafen schimpflich entlassene Soldaten, Prostituierte, Kuppler, Schauspieler, Personen, die die Trauerzeit bei der Schließung einer zweiten Ehe verletzten oder die in Konkurs geraten waren. Neben die zensorische Missbilligung konnte die Unfähigkeit zu den Munizipialämtern und der Ausschluss vom Geschworenenamt, vom Zeugendienst in Prozessen oder vom Anklagerecht treten. Römische Statuen, allen voran Portraits der Frauen der kaiserlichen Familie16 sowie Grabreliefs,17 die verheiratete Frauen darstellen, lassen deutlich die über den Kopf gezogene Stola oder palla bzw. die Haarbinde (vitta) erkennen – ein Symbol für die Sittsamkeit (pudicitia) und Keuschheit einer verheirateten Frau (im Unterschied zur unverheirateten und zur schamlosen Frau).18 Viele Grabinschriften für Frauen sowohl der Oberschicht als auch der niedrigen Schichten priesen die Tugenden der Sittsamkeit, Keuschheit, Treue, Fleiß, Ehre und Gehorsam gegenüber dem Ehemann.19 Eine gewisse Postumia Matronilla wurde mit folgender Inschrift geehrt: „Sie war eine unvergleichliche Gattin, gute Mutter, überaus liebevolle Großmutter, züchtig, fromm, fleißig, brav, energisch, wachsam, besorgt; sie war nur einmal verheiratet, teilte nur mit einem das Lager; sie war eine Frau voller Tatkraft und Verlässlichkeit“ (DE 8444). Einer Frau namens Pontia wurde ein Grabstein gesetzt, auf dem es u.a. hieß: „Welch große Liebe, wie geschätzt ihre Rechtschaffenheit beim Gatten, wie keusch ihr Wesen, wie groß auch gerade ihr Schamgefühl! Nichts Abstoßendes gab es an dir, in deinem Charakter keinen Fehler, du gehorchtest willig und galtest als die Dienerin des Mannes“ (CE 1846).20 Die Ehefrau eines römischen Bürgers (matrona) trug über der tunica eine stola. Ausserhalb des Hauses trug eine Frau über der tunica und stola die palla, ein großes rechteckiges Tuch aus Wolle, Leinen oder Seide, das auf verschiedene Weise drapiert werden konnte. Es wurde oft über beide Schultern geschlagen oder auch so getragen, ————————————————————
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Kaser, Privatrecht I, 274 (§64.III.2); ebd. für die folgende Feststellung. Zur infamia als Rechtsfolge eines Ehebruchverfahrens vgl. Mette-Dittmann, Ehegesetze, 67-73. Vgl. auch C. Ebner, Art. Infamia, DNP V, 992. Wood, Imperial Women, 98.159. Zur Darstellung der Frauen des Kaiserhauses auf Münzen und in Ehreninschriften siehe Hahn, Frauen; ebd. 189 zu Iulia Agrippina. Kockel, Porträtreliefs, 52. MacMullen, Women, 208; Fantham u.a., Women, 232; La Follette, Costume, 55-56; Sebesta, Symbolism, 48-49; Davies, Clothes, 227-242; Winter, Roman Wives, 78-85. Vgl. CIL VI 10230; VI 1527; VI 9499. Vgl. Fantham u.a., Women, 314-321. Zum rechtlichen Kontext der pudicitia der ehrbaren römischen Frau in der Ehegesetzgebung des Augustus vgl. Mette-Dittmann, Ehegesetze, 40-41. Vgl. Blank-Sangmeister, Frauen, Nr. 15, 17.
592 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— dass die rechte Schulter frei blieb und das Tuchende auf der linken Schulter oder auf dem linken Arm ruhte. Die verheiratete Frau verhüllte in der Öffentlichkeit außerhalb des Hauses ihren Kopf mit einem Teil der palla.21 Texte und Portraitreliefs belegen: „Die Bedeckung des Hauptes galt als Zeichen der sittenstrengen matrona. . . . In diesem Sinn ist auch die hochgeschlagene palla der auf den Reliefs dargestellten Freigelassenen zu verstehen. Sie wollen sich als ehrbare Ehefrauen von dem sprichwörtlich unmoralischen Leben der Sklaven absetzen. Die palla signalisiert für ihre Trägerin Eigenschaften wie casta und pudens, die auch in den entsprechenden Grabinschriften oft wiederholt werden“.22 Als vitta bezeichnet man die Kopf- bzw. Haarbinde, die so um den Kopf getragen wird, dass die Enden seitlich herabhängen oder um die herabhängenden Enden der Stirnbinde (infula) gewunden sind. Das mit vittae gebundene Haar war ein auffallender Haarstil, der generell die verheiratete Ehefrau kennzeichnete.23 V. Kockel, der die Porträtreliefs der spätrepublikanisch-frühkaiserzeitlichen Zeit untersucht hat, unterstreicht, dass man mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, daß jene Frauen, deren Kopf die palla bedeckt oder die eine stola oder vittae tragen, auch verheiratet sind.24
Judith Sebesta schreibt in einer neuen Studie zur Symbolik der Kleidung der römischen Frau, dass der „Schleier“ bzw. die über den Kopf gezogene Stola die Autorität des Ehemannes über die Frau symbolisiert, während die Weigerung, den Schleier zu tragen, einem Rückzug aus der Ehe gleichkam. 25 Einer des Ehebruchs überführten Frau war es untersagt, die Stola der verheirateten Frau zu tragen; sie musste die einfache toga tragen.26 Die Hinweise auf die Kopfbedeckung der Frau signalisieren den Lesern, die in der Gesellschaft des römischen Korinth zuhause sind, dass Paulus von Ehefrauen spricht. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Thema des Abschnitts nicht die Unterordnung der Frau unter ihren Ehemann ist, wie die Betonung der ————————————————————
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S. Oppermann, Art. Palla, KP IV, 429; R. Hurschmann, Art. Pallium, DNP IX, 201; Scholz, Untersuchungen, 10; Böhme-Schönberger, Kleidung, 28-29; Sensi, Ornatus, 5590; Kockel, Porträtreliefs, 25-31.50-53; Nold, Äusser(lich)es, 54. Kockel, Porträtreliefs, 50-51. W. H. Gross, Art. Vitta, KP V, 1313; A. V. Siebert, Art. Vitta, DNP XII.2, 270. Gross meint, die vitta sei vor allem kultischer Schmuck; Wood, Imperial Women, 159 beschreibt sie als identifizierendes Merkmal einer verheirateten Frau; ebenso Sebesta, Symbolism, 49, mit Verweis auf Ovid, Ars 3,483 (vittae honore); Plautus, Mil. 790-793. Kockel, Porträtreliefs, 52; er weist darauf hin, dass die Umkehrung nicht gleichermaßen gilt, weil in der augusteischen Zeit Frauen die stola trugen, die nicht zur Oberschicht gehörten, aber deren Statussymbole usurpieren wollten. Sebesta, Symbolism, 48-49, mit einem Hinweis auf Valerius Maximus, Facta et dicta 6,3,10, der die Geschichte von Sulpicius Gallus erzählt, einem Konsul des Jahres 166 v.Chr., der sich von seiner Frau scheiden ließ, weil sie das Haus ohne Kopfbedeckung (capite aperto) verließ. Siehe dazu auch Winter, Roman Wives, 81-82. Marquardt, Privatleben, 44; Sebesta, Symbolism, 50. Vgl. Juvenal 2,68; Martial 2,39; 10,52; Cicero; Phil. 1,18,44.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 593 ————————————————————————————————————
gegenseitigen Abhängigkeit von Männern und Frauen in V. 11-12a zeigt. Die These, es handele sich in dem Abschnitt 11,2-16 um eine Interpolation, 27 ist unbegründet.28 Die feministische Bewegung und die konservative Reaktion haben die immense Literatur zu diesem Text in den letzten Jahren zusätzlich vermehrt. Der Text gliedert sich in drei Abschnitte: Paulus behandelt in 11,2-6 zunächst die Sitte der Kopfbedeckung beim Beten und Prophezeien: Die Männer sollen das Haupt nicht bedecken, die Frauen sollen eine Kopfbedeckung tragen. In 11,7-12 begründet Paulus die genannte Regelung mit dem Hinweis auf die Zuordnung von Mann und Frau. In 11,13-16 kehrt Paulus zum Thema der Verhüllung zurück und appelliert an die Einsicht der korinthischen Christen. Versuche einer rhetorischen Gliederung haben zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Manche gliedern in V. 2 prooemium, V. 3 propositio, V.4-12 argumentatio und V. 13-16 peroratio.29 Andere gliedern in V. 2 propositio, V. 5 narratio, V. 6-9 probatio, V. 10 probatio.30
Die Sitte der Kopfbedeckung 11,2-6 I 2 Ich lobe euch aber, dass ihr in allem an mich denkt und so, wie ich sie euch überliefert habe, die Überlieferungen festhaltet. 3 Ich will aber, dass ihr wisst, dass jedes Mannes Haupt Christus ist, Haupt der Frau aber der Mann, Haupt Christi aber Gott. 4 Jeder Mann, der betet oder prophetisch redet und dabei etwas auf dem Haupt trägt, schändet sein Haupt. 5 Jede Frau aber, die mit unverhülltem Haupt betet oder prophetisch redet, schändet ihr Haupt; sie ist in diesem Fall ein und dasselbe wie die Kahlgeschorene. 6 Wenn nämlich eine Frau sich nicht verhüllt, soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen; wenn es aber schändlich ist für eine Frau, sich die Haare abschneiden zu lassen oder sich kahlscheren zu lassen, soll sie sich verhüllen.
II Paulus beginnt den Abschnitt mit einer captatio benevolentiae, mit der er die korinthischen Christen für ihre Fürbitte und für die Befolgung der Traditionen ————————————————————
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Vgl. jüngst Walker, Interpolations, 91-126. Schrage II 496-497; Wolff 243; Lindemann 239; Murphy-O’Connor, Interpolations, 8790; Mitchell, Rhetoric, 261-262. Sandt, Eenheid, 411. Schenk, Korintherbriefe, 628. Kritisch Schrage II 490-491.
594 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
lobt, die er ihnen überliefert hat (V. 2). Das Lob, das Paulus den korinthischen Christen ausspricht, weist keinen Bezug auf das in den folgenden Versen behandelte Thema auf. Mit einer programmatischen Aussage beschreibt Paulus die Beziehung zwischen Mann und Christus, Frau und Mann, Christus und Gott (V. 3). Die Frage, ob Männer und Frauen eine Kopfbedeckung tragen sollen, wenn sie beten und prophetisch reden, wird unterschiedlich beantwortet: Männer sollen ihr Haupt nicht bedecken (V. 4), während Frauen ihr Haupt bedecken sollen (V. 5a).31 Gliederung. V. 2 ist eine captatio benevolentiae. V. 3 führt das Stichwort κεφαλη' ein, das auf die Beziehung zwischen Mann, Frau, Christus und Gott bezogen wird. V. 4-6 benennen die Konsequenzen für die Frage nach dem Tragen einer Kopfbedeckung: Männer sollen keine Kopfbedeckung tragen, Frauen sollen ihr Haupt beim Beten und beim Prophezeien verhüllen. Textkritische Anmerkungen. In V. 2 fügt die Mehrheit der Textzeugen nach υ μα^ς das Wort α δελφοι' ein (D F G Ψ 33 Byz latt sy); da dieses Wort zu Beginn der Abschnitt 10,1 und 12,1 vorkommt, wäre es unerklärlich, weshalb es in 11,2 ausgelassen werden würde; die gut bezeugte kürzere Lesart (d46 א A B C u.a.) ist ursprünglich. Die Auslassung des Artikels in dem Ausdruck ο Χριστο' ς kommt zwar in einer frühen Handschrift vor (B* D* F G), aber der Artikel ist besser bezeugt (d46 אA Bc C D2 Ψ 33 u.a.).
III 2 Paulus lobt (ε παινω^ ) zunächst die korinthischen Christen dafür, dass sie in allem an ihn denken32 und die Überlieferungen (αι παραδο' σεις) festhalten, ————————————————————
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Die These von Schirrmacher, Schleier, 4-9.20-25.81, Paulus stelle in V. 4-9 die Argumentation der Korinther dar, die er in V. 10-15 ablehne (Paulus selbst hält eine Verschleierung der Frau nicht für notwendig), lässt sich am Text nicht verifizieren. In V. 4-9 weist keine einzige Formulierung darauf hin, dass Paulus die korinthischen Christen zitiert oder ihre Meinung wiedergibt. Die Auskunft, die „Zitattheorie“ könne den „Widerspruch zwischen dem ersten und dem zweiten Teil“ des Textes am besten lösen, ist schon deshalb nicht haltbar, weil sie die Möglichkeit nicht in Betracht zieht, dass ein solcher Widerspruch durch das vorausgesetzte Verständnis von V. 13-16 erst entsteht. Zur Kritik vgl. R. Gebauer, JETh 9 (1995) 236-238. πα' ντα ist Akkusativ der Beziehung; vgl. NSS II 81; Schrage II 499 Anm. 55. Das Verb μιμνη,' σκομαι kommt bei Paulus nur hier vor. Arzt-Grabner 380 macht auf die Tatsache aufmerksam, dass das Medium μιμνη,' σκομαι in den Papyri häufig im Sinn einer Aufforderung des Briefpartners an den Adressaten bezeugt ist, an ihn zu denken (P.Ryl. II 235,12-14; P.Tebt. II 420,17-19 u.a.), sowie im Zusammenhang von Klagen, dass der Adressat nicht an den Briefschreiber gedacht hat (P.Flor. III 367,9-10; P.Oxy. VII 1070 verso, 47-50). Diese Beispiele illustrieren, „dass ein An-den-Briefpartner-Denken nicht im Verborgenen geschieht, sondern durch mündlichen oder brieflichen Kontakt zum Ausdruck gebracht wird“ (ebd.).
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 595 ————————————————————————————————————
die Paulus ihnen überliefert (παρε'δωκα) hat. Der Verweis auf die Überlieferungen ist wahrscheinlich allgemein auf die Lehrinhalte zu beziehen, die Paulus in Korinth unterrichtet hat und die zum Allgemeingut der christlichen Gemeinden gehören (vgl. 11,23; 15,3; vgl. 2Thess 2,15; 3,6; Röm 6,17).33 Ein Bezug auf die Lehre von der Gleichheit von Männern und Frauen „im Herrn“ (vgl. Gal 3,28) und die Beteiligung von Männern und Frauen im Gottesdienst ist angesichts des ausgesprochenen Lobs und der in den folgenden Versen behandelten Schwierigkeiten weniger wahrscheinlich. Die Vermutung, dass sich das Lob auf den Brief bezieht, in dem die Korinther Paulus um seine Meinung zu verschiedenen Lehrfragen gebeten haben, 34 lässt sich nicht belegen. Das πα' ντα ist nicht „vollmundig“,35 sondern im Zusammenhang einer captatio benevolentiae als „Lob des Publikums“ zu verstehen, das als kluges Mittel eingesetzt wurde, wenn man eine deutliche Kritik formulieren wollte (Plutarch, Mor. 73C-74E). Zu beachten ist auch, dass Paulus nicht sagt, dass sie sich „in allem“ an die Überlieferungen halten, die er ihnen weitergegeben hat. Mit Lob und mit dem Hinweis auf das Halten36 der Überlieferungen will Paulus erreichen, dass die Korinther die in den folgenden Sätzen formulierte Position akzeptieren und ihr Verhalten entsprechend modifizieren. 3 Mit der Wendung ich will aber, dass ihr wisst (θε'λω δε` υ μα^ς ει δε'ναι; vgl. Kol 2,1) leitet Paulus die folgende Aussage ein, die offenbar nicht zu den Überlieferungen gehört hatte, die den korinthischen Christen bekannt waren. Inhalt des Wissens, das Paulus mitteilt, sind entweder die Aussage in V. 3b oder die Aussagen in V. 3b-5. Paulus benennt in V. 3b drei Beziehungen:37 Jedes Mannes Haupt ist Christus, Haupt der Frau aber der Mann, Haupt Christi aber Gott. Unklar ist, ob mit πα^ ς nur verheiratete, zum Glauben an Christus bekehrte ————————————————————
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Von παραδο' σεις (Pl.) spricht Paulus noch in 2Thess 2,15; 3;6 sowie Gal 1,14; Kol 2,8 (pharisäische bzw. jüdische Überlieferungen); vgl. auch 1Thess 4,1; Phil 4,8-9; Mt 15,2; Mk 7,5. Zum Thema s. unten zu 15,3. Wolff 248; Goppelt, Tradition, 226; Wolter, Paulustradition, 126 mit Anm. 47. Anders Wegenast, Tradition, 111-112, der meint, Paulus erkläre sich selbst als Quelle der Tradition; ähnlich Schrage II 500 Anm. 61. In den Papyri bezeichnet παρα' δοσις immer eine „Übergabe“ von Gegenständen, z.B. eine Ablieferung oder den Transport von Waren, Schiffsfrachten, Geld, Land oder straffällig gewordenen Personen; entfernt vergleichbare Belege betreffen das „Übergeben“ von Schriftstücken (P.Fam.Tebt. 15,65.95.101.123-124 u.a.); vgl. Arzt-Grabner 381. Thiselton 810, mit Verweis auf Hays 181-184. Schrage II 499, der sich fragt, ob das in der captatio benevolentiae von Paulus ausgesprochene Lob wirklich cum modo, d.h. „klug und maßvoll“ (Lausberg, Handbuch, 158) ist. Das Verb κατε' χω meint nach Schrage II 500 Anm. 60 „nicht das theoretische Festhalten der Belehrungen im Gedächtnis, sondern die praktizierte Übung im Verhalten“. Mit einleitendem ο« τι rezitativum.
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Männer gemeint sind, oder ob Paulus auch an die Unverheirateten und die Ungläubigen denkt. Die Formulierung παντο` ς α νδρο' ς lässt zunächst an alle Männer denken, zumal nicht nur verheiratete Gläubige beten und prophetisch reden.38 Manche argumentieren mit dem Hinweis auf die Schöpfungsmittlerschaft Christi (8,6) und seine Präexistenz (10,4), dass nicht nur Gläubige gemeint sind. Andererseits wird der Frau ο α νη' ρ zugeordnet: Der Artikel wird hier den Sinn eines Possessivpronomens haben.39 Wenn man mit V. 7-9 von der Schöpfung her denkt, legt sich ebenfalls der Bezug auf den Ehemann nahe (vgl. V. 5, wo mit κεφαλη' der Mann gemeint ist). Die Formulierung, dass Jesus Christus das „Haupt der Gemeinde ist“ (Kol 1,18; Eph 1,22; 4,15; 5,23), legt es nahe, primär an Gläubige zu denken. 40 Die Frage, was κεφαλη' („Haupt“) bedeutet, wird in der exegetischen Literatur intensiv diskutiert. Drei metaphorische Bedeutung werden vorgeschlagen: 1. „Herrschaft“,41 2. „Ursprung“,42 3. „vorrangige Stellung“.43 Die erste Bedeutung ist vor allem (aber nicht nur) im atl.-jüdischen Sprachraum belegt, bezeichnet dort jedoch die Herrschaft über eine Gruppe von Menschen, nicht über Einzelpersonen. Die zweite Bedeutung scheint im Licht des weiteren Arguments in V. 7-9 plausibel zu sein, wo Paulus im Rückgriff auf die Schöpfungsgeschichte in Gen 1–2 die zeitliche Abfolge der Erschaffung des Mannes, dann der Frau betont: Der Mann begründet die Existenz der Frau und ist in diesem Sinn ihr „Ursprung“.44 Die Schwierigkeit der zweiten Bedeutung liegt aber zum einen darin, dass sie in der LXX nicht bezeugt ist, zum anderen in der semantischen Überlegung, dass die Bedeutung „Ursprung“ nicht im Sinn von „Quelle, aus der etwas entsteht“ verstanden werden muss, sondern auch den Sinn „vorrangige Stellung“ haben kann. Der Hinweis auf Gen 1–2 dient nicht dem Argument, die schöpfungsgeschichtliche Priori————————————————————
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Conzelmann 224-225; Schrage II 500-501; Gielen, Beten, 237. Vgl. HS §131a.c, 140d: „Eine naturgegebene Zugehörigkeit kann – wie im Deutschen – durch den blossen Artikel ausgedrückt werden“. Wenn Schrage II 501 diese Parallelen mit dem Hinweis abtut, dass die Formulierung „deuteropaulinisch“ sei, dann ist das schon deshalb kein Argument, weil Kol 1,18 im Kontext des Christushymnus als vorpaulinische Tradition gilt. Grudem, Κεφαλη' , 38-59; ders., Meaning, 3-72; Fitzmyer, Another Look, 503-511; ders., Kephale, 52-59; Turner, Modern Linguistics, 165-172; Wolff 248. Zur Diskussion vgl. Perriman, Head, 602-610. Bedale, Meaning, 211-215; Scroggs, Eschatological Women, 298-299; Kroeger, Concept, 267-283; Belleville, Head Covering, 228-230; H. Schlier, Art. κεφαλη' , ThWNT III, 678; Barrett 248; Fee 502-505; Schrage II 501-504. Kritisch Turner, Modern Linguistics, 169170; Perriman, Head, 610-617. Cervin, Κεφαλη' , 85-112; Perriman, Head, 616-619; Dawes, Body, 126-133; GundryVolf, Gender, 158-159; Belleville, Head Covering, 227-229; Lindemann 240; Thiselton 812-822; Garland 512-516. Gielen, Beten, 239-240; vgl. Weiss 269-270; Thüsing, Per Christum in Deum, 24-28.
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tät des Mannes zu erweisen, sondern das behandelte Thema in der Schöpfung zu gründen.45 Die dritte Bedeutung ist am plausibelsten. Die Metapher „Haupt“ beinhaltet eine kohärente Reihe von Bedeutungen, die mit „vorrangige Stellung“ zusammengefasst werden können: a) die physische Spitze eines Objekts, z.B. eines Berges oder Flusses; b) in abstraktem Sinn das, was an erster Stelle steht, in räumlichem oder in zeitlichem Sinn; c) das, was prominent oder herausragend ist; d) das, was aufgrund seiner Prominenz entscheidend oder repräsentativ ist.46 Das Wort κεφαλη' kann die Konnotation „Autorität“ oder „Herrschaft“ beinhalten, dies ist aber nicht die Grundbedeutung. Es geht Paulus nicht darum, die Unterordnung der Frau und die „Autorität“ des Mannes zu begründen, sondern darzulegen, dass alle – jeder Mann, jede Frau, und auch Christus – ein „Haupt“ haben, d.h. einer Person mit vorrangiger Stellung zugeordnet sind und dieser Person Loyalität schulden.47 Die Formulierung in V. 3b kann nicht von ähnlichen Wendungen abgeleitet werden; das Wort κεφαλη' wird selten von der Beziehung eines Individuums mit einem anderen Individuum verwendet.48 Weil Paulus offensichtlich ad hoc im Hinblick auf das Thema der Kopfbedeckungen formuliert, sollte man den Sinn des Satz theologisch nicht pressen. Der Satz „das Haupt der Frau ist der Mann“ (κεφαλη` δε` γυναικο` ς ο α νη' ρ) hat im Kontext der in den folgenden Versen behandelten Fragen, in denen es um Ehre und Schande geht, ganz offensichtlich einen kulturellen Hintergrund. Das Argument mit Gen 1–2 in V. 7-9 sollte in V. 3b nicht eingetragen werden. Im gesellschaftlichen Kontext der römischen Gesellschaft wird deutlich: Die Beziehung zwischen Mann und Frau wird nicht durch den Ungehorsam der Frau gestört, sondern dann, wenn sie durch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit Schande über ihren Mann bringt. Dies geschieht dann, wenn die Frau ohne Kopfbedeckung betet oder prophezeit (V. 5). Es geht deshalb weder um die Autorität des Mannes über die Frau noch um den Ursprung der Frau im Mann, sondern um die Vorrangstellung des Mannes im Sinne seines gesell————————————————————
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Wolff 248 weist darauf hin, dass in V. 7-9 Christus nicht erwähnt wird, eine Tatsache, die es unwahrscheinlich macht, dass der Satz „jedes Mannes Haupt ist Christus“ auf dem Hintergrund der Schöpfung zu verstehen ist; so auch Perriman, Head, 621. Perriman, Head, 618. Vgl. in der LXX Dtn 28,44; Klgl 1,5; Jes 7,8-9; 9,13; Jer 38,7; siehe auch Philo, Mos. 30; Praem. 125. Garland 516. Perriman, Head, 621: Es geht nicht um Autorität oder Ursprung, sondern darum, ob das Verhalten der Frau im Gottesdienst dem Mann Schande oder Ehre bringt. Die einzige Ausnahme ist Artemidorus, Oneir. 1,2; 3,66 (2. Jh. n.Chr.); Perriman, Head, 614. In den Papyri bezeichnet κεφαλη' den „Kopf“ im eigentlichen Sinn, sodann vor allem in steuer- und finanzrechtlichen Zusammenhängen den „Kopf“ als pars pro toto für eine Person (vgl. im Deutschen „pro Kopf“); in manchen Belegen bezeichnet das Wort das „Kopfstück“ oder das „Ende“ eines Grundstücks. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 386.
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schaftlichen Status, die zur Folge hat, dass sich die Frau loyal verhalten und ihm keine Schande bereiten soll. Dieser Satz wird von einem zweifachen Hinweis auf Christus gerahmt, dessen Vorrangstellung in V. 3b an erster Stelle steht.49 Der Satz „Christus ist jeden Mannes Haupt“ (παντο` ς α νδρο` ς η κεφαλη` ο Χριστο' ς ε στιν) betont die Unterordnung des Mannes unter Jesus Christus. Paulus will jedoch nicht sagen, dass Männer (παντο` ς α νδρο' ς: alle Manner) eine besondere Beziehung zu Christus haben, die den Frauen mangelt, 50 sondern er betont die Vorrangstellung Christi, dem die Männer Loyalität schulden. Der Satz „Haupt Christi aber ist Gott“ (κεφαλη` δε` του^ Χριστου^ ο θεο' ς) ist nicht ontologisch, sondern relational bzw. funktional zu verstehen (vgl. 3,23). In 15,28 und Phil 2,8 ist vom Gehorsam Christi gegenüber Gott während seines irdischen Wirkens und in der Heilsvollendung die Rede. Die Bezeichung des Mannes als „Haupt“ der Frau bedeutet im Licht der Unterordnung Christi unter Gott als „Haupt“, dass der Gedanke an eine „Deklassierung oder Entwürdigung der Frau“ Paulus ganz fern liegt.51 4 Der Satz: Jeder Mann, der betet oder prophetisch redet (πα^ς α νη` ρ προσευχο' μενος η προφητευ' ων) markiert den Kontext, von dem Paulus spricht und in dem das Verhalten korinthischer Christen zu korrigieren ist. Es geht nicht um allgemeine Fragen der Mode, sondern um das Verhalten im Gottesdienst. Die weitere Diskussion wird zeigen, dass die Frage, ob gläubige Frauen eine Kopfbedeckung tragen sollen, auch in der Öffentlichkeit der Stadt Korinth relevant ist. Die Frauen, die in der Gemeindeversammlung ohne Kopfbedeckung aktiv waren, haben möglicherweise auch außerhalb des Hauses, in dem sich die Gemeinde traf, keine Kopfbedeckung getragen. Das Wort προσευ' χομαι („beten“)52 bezeichnet im Griechischen, wie ευ» χομαι, den Kontakt und die Kommunikation eines Menschen mit einer Gottheit. Das Wort kann sich auf alles beziehen, was eine solche Anrufung beinhaltet: bitten, flehen, geloben, weihen. Der Ausdruck bezeichnet bei Paulus, wie in der LXX und sonst im NT, in umfassender Weise das Anrufen Gottes. Die verschiedenen Formen und Aspekte – Anbetung, Bitte, Fürbitte für bestimmte Personen, Einzelgebet, andauerndes Beten, gottesdienstliches Gebet – müssen jeweils aus dem Zusammenhang erschlossen werden. 53 Der Kontext von V. 2-16 zeigt, dass es nicht um das Beten im „stillen Kämmer————————————————————
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Schrage II 503: „Das von Christus Bestimmtsein ist der Obersatz“. Lindemann 240: in Kol 1,18; Eph 5,23 ist Christus das „Haupt“ der ganzen ε κκλησι'α. Schrage II 504. προσευ' χομαι bei Paulus in 11,4.5.13; 14,13.14.15; Röm 8,26; Eph 6,18; Phil 1,9; Kol 1,3.9; 4,3; 1Thess 5,17.25; 2Thess 1,11; 3,1; 1Tim 2,8; προσευχη' in 7,5; Röm 1,10; 12,12; 15,30; Eph 1,16; 6,18; Phil 4,6; Kol 4,2.12; 1Thess 1,2; 1Tim 2,1; 5,5; Phlm 4.22.
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lein“ geht54 (Privaträume, in denen man allein sein konnte, gab es auch nur in den großen Villen der Reichen). Es geht um das Beten in den gottesdienstlichen Versammlungen der Christen, in denen man von Mitchristen, und von Außenstehenden, die anwesend sind, gesehen wird. Und es geht um die Reaktion auf die Kopfbedeckung des betenden Mannes und auf die fehlende Kopfbedeckung der betenden Frau (vgl. V. 5.16). Ebenso hat das prophetische Reden, von dem Paulus im gleichen Atemzug redet, seinen Ort in der Gemeindeversammlung. 55 Das Verb προφητευ' ω („prophetisch reden“)56 bezeichnet im NT, im Anschluss an die atl. und jüdische Tradition, allgemein das Reden Gottes durch von ihm erwählte Männer (vgl. Apg 3,18). Urchristliche Prophetie ist der Empfang und die sofortige öffentliche Weitergabe einer spontanen, gewöhnlich verbalen Offenbarung, die als offenbarte göttliche Wahrheit verstanden und der Gemeinde mit der Autorität Gottes, Jesu Christi oder des Heiligen Geistes mitgeteilt wird. Der Inhalt der urchristlichen Prophetie betrifft häufig die Anwendung der Wahrheit des Evangeliums auf konkrete Situationen.57 Paulus spricht zunächst vom Verhalten der Männer in der gottesdienstlichen Versammlung. Jeder Mann, der betet oder prophetisch redet und dabei etwas auf dem Haupt trägt, schändet sein Haupt. In der Wendung „etwas auf dem Haupt tragen“ (κατα` κεφαλη^ ς ε»χων) bezeichnet κεφαλη' den Kopf des Mannes, in der Wendung „er schändet sein Haupt“ (καταισχυ' νει τη` ν κεφαλη` ν αυ του^ ) bezeichnet κεφαλη' Jesus Christus als „Haupt“ des Mannes (V. 3). Die Formulierung κατα` κεφαλη^ ς ε»χων kann auf zweierlei Weise verstanden werden: 1. Manche Ausleger interpretieren die Präposition κατα' als Bezeichung der Richtung58 im Sinn von „etwas vom Kopf herab habend“ und ————————————————————
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H. Balz, Art. προσευ' χομαι, EWNT III, 400. Vgl. J. Herrmann/H. Greeven, ThWNT II 774-808; O. Michel/ Th. Klauser, RAC IX, 1-36; H. Schönweiß/ K. Th. Kleinknecht, ThBLNT I, 606-611; Cullmann, Gebet; zum Thema „Gebet bei Paulus“ vgl. Gebauer, Gebet; Peterson, Prayer, 84-101; zum Beten von Paulus vgl. Wiles, Prayers. Anders Bachmann 346-347, der 11,2-16 auf private eheliche Beziehungen bezieht. Wolff 249 meint, es gehe um das glossolalische Beten. Der Text verweist jedoch weder auf einen Zusammenhang mit 14,13-17, noch auf eine in der Gemeinde zu findende Überzeugung, das Beten sei eine „vollendete Äußerung des Geistbesitzes“. Bei Paulus nur in 1Kor: 11,4.5; 13,9; 14,1.3.4.5.24.31.39 (11 von 28 ntl. Belegen). Zu Einzelheiten s. unten zu 12,10. Forbes, Prophecy, 229.236; Turner, Holy Spirit, 187-190.196-200. Urchristliche Prophetie ist zu eng gefasst, wenn man sie als das „durch den νου^ ς kontrollierte vollmächtige Reden“ definiert, wie Lindemann 240 und andere dies tun. Wenn Lindemann ebd. meint, προφητευ' ω sei „nicht betont geistgewirktes Reden“, ist dies angesichts der Beschreibung des Wirkens des Geistes in Kap. 14 nicht gerechtfertigt. BDR §225.2: κατα' mit Gen. bedeutet in lokalem Sinn „über – hinunter“, „durch – hin“.
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verstehen die Formulierung als Hinweis auf Männer, die lang herabwallendes Haar tragen.59 Diese Interpretation ist aus mehreren Gründen unwahrscheinlich: a) Wenn Paulus in V. 14-15 von Haar und Haarstil spricht, verwendet er das für „Haar“ übliche Wort κομα^ ; nach der Bedeutung „Haar“ für κεφαλη' sucht man in den Wörterbüchern vergeblich. b) Langes, offen getragenes Haar war bei Männern in der hellenistisch-römischen Gesellschaft des 1. Jahrhunderts nicht üblich und gesellschaftlich nicht akzeptiert. Die These, dass es sich in V. 4 nicht um eine aktuelle Praxis, sondern um eine der Argumentation dienende fiktive Entsprechung handelt, kann nicht überzeugen. c) Ein Verweis auf Haartracht in V. 4-5 passt nicht zum Gang der Argumentation: V. 6a („wenn nämlich eine Frau sich nicht verhüllt, soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen“) setzt ein Bekleidungsstück voraus, das nicht mit langen, herabhängenden Haarlocken identisch ist. 60 2. Die Präposition κατα' ist als Ortsangabe zu verstehen61 und auf das Kleidungsstück zu beziehen, das Männer beim Beten und Prophezeien auf dem Kopf tragen. Der kulturelle Hintergrund in der römischen Gesellschaft – die Stadt Korinth war römische Kolonie und ist deshalb als römische, nicht als griechische Stadt zu behandeln62 – lässt sich anhand von zeitgenössischen Statuen, Grabreliefs und Münzen reich dokumentieren. In Korinth fanden Archäologen in der Julischen Basilika am östlichen Ende des römischen Forum eine Statue des Augustus, die den Kaiser mit einer Tunica (Untergewand) und Toga bekleidet darstellt, der Bekleidung des römischen Bürgers, wobei die Toga über den Kopf gezogen ist; die rechte Hand, die abgebrochen ist, hätte mit großer Wahrscheinlichkeit eine patera gehalten, eine flache Schale zum Ausgießen eines Trankopfers, was vollständig erhaltene Augustus-Statuen belegen. 63 Auf Münzen wird Augustus ————————————————————
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Vgl. jüngst Schrage II 506; Lindemann 240; Gielen, Beten, 231-233 mit Anm. 39. Dass herabhängendes, langes Haar, das Paulus nach dieser Interpretation untersagt, auf Homosexualität hinweist (Klauck 78; Murphy-O’Connor, Sex, 485-487; als Möglichkeit Schrage II 506), ist unbegründet: Schrage räumt ein, dass der Bezug zu V. 3.7 dann noch schwieriger wird; kritisch auch Wolff 250; Padgett, Women, 71; Delobel, 1 Corinthians 11,2–16, 371-373. BDR §225.2 Anm. 2 zu 1Kor 11,4: „auf dem Kopf“. Das heißt, Paulus spricht nicht vom Tragen eines jüdischen Tallit, eines über den Kopf gezogenen Gebetsmantels (vgl. Bill. IV 150). Zum Turban bzw. der Tiara, die im AT die Priester trugen, vgl. Ex 28,4.37-39; 29,6; 39,28.31; Lev 8,9; 16,4; Ez 44,18. Zur Diskussion vgl. Gielen, Beten, 227-228. Johnson, Corinth IX, i, 71-72, Nr. 134; C. de G. Vanderpool, in Williams/Bookidis, Corinth XX, 375-376; vgl. Gill, Head Coverings, 246. Belege aus literarischen Texten: Plutarch, Caes. 66,12,4; Mor. 200F, 266D. Zur Tunica vgl. W. H. Gross, Art. Tunica, KP V, 1005; zur Toga ders., KP V, 879-880; R. Hurschmann, Art. Toga, DNP XII.1, 654655. Goette, Togadarstellungen, 1-62; Kockel, Porträtreliefs, 15-25.
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ebenfalls mit der über den Kopf gezogenen Toga dargestellt. Das Merkmal des capite velato, der über den Kopf gezogenen Toga oder des über den Kopf gezogenen pallium,64 ist in der römischen Ikonographie ein Hinweis auf einen römischen Bürger, der bei einer Opferhandlung präsidiert.65 Eines der bekanntesten Beispiele ist das Fries, das die Ara Pacis Augustae – der Altar des erhabenen Friedens oder der Friedensaltar des Augustus – in Rom dekorierte und die Opferprozession der kaiserlichen Familie darstellt. Nur wenige der in dem Fries dargestellten Figuren haben die Toga über den Kopf gezogen – bei den beiden Priestern und bei Äneas, der das Opfer darbringt ist dies der Fall.66 Wenn Männer in der korinthischen Gemeinde beim Beten oder Prophezeien die Toga über den Kopf ziehen, signalisieren sie damit ihren gehobenen gesellschaftlichen Status: In römischen Kulten haben nur Männer der Elite bei Opferhandlungen präsidiert. Was bedeutet dann die Aussage, dass jeder christliche Mann, der beim Beten oder Prophezeien seine Toga über den Kopf zieht, „sein Haupt schändet“ (καταισχυ' νει τη` ν κεφαλη` ν αυ του^ )? Diese Formulierung ergibt einen Sinn unabhängig davon, ob man κεφαλη' metaphorisch auf Christus (V. 3) oder auf den Kopf des Mannes bezieht. Im zweiten Fall sagt Paulus, dass ein gläubiger Mann, der in der Gemeinde mit einer über den Kopf gezogenen Toga betet, Schande über sich bringt, da er sich anders verhält als in christlichen Gemeinden üblich (vgl. V. 16). Er verhält sich schändlich, weil es ihm beim Beten eher um sein eigenes, persönliches Prestige geht als um die Ehre Jesu Christi. Auf Christus bezogen meint die Aussage, dass Jesusbekenner, die in der Gesellschaft den höheren Schichten angehören und beim Beten ihren gehobenen Status demonstrativ zur Schau stellen, Christus Schande bringen, weil sie nicht Christus verherrlichen, sondern sich selbst (vgl. das in V. 7-8 drei Mal wiederholte Wort δο' ξα). Diese Interpretation ist im Kontext wahrscheinlicher.67 Schande (καταισχυ' νω, „beschämen, Schande über jmd. bringen“) hat ————————————————————
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S. Oppermann, Art. Pallium, KP IV, 436; R. Hurschmann, Art. Pallium, DNP IX, 201: Das pallium (bei den Frauen die palla) war ein rechteckiges Tuch, das dem griechischen ιμα' τιον entsprach und in allen Bevölkerungsschichten getragen wurde; Augustus versuchte vergeblich, es durch die Toga zu verdrängen (Suetonius, Aug. 40). Gordon, Veil, 202; Gill, Head Coverings, 247-248; Goette, Togadarstellungen, 2223.34.35.38-40 (Beispiele und Abbildungen): das Verhüllen des Kopfes betont die Tugend Pietas (Frömmigkeit). Witherington 234 verweist auf Varro, Ling. lat. 5,29,130; Juvenal, 6,390-392. Für eine Abbildung siehe . Neben den opfernden Männern tragen die Frauen eine Kopfbedeckung, zum Beispiel Livia im südlichen Fries. Der Artikel in der Wendung καταισχυ' νει τη` ν κεφαλη` ν αυ του^ verweist anaphorisch zurück auf V. 4. Siehe auch die Bedeutung von καταισχυ' νει τη` ν κεφαλη` ν αυ τη^ ς, wo sich κεφαλη' auf den Mann als Haupt der Frau bezieht; vgl. Belleville, Head Covering, 224. Wolff 249
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mit der verletzten Ehre dessen zu tun, zu dem eine Beziehung besteht, dem man zugeordnet ist. Christus schämt sich über das Verhalten solcher Männer, denen es um die eigene Ehre geht. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich selbst, anstatt die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf Gott zu lenken, von dem alles herkommt (V. 12) und den man im Gebet anruft (V. 13). In der römischen Gesellschaft signalisierte die Enthüllung des Kopfes, wenn man zufällig die Toga über den Kopf gezogen hatte, die Anwesenheit verehrungswürdiger Menschen (Plutarch, Mor. 266).68 5 Der Satz in V. 5a ist formal parallel zur Aussage in V. 4 formuliert, macht aber eine entgegengesetzte Aussage: Jede Frau aber, die mit unverhülltem Haupt betet oder prophetisch redet, schändet ihr Haupt. Männer sollen beim Beten und Prophezeien die römische, elitäre Tradition aufgeben, sich die Toga über den Kopf zu ziehen. Frauen sollen jedoch immer nur mit Kopfbedeckung beten und prophezeien. Die Wendung „mit unverhülltem Haupt“ (α κατακαλυ' πτω, τη^, κεφαλη^, ) beschreibt nicht einen bestimmten Haarstil von Frauen,69 sondern eine textile Kopfbedeckung, konkret die über den Kopf gezogene Stola (palla). Marlies Gielen benennt richtig das Hauptproblem der Haartrachthypothese. Die gängige Erklärung eliminiert den antithetischen Parallelismus in V. 4.5a. Paulus kritisiert sowohl bei dem Mann als auch bei der Frau langes, offen getragenes Haar, was im Blick auf den Mann Sinn ergibt, weil dieser mit seinen langen, offen getragenen Haaren die weibliche Geschlechtsrollensymbolik übernimmt, während das gelöste lange Haar der Frauen gerade nicht als männliches Geschlechtsrollensymbol gelten kann. Die Lösung Gielens, dass V. 5a im Sinn der Kurzhaarfrisur der Frau zu verstehen ist, „die sich damit eines männlichen Geschlechtsrollensymbols bedient“,70 steht im Konflikt mit dem üblichen Sprachgebrauch der Wendung κατα` (τη^ ς) κεφαλη^ ς (ε»χων) und καλυ' πτεσθαι (wie sie selbst anerkennt). Der Vorschlag, Paulus könne „den semantischen Aspekt der Verhüllung“ im übertragenen Sinn verwenden, ist eine Verlegenheitslösung.
Das Tragen einer Kopfbedeckung von Frauen (nicht nur in religiösen Zusammenhängen) hat im römisch-hellenistischen Kulturraum eine selbstverständ————————————————————
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verbindet beide Bedeutungen (interpretiert alles im Sinn von „Haar“). Vgl. Gill, Head Coverings, 251. Garland 517-518 bezieht die Schande, die auf Christus gebracht wird, im Zusammenhang der über den Kopf gezogenen Toga auf heidnische Kulte. Der kulturelle Hintergrund ist jedoch mit Statusfragen verknüpft, was zu den Verweisen auf δο' ξα in V. 7-8 passt. Um Götzendienst geht es in V. 2-16 nicht. Der Hinweis auf Lev 13,45 LXX; Num 5,18 LXX kann diese Auslegung nicht begründen. Gielen, Beten, 228-230 hält Ez 44,20 LXX für eine bessere Parallele. Der Text enthält keine Hinweise, dass es um vom AT oder von der jüdischen Tradition bestimmte Fragen der Haartracht geht. Gielen, Beten, 232, die folgende Bemerkung ebd. 233.
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liche Plausibilität.71 Römische Statuen, allen voran Portraits der Frauen der kaiserlichen Familie sowie Grabreliefs, stellen verheiratete Frauen mit der über den Kopf gezogenen Stola (palla) oder mit der vitta, der wollenen Kopfoder Haarbinde, dar, die als Symbol für Sittsamkeit und Keuschheit galten. 72 Frauen mussten in der Öffentlichkeit keine Stola tragen. Das Tragen der Stola symbolisierte jedoch ihre Keuschheit. Die Ehegesetzgebung des Augustus legte fest, dass es Prostituierten verboten war, die Stola der sittsamen Ehefrau, der matrona, zu tragen.73 Die über den Kopf gezogene Stola symbolisiert die Autorität des Ehemannes über die Frau. Die Weigerung, den Schleier zu tragen, kam einem Rückzug aus der Ehe gleich. 74 B. Winter interpretiert dieses Verhalten im Kontext der modernen „neuen Frau“ in der römischen Gesellschaft, die seit der Zeit Ciceros und Caesars zu belegen ist (siehe auch unten zu V. 16). Das Verhalten der Frauen in der römischen Gesellschaft ist im Zusammenhang der Ehegesetze des Augustus zu verstehen, der lex Iulia de maritandis ordinibus von 18 v. Chr. und der lex Papia Poppaea von 9 n. Chr.; wichtig ist auch die lex Iulia de adulteriis coercendis von 17 v.Chr. Diese Ehegesetze wollten „den Verfall der Familiengesinnung aufhalten, der vor allem die oberen Schichten ergriffen hat“.75 Die Maßnahmen des Augustus sind, zumindest teilweise, als Reaktion gegen die Aktivitäten der „modernen“ römischen Frau zu verstehen. E. Fantham beschreibt die „neue Frau“ als verheiratete Römerin, die infolge größerer finanzieller Unabhängigkeit selbständiger agierte, die selbst entschied, in welche gesellschaftlichen Situationen sie sich begeben wollte, und die zu sexuellen Abenteuern bereit war. 76 Dieser Hintergrund erklärt die Moralvorschriften der Ehegesetze, die Eheund Kinderpflicht (finanzielle Schlechterstellung von Unverheirateten, Förderung der Kinderzeugung), die Kleidervorschriften, die Erschwerung der Ehescheidung, die vorgesehenen Strafen für Ehemänner, die die außerehelichen Eskapaden ihrer Ehefrauen ignorierten. Die Wendung „sie schändet ihr Haupt“ (καταισχυ' νει τη` ν κεφαλη` ν αυ τη^ ς) bezieht sich auf den Mann als „Haupt“ der Frau (V. 3). Die Enthüllung der ————————————————————
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Anders Gielen, Beten, 225, die ihre Argumentation vor allem auf literarische Texte stützt und sich auf Thompson, Hairstyles, 112 und Theißen, Aspekte, 164-167 verlässt. Neuere Studien, die zeitgenössische römische Statuen und Grabreliefs untersuchen, belegen, dass verheiratete Frauen eine Kopfbedeckung trugen; vgl. oben die Einleitung zu 11,2-16. Winter, Roman Wives, 78-85; Davies, Clothes, 227-242; Fantham, et al., Women, 232; La Follette, Costume, 55-56; Sebesta, Symbolism, 46-53. McGinn, Prostitution, 162; vgl. Winter, Roman Wives, 84. Winter, Roman Wives, 81-83; zur „Neuen Frau“ ebd. 17-74. Kaser, Privatrecht I, 318. Zur Ehegesetzgebung des Augustus vgl. Kaser, Privatrecht I, 318-321; Treggiari, Marriage, 60-80; Raditsa, Legislation, 278-339; Mette-Dittmann, Ehegesetze. Fantham, Women, 280-293.
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Ehefrau in der Öffentlichkeit signalisiert Unabhängigkeit vom Ehemann, was, wenn J. Sebesta Recht hat, symbolisch einem Rückzug aus der Ehe gleichkommt.77 Ein solches Verhalten bedeutet für den Mann einen Verlust der Ehre (dignitas): Die Frau „schändet“ ihren Mann.78 Die Kasuistik der Rechtsquellen der Kaiserzeit im Blick auf die Persönlichkeitsverletzung (iniuria) zeigt nach M. Kaser, „daß das römische Ehrgefühl dieser Zeit auf ernsthafte Angriffe im ganzen sehr empfindlich reagierte“.79 Sondertatbestände sind z.B. das Wegführen des Begleiters der ehrbaren Frau, ohne den sich eine Frau schicklicherweise nicht in der Öffentlichkeit zeigen sollte, oder das unsittliche Ansprechen oder Verfolgen einer Frau; ausdrücklich ausgenommen von dem letztgenannten Tatbestand sind Männer, die eine Frau ansprechen, die sich als Prostituierte kleiden (d.h. die keine Stola tragen), nicht als ehrbare Frau (mater familias).80 Paulus kritisiert korinthische Frauen, die durch ihr Auftreten in der Gemeindeversammlung ohne über den Kopf gezogene Stola bewusst oder unbewusst nicht-verbale Signale aussandten, dass sie „zur Verfügung“ standen (zur Motivation siehe zu V. 16). Die gottesdienstlichen Versammlungen der Gemeinde sind jedoch nicht der Ort, an dem Frauen Signale aussenden und von Männern „begutachtete Objekte“ werden. 81 Das Argument, dass es um das Beten und Prophezeien der Frau geht und nicht um den Auftritt in der Öffentlichkeit,82 lässt sich aus der Sicht von Paulus so beantworten, dass er die Gemeindeversammlungen gerade als öffentlichen Raum versteht, in den Außenstehende eingeladen und in dem sie anwesend sind. 83 Paulus stellt in V. 5b fest, dass die in der Gemeindeversammlung unverhüllt auftretende Frau in diesem Fall ein und dasselbe wie die Kahlgeschorene (η ε ξυρημε'νη) ist. Der Hinweis auf die Schande (vgl. V. 6.14-15) zeigt, dass Paulus nicht im Blick auf gesellschaftliche Randsiedler argumentiert, ————————————————————
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Sebesta, Symbolism, 48. R. Bultmann, Art. αισχυ' νω κτλ., ThWNT I, 188-190; H.-G. Link, ThBLNT II, 15491550. In der LXX ist Gott häufig das gedachte oder ausgesprochene Subjekt von αισχυ' νω („in Schande bringen“; vgl. Jes 1,19; 20,5; Jer 2,26); an vielen Stellen geht es um das Zuschandenwerden der Feinde und der Gottlosen im Gericht (Ps 6,10; 35,26; 69,3-8.2021; Jes 1,29; 41,11; Jer 2,26). So auch 1Kor 1,27 (καταισχυ' νω). Kaser, Privatrecht I, 624 (§145.II.1); die folgenden Beispiele ebd. Vgl. auch MetteDittmann, Ehegesetze, 67-73. Ulpian, Digesten 47,10,15,15; vgl. Croom, Clothing, 75; Winter, Roman Wives, 83-84. Thiselton 801-802; Garland 521. Vgl. Conzelmann 225 Anm. 35; Fee 508 Anm. 70; Lindemann 241. Garland 521. Vielleicht spricht Paulus auch deshalb spezifisch vom Beten und Prophezeien der Frau, weil er zunächst vom Beten und Prophezeien korinthischer Christen gesprochen hatte, die sich die Stola über den Kopf zogen, um ihren gesellschaftlichen Status zu signalisieren.
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sondern im Hinblick auf Frauen, denen an der Aufrechtrechterhaltung ihrer dignitas in der Gesellschaft gelegen war. 84 Das Verb ξυρα' ομαι (Med. „sich kahl scheren lassen“) bezeichnet die radikale Vorgehensweise der Kahlrasur. In der römischen Gesellschaft galt kurzes Haar bei Frauen als Indiz sexueller Perversion und war deshalb für geachtete Frauen undenkbar. 85 In Zypern war es gesetzlich vorgeschrieben, dass einer des Ehebruchs überführten Frau die Haare abgeschnitten werden sollten, weil sie sich wie eine Prostituierte verhält (Dio Chrysostomos, Or. 64,3). Paulus identifiziert das öffentliche Auftreten von Frauen im Gottesdienst mit dem gesellschaftlichen Stigma einer bloßgestellten und bestraften Ehebrecherin, deren Status dem „Prestige“ einer Prostituierten glich.86 Bei der Diskussion über die Kopfbedeckung der Frau kann man leicht vergessen, dass die Aussage in V. 5a zeigt, wie Paulus ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass Frauen in den Gottesdiensten öffentlich beten und prophezeien. Sie beteiligen sich also nicht nur an den Gebeten, sondern sie verkünden von Gott empfangene Offenbarungen in den Versammlungen der Gemeinde als Wahrheit Gottes, die die Wahrheit des Evangeliums auf spezifische Situationen anwendet.87 Die These, Paulus gestehe den Frauen mehr oder weniger unwillig zu, dass sie sich an den Gottesdiensten beteiligen, formuliere aber in 14,34 seine eigentliche Meinung, 88 ist im Text nicht begründet und gänzlich unplausibel. 6 Die Wiederholung der Aussage von V. 5 deutet vielleicht darauf hin, dass das unverhüllte Auftreten von Frauen89 in der Gemeinde ein größeres Problem war als das verhüllte Beten von Männern: Wenn nämlich eine Frau sich nicht verhüllt, soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen. Diese Aufforderung ist mit dem Verb κει' ρω formuliert, beschreibt also das Abschneiden der Haare mit der Schere (während ξυρα' ω mit dem Rasier————————————————————
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Richtig Wire, Women Prophets, 119; Garland 520. Küchler, Schweigen, 79-82; Gielen, Beten, 234-235; Winter, Corinth, 128-129. Der von Plutarch, Mor. 267B erwähnte Brauch in Griechenland, dass Frauen sich als Ausdruck der Trauer die Haare abschneiden lassen, ist für die Stelle nicht von Belang. Schrage II 508 lehnt diese Interpretation mit dem Argument ab, die Haartracht der Kurtisanen sei „recht kunstvoll“ gewesen und ein kurzer Haarschnitt habe als Raffinement gegolten. Wir haben gesehen, dass man Kurtisanen von Hetären und Prostituierten unterscheiden muss (s. oben die Einleitung zu 6,12-20). Die These, Paulus wolle wie in Gal 5,21 durch Übertreibung ad absurdum führen (ebd.), verkennt die Logik des Arguments mit der Scham. Vgl. Apg 2,17; 21,9. Lietzmann 75; kritisch Schrage II 507. Unhaltbar ist die Meinung von Tomson, Paul, 137, die Frauen hätten stumm prophezeit (was einen Konflikt mit 14,34-35 ausgleicht). Die Formulierung des Bedingungssatzes mit ει + ου m. Ind. (BDR §428.1) zeigt, dass es um tatsächlich gegebene Verhältnisse in der Gemeinde geht; Lindemann 241.
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messer geschieht). Paulus kann davon ausgehen, dass diese sarkastische Aufforderung als Argument von den Korinthern verstanden wird. Dies zeigt die Fortsetzung in V. 6b: Wenn es aber schändlich ist für eine Frau, sich die Haare abschneiden zu lassen oder sich kahlscheren zu lassen. Das Auftreten einer Frau, die sich die Haare abschneiden ließ oder die kahlrasiert wurde, ist „schändlich“ (αι σχρο' ν), weil dieses Auftreten an die Degradierung einer des Ehebruchs überführten Frau erinnert.90 Es ist eine Schande, in der Öffentlichkeit als Ehebrecherin bloßgestellt und an den geschorenen Haaren von allen als solche erkannt zu werden. Genau diese Schande ist nach der Ansicht von Paulus zu konstatieren, wenn Frauen ohne Kopfbedeckung in der Gemeinde auftreten. Wenn eine Frau die öffentliche Schändung vermeiden will, soll sie sich verhüllen (κατακαλυπτε' σθω). Genau das will Paulus erreichen: dass Frauen mit einer Kopfbedeckung in der Gemeindeversammlung auftreten und es unterlassen, falsche Signale zu senden.
Die Zuordnung von Mann und Frau 11,7-12 I 7 Denn der Mann soll sein Haupt nicht verhüllen, denn er ist Abbild und Abglanz Gottes; die Frau aber ist Abglanz des Mannes. 8 Denn der Mann ist nicht aus der Frau, sondern die Frau aus dem Mann; 9 denn der Mann ist nicht um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen. 10 Deshalb soll die Frau Macht haben über ihr Haupt, um der Boten willen. 11 Doch im Herrn ist weder die Frau ohne den Mann (etwas) noch der Mann ohne die Frau. 12 Denn wie die Frau aus dem Mann ist, so auch der Mann durch die Frau. Alles aber ist aus Gott.
II Paulus nennt in V. 7-10 weitere Gründe für seine in V. 4-5a formulierten Direktiven. Er beruft sich auf die Schöpfungsgeschichte in Gen 2: Der Mann wurde im Ebenbild Gottes geschaffen und ist deshalb δο' ξα Gottes, während die Frau aus dem Mann geschaffen wurde (V. 7-9). In einer ersten Schlussfolgerung zieht Paulus aus dem Hinweis auf die biblische Überlieferung die ————————————————————
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Paulus formuliert wieder mit einem realen Bedingungssatz (BDR §372.2), geht also von der Tatsächlichkeit der gesellschaftlichen Ächtung aus. Das Wort αι σχρο' ν entspricht α τιμι'α (V. 14), sowie dem Gegenbegriff πρε' πον (V. 13). Es geht um gesellschaftliche Schändung, nicht um ein ästhetisches Urteil; richtig Schrage II 508 Anm. 122 gegen Baumert, Antifeminismus, 69.104.
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Konsequenzen für die Frage der Kopfbedeckung: Frauen sollen eine ε ξουσι' α auf ihrem Haupt haben (V. 10). Von der Schöpfung herkommend macht Paulus eine Aussage über die Neuschöpfung: Im Raum der neuen Schöpfung haben Mann und Frau ihre wahre Identität „im Herrn“ (V. 11), und wenn es auch richtig ist, dass die (erste) Frau vom Mann kam, so gilt gleichzeitig, dass Männer von Frauen geboren werden (V. 12a). Und es gilt vor allem die Wahrheit, dass die gesamte Schöpfung von Gott kommt (V. 12b). Gliederung. In V. 7-10 argumentiert Paulus mit der Schöpfungsgeschichte für die Regelung, dass Frauen ihr Haupt verhüllen sollen. V. 11-12 beziehen Schöpfung und Neuschöpfung aufeinander mit dem abschließenden Hinweis, dass Gott alles erschaffen hat. Textkritische Anmerkungen. In V.9 liest d46 statt α»νδρα das Wort α»νθρωπον, wohl in Angleichung an Gen 2,15.18.91
III 7 Paulus wiederholt die in V. 4 implizite Anweisung, dass Männer in der gottesdienstlichen Versammlung ihren Kopf nicht bedecken sollen: Der Mann soll sein Haupt nicht verhüllen. Die Formulierung ου κ ο φει' λει („soll nicht“) könnte auch mit „braucht nicht“ übersetzt werden, was aber V. 4 widersprechen würde.92 Paulus begründet mit einem kausalen Partizipialsatz (υ πα' ρχων): Er ist Abbild und Abglanz Gottes; die Frau aber ist Abglanz des Mannes. Die Bezeichnung des Mannes als „Abbild Gottes“ (ει κω' ν . . . θεου^ ) greift auf Gen 1,26-27 zurück.93 Manche Ausleger kombinieren die Aussage mit V. 3 und argumentieren, dass der Mann das „Bild Gottes“ ist, weil er Christus als Haupt habe, der „das Bild Gottes“ (2Kor 4,4; Kol 1,1516) ist.94 Eine christologische Begründung des „Bild-Seins“ des Menschen ist in V. 7 jedoch nicht im Blick – anders in Röm 8,29, wo von der eschatologisch qualifizierten Gegenwart die Rede ist, und anders in 1Kor 15,49, wo es um die Heilsvollendung geht.95 Ob der Hinweis auf die Gottesebenbildlichkeit des Mannes analog zu Gen 1,26.28 „vor allem die Herrschaft über die Kreatur“ ausdrückt,96 womit die Autorität des Mannes über die Frau unterstrichen wäre, ist alles andere als sicher, da Paulus in 11,2-16 nirgends von der Herrschaft des Mannes über die Frau spricht. Im Kontext von Gen 1 ist ει κω' ν ————————————————————
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Lindemann 243. In den Papyri bezeichnet ο φει'λω oft in rechtlichen Zusammenhängen das Schulden von Geld oder Sachwerten; vgl. Arzt-Grabner, Philemon, 237-238, mit Verweis auf P.Enteux. 36,1-3; P.Mich. II 121,3 ix,1; P.Ryl. II 141. Gen 1,27a LXX: και` ε ποι'ησεν ο θεο` ς το` ν α»νθρωπον, κατ’ εικο' να θεου^ ε ποι'ησεν αυ το' ν. Conzelmann 229; Thüsing, Per Christum in Deum, 27-28. Wolff 251; vgl. Fee 515. Schrage II 510; vgl. Godet II 75-76; Heinrici 328 u.a.
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(hebr. )ֶצֶלםmehr als ein äußeres Abbild: Der Mensch ist Empfänger des Segens Gottes, er soll sich vermehren und die Erde in Besitz nehmen. 97 Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ist keine Aussage über das Wesen des Menschen, sondern über seine ihm von Gott geschenkte und zugewiesene Funktion: Er vertritt Gott in bestimmten Bereichen der Schöpfung, er wurde sein „Lehenspartner“ bei der Gestaltung und Verwaltung der Schöpfung. In diesem Sinn ist er „Herrschaftspartner Gottes“, aber – weil die Schöpfung nicht mit der Erschaffung des Menschen endet, sondern mit dem Ruhen am siebten Tag – zugleich sein Gesprächspartner, „der auf JHWHs Ruf hörend seine Herrschaft in Verantwortung vor Gott leben soll“.98 Vom „Abbild“ kommt Paulus zum Ausdruck „Abglanz“ oder „Herrlichkeit“ (δο' ξα), der im Schöpfungsbericht zwar nicht vorkommt, aber in Ps 8,6-7 als Bezeichnung für die Gottesebenbildlichkeit des Menschen verwendet wird.99 In der jüdischen Exegese wird „Herrlichkeit“ als Widerschein der göttlichen Herrlichkeit ebenfalls mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen verbunden.100 Die Aussage V. 7c die Frau aber ist Abglanz des Mannes (η γυνη` δε` δο' ξα α νδρο' ς ε στιν) wird häufig missverstanden. Paulus scheint den Ausdruck „Abbild Gottes“ auf den Mann zu beschränken und den Wiederschein der göttlichen Herrlichkeit mittelbar über den Mann laufen zu lassen. Die Aussage wird verständlich, wenn man sieht, dass Paulus nicht das Wesen des Menschen in der Unterschiedenheit von Mann und Frau kommentiert, sondern im Kontext der Frage der Kopfbedeckung betont, dass die Frau der „Abglanz“ des Mannes ist. 101 Die Aussage, dass die Frau die δο' ξα des Mannes ist, bedeutet „keine Qualitätsminderung der Gottebenbildlichkeit der Frau und damit eine Herabsetzung ihrer Würde, da Paulus von Gen 2 her argumentiert, wonach die Frau ja gerade Gebein vom Gebein und Fleisch des ————————————————————
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Preuß, Theologie II, 122; vgl. ebd. für die folgende Bemerkung. In P.Münch. III 45,11 (221-205 v.Chr.) bezeichnet die Wendung εικω` ν ζω ^ σα του^ Διο' ς den ptolemäischen König als „lebendes Abbild des Zeus“. Juden und Christen lehnten die Vorstellung, dass ein aus Stein, Holz oder Metall gefertigtes Bild einen Gott darstellen kann, konsequent ab. Llewelyn, NewDocs IX, 38 vermutet, dass dies der Grund ist, weshalb jüdische und christliche Texte das Adj. ζω ^ σα vermeiden, wenn ein Mensch als (Eben-)Bild Gottes bezeichnet wird. Papyrusbelege für εικω' ν bezeichnen ein Bild, das seiner Vorlage weitestgehend gleichen soll; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 388-389, mit Verweis auf P.Ryl. I 558,7; P.Enteux. 22,15; SB VI 8993 Kol. II 5.8 u.a. Preuß, Theologie II, 123. Vgl. G. von Rad, ThWNT II, 389-390; Gielen, Beten, 239. Siehe auch Röm 1,23. Brandenburger, Adam, 40-41.110-111; Jervell, Imago Dei, 100-101; Schrage 510; Wolff 251; Garland 523. Siehe auch 4QDibHama 8 i 4: „Adam unseren Vater hast du gebildet in der Ähnlichkeit deiner Herrlichkeit“. Gundry-Volf, Gender, 156; Lindemann 243; Garland 523; Ciampa/Rosner 732-733.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 609 ————————————————————————————————————
Mannes, ihm also im Unterschied zu allen anderen Lebewesen ebenbürtig ist“.102 Paulus geht es nicht um Wesens-, Qualitäts- oder Funktionsunterschiede,103 sondern von Gen 2,21-23 her um die zeitliche Abfolge der Erschaffung des Mannes und der Frau, aus der er die Zuordnung der Geschlechter ableitet.104 Dies wird in V. 8-9 deutlich. 8 Paulus begründet (γα' ρ) mit der Schöpfungsgeschichte: Der Mann ist nicht aus der Frau, sondern die Frau aus dem Mann. Die Aussage, dass „die Frau aus dem Mann“ (γυνη` ε ξ α νδρο' ς) geschaffen wurde, entspricht Gen 2,23.105 Gen 2,23 geht die Aussage voraus, dass die aus dem Mann erschaffene Frau Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein, d.h. wesensverwandt ist.106 Aber darauf kommt es Paulus hier nicht an: Es geht nicht um das Wesen oder die Funktion von Mann und Frau, sondern um deren Zuordnung zueinander im Kontext der Gesellschaft, wie V. 9 zeigt. 9 Die zweite Begründung (γα' ρ) argumentiert mit der Zuordnung von Mann und Frau: Denn der Mann ist nicht um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen. Der Hinweis auf die Erschaffung der Frau „um des Mannes willen“ (δια` το` ν α»νδρα) greift Gen 2,18 auf und impliziert die Priorität und den Vorrang des Mannes. G. Fee will die Aussage mit V. 11-12 harmonisieren; er erklärt unter Berufung auf Gen 2,23, dass die Frau dem Mann nicht untergeordnet ist, sondern für den Mann eine Notwendigkeit darstellt – in den Augen Gottes ist der Mann, der allein ist, nicht vollständig; der Mann braucht die Frau, er ist auf die Frau angewiesen. 107 So richtig diese Auslegung von Gen 2,23 auch ist, sie geht an der Bedeutung von V. 9 vorbei. Paulus geht es weder um das Angewiesensein des Mannes auf die Frau noch um den Beistand der Frau für den Mann. Paulus unterstreicht, dass die Frau von der Schöpfung her auf den Mann zugeordnet ist. Dass dies ————————————————————
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Gielen, Beten, 239, ebd. die folgende Bemerkung. Anders Schrage II 511, der die Aussage von V. 7 in ihrer „Anstößigkeit“ nicht zudecken will und mit Verweis auf Röm 3,23; 2Kor 3,18; 4,4 meint, Paulus gerate „in Widerspruch zu sonstigen Anschauungen seiner Theologie“. Dieses Urteil ist nur möglich, wenn man den Kontext und den Argumentationsgang im Kontext außer Acht läßt. Paulus sagt nicht, dass die Frau das Bild des Mannes ist. Ciampa /Rosner 733 schlagen vor, V. 7 im Licht von 15,49 zu lesen: Paulus sagt, dass Adam direkt im Bild Gottes erschaffen wurde, während der Rest der Menschheit (seit Eva) im Bild Gottes gemacht ist, indem wir die Herrlichkeit Gottes von Adam und unseren (irdischen) Eltern erben. Ähnlich argumentieren rabbinische Interpretationen, vgl. Gen. Rab. 8,9; 22,2; yBer. 9,1; vgl. D’Angelo, Garden, 7-21. Vgl. Prov 11,16 LXX, wo ebenfalls davon die Rede ist, dass die Frau ihrem Mann Ehre bringt: γυνη` ευ χα' ριστος ε γει'ρει α νδρι` δο' ξαν. Gen 2,23 LXX: ε κ του^ α νδρο` ς αυ τη^ ς ε λη' μφθη αυ« τη. Betont von Schrage II 512. Fee 517; vgl. Schrage II 513 mit Anm. 151.
610 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
keine Abwertung bedeutet und nicht abträglich gemeint ist, ergibt sich nicht aus der Formulierung mit δια' + Akk.,108 sondern aus dem Duktus der Argumentation im Kontext, in dem es nicht um das Wesen oder die Qualität von Mann und Frau geht, sowie aus V. 11-12. Die Tatsache, dass in der römischhellenistischen Gesellschaft die Ehefrauen oft beträchtlich jünger waren als ihre Ehemänner, half den korinthischen Frauen, das Argument der zeitlichen Priorität und der funktionalen Zuordnung von Mann und Frau zu verstehen, das Paulus aus der biblischen Schöpfungsgeschichte entwickelt. 10 Paulus schließt aus den Argumenten von V. 7-9 (δια` του^ το): Deshalb soll die Frau Macht haben über ihr Haupt, um der Boten willen. Die Bedeutung dieses Satzes ist umstritten. Es besteht kein Konsens in der Frage, was ε ξουσι' α („Macht“) bedeutet und wer mit α»γγελοι („Boten“, „Engel“) gemeint sind. Folgende Interpretationen für das Wort ε ξουσι' α werden angeboten:109 1. Die Kopfbedeckung, im Sinn der apotropäischen Funktion der Kraftverleihung an die Frau, die sich damit gegen Angriffe böser Mächte wehren kann.110 2. Die Kopfbedeckung als Symbol der Macht des (Ehe-)Mannes. 111 3. Die Symbolkraft der Kopfbedeckung, als Hinweis auf die Macht und Ehre ֹ „( ַשְלMacht, der Frau.112 4. Eine Übersetzung des aramäischen Wortes טונַּיה 113 Herrschaft“), das in der Bedeutung „Schleier“ belegt ist. 5. Als Abstraktum, im Sinn von „eine Macht (d.h. Kontrolle) über ihren Kopf“, d.h. über sich selbst.114 Die zuletzt genannte Bedeutung entspricht a) der gängigen Verwendung des Wortes ε ξουσι' α als Abstraktum im Sinne von „Macht“ (d.h. der Macht, die man hat, nicht die passiv erfahrene Macht anderer), b) der syntaktischen Konstruktion der Wendung,115 und c) dem Duktus der Argumentation. Die Frau soll sich nicht zu Verhaltensweisen hinreißen lassen, die ihre in der Schöpfung begründete Nachordnung gegenüber dem Ehemann durch die Ablehnung der Kopfbedeckung verdecken. 116 Durch das Tragen der traditionellen Kopfbedeckung demonstriert die Ehefrau ihre Kontrolle über ihren Kopf, indem sie ihre Treue gegenüber ihrem Ehemann sowie ihren persönlichen ge————————————————————
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Schrage II 513 Anm. 152. Vgl. Fitzmyer, Essays, 191-194; Küchler, Schweigen, 89-97; Gielen, Beten, 242-244. Weiss 274; Lietzmann 54. Heinrici 329; Allo 260; Küchler, Schweigen, 91-97. Schlatter 312 verweist auf tQid 1,11. Hooker, Authority, 410-416. Kittel, Macht, 17-31, mit Verweis auf ySchab 6,8b; ebenso Fitzmyer, Essays, 193-194. Robertson/Plummer 232; Schrage II 513; Wolff 252; Thiselton 840; Garland 524-526; Padgett, Women, 71-72; Delobel, 1 Corinthians 11,2–16, 387; Gielen, Beten, 244. EÜ „das Zeichen ihrer Vollmacht“, GN „ein Zeichen der Unterordnung und zugleich der Bevollmächtigung“, NGÜ „ein Zeichen dafür, dass sie der Autorität des Mannes untersteht“. Für ε ξουσι'αν ε»χειν ε πι' mit Genitiv s. Dan 3,97; Sir 17,2; Lk 9,1; Offb 2,26; 14,18; 20,6. Gielen, Beten, 244, die allerdings im Sinn der Kurzhaarfrisur der Frau interpretiert. Vgl. BeDuhn, Angels, 303-304; Garland 525.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 611 ————————————————————————————————————
sellschaftlichen Status akzeptiert. Die erotischen Signale, die Frauen mit der Enthüllung in der Öffentlichkeit der Gemeindeversammlung senden, werden vermieden, die Zuordnung von Mann und Frau bleibt erhalten und die Artikulation der Wirklichkeit Gottes durch die Frau im Gebet und im prophetischen Reden bleibt authentisch. 117 Schwierig ist auch die Wendung „um der Boten willen“ (δια` του` ς α γγε'λους). Folgende Auslegungsmöglichkeiten werden für α»γγελοι vorgeschlagen.118 1. Gemeindeleiter wie in Offb 2,1. 119 2. Boten aus anderen Gemeinden, die am Verhalten der Frauen in der korinthischen Gemeinde Anstoß nehmen.120 3. Boten von ungläubigen Bürgern, die sich für die christliche Gemeinde interessieren und einen Klienten (oder Sklaven) in die Gemeindeversammlung senden, um einen Bericht über die Aktivitäten der Jesusbekenner zu erhalten.121 4. Die Engel, die den Frauen am Ostermorgen die Nachricht von der Auferweckung Jesu verkünden.122 5. Die Engel, die nach Jes 6,2 vor dem Thron Gottes mit ihren Schwingen Gesicht und Füße bedecken. 123 6. Die gefallenen Engel von Gen 6,1-4, deren Opfer die Frauen werden, die mit unverhülltem Haupt beten.124 7. Die Engel, über die die Gläubigen zu Gericht sitzen werden (vgl. 6,3).125 8. Gute Engel, die im Gottesdienst anwesend sind, Gott repräsentieren und Gebet und Prophetie vermitteln.126 Die dritte sowie die letzten beiden Interpretationen sind am ehesten plausibel. 127 Das Wort α»γγελος128 bedeutet allg. „Bote“ und wird 1. von menschlichen Boten gebraucht im Sinn von „Abgesandte“: von Menschen gesandte Menschen (im NT vgl. ————————————————————
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Watson, Authority, 530-532. Schrage II 515-517; Wolff 253-254; Garland 526-529; Fitzmyer, Essays, 195-198; Küchler, Schweigen, 98-107; Gielen, Beten, 244-245. Bornhäuser, Engel, 478-483. Padgett, Women, 81-82; Murphy-O’Connor, Once Again, 271-272. Winter, Corinth, 136-137; ders., Roman Wives, 85-91. Rigato, Angeli, 304-313; kritisch Wolff 253. Bengel 657. Weiss 274; Lietzmann 55; Senft 143-144; Schrage II 515-516; Küchler, Schweigen, 481491; Theißen, Aspekte, 175-178; Bauer /Aland 13-14 s.v. α»γγελος 2c; I. Broer, EWNT I, 34-35. Vgl. äthHen 6–7; 19,1; Jub 4,21-22; 5,1; syrBar 56,10-12; TestRub 5. Kritisch Gielen, Beten, 245-246. Keener 94: Die Autorität über die Engel sollte die christlichen Frauen in der Gegenwart motivieren, ihre Autorität (Rechte) über ihre Häupter in rechter Weise zu benutzen. Heinrici 331; Bachmann 358; Schlatter 312-313; Witherington 236; Collins 412; Garland 528-529; Ciampa /Rosner 734; Isaksson, Marriage, 179; Baumert, Antifeminismus, 8687; Gielen, Beten, 246. GN: „Damit genügt sie der Ordnung, über die die Engel wachen“. Lindemann 244 hält angesichts der seines Erachtens allesamt nicht völlig befriedigenden Interpretationsvorschläge eine „schlüssige Auslegung“ für „offenbar unmöglich“. Vgl. W. Grundmann/G. von Rad/G. Kittel, Art. α»γγελος, ThWNT I, 72-87; I. Broer, EWNT I, 32-37; H. Bietenhard, ThBLNT I, 332-335.
612 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Lk 7,24; 9,52; Jak 2,25), von Gott gesandte Menschen, d.h. die Propheten (vgl. Mal 3,1; Mt 11,10; Mk 1,2; Lk 7,27); 2. von übernatürlichen Mächten: die Engel als Gottesboten (vgl. Mt 1,20; Lk 1,11; Joh 1,51; Apg 5,19; Gal 4,14; 1Petr 1,12; Offb 5,2), allg. Geistmächte (1Kor 4,9; Röm 8,38), böse Geister (Mt 25,41; 2Petr 2,5; Jud 6; Offb 9,11; 12,7.9). Unklar ist, wie in V. 10 der Artikel in der Wendung οι α»γγελοι zu interpretieren ist. Ph. Bachmann ist einer der wenigen Ausleger, der den Artikel überhaupt erwähnt; er meint, „mit diesem Artikel und ohne Zusatz“ sei das Wort kaum anders als auf die „Dienstgeister“ Gottes zu beziehen.129 Dies ist jedoch alles andere als sicher, wenn man bedenkt, dass Paulus die Vokabel 14 mal verwendet – von 1Kor 11,10; 13,1 abgesehen immer ohne Artikel. Der Artikel könnte in V. 10 anaphorisch gebraucht sein und auf 4,9; 6,3 verweisen. Die Anwesenheit von Engeln im Gottesdienst kann mit 1Kor 13,1 und 1Tim 5,21 begründet werden. In 1Kor 13,1 spricht Paulus von der „Sprache der Engel“, die im Gottesdienst zu Gehör gebracht werden kann. In 1Tim 5,21 schreibt er an Timotheus: „Ich ermahne dich inständig vor Gott und Christus Jesus und den auserwählten Engeln, dass du dich daran hältst ohne Vorurteil und niemanden begünstigst“. Paulus erwähnt Engel auch in 1Kor 4,9; 6,3. Zur Gegenwart von Engeln in der Versammlung des Volkes Gottes siehe auch Philo, Op. 72-75; Conf. 179; Ps 137,1 LXX; 1QSa 2,311; 1QSb 4,26.
Wenn die Engel Gottes gemeint sind, die in den gottesdienstlichen Versammlungen als göttliche Repräsentanten gegenwärtig gedacht sind, erinnert Paulus an die Gegenwart der Engel bei der Erschaffung der Welt (vgl. Jub 2,1-16) und damit an die in der Schöpfung verankerte, differenzierende Zuordnung von Mann und Frau, gegen die manche korinthische Frauen verstoßen.130 B. Winter verweist für die dritte Interpretation im Sinne von Boten, die interessierte Außenstehende in die Versammlung der Christen schicken, um Informationen einzuholen, auf die Einrichtung des Magistratsamtes der γυναικονο' μοι, der „Kontrolleure der Frauen“,131 die unter anderem für die Einhaltung der Kleiderordnung zum Beispiel bei Prozessionen zu sorgen hatten. Nach 14,23 waren Außenstehende regelmäßig bei Versammlungen der Gemeinde anwesend. Bessergestellte Personen der korinthischen Gesellschaft hätten keine neuen (regelmäßig stattfindenden!) Veranstaltungen besucht, ohne sich zuerst von einem Klienten oder Bekannten über die Vorgänge Bericht erstatten zu lassen, die sich in dem Privathaus (!) abspielten, in dem sich die Jesusbekenner trafen.132 Die Relevanz für die Thematik der Kopfbedek————————————————————
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Bachmann 358. Gielen, Beten, 246. Schrage II 517 betont die Rolle der Engel als göttliche Repräsentanten und als Vermittler von Gebet und Prophetie. Siehe oben die Einleitung zu 2,6-11. In Gal 2,4 spricht Paulus von (judenchristlichen) Informanten, die die Vorgänge in den Gemeinden, in denen Paulus wirkte, auskundschafteten. Zur folgenden Bemerkung vgl. die Kritik von Garland 526 Anm. 30.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 613 ————————————————————————————————————
kung der Frauen liegt auf der Hand. Wenn bekannt wird, dass die Frauen der Christen unverhüllt auftreten, werden potentielle Sympathisanten abgeschreckt. Solches Verhalten galt als schändlich und konnte leicht mit Konnotationen sexueller Unabhängigkeit und Freizügigkeit verbunden werden. Und wenn die Magistratsbehörden auf die Zurückweisung der traditionellen Kleiderordnung aufmerksam werden, könnte die ganze Gemeinde in Schwierigkeiten kommen. Paulus signalisiert mit dem Verb ο φει' λω („verpflichtet sein, müssen“), dass es sich bei der Direktive, Frauen sollen in der Gemeinde mit der traditionellen Kopfbedeckung auftreten, um eine Pflicht handelt.133 Diese Pflicht wird nicht vom Mann formuliert, sondern ergibt sich aus der gesellschaftlichen Norm: Verheiratete Frauen tragen in der Öffentlichkeit eine Kopfbedeckung. 11 Das Verständnis dieses Satzes hängt teilweise von der einleitenden Konjunktiv πλη' ν ab. Viele verstehen πλη' ν adversativ134 und interpretieren diesen und den nächsten Vers als „eine deutliche Modifikation und in gewisser Weise sogar Korrektur des Gesagten“.135 Die meisten Ausleger meinen, Paulus wehre in V. 11-12 einem potentiellen Missverständnis seiner vorausgehenden Argumentation: Die Frau ist nicht minderwertig, sondern „im Herrn“ sind Mann und Frau gleichberechtigt aufeinander angewiesen. 136 Πλη' ν hat jedoch nicht immer adversative Bedeutung; bei Paulus liegt die Bedeutung „nur, jedenfalls“ vor, „das die Erörterung abschließt und das Wesentliche hervorhebt“.137 Paulus schreibt: Doch im Herrn ist weder die Frau ohne den Mann (etwas) noch der Mann ohne die Frau. Die in der Übersetzung an den Anfang gestellt Wendung „im Herrn“ (ε ν κυρι' ω, ) steht im griech. Text am Ende des Satzes, d.h. in betonter Stellung. Paulus betont, dass Mann und Frau aufeinander bezogen sind. Der Satz „die Frau ist nichts ohne den Mann“ (ου» τε γυνη` χωρι` ς α νδρο' ς) ist in der hellenistisch-römischen Gesellschaft nicht weiter überraschend, von der Einstellung der „neuen Frau“ vielleicht abgesehen (s. zu V. 5). Überraschend ist der Satz „der Mann ist nichts ohne die Frau“ (ου» τε α νη` ρ χωρι` ς γυναικο' ς). Der parallel formulierte Satz unterstreicht ————————————————————
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Betont von Winter, Corinth, 130-131. Richtig GN: „deshalb muss die Frau“. Vgl. Thrall, Particles, 21 (ohne Kommentierung). Lindemann 244; vgl. Conzelmann 232 („Rückzug“); Baumert, Antifeminismus, 88; ähnlich, wenn auch vorsichtiger, Schrage II 517-518. Heinrici 332; Weiss 275; Fee 517.522; Wolff 255; Thiselton 842; Garland 529. BDR §449.2; Bauer /Aland 1346 s.v. πλη' ν 1c; vgl. Thrall, Particles, 20-24, die neben einer adversativen von einer „progressiven“ Bedeutung (Lk 10,14; 19,27) spricht, die sie von der Verwendung in der LXX ableitet (Zeph 3,7 LXX, mit einer „inceptive force“; vgl. Klgl 3,1-3; Ps 38,6-7; 67,22; 139,14; Hos 12,9; Jer 12,1; 2Kön 23,35; 24,3).
614 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
die Gleichrangigkeit von Mann und Frau als Folge des Heilshandelns Gottes in Jesus Christus.138 Dass mit κυ' ριος Jesus Christus gemeint ist, zeigt Gal 3,28, eine Stelle, die V. 11 zugrunde liegt: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus“. Die schöpfungsbedingten Unterschiede zwischen Mann und Frau bleiben in der Spannung zwischen dem Schon und Noch-Nicht bestehen, die die Heilszeit der neuen Schöpfung charakterisiert. Sie spielen aber in der endzeitlichen Gemeinde Gottes, d.h. in dem Raum, in dem die neue Schöpfung angebrochen ist und Jesus Christus herrscht, keine Rolle mehr, weil sowohl der Mann wie auch die Frau den Namen des Herrn Jesus Christus anrufen und „in Christus Jesus“ Geheiligte und berufene Heilige sind (1,2). Im Raum der Gemeinde sollen Mann und Frau als einander Zugeordnete und in gleicher Weise aufeinander Angewiesene leben. Das heißt, dass die „praktisch-innovative Kraft“ von Gal 3,28 auf den Raum der Heilsgemeinde begrenzt bleibt, wie M. Gielen schreibt: „Auch für die Glaubenden, die als in Christus Erlöste bereits neue Schöpfung sind und in ihm ihre neue Identität gewonnen haben, ist also die Schöpfung nicht gänzlich überholt“. 139 Wenn korinthische Christinnen durch das Auftreten ohne Kopfbedeckung die schöpfungsbedingte Zuordnung einer (Ehe-)Frau zum Mann aufheben, dann gilt unabhängig von ihrer Motivation (dazu s. V. 16), dass sie zu einem dieser Zuordnung entsprechenden Verhalten zurückkehren müssen. 12 Paulus unterstreicht, dass die schöpfungsbedingten Unterschiede zwischen Mann und Frau bestehen bleiben: Denn wie die Frau aus dem Mann ist, so auch der Mann durch die Frau. Der Satz „die Frau ist (kommt) aus dem Mann“ (η γυνη` ε κ του^ α νδρο' ς) erinnert zunächst an die Erschaffung Evas (V. 8b), bezieht sich aber im Zusammenhang des folgenden Satzes – „der Mann ist durch die Frau“ (ο α νη` ρ δια` τη^ ς γυναικο' ς) – auf die Geschlechterabfolge durch die Generationen der Menschheit hindurch (creatio continua). Die Aussage in V. 12b: alles aber ist aus Gott (τα` δε` πα' ντα ε κ του^ θεου^ ) unterstreicht, dass „alles“, d.h. die schöpfungsbedingte Existenz als ————————————————————
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Andere sehen die Betonung in dem Gedanken, dass keiner ohne den anderen leben kann; vgl. Garland 529; Delobel, 1 Corinthians 11,2–16,382-384. Gielen, Beten, 247; vgl. Merklein, Spannungsfeld, 236. Anders Kümmel 184, der meint, Paulus habe „die christliche Klarheit von Gal 3,28 nicht erreicht“; ähnlich Schrage II 525: „1Kor 11,2-6 bleibt hinter dem eigentlich paulinischen Niveau zurück und ist an Gal 3,28 zu messen“. Solche Urteile gehen einerseits von einem Freiheitsverständnis aus, das sich weder für Paulus noch für die Korinther belegen lässt, andererseits verkennen sie den Argumentationsduktus der Stelle, der nur auf dem Hintergrund der relevanten Konventionen der römischen Gesellschaft adäquat verstanden werden kann. Vgl. auch Gundry-Volf, Gender, 170-171; Lindemann 246.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 615 ————————————————————————————————————
Mann und Frau (V. 12a), nicht in der einander zugeordneten Gleichrangigkeit von Mann und Frau „im Herrn“ (V. 11) aufgeht, sondern von Gott her so geordnet ist. Mit dieser Aussage erweisen sich V. 11-12 nach M. Gielen als der entscheidende Punkt der Argumentation von Paulus: „Grundlage dabei ist der Gedanke, daß Erlösung nicht an dem Punkt ansetzt, wo der Mann vor der Frau erschaffen wird, sondern einbricht in den schöpfungsbedingten Zusammenhang von Zeugung und Geburt. . . . Weil also Mann und Frau auch im Herrschaftsbereich des Kyrios aufeinander hingeordnet und verwiesen sind, muß der Mann als Mann und die Frau als Frau ‚im Herrn‘ sein. Ihre Gleichrangigkeit darf daher nicht mißverstanden werden als Gleichmacherei, die alle schöpfungsmäßig angelegten Unterschiede, die eben auch eschatologisch ihre Gültigkeit behalten (V. 12), einebnen will“. 140 Daraus ergibt sich für die Frauen, dass sie beim Beten in der Gemeinde die Stola über den Kopf ziehen bzw. die traditionelle palla tragen sollen, um das bewusst riskierte oder unbewusst provozierte Missverständnis zu vermeiden, dass sie unabhängig von ihren Ehemännern leben und dass sie das Urteil der Gesellschaft in Kauf nehmen, eine Ehebrecherin zu sein. 141
Appell an die Einsicht 11,13-16 I 13 Urteilt bei euch selbst: Schickt es sich für eine Frau, unverhüllt zu Gott zu beten? 14 Und lehrt euch nicht auch die Natur selbst, dass es für den Mann eine Schande ist, wenn er langes Haar trägt, 15 für die Frau aber eine Ehre, wenn sie langes Haar trägt? Denn das Haar ist ihr als Hülle gegeben. 16 Wenn aber jemand meint, streitsüchtig sein zu dürfen – wir haben eine derartige Sitte nicht und auch nicht die Gemeinden Gottes.
II Paulus nennt abschließend weitere Gründe für die Regelung von V. 4-5a. Er argumentiert mit der Schicklichkeit (V. 13), mit der Natur (V. 14-15) und mit der Sitte der christlichen Gemeinden (V. 16). Alle drei Gründe haben mit der Erfahrung zu tun, die in verschiedenen Bereichen evident ist – im Bereich der Gesellschaft, im Bereich der Tradition und im Bereich der Gemeinde. Die ————————————————————
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Gielen, Beten, 248, die hinzufügt, dass damit „die Gleichheit von Mann und Frau bei der Ausübung gemeindlicher Funktionen“ nicht angetastet ist. Aus V. 11-12 ergeben sich in der Tat Folgerungen für die Frage der Verhüllung des Kopfes; anders Lindemann 245.
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ersten beiden Argumente sind als rhetorische Fragen formuliert, die mit der selbstverständlichen Antwort „Nein“ bzw. „Ja“ rechnen. Textkritische Anmerkungen. Mehrere Handschriften lassen nach δε'δοται das Wort αυ τη^, aus (d46 D F G Ψ Byz b); manche Handschriften setzen αυ τη^, vor δε'δοται (C H P 630 1175 u.a.), andere nach δε'δοται ( אA B 33 81 365 2464 g syp).142 Die dritte Alternative ist gut bezeugt, ein hinreichender Grund, das Pronomen im Text stehen zu lassen.
III 13 Zum Schluss des Arguments, dass Frauen in den gottesdienstlichen Versammlungen nicht unverhüllt auftreten sollen, appelliert Paulus an das Urteil der korinthischen Gemeinde: Urteilt bei euch selbst (ε ν υ μι^ν αυ τοι^ς κρι' νατε).143 Paulus führt weder „eine gänzlich veränderte Argumentationsebene“ ein, noch hat er „das Gefühl“, die in V. 2-12 für die Frauen formulierten Direktiven „noch nicht schlüssig erwiesen zu haben“. 144 Es gibt keine Regel, die verlangt, dass christologische und theologische Argumente (V. 11-12) den Höhe- und Schlusspunkt eines argumentativen Abschnitts bilden müssen. Paulus setzt in V. 13-16 seine Argumentation der Frage fort, ob Frauen in den Gemeindeversammlungen die traditionelle Kopfbedeckung tragen sollen. In V. 13 argumentiert Paulus mit der Schicklichkeit, ein Argument, dass die korinthischen Christen überzeugen müsste: Schickt es sich für eine Frau, unverhüllt zu Gott zu beten? Wenn der Ausdruck το` πρε' πον im Hellenismus eine Bedeutung hat, die wie το` δι' καιον, το` καλο' ν und το` α γαθο' ν „das ganze Leben umspannt, weil das soziale Leben eine Fülle von Tugenden fordert“,145 dann umfasst er auch Fragen der Kleiderordnung. In V. 10 hatte Paulus mit dem Verb ο φει' λω auf die Pflicht hingewiesen, die für eine verheiratete Frau bestand, in der Öffentlichkeit eine Kopfbedeckung zu tragen. In V. 12 argumentiert er ähnlich, aber deutlicher, mit der Schicklichkeit. Die Wendung πρε'πον ε στι' ν verweist in zeitgenössischen Texten auf die Erwartung, dass man sich den bestehenden Normen konform verhält – eine fundamentale Kategorie der römischen Kultur, nicht zuletzt infolge der Ehegesetzgebung des Augustus, in denen das Verhalten bis hin zur Kleiderordnung ge————————————————————
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Vgl. Metzger, Commentary, 495-496; Lindemann 246. Zuntz, Text, 127; Fee 524 Anm.2; Thiselton 843-844 argumentieren für Auslassung. Die Ortsbestimmung ε ν υ μι^ν ist nicht auf den einzelnen Christen, sondern auf die Gemeinde zu beziehen. Schrage II 520 Anm. 201 lehnt zurecht die Auslegung im Sinn von „in eurem Innern“ (Robertson/Plummer 234) ab, ebenso den Vorschlag von Bachmann 360, der im Sinn von „an euch selbst“ interpretiert und meint, die Präposition ε ν bezeichne das Objekt, an dem „die prüfende Beurteilung ihren Maßstab oder ihre Unterlage hat“. So Lindemann 245; vgl. Schrage II 520. G. Schrenk, Art. δι'καιος, ThWNT II, 184; zu πρε' πον vgl. Pohlenz, Το` πρε' πον, 53-92.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 617 ————————————————————————————————————
regelt waren.146 Weil den Korinthern die Normen und die Erwartungen der Gesellschaft bekannt waren, erwartet Paulus, dass sie die gestellte Frage mit „Ja“ beantworten.147 Paulus sagt, dass es allgemein bekannt ist, dass eine Frau in der Öffentlichkeit nicht ohne Kopfbedeckung148 beten soll. Es geht nicht um die Sitte, die die rechte Art des Betens regelt,149 sondern um die Normen der Schicklichkeit, die in der Gesellschaft gelten, die den Korinthern bekannt sind und die durch die neue Existenz „im Herrn“ nicht aufgehoben wurden. Dies zeigt sich einmal daran, das Paulus in V. 13 vom unverhüllten Beten der Frau spricht, in V. 5 vom unverhüllten Beten und Prophezeien der Frau. Es ist wenig plausibel, Sonderregeln für das Auftreten gläubiger Frauen bei gerade diesen beiden Aktivitäten anzunehmen: Es geht generell um das Auftreten in der Öffentlichkeit der Gemeinde. 14 Das nächste Argument in V. 14-15, mit dem Paulus seine Anweisung begründet, dass die Frauen mit der über den Kopf gezogenen palla in der Gemeinde auftreten sollen, beruft sich auf die Natur. Zunächst spricht Paulus wieder vom Mann: Lehrt euch nicht auch die Natur selbst, dass es für den Mann eine Schande ist, wenn er langes Haar trägt? Paulus erwartet wieder, das diese Frage selbstverständlich mit „Ja“ beantwortet wird. Der Ausdruck „Natur“ (φυ' σις) bezieht sich auf die anerkannte Ordnung der Natur, zu der die Beschaffenheit von Männer und Frauen und das Aussehen von Männern und Frauen gehören.150 Paulus will selbstverständlich nicht sagen, dass „die Natur“ bei Männern das Haar kurz wachsen lässt. Der Hinweis auf „Schande“ (α τιμι' α) benennt, wie πρε'πον in V. 13, die als Norm anerkannte Praxis in der natürlichen Ordnung der Dinge. Bei der Berufung auf die Natur ————————————————————
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Winter, Roman Wives, 91-92, mit Verweis auf Athenaeus, Deipnosophistis 186b-187a. 188c; Plutarch, Mor. 808E; Sextus Empiricus, Pyrr. hyp. 3,245; Dionysius Halikarnassus, Ant. Rom. 4,24; 11,37; 14,2; 11,6; Plato, Phaed. 274b; Theokles, Lyr. 5,40. Vgl. auch die Belege in den Inschriften IG V/2 22; I.Iasos 24,1; IGUR III 1266. Die weite Verbreitung der Formulierung und des Begriffs macht es überflüssig, von einem „stoischen Klang“ (Conzelmann 232) der Wendung zu sprechen. In den Papyri ist die Wendung πρε' πον ε στι'ν erst ab dem 3. Jh. n.Chr. belegt (P.Oxy. I 120,24); die in ähnlicher Weise verwendete Form πρε' πει ist älter (vgl. UPZ I 110,85, 164 v.Chr.); vgl. Arzt-Grabner 390. Das betont vorangestellte ε ν υ μι^ν und das eigentlich überflüssige αυ τοι^ς unterstreichen, dass die Normen der Schicklichkeit, von denen Paulus spricht, den Korinthern ganz selbstverständlich bekannt sein müssten; vgl. Winter, Roman Wives, 92-93. Zu α κατακα' λυπτον siehe V. 5. So jedoch Schrage II 520. H. Köster, Art. φυ' σις, ThWNT IX, 266. Vgl. Schrage II 521, der zu Recht die Beschränkung auf die Schöpfung und auf die Sitte (Wolff 255) ablehnt; er weist darauf hin, dass es sich faktisch jedoch tatsächlich um eine Konvention handelt. Lindemann 245 interpretiert als „anerkannte Ordnung“. Als „handelndes Subjekt“ (H. Paulsen, EWNT III, 1063) tritt die φυ' σις nur formal auf; eine Personifikation liegt nicht vor.
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erwartete man ungeteilte Zustimmung. Selbst die höchsten Vertreter des Staats und seiner Verwaltung argumentierten mit der Natur einer Sache, „was derartigen Argumenten höchste Autorität verleiht“.151 Die Bevorzugung der Ehelosigkeit angesichts aktueller Notlagen (7,26) zeigt, dass Paulus die Natur bzw. Schöpfungsordnungen nicht verabsolutiert und als letzte und immer maßgebliche Kriterien für den Willen Gottes versteht, der das Handeln des Menschen informiert. Sie können „im Herrn“ relativiert oder unter bestimmten Umständen auch überholt werden.152 W. Schrage meint, diese „Ambivalenz des ‚Natürlichen‘“ gelte „anders als Paulus meint“ auch für die Frage der Haartracht: Was hier naturgemäß ist, wird in verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen unterschiedlich beantwortet. Als Beleg verweist er auf die Spartaner, die nach Auskunft von Herodot schulterlanges Haar getragen haben (Herodot, Hist. 7,208-209). Man muss jedoch beachten, dass Paulus keine allgemeine Grundsatzdiskussion über die Naturordnung führt, sondern die Frage der Haartracht in einer ganz bestimmen Gesellschaft behandelt, nämlich der römischen. Hier trägt der Hinweis auf Herodot nichts aus, der über 450 Jahre vor Paulus schrieb, gerade wenn gilt, dass die Geschichte der griechischen Männerfrisur „den siegreichen Kampf der Haarschur gegen die Tracht des langes Haares“ darstellt.153
Paulus betont, dass es für Männer eine Schande ist wenn sie sich lange Haare wachsen lassen (κομα' ω, „langes Haar tragen, sich das Haar lang wachsen lassen“). Eine solche Praxis nimmt dem Mann die Ehre, sie setzt ihn der Verachtung seiner Zeitgenossen aus. 154 In Griechenland setzte sich seit ungefähr 550 v.Chr. die kurze Haartracht für die Männer durch. In der römischen Gesellschaft galt schon vor Augustus kurzes Haar als typisch für die volljährigen Männer.155 Wer als Mann das Haar lang trug, der fiel auf und galt etwas Besonderes. Ein Briefschreiber gibt seinem Sohn den Rat, den Sklaven Harpochras zu veranlassen, „zehn Jahre lang bei dir sein Haar lang zu tragen, auf dass er nicht flüchtet“ (P.Oxy. XXII 2353,4-5, datiert in das Jahr 32 n.Chr.). R. Kritzer kommentiert: „Das lange Haar sollte den Sklaven offensichtlich daran hindern, sich aus dem Staub zu machen – der Flüchtige würde sofort Aufmerksamkeit erregen“.156 ————————————————————
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Arzt-Grabner 390-392, mit Verweis auf Briefe der Kaiser Claudius (P.Lond. VI 1912,23) und Hadrian (P.Oslo III 78,14-16); SB XII 10967,22-25; P.Oxy. XXXIV 2711,3-4.15-17. So richtig Schrage II 521-522; ebd. 522 für die folgende Diskussion. I. Bremer, PW VII, 2112, zitiert bei Schrage II 522 Anm. 212. α τιμι'α ist α -Privativbildung von τιμη' . Vgl. H. Hübner, Art. α τιμι'α, EWNT I, 426-427. Plutarch, Mor. 267B; Phaedrus, Fab. 54,24-33. Blanck, Privatleben, 83; W. H. Groß, Art. Haartracht, Haarschmuck, KP II, 897-899; R. Hurschmann, Art. Haartracht, DNP V, 3945; H. Herter, Art. Effeminatus, RAC IV, 632; B. Kötting, Art. Haar, RAC XIII, 177203, bes. 177-181. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 386.
Kompromiss V: Männer und Frauen im Gottesdienst 11,2-16 619 ———————————————————————————————————— Dio Chrysostomos schreibt im Rahmen seiner Polemik gegen die Sophisten, die gewöhnlich lange Haare trugen: „Auf keinen Fall aber darf man in langem Haar den Beweis für besondere Tüchtigkeit sehen. Denn viele Menschen tragen einem Gott zu Ehren langes Haar (δια` θεο' ν τινα κομω^ σιν); Bauern tragen es lang, ohne jemals etwas von Philosophie gehört zu haben, und nicht zuletzt die meisten Barbaren, die einen zum Schutz, die andern, weil sie meinen, es stehe ihnen gut. . . . Wir Menschen aber (d.h. im Gegensatz zu Hasen und Vögeln, die durch ihr Fell bzw. Gefieder geschützt werden) schneiden uns das Haar kurz, wie Hirten den Stuten, die sie mit Eseln zusammenbringen wollen, die Mähne scheren, rasieren uns den Bart ab“ (Or. 35,11-12; zitiert nach NW II 348-349).
Zu beachten ist, dass Paulus an eine Gemeinde schreibt, die auch von Vertretern der gesellschaftlichen Elite der Stadt besucht wurde. Es ist deshalb irrelevant, wenn Bauern, Barbaren oder Menschen, die ein Gelübde abgelegt hatten,157 lange Haare trugen. In Korinth konnte man zwar Statuen sehen, die Männer mit langen Haaren darstellen, aber dabei handelte es sich in den meisten Fällen um Götter, nicht um Menschen.158 Vor allem Apollon und Dionysos wurden mit bis auf die Schultern fallenden Locken dargestellt. Andere Männer mit langen Haaren konnte man im Forum des römischen Korinth an der Fassade der Gefangenen sehen; die römischen Eroberer betonten durch diese Darstellung die Schwäche der Gefangenen. Die erwachsenen Männer, die in Korinth wohnten, haben nicht lange, sondern kurze Haare getragen. Lange Haare signalisierten eine Leugnung der Maskulinität und provozierten oft den Verdacht passiver homosexueller Neigungen, die in der römischen Gesellschaft gesellschaftlich stigmatisiert waren. 159 Paulus erinnert die korinthischen Christen daran, dass die männlichen Glieder der Gemeinde wie üblich kurze Haare tragen sollen. 15 Für die Frauen ist die Sitte anders. Lehrt euch nicht die Natur, dass es für die Frau aber eine Ehre (ist), wenn sie langes Haar trägt? Frauen trugen ihr Haar lang. Skulpturen zeigen Frauen immer mit langen Haaren. Besonders bei den bessergestellten Frauen wurde das lang getragene Haar kunstvoll fri————————————————————
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Solche zeitlich befristeten Gelübde waren häufig die notwendige Vorbereitung auf ein Haaropfer, z.B. aus Dankbarkeit über eine Rettung. Vgl. B. Kötting, Art. Gelübde, RAC IX, 1063. Im AT ist das Nasiräatsgelübde zu vergleichen (Num 6,5; Ri 13,5; 1Sam 1,11; vgl. Josephus, Ant. 4,72); zu einem Gelübde von Paulus selbst vgl. Apg 18,18. Gill, Head Coverings, 257; dieses Detail hat Thompson, Hairstyles, 104 übersehen; vgl. Winter, Corinth, 132; ebd. die folgende Beobachtung. Horaz, Epod. 11,28; Petronius 119,24.27; Martial, Epigr. 12,97; Juvenal 2,96; Plutarch, Mor. 261F). Vgl. H. Herter, Art. Effeminatus, RAC IV, 632; Veyne, Das römische Reich, 78; Winter, Corinth, 132-133; Gielen, Beten, 234. Zur Homosexualität in der römischen Gesellschaft im Allgemeinen und im römischen Korinth im Besonderen vgl. Winter, ebd. 110-120; siehe auch zu 6,9.
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siert.160 Die Haarmode wurde nachhaltig durch die Frauen des Kaiserhauses bestimmt, die durch Statuen repräsentiert und auf Münzen abgebildet wurden. Einfachere Frauen, die man auf Grabsteinen abgebildet findet, haben offensichtlich die Frisur nach ihrer Heirat nicht mehr geändert. Für geachtete Frauen war die Kurzhaarfrisur undenkbar. Kurze Haare waren das Resultat der Bestrafung von Ehebrecherinnen und signalisierten sexuelle Perversion. Lange Haare sind für die Frau eine „Ehre“ (δο' ξα). Lange Haare waren in der römischen Gesellschaft ein Symbol für die Beziehung einer Frau zu ihrem Ehemann.161 Das lange, nach oben geflochtene Haar162 gilt als Kopfbedeckung, die anstelle eines Schleiers getragen wird: denn das Haar ist ihr als Hülle gegeben (η κο' μη α ντι` περιβολαι' ου δε' δοται αυ τη^, ; V.15b). Das Wort περιβο' λαιον bedeutet „Umhang, Decke, Hülle“; es bezeichnet im Allgemeinen ein Stück Stoff, das man sich umhängt. Paulus bezeichnet die langen Haare der Frauen metaphorisch als „Hülle“, das ihnen von der Natur gegeben wurde. Was bedeuten V. 14-15 im Blick auf die Anweisung, dass Frauen nicht unverhüllt beten sollen (V. 13)? Paulus geht es in V. 14-15 nicht um die Haartracht von Männern und Frauen an sich, sondern um eine Illustration aus der Natur, mit der er seine Anweisung als plausibel herausstellen will. Die Haartracht von Männern und Frauen dient ihm als Analogie. Die Natur hat den Frauen in ihren Haaren eine herrliche, natürliche Kopfbedeckung („Hülle“) gegeben. Die Frauen sollen deshalb dem Beispiel der Natur folgen, und beim Auftreten in der Öffentlichkeit der Gemeinde eine Kopfbedeckung tragen (wie in der Gesellschaft üblich, V. 13). Die Männer tragen keine langen Haare, d.h. ihre Haare dienen ihnen nicht als Verhüllung; deshalb sollen sie auch im Gottesdienst ohne Kopfbedeckung beten. 163 ————————————————————
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W. H. Groß, KP II, 898: „Die römischen Frauen setzen die reiche Frisurentradition der hellenist(ischen) Zeit fort. Während im 1. Jh. v. Chr. zunächst noch einfach gewelltes H(aar) mit Mittelscheitel vorherrscht, kommen während der Bürgerkriege Scheitelzopf, Stirnwelle und Nackenknoten auf, die in verschiedener Höhe und Anordnung die H(aartracht) bis ins 3. Viertel des 1. Jh. n. Chr. beherrschen“. Vgl. Küchler, Schweigen, 79-82; Gill, Head Coverings, 251-256; Gielen, Beten, 234. Gill, Head Coverings, 258. Offenes, herabwallendes Haar wurde bei den Griechen und Römern im Allgemeinen mit innerer Aufgewühltheit, d.h. mit Trauer und leidenschaftlicher Liebe verbunden. Wolff 255; Garland 531; Belleville, Head Covering, 221. Viele Ausleger verkennen die Argumentationsweise des Paulus, vgl. Schrage II 523; Lindemann 246. Wolff 255 schildert die auf den ersten Blick naheliegende, von vielen vertretene Position so: „Strenggenommen sind damit alle vorhergehenden Überlegungen des Apostels hinfällig; wenn das lange Haar bereits die Funktion des Verhüllens hat, wozu braucht die Frau dann noch eine besondere Kopfbedeckung?“
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16 Der Sinn des letzten Satzes in der Diskussion zur Kopfbedeckung ist nicht auf den ersten Blick klar: Wenn aber jemand meint, streitsüchtig sein zu dürfen – wir haben eine derartige Sitte nicht und auch nicht die Gemeinden Gottes. Viele meinen, Paulus sei sich bewusst, wie wenig überzeugend seine bisherige Beweisführungen war und wertet deshalb jeden weiteren Widerspruch „kurzerhand als Streitlust obstinater Leute“, die nur Recht haben wollen.164 Die Wendung „wenn aber jemand meint“ (ει δε' τις δοκει^) bezeichnet die Anmaßung, mit der manche seine Argumente und seine Direktiven zurückweisen könnten. Der Ausdruck „streitsüchtig“ (φιλο' νεικος), der in Ez 3,7 die Hörunwilligkeit und Widerspenstigkeit Israels beschreibt, bezeichnet Streitsucht und Rechthaberei. 165 Der Vorschlag, V. 16 verweise weniger auf die Einsicht des Apostels in die fehlende Durchschlagskraft seiner Argumentation, als auf seine Bereitschaft, die Korinther ihre eigene Entscheidung treffen zu lassen,166 kann nicht überzeugen: Die Formulierung „eine derartige Sitte“ (τοιαυ' την συνη' θειαν) bezieht sich nicht auf φιλο' νεικος („wir haben nicht die Gewohnheit zu streiten“).167 W. Schrage weist darauf hin, dass Josephus den Ausdruck φιλο' νεικος ebenfalls am Ende eines Abschnitts verwendet, um Menschen zu beschreiben, „die um jeden Preis recht haben wollen und sich von den vorgetragenen Argumenten nicht überzeugen lassen“ (Josephus, Ap. 1,160).168 Die Formulierung mit einem realen Konditionalsatz (ει mit Ind. Präs.) weist wahrscheinlich darauf hin, dass Paulus über die Streitsucht der korinthischen Christen informiert war.169 Der Ausdruck φιλο' νεικος enthält möglicherweise einen Hinweis auf die Motivation von Frauen und Männern in der korinthischen Gemeinde, die unverhüllt in der Gemeinde leitende Funktionen ausübten bzw. im Fall der Männer beim Beten die Stola über den Kopf zogen.170 Der Hinweis auf die Streitsucht von Frauen findet sich in Beschreibungen der „neuen Frau“ in der römischen Gesellschaft, auf deren Verhalten Augustus mit seinen Ehegesetzen reagierte. ————————————————————
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Schrage II 523; vgl. Conzelmann 233; Wolff 255; Hays 189-190. Vgl. Schrage II 523. Das Wort kommt im NT nur hier vor. Im Griech. hat das Subst. φιλον(ε)ικι'α eine positive („Eifer nach guten Taten“) oder eine negative („Streitsucht, Meinungsverschiedenheit“) Bedeutung. Engberg-Pedersen, Character, 686; vgl. Lindemann 246. So Bachmann 361-362. Kritisch Wolff 256: συνη' θεια ist bei diesem Verständnis „eine zu harmlose Bezeichnung für Streitsucht“. Schrage II 523; vgl. Garland 532. Vgl. Wolff 256, mit Verweis auf BDR §372. Allein aus dem „realen“ Konditionalsatz sollte man dies jedoch nicht ableiten, da beim sog. Realis der Sprechende „das Verhältnis der Protasis zur Wirklichkeit unbestimmt“ lässt (HS §281a). Es ist eher die Formulierung mit τις, die auf konkrete Gemeindeglieder verweist, die streitsüchtig sind. Für das Folgende vgl. Winter, Corinth, 138-141; ders., Roman Woman, 95-96.
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Der Stoiker Musonius beschreibt bei der Behandlung der Möglichkeit, „dass auch die Frauen philosophieren sollten“, offensichtlich die in der römischen Gesellschaft auftretende „neue Frau“ (siehe zu V. 5) wie folgt: „Aber die Frau muß auch keusch und züchtig (σω' φρονα) sein. Sie muß frei sein von unerlaubten Liebesbeziehungen, frei von Unmäßigkeit bei den anderen Genüssen; sie darf keine Sklavin irgendwelcher Begierden sein, nicht Streit suchen (μηδε` φιλο' νεικον ει ναι), nicht auf Wohlleben erpicht und nicht putzsüchtig sein. Das sind Tugenden einer züchtigen Frau (ε»ργα τη^ ς σω' φρονο' ς ε στι). Und dazu kommen noch andere: Sie muß ihren Zorn beherrschen können (κρατει^ν με`ν ο ργη^ ς), darf sich nicht von Trauer überwältigen lassen, muß Herrin über jede Leidenschaft sein (κρει'ττονα δε` πα' θους παντο` ς ει ναι)“.171
Der Vorwurf der Streitsucht wird sich einerseits auf jene Männer in der korinthischen Gemeinde beziehen, die sich beim Beten die Stola über den Kopf ziehen, um ihre gehobene gesellschaftliche Stellung vor der versammelten Gemeinde bewusst herauszustellen. Der Vorwurf der Streitsucht bezieht sich andererseits auf jene Frauen, die bei der Ausübung leitender Funktionen in der Gemeinde, beim Beten und beim prophetischen Reden bewusst unverhüllt auftreten. Indem sie absichtlich die palla abstreifen und damit die von allen akzeptierte Tradition missachten, verhöhnen sie die in der römischen Gesetzgebung verankerte Konvention, die die treue Ehefrau symbolisierte. Da man sich in der Gemeinde des Tabubruchs bewusst war (V. 13), ergibt sich der Schluss, dass diese Frauen nicht nur in Kauf nahmen, einen schlechten Ruf zu haben und ihren Ehemännern Schande zu bereiten, sondern dass sie dies ganz bewusst taten, d.h. sie waren steitsüchtig. Sie provozierten die anderen Gemeindeglieder mit einem Verhalten, das ihre säkularen Zeitgenossinnen charakterisierte, die die traditionellen Werte der treuen Ehefrau – Keuschheit, Schicklichkeit und Sittsamkeit – beiseite setzten, um selbstbestimmt ihren Begierden zu folgen und den Genüssen zu huldigen. 172 Paulus schließt in V. 16b („wir haben eine derartige Sitte nicht und auch nicht die Gemeinden Gottes“) mit dem Hinweis, dass es keine apostolische Tradition gibt, die einen solchen Brauch (τοιαυ' την συνη' θεια) rechtfertigen könnte.173 Und er weist darauf hin, dass es in keiner der Gemeinden Gottes (αι ε κκλησι' αι του^ θεου^ ) eine Parallele für dieses Verhalten gibt. 174 Chr. Wolff kommentiert: „Die Korinther würden aus der Gemeinschaft mit den anderen Heils-
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Musonius 3,25-30; zitiert nach Nickel, Ausgewählte Schriften, 407-408. Vgl. Winter, Roman Wives, 96. Das Personalpronomen η μει^ς wird von den meisten Auslegern auf Paulus und seine Mitarbeiter bezogen; vgl. Schrage II 524. Winter, Corinth, 140.
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gemeinden, die unter Gottes Autorität stehen, ausbrechen, wenn sie an ihrer Neuerung festhielten“.175
IV Die Anweisungen von Paulus in diesem Abschnitt haben sich als kohärente Reaktion auf das Verhalten einzelner korinthischer Christen erwiesen, die sich in den Gemeindeversammlungen provozierend verhielten und Streit ganz bewusst in Kauf nahmen. Gläubige Männer, die zu den gehobenen Kreisen gehört haben mussten, halten an der Tradition fest, bei herausgehobenen religiösen Handlungen die Toga oder das pallium über den Kopf zu ziehen (capite velato). Sie signalisieren damit ihre herausgehobene gesellschaftliche Stellung. Daneben gab es gläubige Frauen, die offensichtlich ebenfalls den gehobenen Schichten angehörten (die Frauen genau dieser Männer?), die in den Gemeindeversammlungen ohne die übliche Kopfbedeckung der Stola (palla) beten und prophetisch reden. Sie legen damit ein „modernes“ säkulares Verhalten an den Tag, das die traditionellen Werte der keuschen und sittsamen Ehefrau verhöhnt und dem Ausleben von Begierden und Genüssen huldigt. Dies waren jedenfalls die Signale, die sie durch ihr Verhalten den anderen Gemeindegliedern vermitteln. Paulus weist die Männer in der Gemeinde an, ohne Kopfbedeckung zu beten und prophetisch zu reden, und er weist die Frauen an, immer nur mit Kopfbedeckung zu beten und prophetisch zu reden. Er argumentiert mit der Zuordnung von Mann und Frau, dass die Zuwiderhandlung gegen die üblichen gesellschaftlichen Konventionen für den Ehepartner oder für einen selbst zu Scham und Schande führt (V. 2-6). Er argumentiert mit der Schöpfungsgeschichte in Gen 1-2, dass die schöpfungsbedingten Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Heilszeit der neuen Schöpfung weiter Bestand haben, auch wenn sie in der Gemeinde Gottes keine Rolle mehr spielen. Deshalb sollen Mann und Frau auch im Raum der Gemeinde als einander Zugeordnete und in gleicher Weise aufeinander Angewiesene leben (V. 7-12). Und Paulus argumentiert mit der allgemein in der Gesellschaft anerkannten Schicklichkeit und mit der naturgegebenen Ordnung sowie mit dem Brauch der christlichen Gemeinden, dass Frauen beim Beten eine Kopfbedeckung tragen und Männer ohne Kopfbedeckung beten und reden sollen (V. 13-16). Wenn man die Tiefenstruktur der Anweisungen von Paulus analysiert, ergeben sich für die Anwendung des Textes auf kulturell andersartige Situationen folgende Aspekte. Erstens: Gemeindeglieder, die zur gesellschaftlichen Elite gehören, dürfen nicht automatisch die Gemeinde beherrschen und mit ————————————————————
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ihren Werten beeinflussen. Das heißt einerseits ganz praktisch, dass sie ihren Reichtum nicht demonstrativ zur Schau stellen und alles vermeiden sollen, was andere Gemeindeglieder an ihre herausragende Position in der Gesellschaft erinnert. Das bedeutet andererseits, dass prominente Christen den Ehrgeiz und das Konkurrenzdenken, mit dem sie ihre einflussreiche Position in der Gesellschaft erreicht haben, nicht in die Gemeinde und ihre Gremien oder in die christliche Organisation, in der sie mitarbeiten, hineintragen und meinen, ein Recht darauf zu haben, auch in der Kirche leitende Funktionen zu bekommen. Zweitens: Ehefrauen sollen auch und gerade als Christen die Hochachtung der Ehe bekräftigen, indem sie alles vermeiden, was ihre Ehemänner in ein schlechtes Licht stellen oder was anderen Gemeindegliedern falsche Signale senden könnte. Traditionelle gesellschaftliche Konventionen werden durch das Evangelium nicht automatisch aufgehoben, am allerwenigsten auf dem Gebiet der ehelichen Treue und Solidarität. Christlichen Ehefrauen – und für die Männer gilt das genauso! – kann es nie um Selbstbestimmung und Selbstbehauptung gehen. Die Ehre Gottes und die Ehre des Herrn Jesus Christus haben stets eine das Verhalten normierende Priorität (V. 3.7.12.16). Drittens: Was die Praxis der Kopfbedeckung betrifft, so ist es in den westlichen Gesellschaften schon lange nicht mehr üblich, dass Frauen ihren Status als treue Ehefrauen durch eine Kopfbedeckung signalisieren (in islamischen Ländern und damit in Gemeinden in islamischen Regionen ist dies anders!). Wenn christliche Ehefrauen in einer solchen Situation ohne Kopfbedeckung in der Gemeinde aktiv sind, dann gerade deshalb, weil sie sich auch in der Öffentlichkeit der Stadt, in der sie leben, ohne Kopfbedeckung bewegen. Die fehlende Kopfbedeckung sendet keine Signale. Wenn manche Christen fordern, dass Ehefrauen aus „Gehorsam zur Schrift“ auch heute noch eine Kopfbedeckung tragen sollen, dann werden die Anweisungen des Apostels Paulus gerade nicht „gehorsam“ verstanden und umgesetzt: Es geht Paulus nicht um die Kopfbedeckung, sondern um die bewusste Missachtung und Verhöhnung traditioneller Konventionen, die für die Gesellschaft als Ganze wichtig und grundlegend sind. Wenn Frauen in den Gemeinden Westeuropas eine Kopfbedeckung tragen, dann ist dies nicht die von Paulus geforderte Konformität gegenüber einer Konvention, die Keuschheit und Solidarität einer Ehefrau symbolisiert, sondern ein Verhalten, das sich gerade nicht konform verhält – im Westen wird eheliche Solidarität und Sittsamkeit kaum noch mit einer bestimmten Art und Weise der Kleidung symbolisiert. Dies geschieht eher verbal, d.h. mit konkreten Aussagen über den Wert der Ehe und des Ehepartners.
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Viertens: Was die Mode der Kleidung betrifft, die Frauen (und Männer) tragen, so gibt es in den westlichen Gesellschaften praktisch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr. Paulus sagt nicht, dass es solche Unterschiede in der Bekleidung geben muss. Er weiß, dass es diese Unterschiede in der hellenistisch-römischen Gesellschaft gibt. Und in diesem Zusammenhang sagt er den korinthischen Christen, dass sie als Bürger in ihrer Stadt und in ihrer Gesellschaft nicht gegen Sitten und Bräuche rebellieren sollen, auch nicht in der Gemeinde. Wenn man von der differierenden Zuordnung der Geschlechter in der Ehe abstrahiert, dann ist im Blick auf Modefragen höchstens zu sagen, dass Christen keine freizügige und anzügliche Kleidung tragen sollen, mit denen man die Unabhängigkeit von Konvention und die Priorität des eigenen Geschmacks signalisieren will, aber in Wirklichkeit sexuelle Signale sendet. Ein solches Verhalten ist für Christenmenschen, die in Christus Jesus geheiligt sind, ausgeschlossen. Schließlich sei noch einmal auf einen Punkt verwiesen, der zwar nicht zur Aussageintention der paulinischen Argumente zählt, der aber wichtig ist. Paulus spricht ganz selbstverständlich davon, dass Frauen in der Gemeindeversammlung beten und prophetisch reden. Das heißt, die Frauen bringen die Wirklichkeit Gottes und seines Wortes genauso öffentlich zur Sprache wie die Männer.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 Das Fehlverhalten korinthischer Christen bei der Feier des Herrenmahls ist der Anlass für den Abschnitt 11,17-34. Er beruft sich auf die Tradition des Herrenmahls, um Missstände zu korrigieren, die bei den gemeinsamen Mahlzeiten der Gemeindeglieder auftreten. Paulus betont: Die Feier des Herrenmahls bestätigt und bekräftigt die Solidarität der einzelnen Glieder der christlichen Gemeinde. Christen dürfen deshalb die gemeinsamen Mahlzeiten nicht dazu missbrauchen, die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen armen und reichen Christen herauszukehren. Paulus weiß aufgrund von den Berichten, die er aus Korinth erhalten hat (11,18), welche Schwierigkeiten bei den Zusammenkünften der Gemeinde aufgetreten sind. Er muss den Lesern in Korinth nicht erst erklären, wie die Zusammenkünfte der Gemeinde aussehen. Weil Paulus nur ganz kurze Hinweise gibt, ist es für spätere Leser schwierig, die konkrete Situation zu erkennen. Einhelligkeit besteht darin, dass der Ge-
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gensatz zwischen armen und wohlhabenderen Gemeindegliedern eine Rolle gespielt hat (V. 21.22.34). Folgende Rekonstruktionen werden vorgeschlagen.1 1. Die Gemeinde feiert eine Sättigungsmahlzeit, an deren Ende die Brothandlung und die Kelchhandlung als eucharistische Doppelhandlung erfolgen. Die reicheren Christen, die relativ frei über ihre Zeit verfügen konnten, nahmen vor dem Eintreffen der armen Gemeindeglieder ein Sättigungsmahl ein. Die Gesamtgemeinde war erst bei der Feier des Herrenmahls vollständig versammelt. Paulus plädiert für eine zeitliche Verschiebung des Sättigungsmahls: Die reichen Christen sollen auf die armen Christen warten; im Notfall sollen sie bei sich zu Hause eine private Sättigungsmahlzeit einnehmen.2 Diese oft vertretene Interpretation geht also von der Reihenfolge Sättigungsmahlzeit (Agape) – Brothandlung – Weinhandlung aus.3 Diese Interpretation hat mehrere Varianten. Variante 1b) geht davon aus, dass die Sättigungsmahlzeit von der vollständig versammelten Gemeinde eingenommen wurde, dass aber die reichen Christen ihre größeren und besseren Portionen nicht mit den armen Christen teilten.4 Variante 1c) rechnet mit der Möglichkeit, dass neben den Unterschieden in der zeitlichen Anwesenheit und/ oder im Menü außerdem eine räumliche Trennung eine Rolle spielte: Die begüterten Freunde des reichen Gastgebers aßen mit diesem zusammen im triclinium, in dem kaum mehr als zwölf Mahlteilnehmer Platz fanden. Die ärmeren, vielleicht später hinzukommenden Christen mussten sich im atrium oder im peristylium niederlassen.5 Variante 1d) geht davon aus, dass die von den wohlhabenderen Christen mitgebrachten Speisen zwar allen Gemeindegliedern zur Verfügung gestellt wurden, dass diese jedoch für die Armen, die erst später kommen konnten, nicht mehr ausreichten.6 Ein Problem dieser ersten Rekonstruktion ist vor allem die Wendung ε ν τω ^, φαγει^ν (V. 21): Bezogen auf das eigene Mahl ist sie überflüssig. Zudem ist V. 21 die Begründung für das Urteil in V. 20, wo vom Essen des Herrenmahls die Rede ist, was die Wendung ε ν τω^, φαγει^ν aufnimmt. Wenn man sie auf die Herrenmahlfeier im engen Sinn bezieht, dann gibt das Verb προλαμβα' νει mit zeitlicher Bedeutung keinen rechten Sinn. 2. Die reicheren Christen nehmen vor der Brothandlung eine Mahlzeit ein. Die von ihnen mitgebrachten Speisen (V. 21) übertreffen die später von allen Gemeindemitgliedern gemeinsam verzehrten Speisen an Qualität und Quantität. Möglicherweise hat man auch während des Herrenmahls an der Trennung zwischen armen und reichen Christen festgehalten, vielleicht mit dem Argument der Reichen, dass die Einsetzungsworte nur eine Verteilung von Brot und Wein vorsah und alles andere als „Privat————————————————————
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Überblick und Diskussion bei Ebel, Attraktivität, 166-175; Konradt, Gericht, 405-411. Bornkamm, Herrenmahl, 138-176; Klauck, Herrenmahl, 292-297; ders., Gemeinde, 320322; Sellin, Hauptprobleme, 3007. Vgl. Conzelmann 238 mit Anm. 26: Paulus will das Sättigungsmahl vom (sakramentalen) Gemeindemahl trennen. Conzelmann 242; Strobel 176-178; Lang 148-149; Wolff 257; Kremer 238; Collins 418; Salzmann, Lehren, 56-57. Lang 149. Fee 533; Schrage III 15; Hays 196; Collins 418; Thiselton 860-861; Theißen, Integration, 297; Murphy-O’Connor, House Churches, 129-138; Lampe, Herrenmahl, 197. Weiss 281-281; Schrage III 23-24; Meeks, Urchristentum, 325.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 627 ———————————————————————————————————— mahl“ deklariert werden konnte. Paulus fordert die reichen Christen auf, ihre umfangreiche Mahlzeit in ihre Privathäuser zu verlegen und im Rahmen der Gemeindeversammlung ein ausschließlich aus Brot und Wein bestehendes „Mahl des Herrn“ zu feiern. Er will den ärmeren Gemeindegliedern keine Mahlzeit verschaffen, wie sie die reicheren Christen genießen, sondern er erwartet, dass sich die Höherstehenden den sozial Schwächeren anpassen. Bei dieser Rekonstruktion liegt die Reihenfolge Privatmahl – Brothandlung – Sättigungsmahlzeit/Agape – Weinhandlung vor.7 Das Problem dieser Erklärung besteht vor allem in dem Fehlen antiker Analogien, es sei denn, man kann die Entstehung einer solchen Praxis in der korinthischen Gemeinde plausibel erklären. P. Lampe hat die korinthische Situation damit erklärt, dass die reicheren Christen ihr Verhalten in die gängige Praxis des Symposions einordneten: Die bessergestellten Gemeindeglieder nahmen den Hauptgang (primae mensae) der abendlichen Hauptmahlzeit (δει^πνον, lat. cena) ein. Die ärmeren Gemeindeglieder trafen erst beim Abschluss des ersten Hauptgangs ein, d.h. sie nahmen nur die Nachspeise (secundae mensae) zu sich. Das heißt, das eigentliche Herrenmahl entsprach den secundae mensae. In der paganen Variante begann der Nachtisch mit Akklamationen und einem Opfer; das Mischen des ersten Kraters leitete zu dem anschließenden Trinkgelage (συμπο' σιον, lat. comissatio) über. Die christliche Adaption der secundae mensae begann mit dem Brotwort (entsprach den Akklamationen und dem Opfer) und endet mit dem Kelchwort (entsprach dem Mischen des ersten Bechers). Die armen Gemeindeglieder wurden vom „Nachtisch“ allerdings nicht satt (V. 21). Paulus erwartet von den reicheren Christen, dass sie die primae mensae hinauszögern und auf die ärmeren Gemeindeglieder warten. Alle Gemeindeglieder sollen zwischen dem Brotwort und dem Kelchwort eine wirkliche Sättigungsmahlzeit erhalten. Wer zu hungrig ist, um auf die armen Mitchristen warten zu können, der soll vorher zu Hause etwas essen.8 Th. Schmeller hat an diesem Vorschlag kritisiert, dass die Annahme kaum plausibel ist, dass die ärmeren Christen ausgerechnet in der Pause zwischen Hauptgericht und Nachtisch eintrafen. Ebenfalls wenig plausibel ist die Annahme, das gemeinsame Mahl, das zwischen der Brot- und der Weinhandlung stattfand, habe aus den dürftigen Überbleibseln des Hauptgerichts der Reichen bestanden: Diese hätten sicherlich für den Nachtisch andere Speisen mitgebracht als die beim Hauptgericht gereichten.9 Ob die Erklärung von M. Konradt überzeugender ist, ist fraglich. Er meint, am Anfang der gemeinsamen Mahlfeier habe die Brotkommunion gestanden, gefolgt von der Sättigungsmahlzeit, an der alle Gemeindeglieder teilnahmen. Da sich die reicheren Gemeindeglieder schon am Nachmittag treffen konnten, entwickelte sich die Praxis, dass sie sich schon vor dem Eintreffen der anderen Gemeindeglieder zu einer Privatmahlzeit trafen.10 Diese Erklärung macht den Rat von Paulus überflüssig, sich vorher zu Hause satt zu essen – ob dies jeder wohlhabendere Christ bei sich zu Hause allein macht, oder ob sich die Reichen im Privathaus des Gastgebers der Gemeinde ————————————————————
7 8 9 10
Schrage III 14; Theißen, Integration, 293-311; Kollmann, Mahlfeier, 42; Konradt, Gericht, 411-412. Lampe, Herrenmahl, 183-213. Schmeller, Hierarchie, 70-71; vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 282-286; Konradt, Gericht, 412 Anm. 1134. Konradt, Gericht, 421-413.
628 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— treffen, macht kaum einen Unterschied. Es ist wenig wahrscheinlich, dass es in der korinthischen Gemeinde zwei aufeinander folgende Sättigungsmahlzeiten gab. 3. Die Gemeindeglieder essen gleichzeitig ihre selbst mitgebrachte Mahlzeit, wobei die reicheren Christen die armen Gemeindeglieder mit ihren größeren und besseren Portionen beschämen. Bei der Lösung, die Paulus vorschlägt, ist keine Änderung des Mahlablaufs notwendig. Er erwartet, dass die reicheren Christen die von ihnen mitgebrachten Portionen mit den ärmeren Christen teilen, so dass jeder genug zu essen hat. In V. 34 unterscheidet Paulus zwischen der Mahlzeit im Privathaus, die ausschließlich der Sättigung dient, und der Mahlzeit in der Gemeindeversammlung, die vor allem der Gemeinschaft dient. Diese Rekonstruktion geht von der Reihenfolge Brothandlung – Sättigungsmahlzeit (Agape) – Weinhandlung aus.11 Eine Schwierigkeit dieser Interpretation ist die nicht-temporale Interpretation von προλαμβα' νω in V. 21, das wie das Simplex mit „(Speisen) einnehmen, zu sich nehmen“ übersetzt wird. Allerdings kann man für diesen Gebrauch auf die Inschrift SIG3 1170 verweisen, sowie auf eine ähnliche Verwendung des Verbs in Gal 6,1. Für diesen Vorschlag spricht vor allem die Wendung μετα` το` δειπνη^ σαι in V. 25, die kaum auf die vorangehende Brothandlung allein zurückverweist: δει^πνον bezeichnet eine Sättigungsmahlzeit, bezieht sich also nicht nur auf die Feier des Herrenmahls im engeren Sinn. Die meisten Ausleger gehen auch davon aus, dass die Abendmahlstradition eine Mahlzeit zwischen der Brot- und der Weinhandlung voraussetzt. So kann man die Kritik von V. 21 auf die Mahlzeit zwischen der Brot- und der Weinhandlung beziehen, bei der jeder die von ihm mitgebrachten Speisen als το` »ιδιον δει^πνον verzehrte, wobei die reicheren Christen die ärmeren Christen durch ihre größeren und besseren Portionen brüskierten. Die Anweisung von Paulus in V. 33: α λλη' λους ε κδε' χεσθε meint nicht, dass die Christen mit dem Essen aufeinander warten sollen, sondern das sie „einander annehmen“ sollen, d.h. sie sollen die von den Einzelnen mitgebrachten Speisen allen gleichmäßig zur Verfügung stellen.12 Dieser dritte Vorschlag zur Rekonstruktion der korinthischen Situation ist am plausibelsten. Bradley Blue hält es für unwahrscheinlich, dass Paulus das Verhalten von reichen Christen in den Gemeindeversammlungen gerade im Zusammenhang der Feier des Herrenmahls im Rahmen der Gründung der Gemeinde nicht geregelt hätte. Er meint, das in 11,17-34 behandelte Problem sei erst dann entstanden, als eine Hungersnot die armen Christen in eine Notlage gestürzt hat, die von den wohlhabenderen Gemeindegliedern ignoriert wurde.13 Abgesehen von der Schwierigkeit der chronologischen Fragen scheint es wenig wahrscheinlich, dass die Gründe für das Fehlverhalten der korinthischen Christen anlässlich der gemeinsamen Mahlzeiten allein in einer unchristlichen Reaktion auf eine konkrete Hungersnot liegen. Die Argumentation in 11,17-34 macht es wahrscheinlich, dass die fortbestehenden Klassenunterschiede unter den Ge————————————————————
11 12 13
Hofius, Herrenmahl, 216-223; Engberg-Pedersen, Proclaiming the Lord’s Death, 110; Roloff, Kirche, 105; Winter, Corinth, 143-152; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 286-301; Garland 540. Fee 568; Hays 202-203; Horsley 159; Thiselton 863; Garland 554-555; I. H. Marshall, Art. Lord’s Supper, DPL 571-572; Hofius, Herrenmahl, 220-221; Winter, Corinth, 143148; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 297-301. Blue, Famine, 232-237; Thiselton 853; Winter, Corinth, 157; kritisch Garland 534.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 629 ———————————————————————————————————— meindegliedern eine Rolle spielten, wie auch in anderen Bereichen des Gemeindelebens.
Das Verhalten der wohlhabenderen Christen in der Gemeinde bestätigt das in den vorhergehenden Abschnitten des Briefs gewonnene Bild: Die Werte der römischen Kultur und Gesellschaft, die immer noch das Verhalten vieler korinthischer Christen bestimmten, führten zu Konflikten in der Gemeinde. Die ungebrochene Übernahme säkularer Werte verursachte die Parteiparolen und die Spaltungen, von denen Paulus in 1,10–4,21 redet, und sie verursachten die Rechtshändel, die einige Christen gegen Mitchristen anstrengten (6,111). Die Flut an Literatur, die es zu 11,17-34 gibt, konzentriert sich häufig auf den zentralen Abschnitt V. 23-26, d.h. auf die sog. Einsetzungsworte und damit auf die Tradition und die Theologie des Herrenmahls. Die traditionsgeschichtliche Diskussion unterscheidet zwei Hauptvorschläge: 1. Die Abfolge der Einsetzungsworte in der Abendmahlstradition unterscheidet sich von der Mahlzeit, die in der korinthischen Gemeinde gefeiert wird.14 2. Die Tradition der Feier des Herrenmahls stimmt mit der Praxis der korinthischen Gemeinde überein: Die korinthischen Christen feiern das Herrenmahl in der Abfolge von Brothandlung, Sättigungsmahl und Kelchhandlung.15
Eine eingehende Analyse dieses Abschnitt sowie des Kontexts zeigt jedoch, dass Paulus die grundlegenden theologischen Überzeugungen im Blick auf das Herrenmahl eher voraussetzt als entwickelt. 16 Paulus will den korinthischen Christen keine neuen Lehrinhalte vermitteln, die das Herrenmahl betreffen. Er will ihnen die Konsequenzen zeigen, die sich aus der Bedeutung des Herrenmahls für dessen Feier sowie für die Beziehungen zwischen den armen und den reichen Christen in der Gemeinde ergeben. Es geht nicht um die Frage, wie das Herrenmahl liturgisch richtig gefeiert werden soll, sondern um die Frage, ob die Feier des Herrenmahls den Tod des Herrn Jesus Christus verkündigt, oder ob der Eigennutz und das soziale Selbstwertgefühl im Mittelpunkt stehen. ————————————————————
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Lietzmann, Messe, 223-224.250-255 nimmt an, dass die korinthischen Christen von dem Abendmahlstyp, den sie von Paulus lernten (Todesgedächtnismahl), zum älteren Typ der Feier der Jerusalemer Urgemeinde (Brotbrechen) übergegangen waren, wo das Abendmahl als Fortsetzung der Tischgemeinschaft mit Jesus begangen wurde. Conzelmann 237 betont, dass dieser Abendmahlstyp nicht zu belegen ist und 1Kor 11,17-34 keinerlei Andeutungen enthält, die diese Rekonstruktion stützen könnten. Hofius, Herrenmahl, 216-223; Engberg-Pedersen, Proclaiming the Lord’s Death, 110; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 281.286-287. Engberg-Pedersen, Proclaiming the Lord’s Death, 113; Lampe, Eucharist, 36.
630 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Das egoistische Verhalten der Reichen 11,17-22 I 17 Dies kann ich bei meinen Anordnungen nicht loben, dass ihr nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammenkommt. 18 Als Erstes höre ich, dass es Spaltungen unter euch gibt, wenn ihr in der Gemeinde zusammenkommt, und zum Teil glaube ich das auch. 19 Denn es muss Parteiungen unter euch geben, damit sichtbar wird, wer unter euch bewährt ist. 20 Wenn ihr zusammenkommt an einem Ort, dann nicht, um das Herrenmahl zu essen. 21 Denn jeder nimmt beim Essen seine eigene Mahlzeit ein, und der eine hungert, während der andere betrunken ist. 22 Habt ihr denn nicht Häuser zum Essen und zum Trinken? Oder verachtet ihr die Gemeinde Gottes und macht die Besitzlosen schamrot? Was soll ich euch sagen? Soll ich euch etwa loben? In dieser Sache kann ich euch nicht loben.
II In V. 17 qualifiziert Paulus sein Lob von V. 2: Die korinthischen Christen halten zwar generell an den von ihm überlieferten Traditionen fest, aber im Blick auf ihre gemeindlichen Zusammenkünfte kann er sie nicht loben, da bei den Gemeindeversammlungen „Schaden“ entsteht. V. 18-19 benennt diesen Schaden: Wenn sich die Gemeinde versammelt, werden Spaltungen unter den Gemeindegliedern offenbar. V. 20-22 erklärt diese Kritik im Einzelnen: Sie kommen nicht zusammen, um das Herrenmahl zu essen (V. 20), sondern um sich selbst satt zu essen, ohne sich um Mitchristen zu kümmern, die hungrig sind (V. 21). Drei rhetorische Fragen sollen die korinthischen Christen beschämen, die für den Schaden verantwortlich sind, die für die ärmeren Christen entstehen: Sie sollen sich zu Hause satt essen; sie sollen die Gemeinde Gottes nicht verachten, indem sie die ärmeren Christen schamrot werden lassen; und sie sollen von ihm kein Lob in dieser Angelegenheit erwarten (V. 22). Textkritische Anmerkungen. In V. 17 lesen A C 6 33 u.a. die erste Verbform als Imperativ und die zweite Verbform als Ptz.; die Reihenfolge Ptz. (παραγγε'λλων), gefolgt von der 1. Pers. Präs. Ind. (ε παινω ^ ) ist besser bezeugt 2 ( אD F G Ψ 1881 Byz; B hat als einziges Manuskript zwei Partizipien). In V. 19 lassen mehrere Handschriften das erste ε ν υ μι^ν aus (D* F G lat), andere Handschriften lassen das zweite ε ν υ μι^ν aus (d46 C 2464); die präpositionalen Wendungen sind an beiden Stellen jedoch gut bezeugt. 17 Unklar ist, ob ————————————————————
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Vgl. Zuntz, Text, 140 Anm. 5.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 631 ————————————————————————————————————
nach «ινα ein και' (im Sinn von „auch“) zu lesen ist: In den meisten Handschriften fehlt die Partikel ( אA C D2 F G Ψ Byz); diese ist jedoch in d46 B D* 6 33 630 u.a. hinreichend gut bezeugt und kann als ursprünglich gelten.18 In V. 20 lassen d46 D* F G b die Partikel ου ν aus; sie ist in אA B C u.a. gut bezeugt.19 In V. 22 lesen wichtige Handschriften ε παινε'σω ( אAvid C D Byz ^ am Ende u.a.) statt ε παινω ^ (d46 B F G lat), was als Angleichung an ε παινω 20 des Satzes zu erklären ist.
III 17 Mit του^ το δε' leitet Paulus einen Sachverhalt ein, bei dem er die korinthischen Christen nicht loben kann: Dies kann ich bei meinen Anordnungen nicht loben. Das Verb ε παινε' ω (V. 17.22) steht als Klammer um die folgenden Sätze, in denen er die korinthischen Christen für ihr Verhalten beim Herrenmahl kritisiert. Im Gegensatz zu V. 2, wo Paulus die Korinther für das Festhalten an den Überlieferungen lobte, muss er ihr Verhalten in den Gemeindeversammlungen missbilligen („nicht loben“ ist Litotes) und entsprechende Anordnungen formulieren (παραγγε'λλων).21 Paulus kritisiert, dass ihr nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammenkommt. Das Verb „zusammenkommen“ (συνε'ρχομαι, Präs.) bezeichnet die regelmäßigen Versammlungen der Jesusbekenner. 22 Viele Ausleger sprechen von der „gottesdienstlichen Versammlung“ der Christen, was dann richtig ist, wenn man „Gottesdienst“ nicht mit den sechzig Minuten dauernden (Wort-) Gottesdiensten gleichsetzt, die in den Kirchen Westeuropas Tradition sind. Wahrscheinlich kommen die korinthischen Christen in dem geräumigen Haus eines der reicheren Gemeindeglieder zusammen. Nach dem Sammelbericht Apg 2,42 hatten die Versammlungen der ersten Jesusbekenner in Jerusalem folgende Elemente: 1. Lehre der Apostel, d.h. Tradierung der Worte des irdischen Jesus, vor allem seiner ethischen Weisungen, sowie Deutung seines Lebens, seines Todes und seiner Auferstehung im Licht der heiligen Schriften. ————————————————————
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Lindemann 250; anders Zuntz, Text, 211-212. Zuntz, Text, 192 erklärt die Auslassung mit Haplographie. Zuntz, Text, 92; Fee 535 Anm. 20. Lindemann 249 bezieht του^ το δε` παραγγε' λλων auch auf V. 3-16; anders Schrage III 18. Das Verb kommt als Ptz.-Konstruktion auch in V. 20.33 vor. Käsemann, Exegetische Versuche I, 21 meint, συνε' ρχομαι sei „fester Terminus für den offiziellen Zusammentritt des antiken Demos“ und sei „von da aus offensichtlich auf das Zusammenkommen der Christengemeinde im Abendmahlsgottesdienst“ übertragen worden; Belege nennt er nicht. J. Schneider, ThWNT II, 682; H.Balz, EWNT III 729 sprechen von einem terminus technicus. Andere sprechen vorsichtiger von einer „halb-technischen“ Bedeutung (Fee 536) oder von einem „sich ausbildenden“ terminus technicus (Schrage III 18).
632 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
2. Brotbrechen, d.h. gemeinsame Mahlzeiten, mit der Erinnerung an den Tod Jesu. 3. Gebete, d.h. Lobpreis Gottes und Fürbitte für konkrete Anliegen. Über die Häufigkeit des Zusammenkommens macht Paulus keine näheren Angaben. Der mit ο σα' κις formulierte Wiederholungsbefehl innerhalb der Einsetzungsworte (V. 26) bleibt unbestimmt. Nach 16,2 sollen die korinthischen Christen κατα` μι' αν σαββα' του von ihrem Geld für die Christen in Jerusalem zurücklegen. Die Sonderstellung des ersten Tages der Woche – nach jüdischer Rechnung der Sonntag – ist unverkennbar, die Notiz belegt allerdings nicht explizit, dass sich die korinthischen Christen regelmäßig am Sonntag getroffen haben: Paulus spricht nicht von einer Kollekte in der Gemeinde, sondern von der privaten Ansparung (παρ’ ε αυτω ^, ) des Geldes durch 23 die einzelnen Gemeindeglieder. Die Gemeinde in Milet scheint sich nach Apg 20,7 am ersten Tag der Woche zum Brotbrechen zu versammeln. Nach Offb 1,10 bezeichnen Christen den ersten Tag der jüdischen Woche als „Tag des Herrn“ (κυριακη` η με'ρα). In der Didache wird die ähnliche Wendung κυριακη` κυρι' ου als Bezeichnung für die Regelmäßigkeit des Gemeinschaftsmahls samt Brotbrechen verwendet (Did 14,1). Justin schreibt, dass sich die Gemeinde am ersten Tag der Woche – „der Tag, an dem Christus auferstanden ist“ – versammelt und bei diesem Anlass auch Spenden für die Armen sammelt (Apol. I 67,3.7). Plinius berichtet in einem Brief an Kaiser Hadrian, dass die Christen in der Provinz Bithynien-Pontus an einem festen Tag zum Gottesdienst und Gemeinschaftsmahl zusammenkommen (Ep. 10,96). Aus diesen Belegen lässt sich jedoch keine Sicherheit für die Beantwortung der Frage gewinnen, ob die korinthischen Christen um das Jahr 50 n.Chr. sich regelmäßig am ersten Wochentag versammelten. Wenn man für die korinthische Gemeinde den später belegten wöchentlichen Rhythmus der Versammlungen voraussetzen kann, was als wahrscheinlich gelten darf, dann übertrifft sie jedenfalls die für private (Kult-)Vereine belegte Praxis gemeinsamer Mahlzeiten bei weitem. 24 Wenn sich die korinthischen Christen versammeln, dann „nicht zum Besseren“ (ου κ ει ς το` κρει^σσον), d.h. nicht zum Nutzen (vgl. 7,35), nicht zur Auferbauung der Mitchristen (vgl. 10,23). Das Gegenteil ist der Fall: Wenn sie zusammenkommen, entsteht „Schlechteres“ (ει ς το` η σσον), d.h. Schädi————————————————————
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Ebel, Attraktivität, 159-160; vgl. auch die zurückhaltenden Urteile von Schrage IV 428430; Lindemann 376; Rordorf, Sonntag, 190-193. Ebel, Attraktivität, 163, die mit den cultores Dianae et Antinoi in Lanuvium und mit den Iobakchen in Athen vergleicht. Vos, Church, 205 geht von wöchentlichen Zusammenkünften der Hausgemeinden aus, während sich die Gesamtgemeinde monatlich („in a purposebuilt club-room“) getroffen habe. Banks, Community, 40-41 nimmt aufgrund der Analogien der Kultvereine monatliche Versammlungen an. Belege für solche Vermutungen lassen sich in den ntl. Texten nicht finden.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 633 ————————————————————————————————————
gung.25 Worin das „Schlechtere“ besteht, sagt Paulus nicht. Die versammelten Gemeindeglieder werden nicht erbaut, sondern es entsteht ein Schaden. 18 Das in V. 17 abgegebene negative Urteil ist das Ergebnis von mündlichen Berichten (vgl. 1,11), die Paulus erreicht haben: Als Erstes höre ich.26 Das fehlende „als Zweites“ wurde mit V. 2027 oder mit 12,128 in Verbindung gebracht; einfacher ist es, die Formulierung als Anakoluth zu verstehen29 oder im Sinn von „vor allem“ zu interpretieren. Die Formulierung in der Gemeinde (ε ν ε κκλησι' α, ; vgl. 14,19.28.35) bezeichnet die Versammlung der Jesusbekenner, die durch ihr Zusammenkommen entsteht.30 Die Aussage es gibt Spaltungen unter euch (σχι' σματα ε ν υ μι^ν υ πα' ρχειν) erinnert an 1,10-13, wobei die Spaltungen einen parallelen gesellschaftlichen Hintergrund haben. Dort wie hier ist es das „säkulare“ Verhalten der wohlhabenden (gebildeten) Christen, die Paulus für die Spaltungen verantwortlich macht.31 Die Spaltungen existieren inmitten der Gemeinde (ε ν υ μι^ν). Die Rekonstruktion der Situation (s. die Einleitung zu 11,17-34) lässt vermuten, dass mit den σχι' σματα die Zurschaustellung der sozialen Hierarchie gemeint ist, die von den bessergestellten Gemeindegliedern demonstrativ betrieben wird. Die Spaltungen haben allerdings die Gemeinde nicht zerrüttet. Trotz der Schwierigkeiten der korinthischen Christen, die Paulus zu beheben versucht, kommen die Christen in Korinth immer noch zu den gottesdienstlichen Versammlungen und zur Feier des Herrenmahls zusammen.32 ————————————————————
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Bachmann 362; Hofius, Herrenmahl, 206. Die Präsensform α κου' ω ist nicht zwingend präsentisch zu deuten, sondern im Kontext von 1,11 auf Berichte zu beziehen, die Paulus vor der Abfassung des Briefes erreicht haben. Das Partizip συνερχομε' νων ist gen. abs. und temporal zu interpretieren; NSS II 82. Olshausen 670-671; Lietzmann 55; Schmithals, Gnosis in Korinth, 237-238; kritisch Schrage III 20 Anm. 392. Meyer 311; Heinrici 339; Bachmann 362; als Möglichkeit Schrage III 20. Fee 536-537; Schrage III 20. Bachmann 362 interpretiert im Sinn von „ein in Bildung einer ε κκλησι'α geschehendes, also die Vereinigung der Gemeinde als solcher zu gemeindlichem Handeln“. Dieses Verständnis im Sinn von „Zusammenkunft als Gemeinde“ ist gezwungen: Die Christen einer Stadt werden im 1. Jh. immer nur „als Gemeinde“ zusammengekommen sein. Anders Schrage III 20; richtig Lindemann 250; Garland 537. Wolff 259 will aus dem Fehlen des Artikels vor σχι'σματα schließen, dass „von bisher Unbekanntem“ die Rede ist. Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht zwingend (vgl. BDR §252). Chester, Conversion, 246-252 meint, dass Paulus in V. 20-22 nicht das Problem, sondern die Symptome des Problems beschreibe, das darin bestehe, dass die bessergestellten Christen um Ehre und Einfluss gegeneinander konkurriert hätten. Im Text lässt sich dies nicht erkennen. Viele verglelichen mit den Statuten eines ägyptischen Vereins, der Zeus Hypsistos verehrt und σχι' ματα (vermutlich für σχι' σματα, vielleicht aber auch für σχη^ ματα) explizit untersagt; vgl. P.Lond. VII 2193,13 (datiert 69-58 v.Chr.): „und niemandem von ihnen [d.h. den Mitgliedern der Bruderschaft] ist es erlaubt, [ ? ] und auch nicht, Spaltungen zu erzeugen“ (mit BL 10,111). Vgl. Roberts u.a., Guild, 39-89; vgl. Bauer /Aland 1590 s.v.
634 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Der Nachsatz und zum Teil glaube ich das auch (και` με'ρος τι πιστευ' ω) wird unterschiedlich interpretiert: 1. Paulus will nicht allen Berichten, die aus Korinth kommen, Glauben schenken, aber trotz aller Vorsicht vor Gerüchten und Übertreibungen „kann er nicht umhin, einen Teil davon für wahr zu halten“.33 2. Paulus hält die Informationen, die er erhalten hat, im Kern für zutreffend, äußert sich aber mit höflicher Zurückhaltung.34 3. Die Vokabel με'ρος ist nicht adverbvial zu verstehen („zum Teil, teilweise“), sondern als Objekt des Verbs, und mit „Sache“ oder „Bericht“ zu übersetzen; d.h. Paulus sagt: „ich glaube einem gewissen Bericht“. 35 Der dritte Vorschlag ist eine plausible Interpretation, nicht zuletzt im Hinblick auf V. 19, wo deutlich wird, dass Paulus nicht erstaunt ist, dass es in der korinthischen Gemeinde Spaltungen gibt. 19 Das Wort Parteiungen (αι ρε'σεις) ist hier als Synonym von σχι'σματα („Spaltungen“, V. 18) zu verstehen.36 In Gal 5,20 steht αι ρε'σεις direkt nach διχοστασι' αι („Zwietracht“) unter den „Werken des Fleisches“ und hat dort – wie hier – offensichtlich nichts mit „Häresie“, d.h. mit falscher Lehre zu tun. Das Wort bezieht sich auf das soziale Fehlverhalten korinthischer Christen, das Spaltungen verursacht.37 Schwierig ist die Aussage, dass es unter euch (ε ν υ μι^ν) Parteiungen geben muss (δει^), damit sichtbar wird, wer unter euch bewährt ist. Die Formulierung mit δει^ kann auf eine allgemeine Wahrheit verweisen,38 auf Ironie39 oder auf eine endzeitliche, der Erprobung ————————————————————
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σχι'σμα 2 (verweist auf P.Lond. VII 2710 Recto,13); Chr. Maurer, ThWNT VII, 963-64; Klauck, Herrenmahl, 289; Ebel, Attraktivität, 165 Anm. 36; Schrage III 20 Anm. 403. Schrage III 19; vgl. Robertson/ Plummer 239; Barrett 261; Lindemann 250; Theißen, Studien, 310 („er distanziert sich vorsichtig von seinen Informanten“). Wolff 259; Witherington 247; Mitchell, Rhetoric, 263-264 („mock disbelief“ im Sinn der dissimulatio). Winter, Corinth, 159-163, mit Verweis auf 2Kor 3,10; 9,3; Lk 11,36; Apg 5,2; sowie auf Menander, Epitrep. 234; P.Ryl. 127; BGU 168. So jetzt auch Garland 538. Bauer /Aland 1025 s.v. με' ρος 1b.θ führt für 2Kor 3,10; 9,3 (und 1Petr 4,15 varia lectio) die Bedeutung „Sache, Angelegenheit“ an. Wolff 260; Lindemann 250; vgl. Schrage III 21. Anders H. Schlier, ThWNT I, 182, der meint, die αιρε' σεις berührten das Fundament der Kirche und seien als Steigerung der σχι'σματα zu verstehen. Chr. Maurer, ThWNT VII, 965 versteht σχι'σματα als „weithin persönliche Rivalität“ und αιρε' σεις als „grundlegende Irrlehre“. Paulsen, Literatur, 43-74 meint, Paulus sehe in den σχι'σματα der Gegenwart die ersten Anzeichen für die αιρε' σεις, die für die Zukunft vorausgesagt seien; kritisch Schrage III 21; Lindemann 250. Fee 537; Wolff 259-260; Schrage III 21-22. In den Papyri kommt das Wort αι«ρεσις zwar häufig vor, jedoch nicht in dem negativen Sinn von „Parteiung, Spaltung“ wie hier. Vgl. Arzt-Grabner 394. Weiss 280: „Erst im Streit zeigt sich die Klarheit und Energie und Zuverlässigkeit des Charakters“; kritisch Paulsen, Literatur, 55-56. Schmiedel 159; Bousset 126; vgl. Lietzmann 56; kritisch Barrett 262.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 635 ————————————————————————————————————
und Klärung dienende Notwendigkeit.40 Die dritte Möglichkeit ist am wahrscheinlichsten: Die Spannungen und die Spaltungen, die in der Gemeinde und ihren Versammlungen sichtbar werden, sind endzeitliche Bewährungsproben, in denen offenbar wird, wer die Bewährten (οι δο' κιμοι) sind – jene Jesusbekenner, die sich selbst prüfen (V. 28: δοκιμαζε'τω δε` α»νθρωπος ε αυτο' ν) und sich nicht an den Spaltungen und Parteiungen beteiligen.41 Das Verb δοκιμα' ζω bedeutet „prüfen, billigen, als bewährt annehmen“; das Adjektiv δο' κιμος, das mit „(kampf-)erprobt, bewährt, anerkannt, echt“ übersetzt werden kann, wird oft als terminus technicus im Sinn von „offiziell geprüft“ verwendet. In der LXX bezieht sich δο' κιμος immer auf die Echtheit von Metallen. In den Papyri wird in den vorbyzantinischen Belegen das Adj. δο' κιμος nie auf Menschen bezogen, sondern fast ausschließlich für Münzen verwendet, die aus „geprüftem“ Silber oder Gold bestehen. P. Arzt-Grabner weist in diesem Zusammenhang darauf hin, „dass das Münzrecht seit Augustus vom Kaiser allein ausgeübt wurde. Dieser höchsten irdischen Autorität entspricht bei den paulinischen δο' κιμοι Gott selbst, der durch seine Prüfung für die einmal erwiesene Echtheit garantiert“.42 Angesichts der Tatsache, dass das Ende naht (vgl. 7,29-31), ist das Auftreten von Spaltungen und Parteiungen nicht erstaunlich. Paulus gewinnt ihnen sogar einen positiven Zweck ab: Sie offenbaren, wer ein echter, authentischer Christ ist. Das Offenbarwerden bezieht sich nicht auf die Zukunft, sondern auf die Gegenwart (vgl. 14,25), wobei man zwischen diesen beiden Bezügen nicht scharf trennen kann. 43 20 Nach dem Verweis auf die Spaltungen und Parteiungen in der Gemeinde, von denen er gehört hat (V. 18-19), spricht Paulus konkreter über die Ereignisse, die beim Zusammenkommen der korinthischen Christen „Schlechtes“ bewirken (V. 17). Er konstatiert, dass die Korinther nicht, um das Herrenmahl zu essen (ου κ ε»στιν κυριακο` ν δει^πνον φαγει^ν) zusammenkommen. Die Angabe συνε'ρχομαι ε πι` το` αυ το' („an einem Ort, zusammen“) wird oft im Sinne einer lokalen Bedeutung interpretiert: „wenn ihr zusammenkommt an
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Barrett 262; Wolff 260; Hays 195; Schrage III 21; Collins 422; H. Schlier, ThWNT I, 182. Manche gehen von einer frühen apokalyptischen Tradition aus, die bei Justin vorliegt (Dial. 35,2: „Es werden Spaltungen und Teilungen sein“; vgl. Syr. Didaskalia 6,5,2) und später als Herrenwort tradiert wurde; vgl. Paulsen, Literatur, 48-52. Schrage III 22. Zu δο' κιμοι vgl. Röm 14,18; 16,10; 2Kor10,18; 13,7. Vgl. W. Grundmann, ThWNT IX, 3; G. Schunach, EWNT I, 825-826. Arzt-Grabner 394. Wolff 260; Schrage III 22; Konradt, Gericht, 449. Anders Barrett 262; Synofzik, Vergeltungsaussagen, 50, die die Formulierung auf das Endgericht beziehen.
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einem Ort“.44 Mit δει^πνον bezeichnete man die meist am Abend eingenommene Hauptmahlzeit (vgl. Lk 14,12.17), d.h. die primae mensae, bei der meistens neben Brot und Wein als Zukost (ο» ψον) Fisch, Gemüse und (seltener) Fleisch serviert wurde. Nach dem Hauptgang opferten die heidnischen Zeitgenossen den Laren und dem Genius des Hausherrn sowie dem Genius des Kaisers, ehe man die Desserts (secundae menae) einnahm.45 Das Adjektiv κυριακο' ς qualifiziert die Mahlzeit als „zum Herrn gehörend“. Die Fortsetzung zeigt, dass mit dem Herrn Jesus der Auferstandene gemeint ist. 46 Die Vokabel κυριακο' ς ist im NT noch in Offb 1,10 belegt, wo mit dem „Tag, der dem Herrn gehört“ (ε ν τη^, κυριακη^, η με' ρα, ) offensichtlich der erste Tag der Woche (als Tag der Auferstehung Jesu) gemeint ist. Die Auskunft, dass κυριακο' ς außerhalb des NT nur in Inschriften und Papyri belegt ist, wie W. Schrage meint, ist nicht ganz richtig.47 In den Papyri kommt das Adj. κυριακο' ς (seit dem 1. Jh. n.Chr.) als Bezeichnung für etwas vor, was mit einem „Herrn“ bzw. mit einer „Hoheit“, „also entweder mit dem Vorsteher eines Hofes bzw. einer Familie oder – wie zumeist – mit dem römischen Kaiser zu tun hat“.48 Die These von A. Deissmann, Paulus habe das Wort aus dem staatsrechtlichen Sprachgebrauch seiner Zeit übernommen,49 ist nicht bewiesen. Bereits J. Weiss stellt fest, dass es natürlicher ist, „daß wenn einmal Christus κυ' ριος genannt wurde, ein Adj. davon garnicht anders gebildet werden konnte, so daß dies eine Parallele zum Sprachgebrauch des Kaiserkults wäre, keine Entlehnung“.50 Der früheste Papyrus, der den christlichen Sonntag erwähnt, ist P.Oxy. I 48 (Mitte 4. Jh.). Seit dem 2./3. Jahrhundert ist Kyriakos als Eigenname belegt, u.a. auf Inschriften christlicher Pilger im Wadi Haggag (Sinai).51
Der Ausdruck „Herrenmahl“ klingt wie ein terminus technicus, er ist jedoch in der urchristlichen Literatur (einschließlich der Apostolischen Väter) nicht belegt. In den synoptischen Berichten vom letzten Mahl Jesu mit seinen ————————————————————
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Heinrici 341; Weiss 280; Wolff 261; Lindemann 247.250. Ähnlich die Ausleger, die im Sinn des „Zusammenseins“ in der Gemeindeversammlung interpretieren, vgl. Robertson/ Plummer 240; Ferguson, Together, 207. Unwahrscheinlich ist die Bedeutung „zu demselben Zweck“, vgl. Klauck 81; Kremer 237. Vgl. Lampe, Herrenmahl, 186-187; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 45-60; zum antiken Gastmahl vgl. G. Binder, Art. Gastmahl, DNP IV, 797-806. Vgl. W. Foerster, ThWNT III, 1095-1096; J. A. Fitzmyer, EWNT II, 820. Vgl. die Belege in Apollonius, De horis 7,179; Thessalus, Virt. herb. 2, prol. 1 (beide 1. Jh. n.Chr.); pace Schrage III 23. R. E. Kritzer /Arzt-Grabner, in Arzt-Grabner 325); vgl. Preisigke, Wörterbuch s.v. Für die Verwendung von κυριακο' ς mit λο' γος vgl. P.Harr. II 178,9; P.Oxy.Hels. 13,9-10. Zur Verwendung in Zusammenhang mit dem römischen Kaiser vgl. P.Lond. 328; P.Oxy. 474. 1461; BGU 1. 266; siehe auch die Inschriften, z.B. OGIS 669 (68 n.Chr.); CIG 2827; SE II 567. Vgl. Spicq, Notes, I, 446-448. Deissmann, Licht vom Osten, 304-306. Weiss 281 Anm. 1. Vgl. G. H. R. Horsley, NewDocs II, 206.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 637 ————————————————————————————————————
Jüngern kommt das Wort δει^πνον nicht vor; Johannes verwendet die Vokabel in diesem Zusammenhang (Joh 13,2.4). Φαγει^ν schließt das Trinken mit ein (Synekdoche). Die Wendung κυριακο` ν δει^πνον φαγει^ν meint das ganze Mahlgeschehen, nicht nur die Brot- und Weinhandlung, die an den Tod Jesu erinnert. Die Vokabeln δει^πνον und δειπνε'ω (V. 25) bezeichnen eine wirkliche Mahlzeit, die satt machen soll. 52 Paulus wirft den korinthischen Christen vor, dass das Herrenmahl, wie sie es feiern, diesen Namen nicht verdient: sie feiern es nicht als Mahl, das dem Herrn gehört und bei dem der Herr der Gastgeber ist, sondern als Privatmahlzeit, über die sie selbst bestimmen (το` »ιδιον δει^πνον, V. 21).53 21 Das Problem in Korinth besteht darin: Jeder nimmt beim Essen seine eigene Mahlzeit ein (ε« καστος γα` ρ το` »ιδιον δει^πνον προλαμβα' νει ε ν τω ^, φαγει^ν). Entscheidend für die Rekonstruktion der korinthischen Verhältnisse ist das Verständnis der Wendung προλαμβα' νει. Die nicht-temporale Interpretation („einnehmen, zu sich nehmen, hervornehmen“)54 ist plausibler als das temporale Verständnis („vorwegnehmen“;55 s. oben die Einleitung zu 11,1734). Folgende Gründe sind ausschlaggebend: 1. Das Verb προλαμβα' νω hat zwar häufig eine zeitliche Bedeutung, aber nicht immer; es gibt Parallelen für eine nicht-temporale Bedeutung des Verbs im Zusammenhang mit Essen. 56 Die zeitliche Nuance von προ- ist im hellenistischen Griechisch nicht generell ————————————————————
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Wolff 261; Schrage III 37 (Anm. 494); Marshall, Supper, 110-111; Lampe, Herrenmahl, 204; Konradt, Gericht, 411-412. Anders Pesch, Abendmahl, 62-63, nach dem es nur das eucharistische Brot gab; Theißen, Studien, 303 und Klauck, Herrenmahl, 294 nehmen an, es habe nur Brot und Wein gegeben. Zurückhaltender Lindemann 25, der meint, weil δει^πνον durch das Adj. κυριακο' ς bestimmt wird, ließen sich aus der Verwendung dieser Vokabel keine Erkenntnisse über den Zeitpunkt oder über den genauen Charakter oder den Ablauf der von den Christen eingenommenen Mahlzeit gewinnen. Schrage III 23. Lindemann 251: Paulus rügt nicht „schlechte Manieren“ (Lietzmann 56), „sondern er spricht von einem grundsätzlichen Problem“. Für die nicht-temporale Interpretation argumentieren Conzelmann 237 Anm. 22; Fee 542. 568; Hays 202-203; Horsley 159; Thiselton 863; Garland 554-555; Hofius, Herrenmahl, 220-221; Blue, Famine, 230-231; Lindemann, Ekklesiologie, 72 Anm. 30; Roloff, Kirche, 105; Winter, Corinth, 143-148; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 288-289; EngbergPedersen, Proclaiming the Lord’s Death, 110. So fast alle dt. Übersetzungen, vgl. LÜ, Elb.Ü, MNT, SÜ, ZB, GN („denn bevor das gemeinsame Mahl beginnt“), NGÜ („statt zu warten, bis alle da sind, beginnt jeder für sich zu essen“); Menge, Wilckens. Anders EÜ: „denn jeder verzehrt sogleich seine eigenen Speisen“. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 395, führt Belege aus den Papyri für die Bedeutung „vorher erhalten, sich vorher nehmen“ an. Vgl. die Inschrift SIG3 1170,7.9.15. W. Dittenberger schlägt in SIG vor, dass es sich um ein Verschreiben (für προσλαμβα' νω) handeln könnte; in der neuesten Ausgabe der Inschrift (Edelstein/Edelstein, Asclepius, Nr. 432) wird dieser Vorschlag nicht aufgenommen. Vgl. Winter, Corinth, 145.
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vorhanden;57 das Präfix verstärkt oft die Bedeutung des Verbs, das in diesem Fall mit „verschlingen“ übersetzt werden kann.58 2. Das Wort ε«καστος wird im Kontext nicht qualifiziert und auf die bessergestellten Christen beschränkt, die sich vor der Gemeindeversammlung treffen können und wollen, 59 sondern muss sich auf alle Gemeindeglieder beziehen. 3. Die Wendung ε ν τω ^, φαγει^ν („beim Essen“; subst. Aor. Inf.) ist im Sinne der Gleichzeitigkeit des „Essens“ und der Handlung im Hauptverb des Satzes (προλαμβα' νει) zu interpretieren.60 4. In V. 25 verweist die Wendung μετα` το` δειπνη^ σαι kaum allein auf die vorangehende Brothandlung, sondern auf die Sättigungsmahlzeit. Paulus moniert also, dass beim Essen des Herrenmahls (V. 20) jeder seine „eigene Mahlzeit“ einnimmt, d.h. dass jeder die selbst mitgebrachten Speisen verzehrt. H.-J. Klauck meint, Paulus würde „ein Prassen in unmittelbarer Gegenwart des hungernden Bruders . . . selbst den satten Korinthern (vgl. 4,8.11) nicht zutrauen“.61 Im Vergleich zu anderen Missständen – man muss nur an das Prozessieren korinthischer Christen gegen Mitchristen denken – ist das hier vertretene Szenario jedoch durchaus plausibel. Bessergestellte Leute waren es gewohnt, in der Gegenwart von Klienten zu essen, denen Speisen minderer Qualität angeboten wurden, und sie waren es gewohnt, dass ihnen Sklaven beim Essen zuschauten (vgl. Juvenal, Sat. 5; Martial, Ep. 1,20; 3,60). Die Symbolik dieser Praxis bestätigte und bekräftigte die hierarchischen Strukturen der Gesellschaft.62
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Bauer /Aland 1418 s.v. προλαμβα' νω 2a („einnehmen v. Nahrungsmitteln“); MM 542 s.v. προλαμβα' νω. In BDAG 872 s.v. προλαμβα' νω 2c findet man die Übersetzung „take, get of a meal“ (mit Hinweis auf SIG 1170), mit dem Kommentar zu 1Kor 11,21, dass die temporale Nuance von προ- zu einem „bestimmten Grad“ vorhanden sei („felt to a degree“). Zur Bedeutung von ε κδε' χομαι in V. 33 siehe unten. MM 542 s.v. προλαμβα' νω; Winter, Corinth, 148; vgl. ebd. 144 mit Verweis auf P.Cair.Zen. IV 59562 B,12, wo sich das Verb auf die Bereitstellung einer großen Menge von Nahrungsmitteln für den König bezieht. Vgl. Thiselton 863; Garland 540-541. Vgl. Heinrici 328; Weiss 28 („ε«καστος ist etwas zu viel gesagt“); Fee 541; Wolff 261; Schrage III 25; Klauck, Herrenmahl, 293; Theißen, Studien, 294; Schmeller, Hierarchie, 67; Konradt, Gericht, 414; vgl. Lindemann 251, der jedoch einen Bezug auf fest definierte Gruppen ablehnt („schon gar nicht ‚die Wohlhabenden‘“); in ders., Ekklesiologie, 72 Anm. 30 vertritt er noch die Meinung, es gäbe keinen Grund, ε«καστος nicht im wörtlichen Sinn zu verstehen. Kritisch Garland 541; Hofius, Herrenmahl, 217; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 289. Winter, Corinth, 148-151. Bauer/Aland 525 s.v. ε ν II.3 gibt für den Inf. des Aor. die Bedeutung „nachdem“ an (mit Verweis auf Lk 9,34.36; 19,15); BDAG 330 s.v. ε ν 10c besteht (gegen BDR §404) für den Inf. des Aor. auf der Bedeutung when („während“). Klauck, Herrenmahl, 292; vgl. Schrage III 24 Anm. 427. Vgl. Veyne, Das römische Reich, 83-84.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 639 ————————————————————————————————————
Diese Verhaltensweise hat gravierende Folgen: Der eine hungert (ο ς με` ν πεινα^), , d.h. manche haben so wenig zum Essen, dass sie Hunger haben. 63 Der andere ist betrunken (ο ς δε` μεθυ' ει), d.h. die wohlhabenderen Christen, die üppige Mahlzeiten mitgebracht haben, sind angeheitert. 64 Der Zusammenhang zeigt, dass es Paulus nicht primär darum geht, korinthische Christen dafür zu kritisieren, dass sie nicht Maß halten können und zu viel essen oder zu viel trinken. Er moniert, dass sie sich nicht gegenseitig annehmen (V. 33), d.h. dass sie nicht miteinander teilen. In einem Privathaus der damaligen Zeit fanden im Speisesaal (triclinium) auf drei hufeneisenförmig aufgestellten Speisesofas (κλινη' , lat. lectus) insgesamt neun bis zwölf Gäste Platz (drei, im Höchstfall vier Personen auf jedem Sofa).65 Wenn die Gäste sich aufrecht hinsetzten, konnten doppelt so viele Gäste Platz finden. Die griechische Praxis, vor jedes Speisesofa einen eigenen Tisch zu stellen, war in Rom selten. Im Atrium oder im Peristylium konnten sich weitere 30 bis 50 Gäste aufhalten. Die von J. Wiseman in Anaploga außerhalb Korinths ausgegrabene Villa hatte ein Triclinium, das 5,5 mal 7,5 Meter maß. Das Atrium war 5 mal 6 Meter groß, hatte aber in der Mitte ein impluvium, das den für Gäste zur Verfügung stehenden Platz verringerte.66
Es ist anzunehmen, dass sich die wohlhabenden Christen in Korinth im triclinium auf Speisesofas satt aßen, während die ärmeren Christen im Atrium auf Stühlen, Bänken oder auf dem Boden Platz finden mussten. In der antiken Literatur gibt es genügend Belege, die zeigen, dass sozial niedriger stehende Gäste im Atrium empfangen wurden.67 Beim Gastmahl und beim Symposion der zeitgenössischen Gesellschaft speisten sozial gleichgestellte Freunde und Bekannte miteinander. Mit sozial niedriger gestellten Menschen wie Sklaven und Arme lag man nicht auf dem gleichen Speisesofa. In diesem Zusammenhang weist die Formulierung ε«καστος το` »ιδιον δει^πνον προλαμβα' νει darauf ————————————————————
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Lindemann 251 meint, die rhetorische Frage in V. 22 und der Rat in V. 34 wären zynisch, wenn Paulus das Wort „hungern“ im buchstäblichen Sinn verstünde. Μεθυ' ω kommt in den vier anderen ntl. Stellen immer im buchstäblichen Sinn von „betrunken sein“ vor; vgl. Mt 24,49; Apg 2,15; 1Thess 5,7; Offb 17,6. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 395-396, weist darauf hin, dass die wenigen Papyrusbelege in Petitionen vorkommen und zeigen, welchen Schaden betrunkene Menschen verursachen können. In P.Oxy. XXXVI 2758,10-12 (110-112 n.Chr.) wird einem Mann folgender Vorwurf gemacht: „in betrunkenem Zustand (μεθυ' ων) beschimpfte er sie auf derbste Weise und zog sie aus“. Vgl. W. H. Gross, Art. Triclinium, KP V, 955-956; P. Schmitt-Pantel, Art. Triclinium, DNP XII.1, 807-808. Vgl. Schrage III 19 Anm. 387; Lampe, Herrenmahl, 190; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 325-326; ebd. 61-83 zu Speiseräumen und Sitzordnung. Wiseman, Corinth, 528; vgl. Murphy-O’Connor, Corinth, 153-161. Lampe, Herrenmahl, 201, mit Verweis auf Martial 12,68,1-2; 9,100,2; 4,40,1; 3,38,11; vgl. ebd. für die folgende Bemerkung.
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hin, dass die einzelnen Gemeindeglieder ihre eigenen Speisen für das Essen (ε ν τω ^, φαγει^ν) bei der Mahlzeit (δει^πνον) mitbrachten. Dieser Typus gemeinsamer Mahlzeiten, bei denen jeder seine eigenen Speisen mitbrachte, heißt ε»ρανος (Freundesmahl), „ein Essen auf gemeinsame Kosten, zu dem jeder Teilnehmer etwas mitbringt“.68 Die befreundeten Gäste bringen ihren Beitrag entweder in Geld mit oder als Speisen in Körben.69 Xenophon beschreibt, wie die Teilnehmer an einem δει^πνον ihre Zukost (ο»ψον), d.h. alles was zum Brot gegessen wird – Fleisch, Fisch, Gemüse – von zu Hause mitbringen: Die einen bringen viel (πολυ' ), die anderen wenig (μικρο' ν). Jeder verzehrt, was er mitgebracht hat. Sokrates meint, Letzteres sei für den Gemeinschaftssinn wenig förderlich; er weist deshalb den Sklaven an, die Esspakete zu sich zu nehmen und entweder auf Platten auszubreiten, die allen Gästen zugänglich sind, oder sie gerecht auf die Teller der Mahlteilnehmer zu verteilen. Als Resultat ergibt sich: Die viel mitbrachten, „verfügten nicht über mehr als die, die für sich wenig brachten“ (Mem. 3,14,1).70 Aristophanes schildert die Einladung zu einem Festessen wie folgt: „Zum Festmahl komm sogleich mit deinem Korb und deiner Kanne! Der Priester des Dionysos läßt dich laden. Nur schnell! Die andern warten längst auf dich, und alles ist schon fertig zugerichtet: Tische, Polsterkissen, Teppiche, Festkränze, Salben, Naschwerk, Freudenmädchen, Lebkuchen, Fladen, Sesamstritzel, Krapfen, und Tänzerinnen, des Harmodios Schätzchen, schon längst. Doch eile! Komm!“ (Achar. 1085-1094).
Die gemeinschaftlichen Mahlzeiten der korinthischen Christen waren alles andere als gemeinschaftlich: Die Wohlhabenden konnten sich satt essen und tranken manchmal sogar einen über den Durst, während die armen Christen Hunger hatten. Die sozialen Unterschiede unter den Gemeindegliedern offenbarten sich bei den Versammlungen, bei denen die Christen eine Mahl————————————————————
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Lampe, Herrenmahl, 194-195, ebd. 195-197 für die folgenden Bemerkungen; vgl. E. Berneker, Art. »Ερανος, KP II, 342; G. Thür, Art. Eranos, DNP IV, 40. Lindemann 251-252 sieht in Xenophon, Mem. 3,14,1-7 keine Parallele, da Sokrates das Ziel verfolge, die Teilnehmer am Mahl zur Bescheidenheit zu erziehen, was bei Paulus nicht im Blick ist. Die Parallele bezieht sich jedoch nicht auf die Absicht der Äußerungen von Sokrates bzw. von Paulus, sondern auf die Praxis des ε»ρανος als Hintergrund für die Rekonstruktion der Mahlzeiten in der korinthischen Gemeinde. Zur Ökonomie von Gemeinschaftsmählern vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 131-152. Athenaeus, Deipn. 8,365 unterscheidet das δει^πνον α πο` συμβολω ^ ν und das δει^πνον α πο` σπυρι'δος; im Lat. bezeichnet symbola den Geldbeitrag von Gästen zu einer gemeinsamen Mahlzeit, vgl. Terenz, Andr. 88. Vgl. NW II 351. Ein anderes, für 1Kor 11,17-34 wenig relevantes Szenario wird von Plutarch in Quaest. Conv. 2,10 (Mor. 642F–644D) beschrieben: Hagias meint, dass das Aufteilen des Fleisches und des Brotes in Portionen die Gemeinschaft störe (643A-E), während Lamprias (d.h. Plutarch) der Meinung ist, das Essen von gemeinsamen Platten führe zu Rangeleien und gefährde geradezu die Gemeinschaft (643E); es sei gerechter und der Gemeinschaft der Mahlteilnehmer nicht abträglich, wenn der Gastgeber jedem Gast die Portionen zuteile (το` »ιδιον, 644C), vorausgesetzt, diese sind gleich groß (644D).
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 641 ————————————————————————————————————
zeit zusammen einnahmen, als Spaltungen (V. 18). Der Egoismus und die Rücksichtslosigkeit der reicheren Christen ist der Grund, weshalb Paulus in V. 17.20 so hart urteilt. Sie kommen nicht zusammen, um in Gemeinschaft mit anderen Christen das Herrenmahl zu feiern – sie kommen zusammen, um sich satt zu essen, ohne sich darum zu kümmern, ob andere Gäste als arme Schlucker deklassiert und brüskiert wurden. In V. 23-26 wird Paulus auf das Vorbild Jesu verweisen, der das Brot und den Wein nicht für sich selbst genommen, sondern anderen gereicht hat. Die korinthischen Christen, jedenfalls die Reichen unter ihnen, können die Mahlzeit, die sie zusammen einnehmen, nicht „Mahl des Herrn“ nennen. 22 Die Frage Habt ihr denn nicht Häuser zum Essen und zum Trinken? macht deutlich, dass das Problem, das Paulus in diesem Abschnitt behandelt, von den wohlhabenderen Christen verursacht wurde. Nur bessergestellte Bürger hatten in der hellenistisch-römischen Gesellschaft ein Haus (οι κος).71 Das römische Atriumhaus72 besaß als zentrales architektonisches Merkmal das atrium, einen zentralen Mehrzweckraum, um den herum die Wohn-, Schlaf- und Wirtschaftsräume angeordnet waren. Das Dach des atrium war in der Mitte geöffnet (compluvium), so dass Licht und Luft in die Halle gelangen konnten; im Fußboden sammelte man in einem Becken (impluvium) das Regenwasser. Beim Bautyp des atrium corinthium wird das Dach des Atriums von mehreren Säulen getragen. In manchen römischen Städten (z.B. in Pompeji) wurde der Garten, der sich an das Atriumhaus anschloss, zum geschlossenen Peristylium-Hof erweitert, der von Säulengängen umgeben war. Die Einrichtung eines Hauses spiegelte den gesellschaftlichen Status der (bessergestellten) Bewohner wider. Dies war durchaus beabsichtig. So stellte man zum Beispiel im atrium Portraitbüsten der Vorfahren sowie vorhandene materielle Erinnerungen an die Geschichte der Familie aus. Diese „Kollektionen“ sollten die im Haus wohnenden Familienangehörigen sowie die Besucher an die herausragende Herkunft des Hausvaters und an die Bedeutung der Familie erinnern.73 Ein gutes Beispiel für ein Atriumhaus ist das Haus der Vettii in Pompeii, das den wohlhabenden Freigelassenen Aulus Vettius Restitutus und Aulus Vettius Conviva gehörte (Abb. 4). Der Eingang befand sich an der Ostseite. Durch einen Gang erreichte man die große Eingangshalle (Atrium) mit impluvium (in Abb. 4 der Raum mit dem Buchstaben c). Die von hier aus zugänglichen Räume waren vier Schlafzimmer (cubicula d, f, g, k), zwei offene Räume (alae h, i) und eine Halle/Salon (oecus e). Am südlichen Ende des Atriums führte eine Treppe (γ) ins Obergeschoss. Vom westlichen Ende des Atriums gelangte man zum großen Garten (ca. 28 mal 17 Meter), der von einem Säulengang umgeben war. An der südöstlichen, nordöstlichen und nördlichen Seite des Peristyliums befanden sich drei Speiseräume (triclinia; n, p, r), ————————————————————
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Wolff 262; Schrage III 27; Garland 542; Marshall, DPL 571; Theißen, Studien, 296-297. Vgl. Chr. Höcker, Art. Atrium, DNP II, 224; W. H. Gross, Art. Haus, KP II, 957-961; Höcker, Art. Haus II, DNP V, 200-210; Höcker, Art. Peristylion, DNP IX, 590; Radt, Pergamon, 119-127; Schnabel, Urchristliche Mission, 580-583. Vgl. Hales, House, 46.
642 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— an der Nordseite eine große Halle (oecus q). An der Nordostseite des Peristyliums befand sich ein zweiter (kleiner) Garten (s), von dem aus man in ein weiteres Speisezimmer (triclinium t) gelangte. Das zweite Atrium auf der Nordostseite des Hauses (Raum v) und die zu ihm gehörenden Räume x, y, z wurden von den Sklaven benutzt; in diesem Bereich befand sich auch die Küche (Raum w). In den triclinia r und p (ca. 8 mal 3,5 Meter bzw. 6 mal 3 Meter) hätten auf je drei Speisesofas insgesamt zwischen 18 und 24 Gästen Platz gehabt. Weitere Gäste hätte man im oecus q (ca. 8 mal 5,5 Meter) und im Peristyl-Hof unterbringen können. Die meisten Einwohner römischer Städte lebten in Mietshäusern – vielleicht 90% der freien Bürger und ein noch höherer Prozentsatz der übrigen Einwohner, Sklaven eingeschlossen. Die mehrgeschossigen Mietshäuser hießen insula, weil sie ursprünglich von allen Seiten umgehbar waren, d.h. einen ganzen Wohnblock einnahmen. Etwas besser gestellte Familien hatten im Mietshaus etwas größere Wohnungen; die Freigelassenen und Sklaven, die auf den höheren Etagen wohnten, mussten sich mit kleinen Wohneinheiten begnügen. Eine Familie musste oft mit 10 qm auskommen. Dies erklärt die hohe Bevölkerungsdichte in den größeren römischen Städten. In Rom lebten auf 1 Hektar ungefähr 750 Menschen, fast 2,5 mal soviel wie die Bevölkerungsdichte Calcuttas. Eine Ortsgemeinde konnte sich in diesen engen Wohnungen nicht treffen.
Die erste rhetorische Frage, die eine bejahende Antwort erwarten lässt, bedeutet nicht, dass Paulus das Sättigungsmahl zur Privatsache erklärt und vom Herrenmahl trennen will.74 Dies würde voraussetzen, dass Paulus den wohlhabenderen Gemeindegliedern rät, sich zu Hause satt zu essen – und die Armen hungrig bleiben zu lassen. Wenn Paulus in Röm 12,20 die Christen in Rom anweist, ihre hungernden Feinde zu speisen, kann er hier in V. 22 unmöglich den Hunger der ärmeren Christen ignorieren und das Essen der reichen Christen in deren Privathäuser verlegen. Paulus will mit seiner rhetorischen Frage sagen: Besucher der Versammlungen der Gemeinde, die nur essen und trinken wollen, sollen zu Hause bleiben und sich dort satt essen. In den Versammlungen der Gemeinde, in denen Jesusbekenner das Mahl des Herrn feiern und Gemeinschaft miteinander haben, geht es nicht an, dass man die leiblichen und die gesellschaftlichen Dimensionen des Evangeliums samt den Konsequenzen für die Armen außer Acht lässt. 75 Die zweite rhetorische Frage formuliert einen Vorwurf: Oder verachtet ihr die Gemeinde Gottes und macht die Besitzlosen schamrot? Das konkrete Verhalten der korinthischen Christen, die sich zu Hause satt essen könnten, führt für Paulus zu einer bejahenden Antwort dieser Frage. Sie verachten mit ihrem Verhalten die „Gemeinde Gottes“ (η ε κκλησι' α του^ θεου^ ) und damit Gott selbst. Das Verb καταφρονε' ω bedeutet „verachten, geringschätzen, verächtlich behandeln“, καταισχυ' νω „schänden, beschämen, scham————————————————————
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So Conzelmann 238; Schmithals, Gnosis in Korinth, 238; Klauck, Herrenmahl, 295. Schrage III 27-28.
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rot machen“ (vgl. V. 4-5). Beide Verben bezeichnen die soziale Deklassierung, mit der die reichen Christen die „Besitzlosen“ (οι μη` ε»χοντες), d.h. die sozial Schwachen behandeln. Diese werden (offenbar regelmäßig) blossgestellt, wenn sie bei der Mahlzeit, die beim Zusammenkommen der Gemeinde eingenommen wird, zusehen müssen, wie sich einige Gemeindeglieder mit guten Speisen satt essen können, während sie selbst sich mit wenig Zukost zum Brot begnügen und hungrig dem Gottesdienst folgen müssen. Die Bessergestellten verachten die Besitzlosen, indem sie diesen ihren niedrigen Sozialstatus in schroffer Weise vor Augen führen. Die Frage Was soll ich euch sagen? (τι' ει»πω υ μι^ν;) ist rhetorisch gemeint: Paulus weiß sehr wohl, wie er auf dieses Verhalten reagieren soll. 76 Er beantwortet die nächste Frage Soll ich euch etwa loben? selbst, um keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen: In dieser Sache kann ich euch nicht loben (ε ν του' τω, ου κ ε παινω ^ ). Dieses Urteil greift auf den Beginn des Abschnitts (V. 17) zurück. Die Wohlhabenden setzen mit ihrem Verhalten die gesellschaftliche Konvention fort, ohne die Folgen für ihre Mitchristen in Betracht zu ziehen. Wenn Christen ihre Brüder und Schwestern (vgl. 8,12) verachten, dann verachten sie die Gemeinde, und die Verachtung der Gemeinde kommt der Verachtung Jesu Christi gleich, wie die nächsten Sätze zeigen.
Die Überlieferung vom Herrenmahl 11,23-26 I 23 Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch auch überliefert habe: Der Herr Jesus nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot 24 und sprach das Dankgebet und brach das Brot und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch; tut dies zu meinem Gedächtnis. 25 Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. 26 Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
II In drei Sätzen skizziert Paulus die Tradition von der letzten Mahlzeit Jesu mit seinen Jüngern, in der die Feier des Herrenmahls in der „Gemeinde Gottes“ (V. 22) gründet. Paulus begründet seine Missbilligung des Verhaltens der reicheren Gemeindeglieder mit der Überlieferung, die er vom Herrn erhalten ————————————————————
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Die Frage drückt also nicht Ratlosigkeit aus, wie Schrage III 28 meint.
644 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
hat und die den korinthischen Christen bekannt ist (V. 23a). Er wiederholt die den Korinthern geläufige Tradition vom Herrenmahl (V. 23b-25) und kommentiert ihre Bedeutung (V. 26): Wer das Mahl des Herrn feiert, der verkündigt den Tod des Herrn Jesus Christus. Paulus zitiert die Abendmahlstradition, weil er den korinthischen Christen, die durch ihr Verhalten bei den Mahlzeiten der Gemeinde die ärmeren Christen brüskieren, deutlich machen will, wie sich authentische Jesusbekenner verhalten, die verstanden haben, was der Tod Jesu Christi bedeutet. Im Text deutet nichts darauf hin, dass die korinthischen Christen das Herrenmahl geringschätzen oder dass sie es sakramentalistisch falsch interpretieren.77 Wäre dies der Fall, könnte Paulus schlecht einen Hinweis auf das Herrenmahl als Argument für die Korrektur anführen, die er am Verhalten korinthischer Christen vornehmen will. Die meisten Ausleger nehmen an, dass Paulus die Abendmahlstradition wörtlich zitiert, und zwar nach der Fassung bei Lukas, mit dem sein Text fast wörtlich übereinstimmt. Ob er die Tradition in Damaskus,78 Antiochien79 oder in Jerusalem80 kennen gelernt hat, muss offen bleiben und spielt für das Verständnis des Textes auch keine Rolle. Wenn man die vier Abendmahlstexte (Mt 26,26-29; Mk 14,22-25; Lk 22,18-20; 1Kor 11,23b-25) vergleicht, ergeben sich folgende Übereinstimmungen:81 1. Jesus sprach die Worte über Brot und Kelch, mit denen er seinen kommenden Tod als Sühnetod interpretierte, während einer Mahlzeit (Passamahl)82 mit seinen Jüngern. 2. Jesus hat Brot zerteilt und dazu gesagt: „Dies ist mein Leib“. 83 3. Jesus hat im Zusammenhang des Kelches die Begriffe „Bund“ (διαθη' κη) und „Blut“ (αι μα) verwendet (die Formulierungen weichen stark von einander ab).84 4. Jesus verweist auf seine Wiederkunft (unterschiedlich formuliert). Auf die Unterschiede ist hier im Einzelnen genauso wenig einzugehen wie auf die damit verbundenen traditionskritischen Fragen.85 Paulus führt die Abendmahlstra————————————————————
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Richtig Lindemann 252. Salzmann, Lehren, 56 Anm. 74 weist mit Recht darauf hin, dass Paulus die Kategorie „sakramentalistisches Denken“ nicht kennt. Ellis, Account, 43. Jeremias, Abendmahlsworte, 97; Stuhlmacher, Herrenmahl, 19; ders., Theologie I, 141. Pesch, Abendmahl, 59. Vgl. Lindemann 256. Vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 133-135; andere halten die Schilderung als Passamahl für redaktionell, vgl. Lindemann 256. Mk 14,22: του^ το' ε στιν το` σω ^ μα' μου; Paulus: του^ το' μου' ε στιν το` σω ^ μα το` υ πε` ρ υ μω^ ν. Mk 14,24: του^ το' ε στιν το` αι μα' μου τη^ ς διαθη' κης το` ε κχυννο' μενον υ πε` ρ πολλω ^ ν; Paulus: του^ το το` ποτη' ριον η καινη` διαθη' κη ε στι`ν ε ν τω ^, ε μω^, αι«ματι. Dazu Lindemann 257-258; Schrage III 9-12; Merklein, Studien I, 157-180; Klauck, Herrenmahl, 297-323; Stuhlmacher, Theologie I, 140-142. Die Urteile gehen weit auseinander. Lindemann meint, Lukas habe die von Paulus verwendete Tradition (nicht unmittelbar den Paulustext) übernommen und sie teilweise an den Markustext angepasst (ebd. 258).
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 645 ————————————————————————————————————
dition, die er in V. 23b-25 zitiert, auf den Herrn zurück, ohne zu erklären, von wem er den Wortlaut der zitierten Tradition übernommen hat. Manche Exegeten sind skeptisch, „ob und gegebenenfalls inwieweit die Mahlüberlieferung historisch auf Jesus zurückgeführt werden kann“. 86 Andere haben weniger Schwierigkeiten, die Abendmahlstradition auf Jesus zurückzuführen.87 Peter Stuhlmacher kommt nach einer Analyse der Tradition von den Stiftungsworten im Rahmen einer Behandlung des Leidens- und Todesverständnisses Jesu zu dieser Schlussfolgerung: „Die soteriologische Deutung des Todes Jesu im urchristlichen Kerygma (vgl. z.B. 1Kor 14,3b-5; Röm 4,25) entspringt nicht erst dem Interpretationswillen der nachösterlichen Gemeinde, die sich von Jes 43,3-4; 52,13–53,12 und der alttestamentlichen Sühnetradition her zu verdeutlichen suchte, was am Kreuz auf Golgatha geschah, sondern sie entspricht dem messianischen Sendungs- und Opferwillen Jesu, den er seinen Jüngern schon vor Ostern kundgetan hat“.88 Gliederung. In V. 23a leitet Paulus seinen Tadel am Verhalten der Gemeinde mit dem Hinweis auf die Abendmahlstradition ein, die er in V. 23b-25 zitiert. Auf die Notiz zur Auslieferung Jesu (V. 23b) folgt das Dankgebet über dem Brot, das Brechen des Brotes, die Erklärung des zerbrochenen Brotes, und die Aufforderung zur erinnernden Wiederholung der Handlung (V. 24). Mit „ebenso“ wird die Kelchhandlung eingeführt, von der nur die erklärende Interpretation und die Aufforderung zur Wiederholung erwähnt wird (V. 25). Paulus kommentiert die Tradition mit dem Hinweis, dass die Wiederholung des Herrenmahls in den Gemeindeversammlungen die Verkündigung des Todes Jesu bedeutet. Textkritische Anmerkungen. In V. 23 ersetzen Vertreter des westlichen Textes die Wendung α πο` του^ κυρι' ου durch παρα` κυρι' ου (D lat; Ambst) bzw. durch α πο` θεου^ (F G 365 d*). Nach κυ' ριος lässt B das Wort Ιησου^ ς aus; die längere Lesart ist jedoch sehr gut bezeugt. In V. 24 fügt die Mehrheit der Textzeugen nach ει πεν die Wendung λα' βετε φα' γετε ein (C3 Ψ Byz t vgcl sy), was als Angleichung an Mt 26,26 zu werten ist; eine bewusste Auslassung in d46 אA B C* D F G 0199 6 33 u.a. ist nicht wahrscheinlich.89 Die Lesart το` ————————————————————
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Schrage geht von einer „teilweisen Priorität des Markustextes“ aus, meint aber, 1Kor 11 / Lk 22 hätten in einigen Punkten die traditionsgeschichtlich ursprünglichere Form (ebd. 11). Lindemann 258, der es für „eher unwahrscheinlich“ hält, „daß sich ein bestimmter Wortlaut als authentische Jesusüberlieferung erweisen könnte“. Dunn, Jesus Remembered, 230 Anm. 241 bezeichnet die Widersprüche, die manche in den vier Abendmahlstexten sehen wollen, als „performance variation“ die sich aus der Tatsache ergibt, dass wir es mit einer lebendigen mündlichen Tradition zu tun haben, die vor und nach der Niederschrift in einer halb-formalen oder formalen Dokumentation existierte. Stuhlmacher, Theologie I, 143; vgl. Marshall, Supper, 30-56. Zuntz, Text, 165; Metzger, Commentary, 496.
646 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
υ πε` ρ υ μω ^ ν ( *אA B C* 6 33 1739* u.a. vgst; Cyp) ist gut bezeugt und entspricht dem Stil des Paulus; andere Lesarten interpretieren durch verschiedene Ergänzungen: κλω' μενον „zerbrochen“ (א2 C3 D2 F G Ψ 1739mg 1881 Byz sy), was von dem vorausgehenden ε»κλασεν abgeleitet ist; θρυπτο' μενον „zerbröckelt“ (D*); διδο' μενον „gegeben“ (vg co eth), was an Lk 22,19 angleicht. In V. 25 ersetzen zum Teil frühe Handschriften ε μω ^, αι«ματι ( אB D F 46 G Ψ 1739 1881 Byz) durch αι«ματι μου (d A C P 33 365 1175 1241 pc), was als Angleichung an Lk 22,20 anzusehen ist. In V. 26 ergänzt die Mehrzahl der Handschriften του^ το (d46 א2 C3 D1 Ψ 1739mg Byz ar t sy bo) nach ποτη' ριον; die kürzere Lesart ist besser bezeugt ( *אA B C* D* F G 33 630 1739* 1881 2464 pc lat sa; Cyp), die Erweiterung ist wohl durch liturgische Verwendung des Textes bedingt.
III 23 Paulus begründet (γα' ρ) mit der Abendmahlstradition, weshalb er die bessergestellten korinthischen Christen, die ihre ärmeren Mitchristen durch ihr Verhalten bei den Mahlzeiten in den Gemeindeversammlungen ignorieren und brüskieren, nicht loben kann (V. 22). Das vorangestellte ε γω' im Hauptsatz und das emphatische ο και' im Nebensatz unterstreicht, dass das Verhalten der reichen korinthischen Christen im Widerspruch steht zu der Tradition, die Paulus empfangen und die er den Korinthern weitergegeben hat: Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch auch überliefert habe. In V. 2 hatte er die Korinther gelobt, dass sie an den Überlieferungen (αι παραδο' σεις) festhalten, die er ihnen weitergegeben hat. Im Blick auf die παρα' δοσις vom Herrenmahl gilt das nicht: Ihr Verhalten widerspricht dieser Überlieferung, mit dem Ergebnis, dass ihre Mahlzeiten in den Gemeindeversammlungen mit dem Herrenmahl nichts zu tun haben (V. 20). Der Hinweis, dass er die im Folgenden zitierte Abendmahlsüberlieferung „vom Herrn“ (α πο` του^ κυρι' ου) empfangen hat, verweist nicht auf den Empfang einer Offenbarung (wie in Gal 1,11-12),90 sondern auf Jesus als den Ursprung der Tradition vom Abendmahl.91 Paulus geht es allerdings nicht um einen Kontrast zwischen menschlicher und göttlicher Tradition bzw. zwischen der Tradition der Apostel und der Offenbarung des Erhöhten. Die Verben des Traditionsprozesses παραλαμβα' νω („empfangen“) und παραδι' δωμι („überliefern“) stellen die korinthischen Christen durch ihn (ε γω' ) in eine direkte Beziehung zu Jesus, der hier nicht zufällig als „Herr“ (κυ' ριος) bezeichnet wird. Hinter ————————————————————
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So Lietzmann 57. Vgl. jedoch die Rede von Jesus in der 3. Person in V. 23b-25. Kümmel 185; Conzelmann 238-239; Fee 548; Lindemann 253; Collins 431; Klauck, Herrenmahl, 302-303; vgl. auch Schrage III 30-31, ebd. für die folgende Bemerkung.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 647 ————————————————————————————————————
der Abendmahlstradition geht es um die Autorität des Herrn Jesus Christus, der sich die korinthischen Christen in ihrer Bekehrung unterstellt haben (vgl. 1,2) und die gerade in der Praxis der Feier des Herrenmahls in der Gemeindeversammlung Konsequenzen haben muss. Das Zitat der Abendmahlstradition wird mit ο« τι eingeleitet. Die einleitende Zeitangabe in V. 23b markiert die Stiftung der Handlung, deren Wiederholung von Jesus selbst angeordnet wurde (V. 24b.25b): Der Herr Jesus nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot. Dieser einleitende Satz kommt in der Abendmahlstradition92 sonst nicht vor. Die Wendung „in der Nacht“ setzt bei den korinthischen Christen Kenntnisse der näheren Umstände der Verhaftung Jesu voraus.93 Wie weit das geschichtliche Wissen der Korinther reichte, lässt sich nicht sagen.94 Welche „Nacht“ (νυ' ξ) konkret gemeint ist – die Passanacht, oder die Nacht vor dem Passafest – hängt vom Verständnis der Chronologie der synoptischen Evangelien und des Johannesevangeliums im Blick auf das Todesdatum Jesu ab. Gewöhnlich sehen Ausleger einen Konflikt zwischen der Chronologie der synoptischen Evangelien und der Chronologie des Johannesevangeliums. Nach den Berichten der synoptischen Evangelien feierte Jesus mit seinen Jüngern offensichtlich ein Passamahl. Das heißt, das Mahl Jesu mit den Jüngern fand am Donnerstagabend statt, dem Beginn des 15. Nisan. Jesus wurde einige Stunden später gekreuzigt (nach jüdischer Rechnung immer noch der 15. Nisan). Nach der traditionellen Auslegung synchronisiert Johannes den Tod Jesu mit der Schlachtung der Passalämmer im Tempel, das heißt: Jesus starb am 15. Nisan, wenige Stunden vor dem Beginn des Passafestes. Das heißt, das Mahl Jesu mit seinen Jüngern fand einen Tag vor dem Passafest statt und kann deshalb kein Passamahl gewesen sein.95 ————————————————————
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Vgl. Popkes, Christus traditus, 205-206 für Argumente, dass V.23b zur Abendmahlstradition zu rechnen ist. Wolff 264-265: Das Traditionsstück setzt „die wesentlichen Ereignisse der Passion Jesu“ als bekannt voraus, was man auch für Paulus und für seine Gemeinden annehmen kann. Schrage III 32 meint, bei Paulus fehle eine Anspielung auf den Passacharakter des letzten Mahles Jesu. Zu beachten ist jedoch, dass die Zitierung des Befehls, das Mahl „zum Gedächtnis“ zu wiederholen (V. 24b.25b), auf den Charakter des Passafestes als „Gedenktag“ anspielt (Ex 12,14). Bornkamm, Studien, 146 weist mit Recht darauf hin, dass die geschichtliche „Lokalisierung“ des Herrenmahls, das die christlichen Gemeinden feiern, diese von den ätiologischen Kultlegenden (Stiftungssagen) der Mysterien unterscheidet, die in eine mythische Urzeit verweisen oder zeitlos sind; vgl. auch Conzelmann 240; Klauck 82; Schrage III 31; Klauck, Herrenmahl, 304. Für einen Überblick über die verschiedenen Lösungen vgl. Marshall, Supper, 57-75, der sich dem Vorschlag von P. Billerbeck (vgl. Bill. II, 812-853) anschließt: Jesus folgte dem von den Pharisäern bevorzugten Kalender, nach dem der 15. Nisan auf den Freitag fiel, während Johannes in seinem Bericht dem Kalender der Sadduzäer folgte, die den 15. Nisan auf den Samstag fallen ließen.
648 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Der angenommene Konflikt zwischen den Evangelienberichten hängt vom Verständnis von Joh 18,28 und 19,14 ab. Joh 19,14 („Rüsttag des Passa“) wird im Rahmen der rabbinischen Wendung für den „Vortag des Passa“ auf den 14. Nisan bezogen, mit dem 15. Nisan als Passatermin. Nach Lev 23,5-6 und Num 28,16-17 ist jedoch der 14. Nisan „das Passa“ und der 15. Nisan der erste Tag des Festes des Ungesäuerten Brote. Da der Ausdruck παρασκευη' normalerweise den Freitag als Vorbereitung auf den Sabbat bezeichnet, ist es vorzuziehen, die Wendung „Rüsttag des Passa“ im Sinn von „Freitag der Passawoche“ zu interpretieren. In Joh 18,28 bezieht sich die Wendung „das Passalamm essen“ nicht unbedingt auf das Passa selbst (was dann am Abend des Tages, an dem Jesus gekreuzigt wurde, begangen worden wäre). Die Wendung kann sich im Kontext von Dtn 16,2-3; 2Chron 30,21; Lk 22,1 auf andere Opfermahlzeiten des sieben Tage dauernden Festes der Ungesäuerten Brote beziehen, z.B. auf das Hagigah, das nach Num 28,18-23 am Morgen des ersten Tages dieses Festes geopfert und gegessen wurde. Ist diese Interpretation plausibel, dann ergibt sich, dass die synoptischen Evangelien und Johannes übereinstimmen, dass Jesus mit seinen Jüngern (am Donnerstagabend, dem 14. Nisan) ein Passamahl gefeiert hat, in Übereinstimmung mit der traditionellen jüdischen Praxis.96
Paulus sagt nicht explizit, wer als Subj. des Verbs παρεδι' δετο anzusehen ist. Viele interpretieren im Sinn des Verrats durch Judas Iskariot.97 Wenn man mit den anderen Stellen vergleicht, an denen Paulus dieses Verb benutzt, 98 liegt es nahe, im Sinne eines Geschehens (παρεδι' δετο ist Impf. Pass.) zu interpretieren, in dem Gott der Handelnde ist.99 Diese theologische Dimension ist vor allem dann plausibel, wenn man in der Formulierung eine Anspielung auf den Gottesknecht von Jes 53 sieht (53,12 LXX: παρεδο' θη).100 Die Wendung der Herr Jesus (ο κυ' ριος Ιησου^ ς) setzt die Identität von Jesus von Nazareth, dem Gekreuzigten, mit dem Auferstandenen voraus. Die erste Handlung Jesu beim letzten Mahl bestand darin, dass er das Brot nahm (ε»λαβεν α»ρτον). Nach V. 25 folgte das Mahl (το` δειπνη^ σαι), das mit dem Kelch (το` ποτη' ριον), d.h. dem Trinken von Wein, abgeschlossen wurde. Nach der Rekonstruktion von J. Jeremias ist für das Passamahl im 1. Jahrhundert von folgendem Verlauf auszugehen. 101 A. Vorspeise: 1. Weihespruch (kiddusch) des Hausvaters über dem ersten Becher (Kidduschbecher). 2. Vorspeise, bestehend aus ————————————————————
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Beckwith, Calendar, 294-296; vgl. Köstenberger, John, 524.538. LÜ „in der Nacht, da er verraten ward“; vgl. Hfa, NGÜ, SÜ, ZB, Menge. Vgl. Fee 549; Lindemann 254; F. Büchsel, ThWNT II, 172; Kollmann, Mahlfeier, 155-156. Viele lassen die Frage offen, vgl. Wolff 265; Garland 545; Popkes, Christus traditus, 205-211. Röm 4,25; 8,32; Gal 2,2; vgl. auch Mk 9,11; 10,33; 14,10. Robertson/Plummer 243; Schlatter 321; Lang 152; Hays 198; Wolff 265; Kremer 242; Schrage III 31-32; Thiselton 869; vgl. Conzelmann 240 Anm. 44. Hays 198; Thiselton 869; Ciampa /Rosner 736; J. Jeremias, Art. παι^ς θεου^ , ThWNT V, 704; vgl. Garland 545; Lichtenberger, Bund, 225. Jeremias, Abendmahlsworte, 79-80; vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 134.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 649 ———————————————————————————————————— Grünkräutern, Bitterkräutern, Fruchtmus-Tunke. 3. Auftragen des Hauptgangs, der noch nicht gegessen wird; im zweiten Becher wird Wein und Wasser gemischt, aber noch nicht getrunken. B. Passaliturgie: 1. Vortrag der Passa-Haggada durch den Hausvater. 2. Erster Teil des Hallel (Ps 113–114). 3. Trinken des zweiten Bechers (Haggadabecher). C. Hauptmahl: 1. Tischgebet des Hausvaters über dem ungesäuerten Brot. 2. Mahlzeit, die aus Lamm, Brot, Bitterkräutern, Fruchtmus-Tunke und Wein besteht. 3. Tischgebet über dem dritten Becher (Segensbecher). D. Abschluss: 1. Ein-schenken des vierten Bechers. 2. Zweiter Teil des Hallel (Ps 115–118). 3. Lobspruch über dem vierten Becher (Hallelbecher). Da weder die ersten Christen in Jerusalem, die das Herrenmahl regelmäßig feierten, noch die korinthischen Christen ein Passamahl gefeiert haben, sind die einzelnen Bestandteile dieses Ablaufs weniger wichtig als die Feststellung, dass die christliche Feier des Herrenmahls, die das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern wiederholt, eine liturgische Mahlzeit war, d.h. eine Mahlzeit, die einen in Teilen festen Ablauf hatte und von der Rezitierung bestimmter Texte begleitet war. Die obige Rekonstruktion hat bestätigt, dass der Ablauf des in Korinth gefeierten Herrenmahls die Reihenfolge Brothandlung – Mahlzeit – Kelchhandlung beibehielt.102
24 Die zunächst geschilderten Handlungen Jesu entsprechen denen eines festlichen jüdischen Mahls (und somit auch einem Passamahl): Jesus nahm das Brot, sprach das Dankgebet und brach das Brot. Das Verb ευ χαριστε' ω bezeichnet hier das Tischgebet zu Beginn einer Mahlzeit, das vom Hausvater bzw. vom Gastgeber gesprochen wurde. 103 Nach mBer 6,1 lautete das Dankgebet zu Beginn einer Mahlzeit: „Gepriesen seist du, Jahwe, unser Gott, König der Welt, der Brot aus der Erde hervorgehen lässt“. Dann wurde der Brotfladen vom Hausvater zerbrochen und an die Anwesenden gereicht. Jesus interpretiert die alltägliche Handlung des Brotbrechens mit den Worten: Dies ist mein Leib, der für euch (του^ το' μου' ε στιν το` σω ^ μα το` υ πε` ρ υ μω ^ ν). Das Wort του^ το wird meistens auf das zerbrochene Brot bezogen: Das zerteilte Brot ist ein symbolischer Hinweis auf die Selbsthingabe Jesu in ^ μα („Leib“) im den Tod.104 Bei dieser christologischen Interpretation ist σω 105 Sinn von Person zu deuten (hebr. )גּּוף. Das Brotwort betont somit die Wirk————————————————————
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Wer von einem Sättigungsmahl vor dem Herrenmahl ausgeht, nimmt eine Modifizierung der ursprünglichen Herrenmahlfeier durch Paulus (oder durch die Korinther) an. Die Notwendigkeit eines Tischgebets vor dem Essen wird in tBer 4,1 mit Ps 24,1 begründet; vgl. Instone Brewer, Traditions I, 72. Paulus zitiert Ps 24,1 in 1Kor 10,26. Das Ptz. ευ χαριστη' σας ist temporal zu verstehen („nachdem er das Dankgebet gesprochen hatte“). Lindemann 254; Wolff 273; Hofius, Herrenmahl, 224; Konradt, Gericht, 418; Schrage III 32-33. Bei diesem Verständnis ist die Neutrumform του^ το an το` σω ^ μα angeglichen, die sich aber auch als pronominales Subjekt auf das mask. α»ρτος beziehen kann. Dalman, Jesus-Jeschua, 129-132: Jesus sagte sinngemäß zu den Brotstücken: „Das bin ich selbst“; vgl. Schrage III 33; Klauck, Herrenmahl, 305-306; anders Jeremias, Abendmahlsworte, 192-193. Wenn man die Wendung „mein Leib“ mit dem Personalpronomen übersetzt („ich selbst“), blendet man die Leiblichkeit aus.
650 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
lichkeit der leibhaftigen Selbsthingabe Jesu für die Seinen, die sich im Tod vollzieht.106 W. Schrage kommentiert: „Die promissio des Brotwortes wäre dann, daß der für sie in den Tod gehende Christus seiner Gemeinde verheißt, bei ihrem gemeinsamen Essen über den Tod hinaus in seiner Proexistenz gegenwärtig zu bleiben und Anteil an sich zu gewähren“. Das vorangestellte Pronomen μου unterstreicht die Person Jesu als den Geber. Die Wendung υ πε` ρ υ μω ^ ν107 ist bei der christologischen Deutung im Sinn der Sühne und der Stellvertretung zu verstehen: υ πε' ρ hat eine finale („zugunsten“) und eine modale („anstelle“) Bedeutung,108 die auf das Heil und die Rettung durch den die Sünden sühnenden Tod Jesu verweist.109 G. Dalman und J. Jeremias meinen, die Wendung το` υ πε`ρ υ μω^ ν könne nicht ins Hebräische oder ins Aramäische übersetzt werden, sie sei also in der Griechisch sprechenden Gemeinde formuliert worden. Diese These wird von vielen Exegeten wiederholt.110 O. Hofius hat gezeigt, dass diese These unhaltbar ist. Eine mögliche hebräische Übersetzung wäre ֶזה גּוִּפי ֲא ֶשר ַּבַעְדֶכם. Hofius schließt, dass es durchaus möglich ist, dass die paulinische Fassung des Brotwortes die ursprüngliche Gestalt bewahrt, und dass es sehr wohl denkbar ist, „daß Jesus den Jüngern beim letzten Mahl ganz unmittelbar das in seinem Tod zugesprochene Heil zugesprochen hat (υ πε`ρ υ μω^ ν)“.111
Der Empfang des Brotes bedeutet Teilhabe an der Sühne stiftenden, Sünden vergebenden Hingabe Jesu in den Tod. In der Feier des Herrenmahls ist der Herr Jesus Christus gegenwärtig, der am Kreuz „für uns“ stellvertretend und unsere Sünde sühnend gestorben ist. Man kann του^ το jedoch auch auf die Handlung der Danksagung und des Brotbrechens beziehen: Die Handlung Jesu, mit der er das Brot bricht und an die Anwesenden austeilt, ist der Leib, den er für sie dahingegeben hat. 112 Für diese ekklesiologische Interpretation spricht das zweite του^ το in V. 24: „dies (του^ το) tut zu meinem Gedächtnis“. Diese Formulierung qualifiziert das erste του^ το, d.h. auch die Handlung des Brotbrechens. P. Lampe kommentiert: „Der Akt des Brotbrechens weist auf ‚den Leib (gebrochen) für euch‘, mithin auf den Kreuzesleib und -tod Jesu“.113 Bei dieser Interpretation geht es ————————————————————
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Schrage III 34; zur folgenden Bemerkung vgl. ebd. Anm. 481. Vgl. Röm 5,6.8; 8,34; 14,15; 2Kor 5,14-15.21; Gal 1,4; 2,20; 1Thess 5,10. Söding, Mahl,156 nimmt noch eine kausale Bedeutung an („wegen“). Dalman, Jesus-Jeschua, 132; Jeremias, Abendmahlsworte, 160. Vgl. Merklein, Studien I, 166. Hofius, Σω ^ μα, 193-201, Zitat 201. Lampe, Herrenmahl, 206; Winter, Corinth, 153; bei Garland 547 und Schrage III 33 als Möglichkeit. Winter verweist auf 16 andere Stellen, in denen sich του^ το auf eine Handlung bezieht (1Kor 6,6.8; 7,37; 9,17; 2Kor 1,17; Röm 12,20; Eph 2,8; 6,1; Phil 3,15 u.a.); er betont, dass das vorangestellte μου diese Interpretation stützt (ebd. 153). Lampe, Herrenmahl, 206.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 651 ————————————————————————————————————
weniger um das Brot als Element der liturgischen Handlung des Herrenmahls, als um die Handlung Jesu zugunsten der anwesenden Jünger (und der Vielen). Dies entspricht dem Kontext in 11,17-34, wo Paulus das eigensüchtige, auf sich selbst konzentrierte und die Bedürftigen vernachlässigende Verhalten korinthischer Christen behandelt und korrigiert. Im Zusammenhang der ekklesiologischen Interpretation ist σω ^ μα auf die Mahlgemeinschaft der Jesusbekenner mit Jesus Christus zu beziehen, in der sich sein „Leib“ konstituiert.114 Die Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus Christus bedingt die praktische, opferbereite Anteilnahme und Anteilgabe an den Bedürfnissen der Mitchristen. Die ekklesiologische Deutung legt im Blick auf die Wendung υ πε` ρ υ μω ^ ν den Nachdruck weniger auf die Wirklichkeit der Sühne und der Stellvertretung als auf die finale Bedeutung „zugunsten von“: Wie der Herr Jesus zugunsten der Sünder gehandelt hat, als er das Brot brach (und seinen Leib in den Tod gab), so werden Jesusbekenner zugunsten von Menschen handeln, die Hilfe brauchen. Die christologische und die ekklesiologische Deutung des Brotwortes und des Brotbrechens schließen sich nicht aus. In der Abendmahlstradition stand die Betonung der Selbsthingabe Jesu, die Sünden sühnt, im Mittelpunkt, wie der Befehl zur Wiederholung und Erinnerung des Herrenmahls deutlich macht. Im Kontext von 11,17-34 geht es Paulus um die praktischen Konsequenzen, die sich für die korinthischen Christen aus der Feier des Abendmahls ergeben. Diese werden konkret erst in V. 27-34 angesprochen, können aber durchaus schon in V. 24 intendiert sein. Die Interpretation der Kopula ε στι' ν („dies ist mein Leib“) ist seit Luther und Zwingli ein Streitpunkt zwischen Lutheranern und Reformierten gewesen. Der Hinweis auf die im Aramäischen fehlende Kopula hilft nicht weiter,115 weil der Exeget den griechischen Text auslegen muss. Das Wort ε στι' ν ist im Zusammenhang des Wiederholungsbefehls am besten im Sinn der Repräsentation zu verstehen: Das Brot repräsentiert den Leib Jesu im Sinn der personalen Präsenz des Herrn Jesu Christi, der durch seine stellvertretende Selbsthingabe Sünden sühnt und Sündern vergibt.116 Im Brot des Herrenmahls hat man es mit dem Herrn Jesus selbst zu tun. Das Kelchwort verbietet ————————————————————
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Der Einwand von Schrage III 34, V. 27 nenne ausdrücklich die doppelte Gabe, kann nicht ganz überzeugen, wenn er σω ^ μα strikt im Kontext von V. 24 interpretieren und nicht mit αι μα in V. 25 als Begriffspaar verstehen will. Klauck, Herrenmahl, 305: „Auf die Kopula wird man keinen besonderen Wert legen. Sie hat im Aramäischen notwendigerweise gefehlt und bringt im Griechischen nicht unbedingt ein Identitätsverhältnis zum Ausdruck (an sich wird ει ναι mit Demonstrativum sogar bevorzugt für allegorische Gleichungen gebraucht, vgl. Mk 4,15.16.18; Gal 4,24)“. Lang 152; Fee 550; Schrage III 36; Garland 546-547; Hofius, Herrenmahl, 224-225; Engberg-Pedersen, Proclaiming the Lord’s Death, 117; Konradt, Gericht, 419.
652 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
eine Interpretation, die von einer materiell-substanzhaften Identifizierung Jesu Christi mit Brot und Wein ausgeht. Das Brotwort schließt mit einem Wiederholungsbefehl: Tut dies zu meinem Gedächtnis. Die Jünger Jesu sollen den Vorgang des Herrenmahls mit den Elementen Danksagung, Brechen des Brotes, Essen des Brotes bzw. der Mahlzeit117 zur Erinnerung an den Herrn Jesus wiederholen. Die Formulierung mit Präs. Imp. (του^ το ποιει^τε) unterstreicht die Kontinuität der Wiederholung des Mahls. Das Wort α να' μνησις wird oft auf dem Hintergrund der atl. und jüdischen Tradition des Gedenkens im Sinn der „Vergegenwärtigung einer repräsentativen Vergangenheit in Worten und Handlungen“ interpretiert.118 Dabei verweist man auf die Analogie der Passafeier, in der nach J. Behm „das heilsgeschichtliche Geschehen, auf das sich der Glaube der Feiernden gründet, als gegenwärtige Wirklichkeit“ verkündigt wird.119 Schrage beschreibt den Begriff des Gedenkens als „vergegenwärtigte Bezugnahme auf ein von Gott gestiftetes gültiges Geschehen“, das Bekenntnis, 120 Verkündigung121 und Verpflichtung122 beinhaltet.123 Die Wendung „zu meinem Gedächtnis“ heißt im Zusammenhang des Brotwortes und des Kelchwortes: zum Gedächtnis an Jesus Christus, den Gekreuzigten, der seinen Leib anstelle und zugunsten der Seinen in den Tod gegeben hat und in dessen Sühnetod die endzeitliche Heilsordnung des Neuen Bundes (vgl. V. 25b) konstituiert ist.124 Das Possessivpronomen ε μη' ν in der Wendung τη` ν ε μη` ν α να' μνησιν unterstreicht, dass die versammelte Gemeinde nicht nur an das Heilshandeln Jesu ————————————————————
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Vom Essen des Brotes ist nicht explizit die Rede, aber dieses kann hier vorausgesetzt werden: Es ergibt sich aus V. 26; vgl. Lindemann 255. Schrage III 41; vgl. Conzelmann 241; Wolff 273; Collins 428; Lindemann 254; H. Patsch, EWNT I, 203; Hofius, Herrenmahl, 230-231. J. Behm, ThWNT III, 739; vgl. Schrage III 42 Anm. 526, der mPes 10,5 zitiert: „In jeder Generation ist der Mensch verpflichtet, sich selbst so anzusehen, wie wenn er aus Ägypten ausgezogen wäre“. Zum atl. Gedenken vgl. H. Eising, ThWAT II, 571-593. Zum Passa als „Gedenktag“ vgl. Ex 12,14; 13,3.8-10; Dtn 16,3; s. auch Josephus, Ant. 2,317. In der LXX vgl. Ps 6,6; 44,18; 110,3-4. In der LXX vgl. Ps 70,15-16; 76,12-13; 144,7. Vgl. Num 15,40; Dtn 8,18-19; Ps 102,18 LXX. Schrage III 42, mit Verweis auf Käsemann, Exegetische Versuche I, 22. Die Ableitung der Anamneseformel bzw. des Herrenmahls als Gedächtnismahl aus antiken Totengedächtnisfeiern (Lietzmann 58; H. Braun, ThWNT VI, 481-482) wird von den meisten Auslegern zu Recht abgelehnt; vgl. Schrage III 41; H. Patsch, EWNT I, 203-204; Klauck, Herrenmahl, 316-317. Hays 199 setzt einen anderen Akzent: Paulus weist mit der Hinzufügung der zeitlichen Bestimmung „bis er kommt“ beim Wiederholungsbefehl in V. 26 darauf hin, dass die Feier des Herrenmahls die Abwesenheit des Herrn anerkenne und Gedächtnis und Hoffnung miteinander verknüpft, indem man sich an seinen Tod erinnert und auf seine Wiederkunft wartet. Hofius, Herrenmahl, 230; zum Element der Verkündigung siehe unten zu V. 26.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 653 ————————————————————————————————————
und an die sich für die Gegenwart und die Zukunft aus diesem ergebenden Konsequenzen gedenkt, sondern an Jesus Christus selbst. 125 25 Mit ebenso (ω σαυ' τως) werden die Verben in V. 23b-24a aufgegriffen: „er nahm . . . er sprach das Dankgebet“. Der bestimmte Artikel beschreibt den Kelch (το` ποτη' ριον) als den im Rahmen dieser Mahlzeit bestimmten Kelch bzw. Becher. Im Kontext des Passamahls, das Jesus mit seinen Jüngern feierte, ist an den dritten Becher zu denken, an den Segensbecher, über dem zum Abschluss der Mahlzeit ein Tischgebet gesprochen wurde (vgl. V. 23).126 Die Wendung nach dem Mahl (μετα` το` δειπνη^ σαι) macht deutlich, dass die Tradition der Feier des Herrenmahls mit einer Mahlzeit verbunden war, die zwischen der Brothandlung und der Kelchhandlung eingenommen wurde.127 Bei der Feier des Herrenmahls in den urchristlichen Gemeinden steht die Mahlzeit nicht mehr mit der Passahaggada in Verbindung, sondern ist als traditionelles Abendessen zu verstehen. Die präpositionale Wendung bezieht sich nicht attributiv auf den Kelch („der Kelch nach dem Mahl“), sondern adverbial auf das Prädikat ε» λαβεν . . . ευ χαριστη' σας, das zu ω σαυ' τως zu ergänzen ist.128 Das „Nehmen“ des Bechers bedeutete, dass man ihn um eine Handbreit über den Tisch erhob und dann das Segensgebet sprach.129 Das Verb δειπνε'ω zeigt, dass es sich um eine wirkliche Mahlzeit handelte, in der nicht nur Brot und Wein gereicht wurde, sondern auch Gemüse und Fisch, manchmal vielleicht auch Fleisch. Wenn in der Abendmahlstradition Jesus über dem Kelch130 ein Dankgebet und ein interpretierendes Wort spricht, dann gilt dies dem Inhalt des Kelchs, d.h. dem Wein.131 M. Karrer interpretiert den Becher in V. 25.27 auf atl.-jüdischem Hintergrund als metaphorischen Verweis auf den Zorn und das Gericht Gottes: „Dieser Kelch ist Gottes Setzung, aber seine Unheilssphäre hat sich erfüllt im Blut des Herrn“.132 Der Becher ist nur deshalb Segensbecher, über dem ein Dankgebet ————————————————————
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Schrage III 43: „Der, dessen gedacht wird, ist selbst in der Mahlfeier präsent und keine historische Reminiszenz“. Die Auslegung von Jeremias, Abendmahlsworte, 229-264, der Anamnesisbefehl bringe die Bitte zum Ausdruck, dass Gott Jesu gedenken soll, hat weder sprachlich noch sachlich überzeugen können; vgl. Klauck, Herrenmahl, 316. Vgl. Instone Brewer, Traditions I, 83. Vgl. Theißen, Studien, 299; Hofius, Herrenmahl, 214-215. Hofius, Herrenmahl, 209-211. Jeremias, Abendmahlsworte, 169; Hofius, Herrenmahl, 212. Im AT kann ein Kelch sowohl Heil, Segen und Freude als auch Zorn und Gericht symbolisieren; vgl. in der LXX Ps 15,5; 22,5; 115,4 (ποτη' ριον σωτηρι'ου), sowie Hab 2,15-16; Jes 51,17 (ποτη' ριον του^ θυμου^ ); vgl. Jes 51,17; Jer 25,15-16; 30,6; Ez 23,32-33; Ps 74,9 LXX. Vgl. Bayer, Predictions, 54-89. L. Goppelt, ThWNT VI, 155; H. Patsch, EWNT III, 341; Jeremias, Abendmahlsworte, 104-105; Hofius, Herrenmahl, 224. Anders Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 316-317. Karrer, Kelch, 212, das folgende Zitat ebd. 215. Er verweist neben den atl. Stellen (vgl. die
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gesprochen werden kann, weil „der Herr sein Leben dahingab und darin Gottes Zorn, sein Gericht, auf sich nahm“. Die Wendung „aus dem Kelch trinken“ kommt im Kontext von Kap. 11 nur in V. 27 vor und hat dort eine positive Bedeutung.133 In V. 25b zitiert Paulus das Wort, das Jesus über dem Kelch sprach, dessen Inhalt (Wein) von den Anwesenden getrunken wurde: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut (του^ το το` ποτη' ριον η καινη` διαθη' κη ε στι` ν ε ν τω ^, ε μω ^, αι«ματι). Das Kelchwort verbindet das letzte Mahl Jesu und damit Jesus selbst mit dem von den Propheten verheißenen neuen Bund. Das Wort „Blut“ steht für den gewaltsamen Tod, den Jesus erlitten hat. 134 Dabei ist αι«μα nicht Prädikatsnomen zu η καινη` διαθη' κη, sondern zeigt dessen Voraussetzung und Grundlage (instrumentales ε ν): Der Neue Bund wird durch das Blut Jesu errichtet.135 Im AT ist „Bund“ (διαθη' κη; hebr. ) ְּבִריתdie auf Gottes souveräne Initiative zurückgehende Heilsordnung für sein Volk. 136 Jesus spricht von dem „neuen Bund“ (η καινη` διαθη' κη); der bestimmte Artikel deutet an, dass Paulus diesen Begriff als bekannt voraussetzen kann. Im AT ist nur in Jer 31,31-34 (LXX 38,31-34) vom „neuen Bund“ (ְּבִרית ) ֲח¼ד ¼שהdie Rede. Das Kelchwort bezieht sich auf die dort gegebene Verheißung eines „neuen Bundes“.137 Zusätzlich zu Jer 31,31-34 spielt auch Ex 24,8 eine Rolle, wo von der Besiegelung des Bundes mit Blut und von einem ————————————————————
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vorausgehende Anm.) auf PsSal 8,14; 4QpNah 4,6. Vgl. Wolff 270 Anm. 162; Schrage III 37 Anm. 497; Söding, Mahl, 144. Vgl. Röm 5,9; 5,10; vom Blut Jesu Christi ist bei Paulus sonst nur noch in 1Kor 10,16 und in Röm 3,24-25 die Rede. Vgl. J. Behm, ThWNT I, 173; O. Böcher, EWNT I, 92-93. Schrage III 38. Lang, Becher, 205-206 meint, das Blutwort beziehe sich nicht auf das eigene Blut Jesu, sondern auf das an den Altar gegossene Opferblut; d.h. das Blutwort Jesu beziehe sich nicht auf den Tod Jesu, sondern auf den Inhalt des Bechers, der mit dem Blut des Jerusalemer Opferkults verglichen wird. Der rituelle Symbolgehalt, den Lang im Blutwort Jesu erkennen will, bleibt bei dieser Interpretation im Allgemeinen; zur Kritik vgl. Lichtenberger, Bund, 220. Vgl. E. Kutsch, THAT I, 339-352; M. Weinfeld, ThWAT I, 781-808; E. Kutsch, Art. Bund I, TRE VII, 397-403; G. Quell, ThWNT II, 106-127; H. Hegermann, EWNT I, 718725; Neef, Bundestheologie, 1-23; zum Sinaibund vgl. Preuß, Theologie I, 77-84. Vgl. Lang 153; Fee 555; Hays 199; Collins 433; Lindemann 255; H. Hegermann, EWNT I, 922; Klauck, Herrenmahl, 312-313; Hofius, Herrenmahl, 226; Lichtenberger, Bund, 226. Zurückhaltend bzw. kritisch Wolff 268; Gräßer, Bund, 119-120; Karrer, Kelch, 219; Roloff, Kirche, 55; sowie Schrage III 39 mit Anm. 512, für den dieser Bezug „nicht ganz eindeutig“ ist; er verweist auf den „ewigen Bund“ von Jer 32,40; Jes 55,3; 61,8; Ez 16,60; Bar 2,35 sowie auf die Tatsache, dass im rabbinischen Judentum der Neue Bund keine Rolle spiele (Bill. III, 704) und dass die Rede von einem neuen Bund in Qumran (CD 6,19; 8,21; 20,12; 1QpHab 2,3; 1QSb 3,21) keinen Bezug auf Jer 31 aufweise. Die Meinung, der neue Bund habe im rabbinischen Judentum keine Rolle gespielt, ist unhaltbar; vgl. Avemarie, Bund, 206, mit Verweis auf Sifra Behuqqotai, Pereq 2,5 (111a); PesK 12,21 (219); QohR 2,1 (6d); ShirR 1,2,4 (4d-5a); TanB Yitro 13 (38b).
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 655 ————————————————————————————————————
Bundesmahl die Rede ist. In der Abendmahlstradition wird die Gemeinde daran erinnert, dass durch den Kreuzestod Jesu der Neue Bund angebrochen ist, d.h. dass die Gegenwart, in der die Jesusbekenner leben, durch den Tod Jesu Christi als Endzeit qualifiziert ist, in der Gott die Sünden seines Volkes vergibt (Jer 31,34). Das heißt aber auch, und darauf kommt es Paulus im Kontext an, dass die Teilnehmer am Herrenmahl Glieder der endzeitlichen Heilsgemeinde sind und dass sie sich als Bundesvolk Gottes diesem Status gemäß verhalten sollen.138 Die am Herrenmahl teilnehmenden Jesusbekenner werden durch das Trinken des Weins aus dem Kelch an die Wirklichkeit des Neuen Bundes erinnert, der durch den Kreuzestod Jesu inauguriert wurde. Die Wirklichkeit der Zugehörigkeit zum endzeitlichen Gottesbund bedeutet, dass die säkularen, in der Gesellschaft geltenden Statusindikatoren wie Bildung, Macht, Prestige und Reichtum in der Gemeinschaft der Jesusbekenner keine diskriminierende Rolle spielen dürfen. So wie das Kreuz „quer zu den Wert- und Bewertungsmaßstäben der ‚Welt‘“ steht, so sollen die Korinther dafür sorgen, dass die „weltlichen“ Statuszuweisungen in ihren Gemeindeversammlungen, in denen sie das Herrenmahl feiern, nicht wieder in Geltung geraten.139 Gerade dies ist jedoch der Fall, wenn sich die bessergestellten Christen satt essen und die ärmeren Christen hungrig nach Hause gehen. Der Wiederholungsbefehl beim Kelchwort in V. 25c: Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis unterscheidet sich vom parallelen Befehl beim Brotwort (V. 24c) durch die Wendung „sooft ihr daraus trinkt“ (ο σα' κις ε α` ν πι' νητε). Diese Formulierung macht deutlich, dass es nicht der Inhalt des Kelchs, d.h. der Wein ist, der auf Jesus verweist, sondern die Handlung des Trinkens. Die Einschränkung, die mit ο σα' κις angedeutet ist, wird unterschiedlich ausgelegt. Formulierung deutet vielleicht an, dass ein Mahl mit Wein nicht immer möglich war;140 oder sie verweist auf die Häufigkeit der Feier des Herrenmahls,141 oder sie unterstreicht die Besonderheit des ————————————————————
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Crüsemann, Bund, 50-53 will den Gedanken der Zugehörigkeit von Heidenchristen zum neuen Bund von der Deutung des Kelchworts fernhalten: Die Verheißung von Jer 31 sei auf Israel bezogen, es gehe sachlich um die Sündenvergebung und um die „erneuerte Inkraftsetzung der Tora“, zumal in 1Kor 11 „die Kirche aus Juden und Heiden“ nicht als neuer Bund bezeichnet werde; der „Glaube an die Ausweitung des Heils über Israel hinaus“ werde nicht mit dem Bundesbegriff verbunden. Vgl. die Kritik von Konradt, Gericht, 428 Anm. 1220: Crüsemanns Interpretation bestimmt die Bedeutung der Wendung „neuer Bund“ ausschließlich von Jer 31 her, während der Kontext von 1Kor 11,24-26 genauso ignoriert wird wie das im NT auch sonst zu beobachtende Verfahren, dass atl. Begriffe eklektisch und kreativ aufgenommen und neu interpretiert werden. Konradt, Gericht, 432-433; vgl. Fee 557; Strecker, Theologie, 330. Schlatter 324; Barrett 269-270; Schrage III 43. Findlay 881.
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einen Kelchs, aus dem beim Herrenmahl zum Gedächtnis des Herrn getrunken wird.142 26 Paulus greift den letzten Satz der Abendmahlüberlieferung auf und fügt einen erläuternden Kommentar an:143 Sooft (ο σα' κις) die korinthischen Christen von diesem Brot (το` ν α»ρτον του^ τον) essen und aus dem Kelch (το` ποτη' ριον) trinken, verkündigen sie den Tod des Herrn. Das Demonstrativpronomen του^ τον verweist konkret auf das Brot, über dem bei der Feier der Herrenmahls in der Gemeinde das Dankgebet gesprochen und das Brotwort Jesu wiederholt wird. Der Aussagesatz144 ihr verkündigt den Tod des Herrn, bis er kommt (το` ν θα' νατον του^ κυρι' ου καταγγε'λλετε, α»χρι ου ε»λθη, ) greift aus der Abendsmahltradition die Mahnung zur Erinnerung auf (V. 24c.25c: „tut dies zu meinem Gedächtnis“). Das heißt: Das Gedenken an den Herrn Jesus (V. 23) geschieht in der „Verkündigung“ des Todes Jesu. Dass die Auferstehung Jesu eingeschlossen ist, zeigt sich aus der Verwendung des κυ' ριοςTitels und an der Bestimmung „bis er kommt“.145 Die Verkündigung des Todes Jesu Christi geschieht also nicht nur durch die stiftungsgemäße Durchführung der Feier des Herrenmahls,146 durch eine aus dem Brechen des Brotes und dem Ausgießen des Weins bestehende rituelle Handlung, 147 durch die Rezitation der Abendmahlsüberlieferung oder des Brot- und Kelchworts,148 oder durch die Verlesung der Passionsgeschichte.149 Die Verkündigung des Todes Jesu Christi geschieht in der das Mahl begleitenden Wortverkündigung150 oder in den Gebeten, die über Brot und Wein gesprochen werden und ————————————————————
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Wolff 274: die Notiz unterstreicht die Mahnung, die Missstände bei der Mahlfeier zu vermeiden. Paulus markiert mit γα' ρ und mit der Formulierung in der 2. Pers. Plur. V. 26 als Kommentar zur Abendmahlstradition. καταγγε' λλετε ist als Indikativ zu interpretieren, nicht als Imperativ; vgl. Schrage III 44; Lindemann 256; anders Olshausen 675. Vgl. Hofius, Herrenmahl, 234 mit Anm. 193, der auf die alten Liturgien verweist, in denen an dieser Stelle ein Hinweis auf die Auferstehung eingefügt wird, so z.B. in der griechischen Jakobus-Anaphora (και` τη` ν α να' στασιν αυ του^ ο μολογει^τε, ε«ως α ν ε»λθη, ; vgl. Johannes Damascenus, Expositio fidei 86,59). Hahn, Beiträge, 309. Bousset 128; Weiss 288-289; Lietzmann 58: die rituelle Handlung sei ein δρω' μενον im Sinne der alten Mysterienkulte; Lampe, Herrenmahl, 208; vgl. Hübner, Theologie II, 179: „dabei sind sakramentales Essen und Trinken der Akt dieses Verkündigens“. Wolff 275; Jeremias, Abendmahlsworte, 100-101: Rezitation der Deuteworte mit anschließender Auslegung; so auch J. Behm, ThWNT III, 738; vgl. Wolff 265.275. Stuhlmacher, Theologie I, 367-368. Conzelmann 246; vgl. Lindemann 256, der richtig hinzufügt, dass über die Form der Verkündigung nichts gesagt wird. Hofius, Herrenmahl, 234 Anm. 200 argumentiert, dass καταγγε' λλω bei Paulus zwar die Predigt bezeichne (1Kor 2,1; 9,14; Phil 1,17-18; Kol 1,28; anders Röm 1,8), aber die Missionspredigt meine, nicht die Verkündigung im Gottes-
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in denen des Kreuzestodes Jesu gedacht wird.151 Der Bezug auf die Verkündigung einerseits wehrt dem Missverständnis, als handele es sich bei der Feier der Herrenmahls um ein intellektuelles Sich-Erinnern, das keine Konsequenzen für die Gegenwart besitzt. Der Bezug auf die (Eucharistie-)Gebete andererseits wehrt dem Missverständnis, als müsse die Wirksamkeit des Todes Jesu durch die „sakramentale Vergegenwärtigung“ erst in die Gegenwart hereingeholt werden – die lobpreisende „Vergegenwärtigung“ (α να' μνησις) proklamiert das einmalige Heilswerk Jesu Christi, auf das sich der Glaube gründet, „als gegenwärtige, das Sein der Glaubenden bestimmende Wirklichkeit“.152 Allerdings darf man die Bedeutung von Essen und Trinken nicht völlig ausblenden, Handlungen, die von Paulus in V. 26-29 mehrfach erwähnt werden und die den Kontext V. 17-34 bestimmen. Er wirft den Korinthern in V. 26 im Kontext von V. 20 vor, dass ihre Handlungen während der Mahlzeit, die das Herrenmahl feiert, den Tod des Herrn Jesus, der seinen Leib für die Seinen in den Tod gegeben hat, nicht verkündigen.153 Die zeitliche Bestimmung bis er kommt (α»χρι ου ε»λθη, ) setzt voraus, dass der Gekreuzigte als der auferstandene und als der erhöhte Herr geglaubt und verkündigt wird. Die Aussage unterstreicht, dass die Verkündigung des Todes Jesu der Gemeinde als bleibende Aufgabe aufgetragen ist, die erst mit der Wiederkunft Jesu zum Ende kommt. Indem die Gemeinde beim Herrenmahl des Todes Jesu Christi gedenkt, erfleht sie die Wiederkunft ihres Herrn und damit die sichtbare Vollendung des Heils. 154 Nach Lk 22,18 sprach Jesus zum Abschluss des letzten Mahls mit seinen Jüngern vom Kommen des Reiches Gottes, nach Mk 14,25 vom erneuten Trinken im Reich Gottes. Der Ruf Μαρανα θα „unser Herr, komm!“ (16,22; Offb 22,20; Did 10,6) wird wohl in diesem Zusammenhang in der Gemeindeversammlung erklungen sein. 155 Pau————————————————————
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dienst. Immerhin zeigen diese Stellen jedoch, dass es um eine Verkündigung geht. Hofius, Herrenmahl, 234-235, mit Verweis auf die Verwendung bzw. Bedeutung von καταγγε' λλω in den Psalmen; er kann allerdings in der LXX nur Ps 39,6 (LXX Symmachus 40,6) als Beleg anführen. Schrage III 45 lässt die Frage offen. Hofius, Herrenmahl, 235. Collins 429; Garland 548-549; Engberg-Pedersen, Proclaiming the Lord’s Death, 116; Konradt, Gericht, 421. Hofius, Herrenmahl, 237-238; ders., Paulusstudien I, 241-243 nimmt eine finale Bedeutung an, mit Hinweis auf Jes 62,1.6-7; ParJer 2,3; bBer 32a; Pesiq 16,9; 1QS 10,19-20. Die Lexika sowie BDR § 383.1-2; 455.3; HS §252.7 erwähnen für α»χρι keine finale Bedeutung. Wie Hofius auch Lindemann 256: Im Herrenmahl werde die Endzeit „geradezu final (‚damit . . . ‘) herbeigebetet“. Barrett 272; Schrage III 46-47; Lindemann 256; Käsemann, Exegetische Versuche I, 26; Lampe, Herrenmahl, 208-209 wollen in dem Hinweis auf die Wiederkunft Jesu eine antienthusiastische Spitze entdecken, die sich gegen die korinthische „Herrlichkeitschristologie“ wendet. Die Exegese hat bisher keine eindeutigen Spuren eines korinthischen „Enthusiasmus“ finden können. Siehe unten zu 16,22.
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lus unterstreicht: solange der eschatologische Vorbehalt gilt, solange die Wiederkunft Jesu Christi noch aussteht, steht der Herr Jesus als der Gekreuzigte im Mittelpunkt, der seinen Leib für die Seinen in den Tod gegeben hat. In den nächsten Sätzen zeigt der Apostel, welche Konsequenzen sich aus der Bedeutung des Herrenmahls für das Verhalten in den korinthischen Gemeindeversammlungen ergeben.
Folgerungen für die Behebung der Missstände 11,27-34 I 27 Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig am Leib und am Blut des Herrn. 28 Jeder Mensch soll sich selbst prüfen und so von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. 29 Denn wer (davon) isst und trinkt, ohne den Leib richtig zu beurteilen, der isst und trinkt sich selber zum Gericht. 30 Deswegen gibt es unter euch viele Schwache und Kranke, und viele sind entschlafen. 31 Würden wir uns selber richten, so würden wir nicht gerichtet. 32 Wenn wir aber (jetzt) vom Herrn gerichtet werden, so werden wir zurechtgewiesen, damit wir nicht zusammen mit der Welt verurteilt werden. 33 Deshalb, meine Brüder, wenn ihr zum Essen zusammenkommt, nehmt einander an! 34 Wenn jemand Hunger hat, der soll zu Hause essen, damit ihr nicht zum Gericht zusammenkommt. Weiteres werde ich anordnen, wenn ich komme.
II In dem abschließenden Abschnitt zum Verhalten bei der Feier des Herrenmahls spricht Paulus von den Konsequenzen, die sich aus dem Verhalten der korinthischen Christen ergeben. Die in V. 20-22 skizzierten Missstände stellen nicht nur ein Vergehen gegen die ärmeren Nichtchristen dar, sondern zugleich ein Vergehen gegen den Herrn Jesus Christus und seine Heilstat (V. 27). Paulus fordert die Korinther auf, sich selbst zu prüfen, ehe sie am Herrenmahl teilnehmen (V. 28). Das Kriterium der Selbstprüfung ist die angemessene Einstellung zu der von Jesus Christus geschenkten Heilsgabe, der im Herrenmahl gedacht wird. Wer dies unterlässt, d.h. wer in der Gemeindeversammlung am Herrenmahl teilnimmt, ohne sich dessen Bedeutung bewusst gemacht zu haben, riskiert das Gericht Gottes (V. 29-32). Das Kriterium der Selbstprüfung ist, konkret, die richtige Beurteilung und sachgemäße Be-
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rücksichtigung des Leibes Christi, d.h. die Erkenntnis des theologischen Zusammenhangs zwischen dem Leib Jesu, der in den Tod für die Vielen gegeben wurde, und dem Leib Christi, den die Gemeinde darstellt – und zugleich das dieser Erkenntnis entsprechende konkrete Verhalten in der Wirklichkeit des Gemeindelebens, gerade gegenüber den ärmeren Gemeindegliedern. Zum Schluss formuliert Paulus praktische Anweisungen. Die Christen in Korinth sollen sich bei den Mahlzeiten in der Gemeinde gegenseitig annehmen (V. 33), d.h. die bessergestellten Gemeindeglieder sollen mit den ärmeren teilen. Wer mit dem Essen nicht warten kann, der soll sich zu Hause satt essen (V. 34a). Der Hinweis, dass Paulus bei seinem nächsten Besuch in Korinth alles Weitere regeln wird (V. 34b), deutet darauf hin, dass er sich der Komplexität des Problems bewusst ist, das die Gemeinschaft von armen und reichen Christen in der Ortsgemeinde darstellt. Gliederung. V. 27 formuliert die Verantwortung der bei der Feier des Herrenmahls anwesenden Jesusbekenner. V. 28 fordert zur Selbstprüfung auf, ehe man das Herrenmahl zu sich nimmt. V. 29 nennt das Kriterium der Selbstprüfung: Die Mahlteilnehmer sollen sich bewusst machen, dass es um den Leib Christi geht, d.h. um den in den Tod gegebenen Leib Jesu und um die Gemeinde als Leib Christi. V. 30-32 beschreibt das göttliche Gericht, das diejenigen trifft, die unwürdig am Herrenmahl teilnehmen. V. 33-34 formuliert praktische Anweisungen: Die Gemeindeglieder sollen sich gegenseitig annehmen; wer nicht warten kann, soll seinen Hunger zu Hause stillen; Paulus wird bei seinem nächsten Besuch alles Weitere regeln. Textkritische Anmerkungen. In V. 27 ergänzt die Mehrheit der Handschriften hinter α»ρτον das Wort του^ τον (Ivid 1739mg 1881 Byz ar vgcl bo; Ambst), was an V. 26 angleicht; die kürzere Lesart ist zudem besser bezeugt. Mehrere Handschriften fügen hinter α ναξι' ως die Wendung του^ κυρι' ου ein (א D2 L 326 1505 al syh; Ambst); die kürzere Lesart ist besser bezeugt. In V. 29 ist der kürzere Text besser belegt (d46 *אA B C* 6 33 1739 u.a.) als der Mehrheitstext, der hinter πι' νων durch α ναξι' ως und hinter σω ^ μα durch του^ 2 3 κυρι' ου erläuternd ergänzt ( אC D F G Ψ 1881 Byz); für die Auslassung der Zusätze, wären sie ursprünglich gewesen, gibt es keinen guten Grund. 156 Das vom Mehrheitstext in V. 31 nach ει eingefügte γα' ρ fehlt in d46 *אA BD u.a. In V. 32 lassen d46 A D F G und der Mehrheitstext den Artikel του^ vor κυρι' ου aus, der mit אB C 33 104 1175 jedoch gut bezeugt ist. ————————————————————
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Metzger, Commentary, 496. Lindemann 259 meint, dass die Lesart des Mehrheitstextes die spätere kirchliche Eucharistiepraxis voraussetzt: Dort gehe es gerade darum, dass Christen, die unwürdig essen und trinken, das Gericht empfangen, weil sie den Leib „des Herrn“ nicht (von profaner Speise) unterscheiden. Dieses Verständnis der Lesart des Mehrheitstextes ergibt sich jedoch nicht notwendigerweise.
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III 27 Das dem Herrenmahl und seiner Bedeutung nicht gemäße Verhalten hat Konsequenzen (ω « στε) für die bessergestellten Christen, die die ärmeren Gemeindeglieder hungern lassen (V. 21) und verachten (V. 22). Die Formulierung ο ς α ν bedeutet „wer immer“, macht also eine allgemeine Aussage, 157 die grundsätzlich für alle Christen gilt, sich im Kontext jedoch konkret auf die korinthischen Christen bezieht, die bei der Feier des Herrenmahls anwesende Christen dadurch beschämen, dass sie ihre eigene (üppige) Mahlzeit verzehren, ohne auf diese armen Brüder und Schwestern Rücksicht zu nehmen. Die Formulierung in der 3. Pers. Sing. konzentriert sich wieder auf das Verhalten des Einzelnen. Der Verweis auf das Essen von dem Brot und auf das Trinken aus dem Kelch des Herrn158 greift nicht nur auf die Brot- und Kelchhandlung (V. 24-25) und den Wiederholungsbefehl (V. 26) zurück, sondern auf das in V. 21 erwähnte Essen und Trinken. Das heißt, Paulus spricht nicht nur über die von Jesus gesprochenen Worte über Brot und Kelch, sondern auch von der Mahlzeit, die die korinthischen Christen gemeinsam einnehmen.159 Paulus bezeichnet das in V. 21-22 skizzierte Verhalten, das sie bei den gemeinsamen Mahlzeiten, bei denen mit den Einsetzungsworten zu Brot und Kelch des Todes Jesu Christi gedacht wird, als unwürdig (α ναξι' ως). Das Adv. beschreibt nicht die Mahlteilnehmer, sondern deren Verhalten bei der Mahlzeit.160 Im Kontext der vorausgehenden Schilderung der problematischen Situation in der korinthischen Gemeinde besteht die Unwürdigkeit darin, dass einige Gemeindeglieder nur an der eigenen mitgebrachten Mahlzeit interessiert sind (V. 21), dass sie mit diesem Verhalten die Gemeinde verachten (V. 22a) und dass sie die ärmeren Gemeindeglieder, die hungrig bleiben (V. 21), beschämen (V. 22b). Wer am Herrenmahl teilnimmt, dabei aber durch sein Verhalten den Bruder und die Schwester beschämt und so die Gemeinde verachtet, der ————————————————————
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Zu ο ς α»ν vgl. BDR §380.2: „Relativsätze machen gewöhnlich allgemeine Aussagen, so daß . . . ο ς α»ν als das Regelmäßige erscheint“. Der Text formuliert mit Akk. Obj.: ε σθι'η, το` ν α»ρτον . . . πι'νη, το` ποτη' ριον του^ κυρι'ου. Das Verb ε σθι' ω beschreibt im vorausgehenden Kontext das Essen des Herrenmahls (V. 20), den Verzehr der eigenen Mahlzeit beim Essen der Gemeinde (V. 21) und das Essen in den Privathäusern (V. 22). Das Verb πι'νω beschreibt das Trinken im Privathaus (V. 22) und das Trinken aus dem von Jesus gereichten Kelch (V. 25). Schlatter 326; Klauck 83; Lang 154; Fee 560; Senft 153; Hays 200; Schrage III 48; Lindemann 259. Gemeint ist also nicht, wie Schrage ebd. richtig bemerkt, „die fehlende moralische Disposition oder innere Einstellung des Mahlteilnehmers zum Sakrament . . . Αν αξι' ως ist darum nicht vom Kontext zu isolieren und als generelle Bedingung der Teilnahme am Mahl beliebig auszuweiten“.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 661 ————————————————————————————————————
wird schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Das Wort ε»νοχος kommt im außerbiblischen Griechisch häufig in der Gerichtssprache vor als Beschreibung von Personen, die straffällig geworden sind und vom Gesetz belastet werden, sodass sie bestraft werden müssen.161 Das Futur ε»σται verweist kaum auf das göttliche Endgericht, 162 sondern unterstreicht als emphatisches Futur163 das Schuldigwerden, das in dem unwürdigen Verhalten korinthischer Christen besteht (und in der Gegenwart zu konstatieren ist!). In V. 30 verweist Paulus auf Strafen in der Gegenwart. Mit „Leib“ (σω ^ μα) ist nicht die Gemeinde gemeint: Es steht parallel zu „Blut des Herrn“ (αι μα του^ κυρι' ου).164 Wer die Gemeinde verachtet, indem er arme Gemeindeglieder beschämt, der wird am Leib Jesu Christi, der am Kreuz dahingegeben wurde, und an dem dort vergossenen Blut Jesu Christi schuldig. Manche interpretieren das Schuldigwerden des Mahlteilnehmers, der unwürdig isst und trinkt, als (nachträgliche) Mitschuld am Tod Jesu.165 Die Notwendigkeit dieser Folgerung lässt sich vom Text her nicht begründen, vor allem wenn man in Rechnung stellt, dass Paulus die forensische Terminologie (ε»νοχος) auf die Ebene theologischsymbolischer Begrifflichkeit hebt.166 Das Schuldigwerden am Leib und Blut des Herrn ist am besten im Sinne einer Warnung zu verstehen: Wer durch die Teilnahme am Herrenmahl die Identifikation mit Jesus Christus für sich reklamiert, aber die mit dem Herrenmahl verbundene Mahlzeit als Anlass gesellschaftlichen Vergnügens und als Anlass der Bestätigung des eigenen Status als Bessergestellter (miss-)braucht, der wird von Gott für dieses Verhalten haftbar gemacht.167 28 Paulus fordert die Christen in der korinthischen Gemeinde zur persönlichen Selbstprüfung auf: Jeder Mensch soll sich selbst prüfen (δοκιμαζε'τω ————————————————————
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Im NT kommt das Wort sonst noch vor in Mt 5,21.22(3x); 26,66; Mk 3,29; 14,64; Hebr 2,15; Jak 2,10. Vgl. H. Hanse, ThWNT II, 828; R. Kratz, EWNT I, 1117-1118; F. Thiele, ThBLNT II, 1604-1605. Im AT wird ε»νοχος z.B. zur Wiedergabe hebräischer Rechtsformeln verwendet, mit denen das Todesurteil formuliert wird (Gen 26,11; Ex 22,2; Lev 20,9-27). Allerdings liegt immer forensischer Gebrauch vor, vgl. Hebr. 2,15. Der Genitiv nach ε»νοχος beschreibt in V. 27 den Gegenstand, gegen den man sündigt (vgl. Jak 2,10). So Käsemann, Exegetische Versuche I, 23; Neuenzeit, Herrenmahl, 227. Man kann dies auch nicht mit der häufigen forensischen Verwendung von ε»νοχος begründen. BDR §362; vgl. Wolff 277-278; Lindemann 259; Hofius, Herrenmahl, 206 Anm. 20. Schrage III 49 unterstreicht, dass daraus „kaum Rückschlüsse auf die Präsenz von Leib und Blut Christi in Brot und Wein zu ziehen“ sind, „als ob das Sakrileg aus einer verkehrten Einschätzung der Elemente resultierte“. Schlatter 326; Conzelmann 246; Fee 561; Garland 550; Käsemann, Exegetische Versuche I, 24; F. Thiele, ThBLNT II, 1605. Schrage III 49 interpretiert im Sinne der Weltmächte, die nach 2,8 Jesus gekreuzigt haben und auf deren Seite die am Leib und Blut Christi schuldig werdenden Christen geraten, lehnt aber eine Mitschuld am Tod Jesu ab. R. Kratz, EWNT I, 1118; vgl. Weiss 290; Kollmann, Mahlfeier, 49. Thiselton 889-890, mit Verweis auf Edwards 297-298.
662 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
δε` α»νθρωπος ε αυτο' ν). Interpretationen dieser Anweisung als „prüfende Durchmusterung der eigenen Persönlichkeit“ im Hinblick auf die „Angemessenheit des inneren Menschen“, 168 als Prüfung des eigenen Glaubens,169 oder im Sinn der Buße von persönlichen Sünden170 sind bestenfalls sekundäre Anwendungen.171 Im Kontext von 11,17-34 bezieht sich die Selbstprüfung auf das Verhalten während der Feier des Herrenmahls und der mit dieser verbundenen Mahlzeit. Man kann an der Feier des Herrenmahls nur dann würdig teilnehmen, wenn man sich Rechenschaft darüber abgelegt hat, ob die Bedeutung des Todes Jesu Christi (V. 23-26) mit dem eigenen Verhalten bei der Mahlfeier (V. 20-22) übereinstimmt.172 Paulus schweigt zwar im Blick auf die Frage, was geschehen soll, wenn die Selbstprüfung negativ ausfällt – was bei den bessergestellten Korinthern der Fall wäre, wenn sie ihr Verhalten gegenüber den armen Gemeindegliedern bei der Mahlfeier im Licht der Bedeutung des Herrenmahls ehrlich prüfen. Die Antwort liegt jedoch auf der Hand: Wer zu dem Ergebnis kommt, dass das eigene Verhalten der Erinnerung an die Selbsthingabe Jesu in den Kreuzestod widerspricht, der soll Buße tun, sein Verhalten ändern und sich der ärmeren Mitchristen annehmen (V. 33) und so von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken (ε κ του^ α»ρτου ε σθιε'τω και` ε κ του^ ποτηρι' ου πινε'τω). Die Wendung και` ου« τως kann auch im Sinn von „so“ interpretiert werden: Das Herrenmahl soll nach der Selbstprüfung „entsprechend dem Sinn der Paradosis“ gegessen und getrunken werden. 173 Die Formulierung mit der Präposition ε κ (mit Gen.) ist entweder eine stilistische Variante zu V. 27, oder sie unterstreicht das Teilhaben an den Elementen des Herrenmahls. ————————————————————
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Bachmann 371; vgl. Robertson/Plummer 250; Neuenzeit, Herrenmahl, 37. L. Goppelt, ThWNT VI 143 mit Anm. 72. So oft in den Kirchenordnungen: Unwürdig sind die Menschen, die Gottes Gebot verachten, ihr Leben nicht bessern und ohne Reue und Besserung das Sakrament gebrauchen (vgl. Schrage III 96). Nach Philipp Jakob Spener sind diejenigen unwürdig, die „ohne gehörige vorbereitung“ zum Abendmahl gehen, sowie alle, die „allein auß gewohnheit und also wann in dem Calender die zeit wieder kommet oder andern zu gefallen oder damit sie nicht eben fur unchristen gehalten werden“ zum Abendmahl gehen und „niemal eine wahre . . . hertzens-buß“ haben, so Spener, Schriften III 1.1, 432.437; zitiert bei Schrage III 98. Der Vorwurf von Schrage III 97, in pietistischen Kreisen finde man in diesem Zusammenhang „viel gesetzliche Verwirrung und skrupulöse Selbstquälerei“, mag manchmal zutreffen. Man sollte aber nicht vergessen, dass Francke und Spener in einem landeskirchlichen Kontext schreiben, in dem Kirchenmitglieder, die als Säuglinge getauft wurden, aber keinen persönlichen Glauben an Jesus Christus bekennen, aus Tradition am Abendmahl teilnehmen und sich von der Teilnahme am Abendmahl ex opere operato die Vergebung ihrer Sünden versprechen. Wolff 278; Schrage III 50; Lindemann 259 Lindemann 259; vgl. ebd. für die folgende Bemerkung.
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29 Paulus formuliert in V. 29 das Kriterium der Selbstprüfung und erläutert damit den Sinn von ε»νοχος (V. 27): Denn wer (davon) isst und trinkt, ohne den Leib richtig zu beurteilen, der isst und trinkt sich selber zum Gericht. Wenn Paulus in V. 29 nicht mehr von Essen des Brotes und vom Trinken aus dem Kelch spricht, dann will er wahrscheinlich nicht redundante Formulierungen vermeiden: Er scheut sich nicht, in V. 26.27.28 wiederholt vom Essen des Brotes und vom Trinken aus dem Kelch zu schreiben. Die allgemeinere Formulierung stellt sicher, dass die korinthischen Christen merken, dass es nicht nur um das Essen des Herrenmahlbrotes und um das Trinken des Herrenmahlweins geht, über denen Dankgebete und die Einsetzungsworte Jesu gesprochen werden. Es geht vielmehr um das Essen und Trinken während der Mahlzeit, die der Kontext war, in dem das Herrenmahl gefeiert wurde. Das Verb διακρι' νω („beurteilen, unterscheiden“)174 präzisiert δοκιμα' ζω („prüfen“, V. 28) und erläutert α ναξι' ως („würdig“, V. 27); es bedeutet hier, wie in V. 31, „richtig beurteilen“. Gemeint ist nicht die Unterscheidung zwischen sakramentaler und profaner Speise oder der mangelnde Respekt gegenüber den im Abendmahl gereichten Elementen, 175 auch nicht die Unterscheidung zwischen Herrenmahl und Privatmahlzeit.176 Paulus redet nicht vom richtigen Beurteilen des Brotes (und Kelches), sondern des Leibes. Mit Leib (σω ^ μα) ist nicht nur der Leib Jesu Christi gemeint, der am Kreuz starb und von den Elementen Brot und Wein im Herrenmahl repräsentiert wird,177 auch nicht nur die Gemeinde als „Leib Christi“,178 sondern beides zusammen.179 ————————————————————
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Das an das Ende des Satzes gestellte Partizip μη` διακρι'νων ist konditional zu interpretieren. Das im griech. Text am Satzanfang genannte Stichwort κρι'μα („Gericht“) ist das erste von sechs Worten desselben Wortstamms κριν-: κρι'μα V. 29a; διακρι'νων V. 29b; διεκρι'νομεν V. 31a; ε κρινο' μεθα V. 31b; κρινο' μενοι V.32a; κατακριθω ^ μεν V. 32b. Zur Paronomasie („Wiederkehr desselben Wortes oder Wortstammes in geringer Entfernung“, BDR §488.1) vgl. R. G. Czapla, Art. Paronomasie, HWR VI, 649-652. ZB („wenn er den Leib [des Herrn] nicht [von gewöhnlicher Speise] unterscheidet“; Olshausen 677; Bachmann 372; Lietzmann 59; Héring 104; Barrett 274-275; zur Auslegungsgeschichte Schrage III 101.104. Theißen, Studien, 300.306. Weiss 291; Schlatter, 328; Barrett 274-275; Wolff 279; Garland 552; Thiselton 893; E. Schweizer, ThWNT VII, 1065; Marshall, Supper, 114; Käsemann, Exegetische Versuche I, 27; Lampe, Herrenmahl, 210; Hofius, Herrenmahl, 240 Anm. 224; Lindemann, Kirche, 147-148. Kümmel 186; Wendland 99; Fee 559.563-564; Roloff, Kirche, 105-106; Kollmann, Mahlfeier, 49-50; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 315. Eine Verbindung von christologischer und ekklesiologischer Bedeutung vertreten Lang 155; Klauck 84; Schrage III 51-52; Collins 439; Bornkamm, Herrenmahl, 169; Neuenzeit, Herrenmahl, 38-39; Klauck, Herrenmahl, 327; Roloff, Kirche, 105-106; Dunn, Theology of Paul, 617-618; Konradt, Gericht, 436-437. Vgl. die Anmerkung zu V. 29 in GN, NGÜ,
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A. Schlatter interpretiert im Sinne des Leibes Christi: Wer den Leib nicht unterscheidet, „löscht den Unterschied aus, der den Leib Jesu von unserem Leib und sein Sterben von unserem Sterben trennt. Jesu Leib gilt ihm nicht mehr als irgendein Leib und sein Tod bedeutet nicht mehr als unser Sterben. Was am Kreuz geschehen ist, erhebt sich nicht über andere Kreuze; es ist eine Geschichte wie tausend andere, ohne daß seine Wirkung die jetzt Lebenden erreicht. Auf den, der seinen Tod mißachtet, fällt das Urteil des Christus, und dies gerade dann, wenn er sich zu seinem Tisch begibt, also von sich sagt, er sei des Christus, durch ihn geheiligt und von ihm befreit“.180 J. Roloff verbindet die Deutung auf den Leib Christi mit der Deutung auf die Gemeinde: „Man verachtet den sich für uns dahingebenden Jesus, dessen Leib man im eucharistischen Brot empfängt, wenn man nicht erkennt, was diese Gabe bewirkt: die in ihrer Struktur durch die Selbsthingabe und das Dienen Jesu bestimmte Gemeinde“.181
Mit der Aufforderung, „den Leib“ (το` σω ^ μα) richtig zu beurteilen, fordert Paulus die Korinther auf, die Heilsgabe richtig zu beurteilen, die Jesus der Gekreuzigte ist und zu der die Gemeinschaft der Jesusbekenner gehört. Das heißt, die Christen, die am Herrenmahl teilnehmen wollen, sollen sich bewusst machen, dass es um den Leib Christi geht, d.h. um den in den Tod gegebenen Leib Jesu und um die Gemeinde als Leib Christi. In dem neuen sozialen Lebenszusammenhang, den die Gemeinde als Leib Christi darstellt, geht es nicht an, dass die Bessergestellten den Besitzlosen ihren niedrigeren Sozialstatus durch ihr Verhalten bei der Mahlzeit vor Augen führen, bei der sie ihren Überfluss für sich behalten und Mitchristen hungern lassen. Die Wendung „der isst und trinkt sich selber zum Gericht“ ist bedeutungsgleich mit „zum Gericht zusammenkommen“ in V. 34. Der Hinweis auf das Gericht (κρι' μα) verleiht der Aufforderung zur Selbstprüfung in V. 28 Nachdruck (vgl. das einleitende γα' ρ), die ein Schuldigwerden am Leib und Blut des Herrn (V. 27) verhindern soll, indem sie die korinthischen Christen zur Veränderung ihres Verhaltens motiviert. Mit „Gericht“ ist nicht an das Endgericht oder an die Verdammung zu denken, 182 sondern im Kontext von V. 30 an das gegenwärtige Gerichtshandeln Gottes, das zu Krankheit- und Todesfällen in der Gemeinde geführt hat. 183 Diese Warnung vor dem Gericht Gottes ist analog zu der Warnung in 10,8-11 zu sehen, wo Paulus die Korinther auf das Gerichtshandeln Gottes hingewiesen hatte, das Israel traf, nach————————————————————
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Wilckens. Schlatter 328. Roloff, Kirche, 106; zur folgenden Bemerkung vgl. Konradt, Gericht, 437. Bauer /Aland 915 s.v. κρι'μα 4b: „sich selbst die Verdammung einverleiben“; Käsemann, Exegetische Versuche I, 24. Vom Endgericht ist jedoch erst in V. 32b die Rede. Godet II 100; Wolff 278; Schrage III 52. Konradt, Gericht, 440-441.450 versteht κρι'μα in V. 29 als Oberbegriff über Züchtigungs- und Vernichtungsgericht.
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dem das Volk im Zusammenhang einer Mahlfeier Unzucht getriebenn, gegen Gott gemurrt und nach dem Genuss von Fleisch gegiert hatte. 30 Das einleitende δια` του^ το greift auf den in V. 29 formulierten Zusammenhang zwischen einer unwürdigen Teilnahme an der Feier des Herrenmahls und dem Gericht Gottes zurück, das Christen riskieren, die den in den Kreuzestod dahingegebenen Leib Jesu Christi geringschätzen und die Gemeinde als Leib Jesu Christi verachten. Die Aussage in V. 30 zeigt, dass Paulus in V. 29 keine theoretischen Möglichkeiten behandelt, sondern konkrete Vorkommnisse in der korinthischen Gemeinde vor Augen hat. Er verweist auf die Tatsache, dass es in der Gemeinde (ε ν υ μι^ν) viele Schwache und Kranke gibt, und viele sind entschlafen. Die Adjektive πολλοι' („viele“) und ι κανοι' („genügend, in großer Zahl, zahlreich, viele“) zeigen, dass es sich nicht um einige wenige Einzelfälle gehandelt hat. Die „Schwachen“ (α σθενει^ς) sind von den „Kranken“ (α»ρρωστοι) nicht zu unterscheiden.184 Das Wort „Entschlafene“ (κοιμω ^ νται) ist hier Euphemismus für Verstorbene.185 Manche Ausleger scheuen sich, Paulus dahingehend zu verstehen, dass Gott (oder Christus) die betreffenden Christen in Korinth zur Strafe krank gemacht hat oder sterben ließ.186 Aber genau dies sagt Paulus: Weil Christen in Korinth das Herrenmahl unwürdig gefeiert und die Armen in der Gemeinde verachtet haben, sind Gemeindeglieder krank geworden und sogar verstorben. Paulus musste voraussetzen können, dass die korinthischen Christen, die seinen Brief lasen, genau wussten, von wem er spricht. ————————————————————
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Wolff 279; Schrage III 52 Anm. 598. Schlatter 328-329 bezieht α»ρρωστοι stärker auf körperliche Gebrechen und meint, α σθενει^ς habe eine allgemeinere Bedeutung, die die Christen mit einem „schwachen Gewissen“ von 8,7-10 einschließen könne. Das Adjektiv α»ρρωστος („kraftlos, krank“) kommt im NT nur hier und in Mt 14,14; Mk 6,5.13; 16,18 vor, in der LXX nur in Mal 1,8 und in Sir 7,35 (Philo verwendet die Vokabel 29 mal, Plutarch 43 mal, der im 2. Jh. n.Chr. in Pergamon wirkende Mediziner Galen 1161 mal); α σθενη' ς („schwach, krank“) kommt im NT 26 mal vor. Das Verb κοιμα' ομαι bedeutet im NT wie auch sonst „schlafen“ im natürlichen Sinn (Mt 28,13; Lk 22,45; Apg 12,6), ist aber auch – bei Paulus immer – Umschreibung des Todes, im Sinn des Sterbevorgangs (Apg 7,60; 13,36; 1Kor 7,39; 11,30; 15,6.51; 2Petr 3,4) oder des Todeszustands (Mt 27,52; 1Kor 15,20; 1Thess 4,13.14.15); M. Völkel, EWNT II, 746 räumt ein, dass die Differenzierung „im Einzelfall schwierig und umstritten sein kann“. In 1Kor 11,30 beschreibt κοιμω ^ νται kaum den Vorgang des Sterbens (trotz der Formulierung im Präsens), sondern Menschen, die gestorben sind. Fee 565; Lindemann 259. Auszuschließen ist mit den meisten neueren Auslegern die Meinung, Paulus führe die Krankheits- und Todesfälle in magischer Weise auf das wie ein tödliches Gift (φα' ρμακον θανα' του) wirkende Sakrament zurück (Weiss 290-291; Bousset 133; Lietzmann 59); vgl. Schrage III 53; Lindemann 259. Nicht plausibel ist auch die metaphorische Deutung von Schneider, Glaubensmängel, 3-19, der meint, es handele sich um im Glauben Schwache, um geistlich Kranke und um geistlich Eingeschlafene; kritisch Schrage III 52 Anm. 600; Thiselton 894; Garland 553.
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Es ist nicht völlig klar, wie die kausale Verknüpfung von V. 29 mit V. 30 zu verstehen ist. Folgende Möglichkeiten werden vorgeschlagen. 1. Die unwürdige Teilnahme an der Mahlfeier, die von Paulus kritisierte Verachtung der Gemeinde und die Ignorierung der hungernden Gemeindeglieder sind auf einige der bessergestellten Christen „zurückgefallen“, indem sie von Gott für ihr eklatantes Fehlverhalten bestraft wurden. E.-B. Allo spricht von einem „réalisme terrible“.187 2. Das unwürdige Verhalten korinthischer Christen an der Mahlfeier hat zu Krankheits- und Todesfällen in der Gemeinde geführt, wobei unklar bleibt, ob es die für das unwürdige Verhalten verantwortlichen Gemeindeglieder sind, die krank wurden, oder andere Christen, deren Krankheit bzw. Tod Paulus durch prophetische Einsicht mit dem Missbrauch des Abendmahls verbindet. 188 3. Die Schwachen und Kranken sind jene Gemeindeglieder, die infolge ihrer Armut Hunger leiden (V. 21) und schwach und krank geworden sind. Wenn man dazu die These von B. Winter und B. Blue in Anschlag bringt, dass es in Griechenland um diese Zeit eine ernsthafte Hungersnot gegeben hat,189 dann könnte V. 30 keine Warnung vor dem Gericht Gottes sein, sondern ein Appell an die wohlhabenden Gemeindeglieder, sich tatkräftig für die ärmeren Gemeindeglieder einzusetzen. 190 Der Verweis auf das Gericht macht eine Interpretation im Sinne von Krankheits- und Todesfällen in der Gemeinde (V. 30) als Folge des göttlichen Gerichts am wahrscheinlichsten. 191 Ein Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Krankheit wurde in der Antike häufig angenommen, wie die phrygischen Beichtinschriften zeigen, in denen Menschen, die krank geworden sind, ihre Sünden dem Gott oder der Göttin bekennen, eine Bußleistung erbringen und sich Besserung erhoffen.192 Gleichwohl ist ein Zweifaches zu beachten. ————————————————————
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Allo 283; vgl. Thiselton 894; Klauck, Herrenmahl, 328. Fee 565; vgl. Thiselton 894. Winter, Famines, 86-106; Blue, Famine, 221-239; siehe oben zu 7,1.5.26. Garland 554, der auf Hermas, Visiones 3,9,3-5 verweist: „Die einen nämlich machen ihren Körper krank durch vieles Essen und schaden ihm so; bei denen aber, die nichts zu essen haben, leidet der Körper Schaden, weil sie keine genügende Nahrung bekommen, und so muß ihr Leib zu Grunde gehen. Diese Unmäßigkeit ist euch schädlich, die ihr besitzt und die Bedürftigen nicht teilnehmen laßt. Denkt an das kommende Gericht! Sucht also, ihr Reichen, die Hungernden auf“. Wenig plausibel ist der Vorschlag, dass das übermäßige Trinken einiger Gemeindeglieder (V. 21) zu Krankheiten geführt hat (so Robertson/ Plummer 253; Thiselton 894 als Möglichkeit); kritisch Wolff 279 Anm. 216. Schlatter 329; Conzelmann 247; Wolff 279; Schrage III 53. In einer Beichtinschrift heißt es: „Groß ist Zeus aus Zwillingseichen! Ich, Athenaios, war von dem Gott für eine in Unkenntnis begangene Versündigung bestraft worden. Nachdem ich viele Strafen empfangen hatte, wurde mir von einem Traumgesicht eine Stele abverlangt; und ich habe die Manifestation der Macht des Gottes niedergeschrieben. Meine Niederschrift auf einer Stele fand in Dankbarkeit statt im Jahre 348, am 18. des Monats Audnaios“ (SEG 33, 1013; Petzl, Beichtinschriften, Nr. 11). Das nach der sullanischen Ära
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 667 ————————————————————————————————————
Erstens, Paulus kann Krankheiten auch auf böse Mächte zurückführen (5,5).193 Das heißt, Krankheit ist nicht immer und nicht automatisch ein Zeichen von Gottes Gericht. Zweitens, Paulus führt Krankheiten nicht immer auf menschliches Fehlverhalten zurück. Die Krankheit des Epaphroditus, die diesen Mitarbeiter fast das Leben gekostet hat (Phil 2,26-27), wird von Paulus nicht erklärt. Festzuhalten ist im Blick auf V. 30 jedoch, dass Paulus nicht davon spricht, dass „die Gemeinde überhaupt“ krank ist,194 sondern dass einzelne Gemeindeglieder durch ihr Verhalten bei der Feier des Herrenmahls schuldig geworden sind und das Gericht Gottes provoziert haben.195 Im Vorblick auf 12,9-10 ist noch anzumerken, dass es in der korinthischen Gemeinde schwache, kranke und sterbende Christen gab, trotz der Anwesenheit von Gemeindegliedern, die die Gabe hatten, Heilungen und Wunder zu bewirken. 31 Das Gericht Gottes, das sich in den Krankheits- und Todesfällen in der korinthischen Gemeinde vollzieht, kann verhindert werden, würden wir uns selber richten. Die Wendung ε αυτου` ς διεκρι' νομεν („wenn wir uns selbst richten würden“) knüpft an V. 28 an: δοκιμαζε' τω δε` α»νθρωπος ε αυτο' ν („jeder Mensch soll sich selbst prüfen“). Mit der Formulierung in der 1. Pers. Plur. schließt sich Paulus in diese Aussage ein. Wenn wir uns selbst richtig beurteilen, dann richten wir uns selbst, so dass Gott uns nicht richten muss.196 Dies ist der Ausweg aus der Gerichtssituation, den die korinthischen Christen bisher noch nicht gegangen sind.197 Wenn sie ihre Einstellung zu ihren Mitchristen überprüfen, die hungrig zu den Mahlzeiten der Gemeinde kommen, und wenn sie ihr Verhalten von der Selbsthingabe Jesu Christi bestimmt sein ————————————————————
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angegebene Datum entspricht 263 n.Chr. Schrage III 53 Anm. 603 nennt 2Kor 12,7, wo Paulus den „Dorn im Fleisch“, den er erhalten hat, mit einem „Engel Satans“ verbindet. Es ist allerdings plausibler, die Passivform ε δο' θη im Sinn eines theologischen Passivs zu interpretieren, da der Zweck des „Dorns“ ein positiver ist; d.h. Gott hat Paulus den „Dorn“ geben, den der „Engel Satans“ gegen den Apostel benutzen will. Vgl. Harris, Second Corinthians, 855-856. Wolff 279. Besser Schrage III 54: das ε ν υ μι^ν „behaftet die Gemeinde, nicht nur die von Krankheit und Tod betroffenenen Gemeindeglieder“. Schrage III 54 betont richtig, dass die paulinische Aussage nicht so auszuweiten ist, „als ob Krankheit und Tod eo ipso auf falschen Sakramentsgenuß zurückweisen oder rechter Sakramentsgenuß vor Krankheit und Tod schützen würden“. Das Passiv ε κρινο' μεθα verweist auf Gott als den Vollstrecker des Gerichts. Der mit ει . . . α»ν formulierte Konditionalsatz zeigt, dass Paulus den im Vorsatz formulierten Inhalt als unwirklich betrachtet und die Schlussfolgerung als notwendig beschreibt; vgl. HS §284a. Irreale Bedingungssätze sind bei Paulus selten: Röm 9,29 (LXX); 1Kor 2,8; 11,31; 12,19; Gal 1,10; 3,21; BDR §360 Anm. 1. Schrage III 54 meint, die Formulierung in der 1. Pers. Plur. mindere die in dem irrealen Konditionalsatz ausgesproche Tatsache ab, dass die Gemeinde dies bisher nicht getan hat.
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lassen, dessen im Herrenmahl gedacht wird, dann werden sie vor dem Strafgericht Gottes bewahrt. 32 Paulus unterscheidet zwischen zwei Gerichten. Der Satz wenn wir aber (jetzt) vom Herrn gerichtet werden (κρινο' μενοι δε` υ πο` του^ κυρι' ου) bezieht sich auf das Züchtigungsgericht: so werden wir zurechtgewiesen (παιδευο' μεθα). Das heißt: die Krankheiten der Gegenwart, die das Resultat des göttlichen Gerichts sind, sollen als heilsame Züchtigung verstanden werden, mit der der Herr198 die korinthischen Christen zurechtbringen will.199 Der Finalsatz damit wir nicht zusammen mit der Welt verurteilt werden (ι«να μη` συ` ν τω ^, κο' σμω, κατακριθω ^ μεν) bezieht sich auf das Verdammungsgericht. Vom Weltgericht spricht Paulus in 6,2 (vgl. Röm 3,6). Die Formulierung mit einem Finalsatz lässt nicht eindeutig erkennen, wie sich Paulus das Verhältnis zwischen dem Züchtigungs- und dem Verurteilungsgericht vorstellt: «ινα kann final oder konsekutiv aufgefasst werden.200 Bei konsekutivem Verständnis werden „Züchtigung“ und „Verurteilung“ als Kategorien angesehen, die sich gegenseitig ausschließen und auf verschiedene Personengruppen verteilt sind – die Jesusbekenner auf der einen Seite, die übrige Menschheit (κο' σμος) auf der anderen Seite. Die Bestrafung in der Gegenwart als Züchtigung bewahrt vor dem zukünftigen Weltgericht.201 Bei finalem Verständnis ergeben sich verschiedene Stufen des Gerichtshandelns des Herrn: Das Züchtigungsgericht will das Verurteilungsgericht verhindern, indem die Christen, die Paulus warnt, ihr Verhalten ändern; wenn sie ihr Fehlverhalten beim Mahl nicht abstellen, droht ihnen das Verdammungsgericht. 202 Zugunsten der ersten Interpretation spricht, dass in Korinth Christen nicht nur krank wurden, ————————————————————
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Im Kontext des Herrenmahls ist mit κυ' ριος Jesus Christus, der erhöhte Herr, gemeint. Das Präsens παιδευο' μεθα ist als Präsens de conatu zu interpretieren, d.h. im Sinn einer versuchten Handlung, vgl. BDR §319. Im AT, in der jüdischen Tradition und im NT werden irdische Leiden öfter als Maßnahme Gottes zur Zurechtbringung und Erziehung der Frommen beschrieben; vgl. Prov 3,11; Ps 118,18; Hi 5,17; Weish 11,9-10; 2Makk 6,12; 2Kor 6,9; Hebr 12,5-6; Offb 3,19; vgl. Bill. II, 277-278. G. Bertram, Art. παιδευ' ω, ThWNT V, 615-623; D. Fürst/S. Wibbing, ThBLNT I, 411; Schrage III 55; Gundry-Volf, Perseverance, 107-111; Konradt, Gericht, 440.443-447. Eine vergleichbare Bedeutung von παιδευ' ω im Kontext von strafender Erziehung mit der Sonderbedeutung „züchtigen“ liegt in dem Privatbrief BGU III 846,11-12 (2. Jh. n.Chr.) vor; vgl. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 401-402; Deissmann, Licht vom Osten, 155. Konradt, Gericht, 440-441; für das Folgende ebd. 440-448. Die meisten Ausleger erklären das Züchtigungsgericht im Hinblick auf die intendierte Bewahrung vor dem Weltgericht, gehen auf das Verhältnis der beiden Gerichte jedoch nicht ein; vgl. Fee 566; Schrage III 55; Lindemann 260. Lietzmann 60; Conzelmann 248; Klauck 84; Lang 156; Wolff 280; Mattern, Verständnis, 98.101; Synofzik, Vergeltungsaussagen, 53; Klauck, Herrenmahl, 326; Kollmann, Mahlfeier, 51; Gundry-Volf, Perseverance, 107.111. Roetzel, Judgement, 139; Kuck, Judgment, 228; Konradt, Gericht, 448.
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sondern sogar gestorben sind. In diesen Fällen kann das Züchtigungsgericht das Verdammungsgericht nicht mehr verhindern, wobei im Blick auf Letzteres daran zu erinnern ist, dass Paulus konsequent von der Rettung der Christen im Endgericht ausgeht (vgl. Röm 8,1.31-39). Dabei ist die Annahme einer sündentilgenden Wirkung der Züchtigung Gottes keine Voraussetzung für die konsekutive Interpretation.203 Die Verben παιδευ' εσθαι und κατακρι' νεσθαι beschreiben ein je verschiedenes Geschick, das sich gegenseitig ausschließt. Weil für Paulus das (gegenwärtige und zukünftige) Heil allein auf dem Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus gründet, weil der Empfang der Gnade Gottes unabhängig vom rebellischen Verhalten des Sünders ist und allein vom Heilshandeln Gottes in Jesus Christus abhängt, schützt das empfangene Heil, das aus Sündern „berufene Heilige“ gemacht hat (1,2), grundsätzlich vor der Verdammung im Endgericht. Die Züchtigung Gottes, die Jesusbekenner trifft, die das Herrenmahl unwürdig feiern und die armen Mitchristen und damit die Gemeinde verachten, kann gravierende Konsequenzen haben, wie sich in der korinthischen Gemeinde zeigt. Paulus wehrt in V. 32 der Resignation oder der Heilsunsicherheit, die sich von den Aussagen in V. 27-31 her ergeben könnte. Dem gegenwärtigen Strafgericht ist als Züchtigungsgericht eine positive Bedeutung beizumessen.204 33 In V. 33-34 formuliert Paulus praktische Anweisungen, die sich aus dem bisher Gesagten ergeben (ω « στε), was die Anrede mit meine Brüder (α δελφοι' μου) signalisiert. Die Wendung wenn ihr zum Essen zusammenkommt (συνερχο' μενοι ει ς το` φαγει^ν) greift auf V. 17 zurück, wo Paulus den Korinthern vorgeworfen hatte, dass sie „zum Schlechteren“ zusammenkommen (ει ς το` η σσον συνε'ρχεσθε), sowie auf V. 18, wo er von den Spaltungen sprach, die zu beobachten sind, wenn sie „in der Gemeinde zusammenkommen“ (συνερχομε'νων υ μω ^ ν ε ν ε κκλησι' α, ). Wenn die korinthischen Christen zum Essen des Herrenmahls zusammenkommen, dann sollen sie folgende Anweisung beachten: Nehmt einander an! Entscheidend ist das Verständnis des ————————————————————
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Dagegen zu Recht Schrage III 55; Mattern, Verständnis, 101-102; Gundry-Volf, Perseverance, 105; Konradt, Gericht, 447. Wolff 280. Anders z.B. Klinghardt, Sünde, 76: „Der Übergang vom Züchtigungs- und Vernichtungsgericht ist also grundsätzlich offen“. Konradt, Gericht, 442.449-450 versteht V. 30 korporativ – die Krankheits- und Todesfälle betreffen nicht in erster Linie einzelne, sondern die gesamte Gemeinde –, interpretiert V. 32 jedoch gleichzeitig auf das Weltgericht, in dem unbußfertige Christen mit eschatologischer Verurteilung zu rechnen haben. Eine korporative Interpretation von V. 30 würde eine ebenfalls korporative Interpretation von V. 32 nahelegen: Das Gericht trifft nicht einzelne Christen, sondern die Gemeinde. Was dies für Paulus bedeuten würde, bleibt jedoch unklar. Konradt bemerkt bezeichnenderweise: „Das eschatologische Ergehen der Verstorbenen liegt dabei in V. 30 außerhalb des Blickfeldes“.
670 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Verbs ε κδε' χομαι, das zumeist mit „warten“ übersetzt wird,205 aber auch „empfangen, annehmen“ bedeutet.206 Konkret gibt es für die Bedeutung „gastlich aufnehmen“ Belege, sowohl in den Papyri207 als auch in Josephus.208 O. Hofius hat für die Bedeutung „jemanden empfangen“, 209 „jemanden annehmen/sich jemandes annehmen“,210 „jemanden in seine Obhut nehmen“211 und „jemanden in Schutz nehmen“ 212 Belege beigebracht. 213 Die Anweisung in V. 33 α λλη' λους ε κδε'χεσθε kann deshalb mit „nehmt einander an“, oder „nehmt einander gastlich auf“, oder „bewirtet einander“ übersetzt werden.214 Der Kontext macht diese Interpretation geradezu zur Notwendig————————————————————
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Elb.Ü, EÜ, GN, Hfa, NGÜ, LÜ, NRSV, SÜ, ZB, Menge, Wilckens; Bauer/Aland 479; W. Grundmann, ThWNT II 55; M. E. Glasswell, EWNT I, 988; Wolff 280; Schrage III 56; Lindemann 260. Vgl. in der LXX Mi 2,12; Sir 18,14; vgl. Lust u.a., Lexicon I, 134. LSJ 503 s.v. gibt als erste Bedeutung „to take or receive from another“ an (mit Verweis auf Homer, Il. 13,710; Aeschylos, Choep. 762; Ag. 285; Demosthenes 19,37), während „wait for“ erst die vierte Bedeutung ist. MM 192 s.v. gibt als „primäre Bedeutung“ die Übersetzung „receive“ an und verweisen auf P.Lille I 16,7; P.Tebt. I 33,7 („entertain“, d.h. „bewirten“); BGU IV 1024, iv,16. Dass Bauer/Aland 479 diesen Tatbestand nicht einmal erwähnen, ist bis heute ein Problem (so immer noch BDAG 300, trotz eines Hinweises auf MM). R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 402-403 verweist auf P.Col. VIII 208,4.10; P.Tebt. I 33,67; BGU III 892 verso,5-7; VIII 1768,2; Stud.Pal. XXII 40,28-29 für den Hinweis, dass die Grundbedeutung „empfangen, aufnehmen“ in Zusammenhängen vorkommt, in denen deutlich ist, dass die gastliche Aufnahme eines Menschen und der wohlvorbereitete Empfang zusammengehören. In BGU III 892 schreibt ein gewisser Perusis, dass er schon zwei Tage lang auf die Ankunft seines Adressaten wartet (προσε' δρευσα), „dass ich dich endlich empfangen kann (ε κδεχο' μενο' ς σε)“. Josephus, Ant. 15,343; 16,6.131.140. 3Makk 5,26; Philo, Post. 136; Josephus, Bell. 2,1.297; 3,32; 6,140; 7,70.74; Ant. 7,351; 11,340; 12,138; 13,104.148. LXX in Ps 118,122; Mi 2,12; Nah 3,18; vgl. Prov 1,30; Sir 6,23; 18,14. Gen 44,32 LXX; vgl. Gen 43,9 LXX. Soc 349,1; 830,15. Hofius, Herrenmahl, 220-221. Die sachgemäße Vokabel für „warten auf“ wäre α πεκδε' χομαι. Thiselton 899, der für diese Interpretation Sympathie aufbringt, bezeichnet das lexikographische Beweismaterial als „nicht stark“, was angesichts der zahlreichen Belege unverständlich ist. Schrage III 56 hält den Gedanken der Gegenseitigkeit für das Hauptproblem dieser Interpretation: Die Habenichtse können „doch kaum ohne einen gewissen Schuß von Zynismus zur gastlichen Aufnahme oder zum Teilen aufgefordert werden“. Dasselbe Problem liegt jedoch auch bei der Übersetzung mit „warten auf“ vor: Paulus fordert nur die wohlhabenderen Christen zum Warten auf, nicht die Armen, die am Nachmittag oder Abend noch arbeiten mussten. Hofius, Herrenmahl, 221; vgl. Olshausen 681; Hofmann 259-260; Fee 568; Witherington 252; Hays 202-203; Horsley 163; Garland 554-555; Blue, Famine, 231; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 298; Winter, Corinth, 151-152. So NGÜ Anm. a: „und teilt das Essen miteinander“; vgl. TNIV „make everyone equally welcome“.
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 671 ————————————————————————————————————
keit: Was nützt es den ärmeren Gemeindegliedern, die hungrig kommen und hungrig gehen, wenn die wohlhabenderen Gemeindeglieder, wenn sie „zum Essen“ (ει ς το` φαγει^ν) zusammenkommen, auf sie warten, ohne mit ihnen zu teilen? Mit „essen“ kann kaum allein das Brot der Einsetzungsworte gemeint sein, das während des Herrenmahls gereicht wird. P. Lampe stellt zu Recht die Frage: „Oder ist Paulus so zynisch, daß er Leuten, die daheim (11,34) nichts Rechtes zu beißen haben, in der Gemeindeversammlung nur Brot und Wein vorsetzt, während die Reichen daheim sich den Bauch mit Köstlichkeiten vollschlagen sollen (11,22a.34)?“ 215 Selbst wenn man die Bedeutung „warten“ bevorzugt, wie Lampe dies tut, ist die Anweisung in V. 33b so zu verstehen, „daß das Mitgebrachte für alle zugänglich gemacht werden soll. Andernfalls hätte das Warten keinen Sinn, das offensichtlich ein Hungern der Habenichtse und ein καταισχυ' νειν derselben (11,21f.) verhindern soll“. Das Herrenmahl wird von den wohlhabenderen Christen in Korinth erst dann würdig gefeiert, wenn sie die Speisen, die sie zu der gemeinsamen Mahlfeier mitbringen, nicht schon vorher aufessen, sondern für alle zugänglich auf den Platten ausbreiten oder vom Gastgeber auf die Teller aller Anwesenden verteilen lassen. Diese Interpretation wird auch durch die Anrede „meine Brüder“ gestützt, mit der die praktische Anordnung in V. 33 eingeleitet wird: Die korinthischen Christen gehören zusammen mit Paulus zur Familie Gottes, in der alle, auch die Besitzlosen, Brüder und Schwestern sind – und in einer Familie wird dafür gesorgt, dass niemand hungern muss, wenn grundsätzlich die Möglichkeit besteht, dass man sich satt essen kann. 34 Wenn korinthische Christen mit den Essen nicht warten können, bis sie in der Gemeindeversammlung zusammen mit den anderen Jesusbekennern speisen und das Herrenmahl feiern, wenn einer schon vorher Hunger hat (ει» τις πεινα^), , vielleicht nach dem Bad,216 dann soll er zu Hause essen (ε ν οι»κω, ε σθιε'τω; vgl. V. 22). Wenn die Gemeindeglieder in der Gemeinde zum Essen zusammenkommen und dabei das Herrenmahl feiern, dann sollen sie sich gegenseitig annehmen, so dass die Besitzlosen, die hungrig kommen, nicht beschämt werden (V. 22) – was nicht anders geht, als dass die Reichen mit den Armen ihr mitgebrachten Essen teilen.217 Wenn sie dies unterlassen, wenn sie beim Essen nur an sich selbst denken und ihren eigenen Hunger stillen und die hungrigen Brüder und Schwestern, die zu den Besitzlosen ge————————————————————
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Lampe, Herrenmahl, 204; das folgende Zitat ebd. 205. Lampe, Herrenmahl, 205. Wenn Paulus das Sättigungsmahl vom Herrenmahl trennen und den reicheren Christen raten würde, sich zu Hause satt zu essen, dann ist zwar das Problem der Beschämung der ärmeren Christen gelöst (Thiselton 899), aber nicht das größere Problem, das darin besteht, dass sie Hunger haben.
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hören, hungrig dasitzen und hungrig nach Hause gehen lassen und damit die bestehenden Differenzen im Sozialstatus schroff und demonstrativ allen Anwesenden vor Augen führen, dann kommen sie zum Gericht zusammen. Dies will Paulus mit seinen praktischen Anweisungen verhindern (ι«να μη` ει ς κρι' μα συνε'ρχησθε). Der abschließende Satz des Abschnitts setzt voraus, dass Paulus davon ausgeht, dass seine praktischen Anweisungen das Problem der hungernden Christen, die in der Gemeindeversammlung von den bessergestellten Gemeindegliedern ignoriert und brüskiert werden, grundsätzlich gelöst hat: Weiteres werde ich anordnen, wenn ich komme (τα` δε` λοιπα` ω ς α ν ε» λθω διατα' ξομαι). Das „Weitere“ sind offensichtlich organisatorische Einzelheiten, die er in seinem Brief nicht im Detail regeln will. 218 Was noch zu regeln ist, sind die konkreten Maßnahmen anlässlich der gemeinsamen Mahlzeit, bei der die Besitzlosen, die hungrig sind, nicht beschämt, sondern angenommen, und das heißt gastfreundlich bewirtet werden sollen. Paulus wird solche organisatorischen Maßnahmen bei seinem nächsten Besuch regeln und persönlich durchsetzen, falls die korinthischen Christen sie nicht schon vorher selbst regeln.
IV Die korinthische Gemeinde bestand aus wohlhabenden Gemeindegliedern und aus Jesusbekennern, die Paulus als „Besitzlose“ (V. 22) bezeichnet, also ärmere Einwohner Korinths – Handwerker, Freigelassene, Sklaven. Wenn sich die Gemeinde trifft, um gemeinsam zu essen und das Herrenmahl zu feiern, in dem man des Todes Jesu Christi gedenkt, können sich die Wohlhabenden von den in Körben mitgebrachten Speisen satt essen; offensichtlich kam es sogar vor, dass sie angeheitert waren. Die ärmeren Christen können sich häufig nicht satt essen: Sie wohnen hungrig der Gemeindeversammlung bei und gehen hungrig nach Hause, weil sie wenig haben und wenig mitbringen können.219 Die wohlhabenden Christen haben mit den armen Gemeindegliedern nicht geteilt – eine für „moderne“ westliche Gesellschaften sonderbare, kaum glaubhafte Vorstellung. In der römischen Gesellschaft war dies jedoch eine durchaus normale Praxis. Bei Gastmählern, zu denen sich sozial unterschiedliche Gruppen trafen, zum Beispiel wenn ein Patron seine Klienten zu einem Mahl einlud, wurden die sozialen Unterschiede in den quantitativ und qualitativ bessere Speisen symbolisch wirksam, die der Patron sich selbst im Unterschied zu den anderen Eingeladenen auftischen ließ. ————————————————————
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Wenn Paulus die wohlhabenderen Christen nur anweist, sich in ihren Privathäusern satt zu essen, ehe sie in die Versammlung kommen, dann muss er nichts „Weiteres“ anordnen. Von einem sakramentalistisch-individualistischen Verständnis des Herrenmahls der korinthischen Christen, das viele Ausleger annehmen, ist im Text nichts zu finden.
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Die in der korinthischen Gemeinde weiter (oder wieder?) in Geltung stehende Praxis dieser säkularen Traditionen wird von Paulus gerügt und korrigiert. Paulus sagt den Korinthern unverblümt, dass er sie für ihr Verhalten bei den Mahlzeiten während der Gemeindeversammlungen nicht loben kann, weil sie zum Schaden der Gemeinde zusammenkommen (V. 17). Er kritisiert die Spaltungen und Parteiungen, die durch das Verhalten der Besitzenden gegenüber den Besitzlosen entstehen und allen Anwesenden vor Augen geführt werden (V. 18-19). Ihre Feier des Herrenmahls verdient diesen Namen nicht (V. 20), weil sie bei der Mahlzeit ihre mitgebrachten Speisen nicht miteinander teilen, sondern jeder für sich isst und dabei die ärmeren Gemeindeglieder hungrig bleiben (V. 21). Den Besitzenden macht es nichts aus, wenn Mitchristen hungern und sich schämen (V. 22a). Paulus bezeichnet dieses Verhalten als Verachtung der Gemeinde Gottes (V. 22b). Wer die Gemeinde Gottes verachtet, indem er bedürftige Mitchristen rücksichtslos ignoriert und brüskiert, handelt deshalb so schändlich, weil er den Sinn der Feier des Herrenmahls ignoriert, in dem Jesus Christus gedacht wird, der seinen Leib „für uns“, d.h. für rettungsbedürftige Menschen dahingegeben hat (V. 23-26). Wer hilfsbedürftige Mitchristen ignoriert und hungern lässt, der macht sich angesichts der Bedeutung des Herrenmahls schuldig. Er ist unwürdig, am Herrenmahl teilzunehmen (V. 27), er könnte gleich zu Hause bleiben. Wenn rücksichtslose Christen trotzdem zu den Gemeindeversammlungen kommen und am Herrenmahl teilnehmen, riskieren sie das Gericht Gottes, das darin besteht, dass sie schwach und krank werden und manche sogar sterben (V. 29-32). Und so fordert Paulus die korinthischen Christen zu folgenden Maßnahmen auf: 1. Sie sollen sich selbstkritisch prüfen, ob das eigene Verhalten mit dem opferbereiten Verhalten Jesu Christi übereinstimmt, der seinen Leib in den Tod gegeben hat (V. 28). 2. Sie sollen ihr rücksichtsloses Verhalten ändern, um nicht dem Gericht Gottes zu verfallen (V. 29-32). 3. Sie sollen sich gegenseitig annehmen, wenn sie in der Gemeinde zu Mahlzeiten zusammenkommen, d.h. sie sollen das von jedem Mitgebrachte so teilen, dass jeder genug zu essen hat (V. 33). Wir verdanken dem problematischen Verhalten der korinthischen Christen anlässlich der Feier des Abendmahls, dass Paulus über dieses Thema geschrieben hat. Dies ist die einzige Stelle, in der Paulus sich zum Abendmahl äußert.220 Die Auslegung von 11,17-34 hat gezeigt, dass im Unterschied zur Wirkungsgeschichte dieses Textes 221 für Paulus weder die Deute- bzw. ————————————————————
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Hays 203 vermutet zu Recht, dass kritische Neutestamentler sicherlich behaupten würden, in den paulinischen Gemeinden sei die urchristliche Tradition des Herrenmahls unbekannt gewesen, wenn die vier Verse in 11,23-26 von Paulus nicht geschrieben worden wären. Vgl. dazu ausführlich Schrage III 58-107.
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Einsetzungsworte, noch die Bestimmung der Unwürdigkeit und Einzelheiten der Selbstprüfung im Mittelpunkt stehen. Paulus geht es um die Korrektur gemeinschaftsschädigender Missstände in der korinthischen Gemeinde, die auch bei der Feier des Herrenmahls soziale Ursachen haben. In diesem Zusammenhang betont der Text erstens, dass die Zusammenkünfte der Gemeinde zur Feier des Herrenmahls die Einheit der Gemeinde als das neue Bundesvolk Gottes zum Ausdruck bringen muss.222 Die fehlende Einheit wird von Paulus weder kaschiert noch theologisch überspielt, sondern auf praktischer Ebene eingefordert. Die Einheit der Gemeinde ist erst dann gewährleistet, wenn die Besitzenden aufhören, die Besitzlosen zu beschämen, und wenn sie beginnen, dafür Sorge zu tragen, dass diese nicht mehr hungern müssen. Die Umsetzung dieses praktisch-theologischen Prinzips in den Kirchen Europas und Nordamerikas ist aus zwei Gründen nicht einfach. Zum einen gibt es in den Ortsgemeinden im Allgemeinen wenige oder überhaupt keine Christen, die so arm sind, dass sie Hunger leiden müssen. Zum anderen wurde die Feier des Herrenmahls von einer Mahlzeit getrennt, 223 so dass das „korinthische Problem“ schon gar nicht entstehen kann. Für europäische Christen ist es deshalb schwierig, den Zusammenhang zwischen dem Tisch des Herrn und den Bedürfnissen der Armen zu erkennen. Die Verantwortlichen in Lehre und Verkündigung können jedoch dafür sorgen, dass die Gemeinde weiß, dass es in der Feier des Abendmahls nicht um eine privatpersönliche fromme Handlung geht, in der man sich die Vergebung Gottes sichert. Das Abendmahl soll nicht die eigenen Bedürfnisse befriedigen, sondern uns daran erinnern, das es Bedürftige gibt, denen geholfen werden muss. Und das Abendmahl sollte regelmäßig im Rahmen einer gemeinsamen Mahlzeit gefeiert werden, um deutlich zu machen, dass der Sühnetod Jesu Christi nicht nur Sünden vergibt, sondern Gemeinschaft stiftet, deren Einheit in opferbereitem Handeln zugunsten des benachteiligten Bruders und der bedürftigen Schwester verwirklicht wird. Zweitens, die Feier des Herrenmahls konzentriert die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis der Gemeinde auf den Tod Jesu Christi. Neben der Taufe ist die Feier des Abendmahls die einzige symbolische Handlung der Christen. Im Mittelpunkt dieser Feier steht das Gedenken an den Tod Jesu, der sich für ————————————————————
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Hays 204. Die Verbindung des Herrenmahls (Eucharistie) mit dem Wortgottesdienst hat ihre Ursache in dem Wachstum der Ortsgemeinden, die es schwierig oder unmöglich machte, dass sich alle Mitglieder zu gemeinsamen Mahlzeiten versammeln konnten. Dieser Prozess begann schon sehr früh und ist in Rom bereits zur Zeit Justins vollzogen, d.h. um 150 n.Chr. Justin schildert in Apol. 1,61.65-67 den sonntäglichen Gottesdienst der Gemeinde „als eine zusammenhängende Feier, in welcher die Eucharistie unmittelbar auf den aus Bibellesung, Predigt und Gebet bestehenden Gottesdienst folgt“ (Lietzmann, Messe, 258).
Konflikt III: Die Missstände beim Herrenmahl 11,17-34 675 ————————————————————————————————————
die Seinen am Kreuz geopfert hat. So wie Paulus die Tradition vom letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern, die die Bedeutung seines Todes erklärt, empfangen und weitergegeben hat, so darf und soll diese Tradition empfangen und weitergegeben werden. Die Tradition vom Herrenmahl verdeutlicht je und je neu, die Worte „dies ist mein Leib für euch“ betonend, dass der Tod Jesu kein Zufall, seine Hinrichtung kein Justizirrtum war, sondern Ergebnis des Selbstopfers Jesu, der sich für uns in den Tod gegeben hat, damit wir Sünder mit Gott versöhnt werden können. Indem wir das Brot annehmen und essen und den Kelch entgegennehmen und den Wein trinken, bringen wir 1. unsere Hilfsbedürftigkeit als Sünder zum Ausdruck, 2. unsere Annahme des unverdienten und gnädigen Geschenks der Sündenvergebung, das der Herr Jesus uns Sündern macht, und 3. unsere aktive und konsequente Bereitschaft, von der Opferbereitschaft des Herrn Jesus zu lernen und in der Alltagswirklichkeit zu bewähren. Drittens, die Feier des Herrenmahls bietet eine Gelegenheit zur Selbstprüfung. Jesus Christus erlitt den Tod am Kreuz als Gericht Gottes, stellvertretend für uns Sünder, die wir Gottes Gericht verdient hatten. Wie die Elemente Brot und Wein an Gottes Gericht erinnern, das am Kreuz stattgefunden hat, so erinnern sie uns an unsere Sünde, die am Karfreitag gerichtet wurde. So feiern wir im Abendmahl mit dankbarer Fröhlichkeit die Gnade und Güte Gottes, die uns Sünder, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind, zu „berufenen Heiligen“ und zu Gliedern seines Volkes gemacht hat. Die Erinnerung an das Gericht Gottes, das Jesus den Tod am Kreuz gekostet hat, geht deshalb einher mit der Bekräftigung unseres dankbaren und demütigen Entschlusses, in der Nachfolge Jesu zu leben. Der Herr des Herrenmahls verlangt keine Sündlosigkeit; diese kann durch keine noch so intensive und extensive Selbstprüfung hergestellt werden. Aber er erwartet, dass Sünde nicht geleugnet, sondern bekannt, nicht bagatellisiert, sondern abgelegt wird. Unwürdig ist nicht der Sünder, der seine Sünden bekennt, sondern der Christ, der den benachteiligten Bruder und die hilfsbedürftige Schwester brüskiert und der die Chancen zum opferbereiten Einsatz für andere ignoriert. Jesus hat kurz vor seinem Tod davon gesprochen, dass im Endgericht diejenigen als Gerechte dastehen werden, die „einen seiner geringsten Brüder“ (und Schwestern) hungrig oder durstig sehen und versorgen, als Fremdlinge oder Bedürftige aufnehmen und bekleiden, als Kranke und Gefangene besuchen (Mt 25,37-40). Es sind solche Gerechte, die zusammen mit der Feier des Abendmahls den Tod Jesu Christi glaubhaft und wirkmächtig verkündigen.
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Konflikt IV: Die Gaben des Geistes in der Gemeinde 12,1–14,40 Paulus hatte in Kap. 11 zwei Themen behandelt, die direkt mit dem Verhalten der korinthischen Christen in den Gemeindeversammlungen verknüpft waren: die Kopfbedeckungen von Männern und Frauen und die gemeinsamen Mahlzeiten. Bei der Frage der Kopfbedeckungen ging es um den Einfluss säkularer Traditionen der römischen Gesellschaft, mit denen korinthische Christen Kompromisse eingegangen waren. Bei der Frage der gemeinsamen Mahlzeiten und der Feier des Herrenmahls ging es um Konflikte, die durch das Verhalten der bessergestellten Christen entstanden waren, die ihre gehobene soziale Stellung durch den Verzehr quantitativ und qualitativ besserer Speisen demonstrativ hervorgehoben hatten, während ärmere Gemeindeglieder hungrig kamen und hungrig nach Hause gingen. In Kap. 12–14 behandelt Paulus ein weiteres Konfliktfeld, das im Gottesdienst der Gemeinde im Zusammenhang der Gaben des Heiligen Geistes entstanden und zu dem er wahrscheinlich von korinthischen Christen um Stellungnahme gebeten worden war (vgl. 12,1). Die Frage nach den Geistesgaben war bereits im Proömium (1,4-7) als Thema angekündigt worden. In Kap. 12–14 nimmt Paulus ausführlicher Stellung. Das Hauptproblem der korinthischen Christen war nicht die Überbewertung der Glossolalie (Zungenrede, Sprachengabe) oder die rechte Praktizierung der Gabe der Prophetie – um diese beiden Gaben und deren rechte Ausübung geht es in Kap. 14. Das Hauptproblem sind die Konflikte um die Lehrer der Gemeinde (1,10–4,21) und die Konflikte zwischen einzelnen Christen (6,1-11), die, was wenig erstaunlich war, offensichtlich die Gemeindeversammlungen beeinflussten. Diese Konflikte, die allesamt mit dem gesellschaftlichen Status vor allem der bessergestellten korinthischen Christen verknüpft waren, hatten bei den gemeinsamen Mahlzeiten und bei der Feier des Herrenmahls zu Schwierigkeiten geführt (11,17-34). Diese Konflikte spielen offenkundig auch bei den Wortbeiträgen in den Gemeindeversammlungen eine Rolle. Der Slogan „Ich brauche dich nicht!“, den Paulus in 12,2126 kritisch referiert und entschieden zurückweist, zeigt, dass es einigen korinthischen Christen bei der Praktizierung der Geistesgaben um die provokative, vielleicht sogar konfrontative Zurschaustellung, Bestätigung und Vermehrung ihres überlegenen Status geht. Die ausführliche Darstellung der Einheit der Gemeinde als Leib Christi in 12,11-27, die Paulus zwischen zwei Listen der Geistesgaben stellt (12,8-10/28-30), und die Betonung der opferbereiten, auf das Wohl des Anderen bedachten Liebe in Kap. 13 zeigen, dass die Einheit
Konflikt IV: Die Gaben des Geistes in der Gemeinde 12,1–14,40 677 ————————————————————————————————————
der Gemeinde das vorrangige Thema des Abschnitts ist.1 Das Thema, das Paulus ab 12,1 aufgreift, ist also nur vordergründig neu: Er hat weder die Glossolalie noch die Prophetie behandelt, aber das Thema der Einheit der Gemeinde hat ihn seit 1,10 beschäftigt. Paulus sagt uns nicht, was die korinthischen Christen über inspirierte Rede, konkret über Glossolalie und Prophetie, gedacht haben. Wir erfahren nur, wie sie sich verhalten und an welchen Stellen Paulus Einwände anmeldet und Korrekturen anmahnt.2 Die gottesdienstliche Praxis der korinthischen Christen wies mindestens vier Elemente auf, die Paulus korrigieren will. 1. Sie praktizieren in ihren Versammlungen häufiges glossolalisches Reden ohne Interpretation, d.h. ohne dass die Anwesenden verstehen, was gesagt wird. 2. Sie praktizieren glossolalisches Reden, auch wenn Ungläubige anwesend sind. 3. Sie praktizieren prophetisches Reden auf eine Art und Weise, die die Bewertung und Beurteilung dieser Gabe erschwert oder verhindert. 4. Sie praktizieren prophetisches Reden in einem Kontext konkurrierender Auftritte, so dass manche zu viel und zu lange reden und andere überhaupt nicht zu Wort kommen. Es besteht kein Konsens in der Frage, welche Ursachen die problematische Praxis der Glossolalie und der Prophetie hatte. Häufig wird ein „übersteigerter Pneumatismus und Enthusiasmus“ verantwortlich gemacht, der mit einer präsentischen Eschatologie zusammenhängen soll: Die Korinther glauben, bereits in der Sprache der Engel zu sprechen.3 Wenn jedoch gilt, dass Paulus weitgehend „Pneumatiker-Terminologie“ vermeidet,4 gerät die Berechtigung zu dieser und ähnlichen Rekonstruktionen der von Paulus kritisierten korinthischen „Theologie“ ins Schwanken. Paulus kritisiert in Kap. 12–14 nicht, dass man in Korinth den Heiligen Geist missverstanden hat. Er moniert, dass manche bei ihren Wortbeiträgen im Gottesdienst, in denen sie glossolalisch und prophetisch reden, sowohl Mitchristen als auch Außenstehende ignorieren und im Konkurrieren um angeblich status-trächtigere Gaben die Einheit der Gemeinde als Leib Christi missachten. Die Hauptkritik des Apostels betrifft die Betonung einer bestimmten Gabe (vor allem der Sprachengabe) über die anderen Gaben – eine Betonung, die auf Kosten der Gesamtgemeinde geht. Paulus betont, dass der Sinn der Geistesgaben die Auferbauung der ganzen Gemeinde ist (12,12-31). Seine Kritik betrifft insbesondere ————————————————————
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Hays 206; Thiselton 900-901; Forbes, Prophecy, 172.260-263; Winter, Underlays, 149150. Anders Schrage III 112, der meint, alles ziele auf die Korrekturen in Kap. 14 ab. Für die folgende Skizze vgl. Forbes, Prophecy, 170-175. Schrage III 112; vgl. Vielhauer, Geschichte, 132; Horn, Angeld, 281. Siehe auch Soden, Sakrament, 239-275; Schniewind, Leugner, 110-139; Bultmann, Theologie, 172; Käsemann, Apokalyptik, 119-131; Thiselton, Realized Eschatology, 510-526. Wolff 282.
678 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
die Einbildung jener Christen, die meinen, die Gabe der Glossolalie erhebe sie über ihre Mitchristen. Paulus betont, dass die Sprachengabe keinen besonderen Status verleiht, da diese Gabe höchstens für Außenstehende ein Zeichen ist und gerade hier eine höchst problematische Praxis darstellt, wenn die unverständliche Rede nicht übersetzt wird (14,20-25). An der Praktizierung der Gabe der Prophetie kritisiert Paulus, dass diese zu Unordnung, zum Ausschluss anderer Christen von der Beteiligung im Gottesdienst und zu einem geminderten Nutzen für die Gesamtgemeinde führt (14,29-33). Die Diskussion in Kap. 12–14 gewährt uns wie kein anderer neutestamentlicher Text einen Einblick in das Geschehen während des Gottesdienstes einer urchristlichen Gemeinde. Die sechs Listen der geistlichen Gaben, die in den Versammlungen der Gemeinde praktiziert werden, illustrieren den Reichtum des Gemeindelebens. 12,8-10
12,28-30
13,1-2
13,8
14,6
14,26
Weisheit Erkenntnis Glaube Heilungen Wunder Prophetie Beurteilung Sprachen Übersetzung
Apostel Propheten Lehrer Wunder Heilungen Hilfen Leitung Sprachen Übersetzung
Sprachen Weissagung Geheimnisse Erkenntnis Glauben
Weissagung Sprachen Erkenntnis
Sprachen Offenbarung Erkenntnis Weissagung Lehre
Psalm Lehre Offenbarung Sprachen Übersetzung
Wenn man die Listen in Röm 12,6-8 und Eph 4,11 (vgl. 1Petr 4,11) hinzunimmt, dann ergibt sich folgender Überblick über die Gaben des Geistes: Apostel Barmherzigkeit Dienst Erkenntnis Ermahnen Evangelisten Geben Glaube Heilungen Hilfeleistungen Hirten Lehrer, Lehre Leitung Propheten / Prophetie Reden
(α πο' στολοι) – 12,28.29; vgl. Eph 4,11; Mt 10,2-15 (ε λεω ^ ν) – Röm 12,8 (διακονι'α) – Röm 12,7; 1Petr 4,11 (λο' γος γνω' σεως) – 12,8; 13,2 (παρακαλω ^ ν) – Röm 12,8 (ευ αγγελισται') – Eph 4,11; vgl. Röm 10,14-15 (μεταδιδο' ναι) – Röm 12,8 (πι'στις) – 12,9; 13,2 (χαρι'σματα ιαμα' των) – 12,9; 12,28.30 (α ντιλη' μψεις) – 12,28 (ποιμε' ναι) – Eph 4,11; vgl. 1Tim 4,11-16; 1Petr 5,1-5 (διδα' σκαλοι, διδασκαλι'α) – 12,28.29; Röm 12,7; Eph 4,11 (κυβε' ρνησις; προι¨στα' μενος) – 12,28; Röm 12,8 (προφη' ται/Προφητει'α) – 12,10; 12,28.29; Röm 12,6; Eph 4,11 (λαλει^ν ω ς λο' για θεου^ ) – 1Petr 4,11
Konflikt IV: Die Gaben des Geistes in der Gemeinde 12,1–14,40 679 ———————————————————————————————————— Sprachen (Glossolalie) Auslegung Unterscheidung Weisheit Wunderkräfte
(γε' νη γλωσσω^ ν) – 12,10; 12,28.30 (ερμηνει'α γλωσσω^ ν) – 12,10.30 (διακρι'σεις πνευμα' των) – 12,10 (λο' γος σοφι'ας) – 12,8 (ε νεργη' ματα δυνα' μεων) – 12,10; 12,28.29
Manche fügen noch hinzu: Ehelosigkeit (α»γαμος) – 7,7 Ehe / Heiraten (γαμε' ω) – 7,7 Dämonenaustreibung (ε κβα' λλειν δαιμο' νια) – Mt 10,1 Keine besonderen Gaben des Geistes sind: Freiwillige Armut (13,3), Leidensbereitschaft (13,3), Gastfreundschaft (Röm 12,13; Tit 1,8), Gebet (1Tim 1,1-4; vgl. Jak 5,16-18). Auffallend ist vielleicht, dass der „Evangelist“ (Eph 4,11; 2Tim 4,5; vgl. Apg 21,8) in keiner der Listen vorkommt: er zählt nach den Aposteln und Propheten und noch vor den Hirten und Lehrern zu den Mitarbeitern in der Gemeinde. Die unterschiedlichen Listen zeigen, dass Paulus in Kap. 12–14 keine systematische Diskussion der Gaben des Geistes führt, sondern angesichts der konkreten Problematik in der korinthischen Gemeinde bestimmte Aspekte genauer untersucht. Gleichzeitig lassen die unterschiedlichen Listen vermuten, dass Paulus keine „autoritative“ Liste von Gaben des Geistes hat, die „kanonisch“ geschlossen ist. Die Schwierigkeit, die Gaben „Wort der Weisheit“, „Wort der Erkenntnis“, „Offenbarungen“ und „prophetische Rede“ eindeutig voneinander abzugrenzen, deutet darauf hin, dass Paulus nicht für alle Geistesgaben eine präsize Definition hat; jedenfalls lässt sich dies aus dem Text nicht erkennen.
Die dreiteilige Struktur der Argumentation in Kap. 12–14 entspricht der Behandlung der Frage des Götzenopferfleisches in Kap. 8–10. Der erste Abschnitt stellt die zu behandelnde Thematik in den größeren Horizont der Gemeinschaft der Jesusbekenner: In Kap. 12 stellt Paulus den komplementären Charakter der Geistesgaben im Kontext der Gemeinde heraus, die der Leib Christi ist. Der Mittelteil beschreibt die Norm für das Verhalten der Christen: In Kap. 13 ist dies die Liebe, die sämtliche Manifestationen des Geistes steuern soll. Im Schlussabschnitt formuliert Paulus praktische Anweisungen: In Kap. 14 regelt er das glossolalische und prophetische Reden in den Gemeindeversammlungen. In Kap. 8–10 und in Kap. 12–14 arbeitet Paulus zwei Faktoren heraus, die das Verhalten der Christen bestimmen sollen: 1. Die Auferbauung aller Mitchristen in der Gemeinde (8,7-11; 10,23; 14,1-19). 2. Die missionarische Wirkung auf Außenstehende (10,23-33; 14,20-25). Paulus geht also in Kap. 12 nicht sofort und energisch in medias res. Er behandelt zunächst grundsätzliche Aspekte des Wirkens des Heiligen Geistes in der Gemeinde, deren Identität als Leib Christi das Kriterium bereitstellt, mit dem die sichtbaren Manifestationen des Heiligen Geistes in den Versammlungen der Gemeinde beurteilt und geregelt werden sollen.
680 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die Anwendung der Kategorien der klassischen Rhetorik auf Kap. 12–14 haben nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt. 5 12,1-3 wird als propositio (Standaert), als exordium (Smit) oder als Kombination von praefatio, verkürzter narratio und propositio interpretiert6 oder als Beginn des bis 12,11 reichenden exordiums analysiert (Probst). 12,4-11 ist exordium (Standaert) oder amplificatio (Schrage), und 12,12-30(31) ist narratio (Standaert, Probst als erste narratio) oder symbuleutische argumentatio (Schrage), während andere 12,4-30 als erste argumentatio (Smit) verstehen. Der Abschnitt 12,31b–13,13 ist für viele eine digressio (Standaert, Smit) was andere nicht überzeugt: W. Schrage zeigt, dass Kap. 13 als ein integraler Bestandteil der Argumentation in Kap. 12–14 zu verstehen ist; er nimmt „trotz der teilweise hymnisch klingenden Sprache“ eine „argumentativdeliberative und kritische Funktion im Rahmen von Kap. 12–14“ an. 7 So kann Kap. 13 auch als (zweite) narratio interpretiert werden (Probst). 14,1-36 ist für manche die argumentatio (Standaert), für andere die zweite argumentatio (Smit), während andere nur 14,1-25 als argumentatio bezeichnen (Probst). Manche verstehen 14,20-40 als peroratio (Probst), andere sehen in 14,37-40 die peroratio (Standaert, Smit).
Das Kennzeichen des Geistes Gottes 12,1-3 I 1 Auch über die Gaben des Geistes will ich euch, Brüder, nicht in Unwissenheit lassen. 2 Ihr wisst, dass ihr, als ihr Heiden wart, immer wieder zu den stummen Götzen geführt wurdet, wann immer ihr fortgeführt wurdet. 3 Deshalb erkläre ich euch: Keiner, der aus dem Geist Gottes redet, sagt: Jesus ist verflucht! Und keiner kann sagen: Jesus ist Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet.
II Paulus beginnt die Behandlung der Geistesgaben mit einem grundsätzlichen Abschnitt, der die fundamentale Verbindung zwischen dem Wirken des Heiligen Geistes und dem Bekenntnis zu Jesus Christus thematisiert. Paulus will nicht einfach pragmatische Regelungen für die glossolalische und prophetische Rede finden und durchsetzen, sondern er will die Korinther an theologische Überzeugungen erinnern, die die Einsicht in die Richtigkeit der später ————————————————————
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Für die folgenden Analysen vgl. Schrage III 117.136.207.276-277.378; Kremer 257 (stimmt mit Standaert überein); Standaert, Analyse, 23-34; Probst, Brief, 326-332; Smit, Argument, 221-230; Focant, Analyse, 199-245. Vos, Rätsel, 268; vgl. Schrage 117. Schrage III 276-277.
Das Kennzeichen des Geistes Gottes 12,1-3 681 ————————————————————————————————————
formulierten Anweisungen ermöglichen. In V. 1 verweist Paulus auf Anfragen zu der Thematik der Geistesgaben, die er in den folgenden Abschnitten behandelt. V. 2 spricht von der religiösen Erfahrung der Heiden, die ihre Götter anbeten, die stumme Götzen sind. V. 3a spricht von der religiösen Erfahrung der Juden, die mit dem Evangelium in Kontakt kommen und die Schlussfolgerung ziehen, dass der gekreuzigte Jesus ein von Gott verfluchter Mensch sein muss. V. 3b spricht von der religiösen Erfahrung der Jesusbekenner, die infolge der Wirkmächtigkeit des Heiligen Geistes das Bekenntnis zu Jesus als Kyrios sprechen können. Textkritische Anmerkungen. In V. 2 ersetzen einige Handschriften α»φωνα („stumm“) durch α»μορφα („hässlich“; F G). Statt ω ς α ν η» γεσθε lesen B2 F Gc 1241s al ω ς α νη' γεσθε, wobei jedoch unklar ist, wohin die heidnischen Korinther „hinauf-“geführt wurden;8 G* latt lesen ω « σαν η» γεσθε („ihr euch sozu9 sagen hin- und hertreiben ließet“). Die Wendung ω ς α ν η» γεσθε ist jedoch gut ^ν bezeugt ( אA B* C D u.a.). In V. 3 lässt der westliche Text das Verb λαλω aus (D F G ar; Ambst Spec), wohl in der irrtümlichen Annahme, das Partizip sei überflüssig.10 Die meisten Handschriften lesen statt Ανα' θεμα Ιησου^ ς die Akk.-Bildung Ανα' θεμα Ιησου^ ν (d46 D G Ψ Byz ar vgmss; Ambst) und statt Κυ' ριος Ιησου^ ς den Akk. Κυ' ριον Ιησου^ ν (D F G Ψ Byz ar b vg; Ambst Pel Spec), offensichtlich um die direkte Anrede zu vermeiden; die im Nom. formulierten Wendungen sind besser bezeugt ( אA B C 6 33 81 u.a.)
III 1 Mit der erneuten Anrede Brüder11 leitet Paulus das Thema über die Gaben des Geistes (περι` δε` τω ^ ν πνευματικω ^ ν) ein, das den langen Abschnitt von 12,1 bis 14,40 bestimmt. Die Wendung περι` δε' bezieht sich wahrscheinlich auf die briefliche, vielleicht auch auf eine mündliche Anfrage der korinthischen Christen zu diesem Thema. Zur Wendung ich will euch nicht in Unwissenheit lassen (ου θε'λω υ μα^ς α γνοει^ν) vgl. 10,1. Die Genitiv-Bildung τω ^ν πνευματικω ^ ν kann als mask. Wendung verstanden werden: οι πνευματικοι' 12 wären dann die „Pneumatiker“ in der Gemeinde – die Glossolalen und die ————————————————————
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Vgl. Schrage III 120; Lindemann 264 denkt an Entrückungen. Weiss 294 folgt der alternativen Lesart. So die Übersetzung von Bachmann 376, der diese Lesart als ursprünglich akzeptiert; vgl. Bengel 663. Zuntz, Text, 141. Vgl. 1,10.11.26; 2,1; 3,1; 4,6; 6,24; 7,29; 10,1; 11,33. Vgl. 2,13.15; 3,1; 14,37; diese Stellen werden von manchen als Selbstbezeichnung korinthischer Christen verstanden, vgl. Horn, Angeld, 198-201.
682 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Propheten –, von denen in der korinthischen Anfrage die Rede war. 13 Angesichts der neutrischen Wendung χαρι' σματα („Gaben“) in V. 4, wo Paulus mit der Diskussion des in V. 1 eingeleiteten Themas beginnt, sowie der eindeutig neutr. Form πνευματικα' in 14,1, ist es näherliegend, in V. 1 τα` πνευματικα' zu lesen. 14 Attraktiv ist der allerdings unbeweisbare Vorschlag, dass beide Nuancen angesprochen sind: Die mask. Konnotation spiegelt die Position der korinthischen Christen wider, während das Neutrum das Verständnis des Apostels beschreibt, der in der folgenden Diskussion den Ausdruck πνευματικα' vermeidet und stattdessen von χαρι' σματα spricht, was weniger den Geistbesitz betont, sondern einen stärkeren Akzent auf den Gabecharakter legt. 15 2 Paulus erinnert die korinthischen Christen zunächst an ihre Vergangenheit (ο« τε): Ihr wisst, dass ihr, als ihr Heiden wart, immer wieder zu den stummen Götzen geführt wurdet. Mit οι»δατε spricht er sie auf ihre Erinnerung an (vgl. 1Thess 1,5; 4,2; Gal 4,13). „Heiden“ (ε»θνη) ist der jüdische Ausdruck für Nicht-Juden, d.h. für Polytheisten. Nach dem Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte gab es in der korinthischen Gemeinde auch jüdische Christen (Apg 18,4.8), was von V. 13 bestätigt wird. Heißt das, dass die Anfrage betreff der Gaben des Geistes von Heidenchristen an Paulus herangetragen wurde? A. Lindemann hat Recht, wenn er vermutet, dass Paulus die Korinther allgemein mit ihrer Vergangenheit konfrontieren will (nach dem Schema „einst – jetzt“), „ohne damit eine exakte religionsphänomenologische Beschreibung ihres Verhaltens“ geben zu wollen.16 Die Formulierung mit ο« τε . . . η τε (Impf.) kann man so interpretieren, dass die Korinther, die sich in ihrer Bekehrung von den Götzen ab- und dem lebendigen Gott zugewandt ————————————————————
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Schmiedel 165; Heinrici 359; Bachmann 374-375; Weiss 294; Wolff 282; Blomberg 243; Schmithals, Gnosis in Korinth, 161-162 (mit Berufung auf „die Mehrzahl der Exegeten“, was heute nicht mehr gilt); Horn, Angeld, 183-185. Oft wird argumentiert, dass in V. 2-3 zunächst von Personen die Rede ist und nicht von Phänomenen. Bousset 130; Findlay 885; Robertson/Plummer 259; Conzelmann 248; Senft 155; Fee 575-576; Schrage III 118 (mit Anm. 24, wo er für diese Interpretation auf Chrysostomus, Pelagius, Theophylakt und die Reformatoren Luther, Zwingli und Beza verweist); Hays 207; Kremer 258; Collins 446-447; Lindemann 263; Garland 562; E. Schweizer, ThWNT VI, 436; J. Kremer, EWNT III, 291-292; Grudem, Prophecy, 157-162; Carson, Spirit, 22; Gillespie, Theologians, 68-78. Schrage III 118-119; Thiselton 910; Garland 563; vgl. Schlatter 331; Barrett 278; Harrisville 205; Fee 576. Ellis, Prophecy, 24-25 will πνευματικα' und χαρι'σματα in dem Sinn voneinander unterscheiden, dass πνευματικα' solche Gaben beschreibt, in denen „im Geist“ geredet wird – Gaben inspirierter Einsicht, verbaler Proklamation und/oder deren Interpretation –, während χαρι'σματα für jede geistliche Gabe stehen kann; kritisch Schrage III 119, der die Argumentation mit Röm 1,11 und dem Verweis auf 1Kor 14,1 nicht überzeugend findet. Lindemann 264.
Das Kennzeichen des Geistes Gottes 12,1-3 683 ————————————————————————————————————
haben (1Thess 1,9), jetzt keine „Heiden“ mehr sind, da sie in das Gottesvolk Israel eingepfropft wurden (vgl. Röm 11,17-24).17 Der syntaktisch schwierige ο« τι-Satz kann auf zweifache Weise interpretiert werden.18 1. Die Wendung προ` ς τα` ει»δωλα τα` α»φωνα wurde betont vor die Konj. ω ς gestellt, die das vorausgehende ο« τι aufnimmt (ο« τι ο« τε ε»θνη η τε – ω ς α ν η» γεσθε προ` ς τα` ει»δωλα τα` α»φωνα α παγο' μενοι).19 Es ergibt sich folgende Übersetzung: „Ihr wisst, dass, als ihr Heiden wart, dass/wie ihr immer wieder zu den stummen Götzen geführt wurdet“. Das Ptz. α παγο' μενοι versteht man am besten als modale Adverbialbestimmung zu η» γεσθε, das die Begleitumstände der mit der Simplexform angezeigten Handlung beschreibt.20 Man kann dann so übersetzen: „Ihr wisst, dass ihr, als ihr Heiden wart, immer wieder zu den stummen Götzen geführt wurdet, wann immer ihr fortgeführt wurdet“. 2. Das Verb des von οι»δατε abhängigen ο« τι-Satzes ist das Ptz. α παγο' μενοι, für das die Kopula η τε zu ergänzen ist (οι»δατε ο« τι . . . προ` ς τα` ει»δωλα τα` α»φωνα . . . α παγο' μενοι η τε); in diesen Satz ist ein Temporalsatz (ο« τε ε»θνη η τε) und ein weiterer Zwischensatz (ω ς α ν η» γεσθε) eingeschoben.21 Man könnte folgendermaßen übersetzen: „Ihr wisst, dass ihr, als ihr Heiden wart – wann immer ihr geführt wurdet – immer wieder zu den stummen Götzen fortgeführt wurdet“. Die erste Lösung ist in der modifizierten Variante vorzuziehen: Sie macht die Ergänzung des Partizips durch ein zweites η τε genauso überflüssig wie die Annahme eines doppelten Einschubs von Zwischensätzen.
Die meisten Ausleger interpretieren die Verben η» γεσθε und α παγο' μενοι als Anspielung auf den ekstatischen Enthusiasmus der heidnischen Religiosität, die das frühere Leben der korinthischen Christen bestimmte.22 Dabei wird auf die „bacchantische Verzückung“ verwiesen, die mit Weissagung verbunden gewesen sein soll (Euripides, Bacchae 298-301), oder auf Lucian, nach dem der Gott bzw. der Dämon des Eros einen Menschen zwanghaft dorthin treibt, wo er ihn hinbekommen will (Dial. Mort. 19), oder auf Plato, nach dem Wahrsager und Orakelspender göttlich und „begeistert“ (ε νθουσια' ζειν) sind, angehaucht und bewohnt von einem Gott (Tim. 72a.b; Menon. 99d). W. Schrage weist darauf hin, dass Paulus auch von einem Hingerissenwerden (α»γεσθαι) durch den Heiligen Geist (Röm 8,14; Gal 5,18) und im Blick auf seine eigene geistliche Erfahrung von „Notwendigkeit“ spricht (9,16.17). ————————————————————
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Hays 209. Anders Lindemann 264, mit Verweis auf Röm 11,13. Vgl. die Diskussion in NSS II 84; Schrage II 120; Thiselton 911-912. BDR §396.1; Bauer / Aland 26 s.v. α» γω 3; Heinrici 360; Weiss 248 Anm. 2; Robertson/Plummer 260; Thiselton 911; kritisch Schrage III 120 Anm. 36. Paige, Pompe, 64, der folgende Übersetzung anbietet: „whenever you were led [in the processions] you were [really] being carried away captive“; vgl. Thiselton 912. Godet II 107; Fee 576-577. Weiss 294; Barrett 278-279; Conzelmann 250; Klauck 85; Fee 577-578; Wolff 283-284; Schrage III 119-120; Kremer 258; Collins 447. GN „seid ihr vor den stummen Götzen in Ekstase geraten“; vgl. EÜ „zog es euch mit unwiderstehlicher Gewalt“.
684 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Paulus will den korinthischen Christen sagen: „Ein enthusiastisches und ekstatisches α»γεσθαι als solches (ist) nichts spezifisch Christliches und schon gar nicht ein Zeichen und Kriterium dafür . . ., daß jemand den Heiligen Geist hat. Wo man sich hin- und fortreißen läßt und religiöse Vitalität, Impulsivität und Dynamik herrschen, muß nicht der Geist Gottes am Werk sein“. 23 Diese traditionelle Interpretation muss hinterfragt werden.24 1. Paulus verwendet weder hier noch sonst in seinen Briefen das Wort ε»κστασις noch den Ausdruck ε νθουσια' ζω. 2. Weder das Verb α»γω noch das Kompositum α πα' γω weisen auf ekstatische Erfahrungen hin. Paulus verwendet α»γω für die Leitung durch Gott (Röm 2,4; 1Thess 4,14), durch den Heiligen Geist (Röm 8,14; Gal 5,18), durch Menschen (2Tim 4,1) und durch Begierden (2Tim 3,6), nicht für ein „Fortgerissen-Werden“ durch Dämonen oder heidnische Götter. Das Kompositum α πα' γω kommt bei Paulus nur hier vor; die Verwendung des Verbs in der LXX, in den Evangelien und in der Apostelgeschichte belegt immer die Bedeutung „von einem Punkt zu einem anderen Punkt führen“. 25 Wenn diese Verben die Konnotation „Zwang“ haben, ergibt sich die Art des Zwanges durch den Kontext: Wenn ein zum Tod Verurteilter zum Hinrichtungsplatz „fortgeführt“ wird, dann übt das Hinrichtungskommando „Zwang“ aus.26 Auch die Kombination der Verben α»γω und α πα' γω verweist nicht automatisch auf ekstatische Verzückung, dämonischen Zwang oder religiöse Verführung. Für diese Bedeutungen hätten andere Verben zur Verfügung gestanden, bei denen solche Konnotationen unmittelbar deutlich sind, z.B. α ρπα' ζω (vgl. 2Kor 12,2.4), πλανα' ω (vgl. 1Kor 6,9; 15,33; Gal 6,7), α πατα' ω (Eph 5,6) oder ε ξαπατα' ω (vgl. 1Kor 3,18; Röm 7,11).27 Der Begriff der Ekstase ist, was W. Schrage zugesteht, „sehr vielschichtig, ja vage“:28 Plato nennt vier Formen göttlicher Ekstase (μανι'α): die prophe————————————————————
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Schrage III 122. Thiselton 912-916; Garland 565-566; Grudem, Prophecy, 162-164; Paige, Pompe, 57-65; Forbes, Prophecy, 20-47.53-58.103-181. Lindemann 264: Es ist fraglich, ob alle Korinther Anhänger ekstatischer Kulte waren. NW II/1 führt für 1Kor 12,2 keine Parallelen an. Vgl. Bauer /Aland 158 s.v. α πα' γω: 1. allg. wegführen (Lk 13,15); 2. als Ausdruck der Rechtssprache: vorführen (Mt 26,57; Mk 14,53), abführen (Mk 14,44; 15,16), fortführen (Mt 27,31; Lk 23,26); 3. intr., von Personen: in das Verderben führen (Mt 7,13); die Bedeutung „hingerissen, verführt werden“ wird von Bauer /Aland in einem eigenen Punkt 4 angegeben, mit Verweis auf 1Kor 12,2 (mit Lucian, Catapl. 26 als Parallele); so immer noch BDAG 95 (mit der Übersetzung „to cause to depart from correct behavior, pass. be misled, carried away“). Für Beispiele aus den Papyri vgl. Arzt-Grabner 410-412: α πα' γω, bezogen auf Personen, ist meist ein Fachausdruck für das „Abführen“ ins Gefängnis; vgl. P. Köln VII 313 B,1720. Garland 565; Grudem, Prophecy, 163-164. Schrage III 158 Anm. 244, ebd. das folgende Zitat.
Das Kennzeichen des Geistes Gottes 12,1-3 685 ———————————————————————————————————— tische, die kultische, die poetische und die erotische. Philo kennt neben der wahnsinnigen Raserei die heftige Bestürzung, die Stille des Geistes, die göttliche Ergriffenheit und die Begeisterung. In Mk 5,42; 16,8; Lk 5,26 beschreibt ε»κστασις die typische Reaktion auf ein Wunder, in Apg 11,5 wird die Erfahrung einer Vision und in Apg 22,17 die Erfahrung beim Beten beschrieben. Schrage hält die Vokabel „mindestens im Kontext der Glossolalie“ durchaus für sinnvoll, was jedoch ein bestimmtes Verständnis der Glossolalie voraussetzt, das hinterfragt werden muss (siehe zu V. 10).29
In V. 2 könnte an den gesellschaftlichen Zwang gedacht sein, sich an heidnischen Kulten und Prozessionen zu beteiligen (s. unten). 3. Die Wendung προ` ς τα` ει»δωλα spricht nicht von einer „Fortführung“ durch die Götzen, sondern zu einem Hingeführtwerden zu den Götzen. Das Subjekt der Handlung bleibt ungenannt. Die Annahme, es handle sich um dämonische oder satanische Inspiriertheit (in der Ekstase), wird in den Text hineingelesen.30 Für die meisten Bürger Korinths war die religiöse Betätigung in den Kulten, denen sie loyal waren, nicht von ekstatischen Erfahrungen und Trancezuständen begleitet: Nicht jeder engagierte sich im Dionysos- oder im Isiskult. Die Zielangabe „zu den Götzen“ (προ` ς τα` ει»δωλα) beschreibt konkret den Gang zum Götzentempel. Die Formulierungen „immer wieder geführt werden“ (η» γεσθε, iteratives Imp. Pass.) und „fortgeführt werden“ (α παγο' μενοι, Ptz. Pass.) beschreiben die regelmäßigen, alltäglichen religiösen Betätigungen in einer römischen Stadt wie Korinth. T. Paige erklärt die Formulierung mit dem Hinweis auf Prozessionen zu Ehren eines Gottes.31 Prozessionen (πομπη' , lat. pompa) gehörten zum Alltag griechischer und römischer Religiosität.32 Die Festteilnehmer, die sich kultischen Reinheitsriten unterzogen haben, Festgewänder tragen und Kultobjekte mitführen, ziehen von einem der Stadttore durch das Stadtzentrum zum Kultort der Gottheit. Der gesellschaftliche Status der Teilnehmer spielte bei der Plazierung im Festzug und bei der Beteiligung an den Opferhandlungen eine wichtige Rolle. Neben Prozessionen für die bekannten Götter (wie Demeter und Kore, Apollon, Dionysos, Isis) gab es ————————————————————
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Zum Thema „Ekstase“ vgl. F. Pfister, RAC IV, 944-987; A. Oepke, ThWNT II 447-457; Wedderburn, Baptism, 249-268. Schrage III 121 mit Anm. 42 lehnt die Annahme, Paulus habe Menschen (z.B. heidnische Priester) vor Augen mit dem Argument ab, dass „damit die von Paulus beabsichtigte Analogie und Ambivalenz des α πα' γεσθαι aber erheblich entschärft“ werde. Der Hinweis auf die „beabsichtigte Analogie“ offenbart einen Zirkelschluss: Weil man das Problem in der korinthischen Gemeinde mit ekstatischen Erfahrungen identifiziert (was nicht gesichert ist, s. unten), identifiziert man den Hintergrund der ekstatischen Tendenzen mit heidnischen ekstatischen Erfahrungen (vgl. ebd. 158 zum Hintergrund der Glossolalie); vgl. Garland 565 zum Vorwurf des Zirkelschlusses. Paige, Pompe, 57-65; vgl. Horsley 168; Collins 447; Garland 566; Thiselton 912. F. Böhmer, PW XXI, 1878-1994; H. Gugel, KP IV, 1017-1019; S. Price, Art. Prozession II, DNP X, 477-479; R. Seaford, Art. Processions, OCD 1250; Versnel, Triumphus.
686 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
kleinere, private Prozessionen zu Ehren der Verstorbenen sowie von kultischen Vereinigungen organisierte Prozessionen. Die Teilnahme an solchen Prozessionen war freiwillig, aber die meisten Einwohner einer griechischen oder römischen Stadt werden mehr oder weniger regelmäßige Erfahrungen mit religiösen Prozessionen zum Tempel einer Gottheit gemacht haben. 33 Offen bleiben muss der Vorschlag von T. Paige, dass das Partizip α παγο' μενοι auf die im Festzug mitgeführten Tiere anspielt, die „gefangen“ zur Schlachtung im Tempel geführt wurden. Paulus greift auf atl. und jüdische Götzenpolemik zurück, wenn er die heidnischen Götter, denen die Korinther vor ihrer Bekehrung zum Glauben an den einen wahren Gott huldigten, als „stumme Götzen“ (τα` ει»δωλα τα` α»φωνα) bezeichnet. 34 „Stumm“ meint nicht nur „ohne Sprachfähigkeit“, sondern beschreibt gleichzeitig die Leblosigkeit der Götter und ihre Unfähigkeit zu helfen. Weshalb schreibt Paulus den Satz in V. 2? Nicht deshalb, weil er die Korinther an die ekstatischen Erfahrungen ihrer heidnischen Vergangenheit erinnern und damit zeigen will, dass ekstatisches Fortgerissenwerden noch kein Beweis für den fortgeschrittenen Besitz des Heiligen Geistes ist. Paulus will im Kontext der Einleitung zu der Diskussion in Kap. 12–14 zeigen, dass alle Christen geistlich sind und sich von den stummen Götzen, zu denen sie hingegangen sind (V. 2), abgewandt haben und sich jetzt zu Jesus Christus als Herr bekennen (V. 3).35 3 Nachdem Paulus die korinthischen Christen an ihre heidnische Vergangenheit und damit an ihre Bekehrung zum Glauben an den einen wahren Gott erinnert hat, formuliert er für die Korinther (υ μι^ν) einen Grundsatz, 36 der Konsequenzen für das Verständnis der Gegenwart des Geistes Gottes und ————————————————————
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Die Verben α»γω (und Komposita) sind öfter im Zusammenhang mit Prozessionen bezeugt; Paige, Pompe, 61-62 verweist auf IG 1078,7.11.20.31; I.Magnesia 98,33-34.41; Plutarch, Alc. 34,5-6; Lyc. 30,6. Zur Erklärung von α παγο' μενοι Paige, ebd. 63-64. Vgl. 1Kön 18,26.29; Ps 115,5; 135,16; Hab 2,18-19; EpJer 7; 3Makk 4,16; JosAs 8,5; 11,8; 12,5; 13,11; 1QpHab 12;2; Gen. R. 84,10; bSanh 7b; vgl. Mk 9,25. Paige, Pompe, 62 schreibt, dass die Prozession zum Göttertempel ein Symbol der Attraktivität religiösen Engagements war: Attraktiv waren der mit der Prozession verbundene gesellschaftliche Status und Einfluss, die religiösen Kulte, die gesellschaftlichen und familiären Beziehungen, und nicht zuletzt das Festmahl. Für Paulus ist die Prozession zum Göttertempel ein Symbol der Irreführung: Heiden pilgern zu „stummen Götzen“. Vgl. Garland 567. Ob man aufgrund der Verwendung des Verbs γνωρι'ζω annehmen soll, dass dieser Satz für Paulus „geradezu Offenbarungsqualität“ besitzt (Lindemann 264, mit Verweis auf Gal 1,11), lässt sich nicht belegen. Das Verb steht für die Bekanntgabe von Information, so R. Bultmann, ThWNT I, 718; vgl. Arzt-Grabner 412 für Belege aus den Papyri. Schrage III 123 Anm. 53 meint, das Verb verleihe der folgenden Aussage einen feierlichen Klang.
Das Kennzeichen des Geistes Gottes 12,1-3 687 ————————————————————————————————————
seiner Gaben hat. Der erste Satz des Verses wird ganz unterschiedlich interpretiert:37 Keiner, der aus dem Geist Gottes redet, sagt: Jesus ist verflucht! Folgende Interpretationen werden vorgeschlagen. 1. Das Fluchwort „Jesus sei verflucht!“ wurde von judenchristlichen Gnostikern in der Gemeinde gesprochen, die an Christus, den himmlischen Erlöser glauben und den irdischen Jesus verfluchen.38 2. Das Fluchwort wurde von Christen ausgesprochen, die in Verfolgungssituationen unter Druck gesetzt und Jesus abgeschworen haben.39 3. Das Fluchwort wurde von Christen in unkontrollierter Ekstase gesprochen,40 vielleicht in unbeabsichtiger Zitierung der verdrängten Einschätzung des Gekreuzigten als eines Verbrechers durch ekstatische Judenchristen,41 vielleicht in dem Versuch, die einsetzende Ekstase abzuwehren.42 4. Die von Christen gesprochene Formel betonte den Fluch-Charakter des Kreuzestodes Jesu, der den Sündern Befreiung gebracht hat.43 5. Die Fluchformel wurde von Christen gebraucht, die in Aufnahme alter heidnischer Praktiken andere Menschen verfluchten („möge Jesus verfluchen“).44 6. Das Fluchwort entstand aus einem Schreibfehler in der Texttradition: Paulus zitierte ein in aramäischer Sprache formuliertes liturgisches Responsorium in griechischer Sprache ( Ανα` α θε` μαρα` ν α θα' Ιησου^ ς („Ich komme. Komm, unser Herr Jesus!“; vgl. Offb 22,20). Vers 3 lautete also ursprünglich: „Niemand, der spricht, sagt: Ich komme. Komm, unser Herr!, außer im Heiligen Geist“. Durch ein Missverständnis kombinierte ein Abschreiber die ersten drei aramäischen Worte zu α να' θεμα und änderte entsprechend den Rest des Satzes.45 7. Das Fluchwort ist hypothetisch, weil es nicht vorstellbar ist, dass ein Christ diesen Fluch ausspricht; es handelt sich um eine antithetische Bildung des Apostels zum bereits formelhaft geprägten Bekenntnis „Jesus ist Herr!“.46 Diesen Interpretationen ist die Annahme gemeinsam, dass das Fluchwort „Jesus ist verflucht!“ von Christen gesprochen wurde bzw. nicht gesprochen werden konnte und deshalb ein Schreibfehler oder eine hypothetische Konstruktion anzunehmen ist. Zu beachten ist jedoch der Tatbestand, dass V. 3 zur Einleitung in einen größeren Themenkomplex gehört, was es unwahrscheinlich macht, dass Paulus bereits hier Äußerungen von Christen angreift.47 Am plausibelsten ist deshalb die Erklärung, dass ————————————————————
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Zur Diskussion und Kritik vgl. Wolff 285-286; Schrage III 115-116; Thiselton 918-924; Garland 568-570; Carson, Spirit, 27-31. Schmithals, Gnosis in Korinth, 117-122; Wilckens, Weisheit, 121. Cullmann, Christologie, 225-227. Weiss 295-297; Lietzmann 186-187; Dunn, Jesus and the Spirit, 234-245. Theißen, Aspekte, 307-311. Allo 320-322; Barrett 280. Patte, Paul’s Faith, 306-310. Winter, Corinth, 164-183. Albright/Mann, Texts, 271-276. Fee 581; Bruce 118; Wolff 286; Hays 209; Schrage III 116-117; Aune, Prophecy, 221. Der Vorschlag, es handle sich um eine „antithetische Analogiebildung des Paulus zum Bekenntnis κυ' ριος Ιησου^ ς“ (Schrage III 116) scheitert an der Tatsache, dass eine solche Ana-logiebildung kaum das folgende Bekenntnis einleiten kann, und dass dieses widerchrist-liche Bekenntnis, wenn es rein hypothetisch ist, kaum eine plausible
688 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— es sich um die Einschätzung von ungläubigen Juden handelt, die mit Rückgriff auf Dtn 21,23 Jesus den Gekreuzigten als von Gott Verfluchten bezeichnen.48 Dieser Vorschlag wird durch folgende Überlegungen bestätigt: 1. Das Wort α να' θεμα ist jüdischer Herkunft. 2. Analog zu dem Satz κυ' ριος Ιησου^ ς („Jesus ist Herr“) ist auch die Wendung α να' θεμα Ιησου^ ς als Aussagesatz (und nicht als Wunsch) zu verstehen und die Kopula im Indikativ (ε στι'ν) zu ergänzen. 3. Dieser Vorschlag erklärt auch, weshalb im christlichen Bekenntnis das Wort „Christus“ („Messias“) verwendet wird (Phil 2,11; Röm 1,4), im jüdischen Urteil aber „Jesus“ steht: Juden hätten nie „der Messias sei verflucht!“ gesagt. Im Dialog Justins mit Trypho ist von Juden die Rede, die in den Synagogen Jesus verfluchen (Dial. 47,4; 96,2; 137,2).
Wenn Paulus in V. 3a das Urteil schildert, das Juden über Jesus abgeben, dann ergibt sich für V. 2-3, dass Paulus drei Aussagen über die religiösen Erfahrungen der Menschen macht:49 1. Die heidnische religiöse Erfahrung führt die Menschen zu stummen Götzen. 2. Die jüdische religiöse Erfahrung führt die Menschen zur Einschätzung Jesu als eines von Gott verfluchten Mannes. 3. Die christliche religiöse Erfahrung führt die Menschen zum Bekenntnis zu Jesus als Herr. Der Nachdruck liegt auf dem Satz Und keiner kann sagen: Jesus ist Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet. Die Akklamation bzw. das Bekenntnis50 Κυ' ριος Ιησου^ ς51 kann nur als Wirkung des Heiligen Geistes (ε ν πνευ' ματι α γι' ω, ) gesprochen werden, d.h. als Wirkung des Geistes, der der Geist Gottes ist (ε ν πνευ' ματι θεου^ , V. 3a). Im Zusammenhang mit dem in V.2-3a erwähnten religiösen und historischen Hintergrund der korinthischen ————————————————————
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Schockwirkung hat. Bengel 663; Findlay 886; Robertson / Plummer 261; Schlatter 333; Moffatt 178-179; Orr/Walther 277; Witherington 256; Garland 570; Bassler, Curse, 415-418; Hurtado, Opposition, 35-58; vgl. Carson, Spirit, 31. Die Kritik von Schrage III 115-116 ist apodiktisch: „Jedenfalls ist nicht an Vorgänge außerhalb des Gottesdienstes der Gemeinde zu denken“. Der Hinweis, dass die Birkat-ha-minim, die Verfluchung von Häretikern, erst nach 70 n.Chr. in das jüdische Achtzehnbittengebet aufgenommen wurde (dazu Schnabel, Urchristliche Mission, 740-744), ist kein triftiges Gegenargument, weil man damit nicht beweisen kann, dass es vor dem Jahr 70 keine Juden gab, die Jesus verflucht haben. Gal 3,13 macht ein solches Szenario plausibel (vielleicht als Hinweis auf das Verhalten des Paulus vor seiner Bekehrung). Talbert 81-82; vgl. Garland 571, der darauf hinweist, dass Paulus in 10,32 Juden, Griechen und die Gemeinde Gottes erwähnt und in 12,13 Juden und Griechen kontrastiert; vgl. auch den Gegensatz in 2Kor 3,13-18. Die Unterscheidung zwischen Akklamation und Bekenntnis ist künstlich. Schrage III 124 meint, dass es sich ursprünglich um eine Akklamation im frühchristlichen Gottesdienst gehandelt habe, die später als Bekenntnisformel Verwendung fand. Im Blick auf solche formgeschichtliche Rekonstruktionen ist daran zu erinnern, dass die Mitglieder der urchristlichen Gemeinden Jesusbekenner waren, die in den gottesdienstlichen Versammlungen Jesus als Messias und Kyrios anriefen. Zu κυ' ριος vgl. oben zu 1,2. Κυ' ριος ist Prädikatsnomen, Ιησου^ ς ist Subjekt; zu ergänzen ist die Kopula ε στι'ν.
Das Kennzeichen des Geistes Gottes 12,1-3 689 ————————————————————————————————————
Christen, unter denen sich ehemalige Heiden und ehemalige Juden befinden, bedeutet diese Aussage, dass die Abkehr von der früheren Blindheit allein durch das Wirken des Geistes Gottes bewirkt wurde. Paulus geht es in V. 3 nicht um die Formulierung eines Kriteriums oder eines Tests, mit dem man authentische Inspiration von falscher Inspiration unterscheiden kann.52 „Jesus ist Herr“ ist keine prophetische Äußerung, sondern das Grundbekenntnis eines jeden Christen.53 Paulus führt in V. 1-3 seine Behandlung der Schwierigkeiten ein, die durch die selbstbezogene Praxis der Glossolalie und der Prophetie in der Gemeinde entstanden sind. Mit dem Hinweis auf die heidnische und jüdische Vergangenheit der korinthischen Christen unterstreicht er die Tatsache, dass alle Christen den Heiligen Geist erhalten haben. Die Wirkung des Geistes macht sich nicht an außergewöhnlichen Phänomenen wie der Sprachengabe und der prophetischen Rede fest, sondern am Bekenntnis zum Herrsein Jesu. Wer als Jude Jesus als Herrn bekennt, der anerkennt die Messianität Jesu als gekreuzigter und von Gott in der Auferstehung gerechtfertigter endzeitlicher Erlöser. Wer als Polytheist Jesus als Herrn bekennt, der anerkennt die göttliche Autorität Jesu als gekreuzigter, auferstandener und erhöhter Erlöser. Die Verkündigung des gekreuzigten Messias Jesus als Erlöser ist für Juden ein Ärgernis und für Heiden eine Torheit (1,23). Mit den Zeichen, die von den Juden gefordert werden (1,22a), kann man die Herrschaftsstellung des gekreuzigten Jesus als zur Rechten Gottes erhöhter Messias nicht belegen. Und mit rhetorischen Argumenten, die von den Heiden verlangt werden (1,22b), kann man die Herrschaftsstellung Jesu als von den Toten auferstandener Erlöser nicht beweisen. Das Bekenntnis, dass Jesus von Nazaret der am Kreuz gestorbene, der am dritten Tag auferstandene und der zur Rechten Gottes erhöhte Herr ist, kann nur derjenige ehrlich und verpflichtend sprechen, der vom Geist Gottes erfasst ist. Für Paulus hat die Anerkennung Jesu Christi als Herr immer praktische Konsequenzen für das Leben des Jesusbekenners, in dem Wort und Tat eine Einheit bilden (vgl. Röm 10,9-10). Wahrscheinlich schreibt Paulus ganz absichtlich, dass der Geist Gottes ein „heiliger“ Geist ist: In der korinthischen Gemeinde gibt es Christen, die offensichtlich weniger an Heiligkeit als an ihrem eigenen Prestige interessiert sind, sogar bei der Ausübung der ihnen vom Geist Gottes geschenkten Gaben. ————————————————————
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So E. Schweizer, ThWNT VI, 421; Dautzenberg, Prophetie, 143-146; Fee, Empowering Presence, 152; Gillespie, Theologians, 84; kritisch Schrage III 124-125; Garland 567; Grudem, Prophecy, 167-168; Carson, Spirit, 27. Man kann die Worte Κυ' ριος Ιησου^ ς auch ohne den Heiligen Geist aussprechen: Menschen, die „Herr, Herr“ sagen, können Wölfe im Schafspelz sein (Mt 7,22). Vgl. 5,4; 6,11; 8,6; 9,1; 11,23; 15,31.57; 16,23; Röm 10,9; Phil 2,11.
690 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 I 4 Es gibt Zuteilungen von Gaben, aber nur den einen Geist. 5 Und es gibt Zuteilungen von Diensten, aber nur den einen Herrn. 6 Und es gibt Zuteilungen von Kräften, aber nur den einen Gott, der alles in allen wirkt. 7 Aber jedem wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen (aller) geschenkt. 8 Dem einen wird durch den Geist das Wort der Weisheit geschenkt, dem anderen das Wort der Erkenntnis gemäß demselben Geist, 9 einem anderen Glaubenskraft in demselben Geist, einem anderen Gaben zu Heilungen in dem einen Geist, 10 einem anderen Kräfte zu Machttaten, einem anderen prophetisches Reden, einem anderen die Gabe, Geister zu unterscheiden, wieder einem anderen eine Art der Sprachengabe, einem anderen die Gabe, Sprachen zu übersetzen. 11 Das alles bewirkt ein und derselbe Geist, der jedem Einzelnen gesondert zuteilt, wie er will.
II In 12,4-11 unterstreicht Paulus, dass der Geist Gottes den Jesusbekennern eine große Vielfalt von Gaben schenkt. Weil der Besitz einer bestimmten Gabe allein das Resultat des souveränen Wirkens des Heiligen Geistes ist, kann keine Gabe dazu missbraucht werden, Schlussfolgerungen im Blick auf die Bedeutung des betreffenden Christen zu ziehen. Weil alle Gaben einen einheitlichen Ursprung haben, sind alle Gaben prinzipiell gleichrangig – und damit auch alle Jesusbekenner in der Gemeinde, die alle vom Heiligen Geist Gaben erhalten haben. Schlüsselverse sind V. 7.11: Der Heilige Geist offenbart sich in seinen Gaben zum Nutzen der ganzen Gemeinde, und die Zuteilung der verschiedenen Gaben ist das Resultat seines souveränen Willens. Auf die Praxis der korinthischen Christen angewandt heißt das: Die Geistesgaben sollen allen Christen in der Gemeinde Nutzen bringen, nicht nur denen, die eine bestimmte Gabe besitzen. Dieser Grundsatz gilt deshalb, weil es der Heilige Geist war, der jedem einzelnen Jesusbekenner geistliche Gaben zugewiesen hat, und weil das Ziel, dem diese Gaben des Geistes dienen sollen, die Auferbauung der Gemeinde als Tempel Gottes ist, in dem der Geist Gottes wohnt (vgl. 2,16-17).
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 691 ————————————————————————————————————
Die doppelte Betonung des Abschnitts – es gibt verschiedene Arten von Gaben, alle Gaben kommen ohne Ausnahme von demselben Geist – lässt sich an der Struktur des griechischen Textes leicht ablesen: V. 4 V. 5 V. 6 V. 7 V. 8a V. 8b V. 9a V. 9b V. 10a V. 10b V. 10c V. 10d V. 10e
Διαιρε' σεις δε` χαρισμα' των εισι'ν και` διαιρε' σεις διακονιω^ ν εισιν και` διαιρε' σεις ε νεργημα' των εισι'ν ο ε νεργω^ ν τα` πα' ντα ε ν πα^σιν εκα' στω, δε` δι'δοται προ` ς το` συμφε' ρον
το` δε` αυ το` πνευ^ μα και` ο αυ το` ς κυ' ριος ο δε` αυ το` ς θεο' ς
ω , με`ν γα` ρ
δια` του^ πνευ' ματος δι'δοται
α»λλω, δε` ετε' ρω, α»λλω, δε` α»λλω, δε` α»λλω, α»λλω, ετε' ρω, α»λλω, δε`
V. 11a πα' ντα δε` V. 11b διαιρου^ ν
λο' γος σοφι'ας λο' γος γνω' σεως πι'στις χαρι'σματα ιαμα' των ε νεργη' ματα δυνα' μεων προφητει'α διακρι'σεις πνευμα' των γε' νη γλωσσω^ ν ερμηνει'α γλωσσω^ ν ταυ^ τα ε νεργει^ ιδι'α, εκα' στω,
η φανε' ρωσις του^ πνευ' ματος
κατα` το` αυ το` πνευ^ μα ε ν τω^, αυ τω ^, πνευ' ματι ε ν τω^, ενι` πνευ' ματι
το` εν και` το` αυ το` πνευ^ μα καθω` ς βου' λεται
Gliederung. V. 4-6 betonen den gleichen Ursprung aller Geistesgaben, dialektisch formuliert in der Gegenüberstellung der Vielfalt der Gaben, Dienste und Kräfte einerseits und der Einheit des Gebers – Geist, Herr, Gott – andererseits. V. 7 formuliert den Zweck der Geistesgaben. V. 8-10 listet zwölf Gaben auf. V. 11 fasst im Rückgriff auf V. 4 und V. 7 zusammen. Textkritische Anmerkungen. In V. 6 fügen B 1739 und der Mehrheitstext die Kopula ε στι' ν nach ε νεργω ^ ν bzw. vor θεο' ς ein, was als sekundäre 54 Erweiterung zu bewerten ist; die kürzere Lesart ist in d46 *אA C D F G P Ψ 33 81 u.a. gut bezeugt. Die meisten Handschriften (d46 א2 A C D2 Ψ 33 1881 Byz syh) vermeiden in V. 9 den asyndetischen Anschluss durch die Einfügung von δε' , das im Kontext zur Kennzeichnung der dialektischen Reihung verwendet wird; die Lesart ohne δε' ist jedoch gut bezeugt ( *אB D* F G 6 1739 pc latt syp; Cl Did).55 Frühe Textzeugen sowie der Mehrheitstext lassen ^, ( אC3 D F G 0201 Byz das Wort ε νι' aus (d46) oder ersetzen es durch αυ τω ————————————————————
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Zuntz, Text, 187; Fee 583 Anm. 2. Nach Zuntz, Text, 105-106.215 ist die Eliminierung von Asyndeta ein Kennzeichen der Tradition; wo der westliche Text das Asyndeton bewahrt, ist es als ursprünglich anzusehen.
692 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
sy; Cl); die Auslassung in d46 ist wohl durch einen Schreibfehler zu erklären, die Lesart αυ τω ^, mit einer mechanischen Angleichung an die Formulierungen in V. 4.5.6.8; die Lesart ε νι' ist früh und in allen Texttypen bezeugt (A B 33 81 104 630 1175 1739 1881 2464 pc lat; Ambst) und kann deshalb als ursprünglich gelten.56 In V. 10 liest d46 den Singular δυνα' μεως statt des Plurals δυνα' μεων ( אA B C Ψ 33 1739 1881 Byz lat syh; Cl); diese Lesart sowie die Variante des westlichen Textes, die in der Lesart ε νε'ργεια δυνα' μεων ebenfalls den Singular liest (D F G b), versucht offensichtlich, eine als tautologisch empfundene Wendung zu verbessern. 57 Mehrere, zum teil sehr frühe Handschriften lassen das zweite und dritte δε' aus (d46 B D F G 0201 6 630 1739 (1881) pc latt; Cl); angesichts der Tendenz der Tradition, Asyndeta zu ^ ν von א2 vermeiden, sind sie als sekundär anzusehen. 58 Das vor γε'νη γλωσσω A C Ψ 33 Byz sy eingefügte δε' will ebenfalls das Asyndeton vermeiden. Die Auslassung von ι δι' α, in V. 11 (d46 D*.c F G 0201vid 1175 latt syp) ist sekundär, möglicherweise motiviert durch eine Aversion gegen eine literarisch klingende Wendung (in der Koine wurde ι δι' α, durch κατ’ ι δι' αν ersetzt);59 ι δι' α, ist früh und breit bezeugt ( אA B C D1 Ψ 33 1739 1881 Byz syh; Cl).
III 4 Paulus betont, dass alle Gaben denselben Ursprung haben. Er verwendet das Wort Gaben (χαρι' σματα) statt „Geistesgaben“ (V. 1) absichtlich. Die Diskussion über das paulinische Verständnis von χα' ρισμα60 betrifft vor allem zwei Fragen. Erstens, besteht zwischen χα' ρισμα und χα' ρις für Paulus ein Zusammenhang? Die meisten Exegeten bejahen dies.61 Viele gehen bei ihrer Interpretation von ————————————————————
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Metzger, Commentary, 497; Fee 584 Anm. 4. Fee 584 Anm. 5; anders Zuntz, Text, 100, der argumentiert, der Plural δυνα' μεως sei eine Angleichung an die Wendung χαρι'σματα ιαμα' των in V. 9. Zuntz, Text, 106; NA27 lässt δε' in beiden Fällen im Text (in eckigen Klammern), wohl aufgrund der Bezeugung durch אA C Ψ 33vid Byz sy. Zuntz, Text, 98. H. Conzelmann, ThWNT IX, 393-397; K. Berger, ThWNT III, 1102-1105; H. H. Eßer/ F. Avemarie, ThBLNT I, 817-824; Wetter, Charis, 168-187; Brockhaus, Charisma, 128142; Lips, Glaube, 184-196; Baumert, Charisma, 203-228; Carson, Spirit, 19-24; Zeller, Charis, 185-189; Turner, Modern Linguistics, 155-165; ders., Holy Spirit, 262-267; Harrison, Grace, 279-283; Schrage III 137-141. Die Vokabel χα' ρισμα ist im vorpaulinischen Griechisch bislang sonst nicht belegt: die Vorkommen in der LXX (Sir 7,33 Codex B; 38,30 Codex S; Ps 30,20 Theodotion) sind nach-neutestamentlich; manche vermuten, dass die Verwendung in Philo, Leg. All. 3,78 eine Interpolation ist (wie auch Sib. Or. 2,54); dies ist jedoch unwahrscheinlich, vgl. Zeller, Charis, 185 Anm. 139. Der früheste Beleg in der griech. Literatur für die Zeit nach Philo und Paulus stammt aus dem 2. Jh. (Alciphron, Ep. 3,17,4). In den dokumentarischen Papyri kommt das Wort erst ab dem 4. Jh. (in der Bedeutung „Schenkung“ oder „Wohltat“) vor; vgl. Arzt-Grabner 51.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 693 ———————————————————————————————————— 1Kor 12 davon aus, dass die griech. Vokabel χα' ρισμα auf den Zusammenhang mit der göttlichen Gnade (χα' ρις) hinweist.62 Andere lehnen diese semantische Verbindung von χα' ρισμα und χα' ρις ab, mit guten Gründen.63 Folgendes ist zu beachten. 1. Die Vokabel χα' ρισμα ist von dem Verb χαρι'ζομαι („als Gunst gewähren, aus Gnaden schenken, gütig spenden“)64 abgeleitet – nicht von dem Substantiv χα' ρις. 2. Die Endung -μα markiert die Vokabel als nomen rei actae,65 d.h. sie beschreibt das Ergebnis einer Handlung (nicht ein Ereignis). Das Wort bedeutet deshalb „Gabe“ im Sinn von „(aus Güte geschenkte) Gabe, Geschenk, Gunsterweis“.66 3. Der Unterschied zwischen χα' ρισμα und anderen griech. Vokabeln für „Gabe, Geschenk“ – das neutrale δο' μα, die den freiwilligen (oder kostenlosen) Aspekt betonenden Vokabeln δω^ ρον und δωρεα' , oder das mehr formale δω' ρημα – besteht darin, dass χα' ρισμα die Gunst und das Wohlwollen des Gebers der Gabe stärker betont. Bei Paulus ist der Geber der Gabe immer Gott, es gibt jedoch keinen linguistischen Grund, weshalb nicht auch Menschen die Geber von χαρι'σματα sein können. Hier gilt der linguistische Grundsatz, dass Bedeutung („Gabe“) und Referenz („die von Gott geschenkte Gabe“) voneinander zu unterscheiden sind.67 Diese Bedeutung liegt eindeutig in Röm 5,1516 vor, wo Paulus parallel zu χα' ρισμα andere Vokabeln für „Geschenk“ verwendet (δωρεα' , δω' ρημα, χα' ρις). In Röm 6,23 bezeichnet χα' ρισμα das gnädige Geschenk des ewigen Lebens, in Röm 11,29 die Bundesvorteile Israels, in 1Kor 7,7 die Fähigkeit eines Christen, unverheiratet bleiben zu können. In Röm 1,11 bezeichnet χα' ρισμα wahrscheinlich theologische Lehre; dass es sich um eine „geistliche“ Gabe handelt, muss durch die Beifügung des Adjektivs „geistlich“ erst geklärt werden (χα' ρισμα πνευματικο' ν). In 2Kor 1,11 bezeichnet χα' ρισμα im Kontext von 1,8-10 das gnädige Geschenk der Rettung aus einer großen Gefahr. 4. Die besprochenen Stellen belegen für χα' ρισμα die allgemeine Bedeutung „gnädiges Geschenk“, ohne dass eine semanti————————————————————
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H. Conzelmann, χα' ρισμα, ThWNT IX, 393: χα' ρισμα, Verbalsubstantiv zu χαρι'ζομαι, ist ein seltenes und spätes Wort, „es bezeichnet das Ergebnis der als Aktion verstandenen χα' ρις, ohne immer scharf von diesem Wort unterschieden zu sein“, und kann mit „Gunstbezeugung, Wohltat, Geschenk“ übersetzt werden. Vgl. G. Fee, Art. Gifts of the Spirit, DPL 340; Käsemann, Exegetische Versuche I, 110; Lips, Glaube, 185-190; Dunn, Jesus and the Spirit, 253-254; Sullivan, Charisms, 17; vgl. Harrison, Grace, 280-281. Bultmann, Theologie, 289 schreibt: Die χα' ρις besteht im Ereignis des Gehorsams Christi, der das Leben brachte, und kann, „sofern sie den Menschen zugute kommt, auch χα' ρισμα (Gnadengabe) genannt werden“; vgl. Wolff 288; Schrage III 137; Lindemann 265; Thiselton 930; Garland 575. Conzelmann 253; Schrage III 137. Käsemann, Exegetische Versuche I, 112 meint, das Wort χα' ρισμα sei dadurch von den heidnischen πνευματικα' unterschieden, dass sie nicht vom „fascinosum des Übernatürlichen“ legitimiert werden, sondern durch die „Erbauung der Gemeinde“. Chevallier, Esprit, 142-145; Brockhaus, Charisma, 129.140; Baumert, Charisma, 203228, bes. 218-222; Zeller, Charis, 185; Turner, Modern Linguistics, 156-165; ders., Holy Spirit, 264-266. Für die folgende Darstellung siehe Turner. Zu den Belegen in den Papyri vgl. Arzt-Grabner, Philemon, 262-263. KG I/2 §329.30; BDR §109.2. Vgl. Lips, Glaube, 186. Bauer /Aland 1753 s.v. χα' ρισμα: „(wohlwollend gespendete) Gabe, Gnadengeschenk“; vgl. die von H. Conzelmann, ThWNT IX, 393 angebotenen Glossen „Gunstbezeugung, Wohltat, Geschenk“. Vgl. Schnabel, Text, 44-45; Siebenthal, Aspekte, 131-133.
694 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— sche Verbindung mit χα' ρις, verstanden als in Jesus Christus offenbarte Gnade Gottes, notwendig ist. Außer Frage steht, dass χα' ρισμα in 1Kor 1,4.7 und in Röm 12,6 direkt auf die χα' ρις Gottes bezogen ist; daraus kann man jedoch nicht schließen, dass χα' ρισμα semantisch „Ausdruck der Gnade“ bedeutet, und dass Paulus statt χα' ρισμα nicht auch andere Vokabeln wie δωρεα' oder δω' ρημα hätte verwenden können (wie er es in 2Kor 9,15 und Röm 5,15-16 tut).68 Und in keiner der behandelten Stellen hat χα' ρισμα die Bedeutung „übernatürliche Manifestation des Heiligen Geistes“. D. Zeller hat recht: „Nicht durch die Wahl des Wortes interpretiert Paulus die in der korinthischen Gemeinde auftretenden Geisteswirkungen als freie Geschenke Gottes . . ., sondern indem er Gott, Christus und den Geist ausdrücklich als Urheber nennt“.69 Dies führt zu der zweiten Frage: Hat χα' ρισμα in 1Kor 12–14 eine technische Bedeutung? Es wäre möglich, dass Paulus in Kap. 12 und an anderen Stellen die Vokabel χα' ρισμα mit einer technischen Bedeutung verwendet.70 Dies lässt sich jedoch nicht belegen. In 12,4 bezieht sich das Wort χαρι'σματα auf die vom Geist Gottes geschenkten Gaben, aber das bedeutet nicht, dass dies die Bedeutung von χα' ρισμα an dieser Stelle ist. Die allgemeine Bedeutung von „gnädiges Geschenk“ gibt einen hinreichenden Sinn und ist deshalb vom linguistischen Standpunkt aus die anzunehmende Bedeutung. Zu beachten ist, dass Paulus in V. 5-7 in parallelen Formulierungen die Vokabeln διακονι'αι, ε νεργη' ματα und φανε' ρωσις verwendet, die aber keine „quasitechnischen“ Ausdrücke für die Gaben des Geistes sind.
Paulus beschreibt die „Geistesgaben“ (V. 1) mit dem Wort „Gaben“ (χαρι' σματα), um den korinthischen Christen deutlich zu machen, dass Fähigkeiten wie die Sprachengabe und das prophetische Reden nicht ihr persönlicher Besitz sind, auf den sie stolz sein und mit dem sie prahlen können, sondern dass es sich um Geschenke handelt, die sie erhalten haben und die sie für die Auferbauung der Gemeinde einsetzen sollen. Der Ausdruck χαρι' σματα interpretiert die in V. 8-10 aufgelisteten geistlichen Betätigungen – Wort der Weisheit, Wort der Erkenntnis, Sprachen, Heilungen, Offenbarung, Wunderkräfte, Prophetie – als Beispiele der vielen „gnädigen Gaben“, die Gott seinem Volk gegeben hat und gibt. Manche Gaben sind stärker „übernatürliche“ Begabungen, andere sind eher „natürliche“ Begabungen. 71 Gleichzeitig deutet die Bedeutung „Gabe, Geschenk“ darauf hin, dass das Wort χαρι' σματα offen ist für weitere Gaben als die in den folgenden Versen genannten Geschenke, „so
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Turner, Holy Spirit, 266 Anm. 17. Zeller, Charis, 185 Anm. 139. So Bachmann 380; Schrage III 138; Schatzmann, Charismata, 4-5.15-22; Brockhaus, Charisma, 139; Lips, Glaube, 189-192, und viele andere; kritisch Turner, Modern Linguistics, 160-165; ders., Holy Spirit, 265-266. Turner, Holy Spirit, 266. Vgl. K. Berger, Art. χα' ρισμα, EWNT III, 1103: Paulus verwendet in 1Kor 12 den Ausdruck χαρι'σματα, „wohl um den eigenen Geist als die Wirkursache und den Vermittler der Einzelwirkungen gehörig von den Charismen abzusetzen“.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 695 ————————————————————————————————————
daß auch diejenigen, die ‚nur‘ ‚Fuß‘ oder ‚Ohr‘ sind (12,15f), unter diesen Begriff gefaßt werden können“.72 Viele verstehen die χαρι'σματα im Sinn von übernatürlichen Wirkungen und Phänomenen, die mit natürlichen Begabungen nichts zu tun haben. H. Conzelmann wendet sich gegen das idealistische Verständnis von F. C. Baur, der meinte, die Charismata seien an sich „nur die Gaben und Anlagen, die jeder zum Christentum mitbringt“. Zu Charismata werden sie, indem durch die Einwirkung des Geistes in den natürlichen Anlagen „das christliche Bewußtsein und Leben in seinen verschiedenen individuellen Formen sich gestaltet“.73 H. Conzelmann kritisiert an dieser Sicht nicht nur (zu Recht) die idealistische Deutung des Geistes; er verweist grundsätzlicher auf die „Motivforschung der religionsgeschichtlichen Schule“, die gezeigt habe, „daß der Geist nicht als Steigerung des Natürlichen, sondern als eine übernatürliche Potenz verstanden wird. Seine Wirkungen sind ungeistig im Sinne des idealistischen Verständnisses von Geist und Bewußtsein: Er reißt in die Ekstase“.74 Andere gehen nicht so weit, das Wort χαρι'σματα als „ekstatische(n) Erscheinungen im Gottesdienst“ zu definieren. Weil Paulus alles, was Christen haben, auf Gott als den Schöpfer und Geber aller guten Gaben zurückführt (vgl. 4,7), sollte man hier keine falschen Alternativen aufstellen. Ob ein Christ, der die Gabe des „Wortes der Erkenntnis“ hat, von seiner „natürlichen“ Begabung her geistig begrenzt sein muss, damit sein Beitrag in der Gemeindeversammlung zu den Charismata zu rechnen ist, darf man bezweifeln. W. Schrage schreibt: „Sowenig Charisma nur ein anderes Wort für Naturtalent ist, sosehr kann ein solches charismatisch qualifiziert und wie alle anderen Schöpfungsgaben in Dienst genommen werden“.75
In der Wendung Zuteilungen von Gaben bedeutet διαιρε'σεις76 „Verteilung, Zuteilung“; manche schlagen die Übersetzung „Unterschiede“ vor. 77 Die Verwendung des Verbs διαιρε'ω in V. 11 legt die erste Bedeutung nahe: Paulus betont, dass die Gaben, die man als Jesusbekenner hat, zugeteilt worden sind. Dies beinhaltet gewiss Unterschiede in den Gaben, d.h. es gibt verschiedene Gaben. Aber die Betonung liegt auf der Zuteilung durch den Geist. Die Zuteilungen von Gaben haben einen einzigen Ursprung: Es gibt nur den einen ————————————————————
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Baumert, Charisma, 220, mit Verweis auf Röm 12,6-8. Baur, Paulus, 559. H. Conzelmann, ThWNT IX, 395 Anm. 24; das folgende Zitat ebd. 395. Schrage III 139; vgl. Hahn, Beiträge, 217. Bauer /Aland 367 s.v. διαι'ρεσις 1; G. Schneider, EWNT I, 725. Das Wort ist im NT hapax legomenon. Die 30 Vorkommen in der LXX beschreiben in Josua die Landzuteilung und in 1-2Chron die „Abteilungen“ (hebr. )ַמְחְלקֹותder Priester, Leviten, Torhüter u.a. In den Papyri verweist das Wort häufig auf die Verteilung von Land oder Besitz, oder auf die Verteilung von Aufgaben oder Rechten; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 413 mit Hinweis auf P.Tebt. II 391,3-4; P.Mich. IX 555/556,4-5; P.Oxy. X 1278,10. Die Genitive χαρισμα' των (V. 4), διακονιω ^ ν (V. 5) und ε νεργημα' των (V. 6) sind als gen. obj. zu interpretieren: Der Geist, der Herr und Gott verteilen Gaben, Dienste, Kräfte. Bachmann 379 übersetzt mit „Trennungen“.
696 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Geist (το` δε` αυ το` πνευ^ μα). Der Heilige Geist ist der Verursacher der Gaben, die die einzelnen Gemeindeglieder haben. 5 In V. 4 spricht Paulus von „Zuteilungen von Gaben“, hier spricht er von Zuteilungen von Diensten (διαιρε'σεις διακονιω ^ ν). Das Wort διακονι' α bezeichnet generell einen konkreten „Dienst“ für andere (16,15). Die Wortgruppe διακονε' ω / διακονι'α hat im NT (wie auch sonst) ein breites Bedeutungsspektrum.78 Das Wirken und der Tod Jesu sind „Dienst“ (Mk 10,45; Lk 22,2627), und die missionarische Verkündigung der Jünger (Apg 1,17.25; 6,4) und des Paulus (Apg 20,24; 21,19; Röm 11,13; 1Kor 3,5; 2Kor 3,3.6.9 u.a.) ist „Dienst“. Die Führungsaufgaben in der Gemeinde werden mit der Wortgruppe διακονε' ω κτλ. beschrieben (Eph 4,12; Kol 4,17; 1Tim 4,6; 2Tim 4,5). Die karitativen Bemühungen der Gemeinde (Apg 6,1; Röm 12,7; 1Petr 4,11) und die Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde (2Kor 8,4; 9,1.12-13; Röm 15,25.31) sind „Dienst“. Die Bedeutung „bei Tisch dienen“ kommt ebenfalls vor (Mt 22,13; Mk 1,13; Lk 10,40; Joh 2,5.9; Apg 6,2). In Phil 1,1 und 1Tim 3,8.10.12.13 bezeichnet δια' κονος das Diakonenamt in der Ortsgemeinde. Diese Bedeutung ist für V. 5 nicht anzunehmen: Paulus spricht in V. 4-7 von den Gaben der Christen allgemein, ohne auf unterschiedliche Funktionen in der Gemeinde abzuheben.
Die allgemeine Formulierung legt für V. 5 einen Hinweis auf alle Dienste der Gemeinde nahe. Angesichts der parallelen Formulierung „Zuteilungen von Kräften“ in V. 6 sind die Ausdrücke χαρι' σματα, διακονι' αι und ε νεργη' ματα als Korrelatbegriffe zu verstehen, die man nicht scharf voneinander trennen darf. Man beachte: Der Ausdruck χαρι' σματα wird inV. 4 und V. 9 verwendet, διακονι' αι in V. 5 (vgl. Röm 12,7) und ε νεργη' ματα in V. 6 und V. 10. W. Schrage schreibt: „Es ist vielmehr von einer weitgehenden Synonymität der Begriffe auszugehen, die dieselbe Sache, nur jeweils in verschiedener Perspektive, zum Ausdruck bringen und von Paulus bewußt einander zugeordnet werden“.79 Das heißt für V. 5: Die vom Geist den Jesusbekennern geschenkten „Gaben“ sind als „Dienste“ zu verstehen, die der ganzen Gemeinde zugute kommen sollen. Im Bild vom Leib in 12,12-31 und in den praktischen Anordnungen in Kap. 14 wird genau dieser Gedanke ausgeführt: die Gaben des Geistes sind nicht für den eigenen Nutzen bestimmt, sondern zur Förderung der Gemeinde gegeben. Die Gaben sind zugleich Aufgaben. 80 Die Angesehenen und Besitzenden (vgl. 1,26; 11,22) werden sich hier angesprochen gefühlt haben, wenn sie diese Worte aufmerksam lasen: Als besser————————————————————
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Vgl. den Überblick bei A. Weiser, Art. διακονε' ω κτλ., EWNT I, 727, der fälschlicherweise von der angeblichen Grundbedeutung „Tischdienst“ ausgeht. Schrage III 141, vgl. ebd. 143. Wolff 288. Senft 157: „On ne reçoit pas les dons en jouissance personnelle, encore moins pour briller ou pour s’en prévaloir; ils sont des instruments de service dans l’Église“.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 697 ————————————————————————————————————
gestellte Menschen waren sie eher gewohnt, dass man sie bediente (vor allem im Privathaus!), als dass man Dienstbereitschaft von ihnen erwartete. Die „Gaben“ wurden in V. 4 mit dem Geist verbunden, die „Dienste“ werden auf den einen Herrn (ο αυ το` ς κυ' ριος) zurückgeführt, während in V. 6 die „Kräfte“ mit Gott verknüpft werden. Dieser „trinitarische Horizont“ ist wichtig: Der Machtbereich, der in den Wirkungen des Heiligen Geistes und seiner Gaben erlebbar wird, ist nicht zu trennen von dem Heilsbereich, der durch den Herrn Jesus Christus und seinen Tod am Kreuz die für alle Jesusbekenner entscheidende Wirklichkeit ist – und beides ist untrennbar verbunden im Herrschaftsbereich des allmächtigen Gottes. 81 In V. 6 wird Gott als der wirkmächtige Schöpfer beschrieben, der alles in allen wirkt (ο ε νεργω ^ ν); in V. 11 werden alle in V. 4-10 genannten Gaben, Dienste und Kräfte auf das Wirken des Geistes zurückgeführt (πα' ντα δε` ταυ^ τα ε νεργει^); in V. 27 beschreibt Paulus mit dem Ausdruck „Leib Christi“ die Gemeinde als Ort, an dem Jesus Christus als Verursacher, Ordner und Herr der in V. 8-10 genannten Betätigungen wirksam ist. Daraus ergibt sich eindeutig, dass es Paulus in V. 4-7 nicht darum geht, die „Gaben“, „Dienste“ und „Kräfte“ auf den Geist, den Herrn und Gott zu verteilen, „als ob jedem von diesen ein gesondertes Gebiet der Betätigung zugeschrieben werde“. 82 Die parallelen Formulierungen zeigen im Kontext von V. 6.11.27, dass die „Gaben“, die „Dienste“ und die „Kräfte“ nicht voneinander verschiedene Wirklichkeiten bezeichnen, sondern dass es sich um die gleichen Lebenserscheinungen handelt, die „nur nach ihrer Beziehung zu dem Geist, der sie unmittelbar hervorruft, zu dem Herrn, dessen Dienst darin geschieht, und zu Gott, aus dessen Lebensenergie sie als Wirkungen hervorgehen“, beschrieben werden. 6 Nachdem die „Gaben“ (V. 4) als „Dienste“ (V. 5) definiert wurden, werden sie in V. 6 als Kräfte (ε νεργη' ματα) charakterisiert. Das im NT nur hier und in V. 10 vorkommende Wort beschreibt die Gaben des Geistes als von Gott ausgehende Wirkkräfte und Machterweise. Anders als in V. 10 ist hier zunächst nicht an „Wunderkräfte“ gedacht. 83 Paulus unterstreicht, dass die Gaben des Geistes, die den Jesusbekennern zum Dienst in der Gemeinde und an der Welt84 gegeben wurden, von dem allmächtigen Gott gewirkt sind. Der ————————————————————
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Wenn Meyer 336 und Heinrici 365 die „göttliche Trias“ in „aufsteigender Klimax“ beschrieben sehen und betonen, bei der untrennbaren Einheit von Geist, Jesus Christus und Gott dürfe das Verhältnis der Unterordnung nicht beseitigt werden, dann gehen diese Aussagen über das exegetisch Erkennbare hinaus, so sehr die vorausgesetzten systematischtheologischen Überlegungen legitim sind. Ein trinitarischer Horizont ist jedoch unverkennbar. Vgl. Fee 588 und Schrage III 142 mit Anm. 160-161, die zu Recht die Meinung von Lietzmann 61 zurückweisen, die Formulierungen seien durch „rhetorische Bedürfnisse“ entstanden; vgl. auch Giesriegl, Sprengkraft, 104. Bachmann 380; ebd. das folgende Zitat.
698 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Satz: (es gibt) nur den einen Gott, der alles in allen wirkt, betont, dass alle Gaben (τα` πα' ντα), die die einzelnen Christen haben (ε ν πα^ σιν), von Gott gewirkt sind (ο ε νεργω ^ ν). Die Kräfte, die in den vielfältigen Manifestationen der Gaben des Geistes und der vom Herrn Jesus Christus geschenkten und geförderten Dienste in der Gemeinde sichtbar wirksam werden, richten sich nicht nach den Möglichkeiten des einzelnen Christen, sondern sind allein und effektiv von Gott gesteuert.85 7 Die Wendung Offenbarung des Geistes fasst V. 4-6 zusammen und leitet die Liste der Charismen in V. 8-10 ein, in denen sich beispielhaft das Wirken des Geistes Gottes manifestiert. Die „Manifestation“ (η φανε'ρωσις)86 des Heiligen Geistes ereignet sich in den Gaben, Diensten und Kräften, die in den einzelnen Begabungen der korinthischen Christen sichtbar werden. Wenn man den Ausdruck του^ πνευ' ματος als gen. subj. interpretiert, ergibt sich die Bestimmung der φανε'ρωσις als „die vom Geist geschenkte Offenbarung, die in den v 8ff aufgezählten Charismen besteht“. 87 Der Geist offenbart sich in seinen Gaben. Wenn man als gen. obj. interpretiert, verweist die Aussage auf die Charismen als der Ort, in dem Gott (δι' δοται, Pass.) „die Eigenart und die Fülle des Geistes und seiner Kraftwirkung ans Licht“ stellt. 88 Gott offenbart den Geist in den Gaben. 89 Wenn es Paulus in V. 7 weniger um die Gaben geht, sondern um den Geist, der sich durch die Gaben manifestiert, ist die zweite Interpretation plausibler. Das betont vorangestellte Pronomen jedem (ε κα' στω, ) unterstreicht, dass alle Christen in der korinthischen Gemeinde (und ————————————————————
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Anders G. Bertram, ThWNT II, 650; Hahn, Beiträge, 206. Lindemann 266 interpretiert als Aussage über „Gottes auf die Gemeinde bezogenes gegenwärtiges Tun“. Die in den Charismenlisten von 12,28.29 erwähnten Apostel repräsentieren das missionarische Wirken der Gemeinde: Das wirkmächtige Handeln Gottes durch die Gaben des Geistes ist nicht auf die Gemeinde beschränkt. Vgl. Schrage III 146 mit Anm. 181, der zum Kontrast auf ShemR zu 4,27 verweist, wo sich „die Stimme jedem Israeliten nach seinem Vermögen“ mitteilt, „den Alten nach ihrer Kraft, den Jünglingen nach ihrer Kraft“. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 414-415 entnimmt aus der Verwendung des Verbs ε νεργε' ω in den Papyri (P.Cair.Zen. II 59193,7; P.Fam. Tabt. 37,9), dass das Hauptaugenmerk nicht auf der Fertigstellung eines Produktes gerichtet ist, “sondern darauf, wie eine Tätigkeit ausgeübt wird . . . ‚an etwas zu arbeiten‘ impliziert in gewisser Weise, dass man mit vollem Einsatz und konzentriert bei der Sache ist“. Das Subst. kommt nur hier und in 2Kor 4,2 vor; das häufigere Verb φανερο' ω bedeutet „offenbar machen, pass. sichtbar werden; erscheinen, öffentlich werden“; P.-G. Müller, EWNT III, 988. R. Bultmann/ D. Lührmann, s.v. φανε' ρωσις, ThWNT IX, 7; so auch Godet II 113; Heinrici 365; Weiss 298; Kremer 263; Schrage III 146; Wolff 289; NSS II 85. Bachmann 380; vgl. Meyer 337; Robertson/Plummer 264; Fee 589; Thiselton 936. Manche meinen, Paulus habe sich absichtlich nicht eindeutig ausgedrückt, d.h. es liege sowohl ein gen. subj. als auch ein gen. obj. vor; Grosheide 284; Conzelmann 254; Senft 158; Garland 578; Dunn, Jesus and the Spirit, 212; Gillespie, Theologians, 99 Anm. 9.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 699 ————————————————————————————————————
auch in allen Gemeinden) von Gott eine Manifestation des Geistes und der von ihm geschenkten Gaben erfahren (δι' δοται).90 Die Formulierung im Präs. Pass. betont Gott als den Urheber der Gaben, die kontinuierlich gegeben werden. Exegetisch fragwürdig sind deshalb Definitionen der Charismen, die diese sämtlich als natürliche Begabungen ansehen, die jeder Mensch bekommen hat und die durch den Geist Gottes freigesetzt und für den Aufbau der Gemeinde in Dienst genommen werden. 91 Betont ist auch die an das Ende des Satzes gestellte Wendung zum Nutzen (aller) (προ` ς το` συμφε'ρον).92 Alle Christen haben eine Gabe oder mehrere Gaben des Geistes erhalten, in denen sich Gott offenbart – dies jedoch nicht zum Privatvergnügen oder zum Prestigegewinn, sondern zur Auferbaung der Gemeinde. Die Präpositionalwendung zeigt, was mit den „Diensten“ in V. 5 gemeint war: Die Gaben des Geistes und die Kräfte Gottes zielen auf den gemeinsamen Nutzen aller Jesusbekenner. In Kap. 14 zeigt Paulus ausführlicher, dass der Aufbau der Gemeinde das Ziel und das Kriterium für die Ausübung der Geistesgaben ist. 8 In V. 8-10 finden wir den ersten von sieben Charismenkatalogen. Mit neun aufgelisteten Geistesgaben ist er der längste. Die Formulierung dem einen . . . , με'ν . . . α»λλω, δε') greift das Stichwort „jedem“ von V. 7 auf, dem anderen (ω außerdem wiederholt Paulus von V. 7 das Verb δι' δοται (geschenkt). Die Gabenliste in V. 8-10 konkretisiert also die Offenbarung des Geistes in den Gaben, die der Gemeinde geschenkt sind. Die meisten Ausleger weisen zu Recht darauf hin, dass die Aufzählung nicht vollständig ist, sondern paradigmatischen und illustrierenden Charakter hat. Dies zeigt der Vergleich mit V. 28, wo Paulus nur die ersten drei von sieben Gliedern der zweiten Gabenliste mit Ordinalzahlen versieht. Dass die Liste nicht systematisch geordnet ist, zeigt sich im Vergleich mit den anderen Gabenlisten in 12,28; 12,29-30; 13,1-2; 13,8; 14,6 und 14,26. So steht zum Beispiel die Gabe der Glossolalie manchmal am Ende (12,8-10.28.29-30; 14,26), manchmal am Anfang (13,1; 14,6). ————————————————————
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Fee 589 und Wolff 289 wollen einschränken: Wenn Paulus sagen wolle, jeder Einzelne Christ habe eine Manifestation des Geistes erhalten, würde er ει ς ε«καστος schreiben (mit Verweis auf 12,18; 1Thess 2,11). Dieses Argument ist nicht stichhaltig: ε«καστος bedeutet „jeder“ und kann mit ει ς verstärkt werden; Bauer /Aland 476 s.v. ε«καστος 2; BDR §305 (was dann mit „jeder Einzelne“ übersetzt werden kann, aber das nicht-verstärkte ε«καστος bedeutet eben auch „jeder Einzelne einer bestimmten Gruppe“). Vgl. Bittlinger, Charisma, 14-15; Kopfermann, Gemeinde-Erneuerung, 13. Kritisch Röhser, Gaben, 257, der zu Recht die Frage offen lässt, ob sich unter den Charismen auch Fähigkeiten befinden, „die geschöpflich begründet sind“ (ebd. 258). Zu συμφε' ρον vgl. 6,12; 10,23; vgl. 7,35.
700 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Mehrere Ausleger gehen von einer Ordnung der Liste in V. 8-10 aus.93 Die Formulierungen ω , με' ν (V. 8a) / ετε' ρω, (V. 9a) / ετε' ρω, (V. 10d) könnten in subtiler Weise auf drei Gruppen von Gaben verweisen: die Gaben der ersten Gruppe (V. 8a.b) und der dritten Gruppe (V. 10d.e) beinhalten Gaben inspirierter Rede, die von den Korinthern als die prominentesten Gaben angesehen wurden. Nach R. Hays will Paulus mit dieser Anordnung den Korinthern signalisieren, dass die von ihnen besonders geschätzen Gaben auf keinen Fall die einzigen Gaben in der Gemeinde sind, die der Geist geschenkt hat. Dieses Ziel erreicht Paulus allerdings schlicht durch die Aufzählung von neun Gaben. Hätte er die von den Korinthern bevorzugten Gaben „einbinden“ wollen, hätte er sie nicht als Klammer um andere Geistesgaben verwendet, sondern sie irgendwo in der Mitte, vielleicht zwischen Wunder und Prophetie, aufgelistet.
Die Unterschiedlichkeit der Listen wurde von manchen als Absicht des Apostels gewertet, die einseitige Hochschätzung des glossolalischen und des prophetischen Redens in der korinthischen Gemeinde zu brechen. 94 Man kann versuchen, die Gaben nach bestimmten Kriterien zu unterscheiden: regelmäßig und gelegentlich ausgeübte Gaben, verbale und nicht-verbale Gaben, natürliche (unauffällige) und übernatürliche (spektakuläre) Gaben. Paulus nimmt solche Differenzierungen nicht vor.95 Aus der Beobachtung, dass in V. 8-10 die Charismen der helfenden und leitenden Tätigkeiten fehlen (vgl. 12,28-30; Röm 12,6-8), haben manche geschlossen, dass in V. 8-10 ein Charismenkatalog der Korinther vorliegt, den Paulus aufgreift und durch die Einbettung in den Kontext und durch die Betonung, dass ein Christ nicht alle Gaben erhalten hat („dem einen . . . dem anderen“), korrigiert.96 Solche Vermutungen sind dann plausibel, wenn man annimmt, dass Paulus die Prophetie und die Glossolalie an das Ende der Liste gestellt hat. Paulus betont mit der vorangestellten Wendung durch den Geist (δια` του^ πνευ' ματος) und der nachgestellten Wendung gemäß demselben Geist (κατα` το` αυ το` πνευ^ μα), dass der Heilige Geist das Mittel (δια' ) und der Maßstab (κατα' ) der Gabe ist. Das Wort der Weisheit wird, wie überhaupt alle Gaben des Geistes, durch den Geist geschenkt und damit der alleinigen, selbstsüchtigen Verfügung entzogen. Die öffentliche Verkündigung eines Wortes der Erkenntnis muss sich, wie überhaupt alle Manifestationen des Geistes in der Gemeinde, nach dem Maßstab des Heiligen Geistes richten, der mit dem wirkmächtigen Wort vom Kreuz Menschen von der Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus überzeugt (2,4-5). ————————————————————
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Vgl. Conzelmann 254; Fee 585 Anm. 9; Hays 211-212; Kremer 263; Garland 579-580; Gillespie, Theologians, 110-111. Bachmann 383; vgl. Schrage III 147 Anm. 191. Schrage III 147-148. Wolff 289, mit Verweis auf H. Schürmann.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 701 ————————————————————————————————————
Die erste von Paulus genannte Geistesgabe ist das Wort der Weisheit (λο' γος σοφι' ας). Vielleicht nennt Paulus diese Gabe zuerst, weil man in der korinthischen Gemeinde die „Weisheit“ so hoch eingeschätzt hat. Als Gabe, die der Heilige Geist geschenkt hat und schenkt, wird die σοφι' α jedoch deutlich von glänzender Rhetorik und brillianter Argumentation abgegrenzt. Die Weisheit, um die es hier geht, ist keine menschliche oder gesellschaftliche Größe, auf deren kompetente Beherrschung man sich etwas einbilden könnte. Unklar ist, wie man „Weisheit“ von der folgenden Gabe der „Erkenntnis“ abgrenzen soll. Wenn man sich auch vor allzu scharfen Differenzie , με'ν . . . α»λλω, δε' auf rungen hüten sollte,97 so weist die Konstruktion mit ω unterschiedliche Bedeutungen hin. Das „Wort der Weisheit“ beschreibt im Zusammenhang von 2,6-16 die rechte Entfaltung des Heilshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu Christi, die nur der Geist Gottes ermöglicht (1,17; 2,1-4).98 Ein „Wort der Weisheit“ (λο' γος σοφι' ας) liegt nur dort vor, wo das Wort vom Kreuz (λο' γος του^ σταυρου^ ) verkündigt und zum Aufbau der Gemeinde erschlossen wird. Das Wort der Erkenntnis (λο' γος γνω' σεως) kann im Zusammenhang der Erkenntnis verstanden werden, die bei der Frage nach dem Essen von Fleisch aus Tempelschlachtungen sowohl für die Korinther als auch für Paulus eine wichtige Rolle gespielt hat (8,1-6). Die Erkenntnisrede lässt sich auf die theologische Begründung bestimmter Verhaltensweisen beziehen99 – bei den Korinthern geleitet von den säkularen Werten gesellschaftlicher Rechte, auf die man nicht verzichten will, bei Paulus von der Rücksicht auf den Bruder und der Schwester und der Übereinstimmung mit dem offenbarten Willen des einen wahren Gottes. Das „Wort der Erkenntnis“ hat also wahrscheinlich mit dem Lehren in der Gemeinde zu tun. 100 Paulus spricht vom „Wort“ der Weisheit und vom „Wort“ der Erkenntnis. Das heißt, Weisheit und Erkenntnis sind nicht als solche schon Charismen. Beide sind erst dann Gaben des Geistes, wenn sie im „Wort“ artikuliert und ————————————————————
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Lietzmann 61 will auf eine Unterscheidung ganz verzichten. Nach Conzelmann 255 geht es um die Gabe, belehrend (enthüllend) zu reden. Klauck 87 ordnet beide Ausdrücke „weitgehend der Prophetie“ zu. Nach Lindemann 266 klingt möglicherweise „das χα' ρισμα des διδα' σκειν an“. Wolff 290; Schrage III 149; Collins 453; Thiselton 939; Garland 581. Der Gen. σοφι'ας ist demgemäß als gen. obj. zu verstehen: Es handelt sich um das „Wort“, das die Botschaft von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus zum Inhalt hat. Wolff 290; Schrage 149 mit Anm. 199; Giesriegl, Sprengkraft, 161-164. Schrage III 149-150 verbindet aufgrund von 14,6 die „Erkenntnis“ mit der „Lehre“ und sieht im „Wort der Erkenntnis“ die Funktion des Lehrers charakterisiert; es wäre singulär, wenn in dieser Liste die διδαχη' fehlen würde (vgl. 12,28.29; 14,6.26; Röm 12,7). Vgl. Kremer 264, der das „Wort der Erkenntnis“ als Begabung versteht, die Erkenntnis des uns durch den Gekreuzigten geschenkten Heils in lehrhafer Weise weiterzusagen.
702 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
in der Gemeinde verkündigt werden. An dieser Stelle wäre dann einerseits an die Maßgeblichkeit des Heilshandelns Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi zu erinnern, die für alle in der Gemeinde zu Gehör gebrachte Weisheit und Erkenntnis ihre fundamentale Zentralität behält. Und zu erinnern wäre an die von Paulus gelehrte theologische Wahrheit, dass Jesusbekenner sich von dem Herrn Jesus Christus und nicht von säkularen Werten bestimmen lassen, sowie an die von ihm gefordete Einheit der Gemeinde, die Konflikte untereinander mit einem von Liebe und Rücksichtnahme bestimmten Verhalten ausräumt und vermeidet. 9 Die nächste Geistesgabe ist Glaubenskraft. Im griech. Text steht das Wort πι' στις, das bei Paulus sonst immer den Glauben an Jesus Christus zum Heil des Sünders bezeichnet. Die meisten Ausleger verstehen deshalb πι' στις im Sinn des Berge versetzenden, Wunder wirkenden Glaubens (vgl. 13,2; Mt 17,20 / Mk 9,23).101 Allerdings geht es in Mt 17,20 / Mk 9,23 um den „gewöhnlichen“ Glauben an Jesus Christus, nicht um einen besonderen Wunderglauben.102 Wenn man die Geistesgabe der πι' στις als „das totale Vertrauen“ versteht, „das gegen allen Augenschein fest auf die göttliche Hilfe gerichtet ist und durch Gebet außergewöhnliche Taten vollbringt“,103 dann ist die Gabe des Glaubens kaum von der Gabe der Kräfte für Machttaten (V. 10a) zu unterscheiden. A. Schlatter hält solche Interpretationen für Konstruktionen der Exegeten, die den Glauben „als Besitz der reinen Lehre“ deuten; πι' στις bezeichnet vielmehr den authentischen Glauben, der immer das Wirken Gottes erwartet und der sich auf die allem und allen überlegene Regierung Gottes gründet; es handelt sich um das „beständig vorhandene Merkmal aller Christen“, das deshalb in der Liste der Gnadengaben steht, weil sich „die Unterschiede im glaubenden Verhalten jedem (aufdrängen), der wahrnimmt, was in der Christenheit geschieht“.104 A. Strobel denkt an eine Glaubenshaltung, „die andere durch ihre Stärke und Festigkeit gewinnt und überzeugt“.105 Angesichts der Formulierung in V. 9 mit ε τε'ρω, . . . α»λλω, δε' ist es ————————————————————
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Godet II 115; Heinrici 368-369; Lietzmann 61; Barrett 285; Conzelmann 255; Fee 593; Schrage III 150-151; Collins 454; Garland 581. Wischmeyer, Weg, 73 unterscheidet zwischen Kerygmaglaube und Wunderglaube. So interpretiert schon Johannes Chrysostomus: πι'στιν ου ταυ' την λε' γων τη` ν τω ^ ν δογμα' των, α λλα` τη` ν τω ^ ν σημει'ων (245); vgl. Schrage III 188 zur Auslegungs- und Wirkungsgeschichte. Lindemann 267 mit Verweis auf Mk 9,24; vgl. ebd. für die folgende Bemerkung. Wolff 290, mit Verweis auf 13,2; Mt 7,7-11; 17,20; Mk 9,23-24; Jak 1,6; 5,15; er versteht diese Gabe als „eine besondere Konkretion des rechtfertigenden Glaubens“, wie Röm 4,17-25 zeige. Vgl. Rebell, Glaubensvollmacht, 121-125, der im Unterschied zum „Kerygma- oder Bekenntnisglauben“ vom „Vertrauensglauben“ spricht. Schlatter 341. Strobel, 188. Lindemann 267 interpretiert allgemeiner: Gemeint ist der christliche Glaube, „der jetzt allerdings offenbar ganz bewußt auf das πνευ^ μα zurückgeführt wird“.
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angebracht, von einer besonderen Bedeutung von πι' στις auszugehen; diese sollte aber von der Gabe, Heilungen zu vollbringen (V. 9b) und von der Gabe der Kräfte zu Machttaten (V. 10a)106 nach Möglichkeit unterschieden werden.107 Vielleicht spricht Paulus von dem besonderen Glauben, der einen Jesusbekenner in die Lage versetzt, in konkreten Situationen Gott für ein bestimmtes Ergebnis zu vertrauen, für das es keine göttlichen Verheißungen gibt, und der mit einer rational nicht erklärbaren Gewissheit weiß, dass Gott handeln wird.108 Die Gaben zu Heilungen (χαρι' σματα ι αμα' των) beziehen sich auf Krankenheilungen, deren Realität im irdischen Wirken Jesu auf die Gegenwart des Geistes als Kraft Gottes zurückgeführt wird (Mt 12,28; Mk 3,28-30; Lk 4,18). Die Heilungstätigkeit Jesu war eine Konstante seines Dienstes. 109 Jesus bevollmächtigte die Zwölf, den Anbruch der Königsherrschaft Gottes mit Heilungswundern zu bezeugen (Mt 10,1; Mk 6,7.13; Lk 9,1-2; 10,9). Paulus hat selbst Heilungswunder vollbringen können (Röm 15,19; Apg 14,8-10; 28,8-9; vgl. 19,11-12), allerdings nicht in allen Fällen, wo er selbst oder Mitarbeiter krank waren (Phil 2,26-27; 1Tim 5,23; 2Tim 4,20).110 Im AT werden Heilungen häufig mit Vergebung und mit der Wiederherstellung des Volkes Gottes verknüpft, vor allem in der prophetischen Vorausschau auf die neue Welt Gottes.111 Die Pluralformen χαρι' σματα und ι α' ματα112 verweisen vielleicht auf verschiedene Arten von Krankheiten, deren Heilung unterschiedliche Heilungs————————————————————
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Im Sinn des Wunder wirkenden Glaubens interpretieren Allo 325-326; Lang 169; Senft 158; Schrage III 150. Das με' τρον πι'στεως in Röm 12,3 meint nicht „eine unterschiedliche hohe oder geringe Glaubensfähigkeit“, die dem Christen zugemessen wäre und für die Interpretation von 1Kor 12,9a relevant wäre (NGÜ „ein besonderes Maß an Glauben“), sondern benennt den Maßstab, den jeder Christ zu beachten hat; Lohse, Römer, 340. Fee 593; Garland 581; Carson, Spirit, 39; Dunn, Jesus and the Spirit, 211; ders., Unity and Diversity, 211. GN „besondere Glaubenskraft“, EÜ „Glaubenskraft“. Vgl. Mt 4,23 / Mk 1,39 / Lk 4,44; Mt 8,16-17 / Mk 1,32-34 / Lk 4,40-41; Mt 12,15-16 / Mk 3,7-12 / Lk 6,17-19; Mt 14,35-36 / Mk 6,55-56; Mt 9,35; 14,14; 19,2; 21,14-15, sowie die Berichte über die Heilung einzelner Menschen. Vgl. Schreiber, Wundertäter, 176-186 zu V. 9b. Wolff 291: Paulus verstand Heilungen als vorweggenommene Manifestationen der eschatologischen Wirklichkeit (2Kor 1,22; 5,5; Röm 8,23), die auf die kommende Verwandlung des „Leibes der Niedrigkeit“ (Phil 3,21) vorausweisen. Dtn 32,39; 2Chron 7,14; Hiob 5,18; Ps 41,4; 103;3, 107,20; 147,3; Jes 6,10; 19,22; 30,26; 42,4-6; 53,5; 57,18-19; 58,8; 61,1; Jer 30,17; 33,6; Ez 47,12; Hos 6,1; 4,4; Mal 4,2. Vgl. Ciampa /Rosner 737. Das Wort »ιαμα kommt im NT nur in 1Kor 12,9.28.30 vor. In Lk 13,32; Apg 4,22.30 wird die Vokabel »ιασις verwendet; das Verb ια' ομαι kommt häufiger vor (26 mal). Der Genitiv ιαμα' των in V. 9b ist gen. obj.: „Gnadengaben zu Heilungen“ (NSS II 85).
704 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
gaben erfordert.113 Andere meinen, dass die Pluralformen darauf hinweisen, dass die Heilungsgabe immer nur für den bestimmten vorliegenden Fall gegeben ist oder wiederholt empfangen wird. 114 H. Schürmann kommentiert die Pluralform mit dem Satz, dass es im Urchristentum keine „berufsmäßigen“ Wundertäter gegeben hat: „diese Gaben traten konkret und sporadisch hier und dort auf“.115 Die Nachbildungen von Körperteilen, die Heilung Suchende im AsklepiosTempel in Korinth hinterlassen haben und von Archäologen gefunden wurden,116 illustrieren die Sehnsucht nach Heilung von Krankheiten. Wer sich die Honorare der Ärzte nicht leisten konnte, ging in ein Asklepios-Heiligtum. Das Tempelpersonal übergoss die Kranken mit Wasser, salbte und massierte sie, renkte Glieder ein und gab Ernährungshinweise. Suggestion und Autosuggestion haben offensichtlich in nicht wenigen Fällen psychische Blockaden aufgehoben und zu der erwünschten Schwangerschaft oder zu spontanen Remissionen von Krankheiten geführt, begünstigt „durch die Erwartungshaltung, durch die vorangehende Reise, den ersten Besuch im prachtvollen Heiligtum, die begleitenden Riten und den geheimnisvollen Schlaf an heiliger Stätte“.117 B. Kollmann geht davon aus, dass es in der korinthischen Gemeinde einzelne Christen gab, die über das Charisma der Krankenheilung und der Dämonenaustreibung verfügten und damit „nicht allein eine Alternative zur Inanspruchnahme profaner Heilkunst, sondern auch eine ernstzunehmende Konkurrenz zum Inkubationsheilungsbetrieb am Asklepieion von Korinth“ darstellten.118 Wer die größere „Erfolgsrate“ hatte und deshalb als „Konkurrent“ attraktiver war, lässt sich nicht feststellen. Dass Heilungen durch Christen nur an Gemeindegliedern möglich sind und den Glauben des Geheilten voraussetzen, lässt sich aus der Erfahrung des Apostels Paulus gerade nicht belegen. In Apg 28,8-10 ist von Bekehrungen von Menschen auf Malta die Rede, ohne Hinweis auf den Glauben an Jesus als Ursache (oder Folge) der Heilung. Die Existenz von Heilungsgaben schließt „natürliche“ Heilungen durch medizinische Hilfe nicht aus, wie der ————————————————————
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Heinrici 369; Robertson/Plummer 266; Carson, Spirit, 39; Schatzmann, Charismata, 37; vgl. bereits Beza 146. Hofmann 272; Fee 594; Schrage III 151 Anm. 210; Heckel, Kraft, 134-135. Schürmann, Besinnungen, 57; zitiert von Wolff 290 Anm. 265. Roebuck, Corinth XIV, 111: Die anatomischen Reproduktionen von Körperteilen sind „life-size representations in terracotta of the members of the human body cured by the god“. Die Nachbildungen sind im Archäologischen Museum in Korinth ausgestellt. Klauck, Umwelt I, 139; s. ebd. 130-139 für eine ausführliche Darstellung. Kollmann, Wundertäter, 342. Lindemann 267 hat mit seiner Kritik, dies gehe über die dem Text zu entnehmenden Informationen erheblich hinaus, insofern Recht, als dass es auch in der korinthischen Gemeinde Kranke und Schwache sowie Todesfälle gab, also Krankheiten, die offensichtlich nicht geheilt wurden.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 705 ————————————————————————————————————
Rat des Apostels an Timotheus im Blick auf dessen Magen zeigt (1Tim 5,23).119 Die Notiz in 10,30 zeigt, dass es in der korinthischen Gemeinde trotz des Vorhandenseins von Heilungsgaben kranke und schwache Gemeindeglieder sowie Todesfälle gab. Und wenn in 7,30 von Weinenden in der Gemeinde die Rede ist, dann hat vielleicht auch diese Notiz mit Krankheit zu tun. Gleichwohl darf man davon ausgehen, dass es in der korinthischen Gemeinde zu Krankenheilungen gekommen ist. In jedem Fall gilt: Die Existenz von „Gaben der Heilungen” zeigt, dass die Geistesgaben nicht nur dem Seelenheil dienen, sondern dass das von Gott gewährte Heil den ganzen Menschen ergreift. 10 Die Gabe der Kräfte zu Machttaten (ε νεργη' ματα δυνα' μεων), in V. 28 nur noch mit dem Wort δυνα' μεις beschrieben, ist von den „Gaben der Heilungen“ in V. 9b zu unterscheiden. Diese Geistesgabe wird deshalb häufig als Gabe interpretiert, Dämonen auszutreiben.120 Für Jesus (Mt 12,28; Mk 3,2227; 9,38-39) und seine Jünger (Mt 10,1.7-8; Mk 3,14-15; Lk 9,1-2) sind Dämonenaustreibungen bezeugt. Paulus hat nach 2Kor 12,12 in Korinth δυνα' μεις vollbracht, ohne dass allerdings beschrieben wird, was damit gemeint ist. Andere denken neben Dämonenaustreibungen an Naturwunder. 121 Die Formulierung mit zwei Pluralformen deutet darauf hin, dass man diese Gabe nicht auf das Wunderhafte beschränken sollte. Die genannten Interpretationen verstehen δυνα' μεων als gen. obj., also im Sinn von „Kräfte, Machttaten zu vollbringen“. Wenn man im Sinn eines gen. subj. interpretiert, kann man an die Machtfülle (des Evangeliums) denken, die gegen gottfeindliche Mächte eingesetzt wird. 122 Weil Paulus öfter von gottfeindlichen Mächten spricht,123 kann man auch allgemein „an die machtvolle Überwindung böser Mächte und heidnischer Gebundenheiten überhaupt“ denken. 124 Diese Interpretation kann mit Kol 1,29 verbunden werden, wo die Vokabeln ε νε'ργεια, ε νεργε'ω, δυ' ναμις vorkommen; für die Missionsarbeit, in der Paulus Jesus Christus verkündigt und in der er „alle Menschen“ ermahnt und lehrt, gilt: „Dafür mühe ich mich auch ab und ringe in der Kraft dessen, der in mir kräftig wirkt“.125 Die Warnung vor dem „Gesetzlosen“, der „in der Macht Satans“ (κατ’ ε νε'ργειαν του^ σατανα^ ) auftritt und „mit großer Kraft“ (ε ν πα' ση, δυνα' μει) ————————————————————
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Bengel 665: per naturalia remedia. Dies wird auch von manchen Vertretern der Pfingstkirchen anerkannt, vgl. Gee, Trophimus, passim. Weiss 301; Héring 109; Klauck 87; Lang 169; Wolff 291; Giesriegl, Sprengkraft, 168. Dunn, Jesus, 210; Rebell, Glaubensvollmacht, 115; Schatzmann, Charis-mata, 38. Vgl. Calvin 426: die Wunderkraft, „die mit den bösen Geistern und Heuchlern den Kampf aufnehmen“ kann. 2,6; 15,24; Röm 8,38; Eph 1,21; 2,2; 3,10; 6,12; Kol 1,16; 2,10.15; 3,7. Schrage III 152, mit Verweis auf Hasenhüttl, Charisma, 146-147. Kol 1,29b: κατα` τη` ν ε νε' ργειαν αυ του^ τη` ν ε νεργουμε' νην ε ν ε μοι` ε ν δυνα' μει.
706 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
und mit trügerischen Zeichen und Wundern die Menschen verführt (2Thess 2,9-10), macht deutlich, dass „Machttaten“ immer mehrdeutig sind und nicht automatisch das Wirken Gottes attestieren. Prophetisches Reden (προφητει' α) ist die sechste Gabee.126 Die Vorsilbe προ- des Verbs προφητευ' ω („prophetisch reden“)127 bezeichnet im außerbiblischen Gebrauch nicht das „Voraus-Verkündigen“ bzw. Weissagen, „sondern verleiht (im Sinn von heraus-) dem Wort feierlichen Klang und Ausrichtung auf ein Publikum, etwa als einer, der öffentlich verkündigt, laut erklärt“.128 In der atl.-jüdischen Tradition, die für das Verständnis der Prophetie in den paulinischen Gemeinden entscheidend ist, bezeichnet προφητευ' ω (hebr. נבא, Subst. )נִָביא129 das Reden Gottes durch von Gott erwählte Boten. M. Frenschkowski schreibt im Anschluss an die traditionell-kritische Forschung, die atl. Prophetie stehe „in der Spannung zwischen Charisma und Amt“ und werde „in sozial ganz unterschiedlicher Gestalt zum Vehikel sowohl der Selbstvergewisserung Israels als eines von seinem Gott durch die Geschichte getragenen Volkes als auch seiner selbstkritischen Infragestellung, in der sich die Besonderheit der JHWH-Bindung Israels bewahrt“.130 Solche Interpretationen blenden das machtvolle Wirken Gottes und damit die Realität Gottes aus und lassen Israel im gesellschaftlich-religiösen Selbstgespräch befangen sein. Die Propheten, von denen schriftliche Texte im AT überliefert sind, betonen, dass „das Wort Jahwes“ ( )ְדַּבר יהוהan sie ergangen ist (Jer 1,9; Ez 3,10-11) und nun durch sie ergeht.131 Diese Formulierung ist 225 mal als ————————————————————
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H. Krämer/R. Rendtorff/R. Meyer /G. Friedrich, Art. προφη' της κτλ., ThWNT VI, 781863; F. Schnider, EWNT III, 442-448; M. Frenschkowski, ThBLNT II, 1468-1480; Schürmann, Gnadengaben, 389-392; Dautzenberg, Prophetie; Dunn, Jesus and the Spirit, 227-233; Müller, Prophetie, 109-233; Hill, Prophecy; Aune, Prophecy, 171-338; Grudem, Prophecy; Sandnes, Paul; Giesriegl, Sprengkraft, 142-156; Forbes, Prophecy, 188-315. Bei Paulus nur in 1Kor 11,4.5; 13,9; 14,1.3.4.5.24.31.39 (11 von 28 ntl. Belegen). M. Frenschkowski, Art. Prophet, ThBLNT II, 1468-1469. Die in den dokumentarischen Papyri und Ostraka aus Ägypten belegten „Propheten“ (BGU IV 1194,4-5; VIII 1795,4-6; CPR XV 2,1-2) sind die Angehörigen einer Priesterklasse in ägyptischen Kulten. ArztGrabner 409 Anm. 723 verweist auf R. P. Salomonis, der in P.Vind.Sal. S. 43 schreibt: „Im Gegensatz zu dem, was uns der Titel vermuten ließe, hat der Prophet, der zur höheren Priesterschaft gehört, nichts mit Orakeln oder Ähnlichem zu tun. Es handelt sich hier lediglich um die griechische Wiedergabe des ägyptischen hm-ntr, das ‚Diener Gottes“ bedeutet“. In der griechisch-römischen Welt waren die προφη^ ται für die Bekleidung der Götterbilder zuständig (vgl. BGU XV 2469, Kol. I,7; CPR XV 3,1-2). Vgl. J. Jeremias, THAT II, 7-26; H.-P. Müller, ThWAT V, 140-163; Preuß, Theologie II, 72-104. Zur frühjüdischen Prophetie vgl. Then, Propheten. M. Frenschkowski, Art. Prophet, ThBLNT II, 1472. Preuß, Theologie II, 79; vgl. Rad, Theologie II, 96-97. Wagner, Prophetie, passim argumentiert, die Propheten seien nicht in erster Linie als Mittler wörtlicher Offenbarungen zu verstehen, sondern als Prediger und Theologen. Man sollte hier falsche Alternativen vermeiden. Das im AT greifbare Selbstverständnis der Propheten zeigt, dass alle drei Elemente wichtig waren: die Propheten erhielten von Gott Wort- und Bildoffenbarungen, die sie
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 707 ———————————————————————————————————— terminus technicus für die prophetische Wortoffenbarung belegt, wobei ekstatische Phänomene beim Empfang der Offenbarung innerhalb der Schriftpropheten nicht zu erkennen sind. Bei den Auditionen und Visionen bleibt die Freiheit des Propheten gegenüber dem Offenbarungsempfang gewahrt. H. D. Preuß beschreibt die atl. Prophetie folgendermaßen: „So hat JHWH durch das, was den Propheten widerfuhr, was sie erlebten und erleben mußten, zu ihnen geredet, und aus dieser Anrede, dieser Erschließungssituation, diesem Überwundenwerden im eigenen Gewissen sind sie zum Weitergeben dieses Wortgeschehens ermächtigt und genötigt. Gott hängt folglich mit Wirklichkeit und Anrede, mit Geschichte und Sprache zusammen, und er wird den Propheten im Immanenten transzendent. . . . Botenformel (‚so spricht JHWH‘) und Botenspruch machen darüber hinaus deutlich, daß und wie die Propheten sich als Wortmittler verstehen, als von JHWH getroffene Sprecher (vgl. Hab 2,1-3; auch Hi 4,12-17), die ihn und sein Kommen neu zur Sprache bringen wollen und müssen. Alles ist und bleibt dabei ein sehr bewußter Vorgang. Eine Einsicht wird als göttliche Eingebung erfahren, verstanden und geglaubt, ohne daß es dabei zu einer Art mystischer Einung zwischen Gott und Propheten kommt oder kommen kann. Erfahrungen werden gemacht, und der Hörer soll zu analogen Erfahrungen angeleitet und befähigt werden. Er soll ebenfalls hören, was JHWH jetzt sagt und zu sagen hat“.132 Jahweh geht „in seiner Kondeszenz ganz in diese Propheten ein, beläßt sie in ihren psychologischen, stilistischen, ja auch theologischen Unterschieden, wenn sie das Geschaute mit ihrer Gotteserkenntnis durchdringen, dabei und darauf dann ihr Wort gestalten. Hierbei kann die Bildung eines Prophetenspruchs durchaus mit dem Werden einer heutigen Predigt verglichen werden“. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass Propheten als Ausleger der Tora begegnen, wie Moses es war (Dtn 18,15.18). Der Verstand ist nicht ekstatisch ausgeblendet, sondern wird in Dienst genommen. Der Kernprozess der atl. Prophetie ist somit das Ineinander von Wort und Geschichte, von Glaube und Gegenwart (z.B. bei der Kritik gesellschaftlicher Um- und Zustände, die Gottes Offenbarung widersprechen), weniger die Gewissheit über die Zukunft als die Gewissheit über Gottes zurechtweisende und erbarmende, richtende und aufrichtende Realität in der Gegenwart. Im Blick auf die oft angeführten griechisch-hellenistischen Parallelen – die rauschhafte Ekstase der Bakchanalien,133 die Ekstase des delphischen Orakels oder die ekstatischen Trancezustände der Sibylle134 – hat C. Forbes gezeigt, dass die zumeist selbstverständliche Annahme, hier handele es sich um repräsentative hellenistische Phänomene, die für das Verständnis der urchristlichen Prophetie entscheidend sind, unhaltbar ist und als stereotypische Karikatur bezeichnet werden muss.135 Die oft geäußerte Meinung, daß das delphische Orakel (προμα' ντις) in der Frühphase von Delphi ekstatische und das heißt unverständliche Äußerungen von sich gab, die dann vom „Propheten“ des Orakels in verständliche Formen „übersetzt“ wurden, läßt sich an den Quellen nicht verifizieren.136 Die Inspirationserfahrung Philos, auf die sich manche für ————————————————————
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theologisch verarbeiteten und als Prediger verkündigten. Preuß, Theologie II, 80; das Folgende ebd. 81. Euripides, Bacchae 142,446.725.748-768.1051-1136. Virgil, Aen. 6, 46-100. Forbes, Prophecy, 53-57.126-143.149-181.279-315. Fontenrose, Delphic Oracle, 10-15.197.207.217; Forbes, Prophecy, 103-123.188-217; vgl.
708 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— die Interpretation der urchristlichen Prophetie berufen,137 ist eine Ausnahme von der sonst in antiken Texten belegten Inspirationsvorstellung.138
Nach der Auskunft von Lukas und Paulus gab es in den urchristlichen Gemeinden Propheten. Sie werden zusammen mit Aposteln und Lehrern (1Kor 12,28-29; Eph 4,11), neben den Aposteln (Lk 11,49; Eph 2,20; 3,5; vgl. Offb 18,20) und neben den Lehrern (Apg 13,1) genannt. Was Prophetie für Paulus bedeutet, muss fast ausschließlich von 1Kor 14 abgeleitet werden. Nach 14,29-30 hat Prophetie fundamental mit „Offenbarung“ (α ποκα' λυψις) zu tun, d.h. mit der Erschließung des Willens Gottes. Offenbarung hat mit Einblicken in die „Tiefen“ Gottes, d.h. in den göttlichen Heilsplan zu tun (2,10). Nach 14,3 wendet sich der Prophet an die Mitchristen in der Gemeinde: Er baut auf, er ermutigt, er spendet Trost. Ausleger beschreiben das Phänomen urchristlicher Prophetie bzw. der Prophetie im Verständnis von Paulus relativ einheitlich: Prophetie ist „aus Inspiration herausgeborene Rede charismatischer Verkündiger, durch die der Heilsplan Gottes mit der Welt und der Gemeinde wie auch der Wille Gottes im Leben des einzelnen Christen bekannt wird“.139 Viele sprechen von inspirierter Gemeindeverkündigung, 140 von öffentlicher Proklamation einer Offenbarung, die der christlichen Ortsgemeinde Nutzen bringt,141 von christlicher Rede mit göttlicher Legitimation142 von der Vermittlung von Gottes Willen aufgrund einer Offenbarung.143 Manche definieren Prophetie als Empfang und öffentliche Weitergabe einer spontanen, (gewöhnlich) verbalen Offenbarung, die als offenbarte Wahrheit verstanden und der Gemeinde mit der Autorität Gottes, Jesu Christi oder des Heiligen Geistes mitgeteilt wurde, oft im Sinn der Anwendung der Wahrheit des Evangeliums auf spezifische Situationen. 144 Das als nächstes genannte Charisma der Unterscheidung der Geister (12,10c) und die Forderung, dass ————————————————————
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Witherington 276-279. Vgl. Schrage III 154 mit Hinweis auf Her 264-265, wo Philo im Zusammenhang mit der Prophetie von ε»κστασις, ε»νθεος und μανι'α spricht und schreibt, dass die Ankunft des Geistes zum Untergang des νου^ ς führt. Schrage ebd. Anm. 229 merkt immerhin an, dass Philo neben der Prophetie als enthusiastische Rede auch andere Typen kennt, vor allem bei den atl. Propheten. Forbes, Prophecy, 143-146. G. Friedrich, ThWNT VI, 849; vgl. Schrage III 155: „Die vom Pneuma inspirierten Propheten haben über die Vorausschau künftigen Geschehens hinaus in umfassender Weise den Weg der Gemeinde durch geistgewirkte Rede zu erhellen und ihr das Heil und den Willen Gottes zu verkündigen“. Hill, Christian Prophets, 112.116-118; vgl. Lindemann 267: „das vollmächtige Reden“. Grudem, Prophecy, 181-230; ders. Gift of Prophecy, 21-94. Aune, Prophecy, 338. Wolff 291, mit Verweis auf 14,30. Forbes, Prophecy, 229.236.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 709 ————————————————————————————————————
die Botschaften von christlichen Propheten sorgfältig zu prüfen sind (14,29; 1Thess 5,19-21), machen deutlich, dass ein prophetisches Wort nie verabsolutiert werden darf (ein Prophet schon gar nicht). Prophetie ist nicht die Sache eines einzelnen Christen, der anderen sagt, was sie zu tun und zu lassen haben, sondern Sache und Auftrag der Gemeinde. Die These, urchristliche Prophetie sei im Wesentlichen identisch mit charismatischer Exegese oder mit Verkündigung und Lehre, 145 ist nicht überzeugend: Die Listen in Röm 12,6-8 und 1Kor 12,8-10.28-29; 14,6.26, in denen die Gabe der Prophetie neben Lehren und Ermahnen vorkommt, unterstreichen die Verschiedenheit der Gaben des Geistes. Richtig ist sicherlich, dass urchristliche prophetische Botschaften didaktische und präskriptive Elemente aufwiesen. Richtig ist auch, dass urchristliche Propheten offensichtlich gepredigt und gelehrt haben (vgl. Apg 15,32). Das bedeutet jedoch nicht, dass die urchristliche Prophetie mit inspirierter Verkündigung, Exegese und Lehre identisch ist. So wichtig bei der Beschreibung der urchristlichen Prophetie die Auskunft ist, dass es ihr um die Erhellung und Verkündigung des Willens Gottes für die Gemeinde und für den einzelnen Christen geht, so wenig darf man die Möglichkeit ausschließen, dass zukünftige Ereignisse vorausgesagt werden. Beispiele wie Apg 11,28; 21,11 betonen diese Dimension der urchristlichen Prophetie.146 Paulus bezeichnet sich als Apostel, nie als Prophet, obwohl er von sich sagt, dass er in den Gemeinden regelmäßig prophetisch redet (14,6). 147 Nach der Auskunft von Lukas hat Paulus auch konkret Ereignisse der Zukunft vorausgesagt.148 W. Grudem unterscheidet verschiedene Ebenen prophetischer Autorität: Die den ntl. Propheten zukommende Autorität war weitaus geringer als die Autorität der atl. Propheten. Der göttlich legitimierte Autoritätsanspruch der atl. Propheten ist im NT auf die Apostel übergegangen. Die Anweisung in 1Kor 14,29, dass prophetische Botschaften von anderen Christen in der Gemeinde geprüft werden müssen, zeigt, ————————————————————
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Müller, Prophetie, 47-108 (zu Offb 2-3). 109-233 (zu Paulus); Cothenet, Prophètes, 77107; Hill, Christian Prophets, 108-130; Ellis, Prophecy, 147-253; Gillespie, Theologians, 24-25.63.142-150.165-198. Zur Diskussion und Kritik vgl. Forbes, Prophecy, 225-237; Turner, Holy Spirit, 206-212. Weiss 301; Schrage III 155 Anm. 231; Aune, Prophecy, 263-265. Vgl. G. Friedrich, ThWNT VI, 852, der auf Röm 11,25-27 und 1Kor 15,23-25.51-55 als Beispiele verweist. Die Auskunft, die Paraklesen in Röm 12; 1Kor 1; 2Kor 10; 1Thess 4, die Mahnung und Zuspruch enthalten, machten deutlich, dass die Briefe des Apostels „prophetische Verkündigung“ sind, „die der Erbauung der Gemeinde dient“ (ebd.) geht von einer zu allgemeinen Definition von „Prophetie“ aus. Apg 20,22-23.29-30; 27,22-25.
710 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— dass die Mitteilungen urchristlicher Propheten fehlerhaft oder problematisch sein können, was den betreffenden Christen jedoch noch nicht zu einem „falschen Propheten“ macht. Solche Vorgänge sind für die Gemeinde deshalb kein Problem, weil die urchristlichen Propheten (gegenüber den Aposteln) nur eine „sekundäre“ Autorität besaßen.149 Obschon diese Interpretation manches richtig sieht und wichtige Unterscheidungen vornimmt, lässt sie sich nur halten, wenn man sowohl die atl. auch die ntl. Prophetie auf ein Minimum an Kriterien und Phänomene reduziert.150 Der Hinweis auf die von Paulus relativierte Autorität prophetischer Kommunikationen ist jedoch wichtig. D. Aune identifiziert 59 Prophezeiungen im NT.151 In den paulinischen Briefen gehören folgende Stellen dazu: 2Kor 12,9; 1Kor 15,51-52; Röm 11,25-26; 1Thess 4,1617a; 1Kor 12,3; 14,37-38; Gal 5,21; 1Thess 3,4; 4,2-6; 2Thess 3,6.10.12; 1Tim 4,1-3. Wir finden 1. Aussprüche der Ermutigung (Apg 18,9; 23,11; 27,23-24; 2Kor 12,9); 2. Aussprüche mit normativem Inhalt (Apg 13,2; 21,4; Gal 5,21; 2Thess 3,6); 3. Ankündigungen der Erfahrung von Heil (Offb 14,13; 19,9); 4. Ankündigungen von Gericht (Apg 13,9-11; 1Cor 14,37-38; Gal 1,8-9); 5. legitimierende Aussprüche (1Kor 12,3; Offb 1,8.17); 6. eschatologische Theophanieorakel (Röm 11,25-26; 1Kor 15,51-52; 1Thess 4,16-17).
Wenn wir das Material zur Gabe des prophetischen Redens zusammentragen, das wir in Kap. 12–14 finden, ergibt sich folgendes Profil. 1. Die Prophetie ist ein Wortbeitrag, der vom Geist Gottes inspiriert ist, d.h. eine von Gott eingegebene Offenbarung (14,29-30). Der prophetische Beitrag kann spontan sein, aber die starke Betonung mentaler Reflexion in 14,14.15.19 deutet darauf hin, dass dies keine Konstante prophetischer Rede ist.152 2. Prophetisches Reden ist unmittelbar verständlich und muss nicht wie die Glossolalie übersetzt werden (14,1-5.24). 3. Das konkrete prophetische Reden ist nicht unkontrolliert-ekstatisch, sondern unter der Kontrolle des prophetisch Redenden (14,29-31). 4. Prophetisches Reden ist eine Gabe, die alle Christen von Gott erbitten sollen (14,1.31.39). 5. Die Funktion des prophetischen Redens ist die Erbauung, die Ermahnung und die Ermutigung von Mitchristen (14,3.31), sowie das Lehren (14,19.31). 6. Eine prophetische Rede kann göttliche Einsicht in eine konkrete Situation oder in den gegenwärtigen Herzenszustand eines Menschen, auch eines Ungläubigen, mitteilen (14,25); sie kann auch Weissagungen zukünftiger Ereignisse beinhalten (Apg 11,28; 21,11). ————————————————————
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Grudem, Prophecy, 54-113; ders. Gift of Prophecy, 21-94; vgl. 1Kor 14,29.30.36.37-38; 1Thess 5,20. Turner, Holy Spirit. 213-217. Aune, Prophecy, 247-290 (248-262 zu Paulus); vgl. die Liste ebd. 441 Anm. 47. Vgl. Müller, Prophetie, 140-233, der Röm 13,11-14; 1Thess 5,1-11; 1Kor 7,29-31 als prophetische Mahnrede identifiziert, Röm 16,17-20; Phil 3,17–4,1; Gal 1,6-9 als prophetische Gerichtsrede und 1Thess 4,13-14; Röm 11,25-26 als prophetische Heilsverkündigung. Thiselton 1076-1077, gegen die meisten Ausleger.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 711 ————————————————————————————————————
7. Prophetische Wortbeiträge müssen von der Gemeinde geprüft und beurteilt werden (14,29). Die Autorität liegt im prophetischen Wort, nicht im Propheten selbst. Wenn die Christen in Korinth (oder in anderen Gemeinden) den Anweisungen des Apostels Folge leisteten, muss man sich Situationen, in denen Propheten auftraten, ungefähr wie folgt vorstellen. Die Propheten standen auf, wenn sie sprachen. Sie teilten der versammelten Gemeinde eine Offenbarung mit, von der sie überzeugt waren, dass es sich um ein Wort Gottes an die Gemeinde handelte. Dann setzten sie sich wieder. 153 Nach jedem prophetischen Beitrag, vielleicht auch nach mehreren Beiträgen, wurden die prophetischen Wortbeiträge von anderen Christen in der Gemeindeversammlung besprochen und bewertet. Paulus erwartet von den prophetischen Botschaften die Erbauung und Ermutigung der Jesusbekenner in der Gemeinde sowie die „Überführung“ der Außenstehenden (14,3.24-25.31). Die Propheten sollen deshalb nicht unkontrolliert, sondern in geordneter Reihenfolge (14,29-32) und nach Maßgabe des Glaubens (Röm 12,6) reden. Die Gabe, Geister zu unterscheiden (διακρι' σεις πνευμα' των), ist auf die zuvor genannte Gabe der Prophetie zu beziehen. 154 Das Wort δια' κρισις bezeichnet die sorgfältige Überprüfung von Tatsachen, auf die meistens eine Entscheidung oder ein Urteil folgt.155 Hier ist konkret an die Überprüfung eines Wortbeitrags im Gottesdienst gedacht. Der Plural πνευμα' των will sagen, dass in einer als prophetisches Wort bekanntgegebenen Äußerung neben dem göttlichen Geist auch der menschliche Geist des Christen oder ein dämonischer Geist zu Wort kommen kann.156 In 1Tim 4,1 spricht Paulus von „betrügerischen Geistern“ (πνευ' ματα πλα' νοι). Paulus bezieht die Gabe der Unterscheidung der Geister nicht explizit auf die Deutung der Prophetie,157 ————————————————————
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Diese Anweisungen zeigen, dass dem urchristlichen Propheten, wie er von Paulus als legitim anerkannt wird, „Geistesabwesenheit oder Raserei“ fremd sind; G. Friedrich, ThWNT VI, 852; vgl. Wolff 292. Manche Ausleger interpretieren diese Gabe im Sinn der Unterscheidung zwischen dämonischen Geistern und dem Heiligen Geist. Vgl. Carson, Spirit, 40.120. So R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 415-416 mit Verweis auf die Verwendung in den Papyri: P.Ryl. IV 577,3-4 (Prozess); BGU VIII 1781,8 (Rechnungsprüfung); P.Berl.Leihg. II 26A,8 (Entscheidung, an wen und welche Mengen des gelieferten Saatgutes gehen soll). So die meisten Ausleger, wobei manche neben dem göttlichen Geist nur dämonische Geister annehmen. Paulus verwendet πνευ^ μα jedoch auch für den menschlichen Geist, vgl. 2,11; 2Kor 2,13; 7,1; Gal 6,18; Eph 4,23; Phil 4,23; 1Thess 5,23. Zur Verwendung von πνευ^ μα im Sinne „böser Geist“ (Dämonen) vgl. Mt 8,16; 10,1; 12,43; Mk 1,23.26; 9,20; Lk 4,36; 9,39; Apg 16,16; 19,15-16; Eph 2,2; 1Petr 3,19; Offb 16,13-14. So Dautzenberg, Prophetie, 123-142; kritisch Grudem, Response, 253-270; Wolff 293; Schrage III 157; Lindemann 268. Dunn, Jesus and the Spirit, 233-236 argumentiert, dass zwischen diesen beiden Interpretationen kein unüberbrückbarer Gegensatz besteht.
712 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
sondern auf die Prüfung und Beurteilung eines prophetischen Offenbarungswortes, das in der Gemeindeversammlung bekanntgegeben wird (vgl. 14,29). Die Notwendigkeit, dass prophetische Worte geprüft werden müssen, wird im AT und NT mehrfach erwähnt.158 Diese Gabe ist offensichtlich auch dann notwendig, wenn das authentische Evangelium von einem „anderen Evangelium“ (Gal 1,6) unterschieden werden muss, oder wenn bestimmte Lehrer einen „anderen Jesus“ (2Kor 11,4) verkündigen. Im Kontext ist die Beobachtung wichtig, dass Paulus diese Gabe nicht mit gemeindeleitenden Ämtern verbindet, sondern als in der Gemeinde vorhandene Gabe bezeichnet.159 Christliche Propheten sind und bleiben Menschen, die ihre eigenen Gedanken für göttliche Offenbarung ausgeben können. Deshalb muss jedes 160 prophetische Wort, das in der Gemeinde mitgeteilt wird, auf seine Authentizität hin geprüft werden. Wenn sich bei der Prüfung herausstellt, dass der Wortbeitrag keine von Gott kommende Mitteilung sein kann, soll dieser nicht weiter bedacht werden. Kriterium für die „Unterscheidung der Geister“, d.h. für die Prüfung des prophetischen Wortes ist 1. die inhaltliche Übereinstimmung mit der bereits vorhandenen Offenbarung in der Heiligen Schrift, mit der Jesusüberlieferung und mit dem von den Aposteln verkündigten Evangelium. In Röm 12,6 sagt Paulus im Blick auf die Prophetie: „Hat einer die Gabe prophetischer Rede, dann rede er in Übereinstimmung mit dem Glauben“ (κατα` τη` ν α ναλογι' αν τη^ ς πι' στεως). Aus dem Kontext in 1Kor 12–14 ergeben sich zwei weitere Kriterien: 2. Der Nutzen für die Gemeinde (οι κοδομη' ) und 3. die Liebe zu den Mitchristen (α γα' πη).161 Als achte und neunte Gabe erwähnt Paulus, an die letzte Stelle gerückt, eine Art der Sprachengabe (γε'νη γλωσσω ^ ν) und die Gabe, Sprachen zu übersetzen (ε ρμηνει' α γλωσσω ^ ν). Der Ausdruck „eine Art der Sprachengabe“ bedeutet zunächst, dass es verschiedene Varianten dieser Gabe gibt. Manche interpretieren das Wort γε' νη, das verschiedene Arten dieses Charismas andeutet, als Hinweis auf die privat praktizierte und auf die in der öffentlichen Gemeindeversammlung praktizierte Glossolalie.162 Andere sehen glossolalische Phänomene beim Beten, beim Singen und beim Danksagen angesprochen.163 Das Wort γλω^ σσα bedeutet „Zunge“ (als Organ, vgl. Mt 7,33; ————————————————————
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Deut 13,1-3; 1Kön 22,19-28; Jer 28; Mt 24,24; 1Thess 5,20-21; 2Thess 2,1-2; 1Tim 4,1; 2Petr 2,1-2; 1Joh 4,1; vgl. Did 11,8. Vgl. Schrage III 156, mit Hinweis auf 14,24.29; 1Thess 5,21. Der Plural διακρι'σεις bezeichnet die verschiedenen Fälle. Vgl. Dunn, Theology of Paul, 594-598. Forbes, Prophecy, 92.95.99; G. Dautzenberg, Art. Glossolalie, RAC XI, 225-246. Schrage III 161, mit Verweis auf 14,2.14.28.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 713 ————————————————————————————————————
Röm 3,13)164 oder „Sprache“.165 In Kap. 12–14 ist die Bedeutung „Sprache“ gemeint. Die technische Bedeutung der Wendung „in Sprachen reden“ (γλω' σσαις λαλε'ω) im Sinn von „inspirierter Rede“ ist vor Paulus nicht belegt und entstand wahrscheinlich in christlichen Kreisen, um das Phänomen zu beschreiben, dass der Heilige Geist manchen Christen die Fähigkeit gab, in (menschlichen) Sprachen zu reden, die sie nicht gelernt hatten. 166 Neben der Übersetzung „Sprachengabe“ verwendet man den Ausdruck „Glossolalie“, um den Bezug zu diesem spezifisch urchristlichen Phänomen hervorzuheben. Die folgenden Merkmale der Glossolalie lassen sich aufgrund der Aussagen in Kap. 14 beschreiben. 1. Die Sprachengabe ist vom Geist Gottes inspirierte Rede, die für die Anwesenden unverständlich ist (14,2.7-9). 2. Das glossolalische Reden ist an Gott gerichtet (V. 2.14.28) und hat Gebete und Lobpreis zum Inhalt (V. 15). Es ist nicht an Menschen gerichtet (V. 2.6.9) und nützt nur dem glossolalischen Redner (V. 4). 3. Beim glossolalischen Reden bleibt der Verstand unfruchtbar (V. 14.19), was aber nicht heißt, dass es sich um unkontrolliertes ekstatische Reden handelt; die Instruktionen zum Umgang mit der Glossolalie (V. 28-29) zeigen, dass der glossolalische Redner die Kontrolle über sich nicht verliert. 4. Wenn man in der Gemeinde verstehen will, was gesagt wird, bedarf es eines Übersetzers (V. 27). Aus der Tatsache, dass dies der Glossolale selbst sein kann (V. 13), ergibt sich, dass es keine Prüfung gibt wie bei der Prophetie; dieser Sachverhalt bedeutet offensichtlich, dass das glossolalische Reden keine Botschaften an die Gemeindeversammlung enthält. Im Blick auf den exegetischen und historischen Befund ist darüber hinaus Folgendes festzuhalten. 1. Die Unterschiede in der Beschreibung des Phänomens bei Lukas (Apg 2,1-13; 10,46; 19,6) und Paulus (1Kor 12–14) dürfen nicht überbewertet werden. Folgende Unterschiede bestehen: a) Bei Lukas sind die γλω' σσαι für die Zuhörer verständlich, in 1Kor 12/14 sind sie unverständlich, wenn sie nicht übersetzt werden (zur Frage des „Übersetzens“ ————————————————————
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In P.Oxy. I 108 Kol. I 4.8.16.17; Kol. II 9.18-19.20 (183 oder 215 n.Chr.) wird in der monatlichen Abrechnung eines Kochs auf die Tatsache hingewiesen, dass mehrmals „Zunge“ auf dem Speiseplan stand. Vgl. Arzt-Grabner 407. Der übertragene Sinn „Sprache“ bedeutet 1. allg. die „Sprache“ (Homer, Il. 2,804; Od. 19,175; P.Oxy. XI 1381,199); 2. die „Mundart“ oder der „Dialekt“ (Herodot 1,57; Thucydides 3,112,4; in P.Giess. I 99,9 ist davon die Rede, dass Hymnen „in fremder Sprache“ [υ« μνοι με` ν α»ι[δονται] γλω' τ. τη, ξενικη^, ] gesungen werden); 3. der „sprachliche Ausdruck“ oder „Wörter“, die ungewohnt oder fremd erscheinen können und eine Erklärung benötigen (Aristoteles, Poet. 21,1457b 4; Rhet. 3,10,1410b 12; Plutarch, Is. 61,375376). Vgl. D. Sänger, ThBLNT II, 1919. Forbes, Prophecy, 44-74. Stellen in der LXX wie Ps 119,172; Zef 3,9; Ps 36,30; Sir 51,22, in denen γλω ^ σσα eine poetische, halbmetaphorische Bedeutung besitzt, sind möglicherweise der Hintergrund für die urchristliche Terminologie.
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siehe unten zu 14,5). b) Bei Lukas sind „Sprachen“ ein Zeichen der ersten Ausgießung des Heiligen Geistes, in 1Kor 12/14 gehören sie zu der kontinuierlichen geistlichen Erfahrung einzelner Christen. c) Bei Lukas ist die Glossolalie immer die Erfahrung einer Gruppe, in 1Kor 14 beschränkt Paulus ihren Wert auf den individuellen Gebrauch und besteht auf eine Übersetzung in der Gemeindeversammlung. Der einzig relevante Unterschied zwischen Lukas und Paulus besteht darin, dass Lukas Hörer voraussetzt, die die „Sprachen“ kennen (Apg 2,4.6.8.11), während Paulus ein Charisma der Übersetzung fordert (1Kor 12,10.30; 14,5.13.26.27.28). Wenn die Glossolalie für Lukas die Anfangserfahrung einer Gruppe ist, schließt das nicht aus, dass er die Glossolalie auch als fortwährende Praxis einzelner Christen gekannt hat. Manche Kritiker meinen, das lukanische Verständnis der Glossolalie im Sinne ungelernter Fremdsprachen sei sekundär und unhistorisch.167 Diese These ist nicht haltbar: 1. Ein ekstatischer Ausbruch wird für die zuhörende Menschenmenge konstatiert (Apg 2,7 ε ξι'σταντο), nicht für die Apostel. Ekstase ist eher die Reaktion auf ein außergewöhnliches Phänomen als die Ursache für ein solches. 2. Das Wort ε»κστασις kommt in Apg 10,10; 11,5 im Blick auf Petrus und in 22,17 im Blick auf Paulus vor, wird jedoch an keiner Stelle für den Status eines inspirierten Redners gebraucht.
2. Die religionsgeschichtliche Ableitung der urchristlichen Glossolalie von den Mysterienkulten, von den „ekstatischen“ Äußerungen der Pythia in Delphi oder von Phänomenen, die im Zusammenhang des Dionysos- und des KybeleKults auftraten, in Zauberpapyri zu finden oder in der (späteren) montanistischen Prophetie greifbar sind,168 ist nicht länger haltbar.169 Die Belege für eine ekstatische Verzückung oder Raserei der Priesterin in Delphi beschränken sich im wesentlichen auf zwei Stellen bei Plutarch (Mor. 759b.763a), denen derselbe Autor an anderer Stelle widerspricht (Mor. 437d). Es gibt keine Belege für die oft geäußerte Annahme, dass das „Offenbarungsreden“ des Orakels ein inkohärentes Lallen war. Mindestens in der klassischen Zeit hat Pythia die Orakel in Versform vorgetragen.170 Wenn berichtet wird, dass die Orakel der Pythia von Dritten in Versform wiedergegeben wurden, dann handelt es sich nicht um „Übersetzungen“ von unartikuliertem Gestammel, sondern um Übertragungen von ursprünglich in Prosaform gesprochenen Orakeln in Versform.171 Die einzigen substantiellen Parallelen zur urchristli————————————————————
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E. Lohse, ThWNT VI, 51; G. Dautzenberg, RAC XI, 240-241; Wolff 294; Schrage III 159 und andere. Zur Kritik vgl. Forbes, Prophecy, 47-53. So viele Ausleger im Anschluss an J. Behm, Art. γλω ^ σσα, ThWNT I, 719-726; vgl. G. Dautzenberg, RAC XI, 229-230; Conzelmann 276; Wolff 294; Schrage III 158. Forbes, Prophecy, 103-187; Lindemann 298; Thiselton 971. Plutarch, Mor. 396f, und über 40 Belege bei Herodot. Plutarch, Mor. 397c.407b; Strabo 9,3,5.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 715 ————————————————————————————————————
chen Glossolalie sind zwei jüdische apokalyptische Texte. Im Fall von TestHiob 48–51 muß allerdings mit einer christlichen (oder gnostischen) Revision gerechnet werden, und im Fall von ApkZef 8 ist die Datierung ebenfalls problematisch (wahrscheinlich nachchristlichen Ursprungs); außerdem ist das Beten des Sehers mit den Engeln in diesem Text kein eindeutig „charismatisches“ Phänomen. Die hellenistische Welt kannte zwar „inspirierte“ oder charismatische Rede, aber die Unterschiede zur urchristlichen Glossolalie sind so gravierend, dass man von einer substantiellen Verschiedenheit der Phänomene reden muss. Das heißt, die urchristliche Glossolalie war offenbar ein religionsgeschichtliches Novum. 3. Die urchristliche Glossolalie wird verschieden erklärt. Erstens, einige interpretieren die Glossolalie im Sinn von archaischen, ungebräuchlichen oder überraschenden Ausdrücken, die gewöhnlich mit Musik, Poesie und Rhythmen einhergehen.172 Die praktischen Anweisungen, die Paulus in Kap. 14 formuliert, geben bei dieser Interpretation allerdings kaum einen Sinn. Zweitens, viele verstehen die Glossolalie als „unverständliches Reden in der Ekstase“.173 Solche Definitionen sind häufig durch das moderne Phänomen der Glossolalie beeinflußt. So erklärt W. Pratscher die Glossolalie, die er mit Ekstase in Verbindung bringt, folgendermaßen: „Die vorhandene hohe psychische Energie strömt . . . von der Ratio unkontrollierbar ab und äußert sich, soweit sie in Sprachen abfließt, in einer unartikulierten, nicht den logischen Gesetzen der Grammatik entsprechenden Sprache“. 174 Das Wort „Ekstase“ wird häufig im volkstümlichen Sinn von „abnormaler Geisteszustand, religiöse Verzückung oder Raserei“ verwendet, manchmal im religionsgeschichtlichen oder psychologischen Sinn von „außergewöhnlichen Bewußtseinszuständen, vorübergehende Trennung des menschlichen Selbst vom Leib, Ausnahmezustände in trancehafter Form oder in Gestalt unbeherrschter Erregung“.175 W. Grudem schlägt einen vierfachen Test vor, der eine inspi————————————————————
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Heinrici, Sendschreiben 376-394, im Anschluss an F. Bleek; kritisch Thiselton 978-980. Weiss 339; Bachmann 390; Klauck 88; Lang 203-204; Kremer 265-266; Wolff 294; Schrage III 158; J. Behm, ThWNT I, 721-724; G. Dautzenberg, EWNT I, 610 („hochekstatisches Reden“); J. Gewieß, Art. Charisma, LThK II, 1026; Dunn, Jesus and the Spirit, 242-243; Hartman, Argument, 226.229; Giesriegl, Sprengkraft, 170-171; Cullmann, Gebet, 102; Röhser, Gaben, 247 („ein ekstatisches Sprechen in hebräischer oder einer anderen semitischen Sprache, die jeweils . . . als magische Sprache und/oder Sprache von Engeln angesehen [‚gedeutet‘] wird“). Pratscher, Glossolalie, 128; vgl. ders., Art. Glossolalie, RGG4 III, 1013-1014. Föller, Charisma, 6. M. Lattke, Art. ε»κστασις, EWNT I, 1026 bemerkt, dass das Wort „Ekstase“ besonders im deutschen Sprachraum zu „überladenen Assoziationen“ führt. Wichtig für die Bedeutung von ε»κστασις in der jüdischen Tradition ist Philo, Her. 249-265 (zu Gen 15,12); vgl. Burkhardt, Inspiration, 216-218.
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rierte Äußerung als „ekstatisch“ erkennbar macht:176 Wurde die Äußerung dem Redner gegen seinen Willen aufgezwungen? Verlor der Redner die Selbstkontrolle und kam es zu unkontrollierten Körperverrenkungen? Sagte der Redner Dinge, die er (oder sie) selbst nicht verstand? Ist ein Wahrnehmungsverlust zu attestieren? Nach diesen Kriterien wäre die Glossolalie wegen des dritten Kriteriums als „ekstatisch“ zu bezeichnen, nach Paulus dürften die anderen drei Punkte jedoch nicht zutreffen. D. Aune unterscheidet in Aufnahme anthropologischer Kategorien „possession trance“, die von externen Mächten verursacht wird, und „vision trance“, wo die Gründe für den außergewöhnlichen Bewusstseinszustand andere sind; beide Kategorien kennen kontrollierte und unkontrollierte Zustände.177 Die Tatsache, dass man sowohl bei „Besessenheit“ (die zur Erklärung von Schamanismus und spiritistischen Medien herangezogen wird) als auch bei „Vision“ von kontrollierten und unkontrollierten Erfahrungen spricht, zeigt, dass es problematisch ist, wenn man „ekstatische Glossolalie“ als unkontrolliertes und „nicht-ekstatische Prophetie“ als kontrolliertes Phänomen betrachtet.178 Nach 1Kor 14 sollen Prophetie und Glossolalie praktisch identischen „Kontrollen“ unterworfen werden. Drittens, psychologisch orientierte Untersuchungen verstehen die Glossolalie als „Sprache des Unbewussten“, die durch Interpretation ins Bewusstsein gehoben werden kann. 179 Ähnlich interpretieren die Ausleger, die in Röm 8,26 einen Hinweis auf die Glossolalie sehen. 180 Die These eines regressiven Charakters der Glossolalie lässt sich aus Kap. 13–14 nicht überzeugend belegen: Paulus gibt in 13,11 und in 14,2.4.20.28 keine Informationen über die psychischen Bedürfnisse, die mit der Praxis der Glossolalie befriedigt werden sollen. Die Aufforderung in 14,20, nicht „kindlich“ und „unmündig“ zu sein, „ist kein Begriff aus der Entwicklungspsychologie, sondern ein wertender Begriff“, der „die wohl schärfste, weil im unmittelbaren Kontext nicht relativierte Distanzierung des Paulus von der Glossolalie“ darstellt.181
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Grudem, Prophecy, 150-151; ders. Gift of Prophecy, 103-104. Aune, Prophecy, 19-21.32-34. Theologen, die einer Pfingstkirche oder der charismatischen Bewegung angehören, argumentieren manchmal, dass die korinthische Glossolalie keinen ekstatischen Charakter hatte; vgl. Sullivan, Erneuerung, 140-143. Theißen, Aspekte, 269-340, bes. 303-320; Christenson, Heiliger Geist, 249; Sullivan, Erneuerung, 154-155; Thiselton 986-988. Vgl. Käsemann, Perspektiven, 223-232; vgl. ders., Römer, 232-233. Röhser, Gaben, 245-246, Zitat 246; kritisch zu Theißen, Aspekte, 312-313; Christenson, Heiliger Geist, 252; vgl. Samarin, Tongues, 41-42.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 717 ———————————————————————————————————— G. Röhser findet das lerntheoretische Deutungsraster der modernen Psychologie hilfreicher als die von G. Theißen vorgeschlagene kognitiv-psychologische Deutung: „Sprachenrede steht danach im Zusammenhang mit der Aufnahme, mit dem Eintritt in die Gemeinschaft der Christen; sie besitzt Initialfunktion . . . Sie beruht wohl auf einem Nachahmungseffekt, der dann als spontan erfolgende unmittelbare Wirkung des heiligen Geistes erlebt und gedeutet wird, und ereignet sich (beim erstenmal oder überhaupt nur einmal) in Anwesenheit besonderer charismatischer Autoritäten (z.B. Apostel). Sie ist Ausdruck der Zusammengehörigkeit und Zugehörigkeit zur Gemeinde (Erweis- und Legitimierungsfunktion) und erfährt darin die für ihr (erstmaliges oder wiederholtes) Auftreten notwendige soziale Anerkennung und Unterstützung“.182 Wenn Glossolalie „Nachahmung“ z.B. der Apostel ist, stellt sich allerdings die Frage, mit welchen lerntheoretischen Perspektiven deren glossolalisches Reden erklärt wird.
Viertens, manche interpretieren die Glossolalie als Sprache der Engel. 183 Für dieses Verständnis verweist man auf jüdische Texte, die im Zusammenhang einer visionären „Himmelsreise“ von Sehern reden, die die Sprache der Engel verstehen. In TestHiob 48–52 ist von den drei Töchtern Hiobs die Rede, die „in der Sprache der Engel“ (τη^, α γγελικη^, διαλε'κτω ^ , 48,3) reden. Dieser Text setzt allerdings nicht voraus, dass dieses hymnische Reden übersetzt werden musste. Und wenn Paulus glossolalische Äußerungen als Teil der „Kindheit“ bezeichnet, die mit der Auferstehung aufhören wird (13,11), kann er kaum sämtliche Äußerungen von Glossolalie als Sprache(n) von Engeln verstanden haben. Fünftens, die Alte Kirche bis hin zu den Reformatoren184 verstand die Glossolalie im Sinn von nicht erlernten Fremdsprachen (Xenolalie).185 Folgende Argumente sind zu beachten. 1. Das Wort γλω ^ σσα bezeichnet im Kontext menschlichen Redens bekannte, menschliche (Fremd-)Sprachen. Die Meinung, dass γλω ^ σσα in Kap. 12–14 Äußerungen ohne kognitiven Inhalt bezeichnen, lässt sich aus den antiken Texten, die dafür manchmal angeführt werden,186 nicht belegen. 2. Die parallele Gabe des ερμηνευ' ειν hat im Kontext der Wendung γλω ^ σση, λαλει^ν die ————————————————————
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Röhser, Gaben, 246, mit Hinweis auf Apg 10,44-48; 11,15-17; 19,5-6; 8,14-17. G. Dautzenberg, RAC XI, 234-235; Schrage III 284; Ellis, Prophecy, 63-71; Dunn, Jesus and the Spirit, 244; Fee, Empowering Presence, 890; Röhser, Gaben, 247. Wolff 293 Anm. 284 meint, „dieses Charisma sollte im Deutschen am ehesten mit ‚himmlische Sprachengabe‘ übersetzt werden“. Vgl. die Hinweise bei Schrage III 197-198 (der ebd. 198 anmerkt, „die richtige Deutung im Sinne übermenschlicher, himmlischer Sprachen“ stamme erst aus dem 19. Jh. Vgl. Davies, Pentecost, 228-231; Gundry, Utterance, 299-307; Forbes, Prophecy, 57-64; Carson, Spirit, 79-83; Turner, Holy Spirit, 228-229; kritisch Thiselton, 973-978. J. Behm, ThWNT I, 720.722-723, mit Verweis auf Aristoteles, Poet. 21,1457b; Rhet. 3,10,1410b; Plutarch, Is. 61; sowie Aristophanes, Ra. 357; Heraclitus, Frag. 92; Plato, Tim. 71e-72a; Philo, Spec.Leg. 4,49; Jamblichus, Myst. 3,4.11.
718 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Bedeutung „übersetzen“ oder „interpretieren“ (s. unten zu 14,5).187 Und was man „übersetzt“, hat einen kognitiven Inhalt, ansonsten wird die Grenze zur Gabe der Prophetie fließend. 3. Die Aussage in 13,1 unterstreicht dieses Verständnis: γλω' σσαι τω ^ ν α νθρω' πων sind menschliche (Fremd-)Sprachen. 4. Paulus schreibt in 14,11: „Wenn ich nun den Sinn der Laute (τη` ν δυ' ναμιν τη^ ς φωνη^ ς) nicht kenne, bin ich für den Sprecher ein Fremder (ε»σομαι τω ^, λαλου^ ντι βα' ρβαρος), wie der Sprecher für mich“. Wahrscheinlich will Paulus den Korinthern, die auf ihre γλω' σσαι, die andere nicht verstehen, stolz sind, sagen, dass sie in der Gefahr stehen, nicht als πνευματικοι' geehrt, sondern für βα' ρβαροι gehalten zu werden. 5. In 14,19 beschreibt Paulus das glossolalische Reden als λαλη^ σαι λο' γους ε ν γλω' σση, , was sich leichter auf eine normale menschliche Sprache beziehen lässt, die aus λο' γοι (Worten) besteht, als auf einen Strom unverständlicher Silben. 6. Das Zitat aus Jes 28,11-12 in 14,21 bezieht sich auf Fremdsprachen. 7. Wenn Glossolalie als Emporsteigen einer vorbewussten Sehnsucht nach Lobpreis, Freude und Verlangen nach Gott darstellt, wird die Gabe der Übersetzung (oder Artikulierung, wenn man A. Thiselton folgt) als eigenes Charisma eigentlich nicht benötigt: Da es sich bei dieser Sicht nicht um eine Sprache handelt, sondern um psychologisch bedingte Lautsequenzen, kann der glossolalisch Redende immer selbst in klaren Worten artikulieren, welche Gefühle und Sehnsüchte, welche Danksagung und Lobpreisung er zum Ausdruck bringt. Der Einwand, dass wir außerhalb von Apg 2 keine weiteren Berichte von „übernatürlicher Fremdsprachigkeit“ (Xenolalie) aus der Zeit der frühen Kirche haben, beruht auf der falschen Annahme, dass Lukas (oder Paulus) erwarteten, dass Xenolalie immer erkannt und von einigen Zuhörern verstanden wird, in einer missionarischen Situation als Vorbereitung für Evangelisation. Der Einwand, Irenäus und Celsus (Adv. Haer. Haer 3.13; Adv. Cels. 7.9) hätten Glossolalie als unartikuliertes Gestammel verstanden, verkennt, dass es in diesen Texten nicht um γλω' σσαις λαλει^ν geht, sondern um unzusammenhängendes, d.h. rätselhaftes, kryptisches oder vages prophetisches Reden. Einer solchen Kritik an unaufgeforderten Orakeln begegnet man in der antiken Literatur häufiger. Der Einwand, Paulus würde in Kap. 14 die Glossolalie kaum so negativ bewerten, wenn es sich um ein echtes, für die Evangelisation nützliches Sprachwunder gehandelt hat,188 verkennt erstens, dass Paulus nicht die Glossolalie als solche kritisiert (vgl. 14,5.18), sondern die Beherrschung der Gemeindeversammlung durch nicht-interpretierte Sprachenrede; zweitens, dass es weder in der Apostelgeschichte noch in 1Kor einen Zusammenhang zwischen Glossolalie und Evangelisation gibt; drittens, dass Paulus die evangelistische Verkündigung des Evangeliums kaum von der glossolalischen Begabung Einzelner abhängig machen will, zumal wenn der glossolalisch Begabte nur sporadisch in einer ungelernten Sprache ————————————————————
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In den Papyri bezeichnet ερμηνει'α das „Übersetzen aus fremder Sprache“, womit „das schriftliche Übersetzen lateinischer oder aramäischer Textpassagen in Dokumenten gemeint sein kann, aber auch das ‚Dolmetschen‘ im Rahmen des Tempelkults“; Arzt-Grabner 407-408, mit Verweis auf P.Lund III 9,7-10; P.Babatha 11,29; 16,33; 27,15; P.Harr. I 67, Kol. II 11; P.Oxy. IX 1201,12; XII 1466,3. Zum Verb ερμηνευ' ω („übersetzen“) vgl. Preisigke, Wörterbuch s.v.; Kiessling, Wörterbuch s.v.; Rupprecht, Wörterbuch Supplement 2-3, s.v., sowie P.Diog. 9,1; P.Oxy. LXIV 4435,13. Thiselton 976-977.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 719 ———————————————————————————————————— redet. Ein gewichtiger Einwand ist jedoch der Hinweis, dass die Gabe der Interpretation ebenfalls eine übernatürliche Gabe des Heiligen Geistes ist. Die Tatsache, dass Beobachter, die aufgrund linguistischer Analysen von aufgezeichneten glossolalischen Reden zum Ergebnis kommen, dass die heutige charismatische Sprachengabe kein Sprechen wirklicher (Fremd-)Sprachen darstellt,189 darf nicht zum Umkehrschluss führen, dass die Sprachengabe in Korinth ebenfalls nicht im Sinn der Xenolalie zu verstehen sei.190 Zum Phänomen der modernen Zungenrede siehe Abschnitt IV am Ende von Kap. 14.
Die fünfte Interpretation hat die plausibelsten Argumente, kann aber das Recht der vierten Sicht nicht ausschließen. Wenn die Glossolalie nur privat praktiziert wurde, war es für den Betreffenden unmöglich zu wissen, ob er in einer menschlichen Sprache oder in einer himmlischen Sprache redet. Wenn der glossolalische Beitrag übersetzt wird, ist dies wie die Glossolalie selbst das Ergebnis des direkten und spontanen Wirkens des Heiligen Geistes. Wenn der glossolalische Übersetzer nicht auch die Information offenbart bekommt, um welche Fremdsprache es sich handelt, bleibt ebenfalls ungewiss, ob es sich tatsächlich um eine menschliche Fremdsprache oder um eine himmlische Sprache handelt (es sei denn, ein Besucher erkennt und versteht die Sprache – aber dann braucht man keinen vom Heiligen Geist übernatürlich begabten Übersetzer). Das heißt, Paulus könnte durchaus einige Arten von γλω' σσαι (vgl. 12,10 γε'νη γλωσσω ^ ν) als Sprache von Engeln betrachtet haben. 4. Paulus sieht den Sinn und die Absicht der Glossolalie in ihrer Wirkung auf Ungläubige (vgl. unten zu 14,22), in der Auferbauung der Gemeinde und im Nutzen für die private Andacht des einzelnen Gläubigen. Er lässt übersetzte Glossolalie in der Gemeindeversammlung zu, damit „die Gemeinde dadurch erbaut werde“ (14,5c). Sie hat einen doxologischen (λαλει^ θεω ^, ) und einen offenbarenden (λαλει^ μυστη' ρια) Charakter (14,2; vgl. 14,28). Die Praxis der Sprachengabe soll deshalb nicht unterbunden werden (14,39). Wenn man sich zwischen Glossolalie und verständlicher Rede (λο' γοι τω ^, νοι¨' ) entscheiden müßte, will Paulus nur letztere haben (14,19); es handelt sich jedoch nicht um eine zwingende Alternative. Übersetzung ist verständliche Rede, deshalb rechnet Paulus mit übersetzter Sprachenrede in der gottesdienstlichen Versammlung (14,15). Paulus empfiehlt deshalb die Praxis der Sprachengabe im Gottesdienst, wenn dies in Maßen geschieht: „zwei oder höchstens drei, und einer nach dem andern; und einer lege es aus“ (14,27). Die Reserviertheit, mit der Paulus die Glossolalie behandelt, legt die Annahme nahe, dass ihr Hauptzweck nicht die Auferbauung der Gemeinde ist: Sie dient der Erbauung des einzelnen Christen, der diese Gabe besitzt: „Wer ————————————————————
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Samarin, Tongues, 73-149; Jaquette, Typology, 1-8; Malony/Lovekin, Glossolalia, Kap 2 Williams, Tongues, 25-45.
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in Zungen redet, der erbaut sich selbst“ (14,4a).191 Wenn in der Gemeindeversammlung niemand anwesend ist, der das glossolalische Reden übersetzen kann, sollen Christen, die die Sprachengabe besitzen, sie nicht öffentlich, sondern privat praktizieren: Er soll „für sich selber und für Gott“ reden (14,28). Ein Widerspruch zwischen dieser Funktion und dem Zeichen-Charakter der Glossolalie (14,22) besteht nur dann, wenn man für diese nur eine einzige Funktion annimmt. Als doxologisches Beten ist die privat praktizierte Glossolalie nicht egozentrisch,192 da sie sich auf Gott konzentriert. Weil die Sprachengabe nur eine von vielen Gaben ist, sind die Christen, die diese Gabe nicht besitzen, nicht notwendigerweise benachteiligt. Die Verbannung unübersetzter Glossolalie aus der gottesdienstlichen Versammlung bedeutet nicht, dass Paulus ausschließlich für eine private erbauliche Praktizierung der Sprachengabe plädiert. Die Aussage in 14,28, die kaum als Ausübung von privater Glossolalie während des Wortbeitrags eines anderen Christen in der Gemeindeversammlung zu verstehen ist, zeigt, dass Paulus die private Ausübung der Sprachengabe zur eigenen Erbauung als legitim betrachtet.
Paulus betont, dass nicht jeder die Gabe der Glossolalie besitzt. Die in 12,30 gestellte Frage μη` πα' ντες γλω' σσαις λαλου^ σιν; verlangt eine negative Antwort. Das Argument, das Nein von Paulus beziehe sich nur auf die Praktizierung der Glossolalie im öffentlichen Gottesdienst, das private glossolalische Reden sei praktisch die Norm gewesen, 193 ist nicht überzeugend. Die Aussage in 14,5a („ich wollte, daß ihr alle in Zungen reden könntet“) ist als rhetorische Formulierung eines nicht zu verwirklichenden Ideals (analog 7,7) zu verstehen. Das Argument setzt eine unzulässige Trennung zwischen öffentlicher Gemeindeversammlung und persönlicher Frömmigkeitspraxis im Blick auf die Ausübung der Geistesgaben voraus. Das heißt: Wie die Apostel nicht nur in der Gemeindeversammlung Apostel sind, so gibt es auch keine „Gemeindeglossolalen“. Weder die Aussage in 12,28 noch der Kontext in 12,1-11 liefern Kriterien, die den korinthischen Christen geholfen hätten, zwischen „Versammlungsgaben“ und „allgemeiner Sprachengabe“ zu unterscheiden. Es gibt zwar verschiedene „Arten“ von Sprachengaben (γε' νη γλωσσω ^ ν, 12,10), aber die Unterscheidung der „Art“ ist nicht der Unter————————————————————
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Pfingstler, Charismatiker und Neutestamentler stimmen fast einhellig überein, dass die private, persönliche Erbauung der Hauptzweck oder die Hauptwirkung der Sprachengabe ist; vgl. C. Robeck, Art. Tongues, DPL, 941; Fee, Empowering Presence, 219.250-251; Forbes, Prophecy, 92-93; Turner, Holy Spirit, 232-234. Anders O. Michel, ThWNT V, 144: „Es ist also falsch, wenn nach 1 K 14,4 der Zungenredner ‚sich selbst erbaut‘“. So Menzies, Witness, 248.
Die Vielfalt der Gaben des einen Geistes 12,4-11 721 ————————————————————————————————————
schied zwischen privater und öffentlicher Rede. Nur einige, nicht alle Christen in der Gemeinde Korinths haben die Gabe der glossolalischen Rede 11 Die Wendung das alles (πα' ντα ταυ^ τα) fasst die „Zuteilungen“ von Gaben, Diensten und Kräften (V. 4-6) und die einzelnen Gaben, die der Geist den einzelnen Jesusbekennern geschenkt hat (V. 8-10), zusammen. Das betont vorangestellte πα' ντα unterstreicht, dass alle Charismen ohne Ausnahme vom Geist Gottes geschenkt sind – nicht nur die in Korinth von manchen besonders hoch geschätzen Gaben der prophetischen und der glossolalischen Rede. Paulus wiederholt, betont: Dies alles bewirkt ein und derselbe Geist (το` εν και` το` αυ το` πνευ^ μα), der wie er will (καθω` ς βου' λεται), d.h. nach seinem souveränen Willen, jedem einzelnen gesondert zuteilt.194 Allein das Wirken (ε νεργει^) und Wollen (βου' λεται) des Geistes entscheidet, wer welches Charisma hat. Das Ptz. Präs. διαιρου^ ν bringt erneut die Überzeugung des Apostels zum Ausdruck, dass der Geist die Gaben, Dienste, Kräfte und Charismen nicht ein für allemal, sondern immer wieder neu zuteilt.
IV Paulus betont in dem einleitenden und deshalb grundlegenden Abschnitt zu den Gaben des Heiligen Geistes eine dreifache Wahrheit. Erstens, alle Manifestationen des Geistes gehen auf ein- und denselben göttlichen Ursprung zurück. Zweitens, die Manifestationen des Geistes äußern sich in einer Fülle von Gaben. Paulus kann diese Gaben in einem unabgeschlossenen Katalog exemplarisch auflisten, ohne dass er hierarchische Abstufungen vornimmt, wie der Vergleich mit den anderen Charismenlisten zeigt. Drittens, alle Manifestationen des Geistes zielen auf den Nutzen der Gemeinde. 195 Im Blick auf die für die korinthische Gemeinde zu konstatierenden Schwierigkeiten, die sich aus der Ausübung der Geistesgabe in den Gemeindeversammlungen ergeben haben, bedeutet dies: Der göttliche Ursprung, die Fülle und der Zweck der Charismen machen eine rivalisierende Konkurrenz um angeblich überlegene Gaben unmöglich bzw. schließen diese aus. Die Gabe zur Unterscheidung der Geister, die wohl insbesondere der Prophetie zugeordnet ist, hat sicher für die Bewertung aller Manifestationen des Geistes im gottesdienstlichen Leben der Gemeinde eine grundlegende Bedeutung. Wie die Gemeinde keine als prophetische Erkenntnis vorgetragene Botschaft einfach hinnehmen soll, so sollen alle Gaben, Dienste und Kräfte, mit denen sich Christen in der Gemeinde engagieren, auf ihren Ursprung und auf ihren Zweck hin geprüft werden. Dabei geht es nicht um permanent ————————————————————
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Das Adv. ιδι'α, steht für κατ’ ιδι'αν und bedeutet „besonders, gesondert, individuell“. Vgl. BDR §241 Anm. 9; 286 Anm. 2. Schrage III 165, ebd. für die folgende Bemerkung.
722 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
kritische Bewertungen, sondern darum, dass sichergestellt wird, dass nicht der einzelne vom Geist begabte Jesusbekenner im Mittelpunkt steht, sondern dass der Geist, der Herr, und Gott, der alles in allen wirkt, bestimmt, was in der Gemeinde zum Aufbau ihrer einzelnen Glieder geschieht.
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 I 12 Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind, so auch Christus. 13 Denn wir wurden alle durch den einen Geist in einen Leib hineingetaucht – Juden und Griechen, Sklaven und Freie – und wir wurden alle mit dem einen Geist übergossen. 14 Denn der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen (Gliedern). 15 Wenn der Fuß sagte: „Ich bin keine Hand, ich gehöre nicht zum Leib!“, so gehört er deswegen doch zum Leib. 16 Und wenn das Ohr sagte: „Ich bin kein Auge, ich gehöre nicht zum Leib!“, so gehört es deswegen doch zum Leib. 17 Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe dann das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo wäre dann der Geruchssinn? 18 Nun aber hat Gott die Glieder – jedes einzelne von ihnen – so in den Leib eingesetzt, wie er entschieden hat. 19 Wenn alle (Glieder) nur ein Glied wären, wo wäre dann der Leib? 20 So gibt es aber viele Glieder, aber nur einen Leib. 21 Das Auge kann nicht zur Hand sagen: „Ich brauche dich nicht!“. Der Kopf kann nicht zu den Füßen sagen: „Ich brauche euch nicht!“. 22 Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die schwächer zu sein scheinen, umso notwendiger, 23 und den Gliedern des Leibes, die uns weniger ehrbar zu sein scheinen, erweisen wir besondere Ehre, und unsere weniger anständigen Glieder haben besondere Wohlanständigkeit, 24 während unsere anständigen Glieder dies nicht nötig haben. Gott aber hat den Leib zusammengesetzt und dabei dem geringeren Glied mehr Ehre gegeben, 25 damit es im Leib keine Spaltung gibt, sondern die Glieder einträchtig füreinander sorgen. 26 Und wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. 27 Ihr aber seid Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied (an ihm). 28 Und zwar hat Gott in der Gemeinde einige eingesetzt erstens als Apostel, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer, dann Machterweise, sodann Gaben, Krankheiten zu heilen, Hilfeleistungen, Leitungsgaben,
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 723 ————————————————————————————————————
sowie Arten von Sprachen. 29 Sind etwa alle Apostel? Sind etwa alle Propheten? Sind etwa alle Lehrer? Haben alle die Gabe, Wunder zu tun? 30 Haben alle die Gabe, Krankheiten zu heilen? Reden alle in (anderen) Sprachen? Können alle übersetzen? 31 Strebt nach den größeren Gaben. Und ich zeige euch jetzt einen noch besseren Weg.
II In 12,12-31 behandelt Paulus das Thema von Einheit und Vielfalt anhand der Metapher des einen Leibes, der viele Glieder hat. Paulus verwendet den Ausdruck „Leib Christi“ für den Leib des Gekreuzigten (10,16; Röm 7,4; vgl. 1Kor 11,24.27) und für die Gemeinde (10,17; 12,12.27; Röm 12,4-5). Lange umstritten war die traditionsgeschichtliche Herleitung der Leib-Metapher. Folgende Vorschläge haben in der Forschung eine Rolle gespielt. 196 1. Die Vorstellung vom Leib Christi ist vom gnostischen Erlöser-Anthropos-Mythos herzuleiten, nach dem die menschlichen Seelen Teile, d.h. Glieder des himmlischen Anthropos als „Urmensch“ sind, die in die Gewalt böser Mächte geraten waren und von dem inzwischen erlösten Haupt wieder zu einem ganzen Leib versammelt werden. 197 Abgesehen von der Tatsache, dass die zum Vergleich herangezogenen Texte alle späteren Datums sind, fällt auf, dass die Begriffe Haupt, Leib und Glieder in den gnostischen Traditionen nicht einheitlich verwendet werden und dass die gnostische Glaubensgemeinschaft kaum als „Leib“ bezeichnet wird. 2. Der Gedanke vom Leib Christi ist auf die Vorstellung von der „corporate personality“ zurückzuführen, nach der das Schicksal des Stammvaters (z.B. Adams) das Ergehen seiner Nachkommen in sich birgt.198 Die Vorstellung vom Stammvater ist jedoch in keinem Text mit der Vorstellung vom Leib verbunden. 3. Die Vorstellung von der Gemeinde als Leib Christi wurde aus der Herrenmahltradition übernommen, in der das Brot, das die versammelte Gemeinde aß, als Leib Christi gegessen wurde.199 Man kann für diesen Vorschlag zwar auf 1Kor 10,16-17 verweisen. Die Annahme, dass Paulus die Leib-Metapher vom Brot auf die ————————————————————
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Wolff 301-305; Schrage III 213-216; Lindemann 275-276; Käsemann, Römer, 323-326; ders., Perspektiven, 178-210; Klauck, Herrenmahl, 333-346; Yorke, Church; Merklein, Studien I, 319-344; Lindemann, Kirche, 132-157; Söding, Studien, 272-299; Park, Kirche. Schlier, Christus, 37-60; Käsemann, Leib; Bultmann, Theologie, 182.311; E. Schweizer, ThWNT VII 1088. Kritisch Fischer, Tendenz, 69-75. Davies, Paul, 36-57; Jewett, Terms, 237-245; Schweizer, Homologumena, 293-316; ders., ThWNT VII, 1069-1070. Schweizer, Homologumena, 287; ders., ThWNT VII 1066; Cerfaux, Church, 262-282; Goppelt, Theologie II, 475-476; Conzelmann, Grundriss, 286-291; Roloff, Kirche, 107109; Hübner, Theologie II, 186-187; Schnelle, Paulus, 649. Kritisch Wolff 305; Dunn, Theology of Paul, 550.
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Gemeinde übertragen hat, ist aber kaum plausibel: Der Leib-Charakter der Gemeinde wird in der Herrenmahltradition bereits vorausgesetzt („ein Brot, deshalb ein Leib“). 4. Der Gedanke vom Leib Christi wurde von Paulus aus der Formel „in Christus“ entwickelt, die eine räumliche Dimension beinhaltet.200 Die Rede vom Sein „in Christus“ kann aber den Ausdruck „Leib Christi“ nicht erklären. 5. Die Rede vom Leib Christi greift eine Metapher auf, die in der Antike weit verbreitet war. 201 Das Bild vom Leib wurde erstens für die Vorstellung verwendet, dass ein bestehender gesellschaftlicher Organismus eine naturgegebene Einheit darstellt. Mit diesem Gedanken konnten sich drei Nuancen verbinden. a) Die Glieder haben einen unterschiedlichen Wert. Als der römische Patrizier Menenius Agrippa den zwischen Patriziern und Plebejern ausgebrochenen Ständekampf schlichten soll, erzählt er die Fabel von der unberechtigten Revolte der tätigen Glieder gegen den scheinbar untätigen Magen. b) Der Leib ist den Gliedern übergeordnet, d.h. die Gemeinschaft ist wichtiger als der einzelne Mensch. c) In dem hierarchisch strukturierten Leib sind alle Glieder dem Kopf zugeordnet und damit diesem untergeordnet. Zu 1a: Livius 2,32,9-12: „Zu der Zeit, als im Menschen nicht wie jetzt alles im Einklang miteinander war, sondern von den einzelnen Gliedern jedes für sich überlegte und für sich redete, hätten sich die übrigen Körperteile darüber geärgert, dass durch ihre Fürsorge, durch ihre Mühe und Dienstleistung alles für den Bauch getan werde, dass der Bauch aber in der Mitte ruhig bleibe und nichts anderes tue, als sich der dargebotenen Genüsse zu erfreuen. Sie hätten sich daher verschworen, die Hände sollten keine Speise mehr zum Munde führen . . . “ (NW II/1, 363-364). Zu 1b: Bei Epiktet, Diss. 2,10,3-4 heißt es: Du Mensch bist Bürger der Welt und ihr Teil und vermagst der göttlichen Weltregierung zu folgen; Pflicht des Bürgers aber ist es, nicht den persönlichen Vorteil zu suchen, so wie auch die Hand oder der Fuß dem natürlichen Gebrauch folgen, wenn sie nichts anderes im Sinn haben als an das Ganze zu denken. Zu 1c: Philo, Praem. 125: „Der ausgezeichnete – sei es Mann, sei es Volk – soll Haupt (κεφαλη' ) des Menschengeschlechts sein“. Seneca, Clem 1,2,1 verwendet das Bild vom Kaiser als Haupt des römischen Staates.
Das Bild vom Leib wurde zweitens für die Vorstellung verwendet, vor allem in der klassischen politischen Ethik, dass die Glieder eines gesellschaftlichen Organismus einander zugeordnet sind. Plato beschreibt die ideale Polis als Einrichtung, die dem einzelnen Menschen am nächsten kommt. ————————————————————
200 201
Percy, Leib, 18; Becker, Paulus, 454-456; Merklein, Studien I, 339-340; Roloff, Kirche, 109; Schrage III 214-215. Lindemann, Kirche, 132-157; Mitchell, Rhetoric, 158-160; Dunn, Theology of Paul, 550551; Wolff 303-304; Collins 458-460; Lindemann 275-276; Thiselton 991-993; Garland 588-589. Die folgende Skizze lehnt sich an Lindemann an.
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 725 ————————————————————————————————————
Plato, Resp. 5,462c-d: „So wie, wenn einem unter uns der Finger verwundet ist, die gesamte, dem in der Seele Herrschenden als eins zu Gebote stehende, über den ganzen Leib sich erstreckende Gemeinschaft desselben mit der Seele es zu fühlen pflegt und insgesamt zugleich mitzuleiden mit einem einzelnen schmerzenden Teil, sie, die ganze, und wir sodann sagen, da der Mensch Schmerzen hat am Finger“ (F. Schleiermacher). Vgl. Aristoteles, Pol. 5,1302b 33-1303a 1: „Wie nämlich ein Körper aus verschiedenen Teilen besteht und diese im richtigen Verhältnis wachsen müssen, damit die Symmetrie bestehen bleibt, denn andernfalls geht das Wesen zugrunde . . ., so ist auch ein Staat aus Teilen zusammengesetzt, von denen oftmals einer unvermerkt anwächst, so etwa die Masse der Besitzlosen in den Demokratien und Politien“ (O. Gigon).
Die Metapher vom Leib in 12,12-27 wird auf diesem Hintergrund als bildliche Vorstellung verständlich. Dabei finden wird beide Modelle der antiken Leibmetapher: Paulus betont, dass die Gemeinde ein Leib ist, und er unterstreicht, dass die einzelnen Glieder des Leibes einander zugeordnet und prinzipiell gleichrangig sind. A. Lindemann kommentiert: „Im ‚Leib‘ der Kirche resultiert also aus den jeweils unterschiedlichen Funktionen, wie sie Kopf und Füße, Hand und Fuß, Auge und Ohr natürlicherweise ausüben, keine unterschiedliche (‚hierarchische‘) Wertigkeit (so ist das Bild auch in 1 Clem 37,5 aufgenommen). Als ein in dieser Weise beschriebener Leib werden die Adressaten dann in 12,27 ausdrücklich als σω ^ μα Χριστου^ ge202 nannt“. Das Bild vom menschlichen Leib und seinen Gliedern, das Paulus in 12,12-31 verwendet, wurde von manchen Auslegern mit den TerrakottaNachbildungen von Körperteilen in Verbindung gebracht, die Heilung suchende Menschen im Asklepios-Tempel in Korinth hinterlassen haben und von Archäologen gefunden wurden. 203 Abgesehen von der Tatsache, dass die als Weihgeschenke zum Tempel gebrachten nachgebildeten Körperteile des Asklepius-Tempels in Korinth nichts Außergewöhnliches darstellten und in zahlreichen Städten und Tempeln der antiken Welt zu sehen waren,204 ist diese Verbindung zwischen diesen Nachbildungen von Körperteilen, die man im archäologischen Museum Korinths sehen kann, und 12,12-31 schon deshalb nicht möglich, weil diese Weihgeschenke in die Zeit zwischen 425 und 300 v.Chr. datiert werden.205 ————————————————————
202 203 204 205
Lindemann 276; vgl. Wolff 301. Hill, Asclepius, 438; Murphy-O’Connor, Corinth, 165-167. Vgl. Straten, Gifts, 105-151 (mit Abb. 1-64), zum Asklepieion in Korinth ebd. 100 sowie im Katalog 123-124 (Nr. 15 mit 118 Weihgeschenken; vgl. Abb. 51). Roebuck, Corinth XIV, 113. Zur Kritik an dieser Interpretation vgl. Oster, Use, 69-73.
726 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gliederung. In V. 12-14 führt Paulus das Bild vom Leib ein, der eine Einheit ist, aber viele Glieder hat, wobei die Vielfalt der Glieder gerade die Einheit des Leibes begründet. Mit der Aussage „so auch Christus“ (V. 12d) wendet er das Bild auf Christus an, das er in V. 13 konkretisiert: Alle Jesusbekenner haben den einen Geist erhalten und wurden alle in den einen Leib inkorporiert – ob Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie. In V. 15-26 spricht Paulus explizit vom menschlichen Körper und implizit von der Gemeinde als Leib. Mit „Zitaten“ von zwei sprechenden Körperteile in V. 15-16 und mit zwei rhetorischen Fragen in V. 17 unterstreicht Paulus die selbstverständliche Einheit eines Leibes, dessen einzelne Organe verschiedene Aufgaben haben, aber nicht ohne einander auskommen. V. 18 führt die Aufgabenverteilung unter den Organen auf Gott den allmächtigen Schöpfer zurück. In V. 19-20 wiederholt Paulus das Ineinander von Einheit und Vielfalt (vgl. 12.14). V. 21 führt mit zwei weiteren „Zitaten“ von Körperteilen den Wunsch nach Unabhängigkeit ad absurdum. V. 22-24a illustriert noch einmal die selbstverständliche Einheit der Glieder des Leibes mit dem Hinweis auf die angeblich weniger ehrbaren Glieder, denen wir besondere Ehre erweisen. V. 24b-26 wiederholt die Souveränität Gottes im Blick auf die Aufgabenverteilung der Organe des Leibes (vgl. V. 18). V. 27 leitet die Anwendung mit der grundsätzlichen Aussage ein, dass die korinthische Gemeinde Leib Christi ist und dass die einzelnen Jesusbekenner Glieder am Leib Christi sind. In V. 28 wendet Paulus das Bild vom Leib konkret auf die korinthische Gemeinde und die in ihr vorhandenen Gaben, Dienste und Kräfte an. Die Anwendung erfolgt mit Hilfe einer zweiten Liste von Funktionen und Charismen, die in der Gemeinde praktiziert werden. V. 29-30 unterstreicht mit acht rhetorischen Fragen, die die Aufzählung der Funktionen und Charismen von V. 28 noch einmal (fast vollständig) aufgreifen, die Individualität und die prinzipelle Gleichwertigkeit der einzelnen Glieder und ihrer Gaben und Aufgaben. In V. 31 schließt Paulus mit der Feststellung, dass die korinthischen Christen nach den größeren Gaben streben, dass er ihnen jedoch (in Kap. 13) einen besseren Weg zeigen will. Textkritische Anmerkungen. In V. 12 fügt der Mehrheitstext nach σω' ματος ein erläuterndes του^ ε νο' ς ein; die kürzere Lesart ist mit d46vid *אA BC F u.a. jedoch gut bezeugt. In V. 13 hat die Wendung εν πνευ^ μα ε ποτι' σθημεν Schwierigkeiten bereitet: Manche Manuskripte lesen ει ς vor ε«ν (D2 L 326 614 945 2464 pm f vg); einige Textzeugen lesen ε ν πο' μα ε ποτι' σθημεν („mit einem Trank getränkt“; 630 1505 1881 al sy; Cl); Handschrift A korrigiert und schreibt ε«ν σω ^ μα ε σμε'ν). In V. 18 schreiben wichtige Zeugen νυ' ν (A B * D F G 1505 pc) statt νυνι' (d46 אC D1 Ψ 33 1739 1881 Byz), wahrscheinlich
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 727 ————————————————————————————————————
als Angleichung an V. 20.206 In V. 21 lassen viele Manuskripte die Partikel δε' aus (A C F G P u.a.), die aber gut bezeugt ist (d46 אB D Ψ 1739 1881 Byz vgcl syh; Ambst). In V. 24 ergänzt der westliche Text τιμη^ ς hinter ε»χει (D F G sy), was sachlich richtig ist; die kürzere Lesart ist gut bezeugt. Statt des Med./Pass. Ptz. υ στερουμε'νω, ( *אA B C 048 6 33 630 1241 1739 1881 pc) lesen die Mehrheit der Handschriften das aktive Ptz. υ στερου^ ντι (d46 א2D F G Ψ 1739* Byz), das „minderwertig sein“ bedeuten kann, was aber im Kontext nicht passt: Die betreffenden Christen kommen sich vielleicht minderwertig vor, sind es aber in Wirklichkeit nicht.207 In V. 25 lesen אD* FG L 323 2464 pm ar vgms den Plur. σχι' σματα, wohl an 11,28 anknüpfend; der Sing. σχι' σμα ist gut belegt (A B C u.a.) und als ursprünglich zu betrachten. In V. 26b lassen frühe Textzeugen vor με'λος das Zahlwort ε«ν aus (d46 *אA B 1739), vielleicht weil es nach V. 26a als redundant empfunden wurde. 208 In V. 31 lesen der westliche Text und die byzantinische Tradition κρει' (ττ)ονα („besser“; D F G Ψ Byz it vgcl bomss; Or Ambst Pel Spec) statt μει' ζονα („größer“; d46 אA B C 6 33 81 104 326 u.a.), das als ursprünglich zu gelten hat.209 Die früh bezeugte Lesart ει» τι („wenn es etwas darüber hinaus gibt“; d46 D* F) setzt das imperativische Verständnis von ζηλου^ τε voraus (s. unten); die Lesart ε»τι ist besser bezeugt ( אA B C u.a.) und muss als ursprünglich gelten.210
III 12 Paulus erläutert (γα' ρ) V. 11: Der Geist bewirkt alle Gaben, Dienste und Kräfte, die in der Gemeinde wirksam vorhanden sind, und der Geist teilt souverän jedem einzelnen Gemeindeglied eine Gabe (oder Gaben) zu, „weil es sich mit Christus ebenso verhält wie mit dem Leib des Menschen“. 211 Die Konjunktion καθα' περ leitet einen Vergleich ein. Paulus wiederholt in einem chiastischen Parallelismus die Aussage, dass der Leib einer ist (το` σω ^ μα ε«ν 212 ε στιν / ε«ν ε στιν σω ^ μα), obwohl er viele Glieder hat (με'λη πολλα` ε»χει / πα' ντα δε` τα` με'λη του^ σω' ματος πολλα` ο» ντα). In dem Chiasmus rahmt der Hinweis auf den einen Leib die Aussage über die vielen Glieder. Paulus wen————————————————————
206 207 208 209 210 211 212
Fee 608 Anm. 1. Robertson/Plummer 276; Fee 608 Anm. 2; Thiselton 1009-1010; anders Zuntz, Text, 128, der die aktive Form für ursprünglich hält. Nach Bachmann 386 Anm. 1 liegt kein Bedeutungsunterschied vor. Lindemann 275. Zuntz, Text, 135; Fee 616 Anm. 2. Vgl. Zuntz, Text, 90-91. Lindemann 271, der hinzufügt: „Der Vergleich geht vom allgemein Bekannten und unmittelbar Einleuchtenden über zur Anwendung auf Christus, nicht umgekehrt“. Das Ptz. ο» ντα ist als Konzessiv zu interpretieren; NSS II 85.
728 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
det die Rede vom Leib (noch) nicht auf die Gemeinde an. Die meisten Ausleger meinen, dass dies explizit vorausgesetzt sei und dass der Nachsatz so auch Christus (ου« τως και` ο Χριστο' ς) im Sinn von „Leib Christi“ zu verstehen ist.213 Der Nachsatz weist die Leser zumindest darauf hin, dass die Rede vom Leib und den Gliedern, die in den folgenden Versen fortgesetzt wird, metaphorisch zu verstehen ist und sich auf Christus bezieht. Die Konj. ου« τως signalisiert jedoch keine Identität („so ist auch Christus“), sondern verweist auf eine Analogie, die in den folgenden Aussagen weiter ausgeführt wird.214 Chr. Wolff weist auf die enge Verbindung zwischen V. 12 und den Versen 11.13 hin (γα' ρ . . . γα' ρ), wo der Geist die entscheidende Größe ist; V. 12c kann deshalb so paraphrasiert werden: „so steht es auch dort, wo Christus durch den Geist heilschaffend wirkt“.215 A. Schlatter kommentiert, dass Paulus den Gedanken, der zu erwarten wäre („so ist auch die Gemeinde“), überspringt, weil die Gemeinde nicht in der Lage ist, „sich in ihrem eigenen Namen ihre Verfassung zu geben und selbst ihre Glieder zu verpflichten. Aus dem, was die Gemeinde ist, entsteht deshalb Pflicht, weil sie das Werk und Eigentum des Christus ist. Er aber macht aus ihr den einen Leib, in dem jeder sein Eigenleben und seine besondere Begabung hat und mit dieser für alle lebt“.216 13 Die Analogie von dem aus vielen Gliedern bestehenden Leib mit Christus wird mit dem Hinweis auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes erläutert (γα' ρ): Denn wir wurden alle durch den einen Geist in einen Leib hineingetaucht. Mit η μει^ς schließt sich Paulus mit den korinthischen Christen zusammen und wendet die Aussage von V. 13 damit auf alle Christen an. Das Verb ε βαπτι' σθημεν (Aor. Pass.) wird in dt. Übersetzungen mit „getauft“ übersetzt.217 Fast alle Ausleger gehen (ohne Begründung) von einem Bezug auf die christliche Wassertaufe aus. Verkannt wird dabei, dass das Verb βαπτι' ζω im NT zwar meistens die Wassertaufe beschreibt, dass die griechische Vokabel jedoch nicht „taufen“ bedeutet, sondern generell mit „untertauchen“ oder „eintauchen“ zu übersetzen ist (s. oben zu 1,13). 218 ————————————————————
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Bachmann 383; Conzelmann 258; Klauck 89; Lang 171; Strobel 195; Kremer 270; Schrage III 211-212; Garland 590; E. Schweizer, ThWNT VII, 1067; Käsemann, Leib, 162; Brockhaus, Charisma, 165; Park, Kirche, 301-302. Lindemann 271; vgl. Schlatter 345; Wolff 297-298; Collins 462; Schlier, Christus, 40-41; Lindemann, Kirche, 139; Kirchhoff, Sünde, 154-155. Wolff 298. Schlatter 345, der damit die Metapher vom Leib als aus vielen Gliedern bestehender Organismus und den theologisch-ekklesiologischen Begriff „Leib Christi“ auseinander hält. LÜ, Elb.Ü, Hfa, NGÜ, SÜ, ZB, EÜ („in der Taufe . . . aufgenommen“; ähnlich GN, Menge); Wilckens; vgl. Bachmann, Schlatter, Conzelmann, Schrage, Lindemann, Wolff. Bauer /Aland 265 s.v. LSJ 305 s.v. führt „taufen“ erst als dritte Bedeutung an; vgl. die
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 729 ————————————————————————————————————
Die Grundbedeutung von βαπτι'ζω ist 1. „eintauchen“, im Pass. „ertrinken“ (Epiktet, Gnom. 47), „sinken“ (z.B. von Schiffen, Polybius 1,51,6; P.Lond. 46), „überflutet werden“ (metaphorisch, z.B. eine Stadt; Josephus, Bell. 4,137), „eingeweicht werden“ (z.B. in Wein, Plato, Symp. 176b); metaphorisch für „bis über den Hals in Schulden stecken“ (Plutarch, Galb. 21); die 2. Bedeutung „tauchen, eintauchen“ bezieht sich auf das Tauchen eines Bechers in eine Schale, um Wein zu schöpfen (Aristopho 14,5; Plutarch, Alex. 67).
Der Reflex, βαπτι' ζω mit „taufen“ zu übersetzen,219 geht auf die linguistisch unzulässige Verwechslung von Bedeutung und Referenz zurück. 220 Paulus kann an die „Wassertaufe“ denken, die bei der Bekehrung und beim Eintritt in die Kirche stattfindet, er kann aber auch an die „Geistestaufe“ denken, die stattfand, als der zum Glauben an Jesus kommende Jude oder Grieche in den Heiligen Geist „hineingetaucht“ wurde. 221 Wenn Paulus an die Wassertaufe denkt, ist die Wendung ε ν ε νι` πνευ' ματι instrumental zu verstehen („durch den einen Geist“). Wenn er an die „Taufe im Geist“ denkt, ist ε ν ε νι` πνευ' ματι in lokalem Sinn zu deuten: Zum Glauben an Jesus kommende Juden und Griechen wurden „in den einen Geist hineingetaucht“. Die beiden Interpretationen schließen sich nicht unbedingt gegenseitig aus, zumindest nicht im historischen Kontext des 1. Jahrhunderts, wo Menschen, die die Botschaft von Gottes Heilshandeln im gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus glaubend annahmen, den Heiligen Geist empfingen und sofort getauft wurden. Zu beachten ist die Tatsache, dass die Wendung ε ν ε νι` πνευ' ματι . . . ε βαπτι' σθημεν eine Parallele in dem Wort Johannes des Täufers hat, das in allen vier Evangelien überliefert wird: „Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen; der wird euch mit dem Heiligen Geist (αυ το` ς υ μα^ς βαπτι' σει ————————————————————
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Bedeutung des Verbs in der LXX, LEH 77 s.v. W. Bieder, Art. βαπτι'ζω, EWNT I, 459 gibt nur die Bedeutung „taufen“ an. A. Oepke, Art. βα' πτω κτλ., ThWNT I behandelt nach der allg. Wortbedeutung (527-528) nur „religiöse Waschungen im Hellenismus“ (528-532), im Abschnitt zum AT und Judentum fast nur die Proselytentaufe (532-534), sodann die Johannestaufe (534-535) und die christliche Taufe (536-541). Es geht in dieser Diskussion nicht um ein freikirchliches Vorurteil (eine Kritik, die man mit dem Vorwurf eines landeskirchlichen Vorurteils zurückgeben könnte), sondern um eine linguistisch adäquate Bedeutungsbestimmung. Fee 604-605; Hays 214; Garland 591; Dunn, Baptism, 129-130; ders., Theology of Paul, 450-451; Fee, Empowering Presence, 179-182.860-863. Vgl. Weiss 303, der die Frage stellt, ob die griechische Wendung mit dem Satz „wir sind in einen Geist hineingetaucht“ übersetzt werden sollte; er paraphrasiert dann aber mit „von einem Geiste umfaßt, sind wir alle zu einem Leibe getauft worden“.
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ε ν πνευ' ματι α γι' ω, ) und mit Feuer taufen“ (Mt 3,11).222 Dieses Wort des Täufers wird in der Apostelgeschichte im Hinblick auf die Geistausgießung an Pfingsten (Apg 1,5) und als Erklärung für den Geistempfang des Cornelius und anderer Heiden in Cäsarea (Apg 11,16) zitiert. In den Evangelientexten liegt eindeutig eine Metapher für den Geistempfang vor. In Apg 1,5 und 11,16 wird die Formulierung auf Kontexte angewendet, wo der Empfang des Heiligen Geistes dem Untertauchen in Wasser (d.h. der Wassertaufe) vorausgeht. Da Paulus das Verb βαπτι' ζω in V. 13 im Ersten Korintherbrief zum ersten Mal mit einer uneingeschränkt positiven Bedeutung verwendet, 223 ist die Annahme, dass Paulus hier von der Erfahrung des Geistempfangs in der Bekehrung spricht, am plausibelsten. Die Betonung liegt in V. 13 eindeutig auf dem Geist, den Paulus zwei Mal erwähnt (ε ν ε νι` πνευ' ματι . . . ε ν πνευ^ μα).224 Was Paulus sagen will, ist jedenfalls deutlich: Alle Jesusbekenner haben den einen Geist Gottes und gehören zu dem einen Leib der Gemeinde.225 Die Parenthese in V. 13b Juden und Griechen, Sklaven und Freie erläutert die Wendung „wir alle“ (η μει^ς πα' ντες). Der „Leib“ der Jesusbekenner, die den einen Heiligen Geist haben, besteht aus den ethnischen und religiösen (ει»τε Ιουδαι^οι ει»τε « Ελληνες) sowie den gesellschaftlichen (ει»τε δου^ λοι ει»τε ε λευ' θεροι) Gruppen, die traditionell getrennt waren. Eine ähnliche Aufzählung finden wird in Gal 3,28 (erweitert um das Begriffspaar Mann/Frau) und Kol 3,11 (erweitert um Beschneidung/Unbeschnittenheit, Barbar/Skythe). Die Frage, weshalb Paulus hier die Nennung von „Mann und Frau“ unterlässt, lässt sich nicht eindeutig beantworten.226 In Gal 3,28 betont Paulus ausdrücklich, dass für Jesusbekenner die alten, traditionellen ethnischen und gesellschaftlichen Unterschiede und Differenzierungen keine Rolle mehr spielen. Hier in V. 13 unterstreicht Paulus „die in der Gemeinde vorhandene herkunftsmäßige Mannigfaltigkeit“.227 ————————————————————
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Mt 3,11; Mk 1,8; Lk 3,16; Joh 1,33. Vgl. 1Kor 1,13.14.15.16.17; 10,2. Dunn, Theology of Paul, 451. Die Wendung εις εν σω ^ μα beschreibt Ziel und Folge des Geistempfangs: Der Empfang des Heiligen Geistes bedeutet Eingliederung in den „Leib“, gleichzeitig bewirkt er die Entstehung des „Leibes“, der in den folgenden Aussagen beschrieben wird (Lindemann 271, der allerdings im Hinblick auf die Taufe interpretiert). Schrage III 216 interpretiert ausschließlich im lokalen Sinn. Siehe die Erwägungen von Wolff 299; Lindemann 272; Merklein, Studien I, 336-337. Am plausibelsten ist der Hinweis, dass die Schwierigkeiten, die in den Versammlungen der korinthischen Gemeinde entstanden waren, primär gesellschaftlicher Natur waren. Wolff 299. Schrage III 217: die alten Gegensätze werden „als beredtes Zeugnis dafür angeführt, daß selbst solche Antagonismen in die Einheit des zur neuen Welt gehörenden Christusleibes integriert werden“.
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 731 ————————————————————————————————————
Der Satz in V. 13c und wir wurden alle mit dem einen Geist übergossen beschreibt den Empfang des Geistes Gottes. Das Wort ε ποτι' σθημεν ist am besten als Parallelausdruck zu ε βαπτι' σθημεν zu interpretieren: Als Jesusbekenner in den Heiligen Geist „hineingetaucht“ wurden, wurden sie von ihm „übergossen“.228 Im Rückgriff auf atl. Stellen, in denen von der Ausgießung des Geistes Gottes die Rede ist (Ez 36,25-27; Joel 3,1-2; Sach 12,10),229 beschreibt Paulus den Empfang des Geistes Geistes, den die Jesusbekenner erfahren haben.230 14 Mit και` γα' ρ beginnt Paulus im Rückgriff auf V. 12 das Bild vom Leib zu entfalten: Der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen (Gliedern). Stand in V. 12 der Gedanke der Einheit im Vordergrund, so betont Paulus hier die Vielfalt in der Einheit. Nach Philo hat der Leib sieben Glieder, in Übereinstimmung mit der Natur, die eine Vorliebe für die Zahl Sieben hat: Kopf, Hals, Brust, Hände, Bauch, Unterleib, Füße (Leg. All. 1,8-15). Nach späterer rabbinischer Vorstellung hat der Körper des Mannes 248, der Körper der Frau 252 Glieder (Bill. III, 448). Die Zahlen ergeben sich aus dem hermeneutischen Verfahren der Gematria: 248 ist der Zahlenwert des Namens ( אברהםbNed 32b; Gen.R. 69; für die 252 Glieder der Frau siehe bBekh 45a). Als „Abram“ hatte er 243 Glieder, nach der Beschneidung und der Namensänderung in „Abraham“ ließ Gott ihn über fünf zusätzliche Glieder herrschen: die beiden Augen, die beiden Ohren, und die Spitze des männlichen Glieds.
Die Feststellung, dass der menschliche Leib viele Glieder hat, ist die Grundlage für die Entfaltung des Bildes in den folgenden Aussagen. 231 15-16 Mit „Reden“ des Fußes und des Ohrs verdeutlicht Paulus die absurde Vorstellung, dass die Glieder des Leibes unabhängig vom Leib existieren könnten. Wenn der Fuß (ο που' ς) sagt:232 „Ich bin keine Hand“ (ου κ ει μι` ————————————————————
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Das Verb ποτι'ζω bedeutet 1. „trinken lassen, zu trinken geben“, 2. „tränken“, 3. „begiessen“; vgl. Bauer /Aland 1394 s.v. Die LXX verwendet an diesen Stellen nicht das Verb ποτι'ζω. Fee 604-605; Garland 591; vgl. Weiss 303. Schwierig ist, dass εν πνευ^ μα nicht mit dem Dativ formuliert wird. Ein Bezug auf die Taufe (Wolff 299: „Pneumamitteilung an den Täufling“; Schrage III 217-218; Lindemann 272) oder auf das Herrenmahl (Schlatter 346347; Käsemann, Leib, 176; Klauck, Herrenmahl, 334-335; Horn, Angeld, 174) ist weder notwendig noch naheliegend. Schrage III 221 kommentiert: „Jede Isolierung und Verabsolutierung eines einzelnen ist ein ebensolcher Widersinn wie ein für sich betrachtetes, nicht aus seiner Funktion für den ganzen Leib verstandenes einzelnes Glied . . . Jedes Glied hat seine besondere Funktion“; ähnlich Thiselton 1002. Dies ist zwar richtig, aber in V. 14 nicht angesprochen, wo von den Funktionen der verschiedenen Glieder nicht die Rede ist. Die Protasis des mit ε α` ν ει»πη, + Konj. formulierten Konditionalsatzes „bezeichnet etwas, womit man – unter Umständen – rechnen kann oder muss“ (HS §282a).
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χει' ρ), so ist das zwar richtig. Aber die Folgerung: „ich gehöre nicht zum Leib!“ (ου κ ει μι` ε κ του^ σω' ματος) ist absurd. Paulus stellt dies mit dem nächsten Satz deutlich heraus: so gehört er deswegen doch zum Leib.233 Nach einem äußeren Gliedmaß kommt in einer parallel formulierten Aussage in V. 16 ein inneres Sinnesorgan zu Wort. Wenn das Ohr (το` ου ς) sagt: „Ich bin kein Auge“ (ου κ ει μι` ο φθαλμο' ς), so ist auch das eine richtige Feststellung. Absurd wäre jedoch die Folgerung: „ich gehöre nicht zum Leib!“ (ου κ ει μι` ε κ του^ σω' ματος). Paulus wiederholt die korrigierende Feststellung von V. 15b: so gehört es deswegen doch zum Leib. Die Einheit des Leibes und die Vielfalt der Glieder gehören zusammen, Unterschiede begründen keine Unabhängigkeit. Manche meinen, Paulus wolle mit diesen Aussagen „jenen Gemeindegliedern, über die sich die sog. Pneumatiker (vor allem wohl die Glossolalen) erhoben wähnten, das Gefühl der Minderwertigkeit nehmen“. 234 Von einer unterschiedlichen Wertigkeit ist in V. 15-16 jedoch nicht die Rede, 235 auch wenn in der Antike die Hand gegenüber dem Fuß und das Auge gegenüber dem Ohr als die wichtigeren Glieder galten. 236 Paulus betont, dass Glieder sich vom Leib nicht distanzieren können.237 17 Mit zwei rhetorischen Fragen führt Paulus den Versuch der Absolutsetzung eines einzelnen Gliedes ad absurdum. Nachdem in V. 16 das Ohr im Gegenüber zum Auge zu Wort kam, ist die erste Frage in V. 17a von der Perspektive des Auges her formuliert: Wenn der ganze Leib (ο« λον το` σω ^ μα) Auge wäre, wo bliebe dann das Gehör? (που^ η α κοη' ;) Ein Leib, der nur aus einem Auge besteht, kann nicht hören. Und wenn der ganze Leib Gehör wäre, wo wäre dann der Geruchssinn? (που^ η ο» σφρησις;) Ein Leib ist nur dann ein lebendiger Organismus, wenn er aus einer Vielfalt von Gliedern besteht. ————————————————————
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Der Satz ου παρα` του^ το ου κ ε»στιν ε κ του^ σω' ματος ist nicht als Fragesatz zu lesen (so NA27), sondern als Aussagesatz (NA25): Die Verneinung wird nicht mit μη' , sondern mit ου formuliert. HS §248a.2b; BDR §236 Anm. 6; NSS II 85. Bengel 665: interrogatio . . . sensum pervertit. Vgl. Schrage III 222; Lindemann 272. Wolff 300; vgl. Meyer 352; Weiss 304-305; Conzelmann 259; Klauck 90; Hays 215; Schrage III 222-223; Garland 594. Fee 610; Lindemann 272-273; vgl. Bachmann 386-387. Nach Senft 162 greift Paulus die „Enthusiasten“ höchstens indirekt an. Lindemann, Kirche, 141 weist darauf hin, dass man bei dieser Auslegung die unwahrscheinliche Vermutung anstellen müsste, „daß das Unterlegenheitsgefühl zu einem Selbstausschluß aus der Gemeinde führt oder führen könnte“. Epiktet, Diss. 2,10,4; Aristoteles, An. 3,8,432a. Vgl. E. Lohse, ThWNT IX, 413-415.419; W. Michaelis, ThWNT V, 376; K. Weiß, ThWNT VI, 624-625.627-628. Lindemann, Kirche, 141.
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 733 ————————————————————————————————————
18 Mit einem logischen νυνι` δε' eingeleitet formuliert Paulus die in der Schöpfung Gottes angelegte Vielfalt der Glieder in einem menschlichen Körper: Nun aber hat Gott die Glieder . . . so in den Leib eingesetzt, wie er entscheiden hat. Damit im Zusammenhang der Sinn unmissverständlich klar ist, fügt Paulus nach „die Glieder“ ergänzend die Wendung jedes einzelne von ihnen (εν ε«καστον αυ τω ^ ν) ein. Paulus macht folgende Aussagen. Erstens, Gott selbst hat die einzelnen Glieder „eingesetzt“ (ε»θετο τα` με'λη), d.h. geschaffen. Zweitens, Gott hat die einzelnen Glieder „im Leib“ (ε ν τω ^, σω' ματι) eingesetzt, d.h. er hat ihnen eine je unterschiedliche Stellung und Funktion gegeben. Drittens, die Struktur und die Ordnung des Leibes und seiner einzelnen Glieder entspricht dem souveränen Willen Gottes (καθω` ς η θε'λησεν).238 19 Mit einer erneuten rhetorischen Frage wiederholt Paulus die Aussage von V. 15-17: Wenn alle (Glieder) nur ein Glied wären, wo wäre dann der Leib? Von einem Leib kann man nur dann reden, wenn ein Organismus alle die zu ihm gehörenden Glieder hat. Ein Leib mit nur einem einzigen Glied (εν με'λος) ist kein Leib (που^ το` σω ^ μα;). 20 Auf V. 18 zurückgreifend wiederholt Paulus die bereits in V. 14 formulierte Aussage: So gibt es aber viele Glieder, aber nur einen Leib. Die Vielfalt der Glieder (πολλα` με'λη) und die Einheit des menschlichen Körpers (εν σω ^ μα) sind unumstößliche Tatsachen der Schöpfung Gottes. 21 Mit einem kopulativen δε' angeschlossen kommt Paulus auf einen neuen Aspekt des Bildes vom Leib zu sprechen. Ging es in V. 15-16.17-19 um die Distanzierung eines Gliedes vom Leib und um die Absolutsetzung eines Gliedes als Leib, spricht er in V. 21-26 von der Distanzierung eines Gliedes von einem anderen Glied. Paulus formuliert wieder Körperteile personifizierend im Stil der Fabel: Das Auge kann nicht zur Hand sagen: „Ich brauche dich nicht!“ (χρει' αν σου ου κ ε»χω). Paulus setzt nicht den Fuß gegen die Hand, wie man von V. 15 her erwarten könnte, sondern das Auge. Die Wendung ου δυ' ναται formuliert eine widersinnige Möglichkeit.239 Wenn ein menschlicher Körper keine Hände hat, kann das Auge weder den Broterwerb ————————————————————
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Das Wort ε«καστον oder das Verb ε»θετο begründet noch keine „Nähe zur sonstigen Charismenterminologie“, die Schrage III 223 zu erkennen meint. Die Schwierigkeit, die sich ergibt, wenn man das Bild vom Leib von dem Begriff „Leib Christi“ her erklärt, zeigt sich in dem Warnung Schrages, dass aus V. 18 nicht der Schluss zu ziehen sei, „daß die vom Schöpfer gegebene Naturanlage als starre Rahmenbedingungen für die Funktion im Leib Christi festgeschrieben werden soll. Charismen finden ihre Bestimmung und Begrenzung nicht allein am Schöpfungspotential“ (ebd. 224). Conzelmann 260. Anders Weiss 305: „Es ist κατα` φυ' σιν unmöglich“; vgl. Theophylakt 720; Lindemann 273 spricht von einer „objektive(n) Unmöglichkeit“.
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noch die Nahrungsaufnahme steuern, für die die Hände unabdingbar sind. Wenn das Auge sich der Hände entledigte, könnte der Leib nicht lange leben. Das Auge braucht die Hand.240 Vom Auge kommt Paulus auf den Kopf zu sprechen: Der Kopf kann nicht zu den Füßen sagen: „Ich brauche euch nicht!“ (χρει' αν υ μω ^ ν ου κ ε» χω). Die Aussage ist praktisch identisch: Der Kopf kann sich nicht der Füße entledigen, die für die Fortbewegung und damit für den Broterwerb und den Erhalt des Lebens notwendig sind. Mit „Kopf“ (η κεφαλη' ) und „Füße“ (οι πο' δες) nennt Paulus den obersten und den untersten Körperteil, „in der Absicht, eine Distanzierung als unmöglich (!) zu erweisen“.241 Es ist umstritten, ob in V. 20 (und in den folgenden Aussagen) eine „verborgene Polemik“ gegen die Enthusiasten in Korinth vorliegt, die eine „selbstherrliche Verabsolutierung der eigenen Position“ vertreten, die mit einer „Fehleinschätzung auch der anderen“ einhergeht.242 Es steht außer Frage, dass es sich um metaphorisch zu deutende Aussagen handelt. Dass konkrete Konflikte innerhalb der korinthischen Gemeinde angesprochen werden, scheint aber unwahrscheinlich. Die Wendung ου δυ' ναται . . . ει πει^ν wäre als Appell zu lesen, und Paulus würde die Selbsteinschätzung jener Enthusiasten als „Auge“ und als „Kopf“ anerkennen und sie lediglich vor Selbstüberschätzung warnen, was wenig wahrscheinlich ist. 243 Gleichzeitig entstünde im Rahmen einer Auslegung, die den Gedanken von der Gemeinde als „Leib Christi“ voraussetzt, eine Spannung zu 11,3, wo Christus als „Haupt“ des Leibes bezeichnet wird. 22-24a Die Glieder des Leibes, die schwächer (α σθενε'στερα) zu sein scheinen (V. 22),244 sind wahrscheinlich identisch mit den Gliedern, die uns weniger ehrbar (α τιμο' τερα) zu sein scheinen (V. 23a) sowie mit den weniger anständigen Gliedern (τα` α σχη' μονα, V. 23b). Bei allen drei Ausdrücken ————————————————————
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Arzt-Grabner 417-418 verweist für die Wendung χρει'αν τινος ε»χω, die in den Papyri meist auf Sachwerte bezogen ist, aber auch auf Personen bezogen vorkommt, auf P.Lond. III 904 Kol. II,28-29 (104 n.Chr.): Die Stadt Alexandrien hat Bedarf nach einer gewissen Anzahl von Leuten aus den benachbarten ländlichen Gebieten, um das Gemeinwesen funktionsfähig zu halten. Lindemann 273. Schrage III 225; vgl. Klauck 90; Lang 173; Senft 163; Wolff 300; Hays 215-216; Thiselton 1005; Garland 595. Lindemann 274; ders., Kirche, 142-143; vgl. Kremer 272; Collins 464; zurückhaltend auch Fee 612, der einen Hinweis auf Personen, nicht jedoch auf Gaben sehen will. Theodoret 328: Leber und Gehirn; Bengel 666: die Hände. Meyer 353: „die zarten Sinneswerkzeuge wie Auge und Ohr“; ein Bezug auf Augen und Ohren ist wegen V. 21 unwahrscheinlich. Weiss 306: der Rumpf, so auch Bachmann 385: „der Leib überhaupt abgesehen von dem Haupt, der Hand und dem Fuße, die unverhüllt bleiben“; Schlatter 348: die Brust und der Unterleib. Fee 613: innere Organe.
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ist wahrscheinlich an die Geschlechtsteile gedacht. 245 Diese Glieder sind umso notwendiger (πολλω ^, μα^λλον . . . α ναγκαι^α' ε στιν, V. 22): Ohne sie gibt es keine Fortpflanzung, ohne sie gibt es bald keinen Leib mehr, ohne sie stirbt die Menschheit aus. Diesen Gliedern erweisen wir besondere Ehre (του' τοις τιμη` ν περισσοτε'ραν περιτι' θεμεν, V. 23a), d.h. wir geben uns bei ihrer Verhüllung durch unsere Kleidung am meisten Mühe.246 Diese Glieder haben besondere Wohlanständigkeit (ευ σχημοσυ' νην περισσοτε' ραν ε» χει, V. 23b), d.h. wir bringen ihnen in besonderer Weise Anstand und Respekt entgegen. Unsere anständigen Glieder (τα` δε` ευ σχη' μονα η μω ^ ν) haben eine besondere Behandlung nicht nötig (ου χρει' αν ε»χει). Paulus spricht vom Leib, die korinthischen Christen sollen gleichzeitig an ihr Verhalten denken. Viele meinen, dass Paulus quasi allegorisch an die pneumatisch-religiösen Gruppen innerhalb der Gemeinde denkt. 247 Die Christen, die sich pneumatisch besonders begabt vorkommen, vor allem diejenigen, die prophetische Botschaften verkündigen und glossolalisch reden und dabei auf die weniger begabten Christen herabschauen, sollen aus dem Gleichnis vom Leib lernen, dass die Gemeinde auch diese Christen braucht, zumal solche, die „nur“ die Gabe der Hilfeleistungen haben und bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten der Gemeindeglieder in der Küche dienen. H. Conzelmanns Mahnung im Blick auf diese Auslegung ist zu beachten: „Die Gedankenführung verläuft nicht so, daß sich Paulus theoretisch einen Augenblick auf die Seite der Nicht-Pneumatiker stellt. Er argumentiert von der Voraussetzung her, daß alle Charismatiker sind“.248 Andere gehen davon aus, dass Paulus die sozialen Unterschiede in der Gemeinde vor Augen hat.249 Die gesellschaftlich höherstehenden Christen haben, wie die Schwierigkeiten bei der Feier des Herrenmahls zeigen (11,17-34), die aus den armen Schichten stammenden Mitchristen in der Gemeinde verachtet, ja hungern lassen. Sie haben wohl über diese Habenichtse die Nase gerümpft; sie werden durch ihre Gegenwart in den Gemeindeversammlungen peinlich berührt gewesen sein, zumal diese armen Christen in ihre Häuser kamen, in denen die Gemeinde sich traf. Paulus besteht darauf, dass alle Christen mit Würde und Ehrerbietung behandelt werden, auch die angeblich weniger ehrwürdigen Christen. Bei dieser Auslegung ist jedoch zu beachten, dass man nicht davon ausgehen sollte, dass Paulus die jeweilige ————————————————————
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Wolff 300; Lindemann 274; Garland 596; Schrage III 226 nur im Blick auf V. 23. Das Verb περιτι'θημι wird meistens im Sinn der Kleidung interpretiert, vgl. Meyer 354; Weiss 306; Lietzmann 63; Bachmann 385; Wolff 300; Schrage III 226; Lindemann 274. Lang 173; Wolff 300; Schrage III 227. Conzelmann 261. Hays 215-216; Thiselton 1007; Garland 596; Martin, Tongues, 568-569; Martin, Body, 94-95; Winter, Corinth, 193.
736 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Selbsteinschätzung der unterschiedlichen Gruppen als „notwendig gegeben“ bezeichnet.250 Grundsätzlich gilt, dass Paulus nicht explizit allegorisch redet, sondern analogisch: Manche Glieder „scheinen“ (δοκου^ ντα) schwach, weniger ehrbar oder weniger anständig zu sein, in Wirklichkeit sind sie jedoch notwendig und können vom Leib nicht entfernt werden, ohne dass man diesem irreparablen Schaden antut. In 8,9-12 forderte Paulus Rücksichtnahme auf die schwachen Gemeindeglieder, die aufgrund ihres ungefestigten Gewissens leicht zu Fall kommen können. Wenn er in 9,22 im Rahmen seines missionarischen Grundverhaltens betont, dass er den Schwachen ein Schwacher wurde, damit er die Schwachen gewinnt, dann ist hier vielleicht die indirekte Mahnung zu hören, dass die stärkeren Glieder für die schwachen sorgen sollen, damit dem „Leib“ kein Schaden entsteht und die Einheit der Gemeinde gewahrt bleibt. Aus der Verbindung von 8,9-12 und 9,22 ergibt sich auch die Möglichkeit, dass Paulus, der sich primär als (Heiden-)Missionar verstand, bei den „schwächeren“, den „weniger ehrbaren“ und den „weniger anständigen“ Gliedern an neubekehrte Heidenchristen denkt, deren Gewissen durch das Evangelium noch nicht gefestigt ist und die deshalb zum Götzendienst verführt werden könnten und auch sonst Verhaltensweisen als normal betrachten, die von reifen Christen als wenig ehrbar und als unanständig angesehen werden. Wenn Paulus hier, wie in Kap. 7 und 8, als „Anwalt der Schwachen“ 251 spricht, dann vielleicht gerade als Anwalt der Neubekehrten. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, dass Paulus neben 9,22 schon in 1,27 und in 4,10 in ironischer Weise „Schwäche“ mit der Botschaft vom Kreuz Jesu verbunden hatte. Die „vornehmsten“ Glieder der Gemeinde Jesu sind gerade die in vielerlei Hinsicht schwachen und wenig ehrbaren neubekehrten Christen, denn das Wirken des Geistes Gottes ist an diesen jungen Jesusbekennern am deutlichsten zu erkennen, die ebenfalls vom Geist Gottes verschiedene Gaben, Dienste und Kräfte zugeteilt bekommen haben. 24b Auf V. 18 zurückgreifend betont Paulus, dass Gott den Leib geschaffen hat: Gott aber hat den Leib zusammengesetzt (ο θεο` ς συνεκε' ρασεν το` σω ^ μα), und zwar genau den Leib, der aus Füßen und Händen (V. 15), aus Ohren und Augen (V. 16), aus dem Geruchssinn (V. 17) und aus den Geschlechtsteilen (V. 22-23) besteht. Paulus wiederholt die Aussage von V. 23 und führt sie auf Gottes Handeln zurück: Gott hat dem geringeren Glied (τω ^, υ στερουμε'νω, , zu ergänzen ist με'λει) mehr Ehre gegeben (περισσοτε' ραν ————————————————————
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Lindemann 274. Schlatter 349.
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 737 ————————————————————————————————————
δου` ς τιμη' ν). Dieser Satz bezieht sich auf die weniger „ehrbaren“ und weniger „anständigen“ Glieder des menschlichen Körpers. 25 Der Finalsatz damit es im Leib keine Spaltung gibt zeigt, dass Paulus spätestens jetzt nicht mehr nur vom menschlichen Leib spricht, sondern zugleich die Gemeinde im Blick hat. Gott hat den menschlichen Leib mit seinen verschiedenen Gliedern so geschaffen, dass es keine „Spaltung“ im Körper gibt. Die meisten interpretieren das Wort „Spaltung“ (σχι' σμα) im Sinn der Spaltungen (σχι' σματα) von 11,18. 252 Paulus geht es zunächst um die eigentlich nicht mögliche Vorstellung, dass es im menschlichen Körper eine „Spaltung“, d.h. einen Bruch geben könnte, der bestimmte Glieder von anderen Gliedern trennt. Gott hat den menschlichen Leib so geschaffen, dass die Glieder einträchtig füreinander sorgen (α λλα` το` αυ το` υ πε` ρ α λλη' λων μεριμνω ^ σιν τα` με'λη). Im menschlichen Leib kümmern sich die einzelnen Glieder um die anderen Glieder und tragen Sorge für deren Wohlergehen, damit der Leib nicht zu Schaden kommt. Auf die Gemeinde angewendet bedeutet dies: In der Gemeinde darf es nicht zu einem Bruch zwischen einzelnen Gemeindegliedern kommen, da dieser dem Leib irreparablen Schaden zufügen würde. Anmaßende Äußerungen über die Wichtigkeit der eigenen Position und der eigenen Gaben darf es genauso wenig geben wie verachtende Urteile über die angebliche Bedeutungslosigkeit anderer Mitchristen und ihrer weniger spektakulären Gaben. Jedes Gemeindeglied hat seinen Platz und seine Würde von Gott zugewiesen bekommen. Und da alle Glieder aufeinander angewiesen sind, sollen alle Glieder für einander sorgen, und zwar „einträchtig“ (το` αυ το' ). Für die bessergestellten korinthischen Christen bedeutet dies, dass sie sich nicht nur um die ebenfalls wohlhabenden Christen kümmern sollen (wie man das in der hierarchischen römischen Gesellschaft gewohnt war) und sich nicht von den ärmeren Christen bedienen lassen sollen, sondern dass sie sich selbst aktiv um diese armen Mitchristen kümmern sollen, d.h. dass sie ihnen helfen, wo sie Hilfe brauchen. Bei der Frage der Speisen bei den gemeinsamen Mahlzeiten in den Gemeindeversammlungen hätte dies sofort ganz praktische Konsequenzen: die hungrigen Gemeindeglieder würden nicht mehr hungern müssen, wenn die reicheren Christen sich um sie kümmerten. Diese sollen sich um die „weniger ehrbaren“ Gemeindeglieder gerade deshalb kümmern, weil die Meinung, sie bräuchten diese Mitchristen nicht (V. 20-21), falsch ist: Alle Gemeindeglieder werden gebraucht, die armen genauso wie die neubekehrten. Für die ärmeren Gemeindeglieder bedeutet die Aussage in V. 25 – Paulus spricht mit α λλη' λων alle Glieder an –, dass sie für die anderen ————————————————————
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Weiss 306; Conzelmann 261; Wolff 300; Schrage III 228; Collins 465; Garland 59. Vgl. den Plural σχι'σματα, den אD* F G u.a. an dieser Stelle lesen. Anders Lindemann 274.
738 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Christen Sorge tragen sollen, wo auch immer sie die Möglichkeit zum Dienen haben. „Geben und Nehmen durchdringen einander im Leben der Gemeinde, weil jeder sein eigenes Charisma hat“. 253 26 Die Einheit des Leibes, dessen einzelne Glieder füreinander sorgen, wird mit dem Gedanken des Verbundenheitsgefühls (συμπα' θεια) erläutert: Das Leiden und die Ehrung eines Gliedes (εν με'λος) betrifft „alle Glieder“ (πα' ντα τα` με'λη), d.h. den ganzen Leib, den ganzen Menschen. V. 26a ist von der alltäglichen Erfahrung her formuliert:254 Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit. Wenn ein Körperteil eine Verletzung erlitten hat (πα' σχει ε ν με'λος),255 wird der Schmerz vom ganzen Körper erfasst (συμπα' σχει πα' ντα τα` με'λη). Auf der metaphorischen Ebene bedeutet dies zunächst buchstäblich: Gesunde Christen kümmern sich um kranke Mitchristen – mit der Gabe der Heilung, wenn Gott ein Wunder gewährt, mit der Übernahme von Arztkosten, wenn dies notwendig wird, auf jedenfall mit Besuchen und der praktisch möglichen Linderung des Leidens. Man stelle sich vor: Ein wohlhabender Villenbesitzer, der zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist, besucht einen kranken Handwerker in dessen dunkler Mietswohnung und hilft der Familie, zum Beispiel indem er Nahrungsmittel mitbringt! Derselbe reiche Christ würde die traditionellen Verhaltensmuster auch dadurch erschüttern, dass er sich, wenn er krank wird, von einem armen Mitchristen besuchen lässt, der im Markt arbeitet und ihm Obst vorbeibringt. Auf die Schwierigkeiten beim Herrenmahl angewendet, hat das Mitleiden praktische Konsequenzen: Wenn es Christen gibt, die hungernden Mitchristen mit Nahrungsmitteln helfen können, dann wird authentische συμπα' θεια dieses Leiden lindern. Der Satz in V. 26b: wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit kann ebenso buchstäblich verstanden werden wie die Anteilnahme am Leiden. Wenn ein Gemeindeglied „geehrt“ (δοξα' ζεται) wird, kann sich dies auf die Ehrung eines Stifters beziehen, der vom Magistrat und dem Volk einer Stadt für finanzielle oder anderweitige Leistungen öffentlich gelobt wird, z.B. durch die Aufstellung einer Ehreninschrift.256 Erastus, der von ————————————————————
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Wolff 301. Schrage III 229 will το` αυ το' von V. 24b her auf „dieselbe Verpflichtung gegenüber den Benachteiligten“ beziehen, „die besondere Aufmerksamkeit erfahren sollen“. Paulus betont mit dem Bild vom Leib jedoch die gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen Glieder voneinander und damit die Einheit des Leibes. Deshalb die Formulierung im Indikativ (συμπα' σχει . . . συγχαι'ρει). Das Verb πα' σχω beschreibt zwar neutral ein intensives „Empfinden“, hat aber in den meisten Belegen mit dem „Erleiden“ von etwas Negativem zu tun. Für diese Bedeutung des Passivs δοξα' ζεται vgl. OGIS 168,56; vgl. LSJ 444 s.v. Das Subst. δο' ξα kommt öfter in Ehreninschriften vor (in der Datenbank PHI #7 sind 500 Belege erfasst); vgl. IG II2 223 B 6.9 (der Geehrte erhält eine Krone); SEG XXV 112 (der Geehrte erhält eine Statue); IG II2 337,34 (der Geehrte erhält Subventionen für den Bau
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Paulus in Röm 16,23 erwähnte Stadtkämmerer Korinths (ο οι κονο' μος τη^ ς πο' λεως), ist möglicherweise identisch mit dem Erastus, der auf einer östlich des Bühnengebäudes des Theaters gefundenen Inschrift geehrt wird, weil er als Dank für seine Wahl in das Ädilenamt das Pflaster des Platzes gestiftet hat (s. die Einleitung).257 Wenn man V. 26 buchstäblich versteht, wäre eine solche Ehrung in der Gemeinde gefeiert worden (συγχαι' ρει πα' ντα τα` με'λη). E. Ebel kommentiert das die Statusgrenzen überschreitende Zusammengehörigkeitsgefühl der Christen, die sich mit Bruder und Schwester anreden, im Blick auf die Lehre von den Charismen, dass Christen alle gleichermaßen die Möglichkeit hatten, „sich durch ihre individuelle Begabung auszuzeichnen. Dieses Konzept kann als Gegenentwurf zu der Praxis in Vereinen ausgelegt werden, denn in diesen ist die Übernahme von Ämtern zumeist mit finanziellen Belastungen verknüpft und deshalb für ärmere Menschen nur unter erheblichem Aufwand möglich“.258 27 Im Anschluss (kopulatives δε') an V. 26 wendet Paulus jetzt259 das Bild vom menschlichen Leib explizit auf die Gemeinde an: Ihr aber seid Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied (an ihm). V. 27 ist wohl weniger eine Zusammenfassung des Abschnitts V. 12-26260 als der Beginn des neuen Abschnitts V. 27-31, der das Bild vom Leib für das Thema der Gaben des Geistes fruchtbar macht.261 Dafür spricht der Wechsel in die 2. Pers. Plural (zum ersten Mal seit V.1-2) und die thesenartige Formulierung. Die korinthischen Christen, die Paulus direkt anspricht (υ μει^ς ε στε), sind nicht nur „Leib“, sie sind „Leib Christi“ (σω ^ μα Χριστου^ ), was für die einzelnen Christen (ε κ 262 με'ρους) bedeutet, dass sie „Glieder“ (με'λη) sind, d.h. Teil einer größeren Einheit. Der Genitiv in der Wendung σω ^ μα Χριστου^ ist nicht als gen. appositivus oder explicativus zu verstehen (der Leib, d.h. die Gemeinde, ist mit Christus identisch), sondern als gen. possessivus: Der Leib, d.h. die Gemeinde, gehört Christus. In Kol 1,24 und Eph 1,23; 4,4.12 (vgl. 4,15-16; 5,23) ————————————————————
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eines Tempels). Vgl. Henry, Honours, 37.205.296.300. Kent, Corinth VIII, iii, 99 (Nr. 232). Gill, Erastus, 203-301; Clarke, Leadership, 46-56. Ebel, Attraktivität, 219. Lindemann 275: Paulus setzt nicht voraus, dass die korinthischen Leser die Wendung σω ^ μα Χριστου^ als einen ekklesiologischen Begriff kennen, „noch scheint er überhaupt einen vorgegebenen Begriff anzuwenden, sondern dieser ergibt sich für ihn offenbar erst als Ergebnis seiner Gedankenführung“; vgl. ders., Kirche, 144; Kremer 275. Weiss 307; Conzelmann 261; Wolff 301. Lietzmann 63; Fee 616-617; Senft 153; Kremer 275; Collins 467. ε κ με' ρους bedeutet hier „als Teil angesehen“ (Bauer /Aland s.v. με' ρος 1c; BDR §212 Anm. 4), d.h. „jeder einzelne“; vgl. J. Schneider, ThWNT IV, 600: „ein jeder ist ein Glied daran nach seinem Teil“. Arzt-Grabner 426 verweist auf UPZ I 110,182, wo sich ε κ με' ρους ebenfalls auf die einzelnen „Teile“ einer Gemeinschaft bezieht. In 13,9-10.12 liegt die sonst übliche Bedeutung „teilweise“ vor.
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verwendet Paulus den Ausdruck „Leib Christi“ ebenfalls, in Eph 1,22-23 mit der Betonung, dass Jesus Christus das Haupt ist, das die Gemeinde als sein Leib belebt und beherrscht. Von Christus als „Haupt“ (κεφαλη' ) spricht Paulus in V. 27 allerdings nicht. Der vor σω ^ μα („Leib“) fehlende Artikel deutet an, dass Paulus keine Aussage über das Verhältnis der korinthischen Gemeinde zu anderen Gemeinden machen will, sondern allein über ihr Verhältnis zu Christus und über das Verhältnis der einzelnen Gemeindeglieder zueinander. Jede christliche Ortsgemeinde ist die universale Kirche en miniature.263 Der Ton liegt auf dem Genitiv; das heißt, „daß wir als Christus zugeordnet Glieder der Kirche werden und nicht umgekehrt als Glieder der Kirche an Christus teilhaben“.264 Die Aussage in V. 27 betont die Zugehörigkeit der korinthischen Gemeinde zu Christus („Christi“), die Zugehörigkeit jedes einzelnen Gemeindeglieds zu Christus („jeder einzelne“), die Einheit der Gemeinde als Organismus („Leib“) und die Vielfalt innerhalb der Gemeinde („Glieder“). 28 Mit der Wendung und so hat Gott . . . eingesetzt (και` ου ς με` ν ε»θετο ο θεο' ς) greift Paulus auf V. 18 zurück, wo er mit der gleichen Formulierung betont hatte, dass Gott die Glieder eingesetzt hat (ο θεο` ς ε»θετο τα` με'λη) nach seinem souveränen Willen. Paulus wendet in V. 28-30 das Gleichnis vom Leib (V. 12-26) auf die korinthische Gemeinde an, konkret auf den in der Gemeinde zum Problem gewordenen Umgangs mit den Geistesgaben. Wie Gott die einzelnen Glieder in den menschlichen Leib eingesetzt hat, die harmonisch für einander Sorge tragen und gerade den augenscheinlich schwächeren Gliedern besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen, so hat Gott die in der folgenden Liste genannten Gaben in der Gemeinde (ε ν τη^, ε κκλησι' α, ) eingesetzt, dass sie zum Wohl des ganzen Organismus zum Einsatz kommen. Alle einzelnen Glieder sind Glieder am Leib Christi (V. 27) und haben in der Gemeinde von Gott eine besondere Funktion zugewiesen bekommen. In 2Kor 5,19 verwendet Paulus das Verb τι' θημι in der Aussage, dass Gott ihm das „Wort von der Versöhnung“ gegeben hat. Nach V. 8-11 gehen die in der folgenden Liste aufgezählten Gaben auf den Geist zurück, nach V. 12 auf Christus, nach V. 28 auf Gott. Das auf das Engste miteinander verbundene Wirken Gottes, Christi und des Geistes ist ————————————————————
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Robertson/Plummer 277-278; Fee 617 Anm. 5; Schrage III 230-231 (der dies „zugibt“); Park, Kirche, 302; Gillespie, Theologians, 121-122. Käsemann, Perspektiven, 202, der fortfährt: „Hier hängt alles an der Unumkehrbarkeit der Reihenfolge. Christus ist auf dem Plan, bevor Kirche wird, und er löst sich nicht in sie auf. Er bleibt als Schöpfer und Richter das Gegenüber zu seinen Gliedern“. Er wendet sich gegen Aussagen wie die von Nygren, Corpus Christi, 22, der schreibt: „Die Kirche ist Christus, wie er nach seiner Auferstehung unter uns gegenwärtig ist“.
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analog V. 4-6 formuliert, wo Paulus die Zuteilungen von Gaben, Diensten und Kräften auf den Geist, auf den Herrn und auf Gott zurückgeführt hatte.265 W. Schrage erläutert das Verb ε» θετο dahingehend, dass die gemeindlichen Funktionen „nicht einfach dem Gestaltungswillen der einzelnen Glieder und der Selbstorganisation der Gemeinde“ entspringen, sondern sich der „Setzung“ oder Entscheidung Gottes verdanken. Umstritten ist, ob mit ε κκλησι' α die Ortsgemeinde im strikten Sinn gemeint ist oder die „weltweite“ Gemeinde Jesu Christi. Manche weisen darauf hin, dass die Apostel Aufgaben und Funktionen hatten, die nicht auf eine lokale Gemeinde beschränkt waren, sondern übergemeindliche Bedeutung und Kompetenz hatten.266 Andere beschränken sämtliche in der Liste genannten Funktionen auf die Ortsgemeinde.267 Solche Überlegungen gehen von der anachronistischen Annahme aus, Paulus müsse immer konsequent zwischen gemeindlichen und übergemeindlichen Diensten unterscheiden.268 Paulus selbst hat als Pioniermissionar, der von Stadt zu Stadt reist und das Evangelium von Jesus Christus verkündigt, übergemeindliche Erfahrung. Und als Gründer von Ortsgemeinden, der neu bekehrte Jesusbekenner im christlichen Glauben unterweist, hat er gemeindliche Erfahrung. Paulus wirkt als Apostel in einem weltweiten, internationalen Horizont (2Kor 2,14; 5,20; Röm 1,5), und er wirkt als Gemeindeleiter und Lehrer in einem lokalen Kontext, was nicht zuletzt seine Briefe bezeugen. Viele der urchristlichen Apostel und Missionare werden sowohl übergemeindlich gearbeitet haben und gleichzeitig in einer Ortsgemeinde tätig gewesen sein. Epaphras ist ein gutes Beispiel: Er hatte im oberen Lykostal Gemeinden gegründet und betreut (Kolossae, Laodikeia), und er gehörte zeitweise zum übergemeindlich arbeitenden Team des Apostels Paulus (Kol 1,7; 4,12; Phlm 23). Die Reichweite und die Wirkungen der Träger der Gaben, die Gott, Christus und der Geist den einzelnen Jesusbekennern gegeben hat, sind nicht auf eine Ortsgemeinde beschränkt, sondern greifen auf die Welt aus,269 sie existieren jedoch nie im unbestimmten Raum einer nirgends konkret greifbaren Kirche, sondern haben sich immer auch einer Ortsgemeinde gegenüber zu verantworten. Die Liste der in der Gemeinde von Gott eingesetzen Gaben beginnt mit drei Personengruppen, die im Blick auf die Gründung und den Bestand der Gemeinde als die wichtigsten Charismen gelten. Die Wertigkeit, die die ————————————————————
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Wolff 305. Zum folgenden Zitat s. Schrage III 231. Kümmel 188; Schrage III 231 Anm. 702; Giesriegl, Sprengkraft, 135-136; Hainz, Ekklesia, 152-153; Roloff, Kirche, 139. Vgl. Barrett 293; Lindemann 277; Harnack, Kirchenverfassung, 18-19.155-173. Zu Recht kritisch ist E. Schweizer, ThWNT VII, 1071; vgl. Conzelmann 262; Fee 620 Anm. 17; Schrage III 235; Schatzmann, Charismata, 87-89. Conzelmann 262; Schrage III 235.
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Ordinalzahlen erstens (πρω ^ τον), zweitens (δευ' τερον) und drittens (τρι' τον) zum Ausdruck bringen, ist am besten in einem chronologischen Sinn zu verstehen: Ohne Apostel, Propheten und Lehrer hätte es weder in Jerusalem noch in Cäsarea oder in Antiochien noch in einer anderen Stadt Gemeinden gegeben. Die drei Ämter der Apostel, Propheten und Lehrer findet man im NT sonst nur noch (bezeichnenderweise!) in Antiochien: Nach Apg 13,1 wurde die dortige Gemeinde, von „Propheten und Lehrern“ geleitet, die Barnabas und Paulus zur Missionsarbeit nach Zypern und Südgalatien aussenden, in deren Verlauf sie in Apg 14,4.14 als „Apostel“ bezeichnet werden.270 Was die Autorität dieser Personen betrifft, ist zu beachten, dass Paulus seinen Brief nicht an die Apostel, Propheten oder Lehrer der korinthischen Gemeinde adressiert, sondern an die gesamte „Gemeinde Gottes, die sich in Korinth befindet“ in der sich „in Christus Jesus Geheiligte, berufene Heilige“ versammeln (1,2). In der deutschen Exegese wird an dieser Stelle die Frage gestellt, wie das Verhältnis von Charisma und Amt zu verstehen ist. Ob sich der Ausdruck „Amt“ für die von Paulus beschriebene bzw. vorausgesetzte Wirklichkeit eignet, hängt davon ab, wie man ihn definiert. Bei den meisten Definitionen spielen offizielle Beauftragung, Konstanz, Legitimierung, Autorität und rechtliche Strukturen eine Rolle.271 J. Roloff definiert: „Ein Amt liegt nämlich dann vor, wenn eine für Bestand und Aufbau der Kirche erforderliche Funktion durch einen festen Personenkreis mit einer gewissen Konstanz ausgeübt wird“.272 Die Gegenüberstellung von „Amt“ und „Geist“, von „charismatischer Organisation“ der frühen Kirche und den rechtlichen Verfassungsformen der späteren katholischen Kirche durch R. Sohm273 hatte weitreichende Folgen für die Exegese, die sich dieser Entgegensetzung häufig anschloss. Karl Holl bestimmte den Kirchenbegriff der Urgemeinde als hierarchisch-rechtlichen und sah ihn in Widerspruch stehen zum „pneumatischen“ Kirchenbegriff des Paulus.274 Der sich an dieses Verständnis anschließende Charisma-Begriff M. Webers war über die Exegese hinaus einflussreich: „Charisma soll eine als außeralltäglich . . . geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften (begabt) oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‚Führer‘ gewertet wird“.275 Es ist heute weithin Konsens, dass man im ————————————————————
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Die Didache erwähnt in 11,1-2 das Lehren, in 11,3-12 die Apostel (α πο' στολοι) und die Propheten (προφη' ται), zu deren Aufgabe das Lehren gehört, und in 13,2 den Lehrer (διδα' σκαλος). Vgl. Schrage III 233 Anm. 717; Brockhaus, Charisma, 24. Roloff, Kirche, 139; vgl. ders., TRE II, 509-510; für die folgende Skizze siehe ebd. Sohm, Kirchenrecht I, 1; kritisch Brockhaus, Charisma, 15-20. Holl, Kirchenbegriff, 54; kritisch Brockhaus, Charisma, 32-34, der A. von Harnack, H. Lietzmann, H. von Campenhausen, E. Käsemann und E. Schweizer auf dieser Linie liegen sieht, vgl. ebd. 20-46. Weber, Wirtschaft, 140.
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 743 ———————————————————————————————————— Blick auf die urchristlichen Gemeinden des ersten Jahrhunderts – greifbar sind neben der Gemeinde in Jerusalem vor allem die paulinischen Gemeinden – zwischen charismatischen (vom Geist gewirkten) und amtlichen (offiziellen) Funktionen nicht unterscheiden kann.276 Was das Wort „charismatisch“ betrifft, ist an die obige Analyse zu erinnern, die ergeben hat, dass „Charisma“ ganz allgemein „Gabe“ („Geschenk“) bedeutet, die auf den Geist, auf Jesus Christus und auf Gott zurückgeführt wird. Weder übernatürliche noch ekstatische Charakteristika sind mit dem Wort als solchem verbunden. J. Roloff meint, Paulus vertrete keine „charismatische Gemeindeverfassung“. Bei den Charismenlisten in 1Kor 12,28 und Röm 12,6-8 gehe es ihm „lediglich um die Zusammenstellung von Beispielmaterial aus der Gemeindewirklichkeit, um die Fülle und den Reichtum der verschiedenen vom Geist ermöglichten Tätigkeiten und Befähigungen im Dienst der Gemeinde zu veranschaulichen. Die Charismen sind nicht nur als spontane Lebensäußerungen, die sich dem freien Walten des Geistes verdanken, gesehen; ihre Darstellung ist zumindest offen für die Entwicklung von permanenten Ämtern und rechtlichen Strukturen . . . Die Charismen sind Wirkungen des Geistes; aber ihr pneumatischer Charakter besteht weder in ihrem übernatürlichen Wesen, noch in ihrer Spontaneität, sondern darin, daß sich in ihnen die Zuwendung Gottes zu seinem Volk konkretisiert. Der Geist selbst setzt Recht, indem er bestimmte Funktionen als verbindlich herausstellt“.277 Wenn man das Wort „Amt“ bzw. „Ämter“ verwendet, sollte man sich daran erinnern, dass Paulus bei seiner Diskussion in 1Kor 12–14 zwar Kriterien für eine rechte Gemeindeordnung erkennen läßt, dass er jedoch weder institutionelle noch rechtliche Amtsbefugnisse gegeneinander abgrenzt, dass er die Gemeinde nicht auf eine normative, verbindlich geregelte Struktur festlegt, und dass er „den Geist nicht dem Amt unterordnet, sondern den mit einem Charisma Begabten zum ‚Amtsträger‘ macht“.278
Auffällig ist an der Gabenliste, dass Paulus zunächst drei personale Bezeichnungen nennt, und im folgenden fünf Abstrakta aufführt. Die These, diese „Unregelmäßigkeit“ deute darauf hin, dass Paulus eine bereits traditionelle Zusammenstellung aufgreift,279 kann nicht verifiziert werden, zumal Paulus offensichtlich ad hoc formuliert und bei Charismenlisten generell Variationen vorkommen. Andere schlagen vor, dass man für die ersten drei Gruppen einen (relativ) festen Personenkreis mit spezifischen Funktionen annehmen müsse, und dass die folgenden fünf Charismen weniger fest an einzelnen Personen haften.280 Dieser Vorschlag ist, zumindest was die Propheten und die Lehrer betrifft, nicht überzeugend. Die vielleicht beste Erklärung weist darauf hin, dass Paulus keine Personen aufzählt, sondern Gaben, Dienste und Kräfte ————————————————————
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Brockhaus, Charisma, 238. Roloff, Kirche, 138-139. Schrage III 233-234 Anm. 717, mit Verweis auf u.a. Wendland 114; Friedrich, Geist, 85; Käsemann, Exegetische Versuche II, 203. Zimmermann, Lehrer, 106-113; vgl. Wolff 306. Schmiedel 170; Weiss 308; Moffatt 190; Giesriegl, Sprengkraft, 127-128; ähnlich Schrage III 233 Anm. 713.
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(12,4.5.6), die den Aufbau der Gemeinde ermöglichen, fördern und gewährleisten sollen (14,3.4.5.6.12.19.26). Keine der aufgelisteten Gaben existiert unabhängig von Personen. Manche der aufgelisteten Gaben kommen leichter ohne eine feste Struktur aus. Manche der erwähnten Dienste werden im Lauf der Zeit – und bei einer wachsenden und großen Ortsgemeinde auch sehr schnell – einen höheren Organisationsgrad entwickeln. Regeln hat Paulus genauso wenig formuliert wie Statuten. Paulus erwähnt als erstes die Apostel (α πο' στολοι; s. oben zu 1,1).281 Die Frage, ob die Apostel zu den Trägern von Charismen gehören, ist müßig: Wenn sie Dienste ausüben und Kräfte freisetzen, die Jesus Christus und Gott der Gemeinde zugeteilt haben (V. 5-6), dann ist ihre Tätigkeit eine Manifestation der Gaben des Geistes (V. 4). Da Paulus an die korinthische Gemeinde als Leib Christi schreibt (V. 27), deren „Glieder“ er in V. 28 aufzählt, dann denkt er bei „Apostel“ nicht nur an die Zwölf, sondern auch an sich selbst als der vom erhöhten Herrn berufene und ausgesandte Verkündiger des Evangeliums, der die Gemeinde in Korinth gegründet hat (vgl. 3,10-11). Als Repräsentant Jesu Christi ist er mit der Autorität des Herrn ausgestattet, der ihn gesandt hat. Paulus fordert in seinen Briefen diese apostolische Autorität nie autoritär ein, noch setzt er sie autoritär durch, sondern er begründet sie stets als Erläuterung des Evangeliums im Horizont der göttlichen Offenbarung in der Heiligen Schrift und der aktuellen Heilsoffenbarung Gottes. So dient er als „Sklave Jesu Christi“ der Gemeinde, damit diese auferbaut wird. W. Schrage weist zu Recht darauf hin, dass „irgendwelche persönlichen Qualitäten, Privilegien oder Superioritätsansprüche“ mit dem „Amt“ des Apostels nicht gegeben sind.282 Wenn der Kreis der Apostel offen ist und man auch an Gemeindeapostel denken muss, die von der korinthischen Gemeinde ausgesandt wurden,283 dann kann man den Unterschied zwischen den Aposteln und den nachfolgend genannten Propheten nicht in der „Einmaligkeit und Unvertretbarkeit des apostolischen Amtes“ sehen.284 Der Unterschied wird eher ————————————————————
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K. H. Rengstorf, Art. απο' στολος κτλ., ThWNT I, 406-446; J.-A. Bühner, EWNT I, 342351; K. Haacker, ThBLNT I, 1654-1667; J. Roloff, TRE III, 430-445; P. W. Barnett, Art. Apostle, DPL 45-51; Schmithals, Apostelamt, passim; Kertelge, Apostelamt, 161181; Brockhaus, Charisma, 112-123; Hahn, Apostolat, 54-77; Giesriegl, Sprengkraft, 135-142; Lohmeyer, Apostelbegriff, passim; Schnabel, Urchristliche Mission, 279-283. Schrage III 235. Beachtenswert ist allerdings der Hinweis von Chrysostomus 265, dass die Apostel deshalb als erste genannt werden, weil sie alle Charismata in sich vereinen; so auch Schürmann, Gnadengaben, 388 (kritisch ebd. 164 Anm. 275). Lindemann 277; kritisch, ohne zu argumentieren, Schrage III 235 Anm. 723. Ob die Gemeinde in Kenchreä (Röm 16,1-2) und weitere Gemeinden in Achaja (1Kor 1,1) von „apostolischen“ Missionaren gegründet wurden, die von Korinth ausgesandt wurden, lässt sich nicht ermitteln. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1145-1146. Schrage III 235.
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darin liegen, dass die Apostel Gemeinden gründen, während die Propheten auf diesen Grund aufbauen, den die Apostel gelegt haben.285 Der Apostel verkündigt das Evangelium in Städten und Dörfern vor Menschen, die noch nichts vom Kommen des Retters Jesus Christus gehört haben; er führt Juden zum Glauben an Jesus den Messias und Polytheisten zum Glauben an den einen wahren Gott und den von ihm gesandter Erlöser Jesus den Kyrios; und er sammelt die Neubekehrten in neu gegründeten Gemeinden. Die Verkündigung der Propheten richtet sich an Jesusbekenner; sie proklamieren und erläutern den Willen Gottes für ihr Verhalten im Alltag, wobei der von den Aposteln verkündigte Glaube die Richtschnur ist. Die Propheten (προφη' ται) werden an zweiter Stelle genannt. Propheten sind Männer und Frauen (11,4-5) in der Gemeinde, denen der Geist die Gabe des prophetischen Redens gegeben hat (V. 10; s. dort zur Prophetie). Das Auftreten der Propheten im Gottesdienst wird in 14,29-33 geregelt. In 14,37 verweist Paulus die Propheten in der korinthischen Gemeinde im Zusammenhang dieser Regelungen auf die Autorität hin, die er vom Herrn erhalten hat: Die Gemeindeprophetie ist und bleibt der Autorität des Apostels untergeordnet. Die Lehrer (διδα' σκαλοι) werden an dritter Stelle genannt.286 Paulus erwähnt sie sonst nirgends, aber die häufigen Aussagen über das Lehren und Unterweisen in der Gemeinde287 geben Aufschluss über die Funktionen der Lehrer. Sie sind Jesusbekenner, die die Heilsoffenbarung Gottes in Jesus Christus im Horizont der Heiligen Schrift kennen und verstanden haben und erzählen, erläutern, unterrichten, verteidigen und auf die Lebenssituation der Christen anwenden können.288 Das Lehren bezieht sich auf die apostolische ————————————————————
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G. Friedrich, ThWNT VI, 856-857; Giesriegl, Sprengkraft, 151-152. K. H. Rengstorf, Art. διδα' σκαλος κτλ., ThWNT II, 138-168; H.-F. Weiß, EWNT I, 764769; K. Wegenast, ThBLNT II, 1256-1265; Greeven, Ämter, 325-344; Schürmann, Gnadengaben, 396-401; Dunn, Jesus and the Spirit, 236-238; Zimmermann, Lehrer; Giesriegl, Sprengkraft, 156-159. Zum Lehren Jesu vgl. Riesner, Jesus, 246-502. Für Belege in den Papyri vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 429, die schließt, dass der διδα' σκαλος generell zu einem Berufsstand gehörte, „der die intellektuelle oder handwerkliche ‚Grundausbildung‘ junger Menschen zur Aufgabe hatte“. Zu διδασκαλι'α, διδα' σκω vgl. Röm 12,7; 15,4; 1Kor 4,17; Eph 4,21; Kol 1,28; 2,7; 3,16; 2Thess 2,15; 1Tim 3,2; 4,6.11.13.16; 5,17; 2Tim 2,2; 3,10.16; Tit 1,9; 2,1.7.10; zu διδαχη' vgl. Röm 6,17; 2Tim 4,2; Tit 1,9; vgl. Apg 2,42; 5,28; 17,19; zu κατηχε' ω vgl. 1Kor 14,19; Gal 6,6; zu παραδι'δωμι vgl. 1Kor 11,2.23; 15,3. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 429 vermutet aufgrund des papyrologischen Befundes: Der διδα' σκαλος könnte in der christlichen Gemeinde „gleichsam als ‚Elementarlehrer der Katechese‘ für die Vermittlung der Grundkenntnisse des christlichen Glaubens oder als Lehrmeister für das Erlenen der notwendigen Fähigkeiten zu einer späteren Tätigkeit in der Mission zuständig gewesen sein“.
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Überlieferung (Röm 6,17; Gal 1,12; Kol 2,6-7; 2Thess 2,15), auf die Auslegung der Heiligen Schrift (Röm 15,4),289 auf die Einprägung der Gebote Gottes und des christlichen Glaubens (1Kor 4,17; Röm 16,17). Der Unterschied zum Propheten besteht wohl darin, dass dieser noch stärker situationsbezogen ist, während der Lehrer primär das Überlieferte lehrt.290 Im Zusammenhang der Gaben des Geistes ist festzuhalten, dass die Lehrer nicht einfach pädagogisch begabte Christen sind; in 14,6.26 wird die „Lehre“ in einer kurzen Gabenliste zusammen mit Glossolalie, Offenbarung, Erkenntnis und Weissagung genannt. Weil sich das richtige und im Alltagsleben umsetzbare Verständnis des Heilshandelns Gottes in Jesus Christus nur durch den Heiligen Geist erschließt (2,10-14), ist auch „das nüchterne und systematische Darlegen der Wahrheit“ eine Gabe des Geistes. 291 Das Lehren ist ein fester Bestandteil der Versammlungen der Gemeinden, weil der Inhalt der Lehre für das Leben der Christen und für den Aufbau der Gemeinde fundamental ist, grundlegend nicht zuletzt auch deshalb, weil sie nicht wie die Glossolalie übersetzt werden muss. Nach den Aposteln, Propheten und Lehrern listet Paulus fünf weitere Gaben, Dienste und Kräfte auf, die der Geist den einzelnen Gliedern der Gemeinde gegeben hat (angeschlossen mit ε» πειτα, das aber nur bei der fünften Gabe wiederholt wird). Machterweise (δυνα' μεις) und Gaben, Krankheiten zu heilen (χαρι' σματα ι αμα' των) wurden bereits in V. 10 und in V. 9 in umgekehrter Reihenfolge erwähnt (s. dort). Als Charisma werden die Hilfeleistungen (α ντιλη' μψεις) nur hier erwähnt.292 G. Delling versteht diese Gabe im Sinn der „Liebestätigkeit im Auftrag der Gemeinde“, H. Balz als „mehr technisch-organisatorische(r) Arbeit in der Gemeinde“.293 Es gibt keinen Grund, die „Hilfeleistungen“ nicht als Gabe des Geistes zu betrachten: aus der Tatsache, dass sie (wie die Leitungsgaben) in der Liste der rhetorischen Fragen in V.29-30 nicht erwähnt wird, ist nicht zu schließen, dass Paulus sie nur in polemischem Sinn als Charisma versteht.294 Ob es sich bei der Erwähnung der „Hilfeleistungen“ und den „Leitungsgaben“ um eine paulinische Korrektur an der Hochschätzung der in V. 29-30 ————————————————————
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Dunn, Jesus and the Spirit, 237 spricht von „charismatischer Exegese“ im Sinn einer neuen Einsicht in ein „altes“ von Gott offenbartes Wort in der Schrift oder in der Jesustradition. Er verweist auf Stellen wie Röm 11,25-32; 1Kor 9,8-14; Gal 3,8 als Beispiele für die paulinische Exegese atl. Texte. Schrage III 236; Giesriegl, Sprengkraft, 157-158. Giesriegl, Sprengkraft, 158. Schürmann, Gnadengaben, 398-400; Dunn, Jesus and the Spirit, 252; Giesriegl, Sprengkraft, 176-177. G. Delling, Art. α ντιλαμβα' νομαι κτλ., ThWNT I, 375-376; H. Balz, EWNT I, 263. So Balz, EWNT I, 263.
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erwähnten Gaben handelt, 295 ist ebenfalls alles andere als sicher. Wie man in V. 4-6 die der Gemeinde zugeteilten Gaben, Dienste und Kräfte nicht scharf voneinander unterscheiden kann, und gerade mit dem Wort „Dienste“ (διακονι' αι) praktische „Gaben“ und „Kräfte“ angesprochen sind, so darf man hier die „Hilfeleistungen“ nicht von den anderen Gaben, die Paulus in der Liste aufführt, absetzen. Ob in jedem Fall die Gemeinde den Auftrag zu den Hilfeleistungen gab, ist auch nicht gesichert: Paulus kann durchaus auch an „besonders aufopferungsvolle, unerwartete, grossartige“ Einsätze denken. 296 Das Subst. α ντιλη' μψις und das Verb α ντιλαμβα' νομαι bezeichnen in literarischen Texten (einschließlich der LXX) und in den Papyri das zupackende Sich-Annehmen einer Sache, das Helfen.297 In 1Tim 6,2 spricht Paulus von Gläubigen, die einander annehmen, in Apg 20,35 von seinem Vorbild, sich der Schwachen anzunehmen. Die „Hilfeleistungen“ sind auf dem Hintergrund der fehlenden Sozialinstitutionen und auf dem Hintergrund des Liebesgebots Jesu als Versorgung der körperlich und wirtschaftlich Schwachen, der Armen und der Kranken, der Witwen und der Waisen und nicht zuletzt auch der Missionare zu interpretieren.298 Als nächstes erwähnt Paulus Leitungsgaben (κυβερνη' σεις, Plural).299 Das Substantiv κυβε' ρνησις bezeichnet das Steuern eines Schiffes und, in übertragenem Sinn, das Lenken und Regieren von Staaten sowie das Walten einer Gottheit.300 In der LXX bezeichnet das Wort kluge Leitung und Führung ————————————————————
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So E. Schweizer, ThWNT VI, 421-422; Schrage III 237. Gunkel, Wirkungen, 25; vgl. Schrage III 237 Anm. 740. Xenophon, Cyrop. 2,3,6; Euripides, Troiad. 464; P.Paris 26,40; P.Amherst 35,57. In der LXX für die Hilfe Gottes: Ps 21,1.20; 88,19; 2Makk 15,7; 3Makk 5,50; Hilfeleistungen von Menschen Ps 82,9 LXX, Sir 11,12; 51,7; 2Makk 8,19; 3Makk 2,33. Zu den Papyri vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 430: der Ausdruck α ντιλη' μψεις begegnet „fast ausschließlich in Petitionen an Könige oder zuständige Beamte“ (BGU IV 1187,26-27; XI 2065,22-23; SB II 6663,36-37 u.a.); sie schließt aus diesem Befund, dass es in der Gemeinde einzelne Christen gab, die ihre α ντιλη' μψεις „Menschen zur Verfügung stellten, denen Unrecht angetan worden war oder die in Not waren; sie handelten im Namen der Gemeinde, d.h. ihre Unterstützung hatte nicht rein privaten, sondern analog zur Unterstützung durch einen König oder Strategen gleichsam offiziellen Charakter“. Heinrici 392; Bachmann 395; Fee 621; Wolff 307-308; Schrage III 237; Schürmann, Gnadengaben, 399; Giesriegl, Sprengkraft, 176. Weiss 308 denkt im Zusammenhang von Gal 6,1 darüberhinaus an die „Seelsorge an Zweifelnden, Gedrückten, Gefährdeten“. H. W. Beyer, Art. κυβε' ρνησις, ThWNT III, 1034-1036; G. Schneider, EWNT II, 808; L. Coenen, ThBLNT II, 1155.1159; Dunn, Jesus and the Spirit, 252-253; Giesriegl, Sprengkraft, 177-178. Plato, Resp. 6,488b.d; Pindar, Pyth. 10,112; Plutarch, Sept. Sap. 18,162A. In den Papyri ist κυβε' ρνησις bislang nur für das 4. Jh. n.Chr. belegt (P.Oxy. XXII 2347,6); das Nomen κυβερνη' της bezeichnet häufig den Führer eines Transportschiffes, SB VI 9223,2; P.Lond II 256a,1; P.Col. II 1 Rekto 4, Kol. X 4.
748 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
(Prov 1,5; 11,14; 24,6). Ob ein besonderes Amt der Gemeindeleitung im Blick ist, wird von vielen bezweifelt, mit dem Argument, dass Paulus Vorgänge wie die Kollekte (16,2), Kirchenzucht (5,1-13), Streitigkeiten (6,1-11) offensichtlich selbst regeln musste.301 Die „Leitungsgaben“ gelten dann eher allgemein als „Erweise der Fähigkeit zur Gemeindeleitung“.302 Manche meinen, Paulus rede von den Entscheidungsprozessen, „an denen offenbar prinzipiell alle Gemeindeglieder beteiligt sind“.303 Die Annahme, dass die Gemeinde „offenbar noch gar nicht institutionalisiert ist“,304 lässt sich allerdings nicht belegen. Die Schwierigkeiten in der Gemeinde, mit denen Paulus in seinem Brief ringt, lassen weniger Rückschlüsse auf die Gemeindestrukturen zu als auf das Versagen der leitenden Verantwortlichen. Wenn man die Stellung dieses Charismas in der Liste hinter der Gabe der Krankenheilung und der Gabe der Hilfeleistungen in Betracht zieht, beschreibt das Wort vielleicht die „vermittelnde Ordnungsfunktion in der Gesamtheit des gemeindlichen Lebens“.305 Manche denken konkret an die Leitung des Gottesdienstes.306 Andere wollen die Bedeutung stärker von der Verwendung des Wortes in der Seemannssprache und in der Politik her bestimmen und interpretieren im Sinn der Fähigkeit, die Gemeinde durch Krisen zu steuern, ihre Einheit und Funktionalität zu bewahren und Strategien zu formulieren.307 Wenn man die „Leitungsgaben“ nicht von der korinthischen Situation her interpretiert, kann man an „verschiedene Organisations-, Administrationsund Leitungsfunktionen in der Gemeinde“ denken, die „in einer Großstadtgemeinde wie in Korinth unerläßlich sind“. 308 In 1Thess 5,12 schreibt Paulus von in der Gemeinde anzuerkennenden Verantwortlichen, die „euch vorstehen im Herrn“ (προι¨σταμε'νους υ μω ^ ν). In Röm 12,8 ist von dem Charisma eines Verantwortlichen in der Gemeinde die Rede, „der mit Fleiß vorsteht“ (προι¨στα' μενος ε ν σπουδη^, ). Bei den „Leitungsgaben“ wird Paulus zum Beispiel an die Verantwortlichen in der Gemeinde in Philippi gedacht haben, die er in Phil 1,1 als „Aufseher“ („Bischöfe“; ε πι' σκοποι) bezeichnet. ————————————————————
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Schrage III 238; vgl. Barrett 33; Lindemann 278; Coenen, ThBLNT II, 1159; Greeven, Ämter, 35; Giesriegl, Sprengkraft, 177. G. Schneider, EWNT II, 808. Lindemann 278; vgl. Greeven, Geistesgaben, 115-116. Lindemann 278. L. Coenen, ThBLNT II, 1159; vgl. Giesriegl, Sprengkraft, 177. Allo 333; Wolff 308. Thiselton 1021-1022; Garland 600; Mitchell, Rhetoric, 163-164. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 431, schließt aus dem papyrologischen Befund, dass die Christen, die eine κυβε' ρνησις ausüben, dazu da sind, „die Mitglieder der Gemeinde zu ‚leiten‘ und sie durch schwierige Zeiten zu steuern“. Schrage III 238.239, der mit Hinweis auf den Plural betont, dass „jede monarchische Gemeindeleitung noch weit entfernt ist“.
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 749 ————————————————————————————————————
Die Gabe der Arten von Sprachen (γε'νη γλωσσω ^ ν) steht wie in V. 10 (s. dort für Einzelheiten) am Ende der Liste, wobei Paulus die parallele Gabe der Übersetzung der Sprachen weglässt. 29-30 Mit sieben rhetorischen Fragen, die alle eine negative Antwort voraussetzen, macht Paulus den korinthischen Christen deutlich, dass nicht alle dieselbe Gabe haben, wie auch der Leib nicht nur aus einem einzigen Glied besteht (V. 17-19). Paulus wiederholt die in V. 28 genannten Charismen in derselben Reihenfolge, wobei er die „Hilfeleistungen“ und die „Leitungsgaben“ auslässt und am Ende die Gabe der Übersetzung hinzufügt. Natürlich sind nicht alle Apostel oder Propheten oder Lehrer. Natürlich haben nicht alle die Gabe, Wunder zu tun oder die Gabe, Krankheiten zu heilen. Natürlich reden nicht alle in (anderen) Sprachen, und nicht alle können übersetzen. Wenn alle dieselbe Gabe, dieselbe Funktion oder denselben Dienst hätten, wäre der Leib nicht gesund und letztlich nicht lebensfähig. Aus den sieben negativen Antworten auf die sieben rhetorischen Fragen ergibt sich, dass die Christen „bei dem bleiben sollen, was einem der Geist zugemessen hat“.309 31 Das Verständnis des Satzes ζηλου^ τε δε` τα` χαρι'σματα τα` μει'ζονα hängt davon ab, ob man V. 31a als indikativische Aussage oder als Imperativ versteht (die Verbform ζηλου^ τε lässt beides zu).310 Wenn man in imperativischem Sinn interpretiert: „Strebt nach den größeren Gaben!“, ergibt sich die Schwierigkeit, dass der Satz der Intention der rhetorischen Fragen in V. 2930 zu widersprechen scheint und Paulus mit einer Rangabstufung der Geistesgaben rechnen würde. Als schwierig gilt auch der Umstand, dass nach V. 11.18 der Geist die Gaben souverän zuteilt: Wie kann Paulus in V. 31 die Korinther auffordern, nach den „größeren“ Gaben zu streben? Und sagt Paulus nicht in 13,4, dass die Liebe sich nicht „ereifert“ (ου ζηλοι^)? Einige Ausleger haben diese Schwierigkeiten so zu lösen versucht, dass sie den Satz als indikativische Aussage verstehen: „Ihr strebt nach den größeren Gaben“.311 Das heißt, der Satz ist (nach einem adversativem δε') als ironisch-kritische Feststellung zu verstehen. Diese Interpretation ist aus mehreren Gründen nicht überzeugend: 1. In 14,1 formuliert Paulus mit genau ————————————————————
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Schrage III 239. Einige Ausleger schlagen vor, dass V. 31a das Zitat eines korinthischen Mottos war: „Strebt nach den größeren Gaben!“ Vgl. Chevallier, Esprit, 158-163; Baker, Interpretation, 224-234; Martin, Spirit, 35; kritisch Grudem, Prophecy, 161-162; Carson, Spirit, 5455. Diese Auslegung ist rein hypothetisch, sie kann sich auf keine Signale im Text stützen. Rückert 340; Wolff 308; Lindemann 278; Iber, Verständnis, 43-52; Dunn, Jesus and the Spirit, 430; Zimmermann, Lehrer, 105-106; Giesriegl, Sprengkraft, 117; Focant, Analyse, 236 Anm. 125. Vgl. NGÜ Anm. e) „Aber was tut ihr? Ihr bemüht euch um die vermeintlich größten Gaben!“.
750 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
derselben Verbform einen parallelen Satz, der eindeutig imperativisch zu verstehen ist: ζηλου^ τε δε` τα` πνευματικα' . In 14,39 hat ζηλου^ τε ebenfalls eine imperativische Bedeutung. 2. Die indikativische Interpretation macht es notwendig, die Konj. και' in V. 31b in adversativem Sinn zu verstehen, was im NT nur sehr selten vorkommt. 3. Es ist nicht sicher, dass das Streben nach bestimmten Gaben, etwa der mehr spektakulären Glossolalie, das eigentliche Problem der Korinther war. Die praktischen Regelungen in Kap. 14 zeigen, dass das Hauptproblem eher darin bestand, dass glossolalisch und prophetisch redende Christen die gottesdienstlichen Versammlungen monopolisierten und dass es ihnen weniger auf Verständlichkeit ankam, als auf die öffentliche und möglichst permanente Darbietung ihrer Wortbeiträge. Wenn man als Imperativ interpretiert, fordert Paulus die korinthischen Christen auf: Strebt nach den größeren Gaben!312 Diese Aufforderung kann unterschiedlich interpretiert werden: 1. Als ironische permissio, die einen Exkurs über die Liebe einleitet;313 2. als Mahnung, nicht die spektakulären Gaben anzustreben, sondern jene Gaben, die der Gemeinde am meisten nützen und deshalb die „größeren“ Gaben sind; 314 3. als Mahnung, jene Gaben anzustreben, die der Gemeinde am meisten nützen, vor allem die Prophetie;315 4. als Mahnung, alle Gaben anzustreben, die infolge ihrer Verständlichkeit der Gemeinde nützen, was immer in einem Kontext der Liebe geschieht;316 5. als Mahnung, sich den größeren Gaben, d.h. den Gaben, die der Gemeinde am meisten nützen, kontinuierlich und eifrig zu „widmen“.317 Die imperativische Interpretation bleibt die plausibelste, wobei es dann aber nicht einfach ist, den Sinn des Satzes wiederzugeben. Die ersten beiden Varianten dieser Interpretation sind nicht sehr einleuchtend, während die drei letztgenannten Varianten sich nicht ausschließen. Paulus zeigt in Kap. 14, dass sich die Korinther konsequent um Verständlichkeit und Ordnung in den gottesdienstlichen Versammlungen bemühen sollen. In diesem Zusammenhang bevorzugt er ausdrücklich die Prophetie (14,5), von der er ————————————————————
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L, Elb.Ü, EÜ, GN, Hfa, NGÜ, SÜ, ZB, NRSV, TNIV, Menge, Wilckens; Bachmann 387; Schlatter 352; Barrett 296; Conzelmann 263; Lang 175; Fee 624-625; Senft 165; Hays 217; Kremer 277-278; Collins 601; Schrage III 210.240; Thiselton, 1024; Sampley 949; Barton 1342; Garland 601-602; Brockhaus, Charisma, 176-177; Carson, Spirit, 53-58. Smit, Puzzles, 247-255; kritisch Garland 601: Paulus beginnt eine Darstellung der Liebe kaum mit einer quasi-höhnischen Bemerkung. Robertson/Plummer 282; Carson, Spirit, 56-57, und viele andere. Kritisch Fee 623 mit Anm. 34, der in der Liste der Charismen kein wertende Rangordnung erkennen kann: Paulus geht es um Vielfalt, nicht um „größere“ und „mindere“ Gaben; vgl. Garland 602. Lietzmann 64; Hays 215-216; Schrage III 240-241; Brockhaus, Charisma, 176. Fee 625, der einen Kontrast zwischen den „größeren“ Gaben und 12,4-30 bzw. der Charismenliste vermeiden will. Thiselton 1025; Garland 602; vgl. Bachmann 387.
Die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi 12,12-31 751 ————————————————————————————————————
sagt, dass am besten alle Gemeindeglieder prophetisch reden sollten (4,31). Ob man dies als Kommentar zu 12,31 betrachten soll, 318 lässt sich schwer sagen. Während Paulus bei den Heilungsgaben, bei den Wunderkräften und bei der Glossolalie Pluralformen verwendet, er also jeweils unterschiedliche Manifestationen oder Dienste dieser Gaben annimmt, gibt es offenkundig nur eine Gabe der Prophetie, was nicht recht zur Wendung „größere Gaben“ (τα` χαρι' σματα τα` μει' ζονα, Plural) passt. Mindestens dies kann man sicher sagen: Bei aller prinzipiellen Gleichrangigkeit der Charismen, die Gott und sein Geist den Gliedern der Gemeinde zugeteilt hat, gilt, dass diejenigen Gaben die größeren sind, die dem Aufbau der Gemeinde und dem Nutzen aller Besucher der Gemeindeversammlungen dienen. Die Größe der Charismen bemisst sich „nicht am Wert für die eigene Religiosität“, sondern am Nutzen für die Gemeinde.319 Mit dem Satz: Und ich zeige euch jetzt einen noch besseren Weg unterbricht Paulus seine Diskussion der Charismen, um zu einer ausführlichen Behandlung der Liebe überzuleiten, die das Verhalten in der Gemeinde bestimmen und damit die Ausübung der Gaben des Geistes in einen neuen Horizont stellen soll. Die Wendung „einen Weg zeigen“ (ο δο` ν δει' κνυμι) kommt in der LXX an mehreren Stellen in der metaphorischen Bedeutung „lehren“ vor. Paulus spielt mit dieser Formulierung vielleicht auf Jes 40,14 („der Weg der Einsicht – wer hat ihn [Gott] gezeigt?“) an.320 Der „bessere Weg“ (καθ’ υ περβολη` ν ο δο' ν) ist nicht so zu verstehen, dass die in Kap. 13 beschriebene Liebe die Gaben des Geistes übertrifft: die Liebe wird an keiner Stelle als χα' ρισμα bezeichnet. H. Conzelmann kommentiert: „Paulus verheißt nicht einen Weg zu den πνευματικα' , sondern über diese hinaus; auch nicht einen Weg zur Liebe, sondern: Die Liebe ist der Weg, zugleich das Ziel des διω' κειν, ζηλου^ ν“.321 Der „bessere Weg“ ist die Liebe, die den, der sie hat, zu einem demütigen, opferbereiten, geduldigen, nicht auf das Eigene bedachten Verhalten befähigt und einen Lebensstil322 aus sich heraussetzt, der die Ge————————————————————
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So Hays 215-216; die „größeren Gaben“ wurden schon in der Alten Kirche auf die Prophetie bezogen; Schrage III 240 Anm. 762 mit Verweis auf Hieronymus und Atto. Schrage III 240-241. Conzelmann 263 Anm. 53 schreibt: „Die Charismen sind in Kap. 12 theologisch gewertet gleich; im praktischen Gemeindeleben (12,31a) gibt es größere“. 1Sam 12,23; Jes 40,14 (η ο δο` ν συνε' σεως τι'ς ε» δειξεν αυ τω ^, ;); 48,17; Mich 4,2; vgl. Corley, Authorship, 262-263. Conzelmann 264; vgl. Garland 604. Mit ο δο' ς ist wie in 4,17 die Lebens- und Glaubenspraxis gemeint, die nach Kap. 13 nicht von der Suche nach den „größeren Gaben“, sondern von der Liebe bestimmt ist; so Lindemann 279. W. Michaelis, Art. ο δο' ς, ThWNT V, 89 versteht mit Bachmann 388 ο δο' ς in formalen Sinn als „der Weg, zu dem Ziel zu kommen, das man anderweitig durch jenes ζηλου^ ν erreichen will“.
752 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
meinde aufbaut und wirksam auf das Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht vorbereitet.
IV Paulus erläutert in 12,12-31 mit dem Bild vom menschlichen Leib, dass der eine Geist Gottes, d.h. Gott selbst und der Herr Jesus Christus, den einzelnen Christen verschiedene Gaben schenkt, die sich gegenseitig ergänzen und die zum Aufbau und Erhalt der Gemeinde eingesetzt werden sollen. Im nächsten Abschnitt wird er die Liebe als den entscheidenden Maßstab für das Verhalten der Christen beschreiben, auch und nicht zuletzt das Verhalten in den Versammlungen der Gemeinde. Dass es denselben Maßstab für das Verhalten aller Christen gibt, ist deshalb möglich, weil die einzelnen Christen als Glieder der Gemeinde Glieder an einem Leib und damit alle von dem einen Geist bestimmt sind.323 Die Metapher von der Gemeinde als Leib Christi ist oft einseitig gedeutet und missverstanden worden. E. Käsemann hat mit seiner Warnung recht, keine ekklesiologische Metaphysik in die paulinischen Aussagen hineinzulesen, was zum Beispiel dort geschieht, wo man sagt, dass man den am Kreuz hingerichteten Leib Jesu, den Leib des Erhöhten und den Leib Christi, den die Gemeinde bildet, nicht scheiden, sondern ihn nur je von einem anderen Gesichtspunkt aus sehen könne: Es sei der Kreuzesleib, „der in seiner fortdauernden Wirkung der Leib des Erhöhten ist und in den eingegliedert die Gemeinde Leib Christi ist“.324 Man darf das Bild der Gemeinde als Leib Christi auch nicht zur Begründung der Herrlichkeit der Kirche (miss)brauchen, als ob die Kirche so am Wesen ihres erhöhten Herrn partizipiert, dass sie dessen irdische Projektion ist.325 Paulus argumentiert gerade anders herum: der Leib und seine Glieder sind zum Dienst gesetzt – wer glaubt, er habe bereits an himmlischer Herrlichkeit teil, der wird kein Interesse an der Durchdringung der Welt mit dem Evangelium haben, sondern er wird sich von der Welt absondern. „Zur weltweiten Kirche, von der Paulus redet, kommt es allein, wenn sie im irdischen Alltag bleibt und nicht aus der Niedrigkeit flüchtet, welche ihren Herrn vor seiner Auferstehung kennzeichnete“. Allerdings darf man diese Niedrigkeit im Zusammenhang des Bildes von der Ge————————————————————
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Lindemann 279. E. Schweizer, ThWNT VII, 1070; kritisch Käsemann, Perspektiven, 192: „Ich gestehe, mit solchen Spekulationen nicht einmal eine klare Anschauung verbinden zu können, wenn sie mehr als reichlich überzogene Metaphern sein wollen. Veranlaßt werden sie offensichtlich durch die sakramentalen Ausführungen des Apostels“. Käsemann, Perspektiven, 203, kritisch zu ökumenischen Tendenzen; ebd. das folgende Zitat.
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meinde als Leib Christi auch nicht so verstehen, als ob sich das Geschehen der Inkarnation in der Kirche fortsetzt: Die Mission der Jesusbekenner ist nicht „inkarnatorisch“, weil es nur eine einzige Inkarnation gegeben hat – als Jesus Christus in Bethlehem Mensch wurde. Die Mission der Gemeinde entspricht analogisch der Mission Jesu, der nicht auf das Eigene bedacht war, sondern sich für die Vielen aufgeopfert hat. Paulus will die Einheit der Gemeinde. Gleichzeitig kämpft er „mit dem Einsatz seiner ganzen intellektuellen und ethischen Kraft“ für die Sicherung und Stärkung des Lebens und des Dienstes der einzelnen Gemeindeglieder. 326 Paulus hat mit großer Klarheit erkannt, „daß die Gemeinde ihre Einheit nicht dadurch sichern kann, daß sie sich vor dem Eigenleben ihrer Glieder fürchtet, daß sie vielmehr ihre Einheit nur dann echt und wirksam macht, wenn sie ihnen zu einem ihnen eignenden Leben verhilft und sie in der Betätigung ihres besonderen Vermögens unterstützt“.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 I 1 Wenn ich in den Sprachen der Menschen und der Engel rede, aber keine Liebe habe, bin ich ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Cymbel. 2 Und wenn ich prophetisch rede und alle Geheimnisse weiß und alle Erkenntnis habe, und wenn ich alle Glaubenskraft habe, so dass ich Berge versetzen könnte, aber keine Liebe habe, bin ich nichts. 3 Und wenn ich meinen ganzen Besitz zur Speisung (der Armen) verteile und meinen Leib hingebe, damit ich verbrannt werde, aber keine Liebe habe, dann nützt es mir nichts. 4 Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, 5 sie handelt nicht ungehörig, sie sucht nicht ihren Vorteil, sie lässt sich nicht reizen, sie rechnet das Böse nicht an, 6 sie freut sich nicht über das Unrecht, sie freut sich vielmehr mit der Wahrheit. 7 Sie trägt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles. 8 Die Liebe hört niemals auf. Prophetisches Reden wird vergehen, glossolalisches Reden wird aufhören, Erkenntnis wird vergehen. 9 Denn wir erkennen bruchstückhaft, und wir prophezeien bruchstückhaft; 10 wenn jedoch das Vollkommene kommt, wird das Bruchstückhafte vergehen. 11 Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind, ————————————————————
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Schlatter 347, das folgende Zitat ebd.
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überlegte ich wie ein Kind. Nachdem ich ein Mann geworden war, beseitigte ich, was kindlich war. 12 Denn jetzt sehen wir mit Hilfe eines Spiegels, in undeutlicher Weise, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich bruchstückhaft, dann aber werde ich erkennen, wie ich selbst erkannt worden bin. 13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die größte aber von diesen ist die Liebe.
II Paulus hatte in seiner Erörterung der Grundlagen authentischer Pneumatologie und Ekklesiologie in Kap. 12 unter anderem gezeigt, dass die Gaben des Geistes zum Nutzen der Gemeinde eingesetzt werden sollen (12,7.25). Der „bessere Weg“, den zu zeigen er den korinthischen Christen im Schlusssatz angekündigt hatte (12,31), beginnt mit dem eindrücklichen Hinweis, dass die Charismen keine Heilsqualität besitzen (13,1-3). Nur die Liebe kann im göttlichen Endgericht retten.327 Aus dieser endgerichtlichen Perspektive folgert Paulus erstens, dass von allen Charismen die Prophetie dem Wesen der Liebe, die das Wohl des Nächsten sucht, am meisten entspricht (13,4-7), weil sie dem Mitchristen und Außenstehenden dient (14,4-25); zweitens, dass der mit den Gaben des Geistes gegenwärtige Anteil an Gottes Heilsvollendung fragmentarisch ist und auf die irdische Gegenwart begrenzt bleibt (13,8-12). Wer die Frontstellung im kritischen Dialog zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde in einem enthusiastischen Verständnis des Heiligen Geistes sieht, kann Kap. 13 in dem Sinn verstehen, dass Paulus „einen ausschließlich pneumatologischen Entwurf für ein vollkommenes Christenleben (‚Gälte einer bei den Menschenkindern auch als vollkommen . . .‘) zugunsten des Höchstwertes der Liebe (‚. . . fehlte ihm aber die von dir ausgehende Weisheit‘) verneint“.328 Die Exegese hat gezeigt, dass diese These wenig überzeugend ist. Paulus korrigiert in Kap. 12–14 keine enthusiastisch irregeleitete Pneumatologie korinthischer Christen, sondern falsches Verhalten bei der Ausübung bestimmter Geistesgaben in den Gemeindeversammlungen, in denen andere Christen, die auch etwas beizutragen hätten, an den Rand geschoben werden. Mit Kap. 13 unterstreicht Paulus mit einem theologischethischen Argument, was er in Kap. 12 mit dem Bild vom Leib betont hatte: Ein Jesusbekenner, der das Wesen der Gemeinde als Leib Christi verstanden hat und der sich auf dem „besseren Weg“ der Liebe befindet, der nimmt auf seine Mitchristen nicht nur Rücksicht, sondern wird sie mit den Gaben, die ————————————————————
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Vgl. Mell, Entstehungsgeschichte, 200, der 13,2.3 mit Röm 2,25; 3,1; 1Kor 7,19; 2Kor 12,11; Gal 5,2; 6,3 sowie mit Mk 8,36; Joh 6,63; Hebr 4,2; 13,9; Jak 2,14.17 vergleicht. Für die folgende Bemerkung vgl. ebd. 200-201. Mell, Entstehungsgeschichte, 200.
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auch sie vom Geist Gottes erhalten haben, in den Versammlungen der Gemeinde zu Wort kommen lassen. Kap. 13 hat also eine zentrale Rolle für die Behandlung der Gaben des Geistes. Es beschreibt die Liebe als das Kriterium der „größeren Gaben“ (12,31), die die korinthischen Christen anstreben sollen, und ist damit zugleich der theologische, ekklesiologische und ethische Horizont, in dem Paulus die Praktizierung der Geistesgaben in der Gemeinde verstanden und korrigiert wissen will. Die Verknüpfung mit Kap. 12 und Kap. 14, die Hinweise auf die Charismen am Anfang und am Ende von Kap. 13 (V. 1-3.8-13) und die kritischen Seitenblicke auf die Situation in Korinth (V. 4.5) stehen gegen die Annahme, Paulus habe Kap. 13 zu einem früheren Zeitpunkt formuliert.329 W. Schrage hat Recht: „Wer hier von einem ‚plötzliche(n) Erguß‘ spricht, der ‚mit elementarer Wucht‘ aus dem Herzen des Paulus hervorströme, hat 1Kor 13 . . . mißverstanden“.330 Es besteht kein Konsens in der Frage, welche Gattung in dem Text Kap. 13 vorliegt. O. Wischmeyer behandelt und kritisiert elf verschiedene Vorschläge – Enkomium, Ekphrasis, Priamel, Hymnus, Aretalogie, Psalm, Bekenntnisreihe, Predigt, Lehre, Diatribe, Lehrpsalm – und fügt mit „religiösethische Rede“ einen zwölften hinzu. 331 Neuere Arbeiten verstehen Kap. 13 als „Lehrrede, die überwiegend die Form einer Wertepriamel hat“, 332 als „im höchsten Grad gefüllte und geschliffene Prosa“ und nach 12,31b eine „Wegbeschreibung“,333 als „literarisches Kunstwerk, wenn auch weder Lied noch Hymnus“,334 als deliberative Rhetorik335 und als Enkomium.336 Die hermeneutische Forderung, die W. Schrage aufgestellt hat, ist sowohl dem Forschungsstand als auch dem Text angemessen: „Die Auslegung hat darum nicht von der oft bewunderten Schönheit und literarischen Qualität der ————————————————————
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Conzelmann 266; Senft 166, sowie die Autoren, die Teilungshypothesen vertreten, vgl. Weiss 310-311; Schenk, 1. Korintherbrief, 225-226; Schmithals, Korintherbriefe, 268269. Zur Kritik vgl. Wolff 310; Schrage III 276; Lindemann 281; Thiselton 1027-1028; Wischmeyer, Weg, 27-31.224. Die These, Kap. 13 sei eine Interpolation (Walker, Interpolations, 147-65), ist überzeugend widerlegt worden, s. Corley, Authorship, 256-74. Schrage III 277, Zitat von Bousset 136, mit Verweis auf Schmiedel 170; Gutjahr 356. Wischmeyer, Weg, 191-223. Wolff 312, der die Priamel im Rückgriff auf Schmid, Priamel, IX definiert als „eine vergleichende Gegenüberstellung von Werten, wie sie dem Menschen seit jeher als begehrenswert erschienen sind . . . Einer Reihe solcher allgemein angesehener und begehrter Werte, die beispielhaft aufgezählt werden, wird dann vom Dichter ein einzelner Wert entgegengesetzt, der ihm aus irgendeinem Grund besonders am Herzen liegt und den er deshalb jenen Beispielwerten gegenüber als Höchstwert hervorhebt“. Schrage III 277. Lindemann 280. Thiselton 1030, im Anschluss an Mitchell, Rhetoric, 273. Garland 606-607; Sigountos, Genre, 246-260. Kritisch Wischmeyer, Weg, 205-206.
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Komposition – die ist unbestritten –, sondern von der reflektierten theologischen Argumentation auszugehen“. 337 Mehrere Texte werden als Parallelen angesehen: der Lobpreis der Wahrheit in 3Esra 4,34-41; der Lobpreis des lauteren Mannes in TestIss 4,2-6; der Lobpreis des guten Mannes in TestBenj 6,1-6; der Lobpreis auf die Liebe (ε»ρως) bei Maximus von Tyrus (20,2). 1Clem 49–50 lehnt sich an 1Kor 13 an. Gliederung. Die meisten Ausleger gliedern das Kapitel in drei Teile. V. 1-3 betont die Überordnung der Liebe über alle Höchstformen der Geistesgaben. V. 4-7 behandelt das Wesen der Liebe, schwerpunktmäßig dargestellt am Kontrast zum Fehlverhalten. V. 8-13 betont die Unvergänglichkeit der Liebe, der höchste Wert selbst gegenüber dem Glauben und der Hoffnung. Textkritische Anmerkungen. In V. 2 liest die Mehrheit der Handschriften (A C Ψ 1881 Byz) μεθιστα' νειν statt μεθιστα' ναι (d46 א1 B D F G 048 33 81), beides Formen des Inf. Präs. Das textkritische Problem in V. 3 wird häufig ausführlich behandelt. Vier Lesarten sind zu besprechen: 1. καυχη' σωμαι (Aor. Konj. Med. von καυχα' ομαι, „damit ich Ruhm gewinne“) wird bezeugt von d46 אA B 048 33 1739* pc co Hiermss (bevorzugt von NA27); 2. καυθη' σομαι (Fut. Pass. von και' ω, „damit ich verbrannt werde“) von C D F G L 6 81 104 630 945 1175 1881* al latt syhmg Tert Ambst Hiermss (bevorzugt von NA25); 3. καυθη' σωμαι (Konj. Fut.) von Ψ 1739c 1881c Byz; 4. καυθη' σεται von 1877 2492. Die vierte Lesart ist nur minimal bezeugt, die dritte Lesart gilt als „Barbarismus“. Die Entscheidung fällt zwischen der ersten und zweiten Lesart (wobei die dritte und vierte Lesart immerhin das Verb der zweiten Lesart belegt). Die erste Lesart wird von frühen alexandrinischen Textzeugen belegt; sie wird von der Möglichkeit gestützt, dass frühe Abschreiber Schwierigkeiten hatten, den Gedanken des Rühmens mit dem Dahingeben des Leibes zu verbinden; zudem ist καυχα' ομαι ein von Paulus häufig verwendetes Verb. Die zweite Lesart ist später, aber breiter bezeugt; der Gedanke des Feuertods passt als Beispiel des größten vorstellbaren Selbstopfers in den Kontext. Am Ende sind es inhaltliche Gründe, die den Ausschlag geben, wobei festzuhalten ist, dass beide Lesarten einen Sinn ergeben. Der Zusammenhang zwischen der freiwilligen Dahingabe des Leibes und dem angestrebten (ι«να-Satz) Rühmen ist die größte Schwierigkeit der ersten Lesart, die viele veranlasst, καυθη' σομαι als ursprünglich anzusehen.338 ————————————————————
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Schrage III 277. Weiss 314-315; Lietzmann 65; Bachmann 393-394; Barrett 302-303; Conzelmann 272 Anm. 43a; Lang 183; Senft 167; Schrage III 290-291; Kremer 284-285; Wolff 316; Collins 476; Lindemann 285-286; Garland 627-628; Zuntz, Text, 35-37; Spicq, Agapè II, 57-58; Elliott, Favour, 297-298; Sigountos, Genre, 253; Caragounis, Crux, 115-127; so auch fast alle deutschen Übersetzungen. Für καυχη' σωμαι votieren Fee 629.634; Hays 225; Thiselton 1042-1044; Metzger, Commentary, 497-498; Wischmeyer, Weg, 84-88; Petzer,
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 757 ————————————————————————————————————
In V. 4 wird das dritte α γα' πη von B 33 104 629 1175 2464 pc lat sa bo Cl Ambst ausgelassen; die gute Bezeugung ( אA C D E F G u.a.; in d46 steht α γα' πη hinter περπερευ' εται) macht es wahrscheinlich, dass es als ursprünglich zu gelten hat.339 In V. 5 liest d46 ευ σχημονει^ („sie benimmt sich nicht vornehm“) statt α σχημονει^ („sie handelt nicht ungehörig“), einer Lesart, die jedoch bestens bezeugt ist und als ursprünglich zu gelten hat.340 In V. 8 ersetzen die meisten Textzeugen πι' πτει durch das verstärkende Kompositum ε κπι' πτει (א2 C3 D F G Ψ 1881 Byz lat; Clpt); das Simplex ist mit d46 *אA B C* u.a. jedoch bestens bezeugt. Der Plural προφητει^αι wird in B durch den Singular προφητει^α ersetzt (auch in der Verbform), analog zum vorausgehenden Sing. α γα' πη. Die Handschriften ( )אA D1 F G (33). 365 pc ar vgms sa ms bo ms gleichen den Singular γνω ^ σις an den vorausgehenden Plural γλω^ σσαι an und lesen γνω' σεις. In V. 10 fügt die Mehrheit der Handschriften (D1 Byz sy) nach το` τε'λειον das Wort το' τε ein, was sachlich richtig ist; die kürzere Lesart ist besser bezeugt. In V. 13 stellen d46 (sy) Cl die Wendung τα` τρι' α ταυ^ τα vor πι' στις.
III 1 Paulus beginnt seinen Lobpreis der Liebe mit drei Bedingungssätzen, die jeweils im Nebensatz (Protasis) einen prospektiven Fall formulieren (ε α' ν + Konj.), d.h. etwas schildern, womit man rechnen kann (eventualis). Das heißt, er geht von angenommenen Fällen aus, nicht von rein fiktiven, jenseits der Vorstellung liegenden Fällen. A. Schlatter kommentiert: „Abnorm ist hier alles; aber unmöglich ist hier nichts“.341 Die Protasis der Sätze in V. 1.2 nennt fünf der in 12,8-10 erwähnten Charismen in umgekehrter Reihenfolge, die Protasis in V. 3 nennt zwei Beispiele höchster Opferbereitschaft. Die Protasis aller drei Bedingungssätze enthält übereinstimmend die negative Bedingung: α γα' πην δε` μη` ε» χω („aber keine Liebe habe“). Der in allen drei Sätzen sachlich gleiche Hauptsatz (Apodosis) ist jeweils unterschiedlich formuliert, macht aber dieselbe wuchtige Aussage: Wenn ich keine Liebe habe, dann bin ich nichts. Diese Übereinstimmung in Struktur und Form verleiht den einleitenden Sätzen dieses Abschnitts einen eindringlichen Klang. Paulus bezieht die erwähnten Charismen und Verhaltensweisen auf die in V. 4-7 näher beschriebene Liebe und betont, dass sie ohne die Liebe wertlos sind. Die Formulierung in der 1. Pers. Sing. ist rhetorisch zu verstehen: Paulus ————————————————————
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Evidence, 229-253, sowie Elb.Ü, NRSV, TNIV. Thiselton 1046; Metzger, Commentary, 498-499; anders Zuntz, Text, 68 mit Hinweis auf den Rhythmus des Satzes. Metzger, Commentary, 499; anders Kümmel 189, mit Kritik von Lindemann 287. Schlatter 358.
758 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
redet von allen Christen. O. Wischmeyer meint, Paulus bringe sich in V. 2b-3 mit seinen Fähigkeiten und mit seiner Lebensweise in die Diskussion ein, sodass das „Ich“ wie in einer „theologischen Grundsatzrede“ zwar generalisierend zu verstehen ist, dass er aber „die eigene Person und die eigene Erfahrung direkt in den Zusammenhang der theologischen Rede einbezieht“. 342 Die erste Möglichkeit, die Paulus formuliert, beschreibt Christen, die in den Sprachen der Menschen und der Engel reden, aber keine Liebe haben. Mit „Sprachen der Menschen“ (αι γλω' σσαι τω ^ ν α νθρω' πων) sind die unterschiedlichen menschlichen Sprachen gemeint, die im glossolalischen Reden zu Gehör kommen, d.h. menschliche Sprachen, die man nicht gelernt hat, sondern die vom Geist Gottes inspiriert geredet (λαλει^ν) werden.343 Zur Glossolalie s. oben zu 12,10. Der Ausdruck „Sprachen der Engel“ (αι γλω' σσαι τω ^ν α γγε' λων) wird meistens mit der Glossolalie gleichgesetzt. Die Korinther, vielleicht auch Paulus, waren überzeugt, dass die Gabe des glossolalischen Redens mit dem Sprechen von Engelssprachen identisch war. 344 Als Parallelen für das Sprechen von himmlischen Sprachen wird auf TestHiob 48–50; äthHen 40,3-7; AscJes 6,8-10 verwiesen. Nicht plausibel ist der Vorschlag, dass Paulus bewusst übertreibt und sagen will: selbst wenn man das Sprechen in menschlichen Sprachen derart perfektionieren könnte, dass man in himmlischen Engelssprachen redet, ist dies ohne Liebe nutzlos. 345 Das Argument, im nächsten Bedingungssatz in V. 2 sei das zweite Element ebenfalls hypberbolisch („und alle Geheimnisse weiß“), kann ebenfalls nicht überzeugen: der Hinweis auf den Glauben, Berge zu versetzen, ist keine hyperbolische, sondern eine idiomatische Aussage, die eine Unmöglichkeit ausdrückt. Die zweite Protasis, die auf die erste bezogen ist (ε α' ν wird nicht wiederholt), formuliert eine Bedingung, die sich bei glossolalisch redenden Christen einstellen kann: (wenn ich) keine Liebe habe (α γα' πην δε` μη` ε»χω). E. Stauffer definiert α γα' πη als „Liebe, die Unterschiede macht, die ihren Gegenstand wählt und festhält“, als vom Subjekt her bestimmte „freie, entschiedene Tat“, als
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Wischmeyer, Weg, 90-91. Wolff 313 interpretiert im Sinn von „gottesdienstliches Reden, das in der korinthischen Gemeinde himmlische Weisheit in rhetorisch gefälliger Weise“ verkündigt. Dies ist sprachlich möglich, aber im Kontext von Kap. 12–14 nicht wahrscheinlich, der eine Interpretation im Sinn der Glossolalie erfordert; vgl. Fee 630; Schrage III 284; Thiselton 1033. Lindemann 282 verbindet im Anschluss an Wischmeyer, Weg 40 Fremdsprachen, die verschiedenen Redeweisen, und pneumatische „Pseudosprachen“. Wolff 313-314; Schrage III 312; Lindemann 282; Garland 611; Forbes, Prophecy, 58-59. Petzer, Evidence, 239-241; kritisch Schrage III 284 Anm. 39; Garland 611.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 759 ———————————————————————————————————— „Liebe des Höheren, die den Geringeren emporhebt, über andere hinaushebt“, als „schenkendes, tätiges Lieben, das dem andern zugute kommt“, als Einbruch der „Macht der künftigen Weltzeit“.346 Solche Definitionen verwechseln Bedeutung und Referenz; sie beschreiben nicht „die Bedeutung“ von α γαπα' ω/α γα' πη, sondern geben an, wie bestimmte Texte in bestimmten Zusammenhängen diese Vokabeln verwenden. W. Schrage definiert α γα' πη in 13,1 als „die in allem wirkende wunderbare Kraft und Wirklichkeit des Geistes und der in Christus angebrochenen neuen Welt zum Nutzen der anderen“.347 Auch bei dieser Definition wird die Bedeutung von α γαπα' ω/α γα' πη mit dem Bezug dieser Vokabeln auf eine bestimmte außersprachliche Realität verwechselt. Tatsache ist, dass im vorchristlichen Griechisch die Vokabel φιλε' ω, das gewöhnliche Wort für „Liebe“, allmählich von der Vokabel α γαπα' ω verdrängt wurde, vielleicht deshalb, weil φιλε' ω in sexuellen Kontexten die Bedeutung „illegitimer Sexualverkehr“ hatte.348 Im Koine-Griechischen werden φιλε' ω und α γαπα' ω oft als Synonyme verwendet. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass die Übersetzer der LXX oder die Autoren des NT einen ganz bestimmen Grund hatten, die Vokabel α γαπα' ω zu verwenden.349 Es ist nicht erwiesen, dass das Wort α γα' πη von den Übersetzern der LXX bewusst als fast ausschließliche Übersetzung von אהבgewählt wurde, weil es das blasseste griechische Verb für den Bedeutungsbereich „lieben“ gewesen sei. Es ist deshalb methodisch problematisch, wenn man meint, dass die Bedeutung von α γα' πη semantisch allein von der LXX her zu beschreiben sei, weil es dort in die literarische Sprache eingeführt wurde.350 S. P. Swinn hat gezeigt, dass die Häufigkeit der α γαπWortgruppe in der LXX (338 Belege) auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden kann, nämlich auf die Tatsache, dass α γαπα' ω/α γα' πη zu der Zeit, als die LXX übersetzt wurde, die üblichen griechischen Vokabeln für „Liebe“ waren und deshalb fast überall, wo die hebr. Vorlage אהבschrieb, mit diesen Vokabeln übersetzen konnte.351 Der Grund, weshalb die Vokabel α γαπα' ω bzw. α γα' πη theologische Inhalte transportieren konnte, ist in der Tatsache zu sehen, dass es sich um ein in der Umgangssprache lebendiges Wort handelte, das vom jeweiligen Kontext her die gewünschte Bedeutungsnuance erhalten konnte. ————————————————————
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E. Stauffer, Art. α γαπα' ω κτλ., ThWNT I, 37.52. Schrage III 285. Shipp, Vocabulary, 126-127. Zu α γα' πη in der profanen Gräzität vgl. Ceresa-Gastaldo, ΑΓΑΠΗ, 287-299. G. H. R. Horsley, NewDocs III, 15, mit Verweis auf Joly, Vocabulaire, passim; vgl. auch Arzt-Grabner, Philemon, 156-158 im Blick auf das Adj. α γαπητο' ς und φι'λτατος. Die ältesten sicheren Belege für das Subst. α γα' πη in dokumentarischen Papyri stammen aus dem 3. und 4. Jahrhundert (P.Palau Rib. 37,11-13; P.Giss.Univ. III 25,12-15). Das Verb α γαπα' ω ist in den Papyri seit dem 1./2. Jh. n.Chr. erwähnt und bedeutet „wertschätzen“ (P. Oxy. L 3555,4-8; XLVI 3313,19-20; P.Mert. I 22,11-12; P.Iand. II 15,2-3); vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 127-128; Arzt-Grabner, Philemon, 177. Wischmeyer, Weg, 24; für das Folgende ebd. 24-26, sowie J. Bergman u.a., ThWAT I, 109-110; vgl. Lindemann 282-283. Siehe auch Wischmeyer, Vorkommen, 212-238; dies., Art. Liebe IV. Neues Testament, TRE XXI, 138-146. Swinn, α γαπα^ ν, 49-81, Schlussfolgerungen ebd. 76 (Lexikoneintrag ebd. 77-81); vgl. ebd. für die folgende Bemerkung.
760 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— O. Wischmeyers Definition von α γα' πη ist in diesem Zusammenhang problematisch: Sie lehnt sich an den ThWAT-Artikel zu hebr. אהבan und definiert Liebe als „das leidenschaftliche Verlangen, dem Menschen, dem man sich aus Zuneigung verbunden fühlt, nicht allein innerlich, sondern auch äußerlich nahe, fest in allen Lebensbeziehungen mit ihm verbunden zu sein“; ebenso problematisch ist die Auskunft, α γα' πη sei „aufgrund der jüdisch-hellenistischen Literatur“ im NT „von vornherein ein theologischer Begriff“. Die Verwendung von α γαπα' ω in dem Papyrus P.Oxy. XLVI 3313,19-20 (2. Jh. n.Chr.) zeigt, dass α γα' πη im Koine-Griechisch der neutestamentlichen Zeit keine Sonderbedeutung hat, sondern eines von mehreren Wörtern für „Liebe“ ist. In einem Privatbrief bedauern die Absender Apollonios und Sarapis, dass sie nicht zur Hochzeit des Sohnes (oder Stiefsohnes) der Adressatin Dionysia kommen können; sie schicken jedoch eine stattliche Anzahl von Blumen, weil sie das Brautpaar wie ihre eigenen Kinder sehen „und mehr als die unseren ehren und lieben wir sie“ (και` πλε' ον τω^ ν η μω^ ν τιμω^ μεν και` α γαπω ^ μεν αυ τα' ).352 Was mit „Liebe“ konkret gemeint ist, muss sich im jeweiligen Kontext zeigen, wie 2Tim 4,10 zeigt, wo Paulus α γαπα' ω für Demas verwendet, der Paulus verlassen hat, weil er „diese Welt geliebt“ hat. Die Grundbedeutung „wertschätzen“ mag theologisch wenig anspruchsvoll klingen, hat aber den Vorteil, dass sie in sämtlichen Belegstellen Sinn ergibt.
Im NT bezieht sich das Wort α γα' πη (s. oben zu 8,3) an den meisten Stellen auf die Liebe von Personen, die andere Menschen wertschätzen. Von der Liebe der Christen redet Paulus häufig.353 Sie bedeutet als Nächstenliebe die Erfüllung des Gesetzes (Röm 13,8-10; Gal 5,14). Die Liebe ist die erste Frucht des Geistes (Gal 5,22). Die Wendung „Liebe haben“ (α γα' πην ε»χω) bezeichnet weder den „Besitz“ der Liebe noch Stimmung, Gefühl oder persönliche Zuneigung, sondern die praktische Zuwendung zum Nächsten, die konkrete Sorge für andere, das aktive Bemühen um den Mitchristen (10,24). Die prophetische Botschaft an die Gemeinde in Ephesus in Offb 2,1-7 zeigt, dass Christen orthodox sein können, gleichzeitig aber „die erste Liebe“ (τη` ν α γα' πην τη` ν πρω' την; V. 4) verlassen haben, d.h. die in konkreten Taten der praktischen Nächstenliebe sichtbar werden Taten (τα` πρω ^ τα ε»ργα; V. 5) zugunsten des Mitchristen vernachlässigen. Der Hauptsatz formuliert den festzustellenden Tatbestand, den Zustand (γε'γονα, Perf.) der Christen, die ohne Liebe glossolalisch reden: (dann) bin ich ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Cymbel. Das „dröhnende Erz“ (χαλκο` ς η χω^ ν)354 wurde früher zumeist im Sinne eines aus Metall hergestellten Musikinstruments gedeutet, als dröhnender Gong.355 Wahrscheinlicher ist ————————————————————
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Vgl. F. Winter, in Arzt-Grabner 128, der hinzufügt, dass es nicht zulässig ist, die Verwendung der Vokabel α γαπα' ω „als Kriterium für die Klassifizierung eines Textes als christlichen anzusehen“. 8,1; 14,1; 16,14; 2Kor 6,6; Röm 12,9; 14,15; Gal 5,6.22; Phil 1,9; 2,1-2.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 761 ————————————————————————————————————
die Deutung im Sinne von metallenen Schallgefäßen (vasa aerea), d.h. Töpfe oder Bronzevasen, die im antiken Theater verwendet wurden, um die Stimmen der Schauspieler und die gespielte Musik in die Ränge zu projizieren.356 Vetruvius beschreibt nicht nur die Form und die Funktion dieser Lautverstärker, sondern erwähnt, dass Lucius Mummius nach der Zerstörung des Theaters von Korinth die dort verwendeten bronzenen Schallgefäße nach Rom brachte (Architect. 5,5). Die „lärmende Zymbel“ (κυ' μβαλον α λαλα' ζον) ist ein Musikinstrument, ein metallenes Handbecken, das mit einem anderen Handbecken zusammengeschlagen wurde, wodurch ein gellender Ton entstand.357 Die Auskunft mancher Ausleger, Paulus spiele mit diesen Ausdrücken auf Musikinstrumente an, die in ekstatischen Kulten verwendet wurden, vor allem bei den orgiastischen Festen der Kybele und des Dionysos, 358 ist irrelevant: Wir haben keine besondere Beziehung zwischen Mysterienkulten und den korinthischen Christen bzw. den Problemen in der Gemeinde festgestellt. Musikinstrumente wurden natürlich nicht nur in orgiastischen Kulten eingesetzt, bronzene Lautverstärker schon gar nicht. Paulus will nicht sagen, dass die Korinther bei glossolalischem Reden ohne Liebe nur noch bedeutungslose, orgiastische Ekstase erleben. Das „dröhnende Erz“ und die „lärmende Zymbel“ sind Metaphern für Lärm, der mehr oder weniger schön klingt, aber keinen Sinn ergibt. Antike Autoren scheinen ähnliche Urteile abzugeben.359 Diogenes Laertius ————————————————————
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χαλκο' ς bedeutet „Erz, Kupfer, Bronze“, d.h. das Metall, sodann das, was aus Metall hergestellt ist; in den Papyri ist χαλκο' ς tausendfach belegt und bezeichnet meist das „Geld“; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 433; η χε' ω bedeutet „brausen, donnern“ und wird für das Tönen aus Metall hergestellter Musikinstrumente verwendet (Herodot 4,200; Plato, Prot. 329a). Bauer /Aland 1746: ein hallendes Erzbecken als Musikinstrument; Bachmann 390 denkt an ein Horn oder an eine Trompete, was aber kaum in Frage kommt. Harris, Bronze, 1184-1185; Klein, Gong, 286-289; vgl. Fee 632; Hays 223; Thiselton 1036; Garland 612; Murphy-O’Connor, Corinth, 76. Die Kritik von Schrage III 285 Anm. 44, diese bronzenen Lautverstärker hätten eine passive Funktion gehabt, „auf die Paulus kaum hinaus will“, ist kurios: auch ein Musikinstrument ist „passiv“. Zur korinthischen Bronze (aes Corinthium), deren Wert Gold und Silber fast gleichkam (Plinius, Nat. Hist. 34,1,1), vgl. Mattusch, Corinthian Bronze, 219-232; s. oben die Einleitung zum Kommentar mit Anm. 3. Bauer /Aland 929; K. L. Schmidt, ThWNT III, 1037-1038. Vgl. Josephus, Ant. 7,305306, der unter den von David eingeführten Musikinstrumente auch die Zymbel aufführt. Das onomatopoetische Verb α λαλα' ζω bezeichnet das laute Schreien und schrille Töne. Weiss 313; Robertson/Plummer 289; Conzelmann 271; Wolff 314-315; Schrage III 286287; J. Schneider, ThWNT II, 958. Kritisch Forbes, Prophecy, 38.135-136; Lindemann 283; Thiselton 1036. Lindemann 283; für die folgenden Zitate vgl. NW II/1, 370. Manche verweisen auf Plato, Prot. 329a, der Sokrates in einem Vergleich mit sophistischen Rednern die zynische Feststellung machen lässt, dass „Erz, auf das man geschlagen hat, lange fortdröhnt“.
762 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
berichtet einen Ausspruch des Diogenes, der „von denen, welche die Tugend immer im Munde führten, aber nicht danach handelten“, sagte, „sie unterschieden sich nicht von einer Leier; denn auch diese habe weder Gehör noch Empfindung“ (6,64). Von Kleanthes berichtet er, dass er von den Peripatetikern sagte, „es ergehe ihnen ähnlich wie der Leier, die die schönen Klänge, die sie von sich gebe, selbst nicht vernehme“ (7,173). Wenn es sich bei den Glossolalen um korinthische Christen handelte, die als die sozial Bessergestellten hier wie in anderen Bereichen das eigene Prestige vermehren wollten, dann ist ein Satz des Plinius im Vorwort seiner Naturgeschichte zum Vergleich heranzuziehen: „Jener Grammatiker Apion – der, den Kaiser Tiberius die ‚Zymbel der Welt‘ nannte, obwohl er eher als ‚Trommler des Eigenlobes‘ auftreten könnte – erklärte, wem er nur irgendeine seiner Schriften zueigne, der erhalte die Unsterblichkeit zum Geschenk“ (Nat. Hist. Praefatio 25). Im Zusammenhang der Bedeutung von „Liebe“ will Paulus nicht nur sagen, dass Christen, die ohne Liebe (z.B. ohne Übersetzung) glossoalisch reden, bloßen Lärm von sich geben. Es geht auch darum, dass Christen, die die Gabe der Glossolalie haben und einen lieblosen Lebensstil praktizieren, lediglich „Lautverstärker“ sind, die unverständliche Geräusche von sich geben.360 2 Paulus bekräftigt mit einem zweiten Bedingungssatz dieselbe Wahrheit. Die Protasis besteht aus zwei ε α' ν-Sätzen, die jeweils durch ein zusätzliches Element erweitert werden. Die zweite Protasis lautet wie die erste: (wenn) ich keine Liebe habe (α γα' πην δε` μη` ε»χω). Die Apodosis ist kurz und scharf formuliert: (dann) bin ich nichts (ου θε'ν ει μι). Damit wird dem Christen, der sich lieblos verhält, nicht sein Christsein abgesprochen, 361 sondern mit großem Ernst die Feststellung getroffen, dass er für die Gemeinde keine Bedeutung hat. Als Christ bin ich im Hinblick auf die Gemeinde „nichts“, wenn ich prophetisch rede und alle Geheimnisse weiß und alle Erkenntnis habe, ohne Liebe zu haben. Paulus nennt hier das Charisma der Prophetie (ε»χω προφητει' αν), das Charisma der Weisheit (ει δω ^ τα` μυστη' ρια πα' ντα; vgl. 362 12,8) und das Charisma der Erkenntnis (πα^ σαν τη` ν γνω^ σιν; vgl. 12,8).363 Selbst das von Paulus so hoch geschätzte prophetische Reden (vgl. 14,1.5.39) ————————————————————
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Carson, Spirit, 59; vgl. Thiselton 1039. Anders Schrage III 289: der Satz „negiert zunächst das Sein des Christen als Christen, seine christliche Identität und Authentizität“. Im Rahmen von Kap. 12–14 geht es jedoch nicht um die Identität des einzelnen Christen, sondern um die Identität der Gemeinde. Weiss 314; Conzelmann 271 Anm. 35; Wolff 315; Lindemann 283; Dautzenberg, Prophetie, 150-151; Grudem, Prophecy, 177 mit Anm. 107 meinen, das erste ε α' ν regiere auch die beiden Glieder „Geheimnisse wissen“ und „Erkenntnis haben“, d.h. diese beiden Ausdrücke seien eine Näherbestimmung der Prophetie. Vgl. Lietzmann 65; Schlatter 355; Schrage III 287; Wischmeyer, Weg, 50 mit Anm. 61.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 763 ————————————————————————————————————
wird zum „Nichts“, wenn der prophetisch Redende keine Liebe hat, d.h. einen lieblosen Lebensstil praktiziert, bei dem es ihm nur um sich selbst geht und es ihm nichts ausmacht, wenn z.B. Mitchristen hungrig sind oder durch Besuche von Festmählern im Götzentempel zum Rückfall ins Heidentum verführt werden. Das „Wissen aller Geheimnisse“ ist nicht auf „Mysterienwissen“364 zu beziehen, aber auch nicht wörtlich, sondern hyperbolisch zu verstehen, genauso wie der „Besitz aller Erkenntnis“ – niemand bekommt vom Geist alle Geheimnisse offenbart, niemand hat alle Erkenntnis, sei es durch Offenbarung oder durch Schriftstudium. Der zweite Bedingungssatz nennt nach der Glossolalie, der Prophetie, der Weisheit und der Erkenntnis ein fünftes Charisma: Wenn ich alle Glaubenskraft habe, so dass ich Berge versetzen könnte. Paulus beschreibt die „Glaubenskraft“ (πι' στις; vgl. 12,9) im Sinne des Berge versetzenden Glaubens (ω « στε ο» ρη μεθιστα' ναι). Der Ausdruck „Berge versetzen“ kommt in der jüdischen und antiken Literatur häufig vor als Metapher für etwas, das unmöglich ist.365 Mit dem Wort „Glaube“ verbunden kommt die Wendung nur als Jesuswort in Mt 17,20 / Mk 11,22-23 (vgl. Lk 17,20) vor. Es geht um den Glauben, der dem allmächtigen Gott vertraut, dass er in seiner Macht das Unmögliche tun kann, und der diese uneingeschränkte Macht Gottes in Zeiten der Krise und der Bewährung in Anspruch nimmt. Ohne Liebe ist auch die Wunder wirkende Glaubenskraft ein „Nichts“. Von einer Spannung zwischen Glaube und Liebe kann man hier nicht reden: Gott rechtfertigt den Gottlosen (Röm 4,5), der zu seinem Heil nichts beiträgt, auch nicht ein Lieben (etwa im Sinn von caritas). Gleichzeitig gilt, dass der Glaube durch die Liebe wirksam wird (Gal 5,6), d.h. im glaubenden Jesusbekenner als aktive Liebe zu Gott, zum Bruder und zur Schwester und zum Nächsten konkrete und sichtbare Gestalt gewinnt. 3 Der mit einer zweifachen Protasis formulierte dritte Bedingungssatz nennt keine Charismen, sondern Verhaltensweisen. Der Satz: Wenn ich meinen ganzen Besitz zur Speisung (der Armen) verteile, erinnert an die Gabe der Hilfeleistungen (12,28), geht aber über diese hinaus, da der ganze Besitz ————————————————————
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Wolff 315 meint, das Wort τα` μυστη' ρια habe in der theologischen Terminologie der korinthischen Christen offenbar eine Rolle gespielt: „Man bezeichnete damit wohl, entsprechend antikem kultischem und philosophischem Sprachgebrauch, verborgene göttliche Wahrheiten, deren Kenntnis rettende bzw. vollendende Bedeutung hat“. Wäre dies der Fall gewesen, hätte Paulus in Kap. 12–14 und wahrscheinlich schon früher die exklusive Heilsbedeutung Jesu Christi viel deutlicher begründet und offensiv gegen solche Lehren abgesetzt. Es geht Paulus vielmehr allgemein um das Wissen verborgener Dinge; Lindemann 284. Vgl. Jes 54,10; Josephus, Ant. 2,333; tSot 23,1; bSanh 24a; bBer 64a; bBB 3b; ARN 6A; Homer, Od. 5,480-485.
764 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
(πα' ντα τα` υ πα' ρχοντα' μου)366 zur Speisung der Armen verteilt wird.367 Die Armen werden nicht genannt, sie sind selbstverständlich vorausgesetzt. Der Satz: (wenn ich) meinen Leib hingebe, damit ich verbrannt werde, bezieht sich auf die Preisgabe des eigenen Körpers in den Tod (παραδω ^ το` σω ^ μα' μου), d.h. um die Bereitschaft zum Martyrium. Das textkritische Problem wurde oben besprochen: Paulus spricht offenkundig von der Bereitschaft zum Martyrium durch den Feuertod (καυθη' σομαι). Im römischen Zwölftafelgesetz war der Feuertod für den Brandstifter vorgesehen; im 1. Jahrhundert n.Chr. war die Verbrennung jedoch keine offizielle römische Strafe mehr; sie kam höchstens im Rahmen der (privaten) Lynchjustiz vor.368 Die Verbrennungen von Christen während der neronischen Verfolgung lagen genauso noch in der Zukunft wie die Hinrichtung von Christen auf dem Scheiterhaufen: Polykarp war der erste Märtyrer, der auf dem Scheiterhaufen starb (um 155/156).369 Die Formulierung könnte eine Anspielung auf die Geschichte von Daniels Freunden im Feuerofen (Dan 3,19-23) sein. 370 Paulus betont, dass selbst solche radikalen Aktionen der Hingabe ein „Nichts“ sind, wenn sie ohne Liebe geschehen, d.h. wenn sie von Christen begangen werden, deren Leben nicht von Liebe gekennzeichnet ist. Chr. Wolff kommentiert: „Besitzaufgabe kann auch aus Berechnung (Werkgerechtigkeit) oder aus Resignation und Übersättigung erfolgen, und der Bereitschaft zum Martyrium kann blinder Glaubensfanatismus oder Lebensüberdruß zugrunde liegen“. 371 ————————————————————
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Das subst. Ptz. τα` υ πα' ρχοντα bedeutet „das jemandem Gehörende, der Besitz, die Habe“; in den Papyri kommt τα` υ πα' ρχοντα häufig in Verträgen in formelhaften Wendungen vor, „durch die das Zugriffsrecht eines Vertragspartners auf ‚alles, was dem jeweiligen Kontrahenten gehört‘, d.h. auf dessen gesamtes Hab und Gut, geregelt wird“ (R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 436 mit Hinweis auf P.Oxy. XLVII 3351,12-13; XLIX 3485,20-21; SB X 10238,16-18 u.a.). ψωμι'ζω „jemanden speisen, jemandem zu essen geben“ (mit Akk. der Person; vgl. Röm 12,20); die Wendung ψωμι'σω πα' ντα τα` υ πα' ρχοντα' μου ist als doppelter Akk. („mit meinem Besitz alles speisen“) oder als sonst nicht belegter Akk. der Sache („meinen ganzen Besitz verfüttern“) zu konstruieren; Bauer /Aland 1784; Lindemann 284. Philo, Flacc. 36-39 bezeugt dies für die alexandrinischen Juden. In jüdischen Texten wird das Feuermartyrium öfter erwähnt: 2Makk 7,5; 4Makk 6,26; 7,12; Josephus, Ant. 17,167; Bell. 1,648; vgl. Hebr. 11,34. Wolff 316-317; Schrage III 291; K. L. Schmidt, Art. και'ω, ThWNT III, 466-469; Wischmeyer, Weg, 81-84. Die in antiken Texten berichteten freiwilligen Selbstverbrennungen als Zeichen der Tapferkeit (Peregrinus, vgl. Lucian, Peregr. Mort. 23) und die Selbstverbrennungen indischer Fakire (der sog. Gymnosophisten, vgl. Philo, Abr. 182; Plutarch, Alex. 69,3) sind für V. 3 nicht relevant. Genauso wenig ist an eine Brandmarkung im Vollzug einer Selbstversklavung gedacht. Vgl. Schrage III 291-292. Dan 3,95 (Theodotion): παρε' δωκαν τα` σω' ματα αυ τω ^ ν εις πυ^ ρ. Wolff 317.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 765 ————————————————————————————————————
Die Lebenshingabe Jesu in den Tod am Kreuz „für uns“ war die vollendetste Liebestat.372 In den folgenden vier Versen beschreibt Paulus mit fünfzehn Verben das Verhalten der Liebe, die das Leben der Jesusbekenner kennzeichnen sollte – eine Beschreibung, die an das Verhalten des irdischen Jesus erinnert.373 Gleichzeitig beschreiben die folgenden Verse das gnädige Heilshandeln Gottes: Gott ist geduldig374 und gütig;375 er duldet keine Ungerechtigkeit,376 er rechnet uns unsere Sünden nicht zu;377 sein Handeln in Jesus Christus suchte den Vorteil und Nutzen der Vielen. 378 Paulus beschreibt in 13,4-7 das gnädige, liebende Handeln Gottes in Jesus Christus. Wie Paulus dem Herrn Jesus Christus als Vorbild seines Verhaltens folgt (11,1), so sollen sich die Korinther entsprechend am Verhalten Gottes orientieren. Auf zwei positive Aussagen über die Liebe (V. 4a) folgen acht negierte (V. 4b-6a) Aussagen, wobei die letzte Aussage ein positives Gegenstück hat; am Schluss stehen vier positive Aussagen (V. 7). Dass die negativen Aussagen überwiegen hängt damit zusammen, dass Paulus im Kontext von Kap. 12–14 das Fehlverhalten der korinthischen Christen korrigiert. 4 Paulus beginnt die Beschreibung der Liebe mit zwei chiastisch angeordneten379 positiven Aussagen: Die Liebe ist langmütig (η α γα' πη μακροθυμει^). Das Verb μακροθυμε'ω380 kommt bei Paulus nur hier und in 1Thess 5,14 vor (vgl. Jak 5,7-8); das Substantiv μακροθυμι' α beschreibt in 2Kor 6,6; Kol 3,12; Eph 4,2 das Verhalten der Jesusbekenner, in Gal 5,22 die Frucht des Geistes, und in Röm 2,4; 9,22 die gütige und geduldige Langmut Gottes. Ph. Bachmann definiert die „Langmut“ der Liebe als „die den Zorn hemmende und da————————————————————
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11,23-24; 2Kor 8,9; Röm 5,6-8; Gal 1,4; 2,20. Wischmeyer, Weg, 114, als Antwort auf die zu V. 2 gestellte Frage, „weshalb die α γα' πη soteriologisch über der πι'στις stehe“, nämlich: „Die α γα' πη verhält sich wie Christus“; vgl. Dunn, Theology of Paul, 433 („character sketch“ of Christ), ebd. 596; Wolff 311. Kritisch Lindemann 288, der auf Conzelmann 269 verweist, nach dem das vollständige Fehlen der Christologie den Einfluss der hellenistisch-jüdischen Schulbildung verrate. Man kann Themen jedoch nicht immer mit der Konkordanz erfassen: Genauso wenig wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn die Liebe fehlt (das Wort kommt in Lk 15,11-32 nicht vor), genauso wenig fehlt in 1Kor 13 der Bezug auf das Handeln Gottes und Jesu Christi. LXX: Ex 34,6; Num 14,18; Neh 9,17; Ps 7,12; 85,15 (MT 86,15); 102,8 (MT 103,8); 144,8 (MT 145,8); Joel 2,13; Jona 4,2; Nah 1,3; Paulus: Röm 2,4; 9,22; 11,22. LXX: Ps 24,7-8; 30,20; 33,9; 67;11; 85,5; 99,5; 105,1; 106,1; 118,68; 135,1; 144,9; Jer 40,11; Dan 3,89; Paulus: Röm 2,4; 11,22; Tit 3,4. Röm 1,18; 2,8. Röm 4,7-8; 2Kor 5,19. Röm 15,1-6; Phil 2,4-8. V. 4a: η α γα' πη μακροθυμει^ / χρηστευ' εται η α γα' πη. J. Horst, Art. μακροθυμι'α κτλ., ThWNT IV, 377-390; H. W. Hollander, EWNT II, 936938; U. Falkenroth/H. P. Willi, ThBLNT I, 671-673.
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durch Frieden bewahrende Geduld“.381 Wer langmütig ist, wer „einen langen Atem“ hat, der kann den anderen geduldig ertragen, wenn dieser ihn gekränkt oder provoziert hat, der gibt den anderen nicht auf, auch wenn dieser die Beziehung durch schuldhafte Verfehlungen verspielt hat. Wer langmütig ist, der öffnet sich dem Nächsten und schafft Raum zu gemeinsamem Leben. 382 Gerade Letzteres ist in der korinthischen Gemeinde zum Problem geworden, wie die Loyalitätsparolen, die Rechtshändel und die hungrigen Christen bei der Feier des Herrenmahls belegen. Die Mahnung in 1Thess 5,14 illustriert, was „geduldiges“ Verhalten in der Gemeinde bedeutet: „Weist die zurecht, die ein unordentliches Leben führen, ermutigt die Ängstlichen, nehmt euch der Schwachen an, seid geduldig mit allen!“. Die Liebe ist gütig (χρηστευ' εται η α γα' πη), das heißt: Wer liebt, der wendet sich dem anderen aufrichtig, freundlich, helfend, wohltätig zu. Das Verb χρηστευ' ομαι kommt im NT nur hier vor; das Subst. χρηστο' της383 wird für das gnädige Handeln Gottes verwendet (Röm 2,4; 11,22; Eph 2,7) und kann von Christen erwartet werden (2Kor 6,6; Kol 3,12), weil es ebenfalls zur Frucht des Geistes gehört (Gal 5,22). Wer gütig ist, der geht auf den anderen ein und nimmt an seinen Freuden und Leiden Anteil. 384 Die Liebe ereifert sich nicht (ου ζηλοι^, η α γα' πη),385 das heißt: Sie stellt anderen nicht in böser Absicht nach, sie ist nicht eifersüchtig oder neidisch, sie verfolgt nicht mit fanatischer Leidenschaft die eigenen Interessen, dabei die Gemeinschaft zerstörend. Im Kontext von V. 4b-7 ist nicht das positive eifern im Sinn von „streben nach“ gemeint (so 12,31; 14,1.39), sondern wie in 3,3 das Laster, dort konkret die Rivalitäten um statusbegünstigende Loyalitätsbekundungen.386 Die Liebe ist „frei von der Verabsolutierung der eigenen Auffassungen und Präferenzen, aber auch von egoistischem Eifer um ————————————————————
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Bachmann 397. Vgl. Ps 7,12 LXX; Prov 16,32. U. Falkenroth/H. P. Willi, ThBLNT I, 672. Schlatter 359: „Sie erhält die Gemeinschaft auch über Störungen hinweg, weil sie nicht nach Vergeltung verlangt, sondern zu warten, zu tragen und zu vergeben vermag“. K. Weiß, Art. χρηστο' ς κτλ., ThWNT IX, 472-481; J. Zmijewski, EWNT III, 1137.11381144; E. Beyreuther /R. Heiligenthal, ThBLNT I, 864-865; Spicq, Agapè II, 379-391. Schrage III 296. Bachmann 397 bestimmt die Güte als die „Liebes und Gutes erweisende Freundlichkeit“. A. Stumpff, Art. ζη^ λος κτλ., ThWNT II, 879-650; W. Popkes, EWNT II, 247-250; H. C. Hahn/F. Thiele, ThBLNT I, 145-147. Das Verständnis von ζη^ λος als „affekt-geladenes Sich-Ausrichten auf eine Person oder Sache“ (Popkes) betont zu sehr die Gefühlsaufwallung. Die dritte Erwähnung der α γα' πη (s. oben die textkritischen Anmerkungen) ist am besten zu ου ζηλοι^ zu ziehen; anders NA27, wo es den folgenden Satz einleitet. Das Wort ζη^ λος kommt in den ntl. Lasterkatalogen vor: Röm 13,13; Gal 5,20; Jak 3,14.15; 4,2. Vgl. Wibbing, Tugend- und Lasterkataloge, 77-108. Im AT vgl. Gen 26,14; 30,1; 37,11; Num 5,14; Ps 36,1 LXX; Prov 3,31; 23,17; 24,1.19.
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die eigenen Interessen und Ziele. Sie ereifert sich bei allem Eifer nie so, daß sie den anderen dabei unter Druck setzt und aus den Augen verliert“. 387 Die Liebe prahlt nicht (ου περπερευ' εται):388 Sie ist nicht arrogant oder aufschneiderisch; sie führt sich nicht wie ein πε'ρπερος auf, ein Schwätzer und Prahlhans, der rhetorisch geschliffen redet, ohne einen Grund für seine Anmaßung zu haben, der den anderen verletzt und Unruhe und Streit stiftet. Epiktet schreibt über einen Mann der sich als Philosoph aufspielt: „Soll ich dir sagen, wie du dich uns bereits gezeigt hast? Als ein armes gedrücktes Menschenkind, das unzufrieden, zornmütig und feige ist, das mit allen Menschen zankt, wider alle Menschen Klage führt, niemals Ruhe hat und voller Eitelkeit ist (πε'ρπερον)“ (Diss. 3,2,14). Polybios schreibt über Isokrates: „Dieser war ein Grammatiker, der öffentliche Vorlesungen hielt, ein ekelhafter Schwätzer (πε'ρπερος) und Aufschneider“ (Hist. 32,2,5). Im Horizont von 1,18–2,5 ist bei dem Ausdruck ου περπερευ' εται am besten an rhetorisches Reden denken, das sich als brilliant ausgeben, in dem aber Jesus Christus nicht als der Gekreuzigte verkündigt wird. Die Liebe bläht sich nicht auf (ου φυσιου^ ται):389 Sie ist nicht hochmütig oder aufgeblasen, sie ist nicht lieblos, sie begegnet dem anderen nicht mit vor Stolz und Selbstgefälligkeit geschwellter Brust. Paulus warf den korinthischen Christen vor, dass sie sich mit ihren Parteiparolen aufblasen und hochmütig sind (4,6), dass sie sich wichtig machen, obwohl ein Gemeindeglied in schwerer Sünde lebt (5,2), dass sie in der Frage des Essens von Fleisch aus Tempelschlachtungen eine prahlerische Erkenntnis praktizieren, die den Untergang des anderen in Kauf nimmt (8,1). Die Liebe protzt nicht, „weder mit berechtigten noch eingebildeten Vorzügen noch mit machtvollen Demonstrationen“.390 5 Die Liebe handelt nicht ungehörig (ου κ α σχημονει^):391 Die Liebe setzt sich nicht gedankenlos oder absichtlich über die Schranken des Anstands und der geltenden Sitte hinweg, sie respektiert gute Manieren. Die Aussage erinnert an das Verhalten korinthischer Christen in dem Fall von Inzest (5,1) ————————————————————
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Schrage III 296. H. Braun, Art. περπερευ' ομαι, ThWNT VI, 92-94; Spicq, Agapè, 83-84; Schrage III 296. Das Wort kommt im NT nur hier vor und ist in der griech. Literatur äußerst selten, vgl. Marc. Anton. 5,5,4, wo es in Verbindung mit Kritiksucht, Geiz und Schmeichelei steht. H. Braun, ThWNT VI, 93 mit Anm. 16; H. Balz, Art. φυσιο' ω, EWNT III, 1062-1063. Von den 7 ntl. Stellen, die das Verb φυσιο' ω verwenden, stehen 6 in 1Kor: 4,6.18.19; 5,2; 8,1; 13,4; vgl. Kol 2,18 (dort ist die Unbegründetheit explizit mit εικη^ angesprochen). Schrage III 297. P. Fiedler, Art. α σχημοσυ' νη κτλ., EWNT I, 424-425. Das Subst. α σχημοσυ' νη bezeichnet die sexuelle Schandtat (Röm 1,27) und die „Blöße“ (Offb 16,15); τα` α χη' μονα η μω^ ν (με' λη) die Schamteile (1Kor 12,23).
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und an die Weigerung von Frauen in der Gemeinde, beim Beten und Prophezeien eine Kopfbedeckung zu tragen (11,6.13). Paulus sagt natürlich nicht, dass Sitte und Konvention das Verhalten der Christen in jedem Fall bestimmen: „anständig“ ist für Paulus „nicht das, was nach herrschender Auffassung als sittlich gut gilt, sondern das, was gemäß dem Evangelium gut ist“.392 Die Teilnahme an Festmählern im heidnischen Tempel (8,10), das Überziehen der Toga beim Beten, das Männer im Gottesdienst weiterhin praktizieren (11,4) und das Verhalten der bessergestellten Christen während der Feier des Herrenmahls (11,21-22) sind Beispiele dafür, wie das Evangelium ein Verhalten verlangt, das die geltende säkulare Sitte hinter sich läßt. Manche beziehen α σχημονει^ auf sexuell schamloses Verhalten, 393 was nicht ausgeschlossen, aber im Zusammenhang weniger wahrscheinlich ist. Die Liebe sucht nicht ihren Vorteil (ου ζητει^ τα` ε αυτη^ ς): Sie sucht nicht „das Ihre“ (so wörtlich), d.h. sie ist nicht selbstsüchtig, sie ist nicht narzisstisch auf sich selbst fixiert, der Maßstab ihres Handelns ist nicht der eigene Vorteil. Das Vorbild der Liebe, die nicht „das Ihre“ sucht, ist die Selbstverleugnung Jesu Christi (2Kor 8,9; Phil 2,6-11; Röm 15,1-3). In Phil 2,4 mahnt Paulus: „Ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient“. Christen suchen nicht das Ihre, sondern „das, was Jesu Christi ist“ (Phil 2,21). Calvin kommentiert, dass dieser Satz „beweist, dass uns die Liebe nicht von Natur angeboren ist. Denn von Natur neigen wir alle zur Selbstsucht und sorgen nur für uns und unseren eigenen Nutzen“.394 Wenn die korinthischen Christen so leben, dass sie nicht „das Ihre“ suchen, dann verzichten sie auf die Parteiparolen und Loyalitätsbezeugungen, mit denen sie sich wichtig machen wollen (Kap. 1–4). Sie verzichten auf die Durchsetzung ihrer Rechte mit Hilfe von Rechtshändeln (6,1-11). Sie verzichten auf die Teilnahme an Festmählern im Götzentempel (Kap. 8–10). Sie verzichten auf die Durchsetzung ihrer persönlichen Positionen und Wünsche in der Frage sexueller Beziehungen in der Ehe (Kap. 7) und in der Frage der Kopfbedeckung in den Versammlungen (11,2-16). Sie verzichten auf die exklusive Tischgemeinschaft mit wohlhabenden Mitchristen und sind bereit, mit den ärmeren Jesusbekennern zu teilen (11,17-34). Sie lassen im Gottesdienst Mitchristen mit Beiträgen zu Wort kommen, ohne das Geschehen in den Versammlungen mit ihrem glossolalischen und prophetischen Reden zu monopolisieren (Kap. 14). Das selbstlose Ausgerichtet-Sein auf den anderen ist die ————————————————————
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Söding, Trias, 128; vgl. Schrage III 297 Anm. 113. Wischmeyer, Weg, 96-97, die dann aber nicht im Sinn der unzüchtigen Handlungen interpretiert, sondern an „die prahlerische Haltung, die sich der Unzucht rühmt“ denkt. Die damit vorausgesetzte Interpretation von 5,2 ist jedoch zu hinterfragen (s. zu 5,2). Calvin 433.
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Summe der ganzen Aufzählung, die Quintessenz christlichen Verhaltens. 395 Die Aussage Jesu über die Nachfolge betont dieselbe Haltung: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es ver-lieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden“ (Mt 16,24-25 / Mk 8,34-35 / Lk 9,23-24). Christen, die nicht auf den eigenen Vorteil bedacht sind, sorgen sich um den Aufbau der Gemeinde (3,10; 8,1; 10,23). Die Liebe lässt sich nicht reizen (ου παροξυ' νεται):396 Sie reagiert nicht mit beleidigter Bitterkeit, aggressiven Beleidigungen oder aufbrausendem Zorn auf provozierendes oder kränkendes Verhalten. Paulus will mit dieser Beschreibung der Liebe wahrscheinlich sowohl die miteinander rivalisierenden korinthischen Christen treffen, deren Loyalitätsbekundungen zu Spaltungen führen,397 als auch das Verhalten jener Christen, die durch ihre Teilnahme an Festmählern in heidnischen Tempeln Gott versuchen, 398 sowie die Reaktionen der „Schwachen“ und der armen Christen, die durch das Verhalten der bessergestellten Christen provoziert werden.399 Die Liebe rechnet das Böse nicht an (ου λογι' ζεται το` κακο' ν): Die Liebe schreibt das Böse, das man ihr antut, nicht auf das „Konto“ des Übeltäters, sie trägt das Böse nicht nach, sie führt nicht Buch über die Verfehlungen des anderen, sie pflegt nicht die Erinnerung an vergangenes Unrecht, sie erlässt die Schuld (vgl. Röm 12,17.21; 2Kor 2,7-8).400 Wenn Paulus auf Sach 8,17 anspielt,401 wäre von der Bedeutung „Böses sinnen, nach Schaden trachten“ auszugehen: Die Liebe denkt nichts Böses, sie will dem anderen keinen Scha————————————————————
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Schrage III 298 mit Anm. 117: aus diesem Grund ist das Verb α γαπα' ω mit anderen Verben austauschbar: mit διακονε' ω (vgl. 2Kor 8,8 mit 8,19-20; Phlm 13 mit 9), δουλευ' ω (Gal 5,13) und δι'δωμι εαυτο' ν (vgl. 2Kor 8,8 mit 8,5; Gal 2,20 mit 1,4). H. Seesemann, Art. παροξυ' νω κτλ., ThWNT V, 855-856; H. Balz, EWNT III, 101. Das Wort kommt nur hier bei Paulus vor, im NT sonst nur noch in Apg 17,16, dort mit einer neutralen Bedeutung. In der LXX bedeutet παροξυ' νω häufig „zum Zorn reizen“: Num 14,11.23; 16,30; Dtn 1,34; Ps 10,3.13; Jes 63,10; 65,3; Dan 11,10; Hos 8,5; Sach 10,3. Spicq, Agapè, 87; Mitchell, Rhetoric, 169-170; vgl. Wolff 319. Wischmeyer, Weg, 98-99, mit dem Hinweis auf die Geschichte vom Untergang der Rotte Korah, in der das Verb παροξυ' νω an „profilierter Stelle“ vorkommt (Num 16,30) – genau die Stelle, die Paulus in 1Kor 10,9-10 heranzieht, um die Korinther zu warnen. Schrage III 298. Wolff 319; Kremer 287; Schrage 299; Garland 619; vgl. Wischmeyer, Weg, 100; die Auskunft, dass λογι'ζομαι ein „typisch paulinischer Ausdruck“ sei, der im Röm mit der Rechtfertigungslehre verbunden ist und dass deshalb dieser Zusammenhang auch hier anzunehmen sei (ebd.), ist linguistisch problematisch, auch wenn die Schlussfolgerung, „daß die Liebe dasselbe tut wie der rechtfertigende Gott“, theologisch richtig ist. Die Übersetzung „sie trägt keinem etwas nach“ (NGÜ) ist flach; das „Böse“ solle man nicht unterschlagen. Sach 8,17: „Plant in eurem Herzen (μη` λογι'ζεσθε ε ν ται^ς καρδι'αις υ μω^ ν) nichts Böses gegen euren Nächsten (τη` ν κακι'αν του^ πλησι'ον αυ του^ )“.
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den zufügen.402 Die Entsprechung zwischen dem Verhalten Gottes bzw. Jesu Christi und dem Verhalten der Jesusbekenner (2Kor 5,18; Röm 4,8) macht die erste Bedeutung wahrscheinlicher.403 Statt das Böse anzurechnen und Kompensation zu fordern, sind Christen eher bereit, sich Unrecht antun zu lassen (6,7). Christen sind bereit, wie der Vater im Gleichnis den Irrenden und Verlorenen zu vergeben (Lk 15,11-32), und nicht nur siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal (Mt 18,21-22), weil Gott ihnen eine unvorstellbar große Schuld vergeben hat (Mt 18,23-35). 6 Die Liebe freut sich nicht über das Unrecht (ου χαι'ρει ε πι` τη^, α δικι'α, ): Sie stimmt ungerechtem, sündigem Verhalten nicht zu, weder bei anderen404 noch bei sich selbst, sie hält keine Lobreden auf Unrecht oder auf Verhaltensweisen, die dem Willen Gottes und dem Vorbild Christi widersprechen. Sie widersteht der Hauptsünde des Menschen, die Wahrheit Gottes in Ungerechtigkeit zu verkehren (Röm 1,18).405 In der korinthischen Gemeinde hat man das große Unrecht eines in einer inzestuösen Beziehung lebenden Christen geduldet (5,1-13) und sich in diesem Zusammenhang weiterhin gerühmt (5,6). Wer sich konsequent nicht über Unrecht freut, der kann so nicht handeln. In 12,26 sprach Paulus davon, dass in einer Gemeinde, die als Leib funktioniert, Christen sich mit einem anderen Christen mitfreuen, wenn dieser Anlass zur Freude hat – und mit dem weinenden Gemeindeglied mit weinen. Das Mitleiden mit den Leidenden macht deutlich, dass Liebe sich nicht über das Unrecht freut, weil das Unrecht, das Menschen begehen, ständige Gefahr für den Menschen ist, vor der die Liebe bewahrt. 406 Was Paulus in V. 6a meint, zeigt die folgende Antithese (δε', hier mit „vielmehr“ übersetzt). Die Liebe freut sich mit der Wahrheit (συγχαι' ρει δε` τη^, α ληθει' α, ), d.h. sie freut sich an der Gerechtigkeit.407 Sie handelt auch hier ————————————————————
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Vulgata: non cogitat malum. Diese Bedeutung von λογι'ζομαι liegt in Phil 4,8 vor. So H. W. Heidland, ThWNT IV, 292; Robertson / Plummer 294. Diese Auslegung ist durchaus nicht „banal“ (Lindemann 287; ähnlich Wolff 319): Paulus könnte an die Rechtshändel denken, die es zwischen Christen in Korinth gibt (6,1-11). Schlatter 359 verbindet beide Bedeutungen: Die Liebe „macht es unmöglich, Böses anzurechnen, weil sie nach der Gemeinschaft mit dem anderen verlangt und sein Wohl, nicht sein Verderben, begehrt“. Zum Beispiel deshalb, „um so für sich und die eigene reine Weste eine desto dunklere Folie zu haben“ (Schrage III 299-300). Lindemann 288 weist darauf hin, dass χαι'ρω hier nicht die emotionale Freude meint, sondern die objektive Zustimmung beschreibt. Nach Röm 1,18 sind die Menschen α νθρω' ποι οι τη` ν α λη' θειαν ε ν α δικι'α, κατε' χοντες. Wischmeyer, Weg, 103. Die Opposition von α δικι'α (Ungerechtigkeit) und α λη' θεια (Wahrheit) geht auf die LXX zurück, wo häufig α λη' θεια und δικαιοσυ' νη parallel stehen: Ps 36,6-7; 85,12; 119,40; Jes 11,5; Ez 18,5.8.9; vgl. 3Esra 4,37. Die Wendungen „in der Wahrheit wandeln“ (2Kön 20,3; 2Joh 4; 3Joh 3-4) und „die Wahrheit tun“ (Joh 3,21; 1Joh 1,6) belegen ebenfalls die
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wie Gott, der das Unrecht abweist und am rechten Handeln des Menschen Gefallen hat (Röm 1,18; 2,8). Wenn α λη' θεια zugleich die Wahrheit der Wirklichkeit Gottes (Röm 2,9; Gal 5,7; Kol 1,5; 2Thess 2,12) und die Wahrheit des Evangeliums (Gal 2,5) ist, geht es bei der Freude, die ein Kennzeichen der Liebe ist, um die Freude über die Sünder, die Gott begnadigt (vgl. Lk 15,32), und damit um die Freude an der Ausbreitung des Evangeliums in der Welt. 7 Mit vier positiven, parallel formulierten Aussagen, die durch das unverbunden vorangestellte πα' ντα rhetorisch hervorgehoben werden, beendet Paulus seine Beschreibung der Liebe. Die Liebe trägt alles (πα' ντα στε'γει):408 Sie hält Druck und Verfolgungen aus, sie erträgt Entbehrungen und Enttäuschungen.409 In 9,12 hatte Paulus die korinthischen Christen daran erinnert, dass er auf das Recht, seinen Lebensunterhalt von den Gemeinden finanziert zu bekommen, verzichtet und damit Entbehrungen ertragen hat. In 4,10-15 hatte er (mit anderen Verben) näher geschildert, was er um des Evangeliums willen ausgehalten hat.410 Bei diesem Verständnis liegt im Vergleich mit dem vierten Glied („sie erduldet alles“) keine Tautologie vor, sondern ein Chiasmus, der die beiden mittleren Glieder – Glaube und Hoffnung – einrahmt. A. Schlatter kommentiert: „Die Liebe läßt sich nicht überwinden; keine Gewalt kann sie niederzwingen. Denn sie kann leiden und zwar alles; nichts ist ihr zu schwer und keiner Plage weicht sie aus. Wiche sie aus, so gehorchte der Mensch seinem selbstischen Trieb“.411 ————————————————————
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Bedeutung „Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit“ für α λη' θεια. In 2Kor 6,7 stehen „Gerechtigkeit“ und „Wahrheit“ parallel. Vgl. Wischmeyer, Weg, 101-102. W. Kasch, Art. στε' γω, ThWNT VII, 585-587; G. Schneider, EWNT III, 650; Spicq, Notes II, 829-830. Das Wort kommt im NT nur hier und in 1Kor 9,12; 1Thess 3,1.5 vor; in der LXX nur in Sir 8,17 („ein Wort verschweigen“). Die zwei Hauptverwendungen der Vokabel können mit „bei sich behalten, mit Schweigen bedecken“ und „aushalten, ertragen“ übersetzt werden (Bauer /Aland 1529). Meyer 368; Schlatter 360; Conzelmann 274; Fee 640; Wolff 321; Kremer 287; Hays 228; Schrage III 301-302; Lindemann 288; Thiselton 1058; Garland 620; Wischmeyer, Weg, 104-105. Weniger wahrscheinlich ist die Bedeutung „verhüllen, bedecken“: Bauer /Aland 1529 („von der Liebe, die alles Unerfreuliche bei anderen mit dem Mangel der Liebe bedeckt“); Kasch, ThWNT VII, 586 („deckt alles zu“); Heinrici 402 („sie deckt alles zu“ im Sinn von „entschuldigt alles Unrecht“); Weiss 317 („an sich halten, bei sich behalten, verschweigen“, im Sinn von „nicht zum Gegenstande des öffentlichen Streits machen“); vgl. Godet II 141; Lang 185, mit Verweis auf 1Petr 4,8; Jak 5,20. Den impliziten Hinweis auf den Apostel betont Wischmeyer, Weg, 104-105; vgl. Wolff 321; Schrage III 301. Nach Strobel 205 geht es um den Unterschied zum stoischen Aushalten von Leiden und zur apathischen Beherrschung der Leidenschaften: „Nicht die Eingrenzung und Beherrschung der Leidenschaften sind ihm Aufgabe und Ziel, sondern ihre Umwandlung und Einbettung in die umfassende Leidenschaft für den Menschen“. Schlatter 360.
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Die Liebe glaubt alles (πα' ντα πιστευ' ει). Das „glauben“ kann auf Menschen oder auf Gott bezogen werden. Im ersten Fall kann man πα' ντα πιστευ' ει interpretieren „im Sinne der vertrauensvollen bona fides gegenüber dem anderen, mit der man ihm ohne alles Mißtrauen begegnet“. 412 Die profane Bedeutung von πιστευ' ω ist zwar bei Paulus belegt, an dieser Stelle jedoch unwahrscheinlich, zum einen wegen des in der folgenden Wendung erwähnten „Hoffens“, zum anderen wegen des fehlenden Bezugs zum Verhalten des Apostels: Paulus glaubt den Korinthern eben gerade nicht „alles“, er vertraut weder ihrem immer noch von säkularen Werten bestimmten Verhalten, noch ihrer theologischen Kompetenz (vgl. 11,18). Das Subjekt der Formulierung ist die Liebe, die nach 1Thess 3,6; 5,8; Phlm 5; Kol 1,4 mit dem Glauben zusammengehört. Das heißt: Der Glaube ist immer, also auch hier, primär das auf Gottes Liebe (Röm 5,5.8; 8,39) und auf die Liebe Jesu Christi (Röm 8,35; Gal 2,20) gerichtete Vertrauen. Es ist der Glaube an Gott und Jesus Christus, der durch die Liebe wirksam wird (Gal 5,6).413 In diesen Horizont kann man den Satz, dass die Liebe alles glaubt, auch auf Christen anwenden, einschließlich der Christen in Korinth: Es gibt keine Krise, kein Versagen, kein Fehlverhalten, das imstande wäre, den Glauben des Apostels zu erschüttern, dass sie Gottes Werk sind und bleiben. Die Liebe hofft alles (πα' ντα ε λπι' ζει): Die Hoffnung kann sich auf die kommende Auferstehung des Leibes (15,19) und, allgemeiner, auf die Fürsorge und den Schutz Gottes (2Kor 1,10) richten, aber auch auf die Zuversicht gegenüber anderen (2Kor 1,7; 10,15). Paulus denkt im Zusammenhang der vier gewaltigen Sätze in V. 7 nicht primär an ein profanes Hoffen im Sinn der Liebe, für die es „keine hoffnungslosen Fälle“ gibt.414 Wieder ist zu beachten, dass die Liebe das Subjekt des Satzes ist. Dies führt uns zu Röm 5,1-9, wo Paulus die Hoffnung (ε λπι' ς) mit der Liebe Gottes (η α γα' πη του^ θεου^ ) verbindet, die durch den Heiligen Geist in die Herzen der Jesusbekenner ausgegossen wurde (5,5). Von dieser Hoffnung sagt er, dass sie „Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“ (ε λπι` ς τη^ ς δο' ξης του^ θεου^ ; 5,2) ist, eine Hoffnung, die in der Bedrängnis Geduld (υ πομονη' ) und Bewährung (δοκιμη' ) bewirkt (5,3-4) und den glaubenden Christenmenschen nicht zuschanden werden lässt (5,5), der sich deshalb der Rettung im Gericht Gottes gewiss sein darf (5,8-9). Die Liebe, die „alles hofft“, lässt sich von Anfechtungen und Widrigkeiten nicht beirren, da sie vom Heilshandeln Gottes ————————————————————
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Schrage III 302, der dies nicht im Sinn von „naiver Leichtgläubigkeit“ verstanden wissen will; vgl. Lang 185: „die Kraft, dem andern auch über Fehlschläge hinweg das Vertrauen zu bewahren“; so auch Heinrici 402; Weiss 317; Bachmann 398; Spicq, Agapè II, 159. Wolff 321; Collins 482; Lindemann 288. Schrage III 302, mit Verweis auf 9,10; 2Kor 8,5.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 773 ————————————————————————————————————
bestimmt und sich deshalb sowohl der Fürsorge Gottes in der Gegenwart als auch der Rettung in der Zukunft gewiss ist. Der Bezug dieser Hoffnung auf den Menschen kann mit A. Schlatter so verstanden werden: „Der Glaube und die Hoffnung, die sich auf das beziehen, was aus einem Menschen wird, sind daher zuerst auf Gott gerichtete Zuversicht und nach seiner Hilfe verlangende Erwartung, und dies macht sie ganz, keiner Erschütterung zugänglich und jeder Lage gewachsen; denn Gottes Verheißung ist absolut“. 415 Die Liebe erduldet alles (πα' ντα υ πομε'νει): Sie hält die Anfechtungen, Widrigkeiten, Beschwernisse, die von der Welt und auch von Mitchristen in den Weg gestellt werden, standhaft aus. 416 Paulus hat in 4,9-13 geschildert, wie er das Erdulden in seinem apostolischen Dienst praktiziert (vgl. 2Kor 6,410; 12,12; 2Tim 2,10). 8 Der Abschnitt V. 8-13 betont die Unvergänglichkeit der Liebe, die selbst gegenüber dem Glauben und der Hoffnung der höchste Wert ist. In V. 8 formuliert Paulus die Grundaussage: die Liebe hört niemals auf, während prophetisches und glossolalisches Reden sowie die Erkenntnis vergehen werden. V. 9-10 erläutert: Erkenntnis und Prophetie erfassen die Wahrheit nur bruchstückhaft und werden deshalb zu Ende gehen, wenn das Vollkommene kommt. V. 11-12 erläutert den Gegensatz von unvollkommener Gegenwart und vollkommener Zukunft mit dem Kind, das kindlich redet, denkt und urteilt, und dem erwachsenen Mann, der beseitigt, was kindlich war. V. 13 fasst zusammen: Glaube, Hoffnung und Liebe bestimmen die christliche Existenz, aber die Liebe ist die größte, die hervorragendste Wirklichkeit. Aus der Aussage in V. 7, dass die Liebe alles trägt, glaubt, hofft und erduldet, ergibt sich der Satz: Die Liebe hört niemals auf. Das emphatische Adverb ου δε'ποτε kommt bei Paulus nur hier vor.417 Das Verb πι' πτω („fallen“) bedeutet hier im übertragenen Sinn „hinfällig werden, die Geltung verlieren, ————————————————————
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Schlatter 360. Eine theologische Deutung des Satzes „sie hofft alles“ vertreten Wolff 321; Lindemann 288; Wischmeyer, Weg, 106-107. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 438-440 weist darauf hin, dass das Verb υ πομε' νω in den Papyri meist mit unangenehmen Dingen in Verbindung gebracht wird, „wobei Betroffene oft nur unter Druck oder Zwang dazu bereit sind, etwas ‚auf sich zu nehmen‘“ (438); in den meisten Belegen geht es darum, dass ein Mensch eine Sache, die ihm das Leben schwer macht, „erträgt“, d.h. „aushält“ (P.Oxy. II 237, Kol. VIII 38: Erdulden einer Strafe [δι'κην υ πομενου^ σι]), oder darum, dass jemand etwas nicht auf sich nehmen will, d.h. zu dem, was von ihm verlangt wird, nicht „bereit“ ist (P.Diosk. 8,11-13: ein Weinhändler ist nicht bereit [ου χ υ πομε' νει], seine Schulden bei einem Kaufmann zu begleichen, obwohl er wiederholt dazu aufgefordert wurde). Nur selten ist davon die Rede, dass jemand aus freien Stücken bereit ist, größere Aufwendungen auf sich zu nehmen (z.B. P.Cair.Zen. I 59034,10-11; P.Amh. II 70,4). Sonst im NT in Mt 7,23; 9,33; 21,16.42; 26,33; Mk 2,12.25; Lk 15,29; Joh 7,46; Apg 10,14; 11,8; 14,8; Hebr 10,1.11.
774 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
aufhören“, und ist synonym mit καταργηθη' σονται (V. 8b.d) und παυ' σονται (V. 8c). Πι' πτει ist auf με'νει (V. 13) zu beziehen, mit dem es eine sachliche inclusio bildet.418 Die Liebe hört niemals auf, das heißt: Sie ist ewig. Paulus stellt der Unvergänglichkeit der Liebe die Vergänglichkeit der vom Heiligen Geist gewirkten Phänomene gegenüber, die in der Gemeinde zu Schwierigkeiten geführt haben. W. Schrage weist darauf hin, dass die Schönheit der Formulierungen in V. 8-10 nicht über die scharfe Kritik hinwegtäuschen darf, die Paulus am Verhalten der Korinther übt.419 Paulus betont in V. 8b in drei parallel formulierten Aussagen (mit Verben im Futur Passiv), dass die Gaben des Geistes – er nennt konkret drei Charismen420 – verschwinden werden. Das Verb καταργε' ω bedeutet „außer Geltung setzen, vernichten, beseitigen“, παυ' ομαι (Med.) bedeutet „aufhören“. Die Charismen werden „am Ende“, wenn das Vollkommene kommt (V. 10), aufhören. Paulus erwähnt zunächst das Ende des prophetischen Redens (προφητει^αι, wörtl. „Prophezeiungen“). Obwohl er die Prophetie hoch schätzt und am liebsten hätte, dass alle prophetisch reden (14,5.39), weiß er um ihre Vorläufigkeit. Wenn die Jesusbekenner Gott von Angesicht zu Angesicht sehen (13,12), muss der Wille Gottes nicht mehr zum Aufbau der Gemeinde (14,3-4) und zur missionarischen Wirkung nach außen (14,25-26) verkündigt werden. In der Vollendung kommt das Phänomen der Prophezeiungen nicht mehr vor. Zu Ende gehen wird auch glossolalisches Reden (γλω ^ σσαι, wörtlich „Sprachen“). Wenn die Jesusbekenner Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und in unmittelbarer Anschauung erkennen (13,12), entfällt die Notwendigkeit privater Erbauung, der das glossolalische Reden in erster Linie dient (14,4), weil der Anbetung Gottes eine neue, vollkommene Qualität eignet. Was dann mit den „Sprachen der Engel“ (13,1) geschieht, ist hier nicht im Blickfeld: Paulus hat sich an keiner Stelle darauf festgelegt, dass die im glossolalischen Reden gesprochenen Sprachen auch tatsächlich Sprachen der Engel sind. Auch das Charisma der Erkenntnis (γνω ^ σις) wird vergehen. Gedacht ist hier selbstverständlich nicht an die Erkenntnis Gottes und seines Heilshandelns in ————————————————————
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Die Bedeutung „(durch Versuchungen) zu Fall kommen“ (W. Michaelis, ThWNT VI, 166) ist im Zusammenhang nicht plausibel; Wolff 321 mit Hinweis auf δε' : V. 8a gehört nicht zu V. 7, sondern zu den Aussagen über Prophetie, Glossolalie und Erkenntnis. Schrage III 305, der allerdings die Kritik im Sinn einer Polemik gegen „das Vollendungsbewußtsein einer realized eschatology und die Überschätzung der außerordentlichen Geistesgaben“ versteht. Die Erwähnung der „Erkenntnis“ in V. 8-9 macht diese Interpretation genauso unwahrscheinlich wie der Gesamtzusammenhang, in dem sich falsches Verhalten konstatieren lässt, aber kein Vollendungsbewusstsein. Die Erklärung, dass der Hinweis auf die Erkenntnis „vielleicht der Versuch eines Brückenschlags“ ist (ebd. Anm. 156), ist nicht überzeugend: Glossolalisches Reden, prophetisches Reden und Erkenntnis liegen in V. 8-9 auf ein und derselben Linie. Das drei Mal wiederholte ει»τε betont das Zufällige der Auswahl; Lindemann 289.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 775 ————————————————————————————————————
Jesus Christus, sondern an die besondere Gabe der Erkenntnis (12,8; 13,2; 14,6). Wie die Prophetie und das glossolalische Reden, so ist auch die vom Geist geschenkte besondere Erkenntnis eine irdische Größe, die mit der Ankunft des Vollkommenen vergehen wird. Die Alte Kirche hat die Verben καταργε' ομαι und παυ' ομαι auf eine innergeschichtliche Zukunft bezogen: Wenn sich der christliche Glaube überall ausgebreitet hat, werden Prophezeiungen, glossolalisches Reden und besondere Erkenntnis nicht mehr benötigt.421 Der Ausdruck „das Vollkommene“ (το` τε' λειον, V. 10) wird entweder auf den Abschluss des ntl. Kanons bezogen oder auf die Zeit, wenn die Kirche das Stadium der „Reife“ erreicht hat. Beide Interpretationen sind nicht haltbar. 1. Paulus lässt an keiner Stelle erkennen, dass er analog zum Abschluss des atl. Kanons einen abgeschlossenen Kanon heiliger Schriften des Neuen Bundes erwartet; er rechnet im Gegenteil mit der Möglichkeit (ohne sich festzulegen), dass er die Wiederkunft Jesu selbst noch erlebt (15,51; 1Thess 4,15-16). 2. Paulus konnte nicht erwarten, dass die korinthischen Christen bei dem Wort το` τε' λειον an einen Kanon heiliger Schriften denken. 3. Der Abschluss eines vollständigen Kanons heiliger Schriften hätte für die Korinther kaum bedeutet, dass bloßes „Stückwerk-Wissen“ (und mit diesem Prophezeiungen und die Sprachengabe) verschwindet und „vollkommenes Wissen“ kommt: Sie hatten bereits die heiligen Schriften Israels und die Evangelientradition sowie einen größeren Umfang paulinischer Lehre in Form von Predigten und katechetischer Unweisung, als in den neutestamentlichen Kanon (in den paulinischen Briefen) einging. 4. Was mit το` τε' λειον kommt, wird von Paulus in V. 12 in der Sprache der Theophanie beschrieben, die sich nur auf die Wiederkunft Jesu Christi (die Parusie) beziehen kann. 5. Wenn Paulus mit το` τε' λειον den Kanon meint, hat er in V. 12 übertrieben. 6. Die urchristliche Prophetie war keine Interimsoffenbarung, die vom abgeschlossenen Kanon abgelöst wird, wie bei dieser Sicht oft angenommen wird; sie war nicht nur autoritative Offenbarung von Theologie, sondern hat einen viel umfangreicheren Inhalt und eine breitere Funktion. 7. Was die Interpretation im Sinn der „Reife“ der Kirche betrifft, ein Stadium, in dem sie diese Charismen nicht mehr benötige, ist zunächst auf die enge Parallele in Eph 4,13 hinzuweisen, wo die Reife der Gemeinde mit der Wendung α νη` ρ τε' λειος beschrieben wird – und sich auf das Eschaton bezieht. 8. Paulus hat eine derart hohe Meinung von Propheten und Prophetie (14,1.39), dass es unwahrscheinlich ist, dass er sie aus „reifen“ Gemeinden verbannen würde. 9. Nach 1,7 betrachtet Paulus Charismen, die Offenbarung mitteilen, neben den anderen Charismen als Gaben, die die Gemeinde in ihrem Warten auf die Wiederkunft Jesu Christi stärken. 10. Paulus sagt in 13,11 nicht, dass sich die apostolische Kirche zu einer noch reiferen (irdischen) Kirche entwickelt, in der die Erkenntnis nicht mehr ε κ με' ρους sein würde; er betont, dass die gesamte (irdische) Existenz der Kirche aus der (himmlischen) Perspektive der Wiederkunft Jesu durch stückwerk————————————————————
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Schrage III 305 mit Anm. 158 verweist für diese Auslegung auf Chrysostomus 287; Theophylakt 729.732; Oecumenius 836; Bengel 669. Diese Sicht wird von Auslegern geteilt, die gegen die Pfingstkirchen und gegen die charismatische Bewegung argumentieren; vgl. Warfield, Miracles; zur kritischen Auseinandersetzung mit der Position des cessationism vgl. Ruthven, Cessation; Turner, Holy Spirit, 286-302; ebd. die folgenden Argumente.
776 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— hafte Erkenntnis (einschließlich der der Prophetie und der Sprachenrede) charakterisiert ist. Manche Ausleger meinen, dass der Wechsel vom Fut. Pass. (καταργηθη' σονται) zum Fut. Med. (παυ' σονται) und zurück zum Fut. Pass. (καταργηθη' σεται) von Bedeutung sei: Das prophetische Reden und die Gabe der Erkenntnis werden von Gott in der Vollendung zu Ende gebracht (passivum divinum), während das glossolalische Reden von selbst aufhört (Medium). Diese Auslegung kann nicht überzeugen.422 1. Sie verkennt die Bedeutung der medialen Verbformen im Griechischen. Im hellenistischen Griechisch kann ein Verb im Medium verwendet werden, obwohl die aktive Bedeutung beibehalten wird (Deponens). 2. Sie verkennt die Verwendung von παυ' ω im NT, wo das Verb meistens im Medium (παυ' ομαι) mit finiter Bedeutung („aufhören“) gebraucht wird, was nicht bedeutet, dass das Subjekt „von selbst aufhört“ (vgl. Lk 8,24!). 3. Die Verbformen in V. 11 variieren aus stilistischen Gründen, ohne dass ein Bedeutungsunterschied erkennbar wäre, der die Glossolalie von der Prophetie absetzt.
Der Bezug von 13,8-12 ist eindeutig eschatologisch: Bei der Wiederkunft Jesu, und erst dann, werden prophetisches und glossolalisches Reden aufhören, weil sie nicht mehr notwendig sind, da wir „von Angesicht zu Angesicht“ das sehen, was wir jetzt glauben. 423 In V. 1-3 hatte Paulus betont, dass die Gaben des Geistes ohne die Liebe in der Gegenwart bedeutungslos sind. In V. 8 beleuchtet er die Charismen von der Zukunft her: Im Licht der Vollendung in der Neuen Welt Gottes, in der die Gaben des Geistes überflüssig sein werden, sollen die korinthischen Christen erkennen, dass diese dem Aufbau der Gemeinde dienen, die auf diese Zukunft hinlebt. 9 Paulus begründet (γα' ρ) mit zwei parallel formulierten Aussagen das Aufhören der Gaben des Geistes in der zukünftigen Vollendung: Wir erkennen bruchstückhaft (ε κ με'ρους γινω' σκομεν). Der Ausdruck „bruchstückhaft“ ist betont vorangestellt. Das Charisma der besonderen Erkenntnis weiß nicht alles, sondern nur etwas. Und: wir prophezeien bruchstückhaft (ε κ με'ρους προφητευ' ομεν), d.h. die Gabe der Prophetie erschließt den Willen Gottes, aber nie ganz und vollständig, sondern lückenhaft, unvollständig und zeitlich beschränkt. Die Formulierung ohne Objekt zeigt, dass es nicht um das Erkennen und Prophezeien bestimmter Inhalte geht, sondern um die von den Gaben des Geistes bestimmte geistliche Identität schlechthin.424 Diese Aussagen ————————————————————
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Carson, Spirit, 66-67. Dies ist der Konsens der Kommentatoren; siehe auch Grudem, Prophecy, 210-219; Wischmeyer, Weg, 120-124; Carson, Spirit, 66-76; Fee, Empowering Presence, 204-214; Forbes, Prophecy, 85-91. Lindemann 290, der vermutet, dass das glossolalische Reden fehlt, weil der Ausdruck ε κ με' ρους dazu nicht gepasst hätte. Andere meinen, das glossolalische Reden sei aus stilistischen Gründen weggelassen worden; Fee 644 Anm. 21; Wolff 322 (die Glossolalie ist in der „Erkenntnis“ enthalten); Schrage III 307 Anm. 167; Grudem, Prophecy, 211.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 777 ————————————————————————————————————
sollen die Geistesgaben nicht generell abwerten: Diese sind „Offenbarung des Geistes zum Nutzen aller“ (12,7). Paulus unterstreicht jedoch, dass sie im Unterschied zur Liebe keinen ewigen Wert haben. 10 Die Gegenwart, die durch das Bruchstückhafte (το` ε κ με'ρους) gekennzeichnet ist, das in V. 9 im Blick auf die Gaben des Geistes ausgesagt wurde, wird in der Zukunft abgelöst werden, wenn das Vollkommene kommt (ο« ταν δε` ε»λθη, το` τε'λειον). Mit δε' weist Paulus auf den Kontrast zwischen der Gegenwart und der Zukunft, zwischen dem Bruchstückhaften und Unvollkommenen und dem Vollkommenen hin. In 15,24 spricht Paulus vom „Ende“ (το` τε'λος),425 das die Gegenwart ablöst, hier folgt „die Vollkommenheit (το` τε'λειον) auf die Gegenwart. Paulus erläutert nicht, was er meint. Mit ε»ρχομαι verweist Paulus auf das Kommen des Herrn (4,5; 11,26; 16,22), d.h. auf die Wiederkunft Jesu. Gemeint ist das absolut Vollkommene, nicht ein in der irdischen Zukunft erreichbares Entwicklungs- oder Reifestadium (vgl. die Diskussion zu V. 8). Das Vollkommene ist das Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht (V. 12). Prophetie und Erkenntnis verschwinden, weil beide „nur einen Zipfel des Schleiers aufheben können“, mit dem die Zukunft der Heilsvollendung für uns Menschen bedeckt ist. 426 Das „Stückwerk“ der Geistesgaben wird nicht vervollständigt: Dieses „vergeht“ (καταργηθη' σεται). Karl Barth kommentiert: „Weil die Sonne aufgeht, darum erlöschen alle Lichter“.427 11 Paulus vergleicht die Gegenwart mit einem Kind (νη' πιος), das wie ein Kind redet (ε λα' λουν), denkt (ε φρο' νουν) und überlegt (ε λογιζο' μην). Das drei mal wiederholte wie ein Kind (ω ς νη' πιος) konzentriert die Aufmerksamkeit auf das Kindesalter, der „reife Mann“ wird nur kurz erwähnt. Dies hängt damit zusammen, dass es Paulus nicht um eine Darstellung der Letzten Dinge geht, sondern um die Behandlung der Geistesgaben, deren Vorläufigkeit er mit dem Kindesalter vergleicht. In der Antike war der Unterschied zwischen der Urteilsfähigkeit der Kinder und der des reifen Mannes ein beliebtes Thema.428 Der Ausdruck νη' πιος429 bezeichnet das unmündige, hilflose, uner————————————————————
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Vgl. auch die Endzeitrede Jesu Mt 24,13-14 / Mk 13,13. Weiss 318. Barth, Auferstehung, 45. Der Satz von K. Barth wird oft zitiert, vgl. Fee 646; Schrage III 308. Meyer 369: „Mit dem Eintritt des Absoluten hört das unvollkommene Endliche zu bestehen auf, wie nach dem Sonnenaufgang die Morgenröthe schwindet“ (ohne Verweis zitiert von Heinrici 403; vgl. Lindemann 290). Epiktet, Diss. 3,24,52-53; Ench. 51,1; Seneca, Ep. 4,2; 27,2; Xenophon, Cyr. 8,7,6; Euripides, Fr. 603 (Stobaeus IV, 23,25); Philo, Abr. 48; Agric. 9; Congr. 19; vgl. NW II/1, 375-377; Wischmeyer, Weg, 129. Vgl. G. Bertram, Art. νη' πιος κτλ., ThWNT IV, 913-925; S. Légasse, EWNT II, 11421143; G. Braumann/F. Avemarie/K. Haacker, ThBLNT II, 1124-1126.
778 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
fahrene Kind. Mediziner wie Hippokrates und Galen verwenden das Wort als terminus technicus für verschiedene Altersstufen: für den Fötus, den Säugling, das Kleinkind bis zum fünften oder sechsten Lebensjahr und für das Kind bis zur Pubertät. Auf Grabinschriften wird νη' πιος häufig für Kinder vom ersten bis zum zehnten Lebensjahr verwendet. Paulus geht es allerdings nicht um den Eigenwert des Kindheitsalters, auch nicht um die Entwicklung vom Kind zum “Mann“ (α νη' ρ).430 Die Ausdrücke „Kind“ und „Mann“ sind Gegensätze, wie das Wort „beseitigen“ (κατη' ργηκα, Perf.) zeigt: Nachdem ich ein Mann geworden war, beseitigte ich, was kindlich war. Im Kontext ist der α νη' ρ ein α νη' ρ τε'λειος, d.h. ein „reifer Mann“.431 Paulus muss das Bild auf das Thema der Geistesgaben nicht explizit anwenden, weil dieser Bezug sich von selbst versteht. Wie die Phase des unmündigen Kindesalters vom reifen Erwachsenenalter abgelöst wird, so werden die Gaben, Dienste und Kräfte, die der Geist Gottes der Gemeinde schenkt, die aber Stückwerk sind, von der vollkommenen Neuen Welt Gottes abgelöst. Mit der Wendung „ich beseitige, was kindlich war“ (κατη' ργηκα τα` του^ νηπι' ου) betont Paulus mit demselben Verb wie in V. 8.10 die Diskontinuität. Wie der reife Mann das Kindsein völlig hinter sich gelassen hat, so wird die Vollkommenheit des Schauens Gottes von Angesicht zu Angesicht die „bruchstückhafte“ Gegenwart zurücklassen.432 12 Paulus betont den Kontrast zwischen dem Gegenwärtigen und dem Zukünftigen mit einem weiteren Bild: Jetzt sehen wir mit Hilfe eines Spiegels. „Sehen“ (βλε'πομεν) entspricht dem „Erkennen“, von dem in V. 12c.d die Rede ist.433 Vom apokalyptischen „Sehen“ ist in Offb 1,12; 22,8 die Rede; in Röm 8,24-25 sagt Paulus, dass wir „in Hoffnung“ gerettet sind und deshalb hoffen, aber in der Gegenwart noch nicht „sehen“ (ου βλε'πομεν). Hier sagt Paulus, dass wir jetzt (α»ρτι), d.h. in der Gegenwart, „mit Hilfe eines Spiegels“ (δι’ ε σο' πτρου)434 sehen. Diesem Schauen steht das Sehen „dann“ (το' τε), d.h. in der Zukunft, „von Angesicht zu Angesicht“ gegenüber. Das Bild vom Spiegel wird in der Antike häufig verwendet. Die Parallelen in neuplatonischen ————————————————————
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Bengel 669: hiems non affert ver; sed ver pellit hiemem („Der Winter bringt nicht den Frühling, sondern der Frühling vertreibt den Winter“). Vgl. Epiktet, Ench. 51,1. Lindemann 290-291: Das tertium comparationis ist die Betonung der Diskontinuität. Bachmann 403; Conzelmann 291; Lindemann 291; anders Schrage III 310, der das „Sehen“ mit dem prophetischen Reden in Verbindung bringen will. Vgl. G. Kittel, Art. αι»νιγμα (ε» σοπτρον), ThWNT I, 177-179; ders. Art. ε» σοπτρον, ThWNT II, 693-694; H. Balz, EWNT II, 152; Spicq, Notes I, 292-295. Im NT ist vom Spiegel nur hier und in Jak 1,23 die Rede; in der LXX vgl. Weish 7,26; Sir 12,11. In den Papyri werden Spiegel meist in Listen wertvoller Gegenstände erwähnt, vgl. P.Hamb. III 223,11; P.Stras. IV 237,16; P.Fuad I Univ. 8,6; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 442.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 779 ————————————————————————————————————
Texten und in den Mysterien tragen für die Stelle jedoch nichts aus. Es geht auch nicht darum, dass wir „ungenau“ sehen, weil die Spiegel in der Antike nur ein verzerrtes Bild zu erkennen gegeben hätten. 435 Dies war erstens nicht der Fall,436 und zweitens ist es wenig wahrscheinlich, dass Paulus in einem Brief nach Korinth den Spiegel in einer negativ gemeinten Metapher verwendet, wo Korinth für die Herstellung qualitativ hochwertiger Bronzespiegel bekannt war.437 Genauso wenig plausibel ist die Auslegung, Paulus verweise auf die Tatsache, dass man sich im Spiegel immer nur selbst sieht, dazu noch seitenverkehrt. Die Wendung „mit Hilfe eines Spiegels“ will sagen, dass wir nur das Spiegelbild sehen, nicht die Sache selbst, d.h. dass wir nur mittelbar und indirekt sehen, nicht unmittelbar und direkt.438 Was wir „sehen“ wird von Paulus nicht genannt. Angesichts des Nachsatzes in V. 12b („dann aber von von Angesicht zu Angesicht“) ist offensichtlich an das „Sehen“ Gottes gedacht. 439 Dieses Sehen ist jetzt, in der Gegenwart, immer nur vermittelt und deshalb indirekt, auch wenn Gottes Offenbarung vollkommen und zuverlässig ist (vgl. Ps 19,8): Es ist ein von den Boten Gottes und den Verkündigern seines Wortes vermitteltes Sehen, das vom Sehen Gottes im Paradies völlig verschieden ist. Das gegenwärtige Sehen geschieht in undeutlicher Weise (ε ν αι νι' γματι). Das Wort α»ινιγμα440 bedeutet „Rätsel“, im Zusammenhang der metaphorischen Rede vom Spiegel bezeichnet es „das indirekte Bild“. In diesem Zusammenhang hat die Wendung ε ν αι νι' γματι die metaphorische Bedeutung „indirekt“.441 ————————————————————
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Meyer 370; Heinrici 404; kritisch Kittel, ThWNT I, 178; Weiss 319; Schrage III 311 Anm. 195; Lindemann 291; Hugedé, Miroir, 97-100. Vgl. Philo, Migr. Abr. 98, wo er von den Spiegeln im Heiligtum sagt, dass sie es möglich machten, sich selber ganz genau zu erkennen. In Weish 7,26 ist von der Weisheit als fleckenlosem Spiegel die Rede. Fee 647-648; Thiselton 1068. Zum korinthischen Spiegel vgl. Davidson, Corinth XII, Nr. 1306-1308; Blegen, Corinth XIII, No. 272-271; siehe Mattusch, Corinthian Bronze, 225. Fee 646; Senft 171; Schrage III 311; Wolff 323; Lindemann 291; Garland 624; Thiselton, 1068-1069; Hugedé, Miroir, 115-137; Wischmeyer, Weg, 132. Die Kritik von Wischmeyer, Weg, 131 Anm. 409 an einer „Festlegung“ auf θεο' ς als Objekt des Sehens (vgl. auch W. Michaelis, ThWNT V, 344.366) ist nicht überzeugend: Das Sehen „von Angesicht zu Angesicht“ setzt zwei Personen voraus, die sich sehen, und im Kontext von V. 10 kann dann nur an Gott gedacht sein. G. Kittel, Art. αι»νιγμα (ε»σοπτρον), ThWNT I, 177-179. BDAG 27 s.v. α»ινιγμα 2, mit Verweis auf Plutarch, Mor. 12D; 370F; 382A; vgl. Hugedé, Miroir, 145-150; Wischmeyer, Weg, 133. Im Sinn von „Rätsel(wort)“ interpretiert Schrage III 313, der einen Hinweis auf das Wort sieht, „in dem das zugleich enthüllt und verborgen Gesehene den Propheten vermittelt wird“. Die Interpretation im Sinn der Prophetie ist eine Engführung, die unnötig ist.
780 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die Aussage in V. 12a spielt auf Num 12,6-8 an, wo die prophetische Erfahrung des Mose mit der Erfahrung aller anderen Propheten kontrastiert wird. Die anderen Propheten empfangen die göttliche Offenbarung durch Visionen und Träume (12,6), während Gott mit Mose redet „von Mund zu Mund, im Sehen (ε ν ει»δει), nicht in Rätseln (ου δι’ αινιγμα' των). Er darf die Gestalt (LXX: die Herrlichkeit) des Herrn sehen“. Im MT ist die Wendung, die zwischen „von Mund zu Mund“ und „nicht in Rätseln“ steht, wenig sinnvoll ( ;)וַּמְרֶאהder Samaritanus, das Targum Onkelos, die LXX, die Vetus Latina und die syrische Übersetzung setzen ְּבַמְרָאהvoraus, was man mit „in Gestalt, im Sehen, im Spiegel“ übersetzen kann. In der philonischen und rabbinischen Interpretation der Stelle wird aus dieser Wendung abgeleitet, dass selbst Mose Gott nicht direkt, sondern nur Gottes Bild gesehen hat. In der jüdischen Auslegungstradition zu Num 12,8 bezeichnet „Schauen im Spiegel“ jedenfalls den Empfang der göttlichen Offenbarung.442
Die Aussage in V. 12b beschreibt das Sehen dann (το' τε), d.h. in der Zukunft, wo wir von Angesicht zu Angesicht (προ' σωπον προ` ς προ' σωπον) sehen. Vom Sehen Gottes „von Angesicht zu Angesicht“ ist in Gen 32,31 die Rede, als Jakob nach seinem Ringen mit Gott sagte: „ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht ( ;ָּפִנים ֶאל ָּפִניםLXX προ' σωπον προ` ς προ' σωπον) gesehen“; in Dtn 5,4 heißt es: der Herr hat „von Angesicht zu Angesicht (προ' σωπον κατα` προ' σωπον) auf dem Berg mitten aus dem Feuer“ zu Israel geredet. Die Wendung in V. 12b erinnert vor allem an Dtn 34,10, wo Mose als Prophet beschrieben wird, der den Herrn „kannte“ (ε»γνω) „von Angesicht zu Angesicht“ (προ' σωπον κατα` προ' σωπον).443 Paulus betont, dass das unmittelbare Schauen des Angesichts Gottes erst dann möglich ist und Wirklichkeit wird, wenn „das Vollkommene“ kommt und alles Bruchstückhafte der Vergangenheit angehört (V. 10). Das Schauen Gottes „von Angesicht zu Angesicht“ beschreibt die unmittelbare, ungehinderte, volle Gemeinschaft Gottes mit den Menschen in der Neuen Welt Gottes. In V. 12c wechselt Paulus das Verb, macht aber sachlich dieselbe Aussage: Jetzt (α»ρτι), d.h. in der Gegenwart, erkenne ich bruchstückhaft (γινω' σκω ε κ με'ρους). In V. 9 wurde die Erkenntnis bereits als bruchstückhaft beschrieben. Dies wird jetzt wiederholt, um den Kontrast zwischen der Gegenwart und der Zukunft deutlich herauszustellen und in den Kontext der Geistesgaben zu stellen. Dem „jetzt“ steht auch hier ein „dann“ gegenüber: Dann aber werde ich erkennen, wie ich selbst erkannt worden bin. Das ————————————————————
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Vgl. Kittel, ThWNT I, 177-178; Robertson/Plummer 298; Wolff 323; Ciampa /Rosner 739 (mit Verweis auf Lev. Rab. 1,14); Dautzenberg, Prophetie, 159-225, bes. 172-185; Fishbane, Looking Glass, 63-75. Schrage III 313 Anm. 207 sieht eine Anspielung auf Num 12,8, hält aber eine Kenntnis der jüdischen Auslegungstradition für unwahrscheinlich. Fishbane, Looking Glass, 72-74; Ciampa /Rosner 740-742.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 781 ————————————————————————————————————
gegenwärtige, bruchstückhafte Erkennen (γινω' σκω) wird bei der Ankunft des Vollkommenen abgelöst durch das unmittelbare, direkte Erkennen (ε πιγινω' σκω).444 Dieses zukünftige direkte Erkennen (ε πιγνω' σομαι, Fut.), das mit dem Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht verbunden ist, hängt von dem Erkanntwerden durch Gott (ε πεγνω' σθην, Aor. Pass.) ab, d.h. es ist die Folge der erwählenden, gnädigen Zuwendung Gottes zum Menschen (Röm 8,29; Gal 4,9), die die zukünftige Gleichgestaltung mit dem Bild seines Sohnes verbürgt (Phil 3,21; 2Kor 3,18). Die Gegenwart des Gläubigen ist also nicht nur durch die bruchstückhafte Erfahrung (ε κ με'ρους) des Geistes Gottes und seiner Gaben gekennzeichnet, sondern gleichzeitig durch das Erkanntsein durch Gott, d.h. durch die Liebe Gottes, mit der er alle Menschen liebt, erwählt und erkennt, die an Jesus Christus den Herrn glauben (Röm 5,1.5; 8,31-39).445 13 Das einleitende nun aber (νυνι` δε') kann temporal oder logisch interpretiert werden. Nach dem zweimal wiederholten „jetzt/dann“ in V. 12 ist eine zeitliche Interpretation naheliegend. In der Zeit des „Jetzt“, d.h. in der Gegenwart bis zur Ankunft des Vollkommenen, sind nicht Prophetie, Glossolalie und Erkenntnis das Entscheidende, sondern Glaube, Hoffnung und Liebe.446 Weil aber auch die Gaben des Geistes bis zur Wiederkunft des Herrn bleiben, kann Paulus kaum von der Fortdauer der Trias Glaube, Hoffnung und Liebe bis zur Parusie reden: So verschwände der Gegensatz zwischen den Charismen und der Trias (vgl. V. 8). Deshalb liegt ein logisches, schlussfolgerndes Verständnis von νυνι` δε' näher, zumal Paulus in V. 8-12 auf die Zukunft, in der das Vollkommene kommt, vorausgeblickt hat und es erstaunlich wäre, wenn er in V. 13 ganz zur Gegenwart zurückkehrte. 447 Bei einem logischen Verständnis von νυνι` δε' ergibt sich eine eschatologische ————————————————————
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Es ist umstritten, ob das Kompositum ε πιγινω' σκω gegenüber dem Simplex γινω' σκω eine intensivierende Bedeutung hat. Bauer /Aland 589 s.v. ε πιγινω' σκω 1 („genau, vollständig, durch und durch erkennen“) bejaht dies, mit Hinweis auf Lk 1,4; Röm 1,32; Kol 1,6; 1Kor 13,12; vgl. Robertson / Plummer 299; Bachmann 405; Kremer 290; Lindemann 292; Schrage III 315; Wischmeyer, Weg, 138. Andere argumentieren, dass die beiden Verben sowohl in literarischen wie in papyrologischen Texten weithin gleichbedeutend gebraucht werden und der Wechsel des Verbs rhetorisch ist; vgl. R. Bultmann, ThWNT I, 703; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 444-445 mit Hinweis auf P.Fay. 110,16-17; 112,14-15; BGU IV 1209,8; P.Oxy. IX 1188,16; XIV 1672,14-15; P.Mil.Vogl. II 73,5-8 u.a. Wischmeyer, Weg, 142; Wolff 324. Gutjahr 371; Witherington 272; Wolff 325; Hays 230-231; Kremer 291; Wischmeyer, Weg, 155. Godet II 146-148; Lietzmann 66; Conzelmann 281; Schlatter 366-367; Lang 188; Strobel 210; Schrage III 316; Lindemann 292; Garland 626; Spicq, Agapè, 105; Carson, Spirit, 74-75; Söding, Trias, 136-139.
782 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Interpretation des Verbs bleiben (με'νει).448 V. 13a formuliert den Gegensatz zu V. 8b: Während Prophetie, Glossolalie und Erkenntnis zur bruchstückhaften und zeitlich begrenzten Gegenwart gehören, haben Glaube, Hoffnung und Liebe einen ewigen Wert, weil sie in der Neuen Welt Gottes bestehen bleiben. Als Wirklichkeit, die ewigen Bestand hat, markieren Glaube, Hoffnung und Liebe „den Anbruch der neuen Welt Gottes in dieser Welt“, indem sie jetzt schon die Jesusbekenner ergreift.449 Die Trias Glaube, Hoffnung, Liebe (πι' στις, ε λπι' ς, α γα' πη) ist für Paulus eine Einheit (Sing. με'νει). Gleichwohl handelt es sich um drei Größen, wie der Nachsatz diese drei (τα` τρι' α ταυ^ τα) zeigt. Die Trias begegnet in 1Thess 1,3; 5,8 in der Reihenfolge Glaube, Liebe, Hoffnung. 450 Die auf die Zukunft der Neuen Welt Gottes bezogene Interpretation von με'νει steht in Spannung zu 2Kor 5,7 (das Schauen löst das Glauben ab) und zu Röm 8,24 (das Schauen löst die Hoffnung ab und macht diese überflüssig). Offensichtlich will Paulus in V. 13 betonen, dass Jesusbekenner auch in der Vollendung beständig auf Gott angewiesen sind (Glaube) und auf ihn hin orientiert leben (Hoffnung).451 Paulus schließt mit dem Satz: Die größte aber von diesen ist die Liebe.452 Warum dies so ist, wird unterschiedlich beantwortet: weil Glaube und Hoffnung menschlich, die Liebe jedoch göttlich ist; 453 weil die Liebe die unvergängliche Gegenwart des Heils ist;454 weil die Liebe niemals aufhört (V. 8) und deshalb ein „Vorschein der eschatologischen Vollendung“ ist. 455 ————————————————————
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Schrage III 317 begründet 1. mit den Gegensätzen πι'πτει, καταργηθη' σονται, παυ' σονται (V. 8) und der zu ου δε' ποτε πι'πτει (V. 8) bestehenden inclusio; 2. mit 2Kor 3,11, wo το` με' νον Antonym zu το` καταργου' μενον ist; 3. mit parallelen Wendungen (Zitat von Ps 119,9 LXX in 2Kor 9,9; Zitat von Jes 40,8 in 1Petr 1,25; vgl. Dan 6,27; Ps 9,8; 101,13 LXX; 4Esra 9,37; Joh 12,34; Hebr 7,3.24). Schrage III 317. Vgl. Röm 5,1-5; Gal 5,5-6; Eph 4,2-5; Kol 1,4-5; Tit 2,2; siehe auch Hebr 6,10-12; 10,22-24; 1Petr 1,3-9. Für jüdische Vorgaben wird oft auf Weish 3,9 und syrBar 57,2 verwiesen. Die meisten nehmen eine feststehende Formel an, die Paulus geprägt (Wischmeyer, Weg, 152; Söding, Trias, 40-41; Weiß, Glaube, 212) oder vorgefunden habe (Schrage III 317; Mell, Entstehungsgeschichte, 197-226: vorpaulinische Entstehung in Antiochien). Manche lehnen es ab, überhaupt von einer „Formel“ zu sprechen, vgl. Lindemann 292-93. Schrage III 318, mit Hinweis auf R. Bultmann, ThWNT II, 529; ders., ThWNT VI, 223; so auch Lindemann 293. Vgl. Meyer 373: „Die ewige Gemeinschaft mit Christo im künftigen αιω' ν ist gar nicht denkbar ohne die ewige Fortdauer des lebendigen Grundes und Bandes dieser Gemeinschaft, welches eben der Glaube ist“. του' των ist gen. partitivus; μει'ζων ist Komparativ mit superlativischer Bedeutung. Bengel 670; Robertson/Plummer 300; Godet II 148; Barrett 301; Wischmeyer, Weg, 162. Bornkamm, Ende, 109. Lang 190; Lindemann 293. Schrage III 319: „Weil Paulus in Gegenwart und Zukunft alles an einem Leben in der intensiven Gemeinschaft der Liebe mit anderen liegt, und zwar in der Beziehung zur göttlichen Wirklichkeit der Liebe Christi“.
Die Überlegenheit der Liebe 13,1-13 783 ————————————————————————————————————
Im Zusammenhang von Kap. 12–14 kann man vielleicht sagen: Die Liebe hat deshalb eine überragende Bedeutung, weil sie den Glauben und die Hoffnung prägt und weil sie in der Neuen Welt Gottes niemals aufhört als Wirklichkeit der vollendeten Gemeinschaft mit Gott, der Liebe ist, und als Wirklichkeit der Gemeinschaft mit Jesus Christus, dessen Liebe uns errettet hat. Mit dieser Aussage hat Paulus die Frage von 12,31 beantwortet, welches der „bessere Weg“ im Vergleich mit den Gaben des Geistes ist. War die Liebe in 13,7 als Maßstab allen Handelns, Glaubens, Hoffens und Leidens beschrieben worden und soll die Liebe die Praktizierung der Geistesgaben bestimmen (14,1), so betont Paulus in 13,13, dass die Liebe der ewig gültige Maßstab ist, der in der vollkommenen Neuen Welt Gottes Bestand hat und der deshalb auch das Verhalten der korinthischen Jesusbekenner in ihren gottesdienstlichen Versammlungen bestimmen soll.
IV Die Schwierigkeiten, die bei der Praktizierung der Gaben des Geistes, bei den vom Herrn zugeteilten Diensten und bei den von Gott gewährten Kräften in den Versammlungen der korinthischen Gemeinde aufgetreten sind, lassen sich nur so einer Lösung zuführen, dass sich alle nach dem kritischen Maßstab der Liebe richten, die Paulus in Kap. 13 beschreibt. In dieser Beschreibung der α γα' πη und ihres Handelns war gleichzeitig das Handeln Gottes und das Handeln Jesu Christi beschrieben. Deshalb bewirkt die α γα' πη den Aufbau der Gemeinde (8,1). Und deshalb ist die α γα' πη der „bessere Weg“ zur Lösung aller Schwierigkeiten, die es in der Gemeinde gibt – die Kompromisse mit säkularen Werten, die zu Konflikten innerhalb der Gemeinde führen – Schwierigkeiten, die in Kap. 13 mehrfach kritisch anklingen. Aus diesem Grund ist es richtig, wenn man Kap. 13 als den Höhepunkt des Briefes betrachtet: weil es im Ersten Korintherbrief letztlich um das Wesen der ε κκλησι' α geht, und weil die α γα' πη die Gemeinde aufbaut.456 Paulus beschreibt, indem er von der α γα' πη redet, keine christliche Tugendhaftigkeit, die alle anderen Tugenden überbietet . 457 K. Barth hat den Kernprozess verstanden, um den es Paulus in diesem Kapitel geht: „Ist es nicht so, daß hier Prädikate, die hier auf die Liebe gehäuft werden, das Subjekt Mensch einfach aufheben und an die Luft setzen, wo ihm der Atem ausgeht. Denn wann und wo wäre denn das Subjekt Mensch, das wir kennen, etwas anderes als eben jener Vereinzelte, jenes Individuum, das beständig tut, was die Liebe gerade nicht tut? Erscheint die Liebe anderswo und anderswie ————————————————————
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Lindemann 294. Zur Auslegungsgeschichte siehe Schrage III 320-373; Wischmeyer, Weg, 11-26.
784 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
eben als das Lebenselement der Gemeinde Christi, d.h. aber doch wohl: in Christus selber, in dem Wunder, das nicht der Mensch tut, sondern das von Gott an ihm getan wird? Aber nein: Paulus setzt wirklich den Menschen als Täter dieses Werkes. Die Zurückhaltung ist zwar bemerkenswert, mit der er nicht sagt, der liebende Mensch tut dies und das, sondern die Liebe tritt wie eine selbständige Person auf und handelt für den Menschen. Aber nicht ohne den Menschen, ist zweifellos seine Meinung, sonst hätte er nicht von einer ο δο' ς, einem Weg geredet und hätte nachher nicht auf das erschienene Wunder Gottes zurückblickend sagen können: Jaget ihr nach, der Liebe! Das ist das Unerhörte dieses Kapitels, daß Paulus es hier wirklich wagt, den Menschen zum Subjekt von Prädikaten zu machen, aus denen sich sofort zwingend ergibt: da ist ein anderer Mensch, eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe das Neue ist geworden, II. Kor. 5,17“.458
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 I 1 Jagt nach der Liebe. Strebt nun nach den Gaben des Geistes, vor allem aber danach, dass ihr prophetisch redet. 2 Denn wer in einer Sprache redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn, sondern er redet durch den Geist Geheimnisse. 3 Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Auferbauung und zur Ermahnung und zur Ermutigung. 4 Wer in einer Sprache redet, erbaut sich selbst, wer aber prophetisch redet, erbaut die Gemeinde. 5 Ich will aber, dass ihr alle in Sprachen redet, noch mehr aber, dass ihr prophetisch redet. Der prophetisch Redende ist größer als der, der in Sprachen redet, es sei denn, dass er übersetzt, damit die Gemeinde Erbauung empfängt. 6 Nun aber, Brüder, wenn ich zu euch komme und in Sprachen rede, was werde ich euch nutzen, wenn ich nicht zu euch rede mit Offenbarung oder mit Erkenntnis oder mit prophetischer Rede oder mit Lehre? 7 Gleichermaßen die unbelebten Dinge, die Töne von sich geben, sei es der Aulos oder die Kithara. Wenn sie bei den Klängen keinen Unterschied machen, wie soll man erkennen, was mit dem Aulos geblasen oder mit der Kithara gespielt wird? 8 Und wenn die Trompete einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zur Schlacht bereit machen? 9 So auch ihr: Wenn ihr mit der Zunge keine deutliche Rede von euch gebt, wie soll das Gesprochene verstanden werden? Ihr werdet nämlich in den ————————————————————
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Barth, Auferstehung, 49.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 785 ————————————————————————————————————
Wind reden. 10 Es gibt wer weiß wie viele Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. 11 Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich für den, der redet, ein Barbar sein, und der, der redet, ist für mich ein Barbar. 12 So auch ihr: Da ihr nach Geistesäußerungen strebt, so strebt nach der Erbauung der Gemeinde, damit ihr immer reicher werdet. 13 Wer daher in einer (anderen) Sprache redet, der bete, dass er übersetzen kann. 14 Wenn ich nämlich in einer Sprache bete, dann betet mein Geist, mein Verstand aber ist fruchtlos. 15 Was folgt nun daraus? Ich werde mit dem Geist beten, ich werde aber auch mit dem Verstand beten; ich werde mit dem Geist singen, ich werde aber auch mit dem Verstand singen. 16 Denn wenn du den Lobpreis sprichst im Geist, wie soll der, der den Platz des Unkundigen einnimmt, das Amen zu deiner Danksagung sprechen? Denn was du sagst, versteht er ja nicht. 17 Du magst zwar ein schönes Dankgebet sprechen, aber der andere wird nicht erbaut. 18 Ich danke Gott, dass ich mehr in (anderen) Sprachen rede als ihr alle. 19 Aber in der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit meinem Verstand sprechen, damit ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in einer (anderen) Sprache. 20 Brüder, seid nicht Kinder was die Einsicht betrifft, sondern Kinder was die Bosheit betrifft; was die Einsicht betrifft, seid Erwachsene. 21 Im Gesetz steht geschrieben: „Durch Leute, die andere Sprachen sprechen, und mit Lippen anderer Menschen will ich zu diesem Volk reden, aber nicht einmal so werden sie auf mich hören, spricht der Herr.“ 22 Deshalb ist das Reden in (anderen) Sprachen ein Zeichen nicht für die Glaubenden, sondern für die Ungläubigen, die prophetische Rede aber nicht für die Ungläubigen, sondern für die Glaubenden. 23 Wenn nun die ganze Gemeinde auf einmal zusammenkommt und alle reden in (anderen) Sprachen, es kommen aber Unkundige oder Ungläubige hinzu, werden sie nicht sagen, dass ihr verrückt seid? 24 Wenn aber alle prophetisch reden, es kommt aber ein Ungläubiger oder ein Unkundiger herein, dann wird ihm von allen ins Gewissen geredet, er wird von allen beurteilt, 25 das Verborgene seines Herzens wird offenbar, und so wird er auf sein Angesicht fallen, Gott anbeten und bezeugen: „Gott ist wahrhaftig in eurer Mitte“.
II Paulus behandelt seit 12,1 die Gaben des Geistes, weil es in der korinthischen Gemeinde zu Schwierigkeiten bei der konkreten Praktizierung einiger Gaben in den Gemeindeversammlungen gekommen war. Einigen korinthischen
786 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Christen ging es bei der Praktizierung der Geistesgaben um die provokative, vielleicht konfrontative Zurschaustellung, Bestätigung und Vermehrung ihres überlegenen Status. Ihre Einstellung kann mit dem Motto „Ich brauche dich nicht!“ zusammengefasst werden. Paulus weist diese Einstellung in Kap. 12 entschieden zurück. Mit dem Bild vom menschlichen Leib, der viele Glieder hat, die alle notwendig sind und füreinander sorgen, argumentiert Paulus für die Einheit der Gemeinde, die durch die Vielfalt der Geistesgaben (12,8-10 / 28-30) nicht aufgehoben wird und nicht gefährdet werden darf. Die eindringliche Beschreibung der Liebe, deren Verhalten das Verhalten Gottes und Jesu Christi widerspiegelt, als der „bessere Weg“ unterstreicht, dass die vollkommene Äußerung der Gaben, Wirkungen und Kräfte des Geistes Gottes die Liebe ist, die nicht ihren eigenen Vorteil sucht. Die Wirklichkeit der nicht auf das Ihre bedachten Liebe ist der Maßstab, mit dem Paulus das Verhalten der korinthischen Christen in den Gemeindeversammlungen bewertet und korrigiert, wo es bei den Wortbeiträgen zu Schwierigkeiten gekommen war. Paulus argumentiert, dass alle in den Versammlungen in Erscheinung tretenden Äußerungen des Geistes dem Aufbau der Gemeinde dienen müssen – nur so wird dem Maßstab der Liebe Rechnung getragen. Die Einheit der Gemeinde ist auch in Kap. 14 das vorrangige Thema.459 Das Problem bei der Praktizierung glossolalischen Redens war der Umstand, dass die fremden Sprachen, die korinthische Christen zu Gehör brachten, nicht übersetzt wurden und dass deshalb keiner verstand, was gesagt wurde. Das Problem war nicht die Glossolalie als solche, sondern die fehlende Übersetzung und die fehlende Verständlichkeit. Paulus behandelt in Kap. 14 das Verhältnis von Prophetie und Glossolalie nicht als theoretische Frage, sondern er misst das glossolalische Reden am prophetischen Reden mit dem Ziel, die Notwendigkeit zu demonstrieren, dass glossolalische Wortbeiträge übersetzt werden. Das grundlegende Kriterium für sämtliche Beiträge in den Gemeindeversammlungen ist die Frage, ob sie den anwesenden Mitchristen zum Nutzen sind, d.h. ob die Anwesenden und damit die Gemeinde erbaut werden (14,3-5.12.17.26). Wahrscheinlich verknüpften die Christen, die die Gabe des Redens ungelernter Sprachen praktizierten, mit dieser vom Geist Gottes inspirierten Fähigkeit einen Zugewinn an Prestige. Deshalb waren sie auf die öffentliche Praktizierung dieses Charismas angewiesen. Paulus betont, dass Wortbeiträge, die keiner versteht, für die Anwesenden nutzlos sind und deshalb in der Öffentlichkeit unterbleiben sollen. Wenn keine Übersetzung glossolalischen Redens möglich ist, soll man diese Geistes————————————————————
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Hays 206; Thiselton 900; Forbes, Prophecy, 172.260-263; Winter, Underlays, 149-150. Anders Schrage III 112, der meint, alles ziele auf die Korrekturen in Kap. 14 ab.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 787 ————————————————————————————————————
gabe privat praktizieren, nicht in der Gemeindeversammlung (14,28). Hier sehen wir, wie Paulus den „besseren Weg“ der Liebe konkret anwendet: Weil die Liebe aufbaut (8,1), darf das Verhalten in den Versammlungen der Gemeinde nicht vom Nutzen für einen selbst bestimmt sein, sondern vom Nutzen für die Anwesenden. Was nicht alle aufbaut, hat in der Gemeindeversammlung keinen Platz. Paulus will das glossolalische Reden nicht diskreditieren, sondern dem Kriterium des Nutzens für die ganze Gemeinde unterwerfen. Nach der Begründung und Erläuterung dieses Kriteriums in V. 1-25 gibt Paulus im nächsten Abschnitt (V. 26-40) Anweisungen, die den Charakter einer Gemeindeordnung haben. Anlässlich der Betonung der Verständlichkeit der Beiträge in den Versammlungen erwähnt Paulus neben der Glossolalie und der prophetischen Rede andere Elemente des korinthischen Gottesdienstes, die sicherlich repräsentativ für andere urchristliche Gottesdienste waren: 1. In der gottesdienstlichen Versammlung kamen eine größere Anzahl von Christen zu Wort (14, 26-31). 2. Unter den öffentlichen Beiträgen befanden sich Psalmen/Lieder, Gebet, Lehre, Offenbarungen, vom Geist eingegebene Erkenntnisse, prophetisches Reden, glossolalisches Reden samt Übersetzung, Lobpreis, Dankgebete (14,6.14.16-17).460 3. Die Versammlungen waren quasi-öffentlich: Sie fanden offensichtlich in Privathäusern statt, wurden aber von Außenstehenden besucht (14,23-24). 4. Die Erwähnung von Musikinstrumenten (Aulos und Kithara, V. 7, Trompete, V. 8) in einer Illustration belegt nicht, dass diese in den Gottesdiensten verwendet wurden; unmöglich ist dies jedoch nicht, jedenfalls was Aulos und Kithara betrifft.461 Aus der Tatsache, dass Paulus keine Schriftlesung erwähnt, darf nicht geschlossen werden, dass es eine solche in der korinthischen Gemeinde nicht gab. Der häufige Bezug auf die heiligen Schriften legt die Schlussfolgerung nahe, dass diese als autoritative Größe bekannt und akzeptiert waren.462 Die von Paulus vorausgesetzte Vertrautheit mit den Schriften kann, wie J. Salzmann zu Recht betont, „eigentlich nur durch einigermaßen regelmäßige Schriftlesungen erworben werden“. 463 ————————————————————
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Ein fester Gottesdienstverlauf lässt sich aus Kap. 14 allerdings nicht rekonstruieren. Vgl. Salzmann, Lehren, 75, der die Rekonstruktion von Knoch, Wortgottesdienste, 149 für ein „reines Phantasieprodukt“ hält. Zu den Grundelementen des Synagogengottesdienstes vgl. Salzmann, Lehren, 455-457; Levine, Synagogue, 124-159. Die Trompete von V. 8 ist auf einen militärischen Kontext bezogen und wahrscheinlich ausschließlich metaphorisch verwendet. 1,31; 2,9.16; 3,19-20; 6,16; 7,18-19; 9,9.13; 10,1-11; 11,10; 14,21; 15,25.32.45.54-55. Vgl. Salzmann, Lehren, 73 mit Anm. 129. Salzmann, Lehren, 73, der ebd. 74 kommentiert: „Daß eine Gemeinde nur aus den Schriften vorlesen konnte, die sie auch besaß, ist selbstverständlich. In Korinth gab es aber wohlhabende Gemeindeglieder, die dafür sorgen konnten, daß die Schriften komplett zur Hand waren“.
788 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Der Abschnitt enthält rhetorische Fragen (V. 6.7.8.9.15.16.23), Vergleiche mit Anwendungen (V. 7-9.10-12), zahlreiche Konditionalsätze mit ε α' ν (V. 6.a.b.7.8.9.11.14.16.23.24), Formulierungen in der 1. Person Singular (V. 6-8.11.16.18.19; autobiographisch sind nur V.18-19) und Imperative (V. 1.12.13.20).464 Gliederung. Die Gliederung des Abschnitts in drei Teile ergibt sich durch die Anrede mit „Brüder“ in V. 6 und V. 20. Der Gedankengang lässt sie wie folgt skizzieren. 1. In V. 1-5 wendet Paulus das Kriterium der Erbauung der Gemeinde auf zwei Charismen an. Er argumentiert, dass das prophetische Reden dem glossolalischen Reden überlegen ist, weil es verstanden wird und deshalb der Erbauung der Gemeinde zugute kommt. 2. In V. 6-19 erläutert Paulus den im Kriterium der Auferbauung der Gemeinde implizierten Maßstab der Verständlichkeit. Er illustriert an seiner eigenen Person (V. 6) und am Beispiel von Musikinstrumenten (V. 7-8) die Notwendigkeit, dass öffentliches Reden verständlich sein muss, wenn es den Gemeindegliedern nützen soll (V. 9-11). Paulus verdichtet die Verbindung von Verständlichkeit und Erbauung der Gemeinde mit einem Imperativ (V. 12), ehe er die Schlussfolgerung für die Gabe des glossolalischen Redens zieht: Das Reden in einer fremden Sprache muss übersetzt werden, damit man es verstehen kann und damit es der Auferbauung der Anwesenden nützt (V. 13-17). Paulus schließt den Abschnitt mit einem Hinweis auf seine eigenes glossolalisches Reden ab, das er konsequent dem Maßstab des Nutzens, den die in der Gemeinde Anwesenden haben sollen, unterordnet (V. 18-19). 3. Der Abschnitt V. 20-25 enthält das letzte Argument, weshalb die Korinther die Gabe der Prophetie über die Gabe des glossolalischen Redens stellen sollen. Die Mahnung, den Verstand nicht herabzuwürdigen, was kindlich wäre (V. 20), wird von Paulus mit einem Schriftzitat aus Jes 28,11-12 begründet (V. 21). Er schließt aus diesem Text, dass das Reden in fremden Sprachen ein Zeichen nicht für Christen ist, sondern für Nichtchristen, während das prophetische Reden ein Zeichen nicht für Ungläubige ist, sondern für Gläubige (V. 22). Diese Aussage wird abschließend illustriert (V. 23-25). Textkritische Anmerkungen. In V. 2 fügen die meisten Textzeugen vor θεω ^, den bestimmten Artikel ein; die kürzere Lesart ist in d46 *אB D* F G u.a. gut bezeugt. Der westliche Text ersetzt den instrumentalen Dativ πνευ' ματι durch den Nominativ πνευ^ μα (F G b vg). In V. 4 fügen Zeugen des westlichen Textes hinter ε κκλησι' αν die Genitivbestimmung θεου^ ein (F G vg), wohl in Angleichung an 1,2; 10,32; 11,16.22. In V. 5 lesen die meisten Textzeugen statt des Konjunktivs διερμηνευ' η, (d46 אA B D2 K P 048 0289vid 33 365 629 ————————————————————
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Schrage III 377.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 789 ————————————————————————————————————
al lat) den Ind. διερμηνευ' ει (Byz); andere Manuskripte lesen den Indikativ und fügen ein τις ein (0243 1505 1739 1881 pc; mit Konj. 0243 1739), um den glossolalisch Redenden vom Übersetzer zu unterscheiden; D * liest das Ptz. διερμηνευ' ων; F G lesen η , ο διερμηνευ' ων („der benötigte Übersetzer“). Die von NA27 bevorzugte Lesart ist infolge der besseren Bezeugung als ursprünglich anzusehen. In V. 6 lassen frühe Textzeugen vor διδαχη^, die Präposition ε ν aus (d46 *אD* F G 0243 630 1739 1881 pc vgmss; Pel; ebenso in V. 11b.16a; NA25); die Bezeugung in א2 A B D1 Ψ 048 33 Byz lat Cl Ambst ist hinreichend; die längere Lesart ist als die ursprüngliche anzusehen: nach ε ν προφητει' α, ist ein zweites ε ν nicht notwendig, was eher für eine Auslassung spricht. In V. 7 lesen B ar b (d) bo Ambst Pel den Sing. φθο' γγου statt des Plur. τοι^ς φθο' γγοις. In V. 10 ergänzen א2 D2 Ψ Byz ar g vgmss sy vor α»φωνον mit αυ τω ^ ν, offensichtlich um die als pauschal empfundene Aussage zu glätten; die kürzere Lesart ist in d46 *אA B D* F G u.a. gut bezeugt. In V. 11 lassen viele, z.T. frühe Textzeugen in der Wendung ο λαλω ^ ν ε ν ε μοι` 46 βα' ρβαρος die Präp. ε ν aus (d D F G 0243 6 81 u.a.); ε ν bedeutet hier „in meinen Augen, nach meinem Urteil“ und soll verhindern, dass ε μοι' mit λαλω ^ν 465 verbunden wird; die Auslassung will mit τω ^, λαλου^ ντι harmonisieren. In V. 12 schreiben statt des ursprünglichen πνευμα' των („Geister“) mehrere Textzeugen πνευματικω ^ ν („Geistesgaben“, P 1175 pc ar r vg sy co; Pel Spec), was besser in den Kontext passt (so übersetzen auch fast alle deutschen Übersetzungen, Ausnahmen sind MNT und ZB), aber sekundär ist. Das einleitende γα' ρ in V. 14, das אA Ds Ψ 048 Byz lat sy bo lesen, ist sekundär: Die Auslassung ist kaum zu erklären, die Hinzufügung will offenkundig ein Asyndeton vermeiden; die in d46 B F G 0243 1739 1881 pc b sa Ambst bezeugte kürzere Lesart ist ursprünglich.466 Das in V. 16 von אA B D P 0243 u.a. bezeugte Präs. Konj. ευ λογη^, ς wird in der Mehrheit der Handschriften durch den Aor. ευ λογη' ση, ς ersetzt (d46 F G Ψ 048 Byz); da Veränderungen in Richtung des Aorists häufiger vorkommen, ist dies auch hier anzunehmen.467 Ebenfalls in V. 16 schrieb Paulus entweder πνευ' ματι (d46 *אA F G 0243 33 629 1241s 1881 al)468 oder ε ν πνευ' ματι (א2 B Ds P 81 365 1175 pc; bevorzugt von ^, πνευ' ματι, wie der Mehrheitstext (Ψ 1739 Byz) liest: NA27), aber nicht τω Paulus meint auch hier den Heiligen Geist. In V. 18 lesen frühe Handschriften den Sing. γλω' σση, ( אA D F u.a.) statt des Plur. γλω' σσαις (d46 B C u.a.), der als die schwierigere Lesart ursprünglich ist. Das asyndetisch angefügte λαλω ^ ————————————————————
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Zuntz, Text, 104; BDR §220 Anm. 2; Fee 660 Anm. 3; Lindemann 303. Zuntz, Text, 194; Fee 667 Anm. 1. Fee 667 Anm. 2. Dies ist aufgrund der besseren Bezeugung die wahrscheinlichere Lesart; Fee 667 Anm. 3; anders Lindemann 305.
790 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
( אB Ds F G P Ψ 048 0243 0289 u.a.) wird im Mehrheitstext durch das Ptz. λαλω ^ ν, in d46 durch den Inf. λαλει^ν ersetzt und in A ausgelassen. In V. 21 liest die Mehrheit der Handschriften ε τε'ροις (d46 Ds F G 1881 Byz lat sy(p) co; McionE), das χει' λεσιν modifiziert und somit als Äquivalent zu ε τερογλω' σσοις steht („andere Zungen/Sprachen und andere Lippen“). Die Lesart ε τε'ρων (א A B Ψ 0201 0243 u.a.) ist besser bezeugt und passt eher in das Argument des Apostels.469 In V. 25 leitet der Mehrheitstext mit και` ου« τως ein; die kürzere Lesart ist in d46 אA B D* F G 048 u.a. gut bezeugt.
III 1 In Kap. 13 hatte Paulus die Liebe als den „besseren Weg“ (12,31) ausführlich beschrieben. Der die eingehende Behandlung des prophetischen und glossolalischen Redens in Kap. 14 einleitende Satz zeigt, dass die Beschreibung der Liebe den Umgang mit diesen und anderen Gaben des Geistes bestimmen soll: Jagt nach der Liebe. Das Verb διω' κω im positiven Sinn von „erstreben, trachten nach“ ist selten, aber auch bei Paulus belegt. 470 Der Ausdruck beinhaltet das Bild des „Weges“, von dem in 12,31 die Rede war. Der Satz: Strebt nun nach den Gaben des Geistes führt zum Thema der πνευματικα' zurück (s. oben zu 12,1). Die Fortsetzung zeigt, dass Paulus vor allem an die Gaben inspirierten Redens denkt. Das Verb ζηλο' ω bedeutet im guten Sinn „sich eifrig bemühen um“. Paulus will mit diesem Satz sicherstellen, dass man aus der eindringlichen Betonung des bruchstückhaften Charakters selbst der höchsten Geistesgaben in Kap. 13 nicht den Schluss zieht, als wolle er die Gaben, Dienste und Kräfte des Geistes abwerten. Der Nachsatz: vor allem aber danach, dass ihr prophetisch redet beschreibt mit μα^λλον δε' keine Alternative,471 sondern kontrastiert mit dem glossolalischen Reden, wie der begründende (γα' ρ) Satz V. 2 zeigt.472 Die Weisung, nach der Gabe des prophetischen Redens zu streben, zielt nicht nur auf die Überordnung der Prophetie über die Glossolalie, sondern auf ein vom Geist Gottes inspiriertes Reden, das prinzipiell jedem Jesusbekenner möglich ist. Das prophetische Reden (s. oben zu 12,10), von dem Paulus in Kap. 14 ————————————————————
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Zuntz, Text, 174 Anm. 4; Fee 676 Anm. 2. Röm 9,30-31; 12,13; 14,19; 1Thess 5,15; vgl. O. Knoch, EWNT I, 819. Arzt-Grabner 446 verweist auf P.Turner 18,11-12; P.Fay. 111,20-22; 112,2-3.16-17 für die Bedeutung „(eine Sache) eifrig betreiben“. Anders Lindemann 297: für Paulus ist das Praktizieren des prophetischen Redens im Gottesdienst „weitaus wichtiger als die Praktizierung der πνευματικα' “. Richtig Schrage III 383; Garland 632; vgl. Conzelmann 284. Fee 655 mit Anm. 11 interpretiert im Sinne einer Qualifizierung des vorausgehenden Imperativs. Die Wendung μα^λλον δε' dient hier der Hervorhebung („noch mehr, insbesondere“); vgl. Arzt-Grabner 446, mit Verweis auf P.Ross.Georg. III 2,22-23.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 791 ————————————————————————————————————
redet, ist nicht das spontane, ungeplante Reden unter der Inspiration des Geistes Gottes, das zumeist aus kurzen Aussprüchen besteht, sondern das eher geplante und planbare Reden zur Gemeinde im Auftrag Gottes. 473 Das prophetische Reden erbaut die anwesenden Christen (V. 4-5) durch Ermahnung und Ermutigung (V. 3) und Lehre (V. 31); es führt Ungläubige zum Glauben an den einen wahren Gott (V. 25). Da Paulus in V. 1 offensichtlich alle korinthischen Christen zum prophetischen Reden auffordert, hat er (im Unterschied zu 12,28) keinen abgegrenzten Kreis von Propheten in der Gemeinde vor Augen: Im Prinzip ist das prophetische Reden allen Gemeindegliedern möglich. 474 Die Spannung zwischen 12,28-30, wo ein fester Kreis von Propheten innerhalb der Gemeinde angenommen wird, und 14,1.24.31, wo potentiell alle Gemeindeglieder prophetisch reden können, lässt sich vielleicht so lösen: Paulus spricht einerseits von Gemeindegliedern, die häufiger oder regelmäßiger als andere prophetische Offenbarungen erhalten und als „Propheten“ anerkannt sind; auf der anderen Seite spricht Paulus von Gemeindegliedern im allgemeinen, von denen er wünscht, dass sie alle prophetisch reden, und die dies auch hin und wieder tun, aber weniger häufig als andere.475 2 Das glossolalische Reden gehört zu den πνευματικα' . In V. 2a formuliert Paulus zum ersten Mal eine Charakterisierung dieser Geistesgabe. Die Aussage wer in einer Sprache redet (ο γα` ρ λαλω ^ ν γλω' σση, ) kommentiert allerdings nicht die Eigenschaften des glossolalischen Sprechens als solche, die einen religionsphänomenologischen Vergleich mit dem modernen Phänomen der sog. Zungenrede in Pfingstkirchen und charismatischen Kreisen erlauben würde.476 In der Wendung λαλει^ν γλω' σση, fehlt das Adj. ε τε'ρα; die Ellipsis zeigt, dass Paulus einen terminus technicus verwendet, der den korinthischen Christen bekannt ist (zu Einzelheiten s. oben zu 12,10). 477 Paulus kommentiert für die Adressaten des glossolalischen Redens: Wer in einer (anderen) Sprache redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott. Das heißt, die Sprachenrede ist Sprache des Gebets, das sich nicht an Menschen richtet, sondern an Gott (θεω ^, ). Dies ist zumindest dann der Fall, wenn die fremde Sprache nicht übersetzt wird. Wer „nicht zu Menschen“ spricht ————————————————————
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Hill, Prophecy, 123; Lindemann 297; Thiselton 1084 und andere verstehen das prophetische Reden, zumindest im Blick auf Kap. 14, als vollmächtige Verkündigung. Diese Interpretation ist zu eng; s. oben die Diskussion zu 12,10. Wolff 328; Schrage 384; Lindemann 297; Garland 632. So J. Dunn, in Lorenzi, Charisma, 192-193 (Diskussionsbeitrag). Siehe dazu Abschnitt IV am Ende von Kap. 14. In Apg 2,4.11 wird die Wendung ετε' ραι γλω' σσαι verwendet, in Apg 10,46; 19,6 steht für dasselbe Phänomen nur γλω' σσαι. Paulus schreibt γλω ^ σσα (Sing.) oder γλω' σσαι (Plur.): 1Kor 12,10 (2x).28.30; 13,1.8; 14,2.4.5 (2x).6.9.13.14.18.19.22.23.26.27.39.
792 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
(ου κ α νθρω' ποις λαλει^), der kommuniziert nicht mit Menschen.478 Der Grund (γα' ρ) liegt darin, dass ihn niemand versteht. Die Wendung ου δει` ς γα` ρ α κου' ει will nicht sagen, dass ihn „keiner hört“, d.h. dass glossolalisches Reden ein privates Gemurmel ist, das keiner hört. Man hört die Christen, die glossolalisch reden, sehr wohl, aber man versteht nicht, was sie sagen (vgl. V. 9 πω ^ς γνωσθη' σεται; V. 16: ου κ οι δεν). Ein kritischer Unterton ist hier noch nicht zu hören; dieser tritt erst in den folgenden Versen hervor. Paulus kritisiert nicht, dass das glossolalische Reden an Gott gerichtet ist: Das ist beim Beten immer der Fall.479 Wenn die in der Gemeindeversammlung Anwesenden jedoch nicht verstehen können, was gesagt wird, können sie sich das Gesagte nicht mit einem „Amen!“ zu eigen machen (V. 16). Ob Glossolalie immer oder in erster Linie Gebet ist,480 ist damit noch nicht bewiesen. Da Paulus in V. 14-16 und in V. 28 allerdings identische Aussagen macht und an keiner Stelle von der Glossolalie so spricht, als ob sie eine „Botschaft“ an die Anwesenden enthält, legt sich doch der Schluss nahe, dass die primäre Funktion des glossolalischen Redens das private Beten, das persönliche Kommunizieren mit Gott ist (vgl. V. 13).481 Wer in (anderen) Sprachen betet, die kein Anwesender versteht, der redet durch den Geist Geheimnisse (πνευ' ματι δε` λαλει^ μυστη' ρια). Der Dativ πνευ' ματι ist nicht eindeutig. Paulus meint entweder den menschlichen Geist, in dem glossolalisch gesprochen wird (lokativer Dativ): In V. 14-15 kontrastiert Paulus im Blick auf das Beten den menschlichen Geist (πνευ^ μα) und den Verstand (νου^ ς).482 Oder er meint den Geist Gottes, durch den das glossolalische Reden vermittelt wird (instrumentaler Dativ).483 Im Kontext der in V. 1 erwähnten πνευματικα' und im Kontext von 12,8-11 ist eher an den Geist Gottes zu denken.484 Das Akk. Obj. μυστη' ρια kann sich auf den Inhalt des glossolalischen Redens beziehen, d.h. auf verborgene göttliche Wahr————————————————————
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Lindemann 297 formuliert zu scharf, wenn er meint, dass der glossolalisch Redende „ein λαλω ^ ν ohne Kommunikation“ ist: Er kommuniziert durchaus, nur nicht mit Menschen. Auch die Wendung ου δει`ς γα` ρ α κου' ει ist nicht „sehr scharf formuliert“ (ebd.), sondern berichtet lediglich einen objektiven Tatbestand: Unübersetzte Glossolalie ist unverständlich. Das Urteil von Schrage III 384, Paulus werte die Glossolalie „als defizitär“ ab, weil sie „nur das individuelle Verhältnis zu Gott“ betreffe, ist deshalb unangebracht. Weiss 322; Héring 123. Godet II 150 bezeichnet es als „pneumatisches Selbstgespräch“, was am Text vorbeigeht; kritisch zu Recht Schrage III 384 Anm. 37. Fee 656; Wolff 328-329; Thiselton 1086; Fee, Empowering Presence, 218; ders., Paul, 148; Turner, Holy Spirit, 232-234, mit einer Diskussion der Gegenposition, wie sie von Edgar, Gifts, 173-195 vertreten wird; anders Schrage III 384. Meyer 379; Godet II 150; Héring 123; Schrage III 385; Bockmuehl, Revelation, 168. Heinrici 124; Fee 656; Wolff 328; Kremer 300; Collins 492; Thiselton 1086; Garland 633 Gutjahr 373 verbindet beide Möglichkeiten: „das menschliche πνευ^ μα unter Einwirkung des göttlichen Geistes . . . mit Ausschluß des νου^ ς“; vgl. Grosheide 318.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 793 ————————————————————————————————————
heiten, die im glossolalischen Reden ausgedrückt werden. 485 Oder das Wort beschreibt den Modus der Vermittlung: während der Prophet göttliche Geheimnisse in verständlicher Sprache offenbart, spricht der Glossolale von diesen Geheimnissen in unverständlichen Sprachen, sein Reden ist mysteriös. 486 Manche sprechen in diesem Zusammenhang dem Inhalt des glossolalischen Redens jeden Bezug auf göttliche „Geheimnisse“ ab: μυστη' ρια ist hier in nicht-technischer Bedeutung gebraucht, es beschreibt allein das mysteriöse Reden, das keiner versteht.487 Das Argument, dass glossalisches Reden, als Reden mit Gott verstanden, kaum „vom Geist offenbarte Geheimnisse“ kommuniziert, weil man Gott keine Geheimnisse mitteilen muss, ist nicht überzeugend. Das Insistieren des Apostels, dass glossolalisches Reden, wenn es in der Gemeindeversammlung praktiziert wird, übersetzt werden muss, lässt die Möglichkeit offen, dass die übersetzte glossolalische Rede von Gott offenbarte Wahrheiten enthält. Da Paulus andererseits Prophetie und Glossolalie voneinander unterscheidet und übersetzte glossolalische Rede an keiner Stelle explizit und eindeutig mit prophetischem Reden in eins setzt, sollte man den Schwerpunkt des Verständnisses, was Glossolalie in Korinth war, nicht auf den Ausdruck μυστη' ρια legen. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass sich manche Gaben des Geistes überlappen (wie das Wort der Weisheit und das Wort der Erkenntnis). Sicherheit ist nicht zu gewinnen. Paulus erläutert μυστη' ρια nicht näher. 3 Im Unterschied zu dem glossolalisch redenden Christen gilt: der prophetisch Redende (ο δε` προφητευ' ων) redet zu Menschen (α νθρω' ποις λαλει^). Diese Aussage ist im atl. Verständnis der Prophetie impliziert: Propheten sind von Gott beauftragte Menschen, denen Gott Offenbarungen mitteilt, die sie dem Volk Gottes weitervermitteln sollen. Die folgenden drei Substantive erläutern nicht den Inhalt des prophetischen Redens, sondern dessen Wirkung in der Gemeinde. Prophetisches Reden bewirkt Auferbauung (οι κοδομη' );488 ————————————————————
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Wolff 329; Kremer 300; Thiselton 1086; Dautzenberg, Prophetie, 234-238. Bockmuehl, Revelation, 168-170 bezieht die μυστη' ρια im Zusammenhang der jüdischen Apokalyptik auf eine Schau des himmlischen „Mobiliars“ und auf die Teilnahme „im Geist“ an der himmlischen Anbetung der Engel. Dies alles sagt Paulus nicht; ein Zusammenhang zwischen der urchristlichen Glossolalie und der Apokalyptik ist nicht erwiesen. Meyer 379; Heinrici 412; Weiss 322; Bachmann 411; Wolff 328-329; Schrage III 385; G. Bornkamm, ThWNT IV, 829; G. Krämer, EWNT II, 1102; Dautzenberg, Prophetie, 234-238; Forbes, Prophecy, 96-97. Müller, Prophetie, 29-30, der meint, die Korinther hätten zwischen Prophetie und Glossolalie nicht unterschieden; so viele andere auch. Barrett 315-316; Fee 656; Engelsen, Glossolalia, 143.148; Carson, Spirit, 102. Οικοδομη' : 3,9; 14,3.5.12.26; 2Kor 5,1; 10,8; 12,19; 13,10; Röm 14,19; Eph 2,21; 4,12.16.29; zum Verb οικοδομε' ω vgl. 1Kor 8,1.10; 10,23; 14,4.17; Röm 15,20; Gal 2,18; 1Thess 5,11. Vgl. O. Michel, ThWNT V, 139-151; J. Pfammater, EWNT II, 1211-1218; J. Goetzmann, ThBLNT I, 871-873; Vielhauer, Oikodome, 1-168; Kitzberger, Bau.
794 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
gemeint ist das geistliche Wachstum der Jesusbekenner und das quantitative Wachstum der Gemeinde. In V. 23 werden ganz unvermittelt Ungläubige erwähnt, die in der Gemeindeversammlung anwesend sind; für Paulus den Missionar ist das extensive Wachstum der Gemeinden eine selbstverständliche Kategorie. Das Wort οι κοδομη' , das in 3,9 den Bau der Gemeinde Gottes beschreibt, bezeichnet häufig die apostolische Tätigkeit (2Kor 10,8; 13,10; 12,19). Hier wie an anderen Stellen bezeichnet οι κοδομη' „die geistliche Förderung sowohl der Gemeinde als auch des Einzelnen durch Christus“ und ist als „Ziel der Erkenntnis“ der „Inhalt und Sinn des gottesdienstlichen Lebens“.489 Die Gemeinde ist nie „fertig“; sie wird durch das Wirken des Geistes Gottes ständig weiter „gebaut“, nach innen und nach außen. Paulus wird in den folgenden Versen mehrmals deutlich machen, dass alles, was nicht der Auferbauung der Gemeinde dient, in der Gemeindeversammlung keinen Platz hat (V. 12.17.26). Das prophetische Reden bewirkt Ermahnung (παρα' κλησις). In 1Kor kommt dieses Wort nur hier vor, das Verb erscheint in V. 31 neben dem Lehren als Ziel der Prophetie.490 In Röm 12,6-8 erscheint „Ermahnung“ (παρα' κλησις) als eigene Geistesgabe neben der Prophetie, sie ist also nicht an diese gebunden. Mit παρα' κλησις wird das korrigierende Ermahnen, der ermunternde Zuspruch, das tröstende Wort, die auffordernde Bitte bezeichnet. Die Bedeutungen gehen oft ineinander über, was mit dem Wesen des Evangeliums zusammenhängt. 491 Das Evangelium führt den Menschen in die Krise und entfaltet in ihm die Kräfte der Wirklichkeit Gottes, die es ihm ermöglichen, in der Wirklichkeit des angebrochenen Reiches Gottes „zwischen den Zeiten“ den Willen Gottes zu tun. In der Spannung zwischen dem „Schon“ und dem „Noch nicht“ vermittelt die παρα' κλησις den Anspruch Gottes auf das Tun seines Willens und zugleich den Zuspruch seiner Vergebung und seiner Hilfe. Prophetisches Reden bewirkt Ermutigung (παραμυθι' α). Dieses Substantiv kommt im NT nur hier vor; das Verb bedeutet „freundlich zusprechen, aufmuntern, zureden“.492 Wenn sich der Zuspruch auf Zukünftiges bezieht, liegt oft die Bedeutung „ermahnen zu etwas“ vor, wenn er sich auf Vergange————————————————————
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O. Michel, ThWNT V, 144. Παρα' κλησις: 2Kor 1,3.4.5.6 (2x).7; 7,4.7.13; 8,4.17; Röm 15,4-5; Phil 2,1; 1Thess 2,3; 2Thess 2,16; 1Tim 4,13; Phlm 7; das Verb παρακαλε' ω wird von Paulus 50 Mal verwendet. Vgl. O. Schmitz/G. Stählin, ThWNT V, 771-798; J. Thomas, EWNT III, 5464; G. Braumann, ThBLNT I, 381-383; Schrage, Einzelgebote, 71-115; Bjerkelund, Parakalô, passim. In dokumentarischen Papyri bezeichnet παρακαλε' ω das konkrete Ersuchen im Rahmen einer Petition (vgl. P.Tebt. II 408,6), in privaten Briefen das Bitten (P.Oxy. I 292,3-7; P.Sarap. 95,3-6); vgl. Arzt-Grabner, Philemon, 193-194. J. Thomas, EWNT III, 56.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 795 ————————————————————————————————————
nes bezieht, die Bedeutung „trösten, ermuntern“. Wenn παρα' κλησις die anweisende und korrigierende „Ermahnung“ ist, wird man unter παραμυθι' α die tröstende, aufmunternde „Ermutigung“ im Sinne von „Zuspruch“ und „Trost“ verstehen. Mit diesen Wirkungen wird das prophetische Reden als in erster Linie helfendes Reden beschrieben, das die Anwesenden auferbaut, ermahnt und ermutigt. Dass das prophetische Reden die spontane Äußerung einer plötzlich eingegebenen Offenbarung sei, wird in den Text eingelesen. Die „parakletische“ Funktion des prophetischen Redens entspricht wesentlichen Inhalten der lehrenden Verkündigung. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass Paulus die Vokabel προφητευ' ων verwendet, nicht κηρυ' σσω oder διδα' σκω; d.h. das prophetische Reden ist nicht einfach identisch mit vollmächtiger Verkündigung. Neben Lehre (Kerygma) und Ermahnung (Paränese, Paraklese) kann man nicht ausschließen, dass prophetisches Reden manchmal die Vermittlung von Zukunftswissen beinhaltet, das sich insgesamt wohl weniger auf endzeitliche Ereignisse in der Zukunft bezieht493 als auf von Gott offenbarte Einsichten in zukünftige Ereignisse, die das Leben des einzelnen Christen beeinflussen.494 4 Paulus weist noch einmal auf die unterschiedliche Wirkung der Glossolalie und der Prophetie hin: Wer in einer (anderen) Sprache redet, erbaut sich selbst. Wer glossolalisch redet, der trägt nichts zur Erbauung der in der Gemeindeversammlung Anwesenden bei, sondern er erbaut nur sich selbst. Dies muss man nicht als polemische Spitze verstehen:495 Das persönliche ————————————————————
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Paulus verwendet das Verb παραμυθε' ομαι in 1Thess 2,12; 5,14; vgl. Joh 11,19.31. Vgl. G. Stählin, Art. παραμυθε' ομαι, ThWNT V, 815-822; H. Balz, EWNT III, 75; G. Braumann, ThBLNT I, 383-384; Spicq, Notes II, 658-663. Zu den papyrologischen Belegen vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 446-447, mit Verweis auf P.Flor III 382,65; P.Sakaon 44,17; P.Alex.Giss. 58,10-11; P.Fay. 19,5-6: „Die von Menschen ausgehende ‚Tröstung‘ zielt nach dem Papyrusbefund auf eine Erleichterung einer beschwerlichen oder bedrängten Lage ab“. Als Belege für solche Weissagungen wird häufig auf 15,51 und Röm 11,25 verweisen. Ein Beispiel ist die Prophezeiung des Agabus, der die bevorstehende Gefangenschaft des Paulus vorhersagt (Apg 21,10-14). Nach Apg 11,27-30 hat Agabus auch eine Hungersnot prophezeit. Schrage III 386 weist darauf hin, dass solche Prophezeiungen wenig zu tun haben „mit der Befriedigung fromm-unfrommer Neugier oder der detaillierten Ausmalung apokalyptischer Spekulationen“. So jedoch Lindemann 299; vgl. O. Michel, ThWNT V, 144: es sei „falsch“, wenn der Zungenredner „sich selbst erbaut“, da „der geistgewirkte Akt“ nicht auf die Gemeinde und den Bruder gerichtet sei und deshalb weder als Dienst aufgefasst noch „von der Liebe diktiert“ sei, sondern „auf sich selbst gerichtet“ bleibe. Vgl. Conzelmann 286, der den „korinthischen Individualismus“ angegriffen sieht. Richtig Fee 657; Hays 234; Garland 634; so auch Schrage III 388, der hinzufügt, dass Paulus „an einer individualistischen Intensivierung und Kultivierung der eigenen Religiosität“ nichts liegt. Aber Paulus schließt
796 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gebet und der private Lobpreis erbauen auch nur den Beter, nicht die Gemeinde. Paulus rät dem glossolalisch Redenden in V. 28, bei fehlender Übersetzung in der Gemeindeversammlung zu schweigen und für sich selbst zu Gott zu reden. Das heißt, Paulus unterbindet das Reden in einer anderen Sprache, das allein den glossolalisch redenden Christen erbaut, nicht prinzipiell (was er tun müsste, wenn dies rein individualistisch und egoistisch wäre). Paulus trifft eine objektive Feststellung, die in seinen späteren Ausführungen die Grundlage für seine praktischen Anweisungen bildet. Wer prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde (ε κκλησι' αν οι κοδομει^), d.h. er trägt zum geistlichen Wachstum der in der Gemeindeversammlung anwesenden Jesusbekenner bei. Darum geht es Paulus in Kap. 14: nicht um christliche Spiritualität im Allgemeinen, sondern um den Umgang mit den Gaben des Geistes in der Gemeindeversammlung, in der das geistliche Wachstum der Anwesenden absolute Priorität hat. 5 Die Aussage in V. 5a stellt klar, dass Paulus das Reden in (anderen) Sprachen gelten lässt, auch das private, das nur den glossolalisch Redenden erbaut: Ich will aber, dass ihr alle in anderen Sprachen redet. Paulus könnte so nicht formulieren, wenn es ihm in Kap. 14 um die prinzipielle Abwertung und Diskreditierung der Sprachengabe gehen würde. Dieser Wunsch (θε'λω) des Apostels bedeutet im Zusammenhang der Regelung, dass nur zwei oder drei in der Gemeindeversammlung glossolalisch reden (V. 27) sollen und dass die meisten diese Gabe nicht öffentlich, sondern privat ausüben. Manche interpretieren θε'λω im Sinn einer rhetorischen Übertreibung,496 was aber schlecht mit der Auskunft zusammenpasst, dass er, Paulus, mehr als alle anderen glossolalisch redet (V. 18; dies geschieht vermutlich vor allem privat, nicht öffentlich). Möglicherweise will Paulus bei dieser „Demokratisierung“ der Sprachengabe jene korinthischen Christen ansprechen, die die Gabe des glossolalischen Redens als elitäres Monopol betrachten, das ihnen einen Statuszugewinn einbringt. 497 Im Hintergrund steht dann möglichweise Num 11,29, wo Mose den Wunsch Josuas zurückweist, er möge das prophetische Reden von Eldad und Medad eindämmen, damit ihm, Mose, keine Konkurrenz entstünde: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde (τι' ς δω', η πα' ντα το` ν λαο` ν κυρι' ου προφη' τας), wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“.498 Paulus hätte nichts dagegen, wenn alle glossola————————————————————
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solche Bemühungen auch nicht aus! Kremer 301: „eine Art captatio benevolentiae“; Héring 124 sieht eine Konzession in der Form eines unrealisierbaren Wunsches; vgl. Allo 357, der Ironie im Spiel sieht. Garland 634. Kistemaker 481; Thiselton 1097; Garland 634-635; so schon Coccejus und Wettstein, vgl. Schrage III 389 Anm. 70.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 797 ————————————————————————————————————
lisch reden könnten, aber er will noch mehr (μα^λλον), dass ihr prophetisch redet. In der Wendung «ινα προφητευ' ητε fehlt das πα' ντες des Vorsatzes, dies ist aber sinngemäß zu ergänzen (vgl. V. 24). Die Begründung folgt in V. 5b: Der prophetisch Redende ist größer als der, der in anderen Sprachen redet. Der Komp. μει' ζων beschreibt die Überordnung der Prophetie über die Glossolalie. Dies gilt allerdings nur dann (ε κτο` ς ει μη' ), wenn er nicht übersetzt. Das Subj. von διερμηνευ' η, ist der in der vorausgehenden Wendungen genannte ο λαλω ^ ν γλω' σσαις, d.h. der 499 glossolalisch Redende selbst. Das Verb (δι)ερμηνευ' ω500 kommt in der Bedeutung „Ausdruck verschaffen, artikulieren“ vor,501 häufig in der Bedeutung „übersetzen, dolmetschen“.502 Im NT steht es oft im Zusammenhang mit der Übersetzung fremdsprachlicher (hebräischer oder aramäischer) Wörter, die übersetzt werden. 503 Im Zusammenhang der Wendung γλω' σση, /γλω' σσαις λαλει^ν ist die linguistisch überzeugendste Bedeutung von διερμηνευ' ω „übersetzen“.504 Diese Bedeutung erklärt, weshalb Paulus in V. 21-22 γλω' σσαις λαλει^ν mit ε τερογλω' σσοι („Fremdsprachen“) parallel setzen kann. A. Thiselton wendet gegen die Interpretation der Glossolalie im Sinn von Fremdsprachen ein, dass es erstens keinen Sinn ergibt, wenn sich fremdsprachliches „glossolalisches“ Reden als Gebet und Lobpreis an Gott richtet, und dass sie zweitens nicht plausibel ist, weil diese Gabe sonst bei der missionarischen Verkündigung des Evangeliums in anderen Kulturen eine größere Rolle gespielt hätte.505 Diese Argumente sind nicht stichhaltig. Wenn man im privaten Gebet zu Gott redet, spielt es keine Rolle, welche Sprache man spricht. Außerdem nimmt Paulus in V. 4 an, dass mindestens manche glossolalisch Redenden selbst übersetzen können, d.h. sie hätten verstanden, was sie im Gebet zu Gott sagen. Wenn im Gottesdienst das glossolalische ————————————————————
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Explizit EÜ: „es sei denn, dieser legt sein Reden aus“; vgl. NGÜ. Siehe die oben behandelten abweichenden Lesarten, die einen Übersetzer der Glossolalie neben dem Glossolalen annehmen; so GN „außer es gibt jemand gleich die Deutung dazu“. J. Behm, Art. ε ρμηνευ' ω, ThWNT II, 659-662; N. Walter, EWNT II, 133-137; H. Stadelmann, ThBLNT II, 1924-1925; Thiselton, Interpretation, 15-36; Forbes, Prophecy, 65-72; Thiselton 1098-1100. Zwischen dem einfachen ερμηνευ' ω und dem Kompositum διερμηνευ' ω besteht praktisch kein Bedeutungsunterschied. In Josephus, Ant. 2,72 im Sinn der Deutung von Träumen; in Philo, Cher. 105; Vit. Cont. 28 im Sinn des Ausdrückens von Gedanken in Worten; in Lk 24,27 vom „Öffnen“ von bisher Verschlossenem (der messianischen Bedeutung atl. Stellen). Plato, Sump. 202E; Xenophon, An. 5,4,4; Philo, Leg. All. 3,93; Plant. 38.134; Ebr. 145; Migr. 165; Mut. 98; Somn. 2,36.192; Josephus, Ant. 1,6.52; 8,142; 12,11; Bell. 4,11; 5,151 u.a.; in der LXX vgl. Gen 42,23; Esr 4,7; Esth 10,3e; Sir Prol. 20.30; in den Papyri vgl. zu διερμηνευ' ω P.Tor.Choach. 12, Kol. V 3-4; P.Heid. VIII 416,46; zu ερμηνευ' ω P.Diog. 9,1; P.Münch. I 13,71; P.Oxy. LXIV 4435,13; P.Ryl. IV 563,7. Mt 1,23; Mk 5,41; 7,34; 15,22.34; Joh 1,38.41.42; 4,25; 9,7; Apg 4,36; 9,36; 13,8. N. Walter, EWNT II, 136; Forbes, Prophecy, 65-72; Turner, Holy Spirit, 227-228. Thiselton 1100.
798 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Beten zu Gott nicht übersetzt wird, dann können die Anwesenden nach V. 16 kein „Amen“ sagen, weil sie nicht verstehen und nicht durch das Beten des Glossolalen erbaut werden. Was die missionarische Verkündigung betrifft, wäre erstens zu sagen, dass wir nicht wissen, ob die Glossolalie (verstanden als Xenolalie, als Reden in Fremdsprachen) nicht doch in manchen Situationen eine Rolle gespielt hat – unsere Kenntnis der missionarischen Ausbreitung der Kirchen in den ersten drei Jahrhunderten ist äußerst lückenhaft. Zweitens setzt das Argument voraus, dass ein Glossolale immer dieselbe (Fremd-)Sprache gesprochen hätte, dass er diese Geisteswirkung je nach Bedarf einschalten konnte,506 und dass der Betreffende aufgrund dieser Gabe in eine Region gereist wäre, wo er die Einheimischen mit glossolalischer Evangeliumsverkündigung erreicht hätte. Alle diese Annahmen sind unbewiesen. Wenn die Glossolalie ein wunderhaftes, übernatürliches Wirken Gottes repräsentiert, würde sich ein verantwortlicher Missionar über die Gabe des glossolalischen Redens freuen, aber er würde die Verkündigung des Evangeliums von dem aktuellen Vorhandensein dieser Gabe nicht abhängig machen.
Wenn die glossolalische Rede übersetzt wird – in Korinth ins Griechische oder (in der Gemeinde weniger wahrscheinlich) ins Lateinische –, dann ist gewährleistet, dass die Gemeinde Erbauung empfängt. Sprachenrede ist in der Gemeindeversammlung dann akzeptabel, wenn für die Mitchristen eine Übersetzung der unverständlichen Sprache gegeben wird, ansonsten ist die prophetische Rede vorzuziehen, bei der (nach der Prüfung) gewährleistet ist, dass die Gemeinde erbaut wird. 6 Mit einem logisch zu interpretierenden nun aber (νυ^ ν δε')507 und der Anrede Brüder (α δελφοι' ) leitet Paulus einen neuen Abschnitt ein, in dem er den im Kriterium der Erbauung implizierten Maßstab der Verständlichkeit erläutert (V. 6-19). Zunächst argumentiert er mit seinem eigenen Verhalten. Der Satz wenn ich zu euch komme bezieht sich auf den bevorstehenden Besuch, den er angekündigt hat (4,19), er ist aber zugleich generell gemeint. Wenn Paulus in Sprachen reden würde (γλω' σσαις λαλω ^ ν), d.h. wenn er nur oder meistens glossolalisch reden würde, wäre dies für die Korinther wenig hilfreich, weil sie nicht verstehen könnten, was er sagt. Die rhetorische Frage: was werde ich euch nutzen (τι' υ μα^ς ω φελη' σω) erwartet die Antwort „Nichts“. Was Paulus in V. 3.4.5 mit den Vokabeln οι κοδομι' α und οι κοδομε'ω beschrieben hat, wird hier durch das Verb ω φελε'ω („nützen, fördern, unterstützen“)508 bezeichnet. Der Nutzen ist die Auferbauung der Gemeinde. Paulus wird nur dann etwas zur Förderung der Christen in Korinth beitragen, wenn er mit anderen Gaben zu ihnen kommt. Die folgende Liste enthält vier ————————————————————
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Dies kann man bei der Gabe der Hilfeleistungen annehmen, bei der Gabe der Prophetie aber wahrscheinlich nicht, und bei der Gabe des Sprachenredens vermutlich auch nicht. Das heißt, Paulus zieht die Konsequenz aus der größeren Bedeutung der Prophetie. M. Rutenfranz, EWNT III, 1222-1223. Bei Paulus noch in 1Kor 13,3; Röm 2,25; Gal 5,2.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 799 ————————————————————————————————————
Charismen, die mit einem vierfachen η ε ν miteinander verbunden sind. Die Formulierungen in der 1. Pers. Sing. (ω φελη' σω, λαλη' σω) deuten darauf hin, dass Paulus neben der Gabe des glossolalischen Redens auch das Charisma der Offenbarungsrede, der Erkenntnisrede, des prophetischen Redens und der Lehre hatte.509 Die Wendung mit Offenbarung reden (λαλε'ω ε ν α ποκαλυ' ψει) kommt nur hier vor, die Gabe der α ποκα' λυψις wird in der Charismenliste in V. 26 noch einmal erwähnt.510 In Gal 1,12 verwendet Paulus dieses Wort zur Beschreibung der „Enthüllung“ des Evangeliums, die zu seiner Bekehrung führte (Gal 1,12), zur Beschreibung einer göttlichen Anweisung, nach Jerusalem zu reisen und den Aposteln die von ihm unter den Heiden verkündigte Evangeliumsbotschaft zu erläutern (Gal 2,2) und zur Beschreibung einer visionären Erfahrung, von der er niemandem erzählt hatte (2Kor 12,1.7). Manche interpretieren das Charisma der Offenbarungrede als „Offenbarung eschatologischer Geheimnisse“ im Zusammenhang einer Prophetie, 511 andere als „eine in der Gemeinde durch Charismatiker vermittelte konkrete Anweisung“.512 Der Unterschied zum prophetischen Reden ist nur schwer zu fassen, da es keine Prophetie ohne göttliche Offenbarung gibt. Man beachte, dass Paulus in V. 30 den Vorgang des Empfangs eines prophetischen Wortes mit dem Verb α ποκαλυ' πτω beschreibt. Und zu beachten ist auch, dass nicht jede „Offenbarung“ ekstatisch-visionär ist. In der Liste in V. 26 ist „Offenbarung“ vielleicht der Oberbegriff von „Erkenntnis“ und „Prophetie“. Von Erkenntnis (γνω ^ σις) und prophetischer Rede (προφητει' α) war bereits in 12,8b; 13,8 (vgl. 13,2) bzw. in 12,10b; 12,28-29; 13,2.8 die Rede (s. dort). Die Wendung λαλει^ν ε ν γνω' σει bezeichnet die Weitergabe einer vom Geist Gottes inspirierten Erkenntnis in der Gemeindeversammlung. 513 Die Lehre (διδασκαλι' α) entspricht den διδα' σκαλοι der Liste in 12,28-29 (s. dort). 7 Nachdem Paulus in V. 6 die Problematik unübersetzter Glossolalie und die Notwendigkeit verständlichen Redens anhand seines eigenen missionarischen und pastoralen Dienstes dargelegt hatte, illustriert er den Sachverhalt am Beispiel (ο« μως) von Musikinstrumenten (V. 7-8). Die unbelebten Dinge (τα` ————————————————————
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Zum prophetischen Selbstverständnis und zur prophetischen Wirksamkeit von Paulus vgl. Sandnes, Paul, passim; Merklein, Theologe, 402-429. Siehe auch 14,30 sowie 2,10; vgl. φανε' ρωσις του^ πνευ' ματος in 12,7. Schrage III 391, der aufgrund von 2Kor 12,1.7 ekstatisch-visionäre Vorgänge nicht ausschließen will; vgl. Dunn, Jesus and the Spirit, 230. Lührmann, Offenbarungsverständnis, 42; im Anschluss daran Wolff 330; Lindemann 302 Vgl. Lindemann 302, der auf 1,5; 12,8; 2Kor 2,14; 4,6; 6,6; 8,7 verweist und richtig annimmt, dass bei diesem Reden die kritischen Aussagen über die γνω ^ σις in 8,1; 13,2.8 Berücksichtigung finden werden.
800 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
α»ψυχα),514 von denen Paulus spricht, sind Musikinstrumente, die Töne von sich geben (φωνη` ν διδο' ντα). Paulus nennt den Aulos und die Kithara. Der Aulos (αυ λο' ς)515 ist ein ursprünglich aus Phrygien stammendes Rohrblattinstrument, das mit einer einfachen oder (häufiger) Doppel-Oboe identifiziert werden kann und besser mit „Pfeife“ übersetzt werden sollte. Das Instrument bestand aus Zungenstück (aus Schilfrohr), oberem Ansatzstück des Rohrs, der eigentlichen Röhre (aus Schilfrohr, Buchsbaum, Lotusholz, Tierknochen oder Elfenbein) und den Grifflöchern (aus Metall). Der Aulos wurde bei der Militärmusik, bei Totenklagen, Symposien, Hochzeiten, zur Anfeuerung bei der Arbeit, zur Begleitung der Elegien und zur Erzeugung religiöser Stimmung verwendet. Die Kithara (κιθα' ρα)516 war neben der Lyra das wichtigste Saiteninstrument. Sie bestand aus einem großen, kastenförmigen Schallkörper aus Holz und zwei parallel nach oben verlaufenden Jocharmen. Die sieben (manchmal elf) Saiten wurden unten am Schallkörper in einen Saitenhalter eingespannt und an der Verbindung der Jocharme (dem außen mit Schraubgriffen versehenen Joch) befestigt. Während im Musikunterricht fast nur die Lyra verwendet wurde, kam die Kithara fast ausschließlich bei Wettkämpfen (Agon) und dem virtuosen Vortrag zum Einsatz.
Die Kithara galt als das edlere Instrument, weil sie einen sanfteren Klang hatte (πραυ¨' νειν), während der Aulos als aufreizend galt (ε ξοργια' ζειν).517 Paulus erwägt die Möglichkeit, dass der Aulos und die Kithara bei den Klängen keinen Unterschied machen (ε α` ν διαστολη` ν τοι^ς φθο' γγοις μη` δω ^, ), d.h. dass immer derselbe Ton (φθο' γγος) erklingt, weil der Spieler keine Unterscheidung (διαστολη' )518 zwischen einzelnen Tönen oder zwischen verschie————————————————————
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Die Vokabel α»ψυχος („unbeseelt, leblos“) kommt nur hier im NT vor; in der LXX nur in Weish 13,17; 14,29 nur Bezeichnung der heidnischen Götter. Im NT nur hier erwähnt; in der LXX meist Übersetzung von ָחִליל: 1Sam 10,5; 2Sam 6,5; 1Chron 28,12; Jes 5,12; 30,29.32; Jer 31,8.36; 42,2; Sir 40,21; 1Makk 3,45; 1Esdr 5,2. Das Subst. αυ λητη' ς in Mt 9,23; Offb 18,22; das Verb αυ λε' ω in Mt 11,17 / Lk 7,32. Vgl. W. Boetticher, Art. Aulos, KP I, 755-760; S. Michel, Art. Aulos, DNP II, 316-317; F. Zaminer, Art. Musikinstrumente. V. Griechenland, DNP VIII, 547-549. Im NT sonst noch in Offb 5,8; 14,2; 15,2 erwähnt, das Verb in Offb 14,2. In der LXX übersetzt κιθα' ρα meist hebr. ּכִּנֹור: Gen 4,21; 31,27; Hiob 21,12; 30,9.31; Ps 32,2; 42,4; 56,9; 70,22; 80,3; 91,4; 97,5; 107,3; 146,7; 150,3; Jes 5,12; 16,11; 23,16; 24,8; 30,32; Dan 3,5.7.10.15; 1Makk 4,54. Vgl. U. Klein, Art. Kithara, KP III, 1581-1582; F. Zaminer, Art. Musikinstrumente V, DNP VIII, 543-551. W. Boetticher, KP I, 759. Aristoteles, Pol. 1341a 21-26 rechnet den αυ λο' ς zu den τεχνικα` ο» ργανα, die wegen ihres bacchischen Klangs und der Nutzlosigkeit für die Geistesbildung im Unterricht zu verwerfen seien. Außerdem könne der Spieler nicht gleichzeitig singen, d.h. er ist daran gehindert, den λο' γος zu gebrauchen. Wenn die Musik ohne Sprache ist (α»λογος), kann sie zur ethisch-moralischen Beeinflussung des Charakters nichts beitragen. Vgl. Riethmüller /Zaminer, Musik, 226; zur Rolle der Charakterbildung ebd. 219-222. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 449 verweist auf P.Zen.Pestm. 38,9-10; P.Stras. II 119,13; BGU XV 2493,13-14, wo διαστολη' die Bedeutung „Verzeichnis“ oder „Liste“ hat, und deutet V. 7: „die Musikinstrumente ‚geben den Klängen ein Verzeichnis‘“.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 801 ————————————————————————————————————
denen Rhythmen macht, also nur undifferenzierte Laute erklingen, Intervalle fehlen und Rhythmen missglücken. In diesem Fall kann man nicht erkennen (πω ^ ς γνωσθη' σεται),519 was auf dem Aulos geblasen oder auf der Kithara gespielt wird, d.h. der Zuhörer kann keine Melodie erkennen, und das bedeutet: Er hat keinen Nutzen von den Klängen, die ertönen. 520 8 Das dritte Musikinstrument, das Paulus für seinen Vergleich anführt, ist die Trompete. Die Trompete (σα' λπιγξ, lat. tuba)521 ist ein Blechblasinstrument, das aus einem ungefähr 1,20 m langen geraden Metallrohr mit aufgesetztem Schalltrichter und einem Mundstück aus Horn oder Knochen bestand. Der Klang der Trompete war tief und dröhnend, sie konnte sechs Töne von sich geben. Sie wurde zur Zeichengebung im Krieg sowie bei Opfern, Festen und Umzügen eingesetzt. Für militärischen Einsatz vgl. Num 10,9; 2Chron 20,28 (Trompeten), sowie 1Sam 13,3; 2Sam 2,28; Hiob 39,24-25 (Hörner). Die essenische Kriegsrolle (1QM) beschreibt genau differenzierte Trompetensignale für die verschiedenen militärischen Aktionen.522
Wenn die Trompete einen undeutlichen Ton gibt (α»δηλον . . . φωνη` ν δω ^, ), d.h. wenn der Bläser zu leise bläst oder die Lippen nicht fest genug auf das Mundstück presst und nur ein Teil der geblasenen Luft in das Instrument gelangt, was in einem undeutlichen Ton resultiert, dann wird sich niemand zur Schlacht bereit machen.523 Das heißt, der undeutliche Ton führt zu einem ————————————————————
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Die rhetorische Frage πω ^ ς γνωσθη' σεται erwartet die Antwort „gar nicht“. Schrage III 392 mit Anm. 93 weist zurecht darauf hin, dass der Vergleichspunkt die Verständlichkeit ist, nicht der Umstand, dass nicht der Glossolale selbst redet, sondern „es aus ihm tönt“, wie die Klänge „aus“ den Musikinstrumenten kommen (Bachmann 413). H. Kleinknecht, Art. πνευ^ μα, ThWNT VI, 334 meint, dass der Glossolale wie der Bläser einer Flöte oder Trompete die Klänge „durch πνευ^ μα hervorruft“. Die LXX übersetzt mehrere hebr. Ausdrücke mit σα' λπιγξ, ca. 40 mal שָֹפר ( וdas gekrümmte Horn von Widder oder Steinbock) und 20 mal ֲהצְֹצָרה. Vgl. Hebr 12,19 (Theophanie); im NT kommt die Vokabel sonst immer in einem apokalyptischen Kontext vor: Mt 24,12; 1Kor 15,52; 1Thess 4,16; Offb 8,2.6.13; 9,14. Vgl. G. Friedrich, ThWNT VII, 7188; H. Lichtenberger, EWNT III, 536-538; U. Klein, Art. Salpinx, KP IV, 1522; A. R. Neumann, Art. Tuba, KP V, 991-992; F. Zaminer, Art. Musikinstrumente V, DNP VIII, 543-551; L. Zanancelli, Art. Musikinstrumente VI, DNP VIII, 551-552. Yadin, Scroll of War, 87-113; Lindemann, EWNT III, 537. Arzt-Grabner 451 weist darauf hin, dass das Wort σα' λπιγξ in den Papyri bislang nur aus Tempelarchiven belegt ist; im Inventar des Tempels des Sarapis Osoromnevis in Soknopaiu Nesos werden „drei bronzene Trompeten“ aufgelistet (P.David 1 Kol. II 19); vgl. P.Oxy. XLIX 3473,14. Die rhetorische Frage τι'ς παρασκευα' σεται εις πο' λεμον; lässt die Antwort „Niemand“ erwarten. Mit πο' λεμος ist nicht der „Krieg“ gemeint, sondern die „Schlacht“. Schon Chrysostomus 298 wies darauf hin, dass die Soldaten sich größter Gefahr aussetzen, wenn sie nicht erkennen, ob zum Angriff oder zum Rückzug geblasen wird; auch Bengel 671: unius tubae cantus alius ad alia vocat milites; vgl. Schrage III 393 mit Anm. 102.
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ungenauen Signal, und deshalb können die Soldaten nicht erkennen, zu welchem Manöver sie aufgefordert werden.524 9 Die Anwendung auf die Situation in der korinthischen Gemeinde (ου« τως και` υ μει^ς)525 beginnt V. 9-11 mit einem weiteren Beispiel. Paulus erläutert das Kriterium der Erbauung im Sinn der Notwendigkeit, dass das Sprechen mit der menschlichen Zunge deutlich artikuliert sein muss, wenn man es verstehen soll. Den undifferenzierten Klängen von Aulos und Kithara und den undeutlichen Tönen einer Trompete entspricht das undeutliche Reden von Menschen: Wenn ihr mit der Zunge keine deutliche Rede von euch gebt. Mit η γλω^ σσα ist nicht das Charisma der Sprachenrede gemeint, sondern die menschliche Zunge (bestimmter Artikel, der bei der Glossolalie fehlt, sowie Präp. δια' ).526 Wenn die Zunge „keine deutliche Rede“ (μη` ευ» σημον λο' γον)527 von sich gibt, d.h. wenn man stammelt und in unvollständigen Wörtern „spricht“, also lallt, dann kann man das Gesprochene (το` λαλου' μενον) nicht verstehen.528 Unartikuliertes Lallen, stotterndes Gestammel ist wie wenn man in den Wind redet (ει ς α ε'ρα λαλου^ ντες): Die Botschaft verhallt ungehört und unverstanden, weil es nicht verstanden werden kann und weil das Hören niemandem etwas nützen würde. Wenn jemand nicht vernünftig und klar verständlich spricht, können andere die Worte und Sätze nicht verstehen, die gesprochen werden.529 ————————————————————
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Hays 236 interpretiert die Analogie im Sinn der Aufforderung an die Korinther, dass die öffentlichen Wortbeiträge in der Gemeinde die anwesenden Christen aufwecken und zum Einsatz im kosmischen Konflikt auffordern sollte, in dem die Kirche Christi sich befindet. Dies ist nicht die Intention des Beispiels: Paulus kommt es auf den Vergleichspunkt der Verständlichkeit an. Meyer 383; Schrage III 394 mit Anm. 106; Lindemann 303. Anders Heinrici 416; Bachmann 413-414; Robertson / Plummer 309, die ein weiteres Beispiel (undeutliches Sprechen) annehmen. Meyer 383; Heinrici 416; Klauck 100; Wolff 331; Kremer 303; Lindemann 303; Garland 636; vgl. Elb.Ü, GN, MNT, SÜ, ZB, NRSV, TNIV. Anders Lietzmann 71; Conzelmann 287; Lang 193; Fee 664; Senft 176; Hays 236; Schrage III 394; NSS II 87; vgl. EÜ, Hfa, LÜ, NGÜ, Menge, Wilckens. Das Wort ευ» σημος („leicht erkennbar, deutlich“) kommt nur hier im NT vor; es ist der Gegenbegriff zu α»δηλος in V. 8. In der LXX vgl. Ps 80,4; Dan 2,19. Die rhetorische Frage πω ^ ς γνωσθη' σεται το` λαλου' μενον; lässt die Antwort „überhaupt nicht“ erwarten. In Jer 5,13 wirft Gott den ungläubigen Jerusalemern vor, dass sie behaupten, die Propheten seien „Wind“ und das Wort Gottes sei nicht in ihnen (LXX: οι προφη^ ται η μω^ ν η σαν εις α»νεμον, και` λο' γος κυρι'ου ου χ υ πη^ ρχεν ε ν αυ τοι^ς). Gott reagiert auf diese Vorwürfe, und auf den Ungehorsam Israels, mit Gericht, das von einer Nation aus der Ferne ausgeführt wird, von Invasoren, deren Sprache sie nicht sprechen und deren Rede sie nicht verstehen (5,15; LXX: ε»θνος, ου ου κ α κου' ση, τη^ ς φωνη^ ς τη^ ς γλω' σσης αυ του^ ).
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Die Voranstellung der Wendung δια` τη^ ς γλω' σσης beinhaltet eine Anspielung auf die Glossolalie, auch wenn sie noch nicht direkt angesprochen ist: Auch die Glossolalie, die nicht in artikulierte Sprache übersetzt wird, ist in den Wind geredet, weil keiner erkennen und verstehen kann, was gesagt wird. Das glossolalische Reden ist ein Reden „zu Gott“ (V. 2); wenn es in der Gemeindeversammlung ohne Übersetzung in artikulierte, verständliche Rede praktiziert wird, ist es für die Gemeinde ein Reden „in den Wind“. Wenn korinthische Christen, die das Charisma der Glossolalie besitzen, sich auf diese Gabe etwas einbilden und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit vorführen, mit oder ohne Übersetzung, belehrt sie Paulus eines anderen: Wenn sie glossolalisch reden, ohne dass sie von den Anwesenden verstanden werden, dann sind sie wie Säuglinge, die lallen, wie Amateure, die mit Aulos, Kithara oder Trompete nicht richtig umgehen können.530 10-11 Das nächste Beispiel betrifft noch einmal die menschliche Sprache: In der Welt (ε ν κο' σμω, ), d.h. unter Menschen, gibt es wer weiß wie viele Sprachen. Die Wendung γε'νη φωνω ^ ν bedeutet wörtl. „Arten“ oder „Gattungen von Sprachen“; φονη' bedeutet hier „Sprache“ (statt des sonst üblichen γλω^ σσα, das in V. 9 in der Bedeutung „Zunge“ verwendet wird). Die formelhafte Wendung ει τυ' χοι („vielleicht, etwa“) bedeutet im Anschluss an die unbestimmte Mengenangabe τοσαυ^ τα („so viele“), „daß eine exakte Angabe nur aufs Geratewohl gegeben werden könnte“. 531 In Korinth, deren Häfen den östlichen und westlichen Mittelmeerraum miteinander verbanden, konnte man sicherlich außer dem Griechischen, Lateinischen und Aramäischen auch noch andere Sprachen hören. Im 1. Jahrhundert wußte man sicherlich nicht, dass es über 5.000 Sprachen in der Welt gibt. Es ist jedoch anzunehmen, dass man davon ausging, dass die Hunderte von Stämmen, von denen Geographen wie Strabo Kenntnis hatten, alle ihre eigene Sprache sprechen. Der Satz nichts ist ohne Sprache (ου δε` ν α»φωνον) will wohl einfach sagen, dass die Verständigung unter Menschen immer nur durch Sprache geschieht.532 Entscheidend bei allen Sprachen, die es in der Welt gibt, ist nun (ου ν, folgernd), dass man die Bedeutung der Sprache kennt (τη` ν δυ' ναμιν τη^ ς φωνη^ ς).533 Wenn ich die Bedeutung der in einer der vielen Sprachen der Welt ————————————————————
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Garland 636-637. O. Bauernfeind, ThWNT VIII, 242; vgl. Bauer/ Aland 1653 s.v. τυγχα' νω 2.b; BDR §385.2; G. Haufe, EWNT III, 891; Schrage III 394 Anm. 112. Lindemann 303; vgl. Schrage III 395: der Ausdruck denkt an „die verschiedenen Idiome aller Völker bzw. an die verschiedenen Arten von Sprachen“; d.h. ου δε' ν ist auf γε' νη φωνω ^ ν zu beziehen. Vgl. Bauer /Aland 418 s.v. δυ' ναμις 3; für diesen Sprachgebrauch von δυ' ναμις, der im NT nur hier vorkommt, vgl. Plato, Crat. 394B; Polybius 20,9,11; Dio Chrysostomus 19,19; Philo, Congr. 125; Justin, Dial. 125,1; 138,1; Hermas 12,3.
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gesprochenen Worte und Sätze nicht kenne (μη` ει δω ^ ; Perf. von οι δα), dann bin ich für denjenigen, der die mir unbekannte Sprache spricht, ein Barbar (ε»σομαι τω ^, λαλου^ ντι βα' ρβαρος), und der Mensch, der die mir unverständliche Sprache spricht, ist für mich ein Barbar (ο λαλω ^ ν ε ν ε μοι` βα' ρβαρος). Das Wort βα' ρβαρος ist eine lautmalende Bildung, die durch die Verdopplung der Anfangssilbe entstanden ist und „stammelnd redend, undeutliche Laute aussprechend“ bedeutet. Für die Griechen war jeder, der eine nichtgriechische Sprache spricht, d.h. jeder Ausländer, ein βα' ρβαρος (Strabo 14,2,28).534 Der nach Pontus im nördlichen Kleinasien verbannte Ovid schreibt: „Ich bin ja hier ein Barbar (barbarus hic ego sum) und werde von keinem verstanden, und das Lateinische wird dumm von den Geten verlacht“. 535 Wenn man die Sprache des anderen nicht versteht, kommt diese einem wie stotterndes Gestammel vor. Zur Verständigung kann es nicht kommen, weil die gesprochenen Laute nicht verstanden werden. Für das glossolalische Reden, das nicht in verständliche Sprache übersetzt wird, gilt das gleiche: Man kann es nicht verstehen, es klingt wie eine stotternde, stammelnde Aneinanderreihung von Lauten, die keinen Sinn ergeben. Wer den anderen nicht verstehen kann und sich mit einer primitiven Zeichensprache mühsam verständigen muss, wie Ovid es in Pontus widerfuhr („und ich verständige mich durch die Gebärde allein“), der fühlt sich als Fremder, der nicht dazugehört. Dieses Gefühl mussten in der korinthischen Gemeinde alle Gemeindeglieder haben, die dem glossolalisch Redenden zuhörten, aber nichts verstehen konnte, und vor allem jene Christen, die selbst nicht glossolalisch reden konnten. Das Argument mit existierenden Fremdsprachen in V. 10-11 ist ein Hinweis darauf, dass das glossolalische Reden in Korinth das Reden in ungelernten, real existierenden Fremdsprachen einschloss (darauf aber wohl nicht beschränkt war).536 12 Die Anwendung auf die Gemeinde wird wieder durch die Wendung so auch ihr (ου« τως και` υ μει^ς, vgl. V. 9) und durch die Rückkehr zur 2. Pers. Plur. signalisiert. Paulus formuliert die Anwendung nicht mehr mit einer rhetorischen Frage, sondern mit einem Imperativ (προ` ς τη` ν οι κοδομη` ν τη^ ς ε κκλησι' ας ζητει^τε). Paulus konstatiert, dass die Korinther nach Geistesäußerungen streben (ζηλωται' ε στε πνευμα' των). Mit dem Plural πνευ' ματα ————————————————————
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H. Balz, Art. βα' ρβαρος, EWNT I, 473-475, hier 473; vgl. H. Windisch, ThWNT I, 544551; W. Spoerri, Art. Barbaren, KP I, 1545-1547; V. Losemann, Art. Barbaren, DNP II, 439-443; J. Jüthner, Art. Barbar, RAC I, 1173-1176. Im NT sonst noch in Apg 28,2.4; Röm 11,14; Kol 3,11. Ovid, Trist. 5,10,37-38 (zitiert nach NW II/1, 381); das folgende Zitat stammt aus derselben Stelle, Trist. 5,10,36: per gestum res est significanda mihi. Die Geten waren ein Stammesverband zwischen der unteren Donau und dem Ostbalkan. Gundry, Utterance, 299-307, bes. 306; Forbes, Prophecy, 61-63; Carson, Spirit, 82; Turner, Holy Spirit, 228. Anders Schrage III 395-396 Anm. 116.122. S. oben zu 12,10.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 805 ————————————————————————————————————
sind nicht „Geister“ gemeint,537 sondern das „Verlangen nach Fülle an individuellen Kundgaben des Geistes“.538 Die Feststellung ist nicht ironisch gemeint, wie viele meinen:539 Wenn Paulus in V. 5 schreibt, dass er will, dass alle korinthischen Christen glossolalisch reden können, spricht er an dieser Stelle vom Streben nach Wirkungen des Geistes kaum mit einem kritischen Unterton. Das Problem ist nicht das Streben der Korinther nach Äußerungen des Geistes, problematisch ist die Zielrichtung dieses Strebens.540 Sie geben sich mit der Selbsterbauung zufrieden, während Paulus sie mahnt: strebt nach der Erbauung der Gemeinde. Das Subjekt der οι κοδομη' sind die Gemeindeglieder (υ μει^ς), die gleichzeitig, als Gemeinde (ε κκλησι' α), das Objekt der οι κοδομη' sind.541 Die Korinther streben nach den Kundgaben des Geistes, jetzt sollen sie – intensiver und konsequenter – nach der Erbauung der Gemeinde streben. Im Kontext bedeutet dies: Das glossolalische Reden ohne Übersetzung nützt dem Glossolalen (V. 2.4), hat aber für die Gemeinde keine förderliche Wirkung (V. 6); im Gegenteil: Weil keiner die glossolalische Rede versteht, kommt sich jeder als Barbar, als Fremder vor (V. 11), obwohl er eigentlich in der Gemeinde „zu Hause“ sein sollte! Das Ziel, immer reicher zu werden (ι«να περισσευ' ητε), lässt sich nicht durch glossolalische Selbsterbauung verwirklichen, sondern nur dadurch, dass die ganze Gemeinde erbaut wird. Die Aufforderung, nach der Auferbauung der Gemeinde zu streben, hat im Kontext die Funktion eines Korrektivs: Die korinthischen Christen sollen nicht nach der eigenen Erbauung streben, sondern nach der Erbauung der Gemeinde als ganzer. 13 Die Folgerung (διο' ) für die Glossolalie, die sich aus den Beispielen der Musikinstrumente und der menschlichen Sprache sowie aus dem Gebot der Auferbauung der Gemeinde ergibt, formuliert Paulus so: Wer daher in einer (anderen) Sprache redet, der bete, dass er übersetzen kann. Der Glosso————————————————————
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Lietzmann 71 sieht eine „Angleichung an den gewöhnlichen, dem Juden wie dem Heiden geläufigen hellenistischen Sprachgebrauch . . ., als ob jeder wünschte, daß ein πνευ^ μα (προφητικο' ν) wie ein überirdisches Einzelwesen in ihm Wohnung nehme“; vgl. Heinrici 419; Weiss 326; Lietzmann 71; Bachmann 416; Schlatter 376; Oster 335 („animistic perspective“); vgl. Fee 666, der im Sinn des „Geistes“ der verschiedenen korinthischen Christen interpretiert. Wolff 331; vgl. Conzelmann 288; Schrage III 396; Thiselton 1107; Garland 638; Dautzenberg, Prophetie, 135-142; Grudem, Prophecy, 120-129; vgl. LÜ, GN „Gaben des Geistes“, EÜ „Geistesgaben“; nur MNT übersetzt mit „Geister“. Lindemann 304 stellt die Frage, ob Paulus „an einer so kritischen Stelle wirklich so ungenau formuliert“ hat. Meyer 386; Heinrici 418; Godet II 155; Robertson/Plummer 311; Bachmann 416; Kremer 302; Lindemann 304; vgl. Schrage III 396 Anm. 126 („ungewiß“). Schrage III 396. Kitzberger, Bau, 107, ebd. für die folgende Bemerkung.
806 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
lale (ο λαλω ^ ν γλω' σση, ) soll Gott um das Charisma der Übersetzung bitten. Der Jesusbekenner, der in der Gemeindeversammlung das Charisma der glossolalischen Rede praktiziert, ohne dass die unverständlichen Worte übersetzt werden, redet zu Gott, aber nicht zu den Anwesenden (V. 2), und das heißt: Er erbaut sich zwar selbst, aber die Gemeinde hat keinen Nutzen (V. 35). Wer glossolalisch redet, soll diese Gabe in den Dienst der Gemeinde und ihrer Erbauung stellen, was nur dann geschieht, wenn er eine eigene Übersetzung gibt. Die Mahnung, um die Gabe der Übersetzung zu beten (προσευχε'σθω «ινα διερμηνευ' η, ), impliziert, dass der glossolalisch redende Christ zunächst selbst nicht versteht, was er sagt (vgl. V. 14). Er kann nur dann übersetzen, wenn er die glossolalische Rede selbst versteht, und darum soll er beten, dass ihm dies möglich wird. Das Gebet um das Charisma der Übersetzung wird in der Gemeindeversammlung gesprochen. Anders als bei der Prophetie kann der glossolalisch Redende selbst übersetzen. Es gibt also keine Prüfung wie bei der Prophetie. Dieser Sachverhalt bestätigt das Verständnis der Glossolalie als Charisma, das von der Gabe der Prophetie konsequent unterschieden werden muss: Glossolalisches Reden enthält keine vom Geist Gottes übernatürlich eingegebenen Botschaften an die anwesenden Christen. Wie im Fall der Prophetie müssten diese Botschaften überprüft werden, was bei übersetzter Glossolalie nur im Blick auf den übersetzten Wortlaut selbst möglich ist, nicht jedoch im Blick auf den Vorgang der Übersetzung. Während V. 13 die Möglichkeit offenlässt, dass ein glossolalischer Redner die für die anderen unverständlichen Sätze selbst versteht und sie deshalb übersetzen kann, zeigt der Zusammenhang, dass es nicht darum geht, dass der Glossolale unbedingt für sich selbst für die Gabe der Auslegung beten muss. Er soll vielmehr beten, dass es überhaupt einen in der Gemeindeversammlung gibt, der übersetzen kann.542 14 Das Stichwort „beten“ in V. 13 veranlasst Paulus zu einer kurzen Charakterisierung des glossolalischen Redens (V. 14-15). Die Formulierung wenn ich nämlich in einer Sprache bete (ε α` ν προσευ' χωμαι γλω' σση, ) bestätigt noch einmal, dass das Charisma der Sprachengabe seine primäre Rolle im Gebet hat (V. 2). Glossolalisches Reden heißt, mit Gott reden. Paulus wechselt zur 1. Pers. Sing., um sich mit den korinthischen Christen, die glossolalisch reden und die er korrigieren möchte, zu identifizieren.543 Beim glossolalischen Beten betet mein Geist, mein Verstand aber ist fruchtlos. Die Kennzeichnung mit α»καρπος („unfruchtbar, ohne Frucht, keinen Ertrag bringend“)544 beschreibt die Wirkung des glossolalischen Redens: Weil der ————————————————————
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Schrage III 397; vgl. G. Friedrich, ThWNT VI, 853.857. Garland 638 („as a wise pastor“). Im NT sonst noch in Mt 13,22; Mk 4,19; Eph 5,11; Tit 3,14; 2Petr 1,8; Judas 12.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 807 ————————————————————————————————————
Glossolale selbst nicht versteht, was er sagt, trägt sein Reden weder für das eigene Leben noch für die anderen Glieder der Gemeinde eine Frucht, d.h. weder er selbst noch die anderen Christen, die anwesend sind, werden auferbaut, etwa durch eine ermutigende Erinnerung an die Allmacht und die Barmherzigkeit Gottes. Er erbaut sich zwar selbst (V. 4), aber nicht im Verstand, sondern im Geist (s. unten). Die Aussage in V. 14 zeigt, dass die korinthischen Christen, die das Charisma der Sprachenrede hatten, im Allgemeinen nicht verstanden, was sie sagten – sie müssten sonst nicht um das Charisma der Übersetzung beten (V. 13). Das Subj. το` πνευ^ μα' μου wird unterschiedlich erklärt: 1. „Mein Geist“ meint den menschlichen Geist, die „Befähigung des Menschen zu bestimmten menschlichen Lebensäußerungen, die das äußerlich Greifbare übersteigen (Gefühl, Sinn, Erkennen)“.545 Das heißt, beim glossolalischen Reden betet der Geist des Menschen, nicht sein Verstand. 546 2. „Mein Geist“ bezieht sich auf das Charisma, das der Geist „mir“ als Jesusbekenner gegeben hat und in dem er präsent ist.547 3. „Mein Geist“ ist der Heilige Geist, im Sinn von „die dem Apostel von Gott geschenkte Teilhabe an dem Geist Gottes“. 548 C. K. Barrett weist darauf hin, dass die Formulierung το` πνευ^ μα' μου προσευ' χεται weder präzise noch eindeutig ist, weil Paulus mehrere Gedanken in einige wenige Worte komprimiert: Es ist der Heilige Geist, der im Gottesdienst wirksam ist und der die Christen sowohl beim glossolalischen Reden als auch beim Beten inspiriert; das Wirken des Heiligen Geistes äußert sich in einer konkreten Gabe; der Heilige Geist gibt mir als Jesusbekenner auf eine derart persönliche Weise ein Charisma, dass ich diese Gabe als „meine“ bezeichnen kann. 549 Manche verbinden die verschiedenen Bedeutungen mit dem Hinweis, dass scharfe Unterscheidungen kaum möglich sind.550 Das Personalpronomen μου ist am einfachsten zu erklären, wenn Paulus vom menschlichen Geist redet, von den innersten Tiefen seines Ich, aus denen heraus er immer betet, besonders beim glossolalischen Reden. Selbstverständlich ist gleichzeitig richtig, dass der Geist Gottes gerade dort gegenwärtig ist – beim glossolalischen Reden konkret mit diesem Charisma. Vom Geist Gottes als „meinem Geist“ ist im ganzen NT nicht die Rede. ————————————————————
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J. Kremer, Art. πνευ^ μα, EWNT III, 279-291, hier 282; anders zu V. 14 (s. unten). Meyer 388; Godet II 157; Collins 502; Lindemann 304; Garland 639; Gillespie, Theologians, 154; Dunn, Theology of Paul, 76 Anm. 117. Bengel 671; Heinrici 420; Weiss 328. Kremer 303; vgl. E. Schweizer, ThWNT VI, 420 („die Glossolalie schenkende Wunderkraft“), ebd. 433; J. Kremer, EWNT III, 285; Klauck 100; Lang 194; Wolff 332; Chevallier, Esprit, 188. Barrett 320 Fee 670; Schrage III 397-398; Thiselton 1110.
808 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die Wendung „mein Verstand aber ist fruchtlos“ wird ebenfalls unterschiedlich erklärt. Die Bestimmung α»καρπος („unfruchtbar, ohne Frucht, ohne Ertrag“)551 wird auf den νου^ ς bezogen, auf den „Verstand“, d.h. es geht um die Fähigkeit des Menschen zum verstehenden, individuellen Urteil, um die das klare Denken bestimmende kritische Instanz, um die Überzeugung und Gesinnung des Menschen (s. zu 1,10). 552 Beim glossolalischen Reden ist der Verstand nicht aktiv, deshalb versteht der Glossolale die Laute nicht, die seine Zunge macht. Der νου^ ς ist deshalb konkret „der klare Gedanken in verständlichen Worten hervorbringende Verstand“.553 Zu beachten ist, dass der νου^ ς „unwirksam, aber nicht abwesend ist“. Vergleiche mit antiken Texten, in denen die Ausschaltung des Verstandes ein Kennzeichen der dichterischen Inspiration oder der prophetischen Ekstase ist,554 führen nicht weiter, weil die paulinische Beschreibung des Phänomens der Glossolalie nicht-ekstatisch ist (zum Begriff der ε»κστασις s. oben zu 12,2). Die Anweisungen in V. 27-28 zeigen mit hinreichender Deutlichkeit, dass Paulus davon ausgeht, dass sich die korinthischen Glossolalen unter Kontrolle haben. Der Verstand ist beim glossolalischen Reden „fruchtlos“, das heißt: Der mit diesem Charisma Begabte empfängt im Blick auf seinen Verstand keine Frucht – weil er selbst nicht versteht, was er sagt, haben weder er noch die anderen einen geistlichen Gewinn, und es kommt nicht zur Auferbauung der Gemeinde. Paulus bestreitet nicht, dass sich der mit der Sprachengabe beschenkte Christ selbst erbaut (V. 4). Die geistliche Frucht entsteht jedoch nicht im Verstand, sondern im Geist, d.h. die Frucht ist nicht-kognitiv – etwa im Sinn des Gefühls überwältigender Freude, oder einer besonderen Nähe zu Gott, oder des Empfindens der eigenen Sündhaftigkeit; davon spricht Paulus allerdings nicht explizit. 15 Paulus zieht aus der Aussage in V. 14 die folgende Konsequenz (τι' ου ν ε στιν;): Ich werde mit dem Geist beten, ich werde aber auch mit dem Verstand beten. Weil beim glossolalischen Beten keine Frucht für den Verstand entsteht, es aber im Blick auf die Auferbauung der Gemeinde gerade ————————————————————
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Im NT sonst noch in Mt 13,22; Mk 4,19; Eph 5,11; Tit 3,14; 2Petr 1,8; Judas 12. A. Sand, EWNT II, 1174.1176. J. Behm, Art. νου^ ς, ThWNT IV, 957, das folgende Zitat Anm. 37; vgl. Lindemann 304. Wolff 332 verweist auf Plato, Ion. 534b; Phaed. 244a.b; Philo, Her. 265. In Ion. 534b schreibt Plato, dass ein Dichter nicht eher dichten kann, „bis er begeistert (ε»νθεος) worden ist und bewusstlos (ε»κφρων) und die Vernunft nicht mehr in ihm wohnt (ο νου^ ς μηκε' τι ε ν αυ τω ^, ε νη^, )“. Wolff weist zurecht darauf hin, dass Paulus weder von Dichtung oder Prophetie noch von einem Aufgeben des Verstandes spricht, meint aber, aus diesen Belegen werde „die Hochschätzung der Ekstase in der korinthischen Gemeinde einsichtig“. Weil Paulus nicht beschreibt, wie die korinthischen Christen das glossolalische Reden eingeschätzt haben, ist diese oft ausgesprochene Vermutung nicht verifizierbar. Kritisch zu Recht Lindemann 304; Garland 638.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 809 ————————————————————————————————————
auf Verständlichkeit ankommt, sorgt Paulus dafür, dass er nicht nur „mit dem Geist“ (τω ^, πνευ' ματι) betet, sondern auch „mit dem Verstand“ (τω ^, νοι¨' ). Das heißt: Er bleibt bei der Praxis des glossolalischen Betens, bei dem er nicht weiß, was er zu Gott sagt; aber er lässt es dabei nicht bleiben, sondern er betet auch immer in einer Sprache, die er versteht, d.h. für Paulus in Hebräisch, Aramäisch oder Griechisch. Das Kriterium der Auferbauung gilt also auch für das Beten. Paulus lässt glossolalisches Reden zu, aber nicht als Dauerphänomen. Das Beten ist für Paulus nicht einfach die einsame, private Zwiesprache zwischen dem einzelnen Jesusbekenner und Gott. Der νου^ ς bleibt hier „ebenso maßgeblich wie der Blick auf den anderen“. 555 Das zwei Mal wiederholte δε` και' unterstreicht den Vorrang des Verstandes. Paulus spricht nicht nur vom Beten (προσευ' ξομαι),556 sondern auch vom Singen (ψαλω ^ ). Manche meinen, das Singen wäre als spontanes Phänomen zu verstehen, weil Paulus es im Zusammenhang der Gaben des Geistes ^, νοι¨' ) erwähnt.557 Mindestens im Blick auf das Singen mit dem Verstand (τω ist dies wenig wahrscheinlich, und auch das Singen mit dem Geist (τω ^, πνευ' ματι) ist nicht unbedingt spontan. Deutlich ist jedenfalls, dass in den korinthischen Gemeindeversammlungen gesungen wurde. Das Verb ψα' λλω (vgl. V. 15)558 bedeutet im außerbiblischen Griechisch meistens „die Harfe zupfen, ein Saiteninstrument spielen“. In der LXX übersetzt ψα' λλω häufig das hebr. Wort זמרund beschreibt das Spielen mit Saiteninstrumenten.559 In der LXX und im Judentum hat das Wort zusätzlich die Sonderbedeutung „geistliche Lieder singen“. 560 Im NT kommt das Wort außer in 14,14 noch in Röm 15,9; Eph 5,19 und Jak 5,13 vor (zum Subst. ψαλμο' ς s. unten zu 14,26). Es ist nicht bekannt, ob das Singen in den urchristlichen Gottesdiensten von Saitenspiel begleitet wurde (s. zu V. 26). Paulus unterscheidet glossolalisches und nicht-glossolalisches Singen. Das private glossolalische Singen (ψαλω ^ τω ^, ————————————————————
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Schrage III 399. Schlatter 376-377 betont, dass Paulus in der Abwesenheit des Verstandes, „der die der üblichen Sprache entnommenen Worte braucht . . . einen Mangel und nicht verstärkte Geistlichkeit und Göttlichkeit sieht“. προσευ' ξομαι (Futur) und ψαλω ^ haben gnomischen Sinn („zur Bezeichnung des unter Umständen zu Erwartenden“, HS §202i). Dunn, Jesus and the Spirit, 238. G. Delling, Art. υ« μνος κτλ., ThWNT VIII, 492-506, bes. 494.497.502-503; H. Balz, EWNT III, 1183-1184; K. H. Bartels/G. Schimanowski, ThBLNT I, 244-246; H. Seidel, Art. Musik und Religion I, TRE XXIII, 441-446; Willie, Aufstieg, 971-997. Ps 33,2 (LXX 32,2); 69,22-23 (LXX 70:,22-23); vgl. Ps 68,13 (LXX 69,13; „ein Spottlied beim Wein singen“). Besonders an Stellen, in denen τω ^, ο νο' ματι κυρι'ου („dem Namen des Herrn“) gespielt und gesungen wird: Ps 7,18; 9,3; 18,50 (LXX 17,50); 60,9 (LXX 59,9); 66,4 (LXX 65,4); 68,5 (67,5); 92,2 (LXX 91,2); 135,3 (LXX 134,3). In 1Sam 16,16.18 liegt wohl die Bedeutung „zum Saitenspiel singen“ vor.
810 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
πνευ' ματι) bereitet für die Gemeinde keine Schwierigkeiten, obwohl Paulus auch hier die Fruchtlosigkeit dieser Manifestationen für den Verstand ansprechen würde (vgl. V. 14). Wenn in der Gemeindeversammlung in unverständlichen Sprachen gesungen wird, handelt es sich offensichtlich um ein Vorsingen, da nicht alle Anwesenden die Gabe der Glossolalie haben; d.h. ein mit dem Charisma der Glossolalie beschenkter Christ singt den Anwesenden etwas vor. Wie die Anweisung in V. 27-28, dass in der Gemeindeversammlung das glossolalische Reden übersetzt werden soll, im Blick auf das glossolalische Singen zu handhaben ist, wird nicht gesagt. Man muss nicht davon ausgehen, dass der Christ, der das Charisma der Übersetzung hat, das von einem anderen gesungene glossolalische Solo ebenfalls in Gesangform ^ vortragen muss.561 Das in verständlicher Sprache erfolgende Singen (ψαλω τω ^, νοι¨' ) ist zunächst vielleicht ebenfalls ein Vorsingen (als Solovortrag), sollte darauf aber nicht beschränkt werden (s. zu V. 26). 16 Das Beten zu Gott enthält immer auch Lobpreis. Das Verb ευ λογε'ω („gut reden von, loben, rühmen, preisen“)562 bezeichnet hier das Loben Gottes im Gebet. Der Lobpreis in Eph 1,3-14 gibt einen Anhaltspunkt dafür, wofür Jesusbekenner Gott gepriesen haben; neben dem Lobpreis für den Segen Gottes in der Gewährung des Heils werden Christen Gott für seinen Beistand in den Erfahrungen und Widerfahrnissen des Alltags gedankt haben. In 10,16.24 wird der Lobpreis im Zusammenhang der Abendmahlsüberlieferung erwähnt. „Lobpreis“ ist synonym mit der Danksagung (ευ χαριστι' α),563 die für Paulus häufig in den Briefanfängen belegt ist. Paulus dankt dort für den Glauben der Jesusbekenner (Röm 1,8; 2Kor 1,11), für den Glauben und die aktive Liebe von Christen (Eph 1,16; Kol 1,3; 1Thess 1,2; 2Thess 1,3; Phlm 4), für die der Gemeinde verliehene Gnade (1Kor 1,4) und Erwählung (2Thess 2,13), für die Ausdauer in der Hoffnung (1Thess 1,2), für die Teilnahme am Evangelium (Phil 1,3). Die Aufforderungen zum Danken zeigen, dass die Danksagung das „Grund- und Dauerverhalten“ des christlichen Lebens ist.564 Das Dankgebet wurde vor Mahlzeiten gesprochen,565 auch im Zusammenhang des Herrenmahls (11,24).566 Ereignisse im missionarischen Dienst sind ebenfalls Grund zum Dank (1Thess 2,13; 3,9). ————————————————————
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Nicht jeder hat die Gabe des Singens – aber hier handelt es sich nicht um ein Charisma! W. Beyer, Art. ευ λογε' ω, ThWNT II, 751-763; H. Patsch, EWNT II, 198-201; H.G. Link/ U. Heckel, ThBLNT II, 1628-1639. H. Conzelmann, Art. ευ χαριστε' ω κτλ., ThWNT IX, 397-405; H. Patsch, EWNT II, 219221.221-222; H. H. Eßer/B. Wander, ThBLNT I, 240-242. Paulus verwendet das Subst. 12 mal, das Verb ευ χαριστε' ω 24 mal. H. H. Eßer/B. Wander, ThBLNT I, 241; vgl. Eph 5,20; Kol 3,15.17; 1Thess 5,18. 1Kor 10,30; vgl. Mk 8,6; Apg 27,35; Röm 14,6; 1Tim 4,3. Mt 26,27; Mk 14,23; Lk 22,17.19; vgl. Did. 9,1.
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Paulus begründet (ε πει' ) mit der Aussage in V. 16, dass glossolalisches Beten, das selbst der Redner im Normalfall nicht verstehen kann, in der Gemeindeversammlung übersetzt werden muss. Wenn einer den Lobpreis oder die Danksagung im Geist (ε ν πνευ' ματι) spricht, d.h. glossolalisch zu Gott betet, dann kann der, der den Platz des Unkundigen einnimmt, kein Amen sprechen.567 Der „Unkundige“ (ι διω' της)568 ist der Nichtfachmann, ob im Militärwesen, in der Medizin, in der Philosophie, in der Rhetorik oder im Kult (vgl. 2Kor 11,6; Apg 4,13). Hier ist derjenige gemeint, der das glossolalische Reden nicht verstehen kann, d.h. der nicht das Charisma der Übersetzung hat – praktisch fast alle Anwesenden in der korinthischen Gemeindeversammlung, auch die anderen Glossolalen, die ohne Übersetzung ebenfalls nichts verstehen können.569 Andere intepretieren im Sinn eines nichtchristlichen Sympathisanten oder eines noch nicht getauften Proselyten oder Katechumenen, der im Gottesdienst anwesend ist.570 Die Hinweise in Bauer / Aland auf religiöse Vereine bzw. Mysterienkulte (OGIS 90,52; SIG 736,16; 1013,6) sind schon deshalb irrelevant, da ιδιω' της kein terminus technicus des Religionswesens war, wie behauptet wird. Schon Ph. Bachmann argumentiert, dass zufällige Gäste keine innere Anteilnahme mit einem „Amen“ bekundet hätten, und dass es im Kontext um die Förderung der Gemeinde geht.571
Die Wendung „der den Platz des Unkundigen einnimmt“ (ο α ναπληρω ^ ν το` ν το' πον του^ ι διω' του) bezieht sich nicht auf bestimmte Plätze in der Gemeindeversammlung,572 sondern auf diejenigen, die die „Stellung“ (το' πος) des Un————————————————————
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Die rhetorische Frage πω ^ ς ε ρει^ το` α μη' ν ε πι` τη^, ση^, ευ χαριστι'α, lässt eine negative Antwort erwarten. H. Schlier, Art. ιδιω' της, ThWNT III, 215-217; H.-W. Bartsch, EWNT II, 423-424; O. Flender/L. Coenen, ThBLNT II, 1154; Spicq, Notes I, 384-386. Im Hebr. bürgerte sich das Lehnwort ֶחְדיֹוטein (vgl. Bill. III, 454-456). R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 455-456 weist darauf hin, dass das Wort ιδιω' της in den Belegen aus römischer Zeit in Steuerlisten den „Ungelernten“ neben Hirten, Webern oder einfachen Arbeitern bezeichnet, d.h. Personen ohne konkreten Beruf; vgl. SB XVI 12332 Rekto, Kol. I 12; XVIII 13324,14; P.Lond. II 257,79.89.103.211.250 u.a. Lietzmann 71-71; Conzelmann 291; Fee 673; Senft 177; Wolff 333; Schrage III 401; Kremer 304; Lindemann 305; Thiselton 1115; Garland 641. Bauer /Aland 753 s.v. ιδιω' της 2; BDAG 468; Heinrici 422; Weiss 331; Klauck 10. Bachmann 417, das folgende Zitat ebd. 418. So Bauer /Aland 118 s.v. α ναπληρο' ω 4; H. Köster, Art. το' πος, ThWNT VIII, 205: „der dem Laien in der Gemeindeversammlung zustehende Platz“; G. Haufe, EWNT III, 878 hält „eine penible Sitzordnung wie etwa in Qumran“ theoretisch für möglich; vgl. Meyer 389; Heinrici 422; Weiss 329; Salzmann, Lehren, 60 (eigene Plätze für die Nichtgetauften). Was die Sitzordnung in Qumran betrifft, ist zu beachten, dass diese eine Rangordnung ausdrückte, die für urchristliche Gemeinden ausscheidet; vgl. Schäfer, Gemeinde, 677.
812 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
kundigen einnehmen, d.h. die nicht über das Charisma der Übersetzung verfügen. Es ist ganz unwahrscheinlich, dass es in den Privathäusern, in denen sich die Christen trafen, besondere Plätze für solche gab, die der Glossolalie nicht mächtig waren bzw. diese nicht verstehen (und das heißt übersetzen) konnten. Es geht in der Zuordnung von ο α ναπληρω ^ ν und το' πος nicht um das Verhältnis des Genannten zur Gemeinde, sondern zum Beter, und „da nun von einem bestimmten Platze des Beters erst recht nirgends die Rede ist, so kann auch jetzt keine lokale Beziehung in ο α ναπλ. gesucht werden“. 573 Philipp Bachmann hat recht: „An eine gewissermaßen ständische Gliederung der Gemeinde in ‚Laien‘ und andere, Pneumatiker o.ä. ist nun aber schon angesichts der freien Beweglichkeit der Charismen (14,23 u. 26!) gleichfalls nicht zu denken“. Die in den Gemeindeversammlungen anwesenden Jesusbekenner reagierten auf Lobpreis und Danksagung, die im Gebet ausgesprochen wurden, mit einem zustimmenden Amen (το` α μη' ν, für hebr. )ָאֵמן.574 Bei Paulus erscheint α μη' ν als bekräftigender und bestätigender Abschluss von Gebeten, Lobsprüchen und Dankgebeten.575 Paulus kann offensichtlich voraussetzen, dass die korinthischen Christen dieses hebräische Wort kennen und seine Bedeutung verstehen (was nur für Juden- und Heidenchristen sowie für ungläubige Juden anzunehmen ist, und letztere hätten auf Lobpreisungen Jesu als Messias und Kyrios nicht mit einem Amen geantwortet). Mindestens Paulus wusste von seinem jüdischen Hintergrund her, dass man nicht einfach pro forma auf öffentliche Gebete mit Amen reagiert, sondern nur dann Amen sagt, wenn man dem Gesagten zustimmen kann. In der Mischna ist die Situation angesprochen, dass man sich zunächst nicht sicher ist, ob man einem Lobspruch zustimmen kann: „Man antwortet Amen! nach einem Israeliten, der einen Lobspruch spricht; aber man antwortet nicht Amen! nach dem Samaritaner, der einen Lobspruch spricht, bis man den ganzen Lobspruch gehört hat“ (mBer 8,8).576 Ein Christ, der glossolalisch betet, muss wissen, dass der andere nicht mit einem Amen antworten kann, denn er versteht ja nicht (ου κ ————————————————————
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Bachmann 417, das folgende Zitat ebd. 418. Vgl. Schlatter 378; Wolff 333; Schrage III 402; Lindemann 30: „der gerade die Rolle ιδιω' της innehat“. H. Schlier, ThWNT I, 339-342; H.-W. Kuhn, EWNT I, 166-168; H. Bietenhard, ThBLNT II, 1845-1846. In der LXX wird ָאֵמןin der Regel mit γε' νοιτο („so sei es“) wiedergegeben (Num 5,22; Dtn 27,15; Ps 71,19 LXX), manchmal mit α μη' ν (1Chron 16,36; Neh 5,13). Im NT ist α μη' ν 136 mal belegt (101 mal in den Evangelien, 12 mal bei Paulus). Jesus bekräftigte seine eigenen Worte mit einem vorangestellten (nicht-responsorischen) Amen (Vollmachtsformel), das sonst nicht belegt ist. Röm 1,25; 9,5; 11,36; 16,27; Gal 1,5; Eph 3,21; Phil 4,20; vgl. Hebr. 13,21. Zum „Amen“ im jüdischen Gottesdienst vgl. Bill. III, 456-461. Vgl. Instone Brewer, Traditions I, 88-89, der allerdings im Sinn von Außenstehenden interpretiert.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 813 ————————————————————————————————————
οι δεν), was der andere sagt (τι' λε'γεις). Paulus legt wieder den Maßstab der Verständlichkeit an: Was man im Gottesdienst nicht verstehen kann, auch beim Beten, das kann die anderen Anwesenden nicht geistlich fördern. Wer ohne Übersetzung glossolalisch redet, macht alle anderen Anwesenden zum unkundigen, uneingeweihten, unerfahrenen Greenhorn, der sich in der eigenen Gemeinde als Fremder vorkommt. 17 Diese grundlegende, für das Geschehen im Gottesdienst zentrale Beobachtung formuliert Paulus als Schlussfolgerung (γα' ρ): Du magst zwar ein schönes Dankgebet sprechen, aber der andere wird nicht erbaut. Das „schöne Beten“ (καλω ^ ς ευ χαριστει^ς) ist nicht ironisch gemeint:577 Paulus lehnt das glossolalische Beten nicht grundsätzlich ab, wie der nächste Vers noch einmal deutlich macht. Wer in einer anderen Sprache betet, die keiner versteht, der mag noch so schön beten – die anderen (ο ε«τερος, generalisierender Sing.) werden nicht erbaut. Wenn man die Wendung ου κ οι κοδομει^ται als theologisches Passiv interpretiert, dann sagt Paulus zugespitzt: Gott benützt nur in verstehbaren Worten artikuliertes Beten zur Erbauung der Gemeinde, während glossolalisches Reden hierfür nutzlos ist. 18 Weil Paulus seit V. 1 fast nur abwägende Urteile über das Charisma der Sprachenrede abgegeben und dieses im Vergleich zum Charisma der prophetischen Rede deutlich abgewertet hatte, schiebt er in V. 19-20 eine klärende Zwischenbemerkung ein, ehe er die Korinther in V. 21 erneut anredet. Der Satz: Ich danke Gott, dass ich mehr in (anderen) Sprachen rede als ihr alle stellt sicher, dass die korinthischen Christen aus dem bisher Gesagten nicht schließen, dass er das glossolalische Reden am liebsten ganz eliminieren würde. Er hat selbst vom Heiligen Geist die Gabe erhalten, in anderen Sprachen zu reden (γλω' σσαις λαλω ^ ). Der Plural γλω' σσαις hat schon 578 früh Schwierigkeiten bereitet. Er ist entweder als stilistische Variante zu dem sonst verwendeten Sing. γλω' σση, zu verstehen, oder er deutet an, dass Paulus wusste, dass er bei seinem glossolalischen Beten unterschiedliche Sprachen spricht. Die Angabe „mehr als ihr alle“ (πα' ντων υ μω ^ ν μα^λλον) ist nicht arrogant gemeint, sonst wäre es zynisch, wenn er im gleichen Atemzug Gott dankt (ευ χαριστω ^ τω ^, θεω ^, ). Er spielt entweder auf seine glossolalische Praxis in Korinth an, von der die korinthischen Christen wussten, oder er geht davon aus, dass die Korinther ihm diesen Anspruch abnehmen. Wahrschein-
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Fee 674; Schrage III 402; Garland 642. Anders Godet II 159; Robertson/Plummer 314; Lindemann 306, die einen ironischen Unterton sehen. Frühe Handschriften wie אA Ds lesen den Sing.; vgl. die textkritischen Anmerkungen.
814 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
lich ist μα^λλον auf die Häufigkeit des glossolalischen Redens des Apostels zu beziehen.579 19 In der nächsten Aussage zeigt sich sofort wieder das Anliegen, die Glossolalie im Blick auf die Praktizierung dieser Gabe herabzustufen. Paulus will in der Gemeinde (ε ν ε κκλησι' α, ), d.h. in den Versammlungen der Gemeinde, lieber (θε' λω . . . η» ) fünf Worte mit seinem Verstand sprechen (πε'ντε λο' γους τω ^, νοι¨' μου λαλη^ σαι), d.h. in einer für alle Anwesenden verständlichen Sprache reden.580 Die Zahl „fünf“, die bei Paulus nur hier vorkommt, kann als „beliebte runde Zahl für eine kleine Menge“ verstanden werden (vgl. die fünf Finger einer Hand). 581 Paulus will lieber einige wenige Worte sprechen, die aber jeder versteht, als zehntausend Worte in einer (anderen) Sprache (η μυρι' ους λο' γους ε ν γλω' σση, ). Die Beschreibung des glossolalischen Redens mit der Vokabel λο' γοι passt eher zu einer normalen menschlichen Sprache, die aus λο' γοι, d.h. Worten besteht, als zu Sequenzen unverständlicher Silben. Die Zahl „zehntausend“ repräsentiert keine genaue Zahlenangabe, sondern eine nicht genau bestimmbare große Anzahl. 582 Die „Myriade“ war die größte Zahleineinheit, die man in der griechisch-römischen Mathematik verwendete. Das Missverhältnis der Zahlen will keine Relationen beschreiben, nach denen sich die Glossolalen in Zukunft richten sollen, sondern einen Gegensatz ausdrücken. 583 Paulus spricht lieber ein paar Worte in verständlicher Sprache, als mit einem überwältigen, nicht endenden Strom unverständlicher Laute zu beten, wenn andere anwesend sind. Gerade darauf kommt es Paulus mit dieser Aussage an: Ihm genügen auch wenige Worte, wenn er nur andere unterweisen kann (ι«να και` α»λλους κατηχη' σω). Mit κατηχε'ω („mündlich mitteilen, unterweisen, lehren, unterrichten“)584 ist das ————————————————————
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Lindemann 306. Anders Schrage III 403, der μα^λλον auf die Intensität der von Paulus praktizierten Glossolalie beziehen will, die er im Sinn von „ekstatischer, inniger“ Sprachenrede interpretiert. Die Frage, was dies in der Praxis bedeuten soll – ob Paulus „schöner“ (V. 17) oder „wilder“ (vorausgesetzt, dass man die Glossolalie mit Ekstase in Verbindung bringen darf) als die anderen redet –, bleibt unbeantwortet. Lindemann 306 liest aus dem Aor. λαλη^ σαι ab, dass es „um den reflektierten Vollzug des Sprechens geht“. Der Aorist gibt das nicht her, und im Kontext geht es nicht um Reflexion, sondern um verständliche Artikulation. H. Balz, Art. πε' ντε, EWNT III, 164; im AT: Ex 22,1; Lev 26,8; Ri 18,2; 1Sam 17,40; im NT: fünf Brote (Mt 14,17.19; 16,9), Jungfrauen (Mt 25,2), Talente (Mt 25,15.16.20), Monate (Lk 1,24), Ochsen (Lk 14,19), Brüder (Lk 16,28), Städte (Lk 19,19). Bauer /Aland 1072, s.v. μυρια' ς; H. Balz, EWNT II, 1097. Für das Adj. μυρι'ος vgl. 4,15. Lindemann 306; Garland 643. Wenn man schon rechnen will: In der Lutherübersetzung hat der Erste Korintherbrief insgesamt 8952 Wörter. H. W. Beyer, Art. κατηχε' ω, ThWNT III, 638-640; G. Schneider, EWNT II, 673-675; K. Wegenast, ThBLNT II, 1265-1266. In der LXX wird das Wort nicht verwendet, im NT 8 mal: Lk 1,4; Apg 18,25; 21,21.24; Röm 2,18; 1Kor 14,19; Gal 6,6a.b. Der früheste sichere Beleg stammt aus dem 2. Jh. n.Chr. (P.Princ. II 20 A,3).
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 815 ————————————————————————————————————
Ziel der Erbauung der Gemeindeglieder (V. 17) beschrieben, die mit Hilfe der Lehre und der Ermahnung (V. 31) geschieht. Manche vermuten, dass Paulus den Ausdruck κατηχω ^ ν („Lehrender“, Gal 6,6) für den Lehrer des Evangeliums eingeführt hat, zumal das Wort bei ihm immer im Sinn von theologischer Belehrung verwendet wird.585 20 Mit der erneuten Anrede Brüder beginnt Paulus einen neuen Gedankengang, in dem es um die Wirkung des glossolalischen Redens auf Außenstehende geht. Der Maßstab der Verständlichkeit und des Nutzens für andere gilt nicht nur für den glossolalisch Redenden selbst sowie für die Gemeinde, sondern auch für Ungläubige. Zunächst macht Paulus eine generelle Aussage über die Einsicht, d.h. den Verstand, der hier nicht mit νου^ ς (V. 14.15.19) bezeichnet wird, sondern mit φρη' ν.586 Die Aufforderung: seid nicht Kinder was die Einsicht betrifft . . . was die Einsicht betrifft, seid Erwachsene, mahnt die korinthischen Christen, ihre Einstellung im Blick auf das glossolalische Reden zu ändern. Sie sollen sich nicht wie Kinder verhalten (μη` παιδι' α γι' νεσθε), die sich ganz selbstverständlich nur für das interessieren und nur mit dem abgeben, was ihnen unmittelbar selber nützt. 587 Sie sollen sich im Blick auf ihre Einstellung (ται^ς φρεσι' ν) wie Erwachsene verhalten (τε'λειοι γι' νεσθε), die infolge ihrer Einsicht in der Lage sind, die Folgen ihres Verhaltens für ihre Umwelt und die Wirkung ihrer Aktionen auf andere abzuschätzen und sich entsprechend zu verhalten. Reife Christen orientieren sich nicht an der Selbsterbauung, für die das glossolalische Reden in erster Linie gedacht ist. Reife Christen sorgen dafür, dass ihre Beiträge in den Gemeindeversammlungen die Mitchristen fördern. Ein kindliches Wesen ist nur dort angebracht, wo es um die Bosheit geht: sondern (seid) Kinder was die Bosheit betrifft (α λλα` τη^, κακι' α, νηπια' ζετε). Dieser Zwischensatz deutet vermutlich darauf hin, dass das Verhalten der Glossolalen, die weder auf die anderen Gemeindeglieder noch auf Außenstehende Rücksicht nehmen, zu „Bösem“ geführt hatte. 588
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H. W. Beyer, ThWNT III, 639; K. Wegenast, ThBLNT II, 1265; kritisch G. Schneider, EWNT II, 674; Schrage III 404 Anm. 176. Das Wort φρη' ν (Plur. φρε' νες), im NT nur hier belegt, bezeichnet „die Einsicht oder innere Einstellung des Menschen im Gegensatz zu den unbestimmten Emotionen“, H. Balz, EWNT III, 1048; vgl. Homer, Il. 1,193; Aristoteles, Part.An. 3,10,672b; vgl. G. Bertram, ThWNT IX, 216-231. Der Dat. ται^ς φρεσι'ν ist dat. respectivus. Godet II 161: „Es ist ja eine Eigentümlichkeit der Kinder, daß sie das Unterhaltende dem Nützlichen, das Glänzende dem Wertvollen vorziehen“. Godet II 161 sieht eine Bezugnahme „auf die mancherlei Lieblosigkeit“; vgl. Bachmann 419; Schrage III 405 Anm. 180; Lindemann 307; Garland 645.
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21 In der Diskussion über die Praktizierung der Gabe, in anderen Sprachen zu reden, zieht Paulus aus der Rolle, die Fremdsprachen in der Geschichte Israels spielten, mit Hilfe eines Schriftzitats aus Jes 28,11-12 eine theologische Schlussfolgerung. Die Wendung im Gesetz steht geschrieben (ε ν τω ^, νο' μω, γε'γραπται) leitet ein Zitat von dem Propheten Jesaja ein. „Gesetz“ bezeichnet hier das ganze AT. 589 Das Zitat folgt weder LXX noch MT, steht aber dem hebr. Text näher.590 Paulus zitiert wie folgt: „Durch Leute, die andere Sprachen sprechen, und mit Lippen anderer Menschen will ich zu diesem Volk reden, aber nicht einmal so werden sie auf mich hören, spricht der Herr.“ Ein Vergleich des hebr. Textes, des LXX-Textes und des paulinischen Zitats ergibt folgendes. 1. Der Satz „durch Leute, die andere Sprachen sprechen, und mit Lippen anderer Menschen will ich zu diesem Volk reden“ (ε ν ετερογλω' σσοις και` ε ν χει'λεσιν ε τε' ρων ο« τι λαλη' σουσιν τω^, λαω^, του' τω, ) entspricht nicht dem LXX-Text (δια` φαυλισμο` ν χειλε' ων δια` γλω' σσης ετε' ρας, ο« τι λαλη' σουσιν τω^, λαω ^, του' τω, , „durch die Unreinheit der Lippen, durch fremde Zunge, weil sie sprechen werden zu diesem Volk“), sondern ist näher am MT-Text (שון ַאֶחֶרת ְיַדֵּבר ֶאל ָהָעם ַהֶּזה ֹ ִּכי ְּבַל ֲעֵגי ָשָפה וְּבָל, „denn durch [Völker] stammelnder Lippen und in fremder Zunge wird er zu diesem Volk reden“),591 der aber auch nicht präzise wiedergegeben wird. Paulus formuliert den Satz als direkte Rede Gottes in der 1. Pers. Sing.; es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die 1. Pers. Sing. auf eine hebr. oder griech. Textvorlage zurückgeht.592 Hieronymus weist darauf hin, dass Symmachus und Theodotion an dieser Stelle ebenfalls von der LXX abweichen, ohne allerdings deren Übersetzung zu notieren.593 Paulus borgt das Wort ετερογλω' σσοις von Aquila, der das Wort in Ps 113,1 für das seltene hebr. Wort „( לֵֹעזunverständlich, fremde Sprache reden“) verwendet, und Theodotion verwendet dasselbe Wort in Jes 33,9 um eine hebr. Wendung zu übersetzen ()נְִלַעג ָלשֹון, die dem Ausdruck in Jes 28,11 nahe kommt. Dieser Sachverhalt kann 1Kor 14,21a als „hebraisierende“ Revision der LXX erklären.594 Die Änderung von ετε' ρας („andere/fremde“, LXX) zu ετε' ρων („anderer Menschen“, Paulus) hat keine Grundlage im MT; sie parallelisiert den zweiten Satz sachlich mit dem ersten, kann aber gut auf die Textvorlage zurückgehen, die Paulus verwendet hat. Paulus betont Gott als den Redenden durch die Hinzufügung der Wendung λε' γει κυ' ριος am Ende des Zitats. 2. Paulus lässt vom LXX-Text die Wendung λε' γοντες αυ τω ^, Του^ το ————————————————————
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Vgl. Röm 3,19; Joh 10,34; 12,34; 15,25; für rabbinische Parallelen vgl. Bill. III, 463. Zur Verwendung von Jes 28,11-12 bei Paulus s. neben den Kommentaren Koch, Schrift, 65.111-112.123.268-269; Stanley, Language, 197-205; ders., Arguing with Scripture, 9096; Wilk, Bedeutung, 226-230; siehe auch Maly, Gemeinde, 206-211.229-236; Johanson, Tongues, 180-203; Grudem, Prophecy, 185-201; Forbes, Prophecy, 175-181; Sandnes, Prophecy, 1-15; zur Verwendung von Jesaja im Römerbrief vgl. Wagner, Heralds. Übersetzungen nach Lindemann 308, der für MT der Übersetzung von L. Zunz folgt. Vgl. Stanley, Language, 201-202. Hieronymus, Commentariorum in Esaias 9 zu Jes 28,9-13; vgl. Koch, Schrift, 65. Stanley, Language, 199, der darauf hinweist, dass damit die Vertauschung der hebr. Wörter ָשָפהund ָלשֹוןnoch nicht erklärt ist.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 817 ———————————————————————————————————— το` α να' παυμα τω ^, πεινω^ ντι και` του^ το το` συ' ντριμμα („wobei sie zum ihm sagen: Dies ist die Ruhe für die Dürstenden und dies ist die Bedrängnis“) aus. Paulus hat diese Wendung offensichtlich deshalb ausgelassen, weil sie im Kontext, in dem er dieses Zitat verwendet, irrelevant war.595 3. Im MT und in der LXX ist die Schlussbemerkung eine historische Bemerkung („sie aber mochten nicht hören“; LXX: και` ου κ η θε' λησαν α κου' ειν), die bei Paulus zu einer Prophezeiung wird: και` ου δ’ ου« τως εισακου' σονται' μου („aber nicht einmal so werden sie auf mich hören“). D.-A. Koch erklärt die Änderung im Zusammenhang der Tatsache, dass Paulus in Kap. 14 die Unverständlichkeit des glossolalischen Redens betont: Das Problem besteht nicht darin, dass die anderen, einschließlich der in 14,22 erwähnten Außenstehenden, nicht verstehen wollen, sondern dass sie das glossolalische Reden nicht verstehen können. Deshalb lässt Paulus η θε' λησαν aus; um den Satz zu vervollständigen, fügte Paulus εισακου' σονται hinzu, um den zweiten Teil des Verses zu betonen, und er fügte μου am Ende der Wendung ein, um eine Verbindung mit dem ersten Teil des Zitats herzustellen (λαλη' σω, 1. Pers. Sing.).596 C. Stanley hält Kochs Rekonstruktion für nicht plausibel;597 er missversteht allerdings das Argument von 14,20-25, wenn er meint, Paulus gehe es nicht darum, die ιδιω^ ται η α»πιστοι (V.23; vgl. V. 24) von der Verantwortung freizusprechen, die Stimme Gottes in der Glossolalie der korinthischen Gemeinde zu erkennen. Von einer „Verantwortung“ spricht Paulus aber gerade nur im Blick auf die glossolalisch redenden Christen. Wenn Paulus die Glossolalie als „Zeichen“ bezeichnet, weist er den Außenstehenden keine Verantwortung zu, sondern konstatiert einen Tatbestand. Kochs Rekonstruktion bleibt plausibel, auch wenn die Lösung von Stanley möglich ist, dass die letzte Wendung des Zitats im Sinn eines Kombinationszitats zu verstehen ist: Die LXX verwendet diese (bzw. eine ähnliche) Formulierung (ου δ’ ου« τως εισακου' σονται' μου) an mehreren Stellen,598 was die Vermutung nahelegt, dass Paulus die Leser an diesen bekannten „prophetischen Refrain“ erinnern wollte.
Das Wort ε τερογλω' σσος („fremdsprachig“)599 kommt im vorchristlichen Griechisch selten vor,600 beschreibt aber eindeutig den Menschen, der eine fremde Sprache spricht. Das Wort χει^λος („Lippe“)601 kommt im NT nur in Verbindung mit atl. Texten vor; der Plur. χει' λη bezeichnet „das Organ, das ————————————————————
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Stanley, Language, 202; ders. Arguing with Scripture, 93-94 wirft Paulus vor, durch die Auslassung des mittleren Teils des Verses, der die verständliche Botschaft an „dieses Volk“ enthält, den Sinn des Textes zu entstellen. Diesen Vorwurf weisen neuere Exegeten zurück, vgl. Thiselton 1121; Garland 647-648; Ciampa /Rosner 741-742. Koch, Schrift, 65.123.15. Stanley, Language, 203-204; zur Erwägung eines Kombinationszitats ebd. 204-205. Mich 5,5; Jer 7,24; 7,26; 13,11; 25,7; Sach 1,4 (in z.T. verschiedenen Handschriften); in Dtn kommen ähnliche Wendungen häufig vor. Fehlt in der LXX, kommt aber bei Aquila vor; im NT hapax legomenon. Ephorus (4. Jh. v.Chr.) Frag. 191; Pseudo-Scymnus (1. Jh. v.Chr.) 265; Aquila Ps 113,1; Jes 33,19; Onasander (1. Jh. n.Chr.) 26,2; in attischer Schreibweise ετερογλω' ττος bei Polybius 23,13,2; Strabo 8,1,2; 11,2,16; 12,1,1; Philo, Conf. 8,2. H. Balz, EWNT III, 1106-1107. Für Belege in den Papyri vgl. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 458: Es geht meist um Personen, die ein Mal auf der Lippe haben.
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menschliche Rede formt“. Das Verb ει σακου' ω („hören auf, gehorchen“) kommt bei Paulus nur hier vor.602 Im ursprünglichen Kontext ist Jes 28,11-12 ein Drohwort des Propheten an die politischen und religiösen Führer des Volkes Gottes (Samaria und Jerusalem), die den Rat Gottes, ihm zu vertrauen, als naiv ablehnten und andere Allianzen eingegangen sind. Die Führer des Volkes (Herrscher, Priester, Propheten) lehnten es ab, auf Gott zu hören, als dieser ihnen in deutlichen Worten die Vorteile darlegte, die ihnen aus ihrem Vertrauen auf den Gott Israels erwachsen würden, nämlich „Ruhe den Müden“ und „Erquickung“ (V. 12). Gott droht seinem Volk mit Gericht, das sie in der fremden Sprache der assyrischen Invasoren hören würden (V. 11). In V. 9-10 berichtet Jesaja vom Spott, den die Führer Israels auf die von ihm übermittelte Botschaft ausgießen: „Wen will der Mann denn Erkenntnis lehren, wem das Gehörte erklären? Kindern, die man eben von der Milch entwöhnte, die man gerade von der Brust nahm? Was soll sein Gestammel, sein Papperlapapp, sein Geschwätz bald hier, sein Geschwätz bald dort?“ (EÜ). Da das Wort für „stammeln“ (לעג, V. 11) normalerweise „verspotten“ bedeutet, beabsichtigt Jesaja vielleicht ein double entendre, das doppeldeutig auf eine ironische Umkehrung hinweist: Das „Stammeln“ der assyrischen Invasoren ist Gottes Strafe für die „Verspottung“ seiner Botschaft, der sich Israels Führer schuldig gemacht haben.603 Paulus unterstreicht die Fremdheit der Sprache durch die Wahl der Vokabel ε τερογλω' σσοι und durch die Wendung ε ν χει' λεσιν ε τε'ρων. Während andere jüdische Autoren, die den Jesaja-Texte verwendet hatten (1QHa 10,19 [2,19]; 12,16 [4,16; Jesaja Targum), den Hinweis auf die fremde, ausländische Sprache übergingen und den Gedanken der spottenden Worte betonten, interessiert sich Paulus für diesen Text gerade deshalb, weil er davon spricht, dass Gott fremde Sprachen benutzt hat, um seinem Volk eine Botschaft zu vermitteln. Durch einige Änderungen im Text (s. oben) stellt Paulus klar, dass es der Herr ist, der durch die „Leute, die andere Sprachen sprechen“ und durch die „Lippen anderer Menschen“ redet. Paulus hat keinen Zweifel daran, dass die in der korinthischen Gemeinde praktizierte glossolalische Rede ein von Gott inspiriertes Sprechen ist. Er verwendet das Zitat aus Jes 28,11-12, um die korinthischen Christen, die im Gottesdienst in anderen Sprachen reden, daran zu erinnern, dass Gott auch einmal in fremden Sprachen gesprochen hat – der Inhalt dieses Redens war allerdings eine Gerichtsbotschaft, weil das Volk nicht bereit gewesen war, auf Gott zu hören. Paulus be————————————————————
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Im NT sonst noch in Mt 6,7; Lk 1,13; Apg 10,31; Hebr 5,7. Ciampa /Rosner 742; ebd. für die folgenden Bemerkungen.
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tont durch die Art und Weise seiner Zitierung, dass Gott nicht einmal dadurch zu seinem Volk durchdringen konnte, als er zu der extremen Maßnahme griff, sie mit einer fremden Sprache anzusprechen: „nicht einmal so werden sie auf mich hören, spricht der Herr“. Die Verbindung des Jesajazitats mit dem Kontext wird kontrovers diskutiert. Eine hinreichend plausible Erklärung lässt sich finden, wenn man die Verbindung zwischen dem Zitat aus Jes 28,11-12 in V. 21 und der Anspielung auf Jes 45,14 und Sach 8,23 in V. 25 erkennt.604 In V. 22 geht es um Gläubige und Ungläubige, in V. 23-25 ausschließlich um Ungläubige, die die christlichen Versammlungen besuchen, und um deren Reaktion auf glossolalisches und prophetisches Reden. Die Thematik der Ungläubigen wird in dem Zitat Jes 28,11-12 vorbereitet: Dort ist Israel „ungläubig“ in dem Sinn, dass das Volk nicht bereit ist, auf Gott zu hören, obwohl er sogar die ungewöhnliche Maßnahme ergriffen hat, in einer fremden Sprache zu ihnen zu reden. Die Begegnung Israels mit Menschen, die in einer fremden Sprache redeten – „inspiriert“ durch Gott, der die Assyrer entsandte – führte nicht zur Bekehrung derer, die diese fremde Sprache hörten. Im Gegenteil, die Begegnung zwischen Israel und den fremdsprachigen Assyrern brachte die Entfremdung zwischen Gott und seinem Volk zum Ausdruck. Paulus greift diesen Gedanken auf: das Reden in anderen Sprachen in den Versammlungen der korinthischen Gemeinde wird nicht zur Bekehrung der Ungläubigen führen, sondern zu weiterer Entfremdung. Die Anspielung auf Jes 45,14 bezieht sich auf eine spätere Phase in der Beziehung zwischen Gott und Israel, als selbst die Heiden die Gegenwart Gottes unter seinem Volk erkannten und ihn als Herr anbeteten. Die unterschiedliche Reaktion hat mit den unterschiedlichen Phasen in der Beziehung Gottes zu seinem Volk zu tun, in denen unterschiedliche Weisen der Kommunikation stattfinden. 22 Paulus folgert (ω« στε) aus dem Jesajazitat, dass das Reden in (anderen) Sprachen (αι γλω^ σσαι) ein Zeichen nicht für die Glaubenden, sondern für die Ungläubigen ist. Mit οι πιστευ' οντες sind die Jesusbekenner gemeint, konkret die korinthischen Christen, mit οι α»πιστοι die Nichtchristen, die Außenstehenden, die nicht zur Gemeinde gehören (diese aber besuchen können), ob Juden oder Polytheisten. Was mit „Zeichen“ (σημει^α) gemeint ist, kann zunächst im Kontext von Jes 28,11-12 verstanden werden: Das Reden Gottes in einer fremden Sprache (durch die Assyrer) war ein Zeichen für das ungläubige Volk Israel, dass die Flüche, die im mosaischen Gesetz für den Abfall von Gott angekündigt worden waren, wirksam geworden sind. Mit ————————————————————
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Ciampa /Rosner 742; Hays, Conversion, 1-4 sieht zusätzlich eine Anspielung auf Dan 2,46-47. Anders Schrage III 407, der vom Jesajazitat in V. 21 absehen will, um den Charakter des „Zeichens“ zu beschreiben.
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δε' kontrastiert Paulus die Funktion der prophetischen Rede: die prophetische Rede (η προφητει' α) ist ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Glaubenden. Das heißt in diesem Zusammenhang: Das Reden Gottes durch die prophetische Rede der Jesusbekenner ist ein Zeichen, dass Gottes Gegenwart unter seinem (jetzt gläubigen) Volk wieder hergestellt wurde. Der Zeichencharakter der Glossolalie ist nicht einfach zu fassen. 605 Weshalb gibt Gott überhaupt das Charisma der Übersetzung, wenn die γλω' σσαι nicht für die Gemeindeversammlung gedacht sind, sondern Heiden zum Glauben bringen sollen? Weshalb erwartet Paulus in diesem Zusammenhang, dass Außenstehende das Reden in anderen Sprachen nicht verstehen, sondern meinen, die betreffenden Christen seien „verrückt“ (V. 23)? Paulus scheint in V. 23-25 „zurückzuholen“, was er in V. 22 gesagt hat. Seit Chrysostomus interpretieren viele den Zeichencharakter der Glossolalie für die Ungläubigen im Kontext von V. 23: Die Ungläubigen werden durch das glossolalische Reden der Christen angelockt, in Staunen versetzt und schließlich überzeugt. 606 Andere interpretieren die Glossolalie als ein Mittel der Verstockung607 oder als Zeichen des göttlichen Gerichts. 608 In der LXX kann σημει^ον ein Zeichen von Gottes Segen für sein Volk oder ein Zeichen des göttlichen Gerichts über Ungerechte sein. In Jes 28,11 ist von dem Volk Israel die Rede, das nicht auf Gott gehört hat, als er klar und deutlich sprach. Deshalb wird Gott durch die fremde Sprache eines fremden Volkes reden, das Gottes Gericht über Israel bringen wird. Paulus verwendet dieses Zitat, um den Korinthern zu sagen, sie sollten nicht (ohne Übersetzung) in anderen Sprachen reden. Das Reden Gottes zu seinem Volk in fremden Sprachen war ein Zeichen der Entfremdung und des Gerichts – Gott redet nur noch in einer fremden und unverständlichen Sprache. Anders verhält es sich mit der Prophetie, die Gottes Gegenwart offenbart und deshalb ein Zeichen seines Segens für sein Volk (die Gemeinschaft der Jesusbekenner) ist, was der überführte Ungläubige sehen kann (V. 25). 609 Das Reden in ————————————————————
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Johanson, Tongues, 193-194 nimmt an, es handele sich um eine rhetorische Frage, die Paulus einem fiktiven Gesprächspartner in den Mund legt. Kremer 305 glaubt, Paulus greife eine Aussage der korinthischen Christen auf und weise sie zurück. Wilk, Bedeutung, 180-181 meint, Paulus spiele auf das Sprachenwunder am Pfingstfest an (Apg 2,4.9-11) und wolle mit dem Jesajazitat betonen, dass nicht einmal das Pfingstwunder Israel zum Glauben an das Evangelium führen konnte. Kritisch Lindemann 309: Für solche Konstuktionen gibt es keine Anhaltspunkte im Text. Chrysostomos 307; Bengel 672 u.a.; kritisch Schlatter 381; Schrage III 407-408. Weiss 332; Lietzmann 72; Klauck 102; kritisch Horn, Angeld, 218. Neander 230-231; Bachmann 421; Godet II 164; Robertson/Plummer 317; Schlatter 381; Barrett 323; Witherington 285; Thiselton 1126; Garland 650; K. H. Rengstorf, ThWNT VIII, 258; Grudem, Prophecy, 194-196; Horn, Angeld, 218-219; Forbes, Prophecy, 180. Grudem, Prophecy, 192-199; Turner, Holy Spirit, 230-231.
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anderen Sprachen ist, wenn diese unverstanden bleiben, ein Zeichen des Gerichts, kein Zeichen des Segens. Die eigentliche Absicht der Glossolalie im Neuen Bund ist jedoch nicht die Kommunikation Gottes mit seinem Volk: Sie ist die Sprache des Redens der Gläubigen mit Gott. Damit sie kein Zeichen des Gerichts ist, soll sie in der Gemeindeversammlung nur in Zusammenhang mit Übersetzung praktiziert werden. Gott spricht mit seinem Volk jetzt nicht mehr durch fremde Sprachen, sondern durch die prophetische Rede – als das gläubige Volk des Neuen Bundes hören sie bereitwillig und gehorsam auf Gottes Reden durch seine Propheten. 23 Nun zieht Paulus die Schlussfolgerungen (ου ν) aus der in V. 22 geschilderten Wirkung des glossolalischen Redens auf die Ungläubigen. Er nennt zwei Fälle – Ungläubige hören in der Gemeindeversammlung glossolalisches Reden und sie hören prophetisches Reden. Die Wendung wenn nun die ganze Gemeinde auf einmal zusammenkommt beschreibt die Gemeindeversammlung: η ε κκλησι' α ist der übliche Ausdruck zur Beschreibung der regelmäßigen Versammlung der Jesusbekenner (s. oben zu 1,2). Die Formulierung η ε κκλησι' α ο« λη bezeichnet die Gesamtgemeinde, vielleicht im Unterschied zu kleinen Hausgemeinden, die sich zusätzlich zu den Versammlungen der Gesamtgemeinde getroffen haben können. 610 Die Wendung συνε'ρχομαι ε πι` το` αυ το' (vgl. 11,20) beschreibt das lokale Zusammenkommen der Christen an einem bestimmten Ort. Paulus erwägt zunächst, dass folgender Fall eintritt: alle reden in (anderen) Sprachen. Weil Paulus weiß, dass nicht alle korinthischen Christen das Charisma der glossolalischen Rede haben (vgl. 12,30; impliziert in 14,5), setzt die Wendung πα' ντες λαλω ^ σιν γλω' σσαις eine hypothetische Situation voraus (ε α' ν + Aor.). Paulus malt der korinthischen Gemeinde vor Augen, was geschehen würde, wenn in der Gemeindeversammlung alle in anderen Sprachen reden, die keiner versteht – ob alle gleichzeitig auf einmal611 oder alle der Reihe nach (vgl. 27) glossolalisch reden würden, wird in der hypothetisch beschriebenen Situation nicht angesprochen. In dem hypothetischen Fall nimmt Paulus weiter an, dass Besucher auftauchen: es kommen aber Unkundige oder Ungläubige hinzu (V. 23b). Mit ι διω ^ ται ist der „Nichtfachmann“ gemeint, hier konkret die Menschen von Korinth, die in den christlichen Glauben und seine vom Geist Gottes inspirier-
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So Klauck, Hausgemeinde, 30-41; vgl. Meeks, Urchristentum, 160-161. Eindeutig ist dies jedoch nicht; vgl. Schrage III 409 Anm. 210. Nach Murphy-O’Connor, Corinth, 153-158 konnten sich im Atrium eines römischen Hauses ungefähr 50 Menschen versammeln, was für ihn der Anlass ist, diese Zahl für die Größe der korinthischen Gemeinde anzunehmen. Godet II 165; Robertson/Plummer 317.
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ten Phänomene nicht eingeweiht sind, also Nichtchristen, die nicht zur Gemeinde gehören.612 In V. 16 bezeichnete ιδιω' της den Christen, der des glossolalischen Redens unkundig ist. In V. 23 kann dieser Bezug nicht vorliegen, da Paulus die versammelte Gemeinde mit ιδιω^ ται η α»πιστοι kontrastiert; die Partikel η trennt hier Ähnliches.613 J. Weiss interpretiert im Sinn von ungetauften Christen (Katechumenen), die den Geist noch nicht erhalten haben. Seit Theodoret nehmen viele an, es handele sich um Randsiedler der Gemeinde, die der Gruppe der Gottesfürchtigen in den Synagogen vergleichbar wären.614 H. A. W. Meyer nimmt auswärtige Christen an, die zu Besuch kommen.615 Das Urteil „ihr seid verrückt“ (V. 23c) passt zu diesen Interpretationen allerdings kaum, auch nicht die in V. 25 geschilderte Reaktion.
Das Wort „Ungläubige“ (α»πιστοι) bezeichnet die Menschen, die nicht an den einen wahren Gott und an Jesus Christus als den Herrn glauben. Die Reaktion der ungläubigen Besucher auf das glossolalische Reden, das Paulus in V. 23c schildert, ist nicht erstaunlich. Paulus formuliert deshalb mit einer rhetorischen Frage, die die Korinther leicht selbst beantworten können, nämlich mit „Ja, selbstverständlich“: Werden sie nicht sagen, dass ihr verrückt seid? Das mit μαι' νεσθε616 formulierte Urteil der uneingeweihten Besucher ist scharf: Diese müssen Menschen, die in unverständlichen Sprachen reden, die keiner der Anwesenden versteht, für verrückt und ihren Glauben für übergeschnappt halten. Das Affentheater, das von Menschen aufgeführt wird, die laute oder leise, lange oder kurze, hohe oder tiefe, aber immer unverständliche Laute und Silben ausstoßen, ist für vernünftige Menschen nicht anziehend.617 Abgesehen von der Warnung, die dieser hypothetische Fall im Blick auf die Höherbewertung des glossolalischen Redens (ohne Übersetzung) ausspricht, gibt der Text zu erkennen, dass ungläubige Korinther Zutritt zu den Versammlungen der Gemeinde hatten. Die urchristlichen Gottesdienste waren ————————————————————
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Lietzmann 73; Conzelmann 295; Schlatter 381; Fee 684-685; Schrage III 411; Wolff 335336; Garland 651. Bauer /Aland 693 s.v. η 1aβ; BDR §446.1b. Theodoret 344; Olshausen 725; Godet II 165; Kistemaker 502; Bauer /Aland 753 s.v. ιδιω' της 2 („eine Art Proselyten“). Kritisch Schrage III 411 mit Anm. 224. Weiss 329-330; Meyer 395. H. Preisker, Art. μαι' νομαι, ThWNT IV, 363-365; H. Balz, EWNT II, 924-925; J. Schattenmann/J. Frey, ThBLNT II, 1513-1514; Spicq, Notes II, 529-530. Das Verb μαι'νεσθε verweist nicht auf die z.B. in bacchischen Kulten praktizierte μανι'α, wie J. Schattenmann/J. Frey, ThBLNT II, 1513 meinen: In diesem Fall könnte es sogar sein, dass die Ungläubigen den Christen ein Lob für das unverständliche glossolalische Reden aussprechen könnten, das sie als Trancezustand interpretieren würden; vgl. Lindemann 309; Dautzenberg, Prophetie, 245.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 823 ————————————————————————————————————
keine „esoterisch-exklusiven Veranstaltungen einer nach außen geschlossenen Gesellschaft“.618 24-25 Der zweite Fall behandelt das Gegenbeispiel: In die Versammlung der Gemeinde, in der alle prophetisch reden (πα' ντες προφητευ' ωσιν), kommt ein Ungläubiger oder ein Unkundiger (ει σε'λθη, δε' τις α»πιστος η ι διω' της). Paulus erwähnt den α»πιστος zuerst, weil er im Folgenden dessen Bekehrung zum Glauben an Gott schildert; er formuliert im Singular, weil er die Reaktion von Einzelpersonen, nicht von Gruppen beschreibt.619 Der Ungläubige kann die prophetische Rede verstehen, weil sie nicht in unverständlichen Lauten vorgetragen wird, sondern in verständlicher Redeweise. Aus diesem Grund kommt es zu einer ganz anderen Reaktion als in dem ersten Fall, wo alle glossolalisch reden: Der Besucher wird von der Wahrheit der Verkündigung des Evangeliums überzeugt, die offenbar mit dem prophetischen Reden verbunden war. Paulus schildert ausführlich, welche Wirkung das prophetische Reden auf den ungläubigen Besucher hat. Dabei ist zu beachten, dass Paulus nicht sagt, dass die prophetischen Botschaften an die Besucher gerichtet sind. Dies ist nicht ausgeschlossen. Weil jedoch das Charisma der Prophetie der Erbauung der Gemeinde dient, sollte man davon ausgehen, dass die prophetischen Beiträge zum größten Teil an die anwesenden Jesusbekenner gerichtet sind. A. Lindemann hat recht: „Die gottesdienstliche Versammlung dient nicht der Mission, läßt aber die Wahrheit des Evangeliums auch für Außenstehende sichtbar werden“.620 Die ersten beiden Wendungen besagen allerdings, dass sich manche prophetischen Botschaften in der Tat konkret an den Besucher richten können. 1. Es wird ihm von allen ins Gewissen geredet (ε λε'γχεται υ πο` πα' ντων). Das Verb ε λε' γχω621 bedeutet hier weniger „tadeln, zurechtweisen“ (1Tim 5,20; 2Tim 4,2) als „ans Licht bringen, an den Tag bringen“ (Eph 5,11.13) oder „jemanden einer Sache überführen, jemanden etwas nachweisen“ (Tit ————————————————————
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Schrage III 411. Ob Ungläubige zu jeder Gemeindeveranstaltung Zutritt hatten, wird kontrovers diskutiert, vor allem im Blick auf die Feier des Herrenmahls. Eine Trennung von Wort- und Abendmahlsgottesdienst, die z.B. Wolff 336 dem Text entnimmt, weil Ungläubige am Herrenmahl nicht teilnehmen konnten, lässt sich am Text nicht verifizieren. An der gemeinsamen Mahlzeit der Jesusbekenner hätten Außenstehende sicher teilnehmen können; was bei der Erinnerung an den Tod Jesu, d.h. bei der eigentlichen „Herrenmahlshandlung“ geschehen wäre, ist unbekannt. Meyer 397; Heinrici 428; Wolff 336; Schrage III 412 Anm. 225; Lindemann 310. Lindemann 310. F. Büchsel, Art. ε λε' γχω κτλ., ThWNT II, 470-474; F. Porsch, EWNT II, 1041-1043; H.G. Link/F. Thiele, ThBLNT II, 1602-1604. A. Papathomas, in Arzt-Grabner 460 weist darauf hin, dass das Verb ε λε' γχω in den Papyrusurkunden häufig als juristischer Terminus in der Bedeutung „nachprüfen, nachweisen, jemanden überführen“ vorkommt.
824 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
1,9.13). Das Wort beschreibt die enthüllende Wirkung geistgewirkter Prophetie: Der Besucher erkennt „die Wahrheit über sich selbst“. 622 Viele Ausleger vergleichen mit Stellen wie Röm 8,27 und 1Thess 2,4, wo von Gott die Rede ist, der unsere Herzen prüft und die geheimsten Gedanken der Menschen kennt, 623 und interpretieren im Sinn eines allgemeinen oder konkreten Aufweises der Sünde und Schuld des Besuchers.624 Die breite Bedeutung des Wortes und die unterschiedliche Beschreibung des „überführenden“ Inhalts prophetischen Redens lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass die urchristlichen Propheten, vom Geist Gottes inspiriert, in jedem Fall den Ungläubigen öffentlich ihre Sünde auf den Kopf zusagten. Beispiele dafür gibt es allerdings aus dem Wirken Jesu und der Apostel. 625 Es ist schwer vorstellbar, dass Jesusbekenner, die von der in Kap. 13 beschriebenen Liebe bestimmt sind, alle zusammen (υ πο` πα' ντων!) einem ungläubigen Besucher im Gottesdienst seine konkreten Sünden aufzeigen. 626 Die Wendung υ πο` πα' ντων ist eher im neutrischen Sinn zu verstehen, d.h. die ungläubigen Besucher werden „von allem“, was gesagt wird, überführt.627 F. Büchsel beschreibt die Wirkung des ε λε'γχομαι als „das Erlebnis des Sünders gegenüber dem Buße fordernden Propheten“. 628 Die Übersetzung „ins Gewissen reden“ lässt beide Möglichkeiten offen: Die prophetisch redenden Christen weisen den Sünder zur Buße, indem sie ihm die hoffnungslose Verlorenheit des Menschen angesichts der heiligen Wirklichkeit Gottes vor Augen führen, oder sie überführen ihn durch übernatürliche Kenntnis konkreter Sünden, die er begangen hat. 2. Der ungläubige Besucher wird von allen beurteilt (α νακρι' νεται υ πο` πα' ντων). Das Verb α νακρι' νω629 bedeutet hier wohl nicht „befragen, untersuchen“ (1Kor 10,25.27),630 sondern „beurteilen, prüfen“. Die prophetischen Beiträge beurteilen das Leben des Besuchers – entweder allgemein durch die eindringliche Beschreibung des Willens Gottes, der alle seine Geschöpfe mit seiner strafenden und erbarmenden Heiligkeit, Güte und Barmherzigkeit konfrontiert, oder konkret durch die prüfende Beurteilung der religiösen Überzeugungen und moralischen Werte und Verhaltensweisen des Besuchers. ————————————————————
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Lindemann 310; vgl. Müller, Prophetie, 25-26; Kuck, Judgment, 208; Garland 653. Von Gott als καρδιογνω' στης sprechen Apg 1,24; 15,8. Dautzenberg, Prophetie, 248 weist darauf hin, dass ε λε' γχω in der apokalyptischen Tradition die endzeitliche Gerichtsrede charakterisiert. Diese Bedeutung ist jedoch nicht ohne nähere Begründung in den Text einzutragen. Mt 9,4; 12,25; Lk 7,39; Joh 2,25; 4,18-19; 6,64; Apg 5,1-11. Garland 652 richtig: υ πο` πα' ντων „does not imply gang evangelism“. Thiselton 1129. F. Büchsel, ThWNT II, 471. F. Büchsel, Art. α νακρι'νω κτλ., ThWNT III, 945-946; M. Rissi, EWNT II, 794. So jedoch Rissi, EWNT II, 794: „Von einer Gemeinde unter dem Einfluß des Geistes kann deshalb ein Fremder erforscht/überführt werden“.
Die Erbauung durch Prophetie und Glossolalie 14,1-25 825 ————————————————————————————————————
3. Die prophetische Rede bewirkt, dass das Verborgene seines Herzens offenbar wird. Die Wendung τα` κρυπτα` τη^ ς καρδι' ας bezieht sich auf die verborgenen Gedanken, Wünsche, Pläne, Entscheidungen und Gefühle des Menschen.631 Durch das prophetische Reden in der Gemeinde werden diese „aufgedeckt“ (φανερα` γι' νεται), d.h. offenbar – vielleicht nur für den zuhörenden Besucher, der sich getroffen und angesprochen weiß, vielleicht öffentlich, wenn die vom Geist eingegebene Offenbarung konkrete Einzelheiten enthält, die auf den ungläubigen Besucher zutreffen.632 Dass auch christliche Propheten nicht immer alles wissen, hat Paulus allerdings in 4,5 klargestellt: „Richtet also nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen (φωτι' σει τα` κρυπτα` του^ σκο' τους) und die Pläne der Herzen offenbaren wird (φανερω' σει τα` ς βουλα` ς τω ^ ν καρδιω ^ ν); und dann wird einem jeden das Lob von Gott zuteil werden“. 4. Der ungläubige Besucher erkennt infolge der prophetischen Rede, die ihn existentiell getroffen, erschüttert und überführt hat, dass Gott in der Gemeinde gegenwärtig ist. Deshalb (ου« τως) wird er auf sein Angesicht fallen, Gott anbeten und bezeugen: „Gott ist wahrhaftig in eurer Mitte“. Er fällt auf sein Angesicht (πεσω` ν ε πι` προ' σωπον), d.h. er bringt mit einer sich selbst demütigenden, Gott huldigenden Körperhaltung zum Ausdruck, dass er Gott verehrt (προσκυνη' σει τω ^, θεω ^, ), weil er erkannt hat: „Gott ist wahrhaftig in eurer Mitte“ (ο» ντως ο θεο` ς ε ν υ μι^ν ε στιν). Aus dem Hinweis, dass der Besucher auf sein Angesicht fällt, kann man nicht schließen, dass das Niederwerfen „zumindest in der Gemeinde in Korinth geläufiger Anbetungsgestus gewesen zu sein“ scheint. 633 Manche sprechen vom Niederwerfen als „die stilgemäße Antwort auf Offenbarung“.634 Im Kontext, und als reale Möglichkeit vorgestellt, geht es weniger um Stilgemäßheit als um die existentielle Erschütterung eines Menschen, der dem lebendigen Gott begegnet und dabei nicht mehr aufrecht stehen oder sitzen kann.635 Die Reaktion des Besuchers ist vor allem mit Jes 45,14-15 zu vergleichen, einem Text, der zum Themenkomplex der Völkerwallfahrt zum Zion gehört.636 Als Folge der Rückkehr ————————————————————
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Vgl. 1Kor 4;5; 2Kor 4,2; Röm 2,16. Vgl. J. Behm, ThWNT III, 615. Grudem, Prophecy, 200. Schrage III 413 will das ausschließen, ohne hinreichenden Grund in den biblischen Texten. J. M. Nützel, Art. προσκυνε' ω, EWNT III, 422; vgl. H. Greeven, ThWNT VI, 766; M. Hutter, Art. Proskynese, RGG4 VI, 1721; Jobes, Worship, 183-191; vgl. W. Fauth, Art. Proskynesis, KP IV, 1189; J. Wiesehöfer, Art. Proskynesis, DNP X, 443-444. Dautzenberg, Prophetie, 252; Schrage III 414. Vgl. Gen 17,3.17; Num 16,4.22; 2Chron 7,3; Dan 2,46; im NT: Mt 2,11; 4,9; 17,6; 26,39; Lk 5,12; 17,16; Apg 10,25; Offb 4,10; 5,14; 7,11; 11,16. Wendland 113; Barrett 327; Fee 687; Lindemann 310; Wilk, Bedeutung, 331-333; Hays, Conversion, 1-4. Vgl. auch 1Kön 18,39 (das Volk Israel auf dem Karmel).
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Israels aus dem Exil und der Wiederstellung Jerusalems werden die heidnischen Nationen veranlasst, die Herrlichkeit des Gottes Israels anzuerkennen: „Sie werfen sich nieder vor dir (προσκυνη' σουσι' ν σοι) und bekennen: Nur bei dir gibt es einen Gott (ε ν σοι` ο θεο' ς ε στιν), und sonst gibt es keinen. Wahrhaftig, du bist ein verborgener Gott (LXX: συ` γα` ρ ει θεο' ς). Israels Gott ist der Retter“ (EÜ). Wenn Paulus in der Tat auf Jes 45,14-15 anspielt, beschreibt er die Bekehrung der Ungläubigen durch die prophetische Wirksamkeit der korinthischen Jesusbekenner als Erfüllung der eschatologischen Schau Jesajas: die Heiden erkennen die Gegenwart Gottes in seinem Volk. 637
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 I 26 Was folgt daraus, Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, hat jeder einen Psalm, eine Lehre, eine Offenbarung, eine Rede in einer (anderen) Sprache, eine Übersetzung. Alles aber geschehe zur Erbauung. 27 Wenn jemand in einer (anderen) Sprache redet, dann zwei oder höchstens drei, und der Reihe nach, und einer soll übersetzen. 28 Wenn aber kein Übersetzer da ist, soll er in der Gemeinde schweigen; er soll für sich selbst reden und für Gott. 29 Propheten aber sollen zwei oder drei reden, und die anderen sollen es beurteilen. 30 Wenn aber einem anderen, der da sitzt, eine Offenbarung zuteil wird, soll der erste schweigen. 31 Ihr könnt nämlich alle der Reihe nach prophetisch reden, damit alle lernen und alle ermahnt werden. 32 Die Geister der Propheten ordnen sich den Propheten unter, 33 denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens. Wie in allen Gemeinden der Heiligen gilt: 34 Die Frauen sollen in den Gemeindeversammlungen schweigen. Es ist ihnen nämlich nicht erlaubt, zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. 35 Wenn sie jedoch etwas in Erfahrung bringen wollen, sollen sie zu Hause ihre Ehemänner fragen. Denn es ist für eine Frau eine Schande, in der Gemeindeversammlung zu sprechen. 36 Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen, oder ist es allein zu euch gelangt? 37 Wenn jemand meint, ein Prophet oder ein vom Geist Begabter zu sein, der soll anerkennen, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist. 38 Wenn jemand dies nicht anerkennt, so wird ————————————————————
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Ähnlich Sach 8,20-23; Dan 2,46-47. Wilk, Bedeutung, 331 sieht primär eine Anspielung auf Dan 2,46 LXX, verbunden mit dem Einfluss von Jes 45,14. Hays, Conversion, 3 sieht die stärksten verbalen Verbindungen in Jes 45,14-15.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 827 ————————————————————————————————————
er seinerseits nicht anerkannt. 39 Deshalb, meine Brüder, strebt nach dem prophetischen Reden, und das Reden in Sprachen hindert nicht. 40 Alles aber geschehe in Anstand und Ordnung.
II Dieser Abschnitt bringt die Behandlung der Frage zum Abschluss, wie die Gaben des Geistes in den Versammlungen der Gemeinde gehandhabt werden sollen, vor allem das glossolalische und das prophetische Reden. Paulus hatte in Kap. 12 diese Thematik in den Kontext des Wesens der Gemeinde als Leib Christi gestellt: Wie der menschliche Leib eine Einheit ist und trotzdem viele Glieder hat, die zusammenarbeiten, so ist die Gemeinde ein Organismus, in dem Gott den einzelnen Gliedern viele verschiedene Gaben, Dienste und Kräfte zugeteilt hat. Der beste Weg, diese Gaben, Dienste und Kräfte in der Gemeinde zur Entfaltung zu bringen, ist die Orientierung an der selbstlosen Liebe. In Kap. 14 argumentiert Paulus, dass alle Manifestationen des Geistes, die in den Gemeindeversammlungen in Erscheinung treten, dem Aufbau der Gemeinde dienen müssen. Nur so bleibt die Einheit der Gemeinde gewahrt, und nur so wird der Maßstab der Liebe verwirklicht. Dies gilt vor allem für die Glossolalie, eine Gabe, bei der der Nutzen für die Gemeinde weniger selbstverständlich ist als bei den anderen Gaben. Dies mag für die korinthischen Christen, die diese Gabe besaßen und sich mit ihr brüsteten, ein überraschender Gedanke gewesen sein. Das Argument des Apostels ist jedoch klar und einsichtig: es handelt sich beim glossolalischen Reden zum einen um ein im Gebet beheimatetes Reden, mit der man sich an Gott und nicht an die Anwesenden richtet. Zum anderen handelt es sich bei der Glossolalie um das Sprechen in anderen Sprachen, die keiner der Anwesenden versteht. Beide Merkmale stoßen sich am Kriterium der Erbauung der Gemeinde. Aus diesem Grund behandelt Paulus in Kap. 14 das Reden in anderen Sprachen als Frage nach dem Nutzen für die Gemeinde. Und aus diesem Grund misst er das glossolalische Reden am prophetischen Reden, bei dem der Nutzen für die Anwesenden in der Gemeindeversammlung offen zutage liegt. Paulus will das glossolalische Reden nicht diskreditieren, aber er unterwirft es dem Maßstab des Nutzens für die ganze Gemeinde. Nach der Begründung dieses Kriteriums in V. 1-25 gibt Paulus in V. 26-40 konkrete Anweisungen, die den Charakter einer Gemeindeordnung haben. Gliederung. V. 26a setzt mit einer erneuten Anrede ein und signalisiert, dass sich die folgenden Direktiven aus der bisherigen Argumentation über das Verhalten in der gottesdienstlichen Versammlung ergeben. Die Charismenliste in V. 26, die sich auf Geistesgaben konzentriert, die mit Wortbeiträgen
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in den Gemeindeversammlungen zu tun haben, mündet in die Wiederholung des Grundprinzips, dass alles, was in den Versammlungen geschieht, der Erbauung dienen muss. In V. 27-35 folgen praktische Handlungsanweisungen für das glossolalische Reden (V. 27-28) und für das prophetische Reden (V. 29-35), einschließlich Anweisungen im Blick auf die Rolle der Frauen (V. 3435). In V. 36-40 folgen abschließende Bemerkungen über den Status der korinthischen Gemeinde im Kontext der urchristlichen Mission (V. 36), über seine apostolische Autorität (V. 37-38), über die Praxis der prophetischen und glossolalischen Rede (V. 39) sowie über Anstand und Ordnung in den Gemeindeversammlungen (V. 40). Textkritische Anmerkungen. In V. 26 fügt die Mehrheit der Handschriften hinter ε«καστος ein präzisierendes υ μω ^ ν ein (א2 D F G Ψ Byz latt sy); die kürzere Lesart (d46 *אA B 0201 0243 u.a.) ist ursprünglich.638 In V. 28 ersetzen B D* F G 365 das gut bezeugte διερμηνευτη' ς (hapax legomenon) durch ε ρμηνευτη' ς. In V. 32 ersetzen einige Handschriften den gut bezeugten Plur. πνευ' ματα durch den Sing. πνευ^ μα (D F G Ψ* 1241s ar b vgmss syp; vgl. V. 12). V. 34-35 werden von einigen Handschriften vor allem des westlichen Textes nach V. 40 angehängt (D F G 88* ar b it vg; Ambst, Sedulius Scotus). Wenn man die üblichen Kriterien textkritischer Entscheidungen an-legt, kann kein Zweifel daran bestehen, dass V. 34-35 im Original zwischen V. 33 und V. 36 gestanden haben. Außer Handschrift 88 gehören alle anderen Textzeugen, die V. 34-35 nach V. 40 schieben, zum westlichen Text; die früheste Handschrift, die diese Verschiebung bezeugt, wurde im 5. Jh. kopiert; die Verse fehlen in keiner Handschrift.639 Der Sachverhalt wird nur deshalb ausführlich behandelt, weil der Inhalt der beiden Verse Schwierigkeiten bereitet, scheint Paulus doch ein absolutes Schweigegebot für Frauen auszusprechen, von denen er in 12,5 ganz selbstverständlich vorausgesetzt hatte, dass sie sich mit Gebeten und prophetischen Botschaften am Gottesdienst beteiligen. W. Schrage, der wie andere Exegeten von einer nachpaulinischen Interpolation ausgeht, behandelt V. 34-35 im Anschluss an V. 40.640 Die Tatsache, dass viele dieser Exegeten nicht nur V. 34-35, sondern auch V. 33b und V. 36 als spätere Randglosse oder als Interpolation ansehen, zeigt, dass das Problem letztlich kein Problem der handschriftlichen Bezeugung ist, sondern des Inhalts, den man Paulus nicht zutraut (zur Frage der Authentizität der Verse s. unten zu V. 34). A. Lindemann, der aufgrund interner Erwägun————————————————————
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Metzger, Commentary, 499; Lindemann 313. Zum lat. Codex Fuldensis (geschrieben um 546/547) vgl. die Diskussion zwischen Payne, Fuldensis, 240-262; Niccum, Manuscripts, 242-255; Payne, Evidence, 152-158; siehe auch Lindemann 317. Schrage III 442.479-501.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 829 ————————————————————————————————————
gen für die Annahme einer sekundären Interpolation optiert, schließt vollkommen zu Recht aus dem handschriftlichen Befund, dass V. 34-35 nirgends fehlen und dass „die jetzige Stellung von V. 34.35 nach den üblichen Regeln der Textkritik als die besser bezeugte anzusehen ist. Die Tatsache, daß sich in denselben Handschriften, die V. 34.35 nach V. 40 lesen, eine offensichtlich bewußte Korrektur zu 15,2 findet . . ., spricht für die Vermutung, daß sich die Sonderstellung von V. 34.35 einer bewußten Korrektur verdankt“.641 Urteile wie das Votum von F. Hahn, V. 33b-36 sei ein „zweifellos nachträglich“ eingeschobener Abschnitt, wie „die Textgeschichte“ beweise, 642 sind vollkommen ungerechtfertigt. Der Befund der Manuskripte ist eindeutig: V. 34-35 gehören ursprünglich zwischen V. 33 / V. 36.643 In V. 34 fügt die Mehrheit der Handschriften (Byz u.a.) hinter γυναι^κες das Personalpronomen υ μω ^ ν ein, wohl um deutlich zu machen, dass es um Ehefrauen geht; der kürzere Text ist gut bezeugt ( אA B Ψ 0243 33 81 u.a.). In V. 35 lesen *אAc 33 81 u.a. den Inf. Präs. μανθα' νειν statt des Inf. Aor. μαθει^ν, der jedoch gut bezeugt ist (d46 א2 B (D F G) Ψ 0243 u.a.). In V. 37 lesen statt des Sing. ε ντολη' (d46 א2 B 048 0243 33 1241s 1739* pc vgms; z.T. mit anderer Wortfolge) die meisten Handschriften den Plur. ε ντολαι' (D2 Ψ Byz lat sy sa). In V. 38 lesen frühe Handschriften den Imp. α γνοει' τω (d46 א2 Ac B D2 Ψ 1881 Byz sy); die Pass. Präs. Ind. Form α γνοει^ται lesen *אA* D(*) (F G) 048 0243 6 33 1739 pc b co, die als schwierige Lesart den Vorzug verdient; der Imp. könnte eine Angleichung an Offb 22,11 sein.644 In V. 39 ist μου hinter α δελφοι' ursprünglich ( אA B* D1 048 326 u.a.); die Auslassung in d46 B2 D* F G Ψ 0243 33 1739 1881 Byz lat Ambst entspricht der Tendenz einiger wichtiger Handschriften.645 Die in V. 39 von אA P 048 0243 u.a. bezeugte Wortstellung μη` κωλυ' ετε γλω' σσαις wurde oft abgeändert; der Mehrheitstext liest γλω' σσαις μη` κωλυ' ετε, während d46 B μη` κωλυ' ετε ε ν γλω' σσαις lesen.
III 26 Paulus beginnt den letzten großen Abschnitt zum Thema der Geistesgaben, in dem er ein Gesamtfazit zieht, mit der erneuten Anrede Brüder (V. 6.20) und dem Satz Was folgt daraus? (τι' ου ν ε στιν, vgl. V. 15). Er gibt ————————————————————
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Lindemann 317. Hahn, Theologie II, 603. So das Ergebnis der jüngsten ausführlichen Diskussion des handschriftlichen Befundes von Niccum, Manuscripts, 242-255. Metzger, Commentary, 500; Fee 709; Lindemann 322; anders Zuntz, Text, 1007-108. Fee 709 Anm. 5; Zuntz, Text, 179; Lindemann 322 vermutet, das Pronomen μου sei als zu freundlich empfunden worden.
830 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Anweisungen, was geschehen soll, wenn die korinthischen Christen zusammenkommen (ο« ταν συνε'ρχησθε, vgl. V. 23). Zunächst illustriert er mit einer erneuten Charismenliste, 646 welche Gaben in den Versammlungen der Gemeinde zur Erbauung der Gemeinde eingesetzt werden. Die Liste besteht aus fünf Gaben: Paulus trifft eine Auswahl, die von der konkreten Problematik in Korinth geleitet ist, d.h. von der Fixierung auf das Reden. Er hätte auch die Charismen „Wort der Weisheit“ oder „Wort der Erkenntnis“ nennen können, und sicherlich kamen in den korinthischen Gottesdiensten auch die Charismen des Glaubens, der Heilungen, der Hilfeleistungen und der Leitungsgaben zum Zug. Das heißt, die Liste ist „eher korrektiv als deskriptiv“ zu verstehen.647 Die Formulierung jeder hat (ε«καστος ε»χει) ist nicht in dem Sinn buchstäblich zu verstehen, dass jeder korinthische Christ alle diese fünf Gaben hätte. Nicht jeder kann prophetisch reden, nicht jeder kann in einer anderen Sprache reden, und manche haben andere Gaben, die in dieser Liste nicht aufgeführt sind. Manche fassen ε»χει als Wunsch und zusammen mit der Formulierung ο« ταν συνε'ρχησθε als Vorstellung einer hypothetischen Situation auf.648 Dies ist wenig plausibel: ε»χει weist eher auf die Wortmeldungen zurück, die man in einem normalen Gottesdienst erleben kann. 649 Die (unvollständige) Gabenliste lässt den Reichtum des korinthischen Gemeindelebens erahnen. A. Schlatter kommentiert: „Es kann der Gemeinde nicht schwerfallen, ihre Versammlungen so zu füllen, daß die Bauarbeit geschieht, die das gemeinsame Leben der Gemeinde und in ihm auch das aller ihrer Glieder stärkt. Dazu bringt jeder seinen Beitrag. An eine Verpflichtung aller zum Reden hat Paulus nicht gedacht, da dies dem Grundsatz widerspräche, daß der Geist die Gaben austeile, wie er will . . . Aber ebensowenig ließ er eine Abstufung im Anteil an der Versammlung zu, die nur einen bevorzugten Kreis zur Rede zuließe. Keinen schloß er von der tätigen Teilnahme an dem aus, was in der Gemeinde gesprochen wurde“. 650 Paulus nennt zuerst den Psalm (ψαλμο' ς).651 Da im zeitgenössischen Griechisch ψαλμο' ς das Saitenspiel bezeichnet, ist dieser Ausdruck für griechische ————————————————————
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Vgl. die Listen in 12,8-10; 12,28-30; 13,1-2; 13,8; 14,6. Schrage III 444; so auch Fee 689; Garland 657. Lietzmann 73; Lindemann 312; Thiselton 1133 (der auf M. Heidegger und auf P. Ricœurs Satz von den „möglichen Welten“ verweist); Garland 657. Barrett 327; Conzelmann 296; Lang 197; vgl. Dunn, Theology of Paul, 583: Paulus beschreibt „a typical gathering for worship“. Schlatter 382-383. G. Delling, Art. υ« μνος κτλ., ThWNT VIII, 492-506, bes. 494.497.502-503; H. Balz, EWNT III, 1184-1186; K. H. Bartels/G. Schimanowski, ThBLNT I, 244-246; Delling, Gottesdienst, 84-85; Deichgräber, Gotteshymnus, 106-196 (Christushymnen); Wengst, Formeln, 144-165; Hengel, Hymnen, 1-23; Hengel, Christuslied, 357-404.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 831 ————————————————————————————————————
Leser nur dann verständlich, wenn sie die Verwendung der Vokabel im AT kennen. In der LXX bezeichnet ψαλμο' ς zwar auch das Spiel auf einem Saiteninstrument,652 beschreibt aber meistens die Psalmen des Psalters, 653 daneben allg. den von Saitenspiel begleiteten Gesang. 654 Im NT beschreibt ψαλμο' ς im lukanischen Schrifttum immer die atl. Psalmen.655 In Kol 3,16 und Eph 5,19 werden neben den an erster Stelle genannten ψα' λμοι zwei weitere Ausdrücke genannt – υ« μνοι („Hymnen“) und ω» δαι („[Lob-] Lieder“) –, mit denen Paulus das Geschehen in den Gottesdiensten der Gemeinde beschreibt; hier wird ψαλμο' ς die atl. Psalmen bezeichnen, die in den Gottesdiensten der Christen gesungen wurden.656 Da ψαλμο' ς in V. 26 in der Charismenliste an erster Stelle steht und daneben keine anderen Vokabeln für das Liedgut der Gemeinde genannt werden, sollte man davon ausgehen, dass ψαλμο' ς hier das christliche Lied meint, das einer der Jesusbekenner verfasst hat und im Gottesdienst singt657 und wahrscheinlich den Mitchristen beibringt, sodass sie mitsingen können. Im NT werden mehrere Texte mit solchen christlichen Liedern identifiziert.658 Die Rekonstruktion und die Gattungsbestimmung sind im Einzelfall umstritten.659 Was ————————————————————
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Ps 81,3 (LXX 80,3); 98,5 (LXX 97,5); Hiob 21,12; 30,31. Siehe die 49 Belege in den Überschriften der Psalmen (oft als Übersetzung von ;)ִמְזמֹורin der Handschrift B in der Überschrift zum Psalter (A hat ψαλτη' ριον; in אfehlt eine Überschrift). Dasselbe gilt für das Verb ψα' λλω (s. oben zu V. 15): Im außerbiblischen Griechisch bedeutet das Verb meistens „die Harfe zupfen, ein Saiteninstrument spielen“. In der LXX und im Judentum hat das Wort zusätzlich die Sonderbedeutung „geistliche Lieder singen“. Vgl. Delling, ThWNT VIII, 497. Ps 147,1 (LXX 146,1); vgl. die in Ps 150,3-5 erwähnten Musikinstrumente. Lk 20,42; 24,44; Apg 1,20; 13,33. Vgl. Hübner, Kolosser, 108; Best, Ephesians, 511; Hoehner, Ephesians, 708. Anders zum Beispiel K. H. Bartels/G. Schimanowski, ThBLNT I, 245. Wolff 338-339; Collins 518; Schrage III 446; Thiselton 1134; G. Delling, ThWNT VIII, 502; H. Balz, EWNT III, 1185; Hengel, Hymnen, 1; Best, Ephesians, 512; Salzmann, Lehren, 68: „Es ist ein Gesang, den der eine den anderen mitteilen wird, also zu Hause durch den Geist geschaffen und dann mitgebracht hat oder unter unmittelbarer Inspiration des Geistes hervorbringt . . . seine Bezeichnung mit dem Wort aus den Schriften deutet aber darauf hin, daß die Christen auch die alttestamentlichen Psalmen zu ihrem Liedgut zählten“. Schlatter 383 meint, dass an atl. Psalmen nicht gedacht sein kann, weil keine Schriftlesung genannt ist, „obwohl sie sicher von Anfang an in den Versammlungen geübt worden ist“. Dieses Argument ist wenig überzeugend. Lk 1,46-55; 1,68-79; Röm 8,31-39; 1Kor 13,1-13; Phil 2,6-11; Kol 1,15-20; 1Tim 3,16; 1Petr 2,21-24; Offb 5,9-10.12.13; 11,15.17-18; 15,3-4. Vgl. Kennel, Hymnen; Brucker, Christushymnen. Schenk, Christus, 146 bezeichnet Kol 1,15-20 als „gehobene Prosa“; Hooker, Philippians 2:6–11, 158-159 beschreibt Phil 2,611 als „rhythmische Prosa“; nach Kennel, Hymnen, 276 ist Phil 2,6-11 ein „durchgeformter christologischer Bekenntnistext“, für Brucker, Christushymnen, 311.350 „Prosa in gehobenem Stil“, die der Gattung „Christuslob“ (Epainos) zuzuordnen ist.
832 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— G. Delling geschrieben hat, trifft angesichts des Forschungsstandes immer noch zu: „Diese Identifizierungen müssen weithin hypothetisch bleiben, zumal – was übrigens auch an sich bemerkenswert ist – im Neuen Testament kein Versuch vorliegt, den griechischen Stil metrisch gebundener Hymnen anzuwenden. Die Stücke preisender Redeweise, die sich im Neuen Testament finden, sind im allgemeinen so wenig nach eindeutig zu beobachtenden Gesetzen geprägt, daß das Urteil über ihren Charakter als Hymnus häufig nur begrenzte Gültigkeit beanspruchen kann“.660
Andere nehmen aufgrund der Bedeutung von ψαλμο' ς im lukanischen Werk und in Kol 3,16; Eph 5,19 an, dass es sich in V. 26 nicht um neue Hymnendichtung, sondern um im christlichen Gottesdienst verwendete Psalmen handelt. 661 Man sollte nicht ausschließen, dass die Jesusbekenner in ihren Versammlungen sowohl die atl. Psalmen als auch neue Psalmendichtungen gesungen haben. Man kann davon ausgehen, dass die Psalmen gesungen wurden. Paulus und Silas haben im Gefängnis gesungen (Apg 16,25). Aus dem frühen 2. Jahrhundert ist bekannt, dass Christen gesungen haben. Plinius berichtet an Kaiser Trajan von den Verhören von Christen in der von ihm verwalteten Provinz Bithynien und Pontus: „Sie versicherten jedoch, ihre ganze Schuld oder ihr ganzer Irrtum habe darin bestanden, dass sie sich an einem bestimmten Tage vor Sonnenaufgang zu versammeln pflegten, Christus als ihrem Gott einen Wechselgesang (lat. carmen; griech. υ« μνος) zu singen und sich durch Eid nicht etwa zu irgendwelchen Verbrechen zu verpflichten“ (Plinius, Ep. 10,96,7). Es ist nicht bekannt, ob das Singen in den urchristlichen Gottesdiensten von Saitenspiel begleitet wurde. Aus Offb 5,8 kann man dies nicht mit Sicherheit ableiten. Eine instrumentale Mitwirkung sollte man jedenfalls nicht ausschließen.662 J. Quasten führt die von ihm konstatierte christliche Ablehnung der Instrumentalmusik auf deren enge Verbindung mit dem heidnischen Götzenkult (Apotropie, Ekstase) sowie mit dem Jerusalemer Tempelkult zurück.663 Wenn solche Feststellungen auf die spätere Kirche zutreffen sollten, so sind sie im Blick auf die urchristlichen Gemeinden des 1. Jahrhunderts weder zu verifizieren noch relevant. Es ist davon auszugehen, dass der jüdische Gottesdienst im Tempel und in den Synagogen für die ersten judenchristlichen Missionare und die von ihnen gegründeten Gemeinden Vorbildcharakter
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G. Delling, ThWNT VIII, 503. Lindemann 313. Schlatter 383; Moffatt 227; Kennel, Hymnen, 58. Schrage III 447 lässt die Frage offen (anders ebd. 400 mit Anm. 153). Quasten, Musik, 81-90. Zur Orientierung über die Musik in der hellenistischen Zeit vgl. Riethmüller /Zaminer, Musik, 207-322; Landels, Music.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 833 ———————————————————————————————————— gehabt haben.664 L. Trepp meint, nach der Zerstörung des Tempels sei die Instrumentalmusik zum Zeichen der Trauer verboten worden.665 Manche meinen, Psalmen hätten im synagogalen Gemeindegesang erst im 2. oder 3. Jahrhundert eine bedeutendere Rolle gespielt.666 Bei den Therapeuten und in Qumran ist jedoch die Verwendung sowohl atl. als auch neu gedichteter Psalmen bezeugt. Die Therapeuten kennen sowohl das Chorlied als auch den Sologesang: Einer steht auf und singt einen Hymnus, ein Loblied auf Gott – entweder einen Hymnus, den er selbst verfasst hat, oder einen alten Hymnus; in den Kehrvers des als Solo vorgesungenen Liedes stimmen die Anwesenden ein (Philo, Vit.Cont. 80).667 Philo kennt synagogale Gottesdienste, in denen zwei Chöre im Wechsel oder auch allein sangen (Philo, Vit.Mos. 1,180; 2,256-257). Eine in der jüdischen Katakombe Via Nomentana entdeckte Grabinschrift belegt einen ψαλμωδο' ς, einen „Psalmensänger“ oder Kantor in einer römischen Synagoge.668 L. Levine argumentiert aufgrund der Quellenlage, dass die Entwicklung der frühchristlichen und der frührabbinischen Liturgie parallel verlief und warnt davor, sich für die Rekonstruktion des frühen synagogalen Gottesdienstes auf die rabbinischen Quellen des dritten und vierten Jahrhunderts zu verlassen.669
Die Frage, ob die christlichen Psalmen spontan entstanden, lässt sich nicht mehr erkennen.670 Das fünf mal wiederholte Verb ε»χει („haben“) kann sowohl auf spontane Beiträge hinweisen, aber auch „haben“ im Sinn von „bringen“ bedeuten. Kompetente Lehre, die man „hat“, ist sicher nicht spontan, sondern vorbereitet. Das Reden in anderen Sprachen und das Übersetzen der Sprachenrede ist sicherlich spontan. Das prophetische Reden und der Vortrag von Psalmen kann, muss aber nicht spontan erfolgen. Weiter Elemente nennt Paulus die Lehre (διδαχη' ), die „von Gottes Geist ermöglichte Reflexion von Überlieferungen“;671 die Offenbarung (α ποκα' λυψις) als Inhalt der prophetischen Rede; die Rede in einer (anderen) Sprache (γλω ^ σσα), d.h. das glossolalische Reden, sowie dessen Übersetzung (ε ρμηνει' α). Zu diesen Gaben s. zu V. 6 und die Erläuterungen zu 12,28-30. Das leitende Prinzip, der bei allen Wortäußerungen anzuwendende Maßstab, ist der Nutzen für die Anwesenden: Alles aber geschehe zur Erbauung ————————————————————
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Zum jüdischen Gottesdienst vgl. Elbogen, Gottesdienst; Trepp, Gottesdienst; Grözinger, Musik; Levine, Synagogue, 530-592. Trepp, Gottesdienst, 285; vgl. Riethmüller /Zaminer, Musik, 99. Maier, Verwendung, 55-85; Kennel, Hymnen, 58. Vgl. G. Delling, ThWNT VIII, 500; vgl. Hengel, Christuslied, 366. U. M. Fasola, Rivista di archeologia cristiana 52 (1976) 19-20 (Abb. 7); NewDocs I, 115117 (Nr. 74). LSJ 2018 nennt für ψαλμωδο' ς nur zwei Belege: Sir 47,9 (Codex ;)א50,18. Die Inschrift datiert in das 3./4. Jahrhundert. Levine, Synagogue, 557.558-561. H. Schlier, ThWNT I, 164; Fee 690 und ders., Paul, 154-155 gehen von einer spontanen Entstehung aus. Thiselton 1134 ist skeptisch. Klauck 103 und Wolff 339 sehen keine Spontaneität gegeben. Schrage III 446 hält beides für möglich. Wolff 339.
834 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
(πα' ντα προ` ς οι κοδομη` ν γινε'σθω). Paulus formuliert im Imperativ: Dies ist keine Kann-Bestimmung, sondern eine Notwendigkeit, der sich die Gemeindeglieder nicht entziehen dürfen. Alles, was im Gottesdienst geschieht, soll zur Stärkung der Gemeinde dienen. Ausleger verweisen auf die Tatsache, dass Paulus keine Leiter des Gottesdienstes oder der Gemeinde erwähnt, auch keine „Bindung an bestimmte Personen oder Ämter“.672 Daraus darf man jedoch nicht folgern, dass die „charismatischen Christen“ den Verlauf des Geschehens im Gottesdienst kontrolliert haben.673 Solche Interpretationen verkennen erstens, dass Paulus in V. 26 keine vollständige Charismenliste wiedergibt: Es fehlt zum Beispiel die Prophetie, die er aber in den folgenden Bemerkungen regelt. Es ist also anzunehmen, dass Paulus davon ausgeht, dass Christen, die Leitungsgaben haben, diese in der Gemeindeversammlung einsetzen. Richtig ist auf jeden Fall, „daß der Gottesdienst von der ganzen Gemeinde getragen wird und jeder sein spezifisches Charisma auch in den Gottesdienst einbringt“. 674 27-28 Nun folgen konkrete Vorschriften für das Verfahren im Gottesdienst, in erster Linie im Blick auf jene Gemeindeglieder, die das Charisma der glossolalischen und der prophetischen Rede haben. Die Verfahrensvorschriften, die sich auf diese beiden Charismen konzentrieren, zeigen, dass es hier zu Schwierigkeiten gekommen war. Die Anweisungen bestätigen, dass Paulus offensichtlich nicht eine falsche (eschatologische oder pneumatologische) Theologie der korinthischen Christen korrigiert, sondern falsches Verhalten in den Gemeindeversammlungen. Paulus regelt zunächst das glossolalische Reden. Wenn Christen in einer (anderen) Sprache reden (γλω' σση, τις λαλει^, V. 27a), d.h. das Charisma des glossolalischen Betens in der Gemeindeversammlung praktizieren, dann sollen vier Regeln beachtet werden. Erstens, nur zwei oder höchstens drei (κατα` δυ' ο η το` πλει^στον τρει^ς) Gemeindeglieder sollen glossolalisch reden. Gemeint ist offensichtlich, dass nur zwei oder drei glossolalische Gebete während eines Gottesdienstes gesprochen werden sollen.675 ————————————————————
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Schrage III 445, der auf das „Fehlen personaler Bezeichnungen“ verweist. Bousset 143-144; betont auch von Fee 691; ders., Paul, 154-155. Schrage III 445, der mit der Toralektüre in der Synagoge vergleicht, an der sich prinzipiell jeder beteiligen konnte (Bill. IV, 156-157), was aber offensichtlich die einzige Möglichkeit der Beteiligung der Synagogengemeinde darstellte. Schrage III 447. Fee 691 erwägt, ob diese Regelung besagt, dass nur zwei oder drei Christen glossolalisch reden sollen, ehe die Interpretation gegeben wird, entscheidet sich jedoch wegen des Ausdrucks το` πλει^στον („höchstens“) gegen diese Möglichkeit. Zu der Formulierung δυ' ο η το` πλει^στον τρει^ς vgl. P.Oxy. I 58,16-19 (288 n.Chr.), wo von Aufsichtsbeamten staatlicher Ländereien die Rede ist, die zwei oder höchsten drei Assistenten hinzuwählen können; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 462.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 835 ————————————————————————————————————
Zweitens, sie sollen der Reihe nach (α να` με'ρος)676 reden, d.h. einer nach dem anderen. Offensichtlich haben die Glossolalen in Korinth alle gleichzeitig in unverständlichen Sprachen gebetet. Dies soll unterbleiben. Für die Wortbeiträge in der Qumrangemeinde gab es eine ähnliche Regelung: „Das ist die Ordnung für die Sitzung der Vielen: . . . Niemand soll mitten in die Worte seines Nächsten hineinreden, bevor sein Bruder aufgehört hat zu sprechen“ (1QS 6,8-10).677 Die von Paulus angemahnte Regelung beweist, dass die urchristliche Glossolalie nichts mit Trance oder Ekstase zu tun hatte, wo sich die Beteiligten nicht mehr unter Kontrolle haben.678 Selbstkontrolle (ε γκρα' τεια) gehört für Paulus zu den Gaben des Geistes (Gal 5,23). Es geht nicht um Spontaneität, schon gar nicht um jeden Preis, sondern um einen geordneten Ablauf (V. 40), der das Wirken des Geistes zum Nutzen der ganzen Gemeinde gewährleistet. Der Grund für diese zweite Regel wird mit der nächsten Anweisung klar. Drittens, einer soll übersetzen (ει ς διερμηνευε'τω), d.h. ein Gemeindeglied mit dem Charisma der Übersetzung soll das glossolalische Gebet übersetzen – in Korinth in die allen Anwesenden verständliche griechische Sprache. Dies geht nur dann, wenn die Glossolalen der Reihe nach sprechen. Das Zahlwort „einer“ könnte bedeuten, dass ein bestimmtes Gemeindeglied, das die Gabe der Übersetzung hat, in der Lage ist, alle glossolalischen Sprachen zu übersetzen.679 In diesem Fall kann man schließen, dass die glossolalisch Betenden sich nicht selbst übersetzt haben, offensichtlich weil man nicht davon ausgehen konnte, dass einer, der das Charisma der Glossolalie besitzt, nicht gleichzeitig auch das Charisma der Übersetzung bekommen hat (s. oben zu V. 14). Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich. Weil in Korinth meistens ohne Übersetzung glossolalisch gebetet wurde, kann man im Sinn von „mindestens einer“, „einer auf jeden Fall“ interpretieren, 680 oder im distributiven Sinn, dass jede einzelne Sprachenrede von nur je einem übersetzt werden soll.681 Dies schließt dann auch nicht aus, dass einer, der glossolalisch geredet ————————————————————
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Die Wendung α να` με' ρος kommt nur hier im NT vor; vgl. Bauer/Aland 92 s.v. α να' 2. Wolff 339; Thiselton 1138. Fee 692. Schrage III 447-448 meint, diese Anweisungen schließen es aus, „daß Paulus Inspiration und Ekstase einfach als Ausschaltung von Wille bzw. Ichbewußtsein oder als reine Passivität versteht“. Wenn Paulus „Ekstase“ so versteht und verstanden haben will, stellt sich die Frage, ob man dann noch von Ekstase reden kann. Wolff 339 meint, Paulus setze „im Unterschied zu den Korinthern“ voraus, dass die Glossolalie keine willenlosen Menschen ergreift. In diesem Fall müsste Paulus deutlich machen, wie seine Regelungen in die Praxis umgesetzt werden können. Wenn die Korinther die Glossolalie im Sinn unkontrollierter Ekstase verstehen, werden die paulinischen Regelungen nichts bewirken. Thiselton 1138: ει ς zeigt die Präfenz für einen einzigen Sprecher bzw. Übersetzer. Strobel 222; Schrage III 448. Bachmann 423; Wolff 339.
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hat, anschließend sein Sprachengebet selbst übersetzt. 682 Es muss also offen bleiben, ob die zwei oder höchstens drei glossolalischen Beiträge jeweils sofort oder erst am Ende übersetzt wurden, und es muss ebenfalls offen bleiben, ob sich die Glossolalen beim Übersetzen beteiligt haben. Viertens, in dem Fall, dass kein Übersetzer da ist (ε α` ν δε` μη` η , διερμηνευτη' ς, V. 28), soll er in der Gemeinde schweigen (σιγα' τω ε ν ε κκλησι' α, ). Diese Regelung formuliert, was in V. 5.6-13.14-19 bereits impliziert war. Der mit ε α' ν + Konj. formulierte Konditionalsatz zeigt, dass es sich um einen Fall handelt, „mit dem man rechnen kann oder muss“. 683 Es ist unklar, wie der Glossolale wissen kann, ob jemand anwesend ist, der das Charisma der Übersetzung hat. Manche meinen, weil nur der Glossolale wisse, ob er sein Sprachengebet übersetzen kann, sei dieser selbst der Übersetzer.684 Dies würde jedoch bedeuten, dass alle, die das Charisma der Glossolalie, aber nicht gleichzeitig das Charisma der Übersetzung haben, in der Gemeindeversammlung immer schweigen müssten. Möglich ist, dass einer immer in derselben glossolalischen Sprache redet und dieses Reden von einem bestimmten Christen, der dieses Charisma hat, dann auch immer verstanden wird, dieser also immer übersetzen kann. Paulus verlangt jedenfalls von den Christen mit der Gabe des Sprachenredens, auf das glossolalische Reden ganz zu verzichten, wenn sich herausstellt, dass keiner anwesend ist, der übersetzen kann. Paulus ergänzt diese Regelung mit der Wiederholung der Aussagen von V. 2.4: er soll für sich selbst reden und für Gott (ε αυτω ^, δε` λαλει' τω και` τω ^, θεω ^, ). Das glossolalische Reden ohne Übersetzung ist für die Anwesenden, die nichts verstehen können, nutzlos. Er soll deshalb lautlos für sich selbst beten, weil seine glossolalische Rede offenbar nur Gott etwas angeht. 685 29-30 Für die Praxis des prophetischen Redens formuliert Paulus drei Regelungen. Erstens, Propheten aber sollen zwei oder drei reden (προφη^ ται δε` δυ' ο η τρει^ς λαλει' τωσαν, V. 29a). Wie bei der Glossolalie soll die Zahl der prophetisch Redenden auf zwei oder drei begrenzt werden. Paulus formuliert auch diese Regel nicht als Wunsch, sondern als Befehl (λαλει' τωσαν, Imp. Präs.). Paulus lässt die Bestimmung „der Reihe nach“ weg, weil sich das sukzessive Reden bei prophetischen Botschaften, die an die Gemeinde gerichtet sind, von selbst versteht (vgl. jedoch V. 30). Weil die Bestimmung „höchs————————————————————
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Heinrici 432: Nur einer, nicht mehrere. Lietzmann 74 und Conzelmann 297 Anm. 43 interpretieren im Sinn eines betonten τι'ς: irgendeiner soll übersetzen. HS §280c.3bb (549); vgl. BDR §373. Weiss 340, mit dem Argument, dass bei dieser Erklärung η , und σιγα' τω das gleiche Subj. haben; erwogen von Garland 659; kritisch Schrage III 448 mit Anm. 476. Das Subj. von σιγα' τω kann auch das τι'ς in V. 27 sein. Schrage III 449; Lindemann 313, der zu recht die Interpretation von εαυτω ^, im Sinn von „zuhause“ ablehnt (so Conzelmann 297). Der Dativ εαυτω ^, ist ein dat. commodi.
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tens“ fehlt, könnte man schließen, dass die Beschränkung auf drei Propheten nicht so absolut gemeint ist wie im Fall der Glossolalen. 686 G. Fee unterläuft die Parallelität der Aussagen in V. 27 und V. 28, wenn er zwei oder drei Propheten reden lassen will, bevor die Beurteilung erfolgt, nach der dann weitere Propheten sprechen können; er begründet mit dem Hinweis auf V. 24.31, dass „alle prophezeien“, wenn die Gemeinde zusammen kommt, und dass alle die Möglichkeit zur Beteiligung haben können. 687 Paulus sagt in V. 24.31 jedoch nicht, dass alle, die eine prophetische Botschaft haben, diese unbedingt in der nächsten, und das heißt in derselben Versammlung verkündigen müssen.688 Zweitens, die anderen sollen es beurteilen (οι α»λλοι διακρινε'τωσαν, Imp. Präs.). Manche meinen, diese Regelung passe kaum zum Wesen der Prophetie, die ihre Autorität mit sich führe.689 „Beurteilen“ (διακρι' νω) bedeutet hier „sorgfältig prüfen, auf seine Echtheit oder Richtigkeit untersuchen“. Die Prüfung ist einmal deshalb notwendig, weil es Pseudopropheten gibt, selbsternannte Propheten, die Falsches offenbaren und verkündigen. 690 Zum anderen müssen prophetische Botschaften deshalb überprüft werden, weil nach 1Thess 5,21 „alles“ zu prüfen ist. Propheten können sich irren, sie könnten einseitig Gericht oder Gnade betonen, oder sie können problematische Handlungsanweisungen geben. Paulus warnt die Gemeindeleiter von Ephesus vor Männern, die aus ihrer Mitte auftreten würden und „mit ihren falschen Reden die Jünger auf ihre Seite ziehen“ (Apg 20,30, EÜ). Als der christliche Prophet Agabus prophezeit, Paulus würde in Jerusalem von den Juden gefangen gesetzt und den Römern ausgehändigt werden (Apg 21,1011), interpretieren die Christen in Cäsarea – unter ihnen die vier Töchter des Philippus, die das Charisma des prophetischen Redens hatten – diese Prophezeiung als Warnung an Paulus, er solle nicht weiterreisen (Apg 20,12.14). Die Reaktion des Paulus zeigt, dass seine Prüfung sowohl der prophetischen Botschaft als auch ihrer Deutung keinen neuen Handlungsbedarf erforderlich machten: Er reist weiter mit der Bereitschaft, in Jerusalem für Jesus Christus zu sterben (Apg 20,13.15). ————————————————————
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Meyer 401; Wolff 340; Schrage III 449. Fee 693; ders., Empowering Presence, 251; vgl. Forbes, Prophecy, 259-260. Kritisch Wolff 340 mit Anm. 530; Schrage III 450 mit Anm. 486. Robertson/Plummer 322; Garland 660-661. Conzelmann 297-298. Vgl. die Diskussion in Aune, Prophecy, 217-222. Im AT: 1Kön 22,19-28; Jes 28,7-15; Jer 5,31; 33,7-16 LXX; 34,9; 35,1; 36,1.8; Ez 13,123; Micha 2,11; 3,5-7; Sach 13,2; vgl. Lk 6,26; 2Petr 2,1. Für die endzeitlichen Irrlehrer und Verführer der Gemeinden vgl. Mt 7,15; 24,11.24; Mk 13,22; Röm 16,18; 2Tim 3,5; 1Joh 4,1; Offb 13,11.18; 16,13-14. Vgl. H. Balz, EWNT III, 1190-1191.
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Die „anderen“ (οι α»λλοι), die das prophetische Reden beurteilen, sind nach Meinung vieler Ausleger die anderen Propheten.691 Aber diese hat Paulus offenbar nicht primär vor Augen: Nach 12,10 sind das Charisma des prophetischen Redens und das Charisma der Unterscheidung der Geister zwei unterschiedliche Gaben, die nicht automatisch in derselben Person vereint sind; nach 2,13-15 beurteilen Jesusbekenner, die den Heiligen Geist haben, „alles“. Die „anderen“ sind also die anderen Gemeindeglieder, die das prophetische Reden beurteilen.692 Die Beurteilung der Prophetie ist mit dem Charisma zur Unterscheidung der Geister zu verbinden. 693 Dabei wird es sich um Gemeindeglieder handeln, die vielleicht das Charisma der Unterscheidung der Geister (διακρι' σεις πνευμα' των; 12,10) haben oder die Gabe der Weisheit oder die Gabe der Erkenntnis oder das Charisma der Lehre (vgl. 12,8.28; 14,6). Kriterien für die Prüfung des prophetischen Redens ist erstens die Übereinstimmung mit der bereits vorhandenen Offenbarung in der Heiligen Schrift, mit der Überlieferung von Jesus und mit dem von den Aposteln verkündigten Evangelium (Röm 12,6); zweitens der Nutzen für die Gemeinde (οι κοδομη' ); drittens die Liebe zu den Mitchristen (α γα' πη).694 Der Plural α»λλοι ist im Gegenüber zu dem einen (ει ς) wichtig: Für das Übersetzen der glossolalischen Rede genügt einer, eine prophetische Botschaft soll von mehreren geprüft werden.695 Drittens, wenn aber einem anderen, der da sitzt, eine Offenbarung zuteil wird, soll der erste schweigen (V. 30). Diese Regelung greift das „der Reihe nach“ bei der Glossolalie auf (V. 27). Wenn ein Gemeindeglied prophetisch redet und einem anderen wird von Gott eine Offenbarung (wohl spontan) geschenkt, dann soll der erste „schweigen“ (σιγα' τω, Imp. Präs.). Das substantivierte Partizip καθημε'νω, zeigt, dass der Jesusbekenner, der prophe————————————————————
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Meyer 401 (anaphorischer Artikel); Heinrici 433; Weiss 340; Kremer 311; Schrage III 451; G. Friedrich, ThWNT VI, 852-853; Greeven, Ämter, 4-8; Gillespie, Theologians, 163. Conzelmann 298 interpretiert nur im Sinn anderer Propheten. Siehe Dautzenberg, Prophetie, 286; ders., EWNT I, 736-737, der διακρι'νειν allerdings anders interpretiert: es geht um die charismatische Deutung von Geistesoffenbarungen, nicht um die „Unterscheidung der Geister“: die mit dem Charisma der Prophetie Begabten helfen dem Propheten, das ihm offenbarte Wort oder Bild zu deuten und für die Gemeinde zu erschließen (103.127-128), d.h. sie interpretieren die prophetische Botschaft; kritisch Müller, Prophetie, 27 und vor allem Grudem, Response, 253-270. Lietzmann 74; Barrett 328; Fee 694; Wolff 340; Schrage III 451-452; Lindemann 314; Garland 663; Grudem, Prophecy, 60-62; Carson, Spirit, 120; Forbes, Prophecy, 265-268. Anders Carson, Spirit, 120, der dieses Charisma im Sinn der Unterscheidung dämonischer Mächte vom Wirken des Heiligen Geistes versteht (ebd. 40). Dunn, Theology of Paul, 594-598. Richtig Schrage III 452: „Alles aber kommt auch hier darauf an, daß alle belehrt und getröstet werden, nicht darauf, daß der einzelne Christ sein prophetisches Charisma dokumentiert“. Schrage III 452: „Keiner kann allein die Verantwortung des διακρι'νειν übernehmen“.
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tisch redet, steht, während die zuhörenden Gemeindeglieder sitzen (vgl. Apg 2,2; 20,9; Jak 2,3). Paulus will nicht sagen, dass der erste sofort schweigen soll (was Paulus wohl mit einem Imp. Aor. formuliert hätte),696 aber wohl auch nicht, dass der Betreffende eine eventuell lange prophetische Rede zu Ende führt. Paulus will betonen, „daß der erste nicht endlos reden, seine eigene Stimme nicht für die allein maßgebliche halten und mit der Geistbegabung auch anderer Propheten rechnen soll“.697 31 Paulus begründet (γα' ρ) die Aufforderung von V. 30: Ihr könnt nämlich alle der Reihe nach prophetisch reden. Potentiell können alle (πα' ντες) Jesusbekenner in der Gemeinde prophetisch reden (vgl. V. 4.24.31b). Diese Überzeugung entspricht der Verheißung von Num 11,23-29 und Joel 3,1-2 LXX (vgl. Apg 2,17-18).698 Die Wendung „der Reihe nach“ (καθ’ ε« να) entspricht α να` με'ρος von V. 27. Die Propheten sollen nicht durcheinander reden, sondern warten, bis derjenige, der gerade redet, mit seinem Beitrag zu Ende ist. Propheten haben sich wie die Glossolalen unter Kontrolle. Wenn viele Gemeindeglieder an den prophetischen Wortbeiträgen beteiligt sind, wird das Ziel des gottesdienstlichen Zusammenkommens am besten gewährleistet: damit alle lernen und alle ermahnt werden. Das prophetische Reden soll, wie alle anderen Beiträge in der Gemeindeversammlung auch, die Anwesenden auferbauen. Der Zweck des Gottesdienstes wird mit zwei Verben beschrieben: „alle“ (πα' ντες) sollen „lernen“ (μανθα' νωσιν, Präs. Akt.) und „ermahnt“ oder „ermutigt“ werden (παρακαλω^ νται, Präs. Pass.). Im Gottesdienst gibt es etwas zu lernen (vgl. Gal 3,2; Phil 4,9.11). Das primäre Ziel der Wortbeiträge in der gottesdienstlichen Versammlung ist die kognitivdidaktische Unterweisung in der Wahrheit des Evangeliums und seiner Relevanz für das Leben des Einzelnen. Diese didaktische Orientierung des Gottesdienstes entspricht den Zielen des jüdischen Synagogalgottesdienstes: Jüdische Gläubige treffen sich in der Synagoge, um akribisch genau das Gesetz zu studieren.699 Das Charisma der prophetischen Rede und das Cha————————————————————
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Robertson/Plummer 322; Lindemann 314. Schrage III 453, der fortfährt: Der Geist „selbst verleiht ebenso die Befähigung zum Reden wie zum Schweigen, ohne daß dies von einem den Gottesdienst leitenden Gemeindeglied veranlaßt wird“. Der zweite Teil dieser Aussage ist weder im Text angedeutet noch generell plausibel. Schrage III 453; Greeven, Ämter, 4-8; G. Friedrich, ThWNT VI 383. Vgl. BemR 15 (180c): „In dieser Welt haben einzelne geweissagt, aber in der zukünftigen Welt werden alle Israeliten Propheten sein“ (Bill. II, 134). Josephus, Ap. 2,175: ε κε' λευσε του^ νο' μου συλλε' γεσθαι και` του^ τον α κριβω ^ ς ε κμανθα' νειν; vgl. Ant. 16,43. Siehe auch die Theodotus-Inschrift, in der es heißt, dass die Synagoge „zur Lehre der Gebote“ (εις διδαχη` ν ε ντολω ^ ν) dient. Vgl. Schrage III 454-455 mit Anm. 522; vgl. auch Philo, Somn. 2,127; Mos. 2,216; Vit.Cont. 75-76; Mt 4,23; 9,35.
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risma des Lehrens überschneiden sich, wobei letzteres stärker die Tradition bewahrt und auslegt, während ersteres aktuelle Bestätigung im Glauben, Weisung für den Alltag und Ermutigung zur Treue beinhaltet. Mit der ersten Bestimmung zeigt sich, dass die prophetischen Botschaften, gerade wenn sie von „allen“ verkündigt werden, nicht nur kurzlebige Einsichten vermitteln, sondern immer auch ein lehrhaftes Moment haben. Das zweite, nicht weniger wichtige Ziel des Gottesdienstes ist die Ermahnung und der Trost, die Proklamation des Anspruchs des Evangeliums und der Zuspruch von Gottes Gnade und Vergebung (zu παρακαλε' ω s. oben zu V. 3). 32 Ein weiterer Grund (begründendes και'), weshalb die Propheten in der Gemeinde schweigen können (V. 30b), ist eine als Maxime 700 formulierte Tatsache: Die Geister der Propheten ordnen sich den Propheten unter. Der Heilige Geist hat den Geist (πνευ^ μα) des Einzelnen nicht auf eine Art und Weise erfasst, dass diese alle Kontrolle über sich selbst und damit über ihr Verhalten im Gottesdienst verlieren. 701 Weil man den menschlichen Geist (πνευ^ μα) der Jesusbekenner nur schwer von Gottes heiligem Geist (πνευ^ μα), der ihnen Geistesgaben (πνευματικα' , bzw. πνευ' ματα, V. 12) zugeteilt hat, unterscheiden kann, trifft eher die andere Auslegung zu: Die Christen, die das Charisma des prophetischen Redens haben, sind nicht die willenlosen Objekte der Manifestationen des Geistes Gottes und des vom Geist geschenkte Charismas.702 Der Prophet ist zwar nicht Herr über den Inhalt der Offenbarung und der Botschaft, die Gott ihm schenkt, aber er kontrolliert sehr wohl die Verkündigung dieser Offenbarung in der Gemeindeversammlung. Die Manifestation der Geistesgaben ordnet sich den Propheten unter (υ ποτα' σσεται, Präs.), und zwar immer, weil Gott ein Gott der Ordnung ist. 33 Die Begründung (γα' ρ) gilt nicht nur für die Aussage in V. 32, sondern für sämtliche praktischen Regelungen für das Geschehen in den gottesdienstlichen Versammlungen der Gemeinde, vor allem der Charismen der glossolalischen und der prophetischen Rede in V. 26-32. Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, das heißt: Gott will keine Unordnung und kein Durcheinander, keinen Streit und keine Spaltung in der Gemeinde, sondern Frieden (ει ρη' νη), d.h. Einheit und fürsorgende, sich für ————————————————————
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Man notiere die fehlenden Artikel: και` πνευ' ματα προφητω ^ ν προφη' ταις υ ποτα' σσεται. Meyer 402-403; vgl. Schrage III 456 mit Anm. 529. Heinrici 434; Wolff 341; Schrage III 456; Lindemann 314; Grudem, Prophecy, 120-129. Wenig plausibel ist die Interpretation im Sinn der Unterordung des gerade redenden Propheten unter den eine neue Offenbarung empfangenden Propheten, der sich gerade erhebt; so Theodoret 345; Schlatter 385; Strobel 222; Greeven, Ämter, 13; kritisch Heinrici 435; Wolff 341; Schrage III 455, ebd. 456 die folgende Bemerkung.
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den anderen einsetzende Liebe. 703 Dieser Satz deutet erneut darauf hin, dass das Problem der Korinther in der Frage der Charismen kein theologisches Problem war, sondern ein Problem des Verhaltens, das zu Unruhe und Unordnung geführt hat. Seit 1,10 zeigte sich wiederholt, dass dabei Kompromisse mit den säkularen Werten der römischen Gesellschaft eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Manche korinthischen Christen waren bereit, Streit und Unruhe zu riskieren, wenn sie nur ihr Prestige vermehren, ihren gehobenen Status demonstrieren und vom Christsein vor allem persönlich profitieren können.704 Der Betonung des Friedens entspricht in 12,12-31 die Betonung der Einheit des Leibes, in dem die Vielfalt der Gaben der einzelnen Glieder (12,1-11) harmonisch zusammenwirken, zum Wohl der anderen Glieder und zum Wohl des Leibes. Gott stiftet keine Unordnung, sondern Frieden. Deshalb ist „Friede“ (ει ρη' νη) eine Frucht des Geistes (Gal 5,22; Röm 8,6) und der Inbegriff des Reiches Gottes (Röm 14,17).705 Es ist nicht ganz klar, ob V. 33a zu V. 33b706 oder zu V. 34-35 gehört.707 Wenn man V. 33b mit V. 33a verbindet, will Paulus vermutlich sagen, „daß Paulus in Korinth nicht anders verfährt als in den anderen Gemeinden, weil Gottes Friedensordnung in allen Gemeinden Gültigkeit hat“.708 Während diese Erklärung nicht unmöglich ist, bleibt sie schwierig, weil V. 33b mit V. 33a syntaktisch nicht verbunden ist; die Kirchenväter, die mit V. 34 einen neuen Satz beginnen, sehen sich genötigt, Ergänzungen vorzunehmen. 709 Es ist deshalb besser, V. 33b zu V.34-35 zu ziehen: Was Paulus dort über das Schweigen der Frauen sagt, gilt in allen Gemeinden der Heiligen (ε ν πα' σαις ————————————————————
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In 2Kor 6,5 kommt α καταστασι'α („Unordnung, Verwirrung, Anarchie“) in einem Leidenskatalog vor („Unruhe“), in 2Kor 12,20 in einem Lasterkatalog („unordentliche Zustände“), in Lk 21,9 parallel zu πο' λεμος („Aufstände“); vgl. Prov 26,28; Tob 4,13 (der Grund für Unruhe ist der Hochmut). Vgl. Bauer /Aland 57 s.v.; A. Oepke, ThWNT III, 449. In der griech. Literatur kommt α καταστασι'α öfter im Zusammenhang mit politischen Wirren vor, vgl. Polybius 1,70,1; Nicolaus Damascenus, Vit. Caes. 28; vgl. den Papyrus P.Mich. VIII 477,28-30. Der Gen. α καταστασι'ας ist ein Genitiv des Zwecks bzw. der Wirkung; vgl. BDR §166; Wolff 341 Anm. 539. Vgl. Mitchell, Rhetoric, 172-173, die die „Unordnung“ als negativen Gegenbegriff zur Auferbauung interpretiert. Die Wendung „der Gott des Friedens“ (ο θεο` ς τη^ ς ειρη' νης) kommt häufig am Ende der paulinischen Briefe vor: Röm 15,33; 2Kor 13,11; Phil 4,9l; 1Thess 5,23; 2Thess 3,16; vgl. Hebr. 13,20. Robertson/Plummer 324; Barrett 329-330; Fee 698; Schrage III 357, mit Verweis auf Chrysostomus 312; Theodoret 315 und Ambrosiaster 161. Wolff 345; Lindemann 315; Thiselton 1147; Garland 664; vgl. NA27. Schrage III 457, mit dem Argument, dass ein Hinweis auf andere Gemeinden auch sonst am Ende von Ausführungen steht (vgl. 4,17; 7,17; 11,16); vgl. Fee 697-698, der als erstes Argument die These anführt, dass V. 34-35 nicht zum ursprünglichen Text gehörte. Chrysostomus 312 ergänzt durch διδα' σκω, Ambrosiaster und die Vulgata durch doceo.
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ται^ς ε κκλησι' αις τω ^ ν α γι' ων), d.h. in allen Versammlungen, in denen Jesusbekenner als „berufene Heilige“ den Namen des Herrn Jesus Christus anrufen (1,2). 34 Die Anweisung: Die Frauen sollen in den Gemeindeversammlungen schweigen wird von manchen so verstanden, dass sich Frauen in öffentlichen Gottesdiensten überhaupt nicht durch Wortbeiträge beteiligen dürfen. Andere halten die Aussage für so problematisch, dass sie Paulus diese Anweisung nicht zutrauen, mit dem Resultat, dass V. 34-35 als unpaulinische Glosse ausgeschieden wird. Die erste Position wurde von der Alten Kirche bis zu den Reformatoren vertreten,710 wobei Luther, Spener, Zinzendorf und andere Ausnahmen gelten ließen, zum Beispiel in Situationen, in denen keine Männer da sind. Manche christlichen Gruppen und Konfessionen vertreten diese Position bis heute und schließen Frauen zum Beispiel von der Beteiligung bei der Schriftlesung oder von der Beteiligung beim Abendmahl aus.711 Manche Ausleger(innen), die V. 34-35 für authentisch halten, sehen in diesen Aussagen einen Beweis für die misogyne Haltung des Paulus und für den männlichen Chauvinismus der Bibel überhaupt.712 Viele Ausleger scheiden die sog. mulier-taceat-Passage als eine unpaulinische Glosse bzw. Interpolation aus – entweder V. 34-35, oder V. 33b-35, oder V. 33b-36.713 Für diese quellenkritische Operation werden textkritische und literarkritische Gründe geltend gemacht. Zur Diskussion des Manuskriptbefundes s. oben unter Textkritische Anmerkungen: wenn man die üblichen Kriterien anlegt, kann es keinen Zweifel daran geben, dass diese Verse zum ursprünglichen Text des Briefes gehörten. Die literarkritischen Gründe betreffen 1. das Argument, V. 34-35 unterbrächen den Gedankengang; 2. den Hinweis auf den Kontext, in dem von Glossolalie und Prophetie und ihrem Beitrag für die Erbauung der Gemeinde die Rede ist, während in V. 34-35 von alledem keine Rede sei; 3. angeblich unpaulinische Wendungen; 4. den Widerspruch zwischen V. 34-35 und 11,5, der als das entscheidende Argument gilt, als „offensichtlich“ bezeichnet wird und häufig mit dem Urteil verknüpft wird, dass er sich „in keinem Falle auflösen“ lässt.714 Aufschlussreich ist die Behauptung, dass die Aussage von V. 34-35, selbst wenn sie auf Paulus zurückginge, keine „theologische Legitimi————————————————————
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Vgl. den Bericht von Schrage III 493-495; ebd. 495-496 für folgende Bemerkung. Vgl. Luther, WA 10.3, 171.633; Spener, Schriften I, 94; III 1.1, 464. So Maier, Study, 93.101 mit Bezug auf die Lutheran Church Missouri Synod. Fiorenza, Gedächtnis, 287; Schottroff, Befreiungserfahrungen, 244. Bousset 146-147; Weiss 342; Schmiedel 181-182; Conzelmann 298-299; Barrett 332-333 (bleibt aber unsicher); Klauck 240; Fee 699-708; Senft 182-183; Schrage III 486; Hays 247-248; Lindemann 318-321; Murphy-O’Connor, Interpolations, 90-92; Sellin, Hauptprobleme, 2984-2985; Fitzer, Weib; Petzer, Silent Women, 132-138; Fee, Empowering Presence, 275-279. Schrage III 486 spricht von einer „deutero- oder tritopaulinischen“ Glosse, die von „jemanden in der Nähe des unbekannten Verfassers der Pastoralbriefe“ zu verantworten sei (mit Hinweis auf 1Tim 2,11-12). So Lindemann 320, nach einem Referat ebd. 318 von mehreren Lösungen, die er allesamt als nicht plausibel erachtet; vgl. Schrage III 484-485.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 843 ———————————————————————————————————— tät“ hätte, weil eine einsichtige Begründung fehle, die man für eine konkrete paränetische Weisung benötige.715 Diese Einwände werden im Verlauf der Exegese beantwortet. Es ist immer ein Akt der Verzweiflung, wenn man einen Text als Glosse ausscheidet, der offensichtlich zum ursprünglichen Text eines vorliegenden Dokuments gehört. Weder theologische Positionen noch die political correctness sind Kriterien, die Fragen literarischer Authentizität mit hinreichender Zuverlässigkeit beantworten können. Exegeten stellen den Text, den sie zu interpretieren haben, nicht selbst her, sondern sie finden den Text vor und müssen ihn erklären, so gut es geht. Die Suche nach Lösungen, die man durch Vergleiche mit ähnlichen Aussagen des Autors und durch sorgfältige Kontextanalysen zu finden hofft, sind für Historiker selbstverständlich. Bei schwierigen Texten muss man sich manchmal mit Erklärungen begnügen, die plausibel, aber vielleicht nicht ganz zufriedenstellend sind. Die Eliminierung eines schwierigen Textes ist eine ultima ratio, die nach dem Urteil vieler (und nicht nur konservativer) Exegeten im Fall von V. 34-35 unnötig ist.716 Manche Vorschläge, die versuchen, V. 34-35 als paulinischen Text zu erklären, sind nicht plausibel. 1. Die Aussagen in 11,5 und in 14,34-35 spiegeln verschiedene Stufen der korinthischen Korrespondenz wider; das Schweigegebot gehört zu einem späteren Brief, in dem Paulus sich aufgrund aktuellerer Informationen zu schärferen Maßnahmen gezwungen sah, um den Enthusiasmus in Korinth zu dämpfen.717 Abgesehen von der problematischen Teilungshypothese scheitert diese Erklärung an der Berufung auf die anderen Gemeinden in 11,16 und in 14,33b. 2. Der Text V. 34-35 wurde von Paulus geschrieben, allerdings nicht als seine Meinung, sondern als Zitat aus dem Brief der Korinther, in dem männliche Chauvinisten den Frauen das Reden verbieten wollten; er lehnt in V. 36 diese Position ab.718 Im Wortlaut des Textes gibt es keine Hinweise, die dem Leser mitteilen, dass es sich in V. 34-35 um ein Zitat und in V. 36 um den Kommentar von Paulus handeln würde. 3. Paulus macht in 11,5 eine Konzession an die Beteiligung von Frauen, allerdings nur ungern, und im Zusammenhang mit der Frage der Kopfbedeckung bzw. Haartracht; in 14,34-35 hören wir seine eigentliche Meinung.719 Dass 11,5 eine Konzession ist, lässt sich jedoch weder am Wortlaut noch am Kontext verifizieren. 4. In 11,5 geht es um private Hausandachten, ————————————————————
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Lindemann 321. Ähnlich Crüsemann, Frauenfeindlich, 222-223, die fordert, jede Bibelübersetzung an dieser Stelle mit einer Fußnote zu versehen, in der die Aussagen von V. 3435 abgelehnt werden (unabhängig davon, ob man sie für paulinisch oder unpaulinisch hält). Für die Authentizität von V. 34-35 argumentieren Witherington 287-288; Wolff 341-345; Kremer 312; Thiselton 1148-1150; Garland 675-676; Kähler, Frau, 76-78; Ellis, Women, 213-220; Grudem, Prophecy, 239-255; Carson, Spirit, 121-131; Fiorenza, Gedächtnis, 287; Schottroff, Befreiungserfahrungen, 244; Rowe, Silence, 41-84; Wire, Women Prophets, 149-152; Mitchell, Rhetoric, 281-282; Keener, Paul, 81-83; Maier, Study, 81104; Jervis, Reconsideration, 51-52; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 360; Niccum, Manuscripts, 242-250; Dunn, Theology of Paul, 591-592; Keener, Learning, 161-162. Schmithals, Gnosis in Korinth, 230-232, der Kap. 14 zu Brief B rechnet. Ähnlich Allison, Women, 27-60, der annimmt, V. 33b-36 gehöre zu einem früheren Brief. Flanagan/Hunter, Women, 10-12; Odell-Scott, Women, 90-93; Talbert 92-93. Lietzmann 75; Wire, Women Prophets, 153-154 nimmt eine rhetorische Strategie an, um die „Entwicklung“ von 11,5 zu 14,34-35 zu erklären.
844 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— in 14,34-35 um den öffentlichen Gottesdienst.720 In Kap. 11 geht es jedoch durchweg um die Versammlungen der Gemeinde, die sich damals in Häusern versammelten, d.h. einen Unterschied zwischen Hausversammlungen und Gemeindeversammlungen hat es nicht gegeben. 5. In 11,5 ist von alleinstehenden Frauen die Rede, die öffentlich prophezeien dürfen, während in 14,34-35 von verheirateten Frauen die Rede ist. Beides sind Annahmen, die sich nicht mit Notwendigkeit aus dem Text ergeben, und vor allem im Blick auf 11,5 nicht plausibel sind. 6. Bei Reformatoren und Pietisten721 findet man häufig die Erklärung, in 11,5 sei von Amtsträgerinnen die Rede, die öffentlich beten und prophezeien dürfen, in 14,34-35 von Frauen ohne Gemeindeamt.722 Eine solche Unterscheidung ist weder im Text zu erkennen noch für die christlichen Gemeinden des 1. Jahrhunderts plausibel. 7. Paulus folgt der rabbinischen Tradition, nach der Frauen im Gottesdienst keine offiziellen Funktionen wahrnahmen noch im Lehrhaus Fragen stellen durften.723 Abgesehen von der Problematik der Datierung der relevanten rabbinischen Texte ist auch diese Erklärung nicht stichhaltig: Paulus unterscheidet in 1Kor nirgends zwischen offiziellen und nicht-offiziellen Funktionen. 8. Paulus unterbindet in 14,34-35 ein störendes Dazwischenreden oder Dazwischenfragen von Frauen, nicht das geistgewirkte Beten und Prophezeien von Frauen.724 Diese Erklärung setzt voraus, dass ab V. 33b ein anderes Problem der Ordnung im Gottesdienst behandelt wird, was im Text nicht angezeigt ist. Auch wird nicht klar, weshalb Paulus nur von dazwischenredenden Frauen spricht, da man sich sehr wohl auch dazwischenredende Männer vorstellen kann. 9. Plausibler ist der Vorschlag, dass Paulus von unterschiedlichen Rollen der Frauen in der Gemeinde spricht, die zwei Sozialerfahrungen widerspiegeln: In 11,5 geht es um das gottesdienstliche Beten und Prophezeien, in 14,343-5 um Beratungen und Lehrgespräche der Männer.725 Diese Erklärung von E. und W. Stegemann erkennt richtig, dass kulturelle Konventionen eine Rolle spielen, in denen die Ehrbegriffe der Männer und die Scham der Frau eine Rolle spielen; nicht überzeugend ist die Unterscheidung von „gottesdienstlichen Begehungen“ und „Beratungen“; zudem bleiben diese „Beratungen“, die als „Lehrgespräche“ beschrieben werden, genauso blass wie der Anlass für die Scham. Der Schlüssel für das Verständnis von V. 34-35 im Kontext von Kap. 11 ist der Hinweis 1. auf Autorität: in V. 34 spricht Paulus von Unterordnung, in 11,2-12 vom Mann als „Haupt“ der Frau; 2. auf das Verhältnis von Frauen zu Männern, die sie „zu Hause“ befragen können (V. 35); 3. auf Schande (αισχρο' ς, V. 34). Es geht in V. 3435 offensichtlich um Sachverhalte, bei denen kulturelle Fragen eine Rolle spielen, in denen das Verhältnis einer Frau zu dem für sie verantwortlichen Mann – dem Ehemann, oder dem Vater, oder einem Vormund – und der Unterschied zwischen öffentlichem Verhalten und dem Verhalten „zu Hause“ entscheidend waren. Im unmittelbar vorausgehenden Kontext geht es um die Beurteilung prophetischer Rede (V. 29-33), ————————————————————
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Bachmann 425; Schlatter 389-390. Spener, Schriften III 1.1, 464. Greeven, Ämter, 7. Tomson, Paul, 137-139. Heinrici 436; Kümmel 190; Wolff 344; G. Delling, ThWNT VIII, 44; Kähler, Frau, 7678; Merk, Handeln, 146-147; Forbes, Prophecy, 273-277; Paige, Social Matrix, 217-242. Stegemann/Stegemann, Sozialgeschichte, 340-341. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 361 verweist für diese Interpretation auf 1QSa 2,3-10; Hippolyt, Trad. Apost. 28.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 845 ———————————————————————————————————— im nachfolgenden Kontext werden in V. 37 ebenfalls Propheten erwähnt. Deshalb ist folgende Erklärung am plausibelsten. In der korinthischen Gemeinde waren Frauen an dem Prozess beteiligt, durch den Prophezeiungen geprüft und beurteilt wurden (V. 29). Ob sie selbst das Charisma der prophetischen Rede hatten, ist möglich, aber für die Rekonstruktion der Situation nicht notwendig. Im Verlauf dieser Beurteilungen gab es wohl Fälle, in denen Frauen ein Urteil über Prophezeiungen abgaben, die von ihren Ehemännern, Vätern oder Vormündern mitgeteilt worden waren. Eine kritische Befragung des pater familias wäre im 1. Jahrhundert als Affront (αισχρο' ς) gegen die Autorität des Ehemannes oder Vaters und als Unterminierung der Ordnung des Haushalts, im Kontext der Gemeindeversammlung auch der Gemeinde empfunden worden. Paulus weist die Frauen an, die Fragen, die sie im Blick auf die Prophezeiungen ihrer Ehemänner, Väter oder Vormünder haben, zu Hause zu stellen, um sowohl für das Haus als auch für die Gemeinde den Anstand zu wahren.726 Ein beliebter Einwand gegen diese Auslegung besteht in dem Hinweis, dass das alles nicht so genau im Text steht. Dies ist richtig, aber die vorausgesetzten Annahmen haben deutliche Anhaltspunkte im Text (Frauen, Mann, Haus, Schande) und sind historisch und kulturell plausibel. Der einzige Einwand von W. Schrage, es sei „schwerlich zu begründen, warum gerade V 29b im Visier sein und die Kompetenz zur Prophetie nicht auch die ihrer möglichen Beurteilung einschließen soll“,727 ist nicht stichhaltig; er lässt die Kriterien für das öffentliche Verhalten von Frauen außer acht, die in der zeitgenössischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung waren.
Die „Frauen“ (αι γυναι^κες) sind also entweder verheiratete Frauen, oder unverheiratete Frauen, die im Haus des Vaters oder eines Vormunds wohnen, denen sie Schande bereiten können (V. 35a). Die Aussage V. 35a setzt voraus, dass der Ehemann, der Vater oder der rechtliche Vormund zur Gemeinde gehört. Es geht um das Verhalten „in den Gemeindeversammlungen“ (ε ν ται^ς ε κκλησι' αις). Paulus ordnet an, dass die Frauen „schweigen“ sollen (σιγα' τωσαν, 3. Pers. Plur.). Die Regelung erinnert an die Anweisung, dass Glossolalen „schweigen“ (σιγα' τω, 3. Pers. Sing.) sollen, wenn keiner übersetzen kann (V. 28), und dass Propheten „schweigen“ (σιγα' τω) sollen, wenn einem anderen, der das Charisma der prophetischen Rede hat, eine Offenbarung geschenkt wird (V. 30).728 Im Kontext der Beurteilung einer in der Gemeinde ————————————————————
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Thrall 102; Witherington 287-288; Thiselton 1152-1161; Garland 667-669; Klein, Church, 8; Hurley, Women, 216-220; Ellis, Women, 213-220; Grudem, Prophecy, 239255; Carson, Spirit, 121-131; Witherington, Women, 90-104; Ellis, Pauline Theology, 6771; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 361-362. Zuerst hat Seeberg, Frauen, 131 diese Erklärung vorgetragen (Schrage III 489 Anm. 748). Schrage III 489. Zu dem Einwand von Wolff 345, dass diese Deutung V. 35a nicht erklären könne, s. unten zu V. 35. Lindemann 317-321 lässt diese Erklärung unerwähnt. Lindemann 315 notiert diese Parallele, wendet jedoch ein, in V. 30 sollten die Propheten im gegebenen Augenblick schweigen, während die Frauen ständig schweigen sollen. Der Grund für diesen Unterschied liegt bei der oben skizzierten Auslegung auf der Hand: In V. 30 geht es um die Ordnung im Gottesdienst, der nicht von einigen wenigen Gemeindegliedern dominiert werden soll, d.h. es geht um das Gegenüber von Gemeinde und Prophet,
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vorgetragenen prophetischen Botschaft ist das Schweigen am plausibelsten auf die Beteiligung an diesem Prozess zu beziehen, der durch kritische Fragen im Blick auf die Echtheit der Prophezeiung und ihrer Bedeutung für die Gemeinde bestimmt war. Da Paulus in 11,5 vorausgesetzt hatte, dass Frauen in der Gemeinde beten und prophezeien, kann sich „schweigen“ nicht generell und absolut auf jeden Wortbeitrag von Frauen beziehen. Im Kontext des Themas „Prophetie“ in 14,29-33, bei dessen Behandlung Paulus ebenfalls die Vokabeln „reden“, „schweigen“ und „lernen“ verwendet hatte (λαλει' τωσαν, V. 29; σιγα' τω, V. 30; μανθα' νωσιν, V. 31), bezieht sich das Schweigen in V. 34 entweder auf das prophetische Reden, das sie beenden sollen (wenn andere mit einer Offenbarung aufstehen), oder, was plausibler ist, auf das kritische Beurteilen einer prophetischen Rede ihres Mannes, ihres Vaters oder ihres rechtlichen Vormunds: Sie sollen „schweigen“ (σιγα' τωσαν), „nicht reden“ (ου . . . λαλει^ν) und zu Hause „lernen“ (μαθει^ν, V. 35). Die erklärende (γα' ρ)729 Wendung: es ist ihnen nämlich nicht erlaubt, zu reden (ου γα` ρ ε πιτρε'πεται αυ ται^ς λαλει^ν) leitet die folgende Begründung durch das Gesetz ein,730 oder bezieht sich auf die griechisch-römische Tradition, dass Frauen in der Versammlung (ε κκλησι' α) der Polis an den Beratungen nicht beteiligt waren.731 Bei Aristophanes beklagt sich Lysistrata, dass sich die Frauen bei ihren Männern nach den Beratungen in der ε κκλησι'α erkundigen, um immer nur mit dem Hinweis „Was kümmert dich das? . . . Ich rate dir, schweig!“ abgespeist zu werden (Aristophanes, Lys. 506-520). Für Philo sind die Marktplätze, die Ratshäuser, die Gerichtshöfe und generell die Orte, wo diskutiert und gehandelt wird (δια` λο' γων και` πρα' ξεων), eine Sache der Männer (α νδρα' σιν ε φαρμο' ζουσι), während das weibliche Geschlecht seine ————————————————————
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während es in V. 34 um das Gegenüber von Frau und Mann geht. Es handelt sich also nicht um die Formulierung des Schweigegebots in einem Doppelsatz, wie Wolff 345 meint. Aalen, Formula, 513-525: die Wendung ε πιτρε' πεται dient in rabbinischen Texten bei Zitaten und Anspielungen auf die Tora der Autorisierung, vgl. Josephus, Ant 20,216; Ap 2,204; tYeb 8,1; vgl. Mt 19,8. Vgl. Weiss 342: „Das Passivum weist auf eine bereits geltende Bestimmung zurück“; Thiselton 1152. Die Belege der dokumentarischen Papyri zeigen, dass bei dem Wort ε πιτρε' πω, das meist negiert verwendet wird (wie hier bei Paulus) „der verbindliche und gültige Charakter eines Auftrags oder einer Erlaubnis“ eine Rolle spielt, und dass es stets eine Autorität ist, „die jemandem ihre Zustimmung gibt oder diese verweigert“ (R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 465-466 mit Hinweis u.a. auf P.Cair.Zen. II 59289,9; C.Ord.Ptol. 61,4-5; P.Lond. VI 1912,30.42-43; P.Enteux. 87,5-6. Stegemann/Stegemann, Sozialgeschichte, 341, mit Hinweis auf Aristophanes, Lys. 506520; vgl. Garland 670, mit Verweis auf Thukydides, Hist. 2,45,2; Philo, Spec.Leg. 3,169175. Wenn Lindemann 315 meint, dass „jede nähere Charakterisierung fehlt“ und die Aussage deshalb „generell gemeint“ sei, ist das nicht überzeugend: Der Kontext muss entscheiden, um welches Reden es konkret geht.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 847 ———————————————————————————————————— Tätigkeiten auf das Haus beschränken sollte (δε` οικουρι'α και` η ε»νδον μονη' , Philo, Spec. Leg. 3,169).
Die Frauen sollen sich unterordnen (α λλα` υ ποτασσε'σθωσαν). Die adversative Konjunktion α λλα' macht deutlich, dass das Schweigen der Frauen mit der Unterordnung der Frauen unter ihre Ehemänner zu tun hat, also nicht „kategorisch“ oder „generell“ gemeint ist.732 Die Aufforderung zur Unterordnung wird unterschiedlich erklärt: Es handelt sich um die Unterordnung 1. unter die Gemeindeordnung bzw. unter die Ordnung des Gottesdienstes;733 2. unter die Ordnung Gottes bzw. der Gesellschaft;734 3. unter die apostolischen Anweisungen;735 4. unter den Ehemann.736 Diese Erklärungen geben alle einen Sinn, im Kontext von V. 35 ist wohl am ehesten an die Unterordnung unter den Ehemann, den Vater oder den rechtlichen Vormund zu denken. Dabei signalisiert Unterordnung nicht die Minderwertigkeit der (Ehe-)Frauen, sondern die Orientierung an der Schöpfungsordnung Gottes, in der der Ehemann das „Haupt“ der Frau ist (s. oben zu 11,3). Dieser Bezug entspricht den Aussagen in den Haustafeln in Kol 3,18 und Eph 5,22 (vgl. Tit 2,5; 1Petr 3,5 sowie Röm 7,2). Die Aufforderung zur Unterordnung deutet darauf hin, dass die Wortmeldungen der Frauen im Gottesdienst einer Auflehnung gegen die Autorität des Mannes, dem sie Respekt schuldeten, gleichkamen. Die Wendung: wie auch das Gesetz sagt (καθω` ς και` ο νο' μος λε'γει) wird von vielen auf Gen 3,16 („du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über dich herrschen“) bezogen,737 was aber schwierig ist, weil dort weder vom Schweigen der Frau noch von der Unterordnung der Frau die Rede ist. Auch Num 12,1-15 wurde als Bezugstext vorgeschlagen: Mirjam, die prophetisch begabt war, wurde von Gott bestraft, als sie die Autorität Moses in Frage stellte, während Aaron, der ebenfalls Mose in Frage stellt, nicht bestraft wurde.738 Die rabbinische Exegese berief sich für die Tatsache, dass Frauen ————————————————————
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Gegen Schrage III 488; Lindemann 315. Das Argument von Schrage III 490, der absolute Gebrauch von υ ποτασσε' σθωσαν (ohne Obj.) sei „nicht im paulinischen Sinn verwendet“, ist linguistisch unhaltbar: Woher will man wissen, dass Paulus das Verb υ ποτα' σσεσθαι nie ohne Objekt verwendet? Wolff 345; Kremer 312; Liefeld, Submission, 151; Witherington, Women in the Earliest Churches, 102-103 Kistemaker 512; Thiselton 1153-1155; Dautzenberg, Stellung, 194; Baumert, Antifeminismus, 127, im Sinn der „Ordnung, welche das gesellschaftliche Leben der Juden trägt“ (in den Synagogen durften Frauen sich nicht öffentlich beteiligen). Hasler, Frau, 41. Schlatter 387; Garland 668.672; Grudem, Prophecy, 255; Carson, Spirit, 129; Keener, Learning, 169. Chrysostomus 315; Theodoret 348; Bengel 674; Meyer 404; Godet II 173; Kremer 312313; Grudem, Prophecy, 253. Liefeld, Submission, 149-150.
848 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
in den öffentlichen gottesdienstlichen Versammlungen nicht sprachen, auf Dtn 22,16 („und der Vater des Mädchens soll zu den Ältesten sagen“); in Sifre Dtn 22,16 §235 (117b) heißt es: „Hieraus ergibt sich, dass die Frau nicht das Recht hat, am Ort des Mannes (oder: an Stelle des Mannes) zu reden“. Plausibler ist die Erklärung, dass Paulus allgemein auf die Schöpfungsordnung (Gen 2) verweist.739 35 Die Aufforderung: wenn sie jedoch etwas in Erfahrung bringen wollen, sollen sie zu Hause ihre Ehemänner fragen enthält zwei Bestimmungen. Erstens, die Frauen sollen ihre „Ehemänner“ (του` ς ι δι' ους α»νδρας; wörtlich „ihre eigenen Männer“) fragen. Diese Anweisung zeigt, dass es in der Tat nicht um Frauen und Männer generell geht, sondern um den „Ehemann“; die Wendung ο »ιδιος α νη' ρ kann man eventuell auch im Sinn von „der für sie verantwortliche Mann“ wiedergeben, wenn es im Kontext nicht nur um den Ehemann geht, sondern vielleicht um den Vater oder einen anderen rechtlichen Vormund. Es geht also konkret um das Verhalten von Frauen im Gottesdienst, das ihr Verhältnis zu ihrem (Ehe-)Mann negativ beeinflusst. Zweitens, die Wortmeldungen, die in der Gemeindeversammlung erfolgen, sollen auf das „Haus“ (ε ν οι»κω, ) verlagert werden. Was zu Hause möglich ist, ist in der Öffentlichkeit des Gottesdienstes unmöglich. Diese beiden Bestimmungen zeigen, dass die Anweisungen, die Paulus für die Frauen formuliert, öffentliches Verhalten betreffen, das von zeitgenössischen kulturellen Sachverhalten tangiert wird. Wenn die oben beschriebene Rekonstruktion zutrifft und es konkret um das Bewerten prophetischer Rede geht, dann beschreibt das Verb μανθα' νω weniger das Lernen generell, sondern das „Erfahren“ von Einzelheiten im Blick auf prophetische Offenbarungen, die in der Gemeinde vorgetragen wurden: Die (Ehe-)Frau will durch ihre kritische Befragung (ε περωτα' τωσαν)740 ihres Mannes „in Erfahrung bringen“, ob seine prophetische Botschaft authentisch ist.741 ————————————————————
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Bruce 136; Thiselton 1153-1154; Ciampa /Rosner 743; Carson, Spirit, 129; Keener, Paul, 86-87. In 1Kor 11,8-9 und in 1Tim 2,13, wo es ebenfalls um die Rolle der Frauen geht, beruft sich Paulus auf Gen 2. Vgl. Schrage III 491 Anm. 760. Thiselton 1159-1160 versteht ε περωτα' ω im Sinn der examinierenden, untersuchenden Befragung durch den Richter; diese Bedeutung hat ε περωτα' ω in Mt 27,11; Mk 14,60-61; 15,2.4; Joh 9,19; 18,21; Apg 5,27; Bauer /Aland s.v. ε περωτα' ω 1b. Für Papyrusbelege für diese Bedeutung vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 467-468; vgl. P.Petr. II 32 (1),33-34; UPZ I 119,1.19 u.a.; in anderen dokumentarischen Texten ist aber auch die eigentliche Bedeutung „dazufragen, nachfragen“ belegt; vgl. PSI IV 406,46-49; O.Florida 7,2-3. Schrage III 492 verspottet die Aussage in V. 35a mit dem Satz: „Selbst ihr Lernen wird verlagert“. Dass dies nicht die Bedeutung der Aussage sein kann, liegt auf der Hand, unabhängig davon, ob man V. 34-35 für paulinisch oder für unpaulinisch hält. Natürlich lernen die Frauen im Gottesdienst: Paulus hatte seit 12,1 argumentiert, dass alles, was im Gottesdienst gesagt wird, zum Nutzen aller Anwesenden gesagt werden soll, also auch zum
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Der Begründungssatz (γα' ρ) in V. 35b liefert das Stichwort, das die konkrete Situation, um die es geht, erhellt: Denn es ist für eine Frau eine Schande, in der Gemeindeversammlung zu sprechen (αι σχρο` ν γα' ρ ε στιν γυναικι` λαλει^ν ε ν ε κκλησι' α, ). Es geht nicht um das Reden (λαλει^ν) allgemein, sondern um solches Reden, das „Schande“ bringt (αι σχρο` ν ε στιν), d.h. das unziemlich, schändlich, skandalös ist. In 11,5 sprach Paulus von Frauen, die mit unverhülltem Kopf beten und dadurch ihr „Haupt“ schänden, d.h. ihrem (Ehe-)Mann Schande bringen. Derselbe kulturelle Kontext liegt hier vor: Die Frau soll in der Öffentlichkeit der Gemeindeversammlung die Ehre des (Ehe-) Mannes nicht verletzen und ihm so Schande bereiten. Juvenal kritisiert die gebildete (Ehe-)Frau, die bei einem Festmahl ihren Mann oder andere Männer bloßstellt (Sat. 6,449-456). Livius berichtet von Catos Entrüstung über Frauen, die öffentlich gegen ein Gesetz protestieren, das festlegte, wie viele Juwelen einer Frau maximal gehören können: Cato meint, diese Frauen hätten diese Angelegenheit mit Männern auch zu Hause besprechen können. 742 Wenn eine Frau im Gottesdienst betet oder prophezeit, bringt sie ihrem Mann keine Schande. Wenn sie jedoch mit kritischen Fragen die Echtheit seiner prophetischen Rede überprüft, dann bringt sie ihm sehr wohl Schande – ein Kreuzverhör ist immer eine peinliche und demütigende Angelegenheit, zumal wenn es einen negativen Ausgang hat, und deshalb sollen sich (Ehe-)Frauen an diesem Prozess nicht beteiligen. In der Befragung eines Propheten geht es nicht nur um theologische Richtigkeit und Relevanz, sondern auch um den geistlichen Zustand und um die Lebensweise des Propheten. Wenn ein prophetisch Redender sich sagen lassen muss, dass seine als göttliche Offenbarung vorgetragene Botschaft nicht von Gott kommen kann, wird er in seiner Ehre verletzt. Paulus will dies nicht vermeiden. Was er vermeiden will ist eine Situation, in der sich Frauen an dieser potentiell beschämenden Ehrverletzung beteiligen, die unter der Obhut des betreffenden Mannes (d.h. des Ehemannes, des Vaters oder eines Vormunds) stehen. Gerade bei persönlichen Fragen zur Lebensweise hätte die (Ehe-)Frau wahrscheinlich einiges zu sagen, was für den Mann sehr schnell peinlich werden könnte. Wenn die Frau ihren Mann zu Hause zu seiner prophetischen Botschaft befragen will, um in Erfahrung zu bringen, ob sie als authentische Offenbarung Gottes gelten kann – vielleicht sogar noch vor der Verkündigung der Offenbarung in der Gemeindeversammlung –, dann wird sich der Mann vielleicht auch in seiner Ehre verletzt fühlen und beschämt sein, wenn sich herausstellt, dass nicht Gott, sondern nur ————————————————————
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Nutzen der anwesenden Frauen. Paulus verlagert nicht das „Lernen“ der Frauen ins Haus, sondern das Befragen des Mannes. Livius, 34,2,9-10: istud ipsum suos quaeque domi rogare non potuistis? Vgl. Garland 668; Forbes, Prophecy, 275.
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er selbst geredet hat.743 Aber die Öffentlichkeit der Gemeinde wird diese Beschämung nicht mitbekommen: Die Frau tritt nicht als Richterin ihres Mannes auf. 36 Dieser Vers gehört nicht zu V. 34-35 (die Frauen wurden dort nicht direkt angesprochen); der Wechsel in V. 36 zur 2. Pers. Plur. deutet an, dass Paulus jetzt wieder die ganze Gemeinde anredet. Die abschließenden Bemerkungen in V. 36-40 betreffen den Status der korinthischen Gemeinde im Kontext der urchristlichen Mission (V. 36), seine apostolische Autorität (V. 37-38), die Praxis der prophetischen und glossolalischen Rede (V. 39) sowie Anstand und Ordnung in den Gemeindeversammlungen (V. 40). Die beiden rhetorischen Fragen in V. 36 erinnern die korinthischen Christen ironisch an ihre Stellung im Gesamtzusammenhang der internationalen Bewegung der Jesusbekenner. Die erste Frage: Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen? (η α φ’ υ μω ^ ν ο λο' γος του^ θεου^ ε ξη^ λθεν) ist selbstverständlich mit „Nein“ zu beantworten. Jeder Jesusbekenner, der zum Glauben an das „Wort Gottes“, 744 d.h. an das Evangelium von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus gekommen war, wusste, dass Jesus in Galiläa gelebt hat und in Jerusalem gestorben und auferstanden war und dass die Botschaft vom Heil in Jesus Christus von den Aposteln zuerst in Jerusalem verkündigt wurde. 745 Es wäre also anmaßend, wenn die korinthischen Christen bestimmen wollten, wie man in den Versammlungen der Jesusbekenner mit den Charismen des Heiligen Geistes umgehen soll, namentlich des Charismas der glossolalischen Rede und der prophetischen Rede. Die zweite Frage: oder ist es allein zu euch gelangt? (η ει ς υ μα^ς μο' νους κατη' ντησεν;) erinnert die Korinther an die Tatsache, dass es noch viele andere Gemeinden gibt, die ebenfalls das Wort Gottes angenommen haben und in ihren Versammlungen zu Gehör bringen und ihm gehorsam sind. 746 Das Geschehen in der Gemeindeversammlung kann „ohne viel Federlesens von bestimmten Pneumatikern in die eigene Hand genommen und nach eigenem Geschmack umfunktioniert werden“.747 Sie sind nicht die einzige Gemeinde, „so daß sie sich über allgemein geltende Normen hinwegsetzen ————————————————————
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Thiselton 1159 verweist auf Mt 13,57: „Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat und in seiner Familie (και` ε ν τη^, οικι'α, αυ του^ )“ (EÜ); vgl. Mk 6,4-5; Lk 4,24; Joh 4,44. Paulus verwendet den Ausdruck ο λο' γος του^ θεου^ noch in 2Kor 2,17; 4,2; Röm 9,6; Phil 1,14; 1Thess 2,13. H. Ritt, Art. λο' γος, EWNT II, 883 bezieht den Ursprung des „Wortes Gottes“ in V. 36 auf Gott, G. Schneider, Art. ε ξε' ρχομαι, ThWNT II, 677 auf den „von Gott legitimierten Apostel“. Im Kontext von V. 33b ist aber wohl an einen Ort gedacht. Vgl. die Verweise auf die anderen Gemeinden in 4,17; 7,17; 11,16. Schrage III 458.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 851 ————————————————————————————————————
dürften. Daher sollen sie auch keine Neuerung dulden, die zu einer Unordnung führt, wie sie in den anderen Gemeinden nicht anzutreffen ist“. 748 Mit diesen rhetorischen Fragen nimmt Paulus Einwände der Christen in Korinth im Blick auf seine Anweisungen vorweg, die sich im Blick auf den Umgang mit den Gaben des Geistes ergeben können. In Kap. 12 hatte Paulus die Vielfalt der Gaben betont, die der Heilige Geist jedem Jesusbekenner austeilt. In Kap. 14 betonte Paulus das Kriterium der Erbauung, nach dem die Praktizierung der Charismen für die ganze Gemeinde nützlich sein muss. Zum Abschluss der Diskussion über die Geistesgaben betont Paulus die Einheit der Gaben und der Wirkungen des Geistes in den Gemeinden, die alle Jesusbekenner beherzigen müssen.749 In der nächsten Aussage verweist er auf seine Autorität als Apostel. 37-38 In den abschließenden vier Versen formuliert Paulus jeweils mit einem Imperativ. Zunächst betont er, dass er mit der Autorität des Herrn schreibt. Der Satz: Wenn jemand meint, ein Prophet oder ein vom Geist Begabter zu sein (V. 37a) ist wohl kritisch gemeint.750 Wenn jemand sich als „Prophet“ (προφη' της) einschätzt, d.h. als einer, der das Charisma der prophetischen Rede hat, oder als “ein vom Geist Begabter“ (πνευματικο' ς), d.h. als Christ, der wie alle Jesusbekenner den Heiligen Geist und von diesem eine geistliche Gabe erhalten hat,751 dann ist das Kriterium für die Richtigkeit dieser Selbsteinschätzung der Gehorsam gegenüber dem Gebot des Herrn, das Paulus vermittelt. Dieses Kriterium hat für die Korinther wie für die anderen Gemeinden (vgl. V. 36) imperativische Gültigkeit, und zwar immer (ε πιγινωσκε'τω, Imp. Präs.). Selbsteinschätzungen sind immer subjektiv, auch die von Christen. Die objektive Bestätigung ergibt sich aus dem Gehorsam gegenüber dem „Herrn“ (κυ' ριος), d.h. Jesus Christus.752 Die Prophetie der mit dem Charisma der prophetischen Rede begabten korinthischen Christen ist und bleibt der Autorität des Paulus untergeordnet, der als vom Herrn berufener und gesandter Apostel das Gebot des Herrn (κυρι' ου ε ντολη' ) weitergibt und lehrt (V. 37b). Mit ε ντολη' beruft sich Paulus nicht auf ein Jesuswort, sondern nimmt für das von ihm Geschriebene die Autorität Jesu Christi in Anspruch. Die Erbauung der Gemeinde ist immer ein Bauen auf dem Fundament, das der Apostel gelegt ————————————————————
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Wolff 346-347; ähnlich Lindemann 321. Fee 709; Thiselton 1162, der Fee durch die dritte Betonung ergänzt. Zu der Wendung ει» τις . . . ει ναι vgl. 3,18; vgl. 8,2; 10,16. Wolff 347: „die in besonderer Weise ihren Geistbesitz bekunden“. Anders Heinrici 437; Weiss 343; Schrage III 459; Horn, Angeld, 182, die πνευματικο' ς als Hinweis auf die Glossolalen interpretieren. Da diese Verse Kap. 12–14 abschließen, ist es plausibler, πνευματικο' ς als Oberbegriff zu interpretieren; vgl. E. Schweizer, ThWNT VI, 420. Wolff 347 will begründen, dass mit κυ' ριος Gott gemeint ist. Paulus bezeichnet mit κυ' ριος aber fast immer Jesus Christus.
852 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
hat (3,10-11).753 Die Wendung was ich euch schreibe (α γρα' φω υ μι^ν) bezieht sich mindestens auf Kap. 12–14, wahrscheinlich auf den ganzen Brief, in dem er seit 1,10 wiederholt Mahnungen ausgesprochen und Anweisungen gegeben hat. Die Betonung seiner apostolischen Autorität ist weder „gereizt“ noch ein Hinweis auf korinthische Angriffe.754 Sie entspricht einerseits dem Recht seiner Berufung und Sendung durch den erhöhten Herrn, zum anderen dem, was in einer peroratio, in der „alle Affektschleusen geöffnet werden“ können, zu erwarten ist.755 Wenn jemand die Ausführungen und Anweisungen des Apostels nicht anerkennt (α γνοει^, die negative Entsprechung zu ε πιγινωσκε'τω, V. 37), der wird seinerseits nicht anerkannt (α γνοει^ται), d.h. den wird das Gericht Gottes treffen.756 Eine atl. Parallele findet sich in 1Sam 15,26, wo Samuel zu König Saul sagt: „Du hast das Wort des Herrn verworfen, und nun hat der Herr dich verworfen“. Und Jesus sagt in Mk 8,38: „Wer sich vor dieser treulosen und sündigen Generation meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen“ (vgl. Lk 12,9). Paulus hatte seine Behandlung des Themas der Geistesgaben in 12,4-6 mit einem Hinweis auf die Gaben, Dienste und Kräfte eingeleitet, die der Geist, der Herr und Gott der Gemeinde und jedem Gemeindeglied zugeteilt und zur Verfügung gestellt hat. Gott hat der Gemeinde diese Gaben gegeben, damit sie und das heißt ihre einzelnen Glieder auferbaut werden nach dem Maßstab der Liebe, die er in Jesus Christus Wirklichkeit werden ließ. Wer sich beim Umgang mit den Gaben des Geistes nicht um die Erbauung der Gemeinde kümmern will, sondern sich nur um Selbsterbauung und Prestigezugewinn sorgt, der kann unmöglich von Gott anerkannt werden als ein Jesusbekenner, der in authentischer Weise den Spuren des Heiligen Geistes folgt. 757 39 Mit der Anrede meine Brüder (α δελφοι' μου) und der schlussfolgernden Konjunktion ω « στε weist Paulus die Korinther noch einmal auf sein Hauptanliegen hin, das er in Kap. 14 entfaltet hatte. Die Aufforderung: strebt nach ————————————————————
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Schrage III 459. Bachmann 425: Paulus erkennt den Anspruch der Korinther, prophetisch begabt oder vom Geist ergriffen zu sein, erst dann an, wenn der Betreffende „gewillt und imstand ist, die autoritative Geltung der Ausführungen des Ap[ostels] einzusehen“. Vgl. Schrage III 459, sowie Wolff 347. Von einer Bestreitung seiner Autorität ist im 1Kor nichts zu erkennen, vgl. Lindemann 322. Lausberg, Handbuch, 238 (§436); vgl. Garland 673-674. GN macht das passivum divinum explizit: „Wer das nicht anerkennt, wird auch von Gott nicht anerkannt“; vgl. Hfa, Menge, Wilckens. Andere interpretieren im Sinn einer NichtAnerkennung durch Paulus (Bachmann 426; Barrett 334) oder durch die Gemeinde (Moffatt 230; NRSV, ZB). Um eine kirchenrechtliche Androhung (Dautzenberg, Prophetie, 255), geht es nicht. Ganz anders SÜ, ohne Rücksicht auf die Formulierung im Passiv: „Wenn es aber jemand mißachten will, der mißachte es!“. Vgl. Thiselton 1166.
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dem prophetischen Reden (ζηλου^ τε το` προφητευ' ειν) greift V. 1 auf und wertet gleichzeitig das glossolalische Reden ab, wie es in den Versammlungen praktiziert wurde. Damit aber keine Missverständnisse aufkommen, fügt Paulus hinzu: Das Reden in Sprachen hindert nicht (το` λαλει^ν μη` κωλυ' ετε γλω' σσαις). Streben sollen sie nach der Sprachengabe nicht, aber sie sollen dieses Charisma auch nicht unterdrücken. 40 Der abschließende Satz fasst die praktischen Anweisungen zusammen: Alles aber geschehe in Anstand und Ordnung. Paulus formuliert mit dem Adv. ευ σχημο' νως („anständig, von guter Gestalt, guter Haltung“) eine Aufforderung, die „natürliche“ Normen voraussetzt, die wie in V. 23 die „Rücksichtnahme auf das Urteil von Nichtchristen einschließt“.758 Zum Beispiel ist es nicht anständig, vor anderen in einer Sprache zu sprechen, die diese nicht verstehen können. Der Maßstab der „Ordnung“ (κατα` τα' ξιν) greift auf die geregelte Reihenfolge der Wortbeiträge zurück, von der in V. 27-33 die Rede war. Dies gilt dort konkret für das glossolalische und prophetische Reden, aber das an erster Stelle stehende „alles“ (πα' ντα) lässt die Anwendung dieses Maßstabs auf das gesamte Geschehen in den Gemeindeversammlungen zu. Die geordnete Durchführung von Versammlungen wird in zeitgenössischen Texten mehrfach erwähnt. Josephus schreibt im Blick auf die Essener: „Weder Geschrei noch Lärm entweiht jemals das Haus, sie gewähren einander, der Ordnung nach (ε ν τα' ξει) zu sprechen“ (Bell. 2,132). Aelius Aristides beschreibt in Or. 3,559 die Rolle der griechischen Stadtstaaten während der Perserkriege: „Daher wurden diese Angelegenheiten eben von den Athenern in angemessener Weise (ευ σχημο' νως) vollbracht; wenn aber angemessen, dann auch geregelt (τεταγμε'νως); wenn aber geregelt, dann auch ordentlich (κοσμι' ως)“.759 Im Zusammenhang des Hinweises auf das Gebot des Herrn ist der Ordnungsgedanke jüdisch, nicht stoisch.760 Das Wirken des Heiligen Geistes und Ordnung schließen sich nicht aus, im Gegenteil: nur wenn es eine Ordnung gibt, ist die Erbauung der Gemeinde als Leib Christi mit vielen Gliedern gewährleistet.
IV In der korinthischen Gemeinde gab es offensichtlich Christen, denen es bei der Praktizierung der Geistesgaben um die selbstbewusste Zurschaustellung ————————————————————
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Schrage III 461; vgl. H. Greeven, ThWNT II, 769. Vgl. IG V,1 1390 A42 (Ordnung der Mysterien von Andania); SIG 1109 63 (Bakcheion). Zur Ordnung beim Symposion vgl. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl, 80-83. NW II 389 verweist auf Plotin 6,4,15,119-120. Für rabbinische Parallelen vgl. Bill. III, 470. Schrage III 462 Anm. 569, mit Verweis auf TestNaph 2,8-9; AssMos 12,9-10; Jub 1,14.
854 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
und Vermehrung ihres Status ging, vielleicht nach dem Motto: „Ich habe den Geist, ich kann in anderen Sprachen sprechen, ich brauche euch alle nicht!“ In Kap. 12 hatte Paulus die Thematik in den größeren Horizont der Gemeinschaft der Jesusbekenner gestellt und den komplementären Charakter der Geistesgaben betont. Die Gemeinde ist wie ein Leib, der viele Glieder mit vielen unterschiedlichen Aufgaben hat, die sich jedoch ergänzen. Die theologischen Überzeugungen von der Einheit der Gemeinde als Leib Christi und der Notwendigkeit gegenseitiger Ergänzung und Zusammenarbeit sind die Grundlage für die Beantwortung der nicht unheiklen Frage, wie man die Gaben, die der Geist Gottes in göttlicher Souveränität den einzelnen Jesusbekennern zugeteilt hat, in den Versammlungen handhaben soll, ohne das Wirken des Geistes zu behindern. In Kap. 13 hatte Paulus dargelegt, dass die vollkommene Äußerung der Gaben, Wirkungen und Kräfte des Geistes Gottes, die einen bleibenden, weil ewigen Wert besitzt, die authentische Liebe ist, die nicht ihren eigenen Vorteil sucht. Die Wirklichkeit der selbstlosen Liebe ist der Maßstab, mit dem Paulus das Verhalten der korinthischen Christen in den Gemeindeversammlungen bewertet. Paulus argumentiert, dass alle Manifestationen des Geistes, die in den Gemeindeversammlungen in Erscheinung treten, dem Aufbau der Gemeinde dienen müssen. Dies gilt vor allem für die Glossolalie, bei der dies aus zwei Gründen weniger selbstverständlich ist als bei den anderen Charismen: Es handelt sich hier einmal um Gebetssprache, mit der man sich an Gott und nicht an die Anwesenden wendet; zum anderen handelt es sich um das Sprechen in anderen Sprachen, die keiner der Anwesenden versteht. Beide Merkmale machen das Kriterium des Nutzens für die Gemeinde schwierig. Dieses Kriterium ist jedoch unverzichtbar, weil Christen nur dann dem Maßstab der Liebe gerecht werden, wenn sie ihr Verhalten in der Gemeinde an der Auferbauung der Mitchristen orientieren. Paulus behandelt in Kap. 14 das Reden in anderen Sprachen nicht als theoretische Frage, sondern als Frage nach dem Nutzen für die Gemeinde und damit als Frage nach der Einheit der Gemeinde, in der die einzelnen Glieder sich gegenseitig in Liebe dienen. Aus diesem Grund besteht Paulus darauf, dass das glossolalische Reden übersetzt und bei fehlender Übersetzung aus dem Gottesdienst ferngehalten wird. Die Anweisungen, die Paulus in 14,26-40 formuliert, sollen sicher stellen, dass der Umgang mit den Gaben des Geistes in den Versammlungen der Erbauung dient. Die Praktizierung des Charismas der prophetischen Rede in den Pfingstkirchen und in den charismatischen Bewegungen der Moderne stimmt in manchen Punkten mit der atl. und urchristlichen Prophetie überein. 761 ————————————————————
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Vgl. Turner, Holy Spirit, 315-328; Cartledge, Charismatic Prophecy, 17-20; Cartledge,
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1. Prophetie wird verstanden als Offenbarungsrede, als orakulare Rede mit einem erkennbaren revelatorischen Impuls. 2. Das Offenbarungsereignis besteht a) in einem Bild, d.h. einem statischen oder bewegten mentalen Eindruck; b) in einem Traum oder einer Vision; c) in einem „Wort“, das man empfängt; d) in einer Einsicht über eine Person oder ein Ereignis; e) in Bibelversen, die plötzlich und mit großer Intensität ins Bewußtsein kommen; f) in physischen Empfindungen wie z.B. Schmerz, den man als den Schmerz eines anderen Menschen spürt; g) in einem Impuls zum Reden (oder Schreiben), ohne vorher den Inhalt zu kennen. Diese Bilder, Träume und Impulse gehen einher mit der Überzeugung, dass sie vom Herrn kommen und dass sie weitergegeben werden sollen. Im Vergleich mit der jüdischen und neutestamentlichen Prophetie lassen sich die Typen a und b als Standardformen nichtinvasiver Prophetie klassifizieren, g als invasive Prophetie; die anderen Typen scheinen auf unterschiedliche Weisen mit b oder c verbunden. Die Klarheit, mit der die prophetische Offenbarung kommt, ist unterschiedlich: Die Bandbreite reicht von relativ undeutlichen Bildern bis zu deutlich hörbaren Stimmen. Die psychologischen Zustände der Christen, die eine Prophetie mitteilen, weisen keine Besonderheiten auf: Sie reichen von „normal“ bis „mild dissoziiert“. Der Inhalt prophetischer Botschaften ist selten (und anscheinend nie primär) lehrhaft: Es geht normalerweise um konkrete Situationen. Moderne prophetische Botschaften enthalten a) Worte der Vergewisserung („Ich bin mit meinem Volk“); b) präskriptive Worte (mit Ratschlägen für Einzelpersonen, Teams, Gemeinden); c) Ankündigungen von Heil oder Gericht (zum Beispiel Warnungen vor den Folgen von persönlicher oder gemeindlicher Sünde); d) Legitimationsworte und Worte mit personalisierten Voraussagen zukünftiger Ereignisse (insgesamt eher selten, von Gruppen wie den KansasCity-Propheten abgesehen). Moderne charismatische Prophetie scheint die Rolle zu haben, die Paulus in 14,3 der christlichen Prophetie zuschreibt: Christen werden erbaut, ermahnt, getröstet. Moderne prophetische Botschaften teilen die gemischte Qualität der Autorität, wie man sie in 1Kor 14 beobachten kann. Manche Charismatiker unterscheiden vier Ebenen prophetischen Wirkens: 1. schwache prophetische Worte, wo das menschliche Element vorherrschend ist; 2. prophetische Begabung; 3. prophetischer Dienst; 4. starke prophetische Worte, wo das menschliche Element minimal ist.762 Mit dieser gemischten Qualität ist die Notwendigkeit des Prüfens gegeben. Wenn Paulus in 14,29 die Prüfung der prophetischen Rede verlangt, geht er von einer gemischten Qualität des Inhalts ————————————————————
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Definition, 79-120; Zimmerling, Bewegungen, 173-181. Bickle, Growing, 133-142; er verwendet die Ausdrücke „simple prophetic“, „prophetic gifting“, „prophetic ministry“ und „prophetic office“. Vgl. Bickle/Sullivant, Prophetie.
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der prophetischen Offenbarungen aus. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als es Überschneidungen zwischen der prophetischen Rede, der Verkündigung und der Lehre gibt, wobei niemand im Blick auf die Verkündigung und die Lehre verlangt, dass der Verkündiger und Lehrer immer irrtumsfrei sein muss, um weiter der Gemeinde mit seinen Gaben dienen zu können. Die charismatischen Bewegungen messen den prophetischen Botschaften im Allgemeinen nicht dieselbe Autorität bei wie der Heiligen Schrift, mindestens in der Theorie. Problematische theologische Äußerungen sind oft nicht im Blick auf den Inhalt prophetischer Botschaften festzustellen, sondern bei der Deutung unklarer Bilder, bei weitergehenden Interpretationen, bei praktischen Schlussfolgerungen oder bei theologischen Aussagen, die im Umfeld vertreten werden. Dieselben Faktoren, die offenbar in der frühen Kirche dazu geführt haben, dass die Prophetie einen zunehmend marginalen Platz einnahm, können auch in den charismatischen Bewegungen beobachtet werden. Wenn den leitenden Leuten bessere theologische Ressourcen zur Verfügung stehen, nehmen sie offenbar die Aufgabe der Verkündigung und der Lehre, der Erbauung und der Herausforderung der Gemeinden und ihrer Glieder ohne immerwährendes Bemühen um prophetische Botschaften wahr. Problematisch ist allerdings die nicht selten zu beobachtende Tatsache, dass die Prophetie, wie sie in charismatischen Bewegungen praktiziert wird, im Bereich der Frömmigkeit des Einzelnen steckenbleibt. 763 Positive Wirkungen einer stärkeren Betonung der prophetischen Dimension des Glaubens sind nach P. Zimmerling unter anderem das Wächteramt der Kirche gegenüber staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die Festigung der Hoffnung auf den Sieg von Gottes Gerechtigkeit und das prophetische Wort zum Weg der Kirche. Die seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu beobachtende moderne „Zungenrede“, die in Pfingstkirchen und in charismatischen Bewegungen praktiziert wird, ist eingehend analysiert worden.764 Als „Zungenrede“ oder „Sprachenrede“ bezeichnet man die freie Vokalisierung für religiöse Zwecke durch eine Person, die sich in ihrer Muttersprache kompetent ausdrücken kann. Dabei versteht man unter „freier Vokalisierung“ die Produktion zusammenhängender Sequenzen von sprachlichen Lauten, die von den Sprechern nicht als Sprache identifiziert werden, lexikalisch undurchsichtig sind, nicht wiederholt werden können und für den durchschnittlichen Zuhörer wie eine Fremd————————————————————
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Zimmerling, Bewegungen, 180; zur folgenden Bemerkung vgl. ebd. 181-186. Williams, Tongues; Malony/Lovekin, Glossolalia; Turner, Holy Spirit, 305-313; Zimmerling, Bewegungen, 136-146. Vgl. Mosiman, Zungenreden; Bittlinger, Glossolalia; Mills, Glossolalia.
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sprache klingen (wie z.B. die Säuglingssprache).765 Das moderne christliche Zungenreden wird von Beobachtern wie folgt analysiert. 1. Entgegen früheren Behauptungen gilt, dass das moderne Zungenreden nicht mit einem geringen Intelligenzquotienten, mangelnder Bildung, niedriger gesellschaftlicher Stellung oder einer pathologischen Psychologie verbunden ist. 2. Das Zungenreden ist psychologisch gesehen nicht das Produkt von Ekstase, d.h. es ist nicht von Kontroll- oder Wahrnehmungsverlust begleitet. 3. Untersuchungen moderner Sprachenrede, die in unterschiedlichen Kulturen und in unterschiedlichen sprachlichen Umgebungen durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass die phonetischen Strukturen ähnlich sind. Die Klangeinheiten beginnen immer mit einem Konsonanten; es kommen keine Konsonantencluster am Anfang eines Wortes vor; die Klangeinheit endet fast immer mit einem Vokal; die durch Pausen getrennten Klangeinheiten sind gewöhnlich gleich lang; die Hauptbetonung liegt auf der ersten Silbe. 4. Diese phonetischen Ähnlichkeiten werden von W. Samarin ohne Rekurs auf physiologische Abnormalitäten erklärt. Einige Merkmale kommen häufig in Sprachen vor; einige Merkmale finden sich häufig in der Subkultur der Pfingstkirchen; andere Merkmale kommen häufig in anomalen Sprachformen vor, die entstehen, wenn man linguistische Äußerungen von sich gibt, die für den Redner selbst keinen Sinn ergeben. 766 5. Modernes Zungenreden ist kein Reden in einer existierenden Sprache (Xenolalie), d.h. es handelt sich nicht um das Sprechen in einer nicht erlernten Fremdsprache.767 Die wenigen Beispiele von Xenolalie, die durchaus glaubhaft berichtet werden, können nicht verifiziert werden. 768 6. Linguistische Analysen aufgezeichneter Zungenrede zeigen, dass diese keine linguistische Struktur besitzt. Folgende Phänomenen wurden festgestellt: a) Die phonetischen Strukturen (z.B. die Verwendung des englischen „th“ oder des deutschen „ü“) entsprechen den Strukturen der Muttersprache des Sprachenredners. b) Innerhalb der Gruppe, die sich um einen bestimmten Leiter schart, sind offenkundig fast identische Klangmuster zu beobachten. c) Jeder Zungenredner hat ein identifizierbares Klangmuster, und manche Zungenredner verwenden zwei oder drei unterscheidbare Klangmuster,769 die sich manchmal von den phonetischen Strukturen der eigenen Muttersprache unterscheiden. 770 ————————————————————
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Poythress, Analyses, 367-388; Turner, Holy Spirit, 304. Samarin, Tongues, passim; vgl. Malony/Lovekin, Glossolalia, 105-109. Neben Samarin, Williams und Maloney/Lovekin vgl. Jaquette, Typology, 1-8. Samarin, Tongues, 114-115; Malony/Lovekin, Glossolalia, 28-29. Für solche Berichte siehe Laurentin, Pentecostalism, 67-70; Williams, Tongues, 180-183. Hine, Glossolalia, 211-226. Malony/Lovekin, Glossolalia, 34-38.
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Aus diesen linguistischen Analysen modernen Zungenredens werden unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen. 1. Das moderne Zungenrede ist dubios, es ist psychologischen oder im schlechtesten Fall dämonischen Ursprungs und sollte unterbunden werden. 2. Das charismatische Zungenreden ist ein Phänomen, das auf unterschiedliche Weise erklärt werden kann und trotz der Verschiedenheit von Apg 2 und 1Kor 12–14 und der fehlenden linguistischen Struktur als geistliche Gabe anerkannt werden kann, da es vielen Christen in ihrer persönlichen Beziehung zu Gott und in der Anbetung geholfen hat.771 Manche meinen, das Zungenreden könne als „gelerntes Verhalten“ oder als anfänglich psychologisch initiierte phonetische Äußerungen zu einer geistlichen Gabe werden, wenn es auf Gott ausgerichtet ist.772 Manche weisen darauf hin, dass das Zungenreden durch das Metrum, die Betonung und die Intonation durchaus Bedeutung kommunizieren und Bitte, Trauer, Dank oder Lobpreis mitteilen kann.773 Andere betonen, dass Paulus xenolalisches Sprachenreden von nicht-xenolalischem „Zungenreden“ kaum hätte unterscheiden können. Möglicherweise ist auch denkbar, dass der Ausdruck γε' νη γλωσσω ^ ν (12,10) zwei Grundphänomene glossolalischen Redens zusammen gruppiert, die wir heute unterscheiden; oder Paulus rechnet mit verschiedenartiger Glossolalie, die die heutige Variante einschließt.774 Wenn Paulus jedoch im gottesdienstlichen Kontext immer eine Übersetzung fordert und auch für die private glossolalische Praxis zu einer Übersetzung rät, scheint die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass die urchristliche Glossolalie und das heutige Zungenreden verschiedene Phänomene sind. Schließlich verweisen manche auf die Möglichkeit, dass das moderne Zungenreden zwar keine wirklichen Fremdsprachen wiedergibt, aber trotzdem kognitive Information kommunizieren kann – wie ein Computerprogramm eine „Sprache“ ist, die Information mitteilt und „übersetzt“ werden kann, obwohl es keine linguistische Struktur hat.775 Bei der theologischen Beurteilung der modernen charismatischen Zungenrede ist neben manchen Parallelen, die zur urchristlichen Glossolalie bestehen – genannt werden die Stärkung des Glaubens und des geistlichen Lebens, die heilende Dimension, die Eröffnung von Zugängen zum Unbewussten – festzuhalten, dass die Betonung des Zungenredens als Mittel der Gotteserfahrung im Neuen Testament unbekannt ist. Eine Überbetonung des ————————————————————
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Packer, Spuren, 215-219. Mühlen, Sprachengebet, 113-146; vgl. Föller, Charisma, 149-150. Manche Charismatiker meinen, dass die Sprachenrede keinen semantischen Inhalt, sondern nur eine bestimmte Stimmung kodiert, vgl. Sullivan, Charisms, 133-134. Turner, Holy Spirit, 314. Poythress, Glossolalia, 130-135; Carson, Spirit, 83-86.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 859 ————————————————————————————————————
Zungenredens verführt zu einem falschen Verständnis von Christsein, wo man vielleicht meint, auf den Glauben nicht mehr angewiesen zu sein. Das Zungenreden verfehlt, so P. Zimmerling, seinen Sinn, wenn es „die Gegenwart des Geistes verbürgen soll“.776 Ein Problem ist die Auslegung des modernen Zungenredens. Man hat Charismatikern, die überzeugt waren, die Gabe der Auslegung zu besitzen, auf Band aufgezeichnete glossolalische Rede vorgelegt, verbunden mit Kontrollabschnitten, in denen arabische Texte und die rückwärts gesprochene Nationalhymne Australiens gelesen wurden. Die „Auslegung“ brachte ganz unterschiedliche „Interpretationen“ hervor, die sich zum Teil gegenseitig ausschlossen und keinerlei Verbindung mit den Kontrollabschnitten erkennen ließen. Generell gilt, dass sich die „Auslegungen“ modernen Zungenredens „als ebenso stereotyp, vage und inhaltslos wie spontan, geläufig und dreist“ erweisen.777 Die Regel, die Paulus für die gottesdienstlichen Versammlungen aufstellt, ist eindeutig: Die Gabe des glossolalischen Redens soll nur dann öffentlich praktiziert werden, wenn das Gesagte übersetzt werden kann, weil nur die Übersetzung in die von allen verstandene Sprache sicherstellt, dass die Anwesenden einen Nutzen haben und erbaut werden. Jedes unverständliche Reden ist ein nutzloses Reden in den Wind (14,9). Das Kriterium der Verständlichkeit und des Nutzens gilt für alle Beiträge im Gottesdienst. Wenn Pantomimen und theatralische Darbietungen nur einen kleinen Teil der Gottesdienstbesucher ansprechen, oder gar nur die subjektiven Vorlieben des für den Gottesdienst Verantwortlichen für dieses oder jenes „Medium“ der Kommunikation widerspiegeln, dann werden solche Beiträge sehr schnell problematisch. Zu viel sollte man sich, wenn man Paulus folgt, von solchen Darbietungen auch nicht versprechen: Paulus gibt gerne zehntausend in glossolalischer Rede gesprochene Worte auf für fünf Worte in verständlichem Griechisch, die den Anwesenden direkt und unmittelbar den Anspruch Gottes im Evangelium von Jesus Christus verkündigen und erläutern. Paulus formuliert in 14,9 eine Regel für das glossolalische Reden. Der Maßstab der Verständlichkeit erlaubt die Verallgemeinerung, dass Paulus alle Beiträge in den gottesdienstlichen Versammlungen kritisch hinterfragen würde, die ein „Reden“ in Insidersprache praktizieren, „das sich um die am Rande und die draußen nicht bekümmert und mit selbstgenügsamer Fertigkeit einer esoterischen Sprache oder gar eines christlichen ‚Jargon‘ sich bedient, dem gegenüber ein Fremder sich hoffnungslos draußen fühlen muß“. 778 Zeitgenössische ————————————————————
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Zimmerling, Bewegungen, 145. Packer, Spuren, 220; vgl. Carson, Spirit, 87-88; Turner, Holy Spirit, 313. Bornkamm, Ende, 115-116 Anm. 4.
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Anbetungssongs, in denen dieselben Wörter oder Zeilen endlos wiederholt werden, sind eine Form der Anbetung, die wohl nur wenige im stillen Kämmerlein regelmäßig und mit geistlichem Gewinn praktizieren können (ohne sich der Krücke eines Tonträgers zu bedienen). Der Maßstab der Verständlichkeit und des Nutzens für die gesamte Gemeinde gilt hier genauso wie für das glossolalische Reden. W. Schrage hat recht: „Zuwendung zu Gott unter Abwendung vom Nächsten kann kein gottesdienstliches Programm sein“.779 Gesellschaftliche Relevanz und Modernität ist gewiss ein wichtiges Kriterium für das Geschehen im Gottesdienst. Verständlichkeit, die die Erbauung der anwesenden Jesusbekenner und die Anrede der Besucher gewährleistet, ist aber gewiss wichtiger. Wie die Schlussverse in Kap. 14 zeigen, ist es die Zentralität des Evangeliums von Jesus Christus und die Übereinstimmung mit dem Gebot des Herrn, wie die Apostel es verkündigt haben, die dem apostolischen Insistieren auf Verständlichkeit den Inhalt und das Ziel gibt. Wenn Jesusbekenner sich versammeln, dann singen sie zur Ehre Gottes, sie hören auf die lehrmäßige Entfaltung und Erläuterung des Wortes Gottes, der in der Gegenwart seines Heiligen Geistes durch die einzelnen Beiträge zur versammelten Gemeinde spricht. Die Aufzählung in 14,26 bietet nur einen Ausschnitt aus dem Reichtum des gottesdienstlichen Geschehens in der korinthischen Gemeinde – eine Gemeinde mit immensen Problemen, eine Gemeinde, zur der Christen gehörten, die den säkularen Werten ihrer Gesellschaft verhaftet waren und immer noch heidnisch und unmoralisch lebten und durch ihr Verhalten Spaltungen riskierten und ärmere Gemeindeglieder an den Rand drängten. Aber es war zugleich eine Gemeinde, in der Gottes Reden zu Gehör gebracht wurde – nicht immer in verständlicher Rede, nicht immer als authentisch göttliches Reden erwiesen, aber es war jedenfalls eine lebendige Gemeinde. Paulus ist offenbar zuversichtlich, dass die korinthischen Christen die vorhandenen Schwierigkeiten ausräumen können: dass das Reden in anderen Sprachen übersetzt oder nach Hause verlegt wird, dass das prophetische Reden auf seine Echtheit und Relevanz geprüft wird, dass zeitgenössische Konventionen so geachtet werden, dass Frauen ihre Männer nicht bloßstellen und beschämen. Jesusbekenner, die an den wahren Gott und den Herrn Jesus Christus glauben und auf die Ankunft der Neuen Welt Gottes hoffen, wissen, dass die Liebe die größte von allen Gaben des Geistes ist.
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Schrage III 399.
Der geordnete Gottesdienst 14,26-40 861 ————————————————————————————————————
Fünf große und wichtige Themen sind und bleiben von größter Aktuali1. Die Versammlungen und Gottesdienste christlicher Gemeinden tät. dienen dazu, eine Gemeinschaft von Menschen zu bauen, die zusammen Gott anbeten, indem alle ihren Beitrag leisten, je nach dem, welche Gaben Gott ihnen zugeteilt hat. Gottesdienst und Anbetung dient nicht primär der persönlichen, subjektiven geistlichen Bereicherung, sondern der Erbauung aller Christen, die zur Gemeinde gehören. 2. Die Botschaft ist wichtiger als das Medium. Es ist nicht wichtig, ob eine Jesusbekennerin glossolalisch oder prophetisch redet, ob ein Jesusbekenner singt oder betet oder lehrt. Worauf es ankommt ist die für alle verständliche Erläuterung des Wortes Gottes, das durch Psalmen, durch Lehre, durch Gebete und durch Offenbarungen verkündigt wird. Authentische Gemeinde Jesu wird nur so gebaut, dass alle das Wort Gottes hören, das in ihrem Denken und Verhalten bleibende Veränderung schaffen will. 3. Ordnung ist möglich auch ohne Kontrolle. Dass die Gottesdienste ordentlich und anständig gestaltet werden sollen, war für Paulus selbstverständlich. Genauso selbstverständlich war für ihn das Vertrauen darauf, dass die Gegenwart des Heiligen Geistes das Zusammenwirken der einzelnen korinthischen Christen im Ganzen des „Leibes“ der Gemeinde steuern würde. Man sollte nicht überbetonen, dass Paulus in Kap. 14 nirgends von einer Gemeindeleitung spricht. In 12,28 war von Leitungsgaben die Rede, die sich sicherlich in Leitungsfunktionen geäußert haben werden, die verantwortliche Christen ausgeübt haben. Die Direktiven, die Paulus in 14,26-40 vermittelt, spiegeln durchaus eine „Hierarchie“ wider. Insgesamt wird allerdings deutlich, dass Paulus keiner Kontrolle der vielen durch ein paar wenige das Wort redet: Er will, dass jeder Einzelne zum Gelingen der Gemeindeversammlungen beiträgt, indem er die Kriterien der Verständlichkeit und der Nützlichkeit beherzigt und von der opferbereiten Liebe bestimmt ist. 4. Paulus war genauso wie die korinthischen Christen offen für das Wirken des Heiligen Geistes. Der Missbrauch einzelner Geistesgaben durch einzelne Christen hat den Apostel nicht veranlasst, auf „Nummer Sicher“ zu gehen und manche Manifestationen einfach zu verbieten. Der Kernprozess authentischer Gemeinde ist für Paulus ganz sicher das Hören auf das Wort Gottes im verkündigten Evangelium von Jesus Christus. Gleichzeitig ist sich Paulus sicher, dass in der Verkündigung und Erläuterung des Evangeliums und in allen anderen Wortbeiträgen auch der Geist Gottes zur Gemeinde redet. Weil das Reden des Heiligen Geistes das Reden Gottes selbst ist, will und kann der Apostel es nicht eindämmen. Er möchte, dass sich die korinthischen Christen bei ihren Beiträgen in den Gottesdiensten so 780
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Vgl. Hays 249-252.
862 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
verhalten, dass das Reden Gottes durch seinen Geist verständlich und vernehmbar ist. 5. Authentische Gemeinde verkündigt das Evangelium an Außenstehende. Die Notiz in 14,23-25 erscheint im Verlauf der Argumentation zum Thema der Geistesgaben wie eine Nebenbemerkung, aber sie beschreibt eine für Paulus selbstverständliche Wirklichkeit: Christen bringen Ungläubige mit zum Gottesdienst, wo diese das Wort Gottes auf eine Weise hören, die sie so trifft, dass sie die Gegenwart Gottes erkennen.
Kompromiss VI: Der Alltag und die Auferstehung 15,1-58 Das große Auferstehungskapitel im Ersten Korintherbrief ist die längste Behandlung eines Einzelthemas, die wir in den Paulusbriefen finden. Frühere Ausleger bezeichnen Kap. 15 als den frühesten christlichen „theologischen Aufsatz“, als Behandlung eines neuen Themas „ohne inneren oder äußeren Zusammenhang mit dem vorhergehenden“, als „geschlossene Abhandlung über die Auferstehung der Toten“.1 Neuere Ausleger erkennen einerseits, dass das Thema der Auferstehung seit dem Hinweis auf die „Offenbarung unseres Herrn Jesus“ in 1,7 und auf die Hoffnung, dieser werde sie „bis zum Ende untadelig“ auf den Tag des Herrn festigen (1,8), den ganzen Brief durchzieht.2 Andererseits ist deutlich, dass die aktuelle Veranlassung des Briefes auch die Darlegungen in Kap. 15 bestimmt: Paulus setzt sich gerade im langen Auferstehungskapitel mit dem Verhalten und der Einstellung korinthischer Christen auseinander, wie V. 12.33-34 deutlich machen. 3 Der Grund für die ausführliche Behandlung der Auferstehung wird von manchen darin gesehen, dass korinthische Christen glaubten, dass nur solche, die bei der Wiederkunft Christi noch am Leben sind, Anteil am endzeitlichen Heil haben werden.4 Lange war die Annahme vorherrschend, dass der Einfluss des gnostischen Mythos und seines dualistischen Denkens zur Leugnung ————————————————————
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Robertson/Plummer 329, Lietzmann 76 sowie Conzelmann 302, der meint, Paulus habe die Position der korinthischen Christen, gegen die er argumentiert, missverstanden (321). Vgl. Hengel, Apokalyptik, 359, mit Hinweis auf 1,7-9.18; 3,13-15.17; 4,4-5; 5,5; 6,2-3.910.13-14; 7,29-31; 8,11; 9,23-27; 10,11-12; 11,26.32; 13,8-13. Vgl. Schrage IV 8-9; die Erklärung: „Aber auch dieser aktuelle Anlaß nimmt dem in seiner Korrektur sichtbar werdenden paulinischen Konzept der Eschatologie nichts von seinem Gewicht“ (ebd. 9) ist unnötig. Schlatter, Die korinthische Theologie, 28.62-66; Schweitzer, Mystik, 94; Spörlein, Leugnung, 190-198; Verburg, Endzeit, 280-285.
Kompromiss VI: Der Alltag und die Auferstehung 15,1-58 863 ————————————————————————————————————
der Auferstehung und zu einer spiritualistischen Jenseitserwartung führte.5 Nachdem diese Theorie auf Grund gelaufen war, weil sich für das 1. Jahrhundert kein gnostischer Mythos nachweisen ließ, wurde die These populär, die korinthischen Christen hätten eine „überrealisierte Eschatologie“ vertreten, d.h. sie hätten geglaubt, dass die Auferstehung schon stattgefunden habe. 6 Das heißt, korinthische Christen leugneten eine futurische Auferstehung der Toten. Diese Erklärung leuchtet vielen nicht mehr ein, da es einmal keine Hinweise in Kap. 15 gibt, die belegen, dass die Korinther diese Meinung vertraten, und da sie zum anderen wichtige Elemente der paulinischen Argumentation nicht zufriedenstellend erklären kann.7 Nach dem kurzen paulinischen Bericht in V. 12 zu urteilen gab es korinthische Christen, die leugneten, dass es eine Auferstehung gibt. Im Rahmen der jüdischen und der griechisch-römischen Vorstellungen über das Leben nach dem Tod8 kann dies nichts anderes bedeuten als die Leugnung einer zukünftigen Auferstehung des menschlichen Leibes.9 Die Leugnung der leiblichen Auferstehung spielte offenkundig im ethischen Verhalten dieser korinthischen Christen eine Rolle. Von der Schlussermahnung V. 58 abgesehen gibt es in Kap. 15 nur drei Imperative: Paulus warnt in V. 33-34 vor moralischer Irreführung, Trunkenheit und (wahrscheinlich sexueller) Sünde: „Laßt euch nicht irreführen! Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten. Werdet nüchtern, wie es sich gehört, und sündigt nicht! Einige Leute wissen nichts von Gott; ich sage das, damit ihr euch schämt“ (EÜ). Die Imperative in dem ersten großen Abschnitt 1,10–4,21 beziehen sich allesamt auf das zentrale Thema, nämlich auf das Problem einiger Christen in Korinth, dass sie die Konsequenzen nicht durchschauen, die sich aus dem Evangelium von Gottes Heilshandeln im Kreuzestod Jesu Christi für ihre Hochschätzung der Rhetorik ergeben. Die acht Imperative in 1,10–4,21 sind folgende: Die Korinther sollen sich „im Herrn rühmen“ (ε ν κυρι'ω, καυχα' σθω; 1,31); die Aufgabe der Lehrer ist es, darauf zu sehen, wie sie die Gemeinde auferbauen (βλεπε' τω πω ^ ς ε ποικοδομει^; 3,10); sie sollen sich im Blick auf die Weisheit dieser Welt „nicht täuschen“ (μηδει`ς εαυτο` ν ε ξαπατα' τω; ————————————————————
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Vgl. Schniewind, Leugner, 110-139, dann besonders Schmithals, Gnosis in Korinth, 146150; s. die Darstellung der Diskussion in Wedderburn, Baptism, 6-22. Käsemann, Apokalyptik, 119-131; Thiselton, Realized Eschatology, 510-526; Fee 716; Schrage IV 7; vgl. bereits Soden, Sakrament, 239-275; Schniewind, Leugner, 110-139; Bultmann, Theologie, 172. Zur Diskussion vgl. Kuck, Judgment, 16-31; Sellin, Auferstehung, 23-30. Holleman, Resurrection, 4-31; Winter, Corinth, 25-26; Dunn, Reconstructions, 301-302; Hays, Conversion, 7.18-20; Wright, Resurrection, 279-280. Vgl. H. Wißmann/G. Stemberger, Art. Auferstehung I. Auferstehung der Toten I/1-2. TRE IV, 441-450; G. Ahn/E.-J. Waschke/G. Stemberger, Art. Auferstehung I/1-3, RGG4 I, 913-919; Wright, Resurrection, 32-206. Repräsentativ Sellin, Auferstehung, 30-37 und passim; Holleman, Resurrection, 35-40.
864 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— 3,18a); wer wirklich weise sein will, der muss in den Augen der Welt „töricht“ werden (μωρο` ς γενε' σθω; 3,18b); niemand soll sich im Blick auf Menschen rühmen (μηδει`ς καυχα' σθω ε ν α νθρω' ποις; 3,21); sie sollen die Apostel als Diener Christen betrachten (η μα^ς λογιζε' σθω α»νθρωπος ω ς υ πηρε' τας Χριστου^ ; 4,1); sie sollen die Apostel und Lehrer nicht vor der Zeit richten (μη` προ` καιρου^ τι κρι'νετε; 4,5); sie sollen sich Paulus zum Vorbild nehmen (μιμηται' μου γι'νεσθε; 4,16).
In Kap. 15, dem letzten großen thematischen Abschnitt im Brief, behandelt Paulus abschließend die theologische Grundlage, von der aus das Problem der hedonistischen Lebensweise einiger korinthischer Christen anzusprechen ist. Paulus hatte das Problem sexueller Freizügigkeit, der sich korinthische Christen weiterhin, wie schon vor ihrer Bekehrung, hingaben, schon mehrfach behandelt (5,1-5; 6,1-11; 7,36; 10,8). Im 1. Jahrhundert verteidigten Angehörige der Elite ihre sexuelle Promiskuität oft mit der Überlegung, dass der Leib das Haus der Seele ist, welches die Sinne umgibt, und dass es naturgemäß ist, mit den Sinnen zu genießen; weil die Sinne nur dann genießen können, wenn man lebt, kann man zum Beispiel seine sexuellen Bedürfnisse ungezügelt ausleben.10 Paulus formuliert in Kap. 15 offensichtlich das grundlegende Argument, weshalb Jesusbekenner nicht zügellos leben können: Wenn sie das Evangelium verstehen, wenn sie von der Auferstehung Jesu Christi überzeugt sind und wenn sie an die zukünftige leibliche Auferstehung aller Menschen glauben, dann wird es für sie unmöglich sein, einer hedonistischen Lebensweise zu huldigen. Paulus spricht in V. 10 von der Gnade Gottes, die ihn zu dem gemacht hat, was er ist – ein Jesusbekenner, ein international tätiger Missionar, ein Lehrer vieler Gemeinden –, was er allein dem gnädigen Handeln Gottes verdankt, das in seinem Leben „nicht ohne Wirkung“ geblieben ist, weil es ihn verändert hat. Mitten in der Argumentation zum Thema der Auferstehung des Leibes fordert er die Korinther in V. 34 auf, ihre hedonistische Lebensweise aufzugeben. Sie behaupten zwar, Wissen zu haben (8,1), aber wer so lebt wie einige von ihnen, der weiß nichts von Gott (15,34b), sondern lebt in der Gottesferne. Die so leben, sollten sich schämen, und die Gemeinde, die solches Verhalten toleriert, soll sich ebenfalls schämen (V. 34c). Die Argumentation in Kap. 15 behandelt also in großer Ausführlichkeit den neuen Leib, den Gott denen gibt, die an das Evangelium glauben. Es geht also um die Neue Schöpfung, die Gott mit dem Schall der letzten Posaune (V. 52) heraufführen wird. Das Argumentationsziel ist nicht nur die Information über zukünftige Ereignisse und Wirklichkeiten, sondern auch und ganz konkret die existentielle Erkenntnis, dass Menschen, die von Gott einen neuen Leib bekommen werden, mit ihrem gegenwärtigen irdischen Leib nicht ————————————————————
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Siehe das Referat dieser Position bei Philo, Det. 33-34; vgl. dazu Winter, Philo and Paul, 202-205; Runia, Philo, 306-308.
Kompromiss VI: Der Alltag und die Auferstehung 15,1-58 865 ————————————————————————————————————
tun und lassen können, was sie wollen, sondern in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes des Schöpfers und Erlösers leben sollen. W. Schrage schreibt zu den Fragen in 15,35 („Aber jemand wird sagen: Wie werden die Toten auferstehen? Mit was für einem Leib kommen sie?“), die die Behandlung des Themas der leiblichen Auferstehung einleiten, Folgendes: „Paulus dürfte wissen, daß in Korinth nicht nur der Modus, sondern die Tatsache der Leiblichkeit der zukünftigen Vollendung als anstößig empfunden und bestritten wird“.11 Diese Formulierung zeigt, dass es um die Annahme, die Korinther hätten eine zukünftige Auferstehung grundsätzlich geleugnet, nicht gut bestellt ist. Wenn Paulus sich in seinem Brief nicht deutlich genug ausdrückt, so dass wir annehmen müssen, dass er weiß, was der Exeget zu glauben weiß, dann ist es besser, man verabschiedet sich von der These der grundsätzlichen Leugnung der Totenauferstehung in Korinth, wenn man sich nicht dem Vorwurf einer petitio principii aussetzen will. Bei seiner Diskussion der Ankündigung des Themas der leiblichen Totenauferstehung in V. 35 bemerkt W. Schrage, dass die Exegese „nicht zum mirror-reading werden darf und rekonstruierte Positionen nicht die Explikation der paulinischen Gedankenführung beherrschen dürfen“.12 Diese Warnung ist vollkommen richtig, wenngleich Schrage selbst eifrig das „mirrorreading“ praktiziert, d.h. den paulinischen Text spiegelbildlich liest, um die vorausgesetzten Positionen der korinthischen Christen so plausibel wie möglich zu ermitteln. Der Abschnitt 15,35-49 stellt klar, was in 15,12 allgemeiner formuliert wurde, nämlich dass in Korinth „nur“ der Modus der Totenauferstehung bestritten wurde. Paulus verfährt in Kap. 15 genauso wie in Kap. 8–10 und in Kap. 12-14: er geht die zu behandelnde Thematik, die in Korinth umstritten ist, zunächst allgemein und grundsätzlichtheologisch an, ehe er die konkreten Einzelfragen beantwortet. In Korinth bestreiten Gemeindeglieder, dass es eine leibliche Totenauferstehung gibt, d.h. dass die Toten mit Leibern auferstehen werden. Darum geht es in diesem Abschnitt.
Die Gliederung des Kapitels ist klar. Im ersten Hauptteil V. 1-34 behandelt Paulus die Auferstehung der Toten als Grundbestandteil des Evangeliums. Er erläutert in zwei Schritten das Evangelium in seinem Bezug auf die Auferstehung Jesu (V. 1-11) und im Blick auf die Konsequenzen, die sich aus der Auferstehung Jesu für die Jesusbekenner ergeben (V. 12-34). Man kann diesen Abschnitt weiter unterteilen. Paulus beantwortet die Frage, welche Konsequenzen sich für das Evangelium ergeben, wenn Jesus nicht auferstanden ist (V. 12-19); dann argumentiert er für die Auferstehung von den Toten auf der Grundlage der Auferstehung Jesu und auf der Grundlage der messianischen Identität und Rolle Jesu, der das durch Adam ausgelöste Problem des Todes endgültig aus der Welt schaffen wird (V. 20-28); schließlich geht er noch einmal auf die Frage ein, was geschehen würde, wenn die Auferstehung keine gültige Wirklichkeit wäre (V. 29-34). Im zweiten Hauptteil V. 35-58 er————————————————————
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Schrage IV 272. Schrage IV 271 Anm. 1332, mit Verweis auf Müller, Leiblichkeit, 177-178.
866 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
läutert Paulus die Auferstehung der Toten als Verwandlung des Leibes. In zwei Schritten behandelt er den Leib der Auferstehung (V. 35-49) und die triumphierende Gewissheit des Sieges über den Tod in der kommenden Auferstehung (V. 50-58). Rhetorisch wird Kap. 15 generell dem genus deliberativum zugeordnet. In der Detailanalyse besteht, wie auch in anderen Abschnitten des Briefs, keine Übereinstimmung. M. Bünker: V. 1-2 exordium, V. 3a transitus, V. 3b-11 narratio, V. 12-28 argumentatio I, V. 29-34 peroratio I, V. 35-49 argumentatio II, V. 40-58 peroratio II. B. Mack: V. 1-2 exordium, V.3-11 narratio, V. 12-19 propositio, V. 20 thesis, V. 21-50 probatio, V. 51-58 conclusio. D. F. Watson: V. 1-2 exordium, V. 3-11 narratio, V. 12-57 confirmatio (probatio) und refutatio, mit: refutatio I (V. 12-19), confirmatio I (V.2028), peroratio I (V. 29-34), refutatio II (V. 35-44a), confirmatio IIa (V. 44b-49), confirmatio IIb (V. 50-57), V. 58 peroratio. W. Verburg: V. 1-11 exordium, V. 12 narratio, V. 13-32 argumentatio I (refutatio), V. 33-49 probatio, V. 33-34 peroratio I, V. 35-49 argumentatio II (probatio), V. 50-58 peroratio II. A. Thiselton: V. 1-11 narratio, V. 12-19 refutatio I, V.20-34 confirmatio I, V. 35-49 refutatio II, V. 50-57 confirmatio II, V. 58 peroratio.13
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 I 1 Brüder, ich gebe euch das Evangelium zur Kenntnis, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch steht, 2 durch das ihr auch das Heil erlangt, wenn ihr festhaltet an dem Wort, das ich euch verkündigt habe, es sei denn, ihr hättet den Glauben unüberlegt angenommen. 3 Denn ich habe euch in erster Linie überliefert, was ich auch angenommen habe, dass der Messias für unsere Sünden gestorben ist gemäß der Schrift 4 und dass er begraben wurde und dass er auferweckt wurde am dritten Tag gemäß der Schrift 5 und dass er dem Kephas erschienen ist, danach den Zwölf. 6 Danach ist er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal erschienen, von denen die meisten bis jetzt noch leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach erschien der dem Jakobus, dann allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch mir erschienen, gleichsam als Fehlgeburt. 9 Denn ich bin der letzte der Apostel, der ich nicht wert bin, Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde ————————————————————
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Bünker, Briefformular, 62-72; Mack, Rhetoric, 56-57, gefolgt von Witherington 292; Watson, Strategy, 231-249, gefolgt von Schrage IV 17.110.154.233-234.272.362; Eriksson, Traditions, 233-275, gefolgt weithin von Thiselton 1177-1178 und Verburg, Endzeit, 255-269.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 867 ————————————————————————————————————
Gottes verfolgt habe. 10 Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade ist bei mir nicht ohne Wirkung geblieben, sondern ich habe mehr gearbeitet als sie alle, aber nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist. 11 Ob nun ich oder jene: So verkündigen wir, und so seid ihr zum Glauben gekommen.
II Das Evangelium ist die gute Botschaft von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus, und Jesus Christus, der im Evangelium verkündigt wird, ist der Gekreuzigte, der am dritten Tag auferstanden ist. Paulus beginnt seine Begründung der Wirklichkeit der zukünftigen Auferstehung mit einer eindringlichen Rezitation dieser grundlegenden Fakten. Paulus setzt mit der Feststellung ein, dass die korinthischen Christen sich an das Evangelium erinnern sollen, das er ihnen als Missionar verkündigt hat (V. 1a), das sie angenommen und durch das sie das Heil erlangt haben (V. 1b-2). Ein erneuter Hinweis auf das Evangelium, das ihm überliefert wurde und das er ihnen verkündigt hat (V. 3a), leitet die Zitierung der Tradition vom Tod und von der Auferstehung Jesu ein, die von Kephas und den Zwölf als Zeugen überliefert wird, denen Jesus nach seiner Auferstehung erschienen ist (V. 3b-5). In V. 6-7 erwähnt Paulus weitere Zeugen: mehr als fünfhundert Brüder, die zur Zeit der Abfassung des Ersten Korintherbriefs noch leben, sodann Jakobus sowie alle Apostel. Ob V. 6-7 noch zur zitierten Tradition gehört, ist nicht klar (s. unten zu 15,3b). In V. 810 kommt Paulus ausführlich auf sich selbst zu sprechen: Er berichtet von seiner Begegnung mit dem Auferstandenen, ein Ereignis, das mit einer „Fehlgeburt“ verglichen wird (V. 8) und das in die Zeit fiel, als er die christlichen Gemeinden verfolgt hat (V. 9). Die Feststellung seiner Bekehrung betont die Gnade Gottes, die den „letzten der Apostel“ verändert und zum aktivsten Missionar gemacht hat (V. 10). Paulus beschließt den für die folgende Diskussion grundlegenden Abschnitt mit einem erneuten Hinweis auf die Übereinstimmung seiner Verkündigung des Evangeliums mit der apostolischen Verkündigung, die nach Korinth gelangt ist und durch die die korinthischen Christen zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Gliederung. V. 1-3a beschreiben den Traditionsprozess, durch den das Evangelium von Paulus zu den Korinthern gelangt ist. V. 3b-5 ist ein Zitat der Tradition vom Tod und von der Auferweckung Jesu, die von Zeugen bestätigt wird. V. 6-7 verweist auf weitere Zeugen der Auferstehung. In V. 8 beschreibt Paulus seine eigene Begegnung mit dem auferstandenen Jesus, V. 910 die Konsequenzen, die sich für ihn aus dieser Begegnung ergeben haben. V. 11 betont erneut die Übereinstimmung der Evangeliumsbotschaft, die die Korinther von Paulus gehört haben, mit der apostolischen Verkündigung.
868 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Textkritische Anmerkungen. In V. 2 liest der westliche Text ο φει' λετε κατε'χειν (D*.c F G ar b t vgms; Ambst) statt ει κατε'χετε, das jedoch besser bezeugt ist und trotz der verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten (s. unten) keiner Korrektur bedarf.14 In V. 3 lässt Markion die Wendung ο και` παρε'λαβον aus, was nicht erstaunlich ist; die lat. Handschrift b ist ihm darin gefolgt (sowie Ir Ambst). In V. 5 lesen אA 33 81 614 1175 pc das stärker chronologisch gliedernde Adv. ε»πειτα statt ει τα, das aber besser bezeugt ist (d46 B D2 Ψ 0243 1739 1881 Byz; Or); ε»πειτα ist Angleichung an V. 6.7, wo alle Handschriften dieses Adv. lesen. Der westliche Text liest nach Κηφα^, die Wendung και` μετα` ταυ^ τα (D* F G lat), was die Tradition mit dem Hinweis auf Petrus enden lässt; diese Lesart ist eine interpretierende Erweiterung, die nicht als ursprünglich gelten kann.15 Statt δω' δεκα („zwölf“) lesen Zeugen vor allem des westlichen Textes ε«νδεκα („elf“), was als pedantische Angleichung an Mt 28,16; Lk 24,33; Apg 1,16 zu sehen ist; die Abschreiber hatten offenbar nicht erkannt, dass die Wendung „die Zwölf“ eine offizielle Bezeichnung ist, d.h. mehr als eine reine Zahlenangabe. 16 Zur Lesung von ε»πειτα (d46 *אA F G K u.a.) statt ει τα (א2 B D Ψ Byz) in V. 7 siehe V. 5. Statt ου κενη` ε γενη' θη („ist nicht ohne Wirkung geblieben“) in V. 10 lesen D* (F G: ου γε'γονεν) b Ambst die Formulierung πτωχη` ου κ ε γενη' θη („war nicht armselig“). G. Zuntz argumentiert, dass diese Lesart ursprünglich sein muss, weil man sich ihre Entstehung anders nicht erklären kann.17 Die handschriftliche Bezeugung spricht jedoch für die Lesart κενη' . Am Ende von V. 10 lesen d46 syhmg goth Theodoret η ει ς ε με', was als sekundäre Angleichung an die identische Wendung in V. 10a gelten muss.18 Schwieriger zu entscheiden ist, ob der Artikel zu lesen ist: Er fehlt in *אB D* F G 0243 0270* 6 1739 pc latt, während er von d46 א2 A D1 Ψ 33 1881 Byz gelesen wird.19
III 1 Die Anrede Brüder (α δελφοι') markiert den neuen Abschnitt und das neue Thema. Diese Anrede, die im 1. Korintherbrief nie nur eine höfliche Floskel ————————————————————
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Zuntz, Text, 254-255 meint, die Vorlage von d46 hätte ebenfalls die vom westlichen Text bezeugte Lesart gehabt. Zuntz, Text, 88; Fee 717 Anm. 17. Metzger, Commentary, 500; Schrage IV 53 Anm. 181. Zuntz, Text, 89-90. Metzger, Commentary, 501. NA25 hielt den Artikel für nicht ursprünglich, NA27 nimmt ihn in den Text auf (in Klammern); Metzger, Commentary, 501 kommentiert: Das Komitee hielt es für wahrscheinlicher, dass manche Textzeugen den Artikel unabsichtlich ausgelassen haben, als dass andere Textzeugen diesen mechanisch ergänzten. Schrage IV 70 Anm. 272 hat Metzger missverstanden.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 869 ————————————————————————————————————
ist, zeigt, dass das Verhältnis zwischen Paulus und den korinthischen Christen nicht zerstört ist: Sie sind Geschwister, sie gehören zu derselben Familie. Der neue Einsatz gilt im Vergleich mit früheren Abschnitten als abrupt, weil περι' fehlt, das die Anknüpfung an einen Brief aus Korinth oder an mündliche Anfragen korinthischer Christen signalisiert.20 Ein Überblick auf die Anfänge der großen Abschnitte im Ersten Korintherbrief zeigt, dass solche Überlegungen wenig sinnvoll sind. Paulus beginnt drei Abschnitte mit περι` δε' : die Behandlung der Frage nach der Sexualität in der Ehe und nach der Auflösung von Verlobungen (περι` δε` ω ν ε γρα' ψατε; 7,1); die Behandlung der Frage nach der Teilnahme an Festmählern in heidnischen Tempeln und nach dem Essen von Fleisch aus Tempelschlachtungen (περι` δε` τω ^ ν ειδωλοθυ' των; 8,1); die Frage nach dem rechten Umgang mit den Gaben des Geistes (περι` δε` τω ^ν πνευματικω^ ν; 12,1). In 5,1 verweist die Formulierung ο« λως α κου' εται ε ν υ μι^ν πορνει'α auf Informationen, die Paulus erhalten hat. In 6,12 beginnt Paulus einen Abschnitt mit einem Zitat einer korinthischen Position (πα' ντα μοι ε»ξεστιν α λλ’ ου πα' ντα συμφε' ρει), was aber grammatikalisch nicht gekennzeichnet wird. In 6,1 beginnt er mit einer Frage (τολμα^, τις υ μω^ ν πρα^γμα ε»χων προ` ς το` ν ε«τερον), die ebenfalls keine Verbindung mit korinthischen Informationen erkennen lässt; dies trifft auch auf die Formulierung zu, mit der Paulus die Behandlung des Verhaltens während der Mahlfeier einleitet (του^ το δε` παραγγε' λλων; 11,17). Die Einleitung der Diskussion über das Tragen von Kopfbedeckungen in den Gemeindeversammlungen beginnt in 1,10 mit einem Verb in der 1. Pers. Sing. Präs., gefolgt von der Partikel δε' und dem Personalpronomen in der 2. Pers. Plur., ohne Hinweis auf korinthische Informationen (ε παινω^ δε` υ μα^ς ο« τι πα' ντα μου με' μνησθε και'; 11,2). Die Einleitung des ersten großen Hauptteils über die Spaltungen in der Gemeinde in 1,10 ist 15,1 noch ähnlicher: Paulus beginnt ebenfalls mit einem Verb in der 1. Pers. Sing. Präs., gefolgt von der Partikel δε' und dem Personalpronomen in der 2. Pers. Plur. (παρακαλω ^ δε` υ μα^ς, α δελφοι', δια` του^ ο νο' ματος του^ κυρι'ου η μω^ ν Ιησου^ Χριστου^ ), ohne unmittelbaren Hinweis auf korinthische Informationen (dieser folgt erst in 1,11); während Paulus in 1,10 auf den Herrn Jesus Christus verweist, spricht Paulus in 15,1 vom Evangelium: γνωρι'ζω δε` υ μι^ν, α δελφοι', το` ευ αγγε' λιον.
Die Anrede „Brüder“ ist zugleich ein Hinweis darauf, dass man in der korinthischen Gemeinde das Evangelium nicht verraten hat, was der Fall wäre, wenn korinthische Christen die leibliche Auferstehung Jesu leugneten. 21 Man ————————————————————
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Lietzmann 76 rechnet mit Information aus dem verlorenen Brief; Conzelmann 302 spricht von Gerüchten, die Paulus erreicht haben; vgl. Barrett 335; Hurd, Origin, 91-92; vgl. Schrage IV 26 Anm. 60. Viele gehen von einer Leugnung der leiblichen Auferstehung Jesu durch korinthische Christen aus; vgl. Fee 715 Anm. 8; Lang 208; Wolff 354; Schmithals, Gnosis in Korinth, 150.339-342; Sandelin, Auseinandersetzung, 13-20; Sider, Resurrection, 130-132. Anders Conzelmann 305; Sellin, Auferstehung, 234-235. Differenzierend Schrage IV 15: „Vermutlich hat man sie nicht prinzipiell bestritten, weil Paulus dann wohl ganz anders reagieren würde. Aber man hat sie offenbar doch so spiritualisiert und sich so einseitig an die ekstatisch, visionär, kultisch oder mystisch erfahrbare Epiphanie des erhöhten Christus im Geist gehalten, daß Paulus . . . auch die Christologie von der These in V 12 mitbetroffen
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kann mit guten theologischen Gründen erwägen, ob die korinthischen Christen mit der Auferstehung Jesu vielleicht nicht viel anfangen konnten, weil man „kein Verständnis für sein Kreuz“ hatte.22 Die Ausführungen in 1,10–4,21 haben gezeugt, dass die Korinther die Kreuzigung Jesu nicht geleugnet haben (sonst könnte Paulus den Kreuzestod Jesu nicht als Grundlage seiner Argumentation einsetzen). Und dass sie kein Verständnis für das Kreuz hatten, ist wenig wahrscheinlich, weil Paulus sie sonst nicht als „in Christus Jesus Geheiligte“ und „berufene Heilige“ (1,2) ansprechen und Gott dafür danken würde, dass „das Zeugnis von Christus unter euch befestigt worden ist“ (1,6). Das Problem einiger Christen in Korinth war, dass sie die Konsequenzen nicht durchschauten, die sich aus dem Evangelium von Gottes Heilshandeln im Kreuzestod Jesu Christi für ihre Hochschätzung gesellschaftlichen Prestiges ergeben. Dieses Thema bestimmte den ersten großen Abschnitt in 1,10– 4,21. Mit der Auferstehung verhält es sich genauso: wie der einleitende betonte Hinweis auf das Evangelium in V.1 und die Imperative in V. 33-34 zeigen, zielt die Behandlung der leiblichen Auferstehung der Toten auf die Konsequenzen, die sich für die hedonistische Lebensweise einiger korinthischer Christen ergeben.23 Paulus schreibt, dass es in den folgenden Ausführungen um das Evangelium geht. Der bestimmte Artikel der Wendung το` ευ αγγε'λιον (s. oben zu 1,17) zeigt, dass Paulus voraussetzen kann, dass die korinthischen Christen wissen, wovon er spricht. Das „Evangelium“ ist die frohe Botschaft vom Heilshandeln Gottes in Jesus Christus dem Gekreuzigten und Auferstandenen, durch dessen gläubige Annahme die Menschen Vergebung der Sünden, Heil und Hoffnung, den Geist und seine Gaben, eine neue Identität als Angehörige des Volkes Gottes und eine neue Familie erhalten. Die Formulierung ich gebe euch (das Evangelium) zur Kenntnis (γνωρι' ζω υ μι^ν) will nicht sagen, dass Paulus den Korinthern etwas Neues mitteilt, wie die häufige Bedeutung „bekannt machen, offenbaren, mitteilen“ nahelegen könnte. 24 Das Verb γνωρι' ζω hat keine „offizielle, ja proklamatorische oder revelatorische Konnotation“, 25 ————————————————————
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bzw. in Gefahr sieht“. Schrage weiß mehr über die Korinther, als der Text erkennen lässt. Schrage IV 15 Anm. 13, der hinzufügt: „Sub cruce denkt man anders von der Auferweckung. Eine rechte theologia resurrectionis ist keine theologia gloriae“. Richtig Klauck 107: Die korinthischen Christen hatten sich die zitierten Sätze der Anfangsverkündigung, die das Evangelium zusammenfassen und ohne die christlicher Glaube nicht möglich ist, „einst zu eigen gemacht. Ihr jetziges Verhalten erscheint unter dieser Prämisse als inkonsequent“. R. Bultmann, Art. γνωρι'ζω, ThWNT I, 718; O. Knoch, EWNT I, 616-617. Schrage IV 27; diese Konnotation ist in die Bedeutung von γνωρι'ζω eingetragen, wie bei Knoch, ebd. 616, der den „Offenbarungscharakter der christl. Botschaft“ angezeigt sieht.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 871 ————————————————————————————————————
sondern führt Information ein, die besondere Beachtung verdient.26 Die Formulierung in Gal 1,11 ist ähnlich.27 Das Evangelium, auf das er sie mit Nachdruck verweist, hat er ihnen bereits verkündigt (ο ευ ηγγελισα' μην υ μι^ν).28 Paulus hat in Korinth das Evangelium von Februar oder März des Jahres 50 bis September 51 verkündigt.29 Der Bericht von der Gründung der Gemeinde ist in Apg 18,1-18 nachzulesen.30 In V.1b schildert Paulus die Reaktion der Korinther knapp mit zwei Formulierungen: sie haben das Evangelium angenommen, und sie stehen im Evangelium. Die Wendung ο και` παρελα' βετε meint nicht eine rein formale Entgegennahme der Evangeliumsbotschaft:31 Paulus schreibt an Jesusbekenner, die wie Christen an jedem anderen Ort „den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“ (1,2). Die Korinther, an die Paulus schreibt, haben das Evangelium angenommen, d.h. sie haben es akzeptiert und geglaubt und sich der Gemeinde der Jesusbekenner angeschlossen. Der Satz in dem ihr , και` ε στη' κατε) kann (gleichzeitig) instrumental und lokal auch steht (ε ν ω verstanden werden: Die Korinther haben durch das Evangelium und auf dem Evangelium einen „Stand“ gefunden. Das Perf. ε στη' κατε hat präsentische Bedeutung32 und ist analog der Verwendung in der LXX, wo «ιστημι und με'νω zur Wiedergabe derselben hebr. Verben verwendet werden, im Sinn von ————————————————————
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Harris, Second Corinthians, 559; vgl. Wolff 354; Lindemann 327. Verburg, Endzeit, 97 nimmt die Bedeutung „bestätigen“ an, die in den Papyri bezeugt ist; LSJ 355 s.v. γνωρι'ζω verweist auf BGU III 581,13; P.Oxy. VII 1024,18; vgl. MM 129. Arzt-Grabner 412 nennt Belege für die sog. disclosure formula mit der Bedeutung „zur Kenntnis nehmen, von etwas Notiz nehmen“ (P.Cair.Zen. III 59375,3-4.12-13; P.Mich. I 28,6.16-17 u.a.; R. Bultmann, ThWNT I, 718 spricht von „Brieferöffnungsformeln“) sowie für die Bedeutung „zur Kenntnis bringen, mitteilen“ (P.Abinn. 33,6; 4. Jh.). Radl, Sinn, 143-145 will das Verb nicht auf „Evangelium“ beziehen, sondern – über einen großen Anakoluth hinweg – erst auf V. 11, was aber nicht plausibel ist. Robertson/Plummer 331 sehen im Kontext von V. 1 mit γνωρι'ζω einen „sanften Vorwurf“ impliziert. Gal 1,11: Γνωρι'ζω γα` ρ υ μι^ν, α δελφοι', το` ευ αγγε' λιον το` ευ αγγελισθε` ν υ π’ ε μου^ . Der Aor. ευ ηγγελισα' μην bezieht sich im Kontext des Verbs παρελα' βετε auf vergangenes Geschehen. Zu ευ αγγελι'ζομαι als Tätigkeit des Apostels Paulus vgl. 1,17; 9,16.18; 2Kor 10,16; Röm 1,15; 15,20; Gal 1,16.23; 4,13; Eph 3,8, in der Apg in 13,32; 14,7.15.21; 16,10; 17,18; die Tätigkeit der Jerusalemer Apostel und anderer Missionare wird ebenfalls mit diesem Verb beschrieben: Apg 5,42; 8,25; 8,4.35.40; 11,20. Riesner, Frühzeit, 180-187. Schnabel, Urchristliche Mission, 1130-1145. Conzelmann 304. Schrage IV 27 hält dies für möglich, was aber im heidnischen Kontext der römischen Stadt Korinth keinen konkreten Sinn ergibt, will man nicht annehmen, dass παραλαμβα' νω hier den Sinn von „zuhören“ hat, was aber doch etwas anderes ist. Richtig Kremer 320; Lindemann 327: „Die ganze folgende Argumentation liefe ins Leere, wenn V. 1b nicht mehr als eine bloße captatio benevolentiae wäre und nicht der von Paulus für Korinth vorausgesetzen Realität entspräche“. BDR §341; HS §200b. Vgl. 2Kor 1,24; Röm 5,2.
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„bleiben“ zu verstehen.33 Die korinthischen Christen haben das Evangelium angenommen und „stehen“ im Glauben an Jesus Christus, der in der Evangeliumsbotschaft verkündigt wurde. Diese Formulierung beschreibt die Leser als Christen, deren Identität von der Botschaft über das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus bestimmt ist. Das bedeutet für Juden, dass sie an Jesus als den Messias glauben und infolge dieser Überzeugung in der Synagoge wahrscheinlich nicht mehr geduldet werden und sie sich deshalb unabhängig von dieser mit anderen Jesusbekennern zusammen in der neu entstandenen Gemeinde versammeln (vgl. Apg 18,6-7). Für Polytheisten in einer Stadt wie Korinth bedeutet die Annahme des Evangeliums und das „Stehen“ im Glauben an Jesus Christus konkret, dass sie nicht mehr die traditionellen Götter in den Tempeln der Stadt anbeten, sondern den einen wahren Gott Israels, dass sie Heil und Vergebung nicht mehr von Opfern erwarten, die den Göttern der Stadt dargebracht werden, sondern von dem Herrn Jesus Christus. Inwiefern das „Stehen“ im Evangelium weitere Bereiche des persönlichen Lebens im Alltag beeinflusst und bestimmt, ist eine andere Frage, um die es gerade in Kap. 15 geht. Kompromisse mit Werten der säkularen oder heidnischen Gesellschaft und Konflikte innerhalb der Gemeinde heben den „Stand“ im Evangelium allerdings nicht auf. 2 Der vierte Relativsatz bekräftigt den Heilsstand der korinthischen Christen: durch das ihr auch das Heil erlangt (δι’ ου και` σω', ζεσθε). Das Präsens des Verbs wird als praesens apodicticum,34 als gegenwärtiges Präsens35 oder als futurisches Präsens36 interpretiert. Diese Interpretationen schließen sich gegenseitig nicht aus, aber im Zusammenhang des Empfangs des Evangeliums in der Vergangenheit (παρελα' βετε, Aor.) und des Stehens im Glauben in der Gegenwart (ε στη' κατε, Perf.) ist ein Bezug auf die Rettung im zukünftigen Endgericht am plausibelsten.37 Der Satz in V.2b: wenn ihr festhaltet an dem Wort, das ich euch verkündigt habe38 formuliert die Bedingung der Rettung.39 Wer (im Endgericht) ————————————————————
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Vgl. M. Wolter, EWNT II, 508, der auf den johanneischen Gebrauch von με' νω verweist. Schrage IV 29. Weiss 346: „zeitloses praes. des Lehrsatzes“; Meyer 412: σω', ζεσθε „vergegenwärtigt die künftige, ganz gewisse Messianische (sic) Heilsrettung“; vgl. Heinrici 446; W. Förster, ThWNT VII, 994. Schlatter 394; Barrett 336; Wolff 355; Kremer 320; Thiselton 1185. Robertson/Plummer 331; Fee 720; Strobel 227. Der Satz ist syntaktisch schwierig; vgl. ausführlich Conzelmann 301 Anm. 4; Schrage IV 29-30. Der Ausdruck τι'νι λο' γω, ist am besten als Relativpronomen zu verstehen; BDR , λο' γω, nach den voraufgegangenen Relativpronomen ο , ε ν ω , , §298 Anm. 8: τι'νι λο' γω, = ω δι’ ου ; NSS II 92: das Fragepronomen wird als Relativpronomen gebraucht. Die Wendung , aufzulösen und bei der Wortstellung von Inversion auszugehen. Die ist mit τω ^, λο' γω, ω Wendung τι'νι λο' γω, ευ ηγγελισα' μην υ μι^ν ist das Dativ-Objekt von κατε' χετε. Vgl. Weiss
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gerettet werden will, der muss an dem Wort des von Paulus verkündigten Evangeliums festhalten.40 Mit ει κατε'χετε (Präs. Ind.) formuliert Paulus einen realen Bedingungssatz, der nicht immer, aber bei Paulus meistens und so auch hier beinhaltet, dass die Bedingung als tatsächlich erfüllt erscheint.41 Das heißt, das Wort „wenn“ entspricht hier dem kausalen „weil“: Weil sie an dem verkündigten Evangelium festhalten, werden sie gerettet. 42 Κατε'χω43 bedeutet hier „festhalten“, weniger im Sinn von „im Gedächtnis festhalten“ 44 als im Sinn von „sicher und treu festhalten“. J. Weiss kommentiert: „daß er überhaupt diese Bedingung erwähnt, fordert zur Selbstprüfung auf“.45 Der Nachsatz in V. 2c: es sei denn, ihr hättet den Glauben unüberlegt angenommen formuliert eine Konzession (ε κτο` ς ει μη' ).46 Die Aussage, dass die zur Gemeinde in Korinth gehörenden Menschen das Heil erlangt haben und an dem verkündigten Wort festhalten, ist nur unter der Voraussetzung richtig, dass sie den Glauben nicht „unüberlegt“ (ει κη^, ) angenommen haben.47 Die meisten übersetzen das Adv. ει κη^, mit „vergeblich“: Paulus warnt die Korinther, dass sie vergeblich zum Glauben gekommen sind, wenn sie am Wort des Evangeliums nicht festhalten. 48 Die aggressive Ironie, die durch diese Übersetzung entsteht, passt nicht zum Kontext von V. 1-11, wo Paulus die gemeinsame Grundlage beschreibt, die er und die korinthischen Christen teilen, indem sie genau wie er selbst die Tradition vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus angenommen haben und sie als „Brüder“ zu ————————————————————
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346 (mit Verweis auf 6,4; 11,14; 14,7.9; Bar 3,13); Godet II 182 (mit Verweis auf 3,5; 7,17; 14,12); Wolff 355; Schrage IV 30; Lindemann 327. Anders Kremer 320-321, der die Wendung τι'νι λο' γω, mit δι’ ου και` σω', ζεσθε verbindet und τι'νι λο' γω, im Sinn von „aus welchem Grund“ (Vulg. qua ratione) interpretiert: „Paulus gibt hier demnach den Grund an, warum er den Korinthern das Evangelium verkündigt hat: um ihnen die Rettung zu ermöglichen“. Lindemann 327-328 wundert sich (zunächst), dass bei Paulus „ein formuliertes Bekenntnis als solches“ eine soteriologische Funktion haben könne. Mit λο' γος meint Paulus selbstverständlich nicht die in V. 3b-5 zitierte Bekenntnisformel: Er hat diese in seiner missionarischen Verkündigung ganz sicher nicht einfach rezitiert, sondern erläutert und begründet. HS 552, §281a (wobei generell gilt: „Der Sprechende lässt das Verhältnis der Protasis zur Wirklichkeit unbestimmt“). Lindemann 328: „Paulus bezweifelt nicht, daß die Korinther am Evangelium festhalten“; zu Recht kritisch im Blick auf Fee 721, der in dem Satz „Ironie“ feststellt. H. Hanse, Art. κατε' χω, ThWNT II, 828-830; W. Trilling, EWNT II, 670-671. So Bauer /Aland 860 s.v. κατε' χω 1bα. Weiss 346; vgl. Lindemann 328. HS §185a.9, §286 (nachklassische Konstruktion); BDR §376.1c. Der Aor. ε πιστευ' σατε kann sich auf die Bekehrung der Korinther beziehen (ingressiver Aorist) oder generell die Tatsache des Glaubens der Korinther bezeichnen. F. Büchsel, Art. εικη^, , ThWNT II, 377; H. Balz, EWNT I, 941; Fee 721; Wolff 355; Kremer 321; Lindemann 328; Schrage IV 31. So die meisten dt. Übersetzungen, vgl. Elb.Ü, GN, LÜ, NGÜ, SÜ, ZB, Menge, Wilckens.
874 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
derselben Familie gehören. Deshalb ist die Bedeutung „unüberlegt, kopflos, ins Blaue hinein“ plausibler.49 Paulus hält es für möglich, dass sich Menschen zur Gemeinde halten, die unüberlegt, d.h. ohne sich über die Konsequenzen Rechenschaft zu geben, die Evangeliumsbotschaft angenommen haben. Sie haben einen inkohärenten, einen zusammenhanglosen Glauben, der sich über die Konsequenzen des Glaubens an Jesus Christus für das Verhalten im Alltag im Ungewissen ist. A. Schlatter kommentiert: „Vorerst erwartet er von ihnen die Zustimmung, wenn er annimmt, sie hätten gewußt, was sie taten, als sie glaubten, und nicht Leichtsinn getrieben, sondern damit bejaht, was Gottes Wort ihnen sagte, und getan, was Gottes Wirken in ihnen schuf“.50 3 Paulus hat das Wort des Evangeliums, das er den Korinthern in erster Linie überliefert, was er selbst auch angenommen hat. Das einleitende γα' ρ begründet die in V. 1-2 referierte Verkündigung des Apostels, die er den Korinthern vermittelt hat. Er hat ihnen „in erster Linie“ (ε ν πρω' τοις)51 die in den folgenden Sätzen zitierte Tradition verkündigt (παρε'δωκα υ μι^ν), d.h. er hat „vor allem“ von Jesus dem Gekreuzigten und Auferstandenen gesprochen. Die im Folgenden zitierte Tradition von Jesus gehört zu den „wichtigsten Stücken seiner Missionspredigt in Korinth“.52 Der Hinweis, dass er selbst diese Tradition „auch angenommen“ hat (ο και` παρε'λαβον), unterstreicht, dass diese Botschaft keine Erfindung des in Korinth missionierenden Apostels war. Wie die Korinther das Wort des Evangeliums angenommen haben (παρελα' βετε, V. 1), das ihnen überliefert wurde (παρε'δωκα, V. 3a), so hat auch Paulus das Evangelium angenommen (παρε'λαβον). Paulus sagt nicht, wer ihm das Evangelium überliefert hat. Er hat es ganz sicher von den Jesusbekennern gehört, die er verfolgt und verhört hat, und er hat es in der Gemeinde in Da————————————————————
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Bauer /Aland 448 s.v. εικη^, 4, mit Verweis auf V. 2; Prov 28,25 LXX; Ep. Arist. 51.162; 1 Klem 40,2; sowie Josephus, Ap. 2,234; Epiktetus, Diss. 1,28,28; Arrian, Anab. 6,3,2; P.Leipz. 104,29; vgl. Preisigke, Wörterbuch s.v.; Kiessling, Wörterbuch s.v.; ArztGrabner 475 verweist für die Bedeutung „unüberlegt, ohne Grund“ noch auf PSI Cong.XX 11,9; P.Oxy. XLI 2983,31; die Bedeutung „vergeblich, umsonst“ ist in den Papyri nicht bezeugt (ebd.). Vgl. Weiss 346; Robertson/Plummer 332; Findlay 919; Schlatter 394; Thiselton 1186; Garland 683. EÜ: „Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen?“; vgl. MNT („grundlos“). Schlatter 394; vgl. Thiselton 1186. ε ν πρω' τοις kann zeitlich („zuerst“) oder sachlich („in erster Linie“) verstanden werden, wobei die zweite Bedeutung hier plausibler ist. Lindemann 328 hält beides für möglich. Wolff 355; vgl. Schrage IV 32: „Hauptsache und Kernstück des Evangeliums“, dem „fundamentale Bedeutung und Sachpriorität zukommt“. Schlatter 394 interpretiert zeitlich: „ε ν πρω' τοις verkündigt sie das Ende Jesu. Sie berichtet hernach auch noch anderes, z. B. die Eheordnung Jesu I 7,10, und die Stiftung des Apostolats durch ihn, I 9,14. Aber das Hauptstück der Botschaft ist die Passions- und Ostergeschichte; denn an ihr entscheidet sich das Verhältnis, in das sich der Mensch zu Jesus stellt.“
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 875 ————————————————————————————————————
maskus direkt nach seiner Bekehrung gehört.53 In Gal 1,11-12 betont Paulus, dass das von ihm verkündigte Evangelium nicht von Menschen stammt (ου κ ε»στιν κατα` α»νθρωπον, V. 11; ου δε` γα` ρ ε γω` παρα` α νθρω' που παρε'λαβον, V. 12), sondern dass er es durch eine Offenbarung Jesu Christi erhalten hat (δι’ α ποκαλυ' ψεως Ιησου^ Χριστου^ , V. 12). Die formelhafte Wiedergabe dessen, was Paulus „überliefert“ wurde, verweist hier jedoch auf menschliche Tradenten, nicht auf eine göttliche Offenbarung. Gleichwohl besteht kein Widerspruch zwischen Gal 1,11-12 und 1Kor 15,3: im Kontext von Gal 1 geht es um die konkreten Inhalte der Evangeliumsbotschaft, wie sie Paulus als Missionar unter den Heiden verkündigt (Gal 1,16), während es in 1Kor 15,35 um die Grund-Sätze des Evangeliums geht, um die mit Kreuz und Auferweckung Jesu verbunden Heilstatsachen der christlichen Botschaft. 54 Paulus verkündigt keine Sonderbotschaft, sondern das Evangelium, das auch von den anderen Aposteln gepredigt wird. In den folgenden Sätzen in V. 3b-5, deren grammatikalisches Subjekt durchgängig Jesus Christus ist, zitiert Paulus die Tradition (Paradosis), die ihm überliefert wurde und die er in seiner missionarischen Verkündigung weiter überliefert hat. Die Annahme, dass es sich in V. 3b-5 um eine geprägte Tradition handelt, wird mit folgenden Hinweisen begründet.55 1. Die wiederholt verwendete Traditionsterminologie (παρε' δωκα / παρε' λαβον, V. 3a). 2. Der parallele Aufbau (synthetischer parallelismus membrorum): zwei Hauptaussagen (ο« τι Χριστο` ς α πε' θανεν / και` ο« τι ε γη' γερται) mit je einer Näherbestimmung (υ πε`ρ τω ^ ν α μαρτιω^ ν η μω^ ν / τη^, η με' ρα, τη^, τρι'τη, ) und einem identisch formulierten Verweis auf die Schrift, der die vorhergehende Aussage als Erfüllung des göttlichen Willens markiert (κατα` τα` ς γραφα' ς); beide Hauptaussagen werden durch eine knappe Feststellung bestätigt (και` ο« τι ε τα' φη / και` ο« τι ω» φθη Κηφα^). , Die Wendung ει τα τοι^ς δω' δεκα am Ende der zweiten Hauptaussage gehörte möglicherweise nicht mehr zum ursprünglichen Summarium.56 Wenn man allerdings nicht von zwei Hauptaussagen (V. 3b-4a / 4b-5b) ausgeht, sondern von vier Aussagen, markiert durch die vier ο« τι-Sätze (V. 3b.c / 4a / 4b.c /5a.b), erübrigt sich die Eliminierung von ει τα τοι^ς δω' δεκα, weil man keine exakte Parallelität von zwei Hauptaussagen annehmen muss. 3. Für Paulus ungewöhnliche Elemente: Plur. τω ^ ν α μαρτιω^ ν ————————————————————
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Anders Bengel 674: a Christo ipso. Lindemann 328 meint, in Gal 1 gehe es um die Wahrheit des Inhalts des Evangeliums, während es in 1Kor 15,3 um den bestimmten Wortlaut des Evangeliums gehe. Ähnlich Wright, Resurrection, 319. Mit dieser Erklärung wird der augenscheinliche Widerspruch zwischen Gal 1,11-12 und 1 Kor 15,3 ebenfalls vermieden. In 1Kor 15,3-5 geht es jedoch nicht um „den“ Wortlaut des Evangeliums, sondern um den grundsätzlichen Inhalt der Evangeliumsverkündigung, während es in Gal 1 um die konkreten Inhalte der Evangeliumsbotschaft in der Heidenmission geht. Vgl. die Übersicht bei Schrage IV 18. Fee 723; Lindemann 329.
876 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— V. 3b,57 κατα` τα` ς γραφα' ς V. 3c.4c,58 ω» φθη V. 5a,59 οι δω' δεκα V. 5b,60 ε γη' γερται V. 4b61, die Zeitangabe bei der Auferweckung Jesu. Das Traditionsstück lautet: V. 3b V. 3c V. 4a
ο« τι Χριστο` ς α πε' θανεν υ πε`ρ τω ^ ν α μαρτιω^ ν η μω^ ν και` ο« τι ε τα' φη
V. 4b V. 4c V. 5a V. 5b
και` ο« τι ε γη' γερται τη^, η με' ρα, τη^, τρι'τη, και` ο« τι ω» φθη Κηφα^, ει τα τοι^ς δω' δεκα
κατα` τα` ς γραφα' ς
κατα` τα` ς γραφα' ς
Ob es sich um eine einheitliche Traditionsformel handelt, ist umstritten. Die meisten nehmen eine vorpaulinische Entstehung an, während nicht wenige argumentieren, dass das vorliegende Summarium von Paulus stammt, der sie aus ursprünglichen Einzelformeln zusammengestellt hat.62 Das ο« τι, mit dem jedes Glied des Summariums eingeleitet wird, ist auffällig. Manche erklären es als zur Tradition gehörig, wenn diese eine Bekenntnisaussage mit einem einleitenden πιστευ' ομεν („wir glauben“) einführte.63 Andere nehmen an, dass Paulus ο« τι eingefügt hat, um die einzelnen Aussagen voneinander abzusetzen.64 Wenn man eine vorpaulinische Entstehung annimmt, lässt sich nicht mehr feststellen, wo das Traditionsstück entstanden ist. Da Paulus nur zwei oder drei Jahre nach dem Tod und der Auferstehung Jesu zum christlichen Glauben bekehrt wurde (s. unten zu V. 8), und da er sofort nach seiner Bekehrung mit der missionarischen Verkündigung des Evangeliums begonnnen hat, stehen eigentlich nur Damaskus und Jerusalem bzw. Judäa zur Auswahl, was sich nicht ausschließen muss: Damaskus als Ort, an dem Paulus in die Gemeinschaft der Jesusbekenner aufgenommen und wo er getauft wurde, Jerusalem bzw. Judäa als Ort, wo er bei seiner Verfolgertätigkeit regelmäßig mit Jesusbekennern Kontakt hatte und dabei deren Überzeugungen kennenlernte.65 Die Verwendung des Namens „Kephas“, der Verweis auf die Zwölf und der zweifache Hinweis auf die heiligen Schriften verweisen auf eine judenchristliche Gemeinde. ————————————————————
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Sonst nur noch in Röm 7,5; 2Kor 11,7, sowie in atl. Zitaten (Röm 4,7; 11,27) und übernommenen Formulierungen (Gal 1,4). Paulus verwendet sonst die Wendungen καθω` ς γε' γραπται (1,31; 2,9 u.a.), γε' γραπται γα' ρ (1,19; 3,19 u.a.), ω « σπερ γε' γραπται (10,7). Vgl. Lk 24,34; Apg 13,31; 26,16. In Gal 1,19; 2Kor 11,5; 2,11 spricht Paulus von οι α πο' στολοι, was nicht dasselbe ist. Sonst nur in 2Tim 2,8. Vgl. Wilckens, Ursprung, 139-193; Hahn, Christologische Hoheitstitel, 209-210; zur Diskussion vgl. Schrage IV 18-19. Hahn, Christologische Hoheitstitel, 209; Wengst, Formeln, 93. Kramer, Christos, 15. Die These, der „relativ komplizierten Aufbau“ schließe eine zu frühe zeitliche Ansetzung aus (Lindemann 330), man habe mit einem „komplexen traditionsgeschichtlichen Prozess“ zu rechnen (Klauck 110), basiert auf Voraussetzungen, die nicht erwiesen sind. Man sollte traditionsgeschichtliche Theorien nicht mit historischer Wirklichkeit verwechseln. Und so kompliziert ist der Aufbau nun auch nicht.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 877 ———————————————————————————————————— Wenn man davon ausgeht, dass das Traditionsstück in griechischer Sprache formuliert wurde,66 ist damit nicht ausgeschlossen, dass es eine früher entstandene hebräische oder aramäische Fassung gab. Ebenfalls nicht ausschließen kann man die Möglichkeit, dass die griech. Fassung in Jerusalem entstand, „wo insbesondere die selbstverständliche unkommentierte Erwähnung des Kephas und ‚der Zwölf‘ ohne weiteres vorstellbar ist“.67 Der Sitz im Leben wird sehr unterschiedlich bestimmt. Die wichtigsten Vorschläge sind: Bekenntnisformel, Verkündigungsformel, Homologie, Credo, Pistisformel, Praesymbolum, heilsgeschichtliche Erzählung, katechetisches Summarium, Zusammenfassung der Anfangsunterweisung. Sicherheit über die Verwendung dieses christlichen Traditionsstücks lässt sich nicht gewinnen.68 Es gehört jedenfalls zum unabdingbaren Grundbestand der Theologie, des Lebens und der Anbetung der Jesusbekenner. W. Schrage will in dem Traditionsstück kein „Referat über historische Fakten“ sehen. Aber genau das liegt vor, auch wenn es den Verfassern dieses Textes um mehr ging. Der doppelte Verweis auf die Heiligen Schriften zeigt in der Tat, dass es dem Text um die heilsgeschichtliche Bedeutung des Todes und der Auferweckung des Messias Jesus geht. Dabei gilt allerdings, dass es nach atl. und jüdischem Verständnis ohne (heils-)geschichtliche Fakten auch kein Heil gibt: Ohne das Eingreifen Gottes in historische Zusammenhänge kann der in der Geschichte seit Adam bestehende Nexus zwischen Sünde und Unheil nicht durchbrochen werden. Die Tatsache, dass Paulus die Aussagen in 15,3b-5 als Tradition zitiert, die er empfangen hat, ist aus zwei Gründen bedeutsam. 1. Seine Sicht des Todes und der Auferstehung Jesu ist identisch mit der Sicht der apostolischen Tradition. Sie ist weder eine Neuerung noch eine Adaption an die neuen Verhältnisse der Heidenmission. Paulus verkündigt, was vor ihm die Jesusbekenner schon immer geglaubt und verkündigt haben. 2. Das Verständnis des Todes Jesu als Heilstod mit sühnender Wirkung ist eine zentrale Überzeugung der frühesten Jesusbekenner.69
Die erste Grundaussage der urchristlichen Glaubenstradition ist der Satz: Der Messias ist für unsere Sünden gestorben gemäß der Schrift (Χριστο` ς α πε'θανεν υ πε` ρ τω ^ ν α μαρτιω ^ ν η μω ^ ν κατα` τα` ς γραφα' ς; V. 3b.c). Χριστο' ς ist 70 hier nicht Eigenname, sondern ein Hinweis auf den Messias, den in Israel erwarteten endzeitlichen Heilsbringer.71 Abgesehen von allen sprachlichen Argumenten, die diese Frage nicht mit hinreichender Klarheit entscheiden ————————————————————
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Conzelmann 307-309; Stuhlmacher, Evangelium, 269-272. Von einem semitischen Original gehen aus Jeremias, Abendmahlsworte, 95-97; Klappert, Frage, 168-173; Hahn, Christologische Hoheitstitel, 197-200; vgl. Lehmann, Auferweckt, 87-115 sowie den Überblick bei Conzelmann 307-309; Schrage IV 23-24. Lindemann 329-330; vgl. Stuhlmacher, Das paulinische Evangelium, 166. Schrage IV 18; die folgende Bemerkung ebd. Hurtado, Lord Jesus Christ, 128.133. Repräsentativ Conzelmann 309; Lindemann 330. Lang 210; Fee 724; Wolff 361; Jeremias, Abendmahlsworte, 97-98; Hahn, Christologische Hoheitstitel, 209.218; ders., Theologie I, 204; Hengel, Erwägungen, 251; Stuhlmacher, Theologie I, 171; Hurtado, Lord Jesus Christ, 101; Wright, Resurrection, 319-320; Schrage IV 24 sieht „das Titulare“ immerhin durchschimmern; vgl. Kremer 322.
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können, scheint es ausgeschlossen, dass ein Jude das hebr. Wort ָמ ִשיַחoder das aram. Wort ְמ ִשיָחאverwendet, ohne an den Messias zu denken. Die Annahme ist durchaus plausibel, dass zum Beispiel die Formulierung ο κυ' ριος Ιησου^ ς Χριστο' ς („der Herr Jesus Christus“) an die traditionelle dreigliedrige Namensform z.B. des römischen Kaisers erinnerte (Imperator Caesar Augustus, griech. Αυτοκρα' τωρ Και^σαρ Σε'βαστος), und dass deshalb „Kyrios“ als Titel, „Jesus“ als der eigentliche Eigenname und „Christos“ als das cognomen aufgefasst wurde. 72 Gleichzeitig gilt: Wenn Paulus in seinen persönlichen Gebetszeiten in aramäischer Sprache gebetet hat, dann hat er sich bei dem Wort ְמ ִשיָחאunweigerlich an die messianische Identität Jesu erinnert, deren Bedeutung nicht verschwindet, wenn er am Nachmittag von der fünften bis zur zehnten Stunde73 in der Schule des Tyrannos in Korinth in griechischer Sprache die Botschaft vom κυ' ριος Ιησου^ ς Χριστο' ς verkündigt und erläutert (für weitere Einzelheiten s. oben zu 1,1). Und gerade wenn es sich um eine sehr frühe, in judenchristlichen Kreisen (der Jerusalemer Gemeinde) entstandene Traditionsbildung handelt, ist es praktisch ausgeschlossen, dass Χριστο' ς bloßer Eigenname ist, der keine messianische Bedeutung hat. 74 W. Schrage schreibt: „Das Geschick Jesu Christi strukturiert den Titel so stark, daß er . . . immer mehr zum Eigennamen wird“.75 Diese Aussage bleibt unverständlich: wenn Jesus als der Messias geglaubt wurde, weshalb soll die Verkündigung seines Todes und seiner Auferstehung samt seiner Heilsbedeutung eine „Struktur“ aus sich heraussetzen, bei der die Überzeugung von der Messianität Jesu auf der Strecke bleibt? Das Bestreben vieler Exegeten, dieses zutiefst jüdische Element aus der urchristlichen Verkündigung von Jesus Christus zu eliminieren, hängt bei manchen Exegeten mit der Überzeugung zusammenhängen, dass Jesus weder selbst beanspruchte, der Messias zu sein, noch dass er in Wirklichkeit der Messias war. Dieses Unbehagen spiegelt sich in den meisten dt. Übersetzungen wider, die es meistens konsequent vermeiden, Χριστο' ς mit seinem hebr. Äquivalent „Messias“ zu übersetzen. Chr. Wolff hat recht: „Griechisch sprechende Judenchristen – und mit ihnen Paulus – haben in Χριστο' ς auf jeden Fall den Zusammenhang mit dem ‚Gesalbten‘ gehört“.76
Die Tradition, die Paulus zitiert und verkündigt, bekennt sich zu Jesus als messianischem Menschensohn, der den Tod erlitten hat. Die schmachvolle ————————————————————
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Hengel, Erwägungen, 246-247, mit Verweis auf Ehrenberg/Jones, Documents, Nr. 311 (SEG IX 8), wo kaiserliche Edikte von Cyrene stereotyp mit der erwähnten Formel eingeleitet werden, mit der Hinzufügung von divi filius („Gottes Sohn“) zwischen „Caesar“ und „Augustus“ bzw. nach „Augustus“. So die Zeitangabe im Codex D bei Apg 19,9. Wright, Resurrection, 319-320 betont, dass Paulus in V. 20-28 ein explizit „messianisches“ Argument entwickelt. Schrage IV 24. Wolff 361.
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Hinrichtungsart der Kreuzigung hat das Summarium ganz sicher nicht absichtlich verschwiegen: In Jerusalem und auch in Antiochien konnte man bei bestem Willen nicht verschweigen, dass Jesus am Kreuz hingerichtet wurde, und Paulus hatte in 1,23; 2,5 erklärt, dass der Kreuzestod Jesu immer im Mittelpunkt seiner (auch und gerade missionarischen) Verkündigung stand. Die Wendung „für unsere Sünden“ (υ πε` ρ τω ^ ν α μαρτιω ^ ν η μω ^ ν, V. 3c) beschreibt die Heilsbedeutung des Messias, der gestorben ist (α πε'θανεν, Aor.). Die Formulierung mit υ πε'ρ beschreibt das Sterben Jesu im Sinn der stellvertretenden Sühne, durch die Sünden beseitigt werden. Jesus ist nicht für seine eigenen Sünden mit dem Tod bestraft worden – diese Schlussfolgerung konnten Juden aus dem Tod Jesu durch die Kreuzigung ziehen und diesen als von Gott Verfluchten verstehen (vgl. Dtn 21,23; 11QTempel 64,11-13).77 Jesus ist nicht „für sich“ gestorben, sondern „für uns“. Die Präp. υ πε'ρ (mit Gen.) kann „zugunsten von, anstelle von, um willen, im Hinblick auf“ bedeuten.78 Wenn man die Wendung υ πε` ρ τω ^ ν α μαρτιω ^ ν η μω ^ ν mit „wegen unseren Sünden“ oder mit „um unserer Sünden willen“ übersetzt, dann sind die Sünden der Grund für den Tod des Messias Jesus, der sie beseitigt und den Sünder aus der Macht der Sünde befreit. Der Tod Christi ist die Straffolge „unserer Sünden“. O. Hofius fasst diese Bedeutung der ersten Zeile des Summariums wie folgt zusammen: „Christus ist an die Stelle der Schuldigen getreten, die wegen ihrer Sünden dem Tod verfallen sind, und hat sie durch die Hingabe des eigenen Lebens in den Tod von der ‚Last‘ und damit von der tödlichen Folge ihrer Sünden befreit“.79 Im Zusammenhang der Abendmahlstradition ist darüber hinaus und bei Paulus zu allererst an die Sühneaussagen zu denken, die dem Tod Jesu sündentilgende Wirkung zuschreiben (Jesus starb „zur Sühnung unserer Sünden“). Das Passalamm, das Jesus beim letzten Mahl mit seinen Jüngern aß, erinnerte an jene Lämmer, deren Schlachtung die Erstgeborenen Israels vor dem Tod bewahrte und die Rettung Israels aus der Sklaverei in Ägypten signalisierte. Mit den Worten, die Jesus über dem Brot und über dem Wein sprach, hat er deutlich gemacht, dass sein bevorstehender Tod ein Sterben υ πε` ρ υ μω^ ν (Lk 22,19; 1Kor 11,24) bzw. υ πε` ρ πολλω^ ν (Mk 14,24) ist, d.h. ein stellvertretendes Sterben, das „anstelle“ der Vielen erfolgt
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Zudem galt im AT der frühzeitige Tod als Folge der Sünde, vgl. 1Sam 2,31-32; Hiob 22,15-16; 36,14; vgl. Wolff 362. H. Riesenfeld, Art. υ πε' ρ, ThWNT IX, 510-517; H. Patsch, EWNT III, 948-951; Jeremias, Abba, 191-216; Popkes, Christus traditus, 193-203; Wengst, Formeln, 55-77; Bieringer, Ursprung, 219-248. Zur Diskussion der Bedeutung des Todes Jesu vgl. Frey/Schröter, Deutungen. Hofius, Gottesknechtslied, 353.
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und damit ein Sterben „für“ die Menschen ist, das ihnen „zugute“ kommt. 80 Dieses Verständnis des Todes Jesu, das von Jes 43,3-4 und 52,13–53,12 geprägt ist, hat die Überzeugung von der stellvertretenden Sühne zu einem Grundelement der urchristlichen Christologie gemacht.81 Bei Paulus gehört die Sühnopfervorstellung und der Stellvertretungsgedanke zusammen. In der griechisch-römischen Welt kannte man das Sterben „für andere“ durchaus: Es galt als ehrenhaft, für Freunde, für das Vaterland, für eine gerechte Sache zu sterben. Da der Tod Jesu jedoch kein ruhmvoller, sondern ein schmachvoller Tod war, und weil Jesus nicht einfach als Märtyrer für eine gerechte Sache starb, sondern sein Tod im Horizont des Sterbens des jesaianischen Gottesknechtes als stellvertretender Opfertod zu verstehen ist,82 musste der Kreuzestod Jesu erklärt werden. In der knappen Formel in V. 3b-5 geschieht das natürlich nicht. W. Schrage benennt zwei Gründe, die Paulus bewogen haben, im Auferstehungskapitel vom Tod Jesu zu reden (bzw. mit diesem zu beginnen!): Paulus macht erstens deutlich, dass der Auferweckung Jesu nur im Zusammenhang seines (stellvertretenden) Todes Heilsbedeutung zukommt. Paulus zeigt zweitens, dass Christus „von den Toten“ auferweckt wurde, dass auch die Christen den Tod noch nicht hinter sich haben, sondern ihre neue Existenz „im Schatten des Kreuzes“ leben und dass deshalb die Realität des Todes nicht „spiritualistisch überspielt“ werden darf.83 Der Nachsatz „gemäß der Schrift“ (κατα` τα` ς γραφα' ς; V. 3d) bekräftigt, dass die Heilsbedeutung des Todes des Messias Jesus als Erfüllung der Heiligen Schriften (Plur.) zu verstehen ist. Die Wendung unterstreicht zunächst allgemein, dass der Tod Christi dem „Willen und Vorauswissen“ Gottes entspricht (Apg 2,23). Der Tod Jesu Christi war ein Heilsereignis, konkret ein Ereignis, das den Willen Gottes erfüllte, wie er in den Heiligen Schriften aufgezeichnet war.84 N. T. Wright verweist auf die atl. (und frühjüdische) Erwar————————————————————
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H. Riesenfeld, ThWNT VIII, 511. Zur paulinischen Sicht der Sühne vgl. Hengel, Sühnetod, 1-25; Stuhlmacher, Theologie, 192-196.295-299; Hofius, Sühne, 33-49; Haubeck, Rechtfertigung, 93-104; Gäckle, Sühne, 87-105; Gaukesbrink, Sühnetradition. Stuhlmacher, Theologie, 192; für die folgende Bemerkung vgl. ebd. 195; Hengel, Atonement, 6-18, mit Verweis auf Plato, Apol. 32a-c (Tod des Sokrates); Horaz, Od. 3,2,13 (dulce et decorum est pro patria mori). Bei den Beispielen in den griechischen und lateinischen Quellen, in dem von einem Sterben „für“ andere die Rede ist, kann man nicht von Stellvertretung sprechen; zum Beispiel liegt häufig die Bedeutung „zur Verteidigung von“ oder „zum Schutz von“ vor. Vgl. Versnel, Athenis, 182; Breytenbach, Versöhnung, 67. Schrage IV 33-34. Schrage IV 25 meint, dass „das früheste Stadium“ noch „ohne einzelne ‚Schriftbeweise‘“ argumentierte, weil „die Schriftgemäßheit mehr der Glaubensgewißheit entspringt“. Der rabbinisch geschulte Toraexperte Paulus hätte diese Erklärung von κατα` τα` ς γραφα' ς nicht verstanden, die Aversion gegen „Schriftbeweise“ war ihm fremd.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 881 ————————————————————————————————————
tung, dass Gott in den letzten Tagen, in den Tagen des Messias, die Macht der Sünde und ihre Folgen beseitigen, die Rückkehr vom Exil veranlassen, den Bund mit seinem Volk erneuern und die toten Gebeine zu neuem Leben erwecken würde.85 Viele verweisen auf Jes 52,13–53,12 als Bezugstext.86 Nur hier ist im AT vom Sterben eines Menschen (des Gottesknechts) für andere die Rede. 87 Nach Jes 53,6b.10a wendet Jahwe selbst „die gerechte Strafe von den Schuldigen ab, indem er sie an dem unschuldigen Knecht vollstreckt“, der in bewusster Selbsthingabe „sein Leben dem Tod preisgab“ (53,12b), indem er es als „( אשםSühnopfer“) einsetzte (53,10): „Der Gottesknecht tritt demnach dergestalt an die Stelle der Schuldigen, daß er mit seinem eigenen Leben für ihre Schuld haftet. Er übernimmt die Schuld der Vielen – und damit auch die Verantwortung für diese Schuld; und er bezahlt die fremde Schuld, indem er sein eigenes Leben in den Tod gibt“. 88 Paulus versteht den Stellvertretungsgedanken von Jes 53 als Aussage über die von Jesus Christus erwirkte Sühne, die den ganzen Menschen als Person ergreift.89 Dies zeigt die Argumentation im Kontext: In V. 16-17 betont er, dass, wenn die Toten nicht auferstehen, auch Christus nicht auferstanden ist: „wenn aber Christus nicht auferstanden ist, dann . . . seid ihr noch in euren Sünden“. Das heißt: Wer die Auferstehung leugnet, der leugnet die Wahrheit des Satzes vom Tod Jesu für unsere Sünden. Der Umkehrschluss gilt ebenso: Wer die Wahrheit vom stellvertretenden Tod für unsere Sünden angenommen und an seiner Person erfahren hat, der erfährt im Anschluss an Jesus die Wirklichkeit der Auferstehung (vgl. V. 21-22). 4 Die zweite Zeile des Summariums formuliert knapp und prägnant: und dass er begraben wurde (και` ο« τι ε τα' φη; V. 4a). Alle vier Evangelien berichten das Begräbnis Jesu im Grab des Joseph von Arimathia.90 Das einleitende και` ο« τι zeigt, dass die Aussage ε τα' φη (Aor. Pass.) nicht nur die Realität des ————————————————————
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Wright, Resurrection, 320; vgl. Jes 40,1-11; Jer 31,31-34; Ez 36,22-32; 37; Dan 9. Kremer 323 verweist noch auf Ps. 22 und 68; Garland 685 verweist auf die Bezüge des Passionsberichts zum leidenden Gerechten in den Psalmen, vgl. Mk 14,1/Ps 10,7-8; Mk 14,18/Ps 41,9; Mk 14,34/Ps 42,5; Mk 14,41/Ps 140,8; Mk 14,55/Ps 37,32 u.a. Hofius, Gottesknechtslied, 351 sieht die folgenden Bezüge zwischen 15,3b-5 und Jes 52,13–53,12: 1. α πε' θανεν υ πε` ρ τω ^ ν α μαρτιω ^ ν η μω^ ν: Jes 53,4a.5.6b.8b.11b.12b.c; 2. ε τα' φη: Jes 53,9a; 3. ε γη' γερται: Jes 53,10b.11a.12; 4. ω » φθη: Jes 42,15b; 35,1. Hofius, Gottesknechtslied, 343. Den Einwand, der Plur. τα` ς γραφα' ς mache den Bezug auf eine einzige Stelle unmöglich, lässt Hofius nicht gelten (352): Der Plural bezeichnet wie auch sonst im NT die Schrift als Ganze: Mk 12,24; 14,49; Mt 21,42; 22,29; Lk 24,32.45; Joh 5,39; Apg 17,2.11; 18,24.28; Röm 1,2; 15,4; der rabbinische Ausdruck „( הכתוביםdie Schriften“) verweist ebenfalls auf die ganze Heilige Schrift. Vgl. Hofius ebd. 350 Anm. 48 gegen Koch, Schrift, 234-329, der die These vertritt, „daß Paulus Jes 53 als passionstheologisch fruchtbaren Text überhaupt noch nicht kennt“ (234). Hofius, Gottesknechtslied, 353; vgl. ebd. 353-354 für die folgenden Bemerkungen.
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Todes Jesu unterstreichen will, so wichtig diese Betonung auch ist, 91 sondern der Grablegung Jesu ein eigenes Gewicht verleiht. 92 Im Zusammenhang der ersten und dritten Aussage (Tod/Auferweckung Jesu) bedeutet der dezidierte Hinweis auf das Begräbnis Jesu: Der Gestorbene, der auferweckt wurde, ist der, dessen Leichnam in ein Grab gelegt wurde. Das Summarium unterstreicht somit, dass die Auferstehung Jesu eine leibliche Auferstehung von den Toten ist. Das heißt: Da der Gekreuzigte begraben wurde, und da der Begrabene auferweckt wurde, ist der Gekreuzigte und der Auferstandene dieselbe Person.93 Der Hinweis, dass diese Aussage des Summariums das leere Grab nicht erwähnt, ist richtig.94 Aber die Exegeten, die in der Aussage ε τα' φη im Kontext des Summariums und im Kontext der paulinischen Argumentation in 15,50-53 einen Hinweis auf die Auferweckung aus dem Grab bzw. einen Hinweis auf das leere Grab erkennen, 95 sehen richtig, dass weder Paulus noch die ersten Jesusbekenner in Jerusalem von einer Auferstehung von den Toten reden können, ohne ein leeres Grab vorauszusetzen.96 Für die jüdischen, griechischen und römischen Zeitgenossen gilt dies ebenfalls: Wenn sie die Geschichte von einem Menschen hören, der starb und begraben wurde und der dann von den Toten zurückkehrte, dann hätten sie ganz selbstverständlich angenommen, dass das Grab, in das dieser Mensch gelegt wurde, leer war. Die dritte Aussage des Summariums, die parallel zur ersten Aussage steht, wo vom Tod Christi die Rede war, formuliert wieder ausführlicher: und dass er auferweckt wurde am dritten Tag gemäß der Schrift (και` ο« τι ————————————————————
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Mt 27,59-61 / Mk 15,42-47 / Lk 23,50-56 / Joh 19,38-42. Zum Begräbnis Jesu vgl. Blinzler, Grablegung, 56-102; Riesner, Auferstehung, 319-326; Hengel, Begräbnis, 119183. Lüdemann, Auferstehung, 67 meint, die frühen Christen hätten keine Kenntnis vom Grab Jesu gehabt, da sie dieses sonst verehrt hätten. Wolff 363 Anm. 74 hält zu Recht dagegen, dass der Glaube an die Auferstehung Jesu eine Verehrung seines Grabes vollkommen überflüssig machte. Weiss 348 meint, diese Aussage der Paradosis wolle „die den Gegnern vielleicht naheliegende Annahme einer unmittelbaren Entrückung in den Himmel“ abschneiden. Schrage IV 37 sieht das „Hauptinteresse der Begräbnisaussagen“ in der Betonung der Realität und des definitiven, nicht wieder rückgängig zu machenden Charakters des Todes Jesu. Wolff 362-363; anders Conzelmann 310 aus traditionsgeschichtlichen Gründen. Delling, Auferstehung, 350; Fee 725; Wolff 363. Kremer 324; Lindemann 331; Schrage IV 363. Godet II 184; Robertson / Plummer 334; Fee 725; Wolff 364; Hays 256; Wilckens, Auferstehung, 20-22; Hempelmann, Auferstehung, 26-28; Hengel, Begräbnis, 119-183; Wright, Resurrection, 321. Graß, Ostergeschehen, 185 schreibt: „Wir glauben nicht an das leere Grab, sondern an den auferstandenen Herrn“. Diese Aussage hätte Paulus für absurd gehalten: Wenn es kein leeres Grab gab, dann gab es auch keinen auferstandenen Herrn. Die These, dass die Jünger trotz eines Grabes, das nicht leer war, an den Auferstandenen glauben konnten, wurde auch von Künneth, Auferstehung, 94 vertreten; vgl. die Kritik von Hempelmann, Auferstehung, 24-25.97-99. Siehe auch Wilckens, Theologie I/2, 119-123.
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ε γη' γερται τη^, η με' ρα, τη^, τρι' τη, κατα` τα` ς γραφα' ς; V. 4b.c). Der Ausdruck ε γη' γερται beschreibt keine Wiederbelebung des Leichnams Jesu, der in die irdische Wirklichkeit zurückkehrte, sondern „die endgültige Rettung des Gekreuzigten aus dem Bereich des Todes“. 97 Die Passivform ε γη' γερται verweist auf Gott als den allmächtigen Schöpfer: Jesus wurde von Gott auferweckt. Man kann die Form zwar auch im medialen Sinn von „auferstehen“ fassen, 98 aber die Aktivformen, die das Handeln Gottes in der Auferweckung Jesu beschreiben,99 legen es nahe, ε γη' γερται als Passiv zu verstehen.100 Die Formulierung mit dem Perfekt unterstreicht, dass die Auferweckung Jesu ein Ereignis der Vergangenheit ist, das in der Gegenwart nachwirkt und bleibende Bedeutung hat.101 G. Sellin kommentiert: „Die Wirkung der Auferweckung ist eine bleibende, die die Rettung (Auferweckung) der Christen mit einschließt“.102 In V. 12 präzisiert Paulus (was im Kontext von α πε'θανεν V. 3 impliziert ist), dass die in V. 3b-5 zusammengefasst formulierte Botschaft, die von allen Aposteln verkündigt wird (V. 11), die Wahrheit proklamiert, dass Jesus „von den Toten“ (ε κ νεκρω ^ ν) auferstanden ist. Die Angabe „am dritten Tag“ (τη^, η με'ρα, τη^, τρι' τη, ; V. 4c) entspricht den chronologischen Angaben der Evangelien.103 Sie ist zunächst als historische Angabe zu verstehen: Das leere Grab wurde am dritten Tag entdeckt, die ersten Erscheinungen der Auferstandenen fanden am dritten Tag statt. 104 W. Schrage meint, eine Datumsangabe sei in einer Bekenntnisformel, „die sonst ganz theologisch ausgerichtet ist und ohne alle historischen Details bleibt . . . nicht gerade wahrscheinlich“. 105 Diese Auskunft verkennt, 1. dass ε τα' φη durchaus ein historisches „Detail“ liefert, 2. dass das Summarium nicht einfach „ganz theologisch“ ist, sondern mit den Verben α πε'θανεν, ε τα' φη und ε γη' γερται historische Sachverhalte beschreibt, 3. dass man an eine „Bekennt————————————————————
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Kremer 325; vgl. Schrage IV 38. Siehe Röm 6,9; Apg 2,24.31; 13,34. So dezidiert Kremer 324; ders. EWNT I, 906. 1Kor 6,14; 15,15; Röm 4,24; 10,9; 1Thess 1,10; vgl. 2Kor 1,9; sowie Apg 3,15; 4,10; 13,30; vgl. auch das partizipale Gottesattribut ο ε γει'ρας Χριστο` ν ε κ νεκρω ^ ν in 2Kor 4,14; Röm 4,24; 8,11; Gal 1,1; Kol 2,12; Eph 1,20; 1Petr 1,21. 1Kor 15,4.12-14.16-17.20; 2Kor 5,15; Röm 4,25; 6,4.9; 8,43. Vgl. Schrage IV 38. BDR §342.1; HS §200a.d-e. Sellin, Auferstehung, 239. Vgl. Mt 16,21; 17,23; 20,19; 27,64; Lk 9,22; 13,32; 18,33; 24,7.21.46; Apg 10,40; Markus schreibt „nach drei Tagen“ (Mk 8,31; 9,31; 10,34) und „in drei Tagen“ (Mk 14,58; 15,29); Matthäus schreibt auch von „drei Tagen“ (Mt 26,61; 27,63) und von „drei Tagen und drei Nächten“ (Mt 12,40). Wolff 364. Jesus starb an einem Freitag und wurde am darauffolgenden Sonntag auferweckt: nach moderner Rechnung der zweite Tag, nach jüdischer Rechnung jedoch der dritte Tag, da ein Teil des Tages als ganzer Tag gezählt werden konnte (d.h. der Freitag war der erste Tag). Weiss 349; Barrett 340; Lang 211; Fee 726; Wolff 367. Schrage IV 40.
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nisformel“, die man als solche erst formgeschichtlich bestimmen muss, keine bestimmten inhaltlichen Forderungen stellen kann. Warum soll in einem Bekenntnistext kein Datum stehen, zumal wenn es (jedenfalls in den Augen derer, die es formuliert haben) historische Fakten referiert? Es ist eine wenig überzeugende Ausflucht, wenn behauptet wird, die Aussage „Christus ist auferstanden“ bezeichne „ein Geschehen, das nicht auf derselben Ebene liegt wie andere historisch konstatierbare Ereignisse in der menschlichen Geschichte“.106 Ein Geschehen, das kein historisches Ereignis in Raum und Zeit ist, ist kein Geschehen, sondern eine Idee. Das Summarium spricht aber von historischen Ereignissen. Es ist also nicht richtig, wenn manche meinen, die dritte Aussage des Summariums sage „nichts Näheres über die Bedeutung der Auferweckung Jesu“.107 Der Nachsatz „gemäß der Schrift“ (κατα` τα` ς γραφα' ς) kann auf die Wendung „am dritten Tag“ bezogen werden. Viele atl. und jüdische Texte belegen, dass der dritte Tag als Zeitpunkt für das Eingreifen Jahwes zugunsten seines Volkes oder zugunsten des Gerechten verstanden wurde. 108 Am dritten Tag schafft Gottes Heilstat „die Wendung zum Neuen und Besseren“.109 Der Nachsatz kann sich aber auch auf den ganzen Satz beziehen. Ist das der Fall, wird man von einem Bezug auf Hos 6,2 ausgehen:110 „Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf (ε ν τη^, η με'ρα, τη^, τρι' τη, α ναστησο' μεθα), und wir leben vor seinem Angesicht“ (EÜ). Diese Stelle wurde in der rabbinischen Auslegung auf die Totenauferstehung am Ende der Tage bezogen. 111 Wenn dieser Bezug im Hintergrund steht, dann unterstreicht das Summarium, dass die Auferweckung Jesu die Prophezeiung Hoseas erfüllt und dass mit diesem Ereignis die Wiederherstellung des Volkes Gottes einsetzt, das über seine Sünde Buße getan hat. 112 ————————————————————
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Kremer 325. Wegenast, Tradition, 60; kritisch Wolff 364 mit Anm. 81. Differenzierter urteilt Lindemann 331: die Aussage enthält keine „soteriologische Näherbestimmung“, wie das in Röm 4,25 der Fall ist. Lehmann, Auferweckt, 176-181.262-290; McArthur, Tag, 194-202; Verburg, Endzeit, 112. Vgl. Gen 22,4 (Isaak soll am dritten Tag von Abraham geopfert werden, entkommt durch Gottes Eingreifen jedoch dem Tod); 42,18-19; Ex 19,11.16 (Gott schließt nach dreitätiger Wartezeit den Bund mit Israel); 2Kön 20,5-6.8; Esth 5,1; Jes 38,5-6; Hos 6,23; in rabbinischen Texten vgl. Ber. R. 56 zu 22,4-5; 91 zu 42,17. Lehmann, Auferweckt, 181, gefolgt von Schrage IV 42. Fee 727; Hays 256 verweisen auch auf Ps 16,8-11 (vgl. Apg 2,24-32), Hays ebd. auf alle Psalmen, die Gott für die Rettung des leidenden Gerechten preisen. Vgl. Targum Hos 6,2; bSanh 97a; Ber. R. 66 zu 22,4; Dev. R. 7, zu 28,12; Pirke R. Eliezer 51. Kritisch im Blick auf diesen Bezug sind Wolff 366; Schrage IV 41-42. Wright, Resurrection, 322.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 885 ————————————————————————————————————
Der lukanische Bericht über die missionarische Tätigkeit des Apostels Paulus auf dem Marktplatz von Athen (Apg 17,17-18) bestätigt, dass die Verkündigung des Evangeliums von Jesus immer zugleich die Verkündigung der Auferstehung Jesu (und das heißt Verkündigung des Gekreuzigten) war: „Er verkündete nämlich das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung“ (17,18). 5 Die vierte Aussage des Summariums lautet: und dass er dem Kephas erschienen ist, danach den Zwölf (και` ο« τι ω» φθη Κηφα^, , ει τα τοι^ς δω' δεκα; V. 5a.b). Wie die Aussage über die Grablegung Jesu die Realität seines Todes bestätigt, so bestätigt die Aussage über die Erscheinungen des Auferstandenen die Realität der Auferstehung. Das entscheidende Wort ist ω» φθη, das als Passiv („er wurde gesehen“) oder als Passiv mit intransitiver Bedeutung („er ließ sich sehen, er erschien“) verstanden werden kann. Wer die Form als Passiv interpretiert, betont die Objektivität der Erscheinungen des Auferstandenen, den Petrus und die Zwölf auf dieselbe Art und Weise sehen konnten, wie sie ihre Freunde und Bekannten bei Begegnungen auf der Straße gesehen haben. Wer eine intransitive Bedeutung annimmt, der interpretiert das mit ω» φθη bezeichnete Geschehen meistens als Vision, in der der Auferstandene und Erhöhte „erschien“ und sich den Seinen erschlossen hat. Für beide Interpretationen werden grammatikalische und traditionsgeschichtliche Gründe angeführt. Die erste Möglichkeit interpretiert ω» φθη als Aorist Passiv von ο ρα' ω („er wurde gesehen“) mit Dativ im Sinn von υ πο' + Genitiv.113 Eine Variante der ersten Interpretation ist das Verständis im Sinn eines passivum divinum („Gott hat Jesus sichtbar werden lassen“). Für das Verständnis von ω» φθη als Passiv kann man im NT auf Lk 23,15 (Erscheinung des Auferstandenen) und Mk 9,4, in der LXX auf Gen 12,7; Ex 3,2 verweisen.114 Die zweite Alternative versteht ω» φθη als Passiv mit intransitiver Bedeutung und mit Nennung der beteiligten Person im Dativ, d.h. mit deponentialer bzw. medialer Bedeutung („er erschien, er ließ sich sehen“).115 Für das Verständnis als mediale Passivform kann man auf den Sprachgebrauch in atl. Theophanien in der LXX verweisen, wo Jahwe häufig als das Subjekt einer mit ω» φθη beschriebenen Theophanie genannt wird.116 An anderen Stellen der LXX bezeichnet ω» φθη (oder andere Passivformen von ο ρα' ω) das Erscheinen von Menschen vor Jahwe im ————————————————————
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Vgl. BDR § 312.1; HS §191c. In den Papyri wird ω » φθη meist in der wörtlichen Bedeutung „gesehen werden“ verwendet; vgl. P.Tebt. III/1 729,6; P.Berl.Leihg. II 46,36; Arzt-Grabner 476 verweist für die Bedeutung „er erschien“ auf SB XVIII 13867,29-32, räumt aber ein, dass die Formulierung ου δε` ω » φθη [μο]ι. μεκρι του' του (l. τουτο) auch im Sinne von „noch wurde er bis jetzt von mir gesehen“ verstanden werden kann. Vgl. BDR §313 mit Anm. 2. Gen 12,7; 17,1; 26,2.24; 35,9; Ex 3,2; 6,3; 16,10; Ps 84,7 (LXX 83,7); Jes 40,5; 60,2. Vgl. jüngst Newman, Glory-Christology, 190-192.
886 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Tempel,117 sodann Gegenstände, die (in einem nicht-visionären Sinn) gesehen werden118 und Menschen, die vor anderen Menschen erscheinen und von diesen gesehen werden.119
Die Verbalform ω» φθη gibt keinen eindeutigen Aufschluss über den Charakter dessen, was die vierte Aussage des Summariums hervorheben will: ω» φθη kann nicht-objektive Visionen bezeichnen, aber auch alltägliche Begegnungen von Menschen beschreiben, die sich sehen. Der Kontext der Aussage muss den Ausschlag geben, wie das mit dem Verb bezeichnete Ereignis zu verstehen ist. Dass es sich um ein Ereignis handelt, sollte man nicht bezweifeln: Die Verben der ersten drei Aussagen des Summariums – α πε'θανεν, ε τα' φη und ε γη' γερται – bezeichneten ebenfalls Ereignisse. Dass es sich um eine Vision handeln muss, kann nur behaupten, wer die Möglichkeit einer realen, mit den üblichen menschlichen Sehorganen erfassbaren Auferstehung eines verstorbenen Menschen ausschließt. Es sind vor allem zwei Gründe, die Ausleger veranlassen, die Geschichtlichkeit der Auferstehung Jesu als von Augenzeugen verifizierbares Faktum abzulehnen.120 Der erste Grund ist die weltanschauliche Position, die als normativ postuliert wird: Die Rückkehr eines Leichnams ins Leben sei „ein jeder Analogie zu innerweltlichen Geschehnissen entbehrender Vorgang“.121 Der zweite Grund ergibt sich aus dem ersten: Die „Wirklichkeit“ der „Auferstehung“ Jesu gilt als Geschehen, das man mit innerweltlichen Kriterien nicht erfassen und mit den Methoden der historischen Wissenschaft nicht feststellen kann. W. Michaelis meint, ω» φθη sei ein „terminus technicus für die Offenbarungsgegenwart als solche ohne Hinweis auf die Art ihrer Wahrnehmung“, und deshalb „soll auch bei ω» φθη als terminus technicus zur Bezeichnung der Erscheinungen des Auferstandenen nicht in erster Linie das Sehen als sinnliche oder geistige Wahrnehmung betont sein“. Michaelis fährt fort: „Bei ω» φθη mit dem Dativ ist vielmehr allein wichtig, daß der, der das Subjekt bildet, handelt, nämlich ‚erscheint‘, ‚sich zeigt‘, während auf dem gleichzeitigen oder dadurch hervorgerufenen Handeln der im Dativ beigefügten Person, daß sie nämlich ‚sieht‘, ‚wahrnimmt‘, kein ————————————————————
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Ex 24,11; Dtn 16,16; 31,11; 1Sam 1,22; Ps 42,2 (LXX 41,2); 63,2 (LXX 62,2); Jes 1,12. Gen 1,9; Lev 13,14.51; Dtn 16,4; Ri 5,8; 2Sam 22,16; 1Kön 10,12; 2Kön 22,20 u.a. Gen 46,29; Ex 10,28; 2Sam 17,17; 1Kön 3,16; 18,1.2.15; 2Kön 14,8.11; Dan 1,13 (Th.). Vgl. Wilckens, Theologie I/2, 119-120. Jüngere Beispiele sind Lüdemann, Auferstehung; ders., Auferweckung, sowie U. Müller, Entstehung, die die Entstehung des Osterglaubens psychologisch erklären; vgl. auch Simonis, Auferstehung, 31-65. Zu Lüdemann vgl. Copan/Tacelli, Resurrection; Thiede/Lüdemann, Auferstehung; Oberdorfer, Überlegungen, 165-182. Gnilka, Markus II, 346. Braun, Jesus, 110: „Wir werden uns diese ganze in sich nicht widerspruchsfreie Vorstellungswelt der alten Christen nach der weltanschaulichen Seite hin heute kaum zu eigen machen können“. Für den katholischen Systematiker H. Kessler ist die Überzeugung vom leeren Grab eine fundamentalistische Position; vgl. Kessler, Sucht den Lebenden, 54-78.446-492; ders., Jenseits, 302-311; vgl. Vögtle, Wie kam es, 85-98; Dalfert, Grab, 296.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 887 ———————————————————————————————————— besonderer Ton liegt“.122 W. Schrage meint, es gehe um Geschehnisse, „die sich, wenn man sie nicht als mirakelhafte Kuriositäten fundamentalistisch mißversteht, in ihrer Wahrheit als analogieloses Handeln Gottes dem mit historisch-kritischem Instrumentarium Feststellbaren, ja letztlich der angemessenen Beschreibbarkeit überhaupt entziehen“.123 In diesem Zusammenhang hört man dann die Erklärung, dass die vorliegenden Texte keine unparteiischen, objektiven Berichte seien, sondern Glaubenszeugnisse, die sich mythologischer, metaphorischer oder symbolischer Sprache bedienen. Die Erscheinungen Jesu werden im Sinn der Visionshypothese erklärt, die man subjektiv124 oder „objektiv“125 fassen kann, die aber immer denselben Kern hat: Es fand keine Begegnung mit dem Auferstandenen statt, bei der Kephas und die anderen Jünger Jesus buchstäblich in die Augen schauen oder, wenn sie denn wollten, mit ihren Fingern die Wundmale Jesu anfassen konnten.
Die vierte Aussage des Summariums kann im Zusammenhang der zeitgenössischen jüdischen Vorstellung von der Auferweckung von den Toten, die man für das Eschaton erwartet hat, nur im Sinne einer leiblichen Auferstehung Jesu verstanden werden. Dieselbe Notwendigkeit ergibt sich aus dem Kontext des urchristlichen Summariums, das Paulus zitiert: Wenn ein Mensch, der gestorben ist und dessen Leichnam begraben wurde, „erscheint“, dann als sichtbarer Mensch. Die Tatsache, dass einzelne Vokabeln (wie ω» φθη) in atl. Visionsschilderungen vorkommen, macht weder das Summarium in V. 3b-5 noch die Auferstehungsberichte in den Evangelien zu Visionsberichten. Weder Paulus, noch die von ihm zitierte Tradition, noch die Evangelienberichte verwenden die traditionellen Vokabeln, mit denen Visionen beschrieben wer————————————————————
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W. Michaelis, Art. ο ρα' ω κτλ., ThWNT V, 359. Die hier explizit angenommene „theologische“ Bedeutung von ω » φθη verwechselt Bedeutung und Referenz, was linguistisch unzulässig ist, und lässt alle Stellen unter den Tisch fallen, in denen das Passiv von ο ρα' ω eine Begegnung beschreibt, in der Menschen sich gegenseitig sehen. Schrage IV 88. Küng, Christ, 339 schreibt nicht so polemisch, dafür aber knapp und bündig: „Zu photografieren und registrieren gab es nichts“. So auch Künneth, Auferstehung, 285; W. Klaiber, ThBLNT I, 106: als „analogieloses Geschehen“ ist die Aussage, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, „historisch nicht faßbar“. Vgl. Bousset, Kyrios, 17: „Man ist auf kritischer Seite darin weithin einverstanden, daß es sich hier um einen rein geistigen Vorgang in den Seelen der Jünger handle, und verzichtet auf jedes äußere Wunder“. Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 51: Für den Historiker reduziere sich der Osterglaube auf die „visionären Erlebnisse“ der Jünger, die durch „Reflexion auf die ehemalige persönliche Verbundenheit der Jünger mit Jesus“ bis zu einem gewissen Grade begreiflich gemacht werden können. Graß, Ostergeschehen, 233-249. Schrage IV 89 nimmt „weder eine Idee, Fiktion oder bloße Einbildung“ an, behält aber die „religionsphänomenologische Kategorie Vision“ bei; ebd. Anm. 373 zitiert Schrage immerhin Mildenberger, Auferstanden, 269 Anm. 19, der die Vorstellung einer „objektiven Vision“ zu Recht als widersprüchlich bezeichnet: entweder Visionen, „dann eben ‚subjektiv‘, d.h. psychisch bedingt“, oder „Wahrnehmung eines ‚Objektiven‘“. Von Visionsberichten spricht auch Berger, Formen und Gattungen, 326.340.346.
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den – Vokabeln, die an anderen ntl. Stellen durchaus vorkommen (ο πτασι' α, ο« ραμα, ο« ρασις).126 Die Apostel und die Verfasser der ntl. Bücher waren nicht schüchtern, wenn es darum ging, von Visionen zu berichten. W. Schrage weist zu Recht darauf hin, dass im Umkreis des frühen Christentums Erscheinungen kaum je „mit Auferstehungsaussagen zusammengebracht werden, obwohl dort Erscheinungen von Verstorbenen oder entrückten Heroen durchaus bekannt sind . . ., so daß Auferweckung in der Tat ‚nicht als nächstliegendes Interpretament‘ von Erscheinungen anzusprechen ist“.127 Die Berichte von der Auferstehung Jesu in den verschiedenen ntl. Traditionen erzählen nicht von visionären Begegnungen, sondern sie berichten von Begegnungen, in denen Frauen, sodann Petrus und Johannes, dann zwei Jünger aus Emmaus, dann die Zwölf, dann über fünfhundert Brüder Jesus gesehen haben. Genau darum geht es bei der Nennung der Augenzeugen: Sie können die Auferstehung Jesu als objektives historisches Faktum bezeugen. R. Bultmann hat dies im Blick auf 1Kor 15,3-8 richtig erkannt: Diese Sätze seien ein Versuch des Paulus, die Auferstehung Christi als objektives „historisches Ereignis“ glaubhaft zu machen.128 Bultmann hält diese Argumentation für „fatal“, da die Auferstehung als mythisches Ereignis („die Rückkehr eines Gestorbenen in das Leben der diesseitigen Welt“) „unglaubhaft ist“. Die Auferstehung könne „auch durch noch so viele Zeugen nicht als objektives Faktum festgestellt werden“. Ein Widerspruch zwischen dem, was Paulus „eigentlich“ meint, und dem, was er „fatal“ apologetisch schreibt, ergibt sich nur dann, wenn man Bultmanns (heute auch schon wieder veraltetes) Weltbild postuliert und Gott nicht zutraut, die Macht nicht nur über die Lebenden, sondern auch über die Toten zu haben.
Man darf nicht vergessen, was E. Käsemann in einem anderen Zusammenhang betont hat: „Die Auferstehung ist nicht am Rande der Welt, sondern in der Nähe der jüdischen Hauptstadt erfolgt“.129 Die urchristliche Tradition, die im Summarium der Verkündigung von Jesus Christus die Vokabel ω» φθη für die Begegnung mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen verwendet, ist in dem neutralen, wörtlichen Sinn von „Sehen“ zu verstehen. Dies wird bereits in 9,1 deutlich, wo Paulus mit einer rhetorischen Frage anzeigt, dass die ————————————————————
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ο πτασι'α: Lk 1,22; 24,23; 1Kor 12,1; ο« ραμα: Mt 17,9; Apg 7,31; 9,10.12; 10,3.17.19; 11,5; 12,9; 16,9.10; 18,9; ο« ρασις: Apg 2,17; Offb 4,3; 9,17. Schrage IV 44 Anm. 147, mit Zitat von Karrer, Auferstehung, 138; vgl. 1Sam 28; Plutarch, Rom. 27-28; Philostratus, Vit. Apol. 8,11-12. Schrage, ebd. 49 will allerdings „das Fehlen jeden Hinweises auf Träume, Tag- oder Nachtgesichte, ekstatisch-visionäre Erlebnisse u.ä. in 1Kor 15“ nicht überbewerten. Damit stellt sich die Frage, worauf sich seine „Bewertung“ der Auferstehungstexte als Visionsberichte stützt. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 48; für das Folgende s. ebd. 48-49. Käsemann, Nichtobjektivierbarkeit, 225, der mit diesem Satz allerdings nicht die historische Zuverlässigkeit der Auferstehungstexte untermauern möchte.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 889 ————————————————————————————————————
korinthischen Christen wissen, dass er Jesus den Herrn „gesehen“ hat (Ιησου^ ν το` ν κυ' ριον η μω ^ ν ε ο' ρακα). Über den Auferstehungsleib Jesu ist mit der Be-tonung des Sehens der Auferstehungszeugen noch nichts gesagt. W. Schrage will 9,1 in seine These einordnen, in 15,5a liege alles Interesse „beim Wahrgenommenen und der Selbstauslegung des Auferstandenen, nicht beim Subjekt der Wahrnehmung“, weil das Sehen (εω' ρακα) in 9,1 als „die den Zeugen ergreifende und beteiligende aktive Form“ zu verstehen sei und „funktional im Zusammenhang mit Berufung und Sendung“ stehe.130 Diese Erklärung unterwirft die im Blick auf das Wort ε ω' ρακα völlig unstrittige Bedeutung der grammatikalischen Konstruktion (εω' ρακα ist 1. Pers. Sing. Perf. der aktiven Indikativform) der postulierten hermeneutischen Überzeugung, dass es ausgeschlossen sei, bei Paulus oder bei einem anderen Zeugen der Auferstehung von einem aktiven Sehen des Auferstandenen reden zu können. Der Offenbarungscharakter der Erscheinung Jesu und das „aktive“, d.h. historisch fassbare Sehen des Auferstandenen sind nur dann Alternativen, wenn man das Sehen um jeden Preis von historischer Realität fernhalten möchte. W. Schrage will vermeiden, dass man die Auferstehung Jesu als „Reflexionspostulat eines Sehwiderfahrnisses“ versteht.131 Wenn wir die Ausssagen des Summariums in V.3b-5/6-8 im Sinne eines historisch aussagbaren, wörtlichen Sehens verstehen, d.h. im Sinne von Begegnungen, bei denen man sich in die Augen schauen konnte, dann bedeutet dies selbstverständlich nicht, dass der Auferstehungsglaube lediglich ein „Reflexionspostulat“ ist oder auf einem solchen beruht. Ein solches Reflexionspostulat gibt es allerdings bei der von W. Schrage und anderen vertretenen Visionshypothese, die davon ausgeht, dass die Apostel aufgrund nicht mehr genau feststellbarer psychologischer, traditionsgeschichtlicher oder anderer Prozesse eine vielleicht mehr subjektiv, vielleicht mehr objektiv erlebte Erscheinung hatten, die sie dann – offensichtlich nach einem Reflexionsprozess – als leibliche Auferweckung interpretierten.
Der Gekreuzigte und Auferstandene ist „dem Kephas“ (Κηφα^, , Nom. Κηφα^ ς; 132 aram. ) ֵּכיָפאerschienen. Kephas ist der Beiname, den Simon, der erste Jünger, von Jesus verliehen bekommen hat.133 In den Evangelien berichten Lukas und Johannes explizit von einer Begegnung des Auferstandenen mit ————————————————————
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Schrage IV 46. Schrage IV 43. O. Cullmann, Art. Πε' τρος, Κηφα^ς, ThWNT VI, 99-112; R. Pesch, EWNT II, 721-723. Zu Petrus vgl. O. Böcher, Art. Petrus I, TRE XXVI, 262-273; Cullmann, Petrus; Karrer, Petrus, 210-231; Minnerath, Pierre; Dschulnigg, Petrus; Reinbold, Propaganda, 43-79; Schnabel, Urchristliche Mission, 265-266.387-389.684-710. R. Pesch, EWNT II, 722 spricht im Zusammenhang der Deutung im Sinne von „Fels“ (griech. πε' τρα) von einem „ekklesiologischen Amtsnamen“. Κηφα^ς kommt im NT außer in Joh 1,42 nur bei Paulus vor: 1Kor 1,12; 3,22; 9,5; 15,5; Gal 1,18; 2,9.11.14. Πε' τρος ist in vorchristlicher Zeit nicht als griech. Eigenname belegt; R. Pesch, EWNT III, 194: „Zum Namen wird Π[ε' τρος] als Übers. des Simon von Jesus verliehenen Beinamens kjph’ (= ‚edler Stein‘) . . .; der Beiname hat sich in transkribierter und übers. Form früh zum Eigennamen entwickelt und den urspr. Namen Simon zunehmend verdrängt“.
890 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Simon (Lk 24,34; Joh 21,1-23). Simon/Kephas ist in Korinth bekannt (1Kor 1,12; 3,22; 9,5). Das Summarium reicht entweder bis zum Hinweis auf Kephas, oder es enthält die abschließende Nachricht danach den Zwölf (ει τα τοι^ς δω' δεκα; V. 5b). Paulus erwähnt die „Zwölf“ nur hier. Die kommentarlose Erwähnung der οι δω' δεκα deutet darauf hin, dass Paulus eine Kenntnis dieser Gruppe der von Jesus berufenen und beauftragten Jünger bei den korinthischen Christen voraussetzen konnte. Der Zwölferkreis geht auf Jesus zurück.134 Jesus hat aus einer größeren Anzahl von Nachfolgern zwölf Männer als seine Schüler ausgewählt, die er auf einen späteren Verkündigungsdienst vorbereitet hat. Es handelt sich dabei um eine programmatische Tat: Die Zwölf repräsentieren die Hoffnung Israels auf die endzeitliche Wiederherstellung.135 Die Evangelien berichten, dass Judas Iskariot durch Selbstmord aus dem Zwölferkreis ausgeschieden war.136 Der Hinweis auf „die Zwölf“ im Summarium kann eine Begegnung mit dem Auferstandenen voraussetzen, bei der der nachgewählte Matthias anwesend war: Dieser war „bis zu dem Tag“, an dem Jesus in den Himmel aufgenommen wurde, mit den Zwölf bzw. Elf zusammen und konnte deshalb ein „Zeuge seiner Auferstehung“ (μα' ρτυς τη^ ς α ναστα' σεως αυ του^ ) sein (Apg 1,21-22).137 Oder man versteht „die Zwölf“ nicht als „abzählbare Größe“, sondern als bereits vor Ostern feststehende Bezeichnung für die von Jesus berufenen und gesandten Jünger.138 Man sollte jedenfalls nicht davon ausgehen, dass die Zwölf nur eine einzige Begegnung mit dem Auferstandenen hatten. Umstritten ist, ob ει τα eine chronologische Abfolge der Erscheinungen anzeigt. Da dies in V. 6-7 (wo auch ε»πειτα verwendet) der Fall ist, sollte man davon ausgehen, dass das Summarium eine Reihenfolge der Erscheinungen wiedergibt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Summarium beansprucht, alle Erscheinungen des Auferstandenen lückenlos aufzuzählen. Die vier Evangelien und die Apostelgeschichte berichten folgende Begegnungen mit dem Auferstandenen:139 ————————————————————
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Roloff, Apostolat, 138-168; Meier, Marginal Jew, III, 125-197; Schnabel, Urchristliche Mission, 264-265. Anders Conzelmann 312 und andere, die den Zwölferkreis auf den Auferstandenen zurückführen wollen. T. Holtz, EWNT I, 879; Jeremias, Theologie, 225-226; Roloff, Kirche, 36-37. Die Handschriften D* F G u.a. ändern den Text deshalb in ε«νδεκα; s. oben. Nach Wolff 369 ergibt sich bei dieser Erklärung die Schwierigkeit, dass man sich dann eine Erscheinung vor Matthias zwischen der Erscheinung vor Petrus und der Erscheinung vor dem wiederhergestellten Zwölferkreis vorstellen müsste. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob das ει τα auf derart strenge Weise chronologisch ausgewertet werden muss. So Wolff 369-370.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 891 ———————————————————————————————————— Mt 28,9-10 Mt 28,16-17 Lk 24,34 Lk 24,13-32 Lk 24,36-49 Lk 24,50-52 Apg 1,3 Apg 1,4-8/13-14 Joh 20,15-17 Joh 20,19-23 Joh 20,26-29 Joh 21,1-22
Frauen elf Jünger und andere Brüder Simon Emmausjünger die Elf und die anderen Jünger Jünger die Apostel (die Elf), die Frauen, Maria, Brüder Jesu Maria Magdalena die Jünger die Jünger und Thomas Simon, Thomas, Nathanael, Jakobus, Johannes, zwei andere Jünger
Jerusalem
Sonntag (früh)
Galiläa Jerusalem bei Emmaus
undatiert Sonntag Sonntag
Jerusalem Sonntag (abends) bei Betanien undatiert nicht angegeben 40 Tage lang Jerusalem Jerusalem Jerusalem Jerusalem
vor Pfingsten Sonntag (morgens) Sonntag (abends) acht Tage nach Ostern
See Tiberias
undatiert
Wenn man diese Angaben für eine Rekonstruktion der Reihenfolge der Erscheinungen heranzieht, ergeben sich mehrere Kombinationsmöglichkeiten. Kein Zweifel besteht, dass nach Matthäus und Johannes Jesus zuerst Frauen erschienen ist. Die Tatsache, dass die Frauen in dem Summarium in 1Kor 15,3b-5 nicht genannt werden, hat wahrscheinlich mit der Tatsache zu tun, dass den Zeugenaussagen von Frauen vor jüdischen Gerichten ein erheblich geringerer Wert beigemessen wurde als den Aussagen von männlichen Zeugen. Kein Zweifel besteht auch darüber, dass Simon Petrus besonders hervorgehoben wird (Lk 24,34; Mk 16,7; Joh 21,7.15-17). Wenn man versucht, die in der Liste angeführten Daten der Evangelien in einer Rekonstruktion unterzubringen,140 kann man von neun Begegnungen verschiedener Jesusanhänger mit dem Auferstandenen ausgehen: 1. Am frühen Ostermorgen (Sonntag, dem ersten Tag der Woche) begegnen mehrere Frauen dem auferstandenen Jesus (Mt 28,9-10; Joh 20,15-17). 2. Am Ostermorgen oder am Osternachmittag begegnet Simon Petrus dem Auferstandenen (Lk 24,34). Wenn man von den Frauen absieht, hat Petrus sowohl nach Lk 24,34 als auch nach 1Kor 15,5 Jesus als erster der Jünger gesehen.141 3. Wohl am Osternachmittag erscheint der Auferstandene den Emmausjüngern (Lk 24,13-32). 4. Am Osterabend begegnet Jesus den Elf und anderen Jüngern (Lk 24,36-49; Joh 20,19-23; nach Joh 20,24 war Thomas abwesend). 5. Acht Tage ————————————————————
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Der später zu datierende Markusschluss erwähnt folgende Begegnungen mit dem Auferstandenen am Ostertag in Jerusalem: mit Maria Magdalena (16,9), mit zwei nicht näher gekennzeichneten zwei Jüngern (16,12), und mit den elf Jüngern (16,14). Weshalb man im Blick auf die verschiedenen Berichte von Erscheinungen des Auferstandenen von „konkurrierenden Überlieferungen“ sprechen soll (Lindemann 334), bleibt unklar, da weder eine Konkurrenz der Evangelienautoren noch eine Konkurrenz ihrer Auferstehungsberichte zu erkennen ist. Die Meinung von Schrage IV 52 Anm. 178, „die führende Rolle des Petrus in der Urgemeinde“ basiere „zweifellos auf der hier erwähnten Ersterscheinung“, kann durch keinen ntl. Text verifiziert werden.
892 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— nach Ostern erscheint Jesus den Jüngern und Thomas (Joh 20,26-29). 6. Jesus erscheint sieben Jüngern am See Tiberias in Galiläa (Joh 21,1-22; Zeitpunkt unbekannt). 7. Jesus begegnet den Elf und anderen Anhängern (den „Brüdern“ von Mt 28,10, denen von den Frauen die Anweisung Jesu ausgerichtet worden war, nach Galiläa zu gehen) in Galiläa und gibt ihnen einen internationalen Sendungsauftrag (Mt 28,16-17). 8. Vor dem Pfingstfest begegnet Jesus den Jüngern (Lk 24,50-52) – den Elf, den Frauen, Maria und den leiblichen Brüdern Jesu (Apg 1,4-8; vgl. 1,13-14) – in Betanien, an der Ostseite des Ölbergs zum letzten Mal. Wenn man nun die in 1Kor 15,5-8 berichteten Begegnungen mit Jesus dem Auferstandenen in dieses Raster zu integrieren versucht, ergeben sich folgende Möglichkeiten: Die Begegnung mit Kephas (V. 5a) entspricht Nr. 2; die anschließende Begegnung mit den Zwölf (V. 5b) entspricht Nr. 3, wobei der nachgewählte Matthias sich unter den neben den Elf anwesenden Jüngern befunden haben könnte; die Erscheinung vor mehr als 500 Brüdern (V. 6) könnte Nr. 7 entsprechen; die Erscheinung vor Jakobus (V. 7a) entspricht dem lukanischen Kontext in Nr. 8, wobei man nicht ausschließen kann, dass Jesus seinem Bruder Jakobus schon vorher begegnete (vgl. die offene Formulierung in Apg 1,3); die Erscheinung vor „allen Aposteln“ (V. 7b) entspricht Nr. 8; die Erscheinung vor Paulus (V. 8) geschah einige Jahre später (vgl. Apg 9,3-6).
6 Die veränderte Satzstruktur in V. 6-8, die nicht mehr mit ο« τι-Sätzen, sondern mit Hauptsätzen formuliert, zeigt, dass das von Paulus zitierte Summarium in V. 5 endet. Ob den korinthischen Christen die in den folgenden Sätzen mitgeteilte Information bereits bekannt war, oder ob Paulus Neues mitteilt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Nach (ε» πειτα) der Begegnung mit Kephas und den Zwölf ist er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal erschienen. Wann und wo der Auferstandene über (ε πα' νω)142 fünfhundert „Brüdern“ (α δελφοι' ) erschien (ω» φθη), ist nicht sicher, da die Evangelien keine Begegnung mit fünfhundert (πεντακοσι' οι) Brüdern erwähnen. Matthäus erwähnt in Mt 28,10 „Brüder“ (α δελφοι' ), denen Jesus der Auferstandene durch die Frauen, die ihn am Grab sahen, ausrichten ließ, sie sollten nach Galiläa gehen, wo sie ihn sehen würden. 143 Die Zahl und Identität dieser „Brüder“ wird nicht näher beschrieben. Sie müssen nicht unbedingt mit den Elf von Mt 28,16 identifiziert werden: Wenn „Brüder“ sich nicht auf die leiblichen Brüder Jesu bezieht,144 dann könnte sich der Ausdruck allgemein auf ————————————————————
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BDR §185 Anm. 7 bezeichnet ε πα' νω als „vulgärer Ersatz für πλει'ων“; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 476-477 verweist auf Papyri für die numerische Bedeutung „über . . . (hinaus), mehr als“: SB XVI 12530,7; P.Genova I 21,9-10; P.Kell. I 66,7.8.25 (alle 4. Jh. n.Chr.). Da in V. 6 der nachfolgende Dativ vom Verb ω » φθη regiert wird, ist ε πα' νω nicht als Präposition zu fassen, und weil das lokale Adverb (mit der Bedeutung „von oben“; so interpretiert z.B. Johannes Chrysostomos) in der Regel mit einer Ortsangabe verbunden ist, die hier fehlt, ist die numerische Bedeutung („mehr als“) die plausibelste (Kritzer, ebd.). Mt 28,10: α παγγει'λατε τοι^ς α δελφοι^ς μου «ινα α πε' λθωσιν εις τη` ν Γαλιλαι'αν, κα κει^ με ο» ψονται. Mt 12,46.47; 13,55.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 893 ————————————————————————————————————
andere Anhänger beziehen, die Jesus nachgefolgt waren, 145 unter ihnen viele Galiläer, von denen viele zum Passafest nach Jerusalem gekommen waren, das man gerade gefeiert hatte. 146 Der Bericht von der Erscheinung des Auferstandenen in Galiläa in 28,16 erwähnt einmal die Elf, die sich vor Jesus anbetend niederwerfen (28,17a), sodann andere, die „zweifelten“ (28,17b). Bei dieser zweiten Gruppe handelt es sich vermutlich um die „Brüder“ von 28,10, die noch nicht ganz überzeugt waren. Aus diesem Verständnis von 28,10. 16.17 ergibt sich, dass Matthäus die Möglichkeit offenlässt, dass die Ersterscheinung Jesu vor den Elf in Jerusalem stattfand. 147 Die Begegnung mit den 500 „Brüdern“ könnte also mit jener Begegnung in Galiläa korrespondieren, bei der auferstandene Jesus den Jüngern einen internationalen Sendungsauftrag zur Mission unter allen Nationen gibt (Mt 28,16-20).148 Der Hinweis, dass die über 500 Jesusnachfolger auf einmal (ε φα' παξ) Jesus gesehen haben, verstärkt die Betonung der Objektivität der Auferstehung Jesu.149 Der Kommentar von A. Schlatter ist nach wie vor richtig: „Da die Vielen ihn gleichzeitig sahen, bekommt die Wahrnehmung Jesu dieselbe Unabhängigkeit vom eigenen inwendigen Zustand wie jede andere Wahrnehmung“.150 Paulus unterstreicht die Realität der Auferweckung Jesu. Unter ————————————————————
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In Mt 12,49 könnte sich α δελφοι' auf die größere Gruppe von Nachfolgern beziehen, die Matthäus als „Jünger“ bezeichnet: Jesus nennt jeden, der den Willen des himmlischen Vaters erfüllt, seinen „Bruder“ und seine „Schwester“ und seine „Mutter“ (V. 50). In 23,8 sind die α δελφοι' alle, die Christus als Lehrer haben (23,10). Vgl. Mt 20,17; 21,8-9; 27,55. Vgl. Carson, Matthew, 589. Viele identifizieren die α δελφοι' in 28,10 mit den Zwölf bzw. Elf, zumeist ohne Begründung. Wiefel, Matthäus, 491 hält die Bezeichnung der Jünger als Brüder für „singulär, da in urchristlichem Sprachgebrauch die μαθηται' und die α δελφοι' Jesu strikt unterschieden werden“. Die Erscheinung des Auferstandenen vor den Elf fand bei dieser Interpretation von Mt 28,16-17 nicht in Galiläa statt, eine Annahme, die z.B. Wilckens, Theologie I/2, 126-127 veranlasst, nur galiläische Erscheinungen anzunehmen und die von Lukas und Johannes berichteten Erscheinungen in Jerusalem als sekundäre „Verlegungen“ zu interpretieren. An das Pfingstereignis (Apg 2) ist nicht gedacht (so Lüdemann, Auferstehung, 129-139; vgl. Barrett 342-343; Schrage IV 56); dagegen zu Recht E. Lohse, ThWNT VI, 51-52; Schlatter 398-399. Zu Mt 28,16-20 vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 344-362. Ausleger, die gegen ein buchstäbliches Sehen des Auferstandenen argumentieren, interpretieren im Sinn eines visionären oder ekstatischen Ereignisses. Bousset 147 schreibt: „Aber geschichtliche Parallelen zeigen uns gerade, daß derartige, doch mit einer starken geistigen Erregung zusammenhängende, innere Erfahrungen, wie wir sie bei den Erscheinungen des Auferstandenen anzunehmen haben, mit fast ansteckender (epidemischer) Gewalt um sich greifen und einen nach dem andern in seinen Bann ziehen“. Belege für solche Parallelen bleibt Bousset dem Leser schuldig. Schlatter 397; vgl. Meyer 417; Fee 730; Thiselton 1205; Garland 689; Murphy-O’Connor, 1 Cor 15:3–7, 586. Schrage IV 57 räumt trotz seiner Sympathie für die Erklärungen im Sinne einer Massensuggestion ein, dass es „neben dem geschichtlichen Berichtsinteresse, u.U. mit apologetischer Abzweckung . . . kaum andere überzeugende Erklärungen für die meistens mit Stillschweigen übergangene Wendung ε φα' παξ gibt“.
894 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
diesen 500 „Brüdern“ haben sich auch Frauen befunden (vgl. Apg 1,4-8/1314). Halluzinationen können die Berichte der Augenzeugen, die von Begegnungen mit dem Auferstandenen berichten, nicht erklären. ν teilt Paulus die 500 Augenzeugen, die den Auferstandenen geMit ε ξ ω sehen haben, in zwei Gruppen auf: von denen die meisten bis jetzt noch leben, einige aber sind entschlafen. Με'νω (wörtl. „bleiben“) bedeutet hier „am Leben bleiben“;151 ε«ως α»ρτι bedeutet „bis jetzt“, d.h. noch zum gegenwärtigen Zeitpunkt; κοιμα' ομαι (Pass., „schlafen, einschlafen“) bezeichnet euphemistisch das Sterben. Paulus will nicht unterstreichen, dass Christen – selbst Zeugen der Auferstehung – sterben; er betont, dass einige Jesusbekenner, die den Auferstandenen gesehen haben, zwar bereits verstorben sind, dass aber viele Auferstehungszeugen noch am Leben sind, die man befragen kann. H. Conzelmann meint, Paulus argumentiere gegen die spiritualisierende Theologie der Korinther und betone die Tatsache, dass alle Menschen sterben müssen; zugleich werde „die Intention verstärkt, durch die Aufzählung der Zeugen die Auferstehung in der zeitlichen Distanz von der Gegenwart zu halten und dadurch eine direkte Aneignung derselben unmöglich zu machen“.152 Diese Erklärung ergibt angesichts der vorangestellten Bemerkung, dass die meisten dieser 500 Zeugen noch am Leben sind, keinen Sinn. Der Hinweis auf den Tod einiger der 500 Brüder, die Jesus gesehen haben, dient wohl der Vollständigkeit oder Genauigkeit der Information.153 Gut möglich ist immerhin, dass Paulus mit dem Verb κοιμα' ομαι andeutet, dass verstorbene Christen, die „schlafen“, einmal auferweckt werden. Er verwendet das Verb mit Vorliebe im Zusammenhang mit der Auferstehung.154 Wenn er nicht nur traditionellem Sprachgebrauch folgt, verwendet er die Doppeldeutigkeit der Vokabel im Rahmen der christlichen Auferstehungshoffnung sachgemäß, um „sowohl die Tatsache des Todes wie die christl. Hoffnung festzuhalten“.155
Die mehreren hundert Zeugen, die den Auferstandenen gesehen haben und die noch leben, sind offensichtlich einzeln bekannt: Paulus ist über den Tod einiger dieser Brüder informiert. Paulus will sagen, dass man sich bei den ————————————————————
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Bauer /Aland 1021 s.v. με' νω 1cα; dort auch außerbiblische Belege. Paulus verweist nicht auf das „Bleiben“ bis zur Parusie (vgl. Joh 21,22-23); richtig Wolff 371; Schrage IV 57. Conzelmann 313; vgl. auch Klauck 110; Lindemann 333; Bartsch, Argumentation, 272273; Schenk, Aspekte, 472-473; mit Sympathie Thiselton 1206, aber mit anderem Vorzeichen. Kritisch Wolff 372; Murphy-O’Connor, 1 Cor 15:3–7, 586. Schrage IV 58. 1Kor 15,6.18.20.51; 1Thess 3,143.14.15; sonst nur noch in 1Kor 7,39; 11,30. Paulus verwendet sonst das Wort α ποθνη,' σκω (37 Belege). M. Völkel, Art. κοιμα' ομαι, EWNT II, 746. In den Papyri hat das Verb in P.Pay. 22,28 (1. Jh. v.Chr.) ebenfalls die Bedeutung „entschlafen“, d.h. „sterben“; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 315.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 895 ————————————————————————————————————
zahlreichen noch lebenden Brüdern, die den Auferstandenen gesehen haben, über die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu informieren kann, auch „jetzt“ (α»ρτι) noch, 24 Jahre nach jenem Sonntag, an dem Jesus von den Toten auferstanden ist.156 7 Als nächsten Auferstehungzeugen, der Jesus „gesehen“ (ω» φθη) hat, wird Jakobus genannt. Unter den Jüngern Jesu trugen zwei den Namen Jakobus: der Sohn des Zebedäus und der Sohn des Alphäus.157 Jakobus, der Sohn des Zebedäus, wurde um 41 n.Chr. von Herodes Agrippa I. hingerichtet (Apg 12,2), der erste der Zwölf, der wegen seines Bekenntisses zu Jesus getötet wurde. Da Paulus wie im Fall von Petrus nicht erklären muss, welchen Jakobus er meint, ist ganz offensichtich der Herrenbruder Jakobus gemeint, 158 der nach dem Weggang des Apostels Petrus und wahrscheinlich der anderen Mitglieder des Zwölferkreises die Leitung der Jerusalemer Gemeinde übernommen hatte.159 Paulus erwähnt Jakobus als „Bruder des Herrn“ (Gal 1,19) und neben Kephas und Johannes als eine der „Säulen“ der Gemeinde (Gal 2,9). Lukas berichtet von Jakobus in Apg 12,17; 15,13; 21,18 als verantwortlicher Leiter der Jerusalemer Gemeinde, „der die Einheit der messianischen Jesusgemeinde aufrecht zu erhalten suchte, der dafür Opfer zu bringen bereit war und der darin zunächst Erfolg hatte“.160 Als Bruder Jesu ist er mit dem in Mt 13,55 / Mk 6,3 erwähnten Jakobus identisch (vgl. Jud 1, wo er als Bruder des Judas erwähnt wird). Er wird von vielen mit dem Autor des Jakobusbriefs identifiziert (Jak 1,1). Wahrscheinlich gab er seine ablehnende Haltung gegenüber Jesus (Mk 3,21) erst durch die Begegnung mit dem Auferstandenen auf. Wann diese Begegnung, die in den Evangelien unerwähnt bleibt, stattgefunden hat, lässt sich nicht ermitteln.161 Manche vermuten, dass die Erinnerung an den anfänglichen Widerstand der Familie Jesu gegen dessen messianischen Anspruch noch so lebendig war, dass die korinthischen Christen aus der ————————————————————
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Der Einwand von Lindemann 333, ein Hinweis auf die mögliche Befragung der Zeugen habe „wenig Sinn“, da „weder ihre Namen noch gar ihre Aufenthaltsorte“ genannt werden, trifft ins Leere: Die Bemerkung ist nur dann sinnvoll, wenn ihre Richtigkeit überprüft werden, Paulus also auf Nachfrage Adressen nennen könnte. Vgl. die Jüngerlisten Mt 10,2-4; Mk 3,16-19; Lk 6,13-16; Apg 1,13. Lukas nennt neben Judas Iskariot einen anderen Jünger mit dem Namen Judas, dessen Vater Jakobus hieß. Anders Allo 392-393, der einen Verweis auf den Zebedaiden annimmt. Vgl. W. Pratscher, Art. Jakobus, Bruder Jesu, RGG4 IV, 360-361; E. Ruckstuhl, Art. Jakobus, TRE XVI, 485-488; Hengel, Jakobus, 749-782; Pratscher, Herrenbruder; Ward, James, 779-812; Bauckham, James and the Jerusalem Church, 415-480; Schnabel, Urchristliche Mission, 421-423. Hengel, Jakobus, 570. Das apokryphe Hebräerevangelium glaubt zu wissen, dass der Auferstandene zu allererst Jakobus erschienen sei (Hieronymus, Vir. 3,2; Schneemelcher, Apokryphen, 147); vgl. Hengel, Jakobus, 560-561.
896 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Erwähnung von Paulus heraushören, dass Jesus der Auferstandene nicht nur seinen Anhängern und Sympathisanten erschienen ist, sondern Skeptikern, die er durch diese Begegnung überzeugte. 162 Die nächsten (ει τα) Zeugen, denen der Auferstandene erschienen ist, sind alle Apostel (ει τα τοι^ς α ποστο' λοις πα^ σιν, V. 7b). Paulus wird mit dieser Bemerkung weder V. 5 wiederholen (Kephas und die Zwölf), noch einen „eng begrenzten Kreis persönlicher Jünger Jesu“ 163 im Blick haben, den er wahrscheinlich vor der Nennung der 500 Brüder erwähnt hätte. Paulus verweist mit dem Ausdruck οι α πο' στολοι πα' ντες offenbar auf eine größere Gruppe von Männern und Frauen (vgl. Röm 16,7), die Jesus den Auferstandenen gesehen und von diesem den Auftrag erhalten haben, das Evangelium zu verkündigen und Gemeinden zu gründen.164 Die Formulierung τοι^ς α ποστο' λοις πα^ σιν ist ungewöhnlich, da bei Paulus πα^ ς meistens vor dem Substantiv steht.165 Paulus kommt es in V. 7 offenbar nicht darauf an, die Liste der Auferstehungszeugen möglichst vollständig wiederzugeben, sondern mit V. 7b zu unterstreichen, dass es über Kephas, die Zwölf und Jakobus hinaus auch andere Apostel gibt, zu denen er selbst gehört. Dies ist das Thema von V. 8-11. 8 Paulus nennt zum Schluss seine eigene Begegnung mit Jesus dem Auferstandenen: Zuletzt von allen ist er auch mir erschienen, gleichsam als Fehlgeburt. In der Wendung ε»σχατον δε` πα' ντων kann sich πα' ντων auf „alle Apostel“ (V. 7b) oder auf die ganze Reihe der Auferstehungszeugen (V. 5-7) beziehen; die Bedeutung ändert sich kaum. Die Formulierung ist jedenfalls zeitlich zu verstehen.166 Mit ε»σχατον167 betont Paulus „die faktische Abgeschlossenheit und Unwiederholbarkeit der österlichen Erscheinungen“. 168 ————————————————————
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Hempelmann, Auferstehung, 68-69; Stuhlmacher, Auferweckung, 78; kritisch Schrage IV 58-59 Anm. 213, der trotzdem keinen Grund sieht, „die Vermutung einer durch die Erscheinung ausgelösten Wende einfach als Phantom zu verdächtigen“. Lietzmann 78. Godet II 187 interpretiert im Sinn der an Himmelfahrt versammelten Apostel als letzter Erscheinung des Auferstandenen. Fee 732; Wolff 372; Schrage IV 60. Vgl. 1Kor 9,1-2.5; 12,28; Gal 1,17.19; Röm 16,7. Zum Apostelverständnis des Paulus siehe zu 1,1; 9,2; 12,28. Das bedeutet nicht, dass die Gruppe der Apostel „zumindest prinzipiell offen“ ist, wie Lindemann 334 meint, zumindest dann nicht, wenn nach V. 7 die Begegnung des Auferstandenen die Voraussetzung für die apostolische Sendung ist. Murphy-O’Connor, 1 Cor 15:3–7, 588; für die folgende Bemerkung vgl. ebd. 588-589. Das Neutrum ε»σχατον ist Adverb, mit gen. partitivus konstruiert; NSS II 92. Schrage IV 62. Verburg, Endzeit, 113-114 betrachtet die Bekenntnisformel und die Zeugenliste in V.3b-10 als syntaktisch-sigmatische Einheit, die chiastisch gegliedert ist, wobei sich eine Kohärenz der beiden ersten und der beiden letzten Glieder feststellen lässt; er schließt: „Aus der Sicht des Paulus ist das Zuteilwerden der Einzelerscheinung eine Bevorzugung, die ihn auf die gleiche Stufe in Bezug auf seine Lehrautorität stellt wie die für ihn wohl wichtigsten Vertreter der Jerusalemer Gemeinde“.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 897 ————————————————————————————————————
Die Wendung ω» φθη κα μοι' („er ist auch mir erschienen“, oder „er wurde auch von mir gesehen“) steht betont am Schluss. Die Formulierung mit ω» φθη entspricht der Beschreibung der Erscheinung des Auferstandenen vor Kephas (ω» φθη Κηφα^; , V. 5a) und den Zwölf (V. 5b) sowie vor den 500 Brüdern (ω» φθη . . . α δελφοι^ς; V. 6a), vor Jakobus (ω» φθη Ιακω' βω, l; V. 5a) und vor allen Aposteln (V. 5b).169 Der Hinweis, das „Wie“ der Erscheinung sei nicht „exakt“ beschrieben,170 ist zwar im engen Sinn des Wortes „exakt“ richtig, stellt aber eine Ausflucht dar, wenn man damit sagen will, dass man über die Begegnung des Paulus mit dem Auferstandenen überhaupt nichts Genaues weiß. Wenn das „Sehen“ des Paulus mit dem „Sehen“ des Kephas und der Zwölf sowie der anderen Auferstehungszeugen identisch war, dann handelte es sich um eine Begegnung mit vergleichbarer Unmittelbarkeit und Anschaulichkeit, d.h. um ein erkennendes Sehen als „Sichtbarwerden des Erhöhten in seiner neuen Leiblichkeit“.171 B. Heininger meint, ohne die „Traditionsvorgabe“, in der die Erscheinungen des Auferstandenen mit ω» φθη beschrieben werden, „hätte Paulus kaum so formuliert“, woraus folge, dass man „die ‚Erscheinung‘ des Paulus nach ihrer Erfahrungsseite hin nicht so ohne weiteres mit den vorher genannten Erscheinungen vergleichen kann“.172 Wenn Heininger behauptet, in 1Kor 9,1 leite εο' ρακα eine Visionsschilderung ein, die man nicht „als unmittelbare Wiedergabe dessen, was Paulus vor Damaskus sah bzw. ihm widerfuhr“ lesen dürfe, „weil die Wahl der Sprachform offenbar unter pragmatischen Gesichtspunkten erfolgt ist“, dann ist hier offensichtlich der Wunsch, eine objektiv-leibliche Begegnung des Paulus mit dem Auferstandenen zu vermeiden, der Vater der Interpretation. Im Blick auf 15,8 stellt Heininger drei Möglichkeiten nebeneinander, wie die von Paulus angedeutet Vision und Erscheinung verstanden werden kann: 1. eine Erscheinung (auf der Erde) als Rahmen, innerhalb dessen etwas wahrgenommen wird; 2. als Erscheinung und Schau, die beide im Himmel (visionär) stattfinden; 3. Vision und Erscheinung als innerpsychische Realität.173 Nach einer Untersuchung von Gal 1,15-16 und 2Kor 4,6, die auf dasselbe Ereignise „anzielen“, kommt er zu dem Schluss, dass Paulus „seine Ostererfahrung zunehmend, wenn wir den zeitlichen Aspekt mit einbeziehen, als inneres Erlebnis einstuft“.
Paulus betrachtet seine Begegnung mit dem Auferstandenen vor Damaskus, von der er mehrmals berichtet (Einzelheiten liefert Lukas in der Apostelge-
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Dass Paulus sich speziell dem Kephas und dem Jakobus gleichstellt, wie Lindemann 334 meint, sagt der Text nicht. Richtig Garland 691. Lindemann, Zeuge, 28. Wolff 373. Heininger, Visionär, 192-193; die folgenden Bemerkungen ebd.187-189, das Zitat 189. Heininger, Visionär, 194-195; das folgende Zitat ebd. 209.
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schichte),174 nicht als Vision, sondern als leibhaftige Erscheinung des Auferstandenen. Dies zeigt 1. die Koordination mit den zahlreichen Reihungspartikeln in den vorhergehenden Versen; 2. die mit den anderen Erscheinungen parallele Formulierung ω» φθη κα μοι' ; 3. der Hinweis, dass die Reihe der Auferstehungszeugen mit der Begegnung, die er mit dem Auferstandenen hatte, unwiderruflich zu Ende gegangen ist.175 Seit seiner Bekehrung im Jahr 32/33 n.Chr. hat es keine Erscheinungen des Auferstandenen mehr gegeben. F. Lang kommentiert: „Paulus unterscheidet seine Berufung zum Apostel grundsätzlich von visionären Offenbarungen, die er nach 2. Kor 12,1ff auch gehabt hat. Die Christuserscheinung bei Damaskus macht Paulus zu einem selbstständigen Zeugen des auferstandenen Jesus Christus und damit zu einem mit den Jerusalemer Uraposteln gleichrangigen Apostel“. 176 Gleichzeitig bleibt zu beachten, dass Paulus nach dem Bericht des Lukas auf der Straße nach Damaskus ein „Licht vom Himmel“ (φω ^ ς ε κ του^ ου ρανου^ (Apg 9,3; vgl. 22,6) sah, „heller als der Glanz der Sonne“ (λαμπρο' τητα του^ η λι' ου; Apg 26,13). Das heißt, Jesus der Auferstandene „trat ihm im Glanz göttlicher δο' ξα entgegen. Zur Rechten Gottes erhöht, das heißt als Throngenosse Gottes auf der Merkaba, offenbarte er sich ihm als Sohn Gottes, als Messias Israels und Erlöser aller Menschen, die glauben“.177 Wie der göttliche Lichtglanz und das leiblich-objektive Sehen genau zusammenpassen, wird weder von Lukas noch von Paulus angesprochen. Die Wendung gleichsam als Fehlgeburt (ω σπερει` τω ^, ε κτρω' ματι) qualifiziert die Begegnung, die Paulus mit dem Auferstandenen hatte, als doch nicht ganz vergleichbar mit den Begegnungen, die die Zwölf und die Apostel hatten. Die Vokabel ε»κτρωμα bezeichnet in der griech. Literatur „die vorzeitige Geburt, die Fehlgeburt, der (u.U. gewaltsam herbeigeführte) Abgang der Leibes————————————————————
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Gal 1,11-17; Phil 3,3-17; 1Tim 1,12-16; Apg 9,1-21; 22,6-21; 26,12-18. Zur Bekehrung von Paulus siehe Hengel/ Schwemer, Paulus, 63-80; Kraus, Zwischen Jerusalem und Antiochia, 82-105; Schnabel, Urchristliche Mission, 887-907. J. Baumgarten, Art. ε»σχατος, EWNT II, 156; Lietzmann 77; Schlatter 400; Conzelmann 315; Fee 732; Wolff 373; Schrage IV 61; Garland 690; Wright, Resurrection, 326-327. Kremer 332: Paulus sagt, „daß es aus seiner Sicht keine weiteren Erscheinungen des Auferstandenen gegeben hat“. Luz, Geschichtsverständnis, 389 stellt die Frage, woher Paulus das so sicher wisse. Lüdemann, Auferstehung, 211 behauptet mit dem Hinweis auf gnostische Texte, dass Jesus auch in der Folgezeit „immer wieder erschien“. Gnostiker sprachen allerdings von Visionen, Paulus von einer realen Begegnung. Lang 214. Schlatter 400: „Ein Psychologe mag sagen, es sei unmöglich, die von Paulus festgehaltene Unterscheidung zwischen der Schau des Auferstandenen und dem visionären Verkehr mit Christus mit einer deutlichen Formel zu erfassen. Daß aber Paulus diese Unterscheidung gemacht und weder die Vorgänge während der Osterzeit noch sein eigenes Erlebnis eine Vision genannt hat, ist eine völlig gesicherte Beobachtung“. Hengel, Der vorchristliche Paulus, 180.
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frucht (Abortus)“.178 Die Bedeutung „Spätgeburt“ oder „Nachgeborener“ liegt hier also nicht vor,179 d.h. Paulus bezeichnet sich nicht als „Spätberufenen“, der Jesus begegnet ist, als die Erscheinungen des Auferstandenen eigentlich schon abgeschlossen waren. 180 Ein ε»κτρωμα findet früher als erwartet statt, nicht später. Wenn man ε»κτρωμα im Sinn von „Missgeburt“ als etwas Schreckliches versteht, könnte man es als ein gegen Paulus gerichtetes Schimpfwort verstehen.181 Manche gehen von der Bedeutung „Frühgeburt“ aus: Paulus wurde nicht in Zusammenhang einer kontinuierlichen Entwicklung zum Jesusbekenner, sondern er kam ganz unerwartet zum Glauben an Jesus Christus, als er darauf nicht vorbereitet war.182 Angesichts der vorausgehenden Wendung „zuletzt von allen“ ist diese Interpretation nicht unbedingt plausibel. Manche gehen von der Bedeutung „Totgeburt“ aus: Paulus beschreibt sein Leben vor seiner Bekehrung als geistlich „tot“, d.h. als er Jesus begegnete, war er eine nicht lebensfähige „Totgeburt“ und erfuhr als solche die Wiedergeburt.183 Andere verbinden V. 8 mit Gal 1,15, wo Paulus auf Jes 49,4 anspielt: Paulus betont, dass die ihm entgegenkommende Gnade Gottes nicht vergeblich war; er war ein ε»κτρωμα im Hinblick auf die Absicht, die Gott mit ihm schon vor seiner Geburt verfolgte.184 Der Vergleichspunkt wird auch hier in dem unvollständigen, noch nicht voll ausgebildeten Charakter des ε» κτρωμα gesehen. Ob die Korinther diese Verbindungen erkannt ————————————————————
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J. Schneider, Art. ε»κτρωμα, ThWNT II, 463; vgl. Hollander/Hout, Apostle Paul, 227-234 zum griech. und atl. Hintergrund. Die LXX verwendet die Vokabel in Num 12,12; Hiob 3,16; Pred 6,3; manche Handschriften in Ps 58,9 (LXX 57,9); Jes 14,19. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 477 verweist auf den einzigen Beleg des Subst. ε»κτρωμα in den Papyri: in P.Tebt. III/1 800,29-30 (153 oder 142 v.Chr.) beschwert sich ein jüdischer Mann in einer Eingabe an einen Dorfschreiber, dass seine schwangere Frau von einer gewissen Ioanna tätlich angegriffen wurde und nun zu befürchten ist, dass sie eine Fehlgeburt hat (παιδι'ον ε». κ. [τ]ρωμα γ. ι.'[νεσ]θα. [ι]). Mitchell, Aborted Apostle, 469-485 behandelt auch Belege für das Verb ε κτιτρω' σκω. So jedoch Meyer 418-419; Heinrici 452; Weiss 351. J. Schneider, ThWNT II, 464: „Paulus bezeichnet sich als den, der ‚geistlich geurteilt‘ nicht zur rechten Zeit geboren wurde, weil er nicht schon zu Lebzeiten Jesu ein Jünger des Herrn war“. So auch Calvin 450-451; Godet II, 188; Wright, Resurrection, 327-328. Bauer /Aland 497 s.v. ε»κτρωμα; Weiss 352; Lüdemann, Paulus II, 115-117; kritisch Wolff 373-374; Lindemann 334-335. Dunn, Jesus and the Spirit, 201-202; ders. Theology, 331 Anm. 87; Verburg, Endzeit, 115, der betont, es gehe nicht allein um das Christwerden, sondern vor allem um die Berufung zum Apostel. Bachmann 433-434; Schlatter 400; Lang 214; Lindemann 334; Sellin, Auferstehung, 242251: „In der Person der Paulus, in seiner Bekehrung und Berufung, hat Gott durch seine Gnade einen Toten lebendig gemacht“; kritisch Hollander /Hout, Apostle Paul, 225: in den von Sellin angeführten Parallelen bei Philo hat ε»κτρωμα diese Bedeutung nicht. Nickelsburg, Apostolic Self-Description, 198-205; kritisch Garland 692-693; Hollander / Hout, Apostle Paul, 226.
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hätten, ist fraglich. Andere sehen Anspielungen auf Num 12,12,185 Hos 13,13186 oder Gen 35,16-20,187 die von den Christen in Korinth ebenfalls kaum verstanden worden wären. Mit ε»κτρωμα ist wahrscheinlich nicht der Modus seiner Bekehrung beschrieben, sondern der Zustand, in dem Paulus sich zum Zeitpunkt seiner Bekehrung befand – und noch immer befindet, wie die Selbstcharakterisierung in V. 9 („ich bin der letzte der Apostel“) unterstreicht. Die atl. Bedeutung von ε»κτρωμα in der LXX ergibt in V. 8 einen guten Sinn: Außer in Pred 6,3 wird das Wort immer in einem übertragenen (sprichwörtlichen) Sinn für ein lebensuntaugliches Wesen verwendet. Es bezeichnet einen Menschen, der sich in einem desolaten Zustand befindet, der ein armseliges, erbärmliches, wertloses Leben hat. Paulus bezeichnet sich als „Fehlgeburt“, um zu unterstreichen, dass er der Begegnung mit dem Auferstandenen unwürdig war, weil er die Jesusbekenner verfolgt hatte (V. 9b). Er, der „geringste der Apostel“, wurde allein durch einen Akt der Gnade Gottes zum Apostel berufen (V. 9a). Als früherer Verfolger der Jesusbekenner kam Paulus sich als erbärmlicher Mensch vor, der von sich aus keinen Wert hat.188 9 Weshalb Paulus sich als „Fehlgeburt“ bezeichnet, erklärt er mit dem folgenden Satz. Er ist der letzte der Apostel (ε γω` γα' ρ ει μι ο ε λα' χιστος τω ^ν α ποστο' λων), d.h. der geringste und niedrigste unter den Apostel, denen Jesus erschienen ist, weil er die Gemeinde Gottes verfolgt hat. Die Formulierung „die Gemeinde Gottes“ (η ε κκλησι' α του^ θεου^ ) unterstreicht die Schwere seiner Verfehlung: Er verfolgte die von Gott erwählte Gemeinde, er suchte den Tempel Gottes zu zerstören. Paulus spricht an mehreren Stellen von seiner Aktivität als Verfolger (ε δι' ωξα) der Gemeinden. 189 Paulus hielt den Glauben an einen gekreuzigten Messias für so häretisch und gefährlich, dass er aktiv gegen die Christen vorging (gegen den Rat seines Lehrers Gamaliel, der im Sanhedrin zur Zurückhaltung riet; Apg 5,34-39; vgl. 22,3). Er war offensichtlich überzeugt, dass das Bekenntnis zu Jesus als Messias und die Überzeugung von der Sühnewirkung seines Kreuzestodes die „Grundfesten des Toragehorsams als der Grundlage jüdischen Heilsverständnisses“ in ————————————————————
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Schlatter 401; Wright, Resurrection, 328-329. Schaefer, Fehlgeburt, 207-217; kritisch Hollander/Hout, Apostle Paul, 226-227. Haacker, Werdegang, 825-826; ders., Art. ε»κτρωμα, ThBLNT I, 657. P. von der Osten-Sacken, Art. ε»κτρωμα, EWNT I, 1037; Schrage IV 674; Garland 693; Hollander /Hout, Apostle Paul, 234-236. Der bestimmte Artikel vor ε»κτρωμα „ist durch den Vergleich mit den anderen Auferweckungszeugen zu verstehen, aus deren Reihe er herausfällt“, Schrage IV 65; vgl. Bachmann 433; Wolff 374 Anm. 147. Die Vergleichspartikel ω σπερει' (hapax legomenon) mildert den (bildlich verstandenen) harten Ausdruck ab. Gal 1,13-14.23; Phil 3,6; vgl. Apg 8,3; 9,1-2.13-14; 22,4-5; 26,9-12. Vgl. Hengel, Der vorchristliche Paulus, 156-182; Niebuhr, Heidenapostel, 35-40.58-66.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 901 ————————————————————————————————————
Frage stellte, eine antagonistische Position, die im Vorgehen der jüdischen Führung in Jerusalem gegen Stephanus und seine Freunde zutage trat. 190 Weil Paulus die Gemeinden der Jesusbekenner verfolgt hat mit dem Ziel, sie zu vernichten, ist er überzeugt: ich bin es nicht wert, Apostel genannt zu werden (ου κ ει μι` ι κανο` ς καλει^σθαι α πο' στολος). Weil er die Christen in Judäa und Syrien verfolgte, ist er eigentlich nicht legitimiert, das Apostelamt inne zu haben. Mit ι κανος meint Paulus keine moralische Disqualifikation, sondern die mangelnde Eignung zum Apostelamt (vgl. 2Kor 2,16; 3,5-6).191 Der zweifache Hinweis darauf, dass er ein Apostel ist, sollte nicht dahingehend verstanden werden, dass Paulus sich genötigt sieht, sich gegen Angriffe auf seinen apostolischen Anspruch zu verteidigen.192 Wer Paulus gegenüber kritisch eingestellt war, kann im Kontext von V. 5-7 in V. 8-9 zwar durchaus den Hinweis erkennen, dass Paulus den Jerusalemer Aposteln ebenbürtig ist: Er hat wie diese den Auferstandenen gesehen. Aber im Kontext von Kap. 15 geht es in V. 8-9 vorrangig um „die Wahrheit und Wirklichkeit des Zeugnisses von der Auferweckung Jesu“, 193 nicht um die apostolische Autorität des Paulus. 10 Paulus kontrastiert (δε') die Vergangenheit als Verfolger der Gemeinden Gottes mit der Gegenwart als Apostel: Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin (χα' ριτι δε` θεου^ ει μι ο« ει μι). Obwohl er es nicht wert war, ein Apostel genannt zu werden, ist er ein Apostel geworden – und dies allein durch die Gnade Gottes.194 Χα' ρις bezeichnet hier die unvermutete Zuwendung Gottes: „Gnade“ ist das Geschenk der Lebenswende, die Vergebung seiner Verfolgungstätigkeit, die Berufung zum Apostel.195 Der Satz: seine Gnade ist bei mir nicht ohne Wirkung geblieben beschreibt die ihm von Gott geschenkte χα' ρις als geschenkte Gnade, die seine apostolische Wirksamkeit trägt. In seinem missionarischen Wirken wird die ————————————————————
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Niebuhr, Heidenapostel, 62-65, das Zitat ebd. 66. Zeller, Charis, 141 verweist auf die atl. Berufungsberichte, in denen das Geständnis der eigenen Unfähigkeit ein festes Element ist: Ex 3,11; 4,10; Ri 6,15; 1Sam 9,21; Jer 1,6; 6,5. Jahwe antwortet mit der Zusicherung: „Ich werde mit dir sein“ (Ex 3,12; 4,12; Ri 6,16; 1Sam 10,7; Jer 1,8). Für die Bedeutung von ικανο' ς im Sinne von „(qualitative) Eignung“ vgl. P.Cair.Zen. I 59060,11; UPZ I 110,153-154; P.Oxy. XIV 1672,15-16. Es geht in diesen Beispielen darum, dass eine Person „zur Genüge die Voraussetzungen mitbringt“, um etwas tun zu können; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 478. So jedoch Weiss 352; Olshausen 735. Schrage IV 66. χα' ριτι ist instrumentaler Dativ. Zeller, Charis, 139; vgl. Schrage IV 69 mit Anm. 269: χα' ρις schließt vielleicht die Vergebung seiner Verfolgung ein, was aber nicht bedeutet, dass man sein Erlebnis der Erscheinung Christi aus Schuldgefühlen ableiten sollte, wie z.B. Lüdemann, Auferstehung, 108112 es tut, der von einem unbewussten „Christuskomplex“ spricht.
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ihm in der Begegnung mit dem Auferstandenen geschenkte Gnade Gottes fruchtbar (ου κενη' , wörtl. „nicht leer“).196 Die Ortsangabe ει ς ε με' bezieht sich nicht auf das Innenleben des Apostels, sondern auf den Auftrag, den er vom Auferstandenen erhalten hat. Dieselbe Gnade, die bei ihm die Lebenswende herbeigeführt hat und die ihm den Glauben an Jesus den gekreuzigten Messias und auferstandenen Herrn möglich macht, ist in seiner Missionsarbeit am Werk. Deshalb fügt er hinzu: ich habe mehr gearbeitet als sie alle. Der Ausdruck κοπια' ω beschreibt das „anstrengende Arbeiten“ und bezeichnet in den Paulusbriefen nicht nur das Handwerk, das Paulus ausübt, um den Gemeinden nicht zur Last zu fallen (1Thess 2,9; 2Thess 3,8), sondern alle Anstrengungen, die er als Missionar unternimmt (2Kor 6,5; 11,23.27). Deshalb ist κο' πος ein feststehender Begriff für die Missionsarbeit (1Kor 3,8; 2Kor 10,15; 1Thess 3,5) und für die Gemeindearbeit (1Kor 15,58; 1Thess 1,3; 1Tim 5,17).197 Die Gnade Gottes hat aus ihm den gemacht, der mehr arbeitet als „sie alle“ (αυ τω ^ ν πα' ντων), d.h. der sich mehr anstrengt als die anderen missionierenden Apostel. Der Komparativ περισσο' τερον („mehr“)198 vergleicht nicht seinen Erfolg mit dem Erfolg der anderen Apostel: Paulus hat in 3,7-8 betont, dass allein Gott es ist, der das Wachstum gibt, d.h. der Frucht schenkt, der für den Erfolg der Arbeit in Mission und Gemeinde verantwortlich ist. A. Schlatter kommentiert: „Was ihn vor den anderen auszeichnet, ist der Einsatz seiner Kraft, seine Entschlossenheit, jede Last zu tragen und jeden Kampf zu bestehen“. 199 Der Nachsatz aber nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist stellt klärend fest, dass das Subjekt seiner missionarischen Anstrengung nicht er selbst ist (ου κ ε γω` δε` α λλα' ), sondern die Gnade Gottes (η χα' ρις του^ θεου^ ), die „mit ihm“ ist (η συ` ν ε μοι' ). Die letzte Wendung klingt synergistisch, will aber im Zusammenhang der Betonung der Souveränität Gottes in seinem Missionswerk lediglich betonen, dass er kein willenloses Werkzeug Gottes ist, sondern bei seinem großen Einsatz für das Evangelium, bei dem er größere Lasten trägt als andere, von der Gnade Gottes bestimmt ist.200 In ————————————————————
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Zeller, Charis, 142; vgl. Berger, Auferstehung, 219. Vgl. 1Kor 3,10; Gal 2,9. Zu ου κενη' vgl. 15,58; Gal 2,2; Phil 2,16; 1Thess 2,1; 3,5. F. Hauck, ThWNT III, 827-829; H. Fendrich, EWNT II, 760-761; M. Seitz/F. Thiele, ThBLNT I, 62-64; Harnack, Κο' πος, 1-10. περισσο' τερον ist Komparativ zu περισσο' ς („über die gewöhnliche Zahl od. das übliche Maß hinausgehend“) und bedeutet „größer, mehr“. In V. 10 mit Genitiv der Vergleichung. Schlatter 402, der im Hinblick auf αυ τω ^ ν πα' ντων betont, dass Paulus nicht an einzelne Apostel wie Kephas oder Jakobus denkt, sondern dass er auf alle sieht, die in der Kirche die Führung hatten. Vgl. den Kommentar von Paulus in 2Kor 11,21-33. Schlatter 403: „Was er von seinem Erfolg sagt, sagt er auch von seiner Anstrengung; ihr Urheber ist Gottes ihn begabender Wille. Damit ist jeder Ruhm ausgelöscht und keine Berufung auf sein Verdienst zugelassen“.
Die Auferstehung Jesu Christi 15,1-11 903 ————————————————————————————————————
seinem großen Missionswerk erweist die Wirksamkeit der Gnade Gottes die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu.201 Paulus praktiziert, was er in 1,31 betont hatte: „Wer sich rühmt, rühme sich des Herrn“. 11 Die den Aposteln vom Auferstandenen aufgetragene Verkündigung des Evangeliums unter allen Nationen verbindet Paulus mit den anderen Aposteln, die Jesus den Auferstandenen gesehen haben (V. 5-7) wie er selbst (V. 8-9), und die im Gehorsamsam gegenüber ihrer Sendung arbeiten, wie er selbst, obschon er sich mit größerer Kraft und Entschlossenheit einsetzt. Die die Schlussbemerkung einleitende Wendung ob nun ich oder jene unterstreicht, dass die Unterscheidung zwischen „jenen“ (ε κει^νοι), d.h. den anderen Zeugen der Auferstehung, und ihm selbst (ε γω' ) letztlich bedeutungslos ist (ει»τε . . . ει»τε).202 Es kommt nicht auf den Zeugen an, sondern auf die Verkündigung: So verkündigen wir (ου« τως κηρυ' σσομεν). Mit dem Adv. ου« τως verweist Paulus nicht nur auf die Zusammenfassung des christlichen Glaubens in V. 34: der Messias ist für unsere Sünden gestorben, und er wurde auferweckt am dritten Tag. Paulus formuliert das Fazit203 des Abschnitts V.1-11: Er und die anderen Apostel verkündigen das Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Herr Jesus Christus, der die Sünden vergibt, aufgrund der Wirklichkeit der Auferstehung Jesu, in der sowohl die Wirksamkeit des Kreuzestodes Jesu, die Wahrheit des Evangeliums als auch die missionarische Sendung der Apostel begründet ist. Die grundlegende, permanente, unaufgebbare Tätigkeit der Apostel, die den Auferstandenen gesehen haben, ist die Verkündigung des Evangeliums (κηρυ' σσομεν, 1. Pers. Plur. Präs.).204 Paulus hat diese Botschaft in Korinth proklamiert (ευ ηγγελισα' μην, 1. Pers. Sing. Aor.). Dies ist der Grund, dass sie zum Glauben gekommen sind (ου« τως ε πιστευ' σατε).205 Der Glaube an den Herrn Jesus Christus, den sie haben, wurde ihnen als Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn verkündigt.
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Vgl. Schrage IV 70, mit Verweis auf 9,1; 2Kor 4,10-11; Phil 3,10. Lindemann 336, mit Verweis auf Mitchell, Rhetoric, 287. Vgl. das einleitende ου ν. Zu κηρυ' σσω siehe zu 1,23. Wolff 375 schließt aus dem Aor. ε πιστευ' σατε, der auf das Präs. κηρυ' σσομεν folgt, dass Paulus es anscheinend vermeide, „ihnen einen derzeitigen Glauben an den Auferweckten zuzusprechen“. Dieses Verständnis des Aor. ist grammatikalisch nicht zu rechtfertigen: ε πιστευ' σατε kann als ingressiver Aor. verstanden werden, aber auch als Aor., der einen andauernden Zustand bezeichnet. Jedenfalls koordiniert das zwei Mal wiederholte ου« τως die beiden Verben.
904 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 I 12 Wenn aber Christus verkündigt wird, dass er von den Toten auferstanden ist, wieso sagen einige unter euch, es gebe keine Auferstehung der Toten? 13 Wenn es aber keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist auch Christus nicht auferweckt worden. 14 Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist auch unsere Verkündigung leer, und euer Glaube ist ebenfalls leer. 15 Wir werden dann als falsche Zeugen Gottes entlarvt, weil wir im Widerspruch zu Gott bezeugt haben, dass er Christus auferweckt hat, den er nicht auferweckt hat, wenn Tote nicht auferweckt werden. 16 Denn wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden. 17 Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, ist euer Glaube nichtig, ihr seid noch in euren Sünden, 18 folglich sind auch die Entschlafenen in Christus verloren. 19 Wenn wir allein in diesem Leben auf Christus hoffen, sind wir bemitleidenswerter als alle Menschen. 20 Nun ist aber Christus auferweckt worden von den Toten, als Erstling der Entschlafenen. 21 Weil nämlich durch einen Menschen der Tod (gekommen ist), so auch durch einen Menschen die Auferstehung. 22 Denn wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht. 23 Jeder aber in seiner eigenen Ordnung: Als Erstling Christus, dann die zu Christus Gehörenden bei seiner Ankunft, 24 danach das Ende, wenn er die Herrschaft Gott dem Vater übergibt, nachdem er alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht vernichtet hat. 25 Denn er muss herrschen, bis er „alle Feinde unter seine Füße legt“. 26 Als letzter Feind wird der Tod vernichtet. 27 Denn „er hat alles unter seine Füße unterworfen“. Wenn aber erklärt wird, dass ihm alles unterworfen worden ist, dann ist klar: (alles,) ausgenommen der, der ihm alles unterworfen hat. 28 Wenn ihm aber alles unter seine Füße unterworfen ist, dann wird sich auch der Sohn selbst dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei. 29 Denn was wollen sonst die erreichen, die sich für die Toten taufen lassen? Wenn Tote überhaupt nicht auferweckt werden, wozu lassen sie sich dann für sie taufen? 30 Wozu schweben wir Stunde um Stunde in Gefahr? 31 Tag für Tag sterbe ich, wahrhaftig, bei meinem Stolz auf euch, den ich in Jesus Christus, unserem Herrn, habe. 32 Wenn ich nach Menschenweise in Ephesus mit wilden Tieren gekämpft habe, was nützt es mir? Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann „lasst uns essen und
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 905 ————————————————————————————————————
trinken, denn morgen sterben wir“. 33 Irrt euch nicht: „Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten“. 34 Werdet rechtschaffen nüchtern und sündigt nicht, denn einige haben keine (richtige) Gotteserkenntnis. Ich sage euch dies zur Beschämung.
II Die Wirklichkeit der leiblichen Auferstehung Jesu, der von hunderten von Zeugen gesehen wurde, wird übereinstimmend von allen Aposteln verkündigt. In V. 12-34 erläutert Paulus die Konsequenzen, die sich aus der Auferstehung Jesu für die Frage ergibt, ob Jesusbekenner an eine leibliche Auferstehung der Toten glauben sollen. Dies ist die Grundvoraussetzung der Argumentation: die unauflösbare Zusammengehörigkeit zwischen der Auferstehung Jesu und der Auferstehung der Toten. Paulus argumentiert in zwei Schritten. Zunächst beantwortet er die Frage, welche fatalen Konsequenzen sich für das Evangelium ergeben, wenn Christus nicht auferstanden ist (V. 12-19). Dann argumentiert er für die Auferstehung von den Toten mit zwei Beweisgründen (V. 20-28): zuerst mit der Auferstehung Christi, sodann mit der messianischen Identität und Rolle Jesu, der das durch Adam ausgelöste Problem des Todes endgültig aus der Welt schaffen wird. Der Hinweis auf die letzten endzeitlichen Ereignisse dient als Argument für die Überzeugung, dass die Auferweckung Christi unzertrennbar mit dem Sieg Gottes über die Mächte und über den Tod verknüpft ist.206 Diese eschatologische Dimension ist für das Verständnis des Abschnitts wichtig, in dem Paulus durchweg das Wort Χριστο' ς verwendet (nur in V. 31 spricht er von „Jesus Christus“). Die Auferstehung Jesu ist deshalb von unüberbietbarer Bedeutung, weil sie die Auferstehung des Messias ist. Zum Schluss geht er noch einmal auf die Frage ein, was geschehen würde, wenn die Auferstehung keine gültige Wirklichkeit wäre (V. 29-34). Manche Ausleger meinen, Paulus gehe es in diesem Abschnitt „weniger um logische Gesetze und Beweise als um persuasive Argumente ad hominem, wobei er auch affektische Mittel einsetzt“. 207 Andere betonen den logischen Charakter der Argumentation.208 T. Bucher führt den Nachweis, dass Paulus in V. 13-20 streng logisch mittels der Schlussform des modus tollens209 argumentiert, dass sich die Argumentation nicht in aristotelischen Syllogismen ————————————————————
206 207 208 209
Schrage IV 153. Schrage IV 111, mit Verweis auf Weiss 354; Godet II 191; Bünker, Briefformular, 68; Kremer, Auferstehung, 24; Sellin, Auferstehung, 257 u.a. So vor allem die Alte Kirche und die Reformatoren; vgl. Schrage IV 139-140. Das Schema für den Schluss modus tollens lautet: wenn A, dann B; nun aber nicht B, also nicht A. Siehe Sextus Empiricus, Adv. Math. 8,224-227; vgl. E. Eggs, Art. Logik, HWR V, 476; Mayordomo, Logik, 85.
906 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
ausdrücken lässt, und dass die Kategorie des argumentum ad hominem für V. 13-19 vermieden werden sollte.210 Die Argumentation nach dem modus tollens sieht folgendermaßen aus: a) Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist auch Christus nicht auferweckt worden (V. 13). b) Nun ist aber Christus auferweckt worden (V. 20). c) Also gibt es auch eine Auferstehung der Toten. Paulus nennt den Schluss c nicht ausdrücklich, er ist aber „zwingend, ja er kann an logischer Strenge nicht mehr überboten werden“.211
J. Vos hält dagegen, dass die beiden genannten Interpretationsansätze sich nicht gegenseitig ausschließen, und dass V. 12-20 deshalb ein Beispiel dafür ist, „wie in einem rhetorischen Text sowohl die Argumentation nach dem modus ponens bzw. dem modus tollens als auch die probatio per absurdum als auch die Verwendung von argumenta ad hominem Hand in Hand gehen können“.212 Zu beachten ist bei der Diskussion zur Logik des Abschnitts, dass Paulus den Glauben an die Auferstehung Jesu voraussetzt. Schon Martin Luther wies darauf hin, dass Heiden, die sowohl die Auferstehung Christi als auch die Auferstehung der Toten leugnen, sich von der Argumentation dieser Verse nicht überzeugen lassen werden; das Argument a particulari ad universale habe nicht mehr Überzeugungskraft als der Satz: „1 pfarrer ein Rottengeist, ergo omnes“.213 Paulus weiß, dass Menschen nicht durch brillante Rhetorik und logische Argumentation zum Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus kommen, sondern dass dies nur dann geschieht, wenn Gottes souveräne Macht bei einzelnen Juden und Heiden diesen Glauben weckt (2,1-5). Die Argumentation in V. 12-19 lässt sich wie folgt darstellen.214 12a 12b
Das Evangelium: Christus ist von den Toten auferstanden Situation: Einige sagen, es gebe keine Auferstehung der Toten aber
13a 13b 14a 14b
Prämisse (falsch): Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt Schlussfolgerung: Dann ist auch Christus nicht auferweckt worden Prämisse (falsch): Wenn Christus nicht auferweckt worden ist Schlussfolgerung: Dann ist auch unsere Verkündigung leer
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210
211 212 213 214
Bucher, Argumentation, 465-486; ders., Beweisführung, 129-152; ders., Überlegungen, 70-98; zu Bucher vgl. Bachmann, Gedankenführung, 265-276; ders., Noch einmal, 100104. Zur Diskussion zwischen Bucher und Bachmann vgl. Mayordomo, Logik, 108-110, der V. 12-19 ebenfalls im Sinn des modus tollens interpretiert (ebd. 116-123). Bucher, Argumentation, 471; vgl. Mayordomo, Logik, 122. Vos, Argumentation, 171, vgl. die Diskussion ebd. 161-171. M. Luther, WA 36, 525; zitiert nach Vos, Argumentation, 160. Fee 739-740; Garland 696.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 907 ———————————————————————————————————— 14c 15a 15b
16a 16b 17a 17b 17c 18a 19
Schlussfolgerung: Euer Glaube ist ebenfalls leer Schlussfolgerung: Wir werden als falsche Zeugen Gottes entlarvt Grund: Weil wir gegen Gott bezeugten, dass er Christus auferweckt hat, den er nicht auferweckt hat, wenn Tote nicht auferweckt werden Prämisse (falsch): Wenn Tote nicht auferweckt werden Schlussfolgerung: Dann ist auch Christus nicht auferweckt worden. Prämisse (falsch): Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist Schlussfolgerung: Dann ist euer Glaube nichtig Schlussfolgerung: Ihr seid noch in euren Sünden Schlussfolgerung: Die Entschlafenen in Christus sind verloren Schlussfolgerung: Wir sind bemitleidenswerter als alle Menschen
Gliederung. V. 12 nimmt die Aussagen von V. 1-11 auf und stellt die Frage, weshalb korinthische Christen sagen, es gebe keine Auferstehung. V. 13-19 beschreibt in zwei fast völlig parallelen Gedankengängen (V. 13-15 / 16-19) die fatalen Folgen, die sich ergeben, wenn Christus nicht auferstanden ist. Paulus betont mit diesem Argument, dass die Leugnung der Auferstehung der Toten mit dem Glauben an das Evangelium nicht vereinbar ist. V. 20-28 kehrt die Logik um und beginnt mit der Aussage, dass Christus von den Toten auferweckt ist (V. 20). Die Adam-Christus-Typologie (V. 21-22), die Tod und Auferstehung einander gegenüberstellt, antwortet genauso auf V. 13-19, wie die Darstellung der Ereignisse am Ende der Geschichte (V. 23-28). V. 29-34 nennt weitere Gründe, Beispiele aus der menschlichen Erfahrung, die den Glauben an die Auferstehung der Toten erhärten sollen: die von manchen praktizierte Taufe für die Toten (V. 29) und die Bereitschaft des Apostels Paulus, lebensgefährliche Situationen auf sich zu nehmen (V. 30-32). Der Abschnitt schließt mit Mahnungen (V. 33-34a) und dem Vorwurf der Gottesferne, die für manche zu konstatieren ist (V. 34b). Textkritische Anmerkungen. In V. 14 lassen die meisten Textzeugen das erste και' aus (d46 א2 B Ψ Byz u.a.); die Konstruktion και' . . . και' ist jedoch ^ ν lesen B D* 0243 0270* 6 33 gut bezeugt ( *אA D F G K P u.a.). Statt υ μω u.a. η μω ^ ν, was wohl Assimilierung an das unmittelbar vorausgehende η μω ^ν 215 ist; „unsere Verkündigung“ lässt eher „euren Glauben“ erwarten. In V. 17 ^ ν das Wort ε στι' ν ein, was eine unnötige Erfügen B D* (Ir) nach η πι' στις υ μω gänzung ist; die kürzere Lesart ist gut bezeugt (d46 אA D2 F u.a.). In V. 20 bildet der Mehrheitstext zwei Hauptsätze, indem er hinter κεκοιμημε'νων ein ε γε'νετο ergänzt; die kürzere Lesart ist gut bezeugt (d46 אA B D* F u.a.). In ————————————————————
215
Metzger, Commentary, 501; Fee 738 Anm. 2. Schrage IV 129-130 Anm. 581 hält an der Möglichkeit fest, dass η μω^ ν ursprünglich ist.
908 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
V. 24 lesen d46 אA (B) D (F G) Ψ u.a. παραδιδω ^, (Konj. Präs.), während 1881 Byz latt παραδω ^, (Aor.) lesen, was offensichtlich Angleichung an den Aor. im nachfolgenden ο« ταν-Satz ist. In V. 27 lassen d46 B 33 630 1505 pc lat Irlat Ambst das ο« τι-recitativum aus, das von אA D F G Ψ 0243 1739 1881 Byz r bezeugt wird und im Satz notwendig ist; die Auslassung geht wohl auf einen Schreibfehler zurück.216 In V. 28 lassen B D* F G u.a. nach το' τε die Konjunktion και' aus, die von אA D2 Ψ Byz u.a. bezeugt wird; da και' intensiviert („sogar der Sohn selbst“), ist der kürzere Text leichter zu erklären und deshalb wohl ursprünglich.217 Am Ende des Satzes lesen אD2 F G Ψ 075 1881 Byz τα` πα' ντα ε ν πα^ σιν, während A B D* 0243 6 u.a. den Artikel weglassen; wegen der Wendung τα` πα' ντα in V. 27b.28a wird der Artikel ursprünglich sein. In V. 29 liest der Mehrheitstext υ πε` ρ τω ^ ν νεκρω ^ ν (D2 Byz sy bo) statt υ πε` ρ αυ τω ^ ν (d46 אA B D* F G u.a.), offensichtlich als Angleichung an die vorhergehende Formulierung. In V. 31 lesen אA B K P 33 81 den Vokativ α δελφοι' , der sicher nicht weggelassen worden wäre, hätte er ursprünglich im Text gestanden; die kürzere Lesart von d46 D F G Ψ Byz u.a. ist ur^ (d46 sprünglich.218 In V. 34 ersetzen A F G 075 1881 Byz ar das Wort λαλω אB D P Ψ 0243 u.a.) durch λε'γω.
III 12 Der (reale) Bedingungssatz: Wenn aber Christus verkündigt wird, dass er von den Toten auferstanden ist knüpft mit dem Verb κηρυ' σσεται direkt an V. 11 und mit dem Verb ε γη' γερται an V. 4 an. Die urchristliche missionarische Verkündigung spricht immer auch von der Auferstehung Jesu Christi von den Toten (vgl. Apg 17,17-18). Χριστο' ς wird auch (wie in V. 3, s. dort) im Sinn von „Messias“ zu verstehen sein. Es fällt auf, dass Paulus in Kap. 15 den Namen Ιησου^ ς nur zwei Mal verwendet (V. 31. 57),219 während Χριστο' ς vierzehn mal vorkommt.220 Dies ist für die folgenden Ausführungen wichtig: Paulus argumentiert nicht mit dem Schicksal einer Einzelperson, sondern mit dem Schicksal des Messias, des von Gott gesandten Retters, der ein Volk sammelt und für die kommende Neue Welt Gottes vorbereitet, die mit seiner Auferstehung angebrochen ist. Die Auferstehung Jesu Christi ist ————————————————————
216 217 218 219 220
Zuntz, Text, 197. Fee 746 Anm. 2; Lindemann 348 meint, και' fehle wohl deshalb, weil eigentlich nur der Sohn „sich unterwirft“. Zuntz, Text, 176-177; Fee 761 Anm. 2; Thiselton 1249. Anders Metzger, Commentary, 501 (das Komitee beließ α δελφοι' wegen der guten Bezeugung im Text, wenn auch in Klammern); Lindemann 351-352, der die Auslassung auf inhaltliche Gründe zurückführt. Ιησου^ ς im Ersten Korintherbrief: 1,1.2a.b.3.4.7.8.9.10.30; 2,2; 3,11; 4,15.17; 5,4a.b; 6,1; 8,6; 9,1; 11,23; 12,3a.b; 15,31.57; 16,23.24. Χριστο' ς: in 1Kor 15: V. 3.12.13.14.15.16.17.18.29.20.22.23a.b.31.57.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 909 ————————————————————————————————————
nicht ein singulärer Einzelfall, sondern der Beginn der endzeitlichen Totenauferstehung (vgl. V. 20). In der korinthischen Gemeinde gibt es „einige“ (τινε'ς), die sagen, es gebe keine Auferstehung der Toten (α να' στασις νεκρω ^ ν ου κ ε»στιν). Was in der rhetorischen Frage, mit der die Position der τινε'ς formuliert wird, deutlich angezeigt ist, wird in den folgenden Versen argumentativ entwickelt: Wer der Verkündigung von Christus geglaubt hat, d.h. wer glaubt, dass Christus von den Toten auferstanden ist, der glaubt auch an die Auferstehung der Toten. Die Logik dieses Arguments hat nicht zuletzt mit der Identität Jesu als Messias zu tun, dessen Tod nicht nur sein eigener Tod war, sondern der Tod aller Sünder, und dessen Auferweckung deshalb nicht nur seine eigene Auferstehung war, sondern die Auferstehung aller Menschen impliziert, die an ihn glauben. Wer waren diese Auferstehungsleugner, und was haben sie konkret bestritten? Paulus führt die Position der Auferstehungsleugner mehrfach als (falsche) Prämisse an (V. 12.13.15.16.21.29.32), hier in V. 12 mit einem ο« τιrecitativum als Zitat. Aber Paulus beschreibt weder den religionsgeschichtlichen Hintergrund ihrer Überzeugung, noch nennt er Einzelheiten ihrer Position. Wir müssen die Überzeugungen, gegen die Paulus kämpft, aufgrund seiner Argumentation rekonstruieren. In der Forschungsgeschichte lassen sich drei Hauptpositionen unterscheiden. 221 1. Paulus argumentiert gegen Christen, die grundsätzlich bestreiten, dass es ein Leben nach dem Tod gibt.222 Es handelt sich dabei entweder um epikureische Skeptiker oder um sadduzäische Judenchristen.223 Oder es waren Christen, die glaubten, dass nur jene Gläubigen Anteil an Gottes Königreich haben werden, die bis zur Wiederkunft Jesu überleben.224 Manche meinen, Paulus habe die korinthische Position missverstanden und fälschlicherweise gemeint, korinthische Christen würden glauben, dass mit dem Tod alles aus sei.225 Die Aussagen in V. 13-19 und 30-34 dürfen jedoch nicht im Sinn einer korinthischen Position verstanden werden: Paulus zieht hier selbst die Konsequenzen, die sich aus der Leugnung der Auferstehung ergeben. Paulus zeigt sich im ganzen Brief sowie in V. 29.35 sehr gut über die Zustände und Meinungen in der korinthischen Gemeinde informiert. ————————————————————
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Sellin, Auferstehung, 17-37; Boer, Apocalyptic Eschatology, 96-105; Barth, Auferstehungsleugnung, 187-193; Holleman, Resurrection, 35-48; Tuckett, No Resurrection, 251261; Wolff 421-426; Schrage IV 111-113. Conzelmann 319. Wette 129; vgl. Sellin, Auferstehung, 21-22; Wedderburn, Baptism, 7. Schweitzer, Mystik, 93-94; Schlatter 393. Bultmann, Theologie, 172; Schmithals, Gnosis in Korinth, 147.149; Conzelmann 320. Kritisch Wolff 349-350; Schrage IV 112; Sellin, Auferstehung,17-20; Tuckett, No Resurrection, 252.
910 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— 2. Paulus argumentiert gegen Christen, die bestreiten, dass die zu erwartende Auferstehung der Toten in der Zukunft stattfinden wird, weil sei glauben, dass die Auferstehung schon geschehen und zum Beispiel im glossolalischen Sprechen in der Sprache der Engel gegenwärtig erlebbar sei.226 Diese Interpretation geht von einer überrealisierten Eschatologie, einem spirituellen Enthusiasmus oder einem auf die Spitze getriebenen Sakramentalismus aus. Die erste Schwierigkeit dieser oft vertretenen Theorie ist das Problem, dass V. 12, der die korinthische Position zitiert, von einer Leugnung der Auferstehung der Toten spricht, d.h. Paulus sagt nicht, dass einige korinthische Christen glauben, dass die Auferstehung schon geschehen und damit eine gegenwärtige Erfahrung sei. Diese Position kann auch V. 13-19 nicht erklären: das Argument des Apostels geht davon aus, dass die Position der Korinther eine Leugnung der Auferstehung Jesu impliziert; wenn diese aber glauben, dass die Auferstehung bereits geschehen sei, dann hätten sie gewiss keine Zweifel an der Auferstehung Jesu haben können. Eine weitere Schwierigkeit ist die Tatsache, dass in Kap. 15 keine Frontstellung gegen einen eschatologischen Enthusiasmus zu erkennen ist. W. Schrage gesteht dies zu und behilft sich dann so: „Trotz fehlender Eindeutigkeit wird man daran festhalten, daß der auch sonst im Brief zu beobachtende Enthusiasmus einen Verzicht auf künftige Heilsvollendung plausibel macht und auch bei der Auferstehungsleugnung mit in Rechnung zu stellen ist“.227 Die umgekehrte Argumentation wäre plausibler: Wenn im Auferstehungskapitel nichts von einer „realized eschatology“ und einem pneumatischen Enthusiasmus zu erkennen ist, dann ist diese rekonstruierte „Grundeinstellung“ der korinthischen Christen auch an anderen Stellen problematisch. Eine generelle Schwierigkeit bei dieser Interpretation ist das Verständnis des Wortes „Auferstehung“: Im zeitgenössischen griechischen, römischen und jüdischen Denken gibt es für ein solches Verständnis keine Parallelen.228 Die Vokabeln ε γει'ρω und α να' στασις wurden für alles mögliche verwendet, nur nicht für ein nicht-körperliches Überleben nach dem Tod.229 Hinweise auf Nag Hammadi Texte230 und die Kirchen————————————————————
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Heinrici, Sendschreiben 463-471; Kümmel 192; Barrett 348; Schrage IV 113-115; Lindemann 339; Soden, Sakrament, 259; Bartsch, Argumentation, 261-274; Käsemann, Exegetische Versuche I, 33; Barth, Erwägungen, 515-527; Thiselton, Eschatology, 510526 (zurückhaltender ders. 1176); Boer, Apocalyptic Eschatology, 104-107; Tuckett, No Resurrection, 261-275, und andere. Im Allgemeinen wird auf 2Tim 2,18 als Parallele verwiesen. Zur Kritik vgl. Hays 252-253; Sellin, Auferstehung, 27-28; Martin, Body, 106; Wright, Resurrection, 312-331. Schrage IV 116. Spörlein, Leugnung, 35; Wedderburn, Baptism, 14-232; Wright, Resurrection, 32-206.312. 330-331. Wedderburn kommt zu der Schlussfolgerung: „The Graeco-Roman background of the New Testament and of contemporary Judaism would have offered little, if any, incentive or encouragement to speak of a present resurrection“ (231). Zum Beispiel bezeichnet α να' στασις in den vorchristlichen Inschriften und Papyri durchweg das „Aufstellen“ oder das „Errichten“ von Standbildern, Stelen oder Gebäuden; MM 37 s.v., mit Hinweis u.a. auf Syll 324. 342; I.Magnesia 179; BGU II 362, pg. VII 3; R. E. Kritzer und Arzt-Grabner 480 nennen zusätzlich auf P.Lond. VI 1912,31.45; BGU IV 1028, Kol. II 6; P.Oxy. XLII 3028,8; sie verweisen auf die Tatsache, dass die ältesten Belege in den dokumentarischen Papyri für die (christliche) Bedeutung „Auferstehung“ aus dem 6. Jh. stammen (Kiessling, Wörterbuch, s.v. 2). Oft wird auf den Brief an Rheginus, NHC I/4 45,25-28 verwiesen, der das gnostische
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 911 ———————————————————————————————————— väter des zweiten Jahrhunderts helfen nicht weiter, weil sie späteren Datums sind. Wenn Paulus von der Auferstehung der Toten spricht, liegt der Schwerpunkt nicht auf den „Toten“, sondern auf „Auferstehung“ – und die musste man sich, wenn man im Kontext des zeitgenössischen Denkens interpretiert, als somatische Auferstehung denken, d.h. als Auferstehung des Leichnams, ein Gedanke, der in der heidnischen Antike als lächerliche Vorstellung galt. Somit ist die dritte Interpretation am plausibelsten. 3. Paulus argumentiert gegen Christen, die bestreiten, dass die zukünftige Auferstehung körperlicher (somatischer) Natur sein wird, eine Vorstellung, die sie wie ihre griechischen und römischen Zeitgenossen für materialistisch, grob und peinlich hielten. Sie verstanden die Auferstehung im Sinn der Unsterblichkeit der Seele.231 Sokrates formuliert diese Überzeugung folgendermaßen: „Denn wenn es nicht möglich ist, mit dem Leibe irgend etwas rein zu erkennen, so können wir nur eines von beiden, entweder niemals zum Verständnis gelangen oder nach dem Tode. Denn alsdann wird die Seele für sich allein sein, abgesondert vom Leibe, vorher aber nicht. Und solange wir leben, werden wir, wie sich zeigt, nur dann dem Erkennen am nächsten sein, wenn wir soweit wie möglich nichts mit dem Leibe zu schaffen noch gemein haben, was nicht höchst nötig ist, und wenn wir mit seiner Natur uns nicht anfüllen, sondern uns von ihm rein halten, bis der Gott selbst uns befreit. Und so rein, der Torheit des Leibes erledigt, werden wir wahrscheinlich mit ebensolchen zusammen sein und durch uns selbst alles Ungetrübte erkennen, und dies ist eben wohl das Wahre“ (Plato, Phaed. 66e-67a).232 Vor allem in der stoischen Popularphilosophie betonte man die Unsterblichkeit der Seele, die sich beim Tod vom Körper trennt und in der Luft weiterlebt.233 Epiktet schreibt: „Es geht an keinen furchtbaren Ort, sondern dahin, woher du gekommen bist, unter Freunde und Verwandte, unter die Urstoffe. Was an dir Feuer war, geht in das Feuer, was irdisch war, in die Erde, was Luft war, in die Luft, was Wasser war, ins Wasser zurück“ (Diss. 3,13,14-15). Das heißt, „es kommt zu einer Art von kosmischem Recycling . . . Eine persönliche Fortexistenz wird ausdrücklich negiert“. Epiktet betont: „Du wirst nicht mehr sein (ου κ ε»σει), aber etwas anderes wird sein, dessen die Welt nunmehr bedarf“ (Diss. 3,24,94). Philo beschreibt den Körper (σω^ μα) als „Fessel“ und „Gefängnis“ der Seele, als „Leiche“ und „Feind der Seele“ die das Pneuma vertreibt. Die Seele kann nur dann ————————————————————
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Verständnis der Auferstehung darstellt: Gnostiker lehnen konkret den Gedanken der Körperlichkeit der Auferstehung ab; vgl. Lindemann 338; ders., Paulus, 318-323. Lietzmann 79; Schlatter 392-393; Bachmann 439; Wolff 422-423; Hays 252-253; Garland 69-701; Sider, Resurrection, 131; Horsley, Spiritual Elitism, 231; Sellin, Auferstehung, 79-189; Sandelin, Auseinandersetzung, 149-153; Holleman, Resurrection, 37-40; Winter, Corinth, 96; Wright, Resurrection, 330-331; Schimanowski, Auferweckung, 51. So auch Schrage IV 113-119, der dieses Verständnis mit der zweiten Position verbindet: Bei der Leugnung der Auferstehung verband sich „die Negation einer futurischen und einer somatischen Dimension der Eschatologie“. Zur Diskussion um die Unsterblichkeit der Seele in der späteren christlichen Theologie vgl. Beinert, Unsterblichkeit, 94-112. Vgl. auch Plato, Phaed. 67d, 82d-e; Josephus, Bell. 7,344. Zur den stoischen Anschauungen vgl. Klauck, Umwelt II, 92-99, der Senecas Trostschrift Consolatio ad Marciam bespricht und auf Epiktet, Diss. 3,13,14-15; 3,22,33; 3,24,94; 4,7,15 verweist; die folgenden Zitate ebd. 95.
912 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— erlöst werden, wenn sie sich vom Körper löst.234 Für das Heilsverständnis Philos, und offenbar für das Heilsverständnis korinthischer Christen, „ist die Vorstellung von der leiblichen Auferweckung geradezu absurd, denn Leiblichkeit ist ja der höchste Ausdruck für Heillosigkeit, und Erlösung bedeutet zu allererst Erlösung von der Leiblichkeit“.235 Dass diese Vorstellungen verbreitet waren, kann man daran sehen, dass sich solche Überzeugungen auch auf Grabsteinen wiederfinden. Auf einem wohl aus Attica stammenden Epitaph heißt es: „Freund, dieses Grab gewann Attica. Aber Italien behielt meinen Leib, und meine Seele stieg empor (ψυχη` δ αιθε' ρα ει σανε' βη). Die mich getragen hat war ?, und mein Vater Heraclides; und fünfzehn Jahre lang lebte ich mit beiden“.236 Man schätzt, dass höchstens zehn Prozent der Grabepigramme eine solche Jenseitshoffnung ausdrücken. Wo dachte man sich den Aufenthalt dieser Seelen? Zumeist im Hades, in dem die Seelen der Verstorbenen als kraftlose Schatten verweilen; manchmal im Elysium, dem paradiesischen Aufenthaltsort der Insel der Seligen, zu der nur wenige hinfinden; manchmal in der Luft auf den Sternen; manchmal in der Nähe ihres Grabes.237 Öfter belegt sind Formeln wie diese: non fui, non sum, non curo („Ich bin nicht gewesen, ich bin nicht, ich kümmere mich nicht darum“), abgekürzt als n.f.n.s.n.c. Die Straße in die Welt der Toten war jedenfalls eine Einbahnstraße, die man nur in einer Richtung befahren konnte. Wer wie Sisyphus oder Eurydike versuchte, zurückzufahren, der wurde zurückgeschickt oder bestraft.238 In der Nähe von Gräbern erschienen nach dem in den magischen Papyri bezeugten Volksglauben bezeichnenderweise Totengeister (νεκυδαι' μονες, πνευ' ματα, ψυχαι'), d.h. niedere Dämonen, die durch magische Beschwörung in Dienst genommen werden können.239
Wenn korinthische Christen sagen, dass es keine Auferstehung der Toten gibt, dann meinen sie, dass es keine leibliche Auferstehung gibt: Die Seele wird nach dem Tod den irdischen Leib verlassen und im Jenseits weiterleben.240 13 Paulus beginnt die Argumentation, mit der er die Realität der leiblichen Auferstehung der Toten nachweist, mit einer falschen Prämisse: Wenn es ————————————————————
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Philo, All. 1,107-108; 3,42-43.69-72; Gig. 29; Det. 159.163. Sellin, Auferstehung, 131. Sellin, Auferstehung, 131. R. A. Moysey/E. F. Dolin, ZPE 69 (1987) 90-92; SEG XXXVII (1987) 198; E. A. Judge, NewDocs IX, 19 (Nr. 8); für alternative Rekonstruktionen der Inschrift vgl. K. Clinton, ZPE 75 (1988) 290; J. Bousquet, BE (1988) 37. Die Inschrift datiert zwischen 100 v.Chr. und 200 n.Chr. Klauck, Umwelt I, 72-73; für den folgenden Hinweis vgl. ebd. 76. Wright, Resurrection, 81-82. Betz, Problem, 247: „Der für den antiken Menschen nahe liegende Schluss war also: Was den Jüngern da am Grabe erschienen war, war der Totengeist Jesu. Auf Grund des magischen Materials zu urteilen, war diese Schlussfolgerung beinahe zwingend“. Vgl. M. Ernst, in Arzt-Grabner 473-474. Justin der Märtyrer schreibt von „sogenannten Christen“, die den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs lästern, indem sie behaupten, dass es keine Auferstehung der Toten gibt, sondern dass zum Zeitpunkt des Todes die Seelen zum Himmel aufsteigen (Dial. 80,4).
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aber keine Auferstehung der Toten gibt. Der Satz α να' στασις νεκρω ^ ν ου κ ε»στιν wiederholt wörtlich das Zitat der korinthischen Position. Durch die Formulierung als Konditionalsatz (ει δε') wird er zur hypothetischen Prämisse. Wenn diese Prämisse richtig ist, dann ergibt sich die logische Schlussfolgerung: dann ist auch Christus nicht auferweckt worden (ου δε` Χριστο` ς ε γη' γερται). Eine apriorische Bestreitung der Möglichkeit, dass Tote auferstehen, schließt logisch aus, dass der Messias Jesus das Grab verlassen hat (V. 4) und auferstanden ist. Das Perf. ε γη' γερται deutet darauf hin, dass Jesus Christus der Auferstandene bleibend gegenwärtig ist – eine Realität, die eine Illusion wäre und die man ebenfalls bestreiten muss, wenn die zitierte Prämisse richtig ist. Das Argument setzt voraus, dass die korinthischen Christen an die Auferweckung Jesu glauben: Wenn sie das bestreiten würden, d.h. wenn sie beide Sätze in V. 13a.b bejahten, wäre die Argumentation sinnlos. 14 Wenn die Folgerung in V. 13b zutrifft, d.h. wenn Christus nicht auferweckt worden ist, dann ergibt sich eine dreifache Schlussfolgerung. Erstens, dann ist auch unsere Verkündigung leer (V. 14b). Die apostolische Verkündigung (το` κη' ρυγμα η μω ^ ν; vgl. V. 11) vom Heilshandeln Gottes im gekreuzigten und auferstandenen Jesus, der Messias und Herr ist, wäre „leer“ (κενο' ς), d.h. „ohne Inhalt, ohne Grundlage, ohne Kraft“.241 Inhalt des Kerygmas ist der Gekreuzigte (1,23), der Auferstandene (15,11-12), Jesus Christus als Herr, auf dessen Antlitz sich die Herrlichkeit Gottes widerspiegelt, die Licht in die Finsternis unserer Herzen bringt (2Kor 4,5-6), das Evangelium (Gal 2,2), das Wort des Glaubens (Röm 10,8). Wenn Jesus nicht leiblich auferstanden ist, dann hat er als der Auferstandene keine Realität. Wenn Jesus der Messias nicht auferstanden ist, dann ist sein Tod am Kreuz kein Heilstod, der Sünden vergibt. Wenn Jesus nicht als der endzeitliche Erlöser auferstanden ist, dann gibt es kein Heilshandeln Gottes in Jesus Christus, und dann ist die Verkündigung von Paulus und der anderen Apostel bedeutungslos. Wenn die Botschaft von Jesus Christus im Auftrag eines Toten geschieht, „so verliert sie ihren Sinn und ihre Kraft“.242 Zweitens, euer Glaube ist ebenfalls leer (κενη` και` η πι' στις υ μω ^ ν; V. 14c). Weil der von Paulus und den Aposteln verkündigte Glaube auf dem Kerygma von Gottes Heilshandeln im gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus beruht, ist auch ihr Glaube „leer“ (κενο' ς), inhaltslos, kraftlos und ————————————————————
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Bauer /Aland 870 s.v. κενο' ς 2aα; vgl. A. Oepke, ThWNT III, 659-662; M. Lattke, EWNT II, 693-695; E. Tiedtke u.a., ThBLNT I, 561-563. Das Wort κενο' ς bedeutet in den dokumentarischen Papyri wörtlich „inhaltlos, leer“ (von leeren Krügen ist in P.Cair.Zen. III 59366 Rekto,18-19 die Rede), und übertragen „wertlos, zwecklos, nichtig“ (von einer zwecklosen Reise nach Hause zu den Eltern schreibt ein junger Soldat in P.Mich. III 203,12); vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 478-479. Schlatter 405.
914 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
wertlos. Christlicher Glaube ist ohne Glaube an die leibliche Auferstehung Jesu kein Glaube, sondern eine nichtssagende Angelegenheit. W. Schrage schreibt richtig: „Glaube ist demnach für Paulus immer zugleich und konstitutiv Glaube an den auferweckten Christus, oder er ist eine Farce und ein nichts“.243 Schrage meint allerdings, dass „eine Beweisbarkeit der Auferstehung Jesu als objektives historisches Faktum . . . bei aller Gewichtung ihrer Glaubwürdigkeit nicht die eigentliche Intention des ersten Abschnitts V. 1-11 gewesen sein“ kann. Aber gerade darum geht es Paulus: Wenn die Auferstehung Jesu kein objektives historisches Faktum ist, dann kann das Kerygma ebenfalls nicht von objektiven Wirklichkeiten handeln, und der Glaube an einen nicht-objektiv auferstandenen Jesus Christus kann nur für einen subjektiven Glauben „konstitutiv“ sein. 15 Drittens, wir werden dann als falsche Zeugen Gottes entlarvt. Ein ψευδο' μαρτυς244 ist ein Zeuge, der Falsches aussagt. Wenn Paulus mit dem Hinweis auf eigenes Erleben als Zeuge für die Auferstehung Jesu auftritt, dieser aber nicht auferstanden ist, dann wird er als ein Zeuge „entlarvt“, 245 der lügt. Der Gen. του^ θεου^ ist kein gen. subj. (Zeugen, die von Gott aufgestellt und beauftragt sind),246 sondern ein gen. obj.: Paulus und die anderen Apostel reden, wenn die zitierte Prämisse richtig ist, als Zeugen der Auferweckung Jesu Christi über ein von Gott verursachtes Ereignis, das Gott nicht verursacht hat, weil es nicht stattgefunden hat, d.h. sie machen sich einer Falschaussage über Gott schuldig. Der sich anschließende ο« τι-Satz erläutert, was gemeint ist: Wenn die (falsche) Prämisse stimmt, dass Jesus nicht von den Toten auferstanden ist, dann haben die Apostel im Widerspruch zu Gott (κατα` του^ θεου^ ) bezeugt, dass er Christus auferweckt hat (ο« τι η» γειρεν το` ν Χριστο' ν). Dies gilt für den Fall, dass Gott Christus nicht auferweckt hat (ου κ η» γειρεν), wenn, wie sie sagen (ει»περ α»ρα), Tote nicht auferweckt werden (νεκροι` ου κ ε γει' ρονται). Damit hat Paulus die Argumentation von V. 13 bestätigt: Der Glaube an die Auferstehung Christi ist logisch unmöglich, wenn es keine Auferstehung der Toten gibt. ————————————————————
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Schrage IV 129; das folgende Zitat ebd. H. Strathmann, Art. ψευδο' μαρτυς, ThWNT IV, 519-520; J. Beutler, EWNT III, 1190. Außer hier kommt ψευδο' μαρτυς im NT nur noch in Mt 26,60 als Bezeichnung der im Prozess Jesu auftretenden Zeugen vor; in der LXX nur in Sus 60. Das Substantiv ψευδομαρτυρι'α kommt in Mt 26,59 im Zusammenhang des Prozesses gegen Jesus vor, sowie im Lasterkatalog in Mt 15,19. Das Verb ψευδομαρτυρε' ω beschreibt in der LXX Ex 20,16; Dtn 5,20 die falsche Zeugenaussage vor Gericht, so auch im NT (Mt 19,18 / Mk 10,19 / Lk 18,20; Mk 14,56.57; Röm 13,9 v.l.). In den Papyri ist das verwandte Subst. ψευδομαρτυ' ριον belegt; vgl. P. Hal. 1 Rekto 2,24.41.49; 3,57.66.73. ευ ρι'σκω bedeutet hier „sich zeigen, erscheinen, erkennbar werden, sich erweisen“, vgl. 4,2; 2Kor 5,3; Röm 7,10; Gal 2,17; Phil 2,7. Bauer /Aland 658 s.v. ευ ρι'σκω 2.
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16 Paulus beginnt eine zweite Argumentationskette mit einer Wiederholung des Arguments von V. 13 (und gleichzeitig der letzten Aussage von V. 15). Die oben zitierte Prämisse: Wenn Tote nicht auferweckt werden ersetzt α να' στασις νεκρω ^ ν (V. 13a) durch die personale Formulierung νεκροι' . . . ε γει' ρονται (so schon am Ende von V. 15). Die Folgerung: dann ist auch Christus nicht auferweckt worden (ου δε` Χριστο` ς ε γη' γερται) wiederholt wörtlich V. 13b. 17 Die (falsche) Prämisse: Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist (ει δε` Χριστο` ς ου κ ε γη' γερται) wiederholt wörtlich V. 14a. Paulus formuliert diesmal eine vierfache Schlussfolgerung, die sich ergibt, wenn die Prämisse richtig wäre. Erstens, ist euer Glaube nichtig (μαται' α η πι' στις υ μω ^ ν, V. 17b). Ein „leerer“ Glaube (V. 14c) ist ein „nutzloser“ Glaube. Μα' ταιος247 bedeutet „eitel, nichtig, vergeblich, ohne Nutzen, zwecklos“. Auf einen Messias kann man sich nicht verlassen, dessen Seele im Hades als kraftloser Schatten existiert, auf der Insel der Seligen wohnt, immateriell im Äther schwebt oder – immerhin wurde Jesus als Verbrecher am Kreuz hingerichtet – ruhelos in der Nähe seines Grabes umherirrt. A. Schlatter kommentiert: „Hieß er ihn leer, so nahm er ihm den Inhalt und Grund. Ist er aber ein Wahn, so kann er auch nichts leisten“. 248 Im hellenistisch-jüdischen Griechisch bezeichnet μα' ταιος oft den heidnischen Glauben an andere Götter. 249 Christen sind Menschen, die den Glauben an die leblosen Götzen, die nicht helfen können, aufgegeben haben und zum Glauben an den Gott gekommen sind, der Tote zu neuem Leben auferweckt. 250 Zweitens, ihr seid noch in euren Sünden (ε»τι ε στε` ε ν ται^ς α μαρτι' αις υ μω ^ ν, V. 17c). Mit dieser Schlussfolgerung, die sich aus der Prämisse ergibt, dass Christus nicht auferweckt wurde, macht Paulus mehrere Aussagen. 1. Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu hängt unzertrennbar mit der Auferweckung Jesu zusammen. Wenn Jesus nicht von den Toten auferstanden ist, dann hat sein Tod am Kreuz keine Bedeutung. Wenn der Tod Jesu keine Bedeutung hat, ist der Glaube an Jesus ohne nützliche Wirkung. Wenn korinthische Christen die leibliche Auferstehung der Toten und damit die Auferstehung Jesu leugnen, bestreiten sie ihre eigene Heilswirklichkeit. 251 2. Die Auferstehung Jesu hat deshalb eine die Sünden sühnende Wirkung, weil Jesus kein Hochstapler war, sondern der messianische Menschensohn, ————————————————————
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Robertson/Plummer 348; Conzelmann 314-315; vgl. Holl, Aufsätze II, 113. O. Bauernfeind, Art. μα' ταιος κτλ., ThWNT IV, 525-530; H. Balz, EWNT II, 975-976. Schlatter 406. LXX Hos 5,11; Jes 2,20; Jer 2,5; 2Chron 11,15; im NT Apg 14,15; 1Petr 1,18; Jak 1,26. Dobbeler, Glaube, 91. Sellin, Auferstehung, 258; vgl. Wolff 379.
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der die Ankunft der Königsherrschaft Gottes verkörperte. Die Auferweckung Jesu demonstriert, dass Gott das Urteil des Sanhedrin und der römischen Autoritäten aufgehoben hat. Jesus war in der Tat der Messias: Sein Tod war weder sein Ende noch der Beginn einer immateriellen Existenz in den Sternen, sondern infolge seiner Auferweckung durch Gott die Vollendung seiner messianischen Aufgabe, die Sünden der Vielen zu vergeben und das Volk Gottes zu sammeln.252 3. Wenn Jesus Christus keine Sünden vergibt, dann ist die Macht der seit Adam bestehenden Sünde, die sich immer neu und ohne Unterbrechung in Taten der Sünde manifestiert, nicht aufgehoben,253 dann sind die Sünder von ihrer Schuld nicht freigesprochen254 – und dann ist er nicht der von Gott gesandte Messias und Erlöser, der das Sündenproblem lösen und die Herrschaft Gottes aufrichten sollte. 4. Der Kreuzestod Jesu, durch den Gott die Sünden der an Jesus Glaubenden vergibt, war ein massiv leiblicher Tod. Der Nexus, den Paulus zwischen dem die Sünden sühnenden Tod Jesu und der Auferstehung Jesu herstellt, verlangt, dass die Auferstehung Jesu ebenfalls als objektiv-leibliches Ereignis verstanden wird. Weshalb soll der objektiv leibliche Tod eines Menschen eine Sünden vergebene Wirkung haben, wenn dieser nach seinem Tod nicht-objektiv, sondern subjektiv, in seiner nicht-leiblichen Existenz ganz auf sich bezogen existiert? Wenn die Auferstehung nur eine Vision und damit eine Illusion war, dann ist die Vergebung der Sünden und die Rechtfertigung durch Gott ebenfalls illusionär. 18 Drittens, folglich sind auch die Entschlafenen in Christus verloren. Als weitere Schlussfolgerung (α»ρα και' ) aus der (falschen) Prämisse, dass es keine Totenauferstehung gibt, ergibt sich logisch, dass „die Entschlafenen in Christus“ (οι κοιμηθε'ντες ε ν Χριστω ^, ), d.h. die Menschen, die im Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesu Christus verstorben sind, als verloren gelten müssen.255 Möglicherweise klingt die Überzeugung des Apostels von der Gemeinschaft mit Christus über den Tod hinaus an (vgl. Phil 1,23): Wenn jene korinthische Prämisse falsch ist, wenn also Jesus Christus ————————————————————
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Vgl. Wright, Resurrection, 332. Die mit der Wendung ε ν ται^ς α μαρτι'αις bezeichnete fatale Wirklichkeit der Existenz in der Sünde, d.h. der Verfallenheit an die Macht der Sünde, die sich in konkreten Verstößen (Plural α μαρτι'αις) gegen den Willen Gottes äußert, wird in Röm 3,9; Gal 3,22 mit υ πο` α μαρτι'αν beschrieben, in Röm 6,14 mit α μαρτι'α . . . κυριευ' σει, in Röm 6,17 mit δου^ λοι τη^ ς α μαρτι'ας. Vgl. Schrage IV 131 Anm. 594. Wolff 379; Schrage IV 131. Vgl. 1Kor 15,56; Röm 6,4.23. Lindemann 340 bezieht ε ν Χριστω ^, auf α πω' λοντο: Wenn die Meinung der Korinther zuträfe, dass es keine Auferstehung der Toten gibt, würde sich der Glaube „gerade auch dadurch als betrügerisch erweisen, daß Christus nicht Retter der Glaubenden, sondern ihr Verderber wäre“. Ähnlich Verburg, Endzeit, 138. Diese Interpretation ist nicht überzeugend, da Paulus im Kontext von V. 18 keine Drohnung gegen korinthische Christen ausspricht, sondern die Konsequenzen ihrer Prämisse erläutert.
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auferweckt wurde, dann sind die verstorbenen Christen trotz ihres Todes „in Christus“, der gestorben und auferstanden ist, damit er über Tote und Lebende Herr sei (Röm 14,9).256 Wenn die Prämisse, dass es keine Totenauferstehung gibt, zutrifft, dann sind die Verstorbenen „verloren“ (α πω' λοντο), d.h. ihr Tod ist ihr endgültiges Schicksal. Sie erleben kein Heil, weil ihre Sünden unvergeben bleiben. 19 Viertens, wenn wir allein in diesem Leben auf Christus hoffen,257 d.h. wenn sich die Hoffnung, die Jesusbekenner haben, lediglich (μο' νον) auf das gegenwärtige Leben (ε ν τη^, ζωη^, ταυ' τη, )258 bezieht, dann sind wir bemitleidenswerter als alle Menschen. Das Wort ε λεεινο' ς („bemitleidenswert“) kommt im NT nur hier und in Offb 3,17 vor. Wenn die (falsche) Prämisse stimmt, dass es keine leibliche Auferstehung der Toten gibt, eine Position, die für Paulus beinhaltet, dass auch Jesus der Gekreuzigte nicht auferweckt wurde, dann sind Jesusbekenner bedauernswerter als alle Menschen. Dies ist deshalb der Fall, weil sie an eine Botschaft glauben, die nichtssagend und sinnlos ist; weil sie auf verkündigende Redner hereingefallen sind, die als Lügner entlarvt wurden; weil sie einen Glauben haben, der nutzlos ist und nichts bewirkt; weil sie keine Vergebung der Sünden haben und trotz anderslautender Beteuerungen immer noch unter der Macht der Sünde leben; weil sie in der Abkehr von der Sünde das Opfer bringen, auf das Ausleben der Sinne und Triebe zu verzichten, ohne dass ihnen dies irgend etwas nützt; weil für sie mit dem Tod alles aus ist. W. Bousset ist dieser Satz peinlich: „Zum Schluss versteigt sich Paulus in seiner Erregung sogar zu einer Behauptung, die wir nicht gutheißen und mitmachen werden. Wir sind vielmehr, so fest wir an der Hoffnung auf ewiges Leben halten, der Meinung, daß selbst, wenn es keine Hoffnung auf ein jenseitiges Leben gäbe, ein Leben, in Treue gegen den Geist Jesu und in Aufopferung vollbracht, höher stände und auch glücklicher wäre als ein Leben in ungestörter Sinnlichkeit“. 259 Für Paulus gibt es nur ein Entweder–oder: entweder gibt es eine leibliche Auferstehung von den Toten und damit auch die Realität der Auferstehung Jesu Christi, oder der Glaube an Jesus Christus bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. 260 W. Schrage betont zu Recht: „Auch die größten Worte und Taten Jesu, auch die tiefgrün————————————————————
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Schrage IV 133. Er lehnt wie die meisten Ausleger ein kausales Verständnis der Präp. ε ν ab, d.h. Paulus spricht nicht von Märtyrern, die „wegen“ Christus gestorben sind. Die Übersetzung geht davon aus, dass μο' νον auf ει ε ν τη^, ζωη^, zu beziehen ist, nicht auf η λπικο' τες ε σμε' ν (so Weiss 355: „‚nur hoffen‘, d.h. ohne Erfüllung hoffen, genarrte Hoffende“); vgl. Wolff 380; Lindemann 314; Schrage IV 134-135. Mit ζωη' meint Paulus hier das gegenwärtige, irdische Leben; sonst spricht er vom „ewigen Leben“ (Röm 2,7; 5,21; 6,22-23 u.a.) Bousset 151; ähnlich Schmiedel 193; Weiss 366; kritisch Schrage IV 135 mit Anm. 613. Schrage IV 136; ebd. das folgende Zitat.
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digsten theologischen Gedanken und bewundernswertesten karitativen Aktionen blieben vergebliche Liebesmühe, wenn dem Tod nicht einst endgültig die Macht genommen wird“. 20 Mit der Aussage nun ist aber Christus auferweckt worden von den Toten verlässt Paulus die hypothetische Prämisse, dass Jesus Christus nicht von den Toten auferstanden ist. Er kehrt zu dem Grundbekenntnis in V. 4b zurück, das er und die anderen Apostel verkündigen (V. 12a).261 Nach den irrealen Konditionalsätzen der vorhergehenden Aussagen führt Paulus mit adversativem νυνι` δε' die Wirklichkeit ein.262 Dies ist die übereinstimmende urchristliche Überzeugung: Jesus der Messias ist von den Toten auferweckt worden. Paulus bezeichnet den Auferstandenen als Erstling der Entschlafenen. Damit soll die Argumentation von V. 12-19 nicht in der Weise ins Positive gewendet werden, als ob Jesus, der erste, der von den Toten auferweckt wurde, die Grundlage für die logische Schlussfolgerung ist, dass alle Menschen von den Toten auferstehen werden.263 Die Wortwahl zeigt, dass es Paulus um mehr geht als um logische Argumente: Er spricht vom Messias (Χριστο' ς) und, mit dem Stichwort „Erstling“, von den göttlichen Verheißungen, die mit dem Kommen des Messias verbunden waren. Απαρχη' ist im atl. Gesetz das „Erstlingsopfer“, die Jahwe (oder dem Heiligtum) geschuldeten ersten Erntefrüchte und die Erstgeburt des Viehs und der Menschen.264 Die Erstlinge waren „heilig“ (Num 18,17: קֶדש ֵהם ֹ ; LXX: α«για' ε στιν) und sollten Gott geweiht werden (Ex 13,2). Die ersten Früchte gehörten Jahwe, der durch die Darbringung der Erstlinge als Geber der Ernte dankbar geehrt wurde. Gleichzeitig beinhalteten sie eine Verheißung: Sie waren ein sichtbarer Ausdruck der Gewissheit, dass die volle Ernte bald eingebracht werden kann. ————————————————————
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15,20: νυνι` δε` Χριστο` ς ε γη' γερται ε κ νεκρω ^ ν; 15,4b: ε γη' γερται τη^, η με' ρα, τη^, τρι'τη, ; 15,12a: ει δε` Χριστο` ς κηρυ' σσεται ο« τι ε κ νεκρω ^ ν ε γη' γερται. Bauer /Aland 1105 s.v. νυνι' 2b; G. Stählin, ThWNT IV 1102; Wolff 381; Schrage IV 159. Weiss 355 verweist auf eine Parallele bei Mark Aurel: Wenn die Götter nicht existieren oder sich nicht um die Menschen kümmern, dann könnte man seinem Leben ein Ende setzen, denn „was liegt mir daran, in einer von den Göttern oder der Vorsehung verlassenen Welt zu leben?“ (Marcus Aurelius, Ant. 11,2-3). Wolff 381; Lindemann 343; Schrage IV 160. G. Delling, Art. α παρχη' , ThWNT I, 483-484; A. Sand, EWNT I, 278-280; F. Thiele, ThBLNT II, 1439-1440; F. Stolz/O. Borowski, Art. Erstlinge, RGG4 II, 1471-1474. Vgl. Ex 23,19; 25,2-3; 34,19; 36,6; Lev 22,12; Dtn 8,8; 12,6.11.17; 18,4; 26,2.10; Ez 44,20. Zur Auslösung der menschlichen Erstgeburt vgl. Ex 13,2.15; 34,20; Num 18,15; Neh 10,37. Vgl. Preuß, Theologie I, 142; II, 264. Arzt-Grabner 481 verweist auf mehrere Belege in den Papyri: P.Mert. I 5,28; P.Soter. 3,16; PSI VI 690,11-14; SB III 6995,22; 6996,18.35; BGU I 30,1-6.
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Paulus unterstreicht mit dieser Formulierung Folgendes. Erstens, die Formulierung „Erstling der Entschlafenen“ erläutert den Rang Jesu: Er ist der Messias, der im Auftrag Gottes die Erfüllung der Verheißungen bewirkt. Paulus interpretiert den Tod und die Auferweckung Jesu in den Kategorien jüdischer apokalyptischer Vorstellungen.265 Die Behauptung, dass ein Mensch allein, d.h. vor dem Tag der Auferstehung aller Toten auferweckt wird, ist im Rahmen der jüdischen Apokalyptik eine überraschende Aussage. Im zeitgenössischen Judentum findet sich nirgends ein Szenario, nach dem der Messias getötet werden und dann von den Toten auferstehen würde. Man erwartete, dass in der messianischen Zeit Gott die Toten auferwecken und die Welt richten würde. Die Totenauferstehung war ein Geschehen, dass allen Menschen widerfährt, nicht einem Einzelnen. Aus diesem Grund verstanden die ersten Christen die Auferweckung Jesu als Zeichen, dass das Ende der Zeiten angebrochen ist. Die Auferstehung des Messias signalisiert den Anbruch der für die letzten Tage verheißenen neuen Schöpfung. In Röm 8,18-26 schreibt Paulus vom sehnsüchtigen Warten der Schöpfung auf die Vollendung, in der alle Vergänglichkeit, Sklaverei, Verlorenheit und Schwachheit endgültig beseitigt werden und die Herrlichkeit, die Freiheit und die Erlösung des Leibes des von Jesus Christus erwirkten Heils sichtbar werden (8,18-26); in V. 23 schreibt er in diesem Zusammenhang, dass Jesusbekenner „die Erstlingsgabe des Geistes“ (η α παρχη` του^ πνευ' ματος) haben. Jesus der Messias führt die Erlösung vom Todesgeschick herbei, nach der sich die Schöpfung zusammen mit den Jesusbekennern sehnt. Die Erfüllung der Prophezeiung Jesajas von einer neuen Schöpfung (Jes 43,18-19; 65,17; 66,22) hat mit der Auferstehung Jesu von den Toten begonnen. In Offb 3,4 wird in diesem Sinn Jesus „der treue und zuverlässige Zeuge“ als „der Anfang der Schöpfung Gottes“ (η α ρχη` τη^ ς κτι' σεως του^ θεου^ ) bezeichnet, der nach Offb 1,5 der „Erstgeborene der Toten“ (ο πρωτο' τοκος τω ^ ν νεκρω ^ ν) ist.266 Paulus betont zweitens ein zeitliches Moment. Jesus ist als erster auferstanden, die anderen Toten werden folgen. Drittens verweist Paulus auf einen kausalen Zusammenhang. Die Auferstehung Jesu signalisiert den Auftakt der allgemeinen Totenauferstehung. Erstlinge sind der erste Teil eines Ganzen: Christus ist auferstanden, deshalb werden alle Toten auferstehen. In Kol 1,18 macht Paulus (bzw. die dort zitier————————————————————
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Vgl. Hays 263 für die folgenden Bemerkungen. Anders Holleman, Jesus’ Resurrection, 653-660, der meint, Paulus habe den Gedanken von Jesu Auferstehung als Anfang der eschatologischen Auferstehung ohne Rekurs auf jüdische Traditionen entwickelt. Offb 3,14 unterstreicht, dass die Erfüllung der Verheißung Jesajas in Jes 43,18-19; 65,17; 66,22 mit dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi angebrochen ist (vgl. Offb 5,6.9-14). Offb 21,1-8 betont in der Vision des neuen Himmels und der neuen Erde, dass die inaugurierte Erfüllung von Jesajas Prophezeiung zu einem zukünftigen Zeitpunkt vollendet werden wird. Vgl. Beale, Revelation, 298-301.1041.
920 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
te urchristliche Tradition) mit der Formulierung πρωτο' τοκος ε κ τω ^ ν νεκρω ^ν („Erstgeborener der Toten“) dieselbe Aussage. Wie der Kreuzestod Jesus nicht nur sein eigener Tod war, sondern ein Tod für (υ πε'ρ) die Vielen, so kommt auch seine Auferweckung von den Toten den Vielen zugute. Mit den „Entschlafenen“ meint Paulus wie in V. 18 die verstorbenen Jesusbekenner. Das Perf. Pass. κεκοιμημε'νων267 weist darauf hin, dass die Auferstehung Jesu die Auferstehung aller Verstorbener ankündigt und gewiss macht. Die Formulierung selbst lässt nicht erkennen, ob Paulus nur an Christen oder auch an Nichtchristen denkt.268 Der messianische Horizont der Aussage und die Formulierung in V. 18 („Entschlafene in Christus“) deutet darauf hin, dass Paulus in erster Linie die Jesusbekenner im Blick hat. 21 Paulus begründet und erläutert (γα' ρ) die Beschreibung Jesu Christi als „Erstling der Entschlafenen“ (V. 20). Er stellt einen Bezug her zwischen dem Tod aller und der Auferstehung des Einen (ε πειδη' . . . και' , „weil . . . so auch“). In V. 21 formuliert Paulus allgemein und thesenartig (mit zwei Nominalsätzen), in V. 22 konkret und historisch. Die erste Aussage: Weil nämlich durch einen Menschen der Tod (gekommen ist) begründet die zweite: so auch durch einen Menschen die Auferstehung. Der nächste Vers zeigt, dass Paulus von Adam und von Christus spricht.269 Die Aussage spielt auf Gen 3 an (vgl. Röm 5,12): Adam ist der Mensch, der sterben musste, weil er gesündigt hat; weil er gesündigt hat, wurde er aus dem Paradies vertrieben; weil er aus dem Paradies vertrieben wurde, sündigen und sterben alle Menschen, die alle von Adam abstammen. 270 Der Ton liegt auf der Universalität des Todes. Paulus betont, dass die Auferstehung Jesu Christi im Zusammenhang des Todes zu verstehen ist, der alle Menschen ergreift: Der Tod, der seine Macht ausübt, seit er durch die Rebellion des ersten Menschen in die Welt eingedrungen ist (δι’ α νθρω' που θα' νατος), wird durch die Auferstehung des einen Menschen überwunden (δι’ α νθρω' που α να' στασις νεκρω ^ ν). So wie der Tod nicht nur als biologischer, sondern als ewiger Tod aufgefasst ist (vgl. ————————————————————
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Zu κοιμα' ομαι s. oben zu V. 6; κεκοιμημε' νων ist subst. Ptz. Pass. Lindemann 343 sieht im Perf. angezeigt, dass es „offenbar um alle Gestorbenen, ohne Einschränkung“ geht. Anders Schrage IV 161: α παρχη' akzentuiert „die Zusammengehörigkeit der Christen mit Christus“. Anders als in Röm 5,21-12 fehlt ει ς, um den Menschen, durch den der Tod bzw. die Auferstehung gekommen sind, als jeweils „einzigen“ Menschen zu kennzeichnen. Im Kontext ist jedoch deutlich, dass dies gemeint ist. Lindemann 343 meint, die Aussage bedeutet, „daß der Tod als mit dem menschlichen Leben immer schon mitgesetzt gedacht ist“. Die Erwähnung Adams in V. 22 zeigt, dass Paulus offensichtlich die Kenntnis der Sündenfallgeschichte in Gen 3 voraussetzt. Zum Sündenfall Adams als Ursprung und Ursache des Todes vgl. die frühjüdischen Texte 4Esra 3,7; 7,116-118; syrBar 17,3; 23,4; 54,15; rabbinische Texte bei Bill. III, 227-228. In Ez 18,20 wird der Einzelne, der sündigt, allein für seinen Tod verantwortlich gemacht.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 921 ————————————————————————————————————
den Gegenbegriff „Auferstehung“),271 so ist auch die Auferstehung als ewige zu verstehen, d.h. im Kontext der neuen Schöpfung. Gleichzeitig gilt: Wie der Tod immer ein physischer Tod ist, so ist auch die Totenauferstehung als leibliche Auferstehung zu verstehen. Paulus setzt mit dem Wort α»νθρωπος das volle Menschsein Jesu Christi voraus: Die Auferstehung der Toten wird durch einen „Menschen“ herbeigeführt. Betont ist das Menschsein Christi allerdings nicht, sodass man hier auch keine Polemik „gegen eine spiritualisierte Vollendungsvorstellung“ korinthischer Christen sehen muss.272 22 Mit einer parallelen Aussage konkretisiert273 Paulus V. 21: Der Mensch, durch den der Tod kam, ist Adam, und der Mensch, durch den die Totenauferstehung kommt, ist Christus: Wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht. Paulus unterstreicht mit dieser Konkretisierung, dass es hier nicht um Ideen geht, um kosmische oder anthropologische Prinzipien, sondern um die Menschheitsgeschichte, in der Adam am Anfang und Jesus Christus in der Mitte und am Schluss steht. Adam und Christus sind Repräsentanten: Adam ist der Stammvater und Schicksalsträger der sündigen Menschheit, Christus ist der Repräsentant derer, die ihn, Jesus von Nazareth, als Messias akzeptieren. Die Erwähnung Adams setzt voraus, dass Paulus annehmen konnte, dass seine korinthischen Leser die Berichte von Gen 1–3 bereits kennen. Offensichtlich hat Paulus bei seiner Unterweisung der Jesusbekenner in Korinth drei Jahre früher den atl. Bericht von der Schöpfung und vom Sündenfall gelehrt. Wir haben hier ein weiteres Beispiel dafür, wie die Heilige Schrift Israels die „symbolische Welt“ bestimmt, innerhalb derer Paulus die Bedeutung der Person und des Wirkens Jesu versteht und erklärt.274 Was die Herkunft der Adam-Christus-Typologie betrifft, weisen die meisten Ausleger zu Recht die von R. Bultmann und anderen275 angenommene Abhängigkeit von einem Urmensch-Mythos ab. 276 Die meisten nehmen Einflüsse weisheitlich-dualistischer Traditionen des hellenistischen Judentums an.277 Philo interpretiert Gen 1–2 in All. ————————————————————
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Betont von Schrage IV 162. So jedoch Wolff 384. Conzelmann 327 mit Anm. 44 will in α παρχη' eine „antischwärmerische Spitze“ sehen: „Christus ist bisher der einzige“. Der bestimmte Artikel in der Wendung ε ν τω ^, Αδα' μ stellt den Rückbezug auf den α»νθρωπος in V. 21 her; Lindemann 344. Hays 263-264. Bultmann, Exegetica, 431-444; Strecker, Theologie, 63-96. Vorsichtiger Brandenburger, Adam, 68-157; Conzelmann 327 Anm. 47, vgl. ebd. 349-353. Wolff 409; Lindemann 344; Schrage IV 273-274; Thiselton 1227; Dunn, Romans I, 277279; vgl. Lohse, Römerbrief, 178. Repräsentativ Sellin, Auferstehung, 81-88, zu Philo 92-175; Verburg, Endzeit, 199-203. Auf Philo verweisen Weiss 375-376; Lietzmann 85-86; Conzelmann 349-353; Barrett
922 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— 1,31-32 (vgl. Op. 134-135) im Sinn von zwei Anthropoi, zwei Menschenarten. Der himmlisch-unvergängliche Mensch wurde nach dem Ebenbild Gottes geschaffen; er entspricht dem Logos und der Sophia und ist deshalb unsterblich. Der sterblichirdische Mensch wurde aus Staub geschaffen; durch das göttliche Pneuma bekam er die Fähigkeit zu tugendhaftem Verhalten, sodass er zur Seele wird und Unsterblichkeit erlangen kann. Neben Übereinstimmungen – die Gegenüberstellung zweier „Menschen“, der Bezug auf Gen 2,7, die Charakterisierung als irdisch (sterblich) und unvergänglich (ewig) – gibt es allerdings auch Unterschiede:278 1. Bei Paulus hat nur der zweite Mensch, der „letzte Adam“ (V. 45), heilsvermittelnde Kraft. 2. Paulus kennt keinen himmlischen ersten Adam. 3. Der erste Mensch ist bei Paulus keine zeitlose Idee im platonischen Sinn, sondern geschichtliche Wirklichkeit. 4. Philo spricht von zwei gegenwärtigen „Menschen“, jedoch nicht von einem „letzten Adam“ und nicht von der durch diesen initiierten Totenauferstehung. 5. Bei Paulus fehlen die Begriffe ψυχικο' ς und πνευματικο' ς. 6. Paulus betont den Gegensatz von Adam und Christus, nicht ihre Entsprechung. Ob die Interpretation Philos die Position der korinthischen Christen beeinflusst hat, lässt sich nicht verifizieren. Weil wir diese aus den Aussagen von Paulus erst rekonstruieren müssen, diese alexandrinische Tradition bei Paulus aber nicht von Belang ist,279 muss dies als unwahrscheinlich gelten. Die Argumentation von Paulus ist, wie A. Lindemann knapp und bündig feststellt, „im Zusammenhang der von ihm verarbeiteten biblischen Tradition in sich verständlich“.280 Der Hinweis auf Adam als Urheber des Todesverhängnisses ergibt sich aus der Auslegung von Gen 1–3. Der antithetische Vergleich von Adam und Christus hat Berührungspunkte mit dem Urzeit-Endzeit-Schema (vgl. Jes 41,4; 44,6; 48,12).281 Die Beschreibung des zweiten „Menschen“ hat Berührungspunkte mit der Gestalt des Menschensohnes von Dan 7. Die Verknüpfung der Auferstehung Jesu mit der Verleihung des Geistes (V. 45) ist als Interpretation von Ez 37,1-14 verständlich; die atl. Aussagen über die Ausgießung des Geistes in der zukünftigen Heilszeit (Jes 42,1; 48,16; Ez 39,29; Joel 3) spielen gewiss ebenfalls eine Rolle. Die jüdischen Interpretationen verschiedener biblischer Traditionen dürften in unterschiedlicher Weise bei der Aufnahme dieser Traditionen ebenfalls eine Rolle gespielt haben.
Die Wendung „in Adam“ (ε ν τω ^, Αδα' μ) kann sowohl instrumental („durch 282 den Fall Adams“), kausal („wegen Adams Sünde“) als auch lokal („in der durch Adam bestimmten Menschheit“)283 verstanden werden. Die Universalität der Todesverfallenheit, die in V. 21 vorausgesetzt war, wird mit πα' ντες ————————————————————
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374-375; Thiselton 1227; Garland 736. Vgl. Schrage IV 275-276 für die folgende Zusammenfassung. Schrage IV 274. Lindemann 361; vgl. C. Colpe, ThWNT VIII, 475: „Solange wir nun von einem vorgegebenen Schema vom ersten u(nd) zweiten Adam kein sicheres Zeugnis haben, ist es leichter anzunehmen, daß die Antitypik in V 21 . . . hier erst entsteht, als daß sie ein etwa vorgegebenes Schema füllt“. Ähnlich, wenn auch vorsichtiger, Schrage IV 274.276; für das Folgende vgl. ebd. 156-157.276-277. Schrage IV 276-277 hält es für möglich, dass Paulus „als erster das Urzeit-EndzeitSchema auf die eschatologische Adamgestalt angewendet“ hat; so Usami, How, 383-385. Man beachte die Präposition δια' in V. 21, der in V. 22 erläutert wird.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 923 ————————————————————————————————————
konkretisiert: seit Adam sind alle Menschen gestorben.284 Der Ausdruck “in Christus“ (ε ν τω ^, Χριστω ^, ) ist entsprechend der Wendung „in Adam“ instrumental („durch den Tod und die Auferstehung Christi“), kausal („infolge des Werkes Christi“) und lokal („in der durch den Messias Jesus bestimmten Menschheit“) zu verstehen. Der Gedanke, dass sich Adam und Christus zwar entsprechen, dass aber die Folgen der Person und des Werkes Christi die Person und das „Werk“ Adams weit überbieten, wird anders als in Röm 5,12-21 nicht ausgesprochen. Paulus kommt es hier nicht auf die sachliche Gegensätzlichkeit (Tod/Leben) an, sondern auf die Entsprechung der Wirkung, die Adam und Christus auf ihre „Anhänger“ haben (ω « σπερ . . . ου« τως).285 Das Verb ζω, οποιηθη' σονται (Fut. Pass.; „(alle) werden lebendig gemacht“) ist im Sinn der leiblichen Auferstehung zu interpretieren: Weil es für Paulus kein Leben ohne Leib gibt, gibt es auch keine Totenauferstehung, ohne dass die auferstandenen Toten einen neuen Leib haben. Der antithetische Vergleich mit Adam bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Paulus von der neuen Schöpfung redet (vgl. Röm 4,17; 8,23), die Gott heraufführen wird. Auch Jesusbekenner sterben (V. 6), insofern gehören sie noch zu Adam; sie werden aber, weil sie mit Jesus Christus dem Auferstandenen verbunden sind und sich damit nicht mehr im Machtbereich des Todes befinden, Anteil haben am Sieg Jesu Christi über den Tod, wenn dieser universale Geltung und sichtbaren Ausdruck bekommt (V. 25-26). Umstritten ist, ob die Universalität der Aussage zu Adam auf die Aussage zu Christus zu übertragen ist. Aufgrund der parallelen Formulierung – ε ν τω ^, ^, Χριστω ^, ; πα' ντες / πα' ντες – argumentieren manche, dass mit Αδα' μ / ε ν τω dem zweiten πα' ντες alle Menschen gemeint sind: wie alle Menschen sterblich sind,286 so werden alle Menschen auferstehen. 287 Viele interpretieren πα' ντες ————————————————————
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Kremer 343 bestreitet die „lokale“ Interpretation mit dem (richtigen) Argument, dass nicht an die Taufe gedacht sei. Im Zusammenhang eines korporativen Verständnisses gibt die lokale Interpretation jedoch einen guten Sinn. Wolff 384 versteht das „Bestimmtsein“ durch Adam in dem Sinn, dass die Menschen von Adam „so geprägt“ sind, „daß sie sterben“. Die instrumentale und kausale Bedeutung fallen bei diesem Verständnis unter den Tisch. Schrage IV 162 schließt aus diesen Beobachtungen, dass Paulus in V. 21-22 „einen vorgeprägten, vermutlich auch den Korinthern schon bekannten (vgl. ε πειδη' ) Gedanken“ aufnimmt. Dass den korinthischen Christen die Aussagen von V. 21-22 bekannt waren, sei unbestritten, aber eine geprägte Tradition lässt sich nicht erweisen. Paulus muss in 1Kor 15,21-22 nicht genau gleich formulieren wie in Röm 5,12-21. Siehe jedoch V. 51 („wir werden nicht alle entschlafen . . .“)! Strobel 247; Lindemann 344; Schrage IV 163-164 („man kann nicht gut Adam eine Menschheitsbedeutung zu- und Christus absprechen“, ebd. 163); Rissi, Was ist, 128-129; ders., Zukunft, 99 Anm. 260; Lindemann, Paulus, Apostel und Lehrer, 74; Boer, Apoca-
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in V. 22b als auf die Christen beschränkt.288 Zum einen kann man darauf hinweisen, dass das Schicksal der Ungläubigen bei Paulus im Hintergrund steht und jedenfalls in V. 21-22 nicht angesprochen wird. Zweitens ist zu beachten, dass die Wendung ε ν τω ^, Χριστω ^, zwar von der Opposition ε ν τω ^, Αδα' μ her und parallel zu δια' in V. 21 zu interpretieren ist, aber andererseits die Wendung ε ν Χριστω ^, bei Paulus immer die Zugehörigkeit zu dem durch den Kreuzestod und die Auferstehung markierten Heilsbereich bedeutet, sodass man diesen Heilshorizont hier nicht eliminieren sollte (vgl. 1Thess 4,16). Drittens ist auf V. 23 zu verweisen, wo die Totenauferstehung von V. 22 konkretisiert wird: Paulus spricht von den οι του^ Χριστου^ , d.h. von den Menschen, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind und die auferstehen werden. Wenn W. Schrage meint, es laufe „der Logik der Entsprechung“ zuwider, wenn man zu ζω, οποιηθη' σονται den Glauben als notwendige Bedingung dazudenkt,289 verkennt er, dass es Paulus um mehr geht als um eine formale Entsprechung: Adam repräsentiert jeden Menschen, da alle Menschen mit ihm biologisch verwandt sind und alle Menschen durch ihre (sündigen) Handlungen sich bewusst auf seine Seite gestellt haben (vgl. Röm 5,12), während Jesus Christus nicht alle Menschen repräsentiert, weil weder alle mit ihm „verwandt“ sind noch alle sich auf seine Seite gestellt haben, sondern nur diejenigen, die ihn als Messias und Kyrios glaubend anerkennen (vgl. Röm 6,8).290 Wenn α παρχη' in V. 20 die Zusammengehörigkeit der Christen mit Christus akzentuiert, dann sind diejenigen, die auf den „Erstling“ folgen, die Menschen, die durch den Glauben zu ihm gehören. 23 In V. 23-24 erklärt Paulus die Auferstehungsaussage V. 22b: Das Verb ζω, οποιηθη' σονται ist in V. 23 zu ergänzen, „jeder“ (ε«καστος) greift πα' ντες ————————————————————
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lyptic Eschatology, 112-113. Schrage IV 165 Anm. 734 will die Lehre von der Wiederbringung aller (Apokatastasis), d.h. von der Allversöhnung, „mit einem Fragezeichen“ versehen, schließt sich dann aber im Blick auf die Frage des Zueinander von Universalismus und Partikularismus bei Paulus dem Votum von Beker, Paul, 194 an, der meint, dass der apokalyptische Triumph Gottes am Ende keinen permanenten Restbestand an Widerstand gegen Gott in seiner Schöpfung duldet. Zur Allversöhnung s. Schrage IV 228-231. Bachmann 442 Anm. 1; Conzelmann 329; Klauck 114; Lang 223; Fee 751; Wolff 385; Kremer 343; Thiselton 1227; Garland 707; Sellin, Auferstehung, 270; Holleman, Resurrection, 55. Schrage IV 164, mit Verweis u.a. auf Godet II 196; Hofmann 345. Barrett, Significance, 108; Garland 707. Das Argument, eine „Einschränkung“ auf die Christen räume der Auferweckung Jesu nur eine begrenzte Wirkung ein, ist nur dann plausibel, wenn man die Gegenposition der Allversöhnung akzeptiert, die allerdings beinhaltet, dass dem Glauben an Jesus Christus keinerlei unterscheidende Wirksamkeit zukommt, weil unabhängig von der Reaktion auf die Verkündigung des Evangeliums alle Menschen das Heil erhalten, allein als Folge der Auferstehung Jesu. Der Missionsbefehl Jesu ist dann letztlich ebenso sinnlos wie die Missionsarbeit der Apostel.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 925 ————————————————————————————————————
auf. Gleichzeitig wird deutlich, wie Paulus α παρχη' („Erstling“) V. 20 versteht. Paulus schreibt im Blick auf die Auferstehung der Toten: Jeder aber in seiner eigenen Ordnung. Manche interpretieren τα' γμα (das Wort kommt nur hier im NT vor) im Sinn von „Abteilung, Gruppe“:291 Paulus spreche von drei Gruppen, die auferstehen – Christus, die zu Christus gehörenden Menschen, der „Rest“ (το` τε'λος) der Menschheit. Diese Interpretation ist nicht plausibel: Christus ist kaum eine Gruppe;292 das Wort τε'λος bedeutet nicht „Rest“, sondern „Ende“; das aus V. 23 zu ergänzende Verb ζω, οποιηθη' σονται passt weder für Christus noch für το` τε'λος. Der Ausdruck τα' γμα wird nicht ausschließlich in militärischen Zusammenhängen verwendet, sondern kommt auch in der Bedeutung „die Stellung, die jemand einnimmt“ oder „Rangordnung“ vor.293 Paulus spricht im Blick auf die Auferstehung Christi und die Auferstehung der Gläubigen von einer bestimmten Rangstufe, die Christus und die Gläubigen haben: Als Erstling Christus, dann die zu Christus Gehörenden bei seiner Ankunft. Christus wird als „Erstling“ von den Toten auferweckt (α παρχη` Χριστο' ς). Die zu Christus Gehörenden (οι του^ Χριστου^ ), d.h. die infolge ihres Glaubens an Jesus als Messias und Kyrios zu Christus gehörenden Jesusbekenner,294 werden bei seiner Ankunft (ε ν τη^, παρουσι' α, αυ του^ ) auferweckt.295 Eine ähnliche, etwas anders nuancierte Interpretation versteht diesen Satz als Hinweis auf die chronologische Reihenfolge: Zuerst wurde Jesus von den Toten auferweckt, die Christen werden später (ε»πειτα, „dann“) von den Toten auferstehen.296 Die Totenauferstehung der Christen ————————————————————
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Bauer /Aland 1601 s.v. τα' γμα 2: die Auferstehung findet „gruppenweise“ statt, im Anschluss an die Verwendung von τα' γμα als militärischer terminus technicus (immer noch, wenn auch abgeschwächt, BDAG 988); vgl. Meyer 430 („die verschiedenen Abtheilungen der Auferstehenden als verschiedene Heerhaufen“); Heinrici 465; Weiss 357; Findlay 926; Lietzmann 80-81; Hays 264; Thiselton 1229; vgl. Gielen, Totenauferweckung, 92-95, die den militärischen Hintergrund des Wortes betont. Die Erklärung im Sinne des „Leibes Christi“ hilft nicht weiter, weil damit die zweite Gruppe bezeichnet wäre. G. Delling, Art. τα' γμα, ThWNT VIII, 31-32, mit Hinweis auf CIG III 4412b,4-5; Syll. II 796,7-8; Epiktet, Ep. 1,71, sowie sachlich auf 1QS 6,8. Verburg, Endzeit, 144-145 übersetzt mit „Funktion“ (mit Verweis auf 1Clem 37,3; 4,1). Für Belege in den Papyri vgl. Preisigke, Wörterbuch, s.v. τα' γμα 3. Schrage IV 168-169 mit Anm. 753 betont, dass der Ausdruck οι του^ Χριστου^ „keinerlei Beschränkung“ duldet, er bezeichne nicht nur die „wahren Christen“. Diese Bemerkung ist unverständlich: Soll Paulus auch „falsche“ Christen einbeziehen? Für Paulus gab es nur „wahre Christen“. Im Blick auf die getauften Mitglieder einer Volkskirche mögen manche dies anders sehen. Wolff 385; Lindemann 345; Schrage IV 168; Garland 708; G. Delling, ThWNT VIII, 32; Sellin, Auferstehung, 271-272; Holleman, Resurrection, 51. R. Bergmeier, EWNT III, 793-794; vgl. Luz, Geschichtsverständnis, 341, der auf die Vokabeln α παρχη' – ε»πειτα – ει τα im Kontext verweist.
926 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
findet bei der Wiederkunft Jesu statt. Das Wort παρουσι' α297 wird auch in 1Thess 2,19; 3,13; 4,15; 5,23 für das „Kommen“ oder die „Visitation“ Jesu, d.h. für die Wiederkunft Jesu Christi verwendet (vgl. 1Kor 4,5; 11,26; 16,22). An anderen Stellen spricht Paulus vom „Tag des Herrn“ (1,8; 5,5) und von der „Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus“ (1,7). Die folgenden Aussagen zeigen, dass die Erwartung des zukünftigen Kommens Jesu Christi (der Parusie) seine Anwesenheit in der Gegenwart nicht ausschließt. Ob die Wahl der Vokabel παρουσι' α angesichts der profanen Verwendung für die Ankunft eines hohen Amträgers, zum Beispiel des Kaisers, in einer Provinzstadt298 subversiv die kaiserliche Ideologie untergraben will – das Heil kommt nicht vom Kaiser, sondern es kommt mit Jesus und seiner Wiederkunft299 – ist nicht sicher, da παρουσι' α auch in religiösen Zusammenhängen das Erscheinen Gottes bezeichnen kann. 300 Das zukünftige Kommen Jesu, das in mehreren ntl. Stellen näher beschrieben wird,301 führt eine qualitativ andere Gegenwart des Herrn Jesus Christus herbei: Wenn Jesus Christus wiederkommt, dann kommt „das Vollkommene“ (το` τε'λειον), wo wir ihn „von Angesicht zu Angesicht“ (προ' σωπον προ` ς προ' σωπον) sehen werden (13,10.12).302 Die Formulierung in V. 23b, ————————————————————
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A. Oepke, Art. παρουσι'α, ThWNT V, 856-869; W. Radl, EWNT 102-105; G. Braumann, ThBLNT I, 691-693; Spicq, Notes II, 673-675; Deissmann, Licht vom Osten, 314-320; Radl, Ankunft, 177-181 und passim; Chr. Rowland, Art. Parusie II., RGG4 VI, 962-964. Für die allg. Bedeutung „Kommen“ oder „Anwesenheit“ vgl. Jdt 10,18; 2Makk 8,12; P.Oxy. I 118,32; III 486,15; VI 903,15; XIV 1668,25; siehe auch 1Kor 16,22. In den dokumentarischen Papyri und Ostraka bezeichnet παρουσι'α „die ‚Anwesenheit‘ und den ‚vorübergehenden Aufenthalt‘ einer bestimmten Person an einem bestimmten Ort“, vor allem und überwiegend den Aufenthalt und die „Visitation“ des ptolemäischen Königs und später des römischen Kaisers, des Präfekten oder eines anderen hohen Beamten, so ArztGrabner 482. MM 497-498 s.v. verweist u.a. auf P.Petrie II 39e,18; P.Tebt. I 48,14; I 116,57; für weitere Belege vgl. Arzt-Grabner ebd; für das 1. Jh. n.Chr. vgl. SB I 3924,4; Chrest.Wilck. 413,3; O.Bodl. II 972,3-4. Für Inschriften vgl. SIG 495,85-86; CIG 4896,8-9. Für literarische Belege siehe Polybius 18,31,4. So Witherington 297; Garland 708. Für die Verwendung von παρουσι'α zur Bezeichnung des Erscheinens (Epiphanie) eines Gottes vgl. Diodorus Siculus 4,3,3; Aelius Aristides, Or. 2,30-31, bei Josephus von Jahwes Erscheinen am Sinai (Ant. 3,80) und bei Dothan (Ant. 9,55; vgl. Ant. 18,161). Mt 24,29-31 / Mk 13,24-27 / Lk 21,25-27; 1Thess 4,16-17; 2Thess 1,7-10; 2,8; Offb 14,14-16; 19,11-16. Wolff 382; Lindemann 346; Schrage IV 153 u.a. meinen, der Hinweis auf die in der Zukunft liegende Totenauferstehung der Christen korrigiere eine enthusiastische Vorwegnahme der Vollendung. Dies ist in den Text eingetragen; Paulus redet von der Auferstehung bei der Wiederkunft Jesus, ohne dass eine abweichende Position korinthischer Christen erkennbar wäre. Eine implizite Kritik in diesem Sinn wäre nur dann gegeben, wenn man aufgrund anderer Stellen belegen kann, dass die Korinther pneumatischenthusiastische Überzeugungen vertraten.
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die Paulus nicht erläutert, setzt voraus, dass er damit rechnen kann, dass die korinthischen Christen den Bezug des Wortes παρουσι' α auf das sichtbare Kommen Jesu Christi verstehen. 24 Von der Auferstehung der Jesusbekenner abgesetzt (ει τα) wird das Ende (το` τε'λος) kommen, d.h. das, worauf α παρχη' V. 20 hinzielt. Paulus spricht vom Ende der gegenwärtigen Zeit, vom Ende der Weltgeschichte. 303 Es ist gut möglich, dass der Satz „danach das Ende“ an die Auferstehung des „Restes“ der Menschheit, d.h. der Ungläubigen denken lässt. 304 Diese Interpretation setzt nicht voraus, dass man το` τε'λος im Sinn von „der Rest“ versteht: Gemeint ist das Ende des gegenwärtigen Äons, an dem sich die Auferstehung aller (anderen) Toten ereignet und der neue Himmel und die neue Erde geschaffen wird. Umstritten ist, welche Zeitspanne zwischen der Auferstehung der Christen bei der Parusie Christi und dem Ende der Weltgeschichte anzusetzen ist. Angesichts von α παρχη' (V. 20) und ε»πειτα (V. 23) hat ει τα keine logische („dann“), sondern die zeitliche Bedeutung danach: Nach der Parusie kommt das Ende.305 Denkt Paulus an ein messianisches Reich zwischen der Wiederkunft Jesu und dem Ende der Weltgeschichte? W. Schrage meint, dass das Ende „unmittelbar mit oder nach der Parusie“ anzusetzen und dass für ein messianisches Zwischenreich zwischen der παρουσι'α und dem τε' λος kein Platz ist. Seine Begründung lautet, dass auch zwischen α παρχη' und ε»πειτα, d.h. zwischen der Auferweckung Jesus und der Auferweckung der Gläubigen „kein längerer Zeitraum vorgestellt“ sei.306 Wenn Paulus die Aussagen Jesu über die Endzeit kannte, wovon auszugehen ist,307 dann hätte er auch die eschatologischen Gleichnisse ————————————————————
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Gielen, Totenauferweckung, 94-95 interpretiert τε' λος im Sinne von „die große Abteilung bzw. Legion der nichtchristlichen Entschlafenen“ (für Belege für die militärische Verwendung des Wortes als Bezeichnung für eine „Abteilung oder Formation bis hin zur Größe einer Legion“ siehe ebd. Anm. 30-31). Der Kontext von V. 24 ergibt nicht zwingend, dass Paulus von militärischen Konnotationen des Wortes ausgeht. In den Papyri ist die militärische Verwendung von τε' λος nicht belegt; vgl. Arzt-Grabner 482-483. So A. Oepke, ThWNT I, 371, mit dem Argument, dass die Syntax drei Ereignisse anzeige und dass Paulus von der allgemeinen Totenauferstehung am Jüngsten Tag rede; vgl. Weiss 357-358; Lietzmann 81; Becker, Auferstehung, 83; Lambrecht, Christological Use, 511; Wright, Resurrection, 337 Anm.73. Fee 754 Anm. 39 weist darauf hin, dass Paulus sehr wohl in der Lage wäre, οι λοιποι' zu schreiben, wenn er dies meint; vgl. Kümmel 193; Schrage IV 167-168; Garland 709. Wolff 386; Lindemann 346; Schrage IV 170, die aber sogleich betonen, dass der τε' λος „unmittelbar mit oder nach der Parusie“. Für ein logisches Verständnis von ει τα votiert Fee 753-754. Schrage IV 170. Nach Lindemann 346 ist das „zeitliche Nacheinander . . . kaum betont“; Wolff 386 will wissen, dass eine „längere Zwischenperiode“ nicht vorauszusetzen sei. Vgl. Wenham, Paul, 289-337; zur Authentizität der eschatologischen Gleichnisse Jesu in den Evangelien vgl. ders., Rediscovery, 15-100.
928 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— gekannt, in denen Jesus einerseits Aussagen macht, die im Sinn einer Naherwartung seiner Wiederkunft zu verstehen sind (Mt 23,36 / Lk 11,50; Mt 24,23 / Mk 13,30 / Lk 21,32), andererseits aber deutlich darauf hinweist, dass sich das Ende länger verzögern kann, als viele für möglich halten (Mt 24,32–25,30; vgl. Mk 13,33-37; Lk 12,35-48). Diese Gleichnisse betonen, dass die Wiederkunft Jesu ganz unerwartet geschieht. Sie rufen zur beständigen Wachsamkeit und Bereitschaft auf (Mt 24,37-41) und betonen, dass niemand die Stunde des Endes kennt, nicht einmal die Engel oder der Sohn (Mt 24,36 / Mk 13,32). Paulus kennt die Tradition, dass der Tag des Herrn unerwartet, wie ein Dieb in der Nacht kommt (1Thess 5,2.4; vgl. Mk 24,32-44 / Lk 12,39-40). Die Beschreibung der Wiederkunft Jesu in 1Thess 4,14-17 enthält mehrere Elemente, die auf das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,6-10) anspielen könnten.308 Paulus weiß, dass vor der Wiederkunft Jesus noch ein schreckliches Ereignis eintreten muss, das mit dem Jerusalemer Tempel zusammenhängt (2Thess 2,3-12); mehrere Vokabeln und Vorstellungen dieses Abschnitts spielen ebenfalls auf die Endzeitrede Jesu an (Mt 24,15-31 / Mk 13,14-27; vgl. Lk 21,20-27). Man kann im Blick auf 1Kor 15,23-28 zwar sachlich richtig feststellen, dass Paulus keine zusammenhängende, vollständige Lehre von den „letzten Dingen“ präsentiert. Richtig ist jedoch auch der Hinweis, dass Paulus offensichtlich im Gemeindeunterricht über die Endereignisse gesprochen hat – mindestens konnte er bei den Korinthern Kenntnisse über Geschehnisse bei der Wiederkunft Jesu voraussetzen. In diesem Zusammenhang ist es nicht auszuschließen, dass er die frühjüdische Überzeugung von einem messianischen Zwischenreich aufgegriffen hat, an der nur die besonders Erwählten teilhaben dürfen, und dass das Ende erst nach Ablauf einer festgelegten Frist kommt.309 P. Stuhlmacher schreibt: „Paulus könnte demnach (wie Apk 19,19– 20,10) mit der Parusie des Christus nur erst die Erwartung der Auferweckung der Glaubenden, ihrer Prüfung, Verwandlung und den Beginn des Bei-Christus-Seins (vgl. 1Thess 4,17; 1Kor 1,9; Phil 1,23) sowie die endgültige Konstitution der messianischen Heilsgemeinde aus Heiden und Juden (Röm 11,25-32) verbunden haben; und er wäre dann auch (wie Apk 20,11-15) davon ausgegangen, daß die Auferweckung aller Toten und das Weltgericht erst nach Abschluß der messianischen Heilszeit stattfinden werden“.310 A. Schlatter führt die Ablehnung einer zukünftigen Herrschaft Christi auf der Erde auf „die Abneigung gegen den sogenannten Chiliasmus und gegen eine über die Kirche übergreifende Verheißung“ zurück.311 Andererseits ist auf mehrere Beobachtungen hinzuweisen, die nach Meinung vieler Ausleger dagegen sprechen, dass Paulus in V. 24 an ein messianisches Zwischenreich ————————————————————
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Wenham, Paul, 309-310. Vgl. äthHen 93,1-14; 91,12-13; Sib 3,652; 4Esra 7,26-36 (400 Jahre); syrBar 29,1–30,5; 40,3; 74,2; siehe Offb 20,1-15 (1000 Jahre). Zu den rabbinischen Quellen vgl. Bill. III, 823-827; PesR 1,6 nennt 40, 400, 600, 1000, 2000, 7000, 365000 Jahre. Vgl. Bietenhard, Reich, 33-52; Wilcke, Problem, 21-49; Kreitzer, Jesus and God, 29-91. Stuhlmacher, Theologie, 309; vgl. Olshausen 742; Godet II 199; Bousset 152; Weiss 358; Lietzmann 81; Grundmann 56; B. Dodd, Art. „Millennium“, DLNT 739; Cullmann, Königsherrschaft, 14-15; Wallis, Intermediate Kingdom, 229-242; Kreitzer, Jesus and God, 142-145; vgl. Lang 225; Lindemann 346 als Möglichkeit. Schlatter 414. Er vermutet, dass „eine eng mit dieser Erwartung verbundene Eschatologie einige Jahre später in den paulinischen Gemeinden verbreitet“ war (vgl. Offb 20).
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 929 ———————————————————————————————————— denkt.312 In V. 50-52 nimmt Paulus offenkundig die Reihenfolge Wiederkunft Jesu / Auferstehung der Gläubigen / das Ende auf. In V. 25 spricht Paulus von der Herrschaft Christi, die so lange dauert, bis alle Feinde Gottes besiegt sind, was bedeutet, dass Christi Herrschaft nicht erst in der Zukunft beginnt, sondern seit seiner Auferstehung eine in der Gegenwart bereits bestehende Wirklichkeit ist.313 Eine Herrschaft Christi, die zeitlich nach der Auferstehung der Gläubigen anzusetzen wäre, würde den Höhepunkt des zu erwartenden Heilshandelns Gottes von der Auferstehung der Gläubigen auf ein späteres Handeln Christi verlegen, was nicht zu der Betonung in 1Kor 15 passt, wo die Auferstehung der Toten der Höhepunkt ist. Die Frage kann nicht endgültig entschieden werden. Die Formulierung in V. 24 spricht nicht explizit von einem messianischen Zwischenreich zwischen der Wiederkunft Jesu und dem endgültigen Ende der Weltgeschichte, sie schließt die Annahme eines solchen Zwischenreiches aber auch nicht aus. Paulus erwähnt nur, was für sein Argument wichtig ist: die Auferstehung der Toten und die Übernahme der Herrschaft durch Gott.314 Paulus hat das Ziel seiner Argumentation nicht aus den Augen verloren, mit der er die korinthischen Christen überzeugen will, dass eine leibliche Auferstehung der Toten bevorsteht: Die letzten Ereignisse, die das Ende der Weltgeschichte markieren und den endgültigen Sieg Gottes über alle Herrschaften und Gewalten herbeiführen, sind allesamt mit der leiblichen Auferstehung Jesu und der leiblichen Auferstehung der Gläubigen verknüpft.315
Paulus beschreibt mit dem ο« ταν-Satz, was geschieht, wenn das Ende kommt: wenn er die Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt. Das Ende der Weltgeschichte wird durch die Übergabe der Herrschaft an Gott durch Jesus Christus markiert. Paulus setzt voraus, dass die Korinther wissen, was er mit dem „Reich“ bzw. „der Königsherrschaft“ (η βασιλει' α) Christi316 meint, die dieser in der Gegenwart innehat. Von der Königsherrschaft Christi ist bei Paulus hier und in Eph 5,5 und Kol 1,13 die Rede. In 4,20 und 6,9-10 hatte Paulus vom Reich Gottes (η βασιλει' α του^ θεου^ ) gesprochen, das nicht in gewandter Rede, sondern in Macht besteht, und dass sexuell zügellos lebende Menschen das Reich Gottes nicht ererben werden. In 15,50 ist wieder vom Reich Gottes (βασιλει' α θεου^ ) die Rede, das Fleisch und Blut nicht ererben können. Paulus scheint zwei unterschiedliche Phasen der Königsherrschaft zu unterscheiden: „Reich Gottes“ bezieht sich häufig auf die zukünftige und ewige Herrschaft Gottes (1Kor 6,9.10; 15,50; Gal 5,21; 1Thess 2,12; 2Thess 1,5), während sich „Reich Christi“ auf die gegenwärtige Phase der Herrschaft ————————————————————
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Kümmel 193; Klauck 114; Wolff 386; Schrage IV 170-171; Garland 710; Wilcke, Problem, 85-92; Witherington, End, 53-54; Sellin, Auferstehung, 264.272; Holleman, Resurrection, 52-53; Plevnik, Parousia, 129.142-143. Vgl. Röm 8,34; Eph 1,20-23; Kol 1,13. Garland 710, mit Verweis auf Lewis, God, 55. Fee 752-753; Garland 709. Die meisten gehen davon aus, dass Christus das Subjekt von V. 24 ist; vgl. Barrett 357; Fee 754; Wolff 387; Lindemann 94; Schrage IV 171-172 Anm. 766.
930 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Gottes bezieht (1Kor 15,24; Kol 1,13; Eph 2,6).317 Weil sich die Wendung „Reich Christi“ in 2Tim 4,1.18 auch auf die zukünftige Herrschaft und die Wendung „Reich Gottes“ in 1Kor 4,20; Röm 14,17; Kol 4,11 auf die gegenwärtige Gottesherrschaft bezieht, scheinen die beiden Wendungen austauschbar zu sein, jedenfalls im Blick auf die gegenwärtige Gottesherrschaft. Wichtiger als die Zuweisung zu Christus bzw. zu Gott scheint für Paulus die Spannung zwischen der gegenwärtigen und der zukünftigen Herrschaft zu sein, die genau so auch in den Evangelien zu finden ist. 318 Die Herrschaft, die Jesus Christus gegenwärtig als der Auferstandene seit seiner Auferstehung ausübt (Röm 1,3-4; 14,9; Phil 2,9-11), ist zeitlich befristet: Wenn das Ende kommt, wird er sie an Gott, seinen Vater „übergeben“ (παραδιδω ^, ). Die Befristung der Herrschaft Christi hat manchen Auslegern einigen Kummer bereitet: in Lk 1,33 kündigt der Engel Maria die ewige Herrschaft ihres Kindes Jesus an, und im Nicänischen Glaubensbekenntnis bekennen Christen, dass das Reich Christi „kein Ende haben wird“. Manche behelfen sich damit, dass sie die Regentschaft Christi zu Ende gehen lassen, während sein Reich bleibt. 319 Andere weisen darauf hin, dass für Paulus Gott die letzte Wirklichkeit ist, Christus die vorletzte: Die Schöpfung geschah von Gott durch Christus, die Erlösung durch Christus auf Gott hin. Dies bedeutet keinen Unterschied im Status, aber einen Unterschied in der Rolle und in der Wirkung ad extra, nach außen.320 Chr. Wolff meint, Paulus wolle „gewiß keine Entmachtung Christi aussagen, sondern darlegen, daß der besondere Herrschaftsauftrag, den Christus in der jetzigen, vergehenden Weltzeit hat, dann aufgehoben, weil überflüssig sein wird. An der vollendeten Herrschaft Gottes aber wird Christus ebenso beteiligt sein wie die Glaubenden“. 321 A. Schlatter bleibt näher am Text: Wenn „die zwischen Gott und der Menschheit stehenden Mächte beseitigt sind, dann besteht auch für den Christus die Notwendigkeit zu seiner Mittlerschaft nicht mehr. Herrschen muß er nur, solange es noch andere Herrscher gibt als Gott. Ist er der, der alle unterworfen hat, so gibt er seine Herrschaft dem zurück, der sie ihm gab“.322 Der zweite ο« ταν-Satz beschreibt, was vor dem Ende und der Machtübergabe an Gott den Vater geschieht: nachdem er alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht vernichtet hat. Die Herrschaft Christi in der Gegenwart (und/oder im messianischen Zwischenreich) bewirkt die Vernichtung der ————————————————————
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Die Hinweise auf das Reich Gottes in Röm 14,17; 1Kor 4,20; Kol 4,11 sind allgemeiner. Vgl. Best, Ephesians, 482-483. Meyer 437-438; Heinrici 470. Barrett 357. Wolff 387. Schlatter 414; ähnlich Grosheide 369-370.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 931 ————————————————————————————————————
Mächte. Die drei Wörter, die Paulus zur Bezeichung der Mächte verwendet, die Christus vernichtet – α ρχη' („Herrschaft“),323 ε ξουσι' α („Gewalt, Macht“), δυ' ναμις („Macht, Kraft“) – sind hier quasi-Synonyme, die kaum differenziert werden können.324 Ob das zweifache πα^ σαν auf zwei Gruppen von Mächten hindeuten will (α ρχη' auf der einen, ε ξουσι' α und δυ' ναμις auf der anderen Seite),325 ist nicht sicher. Die Mächte sind widergöttliche Mächte, die sich der Herrschaft Christi und der Macht und dem Willen Gottes widersetzen. Paulus denkt nicht nur an ausschließlich dämonische326 oder ausschließlich irdische Mächte,327 sondern vermutlich an beides.328 Die korinthischen Christen, die beim Gang durch die Stadt täglich Statuen, Altären, Tempeln und Stelen mit Ehreninschriften sahen, kamen gewiss nicht umhin, auch an die Macht des Kaisers und seiner Repräsentanten zu denken. R. Hays schreibt, dass die Aussage von Paulus die Korinther zu einer „Bekehrung ihrer Vorstellungskraft“ aufruft, mit der sie die Welt als Ort sehen sollen, der letztlich unter der Autorität eines Anderen stand, der die bestehenden Machtverhältnisse umkehren wird.329 Paulus konstatiert die Vernichtung der Mächte als Faktum (καταργη' ση, , Aor.). Das Verb καταργε'ω bezeichnet hier nicht die Annihilierung der gottfeindlichen Mächte, sondern ihre Entmachtung: Sie werden nach V. 25 Gott zu Füßen gelegt.330 Weil der „letzte Feind“ (V. 26) noch nicht ver————————————————————
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In den Papyri bedeutet α ρχη' meistens „Anfang, Beginn“, sodann „Amt“ im Sinn einer offiziellen Stellung (PSI IV 425,18; P.Lond. VI 1912,62-63) oder einer Behörde (BGU I 251,8; 183,10); die Bedeutung „Amtsführung, Regierung“ liegt ebenfalls an einigen wenigen Stellen vor, z.B. P.Genova I 10 Verso,5 (55 n.Chr.) im Blick auf die „Regierung“ Kaiser Neros; P.Würzb. 9,49-50 für die „väterliche und großväterliche Herrschaft“, in der Marc Aurel und Lucius Verus ihren Vorgängern nachfolgen. Vgl. R. E. Kritzer, in ArztGrabner 485, die im Blick auf V. 24 schreibt: α ρχη' ist wohl mit allem in Verbindung zu bringen, „was mit der Verwaltung mehr oder weniger großer Gebilde (Vereine, Städte, Imperium) zusammenhängt. Die nachfolgende ε ξουσι' α (‚Amtsgewalt‘) bzw. δυ' ναμις (‚Macht‘) sind dabei die Komponenten, die ein ‚Amt‘ oder eine ‚Führung‘ prägen“. Vgl. 2,6; 6,3; Röm 8,38; Phil 2,10. Ähnliche Aufzählungen finden sich in Kol 1,16; 2,10.15; Eph 1,21; 3,10; 6,12; vgl. 1Petr 3,22. Lindemann 347. Bousset 152; Conzelmann 332; Fee 754 Anm. 41; Garland 710; Verburg, Endzeit, 147; Forbes, Demonology, 71-72. Carr, Angels and Principalities, 91. Heinrici 470; Schlatter 416; Wolff 387; Kremer 344; Schrage IV 173; Thiselton 1232. GN sachlich richtig: „nachdem der alles vernichtet hat, was sich gegen Gott erhebt und was Macht und Herrschaft beansprucht“; vgl. NGÜ. Hays 265, der hinzufügt: „Resurrection of the dead is a subversive belief, because it declares that God alone is sovereign over the created world“. Vgl. Witherington 304-305. Vgl. Bachmann 445: „nicht indem er sie in ihrem persönlichen Wesen annihiliert, wohl aber sofern er ihrer Machtexistenz ein Ende macht“; Christus legt die Mächte Gott unter seine Füße, „nicht als Tote, wohl aber als Bezwungene“. Vgl. Barrett 358; Schrage IV 174; Garland 711. Anders G. Delling, Art. καταργε' ω, ThWNT I, 454 („völlige[n] Vernichtung bei der Parusie“); Thiselton 1231; Plevnik, Parousia, 246.
932 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
nichtet ist, stellt sich Paulus die Vernichtung der gottfeindlichen Mächte durch die Herrschaft Christi als Prozess dar, den er allerdings nicht im Einzelnen beschreibt. Während Paulus in V. 24 betont, dass die Herrschaft der widergöttlichen Mächte durch die Auferstehung Jesu und die dort beginnende Herrschaft Christi gebrochen ist, spricht er im Dankgebet und in hymnischen Aussagen von dem schon jetzt errungenen universalen Sieg Christi über die Mächte (Eph 1,20-22; Kol 1,15-20). F. Lang kommentiert: „Die Herrschaft Christi vollzieht sich in der Zeit von der Erhöhung bis zur Parusie im Bekenntnis und Glaubensgehorsam der Kirche und in der Befreiung der Christen aus der Knechtschaft von Sünde, Gesetz und Tod (vgl. Röm 8)“.331 So argumentiert Paulus in V. 23-24 gegen den zeitgenössischen Dualismus, in dem die korinthischen Christen in der Frage des individuellen Jenseitsschicksals immer noch verfangen waren: Wenn das Heil immer nur den Einzelnen betrifft und am Leib vorbei nur die Seele erlöst, „dann bliebe der Tod ja ein ewiger Bestandteil der Welt, eine ungebrochene Macht: denn der Körper des Menschen stirbt auf jedenFall, und mit ihm wird Gottes leibliche Schöpfung abgewertet“. 332 Deshalb betont Paulus, dass Christus leiblich von den Toten auferstanden ist (vgl. die Zeugenliste in V. 4-8) und dass die Auferstehung Jesu Christi die Auferstehung aller Jesusbekenner zur Folge haben wird. Tod und Auferstehung sind nicht einfach individuelles Schicksal, das man dualistisch „verarbeiten“ könnte: Der Tod ist eine kosmische Macht, die nur von dem besiegt und aufgehoben werden kann, der Adam und seine Nachkommen erschaffen hat (V. 22). So ist die Auferstehung ein kosmisches Ereignis, das nicht nur die einzelne Seele erlöst, sondern das den ganzen Menschen mit Seele und Leib, und alle Menschen, die an Jesus Christus glauben, gemeinsam ergreift. 25 Die Aussage über die Herrschaft Christi, die mit dem τε'λος zu Ende geht, wird mit dem Hinweis auf eine Verfügung Gottes (δει^) begründet (γα' ρ), formuliert mit den Worten von Ps 110,1 (LXX 109,1): Denn er muss herrschen, bis er „alle Feinde unter seine Füße legt“. Δει^ bezeichnet die unbedingte Notwendigkeit des Heilsplanes Gottes (vgl. V. 53). 333 Diese Not————————————————————
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Lang 225. Sellin, Auferstehung, 275. W. Grundmann, Art. δει^, ThWNT II, 21-25; W. Popkes, EWNT I, 668-2671; E. Tiedtke/ H.-G. Link, ThBLNT II, 1392-1394. Die 101 ntl. Belege beziehen sich auf den Lebensweg Jesu, der von der Setzung des heilschaffenden Willens Gottes bestimmt ist (Mt 16,21; 26,54; Mk 8,31; Lk 2,49; 4,43; 9,22; 11,42; 13,14.16.33; 17,25; 24,26.44; Joh 3,14; 20,9), auf das Leben der Jesusbekenner, das der Norm des Willens Gottes entsprechen soll (Lk 13,14.16; Apg 5,29; 1Thess 4,1; Röm 8,26; 1Kor 8,2; 1Tim 3,2.7.15) oder wo die Logik der Ereignisse auf die Setzung Gottes zurückgeht (Apg 16,30; Röm 1,27; Hebr 11,6), sowie auf die endzeitlichen Geschehnisse (Mt 24,6; Mk 13,7.10.14; Lk 21,9; 1Kor
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 933 ————————————————————————————————————
wendigkeit kann einmal auf die Anspielung auf Ps 110 bezogen werden, die Paulus als Verheißung verstanden haben kann, aber auch auf die Sendung Jesu, „die ihn in die Welt und an das Kreuz geführt hat. Denn dadurch hat ihn Gott zum Herrn der Menschheit gemacht, und diese Herrschaft kann nicht bleibend durch andere Herrscher beschränkt werden“.334 Das Herrschen Christi (βασιλευ' ειν, Inf. Präs.) bezieht sich unabhängig von der Frage, ob Paulus in V. 24 an ein messianisches Zwischenreich denkt, auf seine gegenwärtige Machtausübung, die insofern noch unvollständig ist, als dass noch nicht alle Feinde besiegt sind. Das Präs. des Verbs βασιλευ' ειν bekräftigt jedoch die Überzeugung, dass Jesus Christus mit königlicher Macht und mit souveräner Gewalt herrscht – seit seiner Auferstehung und bis zur Unterwerfung der letzten Feinde. Der vollkommene Sieg findet in der Zukunft statt, wenn das τε'λος kommt. Mit α»χρι ου („bis“) betont Paulus nicht so sehr die Befristung der Herrschaft Christi, sondern die Gewissheit, dass seine Herrschaft einmal umfassend universal sein wird.335 Er unterstreicht in Anlehnung an Formulierungen, die an Ps 110,1 erinnern, die gegenwärtige Herrschaft Jesu, die einmal universale Dimensionen erreichen wird. Es ist nicht klar, ob wir es mit einem Zitat oder mit einer Anspielung auf Ps 110,1 zu tun haben.336 Die Übereinstimmungen zwischen Ps 110,1 (LXX 109,1) und V. 25 sind folgende (Psalmtext / Paulus): ε«ως α ν θω^ / α»χρι ου θη^, ; του` ς ε χθρου' ς σου / πα' ντας του` ς ε χθρου' ς; υ ποπο' διον τω^ ν ποδω ^ ν σου / υ πο` του` ς πο' δας αυ του^ . D.-A. Koch meint, ein Zitat könne man nur dann annehmen, wenn man voraussetzt, dass Ps 110 „insgesamt ein im Urchristentum derart bekanntes Schriftwort war, daß Paulus dessen Kenntnis bei seinen Lesern als selbstverständlich voraussetzen konnte“.337 Ob dies der Fall war, lässt sich nicht mit Sicherheit ermitteln, aber wahrscheinlich ist diese Annahme durchaus. Nach dem Bericht der Evangelien hat Jesus Ps 110 zitiert (Mt 22,44 / Mk 12,36 / Lk 20,42-43). Jesus hat in seiner Aussage vor Kaiaphas auf Ps 110 in Verbindung mit Dan 7,9-14 verwiesen.338 Nach dem lukanischen Bericht hat Petrus in seiner Pfingstpredigt Ps 110 zitiert (Apg 2,34-35). Weitere Zitate von bzw. Anspielungen ————————————————————
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15,25.53; 2Kor 5,10; Offb 1,1; 11,5; 17,10; 20,3; 22,3). Schlatter 416. Schrage IV 175 Anm. 786 will δει^ „nicht sofort“ mit dem „Schriftbeweis“ verbinden, weil das Zitat als solches nicht markiert sei, sieht aber immerhin, dass „der Heilsplan in der Schrift seine Bestätigung findet“. Schrage IV 177. Barrett 358 und Wolff 387 nehmen ein Zitat an. Die meisten gehen von einer Anspielung aus, vgl. Conzelmann 333; Hays 265; Thiselton 1234; Garland 711; Ciampa /Rosner 745; Stanley, Language, 66 Anm. 8. Viele bleiben unentschieden, vgl. Fee 754; Lindemann 347; Schrage IV 176-177; Hübner, Theologie II, 201. Koch, Schrift, 19-20 sieht keinen Bezug auf Ps 110 vorliegen. Koch, Schrift, 19; vgl. Luz, Geschichtsverständnis, 343-344. Kreitzer, Jesus and God, 151; Hengel, Inthronisation, 57-61.
934 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— auf Ps 110 finden sich in Apg 7,56; Eph 1,20-21; Kol 3,1; Hebr 1,3.13; 8,1; 10,12; 1Petr 3,22. In diesen Stellen steht die Auferstehung bzw. Erhöhung Jesu im Vordergrund. Es ist jedenfalls durchaus möglich, dass Paulus bei den korinthischen Christen die Bekanntheit von Ps 110 annehmen kann. Der Originalsinn von Ps 110 betrifft die Erhöhung des Jerusalemer Königs durch Jahwe, dem dieser (metaphorisch) den Platz zu seiner Rechten einräumt und ihm hilft, alle seine Feinde zu besiegen, die dann zum Schemel seiner Füße werden. Es spricht einiges dafür, dass es sich bei dem Psalm um ein prophetisches Orakel bei der Inthronisation des Königs handelt, das nach dem Exil auf irdische Gestalten übertragen wurde – auf Abraham, auf David oder auf eine messianische Gestalt.339 Es ist deshalb sehr gut vorstellbar, dass der Psalm in den Gemeinden bekannt war, auch in den heidenchristlichen Gemeinden.340
Die Anspielung auf Ps 110,1 unterstreicht die aktuelle Herrschaft des Auferstandenen, die in der Zukunft eine universale Dimension erreichen wird. Nicht eindeutig klären lässt sich die Frage, wer das Subjekt von θη^, in V. 25b ist. In Ps 110 ist Gott das Subjekt, und wenn man voraussetzt, dass der Psalm in der Gemeinde bekannt war, dass Paulus das Subjekt nicht nennen musste, weil man wusste, dass der Psalm von Gott sprach (so auch in den anderen ntl. Stellen, die Ps 110 zitieren).341 Der Sinn des Zitats wäre dann mit H. Hübner: „Nach Gottes Plan soll Christus König sein, und deshalb hat auch Gott ihm seine Feinde unterworfen“. Im Kontext von V. 24.25a, wo Christus das Subjekt der Verben ist, halten es die meisten für naheliegender, auch hier Christus als Subjekt zu sehen.342 Paulus sagt dann mit der Anspielung auf Ps 110: die Herrschaft Jesu Christi des Auferstandenen ist in der Welt- und Menschheitsgeschichte aktiv am Wirken, bis sie allen Widerstand gebrochen hat. Das Subjekt von αυ του^ ist wahrscheinlich auch Christus:343 er übergibt die Herrschaft dann dem Vater, wenn er zuvor alle Mächte unter seine Füße unterworfen hat. In V. 27 stellt Paulus klar, dass Christus die Macht hat, sich die Mächte zu unterwerfen, weil Gott selbst ihm diese Macht verliehen hat. Die Betonung der gegenwärtigen Herrschaft Christi, die allen Widerstand bricht und einmal universale Dimensionen erreichen wird, unterstreicht ein ————————————————————
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Kraus, Psalmen II, 929.937-938; Hengel, Inthronisation, 57-61; Schrage IV 155 Anm. 695. In Qumran hat Ps 110 keine herausragende Rolle gespielt, kommt aber in der Interpretation der Gestalt von Melchisedek als Engelgestalt vor (11QMelch); vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 469; vgl. ebd. 152.164.404-407. Hübner, Theologie II, 202. Godet II 200; Barrett 358; Lindemann 347; Ciampa /Rosner 745; G. Maurer, Art. τι'θημι, ThWNT VIII, 156; Hübner, Theologie II, 202, ebd. das folgende Zitat. Meyer 437; Heinrici 470; Bachmann 445; Lietzmann 81; Weiss 359; Conzelmann 334; Wolff 387-388; Schrage IV 177; Garland 711. Paulus hat die 1. Pers. Sing. θω ^ vielleicht deshalb in die 3. Pers. Sing. θη^, abgeändert, um den Subjektwechsel anzuzeigen. In V. 27 bezieht sich του` ς πο' δας αυ του^ auf Christus.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 935 ————————————————————————————————————
Zweifaches. Erstens, der Hinweis auf die Ausübung königlicher, souveräner Herrschaft durch Jesus Christus den Auferstandenen verweist im Kontext der Argumentation von Kap. 15 auf die Tatsache, dass Jesus leiblich auferstanden ist. Die unsterblichen Seelen nicht-objektiv auferstandener Menschen üben keine Herrschaft aus noch besiegen sie Feinde. Die königliche Herrschaft des Auferstandenen ist ein weiteres Argument für die Leiblichkeit der Totenauferstehung. Zweitens hat die Betonung der umfassenden, universalen Dimension der Herrschaft des Auferstandenen im Zusammenhang der Imperative in V. 33-34 und der Gesamtproblematik in der korinthischen Gemeinde unmittelbare Relevanz: Die offensichtlich den einflussreichen Kreisen der Stadt angehörenden Christen in der Gemeinde, die Kompromisse mit den säkularen Werten der römischen Gesellschaft eingehen, die Mahlfeiern in Götzentempeln besuchen, die sexuell zügellos leben und die die Gemeindeversammlungen mit äußerlichen Hinweisen auf ihren gehobenenen gesellschaftlichen Status und durch ihre oft in unverständlichen Sprachen vorgetragenen Wortbeiträge dominieren, müssen angesichts der herrscherlichen Gewalt Jesu Christi ihre Einstellung und ihr Verhalten korrigieren, wenn sie Jesusbekenner sein wollen. Die οι του^ Χριστου^ (V. 23) gehören zu dem, „der die Weltherrschaft Gottes repräsentiert“.344 W. Schrage betont, bei der Betonung des Herrschens des auferstandenen Christus sei keine „anthropologische oder gar individualgeschichtliche, sondern eine christologische und universalgeschichtliche Orientierung“ vorherrschend, da Menschen in V. 2428 nicht direkt erwähnt werden. Er interpretiert auch hier im Sinn einer impliziten paulinischen Kritik an dem angenommenen Perfektionismus der Korinther: während diese meinen, an der Herrschaft Jesu Christi bereits jetzt zu partizipieren, betont Paulus, dass die Unterwerfung der Mächte noch nicht abgeschlossen ist.345 Diese Interpretation geht von zwei Annahmen aus. Erstens, die korinthischen Christen dachten, die Unterwerfung der Mächte durch Christus sei abgeschlossen. Dies ist wenig plausibel, wenn man den historischen Kontext im 1. Jahrhundert in Rechnung stellt, wo die Jesusbekenner eine kleine Minderheit waren, die in vielen Städten immer wieder seitens der Mitbürger oder der örtlichen Machthaber unter Druck kamen. Die korinthischen Christen wussten zwar, dass der Prozess, den Korinther gegen Paulus vor dem Provinzstatthalter L. Iunius Gallio angestrengt hatten, geplatzt war. Aber sie werden von örtlichen Verfolgungen gegen Jesusbekenner in anderen Städten gehört haben, zumal Paulus selbst viele einschlägige Erfahrungen gemacht hatte. Zweitens, W. Schrage nimmt offensichtlich an, dass Paulus sich ein Herrschen Jesu Christi des Auferstandenen vorstellen kann, wo es um „universalgeschichtliche“ Mächte geht, ————————————————————
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Hübner, Theologie II, 201. Freilich geht es Paulus im Kontext von 1Kor nicht einfach um die Aussage, dass Christen „auf der Seite des Siegers, der der Christus ist“ stehen und am „Sieger-Sein“ partizipieren, sondern um die Mahnung, sich der Herrschaft Christi zu beugen und im Alltag nach seinem Willen zu leben. Schrage IV 176-177.
936 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— nicht aber um Einzelpersonen. Dies ist aus mehreren Gründen nicht plausibel. Die königliche Herrschaft Gottes, die in Ps 110 im Vordergrund steht, ist keine abstrakte Herrschaft, sondern eine konkret fassbare Herrschaft im Sinn von Siegen, die der König Jerusalems gegen konkrete Feinde erringt. Analog ist die Herrschaft Christi nicht abstrakt zu fassen, sondern konkret. Sodann sind die gott- und christusfeindlichen Mächte in V. 24 nicht nur Dämonen, sondern alle Mächte schlechthin, die sich Gott widersetzen, also auch irdische Herrscher und politische Systeme, die sich dem Willen Christi verweigern. Wie dieser Sieg konkret aussieht, den Christus im Vollzug seiner aktuellen Herrschaft erringt, sagt Paulus nicht. Man liegt aber sicherlich nicht falsch in der Annahme, wenn er diesen Sieg Christi in der Bekehrung von Menschen zu Jesus als Messias und Kyrios und in ihrer Veränderung zu einem Leben nach dem Willen Christi den Sieg Christi „lokalisiert“ – als gegenwärtige Realität dieses Sieges, der in der Zukunft einmal vollendete Wirklichkeit werden wird. Diese Möglichkeit wird zur Gewissheit, wenn man die Stellen analysiert, in denen Paulus das Verb βασιλευ' ειν verwendet, mit dem er die Herrschaft Christi in V. 25a beschreibt.346 In 4,8 zitiert Paulus den Anspruch korinthischer Christen, dass sie „herrschen“, ein Anspruch, der im Kontext von Essen und Reichtum am plausibelsten im Sinn eines säkularen Selbstverständnisses verstanden werden kann, das sich auf gesellschaftlichen Einfluss und auf gesellschaftliche Macht verlässt. Wenn Paulus vom aktuellen Herrschen Christi spricht, dann denkt er mit Sicherheit auch an solche Ansprüche korinthischer Christen, die der herrschenden Klasse angehörten und sich fatalerweise in der Gemeinde ihrer gesellschaftlichen Position entsprechend verhielten. Wenn sich der Sieg Christi nicht hier, ganz „individualgeschichtlich“ auswirkt, kann man von einem universalgeschichtlichen Sieg vielleicht auch nicht viel erwarten. In Röm 5,14.17.21 spricht Paulus von der Herrschaft des Todes und der Sünde, die durch den Kreuzestod Jesu Christi für alle zu Ende ging, die an ihn glauben. Auch hier geht es nicht nur um den Sieg Jesu Christ im kosmischen Maßstab, sondern zugleich um die konkreten Auswirkungen, die der Sieg Jesu Christi für den einzelnen Jesusbekenner hat. Paulus stellt in Röm 6,12 genau diese Verbindung her, wenn er schreibt: „Daher soll die Sünde euren sterblichen Leib nicht mehr beherrschen, und seinen Begierden sollt ihr nicht gehorchen“ (EÜ).
26 Einen der in V. 25 genannten Feinde lässt Paulus konkret werden: Als letzter Feind wird der Tod vernichtet. Der „letzte Feind“ (ε»σχατος ε χθρο' ς) ist der mächtigste und der gefährlichste Feind, der am Ende (τε'λος, V. 24a) als einziger noch steht. Der Tod wird personifiziert als Feind beschrieben (ο θα' νατος).347 Nach V. 21-22 ist der Tod seit Adam in der Welt – der Tod, der alle Menschen erreicht, der jedoch durch die Auferstehung Jesu entmachtet ist. Hier hält Paulus fest, dass diese Entmachtung noch nicht endgültig und ————————————————————
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βασιλευ' ειν: Mt 2,22; Lk 1,33; 19,14.27 (4 Belege in den Evangelien); Röm 5,14.17.21a.b; 6,12; 1Kor 4,8 (2x); 15,25; 1Tim 6,15 (9 Belege bei Paulus); Offb 5,10.17; 11,15.17; 19,6; 20,4.6; 22,5 (8 Belege in Offb). Vgl. Jes 25,8; Hos 13,14; PsSal 7,4; 4Esra 8,53; syrBar 21,23; Ant.Bibl. 3,10. Im NT: 1Kor 15,54-55; Hebr 2,14; Offb 6,8; 20,13-14.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 937 ————————————————————————————————————
universal durchgesetzt ist: Der Tod muss erst noch vernichtet werden, und das geschieht am Ende. Im Judentum galt der Tod als Werk Satans (Weish 2,24). Ganz anders in der hellenistischen Welt: Wenn man an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, dann ist der Tod nicht „der letzte Feind“, der Gottes Schöpfung bedroht, sondern eher ein „Freund“ und „Befreier“.348 Für Philo bedeutet der Tod keinen Bruch, sondern einen kontinuierlichen Übergang (Virt. 67.76), der schon zu Lebzeiten des Menschen als Abkehr vom Körper und Hinkehr zum Ewigen stattfindet. Für den Weisen hat der Tod deshalb keine einschneidende Bedeutung: Er stirbt nicht im Tod, sondern er geht nur weg (Her. 276). G. Sellin kommentiert: „Der Tod markiert lediglich kontinuierliche Fortsetzung des Seins beim Ewigen. Wenn er überhaupt etwas Besonderes bedeutet, dann nur Positives: endgültige Befreiung der unsterblichen Seele vom wertlosen Körper, von dem sich der Weise ja längst distanziert hat“. 349 Wenn korinthische Christen ähnliche Vorstellungen hatten, hält Paulus ihnen mit nüchternem Realismus entgegen, dass der Tod zu den Feinden zu zählen ist, ja dass er in der Tat der mächtigste Feind des Menschen ist, der in der Zukunft völlig besiegt werden wird. So argumentiert Paulus gegen den Dualismus korinthischer Christen, für die es keine Totenauferstehung, sondern lediglich das individuelle Jenseitsschicksal der Unsterblichkeit der Seele gibt: Jesusbekenner müssen wissen, dass Christus alles unterworfen ist, auch der Tod.350 Die Passivform des Verbs (καταργει^ται) verweist auf Gott als den, der letztlich den Tod beseitigt.351 Das Präsens unterstreicht die Gewissheit der Vernichtung des Todes.352 Jesusbekenner haben noch einen sterblichen Leib (Röm 8,11), sie warten auf die Beseitigung der Vergänglichkeit, die die Schöpfung kennzeichnet (Röm 8,20). Aber die Macht des Todes ist für sie keine gefährliche Anfechtung mehr, weil sie gewiss sind, dass keine Macht sie von der Liebe Gottes scheiden kann, die sie im glaubenden Anschluss an Christus Jesus erhalten und erfahren haben (Röm 8,38-39). In 1Kor 3,22-23 ————————————————————
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Hengel, Apokalyptik, 362, mit Verweis auf R. Bultmann, ThWNT III, 9-10. Sellin, Auferstehung, 135. Sellin, Auferstehung, 275: „Christi Auferstehung wäre geradezu wirkungslos, wenn sie nicht den Tod selber besiegen würde. Und dieser Sieg geschieht am Ende gerade durch die leibliche Auferstehung der Toten. Die Korinther verharmlosen den Tod als Trennung der pneumatischen Seele vom verachteten Körper. Sie überlassen die Schöpfung damit dem Tod“. Vgl. Jes 25,8: „Er beseitigt den Tod für immer. Gott, der Herr, wischt die Tränen ab von jedem Gesicht. Auf der ganzen Erde nimmt er von seinem Volk die Schande hinweg. Ja, der Herr hat gesprochen“. Vgl. Ez 37,12; 4Esra 8,53; syrBar 85,15; Röm 4,17; 8,11. Schrage IV 180 Anm. 817 interpretiert als praesens apodicticum mit futurischer Bedeutung; vgl. BDR §323.
938 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
hatte Paulus den Korinthern geschrieben, dass ihnen „alles“ gehört: ihnen gehört nicht nur das Leben und das Gegenwärtige, sondern auch der Tod und das Zukünftige, weil sie Christus gehören. Die Vernichtung des Todes, die Gott am τε'λος der Weltgeschichte bewirken wird, beendet die Geschichte, die mit Adam und seiner Rebellion gegen Gott begonnen hatte. Johannes der Seher beschreibt das Ende des Todes so: „Der Tod und die Unterwelt aber wurden in den Feuersee geworfen. Das ist der zweite Tod: der Feuersee. Wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet war, wurde in den Feuersee geworfen“ (Offb 20,14-15). In der Neuen Welt Gottes, die jenseits der Geschichte auf der von den Nachkommen Adams bevölkerten Erde liegt, gibt es keinen Tod mehr. Paulus schildert diese Neue Welt Gottes nicht. Das bleibt Johannes vorbehalten (Offb 21,1–22,5).353 27 Die Begründung (γα' ρ) von V. 25b.26 erläutert, weshalb der Tod am Ende besiegt wird. Der Tod gehört zu den Feinden, die Gott besiegt, weil, wie Ps 8,7 zeigt, Gott alles unter die Füße Christi unterworfen hat, einschließlich des Todes: Denn „er hat alles unter seine Füße unterworfen“. Paulus zitiert den zweiten Teil von Ps 8,7: „Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, du hast ihm alles unter seine Füße unterworfen“. 354 Der Schlussteil des Zitats (υ πο` του` ς πο' δας αυ του^ ) wiederholt wörtlich V. 25b. Dass ein Zitat vorliegt, zeigt die Einleitung des Kommentars in V. 27b: wenn aber erklärt wird (ο« ταν δε` ει»πη, ). In Ps 8 preist David das Schöpfungswerk Gottes; V. 5-8 kommentieren die Erschaffung des Menschen nach dem Bild Gottes und seine Rolle als von Gott eingesetzter Herrscher über die Werke seiner Hände (vgl. Gen 1,26-30); das Thema der Herrschaft Gottes kommt in V. 3-5.10 zur Sprache. Paulus interpretiert den Psalm messianisch: Der Mensch (α»νθρωπος) und Menschensohn (υι ο` ς α νθρω' που, Ps 8,5), der mit „Macht und Herrlichkeit“ (δο' ξη, και` τιμη^, ε στεφα' νωσας) gekrönt ist (V. 6), ist der Messias Jesus, der sich alles (πα' ντα) unter seine Füße unterwirft (V. ————————————————————
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Lindemann 348: „Wenn der Tod vernichtet ist, hört nicht nur das Sterben auf . . . , sondern der Tod hat auch über die Verstorbenen keine Macht mehr“. Er verweist auf Offb 20,6.1215; 21,8, wo mit der Wendung ο θα' νατος ο δευ' τερος („der zweite Tod“) betont wird, „daß die Vernichtung des Todes nicht das ewige Leben aller bedeutet“. Ps 8,7b LXX: πα' ντα υ πε' ταξας υ ποκα' τω τω ^ ν ποδω ^ ν αυ του^ ; Paulus: πα' ντα υ πε' ταξεν υ πο` του` ς πο' δας αυ του^ . Die Änderungen bei Paulus sind kontextbedingt zu erklären; vgl. Stanley, Language, 206-207; Ciampa /Rosner 745-746. Koch, Schrift, 244-245 weist den Vorschlag von Auslegern zurück, die aus der „Selbstverständlichkeit, mit der Ps 8 messianisch gedeutet wird“ (Conzelmann 335), schließen, dass die christologische Deutung von Ps 8 ein von Paulus übernommenes Traditionsstück ist. Wenn V. 25b ein Zitat aus Ps 110,1 ist, kommt Paulus mit der Auslegungsregel gezerah shawah auf Ps 8,7: in beiden Versen kommt die Wendung υ πο` του` ς πο' δας αυ του^ vor.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 939 ————————————————————————————————————
7).355 Mit dem Zitat von Ps 8,6 spielt Paulus möglicherweise auf den Menschensohn von Dan 7,13-14 an,356 dem von Gott Herrschaft, Würde und Königtum (η α ρχη` και` η τιμη` και` η βασιλει' α) gegeben werden, dem „alle Völker, Nationen und Sprachen“ dienen müssen und dessen Herrschaft eine ewige Herrschaft ist (ε ξουσι' α αι ω' νιος). In Jesus, dem endzeitlichen Adam (1Kor 15,21-22.45-47) und wahren Menschensohn (Ps 8,5), erfüllt sich endlich und vollkommen der Schöpfungswille Gottes im Sinne der universalen Herrschaft Jesu Christi über die ganze Schöpfung (πα' ντα). Das Thema von Schöpfung und Neuschöpfung kommt hier wieder zum Vorschein. Und wieder zeigt sich, dass Paulus dicht an seinem Thema bleibt: Die Totenauferstehung wird eine leibliche Auferstehung sein, sonst ergibt die Rede von Schöpfung und Neuschöpfung keinen Sinn. 357 Im Zitat steht das Neutrum πα' ντα an erster Stelle, das im Rückgriff auf die Wendung πα' ντας του` ς ε χθρου' ς verstärkend wirkt und die Gewissheit unterstreicht, dass am Ende kein einziger Feind unbesiegt bleibt, auch nicht der Tod.358 Paulus unterstreicht mit dem Zitat, dass die Herrschaft Christi die göttliche Garantie hat, dass er die Macht des Todes besiegen wird. In V. 27b wird die Wendung ο« ταν δε` ει»πη, von den meisten als Einleitung des verkürzt wiederholten Zitats aus Ps 8,7 verstanden („wenn aber gesagt wird“); ο« τι ist dann ein ο« τι-recitativum.359 Andere schlagen Gott oder Christus als Subjekt von ει»πη, vor.360 Wenn Christus Subjekt der vorhergehenden Aussage war, ist dies auch hier am wahrscheinlichsten. Der Satz: Wenn aber erklärt wird, dass ihm alles unterworfen worden ist, ist dann keine Wiederholung des Psalmzitats, sondern eine in der Zukunft liegende361 Deklaration Christi: „Alles ist unterworfen worden“ (πα' ντα υ ποτε'τακται). Das Perf. des Verbs beschreibt den Zustand der vollzogenen Unterwerfung des letzten Feindes. ————————————————————
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Subjekt von υ πε' ταξεν in V. 27a ist Christus; vgl. Wolff 389; Schrage IV 182; Maier, Ps 110,1, 154; Lambrecht, Christological Use, 510-511. Anders Meyer 438; Weiss 360; Bachmann 446-447; Lindemann 348, die Gott als Subjekt annehmen: Die Tatsache, dass Gott Christus alles unterworfen hat, ist der Grund, dass dieser alle Feinde besiegen kann. Die Annahme eines indirekten Bezugs auf die Menschensohntradition wird häufig abgelehnt, vgl. Vögtle, Menschensohn, 199-218; F. Hahn, EWNT III, 934, ohne überzeugende Gründe. Wright, Resurrection, 334. Maier, Ps 110,1, 154-155; Sellin, Auferstehung, 273; Schrage IV 181. Lang 227; Fee 759; Lindemann 348; Garland 713. So LÜ, EÜ, Elb.Ü, GN, SÜ, NGÜ (explizit: „denn es heißt in der Schrift“), Wilckens. Meyer 439; Heinrici 472; Robertson/Plummer 357; Bachmann 447; Wolff 389; Schrage IV 183. Vgl. MNT („wann er aber spricht“), ZB („wenn er aber sagt“), Menge („wenn er dann aber aussprechen wird“). Bei dieser Interpretation ist ει»πη, futurischer Aor.
940 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
In V. 27c wehrt Paulus ein Missverständnis ab. Wenn Christus die Vollzugsmeldung bekannt gibt bzw. wenn die Schrift sagt, dass Christus alles unter seine Füße unterwirft, dann ist klar: (alles,) ausgenommen der, der ihm alles unterworfen hat. Die Tatsache, dass es Gottes Macht war, die alle Feinde und zuletzt auch den Tod entmachtet hat, bedeutet selbstverständlich nicht, dass Christus sich auch Gott unterworfen hat. Das universale πα' ντα schließt Gott nicht mit ein. Die Suche nach Gründen, weshalb Paulus diese Einschränkung betont, ist über Spekulationen nicht hinausgekommen.362 G. Barth hat recht: Das einleitende δη^ λον ο« τι weist auf eine Selbstverständlichkeit hin, die man nicht erklären muss, das heißt, „daß Paulus an dieser Stelle gerade keinen Widerspruch der Korinther erwartet“.363 28 Paulus kehrt zu V. 24 zurück und schließt die Reihe der ο« ταν-Sätze ab, gleichzeitig interpretiert er V. 27. Wenn ihm aber alles unterworfen ist, d.h. zu dem Zeitpunkt, an dem Gott Christus „alles“ (τα` πα' ντα) unterworfen hat,364 wenn der letzte Feind, der Tod, besiegt ist, dann wird sich auch der Sohn selbst dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat. Paulus verwendet hier zum ersten Mal den christologischen Titel „Sohn“ (ο υι ο' ς).365 Das absolute „der Sohn“ könnte eine Verbindung zur Tradition vom Menschensohn herstellen366 und auf Dan 7,13-14 anspielen. Paulus formuliert mit einer medialen Futurform (υ ποταγη' σεται): Christus wird sich selbst, freiwillig, Gott unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat. Christus erweist als Sohn Gott die Ehre, die ihm als Vater zukommt. Das Ziel und die Absicht des Handelns Jesu Christi wird in dem abschließenden «ινα-Satz genannt: damit Gott alles in allem sei (ι«να η , ο θεο` ς τα` πα' ντα ε ν πα^ σιν). Das Wirken des Sohnes, des Messias Jesus, zielt auf die uneingeschränkte, allumfassende Herrschaft Gottes. Die Wendung τα` πα' ντα ε ν πα^ σιν367 ist weder pantheistisch noch mystisch zu verstehen, sondern beschreibt „Gottes unverkürzte Souveränität, daß zuletzt nur sein Wille gilt, seine Herrschaft und seine Macht unbestritten sind, er ungeschmälert der Pantokrator ist (vgl. Röm 11,36 ει ς ————————————————————
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Vgl. Schrage IV 183-184 Anm. 833. Theophlyakt 765 meinte, Paulus schreibe an Leser, die wussten, dass Jupiter sich gegen seinen Vater Saturnus aufgelehnt hatte. Barth, Erwägungen, 523; vgl. Schrage IV 184 Anm. 833. υ ποταγη^, Aor. Pass. Konj. ist passivum divinum und futurischer Aorist. Bei Paulus kommt das absolute ο υιο' ς nur hier vor (in der joh. Literatur 25 mal), 15 mal verwendet er den Titel „Sohn Gottes“, vgl. Röm 1,3.4.9; 5,10; 8,3.4.29.32; 1Kor 1,9; 2Kor 1,19; Gal 1,15-16; 2,20; 4,4.5.6; 1Thess 1,9.10. E. Schweizer, ThWNT VIII, 372-373; Schrage IV 185 Anm. 837 mit Hinweis auf die eschatologische Rolle des Gottessohnes in 1Thess 1,10 und auf den apokalyptischen Kontext von V. 28. Vgl. Eph 1,23; Kol 3,11.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 941 ————————————————————————————————————
αυ το` ν τα` πα' ντα) und seine Herrschaft in der ganzen Schöpfung anerkannt wird“.368 Paulus gibt mit diesem Vers, der den Gedankengang in V. 20-28 abschließt, eine unmittelbare Antwort auf die Leugnung der leiblichen Auferstehung von den Toten (V. 12). Wer bestreitet, dass die Toten leiblich auferstehen, und wer damit bestreitet, dass Jesus der Messias leiblich von den Toten auferweckt wurde, der verneint die Herrschaft Jesu Christi über alle Mächte und Gewalten, der verneint die Macht Christi über den Tod, und der verneint letztlich die Souveränität und das Gottsein Gottes. Mit der Leugnung der leiblichen Auferstehung der Toten steht das christliche Bekenntnis und die Identität als Jesusbekenner schlechthin auf dem Spiel. 29 In V. 29-34 führt Paulus weitere Gründe für die Leiblichkeit der Auferstehung der Toten an: Die von manchen praktizierte Taufe für die Toten (V. 29) und die Bereitschaft, um des Evangeliums willen lebensgefährliche Situationen auf sich zu nehmen (V. 30-32). Paulus spricht zunächst von Menschen, die sich für die Toten taufen lassen (οι βαπτιζο' μενοι υ πε` ρ τω ^ν νεκρω ^ ν). Es ist umstritten, was mit dieser Taufpraxis gemeint ist. Das Argument, auf das Paulus abzielt, ist jedoch nicht in Zweifel. Er formuliert mit zwei rhetorischen Fragen, die von den Korinthern offenbar selbst leicht beantwortet werden können. Wenn die in V. 20-28 beschriebene leibliche Auferweckung Jesu, wenn die leibliche Auferweckung der Jesusbekenner und wenn die Vernichtung des Todes als mächtigster Feind der Menschen eine Illusion sind, wie manche korinthischen Christen offensichtlich glauben, dann (ε πει' ) werden diejenigen, die sich „für die Toten taufen lassen“, nichts bewirken (ποιη' σουσιν). Wer sich für einen Verstorbenen taufen lässt, ist offensichtlich überzeugt, dass diese Handlung den Betreffenden im Leben nach dem Tod hilft. Wenn man (nur) an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, eine leibliche Auferstehung der Toten jedoch bestreitet, was soll dann eine Taufe für verstorbene Menschen bewirken? Die zweite rhetorische Frage in V. 29b wiederholt dieses Argument: Wenn Tote überhaupt nicht auferweckt werden, wozu lassen sie sich dann für sie taufen? Diese Taufe ergibt nur dann einen Sinn, wenn man sich für die Toten mehr erhofft als eine immaterielle, leiblose „geistliche“ Existenz im Äther. Die in V. 29 mit dem Satz οι βαπτιζο' μενοι υ πε`ρ τω ^ ν νεκρω^ ν beschriebene Taufe wird ganz unterschiedlich interpretiert.369 1. Paulus spricht von der Taufe „über den Toten“, ————————————————————
368
Schrage IV 187. Klumbies, Gott, 171 will eine „subordinatianische“ Christologie erkennen, die Paulus gegen eine übersteigerte Christusfrömmigkeit in Korinth einsetze. Von beidem ist im Text nichts zu erkennen: es geht Paulus in V. 27 nicht um Fragen von Status, Wesen und Identität, sondern um das abgeschlossene Heilswerk Jesu Christi.
942 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— d.h. von Taufen, die über den Gräbern vollzogenen wurden (Luther, Maior, Sigrist). 2. Es handelt sich um Katechumenen, die auf dem Totenbett getauft wurden (Calvin, Bengel). 3. Es geht nicht um die Taufe, sondern um Waschungen zum Zweck des Begräbnisses oder zur rituellen Reinigung, die nach der Berührung eines Leichnams notwendig wurde (Beza, Bullinger, Coccejus, Ford). 4. Es geht nicht um die Wassertaufe, sondern um die Bluttaufe, um das Martyrium, von dem Jesus in Mk 10,39; Lk 12,50 sprach: Christen geben ihr Leben dahin, um den geistlich Toten das Heil zu verkündigen (Origenes, Schlatter, Godet). 5. Der Ausdruck nimmt eine Wendung der Korinther auf, mit dem sie spöttisch Paulus und seine Mitarbeiter als Leute bezeichnen, die in ihrem Einsatz für geistlich Tote zugrunde gehen (Murphy-O’Connor). 6. Paulus spricht von getauften Christen und davon, was sie für die in Sünden verstorbenen Toten tun können, wenn es keine Auferstehung gibt (v. Hofmann). 7. Paulus denkt an die Vikariatstaufe, wie sie die Anhänger Marcions praktizierten: ein Christ lässt sich anstelle eines ungetauften Verstorbenen taufen, der auf dem Weg war, Christ zu werden, oder der als ungetaufter Christ gestorben war.370 Diese Interpretation hat mehrere Varianten: Christen lassen sich taufen, damit verstorbene heidnische Verwandte oder Freunde das Heil erhalten (Allo, Klauck, Strobel, Schniewind); Heiden lassen sich taufen mit dem Ziel, mit den verstorbenen christlichen Verwandten bei der Auferstehung wieder vereint zu werden (Findlay, Robertson / Plummer, Raeder, Jeremias, Thiselton); Christen lassen sich für Verstorbene als Ersatz für die wahre Erkenntnis (Gnosis) taufen, die diese aus der Gewalt der Dämonen im Totenreich befreien soll (Schmithals); Christen lassen sich für Mitchristen taufen, um ihnen den Übergang von der Welt der Lebenden zur Welt der Toten zu erleichtern (DeMaris). Von „Vikariatstaufe“ spricht man seit Tertullian (Resurr. 48,11: uicarium baptisma), der von der Praxis der Marcioniten berichtet. Häufig wird für den jüdischen Bereich auf die in 2Makk 12,39-45 belegte Praxis hingewiesen, Opfer und Fürbitte für Tote darzubringen, damit diese Sündenvergebung erhalten. Andere verweisen auf die Weihen der Mysterien, vor allem auf die stellvertretende Feier (von Taufe ist nicht die Rede) der Dionysosmysterien für ungeweiht Verstorbene (NW II/1, 393 verweist auf Orph. Frag. 232). Diese Interpretation scheint die Formulierung οι βαπτιζο' μενοι υ πε`ρ τω ^ ν νεκρω^ ν am direktesten zu erklären, ist aber mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten behaftet:371 a) Für die Praxis einer Taufe für die Toten gibt es keine Belege, von den Marcioniten im 2. Jahrhundert abgesehen, deren Taufpraxis von Tertullian, Chrysostomus und anderen Kirchenvätern jedoch abgelehnt wird.372 b) Es ist kaum vorstellbar, dass Paulus die bei dieser Interpretation vorausgesetzte (magisch-)sakramentalistische ————————————————————
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Vgl. Fee 763-767; Wolff 392-396; Schrage IV 237239; Thiselton 1242-1249; Garland 716-718.732; Foschini, Baptized for the Dead, 260-276.379-388; Rissi, Taufe, 6-51. Im Blick auf bibliographische Angaben für die folgende Zusammenfassung, sowie eine Diskussion der einzelnen Positionen, siehe vor allem Foschini, Rissi und Wolff. So offenbar zuerst Ambrosius; vgl. Meyer, Heinrici, Lietzmann, Weiss, Oepke, Barrett, Beasley-Murray, Senft, Fee, Rissi, Spörlein, Sellin, Wolff, Hays, Lindemann, Schrage. Bachmann 452-455; Garland 718. Tertullian, Resurr. 48; Chrysostomus 347. Epiphanius, Panar. 28,6 und Philaster, Haer. 49 berichten von einer ähnlichen Praxis unter den Anhängern Kerinths bzw. unter den Montanisten.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 943 ———————————————————————————————————— Position unkommentiert als Argument für die Leiblichkeit der Auferstehung anführen würde.373 Für ein Taufverständnis, wie es für die Vikariatstaufe angenommen werden muss, gibt es keine atl., jüdischen oder ntl. Voraussetzungen, die eine Entstehung desselben verständlich machen würden. In 2Makk 12,39-45 ist von Opfern und Fürbitte, nicht von einem Taufbad die Rede. c) Im Kontext der Argumentation für die leibliche Totenauferstehung und im Kontext von V. 30-32 führt Paulus die Taufe nicht nur als neutralen Brauch an, sondern er misst ihr offfensichtlich einen ewigen Wert zu. Wenn es sich um die Vikariatstaufe handelt, geriete er in einen eklatanten Widerspruch zu dem, was er in 1,14-17; 6,9-10; 10,1-22 u.a. über Taufe und Heil geschrieben hat. Das Argument, das paulinische Verständnis von Heil und Erlösung sei viel weniger individualistisch als (besonders protestantische) Ausleger meistens annehmen, ist wenig überzeugend, weil es für Paulus keine Sündenvergebung und kein Heil gibt ohne den Glauben an Jesus Christus. d) Da Paulus das Argument, um das es ihm im Kontext geht, genauso gut mit einem Bezug auf den Sinn und die Bedeutung der christlichen Wassertaufe machen kann, wäre es verwunderlich, weshalb er sich auf die kuriose Praxis einer Vikariatstaufe berufen würde.374 e) Der Satz lässt keine Einschränkung dieser Praxis auf Korinth oder auf einige wenige Christen erkennen, sondern scheint auf eine allgemeine christliche Praxis zu verweisen (vgl. den zweifachen bestimmten Artikel). f) Angesichts von später weit verbreiteten sakramentalistischen Überzeugungen ist kaum erklärlich, dass die Sitte der Vikariatstaufe nicht häufiger praktiziert wurde (sie würde sich erst dann erübrigen, wenn man eine „Landeskirche“ in dem Sinn hat, dass Bewohner eines Landes christlich getauft sind). g) Wenn eine Vikariatstaufe im Blick ist, dann ist in V. 29b das Subj. von νεκροι' (von denen manche behaupten, sie würden nicht auferstehen) und das Subj. von βαπτι'ζονται verschieden, da das Wort νεκροι' mit υ πε`ρ αυ τω ^ ν zu verbinden ist. Es ist syntaktisch konsequenter, νεκροι' als handelndes Subj. von βαπτι'ζονται zu fassen. Genau dies ist die Position der großen Mehrzahl der griechischen Kirchenväter, die als nächstes zu behandeln ist. 8. Paulus spricht von der normalen christlichen Wassertaufe, der Ausdruck „die Toten“ (οι νεκροι') bezeichnet die Christen selbst bzw. ihre toten Leiber.375 Richtig gesehen ist bei dieser Interpretation, dass Paulus offensichtlich von der christlichen Wassertaufe spricht, deren Wert er im Zusammenhang seiner Diskussion über die ————————————————————
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Sellin, Auferstehung, 283-284 will jedoch für Röm 6 genau ein solches sakramentales, „religionsgeschichtlich von mysterienhaften Motiven her“ geprägtes Taufverständnis für Paulus selbst erkennen; Paulus argumentiert dann in V. 29, dass für jene Korinther, für die „nur das ‚halbe‘ Mysterien-Schema (das Mitsterben)“ gilt, die Auferstehung aber geleugnet wird, die Verstorbenen verloren gehen. Das Taufverständnis in Röm 6 ist jedoch nicht von den Mysterien her zu erklären. Lindemann 351 meint, die Praxis einer stellvertretenden Taufe passe durchaus zum korinthischen Enthusiasmus: „Das sakramentale Denken ist möglicherweise so ausgeprägt, daß man glaubte, der Taufvollzug könne den schon eingetretenen Tod gleichsam ungeschehen machen“. Was das konkret heißen soll, ist unklar. Chrysostomus 348: τω^ ν νεκρω ^ ν ist Gen. von νεκρα' (nicht von mask. νεκροι'), d.h. „die Toten“ sind die toten Leiber der Christen, „um deren willen“ man getauft werde (τι' και` βαπτι'ζη, υ πε` ρ τω ^ ν νεκρω ^ ν; τουτε' στι, τω ^ ν σωμα' των), weil man an die leibliche Auferstehung von den Toten glaubt; vgl. Oecumenius 877; Theophylakt 768; Johannes Damascenus, Tertullian, Augustin, sowie Bachmann, Talbert, Garland; Winter, Corinth, 104.
944 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Totenauferstehung kommentiert. Die Identifizierung der νεκροι' mit dem Subjekt von βαπτι'ζονται und damit mit den οι βαπτιζο' μενοι ist syntaktisch plausibel. Wenig überzeugend ist eine Variante dieser Auslegung, die νεκροι' im Sinn von „geistlich Tote“ versteht: Im Kontext von Kap. 15 kann die Formulierung eigentlich nur die leiblich Toten meinen. Die Wendung υ πε`ρ τω ^ ν νεκρω^ ν kann als Breviloquenz („für sich als die künftig Toten“) verstanden und die Toten (νεκροι') mit den „Getauften“ (βαπτιζο' μενοι, Ptz. Pass. Präs.) identifiziert werden; υ πε`ρ αυ τω ^ ν in V. 29b ist dann ein Ausdruck dafür, „daß man sich von der Taufe für die Zeit, wo man tot ist, eine Wirkung sichern möchte“.376 Ph. Bachmann kommentiert: Paulus „versetzt sich mit diesem Präsens gleichsam in den Augenblick, wo Menschen sich taufen lassen, um dadurch des Heils und ewigen Lebens teilhaftig zu werden, und fragt, was sie mit dieser Handlung ausrichten werden, wenn jene Zukunft kommt, wo sie vom gemeinen Menschenschicksal erreicht und tot sein werden, vorausgesetzt, daß Tote überhaupt nicht und also auch sie nicht auferweckt werden, sondern im Tode bleiben; es wird sich ja dann ihre Taufe dereinst gerade an dem entscheidenden Punkt als fruchtlos erwiesen haben“.377 Der Einwand, für diese frühe Zeit, in der man mit der baldigen Wiederkunft Christi gerechnet habe, könne man den Tod der Christen „nicht als das Gegebene“ voraussetzen,378 ist nicht überzeugend: Seit der Auferstehung und Erhöhung Jesu waren zum Zeitpunkt der Gründung der korinthischen Gemeinde bereits zwanzig Jahre vergangen, was im Zusammenhang der Lebenserwartung in der Antike ein langer Zeitraum war, in dem der Tod durchaus ein „Gegebenes“ ist.
Paulus spricht offensichtlich von der normalen christlichen Wassertaufe, aber auf eine Weise, die der Argumentation im Kontext angepasst ist: Wenn es keine leibliche Totenauferstehung gibt, dann kann man bei der Taufe, die man als neubekehrter Jesusbekenner empfängt, nicht an ihre über den Tod hinausgehende Wirkung denken, die in der Vereinigung mit Jesus Christus im ewigen Leben besteht. Wenn die Taufe jedoch keine bleibende Verbindung mit Christus über den Tod hinaus garantieren kann, wenn es (angeblich) keine leibliche Auferstehung der Toten gibt, dann hat sie auch für die Gegenwart keine Bedeutung (so die Nuance in V. 29b). Wenn man die leibliche Auferstehung als zukünftige Realität leugnet, dann, so argumentiert Paulus, ergibt auch die Taufe keinen Sinn, die mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus verbindet. 30 Wenn es keine leibliche Totenauferstehung gibt, dann hat es auch nicht viel Sinn, dass er als Apostel Leiden und Verfolgung erduldet. Wenn es keine Hoffnung auf die Auferstehung der Toten gibt, stellt sich wirklich die Frage: Wozu schweben wir Stunde um Stunde in Gefahr? Die 1. Pers. Plur. des Verbs (κινδυνευ' ομεν) ist entweder Briefstil, so dass Paulus wie in V. 31-32 ————————————————————
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Bachmann 457; ähnlich Calvin, O’Neill, Martin; Staab, 1Kor 15,29, 447-448. Bachmann 456. Wolff 392. Schrage IV 237 nennt keine Einwände gegen diese Interpretation.
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 945 ————————————————————————————————————
auch hier von sich selbst spricht.379 Oder der Plural bezieht sich auf das Leben aller Apostel, die in ihrem missionarischen Wirken vielerlei Gefahren ausgesetzt sind.380 Weniger wahrscheinlich ist der Vorschlag, dass Paulus an die Gefährdung denkt, in der das Leben aller Christen immer steht. 381 In den 50er Jahren des 1. Jahrhunderts war das Leben der Jesusbekenner in Korinth nicht gefährdet, zumal der römische Gouverneur L. Iunius Gallio die offizielle Anklage gegen die Missionare, von denen die Gemeinde gegründet wurde, abgewiesen hatte. Das Verb κινδυνευ' ω382 erinnert an die zahlreichen „Gefahren“ (κι' νδυνοι), die der Apostel nach 2Kor 11,26 erduldet hat: „Auf meinen vielen Reisen haben mich Hochwasser und Räuber bedroht. Juden und Nichtjuden haben mir nachgestellt. Es gab Gefahren in Städten und in Einöden, Gefahren auf hoher See und Gefahren bei falschen Brüdern“ (GN). In 2Kor 11,23-29 schreibt Paulus noch ausführlicher über die Mühsal und die Gefahren seines apostolischen Dienstes. Die Formulierung „Stunde um Stunde“ (πα^ σαν ω « ραν) ist hyperbolisch.383 Sie weist aber darauf hin, dass Paulus sich seiner prekären Lage als reisender Missionar bewusst war: Er verkündigte eine Botschaft, die viele der religiösen Überzeugungen und Praktiken hinterfragte, die das Alltagsleben von Heiden und auch von Juden seit alters bestimmten. Er war sich bewusst, dass es jederzeit zu Anfeindungen kommen konnte, dass Prozesse vor synagogalen oder heidnischen Gerichten gegen ihn angestrengt werden konnten, dass er mit von diesen Gerichten verhängten Strafen384 und mit Festsetzungen im Gefängnis rechnen musste. Dieses gefahrvolle Leben wäre trostlos, wenn es keine kommende Auferstehung der Toten gäbe. Wenn es in der missionarischen Verkündigung des Evangeliums nicht um den ganzen Menschen geht, um den Geist und die Seele genauso wie um den Leib, dann müsste er sich ————————————————————
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Lietzmann 82; Conzelmann 318 Anm. 4; Wolff 397; Schrage IV 240; Garland 719. Meyer 448; Heinrici 479; Godet II 216; Robertson/Plummer 361. Lindemann 351. Sonst nur noch in Lk 8,23; Apg 19,27.40. Das Verb ist in den Papyri häufig belegt: Menschen, Tiere, Pflanzen und Gegenstände können sich „in Gefahr befinden“. Bei Belegen, in denen die Gefahr nicht näher erläutert wird und die keinen Infinitiv nach sich ziehen, liegt nicht selten eine lebensbedrohende Gefährung vor; R. E. Kritzer, in ArztGrabner 487-488 verweist auf BGU II 423,6-8, wo der Flottensoldat Apion seinem Vater schreibt, er sei auf der Überfahrt nach Misenum „auf See in Gefahr geraten“ (μου κινδυνευ' σαντος εις θα' λασσαν); die Lebensgefahr hängt oft mit Verletzungen zusammen, die jemand bei einem Überfall zugefügt wurden (P.Mich. V 229,29-30; P.Fouad I 28,14). Schrage IV 241 verweist auf ähnliche Formulierungen in 15,31 (καθ’ η με' ραν α ποθνη,' σκω); Röm 8,36 (θανατου' μεθα ο« λην τη` ν η με' ραν); 2Kor 11,23 (ε ν θανα' τοις πολλα' κις); 2Kor 4,10 (πα' ντοτε τη` ν νε' κρωσιν του^ Ιησου^ ε ν τω ^, σω' ματι περιφε' ροντες). Nach 2Kor 11,24 wurde Paulus von jüdischen Gerichten fünf Mal mit der Synagogalstrafe von vierzig Hieben weniger einen bestraft.
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vielen dieser Gefahren vielleicht gar nicht aussetzen – Gefahren, die sich häufig gerade dann ergeben, wenn sich zum Glauben an Jesus Bekehrte ohne offizielle Genehmigung regelmäßig versammeln, wenn die Judenchristen von den ungläubigen Juden in der Synagoge ausgegrenzt werden, wenn die Heidenchristen nicht mehr in die heidnischen Tempel gehen. Weil es im Evangelium um den ganzen Menschen geht, setzt sich Paulus mit seinem ganzen Leben für die Menschen ein, die das Evangelium hören müssen, und deshalb argumentiert er für die (leibliche) Auferstehung des ganzen Menschen. 31 Paulus unterstreicht die Gefährdung seines Lebens als Missionar mit dem Satz: Tag für Tag sterbe ich (καθ’ η με'ραν α ποθνη,' σκω). Diese Aussage kann unterschiedlich verstanden werden: entweder im Sinne der Todesbereitschaft, die er angesichts der ständigen Gefahren an den Tag legt, 385 im Sinne der ständigen Todesgefahr,386 oder metaphorisch im Sinne des Sterbens in der Nachfolge des Gekreuzigten. 387 Diese Interpretationen schließen sich nicht gegenseitig aus. Mit dem Beteuerungswort (νη' , „fürwahr, wahrhaftig“)388 weist Paulus den Vorwurf der Übertreibung ab: wahrhaftig, bei meinem Stolz auf euch, den ich in Jesus Christus, unserem Herrn, habe. Das heißt, die Korinther können selbst bezeugen, dass er in seinem missionarischen Wirken keiner Gefährdung aus dem Weg geht: „So wahr ihr mein Ruhm seid!“ Paulus ist stolz auf die Gemeinde, nicht weil sie seine Kompetenz als Apostel beweist, sondern weil sie das Wirken Gottes in seinem missionarischen Dienst bestätigt und deshalb sein „Werk im Herrn“ und „das Siegel“ seines Aposteldienstes sind (9,1-2). Weil dies keiner bestreiten kann, so kann auch keiner seinen gefahrvollen Einsatz für das Evangelium leugnen. 32 Die nächste rhetorische Frage bezieht sich ebenfalls auf das Leben von Paulus: Wenn ich nach Menschenweise in Ephesus mit wilden Tieren gekämpft habe, was nützt es mir? Das Verb θηριομαχε'ω („mit wilden Tieren kämpfen“) kann buchstäblich oder in übertragenem Sinn verstanden werden. An einen buchstäblichen Tierkampf in der Arena ist kaum zu denken:389 Paulus ist als römischer Bürger kaum in einem Prozess ad bestias verurteilt worden,390 und einen Tierkampf hat kaum jemand überlebt. 391 Paulus hätte ————————————————————
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Collins 539; Lindemann 351; Garland 719. Bauer /Aland 183 s.v. α ποθνη,' σκω 2; vgl. 2Kor 1,10; 11,23. Thiselton 1250; Schrage IV 241 Anm. 1169; Garland 719. Νη' („ja bei“) kommt nur hier im NT vor; für Belege in den Papyri vgl. Arzt-Grabner 489. So jedoch Theodoret, Erasmus, Luther, Calvin; Godet II 217. H. Balz, Art. θηριομαχε' ω, EWNT II, 366-367; vgl. Mommsen, Strafrecht, 925-928: die damnatio ad bestias wurde nur bei Kapitalverbrechen und nur gegen Menschen verhängt, die den niedrigen Ständen angehörten, zu denen Paulus infolge seines römischen Bürgerrechts (Apg 22,25-29) nicht gehörte. Ausnahmen hat es gegeben: Cicero erwähnt einen gewissen Balbus, der römische Bürger den wilden Tieren vorwerfen ließ (Fam. 10,32,3).
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eine solche Verurteilung auch kaum in seinen Leidenskatalogen (vgl. 2Kor 11,23-29) verschwiegen. Und Lukas erwähnt in der Apostelgeschichte einen solchen dramatischen Vorfall ebenfalls nicht. Manche halten an einer buchstäblichen Bedeutung des Verbs fest, halten den Hinweis jedoch für hypothetisch.392 Ein Argument mit einem bloss angenommenen Fall ist jedoch im Kontext nicht plausibel. Deshalb gehen die meisten von einer übertragenen Bedeutung von θηριομαχε'ω aus. Manche interpretieren im Sinn von „um sein Leben kämpfen“: Paulus hatte in Ephesus eine lebensbedrohliche Situation zu überstehen.393 In Röm 16,3-4 erinnert Paulus an die Tatsache, dass Priska und Aquila, seine Mitarbeiter in Ephesus, 394 ihr Leben für ihn aufs Spiel gesetzt haben. Oft wird auf Ignatius verwiesen, der seinen Transport von Syrien nach Rom so beschreibt: „Ich kämpfte mit Bestien, an zehn Leoparden gebunden, das ist eine Soldatenabteilung“ (Ign. Röm. 5,1). Andere meinen, Paulus habe mit einer lebensbedrohlichen Krankheit zu kämpfen gehabt. 395 Schließlich wurde aufgrund der metaphorischen Verwendung des Verbs in der kynisch-stoischen Diatribe vorgeschlagen, θηριομαχε'ω verweise euphemistisch für den schweren Kampf gegen die menschlichen Leidenschaften und die Fleischeslust.396 Herakles, der als „Tierkämpfer“ (θηρομα' χος) bekannt war, galt nicht nur deshalb als Retter der Menschen, weil er sie gegen wilde Tiere verteidigt hatte, sondern weil er ihnen durch sein Verhalten modellhaft zeigte, wie man sich selbst besiegen kann; Dio Chrysostomus lobt Herakles, der sich selbst von den Leidenschaften (η δοναι' ) befreit habe, die Tieren gleichen; dies sei gemeint, wenn es heißt, dass er die Erde gezähmt hat. 397 Plutarch beschreibt die Epikureer als Bestien: Wilde Tiere kennen nichts besser und ehrlicher als das leidenschaftliche Genießen. 398
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Schrage IV 243: „allenfalls ein Apostel in den apokryphen Apostelakten“ (Acta Pauli). Weiss 365; kritisch Lietzmann 83; Conzelmann 340. Man muss in diesem Fall den Konditionalsatz als Irrealis verstehen, was grammatikalisch nicht unmöglich ist. Bauer /Aland 733 s.v.; Barrett 366; Fee 771; Wolff 398-399; Schrage IV 244; Lindemann 352; Garland 721. Vgl. Appian, Bell. Civ. 2,61,252; Philo, Mos. 1,43-44. Die Todesgefahr in der Provinz Asia (2Kor 1,8) hat später stattgefunden. Aus V. 32 solle man keinen Gefängnisaufenthalt des Apostels in Ephesus herauslesen; richtig Sellin, Auferstehung, 286 Anm. 215, gegen Suhl, Paulus, 140.201-202. Schnabel, Urchristliche Mission, 1162-1167. Strelan, Paul, 282 mit Hinweis auf Artemidorus, Oneiro. 2,12, sowie 2Kor 12,7-8; 12,10. Malherbe, Beasts, 71-80; Winter, Corinth, 102-103. Lucian, Lexiphanes 19; Dio Chrysostomus, Orat. 1,84; 5,22-23. Dio nennt Herakles den Gründer der Stadt Tarsus; d.h. Paulus hätte Herakles-Traditionen in seiner Heimatstadt kennenlernen können; Malherbe, Beasts, 78. Plutarch, Mor. 1108D, 1124E–1125C.
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W. Schrage lehnt die Interpretation im Sinn des Kampfes gegen die Fleischeslust ab: „daß er (Paulus) aber als Christ speziell an dieser Front leidenschaftlich gekämpft habe, ist nicht zu sehen. Die Peristasenkataloge weisen in eine andere Richtung“.399 Dieses argumentum e silentio ist nicht überzeugend. Paulus spricht generell nicht von seinem persönlichem Versagen, von seiner Verfolgertätigkeit abgesehen, und man wird sicherlich nicht annehmen wollen, dass Paulus überhaupt keine Anfechtungen hatte. Die Tatsache, dass bei den Lasterkatalogen fast immer sexuelle Sünden an erster Stelle stehen, ist gewiss mit der traditionellen Ethik zu erklären, wo die sexuellen Sünden oft vorrangig behandelt wurden, dies ist aber gerade kein Zufall. Wenn Paulus im Leidenskatalog in 2Kor 11 zwischen den durchwachten Nächten, Hunger, Durst, Fasten, Kälte, Blöße (11,27) und dem täglichen Andrang und der Sorge für alle Gemeinden (11,28b) die Bemerkung macht: „um von allem andern zu schweigen“ (11,28a), dann sagt er nichts Konkretes, was aber vielsagend sein könnte.400
Die genannten Erklärungen von θηριομαχε'ω sind alle möglich. Das Verständnis im Sinn einer lebensbedrohlichen Gefahr oder Krankheit passt am besten in den Kontext V. 30-31, die Interpretation im Sinn des Kampfes gegen die Fleischeslust passt zum Kontext V. 33-34. Die Wendung κατα` α»νθρωπον „nach Menschenweise“ könnte für den metaphorischen Bezug sprechen:401 Paulus weist darauf hin, dass er nicht von Tieren spricht, sondern von Menschen oder fleischlichen Anfechtungen. Oder Paulus kommentiert die Art und Weise, in der er kämpft: „unter Absehen von der Auferweckung, also in der Weise eines Menschen kämpfen, der das ohne die Verheißung der Auferweckung tut“.402 Sicher ist jedenfalls, was Paulus sagen will: Die Standhaftigkeit in gefährlichen Situationen, die er sich mühsam erkämpft hat oder im Fall der Leidenschaften immer wieder erkämpfen muss (komplexiver Aor.), nützt ihm nichts (τι' μοι το` ο» φελος;), wenn Tote nicht auferweckt werden. Ohne die Gewissheit der leiblichen Auferstehung hätte er von seinem konsequenten und aufopferungsvollem Verhalten keine Vorteile. Wenn es keine leibliche Totenauferstehung gibt, könnte er gleich nach der in Jes 22,13 zitierten Maxime leben: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir“. Jesaja beschreibt mit diesem Satz die Reaktion der Einwohner Jerusalems auf die Belagerung durch das assyrische Heer und auf die Aussicht auf die gewissen Niederlage mit ihren schrecklichen Konsequen————————————————————
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W. Schrage IV 244 Anm. 1185. Mit einem Hinweis auf den Aor. von ε θηριομα' χησα (Wolff 399) kann man diese Interpretation schon gar nicht widerlegen. J. Jeremias, ThWNT I, 365; Moffatt 254; Sellin, Auferstehung, 286 Anm. 215; Winter, Corinth, 102. Vgl. EÜ „wie man so sagt“. Schrage IV 245; vgl. Barrett 365; Lang 230; Fee 771; Garland 721.
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zen für Leib und Leben. Anstatt Buße zu tun und sich vertrauensvoll zu Jahwe zu kehren, wollten sie lieber, salopp ausgedrückt, eine Party feiern, ohne an den nächsten Tag zu denken. 403 Die Römer sprachen vom carpe diem (Horaz, Carm. 1,11,8): sein eigenes Glück in die Hand zu nehmen, die Chancen des Jetzt zu erkennen, das Beste aus jedem Tag zu machen, den Augenblick bewusst zu genießen. Diese Losung wurde auch im 1. Jahrhundert kräftig propagiert, wie Inschriften belegen, und kräftig praktiziert, wie die zeitgenössiche Literatur zeigt. In einer in Jerusalem gefunden Inschrift ist folgender Ratschlag zu lesen: „Lasst euch wohl sein, ihr, die ihr noch lebt, und weiter . . . esst und trinkt zusammen“.404 In einer Inschrift aus dem kleinasiatischen Aphrodisias heißt es: „Solange du lebst, sei fröhlich, iss, trink, schwelge, umarme. Denn dieses war das Ende“. 405 In einem öfter belegten Grabepigramm konnte man lesen: „Ich war nicht, ich bin nichts. / Und du, der du lebst, / iss, trink, scherze, komm!“406 Petronius lässt in seinem Buch „Gastmahl des Trimalchio“ den Gastgeber seine Gäste die folgenden Verse aufsagen: „Ach wir armen Menschenkinder sind nur Luft! So ergehts uns allen, hat der Tod geruft. Drum lustig, Leut, denn heut ist heut“.407 Paulus hätte Jes 22,13 LXX nicht (wörtlich) zitieren müssen, weil es für diese hedonistische Lebenshaltung keines Zitats bedurfte. Mit dem (unmarkierten) Zitat lässt Paulus erkennen, dass dieser Satz die Verdorbenheit der Menschheit zum Ausdruck bringt. Wenn es keine leibliche Auferstehung der Toten gibt, dann kann man mit seinem Körper in der Tat das Leben ohne Rücksicht auf Verluste in vollen Zügen genießen, weil man den Leib ja sowieso verliert. Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann kann man verantwortungslos leben. Manchen Auslegern kommt es auf die Feststellung an, dass Paulus nicht die Einstellung der Korinther charakterisiere. 408 Die ethischen Fragen, die Paulus aus aktuellem, durch das Verhalten korinthischer Christen provoziertem Anlass behandeln muss – ein inzestuöses Verhältnis, Verkehr mit Prostituieren, Teilnahme an Festmählern in heidnischen Tempel und in Privathäusern – sowie die Imperative im unmittelbaren Kontext (V. 33————————————————————
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Kaiser, Jesaja 13–39, 115 meint, es handele sich um ein Zitat aus einem Trinklied. B. Lifshitz, RB 73 (1966) 248-257; Horst, Grabinschriften, 173-174. Berger /Colpe, Textbuch, 253; vgl. Schrage IV 246 Anm. 1196. Peek, Grabgedichte, Nr. 453; vgl. Klauck, Umwelt I, 76. NW II/1, 400; ebd. 396-400 weitere Belege. Lindemann 352 verweist auf die ähnlichen Worte der Gottlosen in Weish 2,1-9 und an das Wort des Reichen in Lk 12,19. Ein Gegenbeispiel liefert R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 490-491 mit Hinweis auf P.Tebt. III/1 758,17-22: Ein niederer Beamter wird mit folgenden Worten wegen Amtsmissbrauch und Trunksucht gerügt: „Wenn es angenehm ist, sich zu betrinken und Protektion zu genießen, denkst du nicht an das Morgen“ (ου κ ε πιλογει'ζει τη` ν αυ ρ. ι.ο. ν). Wolff 399; vgl. Schrage IV Anm. 1198; Sellin, Auferstehung, 286.
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34) zeigen aber deutlich, dass einige der wohlhabenderen Korinther offensichtlich eine hedonistische Lebensweise an den Tag legten. Mit V. 32b wird deutlich, dass offensichtlich ein Zusammenhang bestand zwischen der Leugnung der leiblichen Auferstehung der Toten und der permissiven Lebensweise, die einige Korinther praktizierten. Paulus will sie mit dem Schriftzitat V. 32b selbstverständlich nicht in ihrem freizügigen Verhalten bestärken. Dies zeigt die folgende Aussage. 33 Paulus warnt: Irrt euch nicht (μη` πλανα^ σθε). Wenn korinthische Christen meinen, dass ihre Zukunft von ihrem Verhalten in der Gegenwart nicht beeinflusst wird, dann irren sie sich. Wenn sie meinen, dass die Teilnahme an Banketten in heidnischen Tempeln und der Verkehr mit Prostituierten sie nicht korrumpieren kann, weil die Aktivitäten des irdischen Leibes ihre unsterbliche Seele nicht negativ beeinflussen können, dann irren sie sich. 409 Es folgt ein Zitat, das wahrscheinlich auf Euripides zurückgeht und neben anderen Autoren auch von dem Komödiendichter Menander aufgenommen wurde: „Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten“ (φθει' ρουσιν η» θη χρηστα` ο μιλι' αι κακαι' ).410 Der Spruch ist ein jambischer Trimeter.411 Die Herkunft dieses einzigen nichtbiblischen Zitats in den Paulusbriefen ist unklar.412 Der Spruch wurde zumeist auf die nicht erhaltene Komödie „Thais“ des Dichters Menander (342–290 v.Chr.) zurückgeführt.413 Die Zuweisung zur Komödie „Thais“ des Menander geht auf eine Randnotiz einer mittelalterlichen Acta- und Paulus-Handschrift zurück, die inzwischen verschollen ist.414 Socrates will wissen, dass das Zitat Euripides (480–406 v.Chr.) entlehnt ist.415 Der Satz kommt in einem Fragment der Hibeh Papyri vor, das wahrscheinlich zu einer Tragödie gehört, die von Euripides verfasst worden sein könnte. ————————————————————
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Winter, Corinth, 98. Wolff 400 und Schrage IV 248 schränken wieder ein: die Intention des Paulus ziele auf geistige Kontakte, d.h. Paulus warne „vor Leuten, die den Auferstehungsglauben, mit dem die Gemeinde vertraut war, zunichte machen“ (Wolff); er fürchte „das Zusammensein mit den Kindern dieser Welt nicht“ (Schrage). Diese Einschränkung auf die Auferstehungsleugner verkennt den Zusammenhang von Kap. 15 mit Kap. 1-14. Natürlich will Paulus keine „absolute Kontaktsperre“ (Schrage) verhängen, aber warnen will er durchaus. η θος („Gewohnheit, Sitte“) kommt im NT nur hier vor, ebenso ο μιλι'α („Zusammensein, Umgang“). In der LXX ist η θος in Sir 1,1; 20,26; 4Makk 1,29; 2,7.21; 5,24; 13,27 belegt, ο μιλι'α in Ex 21,10; Prov 7,21; Weish 8,18; 3Makk 5,18. Heinrici 483. Vgl. G. Strecker /U. Schnelle, in: NW II/1, 401 Anm. 2 und Koch, Schrift, 42-45 für die folgende Darstellung. Menander, Thais Fr. 218 (Kock), 187 (Körte). Vgl. Blume, Menander, 23, der ein Zitat aus Menanders Thais annimmt. Zuerst erwähnt von H. Stephanus im Jahr 1569; in der Ausgabe von Wettstein wird die Handschrift als Cod. 10 bezeichnet, bei Gregory Ac 8 bzw. P10. Socrates, Hist. Eccl. 3,16; Euripides Fr. 1024 (Nauck).
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Die Titelheldin in Thais war eine notorische Hetäre. H.-D. Blume kommentiert: „Da mochte wohl ein Vater oder Pädagoge in pathetischem Tone vor schlechtem Umgang gewarnt haben“. 416 Die typischen Eigenschaften der Hetären in Menanders Komödien sind Ausschweifung, Habgier, Frechheit und Trunksucht.417 Plutarch lässt in seinen „Tischgesprächen“ einen Gesprächspartner bemerken, dass Menander so untrennbar zum Symposion gehört, dass man „eher auf den Wein als auf seine Verse verzichten könne“. In Menanders Komödien fügen sich die Liebenden widerstandslos dem Willen des Gottes Eros. 418 In der Komödie „Die Samierin“ ist Moschion durch seine Liebe zu Plangon völlig gebunden, was ihn aber nicht in einen inneren Konflikt treibt, wie man erwarten würde: „Nun kann ich deinetwegen, süße Plangon, nicht Mannestaten tun. Ich darf es nicht, denn Eros, der meinen Willen jetzt beherrscht, verbietet es“.419 In einem Fragment heißt es: „Bei Eros allein hilft den Menschen kein (vernünftiges) Zureden“. Die von Paulus zitierte Sentenz war sprichwörtlich, es gibt zahlreiche Belege für ähnliche Aussprüche. Diodorus Siculus kommentiert die Gesetzgebung des Charondas auf Sizilien: „Charondas schrieb aber auch über den schlechten Umgang ein außergewöhnliches und von den anderen Gesetzgebern übersehenes Gesetz. Denn er nahm an, dass die guten Männer manchmal durch die Freundschaft und den Umgang mit den Schlechten charakterlich zur Schlechtigkeit entstellt werden und dass die Schlechtigkeit sich wie eine Pest über das Leben der Menschen verbreitet und die Seelen der Besten infiziert“. 420 Wenn korinthische Christen nach der hedonistischen Maxime von V. 32 leben, dann sollen sie sich nicht irren: Es besteht die große Gefahr, dass sie von der heidnischen Lebensweise ihrer Zeitgenossen ganz eingeholt werden und vielleicht den Glauben an Jesus Christus ganz preisgeben. Die korinthische Gemeinde soll sich ebenfalls nicht irren: Das Verhalten der hedonistisch lebenden Gemeindeglieder kann schnell auf andere Gemeindeglieder abfärben, denn das Schlechte ist (κατα` α»νθρωπον geredet) immer stärker als das Gute. 34 Die zusammenfassende, letzte Aussage des Abschnitts enthält den zweiten und dritten Imperativ des Kapitels. Hier wird deutlich, dass Kap. 15 nicht einfach die Eschatologie des Apostels Paulus entfaltet: Das Auferstehungskapitel ist ein integraler, ja fundamentaler Bestandteil seiner Behandlung ————————————————————
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Blume, Menander, 23; ebd. für den Hinweis auf Plutarch, Quaest. Conviv. 712. Krieter-Spiro, Dienstpersonal, 167. Flury, Liebe, 16; ebd. für die folgenden Hinweise. Menander, Sam. 631-634 (Treu); das folgende Zitat Fr. 569. Diodorus Siculus 12,12,3. Charondas verbot in einem Gesetz, „mit den Schlechten Freundschaft und Umgang zu haben und er führte Gerichtsverfahren wegen schlechten Umgangs ein“ (ebd.). NW II/1, 402; vgl. ebd. 400-495 für die genannten Belege.
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und Korrektur des nicht selten eklatanten moralischen Fehlverhaltens korinthischer Christen. Der erste Imperativ in V. 34 lautet: Werdet rechtschaffen nüchtern (ε κνη' ψατε δικαι' ως). Die Aufforderung, nüchtern zu werden, ist in übertragenem Sinn gemeint. Paulus weist in 11,21 zwar darauf hin, dass korinthische Christen im Gefolge der üppigen Mahlzeiten, bei denen die ärmeren Gemeindeglieder zuschauen mussten, betrunken waren. Um das Problem übermäßigen Alkoholgenusses geht es an dieser Stelle jedoch nicht. Viele beziehen die übertragene Bedeutung von ε κνη' φω421 auf die (postulierten) Enthusiasten, die im „Rausch“ von „pneumatischer Erkenntnis und eschatologischer Schwärmerei“ leben, aus dem sie erwachen sollen. 422 Wenn Paulus wirklich sagen wollte: „Laßt den Enthusiasmus und Illusionismus dahinten“,423 hätte er sich anders ausgedrückt, zumal von einem Enthusiasmus in Kap. 15 nichts zu erkennen ist. Im Gesamtkontext des Ersten Korintherbriefs, im Kontext der Beispiele aus der Missionspraxis des Apostels in V. 30-32a, im Kontext der Zitate in V. 32b.33, in denen es um moralisches Fehlverhalten geht, und im Kontext der Aufforderung in V. 34b, nicht zu sündigen, ist es plausibler, die „Nüchternheit“ auf die hedonistische Lebenseinstellung korinthischer Christen zu beziehen, in dem sie wie in einem Rausch nicht registrieren, dass Jesusbekenner sich so nicht verhalten können, wie sie es tun. In der zeitgenössischen Literatur findet sich die Vorstellung, dass die Leidenschaften wie Drogen und wie Wein wirken, indem sie den Menschen unter ihre Gewalt bringen.424 Paulus fordert die Korinther auf, theologisch und moralisch „nüchtern“ zu werden und „rechtschaffen“ (δικαι' ως) zu leben. Das Adv. δικαι' ως wird auch im Sinn von „wirklich, in rechter Weise“ interpretiert.425 Dies ist sprachlich möglich, aber im NT bedeutet δι' καιος, auf Menschen bezogen, „gerecht“, d.h. „den Anforderungen der Mitmenschen in Recht und Sitte sowie den Forderungen Gottes entsprechend und nach ihnen handelnd“,426 und es gibt gerade im Kontext von V. 32b.33 und V. 34b keinen Grund, hier eine andere Bedeutung anzunehmen. Die Exegese hat ge————————————————————
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Das Verb ε κνη' φω kommt nur hier im NT vor. In der LXX ist das Wort in Gen 9,24; 1Sam 25,37; Joel 1,5; Hab 2,7.19; Sir 31,2 belegt. Lindemann 354 verweist als Parallelen im NT auf 1Thess 5,6.8 (νη' φωμεν, „lasst uns nüchtern sein“) und 1Petr 4,7; 5,8 (νη' ψατε, „seid nüchtern“). Schrage IV 249; vgl. Wolff 400; Thiselton 1255; Sellin, Auferstehung, 287, mit der Forderung, man dürfe aus dem Satz „keinen Libertinismus der Korinther erschließen“. Schrage IV 249. Dio Chrysostomus, Or. 8,21: βια' ζεσθαι τη` ν η δονη' ν, α λλ ε ξαπατα^ ν και` γοητευ' ειν δεινοι^ς φαρμα' κοις. Vgl. Malherbe, Beasts, 75.77. G. Schrenk, ThWNT II, 187; Kümmel 194; Wolff 400; Schrage IV 238. Vgl. NGÜ, SÜ, Wilckens. G. Schneider, EWNT I, 781. EÜ und Menge beziehen die Wendung auf Menschen („wie es sich gehört“), GN auf Gott („wie es Gott gefällt“).
Die Gewissheit der Auferstehung 15,12-34 953 ————————————————————————————————————
zeigt, dass das Problem der Korinther nicht ein eschatologischer Enthusiasmus oder pneumatische Schwärmerei war, sondern Kompromisse mit den Werten der säkularen Gesellschaft, die dazu führten, dass sie sich in Statusfragen und Rechtsstreitigkeiten und im Blick auf den Verkehr mit Prostituierten und den Besuch von Götzentempeln genauso wie Heiden verhalten. In 5,11 fordert er die Korinther auf, keinen Umgang mit einem Gemeindeglied zu haben, der „als sexuell Zügelloser lebt oder als Habgieriger oder Götzenanbeter oder Lästerer oder Säufer oder Räuber“. In 6,9-10 erinnert er die Korinther daran, dass Ungerechte (α»δικοι) das Reich Gottes nicht erben werden; die anschließende Liste nennt neben sexuell zügellos lebenden Menschen, Götzendienern und Ehebrechern auch Säufer. In 15,33 warnt Paulus vor dem Umgang mit schlechten Menschen. Hier in V. 34a fordert Paulus die korinthischen Christen auf, „gerecht“, d.h. rechtschaffen zu leben. Der nächste Imperativ macht die Verbindung der fehlenden Nüchternheit mit dem weltlichen und hedonistischen Verhalten korinthischer Christen explizit: Sündigt nicht (μη` α μαρτα' νετε). Die folgende Begründung (γα' ρ): denn einige haben keine (richtige) Gotteserkenntnis zeigt, dass das Sündigen als Zweifel an Gott zu verstehen ist, der Tote auferweckt.427 Einigen (τινε'ς) Christen fehlt die richtige Gotteserkenntnis (α γνωσι' αν . . . ε»χουσιν): Sie leugnen die (leibliche) Auferstehung der Toten.428 Sie glauben nicht, dass sich die Herrschaft Jesu über alles, auch über den menschlichen Leib erstreckt; sie bestreiten damit die Macht Gottes, die sich in der Herrschaft Jesu verwirklicht, und sie lassen damit nicht zu, dass Gott „alles in allem“ ist (V. 28). Gleichzeitig gilt: Die τινε' ς – es handelt sich offensichtlich um dieselben Gemeindeglieder – glauben nicht, dass die Auferweckung Jesu Christi Konsequenzen für ihr Verhalten hat. Sie provozieren Spaltungen in der Gemeinde, sie strengen Rechtshändel gegen Mitchristen an, sie nehmen an Festmählern in heidnischen Tempeln teil, sie tolerieren ein inzestuöses Verhältnis, sie besuchen Prostituierte, sie verachten die Armen, sie dominieren die gottesdienstlichen Versammlungen. Atheisten oder Agnostiker sind diese korinthischen Christen nicht, es ist auch nicht so, dass sie keine Ahnung von Gott haben.429 Aber wer den heiligen, gerechten und barmherzigen Gott wirk————————————————————
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Vgl. 1Kor 6,14; 15,15; Röm 4,24; 8,11; 10,9. Viele verweisen für den Zusammenhang von Nüchternheit und Gotteserkenntnis auf Philo, Post. 175: „Die Art eines nüchternen und besonnenenVerstandes ist es, Gott als Schöpfer und Vater des Alls anzuerkennen, die eines durch Rausch und Trunkenheit gefallenen (Verstandes ist) aber, sich selbst als Urheber jeder der menschlichen Taten (anzuerkennen)“. Bousset 153; Barth, Auferstehung, 108. Kritisch Schlatter 430: Es handelt sich um Menschen, die sich vor Göttern und Geistern nicht mehr fürchten, weil sie Christen sind, und deshalb haben sie „viel mehr als eine Ahnung von Gott, nämlich eine gewisse Überzeugung, die ihnen ihren Anteil an Gott verbürgt“.
954 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
lich kennt, der lebt nach dem Maßstab der Liebe, den Paulus in Kap. 13 beschreibt, und der besteht nicht auf seinem Recht – dem Recht, im Götzentempel an Banketten teilzunehmen, dem Recht auf Statussymbole, dem Recht auf sexuelle Freizügigkeit, dem Recht auf üppige Mahlzeiten in Sichtweite armer und hungriger Gemeindeglieder, dem Recht auf Wortbeiträge im Gottesdienst. Wer Gott kennt und wer weiß, dass Gott die Toten leiblich auferwecken wird und dass das Evangelium von Jesus Christus immer Konsequenzen für das Verhalten im Alltag hat, der kann sich so nicht verhalten. Die Bedeutung des Satzes: Ich sage euch dies zur Beschämung (προ` ς ε ντροπη` ν υ μι^ν λαλω ^ ) wird häufig unterschätzt. In 4,14 will Paulus die Korinther nicht beschämen. In 11,22 kritisiert er die Bessergestellten, dass sie die Armen, die bei der Mahlfeier hungern, schamrot machen. Wer handelt, redet oder schreibt, um andere mit Scham zu erfüllen, der verursacht einen Gesichtsverlust. Das römische Ehrgefühl reagierte auf Angriffe im allgemeinen sehr empfindlich. Die Minderung der Ehre „beeinträchtigt die gesellschaftliche und häufig auch die rechtliche Stellung der Person“.430 Zu den Sondertatbeständen, mit der eine gerichtliche actio iniuriarum verfolgt werden konnte, gehörte „die öffentliche Schmähung durch ein Katzenkonzert von Schimpfwörtern und Spottversen“. Öffentlich verspottet hat Paulus die korinthischen Christen nicht. Aber er riskiert mit seinem Vorwurf, sie seien nicht nüchtern und in Sünde verstrickt (α μαρτα' νετε, Präs.), offensichtlich ganz bewusst, dass sie sich in ihrer Ehre verletzt fühlen. Paulus ist überzeugt: Wer Gottes Handeln in der Auferstehung Jesu nicht anerkennt und bestreitet, dass dieses Handeln Gottes Folgen nicht nur für den Glauben, sondern auch für das Leben im Alltag hat, der hat keinen Anspruch auf die eigene Ehre. Paulus will die korinthischen Christen aber nicht „fertigmachen“, sondern durch das Schamgefühl zum Umdenken und zum veränderten Handeln bewegen, das sie angesichts der Leugnung der leiblichen Totenauferstehung und der hedonistischen Lebensweise von Gemeindegliedern empfinden sollen.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 I 35 Aber jemand wird sagen: Wie werden die Toten auferstehen? Mit was für einem Leib kommen sie? 36 Du Narr! Was du säst, wird nicht lebendig gemacht, wenn es nicht stirbt, 37 und was du säst, ist nicht der Leib, der entstehen wird, sondern ein nacktes Samenkorn, zum Beispiel ————————————————————
430
Kaser, Privatrecht I, 274; für die folgenden Bemerkungen ebd. 274-275.623-624.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 955 ————————————————————————————————————
vom Getreide oder von einer der übrigen (Pflanzenarten). 38 Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er beschlossen hat, und zwar jedem der Samenarten einen besonderen Leib. 39 Nicht alles Fleisch ist ein und dasselbe Fleisch, sondern eines ist das von Menschen, ein anderes das Fleisch des Viehs, ein anderes das Fleisch der Vögel, ein anderes das der Fische. 40 Und es gibt himmlische Leiber, und es gibt irdische Leiber. Aber anders ist die Schönheit der himmlischen (Leiber) und anders die der irdischen (Leiber). 41 Der Glanz der Sonne ist anders als der Glanz des Mondes und anders als der Glanz der Sterne; denn ein Stern unterscheidet sich vom anderen. 42 So verhält es sich auch mit der Auferstehung der Toten: Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt wird in Unvergänglichkeit. 43 Gesät wird in Unehre, auferweckt wird in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwachheit, auferweckt wird in Kraft. 44 Gesät wird ein beseelter Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib. Wenn es einen beseelten Leib gibt, dann gibt es auch einen geistlichen (Leib). 45 So steht auch geschrieben: „Es wurde der erste Mensch, Adam, zur lebendigen Seele“, der letzte Adam zum lebenschaffenden Geist. 46 Aber das Geistliche war nicht zuerst, sondern das Seelische, dann das Geistliche. 47 Der erste Mensch kommt von der Erde und ist Erde, der zweite Mensch kommt vom Himmel. 48 Wie der irdische (Mensch) beschaffen ist, so sind auch die irdischen (Menschen) beschaffen, und wie der himmlische (Mensch) beschaffen ist, so auch die himmlischen (Menschen). 49 Und wie wir das Bild des irdischen (Menschen) getragen haben, so werden wir auch das Bild des himmlischen (Menschen) tragen.
II Mit dem Satz: „aber einer wird sagen“ leitet Paulus den zweiten Hauptteil des Kapitels ein (V. 35-58), in dem er die Auferstehung der Toten als Verwandlung des Leibes erklärt. In V. 12-34 ging es um die Behauptung, dass es keine leibliche Totenauferstehung gibt (V. 12), d.h. es ging um die Frage, ob man überhaupt von einer Totenauferstehung reden kann. In V. 35-58 geht es um den Leib, mit dem die Aufweckten auferstehen sollen (V. 35), d.h. es geht um die Frage, wie die Auferstehung stattfinden soll. In V. 35-49 behandelt Paulus zunächst den Leib der Auferstehung, in V. 50-58 wird es um die triumphierende Gewissheit des Sieges über den Tod in der kommenden Auferstehung gehen. Wie Paulus in V. 12 eine Behauptung korinthischer Christen zitiert hat, so referiert er offensichtlich in V. 35 mit der Frage: „Wie werden die Toten auferstehen?“ das Hauptargument jener korinthischen Christen, die leugnen, dass es eine leibliche Totenauferstehung gibt.
956 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Paulus akzeptiert das Prinzip, dass zwischen der Wirklichkeit der irdischen Welt und der Wirklichkeit der göttlichen Welt eine Polarität besteht. Aber er betont, dass eine von Gott veranlasste Transformation des irdischen Leibes möglich ist. Paulus kommt es in V. 35-49 auf das Argument an, dass es nicht der sterbliche Leib ist, der Kontinuität über den Tod hinaus hat, sondern dass es nach dem Tod eine neue Geschöpflichkeit mit einem neuen Leib geben wird.431 Paulus argumentiert, dass Leiblichkeit ein wesentliches, unabdingbares Merkmal der Schöpfung Gottes ist (das Wort σω ^ μα kommt in V. 35-44 neun Mal vor). Die alte Schöpfung ist von der Leiblichkeit bestimmt (V. 3641), die neue Schöpfung wird ebenfalls von Leiblichkeit bestimmt sein (V. 42-49). Das Zitat von Gen 2,7 in V. 45 und die Gegenüberstellung von Adam als der erste Mensch und von Christus der letzte Adam und der lebenschaffende Geist machen deutlich, dass Paulus die Argumentation in einen großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang stellt: Die Auferstehung der Toten, die durch die Auferstehung Christi ermöglicht wird, löst ein für allemal das durch die Rebellion Adams in die Welt gekommene Problem des Todes und der Sterblichkeit. Der Ausdruck „neue Schöpfung“ kommt in Kap. 15 zwar nicht vor, aber darum geht es: Die Auferstehung der Toten ist die Auferstehung der Jesusbekenner mit neuen Leibern, die in Gottes Neuer Welt leben werden. Gliederung. V. 35 formuliert die Frage, um die es in dem Abschnitt geht: Welchen Leib werden die Toten haben, wenn sie auferweckt werden? Die Antwort in V. 36-41 verweist auf Analogien aus der Schöpfung, die in V. 4244 mit Hilfe von vier paarweise angeordneten Gegensätzen auf die Auferstehung angewendet werden. V. 45-46 erfolgt die Begründung aus der Schrift mit dem Zitat von Gen 2,7, in dem Paulus die Worte „der erste“ und „Adam“ ergänzt und den Hinweis auf den letzten Adam hinzufügt. V. 47 beschreibt den ersten Adam und den zweiten Adam, in V. 48-49 erfolgt die Anwendung auf die Menschen, die zu Adam bzw. zu Christus gehören. Textkritische Anmerkungen. In V. 37 ist das seltene Partizip Futur γενησο' μενον ursprünglich; d46 F G (b) d lesen γεννησο' μενον. In V.45 lassen B K 326 365 u.a. im Zitat von Gen 2,7 das Wort α»νθρωπος aus, offensichtlich um die redundante Wendung α»νθρωπος Αδα' μ zu vermeiden, während d46 das zweite Αδα' μ auslässt; die längere Lesart ist in beiden Fällen gut bezeugt. In V. 47 muss die Formulierung ο δευ' τερος α»νθρωπος ( *אB C D* F G u.a.) gegenüber drei alternativen Lesarten als ursprünglich gelten: ο κυ' ριος,bezeugt von 630 und Marcion; α»νθρωπος ο κυ' ριος, bezeugt vom Mehrheitstext (א2 A D1 Ψ 075 1739mg 1881 Byz sy); α»νθρωπος πνευματικο' ς, bezeugt von d46. ————————————————————
431
Sellin, Auferstehung, 73.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 957 ————————————————————————————————————
Offensichtlich wurde die Bezeichnung Christi als „der zweite Mensch“ aus dogmatischen Gründen als schwierig empfunden; die Lesart α»νθρωπος erklärt die Entstehung der anderen Lesarten am besten. 432 In V. 49 ist umstritten, ob der Indikativ φορε'σομεν (Fut., „wir werden tragen“; B I 6 630 945v.l. 1881 al sa) oder der imperativische Adhortativ φορε'σωμεν (Konj. Aor., „lasst uns tragen“; d46 אA C D F G Ψ 075 0243 33 1739 Byz latt bo; Irlat Cl) zu lesen ist. Da beim Diktieren bzw. Vorlesen die Buchstaben Ο und Ω fast gleich ausgesprochen wurden, ist es nicht entscheidend, dass der Konj. Aor. besser belegt und auch die lectio difficilior ist. Wenn der Kontext die Frage entscheidet, muss die Futurform als ursprünglich gelten.433
III 35 Der Satz: aber jemand wird sagen (α λλα` ε ρει^ τις) leitet den neuen Abschnitt ein, in dem der Einwand behandelt wird, eine leibliche Auferstehung der Toten sei nicht vorstellbar.434 τις gehört zu den τινε'ς, die nach V. 12 die Auferstehung leugnen. Die Frage: Wie werden die Toten auferstehen? (πω ^ς ε γει' ρονται οι νεκροι' ;) zielt auf die Vorstellbarkeit der Auferstehung der Toten: Wie soll man sich vorstellen, dass Menschen auferstehen – Menschen, die schon lange gestorben und verwest sind oder feuerbestattet wurden?435 Diese Frage gibt nur dann einen Sinn, wenn es um die leibliche Auferstehung geht. Wenn die Korinther geglaubt hätten, dass das in der christlichen Tradition so zentrale Wort „Auferstehung“ eine pneumatische „Auferstehung“ im Sinn der gegenwärtigen Existenz der vom Geist ergriffenen Christen bedeutet, hätten sie die Frage nach dem Wie nicht gestellt. Offensichtlich glaubten die Auferstehungsleugner, wie ihre korinthischen Zeitgenossen, an die Unsterblichkeit der Seele und konnten sich eine leibliche Auferstehung der Verstorbenen nicht vorstellen. Dies wird in der zweiten Frage deutlich, mit der Paulus den korinthischen Einwand beschreibt: Mit was für einem Leib kommen sie? (ποι' ω, δε` σω' ματι ε»ρχονται;). Es geht um den Leib (σω ^ μα), mit dem die 436 Verstorbenen von den Toten zurückkommen (ε»ρχονται). Wenn der Leib ————————————————————
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Metzger, Commentary, 501-502; Fee 787 Anm. 2; Thiselton 1285-1286. Weiss 377; Bachmann 469; Conzelmann 342 Anm. 3; Wolff 405-406 Anm. 339; Kremer 358; Lindemann 363; Schrage IV 312 Anm. 1533; Thiselton 1289; Garland 738; Metzger, Commentary, 502; Verburg, Endzeit, 216-217. Anders Heinrici 500; Allo 429; Fee 787 Anm. 5. 794-795; Hays 273-274; Collins 572; Eriksson, Traditions, 271. Sellin, Auferstehung, 72-73, der zu Recht betont, dass die Fragen in V. 35 nicht spöttisch gemeint sind; gegen Schniewind, Leugner, 130; Lindemann 356. Zur Brandbestattung vgl. W. Fauth, Art. Bestattung, KP I, 873-876; W. Kierdorf, Art. Bestattung C-D, DNP II, 589-592. Die beiden präsentischen Verben ε γει'ρονται und ε»ρχονται beziehen sich auf dasselbe Ereignis der Auferstehung der Toten, beide haben futurische Bedeutung.
958 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
vergänglich ist und wenn der Tod das Ende des Leibes markiert, dann kann es, so wird man argumentiert haben, unmöglich eine Auferstehung geben, bei welcher der Leib von den Toten zurückkehrt. Paulus erwähnt hier das Wort σω ^ μα zum ersten Mal in Kap. 15; es wird die Diskussion bis V. 44 beherrschen.437 Paulus zeigt mit den folgenden Ausführungen, dass die doppelt formulierte Frage in V. 35 falsche Denkvoraussetzungen hat: 1. Sie geht vom Gedanken der Kontinuität aus, d.h. von der (falschen) Vorstellung, dass derselbe Leib, der ins Grab gelegt oder feuerbestattet wird, in der gleichen physischen Konfiguration auferstehen wird. 2. Sie unterscheidet das Ich des Menschen von seinem Leib, so dass der Mensch ein σω ^ μα hat und nicht ein σω ^ μα ist. G. Sellin kommentiert: „Daß das Vergängliche (σω ^ μα) unvergänglich wird, ist im (griechisch denkenden ontologischen) Dualismus undenkbar. Genau darauf aber kommt es Paulus an: Weil Gott der ist, der das Nicht-Seiende zum Sein ruft (Röm 4,17), beharrt Paulus auf dem Gedanken der Totenaufer^ μα weckung“.438 Während die erste Schöpfung des Menschen ein irdisches σω hervorbrachte, das von der Sünde angegriffen, beherrscht und damit sterblich werden konnte, bringt die neue Schöpfung Gottes ein „geistliches Geschöpf“ hervor, ein σω ^ μα πνευματικο' ν (V. 44). Diese Formulierung in V. 44 ist die Antwort auf die Frage von V. 35. 36 Paulus weist den Einwand, den die Frage von V. 35 beinhaltet, mit der Anrede Du Narr! (α»φρων) zurück. Ein „Narr“ ist, wer Gottes Weisheit nicht begreift, wer „unwillig zum Denken und träg zum Begreifen“ ist439 und nicht merkt, dass er seine Frage selbst beantworten kann, wenn er sich in der Natur umsieht. Paulus zeigt den korinthischen Christen mit Hilfe einer Analogie aus der Botanik, dass sie die Schöpfermacht Gottes in Betracht ziehen müssen: Was du säst, wird nicht lebendig gemacht, wenn es nicht stirbt. Samenkörner, die ausgesät werden, gehen im Erdboden zugrunde, ehe die lebendige Pflanze heranwächst. Die Formulierung συ` ο σπει' ρεις stellt das Personalpronomen betont an die erste Stelle, um die Leser auf eine Erfahrung hinzu————————————————————
437 438 439
Paulus verwendet σω ^ μα in V. 35.37.38 (2x). 40 (2x). 44 (3x). Sellin, Auferstehung, 73; vgl. ebd. für die folgenden Beobachtungen, wobei er den Sündenfall als Ursache der Vergänglichkeit des Menschen auslässt. Schlatter 432; vgl. Wolff 402; Lindemann 356; Schrage IV 280. Asher, Polarity, 77-78 meint, Paulus disputiere als „weiser Lehrer“ mit einem hypothetischen Gesprächspartner, ohne dabei die Korinther direkt als „törichte Studenten“ zu beleidigen. Angesichts des Anspruchs korinthischer Christen, die Kriterien rhetorischer Brillianz und argumentativer Stringenz zu beherrschen (Kap. 1–4), ist es kaum denkbar, dass diese Christen die Anrede mit α»φρων nicht als Affront verstanden haben (vgl. μωρο' ς in 3,18; 4,10). In den Papyri ist das Adj. α»φρων („ohne Vernunft, dumm, unverständig“) nur selten belegt; in dem Beleg BGU I 241,4 dient das Wort offensichtlich als Spitzname eines gewissen Ulpias; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 492.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 959 ————————————————————————————————————
weisen, die sie selbst gemacht haben und machen (Präs. Ind.). Die Passivform ζω, οποιει^ται, die als theologisches Passiv zu interpretieren ist, unterstreicht, dass Gott selbst dem in die Erde gelegten Samenkorn mit seiner Schöpfermacht die neue Gestalt der Pflanze verleiht, die aus dem ausgesäten Samenkorn hervorgeht.440 Mit der Wendung ε α` ν μη` α ποθα' νη, („wenn es nicht stirbt“) will Paulus weder die Notwendigkeit des Sterbens betonen,441 noch zeigen, dass Diskontinuität (Auslöschung) und Kontinuität keine Widersprüche sind.442 Jüdische und griechische Texte sprechen davon, dass das Samenkorn in der Erde zugrunde geht.443 Der Hinweis auf das „Sterben“ des Samens kann also traditionell bedingt sein, oder die Formulierung ist durch die Anwendung der Analogie auf die leibliche Auferstehung der Toten verursacht.444 Der Kontext macht jedenfalls deutlich, dass es Paulus auf die Transformation ankommt, die aus dem Samenkorn eine Pflanze macht, eine Umwandlung, die von der Schöpfermacht Gottes verursacht wird.445 Die Rabbinen verwendeten ebenfalls die Analogie des Samenkorns als Argument für die Auferstehung aus den Toten. In PRE 33 (17c) wird Rabbi Eliezer (um 90 n.Chr.) folgende Erklärung zugeschrieben: „Alle Toten werden bei der Wiederbelebung der Toten auferstehen und in ihrem Kleidern heraufkommen. Woher lernst du das? Vom Samen der Erde durch einen Schluß vom Geringeren auf das Größere vom Weizenkorn aus“.446 G. Stemberger meint, dass das Bild vom Weizenkorn in der rabbinischen Diskussion ursprünglich verwendet wurde, um die leibliche Auferstehung der Toten gegenüber der Annahme der Unsterblichkeit der Seele zu veranschaulichen. Das wörtliche Verständnis der Analogie, nach dem die Auferstehung in den gleichen Kleidern erfolgt, in denen man begraben wurde, ist eine spätere Entwicklung.447 Andere verweisen auf die antike Vorstellung vom Kreislauf des „Stirb und werde“.448 J. Asher verweist für die „anthropogene Metapher“ des Säens auf Parallelen im griechischen ————————————————————
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443 444 445 446 447
Philo, Plant. 31 versteht das Wachsen der Pflanzen als Schöpfungsakt Gottes. Conzelmann 344; Wolff 403; Kremer 354; Schrage IV 282-283; Riesenfeld, Bildwort, 45; Käsemann, Perspektiven, 19-20; Müller, Leiblichkeit, 186. Man beachte, dass Paulus in V. 51-54 betont, dass nicht alle sterben werden. Robertson/Plummer 369; Godet II 222; Wendland 154; vgl. Schrage IV 284-285. Paulus äußert sich zur Kontinuität des Ich, das stirbt und leiblich auferweckt wird, im Text nicht. Dies steht für ihn jedoch außer Frage: er könnte sonst nicht mit der Auferweckung Jesu Christi in V. 3-5 argumentieren. Schlatter 433 schreibt: „Das Neue ist nicht die Wiederkehr des Alten; es entsteht aus dem Alten, stellt aber nicht den alten Leib wieder her“. Wolff 403: „Die Bewahrung der Identität, die ein individuelles σω ^ μα mit einschließt, ist allein Gottes Schöpfungswerk“. 4Esra 9,34-35; Plutarch, Frag. 11, Comm. in Hesiod. 84; vgl. Braun, Studien, 141. Brodeur, Resurrection, 74 meint, Paulus lasse Kenntnisse wissenschaftlicher und philosophischer Theorien der Antike erkennen (vgl. den Überblick ebd. 34-70). Weiss 368; anders Conzelmann 344; Müller, Leiblichkeit, 191; vgl. Schrage IV 281. Barrett 370; Garland 728; Vouga, Apocalyptique, 140; Asher, Metaphor, 103-104. Vgl. bSanh 90b; Qoh. R. 5 zu 5,10; vgl. Bill. III, 475. Stemberger, Auferstehungslehre, 262; vgl. Wolff 403 Anm. 321.
960 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Denken, nach dem die Menschen aus der Erde geboren wurden, eine Redeweise, die von den Philosophen aufgegriffen wurde, wenn sie die Ursprünge des Menschen behandelten.449 Angesichts der zentralen Bedeutung der Landwirtschaft für die antiken Gesellschaften sind diese Parallelen nicht verwunderlich.
37 Mit der Formulierung und was du säst (και` ο σπει'ρεις) leitet Paulus eine Erläuterung der Analogie von V. 36 ein. Der Leib (το` σω ^ μα), d.h. die äußerliche Form des Samens, der gesät wird, ist ein nacktes Samenkorn (γυμνο` ς κο' κκος). Mit dem Ausdruck „nackt“ meint Paulus nicht Leiblosigkeit im platonischen (und später gnostischen) Sinn.450 Paulus greift entweder eine populäre Naturbetrachtung auf: das Samenkorn, das ausgesät wird, ist „noch nicht mit einem Pflanzenkörper . . . gleichsam bekleidet“. 451 Oder die im Kontext gemeinte Sache – der Verstorbene, dessen „nackten“ Leichnam man in das Grab legt, wird auferstehen – beeinflusst die Formulierung des Bildes: „γυμνο' ς ist Prädikat des gegenwärtigen irdischen σω ^ μα diesseits des Sterbens 452 und Auferstehens“. Was der Bauer sät, ist nicht der Leib, der entstehen wird (ου το` σω ^ μα το` γενησο' μενον), d.h. nicht die Pflanze mit ihrer charakteristischen Gestalt, sondern das bloße Samenkorn. Dies trifft zum Beispiel (ει τυ' χοι) auf das Getreide (σι^τος)453 zu, aber auch auf andere der übrigen Pflanzenarten (η» τινος τω ^ ν λοιπω ^ ν).454 Der Leib, der gesät wird und der in ————————————————————
448 449 450 451 452
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Conzelmann 344; Lindemann 356; Braun, Studien, 140-145; zu Joh 12,24 vgl. Gemünden, Vegetationsmetaphorik, 204-209. Asher, Metaphor, 112-120, mit Verweis u.a. auf Ovid, Met. 3,95-130; Aeschylus, Eum. 13,410; Demokrit 59 Test. 45 (Diels/Kranz); Plato, Tim. 42D; Pol. 272D-E; Zeno, SVF 1, 124; Dio Chrysostomus, Or. 12,29-30; Philo, Op. 43.66.69.132-133; All. 1,79,4. Richtig Meyer 456; Heinrici 488; Bachmann 465; Schrage IV 286. Anders Lietzmann 84. Meyer 456; vgl. Bachmann 463; Schrage IV 286 als Möglichkeit. Schrage IV 286; vgl. Lang 233; Hoffmann, Toten, 250-252. Wolff 404 sieht „den qualitativen Gegensatz zwischen der gegenwärtigen irdischen Existenz des Menschen und der Herrlichkeit der kommenden, neuen Existenz“ betont; dies ist genauso in den Text eingetragen wie die Meinung, die „betonte Negation“ wolle der enthusiastischen „Vorwegnahme der vollendeten Existenz“ wehren. Die meisten Übersetzungen sprechen konkret vom „Weizen“, vgl. EÜ, L, HfA, GN, NGÜ, SÜ, Z, Menge, Wilckens; Conzelmann, Schrage, Lindemann. MNT übersetzt „Getreide“. Das griech. Wort für „Weizen“ ist πυρο' ς. In den vielen Belegen in den dokumentarischen Papyri begegnet σι^τος als „Sammelbegriff für verschiedene Getreidearten oder neben dem Wort πυρο' ς, dem eigentlichen Wort für ‚Weizen‘“, so Kritzer, in Arzt-Grabner 493, mit Verweis auf P.Hib. I 85,16-17 (261 v.Chr.), einen Vertrag für ein Saatgutdarlehen, in dem Weizen (πυρο' ς), Gerste (κριθαι') und Speltweizen (ο» λυραι) in Form von „reinem und unverfälschtem [d.h. unvermischtem] Getreide“ (σι^τον καθαρο` ν α»δολον) erwähnt werden. In den gängigen Wörterbüchern wird die Bedeutung von σι^τος mit „Getreide“ angegeben; nur Bauer/Aland s.v. wird „Weizen“ als die ursprüngliche Bedeutung angeführt. Weil κο' κκος nicht ausschließlich das „Weizenkorn“ bezeichnet, sondern allgemein das „Samenkorn“, ist die Wendung τα` λοιπα' „als Sammelbegriff für alle Pflanzengattungen“ zu interpretieren (R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 493).
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 961 ————————————————————————————————————
der Erde verschwindet, ist mit dem „Leib“, der entsteht, physisch nicht identisch; es sind aber „Leiber“ (σω' ματα), die durch die Schöpfungsmacht Gottes miteinander zusammenhängen. Wer ein Samenkorn anschaut, kann von der Pflanze, die aus dem Samenkorn entstehen wird, nichts erkennen. Genauso verhält es sich mit dem menschlichen Leib: Wer den Leib eines Menschen anschaut, der kann von der zukünftigen Auferstehung nichts erkennen, schon gar nicht, wenn es sich um den Leichnam eines verstorbenen Menschen handelt, der ins Grab gelegt wird. Daraus zu schließen, dass es keine leibliche Auferstehung der Toten gibt, wäre jedoch töricht. Wie die Gestalt des Samenkorns, das in der Erde verdirbt und zu einer Pflanze wird, sich nicht einfach reproduziert, sondern verwandelt wird, so wird die Gestalt der auferweckten Toten eine andere, eine von Gott verwandelte Gestalt sein. 38 Das „nackte Samenkorn“, das in der Erde stirbt und als Pflanze emporwächst, verdankt seine „Auferstehung“ dem souveränen Schöpferhandeln Gottes: Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er beschlossen hat. Der Hinweis auf Gott (ο δε` θεο' ς) steht betont voran; αυ τω ^, bezieht sich auf γυμνο` ν κο' κκον in V. 37; σω ^ μα bezeichnet die Substanz und die Gestalt der Pflanze, die aus dem Samenkorn entsteht. Die Wendung καθω` ς η θε'λησεν beschreibt den Schöpferwillen Gottes.455 Die Transformation des Samenkorns, das zur Pflanze wird, ist das Resultat von Gottes Schöpferwillen. Das Wachstum der Pflanze realisiert sich nicht als Prozess eines von Gott unabhängigen Naturgesetzes, sondern es ist das Ergebnis des souveränen Handelns Gottes, der in seiner Schöpfung weiterhin am Werk ist (δι' δωσιν, Präs. Ind.). Angeschlossen mit einem erklärenden και' unterstreicht Paulus, dass dieser Sachverhalt nicht nur in einigen wenigen Fällen gilt, sondern generelle Gültigkeit besitzt: und zwar jeder der Samenarten einen besonderen Leib. Jeder einzelnen Samenart (ε«καστος τω ^ ν σπερμα' των) gibt Gott einen spezifischen Leib (ι»διον 456 Diese Aussage erinnert an den Schöpfungsbericht Gen 1,11-12 σω ^ μα). (κατα` γε'νος και` καθ’ ο μοιο' τητα). Die entscheidenden Vokabeln in der zentralen Aussage von V. 38 sind δι' δωσιν (Gott gibt) und η θε'λησεν (Gott will). Entscheidend im Leben, im Tod und in dem, was nach dem Tod kommt, ist ————————————————————
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Der Aor. η θε' λησεν sollte nicht überinterpretiert werden, etwa in dem Sinn, dass er auf „den (schon bei der Schöpfung) abgeschlossenen Act der göttlichen, in die Naturgesetze gelegten Willensbestimmung“ (Meyer 456; Heinrici 488) bezogen wird. Schrage IV 287 interpretiert als komplexiver Aor. „ohne Rücksicht auf die Dauer“ (BDR §318.1). In den dokumentarischen Papyri bezeichnet σπε' ρμα in der Regel den Getreidesamen; in manchen Texten werden die σπε' ρματα genauer definiert: als σπε' ρματα πυρου^ („Weizensamen“; P.Mich. V 346 [c],1); σπε' ρματα κριθη^ ς („Gerstensamen“; P.Mert. I 10,10); σπερμα' [των] κρο' τωνος („Samen des Rizinusölstrauchs“; O.Stras. 327,3-4); σπε' ρματα λαχανασπε' ρμου („Gemüsesamen“; BGU XI 2123,14); χο' ρτου σπε' ρματα („Grassamen“; SB XXIV 15920,203); vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 494.
962 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
das machtvolle Handeln Gottes des Schöpfers. Im Zusammenhang der Totenauferstehung ist aus dem nicht nur einmaligen, sondern kontinuierlichen Schöpfungshandeln Gottes zu schließen, dass Gott jedem Jesusbekenner, der stirbt, einen neuen Leib erschaffen wird. Die Kontinuität zwischen dem Samen und der Pflanze, die aus dem Samen hervorgeht, „liegt nicht im σω ^ μα 457 ^ μα des Samens und der σω ^ μα selber, sondern im Handeln Gottes“. Der σω der Pflanze sind nicht identisch, und trotzdem besteht eine Kontinuität, die Gott der Schöpfer wirkmächtig gewährleistet. Aus diesem Grund können die Korinther nicht so tun, als sei das, was sie mit ihrem Leib tun, belanglos. Wer weiß, dass Gott die Jesusbekenner mit einem neuen Leib von den Toten auferwecken wird und dass deshalb der irdische Leib „für den Herrn“ da ist, der kann seinen Leib nicht gleichzeitig sexueller Zügellosigkeit anheimgeben (6,13). 39 In V. 39-41 erläutert Paulus die grundlegende Aussage, dass jeder Same seinen eigenen Leib hat, mit einer zweiten Analogie, die das landwirtschaftliche Bild auf sämtliche irdischen und kosmischen Organismen und Formen ausweitet. Dabei wiederholt er nicht nur den Gedanken von V. 36-38. Der Hinweis auf die irdische Sphäre und die himmlische Sphäre ist im Kontext der Schwierigkeit zu verstehen, die korinthische Christen mit der Vorstellung einer leiblichen Auferstehung der Toten haben. Für griechische und römische Philosophen galt die Vorstellung als metaphysisch unmöglich, dass ein irdischer Leib in den himmlischen Bereich aufsteigt. 458 Paulus zeigt in V. 39-41, dass er um die Polarität zwischen dem irdischen und dem himmlischen Bereich weiß. Das Prinzip der von Gott verursachten Transformation der σω' ματα, das in V. 36-38 eingeführt wurde und in V. 42-44.50-57 erläutert wird, zeigt jedoch, dass diese Polarität kein unüberwindbares Problem für die Überzeugung von der leiblichen Auferstehung der Toten darstellt.459 Paulus unterstreicht die Vielfalt der Schöpfung Gottes dadurch, dass er von „Fleisch“ (σα' ρξ), von „Leibern“ (σω' ματα) und von „Glanz“ (δο' ξα) spricht, sowie mit dem viermaligen α»λλη („ein anderes“; V. 39), dem zweimaligen ε τε'ρα („anders“; V. 40) und dem dreimaligen α»λλη („anders als“; V. 41). Hat Paulus bisher vom σω ^ μα der verschiedenen Samen- und Pflanzenarten geredet, spricht er jetzt von σα' ρξ: Nicht alles Fleisch ist ein und ————————————————————
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Lindemann 357; vgl. Bauer, Leiblichkeit, 94: „Nicht das Interesse an der sich durchhaltenden Kontinuität bestimmt den Apostel, sondern auf dem schöpferischen Handeln des eschatologischen Totenerweckers, welcher allein Kontinuität verbürgt und setzt, liegt der Akzent bei diesem Bild vom Samenkorn“. Vgl. ausführlich Asher, Polarity, 91-145. Garland 730; Asher, Polarity, 82.100.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 963 ————————————————————————————————————
dasselbe Fleisch (ου πα^ σα σα` ρξ η αυ τη` σα' ρξ).460 Die leibliche Wirklichkeit der Schöpfung ist nicht monotone Gleichheit, sondern differenzierte Vielfalt: die σα' ρξ des Menschen (α»νθρωπος) ist eine andere als die σα' ρξ des Viehs (κτη^ νος),461 der Vögel (πτηνο' ς)462 und der Fische (ι χθυ' ς).463 Die auf dem Erdboden, in der Luft und im Meer lebenden Geschöpfe sind unterschiedlich beschaffen. Die Aufzählung erinnert an Gen 1,26 (Schöpfungsauftrag des Menschen) und an Gen 7,21 (Sterben bei der Sintflut).464 V. 38.40 zeigen, dass σα' ρξ parallel zu σω ^ μα gebraucht ist, also nicht die Substanz des jeweiligen σω ^ μα als Form beschreibt.465 40 Nach den irdischen Lebewesen spricht Paulus von den unterschiedlichen „Leibern“ (σω' ματα), die es auf der Erde und am Himmel gibt: Und es gibt himmlische Leiber, und es gibt irdische Leiber. Mit σω' ματα ε πουρα' νια sind konkret die Himmelskörper gemeint, wie V. 41 zeigt: die Sonne, der Mond, die Sterne.466 Die Gestalt dieser von Gott geschaffenen Formen unterscheidet sich von den σω' ματα ε πι' γεια, d.h. von der Gestalt der in V. 36-39 erwähnten Menschen, Tieren und Pflanzen. Die himmlischen und die irdischen Leiber unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer σω' ματα, sondern auch ————————————————————
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Die Wendung πα^σα σα' ρξ bezeichnet in der LXX meistens den Menschen in seiner Kreatürlichkeit, manchmal aber auch das Fleisch von Tieren; vgl. Gen 6,17; 9,16-17; Num 18,15; Ps 136,25; Jes 40,6; Dan 4,9. κτη^ νος bezeichnet alle Arten von Nutztieren, entweder als Großvieh, oder als Ausdruck für „Vieh“ im Allgemeinen. BGU VIII 1782,7 erwähnt „Esels-, Pferde- und Rindvieh“ (τα' τε ο νικα` και` ιππικα` και` [β]οικα` κτη' [νη]); BGU III 757,10-11 „Schweinevieh“ (υ ικα` κτη' νη); P.Fay. 111,6-7 „Arbeitsvieh“ (ε ργατικα` κτη' νη); R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 494, die die Bedeutung „Haustier“ (EÜ) als irreführend ablehnt. Im NT ist κτη^ νος nur noch in Lk 10,34; Apg 23,24; Offb 18,13 belegt. πτηνο' ς bezeichnet „das Geflügel, die Vögel“ (im NT nur hier); gebräuchlicher ist πετεινο' ν. Zur Parechese (lautlicher Anklang verschiedener Vokabeln) vgl. BDR §488.2. Für Belege in den dokumentarischen Papyri vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 495-496, die die Bedeutung des Fischfangs belegen. ^ν Gen 1,26: Ποιη' σωμεν α»νθρωπον . . . α ρχε' τωσαν τω ^ ν ιχθυ' ων τη^ ς θαλα' σσης και` τω πετεινω ^ ν του^ ου ρανου^ και` τω ^ ν κτηνω ^ ν . . .; 7,21: α πε' θανεν πα^σα σα` ρξ κινουμε' νη ε πι` τη^ ς γη^ ς τω ^ ν πετεινω ^ ν και` τω ^ ν κτηνω ^ ν . . . και` πα^ς α»νθρωπος; vgl. 8,17. Heinrici 487; Lang 233; Wolff 404; Schrage IV 289; Bauer, Leiblichkeit, 94-95. Anders Lietzmann 84; Conzelmann 345; Bultmann, Theologie, 193. Schrage IV 292-293 meint, dass man sich die Himmelskörper als „lebendige, belebte Wesen“ vorzustellen habe, weil σω' ματα für Paulus „nicht anorganische Dinge und Stoffe bilden“, mit Verweis auf Jes 40,26; 45,12; Ps 19,2.6 u.a., wo die Gestirne als Boten Gottes beschrieben werden, die Gott mit Namen ruft und die seine Befehle ausführen; vgl. äthHen 18,13ff; 21,1ff; 75,3; slHen 29; syrBar 59,11; Philo, Plant. 12; Gig. 8; Offb 8,10-11; 9,1; 12,4.9. Vgl. W. Foerster, Art. α στη' ρ κτλ., ThWNT I, 501-502; H.-J. Ritz, EWNT I, 418420; Heinrici 489; Weiss 370; Lietzmann 84; Conzelmann 346; Sellin, Auferstehung, 218219. Nach Schlatter 434 lässt sich dies im Text nicht erkennen: Paulus „bleibt nüchtern, wie immer, bei dem sinnlich vermittelten Eindruck stehen, nach dem jedes der Gestirne seine eigene Lichtstärke hat“. Kritisch auch Bachmann 463-464; Lindemann 358.
964 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
hinsichtlich ihrer Schönheit. Der griechische Ausdruck δο' ξα wird meistens mit „Herrlichkeit“ übersetzt,467 was im Blick auf die „irdischen Leiber“ jedoch nicht angemessen ist (vgl. Phil 3,21): diese haben keine (göttliche) Lichtherrlichkeit, aber sie haben als von Gott geschaffene Gebilde „Schönheit“. Der Übergang von σω' ματα zu δο' ξα ist vermutlich bereits durch die ab V. 42 durchgeführte Anwendung der Analogie mit bestimmt, d.h. die Wendung η τω ^ ν ε πουρανι' ων δο' ξα ist mit dem Gedanken der Herrlichkeit des Auferstehungsleibes verknüpft, zumal nach Dan 12,3 die Weisen wie die Himmelsfeste strahlen und wie die Sterne immer und ewig leuchten werden. 468 41 Die δο' ξα der Himmelskörper, die in V. 40b von der δο' ξα der irdischen Lebewesen unterschieden wurde, ist wiederum vielfältig beschreibbar: Der Glanz der Sonne (η« λιος) unterscheidet sich vom Glanz des Mondes (σελη' νης) und vom Glanz der Sterne (α στε'ρες). Selbst die Sterne leuchten nicht alle gleich, wie der Blick zum Himmel zeigt: ein Stern unterscheidet sich vom anderen (α στε'ρος διαφε'ρει ε ν δο' ξη, ).469 Der nachdrückliche Hinweis auf die unterschiedliche Strahlkraft der σω' ματα der Himmelskörper unterstreicht im Kontext von Kap. 15 ein Zweifaches: Selbst die am Himmel zu sehenden, von Gott geschaffenen Gebilde besitzen eine leibliche Gestalt; und die himmlischen Gestalten unterscheiden sich von den irdischen Gestalten. 470 Das heißt: Der Auferstehungsleib wird wie die himmlischen Körper sowohl δο' ξα besitzen als auch ein σω ^ μα haben. 42 Der Satz: So verhält es sich auch mit der Auferstehung der Toten (ου« τως και` η α να' στασις τω ^ ν νεκρω ^ ν) leitet die Anwendung der beiden Analogien auf das Thema der Totenauferstehung ein. Die Wendung ου« τως και' nimmt πω ^ ς V. 35 auf und erläutert die Bedeutung der Metaphern vom Samenkorn und von den unterschiedlichen Leibern für die Frage nach dem Wie der Auferstehung der Toten. Der Kontext der Diskussion in V. 35-41 bestätigt, dass die entscheidende Frage, um die es in Kap. 15 geht, nicht die Auferstehung als solche ist, auch nicht die Zukünftigkeit der Auferstehung, sondern die leibliche Auferstehung. Paulus betont in V. 42b-44a, dass Gott, der aus Samenkörnern Pflanzen erschafft und in der mannigfaltigen Vielfalt von Menschen, Tieren und Himmelskörpern seine kreative Schöpfermacht in der Welt und am Himmel sichtbar und erfahrbar unter Beweis gestellt hat, bei ————————————————————
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So übersetzen in V. 40 LÜ, Menge; mit „Schönheit“ übersetzen EÜ, GN, NGÜ; andere übersetzen mit „Glanz“ oder „Pracht“. Vgl. 4Esra 7,97; syrBar 51,10; äthHen 62,15. In der Deutung des Gleichnisses vom Unkraut heißt es in Mt 13,43: „Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten“. Vgl. Schrage IV 291. Lindemann 358, der auf die Himmelsbeschreibung in Sir 43,1-11 verweist. Schrage IV 293; Garland 731; Sellin, Auferstehung, 220.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 965 ————————————————————————————————————
der Auferstehung der Toten neue Leiber erschaffen wird. Der vierfache antithetische Parallelismus ist von der Opposition „säen“ und „auferstehen“ bestimmt: σπει' ρεται knüpft an σπει' ρεις von V. 36.37 an, ε γει' ρεται an ε γει' ρονται von V. 35 und an ζω, οποιει^ται von V. 36. Mit „säen“ beschreibt Paulus nicht das Begrabenwerden der Menschen nach dem Tod:471 Die mit σπει' ρεται verknüpften adverbialen Bestimmungen beschreiben nicht die Umstände des Todes des Menschen, sondern die Daseinsbedingungen, die das gegenwärtige Leben charakterisieren; zudem ist Gott das logische Subjekt von σπει' ρεται.472 Die meisten beziehen das Gesätwerden auf die gegenwärtige Existenz menschlicher Leiblichkeit.473 Die Verwendung der Metapher des Gesätwerdens in der griechisch-römischen Welt als Beschreibung des Ursprungs des Menschen (s. oben zu V. 36) erlaubt es uns, diese Auslegung zu präzisieren. Paulus verwendet die Metapher des Gesätwerdens in V. 42-44, um die Erschaffung Adams und mit dieser die Erschaffung und den Zustand der Menschheit zu beschreiben. 474 Der implizierte Bezug auf Adam knüpft an V. 21-22 an und greift auf V. 45-49 voraus. Die Antithesen kontrastieren die gegenwärtige Welt und die neue Welt Gottes. 475 Die adverbialen Bestimmungen mit ε ν beschreiben die Begleitumstände (modal)476 und/oder die Eigenschaft (wie hebr. בessentiae).477 Die Passivformen sind als passiva divina zu interpretieren. Die erste Antithese: Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt wird in Unvergänglichkeit (σπει' ρεται ε ν φθορα^, , ε γει' ρεται ε ν α φθαρσι' α, ; V. 42b) stellt die „Vergänglichkeit“ (φθορα' ) der gegenwärtigen Welt, die die erste Schöpfung kennzeichnet und seit der Sünde Adams als besonders schmerzlich ————————————————————
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Chrysostomus 358; Meyer 460; Weiss 371; Robertson / Plummer 371-372; Bachmann 465; Kremer 356; vgl. Barrett 372. Müller, Leiblichkeit, 209.211; Wolff 406 Anm. 342. Calvin 464; Godet II 226; Heinrici 491; Lietzmann 84; Schlatter 435; Wolff 406; Hays 271; Schrage IV 294-296; Lindemann 359. Asher, Metaphor, 109-110.122 interpretiert konsequent im Sinne der Erschaffung Adams, u.a. mit dem Argument, dass ε γει'ρεται sich auf ein einmaliges Ereignis bezieht, was den Bezug von σπει'ρεται auf ein einmaliges Ereignis nahelege. Asher kann allerdings die Wendung σπει'ρεται ε ν α τιμι'α, in V. 43a nicht erklären. Garland 733 folgt Asher: „Humankind bears all the hallmarks of the first human, made of the same corruptible dust“. Im Sinne der „Erschaffung des Menschen, die sein gegenwärtiges irdisches Leben bestimmt“, interpretiert Wolff 406; vgl. Lang 234. Lindemann 359 schließt aus der Formulierung mit präsentischen Verbformen, dass es nicht um das Verhältnis von Vergangenheit bzw. Gegenwart und Zukunft gehe, „sondern um das grundsätzliche Gegenüber zweier Bereiche“. Wenn sich die beiden „Bereiche“ auf die Gegenwart und auf die Zukunft verteilen, kann man ein zeitlich-chronologisches Element nicht ausschließen. Weiss 371; Lindemann 359. Müller, Leiblichkeit, 208 Anm. 127.
966 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
erfahren wird, der „Unvergänglichkeit“ (α φθαρσι' α) der neuen Welt Gottes gegenüber. Das Wort φθορα' 478 steht in V. 50 parallel zu „Fleisch und Blut“ und beschreibt den Menschen in seinem irdischen Verhaftetsein; in Röm 1,23 bezeichnet Paulus den Menschen im Gegenüber zum unvergänglichen Gott als φθαρτο' ς; in Röm 8,21 ist von der Schöpfung die Rede, die der Vergänglichkeit wie ein Sklavenhalter unterworfen ist; in Gal 6,8 ist φθορα' das Schicksal des Menschen, der sich auf „das Fleisch“ verlässt und nicht auf den Geist Gottes, der allein ewiges Leben schafft. Wenn Paulus nur von der Erschaffung Adams spricht, dann ist die Vergänglichkeit der Schöpfung nicht mit der Sünde zu verknüpfen. Wenn er gleichzeitig vom Zustand der gegenwärtigen Welt und damit von der Menschheit spricht, dann ist die Vergänglichkeit als „Geschickfolge der Sünde“ zu verstehen.479 Αφ θαρσι' α ist die „Unvergänglichkeit“ im Sinne der Unsterblichkeit (V. 54) und des ewigen Lebens (Gal 6,8). Der Auferstehungsleib, den Gott für den Menschen erschaffen wird, lässt die Möglichkeit des Todes hinter sich und erfreut sich ewigen Lebens. Die grundlegende Bedeutung dieser ersten Antithese wird daran erkennbar, dass die Begriffe „vergänglich“ und „unvergänglich“ in V. 50-54 in der Beschreibung der Verwandlung bei der Wiederkunft Jesu wieder aufgegriffen werden. 43 Die zweite Antithese: Gesät wird in Unehre, auferweckt wird in Herrlichkeit (σπει' ρεται ε ν α τιμι' α, , ε γει' ρεται ε ν δο' ξη, ) kontrastiert „Unehre“ und „Herrlichkeit“. Δο' ξα bezeichnet hier die Herrlichkeit der sichtbaren Verwirklichung des Heils in der Neuen Welt Gottes und den Glanz der unmittelbaren Gegenwart Gottes. Ατιμι' α bezeichnet im Zusammenhang von 4,10 Schmach und Schande, im Zusammenhang von 12,23 Unansehnlichkeit und Jämmerlichkeit. In Phil 3,21 wird der Auferstehungsleib als σω ^ μα τη^ ς δο' ξης bezeichnet und dem σω ^ μα τη^ ς ταπεινω' σεως, dem „Leib der Niedrigkeit“ gegenübergestellt, d.h. der irdischen, durch Vergänglichkeit und Tod bestimmten menschlichen Existenz. Der Auferstehungsleib kann nicht mehr geschändet werden, weil er Anteil hat an der glanzvollen Herrlichkeit Gottes. Die dritte Antithese: Gesät wird in Schwachheit, auferweckt wird in Kraft (σπει' ρεται ε ν α σθενει' α, , ε γει' ρεται ε ν δυνα' με; V. 43b) stellt die „Schwachheit“ (α σθε'νεια) der irdischen Existenz der „Kraft“ (δυ' ναμις) des Auferstehungsleibes gegenüber, der von der Macht Gottes erschaffen und bevollmächtigt wird, in vollkommener Weise den Willen Gottes zu tun. ————————————————————
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G. Harder, Art. φθει'ρω κτλ., ThWNT IX, 94-106; T. Holtz, EWNT III, 1009-1013; F. Merkel, ThBLNT II, 1734-1737. In den Papyri beschreibt φθορα' die Beschädigung oder die Vernichtung von Eigentum; vgl. A. Papathomas, in Arzt-Grabner 498. Wilckens, Christus, 401; vgl. Sellin, Auferstehung, 227; Verburg, Endzeit, 181.184. Anders Schrage IV 295 Anm. 1448, der den „Sündengedanken“ als Postulat betrachtet.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 967 ————————————————————————————————————
44 Die vierte Antithese: Gesät wird ein beseelter Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib (σπει' ρεται σω ^ μα ψυχικο' ν, ε γει' ρεται σω ^ μα πνευματικο' ν) nimmt aus V. 35 das Stichwort σω ^ μα auf und formuliert die Grundaussage des Abschnitts als Antwort, wie (πω ^ ς), d.h. mit welchem Leib die Toten auferweckt werden. Adam wurde als „beseelter Leib“ (σω ^ μα ψυχικο' ν) erschaffen: als Gott den Lebensatem in ihn blies, wurde er ει ς ψυχη` ν ζω ^ σαν, „zur lebendigen Seele“, „zu einem lebendigen Wesen“. Im NT bezeichnet ψυχη' den Menschen „in seiner umfassenden Leiblichkeit“ 480 und beschreibt häufig „das ganze natürliche Sein und Leben des Menschen“. 481 Da ψυχη' häufig das Innere des Menschen bezeichnet, ist sie im NT oft der Ort der Begegnung mit ^ μα Gott.482 Im Kontext der drei vorausgehenden Antithesen bezeichnet σω ψυχικο' ν nicht nur den lebendigen Leib des Menschen, sondern den von Gott geschaffenen („gesäten“) irdischen Leib des Menschen, der von Vergänglichkeit (V. 42b), Unehre und Schwachheit (V. 43) gekennzeichnet und bestimmt ist. Das Leben Adams war von Anfang an vom Tod bedroht (Gen 2,17). Nach seiner Sünde wurde der Tod und damit Vergänglichkeit, Unehre und Schwachheit eine die menschliche Existenz bestimmende Wirklichkeit. In 2,14 hatte Paulus betont, dass der „natürliche Mensch“ (ψυχικο` ς α»νθρωπος) das durch den Geist vermittelte Wirken Gottes nicht verstehen kann. In 2,1314 und 3,1-3 setzt Paulus ψυχικο' ς mit σα' ρκικος („fleischlich“) gleich, in 15,46-49 mit χοι¨κο' ς („irdisch“).483 Die Formulierung „geistlicher Leib“ (σω ^ μα πνευματικο' ν) ist in der gesamten griechischen Literatur vor Paulus nirgends belegt. Der „geistliche Leib“, den Gott erschaffen wird (ε γει' ρεται), ist von Unvergänglichkeit (V. 42b), Herrlichkeit und Kraft (V. 43) gekennzeichnet und bestimmt. Die Kontinuität des einzelnen Menschen, der in der gegenwärtigen Welt als σω ^ μα ψυχικο' ν lebt und der in der zukünftigen Neuen Welt Gottes als σω ^ μα πνευματικο' ν auferstehen wird, hängt nicht an dem σω ^ μα des Menschen,484 ————————————————————
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U. Schnelle, ThBLNT II, 1621, das Folgende 1622; Schweizer, ThWNT IX, 616.649. Vgl. Mt 6,25; Mk 3,4; Lk 6,9; 12,22-23; Röm 2,9; 13,1; 1Kor 15,45. Mt 22,37; Eph 6,6; Kol 3,23; Jak 1,21; 1Petr 1,9; Hebr 10,39. Die negative Wertung von ψυχη' oder ψυχικο' ς ist nicht gnostisch, wie viele Ausleger gemeint haben (Bultmann, Theologie, 177-178; Wilckens, Weisheit, 89-90; immer noch A. Sand, EWNT III, 1203-1204), sondern begegnet in der frühjüdischen Weisheitstradition: Nach Philo ist die menschliche Seele, die keinen Anteil am göttlichen Pneuma hat, vergänglich; vgl. Sellin, Auferstehung, 184-188 zu Philo, All. 1,32; 3,247. Wolff 408 verweist mit Stemberger, Auferstehungslehre, 255-257 auf die „stark realistischen Auferstehungserwartungen“ der Rabbinen, für die die Kontinuität „an einen wie immer gearteten Rest des jetzigen Körpers gebunden ist“. Nach Gen. R. 28 zu 6,7 schafft Gott den Auferstehungsleib aus dem untersten Wirbel des Rückgrats, weil dieser unzerstörbar sei. Konsequent ist in diesem Sinn bSanh 91b: Der Auferstehungsleib wird zunächst alle Gebrechen des irdischen Leibes aufweisen und dann geheilt werden.
968 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
sondern an dem Schöpfungshandeln Gottes, der in der Auferstehung der Toten den vergänglichen, irdischen Leib in einen unvergänglichen, ewigen Leib verwandelt, der vom Geist Gottes, d.h. von der Gegenwart Gottes selbst bestimmt ist.485 Im Licht der Bedeutung von πνευματικο' ς in 10,3-4 und 14,1 bezeichnet σω ^ μα πνευματικο' ν einen Leib übernatürlichen Ursprungs, der vom Heiligen Geist erschaffen wird.486 Der Geist Gottes (πνευ^ μα του^ θεου^ ), den die Jesusbekenner als Anzahlung auf die kommende Erlösung hin erhalten haben (2Kor 5,5; 1,22; Röm 8,23), wirkt in ihnen als Kraft des auferstandenen und erhöhten Herrn und verbürgt ihre zukünftige Auferstehung. Der Ton liegt in V. 44 auf „Leib“, wie die dreimalige Verwendung des Wortes σω ^ μα zeigt. Paulus kommt es nicht darauf an, den „geistlichen Leib“ zu beschreiben, den Gott in seiner Schöpfermacht bei der Totenauferstehung schaffen wird. Deutlich wird jedoch, „daß Paulus sich den Menschen auch in seiner pneumatischen Existenzweise bei seiner Auferstehung nur als neugeschaffenes σω ^ μα und nicht als abstrakte Person vorstellen kann“.487 Paulus folgert in V. 44b aus der Existenz des „beseelten Leibes“ (ει ε»στιν σω ^ μα ψυχικο' ν), dass es auch einen „geistlichen Leib“ gibt (ε»στιν και` πνευματικο' ν). Die Logik des wenn . . . dann Satzes ist umstritten.488 J. Weiss schreibt: „Die einleuchtende Kraft des Satzes liegt darin, daß ψυχικο' ς und πνευματικο' ς sich ausschließende aber auch sich fordernde Gegensätze sind: ist das eine vorhanden, muß auch das andre sein“. 489 A. Schlatter erklärt: „Da die Auferstehung uns die menschliche Art nicht nimmt, sondern sie neu macht, formt Paulus einen Schluß, der aus dem, was der Mensch jetzt ist, folgert, was er sein wird“.490 Chr. Wolff erklärt die Logik mit dem Schöpfungshandeln Gottes, das für Paulus grundlegend ist: „Weil (Realis) es einen irdischen, vergänglichen Leib gibt, gibt es nach Gottes Schöpfungsplan auch ————————————————————
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Hengel, Apokalyptik, 369: Die Auferstehung aus den Toten hat „ihre nächste Analogie in der Schöpfung aus dem Nichts“. Brodeur, Resurrection, 102-103. Schrage IV 300, mit einer nochmaligen Zurückweisung der Möglichkeit, dass Paulus von einer unsterblichen Seele reden könnte. So auch mit Nachdruck Wright, Resurrection, 348352: ψυχικο' ς und πνευματικο' ς beschreiben nicht die Materie, aus der der betreffende „Leib“ besteht – mit der von nicht wenigen Auslegern vertretenen Folgerung, die Plato Freude bereiten würde, dass die Auferstehungsexistenz eine nicht-physische ist –, sondern die Größe, die den Menschen bestimmt, beeinflusst und leitet. Die Problematik zeigt sich in Übersetzungen, die insinuieren, dass der zukünftige Auferstehungsleib nicht-physischer Art sei: EÜ (irdischer Leib/überirdischer Leib), SÜ (natürlicher Leib/geistlicher Leib), MNT (Sinnenleib/geistiger Leib), ZB (natürlicher Leib/geistiger Leib). Eindeutig ist NGÜ: ein irdischer Körper/ein Körper, der durch Gottes Geist erneuert ist. Hübner, Theologie II, 207: Wir sollten hier „unsere Verlegenheit offen eingestehen“. Weiss 373; ähnlich Heinrici 494. Schlatter 436; kritisch Schrage IV 301.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 969 ————————————————————————————————————
einen himmlischen, pneumatischen Leib“. 491 A. Lindemann betont, dass sich der Schluss nicht aus der Erfahrung gibt, sondern aus dem in V. 45 zitierten Schriftwort.492 Andere meinen, V. 44b sei nicht Folgerung aus den bisherigen Ausführungen, sondern eine These, die im Folgenden erläutert wird. 493 Paulus spricht seit V. 42 mit der Metapher des Gesätwerdens implizit von der Erschaffung Adams, der nach Gen 2,7 als lebendige Seele erschaffen wurde. Dieses Schriftwort wird in V. 45 explizit zitiert. Dessen heilsgeschichtliche (christologische) Interpretation (s. unten zu V. 45) ist der Schlüssel zum Verständnis von V. 44b: Der „beseelte Leib“, mit dem Adam erschaffen wurde und der die aus ihm hervorgegangene Menschheit charakterisiert, ist nicht nur potentiell vergänglich und schwach (V. 42b-43), sondern infolge der Sünde tatsächlich vergänglich, unehrenhaft und schwach und deshalb erlösungsbedürftig. Seit dem ersten Adam ist der Weg zum Baum des Lebens blockiert (Gen 3,22-24). Der letzte Adam, der Messias Jesus, hat den Weg zum Leben neu eröffnet. Die von Jesus Christus als „letzter Adam“ (V. 45) bewirkte Erlösung als Lösung des seit Adam bestehenden Problems bedingt, dass, wie es zwei konträre α»νθρωποι gibt, es auch zwei verschiedene σω' ματα gibt, „von denen das eine der Sterblichkeit, das andere der Auferstehung zugeordnet wird und die beide ursächlich auf die beiden Urmenschen zurückgehen“. 494 Paulus unterstreicht in V. 44b noch einmal, das die menschliche Existenz in der Heilsvollendung bei der Auferstehung eine somatische, eine körperliche Existenz ist. A. Schlatter kommentiert den Unterschied zwischen dem gegenwärtigen „beseelten Leib“ und dem zukünftigen „geistlichen Leib“, in den Jesusbekenner bei der Auferstehung der Toten durch Gottes Schöpfermacht verwandelt werden, wie folgt: „Jetzt wird der Mensch von zwei einander entgegengesetzten Seiten bewegt. Er erhält sein Denken und Begehren von seinem Fleisch und wird, wenn er in Christus ist, vom Geist bewegt. Das legt in den Christenstand den Zwiespalt hinein und macht, daß wir nur durch die Absage an das natürliche Begehren den Gehorsam gegen Gottes Willen erreichen. ————————————————————
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Wolff 408; vgl. Burchard, 1 Korinther 15,39–41, 243. Lindemann 360; vgl. Schrage IV 302. Robertson/Plummer 373; Godet II 228-228; Lietzmann 84; Garland 734; E. Schweizer, ThWNT VI, 418; Asher, Polarity, 113. Schrage IV 302. Schrage rät den Auslegern, sich zu „hüten, hier die Sterblichkeit als Resultat des gar nicht erwähnten Sündenfalls Adams oder überhaupt der Sünde einzutragen“ (ebd.); so auch Bultmann, Theologie, 177; ders., ThWNT III, 15; Bousset, Kyrios, 356-357. Die Charakterisierung Jesu Christi, des „letzten Adam“ als πνευ^ μα ζω, οποιου^ ν lässt diesen Rat als petitio principii erscheinen. Die Notwendigkeit der Auferstehung der Toten und der Neuschöpfung der Welt ergibt sich nicht aus einem der ersten Schöpfung inhärenten Manko, sondern aus der in die Welt eingedrungenen Sünde.
970 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Das ist nicht das Letzte, was Gottes Gnade aus dem Menschen macht. Das Ende ist nicht der Kampf, nicht die Gespaltenheit des Begehrens, nicht die Entsagung, die, um für Gott zu leben, das eigene Ich verneint. Die Auferstehung macht den Leib ebenso dem Geiste untertan, wie er jetzt der Seele dient“.495 45 Paulus bezieht das Schriftzitat mit ου« τως auf die vorausgehende Aussage: So steht auch geschrieben: „Es wurde der erste Mensch, Adam, zur lebendigen Seele“ ( Εγε'νετο ο πρω ^ τος α» νθρωπος Αδα` μ ει ς ψυχη` ν ζω ^ σαν). Paulus zitiert Gen 2,7 nach der LXX (και` ε γε'νετο ο α»νθρωπος ει ς ψυχη` ν ζω ^ σαν). Die Ergänzungen πρω ^ τος und Αδα' μ (in der LXX wird Adam erst in 496 Gen 2,16 erwähnt) bereiten die Gegenüberstellung von Adam und Jesus Christus als letzter Adam in V. 45b vor. Die Beschreibung Adams als „lebendige Seele“ (ψυχη` ζω ^ σα) bezieht sich im ursprünglichen Kontext auf die Lebendigkeit des aus dem Staub der Erde erschaffenen Menschen, in den Gott den Lebensatem blies. Manche meinen, dass dieser an sich neutrale Ausdruck im Kontext von V. 42-44 einen abwertenden Sinn erhält, „so, als gelte die Vergänglichkeit bereits seit der Schöpfung“. 497 Paulus stellt in V. 45b das Zitat in den neuen heilsgeschichtlichen Kontext,498 der durch die Person und das Werk Jesu Christi, insbesondere seine Auferstehung aus den Toten, markiert wird: der letzte Adam (wurde) zum lebenschaffenden Geist. Paulus spricht weder vom präexistenten noch vom fleischgewordenen Christus, obschon man mit Recht darauf hinweisen kann, dass Christus für Paulus Α δ α' μ und α» νθρωπος 499 und damit eine geschichtliche Person ist. Dass Jesus als Mensch an der ψυχη` ζω ^ σα Adams Anteil hatte und „in der Gestalt des Fleisches, das unter der Macht der Sünde steht“ (Röm 8,3) lebte, kommt hier nicht in den Blick. Es geht im Kontext (vgl. V. 21-22) allein um die Realität des vollendeten, unvergänglichen Lebens im verherr-lichten Leib der Neuen Welt Gottes, die durch die Auferweckung Jesu Christi in Gang gesetzt wurde. ————————————————————
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Schlatter 436. Sowohl Theodotion als auch Symmachus schreiben in Gen 2,7 ο Αδα' μ α»νθρωπος; vgl. Stanley, Language, 208. Koch, Schrift, 135 Anm. 13 führt diese Lesart irrtümlicherweise auf Aquila zurück. Wolff 408-409; Schrage IV 304-305; Bauer, Leiblichkeit, 99; Wilckens, Christus, 388. Weiss 374; Conzelmann 348; Wolff 409; Koch, Schrift, 134 meinen, dass V. 45b als Bestandteil des Zitats zu denken sei. Dies ist wenig wahrscheinlich. Lindemann 361 weist zurecht darauf hin, dass sich die Aussage, dass „der letzte Adam“ im Unterschied zum „ersten Adam“ Leben schafft, aus dem Gegenüber von Adam und Christus ergibt, „wie es schon in V. 21f. beschrieben worden war“. Fehlt in V. 45b, kann aber aus dem Zitat V. 45a sachgemäß nachgetragen werden.
Der Leib der Auferstehung 15,35-49 971 ————————————————————————————————————
Paulus führt Jesus Christus in die Auslegung von Gen 2 nicht unvorbereitet ein: V. 45b wurde durch V. 20-28 vorbereitet.500 Gen 2,7 spricht von Gott dem Schöpfer, der Adam den Lebensatem einhaucht, die πνοη` ζωη^ ς, die ihn zu einer ψυχη` ζω ^ σα machte. Paulus spricht parallel zu dieser Aussage und in heilsgeschichtlich-endzeitlichem Anschluss von dem neuen Schöpfungshandeln Gottes durch den Messias Jesus und seine Auferstehung von den Toten. Der Messias wurde von den Toten auferweckt, als Erstling der Entschlafenen: Gott verwirklicht durch ihn die Auferstehung der Toten (V. 2021). Wie in Adam alle sterben, so werden im Messias alle lebendig gemacht (V. 22). Das heißt, Jesus eröffnet und repräsentiert eine neue Menschheit, und deshalb kann er Adam an die Seite gestellt werden. Er ist „der letzte Adam“ (ο ε»σχατος Αδα' μ), weil er der Anfänger und Urheber einer neuen Menschheit, d.h. weil er der Messias ist. Das Adj. ε»σχατος will Christus selbstverständlich nicht als letzten Nachkommen Adams beschreiben, sondern als den endzeitlichen Erlöser, der, wie die Realität seiner Auferstehung von den Toten beweist, den uneingeschränkten Herrschaftsanspruch Gottes durchsetzt, gerade auch und zum Schluss dadurch, dass er den Tod vernichtet (V. 24).501 Jesus, der von den Toten auferstandene Messias, ist nicht nur σω ^ μα πνευματικο' ν, der erste Repräsentant einer großen Anzahl von weiteren vom Geist Gottes bestimmten, von den Toten auferweckten Menschen. Während Adam „zur lebendigen Seele“ erschaffen wurde, wurde Jesus der Messias als der letzte Adam „zum lebenschaffenden Geist“ (ει ς πνευ^ μα ζω, οποιου^ ν) von den Toten auferweckt. Das heißt, er ist der Ort der wirkmächtigen Gegenwart Gottes, der neues Leben schafft und Menschen von den Toten auferweckt. Im Kontext ist deutlich, dass der Zeitpunkt, an dem Jesus Christus zum Schöpfungsmittler der neuen Menschheit wurde, seine Aufer^, weckung ist.502 Das attributive Ptz. ζω, οποιου^ ν greift die Wendung ε ν τω Χριστω ^, πα' ντες ζω, οποιηθη' σονται („so werden auch in Christus alle lebendig gemacht“) von V. 22b auf: Christus ist der Leben schaffende Geist, weil Gott infolge der Auferweckung Christi die Jesusbekenner jenseits ihres Todes lebendig machen wird. Die traditionsgeschichtliche Herkunft der Adam-Christus-Typologie und ihr Zusammenhang mit Gen 2,7 ist unterschiedlich bestimmt worden. Die lange beliebte Erklä————————————————————
500 501 502
Wright, Resurrection, 354, für das Folgende vgl. ebd. 354-355. J. Baumgarten, EWNT II, 157. Schlatter 437: Vielleicht wirkt der Gedanke mit, „daß Jesus das Ende der bestehenden Welt bringe, die neue Welt herstelle und die Vollendung schaffe“. Vgl. auch Brodeur, Resurrection, 118-122. Robertson/Plummer 373; Wolff 409; Burchard, 1 Korinther 15,39–41, 244 schließen aus γι'νεσθαι εις, dass Jesus durch einen Prozess zum „lebenschaffenden Geist“ wurde; kritisch Schrage IV 305 Anm. 1496; Hauger, Deutung, 49-50. Vgl. 2Kor 3,17; Röm 1,4.
972 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— rung mit gnostischen Urmensch-Spekulationen ist infolge der Quellenlage und infolge der Tatsache, dass die angeführten Parallelen alles andere als genau sind, größtenteils außer Mode gekommen.503 Manche Ausleger bevorzugten die Erklärung mit der sog. „corporate personality“, der hebräischen bzw. jüdischen Vorstellung vom Stammvater, von dessen Geschick seine Nachkommen betroffen sind. Diese Vorstellung kann jedoch weder die universale noch die endzeitliche Dimension erklären, die bei Paulus grundlegend sind; außerdem fehlt die Entgegensetzung von ψυχη' und πνευ^ μα.504 Die meisten Ausleger verweisen heute auf weisheitlich-dualistische Traditionen des alexandrinischen Judentums, wie sie vor allem bei Philos Auslegung von Gen 1–2 zu Trage treten.505 W. Schrage weist bei aller Sympathie für diese Erklärung auf Unterschiede zu Paulus hin, „die entweder auf paulinische Korrektur, auf eine andere Tradition oder einen eigenen Entwurf des Paulus deuten“:506 Gen 1,27 spielt im Unterschied zu Philo bei Paulus offenkundig keine Rolle; Paulus kennt keinen himmlischen ersten Adam; der himmlische Mensch (Jesus Christus) ist für Paulus kein zeitloses Ideal, sondern eine geschichtliche Person; Philo spricht von zwei Menschenarten in der Gegenwart, ohne die eschatologische Dimension eines „letzten Adam“ zu erwähnen; bei Philo spielt die leibliche Auferstehung des himmlischen Menschen keine Rolle; Paulus betont nicht die Entsprechung, sondern die Entgegensetzung von ψυχικο' ς und πνευματικο' ς.
Jesus Christus ist als „der letzte Adam“ das Ziel der Geschichte, weil er nicht bloß wie der erste Adam ψυχη' ist, sondern πνευ^ μα, das den seit Adam in der Welt durch die Generationen der Menschheit hindurch schreitenden Tod überwindet und das neue Leben der Neuschöpfung Gottes schafft. Der erste Adam war Geschöpf. Der letzte Adam ist der Schöpfungsmittler, durch den Gott den Tod überwindet und den Auferstehungsleib schafft. Das Ptz. Präs. ζω, οποιου^ ν ist in seinem Gegenwartsbezug ernst zu nehmen, gerade im Kontext der Imperative in V. 33-34. Der lebenschaffende Geist des Herrn wirkt bereits in der Gegenwart: Jesusbekenner leben in der wirkmächtigen Gegenwart der „Herrlichkeit des Herrn“ und werden dadurch in das Bild Christi verwandelt, „von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn“ (2Kor 3,18). Die Neue Welt Gottes, die mit der leiblichen Auferstehung der Toten einsetzt, ragt in die Gegenwart hinein: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden“ (2Kor 5,17). Für die korinthischen Christen ergibt sich aus der Realität des lebenschaffenden Geistes, in dessen Machtbereich sie durch den Glauben an den Herrn Jesus Christus versetzt wurden, dass sie sowohl „schlechten Umgang“ wie auch schlechte Sitten meiden sollen (V. 33) und sich bewusst, entschieden und konsequent von sündigen Verhaltensweisen ————————————————————
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Vgl. die Diskussion von Pearson, Pneumatikos, 51-85; Sellin, Auferstehung, 195-209. Schrage IV 274, mit Verweis auf Käsemann, Römer, 134. Vor allem Sellin, Auferstehung, 92-189. Schrage IV 275, das Folgende ebd. 275-276.
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fernhalten (V. 34), diese jedenfalls nicht bagatellisieren oder für irrelevant erklären. Jesus Christus hat als der lebenschaffende Geist, der den Leib der Jesusbekenner von den Toten auferwecken wird, einen Anspruch auf ihren Leib auch und gerade in der Gegenwart. 46 Der Satz: Aber das Geistliche war nicht zuerst, sondern das Seelische, dann das Geistliche unterstreicht die in V. 45 angesprochene zeitliche Reihenfolge: die mit der Erschaffung Adams gegebene beseelte Existenzweise (το` ψυχικο' ν) kam zuerst (πρω ^ τον), die von Gott in der Auferstehung Jesu Christi geschaffene geistliche Existenzweise (το` πνευματικο' ν) kam danach (ε»πειτα). Wenn man von V. 44 her σω ^ μα ergänzt, interpretiert man im Sinne der „Leiber“, die der Jesusbekenner nacheinander hat, „der zuerst den psychischen Leib trägt, ehe er bei der Parusie den himmlischen erhält“. 507 Manche ergänzen Adam bzw. α»νθρωπος.508 Die neutrischen Formulierungen sind so allgemein, dass man auf solche Ergänzungen verzichten kann. 509 Viele interpretieren V. 46 als polemische Aussage, die eine korinthische Position korrigiert: Paulus dämpfe eine Überbewertung des Geistes bei den Korinthern mit den Hinweis, dass das Psychische noch nicht überwunden ist. 510 Oder: Paulus drehe die von den Korinthern geglaubte Reihenfolge der beiden Urmenschen um und betone, dass der pneumatische, der vollkommene, der entweltlichte Mensch nicht älter ist als die psychische, vergängliche, irdische Existenz.511 Andere Ausleger kommen ohne die Annahme eines Missverständnisses oder einer falschen Position aus, die Paulus korrigieren will.512 Im Kontext der Auseinandersetzung um die leibliche Auferstehung der Toten unterstreicht Paulus jedenfalls, dass „das Seelische“ dereinst in „das Geistliche“ verwandelt wird, d.h. dass Gott in der Totenauferstehung die normale menschliche Existenz mit ihrem vergänglichen Leib im Anschluss an Jesus Christus, den lebenschaffenden Geist, in den vom Geist belebten und bestimmten Leib umgestalten wird. Auf dem Hintergrund der Auslegung und Anwendung von Gen 2,7 betont Paulus, dass Jesus den Weg in die sehnsüchtig erwartete Zukunft, in die von Gott dem Schöpfer geplante Neue Welt eröffnet hat. Die Existenzweise des πνευματικο' ν ist keine von Gott bereitge————————————————————
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J. Jeremias, Art. Αδα' μ, ThWNT I, 143; vgl. E. Schweizer, ThWNT VI, 418; Bachmann 469; Garland 735; Spörlein, Leugnung, 107; Brodeur, Resurrection, 124-125. Brandenburger, Adam, 74-75 im Sinn eines gnostischen Anthropos-Erlöser-Mythos; Sellin, Auferstehung, 179 (α»νθρωπος als anthropologisches Prinzip). Meyer 465; Heinrici 497; Weiss 376; Wolff 410; Schrage IV 307. Wolff 410; ähnlich Schrage IV 306-307. Sellin, Auferstehung, 179. Garland 735; Morisette, L’antithèse, 120; Larsson, Christus, 120; Müller, Leiblichkeit, 221; Asher, Polarity, 111.
974 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
stellte Wirklichkeit, von der der Mensch abgefallen ist, sondern eine zukünftige Wirklichkeit, die die ψυχικο' ν-Existenz ersetzt und ablöst.513 47 Paulus entwickelt den Kontrast zwischen Adam und dem Messias auf den Hintergrund von Gen 1–2 weiter, indem er verdeutlicht, weshalb Adam vergänglich ist und weshalb sich der Messias von dem vergänglichen ersten Menschen unterscheidet. Der Satz: Der erste Mensch kommt von der Erde und ist Erde (ο πρω ^ τος α»νθρωπος ε κ γη^ ς χοι¨κο' ς) greift auf Gen 2,7 514 zurück. Paulus geht es auch hier nicht um die Substanz, aus der der Leib des ersten Menschen besteht. Die Formulierung ε κ γη^ ς („von der Erde“) χοι¨κο' ς („aus Staub/Erde bestehend, irdisch“), die der Charakterisierung als ψυχικο' ς (V. 44.46) entspricht, beschreibt die Herkunft und das Wesen Adams und seiner Nachkommen: der erste Mensch wurde aus Erde gebildet (wie schon der hebr. Name ָאָדםbesagt) und wird zur Erde zurückkehren (Gen 3,19), d.h. er ist vergänglich. Der Messias unterscheidet sich grundlegend von Adam: der zweite Mensch kommt vom Himmel (ο δευ' τερος α»νθρωπος ε ξ ου ρανου^ ). Jesus, der von den Toten auferstandene Messias, kommt „vom Himmel“, d.h. aus der Sphäre Gottes, wenn er am Ende der Menschheitsgeschichte als Retter der Seinen wiederkommt (vgl. 1Thess 1,10; 4,16-17; 2Thess 1,7; Phil 3,2021: „Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann“).515 Jesus wird als „zweiter Mensch“ bezeichnet, weil er als „letzter Adam“ (V. 45) „nach“ dem ersten Adam kommt (V. 46). Der „vom Himmel“ kommende Messias ist nach V. 42b-44 der Auferstandene, den Unvergänglichkeit, Herrlichkeit und Kraft charakterisieren. 48 Mit zwei parallel formulierten Sätzen erläutert Paulus die Bedeutung der beiden „Menschen“ als Repräsentanten der Menschen, die zu ihnen gehören (οι ος . . . τοιου^ τοι). Zunächst erwähnt Paulus den irdischen Menschen (ο ————————————————————
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Wright, Resurrection, 355. Gen 2,7 LXX: και` ε»πλασεν ο θεο` ς το` ν α»νθρωπον χου^ ν (aus Staub) α πο` τη^ ς γη^ ς (von der Erde). Das Adj. χοι¨κο' ς („aus Erde bestehend, irdisch“) hat dieselbe Wurzel wie das Subst. χου^ ς („Staub, Erde“) und ist in der griech. Literatur vor Paulus nicht belegt. Vgl. Koh 3,20; Weish 7,1; 1QH 3,21; 13,15; 1QS 11,21-22. Robertson/Plummer 374; Godet II 235; Bachmann 468; Barrett 375-376; Lang 236; Garland 736; E. Schweizer, ThWNT IX, 466-467; Wright, Resurrection, 355. Anders Schrage IV 309-310, der sowohl einen Bezug auf die Parusie als auch auf die Menschwerdung Jesu ablehnt: Der „zweite Mensch“ ist seit seiner Auferstehung lebenschaffender Geist. Da Paulus in V. 47 nicht nur „Qualität“, sondern auch die Herkunft des ersten und des zweiten Menschen beschreibt, ist die Interpretation im Sinne der Wiederkunft Jesu plausibler.
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χοι¨κο' ς): Wie Adam aus dem Staub der Erde gebildet wurde und deshalb vergänglich, armselig und schwach ist, so sind auch die von ihm repräsentierten Menschen „aus dem Staub der Erde Gebildete“ (οι χοι¨κοι' ), d.h. irdische Menschen, die dem Tod verfallen sind. Auf der anderen Seite steht der himmlische Mensch (ο ε πουρα' νιος), der Messias, der als der Auferstandene einen unvergänglichen Leib hat, der an der Herrlichkeit des im Himmel thronenden Gottes partizipiert, der in der Sphäre Gottes lebt, von dort aus wirkt und von dort aus wiederkommen wird. Die als Jesusbekenner von ihm repräsentiert werden, sind wie Christus himmlische Menschen (οι ε πουρα' νιοι): Sie werden im Anschluss an den „letzten Adam“ die himmlische Leiblichkeit tragen, d.h. denselben unvergänglichen, herrlichen und kraftvollen Leib des von den Toten auferweckten Messias haben. Dass Paulus nicht von einer gegenwärtigen „himmlischen“ Existenzweise der Christen spricht, zeigt das Futur in V. 49. 49 Paulus beschließt den Abschnitt mit dem zentralen Anliegen, auf das es ihm ankommt (man beachte die Rückkehr zur 1. Pers. Plur.). Der Satz: wie wir das Bild des irdischen (Menschen) getragen haben formuliert vom Standpunkt der Vollendung aus (ε φορε' σαμεν, Aor.). Wir Jesusbekenner tragen das Bild des irdischen Menschen vor der Auferstehung. Der „irdische Mensch“ (ο χοι¨κο' ς) bezieht sich wieder auf Adam. Mit ει κω' ν („Bild“) greift Paulus auf Gen 5,3 (Adam zeugte Seth κατα` τη` ν ει κο' να αυ του^ ) oder auf Gen 1,27 (Gott schuf den Menschen κατ ει κο' να θεου^ ) zurück. Das Verb φορε'ω („tragen“) verbindet die Vorstellung vom Bild mit der Vorstellung vom Gewand, das man trägt, und erinnert an den Vergleich des Leibes mit einem Gewand. 516 Dem „Bild“, das man trägt, eignet „die Macht und Ausstrahlungskraft des Abgebildeten, wobei eine Wesenseinheit zwischen Ur- und Abbild besteht und die ει κω' ν als Repräsentant anzusprechen ist“. 517 Paulus betont, dass Jesusbekenner als Nachkommen Adams die Gestalt des vom Staub der Erde Geborenen tragen, d.h. vergänglich und schwach sind. Der Schwerpunkt liegt auf V. 49b: so werden wir auch das Bild des himmlischen (Menschen) tragen. Das heißt: Jesusbekenner werden in der Zukunft ————————————————————
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Vgl. Hiob 10,11; syrBar 49,3; bSchab 152b. Wolff 412 verweist auf Ri 6,34; Jes 51,9; 61,10; Ps 35,26; 93,1; 2Chron 6,41; Hiob 29,14; Sir 27,8; PsSal 11,7; Bar 5,1; Lk 24,49; mAb 6,1 für die Anwendung der Vorstellung vom Gewand auf Sachverhalte, in denen es um die Existenz oder das Handeln des Bekleideten geht. Westermann, Genesis I, 217-218 versteht die Gottesebenbildlichkeit des Menschen in Gen 1,26-27 so, dass der Mensch so geschaffen ist, „daß etwas zwischen dem Schöpfer und diesem Geschöpf geschehen kann . . . daß die Eigentlichkeit des Menschen in dem Gegenüber zu Gott gesehen wird. Die Gottesbeziehung ist nicht etwas zum Menschsein Hinzugekommenes, der Mensch ist vielmehr so geschaffen, daß sein Menschsein in der Beziehung zu Gott gemeint ist“. Schrage IV 311; vgl. Conzelmann 354-355.
976 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
(φορε'σομεν, Fut.) verwandelt werden, wie der von den Toten auferstandene Christus verwandelt wurde und von Gott einen geistlichen Leib (σω ^ μα πνευματικο' ν, V. 44) erhalten hat. Paulus denkt an die Verwandlung „des Leibes unserer Niedrigkeit“ in den „Leib seiner Herrlichkeit“ (Phil 3,21; vgl. Röm 8,29). Chr. Wolff bringt die Aussage auf den Punkt: „Tragen die Glaubenden bislang das Bild Adams, sind sie also in ihrer wahrnehmbaren Existenz von seinem vergänglichen Wesen bestimmt, so werden sie dereinst vom Wesen des erhöhten Christus geprägt werden, ein ihm gleichgestaltetes σω ^ μα erhal518 ten“. Im Blick auf die korinthischen Christen ist ein zweifacher Gedanke wichtig. Erstens, indem Christus der Repräsentant der Jesusbekenner ist, sind Zweifel an der leiblichen Auferstehung der Toten absurd. Als Glaubende, die das Bild des Auferstandenen tragen werden, werden sie in der Auferstehung denselben geistlichen Leib erhalten. Paulus hat mit V. 49 die Frage von V. 35 beantwortet: die Polarität von irdisch-leiblicher Existenz und himmlischewiger Existenz ist nicht unüberbrückbar. Wie Gott den ersten Menschen aus dem Staub der Erde erschaffen hat, dessen „Bild“ wir tragen und also einen vergänglichen Leib haben, so hat Gott in der Auferweckung des Messias Jesus einen geistlichen Leib erschaffen, dessen „Bild“ wir als Jesusbekenner tragen werden, wenn Jesus Christus vom Himmel kommen und die sichtbare Vollendung der unvergänglichen Welt Gottes heraufführen wird. Zweitens, indem die Jesusbekenner das Bild des Auferstandenen tragen werden, besteht eine bleibende Beziehung zu ihm. Das heißt, die vom Bild Adams bestimmte gegenwärtige Leiblichkeit darf nicht so verstanden werden, als dass die Handlungen des Leibes im Blick auf ihre Auswirkungen irrelevant sind. Als Menschen, die in der Auferstehung den geistlichen Leib erhalten werden, der dem Bild des Messias entspricht, werden und sollen sie sich dieser zukünftigen Wirklichkeit entsprechend verhalten.
Die Gewissheit des Sieges über den Tod 15,50-58 I 50 Dies aber sage ich, Brüder: Fleisch und Blut können das Königreich Gottes nicht erben, auch wird die Vergänglichkeit nicht die Unvergänglichkeit erben. 51 Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden jedoch alle verwandelt werden, 52 im Nu, in einem Augenblick, beim Schall der letzten Posaune. Die Posaune wird ————————————————————
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Wolff 412.
Die Gewissheit des Sieges über den Tod 15,50-58 977 ————————————————————————————————————
erschallen, und die Toten werden auferweckt werden als Unvergängliche, und wir werden verwandelt werden. 53 Denn dieses Vergängliche muss mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit bekleidet werden. 54 Wenn aber dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit bekleidet sein wird, dann wird das Wort in Erfüllung gehen, das geschrieben steht: „Der Tod ist verschlungen worden vom Sieg. 55 Wo, Tod, ist dein Sieg? Wo, Tod, ist dein Stachel?“ 56 Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Macht der Sünde aber ist das Gesetz. 57 Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus. 58 Deshalb, meine geliebten Brüder, seid fest, unerschütterlich, tut euch allezeit im Werk des Herrn hervor, da ihr wisst, dass eure Mühe im Herrn nicht vergeblich ist.
II Im zweiten Teil von Kap. 15 zeigt Paulus den korinthischen Christen, dass die Auferstehung der Toten als Verwandlung des Leibes zu verstehen ist. Er beschließt das Argument, dass der Leib der Auferstehung als von Gott neu erschaffener geistlicher Leib zu verstehen ist (V. 35-49), mit dem zusammenfassenden Hinweis auf die Umwandlung, die am Jüngsten Tag alle erfassen wird, die Toten und die Lebenden (V. 50-58). Paulus kombiniert die triumphierende Gewissheit des Sieges über den Tod in der kommenden Auferstehung (V. 54-57) mit der erneuten Aufforderung (V. 2), fest und unerschütterlich den Glauben festzuhalten (V. 58). Viele Ausleger meinen, dass Paulus mit V. 50 ein neues Thema einlei519 tet. J. Jeremias meint, ab V. 50 gehe es nicht mehr um den Dualismus von Sterblichkeit und Unsterblichkeit, sondern um den Gegensatz von Lebenden und Toten: Während Paulus in V. 36-49 die Frage von V. 35b (Mit welchen Leib werden die Toten auferweckt?) behandelt, beantwortet er in V. 50-58 die Frage von V. 35a (Wie werden die Toten auferweckt?). 520 Die Wiederholung des Begriffspaars φθορα' / α φθαρσι' α (V. 42) in V. 50 verdeutlicht, dass V. 50 trotz der erneuten Anrede mit „Brüder“ zum Vorhergehenden zu ziehen ist.521 Das Thema des Abschnitts ist nicht der Unterschied zwischen den zum Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu Christi Lebenden und den bereits Verstorbe————————————————————
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Weiss 377; Bachmann 469-470; Schlatter 441; Conzelmann 356; Fee 797-798; Wolff 413; Collins 573-574; Lindemann 364; Thiselton 1290-1291. Vgl. Lang 238; Schrage IV 362, die von einer Überleitungsfunktion von V. 50 sprechen. Jeremias, Abba, 301; kritisch Sellin, Auferstehung, 75. Lietzmann 86; Barrett 379; Garland 739-740; E. Schweizer, ThWNT VII, 128; Gillman, Transformation, 332; Sellin, Auferstehung, 74-75.223; Asher, Polarity, 147-157; Wright, Resurrection, 356-357.
978 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
nen, sondern die gemeinsame Verwandlung der noch Lebenden und der schon Verstorbenen, die notwendig ist, weil „Fleisch und Blut“, d.h. die irdischen Leiber der das Bild Adams tragenden Menschen, das ewige Königreich Gottes nicht erben können. Paulus führt keine neuen Argumente gegen die Meinung korinthischer Christen ins Feld, dass ein menschlicher Leib nicht in die ewige, unvergängliche Welt Gottes passe und dass deshalb die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung der Toten abzulehnen sei. Paulus beginnt in V. 50 die seine Argumentation abschließenden Bemerkungen mit der Wiederholung des wahrscheinlich von korinthischen Christen vertretenen Prinzips, dem er zustimmen kann, dass sich der Bereich irdischer Existenz und der Bereich der himmlischen Welt Gottes gegenseitig ausschließen. Die Wendung „Fleisch und Blut“ bringen diese Polarität auf den Punkt: Vergängliches kann in der Tat nicht einfach im Handumdrehen unvergänglich werden. Paulus wiederholt in V. 51-53 sein Argument, dass diese Polarität von Gott aufgehoben wird, wenn die Lebenden und die Toten verwandelt werden und neue Leiber erhalten. Die Polarität von irdisch-natürlicher Existenz und göttlich-übernatürlicher Existenz kommt an ihr Ende, wenn der Tod endgültig besiegt sein wird. Der irdische Zustand der Nachkommen Adams wird überwunden, indem diese von Gott verwandelt werden, wenn sie als Jesusbekenner das „Bild“ des Messias tragen und wie dieser bei dessen Kommen am Ende der Tage einen geistlichen Leib erhalten. Paulus bestätigt diesen Ausblick auf den zukünftigen Sieg Gottes über den Tod in V. 54-55 mit einem Schriftzitat aus Jes 25,7 (LXX 25,8) und Hos 13,14, das in V. 56-57 kurz erläutert wird, ehe er in V. 58 mit einer abschließenden Ermahnung schließt. Gliederung. V. 50 bestätigt das Prinzip, dass irdisch-leibliche Menschen, die vergänglich sind, nicht in der neuen, unvergänglichen Welt des Königreiches Gottes leben können. V. 51 betont, dass vor der Wiederkunft Jesu und dem Ende der gegenwärtigen Weltzeit nicht alle Menschen sterben werden, dass aber alle von Gott verwandelt werden. V. 52 erklärt, dass bei der Parusie sowohl die Toten als auch die noch Lebenden verwandelt werden. V. 53 unterstreicht, dass in beiden Fällen das, was vergänglich und sterblich ist, bekleidet wird mit Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit. V. 54-55 bestätigt diesen Ausblick auf die Zukunft mit einem doppelten Zitat aus der Schrift, das in V. 56-57 im Hinblick auf die Macht des Todes und des Sieges Gottes über den Tod erläutert wird. V. 58 schließt mit der Ermahnung, fest im Glauben zu bleiben, und mit der Verheißung, dass ihr Einsatz für den Herrn nicht vergeblich sein wird. Textkritische Anmerkungen. Der westliche Text ersetzt in V. 50 δε' durch γα' ρ (D F G b; McionT Irlat Ambst), wodurch V. 50 explizit als Abschluss von
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V. 45-49 markiert wird. Der Mehrheitstext liest statt Sing. δυ' ναται ( אB 365 pc syh sa; Clpt Or) den Plur. δυ' νανται, was als sekundäre Korrektur gelten muss. Der Text von V. 51 wurde zum Teil erheblich verändert.522 Fünf Lesarten stehen zur Auswahl: 1. πα' ντες ου κοιμηθησο' μεθα, πα' ντες δε` α λλαγησο' μεθα („wir werden nicht alle entschlafen, wir werden jedoch alle verwandelt werden“; B D2 Ψ 075 0243c 1881 Byz sy co; Hiermss; NA27). Diese Lesart kann die anderen am besten erklären. 2. πα' ντες (με` ν) κοιμηθησο' μεθα, ου πα' ντες δε` α λλαγησο' μεθα („wir werden alle entschlafen, aber wir werden nicht alle verwandelt werden“; אC 0243* 33 1241 1739 pc). Ein früher Abschreiber sah in der Tatsache, dass Paulus und die korinthischen Leser verstorben waren, ein Problem für den Text, der von einem Überleben des Apostels bis zur Parusie zu sprechen scheint; er verschob deshalb die Negation ου in den zweiten Satzteil. 3. πα' ντες ου κοιμηθησο' μεθα, ου πα' ντες δε` α λλαγησο' μεθα („wir werden nicht alle entschlafen, und wir werden nicht alle verwandelt werden; d46 Ac; Orig). Diese Lesart ist eine Kombination der ersten beiden Lesarten und kann deshalb nicht ursprünglich sein. 4. οι πα' ντες με` ν κοιμηθησο' μεθα, οι πα' ντες δε` α λλαγησο' μεθα („wir werden alle entschlafen, und wir werden alle verwandelt werden“; A*). Auch diese Lesart eliminiert die als anstößig empfundene Negation, ersetzt sie jedoch durch den bestimmten Artikel. 5. πα' ντες α ναστησο' μεθα, ου πα' ντες δε` α λλαγησο' μεθα („wir werden alle auferweckt werden, aber wir werden nicht alle verwandelt“; D * lat; Tert Ambst Spec). Diese Lesart greift am stärksten in den Text ein, offensichtlich in dem Bestreben, die (gnostische?) Leugnung der allgemeinen Auferstehung der Toten zu widerlegen. In V. 52 lesen d46 D* F G 0243 6 1739 ρ οπη^, statt ρ ιπη^, ( אA B C D2 Ψ (33) 1881 Byz), was die Bedeutung nicht verändert.523 Die Änderungen in V. 54 sind durch Homoioteleuton zu erklären, da V. 54a die Aussage V. 53 wiederholt; die von d46 *אC* u.a. bezeugte kürzere Lesart ist nicht ursprünglich; der von NA27 gedruckte Text entspricht א2 B Byz u.a.524 Die Varianten in V. 55 haben mit der Tatsache zu tun, dass der LXX-Text des Zitats von Hos 13,14 vom MT abweicht. Die von d46 *אB C 088 1739* pc lat co Ir Eus bezeugte Reihenfolge νι^κος . . . κε'ντρον ist gegenüber der Lesart von א2 Ac Ψ 075 1881 Byz sy(p), die den Text an die LXX angleichen, ursprünglich. Die Lesart α«δη , (א2 Ac K P Ψ 88 104 615 Byz) ist ebenfalls eine Angleichung an die LXX. 525 Zu der Konjektur, V. 56 gehöre als Glosse nicht zum Text, s. unten. ————————————————————
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Zur Diskussion vgl. Conzelmann 355-356 Anm. 1; Fee 796 Anm. 3; Lindemann 366; Schrage IV 370; Thiselton 1293; Garland 748; Metzger, Commentary, 502. Zuntz, Text, 37-39. Zuntz, Text, 37; Metzger, Commentary, 502-503. Metzger, Commentary, 503.
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III 50 Mit der Wendung dies aber sage ich, Brüder (του^ το δε' φημι, α δελφοι'; vgl. 7,29) leitet Paulus den letzten Abschnitt seiner Ausführungen über die Auferstehung ein. Die beiden mit ο« τι eingeleiteten Aussagen könnten ein Zitat darstellen, das ein Prinzip formuliert, dem Paulus zustimmt. J. Jeremias meint, die beiden Aussagen in V. 50a und V. 50b seien nicht synonym, sondern bildeten einen synthetischen Parallelismus, der als neues Element einen Kontrast zwischen den Lebenden und den Toten einführt. 526 Die beiden Aussagen sind jedoch eindeutig als synonymer Parallelismus zu interpretieren. Der Satz: Fleisch und Blut können das Königreich Gottes nicht erben fasst den Grundgedanken von V. 36-49 zusammen: Lebende Menschen können keinen Anteil am jenseitigen Leben haben. Die Wendung „Fleisch und Blut“ (σα` ρξ και` αι μα) beschreibt das Wesen des Menschen als von Gott geschaffener, natürlicher, sterblicher Mensch (vgl. Gal 1,16). Paulus macht keine Aussage über die Substanz, aus der der Mensch besteht,527 sondern über die qualitative Unterschiedenheit des Menschen von Gott, der in seinem Königreich herrscht und in „unzugänglichem Licht wohnt“ (1Tim 6,16). Viele atl. und jüdische Texte beschreiben die himmlische Welt Gottes, der selbst „verzehrendes Feuer“ ist, als Lichtglanz und Feuer. 528 Weil die himmlische Welt aus Lichtglanz besteht, müssen die Gläubigen in ihrem neuen Leib dieser Seinsweise der Welt Gottes entsprechen.529 Die Formulierung „das Königreich Gottes erben“ (βασιλει' αν θεου^ κληρονομη^ σαι; s. oben zu 6,9; Gal 5,21) bezieht sich auf den Besitz des vollendeten Heils im Reich des Messias, auf das Leben in der Gegenwart Gottes in der von Gott heraufgeführten Neuen Welt. Mit ου δυ' ναται betont Paulus die Unmöglichkeit, dass der Mensch mit seiner leiblichen Kreatürlichkeit in die Welt der Heilsvollendung eingehen kann. Der zweite Satz: auch wird die Vergänglichkeit nicht die Unvergänglichkeit erben macht dieselbe Aussage:530 „Fleisch und Blut“ sind der „Ver————————————————————
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Jeremias, Abba, 298-299.301-302; Thiselton 1291. Kritisch E. Schweizer, ThWNT VII, 128; Conzelmann 357; Fee 798; Schrage IV 369; Garland 741; Gillman, Transformation, 316-318; Sellin, Auferstehung, 75. Aus diesem Grund kann man aus V. 50 auch keine Aussage über die Beschaffenheit des zukünftigen „geistlichen Leibes“ ableiten. Anders Lindemann 365: die Leiber der Auferstandenen seien nicht σα` ρξ και` αι μα. Ex 3,2; 23,20; Dtn 4,24; Ps 18,9; 50,3; 97,3; 104,2.4; Hiob 37,21-22; Ez 1,27-28; Dan 7,9-10; 4Q405 17,2-3; 20,10; äthHen 14,8-25; 71,1-17; slHen 29; 39,3; syrBar 21,6; ApkAbr 17–19; im NT Joh 1,18; Hebr 12,29; Offb 1,14; 2,18; 19,12. Hengel, Apokalyptik, 370-371: „Der natürliche sündige Mensch in seiner ‚irdisch-fleischlichen Leiblichkeit‘ müßte vor dem himmlischen Feuer und Lichtglanz der Gottesgegenwart vergehen, darum ist es notwendig, daß diejenigen Gestalten wie Henoch, Mose, Elia . . . auf wunderbare Weise geschützt oder in die göttliche δο' ξα hinein verwandelt werden“. Vgl. die Verben κληρονομη^ σαι . . . κληρονομει^.
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gänglichkeit“ (φθορα' ) unterworfen, während das Reich Gottes von „Unvergänglichkeit“ (α φθαρσι' α) gekennzeichnet ist, ein zentrales Merkmal der Auferstehung der Toten, um die es im Kontext geht. Die Begriffe φθορα' und α φθαρσι' α nehmen V. 42 auf. Das Wort φθορα' beschreibt nicht nur die Toten (wie J. Jeremias meint), sondern allgemein das Vergängliche dieser Welt. Paulus betont noch einmal den Kontrast zwischen der gegenwärtigen, vergehenden Welt und der zukünftigen, ewigen Welt, um den korinthischen Lesern die Bedeutung von „Fleisch und Blut“ und „Reich Gottes“ zu verdeutlichen.531 51 Wenn „Fleisch und Blut“ das Reich Gottes nicht erben können und wenn vergängliche Menschen keine Unvergänglichkeit erhalten können, dann scheint die Vorstellung von einer leiblichen Auferstehung in der Tat absurd und die Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele plausibler zu sein. Das mit dem im 1. Korintherbrief singulären ι δου' feierlich eingeführte Geheimnis (μυστη' ριον), das Paulus den korinthischen Christen mitteilt, erläutert, wie diese gedankliche Unmöglichkeit Wirklichkeit werden kann. Das als „Geheimnis“ (s. oben zu 2,1.7) weitergebene Offenbarungswort V. 51b-52a kann als „geistgewirkte situationsbezogene Interpretation“ von 1Thess 4,16-17 verstanden werden. 532 Das Offenbarungswort führt kein neues Argument in die Diskussion ein, sondern betont, dass alle, auch die bei der Wiederkunft Jesu Christi noch lebenden Menschen, durch ihre völlige Verwandlung in die Vollendung eingehen werden. Das Offenbarungswort liegt damit ganz „in der Linie der bisherigen Argumentation“.533 Die erste Aussage des endzeitlichen Geheimnisses besagt, dass nicht alle Menschen vor der Wiederkunft Jesu sterben werden: Wir werden nicht alle entschlafen (πα' ντες ου κοιμηθησο' μεθα; V. 51b). Viele meinen mit Verweis auf 1Thess 4,15.17, dass diese Formulierung den Gedanken der Naherwartung des Endes zum Ausdruck bringt: „Paulus rechnet damit, daß es gegenwärtig lebende Menschen gibt, die nicht sterben werden“. 534 Die Naherwartung, die zweifelsohne für Paulus zu attestieren ist, besteht allerdings nicht in der Gewissheit, dass das Weltende innerhalb der nächsten zwanzig ————————————————————
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Heinrici 503; Klauck 120; Schrage IV 369. Wolff 414; vgl. Bockmuehl, Revelation, 170-175, der mit Röm 11,25-27 und 1Thess 4,1317 vergleicht. Hengel, Apokalyptik, 372 meint, dass es sich nicht um eine persönliche „revelatio specialissima an den Apostel“ handeln muss, „sondern es kann sich um ein in der griechischsprechenden Gemeinde traditionelles endzeitliches Offenbarungswissen handeln, das freilich von seinem Inhalt her menschliche Erfahrung schlechterdings übersteigt und das daher als vom Geist mitgeteilt verstanden wurde“. Schrage IV 371. Lindemann 366; vgl. Conzelmann 358 mit Anm. 13: „Es ist vergeblich, das zu bestreiten“; Schrage IV 375 mit Anm. 1873.
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oder dreißig Jahre kommt.535 Wenn Paulus in 6,14 schreibt, dass Gott „auch uns auferwecken wird durch seine Macht“, wird man aus dem Personalpronomen „uns“ (η μα^ς) kaum schließen, dass Paulus meint, er und alle korinthischen Christen würden vor der Parusie sterben. In diesem Satz ist η μα^ς genauso unbestimmt wie die 1. Pers. Plur. in V. 51b. In 11,30 spricht Paulus von zahlreichen Todesfällen in der korinthischen Gemeinde, in 15,23 von der Totenauferstehung der Jesusbekenner, in 15,30 von den Gefahren, in denen er sich ständig befindet (und in denen er durchaus sterben könnte). Paulus rechnet offensichtlich mit der Möglichkeit, dass er oder andere Mitchristen noch am Leben sind, wenn Gott die bestehende Weltwirklichkeit in die neue und ewige Wirklichkeit seiner Neuen Welt überführt. Er legt sich jedoch im Blick auf den Zeitpunkt des Einbruchs der Neuen Welt Gottes weder hier noch an einer anderen Stelle fest. Er weist in V. 51a lediglich darauf hin, dass Gott die Menschheitsgeschichte früher oder später zum Abschluss bringen wird. Mit „alle“ (πα' ντες) meint Paulus alle Jesusbekenner, die am Ende, wenn Gottes Neue Welt in sichtbarer und vollkommener Wirklichkeit anbricht, am Leben sind. Der Akzent liegt auf der zweiten Aussage des Geheimnisses: Wir werden jedoch alle verwandelt werden. Das mit adversativem δε' angefügte πα' ντες umfasst sowohl die Lebenden als auch die Toten. Alle, die Verstorbenen genauso wie die am Ende dieser Weltzeit noch Lebenden, werden von Gott verwandelt werden (α λλαγησο' μεθα ist passivum divinum). Das Verb α λλα' σσω („verändern, verwandeln, vertauschen“) beschreibt die Veränderung, die der beseelte, irdische, vergängliche Leib in der Heilsvollendung erfahren wird, wenn Jesusbekenner in einen geistlichen Leib (σω ^ μα πνευματι536 κο' ν) verwandelt werden. Weil „Fleisch und Blut“ das Reich Gottes nicht erben und vergängliche Menschen nicht in die unvergängliche Welt Gottes eingehen können, müssen die Jesusbekenner verwandelt werden, um die Heilsvollendung erfahren zu können. Das Geheimnis besteht nicht darin, dass die Lebenden und die Toten bei der Parusie einander gleichgestellt sind, sondern dass sowohl die Lebenden als auch die Toten eine Transformation erleben werden, die notwendig ist, um den unvergänglichen und herrlichen Leib ————————————————————
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Allo 433; Bachmann 470; Thiselton 1293-1294; Garland 742-743. Vgl. in Phil 3,21 das Verb μετασχηματι'ζομαι. Für Parallelen in der apokalyptischen Literatur vgl. äthHen 50,1; 90,38; 108,11; Ant. Bibl. 19,16; TestBenj 10,8; 4Esra 6,26; syrBar 51. Müller, Leiblichkeit, 237 weist darauf hin, dass α λλα' σσω in der LXX die Bedeutung „Kleider wechseln, d.h. neue Kleider anziehen“ hat, vgl. Gen 35,2; 41,14; 45,22; Ri 14,13; 2Sam 12,20; 2Kön 5,5. In Papyrusbelegen, in denen sich α λλα' σσω auf Personen bezieht, geht es um eine „(Ver-)Wandlung“ im Sinne einer inneren Veränderung des Wesens oder Charakters; vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 501, mit Verweis auf P.Ryl. II 230,9-11; BGU VII 1675,3-4.
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zu erhalten, den Gott in Analogie zur Auferweckung des Messias erschaffen wird, der als lebenschaffender Geist diese Umgestaltung bewirkt. 537 Die Frage, ob πα' ντες alle Menschen ohne Ausnahme meint, oder nur die Jesusbekenner, wird von Paulus nicht beantwortet. Er stellt keine detaillierte Ereignisabfolge der endzeitlichen Geschehnisse auf. 538 Während er an anderen Stellen auf das Endgericht verweist (3,8.13-15; 5,5; 6,2-3; 9,27), bleibt dieses hier unerwähnt, genauso wie die Wiederkunft Jesu, die anders als in 1Thess 4 hier nicht explizit erwähnt wird (vgl. den kurzen Hinweis in V. 23b). Dies ist nicht überraschend, weil es Paulus nicht um die endzeitlichen Ereignisse als solche geht, sondern um die Betonung, dass am Ende der Zeit alle, die Toten wie die Lebenden, verwandelt werden. 52 Die dritte Aussage des endzeitlichen Geheimnisses besagt, dass die Transformation der Lebenden und der Toten nicht graduell, sondern schlagartig erfolgen wird, wenn der Zeitpunkt des Endes gekommen ist: im Nu, in einem Augenblick, beim Schall der letzten Posaune (V. 52a). Die Schlagartigkeit der Verwandlung wird durch zwei Wendungen unterstrichen: ε ν α το' μω, (χρο' νω, )539 („im Nu“) und ε ν ρ ιπη^, ο φθαλμου^ („in einem Augenblick“, wörtl. „beim Hinwerfen eines Blicks“). Der Hinweis auf den „Schall der letzten Posaune“ (ε ν τη^, ε σχα' τη, σα' λπιγγι) markiert den Zeitpunkt, an dem die Transformation der Toten und der Lebenden stattfinden wird.540 Der Ausdruck bezieht sich nicht auf die letzte in einer Reihe mehrerer Posaunen (so in Offb 8,2–11,10), sondern auf die von den Propheten angekündigte Posaune Gottes, die im Zusammenhang der mit dem Ende der gegenwärtigen Weltzeit verbundenen Ereignisse541 das Kommen des Herrn ankündigt (1Thess 4,16). ————————————————————
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Garland 743; Asher, Polarity, 157-161. Schrage IV 372 Anm. 1860 kritisiert zurecht A. Oepke, ThWNT V, 866: „farbenprächtige Parusieschilderungen“ sind weder in V. 22-28 noch in V. 50-55 enthalten. α»τομος bezeichnet eine unteilbare kleine Zeiteinheit. Lindemann 366 verweist auf Aristoteles, Phys. 6,5 p 235,30-33; 236,5-7. Anders die Vorstellung in syrBar 50-51, wonach die Toten zunächst in ihre alte Leiblichkeit zurückkehren und dann zusammen mit den Überlebenden verwandelt werden. Vgl. Schrage IV 374-375: Paulus ist nicht um die Identifizierung und die Identitätssicherung der vom Tod Erweckten besorgt. Joel 2,1; Zef 1,16; Jes 27,13; Sach 9,14; vgl. 4Esra 6,23; Sib 4,173; 8,239; Mt 24,31; vgl. die zehnte Bitte des Achtzehn-Bitten-Gebets: „Stoße in die große Posaune zu unserer Freiheit und erhebe ein Panier zur Sammlung unserer Verbannten. Gepriesen seist du Herr, der die Vertriebenen seines Volkes Israel sammelt“. Bei Theophanien werden ebenfalls Posaunen erwähnt, vgl. Ex 19,16; Ps 47,6. Schrage IV 373 Anm. 1865 weist richtig darauf hin, dass die von R. Aqiba erwähnten sieben Posaunenstöße, die mit sieben Akten des Auferstehungsvorgangs verbunden sind, für Paulus wenig besagen, weil für ihn die Auferweckung der Toten „eben kein Drama mit mehreren sukzessiven Akten“ ist, „sondern Ereignis eines einzigen Augenblicks“.
984 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Paulus interessiert sich hier nicht für die Frage, ob zum Beispiel die Posaune buchstäblich oder bildhaft zu verstehen ist. Der wiederholte Hinweis auf die Posaune – die Posaune wird erschallen (σαλπι' σει)542 – leitet den Kommentar zum Offenbarungswort ein. Dieser konzentriert sich aufschließlich auf die Auferweckung und Verwandlung der Toten und der Lebenden. Sobald die Posaune Gottes erschallt, werden die Toten auferweckt als Unvergängliche (οι νεκροι` ε γερθη' σονται α»φθαρτοι), d.h. ihr irdischer, vergänglicher Leib wird in einen geistlichen, unvergänglichen Leib verwandelt. Dass die Toten, die auferweckt werden, zugleich verwandelt werden, ergibt sich aus dem folgenden και' , mit dem die Aussage über die Verwandlung der noch Lebenden angeschlossen ist. Der Satz und wir werden verwandelt werden (και` η μει^ς α λλαγησο' μεθα) wiederholt V. 51b (πα' ντες δε` α λλαγησο' μεθα): Alle, die Toten und die Lebenden, werden beim Schall der Posaune Gottes am Jüngsten Tag verwandelt werden. 53 Paulus begründet V. 52b (γα' ρ) mit dem Hinweis auf eine Notwendigkeit: Denn dieses Vergängliche muss mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit bekleidet werden. Dass „dieses Vergängliche“ (το` φθαρτο` ν του^ το) mit Unvergänglichkeit bekleidet werden „muss“ (δει^), ergibt sich aus einer Setzung Gottes,543 ist aber auch in der offenkundigen Tatsache begründet, dass vergängliche, sterbliche Menschen eben nicht unvergänglich sind (V. 50). Es geht nicht mehr um die Unterscheidung zwischen den Lebenden und den Toten, sondern um die Notwendigkeit der neuen Leiblichkeit, die durch die zukünftige Transformation geschaffen wird. Das Wort α θανασι' α kommt im NT nur in V. 53.54 und in 1Tim 6,16 vor.544 Das Bild vom Bekleidetwerden will nicht sagen, dass die gegenwärtige irdische Existenz „nackt“ ist,545 sondern spricht von dem neuen Leib, den die Jesusbekenner beim Schall der letzten Posaune erhalten werden. 546 Der neue ————————————————————
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Dass diese Formulierung unterstreiche, dass es noch nicht soweit ist, wie Wolff 415 meint, ist in den Text hineingetragen. Paulus argumentiert in Kap. 15 nicht gegen die Meinung, die Auferstehung sei schon geschehen, sondern gegen den Einwand, die Auferstehung könne keine leibliche sein. Schrage IV 376 mit Anm. 1876; Müller, Leiblichkeit, 236-237. Vgl. R. Bultmann, Art. θα' νατος (α θανασι'α), ThWNT III, 23-25 zum philosophischen Hintergrund; Paulus bezeichnet mit diesem Wort „die unvergängliche Seinsweise der Auferstandenen“, nicht nur die ewige Dauer. In den Papyri ist α θανασι'α bislang nicht belegt; mit dem Adj. α θα' νατος wird öfter betont, dass der Mensch nicht unsterblich ist (Preisigke, Wörterbuch, s.v. α θα' νατος 1); Arzt-Grabner 502 verweist noch auf den Kondolenzbrief SB XVIII 13946,14-15, in dem es heißt: „denn niemand der einfach Geborenen ist unsterblich“ (ου δ. ε. ι.`ς γα` ρ τω ^ ν α πλω ^ ς γεν. νω μ. ε' νων α θ. [α' ν]α. τος.); unsterblich sind nur die Götter (P.Oxy. IV 832). Lindemann 369; anders Sellin, Auferstehung, 225. Vgl. 2Kor 5,4; Offb 3,5; 4,4; 6,11; 7,13; 19,8.14. Vgl. Gillman, Comparison, 439-454.
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Leib wird als „Gewand“ der vollendeten Herrlichkeit bildlich dargestellt. Das zwei mal wiederholte Verb ε νδυ' ω („anziehen“) verweist auf die Identität des Gläubigen mit seiner künftigen verwandelten Existenz. 547 Paulus betrachtet die Auferstehung des Leibes nicht als eine creatio ex nihilo, in der Gott (Pass. ε νδυ' σασθαι) etwas völlig Neues schafft, das mit dem irdischen, das Bild Adams tragenden Menschen keinerlei Verbindung hat. Paulus beschreibt die Auferstehung der Toten einerseits als Austausch zweier Existenzweisen (V. 44), andererseits als Transformation der bestehenden Existenzweise (V. 3637.51-54).548 In 2Kor 5 ist dies noch deutlicher: Das „irdische Haus“ wird „abgebrochen“ (καταλυθη^, ) und durch ein von Gott errichtetes „ewiges Haus“ (οι κι' α αι ω' νιον; 5,1) ersetzt; Paulus zieht es vor, aus diesem Leib „auszuwandern“ (ε κδημη^ σαι), um „daheim“ beim Herrn zu sein (ε νδημη^ σαι προ` ς το` ν κυ' ριον; 5,8). Gleichzeitig spricht Paulus davon, dass Jesusbekenner sich danach sehnen, mit dem „Haus“, das vom Himmel kommt, „überkleidet“ zu werden (ε πενδυ' νασθαι; 5,2.4), weil dann das Sterbliche vom Leben „verschlungen“ wird (καταποθη^, ; 5,4). Wie dieses Zueinander von Diskontinuität und Kontinuität aussieht, bei der die Identität der Jesusbekenner gewahrt bleibt, wird von Paulus weder in 2Kor 5 noch in 1Kor 15 geklärt. 54 Paulus wiederholt in V. 54a zunächst V. 53b praktisch wörtlich549 und unterstreicht damit die Bedeutung dieser Aussage: Beim Schall der Posaune Gottes werden die Lebenden und die Toten umgewandelt werden und einen unvergänglichen und unsterblichen Leib erhalten. Wenn dies geschieht, dann wird das Wort in Erfüllung gehen, das geschrieben steht. Die Verwandlung des irdischen Leibes, die Paulus in V. 53.54a betont herausgestellt hatte, ereignet sich in Erfüllung (το' τε γενη' σεται) eines „Wortes“, das in der Schrift geschrieben steht (ο λο' γος ο γεγραμμε'νος).550 Mit dem Zitat aus Jes 25,7 (LXX 25,8) und Hos 13,14 unterstreicht Paulus die Gewissheit, dass sich diese Transformation ereignen wird. Gleichzeitig stellt er diese Erwartung in einen größeren biblischen Horizont. Das Zitat aus Jes 25,8: Der Tod ist verschlungen worden vom Sieg (κατεπο' θη ο θα' νατος ει ς νι^κος) stimmt mit der LXX nicht exakt überein (κατε'πιεν ο θα' νατος ι σχυ' σας).551 ————————————————————
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Conzelmann 360; vgl. Wolff 416, der im Blick auf die passivische Aoristformulierung präzisiert: „Diese Identität wird allein durch Gottes eschatologisches Schöpfungshandeln, das bereits jetzt durch Gottes Geist unsichtbar beginnt, garantiert“. Lindemann 369 meint, dass ε νδυ' σασθαι hier wie auch sonst als Medium zu verstehen ist. Harris, Resurrection, 201-205. Bedingt durch ο« ταν werden die Infinitive von V. 53 durch Konjunktivformen ersetzt. Vgl. 2Kor 4,13; Röm 9,9; auch Joh 15,25. Für Einzelheiten siehe Koch, Schrift, 61-63.169; Stanley, Language, 210-211; Wilk, Bedeutung, 196-197.217-218.
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Im hebr. Text heißt es: „Er (Gott) verschlingt den Tod für immer“ ()ִּבַּלע ַה ָּמֶות ָלנֶַצח. Die LXX übersetzt: „Der Tod hat, da er stark ist (die Nationen) verschlungen“ (κατε' πιεν ο θα' νατος ισχυ' σας). Aquila, Theodotion und Symmachus bieten einen abweichenden Text; Theodotion (Handschrift Q) stimmt mit dem von Paulus zitierten Text wörtlich überein. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass Paulus einer nicht überlieferten Texttradition folgt, die näher am hebr. Text steht als die LXX. Die Wendung εις νι^κος könnte auch auf eine Änderung von δικη' in Hos 13,14 LXX zurückgehen, was Paulus in νι^κος abänderte und in das Zitat einführte, um eine verbale Verbindung zwischen den beiden atl. Stellen herzustellen.552
Jes 25,8 gehört zu einem Heilsspruch, der auf das universale Heil Gottes für alle Nationen vorausschaut und von der Beseitigung des Todes redet. Die Eliminierung des Todes (25,8a) wird in 25,7 so beschrieben: „Er zerreißt auf diesem Berg die Hülle, die alle Nationen verhüllt, und die Decke, die alle Völker bedeckt“. Die Beseitigung des Todes führt eine Zeit herbei, in der Gott die Tränen von jedem Gesicht abwischt und „auf der ganzen Erde“ von seinem Volk die Schande wegnimmt (25,8b). Paulus betont mit dem Zitat, dass am Ende, wenn Gott bei der Totenauferstehung das Verwesliche und das Sterbliche umgewandelt hat, der Tod (als der „letzte Feind“, vgl. V. 26) besiegt sein wird. Der Verweis auf die endzeitliche Vision Jesajas verknüpft den Triumph Gottes über den Tod mit der Auferstehung des Leibes.553 Bei dem Verb καταπι' νομαι („verschlungen werden, aufgezehrt werden“) denkt man am besten an das Hineingezogenwerden in einen Meeresstrudel. 554 Die Wendung ει ς νι^κος ist in der LXX Übersetzung von hebr. ָלנֶַצח.555 R. Kraft meint, dass Leser, die sich im Übersetzungsgriechischen auskannten, ει ς νι^κος im Sinn von „für immer“ verstanden hätten.556 Die Verwendung von νι^κος in V. 54.55.57 legt eher die Bedeutung „Sieg, totale Überwindung“ nahe.557 In der Heilsvollendung, wenn Gott die Toten und die Lebendigen ————————————————————
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Hays 276; vgl. Garland 745; Ciampa /Rosner 747-748. Ciampa /Rosner 748. Es ist unverständlich, wie Lindemann 370 behaupten kann, Paulus verwende das Jesajazitat nicht entsprechend dem ursprünglichen Textsinn. In der rabbinischen Literatur wird Jes 25,8 ebenfalls als Verheißung interpretiert, dass der Tod in der kommenden Welt keinen Platz mehr hat, vgl. mMQ 3,9; Ex. R. 15,21; 30,3; Deut. R. 2,30; Klgl. R. 1,41; Eccl. R. 1,7; bPes 68a; bKet 30b. Weiss 379; Schrage IV 379; vgl. Ex 15,4; Ps 69,16 LXX; Hebr 11,29. 2Sam 2,26; Am 1,11; 8,7; Jer 3,5; Klgl 5,20. Kraft, ΕΙΣ ΝΙΚΟΣ, 153-156; vgl. Wolff 417. T. Holtz, Art. νι^κος, EWNT II, 1152-1153. Das Wort νι^κος ist relativ selten (einziger Papyrusbeleg ist BGU III 1002,14, wo es um einen Sieg in einem Rechtsstreit geht); häufiger ist das Femininum νι'κη, das häufig im Sinne königlicher Herrschaft verwendet wird, manchmal verbunden mit dem Hinweis, dass „Sieg“ von einer Gottheit gewährt wird; so Arzt-Grabner 503 mit Hinweis auf UPZ I 106,13-14; 108,12-13; Preisigke, s.v.
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verwandelt und einen geistlichen Leib schafft, ist der Tod völlig besiegt. 558 55 Die beiden Fragen: Wo, Tod, ist dein Sieg? Wo, Tod, ist dein Stachel? (που^ σου, θα' νατε, το` νι^κος; που^ σου, θα' νατε, το` κε'ντρον;) stammen aus Hos 13,14.559 Die Abweichungen vom LXX-Text werden zumeist als Bearbeitung durch Paulus erklärt.560 Folgende Beobachtungen sind relevant: 1. Statt που^ η δι'κη σου, θα' νατε (der hebr. Text hat „wo sind deine Seuchen, Tod?“; )ֱאִהי ְדָבֶריךָ ָמֶותschreibt Paulus που^ σου, θα' νατε, το` νι^κος;. 2. Statt που^ το` κε' ντρον σου, α«, δη; (hebr. „wo ist dein Verderben [Stachel], Scheol?“; )ֱאִהי ָקָטְבךָ ְשאֹולschreibt Paulus που^ σου, θα' νατε, το` κε' ντρον; Diese Umformulierungen561 dienen der rhetorischen Steigerung.562 3. νι^κος anstelle von δι'κη stammt aus dem Zitat Jes 25,8. 4. Das zweite θα' νατε (statt α«δη) stammt aus , der ersten Zeile des Hosea-Zitats. D.-A. Koch kommentiert: „Durch diese Abänderungen liegt in 1 Kor 15,54f jetzt ein sehr geschlossenes, dreigliedriges Zitat vor: In jeder der drei Zeilen wird θα' νατος verwendet, die beiden ersten Zeilen sind zusätzlich durch νι^κος miteinander verklammert, Zeile 2 und 3 durch die völlig parallele Wortfolge. In dieser Form bildet 1 Kor 15,54b.55 einen wirkungsvollen Abschluß von 1 Kor 15 insgesamt“.563
Im ursprünglichen Kontext von Hos 13,14 formuliert der Prophet eine Gerichtsdrohung gegen Ephraim: Tod und Scheol werden aufgerufen, Ephraim für seine Sünden zu strafen. Paulus formuliert die Drohung als Schmähung des Todes: Die beiden rhetorischen Fragen, mit denen der Tod konfrontiert wird, schütten Spott und Hohn über den „letzten Feind“ (V. 26) aus. In Grabinschriften wird Hades als unbesiegbar beschrieben. 564 Paulus betont, dass ————————————————————
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Schrage IV 380 Anm. 1901 hält im Anschluss an Becker, Auferstehung, 100 die Frage für berechtigt, „ob der eschatologische Sieg über den Tod nicht eigentlich nur dann errungen ist, ‚wenn alle Menschen ihm entkommen‘“. Da der Sieg über den Tod ursächlich mit dem Heilshandeln Gottes im Tod Jesu Christi zusammenhängt, ist das Ausmaß des Sieges über den Tod nicht mit quantitativen Überlegungen zu beschreiben, sondern im Zusammenhang des Glaubens an Jesus den Messias und Kyrios, der allein vor dem Gericht Gottes rettet. Hos 13,14 LXX: ε κ χειρο` ς α«, δου ρ υ' σομαι αυ του` ς και` ε κ θανα' του λυτρω' σομαι αυ του' ς, που^ η δι'κη σου, θα' νατε; που^ το` κε' ντρον σου, α«, δη; („Aus der Hand des Hades werde ich sie retten und aus dem Tode werde ich sie erlösen. Wo ist dein Richten, Tod? Wo ist dein Stachel, Hades?“; Lindemann 370). Weiss 380; Conzelmann 361; Wolff 417; Schrage IV 364-365.380; Koch, Schrift, 168170; Stanley, Language, 211-215; Hengel, Apokalyptik, 374. Vgl. auch die weite Voranstellung des Possessivpronomens, das in beiden Fällen durch den Vokativ θα' νατε vom Bezugswort getrennt ist, sowohl die beiden Vokative. Koch, Schrift, 107. Koch, Schrift, 169. Peek, Grabgedichte, 134.236 (Nr. 200.206). In einem Epigramm des Antipatros von Thessalonich heißt es, als Nachruf auf den Wettkämpfer Glykon: „Den niemand im ital’ schen Land, in Hellas oder Asien noch zu Boden warf, der Allbesieger Hades hat auch ihn gestürzt (ο πα' ντα νικω ^ ν Αι'δης α νε' τραπεν)“ (Anth. Graec. VII, 692,4-6; NW II/1, 407).
988 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
der Sieg nicht mehr dem Tod gehört, weil ihm sein tödlicher Stachel entrissen wurde. Das Wort κε'ντρον565 bezeichnet entweder den Stachel eines Tieres, z.B. eines Skorpions, der verwundet oder tötet, oder den Stachelstock, der als Folterinstrument eingesetzt wird. Im Kontext von V. 56 ist an die tödliche Macht gedacht, die der Tod über die Menschen ausübt. Diese Macht wurde mit der Auferweckung Jesu Christi gebrochen. Das darin begründete Heil, das Jesusbekenner im Glauben empfangen haben, wird am Ende, wenn die Posaune Gottes erschallt und die Toten auferstehen, als endgültiger, unwiderruflicher Sieg über den Tod als den letzten Feind in leiblicher Vollendung sichtbar werden. 56 Die Aussage: Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Macht der Sünde aber ist das Gesetz (το` δε` κε'ντρον του^ θανα' του η α μαρτι' α, η δε` δυ' ναμις τη^ ς α μαρτι' ας ο νο' μος) scheint den Gedankengang zu unterbrechen. Dies ist der Grund, weshalb dieser Satz von manchen Exegeten als Glosse betrachtet wird.566 Diese Annahme ist unnötig, V. 56 lässt sich als Kommentar der in V. 54-55 zitierten Schriftworte verstehen.567 Im Hosea-Zitat war vom „Stachel“ die Rede, mit dem der Tod über die Menschen herrscht. Wenn Paulus diesen „Stachel des Todes“ (το` κε'ντρον του^ θανα' του) mit „der Sünde“ (η α μαρτι' α) identifiziert, bezeichnet er die Sünde als das Instrument, mit der der Tod seine Macht ausübt. Die Macht (η δυ' ναμις), mit der die Sünde die Herrschaft des Todes aufrecht erhält, ist das Gesetz (ο νο' μος). Dass Paulus von der Sünde redet, ist im Zusammenhang des Auferstehungskapitels nicht erstaunlich. Die referierende Zusammenfassung des von den Aposteln verkündigten Evangeliums beinhaltete in der ersten Zeile den Satz, dass der Messias für unsere Sünden (υ πε` ρ τω ^ ν α μαρτιω ^ ν η μω ^ ν) gestorben ist (V. 3). Wenn Paulus mit der Auferweckung Jesu Christi von den Toten als fundamentale Wirklichkeit argumentiert (V. 4-8.12-19), die die Auferstehung der Toten garantiert (V. 20-28), sieht er nie von dem Heilshandeln Gottes ab, der im Tod und in der Auferweckung des Messias die Sünden der Glaubenden vergibt (V. 17). Die Auferweckung Jesu hat die Macht des Todes gebrochen, weil Gott in seinem stellvertretenden Heilstod das Todesurteil über die Sünde ————————————————————
565 566 567
L. Schmid, Art. κε' ντρον, ThWNT III, 662-668; H. Balz, EWNT II, 698. Heinrici 509; Weiss 380; Horn, 1Korinther 15,56, 88-105; vgl. Schrage IV 366. Kritisch zu Recht Lindemann 371; Söding, Kraft, 76.79; Hengel, Apokalyptik, 374-375. Farina, Leiblichkeit, 282-283.311-315 begründet den Zusammenhang von V. 56 mit den Schriftzitaten in V. 54-55 mit dem Hinweis auf Targum Jonathan zu Hos 13,14 (Bill. III, 483), wo die Entfernung der Schekhina mit der Übertretung der Tora begründet wird; vgl. Klauck 122; Schade, Christologie, 210; kritisch Schrage IV 381 Anm. 1910. Die Erklärung von Hollander /Holleman, Relationship, 270-291, die νο' μος auf dem Hintergrund der hellenistischen Popularphilosophie verstehen wollen, ist nicht plausibel; kritisch Wolff 419 Anm. 421; Schrage ebd. Anm. 1910.
Die Gewissheit des Sieges über den Tod 15,50-58 989 ————————————————————————————————————
vollstreckt und damit die Sünde der an Jesus Christus glaubenden Sünder vergeben hat. Dass Paulus vom Gesetz spricht, ist ebenfalls nicht erstaunlich. Die Argumentation in V. 20-22 beruht auf Gen 3: Adam ist der von Gott geschaffene Mensch, der gesündigt hat und in dessen Sünde das Todesverhängnis aller Menschen, die ebenfalls alle sündigen, begründet liegt.568 Im jüdischen Denken spielte in diesem Zusammenhang das Gesetz eine grundlegende Rolle. Schon die Sünde Adams war Übertretung des Gesetzes. 569 Die Einhaltung des Gesetzes gilt als die einzige Möglichkeit, dem Untergang im Endgericht zu entgehen.570 Wenn Paulus in V. 20-22 zur Begründung der leiblichen Auferstehung von den Toten mit der Adam-Tradition von Gen 3 argumentiert und von da aus in V. 45-49 auf die Geschöpflichkeit Adams nach Gen 1,27 und 2,7 zu sprechen kommt, „begibt er sich auf ein theologisches Themenfeld, das im Frühjudentum von einer durch und durch positiven Wertung der Tora wie des Gesetzesgehorsams als der einzigen Möglichkeit eschatologischer Rettung besetzt ist“.571 Für Paulus hat nun das Gesetz keine positive Rolle für die Sündenvergebung mehr: Allein der Heilstod Jesu am Kreuz vergibt die Sünden.572 Deshalb hat auch die Beschneidung keine Heilsbedeutung mehr (1Kor 7,18-19). Die aktive Rolle des Gesetzes als δυ' ναμις τη^ ς α μαρτι' ας ist in erster Linie darin zu sehen, dass das Gesetz nicht umhin kann, dem Sünder, dessen Sünde nicht vergeben ist, das Todesurteil auszusprechen: Auf die Übertretung des Willens Gottes steht der Tod (Gen 2,17; 3,3). Im Zusammenhang von 1Kor 1,18-20.24; 2,5 ist auch folgende Beobachtung wichtig.573 Die Macht, die im Endgericht retten kann, ist das Wort vom Kreuz, nicht mehr die Tora. Wer das Gesetz immer noch als Inbegriff der Weisheit Gottes und seines Heilswillens betrachtet und unter Berufung auf das Gesetz die Botschaft von Jesus dem Messias und seinem Heilstod am Kreuz ablehnt, der stellt sich in Widerspruch zu Gott, der durch Jesus Christus die Sünden vergibt und die Toten auferweckt: Er bleibt in seiner Sünde verhaftet. Nach Tod und Auferweckung des Messias Jesus steht das Gesetz auf der Seite der Sünde und gibt der Sünde Kraft, „insofern (und insoweit) es auf eine Vorstellung vom Willen Gottes festlegt, die ihn nicht mehr als den Deus semper maior wahrnehmen läßt und deshalb am auferweckten Gekreuzigten ————————————————————
568 569 570 571 572 573
Zum Sündenfall Adams als Ursprung und Ursache des Todes vgl. 4Esra 3,7.26; 7,116126; syrBar 17,3; 23,4; 54,15; rabbinische Texte bei Bill. III, 227-228. 4Esra 3,6-7; 7,11; 8,52; Philo, Quaest. Gen. 1,10; All. 1,59; Targum Neofiti 1; 3,23. 4Esra 3,11; 7,17.20-21.45; 9,31. Söding, Kraft, 79; vgl. Wilckens, Römer I, 310-314. Die positiven Aussagen über den νο' μος in 9,8-10.20-21; 14,34 (vgl. Röm 3,31; 7,12; 8,2) sind kein Selbstwiderspruch; vgl. Thielman, Coherence, 248-252; Söding, Kraft, 81-83. Vgl. Söding, Kraft, 83; ebd. 83-84 für das Folgende.
990 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
scheitert, in dem Gott seine ganze δυ' ναμις und σοφι' α in einer Weise offenbart, die jeglicher Weltweisheit, auch einer am Gesetz orientierten, zuwiderläuft“.574 Weil Sünde fundamental die Störung der Beziehung zu Gott ist, trägt das Gesetz dann zur Sünde bei, wenn der Gesetzesgehorsam die Erkenntnis verhindert, dass Jesus der rettende Messias Israels ist und dass Gott die Menschen durch den Gekreuzigten errettet, den er von den Toten auferweckt hat. 57 Paulus beschließt seine Darlegungen über die leibliche Auferstehung von den Toten zunächst mit einer Danksagung: Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus. Der ausgesprochene Dank gegenüber Gott (τω ^, δε` θεω ^, χα' ρις) verweist auf die „existentielle Betroffenheit 575 vom Heil Gottes“. Der partizipale Anschluss an V. 54-55.56 nennt den Grund des Dankes, der in der δια' -Wendung christologisch formuliert wird: Paulus dankt Gott für den Sieg über die Macht des Todes, der in den Verheißungen der Heiligen Schrift angekündigt wurde und der sich durch den Messias Jesus erfüllt hat (δια` του^ κυρι' ου η μω ^ ν Ιησου^ Χριστου^ ). Das Ptz. Präs. διδο' ντι kann futurisch interpretiert werden: Der endgültige Sieg über die Macht des Todes wird beim Schall der letzten Posaune sichtbar werden, wenn die Toten leiblich auferweckt werden, wenn der Tod als letzter Feind beseitigt wird und wenn das Siegeslied von V. 54-55 erschallt. Weil der endzeitliche Sieg Gottes im Heilstod und in der Auferweckung Jesu Christi begründet ist, drückt das Präsens zugleich die Gewissheit aus, dass der Tod besiegt ist und endgültig beseitigt werden wird. Weil Christen in dieser Gewissheit leben, können sie Gott für den Sieg über den Tod Dank sagen. Da die präsentische Formulierung mit der 1. Pers. Plur. des Personalpronomens verbunden ist (διδο' ντι η μι^ν), verdeutlicht sie zugleich die gegenwärtige Bedeutung des endgültigen Sieges für die Jesusbekenner. Diese Bedeutung des Sieges Jesu Christi über den Tod wird im letzten Satz des Kapitels als Ermahnung ausgesprochen. 58 Mit ω« στε („deshalb“)576 weist Paulus die korinthischen Christen zum Schluss des langen Auferstehungskapitels auf die Konsequenzen hin, die sich konkret für ihr Leben ergeben: Deshalb, meine geliebten Brüder, seid fest, unerschütterlich, tut euch allezeit im Werk des Herrn hervor. Die intime
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574 575 576
Söding, Kraft, 84. Gebauer, Gebet, 207. Für parallele Formulierungen in den griech. Papyri (seit dem 3. Jh. v.Chr.) vgl. Arzt-Grabner 503-504, der u.a. auf P.Giss. I 76,6-7 verweist, wo es heißt: „allen Göttern sei Dank (χα' ρις τοι^ς θεοι^ς πα^σι), dass sie dich unversehrt bewahren“. In 4,15; 10,12; 11,33; 14,39 leitet ω « στε ebenfalls die Ermahnung des Apostels ein.
Die Gewissheit des Sieges über den Tod 15,50-58 991 ————————————————————————————————————
Anrede „meine geliebten Brüder“ (α δελφοι' μου α γαπητοι' )577 macht deutlich, dass Paulus bei allen Differenzen und trotz der Korrektur theologischer Irrtümer und ethischer Verfehlungen mit den Christen in Korinth in Liebe verbunden bleibt. Wer verstanden hat, dass Jesus Christus leiblich von den Toten auferstanden ist und dass dieser Sieg über den Tod die Gewissheit verbürgt, dass dereinst die Jesusbekenner von den Toten auferweckt werden und von Gott einen neuen, geistlichen Leib der Herrlichkeit erhalten werden, der stimmt nicht nur ein Loblied an, sondern der wird sein Leben anders leben. 578 W. Schrage kommentiert: „Paulus beendet das Auferweckungskapitel also nicht mit einem rhetorischen oder hymnischen Fortissimo, sondern mit einer nüchternen Mahnung und prosaischen Tönen“.579 Die Gewissheit der Hoffnung auf die leibliche Auferstehung der Toten, von der Paulus die korinthischen Christen überzeugen will, ist eben kein Vertrösten auf das Jenseits, sondern die Grundlage für verantwortliches christliches Handeln in der Gegenwart. Die Mahnung „seid fest“ (ε δραι^οι γι' νεσθε) bedeutet im Kontext zunächst: Paulus fordert die korinthischen Christen (mit einem Imp. Präs.) auf, an der Hoffnung festzuhalten, dass die Toten leibhaftig auferstehen werden. Die Mahnung ist als Abschluss der Diskussion seit V. 1 aber auch mit V. 2 zu verknüpfen, wo Paulus die Korinther aufgefordert hatte, an dem Evangelium festzuhalten (κατε'χετε), das er ihnen verkündigt hat. Sie sollen sich nicht vom Evangelium abbringen lassen, in dem vom Tod und der Auferweckung Jesu Christi die Rede ist (v. 3-5), der als Messias und Kyrios einen Anspruch auf ihr Leben hat. Der zweite Teil der Mahnung: „seid unerschütterlich“ (α μετακι' νητοι)580 unterstreicht die Aufforderung, „fest“ zu sein und sich nicht von dem Glauben an das Evangelium von Jesus Christus und von der Hoffnung auf die leibliche Auferstehung der Toten abbringen zu lassen. Der dritte Teil der Mahnung: „tut euch allezeit im Werk des Herrn hervor“ macht deutlich, dass weder die Hoffnung auf die zukünftige Auferstehung der Toten noch das Christsein allgemein mit passiver Bequemlichkeit verwechselt ————————————————————
577 578 579 580
So nur noch in Phil 4,1. In 1Kor 10,14 spricht Paulus die Korinther als α γαπητοι' an, in 1,10.26; 2,1; 3,1; 4,6; 7,24.29; 10,1; 12,1; 14,6.20.26; 15,1.50; 16,15 als α δελφοι', in 1,11; 11,33; 14,39 als α δελφοι' μου. Schrage IV 384: „Die Ethik ist auch hier Konsequenz lebendiger, und nicht Kompensation zurücktretender Eschatologie“. Vgl. ders., Ethik, 184-191. Schrage IV 384. Das Wort α μετακι'νητος kommt nur hier im NT vor; es wird weder in der LXX noch von den Apostolischenn Vätern verwendet. Josephus verwendet die Vokabel im Blick auf den Glauben und die Verehrung Gottes (Ap. 2,169.234.254). Lindemann 372 verweist noch auf Plato, Ep. 7,343a. In den beiden Belegen in den Papyri (P.Fam.Tebt. 23,18; P.Mil.Vogl. II 99,17-18) geht es um die Unveränderbarkeit eines Vertrags; R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 504.
992 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
werden kann, die sich über die Sündenvergebung freut, aber im übrigen nach heidnischen Werten und Maßstäben lebt, die den größten Lebensgenuss versprechen. Jesusbekenner sind am „Werk des Herrn“ (ε» ργον του^ κυρι' ου) beteiligt, d.h. an dem Werk, das Christus selbst tut (gen. subj.), an dem Werk, das er den Glaubenden aufgetragen hat (gen. auctoris). Im Kontext von 3,1315; 9,1; 16,10 ist am ehesten an den Aufbau der Gemeinde zu denken. 581 Sie sollen sich in der täglichen, alle Jesusbekenner in Korinth betreffenden Arbeit „hervortun“ (περισσευ' οντες; Ptz. Präs.),582 d.h. einen Überfluss an Einsatz und Engagement an den Tag legen, weitaus mehr tun als notwendig ist, damit die Gemeinde und ihre einzelnen Glieder im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe wachsen. Sie sollen dafür sorgen, dass der Überfluss an gegenwärtigen Heilsgütern (Röm 3,7; 5,15; 2Kor 4,15) den überschießenden Einsatz für die Gemeinde gewährleistet, und zwar nicht nur wenn es bequem ist, sondern „allezeit“ (πα' ντοτε). Dieses Werk beinhaltet die kontinuierliche Besinnung auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus, den Messias und Kyrios, als Fundament der Gemeinde (3,11), und auf den diesem Fundament entsprechenden Weiterbau (3,12-17), für den die Konsequenzen bedacht und gelebt werden müssen, die sich aus dem Evangelium und aus dem Glauben an Jesus Christus für das Alltagsleben und dessen Maßstäbe ergeben. Solche Arbeit ist mühevoll, weil sie beinhaltet, dass man als Jesusbekenner entgegen den Werten, Maßstäben und Traditionen der heidnischen Gesellschaft glaubt und lebt und anderen Christen hilft, ihren Glauben und ihr Leben gegen den Widerstand der Gesellschaft am Evangelium auszurichten. So schließt Paulus mit einer Ermutigung: da ihr wisst, dass eure Mühe im Herrn nicht vergeblich ist. Das Ptz. ει δο' τες hat vielleicht einen kausalen Sinn: aufgrund der Ausführungen zu der leiblichen Auferstehung der Toten wissen die Korinther, dass ihre „Mühe“ (ο κο' πος υ μω ^ ν), d.h. ihre Anstrengungen beim Aufbau der Gemeinde „nicht vergeblich“ (ου κ ε»στιν κενο' ς) sind, d.h. nicht ohne Wirkung bleiben. Wenn Jesus Christus nicht von den Toten auferweckt wurde, und wenn es generell keine leibliche Auferstehung von den Toten gibt, dann ist nicht nur die Verkündigung des Evangeliums und der Glaube leer (15,14), sondern dann hat auch der Einsatz für die Gemeinde, der lebensgefährlich sein kann (15,30-32) keinen Sinn. Die Wirklichkeit der Auferstehung von den Toten ragt so in die Gegenwart hinein, dass Jesusbekenner den Mut haben, in einer Stadt das Evangelium zu glauben, zu verkündigen und zu leben, in der die Menschen andere Götter anbeten, auf das eigene Prestige bedacht sind, Nachteile für ihre Mitmenschen gerne in Kauf ————————————————————
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Barrett 385; Wolff 420; Schrage IV 385; Garland 747. Vgl. auch 2Kor 8,7; Röm 14,20; 15,13; Phil 1,26; 2,30; 1Thess 1,3. F. Hauck, Art. περισσευ' ω κτλ., ThWNT VI, 58-63; G. Schneider, EWNT III, 180-183.
Die Gewissheit des Sieges über den Tod 15,50-58 993 ————————————————————————————————————
nehmen, rhetorische Brillianz für wichtiger halten als die Wahrheit, die Armen verachten und ihren sexuellen Hedonismus rechtfertigen. Sie haben diesen Mut, weil sie wissen, dass die schwere Arbeit in der Gegenwart vom Herrn in der Zukunft des Gerichts anerkannt werden wird (3,8.14). Wer „im Herrn“ (ε ν κυρι' ω, ) lebt, wer an Jesus, den auferstandenen Herrn, glaubt und ihm gehorsam ist, der stimmt geduldig und dankbar inmitten der Mühe des Christenlebens in das Triumphlied vom Sieg über den Tod ein.
IV Paulus beginnt die ausführliche Diskussion über die Auferstehung der Toten mit einer Zusammenfassung des Evangeliums, das er und die anderen Apostel verkündigen: Jesus der Messias ist für unsere Sünden gestorben, er wurde begraben und er wurde am dritten Tag auferweckt, wofür es zahlreiche Zeugen gibt. R. Bultmann hat Paulus dafür kritisiert, dass er so redet, als glaube er an die Auferstehung Jesu als historisches Ereignisse, anstatt wie sonst „mythologisch“ über die Auferstehung Jesu in einer Weise zu reden, die verdeutlicht, dass es lediglich um die Überzeugung geht, dass der Tod Jesu eine gute Sache war. Wenn Paulus in der Tat seine Behandlung der Auferstehung mit einer formalen und feierlichen Einleitung beginnt, die den zentralen Punkt des ganzen Abschnitts formuliert, und dabei derart irreführende Aussagen macht, dann ist er kaum ein theologischer Denker, mit dem sich die Beschäftigung lohnt.583 R. Bultmann hat sich geirrt: Paulus war in der Tat davon überzeugt, dass die Auferstehung Jesus eine historische Tatsache war und die ursächliche Grundlage der zukünftigen Auferstehung von den Toten aller Jesusbekenner ist, die er ebenfalls als reales Ereignis betrachtet. Bultmann warf K. Barth im Blick auf dessen Kommentierung von 1Kor 15 vor, dass dieser „das Problem des Übersetzens nicht (sehe), oder jedenfalls nicht so, wie ich es meine, daß es gesehen werden müsse“. 584 Es gehe darum, „dem Menschen von heute die christliche Verkündigung so verständlich zu machen, daß er dessen inne wird: tua res agitur“. Und dies sei nur dann möglich, „wenn die Bindung der Verkündigung (in der Bibel wie in der traditionellen kirchlichen Predigt) an ein vergangenes Weltbild radikal gelöst wird. Letztlich von der Bindung an ein Weltbild des objektivierenden Denkens überhaupt, aber zunächst kommt es auf das erste an, auf die Befreiung vom mythologischen Weltbild der Bibel, weil dieses für den Menschen von heute ein völlig fremdes geworden ist“. M. Hengel hat recht: hinter dieser Forderung steht ein fundamentaler Irrtum.585 Ohne „objektivierendes Reden“ gibt es kein Evangelium, weil Gott ————————————————————
583 584 585
So die Kritik von Wright, Resurrection, 317. Barth/Bultmann, Briefwechsel, 170, das Folgende ebd. (Brief vom 11.-15.11.1952). Hengel, Apokalyptik, 414; für das Folgende ebd. 414-416 (Zitat 414-415).
994 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
der Schöpfer den an Jesus Christus Glaubenden das Heil von außen her schenkt und nicht einfach als innerliche abstrakte Gewissheit zukommen lässt. Der moderne und postmoderne Mensch produziert ständig neue Weltbilder und Existenzentwürfe, „und er ist auch gar nicht so ‚modern‘ und ‚aufgeklärt‘, sondern hat – das zeigen die Erfolge der Esoterik, des New Age, der östlichen Mystik, der Astrologie und allerlei Formen der Magie, aber auch einer naiven Technik- und Fortschrittsgläubigkeit – einen tiefen Hang zu jeder Art von Aberglauben. Den grundlegenden, für alle Zeiten und Weltbilder geltenden Aberglauben, der heute wieder besonders blüht, propagiert in einem nur allzu wahren ‚Mythos‘ die Schlange im Paradies: ‚Ihr werdet sein wie Gott . . .‘ Ich erinnere nur an die gegenwärtige Wissenschaftsutopie von der Machbarkeit (fast) aller Dinge“. Postmoderne Skeptiker kann man mit einer „entmythologisierten“ Version des Evangeliums, das dabei blass und philosophisch-abstrakt wird, auch nicht überzeugen. Paulus hat es in 1,18-24 und 2,14-16 deutlich genug gesagt: Für Menschen, die nicht vom Wirken Gottes erfasst sind, erscheint das Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Messias und Kyrios immer unsinnig und töricht. Das Problem ist nicht eines der kontextualisierenden Übersetzung, sondern des Unglaubens, den nur Gott in seiner souveränen Schöpfermacht beseitigen kann (1,26-31; 2,1-5). Lernen wir aus der Erfahrung der missionierenden und evangelisierenden Verkündiger in der Vergangenheit und in der Gegenwart: Wir können und sollen „diese Sprache, die uns in der Bibel ständig begegnet, gewiß immer nachdenklich und verantwortungsbewußt, aber dann auch getrost gebrauchen und interpretieren“.586 Die Bedeutung der leiblichen Auferstehung der Toten für die Verkündigung, für das Denken, für den Glauben und für das Leben der Christen ist von zentraler Bedeutung.587 Erstens, der Glaube an die Auferstehung der Toten hält Schöpfung und Erlösung zusammen. Wenn es keine leibliche Auferstehung der Toten gäbe, legte sich die Schlussfolgerung nahe, dass Gott sowohl die Schöpfung als auch die Geschöpfe aufgegeben hat. Menschen sind keine unsterblichen Seelen, die in sterblichen Leibern gefangen sind und auf das Vergehen der leiblichen Existenz warten. Menschen sind Personen, die nicht nur mit Seele und Geist gegen Gott rebelliert haben, sondern auch mit ihrem Leib sündigen. Wenn Paulus für die Auferstehung von den Toten argumentiert, dann beschreibt er kein Symbol für das Potential des Menschen, sondern eine Wirklichkeit, die den ganzen Menschen, auch seinen Leib, ergreifen und verändern wird. ————————————————————
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Hengel, Apokalyptik, 416. Die folgende Zusammenfassung schließt sich Hays 278-281 an.
Die Gewissheit des Sieges über den Tod 15,50-58 995 ————————————————————————————————————
Zweitens, die Betonung der zukünftigen, leiblichen Auferstehung der Toten erlaubt es dem Verkündiger, offen über den Tod zu reden. Christen sterben genauso wie Nichtchristen, und sie werden genauso wie diese beerdigt. Der Tod ist immer noch ein Feind. Seine Niederlage ist durch die Auferweckung Jesu Christi zwar besiegelt, sie ist aber noch nicht endgültige Wirklichkeit. Der Tod als der letzte Feind wird erst bei der Wiederkunft Jesu endgültig besiegt und beseitigt. Christen wissen, dass sie nach ihrem Tod bei Christus sein werden (Phil 1,23): Die Auferstehung ihres Leibes liegt jedoch noch in der Zukunft. Christen gehen nach ihrem Tod nicht einfach „in den Himmel“: Sie gehen „heim“ zu Jesus Christus und warten auf die Auferstehung der Toten und auf den neuen Himmel und die neue Erde. Drittens, die leibliche Auferstehung der Toten unterstreicht die ethische Bedeutung der leiblichen Existenz der Christen. Was Jesusbekenner mit ihrem Körper tun, ist nicht wertneutral. Christen können weder Festmähler in Götztentempeln besuchen noch mit Prostituierten verkehren. Was Christen mit ihrem Körper tun, soll dem Ziel entsprechen, dem diese entgegen gehen: der unvergänglichen Herrlichkeit eines Lebens in der unmittelbaren Gegenwart Gottes (15,42-43). Viertens, die „Logik“ der Auferstehung Jesu Christi, die Jesusbekenner zu einem Leben in Übereinstimmung mit der Kraft Gottes anhält, die Jesus von den Toten auferweckt hat und die einmal ihre Leiber umwandeln wird, führt nicht selten zu Konflikten mit den Gewalten und Mächten, die erst in der Zukunft ganz besiegt sind (15,24). Der Verzicht auf den Besuch von Götzentempeln kann deshalb durchaus Nachteile für die Christen nach sich ziehen. Wer in seinem Leben von den Werten der Neuen Welt Gottes bestimmt ist, die seit dem Kommen, dem Tod und der Auferweckung Jesu Christi in diese Welt hineinragt, der ist bereit, solche Nachteile in Kauf zu nehmen. Fünftens, die christliche Verkündigung steht und fällt mit dem Glauben an die Auferstehung der Toten. Der christliche Glaube ist in der Überzeugung begründet, dass das Heil allein aus Gnaden ist: Die Auferstehung ist eine Realität, die von Menschen weder geschaffen noch manipuliert werden kann. Der christliche Glaube gründet in der historischen Tatsache, dass Jesus unter Pontius Pilatus gelitten hat, dass er gekreuzigt und begraben wurde und dass er am dritten Tag auferstand. Der christliche Glaube ist sich der leiblichen Auferstehung der Toten gewiss, weil Jesus Christus als Erstling von den Toten auferstanden ist. Christen leben deshalb in Erwartung der von Gott verheißenen und verbürgten Zukunft. Der christliche Glaube verlässt sich nicht auf menschlich Mögliches, auch nicht auf das, was Christen tun können.
996 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Jesusbekenner verlassen sich auf die Auferstehungsmacht Gottes, die in der Auferweckung Christi sichtbar wurde. Das Et resurrexit, das im Glaubensbekenntnis auf Crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Pilato, passus et sepultus est folgt und von Johann Sebstian Bach in der h-moll-Messe so dramatisch vertont wurde,588 ist im Blick auf Jesus Christus eine Vergangenheitsaussage, die zugleich eine Zukunft beschreibt, derer sich Jesusbekenner gewiss sind.
Briefschluss: Mitteilungen und Grüße 16,1-24 Die Mahnung in 15,58, dass sich die korinthischen Christen im Werk des Herrn hervortun, d.h. dass sie sich am Bau der Gemeinde beteiligen sollen, wird in den ersten Versen des Schlussteils konkretisiert. Paulus gibt zunächst praktische Anweisungen für die Durchführung der Kollekte für die Christen in Jerusalem (V. 1-4), ehe er auf seinen geplanten Besuch in Korinth sowie auf den Besuch von Timotheus und Apollos zu sprechen kommt (V. 5-12). Abschließend ruft Paulus die Christen in Korinth zu Wachsamkeit, zu Festigkeit im Glauben und zur Liebe auf, und er ermahnt sie, die Rolle des Stephanas und seiner Familie anzuerkennen (V. 13-18). Der Brief schließt mit Grüßen (V. 19-21), einem Fluch- und einem Gnadenwort (V. 22-23) und mit der Versicherung, dass er die Christen in Korinth liebt (V. 24).
Die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem 16,1-4 I 1 Was aber die Geldsammlung für die Heiligen betrifft, sollt auch ihr so verfahren, wie ich es für die Gemeinden in Galatien angeordnet habe. ————————————————————
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Rilling, H-moll-Messe, 82 schreibt: „Den jetzt nach dem vorausgehenden vierstimmigen Crucifixus wieder fünfstimmigen Chor setzt er ebenso virtuos und konzertant ein wie die Instrumente. So wirken alle instrumentalen und vokalen Kräfte zusammen, um im virtuosen Konzertsatz den Jubel des Et Resurrexit vital und enthusiastisch darzustellen. Daß Bach den bewußten, ja krassen Gegensatz zwischen dem vorausgehenden Crucifixus und dem Et Resurrexit will, zeigt die ‚Nahtstelle‘ zwischen den beiden Sätzen. Nach dem nur noch mit Chor und Continuo besetzten auskomponierten Diminuendo der letzten Crucifixus-Takte und ihrem Abschluß in tiefster Lage der Singstimmen beginnt das Et Resurrexit in größtmöglicher Besetzung und in hoher Lage – Tenor auf dem hohen a'!“.
Die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem 16,1-4 997 ————————————————————————————————————
2 An jedem ersten Tag der Woche soll jeder von euch bei sich (etwas) zurücklegen und sammeln, was ihm gelingt, damit nicht erst dann, wenn ich komme, Sammlungen stattfinden. 3 Nachdem ich gekommen bin werde ich die, die ihr für geeignet haltet, mit Briefen entsenden, damit sie eure Gabe nach Jerusalem bringen. 4 Wenn es sich aber empfiehlt, dass auch ich reise, sollen sie mit mir reisen.
II Das „Werk des Herrn“, in dem sich die korinthischen Christen hervortun sollen (15,58), wird in 16,1-4 konkret auf die Geldsammlung für die Christen in Jerusalem bezogen. Die Einleitung mit περι` δε' könnte darauf hindeuten, dass die Korinther in ihrem Brief an Paulus um konkrete Anweisungen gebeten hatten. Von Spenden- und Geldangelegenheiten spricht Paulus auch in Phil 4,10-18; Phlm 18-19 sowie in Röm 15,25-29 und 2Kor 8–9, wo es ebenfalls um die Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde geht. In V. 1-2 bespricht Paulus die eigentliche Sammlung des Geldes, in V. 3-4 die Überbringung des Geldes nach Jerusalem. Nebenbei teilt Paulus Einzelheiten zu seinen Reiseplänen mit: Er will von Ephesus, wo er gerade missioniert (vgl. V. 8-9), nach Korinth reisen und der Gemeinde einen Besuch abstatten (V. 2). Und Paulus erwägt eine Reise nach Jerusalem, aus deren Anlass die Kollekte nach Jerusalem überbracht werden könnte (V. 4). Textkritische Anmerkungen. Die Mehrheit der Handschriften liest in V. 2 den Plur. σαββα' των statt des gut bezeugten Sing. σαββα' του ()*(א.1 A BC D), wohl in Angleichung an Mt 28,1; Mk 16,2; Lk 24,1; Joh 20,1. In V. 3 vereinfacht d46 die Formulierung mit Aor. Konj. ου ς ε α` ν δοκιμα' σητε durch die Lesart ου ς δοκιμα' ζετε.
III 1 Mit περι` δε' leitet Paulus ein neues Thema ein: Es geht um die Geldsammlung für die Heiligen. Das Wort λογει' α ist in Papyri und Inschriften mit der Bedeutung „Einhebung, Einziehung (von Abgaben)“ häufig belegt, auch in religiösen Zusammenhängen.589 Die Einzelheiten, die Paulus für die „Geld————————————————————
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Vgl. G. Kittel, ThWNT IV, 285-286; MM 377; Deissmann, Licht vom Osten, 83-85; Kritzer, in Arzt-Grabner 506, mit Belegen für die Salz- und Obolossteuer (λογει'α α λικη^ ς και` ο βολου^ ), Grünfuttersteuer (λογει'α χλωρω ^ ν), Dammsteuer (λογει'α του^ χωματικου^ ), Grundstücksteuer (λογι'α γη^ ς), Badesteuer (λογει'α του^ βαλανει'ου) u.a. Kritzer hält fest, dass eine λογει'α generell nicht im Sinne einer „Kollekte“ freiwillig vor sich ging. Mit ιερα` λογει'α wird die „Kollekte“ für die staatlichen Tempel in Ägypten bezeichnet (O.Edfou II 244,3-4). In römischer Zeit finden sich Belege für die λογει'α θεου^ , die „Kollekte“ für den Kult eines bestimmten Gottes (PSI III 262,21; O.Wilck. 413,4-5).
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sammlung“ nennt, beziehen sich auf die praktische Durchführung. Die Empfänger der Sammlung werden als „die Heiligen“ (οι α γι' οι) bezeichnet, d.h. als Jesusbekenner,590 ohne dass die Gemeinde, zu der diese Christen gehören, beschrieben wird. Auch der Grund, weshalb eine Geldsammlung notwendig ist, bleibt ungenannt. Den korinthischen Christen waren offensichtlich diese Einzelheiten bekannt. Manche nehmen an, dass die Korinther gehört hatten, dass Paulus in den galatischen Gemeinden eine Geldsammlung organisiert, an der sie sich beteiligen wollen. 591 Plausibler ist die Annahme, dass Paulus sie bereits früher ermutigt hatte, sich zu beteiligen, und dass sie sich jetzt nach Einzelheiten erkundigen. Paulus rät den Korinthern, auch so (ω « σπερ) zu verfahren, wie ich es für die Gemeinden in Galatien angeordnet habe. Paulus hatte 46/47 n.Chr. in Südgalatien in Antiochien, Ikonion, Lystra und Derbe Gemeinden gegründet. Viele schließen aus diesem Verweis auf eine Kollekte, die Paulus in den galatischen Gemeinden organisiert, dass der Galaterbrief, in dem keine Anordnungen für eine Kollekte erwähnt werden, nach dem Ersten Korintherbrief geschrieben worden sein muss.592 Die „Gemeinden in Galatien“ (αι ε κκλησι' αι τη^ ς Γαλατι' ας) werden üblicherweise mit den Empfängern des Galaterbriefes identifiziert. Die Datierung des Galaterbriefes hängt jedoch stärker von der Beantwortung der Frage ab, ob Paulus diesen Brief an die im Jahr 46/47 in Südgalatien gegründeten Gemeinden schreibt, oder an Gemeinden im nördlich gelegenen Siedlungsgebiet der keltischen Galater in der Gegend um Pessinus, Germa, Ancyra, Gordium und Tavium. 593 Unabhängig davon, wie man sich in dieser Frage entscheidet, schließt die Bemerkung in V. 1b jedenfalls nicht aus, dass der Galaterbrief vor dem 1Kor abgefasst wurde. Paulus kann sowohl die Galater als auch die Korinther schon beim Gründungsaufenthalt auf die Bedürfnisse der großen Jerusalemer Gemeinde aufmerksam gemacht und Regelungen für eine Geldsammlung getroffen haben. Die zahlreichen und regelmäßigen Kontakte, die Paulus mit seinen Gemeinden hatte, lassen die Möglichkeit offen, dass er die galatischen Christen persönlich über die Kollekte unterrichtet hatte, so dass in Gal 2,10 ein allgemeiner Hinweis genügte. Nach Röm 15,26 wurde auch in den Gemeinden in Makedonien,594 d.h. in Philippi, Thessalonich, Beröa, sowie in Achaja, d.h. auch in Korinth für die Christen in Jerusalem gesammelt. ————————————————————
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1,2; 6,2; 2Kor 1,1; 13,12; Röm 1,7; Phil 1,1; 4,22; für die Jerusalemer Christen vgl. Röm 15,25-26.31; 2Kor 8,4; 9,1.2. Dass hier eine Selbstbezeichnung der Christen in Jerusalem vorliegt, wie Wolff 429 und Lindemann 376 meinen, ist wenig wahrscheinlich. Barrett 385; Witherington 313. Dass die Korinther von der in den galatischen Gemeinden organisierten Kollekte gehört hatten, sagt Paulus nicht. Wolff 429; Suhl, Paulus, 217-223; Schnelle, Paulus, 293-294. Zu dieser Diskussion vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1083-1088. In 2Kor 8,1-4 rühmt Paulus den vorbildlichen Eifer der makedonischen Gemeinden.
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Bei dem sog. Hungerhilfebesuch des Jahres 44 n.Chr. (Gal 2,1-10; vgl. Apg 11,27-30) hatte Paulus der Bitte der führenden Jerusalemer Christen zugestimmt, sich um Hilfeleistungen für die in Jerusalem lebenden Christen zu kümmern.595 A. Lindemann meint „angesichts des recht langen Zeitraums, den die Jerusalemkollekte in Anspruch nahm“, dass „es sich nicht um einen Beitrag zur Beseitigung einer aktuellen Notsituation“ gehandelt haben kann.596 Diese Schlussfolgerung ist wohl richtig. Andererseits kann man nicht ausschließen, dass Paulus mehrmals Geld nach Jerusalem transferierte, das er in den von ihm seit 44 n.Chr. gegründeten Gemeinden gesammelt hatte. Dies ist gerade dann plausibel, wenn die in Gal 2,10 berichtete Bitte aus der Tatsache zu erklären ist, dass die Jerusalemer Gemeinde zahlenmäßig stark gewachsen war und viele Arme zur Gemeinde gehörten, z.B. die Witwen, von denen in Apg 6,1-7 die Rede ist. Die Geldsammlung für die Jerusalemer Christen ist für Paulus aus mehreren Gründen wichtig.597 1. Die Geldsammlung hilft Christen, die sich in einer wirtschaftlichen Notlage befanden. Nach 2Kor 8,13-15 dient sie dem sozialen Ausgleich. 2. Die Kollekte demonstriert die Gemeinschaft zwischen Paulus und den Jerusalemer Christen (vgl. Röm 15,26-27). Die Kollekte war für Paulus und offensichtlich auch für die verantwortlichen Apostel der Jerusalemer Gemeinde keine rechtliche Verpflichtung, sondern eine freiwillige Unterstützung. Paulus will den Christen in Jerusalem helfen, als Ausdruck der Gemeinschaft von Judenchristen und Heidenchristen. 3. Die Kollekte illustriert die zentrale Bedeutung von Jerusalem für das Missionswerk von Paulus. Von Jerusalem ist das Evangelium ausgegangen, die Heidenchristen sind „Schuldner“ der Heiligen in Jerusalem (Röm 15,27), Gottes Offenbarung in den heiligen Schriften Israels war auch für die Heidenchristen autoritativ (vgl. Röm 3,21). Deshalb ist die Kollekte „mehr als ein frommes Werk und eine soziale Tat, sie ist darüber hinaus ein Glaubensakt, der den Zusammenhang mit der Heilsgeschichte dokumentiert.“598 V. 5 zeigt, dass Paulus im Jahr 54 erwog, nicht selbst anlässlich der Kollektenübergabe nach Jerusalem zu gehen. Als er im Herbst 55 und im Winter 55/56 die Bemerkungen in 2Kor 1,15-16 bzw. Röm 15,26-27 schrieb, hatte er trotz der bestehenden Gefahren beschlossen, nach Jerusalem zu gehen. Dies zeigt, wie wichtig für Paulus die Beziehung zwischen der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem und den heidenchristlichen Gemeinden ist.599 4. Die Kollekte bestätigt die Gleichrangigkeit von Judenchristen und Heidenchristen. Die Mitnahme von unbeschnittenen Heidenchristen nach Jerusalem war allerdings nicht als Provokation gemeint, sondern für Paulus selbstverständlich. 5. Manche Ausleger sehen einen Zusammenhang mit der endzeitlichen Erwartung der Völkerwallfahrt nach Jerusalem bzw. zum Zion.600 ————————————————————
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Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 946-958. Lindemann 376. Georgi, Geschichte; Berger, Almosen, 180-204; Gnilka, Paulus, 159-61; S. McKnight, Art. Collection, DPL 143-147; Beckheuer, Kollekte; Joubert, Paul; Wedderburn, Collection, 95-110; Schnabel, Urchristliche Mission, 959-961. Gnilka, Paulus, 160. Thiselton 1326; Murphy-O’Connor, Paul, 343. Schrage IV 426; Munck, Paulus, 298-299; Georgi, Geschichte, 26-30; Roloff, Kirche, 131. Jes 2,2-5; 14,30.32; 60; 61; 66,10-24; Mich 4,1-3; Zeph 3,9.12. Kritisch Beckheuer,
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2 Die Anweisungen, die Paulus für die Geldsammlung in der korinthischen Gemeinde gibt, sind einfach und ganz auf das Praktische ausgerichtet. Paulus macht den Korinthern einen Vorschlag, der aus fünf Elementen besteht. Sie sollen regelmäßig („an jedem ersten Tag der Woche“), ohne Ausnahme („jeder“), systematisch („zurücklegen und sammeln“), verhältnismäßig („was ihm gelingt“) und freiwillig („damit nicht erst dann, wenn ich komme, Sammlungen stattfinden“) Geld sammeln. 601 Jeder soll an jedem ersten Tag der Woche (κατα` μι' αν σαββα' του) Geld zurücklegen, d.h. regelmäßig, an einem bestimmten Tag. Der „erste Tag der Woche“ 602 ist der Sonntag. In der LXX bezeichnet το` σα' ββατον zumeist den „Sabbat“ (hebr. ) ָש ָּבת, d.h. den siebten Tag der Woche, aber auch die ganze Woche. 603 Da es in der hellenistischrömischen Welt die „Woche“ so nicht gab, 604 wird deutlich, dass Paulus bei den Korinthern die Kenntnis des jüdisches Kalenders voraussetzt.605 Manche Gemeinden haben sich am ersten Tag der (siebentägigen) Woche versammelt (Apg 20,7). Der in Offb 1,10 erwähnte „Tag des Herrn“ (κυριακη` η με'ρα; vgl. Did 14,1) bezieht sich ebenfalls auf den ersten Tag der Woche, d.h. auf den Sonntag (als Tag der Auferstehung Christi).606 V. 2 lässt nicht erkennen, ob sich die Christen am ersten Tag der Woche, d.h. am Sonntag, versammelt haben. Da für das Ende des 1. Jahrhunderts die Praxis belegt ist, dass Christen sich am ersten Tag der Woche versammelten (Barn 15,9; Justin, Apol. 1, 67; Plinius, Ep. 10,96), ist die Annahme durchaus plausibel, dass die Notiz des Paulus in V. 2 diese Praxis widerspiegelt.607 Der Grund, weshalb die korinthischen Christen ermutigt werden, an diesem Tag Geld beiseitezulegen, ist nicht klar. Manche meinen, Paulus nehme diesen Tag, „an dem sich wegen der Versammlung der Gemeinde die Gedanken sowieso mit Angelegenheiten ————————————————————
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Kollekte, 48-50. Talbert 105; Garland 753. Die Verwendung der Ordinalzahl μι'α statt πρω' τη zur Bezeichnung des ersten Wochentags stammt aus dem Hebräischen, „das alle Monatstage durch Kardinalia statt durch Ordinalia bezeichnet“ (BDR §247.1). Vgl. Ps 47,1 LXX; siehe auch Mk 16,9; Lk 18,12. J. Rüpke, Art. Kalender, DNP VI, 157. Lindemann 376 meint, Paulus setze die „Praxis“ des jüdischen Kalenders voraus. Es ist allerdings wenig plausibel, dass die korinthischen Heidenchristen am siebten Tag der Woche von der Arbeit ruhten. Vgl. Bacchiocchi, Sabbath, 100-101 zur Kenntnis des jüdischen Sabbat bei Griechen und Römern. Strobel, Passah-Erwartung, 185 will „Tag des Herrn“ auf Ostern beziehen; kritisch zu Recht Rordorf, Sonntag, 205-212; Bauckham, Lord’s Day, 230-231. Wolff 430; Hahn, Gottesdienst, 44; Bauckham, Lord’s Day, 230-233; Llewelyn, Sunday, 209-210; Salzmann, Lehren, 76. Vgl. Bauckham, ebd. 237-238 zu Bacchiocchi, Sabbath, 94-95, der einen christlichen Sonntagsgottesdienst ausschließen will. Der früheste Beleg in den Papyri für den christlichen Sonntag ist der in das Jahr 325 n.Chr. datierende P.Oxy. LIV 3759; vgl. Llewelyn, Sunday, 217.
Die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem 16,1-4 1001 ————————————————————————————————————
der Gemeinde beschäftigten“. 608 Andere gehen von praktischen Überlegungen aus: Am ersten Tag der Woche steht das Geld noch zur Verfügung, das man am Ende der Woche ausgegeben hätte. 609 Die Wendung jeder von euch (ε«καστος υ μω ^ ν) betont die Verantwortung aller Gemeindeglieder für die Beteiligung an der Geldsammlung. Das Charisma der „Hilfeleistungen“ (12,28) entbindet den einzelnen nicht von der Pflicht, mit dem verdienten Geld nicht nur die eigenen Wünsche zu erfüllen, sondern sich für Mitchristen einzusetzen, die sich in einer wirtschaftlichen Notlage befinden. Die Beteiligung aller Gemeindeglieder, der wohlhabenden genauso wie der ärmeren, steht dem üblichen Bestreben der reichen Griechen und Römer entgegen, durch Wohltätigkeit und Patronage den eigenen Ruhm zu mehren.610 Die Formulierung bei sich (παρ’ ε αυτω ^, ) wird häufig im Sinn von „bei 611 sich zu Hause“ interpretiert. Nach einem Pronomen (wie ε«καστος) betont παρα' , gefolgt von einem Reflexivpronomen, jedoch das vorausgehende Pronomen; d.h. man kann die Wendung ε«καστος υ μω ^ ν παρ’ ε αυτω ^, mit „jeder 612 von euch individuell“ übersetzen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass das wöchentlich gesammelte Geld in der Gemeindekasse aufbewahrt wurde, bis es nach Jerusalem transferiert wurde.613 Das in 12,28 genannte Charisma der „Leitungsgaben“ (κυβερνη' σεις) spielte bei der Organisation der regelmäßigen Geldsammlungen sicherlich eine wichtige Rolle. ————————————————————
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W. Foerster, Art. κυριακο' ς, ThWNT III, 1096: es gibt keinen Beweis dafür, „daß die paulinischen Gemeinden an jedem Herrentag und nur an ihm zusammenkamen“. Bacchiocchi, Sabbath, 100; vgl. Schrage IV 428 Anm. 30. Kritisch Llewelyn, Sunday, 209 mit dem Hinweis, dass das Einkommen damals nicht durch wöchentliche Lohnzahlungen bestimmt wurde. Deissmann, Licht vom Osten, 309 nimmt an, dass der paulinische Vorschlag mit Löhnungsterminen zusammenhängt; kritisch W. Foerster, ThWNT III, 1096; Lacey, Sabbath/Sunday, 184-185. Vgl. Chow, Patronage, 185-186. Meeks, Urchristentum, 142 bemerkt, dass diese Anweisung „von den wirtschaftlichen Verhältnissen kleiner Leute“ zeugt, „die zwar keine Not leiden, aber auch über kein Kapital verfügen“, was in das Bild des typischen Christen „als gutsituiertem Handwerker oder Händler“ passen würde; vgl. Wolff 429. Fee 813; Wolff 429; Lindemann 377. Rordorf, Sonntag, 191 stellt psychologische Überlegungen an: „Einerseits musste sich jeder vor sich selbst und dem andern schämen, wenn er seiner Pflicht, etwas auf die Seite zu legen, nicht nachkam, andererseits spornte ihn das Bewusstsein, dass die gesparte Summe sich zusehends mehrte, zum weitern Sparen an“. Llewelyn, Sunday, 209, mit Verweis auf Aristoteles, Hist. Anim. 511b; Athanasius, Vit. Antonii, MPG 26, 924; Basilius von Cäsarea, Constit. ascet., MPG 31, 1384; Dio Cassius, Hist. 63,28,5; Herodian, Excess. Div. Marc. 4,3,8. Anders Schrage IV 428-429, dessen Folgerung, es habe „weder eine Finanzorganisation und Gemeindekasse, in die die Beiträge abgeführt wurden, noch erst recht eine sonntägliche oder gar regelmäßige Gottesdienstkollekte“ gegeben, mit der Aussage des Textes nicht begründet werden kann.
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Die korinthischen Christen sollen (etwas) zurücklegen und sammeln (τιθε' τω θησαυρι' ζων). Das Verb θησαυρι' ζω ist im positiven Sinn des Ansparens von Geldbeträgen für die Kollekte verwendet. 614 Die Wendung was ihm gelingt (ο« τι ε α` ν ευ οδω ^ ται) beschreibt das Kriterium für die Höhe des Geldbetrags, den jeder einzelne zurücklegen soll: Jeder soll das geben, worauf er verzichten kann.615 Die Anwendung dieses Kriteriums ist in das Ermessen des einzelnen gestellt. Die Wendung ο« τι ε α' ν zeigt, dass Paulus „auf die offenbar sehr unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Rücksicht nimmt“. 616 W. Michaelis kommentiert: „Die Aufforderung des Apostels richtet sich keineswegs nur an solche Gemeindeglieder, die auf unerwartet hohe geschäftliche Gewinne einigermaßen leichten Herzens zugunsten der Kollekte verzichten könnten, sondern ausdrücklich an alle (vgl. ε«καστος υ μω ^ ν), d.h. die in ihrer Mehrzahl (vgl. 1,27f) armen korinthischen Christen sollen ohne Ausnahme Woche um Woche ein wirkliches Opfer bringen“.617 Die Anweisung des Apostels betont die Eigenverantwortung genauso wie die Freiwilligkeit.618 Der Vorschlag, dass die Anweisung sich am jüdischen Zehnten orientiert, hat keine Anhaltspunkte im Text. Plausibler ist der Hinweis auf die freiwilligen Spenden, mit denen die Israeliten bzw. die Juden den Bau der Stiftshütte und des Tempels finanzierten. 619 Die Absicht dieser Anweisungen wird in dem «ινα-Satz formuliert: damit nicht erst dann, wenn ich komme, Sammlungen stattfinden. Wenn die Sammlungen (λογει^αι) erst nach der Ankunft des Apostels beginnen, ohne dass die einzelnen Gemeindeglieder zuvor regelmäßig jede Woche etwas zurückgelegt haben, wäre der Betrag, der am Ende zusammenkäme, sicherlich ————————————————————
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Anders Mt 6,19; Lk 12,21; Jak 5,3, wo das Verb das Anhäufen irdischer Güter bezeichnet, das Jesus und Jakobus kritisieren. Pass. ευ οδο' ομαι bedeutet „einen guten Fortgang haben, guten Erfolg haben, gelingen“. Bauer /Aland 655 übersetzen die Wendung mit „aufzusammeln, soviel ihm etwa gelingen mag“. Diese Übersetzung geht davon aus, dass das vorausgehende ε«καστος das persönliche Subj. von ευ οδω^ ται ist; ο« τι ist dann Akk. der Sache. W. Michaelis, Art. ευ οδο' ω, ThWNT V, 117 hält dies aufgrund der Belege in der LXX für unwahrscheinlich; er zieht es vor, ο« τι als das neutr. Subj. von ευ οδω^ ται zu fassen und mit „indem er sammelt alles, was jeweils gelingt“ (= möglichst viel) zu übersetzen. Lindemann 377. W. Michaelis, ThWNT V, 117. Schrage IV 429 Anm. 32: „das bei der Spende vom Einkommen oder Vermögen her Mögliche und zu Erübrigende“. Anders nuanciert Garland 754: „Paul asks them to give out of their abundance, not sacrificially“. Vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 507, die mit „gut (auf dem Weg) führen“ übersetzt und mit Hinweis auf P.Mich. VIII 466,18-19; III 203,18-19 interpretiert: Wenn Paulus fordert, einen gewissen Geldbetrag beiseite zu legen, „so will er auch das wirtschaftliche ‚Vorankommen‘ der Spender selbst garantiert wissen“. Schrage IV 429; für die folgende Bemerkung siehe ebd.; vgl. Georgi, Geschichte, 30. Ex 25,1-7; 1Chron 29,2.18; 2Chron 2,15-16; Esth 1,4; 7,15-23.
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deutlich geringer. Vielleicht will Paulus auch den Eindruck vermeiden, er wolle die Gemeindeglieder unter Druck setzen, indem er die Sammlung persönlich organisiert. Oder er will vermeiden, Zeit von anderen wichtigen Aufgaben für die Geldsammlung abzweigen zu müssen. 620 Paulus denkt durchaus taktisch, aber er übt keinen Druck auf die korinthischen Christen aus. 3 Nach den Anweisungen für die Geldsammlung in der Gemeinde spricht Paulus die Pläne zur Überbringung des Geldes nach Jerusalem an. Der Transfer soll nach seiner Ankunft621 in Korinth stattfinden. Die Gemeinde soll Vertrauensleute (ου ς ε α` ν δοκιμα' σητε) auswählen, die Paulus mit Briefen entsenden will. Die Formulierung in der 1. Pers. Sing. (πε'μψω) zeigt, dass Paulus sich für die Kollekte verantwortlich weiß.622 Bei den Briefen handelt es sich um Empfehlungs- und Geleitbriefe (συστατικαι` ε πιστολαι' ), „die den Deputierten eine Aufnahme in Jerusalem und evtl. auch in den auf der Reiseroute liegenden Gemeinden verschaffen sollen“. 623 Die Motivation, die Kollekte durch korinthische Gemeindedelegierte nach Jerusalem überbringen zu lassen, wird unterschiedlich erklärt. Manche meinen, es handele sich um eine Vorsichtsmaßnahme, die den Verdacht eigener Bereicherung vermeiden will.624 Plausibler ist die realistische Überlegung, dass die Überbringung des Geldes durch mehrere Vertrauensleute größere Sicherheit gewährleistet und dass Paulus die einzelnen Gemeinden in die verschiedenen organisatorischen Aspekte der Kollekte für Jerusalem einbeziehen will. Eine Rolle wird auch die theologisch relevante Überlegung gespielt haben, dass Paulus dafür sorgen möchte, dass die korinthischen Christen in persönlichen Kontakt mit den Christen in Jerusalem kommen.625 Paulus geht zum Zeitpunkt der Abfassung des Ersten Korintherbriefes im Jahr 54 offensichtlich davon aus, dass ————————————————————
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Barrett 387; Garland 754-755. Das Verb παραγι'νομαι („vorbeikommen, hinkommen“) kommt bei Paulus nur hier vor; 28 der 37 ntl. Belege finden sich in Lk/Apg. Vgl. Arzt-Grabner z508 zu den Papyri. Schrage IV 430 kommentiert: „Das δοκιμα' ζειν von Delegaten durch die Gemeinde wird dadurch nicht überflüssig, sondern soll gerade ihre Beteiligung und Einbindung in die Verantwortung manifestieren“. Schrage IV 430 Anm. 42, mit Verweis auf Röm 16,1-2; 2Kor 8,16-24; Apg 15,23-29; 18,37. Meyer 481; Heinrici 513; Weiss 382 betonen, dass Paulus an mehrere Personen Briefe schreibt; Schrage IV 430 Anm. 42 erwägt, ob der Plur. ε πιστολαι' die Kategorie bezeichnet („brieflich“) oder als plurale tantum im Sinne von lat. litterae (Godet II 249) zu verstehen ist. Es handelt sich jedenfalls um Briefe, die Paulus schreibt, nicht um Empfehlungsbriefe der Korinther, wie RSV und NRSV annehmen; vgl. Garland 755. Ob die Beglaubigungsschreiben „erforderlich“ (Hfa) waren, entzieht sich unserer Kenntnis. Zu den antiken Empfehlungsbriefen vgl. Kim, Letter of Recommendation; Stowers, Letter Writing, 153-165; Klauck, Briefliteratur, 75-75; NewDocs VIII, 169-172. Robertson/Plummer 386; Heinrici 512; Godet II 249; Bachmann 473; Findlay 946; Lietzmann 89; kritisch Schrage IV 431. Fee 815; Wolff 430; Schrage IV 431; Garland 754.
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er nicht selbst nach Jerusalem reisen wird, um die Kollekte zu überbringen, sondern dass der Transfer von korinthischen Christen verantwortet wird. Die Bezeichnung des Geldbetrags, der nach Jerusalem (ει ς Ιε ρουσαλη' μ)626 überbracht627 wird, als eure Gabe (η χα' ρις υ μω ^ ν), beschreibt diese als frei628 willige Gabe. Als drei Jahre später im Frühjahr 57, nach Abschluss der Ephesus-Mission und nach dem Besuch des Apostels in Korinth im Winter des Jahres 56/57 sieben Vertreter von verschiedenen Gemeinden mit Paulus nach Jerusalem reisen, fehlen in der Namensliste in Apg 20,4 Vertreter der korinthischen Gemeinde. Lukas nennt Sopater aus Beröa, Aristarchus und Secundus aus Thessalonich, Gaius aus Derbe, Timotheus aus Lystra, und Tychicus und Trophimus (wahrscheinlich) aus Ephesus. R. Pesch meint, die fehlenden Vertreter der Gemeinde in Korinth gehörten möglicherweise (wie Timotheus) zu der Gruppe, die nicht mit dem Schiff nach Troas vorausreiste, sondern mit Paulus zusammen zu Fuß durch Makedonien wanderte und in Philippi das Osterfest feierte.629 Wenn man zu der Gruppe von Apg 20,4 noch je zwei Delegierte aus Korinth und Philippi hinzurechnet, vielleicht die in Röm 16,21 zwischen Timotheus und Sosipater genannten Lucius und Jason, und Titus dazu zählt, kommt man auf zwölf Personen. Wieder R. Pesch: „Mit der Zwölferzahl der Begleiter, die Juden- und Heidenchristen waren, wollte Paulus gegebenenfalls die Einheit der Kirche unterstreichen, die sein Kollektenwerk ohnehin demonstrieren sollte“. Eine andere Lösung vermutet, dass Paulus selbst die Aufgabe des Kollektendelegierten aus Korinth wahrnahm. 630 4 Paulus deutet die Möglichkeit an, dass die korinthischen Delegierten mit ihm zusammen nach Jerusalem reisen (συ` ν ε μοι` πορευ' σονται). Er reist jedoch ————————————————————
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Ιερουσαλη' μ ist die in der LXX und bei Paulus übliche Schreibweise; vgl. Röm 15,19.2526.31; Gal 4,25-26; in Gal 1,17-18; 2,1 schreibt Paulus Ιεροσο' λυμα. Jerusalem wird nur hier in der Korintherkorrespondenz namentlich erwähnt. Lindemann 377 weist zu Recht darauf hin, dass Paulus „gewisse Kenntnisse, die die Stadt und die dortige Gemeinde betreffen“, als vorhanden voraussetzt. α πενεγκει^ν ist Aor. Inf. von α ποφε' ρω; das Verb kommt bei Paulus nur hier vor. In den Papyri bedeutet das Verb häufig „vereinnahmen, einheimsen“ (meist im Blick auf Erträge aus Ernten oder Verpachtung); für die Bedeutung „(ab-)transportieren“ (von einem Ort an einen anderen) vgl. R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 509. H. Conzelmann, ThWNT IV, 384 spricht von „Dankesgabe“; Weiss 382 und Strobel 265 von „Liebesgabe“ (EÜ, SÜ, ZB, Menge); Wolff 430 von „freies Geschenk“. GNB übersetzt etwas prosaisch mit „eure Spende“. Lindemann 377 sieht eine Anspielung auf die göttliche χα' ρις: eine freiwillige Gabe, „die sich ihrerseits der den Spendenden zugewandten Gnade Gottes verdankt“; vgl. Schrage IV 431. Pesch, Apostelgeschichte II, 186, das folgende Zitat ebd. 187 Anm. 13; vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1385. Marshall, Acts, 324; Witherington, Acts, 603; Lukas wäre dann der Vertreter der Gemeinde in Philippi.
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nur dann mit, wenn es sich empfiehlt (ε α` ν δε` α»ξιον η , ). Welche Gründe den Ausschlag geben könnten, ob dieser Fall eintritt, sagt Paulus nicht. Wenig plausibel ist der Vorschlag, Paulus mache seine Mitreise von der Höhe des gesammelten Geldbetrags abhängig. 631 Paulus macht seine Reise nach Jerusalem, der sich die korinthischen Vertrauensleute anschließen können, entweder vom Wunsch der Gemeinde abhängig, 632 oder von der Situation seiner Missionsarbeit und der Einschätzung seiner Beziehungen zu der Jerusalemer Gemeinde.633 Die Formulierung zeigt jedenfalls, dass Paulus, der gerade in Ephesus missioniert, einen Besuch in Korinth plant und von dort aus nach Jerusalem weiterreisen will. Paulus hat nach der Darstellung in Apg 20,1-4 diese Pläne verwirklicht. Die Frage, ob der Transfer einer wahrscheinlich relativ hohen Geldsumme von Korinth nach Jerusalem bzw. von Achaja nach Judäa rechtlich ohne weiteres möglich war, wird von Paulus nicht angesprochen. E. M. Smallwood weist darauf hin, dass der Senatsbeschluss gegen die Goldausfuhr (exportari aurum non oportere) nur für die Gold- und Silberausfuhr in fremde Staaten und Gebiete galt, nicht auf Geldmengenbewegungen innerhalb des römischen Reiches.634 Dass diese nicht unbedenklich waren, zeigt ein Vorfall im Jahr 59 v.Chr.: Lucius Valerius Flaccus, Prokonsul der Provinz Asia, untersagte den Juden, 100 Pfund Gold von Apamea, 20 Pfund von Laodizäa, 100 Pfund von Adramyttium und einen geringeren Geldbetrag von Pergamon nach Jerusalem weiterzuleiten (Philo, Flacc. 66-69). Das Recht der Juden, Geld nach Jerusalem zu schicken, wurde von Augustus in einem Edikt des Jahres 2/3 n.Chr. erneut bestätigt (Josephus, Ant. 16,163). Beim Transfer von Geldbeträgen von Korinth nach Jerusalem waren währungstechnische Schwierigkeiten zu lösen.635 Da die Übersendung einer Geldsumme an die Jerusalemer Gemeinde eine Parallele in der Überbringung der Tempelsteuer (προ' σοδοι) aus den jüdischen Diasporagemeinden nach Jerusalem hat, waren diese Schwierigkei————————————————————
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Meyer 482; Heinrici 513; Robertson/Plummer 387; Findlay 946; Lietzmann 89; Schlatter 450; Blomberg 325; Wolff 430; Schrage IV 342. Kritisch Lindemann 378: die Wendung α»ξιο' ν ε στιν legt dies „durchaus nicht nahe“. Conzelmann 363; Georgi, Geschichte, 41. Klauck 124; Fee 816; Garland 756; vgl. Beckheuer, Kollekte, 118: Paulus macht seine Teilnahme von dem Willen Gottes abhängig, „der sich in der Haltung der korinthischen Gemeinde ausdrückt“. Smallwood, Jews, 126-127. Die Zahlungen für den Jerusalemer Tempel, die Juden in den Diasporagemeinden organisierten, waren von dieser Regelung ausgenommen. Vgl. Koch, Kollektenbericht, 380. Lindemann 377-378, mit Verweis auf W. Crawford, Art. Geld, Geldwirtschaft III.B Rom. Prinzipatszeit, DNP IV, 881-882: „Die Vielfalt der Währungen im Imperium Romanum wurde noch durch Hunderte von lokalen Währungen ergänzt, die im Westen bis zu Claudius, im Osten bis zum 3. Jh. n.Chr. existierten. Alle diese Währungen basierten jedoch wahrscheinlich auf römischen Nominalen oder waren mit diesen konvertierbar. Unklar bleibt allerdings, ob das Imperium Romanum als ein Gebiet betrachtet werden kann, in dem das Geld ungehindert zirkulierte“.
1006 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— ten nicht unüberwindbar. Philo beschreibt die Überbringung der Tempelsteuer folgendermaßen: „Zu bestimmten Zeiten werden Boten für die heiligen Gelder erwählt, und zwar möglichst treffliche Männer, die angesehensten aus jeder Stadt, um die hoffnungsvollen Gaben aller zu überbringen; denn auf den vorgeschriebenen Abgaben beruhen die Hoffnungen der Gottesfürchtigen“ (Philo, Spec. Leg. 1,78).636 Die Gemeinden, die an der Kollekte beteiligt waren, werden den gesammelten Geldbetrag vor der Reise nach Jerusalem in die Währung mit dem kleinsten Volumen umgetauscht haben, d.h. in das Metall mit dem höchsten Wert, d.h. in Gold.637 Die Mischna erlaubt den Umtausch von Schekel in Goldmünzen, um auf einer Reise weniger beschwert zu sein (mSheq 2,1). Der seit 46 v.Chr. geprägte aureus (1/40 römische Pfund; 8,19 g Gold) entsprach 25 Denaren. Wenn man nicht mit Packeseln über Land reisen oder Kisten an Bord eines Schiffes schleppen wollte, mussten die Überbringer der Kollekte die Geldstücke in einen Gürtel oder in ihre Kleider einnähen.
IV Dieser Abschnitt illustriert, dass Paulus nicht nur ein Theologe ist, der mit stringenter Argumentation über die leibliche Auferstehung der Toten schreibt und der ein Triumphlied schreiben kann, der den Sieg Jesu Christi über den Tod als den letzten Feind des Menschen thematisiert. Paulus ist immer auch Missionar, der sich nicht zu schade ist, prosaisch anmutende Angelegenheiten ganz praktisch zu regeln. Paulus nennt in 16,1-4 keine Gründe, weshalb sich die korinthischen Christen an der Geldsammlung für die Christen in Jerusalem beteiligen sollen. Richtig ist jedoch die Feststellung, dass unser Umgang mit Geld zu den zuverlässigsten Hinweisen darauf gehört, welche Dinge und welche Beziehungen wir für wichtig halten. Wenn arme Christen in Korinth die geringen Geldsummen, die sie entbehren können, für die Christen in Jerusalem spenden, und wenn wohlhabende Christen eine große Geldsumme beitragen, demonstrieren sie dadurch, dass ihnen die Beziehung zu Gott und zu notleidenden Mitchristen wichtiger ist als die Maximierung des eigenen Wohlergehens. Die Anweisungen für die Geldsammlung betonen einerseits, dass sich alle Christen beteiligen sollen, andererseits wird deutlich, dass die Höhe des freiwilligen Beitrags in das Ermessen des Einzelnen gestellt ist. Paulus übt keinen Druck aus, sondern vertraut offensichtlich darauf, dass die korinthischen Christen das ihnen Mögliche tun werden.
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Zur Tempelsteuer und den Geldwechslern im Jerusalemer Tempel s. Ådna, Jerusalemer Tempel, 96-118. Murphy-O’Connor, Paul, 345.
Die Reisepläne von Paulus, Timotheus und Apollos 16,5-12 1007 ————————————————————————————————————
Die Reisepläne von Paulus, Timotheus und Apollos 16,5-12 I 5 Ich werde aber zu euch kommen, wenn ich durch Makedonien gezogen bin. Ich werde nämlich durch Makedonien (nur) hindurchziehen, 6 bei euch werde ich jedoch nach Möglichkeit bleiben oder sogar den Winter zubringen, damit ihr mich ausstattet, wohin ich auch reisen werde. 7 Denn ich will euch jetzt nicht nur im Vorbeigehen sehen. Ich hoffe nämlich, einige Zeit bei euch zu bleiben, wenn es der Herr zulässt. 8 Ich werde aber bis Pfingsten in Ephesus bleiben, 9 denn es hat sich für mich eine große und wirksame Tür aufgetan, und es gibt viele Widersacher. 10 Wenn aber Timotheus kommt, so achtet darauf, dass er ohne Furcht bei euch sein kann. Denn er betreibt das Werk des Herrn genauso wie ich selbst. 11 Es soll ihn niemand verachten. Gebt ihm vielmehr in Frieden das Geleit, damit er zu mir (zurück) kommt, denn ich erwarte ihn mit den Brüdern. 12 Was aber den Bruder Apollos betrifft, so habe ich ihn oft gebeten, mit den Brüdern zu euch zu gehen. Aber es war ganz und gar nicht sein Wille, jetzt zu kommen. Er wird aber kommen, sobald er eine Gelegenheit findet.
II Nachdem Paulus bereits in 4,19 („Ich werde aber bald zu euch kommen, wenn der Herr will“) und 11,34 („Weiteres werde ich anordnen, wenn ich komme“) einen Besuch in Korinth angekündigt hatte, schreibt er in 16,5-9 ausführlicher über seine Pläne. In V. 5 macht er Angaben über die geplante Reiseroute, in V. 6-7 über die Dauer seines Aufenthalts und in V. 8-9 über den (verzögerten) Reisetermin. Paulus teilt den korinthischen Christen in V. 10-11 mit, dass Timotheus vor ihm in Korinth eintreffen, jedoch nur kurz in der Stadt bleiben wird. Eine Notiz über Apollos in V. 12 informiert die Korinther, dass Paulus Apollos nach Korinth schicken wollte, dieser aber bislang nicht in der Lage war, zu kommen. Textkritische Anmerkungen. In V. 6 lesen d34 B 0121 0243 6 1739c καταμενω ^ („länger verweilen“), statt παραμενω ^ („verweilen“), das jedoch gut 46 bezeugt ist (d אA C D (F G) Ψ 075 088 33 1739* 1881 Byz). Nach παραμενω ^ lesen d46 B u.a. η , während d34 אA C u.a. η και' und F G nur και' lesen. In V. 7 lesen Ψ 075 Byz vg sy δε' statt des gut bezeugten γα' ρ. In V. 10 lesen d46 B ε γω^ statt κα γω' (d34 אA C D).638 In V. 12 fügen mehrere Handschriften hinter α δελφου^ die Wendung δη' λω υ μι^ν ο« τι („ich teile euch mit, ————————————————————
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Zuntz, Text, 210-211 hält die kürzere Lesart von d46 B für ursprünglich.
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dass“) ein ( *אD* F G ar vg; Ambst); dies gibt zwar einen guten Sinn, es ist jedoch schwer erklärbar, weshalb dieser Satz, wenn er im Ausgangstext gestanden hätte, ausgelassen worden wäre. 639
III 5 Nun kommt Paulus auf seine Reisepläne zu sprechen, wie er das auch in Röm 15,22-23 und Phlm 22 tut. Er hatte seinen Besuch in Korinth bereits in 4,19 und 11,34 angekündigt. Nun teilt er Einzelheiten über seine Reiseroute, die Dauer seines Aufenthalts und den Reisetermin mit. 640 Mit der Formulierung Ich werde aber zu euch kommen (ε λευ' σομαι δε` προ` ς υ μα^ς) kündigt Paulus seinen Besuch in Korinth definitiv an. Ehe er nach Korinth kommt, will er jedoch durch Makedonien ziehen (ο« ταν Μακεδονι' αν διε'λθω). Diese Notiz deutet darauf hin, dass Paulus plante, von Ephesus aus zunächst mit dem Schiff nach Philippi oder Thessalonich zu reisen. Das Verb διε'ρχομαι bezieht sich auf den Besuch von Gemeinden in Makedonien, d.h. in Philippi, Thessalonich und Beröa.641 Wie V. 6 zeigt, plant Paulus nur einen Kurzbesuch in Makedonien. Die Pläne, von denen Paulus hier spricht, datieren in das Jahr 54, in dem er den Ersten Korintherbrief schreibt. Paulus sah sich nach den Angaben in 2Kor 2,13 und 7,5-6 zu einem kurzen Zwischenbesuch in Korinth gezwungen (im Mai/Juni des Jahres 55?), nachdem er seine Missions- und Gemeindearbeit in Ephesus fortsetzte. Die Notiz über die Änderung seiner Besuchspläne in 2Kor 1,15-16 beziehen sich auf diesen notwendig gewordenen Zwischenbesuch. Der in 1Kor 16,5-7 mitgeteilte Plan wurde nach dem Zwischenbesuch dann doch ausgeführt (vgl. 2Kor 2,12-13; Apg 20,1-3): Paulus verlässt Ephesus wahrscheinlich im Herbst des Jahres 55. Er reist über Alexandria Troas nach Makedonien, wo er sich den Winter über aufhält. Im Frühjahr 56 besucht er vermutlich Illyrien (Röm 15,19), ehe er nach Korinth reist, wo er sich im Winter des Jahres 56/57 aufhält.642
6 Während er Makedonien nur durchziehen will, plant Paulus, in Korinth nach Möglichkeit bleiben oder sogar den Winter zubringen. Παραμε'νω steigert das Simplex με'νω. Die Verwendung des Verbs in den Papyri zeigt, ————————————————————
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Fee 823 Anm. 1. Arzt-Grabner 510-511 vergleicht die Reisepläne des Paulus mit den Informationen, die ein Briefsender in einem Papyrusbrief aus dem 2. Jh. n.Chr. mitteilt, der von Ägypten „durch Syrien, Asien und Achaia bis nach Rom“ reisen will (P.Mich. VIII 501,17-18). Robertson/ Plummer 387 meinen mit Verweis auf Apg 13,6; 14,24; 15,3.41; 18,23; 19,1.21; 20,2, διε' ρχομαι sei ein terminus technicus der Missionssprache, Paulus habe also eine „missionary tour or evangelistic journey“ in Makedonien geplant. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich, da Paulus nur einen Kurzbesuch ankündigt. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1191-1200.
Die Reisepläne von Paulus, Timotheus und Apollos 16,5-12 1009 ————————————————————————————————————
dass es sich bei dem „Verbleiben“ in Korinth nicht um einen erholsamen Aufenthalt handelt, sondern dass dieses mit Arbeit ausgefüllt sein wird. 643 Das als Adv. verwendete Ptz. Ntr. τυχο' ν („vielleicht, gegebenenfalls“)644 kommt nur hier im NT vor. Das Verb παραχειμα' ζω bezeichnet das Überwintern; vgl. Apg 27,12; 28,11; Tit 3,12. Diese Notiz deutet darauf hin, dass Paulus im Herbst in Korinth eintreffen wollte: Zwischen September/Anfang November und dem 5. März (ploiaphesia/navigium Isidis) war die Schifffahrt im Mittelmeer gesperrt (Plinius, Nat. Hist. 2,47), nicht nur wegen der Stürme (vgl. Apg 27,9-44), sondern auch wegen der Bedürfnisse der Navigation, die nur bei wolkenlosem Himmel möglich war.645 Paulus geht davon aus, dass die korinthischen Christen ihn bei seiner Weiterreise unterstützen werden: damit ihr mich ausstattet, wohin ich auch reisen werde. Das Verb προπε'μπω bedeutet „geleiten“ oder „zur Reise ausstatten“ (mit Geld, mit für die Reise benötigten Gegenständen oder mit Reisebegleitern). Nach V. 4 ist Paulus bereit, nach Jerusalem zu reisen; die Wendung ου ε α` ν πορευ' ωμαι („wohin ich auch reisen werde“) lässt das Reiseziel unbestimmt, wozu der Hinweis auf die Ausstattung durch die Korinther passen würde. Ob Paulus etwa jetzt schon eine Mission nach Spanien plant, ist nicht sicher. Im zwei Jahre nach dieser Notiz (in Korinth!) geschriebenen Römerbrief erhofft er sich von den römischen Christen Unterstützung für die Spanienmission (Röm 15,22-24.28). Es zeigt sich wieder: Die in 9,12.15.18 beschriebene Ablehnung finanzieller Unterstützung bezieht sich auf die Phase der Pioniermission in einer Stadt, nicht auf die Beteiligung der Gemeinden an seinem Missionswerk. 7 Noch einmal betont Paulus, dass er länger in Korinth bleiben will: Denn ich will euch jetzt nicht nur im Vorbeigehen sehen. Die Wendung ε ν παρο' δω, bedeutet „im Vorbeigehen“.646 Aus α»ρτι darf man nicht schließen, dass Paulus schon einmal ε ν παρο' δω, in Korinth war.647 Das Adverb markiert hier „den gegenwärtigen Augenblick, in dem nur ein kurzer Besuch im Vorübergehen möglich wäre“.648 Paulus hofft nämlich, einige Zeit bei euch zu ————————————————————
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R. E. Kritzer, in Arzt-Grabner 510-511, mit Verweis auf Verträge, in denen die Verpflichtung zum „Da(bei)bleiben“ und Arbeiten geregelt wird (P.Mich. X 587,10-13; P. Fouad I 37,4-5 u.a.), sowie auf (wie hier) allgemeine Zusammenhänge, in denen jeweils von Arbeiten die Rede ist (P.Mich. I 45,8-10; P.Cair.Zen. I 59133,11; P.Oxy. VIII 1117,22). Bauer /Aland 1653 s.v. τυγχα' νω 2c; vgl. BDR §424; O. Bauernfeind, ThWNT VIII, 239. Casson, Reisen, 173-187; Riesner, Frühzeit, 274; Schnabel, Urchristliche Mission, 619. πα' ροδος bedeutet sonst auch „Seiteneingang“. Für die Bedeutung „im Vorbeigehen“ vgl. P.Brem. 48,8-9; Polybius 5,68,8; Josephus, Ant. 13,38. So Weiss 383; als Möglichkeit Meyer 484; Heinrici 515; kritisch Godet 251; Bachmann 474; Allo 459-460; Lindemann 379; Schrage IV 439. Schrage IV 439.
1010 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
bleiben (ε λπι' ζω γα` ρ χρο' νον τινα` ε πιμει^ναι). Wenn die Ankündigung eines längeren Besuches durch die Annahme motiviert ist, die Durchsetzung seiner Antworten auf die vielen ethischen und theologischen Fragen und Schwierigkeiten der korinthischen Christen könne längere Zeit in Anspruch nehmen, dann wäre dieser Besuch mindestens für jene Korinther eine eher zweischneidige Angelegenheit, die diese Schwierigkeiten verursacht hatten. Allerdings hofft Paulus offensichtlich, dass sein Brief und der Besuch des Timotheus (V. 10-11) die Probleme der Gemeinde einer Lösung zuführen werden. Der Bedingungssatz wenn der Herr es zulässt (ε α` ν ο κυ' ριος ε πιτρε'ψη, ) ist keine fromme Floskel, sondern bringt die Überzeugung des Apostels, der „Sklave Jesu Christi“ ist (Röm 1,1), zum Ausdruck, dass die Verwirklichung seiner detaillierten Pläne von der Zustimmung Christi abhängig ist.649 Die Formulierung spielt wahrscheinlich auf die in V. 9 erwähnten missionarischen Möglichkeiten in Ephesus an, die ihn dort für längere Zeit festhalten könnten. 8 Die Notiz: Ich werde aber bis Pfingsten in Ephesus bleiben belegt, dass Paulus den Brief an die Korinther in Ephesus schreibt, und zwar einige Zeit vor dem Pfingstfest. Paulus hat von 52–55 n.Chr. in Ephesus missioniert (Apg 19,1-40).650 Pfingsten (πεντηκοστη' ) bezeichnet nach dem jüdischen Kalender den fünfzigsten Tag nach dem Passafest (etwa Mitte Juni). 651 Diese Notiz besagt weder, dass Paulus diesen Tag mit einer Feier verbindet, noch belegt sie ein „christliches Pfingstfest“.652 Paulus nennt lediglich einen aus der jüdischen Jahreseinteilung stammenden Termin, bis zu dem er seine Missionsarbeit in Ephesus abzuschließen gedenkt. 9 Die Unabkömmlichkeit des Apostels aus Ephesus wird damit begründet (γα' ρ), dass sich für Paulus eine große und wirksame Tür aufgetan hat. Das Bild von der „Tür“ (θυ' ρα)653 spricht vom Vorhandensein einer günstigen Ge————————————————————
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Vgl. 4,19 im gleichen Zusammenhang: ε α` ν ο κυ' ριος θελη' ση, . Vgl. auch Röm 1,10; 15,32; sowie Apg 18,21; Hebr 6,3; Jak 4,15; siehe auch Josephus, Ant. 20,267. Siehe andererseits die Kritik der Korinther an Paulus in 2Kor 1,17. Meyer 483; Fee 820; Lindemann 379 beziehen κυ' ριος auf Christus, Wolff 432 und Schrage IV 440 auf Gott. Zu Ephesus vgl. R. E. Oster, Art. Ephesus, ABD II, 542-549; C. Arnold, DPL 249-253; P. Scherrer /Ch. Höcker, DNP III, 1078-1085; Karwiese, Ephesos; Scherrer, Ephesos; Schnabel, Urchristliche Mission, 1154-1161, ebd. 1162-1176 zur Entstehung der Gemeinde in Ephesus. Ex 34,22; Lev 23,15-22; Dtn 16,9-12; vgl. 2Makk 12,32; Tob 2,1; Josephus, Ant. 3,252; Philo, Decal. 160; Spec. Leg. 2,176; Apg 2,1; 20,16. Vgl. E. Lohse, Art. πεντηκοστη' , ThWNT VI, 44-53; A. Weiser, EWNT III, 165-166; K.-W. Niebuhr, ThBLNT I, 458459. Im Profangriechischen ist πεντηκοστη' ein steuertechnischer Begriff („der fünfzigste Teil“, d.h. zwei Prozent). In den Papyri bezeichnet das Wort in der Regel eine bestimmte (zweiprozentige) Zollsteuer auf Importe und Exporte (abgekürzt als ν'); vgl. Preisigke, Wörterbuch III, s.v. Abschnitt 11; Kritzer, in Arzt-Grabner 514. Richtig Lindemann 380; Schrage IV 440.
Die Reisepläne von Paulus, Timotheus und Apollos 16,5-12 1011 ————————————————————————————————————
legenheit für die missionarische Arbeit.654 Das intransitive Verb α νε'ω, γεν verweist auf Gott, der diese Tür aufgetan, d.h. der dem Evangelium Raum geschaffen hat. Die Adjektive „groß“ (μεγα' λη) und „wirksam“ (ε νεργη' ς) deuten darauf hin, dass Gottes Kraft (ε νε'ργεια) in besonderer Weise wirksam ist. Wahrscheinlich hat die Missionsarbeit in Ephesus gerade eine Phase erreicht, in der besonders viele Menschen zum Glauben an Jesus Christus kommen. Möglicherweise bezieht sich die Bemerkung auch auf die Asiarchen, mit denen Paulus nach Apg 19,31 Bekanntschaft geschlossen hatte. Die Asiarchen waren hohe städtische Beamte, die in den Ratsversammlungen Anträge einbrachten, Gebäude einweihten, Statuen errichteten und Festspiele leiteten.655 Wer die vielen Widersacher (α ντικει' μενοι πολλοι' ) sind,656 lässt Paulus offen. Vielleicht deutet sich zu diesem Zeitpunkt bereits der Widerstand der Gilde der Silberschmiede an, der schließlich in einer großen Protestaktion im Theater gipfelte (Apg 19,23-40). Der Widerstand war allerdings nicht größer als die „offene Tür“: Paulus sieht sich nicht zur Abreise gezwungen. Mission und Evangelisation machen oft gerade angesichts von Widerstand entscheidende Fortschritte. 10 Paulus kündigt den Korinthern den Besuch von Timotheus an (vgl. 4,17; siehe dort zu Timotheus). Es ist nicht sicher, ob der Bedingungsatz ε α` ν δε` ε»λθη, Τιμο' θεος („wenn aber Timotheus kommt“) in konditionalem Sinn zu verstehen ist. Manche interpretieren im Sinn von ο« ταν,657 andere verbinden die Kontingenz, die ε α' ν andeutet, mit der Ungewissheit der Reisepläne des Timotheus: Wenn er, wie in Apg 19,22 berichtet, über dem Landweg nach Makedonien reist, könnte Paulus seinem Mitarbeiter freigestellt haben, ob er nach dem Besuch der makedonischen Gemeinden nach Griechenland weiterreist oder nicht.658 Die fehlende Erwähnung von Timotheus im Präskript und in der Grußliste deutet darauf hin, dass Timotheus schon unterwegs ist, dass er jedoch später in Korinth eintreffen wird als der Brief, den Paulus gerade schreibt, vermutlich weil er über Land reist, während der Brief von Boten per Schiff nach Korinth gebracht wird (vielleicht durch Stephanas, Achaicus und Fortunatus; vgl. 16,17). Als Paulus im Jahr 55–56 die geplante Reise nach Makedonien und den Besuch in Korinth verwirklicht (vgl. Apg 19,21; 20,1-3), ————————————————————
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Vgl. J. Jeremias, ThWNT III, 174 für jüdische und hellenistische Belege; vgl. auch Bill. III, 484-485; NW 409-411. Bei Paulus auch in 2Kor 2,12; Kol 4,3. Ganz anders Strelan, Paul, 283-285, der meint, Paulus stehe einer großen Gefahr, vielleicht sogar dem Tod, gegenüber und wolle deshalb höchstens bis Pfingsten bleiben. Das Bild von der „Tür“ ergibt bei dieser Interpretation wenig Sinn. Vgl. Kearsley, The Asiarchs, 363-376; Schnabel, Urchristliche Mission, 1171. Von „vielen“ Widersachern spricht Paulus auch in 2Kor 11,18 und Phil 3,18. Conzelmann 367; Lindemann 380. Barrett 390; vgl. Gutjahr 483; Allo 481.
1012 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
reiste Timotheus zusammen mit dem Korinther Erastus auf dem Landweg voraus (Apg 19,22). Paulus mahnt die Korinther, darauf zu achten (βλε'πετε), dass Timotheus ohne Furcht bei euch sein kann (ι«να α φο' βως γε'νηται προ` ς υ μα^ς). Diese Mahnung ist deshalb erstaunlich, weil Timotheus einer der Mitbegründer der Gemeinde war (Apg 18,5; 2Kor 1,19). Mit dem Adv. α φο' βως verweist Paulus sicherlich nicht auf eine Gefahr für Leib und Leben des Timotheus, sondern auf Komplikationen im Zusammenhang mit seinem Auftrag, den er als sein Mitarbeiter in Korinth ausführen soll. Offensichtlich schließt Paulus nicht aus, dass Timotheus in der korinthischen Gemeinde auf Widerstand stoßen könnte.659 Die Tatsache, dass Timotheus in 2Kor 1,1 als Mitabsender des Briefes genannt wird und dass die direkten Kontakte zwischen Paulus und der Gemeinde durch Titus wahrgenommen werden (2Kor 12,18; 7,6.13-14; 8,6.16. 23), könnte darauf hindeuten, dass Timotheus in der korinthischen Gemeinde über wenig Rückhalt verfügte. 660 Sicher ist dies jedoch nicht, zumal es wenig wahrscheinlich ist, dass Paulus einen Abgesandten nach Korinth schickt, der schwach ist und von dem man weiß, dass er wohl wenig ausrichten kann. Nach 4,17 hat Timotheus den Auftrag, bei seinem Besuch in der Gemeinde die korinthischen Christen an die „Wege in Christus Jesus“ zu erinnern, wie Paulus sie überall in jeder Gemeinde lehrt – ein Auftrag, der angesichts der selbstbewussten Korinther bei Timotheus durchaus φο' βος auslösen kann.661 Für dieses Verständnis spricht die Begründung (γα' ρ) im nächsten Satz: Denn er betreibt das Werk des Herrn genauso wie ich selbst. Was Timotheus letztlich autorisiert, ist nicht die Sendung durch Paulus, sondern die Tatsache, dass Timotheus, wie Paulus selbst (ω ς κα γω' ), das „Werk des Herrn“ ausführt (το` ε»ργον κυρι' ου ε ργα' ζεται; vgl. 15,58), d.h. engagiert und im Gehorsam gegenüber dem Willen Jesus Christi am Bau der Gemeinde beteiligt ist. 11 Die Mahnung, Timotheus freundlich aufzunehmen, entspricht der Mahnung, dass ihn niemand verachten soll (μη' τις ου ν αυ το` ν ε ξουθενη' ση, ). Das Verb ε ξουθενε'ω662 bedeutet „verachten“ oder „geringschätzen“; es steht in 2Kor 10,10 für die verächtliche Geringschätzung des Wortes des Apostels. Die Gründe für eine abschätzige Zurückweisung des Timotheus werden von Paulus nicht genannt, sie werden den korinthischen Christen bekannt gewesen ————————————————————
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Hutson, Timothy, 65 interpretiert «ινα im Sinn von ο« τι als Hinweis auf die Furchtlosigkeit des Timotheus: „Wenn Timotheus kommt, so erkennt, dass er keine Furcht vor euch hat, denn er betreibt das Werk des Herrn genauso wie ich selbst“. Lindemann 381. Schrage IV 444. Klauck 125 meint, Paulus sei besorgt, die Korinther könnten Timotheus „nicht als vollwertigen Ersatz für den Apostel akzeptieren“. μη' . . . ε ξουθενη' ση, ist prohibitiver Konj.; vgl. BDR 364.4; HS §210e.
Die Reisepläne von Paulus, Timotheus und Apollos 16,5-12 1013 ————————————————————————————————————
sein.663 Paulus bittet die Korinther, Timotheus mit Respekt zu begegnen und ihn für die Rückreise auszustatten: Gebt ihm vielmehr in Frieden das Geleit, damit er zu mir (zurück) kommt. Zu προπε'μπω siehe V. 6. Der Wunsch, dass jemand „in Frieden“ (ε ν ει ρη' νη, ) geht oder reist, ist traditionell.664 Wenn die Christen in Korinth dafür sorgen, dass er den Auftrag, mit dem Paulus ihn nach Korinth sendet, „ohne Furcht“ ausführen kann, dann kann er „in Frieden“ zu Paulus zurückkehren. Der Zusatz denn ich erwarte ihn mit den Brüdern ist im Blick auf die historische Situation unklar. Es handelt sich bei den „Brüdern“ (α δελφοι' ) um Christen aus Ephesus, die Timotheus nach Makedonien und Griechenland begleiten (nach Apg 19,22 gehörte Erastus zu dieser Reisegruppe), um makedonische Christen, die Timotheus von Makedonien nach Korinth begleiten, oder um korinthische Christen, die Timotheus auf dem Rückweg von Korinth zu Paulus begleiten.665 Möglich, aber wenig wahrscheinlich ist es, dass μετα` τω ^ ν α δελφω ^ ν auf ε κδε' χομαι zu beziehen ist und Christen bezeichnet, die dort wohnen, wo Paulus auf Timotheus wartet.666 12 Paulus teilt den Korinthern Nachrichten über Apollos mit, weil dieser in der korinthischen Gemeinde eine wichtige Rolle gespielt hat und noch immer spielt (vgl. 1,12; 3,4-9.22; 4,6; zu Apollos s. oben zu 3,6).667 Paulus hat den Bruder Apollos inständig darum gebeten (πολλα` παρεκα' λεσα), mit den Brüdern zu euch zu gehen. Die Wiederholung der Wendung μετα` τω ^ ν α δελφω ^ν kann so verstanden werden, dass Paulus gehofft hatte, Apollos werde Timotheus und die anderen Christen begleiten, die nach Korinth aufgebrochen waren.668 Möglich ist auch, dass Paulus gehofft hatte, Apollos werde die ————————————————————
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Der Hinweis auf Jugend bzw. Schüchternheit des Timotheus wird von 1Tim 4,12 in den Text hineingelesen. Zur Kritik an der These von der Schüchternheit des Timotheus vgl. Hutson, Timothy, 58-73; Garland 759. Vgl. Ex 4,18; 1Sam 20,42; 2Kön 5,19; Tob 12,5; Mk 5,34; Lk 7,50; 8,48; Apg 15,33; 16,36; Jak 2,16. Vgl. W. Foerster, ThWNT II, 409. Lindemann 381 hält dies für wenig plausibel, da „Paulus doch auf dem Weg nach Korinth ist“. Da man es in der Antike jedoch vermieden hat, allein zu reisen, könnte es sein, dass die Christen, die Timotheus von Makedonien nach Korinth begleiteten, (sofort) nach Makedonien zurückkehrten und dass Paulus erwartet, dass korinthische Christen Timotheus auf der Rückreise (nach Makedonien? nach Ephesus) zu Paulus begleiten. So Godet II 252; Hofmann 397; Grosheide 401. Dass Paulus ursprünglich Namen genannt hat, die dann absichtlich oder unabsichtlich getilgt wurden, wie Schmithals, Briefe, 47 und Lindemann 381 meinen, ist im Text durch nichts angedeutet. Die Einleitung der Notiz zu Apollos mit περι` δε` Απολλω ^ könnte darauf hindeuten, dass die Korinther in ihrem Brief nach Apollos gefragt haben. Sicher ist dies jedoch nicht. Lindemann 382; vgl. Barrett 391; Strobel 269; Wolff 433. Schrage IV 446 vermutet, „daß Paulus sein Zureden erwähnt, um den möglichen Verdacht zu zerstreuen, er habe Apollos als Gewährsmann der Apollosleute oder als potentiellen Konkurrenten oder gar Rivalen an einem Besuch gehindert“. Diese Erklärung hängt von Schrages Verständnis der in Kap. 1–4
1014 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
korinthischen Gemeindeboten begleiten, die mit dem Brief nach Korinth zurückreisen.669 Der Grund, weshalb Apollos nicht nach Korinth gereist ist, wird von Paulus sehr allgemein formuliert: Aber es war ganz und gar nicht sein Wille, jetzt zu kommen. Θε'λημα ist nicht auf den Willen Gottes,670 sondern auf den Willen des Apollos zu beziehen. 671 Welches die konkreten Gründe für das Verbleiben des Apollos in Ephesus sind, 672 wird nicht erkennbar. Nicht auszuschließen ist, dass dies mit der „großen Tür“ zusammenhängt, die sich für die Missions- und Gemeindearbeit in Ephesus aufgetan hat (V. 9). Jedenfalls will er „jetzt“ (νυ^ ν) nicht nach Korinth reisen.673 In einer Schlussbemerkung versichert Paulus den Korinthern: Er wird aber kommen, sobald er eine Gelegenheit findet. Das Verb ευ καιρε' ω bedeutet „Zeit, Muße, Gelegenheit finden“. 674 Der Hinweis sowohl auf den fehlenden Willen und die fehlende gute Gelegenheit enthält keinen Widerspruch. Die willentliche Bereitschaft, nach Korinth zu reisen, hängt für Apollos offensichtlich davon ab, ob sich inmitten des Lehrdienstes, in dem er augenblicklich engagiert ist, eine günstige Gelegenheit bietet, die Gemeinde in Korinth zu besuchen.675 Ob Apollos zu einem späteren Zeitpunkt Korinth dann doch noch besucht hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Paulus erwähnt ihn nur noch in Tit 3,13: Apollos überbringt zusammen mit Zenas, einem christlichen Rechtsgelehrten, einen Brief von Paulus an Titus, der auf Kreta missioniert. Die Notiz über Apollos lässt in jedem Fall nicht erkennen, dass das Verhältnis zwischen Paulus und Apollos getrübt wäre. Paulus nimmt ernst, was er in 3,56.21-22 gesagt hatte: Sie sind beide δια' κονοι, Gott allein schenkt das äußer————————————————————
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behandelten Gruppierungen in Korinth ab. Meyer 485; Godet II 253; Bachmann 474; Fee 825. Origenes 50; Theodoret 372; Weiss 385; Schlatter 454-455. Meyer 485; Heinrici 517; Robertson/Plummer 392; Fee 824; Schrage IV 446. Apollos ist Subjekt des folgenden Satzes: Die Gelegenheit zur Reise nach Korinth wird von Apollos selbst gefunden. Lindemann 382 vermutet aufgrund des Imperfekt η ν, dass Apollos sich gegenwärtig nicht in Ephesus aufhält. Da das Imperfekt eine iterative Bedeutung haben kann (HS §198c), ist diese Interpretation jedoch nicht zwingend: Paulus sagt lediglich, dass Apollos in der Vergangenheit bis jetzt (νυ^ ν) nicht nach Korinth kommen konnte und wollte. Allerdings sagt der Text nicht eindeutig, dass Apollos sich in Ephesus aufhält. Er könnte in anderen Städten der Provinz Asia lehren und Kontakt mit Paulus halten. Lindemann 382 vermutet aufgrund des zweimaligen ε»λθη, , „daß Apollos nicht so sehr in Ephesus bleiben als vielmehr nicht nach Korinth kommen wollte und will“. Im Text hat diese Vermutung keinen Anhaltspunkt. Im NT noch in Mk 6,31; Apg 17,21; das Subst. ευ καιρι'α („die günstige Gelegenheit, der rechte Augenblick“) kommt in Mt 26,16; Lk 22,6 vor. Robertson/Plummer 393 wollen die „Gelegenheit“ von der Lage in Korinth abhängig machen: Apollos ist bereit, die Gemeinde zu besuchen, wenn es keine Apollos-Partei mehr gibt; ähnlich Klauck 128. Im Text ist diese Vermutung nicht angedeutet.
Die Reisepläne von Paulus, Timotheus und Apollos 16,5-12 1015 ————————————————————————————————————
liche und innere Wachstum der Gemeinde, und die Gemeinde muss „den Lehrern und Gemeindegründern gegenüber frei bleiben“.676
IV Dieser Abschnitt zeigt, dass die Missionsarbeit des Apostels Paulus kein EinMann-Betrieb ist. Paulus zieht nicht alle Verantwortung an sich, sondern er bezieht andere Mitarbeiter und andere Lehrer in die Missions- und Gemeindearbeit ein. Die Aussagen über Timotheus und Apollos machen deutlich, dass er an ihrem Wohlergehen persönlich interessiert ist und ihre Wünsche, zum Beispiel nach dem Aufschub von Aufträgen und Reisen, respektiert. Gleichzeitig sehen wir, dass Paulus daran gelegen ist, die korinthischen Christen über seine Pläne so genau wie möglich zu informieren. Der Hinweis auf den Willen Gottes (V. 7) unterstreicht, dass Paulus bei aller vorausschauenden Planung seines Missionswerkes das, was sich dann verwirklichen lässt, dem allwissenden und allmächtigen Gott überlässt. Abgesehen von der Information, die für die Korinther unmittelbar wichtig ist, macht Paulus deutlich, dass christliche Gemeinden nicht als unabhängige Monaden an ihrem Ort existieren, sondern dass sie mit anderen Gemeinden, mit Christen in anderen Städten, mit anderen Lehrern und Missionaren als in Jesus Christus vereinte Gemeinschaft verbunden sind. Alle Gemeinden, alle Lehrer, alle Missionare glauben, leben und verkündigen das Evangelium. Das ist das „Werk des Herrn“, das Paulus gerade in Ephesus und in der Zukunft in Makedonien und dann wieder in Korinth betreibt und in dem auch Timotheus und Apollos beschäftigt sind. Paulus erwartet, dass sich die korinthischen Christen an diesem Werk beteiligten: durch die freundliche Aufnahme des Timotheus, durch tatkräftige Unterstützung dieses Missionars und Lehrers bei seiner Weiterreise, sowie durch die Geduld, mit der sie auf den Besuch des Apollos warten. Die Missions- und Gemeindearbeit geht nicht ohne Opfer und ohne Risiken vonstatten, und an diesen Opfern und Risiken sollen sie sich beteiligen.677 Jede Ortsgemeinde muss sich fragen, inwieweit sie konkret an dem internationalen Netzwerk der Gemeinde Jesu Christi beteiligt ist und inwieweit sie die verantwortlichen Mitarbeiter in Gemeinde, Evangelisation und Mission unterstützt.
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Schrage IV 448. Vgl. Hays 295.
1016 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Schlussmahnungen 16,13-18 I 13 Wachet, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! 14 Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. 15 Ich ermahne euch aber, Brüder – ihr wisst, dass das Haus des Stephanas der Erstling Achaias ist und dass sie sich dem Dienst für die Heiligen zur Verfügung gestellt haben –, 16 dass ihr euch solchen (Mitarbeitern) unterordnet, sowie einem jeden, der mitarbeitet und sich abmüht. 17 Ich freue mich aber über die Ankunft des Stephanas und des Fortunatus und des Achaikus, dass diese euren Mangel ausgefüllt haben. 18 Denn sie haben meinen und euren Geist erquickt. Erkennt sie also an!
II Wie in den anderen Paulusbriefen678 stehen vor den Grüßen abschließende Mahnungen. Zunächst formuliert Paulus mit fünf Imperativen die Grundhaltung des Glaubens, die Jesusbekenner auszeichnet (V. 13-14). Es folgen Mahnungen und Empfehlungen, die drei korinthische Abgesandte betreffen, die nach Ephesus gereist waren und Paulus aufgesucht hatten (V. 15-18). Textkritische Anmerkungen. In V. 15 fügen mehrere Handschriften nach Στεφανα^ entweder και` Φορτουνα' του (א2 D 104 629 1175 1241s 2464 pc b vgst bo) oder και` Φορτουνα' του και` Αχαι¨κου^ (C*vid F G 365 1505 pc ar vgcl syh**; Pel) hinzu; diese Lesarten assimilieren an V. 17 und sind als sekundär zu betrachten;679 die kürzere Lesart ist gut bezeugt (d46 *אA B C2 Ψ 075 0121 0243 33 1739 1881 Byz r syp sa; Ambst). Statt Αχαι¨' ας lesen d46 boms Ασι' ας, was wohl ein Versehen ist. In V. 17 lesen d46 אA Ψ 075 Byz co υ μω ^ ν statt υ με'τερον (B C D F G P 0121 0243 33 630 1739 pc), was den Sinn nicht verändert; ein ursprüngliches υ μω ^ ν wäre kaum in das seltene υ με'τερον abgeändert worden.
III 13 Die vier Imperative in V. 13-14, mit denen Paulus die abschließenden Mahnungen einleitet, haben, wenn auch nicht wörtlich, Parallelen in anderen Paulusbriefen und auch außerhalb des NT. W. Schrage hat deshalb Recht, wenn er zur Zurückhaltung gegenüber Erklärungen mahnt, die die Mahnungen in V. 13-14 im Hinblick auf Apollos und das Parteiwesen verstehen wollen.680 Die Aufforderung wachet (γρηγορει^τε)681 kommt häufig in endzeitlichen Zu————————————————————
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Vgl. 1Thess 5,14-22; Phil 4,4-6.8-9; 2Kor 13,11. Zuntz, Text, 163.
Schlussmahnungen 16,13-18 1017 ————————————————————————————————————
sammenhängen vor.682 Paulus hatte die korinthischen Christen wiederholt auf das kommende Endgericht hingewiesen, dessen Realität ihr gegenwärtiges Verhalten bestimmen soll (1,8; 3,13; 5,5; 7,6). Hier ruft er sie noch einmal auf, im Blick auf die Wiederkunft Jesu Christi wachsam zu sein, d.h. bereit zu sein, dem wiederkommenden Herrn Jesus Christus zu begegnen und entsprechend dieser Bereitschaft zu leben. 683 Die Kompromisse, die korinthische Christen mit den säkularen Werten der römischen Gesellschaft Korinths geschlossen hatten und die Paulus in seinem Brief behandelt hat, lassen es geraten erscheinen, neben dieser endzeitlichen Dimension zugleich die Mahnung zu hören, wachsam zu sein gegenüber den verderblichen Einflüssen der Umwelt.684 In diesem Zusammenhang bedeutet der Aufruf zum Wachen, dass sie in einer Gesellschaft leben, deren Werte und Traditionen als „Nacht“ beschrieben werden können, in der die Christen wach bleiben und die Werke der Finsternis ablegen (Röm 13,11-14).685 In 1Thess 5,6 steht die Mahnung zum Wachbleiben parallel zur Mahnung, nüchtern zu sein; in 1Kor 15,34 hatte Paulus die Korinther aufgefordert, „nüchtern“ zu werden und nicht zu sündigen. A. Schlatter kommentiert: „Der Schlaf und der Rausch beschreiben dasselbe Versinken in sich selbst, bei dem die Wahrnehmung endet und das Vermögen zur richtigen Tat verloren ist“.686 Wachsam sein heißt, sich nicht von den Traditionen und Erwartungen der säkularen Gesellschaft bestimmen zu lassen, sondern von dem Willen Gottes und der Wirklichkeit des Heils, das der Herr Jesus Christus den Jesusbekennern geschenkt und ermöglicht hat. Mit der Mahnung steht fest im Glauben (στη' κετε ε ν τη^, πι' στει)687 fordert Paulus die Korinther auf, in der Heilsbotschaft des Evangeliums fest verankert zu bleiben und sich durch die säkulare Umgebung nicht verunsichern zu lassen.688 Im Kontext von 15,3-5.14.17 bezieht sich die Mahnung konkret auf die von allen Aposteln gelehrte Tradition vom sühnenden Heilstod Jesu Christi ————————————————————
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Schrage IV 450, gegen Rückert 429; Allo 464; Wolff 434-435; Hainz, Ekklesia, 98 und besonders Eriksson, Traditions, 289, der 16,13-24 als peroratio des Briefes versteht, die alle Hauptthemen zusammenfassen soll. γρηγορε' ω kommt im 1Kor nur hier vor; sonst 1Thess 5,6.10; Kol 4,2; vgl. Apg 20,31. 1Thess 5,6; Mt 24,42-43 / Mk 13,34-35; Mt 25,13; Mt 26,38.40-31 / Mk 14,34.37-38; Lk 12,37; Offb 3,3; 16,15. Barrett 393; Lang 248; Hays 288; Wolff 434; Schrage IV 450. Fee 827; Garland 765-766. Vgl. Apg 20,31; Kol 4,2; 1Petr 5,8; Offb 3,2-3. Schlatter 456. Die Formulierung mit ε ν τη^, πι'στει kommt bei Paulus nur hier vor; Phil 1,27: ε ν ενι πνευ' ματι; Phil 4,1; 1Thess 3,8: ε ν κυρι'ω, . Wolff 435 interpretiert die Mahnung als Hinweis, dass „eine eingebildete, sakramentalistisch begründete Sicherheit“ nicht das Fundament des Glaubens bildet. Diese Interpretation, so richtig der Hinweis sachlich ist, ist in den Text eingetragen.
1018 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
und seiner Auferstehung, im Kontext von 8,4-6 auf den Glauben an den einen Gott, den Vater, und an den einen Herrn, Jesus Christus, der sowohl Götzendienst als auch hedonistische Sexualität untersagt.689 Die Präp. ε ν wird meistens lokal verstanden: „Im Glauben gewinnt der Mensch den Stand, der ihn bestehen bleiben läßt“. 690 Sie kann aber auch kausativ interpretiert werden: „Den aufgerichteten, befestigten Stand vermittelt ihnen der Glaube“. 691 Die Mahnung seid mutig wird im Griech. mit einem Verb formuliert (α νδρι' ζεσθε), das nur hier im NT vorkommt, aber in der LXX oft im Zusammenhang der Mahnung seid stark (κραταιου^ σθε) verwendet wird.692 Der Gegensatz zu α νδρι' ζεσθε sind nicht Frauen,693 sondern Feigheit und Schlaffheit. Nach. J. Kremer nehmen diese beiden Imperative „auf die den Gliedern der jungen Kirche zugemuteten Auseinandersetzungen Bezug, in denen sie nicht einfach nachzugeben, sondern sich wie der Apostel mutig oder sogar kämpferisch zu verteidigen haben“. 694 Wenn sich die korinthischen Christen dem Druck der heidnischen Gesellschaft und ihren traditionellen Werten und Praktien widersetzen, benötigen sie Mut und Stärke. Das vorausgehende ε ν τη^, πι' στει verdeutlicht, dass es nicht um die Aktivierung eigener (Charakter-) Stärke geht, auch geht es in diesen Mahnungen nicht um den Zuspruch von geistlichen Gütern, die sie bereits besitzen. Es geht um den Anspruch des Evangeliums, das ihnen die Kraft gibt, sich mutig zu verhalten und geistliche und persönliche Stärke an den Tag zu legen. 695 J. Moffatt kommentiert: „Wir haben es mit der Aufforderung zu einem Gemeindeleben zu tun, das robust, intelligent und loyal sein soll, wobei die Betonung auf dem Denken und dem ————————————————————
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Garland 766 betont, dass στη' κετε keine Metapher des Bauens ist (so Eriksson, Traditions, 289); es ist aber auch keine militärische Metapher (so Lövestam, Wakefulness, 59). W. Grundmann, ThWNT VII, 636, mit Hinweis auf Jes 7,9: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“. Vgl. Fee 827-828 Anm. 11. Schlatter 456, mit Hinweis auf 15,1; Röm 5,2; 2Kor 1,24. 2Sam 10,12; Ps 27,14 (26,14 LXX); 31,24 (30,25 LXX); mit ισχυ' ειν: Dtn 31,6.7.23; Jos 1,6.7.9.18; 10,25; 1Chron 22,13; 28,20; 2Chron 32,7; Dan 10,19; 1Makk 2,64; mit ε νισχυ' ειν: 1Chron 19,13; Dan 11,1; MartPol 9,1. Für Belege in den Papyri vgl. Kritzer, in Arzt-Grabner 517, mit Verweis u.a. auf P.Petr. II 40 (a) 12-13, wo ein gewisser Manres eine Gruppe von Elephantenjägern an der Küste auffordert, ihrem Heimweh nicht nachzugeben, da die „Ablöse“ bevorstehe: „seid nicht geringen Mutes, sondern benehmt euch wie Männer“. Das Verb κραταιο' ω kommt sonst nur noch in Eph 3,16 und in Lk 1,80; 2,40 vor. So Eriksson, Traditions, 289: Paulus fordert die Männer in der korinthischen Gemeinde auf, ihre Leitungsverantwortung gegenüber jenen Frauen wahrzunehmen, die in anderen Sprachen reden. Diese Interpretation hat keinerlei Anhaltspunkt im Text. Kremer 375-376. Dobbeler, Glaube, 172-182 meint, Paulus bediene sich militärischer Sprache und fordere die Korinther zu dem durch den Glauben ermöglichten Widerstand gegen den Teufel auf. Schrage IV 452 erwägt, dass „im ganzen das Bild der militia christiana im Hintergrund steht“; vgl. Garland 766-767. Kritisch Lindemann 383. Vgl. Schrage IV 451-452.
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Willen liegt – alles andere als sentimental oder lässig. Die Korinther waren tolerant, wo sie hätten streng sein sollen, und intolerant oder lieblos, wo sie Manns genug hätten sein sollen, jene mit Nachsicht zu behandeln, die weniger robust waren. . . . Paulus hat bereits darauf hingewiesen, dass die Kirche Gottes etwas anderes, etwas besseres ist als ein Debattierklub oder ein geselliger Verein oder ein spiritualistischer Zirkel. Anbetung und Gemeinschaft nehmen alle Fähigkeiten des Menschen in Anspruch“. 696 14 Die fünfte Mahnung fordert zur Liebe auf: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe (πα' ντα υ μω ^ ν ε ν α γα' πη, γινε'σθω). Der Mut und die Stärke, zu denen Paulus die korinthischen Christen auffordert, sollen vom Maßstab der Liebe bestimmt sein, wie Paulus ihn in Kap. 13 beschreibt. Im Blick auf das Verhalten korinthischer Christen, die Prozesse gegen Mitchristen anstrengen, sexuellen Verkehr mit dem Ehepartner unterlassen wollen und bei der Feier des Herrenmahls die Armen hungrig nach Hause gehen lassen, war die fehlende Liebe zum Bruder und zur Schwester massgebend. Das πα' ντα ist nicht einzuschränken: In allen Lebensbereichen, in denen sich die korinthischen Christen bewähren müssen, und in allen Beziehungen, in denen sie stehen, soll die Liebe, d.h. der aktive, fürsorgende Einsatz für den anderen, das Verhalten des Einzelnen und das Leben der Gemeinde insgesamt bestimmen. 15-16 Die letzte Mahnung wird im Blick auf die Anerkennung eines korinthischen Christen ausgesprochen: Ich ermahne euch aber, Brüder . . . dass ihr euch solchen (Mitarbeitern) unterordnet (παρακαλω ^ δε` υ μα^ς, α δελφοι' . . . «ινα και` υ μει^ς υ ποτα' σσησθε τοι^ς τοιου' τοις). Der von einer Paranthese in V. 15b unterbrochene παρακαλω ^ -Satz697 fordert die korinthischen Christen auf, sich Stephanas und anderen Mitarbeitern unterzuordnen. Paulus hatte das Haus des Stephanas (η οι κι' α Στεφανα^ , V. 15b) bereits in 1,16 erwähnt.698 Er bezeichnet die Familie des Stephanas als der Erstling Achaias (α παρχη` τη^ ς Αχαι¨' ας), d.h. die Mitglieder dieser Familie sind die ersten Menschen, die in der Provinz Achaia den Glauben an Jesus Christus den Gekreuzigten und Auferstandenen als Erlöser und Herr akzeptiert hatten, offensichtlich in den ersten Wochen seiner Missionsarbeit in Korinth.699 Paulus hatte diese Familie ————————————————————
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Moffatt 276; vgl. Schrage IV 451 Anm. 155. Mit παρακαλω ^ hatte Paulus zuvor in 1,10 und 4,16 formuliert; am Briefende kommen παρακαλω ^ -Sätze auch in 1Thess 5,14 und Röm 16,17 vor. Zur Parenthese von 16,15b vgl. BDR §387 Anm. 4; 465 Anm. 2; NSS II, 98. In 1,16 formulierte Paulus mit οι κος, hier mit οικι'α. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 788.1139.1167.1245.1367.1379; zur Provinz Achaia ebd. 1119; Y. Lafond, DNP I, 62-70; Gill, Achaia, 433-453. Da Lukas von Bekehrungen in Athen berichtet (Apg 17,34), vermutet Gutjahr 487, Stephanas habe sich in Athen bekehrt und sei dort getauft worden. Fee 829 Anm. 19 vermutet, Paulus beziehe Achaia in V. 15 auf den Peloponnes und vor allem auf Korinth als Provinzhauptstadt. Nach Schrage
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selbst getauft (1,16). Achaia ist die den Süden des griechischen Festlandes (Attika, Böotien) und die Peloponnes umfassende römische Provinz, die seit 27 v.Chr. getrennt von Makedonien verwaltet wurde. Korinth war der Sitz des römischen Statthalters. Paulus erinnert die Korinther an die Tatsache, dass Stephanas und seine Familie sich dem Dienst für die Heiligen zur Verfügung gestellt haben (ει ς διακονι' αν τοι^ς α γι' οις ε»ταξαν ε αυτου' ς). Stephanas übte zusammen mit seiner Familie offensichtlich eine auf Korinth und die Umgebung bezogene διακονι' α aus, die über praktische Hilfeleistungen700 hinaus einen Verkündigungsdienst mit einschloss, was in V. 16 aus den Verben συνεργε'ω („mitarbeiten“) und κοπια' ω („sich abmühen“) hervorgeht.701 Der Bezug auf die „Heiligen“, d.h. auf Christen legt den Schwerpunkt seines Einsatzes auf die Gemeindearbeit. Ob er sich auch in Mission und Evangelisation eingesetzt hat, ist nicht sicher. Die korinthischen Christen wussten (οι δατε), worin der Dienst des Stephanas und seiner Familie bestand. Die Wendung ε» ταξαν ε αυτου' ς („sie haben sich zur Verfügung gestellt, eingesetzt“) unterstreicht das Engagement des Stephanas und seiner Familie, den Paulus offensichtlich nicht erst bitten oder beauftragen musste, sich für das Evangelium einzusetzen. Der Ausdruck α παρχη' („Erstling“) beschreibt im Kontext nicht nur einen zeitlichen Vorsprung, sondern kann im Sinne von „Unterpfand“ von weiterer Frucht, d.h. von weiteren Bekehrungen verstanden werden. 702 Stephanas und seine Familie waren in Korinth der Kern der wachsenden Gemeinde. Die loyale Arbeit und das engagierte Zeugnis dieser Familie sind „Auftakt, Grund und Versprechen“703 des Wachstums der Gemeinde in Achaia. 704 In V. 16 ermahnt Paulus die Korinther, sich solchen (τοι^ς τοιου' τοις), d.h. Christen wie Stephanas und seiner Familie unterzuordnen (υ ποτα' σσησθε). Für ein Verhalten innerhalb der Gemeinde gegenüber verantwortlichen Mitarbeitern wird υ ποτα' σσω nur hier bei Paulus erwähnt.705 Die Unterordnung ————————————————————
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IV 453 Anm. 166 ist dies eine Verlegenheitsauskunft. Bachmann 476 interpretiert im Sinne von „Gastfreundschaft, Wohltätigkeit und etwa Darbietung von Räumlichkeiten für Versammlungen“; Weiss 386 vermutet einen Einsatz in der „Armen- und Krankenpflege“. Fee 830; Schrage IV 455 Anm. 175. Fee 829; Thiselton 1338; ähnlich Schrage IV, 454. Schrage, IV, 160 zu 15,20. Ellis, Prophecy, 19-20; ders., Art. Coworkers, DPL 187 interpretiert α παρχη' im Licht von Ex 22,28-29 LXX als „the consecrated first-born who, like the Levites, are set apart for the work of God“, d.h. als der zum Dienst verpflichtete Erstgeborene. Diese Interpretation ist attraktiv, scheitert aber an der Verwendung dieses Ausdrucks an anderen Stellen in den Paulusbriefen; vgl. Fee 829 Anm. 18. Schrage IV 455 Anm. 176. Siehe später 1Petr 5,5. Die Belege in Röm 13,1 und 1Petr 2,13 blicken über die Gemeinde hinaus, in Eph 5,21 und Kol 3,18 geht es um die Unterordnung
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ist nicht dadurch motiviert, dass Stephanas der erste Christ in Achaia ist, sondern mit seinem Einsatz für das Evangelium verknüpft. Leitende Mitarbeiter erwerben ihre Stellung nicht durch einen besonderen Status, sondern durch verantwortliche, intensive Mitarbeit.706 Die Familie, die Paulus lobend hervorhebt, hat sich durch den selbstlosen Dienst für andere hervorgetan. B. Winter betont, dass Paulus die traditionellen gesellschaftlichen Werte umkehrt, in denen die Beziehungen zwischen einem Patron und seinen Klienten von zentraler Bedeutung waren: Für Jesusbekenner, die konsequent ihren Glauben leben, ist gesellschaftlicher Status irrelevant geworden – das Ziel der Anstrengungen im „Haus“ sind nicht die abhängigen Klienten und Gefolgsleute, die der Mehrung des eigenen Prestiges dienten, sondern die „Heiligen“, zu denen arme und notleidende Gläubige gehören. Paulus möchte, dass die korinthischen Christen die Rolle des Stephanas und seiner Familie anerkennen, der somit für das Verhalten der Christen in der Gemeinde insgesamt als Vorbild hingestellt wird.707 Was „unterordnen“ im Blick auf Stephanas und seine Funktion in der korinthischen Gemeinde bedeutet, ist unklar. Wenn er zu den führenden Christen gehörte, die sich durch ihren Einsatz und, so wäre anzunehmen, durch ihr Verständnis des Evangeliums und durch ihre Lehrfähigkeit hervorgetan hatten, dann ermahnt Paulus die Korinther hier zur Anerkennung einer Gemeindeautorität, eines ε πι' σκοπος („Bischof, Aufseher“)708 oder eines πρεσβυ' τερος („Ältester“).709 Ob Stephanas ein solches Amt in der korinthischen Gemeinde bekleidete, ist jedoch nicht erkennbar. In der Charismenliste in 12,28 kommen diese Vokabeln nicht vor, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass sich die gemeindeleitenden Ämter hinter den Charismen der α ντιλη' μψεις („Hilfeleistungen“) und vor allem der κυβερνη' σεις („Leitungsgaben“) verbergen. Andererseits mahnt Paulus, sich Stephanas und seinem „Haus“ unterzuordnen; zu dem „Haus“ gehören seine Ehefrau, Sklaven und Freigelassene, von denen sich einige (oder alle?) bekehrt hatten. Paulus spricht also offenkundig nicht von einer festen Gemeindeordnung, die man als Grundlage seiner Mahnung, sich Stephanas unterzuordnen, ansehen müsste. 710 Der Nachsatz sowie einem jeden, der mitarbeitet und sich abmüht (και` παντι` τω ^, συνερ————————————————————
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der Ehefrauen. Clarke, Leadership, 126; Garland 768. Winter, Corinth, 185-186. Phil 1,1; 1Tim 3,2; Tit 1,7; Apg 20,28. Vgl. H. W. Beyer, ThWNT II, 602-619; J. Rohde, EWNT II, 89-91; L. Coenen, ThBLNT II, 1150-1153. Apg 11,30; 14,23; 15,2.4.6.22.23; 16,4; 20,27.28; Tit 1,5.17; 5,19; 1Petr 5,1; Jak 5,14. Vgl. G. Bornkamm, ThWNT VI, 651-680; J. Rohde, EWNT III, 356-359; L. Coenen, ThBLNT II, 1154-1162. Schrage IV 455 mit Anm. 176; gegen G. Delling, ThWNT VIII, 41.
1022 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
γου^ ντι και` κοπιω ^ ντι) verweist auf andere verantwortliche Mitarbeiter in der Gemeinde, die sich durch ihren engagierten und opferbereiten Einsatz für den Bau der Gemeinde eingesetzt haben. Weshalb Paulus die korinthischen Christen auffordert, sich Stephanas und seiner Familie sowie anderen Mitarbeitern unterzuordnen, entzieht sich unserer Kenntnis. Wenn die Korinther wissen, dass es Stephanas war, der Paulus über die in dem Brief von Paulus behandelten Missstände in der Gemeinde unterrichtet hat, kann es durchaus sein, dass seine Stellung in der Gemeinde zum Problem werden könnte.711 W. Schrage kommentiert die Wendung ε»ταξαν εαυτου' ς in V. 15b im Hinblick auf die implizierte Selbständigkeit, mit der sich Stephanas und seine Familie für das Evangelium eingesetzt haben: Sie „sind jedenfalls nicht vom Apostel oder von der Gemeinde dazu beauftragt worden. . . . Wir stehen vielmehr am Beginn einer entstehenden Gemeindeorganisation (vgl. auch zu V. 2), die keinerlei feste institutionelle Formen kennt. Die Gemeindestrukturen bilden sich also erstaunlicherweise wie von selbst aus, auch wenn sie vom Apostel angestoßen sein mögen“.712 Diese Formulierung kann jedoch kaum die Beweislast für solche weitreichenden Schlussfolgerungen tragen. J. Kremer versteht die Wendung im Sinn von „ihr Glaube drängte sie zum Dienst“.713 Manche Ausleger wollen das Moment der Autorität des Stephanas zurückdrängen. A. Lindemann schreibt: „Man kann erwägen, ob Stephanas, der gegenwärtig bei Paulus ist (V. 17), sich darum bemüht hatte, Mißstände in Korinth oder Mißverständnisse zwischen Paulus und den Korinthern zu beseitigen; dann würde Paulus die Adressaten mahnen, dies zu akzeptieren. Die Formulierung τοι^ς τοιου' τοις könnte zusätzlich dafür sprechen, daß Paulus gar nicht eine Unterordnung unter Stephanas verlangt, sondern eine Anerkennung der διακονι'α derer, die so denken und handeln wie er“.714 Es geht in V. 15-16 nicht um Ämter oder Institutionen in der Gemeinde, sondern im Zusammenhang von V. 13-14 um die Liebe der Christen zueinander, die die Dienste (V. 15) und die Unterordnung (V. 16) bestimmt. R. Hays kommentiert: „That is how authority works in a community where believers are subject to one another in love (cf. Eph 5:21): people volunteer to serve and thereby gain the esteem of others in the community“.715
17 In den vorausgehenden Bemerkungen war nicht zu erkennen, weshalb Paulus Stephanas überhaupt erwähnt. In V. 17 erfahren wir den Grund: Stephanas und Fortunatus und Achaikus waren von Korinth nach Ephesus zu Paulus gereist. Paulus teilt den korinthischen Christen mit, dass er sich ————————————————————
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Vgl. Schrage IV 453-454. Schrage, IV, 454-455. Kremer, 376; vgl. Fee 827-828; Thiselton 1339. Lindemann 384; vgl. Schrage IV 456: „Man sollte freilich die autoritativen und vor allem submissiven Momente nicht übertreiben“. Hays 290.
Schlussmahnungen 16,13-18 1023 ————————————————————————————————————
über die Ankunft bzw. Anwesenheit (ε πι` τη^, παρουσι' α, ) dieser Männer freut (χαι' ρω). Da die Ankunft in der Vergangenheit liegt,716 bezeichnet παρουσι' α zugleich und vielleicht primär die Anwesenheit dieser korinthischen Christen bei Paulus.717 Vermutlich haben sie den Brief der Gemeinde überbracht. 718 Vielleicht nehmen sie den Brief des Apostels nach Korinth zurück. 719 Die lateinischen Namen Fortunatus („der Glückliche“)720 und Achaikus („der Achäer“)721 werden häufig als Indiz dafür gesehen, dass es sich um Sklaven oder Freigelassene des Stephanas handelt. 722 Die beiden Namen sind zwar für Sklaven und Freigelassene bezeugt, was aber diese Interpretation nicht zwingend ergibt. Es handelt sich bei Fortunatus und Achaikus vermutlich ebenfalls um führende korinthische Christen. 723 Paulus freut sich über die Anwesenheit dieser drei Männer, weil diese euren Mangel ausgefüllt haben (ο« τι το` υ με'τερον υ στε'ρημα ου τοι α νεπλη' ρωσαν). Diese Formulierung ist am besten auf „das den Korinthern weithin fehlende Verbundenheitsgefühl mit dem Apostel“ zu beziehen, wie die Fortsetzung in V. 18 zeigt.724 18 Paulus erläutert die Wirkung der Anwesenheit von Stephanas, Fortunatus und Achaikus: Denn sie haben meinen und euren Geist erquickt. Das Verb α ναπαυ' ω bedeutet „Ruhe gewähren, erquicken“ und wird (im Zusammenhang mit πνευ^ μα) manchmal mit „beruhigen“ übersetzt (vgl. 2Kor 7,13; Phlm ————————————————————
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Das Präs. χαι'ρω könnte auf eine Ankunft in der jüngsten Vergangenheit hinweisen; vgl. Lindemann 384. Allein aus der Präsensform kann man dies allerdings nicht entnehmen. Barrett 395; Fee 831; Schrage IV 456-457 Anm. 186. So die meisten Ausleger; vorsichtiger Schrage IV 457 mit Anm. 188. Vgl. die subscriptio nach 16,24 in D 075 1739 1881 Byz: προ` ς Κορινθι'ους α 0 ε γρα' φη α πο` Φιλι'ππων (α πο` Εφ ε' σου P al) δια' Στεφανα^ και` Φορτουνα' του και` Αχαι¨κου^ και` Τιμοθε' ου. Kritisch Bachmann 476-477; Ollrog, Mitarbeiter, 96-97. Garland 768; Belleville, Continuity, 34: Paulus empfiehlt häufig jene Männer und Frauen, die einen von ihm geschriebenen Brief zu den Adressaten bringen (Röm 16,1-2; 2Kor 8,1624; Phil 2,25-30; Kol 4,7-9), nicht zuletzt deshalb, weil diese den Inhalt des Briefes verifizieren und etwaige Fragen beantworten können. Der in 1Clem 65,1 erwähnte Fortunatus wird sich wohl nicht auf dieselbe Person beziehen, der Name ist häufig. Meeks, Urchristentum, 122 schreibt, dass Achaicus „seinen geographischen Spitznamen wohl kaum den Korinthern verdankte. . . Achaicus selbst oder auch sein Vater muß vielmehr eine Zeitlang in Italien gelebt und dort diesen Beinamen erhalten haben und dann schließlich, wahrscheinlich als freigelassener Siedler, nach Korinth zurückgekehrt sein“. Bachmann 477; Godet II 255; Moffatt 278; Fee 831; Ollrog, Mitarbeiter, 86. Kremer 376. Wolff 436. Schrage IV 457 interpretiert den Mangel als „in dem durch die räumliche Trennung bedingten Fehlen einer unmittelbaren Kommunikation mit den Adressaten“. Ollrog, Mitarbeiter, 96-100 meint, die drei Männer vertreten die korinthische Gemeinde in der Missionsarbeit des Paulus; V. 15 lässt aber eher an eine Tätigkeit innerhalb der korinthischen Gemeinde denken, vgl. Wolff 436 Anm. 54.
1024 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
7.20).725 Die Nachrichten über die Zustände in der korinthischen Gemeinde, die diese Mitarbeiter überbrachten, waren wenig beruhigend. Paulus wurde durch ihre Ankunft wohl insofern erquickt, als er sich über die Gemeinschaft mit diesen drei korinthischen Christen freute und dankbar für die konkreten Informationen war, auf die er jetzt in seinem Brief reagieren konnte. Von einem beruhigenden Einfluss auf die Gemeinde (και` το` υ μω ^ ν, zu ergänzen ist πνευ^ μα) spricht Paulus proleptisch: Er erhofft sich diese Wirkung nach der Rückkehr der nach Korinth gesandten drei Gemeindeboten. 726 Gleichzeitig handelt es sich um „eine indirekte Werbung, in die Freude des Apostels einzustimmen“.727 Zum Schluss der Empfehlung des Stephanas und der anderen verantwortlichen Mitarbeiter wiederholt Paulus die Mahnung von V. 16: Erkennt sie also an (ε πιγινω' σκετε ου ν του` ς τοιου' τους). Die „Anerkennung“ entspricht der in V. 16 angemahnten „Unterordnung“. In 14,37 bezeichnet das Verb ε πιγινω' σκω die Anerkennung des Apostels, hier die Anerkennung der Mitarbeiter, die den „Heiligen“ durch aufopferungsvollen Dienst gedient haben.
IV Die Schlussmahnungen konzentrieren sich auf die wachsame Festigkeit im Glauben, auf die Liebe, die das Verhalten der Jesusbekenner regieren soll, und auf die Anerkennung von verantwortlichen Mitarbeitern, die sich freiwillig und selbstlos für den Bau der Gemeinde einsetzen. Diese auf das Wesentliche konzentrierten Mahnungen sind für das Gemeindeleben und für alle innerkirchliche Auseinandersetzungen von bleibendem Wert. Wie Paulus in V. 13-14 Glaubenstreue und Liebe, Wachsamkeit und Mut zusammenhalten kann, so ist es verkehrt, Liebe ohne Gericht oder Gericht ohne Liebe zu predigen.728 Die Aussagen über Stephanas und seine Begleiter in V. 15-18 erinnern uns daran, dass authentische, vom Evangelium legitimierte Leitung letztlich nicht vom Status des Amtsträgers getragen wird, sondern von der Anerkennung durch Mitchristen, die den hingebungsvollen Dienst im Bau der Gemeinde gesehen haben und anerkennen. Paulus redet weder einer Abschaffung hierarchischer Leitungsstrukturen noch einer autoritären Anwendung derselben das Wort. Verantwortliche in der Gemeinde leiten, indem sie den Jesusbekennern in der Gemeinde dienen. Das Vorbild dieser drei Männer ist ein Ansporn, Aufgaben freiwillig und opferbereit anzupacken, wo immer sie ————————————————————
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In den Papyri ist für die mediale Form die Bedeutung „sich erholen“ belegt; vgl. ArztGrabner, Philemon, 198, mit Hinweis auf BGU III 1007,3; SB I, 4317,10-12 u.a. Wolff 436; vgl. Kremer 377. Schrage IV 459. Blomberg 342; für den folgenden Gedanken ebd. 343.
Schlussmahnungen 16,13-18 1025 ————————————————————————————————————
sich stellen und Notlagen zu lindern, wo immer sie akut werden, unabhängig davon, ob man ein offizielles Amt bekleidet oder nicht. Der katholische Exeget J. Kremer schreibt: „In den Gemeinden des Apostels gab es, abgesehen von einigen Ansätzen, noch keine ausgeprägte Amtsstruktur, wie sie sich später unter veränderten Gegebenheiten entwickelt hat und in unterschiedlicher Weise heute das Leben aller christlichen Kirchen prägt. Wie die damalige Kirchenordnung nicht für immer gültig blieb, können auch heutige Strukturen nicht als einzig mögliche und für immer bleibende Formen gelten, zumal manche Formen ihre Ausprägung erst durch außerkirchliche Einflüsse erhalten haben. Die Mahnung des Apostels zur Unterordnung muß daher heute durch die Mahnung ergänzt werden, die bestehenden Strukturen nicht zu verabsolutieren, sondern immer neu im Blick auf Gott und Jesus Christus sowie auf die Belange der Gemeinden zu überprüfen“. 729
Grüße und Zuspruch der Gnade 16,19-24 I 19 Es grüßen euch die Gemeinden der Provinz Asia. Es grüßen euch im Herrn vielmals Aquila und Prisca mit der Gemeinde in ihrem Haus. 20 Es grüßen euch alle Brüder. Grüßt einander mit dem heiligen Kuss. 21 Der Gruß von meiner, des Paulus, Hand. 22 Wenn jemand den Herrn nicht liebt, sei er verflucht. Maranatha! 23 Die Gnade unseres Herrn Jesus sei mit euch. 24 Meine Liebe ist mit euch allen in Christus Jesus.
II Die abschließenden Grüße von den Gemeinden der Provinz Asia (V. 19a) und dem Ehepaar Aquila und Prisca, die zuvor in Korinth gearbeitet hatten (V. 19b), sowie der ephesinischen Christen (V. 20a) sind mit der Aufforderung verbunden, sich untereinander zu grüßen (V. 20b). Grüße am Ende eines Briefes finden sich in fast allen Paulusbriefen. 730 Auch die Aufforderung, die Adressaten sollen sich untereinander grüßen (V. 20b), finden sich häufig.731 Die Ausschlussformel und der Maranatharuf (V. 22) kommen bei Paulus sonst nicht vor, allerdings finden sich am Briefschluss sowohl Drohun————————————————————
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Kremer 380. Die Formulierung α σπα' ζονται bzw. α σπα' ζεται + Name findet sich in Röm 16,16.21.23; 2Kor 13,12; Phil 4,21-22; Kol 4,10.12.14-15; 2Tim 4,21; Tit 3,15; Phlm 23; siehe auch Hebr 13,24; 1Petr 5,13; 2Joh 13; 3Joh 15. Für außerbiblische Belege vgl. Deissmann, Licht vom Osten, 145-150; Weima, Endings, 39-45. Vgl. Lindemann 386. Röm 16,3-15.16; 2Kor 13,12; Phil 4,21; 1Thess 5,21; siehe auch Hebr 13,24; 1Petr 5,14.
1026 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
gen732 als auch Hinweise auf die Nähe oder die Wiederkunft des Herrn. 733 Für die Versicherung der Liebe in V. 24 gibt es eine Parallele in einem Brief des Musonius.734 In V. 22-24 hat man liturgische Elemente entdecken wollen und den Vorschlag gemacht, dass die Lektüre der Paulusbriefe in den Gemeindeversammlungen (vgl. 1Thess 5,27; Kol 4,16) der Feier des Herrenmahls vorausging, die mit dem heiligen Kuss, der Ausschlussformel, dem Maranatharuf und dem Gnadengruß eingeleitet wurde.735 Allerdings wissen wir über die Abfolge der urchristlichen Gottesdienste relativ wenig,736 die Zuordnung der einzelnen Elemente in V. 22-24 zum Abendmahl ist nicht gesichert, und die Herkunft aus der urchristlichen Liturgie ist nicht für alle Elemente dieser Verse gesichert. Textkritische Anmerkungen. V. 19 fehlt in A und weiteren Handschriften, wahrscheinlich aufgrund von Homoioarkton (V. 19 und V. 20 beginnen jeweils mit α σπα' ζονται). In d46 69 pc fehlt der Satz αι ε κκλησι' αι τη^ ς Ασι' ας α σπα' ζεται υ μα^ς, wahrscheinlich aufgrund von Homoioteleuton.737 Statt α σπα' ζεται υ μα^ς ( אC D K P Ψ 104 2464 pc) liest die Mehrheit der Handschriften die 3. Pers. Plur. α σπα' ζονται (B F G 075 0121 0243 33 1739 1881 Byz co), eine Lesart, die angesichts des doppelten Subjekts „Aquila und Priska“ als sekundäre Korrektur gelten muss. Die Mehrheit der Textzeugen liest die Diminutivform Πρισκι' λλα (C D F G Ψ 075 1881c Byz it vgcl sy bopt; Ambst Pel); die Schreibweise Πρι' σκα, die von (d46) אB P 0121 0243 33 1175* 1739 1881* pc r vgst sa bopt bezeugt wird, ist besser belegt und muss als ursprünglich gelten.738 Nach ε κκλησι' α, fügen Zeugen des westlichen Textes den ————————————————————
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Röm 16,17-18; vgl. 2Thess 3,14; Tit 3,10-11; Phil 3,18-19; für Belege in antiken Briefen vgl. Berger, Gattungen, 1349-1350; ders., Formen und Gattungen, 203-204. Schrage IV 464 meint unter Hinweis auf das bei Paulus singuläre φιλε' ω, V. 22 nehme „eine offenbar liturgisch geprägte sakralrechtliche Formel“ auf. Zu beachten ist jedoch, dass φιλε' ω in Tit 3,15 in einem ähnlichen Kontext verwendet wird, in dem man nicht von einer sakralrechtlichen Formel sprechen kann. 1Thess 5,23; Phil 4,5; Röm 16,20. Vgl. Schrage IV 462. Vgl. Berger, Gattungen, 1350: „Du sollst wissen, dass du von mir geliebt wirst“. Vgl. Hofmann, Philema hagion, 23-26; Lietzmann, Messe, 229.236-237; Cullmann, Christologie, 215-221; Bornkamm, Ende, 123-129; Klauck, Herrenmahl, 351-363; Salzmann, Lehren, 58; vgl. J. Behm, ThWNT III, 736; G. Stählin, ThWNT IX, 134; Becker, Paulus, 268. Als Parallelen wird auf Did 10,6; Offb 22,20-21 verwiesen. Kritisch Fee 834-835; Wolff 437; Schrage IV 462-464; Fitzmyer, Kyrios and Maranatha, 228. Klauck, Herrenmahl, 351-352, der die oft angenommene Reihenfolge von Wortgottesdienst / Mahlfeier für wenig wahrscheinlich und reine Wortgottesdienste und reine Mahlfeiern für möglich hält und deshalb „Bedenken gegen eine geradlinige Identifizierung von Briefschluß und liturgischem Vollzug“ hat (362). Vgl. Salzmann, Lehren, 67-68. Lindemann 387. Metzger, Commentary, 503; Fee 833 Anm. 1, mit Hinweis auf Röm 16,3; 2Tim 4,19. Lukas bevorzugt in der Apg die Diminutivform „Priscilla“.
Grüße und Zuspruch der Gnade 16,19-24 1027 ————————————————————————————————————
Satz παρ’ οι ς και` ξενι' ζομαι (D* F G it vgcl) ein; dieser sekundäre Zusatz will wissen, dass Paulus wie in Korinth, so auch in Ephesus bei Aquila und Prisca gewohnt hat. In V. 22 spiegeln die Lesarten der griech. Umschrift der aramäischen Wendung die wichtigsten Interpretationsmöglichkeiten wider: 1. μαρα` ν α θα' (B2 D2 G*vid K L Ψ 323 365 1505 al vgcl sy); 2. μαρανα' θα (F Gc 0121 0243 1739 1881 Byz); 3. μαρα' να θα' (d46 אA B* C D* P 33 incert.). In V. 23 fügt die Mehrheit der Handschriften hinter Ιησου^ das Wort Χριστου^ ein (א2 A C D F G Ψ Byz u.a.); die kürzere Lesart, die früh bezeugt ist ( *אB 33 u.a.), ist im Vergleich mit anderen Segenswünschen739 ungewöhnlich und muss als ursprünglich gelten.740 In V. 24 fügen die meisten Handschriften nach Ιησου^ das Wort α μη' ν hinzu ( אA C D Ψ 075 1739c Byz lat syh bo; Pel), was liturgischem Gebrauch entspricht und sicher sekundär ist; es fehlt in B F 0121 0243 33 81 630 1739* 1881 pc syp sa bomss Ambst.
III 19 Paulus richtet den korinthischen Christen von den Gemeinden der Provinz Asia (αι ε κκλησι' αι τη^ ς Ασι' ας) Grüße aus (α σπα' ζονται υ μα^ς). Die römische Provinz Asia umfasste die Regionen im westlichen Kleinasien (Troas, Aeolis, Lydien, Ionien, Karien, Phrygien).741 Der Sitz des Prokonsuls der Provinz befand sich in Ephesus. Welche Gemeinden Paulus außer Ephesus sonst noch im Blick hat, ist ungewiss: Möglich sind Gemeinden in Troas (2Kor 2,12; Apg 16,8; 20,5), Milet (Apg 20,15-38), Kolossä (Kol 1,2), Hierapolis (Kol 4,13) und Laodizea (Kol 4,13.15-16) – Gemeinden, die sich direkt oder indirekt dem missionarischen Wirken des Apostels Paulus verdanken. Eventuell ist auch an die in Offb 1,4.11; 2–3 neben Ephesus und Laodizea erwähnten Gemeinden in Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes und Philadelphia gedacht.742 Wenn der Gruß von „den Gemeinden der Provinz Asia“ nicht rhetorisch ist, haben wir hier einen Hinweis auf die regelmäßigen Kontakte, die es zwischen den bestehenden Gemeinden gab. Es ist gut vorstellbar, dass Gemeindevertreter aus den asiatischen Gemeinden, mit denen Paulus während der Abfassung des Ersten Korintherbriefes Kontakt hatte, den Apostel baten, Grüße an die korinthische Gemeinde zu übermitteln. Mit diesem Gruß gibt Paulus den korinthischen Christen gleichzeitig zu erkennen, ————————————————————
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Röm 16,24; 2Kor 13,13; Gal 6,18; Phil 4,23; 1Thess 5,28; 2Thess 3,18; Phlm 25. Metzger, Commentary, 503-504. Vgl. B. E. Thomasson, KP I, 636-637; Schnabel, Urchristliche Mission, 1152-1153. Vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 1162-1176 (Ephesus), 1191-1193 (Troas), 11771179 (Milet), 1188-1191 (Kolossä), 1185-1188 (Hierapolis), 1181-1185 (Laodizea), 797800 (Smyrna), 800-807 (Pergamon), 807-808 (Thyatira), 808-812 (Sardes), 812-814 (Philadelphia).
1028 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
dass sie „nicht allein die christliche Kirchen repräsentieren und er auch der Apostel anderer Gebiete ist“.743 Die Grüße repräsentieren und pflegen die Gemeinschaft zwischen den Gemeinden, und sie sind Ausdruck der persönlichen Verbundenheit zwischen einzelnen Christen und den betreffenden Gemeinden, denen diese bekannt sind. Weitere Grüße werden von Aquila und Prisca übermittelt,744 einem Ehepaar, das ursprünglich aus Rom stammte, aus Anlass des Judenedikts des Kaiser Claudius die Hauptstadt verließ und nach Korinth übergesiedelt war (Apg 18,2-3). Aquila, der aus der kleinasiastischen Provinz Pontus stammte, und seine Ehefrau Prisca hatten die Gemeindegründung in Korinth miterlebt, wahrscheinlich als aktive Mitarbeiter. Paulus hatte bei ihnen gewohnt und in ihrer Lederwerkstatt gearbeitet. Sie waren mit Paulus nach Ephesus gekommen (Apg 18,18.26), von wo aus sie die korinthische Gemeinde grüßen. 745 Paulus nennt Aquila und Prisca in der traditionellen Reihenfolge (vgl. Apg 18,2), während andere Stellen Prisca an erster Stelle nennen746 und damit die herausragende Bedeutung dieser Frau für die Missions- und Gemeindearbeit hervorheben. Weil die korinthischen Christen Aquila und Prisca sehr gut kennen, sind die Grüße besonders persönlich (πολλα' ). Die Wendung ε ν κυρι' ω, kommt in der Grußliste des Römerbriefs häufiger vor (Röm 16,2.8.1113). Sie bezeichnet Jesus Christus als Grund und Kontext der Verbundenheit der Jesusbekenner. Die Gemeinde in ihrem Haus (συ` ν τη^, κατ’ οι κον αυ τω ^ ν ε κκλησι' α, ) schließt sich den Grüßen von Aquila und Prisca an. Wie in Apg 2,46 und 5,42 ist auch hier im Blick auf κατα' umstritten, ob eine distributive Bedeutung der Präposition vorliegt und Paulus Teilversammlungen der ephesinischen Gemeinde im Blick hat, oder ob er an eine von mehreren Hausgemeinden denkt.747 Wie später in Rom (vgl. Röm 16,5), so trifft sich auch in Ephesus im Haus des offensichtlich wohlhabenden Ehepaars Aquila und Prisca eine ————————————————————
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Schrage IV 466 mit Verweis auf 14,36; ebd. 466-467 Anm. 238 zum Folgenden. Die 3. Pers. Sing. α σπα' ζεται fasst das Ehepaar als Einheit. Zu Aquila und Prisca vgl. Schnabel, Urchristliche Mission, 788-789.814.1135-1137. 1162-1167.1224.1245-12461366-1367.1374. Röm 16,3; 2Tim 4,19; Apg 18,18.26. E. Dassmann, Art. Haus II. C. Christlich, RAC XIII, 886-888; Klauck, Hausgemeinde, 37-39; Vogler, Hausgemeinden, 785-794 u.a. gehen vom Nebeneinander von Ortsgemeinde und mehreren Hausgemeinden aus, in denen ebenfalls Wort- und Abendmahlsgottesdienste stattfanden. Kritisch Gielen, Interpretation, 109-125, die ein solches Nebeneinander zweier Gemeindeformen bezweifelt. Schrage IV 468 weist zurecht auf Röm 16,5.14-15 und Kol 4,15 hin, die die Existenz mehrerer Hausgemeinden in einer Stadt belegen. Zu den Gemeinden Roms vgl. Lampe, Missionswege, 126; Schnabel, Urchristliche Mission, 789-790; vgl. insgesamt Gehring, Hausgemeinde, 128-507.
Grüße und Zuspruch der Gnade 16,19-24 1029 ————————————————————————————————————
Versammlung von Jesusbekennern, deren es in Ephesus offensichtlich mehrere gab.748 20 Der Gruß in der Formulierung es grüßen euch alle Brüder (α σπα' ζονται υ μα^ς οι α δελφοι` πα' ντες) ist ungewöhnlich.749 Bei diesen „Brüdern“, die die Christen in Korinth grüßen, handelt es sich wahrscheinlich um die ephesinischen Gemeindeglieder insgesamt, 750 vielleicht auch um die sich in Ephesus aufhaltenden Mitarbeiter des Apostels.751 Paulus fordert die korinthischen Christen auf, einander mit dem heiligen Kuss zu grüßen (α σπα' σασθε α λλη' λους ε ν φιλη' ματι α γι' ω, ; vgl. 2Kor 13,12; Röm 16,16; ähnlich 1Thess 5,26; 1Petr 5,14). Der Kuss ist ein Erweis der Liebe innerhalb der Familie der Jesusbekenner. Die Charakterisierung als „heilig“ betont den Bezug auf Gott: Der Kuss ist heilig, weil die Christen infolge des Heilshandelns Gottes in Jesus Christus „berufene Heilige“ (1,2) sind. Das Grüßen mit einem Kuss ist nicht auf die Begegnung in der Gemeindeversammlung einzuschränken, 752 sondern auch auf Begegnungen in der Öffentlichkeit z.B. auf dem Marktplatz zu beziehen. 753 Der Kuss ist Zeichen für die Zugehörigkeit zur Gemeinde, die aus Brüdern und Schwestern besteht, und gleichzeitig Ausdruck der engen Gemeinschaft, die die Jesusbekenner miteinander verbindet, unabhängig vom gesellschaftlichen Status (Gal 3,28). In der heidnischen Umwelt gibt es für die Praxis, dass Anhänger einer religiösen Gruppe sich küssen, keine Analogien. 754 Im privaten Bereich ist der Begrüßungskuss im 1. Jahrhundert nicht unüblich, vor allem in gehobenen ————————————————————
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Lindemann 386; Schrage IV 468; Gehring, Hausgemeinde, 258. Die These von Gielen, Interpretation, 122, die „Hauskirche“ von Aquila und Prisca sei mit der Ortskirche identisch, da sonst in V. 19.20a ein Gruß der Gemeinde in Ephesus fehle, ist nicht überzeugend: Paulus wird kaum den Gruß der Gesamtgemeinde der Stadt Ephesus mit der Nennung der Namen Aquila und Prisca einleiten und die übrigen Gemeinde mit συ' ν anfügen; vgl. Lindemann 386. Vgl. die Formulierungen in 2Kor 13,12: α σπα' ζονται υ μα^ς οι α«γιοι πα' ντες, sowie in Phil 4,22: α σπα' ζονται υ μα^ς πα' ντες οι α«γιοι. Meyer 490; Heinrici 521; Barrett 396. Schlatter 458; Gutjahr 490; Fee 836; Strobel 271-272; Wolff 438; Kremer 378. Schrage IV 468 interpretiert im Sinne von „gesamtkirchlich alle Christen“; wäre dies die Intention von Paulus, würde er wahrscheinlich mit α«γιοι formulieren. Und schon gar nicht auf die Mahlfeier; richtig Schrage IV 470. Nach Justin, Apol. 1,65,2 beginnt die Mahlfeier mit dem heiligen Kuss. Klassen, Kiss, 130. Er betont ebd. 135, dass der heilige Kuss die Freiheit der Christen bekundet, „to express without inhibition to all people of whatever background, rank or gender, the ardour of α γα' πη in any context“. Vgl. W. Kroll, Art. Kuß, PW.Sup V, 511-520; G. Binder, Art. Kuß, DNP VI, 939-947; A. Standhartinger, Art. Kuß II, RGG4 IV, 1907; Thraede, Ursprünge, 142-143; Klassen, Kiss, 126-128; Ebel, Attraktivität, 212-213 Anm. 188.
1030 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Kreisen,755 er setzt aber eine verwandschaftliche oder emotionale Nähe voraus. Bei Dio Chrysostomus findet sich die Bemerkung: „In den Städten küssen sich die Menschen nicht“ (Or. 7,59). E. Ebel kommentiert, dass mit dem heiligen Kuss, mit dem sich die Christen untereinander grüßen, die antiken Kussgewohnheiten „in mehrfacher Weise durchbrochen“ werden: „In der Öffentlichkeit ist der Kuß eine Geste der Ehrerbietung eines Untergebenen bzw. der huldvollen Gewogenheit eines Höhergestellten und dient somit der Bestätigung und Demonstration hierarchischer Verhältnisse. Wenn dagegen bei Paulus bereits Ansätze einer ‚religiös-sozialen‘ Interpretation des Kusses im Sinne des ‚Bruderkusses‘ vorliegen, handelt es sich beim ‚heiligen Kuß‘ um eine deutliche Erweiterung bzw. Umkehrung des paganen Begrüßungskusses“.756 Bei Paulus ist der heilige Kuss, der wahrscheinlich mit einer Umarmung verbunden war und sich offensichtlich nicht nur auf Brüder beschränkte, Ausdruck der geschwisterlichen Verbundenheit, der persönlichfreundschaftlichen Kommunikation und der Gleichrangigkeit der Christen. 21 Der eigenhändige Gruß durch Paulus wird auch in Kol 4,18 und 2Thess 3,17 erwähnt (vgl. Gal 6,11): Der Gruß von meiner, des Paulus, Hand (ο α σπασμο` ς τη^, ε μη^, χειρι` Παυ' λου). Eine Namensunterschrift wird nur hier erwähnt. Aus der Notiz wird zumeist geschlossen, dass Paulus den Brief diktiert hat und in V. 21-24 selbst zum Schreibrohr greift.757 Viele sehen in dem Eigenhändigkeitsvermerk ein Authentizitätssignal, d.h. die Versicherung, dass der Inhalt des Briefes wirklich von Paulus stammt.758 Andere verstehen die Notiz im Sinne einer „Intensivierung des persönlichen Kontakts“ 759 oder als Hinweis auf die Autorität des Briefes, auf dessen Gewichtigkeit und Bedeutung Paulus abschließend noch einmal hinweist. 760 ————————————————————
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Plinius, Nat. Hist. 26,3,3-4 erklärt so die Infektion mit einer Krankheit aus Kleinasien durch den Sekretär eines Quaestors, die weder Frauen, Sklaven oder die niedrigen und mittleren Schichten erreichte, aber unter den Aristokraten verbreitet war. Ebel, Attraktivität, 213 Anm. 188. Schrage IV 469-470 weist zurecht die im Anschluss an JosAs 19,10-11 vertretene These zurück, der „heilige Kuss“ habe eine pneumatische Bedeutung oder einen liturgisch-sakramentalen Charakter (H. Windisch, ThWNT I, 499; G. Stählin, ThWNT IV, 138; Moffatt 279; Klauck, Herrenmahl, 352-353.356; Schäfer, Gemeinde, 434-440). Anders Arzt-Grabner, Philemon, 243: der Eigenhändigkeitsvermerk sagt nichts über die Verwendung eines Sekretärs aus. Robertson/Plummer 399-400; Godet II 256; Schlatter 459; Schnider /Stenger, Briefformular, 131, vgl. ebd. 166 die These, „dass Eigenhändigkeitsvermerk mit Unterschrift und summarischem Verweis auf den vorangehenden Text als aus dem Gebiet des Rechts stammende sprachliche Form die Funktion hat, am Ende eines Schriftstücks dieses in Geltung zu setzen, wobei die Art und Weise dieser Geltung durchaus variabel sein kann“. Kritisch Wolff 439 Anm. 67; Schrage IV 471. Klauck 127. Weima, Endings, 207.
Grüße und Zuspruch der Gnade 16,19-24 1031 ————————————————————————————————————
22 Die sog. Ausschlussformel: Wenn jemand den Herrn nicht liebt, sei er verflucht (ει» τις ου φιλει^ το` ν κυ' ριον, η» τω α να' θεμα) spricht einen Fluch über Menschen aus, die den Herrn, d.h. Jesus Christus nicht lieben. Wenn der Vordersatz dem Nachsatz entspricht, dann hat die Wendung ου φιλει^ den Sinn „der verwirft, der verleugnet“.761 Die Wendung φιλει^ν το` κυ' ριον kommt im NT nur hier vor, erinnert jedoch an das Gespräch des Auferstandenen mit Petrus (Joh 21,15-17). Auszuschließen ist, dass der τις ein Außenstehender ist, der sich zur Gemeinde hält: Besucher werden nicht verflucht, sondern mit dem Evangelium von Jesus Christus bekannt gemacht. Als letzte Warnung in einem Brief, in dem wiederholt vor dem Gericht Gottes gewarnt wurde (1,8; 3,13; 5,5; 7,6; vgl. 16,13) und in dem Paulus die Adressaten nachdrücklich auf ihr (Fehl-)Verhalten anspricht, mit dem sie das Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus verleugnen, ist es am plausibelsten, in dem τις Gemeindeglieder zu sehen, die sich weigern, den Herrn so zu lieben, dass sie diesem die Herrschaft über ihr Leben im Allgemeinen und über ihr alltägliches Verhalten im Besonderen einzuräumen. 762 Solche Christen trifft das Anathema (η» τω α να' θεμα; vgl. 12,3; Gal 1,8-9). Der Fluch ist im Zusammenhang des Zuspruchs der Gnade in V. 23 auf dem Hintergrund der Flüche in Lev 26 und Dtn 27-28 zu verstehen. Die Erwählung des Volkes Israel bedeutete dessen Verpflichtung auf den Willen Jahwes, da die Befreiung durch Jahwe mit dem Ziel der Bindung des Volkes an Jahwe geschah und da Jahwes Gaben den Gehorsam des Volkes erwarteten. 763 Genauso verpflichtet das Geschenk des Heils die Jesusbekenner, sich in der Bindung an den Herrn von allem widergöttlichen und heillosen Verhalten zu trennen. Wer sich zur Gemeinde der Jesusbekenner hält, aber den Herrn nicht liebt, d.h. die Realität der Herrschaft Jesu Christi über sein Leben ablehnt, der stellt sich selbst außerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen. Der Sinn des Anathema ist nicht die abschreckende Drohung, sondern die Selbstprüfung, zu der Paulus die korinthischen Christen noch einmal aufruft. 764 Wer den ————————————————————
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Schrage IV 471, der V. 22a als Satz heiligen Rechts versteht; vgl. Billroth 247; Spicq, Comment, 204; G. Stählin, ThWNT IX, 135. Die Interpretation als „Satz heiligen Rechts“, der innerhalb der Gemeindeversammlung „diejenigen treffen soll, die den κυ' ριος nicht ‚wirklich‘ lieben, ihn in Wahrheit also hassen“ (Lindemann 388; vgl. Schrage IV 471-472), bleibt gerade im Blick auf die vorausgesetzte „Rechtslage“ hypothetisch. Preuß, Theologie II, 286. Schrage IV 472. Er weist zu Recht darauf hin, dass das Anathema, sollte es aus der Abendmahlsliturgie übernommen sein, hier „primär eine briefliche Funktion“ hat. Er hätte es deshalb nicht notwendig, Ausleger wie Meyer 490-491; Heinrici 522; Schlatter 459460; Barrett 397 u.a. zu kritisieren, die betonen, dass Paulus auf die Schwierigkeiten innerhalb der Gemeinde zurückblickt, z.B. auf das Parteiwesen und die Selbstsucht.
1032 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
Herrn Jesus Christus liebt, der liebt auch die Menschen, die sich zu Jesus bekennen – und der kann sich unmöglich durch Solidaritätsbekundungen gegenüber bestimmten Lehrern der Gemeinde über andere Gemeindeglieder erheben; er kann sich unmöglich aus Bequemlichkeit oder egoistischer Selbstbefriedigung über den Willen Gottes in Fragen der Sexualität und der Ehe hinwegsetzen, gegen Mitchristen Rechtshändel in Gang setzen oder in Götzentempeln an Festmählern teilnehmen; der kann unmöglich im Gottesdienst seinen gesellschaftlichen Status demonstrativ zur Schau stellen oder bei der Feier des Herrenmahls ärmere Christen hungrig nach Hause gehen lassen, oder durch permanentes Reden im Gottesdienst andere Christen vom Gebrauch ihrer Gaben abhalten. Wer den Herrn liebt, der engagiert sich rückhaltlos und konsequent für den Bau der Gemeinde. Wer die Gemeinde zerstört, der kann den Herrn nicht lieben. Deshalb ist das Anathema eine kaum verhüllte Warnung765 an jene korinthische Christen, die den christlichen Glauben in einen Wettbewerb zur Vermehrung des eigenen Prestiges verwandeln und gegen den ausdrücklichen Willen Gottes an heidnischen Werten und Verhaltensweisen festhalten. Der aramäische Ruf Maranatha! (Μαρα' να θα' ), der im NT nur hier vorkommt, kann indikativisch ( ָמַרן ֲאָתאoder ָמַרָנא ֲאָתא, „Unser Herr ist gekommen“) oder imperativisch ( ָמַרן ֱאָתאoder ָמַרָנא ָתא, „Unser Herr, komm!“) gelesen werden.766 Nach K. G. Kuhn kann das aramäische Wort, das offensichtlich aus der palästinischen Urgemeinde stammt und dessen Kenntnis Paulus für die Gemeinde in Korinth voraussetzen kann, zu der (mehrheitlich?) Heidenchristen gehören, folgende Bedeutungen haben: 1. Als imperativischer Gebetsruf und Bitte um die Wiederkunft Jesu; 2. perfektisch als Bekenntnis zum Gekommensein Jesus; 3. als perfektisches Präsens im Sinne einer Aussage über die Gegenwart Jesus im Gottesdienst. 767 Ein Bekenntnis zur Inkarnation Jesu (zweite Deutung) ist weder vom denkbaren Ursprung noch vom Kontext her plausibel. Am wahrscheinlichsten ist das imperativische Verständnis, was sich von Offb 22,20 (ε»ρχου κυ' ριε Ιησου^ ) her nahelegt: Die Gemeinde hat mit diesem Ruf um das Kommen des Herrn Jesus Christus gebetet. ————————————————————
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Vgl. Hays 292; Kremer 378. Bauer /Aland 996, s.v. μαρα' να θα' ; K. G. Kuhn, ThWNT IV, 470-475; G. Schneider, EWNT II, 947-948; Rüger, Problem, 120-121; ders., Art. Aramäisch, TRE III, 607; Fitzmyer, Kyrios and Maranatha, 223-229; Klauck, Herrenmahl, 358-363; Stuhlmacher, Theologie I, 183-184. K. G. Kuhn, ThWNT IV, 473. Er schließt die Bedeutung „unser Herr kommt bald“ (Weiss 387; Schlatter 460) aus, was ein im Aramäischen nicht belegtes perfectum propheticum voraussetzt (ebd. 472).
Grüße und Zuspruch der Gnade 16,19-24 1033 ———————————————————————————————————— Ob man Did 10,6 als Beleg für die Annahme anführen kann, dass der Ruf „Maranatha!“ auch in der palästinischen Urgemeinde seinen Sitz in der Liturgie der Feier des Herrenmahls hatte, ist umstritten.768 Bei dieser Interpretation legt sich die dritte Bedeutung nahe: Mit „Maranatha!“ preisen die Christen die Gegenwart des Herrn bei der Mahlfeier. In den ntl. Texten weist nichts darauf hin, dass der Maranatha-Ruf von vornherein mit dem Herrenmahl verbunden war (er fehlt in 1Kor 11,23-26). In Did 10,6 ist der Maranatha-Ruf eng mit der Feier des Herrenmahls verbunden; er dient zur Verstärkung oder Begründung der Warnung, nicht als Unheiliger am Mahl teilzunehmen: „Es komme Gnade, und es vergehe diese Welt. Hosianna dem Gotte Davids. Wenn jemand heilig ist, komme er. Wenn er es nicht ist, tue er Buße. Maran atha. Amen“. So verstehen viele den Maranatha-Ruf in V. 22 ebenfalls als Verstärkung des Anathema: „Der Herr soll ‚kommen‘, um den ausgesprochenen Fluch zu vollziehen“.769 Wenn man die präsentische Deutung („der Herr ist da“) voraussetzt, ergibt sich die Bedeutung: „Ihr wißt, daß wir in der Gemeinde die Gegenwart des erhöhten Herrn bekennen mit dem μαραναθα' ; und seine in diesem Ruf ausgesprochene Gegenwart schließt die Zugehörigkeit von solchen, die ihn nicht lieben, aus“.770 Die Herkunft des Maranatha aus der frühen palästinischen Gemeinde (in Jerusalem) gilt als gesichert.771 Die Formulierung zeigt, dass die Gemeinde in Jerusalem, wie dann auch die von Paulus gegründeten mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinden, sich zu Jesus als dem auferstandenen und erhöhten Herrn (griech. κυ' ριος) bekannte. Die versammelte Gemeinde bittet um die Wiederkunft des Herrn Jesus Christus in der Herrlichkeit seines Reiches. G. Delling nennt für die Verwendung des unübersetzten aramäischen Wortes in den Griechisch sprechenden Gemeinden folgende Gründe: die persönliche Gewöhnung des Missionars, die Beibehaltung liebgewordener Formen in judenchristlichen Kreisen, den Wunsch der Heidenchristen nach Verbindung mit der Anfangstradition, die Erinnerung an die Sprache des irdischen Jesus.772
Da die Verbindung des Maranatha-Rufs mit dem Anathema traditionsgeschichtlich nicht gesichert und im Kontext der vier kurzen Schlusssätze in V. 22-24 eher unwahrscheinlich ist, empfiehlt es sich, das Maranatha als nachdrückliche Erinnerung an die Wiederkunft des Herrn Jesus Christus zu verstehen.773 ————————————————————
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So Bornkamm, Ende, 123-132; Moule, Essays, 222-226; vgl. Salzmann, Lehren, 58. Lindemann 388; Garland 774; Eriksson, Traditions, 292-295. Kuhn, ThWNT IV, 474-475. Kuhn hält die Interpretation als Gebetsruf aufgrund von Offb 22,20 für wahrscheinlicher, was bedeute, dass man einen „unmittelbaren Sinnzusammenhang“ von μαραναθα' aufgeben müsse. Vgl. Dunn, Theology of Paul, 247-248; Hurtado, One God, One Lord, 106-107.131-132; ders., Lord Jesus Christ, 21.110.141. Delling, Gottesdienst, 72. Der Hinweis von Klauck, Herrenmahl, 358-359, in einer Zeit des beginnenden Synkretismus habe man versucht, mit fremdsprachlichen Wörtern „der eigenen Religionsform einen geheimnisvollen Anstrich zu geben“, ist für die Christen im ersten Jahrhundert nicht relevant. Schrage IV 473, mit Verweis auf Röm 16,20; Phil 4,5; 1Thess 5,23.
1034 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
23 Ein Zuspruch der Gnade findet sich in allen Paulusbriefen, 774 anstelle des in antiken Briefen sonst üblichen „Lebe(t) wohl!“ (ε»ρρωσθε/ε»ρρωσο; vgl. Apg 15,29): Die Gnade unseres Herrn Jesus sei mit euch (η χα' ρις του^ κυρι' ου Ιη σου^ μεθ’ υ μω ^ ν; vgl. 1Thess 5,28; Röm 16,20). Die Gnade (η χα' ρις) ist hier im Ersten Korintherbrief zum ersten Mal auf Jesus und nicht auf Gott bezogen (vgl. 2Kor 8,9; 12,9; Gal 1,6). Als Prädikat kann man den Optativ ει»η („die Gnade sei mit euch“)775 oder den Indikativ ε» στιν („die Gnade ist bei euch“) bzw. ε» σται („die Gnade wird mit euch sein“)776 ergänzen. In den atl. Aussagen über das Mitsein Jahwes mit seinem Volk finden sich alle Tempora; die futurischen Aussagen sind überwiegend nicht als Wunsch formuliert, son-dern als Deklaration (vgl. Ex 3,12 LXX: ε»σομαι μετα' σου).777 Wie Jahwe seinem Volk Israel seine bleibende Gegenwart zugesagt hatte, so ist der ge-kreuzigte und auferstandene Herr bei den Seinen gegenwärtig, jetzt und in der Zukunft. So bestimmt die Gewissheit der Gnade des Herrn Jesus Christus den Anfang (1,3-4) und das Ende des Briefes. Paulus ist gewiss, dass das gnaden-hafte Heilshandeln Gottes, das die korinthischen Christen erfasst hat, diese in der Liebe zum Herrn bewahrt und bewahren wird. Zugleich wünscht er ihnen die fortdauernde Erfahrung dieser Gnade, die das wirkmächtige Fundament ist, auf dem sie seine Weisungen für ein authentisches Leben als Jesusbeken-ner verwirklichen können. 778 24 Ungewöhnlich ist der Schlusssatz: Meine Liebe ist mit euch allen in Christus Jesus (η α γα' πη μου μετα` πα' ντων υ μω ^ ν ε ν Χριστω ^, Ιησου^ ). Paulus formuliert keinen Wunsch, sondern eine Versicherung (als Verb ist deshalb ε στι' zu ergänzen). In V. 22 war von der Hoffnung auf die Wiederkunft Jesu Christi die Rede, in V. 23 von der Gnade des Herrn Jesus, in V. 24 von der Liebe. Ph. Bachmann kommentiert: „So endet ein Klang des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus tiefster Seele das Schreiben und wendet seinen Ausgang nach so wechselnden und mannigfaltigen Erörterungen zu der Stimmung des freundlichen und warmen Eingangs zurück“. 779 Nachdem Paulus lange und ausführlich argumentiert und protestiert, ermahnt und korrigiert hat, versichert er den korinthischen Christen in seinem letzten Satz, dass er sie lieb hat. Bei aller theologischen Folgerichtigkeit, zu der Paulus die Jesusbekenner ————————————————————
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2Kor 13,13; Röm 16,20; Gal 6,18; Eph 6,24; Phil 4,23; Kol 4,18; 1Thess 5,28; 2Thess 3,18; 1Tim 6,21; 2Tim 4,22; Phlm 25. W. Grundmann, ThWNT VII, 777-778; NSS II 99; Meyer 492; Heinrici 524; Barrett 398; Lang 250; Fee 839 mit Anm. 39; Hays 293; Collins 617. So die meisten Übersetzungen. Bauer /Aland 1030 s.v. μετα' A.2.1.c.γ; G. Delling, ThWNT VIII, 222; Schlatter 461. Unnik, Dominus vobiscum, 281. Vgl. Wolff 440. Bachmann 478; vgl. Wolff 441.
Grüße und Zuspruch der Gnade 16,19-24 1035 ————————————————————————————————————
in Korinth anhält, bei allen ethischen Konsequenzen, die er von ihnen verlangt, beherzigt er selbst seine Überzeugung, dass die Liebe der „bessere Weg“ ist (12,31), der das gesamte Tun und Denken der Nachfolger Jesus bestimmen soll (V. 14). Er versichert den Korinthern nicht nur, dass Gott sie durch die Gnade des Herrn Jesus immer noch liebt (V. 23). Es ist ihm zugleich daran gelegen, ihnen seine Liebe zu erklären, mit der er sich für sie einsetzt. Die Wirksamkeit des Herrn Jesus Christus garantiert für Paulus die Wahrheit von 13,8: „Die Liebe hört niemals auf“.780 So ist die Wirklichkeit des Seins ε ν Χριστω ^, Ιη σου^ der Grund des Lebens als Jesusbekenner, der sowohl den Apostel wie auch die Christen in Korinth trägt.
IV Die Grußliste zeigt zusammen mit der Aufforderung zur gegenseitigen Begrüßung mit dem heiligen Kuss, dass die Gemeinde Jesu Christi eine Familie ist, eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, die nicht nur zusammen Gott anbeten, sondern in persönlichem Kontakt zueinander stehen und leben. Das Anathema in V. 22 erinnert die Leser an die Tatsache, dass die Kirche Jesu Christi, die als eine von der Liebe bestimmte Gemeinschaft beschrieben werden kann (V. 24; Kap. 13), nicht auf eine Art und Weise „inklusiv“ ist, die jeden und alles duldet: wer Jesus nicht liebt, der gehört nicht zur Heilsgemeinde, wer Jesus ablehnt, der wird von Jesus gerichtet. Dieses endzeitliche Moment kommt in dem Maranatha-Ruf deutlich zum Ausdruck. Christen sind Menschen, deren Lebenssinn sich nicht im Diesseits erschöpft, so engagiert sie sich auch für andere und für die Welt einsetzen. Der Sinn ihres Lebens hat ursächlich mit Jesus Christus zu tun, der zum Heil der Welt am Kreuz gestorben ist und der als der auferstandene Herr das Leben der Jesusbekenner bestimmt – der Herr, der kommen wird, um nach der endgültigen Beseitigung des Todes als letzter Feind die Neue Welt Gottes aufzurichen. So werden wir am Schluss des Briefes daran erinnert, dass das Evangelium, das Paulus verkündigt, die Welt in einem Rahmen interpretiert, der von der Kreuzigung Jesu (1,18–2,16) bis zur Auferstehung und Wiederkunft Jesu Christi reicht (15,158).781 Beides soll das Leben der Christen bestimmen: Die Wirklichkeit des heilschaffenden Todes Jesu Christi und die gewisse Hoffnung auf sein Kommen, das die endgültige Heilswirklichkeit herbeiführen wird. Das letzte Wort in der robusten und engagierten theologischen und ethischen Diskussion, deren Zeuge wir im Ersten Korintherbrief geworden sind, ————————————————————
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Schlatter 461. Hays 295.
1036 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
hat die Liebe. Weil die von Jesus Christus geschenkte und auf ihn ausgerichtete Liebe alles trägt, alles glaubt, alles hofft und alles erduldet, und weil diese Liebe niemals aufhört, lässt Paulus die korinthischen Christen, die immer wieder und durchaus auch an entscheidenden Stellen Kompromisse mit den Werten, Normen und Traditionen der heidnischen römischen Gesellschaft eingegangen sind, nicht einfach ihren eigenen Weg gehen. Seine Liebe zu Jesus Christus bedeutet, dass er bereit ist, sich weiterhin und mit großem Einsatz um sie zu mühen, damit sie nicht nur „in Christus Jesus Geheiligte“ sind, sondern auch so leben, damit sie den Namen des Herrn Jesus Christus an jedem Ort und zu jeder Zeit in wahrhaftigem Glauben, in brennender Hoffnung und in engagierter Liebe anrufen können.
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Literaturverzeichnis 1041 ————————————————————————————————————
IV. Verzeichnisse 1. Literaturverzeichnis Kommentare werden mit dem Namen des Autors zitiert, die übrige Sekundärliteratur mit dem Namen des Autors und abgekürztem Titel. Artikel aus Wörterbüchern und Enzyklopädien werden im Literaturverzeichnis nicht eigens aufgeführt. Für Abkürzungen, die im Abkürzungsverzeichnis nicht aufgeführt sind, konsultiere man S. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (Berlin 21992) sowie L. Coenen und K. Haacker, Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament (Wuppertal 1997). Für die Inschriften konsultiere man die Checklist von G. Horsley und J. Lee in Epigraphica 56 (1994) 129-169 sowie die Abkürzungen in Der Neue Pauly 3, xii-xxxvi. Die Inschriften Korinths werden nach den Editionen von B. Merritt, A. B. West und J. H. Kent zitiert. Für die Papyri konsultiere man die Checklist von J. Oates und R.Bagnall (http://scriptorium.lib. duke.edu/papyrus/texts/clist.html).
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1094 Erster Korintherbrief ————————————————————————————————————
2. Autorenverzeichnis Aalen, Sverre 846 Achelis, Hans 417 Adam, A. 405, 417 Adams, James N. 339 Ahn, G. 863 Aland, Kurt 9, 11, 100, 198, 377 Albright, W.F. 687 Alkier, Stefan 156 Allison, Dale C. 528, 843 Allo, Ernest-Bernard 144, 211, 236, 277, 280, 307, 309, 334, 374, 400, 401, 479, 535, 552, 610, 666, 687, 703, 748, 796, 895, 942, 957, 982, 1009, 1011, 1016 Amandry, Michel 15, 16, 23 Amato, Eugenio 151 Ambrosiaster 72, 417, 435, 841 Ameling, Walter 93, 151 Anderson, Graham 45, 81 Applebaum, Shimon 312 Aquinas, Thomas 349 Arai, Sasagu 439 Arzt-Grabner, Peter 55, 57, 59, 60, 61, 63, 65, 66, 69, 74-76, 78, 86, 89, 90, 98, 105, 116, 117, 120, 121, 124, 125, 127, 128, 143, 152, 154, 157, 165, 166, 174, 177, 186, 187, 189, 191, 196, 203, 206, 207, 210, 214, 222, 231, 232, 236, 250, 252, 253, 254, 255, 258, 268, 273, 274, 278, 281, 282, 287, 294, 304, 307, 308, 310, 315, 318, 320, 323, 338, 341, 343, 346, 354, 357, 359, 361, 368, 372, 373, 374, 386-391, 393, 394, 395, 401, 403, 404, 406, 408, 410, 411, 412, 415, 417, 418, 421, 422, 443, 444, 446, 454, 468, 479, 483, 484, 489, 493, 498, 506, 510, 535, 555, 559, 578, 594, 595, 597, 607, 608, 617, 618, 619, 634, 635, 636, 637, 639, 668, 670, 684, 686, 692, 693, 695, 698, 706, 711, 713, 718, 734, 738, 739, 745, 747, 748, 759, 760, 761, 764, 773, 778, 781, 790, 794, 795, 800, 801, 811, 817, 823, 835, 846, 848, 871, 874, 885, 892, 894, 899, 901, 910, 912, 913, 918, 926, 927, 931, 945, 946, 949, 958, 960, 961, 963, 966, 982, 984, 986, 990, 991,
997, 1002, 1003, 1004, 1008, 1009, 1010, 1018, 1024, 1030 Asher, Jeffrey R. 958, 959, 960, 962, 965, 969, 973, 977, 983 Auerbach, Erich 533 Aune, David E. 42, 43, 213; 687, 706, 708, 709, 710, 716, 837 Avemarie, Friedrich 654, 692 Ådna, Jostein 1006 Bacchiocchi, Samuele 1000, 1001 Bachmann, M. 468 Bachmann, Philipp 80, 89, 124, 127, 128, 140, 141, 156, 160, 164, 166, 167, 174, 175, 189, 200, 209, 213, 234, 245, 266, 282, 309, 311, 315, 317, 320, 321, 322, 357, 363, 365, 366, 376, 377, 379, 399, 401, 445, 447, 448, 459, 465, 468, 478, 479, 480, 481, 485, 486, 488, 490, 491, 493, 496, 508, 518, 524, 529, 530, 533, 539, 542, 549, 552, 553, 571, 575, 576, 578, 599, 611, 612, 616, 621, 633, 662, 663, 681, 682, 694, 695, 697, 698, 700, 715, 727, 728, 732, 734, 735, 747, 750, 751, 756, 761, 766, 772, 778, 781, 793, 801, 802, 805, 811, 815, 820, 836, 844, 852, 899, 900, 906, 911, 924, 931, 934, 939, 942, 943, 944, 957, 960, 963, 965, 973, 974, 977, 982, 1003, 1009, 1014, 1020, 1023, 1034 Baker, David L. 749 Balch, David L. 27, 355, 356, 416 Baltensweiler, Heinrich 340, 373, 388 Balz, H. 61, 167, 207, 244, 319, 361, 462, 541, 598, 631, 746, 767, 769, 778, 795, 804, 809, 814, 815, 817, 822, 830, 831, 837, 873, 915, 946, 988 Banks, Robert J. 27, 59, 189, 632 Barbour, Robin S. 122 Barrett, C. K. 36, 37, 71, 76, 80, 82, 93, 96, 103, 123, 126, 136, 139, 140, 149, 150, 156, 166, 167, 185, 187, 189, 203, 206, 211, 224, 242, 245, 255, 265, 278, 280, 288, 291, 295, 305, 307, 308, 309, 313, 315, 322, 323, 332, 334, 340, 343, 351, 363, 365, 366, 367, 371, 372, 380, 388,
Autorenverzeichnis 1095 ———————————————————————————————————— 391, 396, 411, 412, 415, 418, 427, 453, 457, 472, 492, 494, 502, 503, 507, 510, 522, 523, 524, 527, 531, 533, 535, 537, 548, 553, 562, 570, 571, 574, 596, 634, 635, 655, 657, 663, 682, 683, 687, 702, 741, 748, 750, 756, 782, 793, 807, 820, 825, 830, 838, 841, 842, 852, 869, 872, 883, 893, 910, 921, 924, 929, 930, 932, 933, 934, 942, 947, 948, 959, 965, 974, 977, 992, 998, 1003, 1011, 1013, 1017, 1023, 1029, 1032, 1034 Barrett, David B. 109 Bartchy, S. Scott 346, 383, 385, 391, 392, 393, 396 Bartels, K.H. 809, 830, 831 Barth, Gerhard 77, 157, 909, 910, 940 Barth, Karl 777, 783, 784, 953, 993 Barth, Markus 321 Bartsch, Hans-Werner 811, 894, 910 Bassler, Jouette M. 688 Bauckham, Richard J. 434, 449, 482, 895, 1000 Bauer, Karl-Adolf 962, 963, 970 Bauer, Walter 161 Baumann, Rolf 37, 56, 62, 69, 72, 76, 78, 88, 95, 104, 123, 142, 154, 156, 160, 162, 163, 165, 166 Baumert, Norbert 351, 353, 364, 365, 366, 380, 390, 392, 403, 406, 407, 408, 411, 412, 413, 414, 419, 420, 588, 606, 611, 613, 692, 693, 694, 847 Baumgarten, Jörg 406, 407, 411, 898, 971 Baur, Ferdinand Christian 36, 87, 695 Bayer, Hans F. 653 Beale, Gregory K. 202, 204, 207, 208, 919 Beasley-Murray, G.R. 98, 100, 321, 322, 323, 528, 942 Becker, Jürgen 36, 37, 41, 42, 48, 126, 332, 350, 362, 371, 724, 927, 987, 1026 Beckheuer, Burkhard 999, 1005 Beckwith, Roger T. 648 Bedale, Stephen 596 BeDuhn, Jason D. 610 Behm, J. 88, 258, 652, 654, 656, 714, 715, 717, 797, 808, 825, 1026 Beinert, Wolfgang 911 Beker, J. Christiaan 924 Belleville, Linda L. 41, 588, 589, 596, 601, 620, 1023
Bellen, H. 590 Bender, Wilhelm 145 Bengel, Johann Albert 58, 96, 141, 175, 195, 279, 364, 400, 415, 485, 518, 538, 543, 552, 611, 681, 688, 705, 732, 734, 775, 778, 782, 801, 807, 820, 847, 875, 942 Benz, L. 116 Berger, Klaus 43, 44, 47, 60, 65, 66, 435, 692, 694, 887, 902, 999, 1026 Bergmeier, R. 926 Berneker, E. 640 Bertram, G. 186, 189, 200, 260, 536, 668, 697, 778, 815 Best, Ernest 116, 144, 831, 930 Betz, O. 102, 387 Beutler, J. 914 Beyer, W. 254, 747, 810, 814, 815, 1021 Beyreuther, E. 766 Beza, Theodor 247, 682, 704, 942 Bianchi, Ugo 37 Bickle, Mike 855 Bieder, W. 531, 729 Bieringer, Reimund 879 Bieritz, K.-H. 641 Bietenhard, Hans 97, 208, 323, 556, 612, 812, 928 Billerbeck, Margarethe 127 Billerbeck, Paul 276, 647 Bittlinger, Arnold 699, 856 Bjerkelund, Carl Johan 85, 86, 794 Black, David A. 250, 400, 458, 508 Blanck, Horst 618 Blank-Sangmeister, Ursula 591 Blaschke, Andreas 387 Blinzler, Josef 482, 881 Blomberg, Craig L. 575, 682, 1005, 1024 Blue, Bradley B. 25, 351, 403, 628, 637, 666, 670 Blume, Horst-Dieter 950, 951 Bockmuehl, Markus 165, 792, 793, 981 Böcher, O. 281, 556, 654, 889 Böhmer, F. 685 Böhme-Schönberger, Astrid 592 Böttrich, Christfried 215, 345 Boer, Martinus C. de 909, 910, 923 Boetticher, W. 800 Bomgardner, David L. 248 Bonfante, Larissa 589 Bonhoeffer, Dietrich 68, 301
1096 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Bonsirven, Joseph 487 Bookidis, Nancy 18, 20, 96, 600 Booth, Alan 330, 331, 537 Borgen, Peder 459 Bornhäuser, Karl 611 Bornkamm, Günther 36, 37, 40, 161, 162, 350, 626, 647, 663, 782, 793, 859, 1021, 1026, 1033 Borowski, O. 918 Bousset, Wilhelm 73, 96, 103, 141, 144, 145, 147, 153, 156, 161, 163, 166, 167, 169, 171, 175, 180, 225, 282, 321, 327, 427, 445, 486, 491, 493, 533, 571, 664, 635, 656, 665, 682, 755, 834, 842, 887, 893, 917, 928, 931, 953, 969 Bouttier, Michel 144 Bouwman, Gilbert 365 Bowersock, Glen Warren 92, 141 Bowie, Ewen L. 141 Brandenburger, Egon 608, 921, 973 Braumann, G. 778, 794, 795, 926 Braun, Herbert 317, 407, 652, 767, 886, 959 Braxton, Brad R. 392, 394 Bremer, I. 618 Bremmer, J. N. 437 Breytenbach, Ciliers 374, 880 Brockhaus, Ulrich 366, 692, 693, 694, 728, 742, 273–74, 743, 744, 750 Brockmeyer, Norbert 391 Brodeur, Scott 959, 968, 971, 973 Broer, Ingo 523, 541, 542, 611, 612 Broneer, Oscar 17, 18, 22, 330, 512, 515 Brown, Alexandra R. 139 Bruce, F.F. 32, 80, 103, 206, 214, 264, 277, 281, 331, 380, 461, 495, 554, 563, 575, 589, 687, 848 Brucker, Ralph 831 Bucher, Theodor G. 905, 906 Büchsel, F. 175, 177, 290, 294, 295, 374, 648, 823, 824, 873 Bühner, J.-A. 57, 479, 744 Bünker, Michael 43, 44, 82, 84, 95, 112, 182, 219, 229, 866, 905 Bullmore, Michael A. 149, 151, 155 Bultmann, Rudolf 37, 82, 88, 102, 143, 161, 166, 213, 240, 290, 322, 335, 358, 365, 400, 411, 417, 439, 442, 448, 496, 526, 571, 572, 604, 677, 686, 723, 781, 782,
863, 870, 871, 887, 888, 909, 921, 937, 963, 967, 969, 984, 993 Bund, E. 274 Burchard, Christoph 381, 969, 971 Burke, Trevor J. 259, 260 Burkhardt, Helmut 716 Buxton, Richard G. A. 155 Cadbury, Henry J. 18, 437, 568 Calboli Montefusco, L. 106 Calvin 58, 68, 74, 97, 103, 177, 228, 235, 238, 244, 334, 343, 345, 349, 380, 405, 407, 408, 413, 426, 439, 477, 481, 510, 519, 538, 569, 579, 705, 768, 899, 942, 944, 946, 965 Capes, David B. 64 Caragounis, Chrys 365, 484, 757 Carr, A. Wesley 166, 931 Carson, D. A. 165, 509, 682, 687, 688, 689, 692, 703, 704, 711, 717, 749, 750, 762, 776, 781, 793, 804, 838, 843, 845, 847, 848, 858, 859, 893 Cartledge, Mark J. 854 Castelli, Elizabeth A. 82 Ceresa-Gastaldo, Aldo 759 Cerfaux, Lucien 723 Cervin, Richard S. 596 Chadwick, Henry 502 Charlesworth, J.H. 57 Chester, Stephen J. 36, 53, 61, 232, 321, 322, 633 Cheung, Alex T. 427, 429, 430, 431, 436, 454, 455, 458, 459, 460, 464, 469, 472, 508, 543, 553, 569, 571, 573, 574 Chevallier, Max-Alain 693, 749, 807 Chow, John K. 27, 81, 91, 277, 302, 492, 1001 Christ, Karl 91 Christes, J. 260 Christenson, Larry 716, 181 Chrysostomus 39, 63, 95, 104, 242, 290, 309, 315, 337, 378, 391, 417, 431, 439, 682, 702, 744, 775, 801, 820, 841, 847, 892, 942, 943, 965 Ciampa, Roy E. 47, 48, 63, 112, 119, 120, 147, 158, 170, 180, 192, 204, 208, 222, 274, 278, 279, 286, 297, 298, 311, 316, 343, 388, 486, 487, 488, 523, 527, 530, 536, 538, 557, 569, 608, 609, 611, 648,
Autorenverzeichnis 1097 ———————————————————————————————————— 703, 780, 817, 818, 819, 848, 933, 934, 938, 986, Cineira, David Alvarez 24, 50 Clarke, Andrew D. 15, 20, 27, 38, 81, 82, 91, 141, 166, 191, 195, 223, 232, 245, 275, 276, 277, 278, 302, 305, 306, 309, 315, 739, 1021 Coenen, L. 126, 127, 747, 748, 811, 1021 Collier, Gary D. 522, 535, 493, 536, 539 Collins, John J. 57 Collins, John N. 191 Collins, Raymond F. 20, 35, 39, 95, 150, 164, 166, 191, 201, 220, 223, 242, 243, 281, 288, 291, 334, 347, 351, 376, 380, 382, 385, 400, 418, 453, 457, 458, 478, 489, 491, 493, 503, 518, 522, 524, 526, 533, 534, 535, 537, 539, 553, 569, 572, 574, 588, 611, 626, 635, 646, 652, 654, 657, 663, 682, 683, 685, 701, 702, 724, 728, 734, 737, 739, 750, 756, 772, 792, 807, 831, 946, 957, 977, 1034 Colpe, Carsten 37, 556, 922 Conzelmann, Hans 30, 36, 37, 39, 60, 65, 74, 75, 76, 80, 85, 96, 101, 103, 118, 123, 125, 126, 127, 133, 141, 145, 150, 151, 153, 156, 161, 163, 164, 166, 167, 169, 170, 171, 174, 175, 177, 180, 187, 190, 194, 197, 209, 212, 224, 232, 234, 237, 242, 245, 273, 274, 277, 278, 279, 281, 291, 294, 305, 309, 327, 329, 332, 334, 338, 343, 346, 355, 364, 365, 370, 374, 376, 378, 385, 391, 400, 402, 403, 411, 413, 418, 419, 427, 434, 441, 446, 447, 450, 453, 455, 460, 464, 465, 467, 472, 475, 477, 479, 486, 488, 506, 510, 522, 523, 529, 530, 531, 533, 535, 537, 541, 542, 541, 548, 565, 549, 552, 553, 562, 569, 571, 574, 588, 596, 604, 607, 613, 617, 621, 626, 629, 637, 642, 646, 647, 648, 652, 656, 661, 666, 668, 682, 683, 692, 693, 695, 698, 700, 701, 702, 714, 723, 728, 732, 733, 735, 737, 739, 741, 750, 751, 755, 756, 761, 762, 765, 771, 778, 781, 790, 795, 802, 805, 810, 811, 821, 830, 836, 837, 838, 842, 862, 869, 871, 872, 877, 882, 890, 894, 898, 909, 914, 921, 924, 931, 933, 934, 938, 944, 947, 957, 959, 960, 963, 970, 975, 977,
979, 980, 981, 985, 987, 1004, 1005, 1011 Corbeill, Anthony 330 Corley, Jeremy 751, 755 Cothenet, Edouard 709 Craig, Clarence T. 101, 571, 575 Crook, John A. 302, 311 Croom, Alexandra 589, 604 Crüsemann, Frank 655 Crüsemann, Marlene 843 Cullmann, Oscar 166, 308, 598, 687, 715, 889, 928, 1026 D’Angelo, Mary R. 609 Dalman, Gustaf 649, 650 Danoff, Chr. 641 Dassmann, E. 1028 Daube, David 501 Dautzenberg, Gerhard 244, 329, 341, 343, 383, 513, 689, 706, 711, 712, 714, 715, 717, 762, 780, 793, 822, 824, 825, 838, 847, 852 Davidson, Richard M. 537, 779 Davies, Glenys 591, 603 Davies, J.G. 717 Davies, W.D. 723 Davis, James A. 132 Dawes, Gregory W. 383, 459, 596 Deichgräber, Reinhard 830 Deidun, Thomas J. 388 Deissmann, Adolf 43, 144, 207, 281, 346, 636, 668, 926, 997, 1001, 1025 Delling, Gerhard 76, 165, 275, 294, 318, 350, 358, 362, 365, 405, 417, 540, 746, 809, 830, 831, 832, 833, 844, 882, 918, 925, 932, 1021, 1033, 1034 Delobel, Joël 42, 453, 588, 600, 610, 614 Deming 327, 350, 351, 356, 359, 360, 361, 362, 375, 377, 379, 380, 382, 383, 384, 389, 392, 394, 396, 402, 405, 407, 411, 412, 415, 416 Deming, Will 327, 350, 351, 356, 359, 360, 361, 362, 375, 377, 379, 380, 382, 383, 384, 389, 392, 394, 396, 402, 405, 407, 411, 412, 415, 416 Demke, Christoph 447 Denaux, Adelbert 434 Derrett, J.D.M. 203, 206, 307 Dexinger, F. 387
1098 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Dickson, John P. 102 Dinkler, Erich 40, 311, 313 Dixon, Michael D. 20 Dobbeler, Axel von 156, 157, 193, 915, 1018 Dodd, Brian J. 332, 480, 928 Dodd, C.H. 506 Donfried, Karl P. 281, 282 Doty, William G. 44 Dschulnigg, Peter 889 Dungan, David 52, 53, 492 Dunn, James D.G. 13, 29, 30, 31, 36, 37, 83, 84, 86, 48, 64, 97, 277, 289, 321, 323, 324, 434, 645, 664, 687, 693, 698, 703, 705, 706, 712, 715, 717, 723, 724, 729, 730, 745, 746, 747, 749, 765, 791, 799, 807, 809, 830, 838, 843, 863, 899, 921, 1033 Dutch, Robert 38, 104 Duvall, J.S. 189 Ebel, Eva 59, 86, 280, 284, 293, 295, 297, 302, 305, 311, 312, 313, 626, 632, 634, 739, 1029, 1030 Ebner, C. 275 Ebner, Martin 240, 241, 243, 247, 252, 253, 275, 591 Eckert, J. 389 Eckstein, Hans-Joachim 235, 236, 452, 455, 456, 457, 465, 467, 568, 571 Edelstein, Emma J. L. 637 Edelstein, Ludwig 637 Edgar, Thomas R. 792 Edwards, Catherine 275, 330 Edwards, Thomas Charles 417, 479, 661 Ehrenberg, Victor 878 Eichholz, Georg 50, 118, 123, 126, 129, 346, 500, 508, 519 Eisenhut, W. 275 Elbogen, Ismar 833 Elert, W. 346 Elliger, Winfried 14, 21, 94 Ellingworth, Paul 64, 71, 269 Elliott, J. Keith 71, 757 Ellis, E. Earle 52, 59, 112, 161, 522, 530, 644, 682, 709, 717, 843, 845, 1020 Ellison, H.L. 504 Elm, S. 405 Eltester, Walther 37
Engberg-Pedersen, Troels 621, 628, 629, 637, 652, 657 Engels, Donald 14, 15, 17 Engelsen, Nils I.J. 793 Enns, Peter 530 Enslin, Mortin Scott 405 Epstein, David F. 90, 302, 307, 313 Eriksson, Anders 474, 866, 957, 1016, 1018, 1033 Eßer, H.H. 66, 692, 810 Evans, C. A. 9 Falkenroth, U. 765 Fantham, Elaine 591, 603 Farina, Claudio 988 Fascher, Erich 62, 63, 118, 126, 127, 153, 156, 164, 166, 175, 223, 265, 294, 296, 341, 365, 368, 378, 391 Fauth, Wolfgang 329, 825, 957 Fee, Gordon D. 36, 48-51, 58, 63, 71, 73, 75, 76, 80, 82, 88, 89, 95, 97, 101, 103, 123, 125, 128, 133, 141, 143, 145, 147, 149, 150, 153, 155, 156, 161, 164-168, 175, 177, 187, 193, 201, 205, 207, 211, 212, 226, 227, 232, 234, 236, 241, 242, 244, 245, 255, 258, 260, 265, 267, 272274, 277, 278, 280, 282, 283, 284, 288, 289, 291, 298, 302, 305, 309, 311, 314, 321-323, 326, 327, 332, 341-343, 349, 351, 354-357, 360, 361, 365-368, 370, 372, 374, 376, 378, 379, 380, 384, 385, 392, 399, 400-404, 407, 408, 417, 418, 422, 434-437, 446, 447, 452, 453, 455, 458, 459, 464, 465, 467, 469, 472, 475, 476, 478, 479, 486, 488, 491, 493, 495, 499, 510, 516, 524-526, 528-531, 533, 535-537, 540, 542-544, 547, 559, 548550, 552, 553, 562, 569, 571, 572, 574, 582, 589, 596, 604, 607, 609, 613, 616, 626, 628, 631, 633, 634, 637, 638, 646, 648, 651, 654, 655, 660, 661, 663, 665, 666, 668, 670, 682, 683, 687, 689, 691, 692, 697-700, 702-704, 717, 720, 727, 729, 731, 732, 734, 739-741, 747, 750, 757, 758, 761, 771, 776, 777, 779, 789, 790, 792, 793, 795, 802, 805, 807, 811, 813, 821, 825, 829, 830, 833-835, 837, 838, 841, 842, 851, 863, 868, 869, 872, 873, 875, 877, 882, 883, 884, 893, 896,
Autorenverzeichnis 1099 ———————————————————————————————————— 898, 906-908, 924, 927, 929, 931, 933, 939, 942, 947, 948, 957, 977, 979, 980, 1001, 1003, 1005, 1008, 1010, 1014, 1017-1020, 1022, 1023, 1026, 1029, 1034 Fendrich, H. 902 Fenske, Wolfgang 41, 270, 282, 286, 288, 289, 297, 302, 307, 340, 342, 344, 348, 382, 474 Ferguson, Everett 636 Fiedler, P. 416, 418, 767 Filson, Floyd V. 211 Findlay, George G. 392, 417, 488, 504, 656, 682, 688, 874, 925, 942, 1003, 1005 Finkenrath, G. 294 Finsterbusch, Karin 189 Fiore, Benjamin 82, 194, 242, 243, 258 Fiorenza, Elisabeth Schüssler 89, 842, 843 Fischer, Karl Martin 39, 444, 723 Fishbane, Michael 780 Fisk, Bruce N. 336, 343, 344, 437, 571 Fitzer, Gottfried 479, 842 Fitzgerald, John T. 240, 242, 247, 248, 249, 250, 253, 254, 255 Fitzmyer, Joseph A. 64, 292, 374, 596, 610, 611, 636, 1026, 1032 Fjärstedt, Biörn 53 Flanagan, Neal M. 843 Flender, O. 811 Flury, Peter 951 Flusser, D. 389 Focant, Camille 680, 749 Föller, Oskar 715, 858 Foerster, W. 118, 447, 556, 636, 963, 1001, 1013 Follette, Laetitia 591, 603 Fontenrose, Joseph Eddy 708 Forbes, Christopher B. 599, 677, 684, 706, 707, 708, 709, 712, 713, 714, 169, 717, 720, 758, 761, 776, 786, 793, 797, 804, 816, 820, 837, 838, 844, 849, 931 Ford, J.M. 349, 351, 400, 417, 942 Foschini, Bernard M. 942 Fotopoulos, John 20, 329, 427, 430, 431, 433, 435, 446, 461, 463, 469, 474, 548, 567, 569 Fowler, Harold N. 438, 567 Frankemölle, Hubert 268 Frenschkowski, M. 706
Friedrich, J.H. 317 Friedrich, Gerhard 102, 126, 132, 277, 527, 706, 708, 709, 711, 743, 745, 801, 806, 838, 839 Frisch, Peter 511 Fujita, Shozo 192 Fürst, D. 668 Furley, W. D. 116 Funk, Robert W. 43 Furnish, Victor P. 30, 34, 48, 50, 201, 327, 335 Gäckle, Volker 20, 38, 427, 428, 431, 434, 438, 460, 548, 559, 880 Gärtner, Bertil 214 Gardiner, E. Norman 511 Gardner, Jane F. 275 Gardner, Paul D. 427, 437, 454, 474, 477, 496, 507, 522, 528, 531, 535, 541, 542, 548, 553 Garland, Billie Jean 590 Garland, David E. 20, 30, 38, 41, 58, 63, 64, 73, 74, 85, 87, 90, 103, 107, 121, 123, 125, 126, 128, 144, 150, 155, 156, 163168, 170, 175, 182, 187, 190, 194, 195, 201, 205, 206, 207, 209, 212, 214, 219, 231, 234, 240, 242-246, 257, 260, 262, 277, 281, 294, 296, 298, 302, 305, 308, 311, 321, 327, 331-336, 342-344, 351, 353-355, 357-360, 365, 366, 368, 375377, 379, 380, 382-384, 388, 392, 395, 396, 399, 400-403, 406, 410, 416, 418422, 429, 431, 432, 434-437, 439, 441, 444, 446, 451, 453, 454, 455, 458, 459461, 464, 465, 468, 469, 472-474, 477, 478, 480, 481, 485, 486, 488, 491-496, 499, 506, 508-511, 519, 523-531, 534, 535, 537-542, 540, 543, 544, 547, 548, 552, 553, 557, 558, 562, 563, 568-570, 572, 573, 574-576, 578, 585, 588, 596, 597, 602, 604, 605, 608, 610, 611, 613, 614, 620, 621, 628, 633, 634, 637, 638, 641, 648, 650, 651, 657, 661, 663, 665, 666, 670, 682, 684-689, 693, 698, 700703, 724, 728, 729, 731, 732, 734, 735, 737, 748, 750, 751, 755, 756, 758, 761, 769, 771, 779, 781, 790-792, 795, 796, 802, 803, 805-808, 811, 813-815, 817, 820, 821, 824, 830, 836, 837, 838, 841,
1100 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— 843, 845, 846, 847, 849, 852, 874, 881, 893, 897-899, 900, 906, 911, 921, 924927, 929, 931-934, 939, 942-944, 946, 948, 957, 959, 962, 964, 965, 969, 973, 974, 977, 979, 980, 982, 983, 986, 992, 1000, 1002, 1003, 1005, 1013, 1017, 1018, 1021, 1023, 1033 Garnsey, Peter 302, 305, 363 Gast, W. 106 Gaukesbrink, Martin 880 Gaventa, Beverly R. 187 Gayer, Roland 391, 392 Gebhard, Elizabeth R. 17 Gee, Donald 705 Gehring, Roger W. 1028, 1029 Gempf, Conrad 27 Gemünden, Petra von 192, 485, 959 George, Timothy 235 Georgi, Dieter 999, 1002, 1005 Gerhardsson, Birger 444 Gerlitz, P. 339 Giblin, Charles H. 443 Gielen, Marlies 588, 589, 596, 600, 602, 603, 605, 608, 609, 610, 611, 612, 614, 615, 619, 620, 925, 927, 1028, 1029 Giesen, H. 128, 468 Giesriegl, Richard 697, 701, 705, 706, 715, 741, 743, 744, 745, 746, 747, 748, 749 Gilchrist, J.M. 38 Gill, David W.J. 16, 18, 20, 438, 567, 589, 600, 601, 602, 619, 620, 739, 1019 Gillespie, Thomas W. 682, 689, 698, 700, 709, 740, 807, 838 Gillman, John 264, 977, 980, 984 Ginzberg, Louis 487 Glassmann, M.E. 670 Gleason, Maud W. 81, 91, 92, 151, 337 Gnilka, Joachim 197, 211, 886, 999 Godet, Frédéric 58, 64, 80, 103, 123, 142, 145, 161, 167, 171, 185, 194, 200, 242, 247, 280, 309, 311, 321, 343, 355, 366, 374, 376, 377, 385, 392, 395, 402, 406, 407, 417, 419, 426, 459, 468, 476, 478, 494, 507, 510, 527, 531, 538, 552, 571, 607, 664, 683, 698, 702, 771, 781, 782, 792, 805, 807, 813, 815, 820, 821, 822, 847, 873, 882, 896, 899, 905, 924, 928, 934, 942, 945, 946, 959, 965, 969, 974, 1003, 1009, 1013, 1023
Goette, Hans R. 600, 601 Görg, M. 556 Görgemanns, H. 213 Goetzmann, J. 794 Goldstein, H. 290 Gooch, Paul W. 456, Gooch, Peter David 427, 429, 430, 458, 568, 569, 574 Goppelt, Leonhard 533, 534, 549, 569, 595, 653, 662, 723 Gordon, J. Dorcas 351 Gordon, Richard 601 Graß, Hans 882, 887 Gräbe, Petrus J. 117, 132, 150, 156 Gräßer, Erich 654 Greeven, Heinrich 292, 598, 745, 748, 825, 838, 839, 840, 844, 853 Grözinger, Karl-Erich 833 Grosheide, Frederik W. 145, 156, 164, 175, 311, 327, 357, 402, 417, 476, 492, 541, 574, 698, 792, 930, 1013 Groß, W. H. 203, 260, 502, 600, 618, 620, 639, 641 Grudem, Wayne A. 596, 682, 684, 689, 706, 708, 709, 710, 711, 715, 716, 749, 752, 776, 777, 805, 816, 820, 821, 825, 838, 840, 843, 845, 847 Grundmann, Walter 57, 117, 144, 364, 401, 402, 635, 670, 928, 932, 1018, 1034 Gugel, H. 685 Gundry, Robert H. 717, 804 Gundry-Volf, Judith M. 77, 235, 284, 317, 356, 465, 510, 518, 596, 608, 614, 668, 669 Gunkel, Hermann 747 Guthrie, William K. C. 81, 135 Haacker, Klaus 26, 57, 211, 744, 778, 900 Habermann, Jürgen 450, 522, 524, 527 Hafemann, Scott J. 48, 240, 248, 472 Hahn, Ferdinand 57, 97, 144, 240, 289, 322, 350, 544, 549, 553, 656, 695, 697, 744, 829, 876, 877, 939, 1000 Hahn, H. C. 766 Hahn, Ulrike 21, 591 Hainz, Josef 279, 550, 552, 555, 578, 741, 1016 Hales, Shelley 641 Hall, B. 41, 472, 563
Autorenverzeichnis 1101 ———————————————————————————————————— Hall, David R. 242 Hall, Robert G. 387 Halter, Hans 96, 321, 527, 529 Harnack, Adolf von 741, 742, 902 Harrill, J. Albert 392, 393, 394 Harris, Gerald 277 Harris, Harold A. 511, 513 Harris, Murray J. 24, 29, 30, 38, 67, 211, 226, 346, 347, 391, 392, 395, 667, 871, 985 Harris, William 761 Harrison, James R. 65, 66, 402, 692, 693 Harrisville, R.A. 472, 682 Hartman, Lars 97, 715 Hartmann, E. 319, 339 Hartwig, Charlotte 39, 47 Hasenhüttl, Gotthold 705 Hasler, Victor 847 Hatton, H.A. 64, 71, 269 Haubeck, Wilfrid 346, 347, 395, 880 Hauck, Friedrich 196, 253, 255, 287, 318, 339, 359, 455, 550, 555, 902, 992 Haufe, G. 803, 811 Hauger, Martin 971 Hausmaninger, Herbert 373 Hauspie, Katrin 11 Hays, Richard B. 37, 41, 120, 147, 149, 170, 174, 193, 222, 228, 279, 281, 283, 284, 297, 298, 300, 305, 308, 332, 343, 351, 357, 365, 379, 380, 392, 400, 406, 416, 418, 447, 457, 458, 459, 466, 467, 472, 486, 487, 488, 506, 507, 522, 525, 526, 533, 534, 535, 536, 539, 553, 554, 557, 571, 575, 584, 588, 595, 621, 626, 628, 635, 637, 648, 652, 654, 660, 670, 673, 674, 677, 682, 683, 687, 700, 729, 732, 734, 735, 750, 751, 757, 761, 771, 781, 786, 795, 802, 819, 825, 826, 842, 861, 863, 882, 884, 910, 911, 919, 921, 925, 931, 933, 942, 957, 965, 986, 994, 1015, 1017, 1022, 1032, 1034, 1036 Heckel, Ulrich 118, 254, 704, 810 Hegermann, H. 132, 654 Heil, Christoph 41, 42, 427, 428, 506 Heiligenthal, Roman 196, 209, 211, 212, 479, 766 Heininger, Bernhard 897 Heinrici, C. F. Georg 36, 39, 81, 88, 89, 95, 101, 103, 127, 128, 140, 141, 145, 150,
151-153, 156, 162, 164, 167, 170, 171, 173-175, 201, 209, 211, 226, 236, 242, 245, 247, 280, 284, 291, 304, 305, 308, 315, 321, 322, 327, 357, 365, 366, 374, 377, 380, 391, 395, 400, 401, 404, 415, 417, 419, 420, 438, 439, 447, 465, 467, 475, 477, 478, 480, 491, 495, 496, 504, 506, 510, 517, 527, 533, 539, 549, 552, 572, 578, 589, 607, 610-613, 633, 636, 638, 682, 683, 697, 698, 702, 704, 715, 735, 747, 771, 772, 777, 779, 792, 793, 802, 805, 807, 811, 823, 836, 838, 840, 844, 851, 872, 899, 910, 925, 930, 931, 934, 939, 942, 945, 950, 957, 960, 961, 963, 965, 968, 973, 981, 988, 1003, 1005, 1009, 1014, 1029, 1032, 1034 Heitmüller, Wilhelm 36, 97 Hempelmann, Heinzpeter 882, 896 Hengel, Martin 114, 128, 129, 130, 253, 830, 831, 833, 862, 877, 878, 880, 881, 882, 895, 898, 900, 934, 937, 968, 980, 981, 987, 988, 993, 994 Henry, Alan S. 739 Henten, G. W. van 505 Herrmann, K. 444 Herter, Hans 319, 339, 618, 619 Heth, William A. 422 Hezser, Catherine 198 Héring, Jean 40, 77, 150, 230, 265, 278, 359, 365, 378, 417, 434, 447, 472, 493, 548, 574, 663, 705, 792, 796, Hierzenberger, Gottfried 411 Hill, Andrew E. 725 Hill, David 706, 708, 709, 791 Hine, Virginia H. 857 Hinz, Christoph 566 Hock, Ronald F. 24, 492, 295 Hodge, Charles 60 Hodgson, Robert 240 Höcker, Chr. 203 Hoehner, Harold W. 831 Hönle, A. 248 Hoffmann, Paul 960 Hofius, Otfried 67, 103, 118, 176, 434, 628, 629, 633, 637, 638, 649, 650, 651, 652, 653, 654, 656, 657, 661, 663, 670, 879, 880, 881 Hofmann, Johann Christian Konrad 59, 68, 80, 103, 128, 164, 167, 175, 383, 407,
1102 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— 481, 527, 541, 670, 704, 924, 942, 1013, Hofmann, Karl-Martin 1026 Hoheisel, K. 319 Holford-Strevens, Leofranc 151 Holl, Karl 742, 914 Hollander, Harm W. 142, 175, 205, 209, 321, 380, 422, 765 Holleman, Joost 863, 909, 911, 919, 924, 925, 929 Holloway, Joseph O. 189 Holmén, Tom 374 Holtheide, Bernard 56 Holtz, T. 890, 966, 986 Hooker, Morna D. 187, 242, 371, 610, 831 Horbury, William 57 Horn, Friedrich W. 80, 177, 192, 529, 677, 681, 682, 731, 761, 801, 820, 851, 988 Horrell, David G. 20, 27, 392 Horsley, Richard A. 36, 80, 161, 355, 434, 457, 554, 628, 636, 637, 670, 685, 759, 911 Horst, Pieter W. van der 765, 949 Horstmann, A. 213 Hotze, Gerhard 169, 240, 241, 247 Houser, J. Samuel 340 Hout, Gijsbert E. van der 899 Hübner, Hans 118, 180, 192, 204, 290, 295, 346, 350, 448, 618, 656, 723, 831, 933, 934, 935, 968 Hübner, U. 641 Hugedé, Norbert 438, 441 Hurd, John C. 30, 64, 31, 39, 96, 327, 428, 458, 869 Hurley, James B. 588, 845 Hurtado, Larry W. 49, 57, 64, 65, 133, 450, 688, 877, 1033 Hutson, Christopher R. 1012, 1013 Hutter, M. 556, 825 Iber, Gerhard 749 Instone Brewer, David 192, 286, 362, 373, 116, 117, 374, 378, 379, 149, 421, 422, 485, 486, 487, 488, 489, 490, 568, 649, 653, 812 Isaksson, Abel 588, 611 Iwand, Hans Joachim 173 Jaquette, James R. 719, 857
Jensen, Joseph 293 Jeremias, Joachim 100, 161, 288, 289, 365, 377, 380, 381, 384, 484, 528, 644, 648, 649, 650, 653, 656, 706, 877, 879, 890, 942, 948, 973, 977, 980, 981, 1011 Jervell, Jacob 154, 608 Jervis, L. Ann 843 Jeske, Richard L. 522 Jewett, Robert 40, 62, 88, 439, 723 Jobes, Karen H. 825 Johanson, Bruce C. 816, 820 Johnson, Franklin P. 600 Joly, Robert 759 Jones, F. Stanley 394, 575, Joubert, Stephan 999 Judge, Edwin A. 27, 158, 912 Jüthner, Julius 511, 512, 804 Junack, Klaus 53, 54, 56 Kähler, Christoph 641 Kähler, Else 843, 844 Käsemann, Ernst 36, 37, 82, 137, 144, 165, 169, 176, 216, 279, 281, 335, 517, 549, 631, 652, 657, 661, 663, 664, 677, 693, 716, 723, 728, 731, 740, 742, 743, 752, 863, 888, 910, 959, 972 Kaiser, Otto 949 Kammler, Hans-Christian 80, 81, 87-89, 90, 93, 95, 96, 98, 101-105, 108, 111, 114, 116, 118-124, 126, 128, 130, 131, 133, 134, 140-143, 145, 146, 149, 150-156, 160-180, 185, 186, 187, 189 Karrer, Martin 653, 654, 137, 888, 889 Karwiese, S. 1010 Kaser, Max 226, 275, 305, 306, 373, 391, 393, 394, 404, 418, 421, 590, 591, 603, 604, 954 Kaspar, Arul Samy 230, 231, 232, 695 Kaster, Richard A. 590 Kautzsch, Emil 119 Kearsley, Rosalinde A. 1011 Keener, Craig S. 319, 378, 611, 843, 847, 848 Kelly, John M. 302 Kennedy, George A. 46 Kennel, Gunter 831, 832, 833 Kent, John Harvey 15, 16, 17, 18, 20, 21, 23, 96, 141, 232, 330, 363, 461, 567, 739 Ker, Donald P. 201
Autorenverzeichnis 1103 ———————————————————————————————————— Kerferd, George B. 81 Kerst, R. 434 Kertelge, Karl 146, 744 Kessler, Hans 886 Kim, Chan-Hie 1003 Kim, Seyoon 132, 494 Kim, Young Kyu 53 Kinneavy, James L. 157 Kirchhoff, Renate 327, 331, 332, 335, 336, 338, 339, 341, 343, 344, 728 Kistemaker, Simon J. 796, 822, 843, 847 Kitzberger, Ingrid 202, 205, 440, 794, 805 Klaiber, W. 294, 887 Klappert, Berthold 877 Klassen, William 106, 1029 Klauck, Hans-Josef 40, 43, 80, 100, 103, 142, 156, 163, 179, 197, 242, 281, 282, 293, 305, 312, 321, 343, 377, 378, 380, 400, 402, 428, 438, 446, 447, 455, 464, 465, 478, 479, 481, 482, 486, 488, 491, 493, 494, 510, 522, 529, 549, 550, 552, 554, 572, 574, 576, 578, 588, 600, 626, 634, 636, 637, 638, 642, 644, 646, 647, 649, 651, 652, 653, 654, 660, 663, 664, 666, 668, 683, 701, 704, 705, 715, 723, 728, 731, 732, 734, 802, 807, 811, 820, 821, 833, 842, 870, 876, 894, 911, 912, 924, 929, 942, 949, 981, 988, 1003, 1005, 1012, 1014, 1026, 1028, 1030, 1032, 1033 Klausner, Th. 558 Klein, J. 106, 474 Klein, U. 800, 801 Klein, Walter C. 845 Klein, William W. 761 Kleinknecht, Karl Theodor 139, 240, 249, 599, 801 Kling, Christian F. 639 Klinghardt, Matthias 330, 550, 558, 627, 628, 629, 636, 637, 638, 640, 653, 663, 669, 670, 843, 844, 845, 853 Klinzing, Georg 207, 214 Klumbies, Paul-Gerhard 941 Knoch, Otto 88, 400, 787, 790, 870 Koch, Dietrich-Alex 119, 170, 222, 311, 432, 437, 438, 470, 486, 488, 522, 533, 567, 568, 648, 816, 817, 881, 933, 938, 950, 970, 985, 987, 1005 Koch, E. 211
Koch, G. 641 Kockel, Valentin 591, 592, 600 Köstenberger, Andreas 648 Kötting, B. 618, 619 Koet, Bart J. 538 Kollmann, Bernd 482, 523, 529, 627, 648, 661, 663, 668, 704 Konradt, Matthias 80, 81, 177, 195, 196, 197, 199, 200, 203, 205, 207, 208, 209, 211, 212, 213, 216, 234, 236, 237, 238, 274, 277, 278, 280, 281, 282, 283, 284, 295, 297, 299, 305, 307, 308, 311, 313, 317, 324, 427, 458, 459, 465, 518, 530, 535, 536, 538, 539, 542, 543, 544, 548, 549, 553, 557, 559, 569, 571, 572, 573, 626, 627, 635, 637, 638, 649, 652, 655, 657, 664, 668, 669 Kopfermann, Wolfram 699 Koskenniemi, Heikki 43, 122 Krämer, G. 793 Kramer, Werner 57, 73, 434, 876 Krapinger, Gernot 327, 339 Kratz, R. 661 Kraus, Hans-Joachim 934 Kraus, M. 106 Kraus, Wolfgang 24, 60, 61, 898 Kreitzer, Larry J. 65, 928, 934 Kremer, Jacob 38, 41, 76, 80, 95, 96, 103, 118, 128, 142, 147, 163, 166, 179, 180, 277, 280, 321, 380, 400, 402, 403, 455, 457, 465, 472, 481, 482, 485, 486, 491, 493, 495, 501, 503, 510, 539, 549, 554, 557, 571, 578, 626, 636, 648, 680, 682, 683, 698, 700, 701, 715, 728, 734, 739, 750, 756, 769, 771, 781, 792, 793, 796, 802, 805, 807, 811, 820, 838, 843, 847, 871, 872, 873, 877, 881, 882, 883, 884, 898, 905, 922, 924, 931, 957, 959, 965, 1018, 1022, 1023, 1024, 1025, 1029, 1032 Krenkel, W. 328 Kretzer, A. 115 Kritzer, R.E. 76, 232, 236, 252, 273, 274, 278, 281, 304, 310, 315, 318, 320, 338, 341, 343, 346, 354, 357, 359, 361, 368, 372, 373, 374, 386, 387, 389, 390, 393, 394, 395, 401, 403, 406, 408, 410, 411, 412, 415, 417, 418, 421, 422, 443, 444, 446, 454, 468, 483, 498, 578, 597, 608,
1104 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— 618, 619, 639, 668, 670, 695, 698, 711, 738, 745, 747, 748, 761, 764, 773, 778, 781, 795, 800, 811, 817, 835, 846, 848, 892, 894, 899, 901, 910, 913, 931, 945, 949, 958, 960, 961, 963, 982, 991, 997, 1002, 1004, 1009, 1010, 1018 Kroeger, Catherine Clark 596 Kroll, W. 1029 Kubo, Sakae 380 Kuck, David W. 37, 80, 190, 194, 196, 197, 199, 205, 206, 207, 208, 210, 211, 214, 234, 236, 237, 238, 244, 246, 247, 281, 669, 824, 863 Küchler, Max 605, 610, 611, 620 Kümmel, W.G. 74, 80, 96, 101, 124, 144, 164, 166, 170, 172, 174, 175, 391, 405, 408, 418, 420, 614, 646, 663, 741, 757, 844, 910, 927, 929, 952 Küng, Hans 887 Künneth, Walter 882, 887 Kuhli, H. 232, 233 Kuhn, Heinz-Wolfgang 114, 812 Kuhn, Karl Georg 544, 1032, 1033 Kuss, Otto 80, 86, 96, 118, 128, 1025, 1026, 1029, 1030, 1035 Kutsch, E. 654 Lacey, Douglas R. de 1001 Lambrecht, Jan 927, 939 Lampe, Peter 95, 626, 627, 629, 636, 637, 639, 640, 650, 651, 656, 657, 663, 671, 1028 Lanci, John R. 22, 203, 209, 212, 215, 329 Lanczkowski, Günter 114 Landels, John G. 832 Lang, Bernhard 654 Lang, Friedrich 41, 80, 95, 103, 126, 162, 163, 166, 172, 174, 175, 178, 180, 207, 208, 223, 274, 277, 278, 280, 281, 351, 376, 377, 379, 380, 385, 400, 402, 403, 413, 455, 457, 459, 464, 486, 490, 510, 529, 534, 549, 553, 569, 571, 573, 574, 578, 588, 589, 626, 648, 651, 660, 663, 668, 703, 705, 715, 728, 734, 735, 750, 756, 771, 772, 781, 782, 802, 807, 830, 869, 877, 883, 898, 899, 924, 928, 932, 939, 948, 960, 963, 965, 974, 977, 1017, 1034 Larsson, Edvin 262, 973
Lassen, Eva M. 157, 268 Latte, K. 318 Lattke, M. 715, 913 Laurentin, René 857 Lausberg, Heinrich 105, 155, 229, 242, 383, 562, 565, 595, 852 Lautenschlager, Markus 120, 121, 198 Lehmann, Karl 877, 884 Leipoldt, Johannes 130 Leith, J.H. 301 Levine, Lee I. 22, 787, 833 Levinskaya, Irina 22 Lewis, Scott M. 929 Légasse, S. 186, 778 Lichtenberger, Hermann 208, 513, 648, 654, 801 Liefeld, Walter L. 847 Lietzmann, Hans 64, 80, 85, 101, 103, 104, 128, 131, 141, 145, 147, 150, 154, 156, 160, 161, 164, 166, 167, 169, 170, 175, 200, 209, 211, 242, 255, 258, 274, 280, 281, 282, 291, 309, 327, 346, 350, 351, 358, 361, 364, 365, 376, 380, 391, 399, 400, 401, 404, 405, 415, 417, 437, 442, 465, 474, 476, 479, 480, 488, 491, 496, 507, 523, 524, 529, 530, 531, 533, 537, 542, 548, 553, 557, 568, 571, 574, 605, 610, 611, 629, 633, 635, 637, 646, 652, 656, 663, 665, 668, 674, 687, 697, 701, 702, 735, 739, 742, 750, 756, 762, 781, 802, 805, 811, 820, 821, 830, 836, 838, 843, 862, 869, 896, 898, 911, 921, 925, 927, 928, 934, 942, 944, 947, 960, 963, 965, 969, 977, 1005, 1026 Lieu, Judith M. 66 Lightfoot, Joseph Barber 73, 87, 96, 103, 123, 128, 141, 145, 151, 166, 167, 171, 175, 187, 200, 242, 276, 280, 309, 357, 380, 385, 392, 400, 417 Lim, T.H. 104, 149, 151 Lindemann, Andreas 20, 28, 36, 37, 39, 41, 44, 46, 47, 54, 59, 61, 63, 65, 67, 70, 71, 73, 75, 80, 82, 84, 85, 90, 95, 96, 100, 101, 103, 112, 121, 124-126, 128, 133, 139-144, 149-153, 155, 156, 162175, 177, 179, 180, 182-185, 187-197, 200-203, 205-214, 216, 219, 220, 224227, 229-232, 234, 236-239, 241-244, 245-247, 249, 251, 252, 254, 255, 257,
Autorenverzeichnis 1105 ———————————————————————————————————— 258, 260, 264, 266-269, 272-277, 279281, 284, 285, 290, 291, 294, 298, 302, 303, 305, 307-312, 314-317, 319, 321, 323, 327, 328, 331-338, 340, 344-346, 351, 353, 354, 357, 358, 360, 364-367, 370, 374-378, 380, 381, 384, 388-390, 392, 396, 399, 400, 402-405, 407, 408, 411, 412, 415, 416, 419-422, 428, 429, 432, 434, 436, 439, 440, 441, 446, 448452, 455, 456, 460, 461, 464, 465, 468, 469, 472, 474, 477-479, 481, 485, 486, 488-490, 491-493, 495, 496, 499, 501, 504, 506, 508-510, 513, 517, 518, 522, 524, 525, 527, 530-536, 538-542, 544, 547-552, 553, 557, 561, 562, 564, 565, 567-572, 574, 575, 577, 578, 580, 588, 593, 596, 598, 599, 600, 604, 605, 607, 608, 611, 613-617, 620, 621, 631-634, 636-640, 644-649, 652, 654, 656, 657, 659, 660-663, 665, 668, 670, 681-686, 693, 697, 701, 702, 704, 708, 712, 714, 723-725, 727, 728, 730-739, 741, 744, 748, 749, 751, 752, 755-765, 770-774, 776-779, 781-783, 789-792, 795, 799, 801-805, 807, 808, 811-816, 820, 823825, 828-830, 832, 836, 838-847, 851, 852, 871, 873, 874-877, 882, 891, 894, 895-897, 899, 903, 908, 911, 916-918, 920-923, 925-929, 931, 933, 934, 938, 939, 942, 943, 945-947, 949, 952, 957960, 962-964, 965, 969, 970, 977, 979, 980, 981, 983-988, 991, 998, 999, 10001002, 1004, 1005, 1009-1014, 1018, 1022, 1023, 1025, 1026, 1029, 1031, 1033 Link, H.-G. 604, 810, 932 Lips, Hermann von 49, 82, 84, 103, 123, 133, 150, 330, 163, 394, 412, 450, 692, 693, 694 Litfin, Duane 80, 81, 82, 103, 104, 105, 107, 116, 126, 149, 151, 152, 162 Llewellyn-Jones, Lloyd 589 Llewelyn, Stephen R. 43, 373, 392, 463, 608, 1000, 1001 Lösch, Stephan 588 Lövestam, Evald 1018 Lohmeyer, Monika 744 Lohse, Eduard 289, 703, 714, 732, 893, 921, 1010
Lorenzi, Lorenzo De 791 Louw, Johannes P. 231, 690 Lovekin, A. Adams 719, 856, 857, 858 Lüdemann, Gerd 36, 81, 205, 206, 235, 478, 490, 572, 882, 886, 893, 898, 899, 901 Lührmann, Dieter 46, 698, 799 Lütgert, Wilhelm 36 Luther, Martin 67, 68, 123, 134, 228, 235, 349, 366, 464, 481, 651, 682, 842, 906, 942, 946 Luz, Ulrich 267, 373, 522, 898, 925, 933 Mack, Burton L. 866 MacMullen, Ramsay 591 Maier, Friedrich W. 939 Maier, Johann 556, 833 Maier, Walter A. 842, 843 Malherbe, Abraham J. 43, 122, 947, 952 Malina, Bruce J. 293 Malony, H. Newton 719, 856, 857, 858 Maly, Karl 311, 436, 455, 554, 816 Mann, C.S. 687 Mare, W. Harold 538 Marquardt, Joachim 592 Marshall, I. Howard 282, 284, 347, 628, 637, 641, 645, 647, 663, 1004 Marshall, Peter 27, 244, 245, 490, 502, 509 Martin, Dale B. 67, 81, 134, 259, 395, 458, 473, 492, 735, 906, 910, 944 Martin, Ralph P. 749, Martin, William J. 588 Martyn, J.L. 87, 90, 110 Mattern, Liselotte 199, 211, 281, 668, 669 Maurer, Chr. 87, 235, 634, 934 Mayer, Bernhard 124, 311 Mayordomo, M. 905, 906 McArthur, H.K. 884 McGinn, Thomas A.J. 603 Meeks, Wayne A. 522, 535, 626, 821, 1001, 1023 Meggitt, Justin J. 27, 458 Meier, John P. 482, 890 Mell, Ulrich 754, 782 Menzies, Robert P. 720 Meritt, B. D. 511, 564 Merk, Otto 44, 126, 166, 356, 571, 574, 844, 854 Merkel, F. 966
1106 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Merklein, Helmut 20, 27, 31, 32, 35, 36, 38, 39, 41-44, 58, 61-63, 67, 69-78, 80, 82, 84, 85, 90, 96, 101, 103, 111, 112, 115, 118, 123, 126, 128, 130, 131, 141, 144, 145, 147, 150, 152, 154, 156, 163, 164, 167-169, 171-175, 178, 179, 182, 185, 187, 193-197, 201, 204-207, 209-212, 214, 216, 219, 220, 223-227, 229-233, 235-238, 241-249, 255, 257-260, 262, 264, 265, 266, 267, 270, 271, 273, 274, 276, 277, 279, 280, 282-284, 289-292, 294, 298, 302, 305, 307-313, 315, 316, 320-324, 332-335, 338, 340-342, 345347, 351, 359, 360, 362, 364, 365, 366, 367, 370, 372-375, 377-380, 382-386, 388, 389, 392, 393, 395-397, 400-403, 405-407, 409, 412, 413-416, 418, 420422, 425, 427, 428, 430, 432, 434, 440450, 453, 456, 459-461, 463-465, 468, 469, 472, 477-482, 485, 486, 491-493, 495, 497, 499, 500, 502, 504, 506, 510, 516-518, 521, 523-525, 527-529, 531, 535-537, 539-542, 548-553, 557, 558, 561, 565, 567-571, 572-580, 582, 584, 586, 614, 644, 650, 723, 724, 730, 799 Mette-Dittmann, Angelika 275, 276, 591, 603 Metzger, Bruce M. 71, 85, 140, 150, 164, 184, 257, 272, 273, 285, 314, 333, 337, 353, 370, 399, 436, 452, 453, 475, 476, 524, 525, 547, 564, 616, 646, 659, 692, 757, 828, 829, 868, 907, 908, 957, 979, 1026, 1027 Metzner, Rainer 511 Meurer, Siegfried 302, 310 Meyer, Heinrich A.W. 36, 74, 101, 103, 120, 123, 127, 141, 145, 151, 156, 161, 164, 167, 168, 171, 173, 174, 187, 206, 242, 277, 309, 321, 322, 365, 366, 374, 385, 387, 396, 400, 419, 420, 422, 441, 447, 474, 488, 493, 498, 517, 539, 544, 552, 571, 633, 697, 698, 732, 734, 735, 771, 777, 779, 782, 792, 793, 802, 805, 807, 811, 822, 823, 837, 838, 840, 847, 872, 893, 899, 925, 930, 934, 939, 942, 945, 960, 961, 965, 973, 1003, 1005, 1009, 1010, 1014, 1029, 1032, 1034 Meyer-Maly, Th. 311 Michaelis, Wilhelm 24, 193, 262, 263, 264, 265, 732, 751, 774, 779, 886, 887, 1002
Michel, Otto 102, 170, 232, 234, 541, 720, 793, 794, 795, 800 Mildenberger, F. 887 Miller, Stephen G. 511, 516 Mills, Watson E. 856 Minde, H. J. van der 443 Minnerath, Roland 889 Mitchell, Alan C. 302, 308 Mitchell, Margaret M. 31, 35, 41, 46, 57, 82, 84, 87, 88, 90, 96, 112, 188, 201, 281, 354, 429, 436, 472, 474, 523, 531, 542, 593, 634, 724, 748, 755, 769, 841, 843, 903 Mitchell, Matthew W. 899 Mitchell, Stephen 445, 566, Moffatt, James 66, 144, 244, 380, 383, 392, 403, 405, 417, 453, 467, 688, 743, 832, 852, 948, 1018, 1019, 1023, 1030 Mommsen, Theodor 275, 946 Moretti, Luigi 511 Morisette, Randolphe 973 Morris, Leon 175, 185, 327, 417, 538, Mosheim, Johann Lorenz von 302, 572 Mosiman, Eddison 856 Moule, C.F.D. 144, 1033 Mounce, William D. 194, 264 Munck, Johannes 80, 94, 104, 120, 141, 999 Mühlen, Heribert 858 Müller, Carl Werner 172 Müller, Karl 865, 959, 965, 973, 982, 984 Müller, Karlheinz 118, 123, 128 Müller, P.-G. 698 Müller, Ulrich B. 44, 46, 61, 86, 698, 706, 709, 710, 793, 824, 838, 886 Müller, Werner 203 Müntzer, Thomas, 586 Murphy-O’Connor, Jerome 14, 17, 20, 21, 26, 41, 59, 329, 343, 376, 380, 392, 417, 427, 434, 443, 453, 454, 459, 464, 571, 574, 582, 588, 589, 593, 600, 611, 626, 639, 725, 761, 821, 842, 893, 894, 896, 942, 999, 1006 Murray, Chr. 134 Muth, Robert 446, 493, 556 Nabers, Ned 18 Narcy, M. 81 Neander, August 245, 322, 820 Neirynck, Frans 495 Neuenzeit, Paul 661, 662, 663
Autorenverzeichnis 1107 ———————————————————————————————————— Neugebauer, Fritz 144 Neumann, A. R. 801 Newman, Carey C. 885 Newton, Derek 427, 430, 437, 441, 444, 472, 531, 535, 557, 559, 575, 580, 582 Newton, Michael 297 Neyrey, Jerome H. 553 Niccum, Curt 828, 829, 843 Nickel, Rainer 622 Nickelsburg, George W.E. 899 Niebuhr, Karl-Wilhelm 47, 294, 331, 900, 901, 1010 Nold, Andrea 592 Novak, David 389 Noy, David 22 Nützel, J.M. 242, 825 O’Brien, Peter T. 69, 72, 74, 77, 321 O’Donovan, Oliver 48 Odell-Scott, David W. 843 Oepke, Albrecht 97, 98, 115, 144, 405, 527, 531, 685, 729, 841, 913, 926, 927, 942, 983 Ogden, Daniel 590 Ollrog, Wolf-Henning 59, 80, 190, 197, 201, 264, 482, 1023 Olshausen, Hermann 280, 301, 383, 439, 633, 656, 663, 670, 822, 901, 928 Oppermann, S. 511, 592, 601 Oropeza, Brisio J. 427, 524, 525, 527, 528, 535, 542, 557, 574 Orr, William F. 365, 388, 446, 539, 688 Osburn, Carroll D. 524 Osten-Sacken, P. von der 900 Oster, Richard E. 356, 463, 574, 588, 589, 725, 805, 1010 Ostmeyer, Karl-Heinrich 527, 533, 534 Packer, James I. 858, 859 Padgett, Alan 600, 610, 611 Paige, Terence 683, 684, 685, 686, 844 Painter, John 37 Panayotov, Alexander 22 Pao, David W. 69, 71 Papathomas, Amphilochios 307, 308, 310, 315, 361, 410, 506, 511, 512, 513, 515, 516, 518, 823, 966 Park, Heon-Wook 723, 728, 740 Parry, R. St. John 417
Pate, C. Marvin 133 Patsch, H. 97, 254, 289, 549, 652, 653, 810, 879 Patte, Daniel 687 Patterson, Stephen J. 170 Paulsen, Henning 383, 617, 634, 635 Paulus, Chr. 311 Payne, Philip B. 828 Pearson, Birger A. 36, 161, 972 Peek, Werner 949, 987 Pelagius 682 Peppermüller, R. 246 Percy, Ernst 724 Perriman, Andrew C. 144, 588, 596, 597 Pesch, Rudolf 24, 40, 58, 84, 482, 637, 644, 889, 1004 Pesch, Wilhelm 197, 199 Peterman, Gerald W. 339, 492 Peterson, David G. 599 Petzer, Jacobus H. 757, 758, 842 Petzl, Georg 667 Pfammater, J. 793 Pfister, F. 685 Pfitzner, Victor C. 512, 513 Phillips, C.R. 437 Phipps, William E. 365 Pickering, S.R. 53 Pickett, Raymond 38, 80, 126, 139 Plank, Karl A. 240 Plassart, André 26 Plevnik, Joseph 929, 932 Plümacher, E. 318 Plummer, Alfred 76, 80, 103, 123, 128, 141, 145, 160, 161, 166, 168, 187, 200, 204, 209, 213, 219, 224, 242, 277, 278, 290, 294, 322, 327, 333, 340, 344, 345, 374, 380, 392, 401, 403, 417, 421, 422, 434, 455, 457, 459, 472, 479, 486, 489, 490, 493, 498, 507, 524, 530, 533, 535, 537, 541, 542, 548, 554, 569, 571, 610, 616, 634, 636, 648, 662, 666, 682, 683, 688, 698, 704, 727, 740, 750, 761, 770, 780, 781, 782, 802, 805, 813, 820, 821, 837, 839, 841, 862, 871, 872, 874, 882, 915, 939, 942, 945, 959, 965, 969, 971, 974, 1003, 1005, 1008, 1014, 1030 Pobee, John S. 254 Pogoloff, Stephen M. 38, 45, 82, 103, 104, 120, 149, 150, 155
1108 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Pohlenz, Max 616 Polhill, John B. 80 Pomeroy, Sarah B. 589, 590 Ponsot, H. 170 Popkes, Wiard 115, 188, 286, 539, 555, 647, 648, 766, 879, 932 Poplutz, Uta 511, 512, 513, 514 Porsch, F. 823 Porter, Stanley E. 144, 341 Poythress, Vern S. 857, 858 Pratscher, Wilhelm 492, 715, 895 Preuß, Horst Dietrich 560, 608, 654, 706, 707, 918, 1031 Prior, David 296 Probst, Hermann 40, 43, 427, 428, 439, 443, 513, 529, 553, 557, 680 Procksch, Otto 146 Proctor, John 204, 208 Ptassek, P. 106 Pucci Ben Zeev, Miriam 563, 564 Quasten, Johannes 832 Quell, G. 64, 654 Rad, Gerhard von 541, 608, 706 Radermacher, Ludwig 354 Raditsa, Leo F. 275, 276, 603 Radl, Walter 87, 871, 926 Radt, Wolfgang 641 Räisänen, Heikki 389 Ramsay, William M. 27 Rebell, Walter 702, 705 Reden, S. von 253 Reed, Jeffrey T. 46, 69 Reiling, J. 161 Reinbold, Wolfgang 25, 482, 502, 503, 889 Reinmuth, Eckhart 248, 294 Reinmuth, O.W. 511 Rengstorf, K.H. 57, 125, 231, 232, 346, 407, 744, 745, 820 Richards, E. Randolph 55 Richardson, Leopold J. D. 231 Richardson, Neil 64, 434 Richardson, Peter 302, 312 Riesenfeld, Harald 389, 489, 879, 880, 959 Riesner, Rainer 15, 23, 24, 26, 56, 745, 871, 881, 1009 Rigato, Maria Luisa 611 Rilling, H. 996
Rissi, Mathias 315, 824, 923, 942 Ritt, H. 850 Ritz, H.-J. 963 Rix, H. 56 Roberts, Colin 634 Robertson, Archibald 76, 80, 103, 123, 141, 145, 160, 161, 166, 168, 187, 204, 209, 213, 219, 224, 242, 277, 290, 294, 322, 327, 333, 340, 344, 374, 380, 392, 401, 403, 417, 421, 434, 455, 457, 459, 472, 479, 486, 490, 493, 498, 507, 524, 530, 533, 537, 541, 542, 548, 554, 569, 571, 616, 634, 636, 648, 662, 666, 682, 688, 698, 704, 727, 740, 750, 761, 780, 781, 782, 802, 805, 813, 820, 837, 839, 841, 862, 871, 872, 874, 915, 939, 942, 945, 959, 965, 969, 974, 1003, 1005, 1008, 1014, 1030 Robinson, James M. 69, 144, 170 Roebuck, Carl Angus 96, 463, 704, 725 Röhser, Günter 699, 715, 716, 717 Roetzel, Calvin J. 277, 542, 669 Rohde, J. 1021 Roller, Otto 56 Roloff, Jürgen 24, 57, 60, 64, 144, 193, 215, 282, 526, 577, 628, 637, 654, 664, 723, 724, 741, 742, 743, 744, 999 Romano, David G. 16, 17, 511, 512 Romilly, Jacqueline de 81 Rordorf, Willy 632, 1000, 1001 Rosner, Brian 47, 48, 52, 63, 112, 119, 147, 158, 170, 180, 192, 204, 208, 274, 278, 279, 286, 296, 297, 298, 311, 312, 316, 327, 328, 329, 330, 343, 350, 351, 356, 363, 377, 380, 388, 403, 485, 486, 487, 488, 523, 530, 536, 537, 538, 557, 569, 608, 611, 648, 703, 780, 817, 818, 819, 933, 934, 938, 986 Rowe, Arthur 843 Rowland, Chr. 926 Ruckstuhl, E. 895 Rückert, Leopold 749, 1016 Rüger, Hans Peter 1032 Rumpf, A. 641 Rupprecht, Hans-Albert 339, 718 Russell, Donald A. 151
128, 200, 278, 345, 422, 489, 535, 610, 683, 770, 821, 882, 971,
214, 663, 890,
120, 222, 303, 331, 384, 527, 609, 848,
Autorenverzeichnis 1109 ———————————————————————————————————— Rutenfranz, M. 798 Ruthven, Jon M. 775 Ruyt, Claire de 437, 567 Sänger, Dieter 112, 140, 713 Salzmann, Jorg Christian 626, 644, 787, 811, 831, 1000, 1026, 1033 Samarin, William J. 716, 719, 857 Sampley, J. Paul 341, 492, 750 Sand, A. 170, 183, 186, 188, 237, 405, 475, 491, 808, 918, 967 Sandelin, Karl-Gustav 531, 869, 911 Sanders, E.P. 14, 214, 322 Sandnes, Karl O. 480, 497, 706, 799, 816 Sandt, Huub van de 593 Schäfer, Klaus 59, 392, 812, 1030 Schaefer, M. 900 Schaller, Bernd 222 Schattenmann, J. 822 Schatzmann, Siegried S. 694, 704, 705, 741 Schelkle, K.H. 59, 253 Schenk, Wolfgang 40, 593, 755, 831, 894 Scherrer, Peter 1010 Schiefer-Ferrari, Markus 240 Schiemann, G. 318, 372, 373 Schiffman, Lawrence H. 374 Schimanowski, Gottfried 809, 830, 831, 911 Schirrmacher, Thomas 594 Schlatter, Adolf 63, 74, 75, 76, 77, 78, 80, 90, 103, 124, 126, 130-132, 140, 141, 144, 145, 146, 147, 152, 156, 163, 168, 173, 175, 178, 198, 205, 226, 227, 236, 238, 277, 278, 280, 311, 313, 315, 321, 327, 334, 338, 341, 359, 364, 379, 380, 381, 392, 411, 414, 416, 417, 439, 441, 447, 457, 465, 467, 476, 481, 486, 493, 496, 500, 501, 519, 529, 530, 533, 540, 542, 569, 589, 610, 611, 648, 655, 660, 661, 663-666, 682, 688, 702, 728, 731, 734, 736, 750, 753, 757, 762, 766, 770773, 781, 805, 809, 812, 820, 821, 830832, 840, 844, 847, 862, 872, 874, 893, 898-900, 902, 909, 911, 913, 915, 928, 930-933, 942, 953, 958, 959, 963, 965, 968-971, 977, 1005, 1014, 1017, 1018, 1029, 1030, 1032, 1034, 1035 Schlier, Heinrich 74, 104, 144, 172, 394, 501, 596, 634, 635, 723, 728, 811, 812, 833
Schmeller, Thomas 627, 638 Schmid, Ulrich 755, 988 Schmidt, K.L. 59, 167, 252, 389, 761, 764 Schmiedel, Paul Wilhelm 103, 120, 127, 162, 163, 309, 342, 350, 358, 364, 415, 441, 445, 447, 635, 682, 743, 755, 842, 917 Schmithals, Walter 37, 39, 40, 41, 62, 80, 104, 277, 428, 439, 442, 471, 525, 633, 642, 682, 687, 744, 755, 843, 863, 869, 909, 942, 1013 Schmitz, Thomas 81, 91, 92, 151, 223 Schnabel, Eckhard J. 14, 15, 18, 20, 23, 27, 36, 49, 56, 57, 59, 64, 93, 101, 132, 133, 151, 190, 232, 264, 267, 381, 389, 415, 427, 429, 445, 450, 481, 482, 485, 492, 495, 496, 500, 501, 502, 503, 505, 506, 509, 641, 688, 693, 744, 871, 889, 890, 893, 895, 898, 947, 998, 999, 1004, 1008, 1009, 1010, 1011, 1019, 1027, 1028 Schneemelcher, Wilhelm 895 Schneider, H. 209 Schneider, J. 739, 761, 899 Schneider, Gerhard 24, 120, 193, 209, 211, 231, 242, 252, 260, 346, 411, 437, 501, 540, 567, 695, 747, 748, 771, 815, 850, 952, 992, 1032 Schneider, K. 567 Schneider, Sebastian 665 Schnelle, Udo 36, 48, 61, 80, 144, 227, 240, 321, 323, 427, 434, 723, 950, 967, 998 Schnider, Franz 706 Schniewind, Julius 37, 677, 863, 942, 957 Scholz, Birgit I. 592 Schottroff, Luise 37, 442, 842, 843 Schrage, Wolfgang 14, 20-23, 27, 29, 31, 3539, 43, 44-47, 56-63, 66-80, 82, 84-89, 93-97, 101-104, 109, 111, 112, 114, 118, 119, 122-130, 133, 134, 137-146, 148-153, 156, 157, 159, 161-175, 177181, 184, 185, 187, 189, 190, 193-195, 197, 200-202, 204-207, 209, 211, 212, 214, 215, 217, 219, 223-234, 236, 237, 240-256, 258, 260-262, 264-268, 273275, 277, 279, 280, 282, 284, 285, 287291, 293, 294, 296-298, 300-312, 315325, 327, 328, 331, 332, 334, 335, 338350, 353-355, 357-362, 364-367, 369371, 373-380, 382-385, 389-392, 395,
1110 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— 396, 399-404, 406-411, 413-416, 418, 419-422, 427, 428, 432, 434-436, 438442, 444-448, 450-457, 459, 460, 461, 462, 464-469, 472, 474, 475, 477-481, 484-486, 488-506, 508-510, 513-519, 522-525, 527-535, 537, 540-542, 539, 541, 543, 548-553, 557, 561, 562, 565574, 576-578, 580, 588, 589, 593-596, 598, 600, 605-614, 616-618, 620-622, 626, 627, 631-639, 641-657, 660-670, 674, 677, 680-689, 692-698, 700-705, 708, 709, 712-715, 717, 721, 723, 724, 728, 730-735, 737, 738, 740-751, 755, 756, 758, 759, 761, 762, 764, 766-772, 774, 775, 777-783, 786, 788, 790-796, 799, 801-807, 809, 811-815, 819-823, 825, 828, 830-842, 845, 847, 848, 850853, 860, 862, 863, 865, 866, 868, 869878, 880, 882, 883, 884, 887, 889, 891, 893, 894, 896, 898, 900, 901, 903, 905, 907, 909-911, 914, 916, 917, 918, 920927, 929, 931-937, 939, 940, 942, 944950, 952, 957-961, 963-966, 968-975, 977-981, 983-988, 991, 992, 999, 10011005, 1009, 1010, 1012-1024, 1026, 1028-1031, 1034 Schramm, T. 479 Schreiber, Stefan 28, 45, 121, 156, 365, 703 Schreiner, Klaus 148 Schrenk, G. 123, 305, 571, 664, 616, 952 Schröter, Jens 190 Schubert, Paul 69 Schulz, Anselm 265 Schulz, Siegfried 268, 293, 338, 383, 391, 392 Schumacher, Leonhard 391 Schumacher, Rudolf 193 Schunach, G. 533, 543, 635 Schürmann, Heinz 700, 704, 706, 744, 745, 746, 747 Schweitzer, Albert 144, 371, 862, 909 Schweizer, Eduard 177, 183, 405, 663, 682, 689, 723, 728, 741, 742, 747, 752, 807, 851, 940, 967, 969, 973, 974, 977, 980 Scroggs, Robin 319, 596 Seaford, R. 685 Sebesta, Judith Lynn 591, 592, 603, 604 Seeberg, Reinhold 845 Seesemann, H. 189, 539, 769
Seidel, H. 809 Seitz, M. 902 Selb, Walter 373 Sellin, Gerhard 35, 36, 37, 39, 40, 80, 162, 163, 189, 242, 428, 522, 626, 842, 863, 869, 883, 899, 905, 909, 910, 911, 912, 915, 921, 924, 925, 929, 932, 937, 939, 942, 943, 947, 948, 949, 952, 956, 957, 958, 963, 964, 966, 967, 972, 973, 977, 980, 984 Senft, Christophe 40, 133, 211, 225, 309, 342, 374, 376, 377, 380, 388, 391, 402, 420, 422, 472, 478, 479, 486, 493, 510, 522, 524, 533, 549, 569, 589, 611, 660, 682, 696, 698, 703, 732, 734, 739, 750, 755, 756, 779, 802, 811, 842, 942 Sensi, Luigi 592 Sevrin, Jean-Marie 37 Shanor, Jay 203, 212, 215 Sherwin-White, A. N. 26 Shipp, George P. 759 Sider, Ronald J. 869, 911 Siede, B. 211 Siegert, Folker 135, 302 Sigountos, James G. 755, 757 Simonis, Walter 886 Smallwood, E. Mary 1005 Smit, Joop F.M. 80, 82, 83, 427, 430, 435, 439, 476, 479, 480, 511, 531, 535, 543, 548, 549, 552, 553, 554, 562, 571, 680 Soards, Marion L. 187, 280, 574 Soden, Hans von 37, 427, 572, 574, 677, 863, 910 Söding, Thomas 103, 427, 650, 654, 723, 768, 781, 782, 988, 989, 990 Sohm, Rudolf 742 Sokolowski, Franciszek 293 Solin, H. 56 South, James T. 282, 284 Spener, Philip Jakob 159, 236, 662, 842, 844 Spicq, Ceslas 203, 483, 534, 636, 756, 766, 767, 769, 771, 772, 778, 781, 795, 811, 822, 926, 1031 Spörlein, Bernhard 862, 910, 942, 973 Spoerri, W. 804 Staab, Karl 944 Stadelmann, Helge 797 Stählin, G. 255, 462, 468, 794, 795, 918, 1026, 1030, 1031
Autorenverzeichnis 1111 ———————————————————————————————————— Stahlmann, I. 328 Stambaugh, John E. 27 Stamps, Dennis L. 46 Standaert, Benoît 680 Stanley, Christopher D. 52, 119, 120, 170, 201, 222, 298, 475, 488, 592, 594, 817, 933, 938, 970, 985, 987 Standhartinger, A. 1029 Stegemann, Ekkehard W. 844 Stegemann, Wolfgang 844 Stemberger, Günter 522, 863, 959, 967 Stendahl, Krister 235 Stenger, Werner 69 Sterling, Gregory E. 80 Stillwell, Richard 438, 567 Stolz, F. 918 Stordalen, Terje 202 Stowers, Stanley K. 42, 43, 1003 Straten, Folkert T. van 725 Strecker, Christian 655, 921 Strecker, Georg 102, 115 Strelan, Richard E. 947, 1011 Strobel, August 93, 103, 123, 128, 142, 161, 163, 164, 168, 175, 178, 185, 207, 211, 237, 281, 282, 302, 309, 315, 391, 401, 402, 478, 485, 486, 494, 533, 539, 588, 626, 702, 728, 771, 781, 835, 840, 872, 923, 942, 1000, 1004, 1013, 1029 Stroud, Ronald S. 20, 96 Stuhlmacher, Peter 60, 61, 100, 102, 115, 163, 236, 240, 267, 350, 372, 383, 391, 392, 644, 645, 648, 656, 877, 880, 896, 928, 1032 Stumpff, A. 211, 766 Stumpp, Bettina Eva 339, 340 Sturgeon, Mary C. 515 Suhl, Alfred 28, 40, 276, 947, 998 Sullivan, Francis A. 693, 716, 858 Swain, Simon 151, 340 Swinn, S.P. 759 Synofzik, Ernst 207, 238 Taatz, Irene 43, 44, 59, 72, 85 Taeger, Jens-Wilhelm 114 Talbert, C.H. 688, 792, 843, 943, 1000 Tannehill, Robert C. 23 Theis, Joachim 80, 153, 160, 163, 175, 180 Theißen, Gerd 17, 20, 27, 37, 38, 89, 140, 162, 166, 232, 236, 302, 308, 315, 427,
438, 458, 460, 478, 603, 611, 626, 627, 634, 637, 638, 641, 653, 663, 687, 716, 717 Then, Reinhold 706 Theodoret 39, 242, 309, 380, 391, 417, 439, 528, 734, 822, 840, 841, 847, 868, 946, 1014 Thiele, F. 661, 766, 902, 918 Thielman, Frank 389, 989 Thiessen, Werner 193 Thiselton, Anthony C. 13, 15-17, 20, 26, 27, 30, 31, 34-39, 41, 42, 44-46, 56, 58-60, 62, 64, 68, 69, 71-76, 80, 85, 87, 89, 90, 95-97, 101, 103, 105, 107, 110, 112, 123, 125, 131, 139-141, 144, 149, 150, 153, 155, 161, 163, 164, 166, 170, 173, 175, 179, 181, 184, 185, 187, 195, 200, 201, 203, 207, 208, 211, 212, 216, 217, 220, 222, 223, 224, 231, 236, 243, 244, 245, 247, 257, 258, 259, 267, 268, 272, 277, 283, 291, 294, 296, 298, 300, 302, 307, 321, 332, 334, 337, 341, 344, 347, 351, 354, 356, 365, 366, 367, 370, 376, 379, 385, 391, 395, 396, 399, 400, 403, 407, 416, 418, 422, 426, 427, 429, 432, 436, 453, 454, 456, 472, 475, 481, 484, 486, 488, 492, 501, 503, 508, 510, 524, 531, 534, 535, 539, 542, 553, 571, 574, 588, 589, 595, 596, 604, 610, 613, 616, 626, 628, 637, 638, 648, 661, 663, 665, 666, 670, 671, 677, 682, 683, 684, 685, 687, 693, 698, 701, 710, 714, 715, 716, 717, 718, 724, 727, 731, 734, 735, 748, 750, 755, 757, 758, 761, 762, 771, 779, 786, 791, 792, 793, 796, 797, 805, 807, 811, 817, 820, 824, 830, 831, 833, 835, 841, 843, 845, 846, 847, 848, 850, 851, 852, 863, 866, 872, 874, 893, 894, 908, 910, 921, 924, 925, 931, 932, 933, 942, 946, 952, 957, 977, 979, 980, 982, 999, 1020, 1022 Thomas von Aquin 349 Thomas, J. 85, 794 Thomasson, B.E. 1027 Thompson, Cynthia L. 603, 619 Thornton, C.-J. 26 Thraede, Kurt 43, 1029 Thrall, Margaret E. 249, 260, 343, 392, 408, 613, 845
1112 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— Thüsing, Wilhelm 226, 434, 596, 607 Tiedtke, E. 913, 932 Tomlinson, R.A. 203 Tomson, Peter J. 274, 388, 429, 562, 575, 605, 844 Travis, Stephen 282 Treggiari, Susan 419, 603 Trepp, Leo 833 Trilling, W. 294, 873 Trobisch, David 41, 63 Trummer, P. 264 Tuckett, Christopher M. 170, 909, 910 Turner, Max M. B. 64, 393, 596, 599, 693, 694, 709, 710, 717, 720, 775, 792, 797, 804, 820, 854, 856, 857, 859
574,
692, 790, 858,
Unnik, Willem C. van 1034 Usami, K. 922 Vandoni, Mariangela 511 Veith, W. F. 105, 106 Verburg, Winfried 862, 866, 871, 884, 896, 899, 916, 921, 925, 931, 957, 966 Verheyden, Jozef 170 Versnel, Hendrik S. 685, 880 Veyne, Paul 274, 619, 638 Vielhauer, Philipp 36, 37, 39, 81, 677, 794 Vischer, Lukas 302 Vögtle, Anton 886, 939 Völkel, M. 665, 894 Vogler, Werner 1028 Volkmann, H. 390 Vollenweider, Samuel 38, 126, 382, 383, 392, 477, 502, 507, 508, 571, 572, 575 Vos, Craig S. de 38, 274, 277, 632 Vos, Johan S. 81, 82, 103, 104, 113, 135, 145, 154, 155, 162, 163, 175, 179, 185, 242, 680, 906 Voss, Florian 35, 37, 38, 121, 123, 124, 127, 128, 131, 133, 142, 145, 149, 150, 154, 155, 156, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 174, 175, 179 Vouga, François 44, 959 Vretska, K. 116 Waele, Ferdinand J. de 18 Wagner-Hasel, B. 318 Walbank, M.E.H. 15
Walker, William O. 161, 593, 755 Wallis, G. 442 Wallis, Wilber B. 928 Walter, Nikolaus 204, 552, 560, 571, 573, 797 Walters, James 15 Walther, James A. 365, 388, 446, 539, 688 Wanamaker, Charles A. 82, 161 Wander, B. 810 Wandrey, I. 505 Wanke, G. 556 Warfield, Benjamin B. 775 Waschke, E.-J. 863 Watson, Duane F. 562, 574, 866 Watson, Francis 611 Weber, Hans-Ruedi 111 Weber, Max 742 Wedderburn, Alexander J.M. 144, 245, 529, 685, 863, 909, 910 Weder, Hans 60, 96, 104, 110, 115, 118, 122, 128, 142, 152, 165, 314, 386, 437, 451, 460, 509, 684, 720, 743, 843, 853, 887 Wegenast, Klaus 595, 745, 814, 815, 884 Weigandt, Peter 100 Wegenast, K. 815 Weima, Jeffrey A.D. 1025, 1031 Weinfeld, Moshe 292, 654 Weiser, Anton 77, 83, 111, 113, 120, 219, 220, 303, 310, 386, 696, 1010 Weiss, Johannes 35, 36, 39, 40, 62, 73, 76, 80, 81, 82, 88, 89, 95, 96, 99, 103, 119, 123, 124, 127, 131, 142, 144, 145, 146, 147, 150, 151, 153, 155, 156, 161, 163, 164, 166, 167, 169, 170, 171, 173, 174, 177, 179, 200, 209, 224, 225, 227, 230, 234, 236, 241, 242, 247, 258, 260, 265, 277, 279-281, 288, 295, 302, 304, 321, 326, 327, 332, 338, 342, 350, 363, 365, 366, 371, 372, 374, 376, 379, 380, 382, 383, 386, 389-391, 394, 399, 400, 403, 405, 407, 415, 416, 417, 420, 427-429, 437-439, 442, 445, 447, 457, 464, 465, 471, 472, 474, 478-481, 486, 488, 490, 494-496, 499, 508, 518, 522, 527-531, 533, 537, 539, 540, 544, 548, 549, 553, 562, 569, 571, 574, 578, 589, 596, 610, 611, 613, 626, 635, 636, 638, 656, 661, 663, 665, 681-683, 687, 698, 705, 709,
Autorenverzeichnis 1113 ———————————————————————————————————— 715, 729, 731-735, 737, 739, 743, 747, 755, 756, 761, 762, 771, 772, 777, 779, 792, 793, 805, 807, 811, 820, 822, 836, 838, 842, 846, 851, 872-874, 882, 883, 899, 901, 905, 917, 918, 921, 925, 927, 928, 934, 939, 942, 947, 957, 959, 963, 965, 968, 970, 973, 977, 986, 987, 988, 1003, 1004, 1009, 1014, 1020, 1032 Weiss, Zeev 513 Weiß, Bernhard 171, 175, 333, 517, 732, 766 Weiß, H.-F. 745 Weiß, Wolfgang 125, 782 Welborn, Laurence L. 116, 243 Wendland, Heinz-Dietrich 80, 104, 123, 124, 127, 168, 174, 200, 321, 663, 743, 825, 959 Wengst, Klaus 434, 830, 876, 879 Wenham, David 52, 53, 267, 316, 372, 489, 494, 927, 928 Wenham, Gordon J. 422 West, Allen Brown 15, 16, 18, 21, 134, 567 Westermann, Claus 975 Westermann, W. L. 390 Wette, W. M. L. de 366, 550, 909 Wetter, Gillis P. von 692 White, John L. 26, 44, 69, 151 Wibbing, Siegfried 668, 766 Widmann, Martin 40, 161 Wiederkehr, Dietrich 131, 663, 959 Wiefel, Wolfgang 893 Wilcke, Hans-Alwin 928, 929 Wilckens, Ulrich 37, 63, 71, 80, 87, 88, 97, 101, 103, 115, 128, 132, 142, 144, 149, 154, 161, 163, 165, 169, 172, 174, 175, 176, 177, 187, 200, 211, 214, 242, 277, 280, 281, 291, 309, 311, 319, 339, 346, 389, 391, 400, 403, 460, 478, 479, 489, 506, 510, 534, 637, 664, 670, 687, 728, 750, 802, 852, 873, 876, 882, 886, 893, 939, 952, 960, 966, 967, 970, 989 Wiles, Gordon P. 69, 599 Wili, Hans-Urs 365 Wilk, Florian 816, 820, 825, 826, 985 Williams, Charles K. 15, 17, 18, 22, 329, 330, 438, 511, 567 Williams, Cyril G. 719, 856, 857 Williams, H. H. Drake 120, 158, 179, 192, 204, 214, 222 Willi, H.P. 765, 766
Willie, G. 809 Willis, Wendell Lee 427, 434, 461, 468, 472, 474, 531, 535, 542, 549, 551, 557, 562, 569, 571, 574, 578 Wilson, Robert McLachlan 37 Wimbush, Vincent L. 350, 411 Windisch, Hans 133, 286, 804, 1030 Wink, Walter 166 Winkler, M. 107 Winter , Bruce W. 13, 14, 15, 16, 17, 20, 21, 26, 27, 32, 38, 39, 45, 74, 75, 81, 82, 91, 92, 94, 95, 96, 98, 103, 104, 105, 107, 116, 117, 120, 121, 124, 125, 127, 128, 141, 142, 149, 151-155, 157, 166, 174, 186, 187, 188, 189, 195, 203, 214, 222, 223, 231, 242, 244, 245, 246, 249, 250, 253, 254, 255, 258, 268, 270, 275, 276, 277, 278, 281, 282, 287, 294, 302, 305, 307, 308, 309, 311, 313, 319, 327, 329, 330, 331, 351, 356, 361, 363, 365, 387, 392, 396, 403, 418-420, 430, 446, 460, 461, 537, 563, 564, 565, 566, 571, 588, 589, 591, 592, 603, 604, 605, 611, 612, 613, 617, 619, 621, 622, 628, 634, 637, 638, 650, 666, 671, 677, 687, 735, 759, 760, 778, 786, 863, 864, 911, 943, 947, 948, 950, 999, 1004, 1007, 1008, 1021 Winter, Martin 37, 160, 161, 165, 177, 185, 197 Wire, Antoinette Clark 356, 542, 605, 843 Wischmeyer, Oda 547, 702, 755, 757, 758, 759, 762, 764, 765, 768, 769, 770, 771, 773, 776, 778, 779, 781, 782, 783 Wiseman, James 14, 16, 17, 22, 92, 305, 437, 463, 639 Wißmann, H. 387 Witherington, Ben 20, 69, 80, 104, 112, 144, 165, 305, 323, 332, 351, 429, 437, 454, 458, 474, 543, 548, 554, 571, 574, 588, 601, 611, 634, 670, 688, 708, 781, 820, 843, 845, 847, 866, 926, 929, 931, 998, 1004 Wolbert, Werner 351, 392 Wold, Benjamin G. 447 Wolff, Christian 38, 80, 95, 96, 120, 126, 127, 141, 149, 150, 152, 162, 163, 165, 167, 168, 169, 172, 175, 179, 201, 205,
1114 Erster Korintherbrief ———————————————————————————————————— 213, 236, 238, 277, 278, 280, 281, 284, 291, 295, 304, 308, 315, 332, 365, 392, 400, 401, 402, 403, 406, 411, 413, 414, 418, 420, 422, 434, 441, 447, 455, 457, 464, 465, 467, 472, 478-481, 485, 486, 488, 491, 495, 506, 508, 510, 514, 518, 522, 523, 524, 525, 527, 529, 530, 531, 533, 534, 536, 537, 539, 541, 542, 549, 552, 553, 557, 561, 568, 569, 571, 573, 576, 578, 588, 593, 595, 596, 597, 599, 600, 601, 607, 608, 610, 611, 613, 617, 620-623, 626, 633-638, 641, 647, 648, 649, 652, 654, 656, 661, 662, 663, 664, 665, 666, 667, 668, 669, 670, 677, 682, 683, 687, 693, 696, 698, 699, 700, 701, 702, 703, 704, 705, 708, 711, 714, 715, 717, 723-725, 728, 730-732, 734, 735, 737-739, 741, 743, 747-749, 755, 756, 758, 761, 762, 763, 764, 765, 769, 770, 771, 772, 773, 774, 777, 779-781, 791793, 799, 802, 805, 807, 808, 811, 812, 822, 823, 831, 833, 835, 836-838, 840, 841, 843-847, 851, 852, 869, 871-874, 877, 878, 879, 882-884, 890, 894, 896900, 903, 909, 911, 915-918, 921, 923927, 929-931, 933, 934, 939, 942, 944, 947-950, 952, 957-960, 963, 965, 967971, 973, 975-977, 981, 984-988, 992, 998, 1000, 1001, 1003, 1004, 1005, 1010, 1013, 1016, 1017, 1023, 1024, 1026, 1029, 1030, 1034 Wolter, Michael 315, 432, 456, 571, 595, 872 Wood, Susan E. 591, 592 Wright, David F. 319
Wright, N. T. 37, 57, 62, 80, 236, 431, 863, 875, 877, 878, 880, 881, 882, 884, 898, 899, 900, 910, 911, 912, 916, 927, 939, 968, 971, 974, 977, 993 Yadin, Yigael 801 Yamauchi, Edwin M. 37 Yarbro Collins, Adela 281 Yarbrough, O. Larry 350, 351, 416 Yardley, John C. 330 Yeo, Khiok-Khng 36, 40, 427, 428, 430, 436, 443, 535 Yorke, Gosnell L.O.R. 723 Young, Frances 492 Zaas, Peter S. 294 Zaminer, Frieder 800, 801 Zayadine, Fawzi 437 Zeller, Dieter 65, 66, 412, 692, 693, 694, 901, 902 Zerbe, Gordon 316 Zimmerling, Peter 854, 856, 859 Zimmermann, Alfred F. 743, 745, 749 Zimmermann, Johannes 57, 934 Zimmermann, Mirjam 107 Zimmermann, Ruben 107 Zmijewski, J. 766 Zumstein, Jean 115 Zuntz , Günther 85, 113, 139, 140, 149, 150, 164, 183, 184, 257, 272, 273, 285, 314, 333, 337, 353, 370, 384, 435, 436, 453, 475, 476, 524, 525, 547, 559, 560, 564, 616, 630, 631, 646, 681, 691, 692, 727, 756, 757, 789, 790, 829, 868, 908, 979, 1007, 1016
Verzeichnis griechischer Wörter 1115 ——————————————————————————————————
3. Verzeichnis griechischer Wörter α γαπα' ω, α γα' πη 440, 758, 760 α»γγελος 127, 610 α γιασμο' ς 145, 146 α«γιοι 61 α»γω 684 α δελφο' ς 59, 86, 295, 312, 466 αιω' ν 121, 220 α κρασι'α 364 α λη' θεια 290 α να' γκη 57, 401 α νακρι'νω 234, 479, 824 α πα' γω 683, 684 α παρχη' 918 α ποκαλυ' πτω 171, 799 α ποκα' λυψις 70, 708, 799, 833 α πολυ' τρωσις 146 α ποστολη' 478 α πο' στολος 56, 101, 475, 477, 478, 479, 744, 901 α ρε' σκω 412, 578 α«ρπαξ 294, 318 βαπτι'ζω 97, 98, 728, 729, 730 βεβαιο' ω 76 γε' γραπται 118, 147, 169, 221, 241, 243, 475, 485, 816 γλω ^ σσα 713, 714, 717, 791, 802, 803, 833 γνω' μη 88, 398, 400 γνω ^ σις 37, 70, 73, 434, 439, 440, 453, 454, 757, 775, 799 δαιμο' νιον 445, 556 δει^ 514, 634, 932, 933 δει^πνον 564, 627, 628, 635, 636, 639, 640 δικανονι'α 678, 696, 1020, 1022 διδα' σκαλος 260, 265, 742, 745 διδα' σκω 127, 265, 745, 795, 841 δικαιοσυ' νη 145, 770 δοκιμα' ζω 635 δου^ λος 226, 231, 390, 395, 497 δυ' ναμις 104, 107, 111, 117, 125, 132, 133, 149, 266, 267, 280, 544, 705, 803, 931, 966, 988, 990 ει»δωλο' θυτα 436, 437, 439 ει»δωλον 294, 295, 443-445, 462, 555 εικω' ν 607, 975 ειλικρι'νεια 290 ειρη' νη 66, 199, 840, 841
ε κκλησι'α 52, 59, 60, 61, 131, 577, 642, 741, 783, 805, 821, 846, 900 ε»κστασις 684, 685, 708, 714, 715, 808 ε λε' γχω 823, 824 ε ν Χριστω ^, 61, 62, 143, 144, 145, 186, 251, 506, 916, 924, 1034, 1035 ε ξουσι'α 57, 333, 360, 456, 460, 461, 464, 472, 480, 490, 499, 565, 610, 931, 939 ε πισπα' ομαι 387 ευ αγγελι'ζω 103, 116, 127 ευ δοκε' ω 123, 532 ευ» σχημον 415 ζη^ λος 94, 188, 766 καταγγε' λλω 116, 152, 164, 494, 657 κενο' ς 913, 992 κενο' ω 105 κεφαλη' 596, 597 κηρυ' σσω 57, 116, 126, 127, 164, 795, 903 κλητο' ς 56, 57 κοιμα' ομαι 665, 894, 920 κοινωνι'α 70, 77, 78, 549, 551, 554, 555, 558 κοινωνο' ς 510, 555 κο' πος 196, 197, 200, 252, 902, 992 κο' σμος 122, 124, 221, 224, 307, 443, 668 κυ' ριος 63, 65, 225, 226, 384, 385, 447, 448, 647, 648, 656 λο' γος 70, 73, 103, 104, 112, 113, 114, 149, 150, 163, 164, 266, 267, 678, 679 μα' ταιος 915 μεριμνα' ω 412 μιμητη' ς 262 μισθο' ς 196, 197, 498 μυστη' ριον 71, 149, 153, 163, 167, 981 μωρι'α 111, 115, 117, 123, 124, 129, 177, 221, 560 μωρο' ς 111, 221, 249 νη' πιος 777, 778 νου^ ς 88, 179, 180, 599, 708, 792, 808, 809, 815 οικοδομη' 712, 793, 805 οικονο' μος 20, 141, 232, 233, 498, 739 οι κος 100, 202, 641, 1019 ο» νομα 63, 97, 99 παραδο' σεις 594, 595, 646 παρα' κλησις 794, 795 παρεδρευ' ω 416, 493
1116 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— πα' σχα 288 περιπατε' ω 189, 385 πι'στις 104, 157, 171, 763 πλεονεξι'α 294 πνευ^ μα 110, 158, 163, 172, 173, 807, 828, 840, 968, 971, 972, 1023, 1024 πορνει'α 273, 283, 296, 329, 357 πο' ρνη 327, 328, 338, 339, 342 προσευ' χομαι 598 προφητευ' ω 599, 706 σαρκικο' ς 490 σα' ρκινος 185 σκα' νδαλον 128, 129 σκανδαλι'ζω 468 σοφο' ς, σοφι'α 80, 93, 103, 104, 126, 127, 140, 141, 152, 155, 203 στα' διον 511 σταυρο' ς 105, 114, 115
συγκοινωνο' ς 510 σχι'σματα 42, 87 σχολα' ζω 361 σω', ζω 116, 117, 118, 509 σω ^ μα 279, 335, 342, 649, 650 τιμη' 270, 346 υ πηρε' της 231, 232 φρο' νιμος 250, 251 χαρι'ζομαι 692, 693 χα' ρις 65, 66, 72, 157, 692, 901, 990, 1004, 1034 χα' ρισμα 70, 72, 74, 75, 366, 692, 693, 694, 701, 751 Χριστο' ς 57 ψα' λλω 809, 831 ψαλμο' ς 809, 830, 831 ψευδο' μαρτυς 914 ψυχικο' ς 177, 922, 967, 968, 972, 974
4. Stichwortverzeichnis Aaron 214, 847 Abaton 463 Abbild 294, 295, 444, 606, 975 Abendmahl 552, 584, 587, 646, 662, 674, 675, 842, 1026 Abendmahl, s. auch Herrenmahl Abendmahlskelch 550 Abendmahlsliturgie 1031 Abendmahlspraxis 552 Abendmahlstexte 644 Abendmahlstradition 549, 558, 628, 644, 645, 646, 651, 655, 879 Aberglauben 130, 522, 994 Abfall 329, 439, 452, 560, 819 Abgesandte 611, 1016 Abhängigkeit 99, 214, 226, 228, 232, 593, 921 Ablehnung 159, 235, 259, 355, 463, 543, 562, 578, 832, 928, 1009 Abortus 899 Abraham 387, 731, 934 Absonderung 507, 570 Abstammung 553 Abstraktionen 446
663,
629,
497, 523,
Absurdität 97, 129, 195, 293, 302 Abtreibungsmittel 292 Abwaschung 322, 323 Abwertung 610, 796 Achaia 15, 17, 19, 26, 29, 264, 306, 412, 430, 461, 1019 Ackerfeld 181, 201, 221, 489 Adam 144, 299, 865, 877, 904, 905, 907, 916, 920, 924, 932, 936, 938, 939, 955, 956, 965, 967, 969–75, 989 Adiaphora 582 Ächtung 325, 543 Ädil 17, 20, 739 Älteste 280, 848, 1021 Äneas 601 Äther 915, 941 Affären 293 Agabus 363, 837 Agnostiker 953 Agone 511, 512, 514, 515 Agora 26, 310 Akklamation 65, 280, 627, 688 Akkommodation 504, 585 Akraia 19, 446
Stichwortverzeichnis 1117 —————————————————————————————————— Akrokorinth 14 Akropolis 14, 20, 248 Alexandria 1008 Alkoholgenuss 582, 952 Allegorie 201, 212 Allmacht 137, 544, 807 Alltag 48, 265, 297, 307, 323, 326, 344, 347, 385, 410, 457, 483, 485, 490, 498, 509, 514, 685, 745, 752, 840, 862, 872, 874, 954 Allversöhnung 924 Allwissenheit 237 Alphäus 895 Altar 437, 471, 493, 545, 554, 555, 559, 601 Amen 785, 792, 798, 811–12, 1033 Amos 76 Amphitheater 20 Amt, Ämter 16, 27, 44, 68, 127, 232, 238, 310, 438, 512, 519, 590, 706, 742, 743, 748, 834, 1021, 1025 Amtsräger 481, 743, 844, 926 Amtsbefugnisse 743 Amtsbruder 59 Amtsdiener 127 Amtsführung 235 Amtsverständnis 127 Anakoluth 337, 496, 633 Analogie 102, 172, 281, 341, 377, 527, 534, 620, 652, 728, 886, 958, 962, 964, 983 Anamneseformel 652 Anaphora 139, 656 Anathema 1031, 1032, 1033, 1035 Anatomie 419 Anbetung 47, 63, 428, 445, 546, 548, 598, 774, 858, 860, 861, 877, 946, 1019 Anbetungsgestus 825 Anbetungssongs 860 Ancyra 998 Andacht 719 Andronicus 481 Anekdote 92 Anerkennung 151, 442, 689, 717, 1019, 1021, 1022, 1024 Anfangslehren 187 Anfangsunterweisung 317, 877 Anfechtung 225, 253, 537, 544, 773, 937, 948 Anfeindungen 945 Angst 201, 265, 377, 409, 456
Angstruf 497 Anklagerecht 591 Anmaßung 621 Anpassung 271, 504, 505, 582 Anrufung 63, 598 Anschuldigung 77 Anspielung 52, 67, 129, 192, 242, 311, 312, 494, 557, 559, 683, 764, 819, 933, 934 Anstand 397, 415, 735, 767, 827, 828, 845, 850, 853 Anthropos 723, 973 Antichrist 134 Antiochien 23, 29, 254, 427, 482, 644, 742, 879, 998 Antithese 3, 82, 85, 95, 101, 110, 111, 123, 130, 163, 241, 249, 251, 254, 413, 770, 965, 967 Antityp(os) 527, 534 Apamea 1005 Aphrodite 14, 20, 21, 22, 96, 329, 339, 446 Apion 762 Apokalyptik 408, 919 Apokatastasis 924 Apollon 16, 19, 21, 438, 446, 546, 619, 685 Apollos 5, 29, 31, 32, 33, 34, 80, 82, 83, 89, 91, 93, 94, 95, 96, 109, 181, 183, 184, 189, 190, 193, 194, 200, 201, 202, 205, 208, 217, 219, 224, 229, 239, 241,232, 243, 246, 270, 491, 996, 1006, 1007, 1013, 1014, 1015, 1016 Apollosgruppe 80 Aposiopese 496 Apostasie 292 Apostel 23, 25, 45, 46, 50, 55, 67, 71, 80, 83, 86, 93, 99, 102, 110, 114, 126, 143, 146, 153, 169, 183, 185, 189, 195, 208, 210, 217, 219, 221, 223, 228, 237, 243, 246–56, 259, 262, 269, 310, 344, 355, 400, 407, 429, 456, 470, 472, 476, 487, 490–96, 498, 510, 516, 518, 520, 541, 579, 587, 631, 646, 658, 678, 709, 714, 717, 720, 722, 741, 744, 749, 807, 824, 851, 860, 864, 866, 888, 891, 896, 898, 900, 913, 918, 944, 993, 999, 1018, 1022, 1027, 1035 Apostelamt 67, 204, 478, 901 Apostelschaft 48, 477 Aposteltitel 56 Apotropie 832
1118 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— Appell 4, 615, 666, 734 Apuleius 247, 275, 305, 331 Aquila 23, 24, 25, 28, 29, 31, 89, 98, 193, 481, 816, 817, 947, 986, 1025 Aramäisch 64, 650, 651, 809 Arbeit 22, 23, 24, 29, 58, 150, 181, 183, 191, 195–201, 204, 210, 212, 216, 221, 252, 259, 413, 414, 477, 483, 489, 491, 498, 501, 509, 517, 519, 587, 746, 800, 902, 992, 1009, 1011, 1020 Arbeiter 142, 183, 192, 195, 203, 212, 484, 487, 489 Arbeitsscheu 483 Arbeitstiere 487 Arbeitsvertrag 484 Arbeitswelt 498 Arche 295 Architekt 182, 190, 203, 204, 205, 211, 236, 391 Aretalogie 755 Ariel 119 Arimathia 881 Aristarchus 1004 Aristeasbrief 386 Aristides 126, 558, 853 Aristoteles 65, 87, 100, 107, 135, 152, 259, 268, 290, 319, 379, 590, 713, 717, 725, 732, 800, 815, 1001 Arme, Armut 42, 49, 51, 143, 147, 222, 305, 486, 569, 626, 632, 642, 665, 666, 671, 674, 747, 753, 763, 953, 993, 999, 1019 Arroganz 240, 435, 441 Artemidorus 186, 590, 597, 947 Artemis 21, 446 Arztbesuch 738 Askese 355, 357, 515 Asklepios 5, 16, 20, 446, 463, 637, 704, 725 Assyrer 819 Astarte 22 Astralgottheit 21 Astrologie 994 Asyndeton 691, 692, 789 Athanasius 337, 1001 Atheisten 953 Athen 14, 23, 27, 29, 93, 151, 153, 264, 885 Athena 20 Athlet 511, 513, 514, 515, 516, 519, 520 Atrium 639, 641, 642,
Atriumhaus 5, 641 Auferstehung 31-35, 47, 62, 81, 98, 122, 144, 167, 187, 269, 336, 356, 372, 388, 406, 482, 492, 506, 515, 631, 636, 689, 702, 717, 752, 772, 862–867, 885–890, 903–917, 919–925, 937, 941, 948, 953– 959, 964, 968–981, 988–995, 1000, 1006, 1017, 1035 Auferstehungsberichte 887 Auferstehungsglaube 889 Auferstehungshoffnung 894 Auferstehungsleib 889, 964, 966, 972 Auferstehungsleugner 909, 957 Auferstehungszeugen 106, 889, 894, 896, 897, 898 Auferweckung, s. Auferstehung Aufklärung 299 Aufopferung 917 Auge 107, 135, 160, 169, 170, 215, 362, 455, 517, 534, 722, 725, 732, 733 Augenzeugen 886, 888, 894 Augustin 349, 380, 411, 417, 943 Augustus 15, 19, 21, 66, 275, 276, 305, 419, 591, 600, 601, 603, 617, 618, 622, 1005 Auktion 305 Aulos 784, 787, 800-803 Ausbildung 91, 104, 387 Ausschlussformel 298, 317, 1025, 1026, 1031 Ausschweifung 580, 951 Aussendungsrede 494, 495 Außenstehende 376, 604, 612, 677, 679, 815, 820, 823, 862 Autorität 43, 44, 50, 52, 55, 58, 82, 86, 91, 118, 127, 180, 259, 263, 299, 323, 326, 333, 370, 374, 386, 401, 460, 472, 490, 494, 527, 540, 558, 579, 592, 597, 599, 603, 607, 618, 623, 635, 647, 689, 708, 742, 744, 828, 837, 844, 847, 850, 855, 901, 931, 1022, 1031 Autoritätsanspruch 710 Autoritätskonflikt 32 Autoritätspersonen 191 Autoritätsverlust 58 Bach 765, 996 Bakchanalien 707 Banken 584 Barmherzigkeit 77, 147, 170, 398, 523, 678, 807, 824
Stichwortverzeichnis 1119 —————————————————————————————————— Barnabas 23, 427, 470, 474, 482, 483, 742 Bauarbeit 212, 830 Baumateralien 207 Bauwerk 26, 182, 183, 202, 203, 205, 212 Bedarfstheologie 153 Bedürftigkeit 402 Befehl 352, 357, 364, 365, 366, 368, 371, 397, 400, 404, 415, 423, 441, 651, 655, 836 Befehlsgewalt 226 Befleckung 459 Befreiung 146, 220, 285, 289, 290, 455, 687, 932, 937, 993, 1031 Begabung 198, 217, 385, 695, 698, 718, 728, 739 Begierde 273, 283, 333, 349, 369, 536, 539, 622, 623, 684, 936 Beglaubigung 479 Beglaubigungsschreiben 479 Begräbnis 136, 881 Beichtinschriften 666, 667 Bekehrung 75, 132, 148, 153, 223, 276, 280, 320, 322, 376, 381, 382, 383, 401, 424, 456, 501, 503, 508, 558, 647, 682, 686, 704, 729, 799, 819, 823, 826, 864, 867, 875, 898, 900, 931, 936, 1020 Bekenntnis 67, 227, 434, 444, 448, 449, 573, 652, 680–81, 687, 900, 941, 1032 Bekenntnisaussage 876 Bekenntnisformel 434, 447, 877, 883 Bekleidung 600, 625 Beleidigung 543, 769 Belohnung 196, 200, 317 Benediktion 77 Bequemlichkeit 177, 517, 991, 1032 Bergpredigt 296, 316 Beröa 23, 254, 264, 266, 998, 1004, 1008 Berufung 22, 52, 54, 58, 61, 67, 90, 96, 102, 123, 131, 138, 140, 148, 153, 231, 238, 329, 366, 383, 389, 393, 396, 424, 426, 497, 500, 503, 508, 510, 517, 519, 609, 618, 843, 852, 889, 898, 901, 989 Berührungspunkte 349, 350, 362, 922 Beschimpfung 51, 250, 262 Beschneidung 36, 52, 382, 383, 387, 388, 445, 505, 507, 731, 989 Besessenheit 716 Besiegelung 655
Besitz 79, 173, 215, 283, 294, 357, 410, 414, 514, 608, 686, 690, 702, 753, 760, 763, 764, 980 Besitzaufgabe 764 Besitzlose 630, 642, 643, 664, 671, 672, 674, 725 Bestechungsgelder 305 Bestrafung 209, 279, 312, 390, 539, 620, 668 Besuchspläne 1008 Betanien 891, 892 Beten, s. Gebet Bethlehem 753 Bevollmächtigung 57, 58, 479 Bewährung 4, 76, 262, 295, 382, 763, 772 Beweise, beweisen 95, 105, 106, 125, 136, 156, 306, 905 Bezalel 204 Bildungselite 250, 256, 266, 271, 283, 311 Bithynien 23, 632, 832 Bitterkräuter 649 Blasphemie 292 Blechblasinstrument 801 Blut 51, 284, 289, 346, 545, 549, 550, 643, 653, 655, 658, 661, 664, 929, 966, 976, 978, 980 Bluttaufe 942 Bordell 327, 328, 331 Botanik 958 Bote, Boten 43, 56, 264, 375, 391, 479, 606, 610, 612, 706, 779, 1006, 1011 Botenformel 707 Botenweg 56 Boxen 517 Brandopfer 554 Bräutigam 418 Braut 404, 417, 420 Bronze 14 Bronzespiegel 779 Bronzevasen 761 Brot 286, 287, 438, 538, 545, 547, 551, 553, 558, 626, 628, 636, 640, 643, 647–53, 656, 658, 660, 662, 671, 675, 723, 879 Brotbrechen 549, 632, 649, 650, 651 Broterwerb 733, 734 Brothandlung 626, 627, 628, 638, 649, 653 Brotkommunion 627 Brotwort 627, 649, 652, 655, 656 Bruderkuss 1030 Bruderschaft 87, 228, 315
1120 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— Bund 14, 51, 77, 278, 279, 285, 289, 300, 439, 549, 551, 558, 643, 644, 654, 821, 881 Bundesvolk 290, 297, 299, 300, 526, 528, 655, 674 Buße 263, 466, 662, 729, 824, 884, 949, 1033 Bußtaufe 193 Cäsarea 505, 730, 742, 837 Caesar 15, 394, 878 capite velato 601, 623 Capitolium 19 captatio benevolentiae 62, 70, 593, 594, 796, 871 carpe diem 949 causa 106, 135 Chairemon 559 Charakterbildung 515 Charismen 698, 699, 700, 701, 721, 726, 739, 741, 743, 749, 751, 754, 757, 763, 774, 776, 781, 788, 799, 812, 827, 830, 834, 840, 850, 854, 1021 Charismenkatalog, -liste 700, 721, 743, 799, 830, 831, 834, 1021 Chiasmus 727, 771, 928 Chloe 28, 265 Chorlied 833 Claudius 24, 63, 363, 391, 563, 1028 Claudiusedikt 24 coemptio 373 cognitio 306 cognomen 56, 878 comissatio 627 comitia 16 compromissus 311 confirmatio 46, 866 Cymbel 753, 760 Damaskus 497, 498, 644, 876, 897, 898 Dank 20, 69, 71, 72, 561, 576, 739, 858, 977, 990 Dankgebet 72, 73, 549, 550, 576, 643, 649, 653, 654, 656, 785, 787, 810, 932 Danksagung 32, 55, 69, 77, 78, 569, 652, 718, 785, 810, 812, 990
810, 645, 813, 650,
Dämonen 57, 445, 447, 456, 459, 469, 543, 545, 546, 551, 556, 561, 570, 576, 584, 684, 705, 912, 936, 942 Dämonenaustreibung 679, 704, 705 Dekalog 504 Deklamation 15, 92 Delphi 346, 512, 707, 714 Demas 760 Demeter 20, 21, 330, 339, 446, 685 Demokrit 960 Demosthenes 94, 247, 255, 339, 670 Demut 18, 240, 245 Diakonenamt 696 Dialog 39, 128, 237, 688, 754 Diatribe 240, 384, 392, 574, 755, 947 Dichter, Dichtung 106, 319, 950 Diebstahl 51, 320, 583 Dienstbereitschaft 696 digressio 382, 474, 680 Dionysos 96, 248, 446, 619, 640, 685, 714, 761 Dionysosmysterien 942 Dirnen 330, 339 dissimulatio 155, 634 Ditheismus 449 divortium 372, 373 Drangsal 402, 406 Dreschtenne 486, 487 Drohwort 818 Dualismus 355, 958, 977 Duoviri 19 Edelmetalle 19 Eden 202 Egoismus 108, 427, 640 Ehe 31-34, 47, 178, 270, 274, 318, 325, 327, 331, 339–42, 348–60, 364, 369–74, 376–82, 384, 386, 396, 404, 413, 416, 417, 420–25, 427, 591, 603, 610, 614, 624, 679, 768, 844, 847–49, 869, 1008, 1032 Ehebrecher 318, 605, 615, 620, 953 Ehebruch 276, 318, 339, 592, 605, 606 Ehefragen 34, 349 Ehegelöbnis 341 Ehegesetze 603, 617, 622 Ehelosigkeit 34, 349, 356, 357, 362, 365, 366, 367, 382, 385, 386, 397, 401, 415, 418, 422–26, 618, 679
Stichwortverzeichnis 1121 —————————————————————————————————— Ehescheidung 341, 351, 367, 369, 371, 375, 382, 385, 400, 403, 405 Ehescheidungsverbot 372, 374, 403 Eheschließung 373, 375, 404, 409, 420, 425 Eheverzicht 351 Ehevorschriften 360 Ehre 52, 199, 212, 250, 305, 327, 345, 561, 564, 576, 590, 597, 601, 604, 615, 618, 624, 722, 726, 735, 849, 940, 954 Ehreninschrift 402, 738, 931 Ehrenrechte 394 Ehrerbietung 394, 735, 1030 Ehrgeiz 92, 624 Ehrung 738, 739 Ehrverletzung 849 Ehrverlust 591 Eifersucht 81, 432, 546, 560, 561, 566 Eigenhändigkeitsvermerk 1030 Eigenlob 17, 27, 762 Eigensüchtigkeit 341 Eigentumsdelikte 318 Eigentumsrecht 347, 467 Einflussreiche 140, 169, 190, 232, 246, 256 Eingangsgruß 32 Eingebung 707 Einsetzungsworte 629, 632, 660, 663, 674 Ekphrasis 755 Ekstase 684, 687, 695, 707, 714, 761, 832, 835, 857 Eleazar 570 Elementarunterricht 429 Elfenbein 800 Eliphas 222 Elite 13, 18, 20, 25, 81, 90, 108, 110, 143, 166, 169, 215, 247, 251, 253, 311, 567, 601, 619, 623, 864 Ellipse 140, elocutio 242 Eloquenz 27, 108, 114, 116, 130, 132, 152, 154, 156, 158, 159, 166, 175, 186, 233, 270, 480 Elysium 912 Emmaus 888, 891 Emmausjünger 891
373, 424,
486, 610, 860,
251,
671, 808,
112, 271,
136, 176,
Endgericht 70, 71, 77, 143, 196, 200, 207, 210, 211, 216, 234, 236, 238, 246, 284, 298, 307, 317, 459, 501, 518, 661, 664, 669, 675, 754, 872, 983, 989, 1017 Endzeit 60, 202, 289, 350, 406, 534, 540, 556, 585, 655, 922, 927 Endzeitrede 363, 928 Engel 232, 239, 249, 303, 308, 356, 447, 556, 610, 677, 717, 753, 758, 774, 910, 928, 930 Engelsspeise 529 Engelssprachen 758 Enkomium 755 Enthaltsamkeit 361, 362, 363, 365, 367, 401, 409, 417, 423, 426, 471, 511, 514, 516 Enthusiasten 509, 734, 952 Epaphras 741 Epaphroditus 667 Ephesus 23, 29, 30, 38, 39, 58, 100, 193, 264, 266, 288, 760, 837, 904, 946, 997, 1004, 1007, 1010, 1013–16, 1022, 1027, 1029 Ephraim 159, 987 Epikureer 947 Epiphanie 126, 208 Epispasmos 387 Erastus 20, 28, 141, 232, 264, 738, 1011, 1013 Erbe 49, 276, 317 Erbfolge 526 Erdbeben 363 Erfahrungsbeweis 113, 122 Erlösungsreligion 37 Ermahnung 45, 46, 81, 83, 84, 86, 256, 521, 710, 791, 794, 815, 840, 978 Eros 683, 951 Errettung 50, 79, 117, 118, 134, 432, 503, 579, 582 Erstgeborener 919 Erstgeburt 918 Erstlinge 918, 919 Erstlingsopfer 554, 918 Erwählung 67, 123, 139, 143, 387, 431, 449, 581, 810, 1031 Erwählungsterminologie 60 Erwerbsarbeit 24 Erz 753, 760 Erzählen 136 Erzählung 560, 877
1122 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— Eschatologie 128, 246, 316, 356, 371, 589, 677, 863, 910, 951 Esel 327, 484, 619 Eselskopf 130 Esoterik 994 Ethik 13, 35, 52, 246, 299, 325, 327, 587, 724, 948 Eucharistie, s. Abendmahl Euphemismus 665 Eurydike 912 Evangelien 54, 121, 198, 199, 213, 295, 647, 684, 729, 881, 883, 889-892, 895, 930, 933 Evangelienberichte 887 Evangelisationstechniken 138 Evangelisten 125, 159, 218, 490 Evangelium 27, 29, 46, 48, 50, 53, 57, 70, 82–84, 97, 109–111, 134–136, 148– 149, 158–159, 165, 185, 213, 217–218, 248, 256–257, 260–262, 310, 326, 390, 425, 470–471, 478–479, 491–494, 497– 500, 509–510, 579, 586–587, 624, 681, 736, 752, 794, 810, 838, 850, 859, 861– 867, 869–875, 885, 902, 913, 954, 991– 994, 999, 1015, 1020–1021, 1024, 1035 Ewigkeit 170, 199, 451, 468, 469 Exkommunikation 276, 299, 301 Exodus 146, 286, 289, 300, 522, 523 Exodusgeneration 545 Exodusgeschichte 528 Exodusüberlieferung 545 Fabel 724, 733 Falschapostel 490 Familienmitglied 466 Familienoberhaupt 91, 590 Faustkampf 516 Fehlgeburt 866, 896, 898, 900 Feindesliebe 127, 137, 254 Feldarbeit 182, 183, 192 Festmahl 410, 455, 463, 464, 470, 554, 559, 560, 565, 568, 570, 575, 583, 640, 849 Festspiele 1011 Festzug 685, 686 Feuer 182, 208–212, 497, 526, 528, 729, 780, 911, 980 Feuertod 756, 764 Fichtenkranz 514 Findelkind 339, 390
Fisch 567, 636, 640, 653, 955, 963 Fischmarkt 18 Fleisch 18, 281–284, 336–337, 341, 397– 398, 425, 427–433, 436–439, 443–444, 450–452, 454–455, 464, 466–471, 514– 515, 521, 525, 528, 532, 535–40, 553– 555, 560–564, 567–569, 571, 573–578, 580–582, 586, 608–609, 653, 665, 701, 767, 869, 929, 955, 966, 969, 976, 978, 980–982 Fleischeinkauf 438 Fleischgenuß 438 Fleischlieferant 437 Fleischmarkt 21, 432, 437, 464, 561, 563, 567, 581 Fleischverteilungen 438 Fleischverzicht 469 Fleiß 591, 748 Flötenspieler 319 Fluch 281, 300, 346, 504, 687, 996, 1031, 1033 Fluchformel 687 Flucht 343, 347 Fluchtod 128 Fluchwort 687 Folklore 106 Folter 301, 325 Folterinstrument 988 Formularprozess 306 Fortuna 446 Fortunatus 28, 31, 59, 89, 1011, 1016, 1022 Forum 18, 19, 21, 137, 223, 310, 515, 567, 600, 619 Fötus 778 Freigeborene 248, 395 Freigelassene 114, 142, 394, 569, 672, 1021, 1023 Freiheit 42, 129, 131, 141, 224–226, 228, 251, 261, 277, 331, 333–334, 348, 350, 378, 380, 383, 391–395, 428, 430, 433, 436, 455, 459–460, 473, 492, 499–502, 519, 528, 561–562, 573–575, 582–583, 586–587 Freiheitsideal 333, 334, 515, 565 Freikauf 346 Fremdsprache 714, 717-719, 857 Freude 51, 66, 100, 212, 409–410, 718, 770, 808, 1024 Freudenmädchen 640; s. auch Prostituition
Stichwortverzeichnis 1123 —————————————————————————————————— Freundschaft 59, 951 Freundschaftsbriefe 43, 46 Friede 24, 49, 55, 66, 67, 87, 199, 227, 379, 381, 841, 1013 Friedensaltar 601 Friedensordnung 841 Frömmigkeit 134, 584, 720, 856 Fruchtmus-Tunke 649 Frühgeburt 899 Führungsaufgaben 696 Fürbitte 593, 598, 632, 942, 943 Gabenliste 699, 743, 746, 830 Galiläa 112, 482, 495, 850, 891 Gallio 26, 58, 563, 935, 945 Gamaliel 503, 900 Gastfreundschaft 99, 679 Gastgeber 543, 558, 562, 564, 568–572, 574, 576, 637, 649, 671, 949 Gastmahl 470, 570, 639, 949 Gebet 73, 78, 79, 109, 147, 352, 361–363, 493, 587, 598, 602, 611, 679, 702, 787, 792, 796, 806, 810, 812, 827, 835 Gebetsruf 65, 1032 Gebetssprache 854 Gebetszeiten 362, 878 Gebote 52, 77, 198, 325, 348, 382, 388, 488, 505, 507, 509, 585, 725, 746 Gebundenheit 44, 705 Gedächtnis 537, 643, 650, 652, 655, 674, 873 Geduld 431, 539, 766, 772, 1015 Gefährdung 225, 271, 585, 945 Gefängnis 254, 832, 911 Gefühl 442, 718, 732, 760, 804, 807, 825 Gegner 92, 142, 235, 254, 305, 472, 516, 558 Gehorsam 137, 298, 325, 336, 366, 386, 394, 490, 498, 517, 548, 553, 577, 591, 598, 624, 851, 970, 1012, 1031 Gehör 136, 612, 702, 722, 732, 758, 762, 786, 850, 860 Geistausgießung 730 Geistempfang 730 Geistesgaben 32, 34, 74, 79, 81, 84, 587, 676, 677, 679–681, 691, 694, 699, 705, 720, 740, 754, 777, 780, 783, 786, 789, 827, 840, 851–854, 862 Geld 20, 305, 483, 584, 632, 640, 997–1001, 1005, 1009
Gelegenheitsbriefe 44 Geleitbriefe 1003 Gelübde 468, 507, 619 Gematria 731 Gemeindeapostel 744 Gemeindeausschluss 297–299, 301 Gemeindebau 218, 228 Gemeindeboten 1013, 1024 Gemeindegesang 833 Gemeindegründer 228, 261, 265, 461, 1015 Gemeindekasse 1001 Gemeindeleitung 44, 68, 611, 741, 748, 861 Gemeindeordnung 743, 787, 827, 847, 1021 Gemeindeunterricht 372, 928 Gemeindeversammlung 274, 280, 590, 598, 604, 611, 628, 638, 658, 671–672, 711– 712, 714, 719–720, 786, 792–796, 798– 799, 806, 820–821, 826–827, 834, 839– 840, 845, 848–850, Gemeinschaft 26, 61, 65–66, 69–71, 77–79, 86, 116, 144, 158, 168, 181, 194, 200– 201, 269, 278–279, 291–292, 295, 313, 341, 358, 364, 373, 375, 387, 420, 459, 469, 505, 526, 550–555, 557–558, 622, 628, 641–642, 651, 655, 664, 674, 679, 717, 724–725, 766, 780, 782, 783, 820, 861, 876, 916, 999, 1015, 1024, 1028, 1031, 1035 Gemüse 636, 640 Gerechtigkeit 66, 76, 138, 145–147, 153, 199, 235, 290, 323, 486, 770, 856 Gerichtshöfe 846 Gerstenmehl 438 Gesang 831 Geschlechterbeziehung 481 Geschlechtsrollen 590, 602 Geschlechtsverkehr 275, 293, 342, 344, 351, 354, 356–359, 361, 376, 419, 423, 514 Gesetzgeber 386 Gesetzlose 471, 506, 510, 518 Gesundheit 69, 134, 410, 583, 584 Getreidehalme 486 Getreideknappheit 363 Gewissen 235, 429, 431, 451–458, 462–463, 465–469, 561, 563, 568, 570–575, 707, 736, 785, 823 Gewissensentscheidung 405 Gewissensurteil 235, 236
1124 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— Gewissheit 5, 77, 381, 703, 707, 866, 904, 918, 933, 936, 939, 948, 955, 976, 981, 985, 990, 994, 1034 Giftschlangen 538 Gilde 512, 1011 Gladiatorenkämpfe 248 Glaube 73, 103, 109, 130, 138, 149, 156, 187, 191, 195, 321, 434, 446, 506, 518– 519, 521, 534, 585–586, 652, 657, 678, 707, 745, 754, 763, 771–773, 775, 781, 903, 907, 913, 917, 992, 994–995, 1018, 1022 Glaubensbekenntnis 442, 448, 930 Glaubenskraft 690, 702, 753, 763 Gleichnis 198, 410, 735, 740, 770, 928 Glosse 98, 150, 161, 184, 243, 436, 525, 547, 564, 842, 979, 988 Glossolalie 35, 73, 118, 245, 587, 676–679, 685, 689, 699–700, 710, 712–720, 746, 750–751, 758, 762, 776, 782, 784, 786, 790, 792, 795, 797–799, 802, 805, 808, 810, 812, 814, 817, 820–821, 827, 835, 838, 842, 854, 858 Gnade 35, 49, 50, 55, 65–73, 79, 123, 141, 144, 146, 157, 165, 174, 182, 204, 326, 366, 477, 533, 576, 669, 675, 693, 810, 837, 840, 864, 867, 899–903, 970, 1025, 1031, 1033–1035; s. auch Sprachengabe, Zungenreden Gnadengabe 69, 70, 72, 73, 74, 166, 352, 366, 702 Gnadengruß 1026 Gnadenwort 996 Gnosis 37, 39, 356, 439, 531, 589, 942 Götter 21, 64, 69, 127, 130, 223, 295, 364, 375, 430, 433–436, 440, 443–448, 450, 454, 456, 462, 466, 468, 521, 536, 546, 548, 556, 560, 569, 573, 575, 581, 584– 586, 619, 681, 684–686, 872, 915, 992 Götterbild 295, 444, 535 Göttersöhne 447 Göttertempel 546 Götzen, s. Götter Götzenopfer 428, 443, 455, 459, 525, 529 Götzenopferfleisch 31, 32, 426, 428, 431, 433, 435–437, 439–441, 443, 445, 450– 452, 456–462, 464–467, 469, 472–474, 510, 516, 521, 535–536, 539, 548, 555– 558, 561–563, 574, 576, 579, 583
Götzenpolemik 686 Götzentempel 32–35, 426–430, 439, 443, 445, 451–452, 457, 460, 462, 464–467, 470, 493, 517, 521, 532, 535, 543–546, 556, 558, 560, 581, 685, 763, 768 Gold 182, 184, 202, 204, 206–209, 635, 1005 Gong 761 Gottesdienst 31, 34, 65, 87, 89, 347, 349, 390, 426, 584, 587, 588, 595, 605, 611, 620, 631, 643, 676, 695, 711, 719–720, 745, 768, 797, 811, 813, 818, 824, 826, 830–832, 834, 839, 844, 847, 849, 854, 859–862, 954, 1032 Gottesdienstbesucher 859 Gottesebenbildlichkeit 607, 608 Gotteserkenntnis 173, 707, 905, 953 Gottesferne 864 Gottesherrschaft 66, 127, 930 Gottesknecht 648, 881 Gotteslästerung 25, 134, 519 Gottesvolk 62, 192, 279, 526, 528, 532, 540, 553, 683 Grab 881–883, 892, 912, 958, 960, 987 Grabepigramm 912, 949 Gruß 55, 65, 1025, 1027, 1029, 1030 Grußliste 264, 1011, 1028, 1035 Haarmode, -stil 588, 592, 600, 602, 620 Haartracht 588, 600, 618, 843 Habgier 51, 318, 329, 492, 951 Hades 912, 915, 987 Hadrian 16, 632 Hafen 14, 18 Hafenarbeiter 142 Haggadabecher 649 Halakha 490 Hallelbecher 649 Halluzinationen 894 Handarbeit 253 Handauflegung 187 Handbecken 761 Harfe 809 Hedonismus 347, 582, 993 Heidenchristen 13, 57, 60, 273, 279, 296, 383, 386–389, 428, 454, 493, 505, 522, 526, 682, 736, 812, 999, 1004, 1032 Heidenmission 505, 877 Heidentum 445, 556, 566, 763
Stichwortverzeichnis 1125 —————————————————————————————————— Heil 27, 51, 61, 65–66, 72, 76–79, 101, 110, 115–117, 122–123, 128, 133, 136, 140, 143, 146–147, 154, 165, 174, 178, 210, 218, 227, 245, 267, 282, 383, 388, 395, 409, 443, 454, 466, 500, 510, 521, 533, 542, 550–551, 561, 585, 650, 669, 702, 710, 763, 850, 855, 862, 866, 870, 872, 877, 917, 926, 932, 942–943, 986, 988, 990, 994–95, 1035 Heiligkeit 689, 824 Heiligkeitsgesetz 300 Heiligung 50–51, 138, 145–146, 273, 321– 324, 326, 376, 414, 422 Heilkunst 704 Heilsgeschichte 125, 999 Heilsgewissheit 77 Heilsoffenbarung 124, 130, 153, 165, 167– 169, 214, 232, 270, 388, 528, 744–745 Heilsplan 119, 178, 708 Heilstatsachen 875 Heilstod 551, 558, 877, 913, 989–990, 1017 Heilsvollendung 245, 317, 323, 409–410, 598, 607, 754, 777, 910, 969, 980, 982, 986 Heilszeit 66, 289, 614, 623, 922, 928 Heilung 463, 667, 678, 690, 694, 703–705, 725, 738, 830 Heilungsgabe 704, 751 Heilungswunder 703 Heirat 352, 397, 405, 417, 420, 422, 620 Heiratsurkunden 78 Heliopolis 570 Hellenismus 11, 616 Herakles 947 Herde 299, 391, 470, 484, 485 Hermes 19, 446 Herodes 92–94, 151, 206, 513, 895 Heroen 888 Herold 116, 127 Herrenbruder 895 Herrenmahl, s. auch Abendmahl Herrenmahl 31–33, 51, 84, 89, 142, 433, 459, 523, 531, 545, 549, 551–555, 558, 559, 625, 627, 629–631, 636, 641–644, 646, 649, 655, 665, 668–69, 671–73, 675, 738, 1033 Herrenmahlstradition 552, 723, 724 Herrschaftssymbolik 134 Hetäre 319, 328, 339, 951
Heu 182, 206, 209 Heuchelei 573 Hierodulen 21–22, 319, 330 Himmel 411, 433, 443, 445, 556, 890, 897, 927, 955, 964, 974–976, 985, 995, 1009 Himmelsbrot 529 Himmelskörper 963, 964 Himmelsreise 717 Hiob 220, 222, 235, 282, 717, 801 Hippokrates 778 Hirte, Hirten 484, 485, 619, 678, 679 Hochzeit 367, 463, 760, 800 Hoffnung 10, 212, 222, 465, 470, 475, 488, 503, 754, 756, 771–773, 778, 781–783, 810, 856, 862, 870, 890, 894, 917, 944, 991, 1034 Homosexualität 47, 319, 320, 324, 325, 327, 585 Höflichkeitsfloskel 65 Hunger 252, 491, 639, 642, 658, 666, 671, 674, 948 Hungerhilfebesuch 999 Hungersnot 38, 351, 356, 357, 363, 403, 416, 424, 628, 666 Ikonographie 601 Illyrien 1008 Imitatio 262 Imitation 91 Individualismus 68, 566, 583, 586 Inkarnation 753, 1032 Inspiration 689, 708, 791, 808 Instrumentalmusik 832 Intoleranz 109, 585 Inzest 32–34, 47, 49, 275–277, 281, 286, 294, 296, 327, 396, 426, 767 Iobakchen 312 Ironie 73, 228, 241, 246, 250, 251, 268, 441, 465, 635, 873 Irrationalität 227 Isis 21, 355, 446, 685 Iskariot 648, 890 Isthmia 15, 38, 330, 430, 461, 512, 566 Iunius 26, 935, 945 Jahreseinteilung 1010 Jenseits 912, 932, 991 Jenseitserwartung 863, 912
1126 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— Jerusalem 14, 29, 99, 166, 439, 490, 493, 502, 513, 631, 644, 649, 696, 742, 818, 837, 850, 876, 879, 882, 891, 893, 901, 949, 996–999, 1001, 1003–1006, 1009, 1033 Jesaja 102, 429, 816, 818, 948 Jesusfilme 136 Jesusworte 52, 198, 316, 371, 494, 763, 851 Josefsgeschichte 343 Josua 532, 796 Jubeljahr 507 Judäa 363, 876, 901, 1005 Judenchristen 24, 57, 383, 386, 387, 389, 428, 454, 455, 505, 526, 687, 878, 909, 946, 999 Judenmission 502 Jugend 334 Jungfrau 292, 367-369, 397–399, 403, 414, 416–21 Junggesellen 368–69 Juno 19, 446 Jupiter 19 Juwelen 849 Kaiphas 166, 168, 933 Kaiserkult 15, 20–21, 437, 461, 567, 636 Katechumenen 811, 822, 942 Kelch 51, 545, 549–552, 558, 643, 644, 648, 653–656, 658, 660, 662, 663, 675 Kelchhandlung 626, 629, 645, 649, 653, 660 Kelchwort 627, 652, 654, 655 Kenchreä 14, 17, 20, 29 Kephas 83, 91, 93–95, 219, 224, 270, 427, 470, 482, 866, 876, 885, 887, 889, 892, 895 Keramikmanufaktur 14, 391 Kerygma 123, 645, 795, 913, 914 Keuschheit 591, 603, 622, 624 Kidduschbecher 649 Kilikien 23, 513 Kinder 89, 100, 183, 185, 256–259, 261, 276, 313, 339, 354, 356, 359, 369, 377, 396, 406, 410, 425, 526, 590, 760, 777, 785, 815 Kinderzeugung 603 Kithara 784, 787, 800–803 Klagepsalmen 235 Kleanthes 762 Kleiderordnung 589, 603, 612, 616, 617
Kleinasien 23, 512, 590, 804, 1027 Klienten 81, 91, 100, 611, 612, 638, 672, 1021 Knabenschänder 319 Kognitionsverfahren 306 Kollekte 31, 632, 696, 748, 996–999, 1002– 1004, 1006 Kolossä 1027 Kommunikation 159, 335, 341, 342, 598, 710, 819, 821, 859, 1030 Komödie 21, 107, 950, 951 Kompromiss 33, 211, 270, 271, 288, 327, 348, 351, 423, 426, 429, 431, 432, 462, 578, 580, 585, 587, 862 Konkubine 274, 293, 328, 339, 376 Kopfbedeckung 17, 31–33, 89, 588–590, 592–594, 597–599, 602, 605–608, 610, 613, 616, 620, 623, 624, 768, 843 Kore 20–21, 446, 685 Königsherrschaft 256, 257, 267, 299, 323, 507, 556, 703, 915, 929 Körper 331, 332, 335, 360, 725, 731–733, 737–738, 911, 912, 932, 937, 949, 964, 995 Krankenheilung 704, 705 Krankheit 282, 459, 540, 556, 664, 666, 703705, 746, 749, 947, 948 Kranz 512, 514, 515 Kreta 193, 1014 Kreuz, Kreuzigung 13, 25, 27, 35, 46, 50–51, 66, 82–85, 93, 97, 105–118, 122, 127, 129, 134–138, 145, 149, 153–155, 157– 159, 162, 167, 169, 176–181, 185, 203, 214, 221, 243, 246, 250, 259, 262, 266, 269, 315, 324, 452, 504, 528, 550– 553, 645, 650, 655, 661, 663, 675, 689, 697, 700–702, 736, 752, 765, 769, 849, 870, 875 Krieg 92, 801 Krone 558 Kultprostituierte 328, 329 Kurtisane 328, 605 Kurzhaarfrisur 602, 620 Kuss 1025, 1026, 1029, 1035 Küche 286, 463, 642 Kybele 714, 761 Kyniker 327, 339, 356 Kyrene 305
Stichwortverzeichnis 1127 —————————————————————————————————— Lallen 714, 802 Landwirtschaft 191, 391, 484, 960 Lares 446 Laster 47, 273, 320, 329, 766 Lasterkatalog 188, 314, 317, 326, 327, 329, 948 Lechaion 14, 16–18, 20 Lederarbeiter 24 Legitimationsworte 855 Lehre 13, 47, 73, 90, 109, 176, 193, 245, 265, 354, 359, 372, 595, 631, 634, 674, 678, 693, 702, 709, 739, 746, 755, 775, 784, 787, 791, 795, 799, 815, 826, 833, 838, 856, 861, 928 Lehrpredigt 195 Lehrpsalm 755 Lehrtätigkeit 183, 193, 252, 436 Leibfeindlichkeit 355, 356 Leibmetapher 725 Leichenfeiern 438 Leidenschaft 105, 155, 283, 364, 622, 766 Leidenskatalog 240, 252, 948 Leitungsfunktionen 748, 861 Leitungsgaben 722, 746-748, 834, 1001, 1021 Leitungsstrukturen 1024 Lerna 20, 463 Leviratsehe 486, 487 Leviten 493, 538 Libationsbecher 558 Libertinismus 36, 356 Liebesgebot 325, 341, 506, 747 Lied 530, 584, 755, 809, 831 Liturgie 134, 833, 1026, 1033 Livia 21 Loblied 833, 991 Lobspruch 549, 649, 812 Logik 47, 112, 129, 349, 487, 552, 906, 909, 924, 968, 995 Lohn 65, 92, 190, 196–200, 210–12, 393, 471, 483, 498, 513, 519 Lotusholz 800 Loyalitätsbekundung 82, 94, 97, 99, 110, 116, 122, 126, 146, 182, 186, 189, 195, 199–200, 219, 224, 233, 250, 256, 258, 263, 269, 493, 519, 766, 769 Lustknaben 319 Lydien 1027 Lystra 26, 254, 263, 998, 1004
Märtyrertod 169 Magie 994 Magistrat 15, 16, 26, 92, 306, 563, 613, 738 Mahl 532, 553, 558, 570, 581, 625–627, 636, 640–644, 647–650, 653–656, 668, 672, 675–676, 879, 1033 Mahlzeit 430, 432, 459, 463, 550, 558, 564, 574, 581, 626–630, 636–638, 640–641, 643–644, 649, 652–653, 657, 660–664, 672–674 Mahnung 70, 86–88, 90, 94, 109, 116, 205, 230, 243, 261–262, 273, 285, 288, 290, 292–293, 301, 316, 336, 353, 357, 396, 401, 426, 432, 450, 452, 460, 510, 513, 517, 539, 541, 545, 547, 557, 582, 656, 735, 750, 766, 788, 806, 991, 996, 1012, 1017–1019, 1021, 1024 Makedonien 23–24, 264, 266, 998, 1004, 1007, 1011, 1013, 1015, 1020 Maleachi 373 Malerei 15 Manna 528, 538 Maranatha 1025, 1032, 1033, 1035 Maranatharuf 1025 Marcion 54, 337, 942, 956 Markt 153, 429, 432, 437–439, 461, 562, 567–569, 586, 738 Marktbehörde 563 Martyrium 439, 764, 942 Menschenfischer 252 Menschensohn 852, 878, 915, 922, 938 Meriba 539 Merkaba 898 Messias 48–49, 57, 60, 62, 65, 72, 83, 95–96 Messiasgestalten 128 Messiasvorstellungen 57 Metall 184, 391, 635, 760, 800, 1006 Metapher 183, 186, 187, 192, 202, 259–261, 284, 321, 329, 394, 468, 485, 487–489, 511, 513, 516, 597, 723–725, 730, 752, 763, 779, 960, 965, 969 Metaphysik 752 Midrasch 9, 112, 522 Mietshäuser 642 Militär 231 Militärmusik 800 Militärwesen 811 Minerva 19, 446
1128 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— Mischehe 295, 297, 380–81 Mischehen 351, 370, 374, 375, 377, 379, 424 Missgeburt 899 Mission 23, 48, 102, 218, 245, 416, 425, 494, 501, 579, 753, 823, 828, 850, 893, 902, 1004, 1009, 1011, 1015, 1020, 747 Missionserfolg 138, 479, 489 Missionspredigt 24, 127, 136, 503, 874 Missionsreise 482 Missionssprache 380 Mitarbeiter 20, 23, 30, 31, 58, 67, 83, 89, 99, 181, 183, 190, 195, 200, 208, 210, 213, 216–219, 221, 261–264, 416, 474, 487, 667, 942, 947, 1011–1012, 1015, 1022, 1024, 1028 Mitleid 107, 486, 738, 770 Monotheismus 431, 435, 449, 581 Mose 232, 311, 312, 470, 485, 520, 524, 527–529, 780, 796, 847 Musik 715, 761, 833 Musikinstrumente 761, 800, 801 Musikunterricht 800 Musonius 259, 316, 319, 340, 359, 360, 379 Myriade 814 Mystagogen 232 Mysterien 531, 761, 763, 779, 942 Mysterienkulte 232, 714, 811 Mysterienreligionen 531 Mystik 144, 994 Mythos 92, 144, 723, 862, 863, 921, 994 Nachahmung 45, 107, 259, 262, 263, 566, 580, 717 Nachahmungseffekt 717 Nachfolge 497, 675, 769, 946 Nacktheit 252 Naherwartung 363, 424, 425, 928 Nahrungsmittel 38, 334, 452, 455, 457, 459, 463, 563, 576, 738 Nahrungsmittelknappheit 363 narratio 46, 84, 105, 112, 433, 593, 680, 866 Natur 22, 47, 177, 350, 411, 445, 461, 483, 615, 617–620, 731, 768, 911, 958, 961 Naturwunder 705 Nero 15, 21 Neuschöpfung 115, 411, 450, 607, 939, 972 Oberschicht 91, 216, 591 Oboe 800
Offenbarung 69, 73, 75, 102, 110, 137, 153, 169–172, 175–177, 180, 199, 223, 244, 248, 405, 440, 501, 506, 534, 579, 599, 646, 678, 690, 694, 698, 707, 710–712, 744, 746, 763, 775, 777, 779, 784, 795, 799, 825, 833, 838, 840, 845, 849, 855, 862, 875, 926, 999 Offenbarungsrede 714, 799, 855 Offenbarungswort 506, 981, 984 Olympiasieger 514 Opfer 23, 63, 362, 381, 439, 452, 466, 496, 504, 507, 514, 520, 536, 545, 554–557, 567, 571, 601, 611, 627, 648, 895, 917, 942, 1002, 1015 Opferbereitschaft 675, 757 Opferfleisch 432, 455, 493, 561, 570, 572, 573, 575 Opferhandlung 430, 601 Opferhandlungen 589–90, 601, 685 Opfermahl, -zeit 438, 536, 553, 555, 559 Orakel 707, 714, 715, 718, 934, Origenes 39, 130, 134, 337, 351, 365, 942, 1014 Ortsgemeinde 13, 52, 59, 68, 192, 578, 642, 659, 674, 696, 740, 741, 744, 1015 Ostern 127, 495, 645, 890–892 Palla 591, 592 Pallium 592, 601 Paradies 779, 920, 994 Paränese 47, 795 Parteien 35, 306, 310, 311, 313 Parteienstreit, -parolen 31, 80, 96, 149, 189, 215, 228, 629, 767, 768 partitio 433 Parusie 76, 775, 781, 926–928, 932, 973, 978, 979, 982 Passalamm 51, 285, 288, 648, 879 Passamahl 288, 549, 644, 647–649, 653 Paulusgruppe 80 Paulusschule 355 Päderastie 319 peculium 391 pecunia 305, 306 Pergamon 439, 1027 Peristasenkatalog, s. Leidenskatalog Peristyl 19, 463, 642 permissio 750 Perversion 605, 620
Stichwortverzeichnis 1129 —————————————————————————————————— Petition, petitio 253, 315, 639, 747, 794, 865, 969 Petrus 36, 81, 93, 95, 96, 109, 200, 224, 228, 481, 482, 491, 505, 714, 868, 885, 888, 891, 895, 934, 1031; s. auch Kephas Petrusgruppe 80 Pfingsten 38, 193, 266, 288, 730, 891, 1007, 1010 Pfingstkirchen 775, 791, 856, 857 Pharisäer 292, 647 Philippus 418, 837 Philosophie 91, 104, 245, 356, 619, 811 Philostratus 91–94, 126, 135, 141, 188, 888 Phöbe 28, 415 Phönizien 22, 482 Phrygien 29, 800, 1027 Pietas 446 Pilatus 166, 168, 995 Pistisformel 877 Plato 21, 104, 135, 155, 172, 203, 258, 266, 316, 319, 339, 354, 401, 556, 617, 683, 684, 717, 724, 725, 729, 747, 761, 797, 803, 808, 880, 911, 960, 968, 991 Plautus 567, 592 Plinius 14, 129, 330, 632, 761, 762, 832, 1000, 1009, 1030 Plutarch 15, 17, 91, 92, 156, 223, 240, 250, 254, 259, 268, 286, 319, 330, 331, 339, 354, 360, 361, 362, 384, 415, 418, 445, 458, 512, 515, 590, 595, 600, 602, 605, 617, 618, 619, 640, 665, 686, 713, 714, 717, 729, 747, 764, 779, 888, 947, 951, 959 Pneumatiker 37, 161, 677, 682, 732, 735, 812, 850 Polemik 21, 92, 619, 734, 921 Polybius 87, 156, 444, 729, 803, 817, 841, 926, 1009 Polygamie 374, 586 Polykarp 764 Polykarpbrief 54 Polytheismus 386, 509 Pompeii 328, 437, 641 Pontus 23, 632, 804, 832, 1028 Popularphilosophie 332, 911, 988 Posaune 864, 976, 983, 985, 988, 990 Poseidon 19, 20, 330, 446, 461, 512, 565, 566
Präexistenz 450, 530, 531, 596 Präskript 3, 42, 55, 62, 69, 264, 1011 Predigt 36, 68, 83, 110, 113, 114, 135, 148, 195, 200, 261, 503, 707, 755, 993 Priamel 755 Priester 232, 330, 388, 493, 507, 555 Priesterzölibat 349 Prisca, Priscilla 23-25, 28, 29, 31, 89, 98, 193, 481, 1025, 1027, 1029 probatio 46, 105, 106, 112, 182, 229, 433, 593, 866, 906 Prokonsul 26, 1005, 1027 promissio 650 Proömium 69, 70, 676 Prophet 76, 102, 112, 120, 127, 363, 373, 429, 448, 462, 497, 541, 612, 654, 678, 679, 682, 706–712, 742–746, 749, 780, 793, 826, 837, 840, 851, 987 Prophetie 35, 66, 73, 118, 202, 587, 599, 611, 676–678, 689, 694, 700, 706–714, 716, 718, 721, 745, 750, 754, 762, 773– 777, 781, 784, 786, 788, 790, 793–795, 797, 799, 820, 823, 834, 837, 842, 845, 851, 854 Prophetinnen 356, 371 Prophezeiung 424, 817, 837, 846, 884, 919 propositio 46, 82, 433, 435, 593, 680, 866 Proselyten 24, 28, 57, 154, 276, 445, 501, 811 Proselytenmission 501 Proselytentaufe 377, 524, 527, 729 Prostitution 21, 22, 327–330, 336, 339, 603 Provinzialgericht 305, 326 Psalm, Psalmen 73, 222, 240, 678, 755, 826, 830-833, 934, 938 Pythia 714 Qumran 11, 57, 69, 114, 214, 356, 550, 811, 833, 934 Qumrangemeinde 57, 115, 128, 292, 374, 835 Räuber 291, 294, 296, 314, 945, 953 recapitulatio 229, 562 Rechtfertigung 50, 51, 71, 76, 143, 148, 301, 321, 324, 326, 333, 340, 347, 356, 431, 450, 581, 916 Rechtsstreitigkeiten 32, 178, 306, 313, 953 Rechtsverzicht 316, 472, 480, 499
1130 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— Redegewandtheit 105, 256, 257, 266 Redner 27, 92, 94, 105, 107, 112, 116, 141, 149, 151, 152, 155, 158, 188, 242, 319, 713, 716, 806, 811, 857, 917 refutatio 229, 433, 866 Religiosität 17, 64, 130, 137, 429, 547, 556, 572, 683, 685, 751 Rhetorik 34, 42, 45, 46, 82, 92, 104–108, 117, 126, 135, 147, 149, 157–159, 166, 173, 176, 195, 210, 216, 221, 245, 265, 680, 701, 755, 811, 863, 906 Richter 77, 234, 302–311, 313–314, 316 Rivalität(en) 93, 94, 99, 109, 181-183, 186, 188-191, 194, 216, 223, 233, 262, 268, 271, 273, 283, 766 Ruhm 93, 95, 152, 218, 471, 496, 497, 499, 519, 756, 946, 1001 Rücksichtnahme 431, 432, 443, 452, 518, 564, 566, 568, 574, 582, 583, 702, 736 Saat 195, 490, 554 Sabbat 502, 507, 607, 648, 1000 Saiteninstrument 800, 809, 831 Sakramentalismus 35, 523, 551, 910 Sakramente 68, 282, 301, 531–533, 587 Sallust 249, 330, 331 salutatio 55, 65 Samuel 852 Sanftmut 256, 268 Sarapis 21, 395, 446, 463, 559, 760, 801 Sarapishymnus 558 Sardes 312, 1027 Satan 272, 280–284, 352, 358, 364, 466, 539, 556, 705, 937 Sauerteig 270, 284–290 Saul 852 Säen 195, 217, 218, 489, 960 Sättigungsmahl 626–628, 638, 642 Säufer 291, 296, 314, 953 Säuglinge 100, 186, 803 Säuglingssprache 857 Schadensersatzrecht 487 Scham 590, 591, 623, 954, 844, 954 Schamanismus 716 Schande 129, 275, 276, 340, 590, 597, 601, 604, 606, 615, 617, 622, 826, 844, 849, 966, 986
Schauspiel, Schauspieler 239, 248, 256, 319, 497, 591, 761 Scheidung, s. Ehescheidung Schema 8, 503, 537, 682, 922 Scheol 987 Schicksal 115, 144, 497, 723, 908, 917, 924, 932, 966 Schiedsgericht 312, 313 Schimpfwort 255, 899 Schleier 588, 592, 603, 610 Schöpfung 49, 122, 132, 134, 167, 211, 261, 287, 300, 342, 356, 386, 388, 447–451, 569, 586, 596, 607–610, 612, 614, 623, 732, 864, 919, 921, 923, 930, 932, 937, 939, 941, 956, 958, 961–963, 965, 970, 972, 994 Schöpfungsauftrag 963 Schöpfungsbericht 608, 961 Schöpfungsmittler 133, 449, 531, 596, 971, 972 Schöpfungsordnung 325, 334, 337, 341, 358, 366, 389, 423, 847, 848 Schriftbeweis 122, 486, 933 Schriftgelehrter 111, 113, 120–122, 168 Schriftlesung 79, 787, 842 Schriftstudium 763 Schriftzitat 52, 119, 123, 147, 169–171, 174, 179, 180, 221, 222, 474, 486, 568, 788, 950, 970, 978 Schuld 62, 97, 98, 102, 108, 133, 146, 154, 227, 229, 235, 370, 455, 462, 490, 500, 769, 770, 824, 832, 881, 916 Schweigegebot 828, 843 Schwiegerelten 275 Schwiegermutter 275 Schwiegertochter 275 Seele 134, 177, 335, 355, 359, 386, 442, 725, 864, 911–912, 915, 922, 932, 937, 941, 945, 950, 955, 957, 959, 967, 969–971, 981, 994, 1034 Segen 222, 300, 549, 550, 810, 820 Segensbecher 649, 653, 654 Segensgebet 653 Segenswunsch 55, 65 Seneca 43, 114, 207, 214, 224, 240, 249, 259, 262, 316, 330, 359, 384, 407, 513, 724, 777, 911
Stichwortverzeichnis 1131 —————————————————————————————————— Sexualität 4, 47, 299, 334, 348–352, 359, 360, 382, 1018, 1032 Sexualverkehr 296, 330, 331, 334, 339–342, 344, 348, 349, 352, 354, 356–358, 362, 368, 382, 405, 417, 423, 583, 759 Siegeskranz 199, 471, 512, 514, 515, 519 Siegeslied 990 Siegespreis 199, 471, 511–513 Sinai 636 Sokrates 94, 640, 761, 880, 911 Sonne 63, 777, 898, 955, 963 Sonntag 632, 636, 891, 895, 1000 Sopater 1004 Sophia 104, 132, 922 Sophisten 81, 91–93, 104, 129, 141, 142, 151, 155, 188, 246, 619 Sosipater 1004 Sosthenes 28, 31, 44, 55, 58, 89 Sozialstatus 28, 32, 140, 148, 458, 643, 664, 672 Spaltungen 3, 35, 42, 51, 79, 81–84, 87, 90, 109, 120, 183, 188, 215, 261, 523, 629, 630, 633–635, 640, 669, 673, 737, 860, 953; s. auch Parteiungen Spanien 261, 1009 Spanienmission 1009 Sparta, Spartaner, 14, 360, 618 Spätgeburt 899 Speisegebote 52, 427, 428, 502, 570 Speiseräume 20, 548, 642 Speisevorschriften 514, 567 Spiegel 168, 754, 778, 779, 780 Spiegelbild 779 Spiele 15, 17, 19, 38, 92, 93, 305, 330, 430, 461, 511–513, 515, 565 Sport, Sportarten 510, 516, 517, 519 Spott 130, 249, 255, 818, 987 Spottkruzifix 130 Sprachengabe 676, 678, 689, 690, 694, 712, 713, 719, 720, 775, 796, 806, 808, 853; s. auch Glossolalie Stadion 471, 511–514, 516 Stadtkämmerer 20, 28, 141, 739 Statusveränderung 321 Stephanas 24, 26, 28, 31–33, 59, 84, 89, 98, 100, 996, 1011, 1016, 1019–1024 Stephanus 213, 505, 901 Sterben 114, 136, 138, 168, 465, 467, 551, 664, 879–881, 894, 959, 963
Stiefmutter 270, 272, 274–276, 283, 291, 293, 294, 298 Stiefsohn 275, 276, 760 Stoiker 319, 356, 360, 402, 412, 622 Stola 591, 592, 602, 603, 615, 621–623 Stolz 51, 97, 767, 904, 946 Strabo 15, 17, 21, 329, 394, 715, 803, 804, 817 Strafe 87, 114, 128, 137, 275, 276, 281, 301, 504, 533, 537–540, 665, 764, 818, 881 Strafengel 540 subscriptio 1023 Sueton 363, 421, 601 superscriptio 55, 56 Sühne 115, 650, 651, 879–881 Sühneaussagen 879 Sühnetod 115, 506, 507, 550, 644, 645, 652, 674, 880, 881 Sünde 34, 51, 62, 68, 97, 98, 102, 108, 110, 121, 133, 134, 154, 168, 169, 225, 227, 228, 278, 279, 286, 288–290, 299–300, 318–320, 324, 327, 334, 337, 343, 347, 349, 351, 356, 357, 395, 398, 404, 408, 414, 423, 431, 452, 467, 468, 476, 490, 500, 504, 507, 517, 538, 576, 581, 583, 650, 675, 767, 824, 855, 863, 877, 879, 881, 884, 916, 917, 922, 932, 936, 954, 958, 965–967, 969, 977, 988–990, 993 Sündenbekenntnis 300 Sündenfall 168, 920, 921 Sündenvergebung 106, 115, 116, 322, 675, 942, 943, 989, 992; s. auch Vergebung Sündlosigkeit 675 Synagoge 21, 24, 25, 57, 58, 165, 193, 445, 502, 688, 822, 832, 833, 839, 872, 946 Synagogenpredigt 503 Synagogenvorsteher 28, 58 Syneisakten 405, 417 Synergismus 201, 451 Syrien 23, 26, 363, 482, 901, 947 Tacitus 15, 331, 363 Taufe 35, 36, 71, 72, 87, 97–101, 187, 191, 193, 280, 282, 320, 377, 441, 528, 531, 533, 541, 584, 587, 674, 729, 907, 941– 944; s. auch Wassertaufe Taufformel 321 Taufpraxis 85, 98, 99, 101, 941, 942 Teig 285–288
1132 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— Tempel 13, 14, 16–21, 25, 52, 83, 115, 182, 183, 202, 208, 213–216, 219, 271, 276, 284, 287, 289, 322, 329–330, 336–337, 342–348, 377, 388, 427, 429, 432, 437, 452, 454, 456, 460, 463, 465, 473, 493, 507, 521, 545, 554, 557–560, 562, 564– 566, 570, 581, 584–586, 647, 686, 690, 704, 725, 768, 832, 886, 900, 928, 946, 949 Tempeldirnen 21, 328 Tempelschlachtungen 427, 430, 431, 436– 439, 443, 450–452, 455, 457, 460, 467, 469, 507, 521, 525, 532, 535, 540, 542, 545, 553, 556, 560–562, 568, 573, 575, 580, 701, 767, 869 Tertullian 337, 365, 380, 422, 589, 942, 943 Theater 16, 20, 93, 203, 247–249, 739, 761, 1011 Theodotion 692, 764, 816, 970, 986 Theophagie 557 Theophanie 710, 775, 885, 983 Therapeuten 833 Thessalonich 23, 26, 212, 253, 254, 264, 266, 273, 483, 998, 1004, 1008 Thyatira 439, 1027 Tiberias 891, 892 Tiberius 21, 363, 762 Tierhetzen, -kampf 16, 391, 946 Timotheus 5, 23, 24, 30, 32, 39, 98, 257, 263–265, 269, 612, 705, 996, 1004, 1006, 1007, 1010–1013, 1015 Tischgemeinschaft 297, 768 Todesbereitschaft 946 Todesfälle 540, 664-667, 705, 982 Todesgeschick 550, 919 Toga 600–602, 623, 768 Tora 107, 122, 124, 125, 132, 373, 388, 485, 504–507, 509, 707, 900, 989 Torheit 53, 110–113, 116, 118, 120, 122– 124, 130, 131, 133, 136, 147, 160, 162, 167, 177, 180, 181, 219–221, 227, 266, 270, 310, 689 Totenauferstehung 57, 865, 916, 917, 919, 921–925, 937, 939, 943, 944, 948, 954, 955, 964, 968, 973, 982, 986 Totenklagen 800 Totgeburt 899 Traditionsbildung 878 Traditionsformel 876
Trance 685, 707, 835 Trankopfer 558, 561, 600 Trauer 300, 591, 622, 833, 858 Triclinium 639 Troas 23, 1004, 1008, 1027 Trompete 784, 787, 801–803 Trophimus 705, 1004 Trost 708, 795, 840 Tugend 91, 93, 152, 259, 426, 591, 616, 622, 762, 783 Tunica 600 Tyche 19, 446, 546 Tychicus 1004 Typologie 43, 534, 907, 921, 971 Typos 289, 527, 529, 534, 535, 541 Tyrannos 878 Überlegenheit 4, 152, 167, 218, 277, 421, 753 Überredungskunst 103, 149, 150, 155 Überzeugungskraft 107, 136, 155, 586, 906 Umkehr 158, 216, 272, 282, 284, 299 Umkehrschluss 719, 881 Unabhängigkeit 27, 68, 334, 603, 604, 613, 625, 726, 732, 893 Unglaube 377, 413, 994 Unheil 119, 129, 877 Universalität 320, 920, 923 Unsterblichkeit 762, 911, 922, 937, 941, 959, 966, 977, 978, 981, 984 Unterhalt 306, 438, 473, 474, 484, 496 Unterhaltsrecht 483, 495 Unvergänglichkeit 756, 773, 774, 965–967, 974, 977, 978, 981, 984 Unzucht 3, 273, 283, 291, 324, 328, 343, 349, 351, 353, 357, 359, 360, 423, 520, 537, 580, 665 Urmensch 723, 921, 972 Vasen 14, 516 Venus 19 Verbot 275, 307, 325, 329, 369, 370, 373, 374, 379, 540, 559, 585 Verbrecher 129, 135, 137, 248, 687, 915 Verdammung 664, 668, 669 Vereine 59, 293, 297, 312, 438, 632, 739, 811 Vergänglichkeit 143, 410, 411, 774, 919, 937, 955, 965–967, 970, 976, 980
Stichwortverzeichnis 1133 —————————————————————————————————— Verheiratete 351, 355, 357, 369, 371, 397, 398, 400, 403, 406, 412-414, 613 Verheißung 224, 409, 530, 703, 773, 839, 918, 919, 928, 933, 948, 978 Verkündigung 27, 45, 55, 66, 71, 82, 85, 94, 97, 100–103, 108, 110–114, 116–118, 120, 122–125, 127–132, 134–138, 140, 149, 152–159, 162–166, 168, 172, 174– 179, 186, 190, 192, 194, 196, 200, 203– 206, 209, 212, 218, 232–234, 245, 250, 255, 261, 267, 269, 317, 321, 412, 481, 489, 492, 494, 497–501, 508, 510, 519, 587, 645, 656, 674, 689, 696, 700, 709, 718, 795, 797, 823, 840, 849, 856, 861, 867, 874–876, 878, 885, 888, 903, 906– 909, 913, 945, 992, 995 Verlobung 4, 32, 33, 348, 421, 869 Vermögensstrafe 129 Vernunft 121, 130, 169, 415, 474 Versöhnung 66, 109, 153, 298, 299, 374, 378, 385, 424, 740 Verstand 169, 707, 713, 785, 788, 792, 806– 810, 814, 815 Verständlichkeit 184, 750, 786–788, 798, 808, 813, 815, 859–861 Versuchung 273, 347, 351, 358, 359, 364, 423, 426, 520, 524, 538, 542–544, 548, 587 Verwalter 92, 229, 231–234, 238, 391, 498 Verwandlung 168, 411, 866, 928, 966, 976– 978, 981, 983, 984 Verwandte 100, 275, 306, 463, 482, 543, 575, 578, 585, 911 Verwitwete 351, 424 Vespasian 104 Vikariatstaufe 942, 943 Villa 203, 209, 639 Vision 25, 685, 707, 716, 780, 855, 885, 886, 897, 916, 986 vituperatio 306 Volksfrömmigkeit 584 Volksglauben 912 Vollendung 75, 389, 409, 449, 514, 521, 657, 774, 776, 782, 865, 916, 919, 975, 976, 981, 988 Vollkommenheit 61, 75, 165, 166, 409, 777, 778 Vorbild 64, 82, 137, 217, 236, 257, 264, 269, 270, 406, 433, 466, 472, 474, 494, 516,
520, 534, 540, 580, 587, 641, 747, 765, 768, 770, 832, 864, 1021, 1024 Vorlesen 79, 266, 957 Vormund 186, 394, 417, 418, 844, 845, 847, 848 Vorspeise 648, 649 Vögel 619, 955, 963 Völkerengel 308, 447 Völkerwallfahrt 825, 999 Wachen 362, 1017 Wachsamkeit 928, 996, 1024 Wachstum 74, 190, 195, 197, 217, 794, 796, 902, 961, 1014, 1020 Wahrheit 35, 106, 108, 113, 120, 122, 123, 135, 136, 145, 148, 156, 157, 159, 214, 284, 285, 290, 305, 440, 453, 454, 478, 503, 509, 555, 585, 599, 605, 607, 635, 700, 702, 708, 721, 746, 753, 762, 770, 773, 823, 824, 839, 881, 883, 887, 901, 903, 993, 1035 Wahrnehmung 39, 169, 886, 889, 893, 1017 Wahrsager 683 Waisen 486, 747 Wanderphilosophen 252, 253, 483 Warnung 116, 183, 207, 216, 220, 221, 229, 317, 320, 336, 357, 358, 363, 403, 431, 460, 510, 518, 520, 523, 525, 531, 533, 535–537, 539–541, 544, 546, 552, 561, 571, 573, 661, 664–666, 705, 752, 822, 837, 865, 1031–1033 Waschung 51, 323, 504, 942 Wassertaufe 98, 523, 527, 528, 728–730, 942–944; s. auch Taufe Währung 1006 Wechselgesang 832 Weheruf 119, 497 Weihespruch 648 Weihgeschenke 725 Wein 296, 328, 484, 514, 515, 549, 550, 552, 558, 561, 626, 627, 636, 641, 648, 649, 652–656, 663, 671, 675, 729, 879, 951, 952 Weinbauer 484 Weinberg 192, 198, 201, 470, 484 Weingenuss 296 Weisheit 29, 47, 49, 50, 53, 73, 80, 82, 83, 85, 93, 94, 103, 104, 110–113, 119– 123, 125, 129–134, 136–138, 140, 145–
1134 Erster Korintherbrief —————————————————————————————————— 150, 152, 155–157, 159, 162–177, 180, 185, 199, 203, 219–223, 227, 239, 243, 246, 248, 266, 269, 311, 450, 480, 531, 678, 690, 700–702, 754, 762, 793, 830, 838, 863, 958, 989 Weisheitschristologie 31, 81 Weisheitsgestalt 132 Weisheitslogion 113 Weisheitspredigt 187 Weisheitsspekulation 355 Weisung 8, 221, 301, 358, 364, 386, 388, 485, 494, 500, 790, 840, 843 Weizen 195, 959 Weizenknappheit 38 Weizenkorn 959 Weizenmehl 438 Weltbild 888, 993, 994 Weltdeutung 178 Weltende 357, 981 Weltgericht 668, 928 Weltweisheit 82, 110, 120, 122, 124, 139, 163, 166, 990 Werke 144, 170, 187–88, 204, 209, 212, 283, 938, 1017 Werte 38, 108, 121, 148, 215, 220, 325, 584, 622, 623, 629, 824, 1017, 1021 Wertepriamel 755 Wettkampf 513, 514, 517, 519, 520 Wettlauf 511, 516 Wiederkunft Christi 51, 70. 71, 73, 75, 79, 199, 230, 234, 236, 284, 362, 386, 403, 406, 409, 424, 644, 657, 775–777, 781, 862, 909, 925, 928, 944, 966, 977, 981, 983, 995, 1017, 1026, 1032–1035
Wille 170, 238, 366, 405, 413, 457, 708, 774, 940, 1007, 1014 Witwen 352, 367–369, 397, 398, 421–423, 486, 747, 999 Witwer 368 Wolkensäule 526, 528 Wüstengeneration 523, 526, 527, 535, 539, 553, 554 Wüstenwanderung 522, 527, 530, 532, 541 Wunder 67, 119, 132, 156, 159, 194, 222, 527, 529, 667, 678, 685, 700, 702, 723, 738, 749, 763, 784 Xenokrates 556 Xenophon 262, 316, 331, 402, 415, 640, 747, 777, 797 Zaubersprüche 292 Zeus 20, 87, 231, 446, 608, 633, 666 Ziegen 288, 359 Zinzendorf 842 Zion 825, 999 Zivilprozesse 305, 308, 315 Zorn 532, 622, 653, 654, 765, 769 Zungenrede 676, 719, 791, 856, 857-859; s. auch Glossolalie Zwingli 651, 682 Zwischenreich 927–929, 931, 933 Zypern 482, 605, 742