Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher 9783417297379, 9783765597374, 3417297370

Die Historisch-Theologische Auslegungsreihe des Neuen Testaments (HTA) ist ein Projekt von Exegeten aus dem evangelikale

360 35 2MB

German Pages 333 [334] Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Abkürzungen
I. Zur Geschichte der Stadt Thessalonich
II. Die Gründung der christlichen Gemeinde
III. Die Ereignisse zwischen der 'Abreise' von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess
IV. Die Zusammensetzung der Gemeinde in Thessalonich: ehemalige Juden oder ehemalige Heiden?
V. Abfassungsort und -zeit des 1Thess
VI. Der Verfasser des 1Thess
VII. Die literarische Einheitlichkeit des 1Thess
VIII. Textüberlieferung des 1Thess
IX. Kommentar
Der Briefeingang 1,1-10
Das Präskript (Absender, Adressaten und Friedensgruß) 1,1
Das Proömium: Der Dank für die Erwählung und das Vorbild der Gemeinde 1,2-10
Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare in Thessalonich: eine Apologie in paränetischer Absicht 2,1-12
Eschatologie und Ethik 2,13-16
Vom Trennungsschmerz und einer Liebeserklärung 2,17-20
Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13
Ethik 4,1-12
Eschatologie 4,13-18
Eschatologie und Ethik 5,1-11
Der Briefschluss 5,12-28
Verzeichnisse
I. Literaturverzeichnis
Kommentare zum 1. Thessalonicherbrief
Weitere Literatur
II. Autorenverzeichnis
Recommend Papers

Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher
 9783417297379, 9783765597374, 3417297370

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Historisch-Theologische Auslegung

———————————————————————————————————

Neues Testament Herausgegeben von Gerhard Maier ٠ Heinz-Werner Neudorfer ٠ Rainer Riesner ٠ Eckhard J. Schnabel

Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher

Fritz W. Röcker

SCM R.BROCKHAUS, WITTEN BRUNNEN VERLAG, GIESSEN

© 2021 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Max-Eyth-Str. 41 · 71088 Holzgerlingen Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]

Umschlagsatz: Christoph Möller, Hattingen Satz: Satz & Medien Wieser, Aachen Druck und Bindung: Finidr s.r.o. Gedruckt in Tschechien

SCM R.Brockhaus ISBN 978-3-417-29737-9 (SCM R.Brockhaus) Bestell-Nr. 229.737 ISBN 978-3-7655-9737-4 (Brunnen) Bestell-Nr. 229.737 Datenkonvertierung: Stephan Maier, Achern

INHALT

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

I. Zur Geschichte der Stadt Thessalonich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

II. Die Gründung der christlichen Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

III. Die Ereignisse zwischen der „Abreise“ von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

IV. Die Zusammensetzung der Gemeinde in Thessalonich: ehemalige Juden oder ehemalige Heiden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

V. Abfassungsort und -zeit des 1Thess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

VI. Der Verfasser des 1Thess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

VII. Die literarische Einheitlichkeit des 1Thess . . . . . . . . . . . . . . . .

24

VIII. Textüberlieferung des 1Thess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

IX. Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Briefeingang 1,1-10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Präskript (Absender, Adressaten und Friedensgruß) 1,1 . . Das Proömium: Der Dank für die Erwählung und das Vorbild der Gemeinde 1,2-10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare in Thessalonich: eine Apologie in paränetischer Absicht 2,1-12 . . . Eschatologie und Ethik 2,13-16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Trennungsschmerz und einer Liebeserklärung 2,17-20 . . . . . Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13 . . . . . . . . . . . . . . . . . Ethik 4,1-12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eschatologie 4,13-18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eschatologie und Ethik 5,1-11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

... ... ...

27 27 27

...

34

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

71 110 132 142 176 224 263

Der Briefschluss 5,12-28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Kommentare zum 1. Thessalonicherbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 II. Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Vorwort der Herausgeber Die Kommentarreihe „Historisch-theologische Auslegung des Neuen Testaments“ will mit den Mitteln der Wissenschaft die Aussagen der neutestamentlichen Texte in ihrer literarischen Eigenart, im Hinblick auf ihre historische Situation und unter betonter Berücksichtigung ihrer theologischen Anliegen erläutern. Dabei sollen die frühere wie die heutige Diskussion und neben den traditionellen auch neuere exegetische Methoden berücksichtigt werden. Die gemeinsame Basis der Autoren der einzelnen Kommentare ist der Glaube, dass die Heilige Schrift von Menschen niedergeschriebenes Gotteswort ist. Der Kanon des Alten und des Neuen Testaments schließt den Grundgedanken der Einheit der Bibel als Gottes Wort ein. Diese Einheit ist aufgrund des Offenbarungscharakters der Heiligen Schrift vorgegeben und braucht nicht erst hergestellt zu werden. Die Kommentatoren legen deshalb das Neue Testament mit der Überzeugung aus, dass die biblischen Schriften vertrauenswürdig sind und eine Sachkritik, die sich eigenmächtig über die biblischen Zeugen erhebt, ausschließen. Wo Aussagen der biblischen Verfasser mit außerbiblischen Nachrichten in Konflikt stehen oder innerhalb der biblischen Schriften Spannungen und Probleme beobachtet werden, sind Klärungsversuche legitim und notwendig. Bei der Behandlung umstrittener Fragen möchten die Autoren vier Regeln folgen: 1. Alternative Auffassungen sollen sachlich, fair und in angemessener Ausführlichkeit dargestellt werden. 2. Hypothesen sind als solche zu kennzeichnen und dürfen auch dann nicht als Tatsachen ausgegeben werden, wenn sie weite Zustimmung gefunden haben. 3. Offene Fragen müssen nicht um jeden Preis entschieden werden. 4. Die Auslegung sollte auch für denjenigen brauchbar sein, der zu einem anderen Ergebnis kommt. Unser Kommentar will keine umfassende Darstellung der Auslegung eines neutestamentlichen Buches in Geschichte und Gegenwart geben. Weder bei der Auflistung der Literatur noch in der Darstellung der Forschungsgeschichte oder der Auseinandersetzung mit Auslegungspositionen wird Vollständigkeit angestrebt. Die einzelnen Autoren haben hier im Rahmen der gemeinsamen Grundsätze die Freiheit, beim Gespräch mit der früheren und aktuellen Exegese eigene Akzente zu setzen. Die Kommentarreihe unternimmt den Versuch einer „geistlichen Auslegung“. Über die möglichst präzise historisch-philologische Erklärung hinaus soll die Exegese die Praxis von Verkündigung, Seelsorge sowie Diakonie im Blick behalten und Brücken in die kirchliche Gegen-

6

Vorwort der Herausgeber

wart schlagen. Die Autoren gehören zu verschiedenen Kirchen und Freikirchen der evangelischen Tradition. Unterschiede der Kirchen- oder Gemeindezugehörigkeit, aber auch unterschiedliche exegetische Meinungen wollen sie weder gewaltsam einebnen noch zum zentralen Thema der Auslegung machen. Der Nähe zur gemeindlichen Praxis wird dadurch Rechnung getragen, dass neben griechischen bzw. hebräischen Texten die entsprechenden Begriffe noch einmal in Umschrift erscheinen. Auf diese Weise kann auch dem sprachlich nicht entsprechend ausgebildeten Laien zumindest eine Andeutung der Sprachgestalt der Grundtexte vermittelt werden. Die Auslegung folgt einem gemeinsamen Schema, das durch römische Ziffern angezeigt wird. Leserinnen und Leser finden unter I eine möglichst genaue Übersetzung, die nicht vorrangig auf eine eingängige Sprache Wert legt. Unter II ist Raum für Bemerkungen zu Kontext, Aufbau, literarischer Form oder Gattung sowie zum historischen und theologischen Hintergrund des Abschnitts. Unter III folgt dann eine Vers für Vers vorgehende Exegese, die von Exkursen im Kleindruck unterbrochen sein kann. Abschließend findet man unter IV eine Zusammenfassung, in der das Ziel des Abschnitts, seine Wirkungsgeschichte und die Bedeutung für die Gegenwart dargestellt werden, soweit das nicht schon im Rahmen der Einzelexegese geschehen ist. Alle Auslegung der Bibel als Heiliger Schrift ist letztlich Dienst in der Gemeinde und für die Gemeinde. Auch wenn die „Historisch-theologische Auslegung“ keine ausdrückliche homiletische Ausrichtung hat, weiß sie sich dem Ziel verpflichtet, der Gemeinde Jesu Christi für ihren Glauben und ihr Leben in der säkularen Moderne Orientierung und Weisung zu geben. Die Herausgeber hoffen, dass die Kommentarreihe sowohl das wissenschaftlich-theologische Gespräch fördert als auch der Gemeinde Jesu Christi über die Konfessionsgrenzen hinaus dient. Landesbischof i. R. Dr. Gerhard Maier Dr. Heinz-Werner Neudorfer Prof. Dr. Rainer Riesner Prof. Dr. Eckhard J. Schnabel

Abkürzungen

7

Abkürzungen Abkürzungen richten sich nach den Abkürzungsverzeichnissen S. Schwertner, IATG2. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin, New York 21992 und Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG4 (hg. von der Redaktion der RGG4), Tübingen 2007.

Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: A1CS: ACCS: BCC.NT: BDR: CBL: CThM.A: DDD: DPL: FoFaNT: GBL: GGBB: HvS: LXX.D: LSJ: NSS: NTAK: NW: RCS: OTP: WB6:

The Book of Acts in its First Century Setting Ancient Christian Commentary on Scripture Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch Calwer Bibellexikon Dictionary of Deities and Demons in the Bible Dictionary of Paul and his Letters Das große Bibellexikon Wallace, Greek Grammar Beyond the Basics Hoffmann / von Siebenthal, Griechische Grammatik zum Neuen Testament Septuaginta deutsch (ed. Kraus/Karrer) Liddell/Scott/Jones, A Greek-English Lexicon Neuer sprachlicher Schlüssel zum griechischen Neuen Testament Neues Testament und Antike Kultur Neuer Wettstein Reformation Commentary on Scripture Charlesworth, Old Testament Pseudepigrapha Bauer/Aland, Wörterbuch zum Neuen Testament, 61988

Weitere Abkürzung: κτλ. καὶ τὰ λοιπά (und so weiter)

Zur Geschichte der Stadt Thessalonich

9

I. Zur Geschichte der Stadt Thessalonich Die Stadt Thessalonich wurde durch den (späteren) makedonischen König Kassander (305–297 v.Chr.) im Jahr 316/315 v.Chr.1 am Meerbusen des Thermaischen Golfes (neu2) gegründet und erreichte schnell den Status einer Metropole als Hafen- und Handelsstadt. Der schnelle Aufstieg der Stadt erfolgte v.a. aufgrund der geopolitisch günstigen Lage als Verkehrsknotenpunkt zwischen Makedonien und der übrigen griechischen (östlichen) wie römischen (westlichen) Welt. Ihren Namen erhielt die Stadt nach der Frau Kassanders Θεσσαλονίκη [thessalonikē], die eine Halbschwester Alexander des Großen war (vgl. Strabo, VII Fr. 21.24).3 Nach der Niederlage des Perseus 168 v.Chr. bei Pydna durch das römische Heer begann die römische Zeit Makedoniens. Die Römer bauten schon bald einen der wichtigsten Verkehrsverbindungswege von Rom in den Osten des Reiches direkt an der Westmauer Thessalonichs vorbei: die Via Egnatia, die von Dyrrhachium und Apollonia an der östlichen Adriaküste bis zum Fluss Evros und weiter nach Byzanz führte.4 Unter Kaiser Tiberius (14–37 n.Chr.) wurde Thessalonich von 15–44 n.Chr. direkt dem Kaiser unterstellt und verlor das Recht einer senatorischen Provinz. Ab 44, unter Kaiser Claudius (41–54 n.Chr.), wurden der Stadt jedoch ihre früheren Rechte wieder zugestanden, was eine größere politische Eigenständigkeit und 1 Kassander gründete bzw. kolonisierte Thessalonich im Jahr der Hochzeit mit seiner Frau Thessalonike. Zur Zeit der Gründung Thessalonichs war er erfolgreicher Kriegsstratege und Heerführer, dem es u.a. durch die Heirat einer Tochter Phillips II, Thessalonike, gelang, seine Macht in Makedonien auszubauen und zu festigen. Vgl. zu Kassander H. Volkmann, Kassandros (κάσσανδρος) 2., KP 3, 1975, 145-148. 2 Zur Besiedlung des Ortes vor der Stadtgründung bzw. Kolonisierung durch Kassander vgl. D. Christianopulos, Therme. 3 Strabon berichtet über die Anfänge der Stadt (Übersetzung nach NW II/1, 767): „Nach dem Fluß Axios kommt die Stadt Thessalonike, die früher Therme genannt wurde. Sie wurde von Kassandros gegründet, der sie nach seiner Frau, einer Tochter Philipps, des Sohnes des Amyntas, benannte. Er siedelte die umliegenden Städtchen dorthin um, wie Chalastra, Ainea, Kissos und einige andere.“ Vgl. zur Gründung von Thessalonich Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 12; R. Riesner, Frühzeit, 298; ders., Thessalonich, GBL 3, 1989, 1545-1548, 1546. – Die Geschichte der Stadt in makedonischer und römischer Zeit ist knapp bei Chr. Velijanni-Tersi, Zeit und E. Vutyras, Thessaloniki dargestellt, besser zugänglich sind H.L. Hendrix, Thessalonica, AncB.D VI, 2008 (= 1992), 523-527; R. Riesner, Frühzeit, 297-301 und auch E.J. Schnabel, Mission, 1110-1113. Ausführlicher hierzu sowie auch zu den städtebaulichen archäologischen Erkenntnissen vgl. Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 12-73. – Insgesamt ist zur Geschichte von Thessalonich A.P. Vacalopoulos, History heranzuziehen. 4 Vgl. zur Bedeutung der Via Egnatia für Thessalonich Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 188191.

10

Zur Geschichte der Stadt Thessalonich

eine geringere Steuerlast zur Folge hatte. Thessalonich erhielt eine eigene Verwaltungshoheit, welche durch die ‚Volksversammlung‘ (δῆμος [dēmos], Apg 17,5, vgl. Josephus, Bell. VII 45)5 und den ‚Rat‘ (βουλή [boulē]) ausgeübt wurde. Die Spitze der Verwaltung bildeten die Politarchen (Apg 17,6), die jeweils nur als Gremium Entscheidungen treffen konnten.6 Die Bevölkerung war in sog. ‚Stämme‘ (φυλαί [ phylai]), vgl. 1Thess 2,14) eingeteilt. Inschriftlich sind z.B. die Phylen des Asklepios und des Dionysos belegt.7 Die Zeitenwende stellt eine der Blütezeiten der Stadt dar, welche bis deutlich ins erste Drittel des 1. Jh. n.Chr. andauerte. In diese Zeit „fällt die monumentale Gestaltung des wichtigsten Tores an der Westmauer, des Axiostores“8, das bis 1870 bestand, dann aber dem Erdboden gleichgemacht worden ist. Zur Zeit des Paulus lag die Bedeutung Thessalonichs nicht nur in der wirtschaftlichen Handelskraft und in ihrer verkehrspolitisch äußerst günstigen Lage, in der Stadt hatte sich auch eine breit gefächerte religiöse Landschaft ausgebildet. So konnte man in Thessalonich nicht nur den durch ein Serapäum nachgewiesenen Serapiskult finden, auch weitere Kulte wie der Isiskult, der Dionysoskult oder der Kabirenkult hatten jeweils eine beachtliche Zahl von Anhängern (vgl. 1Thess 1,9).9 Eine größere jüdische Gemeinde mit eigener Synagoge ist ebenfalls vorhanden gewesen (Apg 17,1).10 Zudem spielte die Bildung eine nicht geringe Rolle für das Ansehen der Stadt, war sie doch unter anderem Heimat der aus der Anthologia Palatina11 bekannten Dichter Antipatros (Mitte des 1.Jh. v.Chr.) und Philippos (um 40 n.Chr.).12 Die Abwesenheit von philosophischen Schulen in der Stadt weist jedoch darauf hin, dass sie keine Bildungsmetropole war.13

5 Zum δῆμος in Thessalonich und dessen juristischer Funktion vgl. Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 251-259. 6 Vgl. zur Funktion und nicht ganz klaren Anzahl der Politarchen ausführlich Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 259-265 und G.H.R. Horsley, Politarchs. 7 Vgl. die Belege bei Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 156f; vgl. zu den Phylen a.a.O., 155161 und die Diskussion mit v. Brocke bei F.W. Röcker, Belial, 241-245. 8 E. Vutyras, Thessaloniki, 30. 9 Vgl. zu den antiken Kulten in Thessalonich Chr. Steimle, Religion und F.W. Röcker, Belial, 245-253, sowie R. Hoppe 43-48. 10 Vgl. zur jüdischen Gemeinde z. Zt. des Paulus in Thessalonich und ihrer Synagoge F.W. Röcker, Belial, 233-235. 11 Vgl. zu dieser Anthologie, einem Miszellankodex aus dem 10. Jh. von 709 Seiten, K. Preisendanz, Anthologie, KP 1, 1979, 375-377, 376. 12 Vgl. E. Vutyras, Thessaloniki, 30f. 13 Vgl. B. Witherington 5 mit Anm. 22.

Die Gründung der christlichen Gemeinde

11

II. Die Gründung der christlichen Gemeinde Die Gemeinde von Thessalonich geht auf die Gründung durch die drei in 1Thess 1,1 als Briefabsender angegebenen Paulus, Silvanus und Timotheus zurück (1,5.9; 2,1, vgl. Apg 17,1 mit 15,40–16,3).14 Lukas erwähnt bei seiner Schilderung der Missionsereignisse in Mazedonien den Timotheus nicht unter den Gemeindegründern. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass Paulus und Silvanus als die Leiter des Missionarsteams erwähnt werden, Timotheus aber als der eher Unerfahrene unerwähnt bleibt. Eine eindeutige Antwort lässt sich darauf aber nicht geben, weil Timotheus im 1Thess stets als vollwertiger Mitarbeiter des Paulus erwähnt ist (1,1; 3,2.6 vgl. 2Thess 1,1).15 Es dürfte jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass Timotheus in Mazedonien tatsächlich mit dabei gewesen ist. Die drei kamen von Philippi, wo sie unter erheblichen Schwierigkeiten ebenfalls eine Gemeinde gründen konnten (1Thess 2,2, vgl. Apg 16,19-24), nach Thessalonich. Ihre ca. sechstägige Reise von Philippi nach Thessalonich führte sie über etwas mehr als 150 km entlang der Via Egnatia durch die Städte Amphipolis und Apollonia. In beiden Städten haben sie nach allem, was aus den paulinischen Briefen und der Apg bekannt ist, keine Gemeinden gegründet. Paulus und seine Mitarbeiter unterwiesen die Gemeinde in Thessalonich zunächst in der Grundlage aller christlichen Verkündigung, nämlich über die Heilsbedeutung des Todes und der Auferstehung Jesu Christi (1Thess 1,10), dabei spielten eschatologisch-apokalyptische Vorstellungen offensichtlich eine nicht geringe Rolle (1,10; 5,1f). Im Weiteren kann Paulus die Gemeinde in seinem Brief an die erfolgte Unterweisung hinsichtlich des christlichen Lebenswandels erinnern (4,1f), wobei er bei seiner Anfangsunterweisung besonderen Wert auf die gegenseitige Bruderliebe gelegt haben dürfte und diese auch auf fruchtbaren Boden in der Gemeinde gefallen ist (4,9f). Vom 1Thess her kann überhaupt geschlossen werden, dass Paulus bei seiner Gründungspredigt v.a. den Lebenswandel (Ethik) im Blick hatte, weniger hingegen die christliche Lehre (Dogmatik). So erinnert er die Gemeinde daran, welch enge und herzliche Gemeinschaft Gemeinde und Missionare während des Gründungsaufenthalt miteinander verbanden (2,7f) und welch herzliches Verhältnis er immer noch zu ihnen habe (2,17f; 3,12). Paulus rekurriert in seinem Brief 14 Vgl. R. Riesner, Frühzeit, 303f; zur Gründung der Gemeinde auch T.D. Still, Mission, 1014; E.J. Schnabel, Mission, 1113-1118. 15 Vgl. zu Silvanus und Timotheus unten bei der Auslegung zu 1Thess 1,1.

12

Die Gründung der christlichen Gemeinde

ebenfalls auf seine Hinweise, sich als Christen von eigener Arbeit zu ernähren und darin ein vorbildliches Sozialverhalten zu zeigen (4,11f ). Der inhaltliche Schwerpunkt seiner Predigt in Thessalonich scheint also darauf abgehoben zu haben, eine Gemeinde mit einem eigenen, gruppenidentifikatorischen christlichen Ethos zu bilden, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst war.16 Dass das Leben nach den christlichen Glaubensmaßstäben auch Verfolgung implizieren könne, hatte Paulus ebenfalls schon bei seinem Gründungsaufenthalt angesprochen (2,14; 3,3f ). Dies ist ein Indiz für eine eher schwierige Gründungssituation (vgl. 1,6; Apg 17,5-9), die der in Philippi vergleichbar gewesen sein dürfte (1Thess 1,6; 2,14, vgl. Apg 17,5-9). Freilich muss nicht davon ausgegangen werden, dass sich im 1Thess alle Aspekte der Predigt des Paulus in Thessalonich auch tatsächlich widerspiegeln. Die Antwort auf die Frage, wie lange sich die kleine Missionarsgruppe in Thessalonich aufgehalten hat, hängt v.a. davon ab, wie man die Angabe in Apg 17,2f bewertet. Demnach hatte Paulus ‚an drei Sabbaten‘ (ἐπὶ σάββατα τρία [epi sabbata tria]) in der dortigen Synagoge Texte ‚aus den Schriften‘ (ἀπὸ τῶν γραφῶν [apo tōn graphōn]) ausgelegt. Sodann kommt es darauf an, wie der Hinweis aus Phil 4,16 verstanden wird, wonach die Gemeinde aus Philippi den drei Missionaren in Thessalonich ‚zweimal‘ (καὶ ἅπαξ καὶ δίς [kai hapax kai dis])17 materielle Hilfe zukommen ließ. Bei einer Reisedauer zu Fuß von ca. fünf bis sechs Tagen18 lässt sich eine mehrfache Zuwendung aus Philippi innerhalb ca. eines Monats Aufenthaltsdauer des Missionarsteams in Thessalonich kaum unterbringen. Die Wendung in Phil 4,16 (vgl. auch 1Thess 2,18) ist am besten mit ‚wiederholt‘ zu übersetzen.19 Man wird den Aufenthalt in Thessalonich also etwas länger als drei bis vier Wochen veranschlagen müssen. Die Angaben des Lukas widersprechen dem nicht unbedingt. Lukas setzt voraus, dass Paulus, nachdem er in der Synagoge nicht mehr verkündigte, weil ihm dies möglicherweise verwehrt worden ist, im Haus des Jason weiter über den christlichen Glauben gesprochen hat. Immerhin wussten die Gegner des Paulus in Thessalonich, dass Paulus dort immer wieder gewesen sein musste. Als sie ihn aufgreifen wollten, hatten sie ihn dort zwar nicht angetroffen, aber ‚einige Brüder‘, die sie an seiner statt ‚vor die Obersten der Stadt schleiften‘ (Apg 17,6). Wahrscheinlich hat man sich diese Situation ähnlich wie in Korinth vorzustellen, wonach Paulus, nachdem er aus der Synagoge vertrieben worden war, im Haus des Titius Justus weitermissio16 17 18 19

Vgl. hierzu auch A.J. Malherbe 56. Vgl. zu diesem Syntagma die Auslegung zu 2,18 und auch D. Häußer, Phil, 322f. Vgl. zu den Reisegewohnheiten und -möglichkeiten in der Antike M. Giebel, Reisen. Vgl. WB6 161 s.voc. ἅπαξ.

Die Ereignisse zwischen der ‚Abreise‘ von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess

13

nierte (Apg 18,7). Ohne Weiteres kann so der Aufenthalt der drei Missionare in Thessalonich auch länger gedauert haben, evtl. zwei bis allerhöchstens vier Monate. Viel länger kann es aufgrund der angespannten Situation jedoch trotz allem nicht gewesen sein.20 Mit der Frage nach der Dauer des Aufenthalts der Missionarsgruppe in Thessalonich ist zudem eng die Frage nach der Abfassungszeit des 1Thess verbunden. Im 1Thess ist davon die Rede, dass die Gemeinde für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja ‚zum Vorbild geworden‘ sei (γενέσθαι … τύπον [genesthai … typon]), 1,7) und dass man überdies nicht nur in Mazedonien und Achaja, sondern ‚überall‘ (ἐν παντὶ τόπῳ [en panti topō]), 1,8) vom Glauben der Gemeinde spreche. Um solche Aussagen treffen zu können, musste die Gemeinde aber schon eine längere Zeit existiert haben. Wenn der 1Thess aber nur kurze Zeit nach dem Weggang der Missionare aus Thessalonich verfasst worden ist, und der Aufenthalt der Missionare nur recht kurze Zeit währte, dann muss erklärt werden, welche Voraussetzungen bestanden, dass Paulus diese Aussagen treffen konnte.

III. Die Ereignisse zwischen der ‚Abreise‘ von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess Das Missionarsteam musste Thessalonich recht überstürzt verlassen, hatten sich doch dort, nach dem Bericht des Lukas, teilweise tumultartige Szenen aufgrund der Verkündigung des Paulus zugetragen (Apg 17,5-9). Aber auch aus dem 1Thess lässt sich schließen, dass die Situation insgesamt recht angespannt gewesen sein musste (1,6; 2,14).21 Die Apg berichtet davon, dass von jüdischer Seite aus ein ‚Aufruhr in der Stadt‘ (θορυβεῖν τὴν πόλιν [thorybein tēn polin], 17,5) angestiftet wurde, in dessen Folge Jason,22 der die Missionare bei sich aufgenommen hatte, vor die Aristarchen der Stadt geschleppt worden sei, da Paulus und seine Mitarbeiter im Haus Jasons nicht gefunden werden konnten (17,6). Wo die Missionare waren, erfährt der Leser der biblischen Berichte nicht. Jason wird jedenfalls nach Zahlung einer Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt (17,9), und noch in derselben Nacht veranlassen ‚die Brüder‘, dass das Missionarsteam Thessalonich verlässt und nach Beröa weiterzieht (17,10). Aus dem 1Thess erfährt man über diese Ereignisse nichts. Aller20 Vgl. hierzu auch R. Riesner, Frühzeit, 322f. 21 Vgl. zur Verfolgungssituation in Thessalonich insgesamt unten bei den jeweiligen Auslegungen der beiden angegebenen Stellen. 22 Zu Jason vgl. unten bei Anm. 46 (S. 19).

14 Die Ereignisse zwischen der ‚Abreise‘ von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess dings lässt sich aus 1Thess 2,1-8 schließen, dass Paulus seine überstürzte Abreise aus Thessalonich gegenüber einem Teil der Gemeinde erklären musste, und zwar ganz offensichtlich deshalb, weil ihm dies persönlich nicht mehr möglich gewesen war und, soweit er das zur Zeit der Abfassung des 1Thess absehen konnte, es in naher Zukunft auch nicht möglich werden würde. „Wenn Paulus an einer Rückkehr ‚durch Satan gehindert‘ wurde (1Thess 2,18), dann war ihm offenbar aus irgendeinem Grund in Thessalonich der Boden zu heiß unter den Füßen. Da es keine gemeinsame Justiz der Städte gab, brachte Paulus schon jede kleinere Ortsveränderung in Sicherheit.“23 Dass sich die Gruppe nach Beröa zurückzog, ist insofern erstaunlich, als sich die Stadt weder an der Via Egnatia, die von Thessalonich Richtung Westen weiterführte, noch an der großen Straße an der Küste entlang nach Süden, also Richtung Athen, befand. Beröa liegt ca. 80 km west-südwestlich von Thessalonich, etwas abseits aller großen Straßenverbindungen am Abhang des Bermion, knapp 200 Höhenmeter oberhalb des Flusses Haliakmon.24 Möglicherweise hatte Paulus die Hoffnung, nach einer gewissen Zeit, in der sich die Lage in Thessalonich hätte beruhigen können, dorthin wieder zurückkehren zu können. Jedenfalls kann es gut sein, die Angabe in 1Thess 2,18 – ‚weshalb wir auch wiederholt zu euch kommen wollten, besonders ich, Paulus, aber der Satan hat uns (daran) gehindert‘ – auch mit Beröa in Zusammenhang zu bringen25 und nicht nur auf Ereignisse am Abfassungsort des 1Thess zu beziehen. In Beröa stellten ihnen ‚die Juden aus Thessalonich‘ (οἱ ἀπὸ τῆς Θεσσαλονίκης Ἰουδαῖοι [hoi apo tēs Thessalonikēs Ioudaioi], Apg 17,13) nach, sodass Paulus auch von dort recht bald und erneut unfreiwillig gehen musste, wobei er von ,den Brüdern‘ ans Meer begleitet wurde und von (einigen von) ihnen auch bis nach Athen begleitet worden ist (Apg 17,15a), was wohl am ehesten per Schiff 26 erfolgt sein dürfte. Silvanus und Timotheus blieben zunächst noch in Beröa zurück (Apg 17,14f ). Die Erwähnung der 23 R. Riesner, Frühzeit, 318. 24 Vgl. zu Beröa J.D. Wineland, Beroea, AncB.D I, 2008 (= 1992), 678-679; E.J. Schnabel, Mission, 1118. 25 Vgl. hierzu R. Riesner, Frühzeit, 319. 26 Der Hinweis in Apg 17,14 πορεύεσθαι ἕως ἐπὶ τὴν θάλασσαν (bis ans Meer zu gehen) dürfte auf eine Schiffsreise hinweisen, die in Pydna (oder Dion) begann. Vgl. hierzu und zur ebenfalls von einigen erwogenen Möglichkeit einer Reise über Land D.L. Bock, Acts, 557. Eine Reise über Land wird deshalb erwogen, weil u.a. der Mehrheitstext bei Apg 17,14 ἕως ἐπὶ τὴν θάλασσαν (bis zum Meer) als ὡς ἐπί … (als ob sie zum Meer [gehen würden]) liest. Damit läge eine Täuschung von möglichen Verfolgern vor: man tat so, als ob man zum Meer gehen würde, tatsächlich wurde aber der Landweg gewählt; vgl. hierzu auch I.H. Marshall, Acts, 281 Anm. 1. Instruktive Karten zu Mazedonien (und Achaja) bei E.J. Schnabel, Missionary, 93.95.99 und im Tübinger Bibelatlas, Karte B VI 2.

Die Ereignisse zwischen der ‚Abreise‘ von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess

15

‚Brüder‘ lässt darauf schließen, dass Paulus und seine Mitarbeiter in der kurzen Zeit in Beröa eine Gemeinde gründen konnten (Apg 17,11f ).27 Mit dem Versprechen, die beiden in Beröa Zurückgebliebenen baldmöglichst zu Paulus nach Athen zu schicken, verabschiedeten sich in Athen die ‚Brüder‘ aus Beröa von Paulus (17,15b). Während Paulus auf seine beiden Mitarbeiter wartete, begann er in Athen,28 auf dem Areopag mit den dort anwesenden Epikuräern und Stoikern29 (17,18) über Gott und die Götter zu diskutieren (17,18-32). Nach nur kurzem Aufenthalt in Athen reiste er jedoch weiter nach Korinth (18,1). Diese Schilderung der Ereignisse durch Lukas stehen in einer gewissen Spannung zu dem Hinweis in 1Thess 3,1, wird doch hier von Paulus gesagt: (διὸ μηκέτι στέγοντες εὐδοκήσαμεν καταλειφθῆναι ἐν Ἀθήναις μόνοι καὶ ἐπέμψαμεν Τιμόθεον … εἰς τὸ στηρίξαι ὑμᾶς καὶ παρακαλέσαι [dio mēketi stegontes eudokēsamen kataleiphthēnai en Athēnais monoi kai epempsamen Timotheon … eis to stērixai hymas kai parakalesai] (weil wir es nicht mehr ausgehalten haben, beschlossen wir, in Athen allein zurückzubleiben und sandten den Timotheus … damit er euch stärke und tröste). Meist wird diese Aussage so verstanden, als habe Paulus den Timotheus von Athen aus nach Thessalonich zurückgesandt. Die 1. Person Plural wird also auf Paulus, Timotheus und Silvanus bezogen – die Nachricht der Apg wird dabei als ungenaue Angabe bewertet.30 Für das Verhältnis von 1Thess 3,1-3 und Apg 17,14f gab es allerdings auch Versuche, die inhaltliche Differenz nicht als Widerspruch zu verstehen.31 Ausführlich hat sich hierzu Karl P. Donfried geäußert,32 der zu dem Ergebnis kommt, dass 1Thess 3,1 ein rhetorischer Plural vorliege, also nur Paulus damit gemeint sei. Demnach wäre Paulus in Athen tatsächlich allein gewesen. Der Plural des Adjektivs ‚allein‘ (μόνοι [monoi]) sei den Plu27 Zur christlichen Gemeinde in Beröa vgl. E.J. Schnabel, Mission, 1119; ders., Missionary, 98. 28 Vgl. zu Athen E.J. Schnabel, Mission, 1120-1123 und ausführlicher H.M. Martin, Athens, AncB.D I, 2008 (= 1992), 513-518. 29 Vgl. zu diesen beiden philosophischen Schulen knapp und informativ H. Rosenau, Hellenistisch-römische Philosophie, NTAK 3, 2005, 1-5.7-10; ausführlicher ist H.-J. Klauck, Umwelt II, 77-123. 30 Vgl. W.G. Kümmel, Einleitung, 221; U. Schnelle, Einleitung, 62 und aus den Kommentaren z.B. G. Haufe 56; T. Holtz 124. 31 Einen davon bietet Th. Zahn, Einleitung I, 146f, einen anderen D. Guthrie, Introduction, 568f; weitere sind z.B. bei E. v. Dobschütz 14f verzeichnet. Dobschütz geht a.a.O., 15f davon aus, dass Paulus einem der von Athen zurückreisenden ‚Brüder‘ aus Beröa den Auftrag gegeben habe, den noch in Beröa weilenden Timotheus nach Thessalonich zu schicken und ihm zu sagen, dass er (und Silas) daraufhin ‚möglichst schnell‘ (Apg 17,15) zu ihm kommen solle. 32 K.P. Donfried, Timothy.

16 Die Ereignisse zwischen der ‚Abreise‘ von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess ralformen der finiten Verben εὐδοκήσαμεν [eudokēsamen] (wir beschlossen) und ἐπέμψαμεν [epempsamen] (wir sandten) geschuldet.33 Nachdem Paulus Athen verlassen habe, sei er mit den beiden aus Beröa Kommenden in Korinth wieder zusammengetroffen (Apg 18,5). Von hier aus habe er dann den Timotheus umgehend zurück nach Thessalonich geschickt, um die dortige Gemeinde zu ‚stärken und zu trösten‘ (1Thess 3,2), machte Paulus sich doch, aufgrund der Verfolgungssituation in Thessalonich, große Sorgen um die Gemeinde (2,14; 3,2f ). Demnach wären Timotheus und Silas nie in Athen gewesen. Unter der Voraussetzung, dass monoi 1Thess 3,1 rhetorischer Plural sei, wäre die Spannung zwischen dem Reisebericht bei Lukas und der Angabe im 1Thess tatsächlich aufgelöst. Es ist m.E. jedoch wahrscheinlicher, mit Eckhard J. Schnabel anzunehmen, dass Paulus zwar (zunächst) allein in Athen gewesen ist, die beiden Kollegen dann aber noch in Athen zu ihm gestoßen waren.34 In diesem Fall muss für den Bericht in Apg 17f angenommen werden, dass Lukas über eine gemeinsame Zeit von Paulus, Timotheus und Silvanus in Athen nichts berichtet, dass also tatsächlich eine Auslassung in der Apg vorliege. Dies könnte der extrem kurzen Zeit (höchstens zwei oder drei Tage) des gemeinsamen Aufenthalts dort geschuldet sein. Eine so kurze Zeit anzunehmen, scheint mir aufgrund der Sehnsucht des Paulus, den Kontakt zu den Thessalonichern möglichst eng und persönlich zu halten, wahrscheinlich zu sein.35 Für 1Thess 3,1 ist dann kein rhetorischer Plural anzunehmen. Noch von Athen aus dürfte Paulus also den Timotheus wieder zurück nach Thessalonich geschickt haben (1Thess 1,3-5) und den Silas evtl. nach Philippi (2Kor 11,9; Phil 4,14).36 In Korinth trafen die drei wieder aufeinander (Apg 18,5). Dass Paulus den Timotheus noch während der Reise von Beröa nach Athen zurückgeschickt habe,37 will nicht zu der Angabe der Apg passen, wonach Timotheus und Silvanus in Beröa zurückgeblieben seien, man aber dem Paulus versprach, diese beiden baldmöglichst nachzusenden. Auf der Reise von Beröa nach Athen wurde Paulus nicht durch seine beiden Mitarbeiter, sondern eher doch durch Gemeindeglieder aus Beröa ‚begleitet‘38 (Apg 17,14f ). Pau33 Im Anschluss an K.P. Donfried so auch R. Riesner, Frühzeit, 321. 34 Vgl. E.J. Schnabel, Mission, 1119. 35 Vgl. 1Thess 2,17f und 3,1-5, bei letzterem Abschnitt besonders die Verben στέγειν (aushalten) und πέμπειν (senden); hierzu und zu 2,17f vgl. die Auslegung z.St. 36 So E.J. Schnabel, Mission, 1119f, vgl. so schon F.X. Plözl, Mitarbeiter, 132 (Silas wurde nach Beröa zurückgeschickt), vgl. weiter I.H. Marshall, Acts, 281 und A.J. Malherbe 70f. 37 So R. Riesner, Frühzeit, 321. 38 Zur klassischen, im NT singulären Verwendung von καθιστῆναι (Apg 17,15) in der Bedeutung ‚an einen Ort bringen‘, ‚geleiten‘ vgl. WB6 792 s.voc. καθίστημι; NSS I, 772 und J.-A. Bühner, καθίστημι κτλ., EWNT2 II, 1992, 553-555, 554.

Die Ereignisse zwischen der ‚Abreise‘ von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess

17

lus selbst konnte sich offensichtlich weder von Athen aus noch von Korinth und erst recht nicht von Beröa aus auf den Weg nach Thessalonich machen, weil er ‚vom Satan gehindert wurde‘ (1Thess 2,18). Der Aufenthalt des zurückgeschickten Timotheus in Thessalonich dürfte nur wenige Tage betragen haben, erwartete man (in Korinth) doch dringend Nachricht über das Ergehen der dortigen Gemeinde. Für die Reise des Timotheus von Athen nach Thessalonich und wieder zurück nach Korinth dürften ca. sechs bis maximal sieben Wochen zu berechnen sein. Kurz nachdem Timotheus aus Thessalonich erfreuliche Nachrichten (nach Korinth) brachte (1Thess 3,6-8), verfasste Paulus in Korinth den 1Thess. Möglicherweise antwortet Paulus v.a. in den Kapiteln 4 und 5 auf einen Brief, den Timotheus aus Thessalonich mitgebracht hatte,39 in jedem Fall hat er „certainly reported in full to Paul“, wobei bei den Themen, die 1Thess 4 und 5 angesprochen sind, deutlich ist, dass sie „respond to reports from Timothy“.40 Ob diese nun schriftlich vorlagen oder nicht, muss aber offengelassen werden. Berechnet man die Zeit, die zwischen der erzwungenen ‚Abreise‘ des Missionarsteams von Thessalonich und der Abfassung des 1Thess liegen muss, so ist für die reine Reisezeit von Thessalonich nach Beröa eine Dauer von zwei bis drei Tagen zu veranschlagen. In Beröa selbst muss Paulus eine gewisse Zeit gewesen sein, da er dort zusammen mit seinen beiden Mitarbeitern eine kleine Gemeinde gründen konnte. Dieser Aufenthalt konnte aufgrund der Nachstellungen aus Thessalonich jedoch nicht länger als ein bis zwei Monate gedauert haben (Apg 17,10-12). Für die Reise von Beröa nach Athen sind ca. zwei Wochen zu veranschlagen (17,15). Die Wirksamkeit in Athen dürfte nicht mehr als drei bis vier Wochen gedauert haben (17,16ff ). Die Reise von Athen nach Korinth bewältigt man gut in drei Tagen (18,1).41 So kommt man auf eine Zeit von ca. drei bis vier Monaten zwischen der ‚Abreise‘ aus Thessalonich und der Ankunft des Paulus in Korinth. Hier muss er, wie gesagt, schon bald erneut Timotheus und Silvanus getroffen haben (18,5), nachdem sie sich noch in Athen getrennt hatten. Zwischen der ‚Abreise‘ aus Thessalonich und der Abfassung des 1Thess sind also nicht mehr als ca. sechs Monate vergangen. Für eine kurze Zeit 39 Vgl. W.G. Kümmel, Einleitung, 224 mit Verweis auf C.E. Faw, On the Writing of First Thessalonians, JBL 71, 1952, 217-225. Die jeweilige Einführung neuer Themen durch die Präposition περί (4,9.13; 5,1.12) könnte als Hinweis auf Anfragen aus der Gemeinde durch einen Brief gewertet werden. Mit einem Brief der Thessalonicher an Paulus rechnet auch A.J. Malherbe, Thessalonians; im Anschluss an ihn wird dies auch von R.S. Ascough, Thessalonians, 4 erwogen. 40 M.L. Stirewalt Jr., Paul, 59.60. 41 Vgl. zu den Reisezeiten R. Jewett, Paulus, 105f.

18 Die Zusammensetzung der Gemeinde in Thessalonich: ehm. Juden oder ehm. Heiden? zwischen Abfassung des 1Thess und dem Verlassen der Gemeinde in Thessalonich sprechen auch mehrere Hinweise im 1Thess. So spricht 2,17 davon, dass Paulus nur ‚eine kurze Zeit‘ (πρὸς καιρὸν ὥρας [ pros kairon hōras]) von der Gemeinde getrennt gewesen war, und auch die zahlreichen Hinweise auf den Gründungsaufenthalt (1,5; 2,1.5.9.10) weisen in diese Richtung.42 Offensichtlich war es möglich gewesen, dass aufgrund der Reisetätigkeit der Missionare, der Nachstellungen der Gegner des Paulus aus Thessalonich in Beröa und natürlich auch aufgrund der Verkündigungstätigkeit des Paulus selbst, in Mazedonien und Achaja vom Glauben der Thessalonicher gesprochen wurde. Die Nachrichten über das Ergehen der drei Missionare in Thessalonich und über die Situation der Gemeinde dort dürfte also mindestens bei den Christen in den mazedonischen Städten Philippi und Beröa und auch in Korinth, das zu Achaja gehörte, bekannt gewesen sein. Darüber hinaus ist es überaus wahrscheinlich, dass auch bei der christlichen Gemeinde in Troas (an jedem Ort [?]; 1Thess 1,8), möglicherweise aufgrund der Reisetätigkeit einiger aus Philippi, Nachrichten aus Thessalonich verbreitet worden waren.43

IV. Die Zusammensetzung der Gemeinde in Thessalonich: ehemalige Juden oder ehemalige Heiden? Die Frage nach der Zusammensetzung der durch Paulus gegründeten Gemeinde in Thessalonich bereitet v.a. deshalb Probleme, weil nicht klar ist, wie groß die Personengruppe war, die vor ihrer Konversion zum christlichen Glauben dem jüdischen Glauben zuzurechnen war. Nach 1Thess 1,9 muss davon ausgegangen werden, dass eine ganze Anzahl von ehemaligen Nichtjuden zur Gemeinde gehörte. Auf der anderen Seite setzt der Verfasser des Briefes eine eingehende Kenntnis der atl. Tradition und der jüdisch-apokalyptischen Vorstellungen voraus, die so nur von ehemaligen Juden erwartet werden kann.44 Zudem berichtet Apg 17,4 davon, dass Paulus und seine Mitarbeiter mindestens den ersten Kern der Gemeinde aus dem Umfeld der Synagoge gewinnen konnte: ‚einige von ihnen‘ (τινες ἐξ αὐτῶν [tines ex autōn]) sc. aus der Syna42 Vgl. hierzu und zu weiteren Hinweisen R. Riesner, Frühzeit, 324. Die Annahme von R.A. Ascough, Thessalonians, 3, dass die Zeit zwischen dem Gründungsaufenthalt des Paulus und der Abfassung des 1Thess lediglich „a matter of weeks“ gewesen sein könnte, scheint mir etwas knapp zu sein. 43 Zur Gemeindegründung in Troas vgl. 2Kor 2,12 und E.J. Schnabel, Mission, 1191-1193. 44 Die Bedeutung des AT bzw. der jüdisch-apokalyptischen Tradition für den 1Thess schätzt z.B. A.J. Malherbe 56.81-86 als eher unbedeutend ein; er sieht vielmehr eine Nähe des Briefes zu antiken philosophischen Traditionen (vgl. auch ders., Paul).

Die Zusammensetzung der Gemeinde in Thessalonich: ehm. Juden oder ehm. Heiden?

19

goge, also von den Juden; 17,1) kamen zum Glauben, zudem ‚eine große Menge gottesfürchtiger Griechen‘ (τῶν τε σεβομένων Ἑλλήνων πλῆθος πολύ [tōn te sebomenōn Hellēnōn plēthos poly]) und ‚nicht wenige von den gesellschaftlich höher gestellten Frauen‘ (γυναικῶν τε τῶν πρώτων οὐκ ὀλίγαι [gynaikōn te tōn prōtōn ouk oligai]). Über den jüdischen Hintergrund der Gemeinde, an die der 1Thess gerichtet war, sind verschiedene Dinge bekannt. So sind im NT drei Personen aus der Gemeinde von Thessalonich namentlich erwähnt, von denen zwei mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Juden waren. Diese drei sind Jason (Ἰάσων [Iasōn]): Apg 17,5-9 (Röm 16,21); Aristarchus (Ἀρίσταρχος [Aristarchos]): Apg 19,29; 20,4; 27,2; Kol 4,10f; Phlm 24 und Sekundus (Σεκοῦνδος [Sekoundos]): Apg 20,4. Mehrere andere Personen werden en passant erwähnt, deren ursprüngliche religiöse Herkunft nicht mehr eruiert werden kann: ‚einige Brüder‘ (τινες ἀδελφοί [tines adelphoi]): Apg 17,6.10), vgl. ‚diese alle‘ (οὗτοι πάντες [houtoi pantes]); 17,7) und ‚die übrigen‘ (οἱ λοιποί [hoi loipoi]); 17,9). Bei Jason, von dem am meisten unter den drei namentlich Erwähnten bekannt ist, lässt der Name auf eine jüdische Herkunft schließen.45 Ἰάσων [Iasōn] ist die gräzisierte Form des sonst üblichen Ἰησοῦς [Iēsous], was wiederum Transliteration von ‫ [ ֵישׁוַּע‬ješūaʿ] ist.46 Jason dürfte mit dem in Röm 16,21 genannten Jason identisch sein.47 Er war mit Sicherheit gebürtiger Jude, nennt ihn Paulus doch dort ὁ συγγενής μου [ho syngenēs mou] (mein [Stamm]Verwandter). In seinem Haus dürfte sich zumindest anfangs die Gemeinde versammelt haben, evtl. war er sogar „ein Gemeindeleiter“.48 Apg 17,5f berichtet davon, dass sich im Haus des Jason mehrere ‚Brüder‘ befanden, als ‚die Juden‘ (οἱ Ἰουδαῖοι [hoi Ioudaioi]) zusammen mit Männern recht zweifelhaften Leumundes aus der Stadt die Herausgabe des Paulus und Silvanus forder-

45 Vgl. zum Folgenden ausführlich F.W. Röcker, Belial, 235-241. 46 Vgl. zu Jason als jüdischem Namen z.B. R.J. Bauckham, Names, 206; A.F Walls, Jason, GBL II, 1988, 649 und aus den Kommentaren z.B. R. Pesch, Apg 2, 123; C.E.B. Cranfield, Romans II, 806. – Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 239f, will in Jason am ehesten einen ehemaligen Heiden sehen. F. Morgan Gillman, Jason, AncB.D 3, 1992, 649, spricht dagegen von einem „Hellenistic Jew“. 47 Vgl. R. Riesner, Frühzeit, 307 und v.a. F. Morgan-Gillman, Jason, 40 und auch dies., Jason, AncB.D. 3, 1992, 649, aus den Kommentaren nur etwa K. Haacker, Röm, 329. 48 So J. Jervell, Apg 434. Vgl. zu Jasons ‚Haushalt‘ A.J. Malherbe, Thessalonians, 12-17, der den Informationen aus der Apg praktisch keinerlei historische Zuverlässigkeit bescheinigt. Zur Kritik an Malherbe vgl. z.B. F. Morgan-Milligan, Jason, 48f.

20 Die Zusammensetzung der Gemeinde in Thessalonich: ehm. Juden oder ehm. Heiden? ten.49 Hieraus kann geschlossen werden, dass sich Jason zu dieser Zeit bereits zur christlichen Gemeinde zählte, also ein konvertierter Jude war.50 Bei den beiden weiteren neben Jason namentlich aus den Paulusbriefen und der Apg bekannten Mitgliedern der Gemeinde von Thessalonich lassen sich wenigstens bei Aristarchus relativ sichere Angaben über seinen vorchristlichen Hintergrund machen. Er ist in Phlm 24 als Mitarbeiter des Paulus erwähnt. In Kol 4,10 gehört er wie schon in Phlm 24 zu den Grüßenden; er ist Mitgefangener des Paulus. Aus Kol 4,11 ist ersichtlich, dass er Judenchrist gewesen sein muss ([ὁ ὦν] ἐκ περιτομῆς [(ho ōn) ek peritomēs] [der aus der Beschneidung ist]), d.h. er war entweder gebürtiger Jude oder aber Proselyt. Er muss den Paulus während des Demetriusaufstandes in Ephesus (Apg 19,29) und auch bei der Kollektenreise begleitet haben (Apg 20,4). Später findet man Aristarchus bei der Romreise im Umfeld des Paulus wieder (Apg 27,2).51 Christoph v. Brocke schließt aus der Apg 27,2 belegten Wortverbindung Ἀριστάρχου Μακεδόνος Θεσσαλονικέως [Aristarchou Makedonos Thessalonikeōs] (Aristarchus, ein Makedone aus Thessalonich), dass Aristarchus ein gebürtiger Makedone gewesen sein müsse, im Gegenüber zu den in Thessalonich wohnhaften Bevölkerungsgruppen der Thraker, Römer u.a.52 Dies lässt m.E. in Verbindung mit Kol 4,11 darauf schließen, dass er zu den Proselyten zu zählen ist. Wahrscheinlich gehörte er, ebenso wie Jason, zu den wohlhabenderen Personen in Thessalonich.53 Sekundus gehörte wie Aristarchus zur Kollektendelegation aus Mazedonien und Achaja (Apg 20,4), die diese nach Jerusalem bringen sollte. Bei Sekundus, der sonst nirgends im NT erwähnt wird, kann wenigstens nicht ausgeschlossen werden, dass er einstiger Gottesfürchtiger gewesen ist. Weil davon auszugehen ist, dass die Notiz in Apg 17,4, eine Menge Gottesfürchtiger habe zu den Erstbekehrten in Thessalonich gehört, mindestens zum Teil historisch Richtiges überliefert und Sekundus zu diesen Erstbekehrten gehörte,54 ist es am wahrscheinlichsten, dass man ihn unter eben jenen Gottesfürch49 Anders G. Schille, Apg, 351, der nicht ‚die Juden‘, sondern τῶν ἀγοραίων ἄνδρες πονηροί (üble Männer vom Marktgesindel, Apg 17,5) als diejenigen sehen will, die vor das Haus des Jason zogen: „‚Die Juden‘ ist ein verengter Sprachgebrauch = die Gegner.“ 50 Vgl. z.B. R. Pesch, Apg 2, 123. Evtl. war er, ähnlich wie Lydia in Philippi, der Erste in Thessaloniki, der konvertierte und Paulus daraufhin nötigte, in sein Haus zu kommen (vgl. F. Morgan-Gillman, Jason, 49). 51 Vgl. zu Aristarchus F.X. Pölzl, Mitarbeiter, 234-237; W.-H. Ollrog, Mitarbeiter, 46f; R. Riesner, Frühzeit, 307f; Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 242-249. 52 Vgl. Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 248f. 53 Vgl. B.W. Winter, Setting, 306f. Zum sozialen Status von Jason vgl. auch Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 240-242. 54 Vgl. dazu R. Riesner, Frühzeit, 308.310.

Die Zusammensetzung der Gemeinde in Thessalonich: ehm. Juden oder ehm. Heiden?

21

tigen sucht – es sei denn, man will ihn zu den Proselyten rechnen. Colin J. Hemer weist auf die mazedonische Herkunft des Namens Sekundus hin,55 und Rainer Riesner meint, Sekundus sei Civis Romanus gewesen.56 Beides könnte eher gegen einen gebürtigen Juden sprechen, nichts spricht jedoch gegen einen Proselyten und erst recht nichts gegen einen Gottesfürchtigen. Man darf davon ausgehen, dass in der Anfangszeit der Gemeinde in Thessalonich ein großer, wahrscheinlich sogar der größte Teil der Gemeinde aus sog. Gottesfürchtigen bestand,57 Personen also, die enge Kontakte zum Judentum gepflegt hatten, ohne selbst Vollmitglied der jüdischen Gemeinde zu werden.58 Dies geht v.a. aus Apg 17,4 hervor: καί τινες ἐξ αὐτῶν ἐπείσθησαν καὶ προσεκληρώθησαν … τῶν τε σεβομένων Ἑλλήνων πλῆθος πολύ [kai tines ex autōn epeisthēsan kai proseklērōthēsan … tōn te sebomenōn Hellēnōn] (und einige von ihnen [sc. von den Juden; vgl. V. 1] … wurden überzeugt und von den gottesfürchtigen Griechen schloss sich eine große Menge [Paulus und Silvanus] an). Sowohl mit σεβόμενοι [sebomenoi] (wörtlich: die, die verehren) als auch mit den erwähnten ‚vornehmen Frauen‘ (γυναῖκες τῶν πρῶτων [gynaikes tōn prōtōn]) dürften Gottesfürchtige gemeint sein.59 Die Attraktivität des Judentums für Heiden (im syrischen Antiochia) ist z.B. bei Josephus, Bell. VII 45 belegt: „[die Juden] veranlassten ständig eine Menge Griechen, zu ihren Gottesdiensten zu kommen, und machten diese gewissermaßen zu einem Teil der ihren“.60 Man kann also nur insofern mit Recht behaupten, die Gemeinde in Thessalonich hätte zum größten Teil aus ehemaligen Heiden bestanden, als die Mitglieder der Gemeinde zwar Personen gewesen sein dürften, deren Herkunft ursprünglich das Heidentum gewesen war, die sich aber mehr oder weniger eng dem Judentum angeschlossen hatten. D.h. sie waren z.Zt. ihrer Zuwendung zur christlichen Gemeinde entweder Proselyten oder ‚Gottesfürchtige‘. Proselyten dürften dabei nur zu einem geringen Anteil zur Gemeinde gehört haben, da die ohnehin praktisch nicht vorhandene jüdische Proselytenwer55 C.J. Hemer, Acts, 236. 56 R. Riesner, Frühzeit, 310 mit Anm. 79, so auch Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 244.249. 57 Vgl. R. Riesner, Mission, 249; B. Wander, Gottesfürchtige, 194; M. Reiser, Paulus, 83.89.91. 58 Für eine Mehrheit ehemaliger Heiden sprechen sich z.B. G. Haufe 10f; A.J. Malherbe 56f.58f; Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 114f aus. 59 Vgl. hierzu R. Riesner, Frühzeit, 304-309; vgl. zu den ‚Gottesfürchtigen‘ unter Auswertung aller für den hier infrage stehenden Zeitraum bekannten antiken Belege, I. Levinskaya, A1CS 5, 1996, 51-126, und die Arbeiten von F. Siegert, Gottesfürchtige (zu deren Erwähnung in Apg 17,4 a.a.O., 137f ), B. Wander, Gottesfürchtige, sowie M. Hengel; A. M. Schwemer, Paulus, 101-119 und F.W. Röcker, Gottesfürchtige, CBL I, 2003, 467-468. 60 Übersetzung nach der von Michel/Bauernfeind besorgten zweisprachigen Ausgabe.

22 Die Zusammensetzung der Gemeinde in Thessalonich: ehm. Juden oder ehm. Heiden? bung61 keine allzu großen Erfolge verzeichnen konnte.62 Der überaus größte Anteil ist also den ‚Gottesfürchtigen‘ zuzurechnen. Von diesen kann denn auch mit Recht von einem ehemaligen Pharisäer strengster Ordnung, wie es Paulus einst gewesen war,63 gesagt werden, sie hätten sich abgekehrt von den Götzen und dem lebendigen und wahren Gott zugewandt, als sie sich zum christlichen Glauben bekehrten (1Thess 1,9f ).64 Im Judentum wurde erst von den Proselyten gesagt, sie hätten sich Gott zugewandt,65 nicht jedoch von den ‚Gottesfürchtigen‘, die in den Augen der Juden de facto und de jure stets Heiden blieben. Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Die Gottesfürchtigen der Synagoge (in Thessalonich) waren mit vielen der religiösen und theologischen Vorstellungen des Judentums vertraut gewesen. Ihr regelmäßiger Synagogenbesuch hatte sie in das religiöse Milieu des Judentums eingeführt. In Thessalonich dürfte sich zur Zeit der Abfassung des 1Thess die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder der christlichen Gemeinde aus eben diesen ‚Gottesfürchtigen‘ rekrutiert haben. Im Übrigen hält Traugott Holtz mit Recht für Thessalonich fest, dass die Sprache des 1Thess „durch das Judengriechische wesentlich bestimmt (ist) und zu einem entscheidenden Teil nur dem voll verständlich […], der dieses kennt“.66 Der Verfasser des 1Thess hat nicht am Verstehenshorizont seiner Adressaten vorbeigeschrieben. Paulus mutet in seinen Briefen den relativ neu zum Christentum Hinzugekommenen (ehemaligen Gottesfürchtigen) eine recht gute Kenntnis der atl. Schriften und Vorstellungen sowie der jüdischen Auslegungsmethoden und theologischen Traditionen zu, so im Phil, Gal, 1/2Kor, aber eben auch im 1Thess.

61 Zur nicht vorhandenen vorchristlichen jüdischen Missionstätigkeit vgl. R. Riesner, Mission, 223-243; ähnlich schon Bill. I, 925 (zu Mt 23,15). 62 Vgl. J. Jeremias, Jerusalem, 355; zur rechtlichen Stellung der Proselyten im Judentum vgl. a.a.O., 358-367. Eine knappe Sammlung von Texten zu den Proselyten aus dem rabbinischen Judentum bieten H.G. Kippenberg; G.A. Wewers, Textbuch, 152-157. 63 Vgl. zur jüdischen Ausbildung des Paulus M. Hengel; R. Deines, Paulus, 130-147 und M. Hengel; A.M. Schwemer, Urgemeinde, 207-210. 64 Freilich ist damit nicht ausgeschlossen, dass auch Personen zur Gemeinde hinzugestoßen sind, die vorher keinen Kontakt zur Synagoge hatten. Nur waren diese weder die ersten Adressaten des Paulus, noch dürften sie in der Gemeinde (mindestens in der ersten Zeit) eine dominierende Rolle gespielt haben. Vgl. M. Reiser, Paulus, 91. 65 Wobei selbst die Proselyten Abraham nicht ihren Vater nennen durften, vgl. M. Reiser, Paulus, 86 Anm. 56, der auf mBik 1,4 (Goldschmidt I, 429) hinweist. 66 T. Holtz 10.

Abfassungsort und -zeit des 1Thess

23

V. Abfassungsort und -zeit des 1Thess Der Ort der Abfassung des 1Thess wird aufgrund der Angaben in 1Thess 1,1 und Apg 18,5 in der Forschung nahezu unumstritten mit Korinth angegeben,67 auch wenn einige subscriptiones Athen68 als Abfassungsort verzeichnen. Die Entstehung des Briefes wird ebenfalls recht einheitlich auf das Jahr 50 n.Chr. während der sog. zweiten Missionsreise des Paulus datiert.69 Die hier vorgelegte Auslegung folgt diesem sensus communis. Neuerdings wird von Karl P. Donfried erwogen, der 1Thess sei schon in den 40er-Jahren (zwischen 41 und 44 n.Chr.) abgefasst worden. Donfried geht davon aus, dass die Hinweise in Gal 1,21 und 2,1 auch so interpretiert werden können, dass Paulus die dort erwähnten 14 Jahre nicht nur in den Provinzen Syrien und Cilicien verbracht habe, sondern in diesen langen Jahren bereits missionarisch bis nach Europa unterwegs gewesen sei.70 Eine solche Datierung muss jedoch mit zu vielen Hypothesen auskommen. Sie ist bislang mit Recht in der Forschung nicht weiter rezipiert worden.

VI. Der Verfasser des 1Thess Die Abfassung des 1Thess durch Paulus war in der Forschung kaum umstritten. Lediglich einige aus der ‚Tübinger Schule‘ vertraten im 19. Jh. eine nichtpaulinische Verfasserschaft des 1Thess, was jedoch keine weiteren Nachfolger fand.71 In der neueren Zeit versucht Marlene Crüsemann eine pseudepigrafe 67 Vgl. z.B. P. Pokorn; U. Heckel, Einleitung, 206; U. Schnelle, Einleitung, 62; I. Broer, Einleitung, 318. 68 Zahlreiche Handschriften geben an, dass der 1Thess in Athen verfasst worden sei, vgl. unter anderem die subscriptiones der Codices A, B1 und des Mehrheitstextes: ἐγράφη ἀπὸ Ἀθηνῶν (geschrieben worden von Athen aus [abgedruckt bei NA27]). Zu Athen, das als Abfassungsort des 1Thess in der Alten Kirche weithin angenommen wurde, vgl. A.J. Malherbe 71f.190. Als Vertreter dieser These aus der Gegenwart sei auf R. Pesch, Entdeckung, 21f.65-67 verwiesen, vgl. zu Pesch R. Riesner, Frühzeit, 361-363. 69 Vgl. auch hierzu P. Pokorn; U. Heckel, Einleitung, 206; U. Schnelle, Einleitung, 62; I. Broer, Einleitung, 318 und R. Riesner, Frühzeit, 323. 70 Vgl. K.P. Donfried; I.H. Marshall, Theology, 10-12. Vgl. für eine solche Frühdatierung des Briefes auch G. Lüdemann, Paulus I, hier v.a. die Zusammenfassung S. 207-212 und die „chronologische Übersicht“ a.a.O., 272. 71 Vgl. W.G. Kümmel, Einleitung, 224. Zur Forschungsgeschichte um die nichtpaulinische Verfasserschaft vgl. auch M. Crüsemann, Briefe, 161-185.

24

Die literarische Einheitlichkeit des 1Thess

Abfassung des 1Thess plausibel zu machen.72 Ihres Erachtens ist der Brief ein pseudepigrafes Schreiben von Paulus, Silvanus und Timotheus „die kurz nach der Entstehung dieser Ortsgemeinde [sc. von Thessalonich; fwr] ausführlich auf die erfolgreiche Gründung zurückblicken“. Der Text diene „in hervorragender Weise der Gewinnung eines schriftlichen Beweises für die apostolische Gründung und Relevanz der Gemeinde und damit ihrer Existenz in der Gegenwart sowie als ideales Fundament für eine Fortdauer zur Zeit der Abfassung“. Als Ort der Abfassung vermutet Crüsemann Thessalonich selbst.73 Günther Schwab vermutet aufgrund sprachlicher Beobachtungen am 1Thess und dem lk. Doppelwerk, dass der 1Thess von „Lukas oder ein[em] Lukaner“ verfasst worden sei. – Insgesamt geht die Arbeit zudem von mehreren Redaktionen bei den pln. und deuteropln. Briefen aus.74

Seit Ignatius von Antiochien (IgnEph 10,1) wird (nahezu) einmütig an der Abfassung des Briefes durch den Apostel Paulus festgehalten.75 Von einer pln. Verfasserschaft geht auch der vorliegende Kommentar aus.

VII. Die literarische Einheitlichkeit des 1Thess Mehrfach wurde in der Forschung erwogen, ob der 1Thess eine Kompilation von ursprünglich zwei (Rudolf Pesch, Karl-Gottfried Eckart, Earl J. Richard) oder gar vier (fünf ) Briefen (Walter Schmithals) sei.76 Allerdings haben sich

72 M. Crüsemann, Briefe, 79-159.161-185. 73 Vgl. M. Crüsemann, Briefe, 233-240; die beiden Zitate a.a.O., 233. Dass sich diese Perspektive auf das Corpus Paulinum in der Forschung etablieren wird, darf trotz der zu erwartenden Bearbeitung der Thessalonicherbriefe durch Crüsemann in der Reihe ThK. NT, ernsthaft bezweifelt werden, vgl. hierzu nur die Rezensionen der genannten Arbeit von Crüsemann durch R. Hoppe, ThRv 108, 2012, 119f und St. Schreiber, BZ 56, 2012, 308-311; nicht ganz so negativ, aber letztlich die These der nichtpaulinischen Verfasserschaft ebenfalls bezweifelnd, urteilt Chr. v. Brocke, ThLZ 137, 2012, 44-47. 74 G. Schwab, Untersuchungen, 64.370 und passim. 75 H. Binder, Paulus zieht in Erwägung, der 1Thess sei teilweise durch Paulus und teilweise durch Silas verfasst worden. Paulus und Silvanus sollen sich den Brief „wahrscheinlich einander abwechselnd“ diktiert haben. „Zwei charakteristisch verschiedene theologische Positionen stehen hier [sc. im 1Thess, fwr] einander gegenüber“ (a.a.O., 90). H. Binder sieht sich zu einer solchen Hypothese aufgrund der literarischen Teilungshypothesen veranlasst, die in der Forschung vertreten werden. Freilich ist sein Lösungsversuch in höchstem Grad selbst hypothetisch und ist mit Recht nicht weiter von der Forschung aufgegriffen worden. 76 R. Pesch, Entdeckung; K.G. Eckart, Brief; E.J. Richard 11-17.30-32, wobei die Zweiteilungshypothesen durchaus unterschiedlich ausfallen; W. Schmithals, Thessalonicherbriefe, vgl. hierzu F.W. Röcker, Belial, 306f.

Textüberlieferung des 1Thess

25

Teilungshypothesen in der Forschung kaum durchsetzen können. Werner G. Kümmel wies in diesem Zusammenhang u.a. darauf hin, dass „noch niemand für die Ineinanderarbeitung mehrerer Briefe desselben Autors von fremder Hand unter Weglassung bestimmter Briefteile und gelegentlicher Umstellung wirklich überzeugende Motive beigebracht [hat]“77 – dies dürfte immer noch gelten. Größerer Diskussion bedarf es hinsichtlich der Einheitlichkeit des 1Thess inzwischen auch nicht mehr im Blick auf den Abschnitt 1Thess 2,14-16. Ein Blick in die gängige Kommentarliteratur und die neueren „Einleitungen ins Neue Testament“ zeigt, dass die Frage nach der Authentizität dieser Stelle zwar nicht ganz einheitlich gelöst wird, dennoch aber von einem consensus maior zugunsten der Ursprünglichkeit des Abschnittes gesprochen werden kann.78

VIII. Textüberlieferung des 1Thess Der 1Thess ist textlich sehr gut überliefert, mehrere Papyri bieten einzelne Abschnitte des Briefes. So enthält etwa p46, der um ca. 200 n.Chr. datiert wird, die Abschnitte 1,1; 1,9–2,3; 5,5-9.23-28.79 In den beiden großen und textgeschichtlich für das NT wichtigsten Codizes, dem Codex Sinaiticus (01, 4. Jh.)

77 W.G. Kümmel, Einleitung, 226, vgl. auch U. Schnelle, Einleitung, 65f, und H.-J. Klauck, Briefliteratur, 282-284, die sich ebenfalls gegen Teilungshypothesen aussprechen. 78 Lehnen aus dem deutschsprachigen Bereich die Kommentare von z.B. Traugott Holtz, Günther Haufe, Paul-Gerhard Müller und Rudolph Hoppe eine Interpolation ausdrücklich ab (vgl. T. Holtz 110; G. Haufe 4.42f; P.-G. Müller 141; R. Hoppe 167), so sprechen sich Franz Laub und Earl J. Richard gerade für eine solche aus (vgl. F. Laub 21f; E.J. Richard 123-127). Aus dem englischsprachigen Bereich kann für die Authentizität des Abschnittes z.B. auf Charles A. Wanamaker und Jeffrey A.D. Weima mit jeweils ausführlicher und überzeugender Argumentation verwiesen werden (Ch.A. Wanamaker 29-33; J.A.D. Weima 41-46). Die Einleitungen von Udo Schnelle, Petr Pokorný / Ulrich Heckel und Ingo Broer sprechen sich alle ebenfalls für die Ursprünglichkeit aus (vgl. U. Schnelle, Einleitung, 66; P. Pokorný; U. Heckel, Einleitung, 206; I. Broer, Einleitung, 313). Den (älteren) Dissens in der Forschung schildern eindrücklich I. Broer, Zorn, 137-139 und R. Jewett, Correspondence, 37-41; vgl. auch K.H. Schelkle, Israel, 51f. Wichtigster Vertreter für die Interpolation des Abschnittes ist B.A. Pearson, Thessalonians. 79 Weitere Papyri, die den 1Thess überliefern, sind z.B. p30 aus dem 3. Jh., auf dem Reste des 1Thess (sc. Teile aus 1Thess 4 und 5) und der Beginn des 2Thess (sc. 2Thess 1,1f ) erhalten sind oder auch der ebenfalls aus dem 3. Jh. stammende p65, der Abschnitte aus dem 1Thess enthält.

26

Textüberlieferung des 1Thess

und dem Codex Alexandrinus (02, 5. Jh.), sind beide Thessalonicherbriefe vollständig enthalten.80

80 Im Codex Vaticanus (Codex B 03) aus dem 4. Jh. fehlen die beiden Thessalonicherbriefe hingegen. Vgl. ausführlich zur Textbezeugung und -kritik der beiden Thessalonicherbriefe B. Rigaux 281-295(.307). Zu den Textunterschieden zwischen der 25. und der 26. Aufl. des Nestle/Aland-Textes vgl. R.F. Collins, Studies, 79-95; es gab bei der Überarbeitung der 26. Aufl., also in der 27. und auch 28. Aufl., keine erneuten Änderungen im Text (vgl. die Einführung zur 27. Aufl. 3* und das Vorwort sowie S. 3* zur 28. Aufl. zu den Differenzen im Apparat der 26. und 28. Aufl. vgl. die Einführung zur 28. Aufl., 3*-5*). Erwähnenswert ist jedoch, dass in der 28. Aufl. die Subscriptiones zu den Briefen nicht mehr abgedruckt werden.

27

Der Briefeingang 1,1-10

IX. Kommentar

Der Briefeingang 1,1-10 Das Präskript (Absender, Adressaten und Friedensgruß) 1,1

I Übersetzung Paulus und Silvanus und Timotheus an die Gemeinde(versammlung) der Thessalonicher in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Gnade sei mit euch und Friede.

Superscriptio Adscriptio Salutatio

II Struktur Im 1Thess liegt das kürzeste aller Präskripte innerhalb des Corpus Paulinum vor. In nahezu allen weiteren Präskripten werden bereits die Probleme, die in der jeweiligen Gemeinde vorliegen, thematisiert. Möglicherweise signalisiert dieses kurze Präskript, „daß trotz allem die Probleme in Thessalonich einfacher strukturiert waren und noch nicht die Komplexität späterer Streitfälle erreichten“1. Dass bei der Superscriptio jegliche Intitulatio (Apostel [Gal 1,1], Knecht Christi Jesu [Röm 1,1] o.ä.) fehlt, weist zum einen darauf hin, dass sich Paulus bei seinem ersten Brief noch ganz an die schlichte Form des antiken Privatbriefes hält.2 Zum andern zeigt dies, dass Paulus seinen Aposteltitel (noch) nicht in der Weise hervorheben will (und muss), wie es in den späteren Briefen durchgängig üblich wird.3 Als Mitabsender werden in der Superscriptio die beiden Mitarbeiter Silvanus und Timotheus benannt, die Paulus auf seiner zweiten Missionsreise begleiten (Apg 17,14f ). Außer im Römerbrief ist es in allen pln. Briefen üblich, dass Mitarbeiter oder Überbringer der Briefe im Präskript erwähnt werden. 1 H.-J. Klauck, Briefliteratur, 269. 2 Das schlichte Präskript privater antiker Briefe lautet „A an B, Grüße“ und ist in dieser Form z.B. Esr 7,12 oder im Brief des Knaben Theon an seinen Vater Theon erhalten: Θέων Θέωνι τῷ πατρὶ χαίρειν (Theon an Theon, den Vater, Gruß; Pap. Oxy. 119,1 [2./3. Jh. n.Chr.], Text und Übersetzung des ganzen Briefes bei J. Hengstl [Hg.], Papyri, 209f, vgl. auch die Hinweise bei F.F. Bruce 5). 3 Vgl. ähnlich T. Holtz 37f. Von O. Roller, Formular, 102 wird dies auf ein wachsendes apostolisches Autoritätsbewusstsein in den späteren Briefen zurückgeführt.

28

Kommentar

Freilich ist damit nicht gesagt, welche Funktion die Mitarbeiter jeweils bei der Abfassung der Briefe ausgeübt haben. Waren sie Mitverfasser, Sekretäre, Berater, Begleiter usw. des Paulus? Drei Absender für einen Brief werden im Corpus Paulinum lediglich hier und 2Thess 1,1 aufgeführt.4 Als Adressatin wird die Gemeindeversammlung der Gemeinde in Thessalonich genannt. Die Genitivverbindung ἐκκλεσίᾳ Θεσσαλονικέων [ekklesia Thessalonikeōn] (vgl. 2Thess 1,1) hebt sich von anderen Adscriptiones in den pln. Briefen ab: Nur in den beiden Thessalonicherbriefen wird das nomen gentilicum (Θεσσαλονικέων [Thessalonikeōn]) in der Angabe der Adressaten verwendet. Sonst wird, wenn ein Brief an Christen an einem Ort / in einer Region adressiert ist, das nomen regens ergänzt durch ein substantiviertes Partizip, verbunden mit der Orts- oder Landschaftsangabe, welcher die Präposition ἐν [en] vorangestellt ist (vgl. 1Kor 1,2; 2Kor 1,1: τῇ οὔσῃ ἐν … [tē ousē en …]; ähnlich auch Phil 1,1; Eph 1,1; Kol 1,2). Die Adscriptio ist ergänzt durch die „theologische Qualifizierung“5 ἐν θεῷ πατρὶ καὶ κυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ [en theō patri kai kyriō Iēsou Christō] (in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus), die ähnlich auch aus anderen Paulusbriefen bekannt ist, vgl. Röm 1,7; 1Kor 1,2 u.ö. Im Nominalsatz der für frühchristliche Verhältnisse knappen Salutatio erinnert das Substantiv χάρις [charis] (Gnade) noch an das im antiken Brief sonst übliche χαίρειν [charein] (Grüße; vgl. Apg 23,26). Die Form des Nominalsatzes und die Verbindung von χάρις [charis] und εἰρήνη [eirēnē] (Friede) „haben ihr Vorbild in den jüdischen Briefen spätestens seit der Makkabäerzeit“6. Ulrich Heckel hat gezeigt, dass derartige Nominalsätze in ntl. Grußund Segensformeln mit einer optativen Form (‚sei‘) von εἶναι [einai] (sein) zu ergänzen sind; vgl. etwa 1Thess 3,11-13, wo gleich drei Optative verwendet sind, im Eingangsgruß eines Briefes steht ein Optativ z.B. in 1Petr 1,2.7 Die Erweiterung des Präskriptes in der Salutatio, unter anderem bei den Codices Sinaiticus und Alexandrinus sowie im Mehrheitstext durch ἀπὸ θεοῦ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ [apo theou patros hēmōn kai kyriou Iēsou Christou] (von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus) greift die sonst übliche längere Form der Salutatio in den pln. Briefen auf. 4 Vgl. zur Verbindung von Paulus, Silvanus und Timotheus noch 2Kor 1,19. 5 H.-J. Klauck, Briefliteratur, 269. 6 H.-J. Klauck, Briefliteratur, 271. Einen Überblick über Briefe im Frühjudentum bietet Klauck a.a.O., 181-226, vgl. ausführlicher dazu I. Taatz, Briefe. 7 Vgl. U. Heckel, Segen, 266-268; zur Verwendung von Optativen in antiken christlichen Briefpräskripten vgl. D.E. Aune, Environment, 185. Vgl. zur antiken Briefliteratur neben H.-J. Klauck, Briefliteratur auch O. Roller, Formular und M. Luther Stirewalt Jr., Paul (a.a.O., 58-64 zum 1Thess).

Der Briefeingang 1,1-10

29

Wäre die längere Form jedoch ursprünglich gewesen, hätte es keinen Grund gegeben, diese zu kürzen, weshalb die durch Codex Vaticanus und weitere westliche Textzeugen belegte Kurzform die ursprüngliche sein dürfte.8

III Einzelexegese 1 Die Reihenfolge, in der die Absender des Briefes genannt werden, drückt auch eine Rangfolge aus. Paulus ist der eigentliche Verfasser des Briefes und ist als Leiter des Missionarsteams zu betrachten.9 Silvanus (Σιλουανός [Silouanos]) ist mit dem in Apg genannten Silas (Σιλᾶς [Silas])10 identisch.11 Σιλᾶς [Silas] ist die gräzisierte Form des aramäischen ‫[ ְשִׁאיָלא‬schᵉʾīlāʾ], welches von der hebräischen Form ‫שׁאוּל‬ ָ [schāʾūl] (Saul) herzuleiten ist. Σιλουανός [Silouanos] ist Transkription der latinisierten Form (Silvanus) von Σιλᾶς [Silas].12 Er dürfte der Ältere der beiden im Anschluss an Paulus Genannten sein und ist vor Timotheus Christ geworden.13 Paulus lernte Silvanus/Silas als angesehenes Mitglied der Gemeinde aus Jerusalem kennen. Er bildete zusammen mit Judas Barsabbas die Abordnung der Jerusalemer Gemeinde, die das Aposteldekret der Gemeinde in Antiochien überbringen und die dort aufgeführten ‚Verpflichtungen der Heiden‘ erläutern sollte (Apg 15,22.27.32). Als Judas Barsabbas wieder nach Jerusalem zurückkehrte, blieb Silvanus offensichtlich in Antiochien (Apg 15,33 v.l.14) und konnte so schließlich Paulus, als dieser zur zweiten Missionsreise aufbrach (Apg 15,40), begleiten. Ab Apg 18,5 taucht Silas in der Apg nicht mehr auf.15 Timotheus ergänzte erst seit 8 Vgl. so B.M. Metzger, Commentary, 629. 9 Im Sinne einer Rangfolge äußern sich z.B. H. Binder, Paulus, 88; A.J. Malherbe 98; anders P.-G. Müller 78f, der von einer Gleichberechtigung aller Genannten ausgeht. Zu Leben und Werk des Völkermissionars Paulus vgl. u.a. K. Haacker, Paulus; E. J. Schnabel, Missionary; St. Westerholm (Hg.), Paul; F.W. Horn (Hg.), Paulus. 10 Σιλᾶς ist zwölfmal in Apg erwähnt: 15,22.27.32.40; 16,19.25.29; 17,4.10.14f; 18,5; vgl. zudem Apg 15,33 v.l., wo Silas ein weiteres Mal genannt wird. 11 Vgl. außer WB6 1500 s.v. Σιλᾶς auch W.-H. Ollrog, Mitarbeiter, 18 und F.X. Plözl, Mitarbeiter, 129. 12 Vgl. BDR §125 Anm. 6. 13 Hierauf verweist auch G. Wohlenberg 19. 14 Die Texterweiterung bei Apg 15,33 durch Codex Bezae (D, 5. Jh.) lautet: ἔδοξεν δὲ τῷ Σιλᾷ ἐπιμεῖναι πρὸς αὐτοὺς, μόνος δὲ Ἰούδας ἐπορεύθη – ‚es gefiel aber dem Silas, bei ihnen zu bleiben, Judas aber kehrte allein zurück‘. Die Erweiterung ist 15,40 zu verdanken (vgl. B.M. Metzger, Commentary, 439), bildet aber die inhaltlich sinnvolle Ergänzung für den Textzusammenhang. Vgl. zu Judas Barsabbas V.R.L. Fry, Barsabbas, AncB. D 1, 1992, 614. 15 1Petr 5,12 wird Silvanus als Überbringer des 1Petr genannt. Hier könnte eine historische Notiz erhalten sein, die darauf verweist, dass sich Silvanus später in Rom im Umkreis von Petrus aufgehalten hat (so jedenfalls L. Goppelt, 1Petr, 349 und O. Knoch, 1Petr, 140f ). In den Schriften aus Nag Hammadi sind die ‚Lehren des Silvanus‘ erhalten (NHC VII 4),

30

Kommentar

der Missionstätigkeit jener beiden in Lystra das kleine Team (Apg 16,1-3). Silvanus war also auch derjenige, der Paulus schon längere Zeit bei seiner missionarischen Tätigkeit unterstützt hatte.16 Über Timotheus ist mehr bekannt als über Silvanus/Silas. Timotheus17 stammte aus dem Süden Kleinasiens, aus dem Städtchen Lystra. Seine Mutter war zu der Zeit Christin geworden, als Paulus auf seiner zweiten Missionsreise in die Stadt kam; ursprünglich gehörte sie der jüdischen Religion an. Aus 2Tim 1,5 erfahren wir, dass die Mutter des Timotheus Eunike und seine Großmutter Lois hießen. Sein Vater war gebürtiger Grieche (Apg 16,1-3). Von Timotheus wird gesagt, dass er beim Besuch des Paulus und Silas in Lystra nicht nur bereits ein ‚Schüler‘ (μαθητής [mathētēs]) des christlichen Glaubens gewesen sei, sondern bei den ‚Brüdern‘ in Lystra und Ikonium zudem in gutem Ruf gestanden habe (Apg 16,1f ). Daraus kann gefolgert werden, dass er bereits einige Zeit Christ gewesen war, bevor die beiden Missionare Lystra erreichten. Möglicherweise gehörte Timotheus zu jener Gruppe, die bei der Gemeindegründung während der ersten Missionsreise, damals durch Paulus und Barnabas, zum Glauben kamen. Jedenfalls berichtet Apg 14,20 davon, dass durch die Tätigkeit dieser beiden in Lystra mehrere (μαθηταί [mathētai]: Plural!) zum Glauben gekommen waren. Timotheus begleitete Paulus, nachdem dieser ihn in das Missionarsteam aufgenommen hatte, offensichtlich bis zu seiner letzten Reise nach Rom. Apg 20,4 berichtet jedenfalls davon, dass Timotheus ihn auf seiner Reise dorthin begleiten soll. Hier, Apg 20,4, ist denn auch das letzte Mal in der Apg von Timotheus die Rede. Mehrfach wird er von Paulus beauftragt, besondere Aufgaben in den gegründeten Gemeinden zu übernehmen (vgl. 1Thess 3,2.5f; 1Kor 4,17; 16,10f; Phil 2,19.23).18, dass Timotheus in leitender Gemeindefunktion in Ephesus tätig ist (1Tim 1,3; 4,13; 2Tim 4,5).19

16

17 18 19

die als christliche Weisheitslehre eingeordnet werden können, vgl. W.R. Schoedel, Teachings of Silvanus, AncB.D 6, 1992, 341-343. Ausführlicher zu Silas vgl. W.-H. Ollrog, Mitarbeiter, 17-20; F.X. Plözl, Mitarbeiter, 129135; G. Schneider, Σιλᾶς κτλ., EWNT2 III, 1992, 580-582; J. Gillman, Silas, AncB.D 6, 1992, 22-23. Ollrog bewertet die historischen Angaben der Apg freilich zu zurückhaltend. Der Name bedeutet ‚der, der Gott ehrt‘ oder ‚der, der Gott fürchtet‘ (vgl. den älteren deutschen Vornamen Fürchtegott). Vgl. hierfür H. v. Lips, Timotheus, 40-84. Vgl. zu Timotheus neben W.-H. Ollrog, Mitarbeiter, 20-23, F.X. Plözl, Mitarbeiter, 136170 und H. v. Lips, Timotheus auch H.-W. Neudorfer, 1Tim, 20f, Letzterer geht zudem ausführlich auf die Datierungsfragen der Pastoralbriefe ein (vgl. a.a.O., 25-33).

Der Briefeingang 1,1-10

31

Die von den pln. Briefpräskripten etwas abweichende Adressatenangabe (vgl. oben bei II) an die Gemeinde(versammlung) der Thessalonicher erinnert zunächst an die Verwendung des Terminus ἐκκλησία [ekklēsia] in der Profangräzität. Hier ist damit die öffentliche Versammlung der stimmberechtigten freien Männer einer Stadt gemeint (vgl. Apg 19,39). Für die Gemeinde in Thessalonich könnte damit deutlich geworden sein, dass ihre Gemeinde (versammlung) eine öffentliche war – im Gegensatz zu den verbreiteten, zahlreichen Mysterienkulten.20 Näherliegend für die Erklärung des Begriffs ist jedoch der theologische Gebrauch von ἐκκλησίᾳ [ekklēsia]. Paulus greift damit auf eine Terminologie zurück, die jüdisch-apokalyptisch und urchristlich vorgeprägt ist. In der jüdischen Apokalyptik wird das endzeitliche Aufgebot Gottes als ‫[ קהל אל‬qhl ʾl] (1QM IV,10, vgl. 1QSa II,4) bezeichnet. Der neutestamentliche Sprachgebrauch ἐκκλησίᾳ τοῦ θεοῦ [ekklēsia tou theou] (Gemeinde Gottes) entspricht genau dieser Wendung. Die LXX übersetzt die Wendung ‫[ קהל יהוה‬qhl jhwh] meist mit ἐκκλησίᾳ κυρίου [ekklēsia kyriou] (Gemeinde des Herrn) oder mit συναγωγὴ κυρίου [synagōgē kyriou] (Versammlung des Herrn).21 Der Ausdruck bei Paulus impliziert also den Gedanken, dass sich in der Versammlung der Christusgläubigen das wahre und neue Volk Gottes, die eschatologische Heilsgemeinde versammelt.22 Die theologische Qualifizierung der Adressatin, also der Gemeinde(versammlung), durch ἐν θεῷ πατρὶ καὶ κυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ [en theō patri kai kyriō Iēsou Christō] (in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus) ist binitarisch und in (nahezu) wörtlicher Übereinstimmung sonst so im Corpus Paulinum nur noch 2Thess 1,1 belegt.23 Die Präposition ἐν [en] ist am ehesten analog zu deren Bedeutung in der Verbindung ἐν Χριστῷ [en Christō] (in Christus) zu interpretieren (vgl. 1Thess 4,16 u.ö.) und bezeichnet, wie Fritz

20 Vgl. zu den Mysterienkulten in Thessalonich zur Zeit des Paulus F.W. Röcker, Belial, 245-253. 21 Vgl. hierzu v.a. P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 210f und J. Roloff, ἐκκλησία κτλ., EWNT2 I, 1992, 998-1011, 1000. 22 Vgl. so auch T. Holtz 38. – Anders G. Haufe 21, der meint, mit ἐκκλησία sei „ein profaner, theologisch unbefrachteter Terminus aufgegriffen und christlich interpretiert“ worden. Welcher christliche Inhalt damit verbunden worden sein soll, beschreibt Haufe leider nicht (er hätte dann nämlich darlegen müssen, mit welchem Recht und auf welchem Weg der profane Terminus gerade mit diesem [von ihm nicht genannten] Inhalt gefüllt worden sein könnte – und natürlich auch, wie die Gemeinde in Thessalonich dies hätte verstehen können). 23 2Thess 1,1 ergänzt nach ἐν θεῷ πατρί das Personalpronomen ἡμῶν (unser). Zu ähnlichen – aber eben nicht identischen – Wendungen vgl. bereits oben unter II.

32

Kommentar

Neugebauer herausgearbeitet hat, ein Bestimmtsein der Gemeinde durch Gott, den Vater, und den Herrn Jesus Christus.24 Die Wendung weist in der Verbindung ἐν Χριστῷ [en Christō] zum einen auf das Heilsereignis von Kreuz und Auferstehung zurück, von dem die Gemeinde bestimmt ist, gleichzeitig ist damit aber auch der sichtbare Charakter der Gemeinde mit im Blick: Sie ist „hineingenommen in die neue Gottesordnung“25, die in ihr aufgrund ihrer Bestimmtheit wirksam wird. Ἐν θεῷ [En theō] (in Gott) in dieser Bedeutung ist eine für Paulus freilich eher ungewöhnliche Formulierung. Paulus spricht sonst vom ‚sich Rühmen in Gott‘ (Röm 2,17; 5,11), oder auch davon, ‚freimütig in Gott‘ das Evangelium zu verkünden (1Thess 2,2), womit aber jeweils nicht ein Bestimmtsein von Gott gemeint ist, sondern ἐν [en] eher instrumental oder kausal zu verstehen ist. Die Prädikation Gottes als Vater und Christi als Herr findet sich so auch 1Kor 8,6 (vgl. 1Thess 3,11) und ist damit als traditionell geprägte Formulierung ausgewiesen. „Offenbar ist eine liturgisch geprägte Wendung aufgenommen, die vielleicht eine Funktion bei der Eröffnung des urchristlichen Gottesdienstes hatte.“26 Wie in 1Kor 8,6 stehen auch hier nicht Gott und Jesus Christus parallel zueinander, sondern Gott und Herr. ‚Vater‘ und ‚Jesus Christus‘ sind die Attribute, welche die jeweiligen nomina regentia näher bestimmen: Die Gemeinde ist demnach bestimmt durch Gott, der Vater ist, und durch den Herrn, der Jesus Christus ist. Dadurch, dass die Gemeinde durch Gott, der Vater ist, bestimmt ist, wird das durch Gottes Vaterschaft gestiftete Verhältnis, das die Gemeinde zu Gott hat, zum Ausdruck gebracht: ein Vater-Kind-Verhältnis. Aus dem AT, in dem die Vateranrede Gottes nur sehr selten vorkommt, wird ersichtlich, dass dieses Vater-Kind-Verhältnis weder biologisch noch mythologisch zu verstehen ist – wie dies meist jedoch in den Religionen der Umwelt Israels gesehen wurde. Das Vater-Kind-Verhältnis ist im AT durch den Erwählungsgedanken be-

24 Vgl. F. Neugebauer, In Christus v.a. S. 98-112. Dass Neugebauer 1Thess 1,1 „gar nicht in den Zusammenhang unserer Formelstellen“ hineinstellen will (a.a.O., 99), ist nur dann verständlich, wenn man die Binitarität der Grußformel übergeht und vor κύριος Ἰησοῦς Χριστός ein erneutes ἐν erwartet und den Formulierungen ἐν θεῷ und ἐν Χριστῷ unterschiedliche Bedeutungen zuweisen will. Hier scheint mir Neugebauer jedoch zu sehr seinem eigenen Schema verhaftet zu sein, sachlich gehört die Stelle durchaus in diesen Zusammenhang, zumal die Präposition ἐν beide Substantivverbindungen bestimmt; vgl. so auch T. Holtz 38 mit Anm. 34; I.H. Marshall 49. Für eine analoge Interpretation der Wendung ἐν Χριστῷ und ἐν θεῷ vgl. A.J. Malherbe 99. 25 F. Neugebauer, In Christus, 148. 26 T. Holtz 39.

Der Briefeingang 1,1-10

33

stimmt, mithin soteriologisch begründet, vgl. Deut 32,6; Jes 63,16.27 In 1Thess 1,1 liegt insofern ein dem atl. Vorgegebenen analoges Verständnis der Vaterbezeichnung Gottes vor, als die implizite Christologie der Eingangsformel des Briefes Gott und Christus zu einer Einheit verbindet: Beide stehen unterschiedslos auf derselben Stufe.28 Auf der einen Seite liegt damit ein Bekenntnis zur Einheit Gottes vor (analog etwa Deut 6,4), auf der anderen Seite erweitert das Bekenntnis zum Herrentum Jesu Christi das Bekenntnis zu Gott, dem Vater.29 Die Wendung καὶ κυρίῳ Ἰησοῦ Χριστοῦ [kai kyriō Iēsou Christou] kann daher als Erläuterung der vorangehenden Wortverbindung verstanden werden: So wie der Erlöser Jesus Christus allmächtiger Kyrios30 ist, so ist der allmächtige Gott erlösender und erbarmender Vater. Der Gruß, die Salutatio ‚Gnade (möge) mit euch (sein) und Friede‘31 greift das Vorbild frühjüdischer Briefe auf und wird in allen Präskripta der Briefe im Corpus Paulinum als Gruß verwendet, auch wenn sie meist gegenüber dem hier vorliegenden Präskript erweitert sind.32 So findet sich die Formulierung ‚Barmherzigkeit und Friede sei mit euch‘ im Brief ‚Baruchs‘ an die neuneinhalb Stämme „jenseits des Flusses“ (syrBar 78,2). Eine ähnliche, nicht ganz so parallele Formulierung zu 1Thess 1,1 liegt 2Makk 1,1 vor: (χαίρειν … καὶ … εἰρήνην ἀγαθήν [chairein … kai … eirēnēn agathēn]) (Grüße … und … wahren Frieden); auch hier wird jedenfalls der Wortstamm χαιρ- [chair-] verwendet. Ian H. Marshall zieht in Erwägung, die Formulierung ‚Gnade und Friede‘ könnte eine christliche Weiterentwicklung des jüdischen Formulars ‚Barmherzigkeit und Friede’ (ἔλεος καὶ εἰρήνη [eleos kai eirēnē], vgl. neben syrBar 78,2 auch Tob 7,12fin [S]) sein33 und an den aaronitischen Segen Num 27 Vgl. hierzu O. Hofius, πατήρ TBLNT II, 2000, 1723-1728, 1724. – Für eine Interpretation des Vaterbegriffs auf paganem (griechischem) Hintergrund vgl. A.J. Malherbe 99f. Malherbe verbindet den Schöpfergedanken mit dem Terminus πατήρ. 28 Es ist eben nicht von Gott als dem Vater des Herrn Jesus Christus die Rede wie etwa Röm 15,6; 2Kor 1,3, womit die Offenbarungsgestalt, in der sich Gott gezeigt hat, im Vordergrund steht: nämlich in seinem Sohn Jesus Christus. 29 Vgl. hierzu O. Michel, πατήρ κτλ., EWNT III, 21992, 125-135, 130. 30 Zur Wiedergabe von aram. ‫ ָמֵרה‬bzw. hebr. ‫ ָאדוֹן‬durch Kyrios bzw. der Verwendung von κύριος ᾽Iησοῦς als bewusstem Gegensatz zur Bezeichnung heidnischer Gottheiten oder des Kaisers mit κύριος vgl. E.J. Schnabel, 1Kor, 64f. Zur traditionsgeschichtlichen Herkunft des Terminus vgl. J.A. Fitzmyer, κύριος κτλ., EWNT II, 21992, 811-820, 816, der zeigt, dass κύριος im NT kaum als Übersetzung des Tetragrammes angesehen werden kann. 31 Zur Ergänzung des Nominalsatzes durch einen Optativ vgl. oben unter II. 32 Vgl. Röm 1,7; 1Kor 1,3; 2Kor 1,2; Gal 1,3; Eph 1,2; Phil 1,2; Kol 1,2; 2Thess 1,2; 1Tim 1,2; 2Tim 1,2; Tit 1,4; Phlm 3. 33 In den beiden Briefen an Timotheus enthält der Gruß alle drei griechischen Termini: χάρις, ἔλεος und εἰρήνη (1Tim 1,2; 2Tim 1,2).

34

Kommentar

6,25f erinnern: κύριος … ἐλεήσαι σε … καὶ δῴη σοι εἰρήνην [kyrios … eleēsai se … kai dōē soi eirēnēn] (der Herr … erbarme sich über dich … und gebe dir Frieden).34 ‚Gnade‘ (χάρις [charis]) ist das Wort, das im christlichen Kontext dem Terminus ἔλεος [eleos] (Barmherzigkeit) vorgezogen wurde, rekurrierte es doch auf das Grundanliegen des christlichen Glaubens, auf die unverdiente, gnädige Zuwendung Gottes zu den Menschen. Χάρις [Charis] spricht in den Briefanfängen „die Segensfülle des Heilswerkes Christi zu“ und ersetzt höchstens formal die in profanen griechischen Briefen übliche Floskel χαίρειν [chairein].35 Mit ‚Frieden‘ ist ebenfalls auf jüdisch-christliches Verständnis rekurriert, insofern dieser Vokabel das hebr. Wort ‫שׁלוֹם‬ ָ [schālōm] zugrunde liegt, womit der allumfassende, von Gott gegebene Friedenszustand gemeint ist (vgl. auch hierzu Num 6,26), welcher durch die ‚Gnade‘ konstituiert wird.36 In erster Linie ist damit also die umfassende, ganzheitliche Unversehrtheit, das Heil-Sein und das Im-Schutz-Gottes-Stehen gemeint, das in Christus seine sichtbare Gestalt gewonnen hat.37

Das Proömium: Der Dank für die Erwählung und das Vorbild der Gemeinde 1,2-10

I Übersetzung 2 Wir danken Gott allezeit für euch alle, wann immer38 wir (an euch39) denken in unseren Gebeten; unablässig 3 denken wir an euer Werk des Glaubens und an (eure) Arbeit der Liebe, wie auch an (eure) Geduld der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus vor Gott und unserem Vater, 4 weil wir, von Gott geliebte Brüder, um eure Erwählung wissen, 5 denn unser Evangelium ist zu euch nicht allein im Wort gekommen, sondern 34 Vgl. I.H. Marshall 49. Ohne den Bezug zum aaronitischen Segen aber mit Verweis auf syrBar 78,2 auch D.E. Aune, Environment, 184; V. Hasler, εἰρήνη κτλ., EWNT2 I, 1992, 957-964, 962. 35 Vgl. H.H. Esser u.a., χάρις κτλ., TBLNT I, 1997, 817-827, 821, das Zitat ebd. 36 Vgl. hierzu T. Holtz 40; E.J. Schnabel, 1Kor, 66. 37 Vgl. zu dieser umfassenden Bedeutung von ‚Frieden‘ im AT F.J. Stendebach, ‫שׁלוֹם‬ ָ šālôm, ThWAT VIII, 1995, 13-46, 25-41. 38 Diese Übersetzung interpretiert das Partizip Präsens (ποιούμενοι) iterativ, das participium coniunctum ist temporal aufzulösen. 39 Dies ist sinngemäß zu ergänzen, vgl. die Zweitkorrektur (7. Jh. n.Chr.) des Codex Sinaiticus und die Textwiedergabe der Codices Ephraemi (C), Claramontanus (D), Augiensis (F) u.a. Freilich ist die schwierigere Lesart ohne die Erweiterung mit ὑμῶν die ursprünglichere. – E. v. Dobschütz 63f vermerkt dazu: „Es kennzeichnet den paulinischen Diktatstil, daß er es dem Leser überläßt, aus diesem zum vorigen gehörigen περὶ πάντων ὑμῶν das notwendige ὑμῶν zu dem folgenden Partizipium zu ergänzen.“

Der Briefeingang 1,1-10

35

auch in Kraft und im Heiligen Geist und in großer Gewissheit, so wie ihr (auch) wisst, wie wir uns bei40 euch um euretwillen verhalten haben. 6 Und ihr seid unsere Nachahmer geworden und des Herrn, indem ihr das Wort in viel Bedrängnis mit der Freude des Heiligen Geistes angenommen habt, 7 sodass ihr ein einprägsam geprägtes Muster41 für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja geworden seid. 8 Von euch nämlich ist das Wort des Herrn nicht nur nach Mazedonien und nach Achaja hinaus erklungen, sondern an jedem Ort ist euer Glaube, (nämlich) der an Gott, hinausgegangen, sodass wir es nicht nötig haben etwas (diesbezüglich) zu sagen. 9 Sie selbst berichten nämlich über uns, welchen Eingang wir bei euch hatten, und wie ihr umgekehrt seid hin zu Gott weg von den Götterbildern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott 10 und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten, welchen er auferweckt hat aus den Toten, Jesus, der uns vom kommenden Zorn errettet.

II Struktur Der Dank, das Proömium, ist konstitutiver Teil von nahezu allen Paulusbriefen42 – und ist dennoch jeweils nicht zur Formel erstarrt, sondern spontan in Ausdruck und Inhalt. Beim 1Thess fällt auf, dass die Danksagungen letztlich erst mit 3,13 abgeschlossen werden. Natürlich kann deshalb nicht gesagt werden, das Proömium würde bis 3,13 reichen.43 „Der gesamte erste Briefteil steht unter dem Leitmotiv des Dankes, den Paulus der Gemeinde gegenüber zum Ausdruck bringt. 1Thess 2,13; 3,9 nehmen dieses zentrale theologische Motiv wieder auf, ohne dass jeweils das Proömium erneut beginnt.“44 Dieser erste Briefteil endet mit 3,13. 40 Die bei einigen Textzeugen ausgefallene Präposition ἐν dürfte auf Haplografie zurückzuführen sein; so u.a. E. Best 76. 41 Vgl. für diese ‚Übersetzung‘ von τύπος unten z.St. 42 Vgl. z.B. die Proömien 1Kor 1,4-9; Phil 1,3-11; Röm 1,8-15. Im 2Kor ist das Proömium durch einen Lobpreis (εὐλογητὸς ὁ θεός [gepriesen sei Gott]; 1,3) ersetzt (1,3-7), im Galaterbrief fehlen sowohl Proömium als auch die sonst üblichen Schlussgrüße. Beim Gal fällt zudem auf, dass der gesamte Wortstamm ευχαριστ- nirgends im Brief verwendet ist. – Vgl. zur Form der Proömien grundlegend immer noch P. Schubert, Thanksgivings, vgl. aber auch J. Lambrecht, Thanksgivings und D.E. Aune, Environment, 185. 43 Vgl. z.B. J.E. Frame 17. T. Holtz 29 spricht davon, dass „die formalen Proportionen der geläufigen Briefform durch die erst 3,11-13 zu Ende geführte Danksagung stark verschoben“ seien (vgl. zudem a.a.O., 41f und ähnlich auch G. Strecker, Literaturgeschichte, 78; P.-G. Müller 96), vgl. dagegen U. Schnelle, Einleitung, 64, der mit Recht darauf verweist, dass „eine solche Einteilung zu schematisch (ist)“. Eine ausführlichere Begründung für die hier im Anschluss an Schnelle vertretene Auffassung findet sich bei I.H. Marshall 8f. 44 U. Schnelle, Einleitung, 64. Auch P. Pokorn; U. Heckel, Einleitung, 198 weisen darauf hin, dass mit 2,1 das Briefkorpus beginnt.

36

Kommentar

Die Funktion der Proömien in den Paulusbriefen ist doppelt: Einerseits haben sie epistolare Funktion, d.h. sie dienen der wohlwollenden Kontaktaufnahme mit den Lesern und erinnern in der Regel an kürzlich ergangene Weisungen durch den Apostel, zudem bringen sie beispielsweise das gute Verhältnis des Apostels zur Gemeinde zum Ausdruck. Auf der anderen Seite greifen sie meist bereits wichtige Themen aus dem sich anschließenden Hauptteil des Briefes auf.45 Ein Thema aus dem Proömium, das für den 1Thess von besonderer Bedeutung ist, ist die Eschatologie, die durch die Stichworte ἐλπίς [elpis] (Hoffnung, 1,3) und ἡ ὀργὴ ἡ ἐρχομένη [hē orgē hē erchomenē] (der kommende Zorn, 1,10) eingeführt und dann eingehend 4,13ff; 5,1ff ausgeführt wird. Der Abschnitt 1,2-10 kann in drei Teile gegliedert werden. Der erste (1,2-5) ist durch den Dank für die Berufung (ἐκλογή [eklogē]) der Thessalonicher bestimmt.46 Syntaktisch hängen die drei Partizipien μνείαν ποιούμενοι [mneian poioumenoi] (denken an), μνημονεύοντες [mnēmoneuontes] (denken an) und εἰδότες [eidotes] (wissen) vom finiten Verb εὐχαριστοῦμεν [eucharistoumen] (wir danken) ab, was die Zusammengehörigkeit der Verse belegt. Der durch ὅτι [hoti] (denn) eingeleitete Nebensatz in V. 5 ist seinerseits dem durch das Partizip εἰδότες [eidotes] eingeleiteten Nebensatz subordiniert.47 Die Trias der in 1,3 aufgezählten Aspekte, die einen Christen seinem Wesen nach ausmachen, könnte ein traditionelles Element sein: die drei attributiven Genitive πίστις [ pistis], ἀγάπη [agapē] und ἐλπίς [elpis] (Glaube, Liebe, Hoffnung) lassen dies jedenfalls vermuten (vgl. 5,8 sowie 1Kor 13,13; Kol 1,4f ).48 Der zweite Teil (1,6f ) hebt den Vorbildcharakter (τύπος [typos]) der jungen Gemeinde weit über ihre regionalen Grenzen hinaus hervor, dabei steht die Annahme des Evangeliums unter zahlreichen widrigen Umständen (ἐν θλίψει πολλῇ [en thlipsei pollē]), aber dennoch ‚mit Freude‘ (μετὰ χαρᾶς [meta charas]), im Vordergrund. Den Abschluss (1,8-10) bildet das Zeugnis, das Dritte über die Gemeinde ablegen. Hier bildet das Missionszeugnis, das von der Ge45 46 47 48

Vgl. zur Funktion der Proömien z.B. R.N. Longenecker, Prayer, 217-219. Vgl. für eine Zäsur nach 1,5 auch P.-G. Müller 95f; St. Schreiber 86. Vgl. hierzu E. v. Dobschütz 63; A.J. Malherbe 105f. Vgl. hierzu T. Holtz, Traditionen, 69, der zudem auf Röm 5,ff und Gal 5,5f verweist, wobei er allerdings auch darauf aufmerksam macht, dass die Trias von Paulus geprägt worden sein könnte. G. Haufe 23f vermutet den „Formelschatz der hellenistischen (antiochenischen) Gemeinde“ als Ursprungsort der Trias. Ausführlich dazu St. Schreiber 8790, der traditionelle Begrifflichkeit annimmt, die sowohl auf jüdischem als auch auf hellenistischem Hintergrund verständlich sei und von Paulus eine eigene Prägung erhalten habe, in dem er damit (und mit weiteren Termini) die Erfahrungen der jungen Gemeinde beschreibe, „um die Eigenart, das Selbstverständnis, die Identität der jungen ChristusGruppe aussagbar zu machen“ (a.a.O., 88).

Der Briefeingang 1,1-10

37

meinde ausgegangen ist und nun wiederum zum Gegenstand der Verkündigung wird (ἀπαγγέλλειν [apangellein]), das Zentrum: ‚der (neue) Glaube an Gott‘ (1,8: ἡ πίστις … ἡ πρὸς τὸν θεὸν [hē pistis hē pros ton theon]), der sich vom (alten) Glauben an die Götterbilder grundlegend unterscheidet (1,9f: ἐπιστρέφειν [epistrephein]: umkehren, hinwenden), insofern er sich auf den ‚wahrhaftigen und lebendigen Gott‘ bezieht. 1,8 stellt formal eine captatio benevolentiae dar, insofern Paulus darauf hinweist, dass es gegenüber den Adressaten überhaupt nicht nötig sei, etwas über ‚den Glauben an Gott‘ oder die Notwendigkeit der Verkündigung des Wortes des Herrn zu sagen (μὴ χρείαν ἔχειν ἡμᾶς λαλεῖν τι [mē chreian echein hēmas lalein ti]). Der Abschluss 1,9f ist formelhaft und weist daher ebenfalls (noch deutlicher als 1,3) auf traditionelles Gut hin, ohne dass darin ein hellenistisches Tauflied49 oder ein feststehendes Bekenntnis, das der Missionssituation entsprang, vorliegen dürfte.50 Man dürfte es vielmehr mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte der missionarischen Verkündigung zu tun haben. Dass diese Inhalte quasi ökumenischer Natur sind und nicht lediglich Thema der paulinischen Missionsverkündigung waren, zeigt die für Paulus nicht charakteristische Sprachform. Δουλεύειν [Douleuein] (dienen) wird z.B. im NT nur sehr selten für den Dienst der Christen verwendet, eine direkte Parallele dazu bietet hingegen Mt 6,24 / Lk 16,13.51 Ian H. Marshall macht darauf aufmerksam, dass die am nächsten liegenden Bezüge der beiden Verse im NT in den Reden des ‚Paulus‘ an Heiden Apg 14,15-17; 17,31 zu finden seien.52 Sprachlich und traditionsgeschichtlich sucht Traugott Holtz die nächste Parallele im Bereich des hellenistischen Judentums, und verweist v.a. auf JosAs 11,10f.53 Aseneth spricht sich selbst Mut zu, den ‚Gott der Hebräer‘ anzurufen:54 Sondern ich habe gehört viele sagend, dass der Gott der Hebräer wahrer Gott ist und lebender Gott (θεὸς ἀληθινός ἐστι, καὶ θεὸς ζῶν) und barmherziger Gott und mitleidig und langmütig und vielerbarmend und gelinde (…) Daher

werde mich erdreisten auch ich (selbst) und mich hinwenden zu ihm (καὶ ἐπιστρέψω πρὸς αὐτόν).

49 So etwa G. Friedrich 215. 50 Vgl. kritisch zu Versuchen, 1,9b.10 einer solchen festen Form zuzuschreiben, T. Holtz 56f; G. Haufe 24; St. Schreiber 91. 51 Vgl. T. Holtz 59. 52 Vgl. I.H. Marshall 56f. 53 Vgl. T. Holtz 57f; St. Schreiber 90.115 und häufig in der Literatur. 54 Übersetzung nach Chr. Burchard, JSHRZ II/4, 660f.

38

Kommentar

Die Hinwendung zum ‚Gott der Hebräer‘ impliziert die Abwendung von fremden Göttern. Die Bekehrung selbst erfolgt nicht direkt aufgrund einer Predigt, sondern aufgrund des von vielen Gläubigen gehörten Zeugnisses. Aseneth wird so „zum Prototyp der Proselyten“ (JosAs 15,4.7).55 Holtz fasst seine Ausführungen zusammen: Der 1Thess 1,9b.10 vorliegende Satz „gibt die Stimme der Ökumene wieder und schließt sich dabei der Sprache und der Aussageweise der sich bildenden christlichen Tradition an.“56

III Einzelexegese 2 Der Beginn des Proömiums mit dem Verb εὐχαριστεῖν [eucharistein] (danken) ist für die Briefe im Corpus Paulinum üblich: Röm 1,8; 1Kor 1,4; Phil 1,3; Kol 1,3 (vgl. Eph 1,1657); 2Thess 1,3; Phlm 4.58 Der Durativstamm des Verbs wird durch das Adverb πάντοτε [ pantote] (allezeit) verstärkt:59 jedes Mal, wenn Paulus im Gebet an die Thessalonicher denkt, ist der Dank konstitutiver und – nach der vorliegenden Formulierung – offensichtlich auch der ausschließliche Bestandteil desselben (vgl. 2,13). Allerdings zeigt 3,1114, dass Paulus auch in Fürbitte der Thessalonicher gedenkt. Dadurch, dass Paulus darauf verweist, dass Danksagen und Gebet immer wieder erfolgen und mehrfach in seinem Brief auf Dauer und Stetigkeit rekurriert,60 „Paul subtly paints a picture of himself as a model who is constantly rejoicing, praying, and giving thanks“.61 Der hier vorliegende Hinweis auf das andauernde Gebet impliziert eine fest eingeübte und auch eingehaltene regelmäßige Gebetspraxis des Paulus, evtl. auch auf eine betende Lebenshaltung, er

55 T. Holtz 58. 56 T. Holtz 60. 57 Der Eph fällt insofern etwas aus dem Rahmen, als hier dem Proömium (1,15ff ) ein Lobpreis vorgeschaltet ist (1,3-14), der mit εὐλογητός eingeleitet wird (vgl. 2Kor 1,3). In den Pastoralbriefen folgen die Proömien einer eigenen Form (vgl. hierzu H.-W. Neudorfer, 1Tim 54f ). 58 Für die Ausnahmen 2Kor und Gal vgl. oben unter II. 59 Diese Verstärkung ist in den pln. Proömien freilich stereotyp, was deren inhaltlicher Bedeutung jedoch keinen Abbruch tut: ἀδιαλείπτως (unaufhörlich) und πάντοτε (allezeit) werden Röm 1,9f (vgl. zu Ersterem auch 2,13) verwendet, nur πάντοτε findet sich 1Kor 1,4; Phil 1,4; Kol 1,3; Phlm 4. Bei Eph 1,16 wird εὐχαριστεῖν (danken) ein οὐ παύομαι (ich höre nicht auf ) vorgeschaltet. 60 Πάντοτε noch 1Thess 2,16; 3,6; 4,17; 5,15.16; vgl. 2Thess 1,3.11; 2,13, ἀδιαλείπτως 1Thess 1,2; 2,13; 5,17 und schließlich ἐν πάντι 5,18. 61 A.J. Malherbe 106.

Der Briefeingang 1,1-10

39

weist jedoch kaum auf ein unaufhörliches Gebet hin. „Die Verbindung mit Gott bricht in allen Anliegen des Apostels keinen Augenblick ab.“62 Der Dank richtet sich an Gott, der nahezu immer als (Dativ-)Objekt des Dankes eigens genannt wird. Dies ist schlicht dadurch begründet, dass Paulus seine Gebete – bis auf eine Ausnahme: 2Kor 12,8 – ausschließlich an Gott gerichtet hat.63 Auffallend ist die Verwendung der 1. Person Plural: wir danken. In den Proömien der anderen Paulusbriefe wird an dieser Stelle meist die 1. Person Singular εὐχαριστῶ [eucharistō] (ich danke) gebraucht. Über die Verwendung der 1. Person Plural und den manchmal abrupten Wechsel zur 1. Person Singular im 1Thess (und 2Thess)64 wurde viel diskutiert.65 Gefragt wird vor allem, ob bei den 45 Verben der 1. Pers. Plural im 1Thess, ohne die davon abhängigen 20 pluralischen Partizipien und den Gebrauch des Personalpronomens ἡμεῖς (43-mal),66 tatsächlich stets Paulus und die beiden

als Mitabsender Genannten Silas und Timotheus gemeint seien, oder ob häufig nicht ein sog. „epistolarer Plural“67 vorliege.68 Die 1. Pers. Plural wird auf der einen Seite in Wendungen gebraucht, in denen ausdrücklich eine Verbindung zwischen Paulus und allen Adressaten vorliegt, z.B. in den ‚unser Vater‘, ‚unser Gott‘ oder ‚unser Herr, Jesus Christus‘ Formeln (1Thess 1,3, vgl. 2Thess 1,2; 2,1), aber etwa auch in der Wendung ἡμεῖς οἱ ζῶντες (wir, die wir leben, 1Thess 4,17). Mit diesem Gebrauch von ‚Wir‘ ist derjenige eng verbunden, der eine spezielle Gruppe der Adressaten meint. Auf der anderen Seite liegt jedoch auch ein Gebrauch der 1. Pers. Plural vor, bei dem auf einen Sprecher oder Schreiber oder auf eine tatsächliche Mehrheit verwiesen ist. Bei diesem Gebrauch können wieder zwei verschiedene Aspekte hervorgehoben sein: Zum einen können damit die 62 O. Cullmann, Gebet, 106, vgl. zur Ermahnung, im Gebet beharrlich zu sein, a.a.O., 106108. 63 Vgl. hierzu R. Gebauer, Gebet, 121-123.200, aber auch O. Cullmann, Gebet, 113f, der aus Phil 2,9ff schließt, dass „Paulus im Prinzip unterschiedslos zu Gott oder zu Christus beten“ kann; (a.a.O., 113), die formale Beobachtung bleibt davon jedoch unbenommen. 64 Weitere Briefe, die umfänglichere Wir-Passagen enthalten, sind die beiden Korintherbriefe. 65 Ausführlicher hierzu z.B. R. Hoppe 64-70. 66 Im 2Thess liegt 17-mal ein Verb in der 1. Person Plural vor, davon abhängig ist einmal ein pluralisches Partizip (3,8), das Personalpronomen ἡμεῖς wird 22-mal verwendet. 67 Die Terminologie für diesen Gebrauch des Plurals variiert, so findet sich in den beiden gängigen deutschsprachigen Grammatiken zum Griechischen NT (BDR § 280 und HvS § 139e) auch der Ausdruck „schriftstellerischer Plural“ bzw. „pluralis sociativus“. 68 Vgl. E. v. Dobschütz 65f und A.J. Malherbe 86-89 – im Anschluss an Malherbe die folgenden statistischen Hinweise; vgl. weiter M. Dibelius 14; E. Best 26-28; T. Holtz 13f, aber auch O. Roller, Formular, 169-187; S. Byrskog, Co-Senders.

40

Kommentar

aktuellen Mitarbeiter des Paulus mit eingeschlossen sein, gleichgültig, ob sie nun als Mitabsender eines Briefes genannt sind (z.B. 1Thess 2,1-4) oder nicht, und zum anderen kann der sog. epistolare oder schriftstellerische Plural, mit dem einzig Paulus selbst gemeint ist, vorliegen (z.B. 1Thess 2,7).69 Die wissenschaftliche Diskussion kreist v.a. um die Identifizierung dieser beiden letzten Gebrauchsweisen der ersten Person Plural. Samuel Byrskog geht davon aus, dass im 1Thess nirgends ein sog. epistolarer Plural, sondern stets ein realer Gebrauch vorliege. Paulus schließe also, wenn nicht die Gemeinschaft mit den Adressaten angesprochen sei, stets die beiden als Mitabsender Genannten Silas und Timotheus mit ein (oder mindestens einen davon: 3,1f [sc. Silas]).70 Dagegen weist Abraham J. Malherbe darauf hin, dass gerade 3,1f Hinweis für die Verwendung des sog. epistolaren Plurals in den Thessalonicherbriefen sei, zudem sei 1,2 im Kontext des gesamten Proömiums ebenfalls am ehesten als ein derartiger epistolarer Plural aufzufassen.71 Im Blick auf den Wechsel zur 1. Person Singular, die nur fünfmal in beiden Thessalonicherbriefen verwendet ist (1Thess 2,18; 3,5; 5,27; 2Thess 2,5; 3,17), wird überlegt, ob Paulus hier, nach einem Diktat des Briefes, Ergänzungen vorgenommen habe oder ob dieser Wechsel bereits zur originären Niederschrift des Briefes gehöre. Da eine pauschale Antwort auf die Frage nach dem Gebrauch der ersten Person Plural und dem Wechsel zur 1. Person Singular im 1Thess (und 2Thess) kaum gegeben werden kann, muss bei jeder Stelle erneut gefragt werden, welcher Personenkreis angesprochen ist und wie der Wechsel von der 1. Pers. Plural zur 1. Pers. Singular jeweils erklärt werden kann.72

Die Verwendung von ‚wir‘ in 1,2 dürfte aufgrund der grammatischen Struktur des gesamten Proömiums (vom finiten Verb abhängige Partizipien; lange zusammenhängende Satzstruktur) und der weiteren Verwendung der 1. Pers. Plural darin, auf einen sog. epistolaren Plural schließen lassen. In Fortführung von 1,1 könnte zwar εὐχαριστοῦμεν [eucharistoumen] (wir danken) auf die drei in 1,1 Genannten verweisen, der engere (grammatikalische) Zusammenhang von 1,2 mit 1,4f.6, und hier v.a. die Wendungen εὐαγγέλιον ἡμῶν [euangelion hēmōn] (unser Evangelium) und μιμηταὶ ἡμῶν [mimētai hēmōn] (un69 Vgl. S. Byrskog, Co-Senders, 232 und auch C.F.D. Moule, Idiom-Book, 118f; GGBB 393f. 70 Vgl. S. Byrskog, Co-Senders, 236-238. 71 Vgl. A.J. Malherbe 87.106. 72 So z.B. auch M. Dibelius 14 und R. Hoppe 65. Vgl. zum Gebrauch der 1. Pers. Pl. im 1Thess außer den in Anm. 68 (S. 39) genannten Autoren auch den Exkurs bei D. Luckensmeyer, Eschatology, 51-53 und denjenigen bei R. Hoppe 64-70.

Der Briefeingang 1,1-10

41

sere Nachahmer), wo eher nicht auf Timotheus und Silas verwiesen sein dürfte – vgl. die Auslegungen zu den Stellen –, lässt jedoch an Paulus allein als den Genannten denken. Das ‚Gedenken‘, bzw. ‚Denken aneinander‘ spielt im 1Thess schon von der Vokabel μνεία [mneia] (Gedenken; Erwähnung) her eine besondere Bedeutung, insofern Paulus hier im Proömium (vgl. auch Röm 1,9; Phil 1,3; Phlm 4; [Eph 1,16; 2Tim 1,3])73 zum Ausdruck bringt, dass er dies immer wieder tue und umgekehrt von Timotheus nach dessen Rückkehr von seinem Besuch in Thessalonich erfährt, dass auch die Gemeinde ihn, Paulus, ‚stets in gutem Gedächtnis halte‘( ἔχετε μνείαν ἡμῶν ἀγαθὴν πάντοτε [echete mneian hēmōn agathēn pantote]; 3,6). Auch das dazugehörige Verb μνημονεύειν [mnēmoneuein] spielt in den Thessalonicherbriefen schon statistisch gesehen eine hervorgehobene Rolle, ist es doch von insgesamt nur sieben Belegen im Corpus Paulinum (21 im gesamten NT) gleich dreimal in der Korrespondenz mit den Thessalonichern belegt (1Thess 1,3; 2,9; 2Thess 2,5). Jedes Mal ist dabei das Verhältnis zwischen den Thessalonichern und Paulus angesprochen.74 Das Gedenken bezieht sich auf die gesamte Gemeinde der Thessalonicher: alle! Dieses Gedenken an euch alle impliziert, dass Paulus nicht lediglich ein allgemeines apostolisches Werk vollbringt, wenn er sich der Gemeinde erinnert, sondern sich ausdrücklich die Gemeinschaft der Gemeinde als Ganzes vergegenwärtigt und dafür seinen Dank Gott gegenüber zum Ausdruck bringt: „Das gute Erinnerungsbild steht stets vor seiner Seele und löst sich bei jedem Gebet in Dank an Gott aus.“75 Der Terminus, der für das Gebet (προσευχή [ proseuchē]) verwendet wird, ist allgemein gehalten und umfasst von seiner Bedeutung her alle Arten des Gebets. „Bei P[au]l[u]s bezeichnen π[ροσεύχομαι] und προσευχή die durch den Geist in den Glaubenden gewirkte Gabe, Gott unablässig […] und mit freudiger Heilszuversicht […] lobend, dankend, und (für-)bittend anzurufen.“76 Der in 1,2 verwendete Plural ist ein weiterer Hinweis auf die regelmäßige und selbstverständliche Gebetspraxis des Paulus (epistolarer Plural).77

73 Das Substantiv μνεία ist im NT ausschließlich an den erwähnten Stellen im Corpus Paulinum belegt. 74 Im übrigen Corpus Paulinum ist das Verb noch Gal 2,10; Eph 2,11; Kol 4,18 und 2Tim 2,8 belegt, wobei nur in Kol 4,18 das Erinnern an Paulus als Person damit verbunden ist. 75 E. v. Dobschütz 65. 76 H. Balz, προσεύχομαι κτλ., EWNT III, 21992, 396-409, 404f. 77 Vgl. so neben E. v. Dobschütz 64 auch H. Balz, προσεύχομαι κτλ., 405.

42

Kommentar

Das Adverb ‚unablässig, beständig‘ (ἀδιαλείπτως [adialeiptōs]) ist im NT lediglich bei Paulus in 1Thess 1,2; 2,13; 5,17 und Röm 1,9 belegt.78 Syntaktisch ist es auf das folgende Partizip Präsens μνημονεύοντες [mnēmoneuontes] (gedenkend) zu beziehen und hat eine dem Adverb πάντοτε [ pantote] analoge Funktion: der durative Aspekt des Partizips wird verstärkt. Das zwischen finitem Verb mit Adverb (εὐχαριστεῖν πάντοτε [eucharistein pantote]) und Partizip Präsens mit Adverb (ἀδιαλεὶπτως μνημονεύοντες [adialeiptōs mnēmoneuontes]) liegende Partizipium (μνείαν) ποιούμενοι (ἐπὶ τῶν προσεύχων ἡμῶν) [(mneian) poioumenoi (epi tōn proseuchōn hēmōn)] schränkt inhaltlich die Beständigkeit der beiden Handlungen Danken und Gedenken auf die regelmäßigen und sich stets wiederholenden Zeiten des Gebets ein: ‚wann immer‘.79 3 In den beiden nun folgenden Versen wird der Grund für den Dank angeführt. Zum einen wird die Trias Glaube, Liebe und Hoffnung erwähnt, zum andern wird durch den sich anschließenden Begründungssatz das Stichwort der Erwählung (ἐκλογή [eklogē]) benannt. Sprachlich schwierig ist die Auflösung der zahlreichen Genitive in V. 3. Folgende Abhängigkeiten bestehen dabei: (μνημονεύοντες) ὑμῶν (1) τοῦ ἔργου τῆς πίστεως (τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ) καὶ (ὑμῶν) (2) τοῦ κόπου τῆς ἀγάπης (τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ) καὶ (ὑμῶν) (3) τῆς ὑπομονῆς τῆς ἐλπίδος τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ἔμπροσθεν τοῦ θεοῦ καὶ πατρὸς ἡμῶν [(mnēmoneuontes) hymōn (1) tou ergou (hymōn) (2) tou kopou (hymōn)

tēs pisteōs

(tou kyriou hēmōn Iēsou Christou) kai

tēs agapēs

(tou kyriou hēmōn Iēsou Christou) kai

78 Vgl. auch das dazugehörige Adjektiv ἀδιάλειπτος, das im NT nur in Röm 9,2 und 2Tim 1,3 belegt ist. 79 Vgl. E. v. Dobschütz 64, der für eine analoge Konstruktion auf 1Makk 12,11 verweist: ἡμεῖς οὖν ἐν πάντι καιρῷ ἀδιαλείπτως … μιμνῃσκόμεθα ὑμῶν … ἐν ταῖς προσευχαῖς (unablässig und zu jeder Zeit gedenken wir eurer … in den Gebeten [Übersetzung nach LXX.D]).

Der Briefeingang 1,1-10

43

(3) tou hypomonēs tēs elpidos tou kyriou hēmōn Iēsou Christou emprosthen tou theou kai patros hēmōn]

Die drei Substantivpaare ‚Werk des Glaubens‘, ‚Arbeit der Liebe‘ und ‚Geduld der Hoffnung‘ sind vom Partizip μνημονεύοντες [mnēmoneuontes] abhängig. Das direkt auf dieses Partizip folgende ὑμῶν [hymōn] ist ebenso auf alle drei Substantivpaare zu beziehen,80 wie der sich an die drei Wortpaare anschließende Genitiv τοῦ κυρίου ἡμῶν … [tou kyriou hēmōn …] (unseres Herrn usw.).81 Die einzelnen dabei entstehenden Verbindungen sind als genitivi auctoris zu verstehen, die Genitive der drei Wortpaare als genitivi pertinentiae:82 wir denken an (1) euer Werk aus Glauben heraus (aufgrund unseres Herrn, Jesus Christus) (2) und eure Arbeit aus Liebe heraus (aufgrund unseres Herrn, Jesus Christus) (3) und eure Geduld aus Hoffnung heraus aufgrund unseres Herrn, Jesus Christus vor Gott, nämlich unserem Vater.

Die Konjunktion καί [kai] in der Schlusssequenz des Verses – καὶ πατρὸς ἡμῶν [kai patros hēmōn] – kann als καί [kai] epexegeticum83 gelesen werden und wird dann mit ‚nämlich‘ übersetzt. Die Präpositionalverbindung ἔμπροσθεν [emprosthen] (vor) ist kaum mit dem Partizip zu verbinden, sondern auf die drei substantivischen Genitivverbindungen zu beziehen: Wir denken an euer Werk, eure Arbeit und eure Geduld, die ihr aufgrund unseres Herrn, Jesus Christus, vor Gott, nämlich unserem Vater, habt.84 Dadurch, dass die abschließende Präpositionalverbindung auf alle drei vorausgehenden Genitivverbindungen bezogen wird,85 wird die Verbindung des Gedenkens im Gebet (V. 2) unterstrichen: Im Gebet vor Gott, dem Vater beider, der Autoren und Adressaten des Briefes (ἡμῶν [hēmōn]), gedenkt der 80 So z.B. die Luther-Übersetzung, aber auch schon die Peschitta. 81 Den Bezug von ὑμῶν wie auch von τοῦ κυρίου ἡμῶν usw. auf alle drei Wortverbindungen stellen schon die älteren E. v. Dobschütz, 65 und G. Wohlenberg 22f, aber auch T. Holtz 43 her; G. Haufe 22; St. Schreiber 93 beziehen nur ὑμῶν auf alle drei Wortverbindungen. 82 Vgl. NSS II, 195. 83 Vgl. zu diesem Gebrauch von καί HvS § 252, 29 (7). 84 So mit Recht schon E. v. Dobschütz 67 und auch T. Holtz 43, anders z.B. G. Haufe 22.25. 85 So z.B. auch St. Schreiber 93.

44

Kommentar

Apostel seiner Gemeinde. Die Verbindung von τοῦ κυρίου [tou kyriou] auf alle drei Genitivpaare verweist auf den Grund, den eigentlichen Urheber des ‚Werkes aus Glauben‘, ‚der Arbeit aus Liebe‘ und ‚der Geduld aus Hoffnung‘. Die Genitive sind dabei als gen. subj. zu interpretieren: der wirkende Glaube, die arbeitende, sich mühende Liebe, die Geduld hervorbringende, ausdauernde Hoffnung.86 Die Vokabel ἔργον [ergon] (Werk) ist dabei so weit wie möglich zu fassen: Gemeint ist „die gesamte Lebensführung, soweit sie durch den Glauben bestimmt ist“.87 Es handelt sich also weder um den von Gott gewirkten Glauben, noch um die Annahme des Glaubens durch den Menschen, das als Werk beschrieben wäre. Ebenso werden weitere Eingrenzungen der Wortverbindung Werk aus Glauben heraus z.B. auf die Missionstätigkeit, die Ethik oder die Treue im Glauben dem vorliegenden Zusammenhang nicht gerecht. „ἔργον [ergon] ist die Zusammenfassung des Lebenswerkes (5,13; Röm 2 7. 15 u.ö.)“.88 Die Genitivverbindung Arbeit aus Liebe heraus kann aufgrund der Verwendung von κόπος [kopos] bei Paulus spezifiziert werden als das SichMühen in Liebe durch die Verkündigung des Evangeliums. Jedenfalls weisen 1Thess 2,9 (vgl. 2Thess 3,8); 3,5 in diese Richtung.89 Bei der Verwendung des Verbs κοπιᾶν [kopian] (mühen) kann auf 1Kor 15,10; Gal 4,11; Phil 2,16; 1Thess 5,12 verwiesen werden, wo ebenfalls ein Zusammenhang mit der Verkündigung des Evangeliums besteht.90 Der Bezug auf 1,2 – περὶ πάντων ὑμῶν [ peri pantōn hymōn] (für euch alle) – legt bei dieser Interpretation der Genitivverbindung die Überlegung nahe, dass jedes Gemeindeglied das Evangelium in irgendeiner Form verkündigt haben dürfte.91 Das dritte Glied schließlich – Geduld aus der Hoffnung heraus – weist in den eschatologischen Zusammenhang. Aus der christlichen Hoffnung heraus entsteht die Geduld, in welcher und aufgrund derer die gegenwärtigen Widrigkeiten, welche die Gemeinde zu erdulden hat (vgl. 1Thess 1,6; 2,14; 3,3 [2Thess 1,4.6] u.ö.),

86 Vgl. so auch E. v. Dobschütz 65f; T. Holtz 43; A.J. Malherbe 109; St. Schreiber 93. 87 E. v. Dobschütz 66. 88 E. v. Dobschütz 66. In diesem umfassenden Sinn interpretieren auch E. Best 68; T. Holtz 44; St. Schreiber 93. A.J. Malherbe 108 will den Terminus auf das Predigen einschränken, was jedoch kaum zutreffend sein dürfte. 89 1Kor 3,8; 15,58; 2Kor 11,27 können ebenfalls in diese Richtung interpretiert werden. Vgl. hierzu auch T. Holtz 44. 90 Vgl. für den Gebrauch des Verbs E. Best 68. 91 Darin „jede Liebestätigkeit“ zu sehen, „sofern darin ein entsagungsvolles sich mühen […] liegt“ (E. v. Dobschütz 66), stellt die Differenz zur allgemeinen Fassung von ‚Werk des Glaubens‘ zu wenig heraus und beachtet den Zusammenhang von κόπος mit der Evangeliumsverkündigung bei Paulus nicht.

Der Briefeingang 1,1-10

45

ertragen werden können.92 Natürlich kann die Genitivverbindung auch auf die innere Anfechtung und den Zweifel bezogen werden, die in 1Thess 4,13 beschrieben sind: Auch sie können in der Geduld, die in der Hoffnung ihren Grund hat, überwunden werden. Inhaltlich ist die christliche Hoffnung zusammenfassend in 1Thess 4,17 formuliert: καὶ οὕτως πάντοτε σὺν κυρίῳ ἐσόμεθα [kai houtōs pantote syn kyriō esometha] (und so werden wir allezeit mit dem Herrn sein).93 Diese Hoffnung hat im Christusereignis ihren realen Grund (vgl. 1Thess 4,14; 1Kor 15,12-28). Die Trias Glaube, Liebe, Hoffnung taucht im NT und in der frühchristlichen Literatur mehrfach auf, besonders hervorzuheben sind 1Kor 13,13 und 1Thess 5,8.94 Die auf alle drei Genitivpaare zu beziehende Wendung unseres Herrn, Jesus Christus bindet die Trias Glaube, Liebe und Hoffnung zurück an ihren eigentlichen Ursprung: den Herrn, Jesus Christus. Zum einen kann dieser Ursprung auf die Gemeinschaft, welche die Gemeinde mit diesem Herrn hat, zurückgeführt werden.95 Jedoch ist hier auch der ursprüngliche Bekenntnischarakter der Formulierung impliziert: unseres Herrn, welcher Jesus Christus ist! In Werk und Wesen der Person Jesu Christi, der κύριος [kyrios] (Herr) ist, liegt der Ursprung der Grundelemente Glaube, Liebe und Hoffnung des christlichen Glaubens. Nur weil und insofern diese drei Elemente an Christus zurückgebunden sind, kann die Christenheit Glaubenswerke und Liebesmühen vollbringen und in Geduld hoffen.96 4 Das nun folgende begründende Partizip εἰδότες [eidotes] (weil wir wissen) führt den vorausgehenden Gedankengang fort und greift dabei insbesondere auf den Dank (V. 2) zurück: Weil wir um eure Erwählung wissen, gedenken wir euer – unter Danksagung.97 In direkter Ansprache (‚geliebte Brüder‘, Vok. Pl.) wendet sich Paulus den Adressaten zu, die bereits dreimal 92 Anders ist die Argumentationskette in Röm 5,3f, insofern dort die Geduld Ausdauer (δοκιμή) und diese wiederum Hoffnung (ἐλπίς) bewirkt. 93 Vgl. z.St. 94 Darüber hinaus sind Röm 5,1-5, Gal 5,5f; Kol 1,4f; Eph 4,2-5; Hebr 6,10-12; 10,22-24; 1Petr 1,3-8.21f; Barn 1,4; 9,8; Polycarp ad Phil 3,2f zu vergleichen; vgl. zu diesen Belegen auch E. Best 67. Die Trias ἔργον, κόπος, ὑπομονή (Werk, Mühe, Geduld) ist im NT Offb 2,2 belegt. 95 So T. Holtz 43, der τοῦ κυρίου als adnominalen Genitiv interpretiert. 96 E. Best 70 weist darauf hin, dass die dabei entstehenden doppelten subjektiven Genitive schwierig, wenn auch möglich seien. Er selbst bezieht τοῦ κυρίου einzig auf das letzte Glied der Dreierreihe, so auch St. Schreiber 93. 97 Den grammatikalischen Bezug zum finiten Verb εὐχαριστοῦμεν (1,2) hebt besonders A.J. Malherbe 109 hervor; anders E. v. Dobschütz 69.

46

Kommentar

zuvor durch das Personalpronomen der 2. Pers. Pl. angesprochen worden waren.98 Wurde im Vorausgehenden das in Werk, Mühe und Geduld sichtbare Leben der Gemeinde als Nachfolgerin Christi in den Mittelpunkt gestellt, so wird jetzt der Blick auf die diesem christlichen Leben zugrunde liegende göttliche Erwählung gelenkt. Dem Leben als Christ geht zwar grundsätzlich die Erwählung voraus, Paulus wollte jedoch zunächst das Tun der Thessalonicher in den Vordergrund rücken. Dies ist zum einen ganz formal dem Charakter des Proömiums geschuldet, das grundsätzlich den Dank für die Adressaten enthält, zum andern liegt dem aber auch die tatsächliche Wertschätzung der Gemeinde in Thessalonich zugrunde, die trotz der sehr kurzen Zeit ihres Bestehens bereits für viele zum Vorbild geworden ist (vgl. 1,7f; 4,9f ). Danken will Paulus dabei nicht den Thessalonichern, sondern Gott, der durch seine Erwählung dieses – vorbildliche (τύπος [typos], 1,7) – Leben ermöglicht und bewirkt.99 Die Empfänger des Briefes werden im 1Thess insgesamt 14-mal mit dem Vokativ ἀδελφοί [adelphoi], Brüder, angeredet.100 Dies bringt eine besonders herzliche Beziehung des Paulus zu der Gemeinde in Thessalonich zum Ausdruck.101 Abraham J. Malherbe spricht gleich mehrfach davon, dass es sich hier um wesentlich mehr als den sonst epistolar üblichen Gebrauch des Begriffes handele. Paulus verwende diese Anrede als „an important part of the fictive kinship that Paul develops in this letter and elsewhere“.102 Dass die Anrede ‚Brüder‘ bereits auf die palästinische Gemeinde zurückgeht, in der Verkündigung Jesu ihren Grund hat und im AT ihre traditionsgeschichtlichen Wurzeln, wird weithin gesehen.103 Im AT ist dabei unter anderen auf Ex 2,11; Deut 15,3.12 und Jer 22,18 hinzuweisen, weil hier die Bezeichnungen Bruder 98 Insgesamt zeichnet sich der Abschnitt 1,2-10 durch einen auffällig häufigen Gebrauch von Personalpronomina aus: achtmal wird die 1. Pl. und elfmal die 2. Pl. verwendet. 99 Vgl. hierzu auch E. Best 70f. 100 1Thess 1,4; 2,1.9.14.17; 3,7; 4,1.10.13; 5,1.4.12.14.25; vgl. auch die Bezeichnung der Gemeindeglieder mit ‚Brüder‘ in 1Thess 5,26 (Akk. Pl.) und 5,27 (Dat. Pl.). Im deutlich kürzeren 2Thess kommt diese Anrede immerhin noch 7-mal vor: 1,3; 2,1.13.15; 3,1.6.13. – Vgl. im 1Kor 20-mal, Röm 10-mal, Gal 9-mal, Phil 6-mal, 2Kor 3-mal (diese Zahlen nach T. Holtz 45 Anm. 73, vgl. auch E. v. Dobschütz 69 Anm. 1; A.J. Malherbe 109f ). Damit liegt in den Thessalonicherbriefen das auf die Länge eines Briefes gesehen höchste relative Vorkommen dieses Vokativs in einem Brief des Corpus Paulinum vor (vgl. G.D. Fee 30). 101 Vgl. T. Holtz 45, der von einem „zuwendungsvollen Ton“ spricht und I.H. Marshall 52, der darauf verweist, dass der Begriff ‚Brüder‘ „is expressive of the particular affection that he [sc. Paulus; fwr] felt for his readers“. 102 Vgl. A.J. Malherbe 109f.124f, das Zitat a.a.O., 110. 103 Vgl. B. Rigaux 370; E. Best 71; T. Holtz 45; G.D. Fee 30f – zum folgenden vgl. v.a. bei B. Rigaux und E. Best.

Der Briefeingang 1,1-10

47

(‫’[ ָאח‬āḥ]) und Schwester (‫’[ ָאחוֹת‬āḥōt]) für eine nicht auf Blutsverwandtschaft zurückgehende Beziehung verwendet werden.104 In der Jesustradition spielen besonders Mk 3,31-35 ( familia dei), Mk 10,30 und Mt 25,40 eine Rolle: Jesus bezeichnet diejenigen, die ihm nachfolgen, als (seine) Brüder und Schwestern und verheißt denen, die ihm nachfolgen, unter anderem Schwestern und Brüder. In praktisch jeder ntl. Schrift werden die Glieder der Gemeinde als Brüder (und Schwestern) bezeichnet.105 Diese Anrede fügt sich nahtlos zu der Bezeichnung der Gläubigen als ‚Kinder Gottes‘ (Röm 8,14-16; Gal 4,5-7) und als ‚Brüder seines Sohnes Jesus‘ (Röm 8,29).106 Die christliche Gemeinschaft kann insgesamt auch als ‚Bruderschaft‘ (ἀδελφότης [adelphotēs]) bezeichnet werden (1Petr 2,17; 5,9, vgl. 1Klem 2,4; Herm 38,10 [Mand VIII])107. Die attributive Erweiterung der Anrede (‚Brüder‘) durch ‚von Gott geliebte‘ geht an dieser Stelle in der Verbindung mit dem Terminus ἐκλογή [eklogē], ‚Erwählung‘, traditionsgeschichtlich auf Deut 7,7f zurück. Hier ist die Verbindung der Begrifflichkeit grundgelegt.108 Deut 7,7f ist davon die Rede, dass Gott das Volk Israel nicht aufgrund seiner Größe erwählt hat (‫[ ָבַּחר‬bāḥar] / ἐκλέγεσθαι [eklegesthai]), sondern weil er es geliebt hat (‫ִכּי ֵמַאֲהַבת ְיהָוה‬ ‫[ ֶאְתֶכם‬kî me’haḇat jhwh ’ætḵäm] / ἀλλὰ παρὰ τὸ ἀγαπᾶν κύριον ὑμᾶς [alla para to agapan kyrion hymas]). Im NT taucht die attributive Erweiterung der Anrede ‚Brüder‘ durch ‚von Gott geliebte‘ im Wortlaut so außer 1Thess 1,4 nur noch 2Thess 2,13 auf, wenn auch hier (2Thess 2,13) in etwas abgewandel104 Vgl. auch 1QS VI,10.22, wo die Mitglieder Gemeinschaft des Jachad als Brüder (‫)אחים‬ bezeichnet werden. CD VI,20f wird das Gebot der Nächstenliebe aufgeführt: ‫לאהוב איש‬ ‫[( את אחיהו כמהו‬sie sollen darauf achten] … jeder seinen Bruder zu lieben wie sich selbst). Vgl. hierzu Josephus, Bell. II 122, der vermerkt, dass sich die Essener untereinander als Brüder sehen (zur Identifizierung der Gruppe der Essener mit den Bewohnern von Qirbet Qumrān vgl. F.W. Röcker, Belial, 50-54); vgl. auch S. Nägele, ἀδελφός, TBLNT 2, 1997, 208-212, 210. Dass auch andere Gruppen im Judentum die Bezeichnung ‚Bruder‘ verwenden, wird mehrfach in der Literatur v.a. unter Verweis auf Josephus, Ant. X 201 und Philo, Spec.Leg. 2,79f vermerkt (vgl. z.B. Ch.A. Wanamaker 77; B. Witherington III 64 u.a.). 105 Ausnahmen bilden lediglich 2Joh und Jud. 106 Vgl. hierzu v.a. I.H. Marshall 52. 107 Dies sind alle Belege für den Begriff ‚Bruderschaft‘ im NT und in den apostolischen Vätern; in der LXX taucht der Begriff ausschließlich in 1Makk 12,10.17 und 4Makk 9,23; 10,3.15; 13,19.27 auf, vgl. auch WB6 29f s. voc. – Vgl. zur Thematik klassisch A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 41924, 417-419, ausführlich unter den neueren K. Schäfer, Gemeinde als „Bruderschaft“. Ein Beitrag zum Kirchenverständnis des Paulus, EHS.T 23, Frankfurt/ M. u.a. 1989 und R. Aasgaard, ‚My Beloved Brothers and Sisters!‘ Christian Siblingship in Paul, JSNT.S 265, London, New York 2004. 108 Vgl. die Hinweise z.B. bei I.H. Marshall 52; Ch.A. Wanamaker 77 und G.D. Fee 30.

48

Kommentar

ter Form, nämlich: ἀδελφοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ κυρίου [adelphoi ēgapēmenoi hypo kyriou] (vom Herrn geliebte Brüder).109 5 Die Liebe, die Grund der Erwählung ist, manifestiert sich im Evangelium, in ‚unserem Evangelium‘. Das Evangelium gibt nämlich auf der einen Seite den sichtbaren Beweis des Grundes an, warum Paulus an die Erwählung der Leser des Briefes durch Gott glaubt: Ihr seid (aus Liebe) erwählt, denn unser Evangelium ist zu euch gekommen! Auf der anderen Seite kann mit ὅτι [hoti] (denn [kausal]) gleichzeitig die Beschreibung der Konsequenz der Erwählung angeführt sein: ihr seid (aus Liebe) erwählt, sodass (konsekutiv) unser Evangelium zu euch gekommen ist.110 Mit (unserem) Evangelium ist die den Thessalonichern durch Paulus und seine Mitarbeiter verkündigte Botschaft gemeint, deren Inhalt die ‚gute Nachricht‘ vom ‚lebendigen und wahrhaftigen Gott und seinem vom kommenden Zorn(gericht) rettenden Sohn Jesus‘ (1,9f ) ist, welcher ‚gestorben und auferstanden ist‘ (4,14).111 Dieser doppelte Inhalt vom gekommenen und kommenden Jesus Christus ist dem Apostel zur Verkündigung anvertraut worden (2,4). Gleichzeitig „[wird] die Verwirklichung des Verkündigungsauftrags als Ausdruck der Agape bezeichnet (2,8 vgl. 3,2)“.112 Weil bereits im 1Thess erkennbar ist, dass dem Apostel dieser doppelte Inhalt als Evangelium anvertraut wurde, kann kaum davon die Rede sein, dass Paulus in einem früheren Stadium seines Denkens eher den kommenden Christus ins Zentrum seiner Verkündigung gerückt habe, hingegen erst in einem späteren Stadium mehr vom gekommenen, gestorbenen und auferstandenen Christus gesprochen habe. Offensichtlich ist zwar, dass im 1Thess der kommende Christus gegenüber dem gekommenen seiner numerischen Erwähnung nach zurücktritt, was beim 1Kor etwa ganz anders ist. Jedoch ist darauf aufmerksam zu machen, dass zum einen im 1Kor, trotz des Rückblickes auf den gestorbenen und auferstandenen 109 Vgl. immerhin noch Röm 1,7: ἀγαπητοῖς θεοῦ; die attributive Erweiterung des Vokativs durch das Adjektiv ἀγαπητός bzw. die absolute Verwendung desselben ist die häufiger gebrauchte Formulierung bei Paulus: Phil 4,1; Kol 4,7.9; Phlm 1.16, absolutes ἀγαπητός in Röm 12,19; 1Kor 10,14; 15,58; 2Kor 7,1; 12,19; Phil 2,12; 1Thess 2,8. 110 Ὅτι ist im ersten Fall also als lose kausale Konjunktion zu übersetzen (vgl. HvS § 277a), im zweiten Fall liegt konsekutiver (epexetischer) Gebrauch vor (vgl. auch BDR § 456 1 und 2). Sich für eine Lösung alternativ zu entscheiden, dürfte nur schwer möglich sein – der Wortlaut lässt beides zu: Beides dürfte gleichrangig in seiner Bedeutung aufzugreifen sein; vgl. so auch I.H. Marshall 53; lediglich kausal interpretieren z.B. Ch.A. Wanamaker 78; P.-G. Müller 104, lediglich konsekutiv E. Best 73; G. Haufe 26. 111 Es liegt m.E. also nicht lediglich ein nomen actionis vor, wie häufig in der Kommentarliteratur hervorgehoben wird (vgl. z.B. T. Holtz 46), es ist auch der Inhalt der verkündigten Botschaft angesprochen. 112 G. Strecker, εὐαγγέλιον, EWNT2 II, 176-186, 180.

Der Briefeingang 1,1-10

49

(1Kor 15,3ff ) direkt im Anschluss ausführlich über die Auferstehung und den kommenden Christus gesprochen wird – und umgekehrt, wie bereits erwähnt, wird im 1Thess der gekommene Christus durchaus thematisiert, wie die Formulierung ὑπὲρ ἡμῶν [hyper hēmōn] (für uns) in 5,10 zeigt. Möglicherweise wird im 1Thess deshalb kaum über den gekommenen gekreuzigten Christus gesprochen, weil dieser Aspekt des Evangeliums in Thessalonich – anders als in Korinth – völlig unstrittig war.113 Das Problem lag vielmehr bei der Ethik und der Eschatologie (4,1–5,11). Der Terminus εὐαγγέλιον [euangelion] (Evangelium) wird im relativ kurzen 1Thess verhältnismäßig oft gebraucht: insgesamt sechsmal (1,5; 2,2.4.8.9; 3,2; vgl. 2Thess 1,8; 2,14). Zählt man die drei Stellen dazu, an denen λόγος [logos] (Wort) synonym zu εὐαγγέλιον [euangelion] verwendet ist, sc. 1,6.8; 2,13,114 kommt man auf neun Belege. Die Aussagen, die mit diesem Terminus verbunden werden, sind im Blick auf die Gemeinde in Thessalonich die Folgenden:115 1. Das Evangelium wurde nicht nur als bloßes Wort, bloße Rede in Thessalonich weitergegeben, sondern mit Kraft, im Heiligen Geist und in voller Gewissheit (1,5, vgl. 2,13), d.h. es wurde als performatives Wort wirksam in der Gemeinde. Es hat sich in Thessalonich ein aktives Wortgeschehen ereignet, das nicht nur gehört wurde, sondern sich mit und unter der Verkündigung vollzogen hat. Als solches ist es der Grund für die Existenz der Gemeinde. 2. Es wurde unter Kampf und Leiden verkündigt und angenommen. Dadurch sind die Thessalonicher Nachahmer des Paulus und Christi geworden und wurden gleichzeitig erfüllt mit der Freude im Heiligen Geist, was ein außerordentliches Hoffnungszeichen für die Gemeinde darstellt (1,6 vgl. 2,2). 3. Eine Folge dieses sich kraftvoll erweisenden Wortgeschehens in der Gemeinde ist, dass die Gemeinde quasi Missionsbasis des Evangeliums für die gesamten umliegenden Gebiete wurde, sprachen sich doch die Auswirkungen des Evangeliums in Thessalonich überall herum (1,8, vgl. 4,10). 4. Das Evangelium wurde den Thessalonichern verkündigt, ohne dass sie irgendeine (finanzielle) Last damit gehabt hätten: Paulus betont, er habe Tag und Nacht gearbeitet (2,8f ). Im Blick auf Paulus und seine Mitarbeiter wird im Zusammenhang des Begriffs ‚Evangelium‘ ausgeführt: 113 Vgl. hierzu I.H. Marshall, Theology, 239f. 114 Vgl. zu dieser Synonymie (K.P. Donfried); I.H. Marshall, Theology, 52. 115 Vgl. zum Folgenden a.a.O., 52f.

50

Kommentar

1. Paulus wurde das Evangelium in besonderer Weise anvertraut (2,4): δεδοκιμάσμεθα ὑπὸ τοῦ θεοῦ [dedokimasmetha hypo tou theou] (wir wurden von Gott für tauglich befunden). 2. Timotheus ist ein Mitarbeiter Gottes am Evangelium. Mit dieser seiner Mitarbeit ist die Hoffnung verbunden, dass die Gemeinde gestärkt werde (3,2.6). Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der religiösen Bedeutung des Begriffs εὐαγγέλιον [euangelion] wird sehr unterschiedlich gesehen. Auf der einen

Seite wird festgehalten, dass „eine eindeutige atl.-jüd. oder hellenistischgriech. Genealogie des εὐ.[αγγέλιον] nicht zu erstellen ist. Die ntl. Verkündigung des εὐ.[αγγέλιον] kann sowohl atl.-jüd. als auch hellenistischgriech. Überlieferungselemente in sich aufnehmen.“116 Auf der anderen Seite wird hervorgehoben, dass „als Mutterboden für den auffallend häufigen, eindeutig religiösen Gebrauch des Verbums und vor allem für das Subst. die atl.-jüd. Überlieferung maßgebend“ war.117

Der wichtigste Beleg für einen sakralen Gebrauch des Wortes außerhalb der biblischen Schriften findet sich im antiken Kaiserkult auf der Kalenderinschrift von Priene aus der Zeit um 9 v.Chr. Hier wird sowohl das Heil, das mit der Thronbesteigung des Kaisers heraufziehen wird (Zeilen 37f ), als auch die Freudenbotschaften εὐαγγέλια [euangelia]), Plural!), die dieses Heilsereignis ver-

kündigen (Zeilen 40f ), mit „Evangelium“ – allerdings stets im Plural – bezeichnet.118

In der LXX kann aus Jes 40ff gezeigt werden, dass „nicht nur der Begriff vorhanden ist, sondern auch die mit ihm im NT gemeinte Sache angekündigt wird“, sodass von einer ‚praeparatio evangelica‘, „eine[r] Vorbereitung der Botschaft von der Gottesherrschaft und vom Christusgeschehen“ gesprochen werden kann.119 Gleichgültig wie nun die traditionsgeschichtliche Beurteilung des Begriffs letzten Endes zu entscheiden ist,120 in jedem Fall half die hellenistisch-griechische Verwendung von εὐαγγέλια [euangelia] im Zusammenhang mit dem

Kaiserkult den in der christlichen Verkündigung ohne Frage auch mit atl.116 G. Strecker, εὐαγγέλιον, 180. 117 O. Betz, Evangelium, 432, bei Betz teilweise gesperrt gedruckt. 118 Text in OGIS II 458; eine Fotografie der kompletten Inschrift bei A. Deissmann, Licht, 316f (Abb. 68f ), vgl. zur Inschrift auch a.a.O., 313 (Transkription und Übersetzung der Zeilen 40f ). – Hinweise auf diesen Text finden sich häufig in der Literatur, vgl. v.a. G. Strecker, εὐαγγέλιον, EWNT2 II, 176-186, 179 und O. Betz, Evangelium, TBLNT I, 1997, 432-442, 432. Vgl. auch Josephus, Bell. IV 618.656: εὐαγγέλια sind die Ausrufung Vespasians zum Kaiser. 119 O. Betz, Evangelium, 432. Vgl. v.a. Jes 40,9f; 41,27; 52,7; 61,1f. 120 Vgl. auch P. Stuhlmacher, Evangelium.

Der Briefeingang 1,1-10

51

jüd. Inhalten gefüllten Begriff in der außerjüdischen Welt zu gebrauchen und in Verbindung mit der Botschaft der Boten vom gekommenen und kommenden Christus neu zu füllen bzw. zu erweitern. Die Verbindung unser (Evangelium) kommt bei Paulus nur wenige Male vor. Von den 56 Belegen für εὐαγγέλιον [euangelion] im Corpus Paulinum sind es lediglich drei Stellen, an denen diese Verbindung verwendet ist: 2Kor 4,3; 2Thess 2,14 und hier.121 Es wurde bereits angedeutet, dass das Personalpronomen die Verbindung zwischen Paulus und seinen Mitarbeitern wie auch zwischen ihm und der Gemeinde impliziere: es ist ‚unser Evangelium‘, das uns verbindet und uns zu einer Gemeinschaft im Evangelium, zu einer Evangeliumsgemeinschaft zusammenschließt.122 Dieses ‚unser Evangelium‘ kam zu den Thessalonichern. Der Aor. pass. ἐγενήθη [egenēthē] dürfte als passivum divinum zu fassen sein, jedenfalls will Paulus durch die Verwendung des dreimaligen Aor. pass von γινέσθαι [ginesthai] in 1,5f 123 offensichtlich darauf aufmerksam machen, dass die Initiative für das Geschehen in Thessalonich keineswegs menschliche Ursache habe, sondern „vielmehr die gottgewirkte und gottgeschenkte Folge der evangelischen Verkündigung“124 sei. Die Präposition εἰς (ὑμᾶς) [eis (hymas)] / zu (euch) signalisiert, dass die Predigt des Evangeliums an jeden Einzelnen der Gemeinde ergangen ist – sie ist daher nicht im Sinne des eher allgemeinen ἐν [en] ‚unter (euch)‘ zu interpretieren; so 1,5fin: οἷοι ἐγενήθημεν ἐν ὑμῖν [hoioi egenēthēmen en hymin] (so wie wir uns bei euch verhalten haben).125 Die viermal verwendete Präposition ἐν [en] mit Dativ, im (Wort usw.) steht anstelle des modalen Dativs, gibt also die Art und Weise an, auf die das Evan121 Die Verbindung mit der 1. Pers. Sg. (εὐαγγέλιόν μου) ist ebenfalls dreimal belegt: Röm 2,16; 16,25 und 2Tim 2,8. Weiter spricht Paulus vom ‚Evangelium Gottes‘ (Röm 1,1; 15,16; 2Kor 11,7; 1Thess 2,2.8.9) oder vom ‚Evangelium Christi‘ (Röm 15,19; 1Kor 9,12; 2Kor 2,12; 9,13; 10,14; Gal 1,7; Phil 1,27; 1Thess 3,2; vgl. Röm 1,9: εὐαγγέλιον τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ [Evangelium seines Sohnes]) – meist ist der Begriff jedoch absolut verwendet (z.B. Röm 1,16; 10,16; 1Kor 4,15 u.ö.) in den Thessalonicherbriefen ist εὐαγγέλιον lediglich 1Thess 2,4 absolut verwendet. In 2Thess 1,8 ist die im NT singuläre Verbindung εὐαγγέλιον τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ (Evangelium unseres Herrn, Jesus) belegt. 122 Vgl. für einen Bezug der 1. Pers. Plural auf die Gemeinschaft mit den Thessalonichern E. Best 74. I.H. Marshall 53 hat dagegen lediglich Paulus und seine Mitarbeiter im Blick, wobei er mutmaßt, dass evtl. ein Hinweis darauf vorliege, dass Paulus das Evangelium auf eine ihm ganz eigene Weise formuliert habe. Meines Erachtens ist beides impliziert. 123 Vgl. weiter den Aor. Inf. γενέσθαι in 1,7. 124 W. Bornemann 58. 125 Vgl. so auch E. v. Dobschütz 70 mit Verweis auf 2,9.

52

Kommentar

gelium nach Thessalonich gekommen ist.126 Das erste durch ἐν [en] regierte Substantiv Wort ist gleichzeitig durch die Formulierung nicht allein gegenüber den folgenden Substantiven abgehoben. Das gesprochene, verbale Wort allein war nicht die einzige Art und Weise, in der sich das Evangelium Raum in der Gemeinde geschaffen hatte. Δύναμις [Dynamis], πνεῦμα [ pneuma] und πληροφορία [ plērophoria] (Kraft, Geist und Gewissheit) begleiteten die worthafte Verkündigung und trugen je auf ihre Weise ebenfalls dazu bei, dass es in Thessalonich zur ‚Annahme des Sohnes‘ (1,10) kam. Dass das Wort gegenüber den drei folgenden Substantiven durch die Negation nicht abgewertet ist, ist insofern deutlich, als die drei für sich allein genommen, also ohne das Wort, nicht in Kraft getreten wären: Aufgrund und gleichzeitig mit der worthaften Verkündigung erfolgten weitere, diese geradezu bestätigende und bekräftigende Begleiterscheinungen. Die worthafte Verkündigung ist die grundlegende Art der Verkündigung des Evangeliums: Röm 10,14. Umgekehrt gilt natürlich genauso, dass die worthafte Verkündigung, ohne die genannten Begleiterscheinungen nur leeres, wirkungsloses Wort bleibt, was – wenn auch mit etwas anderer Argumentationsrichtung – 1Kor 2,4 belegt: die verbale Verkündigung des Paulus, ὁ λόγος μου [ho logos mou] (meine Rede]), erfolgte in Korinth nicht ‚durch überredende Weisheitsworte‘, ἐν πειθοῖς σοφίας λόγοις [en peithois sophias logois], sondern ‚durch Erweis des Geistes und der Kraft‘, ἐν ἀποδείξει πνεύματος καὶ δυνάμεως [en apodeixei pneumatos kai dynameōs]. Die Begleiterscheinung der Kraft und des Heiligen Geistes sind in 1Kor 2,4 und auch an unserer Stelle eng an die verbale Verkündigung und gleichzeitig aufeinander bezogen. Von 1Kor 2,4 her liegt nahe, dass es sich dabei weniger um „die „Macht seiner [sc. des Paulus, fwr] Predigt über die Herzen“127 handelt, als vielmehr um „Erscheinungen, die von den Zeitgenossen

126 Vgl. so schon W. Bornemann 58, zum Gebrauch von ἐν mit Dat. anstelle des dativus modi in der Koine vgl. HvS §§ 180 a; 184 i. Ob auch das vierte Mal ἐν (πληροφορίᾳ πολλῇ) zu lesen ist, ist textkritisch nicht ganz eindeutig. Die frühe und breit bezeugte Lesart mit ἐν spricht jedoch eher für deren Aufnahme in den Text (mit NA27 – anders NA26). 127 E. v. Dobschütz 71. Ähnlich hebt auch A.J. Malherbe 111f darauf ab, dass hier das „Wie“ und die Folgen der Verkündigung des Paulus im Mittelpunkt stünden – konkreter wird in diesem Sinn G.D. Fee 34 (vgl. ders., Presence, 43), der hinter den Präpositionalwendungen „Paul’s Spirit-empowered preaching and their [sc. der Gemeindeglieder, fwr] Spirit-experienced conversion“ erkennen will; vgl. auch E. Best 75. Einen instrumentalen Gebrauch der Präposition ἐν streicht F.W. Horn, Angeld, 122f heraus: „Die Trias ist […] funktional zu verstehen. Δύναμις, πνεῦμα ἅγιον und πληροφορία sind das Mittel, das der Predigt des Evangeliums Wirksamkeit verlieh“ (a.a.O., 123).

Der Briefeingang 1,1-10

53

des Apostels als wunderbar und ungewöhnlich erfahren wurden“128. Ähnliche Äußerungen des Paulus liegen in Röm 15,19 und 2Kor 12,12 vor. Der im Corpus Paulinum sonst nur noch in Kol 2,2 belegte Terminus ‚(große) Gewissheit‘, πληροφορία (πολλῆ) [ plērophoria (pollē)],129 weist eher auf die Art der Verkündigung des Evangeliums durch die Missionare in Thessalonich hin, weniger auf die Wirkung, die diese bei den Gemeindegliedern evoziert haben könnte. Dies wird in 2,2 durch παρρησιάζεσθαι [ parrēsiazesthai] (hier: wagen) noch einmal aufgegriffen.130 Im Nachsatz, der durch καθώς [kathōs]131 (so wie) eingeleitet wird, erinnert der Apostel seine Leser an ihr Wissen, das sie durch die nicht lang zurückliegende Anwesenheit der Missionare in der jungen Gemeinde erlangt haben. Die sich anschließende rhetorische Figur (figurae dictionis) ist ein Spiel mit den Präpositionen ἐν [en]132 und διά [dia], bei euch um euretwillen / für euch. Es weist nachhaltig darauf hin, dass alles, was Paulus und seine Mitarbeiter in Thessalonich getan haben, keineswegs im eigenen Interesse erfolgte, sondern ganz und gar das Interesse der Gemeinde im Vordergrund stand:133 „Die syntaktische Konstruktion […] bildet eine eindrucksvolle rhetorische Figur, die stichwortartig das missionarische Engagement (‚bei euch‘), die Hingabe und den Dienst (‚um euretwillen‘) des Paulus und seiner Mitarbeiter in der Gemeinde von Thessalonich umschreibt, was dann in 2,1-12 ausführlicher geschildert wird.“134 6 Die Thessalonicher sind Nachahmer des Paulus und des Herrn geworden. Die 1. Pers. Pl. des Possessivpronomens ἡμῶν [hēmōn] (unsere)

128 T. Holtz 47 vgl. ähnlich auch I.H. Marshall 53f; Ch.A. Wanamaker 79; E. Reinmuth 119, anders G. Haufe 26. Vgl. zum Heiligen Geist bei Paulus außer G.D. Fee und F.W. Horn die entsprechenden Abschnitte im JBTh 24, 2009 (Thema: Heiliger Geist), das Themenheft Nr. 25 ZNT 13, 2010 und K. Erlemann, Unfassbar? Der Heilige Geist im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 2010. 129 Auch das Verbum πληροφορεῖν findet im NT kaum Verwendung, vgl. aus den insgesamt sechs Belegen im NT v.a. Röm 4,21; 14,5 und Kol 4,12. Zur Übersetzungsschwierigkeit dieses spätgriechischen Begriffs vgl. H. Hübner, πληροφορέω κτλ. EWNT2 III, 1992, 254-256, 254f. 130 So auch A.J. Malherbe 112, vgl. ähnlich I.H Marshall 54. 131 Vgl. zur Nebensatzeinleitung mit καθὼς οἴδατε 2,2.5 und 2,11 (καθάπερ οἴδατε); zur Erinnerung an Vergangenes mittels des Verbs εἰδέναι vgl. auch 2,1; 3,3.4; 4,2 und 2Thess 3,7 sowie (ohne εἰδέναι) 2Thess 2,5. 132 Die Auslassung(en) von ἐν bei verschiedenen Handschriften dürfte auf Haplografie zurückzuführen sein. 133 Vgl. T. Holtz 48, der sich in der Sache mit Recht gegen M. Dibelius 4f wendet, wonach die rhetorische Figur keinerlei sachliche Gründe, sondern eben lediglich formale habe. 134 P.-G. Müller 108.

54

Kommentar

dürfte sich hier auf den Apostel allein beziehen, ist doch die Gemeinde nicht nur im Leiden mit dem Apostel eins geworden (vgl. den durch das folgende Partizip eingeleiteten Begründungssatz und 2,14; 3,3f ),135 sondern eiferte seinem Beispiel auch in der Verbreitung des Evangeliums nach (vgl. 1,8; 4,9f ).136 Das Nachahmen hat jedoch auch, ganz unabhängig vom folgenden Begründungssatz, eine eigene Bedeutung innerhalb der paulinischen Diktion. Das Substantiv μιμητής [mimētēs] (Nachahmer) ist 1Kor 4,16; 11,1 (Eph 5,1) und zweimal im 1Thess (1,6; 2,14)137 verwendet138; das Verb μιμεῖσθαι [mimeisthai] (nachahmen) ist im NT noch seltener belegt: zweimal im 2Thess (3,7.9) und zweimal außerhalb des Corpus Paulinum (Hebr 13,7; 3Joh 1,11). Zunächst verbindet Paulus damit den Gedanken, seinem (apostolischen) Vorbild nachzuahmen (1Kor 4,16), wodurch indirekt Christus nachgeahmt wird (1Kor 11,1).139 Ist in 2Thess 3,7.9 ein bestimmter Verhaltenszug angesprochen, der nachahmenswert ist, so ist 1Kor 4,16 und auch Phil 3,17 das Nachahmen der gesamten Person im Blick. 1Thess 1,6 ist der Fokus auf die Rezeption des Evangeliums und die mit der Christusnachfolge verbundenen Leiden gerichtet, welche die Gemeinde zu Nachahmern des Paulus macht und sie damit auch „in eine Leidensverbindung mit Christus gebracht“140 hat.141 An mindestens drei Stellen verbindet Paulus also die Christusnachahmung mit der Nachahmung seiner eigenen Person als Apostel: 1Kor 11,1; Phil 3,17 und 1Thess 1,6.142 Für den 1Thess ist hinsichtlich der Bedeutung von ‚Nachahmung des Paulusʻ festzuhalten: „Imitation of Paul according to 1 Thessalonians means following his [sc. des Paulus, fwr] example of service to the community and suffering opposition for the sake of the gospel. Such imitation has a double significance – it serves the internal function of the building up of 135 E. Larsson, μιμέομαι κτλ., EWNT2 II, 1992, 1053-1057, 1055 spricht von einer „Leidensgemeinschaft“ mit dem Apostel. 136 Vgl. so auch F.F. Bruce 15. 137 Der einzige weitere Beleg im NT ist Hebr 6,12. 138 Vgl. συμμιμητής Phil 3,17. 139 Phil 3,17, wo συμμιμητής (Mitnachahmer) gebraucht ist, ist auf die gemeinsame Christusnachahmung von Paulus und den Briefempfängern abgehoben, vgl. dazu nur etwa D. Häußer, Phil, 262f. 140 E. Larsson, μιμέομαι κτλ., EWNT2 II, 1055. Bemerkenswerterweise ist in Eph 5,1, singulär im NT, von der „Nachahmung Gottes“ (γίνεσθε οὖν μιμηταὶ τοῦ θεοῦ) die Rede. 141 E. Larsson, μιμέομαι κτλ., EWNT2 II, 1055. Bemerkenswerter Weise ist in Eph 5,1, singulär im NT, von der „Nachahmung Gottes“ (γίνεσθε οὖν μιμηταὶ τοῦ θεοῦ) die Rede. 142 Vgl. für eine noch weiter gehende Interpretation T. Holtz 48. Ausführlich auch E. Larsson, μιμέομαι κτλ., EWNT2 II, 1053-1057.

Der Briefeingang 1,1-10

55

the community as expressed in mutual love and it has important sign value for promoting the mission of the church (which is to spread the gospel).“143 Die Verbindung des Paulus mit den Thessalonichern wird in 1,6 durch den begründenden Partizipialsatz in der „Leidensgemeinschaft“ gesehen. Wenn dabei von viel Bedrängnis die Rede ist, so ist dies zunächst von den Ausführungen in 3,3.7 zu unterscheiden, da jeweils unterschiedliche Zeiten angesprochen sind. Vers 1,6 ist auf die Zeit der Gemeindegründung bezogen, die Verse 3,3.7 auf die Abfassungszeit des Briefes. Jedes Mal ist dabei von θλῖψις [thlipsis] die Rede. Apg 17,5-8 berichtet anschaulich darüber, was der Gemeinde, insbesondere dem ‚Jason und einigen Brüdern‘ (17,6), während des Gemeindegründungsaufenthalts der Missionare widerfahren ist. Auch über die weiteren Aktivitäten der Gegner der Gemeinde in Thessalonich sind wir durch Apg 17,13f wenigstens ansatzweise informiert. Paulus selbst dürfte bei der Abfassung von 1Thess 2,14-16 diese und weitere Vorgänge im Blick gehabt haben.144 In der Bedrängnis ist die Freude des Heiligen Geistes die alles überbietende Begleiterin, unter welcher die Thessalonicher die Botschaft des Evangeliums angenommen haben. Die innere Erlösungsfreude (μετά [meta] mit), die jegliche äußere Bedrängnis145 überstrahlt, ist keine von Menschen machbare Freude. Der Genitiv χᾶρα πνεύματος ἁγίου [chara pneumatos hagiou] (Freude des Heiligen Geistes) ist genitivus auctoris:146 die Freude im äußeren Leiden ist geistgewirkte und damit widerfahrene Freude. Die Verbindung von ‚Bedrängnis‘ und ‚Freude‘ ist bereits im Judentum bekannt (2Makk 6,30; 4Makk 10,20 u.ö.) und auch bei Paulus nicht ungewöhnlich (vgl. 2Kor 6,10; 7,4f; 8,2).147 Dennoch liegt hier insofern eine Besonderheit vor, als die Freude in direkter Verbindung mit dem Evangelium zu stehen kommt, wie dies z.B. in

143 Mary A. Getty, The Imitation of Paul in the Letters to the Thessalonians, in: R.F. Collins (Hg.), Correspondence, 277-283, 281. – Vgl. zur Thematik auch Elizabeth A. Castelli, Imitating Paul. A Discourse of Power, Literary Currents in Biblical Interpretation, Louisville 1991 (eine deutsche Übersetzung soll unter dem Titel „Paulus nachahmen. Mimesis als Machtstrategie in den Paulusbriefen“, ReligionsKulturen 7, Stuttgart voraussichtlich 2021 erscheinen). 144 Vgl. ausführlich zu den historischen Hintergründen der Verfolgungssituation in Thessalonich während des Gemeindegründungsaufenthalts R. Riesner, Frühzeit, 311-317. 145 Ἐν θλίψει (in Bedrängnis) ist hier gleichbedeutend mit ἐν μέσῳ θλιψέως (inmitten der Bedrängnis), meint also die äußere Bedrängnis (vgl. J.E. Frame 83). 146 So auch E. v. Dobschütz 74; T. Holtz 49. 147 Vgl. für diese in der Literatur immer wieder angeführten Belege T. Holtz 50; A. J. Malherbe 115.

56

Kommentar

der Parabel vom Sämann notiert ist: Sie nahmen das Wort auf mit Freude (Mk 4,16parr).148 Es dürfte nur schwer möglich sein, eine konkrete Situation aus dem Leben Jesu zu erheben, von der gesagt werden könnte, die Gemeinde von Thessalonich sei in genau dieser Sache zur ‚Nachahmerin‘ Jesu geworden.149 7 Die Gemeinde150 ist in ihrer Nachahmertätigkeit zum einprägsam geprägten Muster (Vorbild) für zahlreiche andere Gemeinden und Christen geworden. Der Singular τύπος [typos] (Vorbild) zeigt, dass Paulus die Gemeinde als Ganzes – und nicht einzelne Personen im Blick hat.151 Nachahmung (μιμεῖσθαι [mimeisthai]) und Vorbild (τύπος [typos]) nimmt Paulus in umgekehrter Reihenfolge für sich selbst in 2Thess 3,9 in Anspruch: Er hat in einem speziellen Fall ein Vorbild gegeben, damit andere es nachahmen sollen. Hier (1,6f ) wurden die Thessalonicher aufgrund ihrer Nachahmung des Paulus (und damit Christi) zum Vorbild. Bei der ntl. Übersetzung von τύπος [typos] mit ‚Vorbild‘ ist für die vorliegende Stelle (vgl. auch Phil 3,17) freilich zu beachten, dass damit kein ethisches Ideal oder der Gedanke an ein Leitbild zu verbinden ist.152 Am ehesten kann der Terminus paraphrasiert werden mit ‚einprägsam geprägtes Muster‘153. Im vorausgegangenen Vers 6 wie auch im folgenden Vers 8 ist ausgeführt, worin und wie die Gemeinde zum τύπος [typos] geworden ist. Zum einen ist, aufgrund des rückverweisenden ὥστε [hōste] (sodass),154 zunächst gewiss an die Annahme des Evangeliums ἐν θλίψει μετὰ χᾶρα [en thlipsei meta chara] (in Bedrängnis mit Freude) zu denken, zum andern dürfte aber auch das im Blick sein, was mit ἐξηχεῖν [exēchein] (erklingen) verbunden ist, wird doch durch die begründende Partikel γάρ [gar] 148 Vgl. für diesen Hinweis A.J. Malherbe 115. 149 Vgl. aber immerhin Lk 6,22f, worauf I.H. Marshall 55 und T. Holtz 50 Anm. 119 als Möglichkeit hinweisen. 150 Das grammatikalisch unnötige ὑμᾶς (Subjektsakkusativ im AcI) verstärkt das Subjekt; zur Struktur ohne Wiederholung des Subjektsakkusativs vgl. Röm 2,19. 151 Vgl. auch die textkritische Entscheidung von NA28 gegen den Plural τύπους trotz dessen Wiedergabe in den Codices Sinaiticus, Alexandrinus u.a.; dazu auch A.J. Malherbe 115f. 152 Die ethische Komponente wird jedoch in 2Thess 3,9 deutlich sichtbar und macht sich nicht von ungefähr in der umgekehrten Zuordnung der Termini μιμεῖσθαι und τύπος bemerkbar. 2Thess 3,9 rückt τύπος in die Nähe von und παράδειγμα und ὑπόδειγμα (vgl. hierzu G. Schunack, τύπος κτλ., EWNT2 III, 1992, 892-901, 894f ). 153 So G. Schunack, τύπος κτλ., EWNT2 III, 894. In den deutschsprachigen Kommentaren wird im Anschluss an L. Goppelt (ThWNT s.voc.) ‚prägendes Vorbild‘ (vgl. T. Holtz 50; P.-G. Müller 111f ), oder lediglich ‚Vorbild‘ (vgl. G. Friedrich 211; E. Reinmuth 117; G. Haufe 23, R. Hoppe 85.112) übersetzt. 154 Vgl. zur konsekutiven Bedeutung von ὥστε HvS § 252 Nr. 62.

Der Briefeingang 1,1-10

57

(V. 8) das aufgegriffen und expliziert, was mit V. 7 (und V. 6) thematisiert worden ist. Mit allen Gläubigen, denen die Gemeinde zu diesem ‚einprägsam geprägten Muster‘ geworden ist, sind all jene gemeint, die jetzt, also z.Zt. der Abfassung des Briefs, glauben und die künftig zum Glauben kommen werden. Der Durativstamm des substantivierten Partizip Präsens (Dat. m. pl.) πιστεύουσιν [ pisteuousin] (den Glaubenden) weist über die Gegenwart hinaus, man hätte bei anderer Bedeutung ein Partizip Aorist (oder Futur) zu erwarten.155 Die römischen Provinzbezeichnungen Mazedonien und Achaia stehen hier, wie auch im gleich folgenden V. 8 geografisch für das gesamte heutige Griechenland.156 Paulus dürfte die Provinznamen anstatt einzelner Städte verwenden, weil sich in allen Städten (und deren Umland), in denen er seit Gründung der Gemeinde in Thessalonich gewesen war (Beröa, Athen, Korinth)157, die Ereignisse aus Thessalonich äußerst schnell als mustergültig herumgesprochen hatten.158 Zudem gilt für Paulus eine Provinz als vom Evangelium erreicht, wenn es in den von ihm besuchten Städten der jeweiligen Provinz zu Gemeindegründungen gekommen war.159 8 Der hier vorliegende Satz stellt ein Kompliment dar.160 Ben Witherington III spricht von „a bit of dramatic hyperbole“,161 was der Sache nach durchaus verständlich ist. Paulus bildet hier ein Anakoluth, das auf seine Weise erkennbar macht, dass der Aussage durchaus Emotionalität eignet, insofern unvollständige Sätze den Schluss zulassen, hier sei der Autor besonders mit seiner Diktion verwoben.162 Durch den Beginn des Satzes mit von euch wird erneut (vgl. die Funktion der grammatikalisch überflüssigen Verwendung von ὑμᾶς [hymas] in 1,7) die Gemeinde in den Vordergrund gerückt. Das sich anschließende explikative γάρ [gar] (nämlich) weist auf die Funktion des nun Folgenden hin: was macht den τύπος [typos] (Vorbild) aus, zu dem die Thes155 So mit E. v. Dobschütz 74. 156 Zu Hinweisen auf die Geschichte der Provinz Mazedonien, die erst 44 n.Chr. unter Kaiser Claudius wieder eigenständige senatorische Provinz wurde, vgl. neben der Einleitung I auch Tacitus, Ann. I 76.80 und F.W. Röcker, Belial, 297f mit Anm. 175. 157 Man kann auch daran denken, dass sich die Kunde aus Thessalonich etwa nach Philippi verbreitet haben dürfte. 158 Vgl. für diese Interpretation auch A.J. Malherbe 68f. 159 Vgl. für Thessalonich nur Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 106. 160 Vgl. A.J. Malherbe 116. 161 B. Witherington III 73; den hyperbolischen Charakter unterstreicht auch A.J. Malherbe 118. 162 Vgl. den Hinweis bei HvS § 292 e, wonach ein Anakoluth v.a. „in lebendiger Rede [begegnet]“.

58

Kommentar

salonicher geworden sind?163 Antwort: die Ausbreitung des Wortes des Herrn an jeden Ort! Das Kompositum ἐξηχεῖν [exēchein] ist hapax legomenon im NT, auch das Simplex ἠχεῖν [ēchein] ist lediglich einmal im NT belegt (1Kor 13,1). Das Verb ‚hinaus erklingen (lassen)‘ steht in LXX für einen lauten, dem Donner vergleichbaren Schall (Sir 40,13). Chrysostomus (Hom. ad 1Thess II) verband das Wort mit dem Schall einer Trompete.164 „Freilich sind die zufälligen Belege schwerlich geeignet, die vorgestellte Form des ‚Erschallens‘ näher zu bestimmen.“165 Klar ist jedenfalls, dass ein nicht zu überhörender ‚Klang‘ von einem Ort ausging, der sich überall hin verbreitete (vgl. Röm 10,18).166 ‚Hinaus erklingen (lassen)‘ und ‚hinausgegangen‘ (ἐξελήλυθεν [exelēlythen]) sind in dieser Hinsicht synonym.167 Der resultative Aspekt der beiden Perfektstämme weist auf die noch andauernde Wirkung der Verbreitung dieses ‚Sounds‘ hin. Inhalt dieses überall hingelangenden ‚Klangs‘ war das Wort des Herrn. Die Wortverbindung ὁ λόγος τοῦ κυρίου [ho logos tou kyriou] ist so bei Paulus nur noch 2Thess 3,1 belegt168 und meint das Evangelium. Der Genitiv ist dabei sowohl gen. subiectivus als auch gen. obiectivus: es handelt sich um das Wort, das vom Herrn ausgeht, und um das Wort, dessen Inhalt die Botschaft über diesen Herrn ist.169 Der Glaube der Gemeinde, der hier ebenfalls als Inhalt des sich verbreitenden ‚Klangs‘ erwähnt ist, führt die Wendung ‚Wort des Herrn‘ insofern weiter, als mit ihm die Konsequenz aus diesem Wort seinen Niederschlag findet. Dabei dürfte weniger die grundsätzliche Bedeutung von Glaube bei Paulus, also das Verhältnis zu Gott, im Vordergrund stehen, als vielmehr die mustergültige Art, in der sich der Glaube in der Gemeinde, u.a. durch die Ausbreitung des Wortes des Herrn durch die Thessalonicher, ‚an jedem Ort‘ manifestierte. Die Wiederholung des Artikels vor an Gott

163 Vgl. zur explikativen Verwendung von γάρ die Einteilung des Bedeutungsspektrums für diese Partikel bei WB6 304f. 164 Vgl. E. Best 80; A.J. Malherbe 117. Der Beleg aus Chrysostomus ist im griechischen Wortlaut bei G. Wohlenberg 33 Anm. 3 abgedruckt. 165 T. Holtz 52 Anm. 136. 166 Vgl. E. Best 80f; I.H. Marshall 56. 167 Die enge inhaltliche Verbundenheit der beiden Verben wird auch stilistisch sichtbar, insofern beide mit dem Präfix ἐκ- beginnen, was mindestens hinsichtlich des überaus selten belegten ἐξεχεῖν auffällig ist. – Für die synonyme Interpretation der beiden Verben vgl. A.J. Malherbe 116, der allerdings auch die beiden Subjekte als Synonyme interpretieren will. 168 Vgl. Apg 8,25; 12,24 (v.l.; [NA26]); 19,10.20. 169 So auch T. Holtz 51f.

Der Briefeingang 1,1-10

59

(ἡ πίστις ὑμῶν ἡ πρὸς τὸν θεόν [hē pistis hymōn hē pros ton theon]) ist grammatikalisch unnötig und im NT singulär. Durch seine Wiederholung wird das Objekt, der Inhalt des Glaubens hervorgehoben, der in 1,9f präzisiert wird.170 Vielleicht geschieht das hier, um die Abkehr der Thessalonicher von den ‚Götterbildern‘ zu unterstreichen. Der ‚Klang‘, der von Thessalonich ausging, erschallte über die Provinzen Mazedonien und Achaja hinaus bis an jeden Ort. Dass Paulus hier hyperbolisch schreibt, wurde bereits oben vermerkt. Eventuell hat Paulus die geografisch zentrale Lage der Stadt Thessalonich an der Via Egnatia im Blick, die den Westen des römischen Reiches mit dem Osten verband, und daher bestens dafür geeignet war, dass Durchreisende von dort aus Nachrichten tatsächlich an ‚jeden Ort‘ weiterverbreiten konnten. Stellt man zudem die teilweise hohe Mobilität mindestens einzelner Christen in Rechnung,171 so gewinnt die Formulierung an Plausibilität und verliert etwas den rein plerophoren, überschwänglichen Charakter. Dennoch bleibt die Aussage mit einem „pardonable touch of exaggeration“172 versehen, da weder Paulus noch sonst jemand diese Behauptung hätte überprüfen können.173 Singulär ist diese ‚Übertreibung‘ bei Paulus, wie überhaupt in der hellenistischen Literatur,174 dennoch nicht, vgl. Röm 1,8; 16,19; 1Kor 1,2; 2Kor 2,14; Phil 4,5; Kol 1,6.23. Der durch ὥστε [hōste] (sodass) eingeleitete Schlussteil des Anakoluths greift erneut expressis verbis das Kompliment auf, hier speziell die rhetorische Figur der Praeteritio, das in V. 8 insgesamt ausgeführt wird: Über das, was über die Gemeinde in Thessalonich ‚an jeden Ort‘ hinausgeht, braucht der Apostel nichts zu sagen. Gemeint ist natürlich: bei seiner eigenen Verkündigung des Evangeliums; λαλεῖν [lalein] (sagen) ist hier synonym zu εὐαγγελίζεσθαι [euangelizesthai] (als Evangelium verkündigen) verwendet.175 Die Formulierung macht jedoch deutlich: Dennoch tut er es (vgl. 2Thess 1,4)!

170 Vgl. E. Best 81; A.J. Malherbe 117. 171 Dabei ist besonders an das Ehepaar Prisca und Aquila zu erinnern, von dem eine weite Reisetätigkeit im NT berichtet wird (Apg 18,2.18.26; 1Kor 16,19), vgl. I.H. Marshall 56. Zu Prisca und Aquila vgl. besonders Christoph G. Müller, Frühchristliche Ehepaare und paulinische Mission, SBS 215, Stuttgart 2008, 17-36. Allgemein zur internationalen Mobilität im Römischen Reich vgl. den Überblick bei E.J. Schnabel, Mission, 621-624. 172 I.H. Marshall 56, vgl. E. Best 81. 173 Vgl. T. Holtz 53, der dabei vermerkt, dass wenn Paulus dies nicht habe überprüfen können, wir uns einer solchen Überprüfung auch enthalten sollten. 174 Belege bei A.J. Malherbe 118. 175 Vgl. A.J. Malherbe 118; P.-G. Müller 114. – Vgl. auch Phil 1,14, wo τὸν λόγον λαλεῖν (das Wort sagen) die Verkündigung des Evangeliums meint (hierzu H. Hübner, λαλέω κτλ., EWNT2 II, 1992, 827-829, 828).

60

Kommentar

Denn: „The report of the Thessalonians’ faith and evangelism thus itself has an evangelical quality.“176 9 Das satzeinleitende und dadurch betont positionierte Subjekt sie selbst bezieht sich auf die Christen in Mazedonien, Achaja und überhaupt ‚an jedem Ort‘ (1,8).177 Mit Recht weist David Luckensmeyer darauf hin, dass damit nicht jeder Christ ganz generell gemeint sein dürfte,178 sondern „the people […] who heard the news: the faith of the Thessalonians had become a topic of general conversation“.179 Deshalb muss Paulus eigentlich ‚nichts sagen‘ (V. 8), weil bereits ‚an jedem Ort‘ von der Tätigkeit der Missionare in Thessalonich und deren Auswirkungen, sc. über uns (περὶ ἡμῶν [ peri hēmōn]), erzählt wird. Einige Manuskripte überliefern περὶ ὑμῶν [ peri hymōn] (über euch), was zunächst im Blick auf 1,8 auch näherliegen würde und die einfachere Lesart wäre. Allerdings ist es für Paulus und seine Mitarbeiter wichtig herauszustreichen, dass über ihren ‚Eingang‘ in der Gemeinde geredet wird (ὁποῖος [hopoios]),180 erleichtert dies doch ihre Tätigkeit als Missionare, insofern darüber berichtet wird, welche Konsequenzen der ‚Eingang‘ der Missionare in Thessalonich gehabt hatte: eben das, wovon mehrfach im Proömium die Rede ist – und was im Folgenden (9b.10) zur Sprache kommt und in 1,6b (θλῖψις καὶ χαρά [thlipsis kai chara], Bedrängnis und Freude) bereits vorweggenommen wurde (πῶς [ pōs], wie).181 Diese Konsequenzen stehen für Paulus fraglos deshalb im Mittelpunkt,182 weil das verwendete Verb berichten (ἀπαγγέλλειν [apangellein]) im Corpus Paulinum außer an dieser Stelle nur noch 1Kor 14,25 verwendet wird und dort – wie hier – die bloße Bedeutung des Berichtens überschreiten dürfte und eher im Sinne von ‚bekennen‘

176 177 178 179 180

A.J. Malherbe 118. Vgl. J.E. Frame 86. D. Luckensmeyer, Eschatology, 78. F.F. Bruce 17. Ὅποῖος (hier: Interrogativpronomen in einer indirekten Frage, vgl. 1Kor 3,13) ist mit ‚welchen‘ übersetzt und meint die Art und Weise oder die Qualität einer Sache. 181 Vgl. W. Bornemann 66, implizit auch G.D. Fee 45f. Πῶς (hier: Interrogativpartikel in einer indirekten Frage, vgl. HvS §143b) hat hier (u.a. mit G. Haufe 28; A.J. Malherbe 118; D. Luckensmeyer, Eschatology, 80f ) aufgrund der Parallelität zu ὁποῖος modalen Charakter. BDR §3965 weisen jedoch darauf hin, dass πῶς „im späteren Griechisch immer mehr die Bedeutung von ὅτι annimmt“; 1,9 entspreche πῶς der Bedeutung von ὅτι (dass), womit lediglich auf das Faktum der Bekehrung hingewiesen wäre (so u.a. auch T. Holtz 54). Mit Recht weist jedoch G. Wohlenberg 38 darauf hin: „es heißt nicht ὅτι, sondern πῶς“, sodass mindestens beide Aspekte gehört werden müssen. 182 Und nicht etwa bloße Eitelkeit.

Der Briefeingang 1,1-10

61

verwendet ist,183 also mit dem Grund der Gegenwart der Missionare zu verbinden ist, nämlich das Evangelium zu bezeugen. Von einem von der Verkündigung des Evangeliums geprägten Eingang der Missionare in Thessalonich und deren Folgen berichten bekennend also die Christenmenschen an allen Orten. Das Wort εἴσοδος [eisodos] (Eingang) ist außer hier im Corpus Paulinum nur noch in 1Thess 2,1 verwendet. An beiden Stellen ist der offene und vom Evangelium her ganz und gar geprägte und erfüllte Zugang der Missionare zur Gemeinde, sowie die in der Umkehr der Thessalonicher sichtbaren Folgen gemeint.184 Diese werden nun in V. 9b.10 von ihrer inhaltlichen Seite her näher bestimmt. Weitestgehende Einigkeit besteht darin, dass Paulus in V. 9b.10 traditionelles Gedankengut aufgreift.185 Dass es sich dabei um ein frühchristliches Tauflied in der Tradition der Logienquelle handele, das den Täuflingen vor der Taufe durch die Gemeinde zugesungen worden sei,186 ist jedoch wenig wahrscheinlich.187 Auch dass ein Schema der urchristlichen Missionspredigt vorliege, wurde durch die neueren Beobachtungen am Text nicht bestätigt.188 Ferdinand Hahn formuliert nur einen Teilkonsens, wenn er von einem „formelhaften Text der Missionssprache“ spricht, „der in 1 Thess 1,9f von Paulus zitiert wird“,189 insofern eher davon auszugehen ist, dass Paulus traditionelle

183 Der Verweis auf die Statistik ist deshalb relevant, weil die beiden im NT wie in der Profangräzität synonym zum Simplex gebrauchten Komposita ἀναγγέλλειν und ἀπαγγέλλειν insgesamt zwar recht häufig belegt sind (sc. 14-mal bzw. 45-mal, jeweils v.a. im lk. Doppelwerk), bei Paulus aber jeweils nur zweimal – Εrsteres in Röm 15,21 und 2Kor 7,7. Vgl. zur synonymen Bedeutung von Simplex und Komposita I. Broer, ἀγγέλλω κτλ., EWNT2 I, 1992, 29-32, 30. 184 Dass hier nicht lediglich der wörtliche Sinn des Eingangs im Sinn von ‚in einen Raum eintreten‘ gemeint ist, dürfte offensichtlich sein. Vgl. hierzu ausführlich und mit zahlreichen Belegen für die unterschiedliche Verwendung von εἴσοδος in der Profangräzität neben S. Kim, Paul’s Entry (εἴσοδος) and the Thessalonians’ Faith (1 Thessalonians 13); NTS 51, 2005, 519-542 auch D. Luckensmeyer, Eschatology, 78-80. 185 G.D. Fee 46 hält diesen Sachverhalt allerdings für völlig irrelevant. 186 So G. Friedrich, Ein Tauflied hellenistischer Judenchristen, ThZ 21, 1965, 402-416, vgl. (zurückhaltender) ders. 215. – Ausgesprochen hymnischen Charakter der Passage nimmt F.F. Bruce 11.18 an; vgl. auch E. Best 86, der von „two three-line stanzas“ ausgeht. 187 Vgl. zur Kritik an Friedrich v.a. T. Holtz 56f und P.-G. Müller 116. 188 Vgl. U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen, WMANT 5, Neukirchen-Vluyn 31974, 81-91; zur Kritik an Wilckens vgl. T. Holtz 55; Ch.A. Wanamaker 84f. – Vgl. hierzu auch das bereits oben bei Anm. 50 (S. 37) Ausgeführte. 189 F. Hahn, Theologie I, 169; vgl. I.H. Marshall 57. – Einen guten Überblick über den Gang der Diskussion hinsichtlich traditioneller und redaktioneller Elemente bzw. der Identifikation von traditioneller Überlieferung in dieser Passage seit J. Munck (I Thess.

62

Kommentar

Formulierungen bzw. traditionelles Vokabular aus der jüdischen190 und urchristlichen Missionsverkündigung aufgenommen hat und die Passage selbst formuliert hat.191 Paulus beschreibt jedenfalls den Weg, den die Thessalonicher bei ihrer Bekehrung gegangen sind, auf zwei Weisen: In V. 9b steht die Umkehr von den Göttern hin zu Gott im Mittelpunkt, also das von außen sichtbare Element der auch anderen einprägsamen, mustergültigen Annahme des Wortes in der Gemeinde (V. 6f ). In V. 10 steht der ganz christuszentrierte Glaubensinhalt, also das innere Element der Annahme des Wortes, das mit dieser Umkehr verbunden ist, im Mittelpunkt. Die Kopula καί [kai] markiert dabei eine Zäsur zwischen den beiden durch Infinitive eingeleiteten Nebensätzen. Folgende Gliederung kann dem Text daher gegeben werden: ἐπεστρέψατε πρὸς τὸν θεὸν

ἀπὸ τῶν εἰδώλων δουλεύειν θεῷ ζῶντι καὶ αvληθινῷ [epestrepsate pros ton theon apo tōn eidōlōn douleuein theō zōnti kai alēthinō]

A Ihr seid umgekehrt hin zu Gott weg von den Götterbildern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott

καὶ ἀναμένειν τὸν υἱὸν αὐτοῦ ἐκ B und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten τῶν οὐρανῶν, welchen er auferweckt hat aus den Toten, ὃν ἤγειρεν ἐκ νεκρῶν, Ἰησοῦν τὸν ῥυόμενον ἡμᾶς ἐκ Jesus, der uns vom kommenden Zorn erτῆς ὀργῆς τῆς ἐρχομένης. rettet.

[kai anamenein ton hyion autou ek tōn ouranōn, hon ēgeiren ek nekrōn, Iēsoun ton rhyomenon hēmas ek tēs orgēs tēs erchomenēs.] Diese Gliederung kann weiter spezifiziert werden: Die jeweils mittleren Zeilen der beiden Abschnitte A und B bilden inhaltlich eine Sequenz, welche von den I. 9-10 and the Missionary Preaching of Paul. Textual Exegesis and Hermeneutical Reflections, NTS 9, 1962/63, 95-110) bietet D. Luckensmeyer, Eschatology, 106-113. 190 Vgl. hierzu besonders JosAs 11,7-11 und dazu St. Schreiber 115f. 191 Vgl. z.B. T. Holtz 57: „Von der Art der Aussage her ist also damit zu rechnen, daß Sprach- und Vorstellungsmaterial in ihr aufgenommen ist, das nicht auf den spezifischen Sprachgebrauch des Paulus zurückgeht, sondern das weiterer, gleichsam ökumenischer Herkunft ist.“

Der Briefeingang 1,1-10

63

jeweils äußeren Zeilen gerahmt werden. Im Abschnitt A sind die seitherigen Götter der Thessalonicher vom jetzigen Verhältnis der Gemeindeglieder zum ‚lebendigen und wahren Gott‘ gerahmt, das durch ‚umkehren‘ und ‚dienen‘ bestimmt ist. Bei Abschnitt B bildet der Mittelteil einen Rückblick auf die Auferstehung des Sohnes. Die äußeren Zeilen blicken voraus auf den kommenden Sohn Jesus. Diese inhaltliche Beobachtung erinnert an 1,3: ‚umkehren‘ kann mit ἔργον τῆς πίστεως [ergon tēs pisteōs] (Werk des Glaubens), ‚dienen‘ mit κόπος τῆς ἀγάπης [kopos tēs agapēs] (Mühe der Liebe) und das Warten auf den kommenden Jesus kann schließlich mit ὑπομονὴ τῆς ἐλπίδος [hypomonē tēs elpidos] (Geduld der Hoffnung) in Zusammenhang gebracht werden.192 Formal sind die beiden jeweils durch Infinitive eingeleiteten Nebensätze allerdings vom finiten Verb (ἐπεστρέψατε [epestrepsate], ihr seid umgekehrt) abhängig. Legt man die formale, nicht die inhaltliche Struktur von V. 9b.10 der Gliederung zugrunde, so ergibt sich folgende Gliederungsmöglichkeit: ἐπεστρέψατε πρὸς τὸν θεὸν ἀπὸ τῶν A Ihr seid umgekehrt hin zu Gott weg von εἰδώλων den Götterbildern, δουλεύειν θεῷ ζῶντι καὶ ἀληθινῷ B (a) zu dienen dem lebendigen und wah[epestrepsate pros ton theon apo tōn ren Gott eidōlōn douleuein theō zōnti kai alēthinō] καὶ ἀναμένειν τὸν υἱὸν αὐτοῦ ἐκ C (b) und seinen Sohn aus den Himmeln zu τῶν erwarten, οὐρανῶν, (b') welchen er auferweckt hat aus den ὃν ἤγειρεν ἐκ νεκρῶν, Toten, (a') Jesus, der uns vom kommenden Ἰησοῦν τὸν ῥυόμενον ἡμᾶς ἐκ τῆς Zorn ὀργῆς τῆς ἐρχομένης. errettet. [kai anamenein ton hyion autou ek tōn ouranōn, hon ēgeiren ek nekrōn, Iēsoun ton rhyomenon hēmas ek tēs orgēs tēs erchomenēs]

Diese formal bedingte Anordnung der Zeilen eröffnet einen veränderten Blick auf die Aussageintention von V. 9b.10. Die Umkehr zum wahren Gott (A) 192 Vgl. D. Luckensmeyer, Eschatology, 77 mit Anm. 8.

64

Kommentar

impliziert (B) eine neue Ethik ([a], δουλεύειν [douleuein]) und eine veränderte Eschatologie ([b], ἀναμένειν [anamenein]). Die Eschatologie hat dabei (C) ihren Grund in der Auferstehung des Sohnes (b'), ist also christologisch, vom Osterereignis her, motiviert. Die Ethik hat ihren Grund in der Rettung aus dem kommenden Zorngericht, ist also eschatologisch motiviert. Dadurch ergibt sich aus inhaltlichen Gründen eine chiastische Anordnung der Zeilen der Abschnitte B und C und eine sachlich hochkomplexe Verschränkung von Ethik, Christologie und Eschatologie. Durch diese drei Themata dürfte die frühchristliche Missionspredigt grundsätzlich geprägt gewesen sein.193 Sich für eine der beiden Gliederungsmöglichkeiten exklusiv entscheiden zu wollen, würde bedeuten, die Aussagekraft der Sentenz einzuengen: Die durch traditionelle Elemente geprägte Formulierung hat sich in ihrer inhaltlichen Dichte und ihrer komplexen Form nicht von ungefähr in dieser Weise „als formelhafter Text der Missionssprache“ durchgesetzt.194 Auf zahlreiche Motive, die in diesen beiden Versen angesprochen sind, greift Paulus im Verlauf des Briefes zurück: Umkehr, Dualismus (2,18; 3,5; 5,4f.7f ), das Warten auf den kommenden Herrn (2,19; 4,16f; 5,2.23), Auferstehung (4,14), Rettung (5,8f ) und Zorn (2,16; 5,9). Dass umkehren (ἐπιστρέφειν [epistrephein]) terminus technicus der Bekehrungssprache ist und v.a. bei Lukas häufig anstelle von oder in Ergänzung zu μετανοεῖν [metanoein] (Buße tun) gebraucht wird,195 braucht nicht mehr

193 Vgl. zur Verbindung von Eschatologie und Ethik in den beiden Thessalonicherbriefen F. Laub, Eschatologische Verkündigung und Lebensgestaltung nach Paulus. Eine Untersuchung zum Wirken des Apostels beim Aufbau der Gemeinde in Thessalonike, BU 10, Regensburg 1973; B.N. Kaye, Eschatology and Ethics in 1 and 2 Thessalonians, NT 17, 1975, 47-57 und M. Konradt, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik im 1 Thess und 1 Kor, BZNW 117, Berlin u.a. 2003, zu 1,9f bes. 39-57, vgl. auch A. Grabner-Haider, Paraklese und Eschatologie bei Paulus. Mensch und Welt im Anspruch der Zukunft Gottes, NTA 4, Münster 21985; zur Verbindung von Christologie und Eschatologie F. Froitzheim, Christologie und Eschatologie bei Paulus, fzb 35, Würzburg 21982. – Die Bedeutung der pln. (ntl.) Eschatologie für die Begründung einer christlichen Ethik heute hat U.H.J. Körtner, Das Neue Testament als Quelle theologischer Ethik. Anmerkungen zum Verhältnis von theologischer Ethik und neutestamentlicher Wissenschaft aus systematisch-theologischer Sicht, ZEE 55, 2011, 187-300, 297f nachdrücklich hervorgehoben. 194 Vgl. im Übrigen auch das bereits oben unter II Ausgeführte. 195 Apg 3,19; 26,20 werden beide Verben ergänzend verwendet: der Umkehr (μετανοεῖν) muss die Hinwendung (ἐπιστρέφειν) zu Gott folgen; beides sind unabdingbar zueinander gehörige Aspekte ein und desselben Vorgangs. Vgl. zur Thematik M. Kim-Rauchholz, Umkehr bei Lukas. Zu Wesen und Bedeutung der Metanoia in der Theologie des dritten Evangelisten, Neukirchen-Vluyn 2008.

Der Briefeingang 1,1-10

65

eigens hervorgehoben zu werden.196 Paulus verwendet hier und in 2Kor 3,16 ἐπιστρέφειν [epistrephein] „für den Zutritt zum Christentum“.197 Die Bewegung weg vom ehemaligen Glauben hin zum Christentum wird durch den Gebrauch der beiden Präpositionen πρός [ pros] (hin zu) und ἀπό [apo] (weg von) plastisch geschildert. Die von den Präpositionen abhängigen Substantive Gott und Götterbilder198 weisen ebenfalls auf den Kontrast zwischen dem ‚alten‘ und dem ‚neuen‘ Glauben hin: Die Thessalonicher wandten sich von der Verehrung von Göttern ab, hin zum lebendigen und wahren Gott. Christoph v. Brocke macht im Blick auf den Plural εἴδωλα [eidōla] auf die „enorme Vielfalt der Kulte Thessalonikis“ aufmerksam, „die es praktisch unmöglich macht, bestimmte Götter mit den von Paulus erwähnten εἴδωλα zu identifizieren“.199 Die beiden Attribute ζῶντος [zōntos] (lebendig) und ἀληθινός [alēthinos] (wahr) implizieren, dass die Götter, die von den Thessalonichern einst verehrt und gefeiert wurden, aus der Sicht des Paulus weder lebendig noch wahr200 sein können. Vom ‚lebendigen Gott‘ ist häufig in der LXX die Rede (z.B. 1Sam = 1Reg 17,36; 2Kön = 4Reg 19,4; 2Makk 7,33), auch in anderen pln. Briefen findet sich dieses Attribut: Röm 9,26 (= Hos 2,1 [LXX]); 2Kor 3,3; 6,16. Von ihm kann deshalb als dem Lebendigen gesprochen werden, weil er als aktiver Gott und als Quelle des Lebens (schöpfungstheologisch verstanden201) erfahren und bezeugt wurde. Vom wahren Gott ist bei Paulus sonst nirgends die Rede,202 wiewohl auch diese Bezeichnung Gottes in der LXX 196 Vgl. nur E. Légasse, ἐπιστρέφω κτλ., EWNT2 II, 1992, 99-102. 197 E. Légasse, ἐπιστρέφω κτλ., 101. Gal 4,9, dem einzigen weiteren Beleg für das Verb im Corpus Paulinum, ist die Umkehr vom Christentum zurück zum ‚alten‘ Glauben Thema, womit ἐπιστρέφειν auch hier den Zutritt zu einer Religion meint. Anders D. Luckensmeyer, Eschatology, 81f, der meint, dass weder 2Kor 3,16 noch Gal 4,9 als Parallelstellen zu 1,9 herangezogen werden können, weil es 1,9 um den Zutritt von Nichtjuden zum Christentum ginge, was aber, trotz seiner weiteren Argumentation (a.a.O., 81-84), kaum überzeugt. Zur traditionsgeschichtlichen Herkunft der Formulierung aus dem hellenistischen Judentum (JosAs) vgl. oben bei II. 198 Das Wortfeld ειδωλο- ist im NT fast ausschließlich bei Paulus und hier v.a. im 1Kor belegt: εἴδωλον (11-mal im NT, 7-mal bei Paulus; 1Kor 8,4.7; 10,19; 12,2); εἰδωλόθυτος (9-mal im NT; 5-mal bei Paulus; 1Kor 8,1.4.7.10; 10,19); εἰδωολολάτρης (7mal im NT, 5-mal bei Paulus; 1Kor 5,10.11; 6,9; 10,7; Eph 5,5); εἰδωλολατρία (4-mal im NT, 3-mal bei Paulus; 1Kor 10,14; Gal 5,20; Kol 3,5). 199 Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 116; vgl. zu den heidnischen Kulten und zur religiösen Situation in Thessalonich z.Zt. des Paulus a.a.O., 117-142 und F.W. Röcker, Belial, 245253. 200 Vgl. die Bezeichnung der εἴδωλα in JosAs (8,5; 11,8; 12,5; 13,11) mit „tot und stumm“ (νεκρὰ καὶ κωφά). 201 Vgl. hierzu besonders A.J. Malherbe 120f. 202 Röm 3,4 ist durch γινέσθω δὲ ὁ θεὸς ἀληθής (Gott aber sei wahrhaftig) nicht exakt dasselbe formuliert.

66

Kommentar

und der jüdischen Literatur weit verbreitet ist (z.B. Ex 34,6; 3Makk 2,11; OrSib V,493). Zum einen ist damit über Gott ausgesagt, dass er „dem entspricht, was man von einem Gott erwartet“,203 zum andern wird aber dadurch auch „seine Absolutheit und Exklusivität“204 ausgedrückt. Im NT kommt diese Bezeichnung für Gott nur im Corpus Johanneum vor:Joh 7,28; 1Joh 5,20f; Offb 6,10. – Die nächste biblische Parallele zur Verwendung von beiden Attributen ist Jer 10,10 (MT).205 Das Ziel der Hinwendung zum ‚lebendigen und wahren Gott‘ wird durch die beiden finalen Infinitive dienen und erwarten in doppelter Weise beschrieben. „δουλεύω [douleuō] drückt [sc. in 1Thess 1,9; fwr] das Dienen aus, das Menschen […] [Gott] gegenüber ausüben […] als dem absoluten Herrn“.206 Das Wort wird im NT für den Dienst der Christen recht selten verwendet: vgl. für Paulus lediglich Röm 7,6.25; 14,18; 16,18; Kol 3,24, als direkte Parallele kann auf Mt 6,24 / Lk 16,13 hingewiesen werden.207 Der zweite Infinitiv (ἀναμένειν [anamenein]) ist hapax legomenon im NT.208 Paulus verwendet sonst für das eschatologische Warten der Christen auf ihren Herrn das intensivere Verb ἀπεκδέχεσθαι [apekdechesthai] (Röm 8,19.23.25; 1Kor 1,7; Gal 5,5; Phil 3,20), wobei Phil 3,20 die nächste Parallele zu 1,10 bildet, insofern hier wie dort vom Warten auf den kommenden Jesus als Retter ‚aus den Himmeln‘ die Rede ist. Paulus dürfte an diesen Stellen auf Vorstellungen zurückgreifen, wie sie in der LXX mehrfach (Jdt 8,17; Sir 2,7), besonders aber in Hiob 2,9a vorliegen, wo ἀναμένειν [anamenein] in synonymem Parallelismus zu προσδέχεσθαι [ prosdechesthai] steht: Ἰδοὺ ἀναμένω χρόνον ἔτι μικρὸν προσδεχόμενος τὴν ἐλπίδα τῆς σωτηρίας μου; [Idou anamenō chronon eti mikron prosdechomenos tēn elpida tēs sōtērias mou?]209 Derjenige, der erwartet wird, wird beschrieben mit sein (sc. Gottes) Sohn aus den Himmeln. Aufgrund des folgenden Relativsatzes ist es namentlich Jesus. In eschatologischem Kontext verwendet Paulus diese einfache Titula203 E. v. Dobschütz 77. Das Gegenteil wird etwa über die Götter in Gal 4,8f so formuliert: τοῖς φύσει μὴ οὖσιν θεοῖς (die ihrer Beschaffenheit nach keine Götter sind). 204 R. Börschel, Konstruktion, 98. 205 Auf die Verbindung von 1,9f mit JosAs 11,8-11 wurde bereits oben bei II u.ö. verwiesen. 206 A. Weiser, δουλεύω κτλ., EWNT2 I, 1992, 844-852, 847. 207 Die Belege auch bei T. Holtz 59. 208 Vgl. für das Folgende A.J. Malherbe 121; D. Luckensmeyer, Eschatology, 93f. 209 „Siehe, ich warte noch eine kleine Zeit ab / und erwarte die Hoffnung auf meine Rettung?“ (Übersetzung LXX.D).

Der Briefeingang 1,1-10

67

tur (υἱός [hyios], Sohn) sonst nur noch 1Kor 15,28. Überlegungen, ob hier traditionsgeschichtlich eher die Sohn-Gottes-Vorstellung (υἱὸς τοῦ θεοῦ [hyios tou theou]) oder die Vorstellung vom Menschensohn (υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου [hyios tou anthrōpou]) im Hintergrund stehe oder ob beide Traditionen gemeinsam eine Rolle spielen (und wann diese dann – von wem? – zusammengeführt wurden), führen kaum zu einem wirklich plausiblen Ergebnis.210 Im Blick auf den Gebrauch der einfachen Titulatur von υἱός [hyios] in 1Kor 15,28 dürfte v.a. die enge Beziehung zwischen Gott, dem Vater, und Jesus, dem Sohn, den inhaltlichen Schwerpunkt der Aussage bilden, drückt doch der Sohn-Titel bei Paulus „gegenüber anderen Titeln unmittelbar die Zusammengehörigkeit des Heilsträgers mit Gott“ aus.211 Der Plural aus den Himmeln wird entweder als Hebraismus erklärt, wobei die hebr. Pluralbildung des Nomens für Himmel (‫שַׁמִים‬ ָ [schāmajim]) schlicht 212 ‚wörtlich‘ übersetzt worden wäre. Der Plural im Griechischen kann aber auch von der Vorstellung mehrerer übereinanderliegender Himmel (vgl. 2Kor 12,2) her interpretiert werden, die in zahlreichen ‚intertestamentaren‘ jüdischhellenistischen Schriften belegt ist.213 Paulus verwendet für ‚Himmel‘ sowohl den Sg. (z.B. 1Kor 15,47; Gal 1,8) als auch den Pl. (z.B. Phil 3,20); in 2Kor 5 ist 5,1 der Pl. und 5,2 der Sg. nebeneinander belegt. Es dürfte bei ihm daher kein Bedeutungsunterschied beim Gebrauch der unterschiedlichen Numeri vorliegen.214 Eine Differenz zwischen den Präpositionen ἐκ (τῶν οὐρανῶν) [ek (tōn ouranōn)] und ἀπὸ [apo] (τοῦ οὐρανοῦ [tou ouranou]), 1Thess 4,16; 2Thess 1,7, vgl. Röm 1,18, ist ebenfalls kaum auszumachen:215 In jedem Fall

210 Vgl. die Diskussion bei D. Luckensmeyer, Eschatology, 94-96 und die Bemerkung bei T. Holtz 60: Der Gebrauch des Sohn-Titels lässt „sich traditionsgeschichtlich nur schwer erklären“. 211 T. Holtz 60 unter Aufnahme einer Formulierung von W. Kramer; vgl. ähnlich auch E. Best 83; I.H. Marshall 58f. 212 „Das hebr.[äische] Primärnomen šāmajim […] erscheint im AT – wie generell im Nordwestsemit.[ischen] […] – als plurale tantum. […] Bei der generellen Verwendung des Pl. [ural] handelt es sich … – semantisch gesehen – um das Phänomen des Pl.[ural] der räumlichen Ausdehnung“ (R. Bartelmus, ‫שַׁמִים‬ ָ šāmajim, ThWAT VIII, 204-239, 205), bzw. eines „Flächenplurals“ (GK § 88 d). Die Vorstellung von mehreren Himmeln liegt dieser Pluralbildung also (noch) nicht zugrunde. 213 Vgl. z.B. ApkMos 35 und 37; grBar 2,1; 3,1 u.ö.; slHen 8,1; 22,1; diese und weitere Belege bei R. Bartelmus, ‫שַׁמִים‬ ָ šāmajim, ThWAT VIII, 204-239, 205 und Bill. III, 531533. 214 So auch E. Best 83 und implizit F.F. Bruce 19. – Vgl. zur Himmelsvorstellung immer noch H. Bietenhard, Die himmlische Welt im Urchristentum und Spätjudentum, WUNT 2, Tübingen 21954 (= 1951). 215 So z.B. auch A.J. Malherbe 121.

68

Kommentar

liegt die Vorstellung der Erwartung des Heilsbringers aus/vom Himmel (her) zugrunde. Die Bezeichnung des Sohnes mit dem einfachen Jesus ist für Paulus in Auferweckungsaussagen nicht ungewöhnlich, wie 1Thess 4,14; Röm 8,11; 2Kor 4,10f.14 belegen. Der Gebrauch des Jesus-Namens stellt dabei stets eine identifizierende Verbindung zwischen dem irdischen, historisch greifbaren Menschen Jesus und dem auferweckten und kommenden Herrn dar.216 Ihn, Jesus, hat Gott auferweckt aus den Toten. Diese Formulierung des Bekenntnisses – ἐγείρειν ἐκ (τῶν) 217 νεκρῶν [egeirein ek (tōn) nekrōn] – ist bei Paulus weithin üblich, auch wenn sonst meist der Aor. pass. Verwendung findet: Röm 4,24; 6,4.9; 7,4; 8,11; 10,9; 1Kor 15,4.12.20 u.ö.; das Passiv dient dabei zur Umschreibung des Gottesnamens (passivum divinum). Die nächsten sprachlichen Parallelen zu 1,10 finden sich Apg 3,15; 4,10. Neben ἐγείρειν [egeirein] (auferwecken), das üblicherweise von Paulus verwendet wird, gebraucht er, wenn auch recht selten, nämlich 1Thess 4,14.16 (vgl. Eph 5,14), ἀνιστάναι [anistanai]. Der Glaube an die Auferweckung Jesu aus den Toten218 ist die Voraussetzung für die Erwartung, dass eben dieser als Retter vom kommenden Zorn erscheinen wird. „Paul lives between the resurrection of Jesus (1:10) and the resurrection of the dead in Christ (4:15–17)“.219 Implizit ist damit vorausgesetzt, dass mit der Auferweckung aus den Toten die Einsetzung Jesu zur Rechten Gottes erfolgt ist. Das Verb ῥύεσθαι [rhyesthai] (retten) wird von Paulus lediglich noch Röm 11,26 (vgl. Kol 1,13) in eschatologischem Zusammenhang verwendet; das Verb σῴζειν [sōzein] (retten) ist das viel häufiger gebrauchte (1Thess 2,16; Röm 5,9f; 8,24; 1Kor 15,2 u.ö.). In Röm 11,26 sind beide Verben im unmit-

216 Vgl. T. Holtz 60; vgl. ausführlich hierzu aus der Vielzahl der Literatur P. Stuhlmacher, Theologie I, 162-179. – Zum Namen Jesus vgl. z.B. G. Schneider, Ἰησοῦς κτλ., EWNT2 II, 1992, 440-452. – Eine profunde Einführung in die gegenwärtige Jesusforschung bieten z.B. J. Schröter; Chr. Jacobi (Hg.), Jesus Handbuch, Tübingen 2017. 217 Paulus lässt außer 1Thess 1,10 den Artikel in der Wendung ἐκ τῶν νεκρῶν weg. Zur Diskussion über die Ursprünglichkeit des Artikels hier – und damit auch gegen die Setzung desselben in Klammern in NA27 – vgl. D. Luckensmeyer, Eschatology, 98 Anm. 144 – und, anders als Luckensmeyer, T. Holtz 59 Anm. 202; A.J. Malherbe 122 meint, die Verwendung oder Auslassung des Artikels sei lediglich Geschmackssache. 218 Vgl. zur Auferstehungsvorstellung im AT, Judentum und frühen Christentum F. Avemarie; H. Lichtenberger (Hg.), Auferstehung – Resurrection, WUNT 135, Tübingen 2001; historisch-exegetische und systematisch-theologische Beiträge bietet der Band von H.-J. Eckstein; M. Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, NeukirchenVluyn 32007 (2001). 219 D. Luckensmeyer, Eschatology, 101.

Der Briefeingang 1,1-10

69

telbaren Zusammenhang erwähnt (vgl. 2Tim 4,18).220 Die LXX beschreibt Gott jedoch mehrfach als den Retter (ῥυόμενος [rhyomenos]) Einzelner oder seines Volkes: Jes 49,7; 54,5; Dan 3,88;221 8,4.7.11.222 Das Partizip Präsens weist auf die andauernde, unaufhörliche Rettungstat Jesu aus dem kommenden Zorn hin. Die Thessalonicher wurden durch die Predigten und Unterweisungen während des Aufenthalts der Missionare, bei dem die Gemeindegründung erfolgte, darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie nicht ‚zum Zorn, sondern zur Erlangung des Heils‘ bestimmt sind (1Thess 5,9).223 Röm 5,9 zeigt, dass die Rettung vor dem Zorn bleibendes Thema der urchristlichen Christusverkündigung blieb und christologisch vom Kreuzesgeschehen her begründet wurde. Mit dem ‚Zorn‘ ist dabei kein innerweltliches, unpersönliches Kausalgesetz gemeint, nach welchem auf die Sünde unabdingbar, quasi schicksalhaft, die Strafe folgen würde. Der kommende Zorn „refers to an eschatological event standing outside world history and entirely caused by God“. Zu beachten ist dabei freilich, dass die ausführlichste Passage des Neuen Testaments, in der vom Zorn Gottes die Rede ist (Röm 1,18ff ), gerahmt ist von zwei Passagen, die von der Gerechtigkeit und Liebe Gottes handeln: Röm 1,16f und 3,21ff. In diesem Rahmen der Liebe Gottes ist Gottes Zorn zu denken,224 was so bereits atl. angelegt ist (vgl. Ps 78,38; 103,8f; Ex 34,6f; Mi 7,18fin; v.a. aber Hab 3,2fin).225 „Paul, even if the twentieth century theologian cannot, could hold the two concepts of love and anger together, though in tension.“226

IV Zusammenfassung Die ersten drei Kapitel des 1Thess sind insgesamt ein beredtes Zeugnis von einer überaus herzlichen Beziehung des Paulus und des Missionsteams zur gerade erst gegründeten Gemeinde in Thessalonich. Das erste Kapitel legt in einer umfänglichen Danksagung einen Schwerpunkt auf die Verbindung der Gemeinde mit dem Missionsteam, die durch das Denken aneinander im Gebet realisiert wird (1,2f ) und in Worten der Wertschätzung für die Neubekehrten ihren Ausdruck findet (1,6-9a). Zwar weist Paulus durchaus auf sein Wirken und auf das seiner beiden Mitmissionare in der Stadt hin, dabei ist er jedoch 220 Vollständige Beleglisten für die beiden Verben im Corpus Paulinum bei D. Luckensmeyer, 102f. 221 In Dan 3,88 werden σῴζειν und ῥύεσθαι in synonymem Parallelismus gebraucht. 222 Vgl. zu den Belegen auch A.J. Malherbe 122. 223 Ein weiteres Mal ist 1Thess 2,16 vom Zorn (Gottes) die Rede. 224 Vgl. hierzu v.a. U. Wilckens, Römer I, 102f. 225 Vgl. zur Thematik, Jörg Jeremias, Der Zorn Gottes im Alten Testament. Das biblische Israel zwischen Verwerfung und Erwählung, BThSt 104, Neukirchen-Vluyn 2009. 226 Beide englischsprachigen Zitate bei E. Best 85.

70

Kommentar

weit davon entfernt, sich selbst zu loben. Dass das Evangelium der Missionare (unser Evangelium) von den Thessalonichern angenommen worden ist, ist einzig dem Wirken des Heiligen Geistes zuzuschreiben (1,5), er ist Subjekt des Wirkens.227 Damit gilt für Paulus und seine Mitarbeiter dasselbe, das auch für die Thessalonicher gilt: Durch das Wirken des Heiligen Geistes erfolgte ihre Hinwendung zum lebendigen Gott (1,9). Dass dies ein Akt göttlicher Erwählung (ἐκλογή [eklogē] 1,4) und Gnade war, gilt ebenfalls für beide Seiten (vgl. für Paulus Gal 1,15f; 1Kor 15,10). Dass zudem beide, das Missionsteam wie die Gemeinde in Thessalonich, in allem Gegenwärtigen und Zukünftigen vor Gott stehen, dem sie mit ihrer ganzen Existenz verantwortlich sind, verbindet die beiden ebenfalls (1,3, vgl. 2,19; 3,9.13).228 Das Thema ‚Erwählung‘ wird im 1Thess außer bei 1,4 auch in 2,12; 4,7 und 5,24 aufgegriffen, wobei ἐκλογή [eklogē], zu dessen Wortstamm auch das Verb ἐκλέγεσθαι [eklegesthai] (für sich [aus]erwählen)229 gehört, im 1Thess nur hier gebraucht wird,230 sonst ist καλεῖν [kalein] (berufen) verwendet.231 Der Fokus der Aussagen liegt jeweils darauf, dass Gott selbst es ist, der für die von ihm Erwählten und Berufenen in den vielfältigen Bedrängnissen (1,6) da ist und sie zum Heil führen wird. Die beiden Termini markieren dabei eine Reihenfolge: Gott hat Menschen für sich erwählt, und aufgrund dieser Erwählung hat er sie berufen. Erwählung und Berufung implizieren Privilegien und Pflichten. Erstere zeigen sich in der Rettung aus dem kommenden Zorn(gericht) Gottes (1,10) und im schon jetzt vorhandenen ‚Gewinn des Heils‘232 (5,9); Letztere zeigen sich in Thessalonich vornehmlich in den gegenwärtig zu erleidenden Bedrängnissen. Weil die Thessalonicher auf die der Erwählung folgenden Berufung durch Gott mit Glauben an ihn (1,8) reagiert haben, was ihre Umkehr (1,9) beweist, sind sie Glieder der ‚herausgerufenen Gemeinde‘ (ἐκκλησία [ekklēsia]), die ebenfalls als Ganze in Gott, dem Vater, und dem Herrn, Jesus Christus, ist (1,1). Die Berufung der Thessalonicher war eine Berufung aus den Bürgern von Thessalonich (1,1) in das Reich Gottes (2,12,

227 Vgl. so auch H. Hübner, Theologie 2, 41. 228 Vgl. a.a.O., 41.52. 229 Im Corpus Paulinum nur 1Kor 1,27f; Eph 1,4 verwendet. Die Vokabel kommt sonst v.a. im lk. Doppelwerk vor vgl. Lk 6,13; 9,35 u.ö. 230 Sonst im Corpus Paulinum nur im Abschnitt Röm 9-11 (9,11; 11,5.7.28). 231 Genau besehen, müsste auch ἐκκλησία (Gemeinde[versammlung]; 1,1) mitbeachtet werden, da die ‚wörtliche‘ Übersetzung dieses Terminus ‚das Herausgerufene‘ lautet und im politischen Bereich damit die „ordnungsmäßig berufene polit.[ische] Gemeinde“ (WB6 485 s.voc. ἐκκλησία 1) bezeichnet wird (vgl. Apg 19,39). 232 Für Weiteres zu diesem Syntagma vgl. die Auslegung bei 5,9.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

71

vgl. 2Thess 1,5).233 Tatsächlich haben die Christen ihren Lebenswandel so zu gestalten, dass sie als Angehörige des Reiches Gottes mitten unter den Bürgern ‚von Thessalonich‘ als anständig und geradezu vorbildlich geachtet werden (vgl. 4,12; 5,15). Hinweise, wie dies gelingen kann, wird der 1Thess an mehreren Stellen geben (vgl. 4,1-12; 5,12-22).

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare in Thessalonich: eine Apologie in paränetischer Absicht 2,1-12 I Übersetzung 1 Ihr selbst wisst ja in der Tat, Brüder, von unserem Eingang, welchen wir bei euch (hatten), dass er nicht erfolglos war, 2 sondern, obwohl wir vorher gelitten hatten und misshandelt worden waren, wie ihr wisst, in Philippi, haben wir es in unserem Gott gewagt,1 euch das Evangelium Gottes unter viel Kampf zu verkündigen. 3 Unser Aufruf zum Glauben2 erfolgt nämlich weder aus Irrtum noch aus unsauberer Gesinnung noch mit3 Arglist, 4 sondern so, wie wir von Gott für tauglich befunden worden sind, mit dem Evangelium betraut zu werden, so verkündigen wir, nicht als wollten wir Menschen gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüft. 5 Weder sind wir nämlich jemals mit einer Schmeichelrede aufgetreten, wie ihr wisst, noch mit einem vorgeschützten Anlass zur Befriedigung der Habgier,4 Gott ist Zeuge, 6 noch suchen wir Ehre bei Menschen, weder von euch noch von anderen, 7 obwohl wir gewichtig, als Apostel Christi, hätten auftreten können. Wir aber waren sanft5 in eurer Mitte, so wie wenn eine Mutter ihre eigenen Kinder hegt und pflegt,6 8 so, eine 233 Vgl. zu diesen Überlegungen besonders (K.P. Donfried;) I.H. Marshall, Theology, 2830. 1 Zur Übersetzung von παρρησιάζεσθαι mit ‚den Mut gewinnen, wagen‘ vgl. WB6 1274. 2 Für diese Bedeutung von παράκλησις an dieser Stelle vgl. NSS II, 196. 3 Modales ἐν – vgl. NSS II, 196. 4 Zu dieser Übersetzung von ἐν προφάσει πλεονεξίας vgl. WB6 1447 s.voc. πρόφασις. 5 Die Übersetzung folgt hier dem Text von NA25 (ἤπιος), nicht dem von NA26-28 (νήπιος = unmündig), die Interpunktion nach B.M. Metzger, Commentary, 630. Vgl. hierzu unten bei der Auslegung z.St. 6 Vgl. zur Übersetzung WB6 712 s.voc. θάλπω.

72

Kommentar

liebevolle Gesinnung euch gegenüber hegend, hielten wir es für gut, euch nicht allein Anteil am Evangelium Gottes zu geben, sondern auch an uns selbst, weil ihr uns lieb geworden seid. 9 Ihr könnt euch doch erinnern, Brüder, an unsere Arbeit und Mühe: Indem wir Nacht und Tag arbeiteten, um nicht jemandem von euch zur Last zu fallen, haben wir euch das Evangelium Gottes gepredigt. 10 Ihr seid Zeugen und Gott, wie gottgefällig und gerecht und untadelig wir für euch,7 die Glaubenden, waren, 11 so wie8 ihr wisst, dass wir, einen jeden Einzelnen von euch – wie ein Vater seine (eigenen) Kinder – 12 (so) ermahnten wir euch und ermutigten und beschwörten (wir euch), dass ihr Gottes würdig wandelt, der euch beruft zu seinem Königreich und (seiner) Herrlichkeit.

II Struktur In der Forschung wird darüber diskutiert, ob dieser Abschnitt (bzw. die Kapitel 1–3 insgesamt) apologetische oder aber paränetische Funktion habe: Verteidigt oder rechtfertigt der Apostel also gegenüber der Gemeinde sein eigenes Auftreten oder das des Missionarsteams,9 oder ermahnt er die Gemeinde, dieses (idealtypisch beschriebene) Auftreten nicht zu vergessen und ihm nachzueifern?10 Liegen dem Abschnitt also konkrete Vorwürfe gegen den Apostel (oder die Missionare) aus Thessalonich zugrunde? Oder ist er analog der antithetischen Darstellung der Philosophen in Alexandrien bzw. der Beschreibung eines idealen (kynischen) Philosophen, z.B. bei Dion Chrystostomus (Or 32,10f; 77/78,40– 4311), zu verstehen? Und wird diese Darstellung in paränetischer Absicht angeführt? In dem Sinne: Verhaltet euch so, wie ihr es von einem idealen Philosophen erwarten würdet und wie ihr es an mir (und meinen Mitarbeitern) exemplarisch sehen konntet.

7 Dativ der Meinung oder des Urteils (so G. Lünemann 56 und Bezug nehmend auf ihn A.J. Malherbe 149); vgl. zu diesem seltenen Gebrauch des Dativs GGBB 146f. 8 Καθάπερ auch 3,6.12; 4,5; im NT ist es zwölfmal bei Paulus und einmal Hebr 4,2 belegt; es ist bedeutungsgleich mit καθώς. 9 Für eine Apologie (apologia pro vita sua) sprach sich dezidiert W. Schmithals, Paulus, 98-112 aus (vgl. so auch Chr. Landmesser, Erster Thessalonicherbrief, 168), W. Marxsen 43 geht von einer Apologie des Evangeliums (apologia pro evangelio) aus. Auch wenn der These einer apologia pro vita sua zugestimmt werden kann, ist die weitergehende These von Schmithals, in den Gegnern sei eine Gruppe von Gnostikern zu sehen, nicht haltbar, vgl. dazu nur E. Best 17-19; I.H. Marshall 17-19. 10 So v.a. A.J. Malherbe, Nurse, 48; ders. 155f. 11 Übersetzung der beiden Texte bei NW II/1, 771f und auch bei St. Schreiber 126f.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

73

Fraglos können zwischen den philosophischen Texten und 1Thess 2,1-12 Parallelen gefunden werden.12 Allerdings „(trägt) eine bloß paränetische Absicht des gesamten Abschnittes 1. Thess 1–3 nicht allen dort gemachten Aussagen Rechnung. Es wäre höchst erstaunlich, wenn sich der Apostel des Christus (1. Thess 2,7) nur aus Gründen der Ermahnung mit einem Philosophen verglichen hätte. Der Text wird aus der Feder (oder dem Diktat) des Paulus sofort verständlich, wenn er an tatsächliche oder mögliche Vorwürfe der Täuschung, Unlauterkeit und Arglist […], der Schmeichelei und versteckten Habsucht […] denkt“,13 allerdings ohne eine paränetische Absicht ganz ausschließen zu können. Die gesamte Auslegung des Abschnitts wird zu zeigen haben, dass tatsächlich beide Aspekte eine Rolle spielen mit dem Ziel, „die Beziehung zwischen Missionaren und Gemeinde zu vertiefen und zu festigen“.14 Schon eine Gliederung des Abschnittes 2,1-12 kann erste Hinweise darauf geben, welche möglichen Vorwürfe gegen den Apostel (und seine Mitarbeiter) gerichtet wurden. Dass zwischen V. 12 und V. 13 unter anderem aufgrund der erneuten Danksagung in V. 13 und des satzeinleitenden καὶ διὰ τοῦτο [kai dia touto] (und deshalb) eine Zäsur gemacht werden kann, wird von vielen Kommentatoren gesehen.15 Die Verse 1f erinnern die Thessalonicher an ihr Wissen (zweimaliges οἴδατε [oidate] [ihr wisst]16) nicht nur über die Zeit, als die Missionare in Thessalonich waren, sondern auch über deren Ergehen in Philippi, der Station ihres Wirkens, die der Arbeit in Thessalonich direkt vorausgegangen war. Dabei wird das persönliche Verhältnis, das zwischen Verkündigern und Gemeinde, gewiss nicht zuletzt aufgrund des gemeinsamen Gottes (ἐν τῷ θεῷ ἡμῶν [en tō theō hēmōn], in unserem Gott), aufgebaut wurde, durch die gehäufte Verwen12 Vgl. z.B. T. Holtz, Background, 74-76, der die Analogien wie auch die Differenzen zwischen Paulus und Dio darstellt. Vgl. auch St. Schreiber 126-128, der v.a. die Differenzen zu Paulus festhält. 13 R. Riesner, Frühzeit, 327f, vgl. T. Holtz 94; ders., Background, 76. Vgl. ausführlich hierzu J.A.D. Weima, An Apology for the Apologetic Function of 1 Thessalonians 2.1-12, JSNT 68, 1997, 73-99. J.S. Vos versteht den Abschnitt als „Selbstempfehlung“, bei dem nicht die Paränese im Fokus stehe: „The primary intention of the self-recommendation of 2:1-12 […] is […] the strengthening of the faith of the church in an situation where it was being persecuted by its compatriots“ (J.S. Vos, On the Background of 1 Thessalonians 2:1-12: A Response to Traugott Holtz, in: K.P. Donfried; J. Beuttler [Hg.], Debate, 81-88, 88). 14 St. Schreiber 129, vgl. ders., Geschichte. 15 Vgl. den tabellarischen Überblick über Gliederungsvorschläge des 1Thess bei R. Jewett, Correspondence, 216-221. Eine Zäsur nach 2,12 wird in der neueren Kommentarliteratur z.B. von G.D. Fee, G. Haufe, A.J. Malherbe, P.-G. Müller, St. Schreiber u.a. gezogen; vgl. auch K.P. Donfried; J. Beutler (Hg.), Debate, 31-131. 16 Vgl. auch 2,5.11.

74

Kommentar

dung des Personalpronomens der 1. und 2. Pers. Pl. in den Mittelpunkt gerückt: ἡ εἴσοδος ἡμῶν ἣ πρὸς ὑμᾶς; ἐπαρρησιασάμεθα … λαλῆσαι πρὸς ὑμᾶς [hē eisodos hēmōn hē pros hymas; eparrēsiasametha … lalēsai pros hymas] (unser Eingang, welchen wir bei euch hatten; haben wir es gewagt … zu euch zu reden). Die beiden Abschnitte 2,3f und 2,5-8 zählen jeweils mehrere Vorwürfe auf, die gegen den Apostel (und seine Mitarbeiter) gerichtet worden sein dürften. Zunächst sind es in 2,3f mit πλάνη [ planē], ἀκαθαρσία [akatharsia] und δόλος [dolos] (Irrtum, unsaubere Gesinnung und Arglist) drei allgemein gehaltene Vorwürfe, die an Wanderphilosophen und religiöse Verführer aller Art gerichtet sein könnten. Durch die Adversativpartikel ἀλλά [alla] (sondern) werden diese Anschuldigungen zurückgewiesen, und gleichzeitig wird, durch οὕτως [houtōs] (so [verkündigen wir]) eingeleitet, ein weiterer Vorwurf aufgegriffen, der ebenso allgemein gehalten ist und gegen jede Art von Redner vorgebracht werden könnte: ἀνθρώποις ἀρέσκοντες [anthrōpois areskontes] (Menschen gefallende). Auch dieser Vorwurf wird durch einleitendes ἀλλά [alla] zurückgewiesen. Die zugrunde liegende Argumentationsfigur ist dabei formal jeweils durch ἀλλά [alla] und inhaltlich durch den Gegensatz ‚Vorwurf durch Menschen – Rechtfertigung durch Gott‘ bestimmt. Die komparative Konjunktion οὕτως [houtōs] weist auf das direkt Vorhergehende zurück17 und ist formal von καθώς [kathōs] (so wie [wir für tauglich befunden worden sind]) in der übergeordneten Konstruktion abhängig. Dies kann wie folgt dargestellt werden (2,3f ): ἡ γὰρ παράκλησις ἡμῶν οὐκ ἐκ πλάνης οὐδὲ ἐξ ἀκαθαρσίας οὐδὲ ἐν δόλῳ, ἀλλὰ καθὼς δεδοκιμάσμεθα ὑπὸ τοῦ θεοῦ πιστευθῆναι τὸ εὐαγγέλιον οὕτως λαλοῦμεν, οὐχ ὡς ἀνθρώποις ἀρέσκοντες ἀλλὰ θεῷ τῷ δοκιμάζοντι τὰς καρδίας ἡμῶν. [hē gar paraklēsis hēmōn ouk ek planēs oude ex akatharsias oude en dolō,

17 Vgl. WB6 1208 s.voc. οὕτως.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

alla

75

kathōs dedokimasmetha hypo tou theou pisteuthēnai to euangelion outōs laloumen, ouch hōs anthrōpois areskontes alla theō tō dokimazonti tas kardias hēmōn.]

Unser Aufruf zum Glauben erfolgt nämlich weder aus Irrtum noch aus unsauberer Gesinnung noch mit Arglist, sondern so, wie wir von Gott für tauglich befunden worden sind, mit dem Evangelium betraut zu werden, so verkündigen wir, nicht als wollten wir Menschen gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüft.

Im sich daran anschließenden Unterabschnitt 2,5-818 werden ἐν λόγῳ κολακείας [en logō kolakeias] (Schmeichelrede), ἐν προφάσει πλεονεξίας [en prophasei pleonexias] (Befriedigung der Habgier) und ζητοῦντες ἐξ ἀνθρώπων δόξαν [zētountes ex anthrōpōn doxan] (Ehre bei Menschen suchend) erwähnt. Inhaltlich greifen die hier aufgezählten Sachverhalte keine wirklich neuen, zusätzlichen Vorwürfe gegenüber den bereits genannten auf. Es dürfte lediglich eine durch „Paraphrasierung“ erfolgende Steigerung oder Konkretisierung der eher allgemeiner gehaltenen Vorwürfe aus 2,3 vorliegen: πλάνη [ planē ] (Irrtum/Irreführung) – λόγος κολακείας [logos kolakeias] (Schmeichelrede), ἀκαθαρσία [akatharsia] (unsaubere Gesinnung) – πρόφασις πλεονεξίας [ prophasis pleonexias] (Befriedigung der Habgier). δόλος [dolos] (Arglist) – findet keine Parallele in 2,5ff, kann aber als die beiden vorausgehenden Termini (πλάνη [ planē ] und ἀκαθαρσία [akatharsia]) zusammenfassend und gleichzeitig zuspitzend verstanden werden: aus dem Irrtum und aus der unsauberen Gesinnung folgt ein Handeln in Arglist. ἀρέσκειν ἀνθρώποις [areskein anthrōpois] (Menschen gefallen) – ζητεῖν ἐξ ἀνθρώπων δόξαν [zētein ex anthrōpōn doxan] (Ehre bei Menschen suchen). Im folgenden Gedankengang 2,7b.8, erneut markiert durch adversatives ἀλλά ἐγενήθημεν [alla egenēthēmen] (wir aber waren), werden keine weiteren Negativa angeführt, es wird vielmehr auf das vorbildliche, fürsorgliche und liebevolle Verhalten der Verkündiger in Thessalonich rekurriert. Schließlich gipfeln die Ausführungen im Hinweis auf die innige Verbindung zwischen 18 Vgl. ausführlich zu dieser Textpassage J.H. McNeel, Paul.

76

Kommentar

den Verkündigern und den Gemeindegliedern während der Gemeindegründungszeit in Thessalonich – und bis jetzt: ἀγαπητοὶ ἡμῖν ἐγενήθητε [agapētoi hēmin egenēthēte] (ihr seid uns lieb geworden). Hierdurch erhält die ‚Verteidigung‘ des Apostels (und seiner Mitarbeiter) gegenüber 2,3f eine weitere Perspektive: In 2,3f erfolgte der Hinweis auf die ‚Rechtfertigung‘ des Apostels (und seiner Mitarbeiter), indem Gott als Zeuge ihrer lauteren Absichten benannt wurde, hier nun erfolgt dieser Hinweis durch Verweis auf das von beiden Seiten als überaus positiv erlebte Verhältnis zwischen den beiden ‚Parteien‘ Missionsteam und Gemeinde. Die Verbindung von göttlichem Zeugnis und menschlichem Wissen um die Unhaltbarkeit der Vorwürfe ist in 2,5 durch καθὼς οἴδατε … θεὸς μάρτυς [kathōs oidate … theos martys] (wie ihr wisst … Gott ist Zeuge) bereits angebahnt (vgl. 2,10). Dies kann wie folgt dargestellt werden (2,5-8): Οὔτε γάρ ποτε ἐν λόγῳ κολακείας ἐγενήθημεν, καθὼς οἴδατε, οὔτε ἐν προφάσει πλεονεξίας, θεὸς μάρτυς, οὔτε ζητοῦντες ἐξ ἀνθρώπων δόξαν οὔτε ἀφ᾽ ὑμῶν οὔτε ἀπ᾽ ἄλλων, δυνάμενοι ἐν βάρει εἶναι ὡς Χριστοῦ ἀπόστολοι.19 Ἀλλ᾽ ἐγενήθημεν ἤπιοι ἐν μέσῳ ὑμῶν, ὡς ἐὰν τροφὸς θάλπῃ τὰ ἑαυτῆς τέκνα, οὕτως ἱμειρόμενοι ὑμῶν εὐδοκοῦμεν μεταδοῦναι ὑμῖν οὐ μόνον τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ ἀλλὰ καὶ τὰς ἑαυτῶν ψυχάς, διότι ἀγαπητοὶ ἡμῖν γεγενήθητε. [Oute gar pote en logō kolakeias egenēthēmen, kathōs oidate, oute en prophasei pleonexias, theos martys, oute zētountes ex anthrōpōn doxan oute aph’ hymōn oute ap’ allōn, dynamenoi en barei einai hōs Christou apostoloi. 19 Für eine andere Interpunktion vgl. z.B. O. Merk, Study, 105: Seines Erachtens ist nach ἀπόστολοι (Apostel) ein Komma zu setzen und ein Punkt nach ἐν μέσῳ ὑμῶν (in eurer Mitte).

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

77

All’ egenēthēmen ēpioi en mesō hymōn, hōs ean trophos thalpē ta heautēs tekna, houtōs himeiromenoi hymōn eudokoumen metadounai hymin ou monon to euangelion tou theou alla kai tas heautōn psychas, dioti agapētoi hēmin gegenēthēte.] Weder sind wir nämlich jemals mit einer Schmeichelrede aufgetreten, wie ihr wisst, noch mit einem vorgeschützten Anlass zur Befriedigung der Habgier, Gott ist Zeuge, noch suchen wir Ehre bei Menschen, weder von euch noch von anderen, obwohl wir gewichtig, als Apostel Christi, hätten auftreten können. Wir aber waren sanft in eurer Mitte, so wie wenn eine Mutter ihre eigenen Kinder hegt und pflegt, so, eine liebevolle Gesinnung euch gegenüber hegend, hielten wir es für gut, euch nicht allein Anteil am Evangelium Gottes zu geben, sondern auch an uns selbst, weil ihr uns lieb geworden seid.

In beiden Abschnitten (2,3f.5–8) spielt der Gebrauch der Adversativpartikel ἀλλά [alla] (sondern) eine besondere Rolle für die Argumentation des Paulus. Er „benützt ἀ.[λλά] bes.[onders] zum Ausdruck der Steigerung und des Gegensatzes“.20 In den beiden hier vorliegenden Abschnitten wird ἀλλά [alla] in 2,2f zweimal adversativ und in 2,5-8 einmal adversativ und einmal als Steigerung verwendet, und zwar in der im NT nur bei Paulus vorkommenden Verbindung οὐ μόνον … ἀλλὰ καί [ou monon … alla kai] (nicht allein … sondern auch).21 Der Abschnitt 2,9-12 lässt sich aufgrund des dreimaligen Appells an Erinnerungen und Kenntnisse, welche die Thessalonicher haben (müssen), wie folgt gliedern:

20 W. Radl, ἀλλά κτλ., EWNT2 I, 1992, 146-148, 147. 21 Vgl. ebd.

78

Kommentar

μνημονεύετε γάρ, ἀδελφοί, τὸν κόπον ἡμῶν καὶ τὸν μόχθον· νυκτὸς καὶ ἡμέρας ἐργαζόμενοι πρὸς τὸ μὴ ἐπιβαρῆσαί τινα ὑμῶν ἐκηρύξαμεν εἰς ὑμᾶς τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ. ὑμεῖς μάρτυρες καὶ ὁ θεός, ὡς ὁσίως καὶ δικαίως καὶ ἀμέμπτως ὑμῖν τοῖς πιστεύουσιν ἐγενήθημεν, καθάπερ οἴδατε, ὡς ἕνα ἕκαστον ὑμῶν ὡς πατὴρ τέκνα ἑαυτοῦ παρακαλοῦντες ὑμᾶς καὶ παραμυθούμενοι καὶ μαρτυρόμενοι εἰς τὸ περιπατεῖν ὑμᾶς ἀξίως τοῦ θεοῦ τοῦ καλοῦντος ὑμᾶς εἰς τὴν ἑαυτοῦ βασιλείαν καὶ δόξαν. [mnēmoneuete gar, adelphoi, ton kopon hēmōn kai ton mochthon: nyktos kai hēmeras ergazomenoi pros to mē epibarēsai tina hymōn ekēryxamen eis hymas to euangelion tou theou. hymeis martyres kai ho theos, hōs hosiōs kai dikaiōs kai amemptōs hymin tois pisteuousin eyenēthēmen, kathaper oidate, hōs hena hekaston hymōn hōs patēr tekna heautou parakalountes hymas kai paramythoumenoi kai martyromenoi eis to peripatein hymas axiōs tou theou tou kalountos hymas eis tēn heautou basileian kai doxan.] Ihr könnt euch doch erinnern, Brüder, an unsere Arbeit und Mühe: Indem wir Nacht und Tag arbeiteten, um nicht jemandem von euch zur Last zu fallen, haben wir euch das Evangelium Gottes gepredigt. Ihr seid Zeugen und Gott, wie gottgefällig und gerecht und untadelig wir für euch, die Glaubenden, waren, so wie ihr wisst, dass wir, einen jeden einzelnen von euch – wie ein Vater seine (eigenen) Kinder – (so) ermahnten wir euch und ermutigten und beschwörten (wir euch), dass ihr Gottes würdig wandelt, der euch beruft zu seinem Königreich und (seiner) Herrlichkeit.

Zunächst wird an die konkrete Arbeit und Mühe erinnert, welche der Apostel (und seine Mitarbeiter) in doppelter Weise in Thessalonich auf sich nahmen: Sie arbeiteten für ihren Lebensunterhalt und gründeten parallel dazu die Ge-

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

79

meinde. Die damit verbundene ‚Arbeit und Mühe‘ beanspruchte sie ‚Nacht und Tag‘. Das Ziel dieses harten Arbeitens wird ebenfalls als ein doppeltes angegeben: Es sollte keine Last für die Thessalonicher entstehen, denn das Missionsteam wollte nicht mehr und nicht weniger als das Evangelium Gottes verkündigen. Dadurch ergibt sich für den ersten Gedankengang dieses Abschnitts eine dreifache Duplizität: Arbeit – Mühe; Nacht – Tag; nicht zur Last fallen – verkündigen.22 Diese dreifache Duplizität legt nahe, an einen Parallelismus zu denken. Arbeit, Nacht und ‚nicht zur Last fallen‘ könnten inhaltlich einander entsprechen; dies müsste dann auch für Tag, Mühe und ‚das Evangelium verkündigen‘ gelten. Liegt hier ein Hinweis darauf vor, dass der Apostel (und seine Mitarbeiter) des Nachts für ihren Lebensunterhalt arbeiteten, um niemandem (finanziell) zur Last zu fallen, damit sie tagsüber, mit nicht wenig Mühen, das Evangelium verkündigen konnten? Die Satzstruktur lässt eine solche Vermutung wenigstens zu. Der zweite ‚Appell‘, ein Nominalsatz (ὑμεῖς μάρτυρες [hymeis martyres], ihr seid Zeugen), greift die Zeugenschaft von 2,5 auf: Beide, die Thessalonicher und Gott, sind Zeugen für die gänzlich lautere Absicht, welche die Verkündiger gegenüber den Thessalonichern hegten. Im dritten Gedankengang (καθάπερ οἴδατε [kathaper oidate], so wie ihr wisst) wird auf das Wissen um die familiale Beziehung verwiesen, die sich in der kurzen gemeinsamen Zeit in Thessalonich entwickelt hatte (vgl. 2,8fin). Manifest wurde diese außerordentlich gute Beziehung vor allem in der durch drei Partizipien näher charakterisierten Verkündigung des Evangeliums, wobei besonders die Aspekte der Ethik (περιπατεῖν ἀξίως [ peripatein axiōs], würdig wandeln]) und Eschatologie (βασιλεία καὶ δόξα θεοῦ [basileia kai doxa theou], Königreich und Herrlichkeit Gottes) fokussiert sind.23 Die drei Partizipien (παρακαλοῦντες … [ parakalountes …]) schließen etwas holprig an das Vorausgegangene an. Am ehesten liegt mit V. 11f ein Anakoluth vor,24 bei dem die Partizipien anstelle finiter Verben verwendet sind,25 was bei Paulus keine Seltenheit darstellt.26

22 Vgl. die (nahezu) parallele Formulierung in 2Thess 3,8. 23 Zur Verbindung von Ethik und Eschatologie vgl. schon oben bei der Auslegung von 1,9b.10. 24 So auch E.v. Dobschütz 100. 25 So außer E.v. Dobschütz 100 auch NSS II, 197. 26 Vgl. HvS § 231 j.

80

Kommentar

III Einzelexegese 1 Der durch den Vokativ ἀδελφοί [adelphoi] (Brüder) und durch das

diesen verstärkende αὐτοί [autoi] (selbst) einsetzende neue Abschnitt ist durch eben diesen Vokativ mit 1,4 verbunden und rekurriert durch das im NT recht seltene Wort εἴσοδος [eisodos] (Eingang; nur fünf Belege) auf 1,9.27 Wie eben bereits bei II erwähnt, signalisiert die Verwendung der Anrede mit Brüder wie auch der Personalpronomina der ersten und zweiten Person Plural die enge, herzliche Verbindung der Gemeindeglieder mit dem Gemeindegründer und dessen Begleitern.28 Da durch die Konjunktion γάρ [gar] etwas begründet oder erklärt wird, das bereits im Vorausgehenden thematisiert wurde, kann ein Bezug zu den Ausführungen in 1,2ff vorausgesetzt werden.29 In der Diskussion um den konkreten Bezug von οὐ κενὴ γέγονεν [ou kenē gegonen] (er war nicht erfolglos) wird einerseits betont, dass Paulus lediglich auf die Art und Weise abhebe, in der das Missionsteam in Thessalonich aufgetreten sei und auf den Charakter der Begegnung zwischen Gemeindegründern und Gemeinde (vgl. 1,4fin.9a), andrerseits wird der enge Bezug zum Ergebnis der missionarischen Tätigkeit, nämlich zur Wirkung der Evangeliumsverkündigung (vgl. 1,5a.7.9b.10) hervorgehoben.30 Da in 1,2ff die Hinweise auf den Charakter der Begegnung von Missionaren und Gemeinde und das Ergebnis der missionarischen Tätigkeit jedoch derart ineinander verwoben sind, dürfte kaum entschieden werden können, was in erster Linie – oder gar ausschließlich – im Blick des Paulus gelegen hatte. Inhaltlich ist am ehesten auf beide Aspekte rekurriert, die im vorausgehenden Abschnitt thematisiert sind, also sowohl auf die Art und Weise der Verkündigung des Evangeliums als auch auf deren Ergebnis. Für den Bezug von κενός [kenos] auf beide Aspekte spricht sich auch Ian H. Marshall aus: „we should remember that a Greek writer or reader could probably detect both nuances simultaneously in the word where we tend to find an either or“.31 Die Partikel γάρ [gar] kann zudem eine resümierende Bedeutung einnehmen und mit in der

Zur Bedeutung von εἴσοδος vgl. die Auslegung bei 1,9. Vgl. auch die Auslegung oben bei 1,4. Vgl. zur Bedeutung von γάρ neben BDR § 452 auch M. Zerwick, Greek, § 472-474. Den Bezug zu 1,5(a) unterstreicht z.B. A.J. Malherbe 136. B. Rigaux 400 und T. Holtz 67 Anm. 232 sehen dagegen keinen Bezug zu 1,5. 31 I.H. Marshall 63. Für einen Bezug auf beide Aspekte spricht sich z.B. auch F.F. Bruce 24 aus. – Vgl. zur Bedeutung von κενός bei Paulus auch E. Reinmuth, „Nicht vergeblich“ bei Paulus und Pseudo-Philo, Liber Antiquitatum Biblicarum, NT 33, 1991, 97-123.

27 28 29 30

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

81

Tat übersetzt werden,32 womit ebenfalls auf das gesamte vorher Erwähnte Bezug genommen wäre.33 Der ‚Zugang‘ der Missionare zur Gemeinde in Thessalonich, so betont Paulus und so wissen die Thessalonicher,34 ist nicht erfolglos gewesen, womit er eben neben dem ausgesprochen guten Verhältnis, das zwischen Gemeinde und Gemeindegründern entstanden ist, gewiss auch den vorbildlichen christlichen Lebenswandel der Thessalonicher (vgl. 1,7f ) und die Wirkungen der Evangeliumsverkündigung (vgl. 1,5a) im Blick hat, die ja bis jetzt andauern. Dass durch die Formulierung οὐ κενὴ γέγονεν [ou kenē gegonen] auch die Gegenwart im Blick ist, legt die Perfektform des Verbs nahe: „The church came into being then and still exists. The fruit was produced by the preaching of the gospel (see v. 2) and the response of the Thessalonians in faith (1.6– 8).“35 Das Lexem κενός [kenos] hat die Bedeutung „vergeblich, umsonst, erfolglos“36 und wird in den Thessalonicherbriefen auch in 1Thess 3,5 verwendet, wo Paulus seiner Befürchtung Ausdruck verleiht, dass der so gelungene εἴσοδος [eisodos] (1,9a) inzwischen dadurch, dass ‚der Versucher sie versucht‘ (3,5), wieder zunichtegemacht worden sein könnte und damit alle Mühe der Missionare umsonst gewesen wäre (vgl. für einen ähnlichen Gebrauch von κενός [kenos] 1Kor 15,58). 2 Die Partikel ἀλλά [alla] hat nach einer Negation (hier: ὅτι οὐ [hoti ou], dass nicht) die Bedeutung sondern bzw. „vielmehr“.37 Paulus wendet sich gegen eine möglicherweise aufkommende Behauptung in Thessalonich, seine Arbeit (und die seiner Mitarbeiter) sei erfolglos und gegenstandslos gewesen. Um dies zu unterstreichen, verweist er die Thessalonicher auf deren Kenntnis über die Ereignisse in Philippi, von welchen die Missionare in Thessalonich ganz offensichtlich berichtet haben mussten. Es kann also mit gewissem Recht angenommen werden, dass die pln. Gemeinden über die Geschehnisse auf den ‚Missionsreisen‘ jeweils informiert worden sind. Der sachliche Grund für diese ‚Missionsberichte‘ wird aus 3,3 ersichtlich: die Bedrängnisse, mit welchen sich die christliche Gemeinde von Anbeginn an konfrontiert

32 So A.J. Malherbe 134 im Anschluss an G. Milligan 16. 33 Dass γάρ auf 1,2ff und nicht lediglich auf 1,9a oder 1,9b.10 Bezug nimmt, hebt auch E. Best 89 hervor. 34 Zu der im NT außer Joh 6,6 nur in den Thessalonicherbriefen belegten Wortverbindung αὐτοὶ γὰρ οἴδατε (ihr selbst wisst) vgl. 3,3; 5,2; 2Thess 3,7 und B. Rigaux 399. 35 E. Best 90, vgl. in diesem Sinn auch G. Wohlenberg 42f. 36 Vgl. WB6 870. 37 Vgl. HvS § 252.1.

82

Kommentar

sah.38 Die so motivierten ‚Missionsberichte‘ ermöglichten es den Gemeinden, ihre eigene – nicht einfache – Situation auf dem Hintergrund der Situation aller christlicher Gemeinden einzuordnen und stärkte die Verbindung untereinander. Dass nach 2,1 jetzt οἴδατε [oidate] (ihr wisst) wiederholt wird, wirkt stilistisch evtl. etwas schwerfällig, erklärt sich jedoch „aus dem unwillkürlichen Bestreben des Apostels, überall die gemeinsamen Erkenntnisse und Erfahrungen, das gleiche Bewusstsein und das gleichartige Zeugnis, die Beziehungen der Zusammengehörigkeit und Gegenseitigkeit zwischen ihm und den Thessalonichern zur Geltung zu bringen. Er hat ihnen bei seinem Aufenthalt in Thessalonich von jenen Verfolgungen erzählt, vielleicht haben sie an seinem Leibe noch die Spuren der erduldeten Misshandlungen gesehen: solche eigene Kenntnis und Mitwisserschaft verbindet sie mit ihm durch die Bande zugleich der Teilnahme und der Achtung und verleiht den Worten der Erinnerung doppeltes Gewicht. Es ist geradezu auffällig und für den Ton und Sinn des Briefes höchst charakteristisch, wie zahlreich, zart und mannigfaltig in unserm Schreiben derartige, an sich vielleicht überflüssige und schwerfällige Wendungen sind, in denen die Gemeinsamkeit und Gleichheit des Wissens, Erlebens, Urteilens und Handelns zwischen dem Apostel und seiner Gemeinde hervorgehoben und damit zugleich dem Briefe der Charakter eines vertrauten, innigen, brüderlichen Zwiegesprächs aufgedrückt wird.“39

Die beiden Partizipien, die hier mit vorher gelitten und misshandelt übersetzt wurden, sind konzessiv aufzulösen: obwohl.40 Eine temporale Übersetzung mit ‚nachdem‘ greift die Situation der Missionare nicht adäquat genug auf.41 Die Partizipien werden durch den Bericht in Apg 16,22-24 und durch Phil 1,30 eindrücklich illustriert, verweist doch Paulus auf seine Erfahrungen bei der Evangeliumsverkündigung in Philippi,42 die denjenigen in Thessalo38 Vgl. hierzu auch T. Holtz 67 und E. Reinmuth 123. 39 W. Bornemann 74f. 40 So z.B. auch T. Holtz 67; Ch. A. Wanamaker 92; E. Reinmuth 122; A.J. Malherbe 136; G. Haufe 31; St. Schreiber 121. 41 Temporal übersetzt z.B. P.-G. Müller 121 (bei der Erläuterung von V. 2 [a.a.O., 124] spricht er allerdings von der konzessiven Bedeutung der Partizipien). – Eine temporale Interpretation der Partizipien ist auch aufgrund des Präfixes προ(παθόντες) unnötig. – E. v. Dobschütz 84 sieht beide Bedeutungen gleichzeitig vorliegen, womit allerdings der Lösung des Problems lediglich ausgewichen ist. 42 Vgl. ausführlich zum Aufenthalt des Paulus in Philippi und zur Stadt Philippi immer noch W. Elliger, Paulus in Griechenland. Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth, Stuttgart 2 1990, 23-77, aber auch P. Pilhofer, Philippi. Bd. I: Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tübingen 1995.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

83

nich direkt vorausgegangen waren. Dabei ist kaum zu entscheiden, ob die beiden Verben προπάσχειν [ propaschein] und ὑβρίζεσθαι [hybrizesthai] unterschiedliche Ereignisse meinen oder nur zwei Perspektiven desselben Geschehens widerspiegeln.43 Sowohl das Verb ὑβρίζειν [hybrizein] als auch das zugehörige Substantiv ὕβρις [hybris] „reflektieren … bei P[au]l[u]s körperliche Mißhandlungen, die von ihm wegen ihrer Zielrichtung („für Christus“ 2Kor 12,10) dialektisch als Stärke verstanden werden bzw. die ihn zu einer um so freudigeren Verkündigung des Evangeliums veranlassen (1Thess 2,2)“.44 Die Übersetzung des finiten Verbs mit wir wagten es bzw. ‚wir gewannen Mut‘ ist nicht unumstritten,45 liegt doch sonst dem Verb, wie auch dem Substantiv παρρησία [ parrēsia] die Bedeutung ‚frei, offen heraus reden‘ zugrunde.46 Indes dürften an dieser Stelle beide Bedeutungsnuancen mitschwingen, wobei Erstere – wir wagten es, gewannen Mut – aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs die nächstliegende sein dürfte: Trotz der Ereignisse in Philippi, und trotz des nicht geringen Kampfes in Thessalonich (ἐν πολλῷ ἀγῶνι [en pollō agōni]) haben sich die Missionare nicht entmutigen lassen, das Evangelium zu verkündigen. Sie gewannen Mut und wagten es schließlich, tatsächlich in aller Freiheit und Offenheit ihr Evangelium auch in Thessalo-

43 Vgl. W. Michaelis, προπάσχω, ThWNT V, 1954, 923-924, 924: „Möglich ist …, daß προπαθόντες im Unterschied zu dem passivischen ὑβρισθέντες mehr die aktive Seite des Vorgangs betonen soll, da auch πάσχω bei Paulus diese Färbung tragen kann.“ A.J. Malherbe 136 hält den Versuch, den Partizipien unterschiedliche Ereignisse zuzuordnen, für sinnlos und denkt ausschließlich an unterschiedliche Aspekte derselben Erfahrungen: „while paschein describes suffering in general …, hybrizein tends to refer to the accompanying insults or abuse that might cause depression in most people.“ Das Präfix προ- hat ausschließlich temporale Bedeutung und weist auf vorherige Ereignisse zurück; sachlich gilt προ- auch für ὑβρίζειν (vgl. ebd.). Beide Verben kommen im NT nur sehr selten vor. Das Kompositum προπάσχειν ist hapax legomenon im NT; ὑβρίζειν ist im Corpus Paulinum nur hier belegt (vgl. immerhin Tit 1,11 v.l.). 44 G. Lüdemann, ὑβρίζω κτλ., EWNT2 III, 1992, 907-908, 908. – V.a. die älteren Kommentatoren verweisen darauf, dass προπάσχειν seine eigentliche (negative) Bedeutung erst durch ὑβρίζειν erhalte, bzw. diese Bedeutung durch ὑβρίζειν verstärkt werde: vgl. G. Lünemann 42; W. Bornemann 74; O. Zöckler 13; G. Milligan 16. 45 Die Nähe des Verbs παρρησιάζεσθαι zu τολμᾶν, die bei WB6 1274 im Anschluss an BDR 392.3 konstatiert wird, wird von T. Holtz 68 Anm. 245 als eine „lediglich formale“ charakterisiert und abgelehnt. Von BDR wird in § 392.3 tatsächlich nur darauf hingewiesen, dass der direkte Anschluss des Infinitivs an Verben wie παρρησιάζεσθαι „im NT nach dem Vorbild gängiger Verben weiter ausgedehnt [wird]“. – I.H. Marshall 63 übersetzt mit „we had courage“. 46 So T. Holtz 68, vgl. WB6 1274.

84

Kommentar

nich zu verkündigen.47 Diesen Mut und diese Freiheit und Offenheit gewannen die Missionare freilich nicht aus sich selbst, sondern ἐν τῷ θεῷ (ἡμῶν) [en tō theō (hēmōn)]. Die Wendung in unserem Gott ist instrumental zu interpretieren: Durch Gott48 gewannen sie den Mut, das Evangelium ‚frank und frei‘ zu verkündigen. Ohne mystische Konnotation49 wird durch das Syntagma darauf verwiesen, dass παρρησία [ parrēsia] – eben anders als bei den zeitgenössischen Philosophen50 – „as a result of our confidence in god“51 entsteht. Hierzu muss nicht eigens auf die Exodustradition als ‚Urerfahrung‘ der „Befreiung aus der Sklaverei […] als von Gott Angenommene und Geführte in Freiheit, Zuversicht und freudigem Vertrauen auf Gott zu leben“52 rekurriert werden, es liegt vielmehr näher, mit Ian H. Marshall auf die für die Missionare erst kurz zurückliegende Erfahrung der Befreiung in Philippi zu verweisen.53 Mit der Wendung Evangelium Gottes hebt Paulus Gott als den Ursprung des Evangeliums hervor.54 In 2,1-12 unterstreicht Paulus mehrfach die Rolle Gottes für die Missionstätigkeit (2,2.4.5.8.9.10), wobei dreimal die Wortverbindung εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ [euangelion tou theou] gebraucht wird: 2,2.8.9.55 Die Evangeliumsverkündigung erfolgte in Thessalonich unter viel Kampf. Die Frage bei der Interpretation des Begriffs ἀγών [agōn] ist, worauf er sich inhaltlich bezieht. Ist er auf dem Hintergrund der Ereignisse um Jason (Apg 17,5-9) zu deuten, was einen Zusammenhang mit 1Thess 1,6 nahelegen wür47 Der Aorist ist ingressiv zu interpretieren (vgl. F.F. Bruce 25): Wir gewannen Mut und begannen zu wagen. Παρρησιάζεσθαι im Corpus Paulinum nur hier und in Eph 6,20, die weiteren sieben Belege finden sich in der Apg. Das Substantiv παρρησία ist im NT hingegen häufig belegt, vgl. für das Corpus Paulinum 2Kor 3,12; 7,4; Phil 1,20; Phlm 8 und Eph 3,12; 6,19; Kol 2,15; 1Tim 3,13. Zur Herkunft des Terminus aus der philosophischen Tradition, v.a. bei Dio Chrys Or 32,11, vgl. A.J. Malherbe 137 und ausführlicher ders., Nurse. 48 Für eine instrumentale Interpretation der Präposition ἐν vgl. T. Holtz 68; B.R. Gaventa 24; A.J. Malherbe 137; P.-G. Müller 125, aber auch NSS 196. 49 Gegen eine Gottesmystik wendet sich ausdrücklich E. Best 91 und im Anschluss an ihn I. H. Marshall 63. 50 Diese Differenz stellt G. Haufe 35 nicht genügend in Rechnung, der die Differenz zwischen Paulus und den heidnischen Philosophen lediglich in der unterschiedlichen Botschaft erkennen kann, nicht dagegen im unterschiedlichen Gottesverhältnis. 51 I.H. Marshall 63. 52 P.-G. Müller 125. 53 Vgl. I.H. Marshall 63. 54 Vgl. zum Evangeliumsbegriff oben die Auslegung bei 1,5. – A.J. Malherbe 137 und G.D. Fee 58 interpretieren den Genitiv mit zahlreichen anderen (vgl. bei G.D. Fee 58 Anm. 21) als „genitive of origin“ (vgl. hierzu GGBB 109f ). 55 Sonst bei Paulus nur noch Röm 1,1 (ohne Artikel); 15,16 (vgl. 2Kor 11,7); im übrigen NT nur Mk 1,14 (vgl. 1Petr 4,17).

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

85

de? Ist damit ἀγών [agōn] synonym zu θλῖψις [thlipsis] (Bedrängnis) zu interpretieren?56 Martin Dibelius zog in Erwägung, den ‚Kampf‘ im Sinne eines Sieges zu verstehen: Die Situation in Philippi sei gegenüber derjenigen in Thessalonich deutlich negativer und schwieriger gewesen, Paulus rekurriere hier also auf seinen Erfolg unter den Thessalonichern.57 Als dritte Möglichkeit wurde der innere Kampf angeführt, den Paulus während der Gemeindegründung auszufechten hatte. Es handele sich um die Empfindungen und Anfechtungen, mit denen Paulus zu ‚kämpfen‘ gehabt habe.58 Die Möglichkeiten eins und drei schließen sich m.E. gegenseitig nicht aus. Die Situation in Philippi (vgl. Apg 16,19-23) wird von Paulus in Phil 1,30 zudem ebenfalls mit dem Lexem ἀγών [agōn] beschrieben,59 sodass sowohl an äußeren wie auch inneren Kampf gedacht werden kann. Ob dabei auch an den Fortschritt gedacht ist, den Paulus bei seiner Evangeliumsverkündigung erzielt,60 kann zwar nicht ganz ausgeschlossen werden, ist aber kaum in erster Linie im Blick. 3 Paulus beschreibt im Folgenden die Art seines öffentlichen Auftretens (und die seiner Mitarbeiter). Γάρ [Gar] (nämlich) hat dabei also nicht nur weiterführende Funktion, sondern begründet auch das Vorhergehende.61 Die Bezeichnung der öffentlichen und offenen Verkündigung mit παράκλησις [ paraklēsis] ist ungewöhnlich. Vom Kontext her (ἐπαρρησιασάμεθα … λαλῆσαι πρὸς ὑμᾶς τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ [eparrēsiasametha … lalēsai pros hymas to euangelion tou theou], wagten wir …, euch das Evangelium Gottes zu verkündigen) legt sich jedoch ein Verständnis nahe, das als „werbende Heilsverkündigung der apostolischen Predigt“62 umschrieben werden kann.63 Gemeint 56 So z.B. E. Best 91f; Ch.A. Wanamaker 93. 57 Vgl. M. Dibelius 7. 58 So B. Rigaux 405. – Vgl. zu den drei Interpretationsmöglichkeiten das Referat bei A.J. Malherbe 137. 59 Vgl. zur Terminologie ausführlich V.C. Pfitzner, Paul and the Agon Motif. Traditional Athletic Imagery in the Pauline Literature, NT.S 16, Leiden 1967 und M. Brändl, Der Agon bei Paulus. Herkunft und Profil paulinischer Agonmetaphorik, WUNT II/222, Tübingen 2006. Evtl. stellt 4Makk 17,11-16 eine sachliche Parallele zum Agonmotiv auch an unserer Stelle dar, wird doch dort der sportliche Wettkampf mit dem Kampf der Märtyrer verbunden (vgl. so D. Häußer, Phil, 126 zu Phil 1,30). Ob Paulus bei der Verwendung des Begriffs allerdings diese Stelle im Hintergrund hatte, kann nicht bewiesen werden. 60 Vgl. so A.J. Malherbe 138 unter Verweis auf 1Kor 9,24-27. 61 Vgl. so T. Holtz 70. 62 O. Schmitz, παρακαλέω und παράκλησις im Neuen Testament, ThWNT V, 1954, 790798, 792 (bei Schmitz gesperrt gedruckt) und im Anschluss an ihn T. Holtz 70. Den Bezug zur Evangeliumsverkündigung als Ganzes sieht auch A.J. Malherbe 138. 63 Die Übersetzung mit ‚Trost‘ wird dem nicht gerecht, so aber WB5 1225, anders dann WB6 1249, wo 1Thess 2,3 bei der Übersetzungsmöglichkeit ‚Ermahnung, Ermunterung‘ aufgeführt ist.

86

Kommentar

ist also „la parole apostolique exhortant à l’acceptation de l’un et de l’autre“.64 Der Begriff kann daher durchaus mit Aufruf zum Glauben übersetzt werden.65 Formal bilden dabei das Substantiv in 2,3 und das Verb in 2,12 eine Inclusio: Das missionarische, von Gott legitimierte und gestützte Tun des Paulus (und seiner Mitarbeiter) kann mit dem Lexem παρακλ- [ parakl-] umfassend beschrieben werden.66 Bei der Übersetzung des Nominalsatzes muss die Kopula ergänzt werden, also eine Form von εἶναι [einai] (oder γίνεσθαι [ginesthai]).67 Dabei ist die Präsensform zu wählen, da Paulus die hier beschriebene Form der Evangeliumsverkündigung nicht nur in Thessalonich (und an den Orten, die er zuvor besucht hatte) praktiziert hatte, sondern dies seine übliche Art der Verkündigung darstellte.68 Das Bedeutungsspektrum von παράκλησις [ paraklēsis] und παρακαλεῖν [ pa-

rakalein] ist bei Paulus recht breit gefächert. Im 1Thess wird das Substantiv zwar lediglich hier gebraucht (vgl. 2Thess 2,16), das Verb jedoch achtmal (2,12; 3,2.7; 4,1.10.18; 5,11.14, vgl. 2Thess 2,17; 3,12). Die dabei jeweils implizierte Bedeutung wird im Einzelfall an den Verben erkennbar, die mit παρακαλεῖν [ parakalein] kombiniert sind: παραμυθεῖσθαι [ paramytheisthai] und μαρτύρεσθαι [martyresthai] (2,12); στηρίζειν [stērizein] (3,2, vgl. 2Thess 2,17); ἐρωτᾶν [erōtan] (4,1, vgl. auch 5,12 im Anschluss an 5,11); παραγγέλλειν [ parangellein] (4,10f, vgl. 2Thess 3,12); οἰκοδομεῖν [oikodomein] (5,11). In engem Zusammenhang zu παρακαλεῖν [ parakalein] stehen in 5,14 νουθετεῖν [nouthetein], παραμυθεῖσθαι [ paramytheisthai ] (vgl. 2,12), ἀντέχεσθαι [antechesthai] und μακροθυμεῖν [makrothymein]. Die drei sich anschließenden Substantive ‚Irrtum‘ (πλάνη [ planē])69, ‚unsaubere Gesinnung‘ oder ‚unreine Motive‘ (ἀκαθαρσία [akatharsia])70 und ‚Arg-

64 B. Rigaux 406. 65 Vgl. das Syntagma λόγος (τῆς) παρακλήσεως Apg 13,15; Hebr 13,22, das ebenfalls in diese Richtung weist. 66 Vgl. zum inklusorischen Charakter des Lexems auch A.J. Malherbe 139. 67 Vgl. HvS § 256 d, wonach eine Kopula „besonders in lebhaften und affektischen Äusserungen“ fehlt. 68 Vgl. so auch G. Wohlenberg 44; I.H. Marshall 64; A.J. Malherbe 139. 69 Im Corpus Paulinum sonst lediglich noch Röm 1,27; Eph 4,14 und 2Thess 2,11 (vgl. 1Joh 4,6) belegt. 70 Vgl. für Paulus v.a. 1Thess 4,7; Röm 1,24; 6,19; Gal 5,19 – allerdings stets mit anderer Bedeutung, vgl. WB6 55 und F. Hauck, ἀκάθαρτος, ἀκαθαρσία ThWNT III, 1938, 430432, 432.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

87

list‘ (δόλος [dolos])71 sind allgemein gehaltene Vorwürfe, die so in der paganen griechischen Literatur der Antike häufig gegenüber Philosophen oder Rednern geäußert wurden.72 Die Vorwürfe beziehen sich auf Motive, die dem Paulus (und seinen Mitarbeitern) hinsichtlich ihrer Evangeliumsverkündigung unterstellt worden waren. Dies lässt sich aus dem zweimaligen übertragenen Gebrauch der Präposition ἐκ [ek] (aus) schließen, womit der Beweggrund, die Veranlassung bezeichnet wird.73 Mit Irrtum ist der Vorwurf von religiöser Irreführung durch die Missionare gemeint. Ihre Verkündigung geschehe nicht, weil sie andere gezielt in die Irre führen wollten, so als ob sie die Wahrheit Gottes zwar kennen, diese aber verdrehen oder ignorieren würden – ganz im Gegenteil: Ihre Evangeliumsverkündigung entspringe ihrer eigenen religiösen Fehlleitung, also einem religiösen Irrtum, wonach Jesus, den sie verkündigen, gar nicht auferstanden sein könne, und daher er der eigentliche Irreführer gewesen sei, dem die Missionare nun verführter- und irrigerweise folgen würden (vgl. Mt 27,63f ).74 Der Vorwurf der unsauberen Gesinnung zielt auf eine Haltung und auf eine Motivation, die nicht dem Willen Gottes entspricht – kaum auf die sonst für die Vokabel ἀκαθαρσία [akatharsia] häufig belegte Bedeutung der sexuellen Verkehrtheit.75 Es ist kaum vorstellbar, dass Paulus gemeint habe, er müsse sich gegen derartige Vorwürfe verteidigen. „Gemeint ist wohl eine schmutzige Gesinnung, ohne daß eine präzise Füllung möglich wäre.“76 Die offenere Bedeutung deckt sich zudem mit dem einzigen weiteren Gebrauch der Vokabel in 1Thess 4,7, wo ἀκαθαρσία [akatharsia] Gegenbegriff zu ἁγιασμός [hagiasmos] ist.77 71 Vgl. für Paulus hierzu sonst nur Röm 1,29; 2Kor 12,16. 72 Vgl. F.F. Bruce 26 und schon oben bei II. 73 Vgl. zum übertragenen Gebrauch von ἐκ HvS § 184 h; aus der Kommentarliteratur auch I.H. Marshall 65; A.J. Malherbe 139. 74 Hier ist eine passive Bedeutung von πλάνη anzunehmen, da sonst die Differenz zu δόλος nicht plausibel gemacht werden kann; vgl. hierzu E. Best 93; T. Holtz 70; G. Haufe 35 und auch H. Braun, πλανάω κτλ., ThWNT VI, 1959, 230-254, 251. 75 Vgl. für diese Bedeutung etwa Röm 1,24 und Eph 4,19; 5,3; vgl. zu Röm 1,24 E. Lohse, Röm 89f und zu Eph 4,19 J. Gnilka, Eph 225, der ebd. auch auf die inhaltliche Nähe von Röm 1,24 und Eph 4,19 verweist. 76 T. Holtz 71, vgl. für die offenere Bedeutung u.a. auch Ch.A. Wanamaker 95. Die Stelle wird auch bei WB6 55 s.voc. ἀκαθαρσία 2 mit „schmutzige Gesinnung“ übersetzt; ebd. Belege aus der Profangräzität. Eine Einengung auf die sexuelle Konnotation vertritt z.B. L. Morris 61f (weitere Vertreter sind bei G.D. Fee 60 Anm. 31 aufgezählt), der darauf verweist, Paulus sei durch seine Gegner in die Nähe der in manchen (östlichen) Mysterienkulten praktizierten sexuellen Rituale gerückt worden. Mit Recht wendet sich jedoch D.M. Martin 73 ausdrücklich gegen Morris mit dem Hinweis: „There is no hint in the letter or in the Acts account that Paul and his associates had been accused of sexual impropriety or ritual prostitution“. Unentschieden bleibt P.-G. Müller 126. 77 Vgl. auch die Auslegung zu 4,7.

88

Kommentar

Mit dem Wechsel der Präposition von ἐκ [ek] zu modalem ἐν [en] (mit)78 wendet sich Paulus gegen den generellen Vorwurf, er verkündige das Evangelium aufgrund seines eigenen Irregeleitetseins und seiner unsauberen Gesinnung in listiger Weise. List (δόλος [dolos]) ist bei Paulus sonst nur noch Röm 1,29 und 2Kor 12,16 belegt. Eine konkrete Interpretation des Begriffs ist kaum möglich. Aus dem 2Kor wird ersichtlich, dass Paulus sich gegen den Vorwurf zur Wehr setzen muss, ein falsches Evangelium zu verkündigen, woraufhin er kontert: μηδὲ δολοῦντες (ἡμεῖς) τὸν λόγον τοῦ θεοῦ [mēde dolountes (hēmeis) ton logon tou theou] (auch haben wir nicht das Wort Gottes verfälscht), dies bleibt vielmehr den ‚Pseudoaposteln‘, diesen ἐργάται δόλιοι [ergatai dolioi] (heimtückische Arbeiter), vorbehalten (vgl. 2Kor 4,2 mit 11,4.13).79 Die Abwehr dieses Vorwurfes zielt also auf das wahre Evangelium, das Paulus (und seine Mitarbeiter) tatsächlich und in Wahrheit verkündigt. 4 Dieses wahre Evangelium hat seinen Ursprung in Gott, der die Verkündiger selbst der Verkündigung desselben wert geachtet hat. Ihm weiß sich Paulus (und seine Mitarbeiter) allein verantwortlich, ihm allein will er gefallen. Eine derartige Verteidigungsrede ist ihrer Form nach auch von Rednern seines paganen Umfelds bekannt. „Auch der umherziehende Popularphilosoph beruft sich im Gegenüber zu Scharlatanen und Betrügern auf eine höhere Eingebung und versichert, daß ihm – selbstverständlich – immer schon die göttlichen Dinge höher stehen als alle menschlichen.“80 Paulus entgegnet also zum einen formal auf der gleichen Ebene, wie es auch andere, ihm vergleichbare Redner, tun, gleichzeitig grenzt er sich durch den spezifischen Inhalt seiner Worte jedoch von jenen ab. Der Beginn mit der Adversativpartikel ‚sondern‘ markiert den Beginn der Korrektur der vorausgehenden Vorwürfe auf das Deutlichste. Die komparativen Konjunktionen so wie81 … so spannen den Rahmen für die Ausführungen in V. 4. „Damit ist kein Vergleich benannt, sondern ein Entsprechungsverhältnis“:82 Paulus und seine Mitarbeiter (1. Pers. Pl.) stehen bei ihrer Verkündigung ganz in Übereinstimmung zum göttlichen Urteil, wonach sie für würdig befunden wurden, das Evangelium zu verkündigen. Paulus hebt hier also auf seine Qualifikation durch Gott ab. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Qualifikation bei der Person des Paulus denn 78 Die modale Interpretation von ἐν ist der instrumentalen (diese bevorzugt T. Holtz 71) vorzuziehen, vgl. I.H. Marshall 65. 79 Vgl. hierzu L. Oberlinner, δόλος κτλ., EWNT2 I, 1992, 830-832, 832. 80 T. Holtz 71 mit Belegen aus den Reden des Dio Chrysostomus. 81 Καθώς ist allerdings adverbial verwendet! Eventuell hat es eine kausale Konnotation, die jedoch nicht dominiert (so A.J. Malherbe 140). 82 T. Holtz 72, von einem „Entsprechungsverhältnis“ spricht auch P.-G. Müller 127, vgl. weiter G. Haufe 36.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

89

hätte gefunden werden können, die ihn für dieses ‚Werk‘ für tauglich befunden hätte. Stellt man die Aussagen des Paulus aus 1Kor 15,8 oder Gal 1,15 daneben, so ist nämlich kaum an eine in der Person selbst sich befindende Qualifikation zu denken, sondern vielmehr einzig an die Erwählung eines Menschen durch Gott. Dass dabei auch eine göttliche Prüfung zugrunde gelegen haben muss, setzt der Text voraus, welcher Art diese jedoch gewesen ist, bleibt unbenannt.83 Lediglich der ‚Beweis‘, mit dem Evangelium betraut zu werden, legt von der bestandenen Prüfung Zeugnis ab. Dass es sich bei der hier im Hintergrund stehenden Prüfung um einen abgeschlossenen Vorgang handelt, legt der Perfektstamm des finiten Verbs (δεδοκιμάσμεθα [dedokimasmetha]) nahe.84 Der Terminus Evangelium steht für die Verkündigung des Evangeliums – wie schon 1,5.85 Die Motivation, das Evangelium zu verkündigen (λαλεῖν [lalein]) liegt darin, Gott zu gefallen. Das Präsens λαλοῦμεν [laloumen] (Durativstamm) weist darauf hin, dass Paulus eine generelle Aussage über seine Verkündigungstätigkeit und sein damit verbundenes Selbstverständnis als von Gott mit dem Evangelium Betrauter macht. Die Motivation, Gott zu gefallen hat atl.-jüd. Wurzeln.86 In der LXX wird v.a. mit dem Verb εὐαρεστεῖν [euarestein] (gefallen) der Wandel des Menschen vor Gott charakterisiert (vgl. Gen 5,22.24; 17,1; Ps 26,3; 35,14 u.ö.); bei Paulus erhält das Verb ἀρέσκειν [areskein] (mit Dat.: Röm 8,8; Gal 1,10 [zwei Vorkommen]; 1Thess 2,15; 4,1) den Vorzug.87 Den Gegensatz ‚Gott gefallen – nicht den Menschen gefallen‘ stellt Paulus auch Gal 1,10 (vgl. Eph 6,6; Kol 3,22: ἀνθρωπάρεσκος [anthrōpareskos]) heraus. Die Verneinung des Partizips – nicht gefallen – mit οὐ [ou] anstelle des eigentlich im NT zu erwartenden μή [mē] (vgl. μὴ ἀρεσκόντων [mē 83 Ein Bezug auf die zu erduldenden Leiden als Verkündiger dürfte kaum infrage kommen – hier ist allgemeiner formuliert. 84 Zum resultativen Aspekt des Perfekts vgl. HvS § 194 k (bei HvS teilw. gesperrt gedruckt): „Die Formen des Perfektstammes stellen den Verbinhalt als einen Zustand dar. Da es sich meist um einen erreichten Zustand, um das Ergebnis eines vorhergehenden Geschehens handelt, spricht man vom resultativen Aspekt.“ 85 Vgl. dort; so auch P.-G. Müller 127. – In 2,2.8.9 wo εὐαγγέλιον jeweils durch den appositionellen Genitiv τοῦ θεοῦ ergänzt wird, ist eher auf den Ursprung und Inhalt der Evangeliumsverkündigung abgehoben. 86 So P.-G. Müller 127, allerdings ohne dies zu begründen. 87 Das Verb εὐαρεστεῖν wird im NT nirgends verwendet, lediglich das Adjektiv εὐάρεστος (außer Hebr 13,21 nur im Corpus Paulinum: Röm 12,1.2; 14,18; 2Kor 5,9; Eph 5,10; Phil 4,18; Kol 3,20 und Tit 2,9) und das Adverb εὐαρέστως (nur Hebr 12,28) werden gebraucht. Vgl. zum Gebrauch von εὐαρεστεῖν in LXX auch W. Foerster, ἀρέσκω κτλ., ThWNT I, 1933, 455-457, 455. Zur Verwendung von ἀρέσκειν mit Dat. in LXX vgl. J. E. Frame 96, der auf Num 23,27 und Ps 68,32 LXX (= 69,32) verweist.

90

Kommentar

areskontōn] 1Thess 2,15) ist für Paulus nicht ungewöhnlich (vgl. 2Kor 4,8; Gal 4,8; Phil 3,3) und entspricht klassischem Gebrauch.88 Die Formulierung, dass es Gott sei, der die Herzen prüft, ist ebenfalls atl.jüd. Tradition verpflichtet. Am nächsten steht der hier vorliegenden Formulierung dabei Jer 11,20 (LXX): (κύριε … δοκιμάζων νεφροὺς καὶ καρδίας [kyrie … dokimazōn nephrous kai kardias]) (Herr … Nieren und Herzen prüfend89; vgl. Jer 12,3). Aber auch sonst ist häufig von Gott die Rede, der nicht auf den äußeren Schein eines Menschen schaut, sondern das Herz eines Menschen prüft: 1Sam 16,7; Ps 26,2; 44,22; 139,23; Weish 1,6; Sir 42,18; 1QM XVI,15; 1QH XX (XII),33f; Lk 16,15; Röm 8,27 u.ö. „[D]as Urchristentum entwickelt hier ein neues Gottesprädikat, das bisher außerhalb christlicher Quellen nicht belegt werden konnte: Gott ist καρδιογνωστής [kardiognōstēs].“90 Mit dem Herz ist „das Innere des Menschen, de[r] Sitz von Verstand, Erkenntnis und Wille“91 gemeint. Das Ptz. Präsens92 in V. 4b verweist darauf, dass es sich hier – anders als bei der ersten Verwendung von δοκιμάζειν [dokimazein] (V. 4a) – nicht um einen abgeschlossenen, sondern um einen andauernden bzw. immer wiederkehrenden (iterativen) Vorgang handelt: quasi um eine göttliche ‚Qualitätskontrolle‘.93 Diesem das Innere eines Menschen beachtenden und erkennenden Gott will Paulus (und seine Mitarbeiter) einzig zu Gefallen sein, was natürlich nicht ausschließt, dass er dennoch sein Bestes tun will, jeder Person(engruppe) möglichst so zu begegnen, wie es ihr entspricht (vgl. 1Kor 9,19-23). Damit

88 Vgl. HvS § 227 d und J.E. Frame 96. – BDR § 430 (Anm. 6) weist darauf hin, dass οὐ hier nicht zum Partizip gehöre, sondern aufgrund eines ausgelassenen λαλοῦμεν stehe, das zu ergänzen sei: οὐ λαλοῦμεν ὡς ἀνθρώποις ἀρέσκοντες (wir reden nicht, als ob wir Menschen gefallen wollten). Wie dem auch sein mag: Beides findet seine grammatikalische Erklärung; mir scheint eine Auslassung des finiten Verbes die weniger wahrscheinliche Variante zu sein. 89 Übersetzung nach LXX.D. 90 G. Theißen, Aspekte, 94, hier auch die aufgeführten Belege. Vgl. für καρδιογνωστής die beiden ntl. Belege Apg 1,24; 15,8 aber auch Herm 31,4 (mand IV,4 – hier bei Theißen fälschlich mand 4,34 [richtig wäre: 4,3,4] angegeben) u.a. 91 A. Sand, καρδία, EWNT2 II, 1992, 615-619, 616 (bei Sand teilweise kursiv). Zur semantischen Nähe von καρδιογνωστής und 2,4 vgl. auch V. Stolle, Herz, TBLNT2 I, 2000, 948-953, 952; vgl. zu καρδία bei Paulus zudem immer noch R. Bultmann, Theologie, 221-226 und R. Jewett, Paul’s Anthropological Terms, AGJU 10, Leiden 1971, 305-333; vgl. auch U. Schnelle, Theologie, 290f. 92 In LXX wie auch im NT wird der Präsensstamm verwendet! 93 Auf die Bedeutung der Verbalaspekte an dieser Stelle weisen auch E. Best 96 und I.H. Marshall 65f hin.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

91

ist jedoch etwas grundlegend anderes gemeint, als sich hinter der mit ἀνθρωπάρεσκος [anthrōpareskos] verbundenen Vorstellung verbirgt.94 5 Wieder, wie schon in V. 3, wehrt sich Paulus gegen drei Vorwürfe durch jeweils den Vorwürfen vorangestellte Verneinungen, diesmal wird οὔτε [oute] (weder) verwendet.95 Ein Unterschied in der Bedeutung der zusammengesetzten Negationen οὐδέ [oude] und οὔτε [oute] ist kaum auszumachen, der unterschiedliche Gebrauch dürfte stilistisch bedingt sein. Durch die Erweiterung der ersten Verneinung mit der Partikel γάρ [gar] (nämlich) und dem indefiniten enklitischen Adverb ποτε [ pote] (jemals) sowie dem Einschub καθὼς οἴδατε [kathōs oidate] (wie ihr wisst) wird der Vorwurf der ‚Schmeichelrede‘ mit besonderer Vehemenz zurückgewiesen. Wie ihr wisst nimmt Bezug auf den ‚Eingang‘, den Paulus (und seine Mitarbeiter) in Thessalonich hatte (vgl. 1,5; 2,1.2.9–11). Der Begriff der Schmeichelrede kann in seiner semantischen Bedeutung nicht wirklich konkret bestimmt werden. Das im NT nur an dieser Stelle belegte Substantiv κολακεία [kolakeia] „ist abgeleitet vom Verb κολακεύω [kolakeuō] ‚durch schmeicheln anlocken‘“96 und ist im vorliegenden Syntagma gen. qualitatis. Der aus Ägypten stammende Sophist Julius Pollux zählt eine lange Liste von Synonymen zum Begriff ὁ κόλαξ [ho kolax] (der Schmeichler, der Schmarotzer) auf, unter denen sich z.B. ‚Possenreißer‘, ‚einer, der unzüchtige Reden führt‘ oder ‚einer, der für Kost arbeitet‘ befinden.97 Der Begriff ist auch bei Dio Chrysostomus Or 32,11 belegt. Der Abschnitt aus Dio (Or 32,10f ) kann für die Passage 2,1– 12, wie bereits mehrfach erwähnt, als hervorragende Folie aus der paganen Umwelt des Paulus herangezogen werden.98 Als Laster eines jeden Redners 94 Vgl. zu 1Kor 9,19ff D. Zeller, 1Kor 320 (zu 9,23): „Wohlgemerkt: Nicht das Evangelium wird angepasst, sondern sein Verkünder richtet sich in seiner Lebensweise nach seinen Adressaten, um die Sache des Evangeliums ohne Anstoß zu befördern (vgl. V. 12c).“ 95 Vgl. zur Struktur oben bei II. 96 G. Schneider, κολακ(ε)ία, EWNT2 II, 1992, 756. 97 Poll., On. VI 123; Übersetzung bei NW II/1, 773f. 98 Übersetzung nach NW II/1, 771: „Die Leute jedoch, die bei euch als Gebildete auftreten, halten geistlose Prunkreden oder rezitieren aus selbstgefertigten Werken, als hätten sie bei euch eine Leidenschaft für Dichtung entdeckt. Sind sie Dichter oder Redner, mag das noch angehen; wenn sie es aber als Philosophen machen um des Gewinns (κέρδους ἕνεκεν) und ihres eigenen Ansehens (δόξης τῆς ἑαυτῶν) willen, nicht für euer Bestes, darf das nicht mehr geduldet werden. […] (E)inen Mann zu finden, der in aller Offenheit (παρρησιαζόμενον) klar und ohne Hintergedanken spricht, der nicht um des Ruhmes und Gewinns willen (μήτε δόξης χάριν μήτ’ ἐπ’ ἀργυρίῳ) nur so tut, sondern aus Wohlwollen und Fürsorge für die anderen bereit ist, sich notfalls auch auslachen zu lassen und das lärmende Durcheinander der Menge zu ertragen, ist nicht leicht […]; es wird nur einer außerordentlich glücklichen Stadt zuteil: So selten sind edle, freigesonnene Menschen, so häufig Schmeichler (κόλακες), Schwindler und Sophisten.“ Vgl. A.J. Malherbe 142, der

92

Kommentar

ist die Schmeichelei vielfach in der Antike belegt (u.a. bei Philo und Josephus) und taucht auch in antiken Lasterkatalogen auf.99 In TestXII.Jos 4,1 steht ‚schmeicheln‘ neben ‚listig loben‘: Wie oft schmeichelte (κολακεύειν [kolakeuein]) sie mir mit Worten als einem heiligen Mann! Und listig lobte sie (μετὰ δόλου ἐπαινεῖν [meta dolou epainein]) mit Reden meine Keuschheit vor ihrem Mann, (doch) wollte sie (nur, war ich) allein, mich zum Straucheln bringen.100

Paulus kann sich mit Gewissheit von einer derartigen Haltung distanzieren: Ihm lag nie daran, Menschen durch ‚Schönrederei‘ für das Evangelium oder gar für sich zu gewinnen. Die Thessalonicher können dies aufgrund ihrer eigenen Anschauung (wie ihr wisst) bezeugen. Den zweiten Vorwurf eines vorgeschützten Anlasses weist Paulus nicht weniger deutlich zurück, wird dieser Zurückweisung doch der Verweis auf Gott als Zeugen für die Lauterkeit des Paulus (und seiner Mitarbeiter) angefügt. Das im NT nur sechsmal belegte Substantiv πρόφασις [ prophasis] meint in der Tat die Vortäuschung eines Sachverhalts, hinter dem die wirkliche Absicht verborgen bleibt.101 Weil dieser Vorwurf nicht von außen erkennbar wird, kann hier auch kein anderer als der die Herzen prüfende Gott (2,4) als Zeuge benannt werden. Fast wie ein Schwur klingt dieser Verweis. Dass Gott es ist, der die Motivation des Paulus (und seiner Mitarbeiter) prüft, wird von Paulus mehrfach bereits unter den Anfangsgedanken in seinen Briefen thematisiert: 2,10; Röm 1,9; 2Kor 1,23; Gal 1,20; Phil 1,8.102 Der Vorwurf der Habgier – als dem eigentlichen Motiv, aus dem heraus Paulus (und seine Mitarbeiter) das Evangelium verkündigen würde(n) – ist in die Reihe der Vorwürfe einzuordnen, die den Wanderphilosophen der Antike immer wieder entgegengehalten wurden.103 Sie galt in der gesamten Antike

99 100 101

102 103

meint, dass Paulus den singulären Begriff κολακεία deshalb gebraucht, weil dieser Abschnitt des 1Thess vieles jenem aus Dio verdankt. Vgl. nochmals A.J. Malherbe 142, der für entsprechende Belege auf J. Schneider, κολακεία, ThWNT III, 818 verweist. Übersetzung nach J. Becker, JSHRZ III/1, 120. Vgl. den Hinweis auf diese Stelle bei T. Holtz 75. Vgl. die Übersetzung des Syntagmas ἐν προφάσει πλεονεξίας mit „unter einem von der Habgier bestimmten Vorwand“ durch H. Balz, EWNT2 III, 1992, 440f, 441 s.voc. πρόφασις. – Vgl. auch den einzigen weiteren Beleg von πρόφασις bei Paulus in Phil 1,18. Vgl. hierzu auch P.-G. Müller 129, der von „eidlichen Bekräftigungen“ spricht. Vgl. die Belege bei T. Holtz 76 mit Anm. 301; M.E. Boring, Commentary, 491f; A.J. Malherbe 143.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

93

als grundlegendes Laster104 und wird auch im Corpus Paulinum mehrfach als solches aufgegriffen: Röm 1,29; Kol 3,5; Eph 4,19; 5,3.105 In 2,5 dürfte jedoch die Abgrenzung zu ihrem Auftreten nach vergleichbaren „habgierigen predigenden Popularphilosophen“ im Vordergrund stehen. Die Präposition ἐν [en] (mit) ist also jeweils modal zu interpretieren: Durch sie werden die Begleitumstände angegeben, unter denen etwas geschieht.106 6 Der dritte zurückgewiesene Vorwurf betrifft die Unterstellung, Ehre bei den Menschen zu suchen. Das Ptz. Präsens ist dabei analog der Präsensform λαλοῦμεν [laloumen] in 2,4 zu fassen. Paulus spricht von einer Gewohnheit, sodass die Präsensform in Verbindung mit der ergänzenden Angabe weder von euch noch von anderen weitestgehend – temporal und lokal – zu interpretieren ist: Niemals je haben wir gesucht und suchen wir aktuell Ehre bei Menschen an irgendeinem Ort – nämlich weder bei euch noch sonst irgendwo. Der Begriff der Ehre (δόξα [doxa]) bezeichnet im NT in der überwiegenden Zahl der Fälle die Herrlichkeit Gottes und steht damit in der Traditionsgeschichte der Wortverbindung ‫[ כבוד יהוה‬kbwd jhwh] (Ehre Gottes) aus dem AT.107 In 2,6 weist die semantische Ebene jedoch in den Bereich, der sonst in den pln. Briefen durch die Vokabel καυχᾶσθαι [kauchasthai] (rühmen) beschrieben wird; vgl. besonders 2Kor 10,12-18; 12,1–10, wo jeweils fünf Belege zu verzeichnen sind.108 Nach 2Kor 6,8 erfährt Paulus zwar Ehre (δόξα [doxa]) von Menschen,109 sucht diese jedoch nicht. Er will einzig nach der Ehre Gottes schauen und von ihm diese auch allein empfangen (vgl. 1Thess 2,20, vgl. Phil 2,16). Der Wechsel bei den Präpositionen von ἐκ [ek] zu ἀπό [apo] dürfte stilistisch bedingt sein und keine inhaltliche Relevanz haben.

104 Belege bei A.J. Malherbe 142. 105 Vgl. neben den Kommentaren zu Eph und Kol jeweils z.St. auch B. Rosner, Habsucht – Eine vergessene Sünde, ThBeitr 31, 2000, 75-81 und thematisch breiter angelegt ders., How to Get Really Rich. A Sharp Look at the Religion of Greed, Leicester 1999. 106 Vgl. für 1Thess 2,5 C.F.D. Moule, Idiom Book, 78. – Zur Verwendung der Präposition ἐν anstelle des dat. modi vgl. HvS § 184 i. 107 Da die LXX ‫ ָכּבוֹד‬mit δόξα übersetzt, „[ist] die ganze atl. Bedeutungsbreite von kāḇôḏ in das griech. Äquivalent δ.[όξα] übergegangen“ (H. Hegermann, δόξα κτλ., EWNT I, 2 1992, 832-841, 834); der ntl. Kontext legt dabei das konkrete Bedeutungsfeld fest. 108 Vgl. ausführlich S. Aalen; H. Kvalbein, δόξα, TBLNT2 I, 1992, 304-309 und A.J. Malherbe 143; P.-G. Müller 129. 109 2Kor 6,8 und 1Thess 2,6 liegt dieselbe Bedeutung für δόξα vor.

94

Kommentar

7 Das participium coniunctum δυνάμενοι [dynamenoi] ist am ehesten konzessiv aufzulösen: obwohl110 (wir hätten können), wird doch dadurch der Vorwurf, die Missionare würden Ehre bei den Menschen suchen, noch nachhaltiger zurückgewiesen: Sie hätten zwar durchaus als gewichtige Personen auftreten können, die allen Respekts und aller Ehre würdig gewesen wären, und hätten dies, wie es bei den Wanderphilosophen üblich gewesen ist und deshalb auch in der Gemeinde bekannt war, auch einfordern können, aber eben: Sie taten es nicht!111 Das Ptz. Aor. δυνάμενοι [dynamenoi] weist auf das Auftreten in Thessalonich hin, das im Folgenden (ἐν μέσῳ ὑμῶν [en mesō hymōn], in eurer Mitte) ganz in den Vordergrund rückt.112 Das Lexem βάρος [baros] (gewichtig) weist drei Bedeutungsspektren auf: a) die Last, die einem auferlegt wird (so Gal 6,2; Offb 2,24), b) das Gewicht, im Sinne von Ansehen, das Menschen haben können (so hier), und c) die Fülle (der Herrlichkeit) wie etwa in 2Kor 4,17.113 Die Bedeutung für βάρος [baros] an der hier zur Diskussion stehenden Stelle wird jedoch unterschiedlich wiedergegeben: die Bedeutungen a) und b) finden Befürworter. Für a) wird angeführt, dass Paulus nur wenige Verse später (2,9) das Verb ἐπιβαρεῖν [epibarein] (zur Last fallen) verwende (vgl. 2Thess 3,8), das auf das finanzielle Unterstützungsrecht der Missionare verweise (vgl. 1Kor 9,14; Gal 6,6).114 Deshalb, und weil ein Zusammenhang mit dem Lexem πλεονεξία [ pleonexia] (Habgier; 2,5) naheliege, liege es auch hier nahe, an dieses nicht beanspruchte Recht zu denken.115 Diese Interpretation wird jedoch mit Recht von zahlreichen Kommentatoren abgelehnt.116 Der direkte Kontext – v.a. ζητεῖν δόξαν 110 Vgl. so auch NSS II, 197 – so im übrigen schon E. v. Dobschütz 93 und unter den neueren nur etwa Ch. A. Wanamaker 99; A.J. Malherbe 143f; St. Schreiber 139. Anders G. Wohlenberg 50, der das Partizip kausal übersetzt und ausführt: „P(au)l(us) und seine Genossen schmeichelten nicht …, weil sie als Christi Apostel die Vollmacht besaßen, der Gemeinde eine Last zu sein. (…) (W)er das sein, wer so seine Anhänger beeinflussen darf kraft seines Amts, hat es nicht nötig, den falschen Lehrern gleich zu handeln, ja es wird ihm durch die hohe Würde seiner Stellung unmöglich gemacht.“ 111 Das Partizip erläutert also ζητοῦντος (suchen) 2,6. 112 Vgl. T. Holtz 78 mit Anm. 315; A.J. Malherbe 144. Anders E. v. Dobschütz 91f und B. Henneken, Verkündigung, 17 Anm. 20, die von einem Ptz. Präsens ausgehen und deshalb das prinzipielle Verhalten des Paulus (und seiner Mitarbeiter) beschrieben sehen, was aber nicht wahrscheinlich ist. 113 Vgl. hierzu WB6 268 und 2Kor 12,16, wo das Kompositum καταβαρεῖν, sowie 2Kor 11,9, wo das Adjektiv ἀβαρής verwendet wird; diese beiden Lexeme sind hapax legomena im NT. 114 So z.B. G. Wohlenberg 49 und B.R. Gaventa 26. 115 Vgl. für diese Position auch F.F. Bruce 30f; St. Schreiber 139f. 116 Eine Verbindung zu πλεονεξία leuchtet zudem überhaupt nicht ein: Paulus würde ja auf das Recht zur Habsucht verzichten – aber das kann ganz gewiss nicht gemeint sein.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

95

[zētein doxan] (Ehre suchen) in 2,6 und der Gegensatz, der sich zu ἤπιος [ēpios] (sanft) ergibt – weist auf eine Interpretation des Syntagmas ἐν βάρει [en barei], wie sie etwa von Martin Dibelius vorgeschlagen wurde: „aus dieser Gegenüberstellung [sc. zu ἤπιος [ēpios]; fwr] ergibt sich der Sinn von ἐν βάρει εἶναι [en barei einai]: ‚Autorität besitzen oder geltend machen‘“117. Gemeint ist also die mit dem Apostelamt verbundene Dignität. Der Aposteltitel bezieht sich auf den Apostel Paulus allein, obwohl die Pluralform verwendet wird.118 Mit Abraham J. Malherbe ist hier ein epistolarer Plural anzunehmen. Würde man den Titel auf die im Absender mit genannten Silvanus und Timotheus ausdehnen, müsste man entweder annehmen, Paulus habe den Aposteltitel in seinem ersten Brief noch nicht in der reflektierten Weise verwendet wie in seinen späteren Briefen, oder man müsste annehmen, dass zwar Silvanus mitgemeint sein könnte, jedoch kaum Timotheus, weil das Kriterium für das Apostolat das Sehen des Auferstandenen ist (1Kor 15,5-9), dies jedoch für Timotheus mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Gegen Ersteres spricht, dass dann nur schwer erklärt werden kann, wie der Aposteltitel hier gemeint ist – immerhin muss er sachlich ‚gewichtig‘ (ἐν βάρει [en barei]) gewesen sein. Je weiter bzw. offener man die Bedeutung des Titels fasst um so geringer wird seine ‚Gewichtigkeit‘.119 Bei einem Bezug des Apostelbegriffs auf Paulus und Silvanus kann nicht wirklich plausibel gemacht werden, warum hier Paulus nicht deutlicher signal117 M. Dibelius 8, vgl. für diese Interpretation auch E. Best 100; I.H. Marshall 68; G. Haufe 37; R. Hoppe 150f u.a.; ausführlich hierzu B. Henneken, Verkündigung, 14-17. A.J. Malherbe 144 sieht ebenfalls einen Zusammenhang mit ζητεῖν δόξαν, er versteht ἐν βάρει εἶναι jedoch als „being able to make harsh demands“. Manche Philosophen suchten in der Antike Ehre bei den Menschen, indem sie besonders harte Worte in ihren Reden verwandten – hierauf würde Paulus gegenüber den Thessalonichern jedoch verzichten (vgl. ἤπιος). M.E. überzeugt ein Bezug auf diesen Sachverhalt jedoch nicht. 118 So T. Holtz 78; E. Reinmuth 126; A.J. Malherbe 144; G.D. Fee 64f (der allerdings einen Bezug auf Silvanus nicht völlig ausschließen will), vgl. auch O. Wischmeyer, Paulus, 95. Anders z.B. B.R. Gaventa 26; G. Haufe 37 die damit auch Timotheus und Silvanus mitbezeichnet sehen und I.H. Marshall 69f; Ch.A. Wanamaker 99f, die den Plural auf Paulus und Silvanus beziehen wollen, weil Letzterer möglicherweise den auferstandenen Jesus gesehen habe (analog zu Barnabas 1Kor 9,5f ), was so von Timotheus nicht vermutet werden könne; einen Bezug auf Paulus und evtl. auf Silvanus zieht auch P.-G. Müller 130 in Betracht, „während für Timotheus der Titel wohl nicht in Frage kommt“. 119 Dies bleibt auch die Schwierigkeit der Überlegungen von J. Frey, Apostel, 199-201, der den Titel auf alle drei Missionare beziehen will, und dabei von einem offenen Apostelbegriff ausgeht. Wohl nicht von ungefähr bleibt er dabei eine Erklärung für die Bedeutung des Titels in 2,7 schuldig, im Anschluss derer mit Recht allein aufgrund des Titels von einem ‚gewichtigen‘ Auftreten der Missionare geredet werden könnte. – Dies stellt nicht in Abrede, dass der Apostelbegriff im ersten Jahrhundert durchaus nicht einheitlich war!

96

Kommentar

isiert, wer gemeint ist: Die 1. Pers. Plural bezieht sich im Brief entweder auf Paulus allein oder auf alle drei in Thessalonich tätigen Missionare – hier läge die einzige Ausnahme vor. Da der 1Thess der älteste uns erhaltene Paulusbrief ist120 und der Begriff hier erstmals und zudem singulär in diesem Schreiben vorkommt,121 liegt hier der früheste literarische Beleg für den Titel ἀπόστολος [apostolos] im christlichen Kontext vor.122 Obwohl der Terminus lediglich hier in der Korrespondenz mit den Thessalonichern auftritt, lohnt es sich, einen Überblick über die Bedeutung des Wortes zu geben, ist doch hier durch ἐν βάρει [en barei] von der Autorität und Dignität dessen die Rede, der den Titel trägt. Welche Art von Autorität und Dignität ist also impliziert?123 Die Wurzeln des Apostelbegriffs liegen im Alten Testament und Judentum, wo das Verb ‫שַׁלח‬ ָ (šālaḥ, senden) die für das ntl. Verständnis und den ntl. Ge-

brauch des Wortes ausschlaggebende Rolle spielt.124 „In der atl.-jüd. Tradition gibt es eine Rechtsauffassung, wonach der Abgesandte eines Menschen diesen in vollem Umfang repräsentiert“.125 Aufgabe und Pflicht dieses „Abgesandten“ ist strenger Gehorsam gegenüber dem Sendenden, sowie „in allem die Angelegenheit des Sendenden zu fördern“.126 Der Unterschied zum jüdischen Botenrecht liegt jedoch darin, dass der Apostel Jesu Christi seinen Dienst nicht nur für eine gewisse Zeit und für eine ganz bestimmte Sache innehat, sondern dass dieser lebenslang in den Dienst Christi berufen ist. „Die für das urchristl.[iche] A.[postel]verständnis kon-

120 Vgl. für eine Datierung des Gal kurz vor der Abfassung des 1Thess in Korinth z.B. Th. Zahn, Einleitung I, 141, für eine Datierung (kurz) vor dem Apostelkonzil (48 n.Chr.) in Antiochien vgl. H.-W. Neudorfer, Mehr Licht über Galatien, JETh 5, 1991, 41-62; R. Riesner, Rechtfertigung aus Glauben – wie früh? Ein chronologischer und exegetischer Beitrag zum Reformationsjubiläum, ThBeitr 48, 2017, 201-218. Für die südgalatische These führt Felix John beeindruckende Argumente an, vgl. F. John, Der Galaterbrief im Kontext historischer Lebenswelten im antiken Kleinasien, FRLANT 264, Göttingen 2016. 121 Auch im 2Thess findet sich kein Beleg für ἀπόστολος. 122 Vgl. für diesen Hinweis u.a. A.J. Malherbe 144; P.-G. Müller 130. 123 Vgl. zum Folgenden P.W. Barnett, Apostle, DPL, 45-51; J.-A. Bühner, ἀπόστολος κτλ., EWNT I2, 1992, 342-351; F. Hahn, Apostel, RGG4 I, 1998, 636-638; J. Roloff, Apostel / Apostolat / Apostolizität I. Neues Testament , TRE 3, 1978, 430-445. 124 Die LXX gebraucht ganz überwiegend das Verb ἀποστέλλειν für die Wiedergabe von ‫ ; ָשַׁלח‬das Substantiv ἀπόστολος ist in LXX nur an einer Stelle belegt: IIIReg (= 1Kön) 14,6, was allerdings zu einem späteren midraschartigen Zusatztext zu IIIReg 12,24 gehört; der ursprüngliche Text der LXX lässt 1Kön 14,1-20 (MT) aus, ergänzt aber im Anschluss an IIIReg 12,24 einen Abschnitt (12,24a-z), der sehr nahe an 1Kön 14,1-18 (MT) ist. (vgl. zur Problematik LXX.D z.St. und LXX.D Erläuterungen I, 923 [zu 24k]). 125 F. Hahn, Apostel, 636. 126 J.-A. Bühner, ἀπόστολος, 345.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

97

stitutive Verbindung von ständiger Bevollmächtigung und Evangeliumsverkündigung ist durch Jes 61, 1f. vorgegeben und in Lk 4, 16–21 ausdrücklich aufgenommen (vgl. Lk 1, 19).“127 Die Würde, Dignität und Autorität des Aposteldienstes liegt also in der lebenslangen Bevollmächtigung und Beauftragung durch den Sendenden, in der stellvertretenden Funktion ‚an Christi statt‘ (vgl. 2Kor 5,20) und an der damit verbundenen „divine authority“.128 Für 1Thess 2,2ff kann im Blick auf den Apostelbegriff festgehalten werden: „Den Evangeliumsempfängern versichert P[au]l[u]s, nur entsprechend seinem Auftrag zu reden und nicht aus Motiven menschlicher Falschheit (1Thess 2,3f ): Ehre sucht er nicht von Menschen (1Thess 2,6), wenngleich er als Apostel an der Würde des ihn Sendenden partizipiert (1Thess 2,7). Im Verzicht auf würdevolles Auftreten (1Thess 2,7) und im Verzicht auf die Apostelrechte (1Kor 9,18; 2Kor 11,7) vereinen sich der Rückverweis auf den Sendenden (1Thess 2,4-6; Röm 11,13; 1Kor 9,16f; 2Kor 3,6ff; vgl. Joh 17,4f ) und der Hinweis auf die Unterordnung unter das Evangelium und seine Empfänger (1Thess 2,7-12; 1Kor 9,19ff ).“129

Im Folgenden wird nun positiv und nicht ohne Emotionalität formuliert, was bzw. wie Paulus und seine Mitarbeiter sich bei ihrem Gründungsbesuch in Thessalonich verhalten hatten:130 Sie waren sanft. Diese Argumentationsstruktur weicht von der seitherigen insofern ab, als Paulus jetzt das Augenmerk auf die Art seines Dienstes in der Gemeinde lenkt, wohingegen zuvor stets Gott im Mittelpunkt der Gegenargumentation stand. ‚Sanft‘ (ἤπιος [ēpios]) oder ‚unmündig‘ (νήπιος [nēpios])? An dieser Stelle ist eine etwas ausführlichere textkritische Diskussion notwendig, da die zugrunde liegende griechische Vokabel für ‚sanft‘ nicht dem Textvorschlag von NA26–28 (νήπιος [nēpios], unmündig), sondern demjeni-

gen von NA25 (ἤπιος [ēpios]) folgt und hier zweifelsohne die wichtigste 127 F. Hahn, Apostel, 637. Als jüdischen Beleg sei auf mBer 5,5 verwiesen: „Wer beim Beten irrt, für den ist es ein böses Zeichen; geschieht es dem Vorbeter, so ist dies ein böses Zeichen für seine Aufträger, denn der Beauftragte des Menschen gleicht diesem selber“ (Übersetzung bBer 5,5 ed. L. Goldschmidt, kursiv fwr; vgl. F. Hahn, Theologie I, 606). – Vgl. hierzu auch M. Hengel; A.M. Schwemer, Geschichte I, 375, die meinen: „Vermutlich wird schon Jesus die ‚Boten‘ seine šelîh1în oder šelîh1îm (griechisch ἀπόστολοι) genannt haben“. 128 P.W. Barnett, Apostle, 45. 129 J.-A. Bühner, ἀπόστολος, 344f. 130 Das hier beschriebene Verhalten dürfte, trotz des Bezugs des Aposteltitels allein auf Paulus, auch die beiden Mitmissionare einbeziehen: Wie sollten sie sich anders verhalten haben als der Apostel?

98

Kommentar

textkritische Stelle des ganzen Briefes vorliegt.131 Es ist eindeutig, dass ἤπιος [ēpios] die schlechter bezeugte Textvariante ist: Außer der zweiten Korrektorengruppe des Codex Sinaiticus und der Ersthandschrift des Codex Alexandrinus belegen mehrere Majuskeln sowie der Mehrheitstext diese Lesart. Νήπιος [Νēpios] ist dagegen durch den aus dem 3. Jh. stammenden Papyrus 65,132 durch die ursprüngliche Handschrift des Codes Sinaiticus, sowie durch den Codex Vaticanus und weitere ursprüngliche Handschriften belegt (Ephraemi [C], Claromontanus [D] u.a.). Das durch die Handschriften besser bezeugte νήπιος [nēpios] ist auch von der Wortstatistik her im NT das bekanntere Wort: Im Corpus Paulinum ist es elfmal (im NT 15-mal) belegt, wohingegen ἤπιος [ēpios] im NT lediglich in 2Tim 2,24 vorkommt. Hier meint es die Freundlichkeit, die ein Kennzeichen eines Gemeindeleiters zu sein habe.133 Die besser bezeugte und die schwierigere Lesart ist also eindeutig ‚unmündig‘. Dennoch: Die verwendete Metapher der Mutter (V. 7c) legt es nahe, eher von ‚sanft‘ denn von ‚unmündig‘ als dem ursprünglichen Wortlaut auszugehen. Zudem passt ‚sanft‘ auch besser zum nur kurz darauf folgenden metaphorischen Gebrauch von ‚Vater‘. Paulus verwendet diese Metapher im Blick auf sein Verhältnis zu den Thessalonichern in 2,11, aber auch sonst, wenn er die Beziehung zu einer Gemeinde oder zu einer einzelnen Person beschreibt (1Kor 4,15; Phil 2,22). Im übrigen bezeichnet Paulus sonst nie sich (oder seine Mitarbeiter) als ‚unmündig‘; dort, wo er νήπιος [nēpios] gebraucht, hat es meist einen eher

negativen, abwertenden Sinn (vgl. Röm 2,20; 1Kor 3,1; 13,11 u.ö.) – hier liegt jedoch eindeutig eine positive Verwendung vor. Mehrere Kommentatoren sprechen sich denn auch für ἤπιος [ēpios] als die ursprüngliche Lesart aus: „νήπιοι paßt ganz einfach nicht in den Zusammenhang“.134

131 Vgl. A.J. Malherbe 145. 132 Der Papyrus 65 enthält zwar lediglich 1Thess 1,3-2,1.6-13, ist aber für 1Thess ein sehr gewichtiger Textzeuge. 133 Wobei an dieser Stelle von einigen Majuskeln (D*, F, G) νήπιον bezeugt wird. 134 E. v. Dobschütz 93, vgl. auch Ch.A. Wanamaker 100; vgl. weiter für diese aus inhaltlichen Gründen bevorzugte Lesart als die ursprüngliche z.B. E. Best 101; F.F. Bruce 29.31; T. Holtz 82f; A.J. Malherbe 145f und B.M. Metzger, Commentary, 630 sowie F. Blischke, Begründung, 46. Vgl. weiter I.H. Marshall 70: „There can, however, be little doubt that the less well-attested reading is correct; the rarer word was replaced by a more familiar one […], possibly by scribal accident“, sc. Dittografie von ν aus dem vorhergehenden ἐγενήθημεν. B.M. Metzger, Commentary, 629 und A.J. Malherbe 145 halten diesem Argument jedoch entgegen, es könne genauso gut der umgekehrte Fall – sc. Haplografie von ν – angenommen werden, was dann für νήπιος als die ursprüngliche Lesart spräche; dieses Argument ist also nicht stichhaltig. Für νήπιος sprechen sich z.B. J.E. Frame 100; B.R. Gaventa 27; P.-G. Müller 121.131; St. Schreiber 141f; R. Hoppe 151-153; E.R. Richards, Ministering in a Tough Place: Paul’s Pattern in Thessalonica, SJT 42, 1999, 17-38, 35f mit Anm. 68 und ausführlich J.A.D. Weima, „But We Became Infants Among you“, NTS 46, 2000, 547-564; ders. 180-187 aus.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

99

Wie bereits angesprochen, ist mit ἤπιος [ēpios] ein sanfter, milder, freundlicher Mensch gemeint. Das Adverb ἠπίως [ēpios] beschreibt 1Klem 23,1 Gott als denjenigen, der seine χάρις [charis] (Gunst, Gnade) ‚freundlich und wohlwollend‘ (ἠπίως τε καὶ προσηνῶς [ēpiōs te kai prosēnōs]) an Menschen weitergibt. „Die zwei Adverbien […] sind oft belegt in der griechischen Literatur (aber nicht in der Bibel und nur hier in der urchristlichen Literatur). Inhaltlich drücken beide die gleiche Haltung aus: mild, freundlich, mit Zuneigung.“135 Das Syntagma ἐν μέσῳ [en mesō] (in der Mitte) mit Personalpronomen ist im Corpus Paulinum nur hier belegt;136 vgl. zur Verbindung mit ἐκ [ek] und einem Personalpronomen in 1Kor 5,2; 2Kor 6,17, ἐκ μέσου [ek mesou] ohne Personalpronomen in 2Thess 2,7 (vgl. Kol 2,14) und das als Adverb dienende Neutrum137 μέσον [meson] in Phil 2,15: jeweils ist deutlich, dass die Mitte einer Gemeinschaft von Menschen gemeint ist. Die Erfahrung, dass Paulus (und seine Mitarbeiter) tatsächlich mitten in der Gemeinschaft der Gemeinde aufgenommen worden waren, kann Paulus bei den Thessalonichern voraussetzen. Τροφός [Trophos] bedeutet eigentlich Amme,138 an unserer Stelle ist jedoch die Bedeutung Mutter mitzuhören, was zum einen durch die Verwendung von πατήρ [ patēr] (Vater) in 2,11 naheliegt139 und zum andern durch die parallelen Konstruktionen in 2,7.11 τροφός / πατήρ + τέκνα [trophos / patēr + tekna] (Kinder) + Reflexivpronomen ἑαυτός [heautos] (seine eigenen). Der Gebrauch des Reflexivpronomens in Verbindung mit Kinder würde bei der eigentlichen Bedeutung von τροφός [trophos] (Amme) auch eine sachliche Ungenauigkeit darstellen;140 gemeint ist die „Hingabe der sich selbst dem Säugling darreichenden Ernährerin; diese Haltung ist die der ‚Amme‘. Solche Vorstellung verbindet sich wie selbstverständlich mit dem Gedanken an die Mutter, so wie für Paulus die Glieder seiner Gemeinde seine Kinder

135 H.E. Lona, 1Klem 288 – für Belege aus der griech. Literatur vgl. a.a.O., 288 Anm. 2. 136 Insgesamt ist die Vokabel μέσος im Corpus Paulinum im Verhältnis zum übrigen NT recht spärlich verwendet: Von 58 Belegen im NT finden sich sieben im Corpus Paulinum. 137 So WB6 1028 – anders HvS § 185a, der von einer uneigentlichen Präposition (mit Gen.) ausgeht. 138 Der Begriff ist nur hier im NT belegt, vgl. LXX Gen 35,8 (hierzu: TestNaph 9,1); 2Reg 11,2. 139 Vgl. hierzu T. Holtz 82f; ders., Background, 73f; P.-G. Müller 131. 140 Eine „Ungeschicklichkeit in der Ausdrucksweise“ konzediert denn auch T. Holtz 82f, die selbst dann vorliegt, wenn man berücksichtigt, dass die Genitivform des Reflexivpronomens schon im klassischen Griechisch das Possessivpronomen ersetzte (vgl. HvS § 140b).

100

Kommentar

sind“.141 In Gal 4,19 ist das Bild der Mutter zur Verhältnisbestimmung des Apostels gegenüber den galatischen Christen ganz offensichtlich.142 Paulus war gegenüber den Gemeindegliedern in Thessalonich also so sanft wie eine Mutter gegenüber ihren eigenen (neugeborenen) Kindern, da besonders der nährende und pflegende Aspekt hervorgehoben ist, der einer Amme zugesprochen wird.143 Die Verbindung zu neugeborenen Kindern entspricht auch der historischen Situation: Die Gemeinde ist erst wenige Monate alt. Schon Augustin verwies darauf, dass Paulus nach dieser Aussage beide Rollen (Amme und Mutter) gegenüber seiner Gemeinde eingenommen habe: „The apostle, however, full of genuine, juicy feelings of love, takes on the role both of nurse when he says ‚fondling‘ and of mother when he completes it with ‚her children‘“.144 Beverly R. Gaventa nennt in ihrem Kommentar drei Aspekte, die für Paulus beim Gebrauch maternaler Bilder besonders hervorstechen: 1. Die Kultivierung familialer Beziehungen in der Gemeinschaft der Christen: Glaubende gehören zur selben Familie. 2. Das Eingeständnis der eigenen Verletzlichkeit: Eine Mutter kann den Entwicklungsprozess ihrer Kinder nur sehr bedingt beeinflussen. 3. Autoritätsabgabe: In einer männlich dominierten Gesellschaft hat die Mutter nicht die Autorität, die der Vater hat.145

Durch die Verwendung dieser Metapher wird in jedem Fall mehr als deutlich beschrieben, dass das Ziel der Missionare nicht ihre eigene Ehre war, sondern ganz und gar das Wohl und Wachsen der Gemeinde im Zentrum ihres Handelns stand. Diese Interpretation stützt auch die Übersetzung von θάλπειν [thalpein] mit hegen und pflegen, das in Eph 5,29 als Parallelbegriff zu ἐκτρέφειν [ektrephein] (nähren) gebraucht ist.146 Deut 22,6 (LXX) beschreibt das Verb θάλπειν

141 T. Holtz 83 mit Verweis auf 1Thess 2,11; 1Kor 4,14; Gal 4,19 und Phlm 10; so auch P.G. Müller 131. Vgl. 1QH XV (VII),20-22: „Und du setztest mich zum Vater für die Söhne der Gnade 21und als Pfleger für die Männer des Zeichens. Sie öffneten den Mund wie ein Säug[ling …] und wie ein Kind sich ergötzt am Busen 22seiner Pfleger.“ Übersetzung nach E. Lohse, Texte, 141. Vgl. zu dieser Parallele aus den Hodayot H.-W. Kuhn, Bedeutung, 343. 142 Vgl. für diesen Verweis auch F.F. Bruce 31f. 143 Vgl. so auch I.H. Marshall 71. 144 Serm 23,3; Übersetzung nach P. Gorday [Hg.], ACCS.NT IX, 66. 145 B.R. Gaventa 33f. Ausführlicher zur Verwendung maternaler Vergleiche bei Paulus bei a.a.O., 31-34 unter Verweis auf Gal 4,19; Röm 8,22; 1Kor 3,1f. 146 Womit gleichzeitig der einzige weitere Beleg für θάλπειν im NT notiert ist.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

101

[thalpein] die brütende Vogelmutter, die ihre Brut wärmt, schützt und liebevoll umsorgt.147 8 Noch einmal wird durch so (οὕτως [houtōs]) das eben verwendete Bild der nährenden und liebenden Mutter aufgegriffen und auf ὡς ἐάν [hōs ean] (so wie wenn) formal zurückgegriffen; sachlich wird – durch den Einschub ὁμειρόμενοι ὑμῶν [homeiromeinoi hymōn] (eine liebevolle Gesinnung euch gegenüber hegend) – das Bild weiter entfaltet, wobei auf das finite Verb εὐδοκοῦμεν [eudokoumen] (wir hielten es für gut) hingeführt wird, das den Gedanken weiterführt: Die Missionare haben eine Haltung gegenüber den Thessalonichern, so wie eine Mutter gegenüber ihren eigenen, neugeborenen Kindern. Dies impliziert, dass sie gleichzeitig eine liebevolle Gesinnung ihnen gegenüber hatten und haben, bzw. dass sie Sehnsucht nach ihnen hatten und haben (Ptz. Präs.).148 Hieraus resultiert, dass sie es für gut hielten, an sich selbst Anteil zu geben. Das verwendete Imperfekt zeigt,149 dass es sich dabei um einen andauernden Prozess dieser Anteilgabe handelte, der auch bei der Abfassung des Briefes noch weiter gewirkt haben dürfte: Auch jetzt, da sich der Apostel (und seine Mitarbeiter) in Athen aufhalten, bleibt trotz der räumlichen Distanz die Anteilgabe vonseiten der Missionare noch aufrechterhalten. Dies zeigt sich durch die warmherzige Sprache, in welcher der Brief verfasst ist, aber auch dadurch, dass Paulus von Athen aus den Timotheus nach Thessalonich zurückgeschickt hatte (3,1-5), um sich nach dem dortigen Ergehen zu erkundigen, die Gemein147 Vgl. weiter Hiob 39,14 (LXX). 148 Ὁμείρεσθαι ist in der gesamten Gräzität äußerst selten belegt. Es ist im NT nur hier und auch in LXX nur einmal in Hiob 3,21 verwendet, vgl. aber auch Ps 62(63),2 (Symmachus). Die Übersetzung ‚eine liebevolle Gesinnung hegend‘ bleibt mit Unsicherheiten behaftet; vgl. zu den Belegen und zur Übersetzung WB6 1146 und z.B. A.J. Malherbe 147. – LXX.D übersetzt bei Hiob 3,21 ‚wünschen‘ und verweist auf ἱμείρεσθαι (vgl. auch v.l. zu 1Thess 1,8) als identische Vokabel für die Grundbedeutung (vgl. LXX.D Erläuterungen, II, 2075), was jedoch „etymologisch in ein Niemandsland und semantisch infolge des jeweiligen Kontextes in divergierende Richtungen [führt]“; so N. Baumert, Ὁμειρόμενοι in 1 Thess 2,8, Bib. 68, 1987, 552-563, 552. N. Baumert will a.a.O., 561 das Partizip mit „während wir von euch ferngehalten werden“ übersetzen – was aber kaum weiter rezipiert wurde (vgl. immerhin O. Merk, Study, 107f ). – Eine Interpretation des Begriffs, die das zuvor verwendete Bild der liebevollen und nährenden Mutter semantisch aufnimmt und sich auch gut in die folgende Aussage einfügt (μεταδοῦναι κτλ. [Anteil geben usw.]), scheint mir am plausibelsten zu sein. Vgl. auch G. Wohlenberg 52 Anm. 3: „Paulus hat einen Blick in die Kinderstube getan und mag von dort her ein zufällig nicht weiter nachweisbares, aber edles Kosewort entlehnt haben.“ 149 Die Verbform εὐδοκοῦμεν kann sowohl Präsens- als auch Imperfektform sein (vgl. HvS § 71 f ) – Letzteres dürfte hier vorliegen, vgl. die Aoristform, die mehrere Minuskeln belegen, und die ebenfalls belegte weitere Imperfektform ηὐδοκοῦμεν, die vom Codex Vaticanus bezeugt wird (hierzu G. Wohlenberg 52).

102

Kommentar

de zu stärken und doch gewiss auch, um dadurch die herzliche Verbundenheit mit der Gemeinde zu dokumentieren. Paulus verwendet εὐδοκεῖν [eudokein] mehrfach mit Personen als Subjekt (vgl. 3,1; 2Thess 2,12, aber auch Röm 15,26f; 2Kor 5,8; 12,10), womit jedoch jeweils kein theologischer Inhalt verbunden ist,150 sondern lediglich der nachdrückliche Wunsch und Wille des Subjekts zum Ausdruck gebracht wird.151 Wenn jemand einem anderen Anteil gibt an etwas, dann behält er selbst einen Anteil vom Ganzen für sich zurück. Hier bindet das Verb zwei Objekte: nicht nur das Evangelium Gottes, sondern auch das eigene Leben. Von beidem behielten die Missionare tatsächlich etwas für sich: die durch das Evangelium erhaltenen Segnungen, die sie selbst empfangen hatten und nicht als ihr Eigentum weitergaben, sie wollten ‚lediglich‘, dass auch die Thessalonicher an diesen Segnungen so Anteil bekämen wie sie selbst. Insofern diese Segnungen das Leben der Missionare betraf und ausmachte, waren sie bis zum äußersten willig, dies mit ihnen als Anteil an ihrem Leben zu teilen. Die Verkündigung der Missionare war also nicht lediglich eine unverbindliche ‚Rede‘ an die Menschen in Thessalonich, sondern implizierte die Hingabe ihrer selbst – ganz so, wie eine Mutter sich für ihre (neugeborenen) Kinder hingibt. Eine Opfervorstellung sollte mit μεταδοῦναι [metadounai] nicht in Verbindung gebracht werden,152 weil „nicht das Aufgeben des eigenen Lebens“ gemeint ist, sondern vielmehr die völlige Konzentration und Investition der ganzen Person in die Verkündigung des Evangeliums Gottes, deren „Übergabe in dem Sinne, daß [sie] ganz in den Dienst des anderen gestellt wird“.153 Dabei scheint es, als ob die eigene ψυχή [ psychē] (Leben) etwas Zusätzliches zum Evangelium sei, an dem Verkündiger Anteil geben würden. „Paulus lässt in unserem Satz [jedoch] zwei Dinge auseinandertreten, die eigentlich untrennbar sind; er hebt damit die persönliche Hingabe an das Evangelium überscharf hervor.“154 Ein weiteres Mal wird, ganz dem Kontext entsprechend, dabei hervorgehoben, dass es auf keinen Fall um die Person des Verkündigers geht, sondern lediglich um die Sache des Evangeliums – die freilich die ganze Per150 Vgl. S. Légasse, εὐδοκέω κτλ., EWNT2 II, 1992, 187-189, 188. Zum theologischen Gebrauch der Vokabel vgl. a.a.O., 188f. 151 So auch T. Holtz 83 mit Anm. 349 und J. Gillman, Proclaimer, 64f. 152 Etwa im Sinn von δοῦναι τὴν ψυχὴν αὐτοῦ Mk 10,45; vgl. hierfür E. Schweizer, ψυχή, ThWNT IX, 648: „Es ist wohl … an die Hingabe dessen, was das Leben ausmacht, also von Zeit, Kraft, Gesundheit (gedacht)“; so auch G. Friedrich 224. 153 Die Zitate alle bei Holtz 83. 154 T. Holtz 84.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

103

son in Beschlag nimmt.155 Im Hintergrund steht eher die Metaphorik der Liebe zwischen verliebten Menschen als die Metaphorik der sich (auf )opfernden Liebe, noch dazu etwa im Kontext eines Martyriums. Paulus gebraucht das Kompositum μεταδιδόναι [metadidonai] auch Röm 1,11 in einem Zusammenhang, der etwas von seiner Emotionalität erkennen lässt; Röm 1,11 ist es zusammen mit ἐπιποθεῖν [epipothein] (Sehnsucht haben) verwendet.156 Abgeschlossen wird der Satz durch den fast wie ein Anhängsel wirkenden kausalen Nebensatz weil ihr uns lieb geworden seid. Der Einsatz der ganzen Person erfolgt ja, weil dies der Sache des Evangeliums entspricht und ihm gemäß ist. Infolge ihres derartigen Einsatzes um der Sache des Evangeliums willen haben die Missionare die Thessalonicher ‚lieb gewonnen‘. Konsequenzen missionarischen Einsatzes können liebevolle Beziehungen sein. Der 1Thess ist dafür insgesamt ein beredtes Beispiel. Der Anschluss mit διότι [dioti] ist recht locker gestaltet.157 Die Anrede der Adressaten in Briefen mit ‚Geliebte‘ ist bei Paulus häufig (Röm 12,19; 1Kor 4,14; 10,14; Phil 2,12; 4,1 u.ö.) und ist eine Entsprechung zur Liebe Gottes an die Menschen – vgl. ‚von Gott Geliebte‘ (1Thess 1,4) –, von welcher der Apostel verkündigt. Hier dürfte jedoch zusätzlich eine darüberhinausgehende persönlichere Beziehung zu den Thessalonichern mit im Blick sein. 9 Die Thessalonicher an eigenes Wissen erinnernd (vgl. so schon 1,4; 2,1.2.5, vgl. weiter 2,10: ὑμεῖς μάρτυρες [hymeis martyres, ihr seid Zeugen]; 2,11 und auch 2Thess 2,5),158 setzt der Apostel seine Apologie mit autobiografischen Sequenzen159 fort. Das Partizip ist hier kaum imperativisch zu verstehen, sondern ist in Anlehnung an 2,5 – καθὼς οἴδατε [kathōs oidate] (wie ihr wisst) – indikativisch zu fassen.160 Der eingeschobene Vokativ Brüder ist der Herzlichkeit geschuldet, die den gesamten Abschnitt 2,1-12 durchzieht. Das ist mehr als eine konventionelle

155 Zur Bedeutung von ψυχή als Person bei Paulus und insbesondere an dieser Stelle vgl. R. Bultmann, Theologie, 205. 156 In Röm 12,8 (vgl. Eph 4,28) ist es in paränetischem Kontext ohne diese Nuance gebraucht. Vgl. zum Ganzen auch J. Gillman, Proclaimer. 157 Vgl. zum losen Satzanschluss mit διότι BDR § 456,1; HvS § 277 a. 158 Vgl. auch oben bei Anm. 34 (S. 81). 159 Vgl. hierzu O. Wischmeyer, Paulus, 95f. 160 Vgl. so auch E. v. Dobschütz 96; T. Holtz 85; A.J. Malherbe 148.

104

Kommentar

Anredeform für Mitglaubende.161 Man findet sie überaus häufig in der paulinischen Korrespondenz.162 Die folgenden Ausführungen in diesem Vers beschreiben die Arbeitspraxis des Paulus – d.h. der Plural ist hier (wie schon der Plural ἀπόστολοι [apostoloi] in 2,7) auf Paulus allein zu beziehen.163 Arbeit und Mühe, ‚Fleiß und Schweiß‘164 (vgl. 2Kor 11,27; 2Thess 3,8)165, fassen zusammen, was Paulus als Missionar und Apostel auf sich nimmt. Sowohl dieses Syntagma wie auch die Formulierung Nacht und Tag geben feste rhetorische Wendungen wieder (vgl. 3,10; 2Thess 3,8; 1Tim 5,5; 2Tim 1,3; Lk 2,37; Apg 20,31), die nicht in ihre Einzelteile aufgeteilt werden können, sondern als Ganzes betrachtet werden müssen: Mit der täglichen Evangeliumsverkündigung sind Arbeit und Mühe unabdingbar verbunden.166 Über die Art des Arbeitens wird nichts gesagt, weil es für den vorliegenden Zusammenhang auch von sehr untergeordneter Bedeutung ist. Gewiss darf man jedoch an die handwerkliche Tätigkeit des Paulus denken, von der in Apg 18,3 (σκηνοποιός [skēnopoios]) die Rede ist. Auch wenn bislang nicht ganz geklärt werden konnte, welche Arbeit genau mit dem griechischen Begriff zu verbinden ist, liegt der Gedanke an das Herstellen von Zelten oder von schattenspendenden Tüchern (aus Leder?) überaus nahe.167 Eine (handwerkliche) Tätigkeit des Paulus parallel zu seinem Verkündigungsdienst ist auch 1Kor 4,12 und Apg 20,34 erwähnt (vgl. 1Kor 9,1ff; 2Kor 11,7.9).168 Die zusätzliche Belastung durch das handwerkliche Arbeiten nahm Paulus deshalb auf sich, weil er nicht jemandem in der Gemeinde zur Last fallen wollte. Bereits oben bei der Auslegung zu 2,7 wurde auf die finanzielle Seite dieser ‚Last‘ verwiesen und die sprachliche Parallelität zu 2Thess 3,8 notiert. Später wird er auch gegenüber den Korinthern gleich mehrfach betonen, dass 161 Vgl. W. Bornemann 89: „Die Anrede ἀδελφοί ist hier wie ein Nachklang oder wie eine Wiederaufnahme oder wie ein zusammenfassendes Ergebnis des Satzes: διότι ἀγαπητοὶ ἡμῖν ἐγενήθητε.“ – Anders E. v. Dobschütz 96 Anm. 4. 162 Die Anrede ‚Brüder‘ ist in den beiden Thessalonicherbriefen dennoch insgesamt im Verhältnis zu anderen längeren Briefen relativ häufig verwendet; im 1Thess 19-mal und im 2Thess neunmal: 1Thess 1,4; 2,1.9.14.17; 3,2.7; 4,1.6.10 (zweimal), 4,13; 5,1.4.12.14.24.26.27; 2Thess 1,3; 2,1.13.15; 3,1.6 (zweimal), 3,13.15. 163 Vgl. O. Wischmeyer, Paulus, 95. 164 Vgl. für diese Wiedergabe der im Griechischen gleich klingenden Termini M. Dibelius 8f. 165 Μόχθος ist im NT nur an diesen drei Stellen belegt. 166 So z.B. auch G. Haufe 39. 167 Vgl. J.A. Fitzmyer, Apg 626; J. Jervell, Apg 458 und M. Hengel; R. Deines, Paulus, 100, bes. Anm. 114. 168 So z.B. auch R. Hoppe 157. – Vgl. zum „Unterhalt der Missionare“ den entsprechenden Exkurs bei D. Zeller, 1Kor 311-315.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

105

er ihnen in materieller Hinsicht nicht zur Last gefallen sei: 1Kor 9,15-18; 2Kor 11,9; 12,16169. Damit grenzt sich der Apostel offensichtlich von anderen ab, die sich ihren Aufenthalt von den Gemeinden oder von Einzelnen aus der Gemeinde vergüten ließen, und natürlich auch gegenüber entsprechenden Philosophen. Die Evangeliumsverkündigung sollte frei von jeglichen finanziellen Fragen erfolgen, womit die lautere Absicht des Apostels unterstrichen wurde. Als Pharisäer (Phil 3,5) und Schriftgelehrter (Gal 1,13f; Apg 22,3) stand Paulus zudem in der Tradition der jüdischen Gesetzeslehrer, die trotz ihrer Lehrtätigkeit für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen sollten und dies auch konnten.170 Die Motivation hierfür war also eine mehrfache: die eigene biografische Tradition des Paulus, die Gemeinden, die materiell nicht belastet werden sollten, und schließlich gewiss nicht zuletzt die finanzielle Unabhängigkeit des Verkündigers, die gleichzeitig die Integrität und die Lauterkeit seiner Absicht dokumentierte. Die Verkündigung des Evangelium Gottes erfolgte unter Einsatz aller Kräfte des Apostels (und seiner Mitarbeiter) und hatte allein das Ziel, die Thessalonicher für das Evangelium zu gewinnen und die Gemeinde zu stabilisieren. 10 Die Gemeinde und Gott werden nun erneut (vgl. 2,5) als Zeugen für den geradezu exemplarischen Lebenswandel des Paulus (und seiner Mitarbeiter) als Verkündiger der Evangeliums angerufen.171 Die drei Adverbien gottgefällig, gerecht und untadelig scheinen nur auf den ersten Blick etwas formelhaft.172 Statistisch fällt zunächst auf, dass das Adverb ‚gottgefällig, fromm‘ (ὁσίως [hosiōs]) im NT nur an dieser Stelle verwendet ist,173 ‚gerecht‘

169 In 2Kor 12,16 steht καταβαρεῖν, in 11,9 καταναρκᾶν; diese beiden Begriffe scheinen synonym verwendet worden zu sein: In 12,16 ist καταναρκᾶν v.l. für καταβαρεῖν. Gegenüber ἐπιβαρεῖν „(betonen) die Bildungen mit κατα- die Belastung wohl stärker“ (T. Holtz 86 Anm. 372). 170 Vgl. E. Schürer (Hg. G. Vermez), History, II, 328f. G.D. Fee 78 verweist auf mAv 2,2: „Schön ist das Torastudium mit weltlichem Tun verbunden, denn die auf beides verwandte Mühe lässt die Sünde in Vergessenheit geraten; aber das Tora(studium) ohne Lebenserwerb wird endlich zunichte und zieht Sünde nach sich. Alle, die sich im Dienste der Gemeinde abmühen, sollen dies um des Himmels willen tun, denn das Verdienst ihrer Väter steht ihnen bei und ihre Frömmigkeit besteht für ewig“; (Übersetzung L. Goldschmidt, Talmud IX, 667). 171 Vgl. hierzu bereits oben bei 2,5. Später wird er sich v.a. den Korinthern gegenüber als nachahmenswertes Vorbild vor Augen malen: 1Kor 4,14-21; (11,1), vgl. 1Thess 1,6 (und die Auslegung z.St.). 172 Formelhaften Gebrauch sieht z.B. M. Dibelius 9. 173 Das Adjektiv ὅσιος ist im Corpus Paulinum lediglich 1Tim 2,8; Tit 1,8 belegt. Ὅσιος (und Derivate) ist zwar Synonym zu ἅγιος, wird aber hier gerade nicht verwendet – doch wohl um hervorzuheben!

106

Kommentar

(δικαίως [dikaiōs]) lässt sich fünfmal im NT nachweisen174 und das Adverb ‚untadelig‘ (ἀμέμπτως [amemptōs]) ist außer hier im NT nur noch in 1Thess 5,23 belegt.175 Eine Verbindung der Adverbien ist im NT sonst nicht weiter nachweisbar,176 und auch in der Schriftengruppe der apostolischen Väter taucht sie so nicht auf.177 Es liegt daher nahe, an eine bewusst gewählte Verwendung dieser drei Worte zu denken.178 Zielt ‚gottgefällig‘ auf das vor Gott heilige und fromme Leben, so legt ‚gerecht‘ den Fokus auf das vor den Menschen ‚(ge-)rechte‘ Leben,179 das als solches von Gott gerechtfertigt ist. ‚Untadelig‘ schließlich kann, da es die Aspekte der beiden zuerst genannten Adverbien aufnehmen dürfte,180 auf den makellosen Lebenswandel der Missionare vor den Menschen bezogen werden, der freilich in der göttlichen Rechtfertigung gründet, aus ihr entspringt und Ziel des Lebenswandels der Glaubenden bis zur Parusie des Herrn ist: 5,23.181 Paulus erinnert also unter Anrufung Gottes und der Gemeinde mit diesen drei Adverbien an seinen gelungenen und vorbildlich gestalteten Gründungsaufenthalt. Der Dativ der Meinung bzw. des Urteils, für euch, unterstreicht, dass die Verkündiger in diesem – eben: gottgefälligen, gerechten und untadeligen – Licht in Thessalonich auftraten und sie gerade dadurch den Gemeindegliedern bekannt geworden und in Erinnerung sind.182 Schließlich spricht Paulus die Adressaten ausdrücklich mit die Glaubenden an. Mit Letzterem erinnert er daran, dass die Adressaten durch die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Lebenswandel des Paulus zum Glauben gekommen sind. Eine derartig dichte, wiederum fast beschwörende Formulierung lässt darauf schließen, dass in der Gemeinde die Verkündigung und insbesondere der Verkündiger (von einigen) in

174 Nämlich hier und Lk 23,41; 1Kor 15,34; Tit 2,12; 1Petr 2,23; das Adjektiv δίκαιος ist im Corpus Paulinum 17-mal verwendet (bei 79 Vorkommen im NT). 175 Aber auch v.l. bei 1Thess 3,13. – Für das Adjektiv ἄμεμπτος vgl. im Corpus Paulinum noch 1Thess 3,13; Phil 2,15; 3,6. 176 Die Adjektive kommen aber z.B. Tit 1,8; Offb 16,5 syntaktisch eng verbunden vor. 177 Vgl. immerhin 2Clem 5,6 (ὁσίως καὶ δικαίως) und 1Clem 44,4 (ἀμέμπτως καὶ ὁσίως); die Substantive sind im NT Lk 1,75; Eph 4,24, die Adjektive Tit 1,8 miteinander verbunden. 178 Auf das Verb γίνεσθαι bezogen beschreiben die Adverbien die Art und Weise, wie die Missionare sich bei ihrem Gründungsaufenthalt in Thessalonich verhalten hatten. 179 Vgl. E.v. Dobschütz 99: „das erste Paar [sc. ὁσίως καὶ δικαίως] ist in der griech.[ischen] Literatur sehr geläufig […], um das göttlichem und menschlichem Recht (fas et jus) entsprechende zu bezeichnen“. 180 Vgl. auch W. Grundmann, μέμφομαι κτλ., ThWNT IV, 1942, 576-578, 578: „ἄμεμπτος [kann] Ermahnungsmotiv und Erfassung des Lebenszieles zugleich sein“. 181 Vgl. auch 3,13 und die Auslegung dort. 182 Vgl. nochmals (wie schon oben Anm. 7, S. 72) G. Lünemann 56.

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

107

Misskredit gebracht worden sein könnte – und dies in der Gemeinde möglicherweise zu Unsicherheit geführt hat.183 11 Wurden gerade eben in V. 10 die Glaubenden noch als gesamte Gruppe in den Blick genommen – ὑμῖν τοῖς πιστεύουσιν [hymin tois pisteuousin] (euch, den Glaubenden) – so wird jetzt jeder Einzelne angesprochen.184 Geschuldet ist dieser Wechsel dem Bild der Vater-Kind-Beziehung, mit der Paulus sein Verhältnis zu jedem Einzelnen in der Gemeinde vergleicht:185 Auf jedes einzelne ‚Kind‘ wird in genau der Weise eingegangen, dass ihm möglichst mit seiner ganz eigenen Art entsprochen wird.186 Beverly R. Gaventa hat darauf aufmerksam gemacht, dass Paulus sehr gezielt maternale und paternale Bilder in seinen Briefen verwendet, die durchaus unterschiedliche Nuancen aufweisen.187 Maternale Bilder wie 2,7; Gal 4,19, Röm 8,22 oder 1Kor 3,1f rücken demnach eher die Pflege, das Mithelfen beim Aufwachsen der Gemeinde ins Zentrum. Paternale Bilder wie hier und 1Kor 4,15; Phlm 10 sind eher dann verwendet, wenn es um den Beginn des Glaubens bei einer Person oder Gruppe gehe.188 Fast schon redundant würde der erneute Hinweis wirken, dass die Adressaten auch über dieses Verhältnis Bescheid wissen,189 wenn die Wiederholung nicht die Brisanz und Dramatik des zugrunde liegenden Sachverhalts unterstreichen würde. 12 Die drei folgenden präsentischen Partizipien greifen formal auf die Trias der Adverbien aus V. 10 zurück, exemplifizieren wenigstens ansatzweise die individuelle Wahrnehmung der einzelnen Gemeindeglieder und sind semantisch eng miteinander verwandt, ohne bedeutungsgleich zu sein.190 Dass 183 Für einen konkreten Anlass in der Gemeinde, der zur Abfassung dieses Abschnittes geführt hat, sprechen sich nachdrücklich und mit überzeugenden Argumenten T. Holtz 92-95 und T.D. Still, Conflict, 126-130 aus. 184 Vgl. zum partitiven Genitiv HvS § 166c. Stilistisch bemerkenswert ist der Gebrauch von fünf aspirierten Vokalen an dieser Stelle ὡς ἕνα ἕκαστον ὑμῶν ὡς κτλ. (sodass [ich] einem jeden von euch wie usw.). Deutet auch dies auf Emotionalität hin? 185 Der Genitiv des Reflexivpronomens – seine (eigenen) (Kinder) – ersetzt bereits im klassischen Griechisch das Possessivpronomen (HvS § 140 b); vgl. schon oben Anm. 140 (S. 99). 186 Vgl. dazu unten bei V. 12. 187 B.R. Gaventa 31-34; vgl. auch schon oben Anm. 140 (S. 99). 188 Anders E. Best 105f, der vermerkt, dass die (stillende) Mutter eher zur „Geburts-“Situation einer Gemeinde passt, hingegen das Vaterbild eher zur fortgeschrittenen Situation einer bereits heranwachsenden Gemeinde. 189 Vgl. μνημονεύειν (erinnern, V. 9), ὑμεῖς μάρτυρες (ihr seid Zeugen, V. 10) und εἰδέναι (wissen, V. 1.2.5.11). 190 Anders aber E.v. Dobschütz 101, der zumindest die beiden ersten „ganz synonym“ fassen will.

108

Kommentar

für Paulus die individuelle Wahrnehmung des Einzelnen geradezu grundlegende Bedeutung hat und er alles zu tun bereit ist, um die Individualität der Menschen zu beachten, zeigt sich exemplarisch in 1Kor 9,20–22, ist aber z.B. auch aus 1Thess 5,14 ersichtlich: ‚weist (νουθετεῖν [nouthetein]) die Trägen zurecht, ermutigt (παραμυθεῖσθαι [ paramytheisthai]) die Kleinmütigen‘. Auch bei den hier verwendeten drei Partizipien zeigt sich dies, wobei das erste recht breite, eher allgemeine Bedeutung aufweist und sowohl ‚ermahnen, auffordern‘ als auch ‚ermuntern, trösten, gut zusprechen‘ bedeuten kann und von Paulus recht häufig – besonders in 1/2Thess191 und 2Kor192 – gebraucht wird.193 Die beiden folgenden Verben ‚ermutigen‘ und ‚beschwören‘, die den erstgenannten, breiteren Oberbegriff spezifizieren,194 sind weit weniger bei Paulus und überhaupt im NT belegt.195 Ersteres hebt dabei eher auf den ermutigenden, Letzteres eher auf den deutlich ermahnenden, fast beschwörenden Charakter der Paraklese ab.196 Ziel der Paraklese in ihren unterschiedlichen, individuell abgestimmten Formen ist es, die Gemeindeglieder in einem Gott würdigen Lebenswandel zu bestärken bzw. zu diesem zu motivieren.197 Περιπατεῖν [Peripatein] meint zunächst zwar bloß das Umhergehen, Wandern (so ganz überwiegend in den Evangelien), wird aber bei Paulus praktisch ausschließlich in ethischer Konnotation verwendet, nämlich hinsichtlich einer der Christusverkündigung und dem Glauben gemäßen Lebensgestaltung.198 Einzig ein Lebenswandel, der glaubensbasiert, der im Glauben gegründet ist, kann Gottes würdig199 sein. Der Horizont, von dem her dieser Lebenswandel motiviert sein soll, ist die Berufung der Einzelnen durch Gott zu Gottes Königreich und Herrlichkeit. Die Verbindung von Paraklese und Eschatologie

191 1Thess 2,12; 3,2.7; 4,1.10.18; 5,11.14 und 2Thess 2,17; 3,12. Das Substantiv παράκλησις ist zudem 1Thess 2,3; 2Thess 2,16 verwendet. 192 2Kor 1,4.6; 2,7.8; 5,20; 6,1; 7,6.7.13; 8,6; 9,5; 10,1; 12,8.18; 13,11. Hier auch auffällig oft das Substantiv παράκλησις: 1,3.4.5.6.7; 7,4.7.13; 8,4.17. 193 Vgl. hierzu J. Thomas, παρακαλέω κτλ., EWNT2 III, 1992, 54-64; zu 1Thess und 2Kor a.a.O., 60f. 194 So auch T. Holtz 90. 195 Παραμυθεῖσθαι nur in 1Thess 2,12; 5,14 und Joh 11,19.31. Μαρτυρείσθαι nur 1Thess 2,12 und Gal 5,3; Eph 4,17; Apg 20,26; 26,22. 196 So z.B. auch J.E. Frame 104. 197 So auch F. Blischke, Begründung, 48. Εἰς mit Inf. ist Objekt zu den Partizipien (so NSS II, 197), vgl. zur Konstruktion auch 2Thess 2,14. 198 So auch 1Thess 4,1.12; 2Thess 3,6.11; Röm 13,13; 1Kor 7,17 u.ö. 199 Vgl. zum Syntagma Kol 1,10: περιπατῆσαι ἀξίως τοῦ κυρίου (des Herrn würdig zu wandeln); Eph 4,1: ἀξίως περιπατῆσαι τῆς κλήσεως (der Berufung würdig zu wandeln); Phil 1,27: ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου πολιτεύεσθε (des Evangeliums würdig sein Leben zu führen).

Das vorbildliche Wirken und die herzliche Fürsorge der Missionare …

109

ist bei Paulus gängige theologische Argumentationsfigur 200 und hat eine doppelte Funktion: Zum einen sollen die in die Gottesherrschaft und zur Herrlichkeit Berufenen durch ihren Lebenswandel schon hier (die anderen) erkennen lassen, welchem Ziel sie entgegenhoffen, zum anderen sollen sie sich ihrem eigenen Stand gemäß, nämlich als von Gott Geliebte zur Gottesliebe Berufene, verhalten.201

IV Zusammenfassung Die Glaubwürdigkeit der Verkündigung des Evangeliums Gottes hängt zu einem nicht unwesentlichen Teil an der Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Authentizität derer, die verkündigen. Dies gilt insbesondere auch für die Nachhaltigkeit der Verkündigung. Paulus hebt in 2,1-12 jedenfalls nachdrücklich sein eigenes Verhalten und das seiner Mitmissionare während ihrer verhältnismäßig kurzen Gemeindegründungszeit in Thessalonich mit ebenso klaren (2,3-7a) wie herzlichen (2,7b.8) Worten hervor. Klar sind seine Worte, weil er sich damit von anderen Rhetoren oder Philosophen der damaligen Zeit deutlich distanziert,202 wobei besonders die Motivation für die Verkündigung in den Mittelpunkt gerückt wird. Diese ist ganz ausschließlich ‚gottzentriert‘: Gott gab ihnen den Mut zur Verkündigung des Evangeliums; er war es, von dem sie sich für würdig dazu befunden wissen; vor ihm verantworteten sie ihr Reden, weil er es ist, der ihre Herzen prüft und deshalb um die Lauterkeit ihres Tuns weiß (2,2-4). Herzlich sind seine Worte, weil sich Paulus mit der Gemeinde gleichzeitig in zwei Rollen verbunden weiß, nämlich wie eine Mutter (2,7f ) und wie ein Vater (2,11). Fürsorge und Zuneigung kann kaum umfassender beschrieben werden. Zwei ganz wesentliche Aspekte der Gemeindefürsorge liegen demnach in der herzlichen Verbundenheit mit den Menschen und in der lauteren Integrität derer, die verkündigen. Beides, die Verbundenheit zueinander wie auch die Integrität gewinnen sie dabei aus ihrer Existenz vor Gott. Anzumerken bleibt, dass die Frage nach der Finanzierung derer, die verkündigen, eine sensible Rolle für beide, die Gemeinde wie das Missionsteam spielten (2,9, evtl. auch 2,7a).

200 Vgl. ausführlich immer noch A. Grabner-Haider, Paraklese, besonders 79-98.134-153. 201 Vgl. zur Diskussion über präsentische oder futurische Bedeutung der beiden Termini βασιλεία und δόξα an dieser Stelle den Abriss bei O. Merk, Study, 109-111. 202 Vgl. für Einzelheiten dazu z.B. F. Thielman, Theology, 241f und oben bei der Auslegung.

110

Kommentar

Eschatologie und Ethik 2,13-16 I Übersetzung 13 Und deshalb danken wir auch1 Gott unablässig, denn nachdem ihr das gepredigte Wort Gottes2 von uns empfangen hattet, habt ihr es nicht als Wort(, das) von Menschen (ausgeht,) angenommen, sondern so wie es tatsächlich ist, als Wort(, das) von Gott (ausgeht), welches3 auch in euch, den Glaubenden, wirksam ist. 14 Ihr, (liebe) Brüder, seid nämlich Nachahmer der christlichen4 Gemeinden Gottes5, die in Judäa sind, geworden, denn ihr habt auch dasselbe von (euren) eigenen Landsleuten erlitten, so wie auch sie (sc. die Gemeinden in Judäa) von den Juden, 15 welche nämlich sowohl den Herrn Jesus töteten als auch6 die Propheten7 und (welche) uns (intensiv) verfolgten8 und Gott nicht zu Gefallen sind9 und allen Menschen gegenüber feindlich sind,10 16 denn sie hinderten uns (immer wieder)11 daran, zu den Heiden(völkern) zu reden, damit sie gerettet würden,

1 Das zweite καί ist hier eingesetzt, um das folgende Verb zu betonen (so auch 1Thess 3,5; Röm 13,6), vgl. hierzu NSS II, 197 und BDR 442,823. Zur syntaktisch sehr engen Verbindung von διὰ τοῦτο καί vgl. ebenfalls BDR 442,823. 2 Zum Bezug des gen. subiectivus τοῦ θεοῦ auf λόγος vgl. NSS II, 198; zur Übersetzung des gesamten Syntagmas WB6 59 s.voc. ἀκοή. 3 Zum Bezug des Relativpronomens auf λόγος vgl. NSS II, 198; die so deutenden Kommentatoren sind bei R. Hoppe 170 Anm. 30 aufgeführt, der selbst ebenfalls mit Bezug auf λόγος übersetzt. 4 Vgl. zu dieser Übersetzung von ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ Gal 1,22 und E.v. Dobschütz 109; J.E. Frame 109. 5 Gen. possessoris, vgl. E.v. Dobschütz 108; J.A.D. Weima 165. 6 Zur Übersetzung von καὶ … καί mit ‚sowohl … als auch‘ vgl. BDR § 444, zur vorliegenden Stelle St. Schreiber 160. 7 Ein Teil der Textüberlieferung, unter anderem auch der Mehrheitstext, ergänzt zuspitzend (τοὺς) ἰδίους (προφήτας): ‚(die) eigenen (Propheten)‘, was sowohl als Angleichung an 2,14, τῶν ἰδίων συμφυλετῶν (die eigenen Landsleute), verstanden werden kann, als auch als Spezifizierung: nicht die christlichen Propheten sind gemeint, sondern ‚ihre eigenen‘, nämlich die Propheten Israels. 8 Das Kompositum ἐκ-διώκειν ist Intensivum des Simplex διώκειν, für die Übersetzung vgl. auch WB6 481. 9 Das Ptz. Präs. ist aufgrund der Kontextlogik auch präsentisch wiederzugeben. 10 Der durch καί dem vorangehenden Gliedsatz beigeordnete nominale Gliedsatz wird vom Tempus dieses vorangehenden Gliedsatzes dominiert; in der deutschen Übersetzung ist die fehlende Kopula zu ergänzen, vgl. zu letzterem HvS § 256 d. 11 Der Durativstamm dürfte hier iterativ zu übersetzen sein.

Eschatologie und Ethik 2,13-16

111

mit der Folge, dass12 sie (sc. die Juden) das Maß ihrer Sünden stets voll machen13. Der Zorn ist aber schließlich14 über sie gekommen.15

II Struktur Hier (V. 13) wird mit καὶ διὰ τοῦτο [kai dia touto] (und deshalb) am Satzanfang ein neues Argument eingeführt,16 das seine logische Fortsetzung nicht nur durch das syntaktisch direkt folgende ὅτι [hoti] (denn) findet, sondern mindestens auf der semantischen Ebene auch durch γάρ [gar] (nämlich, V. 14). Formal (syntaktisch) unterstützt wird diese Argumentationsfigur durch das jeweils durch das Personalpronomen betonte Subjekt: καὶ ἡμε ς εὐχαριστοῦμεν … ὑμε ς γὰρ ἐγενήθητε [kai hēmeis eucharistoumen … hymeis gar egenēthēte] (danken wir auch … ihr nämlich seid geworden). Der Dank des Paulus (und seiner Mitarbeiter) erfolgt hier erneut (vgl. 1,2) zunächst, weil die Adressaten das von Menschen gepredigte Wort als das, was es tatsächlich ist, aufgenommen haben, nämlich als Gotteswort – vgl. ganz ähnlich auch schon 1,5. Aber genau deshalb – und nur deshalb – sind sie Nachahmer der verfolgten Gemeinden in Judäa geworden. Als Menschenwort hätte die Predigt niemals wirklich ‚wirksam‘ (ἐνεργεῖσθαι [energeisthai]) werden können, was durch den Relativsatz evident ist, der auf λόγος (θεοῦ) [logos (theou)] bezogen ist. Über die Aufnahme des Syntagmas εὐχαριστοῦμεν τῷ θεῷ [eucharistoumen tō theō] (wir danken Gott) und des Lexems ἀδιαλείπτως [adialeiptōs] (unablässig) aus 1,2 werden die Adressaten an den Eingangsdank des Briefes erinnert, auch wenn dort das Adverb ‚unablässig‘ nicht auf εὐχαριστεῖν [eucharistein] (danken), sondern auf das folgende μνημονεύειν [mnēmoneuein] (gedenken) bezogen ist: Der erinnernde Rückbezug auf 1,2 liegt aufgrund der Stichworte überaus nahe.17 Auch 2,14 weist durch das Syntagma μιμηταὶ ἐγενήθητε [mimētai egenēthēte] (ihr seid Nachahmer geworden) auf das Proömium (1,6) zurück; das dort verwendete θλῖψις (πολλή) [thlipsis (pollē)] 12 Zur möglichen konsekutiven Bedeutung von εἰς mit substantiviertem Infinitiv vgl. HvS § 226 a. 13 Zur Übersetzung vgl. WB6 118 s.voc. ἀναπληρόω. Vgl. zum Syntagma Gen 15,16 (LXX). 14 So NSS II, 198 und z.B. E.v. Dobschütz 115, der auf den adverbialen Charakter von εἰς τέλος hinweist und auf die Differenz zu εἰς τὸ τέλος, was der Übersetzung der Vulgata usque in finem (bis ans Ende) entsprechen würde, aufmerksam macht. 15 Zur Formulierung vgl. TestXII.Lev 6,11: ἔφθασε δὲ ἡ ὀργὴ κυρίου ἐπ᾽αὐτοὺς εἰς τέλος – jedoch der Zorn Gottes kam ganz und gar über sie (nämlich über die Bewohner Sichems); Übersetzung nach J. Becker, JSHRZ II/1, 51. 16 Vgl. z.B. E.v. Dobschütz 103; R. Hoppe 167. 17 So z.B. auch R. Hoppe 166.

112

Kommentar

([viel] Bedrängnis) wird darüber hinaus hier durch πάσχειν [ paschein] (leiden) usw. spezifiziert, ohne dass jedoch Details dieses Leidens beschrieben würden. Grammatikalisch ist 2,13 ein in sich geschlossener, durch ὅτι [hoti] und ὅς [hos] klar strukturierter mehrgliedriger Satz. Der zweite Satz des Abschnittes zieht sich von V. 14 bis V. 16 und ist deutlich komplexer angelegt: `Υμεῖς γὰρ μιμηταὶ ἐγενήθητε, ἀδελφοί, τῶν ἐκκλησιῶν τοῦ θεοῦ τῶν οὐσῶν ἐν τῇ Ἰουδαίᾳ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, ὅτι τὰ αὐτὰ ἐπάθετε κα ὑμε ς ὑπὸ τῶν ἰδίων συμφυλετῶν καθὼς κα αὐτο ὑπὸ τῶν Ἰουδαίων, τῶν κα τὸν κύριον ἀποκτεινάντων Ἰησοῦν κα τοὺς προφήτας κα ἡμᾶς ἐκδιωξάντων κα θεῷ μὴ ἀρεσκόντων κα πᾶσιν ἀνθρώποις ἐναντίων, κωλυόντων ἡμᾶς τοῖς ἔθνεσιν λαλῆσαι ἵνα σωθῶσιν, εἰς τὸ ἀναπληρῶσαι αὐτῶν τὰς ἁμαρτίας πάντοτε. ἔφθασεν δὲ ἐπ᾽ αὐτοὺς ἡ ὀργὴ εἰς τέλος. [Hymeis gar mimētai egenēthēte, adelphoi, tōn ekklēsiōn tou theou tōn ousōn en tē Ioudaia en Christō Iēsou, hoti ta auta epathete kai hymeis hypo tōn idiōn symphyletōn kathōs kai autoi hypo tōn Ioudaiōn, tōn kai ton kyrion apokteinantōn Iēsoun kai tous prophētas kai hēmas ekdiōxantōn kai theō mē areskontōn kai pasin anthrōpois enantiōn, kōlyontōn hēmas tois ethnesin lalēsai hina sōthōsin, eis to anaplērōsai autōn tas hamartias pantote. ephthasen de ep’ autous hē orgē eis telos.] Ihr, (liebe) Brüder, seid nämlich Nachahmer der christlichen Gemeinden Gottes, die in Judäa sind, geworden, denn ihr habt auch dasselbe von (euren) eigenen Landsleuten erlitten, so wie auch sie (sc. die Gemeinden in Judäa) von den Juden, welche

Eschatologie und Ethik 2,13-16

113

nämlich sowohl den Herrn Jesus töteten als auch die Propheten und (welche) uns (intensiv) verfolgten und Gott nicht zu Gefallen sind und allen Menschen gegenüber feindlich sind, denn sie hinderten uns (immer wieder) daran, zu den Heiden(völkern) zu reden, damit sie gerettet würden, mit der Folge, dass sie das Maß ihrer Sünden stets voll machen. Der Zorn ist aber schließlich über sie gekommen.

Syntaktisch ist das Ptz. Gen. pl. τῶν οὐσῶν [tōn ousōn] (diejenigen, die sind) Apposition zum vorhergehenden Gen. pl. τῶν ἐκκλεσιῶν [tōn ekklesiōn] (der Gemeinden). Mit ὅτι [hoti] (denn) wird ein adverbialer Nebensatz eingeleitet, der vom Hauptsatz ὑμεῖς γὰρ [hymeis gar] (ihr nämlich) usw. abhängig ist. Dieser Nebensatz wird näherhin durch zwei parallele Konstruktionen gegliedert: Και [Kai] mit Personalpronomen und ὑπὸ [hypo] mit Gen. Auf das letzte Satzglied dieses Nebensatzes (τῶν Ἰουδαίων [tōn Ioudaiōn], [von] den Juden) bezieht sich der durch den Artikel τῶν [tōn] mit Ptz. eingeleitete Relativsatz; dieser ist durch fünfmaligen Gebrauch der Partikel καί [kai] auffällig lang geraten. Evtl. lässt sich die Aufzählung folgendermaßen gliedern: Die ersten beiden Glieder (Jesus und die Propheten), weisen in eher allgemeiner Weise unter Aufnahme jüdisch-christlicher Motive auf die (abgeschlossene) Vergangenheit. Das mittlere Glied (ἡμᾶς [hēmas], uns) betrifft die konkrete jüngste Vergangenheit und die Gegenwart; mit ihm werden Motive aus der aktuellen Erfahrung der Protagonisten aufgerufen. Die beiden letzten Glieder (Gott und die Menschen) sind wieder allgemeine Aussagen, welche unter Aufnahme hellenistisch-paganer Motive18 die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Blick haben, etwa im Sinn von: Das war schon immer so, ist aktuell so gewesen und wird wohl auch so bleiben; das Ptz. Präs. mit durativem Aspekt könnte diese Hypothese stützen. Abgeschlossen wird das Satzgefüge durch einen dem Relativsatz untergeordneten adverbialen Nebensatz, eingeleitet durch ein adverbiales Partizip. Der Gen. pl. dieses Ptz. präs. (κωλυόντων [kōlountōn], die, die hindern) bezieht sich auf den als Relativpronomen verwendeten Artikel τῶν [tōn] zu Beginn von V. 15 zurück, wodurch ‚die Juden‘ aus V. 14fin als Subjekt des Nebensatzes identifiziert sind. Diesem adverbialen Nebensatz ist schließlich ein

18 Vgl. für Einzelheiten jeweils die Auslegungen unten z.St.

114

Kommentar

weiterer finaler Nebensatz subordiniert, der durch eine substantivierte Infinitivkonstruktion (εἰς τὸ … [eis to …], damit usw.) markiert wird. Der dritte Satz, der den Abschnitt 2,12-16 abschließt, ist formal ein kurzer Hauptsatz. Inhaltlich lässt sich der Abschnitt folgendermaßen gliedern: V. 13: (Erneuter) Dank für die Gemeinde V. 14: Das (gegenwärtige) Leiden der Gemeinde V. 15–16: Die (menschliche) Gefahr durch die Juden – und die (göttliche) Gefahr für die Juden

Die syntaktische Verflechtung von sich auf semantischer Ebene diametral gegenüberstehendem „(gegenwärtigem) Leiden der Gemeinde“ und „(menschlicher) Gefahr durch die Juden“ legt, ebenso wie die Verwendung von fünfmaligem καί [kai] in V. 15, nahe, dass Paulus an dieser Stelle mit einer gewissen Emotionalität schreibt. Hier Emotionalität zu vermuten, liegt auch deshalb nahe, weil der Kontext V. 13f.17–20 m.E. keinen zwingenden Sachgrund für die vorliegende antijüdische Polemik erkennen lässt: Sie kommt unerwartet, scheint fast eruptiver Natur zu sein.19 Zur textlichen Integrität des Abschnittes genügt inzwischen ein knapper Hinweis: Die textliche Integrität für den Abschnitt 2,13-16 wird nicht mehr wirklich infrage gestellt.20 Unter anderem zeigen die textlichen Verbindungen, die sich v.a. in 2,13f zu 1,2ff nachweisen ließen, dass sich der Abschnitt eher keiner Interpolation verdankt, sondern zum ursprünglichen Textbestand des 1Thess gehört. Weiteres wird die Auslegung im Einzelnen zeigen müssen.

III Einzelexegese 13 Die Eingangsformulierung

des Satzes und deshalb danken wir auch Gott unablässig ist im Wesentlichen schon aus 1,2 bekannt. Dort wurde bereits auf die parallele Verwendung von ἀδιαλείπτως [adialeiptōs] (unabläs19 M. Göttel-Leypold; J. Heinrich Demling, Persönlichkeitsstruktur, 132-142 zeigen, dass die Emotionalität des Paulus in seinen Briefen häufig deutlich erkennbar wird und durchaus hoch zu veranschlagen ist. 20 Vgl. nur U. Schnelle, Einleitung, 66; P. Pokorný; U. Heckel, Einleitung, 206; I. Broer, Einleitung, 313 mit den jeweiligen knappen Referaten zur Forschungsgeschichte. Ausführlicher dazu z.B. I. Broer, Zorn, 149-159; vgl. auch schon oben bei Anm. 78 (S. 25).

Eschatologie und Ethik 2,13-16

115

sig) und πάντοτε [ pantote] (allezeit) aufmerksam gemacht (für die Auslegung vgl. dort). Das Adverb unablässig wird im NT nur von Paulus verwendet; außer hier noch in 1,2; 5,17 und Röm 1,9.21 Διὰ τοῦτο [Dia touto] (deshalb) ist erklärungsbedürftig, weil nicht sofort ersichtlich ist, worauf verwiesen wird. Ein doppelter Verweis, nämlich sowohl auf das Voraufgehende als auch auf das Folgende, kann m.E. durchaus angenommen werden, da διὰ τοῦτο [dia touto] sowohl rückverweisenden Charakter hat (so meist im NT, vgl. z.B. Röm 1,26; 1Kor 4,17), in Verbindung mit einem Kausalsatz (hier: ὅτι [hoti]) aber auch auf das Vorausliegende verweisen kann.22 Gedankt wird daher also im Blick auf all das seither – besonders 2,1-12 – Gesagte, als auch dafür, dass die Thessalonicher das gepredigte Wort Gottes (λόγος ἀκοῆς … τοῦ θεοῦ [logos akoēs … tou theou]) eben tatsächlich als Wort Gottes und nicht als Wort, das nur von Menschen gesprochen worden ist, gehört und angenommen haben (vgl. dazu schon 1,5).23 Inhaltlich wird damit aber nicht nur auf 1,5 rekurriert, sondern auch auf 2,12fin: Die Thessalonicher haben dadurch dem sie ‚(be-) rufenden Gott‘ (ὁ θεὸς ὁ καλῶν ὑμᾶς [ho theos o kalōn hymas) [Gott, der euch beruft]) Folge geleistet – und tatsächlich ihn in den Worten der Missionare vernommen. Dies konnten sie allerdings nur, weil Gott in ihnen dies gewirkt hatte. Röm 10,16 liefert dafür die entsprechende Erklärung: Die Predigt (ἀκοή [akoē]), die den Glauben bewirkt, kommt aus der Predigt (ἀκοή [akoē]) des Wortes Christi!24 Eben dieses von Gott ausgehende Wort über und von Christus, ist in ihnen, den Glaubenden, wirksam – und nicht irgendein menschliches Wort oder eine menschliche Überlieferung. Die Wirksamkeit dieses Wortes war dabei nicht nur damals bei der Erstverkündigung und der daraus folgenden Konversion der Thessalonicher spürbar, sondern ist es auch gegenwärtig, wie der Durativstamm des Präsens ἐνεργεῖται [energeitai] zeigt: „the gospel … is an ongoing source of divine power in the lives of the Thessalonian

21 Vgl. für die zwei Belege des Adjektivs ἀδιάλειπτος Röm 9,2; 2Tim 1,3. 22 Vgl. HvS § 141 a und § 141 d, wo 1Tim 1,16 als Beleg angeführt wird (sc. § 141 d). Unter den Kommentaren, die einen Bezug zum Folgenden sehen, vgl. F.F. Bruce 44; Ch.A. Wanamaker 110, dezidiert so auch P. Ellingworth; E.A. Nida, Handbook, 37f. 23 Rückverweis auf das gesamte seither im Brief Gesagte nimmt z.B. R. Hoppe 168 an; G. Haufe 43; P.-G. Müller 141f und St. Schreiber 156 denken lediglich an einen Verweis auf 2,1-12, merken allerdings an, dass ein sachlicher Bezug zu 1,2.5 vorliegt; aus dem Englischsprachigen sei für rückverweisende Deutung auf J.A.D. Weima 161f verwiesen. Einen Bezug zurück und nach vorne wird von A.J. Malherbe 165f angenommen. 24 Zur Formulierung ὁ λόγος τῆς ἀκοής (das gepredigte Wort) vgl. Hebr 4,2; zu ἀκοὴς τῆς πίστεως (Predigt vom Glauben, evtl. auch: ‚gepredigter Glaube‘) vgl. Gal 3,2.5. – Bei Hebr 4,2 ist vorausgesetzt, dass das ‚gepredigte Wort‘ nicht zum Glauben führte, obwohl es gehört worden war.

116

Kommentar

Christians“.25 Der Satzabschluss mit einem substantivierten, erneut durativen Ptz. präs. πιστεύων [ pisteuōn] (glaubend), das die eigentlich ausreichende lokale Angabe ἐν ὑμῖν [en hymin] (in euch) ergänzt,26 zeigt erneut, dass dieses Wort Gottes als solches sich allein den Glaubenden erschließt und in ihnen wirksam ist. Παραλαμβάνειν [Paralambanein] (empfangen) ist (nicht nur) bei Paulus zum einen terminus technicus für überlieferte (christliche) Tradition (vgl. 1Kor 11,23; 15,3; Phil 4,9;27 1Thess 4,1, vgl. 2Thess 3,6),28 zum andern wird es für das Empfangen der Evangeliumsverkündigung gebraucht: 1Kor 15,1; Gal 1,9. Im vorliegenden Zusammenhang mit δέχεσθαι [dechesthai] dürfte παραλαμβάνειν [ paralambanein] also ‚lediglich‘ die technische Seite der Medaille meinen: Ihr habt von mir als Schüler empfangen bzw. gehört! Über die Konsequenzen des empfangenden Hörens ist damit noch nichts ausgesagt. Dies wird durch δέχεσθαι [dechesthai] spezifiziert: Die gehörte Predigt wird von den Hörenden interpretierend angeeignet.29 Sie nehmen dieses Wort als wahres Gotteswort an – diese Annahme oder Aneignung des Wortes, ist die Wirkung desselben. Gestützt wird diese Interpretation von δέχεσθαι [dechesthai] etwa durch 1Kor 2,14, wonach der ‚natürliche Mensch‘ (ψυχικὸς ἄνθρωπος [ psychikos anthrōpos]) nichts vom Geist Gottes vernehmen kann – Geistliches kann nur geistgewirkt vernommen werden (ὅτι πνευματικῶς ἀνακρίνεται [hoti pneumatikōs anakrinetai]); natürlich ist auch 1Thess 1,5 so zu lesen (vgl. 2Thess 2,10), wenn dort davon die Rede ist, dass das Wort u.a. auch mit ‚Kraft‘ (δύναμις [dynamis]) zu den Thessalonichern ‚gekommen ist‘.30 25 J.A.D. Weima 164. – Den Präsensstamm lediglich auf den Zeitpunkt der Konversion zu beziehen, wie St. Schreiber 157 will, scheint mir zu kurz zu greifen. Paulus weiß ganz offensichtlich vom gegenwärtigen vorbildlichen Glauben der Thessalonicher (vgl. 1,7); dies ist hier nicht zu unterschlagen. 26 Ἐνεργεῖσθαι mit ἐν und Personalpronomen ohne weitere Ergänzung z.B. 2Kor 4,12; Eph 3,20; Kol 1,29. 27 U.B. Müller, Phil 199; D. Häußer, Phil 303 weisen darauf hin, dass hier auf die christliche Tradition Bezug genommen wird. 28 Vgl. dazu besonders J.A.D. Weima 162. – Ausführlich mit zahlreicher weiterführender Literaturangaben zu παραλαμβάνειν als terminus technicus für die – zuverlässige – Weitergabe von überlieferter Tradition vgl. W. Schrage 1Kor VII/3, 29f, der u.a. auf bereits jüdisch vorgeprägte Begrifflichkeit verweist und dabei v.a. auf mAv 1,1 (bei Bill. III, 444) aufmerksam macht: „Mose empfing ‫ ִק ֵבּל‬die Tora (u. zwar sowohl die schriftliche als auch die mündliche) vom Sinai u. überlieferte ‫ וְּמָסָרהּ‬sie dem Josua“. 29 St. Schreiber 157 unterscheidet die beiden Verben mithilfe der Substantive ‚Überlieferung‘ und ‚Aneignung‘; vgl. ähnlich auch R. Hoppe 169, vgl. in dieser Richtung auch T. Holtz 98. 30 Vgl. Auch 2Kor 11,4 und Jak 1,21. Zu letzterer Stelle vgl. R. Metzner Jak 94f, der δέχεσθαι an dieser Stelle „mit ‚zustimmen, sich gefallen lassen, gutheißen‘“ (a.a.O., 95) übersetzt wissen möchte, was ganz „im Sinne einer zunehmenden Verinnerlichung der

Eschatologie und Ethik 2,13-16

117

14 Äußerlich zeigt sich die Aneignung des Wortes dadurch, dass die Thessalonicher im Leiden Nachahmer der judäischen Gemeinden geworden sind. Der Bezug zu 1,6 ist offensichtlich,31 ist doch auch dort vom Annehmen des Wortes in Verbindung mit ‚Nachahmung‘ und ‚viel Bedrängnis‘ die Rede, freilich mit der Ergänzung: ‚mit der Freude des Heiligen Geistes‘. Diese ist gewiss auch hier (2,14) mitzuhören, wird aber aufgrund der folgenden Aussagen (V. 15f ) wohl nicht erneut eigens angesprochen. V. 14 hat eine tröstende, stärkende Absicht: Im Leiden seid ihr nicht allein, auch andere Gemeinden erleiden Gleiches oder Ähnliches wie ihr. Auf das Leiden des Apostels (und seiner Mitarbeiter) wurde bereits 1,6 hingewiesen: Auch mit ihm (und seinen Mitarbeitern) sind die Thessalonicher im Leiden verbunden und also insofern auch darin seine Nachahmer.32 Beides (1,6 und 2,14) kann insofern gewiss auch „funktional […] als eine indirekte Mahnung“ verstanden werden: der Trost, nicht allein zu sein, stärkt, im Leiden durchzuhalten.33 Mit den Gemeinden Gottes greift Paulus eine Wortverbindung auf, die er in späteren Briefen noch häufiger verwenden wird34 (anders noch in 1,1; vgl. 2Thess 1,1): Die Gemeinden gehören Gott, sind sein Eigentum.35 Auch darin mag für die Thessalonicher in ihrer Situation ein Trost liegen, der Mut zum Durchhalten macht. Dass dabei eigens erwähnt wird, es seien die christlichen36 Gemeinden Gottes (αἱ ἐκκλησίαι τοῦ θεοῦ … ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ [hai ekklēsiai tou theou … en Christō Iēsou]), dürfte als funktionaler Pleonasmus zu interpretieren sein: „Im Pleonasmus macht sich das Streben nach Deutlichkeit geltend, da der Sprecher das, was ihn bewegt, hervorheben will“:37 Die Gemeinden sind Eigentum des Gottes, der sich in Jesus Christus offenbart hat.38 Dies ist deshalb nicht „merkwürdig“,39 weil Paulus dadurch den Thessalonichern gegenüber überdeutlich zeigt, dass ihr Ergehen ganz gewiss nicht

31 32 33 34 35 36 37 38

39

christlichen Botschaft“ verstanden werden kann (a.a.O., 95 Anm. 51 unter Aufnahme eines Zitats aus Th. Klein, Bewährung in Anfechtung. Der Jakobusbrief und der Erste Petrusbrief als christliche Diaspora-Briefe, NET 18, Tübingen 2011, 377). Vgl. dafür nur R. Hoppe 171. Vgl. zur weiteren Auslegung von ὑμεῖς γὰρ μιμηταὶ ἐγενήθητε bei 1,6. So mit Recht R. Hoppe 171. Für den Plural vgl. 1Kor 11,16; (vgl. 2Thess 1,4) häufiger ist der Singular ἐκκλησία τοῦ θεοῦ verwendet, vgl. 1Kor 1,2; 10,32; 11,22; 15,9; 2Kor 1,1; Gal 1,13 (vgl. 1Tim 3,5.15). Für diese possessorische Bedeutung vgl. bei der Übersetzung Anm. 5 (S. 110). Zu dieser Übersetzung vgl. oben Anm. 4 (S. 110). W. Bühlmann; K. Scherer, Stilfiguren, 36, vgl. zum Pleonasmus auch HvS § 294 x. Dass hiermit die christlichen Gemeinden in Judäa von den jüdischen Gemeinden dort unterschieden werden sollten (vgl. J.A.D. Weima 165f, der ebd. zahlreiche Vertreter dieser Position aufführt), ist kaum wahrscheinlich, „das ist […] in diesem Zusammenhang nicht das Thema“ (R. Hoppe 172). So T. Holtz 100.

118

Kommentar

in den Händen derer liegt, die ihnen die gegenwärtigen Leiden zufügen, sondern unverrückbar in den Händen Gottes, in Christus Jesus bleibt.40 Dass es hier zuerst um die christlichen Gemeinden, die in Judäa sind, geht, braucht nicht zu irritieren: Die Gemeinde in Thessalonich teilt ja mit den Gemeinden dort ihr Leiden (τὰ αὐτὰ ἐπάθετε [ta auta epathete]) – und damit doch wohl auch ihre Zugehörigkeit. Die geografische Ausdehnung von ‚Judäa‘ wird für diese Stelle unterschiedlich bestimmt: von der Provinz Judäa selbst, über Judäa, Samaria und Galiläa41 bis hin zum darüber noch hinausgehenden Gebiet von Idumäa und Peräa (das seit 44. n.Chr. zu Judäa gehörte)42 und gar des Hauran (bis nach Damaskus hin)43. Es wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen, welches Gebiet Paulus genau im Blick hatte, vor allem wenn man bedenkt, dass die politische Zugehörigkeit Judäas im Jahrzehnt vor Abfassung des 1Thess, also zwischen 40 und 50 n.Chr., mehrmals wechselte44 und dies bei den Thessalonichern im Einzelnen ohnehin kaum bekannt gewesen sein dürfte, Paulus dort also auch keine exakte geografische Vorstellung voraussetzen konnte. Sicher sind christliche Gemeinden in der Provinz Judäa und sehr wahrscheinlich auch noch darüber hinaus in den angrenzenden Gebieten gemeint. Vorausgesetzt werden kann, dass die Thessalonicher über das Ergehen der Gemeinden im so umschriebenen ‚Judäa‘ gehört hatten, wiederum: „ohne […] dass die mazedonischen Christen in allen Einzelheiten über die Situation judäischer Gemeinden informiert gewesen sein mussten“.45 Ihr, so kann Paulus daher schreiben, ohne Einzelheiten zu benennen, habt dasselbe von (euren) eigenen Landsleuten erlitten, so wie auch sie (sc. die Gemeinden in Judäa) von den Juden. Fraglich ist, wie der im NT nur hier vorkommende Begriff Landsleute (συμφυλέτης [symphyletēs]) zu verstehen ist. Da der Abschnitt 2,14-16 durch seine antijüdische Diktion besonders auffällt und dafür gerade dieser Terminus von besonderem Interesse ist, wird seine Interpretation im Folgenden ausführlicher diskutiert. Ist συμφυλέτης [symphyletēs], so die grundlegende Frage, im ethnischen Sinn zu interpretieren, oder ist eher mit lokaler Bedeutung zu rechnen? Liegt 40 Vgl. ähnlich 1,1: ἡ ἐκκλησία … ἐν θεῷ πατρὶ καὶ κυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ (die Gemeinde in Gott, dem Vater und dem Herrn, Jesus Christus), das in späteren Briefen häufig zu ἐκκλησία(ι) τοῦ θεοῦ (Gemeinde[n Gottes]) verkürzt ist, vgl. oben Anm. 34 (S. 117). 41 So z.B. J.A.D. Weima 165. 42 So R. Hoppe 172f. 43 So E.v. Dobschütz 109. 44 Vgl. z.B. D.W.J. Gill, Acts, 19-21 und die Artikel von R. Riesner, Judäa, GBL II, 1988, 735-736, 736 und W. Zwickel, Judäa, CBL I, 2003, 695-696. 45 R. Hoppe 173.

Eschatologie und Ethik 2,13-16

119

ethnische Bedeutung vor, wären die Verfolger der Gemeinde im heidnischen Personenkreis von Thessalonich zu suchen,46 also gänzlich außerhalb der Synagoge, da davon auszugehen ist, dass sich die christliche Gemeinde in Thessalonich ganz überwiegend aus ehemaligen Heiden zusammensetzte.47 Liegt lokale Bedeutung vor, sind die Juden von Thessalonich mindestens mit eingeschlossen.48 Nur wenn der letztere Fall zutreffen würde, würde sich 1Thess 2,14 zu der Aussage von Apg 17,5 fügen: Ζηλώσαντες δὲ οἱ Ἰουδαῖοι … ἐζήτουν αὐτοὺς προαγαγεῖν εἰς τὸν δῆμον [Zēlōsantes de hoi Ioudaioi … ezētoun autous proagagein eis ton dēmon] (nachdem aber die Juden sich ereifert hatten, … suchten sie sie, um sie vor das Volk49 zu zerren). Christoph v. Brocke hob bei seiner Diskussion einer ethnischen Interpretation des Terminus συμφυλέτης [symphyletēs] hervor, dass συμφυλέτης [symphy-

letēs] von der städtischen Organisationsform der Phylen her verstanden werden müsse. Vier solcher Phylen lassen sich für die Zeit des Paulus in Thessalonich nachweisen. Da Juden vor allem aus religiösen Gründen keiner dieser Phylen angehört haben konnten, sei es unmöglich, dass die Gegner der christlichen Gemeinde Juden gewesen waren. Konfliktpotenzial mit den ehemaligen συμ-φυλέται [sym-phyletai], also den ‚Mit-Phylen-Genossen‘, sei im kultischen Bereich jedoch genug vorhanden gewesen, was nicht zuletzt die Verfolgung der Juden durch die Heiden in der damaligen Zeit belegen würde.50 Diese These lässt sich freilich nur dann aufrechterhalten, wenn man der Apg, was die aktive Verfolgung der christlichen Gemeinde durch die Juden betrifft, jegliche historische Zuverlässigkeit abspricht, und die Erwähnung von οἱ Ἰουδαίοι [hoi Ioudaioi] (die Juden) 1Thess 2,14 ignoriert. Ersteres wird weder den Texten noch der historischen Wahrscheinlichkeit gerecht51 und Letzteres ist methodisch mindestens fragwürdig.

46 Dass sich diese Bevölkerung wiederum aus unterschiedlichen Volksgruppen zusammensetzte, darauf hat Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 86-101 hingewiesen. 47 Vgl. dazu F.W. Röcker, Belial, 239-241. 48 Die folgenden Überlegungen zum Terminus συμφυλέτης sind im Wesentlichen aus F.W. Röcker, Belial, 241-245 entnommen. 49 Das hier verwendete δῆμος meint die „Versammlung der stimmberechtigten Bürger“ der Stadt, nicht die Bevölkerung als Ganzes, so K. Haacker, Apg 290, vgl. ähnlich auch J. Jervell, Apg 434. 50 Vgl. hierzu Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 161-165. 51 Zum Verhältnis von Apg 17 und 1Thess vgl. bes. R. Riesner, Frühzeit, 325f. Riesner hat gezeigt, dass beide Quellen in ihren Aussagen weitestgehend übereinstimmen.

120

Kommentar

Die Bedeutung von συμφυλέται [symphyletai] ist im Zusammenhang der recht hart klingenden Äußerung des Paulus über ‚die Juden‘ im Kontext des Abschnitts 2,14-16 zu klären. Die Christen in Thessalonich hatten demnach von (ihren) eigenen Landsleuten dasselbe zu erleiden wie die Christen in Judäa von den Juden. Man könne, so wurde es schon vor Christoph v. Brocke mehrfach vertreten, den Begriff nur ethnisch interpretieren, da mit den Juden recht eindeutig die Juden als Volksgemeinschaft angesprochen sei. Gemeint seien hier also mazedonische Stammesgenossen der christlichen Gemeinde in Thessalonich, mithin Heiden; Juden seien durch diese Bezeichnung ausgeschlossen.52 Dies scheint mir jedoch unwahrscheinlich zu sein. Συμφυλέτης [Symphyletēs] ist am besten synonym zum einfachen φυλή [ phylē] zu fassen und kann daher nicht hinsichtlich der Blutsverwandtschaft im weitesten Sinne eingeschränkt werden, sondern muss lokal interpretiert werden. „Dem Wort φυλή [ phylē] (war) schon lange das Moment der blutsmäßigen Zusammengehörigkeit genommen“,53 mit ihm verband sich vielmehr „die Vorstellung von einem Wohnbezirk bzw. seiner Einwohner“.54 Die Juden von Thessalonich sind durch diesen Begriff also keineswegs ausgeschlossen. Im Übrigen lässt die Erwähnung der Juden in diesem polemischen Kontext durchaus darauf schließen, dass in Thessalonich Juden an der Verfolgung wenigstens mitbeteiligt gewesen sein müssen.55 Ian H. Marshall notiert dazu gar: „Nothing hinders the view […] that Paul’s choice of the word here can include fellow citizens who were Jews and that in the section as a whole he is thinking of the opposition towards himself incited by Jews“.56 Würde man συμφυλέτης [symphyletēs] ethnisch interpretieren, dann müsste wenigstens gefragt werden, welche Gründe es für die heidnische Bevölkerung gegeben haben könnte, die christliche Gemeinde nur wenige Wochen nach deren Gründung so massiv, wie es hier vorausgesetzt ist, zu verfolgen.57

52 Einen exklusiven Bezug auf Heiden sehen z.B. J.E. Frame 110; E. v. Dobschütz 109f; G. Haufe 45 Anm. 137; A.J. Malherbe, 168.172; R. Hoppe 173f. 53 T. Holtz 103. 54 Chr. Maurer, φυλή, ThWNT IX, 1973, 240-245, 241; für ein geografisches Verständnis von συμφυλέτης z.B. auch J.A.D. Weima 168. 55 So auch R. Riesner, Frühzeit, 312; St. Schreiber 158. 56 I.H. Marshall 79, in diesem Sinne auch D.M. Martin 89f; E. Reinmuth 129. H. Botermann, Heidenapostel, 83 Anm. 55 sieht als das „nächstliegende Verständnis“ der Stelle: „Ihr habt unter den Juden von Thessalonike genauso gelitten wie eure Brüder unter den Juden in Judäa.“ Sie sieht die Verfolgung also ganz von jüdischer Seite her veranlasst. 57 Ich gehe davon aus, dass der 1Thess ca. sechs Monate, nachdem Paulus Thessalonich verlassen hat, verfasst worden ist. Die bedrohliche Verfolgungssituation, von der Timotheus dem Paulus berichtet haben wird, muss schon einige Zeit angedauert haben.

Eschatologie und Ethik 2,13-16

121

Aus Philippi wissen wir, dass aus geschäftlichen Gründen (ἐξῆλθεν ἡ ἐλπὶς τῆς ἐργασίας αὐτῶν [exēlthen hē elpis tēs ergasias autōn [die Hoffnung ihres Verdienstes war dahin]) heidnische Bürger die christlichen Missionare bei den Stadtobersten als aufrührerische Juden (!) denunzierten, woraufhin sich sowohl die Juden wie auch die städtische Bevölkerung gegen sie wandten (Apg 16,19-22). Die gleichen Gründe standen beim Demetriusaufstand in Ephesus im Vordergrund (Apg 19,23–29, vgl.: οὐκ ὀλίγην ἐργασίαν [ouk oligēn ergasian [keinen geringen Verdienst], 19,24). In ihren frühesten Anfängen dürften die christlichen Gemeinden von heidnischer Seite aber kaum über die hier beschriebenen Gründe hinaus unter Verfolgung gelitten haben. Die Reaktion des Gallio in Korinth auf die jüdischen Anklagen gegen die Christen war wohl für die Obrigkeit dieser Zeit typisch: Man betrachtete das Christentum als innerjüdisches Problem (Apg 18,14-17). Das Judentum sollte und konnte sich als religio legitima selbst darum kümmern. Die breite Masse des Volkes dürfte kaum anders geurteilt haben. Aus Thessalonich ist uns jedenfalls kein Grund bekannt, der Anlass zur Verfolgung der Christen durch die Heiden gegeben hätte. Die Apg berichtet hingegen, dass es immer wieder die jüdischen Gemeinden (5,17f; 8,1; 13,45.50; 14,2.5.19; 17,5.13; 18,12; 21,27f ) waren, welche teilweise unter Berufung auf die ‚Dekrete des Kaisers‘ (Apg 17,7) den gerade entstandenen christlichen Gemeinschaften Schwierigkeiten bereiteten. Einer der Gründe dafür war der Neid über den Zulauf, den Paulus durch seine Predigten erzielte (Apg 13,45 vgl. 5,17f; 17,4f, auch 14,1f ), ein anderer die Lehre (Apg 5,28; 6,11-14; 19,8f ), weshalb die römische Obrigkeit aber nicht einzuschreiten gewillt war (Apg 18,13-17). Beides sind durchaus nachvollziehbare Gründe, die auf die erwähnten Orte je für sich auch zutreffen können. Sie müssen nicht den theologischen Motiven des Lukas zugeschrieben werden,58 können vielmehr gerade im Blick auf die Missionsreisen59 wenigstens als historisch wahrscheinliche Reminiszenzen betrachtet werden. Für Thessalonich ist jedenfalls der Neid der jüdischen Gemeinde auf den Missionserfolg der Missionare in ihrer Stadt ausdrücklich als Grund für die Verfolgung genannt (Apg 17,4f ). Waren es also die (gebürtigen) Juden60 in Thessalonich, welche diejenigen 58 So aber Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 153f. 59 Für die historische Zuverlässigkeit der Angaben zur Missionspraxis des Paulus in der Apg spricht sich z.B. D. Sänger, Heiden, 154 aus. 60 St. Schreiber 159 weist mit Recht darauf hin, dass aufgrund des Kontextes 2,14-16 Ἰουδαίοι mit ‚Juden‘ als sozio-religiösem Begriff zu übersetzen ist und nicht die auch mögliche Übersetzung mit ‚Judäer‘ zu wählen ist, die lokale Zugehörigkeit anzeigen würde.

122

Kommentar

der Gottesfürchtigen und Sympathisanten unter ihnen, die sich nicht der christlichen Lehre angeschlossen hatten, zur Verfolgung der jungen christlichen Gemeinde mit motivieren konnten? So jedenfalls wird es Apg 13,50 dargestellt, wenn davon die Rede ist, dass ‚die Juden die gottesfürchtigen (σεβομένη [sebomenē]) und angesehenen Frauen (gegen Paulus und Barnabas) aufhetzten‘ und es zu einer Verfolgung (διωγμός [diōgmos]) kam (vgl. Apg 14,2). Traf die Christen die Verfolgung durch ihre eigenen Landsleute, also durch die ‚Gottesfürchtigen und Sympathisanten‘, die sog. ‚Heiden‘ härter als diejenige durch die (gebürtigen) Juden, weil sie es von jenen am wenigsten erwartet hätten? Waren also beide Gruppen, die Juden und die im Judentum nach wie vor als Heiden betrachteten Gottesfürchtigen, Verursacher der ‚Bedrängnisse‘ (vgl. 1Thess 1,6; 3,3.7) der Thessalonicher? Die Texte weisen m.E. in diese Richtung. Im Übrigen bleibt V. 14 noch auf der Ebene der Schilderung von erst kürzlich geschehenen Ereignissen, von denen Timotheus berichtet haben dürfte und von denen Paulus selbst noch lebhafte Anschauungen durch seine erzwungene Abreise aus Thessalonich gehabt hatte. Die Verfolgungen durch ‚die eigenen Landsleute‘ in Thessalonich werden verglichen mit Verfolgungen der christlichen Gemeinden in Judäa und Umgebung durch die Juden. Es ist nicht einfach festzustellen, auf welche(s) Ereignis(se) hier rekurriert ist. Markus Bockmuehl hat darauf hingewiesen, dass gewiss nicht allein, aber zusammen mit anderen Hinweisen, aufgrund einer Notiz in der Chronik des Johannes Malalas von Antiochien (gest. nach 570 n.Chr.) in den Jahren 48/49 n.Chr.,61 also erst relativ kurz vor der Abfassung des 1Thess, Christenverfolgungen in Judäa durch die Juden mit hoher Wahrscheinlichkeit stattgefunden haben könnten.62 Jedenfalls passe diese Notiz auch zu den turbulenten Ereignissen in Judäa unter den Regentschaften der Prokonsuln Tiberius Julius Alexander (46–48 n.Chr.) und Ventidius Cumanus (48–52 n.Chr.). Unter diesen beiden Prokonsuln versuchten militante jüdische Kräfte nichtjüdische Bräuche aufzuheben und entsprechende Einrichtungen

61 Joh. Malalas, Χρονογραφία X, 247, wo davon die Rede ist, dass „im achten Jahr der Regentschaft des Kaisers Claudius die Juden eine große Verfolgung gegen die Apostel und ihre Jünger unternahmen“ (τῷ δὲ ὀγδόῳ ἔτει τῆς βασιλείας τοῦ Κλαυδίου Καίσαρος διωγμὸν μέγαν ἐποίησαν οἱ Ἰουδαοῖοι κατὰ τῶν ἀποστόλων καὶ τῶν μαθητῶν αὐτῶν); Text nach M. Bockmuehl, Church, 23 Anm. 83; eigene Übersetzung. 62 Vgl. M. Bockmuehl, Church, 22-24 und auch R. Riesner, Frühzeit, 175.312f. Vgl. weiter M. Hengel; A.M. Schwemer, Urgemeinde, 428f, die a.a.O., 428 zwar darauf hinweisen, dass es unklar sei, „welche Verfolgungen Paulus konkret meint“, fahren aber fort: „Aber sie müssen schwerwiegend gewesen sein und sich auch öfter wiederholt haben, sonst hätte Paulus nicht mit einer so scharfen Invektive reagiert.“

Eschatologie und Ethik 2,13-16

123

im Land zu zerstören;63 es darf angenommen werden, dass dabei auch die Messiasgläubigen unter den Juden betroffen waren.64 Mit V. 15 läuft die Rhetorik des komplexen Satzgebildes V. 14–16 auf eine Klimax zu: die Beschreibung von Ereignissen in Thessalonich wird dadurch gesteigert, dass von der Verfolgung der Gemeinde auf die Tötung sowohl des Herrn Jesus als auch der Propheten extrapoliert wird. Der Fokus liegt jedoch nicht im Vergleich des Geschicks der Gemeinde mit dem Geschick Jesu und der Propheten,65 sondern vielmehr auf der sich steigernden Anklage gegen ‚die Juden‘: Sie verfolgen66 die Gemeinde, sie töteten sowohl den Herrn Jesus als auch die Propheten. Direkt daran anschließend wird die Verfolgung der Missionare ergänzt, καὶ ἡμᾶς ἐκδιώξαντοι [kai hēmas ekdiōxantoi] (sie verfolgten auch uns), was dann in V. 16 ‚theologisch‘ spezifiziert wird: Sie behindern uns, zu den Heiden zu reden, damit diese gerettet würden. Die Missionare werden also in eine Verbindung mit den Propheten gebracht. Der nur noch durch den Schlusssatz in V. 16 überbotene Höhepunkt – oder sollte besser ‚Abgrund‘ gesagt werden? – der Anklage ist schließlich das durchweg negativ und präsentisch67 beschriebene Verhältnis ‚der Juden‘ zu Gott und den Menschen. So wie hier spricht Paulus später nochmals in 2Kor 11,24 von ‚den Juden‘ in unspezifischer und undifferenzierter Verallgemeinerung.68 Es ist ja offensichtlich, dass nicht alle damaligen ‚Juden‘ das Werk der Missionare aufgehalten oder sie verfolgt haben können, und ebenso wenig haben ‚alle Juden‘ den Paulus mit der synagogalen Prügelstrafe von 39 Schlägen (2Kor 11,24) belegt. Gewiss nicht zuletzt muss bedacht werden, dass Jesus und Paulus ebenfalls ‚Juden‘ waren – und ihrer Herkunft nach auch geblieben sind (vgl. Röm 11,1; Phil 3,5). Das Kriterium, mit dem die Gruppe der hier gemeinten ‚Juden‘ identifiziert werden kann, ist also das der aktiven Verfolgung jener, die zum christlichen Glauben, zum Glauben an den einen wahren Gott, der sich in seinem Christus offenbarte, konvertierten (vgl. 1Thess 1,9f ),69 die damit zudem die Missionare daran hindern (κωλύειν [kōlyein]), das Evangelium zu den

63 Josephus, Ant. XX 105f (= 5,1-4). – J.A. Bengel, Gnomon z.St. (II/1, 424) verwies schon 1742 hier auf die Regentschaft des Cummanus. 64 Vgl. M. Bockmuehl, Church, 25-27 und besonders J.A.D. Weima 167. 65 Das ist der Fall in Mt 5,12; Joh 15,20. 66 Für die erzählte Ebene ist hier Präsens zu wählen: Aktuell z.Zt. der Abfassung des Briefes gilt dies. 67 Ἀρεσκόντων ist Ptz. Präs., vgl. für Weiteres die Hinweise oben Anm. 9 und 10 (S. 110), vgl. auch das Ptz. Präs. κωλυόντων in V. 16 und dazu gleich z.St. 68 Vgl. zum Folgenden T. Holtz 103f. 69 So auch J.A.D. Weima 168.

124

Kommentar

Heiden ‚zu reden‘ (λαλῆσαι [lalēsai], V. 16).70 Damit aber wandten sich diese gegen den Gott, der sie als sein Volk erwählt hatte.71 Zudem muss in Betracht gezogen werden, dass Paulus mit seiner Absicht, die Heiden von ‚den (toten) Götterbildern‘ zum ‚lebendigen und wahren Gott‘ (1Thess 1,9) ‚zu retten‘, in völligem Einklang mit der jüdischen Theologie stand (vgl. Weish 13–1572). Die scharfe Polemik des Paulus ist also Religionspolemik gegen eine Gruppe aus den ‚Juden‘, die aus dem Unverständnis des Paulus erwachsen ist, dass gerade zahlreiche Menschen von jenen, denen ihrer Religion nach der wahre Gott bekannt ist, sich gegen diesen Gott, seinen Messias – und seine Gesandten – stellen. Insofern liegt aber eine gedankliche Nähe zu Röm 11 vor, wenn auch absolut deutlich ist, dass Röm 11 eine ganz andere Argumentationsweise und Zielrichtung vorliegt und Paulus dort den keineswegs veränderten Sachverhalt ganz anders interpretiert. Wenn mit den ‚eigenen Landsleuten‘, wie hier angenommen wird, vor allem die zum Judentum konvertierten ehemaligen Heiden gemeint sind, die sie auch nach der Konversion de iure immer noch geblieben sind, dann ist eine Einschränkung des Begriffs Ἰουδαίοι [Ioudaioi] auf (alle) gebürtigen Juden ohnehin unsinnig, gemeint sind dann nämlich im vorliegenden Fall diejenigen zum Judentum konvertierten ehemaligen Heiden, die die Missionare verfolgen und an der Ausübung ihres Verkündigungsauftrags hindern – die von Paulus hier jedoch verständlicherweise als ‚Juden‘ bezeichnet werden. Es darf, wie schon erwähnt, allerdings als sehr wahrscheinlich gelten, dass in Thessalonich tatsächlich auch gebürtige Juden mit zu den Widersachern der Missionare zu zählen sind. Indem Paulus 1Thess 2,15 auf die Tötung der Propheten durch ‚die Juden‘ verweist, womit eben nicht urchristliche Propheten,73 sondern die Propheten Israels gemeint sind,74 greift er auf eine theologisch konnotierte Form der Kritik an der jüdischen Frömmigkeit zurück, die bereits im AT ihren Anfang nimmt (1Kön 19,10 [Röm 11,2]; 2Chr 24,19; 36,14-16; Neh 9,26; Jer 26,8.20–23 vgl. auch Jub 1,12; MartJes 3,11-14) und von der die Vitae Pro-

70 So St. Schreiber 161; in diesem Sinn auch B. Witherington 85. 71 Dieser Gedanke wird zwar 1Thess nirgends expressis verbis ausgeführt, muss aber bei dem theologisch hochgebildeten einstigen Pharisäer und ‚Eiferer für die Überlieferungen [seiner Väter]‘ (vgl. Gal 1,13f; Phil 3,5f; Apg 22,3; 26,4) vorausgesetzt werden; vgl. zur theologischen Bildung des Paulus in Jerusalem die Hinweise oben bei Anm. 63 (S. 22). 72 Vgl. hierzu H. Hübner, Weish, 164f und die Auslegung des umfänglichen Abschnitts a.a.O., 166-188. 73 So aber G.D. Fee 97f, der meint, dass Personen wie Stephanus (Apg 7,58f ) und Jakobus (wohl der Zebedaide, Apg 12,1f ) gemeint sein dürften. 74 So mit St. Schreiber 159.

Eschatologie und Ethik 2,13-16

125

phetarum75 ein sprechendes Beispiel sind.76 Im NT wird diese Art der Kritik ebenfalls aufgenommen: Mt 5,12; 23,29-37; Lk 6,23; 11,49; Apg 7,52. ‚Die Juden‘, so Paulus weiter, sind Gott nicht zu Gefallen und allen Menschen gegenüber feindlich. „Mit Asebie und Misanthropie werden zwei zentrale Stereotype aus dem Arsenal hellenistischer Judenpolemik bemüht“.77 Einer der bekannteren Belege hierfür stammt aus den Historien des Tacitus: In den Kreisen der Juden [herrschen] unerschütterlich treuer Zusammenhalt und hilfsbereites Mitleid, während allen anderen Menschen gegenüber feindseliger Hass hervortritt (adversus omnes alios hostile odium). […] [D]en Proselyten [wird] zu allererst das Gebot beigebracht, die Götter zu verachten (contemnere deos).78

Diese hellenistischen Vorwürfe gegen ‚die Juden‘ „[erhalten] unter der Voraussetzung der Verhinderung der Heidenmission […] (die die Verfasser ansonsten wohl als Juden selbst zurückweisen würden) plötzlich ‚Berechtigung‘. […] Dies ist ein gewagtes rhetorisches Vorgehen, das bei späterem unkritischen Nachsprechen gefährliche antijüdische Haltungen freisetzen konnte.“79 So treffend dies hier durch Stefan Schreiber formuliert ist und so eindeutig dies insgesamt für die Misanthropie gilt, muss doch darauf verwiesen werden, dass die Wendung ‚Gott gefallen‘ und ‚Gottlosigkeit‘ „nicht wirklich vergleichbar [sind]“.80 Für Paulus hat der Hinweis auf Gottes Missfallen jedenfalls mehr als ‚stereotype‘ Bedeutung. Für ihn zeichnet sich Christsein in einem Gott wohlgefälligen Lebensstil aus (1Thess 2,4; 4,1), den Paulus für sich selbst beansprucht (Gal 1,10, vgl. 2Kor 5,9 [εὐάρεστος [euarestos]) und den Christus selbst vorgelebt hatte (Röm 15,3). Es geht in 2,15 also eher um Ethik,

75 Die Schrift fußt auf Traditionen, die im 1. Jh. n.Chr. und evtl. noch weiter zurück zu suchen sind; eine Abfassung im 1. Jh. n.Chr. in Palästina ist sehr wahrscheinlich. Übersetzung mit umfänglichen Anmerkungen bei A.M. Schwemer, Vitae Prophetarum; vgl. zur Datierung a.a.O., 547f. 76 Vgl. zu dieser Thematik noch immer O.H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, WMANT 23, Neukirchen-Vluyn 1967. 77 St. Schreiber 154, vgl. a.a.O., 161. 78 Tacitus, Hist. V 5,1f; Übersetzung nach NW II/1, 777, vgl. für weitere Belege in deutscher Übersetzung a.a.O., 775-777; vgl. darüber hinaus auch Est 3,13 d-e (LXX; = B 45); 3Makk 3,3-7. Die Belege sind in den Originalsprachen leicht zugänglich bei M. Dibelius 34-36. 79 St. Schreiber 161. 80 T. Holtz 105 Anm. 490. So auch R. Hoppe 177 Anm. 62: „Asebie ist etwas anderes als Gott nicht zu gefallen.“

126

Kommentar

den angemessenen christlichen Lebenswandel, als um Atheismus. Dies wird besonders durch 1Thess 4,1 deutlich, womit ein langer Abschnitt geradezu unter die Überschrift des gottgefälligen Lebenswandels gestellt wird (4,112). Konkret dürfte mit dem ‚Missfallen‘ hier das ‚(Be-)Hindern der Rede zu den Heiden‘ gemeint sein.81 Der Vorwurf der Misanthropie kann dagegen tatsächlich, wie eben erwähnt und belegt, breit in der paganen Literatur nachgewiesen werden. Paulus dürfte hier jedoch aus theologischen Gründen auf ihn zurückgreifen, weil er den Vorwurf, ‚die Juden‘ würden Gott missfallen, nicht ohne den Gedanken denken kann, damit müsse gleichzeitig eine Gegnerschaft zu den Menschen als Geschöpfen Gottes impliziert sein. Diese Gegnerschaft zu den Geschöpfen Gottes erweist sich für Paulus darin, dass ‚die Juden‘ es ihnen verwehren, durch das ‚Reden der Missionare zu den Heiden gerettet zu werden‘. Damit liegt freilich eine völlig andere Begründung des Vorwurfs der Misanthropie vor, als er in der paganen Literatur gefunden werden kann, wo dieser häufig mit der Absonderung der Juden von der übrigen Gesellschaft in Verbindung gebracht wird.82 Diese Begründung dürfte aber für Paulus kaum eine Rolle für die Aufnahme des Motivs gespielt haben. Paulus eröffnet mit seiner Aufzählung den Blick auf eine lange Tradition von Verfolgungen, die den recht Glaubenden widerfahren ist: den atl. Propheten, Jesus, der ältesten christlichen Gemeinde in Judäa (und Umgebung), Paulus und seinen Mitarbeitern und schließlich ihnen, den Thessalonichern.83 Sie, die Thessalonicher, sollen sich demnach in dieser langen Tradition stehen sehen, was ihnen zur Ehre und zum Trost gereichen möge.84 Normalerweise verwendet Paulus, wenn er vom Tod Jesu spricht, das Verb bzw. Wortfeld ‚kreuzigen/Kreuz‘ (σταυροῦν/σταυρός [stauroun/stauros]), vgl. 1Kor 1,17f.23; 2,8; 2Kor 13,4; Gal 3,1; 5,11 u.ö.). Die hier vorliegende Formulierung mit ‚töten‘ (ἀποκτείνειν [apokteinein]) in Verbindung mit ‚den Juden‘ ist ntl. aus der johanneischen Tradition bekannt (Joh 5,18; 7,1; 11,53) und findet sich auch in der frühen christlichen Verkündigung (Apg 3,15, vgl.

81 So R. Hoppe 177. Vgl. zur Einordnung von (μὴ) ἀρέσκω in die pln. Ethik aus der Kommentarliteratur v.a. G.L. Green 145. 82 Vgl. dazu z.B. I.H. Marshall 79; R. Hoppe 177f. 83 Mit ἡμᾶς (uns) könnten auch die Missionare und die Christen in Thessalonich insgesamt angesprochen sein. Allerdings spricht die Verwendung von ἡμᾶς in 2,16, wo eindeutig die Missionare allein gemeint sind, eher gegen einen derartigen Bedeutungswechsel. Zudem werden die Thessalonicher sonst im Abschnitt 2,14-16 mit der 2. Pers. Pl. ὑμεῖς (ihr) stets eindeutig adressiert. Es wäre also eine deutlichere Kennzeichnung zu erwarten, etwa καὶ ἡμᾶς καὶ ὑμᾶς ἐκδιωξάντων (sie verfolgten sowohl uns als auch euch). 84 So mit J.A.D. Weima 169.

Eschatologie und Ethik 2,13-16

127

Apg 2,23, ἀναιρεῖν [anairein]). Paulus verwendet hier ‚töten‘ wohl lediglich aus stilistischen Gründen:85 Jesus und die Propheten wurden getötet. Die Verwendung des Intensivums ἐκ-διώκειν [ek-diōkein],86 sie verfolgten uns intensiv, das nur hier im NT gebraucht ist,87 dürfte nicht zuletzt aus emotionalen Gründen von Paulus aufgegriffen worden sein: Er und seine Mitarbeiter wurden erst vor wenigen Monaten gewaltsam aus Thessalonich vertrieben (vgl. 1Thess 2,17f ) und dann auch noch von den dortigen Verfolgern aus der Zufluchtsstätte in Beröa gejagt, sodass sie an die Küste fliehen mussten und von dort schließlich über Athen nach Korinth kamen. Die eigene Verfolgungssituation steckte ihm und seinen Mitarbeitern geradezu noch ‚in den Knochen‘ (vgl. Apg 17,10.13–15; 18,1).88 Der Gebrauch des Intensivums in der Septuaginta zeigt, dass das Bedeutungsspektrum zwischen ‚vertreiben‘ (Deut 6,19) und ‚verfolgen‘ (Ps 36[37],28; 100[101],5) oszilliert.89 Beides fügt sich gut in die Situation des Paulus und seiner Mitarbeiter in Thessalonich und auch Beröa.90 16 Über die theologische Einordnung des Partizips κωλυόντων [kōlyontōn], sie hinderten uns immer wieder, in den Kontext der Verse 13–16 ist bereits bei der Auslegung von V. 15 das Nötige gesagt worden. Für historische Hinweise, die eine Vorstellung des Behinderns geben, reicht es in diesem Zusammenhang, auf die Ereignisse bei der sog. ersten Missionsreise des Paulus und seiner Mitarbeiter zu verweisen, wie sie Apg 13,50; 14,591; 14,2.19 (zu 14,19 vgl. 2Kor 11,2592) geschildert sind.93 Aber auch die erst gerade erfolgten Behinderungen dürften im Blickfeld des Paulus liegen, also Apg 85 C. Schlueter, Measure interpretiert die 2,14-16 vorliegende Polemik ganz auf dem Hintergrund der rhetorischen Stilfigur einer Hyperbel: Paulus polarisiere hier aus rein rhetorischen Gründen so scharf, um die Differenzen zwischen Verfolgern und Verfolgten plastisch werden zu lassen, und nicht, um eine Gruppe oder Religion zu diskreditieren. Damit wird jedoch das, was hier seither als historisch plausibel erschien, völlig ignoriert. – Vgl. zur Hyperbel knapp aber hilfreich HvS § 295 q und W. Bühlmann; K. Scherer, Stilfiguren, 83f. 86 Vgl. dazu oben Anm. 8 (S. 110). 87 Vgl. jedoch die v.l. bei Lk 11,49 im Zusammenhang der Verfolgung und Tötung (ἀποκτείνειν) der atl. Propheten. 88 Zu Einzelheiten hierzu vgl. oben die Einleitung. 89 Vgl. die jeweiligen Übersetzungen bei LXX.D z.St. Für Belege aus der paganen Literatur vgl. R. Hoppe 176 Anm. 57. 90 Den Bezug zu Thessalonich für ἐκδιώκειν sieht auch J.A.D. Weima 171f. 91 Hier werden ‚Heiden und Juden‘ als Gegner benannt: ὁρμὴ τῶν ἐθνῶν τε καὶ Ἰουδαίων. 92 Auf den Zusammenhang von Apg 14,19 und 2Kor 11,25 wird immer wieder verwiesen, vgl. D.L. Bock, Acts, 479; J.A. Fitzmyer, Acts, 533; Th. Schmeller, 2Kor VIII/1, 258. 93 Vgl. zu den vier Stellen aus der Apg neben 2Tim 3,11 besonders D.L. Bock, Acts, jeweils z.St.

128

Kommentar

17,5f.13.94 Aus den pln. Briefen kann auf Gal 5,11f und, wie eben schon, auf 2Kor 11,24f aufmerksam gemacht werden. Es wurde ebenfalls bereits darauf verwiesen, dass mit der Formulierung ‚zu den Heidenvölkern zu reden‘ die Verkündigung des Evangeliums durch die Missionare angesprochen ist, was durch 1Thess 2,2.4 hinreichend plausibel wird. Das Ziel der Verkündigung wird durch den Nebensatz angegeben: damit sie gerettet würden. Das Verb σῴζειν [sōzein] wird sonst im 1Thess nirgends verwendet (vgl. aber 2Thess 2,10), das Substantiv σωτηρία [sōtēria] hingegen zweimal in 1Thess 5,8f (vgl. 2Thess 2,13). Auch hier wird durch die genannten Stellen jedoch hinlänglich plausibel, dass es sich um die Rettung vor dem ‚kommenden Zorn Gottes‘ (1Thess 1,10; 5,9), also um die eschatologische Rettung handelt, um die Berufung ‚zu seinem Königreich und in seiner Herrlichkeit‘ (2,12, vgl. Röm 5,9f ).95 Indem ‚die Juden‘ das Werk der Missionare behindern und damit die Rettung der Heiden verhindern, machen sie das Maß ihrer Sünden stets voll. Die im vorausgehenden Nebensatz erfolgte Notiz (κωλυόντων [kōlyontōn] usw.), von der der mit ἵνα [hina] (damit) eingeleitete Nebensatz abhängig ist, bietet die Erklärung für diesen theologisch geradezu vernichtenden Nebensatz: Die andauernde Behinderung der Verkündigung des Evangeliums und die daraus folgende permanente Verhinderung der Rettung durch das Evangelium wird durch Paulus als stete Füllung des Sündenmaßes interpretiert. Ich gehe davon aus, dass V. 16a das mittlere Glied der Aufzählung von V. 15 (ἡμᾶς ἐκδιωξάντων [hēmas ekdiōxantōn], sie verfolgten uns) fokussiert, was durch die Aufnahme von ἡμᾶς [hēmas] m.E. naheliegt. Da V. 16b (εἰς τὸ … [eis to …]) syntaktisch vom partizipialen Nebensatz V. 16a abhängig ist, ist ein direkter Bezug von 16b auf 16a nur evident; V. 16b auf V. 15 zurückzubeziehen, scheint mir syntaktisch nicht sinnvoll zu sein.96 Zudem, darauf weist u.a. Abraham J. Malherbe hin,97 handelt Paulus in 1Thess 2 ganz wesentlich von der Verkündigung des Evangeliums; dieses steht auch hier im Fokus (vgl. 2,24.8–12.13). Die Logik der Argumentation des Paulus nimmt also, so kann nach dem seither Erkannten angenommen werden, folgenden Gang: ‚Die Juden‘ haben Jesus getötet und die (atl.) Propheten – das wissen sie selbst und alle Christen 94 Ob die Ereignisse ‚vor dem Richterstuhl des Gallio‘ (Apg 18,12f ) bei der Abfassung des 1Thess schon erfolgt sind, muss offengelassen werden. 95 So mit T. Holtz 106, vgl. auch z.B. H. Roose 43. Anders I.H. Marshall 80, der meint: „probably present deliverance is meant“. 96 So mit A.J. Malherbe 170f, anders J.A.D. Weima 174. 97 Vgl. A.J. Malherbe 171 und T. Holtz 107.

Eschatologie und Ethik 2,13-16

129

wissen es ebenfalls –, sie verfolgten uns – und überhaupt weiß die ganze pagane hellenistisch-römische Welt: Sie missfallen Gott und hassen die Menschen –, denn sie behindern, indem sie uns verfolg(t)en, die Heidenmission und sie verhindern damit deren eschatologische Rettung; sie tun dies mit der Folge, dass98 sie ihr Sündenmaß stets weiter vollmachen.99 Das Bild vom vollen Sündenmaß ist mehrfach in der jüdischen Literatur belegt. Neben Gen 15,16 (LXX) sind Dan 8,23; 2Makk 6,14; Weish 19,4 und auch LAB 26,13 zu erwähnen. Hintergrund des Bildes ist die Vorstellung, „daß Gott ein bestimmtes Maß gesetzt hat, nicht nur für die Zeit des Lebens, sondern auch für dessen Taten, die guten wie die bösen“100 bis zum kommenden Gericht. In Mt 23,32 fordert Jesus die Pharisäer ironisch dazu auf, das Sündenmaß ihrer Väter voll zu machen, damit das Gericht Gottes (endlich) über sie kommen könne.101 Mt 23,32 kann als direkte Interpretationshilfe für unsere Stelle dienen. Als Zeichen für das gefüllte Sündenmaß ist schließlich der Zorn über sie gekommen. So dürfte die Logik fortzuführen sein. Das Verb φθάνειν [ phthanein] ist bei Paulus fünfmal gebraucht, außer hier in 4,15 und Röm 9,31; 2Kor 10,14; Phil 3,16.102 Die Grundbedeutung ‚zuvorkommen, voraussein‘ liegt nur 1Thess 4,15 vor. Hier handelt es sich, wie auch bei den übrigen Belegen im NT um die Bedeutung ‚kommen‘ im Sinn von ‚ankommen, erreichen‘.103 Was aber hat die Adressaten des Satzes ‚erreicht‘? Unstrittig ist, dass hier vom Zorn Gottes104 die Rede ist, wie bereits aus der Textüberlieferung105 und auch aus der parallelen Formulierung in TestXII.Lev 6,11 ersichtlich ist.106

98 Auch T. Holtz 107 Anm. 505 macht darauf aufmerksam, dass „ein konsekutive[r] Klang bei εἰς τό c. Inf deutlich hervor[tritt]“. 99 Es muss nicht eigens problematisiert werden, dass πάντοτε (allezeit) einem Verb im Aorist, der punktuelle Aspektbedeutung anzeigt, beigeordnet ist (so aber u.a. J.A.D. Weima 174). Das Verb hebt auf jede einzelne Handlung ab, die immer wieder aufs Neue erfolgt; vgl. für πάντοτε mit Aor. Phil 2,12, aber auch Joh 6,34; 18,20. 100 T. Holtz 107; so auch J.A.D. Weima 175 mit Verweis auf die genannten und weitere Belege. 101 Zur Ironie bei Mt 23,32 vgl. U. Luz, Mt I/3, 344. 102 Sonst im NT nur noch Mt 12,28/Lk 11,20. 103 Vgl. WB6 1708 s.voc. φθάνω. 104 Vgl. dazu die Auslegung bei 1,10. 105 Schon ein Teil der griechischen Textzeugen ergänzt daher ἡ ὀργὴ τοῦ θεοῦ (der Zorn Gottes); mit der gesamten lateinischen Tradition übersetzt auch die Vulgata im Anschluss an die griechische Textergänzung ira dei. 106 Text und Übersetzung schon oben Anm. 15 (S. 111).

130

Kommentar

Strittig ist dagegen, ob sich die Aussage auf einen konkreten historischen Sachverhalt bezieht und falls ja, auf welchen. Es müsste sich im positiven Fall ja um ein bereits eingetretenes Ereignis handeln. Schon Johann Albrecht Bengel (Gnomon z.St.) verwies darauf, dass es sich um Strafmaßnahmen in der Zeit der römischen Statthalter „Cummanus und Felix und deren Nachfolger“ handeln muss: In der Regierungszeit des Ventidius Cummanus (48–52 n.Chr.) „ist im Jahre 48 […] am Osterfest, eine sehr bedeutende Menge Juden zu Jerusalem bei einem Aufruhr umgekommen. Man sagt von mehr als 30,000.“ Damit dürfte er sich auf Josephus, Bell. 2,224-227 (= II 12,1) beziehen, wo davon berichtet wird, dass am Passahfest 49 n.Chr. unter Cummanus die bei Bengel genannte Anzahl von Juden bei Unruhen in Jerusalem ums Leben gekommen sei.107 Als weiteres mögliches Ereignis wird häufig auf die Vertreibung der Juden aus Rom durch Kaiser Claudius (41–54 n.Chr.) im Jahr 49 n.Chr. verwiesen, vgl. Apg 18,2 und das bekannte Diktum bei Sueton, Claud. 25,4: Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma expulit – die Juden, die sich von Chrestos ständig zu Unruhen anstiften ließen, vertrieb er aus Rom.108 Hierbei handelte es sich nicht lediglich um eine Vertreibung der christusgläubigen Juden, sondern aller Juden.109 Aufgrund der zahlreichen möglichen historischen Bezüge entscheidet sich Jeffrey A.D. Weima dafür, die Beantwortung dieser Frage offenzulassen: „it is impossible for us to know with any degree of probability [what Paul was referring to]“.110

Oder ist der Aorist ἔφθασεν [ephthasen] eher als prophetischer Aorist zu interpretieren, womit die Gewissheit ausgedrückt würde, dass ein zerstörerisches Ereignis eintreffen werde?111 Meist wird hier dann auf die Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahr 70 n.Chr. verwiesen und der Abschnitt 2,13-16 als späterer Zusatz beschrieben. Oder bedarf es möglicherweise gar keines historischen Ereignisses, um diese Aussage zu tätigen, und es handelt sich „um ein prophetisches Wort, das das endgerichtliche Urteil Gottes über deren Tun [sc. das Tun derer aus 107 Vgl. hierzu M. Bockmuehl, 1 Thessalonians, 25f. 108 Text und Übersetzung nach H. Martinet, Suetonius. 109 Zu diesen beiden und zu weiteren Vorschlägen aus der Forschung vgl. A.M. Schwemer, Verfolger, 173-175, aus den Kommentaren sei auf St. Schreiber 165; J.A.D. Weima 177 verwiesen. 110 J.A.D. Weima 177. 111 So E. v. Dobschütz 116: „was die Zukunft bringen wird, schaut der Seher als bereits verwirklicht“.

Eschatologie und Ethik 2,13-16

131

der ‚Synagoge‘, fwr] als schon wirksames aufdeckt“?112 Mir scheint dies sehr wahrscheinlich zu sein, und zwar in dem Sinn, in dem es von Rudolf Hoppe vorgeschlagen wurde: „der Zorn Gottes gegen sein eigenes Volk [ist] faktisch daran erkenntlich, dass die Agitationen gegen den paulinischen Weg scheitern, da die Missionsbewegung trotz ihrer Behinderungen ungebrochen ist“.113 Damit wird nämlich offenbar, dass sich Gott auf die Seite der Missionare gestellt hat und ihr Weg der von Gott gewollte ist. Die eschatologische Rettung erfolgt durch das Evangelium – wer aber der Ausbreitung des rettenden Evangeliums behindernd im Weg steht, über dem ist eben dadurch schon Gottes Zorn wirksam, weil er sich gegen Gottes Rettungsweg stellt. Trotzdem bleibt dieser Satz gewiss nicht nur im Blick auf Röm 11,25-32 sperrig, und die vorliegende Erklärung kann nicht mehr als ein Verstehensversuch sein.

IV Zusammenfassung Dieser Abschnitt aus dem 1Thess versucht die offensichtlich mehr als nur angespannte Situation der Gemeinde in Thessalonich in einen Geschichtszusammenhang zu integrieren. Die ganz grundsätzliche Aussage des Abschnittes lautet: Alle, die dem wahren und lebendigen Gott dienen und dienten, haben und hatten stets Verfolgungen zu erleiden. Der Bogen wird dabei von den atl. Propheten bis in die Gegenwart gezogen. Dies mag die aktuelle Verfolgung etwas relativiert haben, weil sie eine rationale Erklärung bietet, erleichtert haben wird es diese hingegen sicher nicht. Paulus kann dabei konsequenterweise nur auf die Geschichte des Volkes Israel und die erst wenige Jahre dauernde Geschichte des noch jungen Christentums fokussieren.114 Wenig erstaunlich dürfte sein, dass Paulus dabei ganz besonders auf die Verfolgungen durch jene rekurriert, die es eigentlich besser wissen müssten. Von ihnen ist eine solche am wenigsten zu erwarten und daher am meisten schmerzhaft. Der Text selber legt, wie beschrieben, keinen generellen Antijudaismus nahe, es ist vielmehr zu differenzieren zwischen jener (kleinen) Gruppe von Juden, die die Christen sowohl in ‚Judäa‘ als auch in Thessalonich verfolgten und dem ganz großen Teil jener, die sich daran nicht beteiligten. Die für heutige Ohren mindestens undifferenzierte Wortwahl des Paulus wird, trotz aller hier gebotenen Erklärungsversuche, für heutige Leser befremdlich und irritierend bleiben. Dies ist 112 So T. Holtz 108. 113 R. Hoppe 180. 114 Es geht Paulus um jene, die um ihres Glaubens an den lebendigen und wahren Gott willen verfolgt werden. Dieser hat sich aber exklusiv im Gesetz und den Propheten und schließlich in seinem Sohn offenbart.

132

Kommentar

vor allem deshalb der Fall, weil ihn gegenwärtige Leser dieses Textes nicht vom Hintergrund eines jahrhundertelangen Antijudaismus und -semitismus, der häufig genug auch durch die christliche Kirche gestützt worden ist,115 absehen können. Wird aber dieses hermeneutische Problem heute wahrgenommen, dürfte die Diktion des Paulus auf dem Hintergrund der damaligen Zeit etwas verständlicher werden.116

Vom Trennungsschmerz und einer Liebeserklärung 2,17-20 I Übersetzung 17 Wir aber, (liebe) Brüder, wurden (durch unsere Trennung) von euch für eine gewisse Zeit1 zu Waisen gemacht, (und zwar) hinsichtlich des Angesichts, nicht des Herzens,2 umso mehr bemühten wir uns,3 euch persönlich zu sehen mit heftigem Verlangen4,5 18 weshalb wir auch wiederholt6 zu euch kommen wollten, besonders7 ich, Paulus, aber8 der Satan hat uns (daran) gehindert. 19 Wer ist denn unsere Hoffnung, Freude,9 Ruhmeskranz10 – wer anders als ihr11 – vor unserem Herrn Jesus bei seiner Parusie? 20 Ihr seid doch unsere Ehre und Freude! 115 Die Literatur hierzu ist immens. Einen einführenden Überblick über den Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart bietet z.B. W. Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, München 2016 (= 2002), ausführlicher ist T.B. Eriksen u.a., Judenhass. Die Geschichte des Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart, Göttingen 2019. 116 Vgl. für diese Differenzierung auch St. Schreiber 151. 1 Vgl. WB6 1422 s.voc. πρός (III, 2b). 2 Dat. respectus, vgl. hierzu HvS § 178 a. 3 So mit WB6 1524. 4 Ἐν mit Dat. anstelle des dat. instrumenti, vgl. hierzu HvS § 184 i. 5 Die Interpunktion mit Komma ist ausreichend, so mit E. v. Dobschütz 122; J.E. Frame 120; anders NA28: Punkt. 6 So für καὶ ἅπαξ καὶ δίς WB6 161 s.voc. ἅπαξ, vgl. Phil 4,16. 7 Μέν „hebt das Wort […], bei dem es steht, hervor“ (BDR 447,2). 8 Καί ist hier adversativ zu übersetzen, vgl. BDR § 442,1. 9 Die zweimalige Verwendung der Partikel ἤ wird hier mit Komma wiedergegeben. Es liegt eine inklusive Bedeutung vor (lat.: vel), eine disjunktive (lat.: aut) kann ausgeschlossen werden (vgl. zur Bedeutung von ἤ HvS § 252,26). 10 So St. Schreiber 172.177; R. Hoppe 184.190. Vgl. auch LXX.D bei Spr 16,31 (vgl. Hes 16,12), wo στέφανος καυχήσεως ebenfalls jeweils mit Ruhmeskranz übersetzt ist; einzige weitere Stelle für die Wortverbindung im NT und der LXX ist Hes 23,42. WB6 1532 s.voc. στέφανος: übersetzt unter Verwendung von veralteter Sprache mit „Ruhmeszier“. 11 So BDR 446 11. Möglicherweise ist die einleitende Partikel ἤ auch ἦ zu akzentuieren, womit es der unübersetzbaren Fragepartikel ἆρα entspräche. Die Parenthese könnte

Vom Trennungsschmerz und einer Liebeserklärung 2,17-20

133

II Struktur Die erneute Anrede der Adressaten mit liebe Brüder (ἀδελφοί [adelphoi])12 zeigt ebenso wie der Subjektwechsel von ὑμεῖς γάρ [hymeis gar] (ihr nämlich, 2,14) zu ἡμεῖς δέ [hēmeis de] (wir aber), dass ein neuer Sinnabschnitt beginnt. Das Thema, das in 2,1-16 zugrunde lag, ist abgeschlossen. Die Struktur des Abschnittes 2,17-20 ist durch drei oder zwei Aussagesätze und einen Fragesatz in V. 19 recht eindeutig erkennbar. Gefragt werden muss, ob am Ende von V. 17 das mit V. 18 anschließende διότι [dioti] (weshalb) tatsächlich mit NA28 durch einen Punkt getrennt werden muss, oder ob nicht ein Komma angemessener ist.13 Διότι [Dioti] ist verkürzt aus διὰ τοῦτο ὅτι [dia touto hoti] und entspricht häufig einfachem ὅτι [hoti].14 Mit διότι [dioti] wird ein kausaler Nebensatz eingeleitet,15 wie etwa 1Thess 2,8; 4,6 (vgl. 1Kor 15,9; Phil 2,26). „Kausalsätze haben fast immer die Funktion eines kausalen Adverbiales […] und geben Antwort auf die Frage ‚Warum oder weshalb o.ä. wird der Prädikatsinhalt der übergeordneten Konstruktion verwirklicht?‘“16 Im hier vorliegenden Fall drängt sich ein Bezug auf die übergeordnete Verbalkonstruktion ἐσπουδάσαμεν … ἰδεῖν [espoudasamen … idein] geradezu auf: Wir bemühten uns, [euch] zu sehen …, weshalb wir [zu euch] kommen wollten. Die beiden adverbialen Näherbestimmungen ‚mit heftigem Verlangen‘ und ‚wiederholt‘ unterstreichen den Zusammenhang der beiden Halbsätze zusätzlich, insofern diese beiden einander erläuternd ergänzen: Das heftige Verlangen führte zu wiederholtem, wenn auch vergeblichem Versuch, die Geschwister in Thessalonich persönlich zu sehen. Der Grund für diesen vergeblichen Versuch wird am Ende dieses ersten Satzes benannt: ὁ σατανᾶς [ho satanas] (der Satan). Das Subjekt des Hauptsatzes, nämlich Paulus und seine Mitarbeiter, steht hervorgehoben in Satzerststellung: ἡμεῖς [hēmeis] (wir) usw. Das Subjekt des an den Nebensatz angehängten Gliedsatzes steht in nachgeordneter Satzendstellung: ὁ σατανᾶς [ho satanas]. Schon allein die Position der beiden Subjekte in der Satzstruktur markiert die Kontrahenten als solche, sie bilden die Klammer des Satzes: Widersacher des Paulus ist der Satan. Deren syntaktische Position

12 13 14 15 16

dann übersetzt werden: „seid nicht auch ihr es?“ Darauf macht NSS II, 199 z.St. aufmerksam und verweist hierfür auf F.F. Bruce 53, vgl. auch Ch.A. Wanamaker 124. Bruce übersetzt ebd.: „For what is our hope […] in the presence of our Lord Jesus at his advent? Is it not indeed you? Yes, you are our glory and joy.“ Vgl. zur Bedeutung der Anrede und deren Gliederungsfunktion die Auslegungen oben zu 1,4; 2,1.9. Vgl. oben die Hinweise bei Anm. 5 (S. 132). Vgl. LSJ 435 s.voc. διότι. Vgl. HvS § 277 a. HvS § 277 a.

134

Kommentar

lässt aber auch eine Aussage über die Bedeutung zu, die ihnen zugesprochen wird. V. 19 ist als Interrogativsatz formuliert und bildet eine rhetorische Frage, auf die der Aussagesatz V. 20 eine Antwort gibt. Grammatikalisch sind beide Sätze nicht weiter bemerkenswert, sieht man von der Parenthese bei V. 19 ab, ἢ οὐχὶ καὶ ὑμεῖς [hē ouchi kai hymeis] (wer anders als ihr?), die selbst wiederum als rhetorische Frage formuliert ist und die aufgrund der Verneinung eine positive Antwort impliziert. Allerdings sei darauf verwiesen, dass die rhetorische Frage eine „andringende Form der Argumentation [ist], die den Angeredeten in die Gedankenbewegung mit hineinzieht“.17 Auch dadurch wird also Nähe vermittelt. Das als Possessivpronomen verwendete Personalpronomen18 ἡμῶν [hēmōn] (unser, V. 19) ist den drei Substantiven ἐλπίς [elpis] (Hoffnung), χαρά [chara] (Freude) und στέφανος καυχήσεως [stephanos kauchēseōs] (Ruhmeskranz) vorangestellt, es ist damit auf alle drei zu beziehen.19 Der Abschnitt 2,17-20 ist sachlich eng verbunden mit 3,1-13.20 Das Thema ist über die gesamten Verse 2,17–3,13 hin die enge Beziehung zwischen dem Apostel und seinen Mitarbeitern und der Gemeinde, wobei die ersehnte physische Begegnung, die gegenwärtig nicht möglich ist, im Mittelpunkt steht. 3,11-13 als Übergangspassage vom Vorhergehenden abzutrennen,21 ist nur wenig einleuchtend. Über die Wortverbindungen ἰδεῖν τὸ πρόσωπον [idein to prosōpon] (von Angesicht sehen, 2,17; 3,10), ἔμπροσθεν τοῦ κυρίου / θεοῦ ἡμῶν [emprosthen tou kyriou / theou hēmōn] (vor dem Herrn / unserem Gott, 2,19; 3,9) und χαρά [chara] (Freude, 2,19; 3,9) dürfte zwar formal eine Inclusio vorliegen,22 die Bitte und Fürbitte 3,11-13 bildet jedoch den sachlichen Höhepunkt und Abschluss des Vorhergehenden, insofern Paulus durch sein Gebet für die Thessalonicher die Verbundenheit mit der Gemeinde als in der gegenwärtigen Situation engste und einzig mögliche direkte persönliche Verbindungsmöglichkeit sieht und diese nun auch anwendet. In 2,1-17 ist die Verbindung zwischen den Missionaren und der Gemeinde zwar ebenfalls Thema, dort wird jedoch auf die vergangene gemeinsame Zeit zurückgeblickt und die aktuelle gegenwärtige Situation der Gemeinde fokussiert, die um des Glaubens willen leidet. Im gesamten Abschnitt 2,17–3,13 17 T. Holtz 117. 18 Diese Verwendung des Personalpronomens im Genitiv ist schon im klassischen Griechisch üblich geworden, vgl. HvS § 140 b. 19 So z.B. auch St. Schreiber 176. 20 Vgl. zur sachlichen Einheit von 2,17-3,13 T. Holtz 113 und auch St. Schreiber 173. 21 So z.B. J.A.D. Weima 191f, der den Abschnitt a.a.O., 192 als „independent, transitional unit in the letter“ bezeichnet; ihm schließt sich R. Hoppe 183 an. 22 So mit J.A.D. Weima 192.

Vom Trennungsschmerz und einer Liebeserklärung 2,17-20

135

findet sich kaum ein Vers, der nicht von dem Herzenswunsch nach Begegnung spräche. Im gesamten NT findet sich zudem kein anderer Briefabschnitt, der diesem Wunsch nach physischer Anwesenheit des Apostels in derartiger emotionaler Dichte23 und seinem Umfang nach vergleichbar wäre, obwohl die Thematik selbst auch an anderen Stellen im NT nicht fehlt, wie Röm 15,2233; 1Kor 4,17-21; 2Kor 12,14–13,2; Gal 4,20; Phil 2,19-29; Phlm 22 zeigen. In der Vergangenheit wurde versucht, den Abschnitt 2,17–3,13 der Form einer „apostolic parousia“ zuzuweisen, wovon inzwischen aber eher wieder Abstand genommen wird, da die postulierte literarische Form keine konsistenten Merkmale aufweise.24 Die Verse 17–18 handeln vom Trennungsschmerz des Paulus; die Verse 19–20 enthalten Formulierungen, die als Liebeserklärung an die Adressaten verstanden werden können.

III Einzelexegese 17: Zur Anrede liebe Brüder wurde bereits bei II auf die entsprechende Auslegung bei 1,4; 2,1.9 verwiesen. Die Trennung von der Gemeinde in Thessalonich erleben die Missionare so, als ob Eltern von ihren Kindern gewaltsam getrennt würden: Wir … wurden zu Waisen gemacht. Diese Bedeutung des Verbs ἀπορφανίζειν [aporphanizein] ist sehr gut möglich und nach der Metaphorik in 2,7 (ὡς τροφὸς τὰ ἑαυτοῦ τέκνα [hōs trophos ta heautou tekna], wie eine Amme ihre eigenen Kinder) und 2,11 (ὡς πατὴρ τέκνα ἑαυτοῦ [hōs patēr tekna heautou], wie ein Vater seine eigenen Kinder) überaus nachvollziehbar.25 Die eher erwartete Bedeutung, dass Kinder gewaltsam von ihren Eltern getrennt werden (so Tob 1,8), schließt dies nicht aus.26 Der passive Gebrauch (Aor. Ptz. pass.) des nur hier im NT und überhaupt in der griechischen Lite-

23 Zur Emotionalität besonders bei 2,17-20 vgl. B.R. Gaventa 40; J.A.D. Weima 195. 24 So seit R.W. Funk, The Apostolic Parousia. Form and Significance, in: W.R. Farmer u.a. (Hg.), Christian History and Interpretation, FS John Knox, Cambridge 1967, 249-268, vgl. u.a. die Hinweise bei T. Holtz 114; J.A.D. Weima 189; St. Schreiber 174. 25 Der Verweis auf 2,7.11 erfolgt schon bei B. Rigaux 458 und wieder bei J.A.D. Weima 196; St. Schreiber 174, anders R. Hoppe 186, der „einzig die aufgezwungene und unverschuldete augenblickliche Isolation von der Gemeinde“ erkennen will. 26 J.A.D. Weima 197 versteht das Ptz. pass. im Anschluss an A.J. Malherbe 187 jedoch so, dass Paulus seinen Trennungsschmerz aus der Perspektive des von den Eltern getrennten Kindes beschreibe. Malherbe hält fest: „Paul wrenches the metaphor to extract the most emotion possible from it.“ Habe er in 2,7.11 die Elternmetapher auf sich angewandt, so habe er in 2,17 durch die Verwendung von ἀδελφοί eine Geschwistermetaphorik aufgegriffen und sei jetzt eben die Rolle des Kindes geschlüpft. Dagegen aber mit Recht jetzt auch H. Ravasz, Aspekte, 138f.

136

Kommentar

ratur nur selten27 verwendeten Verbs ἀπορφανίζειν [aporphanizein] lässt die gewaltsame, unfreiwillige und schmerzhafte Trennung28 deutlich erkennen.29 Hajnalka Ravasz macht darauf aufmerksam, dass Paulus, indem er die Metaphorik auf sich bezieht, Empathie zeige. Dies sei deshalb naheliegend, weil sich eigentlich die Thessalonicher als die von Paulus, ihrem Gemeindegründer Getrennten, wie verwaiste Kinder verstehen müssten. Das Gefühl des Verwaistseins müsse bei den Thessalonichern aber vorausgesetzt werden. Paulus solidarisiere sich durch diese Metapher mit ihrem Gefühl.30 Die Intensität wird durch die sich anschließende, syntaktisch plerophore Präpositionalverbindung ἀπὸ ὑμῶν [apo hymōn] (von euch) nachdrücklich verstärkt.31 Die Trennung wird im Folgenden sogleich spezifiziert und damit eingeschränkt: Sie liegt lediglich für eine gewisse Zeit vor und betrifft die physische Trennung (προσώπῳ [ prosōpō]), nicht hingegen diejenige nach dem Herz (καρδίᾳ [kardia]). Benannt sind auf der negativen Seite also Zeit und Raum. Das Herz ist dabei offensichtlich diejenige Kategorie, die Zeit und Raum transzendiert und die von der Trennung nicht berührt ist. Damit sind implizit die Kategorien benannt, innerhalb derer Satan sein Hinderungswerk vollbringen kann, nämlich in der Begrenzung von Zeit und Raum. Dies muss nun exegetisch im Detail begründet werden. Das Syntagma πρὸς καιρὸν ὥρας [ pros kairon hōras] (für eine gewisse Zeit) wird so sonst im NT und auch in der LXX nicht verwendet. Πρὸς καιρόν [Pros kairon] (Lk 8,13; 1Kor 7,5) und πρὸς ὥρας [ pros hōras] (Joh 5,35; 2Kor 7,8; Gal 2,5; Phlm 15) bezeichnen beide jeweils kurze Zeitspannen. Eventuell weist diese für das NT singuläre Verbindung der beiden Substantive darauf hin, dass Paulus damit rechnete, die Zeit der Trennung würde wirklich nur sehr kurz sein. Sicher ist es jedoch ein verstärkter Ausdruck des sehnsüchtigen Wunsches, die Zeit bis zum Wiedersehen möge nur äußerst kurz sein, womit ein weiterer Hinweis auf den emotionalen Charakter des gesamten Abschnittes vorläge.32 Von den Thessalonichern mag er als Hinweis verstanden worden sein, dass sich Paulus wirklich höchst intensiv um einen Besuch bei 27 Vgl. B. Rigaux 457. 28 Die LXX verwendet das Verb überhaupt nicht. Inhaltlich am nächsten kommt Tob 1,8, wo das Substantiv ὀρφανός nach dem Kurztext der Codices Vaticanus und Alexandrinus (B und A) mit einem passiven Verb grammatikalisch direkt verbunden ist: ὀρφανὸς κατελείφθην ὑπὸ τοῦ πατρός μου – ich wurde von meinem Vater als Waise zurückgelassen. Der Langtext des Sinaiticus formuliert aktiv, wobei ὁ πατήρ Subjekt ist. 29 Vgl. O. Merk, Study, 91 und schon B. Rigaux 458; T. Holtz 115. 30 Vgl. H. Ravasz, Aspekte, 140f. 31 So auch J.A.D. Weima 196 Anm. 11. 32 Vgl. hierzu auch T. Holtz 115.

Vom Trennungsschmerz und einer Liebeserklärung 2,17-20

137

ihnen bemühte,33 und die Erwartung geweckt haben, er würde in Kürze tatsächlich zu ihnen kommen. Dies freilich unterstreicht er im dann gleich Folgenden ‚um so mehr bemühten wir uns usw.‘ ausdrücklich (vgl. auch 3,10). Die Trennung liegt auch hinsichtlich des Angesichts vor.34 Die direkte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ist nicht möglich. Leibliche Abwesenheit und geistliche Anwesenheit werden auch sonst von Paulus als epistolare Topoi verwendet, wie 1Kor 5,3; Phil 1,27; 2,12 zeigen. Dies ist in der Antike nicht unüblich.35 Paulus versucht, die momentan nicht mögliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht durch seinen Brief zwar nicht zu ersetzen, aber doch zu überbrücken.36 Hinsichtlich des Herzens ist Paulus von den Thessalonichern jedoch nicht getrennt, vielmehr ist er ihnen nahe und mit ihnen verbunden. Da die Negation (οὐ [ou]) grammatikalisch noch vom Partizip ἀπορφανισθέντες [aporphanisthentes] abhängig ist, wäre eigentlich μή [mē] zu erwarten; οὐ [ou] weist emphatisch darauf hin, dass die Herzensverbindung zu den Thessalonichern keinesfalls unterbrochen ist.37 Das Herz meint hier den emotionalen Willen, die „innerliche Verbindung in Liebe“.38 Eine enge Verbindung der beiden Substantive πρόσωπον [ prosōpon] und καρδία [kardia] liegt auch 2Kor 5,12 vor. Dies alles könnte mit der ins Gegenteil verkehrten Redensart „aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn“ umschrieben werden.39 Die bestehende Herzensverbindung ersetzt für Paulus jedoch nicht die persönliche Begegnung. Dies wird durch die geradezu überschwängliche Formulierung umso mehr bemühten wir uns, euch persönlich zu sehen mit heftigem Verlangen eindrücklich vor Augen geführt. Allein schon das Verb σπουδάζειν [spoudazein] (bemühen) hätte ausgereicht, um zu signalisieren, dass Paulus eine Begegnung mit den Thessalonichern dringend wünscht und alles dafür tut, damit dies auch geschehen kann.40 In Gal 2,10 ist der Terminus in apologetischem Kontext verwendet: Ich habe mich eifrig bemüht (der Armen zu gedenken).41 Der Komparativ des Adverbs περισσοτέρως [ perissote-

33 34 35 36 37 38 39 40 41

So R. Hoppe 186. Zur Übersetzung des Dativs vgl. oben bei I. Vgl. zur Formulierung Gal 1,22. Vgl. für entsprechende Belege u.a. bei Seneca und Xenophon A.J. Malherbe 182. Vgl. hierzu M.L. Stirewald Jr., Letter, 62. Vgl. A.J. Malherbe 183. E.v. Dobschütz 120. Vgl. I.H. Marshall 85; J.A.D. Weima 198. Vgl. Ch.A. Wanamaker 121. Vgl. weiter Eph 4,3; 2Tim 2,15; Hebr 4,11; 2Petr 1,10; 3,14.

138

Kommentar

rōs] wirkt, wenn er als Elativ übersetzt wird, noch stärker: In höchstmöglichem Maß bemühten wir uns. Diese Bedeutung ist hier wohl vorauszusetzen.42 Die gesamte Satzaussage wird darüber hinaus noch durch ἐπιθυμία [epithymia] intensiviert, wodurch eine sonst im NT kaum nachweisbare emotional dichte Sprache vorliegt. Hier ist dieses Substantiv, das mit ‚heftiges Verlangen‘ oder ‚Begierde‘ übersetzt wird, positiv besetzt, was sonst im NT kaum der Fall ist (vgl. noch Phil 1,23 und Lk 22,15).43 Mit Vers 18 weist Paulus auf seine wiederholt vergeblichen Versuche hin, zu den Thessalonichern zu kommen. Zum ersten Mal im Brief verwendet Paulus dabei nicht die 1. Pers. Plural, sondern den Singular (vgl. 3,5; 5,27), verstärkt durch die Partikel μέν [men], besonders ich. Paulus hebt sich damit aus dem Kreis der Mitmissionare heraus: Er selbst hat mehrfach konkrete Vorbereitungen getroffen, um nach Thessalonich zu reisen. Jedes Mal konnte die Reise dann aber doch nicht stattfinden. Der Wechsel zur 1. Pers. Singular markiert ein weiteres Mal hohe emotionale Betroffenheit und Verbundenheit; hier liegt keinesfalls eine oberflächliche, gar abwiegelnde Redewendung vor. Das Syntagma ἅπαξ καὶ δίς [hapax kai dis] ist eine stehende Redewendung, die Paulus auch in Phil 4,16 verwendet und die in der LXX mehrfach belegt ist (Deut 9,13; 1Reg 17,39; 2Esdr 23,20; 1Makk 3,30). Eine wörtliche Übersetzung mit ‚ein- oder zweimal‘, so zeigen die Belege, gäbe den Sinn der Redewendung nicht korrekt wieder: Es geht nicht um die exakte nummerische Angabe der vergeblichen Reiseversuche.44 Satan hinderte demnach immer wieder die Umsetzung der immer wieder gefassten Reisepläne. Paulus interpretiert das ganz offensichtlich häufige Misslingen einer geplanten Besuchsreise nach Thessalonich theologisch. Es sind nicht äußerlich feststellbare Umstände, wie eventuell religiöse oder politische Gegner in Thessalonich oder ungünstige äußere Reisebedingungen wie z.B. schlechte Witterung (vgl. 2Kor 11,25.27: Schiffbruch, Frost) oder Krankheit (vgl. Gal 4,13f; 2Kor 12,7 und auch 2Tim 4,20),45 es ist der Satan, der den

42 Der Komparativ kann im NT grundsätzlich als Elativ übersetzt werden. Der Superlativ wird in der Koine durch den Komparativ zusehends ersetzt. Im NT kommt der Superlativ nur sehr selten vor vgl. HvS § 138 d. Zur möglichen Interpretation als Elativ hier vgl. I.H. Marshall 85; R. Hoppe 187. 43 Vgl. hierzu E. Reinmuth, Anthropologie, 207. Zum ‚negativen‘ Gebrauch von ἐπιθυμία vgl. z.B. Röm 1,24; 6,12; 7,7f; Gal 5,16.24, vgl. auch die Auslegung unten zu 4,5. 44 So z.B. auch I.H. Marshall 86. 45 Unterschiedliche Vorschläge zur Identifizierung des Hinderungsgrundes aus der Geschichte der Auslegung referieren T. Holtz 117; J.A.D. Weima 200.

Vom Trennungsschmerz und einer Liebeserklärung 2,17-20

139

Weg des Gemeindebaus und der Mission durch seine Blockaden46 stört.47 Dass Satan als der ‚Verhinderer‘, Blockierer und Störer in diesen oder möglicherweise auch anderen ‚irdischen‘ Dingen48 benannt wird, liegt dabei insofern in der ‚Natur der Sache‘, als Paulus die jeweiligen gegenwärtigen Ereignisse theologisch interpretiert. Wenn es Satan ist, der den Weg hindert, blockiert und stört, dann kann es nur Gott sein, der diesen Weg wieder frei macht, wie 1Thess 3,11 denn auch zeigt. Σατανᾶς [Satanas] ist die griechische Transliteration des hebräischen ‫שָׂטן‬ ָ [śāthān] bzw. des aramäischen ‫[ ָסָטָנא‬śāthānā’] und wird mit ‚Widersacher, Gegner‘ übersetzt (vgl. 2Thess 2,9), wobei im NT damit „nur der Widersacher in ganz bes[onderem] Sinn, der Gegner Gottes u[nd] aller derer, die zu Gott gehören“49 gemeint ist.50 Diese Bedeutung ist der Grund für die Aufnahme des Terminus im vorliegenden Kontext.51 Paulus geht es dabei nicht etwa darum, dass er als Person von seiner Reise abgehalten wird, sondern dass damit die Stärkung der Gemeinde Gottes in Thessalonich blockiert ist: Gottes Heilswerk kann nicht weitergeführt werden, und dahinter kann nur der Gegner schlechthin stecken.52 Ein ‚Behelfsweg‘ war jedoch möglich gewesen, und 46 J.A.D. Weima 200 vermutet hinter dem Verb militärische Bedeutung und erinnert an Wegblockaden für Heere. 47 Anders liegt der Fall in Röm 15,22, wo Paulus darauf verweist, dass ihn seither seine ihm von Gott vorgegebene Missionsstrategie, nämlich „das Evangelium zu predigen, wo Christi Name noch nicht genannt wurde“ (15,20), „viele Male daran gehindert“ habe (ἐνεκοπτόμην τὰ πολλά), die Christen in Rom zu besuchen. Jetzt aber, da er „von Jerusalem aus ringsumher bis nach Illyrien das Evangelium Christi voll ausgerichtet“ (15,19) habe, könne er auch nach Rom kommen. Das Impf. pass. ἐνεκοπτόμην ist iteratives passivum divinum (vgl. Röm 1,13), auch hier liegt also eine theologische Interpretation des Reiseweges des Apostels vor. Zu den Belegen aus dem Röm vgl. z.B. E. Lohse, Röm 395-399. Aus Apg 16,6f ist ersichtlich, dass der Heilige Geist bzw. der Geist Jesu den Weg der Missionare durch Verhinderung (κωλύειν, οὐκ ἐάειν) lenkt. 48 Es lässt sich nicht mehr erkennen, welches konkrete Ereignis Paulus hier im Blick haben könnte. Vgl. T.D. Still, Mission, 14 Anm. 61 der meint, dass Paulus durch „some now unknown factor(s)“ gehindert worden sei, so z.B. auch T. Holtz 117. 49 Vgl. WB6 1790 s.voc. σατάν κτλ., so auch F.F. Bruce 55. 50 Zur Verwendung und Bedeutung des Terminus im AT und in der LXX vgl. K. Nielsen, ‫ ָשָׂטן‬śāṭān, ThWAT VII, 1993, 745-751 und C. Breytenbach; P.L. Day, SATAN ‫שׂטן‬ Σατάν, Σατανᾶς, DDD, 21999, 726-732. 51 Zur Bedeutung von Satan im Corpus Paulinum vgl. D.G. Reid, Satan, Devil, DPL, 1993, 862-867, für die insgesamt 36 Belege im gesamten NT vgl. immer noch W. Foerster, σατανᾶς. B. Satan im Neuen Testament, ThWNT VII, 1964, 156-164 und deutlich umfassender H. Haag, Teufelsglaube, Tübingen 21980, 271-388. Einzelaspekte zu Satan/Teufel im AT, Qumran und NT finden sich auch im Sammelband J. Dochhorn u.a. (Hg.), Das Böse, der Teufel und Dämonen – Evil, the Devil, and Demons, WUNT II/412, Tübingen 2016. 52 Als gefährlichen Gegner, Versucher und Betrüger schildert Paulus den Satan mehrfach, vgl. außer 1Thess 3,5 auch Röm 16,20; 1Kor 7,5; 2Kor 2,11; 11,14, vgl. 2Thess 2,9.

140

Kommentar

den hatte Paulus denn auch genutzt: Er hatte den Timotheus schon von Athen aus auf die Reise nach Thessalonich geschickt (1Thess 3,2). Er nutzt jetzt, nach der Rückkehr des Timotheus (3,6), den Brief als weiteres „Behelfsmittel“, um die Gemeinde zu stärken (vgl. 1Thess 3,13). Die mit der Herzensverbundenheit einhergehende eschatologische Bedeutung, welche die Gemeinde in Thessalonich für Paulus darstellt, bringt er durch die Verse 19–20 erneut überschwänglich zum Ausdruck: Die Gemeinde ist für den Apostel Hoffnung, Freude, Ruhmeskranz und Ehre bei der Wiederkunft Jesu, nicht etwa nur der Grund der Hoffnung, Freude usw.53 Obwohl Paulus auch gegenüber anderen Gemeinden Ähnliches formulieren kann, ist die Häufung der Substantive in diesem Zusammenhang singulär und „lässt erkennen, dass Paulus seiner Überzeugung seiner innigen und freundschaftlichen stabilen Beziehung zu seinen Adressaten Ausdruck verleiht“.54 Die Geschwister in Philippi werden von Paulus ‚meine Freude und mein Siegeskranz‘ (χαρὰ καὶ στέφανός μου [chara kai stephanos mou]) genannt (Phil 4,1) und schon vorher bezeichnet Paulus sie als ‚mein Ruhm (καυχήμα [kauchēma]) am Tag Christi‘ (Phil 2,16), was er so auch den Korinthern schreibt (2Kor 1,14). Alle drei (vier) verwendeten Attribute können auch sonst eschatologische Konnotation haben. Die Vorstellung, dass die Gemeinde die Hoffnung des Apostels bei der Parusie ist, ist so allerdings nicht mehr im NT belegt. Im 1Thess ist dies das zweite Mal, dass Paulus den Begriff ἐλπίς [elpis] gebraucht, das erste Mal taucht er in 1,3 auf. Dort, wie auch die beiden weiteren Male in 4,13; 5,8 (vgl. 2Thess 2,16), schreibt Paulus von der Hoffnung auf das endzeitliche Heil55 (vgl. auch Röm 5,2; 8,20.24). Ἐλπίς [Elpis] wird sonst verwendet in Bezug auf Gott, Christus oder das, was von Gott bzw. Christus zu erhoffen ist.56 Auch die Freude ist ein Charakteristikum, das in eschatologischem Zusammenhang Verwendung findet. Auf Phil 4,1 wurde als nächstliegende Parallele zu unserer Stelle gerade schon hingewiesen. Röm 14,17 zeigt, dass Freude eine Grundkategorie des Reiches Gottes ist, und Röm 53 So mit J.A.D. Weima 202; St. Schreiber 176f; R. Hoppe 190, anders T. Holtz 117. 54 R. Hoppe 185. 55 In 4,13 ist zwar von denen die Rede, „die keine Hoffnung haben“, aber auch damit ist ja deren Heilshoffnung gemeint, selbst wenn sie aus der Perspektive des Paulus grundlos ist, vgl. bei der Auslegung z.St. 56 Die ausführlichste Studie zur Hoffnung bei Paulus ist immer noch G. Nebe, Hoffnung bei Paulus. Elpis und ihre Synonyme im Zusammenhang der Eschatologie, StUNT 16, Göttingen 1983; einen Überblick bietet Chr. Böttrich, Hoffnung, in: F.W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch, 461-471. Einzelne Aspekte der ntl. Auferstehungshoffnung beleuchtet J. Becker, Hoffnung. Der frühchristliche Dialog zur eschatologischen Vollendung, BThSt 171, Göttingen 2018.

Vom Trennungsschmerz und einer Liebeserklärung 2,17-20

141

15,13 weist sie als Zeichen aus, vom ‚Gott der Hoffnung‘ erfüllt zu sein. Die gegenwärtige von Gott herkommende Freude (vgl. auch 1Thess 1,6) und die Freude im kommenden Gottesreich weisen demnach analoge Eigenschaften auf. Da ist es kein Wunder, dass die Gemeinde selbst eine Freude für den Apostel bis hin zur Ankunft des Herrn Jesus ist, schließlich lebt sie im Glauben, trotz aller äußeren Bedrängnisse, geradezu vorbildlich (vgl. 1,6-8; 2,13).57 Frederick F. Bruce erinnert daran, dass im Kontext des 1Thess auch die Freude und der Stolz der Eltern über Kinder als Vergleichsgröße herangezogen werden könnte: „As parents rejoice in their children and cherish high hopes for them, so it is with the writers an their converts.“58 Es wird in der Forschung diskutiert, ob hier evtl. juristischer Kontext vorliegt. In diesem Fall wäre die Gemeinde am Tag der Parusie des Herrn Jesus, der als Tag des Gerichts zu verstehen wäre, der Beweis dafür, dass Paulus und seine Mitarbeiter in lauterer Absicht und allein dem göttlichen Auftrag folgend (vgl. z.B. Gal 1,16) in Thessalonich gewirkt hätten.59 Wahrscheinlicher scheint mir jedoch zu sein, dass die Vorstellung der Parusie, also der Ankunft bzw. des Einzugs eines Herrschers in eine Stadt zugrunde liegt.60 In diesem Zusammenhang ist in der Antike z.B. von goldenen Ruhmeskränzen die Rede, die getragen oder dem ankommenden Herrscher überreicht werden.61 Dem in Kürze erwarteten (vgl. 1Thess 4,15) ankommenden Christus die Gemeinde als Ruhmeskranz zu überreichen,62 wäre vor diesem Hintergrund für beide, für Paulus und die Gemeinde, in der Tat63 eine Ehre und Freude (V. 20). Für Paulus wäre es eine Ehre und Freude, weil er diesen überreichen könnte; für die Gemeinde wäre es eine Ehre und Freude, weil sie dieser Ruhmeskranz selber sein würde.64 Für wen es dabei die größere Ehre und Freude sein mag?

57 58 59 60

61 62 63

64

Vgl. 1Thess 3,9 und die Auslegung dort. F.F. Bruce 56. So z.B. I.H. Marshall 87; J.A.D. Weima 202f. Auch erwogen von F.F. Bruce 56f. Zu den Einzugsgebräuchen und -zeremonien bei der Ankunft von Herrschern in eine Stadt in der Antike vgl. unten bei der Auslegung von 4,17: εἰς ἀπάντησιν. Ausführliches zur Bedeutung von παρουσία bei der Auslegung von 4,15. Vgl. A. Deissmann, Licht, 315 und auch R. Hoppe 191; H. Roose 49f. Für weitere biblische Belege der Wortverbindung στέφανος καυχήσεως vgl. oben bei I. Das V. 20 einleitende γάρ ist in bekräftigendem Sinne verwendet und kann mit ‚ja fürwahr, allerdings‘ übersetzt werden; so WB6 305 s.voc. γάρ. Γάρ kann nicht in Satzerststellung stehen, sondern steht stets an zweiter Stelle (Ausnahme: 2Kor 1,19; vgl. hierzu C.F.D. Moule, Idiom-Book, 166f ), deshalb ist die Formulierung „einleitendes γάρ“ formal korrekt. Der Siegeskranz, den Wettkämpfer beim Sport erhalten (1Kor 9,25), ist davon zu unterscheiden. An unserer Stelle steht die Ehre für Gemeinde und Missionare im Vordergrund,

142

Kommentar

Dass δόξα [doxa] hier als Ehre im Sinn von ‚Prestige, Ansehen‘65 verstanden werden kann, dass also eher die allgemeine säkulare Bedeutung als die religiöse im Vordergrund steht,66 muss nicht verwundern, wenn als Vergleich z.B. auf die Ehre oder das Prestige verwiesen wird, das Schüler für ihren Lehrer bedeuten können.67

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13 I Übersetzung Sehnsucht nach der und Sorge um die Gemeinde 1 Deshalb,1 weil wir es nicht mehr ausgehalten haben, beschlossen wir, in Athen allein zurückzubleiben, 2 und sandten den Timotheus, unseren Bruder und Mitarbeiter Gottes am Evangelium Christi, damit er euch stärke und tröste hinsichtlich eures Glaubens, 3 damit niemand erschüttert werde in diesen Bedrängnissen. Ihr selbst wisst ja, dass wir dazu bestimmt sind,2 4 denn3 als wir bei euch waren, haben wir euch vorhergesagt, dass wir bedrängt werden würden, so ist es auch geschehen, wie ihr wisst. 5 Deswegen und4 weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, sandte ich …5, damit ich etwas über euren Glauben erfahren würde, (weil ich die Sorge hege,) dass euch der Versucher wirklich versuche und dann unsere Arbeit umsonst gewesen wäre.6

65 66 67 1 2 3 4 5 6

dem kommenden Herrn als Gabe geschenkt werden zu können, nicht der Siegerkranz, der einem von diesem Herrn zuerkannt werden würde. Vgl. WB6 410 s.voc δόξα 3.d. Vgl. so J.A.D. Weima 205. – Vgl. auch 1Thess 2,6, wo ebenfalls diese Bedeutung vorliegt, allerdings mit negativer Semantik. Hierauf macht A.J. Malherbe 186 unter Verweis auf Seneca, Ep. XX,1 aufmerksam, vgl. R. Hoppe 193. Διό ist zusammengesetzt aus der Präposition διά und dem Relativpronomen ὅ mit der Bedeutung ‚weshalb, deshalb‘, vgl. HvS § 252.17. Κεῖσθαι ist als Perf. pass. von τίθηναι gebraucht (vgl. HvS § 120,1 und § 189 g) und ist hier im übertragenen Sinn mit ‚eingesetzt, bestimmt sein‘ zu übersetzen (vgl. WB6 868 s. voc. κεῖμαι). Καὶ γάρ steht für lat. etenim und wird mit ‚denn‘ übersetzt, vgl. HvS § 252,9. Κἀγώ ist Krasis aus καὶ ἐγώ und wird hier durch die Wiedergabe mit ‚und ich‘ als starke Satzzäsur verstanden. Zur Begründung vgl. die Hinweise unten bei II. Dem Verb kann kein direktes Objekt zugeordnet werden. So in Anlehnung an HvS § 247 b, wo darauf aufmerksam gemacht wird, dass bei μή mit Konj. nach Ausdrücken des Fürchtens, „der Ausdruck des Fürchtens manchmal zu ergänzen“ ist; HvS verweist dabei neben Gal 2,2 auch auf 1Thess 3,5.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

143

Zum Glück kann aufgeatmet werden 6 Jetzt aber, nachdem Timotheus von euch zu uns gekommen ist und nachdem er uns gute Nachricht über euren Glauben und eure Liebe gebracht hat und dass ihr uns immerzu in guter Erinnerung habt, wobei ihr (immerzu)7 Sehnsucht habt, uns zu sehen, so wie auch wir euch,8 7 deshalb sind wir getröstet worden, Brüder, wegen euch in all unserer Zwangslage und unserer Bedrängnis, durch euren Glauben, 8 denn nun leben wir (wieder auf ), wenn ihr (fest) steht im Herrn. 9 Wie können wir Gott nur (angemessen) Dank abstatten9 für euch aufgrund all der Freude, mit der10 wir uns euretwegen freuen vor unserem Gott, 10 Nacht und Tag (unaufhörlich)11 bittend ganz über alles Maß hinaus,12 euch von Angesicht zu sehen und zu vollenden, was eurem Glauben noch fehlt?13 Ihr und wir seien Gott befohlen 11 Er selbst aber, Gott,14 unser Vater, und unser Herr, Jesus, lenke unseren Weg zu euch. 12 Euch aber lasse der Herr (noch) reich(er) werden,15 er mache euch überreich an Liebe zueinander und zu allen, so wie auch wir zu euch, 13 um eure Herzen zu stärken, (damit ihr) untadelig in Heiligkeit vor Gott und unserem Vater bei der Parusie unseres Herrn Jesus mit all seinen Heiligen (sein mögt)[, Amen].

II Struktur 3,1-13 kann in drei Unterabschnitte gegliedert werden: 3,1-5.6-10.11-13. Die Übersetzung wird in einem Stück geboten, weil von der inhaltlich engen Zusammengehörigkeit des ganzen Kapitels auszugehen ist.16 3,1-5 ist autobiografischer Berichtsstil, in dem zugleich die Absicht der Abfassung des Briefes dokumentiert ist: um euch zu stärken und zu trösten, damit niemand im Glauben erschüttert werde (V. 2b.3a). Drei Sätze gliedern 7 Lineare Interpretation des Durativstammes. 8 Zur temporalen Übersetzung der beiden gen. absoluti und zur modalen Übersetzung des adverbialen Partizips vgl. NSS II, 199. 9 So WB6 144. 10 Die Relativpartikel dürfte modal zu übersetzen sein, vgl. NSS II, 200. 11 Lineare Interpretation des Präsensstammes, vgl. 5,17.25. 12 So WB6 1675. 13 So WB6 849 s.voc. καταρτίζω. 14 Das erste καί dürfte epexegetisch sein und kann als Komma wiedergegeben werden, oder auch mit ‚Gott, und zwar unser Vater‘, übersetzt werden, vgl. NSS II, 200; HvS § 252, 29. 15 So WB6 1342 s.voc. πλεονάζω. 16 Über den Zusammenhang mit 2,17-20 wurde oben bei der Auslegung z.St. bereits das Nötige gesagt.

144

Kommentar

den Unterabschnitt in sich: V. 1–3a.3b–4.5. Die Verben (μηκέτι) στέγειν [(mēketi) stegein] (nicht mehr aushalten) und πέμπειν [ pempein] (senden) und das Substantiv πίστις [ pistis] (Glaube, V.1f.5a) bilden den formalen wie sachlichen Rahmen für V. 1–5. Sie bilden eine Inclusio17 und implizieren bereits sowohl den autobiografischen Aspekt (Sehnsucht nach der Gemeinde), als auch die sich für Paulus daraus ergebenden Konsequenzen, um des Glaubens der Gemeinde willen unter allen Umständen den Kontakt zur Gemeinde durch die ‚Sendung‘ herzustellen. Die autobiografischen Hinweise V. 1–2a zeigen den Empfängern, dass der Apostel und seine Mitarbeiter nicht untätig sind, sondern ihr Möglichstes tun, um für die Gemeinde auch in der Ferne das Beste zu erreichen. In V. 5 wechselt Paulus von der 1. Pers. Pl. gar in die 1. Pers. Sg., womit er seinen eigenen Einsatz wie auch seine eigene Sehnsucht unterstreicht. Diese ist durch die beiden präsentischen Partizipien (στέγοντες, στέγων [stegontes, stegōn]) zusätzlich besonders markiert, zeigt doch der Durativstamm, dass es sich um ein andauerndes, nicht enden wollendes Verlangen handelt. Mit den Versen 3b–4 wird an Vergangenes erinnert, das die Gemeinde mit den Missionaren eng verbindet. Mehrfach, so lässt das iterative Imperfekt προελέγομεν [ proelegomen] (wir haben vorhergesagt) schließen, haben die Missionare während des Gründungsaufenthaltes auf kommende Bedrängnisse um des Evangeliums willen hingewiesen. Beide, die Gemeinde und die Missionare, erlitten und erleiden Bedrängnis, ist doch im Blick auf die Gemeinde von ‚diesen [sc. aktuellen] Bedrängnissen‘ die Rede. Im Blick auf die Missionare wird auf die in Thessalonich erfolgte Bedrängnis hingewiesen, und V. 7 zeigt, dass diese in der aktuellen Situation der Abfassung des Briefes aus der Sicht der Missionare nicht geringer geworden sein dürfte. V. 5b thematisiert nochmals die Bedrängnisse, indem ‚der verführende Verführer‘, von dem Paulus befürchtet, dass er in der Gemeinde aktiv ist, angesprochen wird. Die Sorge ist dabei, dass seine Mühe um das Evangelium in der Gemeinde umsonst gewesen sein könnte. Syntaktisch liegt eine Satzkonstruktion vor, die durch mehrere Infinitivkonstruktionen etwas komplex wirkt. Ist der erste Infinitiv καταλειφθῆναι [kataleiphthēnai] (zurückbleiben) vom finiten Verb εὐδοκήσαμεν [eudokēsamen] (wir haben beschlossen) abhängig, das den Teilsatz in V. 1 regiert, von dem also auch das Ptz. präs. στέγοντες [stegontes] (aushalten) abhängig ist, so sind die weiteren Infinitivkonstruktionen syntaktisch etwas anspruchsvoller. Στηρίξαι [stērixai] und παρακαλέσαι [ parakalesai] (stärken und trösten) sind beides substantivierte Infinitive, die von einer Präposition (εἰς [eis]) dominiert 17 So auch A.J. Malherbe 192; J.A.D. Weima 210, vgl. H. Ravasz, Aspekte, 144.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

145

werden und final zu übersetzen sind. Sie werden durch das finite Verb ἐπέμψαμεν [epempsamen] (wir sandten) regiert. Von ihnen ist der wiederum final aufzulösende AcI, zwar mit Artikel, aber ohne Präposition, in V. 3 (vgl. 4,6), τὸ μηδένα σαίνεσθαι [to mēdena sainesthai] (damit niemand erschüttert werde), abhängig, welcher einem finalen Nebensatz entspricht, der durch ἵνα [hina] eingeleitet wird.18 Das zwischengeschobene Satzglied τὸν ἀδελφὸν … [ton adelphon …] (den Bruder …, V. 2) ist Objektsergänzung zu Τιμόθεον [Timotheon]. V. 3b weist darauf hin, dass das eben in V. 2b.3a Gesagte für die Thessalonicher keine Neuigkeit darstellt: αὐτοὶ γὰρ οἴδατε [autoi gar oidate] (ihr selbst wisst ja). Εἰς τοῦτο [eis touto] (dazu) ist rückverweisend. Auch V. 4 verweist auf bereits Bekanntes: καθώς … οἴδατε [kathōs … oidate] (wie … ihr wisst). Dieses kleine Zwischenstück V. 3b.4 hat insgesamt für die Adressaten also erinnernden Charakter. Formal bildet das satzeinleitende wie auch satzabschließende οἴδατε [oidate] (ihr wisst) eine Inclusio für sich. Der Satzanfang bei V. 5 wirkt durch die Häufung von Partikeln (καί, μηκέτι [kai, mēketi]), Präposition (διά [dia]), Demonstrativum (τοῦτο [touto]) und Personalpronomen (ἐγώ [egō]) bis zum participium coniunctum (στέγων [stegōn]) noch emotionaler als zu Beginn in V. 1.2a (διὸ μηκέτι [dio mēketi]), was sich zudem im Fehlen eines direkten Objekts zum finiten Verb zeigt. Von der Logik her ist natürlich Τιμόθεον [timotheon] zu ergänzen. Es entsteht der Eindruck, als ob der Verfasser zunächst gar nicht weiß, welche Worte er wählen soll, damit seine Empfindungen angemessen wahrgenommen werden können. Schließlich entscheidet er sich, die bereits zu Beginn des Abschnittes verwendeten Verben erneut zu schreiben. Die Wortverschmelzung κἀγώ [kagō] hat eine doppelte Funktion. Zum einen wird mit ἐγώ [egō] das Subjekt, Paulus, hervorgehoben, zum andern wird über die Verwendung von καί [kai] eine starke Zäsur zu übersetzen sein, womit das präsentische Partizip στέγων [stegōn], das kausal wiederzugeben ist und durativ interpretiert werden muss, zudem syntaktisch hervorgehoben wird. Διὰ τοῦτο [dia touto] (deswegen) weist auf das eben Gesagte in V. 4 zurück und bleibt ohne weiteren semantischen Konnex zum Folgenden. Grafisch lässt sich die Satzstruktur dieses ersten Abschnittes des Kapitels wie folgt darstellen:

18 Vgl. BDR § 399, 3. – F.F. Bruce 59 vermutet, dass ein zu erwartendes εἰς vor dem Artikel deshalb ausgefallen sein könnte, weil es bereits in 2,2 vorliegt: εἰς τὸ στηρίξαι.

146

Kommentar

Διὸ μηκέτι στέγοντες εὐδοκήσαμεν καταλειφθῆναι ἐν Ἀθήναις μόνοι 2 καὶ ἐπέμψαμεν Τιμόθεον, τὸν ἀδελφὸν ἡμῶν καὶ συνεργὸν τοῦ θεοῦ ἐν τῷ εὐαγγελίῳ τοῦ Χριστοῦ, εἰς τὸ στηρίξαι ὑμᾶς καὶ παρακαλέσαι ὑπὲρ τῆς πίστεως ὑμῶν 3 τὸ μηδένα σαίνεσθαι ἐν ταῖς θλίψεσιν ταύταις. αὐτοὶ γὰρ ο δατε ὅτι εἰς τοῦτο κείμεθα· 4 καὶ γὰρ ὅτε πρὸς ὑμᾶς ἦμεν, προελέγομεν ὑμῖν ὅτι μέλλομεν θλίβεσθαι, καθὼς καὶ ἐγένετο καὶ ο δατε. 5 διὰ τοῦτο κἀγὼ μηκέτι στέγων ἔπεμψα εἰς τὸ γνῶναι τὴν πίστιν ὑμῶν, μή πως ἐπείρασεν ὑμᾶς ὁ πειράζων καὶ εἰς κενὸν γένηται ὁ κόπος ἡμῶν. 1

[Dio mēketi stegontes eudokēsamen kataleiphthēnai en Athēnais monoi kai epempsamen Timotheon, ton adelphon hēmōn kai synergon tou theou en tō euangeliō tou Christou, eis to stērixai hymas kai parakalesai hyper tēs pisteōs hymōn to mēdena sainesthai en tais thlipsesin tautais. autoi gar oidate hoti eis touto keimetha: kai gar hote pros hymas ēmen, proelegomen hymin hoti mellomen thlibesthai, kathōs kai egeneto kai oidate. dia touto kagō mēketi stegōn epempsa eis to gnōnai tēn pistin hymōn, mē pōs epeirasen hymas ho peirazōn kai eis kenon genētai ho kopos hēmōn.]

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

147

Deshalb, weil wir es nicht mehr ausgehalten haben, beschlossen wir, in Athen allein zurückzubleiben, und sandten den Timotheus, unseren Bruder und Mitarbeiter Gottes am Evangelium Christi, damit er euch stärke und tröste hinsichtlich eures Glaubens, damit niemand erschüttert werde in diesen Bedrängnissen. Ihr selbst wisst ja, dass wir dazu bestimmt sind, denn als wir bei euch waren, haben wir euch vorhergesagt, dass wir bedrängt werden würden, so ist es auch geschehen, wie ihr wisst. Deswegen und weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, sandte ich …, damit ich etwas über euren Glauben erfahren würde, (weil ich die Sorge hege,) dass euch der Versucher wirklich versuche und dann unsere Arbeit umsonst gewesen wäre.

In 3,6-10 hebt mit zwei aufeinanderfolgenden gen. absoluti, nämlich ἐλθόντος Τιμοθέου … καὶ εὐαγγελισαμένου [elthontos Timotheou … kai euangelisamenou] (nachdem Timotheus gekommen ist … und nachdem er gute Nachricht gebracht hat), ein neuer Unterabschnitt an. Historisch ist auf der Erzählebene zudem ein Zeitwechsel zu verzeichnen. Hatten die Verse 1–5 von der Zeit bis zur Sendung des Timotheus nach Thessalonich berichtet (vgl. 2,17-20), so werden jetzt die Rückkehr des Timotheus von dort und die Reaktionen in den Mittelpunkt gerückt, die durch die Neuigkeiten aus der jungen Gemeinde bei Paulus ausgelöst wurden. Die beiden Genitivkonstruktionen sind dabei parallel aufgebaut: gen. absolutus mit 1. Pers. Pl. und mit 2. Pers. Pl. ἐλθόντος Τιμοθέου καὶ εὐαγγελισαμένου [elthontos Timotheou kai euangelisamenou nachdem Timotheus gekommen ist und gute Nachricht gebracht hat

πρὸς ἡμᾶς

ἀφ’ ὑμῶν

pros hēmas hēmin

aph’ hymōn tēn pistin kai tēn agapēn hymōn …]

zu uns

von euch

uns

über euren Glauben und eure Liebe …

ἡμ ν

τὴν πίστιν καὶ τὴν ἀγάπην ὑμῶν …

148

Kommentar

Der Satz wird syntaktisch durch einen weiteren Nebensatz, also noch auf der Ebene der beiden gen. abs., mit καὶ ὅτι [kai hoti] (und dass) fortgesetzt. Dieser konjunktionale Nebensatz unterbricht die adverbialen Partizipialkonstruktionen, die im gleich darauffolgenden vierten Nebensatz aber weitergeführt werden, allerdings dürfte dieser vierte Nebensatz als vom konjunktionalen Nebensatz abhängig zu übersetzen und modal (‚wobei‘) aufzulösen sein: καὶ ὅτι ἔχετε μνείαν ἡμῶν ἀγαθὴν πάντοτε, ἐπιποθοῦντες ἡμᾶς ἰδεῖν καθάπερ καὶ ἡμεῖς ὑμᾶς … [kai hoti echete mneian hēmōn agathēn pantote, epipothountes hēmas idein kathaper kai hēmeis hymas…] und dass ihr uns immerzu in guter Erinnerung habt, wobei ihr (immerzu) Sehnsucht habt, uns zu sehen, so wie auch wir euch

Diese gesamten vier dem Hauptsatz vorgeschalteten Nebensätze wirken so, also ob der Verfasser zunächst einmal tief Luft holen würde und damit seiner Erleichterung Ausdruck verschaffen müsste, wegen der ‚guten Nachrichten‘, des ‚Evangeliums‘, das ihm von Timotheus aus Thessalonich gebracht worden war. Die Verwendung des Präsensstammes im durch ὅτι [hoti] eingeleiteten Nebensatzgefüge (ἔχειν; ἐπιποθεῖν [echein; epipothein]) weist auf das anhaltende Denken aneinander und die beiderseits empfundene Sehnsucht hin und unterstreicht den Evangeliumscharakter der Botschaft des Timotheus. Erst jetzt folgt der Hauptsatz, der durch rückverweisende Präpositionalkonstruktion (διὰ τοῦτο [dia touto], deshalb), finites Verb (παρεκλήθημεν [ pareklēthēmen], sind wir getröstet worden) und die Anrede durch den Vokativ Plural (ἀδελφοί [adelphoi], Brüder) gekennzeichnet ist: διὰ τοῦτο παρεκλήθημεν, ἀδελφοί, ἐφ’ ὑμῖν ἐπί πάσῃ τῇ ἀνάγκῃ καὶ θλίψει ἡμῶν διὰ τῆς ὑμῶν πίστεως … [dia touto pareklēthēmen, adelphoi, eph‘ hymin epi pasē tē anagkē kai thlypsei hēmōn dia tēs hymōn pisteōs …] Deshalb sind wir getröstet worden, Brüder,

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

149

wegen euch in all unserer Zwangslage und unserer Bedrängnis, durch euren Glauben …

Διὰ τοῦτο [Dia touto] (‚wegen diesem‘) weist zurück auf die ‚guten Nachrichten‘ aus Thessalonich, also auf die vier eben formulierten Nebensätze. Der Vokativ ‚Brüder‘ wirkt inzwischen im Brief fast schon redundant (vgl. 2,1.9.14.17),19 würde er nicht, außer vielleicht in der formelhaften Anrede bei der Briefeinleitung (1,4), jedes Mal als Hinweis auf die enge Verbindung der Missionare mit ‚ihrer‘ Gemeinde interpretiert werden können. Die drei von Präpositionen abhängigen Ergänzungen muten plerophor an, zumal logisch vor θλίψει [thlipsei] (Bedrängnis) ein ἐπὶ πάσῃ [epi pasē] (in aller) ergänzt werden muss. Die letzte Präpositionalergänzung διὰ τῆς ὑμῶν πίστεως [dia tēs hymōn pisteōs] (wegen eures Glaubens) bestimmt das finite Verb παρεκλήθημεν [ pareklēthēmen] näher:20 deshalb sind wir getröstet worden … durch euren Glauben. Auch hier liegt eine Doppelung vor, insofern ja bereits das den Hauptsatz einleitende διὰ τοῦτο [dia touto] unter anderem auf ἡ πίστις [hē pistis] (3,6) rückverweist. Die erneute Erwähnung jetzt allein des Glaubens, ohne erneute Erwähnung der Liebe, zeigt, dass bei aller anderer Sorge, die das Missionarsteam hinsichtlich der Thessalonicher hegt, eben die Sorge um deren Glauben die größte ist. Das Ergebnis der Nachrichten aus den vier einleitenden Nebensätzen fasst Paulus schließlich in diesem Hauptsatz (getröstet werden) und einem ihm untergeordneten Nebensatz (V. 8: leben) zusammen. Dieser Nebensatz markiert denn auch das Aufatmen, insofern ὅτι νῦν ζῶμεν [hoti nyn zōmen] sinngemäß mit ‚denn nun können wir wieder aufatmen‘ paraphrasiert werden kann. Der sich daran noch anschließende Bedingungssatz (ἐὰν … [ean …]) greift erneut die Glaubensthematik auf, insofern ‚im Herrn stehen‘21 den Glauben an ebendiesen meint. V. 9f bildet eine rhetorische Frage: τίνα γάρ [tina gar] (wie nur). Eine Antwort wird auf diese Frage weder erwartet, noch ist sie möglich. Sie ist grammatisch gegliedert durch einen modalen Relativsatz (ᾗ χαίρομεν … [hē chairomen …], mit der wir uns freuen …) und ein adverbiales Partizip Präsens (δεόμενοι [deomenoi]), von dem zwei Infinitivkonstruktionen abhängig sind

19 Vgl. weiter 4,1.10.13; 5,1.4.12.14.25.26. Auffallend oft auch im 2Thess, wo ἀδελφοί neben 1,3 auch in 2,1.13.15; 3,1.6.13 gebraucht ist. 20 Vgl. NSS II, 200. 21 Im Konditionalsatz würde nach ἐάν eigentlich ein Konjunktiv (vgl. v.l.) und kein Indikativ erwartet. Im NT ist jedoch auch der Indikativ möglich, vgl. HvS § 282 a.

150

Kommentar

(εἰς τὸ ἰδεῖν … καὶ καταρτίσαι [eis to idein … kai katartisai], um zu sehen … und zu vollenden). Auf den beiden finalen Infinitiven liegt der Ton, wird doch hier nach 2,17 und 3,6 zum dritten Mal der dringende Wunsch einer persönlichen Begegnung angesprochen. Die (Für-)Sorge um den Glauben der Thessalonicher schließt nicht ohne inhaltlichen Grund das Satzgefüge ab. Die persönliche Begegnung ist dem Paulus vor allem um des Glaubens der Gemeinde willen wichtig, wie 3,2.5.6.7 zeigen (vgl. aber auch 2,13; 3,8): Es geht um ein Wiedersehen mit dem Ziel, im Glauben ‚zu vollenden, was noch fehlt‘. Die V. 11–13 schließen nicht nur Kapitel 3 ab, sondern den gesamten Briefabschnitt 1Thess 1–3. Dabei weist der (Gebets-)Wunsch, Gott möge den Weg der Missionare zu den Thessalonichern lenken (ἡμῶν πρὸς ὑμᾶς [hēmōn pros hymas] [V. 11] / ἡμεῖς εἰς ὑμᾶς [hēmeis eis hymas] [V. 12]: 2,18; 3,6fin) und die Bitte um die Stärkung (στηρίζειν [stērizein]: 3,2) der Herzen zurück auf 2,17–3,10. Der kurze Abschnitt erhält insgesamt durch seine formelhaften Sequenzen zu Beginn und am Ende und durch seine Wortwahl eine Scharnierfunktion im Brief: περισσεύειν [ perisseuein] (τῇ ἀγάπῃ [tē agapē]) verbindet mit 4,1.10, ἁγιωσύνη [hagiōsynē] mit 4,3f; 5,23, ἄμεμπτος [amemptos] mit 2,10; 5,23 und παρουσία [ parousia] schließlich mit 2,19; 4,15; 5,23. Insofern hat der Abschnitt transitorischen Charakter.22 Grammatikalisch ist der Abschnitt transparent. V. 11 bildet einen abgeschlossenen Satz in sich der inhaltlich von Gott über die Missionare, die ‚auf dem Weg‘ sind, zu den Thessalonichern führt: ὑμᾶς [hymas] (euch) in Satzendstellung. Die formelhafte Einleitung des Satzes (αὐτὸς δὲ ὁ θεός … Ἰησοῦς [autos de ho theos … Iēsous], er selbst aber, Gott … Jesus) korrespondiert mit dem nicht weniger formelhaften Abschluss des folgenden Satzes (ἔμπροσθεν τοῦ θεοῦ … ἀμήν [emprosthen tou theou … amēn], vor Gott … Amen, vgl. 1,3) und bildet insofern eine Inclusio. Ein erneuter Hauptsatz in V. 12 nimmt den Satzabschluss von V. 11 auf (ὑμᾶς [hymas] in Satzerststellung) und rekurriert am Ende auf das innige Verhältnis zwischen den Missionaren und der Gemeinde, so kommt ὑμᾶς [hymas] auch am Ende dieses Hauptsatzes zu stehen, erneut also in Satzendstellung. Im langen Zwischenstück ist der Gebetswunsch um die Zunahme der Liebe zueinander in der Gemeinde, gegenüber allen und gewiss nicht zuletzt eben um diejenige zwischen Missionarsteam und Gemeinde formuliert. Die beiden Verben πλεονάσαι [ pleonasai] (reich werden lassen) und περισσεύσαι [ perisseusai] (überreich machen) sind Optativformen, was für das NT ungewöhnlich ist; auch das finite Verb in V. 11,

22 Vgl. dazu besonders Ch.A. Wanamaker 140.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

151

κατευθύναι [kateuthynai] (lenken) ist eine Optativform.23 Der Gebrauch des für das NT seltenen Optativs24 weist auf die Formelhaftigkeit der Wendungen hin, hat sich der Optativ im NT doch ganz wesentlich in derartigen Formulierungen erhalten.25 V. 13 schließt eine finale Infinitivkonstruktion (εἰς τὸ στηρίξαι [eis to stērixai], um zu stärken) an den Hauptsatz aus V. 12 an. Durch den langen, von der Präposition ἔμπροσθεν [emprosthen] (vor) abhängigen, liturgischen Satzabschluss erhalten die V. 11–13 einen feierlichen Abschluss, der formal an dieser Stelle des Briefes etwas überdimensioniert wirkt,26 in dieser Überdimensionierung aber die Plerophorie von V. 9f weiterführt und wenn auch kaum emotional, so doch formal überbietet.27 Der Abschnitt 3,1-13 bietet zwei Stellen, die der textkritischen Betrachtung bedürfen. Bei V. 2 ist zu diskutieren, ob συνεργός [synergos] (Mitarbeiter) oder διά-

κονος [diakonos] (Diakon) zu lesen ist. Die bessere äußere Textbezeugung liegt für διάκονος [diakonos] vor, ist doch συνεργός (τοῦ θεοῦ) [synergos (tou theou)] nur durch die ursprüngliche Handschrift des Codex Claramontanus (D* 06) und die für die Paulusbriefe durchaus relevante Minuskel 3328 belegt, darüber hinaus belegen auch Ambrosiaster und Pelagius und einige weitere diese im Text von NA28 präferierte Lesart; ohne den Zusatz τοῦ θεοῦ [tou theou] (Gottes) bezeugt auch der Codex Vaticanus (B) συνεργός [synergos]. Διάκονος (τοῦ θεοῦ) [diakonos (tou theou)] ist dagegen durch die gewichtigen Codices Sinaiticus (a) und Alexandrinus (A) sowie durch weitere Maiuskeln und Minuskeln und alte Übersetzungen belegt. Die Herausgeber des NA entschieden sich für συνεργός [synergos], weil dies die anderen Lesarten am besten erkläre. Wäre διάκονος [diakonos] ursprünglich, so ließe sich die Textänderung in συνεργός [synergos] mit dem Zusatz τοῦ θεοῦ [tou theou] nicht erklären, was sich z.B. beim Codex Vaticanus (B) zeige, der τοῦ θεοῦ [tou theou] gestrichen habe.29 Dieser Argumentation schließt sich auch meine Übersetzung an.

23 Alle drei Formen sind Verben der 3. Pers. Sing. Aor. akt. Opt. Vgl. zu Optativformen im Gebetswunsch auch Röm 15,5.13 und 2Thess 2,17; 3,5.16. 24 Im gesamten NT findet er sich nur „ca. 67“-mal (HvS § 211 a). 25 Am bekanntesten die nur von Paulus und Lukas gebrauchte Wendung μὴ γένοιτο (das sei ferne), z.B. Röm 3,4.6.31; Lk 20,16. Paulus gebraucht diese Formulierung immerhin 16mal, allerdings nie im 1Thess. 26 Der unsichere Textbefund für ἀμήν mag darauf ein Hinweis sein; vgl. dazu gleich. 27 Zu den V. 9f vgl. die Auslegung unten. 28 Vgl. zur Bedeutung der aus dem 9. Jh. stammenden Minuskel 33 für die pln. Briefe K. Aland; B. Aland, Text, 141. 29 Vgl. B.M. Metzger (Hg.), Commentary, 631.

152

Kommentar

Bei V. 13 ist es unsicher, ob das in eckigen Klammern eingefügte Gebetsabschlusswort ἀμήν [amēn] zum ursprünglichen Textbestand gehörte. Die äu-

ßere Textbezeugung für und gegen die Ursprünglichkeit hält sich in etwa die Waage. Die Frage ist, ob ἀμήν [amēn] aus dem ursprünglichen Text getilgt wurde, weil es innerhalb des Briefkorpus deplatziert erschien (vgl. Röm 15,33; 16,24), oder ob es später ergänzt wurde, weil es als liturgisch erforderlich betrachtet worden ist, vollends als 3,13 Abschluss einer liturgischen Lesung geworden ist. Da diese textimmanente Argumentation nicht auf die eine oder andere Seite hin mit Sicherheit entschieden werden kann, bleibt ἀμήν [amēn] an dieser Stelle ein textlich unsicheres Wort.30

III Einzelexegese 3,1-5: Sehnsucht nach der und Sorge um die Gemeinde 1 Auch dieser Abschnitt ist, wie schon 2,17–20, übervoll von direkten und indirekten Hinweisen auf die herzliche, emotionale Verbindung, die Paulus und seine Mitarbeiter zur Gemeinde in Thessalonich haben. Das satzeinleitende deshalb (διό [dio])31 weist auf den gesamten Zusammenhang von 2,17-20 zurück.32 Zusammen mit dem kausal aufzulösenden adverbialen Partizip στέγοντες [stegontes] mag der Satzbeginn etwas plerophor wirken, ist damit aber Hinweis auf die eben erwähnte Emotionalität, die 3,1-5 durchzieht, und dürfte dieser geschuldet sein.33 Die Formulierung, etwas vor lauter Sehnsucht nicht mehr aushalten34 zu können, ist in diesem Abschnitt (vgl. 3,5) singulär im NT. In positiver Verwendung kommt das im NT nur von Paulus verwendete Verb στέγειν [stegein] in 1Kor 13,7 vor, wo davon die Rede ist, dass die Liebe ‚alles erträgt‘. Der einzig weitere Beleg ist ebenfalls im 1Kor (9,12): Paulus ‚erträgt um des Evangeliums willen alles‘.35 Diese beiden Kontexte, Liebe und Evangelium, spielen im vorliegenden Abschnitt wenigstens implizit ebenfalls eine Rolle. Womit denn anders, wenn nicht mit der Liebe zu den Thessalonichern, könnte 3,1.5 die Sehnsucht, sie unbedingt persönlich sehen zu wollen, besser in Verbindung gebracht werden? Die Sehnsucht, den 30 31 32 33 34

Vgl. B.M. Metzger (Hg.), Commentary, 631. Vgl. zu διό auch Anm. 1 (S. 142). So die meisten Kommentare, vgl. die Hinweise bei R. Hoppe 196 Anm. 57. Vgl. auch die Hinweise zum Satzbeginn von 3,5 oben unter II. Zur Bedeutungsbreite von στέγειν vgl. LSJ 1636, die für 1Thess 3,1.5 „contain oneself, hold out“ vorschlagen, vgl. auch J.A.D. Weima 206f; R. Hoppe 196 und immer noch W. Kasch, στέγω, ThWNT VII, 1964, 585-587, 585f. 35 Bei Paulus selbst liegen also unterschiedliche Bedeutungen des Wortes vor; vgl. zur Bedeutung bei 1Kor 9,12 und 13,7 z.B. W. Schrage, 1Kor VII/2, 305 und VII/3, 301f; E.J. Schnabel, 1Kor 491.771.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

153

Glauben der Thessalonicher zu stärken und damit die Möglichkeit zu schaffen, dass das Evangelium in ihnen noch nachhaltiger und unerschütterlicher wirksam werde, ist mehrfach Thema in 3,1-13. Die Konsequenz aus dieser Sehnsucht ist der Beschluss des Paulus, allein36 zurückzubleiben. Der Wechsel vom Plural in V. 1 zum Singular in V. 5 legt nahe, dass von Paulus mindestens die Initiative ausgegangen ist, den Timotheus zurückzuschicken.37 Nicht in Abrede gestellt werden soll, dass das Missionsteam dieser Initiative zustimmte und insofern im Konsens agiert wurde.38 Paulus nimmt es also um der Gemeinde willen auf sich, nun wirklich allein, ‚verwaist‘ (2,17) in Athen zu bleiben: Lieber ist er gänzlich auf sich allein gestellt, als dass es die Gemeinde ist.39 Hier an 2,17 zu erinnern, ist deshalb nicht ganz abwegig, weil auch Eph 5,31 (Zitat aus Gen 2,24 LXX) das Verlassen der Eltern durch den Sohn mit καταλείπειν [kataleipein] beschrieben wird. Die Eltern werden dadurch ‚als Waisen zurückgelassen’ (vgl. Ruth 2,11 LXX), was der Vorstellung in 1Thess 2,17 nahekommt.40 Dass dieser Beschluss von Paulus keinesfalls leichten Herzens oder gar mit Freude gefasst worden ist, ist trotz des meist positiv konnotierten εὐδοκεῖν [eudokein] (1Thess 2,8, vgl. Röm 15,26f; 2Kor 5,8; 12,10) schon allein wegen des davon abhängigen Infinitivs καταλειφθῆναι [kataleiphthēnai] (zurückzubleiben) offensichtlich und wird vollends plausibel, wenn man in Rechnung stellt, dass die Wirksamkeit des Paulus in Athen nicht gerade von Erfolg gekrönt war (vgl. Apg 17,16-21.32f ).41 2 Die Situation, die V. 1fin.2a geschildert wird, liegt auf der Erzählebene in der Vergangenheit: Timotheus wurde noch von Athen aus, also vor der Ankunft des Paulus in Korinth, dem Abfassungsort des 1Thess, nach Thessalonich zurückgeschickt.42 Für Paulus und die Missionare war es wichtiger, 36 Zum Gebrauch des Plural μόνοι vgl. bei der Einleitung Abschnitt III. 37 So auch St. Schreiber 184. 38 Über den Weg des Silvanus in der Zeit zwischen der Abreise von Beröa und der Ankunft in Korinth bestehen keine klaren Angaben, er dürfte aber den Paulus zusammen mit Timotheus in Athen getroffen haben. Vgl. dazu oben die Einleitung, Abschnitt III, und J.A.D. Weima 208. 39 Vgl. ähnlich auch H. Ravasz, Aspekte, 145. 40 Vgl. die Auslegung dort. – Die Verbindung zu 2,17 sieht auch J.A.D. Weima 207. 41 Von „certainly not an overwhelming success“ in Athen spricht D.L. Bock, Acts, 572. Vgl. zum Aufenthalt des Paulus in Athen E.J. Schnabel, Missionary, 98-104, der unter Verweis auf Apg 17,34 allerdings davon ausgeht, dass Paulus dort durchaus ‚erfolgreich‘ gewesen sein dürfte, auch wenn er keine Gemeinde habe gründen können, vgl. a.a.O., 104 und ders., Mission, 1127f. Vgl. zu den spärlichen Informationen über eine christliche Gemeinde in Athen bis zur sog. Konstantinischen Wende 325 n.Chr. ders., Mission, 1128f. 42 Vgl. für Einzelheiten dazu in der Einleitung, Abschnitt III.

154

Kommentar

den persönlichen Kontakt zur gerade erst gegründeten Gemeinde wieder aufzunehmen, als etwa an der persönlichen Gemeinschaft unter sich im Missionsteam festzuhalten. Offenbleiben muss, warum es für Timotheus möglich gewesen ist, nach Thessalonich zurückzukehren, für Paulus hingegen nicht. Spielte Timotheus bei der Gemeindegründung in Thessalonich eine so geringe Rolle, dass er mit keinen Nachstellungen bei seiner Rückkehr in die Stadt zu rechnen hatte?43 Hielt Paulus doch mehr von einer Rückkehr ab, als die befürchtete erneute Verfolgung in Thessalonich?44 Die Bezeichnung des Timotheus als unser Bruder weist auf die enge Beziehung des Missionsteams untereinander hin. Sollten die Gemeindeglieder in Thessalonich, die doch ebenfalls ‚Geschwister‘ sind (1,4; 2,1.9.14.17; 3,7; 4,1.10.13; 5,1.4.12.25.26), von der 1. Pers. Plural (ἡμῶν [hēmōn]) ausgeschlossen sein? Ist Timotheus nicht auch ihr ‚Bruder‘? Die Anrede mit Bruder bzw. Brüder ist jedenfalls häufig im NT und verweist auch ohne Personalpronomen (gen. possessoris) auf enge Verbundenheit.45 Die zweite Titulierung des Timotheus mit Mitarbeiter46 ist aufgrund des appositionellen Genitivs Gottes auffallend,47 da es in dieser Kombination nur noch 1Kor 3,9 verwendet ist. Sonst wird nahezu ausschließlich das possessive Personalpronomen der 1. Person Singular (μου [mou]) oder Plural (ἡμῶν [hēmōn]) gebraucht: Röm 16,3.9.21; Phil 2,25; 4,3; Phlm 1.24, bei 2Kor 8,23 ist das Possessivpronomen (ἐμός [emos]) verwendet.48 Der Genitiv τοῦ θεοῦ [tou theou] ist als gen. auctoris zu interpretieren. Timotheus ist demnach ein von Gott beauftragter Mitarbeiter.49 Mit dieser Titulierung wird gegenüber den Thessalonichern die Bedeutung der Sendung des Timotheus hervorgehoben. Paulus, so sollen die Thessalonicher wahrnehmen, kann zwar nicht persönlich zu ihnen kommen, Timotheus ist jedoch wie er selbst ebenfalls ein von Gott beauftragter Mitarbeiter am Evangelium. Er ist also von seiner Beauftragung her keineswegs geringer zu achten, als Paulus selbst: „alle συνεργοί [synergoi] – einschließlich Paulus – [sind] prinzipiell gleichgestellt, weil von der gleichen Indienstnahme abhängig“.50

43 44 45 46 47 48

Vgl. ähnlich J.A.D. Weima 209 und R. Hoppe 198f. Vgl. dazu auch die Auslegung zu 2,18. Vgl. dazu die Auslegung bei 1,4; 2,1.9. Συνεργός ist im NT außer 3Joh 8 nur im Corpus Paulinum belegt. Vgl. zur textkritischen Problematik von συνεργὸς τοῦ θεοῦ oben bei II. Ohne Ergänzung durch eines der beiden Pronomina 2Kor 1,24. Vgl. auch Kol 4,11, wo eines der beiden Pronomina zu ergänzen sein dürfte (vgl. E. Schweizer, Kol 178). 49 So auch W.-H. Ollrog, Paulus, 68, vgl. St. Schreiber 184. 50 W.-H. Ollrog, Paulus, 69, vgl. in diese Richtung auch J.A.D. Weima 209.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

155

Der Auftragsinhalt, für den Paulus und Timotheus arbeiten, wird durch die folgende Präpositionalkonstruktion ἐν τῷ εὐαγγελίῳ [en tō euangeliō] (am Evangelium) angegeben, die hier den dat. respectus51 ersetzen dürfte. Gemeint ist damit „die Missionsverkündigung“.52 Auch hier ist ein appositioneller Genitiv, τοῦ Χριστοῦ [tou Christou],53 angefügt, der als gen. obiectivus zu interpretieren ist, aber gleichzeitig auch als gen. subiectivus verstanden werden kann.54 Es handelt sich nämlich um das Evangelium Christi, also um diejenige Botschaft, die zum einen von Christus ausgeht, und die zum andern gleichzeitig die gute Nachricht über den Christus ist, womit also das Evangelium gemeint ist, das die Christusbotschaft zum Inhalt hat. Damit ist natürlich nichts anderes gemeint, als mit dem „Evangelium Gottes“, von dem schon 2,2.8.9 die Rede war und das Paulus 1,5 „unser Evangelium“ genannt hatte.55 Das Ziel der Sendung des Timotheus wird durch die drei Infinitive V. 2b und V. 3a bestimmt. Die Gemeinde zu stärken und trösten ist sein Auftrag. Στηρίζειν [Stērizein] wird von Paulus auch sonst im Blick auf die Stärkung der Gemeinde verwendet, sei es nun er selbst, der dies bewirken möchte (so Röm 1,11),56 oder Christus (so Röm 16,26, vgl. 1Thess 3,13; 2Thess 3,3).57 Die Übersetzung von παρακαλεῖν [ parakalein] muss kontextbedingt den Ton auf den Trost, die Ermunterung legen und nicht etwa auf die Ermahnung, vgl. so

51 Vgl. zu dieser Bedeutungsmöglichkeit von ἐν HvS § 187 k. – R. Hoppe 199 mit Anm. 79 geht im Anschluss an E. v. Dobschütz 131 ganz ähnlich davon aus, dass ἐν den „Bereich des Wirkens des Timotheus“ benennt, vgl. so auch I.H. Marshall 91. Dobschütz bezieht sich seinerseits damit allerdings auf G. Lünemann 84 und weist gleichzeitig auf W. Bornemann 133 hin, der meint, dass nicht nur der Bereich gemeint sei, sondern „genauer noch das Werk, an welchem Timotheus Mitarbeiter Gottes ist“. Die Verbindung von ‚Bereich‘ und ‚Werk‘ findet sich so auch bei T. Holtz 126. 52 W.-H. Ollrog, Paulus, 71. 53 Zur Formulierung τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ (das Evangelium Christi) vgl. Röm 15,19; 1Kor 9,12; 2Kor 2,12; 9,13; 10,14; Gal 1,6; Phil 1,27. 54 Diese doppelte Bedeutung des Genitivs setzen auch I.H. Marshall 91; St. Schreiber 184f voraus. Schreiber nimmt statt eines gen. subiectivus einen gen. auctoris an. Zur oft nur schwer erkennbaren Differenz zwischen einem gen. subi. und einem gen. auct. vgl. GGBB 109f, wonach im Zweifelsfall eher ein gen. subi. anzunehmen sei. – Nur gen. obi. nimmt z.B. A.J. Malherbe 191 an, aber auch R. Hoppe 199 im Anschluss an E. v. Dobschütz 131 (vgl. W. Bornemann 133) und T. Holtz 126 Anm. 611. Holtz macht ebd. jedoch darauf aufmerksam, dass der Genitiv „freilich von der Sache her – zugleich zum Gen auct [wird]“, was Hoppe verschweigt. 55 Vgl. die Auslegungen dort. 56 Vgl. sonst im NT in vergleichbarem Kontext nur noch Lk 22,32. Der Appell, sich selbst zu stärken, ist aus Jak 5,8 bekannt. 57 Einzig weiterer Beleg im NT für diese Verwendung ist 1Petr 5,10, vgl. 2Petr 1,12.

156

Kommentar

auch 3,7 (pass.); 4,18 und 2Kor 1,4.6; 7,6f.13.58 Die Bedeutung der beiden Infinitive liegt nicht besonders weit auseinander:59 „Die beiden Verben […] gehören offensichtlich zur Terminologie frühchristlichen Gemeindeaufbaus und haben eine Affinität zueinander.“60 Offenbleiben kann dabei auch, ob die Stärkung der Gemeinde zu deren Trost führt, oder die Tröstung der Gemeinde zu deren Stärkung – beides gehört unabdingbar zusammen. Letztlich hätte auch nur ein Verb ausgereicht, um die Besuchsabsicht des Timotheus zu beschreiben, die Doppelung signalisiert Intensität. Beide Verben werden sonst im NT in diesem engen Zusammenhang und in der hier vorliegenden Bedeutung ‚stärken und trösten‘ nur noch 2Thess 2,17 verwendet; vgl. aber auch Röm 1,11f (στηρίσθαι [stēristhai] und συμπαρακαλεῖσθαι [symparakaleisthai]); Apg 14,22; 15,32 (jeweils ἐπιστηρίζειν [epistērizein] und παρακαλεῖν [ parakalein]), wo παρακαλεῖν [ parakalein] allerdings nicht immer eindeutig mit ‚trösten‘ übersetzt werden kann. Alles Stärken und Trösten solle dabei hinsichtlich des Glaubens der Thessalonicher erfolgen. Die Präposition ὑπέρ [hyper] ist mit περί [ peri] austauschbar, was schon die Textkritik zeigt,61 womit daher „der Gegenstand [gekennzeichnet wird …], auf die sich eine Tätigkeit […] bezieht“.62 Der angefochtene Glaube der Gemeindeglieder in Thessalonich gibt Paulus Grund zur (Für-)Sorge. Der Glaube der Thessalonicher steht im 1Thess außer 1,3.8 besonders in Kapitel 3 im Mittelpunkt: 3,2.5.6.10, wo stets von der πίστις ὑμῶν [ pistis hymōn] (euer Glaube) die Rede ist (so auch 1,8).63 Sachlich ist das unerschütterliche Vertrauen gemeint, das im Heilswerk Christi gründet, das dieses zum Inhalt hat und das die Zugehörigkeit zur Gemeinde ausmacht und natürlich auch der gute Ruf der Gemeinde, der aufgrund ihres Glaubenszeugnisses weithin bekannt geworden ist (1,7f ). Bei der (Für-)Sorge um die Gemeinde geht es also um alles – nicht zuletzt auch für ihn, Paulus, selbst, wofür 2,19f beredtes Zeugnis ablegt.

58 Eng beieinander liegt die Bedeutung ‚trösten‘ und ‚ermahnen‘ bei 2Kor 2,7f, wo in V. 7 erstere und in V. 8 letztere Bedeutung vorliegt, vgl. Th. Schmeller, 2Kor VIII/1, 137. 59 Hierauf verweisen die Kommentare recht einmütig vgl. J.A.D. Weima 210; R. Hoppe 200. 60 T. Holtz 126. 61 So auch A.J. Malherbe 192. – Für die Austauschbarkeit von ὑπέρ und περί mit Gen. im NT und „vor allem bei Paulus“ in der Bedeutung „betreffs“ vgl. HvS § 184 r. 62 HvS § 184 n. 63 In 1,3 ist mit ὑμῶν τοῦ ἔργου τῆς πίστεως vom „eurem Glaubenswerk“ die Rede. Der einzig weitere Beleg für πίστις im 1Thess ist 5,8 θώρακα πίστεως (Brustschild des Glaubens), zur Bedeutung vgl. die Auslegung dort.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

157

3 Der vorbildliche Glaube, das unerschütterliche Vertrauen der Thessalonicher, so befürchtet Paulus nämlich, könnte durch die Bedrängnisse, die in Thessalonich nach wie vor zu ertragen sind, nachhaltig erschüttert werden. Das Verb σαίνειν [sainein] ist im NT nur an dieser Stelle belegt64 und ist zunächst für die Übersetzung insofern ein Problem, als die Grundbedeutung ‚wedeln‘ (etwa vom Schwanz eines Hundes) ist und von daher im übertragenen Sinn mit ‚schöntun, schmeicheln‘ wiedergegeben wird. Der Versuch, in dieser Richtung die Bedeutung zu suchen und etwa mit ‚betören‘ zu übersetzen,65 passt nur sehr schwer zum vorliegenden Kontext. Der hier gebotenen Übersetzung wird daher seit Langem weithin der Vorzug gegeben,66 nicht zuletzt, weil ‚erschüttern‘ zu ‚stärken‘ (στηρίζειν [stērizein], V. 2) und ‚(fest) stehen‘ (στήκειν [stēkein], V. 8) passt.67 Um welche Bedrängnisse es sich im Einzelnen handelt, die Paulus im Blick gehabt haben könnte, wird hier ebenso wenig ausgeführt wie in 1,6 (vgl. 3,7). Das Demonstrativpronomen ταύταις [tautais] (diese) ist rückverweisend und dürfte natürlich den in Gefahr stehenden Glauben der Thessalonicher (3,2) im Blick haben.68 Konkret benennt Traugott Holtz neben den Erlebnissen, die „aus der Berührung mit der Synagoge, die wenigstens für einen Teil von ihnen vorausgesetzt werden muß“, resultieren, auch „die Erfahrung ständigen, lastenden Drucks seitens der Umwelt, dem keine vergleichbare Erfahrung gegenwärtiger sozialer Kompensation entspricht“, was vor allem „von der schleichenden, auszehrenden Minderung des Lebensraums und des Lebensrechts, der nicht endenden Schikanen auf allen Gebieten menschlichen Zusammenlebens [gilt]“.69 Ein Rückverweis auf 2,14 liegt m.E., wie bereits angedeutet, jedoch ebenfalls nahe, zudem sind die Ereignisse, die zu den Ausführungen in 2,17 (ἀπορφανίζειν [aporphanizein], zur Waise machen) geführt haben, also die erzwungene fluchtartige Abreise aus Thessalonich, keinesfalls ausgeblendet, was ja für die Gemeinde selbst wie für Paulus und seine Mitarbeiter mit erschütternden Erfahrungen 64 In der LXX und den apostolischen Vätern wird es gar nicht verwendet. 65 So z.B. noch L. Morris 96; E.J. Richard 141f und wieder N. Baumert; M.-I. Seewann 40f („verlocken, beirren“), unter den älteren vgl. G. Wohlenberg 74f; J.E. Frame 128. 66 Vgl. zu hierzu v.a. F. Lang, σαίνω, ThWNT VII, 1964, 54-56 und WB6 1481, aus den Kommentaren v.a. W. Bornemann 134f; E. v. Dobschütz 133; B. Rigaux 470f und J.A.D. Weima 211f jeweils mit entsprechenden Belegen aus den Kirchenvätern und der Profangräzität. 67 Vgl. zum Verweis auf στηρίζειν z.B. A.J. Malherbe 193. 68 Dass Paulus befürchtet, die Thessalonicher würden aufgrund seiner Bedrängnisse im Glauben erschüttert werden (so z.B. A.J. Malherbe 193, auch erwogen von T. Holtz 127f ), weisen J.A.D. Weima 212f und St. Schreiber 186 mit Recht unter Hinweis auf den Gebrauch der 2. Pers. Plural im vorliegenden Abschnitt zurück. 69 T. Holtz 127. Die soziale Ausgrenzung hebt auch St. Schreiber 186f hervor.

158

Kommentar

verbunden gewesen ist.70 Dass also sowohl die Bedrängnisse des Paulus und seiner Mitarbeiter damals als auch diejenigen der Gemeinde jetzt, und diese gewiss deutlich vordergründiger, im Fokus stehen, scheint offensichtlich.71 Paulus erinnert gerade im 1Thess auffallend häufig an bereits vorhandenes Wissen der Gemeindeglieder.72 Hier in V. 3b.4 gleich zweimal, wobei das Subjekt durch satzeinleitendes αὐτοί [autoi] hervorgehoben ist: Ihr selbst wisst es. Damit wird an gemeinsame Erfahrungen, an eine gemeinsam erlebte Geschichte angeknüpft, was zum einen verbindend wirkt und damit dem emotionalen Charakter des gesamten Abschnittes entspricht. Zum andern dürfte damit aber auch die Mahnung impliziert sein: Es ist euch selbst von Anfang an bekannt gewesen, dass ein Religionswechsel (vgl. 1,9b) nicht folgenlos bleiben wird. Wundert euch deshalb also nicht, lasst euch auch nicht ‚erschüttern‘, alles ist so gekommen, wie es nach allem, was euch und uns bekannt war, zu erwarten war. Dazu nämlich sind wir bestimmt. Die passive Aktionsart κείμεθα [keimetha] ist als passivum divinum zu interpretieren: Christen sind von Gott (dazu) bestimmt.73 Das Perfekt hat resultative Bedeutung: Mit dem Christwerden sind Christen unabänderlich dazu bestimmt, dass ihnen Bedrängnisse widerfahren, jedenfalls dürfen sie nicht erstaunt darüber sein, wenn ihnen welche widerfahren. Daher kann Ernest Best mit Recht zusammenfassen: „normality is persecution“.74 Dies ist im NT eine Perspektive, die nicht nur von Paulus bekannt ist (Röm 5,3; 8,17; 2Kor 4,7-12; 11,23-33 u.ö.), sondern schon von Jesus (Mt 5,11f.44; 10,17-23; 23,34; 24,9f ) und insgesamt von den Aposteln stammt (Apg 9,16; 14,22; 1Petr 1,6; 3,13-17).75 Freilich, so Paulus etwas später im 1Thess: Die ‚Bestimmung‘ schlechthin für die an Christus Glaubenden, ist die Erlösung vom Zorngericht Gottes (5,9: ἔθετο ἡμᾶς [etheto hēmas], er hat uns bestimmt, vgl. zur Sache auch Röm 8,17).76 Die 1. Pers. Plural schließt 3,3 wie 5,9 erneut das Missionsteam und die Gemeindeglieder zu einer Einheit zusammen: „Die gemeinsame Erfahrung stärkt die Beziehung auch über die räumliche Trennung hinweg.“77 Dazu (εἰς τοῦτο 70 Für Einzelheiten vgl. jeweils die Auslegungen z.St. 71 Für den Bezug sowohl auf die Bedrängnisse des Paulus als auch auf die der Gemeinde vgl. I.H. Marshall 91f, der aber auch darauf hinweist, dass die Emphase auf den Bedrängnissen der Gemeinde liege. 72 Für die Belege im Einzelnen vgl. oben Anm. 131 (S. 53). 73 So auch J.A.D. Weima 213. 74 E. Best 135. 75 Darauf wird in der Literatur immer wieder verwiesen, vgl. z.B. I.H. Marshall 92; J.A.D. Weima 213, dies eher ablehnend St. Schreiber 187. 76 Näheres hierzu bei der Auslegung von 5,9. Auf 5,9 und Röm 8,17 verweist auch F.F. Bruce 62f. 77 St. Schreiber 187. Anders R. Hoppe 201f, der Paulus als Subjekt von κεῖμεθα sieht.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

159

[eis touto]), so ist hier noch zu ergänzen, weist auf θλίψεσιν ταύταις [thlipsesin tautais] (diese Bedrängnisse) zurück. Die Wiederaufnahme der Thematik in V. 4 mit μέλλομεν θλίβεσθαι [mellomen thlibesthai] (wir werden bedrängt werden) stützt die Annahme des Bezugs auf θλίψεις [thlipseis]. Mit V. 4 wird an die gemeinsame Zeit in Thessalonich erinnert und damit erneut die gemeinsame Geschichte und Verbundenheit aufgerufen: als wir nämlich bei euch waren. Aus dieser gewiss nicht langen gemeinsamen Zeit ‚wisst ihr selbst ja‘ (V. 3b), dass wir bedrängt werden würden. Auch hier dürfte die 1. Pers. Plural die Gemeinde und Paulus und seine Mitarbeiter zusammenschließen: Alle hatten und haben ‚Bedrängnisse‘ auszuhalten. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis von Todd D. Still interessant, der auf mögliche soziologische Konsequenzen von ‚Bedrängnissen‘ aufmerksam macht. „[T]he converts’ conflict with their compatriots would have confirmed their new worldview and convinced them that there was no pressing reason to revert to their old patterns of life […]. Conflict with their fellow Gentiles, therefore, fortified the Thessalonians’ faith and urged them to curtail, or even to cut off, intimate social contact with outsiders.“78 Ihr wisst dies deshalb, so Paulus weiter, weil wir es euch vorhergesagt haben. Zur Verkündigung des Paulus und seiner Mitarbeiter gehörte also zweifelsfrei die Ankündigung von Schwierigkeiten aufgrund des neuen Glaubens, was, wie eben erwähnt, (damals) zu den ‚Allgemeinplätzen‘ der christlichen Verkündigung gehört(e).79 Der Durativstamm des Impf. προελέγομεν [ proelegomen] ist iterativ zu verstehen: Mehrfach haben wir euch vorhergesagt. So ist es auch geschehen, wie ihr wisst. Damit wird nicht nur erneut auf das Wissen um die ‚Bedrängnisse‘ rekurriert, sondern gleichzeitig die Zuverlässigkeit der Verkündigung der Missionare unterstrichen: Wir haben es euch vorausgesagt, und es ist geschehen – was ihr zweifelsfrei wisst, weil ihr es am eigenen Leib und im eigenen Glaubensleben (πίστις [ pistis], 2,2) erfahren habt und noch erfahrt. V. 5 nimmt in seinem ersten Teil, mindestens bis zum Satzabbruch nach ἔπεμψα [epempsa] (sandte ich), V. 1f auf: Deswegen und weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, sandte ich …, damit ich etwas über euren Glauben erfahren würde – στέγειν [stegein] (aushalten), πέμπειν [ pempein] (senden) und πίστις [ pistis]) (Glaube) sind Rückgriffe auf den Beginn des Abschnitts. Die Formulierung ist deutlich intensiver als in V. 1f.80 Die Sendung 78 T.D. Still, Conflict, 272. 79 Warum dies nicht im Kontext der Verfolgung Jesu (Joh 15,20) verortet werden können soll, wie St. Schreiber 187 meint, leuchtet nicht ein. 80 Zu Einzelheiten vgl. oben bei II.

160

Kommentar

des Timotheus erfolgt zur Stärkung und Tröstung der Thessalonicher hinsichtlich ihres Glaubens an die Christusbotschaft.81 Paulus liegt daran, etwas über mögliche Fragen zu erfahren, die nicht zuletzt aufgrund der ‚Bedrängnisse‘ zu Unsicherheiten und Zweifeln bei den erst kürzlich Konvertierten geführt haben könnten, damit er ggf. selbst nochmals konkret auf einzelne Sachverhalte eingehen könnte. Dies tut er dann ja auch im vorliegenden Brief, was v.a. aus den Abschnitten in 4,1–5,11 wahrscheinlich gemacht werden kann.82 Die bedrängende Sorge des Paulus um mögliche Unsicherheiten und Zweifel im Blick auf die Standfestigkeit der Thessalonicher im Glauben wird dadurch plastisch, dass Paulus eine mögliche Aktivität eines ‚verführenden Verführers‘ befürchtet. So hegt er nämlich die Befürchtung, dass euch der Verführer wirklich verführt habe. Die Formulierung im NT, die der hier vorliegenden am nächsten kommt, ist 1Kor 7,5: ἵνα μὴ πειράζῃ ὑμᾶς ὁ σατανᾶς [hina mē peirazē hymas ho satanas] (damit euch der Satan nicht versuche). Weil 1Kor 7,5 ὁ πειράζων [ho periazōn] (der Versucher) durch ὁ σατανᾶς [ho satanas] (der Satan) ersetzt ist und weil in 1Thess 2,18 der Satan schon einmal erwähnt wurde, darf angenommen werden, dass er auch an unserer Stelle gemeint ist.83 Seine Tätigkeit als Versuchender wird dabei hervorgehoben (Mt 4,1.3, vgl. Lk 4,2). Das Mittel der Versuchung besteht natürlich in den θλίψεις [thlipseis] (Bedrängnissen). Das Ziel der Versuchung liegt darin, die Glaubenden von ihrem erst kürzlich begonnenen Glaubensweg abzubringen. Deshalb auch die Sorge um die πίστις [ pistis] (Glaube) der Gemeindeglieder.84 Hier (3,5) wie dort (2,18) gilt nämlich: Wäre der Verführer wirklich am Werk, dann hätte dies Einfluss auf Gottes Heilswerk an den Gemeindegliedern und an dem Glaubenszeugnis der Gemeinde, das in Thessalonich nicht weitergeführt werden oder nicht weiter wachsen könnte. Dahinter aber kann nur der Gegner Gottes schlechthin stecken.85 Der Gebrauch des Indikativs ἐπείρασεν [epeirasen] (er versuchte), der anstelle des zu erwarteten Konjunktivs steht,86 weist wohl darauf hin, dass Paulus von einer Tätigkeit ‚des Verführers‘ tatsächlich ausging. Unsere Arbeit wäre dann umsonst gewesen. Die Arbeit des Missionsteams wurde bereits in 2,9 thematisiert, vgl. auch Gal 2,2; Phil 2,16. Paulus gebraucht hier den Konjunktiv, womit ein Indiz dafür vorliegt, dass er bzgl. der Auswirkungen der Tätigkeit des Versuchers auf sein und 81 82 83 84 85 86

Vgl. die Auslegung zu 3,2. Vgl. dazu schon oben bei Anm. 39 (S. 17). So auch J.A.D. Weima 217; St. Schreiber 188 u.a. Vgl. auch die Verbindung von θλῖψις und πίστις bei 3,7. Vgl. dazu bei der Auslegung zu 2,18. Der Konjunktiv wird im folgenden finiten Verb γένηται (gewesen wäre) verwendet.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

161

seiner Mitarbeiter eigenes Werk in Thessalonich unsicher war; evtl. weist auch der Wechsel zwischen Indikativ und Konjunktiv auf diese Unsicherheit hin. Darüber wiederum wollte er durch die Sendung des Timotheus bei dessen Rückkehr Gewissheit bekommen. 3,6-10: Zum Glück kann aufgeatmet werden 6 Auf der Erzählebene wird nun die Zeit gewechselt: ἄρτι δέ [arti de] (jetzt aber) will zunächst zeitlich verstanden sein, worauf auch νῦν [nyn] in V. 8 hinweist. Timotheus ist aus Thessalonich zurückgekehrt und jetzt wieder bei Paulus, der sich bei der Abfassung des Briefes in Korinth aufhält.87 Ἐλθόντος [Elthontos] (gekommen seiend) spinnt den Erzählfaden weiter, der mit πέμπειν [ pempein] (senden, 3,2.5) begonnen wurde. Die Verbindung von ἄρτι [arti] mit δέ [de], jetzt aber, ist im NT sonst so nicht belegt. Das gesamte Kapitel 3 ist von so hoher emotionaler Dichte, dass mehrfach das Aufatmen des Paulus geradezu ‚zu hören‘ ist. Wie nochmals ausdrücklich bei V. 8, so wird hier das erleichterte Gemüt durch die adversative Partikel δέ [de] ‚hörbar‘: Jetzt aber ist Timotheus endlich gekommen und bringt zum Glück gute Nachricht mit.88 Die emotionale Dichte wird erneut (vgl. 2,17-19) auch durch die Überfülle von Personalpronomen der ersten und zweiten Person (zu uns von euch) in den Versen 6–10 augenscheinlich: siebenmal 1. Pers. Pl.; zehnmal 2. Pers. Pl.89 Mit εὐαγγελίζεσθαι [euangelizesthai] (gute Nachricht verkündigen) liegt zunächst kein theologischer, sondern ein profaner Gebrauch des Wortes vor, was für das Corpus Paulinum singulär ist.90 Es ist eben eine wirklich gute Nachricht,91 die Paulus von der Gemeinde zu hören bekommt. In Verbindung mit den beiden Substantiven πίστις [ pistis] und ἀγάπη [agapē] (Glaube und Liebe) bekommt jedoch auch dieser Gebrauch eine theologische Konnotation: Die Nachricht über den standfesten Glauben trotz der Bedräng-

87 Vgl. zu den Ereignissen im Einzelnen die Einleitung, Abschnitt III. 88 Die Partikel mit παρεκλήθημεν (wir wurden getröstet, V. 7) in Verbindung zu bringen, wie R. Hoppe 207 will, ist aufgrund des davor gesetzten διὰ τοῦτο (deshalb) eher unwahrscheinlich. Ein Bezug auf das Kommen des Timotheus und dessen guter Nachricht liegt auch grammatikalisch näher; vgl. zum doppelten gen. absolutus oben bei II. 89 Darauf verweisen z.B. J.A.D. Weima 219 und H. Ravasz, Aspekte, 151. 90 Vgl. Lk 1,19; 2,10; Offb 14,6. Allerdings liegt auch bei diesen drei Stellen jeweils theologische Konnotation vor, vgl. z.B. D.L. Bock, Lk I, 92.215 (zu Lk 1,19; 2,10) und D.E. Aune, Rev B, 825f (zu Offb 14,6). 91 Zum profanen Gebrauch des Verbs εὐαγγελίζεσθαι in der LXX, das dann einem bloßen ἀγγέλλειν gleichkommt (vgl. z.B. 2Reg 1,20 = 2Sam 1,20; Ps 95 [96],2b.3a), vgl. immer noch P. Stuhlmacher, Evangelium, 156-159; Belege für den entsprechenden Gebrauch des Verbs aus der Profangräzität a.a.O., 182-184.

162

Kommentar

nisse (vgl. 3,2.5) und die Liebe der Thessalonicher zum Missionsteam92 wie auch zu allen Menschen (vgl. 3,12, aber auch 4,9f )93 wertet Paulus als geradezu evangeliumsgleiche gute Nachricht.94 Wenn man so will, kann hier (3,6) umschrieben werden: Die gute Nachricht über den Stand des Evangeliums in der Gemeinde, wofür deren Standfestigkeit im Glauben und deren Liebe ‚Gradmesser‘ sind, ist für Paulus Evangelium.95 Es ist dabei keineswegs nebensächlich, dass auch noch die andauernde gute Erinnerung der Thessalonicher an Paulus und seine Mitarbeiter erwähnt wird. Paulus erinnert sowohl dabei als auch bei den beiden Begriffen Glaube und Liebe an das Proömium. Wird beim Glauben und der Liebe an die Trias aus 1,3, Glaube, Liebe, Hoffnung, zurückgegriffen,96 so bei der ‚andauernden (guten) Erinnerung‘ an 1,2. Dort führte Paulus seine eigene ‚andauernde (gute) Erinnerung‘ an die Gemeinde ins Feld, jetzt geht es um die ‚andauernde (gute) Erinnerung‘ der Gemeinde an die Missionare. Sowohl bei 3,6 als auch bei 1,2 wird πάντοτε μνεία [ pantote mneia] verwendet,97 wobei die Ergänzung durch das Adjektiv ἀγαθή [agathē] (gut) möglicherweise auf „a greater warmth“98 hinweist. Die innige Verbindung der beiden Personengruppen wird erneut eindrücklich vor Augen geführt. Fürs Erste wird der Gedankengang hier durch den vierten, dem Hauptsatz vorgeschalteten Nebensatz abgeschlossen. Die (andauernde) Sehnsucht, einander zu sehen, wird jetzt in wechselseitiger Form ausdrücklich formuliert. In 2,17 war lediglich von der Sehnsucht des Paulus nach der Gemeinde die Rede, was der Erzähllogik des Briefes folgt: Erst jetzt, nachdem Timotheus mit guter Nachricht gekommen ist, kann dies auch von der Gegenseite festgestellt werden. Der Gebrauch des Kompositums ἐπιποθεῖν [epipothein]99 (Sehnsucht haben) weist ebenfalls auf großes emotionales Verlangen 92 G.D. Fee 123; J.A.D. Weima 220 und St. Schreiber 189f unterstreichen neben anderen den alleinigen Bezug von Liebe auf die Beziehung der Missionare zur Gemeinde und der Gemeinde zu den Missionaren, wobei Schreiber ebd. ergänzt, dass „Vertrauen und Liebe untereinander und in Bezug auf Gott natürlich nicht [ausgeschlossen ist]“. 93 Vgl. auch 2Thess 1,3. 94 In 5,8 werden die beiden Begriffe nochmals in sehr enger Verbindung verwendet; vgl. die Auslegung dort. 95 Vgl. ähnlich u.a. auch J.A.D. Weima 219; R. Hoppe 208. 96 Vgl. dazu die Auslegung zu 1,3. Ob hier μνεία in Verbindung mit ἐπιποθεῖν die Trias vervollständigen soll? Immerhin geht es dem Paulus seit 2,17 stets darum, die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der Gemeinde in immer neuen Formulierungen zum Ausdruck zu bringen. 97 Auf die Verbindung von 1,2 mit 3,6 verweist besonders R. Hoppe 208. 98 So J.A.D. Weima 220. 99 Das Simplex ποθεῖν (sehnen) wird im NT nicht verwendet. Auch in der LXX kommt es nur selten vor. Est 13,2 [3,13b] LXX: Alle Menschen sehnen sich nach (ποθεῖν) Frieden. Spr 7,15 ist von der Sehnsucht der Ehebrecherin nach dem jungen Mann die Rede. Die

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

163

hin. Im Corpus Paulinum wird der Begriff nur siebenmal verwendet, was seine Bedeutung als emotionalen Terminus hervorhebt. Das Verlangen, dass Personen(gruppen) einander sehen möchten, steht dabei im Vordergrund: Röm 1,11; 2Kor 9,14; Phil 1,8; 2,26; 2Tim 1,4; einmal ‚sehnt‘ sich Paulus danach, mit der ‚himmlischen Wohnung‘ bekleidet zu werden (2Kor 5,2). 7 Endlich hebt Paulus zum Hauptsatz an und benennt, was die Nachrichten aus Thessalonich bei ihm ausgelöst haben: Brüder, wir sind getröstet worden!100 Auch durch παρακαλεῖν [ parakalein] wird Wechselseitigkeit hergestellt: Sollte Timotheus durch seinen Besuch in Thessalonich die dortige Gemeinde ‚trösten‘ (3,2), so wird jetzt aufgrund seiner Rückkehr im Gegenzug Paulus durch die gute Nachricht aus der Gemeinde ‚getröstet‘.101 Auch von den Gemeinden in Rom und Korinth wird berichtet, dass Paulus durch Gemeinden ‚getröstet‘ wird: Röm 1,12 (συμπαρακαλεῖν [symparakalein]); 2Kor 7,4.13. Aus Phlm 7 wird ersichtlich, dass Paulus auch von Einzelpersonen getröstet worden ist. In 2Kor 7,7 ist davon die Rede, dass Paulus durch Titus und dieser wiederum durch die Korinther getröstet worden sei. Die drei folgenden präpositionalen Konstruktionen benennen weitere, über die in V. 6 aufgezählten hinausgehende Gründe für den empfangenen Trost. Zweimal wird dabei ἐπί [epi] mit folgendem Dativ gebraucht. Die erste Konstruktion ist sicher in der auch sonst bei Verben des Affekts üblichen Weise102 kausal zu übersetzen: wegen euch (ἐφ’ ὑμῖν [eph hymin]).103 Das zweite Präpositionalgefüge dürfte zeitlich zu interpretieren sein: in all unserer Zwangslage und unserer Bedrängnis (ἐπὶ πάσῃ … [epi pasē …]). Gemeint ist also die immer noch anhaltende bedrängende Situation, in der sich Paulus und seine Mitarbeiter befinden.104 Im Einzelnen lässt sich hier nicht mehr feststellen, was mit dem inhaltlich nicht unterscheidbaren Begriffspaar ἀνάγκη [anankē] und θλῖψις [thlipsis] gemeint ist.105 Paulus verwendet die beiden Termini auch 2Kor 6,4 eher unbestimmt und mit kaum benennbarem sachlich-

100 101 102 103 104 105

einzigen weiteren Belege sind im Kontext der Sehnsucht nach der Weisheit verwendet: Weish 4,2; 6,11; 8,8; 15,5f. Zum rückverweisenden διὰ τοῦτο und der Anrede ἀδελφοί vgl. oben bei II und die Hinweise dort. Vgl. zur Bedeutung von παρακαλεῖν die Auslegung bei 3,2. Vgl. HvS § 184 j, aus den Kommentaren besonders M. Dibelius 17. Zur Diskussion, dass hier evtl. mit ‚hinsichtlich‘ (vgl. BDR § 2353) zu übersetzen sei, vgl. J.A.D. Weima 222. R. Hoppe 210 weist mit Recht darauf hin, dass auch dann der Grund für den Trost angegeben werden würde. Vgl. HvS § 184 j, so auch M. Dibelius 18. A. Strobel, ἀνάγκη κτλ., EWNT2 I, 1992, 185-190, 188 weist darauf hin, dass die beiden Substantive an unserer Stelle ein Hendiadyoin bilden würden.

164

Kommentar

em Unterschied.106 Die ‚Bedrängnisse‘, auf die 3,3-5 verwiesen ist, betreffen ja die Thessalonicher. Evtl. können jedoch rückblickend die Ereignisse in Thessalonich und Beröa im Hintergrund stehen, oder auch der Hinderungsgrund der Botschaft des Evangeliums schlechthin, der in 2,18 Satan genannt worden war.107 Das Mittel, wodurch der Trost des Paulus zustande kommt,108 ist jedoch euer Glaube. Die Bedeutung des Glaubens der Thessalonicher wurde bislang mehrfach hervorgehoben: 3,2.5.6, vgl. 3,10. Die Position des Personalpronomens vor dem Substantiv hebt diesen nun erneut hervor: Was mich tröstet, ist euer Glaube, euer Glaubensleben. 8 Ein erneuter Nebensatzbeginn mit ὅτι [hoti] (denn, vgl. V. 6b) beschließt den Anakoluth der Verse 6–8. Denn nun, so hebt Paulus erneut an, nachdem er bereits mit ἄρτι δέ [arti de] (jetzt aber) in V. 6 auf die erzählte Gegenwart abhob. Erneut ist ein aufatmendes ‚Endlich‘ mitzuhören und mitzudenken: Denn nun, nachdem wir durch die gute Nachricht des Timotheus getröstet worden sind. Ὅτι [Hoti] gibt hier keinen weiteren Grund (‚weil‘) für den Trost an, sondern leitet eine Schlussfolgerung nach all den genannten Gründen ein.109 Der Ton liegt auf νῦν [nyn], nicht auf ὅτι [hoti]: ‚denn nun endlich‘ im Sinn von: ‚sodass wir, „so wie die Dinge jetzt liegen“,110 (endlich wieder auf-)leben‘ können. Inhaltlicher Hintergrund für die Verwendung von ζῆν [zēn] ist die jetzt wieder mögliche deutlich verbesserte Lebensqualität: Das Leben ist jetzt befreit „v[on] geistigem Druck“ und kann mit dem Aufleben nach (schwerer) Krankheit verglichen werden.111 Auch das Verwaistsein (2,17) mag jetzt nicht mehr so intensiv erlebt worden sein wie zuvor. Sachliche Nähe liegt zu 2Kor 7,3-7 vor, wo metaphorisch davon die Rede ist, dass die Korinther, aufgrund des durch sie erfolgten Trostes, im Herzen des Paulus und seiner Mitarbeiter mitsterben und mitleben (συναποθανεῖν καὶ συζῆν [synapothanein kai syzēn]).112 Der mit ὅτι [hoti] eingeleitete Nebensatz bildet zusammen mit ἐάν [ean] (wenn) eine Konditionalperiode. Die Protasis (ἐάν … [ean …]) folgt dabei 106 Vgl. auch 2Kor 12,10 allerdings ohne θλῖψις, dafür mit dem hierzu synonymen στενοχωρία; vgl. zur Synonymie dieser beiden Substantive R. Chr. Trench, Synonyma, 124f. 107 Ob die Ereignisse, die Apg 18,12-17 geschildert sind, eine Rolle spielten ist unklar. Hatten diese z.Zt. der Abfassung des Briefes schon stattgefunden? 108 Διά mit folgendem Genitiv gibt im übertragenen Sinn das Mittel oder das Werkzeug an, vgl. HvS § 184 f, vgl. M. Dibelius 18. 109 So auch St. Schreiber 191. 110 Zu dieser möglichen Übersetzung von νῦν vgl. HvS § 252, 42. 111 Zitat und Vergleich bei WB6 680 s.voc. ζῶ. 112 Vgl. für diesen Hinweis v.a. A.J. Malherbe 203 und J.A.D. Weima 224. Zum Vergleich mit der üblichen antiken Brieftopik vgl. z.B. A.J. Malherbe 202f.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

165

der Apodosis (νῦν ζῶμεν [nyn zōmen]). Die Grammatik lässt darauf schließen, dass ein generell prospektiver Fall113 vorliegt, der in etwa wie folgt wiedergeben werden kann: Immer, wenn ihr demnach114 fest im Herrn steht (womit nach all dem Genannten fest gerechnet werden muss), dann leben wir auf (was eine unabänderliche Folge ist). Dies klingt wie ein Fazit: Euer Glaube und unser ‚Wieder-Aufleben‘ hängen unmittelbar zusammen. Damit erinnert dieses Fazit an 2,19f. Wurde dort auf die Bedeutung des Glaubens der Gemeinde für die Missionare im eschatologischen Kontext verwiesen (παρουσία [ parousia]), so wird hier nun deren Bedeutung für das gegenwärtige Leben in den Vordergrund gerückt. Fest stehen im Herrn beschreibt das erfolgreiche und tröstende Ergebnis des Auftrags, den Timotheus in Thessalonich hatte und bildet insofern dessen logische Fortsetzung: Er sollte die Gemeinde dort im Glauben stärken (vgl. 3,2.6.7). Jetzt, so hat er es berichtet, stehen sie im Glauben an den Herrn fest. Es dürfte unzweifelhaft sein, dass mit κύριος [kyrios] Jesus Christus gemeint ist.115 Die Präsensform στήκω [stēkō], die dem Perfekt ἕστηκα [hestēka] mit präsentischer Bedeutung entspricht, die zudem erstmals im NT auftaucht,116 hat resultativen Aspekt, was die Ergänzung ‚fest‘ bei der Übersetzung bedingt. Im Corpus Paulinum ist diese Form, bei zehn Vorkommen im NT, siebenmal im übertragenen Sinn verwendet. Phil 4,1 liegt dieselbe Formulierung vor wie hier; 1Kor 16,13, ist vom festen Stehen im Glauben die Rede, vgl. weiter Gal 5,1; Phil 1,27; 2Thess 2,15.117 9 Von der narrativen Ebene wird jetzt mit einer rhetorischen Frage auf die ‚Dankesebene‘ gewechselt. Dem ‚Wieder-Aufleben-können‘ (V. 8) folgt der Dank. Das Substantiv εὐχαριστία [eucharistia] wird in beiden Thessalonicherbriefen zwar nur an dieser Stelle verwendet. Über die Verwendung des Verbs εὐχαριστεῖν [eucharistein] im 1Thess kann aber gezeigt werden, dass ein Dank-Gedankenstrang vom Proömium bis hierher vorliegt. Hatte Paulus in 1,2 für die Gemeinde insgesamt, also für die Personen (im Gebet) gedankt, so 2,13 dafür, dass sie ‚das gepredigte Wort Gottes‘ als Gotteswort aufgenommen haben, das in ihnen, ‚den Glaubenden‘, wirksam ist.118 Die Beziehung zu den 113 Vgl. hierzu HvS § 280 c. 114 Vgl. zu dieser Wiedergabe von ἐάν St. Schreiber 191. 115 Ἐν κυρίῳ (vgl. besonders noch Röm 16,11-13) steht für das sonst übliche ἐν Χριστῷ (Ἰησοῦ), vgl. Röm 3,24; 6,11.23; 8,1.39; 12,5; 16,9; 1Kor 1,2 u.ö. 116 Vgl. HvS § 120, 5; BDR § 734. 117 Allein in Röm 14,4 ist kein direkter Bezug zum Stehen im Glauben vorhanden. Zum einfachen Gebrauch vgl. Mk 3,31; 11,25. Übertragene Bedeutung auch bei Joh 8,44, wo die Imperfektform ἔστηκεν allerdings auch als Perfektform ἕστηκεν gelesen werden könnte; vgl. B.M. Metzger, Commentary, 226. 118 Die Verbindung zu 1,2;2,13 sieht z.B. auch R. Hoppe 212.

166

Kommentar

Menschen in Thessalonich und deren Glaube stehen im dauernden Fokus der ersten drei Kapitel des 1Thess. Jetzt (3,9) geht der Dank-Gedanke für euch weiter und führt zum Dank an Gott, dem dies alles zu verdanken ist. Eigentlich wäre jetzt, so die Logik, Gott noch direkter anzusprechen, quasi als Steigerung der beiden voraufgehenden Danksagungen. Aber diese waren ja auch schon an Gott119 gerichtet. Eben diese Steigerung will nicht gelingen. Dem Beter gehen beim Danken die Worte aus, oder anders formuliert: Es überschlagen sich die Freudengefühle derart, dass vor lauter Freude die Sprache keine Worte mehr finden kann: Wie können wir … nur (angemessen) … abstatten? Jedenfalls dreht sich in V. 9 alles in auffallender sprachlicher Dichte um die Gemeinde (zweimal ὑμεῖς [hymeis], ihr), um Gott (zweimal θεός [theos]) und um den Dank ihm gegenüber (εὐχαριστία [eucharistia] als ‚Überschrift‘), der aus sich überschlagender Freude resultiert (χαρά [chara] und χαίρειν [chairein], Freude und freuen). Das Kompositum ἀνταποδιδόναι [antapodidonai] wird im NT nur siebenmal gebraucht120 und meint, etwas zu vergelten oder (zurück-)erstatten (Röm 11,35; Lk 14,14).121 Die Frage bleibt für den Dankenden offen: Was wäre Gott gegenüber bloß der angemessene Dank? Diese Frage ist schon atl. virulent wie Ps 115,3 [= 116,12] LXX zeigt: τί ἀνταποδώσω τῷ κυρίῳ περὶ πάντων, ὧν ἀνταπέδωκέν μοι [ti antapodōsō tō kyriō peri pantōn, hōn antapedōken moi] (was soll ich dem Herrn vergelten, für alles, was er mir vergolten hat)?122 „Nichts!“ – wäre die einzig angemessene Antwort. Wie schon in V. 7 ist auch V. 9 mit einer Dichte von Präpositionen versehen: περί [ peri] mit Genitiv, ἐπί [epi] mit Dativ, διά [dia] mit Akkusativ und schließlich ἔμπροσθεν [emprosthen] mit Genitiv. Die erste Präposition gibt den Inhalt des Dankes an: für euch, die Gemeinde, danken wir. Die zweite gibt den Grund für den Dank an: aufgrund all der Freude, mit der wir uns freuen.123 Die beiden Präpositionen sind in gleicher Bedeutung auch 1Kor 1,4 belegt.124 All die Freude, mit der wir uns freuen, expliziert die neue Lebensqualität (ζῆν [zēn], V. 8), die aufgrund der guten Nachricht des Timotheus bei Paulus und seinen Mitarbeitern Raum gewonnen hat: Das Leben macht wieder Freude, Aufatmen ist möglich. Dass die Thessalonicher der Inhalt der Freude 119 Auch 1,2 und 2,13 wird ja τῷ θεῷ verwendet. 120 Häufig ist es hingegen in der LXX verwendet und dort v.a. in den Psalmen. 121 Im negativen Sinn daher auch mit der Bedeutung ‚rächen‘, so Röm 12,19; 2Thess 1,6; Hebr 10,30; vgl. WB6 144. 122 Übersetzung nach LXX.D. Auf Ps 115,3 LXX wird auch sonst in den Kommentaren verwiesen, vgl. z.B. E. v. Dobschütz 145; A.J. Malherbe 204; J.A.D. Weima 225. 123 So z.B. auch E. v. Dobschütz 145. 124 Darauf macht J.A.D. Weima 226 im Anschluss an E.J. Richard 163 aufmerksam.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

167

sind, wurde schon 2,19f ausgesprochen. Beim Syntagma τῇ χαρᾷ ᾗ χαίρομεν [tē chara hē chairomen], ist, wie bereits erwähnt, die Relativpartikel modal zu übersetzen, da es „der volkstümlichen Wendung χαρᾷ χαίρειν [chara chairein] [entspricht]“125 (vgl. Jes 66,10 LXX; Joh 3,29)126 und womit gemeinhin in griechischen Texten der LXX oder des NT der hebräische infinitivus absolutus wiedergegeben wird.127 Aufgrund all der Freude, ἐπὶ πάσῃ τῇ χαρᾷ [epi pasē tē chara], steht in einem umgekehrten Verhältnis zu ἐπὶ πάσῃ τῇ ἀνάγκῃ καὶ θλίψει [epi pasē tē anankē kai thlipsei] (aufgrund all der Zwangslage und Bedrängnis) in V. 7. Es liegt ein völlig neues Lebensgefühl vor. Anlass zu dieser Freude ist natürlich die Gemeinde: διὰ ὑμᾶς [dia hymas] (euretwegen). Diese erneute Erwähnung der Gemeinde ist eigentlich nicht nötig. Es ist längst deutlich geworden, worum es dem Verfasser geht. Die drei ersten Präpositionalgefüge einschließlich des Relativsatzes sind eine ‚plerophore Plerophorie‘, ein rhetorisch überdimensioniertes Satzgefüge, das auf die Stimmung des Verfassers hinweist. Durch das vierte Präpositionalgefüge, vor Gott, wird die Blickrichtung auf den gerichtet, vor dem dies alles stattfindet: Das gegenwärtige von Freude übervoll erfüllte Leben wird in der Gegenwart von und in der Verantwortung vor Gott gelebt (vgl. 1,3).128 Unseres Gottes wird eigens unterstrichen, womit die Verbindung zwischen Gemeinde und Missionsteam nochmals benannt ist. 10 Erneut wird nach 2,17f; 3,6 das Verlangen nach einer persönlichen Begegnung (zu sehen) zum Thema. Hier wie auch in 2,17 ist diesem Wunsch nach einem persönlichen Besuch in Thessalonich dadurch intensiver Nachdruck verliehen, dass sowohl ‚euch‘ als auch ‚von Angesicht‘ ergänzt ist (anders 3,6). Damit bildet diese Formulierung zusammen mit 2,17 in ihrer Intensität eine Inclusio: Dem Verwaistsein möge endlich ein Ende bereitet werden – so die eindringliche Gebetsbitte. In 2,17 ist dies noch nicht ausdrücklich als Gebet markiert. Die Intensität und Plerophorie des vorangegangenen Verses werden in V. 10 rhetorisch auch nicht mehr lediglich formal sichtbar, sondern temporal und quantitativ geradezu materialisiert: Nacht und Tag129 … ganz über alles

125 E. v. Dobschütz 145. 126 Auf diese beiden Stellen verweisen z.B. auch E. v. Dobschütz 145; A.J. Malherbe 204; J.A.D. Weima 226. 127 Vgl. HvS § 180 c. 128 Das zukünftige Leben in der Gegenwart Gottes ist 2,19 thematisiert und wird gleich, 3,13 nochmals aufgegriffen werden. 129 Zur Wendung im Corpus Paulinum vgl. 2,9; 2Thess 3,8; 1Tim 5,5; 2Tim 1,3.

168

Kommentar

Maß hinaus. Mit nicht mehr intensiver formulierbaren Worten teilt Paulus der Gemeinde mit, wie er Gott ohne Unterbrechung, nachts und tagsüber, und in der „denkbar höchste[n] Steigerungsform“130 ganz über alles Maß hinaus anfleht. Der Präsensstamm des Partizips bittend (δεόμενοι [deomenoi]) nimmt dies durch seine iterative Aktionsart (unaufhörlich i.S.v. immer wieder, vgl. Lk 18,1-8) formal und durch seine gegenüber dem häufiger für ‚beten‘ verwendeten Verb προσεύχειν [ proseuchein] intensivere Bedeutung inhaltlich auf. Δεῖσθαι [Deisthai] „is stronger than proseuchesthai and embodies a sense of personal need“.131 Überraschend wirkt jetzt, nachdem Paulus ja weiß, dass die Thessalonicher in ihrem Glauben gestärkt sind (2,2) und darin feststehen (2,8), der zweite Teil des erwähnten Gebetsinhalts, nämlich zu vollenden, was eurem Glauben noch fehlt. Natürlich war bereits der Besuch des Timotheus untrennbar mit der Glaubensstärkung und -tröstung verbunden. Sollte jetzt Paulus durch einen persönlichen Besuch hier ergänzen wollen, was Timotheus trotz des Erfolgsberichts nicht vollenden konnte? In der Tat dürfte diese Infinitivkonstruktion so zu verstehen sein. Paulus hatte offensichtlich Nachricht darüber, dass bestimmte Sachverhalte des Glaubenslebens und der Glaubenslehre zu Verunsicherungen in der Gemeinde geführt haben. Er wird darauf gleich im folgenden Kapitel (4,1-8.11–12.13–18) eingehen.132 Καταρτίζειν [Katartizein] meint in seiner Grundbedeutung ‚etwas in Ordnung bringen‘, ‚etwas in den gehörigen Zustand versetzen‘, vgl. 2Kor 13,11; Gal 6,1.133 Das Verständnis des Infinitivs wird durch das im NT nur neunmal gebrauchte ὑστέρημα [hysterēma]134 mit der Grundbedeutung ‚Mangel‘ näher bestimmbar: Etwas, das bereits vorhanden ist, bedarf zu seiner Vervollkommnung der Ergänzung, weil es noch mängelbehaftet ist. Der Plural des Substantivs weist auf mehrere As-

130 WB6 1675. Im NT ist die „zum Adverb gewordene Präpositionalverbindung“ (E. v. Dobschütz 146) ὑπερεκπερίσσου nur hier und 5,13 sowie Eph 3,20 verwendet. J.A.D. Weima 227f weist darauf hin, dass Paulus Komposita mit ὑπέρ auch sonst zur Intensivierung von Satzaussagen gebraucht, wie in Röm 5,20; 2Kor 7,4, wo beides Mal das dem hier gebrauchten Adverb verwandte Verb ὑπερπερισσεύειν gebraucht ist, vgl. weiter Komposita mit ὑπέρ in Röm 8,26.37; 2Kor 9,14; 11,23; Phil 2,9 und 2Thess 1,3 (für diese Belege vgl. auch A.J. Malherbe 204). 131 A.J. Malherbe 204, der auf Röm 1,10 für einen ähnlichen Kontext wie den hier vorliegenden verweist. 132 Auf 1Thess 4 verweist besonders E. v. Dobschütz 147, vgl. auch A.J. Malherbe 205; R. Hoppe 215. 133 Vgl. WB6 849. 134 Achtmal davon im Corpus Paulinum: neben 3,10 in 1Kor 16,17; 2Kor 8,14 (zweimal); 9,12; 11,9; Phil 2,30; Kol 1,24. Vgl. daneben noch Lk 21,4.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

169

pekte hin, die der Ergänzung bedürfen (vgl. für den Plural 2Kor 9,12).135 Dies darf freilich nicht nur als Tadel gegenüber den Thessalonichern verstanden werden. Paulus weiß, dass die Thessalonicher bestimmte Dinge sehr wohl wissen und vorbildlich praktizieren (vgl. 1,7f; 4,2.9f; 5,1f.11fin). Er weiß weiter, dass ihnen bestimmte Dinge noch nicht bekannt sein können (vgl. 4,13), bei manchem brauchen sie jedoch erneute Ermahnung (vgl. 4,1.10b; 5,6.8.13b). Der Hinweis auf das Gebet bildet gleichzeitig einen Übergang zum sich anschließenden Abschluss des Kapitels 3,11-13. 3,11-13: Ihr und wir seien Gott befohlen Mit V. 11–13 erhält der erste Briefteil der Kapitel 1–3 einen feierlich liturgischen Gebetsabschluss.136 Schon der Auftakt zu V. 11 bildet formal einen an liturgische Sprache erinnernden Gebetsauftakt. Damit wird der Hinweis auf das intensive Gebet aus V. 10 nun inhaltlich ausgeführt. Aber (δέ [de]) hat, wie häufig im NT, nicht adversative, sondern verbindende Funktion zum Vorausgehenden.137 Die Wendung er selbst aber, (unser) Gott, unser Vater und unser Herr, Jesus ist ein auf den Jesusnamen zulaufender Beginn des Gebets. Das vorangestellte αὐτὸς δέ [autos de] (er selbst), durch welches das Subjekt hervorgehoben wird, kann auf beide Subjekte, also sowohl auf Gott als auch auf Jesus bezogen werden. Die beiden possessiven Personalpronomina der 1. Pers. Pl. beziehen sich auf die jeweils vor ihnen stehenden Substantive. Dass das erste ἡμῶν [hēmōn] auf die beiden davorstehenden Substantive zu beziehen ist, wird durch den fehlenden Artikel vor πατήρ [ patēr] offensichtlich. Das zweite ἡμῶν [hēmōn] markiert eine Zäsur zwischen κύριος [kyrios] und Ἰησοῦς [Iēsous], sodass eine Prädikatsergänzung eingefügt werden kann: unser Herr, welcher Jesus ist. Ähnliche Formulierungen finden sich schon 2,19 und im gleich folgenden V. 13. Die Konzentration auf den Jesusnamen ist auch bei 1,10 erkennbar (vgl. 2,15); vgl. weiter 1,3; 5,9.23.28, wobei hier das abso135 St. Schreiber 190.192 versteht πίστις (Glaube) in 3,6f.10 als zwischenmenschliches Vertrauen. Paulus habe die Sorge, dass das Vertrauen der Gemeinde zu ihm und zum Missionsteam nicht hoch genug wäre, obwohl Timotheus darüber sehr positiv berichtet habe, dem könne durch einen Besuch abgeholfen werden. M.E. bleibt πίστις dadurch jedoch unterbestimmt. 136 Auch wenn keine gottesdienstliche Tradition nachweisbar ist, der diese Formulierung folgen würde, so weist doch zweifelsfrei der gehobene Stil Feierlichkeit auf und ähnliche Gebetsformulierungen zeigen eine auch sonst bei Gebeten übliche Sprachform, vgl. Num 6,24-26; Ps 20,2-5; Röm 15,5f.13, worauf St. Schreiber 195 aufmerksam macht. 137 Vgl. HvS § 252, 12.

170

Kommentar

lute Ἰησοῦς [Iēsous] durch Χριστός [Christos] erweitert ist.138 Hierzu hat jedoch bereits Ernst v. Dobschütz angemerkt, dass „Christus für Paulus so gut Personenname [ist] wie Jesus, womit er es bald promiscue braucht, bald zu einem Doppelnamen verbindet“,139 was sich auch an 2Thess 2,16 zeigen lasse. Natürlich lassen weder die Gebetseinleitung noch der Gebetsabschluss Erwägungen im Sinn der späteren christologischen oder gar trinitarischen Verhältnisbestimmung in der alten Kirche von Gott, dem Vater, und Jesus Christus, dem Sohn, zu. Derartige Überlegungen waren in dieser frühen Zeit des Christentums noch nicht relevant.140 Der Inhalt der Gebetsbitte, Jesus möge unseren Weg zu euch lenken, gibt dem Herzensanliegen des Paulus, die Thessalonicher von Angesicht zu sehen (3,10 u.ö.), erneut Ausdruck. Κατευθύνειν [Kateuthynein] ist im NT sonst nur noch zweimal in übertragenem Sinn belegt (Lk 1,79; 2Thess 3,5). In der LXX ist das Verb hingegen verbreitet und dabei häufig auch in seiner Grundbedeutung aufgenommen. Jdt 12,8 stellt dabei die nächste Parallele zu 3,11 dar: ἐδέετο τοῦ κυρίου θεοῦ Ισραηλ κατευθῦναι τὴν ὁδὸν αὐτῆς … [edeeto tou kyriou theou Israēl kateuthynai tēn hodon autēs …] (sie flehte zum Herrn, dem Gott Israels, ihren Weg zu lenken …).141 Jesus soll es sein, der den durch Satan verhinderten Reiseplan (2,18) ermöglichen möge, weil er es kann. Alle drei Optative der V. 11–12 sind kupitive Optative, womit ein „als erfüllbar hingestellte[r] Wunsch“ gekennzeichnet wird.142 Der, an den sich die Bitten richten, kann diese Bitten auch erfüllen, so die Aussage gemäß der Grammatik. Hatte V. 11 die Bitte um den eigenen Weg des Missionsteams zum Inhalt, so geht es im folgenden V. 12 um die Gemeinde (euch). Aber (δέ [de]) hat jetzt eher adversativen Charakter, da ein Fokuswechsel vorgenommen wird, der schon durch das letzte Wort in V. 11 (ὑμᾶς [hymas]) angedeutet worden war. Die dort in der ersten Bitte vorgenommene Konzentration auf den Jesusnamen wird jetzt zwar durch Gebrauch von κύριος [kyrios] (Herr) von der Vokabel her ebenfalls geändert, allerdings ist aus V. 11 klar (vgl. V. 13), dass der κύριος [kyrios] kein anderer als Jesus ist.143 Inhalt dieser Gebetsbitte ist die Liebe zueinander und zu allen, die in 1,3; 3,6 bereits angesprochen wurde und die 138 139 140 141

Anders z.B. bei 1,1 oder auch 2,14; 4,1f. E. v. Dobschütz 61, dem M. Hengel, Erwägungen, 244f zustimmt. Gegen G.D. Fee 130f und mit St. Schreiber 195f. Vgl. hierzu WB6 859. Übersetzung nach LXX.D. Weitere Belege aus der LXX und den apostolischen Vätern z.B. bei WB6 859. 142 HvS § 211 c mit dem Hinweis, dass „von den NT-Belegen mehr als die Hälfte hierhin [gehören]“; (Hervorhebungen ausgelassen). 143 So z.B. auch St. Schreiber 196; R. Hoppe 219 Anm. 163 und unter den Älteren neben W. Bornemann 152f auch E. v. Dobschütz 149.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

171

in 5,8.13 nochmals Thema werden wird. Diese möge durch Jesus noch reicher, überreich gemacht werden. Die Wortwahl entspricht dabei auffallend derjenigen aus 5,13, wo die Intensität der Liebe zueinander über das Adverb ὑπερεκπερισσοῦ [hyperekperissou] näher bestimmt wird (Wortstamm περισσευ- [ perisseu-], vgl. 2,10).144 Die beiden Verben πλεονάζειν [ pleonazein] und περισσεύειν [ perisseuein] haben nahezu identische Bedeutung145 und geben wieder (vgl. 3,10) eine nicht weiter überbietbare Steigerung an – wobei dazu bereits eines der Verben ausgereicht hätte. Sachliche Nähe besteht zu Phil 1,9,146 wo ebenfalls das Gebet des Paulus um die ständige Zunahme der Liebe angesprochen ist,147 und zu 1,10, wo der ‚Tag des Herrn‘ als Grund (εἰς τό mit Inf. … εἰς ἡμέραν Χριστοῦ [eis to … eis hēmeran Christou]) für die Notwendigkeit der immerzu zunehmenden Liebe benannt ist, was ja 1Thess 3,13 ebenfalls in den Blick rückt (εἰς τό mit Inf. … ἐν τῇ παρουσίᾳ [eis to … en tē parousia]). Mit der Liebe ist die erste Frucht des Geistes (Gal 5,22) angesprochen, die vor allem anderen als hervorragendstes Zeichen christlicher Existenz zu werten ist (vgl. nochmals Phil 1,9 und auch Gal 5,6148). Sie ist, als Nächstenliebe verstanden, nicht zuletzt das Hauptgebot christlichen Lebens (Röm 13,8) und die Zusammenfassung des ‚gesamten Gesetzes‘ (Gal 5,14).149 „Der Begriff agapē umfasst die interessierte, engagierte, aber auch respektvolle Zuwendung zum andern.“150 Diese Liebe soll zueinander, also innerhalb der Gemeinde, reicher werden. Sie soll weiterhin zu allen zunehmen, womit zunächst diejenigen im erreichbaren sozialen Umfeld gemeint sein dürften, die sich nicht zur Gemeinde zählen, also etwa Familienmitglieder oder durch die Phylen151 bekannte Personen, unter denen sie nicht wenig zu leiden haben (2,14). Natürlich ist darüber hinaus auch jede andere Person gemeint, zu der Kontakt entsteht (vgl. 4,12; 5,15). Mit so wie auch wir zu euch erfolgt ein Subjektwechsel. Die durch καθάπερ [kathaper] eingeleitete elliptische Satzsequenz152 ist inhaltlich nicht mehr zum Gebet zu zählen, sondern 144 Vgl. 2Thess 1,3: πλεονάζειν und ἀγαπή, sowie εἰς ἀλλήλους; in 2Thess 3,5 ist ἀγαπή in Verbindung mit κατευθύνειν gebraucht. 145 Vgl. so J.A.D. Weima 238; R. Hoppe 220 und schon E. v. Dobschütz 149. 146 Hierauf macht R. Hoppe 220 Anm. 165 aufmerksam. 147 Ἵνα ἡ ἀγάπη ἔτι μᾶλλον καὶ μᾶλλον περισσεύῃ (damit die Liebe mehr und mehr zunehme). 148 Auf Gal 5,6 verweist auch T. Holtz 143. 149 Vgl. hierzu G. Schneider, ἀγάπη κτλ., EWNT2 I, 1992, 19-29, 25. 150 St. Schreiber 196. Vgl. ausführlich zur Bedeutung der (Nächsten-)Liebe im 1Thess Th. Söding, Nächstenliebe, 244-250. 151 Vgl. hierzu die Einleitung Abschnitt I und die Auslegung bei 2,14. 152 Vgl. zur Stilfigur der Ellipse (Auslassung) HvS § 293 a-d, zur Ellipse hier J.A.D. Weima 239.

172

Kommentar

beschreibt die Liebe, welche Paulus gegenüber der Gemeinde bereits hat. Paulus wird hier eine Vorbildfunktion in genau dieser Liebe zugeschrieben,153 die in 2,17–3,10 in immer neuen Wendungen plastisch beschrieben und in 3,6 mit analoger Stilfigur formuliert ist. 13 Mit V. 13 wird nach der Ellipse am Ende von V. 12 erneut in die Gebetssprache gewechselt. Der Wunsch, die Gemeinde zu stärken, war schon 3,2 (vgl. 3,8) Anlass, Timotheus nach Thessalonich zu schicken. Jetzt wird dies anders formuliert und in eine im NT sonst nicht nachweisbare Bitte um Stärkung der Herzen gefasst.154 In der LXX sind die beiden Vokabeln στηρίζειν [stērizein] und καρδία [kardia] dagegen mehrfach miteinander verbunden. Zunächst ist damit die Stärkung des Herzens durch Essen (Brot) gemeint; das physische Wohlbefinden ist also angesprochen: Ri 19,5.8; Ps 103,15 LXX (= 104,15). Sodann wird von einer „Sache“ berichtet, die „Daniel in seinem Herzen festhielt“155 (Dan 7,28). Schließlich aber ist von einem ‚festen Herzen‘ des Mannes die Rede, ‚der den Herrn fürchtet‘ (Ps 111,8 LXX [= 112,8]) und von der Gewissheit, dass der Herr (κύριος [kyrios]) das Herz des Menschen stärken wird (Sir 6,37)156. Diese letzten beiden Stellen kommen inhaltlich 3,13 am nächsten. Subjekt der Stärkung kann nur der Herr sein.157 Καρδία [Kardia] meint dabei also die ganze Person in ihrem christlichen Leben.158 Gestärkt werden soll, so der Fokus der Bitte aufgrund des Kontextes, deren Glaube (3,2) und deren Liebe (3,12, vgl. zu beiden 3,6), damit die Thessalonicher untadelig in Heiligkeit sein mögen. Das Adjektiv ἄμεμπτος [amemptos] (untadelig) kommt bei Paulus nur noch in Phil 2,15; 3,6 vor. An beiden Stellen im Philipperbrief ist der fehlerlose Lebenswandel nach religiösen Regeln gemeint. In Phil 2,15 ist der christliche, in 3,6 der jüdische (vgl. Lk 1,6) Regelkanon der Hintergrund. Das Adverb 153 So mit T. Holtz 145; J.A.D. Weima 239; R. Hoppe 221. Anders St. Schreiber 197: „Damit stilisieren sich die Verfasser nicht zum Vorbild an Liebe für die Gemeinde […], sondern betonen einmal mehr ihre intensive, bleibende Verbundenheit mit ihr in Liebe.“ Dennoch: Es ist eben jene Liebe, um die die Verfasser bitten, mit der diese mit der Gemeinde verbunden sind – und insofern eignet ihnen doch Vorbildfunktion. 154 In 2Thess 2,17 bezieht sich στηρίζειν nicht auf καρδία, und Jak 5,8 ist davon die Rede, dass die Adressaten ‚ihre Herzen stärken‘ sollen. 155 Τὸ ῥῆμα ἐν καρδίᾳ μου ἐστήριξα; obige Übersetzung nach LXX.D. 156 Αὐτὸς στηριεῖ τὴν καρδίαν σου („er selbst wird dein Herz festigen“ LXX.D). Der letzte Beleg für die Verbindung der beiden Vokabeln in der LXX ist Sir 22,16, wo von einem festen Herzen die Rede ist, das Resultat einer gut überlegten Planung sei. 157 So u.a. T. Holtz 145. Anders R. Hoppe 221f, der aufgrund von ἡμεῖς in V. 12 und aufgrund der seines Erachtens besseren Logik Paulus als Subjekt fassen will. 158 T. Holtz 145 spricht von der „ganze[n] Person“, die gemeint sei, J.A.D. Weima 240 bezieht καρδία auf das fest im Glauben Stehen, und R. Hoppe 222 sieht die „existentielle Disposition“ der Thessalonicher angesprochen.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

173

ἀμέμπτως [amemptōs] bewegt sich an seinen beiden im NT gebrauchten Stellen ganz im christlich-ethischen Kontext. In 1Thess 2,10 hatte Paulus darauf hingewiesen, dass er selbst während der Zeit der Gemeindegründung in Thessalonich ‚untadelig‘ gelebt habe,159 und in 5,23 wird das Adverb in eschatologischem Kontext gebraucht, ganz analog dem hier vorliegenden. Das Adjektiv wie das Adverb meinen einen Zustand, an dem „nichts auszusetzen ist“.160 Auch ἁγιωσύνη [hagiōsynē] (Heiligkeit) ist im NT nur selten verwendet. Außer hier ist Röm 1,4 vom ‚Geist der Heiligkeit‘ die Rede und 2Kor 7,1 ist es wie hier ohne Apposition gebraucht und meint die „den Gläubigen aufgetragene Bemühung um Heiligung, die ‚in der Furcht Gottes‘ […] erfolgen soll. Ihr Inhalt […] besteht allgemein in einer dem Glauben und der Erwählung entsprechenden ethischen Lebensgestaltung“.161 Diese Bedeutung dürfte auch hier vorliegen und damit gleichzeitig unter anderem der Blick voraus auf 4,38162 gerichtet werden. Heiligkeit ist jedoch nicht moralisch eng zu führen, was durch den Kontext in 3,12f nahegelegt wird. Die Thessalonicher mögen überreich in der Liebe werden, womit die gesamte christliche Existenz angesprochen ist. Dies ist auch bei ἁγιωσύνη [hagiōsynē] vorauszusetzen, ist doch damit der Gedanke der Absonderung im Sinne der Auserwählung der Christusgläubigen in den Bereich Gottes durch den Heiligen Geist verbunden (vgl. 1,4.6; 5,23).163 Die folgenden drei, jeweils von einer Präposition abhängigen Aussagen bestimmen das ‚Forum‘, vor dem das christliche Leben zu verantworten ist (ἔμπροσθεν [emprosthen] und μετά [meta]), sowie den dazugehörigen Zeitpunkt (ἐν [en]). Ἔμπροσθεν [Emprosthen] (vor) legt aufgrund seines Gebrauchs in 2,19 und 2Kor 5,10 (vgl. Röm 10,14) nahe, dass von einer Art ‚Forum‘ gesprochen werden kann, vor dem die Thessalonicher ‚untadelig in Heiligkeit‘ werden auftreten müssen. Hier ist dieses ‚Forum‘ Gott und der Vater, 2,19 war vor ‚unserem Herrn‘, nämlich ‚Jesus‘, gesprochen worden; hier wie dort wird mit ἐν [en] der Zeitpunkt (bei) angegeben, wobei dieser ebenfalls an beiden Stellen (2,19; 3,13) mit der Parusie unseres Herrn, nämlich Jesus,164 näher bezeichnet wird.165 Mit diesem Zeitpunkt „findet die Geschichte ihr Ende“, eine weitere Zunahme des Reichtums an Liebe ist dann 159 160 161 162 163 164 165

Zur weiteren Bedeutung vgl. die Auslegung dort. WB6 87 s.voc ἄμεμπτος. Th. Schmeller, 2Kor VIII/1, 378. In diesem Abschnitt wird dreimal ἁγιασμός gebraucht: 4,3.4.7. So z.B. auch T. Holtz 146, vgl. R. Hoppe 223. J.A.D. Weima 241 fokussiert allein 4,3-8. Näheres zur Parusie bei der Auslegung von 4,15. In 2,19 bezieht sich αὐτοῦ auf das vor ἐν stehende Syntagma, das mit dem in 3,13 identisch ist.

174

Kommentar

nicht mehr möglich, weil nicht mehr nötig. Deshalb sollen die Thessalonicher auf diesen Tag hin möglichst ‚untadelig in Heiligkeit‘ sein. Der Parusie jegliches forensische Moment abzusprechen, scheint mir sowohl hier als auch 4,15 unmöglich zu sein,166 gerade weil es „um das Erscheinungsbild der Adressaten vor Gott bei der Parusie des Kyrios Jesus mit allen seinen Heiligen [geht]“.167 Mit all seinen Heiligen sind Engel und nicht Gemeindeglieder gemeint. Letzteres würde zwar der sonstigen Bedeutung von ἅγιοι [hagioi] bei Paulus durchaus entsprechen; vgl. z.B. die Präskripte Röm 1,7; 1Kor 1,2; 2Kor 1,1; Phil 1,1; Kol 1,2; Eph 1,1 – nicht aber 1Thess 1,1; 2Thess 1,1, wo der Terminus fehlt. Hier legen jedoch verschiedene Gründe nahe, an Engel zu denken. Zum einen gibt es die atl.-jüd. Vorstellung, wobei Sach 14,5 (LXX) gewiss die nächste Parallele bildet. Engel sind als Begleiter beim Einzug Gottes in Jerusalem vorgestellt:168 καὶ ἥξει κύριος ὁ θεός μου καὶ πάντες οἱ ἅγιοι μετ’ αὐτοῦ [kai hēxei kyrios ho theos mou kai pantes hoi hagioi met autou] (und der Herr, mein Gott, wird kommen und alle Heiligen mit ihm), vgl. auch Dan 7,18.21f; 8,13; äthHen 1,9169. Im NT ist Mt 25,31 der deutlichste Beleg dafür, dass die atl.-jüd. Vorstellung der Begleitung Gottes durch Engel auf den kommenden Menschensohn übertragen worden ist. Mk 8,38 / Mt 16,27 / Lk 9,26 zeigen, dass die Vorstellung im frühen Christentum gut verankert ist. Schließlich ist die Vorstellung auch in 2Thess 1,7 im Corpus Paulinum belegt. Gewiss nicht zuletzt würde die Deutung auf Gemeindeglieder der Aussage in 4,15 widersprechen.170 Zur textkritischen Frage nach der Ursprünglichkeit von Amen wurde bereits oben das Nötige gesagt.171 Amen schließt in sachlicher Hinsicht die liturgische Sequenz 3,11-13 ab und unterstreicht umgekehrt geradezu ihren liturgischen Charakter, weshalb auch die textliche Unsicherheit bestehen bleibt: Was ist ursprünglich? Die Bedeutung des hebräischen Wortes ‫[ ָאֵמן‬ʾāmen],

166 167 168 169

So aber R. Hoppe 223 gegen J.A.D. Weima 241f. R. Hoppe 223. Vgl. hierzu W. Rudolph, Sach 235. Vgl. auch grHen 1,9 = Jud 14. In Qumran ist die Bezeichnung der Engel als ‚Heilige‘ geläufig, vgl. z.B. ‫( צבא קדושים‬Heer der Heiligen) in 1QH XI (III),22; XVIII (X),35, womit das Heer der Engel gemeint ist (vgl. M. Knibb, Qumran, 180); 1QM VII,6 ist ‫( מלאכי קודשׁ‬heilige Engel) belegt. 170 Diese Gründe finden sich häufig in der Kommentarliteratur z.B. E. v. Dobschütz 152f; T. Holtz 147; I.H. Marshall 102f; A.J. Malherbe 214; St. Schreiber 199f; R. Hoppe 224, auf die Christen bezieht es J.A.D. Weima 242f. 171 Vgl. oben bei II.

Starke Verbindungen trotz Trennung 3,1-13

175

das im NT in griechischer Transkription häufig vorkommt172 und in der LXX meist mit dem Optativ γένοιτο [genoito] (so sei es) übersetzt wird, ist ‚wahrlich, gewiss‘.173

IV Zusammenfassung Bereits 2,1-12 bot einen Einblick in die außergewöhnlich enge und herzliche Verbindung des Paulus und seiner Mitarbeiter zu den Gemeindegliedern in Thessalonich. Schon dort war die kaum mehr überbietbare Fürsorge des Missionsteams aufgefallen (besonders 2,7f.11f ). Kapitel 3 zeigt einen weiteren Höhepunkt dieser Fürsorge. Wurde in Kapitel 2 auf die herzliche Gemeinschaft rekurriert, welche die gemeinsame Zeit während der Gemeindegründung geprägt hatte, so wird jetzt erkennbar, dass die damaligen Erfahrungen der Gemeinschaft zu aktivem Handeln veranlassen: Timotheus wird nach Thessalonich geschickt, um das fortzusetzen und zu ergänzen, was durch die plötzliche, erzwungene Abreise des Missionsteams offengeblieben war. Die ganz obenauf liegende Motivation für die durchaus beschwerliche und zeitintensive Besuchsreise war jedoch nicht, noch fehlende dogmatische oder ethische Weisungen weiterzugeben, wozu auch ein Brief ausgereicht hätte, sondern die Stärkung im Glauben angesichts der Bedrängnisse, mit denen sich die Gemeinde konfrontiert sah (3,3-5). Das Bemerkenswerte an diesem Handeln ist, dass Timotheus bei diesem Besuch selbst damit rechnen musste, die Bedrängnisse der Gemeinde am eigenen Körper zu erfahren. Die Fürsorge für die Gemeinde impliziert also die Bereitschaft zum Mitleiden unabhängig davon, ob es sich um physische Verfolgung oder soziale Ausgrenzung handelt. Schon allein die Anwesenheit des Timotheus musste für die Thessalonicher zur Glaubensstärkung beigetragen haben. Der Besuch des Timotheus in Thessalonich war für die Gemeinde aber auch ein nachhaltiges, weil sichtbares und spürbares Zeichen der Verbindung. Kontakt über weite Distanzen aufrechtzuerhalten, war in der damaligen Zeit enorm aufwendig, weshalb die Verbindung untereinander, zumal unter jenen, die sich lediglich aufgrund eines gastweisen Aufenthaltes bei einer Durchreise kannten, meist wenig intensiv und von nicht anhaltender Dauer gewesen sein dürfte. Wanderprediger und -philosophen gab 172 Bei den Synoptikern meist in der Einleitung zu Jesusworten ἀμὴν λέγω σοι/ὑμῖν (wahrlich ich sage dir/euch, z.B. Mk 3,28; 9,1.41; 14,30), im Corpus Paulinum meist als Abschluss der formelartigen Formulierung εἰς τοὺς αἰῶνας, ἀμήν (in Ewigkeit, Amen, so z.B. Röm 1,25; 9,5; 11,36). Aber auch nach kürzeren doxologischen, gebetsartigen Abschnitten, wie Röm 11,33-36 zeigt. Dass Amen auch bereits ntl. liturgisch responsorische Funktion hatte, zeigt 1Kor 14,16. 173 Vgl. WB6 89 und H.-W. Kuhn, ἀμήν κτλ., EWNT2 I, 1992, 166-168.

176

Kommentar

es insbesondere in den Metropolen häufig. Derartige Zeichen der Zusammengehörigkeit waren daher durch nichts anderes ersetzbar. Sie stärken die Verbindung und hinterlassen tiefe Spuren in der Erinnerung (vgl. ganz nachhaltig 1Kor 11,24f; Lk 22,19174). Ein weiteres Zeichen der Zusammengehörigkeit war die ebenfalls durch nichts anderes substituierbare Möglichkeit, im Gebet miteinander verbunden zu sein (1,2; 2,13; 5,17.18.25, vgl. 2Thess 1,3.11; 2,13; 3,1), wobei der Wortlaut einer „feierlich ausgeführten Fürbitte“,175 die Paulus für seine Gemeinde gesprochen hatte, in 3,11-13 vorliegt. Inhalt der Fürbitte ist zum einen der sehnsüchtige Wunsch nach der Möglichkeit einer persönlicher Begegnung mit der Gemeinde und zum andern ganz wesentlich das Wachsen in einem vorbildlichen, gottgemäßen Lebensstil, von dem im folgenden Abschnitt einzelne konkrete Sachverhalte ausgeführt werden. „Die christliche Existenz und ihr Lebenswandel werden nicht statisch, sondern dynamisch gedacht, sodass ein beständiges Wachsen zum Merkmal der christlichen Existenz wird. Die paulinische Vorstellung ist nicht als Vervollkommnung, sondern als dauerhafte Fortentwicklung zu definieren“ und zwar „unter dem Horizont des göttlichen Urteils bei der Wiederkunft Christi“.176

Ethik 4,1-12 Mit 4,1, λοιπὸν οὖν, ἀδελφοί [loipon oun, adelphoi] (im Übrigen nun, Brüder), beginnt ein zweiter Großabschnitt im Brief. Befasst sich der erste Teil 1,2–3,13 mit der Situation der noch jungen Gemeinde angesichts der Bedrängnisse durch politische und soziale Widersacher, die sich gegen das Evangelium richten, und dem Verhältnis des Paulus und seiner Mitarbeiter zur Gemeinde, so der jetzt folgende Teil 4,1–5,11 mit aktuellen internen ethischen und theologischen Angelegenheiten, die in der Gemeinde virulent waren. Dabei geht es 4,1-12 um Verhaltensregeln des Christseins nach innen und nach ‚außen‘ (4,12, vgl. 4,5b) und 4,13-18 um „ein Stück, das gleichsam dogmatische Belehrung enthält, Dogmatik als Paraklese“.1 5,1-11 schließlich liegt eine Verschränkung dieser beiden Themen vor, insofern Hinweise zum Le-

174 175 176 1

Hierauf verweisen bei 3,5 B.J. Malina; J.J. Pilch, Commentary, 44. F. Blischke, Begründung, 54. AaO., 55. T. Holtz 183.

Ethik 4,1-12

177

benswandel ‚im Licht‘ (5,5, vgl. 5,8a) mit apokalyptischen Lehrsequenzen verwoben sind, die in eine allgemeine Ermahnung zur Wachsamkeit angesichts der nahen Wiederkunft des Herrn mündet (5,10, vgl. 5,6). Die thematische Verbindung von 4,1-12 ist dabei so eng, dass der Abschnitt hier zusammenhängend ausgelegt wird. Die zwischen V. 8 und V. 9 erkennbare Zäsur ist nicht so stark, dass eine Trennung bei der Auslegung erforderlich wäre.2

I Übersetzung Von bekannten Anweisungen 1 Im Übrigen nun, Brüder, bitten wir euch und ermahnen wir (euch) im Herrn, Jesus, dass ihr, so wie ihr von uns empfangen habt, (nämlich) das (jenige), wie ihr den Lebenswandel führen müsst und Gott gefallen, so wie ihr auch euren Lebenswandel führt, dass3 ihr euch (darin) immer mehr hervortut. 2 Ihr wisst nämlich, welche Anweisungen4 wir euch durch den Herrn, Jesus, gegeben haben. Von praktischer Heiligung 3 Dieses nämlich ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr euch von der Unzucht fernhaltet, 4 dass5 jeder von euch lernt,6 sein eigenes „Gefäß“7 in Heiligkeit und Ehre (stets neu)8 zu gewinnen,9 5 nicht in Leidenschaft der Begierde wie10 die Heiden, die Gott nicht kennen, 6 dass11 (auch) nicht (jemand) übergriffig werde12 oder übervorteile bei der (entsprechenden) Angelegenheit seinen Bruder, denn Rächer ist der Herr hinsichtlich all dieser Dinge, so wie wir es euch zuvor gesagt und bezeugt haben. 7 Gott hat uns nämlich nicht zum Zweck13 der Unreinheit beru-

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Vgl. dazu bei II. Wiederholung des ersten ἵνα. WB6 1239 spricht von „apostol.[ischen] Weisungen“. Der Perf. Inf. εἰδέναι ist (zweite) Apposition zu τοῦτο in V. 3, so mit NSS II, 201. Der Perf. Inf. hat präsentische Bedeutung. – ‚Verstehen‘ hier im Sinn von ‚lernen‘. Vgl. auch hierzu NSS II, 201. Zur Interpretation des metaphorischen Gebrauchs von σκεῦος vgl. die Auslegung. Diese erläuternde Einfügung aufgrund des Durativstammes des folgenden Infinitivs. So mit WB6 924. Das pleonastische καί bleibt unübersetzt, vgl. NSS II, 201; HvS § 252, 29a. Die beiden Inf. ὑπερβαίνειν und πλεονεκτεῖν sind noch Appositionen zu τοῦτο in V. 3, so mit NSS II, 201. So WB6 1674. Zu ἐπί mit Dat. in dieser Bedeutung vgl. HvS § 184 (S. 276).

178

Kommentar

fen, sondern für14 die Heiligung. 8 Der, der also (das)15 verwirft, verwirft nicht einen Menschen, sondern Gott, der [nämlich]16 seinen Heiligen Geist in euch hineingegeben hat. Vom anständigen Lebenswandel 9 Bezüglich der Geschwisterliebe aber habt ihr nicht nötig, euch zu schreiben, ihr selbst seid nämlich von Gott gelehrt, einander zu lieben, 10 ihr tut es ja auch gegenüber allen Brüdern in ganz Mazedonien. Wir ermahnen euch aber, Brüder, euch immer mehr hervorzutun, 11 nämlich darin,17 euch eine Ehre daraus zu machen, Ruhe zu halten und die eigenen Angelegenheiten18 zu betreiben19 und mit euren [eigenen]20 Händen zu arbeiten, so wie wir (es) angeordnet haben, 12 damit ihr einen anständigen Lebenswandel führt im Hinblick auf die, die außerhalb (der christlichen Gemeinde21) sind und (damit) ihr niemand nötig habt(, der euch unterstütze22).

II Struktur Gliederung 4,1-12 lässt sich in drei Unterabschnitte aufteilen. Im ersten Abschnitt, V. 1–2, werden mit allgemeinen Verhaltenshinweisen die folgenden beiden Abschnitte eingeleitet. Dies erfolgt unter zweimaliger Erinnerung daran, dass dieses Folgende den Thessalonichern bereits bekannt sein müsste: παραλαμβάνειν [ paralambanein] (empfangen, V. 1), εἰδέναι [eidenai] (wissen, V. 2). Der zweite Abschnitt, V. 3–8, führt konkrete ethische Sachverhalte an, die innerhalb der Gemeinde in Thessalonich zu Problemen geführt haben. Min14 Ἐν mit Dat. dürfte hier ähnliche Bedeutung wie dem zuvor verwendeten ἐπί zukommen. Sinngemäß ist zu paraphrasieren: (um) in Heiligung (zu leben), vgl. NSS II, 201. 15 Vgl. zur Ergänzung des Objekts unten die Auslegung z.St. 16 Die Auslassung von καί ist durch zahlreiche wichtige Textzeugen ebenso belegt, wie die Textzugehörigkeit. Weder die Textbezeugung noch die Grammatik lassen eine eindeutige Entscheidung für oder gegen die Ursprünglichkeit zu, weshalb NA28 das Wort in eckige Klammern setzt. 17 Καί explicativum bzw. epexegeticum, vgl. HvS § 252, 29 (7). 18 So WB6 752, vgl. NSS II, 201. 19 So WB6 1400. 20 Die Auslassung von ἰδίαις ist durch zahlreiche wichtige Textzeugen ebenso belegt, wie die Textzugehörigkeit. Weder die Textbezeugung noch die Grammatik lassen eine eindeutige Entscheidung für oder gegen die Ursprünglichkeit zu, weshalb NA28 das Wort in eckige Klammern setzt. 21 So ist sinngemäß zu ergänzen, vgl. WB6 565 s.voc. ἔξω und NSS II, 201. 22 So die sinngemäße Weiterführung in der deutschen Übersetzung, vgl. NSS II, 202.

Ethik 4,1-12

179

destens bestand aber aus Sicht der Missionare die Gefahr, dass sie zu solchen führen würden. Es geht also um ein gemeindeinternes Problem. Τοῦτο γάρ [Touto gar] (dieses nämlich) leitet diese Sequenz ein. Der dritte Unterabschnitt, V. 9–12, ist zwar durch den Einsatz mit περὶ δέ [ peri de] (bezüglich aber) vom Vorhergehenden als eigene Sequenz deutlich abgetrennt, jedoch durch die Formulierungen καὶ γὰρ ποιεῖτε [kai gar poieite] (ihr tut es ja auch, V. 10a) und περισσεύειν μᾶλλον [ perisseuein mallon] (immer mehr hervorzutun, V. 10fin) eng mit V. 1 verbunden: καθὼς καὶ περιπατεῖτε [kathōs kai peripateite] (wie ihr auch euren Lebenswandel führt, vgl. ἵνα περιπατῆτε [hina peripatēte], damit ihr einen Lebenswandel führt, V. 12) und das sich direkt anschließende ἵνα περισσεύητε μᾶλλον [hina perisseuēte mallon] belegen dies. V. 11 nimmt mit παρηγγείλαμεν ὑμῖν [ parēngeilamen hymin] (wir haben [es] euch angeordnet) zudem παραγγελία ἐδώκαμεν ὑμῖν [ parangelia edōkamen hymin] (wir haben euch Anweisungen gegeben) aus V. 2 auf. Inhaltlich wird jetzt, nachdem V. 3–8 auf das interne Gemeindeleben und dabei besonders auf das einzelnen Gemeindeglied geblickt wurde, der Blick auf das Verhältnis der Gemeinde nach außen gerichtet: auf die Geschwister in anderen Gemeinden (vgl. 3,12) und auf die Menschen, die nicht zur Gemeinde gehören.23 Dies ist ganz wesentlich durch einen gottgefälligen Lebensstil (ἀρέσκειν [areskein], 4,1) geprägt, was grundsätzlich in Thessalonich nicht unbekannt war (καθὼς παρελάβετε [kathōs parelabete], 4,1). Syntax Bei den beiden ersten Versen stellt V. 1 ein komplexeres Satzgebilde dar. Von den beiden finiten Verben des Hauptsatzes ist ein Nebensatz abhängig, der durch ἵνα [hina] (dass) eingeleitet wird. Zunächst findet dieser Nebensatz jedoch keine direkte Fortsetzung, diese erfolgt erst nach erneuter Aufnahme von ἵνα [hina] am Satzende: ἵνα περισσεύητε μᾶλλον [hina perisseuēte mallon] (dass ihr euch [darin] immer mehr hervortut). Dazwischengeschoben ist ein ‚Vergleichssatz‘: καθὼς … [kathōs …]. Von diesem wiederum ist eine indirekte Frage abhängig: τὸ πῶς [to pōs],24 der schließlich ein erneuter Vergleichssatz (καθὼς καὶ περιπατεῖτε [kathōs kai peripateite]) untergeordnet ist. Dieser

23 Auf die enge Verbindung von V. 9-12 mit dem Vorhergehenden verweist auch St. Schreiber 260f. 24 Zur Einleitung der indirekten Frage mit τὸ (πῶς) vgl. HvS § 273 b. Die Einleitung einer indirekten Frage mit τὸ πῶς ist bei Paulus singulär und kommt so sonst nur noch bei Lukas vor: Lk 22,2.4; Apg 4,21. Vgl. zum substantivierten πῶς bei indirekten Fragen BDR § 267, 2.

180

Kommentar

verstärkt den Inhalt der indirekten Frage: Das, was ihr sollt, tut ihr! Der erste Vergleichssatz (καθὼς παρελάβετε [kathōs parelabete]) verstärkt die Aussage des Hauptsatzes: Das, worum wir bitten und was wir anmahnen, habt ihr bereits empfangen. Der durch ἵνα [hina] eingeleitete Nebensatz schließlich unterstreicht: Tut euch darin hervor! Durch diese vier Verben ergibt sich eine eindringliche, semantisch steigernde Folgerung: Wir bitten und ermahnen … Ihr habt (das bereits) empfangen … Tut euch (darin immer mehr) hervor. Dabei sind drei dieser vier Verben im Durativstamm (Präsens) gehalten, was der Intensität dieser Einleitung besonderen Nachdruck verleiht. Schematisch gegliedert lässt sich die Satzstruktur wie folgt darstellen:25 Λοιπὸν οὖν, ἀδελφοί, ἐρωτῶμεν ὑμᾶς καὶ παρακαλοῦμεν ἐν κυρίῳ Ἰησοῦ, ἵνα καθὼς παρελάβετε παρ’ ἡμῶν τὸ πῶς δεῖ ὑμᾶς περιπατεῖν καὶ ἀρέσκειν θεῷ, καθὼς καὶ περιπατεῖτε, ἵνα περισσεύητε μᾶλλον. 26 [Loipon oun, adelphoi, erōtōmen hymas kai parakaloumen en kyriō Iēsou, hina kathōs parelabete par’ hēmōn to pōs dei hymas peripatein kai areskein theō, kathōs kai peripateite, hina perisseuēte mallon.] Im Übrigen nun, Brüder, bitten wir euch und ermahnen wir (euch) im Herrn Jesus, dass ihr, so wie ihr von uns empfangen habt, (nämlich) das(jenige), wie ihr den Lebenswandel führen müsst und Gott gefallen, so wie ihr auch euren Lebenswandel führt, dass ihr euch (darin) immer mehr hervortut.

V. 2 ist von der Satzstruktur her einfacher, handelt es sich doch um eine von οἴδατε [oidate] (ihr wisst) abhängige indirekte Frage, die durch das Interroga25 Vgl. ähnlich bei J.A.D. Weima 253. 26 Stilistisch fällt die Häufung der Labiale π (und β) in der Parenthese und im Nebensatz auf, was unter anderem auf engagierte Rede verweisen mag.

Ethik 4,1-12

181

tivpronomen τίνας [tinas] (welche) eingeleitet wird.27 Der Satz widerholt auf der semantischen Ebene, was in V. 1 bereits ausgesagt worden ist und verstärkt durch die präpositionale Satzergänzung (διὰ … [dia …]) das dort Ausgeführte. V. 1 und V. 2 entsprechen sich aber nicht nur auf der semantischen Ebene, auch formal können mehrere Entsprechungen benannt werden. So stehen die beiden durch πῶς [ pōs] und τίνας [tinas] eingeleiteten indirekten Fragesätze genauso zueinander in Korrelation wie εἰδέναι [eidenai] zu (καθὼς) περιπατεῖν [(kathōs) peripatein]: ihr wandelt so, wie ihr es wisst! Διδόναι [Didonai] steht in Korrelation zu παραλαμβάνειν [ paralambanein]: Wir haben gegeben, was ihr empfangen habt. Autorität hinter der Gabe, also auch des Empfangenen, und damit auch deren Ursprung ist der Herr, Jesus. Die V. 3–8 bilden eine thematische Einheit. Die Semantik bildet von der Heiligung als Anforderung an die Gemeinde (V. 3) zum Heiligen Geist als Gabe an die Gemeinde (V. 8) eine sachliche Klammer. Leitbegriffe des Abschnitts sind ἁγιασμός [hagiasmos] (Heiligung, V. 3.4.7) und εἰδέναι [eidenai] (wissen, V. 4.5, vgl. V. 2). Die griechische Syntax besteht aus drei Sätzen: einem sehr langen in den V. 3–6 und zwei deutlich kürzeren in V. 7 und V. 8. Alle drei Sätze werden durch folgerndes bzw. begründendes γάρ [gar] eingeleitet,28 wodurch eine deutliche Feingliederung des Abschnittes erkennbar wird. Der erste Satz erhält seine Struktur ganz wesentlich durch die vier Infinitive ἀπέχεσθαι [apechesthai] (fernhalten, V. 3b), εἰδέναι [eidenai] (wissen, V. 4a) sowie ὑπερβαίνειν [hyperbainein] (übergriffig werden) und πλεονεκτεῖν [ pleonektein] (übervorteilen, V. 6), die indirekte Appositionen zum Satzsubjekt τοῦτο [touto] (dieses) sind.29 Die direkte Apposition zum Subjekts ist ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν [ho hagiasmos hymōn] (eure Heiligung, V. 1), die dem Prädikatsnomen θέλημα τοῦ θεοῦ [thelēma tou theou] (Wille Gottes) folgt. Die vier Infinitive sind Appositionen zu dieser Apposition.30 Die beiden ersten Infinitive bilden mit den folgenden (Subjekts-)Akkusativen ὑμᾶς [hymas] (euch) bzw. ἕκαστον [hekaston] (jeden) jeweils einen AcI. Ὑπερβαίνειν [Hyperbai27 Der Nebensatz kann auch als Relativsatz verstanden werden (so R. Hoppe 227, vgl. aber a.a.O., 231, wo er von einem „indirekten Fragesatz“ ausgeht), was durch die Nähe von Relativsätzen und indirekten Fragesätzen durchaus möglich ist. Vgl. hierzu HvS § 143 b. 28 Γάρ kann grundsätzlich nicht in Satzerststellung stehen, sondern steht immer an zweiter Stelle. 29 Die Satzstruktur ist: τοῦτο (Subjekt) ἐστιν (Prädikat) θέλημα τοῦ θεοῦ (Prädikatsnomen); so auch 5,18, wo eine identische Satzstruktur vorliegt. R. Hoppe 233 mit Anm. 41 (vgl. E. v. Dobschütz 159f; I.H. Marshall 106; G. Haufe 69 mit Anm. 17) sieht in τοῦτο das Prädikatsnomen, was aber von den Regeln der Syntax her eher nicht naheliegt, vgl. HvS § 222 und z.B. B. Rigaux 500; F.F. Bruce 82; Ch.A. Wanamaker 150, unentschieden bleibt J.A.D. Weima 263 Anm. 20. 30 Vgl. dazu GGBB 606.

182

Kommentar

nein] und πλεονεκτεῖν [ pleonektein] sind, ebenso wie die beiden AcI, epexegetischer Natur, sie erklären also das Subjekt.31 Von diesen epexegetischen Infinitiven sind jeweils weitere Satzglieder abhängig, wobei die letzten beiden Infinitive grammatikalisch zusammengehörig sind, da beide von τὸ μή [to mē] abhängig sind. Tatsächlich bilden die vier Infinitive also drei Gliedsatzeinheiten, die ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν [ho hagiasmos hymōn] erläutern.32 Schematisch gegliedert lässt sich die bislang beschriebene Satzstruktur wie folgt darstellen: τοῦτο γάρ ἐστιν θέλημα τοῦ θεοῦ, ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν, ἀπέχεσθαι ὑμᾶς … εἰδέναι ἕκαστον … τὸ μὴ ὑπερβαίνειν καὶ πλεονεκτεῖν … [touto gar estin thelēma tou theou, ho hagiasmos hymōn, apechesthai hymas … eidenai hekaston … to mē hyperbainein kai pleonektein …] Dieses nämlich ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr euch fernhaltet … dass jeder lernt … dass (auch) nicht (jemand) übergriffig werde oder übervorteile …

Der vom Infinitiv Perfekt εἰδέναι [eidenai] (wissen) abhängige Gliedsatz ist der komplexeste, ist doch dort ein weiterer (finaler) Infinitiv (κτᾶσθαι [ktasthai], gewinnen) verwendet. Ihm folgt mittels zweier Präpositionalverbindungen ein Gegensatzpaar: ἐν … μὴ ἐν [en … mē en]. Der negativ qualifizierten Präpositionalverbindung schließt sich ein diese erklärender Vergleichssatz (καθάπερ [kathaper]) an. εἰδέναι ἕκαστον ὑμῶν τὸ ἑαυτοῦ σκεῦος κτᾶσθαι ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ καθάπερ καὶ τὰ ἔθνη τὰ μὴ εἰδότα τὸν θεόν …

31 Vgl. hierzu nochmals HvS § 222. 32 So u.a. auch T. Holtz 155f; St. Schreiber 214.

μὴ ἐν πάθει ἐπιθυμίας

183

Ethik 4,1-12

[eidenai hekaston hymōn To heautou skeuos ktasthai en hagiasmō kai timē kathaper kai ta ethnē ta mē eidota ton theon …]

mē en pathei epithymias

dass jeder von euch lernt, sein eigenes „Gefäß“ (stets neu) zu gewinnen

in Heiligkeit und Ehre, nicht in Leidenschaft der Begierde wie die Heiden, die Gott nicht kennen …

Den beiden zusammengehörigen Infinitiven folgt erneut eine Präpositionalverbindung mit ἐν [en]. τὸ μὴ ὑπερβαίνειν καὶ πλεονεκτεῖν ἐν τῷ πράγματι τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ. [to mē hyperbainein kai pleonektein en tō pragmati ton adelphon autou.] dass (auch) nicht (jemand) übergriffig werde oder übervorteile bei der (entsprechenden) Angelegenheit seinen Bruder.

Der sich jetzt anschließende kausale Konjunktionalsatz (διότι [dioti], denn), auf den wiederum ein diesen erklärender Vergleichssatz (κάθως [kathōs]) folgt, ist aufgrund der Päpositionalergänzung περὶ πάντων τούτων [ peri pantōn toutōn] (hinsichtlich all dieser Dinge) nicht nur auf V. 6a zu beziehen, sondern auf die Aussagen ab V. 3. Dies wird sachlich auch durch den Hinweis im Vergleichssatz auf bereits zuvor Gesagtes (προείπαμεν [ proeipamen]) gestützt, das mit V. 2 korrespondiert und damit ebenfalls literarisch rückverweisend ist. διότι ἔκδικος κύριος περὶ πάντων τούτων, καθὼς καὶ προείπαμεν ὑμῖν καὶ διεμαρτυράμεθα. [dioti ekdikos kyrios peri pantōn toutōn, kathōs kai proeipamen hymin kai diemartyrametha.] denn Rächer ist der Herr hinsichtlich all dieser Dinge, so wie wir es euch zuvor gesagt und bezeugt haben.

Demgegenüber ist der erste appositionelle AcI schlicht gehalten, folgt ihm doch lediglich eine Präpositionalverbindung. Semantisch bildet πορνεία [ porneia] (Unzucht, V. 3) den Gegenbegriff zu ἁγιασμός [hagiasmos] (Heiligung, V. 3.7), vgl. die weiteren Gegenbegriffe zu ἁγιασμός [hagiasmos] in V. 5 (πάθος ἐπιθυμίας [ pathos epithymias], Leidenschaft der Begierde) und in

184

Kommentar

V. 7 (ἀκαθαρσία [akatharsia], Unreinheit). Ohne die Heiligung direkt als Terminus im Gliedsatz aufzunehmen, sind auch die Infinitive ὑπερβαίνειν [hyperbainein] und πλεονεκτεῖν [ pleonektein] Gegenbegriffe dazu. V. 7 bietet eine erste – positive – Folgerung aus dem eben in V. 3–6 Ausgeführten: Es geht um den Gegensatz Unreinheit – Heiligung. Letzteres nimmt den Begriff aus V. 3 auf und bildet somit eine Inclusio: Wille Gottes und Berufung Gottes sind Heiligung. Die Aufnahme von θεός [theos] (Gott) als Subjekt korrespondiert dabei V. 3. Mit V. 8 folgt eine zweite – negative – Folgerung aus den V. 3–6, wobei der Gegensatz Mensch – Gott ist: Ablehnung der ethischen Anweisungen, die gemäß dem Willen Gottes erfolgen, bedeutet Ablehnung Gottes, nicht eines Menschen. Der durch den Artikel (τόν [ton]) angeschlossene Relativsatz weist auf die Gabe hin, die abgelehnt werden würde: der Heilige Geist, womit abschließend nochmals das Wortfeld ἁγι- [hagi-] (V. 3.4.7, vgl. schon 3,13) eingespielt wird. Dass bei allen drei Vorkommen des Wortfeldes am Beginn und am Schluss des Abschnittes das Personalpronomen der zweiten Person (ὑμεῖς [hymeis]), in der Mitte des Abschnittes aber das der ersten Person (ἡμεῖς [hēmeis]) gebraucht ist, mag zufällig erscheinen. Möglicherweise liegt aber absichtliche Komposition vor, weil der Gemeinde (ὑμεῖς [hymeis]) der Zusammenhang von Anspruch und Zuspruch, Aufgabe und Gabe, Heiligung und Heiliger Geist auch über diese formale Beobachtung erläutert werden soll. Die Gemeinsamkeit liegt in der Berufung beider Seiten, also der Verfasser wie der Adressaten des Briefes (ἡμεῖς [hēmeis]). Die letzte Sinneinheit des Abschnitts 4,1-9 bilden schließlich die V. 9–12. Der Beginn ist, wie oben bereits erwähnt, mit περὶ δέ [ peri de] (bezüglich aber) deutlich markiert. Die Satzstruktur ist für den ersten Teil, V. 9.10a, nur wenig komplex. Inhalt ist die ‚Geschwisterliebe‘. Der zweite Teil, der von V. 10b–12 reicht, ist ungleich komplexer. Inhalt dieses Teils ist der Erwerb des täglichen Lebensunterhalts. Die satzeinleitende Konstruktion οὐ χρείαν ἔχετε γράφειν ὑμῖν [ou chreian echete graphein hymin] (ihr habt nicht nötig, euch zu schreiben) in V. 9 ist holprig, in der deutschen Übersetzung könnte durch Umstellung des Infinitivs etwas gefälliger formuliert werden: (Bezüglich der Geschwisterliebe) euch zu schreiben, habt ihr nicht nötig. Der Sinn ist in jedem Fall klar: Wir haben nicht nötig, euch zu schreiben. So haben denn auch verschiedene Handschriften und Korrektoren immer wieder die 2. Pers. Pl. durch die 1. Pers. Pl. zu ersetzen versucht (ἔχομεν [echomen] [Präs.] oder εἴχομεν [eichomen] [Impf.], vgl. die varia lectio, vgl. auch 1,8b). Die schwierigere Lesart mit der 2. Pers. Pl. ist

Ethik 4,1-12

185

jedoch sehr gut bezeugt. Eine spätere Korrektur der Stelle von der 1. Pers. Pl. in die 2. Pers. Pl. wäre zudem kaum erklärbar.33 Die Gesamtstruktur dieses ersten Satzes weist einen themeneinleitenden Vordersatz auf (περὶ δέ … [ peri de …]), dem zwei durch καί [kai] verbundene indikativische Aussagesätze folgen (αὐτοὶ γάρ … καὶ γάρ [autoi gar … kai gar]), die wiederum durch eine finale (εἰς … [eis …]), satzabschließende Sequenz ergänzt werden. Die Hervorhebung des positiven Verhaltens der Gemeinde (καὶ γὰρ ποιεῖτε [kai gar poieite], ihr tut es nämlich auch) ist bereits aus 4,1 bekanntes rhetorisches Mittel (vgl. 5,11b). Der zweite Satz setzt erneut pointiert ein, was sowohl durch παρακαλοῦμεν δέ [ parakaloumen de] (wir ermahnen aber) als auch durch die Anrede mit ‚Brüder‘ geradezu überdeutlich ist. Die sich anschließende Satzstruktur, bei der mehrere Infinitive aufeinanderfolgen, denen sich ein Vergleichssatz (καθώς [kathōs]) anschließt, ist schon aus dem vorherigen Abschnitt (4,3-8) vertraut. Die im Vergleichssatz enthaltene Erinnerung an Kommunikationssequenzen beim Gründungsbesuch ist ebenfalls nicht neu (V. 6, vgl. 5,2 auch 3,4). Abgeschlossen wird der Satz durch einen mit ἵνα [hina] eingeleiteten kausalen Nebensatz, der seinerseits aus zwei mit καί [kai] verbundenen Satzgliedern besteht. Bei den Infinitiven bestehen folgende Abhängigkeiten: φιλοτιμεῖσθαι [ philotimeisthai] (einander zu lieben) regiert die folgenden drei Infinitive. Das vorangestellte καί [kai] hat epexegetische Bedeutung, es erklärt den vorausgehenden Infinitiv περισσεύειν [ perisseuein] (hervorzutun) näher und ist formal von παρακαλεῖν [ parakalein] (ermahnen) abhängig:34 Ihr sollt euch in dem, was jetzt geschrieben wird, immer mehr hervortun, nämlich darin, euch eine Ehre aus folgenden Dingen zu machen. Die Struktur dieses Satzes kann schematisch wie folgt dargestellt werden: Παρακαλοῦμεν δὲ ὑμᾶς, ἀδελφοί, περισσεύειν μᾶλλον καὶ φιλοτιμεῖσθαι ἡσυχάζειν καὶ πράσσειν τὰ ἴδια καὶ ἐργάζεσθαι ταῖς [ἰδίαις] χερσὶν ὑμῶν, καθὼς ὑμῖν παρηγγείλαμεν, 33 Vgl. so auch B.M. Metzger, Commentary, 632. 34 So mit A.J. Malherbe 246; St. Schreiber 231; R. Hoppe 251, der allerdings a.a.O., 246f notiert, dass die drei folgenden Infinitive περισσεύειν untergeordnet seien (ἡσυχάζειν wird dabei zu φιλοτιμεῖσθαι gezogen).

186

Kommentar

ἵνα καὶ

περιπατῆτε εὐσχημόνως πρὸς τοὺς ἔξω μηδενὸς χρείαν ἔχητε.

[Parakaloumen de hymas, adelphoi, perisseuein mallon kai philotimeisthai hēsychazein kai prassein ta idia kai ergazesthai tais [idiais] chersin hymōn, kathōs hymin parēngeilamen, hina peripatēte euschēmonōs pros tous exō kai mēdenos chreian echēte.] Wir ermahnen euch aber, Brüder, euch immer mehr hervorzutun, nämlich darin, euch eine Ehre daraus zu machen, Ruhe zu halten, und die eigenen Angelegenheiten zu betreiben, und mit euren [eigenen] Händen zu arbeiten, so wie wir (es) angeordnet haben, damit ihr einen anständigen Lebenswandel führt im Hinblick auf die, die außerhalb (der christlichen Gemeinde) sind und (damit) ihr niemand nötig habt(, der euch unterstütze).

III Einzelexegese 4,1-2: Von bekannten Anweisungen 1 Das Adverb λοιπόν [loipon], meist mit ‚im Übrigen, außerdem, weiterhin‘ übersetzt,35 ist als Übergang zu einem neuen Gedankengang auch sonst bei Paulus belegt, vgl. neben Phil 3,1 auch 2Kor 13,11; Phil 4,8 und 2Thess 3,1.36 Die Partikel οὖν [oun] hat neben einer weiterführenden auch folgernde Bedeutung.37 Sie ist hier als sachlich folgerndes Verbindungsglied zu den 3,11-13 erfolgten Aussagen zu verstehen:38 Das Leben ist nun also, da es gilt, 35 36 37 38

Vgl. WB6 974. Die Belege auch bei WB6 974. Vgl. HvS § 252, 51. Diese hervorgehobene Bedeutung von οὖν ist auch deshalb wahrscheinlich, weil die Wortverbindung λοιπὸν οὖν nur hier im NT vorkommt. – Ausführlich mit breiter Paraphrase der beiden Wörter hierzu schon G. Milligan 45f und auch T. Holtz 151; A.J. Malherbe 218; J.A.D. Weima 254; R. Hoppe 228f. Anders St. Schreiber 211, der zwar einen verbindenden Charakter von οὖν konzediert, diesen jedoch nicht in der Folgerung sieht; er führt allerdings nicht aus, worin dieser dann liegen könnte.

Ethik 4,1-12

187

‚untadelig in Heiligkeit‘ angesichts ‚des kommenden Herrn‘ (3,13) zu leben, tatsächlich auch gottgefällig (ἀρέσκειν θεῷ [areskein theō]) zu gestalten (περιπατεῖν [ peripatein]). Der Bezug zu 3,11-13 wird im Übrigen auch durch περισσεύειν [ perisseuein] (hervortun) hergestellt (3,12; 4,1). Ein Bezug zu 3,10, ‚zu vollenden, was eurem Glauben noch fehlt‘, kann ebenfalls vermutet werden,39 legt sich jedoch nicht so direkt nahe. Die erneute Aufnahme der Anrede Brüder (1,4; 2,1.9.14.17; 3,2.7)40 führt die seither im Brief gezeigte enge Verbindung zwischen Missionarsteam und Gemeinde fort. Intensität und emotionale Dichte erhält die Aussage jedoch durch die beiden präsentischen Verben des Bittens bitten und ermahnen, die durch eine präpositionale Satzergänzung noch verstärkt ist. Allein schon Statistik und Grammatik lassen die Intensität erkennen. Für die Statistik ist zunächst festzuhalten, dass die beiden Verben im NT sonst nicht in so enger Kombination verwendet werden.41 Singularität dürfte hier recht fraglos als Nachdrücklichkeit und Dringlichkeit zu interpretieren sein. Die beiden Durativstämme, die in Anlehnung an 3,1042 linear interpretiert werden können, weisen in dieselbe Richtung.43 Die Wortbedeutung der beiden Verben ist kaum unterscheidbar,44 verwendet Paulus selbst sie doch in 5,12.14 praktisch austauschbar.45 Ἐρωτᾶν [Erōtan] (bitten) ist bei Paulus kaum belegt, außer hier nur noch 5,12 und Phil 4,3, vgl. 2Thess 2,1. Παρακαλεῖν [Parakalein] (ermahnen) wird allein im Abschnitt 4,1–5,11 viermal in unterschiedlichen Nuancen gebraucht (4,1.10.18; 5,11).46 Hier liegt in Verbindung mit ἐρωτᾶν [erōtan] der Ton auf der eindringlichen, flehentlich

39 So. J.A.D. Weima 254. 40 Vgl. 4,6.10.13; 5,1.4.12.14.25.26. 41 J.A.D. Weima 255; R. Hoppe 229 Anm. 22 verweisen auf die Papyri POxy 744,6 und POxy 294,29 sowie auf PFreib 36 und PCol 8f., wo die beiden Verben in derselben Reihenfolge belegt sind, vgl. für die einzelne dieser Belege auch WB6 1247, A.J. Malherbe 219 und St. Schreiber 211. Schreiber hält ebd. fest: „Die Kombination beider Verben ist für private Briefe in der Antike nicht untypisch, wenn eine dringliche Bitte ausgesprochen wird.“ 42 Νυκτὸς καὶ ἡμέρας ὑπερεκπερισσοῦ δεόμενοι (Nacht und Tag unaufhörlich bittend ganz über alles Maß hinaus), vgl. auch die Durativstämme 1,2; 2,13; 5,17.25 und die Auslegung dort sowie bei 3,10. 43 Vgl. für eine vergleichbare Formulierung lediglich Apg 16,39, wo allerdings keine so große Nähe wie hier vorliegt, die Intensität der Bitte aber dennoch erkennbar ist; ἐρωτᾶν (bitten) ist auch dort Durativstamm (Impf.) und wohl iterativ zu deuten (vgl. D.L. Bock, Acts 545). 44 Vgl. E. v. Dobschütz 156; Ch.A. Wanamaker 148 und W. Schenk, ἐρωτάω κτλ., EWNT2 II, 1992, 144-145, 145. 45 Hierauf verweisen E. v. Dobschütz 156 mit Anm. 1; R. Hoppe 229. Vgl. auch die Verwendung der beiden Verben Phil 4,2f. 46 Vgl. 3,12; 3,2.7; 5,14; 2Thess 2,17; 3,12.

188

Kommentar

bittenden Ermahnung, die einer Ermunterung gleichkommt.47 Die Positionierung von ἐρωτᾶν [erōtan] konditioniert die Bedeutungsnuance des Folgenden, es liegt hier also kein Befehl vor,48 der sich etwa auf die apostolische Autorität des Paulus stützen würde. Die Autorität, in der die flehentlich-mahnende Bitte ausgesprochen wird, ist im Herrn, Jesus, begründet. Die Dringlichkeit der Bitte resultiert hier zunächst, aber gewiss nicht ausschließlich, aus der nahe bevorstehend erwarteten Parusie (vgl. 4,15) eben dieses Herrn, nämlich Jesus (3,13). Die weiteren Verse im Abschnitt 4,1-12 werden thematisieren, dass es auch die sozialen Bezüge innerhalb und außerhalb der Gemeinde sind, die Anlass für die Bitte sind. Durch die Formulierung ἐν κυρίῳ [en kyriō] verortet Paulus sich in einem geistlichen Raum, innerhalb dessen die dringliche Bitte ergeht,49 wobei er sich damit gleichzeitig der Autorität Jesu unterstellt:50 Er bittet nicht im eigenen Namen. Insofern Paulus sich in diesem Raum und unter dieser Autorität weiß, spricht er tatsächlich mit Autorität – die aber eben nicht seine eigene ist.51 Ein Verständnis von ἐν κυρίῳ [en kyriō], wie es Ernst v. Dobschütz darlegt, wonach die Formulierung Absender und Adressaten zu einer „Lebens- und Glaubensgemeinschaft im Herrn“ verbinde,52 verkennt, dass die Präpositionalwendung hier mit dem Subjekt der beiden Verben, nicht aber gleichzeitig mit dem Objekt zu verbinden ist.53 Der Inhalt der Bitte schließt sich in einem durch ἵνα [hina] eingeleiteten Nebensatz an.54 Bevor dieser jedoch über die Konjunktion hinaus weiter formuliert wird, erfolgen zwei durch so wie (καθώς [kathōs]) eingeleitete Vergleichssätze in Parenthese. Paulus erinnert dabei zunächst daran, dass die Thessalonicher das, um was es inhaltlich geht, bereits von ihnen empfangen haben. Παραλαμβάνειν [Paralambanein] ist terminus technicus für Überlieferung und Rezeption, wie besonders aus 1Kor 11,23; 15,3 ersichtlich wird und was schon bei 2,13 eine erste Aufnahme im Brief erfuhr.55 Stand in 2,13 die Predigt des Evangeliums im Zentrum, so hier die Ethik,56 wie die folgenden Ausführungen im Abschnitt 4,1-12 zeigen und wie dies auch Phil 4,9 der Fall ist.57 Paulus geht es T. Holtz 150 und St. Schreiber 204 übersetzen mit ‚reden (euch) zu‘. So mit A.J. Malherbe 218f, vgl. J.A.D. Weima 253f. So in Anlehnung an St. Schreiber 211. So mit R. Hoppe 230. In diesem Sinn dürfte auch ἐν κυρίῳ in 5,12 zu verstehen sein. E. v. Dobschütz 156, dem sich A.J. Malherbe 219 anschließt. Weitere, eher abwegige Auffassungen für ἐν κυρίῳ bei R. Hoppe 230 Anm. 24. Παρακαλεῖν im Hauptsatz mit folgendem Nebensatz, der durch ἵνα eingeleitet wird z.B. auch 1Kor 1,10; 16,12; 2Kor 8,6; 9,5; 12,8 vgl. 2Thess 3,2. 55 Ausführlicher dazu oben bei der Auslegung von 2,13. 56 So auch J.A.D. Weima 257. 57 Vgl. so auch R. Hoppe 230, zu Phil 4,9 vgl. U.B. Müller, Phil 198f; D. Häußer, Phil 302f. 47 48 49 50 51 52 53 54

Ethik 4,1-12

189

um das Wie des christlichen Lebens, über das er bereits bei seinem Gemeindegründungsaufenthalt in Thessalonich Verschiedenes gesagt haben musste (vgl. auch V. 2: οἴδατε [oidate], ihr wisst), wobei Einzelheiten davon nicht mehr eruiert werden können. Die beiden Infinitive ‚den Lebenswandel führen‘ und ‚(Gott) gefallen‘ sind von δεῖ [dei] abhängig. Die christlich-ethische Überlieferung, die den Thessalonichern aus der Predigt des Paulus bekannt ist, muss unabdingbar Richtschnur für ihre praktische Lebensgestaltung sein, eine Abweichung davon ist nicht statthaft, denn es liegt der „Zwang d.[er] Pflicht“ vor (vgl. Lk 2,49; 18,1; Apg 5,29)58. Der Verweis auf die Pflicht, das christliche Leben als Gott gefälliges, als ihm oder dem Geist gemäßes Leben zu führen, ist auch sonst bei Paulus belegt, wobei häufig περιπατεῖν [ peripatein] gebraucht wird (vgl. z.B. Röm 6,4; 8,4; Gal 5,16); dies wurde im Übrigen auch schon 2,12 thematisiert. In 2,4 wies Paulus zudem darauf hin, dass er selbst einen solchen Lebenswandel führe. Was es bedeutet, einen Gott nicht gefälligen Lebenswandel zu führen, wurde im Rahmen von 2,15 den Thessalonichern in scharfen Worten vor Augen geführt. Ἀρέσκειν [areskein] (gefallen) ist im Corpus Paulinum seltener in der hier verwendeten Bedeutung in Bezug auf Gott hin verwendet, wie etwa 1Kor 7,32; Röm 8,8, sondern eher in Bezug auf Menschen, wie 1Kor 7,33f; 10,33; Gal 1,10; 2Tim 2,4, vgl. Röm 15,1-3 zeigen.59 Eine so enge Verbindung der beiden Verben περιπατεῖν [ peripatein] und ἀρέσκειν [areskein] wie hier ist sonst weder im NT noch in der LXX belegt. Entweder wird das eine oder das andere verwendet. Περιπατεῖν [ peripatein] kann dabei durch das Adverb αξίως [axiōs] (würdig) näher bestimmt sein (2,12; Eph 4,1, vgl. Phil 1,27); bei Kol 1,10 ist neben αξίως [axiōs] zudem das Substantiv ἀρεσκεία [areskeia] (das Streben, zu gefallen) gebraucht. Gegenüber Menschen einen ‚anständigen Lebenswandel‘ zu führen, wird Paulus gleich im Folgenden V. 12 eigens ansprechen. Die Mahnung zu und Vorstellung für ein gottgefälliges Leben ist atl. gut bezeugt: Ps 68 (= 69),32; Mal 3,4 (jeweils ἀρέσκειν [areskein], vgl. auch Gen 5,22.24; 6,9; 48,15; Ps 25 (= 26),3; 55 (56),14; 114 (116), 9; Sir 44,16, wo jeweils das vom allgemeinen Wortstamm αρεστ- [arest-] abgeleitete εὐαρεστεῖν [euar58 WB6 343 s.voc. δεῖ, 2. Ähnlich auch R. Hoppe 230, der auf WB6 343, 6 verweist, wo jedoch nicht 1Thess 4,1 verzeichnet ist. Inhaltlich werden dort Belege unter der Bedeutung „Zwang d.[es] Geziemenden“ aufgeführt, wobei u.a. auf Röm 8,26 verwiesen wird. Sachlich stellt dies zwar eine etwas andere Nuance dar, bedeutet jedoch keine grundsätzliche Differenz zur hier vertretenen Position. Hoppe vermerkt denn auch ebd.: „Der Nachdruck liegt hier besonders auf dem δεῖ das keinen Entscheidungsspielraum für die Adressaten lässt.“ 59 Vgl. hierzu G. Schneider, ἀρέσκω κτλ., EWNT2 I, 1992, 363-364.

190

Kommentar

stein] gebraucht ist.60 Genau besehen hätte es ausgereicht, an unserer Stelle nur eines der beiden Verben zu verwenden. In der Forschung wird der Gebrauch der beiden Infinitive denn auch als Hendiadyoin identifiziert.61 Durch die Doppelung dürfte in jedem Fall (Ein-)Dringlichkeit signalisiert sein. Die Parenthese in der Parenthese so wie ihr auch euren Lebenswandel führt greift erneut die Beziehung des Paulus zur Gemeinde auf. Sie signalisiert, dass Paulus um den anhaltend (Durativstamm!) vorbildlichen, gottgefälligen Lebenswandel der Thessalonicher weiß (vgl. schon 1,7f und nochmals 4,10; 5,11). Dies hier einzufügen ist deshalb nicht unwichtig, weil im Folgenden (vgl. V. 3–8.11f ) dennoch Anweisungen zu einem ‚anständigen‘ (V. 12) Lebenswandel gegeben werden und dabei durchaus sensible Themen anzusprechen sind.62 In demjenigen Wie der Lebensgestaltung, das bei den Thessalonichern jedoch zu loben ist, sollen diese sich immer mehr hervortun. Die Mahnung, nicht nachzulassen, sondern den Vorbildcharakter weiter auszubauen, ist von nicht geringer Bedeutung für die folgenden Aussagen. Rekurriert wird in positiver Weise auf das, was an Gutem, an Lobenswertem bereits vorhanden ist. Abgehoben wird darauf, dieses zu vertiefen, was für die Gemeinde eher Ansporn als Mahnung gewesen sein dürfte.63 Dass diese Vertiefung an einzelnen weiteren Aspekten konkret zu zeigen sein wird, die im gleich Folgenden aufgegriffen werden, dürfte bei den Adressaten hingegen als deutliche Ermahnung wahrgenommen worden sein. Das besonders herzliche Verhältnis zu den Thessalonichern verlangte jedoch diese empathische Hinführung.64 Für Paulus ist es dabei nicht das erste Mal im Brief, dass er den Anspruch an sich selbst und an andere thematisiert, ‚immer mehr‘ zu werden oder zu sein, womit er deutlich macht, dass er sich mit einem durchschnittlich gestalteten Lebensstil nicht zufriedengeben kann. Hatte er in 2,17 von sich selbst gesagt, er habe sich ‚umso mehr bemüht‘, die Thessalonicher zu sehen, und in 3,12 darum gebetet, dass der Herr die Liebe zu allen Menschen reich, ja überreich machen möge, so kann er hier jetzt von den Thessalonichern erwar60 Vgl. für dieses Wortfeld, das im NT eher selten benutzt wird, z.B. Röm 12,2; 14,18; 2Kor 5,9; Phil 4,18 (εὐάρεστος), das Verb εὐαρεστεῖν ist nur Hebr 11,5.6 (vgl. 13,16) und das Adverb εὐαρέστως nur Hebr 12,28 verwendet. 61 So von F.F. Bruce 79; B.R. Gaventa 50; G. Haufe 69 Anm. 10. 62 Eine vergleichbare Verbindung zum folgenden erkennt auch J.A.D. Weima 259. 63 R. Hoppe 231 spricht von der „Motivation, auf dem eingeschlagenen Weg voranzuschreiten“, ähnlich auch St. Schreiber 212. 64 Dass Paulus auch ganz anders konnte, zeigt z.B. der Galaterbrief, bei dem noch nicht einmal die in der Antike übliche briefliche Konvention eines Proömiums vorliegt, sondern gleich die groben Monita thematisiert werden; vgl. besonders den Übergang von Gal 1,5 zu Gal 1,6.

Ethik 4,1-12

191

ten, dass auch sie alles drangeben, auf ihrem angefangenen Glaubensweg nicht nur nicht nachzulassen, sondern sich weiter immer mehr hervorzutun (vgl. 4,10; 5,1365). Erneut erinnert Paulus mit V. 2 die Thessalonicher an etwas, das sie bereits aus der Verkündigung während der Gemeindegründungsphase kennen. Zur Anfangspredigt (2,13) gehörten ethische Anweisungen. Die Abwendung von ‚den Götterbildern‘ (1,9) zeigte sich in einem entsprechend geänderten Lebensstil und Ethos. Παραγγελία [Parangelia] wird im Corpus Paulinum kaum verwendet, außer hier nur noch 1Tim 1,5.18, wo die „verbindliche Weisung des gemeindeleitenden Amtes, die in Lehre und Verkündigung ergeht“ gemeint ist.66 Das häufiger verwendete Verb παραγγέλλειν [ parangellein] zeigt, dass der Begriff durchaus in dieser Richtung, nämlich als „apostol. [ische] Weisungen“,67 gewiss aber als „dezidierte Maßgaben“68 verstanden werden kann. Paulus beruft sich dabei jedoch „auf den ‚Herrn (Jesus)‘ 1Kor 7, 10; 11, 17 mit 23“69 und natürlich hier an unserer Stelle,70 womit er seine Weisungen als Weisungen aus dem ‚Weisungs-Raum‘ des Herrn, nämlich Jesus, deklariert. Die Anweisungen wurden den Thessalonichern von Paulus gegeben, womit natürlich auf die Verkündigung bei der Gemeindegründung verwiesen ist. Das Simplex des Verbs διδόναι [didonai], statt des Kompositums παραδιδόναι [ paradidonai], muss, gerade weil διδόναι [didonai] in Korrelation zu παραλαμβάνειν [ paralambanein] (V. 1) steht, nicht darauf hinweisen, dass es sich beim Inhalt des Gegebenen nicht um Tradition handele.71 Paulus dürfte bei seiner Verkündigung stets Traditionelles mit Aktuellem verbunden oder das Traditionelle für den konkreten Fall aktualisiert und damit ggf. auch weitergeführt haben, was nicht zuletzt auch gegenwärtiger Predigtpraxis entspräche. Letztlich lässt sich dies jedoch nicht mehr feststellen, weil die ethischen Inhalte der Anfangsverkündigung aus dem Brief nicht ersichtlich werden. Die Präpositionalverbindung durch den Herrn, Jesus ist, anders 65 Vgl. auch die überschwänglichen, durch πᾶς (alles) bzw. ἀδιαλείπτως (unaufhörlich) eingeleiteten Formulierungen in 5,16-18.21f (Letzteres auch 1,2; 2,13), die zwar formelhaft sein mögen, aber dennoch hier Erwähnung finden können, zu Einzelheiten vgl. die Auslegung dort. 66 J. Roloff, 1Tim 66. 67 WB6 1239 s.voc. παραγγελία. 68 So R. Hoppe 232 unter Verweis auf Apg 5,28, wo durch die figura etymologica παραγγελία παρηγγείλαμεν ein strengstes Verbot formuliert ist, vgl. zu diesem D.L. Bock, Acts 245 und HvS § 180 c und 294 h. Ähnlich auch T. Holtz 154. 69 W. Radl, παραγγέλλω κτλ., EWNT2 III, 1992, 38-39, 39. Vgl. auch 2Thess 3,6.12, ohne Berufung auf den Herrn (Jesus) 2Thess 3,4.10. 70 In 4,11 fehlt die explizite Berufung auf den Herrn. 71 So aber R. Hoppe 232.

192

Kommentar

als V. 1 (ἐν [en]), mittels διά [dia] mit Genitiv verfasst. Beide Präpositionen dürften hier aber im Wesentlichen dieselbe Bedeutung haben.72 In der Autorität und in seinem Raum, den er durch seinen Geist eröffnet, erfolgte die Anweisung.73 Der gegenüber V. 1 etwas eindringlichere und nachdrücklichere Ton kommt in V. 2 über die Verwendung von παραγγελία [ parangelia] und die Perfektform ἐδώκαμεν [edōkamen] in Verbindung mit οἴδατε [oidate] zustande: „Ihr habt die Anweisungen erhalten und ihr kennt sie!“ Οἴδατε [Oidate] ist vor der Perfektform eigentlich unnötig, da der resultative Aspekt des Perfekts deutlich genug markiert, dass die Anweisungen bleibend bekannt sind, nachdem sie gegeben worden waren. Wie bereits erwähnt, haben die Verse 1-2 die Funktion, auf die Ethik bei der Verkündigung während der Gemeindegründung zurückzuverweisen, die zu einem geänderten, sich von der paganen Umwelt unterscheidenden Lebensstil der Thessalonicher geführt hat und zur Identitätsneufindung mit beitrug. Diese wird im Folgenden fortgeführt. „Wie das Fehlende im Glauben (3,10) will er auch das Fehlende in ihrer Lebensführung in Übereinstimmung mit dem Glauben bei ihnen errichten.“74 Von praktischer Heiligung 3 Mit auf die Verse 1–2 rückverweisendem, begründendem nämlich (γάρ [gar]) und auf die Verse 3–8 vorausweisendem Demonstrativpronomen dieses (τοῦτο [touto]) setzt der neue Unterabschnitt ein. Τοῦτο [Touto] verweist dabei auf die konkreten Aspekte, die im Folgenden benannt werden und in denen sich die Thessalonicher ‚immer mehr hervortun sollen‘ (V. 1fin). Quasi als Überschrift über dem Folgenden steht ‚Wille Gottes‘, womit eine Subjektsergänzung zu τοῦτο [touto] vorliegt und Selbiges identifiziert wird. Die folgende Apposition ‚eure Heiligung‘ erläutert den Willen Gottes zunächst ganz allgemein, worauf diese über die folgenden Infinitive konkretisiert wird.75 Dem Willen Gottes in der Lebensführung zu entsprechen, ist auch sonst Thema in den pln. Briefen, wie 5,18; Röm 12,2 (vgl. Kol 1,9f, aber auch 1Petr 1,16) zeigen.76 Im Hintergrund steht dabei atl.-jüd. Gedankengut, wo72 So W. Radl, παραγγέλλω κτλ., EWNT2 III, 1992, 38-39, 39. Vgl. auch T. Holtz 154: Διά „entspricht dem ‚im Herrn Jesus‘ V 1, ist aber prägnanter als dieses“. 73 Jeglichen Befehlston verneinend interpretiert St. Schreiber 212. 74 R. Börschel, Konstruktion, 243. 75 Τοῦτο weist also direkt auf θέλημα τοῦ θεοῦ voraus, und indirekt ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν (eure Heiligung), welches wiederum durch die folgenden appositionellen Infinitive näher erläutert wird. Vgl. dazu oben bei II. 76 Vgl. M. Limbeck, θέλημα κτλ. EWNT2 II, 1992, 338-340, 339f.

Ethik 4,1-12

193

nach der Wille Gottes in der Tora niedergeschrieben ist und ein toraobservantes Verhalten dem Willen Gottes entspricht,77 was auch dem Paulus bekannt ist (vgl. Röm 2,18). Die Formulierung in 4,2 wird durch 4,3 insofern nochmals zugespitzt, als es im Folgenden explizit um den Willen Gottes geht, der zu tun ist, und nicht etwa um den des Paulus: ‚Ihr wisst nämlich, welche Anweisungen wir euch durch den Herrn, Jesus, gegeben haben‘ (4,2), ‚genau diese nämlich waren ebenso der Wille Gottes wie das, was jetzt folgt‘ (4,3a), so könnte man paraphrasieren. Zusammengefasst ist der Wille Gottes für den Lebensstil der Thessalonicher die Heiligung. Drei der acht Belege für ἁγιασμός [hagiasmos] im Corpus Paulinum befinden sich in diesem kurzen Abschnitt (vgl. 2Thess 2,13), wobei es jeweils auf das Tun des Menschen ankommt, das Heiligung ‚erwirkt‘, was schon in 4,1 mit περιπατεῖν [ peripatein] und περισσεύειν [ perisseuein] angedeutet worden war. Aus der außerbiblischen Literatur kommt dem wohl TestXII.Ben 10,11 am nächsten: Ihr nun, wenn ihr in der Heiligung vor dem Angesicht des Herrn wandelt, (werdet ihr wiederum auf Hoffnung in mir wohnen …)78

Die Glaubenden sind dabei jedoch ‚in Christus Jesus Geheiligte‘ (1Kor 1,2). Die Taufe eröffnete also den Lebensraum, in einem neuen Leben zu wandeln (Röm 6,4: περιπατεῖν [ peripatein]), daher ist Heiligung eine geradezu unabwendbare ‚Frucht‘ der Taufe (Röm 6,22), aufgrund derer die Glaubenden ‚ihre Glieder als in Gerechtigkeit dienende Glieder übergeben, damit sie so zur Heiligung werden‘ (Röm 6,19). Auf diesem Hintergrund ist das Personalpronomen eure Heiligung zu interpretieren. Heiligung erfolgt im von Christus in der Taufe eröffneten Ermöglichungsraum einer neuen Existenz, die einen neuen Lebensstil impliziert, und insofern durch Christus – der Genitiv ὑμῶν [hymōn] ist gen. obiectivus. In 1Kor 1,30 ist davon die Rede, dass ‚Christus für uns zur Heiligung geworden ist‘. Heiligung gründet also im Christusereignis. In diesem eröffneten Raum besteht jedoch die Möglichkeit und Notwendigkeit, diesen Lebensstil zu praktizieren, und damit Heiligung aktiv zu

77 Belege u.a. Ps 39 (40),9; 142 (143),10; 1Esr 8,16; Od 14,43. Aus der sog. intertestamentaren Literatur sei auf TestXII.Iss 4,1-3; TestXII.Naph 3,1 hingewiesen (vgl. hierzu A.J. Malherbe 225; St. Schreiber 213). Aus Qumran vgl. 1QS 5,1; 9,13.15.23.24 (hier jeweils: ‫רצון‬, vgl. für die Belege aus Qumran H.M. Barstad, ‫ ָרָצה‬rāṣāh, ThWAT VII, 1993, 640652, 652 und auch bei T. Holtz 155 Anm. 36), für entsprechende Belege aus dem Rabbinat vgl. immer noch G. Schrenk, θέλημα, ThWNT III, 1938, 52-62, 54. 78 Übersetzung nach J. Becker, JSHRZ III/1, 137, zum Beleg vgl. St. Schreiber 213.

194

Kommentar

gestalten. Insofern erfolgt Heiligung durch die Glaubenden – der Genitiv ὑμῶν [hymōn] ist gen. subiectivus.79 Konkret bedeutet Heiligung, so die erste nähere Beschreibung, sich von der Unzucht fernzuhalten. Grundsätzlich ist Heiligung nicht auf den sexuellen Bereich beschränkt, wie die folgenden weiteren Beschreibungen zeigen.80 Hier steht dieser jedoch wahrscheinlich deshalb im Vordergrund, weil sich in der paganen römisch-griechischen Gesellschaft dieser Lebensbereich sehr freizügig gestaltete, jedenfalls wenn er ins Verhältnis zu den jüd.-christl. Normen gesetzt wird.81 Möglicherweise spielten auch die sexuellen Praktiken der Mysterienkulte eine Rolle, die ja in Thessalonich verbreitet waren.82 Wahrscheinlich ist auch ein Bezug zum sog. Aposteldekret Apg 15,20.29 herzustellen, wo an beiden Stellen Verb und Substantiv (ἀπέχεσθαι [apechesthai] und πορνεία [ porneia]) ebenfalls verwendet sind. Dabei dürfte weder historisch noch literarisch ein direkter Bezug zur Apg vorliegen, die Verpflichtung, die beim Aposteldekret hinsichtlich der sog. Heidenmission eingegangen wurde, steht jedoch gewiss im Hintergrund.83 Πορνεία [Porneia] meint jegliche illegitime sexuelle Handlung84 (vgl. z.B. 1Kor 6,18; 2Kor 12,21; Gal 5,19), wird aber im Einzelnen auch spezifiziert.85 Maßstab für Legitimität ist im vorliegenden Kontext die jüdische Vorschrift, wonach Sexualität ihren Platz allein in der Gemeinschaft zwischen Mann und Frau haben kann.86 Damit ist gleichzeitig die Abgrenzung zur heidnischen Praxis evident. Das Handeln der Heiden kann in der jüd.-hellenist. Literatur dabei insgesamt als Unzucht bezeichnet werden, wie Jub 25,1 zeigt: Denn ihr Werk ist Unzucht und Festgelage. Und keinerlei Gerechtigkeit ist mit ihnen, denn böse ist es.87

79 Vgl. für diese doppelte Bedeutung des Genitivs auch St. Schreiber 214. Der einzig weitere Beleg für ἁγιασμός im Corpus Paulinum ist 1Tim 2,15. 80 So z.B. mit T. Holtz 155-163; St. Schreiber 214. Anders für den vorliegenden Abschnitt z.B. I.H. Marshall 111f; G. Haufe 72f; A.J. Malherbe 232f; J.A.D. Weima 266-276, die allein den Bereich der Sexualität angesprochen sehen. 81 Hierzu ausführlicher J.A.D. Weima 260-263, instruktiv ist auch C. Osiek; D.L. Balch, Families, 103-118. 82 Vgl. zu den Mysterienkulten in Thessalonich zur Zeit des Paulus ausführlich Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 115-142; F.W. Röcker, Belial, 245-253. 83 Ein Bezug zu Apg 15,(20.)29 auch bei F.F. Bruce 82; T. Holtz 156; A.J. Malherbe 225. 84 So z.B. auch F.F. Bruce 82; I.H. Marshall 107. 85 Vgl. z.B. 1Kor 5,1 (Inzucht zwischen Mutter und Sohn); 7,2 (der sog. ‚Seitensprung‘). 86 So auch R. Hoppe 234. 87 Übersetzung nach K. Berger, JSHRZ II/3, 451, für den Beleg vgl. z.B. T. Holtz 156, vgl. weiter Tob 4,12.

Ethik 4,1-12

195

Im Rabbinat spielte in der Diskussion um den Zusammenhang von Heiligkeit und Unzucht die Reihenfolge der Kapitel Lev 18 und 19 eine Rolle (LevR 24): Warum steht der Abschnitt betreffs der Unzuchtssünden (Lv 18) unmittelbar neben demjenigen betreffs der Heiligung (Lv 19)? Um dich zu lehren, daß du überall, wo du einen Zaun gegen Unzucht findest, auch Heiligkeit findest.88

Der Hinweis hierauf ist auch deshalb interessant, weil Paulus in V. 3a, ‚der Wille Gottes ist eure Heiligung‘, „die Bestimmung Gottes für Israel aus dem Heiligkeitsgesetz [sc. Lev 19,2: ἅγιοι ἔσεσθε ὅτι ἐγὼ ἅγιος [hagioi esesthe hoti egō hagios], ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, fwr] auf die Gemeinde [überträgt]“.89 Die Mahnung, sich von jeglichem heidnisch-sexuellen Verhalten fernzuhalten (ἀπέχεσθαι [apechesthai]), zielt erneut nicht nur auf die Trennung von seitherigen sozialen Bindungen wie etwa von den Mysterienkultgemeinschaften, sondern dient gleichzeitig der Stärkung der eigenen Identität: ‚Wir sind solche, die sich in der Gesellschaft durch ein alternatives Sexualverhalten auszeichnen.‘90 4 Die zweite nähere Beschreibung von Heiligung bewegt sich ebenfalls im Bereich der Sexualität, wobei in der Forschung der Terminus σκεῦος [skeuos] (Gefäß), der hier metaphorisch gebraucht ist, unterschiedlich bestimmt wird. Zunächst ist jedoch der AcI mit dem Infinitiv Perfekt εἰδέναι [eidenai] zu interpretieren, der in seiner präsentischen Bedeutung mit dass jeder von euch lernt übersetzt wurde.91 Der Subjektsakkusativ ἕκαστον [hekaston] mit der Ergänzung ὑμῶν [hymōn] individualisiert das Folgende. Mit dem Syntagma jeder von euch, wird also die Mahnung durch die Adressierung an jede einzelne Person gegenüber dem vorangehenden AcI, wo mit dem 88 Bill. III, 633. Leviticus Rabba (auch Wajjiqra Rabba = WaR) ist eine Sammlung von 37 Homilien zum Buch Lev, deren Redaktion zwischen 400 und 500 n.Chr. erfolgte; die Traditionen der Sammlung sind deutlich älter. Vgl. hierzu H.L. Strack; G. Stemberger, Einleitung, 268f. 89 R. Börschel, Konstruktion, 244. 90 Für einen allgemeineren Kontext, in dem das mediale Verb verwendet ist, ohne dass die hier vorliegende Konnotation aufgegeben wäre, vgl. 1Thess 5,22 und 1Petr 2,11. 91 Zur präsentischen Bedeutung der Perfektformen von οἶδα vgl. BDR § 99, 2; HvS § 109 c. – R. Hoppe 236 Anm. 63 will in εἰδέναι eine Aoristform erkennen. Die Anmerkung bleibt insgesamt kryptisch, weil er auch im „präsentische[n] Infinitiv κτᾶσθαι“ einen „ingressiv[en]“ Aspekt zu erkennen vermag, was gewiss nicht der Tempuswahl, sondern dem Bedeutungsspektrum des Verbs zuzuschreiben ist, vgl. A.J. Malherbe 227f; St. Schreiber 218.

196

Kommentar

Subjektsakkusativ ὑμᾶς [hymas] eher die Allgemeinheit der Gemeinde angesprochen wird, intensiviert. Die Übersetzung von εἰδέναι [eidenai] mit ‚lernen‘ liegt nahe, insofern die Bedeutung von „verstehen, vermögen, können“ ohnehin für 4,4 die wahrscheinlichste ist.92 Bei der Heiligung geht es ganz grundsätzlich und anders als bei der Heiligkeit (ἁγιωσύνη [hagiōsynē], 3,13) um ein prozessuales Geschehen,93 dies wird mit der Übersetzung ‚lernen‘ an dieser Stelle besonders markiert.94 Das folgende Substantiv σκεῦος [skeuos], das in der Übersetzung in Anführungszeichen in der nichtmetaphorischen Bedeutung Gefäß wiedergegeben wurde, stellt die Auslegung nicht erst in der Gegenwart, sondern bereits seit der Zeit der sog. Alten Kirche vor nicht geringe Interpretationsschwierigkeiten.95 Unbestritten ist, dass an unserer Stelle metaphorischer Gebrauch vorliegt. Bereits die biblischen Vergleichsstellen bieten eine doppelte Bedeutung an, nämlich (den eigenen) Körper oder (die eigene Ehe-)Frau.96 Ersteres bei 2Kor 4,7;97 Röm 9,22f,98 Letzteres bei 1Petr 3,7.99 Die Belege zeigen jedoch nur die Bandbreite der Deutungen auf, sie sind aufgrund unterschiedlicher Kontexte für die Interpretation unserer Stelle nur bedingt hilfreich. Die Belege aus der antiken Literatur eröffnen ebenfalls beide Deutungen. Exemplarisch sei für die Bedeutung ‚Körper‘ auf zwei Stellen aus TestXII. Naph verwiesen (vgl. Apg 9,15; 2Tim 2,20f ). TestXII.Naph 2,2: Denn wie der Töpfer vom Gefäß weiß, wieviel es fassen soll, und zu ihm (entsprechend) Ton verwendet, so macht auch der Herr nach der Ähnlichkeit des Geistes den Körper.

Bei TestXII.Naph 8,6 ist die Vorstellung von der Einwohnung einer fremden ‚Macht‘ im Körpergefäß des Menschen belegt, die dieses wie ein Werkzeug nutzen kann: 92 So WB6 1128 s.voc. οἶδα. Für die Formulierung εἰδέναι κτλ. wird ebd. „jeder von euch soll sein Gefäß […] in Heiligung zu besitzen verstehen“ angegeben. 93 Vgl. R. Börschel, Konstruktion, 244. 94 Vgl. auch A.J. Malherbe 226, der mit „to learn how“ paraphrasiert. 95 Für Belege der beiden Interpretationsvarianten ‚Leib oder Weib‘ bei den Kirchenvätern der ersten sechs Jahrhunderte vgl. Chr. Maurer, σκεῦος, ThWNT VII, 1964, 359-368, 366 Anm. 48 und 49, sowie P. Gorday (Hg.), ACCS.NT IX, 80f, vgl. auch W. Bornemann 168f. 96 Vgl. WB6 1507. 97 Vgl. hierzu Th. Schmeller, 2Kor VIII/1, 255f mit zahlreichen Belegen. 98 Vgl. hierzu O. Michel, Röm 315; E. Lohse, Röm 280. 99 Vgl. hierzu L. Goppelt, 1Petr 221f.

Ethik 4,1-12

197

Den jedoch, der das Gute nicht tut: den werden sowohl Engel als auch Menschen verfluchen, und […] der Teufel wird ihn bewohnen wie sein eigenes Gefäß.100

Eine andere theologische Vorstellung versteht den Menschen als von Gott geschaffenes Gefäß, wie z.B. ApkMos 31,4 (vgl. Röm 9,22f ) zeigt: Gott vergisst nicht meiner. Nein! Er verlangt nach dem Gefäß, das er sich selbst gebildet.101

Für Belege, die auf eine Interpretation des Terminus mit ‚Frau‘ hinweisen, wird außer auf 1Petr 3,7 v.a. auf spätere rabbinische Belege verwiesen.102 Bei Belegen wie z.B. Sir 36,24; Ruth 4,5103 wird zwar κτᾶσθαι [ktasthai] (gewinnen) verwendet, jedoch nicht σκεῦος [skeuos], sondern γυνή [gynē] (Frau), sie kommen also für eine derartige Interpretation von σκεῦος [skeuos] eher weniger infrage. Hätte Paulus die Frau gemeint, hätte er dies deutlich mit γυνή [gynē] getan,104 wie es zudem bei den eben genannten atl. Belegen auch der Fall ist. Für eine Bedeutung von ‚Frau‘ sprechen sich aber zahlreiche Kommentatoren aus.105 Eine wachsende Anzahl von Exegeten erkennen in σκεῦος [skeuos] einen Hinweis auf das männliche Geschlecht als Teil des Leibes.106 Dabei wird v.a. auf 1Sam 21,5f verwiesen, wobei dort jedoch die metaphorische Deutung überhaupt infrage steht.107 Für den hebräischen Text bei 1Sam 21,5f, der für σκεῦος [skeuos] dessen hebräisches Pendant ‫[ ֵכִּלים‬kelīm] (Pl.) bietet, wird ein

100 Übersetzung der beiden Belege nach J. Becker, JSHRZ III/1, 100.105. 101 Übersetzung nach P. Riessler, Schrifttum, 150, vgl. OTP II, 287. 102 Die Belege im Einzelnen bei Bill. III, 632f, vgl. A.J. Malherbe 227 und kritisch dazu St. Schreiber 217. 103 Auf diese verweisen z.B. E. v. Dobschütz 164 und A.J. Malherbe 227. 104 Vgl. so z.B. 1Kor 7,2, wo zwar nicht κτᾶσθαι verwendet ist, aber ein vergleichbarer Zusammenhang vorliegt. 105 So z.B. E. v. Dobschütz 163f; J.E. Frame 149f; B. Witherington 113-116 und auch R. Börschel, Konstruktion, 245f, vgl. für weitere J.A.D. Weima 268-270; St. Schreiber 216; R. Hoppe 235 Anm. 56. 106 Vgl. neben den bei J.A.D. Weima 270; St. Schreiber 216; R. Hoppe 235 Anm. 59 genannten Vertretern auch I.H. Marshall 108f; J.A. Weatherly 134f. 107 Vgl. nur LXX.D zu 1Reg 21,6, wo τὰ σκεύη (Pl.) mit „Geräte“ übersetzt wird. In der Erklärung dazu wird überlegt, ob damit „der Sack, in den die geweihten Brote kommen, oder die Waffen [sc. Davids, fwr] gemeint sind“. Erwogen wird allerdings auch: „Oder das Wort ist als Umschreibung für die Enthaltsamkeit Davids zu verstehen.“ Kritsch zu dieser Deutung von 1Sam 21,6 auch St. Schreiber 216.

198

Kommentar

Euphemismus für die Genitalien z.B. von Walter Dietrich kategorisch ausgeschlossen.108 Der Kontext wie auch die oben angeführten Belege legen m.E. eine Deutung auf den eigenen Körper nahe.109 Auch Belege wie Jes 54,16f (LXX) oder 1QH XII(IV),9 sprechen dafür. Jes 54,16f (LXX): Siehe, ich erschaffe dich, nicht (so,) wie ein Schmied, der Kohlen anfacht und ein Gerät herausbringt für (seine) Arbeit; ich aber habe dich gegründet, nicht zur Vernichtung, um zu verderben jegliches vergängliche Gerät. 1QH XII(IV),9: Und alle meine Freunde und Verwandten … halten mich für ein untaugliches Gerät (‫)כלי‬.110

Gerade der folgende Inf. Präs. κτᾶσθαι [ktasthai] kann die Deutung auf den Körper stützen, weist doch der Durativstamm in seiner iterativen Interpretation auf die lebenslange Lernaufgabe hin, den eigenen Körper in sexuellen Belangen, wie nach dem Kontext (πορνεία [ porneia], V. 3) zu spezifizieren ist, stets neu111 in ‚Heiligkeit und Ehre‘ zu gewinnen. Die Übersetzung des Verbs hat nach seinem Wortsinn hin zu erfolgen und ergibt durchaus Sinn.112 Die sexuelle Begierde des Körpers (vgl. V. 5) ist als eine Kraft vorgestellt, die 108 Vgl. W. Dietrich, Sam (BK VIII/2), 577. 109 Vgl. außer den bei J.A.D. Weima 270; St. Schreiber 216f und R. Hoppe 235 Anm. 58 Genannten, auch J.A. Bengel, Gnomon II/1, 427; G. Milligan 49 und St. Schreiber 217 wie auch R. Hoppe 236 selbst, sowie die Diskussion unterschiedlicher Belege im Exkurs bei M. Dibelius 21, der sich ebenfalls für die Bedeutung Körper ausspricht. Die Frage, ob σκεῦος als ‚Frau‘ oder ‚Körper‘ zu interpretieren sei, bleibt z.B. bei D.M. Martin, 124-126 und B.R. Gaventa 53 offen: Beides sei möglich, und die Aussage des Paulus sei so oder so verständlich. 110 Übersetzung nach E. Lohse, Texte, 125. Für den Beleg vgl. E. Plümacher, σκεῦος κτλ., EWNT III2, 1992, 597-599, 598. 111 Vgl. zu dieser Ergänzung oben bei der Übersetzung. 112 Ein ingressiver Wortsinn, wonach der Ton auf dem (einmaligen) Gewinnen einer Sache liegt, die man dann besitzt, muss dem nicht wiedersprechen. Der hier vorgestellte Besitz ist immateriell. Es kann keineswegs davon ausgegangen werden, dieser bliebe für immer erhalten. Stets neu (iterativ) ist hingegen dafür zu sorgen, dass das einmal Gewonnene, von dem aufgrund der vorliegenden Semantik eben keineswegs erwartet werden kann, dass es dauerhaft gewonnen wäre, von Neuem (zurück-)gewonnen (ingressiv) wird. Eine Analogie dazu dürfte in 1Kor 6,18 vorliegen, insofern der Impv. Präs. φεύγετε τὴν πορνείαν (flieht vor der Unzucht), das von seiner Semantik her zunächst ingressiv aufgefasst werden muss, ebenfalls iterativ verstanden werden kann und also die ‚Flucht vor der Unzucht‘ als bleibende „fortwährende Herausforderung, Pflicht und Aufgabe“ zu verstehen ist (E.J. Schnabel, 1Kor 343).

Ethik 4,1-12

199

vom Menschen stets neu in den Grenzen des gesellschaftlich und situativ Möglichen und Nötigen so zu gewinnen, am ehesten im Sinn von ‚beherrschen‘ zu verstehen,113 ist, dass sie innerhalb dieser angemessen ausgelebt wird.114 Das Reflexivpronomen ἑαυτοῦ [heautou] (sein eigenes) entspricht der Konzentration der gesamten Aussage auf den Einzelnen hin, was schon durch die Verwendung von ἕκαστον ὑμῶν [hekaston hymōn] plausibel wurde. Angesprochen sind, so hebt Stefan Schreiber mit Recht hervor, Männer und Frauen.115 Nicht zuletzt wird die Deutung auf den eigenen Körper durch 5,23 gestützt, wonach das Heiligen (ἁγιάζειν [hagiazein]) auch den Körper (σῶμα [sōma]) umfasst.116 Die Grenzen, innerhalb derer Sexualität gelebt werden soll und damit natürlich auch kann, sind mit ‚in Heiligung und Ehre‘ gesteckt. Die beiden von ἐν [en] abhängigen Substantive geben also den Modus des ‚Gewinnens‘ an, was so auch für die negative Bestimmung in V. 5 gilt (μὴ ἐν [mē en]).117 Heiligung entspricht der Bedeutung in 4,3, wo damit der Christus entsprechende und durch ihn (in der Taufe) ermöglichte alternative Lebensstil der Glaubenden gemeint ist. Ist mit dem ersten Substantiv (eher) das Verhältnis zu Gott im Blick, so mit dem zweiten, der Ehre, (eher) das Verhältnis zu den Mitmenschen im sozialen Umfeld. Τιμή [Timē] kann auch mit Wertschätzung, oder mit „Zustand d.[er] Ehrbarkeit“118 übersetzt werden. Der eigene Körper ist demnach insofern hinsichtlich seiner sexuellen Facette stets neu im Zustand der Ehrbarkeit ‚zu gewinnen‘, als er in seiner ‚Außenwirkung‘ in einem solchen Zustand erkennbar präsentiert und mit ihm umgegangen werden soll. Der Begriff zielt im vorliegenden Zusammenhang also auf die der jeweiligen gesellschaftlich und situativ angemessenen Performanz des Körpers, diese sollte je so ausfallen, dass andere Personen sich respektiert und 113 Vgl. hierzu WB6 924 s.voc. κτάομαι 1, vgl. auch NSS II, 201. Für Belege aus der Profangräzität zur Verwendung von κτᾶσθαι in sexuellem Kontext vgl. R. Hoppe 236 Anm. 62. 114 Sachlich könnte dies also durchaus auf das Geschlechtsteil als Teil des Körpers reduziert werden, ist aber, wie gesagt, sprachlich nur wenig wahrscheinlich. J.A.D. Weima 272 meint, dass gleichzeitig beides, sowohl der Körper als auch das Geschlechtsorgan gemeint sein dürfte. 115 Vgl. St. Schreiber 218. Er sieht dabei keine Konzentration auf die Sexualität vorliegen, sondern meint ebd., dass „mit dem Körper die ganze soziale Existenz des Menschen anvisiert [ist]“, in Verbindung mit κτᾶσθαι (gewinnen im Sinn von ‚ein Gefäß nutzen‘) sei damit „die Bedeutung der leiblichen Existenz des Christen innerhalb der Welt“ gemeint. Damit, so scheint mir, wird aber der Kontext und die angeführten (außerbiblischen) Belege überinterpretiert. Kritisch zu Schreiber auch R. Hoppe 236f. 116 So u.a. auch H. Roose 65. 117 Zum modalen Gebrauch von ἐν mit Dat. vgl. HvS § 184 i. 118 So WB6 1630 für unsere Stelle.

200

Kommentar

geachtet wissen. Aufgrund des Kontextes dürfte auch dabei das Verhältnis zwischen den Geschlechtern im Vordergrund stehen.119 5 Die negative modale Näherbestimmung von κτᾶσθαι [ktasthai], nicht in Leidenschaft der Begierde (den eigenen Körper zu gewinnen), formuliert aus der Sicht des Paulus für die Glaubenden eine unmögliche Möglichkeit. Umgekehrt stellt die positive Näherbestimmung eine mögliche Möglichkeit dar. Die Termini πάθος [ pathos] und ἐπιθυμία [epithymia] sind Gegensatzbegriffe zu Heiligung und Ehre. Eine grundsätzliche Möglichkeit, in ‚Leidenschaft der Begierde‘ zu leben, liegt für die Menschen durchaus vor, insofern ‚den Heiden‘ ebendieses unterstellt wird. Paulus verwendet πάθος [ pathos] sonst nur noch Röm 1,26, wo damit, in Verbindung mit ἀτιμία [atimia] (Unehre, Schande) die Homosexualität charakterisiert wird (Röm 1,26f ). In Kol 3,5, dem einzig weiteren Vorkommen des Substantivs im NT, sind die beiden an unserer Stelle verwendeten Termini in engem Zusammenhang mit πορνεία [ porneia] innerhalb eines sog. Lasterkatalogs gebraucht. Πάθος [Pathos] meint die Leidenschaft „bes.[onders] auf geschlechtl.[ichem] Gebiet“,120 die eher unkontrollierbare Emotionalität des Menschen.121 So kann der Begriff auch die Leidenschaft des Jähzornigen bezeichnen (Herm., sim VI 5,5 [65,5] v.l.).122 Ἐπιθυμία [Epithymia] (Begierde) ist im NT 38-mal verwendet, und zwar vor allem in der Briefliteratur, wobei 19 davon im Corpus Paulinum belegt sind.123 Gemeint ist damit nahezu durchweg negativ qualifiziertes,124 gegen Gott und seine Gebote gerichtetes Begehren (vgl. v.a. Röm 1,24; 6,12; 7,7f; 13,14; Gal 5,16.24 – positiv konnotiert dagegen 1Thess 2,17125). Im zeitgeschichtlichen Judentum wurde die (sexuelle) Begierde als eines der Grundübel gegenüber Gott und der Tora gewertet. Die hier vorliegende Verwendung steht zunächst TestXII.Jos 7,8 nahe: Denn wenn jemand einer leidenschaftlichen Begierde (πάθει ἐπιθυμίας [ pathei epithymias]) verfällt und ihr als Sklave dient wie jene (sc. die Frau des 119 Auch hier dürfte die Bedeutung durch den Kontext auf die Sexualität eingeschränkt sein. Dass dem Umgang mit dem Körper auch weitergehende theologische und soziale Bedeutung zukommt, ist z.B. aus 1Kor 6,19f ersichtlich, wo ebenfalls zunächst die Sexualität den näheren Kontext darstellt, die Aussagen jedoch auch darüber hinaus gehen (vgl. 1Kor 6,9f ), vgl. W. Schrage 1Kor VII/2, 31-33. 120 So WB6 1220. 121 Vgl. St. Schreiber 219. 122 Vgl. zu diesem Beleg nochmals WB6 1220. 123 Nur drei fallen auf die Evangelien (Mk 4,19; Lk 22,15; Joh 8,44) und nur einer auf die Offenbarung (Offb 18,14). 124 So H. Hübner, ἐπιθυμία κτλ., EWNT2 II, 1992, 68-71, 69. 125 Vgl. die Auslegung oben z.St.

Ethik 4,1-12

201

Potiphar, vgl. Gen 39,7-18), wird er, (selbst) wenn er etwas Gutes hört gegen jene Leidenschaft (πάθος [ pathos]), es aufgreifen mit dem Blick auf seine böse Begierde (ἐπιθυμία [epithymia]).126 Dann ist aber auch auf ApkAbr 24,7f zu verweisen, wo das allgemeine Verdikt über die ausgelebte (sexuelle) Begierde als Gipfel der Gesetzlosigkeit ausgesprochen ist: Da sah ich nackte Männer, Stirn an Stirn, und ihre Schmach und den Schaden, den sie ihren Freuden verursachen, und ihre Vergeltung. Da sah ich die Begierde (ἐπιθυμία [epithymia]) und in ihrer Hand das Haupt jeder Gesetzlosigkeit

(ἀνομία [anomia]).127 Paulus nimmt die aus den beiden Belegen erkennbare geradezu unwiderstehliche und gottwidrige Konnotation der Begierde auf.128 Beim vorliegenden Genitiv πάθος ἐπιθυμίας [ pathos epithymias] dürfte es sich um einen gen. qualitatis handeln: Leidenschaft, die durch die(se Art von) Begierde ihren Charakter erhält, ‚begierige Leidenschaft‘.129 Der Glaubende soll seinen Körper, so die intendierte Aussage, nicht in begieriger Leidenschaft – vom Kontext her ist in sexueller, mindestens jedoch sexualisierter Leidenschaft zu ergänzen – performieren oder exponieren, sondern soll sich mit seinem Körper so darstellen und verhalten, dass jederzeit der vom andern erwartete und eingeforderte Respekt, der auf das zwischenmenschliche Schamgefühl Rücksicht nimmt, und die entsprechende christusgemäße Achtung vor dem anderen erkennbar ist. Dies betrifft, wie bereits erwähnt, generell die Haltung zum jeweils anderen Geschlecht innerhalb wie außerhalb der ehelichen Gemeinschaft in allen sozialen und religiösen Bezügen. Diesen Respekt und eine 126 Übersetzung nach J. Becker, JSHRZ III/1, 123, der Hinweis auf diesen Beleg z.B. bei T. Holtz 160 Anm. 78; A.J. Malherbe 229; R. Hoppe 237. 127 Übersetzung nach M. Philonenko-Sayar; M. Philonenko, JSHRZ V/5, 447. Der Hinweis hierauf bei R. Hoppe 237 Anm. 74. 128 Einen ganz wesentlich von der stoischen Philosophie geprägten Hintergrund vermutet A.J. Malherbe 229f. Mir scheint jüdischer Hintergrund für Paulus hier plausibler zu sein, zumal die Termini ‚Heiligkeit‘ (3,13) und ‚Heiligung‘ (4,3.4.7) hier ohne jüdischen Hintergrund unverständlich blieben und auch die Formulierung „die Gott nicht kennen“ atl. Provenienz ist, wie A.J. Malherbe 230 einräumt, vgl. dazu gleich. 129 So R. Hoppe 237 Anm. 73, vgl. NSS II, 201. Allerdings könnte hier auch der Fall vorliegen, dass nicht, wie üblich beim gen. qualitatis, das nomen regens durch den Genitiv qualifiziert wird, sondern das Umgekehrte vorliegt: Der Genitiv wird durch das nomen regens qualifiziert, womit zu paraphrasieren wäre: Begierde, die durch die Leidenschaft charakterisiert wird, also ‚leidenschaftliche Begierde‘, vgl. hierzu HvS § 162 c.

202

Kommentar

derartige Achtung lassen die Heiden vermissen, die Gott nicht kennen. Der Bezug auf Gott lässt hier die Beobachtung zu, dass Paulus das Wissen um Gott, um Gottes Willen (4,3), zur unabdingbaren Voraussetzung für einen zwischenmenschlich angemessenen Umgang (nicht nur in sexueller Hinsicht) macht: Erst die Gottes(er)kenntnis ermöglicht dem Menschen ein Miteinander, das vor Gott ‚wohlgefällig‘ (4,1: ἀρέσκειν [areskein]) und vor den Menschen ‚anständig‘ (4,12: εὐσχημόνως [euschēmonōs]) ist. Ein solches Leben ist von den Heiden aber nicht zu erwarten. Sicher urteilt Paulus an dieser Stelle sehr pauschal über die griech.-röm. Gesellschaft.130 Ian H. Marshall führt dazu etwas launisch, aber gewiss zutreffend aus: „It would be possible to offer a similar verdict on modern western civilisation, as represented by its films, TV and novels, and as reflected in the statistics for marital breakdown, and yet to recognize that there are still many people who maintain high moral standards and have stable marriages.“131 Die Wendung ‚die Gott nicht kennen‘, ist atl. präfiguriert wie Hiob 18,21; Ps 78 [79],6; Jer 10,25 zeigen.132 Sie findet auch sonst im Corpus Paulinum Verwendung (vgl. Gal 4,8; 2Thess 1,8, vgl. 1Kor 1,21). Paulus insistiert hier gegenüber den Thessalonichern, die ja mindestens teilweise ebenfalls einen heidnischen Lebensstil in ihrer Vergangenheit praktiziert haben, deshalb so nachdrücklich auf ihr alternatives christliches Verhalten gegenüber den Heiden, weil sie sich dadurch nach innen und außen von jenen unterscheiden und abheben. Sie sind diejenigen, die sich von den ‚Götterbildern‘ abgewandt haben (1,9). Von Weish 14,12 her ist bekannt, dass das Erfinden von Götterbildern (εἴδωλα [eidōla]) der Anfang der Unzucht (πορνεία [ porneia]) ist (vgl. OrSib III, 29–45). Das Erkennungszeichen der an Christus Glaubenden, ihr sozialer Marker, manifestiert sich daher in einem Lebensstil, den die Heiden so gar nicht praktizieren können, eben weil ihnen das Wissen um Gott und seinen Willen fehlt. Paulus „[versucht], indem er die System/Umwelt Differenz immer wieder thematisiert, eine Verwischung der Grenzen und damit ein allmähliches Verflüchtigen der Identität in seiner Abwesenheit zu verhindern“.133

130 Vgl. für ein ähnlich pauschales Urteil über die Kanaaniter Jub 25,1, worauf schon oben bei der Auslegung zu 4,3 verwiesen wurde. 131 I.H. Marshall 110. 132 Auf diese drei Belege wird gemeinhin mit Recht hingewiesen vgl. T. Holtz 160 Anm. 80; A.J. Malherbe 230; J.A.D. Weima 273; R. Hoppe 238. 133 R. Börschel, Konstruktion, 248, vgl. für eine ähnliche Interpretation auch J.A.D. Weima 274.

Ethik 4,1-12

203

6 Eine weitere Thematik wird mit den beiden jetzt folgenden substantivierten Infinitiven angesprochen. Der erste, mit übergriffig werden übersetzte Infinitiv134 wird häufig mit Recht nicht auf sexuelle Übergriffe bezogen,135 sondern allgemein als Rechtsübertretung verstanden und aufgrund seiner Verbindung mit πλεονεκτεῖν [ pleonektein] im Sinne von ‚Ehrlichkeit in Geschäftsdingen‘ interpretiert.136 Bei ὑπερβαίνειν [hyperbainein] handelt es sich tatsächlich um einen Begriff, der ein sehr breites Bedeutungsspektrum aufweist137 und u.a. für alle möglichen Unrechtsarten stehen kann, wobei eine sexuelle Konnotation gerade nicht explizit nachgewiesen werden kann.138 Ganz allgemein wird er z.B. mit den Grenzen der Gerechtigkeit, die nicht überschritten (ὑπερβαίνειν [hyperbainein]) werden sollen, in Verbindung gebracht.139 Im Zusammenhang mit übervorteilen (πλεονεκτεῖν [ pleonektein]) liegt tatsächlich die Interpretation des Teilsatzes in jener Richtung nahe, die bereits von Martin Dibelius vorgeschlagen worden ist, der auch hier die höhere Plausibilität gegenüber derjenigen zugeschrieben wird, die nochmals die Sexualität thematisiert sieht. Dibelius versteht ὑπερβαίνειν [hyperbainein] zunächst allgemein im Sinn von aufkommenden „Streitigkeiten“ und stellt aufgrund des zweiten Infinitivs den Zusammenhang mit Habgier (πλεονεξία [ pleonexia]) her. Weil mit πορνεία [ porneia] und πλεονεξία [ pleonexia] „die beiden heidnischen Hauptsünden genannt sind“,140 ist demnach ein übergriffiges und betrügerisches Verhalten in wirtschaftlichen Belangen die plausibelste Interpretation. Auch dieser zweite hier verwendete Infinitiv (πλεονεκτεῖν 134 `Υπερβαίνειν ist hapax legomenon im NT und wird auch in der LXX nur wenig gebraucht (17 Belege). 135 Vgl. so aber z.B. I.H. Marshall 111 und die bei R. Hoppe 239 Anm. 80 angeführten Autoren. 136 So z.B. E. v. Dobschütz 167f; T. Holtz 161f; P.-G. Müller 174f; E. Reinmuth 139; St. Schreiber 220f; R. Hoppe 239. 137 Zur Grundbedeutung ‚hinübersteigen‘ vgl. z.B. 2Sam 22,30 / Ps 17 (18),30, zur Bedeutungsbreite vgl. neben WB6 1674 auch W. Günther, παραβαίνω, TBLNT2 II, 2000, 1605-1607, 1605 und besonders J. Schneider, ὑπερβαίνω, ThWNT V, 1954, 739-741, 739f. 138 Vgl. die von J. Schneider, a.a.O. aufgeführten Belege und die entsprechende Notiz bei R. Hoppe 239 Anm. 81. In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, dass bei der Erklärung des Terminus ὑπέρβασις durch Hesychios (υ 351) der sexuelle Bereich keine ausdrückliche Rolle spielt, vielmehr ist allgemein von „Mißhandlung (ὕβρις), Unrecht (ἀδικία); Übermut (κόρος); Verfehlung (ἁμαρτία); Hochmut (ὑπερηφανία); Vergehen gegen Eide (παράβασις ὅρκων)“ die Rede (das Zitat bei NW II/1, 785). 139 So aus einem in der Antike mehrfach aufgenommenen Rätselspruch von Pythagoras, z.B. bei Plut., Mor 12e, vgl. für diesen Beleg und für weitere NW II/1, 784f. Vgl. auch G. Schneider, ὑπερβαίνω κτλ., EWNT2 III, 1992, 952, der paraphrasiert: „daß keiner (seine Rechte) überschreitet und seinen Bruder bei Geschäften betrügt“. 140 M. Dibelius 22. Vgl. in diese Richtung auch H. Roose 66f.

204

Kommentar

[ pleonektein]) ist im NT selten. Außer hier kommt er nur noch im 2Kor vor (7,2; 12,17f 141). Keines dieser Vorkommen weist einen sexuell konnotierten Bezug auf, vielmehr ist allgemein von Übervorteilen oder Betrügen die Rede. Auch das Substantiv πλεονεξία [ pleonexia] weist nicht in diese Richtung, sondern bedeutet Habgier oder Geiz142 und wurde von Paulus bereits in 2,5 in diesem Sinn gebraucht.143 Insgesamt liegt also gegenüber den Aussagen in 4,3b–5 ein Themenwechsel vor, der keineswegs abrupt erscheinen muss.144 Zum einen müsste auch sonst bei der Erwähnung der beiden Aspekte Unzucht und Habgier145 von ‚abruptem‘ Themenwechsel gesprochen werden, zum andern waren und sind die Bereiche Sexualität und wirtschaftliches Handeln bis heute zwei der grundlegenden materialethischen Themenfelder, die der theologischen Reflexion, Interpretation und Stellungnahme bedürfen und insofern mit Recht in engem Zusammenhang angesprochen werden. Für die Zeit der Antike, wie bereits erwähnt, waren damit die „heidnischen Hauptsünden“ benannt, von denen sich die Thessalonicher um Gottes Willen (4,3) und um ihretwillen (4,7146) fernhalten sollten. Zur Unzucht wurde das Nötige bereits gesagt.147 Kol 3,5 belegt, dass Habgier mit Götzendienst (εἰδωλολατρία [eidōlolatria]) identisch ist und auch die jüdische Ethik zeigt, dass das Wortfeld πλεονεκ- [ pleonek-] sowohl gegenüber dem Nächsten als auch gegenüber Gott als markantes Fehlverhalten charakterisiert wird.148 Im Blick auf 1,9; 3,5b kann daher die Brisanz dieser Thematik für die Gemeinde in Thessalonich kaum unterschätzt werden: Es bestand aus Sicht des Paulus ganz offen141 Zur etwas schwierigen Stelle 2Kor 2,11, die aber ebenfalls keine sexuelle Konnotation aufweist, vgl. Th. Schmeller, 2Kor VIII/1, 140f. 142 Vgl. für das Corpus Paulinum Röm 1,29; 2Kor 9,5; Eph 4,19; 5,3; Kol 3,5 und auch die beiden Belege in den Evangelien Mk 7,22; Lk 12,15. 143 Vgl. die Auslegung zu 2,5. 144 So aber I.H. Marshall 111. 145 Vgl. aus den eben genannten Belegen für πλεονεξία bei Anm. 142 (S. 204) besonders Eph 5,3; Kol 3,5 aber auch Mk 7,22 und zudem 2Petr 2,14. 146 Zur Bedeutung der Berufung zur Heiligung und nicht zur Unreinheit vgl. gleich. 147 Vgl. besonders die Auslegung zu 4,3.5b. 148 Vgl. als Belege aus der jüdischen Ethik, diejenigen, die von R. Hoppe 240 Anm. 86 angeführt werden, von denen besonders auf TestXII.Ass 2,6 und Iss 4,2 hingewiesen sei Übersetzungen nach J. Becker, JSHRZ III/1, 81 (Iss).114 (Ass). Ass 2,6: „Ein (anderer) übervorteilt (πλεονεκτεῖν) den Nächsten, erzürnt Gott“ Iss 4,2: „Der Lautere begehrt nicht Gold, den Nächsten übervorteilt (πλεονεκτεῖν) er nicht. Nach zahlreicher Speise verlangt er nicht.“ Für Belege bei Philo, der das Wortfeld ebenfalls im Kontext von unrechtmäßig angeeignetem Besitz und Reichtum, bzw. zur Bezeichnung eines Übergriffs in fremdes Eigentum verwendet, vgl. G. Delling, πλεονέκτης κτλ., ThWNT VI, 1959, 266-274, 270, aus denen R. Hoppe 240 Anm. 87 auswählt. Die von Delling a.a.O., 266-269 angeführten zahlreichen Belege aus der Profangräzität weisen ebenfalls ganz überwiegend in diesen Bereich.

Ethik 4,1-12

205

sichtlich die Gefahr, über die Habgier, über das Übervorteilen des Nächsten in wirtschaftlichen Angelegenheiten, letztlich wieder in Verhaltensstrukturen zu verfallen, die dem früheren und zudem dem heidnischen Glauben entsprachen. Damit aber muss der ethische Topos, sich unrechtmäßig zu bereichern, von kaum geringer Bedeutung gewesen sein, als derjenige, sich sexuell falsch zu verhalten. Von einem abrupten Themenwechsel muss auch im Blick auf die Grammatik nicht die Rede sein. Die persönliche, individuelle Zuspitzung, wie sie durch ἕκαστος [hekastos] und ἕαυτος [heautos] in V. 4 erfolgte, ist wieder aufgegeben. Angesprochen sind also allgemein wieder alle Gemeindeglieder (ὑμῶν [hymōn], V. 3a). Der Weg zur Aufzählung eines weiteren Aspekts des Willens Gottes (4,3) ist eingeschlagen, was durch weitere Beobachtungen gestützt werden kann: gegenüber den beiden vorangehenden Infinitivkonstruktionen (zweimal AcI: V. 3b.4a) sind die hier vorliegenden Infinitive verneint und substantiviert, wobei ihnen ein eigener Vergleichssatz folgt (κάθως [kathōs] …), der diese beiden von den beiden voraufgehenden (ἀπέχεσθαι [apechesthai] und εἰδέναι [eidenai]) ebenfalls abhebt, denn bei diesen folgt ein eigener Vergleichssatz (καθάπερ [kathaper] …), der auf den zweiten Infinitiv zu beziehen ist. Πρᾶγμα [Pragma] wird hier mit Angelegenheit übersetzt. Bei Paulus meint πρᾶγμα [ pragma] ganz allgemein alles, was an (Lebens-)Aufgaben zu bewältigen ist (Röm 16,2). Noch allgemeiner ist der Begriff Lk 1,1 und Mt 18,19 gebraucht, wo (historische) ‚Ereignisse‘, bzw. irgendeine ‚Sache‘ durch den Terminus bezeichnet werden.149 Auch Apg 5,4 liegt allgemeiner, wenn auch despektierlicher Gebrauch vor, wenn das heimliche Zurückbehalten von Geld aus einem Ackerverkauf (Apg 5,1-4) mit τὸ πρᾶγμα τοῦτο [to pragma touto] (diese Angelegenheit) bezeichnet wird. Ähnlich dürfte auch 2Kor 7,11 zu verstehen sein, wo πρᾶγμα [ pragma] eine ‚Angelegenheit‘ bezeichnet, in der die Gemeinde sich als unschuldig erwiesen hat. Βιωτικὰ πράγματα [Biōtika pragmata] meinen ganz allgemein die „Geschäfte des täglichen Lebens“ (Herm., [19] vis III 11,3; [34] mand V 2,2).150 Der jeweilige Kontext erst spezifiziert die Bedeutung. So ist 1Kor 6,1 aufgrund des Kontextes eine Rechtsangelegenheit gemeint, allerdings wird hier kein spezifisch juristischer Terminus verwendet, sondern es wird wiederum allgemein und damit auch distanziert von der ‚Begebenheit‘ oder dem ‚Geschehnis‘ gesprochen.151 Von diesem allge149 Auch Hebr 10,1; 11,1 liegt ganz unspezifischer Sprachgebrauch vor. 150 Diese beiden Belege bei WB6 1397 s.voc. πρᾶγμα. 151 Vgl. WB6 1397 s.voc. πρᾶγμα.

206

Kommentar

meinen Gebrauch ist auch hier auszugehen. Im Weiteren spezifizieren die beiden voraufgehenden Infinitive die ‚Angelegenheit‘, um die es geht, als eine wirtschaftliche, finanzielle ‚Angelegenheit‘.152 Ein weiteres Indiz spricht für eine solche Spezifizierung: Der Rückverweis auf die sexuelle Thematik hätte durch ein Demonstrativpronomen explizit gemacht werden können (ἐν τούτῳ τῷ πράγματι [en toutō tō pragmati], in dieser Angelegenheit), die bloße Determination durch den bestimmten Artikel lässt die hier vertretene Deutung, in Verbindung mit den eben genannten weiteren grammatikalischen Beobachtungen zum thematischen Neueinsatz, mindestens zu. Übergriffiges Handeln oder Übervorteilung in derartigen Angelegenheiten soll dem Bruder gegenüber ausgeschlossen sein. Dies mutet für den vorliegenden Kontext zunächst wie eine Engführung an: Warum sollte ein solches Verhalten lediglich gegenüber dem Bruder (und der Schwester) gezeigt werden und nicht gegenüber allen Menschen? Auch hier, so ist anzunehmen, spielt die Identitätsstärkung und -sicherung der christlichen Gemeinde und ihre durch entsprechendes Verhalten ermöglichte Außenwirkung eine maßgebliche Rolle für den Gebrauch des Begriffs. „Paulus nimmt nur die Gemeinde in den Blick. Sie im Inneren zu festigen und ihr Hinweise für den Umgang miteinander aufzugeben, ist zunächst sein Interesse.“153 Zudem, so vermerkt Rudolf Hoppe zu Recht, wurde die Abgrenzungsnotwendigkeit gegenüber denjenigen außerhalb der Gemeinde im direkt vorhergehend Gesagten bereits deutlich markiert.154 Eine eschatologisch ausgerichtete Begründung verstärkt die gegebenen Mahnungen. ‚Denn‘ in Verbindung mit ‚hinsichtlich all dieser Dinge‘ weist zurück auf die Aussagen ab V. 3.155 Jedes Tun, das der Heiligung entgegensteht, unterliegt im kommenden eschatologischen Gericht dem Urteil des Herrn, der als Rächer näher qualifiziert wird. Das hier substantiviert gebrauchte Adjektiv ἔκδικος [ekdikos] wird im NT sonst nur noch Röm 13,4 in ganz anderem Kontext verwendet, nämlich auf die staatliche Obrigkeit bezogen,156 in der LXX sind drei Belege nachgewiesen: 4Makk 15,29 (Rächerin = 152 Vgl. R. Börschel, Konstruktion, 251f: Paulus, „ermahnt die Gemeinde, den Bruder nicht zu übervorteilen, d.h. seinen Vorteil auf Kosten des Mitbruders zu suchen, und das ihm Eigene, seinen Besitz wie grundsätzlich seine Sphäre, zu respektieren“. St. Schreiber 220, sieht etwas allgemeiner das „Berufsleben“ angesprochen. Zu unspezifisch bleibt R. Hoppe 240, der meint „Paulus dürfte hier einfach nur die Alltagsaufgaben im Sinn haben, die von jedem in der Gemeinde zu bewältigen sind“. 153 R. Börschel, Konstruktion, 252, vgl. so auch T. Holtz 162f. 154 Vgl. R. Hoppe 240f. 155 Vgl. oben bei II und auch T. Holtz 163; R. Börschel, Konstruktion, 252; P.-G. Müller 175; St. Schreiber 221.

Ethik 4,1-12

207

Verfechterin des Gesetzes); Weish 12,12 (Verfechter = Anwalt157 ungerechter Menschen) und Sir 30,6 (Rächer gegenüber Feinden). Eschatologischer Kontext liegt in der LXX nirgends vor, dennoch lassen sich atl. Belege für eine parallele Vorstellung finden. Am nächsten dürfte Ps 93 [94],1 kommen,158 wo gleich zweimal vom ‚Gott der Rache‘ (ἐκδίκησις [ekdikēsis]) die Rede ist, sodass eine Prägung der Vorstellung aus atl.-jüd. Hintergrund für unsere Stelle wahrscheinlich ist (vgl. Ps 17 [18],48; 78 [79],10).159 Über den Terminus ‚Rache‘ lässt sich die Spur auch ins NT ziehen, wie die Aufnahme und Änderung des Zitats aus Deut 32,35 (LXX) in Röm 12,19 und Hebr 10,30 zeigt und wie nicht zuletzt aus 2Thess 1,8 ersichtlich ist.160 Das kommende (Zorn-)Gericht Gottes (vgl. 1,10; 5,9), die eschatologische Perspektive, ist als Begründung für die pln. Ethik geradezu unabdingbar,161 zumal dieses mit dem Kommen des Herrn Jesus in allernächster zeitlicher Nähe erwartet wird (4,15). Der Herr wird allem ‚Unheiligen‘ als Rächer begegnen, es be- und verurteilen. Die Vorstellung vom kommenden eschatologischen Rächer in Verbindung mit der Wendung ‚hinsichtlich all dieser Dinge‘ spricht erneut dafür, dass mehrere Themen angesprochen sein müssen und Sexualität und wirtschaftliches Handeln, die hier konkret benannt sind, die Gesamtheit eines der Heiligung entgegenstehenden Lebensstils implizieren.162 Ob mit dem Herrn Gott oder Jesus gemeint ist, wird unterschiedlich beurteilt. Der atl.-jüd. Hintergrund lässt nur Gott als Bezugsgröße zu, was unumstritten ist. Im nächstliegenden literarischen Kontext ist viermal θεός [theos] aufgenommen (V. 3a.5b.7.8, vgl. auch 5,9a), was Gott als sachlichen Bezug nahelegen würde. Gefragt werden kann aber auch, ob der in diesem Kontext dann doch auffällige Wechsel zu κύριος [kyrios] nicht gerade dafür spricht, dass nicht Gott, sondern Jesus gemeint ist, zumal das Syntagma κύριος Ἰησοῦς [kyrios Iēsous] von 4,1.2 her (vgl. 3,11.13) bereits bekannt ist.163 Dies würde jedenfalls den sonstigen eschatologischen Aussagen im 1Thess nicht 156 157 158 159 160 161 162 163

Vgl. 1Petr 2,14. Vgl. zu dieser Übersetzung LXX.D z.St. und H. Hübner, Weish 161.163. So z.B. E. v. Dobschütz 169; T. Holtz 164 Anm. 105. T. Holtz 164 Anm. 105 macht zusätzlich auf entsprechende Belege aus den TestXII aufmerksam, wobei hier nur Rub 6,6 erwähnt sein soll: „Denn Gott wird die Rache für sie ausführen“; Übersetzung nach J. Becker, JSHRZ III/1, 38. Vgl. weiter Lk 18,7f; 21,22. Vgl. dazu oben bei der Auslegung von 1,9f. Vgl. ähnlich T. Holtz 163. So z.B. auch G. Haufe 72 Anm. 33; J.A.D. Weima 277f; St. Schreiber 222, anders z.B. T. Holtz 164; R. Hoppe 241, die den Bezug zu Gott sehen.

208

Kommentar

widersprechen, ist es doch dort stets Jesus, der die Thessalonicher im Gericht rettet (1,10; 5,9b), und der 4,15-17 als der bei seiner Wiederkunft Handelnde beschrieben wird. Der Hinweis auf Jesus als den, der im Gericht rettet (1,10, 5,9b), könnte dabei von den Thessalonichern als Trost verstanden worden sein, insofern die der Heiligung entgegenstehenden Handlungen der Menschen zwar vom kommenden κύριος [kyrios] ‚gerächt werden‘, ihnen, den Glaubenden, jedoch der Rächende, bei entsprechendem Verhalten,164 als der Rettende begegnen wird.165 Mit wie wir es euch zuvor gesagt und bezeugt haben, wird auf die gemeinsame Zeit bei der Gemeindegründung rückverwiesen. Bereits damals hatten offensichtlich eschatologische Aspekte bei der Verkündigung eine nicht unwesentliche Rolle gespielt (vgl. 5,1). Paulus verwendet dabei zwei finite Verben,166 erneut im Durativstamm: Immer wieder (iteratives Präsens) und besonders eindringlich,167 so lässt die inhaltliche Fülle, die sich durch die beiden Verben ergibt, interpretieren, wurde der Zusammenhang zwischen Ethik und Eschatologie der Gemeinde nahegebracht. Jetzt wird durch die Erinnerung daran erneut darauf insistiert, dass ein dem Glauben entsprechender Lebensstil nicht nur in der Verantwortung vor den Menschen, die ‚draußen sind‘, zu erfolgen hat, sondern auch in der Verantwortung vor dem kommenden Herrn erfolgt. 7 Erneut wird im Brief, wie schon in 1,4; 2,12, das Thema der Berufung der Christen aufgegriffen, das in 5,9.24 noch einmal eine Erwähnung finden wird (vgl. auch 2Thess 2,13f ).168 Erinnert wird dabei an die Bekehrung der Thessalonicher, also an den Beginn ihres christlichen Lebensweges, der aus einem göttlichen Grund, nämlich seiner Liebe (vgl. zu 1,4) und zu einem göttlichen Zweck, nämlich der Heiligung, erfolgte. Dieser Zweck steht ganz im Mittelpunkt der durch den Gegensatz nämlich nicht …, sondern bestimmten Satzaussage. Das Gegensatzpaar Unreinheit – Heiligung spiegelt 164 Vgl. hierzu R. Börschel, Konstruktion, 252f, die darauf verweist, dass „die Glaubenden, die von dem von Paulus skizzierten Ethos abweichen, ihrer Berufung nicht nach[kommen]. Eine solche Abweichung hat dann das Gericht zur Konsequenz.“ 165 Spätestens mit 2Thess 1,6-10 ist Jesus als der bekannt, der kommen wird und Rache üben wird. 166 Διαμαρτύρεσθαι wird im Corpus Paulinum sonst nur noch in den Pastoralbriefen gebraucht: 1Tim 5,21; 2Tim 2,14; 4,1. Προλέγειν hat 3,4 eine andere Bedeutung als hier. Dort ist ‚vorhersagen, voraussagen‘ gemeint. Für eine Bedeutung wie hier vgl. 2Petr 3,2; Jud 17. 167 Διαμαρτύρεσθαι kann auch mit „beschwören, dringend zureden“ übersetzt werden, vgl. WB6 373. Vgl. für eine ähnliche Eindringlichkeit bei der Ermahnung 2,12, wo drei präsentische Partizipien verwendet sind, u.a. auch μαρτύρεσθαι. 168 Vgl. die Auslegung bei 1,4.

Ethik 4,1-12

209

den Gegensatz des Lebens vor und nach der Bekehrung wider. Durch die Berufung aus Liebe erfolgte die Änderung der Bestimmung des Lebenszwecks: statt damals eines unreinen Lebensstils, jetzt eines heiligen Lebensstils. Die beiden Präpositionen ἐπί [epi] und ἐν [en] haben hier eine nahezu identische Bedeutung.169 Ἐπί [Epi] weist auf den Zweck, das Ziel hin; Gal 5,13 kommt der hier vorliegenden Bedeutung am nächsten.170 Ἐν [En] meint hier nicht einen Status, „in“ dem die Glaubenden sich bereits befänden,171 sondern gibt vielmehr mit anderer Nuance dieselbe Bedeutung wieder: Die Thessalonicher sind berufen, sodass sie in Heiligung sein oder leben mögen172 – und (perspektivisch) auch leben werden. Mit Recht formuliert Regina Börschel: „Heiligkeit ist kein Status, der die Glaubenden schon auszeichnet. […] [D]as Leben der Gemeinde [befindet sich] in der Spannung zwischen einem ‚Schon‘ und einem ‚Noch nicht‘.“173 Der Gegensatz zwischen einst und jetzt kann aus der Sicht des Paulus kaum stärker formuliert werden. Ἀκαθαρσία [Akatharsia] ist nämlich keineswegs auf den sexuellen Bereich einzuschränken, sondern meint jede Art von „unsauberer Gesinnung“.174 Alles, was vor Gott nicht bestehen kann, ist Unreinheit, so die atl.-jüd. breit belegte Vorstellung, die kultische und ethische Aspekte einschließt, wobei beides (im AT) meist eng zusammenhängt.175 Für Paulus ist besonders Röm 6,19 relevant, wo ‚Unreinheit‘ den Parallelbegriff zu ‚Gesetzlosigkeit‘ (ἀνομία [anomia]) bildet; in 2Kor 12,21; Gal 5,19 sind ‚Unzucht‘ (πορνεία [ porneia]) und ‚Ausschweifung‘ (ἀσελγεία [aselgeia]) Parallelbegriffe. Die jeweiligen Parallelbegriffe, so ist zu erinnern, sind keine Synonyme zu ἀκαθαρσία [akatharsia], sondern belegen ein breites Bedeutungsspektrum des Begriffs ‚Unreinheit‘ auch bei Paulus. Einst also, so die Satzaussage, habt ihr im völligen Gegensatz zu Gott euer Leben gelebt, jetzt seid ihr dazu berufen, in Heiligung, in der Gegenwart Gottes, euer Leben zu leben,176 und, so ist zu ergänzen, aufgrund eurer Berufung könnt ihr dies auch. Ἁγιασμός [Hagiasmos] hat hier dieselbe Bedeutung wie 4,3, wo u.a. auf den Zusammenhang mit Röm 6,19.22 169 170 171 172

173 174 175 176

Vgl. hierzu schon oben bei der Übersetzung z.St. und auch T. Holtz 165. Hierauf verweist B. Rigaux 512. So aber z.B. St. Schreiber 223; R. Hoppe 243: ἐπί meine einen Zweck, ἐν einen Status. Vgl. erneut B. Rigaux 512, der darauf verweist, dass J.B. Lightfoot ἐν ἁγιασμῷ als Abbreviatur für ὥστε εἶναι ἐν ἁγιασμῷ versteht. In dieser Bedeutung, so Rigaux ebd., ist ἐπί in Weish 2,23 verwendet: ὁ θεὸς ἔκτισεν τὸν ἄνθρωπον ἐπ’ ἀφθαρσίᾳ (Gott hat den Menschen geschaffen auf Unvergänglichkeit hin; Übersetzung LXX.D). R. Börschel, Konstruktion, 254. WB6 55, ausführlicher dazu oben bei der Auslegung von 2,3. Für Belege im Einzelnen vgl. bei R. Hoppe 242f Anm. 100-103. Die Beziehung zur vorchristlichen Existenz hier anders als R. Hoppe 243 mit E. v. Dobschütz 171; I.H. Marshall 113.

210

Kommentar

verwiesen wurde. Der Zusammenhang von Berufung und Heiligung legt hier wie für die ‚Heiligung‘ schon bei 4,3 nahe, dass es Gott ist, der den Menschen zu dem (ge-)macht (hat), zu dem er auch berufen ist, wobei es gleichzeitig Aufgabe der Berufung des Menschen ist, ein der Heiligung entsprechendes Leben zu führen. Der Aufgabe ist aber durch die Berufung die Erfüllungsmöglichkeit bereits inhärent. 8 Mit der aus drei einzelnen Partikeln zusammengesetzten Folgerungspartikel τοιγαροῦν [toigaroun] (also),177 die sonst im NT nur noch Hebr 12,1 belegt ist (vgl. LXX 2Makk 7,23; Hiob 22,10; Spr 1,26.31), wird eine weitere Folgerung eingeleitet (vgl. V. 3.7, wo jeweils einfaches γάρ [gar] steht), jetzt, aufgrund der Dreifachkomposition der Partikel, mit besonderer Emphase.178 Im Folgenden steht nämlich zur Disposition, ob die Thessalonicher Gott folgen wollen – oder nicht. Bei einer Ablehnung der genannten ethischen Anweisungen, die, wie erwähnt, hier als pars pro toto der christlichen Ethik stehen, würde nämlich nicht ein Mensch, also Paulus, verworfen werden, sondern Gott. Stilistisch wird die Gegensatzfigur des vorangehenden Satzes οὐ … ἀλλά [ou … alla] (V. 7) wiederholt. Das zweimal vorkommende Verb verwerfen (ἀθετεῖν [athetein]) kann auch mit „ablehnen, nicht anerkennen“ übersetzt werden. Sachlich nahe liegt der Gebrauch des Wortes bei Joh 12,48 (gegenüber Jesus) und Lk 10,16 (gegenüber Jesus und den Aposteln).179 An letztgenannter Stelle kommt das Verb viermal vor. Ernst v. Dobschütz überlegt, ob dem Paulus „ein derartiges Herrnwort vorschwebte“,180 was aber nicht nachweisbar sein dürfte.181 Das substantivierte Partizip ‚der Verwerfende‘ bzw. ‚der, der verwirft‘ steht ohne Objekt. Eine Objektsergänzung, etwa mit ταῦτα [tauta] (‚das‘ oder ‚diese Dinge‘182) legt der Kontext dennoch nahe,183 denn der Bezug zu den vorausgehenden Aussagen der V. 3b–6a ist offensichtlich. Dieser Bezug liegt auch aus grammatikalischen Gründen nahe, denn die Durativstämme der Infinitive der V. 3b–6a184 werden hier durch die beiden Prä177 Die Komposition aus τό – γάρ – οὖν könnte mit ‚das ist nämlich nun folgendermaßen: (der, der das verwirft …)‘ paraphrasiert werden, vgl. B. Rigaux 513, der mit „voilà donc pourquoi“ umschreibt. 178 Vgl. HvS § 252, 59, der vermerkt, dass τοιγαροῦν Intensivum des (im NT nicht belegten) τοιγάρ ist. Vgl. auch B. Rigaux 513; T. Holtz 165. 179 Vgl. WB6 39. 180 E. v. Dobschütz 172. Er verweist darüber hinaus auch auf Mk 9,37parr. 181 So mit Recht T. Holtz 166 Anm. 123; R. Hoppe 243 Anm. 110. 182 Vgl. schon die v.l. der Vulgata z.St.: Ergänzung von haec. Hierzu auch E.v. Dobschütz 172. 183 Vgl. für eine derartige Objektsergänzung auch T. Holtz 166; J.A.D. Weima 280. 184 Zur präsentischen Bedeutung des Inf. Perf. εἰδέναι (V. 4) vgl. das oben z.St. Ausgeführte.

Ethik 4,1-12

211

sensformen von ἀθετεῖν [athetein] (vgl. auch das Ptz. Präs. διδόντα [didonta]) wieder aufgenommen. Diese entsprechen sachlich der linearen bzw. iterativen Interpretation jener: Sollte den dortigen Anweisungen dauerhaft bzw. immer wieder willentlich nicht nachgekommen werden, bedeutet dies eine dauerhafte bzw. immer wieder sich vollziehende willentliche Verwerfung nicht eines Menschen, sondern Gottes. Vor ἄνθρωπος [anthrōpos] steht kein Artikel, was dem Substantiv eine indefinite Nuance gibt185 (vgl. 2,13): Verworfen würde nicht irgendein Mensch, unter denen ich, Paulus, lediglich einer bin. Damit liegt freilich eine Untertreibung vor, die die Thessalonicher durchaus mithören sollen. Positiv formuliert würde die Aussage lauten: Ihr verwerft nicht nur einfach mich, als einen (indefinit!) euch zu einem gottgefälligen Lebensstil ermahnenden Menschen, was schon enorm wäre, sondern ihn, als den (definit!) euch zur Heiligung berufenden Gott. Damit wird die ethische Weisung aus den V. 3b–6a gegenüber V. 7 nochmals deutlich nachdrücklicher und eindringlicher gemacht. Dass die Ablehnung, Verwerfung von Menschen nicht diese, sondern Gott betreffen, ist auch sonst belegt, wie z.B. Ex 16,8 oder 1Reg (Sam) 8,7 zeigen. Jedes Mal liegt eine Entlastung des jeweils von der Verwerfung betroffenen Menschen vor (Es geht nicht um dich!) und eine ‚Belastung‘ Gottes vor (Mich betrifft dies!). Die Pointe der Aussage ist jedoch, dass damit tatsächlich diejenigen, die verwerfen, die eigentlich ‚Belasteten‘ sind, weil sie sich gegen Gott und seine Weisungen wenden186 und damit künftig nicht auf den heilsbringenden (5,9), sondern auf den rächenden κύριος [kyrios] (4,6) zugehen werden. Diese Pointe wird durch die attributive Näherbestimmung Gottes im sich anschließenden Relativsatz auf ihre Spitze getrieben: Ihr als die von Gott mit seinem Heiligen Geist Begabten, ihr, die ihr also eigentlich durch die Unterstützung des Geistes hättet entlastet werden sollen, ihr wendet euch, wenn ihr die Weisungen verwerft, gegen diesen euch ‚entlastenden‘, weil gebenden Gott und ‚belastet‘ euch damit selbst. Mit dem Heiligen Geist wird eine Entität angeführt, von der schon in 1,5 die Rede war.187 Hier, in 4,8, ist damit v.a. auf die Gabe abgehoben, die ein gottgemäßes Leben in Heiligung ermöglicht, was nochmals die Tatsache unterstreicht, dass Gott nicht nur ein Leben in Heiligung fordert (4,3), sondern dieses auch ermöglicht. Insofern bezieht sich dieser Relativsatz auf den Beginn des Abschnittes und bildet damit eine sachliche Inclusio: Der Wille Got185 Vgl. hierzu auch T. Holtz 166 Anm. 121. 186 Auch die Ablehnung Gottes durch Menschen ist biblisch bezeugt, wie u.a. Jes 1,2; Jer 5,11 (jeweils LXX) belegen; vgl. auch Jud 8. 187 Zur Bedeutung vgl. auch die Auslegung dort.

212

Kommentar

tes, die Heiligung der Gemeinde, wird durch Gott als den, der unaufhörlich seinen Heiligen Geist gibt, nicht nur gefordert, sondern auch ermöglicht. Sosehr mit dieser Formulierung die Erinnerung an Hes 36,27; 37,5.14 evoziert wird,188 so weit geht sie darüber hinaus: Der Heilige Geist wird nicht erst wie bei Ezechiel zukünftig gegeben werden, er ist bereits gegenwärtig gegeben, weil die eschatologische Zeit der Geistausgießung mit dem Christusereignis für die Glaubenden angebrochen ist. Die Erinnerung an Ezechiel verbindet die beiden Stellen jedoch insofern bleibend, als die Geistverleihung an das Volk Gottes hier wie dort durch Gott erfolgt. Der Bundesgedanke, der über Jer 31,31-34 (ich will … in ihr Herz legen), aber auch schon durch die Belege aus Ezechiel, mitgedacht werden könnte, ist zwar weder Thema an dieser Stelle noch im Brief überhaupt. Dennoch ist implizit mindestens angedeutet, dass die Gemeinde des Herrn, der Jesus ist, und die Versammlung des Volkes Gottes durch die Verleihung des (Heiligen)189 Geistes Gottes bleibend miteinander und mit Gott verbunden ist. Die lineare Interpretation des Part. Präs. διδόντα [didonta] weist zum einen darauf hin, dass Gott stetig und unaufhörlich Gebender ist, zum andern aber auch darauf, dass der Heilige Geist kein Besitz des Menschen ist, den er in irgendeiner Weise für sich beanspruchen oder gar festhalten könnte: Er bleibt unverfügbare, weil stetig gegebene, verdankte Gabe. Dies korrespondiert mit der Interpretation der Präposition ἐν (ἁγιασμῷ) [en (hagiasmō)] aus 4,7, wo kein Zustand ‚in der Heiligung‘ zu sehen ist, sondern eine eröffnete Möglichkeit der zu praktizierenden und immer wieder neu der Vergewisserung und Ermahnung bedürfenden alternativen gottgemäßen Lebensmöglichkeit.

4,9-12: Vom anständigen Lebenswandel 9 Der durch bezüglich … aber markierte Satzanfang leitet neue Themen ein (vgl. 4,13; 5,1). Eine Anfrage bezüglich der Bruderliebe dürfte aus

188 Vgl. dazu v.a. J.A.D. Weima 282f. – Vgl. zur Gabe des Geistes (πνεῦμα) durch Gott weiter Jes 42,5fin; 59,21; 61,1; Joel 3,1f. 189 Vgl. zum eher selten gebrauchten Syntagma „Heiliger Geist“ (‫ = רוַּח קוֶֹדשׁ‬πνεῦμα ἅγιον) im AT Ps 50 (51), 13; Jes 63,10f und aus der LXX Dan 5,12; 6,4; Weish 7,22; PsSal 17,37. Vgl. aus den Qumrantexten besonders 1QS 9,3, aber auch 1QS 16 (8),16; 1QH 6 (14),13. In den Hodajot ist davon die Rede, dass der Geist Gottes den Mitgliedern der Gemeinde gegeben wurde (1QH 5 [13],19; 8 [16],11f ) und dass dieser Geist den Beter der „Psalmen aus Qumran“ (K. Berger, Psalmen aus Qumran, Stuttgart 21995) leitet :1QH 15 (7),6f; 20 (12),11f; 8 (16),7.11. Vgl. zu den Belegen aus Qumran H.-J. Fabry, ‫ רוַּח‬rûaḥ, ThWAT VII, 1993, 419-425, 422.

Ethik 4,1-12

213

Thessalonich nicht vorliegen,190 da zum einen eine Behandlung der Thematik im Folgenden ausbleibt, zum andern in 1,3.7f; 3,6.12 und auch 2,13 von der vorbildlichen Aufnahme des Evangeliums und dem nicht weniger vorbildlichen Lebenswandel der Thessalonicher in Liebe bereits die Rede war, und weil schließlich bei 5,1 eine analoge Formulierung vorliegt, bei der zwar das dort verhandelte Thema etwas ausgeführt wird, jedoch ebenfalls keine konkrete Anfrage vorliegen dürfte. Stattdessen wird eine Weiterführung der eschatologischen Ausführungen von 4,13-18 vorgenommen, die lediglich zusammenfassend das wiederholt, was in der Gemeinde bereits bestens (ἀκριβῶς [akribōs], 5,2) bekannt ist.191 Bei 4,13ff liegt hingegen eine Anfrage vor (vgl. 1Kor 7,1).192 Warum wird das Thema überhaupt aufgegriffen? Im NT kommt der Begriff ‚Geschwisterliebe‘ (φιλαδελφία [ philadelphia]) außer hier nur noch fünfmal vor.193 Im paganen Sprachgebrauch ist damit ausschließlich die Liebe zu den Blutsverwandten gemeint.194 Das findet sich so ebenfalls im jüd.-hellenist. Bereich, wie z.B. 4Makk 13,19–14,1; 15,10 eindrücklich zeigt, wo von der vorbildlichen Liebe der sieben Brüder zueinander, die das Martyrium zu erleiden hatten, die Rede ist (vgl. 4Makk 13,23 mit 2Makk 7,1-19).195 Zur inklusiven Übersetzung mit ‚Geschwisterliebe‘ statt Bruderliebe notiert Charles A. Wanamaker: „It is interesting to note that φιλαδελφία [ philaldephia], unlike ἀδελφοί [adelphoi], constitutes an example of ancient inclusive language, since it was applied to both brotherly and sisterly love.“196 Der Terminus meint im NT, anders als in der Profangräzität, stets in übertragenem Sinn die Liebe zu den Glaubensgeschwistern.197 Diese 190 So z.B. auch F.F. Bruce 89; P.-G. Müller 177; B. Witherington III 118f; St. Schreiber 225f; R. Hoppe 247, anders z.B. J.E. Frame 157; A.J. Malherbe 243, die von einer schriftlichen Anfrage aus Thessalonich ausgehen. J.A.D. Weima 285 sieht den Anlass in den Informationen, die Timotheus mitgebracht habe. 191 Vgl. dazu die Auslegung zu 5,1.2. 192 Vgl. die Auslegung zu 4,13. 193 Röm 12,10; Hebr 13,1; 1Petr 1,22; 2Petr 1,7 (zweimal). Das dazugehörige Adjektiv φιλάδελφος („d.[en] Bruder, d.[ie] Schwester liebend“, WB6 1712) ist nur 1Petr 3,8 belegt. 194 Vgl. hierzu besonders Plutarchs Schrift περὶ φιλαδελφία (mor. 478a-492d) und aus der Literatur z.B. R. Börschel, Konstruktion, 255; St. Schreiber 226 und R. Hoppe 248 jeweils mit zahlreichen Belegen. 195 Vgl. für die Belege aus 4Makk WB6 1712 s.voc. φιλαδελφία und φιλάδελφος. 196 Ch. A. Wanamaker 160, das Zitat auch bei B. Witherington III 119. 197 Vgl. ähnlich auch 2Makk 15,14 als „einziger nichtchristlicher Beleg für den übertragenen Gebrauch des Wortfeldes“ (R. Börschel, Konstruktion, 255f ). Dort ist davon die Rede, dass der Prophet Jeremia das ganze Volk Israel wie Geschwister geliebt habe: er sei ein „bruderliebender (Mann)“ (φιλάδελφος) gewesen (so LXX.D). Vgl. hierzu auch E. Plümacher, φιλαδελφία κτλ., EWNT2, 1992, 1014-1015.

214

Kommentar

Liebe ist demnach von Herzlichkeit und gegenseitiger Ehrerbietung (Röm 12,10) geprägt, sie kommt aus einem reinen Herzen (1Petr 1,22). Im sich gleich anschließenden ersten Begründungssatz (V. 9fin) wird Paulus die Geschwisterliebe mit ‚einander, und zwar in der Gemeinde, lieben‘ (ἀγαπᾶν ἀλληλούς [agapan allēlous], vgl. 3,12) näher spezifizieren.198 Gegenüber dem Gebrauch in der Profangräzität und im jüd.-hellenist. Bereich fällt der ausschließlich übertragene Gebrauch von φιλαδελφία [ philadelphia] im NT also zudem durch „eine Entgrenzung des Ausdrucks“ auf, insofern alle, die zur christlichen Gemeinde gehören, darin eingeschlossen sind. Ohne es ausdrücklich zu erwähnen oder gar breiter auszuführen, ist hier schon der später in Gal 3,28; 1Kor 12,13 ausgeführte Gedanke der Unterschiedslosigkeit von sozialem Stand, Geschlecht oder Volkszugehörigkeit derer, die ‚in Christus Jesus sind‘ vorgeprägt: Die Geschwisterliebe in der Gemeinde entgrenzt die seither durch die Gesellschaft vorgegebenen sozialen Räume, ja, hebt diese auf. So dürfte in dieser Entgrenzung die Antwort auf die oben gestellte Frage zu finden sein. Paulus wollte die Thessalonicher noch einmal ermahnen und sie nachdrücklich bestärken: Die durch Christus gestiftete Gemeinschaft umschließt tatsächlich alle Glaubenden. Der Blick über Thessalonich hinaus auf alle Gemeinden in Mazedonien wird gleich im Anschluss eröffnet werden (vgl. 1,7f ). Es gibt keinerlei wie auch immer geartete Grenzziehungen. Ihr seid in dem, was ihr tut (vgl. das gleich folgende ποιεῖν [ poiein]), auf dem absolut richtigen (vgl. das gleich folgende θεοδίδακτος [theodidaktos]) Weg – verlasst diesen nicht! Im Anschluss an die doch wohl auf einen konkreten Anlass zurückgehende Sorge des Rückfalls in alte Verhaltensmuster, die in V. 3–8 angesprochen wurden, ist diese ermahnende Bestärkung gewiss nicht überraschend und brauchte auch keines weiteren Anlasses. Den Thessalonichern sollte nochmals zugesichert werden: „Nicht Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft stiftet die Bruderschaft, sondern die Teilhabe an der vom erstgeborenen Bruder Christus gewirkten Erlösung.“199 Die trotz allem sehr allgemein gehaltene Mahnung, auf dem Weg der geschwisterlichen Liebe unbedingt zu bleiben, bedarf offensichtlich an dieser Stelle keiner weiteren Konkretion, die Paulus sonst gewiss angeführt hätte. Es war ihm wichtig, diese gegenseitige Liebe als grundlegendes Erkennungszeichen der Christen200 gegenüber den Thessalonichern zu markieren. Auch damit liegt ein social boun198 So auch R. Börschel, Konstruktion, 256. 199 Dieses und das vorangehende Zitat bei S. Nägele, ἀδελφός, TBLNT2 I, 1997, 208-212, 212. 200 R. Börschel, Konkretion, 257f verweist auf Lev 19,18 als mögliche Parallelstelle, die ähnlich allgemein formuliert sei und deren prinzipiellem Gedankengang Paulus hier

Ethik 4,1-12

215

dary marker vor: Diese entgrenzte Liebe zu allen Glaubensgeschwistern unterscheidet uns Christen von ‚denen, die draußen sind‘ (4,12, vgl. Joh 13,35), so wie uns auch die gerade eben genannten Verhaltensweisen im sexuellen und wirtschaftlichen Bereich von jenen unterscheiden. Darüber aber, so Paulus, habt ihr nicht nötig, euch zu schreiben. Die hier vorliegende rhetorische Stilfigur der (ironischen) praeteritio201 soll die Bedeutung des Gesagten natürlich gerade unterstreichen, und es nicht als irrelevant charakterisieren, wie der bloße Wortlaut unterstellt (vgl. ähnlich 1,8; 5,1 und 2Kor 9,1).202 Dieser (ironischen) Feststellung folgen zwei Begründungen, warum darüber nicht zu schreiben sei. Der erste Grund, warum darüber nicht zu schreiben sei, ist, dass die Thessalonicher selbst in der Geschwisterliebe von Gott gelehrt sind. Das als „nichtattributiver Begleiter“203 vorangestellte αὐτός [autos] verstärkt das Subjekt ὑμεῖς [hymeis] und damit gleichzeitig die Ironie der rhetorischen Figur. Θεοδίδακτος [Theodidaktos] ist hapax legomenon im NT und pln. Neologismus,204 jedenfalls ist 1Thess 4,9 der älteste Beleg für diesen Begriff, auch wenn die Vorstellung, dass Menschen von Göttern belehrt werden, schon bei Homer nachweisbar ist.205 Die nächstgelegene ntl. Parallelstelle ist Joh 6,45, wo Jesus davon spricht, dass diejenigen, die glaubend zu ihm kommen, „alle von Gott gelehrt“ seien (πάντες διδακτοὶ θεοῦ [ pantes didaktoi theou]). Joh 6,45 zitiert mit diesen Worten Jes 54,13 (LXX): Und alle deine Söhne [werde ich, sc. der Herr] zu von Gott Belehrten [machen] (καὶ πάντας τοὺς υἱούς σου διδακτοὺς θεοῦ [kai pantas tous hyious sou di-

daktous theou])206

In der Schriftengruppe der apostolischen Väter wird das passive Verbaladjektiv θεοδίδακτος [theodidaktos] ebenfalls nur einmal gebraucht, und zwar in Barn 21,6:

201 202 203 204 205 206

folge, wenn er die Liebe zum Nächsten durch die Geschwisterliebe ersetze. Dem Bezug zur Nächstenliebe folgt auch St. Schreiber 228. Eine praeteritio bzw. Paralipse erkennen z.B. P.-G. Müller 176; Ch. A. Wanamaker 159; B. Witherington III 119; St. Schreiber 227, anders R. Hoppe 247. Eine ironische praeteritio/Paralipse liegt vor, weil das, was nicht thematisiert werden soll oder muss, tatsächlich nicht ausgelassen wird, immerhin führen mindestens die zwei folgenden Begründungen V. 9b.10a die Thematik noch weiter. HvS § 139 d. Vgl. dazu J.A.D. Weima 286. Hom., Il XXIII, 306-308 und Od XXII, 345-349; vgl. für diese Belege NW II/1, 785f. Übersetzung nach LXX.D.

216

Kommentar

Lasst euch von Gott belehren (γίνεσθε δὲ θεοδίδακτοι [ginesthe de theodidaktoi]), indem ihr danach sucht, was der Herr von euch sucht, und tut es, damit ihr am Tag des Gerichts bestehen könnt!207

Auf die Nähe dieser drei Stellen (1Thess 4,9; Joh 6,45 [und Barn 21,6]) zu Jes 54,13 wird denn auch häufig mit Recht in der Literatur hingewiesen.208 In Jes 54,13 liegt ein eschatologischer Bezug vor. Ganz analog dazu kann auch auf Jer 31,33f (38,33f LXX) verwiesen werden, wonach Gott es sein wird, der „nach jenen Tagen“ (μετὰ τὰς ἡμέρας ἐκείνας [meta tas hēmeras ekeinas]) sein Gesetz in den Sinn und in das Herz der Menschen seines Volkes geben bzw. schreiben wird und niemand mehr den andern belehren muss, weil alle Gott kennen werden.209 Die Verbindung wenigstens zu Jes 54,13 legt sich auch für unsere Stelle durchaus nahe. So ist als Bedeutung anzunehmen, dass die Thessalonicher aufgrund der Gabe des Geistes Gottes (4,8 vgl. 1,5f ) als der eschatologischen Gabe für die Gemeinde, die Geschwisterliebe betreffend, von Gott Gelehrte genannt werden.210 Damit lässt sich auch die allgemeine, nicht weiter konkretisierte Verwendung von φιαλδελφία [ philadlephia] nochmals plausibel machen: Durch die Gabe des Geistes Gottes gilt ein Mensch als von Gott gelehrt, was ganz grundsätzlich und zu allererst die Liebe zu den Glaubensgeschwistern betrifft. Sie gilt als das Erkennungszeichen der christlichen Gemeinschaft schlechthin (vgl. nochmals Joh 13,35211). Damit ist gleichzeitig plausibel, dass die Geschwisterliebe hier mit einander zu lieben gleichzusetzen ist (vgl. nochmals 3,12). 10 Die geschwisterliche Liebe wird von den Thessalonichern ja auch gegenüber allen Brüdern in ganz Mazedonien praktiziert. Καὶ γάρ [Kai gar] ist hier verstärkende Bekräftigung dessen, was folgt.212 Auch hier bleibt 207 Text und Übersetzung aus SUC II, 192f. 208 Vgl. E. Stauffer, θεοδίδακτος, ThWNT III, 1938, 122; SUC II, 193 Anm. 306; T. Holtz 174; J.A.D. Weima 288; St. Schreiber 228; R. Hoppe 249. 209 Jer 38 [31],33-34: δώσω νόμους μου εἰς τὴν διάνοιαν αὐτοῦ καὶ ἐπὶ καρδίας αὐτῶν γράψω αὐτούς (…) καὶ οὐ μὴ διδάξωσιν ἕκαστος τὸν πολίτην αὐτοῦ καὶ ἕκαστος τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ (…) ὅτι πάντες εἰδήσουσίν με (ich werde meine Gesetze in ihren Verstand geben und auf ihre Herzen werde ich sie schreiben […] und sie werden sich gewiss nicht [gegenseitig] belehren [müssen], jeder seinen Mitbürger und jeder seinen Bruder […] Denn alle werden mich kennen); Übersetzung nach LXX.D. 210 Vgl. in dieser Richtung neben z.B. J.A.D. Weima 288f auch Th. Söding, Nächstenliebe, 246f. 211 Zur Konzentration der Nächstenliebe auf die Geschwisterliebe im Joh vgl. Th. Söding, Nächstenliebe, 189-229. 212 Καὶ γάρ entspricht dem lateinischen nam etiam (denn auch; vgl. HvS § 252, 9), ist auf ποιεῖν zu beziehen und hat hier den Sinn: ja auch; ja tatsächlich (vgl. NSS II, 201).

Ethik 4,1-12

217

die Geschwisterliebe auf die binnengemeindliche Liebe beschränkt, lediglich die Grenzen der Ortsgemeinde werden überschritten (vgl. 1,7f ). Durch die beiden indefiniten Pronomen πᾶς [ pas] und ὅλος [holos] wird eigens markiert, dass gewiss auch niemand ausgeschlossen ist. In Mazedonien ist dabei an die Gemeinden in Philippi und evtl. eine in Beröa zu denken.213 Dass im 1Thess nur wenig von der (karitativen) Liebe gegenüber jenen, die außerhalb der Gemeinde sind, gesprochen wird,214 mag daran liegen, dass „die Ortskirche einfach noch zu klein und schwach ist“.215 Die Attraktivität der christlichen Gemeinde soll allerdings durch einen gottgemäßen, die Geschwister liebenden Lebensstil transparent gemacht werden (vgl. 4,12). Genau darin aber haben es die Thessalonicher nicht nötig, dass ihnen geschrieben werde. Sie tun es (vgl. 4,1; 5,11)! Αὐτό [Auto] (es) ist auf ἀγαπᾶν ἀλλήλους [agapan allēlous] (einander lieben) zu beziehen. Der Durativstamm ποιεῖν [ poiein] weist auf die Permanenz des Tuns hin. Gewiss wurde versucht, zu allen, die sich dem (neuen) Glauben an den Herrn, Jesus, angeschlossen hatten, möglichst umgehend und dann auch nachhaltig Kontakt zu halten. Dies könnte z.B. durch gegenseitige Besuche, durch Gastfreundschaft (vgl. Apg 17,7: diese beherbergt [ὑποδέχεσθαι [hypodechesthai]] Jason216), aber auch durch materielle oder finanzielle Unterstützung erfolgt sein.217 Mit dem Beginn des zweiten Satzes, der sprachlich eine deutliche Zäsur zum Vorausgehenden markiert, wechselt die Blickrichtung von der binnengemeindlichen Beziehung zur Beziehung der Gemeinde zur urbanen Gesellschaft. Der Abschnitt 4,9-12 greift mit seiner Formulierung zunächst auf 4,1 zurück (vgl. 5,14): wir ermahnen euch aber, Brüder, euch immer mehr hervorzutun. Lag 4,1 der Ton von παρακαλεῖν [ parakalein] aufgrund seiner Verbindung mit ἐρωτᾶν [erōtan] (bitten) eher auf der herzlichen und flehentlichen Bitte, so liegt dieser jetzt, ohne ἐρωτᾶν [erōtan], eher auf der eindringlichen und nachdrücklichen Ermahnung, die auch als Ermunterung zu ver213 Über die Entstehung der Gemeinden in Amphipolis und Apollonia (Apg 17,1) ist nichts bekannt; erste Erwähnungen stammen aus späteren Jahrhunderten vgl. hierzu E.J. Schnabel, Mission, 1099f. J.A.D. Weima 290 vermutet, dass auch diese beiden Städte hier gemeint sein könnten. Über die Existenz einzelner Hauskirchen oder einzelner Christen dort oder auch in anderen Ortschaften rund um die genannten Städte selbst kann nur gemutmaßt werden, ausgeschlossen werden kann dies angesichts der Notizen bei Paulus in 1,8, vgl. 2Kor 8,1; 11,9; Röm 15,26 allerdings auch nicht; vgl. hierzu T.D. Still, Believers, 32f. 214 Vgl. aber 3,12; 5,15, wo der Blick über die christliche Gemeinschaft hinauszugehen scheint. 215 Th. Söding, Nächstenliebe, 247. 216 Vgl. zu Jason oben die Einleitung, Abschnitte II und IV. 217 Vgl. z.B. T. Holtz 176; St. Schreiber 230.

218

Kommentar

stehen sein mag,218 in dem, was im Folgenden erwähnt wird, auf keinen Fall nachzulassen, sondern im Gegenteil, dies, was sie bereits tun, weiterhin noch intensiver zu tun (περισσεύειν μᾶλλον [ perisseuein mallon]). Ein Hintergrund für diese Ermahnung dürfte, neben der in V. 12 angegebenen Begründung, auch die nicht einfache Situation der Gemeinde sein, die unterschiedlichen Arten von Verfolgung ausgesetzt gewesen ist.219 Auch diese verlangte von den Gemeindegliedern, einen soweit nur irgend möglich ‚anständigen Lebenswandel‘ zu führen und frei von finanziellen oder materiellen Abhängigkeiten von anderen zu sein. Die Aussage ist, unter Berücksichtigung der erwähnten Verschiebung des jetzt eher ermahnenden als bittenden Tons, derjenigen in 4,1 analog. Die Anrede Brüder erfolgt innerhalb des Briefes zum wiederholten Mal und signalisiert auch hier die Verbundenheit des Paulus mit der Gemeinde;220 sie weist gleichzeitig nochmals auf die Eindringlichkeit des Folgenden hin. 11 Worin sich die Thessalonicher „immer mehr hervortun“ sollen, wird im Folgenden konkretisiert. Der die folgenden drei Infinitive regierende Infinitiv (euch) eine Ehre daraus zu machen221 ist im NT nur bei Paulus und bei ihm dreimal gebraucht: außer an unserer Stelle noch Röm 15,20; 2Kor 5,9.222 An diesen beiden Stellen ist die Bezugsgröße die Predigt des Evangeliums oder Gott (zu gefallen). Das Wortfeld ist in der Profangräzität positiv besetzt und meint, seine ganze Energie dafür einzusetzen, politische, soziale oder sonst geartete öffentliche Anerkennung und Ehre zu bekommen, was z.B. auch mit Großzügigkeit gegenüber den Armen erreicht werden konnte.223 Demgegenüber zeigt die Verwendung des Wortes bei Paulus, dass die Energie, Ehre und Anerkennung zu suchen, keinesfalls dahin gelenkt werden soll, sie bei den Menschen zu finden (vgl. 2,6), sondern das Evangelium zu verkündigen, Gott zu gefallen oder, wie hier, gegenüber der städtischen Gesellschaft nicht aufzufallen und gerade keine öffentliche Ehre von Menschen zu suchen, denn darin zeichne sich ein gegenüber den Außenstehenden ‚anständiger Le218 Vgl. St. Schreiber 230; R. Hoppe 251. In ihrer Sprachgestalt und ihrer Wirkung können Ermahnung und Ermunterung m.E. allerdings kaum unterschieden werden. „Ich ermuntere dich, … weiterhin zu tun“, kann ebenso stärkend wie ermahnend wirken, darin ganz παρακαλεῖν entsprechend. 219 Vgl. dazu die Auslegungen zu 1,6; 2,14; 3,3.7. 220 Vgl. die Auslegung zu 1,4; 2,1.9. 221 Vgl. zum explikativen καί und zur Satzstruktur insgesamt oben bei II. 222 Die Derivate φιλοτιμία (Ehrerbietung, Ehre) und φιλοτιμός, -ως (ehrenvoll, ruhmvoll) sind im NT überhaupt nicht belegt, die LXX verwendet sie äußerst selten und nie in Bezug auf Gott, vgl. Weish 14,18; 18,3; 2Makk 2,21; 3Makk 4,15; das Verb ist in der LXX nicht gebraucht. 223 Für Belege im Einzelnen vgl. bei LSJ 1941; A.J. Malherbe 246f; R. Hoppe 251.

Ethik 4,1-12

219

benswandel‘ aus. Die ‚öffentliche Anerkennung und Ehre‘ bestünde also im Gegenteil gerade darin, dass öffentliche Aufmerksamkeit vermieden werde. Im Einzelnen können die drei folgenden Infinitive dies noch spezifizieren. Das Verb ἡσυχάζειν [hēsychazein] (Ruhe halten) ist bei Paulus nur hier gebraucht, sonst im NT ausschließlich im lukanischen Doppelwerk, nämlich in Lk 14,4; 23,56; Apg 11,18; 21,14 (vgl. 22,2 v.l.), wobei hier meist die Bedeutung ‚schweigen, still sein‘ vorliegt.224 In Lk 23,56 ist die von der Tora vorgeschriebene Sabbatruhe gemeint. An unserer Stelle ist damit am ehesten ein dem politischen oder gesellschaftlichen Unruhestiften entgegengesetztes Verhalten gemeint. Der Vorwurf des Unruhestiftens wurde den Christen in Thessalonich, insbesondere dem Paulus und seinen Mitarbeitern, nach Apg 17,6 gemacht: οἱ τὴν οἰκουμένην ἀναστατώσαντες οὗτοι [hoi tēn oikoumenēn anastatōsantes houtoi] (diese, die ganze Welt in Aufruhr Versetzenden [sind jetzt auch hierher gekommen]).225 Paulus mahnt damit die Gemeinde angesichts der jüngsten Konflikte, nicht zuletzt gegenüber den politisch Verantwortlichen in der Stadt, zu äußerster Zurückhaltung.226 Hintergrund könnte möglicherweise sein, dass aus der Gemeinde der Ruf nach einer öffentlichen Reputation oder Entschuldigung für das damalige unangemessene und ungerechte Vorgehen vonseiten der Verantwortlichen in Thessalonich, besonders aus dem Umfeld des Jason, gefordert worden ist.227 Ganz sicher handelt es sich um einen Appell, der darauf zielt, „durch ein korrektes ziviles Verhalten weiteren Anfeindungen vonseiten der Umwelt entgegenwirken zu können“.228 Die sich daran anschließende Aufforderung die eigenen Angelegenheiten229 zu betreiben setzt den Duktus dieser Mahnung fort. Πράσσειν τὰ ἴδια 224 Dies legt auch das selten verwendete Derivat ἡσυχία Apg 22,2; 1Tim 2,11f nahe. Die Bedeutung bei 2Thess 3,12 richtet sich zwar ebenfalls auf ein ordentliches, anständiges Leben, dürfte aber aus anderem Grund als an unserer Stelle gebraucht sein. Anders I.H. Marshall 116f; J.A.D. Weima 293f, die unsere Stelle auf dem Hintergrund des Gebrauchs dort interpretieren wollen. 225 An Apg 17,6 erinnert auch R. Börschel, Konstruktion, 263f. 226 An die Ereignisse „zur Zeit des Gründungsaufenthalts der Missionare“ denkt auch R. Hoppe 252f. 227 Das kann natürlich nicht bewiesen werden, aber eine politische Konnotation ist sehr wahrscheinlich. Jason, als angesehenes Mitglied der Gesellschaft, dürfte dabei auch die entsprechenden Möglichkeiten gehabt haben, vgl. F. Morgan Gillman, Jason, AncB.D 3, 1992, 649. St. Schreiber 231 sieht in der Formulierung allgemein den Appell zu einem Leben, das „keine politische Unruhe provoziert und die öffentliche Ordnung nicht stört“. 228 P.-G. Haufe 76f, der hierfür auf Ch. A. Wanamaker 163f verweist. 229 Vgl. für diese Übersetzung von τὰ ἴδια 2Makk 9,20; 11,23.26.29, die Belege bei WB6 752 s.voc. 3 und z.B. auch bei T. Holtz 177 Anm. 179.

220

Kommentar

[Prassein ta idia] ist so weder sonst im NT noch in der LXX verwendet, steht aber der Forderung in 1Petr 4,15fin nahe, wonach niemand deshalb staatliche oder gesellschaftliche Repressionen erleiden solle, weil er sich in Angelegenheiten anderer einmische (ἀλλοτριεπίσκοπος [allotriepiskopos]230). Die Wendung ist dagegen mehrfach in der Profangräzität belegt und beschreibt ein philosophisches Lebensideal v.a. der Epikureer und Kyniker, die sich aus der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit zurückzogen, um sich dem ‚wahren Leben‘ widmen zu können.231 Dies ist jedoch nicht die Lebenssituation der Christen in Thessalonich. Ihnen wäre im Anschluss, eher etwas analog der folgenden Aussage des Sokrates, mahnend zu schreiben: Und gewiß, daß das Seinige zu tun und sich nicht in vielerlei einzumischen Gerechtigkeit ist (τὸ τὰ αὐτοῦ πράττειν καὶ μὴ πολυπραγμονεῖν δικαιοσύνη ἐστί

[to ta autou prattein kai mē polypragmonein dikaiosynē esti]), auch das haben wir von vielen anderen gehört und gewiß auch öfters selbst gesagt.232 Bei Sokrates geht es darum, dass „jeder das Seinige tue, d.h. die ihm zukommende Tugend erfülle“.233 Bei Paulus geht es nicht viel anders darum, dass jeder das tue, was ihm als Teil der christlichen Gemeinde in der aktuellen Situation am dienlichsten sei, und das ist, so ist Paulus überzeugt, dass jeder auf das Seinige schaue und dies gewissenhaft und ordentlich tue, um Ruhe für sich selbst zu erlangen und damit auch in der Gesellschaft und gleichzeitig für die Gemeinde zu wahren. Auf das Seinige zu schauen, so wird es jetzt ganz konkret, bedeutet, mit euren [eigenen] Händen zu arbeiten. Weder eine wie auch immer geartete politische Aktion sei das angebrachte Verhalten, noch sei es, so muss aus der jetzt folgenden Aussage abgeleitet werden, ein verstecktes, derart zurückgezogenes Leben, das sich um überhaupt nichts mehr kümmere. Ein solches müsste von Außenstehenden als faul betrachtet werden und sei zudem finanziell und wirtschaftlich von anderen abhängig. Dies wurde durch 230 Vgl. zur Übersetzung WB6 78, wo auch die Übersetzungsmöglichkeit „Aufrührer“ angeführt wird. Vgl. für den Verweis auf 1Petr 4,15 auch J.A.D. Weima 296; R. Hoppe 253. 231 Vgl. ausführlich hierzu mit zahlreichen Belegen v.a. A.J. Malherbe 246-250, auf den auch St. Schreiber 231 verweist, aber auch J.A.D. Weima 295f und R. Hoppe 251-253. 232 Platon, Rep IV 433 a-b; Übersetzung und Text nach NW II/1, 787. Vgl. auch Platon, Rep VI 496 d, wo ἡσυχία und πράττειν τὰ ἴδια in engem Zusammenhang stehen: „dies alles sich wohl zu Herzen nehmend, wird ein solcher [sc. ein wahrer Philosoph, fwr] sich ruhig verhalten und, sich nur um das Seinige bekümmernd […]“ (NW II/1, 54). 233 NW II/1, 786.

Ethik 4,1-12

221

πράσσειν τὰ ἴδια [ prassein ta idia] bereits angebahnt und wird jetzt deutlich ausgeführt. ‚Die eigenen Angelegenheiten zu betreiben‘ hat nicht nur literarisch eine Mittelstellung innerhalb der drei von φιλοτιμεῖσθαι [ philotimeisthai] abhängigen Infinitive, sondern hat auch sachlich eine Scharnierfunktion: Zwischen ‚Ruhe halten‘ und ‚mit den Händen arbeiten‘, zwischen ‚keine politische oder gesellschaftliche Unruhe stiften‘ und ‚sich völlig aus dem (Erwerbs-)Leben zurückziehen und abtauchen‘ lautet der Appell: handeln! In dieser Scharnierfunktion kann πράσσειν τὰ ἴδια [ prassein ta idia] als Definition für περιπατεῖν εὐσχημόνως [ peripatein euschēmonōs] (einen anständigen Lebenswandel führen) verstanden werden. Die Wertschätzung der Arbeit mit den eigenen Händen oder der Hand (werks)arbeit (ἔργον/-α τῶν χειρῶν [ergon/-a tōn cheirōn], Werk/-e der Hände) ist biblisch gut bezeugt, wie Deut 16,15; 24,19; 28,12; Hiob 1,10; Ps 89 (90),17; PsSal 6,2; 9,4; 16,9 zeigen, und ist an diesen Stellen auch positiv besetzt.234 Paulus ist im Übrigen selbst als Handwerker tätig (2,9, vgl. 1Kor 4,12; Apg 20,34 und 2Thess 3,7f ).235 Durch ein solches (Arbeits-)Verhalten separiert sich die christliche Gemeinde nicht von der übrigen Gesellschaft, sondern integriert sich gut und leistet gleichzeitig ihren Beitrag zur Stabilisierung und zum wirtschaftlichen Gedeihen nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der christlichen Gemeinde selbst. Dadurch kommt gleichzeitig ‚Ruhe‘ (ἡσυχάζειν [hēsychazein]) in das Umfeld der Gemeinde in Thessalonich und natürlich in die Gemeinde selbst, womit der Kreis, der durch die drei Infinitive eröffnet wurde, wieder geschlossen wäre: Ruhe zu halten bedeutet, das Eigene zu tun, was sich in Hand(werks)arbeit manifestiert, diese wiederum führt zu Stabilisierung und ‚Ruhe‘. Alle drei ‚Anweisungen‘ lassen es letztlich nicht zu, konkrete Anlässe in der Gemeinde als Motivation für deren Anführung nachzuweisen.236 Gewiss ist damit das grundsätzliche ethische Verhalten der Christen in der (damaligen) Gesellschaft thematisiert, dessen Ziel περιπατεῖν εὐσχημόνως [ perpatein euschēmonōs] stets war und ist. Aber dies hatten die Missionare bereits bei ihrem Gründungsbesuch nachdrücklich angeordnet. Die Vokabel impliziert einen Befehlston (vgl. 4,2: παραγγελίας ἐδώκαμεν 234 Dass das Werk der menschlichen Hände auch gottwidrig sein kann, belegen zahlreiche Stellen aus Tora und Propheten, vgl. z.B. Deut 4,28; 27,15; 31,29; Hag 2,14.17; Jes 2,8; 3,11 (alle LXX). 235 Dem Dieb wird Eph 4,28 gesagt, er solle künftig „mit seinen [eigenen] Händen arbeiten“. 236 Zu den unterschiedlichen Versuchen, u.a. die Apokalyptik (Rückzug aus der Gesellschaft aufgrund der nahen Wiederkunft des Herrn), die Gnosis, oder eine grundsätzliche Verachtung handwerklicher Arbeit als Motive anzunehmen, vgl. das Referat bei J.A.D. Weima 297f.

222

Kommentar

[ parangelias edōkamen], wir haben Anweisungen gegeben)237 und ist daher intensiver, schärfer zu hören als ‚ermahnen‘ (παρακαλεῖν [ parakalein]), was deren Verwendung z.B. 1Kor 7,10; 11,17 nahelegt (vgl. auch die drei Belege im Abschnitt 2Thess 3,6-12 und schon 3,4). Bei dieser letzten Aufforderung, mit den eigenen Händen zu arbeiten, kann auf 2Thess 3,11f aufmerksam gemacht werden, insofern sich tatsächlich das Problem des Rückzugs aus aller Verantwortung, und damit verbunden, der Arbeitsunwilligkeit in Thessalonich gegenüber den Tendenzen zum politischen oder gesellschaftlichen Unruhe stiften, zum größeren Problem entwickelt haben dürfte. Dies war aber bei der Abfassung des 1Thess ganz offensichtlich so noch nicht erkennbar, wie die umfänglichen Ausführungen im Abschnitt 2Thess 3,612 gegenüber der kurzen Notiz hier zeigen.

12 Wie bereits erwähnt, ist das Ziel der Anordnungen aus V. 11 einen anständigen Lebenswandel zu führen. Das Adverb εὐσχημόνως [euschēmonōs] ist im NT nur hier und Röm 13,13; 1Kor 14,40 belegt, das Substantiv εὐσχημοσύνη [euschēmosynē] (Anstand) nur 1Kor 12,23, für das Adjektiv vgl. 1Kor 7,35; 12,24.238 Stets geht es um ein sozial angemessenes Verhalten, auch wenn bei den einzelnen Belegen jeweils kontextbedingt unterschiedliche Sachverhalte impliziert sind. Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass ein sozial angemessenes Verhalten kein sozial angepasstes Verhalten im Hinblick auf die, die außerhalb (der christlichen Gemeinde) sind bedeutet.239 Die Differenz im Verhalten zum sozialen Umfeld wurde 4,3-8 eingehend markiert. Hier geht es um ein Verhalten, das den neuen ‚alternativen Lebensstil‘ in das nichtchristliche soziale Umfeld möglichst gut, in diesem Fall unauffällig, eben ‚anständig‘, zu integrieren vermag. Der mit damit (ἵνα [hina]) eingeleitete finale Nebensatz ist auf die drei Infinitive zu beziehen, die φιλοτιμεῖσθαι [ philotimeisthai] (sich eine Ehre daraus machen) untergeordnet sind. Sie umschreiben, was einen ‚anständigen 237 Zur Übersetzung mit „befehlen“ vgl. auch WB6 1240. 238 Weitere Belege für das Adjektiv εὐσχήμων nur noch Mk 15,43; Apg 13,50; 17,12, wo ‚vornehme, angesehene‘ Frauen aus Antiochien/Pisidien und Beröa (und ein Mann aus Arimathia) damit charakterisiert werden. In der LXX ist das Adverb nicht vorhanden, für das Substantiv vgl. einzig 4Makk 6,2, wo vom „edlen Anstand, wie er der Frömmigkeit eignet“ (τῇ περὶ τὴν εὐσέβειαν εὐσχημοσύνῃ) die Rede ist (Übersetzung nach H.-J. Klauck, JSHRZ III/6, 714). Das Adjektiv ist nur Spr 11,25 belegt: ein aggressiver Mann aber ist nicht anständig (ἀνὴρ δὲ θυμώδης οὐκ εὐσχήμων; Übersetzung fwr) 239 Zu τοὺς ἔξω als diejenigen, die sich außerhalb der christlichen Gemeinschaft befinden, vgl. Mk 4,11; 1Kor 5,12; Kol 4,5a; 1Tim 3,7.

Ethik 4,1-12

223

Lebenswandel‘ in der aktuellen Situation ausmacht. Ein solcher ebenso angemessener wie unangepasster Lebensstil zeichnet sich auch dadurch aus, niemand nötig zu haben(, der unterstütze). Evtl. will dieser abschließende Hinweis darauf aufmerksam machen, dass in der aktuellen Situation in Thessalonich nur aufgrund eines sozial angepassten, also ‚ruhigen‘, und wirtschaftlich unabhängigen Lebens, das also den Lebensunterhalt ‚mit der eigenen Hände Werk Arbeit‘ ermöglicht, das demnach ‚die eigenen Angelegenheiten betreibt‘, ein unangepasster Lebensstil uneingeschränkt gelebt werden kann. Abhängigkeiten, gleichgültig welcher Art, bleiben nie, so die Einsicht, mindestens aber die Befürchtung dieses ‚Nachsatzes‘, lediglich auf einen Bereich beschränkt, sie haben in aller Regel Auswirkungen auf zahlreiche weitere.240

IV Zusammenfassung Die hier vorliegenden ethischen Mahnungen sind als „herzliche und gewinnende Art des Bittens“ formuliert, „die der Gemeinde Freiraum zur Zustimmung gewährt und sie zugleich in die Verantwortung ruft“.241 Zugleich wird die Gemeinde mehrfach für ihr bereits praktiziertes vorbildliches Verhalten gelobt, was im Kontext der Paraklese motivierend wirkt.242 Darüber hinaus weist Paulus darauf hin, dass die Thessalonicher ganz grundsätzlich auch befähigt sind, gottgefällig (4,1) zu leben. Er erinnert sie dafür an ihre Berufung (4,7) und die Gabe des Heiligen Geistes (4,8).243 Nachdruck verleiht er seinem „brüderlichen Rat“244 dadurch, dass er seine Hinweise zu einem Leben in der Heiligung als dem Willen Gottes entsprechend (4,3) qualifiziert. Im Folgenden gibt er der Gemeinde damit eine konkrete Beschreibung dessen, was in ihrer Situation ein Lebensstil sei, der dem Willen Gottes entspreche. Aspekte der Sexualethik (4,3-5) und der Wirtschaftsethik (4,6) stehen dabei im Mittelpunkt. Der Hinweis auf den innergemeindlichen Verhaltenscodex (4,9f ) ist insofern eine Besonderheit, als die Perspektive deutlich über die lokal direkt erreichbaren Personen hinausgeht, was für das damalige Gruppenverhalten keineswegs üblich war.245 Die so vorgetragenen herzlichen Bitten werden als Kontrastverhalten zur paganen Mitwelt konturiert (4,5f.12) und dienen nicht zuletzt dazu, die eigene 240 241 242 243

Vgl. für eine ähnliche Interpretation St. Schreiber 233f. R. Gebauer, Seelsorger, 106. Vgl. hierzu F. Blischke, Begründung, 63. Vgl. zum „Pneumabesitz als Veränderung der Voraussetzungen für das Handeln des Glaubenden“ bei 1Thess 4,1-12 F. Laub, Verkündigung, 61-63, das Zitat a.a.O., 61. 244 So F. Blischke, Begründung, 63. 245 Vgl. dazu B.J. Malina; J.J. Pilch, Commentary, 48.

224

Kommentar

Gruppenidentität zu profilieren und damit zu stärken.246 Gestärkt wird diese Identität natürlich auch dadurch, dass es Paulus nicht versäumt, auf die Liebe zu den Geschwistern in der Gemeinde zu verweisen, die in Thessalonich zwar bereits überaus vorbildlich, aber immer noch des weiteren Wachsens fähig ist (4,9f vgl. 3,12). Das Urteil über die neu gegründete Gemeinde von denen, ‚die draußen sind‘ (4,12), könnte Paulus zum einen deshalb wichtig sein, weil er darin „ein missionarisches Ziel“ vermutet, zum andern aber auch, weil er darin eine Möglichkeit sieht, „die Gemeinde vor Verfolgungen zu schützen“.247 Ein Hauptaugenmerk wird hierbei auf das christliche Arbeitsethos (4,11) gelegt.

Eschatologie 4,13-18 I Übersetzung 13 Wir wollen euch aber nicht in Unwissenheit belassen, Brüder, hinsichtlich der Entschlafenen, damit ihr nicht traurig seid wie die Übrigen, die keine Hoffnung haben. 14 Wenn wir nämlich glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, dann auch, dass Gott die Entschlafenen durch Jesus mit ihm führen wird. 15 Dies nämlich sagen wir euch in einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Parusie des Herrn, keinesfalls den Entschlafenen zuvorkommen werden:1 16 „Er selbst, der Herr, wird auf den Befehl hin mit der Stimme des Erzengels, nämlich2 mit3 der Posaune Gottes, vom Himmel herabkommen und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen, 17 danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, gleichzeitig mit ihnen entrückt4 werden in Wolken zur Einholung5 des Herrn in der Luft“, und so werden wir allezeit mit dem Herrn sein. 18 Darum tröstet einander mit diesen Worten.

246 Vgl. a.a.O., 46: „Paul here [sc. 4,1f, fwr] urges the Thessalonians to adopt a line of conduct that might distinguish their group from others, an ingroup hallmark.“ 247 F. Blischke, Begründung, 65. 1 Zur Interpretation von ὅτι als ὅτι recitativum vgl. die Auslegung; zum Gebrauch vgl. HvS § 274 b. 2 Καί epexegeticum/explicativum, vgl. dazu die Auslegung; zum Gebrauch vgl. HvS § 252 29 (7). 3 Zweimal modales ἐν, vgl. dazu die Auslegung; zum Gebrauch vgl. HvS § 184 i. 4 So mit WB6 218f s.voc. ἁραπάζω 2. b. 5 Für diese mögliche Übersetzung von εἰς ἀπάντησιν vgl. E. Peterson, ἀπάντησις ThWNT I, 1933, 380 und die Auslegung.

Eschatologie 4,13-18

225

II Struktur Mit 4,13a (οὐ θέλομεν δὲ ὑμᾶς ἀγνοεῖν, ἀδελφοί, περί … [ou thelomen de hymas agnoein, adelphoi, peri …], wir wollen euch aber nicht in Unwissenheit belassen, Brüder, hinsichtlich …) setzt ein eigenständiger Abschnitt ein. Die Anrede ἀδελφοί [adelphoi] steht auch in 4,1 am Beginn eines neuen Abschnitts. In 4,9; 5,1 wird ein neuer Sinnabschnitt mit περί [ peri] eingeleitet. Die Satzstruktur ist für V. 13 recht transparent. Der einleitenden Litotes6 folgt ein durch ἵνα [hina] eingeleiteter kausaler Nebensatz, der gleichzeitig die Absicht des Folgenden beschreibt. Dieser Nebensatz wird durch einen Vergleichssatz (καθώς [kathōs]) erweitert, womit die Absicht (nicht traurig zu sein) in einen Gegensatz zu jenen gestellt wird, die keinen Anlass dazu haben, nicht traurig zu sein (vgl. analog bei 4,5). V. 14 bildet eine Konditionalperiode (εἰ … οὕτως [ei … houtōs]). Der hier vorliegende indefinite Fall der Konditionalperiode (εἰ [ei] mit Ind.) impliziert im NT, dass „die Bedingung häufig als tatsächlich erfüllt [erscheint], was dazu führt, dass ‚wenn‘ in diesen Fällen einem kausalen ‚weil/da‘ sehr nahe kommt“.7 Der Inhalt des Folgesatzes ist bei so formulierter Protasis zwingend: ‚Wenn wir … glauben‘, was ja nicht von vornherein generell vorausgesetzt werden kann. Für Paulus ist jedoch klar, dass dieser Glaube allen (‚wir [glauben]‘) gemein ist, wenn (= weil) wir es also tun, ‚folgt zwingend …‘.8 Der Unterabschnitt V. 15–17 ist syntaktisch überaus komplex. Die Interpretation der Verse hat keinen geringen Einfluss auf die Analyse der Satzstruktur und umgekehrt. Die Satzeinleitung in V. 15a ist noch sehr offensichtlich τοῦτο … ἐν λόγῳ κυρίου [touto … en logō kyriou] (dies … in einem Wort des Herrn). Mit V. 15b und V. 16 beginnen zwei durch ὅτι [hoti] eingeleitete Satzstrukturen. Ersteres leitet dabei einen kausalen Nebensatz ein. Das Subjekt ἡμεῖς [hēmeis] (wir) wird durch zwei substantivierte Partizipien präzisiert, was in der Übersetzung als Relativsatz wiedergeben ist. Fortgesetzt und zu Ende geführt wird die Satzsequenz durch ein doppelt verneintes finites Verb (οὐ μὴ φθάσωμεν [ou mē phthasōmen], wir werden keinesfalls zuvorkommen, [Konj. Aor.]) und dem dazugehörigen Akkusativobjekt (τοὺς κοιμηθέντας [tous koimēthentas], den Entschlafenen). Die Wendung οὐ μή [ou mē] mit Konj. Aor. „stellt […] in der Koine […] die stärkste Verneinung einer Aussage

6 Vgl. die Auslegung z.St. 7 HvS § 281 a. 8 Vgl. HvS § 280 c. Zur grammatikalischen Anomalie in der Apodosis (οὕτως καί) vgl. unten bei der Auslegung.

226

Kommentar

über Zukünftiges dar“.9 Letzteres dürfte als ὅτι [hoti] recitativum zu interpretieren sein, was jedoch erst die Exegese näher begründen kann. Drei parataktische, durch zweimaliges καί [kai] verbundene Hauptsätze folgen. Dem Subjekt des ersten Hauptsatzes (ὁ κύριος [ho kyrios]) folgen drei Präpositionalverbindungen mit ἐν [en] mit Dat., deren Bedeutung durch die Exegese näher erläutert werden muss. Hieran schließt sich das finite Verb καταβήσεται [katabēsetai] (er wird herabkommen) an. Der zweite, durch καί [kai] angeschlossene Hauptsatz bildet eine Aufzählungsperiode ein (πρῶτον … ἔπειτα [ prōton … epeita], zuerst … danach), die mit eigenen Subjekten (οἱ νέκροι … ἡμεῖς [hoi nekroi … hēmeis], die Toten … wir) sachlich eng verbunden ist. Auch in dieser Satzperiode spielen Präpositionalverbindungen eine große Rolle. Der sich dadurch ergebende Zusammenhang der Satzglieder im Einzelnen wird bei der Exegese erläutert werden. Schließlich beendet ein dritter, folgernder (οὕτως [houtōs]) Hauptsatz, der das letzte Subjekt des vorangegangenen Satzes aufnimmt (ἡμεῖς [hēmeis]) die lange Satzsequenz. Grafisch könnte diese Satzstruktur wie folgt dargestellt werden: Τοῦτο γὰρ ὑμῖν λέγομεν ἐν λόγῳ κυρίου, ὅτι ἡμεῖς οἱ ζῶντες οἱ περιλειπόμενοι εἰς τὴν παρουσίαν τοῦ κυρίου οὐ μην. φθάσωμεν τοὺς κοιμηθέντας· ὅτι αὐτὸς ὁ κύριος ἐν κελεύσματι, ἐν φωνῇ ἀρχαγγέλου καὶ ἐν σάλπιγγι θεοῦ, καταβήσεται ἀπ’ οὐρανοῦ καὶ οἱ νεκροὶ ἐν Χριστῷ ἀναστήσονται πρῶτον, ἔπειτα ἡμεῖς οἱ ζῶντες οἱ περιλειπόμενοι ἅμα σὺν αὐτοῖς ἁρπαγησόμεθα ἐν νεφέλαις εἰς ἀπάντησιν τοῦ κυρίου εἰς ἀέρα· καὶ οὕτως πάντοτε σὺν κυρίῳ ἐσόμεθα. [Touto gar hymin legomen en logō kyriou, hoti hēmeis hoi zōntes hoi perileipomenoi eis tēn parousian tou kyriou ou mēn phthasōmen tous koimēthentas: hoti autos ho kyrios en keleusmati, en phōnē archangelou kai en salpingi theou, katabēsetai ap’ ouranou

9 HvS § 247 a.

Eschatologie 4,13-18

227

kai

hoi vekroi en Christō anastēsontai prōton, epeita hēmeis hoi zōntes hoi perileipomenoi hama syn autois arpagēsometha en nephelais eis apantēsin tou kyriou eis aera: kai houtōs pantote syn kyriō esometha.] Dies nämlich sagen wir euch in einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Parusie des Herrn, keinesfalls den Entschlafenen zuvorkommen werden: „Er selbst, der Herr, wird auf den Befehl hin mit der Stimme des Erzengels, nämlich mit der Posaune Gottes, vom Himmel herabkommen und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen, danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, gleichzeitig mit ihnen entrückt werden in Wolken zur Einholung des Herrn in der Luft“, und so werden wir allezeit mit dem Herrn sein.

V. 18 stellt eine abschließende Ermahnung mittels eines eigenen, nur wenig komplexen Hauptsatzes dar. Das Subjekt wechselt dabei von der 1. zur 2. Pers. Plural, womit die Adressaten des Briefes direkt angesprochen werden.

III Einzelexegese Von Entschlafenen und Übriggebliebenen10 13 Die Wendung wir wollen / ich will aber nicht in Unwissenheit belassen (οὐ θέλομεν / θέλω … ἀγνοεῖν [ou thelomen / thelō … agnoein]) kommt im NT ausschließlich bei Paulus vor, vgl. Röm 1,13; 11,25; 1Kor 10,1; 12,1; 2Kor 1,8. Jedes Mal wird damit ein neuer Abschnitt eingeleitet, der sogar meist ein besonderes Gewicht für die paulinische Argumentation hat. Die ganze Wendung kann als Litotes verstanden werden. Diese rhetorische Figur hat die Funktion, dem Folgenden durch Untertreibung besonderes Gewicht zukommen zu lassen: „an die Stelle der positiven Aussage (wird) die Negation ihres Gegenteils gesetzt“ und damit eigentlich „weniger gesagt, als

10 Die folgende Auslegung in enger Anlehnung und starker Kürzung meiner Exegese des Abschnittes in F.W. Röcker, Belial, 269-306.

228

Kommentar

gemeint ist“.11 Positiv formuliert, könnte die Aussage in etwa lauten: „Wir wollen, dass ihr unbedingt darüber in Kenntnis gesetzt werdet, betreffs …“ 4,13a hat also nicht nur eine auf die folgenden eschatologischen Bemerkungen (4,14-17) hinführende Funktion, es liegt zugleich eine diese als besonders wichtig kennzeichnende Markierung vor. Zudem signalisiert die Wendung, dass jetzt neue Informationen weitergegeben werden.12 Mit der inzwischen zum neunten Mal13 gebrauchten Anrede der Thessalonicher mit Brüder, liegt erneut nicht etwa bloße epistolare Konvention vor, sondern ein wiederum besondere Aufmerksamkeit heischender literarischer Marker, mit dem gleichzeitig die den ganzen Brief durchziehende enge Beziehungsebene zwischen Absendenden und Adressaten aufgerufen wird. Die hinführende Funktion der einleitenden Formulierung lässt sich recht einfach durch die Vorwegnahme desjenigen Begriffs erkennen, mit dem das eigentliche Problem der Thessalonicher verbunden war und das Anlass für den gesamten Abschnitt 4,13-18(; 5,1-11) war, nämlich οἱ κοιμωμένοι [hoi koimōmenoi]. Die Erwähnung der Entschlafenen hier und in V. 14.15, sowie die für das NT singuläre, hierzu synonym verwendete Wendung οἱ νεκροὶ ἐν Χριστῷ [hoi nekroi en Christō]14 (die Toten in Christus, V. 16) und schließlich das sich hierauf rückbeziehende αὐτοῖς [autois] ([mit] ihnen) aus V. 17 zeigen, dass mit dem Partizip κοιμωμένοι [koimōmenoi] tatsächlich das Zentrum des Problems der Thessalonicher und damit auch der vorliegenden Ausführungen des Paulus vorliegt. Außer im 1Thess (4,13.14.15) verwendet Paulus den sowohl im Judentum wie auch in der paganen Umwelt gebräuchlichen Euphemismus ‚Entschlafene‘15 für die Toten mehrfach im 1Kor (7,39; 11,30; 15,6.18.20.51). Dass der in unserem Abschnitt verhandelte Sachverhalt, nämlich das Ergehen der verstorbenen Christen bei der Parusie Christi, in Thessalonich für beträchtliche Verunsicherung gesorgt haben muss, zeigt der konjunktionale Begründungssatz, damit ihr nicht traurig seid. Die Wortgruppe λυπεῖν/λύπη [lypein/lypē] wird bei Paulus v.a. im 2Kor (bes. gehäuft 2,1-11; 7,8-11) gebraucht und impliziert

11 12 13 14

HvS § 296 h. Vgl. hierzu besonders R. Hoppe 260 mit entsprechenden Belegen aus der Profangräzität. Vgl. 1,4; 2,1.9.14.17; 3,7; 4,1.10. Vgl. zum synonymen Gebrauch von νεκροί und κοιμωμένοι die ebenfalls im NT singuläre Formulierung des Paulus in 1Kor 15,18: οἱ κοιμηθέντες ἐν Χριστῷ. Dass sich κοιμᾶσθαι auf den Tod bezieht, zeigt auch Joh 11,11.13 (περὶ τοῦ θανάτου). 15 Vgl. besonders syrBar 30,1fin: (… dann werden alle jene auferstehen,) die in der Hoffnung auf ihn eingeschlafen sind; (Übersetzung nach A.F.J. Klijn, JSHRZ V/2, 142). Für weitere Belege vgl. z.B. A.J. Malherbe 263; D. Luckensmeyer, Eschatology, 213; J.A.D. Weima 309.

Eschatologie 4,13-18

229

dort – evtl. bis auf 2Kor 9,7 – starke emotionale Traurigkeit. Phil 2,27 liegt eine Verbindung mit dem Tod vor.16 Diese starke emotionale Konnotation kann auch an unserer Stelle vorausgesetzt werden:17 Die Thessalonicher mussten in der Frage ihrer toten Glaubensgeschwister geradezu zu Tode betrübt gewesen sein. Die Negation beim Durativstamm μὴ λυπῆσθε [mē lypēsthe] signalisiert den Adressaten jedoch, dass das Ziel des Folgenden ist, die vorhandene Betrübnis möglichst zu einem Ende zu führen.18 Sie, die Thessalonicher, haben allen Grund, angesichts des Todes gerade nicht zu Tode betrübt zu sein, wie die Übrigen, die keine Hoffnung haben. Mit den ‚Übrigen‘ wird an 4,1-8.12 angeknüpft. Es sind diejenigen gemeint, die nicht zur geschwisterlichen Gemeinschaft der Christen gehören.19 Paulus macht damit deutlich, dass alle, die nicht an Christus glauben, deshalb keine wirkliche Hoffnung auf Auferstehung von den Toten haben können, weil sie keinen hinreichenden Grund für eine derartige Hoffnung haben.20 Dies geht aus der christologischen Begründung in V. 14 hervor.21 Die Aussage impliziert also, dass für die verstorbenen Christen, οἱ κοιμημένοι / νεκροὶ ἐν Χριστῷ [hoi koimēmenoi / nekroi en Christō] (4,13a.14b.16b), in jedem Fall die Hoffnung auf Auferstehung vorhanden sei. Den Anfangsgrund auf die Auferstehung von den Toten, nämlich die Auferstehung Jesu Christi, unterstreicht Paulus an dieser Stelle nochmals eigens.22 Zur (unterstellten) Hoffnungslosigkeit der Heiden ist neben Eph 2,12 und Weish 3,18; 13,10 auch Jub 22,22 zu vergleichen. Jub 22,22 liegt eine inhaltlich nahezu identische Ausführung zu 1Thess 4,13b aus dem hellenistischen Judentum vor:

16 Darüber hinaus ist der Wortstamm λυπ- bei Paulus nur noch Röm 9,2; 14,15 (vgl. Eph 4,30) belegt. 17 Vgl. H. Balz, λύπη κτλ., EWNT2, 1992, 895-899, 897-899. 18 Darauf macht R. Gebauer, Seelsorger, 108 Anm. 87 aufmerksam. 19 Vgl. so z.B. auch St. Schreiber 243; R. Hoppe 262 Anm. 180. 20 Ähnlich St. Schreiber 243, der auf R. Börschel, Konstruktion, 228f.241 verweist, die im vorliegenden Abschnitt 4,13-18 eine „Sicherung der Sinnwelt mit Hilfe eines prophetischen Wortes“ sieht, mit dem „die Sicherung der Gemeinde als soziales System und Trägerin der Sinnwelt einher[geht]“, (a.a.O., 241). 21 Vgl. T. Holtz 189. 22 Ausführlicher wird er dies in seinem späteren Brief gegenüber den Korinthern 1Kor 15,12.19.21.23 tun. Von der Auferstehung Jesu Christi muss er jedoch bereits bei seiner missionarischen Anfangsverkündigung in Thessalonich geredet haben – vgl. dazu gleich unten.

230

Kommentar

Für alle, die Götzen anbeten, und für die Verblendeten ist keine Hoffnung im Land der Lebendigen. Denn in die Scheol werden sie hinabsteigen, und zum Ort des Gerichtes werden sie gehen, und sie haben kein Gedenken auf der Erde. Gleichwie die Söhne Sodoms nicht auferstehen werden aus der Erde, so werden alle nicht auferstehen, die Götzen angebetet haben.23

Auch aus der Profangräzität liegen zahlreiche Belege für die Hoffnungslosigkeit der Heiden angesichts des Todes vor.24 Es kann allerdings nicht pauschal behauptet werden, in den heidnischen Religionen der Antike hätte es gar keine Hoffnung auf die Auferstehung der Toten gegeben, oder Paulus hätte nichts von einer solchen Hoffnung etwa in den Mysterienreligionen oder von den Hinweisen auf verschiedenen Grabsteinen auf ein Leben nach dem Tod25 gewusst. Paulus lag gegenüber den Thessalonichern alles daran, hervorzuheben, dass die heidnische Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod keine wirklich echte Hoffnung sei, weil sie durch nichts begründet werden könne. Dies aber ist bei der christlichen Hoffnung völlig anders (vgl. 1Kor 15,12-24).26 Worüber aber und warum waren die Thessalonicher nun tatsächlich so sehr in Trauer? Das Missionsteam hatte ja mit Sicherheit bereits bei seinem Gemeindegründungsaufenthalt über die Auferstehung Christi und die Auferstehung der Toten gesprochen. Da diese Frage eine sehr grundlegende für das Verständnis von 4,13–18, aber auch von 5,1-11 darstellt, seien hier einzelne Versuche der Forschung zur Lösung dieser Frage etwas ausführlicher vorgestellt. Sodann folgen Überlegungen zu eschatologischen Sachverhalten, die bei den Thessalonichern schon vor Erhalt des 1Thess bekannt gewesen sein müssen. Im Anschluss daran wird die in diesem Kommentar vertretene These vorgestellt.

23 24 25 26

Übersetzung nach K. Berger, JSHRZ II/3, 438. Vgl. für Belege im Einzelnen F.W. Röcker, Belial, 271 mit Anm. 57. Vgl. für Belege hierzu im Einzelnen F.W. Röcker, Belial, 272 Anm. 60. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von H.E. Lona, Eschatologie, 259-262 zu Eph 2,12. Er kommt zu dem Ergebnis: „Es handelt sich also nicht darum, daß sie [sc. die Heiden; fwr] von dem wahren Gegenstand der Hoffnung nichts wußten. Hoffnung bezeichnet auch hier das Hoffnungsgut“ (a.a.O., 262), nämlich die Hoffnung auf ein Sein im Eschaton. Diese Hoffnung ist aber eine leere, grundlose Hoffnung, wenn sie keine ἐν Χριστῷ ist, vgl. Eph 2,12f: ἦτε … χωρὶς Χριστοῦ … νυνὶ δὲ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. – Vgl. zur Rezeption von 1Thess 4,13f.15-17 bei heidnischen Philosophen im 2.-4. Jh. n.Chr. (Celsus, Porphyrius, Julian u.a.) J.G. Cook, Philosophers, 517-520.527-529.

Eschatologie 4,13-18

231

Die gegenwärtige Suche nach der Ursache der Trauer (4,13b) in Thessalonich: ein Forschungsüberblick 27 1) Immer wieder wurde in der Forschung angenommen, Paulus habe bei seinem Gründungsbesuch in Thessalonich überhaupt nicht über die Auferstehung der Toten geredet, weil er die Parusie in allernächster Zeit erwartet habe und dies daher gar nicht notwendig gewesen sei. Dies sei der eigentliche Grund gewesen, weshalb es zu Unsicherheiten der Thessalonicher in dieser Frage gekommen sei. Das kann aber schwerlich mit Recht angenommen werden, da über die Auferstehung der Toten mindestens im Zusammenhang mit der Lehre vom rettenden Handeln Jesu im Zorngericht Gottes hingewiesen worden sein muss. Dieser Topos ist nach 1Thess 1,10b aber von Paulus in Thessalonich behandelt worden, gehörte mithin zur Missionspredigt des Paulus. Die knappen Hinweise auf die Parusie in 2,12b.19; 3,13; 5,23 setzen voraus, dass die Thessalonicher darüber mindestens Grundkenntnisse haben mussten. Zudem kann darauf hingewiesen werden, dass Paulus die Berichte von der Auferstehung Jesu, die alle mit einer Verwandlung Jesu rechnen (vgl. Lk 24,31.36–53; Joh 20,19-23; Mk 16,12), gekannt haben musste (vgl. 1Kor 15,3-5; Röm 4,25; 8,34), auch wenn er darauf nicht schon im 1Thess eingeht. Warum konnte also Paulus „nicht schon immer die Auferstehung Jesu als prototypisch für die Auferstehung der Christen“28 angesehen haben? Wenn er dies aber getan hat, dann bleibt kein Grund anzunehmen, Paulus habe zwar von der Auferstehung Christi gesprochen,29 aber die Auferstehung der Toten unerwähnt gelassen. Weiter kann nur schwer behauptet werden, Todesfälle in der Gemeinde von Thessalonich seien sowohl für die Thessalonicher als auch für Paulus unerwartet gewesen, weil man mit der Wiederkunft Christi noch zu Lebzeiten der Christen gerechnet habe. Paulus ist bei der Abfassung des 1Thess um 50 n.Chr. schon knapp 20 Jahre Christ und mehr als ein Jahrzehnt als Missionar unterwegs gewesen.30 Todesfälle innerhalb der christlichen Gemeinden waren um 50 n.Chr. 27 Vgl. zum Forschungsüberblick außer F.W. Röcker, Belial, 258-263 die Referate bei R. Riesner, Frühzeit, 341-349; I.H. Marshall 120-122; J.A.D. Weima 310-313 und die Tabelle bei D. Luckensmeyer, Eschatology, 194-211 sowie den die ältere Literatur zusammenfassenden Überblick bei H.A. Wilcke, Problem, 119-124. 28 So R. Riesner, Frühzeit, 348. 29 Von der Auferstehung Christi hat Paulus mit Sicherheit gesprochen: 1Thess 1,10b; 4,14a, vgl. Apg 17,3! Im Übrigen hat schon W. Schmithals, Situation, 117f darauf aufmerksam gemacht, dass „die Verkündigung der Auferstehung Jesu (1. Thess 1,10) nicht davon abgesehen haben [kann], dass er der ‚Erstling aus den Entschlafenen‘ war (1. Kor 15,20); die Verkündigung seiner Parusie nicht davon, dass sie mit der Auferstehung verbunden war“. 30 Vgl. zu dieser weithin vertretenen Chronologie, wonach die Lebenswende des Paulus um ca. 32 n.Chr. erfolgte, nur etwa R. Riesner, Frühzeit, 56-65 (besonders a.a.O., 63), dem sich z.B. B. Kollmann, Berufung, 80 anschließt. Zu einer Missionstätigkeit des Paulus in der Zeit zwischen Damaskus und Antiochien, etwa in Tarsus (und Kilikien) in den Jahren 36-39 n.Chr. vgl. M. Hengel; A.M. Schwemer, Paulus, 267-273.

232

Kommentar

in den christlichen Gemeinden keineswegs unerwartete Ereignisse, sondern gehörten zu den regelmäßigen Erfahrungen. Von der Auferstehung der Toten muss daher auch aufgrund der Situation in den Gemeinden bereits bei der Missionsverkündigung die Rede gewesen sein.31 2) Ein weiterer Vorschlag zur Lösung der Frage nach dem Problem, das in der Gemeinde von Thessalonich aufgrund von 4,13ff virulent gewesen sein könnte, wurde von Walter Schmithals und Wolfgang Harnisch in die Diskussion gebracht und ist von Karl P. Donfried wieder als Möglichkeit in Erwägung gezogen worden. Ihrer Auffassung nach, sind die Thessalonicher durch gnostisierende Elemente in ihrem Glauben an die Auferstehung der Toten erschüttert worden. Die Irrlehrer hätten die Meinung vertreten, die Auferstehung, bzw. die Parusie sei auf spirituelle Weise schon geschehen.32 Diese These wurde jedoch überzeugend zurückgewiesen.33 So wurde v.a. darauf hingewiesen, dass die eindeutig apokalyptische Sprache im ersten (wie auch im zweiten) Thessalonicherbrief keine Veranlassung für die Annahme eines gnostischen Hintergrundes böte, da diese kaum das geeignete Mittel sei, gnostische Tendenzen zurückzuweisen. Im Übrigen hätte Paulus wesentlich schärfer reagiert, wenn tatsächlich häretische Elemente dieser Art in Thessalonich vorhanden gewesen wären. Insgesamt ist die Annahme einer gnostischen Sekte in Thessalonich zu dieser frühen Zeit äußerst unwahrscheinlich. 3) Larry J. Kreitzer meinte, dass das Problem, das in Thessalonich vorlag, aufgrund der Quellenlage heute nicht mehr klar erkennbar sei. Zurückhaltend erwägt er zunächst die Möglichkeit des Missverständnisses der Thessalonicher und einen eventuellen Meinungswechsel des Paulus: Paulus habe, als er in Thessalonich war, eine andere Meinung über die Eschatologie gehabt als zu der Zeit, als er den Brief schrieb. Schließlich folgert er aber: „However, because we do not know the earlier exchange between Paul and the Thessalonians, it is not possible to be sure about the accuracy of any interpretation.“ Er vergleicht die Situation des Exegeten mit derjenigen eines Mithörers bei einem Telefonat, der nur die Rede des einen, nicht aber die des anderen wahrnehmen kann.34 Man muss hier aber nicht dem Pessimismus Kreitzers folgen. Kennt man die historische Situation und das Milieu, in das ‚hineingesprochen‘ wird, und kennt 31 Vgl. hierfür z.B. auch I.H. Marshall 120; Ch. A. Wanamaker 165. 32 W. Schmithals, Situation, 118-121.146-150; W. Harnisch, Existenz, 22-29; K.P. Donfried; (I.H. Marshall), Theology, 88. 33 Vgl. E. Best 182 und v.a. G. Lüdemann, Paulus I, 222-226. H.-J. Klauck, Umwelt II, 163167 fasst den Forschungsstand zur Gnosis knapp zusammen, wenn er konstatiert, dass eine vorchristliche Gnosis im Sinne der religionsgeschichtlichen Schule kaum existent gewesen sein dürfte, hingegen durchaus von einer außerchristlichen Gnosis geredet werden könne, „was besagen will, dass die Gnosis in ihrem Ursprung nicht unmittelbar vom Christentum abhängt“ (a.a.O., 165), sondern sich in etwa gleichzeitig damit herausgebildet hat „und mit dem Christentum sehr rasch in eine enge Interaktion [trat]“ (ebd.). 34 L.J. Kreitzer, Eschatology, 256.

Eschatologie 4,13-18

233

man die Person, die am anderen Ende der ‚Leitung‘ spricht, etwas näher, so kann recht viel mit recht hohem Wahrscheinlichkeitsgrad gefolgert werden. 4) Unter der Voraussetzung der Abfassung des 2Thess vor dem 1Thess nimmt Charles A. Wanamaker an, das Problem der Thessalonicher habe seinen Ursprung in der Tatsache, dass Paulus in 2Thess 2 die Anwesenheit des Tages des Herrn verneint habe. Zwar sei das tatsächliche Problem nicht mehr klar erkennbar (vgl. Kreitzer), aber es müsse ein Zusammenhang zwischen der Behauptung, der ‚Tag des Herrn sei schon da‘ (2Thess 2,2), und der Sorge der Thessalonicher um ihre Verstorbenen bestehen.35 Da eine Abfassung des 2Thess vor dem 1Thess überaus unwahrscheinlich ist und in der Forschung auch nicht weiter rezipiert wurde, kann eine Interpretation von 1Thess 4,13ff auf dem Hintergrund von 2Thess 2,2 nicht überzeugen. 5) In die richtige Richtung geht m.E. jener Lösungsvorschlag, der davon ausgeht, die Thessalonicher hätten geglaubt, die verstorbenen Mitchristen würden bei der ἀπάντησις [apantēsis] (Begegnung; Einholung)36 der Gläubigen

mit ihrem Herrn nicht dabei sein können, da die Auferstehung erst nach dem Ereignis der ἀπάντησις [apantēsis] stattfinden würde. Ulrich Luz hat dabei ganz allgemein darauf aufmerksam gemacht, dass das Problem der Thessalonicher weder im fehlenden Glauben an die Auferstehung der Toten noch im nicht vorhandenen Glauben an die Parusie zu erklären sei. Seines Erachtens ist es offensichtlich, „daß die Thessalonicher nicht systematischapokalyptisch dachten“. „Hätten die Thessalonicher die aus dem Kerygma sich ergebende Gewissheit einer künftigen Auferstehung der Gläubigen systematisch mit der Parusieerwartung in Zusammenhang gebracht und beides, Parusieerwartung und Gewissheit der zukünftigen Auferstehung, in einem apokalyptischen System aufeinander bezogen, so hätten sie über den Tod ihrer Gemeindeglieder nicht zu verzweifeln brauchen.“37 Demnach fehlte es den Thessalonichern also nur an einer Systematisierung dessen, was sie über die eschatologischen Dinge bereits wussten. Ganz ähnlich setzt Gerhard Friedrich voraus, dass die Thessalonicher nicht richtig, d.h. im Sinne des Paulus, systematisch gedacht hätten. Seines Erachtens hätten sie befürchtet, dass „nach weitverbreiteter Erwartung die Auferstehung erst nach der Wiederkunft erfolgen sollte“. Die Konsequenz für sie sei daher gewesen, dass ihrer Ansicht nach „die verstorbenen Angehörigen den Lebenden gegenüber im Nachteil seien“.38 Als Variante zu dieser Deutung des Sachverhaltes ist die einflussreiche These Albert Schweitzers zu erwähnen, der davon ausging, man müsse, um das Problem der Thessalonicher zu verstehen, eine bestimmte Form der jüdischen 35 36 37 38

Vgl. Ch. A. Wanamaker 166. Für die Übersetzung vgl. die Auslegung z.St. U. Luz, Geschichtsverständnis, 321f; kursiv bei U.L. G. Friedrich 242.

234

Kommentar

Apokalyptik zugrunde legen, in der von einem messianischen Zwischenreich die Rede ist (vgl. syrBar 30,1f; 51,13; 4Esr 5,41f ). Bei den Thessalonichern habe demnach die Sorge geherrscht, dass an diesem Reich nur die bei der Parusie noch Lebenden teilhaben können, die ‚Toten in Christus‘ würden erst nach diesem Zwischenreich auferstehen.39 Hans Bietenhard, der eine weitere Variante der Systematisierungsthese aufgestellt hat, wies darauf hin, dass Paulus in 1Kor 15 und 1Thess 4,13ff zwei Auferstehungen zu verschiedenen Zeitpunkten im eschatologischen Geschehensablauf voraussetze. Auch Bietenhard geht also davon aus, dass das Problem der Thessalonicher mit der ἀπάντησις [apantēsis] in Verbindung zu brin-

gen sei. Die These von A. Schweitzer, in der pln. Literatur könne die Lehre von einem messianischen Zwischenreich belegt werden, übernimmt er dabei zwar nicht,40 meint jedoch: Paulus „kennt wohl die gegenwärtige, über diesen Äon sich erstreckende Herrschaft Jesu Christi, er weiß aber noch nichts von einem Reiche Christi im Sinne von Apk 20. […] Das aber werden wir sagen dürfen: es ist bei Paulus Raum für ein solches endzeitliches Reich Christi, wie die Apk es verheißt, in dem ja das tausendjährige Reich auf der alten Erde aufgerichtet wird, zu einer Zeit, da der Tod noch herrscht.“41 Den Thessalonichern bekannte christlich-eschatologische Vorstellungen vor Erhalt des 1Thess42 Aufgrund der knappen Erwähnungen der Parusie des Herrn bzw. Jesu im Brief (2,19; 3,13; 4,15; 5,23) kann angenommen werden, dass in der Gemeinde von Thessalonich die Überzeugung vom grundlegenden eschatologischen Ereignis der Wiederkunft Jesu Christi hinreichend bekannt und verbreitet gewesen ist. Darüber hinaus dürften aber noch weitere eschatologische Sachverhalte bereits vom Gründungsaufenthalt des Paulus und seiner Mitarbeiter her bekannt gewesen sein. Paulus konnte also bei der Abfassung des 1Thess auf das zurückgreifen, was die dortige Gemeinde von der Parusie Christi von ihm selber bereits gehört hatte; vgl. 1Thess 5,1 aber auch 1,9f.43 Der Abschnitt 39 Vgl. A. Schweitzer, Mystik, 92f. Vor ihm hatten dies schon W. Bornemann 194 und G. Wohlenberg 101f vertreten. 40 Vgl. H. Bietenhard, Reich, 55-58. 41 H. Bietenhard, Reich, 88. – Zur hier bevorzugten Lösung des Problems vgl. bei der Auslegung von 4,13. 42 Vgl. hierzu F.W. Röcker, Belial, 256-258. Zu den hellenistisch-römischen Jenseitsvorstellungen vgl. den ausführlichen Überblick bei St. Schreiber 247-252. 43 J. Gnilka, Paulus, 131 vermutet aufgrund 1Thess 1,9f, dass der eschatologische „Akzent in der Missionspredigt des Apostels stärker hervor(trat) als in der späteren Gemeindeunterweisung“. Er schreibt ebd. dem eschatologischen Appell in der Missionspredigt auf-

Eschatologie 4,13-18

235

4,13-18 setzt voraus, dass die Thessalonicher über die Auferstehung Christi (4,14a) und auch über die allgemeine Totenauferstehung (4,14b) unterrichtet worden waren, weshalb die Auslegung von V. 14 hier erfolgt. 14 In V. 14a liegt, ähnlich wie etwa in 1Kor 15,3f.12, ein christologischer Bekenntnissatz vor.44 Hier wie dort wird ein solcher der sich anschließenden eschatologischen Belehrung vorangestellt: Die Auferstehung Christi ist die Voraussetzung für die Auferstehung der verstorbenen Glaubensgeschwister. Ein Hinweis auf die grammatikalische Anomalie in dieser (indefiniten) Konditionalperiode, bei der eine Verbindung der mit εἰ γάρ [ei gar] (wenn … nämlich) eingeleiteten Protasis mit einem folgenden durch οὕτως καί [houtōs kai] (dann auch) eingeleiteten Folgesatz vorliegt, ist hier nötig, da dies im NT singulär ist und auch in der LXX nicht nachgewiesen werden kann (vgl. jedoch den Gebrauch von εἰ … οὕτως [ei … houtōs] in Offb 11,5; 1Kor 3,15).45 Die Satzstruktur ist hier als Ellipse oder Abbreviatur zu bezeichnen.46 Man würde in der Apodosis einen Hinweis auf die Auferstehung der Toten erwarten, woraufhin dann von der Satzlogik her das hier durch οὕτως καί [houtōs kai] eingeleitete Folgende angeschlossen werden könnte. Möglicherweise zeigt sich in dieser syntaktischen Abbreviatur, dass gerade der hier vorliegende Argumentationsschritt für Paulus von äußerster Bedeutung ist: Erst Christus, dann alles andere! Das Andrängende wird sogar in der Syntax sichtbar. Die Konditionalperiode kann aufgrund dieser grammatikalischen Hinwei47 se wie folgt übersetzt werden:

44

45 46 47

rüttelnde Funktion zu. Sicher ist die eschatologische Belehrung seines Erachtens jedenfalls „Bestandteil der apostolischen Weisung, die an die Missionspredigt anschließt“ gewesen (ebd.). Die teilweise recht kurzen Anspielungen auf eschatologische Topoi im 1Thess sind ein zusätzliches Indiz dafür, dass diese Annahme zu Recht erfolgt, mussten die Thessalonicher doch aufgrund der knappen Notizen wissen, was Paulus meinte. Vgl. dazu auch J.A.D. Weima 316f. Die Frage, ob es sich hierbei um ein traditionelles Credo, um einen von Paulus überarbeiteten Satz oder lediglich um eine Anspielung an eine ältere Formel handelt, wird in der Forschung unterschiedlich beantwortet, vgl. dazu das Referat bei F.W. Röcker, Belial, 274 Anm. 68. St. Schreiber 240 lässt die Frage nach der Herkunft des Bekenntnisses offen und spricht unter Verweis auf Röm 8,34; 14,9; 1Kor 15,3f; 2Kor 5,15 lediglich allgemein von vorliegender „Bekenntnistradition“. Zu erwarten wäre eine Apodosis ohne jegliche Folgerungspartikel, vgl. HvS § 280 c (indefiniter Fall). Vgl. so auch J.A.D. Weima 318. Vgl. auch oben bei II.

236

Kommentar

Weil wir nämlich glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, (deshalb steht gewiss fest, dass auch wir auferstehen werden,) (und) dann auch, dass Gott die Entschlafenen durch Jesus mit ihm führen wird.48

Einen derart fest verbürgten Grund für die Hoffnung über den Tod hinaus haben ‚die anderen‘ für ihre Hoffnung(en) nicht. Dieser hier bei Paulus erstmals greifbare Gedankengang ist grundlegend für die paulinische Auferstehungserwartung (vgl. 1Thess 5,10; 1Kor 6,14; 15,1-22; 2Kor 4,14; Röm 6,8; 8,11 u.ö.), wobei 2Kor 4,14 der hier vorliegenden Aussage besonders nahesteht.49 Für Paulus ist klar, dass dieser Glaube allen (wir glauben) gemein ist. Die 1. Pers. Plural verbindet die Thessalonicher durch den Glauben an Christi Heilstod und seine Auferstehung zunächst mit den wichtigsten Personen, die bei der Gründung der Gemeinde zugegen waren, nämlich mit Paulus und seinen beiden Mitarbeitern Timotheus und Silvanus (1,1).50 Darüber hinaus inkludiert die 1. Pers. Pl. an dieser Stelle die Gesamtheit der Christenheit überhaupt. Die Thessalonicher werden in die ‚weltweite Christenheit‘ eingebunden.51 Schließlich ist damit jeder tote oder lebende Christ gemeint. Der Glaube an die Heilsbedeutung von Tod und Auferstehung Christi ist schließlich das Grundlegende des christlichen Glaubens. Der durative Aspekt des Präsensstammes πιστεύειν [ pisteuein] mag andeuten, dass dieser Glaube seit seinem Beginn nicht aufgehört hat, immer noch andauert und andauern wird. Im Bekenntnis wird für auferstehen nicht wie sonst bei Paulus üblich (1Kor 15,4; 2Kor 5,15) ἐγείρειν [egeirein], sondern ἀνίστασθαι [anistasthai] gebraucht, was aber im NT für die Auferweckung Jesu verbreiteter Terminus war (z.B. Mk 8,31; 9,9.31 u.ö.)52 und gewiss auch Paulus vertraut gewesen ist. Das eingefügte διὰ τοῦ Ἰησοῦ [dia tou Iēsou] (durch Jesus) bedarf in der Übersetzung einer Präzisierung, da es sich hier um einen übertragenen Gebrauch der Präposition διά [dia] mit Genitiv handelt, wobei der Genitiv das Mittel angibt, durch das der bezeichnete Sachverhalt erreicht wird (vgl. Röm

48 Vgl. hierzu F.W. Röcker, Belial, 275. 49 Vgl. so auch T. Holtz 194. 50 Anders ist die 1. Pers. Plural in 4,13 zu interpretieren, wo nur Paulus und sein(e) Mitarbeiter gemeint ist/sind; vgl. auch den Wechsel des Gebrauchs von ‚Wir‘ innerhalb von V. 15: λέγομεν ist parallel dem Gebrauch der 1. Pers. Pl. in V. 13, ἡμεῖς ist hingegen parallel zu den restlichen Formen der 1. Pers. Pl. in 4,13-18 zu sehen. 51 Vgl. so auch E. Best 187; R.F. Collins, Tradition, 158. 52 Vgl. St. Schreiber 240.

Eschatologie 4,13-18

237

5,1; 2Kor 1,5; Eph 1,7).53 Es dürfte also davon auszugehen sein, dass hiermit die Heilstat Christi angesprochen ist, auf die sich die Hoffnung auf Auferstehung der Toten und das ‚Sein-mit-Christus‘ allein gründen kann. Die Präpositionalverbindung ist daher eher auf das folgende finite Verb (ἄξει [axei]) als auf das vorhergehende Partizip κοιμηθέντας [koimēthentas] (die Entschlafenen)54 zu beziehen. Mit Heinrich Schlier dürfte man dabei von einer „Zusammenziehung zweier Gedanken, etwa derart (ausgehen): οὕτως καὶ ὁ θεὸς τοὺς κοιμηθέντας (ἐγερεῖ) διὰ τοῦ Ἰησοῦ καὶ ἄξει σὺν αὐτῷ [houtōs kai ho theos tous koimēthetas (egerei) dia tou Iēsou kai axein syn autō]“ (so wird auch Gott die Entschlafenen [auferwecken] durch Jesus und er wird sie mit ihm führen). Die Wendung διὰ τοῦ Ἰησοῦ [dia tou Iēsou] (durch Jesus) entspräche inhaltlich demnach dem δι’ αὐτοῦ [di‘ autou] (sc. Χριστοῦ [Christou]) aus Röm 5,9.55 Die knappe Formulierung διὰ τοῦ Ἰησοῦ [dia tou Iēsou] bezieht sich also sachlich auf die Glaubensformel in 14a.56 An dieser Stelle den Glauben nicht hinzuzufügen hieße, die eschatologische Heilsvermittlung vom Glauben, mithin vom Evangelium unabhängig zu machen, dies ist aber aufgrund der Protasis (wenn wir glauben) unmöglich. Demnach gilt nämlich für einen Menschen, wenn er ‚entschlafen‘ ist, dass für ihn, nur insofern er an Tod und Auferstehung Jesu als Heilsereignis geglaubt hat, die eschatologische Gemeinschaft mit Jesus Realität werden wird. Wenn einer glaubt, dann wird er 53 Vgl. dazu HvS § 184 f. 54 Vgl. hierzu die Auslegung bei 4,13. 55 H. Schlier, Apostel, 77 mit Anm. 109 (S. 117); vgl. so schon W. Bornemann 198f, dem sich Schlier anschließt. Διὰ τοῦ Ἰησοῦ entspricht eben nicht ἐν Χριστῷ (vgl. 1Thess 4,16; 1Kor 15,18). Die Wendung kann daher nur äußerst schwer, nämlich unter der Annahme, es handle sich bei den κοιμηθέντας um Märtyrer (‚die Entschlafenen um Christi willen‘), auf das Partizip bezogen werden; diese Annahme kann aber zum einen nur schwer mit dem Kontext in Einklang gebracht werden, obwohl es historisch nicht völlig unmöglich ist. Zum andern, wenn denn tatsächlich Märtyrer in Thessalonich zu beklagen gewesen wären, muss davon ausgegangen werden, dass die Thessalonicher dennoch auch den Verlust von Gemeindemitgliedern zu beklagen hatten, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Und drittens wäre bei dieser Bedeutung nicht διά mit Gen. sondern mit Akk. (vgl. 1Kor 4,10; Phil 3,7) zu erwarten. Auch K.P. Donfried(; I.H. Marshall), Theology, 51, vertritt die Auffassung, dass Märtyrer der Grund für die Betrübnis der Thessalonicher waren. Vgl. für die von mir vertretene Auffassung F. Neugebauer, In Christus, 111: „Durch den, der für die Entschlafenen gestorben und auferstanden ist, wird also Gott die Toten mit ihm führen. Das διά verweist auf den Erlöser, das σύν sichert die Gemeinsamkeit des Christus und des Christen.“ Ihm schließt sich auch R.F. Collins, Tradition, 159 an. 56 Die dadurch entstehende Doppelung in V. 14 ist meines Erachtens eher zu ertragen und inhaltlich angemessener als die Schwierigkeit, die entstehen würde, wenn man διὰ τοῦ Ἰησοῦ direkt zu κοιμηθέντας ziehen würde, weil der Schwerpunkt der Aussage eben auf der in Christus geschehenen Heilstat liegt, auf welcher der Grund aller christlichen Hoffnung ruht.

238

Kommentar

unweigerlich im Eschaton mit Jesus sein. Dies gilt in gleicher Weise für die bei der Parusie schon Verstorbenen wie auch für die dann noch Lebenden. Darin, also im Folgesatz, liegt das Zentrum des Trostes, den sich die Thessalonicher gegenseitig zusprechen sollen und als Glaubende aus gutem Grund auch können (V. 18), insofern ja für sie alle die Protasis, der Glaube an den gestorbenen und auferstandenen Jesus, tatsächlich zutrifft. V. 14 ist aufgrund dieser Überlegungen also etwa wie folgt zu paraphrasieren: Weil wir nämlich glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, (steht gewiss fest, dass auch wir auferstehen werden,) (und) dann auch, dass Gott die Entschlafenen durch (die Heilstat) Jesu(s) mit ihm führen wird.

Auffällig ist die im NT und auch in der LXX sonst nirgends gebrauchte Wendung von V. 14b: ἄξει σὺν αὐτῷ [axei syn autō] ([Gott] wird [die Entschlafenen] mit ihm führen) Es lässt sich jedoch anhand Jes 60,9; 66,20; Jer 16,15; 23,3.8; 29,14; Hes 11,17; 20,41f u.ö. zeigen, dass ἄγειν [agein] durchaus im Kontext der eschatologischen Sammlung des Volkes Gottes Verwendung finden konnte.57 Freilich ist der Begriff in solchem Zusammenhang zu selten belegt, als dass man ihn als typischen apokalyptischen Terminus bezeichnen könnte. Umgekehrt ist ἄγειν [agein] ein Allerweltswort, das überall auftauchen kann. Paulus verwendet diesen unspezifischen Terminus hier wohl, weil er an dieser Stelle den Schwerpunkt seiner Aussage noch nicht auf die konkrete Darstellung des ‚Wie‘ der Auferstehung der Toten legen will, sondern weil er zunächst betonen will, dass es bei der christlichen Hoffnung allein auf die Gemeinschaft mit Christus im Eschaton ankommt.58 Erst im Folgenden geht Paulus unter Aufnahme von Topoi aus der apokalyptischen Tradition auf die Frage des ‚Wie‘ näher ein. Das, was die Thessalonicher noch nicht wussten, wird nämlich in 4,15ff ausgeführt.59 Bislang ging es aber noch darum, festzuhalten, was die Gemeinde bereits wissen konnte, bevor sie den 1Thess erhielt. Der Inhalt von V. 14 zählte dazu. Außer über die Auferstehung Jesu und die Auferstehung der Toten und auch darüber, dass Jesus, der Herr, wiederkommen würde, wusste man in Thessalonich darüber Bescheid,60 dass der Tag des Herrn ‚wie ein Dieb in der Nacht‘

57 58 59 60

Hierauf verweist auch T. Holtz 192 Anm., 248a. So auch T. Holtz 192f. Vgl. dazu gleich anschließend die Auslegung. Vgl. zum Folgenden jeweils die Auslegungen zu den erwähnten Stellen.

Eschatologie 4,13-18

239

kommen würde (5,2). Mit dieser Erwartung war auch das Wissen um die Rettung der Gläubigen vom kommenden Zorn(gericht) Gottes verbunden (1,10; 5,9). Von der Gemeinde war Wachsamkeit (5,6) und ein Ausgerichtetsein auf den Tag des Herrn gefordert, was sich in einem entsprechenden ethischen Verhalten manifestieren sollte, von dem im vorausgegangenen Abschnitt 4,1-12 einzelne Aspekte angesprochen worden waren. Die Verbindung von Ethik und Eschatologie musste der Gemeinde ebenfalls vom Aufenthalt des Paulus und seiner Mitarbeiter bei der Gemeindegründung her bekannt gewesen sein. Diese Thematik wiederholt und vertieft Paulus an verschiedenen Stellen des 1Thess. Man kann hierfür z.B. auf 3,13 (vgl. 5,23) hinweisen, wo Paulus um die ‚untadelige‘ (ἄμεμπτος [amemptos]) Bewahrung der Thessalonicher im Blick auf die Ankunft des Herrn hin bittet. Die Mahnung in 5,6, nicht zu schlafen, sondern vielmehr wachsam und nüchtern zu sein, kann als Konkretion des eher allgemein gehaltenen Hinweises von 3,13 verstanden werden. Ebenso kann zum Hintergrund von 5,6 der Abschnitt 4,3-8 verglichen werden: Die dringliche Mahnung, sich nicht wie die ‚Heiden‘ zu verhalten (4,5), erhält ihre Motivation vom kommenden ‚rächenden Herrn‘ her, der ‚solche‘ beim kommenden Zorngericht bestrafen wird (διότι ἔκδικος κύριος περὶ πάντων τούτων [dioti ekdikos kyrios peri pantōn toutōn] [denn der Herr ist ein Rächer über dies alles], 4,6).61 Weiter kann für breiteres eschatologisches Wissen, das die Thessalonicher schon vor dem Erhalt des 1Thess gehabt haben mussten, auf folgende Stellen verwiesen werden: 1Thess 2,12fin: die Berufung zur βασιλεία τοῦ θεοῦ [basileia tou theou] (Königsherrschaft Gottes). – 2,16fin: der richtende Gott. – 2,19: die Frage nach den Werken im Glauben, die bei der Wiederkunft Christi eine Rolle spielen. Hierzu kann 4,6 gezogen werden: προείπαμεν [ proeipamen] (wir haben vorher gesagt) zeigt, dass Paulus die Gemeinde über Christus als den Richter über die Taten der Menschen breiter informiert haben musste. – 3,35: Hier sind Bedrängnisse angesprochen, die auf die Gemeinde zukommen werden. Diese dürften von Paulus im Kontext eschatologischer Predigtinhalte eingeführt worden sein, denn, so Paulus, ‚dazu sind wir (Christen) bestimmt‘ (3,3fin), was eschatologische Konnotation voraussetzt. Über diesen Sachverhalt hatten Paulus und sein Missionsteam sogar eingehender in Thessalonich informiert: Der Präsensstamm προελέγομεν [ proelegomen] in 3,4 ist am bes-

61 Vgl. ganz ähnlich auch 2Petr 3,11.14, wo ausdrücklich auf die pln. Lehre rekurriert wird (3,15f ).

240

Kommentar

ten iterativ zu interpretieren. Er zeigt, dass eine Unterweisung im angegebenen Sinn mehrfach, jedenfalls aber ausführlich vollzogen worden sein muss! – Und schließlich 3,13: Bei der Parusie Christi sollen die Herzen untadelig in Heiligung sein, vgl. 5,23. Man dürfte aufgrund des verwendeten Motivs vom Dieb in der Nacht (5,2) schließen können, dass nach der Erwartung des Paulus (und der Thessalonicher) der Tag des Herrn zu einem für die Menschen recht unpassenden Zeitpunkt kommen wird.62 Über den Sachverhalt der unerwarteten, plötzlichen Wiederkunft Christi war die Gemeinde bestens informiert worden (ἀκριβῶς [akribōs]), d.h. sie wusste sehr genau, dass keine näheren Aussagen über den Zeitpunkt der Ankunft Christi gemacht werden konnten. Dennoch gab es in dieser Frage Unsicherheiten, mit den Worten von 1Thess 5,1 gesprochen: περὶ δὲ τῶν χρόνων καὶ τῶν καιρῶν [ peri de tōn chronōn kai tōn kairōn] (bezüglich der Zeiten und Stunden). Wahrscheinlich hatte Paulus in seiner Verkündigung bei seinem Gründungsaufenthalt in Thessalonich auf den Aspekt der unberechenbaren, aber in naher Zukunft63 erwarteten Wiederkunft Christi einen besonderen Schwerpunkt gelegt. Wenn aber all dies in Thessalonich bekannt gewesen war und teilweise sogar ausführlich von den Missionaren beim Gründungsbesuch erläutert worden war, was löste dann ihre schwere Trauer hinsichtlich der ‚letzten Dinge‘ aus? Dies lässt sich aus den folgenden Versen erschließen. 15–17 Paulus will der Trauer in Thessalonich mit einem Wort des Herrn begegnen, durch das er Klärung herbeiführen will. Er teilt der Gemeinde damit gleichzeitig etwas mit, das ihr bislang nicht bekannt gewesen ist. Nun ist aber keineswegs klar, was mit ἐν λόγῳ κυρίου [en logō kyriou] gemeint ist und welcher Teil der folgenden Ausführungen den λόγος κυρίου [logos kyriou] enthält.64 Der Logos wird in der Forschung nämlich entweder in V. 15b,65 in

62 So I.H. Marshall 133, vgl. Ch. A. Wanamaker 179. 63 Vgl. nur ἡμεῖς (wir) in 1Thess 4,15.17, womit darauf verwiesen ist, dass Paulus die Wiederkunft noch zu seinen Lebzeiten erwartete. 64 Vgl. für das Folgende neben F.W. Röcker, Belial, 288-290 auch die Überblicke bei A.J. Malherbe 267-269; D. Luckensmeyer, Eschatology, 225-227; J.A.D. Weima 321f. 65 Vgl. die bei G. Haufe 78 Anm. 77 genannten Autoren, darüber hinaus auch D. Wenham, Paulus, 274f.279.299f und v.a. O. Hofius, Jesusworte, 359; K.P. Donfried, (I.H. Marshall), Theology, 40. T. Holtz 184f geht ebenfalls davon aus, dass in V. 15b das Herrenwort zu suchen ist, wobei er allerdings auch V. 16f der Tradition zuschreibt, dieser jedoch nicht denselben Stellenwert, wie dem ‚Herrenwort‘ zubilligen will (vgl. a.a.O., 186).

Eschatologie 4,13-18

241

V. 16f 66 oder aber in V. 15–17 67 gesucht.68 Die Deutungsvarianten darüber, was denn mit dem ‚Wort des Herrn‘ gemeint sein könne, reichen von einem urchristlichen Prophetenwort, das bereits Eingang in die Tradition gefunden habe,69 über eine dem Paulus zuteilgewordene (prophetische) Offenbarung,70 bis hin zu einem Wort des irdischen Jesus. Bei letzterer Deutung wird diskutiert, ob es sich um ein Jesuswort handelt, das in Anlehnung an die ntl. Tradition (re-)formuliert wurde,71 oder ob es sich um ein Agrafon72 handelt. Um in dieser Frage zu einer Lösung zu kommen, sind die V. 15–17 zusammen zu betrachten. Bei der Betrachtung der Gliederungsmerkmale von 1Thess 4,15-17 lässt sich eine recht klare Struktur erkennen: 15a: Pln. Einleitungsformulierung zu den beiden mit ὅτι [hoti] eingeführten

Teilabschnitten 15b und 16f. 66 So die Mehrheit der Forscher (vgl. I.H. Marshall 126; A.J. Malherbe 269). Vgl. auch hier die bei G. Haufe 79 Anm. 78 genannten Autoren und darüber hinaus z.B. R. Riesner, Paulus, 360 und G. Haufe 79 selbst (abzüglich pln. Redaktion). 67 So R. Hoppe 269. G. Wohlenberg 102f sieht sowohl in V. 15b als auch in V. 16f „einen historischen Ausspruch Christi“ (a.a.O., 102). Vgl. auch die bei S. Schneider, Vollendung, 232 Anm. 513 (S. 233) angeführten Belege v.a. aus den Kirchenvätern. 68 A.J. Malherbe 269f geht davon aus, dass in V. 15b-17 zwischen Tradition und Redaktion nicht mehr geschieden werden kann. 69 Vgl. etwa. G. Friedrich 243; W. Marxsen 67; G. Haufe 79, auch R.F. Collins, Tradition, 159. 70 So die meisten Ausleger, vgl. G. Lünemann 127f; W. Bornemann 203 und E. v. Dobschütz 193f. In neuerer Literatur etwa F.F. Bruce 98f; K.P. Donfried(; I.H. Marshall), Theology, 39f; A.J. Malherbe 268f und R. Hoppe 269f aufgenommen worden. Vgl. auch O. Hofius, Jesusworte, 358f. Im Anschluss an Hofius auch P. Stuhlmacher, Jesustradition, 243; E. Reinmuth 143. 71 So etwa I.H. Marshall 125f; Ch. A. Wanamaker 171; D. Wenham, Paulus, 274-276; E. Lohse, Paulus, 68f; R. Riesner, Frühzeit, 348 Anm. 55, vgl. ders., Paulus, 360, wo darauf verwiesen wird, hinter 1Thess 4,16f dürfte „ein apokalyptisches Jesus-Wort wie Matthäus 24,30-31 stehen“. B. Witherington III 135f meint, Paulus interpretiere in V. 16f ein Jesuswort aus Mt 24 und implementiere gleichzeitig danielische Traditionen (Dan 7,13f; 12,2f ). T. Holtz 183 meint zwar, dass sich Paulus kaum „auf ‚Herrenworte‘ berief, die ihm nicht als solche (des irdischen) Jesu(s) bekannt waren“, bemerkt freilich zugleich einschränkend, dass damit nicht gesagt sei, „dass das Wort, an das er denkt, wirklich von Jesus gesprochen ist; es kann mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass erst die frühe Überlieferung ein solches Wort zum Herrenwort gemacht hat“. Es bleibt dann aber die historische Frage offen, mit welcher Notwendigkeit dies in welcher Gemeinde gebildet worden sein konnte und wie es von da den Weg in die urchristliche Überlieferung vor Paulus (?) gefunden hatte. Paulus hatte es ja als ‚Wort des Herrn‘ zitieren können. Im Anschluss an Holtz auch R. Gebauer, Seelsorger, 109. 72 So sahen z.B. J. Jeremias, Jesusworte, 77-79; L. Morris 140f und C.R. Nicholl, Hope, 40f in 4,16f ein Agraphon vorliegen, aber auch schon J. Calvin, 1Thess, 30. Vgl. allgemein zu den Agrapha den knappen Überblick bei F.W. Röcker, Agrapha, CBL I, 2003, 52.

242

Kommentar

15b: Aufnahme der Problematik der Gemeinde und erste Antwort. 16f: ‚Dogmatische Belehrung‘ unter Aufnahme traditioneller Elemente.

Mit V. 15b rückt Paulus das eigentliche Problem der Thessalonicher in den Mittelpunkt: die Befürchtung, die entschlafenen Gemeindeglieder hätten gegenüber den bei der Parusie noch lebenden einen Nachteil. Paulus führt dieses Problem dabei nicht als Frage ein, sondern gibt, eventuell mit den Worten, mit denen über Timotheus aus Thessalonich angefragt worden ist, darauf eine erste eigene Antwort: In keinem Fall wird es bei der Parusie einen Unterschied zwischen den lebenden und den toten Gemeindegliedern geben! Ich interpretiere V. 15b als von 15a abhängigen Behauptungssatz.73 Diese knappe Antwort bettet Paulus durch die Ausführungen in V. 16f in den Ablauf der eschatologischen Ereignisse bei der Parusie ein, wie sie ihm selbst durch ein ‚Herrenwort‘ bekannt sind. Paulus aktualisiert dabei die traditionelle Lehre aus dem ‚Herrenwort‘ auf die Situation der Thessalonicher hin. Ὅτι [Hoti] in V. 16 ist demnach als ὅτι [hoti] recitativum zu fassen. Für diese Sicht der Aufteilung von Tradition (V. 16f ) und Redaktion (V. 15b) in V. 15–17 lassen sich mehrere Argumente anführen. Zunächst werden lediglich diejenigen angeführt, die zeigen, inwieweit tatsächlich paulinische Redaktion vorliegen dürfte. 1. Zweimal wird im Abschnitt 4,15-17 ausdrücklich das Ergehen der Lebenden und der Toten bei der Parusie erwähnt. Beide Male liegt damit m.E. ein direkter Bezug zum Anlass für Trauer in Thessalonich vor. Diesen direkten Bezug stellt Paulus selber her; er ist nicht der Tradition entnommen. Ἡμεῖς οἱ ζῶντες οἱ περιλειπόμενοι … τοὺς κοιμηθέντας [Hēmeis hoi zōntes hoi perileipomenoi … tous koimēthentas] (wir, die wir leben und übrig bleiben … den Entschlafenen, V. 15b) dürfte gänzlich paulinisch sein. Καὶ οἱ νεκροὶ ἐν Χριστῷ ἀναστήσονται πρῶτον, ἔπειτα ἡμεῖς οἱ ζῶντες οἱ περιλειπόμεινοι [kai hoi nekroi en Christō anastēsontai prōton, epeita hēmeis oi zōntes oi perileipomenoi] (und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen, dann wir, die wir leben und übrig bleiben, V. 16b.17a) dürfte pln. Aktualisierung der vorliegenden Tradition sein. Beide Thesen müssen im Folgenden begründet werden. 2. Περιλειπόμενοι [ perileipomenoi] (die Übriggebliebenen) kommt im NT nur 1Thess 4,15ff vor. Der Begriff ist als Bezeichnung für die Lebenden als Pendantbegriff zu den Verstorbenen auch 4Makk 12,6; 13,18 (vgl. auch Hag

73 Zu dieser Verwendung von ὅτι vgl. HvS § 271.

Eschatologie 4,13-18

243

2,3 [ac])74 und bei Josephus, Ap. I,3575 belegt. Die Terminologie ist also keineswegs ungewöhnlich. Eventuell nimmt Paulus hier die Terminologie der Thessalonicher aus ihrer durch Timotheus vermittelten Anfrage auf. 3. Die Konstruktion οὐ μή [ou mē] mit Konj. Aor. (V. 15) kommt bei Paulus insgesamt fünfmal vor: Röm 4,8; 1Kor 8,13; Gal 5,16; 1Thess 4,15; 5,3. Paulus gebraucht sie also mehrmals in unterschiedlichen Zusammenhängen, zweimal davon (1Thess 4,15; 5,3) in apokalyptischem Kontext. Im NT wird οὐ μή [ou mē] mit Konj. Aor. jedoch vorzugsweise von den Synoptikern, und hier v.a. in der synoptischen Apokalypse, also im Mund Jesu gebraucht.76 Meines Erachtens lässt sich daraus schließen, dass hiermit eine grammatikalische Konstruktion vorliegt, die in christlichen Kreisen besonders in apokalyptischem Kontext Verwendung gefunden hat. Da die Konstruktion sehr häufig in Worten Jesu nachgewiesen werden kann, kann mindestens gefragt werden, ob οὐ μή [ou mē] mit Konj. Aor. nicht als Indiz für Jesusüberlieferung gewertet worden war. Hat man bei der ersten Übersetzung der Worte Jesu diese Konstruktion verwendet, um den Logia Jesu besonderen Nachdruck zu verleihen? Die Wendung dürfte jedenfalls als zu den Jesusworten gehörig bekannt gewesen sein.77 Der auffallend häufige Gebrauch dieser Konstruktion in der Offb (2,11; 3,3.12; 15,4; 18,7.21.22.23; 21,25.27) kann diese Überlegung zusätzlich stützen, insofern die Offb ἀποκάλυψις Ἰησοῦ Χριστοῦ [apokalypsis Iēsou Christou] (Offenbarung Jesu Christi, Offb 1,1) sein will. Sie reiht sich damit möglicherweise mit aus diesem Grund in eben jene Sprech74 Insgesamt gibt es vier (sechs) Belege für περιλείπεσθαι in der LXX. Außer den genannten sind zu nennen: 2Makk 1,31; 8,14 und eine weitere in der Lesart des Codex Alexandrinus bei 2Par 34,21. 75 Vgl. zu diesem Beleg WB6 1307, vgl. aber auch Josephus, Bell. II, 90.397.497; III, 20; Ant. X, 113; XIII, 5 u.ö. 76 Mt 24,2 / Mk 13,2; Mt 24,21 / Mk 13,19; Mt 24,34 / Mk 13,30 / Lk 21,32 (vgl. Mt 16,28 / Mk 9,1 / Lk 9,27); Mt 24,35 (/ Mk 13,31 / Lk 21,33: οὐ μή mit Ind. Fut. kann statt οὐ μή mit Konj. Aor. stehen, vgl. HvS § 247 a; GGBB 468; vgl. auch Mt 5,18); schließlich findet sich die Konstruktion im Gleichnis von den fünf klugen und den fünf törichten ‚Jungfrauen‘ Mt 25,9 (mt. Sondergut). Vgl. auch Lk 22,16.18, wo ebenfalls die eschatologische Dimension angesprochen wird. 77 Vgl. H. Schürmann, Sprache, 101, der den auffälligen Gebrauch der Konstruktion im Anschluss an J.H. Moulton, Einleitung in die Sprache des Neuen Testaments, Heidelberg 1911, 303 „in der ‚Empfindung [findet], daß die inspirierte Sprache durch Worte von besonders entschiedener Tonart passend wiedergeben [wird]‘“, vgl. in diesem Sinn auch C.F.D. Moule, Idiom-Book, 156f. Die feste Verankerung der Konstruktion in den Worten Jesu, und damit einen Hinweis auf dessen Sprache, sieht Schürmann besonders darin, dass „es [sc. οὐ μή mit Konj.; fwr] an keiner Stelle in der matthäischen oder lukanischen Redaktion sekundär verloren geht“ (H. Schürmann, Sprache, 101). Damit wird der „Verdacht [erweckt], daß hier die Überlieferung den Herrenworten eine ganz bestimmte Färbung gibt“ (ebd.).

244

Kommentar

weise ein. Auch die Formulierungen bei 1Petr 2,6; 2Petr 1,10 kann man in die apokalyptische Richtung interpretieren.78 4. Der Gebrauch von κοιμηθέντες [koimēthentes] (Entschlafene) für die Verstorbenen ist bei Paulus breit belegt: 1Kor 7,39; 15,6.18.20.51 und 1Thess 4,13.14.15, eben jene Stellen im vorliegenden Abschnitt, die m.E. nicht traditionellen Ursprungs sind. 5. Für die Verse 16-17 lässt sich breites traditionelles Material finden, das die Wahrscheinlichkeit, in diesem Teilabschnitt das ‚Herrenwort‘ zu sehen, unterstreicht, was bei der Auslegung im Einzelnen zu zeigen sein wird. Ich sehe es also mit Ian H. Marshall, David Wenham, Rainer Riesner u.a. als das Wahrscheinlichste an, dass das ‚Herrenwort‘ in 4,16f zu suchen ist, weil sich für V. 15 ein paulinischer Ursprung überaus wahrscheinlich machen lässt. Im Folgenden soll diskutiert werden, um welche Art von Herrenwort es sich hierbei handeln könnte (urchristlicher Prophetenspruch, Wort des irdischen Jesus, Agrafon usw.), auf das Paulus sich beruft und das er auf die Situation der Thessalonicher hin aktualisiert. Hierbei ist besonders auf die Ausführungen von Otfried Hofius einzugehen, da er sich am eingehendsten in neuester Zeit für eine dem Paulus zuteilgewordene Offenbarung ausgesprochen hat und ihm mehrere Forscher in dieser Sache gefolgt sind. Hofius hatte v.a. auf die Verwendung von ἐν λόγῳ κυρίου [en logō kyriou] (‫ִבְּדַבר ְיהָוה‬ [biḏḇar jhwh], in einem Wort des Herrn) in der LXX aufmerksam gemacht, die dort lediglich in 3Reg 13,1.2.5.32; 21,35; 2Par 30,12 und Sir 48,3 vorkommt,79 womit jeweils Offenbarungsworte Gottes an Propheten gemeint sind. In diesem Zusammenhang, so wird von Hofius gefolgert, berufe sich Paulus mit der Einführung (V. 15a) „auf ein an ihn selbst ergangenes Offenbarungswort des erhöhten Herrn“. Was bedeute: „Paulus teilt in 1Thess 4,15b– 17 mit eigenen Worten mit, was ihm in einer ἀποκάλυψις [apokalypsis] [Offenbarung, fwr] erschlossen worden ist.“80 Richtig an dieser Beobachtung ist, dass mit den weiteren vier Belegen für κύριος [kyrios] in 1Thess 4,13-18 (vgl. auch 1Thess 5,2.9) stets der erhöhte und wiederkommende Christus Jesus gemeint ist und deshalb auch ἐν λόγῳ κυρίου [en logō kyriou] auf ihn, den Christus Jesus, hin zu interpretieren ist. Nicht so eindeutig, wie Hofius will, 78 Der Gebrauch der Konstruktion in der LXX lässt meine Deutung ebenfalls als wahrscheinlich erscheinen. Besonders kann auf Jes 65,17; Am 9,15 (Heilsworte) und Hes 7,19; Joel 2,8 (Gerichtsworte) verwiesen werden; vgl. im Kontext der Verheißung des neuen Bundes auch Jer 38 (31),34. 79 O. Hofius, Jesusworte, 358f verweist weiter auf die Wendungen ἐν ῥήματι κυρίου (3Reg 13,18); ἐν λόγῳ ὑψίστου (Sir 48,5) und ἐν λόγῳ θεοῦ (1Par 15,15). 80 O. Hofius, Jesusworte, 359.

Eschatologie 4,13-18

245

ist jedoch, ob mit ἐν λόγῳ [en logō] tatsächlich ein Offenbarungswort ‚vom Himmel her‘ gemeint ist. Hier ist m.E. eine Interpretation, wie sie etwa von Lars Hartman vorgeführt wurde, ebenfalls bedenkenswert. Er hatte darauf hingewiesen, dass die Wendung ἐν λόγῳ κυρίου [en logō kyriou] keineswegs eine Offenbarung meinen müsse, sie könne vielmehr ebenso gut im Sinn von „with reference to a logos (for example, a ‚midrash‘!) from the Lord which he interprets and supplements for his own purpose“ verstanden werden.81 Dies ist deshalb wahrscheinlich, weil λόγος [logos] ebenso wie sein hebr. Äquivalent ‫( ָדָּבר‬dāḇār) nicht notwendigerweise ein ‚Logion‘ meint. Beide Termini können ebenso „a complex of doctrine and parts of such a complex“82 meinen. Das 1Thess 4,15 erwähnte ‚Wort des Herrn‘ kann von der Wortbedeutung her also auch als „a ‚discourse‘ or parts of one“ verstanden werden und mit „a teaching“, „an instruction of the Lord“ übersetzt werden.83 Daher kann davon ausgegangen werden, dass Paulus in 1Thess 4,16f kein tatsächliches Logion des irdischen Jesus zitiert, sondern im Sinne seiner Lehre, aufgrund der überlieferten Tradition eine ‚Anweisung‘, eine ‚Lehre des Herrn‘ wiedergibt, der bei der Abfassung des 1Thess ja bereits der erhöhte und wiederkommende Christus Jesus ist.84 Das Wort des Herrn geht also auf ein Logion des irdischen Jesus zurück, das Paulus aber nicht direkt zitiert, sondern auf das er sich bezieht und das er im Blick auf die Trauer der Thessalonicher hin aktualisiert. Es liegt in V. 16f vor und dürfte auf eine Tradition zurückzuführen sein, auf die auch Mt 24,30f zurückgegriffen hat.85 Angedeutet wurde schon, dass die Lösung der Frage nach der Ursache für die Trauer in der Gemeinde in Thessalonich in deren (falschem) Glauben gefunden werden könnte, wonach die verstorbenen Glaubensgeschwister bei der ἀπάντησις [apantēsis] (hier: Einholung) des Herrn deshalb nicht dabei sein würden, weil die Auferstehung der Verstorbenen sich erst danach ereignen würde. Sicher ist schon allein aufgrund der auffallend häufigen Erwähnung der ‚Entschlafenen‘ (V. 13a.14b.15fin) oder der ‚Toten in Christus‘ (16fin), dass die Frage nach dem Ergehen der verstorbenen Geschwister bei der Parusie des Herrn die entscheidende Rolle für die Trauer in der Gemeinde spielte. V. 15 lässt eine weitere Spezifizierung der Frage nach der Ursache der Trauer zu. Die Frage in Thessalonich musste etwa so gelautet haben: Wird es den in 81 82 83 84 85

Vgl. L. Hartman, Prophecy, 188 mit Anm. 54, das Zitat a.a.O., 188. L. Hartman, Prophecy, 182. L. Hartman, Prophecy, 182; vgl. a.a.O., 246. Vgl. so auch P. Pokorný; U. Heckel, Einleitung, 169.200. Für Einzelheiten hierzu vgl. F.W. Röcker, Belial, 278-281.285.

246

Kommentar

Christus Entschlafenen bei der Parusie des Herrn anders, wir befürchten dabei, schlechter als uns, die wir leben und übrig bleiben, ergehen? Die Wendung ἡμεῖς οἱ ζῶντες οἱ περιλειπόμενοι εἰς τὴν παρουσίαν τοῦ κυρίου [hēmeis hoi zōntes hoi perileipomenoi eis tēn parusian tou kyriou] (wir, die wir leben, die wir zur Parusie des Herrn übrig bleiben) wird nur wenig verkürzt in V. 17 wieder aufgenommen (ἡμεῖς οἱ ζῶντες οἱ περιλειπόμενοι [hēmeis hoi zōntes hoi perileipomenoi]). Ebenso werden in beiden Versen V. 15 und V. 17) τοὺς κοιμηθέντας [tous koimēthentas] (die Entschlafenen) aus V. 14 thematisiert, zum einen durch wörtliche Wiederholung (V. 15) und zum andern durch das von der Präposition σύν [syn] abhängige Personalpronomen αὐτοῖς [autois] (mit ihnen, V. 17), das auf die Partizipialwendung(en) in V. 15 (V. 14) bezogen werden muss. Zunächst ist mit dieser Beobachtung also gezeigt, dass das Verhältnis der bei der Parusie noch lebenden Christen zu den dann bereits verstorbenen tatsächlich das Problem der Gemeinde trifft. Dabei bilden diejenigen, die übrig bleiben „das Faktum des Übrigbleigens als Kontrast zu den Verstorbenen“ (vgl. 4Makk 12,6; 13,18). Eine weitere (theologische) Implikation dürfte nicht mit vorliegen.86 Es kann nun aber noch weiter gezeigt werden, dass die Thessalonicher davon ausgegangen sein müssen, die Verstorbenen hätten gegenüber den bei der Parusie noch Lebenden einen nicht geringen Nachteil. Wieder liegen in den beiden Versen Wortverbindungen vor, mit denen Paulus dieser Meinung entgegentreten will. In V. 15 wird mit οὐ μὴ φθάσωμεν [ou mē phthasōmen] (wir werden keinesfalls zuvorkommen) die im Griechischen „stärkste Verneinung einer Aussage über Zukünftiges“ gebraucht, um deutlich zu machen, dass die Lebenden gewiss keinerlei Vorteil gegenüber den Verstorbenen haben werden.87 Aufgrund der Adverbien πρῶτον [ prōton] (zuerst), ἔπειτα [epeita] (danach) und ἅμα [hama] (gleichzeitig)88 in V. 16f.17 wird eigens der zeitliche Aspekt betont: Beide, die Lebenden wie die bereits Verstorbenen ‚in Christus‘, werden bei der Parusie in zeitlicher Hinsicht absolut gleichberechtigt sein.89 An dieser Stelle kann auf 4Esr 13,13-24 hingewiesen werden, wo die Vorstellung belegt ist, dass die Verstorbenen gegenüber den bei der Parusie des 86 So mit St. Schreiber 254. 87 HvS § 247 a, worauf schon oben hingewiesen worden ist. S. Turner, Kingdom, 327f.330 hebt hervor, dass φθάνειν (zuvorkommen) einen zeitlichen Aspekt impliziere, gemeint sei hier also: Die Verstorbenen werden bei den eschatologischen Ereignissen keinen zeitlichen Nachteil hinnehmen müssen, sodass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt an jenen teilnehmen würden. Vgl. so auch J.A.D. Weima 323. 88 Das Adverb ἅμα in Verbindung mit der Präposition σύν (‚gleichzeitig mit‘) ist sonst bei Paulus nur noch 1Thess 5,10 verwendet. 89 Für einen anderen Gebrauch von φθάνειν vgl. 2,16 und die Auslegung dort.

Eschatologie 4,13-18

247

Messias noch Lebenden einen Nachteil haben würden. Auf diese Stelle kann hier auch dann verwiesen werden, wenn es dort, anders als 4,15.17, um den „heiligen Rest“ geht. Denn wie ich denke in meinem Sinn: Weh denen, die übrig bleiben in jenen Tagen, und viel mehr weh denen, die nicht übrig bleiben! Denn die, welche nicht übrig bleiben, müssen traurig sein, weil sie erkennen, was für die letzte Zeit aufbewahrt ist, dass sie aber nicht dazu gelangen. […] Dennoch ist es tunlicher, in Gefahr zu sein und dahin zu kommen, als von der Welt wie eine Wolke zu verschwinden und nicht zu schauen, was sich in der Endzeit ereignen wird. […] Wisse also, dass die Übriggebliebenen weitaus seliger sind als die Gestorbenen.90

Eine vergleichbare Befürchtung dürfte auch in Thessalonich vorgelegen haben. Zur Problematik in der Gemeinde von Thessalonich kann m.E. nun aber noch Weiteres gesagt werden. Schließt man die Möglichkeit der Vorstellung eines messianischen Voraus- oder Zwischenreiches für Paulus nicht grundsätzlich aus, oder nimmt man wenigstens an, Paulus habe sowohl über die Wiederkunft des Herrn, als auch über die Auferstehung der Toten in Thessalonich geredet, u.z. in derart apokalyptischer Systematik, dass mögliche ‚Falschlehrer‘ behaupten konnten, Paulus meine, die Auferstehung ereigne sich zu einem anderen Zeitpunkt als das messianische Reich, die Verstorbenen würden daran also nicht teilnehmen, dann könnte die von Albert Schweitzer, Hans Bietenhardt, Ulrich Luz und Gerhard Friedrich festgehaltene Problematik in irgendeiner Form im Hintergrund des Problems der Thessalonicher gestanden haben. Jedenfalls ist die Vorstellung, die Auferstehung der Toten ereigne sich erst nach dem messianischen Reich, im jüdischen Bereich breit nachweisbar, wie z.B. syrBar 30,1 zeigt. Die Auferstehung derer, „die in der Hoffnung auf ihn [sc. den Messias, fwr] eingeschlafen sind“, vollzieht sich demnach nämlich erst nachdem „die Zeit der Erscheinung des Messias [vollendet ist] und er dann in die Herrlichkeit zurück[gekehrt ist]“. Der Verfasser des syrBar weist 30,2 – ganz analog der Intention des Paulus in 1Thess 4,13ff – darauf hin, dass sich dennoch „die Ersten freuen, die Letzten aber nicht traurig sind“. Die Gedankenführung des Paulus gegenüber den Thessalonichern bringt demgegenüber insofern eine für die Gemeinde trostvolle Steigerung, als er die Auferstehung der verstorbenen Christen zeitgleich (ἅμα 90 Übersetzung nach J. Schreiner, JSHRZ V/4, 395.

248

Kommentar

[hama]) mit der Wiederkunft des Messias und der Vereinigung der lebenden Christen mit diesem lehrte. Mit Sicherheit kann angenommen werden, wie bereits mehrfach unterstrichen wurde, dass Paulus über die Parusie des auferstandenen κύριος [kyrios] und auch über die Auferstehung der Toten in Thessalonich gesprochen hatte. Das, was zum Problem der Thessalonicher im eben Ausgeführten erkannt worden ist, zeigt, dass der Problematik in Thessalonich das Ergehen der verstorbenen Christen bei der Parusie zugrunde lag. Aus der jüd. Apokalyptik (syrBar 30,1f; 4Esr 13,13ff ) hat sich zeigen lassen, dass eine Fehlinterpretation der mündlichen Lehre des Paulus bei seinem Gemeindegründungsbesuch nicht ausgeschlossen werden kann. Unter allen Vorschlägen, die eingebracht worden sind, um das Problem der Thessalonicher an dieser Stelle zu verstehen, scheint mir derjenige der wahrscheinlichste zu sein, der davon ausgeht, dass die Thessalonicher jenen Aspekt von der Lehre von der Auferstehung der Toten nicht recht verstanden hatten, welcher von dem Verhältnis der bei der Parusie noch Lebenden und den dann bereits Verstorbenen handelt. In Thessalonich dürfte man der (irrigen) Auffassung gewesen sein, die verstorbenen Christen würden nicht an den Ereignissen, die der Parusie direkt folgen würden, teilhaben, weil man glaubte, es gäbe lediglich eine Auferstehung der Toten, nämlich die zum Gericht, d.h. diejenige, die erst nach dem messianischen Reich auf dieser Erde kommen würde. Sollte diese Annahme stimmen, dann kommt man nicht darum herum, die Möglichkeit der Vorstellung für ein derartiges messianisches Voraus- oder Zwischenreich bei Paulus etwas näher zu betrachten, denn ausdrücklich spricht er nirgends davon.91 Zunächst sind via negationis die Verse 15–17 zu betrachten. Sollten die Thessalonicher beim Nachteil der Verstorbenen gegenüber den Lebenden bei der Parusie des Herrn nicht an ein messianisches Voraus- oder Zwischenreich gedacht haben, stellt sich die Frage, welchen Vorteil dann die Lebenden gegenüber den Toten ihrer Meinung nach bei der Parusie haben würden? Etwa lediglich den, dass sie ‚fürchteten‘, Bruchteile von Sekunden schneller mit dem Herrn vereinigt zu sein als die Toten, die erst noch auferweckt werden müssten? Dies konnte doch schwerlich ein wesentliches Problem der Gemeinde gewesen sein, dem man entgegenhalten musste: μὴ λυπῆσθε [mē lypēsthe] (V. 13). Der Nachteil, den die Thessalonicher für ihre verstorbenen Glaubensgeschwister befürchteten, muss deutlich größer gewesen sein als die ‚Furcht‘, 91 Im NT ist die Vorstellung eines messianischen Zwischenreichs ausdrücklich nur Offb 20,1-6 belegt.

Eschatologie 4,13-18

249

jene kämen bei der Parusie nur eine verschwindend geringe Zeit später an die Reihe als sie, die Lebenden. Ihrer Befürchtung hält Paulus zudem nachdrücklich und unter Aufzählung der genauen Reihenfolge (zuerst, dann … gleichzeitig) entgegen, dass die Toten überhaupt keinen (zeitlichen) Nachteil gegenüber den Lebenden bei der Parusie haben würden. Hätten die Thessalonicher überhaupt nichts von einem messianischen Voraus- oder Zwischenreich gewusst, bliebe sowohl diese aufzählende Belehrung, die zudem eigens ‚in einem Wort des Herrn‘ erfolgt, als auch die Betrübnis der Thessalonicher über den Nachteil der Toten bei der Parusie unverständlich. Positiv formuliert kann festgehalten werden, dass V. 16f mindestens Raum für die Vorstellung eines messianischen Voraus- oder Zwischenreichs bei Paulus lässt.92 Man kann, zieht man jüdische Vergleichstexte heran, das Problem der Thessalonicher, wie es hier vorausgesetzt wird, inhaltlich ziemlich genau fixieren. Das spätere (tannaitische)93 Judentum vertrat nämlich die Auffassung, dass die Auferstehung der Toten erst nach dem messianischen Reich erfolge. Das messianische Reich ist demnach zwar eine „vergängliche[…] Periode vorläufigen Heils“, an ihm nicht teilhaben zu können, dürfte aber nicht geringe Trauer verursacht haben, lagen doch alle Hoffnungen des Judentums auf dem Reich, das der Messias aufrichten würde. Das dieser Vorstellung zugrunde liegende eschatologische Schema lautet also: „gegenwärtiger Weltlauf, dann vorläufige Heilszeit der Messiastage u. endlich Heilsvollendung im ʽOlam ha-ba“.94 Eventuell hat sich die irrige Meinung in Thessalonich aufgrund (einer Vorform) dieser Auffassung breitgemacht. Die ‚Gegner‘ in Thessalonich kämen in diesem Fall aus dem jüdischen Milieu. Sie haben möglicherweise die Gemeinde in dieser Weise (fehl-)informiert, oder sie haben möglicherweise das, was Paulus nicht mehr ausführlich genug hatte sagen können,95 in ihrer Weise weiterinterpretiert. 92 Gleiches kann auch für die Aufzählung bei 1Kor 15,23f ἀπαρχή … ἔπειτα … εἶτα (zuerst … dann … schließlich) gesagt werden. Vgl. hierfür schon und nochmals H. Bietenhard, Reich, 88. Vgl. auch S. Turner, Kingdom, der 1Thess 4,13-18 mit 1Kor 15,22-28 vergleicht und zu dem Ergebnis kommt (a.a.O., 341): „Taken together, 1 Thess. 4.13-18 and 1 Cor. 15.22-28 suggest that Paul thought that there would be an interim, terrestrial messianic kingdom.“ Vgl. weiter G. Klein, Reich Gottes, 660 und H. Conzelmann, 1Kor, 329f. Sie sehen in diesem Reich allerdings nicht das noch ausstehende, sondern ein bereits hier und jetzt angebrochenes Reich. 93 Die tannaitische Periode wird gemeinhin von ca. 70 n.Chr. bis ins beginnende 3. Jh. n.Chr. datiert. Vgl. zu den fünf Generationen der Tannaiten den Überblick bei (H.L. Strack); G. Stemberger, Einleitung, 74-88. 94 Vgl. hierzu Bill. IV/2, 816f, die Zitate a.a.O., 817. 95 Dass das Missverständnis in eschatologischen Dingen in Thessalonich in Verbindung mit der plötzlichen Abreise des Paulus aus Thessalonich gebracht werden könne und dass

250

Kommentar

16 Die eschatologischen Ereignisse, die nacheinander folgen werden, malt Paulus im Einzelnen in einer bildhaften Weise aus, wie sie aus zeitgenössischen apokalyptischen Texten vertraut sind. Er tut dies, indem er traditionelle Elemente der Jesusüberlieferung aktualisiert. Zuerst wird er selbst, der Herr, … herabkommen. Die Eröffnung der eschatologischen Ereignisse erfolgt durch den Herrn selbst. Das prädikativ verwendete αὐτός [autos], durch welches das Subjekt verstärkt wird, impliziert Exklusivität: Niemand außer ihm läutet das Auferstehungsgeschehen und damit das Ende (vgl. 1Kor 15,24) ein. Es liegt die Vorstellung vor, dass der Herr, gemeint ist Jesus, aus der Perspektive der Menschen von oben kommen wird.96 Dieser Ort wird im folgenden V. 17 genauer angegeben, wenn davon die Rede sein wird, dass es eine Begegnung mit dem herabkommenden Herrn ‚in Wolken‘ (ἐν νεφέλαις [en nephelais]) und ‚in der Luft‘ (εἰς ἀέρα [eis aera]) geben wird.97 Initiiert werden die eschatologischen Ereignisse auf den Befehl (Gottes) hin. Das im NT singuläre Wort κέλευσμα [keleusma]98 ist auch in der LXX lediglich einmal in Spr 30,27 (hebr. Text: 24,62) belegt.99 An unserer Stelle ist die Grundbedeutung ‚Signal, Kommando‘ vorauszusetzen.100 Schwieriger als die einfache Bedeutung des Begriffes festzustellen, ist es, die damit verbundene Vorstellung beim eschatologischen Geschehensablauf herauszuarbeiten und denjenigen, der das ‚Signal, Kommando‘ gibt, sowie den ‚Befehlsempfänger‘, zu bestimmen. Dies lässt sich nur lösen, wenn man das Verhältnis der drei Glieder κέλευσμα [keleusma] (Befehl, Kommando) φωνὴ τῆς ἀρχαγγέλου [ phōnē tēs archangelou] (Stimme des Erzengels) und schließlich

96

97 98 99 100

diese es ihm nicht mehr ermöglicht habe, in der gewünschten und notwendigen Ausführlichkeit weitere Einzelheiten der eschatologischen Ereignisse darzulegen, vertreten etwa I.H. Marshall 122; R. Riesner, Frühzeit, 341f.349; J. Gnilka, Paulus, 169. Vgl. für das Corpus Paulinum auch Röm 10,7; Eph 4,9f, wo vom Hinabfahren in die Unterwelt die Rede ist (vgl. Lk 10,15). Die Vorstellung, dass etwas von oben aus dem Himmel herabkommt, ist auch sonst im NT belegt, z.B. kommt der Geist wie eine Taube herab (Mk 1,10/Mt 3,16/Lk 3,22, vgl. Joh 1,32), ebenso der Engel des Herrn (Mt 28,2, vgl. Joh 1,51); bei Lk 9,54 ist von einem Feuer die Rede, das vom Himmel herabkommen soll, schließlich ist auch vom Menschensohn die Rede, der vom Himmel herabkam (Joh 3,13, vgl. Joh 6,33.38.41f.50f.58). Von einer Vision, bei der ein Tuch aus dem Himmel herabkommt, ist Apg 10,11 die Rede. Vgl. dazu bei V. 17. Bei Paulus ist auch das Verbum κελεύειν nicht belegt. Im NT kommt dieses 25-mal bei zwei Schriftstellern vor: 18-mal im lukanischen Doppelwerk (17-mal in der Apg), siebenmal bei Matthäus. Die LXX ergänzt an dieser Stelle den hebr. Text mit ἀφ’ ἑνὸς κελεύσματος (aufgrund eines einzigen Befehls; Übersetzung nach LXX.D), d.h. der Terminus hat kein hebr. Pendant. – Bei den Apostolischen Vätern ist das Substantiv überhaupt nicht belegt. Vgl. L. Schmid, κέλευσμα, ThWNT III, 1938, 656-359, 657; WB6 869.

Eschatologie 4,13-18

251

σάλπιγξ θεοῦ [salpinx theou] (Posaune Gottes) zueinander in den Blick nimmt. Relativ einfach ist es noch, die Bedeutung der den Substantiven vorangestellten Präposition ἐν [en] zu klären. Das erste ἐν (κελεύσματι) [en (keleusmati)] dürfte temporal zu interpretieren sein: ‚auf den Befehl hin … werden die Toten auferstehen‘. Einem Befehl kann erst dann Folge geleistet werden / ein Befehl zeigt erst dann Wirkung, nachdem dieser ergangen ist. Bestenfalls erfolgt, noch während dieser ergeht, bereits der Beginn seiner Ausführung. Die beiden folgenden Präpositionalverbindungen mit ἐν [en] dürften modal zu verstehen sein. Insofern der Kommandoruf das die Auferstehung einleitende und begleitende Ereignis ist, könnte auch das erste ἐν [en] modal interpretiert werden. Die Vorstellung wäre dann: Die Auferstehung ereignet sich „unter Kommandoruf“.101 Nahe Parallelen zu dieser Vorstellung finden sich bei Joh 5,25f.(28f ) und Philo PraemPoen 117. Bei Philo ist es Gott, der sein Volk von den Enden der Erde ἐν ἑνὶ κελεύσματι [en heni keleusmati] (mit einem einzigen Befehl) sammelt.102 An allen drei Stellen, bei Johannes,103 Philo und Paulus, ist eine Reihenfolge der Ereignisse impliziert, bei der nahezu Gleichzeitigkeit angenommen werden kann: Wenn die Stimme / der Befehl gehört wird, kann ihr/ihm entsprochen werden, bzw. unter Ergehen des Befehls erfolgt dessen Umsetzung. Martin Dibelius hat bei dem Inhalt des Befehls an ein Wort gedacht, wie es AscJes 10,8104 von Gott an Christus gerichtet ist: „Geh’ und steige hinab durch alle Himmel und steige hinab zum Firmamente“ usw.

101 Für die prinzipielle Möglichkeit der temporalen und modalen Verwendung der Präposition ἐν vgl. HvS § 184 i. Für den ausschließlich modalen Gebrauch von ἐν an dieser Stelle votiert L. Schmid, κέλευσμα, 658, auch NSS 2, 202. Man kann sich die Wirkung des Befehls in etwa wie bei einem folgsamen Hund vorstellen: Der Hund wartet gespannt auf den Befehl seines Herrn, wenn er aber ergeht, setzt er sich, noch während der Befehl ergeht, in Bewegung. Vgl. für die Verwendung von κέλευσμα in Verbindung mit einem Befehl an einen Hund Pseud-Xenoph., Cyn 6,20 (vgl. LSJ 936; L. Schmid, κέλευσμα, 657). Ich gehe zudem davon aus, dass sich die 1Thess 4,16f geschilderten Ereignisse in Bruchteilen von Sekunden ereignen werden, da m.E. 1Kor 15,52 (ἐν ἀτόμῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ [im Nu, in einem Augenblick]) die Parallelstelle schlechthin zu 1Thess 4,16 im Corpus Paulinum ist. 102 Vgl. hierzu F.F. Bruce 100. 103 Zu Johannes 5 vgl. F.W. Röcker, Belial, 283. 104 Bei M. Dibelius 26 ist fälschlicherweise 10,3 angegeben; die vorliegende Übersetzung folgt derjenigen in NTApo5 II, 559.

252

Kommentar

Vielleicht hatte Paulus ja tatsächlich so ein Wort im Sinn, bewiesen werden kann es nicht. Wahrscheinlicher scheint es mir zu sein, bei dem Befehl ganz allgemein an den Befehl Gottes zu denken, aufgrund dessen die eschatologischen Ereignisse in Gang gesetzt werden. Dem Inhalt nach könnte es sich bei diesem Befehl um jene Ansage Gottes handeln, welche den Gestirnen das Kommando gibt, sich in Bewegung zu versetzen, wie dies bei Mt 24,29 (vgl. 24,27a) als Begleiterscheinung der Parusie des Menschensohnes erwähnt ist. Dass das Subjekt von κέλευσμα [keleusma] Gott ist, wird dadurch wahrscheinlich, dass der Stamm κελευ- [keleu-] im Griechischen häufig im Zusammenhang mit Befehlen, die von einer Gottheit ausgehen, belegt ist.105 Im Übrigen kann der Befehl zum Auftakt der eschatologischen Ereignisse und der u.a. damit verbundenen Parusie des κύριος [kyrios] bzw. des Menschensohnes aus biblischer Sicht nur von Gott selber gegeben werden, da nur ihm der Zeitpunkt des anbrechenden Endes bekannt ist (vgl. 1Thess 5,1f; Mt 24,36; Apg 1,6f ) und weil nach dem NT nur er das Ende dieser Welt nach seinem heilsgeschichtlichen Plan herbeiführen kann.106 Dies stützen auch entsprechende Belege aus dem AT und außerkanonischen jüdischen Schriften: Ps 18,16 / 2Sam 22,16; Ps 104,7; Nah 1,4; äthHen 61,6.9–11; 101,7; 4Esr 13,4.9–11; syrBar 21,19– 23. Von all diesen Texten gilt: „the word of command is frequently associated with God’s establishing his endtime rule“.107 Nachdem dieser Befehl Gottes ergangen ist oder noch während dieser Befehl ergeht, erhebt der Erzengel seine Stimme, lässt die Posaune Gottes erschallen, und gibt damit den himmlischen Heerscharen das Signal zum Aufbruch. Die himmlischen Heerscharen sammeln auf dieses Signal hin das Volk Gottes aus allen Völkern (Mt 24,31). 1Thess 4,16 ist zwar nicht von himmlischen Heerscharen die Rede, jedoch kann aufgrund 1Thess 3,13 auch in 4,15 an diese Heerscharen gedacht werden.108 Subjekt von κέλευσμα [keleusma] ist also Gott. Als ‚Befehlsempfänger‘ dürfte indirekt der Erzengel zu nennen sein, der daraufhin seine Stimme erschallen lässt. Direkt ist es ja der vom Himmel herab aufbrechende κύριος [kyrios], Jesus. Derjenige, der die Posaune Gottes bläst, dürfte ebenfalls der Erzengel sein, der auf den Befehl Gottes

105 Vgl. etwa Euripides, Iph.T. 1483 und Andr. 1031 aber auch die Inschriften Nr. 589 (Syrien); 455 Zeile 3 (Aphrodisia; 1. Jh. v.Chr.) bei W. Dittenberger (OGI II, 41 und 281), sowie die Nr. 286 Zeile 9 (4. Jh. n.Chr.) Berliner Griechische Urkunden. Vgl. die Stellenangaben bei LSJ 936 s. voc. und L. Schmid, κέλευσμα, 656. 106 So etwa auch T. Holtz 200. 107 J. Plevnik, Parousia, 50. 108 Auf die sachliche Nähe von Mt 24,30f und 1Thess 4,16f verweist auch U. Luz, Mt I/3, 433.

Eschatologie 4,13-18

253

hin in Aktion tritt. Das καί [kai] ist epexegetisch zu interpretieren, sodass die ganze Sequenz übersetzt werden kann: „Und er selbst der Herr (Jesus Christus), wird auf den Befehl (Gottes) hin, mit der Stimme des Erzengels, nämlich mit der Posaune Gottes (die als Stimme des Erzengels dient) herabkommen vom Himmel“. 1Kor 15,52 ist der Klang der Posaune das die Toten auferweckende, die Lebenden verwandelnde und damit unausgesprochen auch sammelnde Signal, welches mit dieser Konsequenz nur von Gott selbst vollzogen oder aber von ihm befohlen werden kann. Im AT ist es immer wieder Gott selbst, der die Posaune erschallen lässt. Besonders Sach 9,14 ist für den vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen, weil hier das Erscheinen Gottes zum Kampf analog 1Thess 4,16 (ἐν σάλπιγγι [en salpingi], ‫[ ַבּשּׁוָֹפר‬baschschōphār]) formuliert ist.109 Eine weiter gehende Interpretation der Wendung ‚Stimme des Erzengels‘ lässt sich aus der biblischen Tradition nicht erschließen. Möglicherweise gibt der Erzengel, dessen Stimme auf den Befehl Gottes hin erst laut wird, die Anweisung Gottes zum Beginn der eschatologischen Ereignisse an die ihm untergebenen Engel weiter. Der Terminus ἀρχάγγελος [archangelos] ist im NT nur noch in Jud 9 belegt, wo vom Erzengel Michael die Rede ist. Der ntl. Kontext trägt zur Erhellung von 1Thess 4,16 höchstens so viel bei, dass die Vorstellung von Engeln in hervorgehobener Stellung allgemein bekannt gewesen sein muss. Von einer Erscheinung Gottes, bei der die Stimme eines Erzengels als begleitendes Phänomen erwähnt ist, ist meines Wissens nirgendwo in der jüdischen vorchristlichen Literatur die Rede. Paulus dürfte hier schlicht die übliche apokalyptische Vorstellung wiedergeben, wonach Gott seine Anordnungen durch die Vermittlung von Engeln weitergibt (vgl. Offb 7,2). Natürlich ist auch sonst im NT die Vorstellung belegt, dass die Parusie des Christus unter der Begleiterscheinung von Engeln erfolgt (Mk 8,38; Mt 24,31 // Mk 13,27).110 Die Gemeinde in Thessalonich musste bei dieser ohne weitere Erläuterung eingeführ-

109 Vgl. Ex 19,16.19. Für eschatologischen Kontext im AT vgl. Jes 27,12f und hierzu J.A. Borland, Trumpets, 67. Zum atl. Hintergrund dieser Vorstellung vgl. weiter Joel 2,1.15; Zef 1,14-17 und J. Plevnik, Parousia, 57-60. Vgl. aber auch ApkAbr 31,1f, wo ebenfalls Gott die letzte Posaune bläst: „Und ich werde dann die Posaune ertönen lassen und werde dir meinen Auserwählten senden“ (Übersetzung B. Philonenko-Sayar; M. Philonenko, JSHRZ V/5, 453). Zur Bedeutung von σάλπιγξ im NT als eschatologischem Signalhorn vgl. neben G. Friedrich, σάλπιγξ κτλ., ThWNT VII, 1964, 71-88, 86-88 auch H. Lichtenberger, σάλπιγξ κτλ., EWNT2 III, 1992, 536-538, 537f. – Einen informativen Überblick über den Gebrauch von σάλπιγξ (‫ )שׁוָֹפר‬in der Bibel gibt J.A. Borland, Trumpets. 110 Vgl. hierzu I.H. Marshall 129.

254

Kommentar

ten Vorstellung eines ‚Erzengels‘ Kenntnisse darüber gehabt haben, was ein solcher ist. Einem Erzengel sind nach Offb 2,7-9 viele Engel unterstellt.111 Im NT sind die drei Glieder ‚Befehl (Gottes)‘, ‚Schall der Posaune‘ und ‚Stimme‘ noch ein weiteres Mal belegt, und zwar im Kontext der Theophanieschilderung in Hebr 12,19f. Dessen atl. Vorlage ist in Ex 19,16-20 (LXX) zu suchen. Zwar liegt weder im Hebräerbrief noch Ex 19 eschatologischer Kontext vor, das dortige Thema der Theophanie erlaubt es aber, eine Parallele zu 1Thess 4,16f zu ziehen. Das Erscheinen des Herrn ist demnach seit jeher mit der Vorstellung jener drei Elemente verbunden gewesen und hat sich so auch in der ntl. Zeit erhalten. Dass dabei Gott vom Himmel herabkommt (καταβαίνειν [katabainein], vgl. Ex 19,18.20), ist auch in diesem Kontext gängiges Bild. Und nun, nachdem diese Ereignisse in Gang gesetzt sind, werden die Toten in Christus zuerst auferstehen. Dass damit die verstorbenen Christen gemeint sind, ist aufgrund des Kontextes evident. Der gesamte Abschnitt handelt vom Ergehen der vor der Parusie verstorbenen Christen. Diese sind schon V. 13.14.15 mit den ‚Entschlafenen‘ (κοιμωμένοι [koimōmenoi]) im Blick, jetzt wird die metaphorische Redeweise (‚Entschlafene‘) aufgegeben, und es ist von den ‚Toten (in Christus)‘ die Rede, also von denjenigen, die sich zu Christus bekehrt haben, im Glauben an ihn gelebt haben und in der Hoffnung auf ihn verstorben sind.112 Diese werden zuerst113 auferstehen. Hinzuweisen ist hier nur noch darauf, dass hier dasselbe Verb (ἀνίστασθαι [anistasthai]) verwendet ist, das in V. 14 für die Auferstehung Jesu verwendet wurde. Den Thessalonichern wird damit, ohne dass es eigens angesprochen würde, signalisiert: Genau so, wie Jesus auferstanden ist, werden auch die ‚Toten in Christus‘, also eure verstorbenen Glaubensgeschwister, auferstehen. 17 Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, gleichzeitig mit ihnen entrückt werden.114 Wenn ἁρπάζειν [harpazein] im biblischen Sprachgebrauch mit der Bedeutung ‚entrücken‘ verwendet wird, ist meist von der 111 Diese Engelvorstellung entspringt der jüdischen Tradition, vgl. Dan 10,13; 12,1 und auch grBar 11,6-8 (hier, 6 und 8, auch der Terminus Erzengel, vgl. 12,4); 13,3; äthHen 24,6; 40,9; 71,9; slHen 22,6 u.ö., zu den Belegen vgl. G. Kittel, ἀρχάγγελος, ThWNT I, 1933, 86 und Chr. Böttrich, JSHRZ V/7, 892. In der LXX und bei den Apostolischen Vätern ist ἀρχάγγελος nicht belegt. Ein knapper Überblick auch bei B. Ego, Erzengel, CBL I, 2003, 314-315. – Ausführlich zu den Engeln in der jüdischen Vorstellungswelt vgl. J. Michl, Engel II (jüdisch), RAC 5, 1962, 60-97, zu den Erzengeln a.a.O., 77f. 112 Vgl. so auch St. Schreiber 256. 113 Über die Reihenfolge wurde oben bereits das Notwendige gesagt. 114 Zur Formulierung ‚wir, die wir leben und übrig bleiben‘ wie auch zum Adverb gleichzeitig (ἅμα) vgl. oben bei der Auslegung von V. 15.

Eschatologie 4,13-18

255

Entrückung eines Menschen durch Gott in den Himmel die Rede: 2Kor 12,2 (Paulus wird in den dritten Himmel bzw. [12,4] in das Paradies entrückt); Offb 12,5 (das Kind der Sonnenfrau, das zu Gott und seinem Thron entrückt wird).115 In der LXX lässt sich nur ein Beleg für eine Bedeutung des Wortes im Sinne von ‚entrücken‘ finden, nämlich Weish 4,10f: Weil einer Gott wohlgefällig war, hat dieser ihn geliebt. Und weil einer unter Sündern leben musste, hat Gott ihn entrückt (μετατίθεσθαι [metatithesthai]).116 Gott hat ihn hinweggenommen (ἁρπάζειν [arpazein]), damit nicht die Bos-

heit sein Denken vergifte, oder die Arglist seine Seele verführe.117 Hier (Weish 4,10f ) handelt es sich ebenfalls um ein Entrücktwerden an einen Ort, der sich nicht auf dieser Erde befindet. Diese Vorstellung lässt sich gut mit den beiden ‚Ortsangaben‘ verbinden, die an unserer Stelle jetzt folgen, nämlich ‚in Wolken‘118 und ‚in der Luft‘. In apokalyptischen Kontexten ist häufig von Wolken die Rede, wenn es um das Erscheinen des Menschensohnes oder von Engeln vom Himmel her geht: Mk 13,26 / Mt 24,30 / Lk 21,27; Mk 14,62 / Mt 26,64; Offb 1,7; 10,1. Das Bild geht zurück auf Dan 7,13 (vgl. 4Esr 13,3.20). Bei der ‚Himmelfahrt Jesu‘ nimmt eine Wolke Jesus auf (Apg 1,9) und Offb 11,12 ist davon die Rede, dass die ‚zwei Zeugen‘ in einer Wolke in den Himmel aufsteigen und alle auf der Erde, die darum herumstehen, es sehen werden. Bei Paulus ist mit in der Luft (εἰς ἀέρα [eis aera]) jener Raum zwischen Himmel und Erde angesprochen, in dem sich die Wolken befinden. Hier treffen die lebenden und die verstorbenen Christen gemeinsam gleichzeitig auf den vom Himmel herabkommenden (καταβήσεται [katabēsetai]) Herrn. Sie werden dem Herrn ἐν νεφέλαις [en nephelais] entgegengerückt, um ihn dort zu treffen. Er muss also ebenfalls ‚in Wolken‘ sein. Paulus ist also von der

115 Die Entrückung des Philippus Apg 8,39 bildet die einzige Ausnahme im NT, insofern dieser nicht in den Himmel, sondern an einen anderen Ort entrückt wird; vgl. hierzu Hes 11,24. 116 Bei der Entrückung des Henoch (Gen 5,24) ist μετατίθεσθαι verwendet, das, wie Weish 4,10f zeigt, Synonym zu ἁρπάζειν im Sinne von ‚entrücken‘ verwendet werden konnte. 117 Übersetzung bei H. Hübner, Weisheit, 60. Hübner meint a.a.O., 63, die Stelle spiele auf die Entrückung Henochs (Gen 5,24) an. 118 Ausführlich zum Entrückungsmotiv in Verbindung mit Wolken vgl. J. Plevnik, Parousia, 60-63.

256

Kommentar

Überzeugung geleitet, dass die an den auferstandenen Herrn, Jesus, Glaubenden dem Herrn ‚zwischen Himmel und Erde‘, also im Luftraum begegnen.119 Diese Begegnung erfolgt als feierliche Einholung (ἀπάντησις [apantēsis]), so die hier vertretene Interpretation.120 Die Bedeutung dieses Begriffs, der im NT nur noch in Mt 25,6 und Apg 28,15 belegt ist (vgl. jedoch Mt 27,32 v.l. und Joh 12,13 v.l.), wird in der Forschung unterschiedlich bestimmt. Soll mit dem Wort nicht mehr ausgesagt werden, als dass eine ‚Begegnung‘ stattfindet,121 oder ist damit die Vorstellung einer feierlichen Einholung impliziert? Dann läge ein terminus technicus vor, der in der Antike für den häufig belegten Brauch eines neu ankommenden Herrschers verwendet ist, welcher feierlich in eine Stadt eingeholt wird.122 Zunächst zu den beiden ntl. Belegen. In Mt 25,6 werden damit die zehn παρθένοι [ parthenoi] („Jungfrauen“) aufgefordert sich aufzumachen, um den Bräutigam zur Hochzeit einzuholen. Bei Apg 28,15 ist von einigen Christen aus Rom die Rede, die dem Paulus bis Forum Appii und dem ca. 15 km näher zu Rom hin liegenden Tres Tabernae entgegengehen, um ihn bis Rom zu begleiten. An beiden Stellen kann aufgrund des Kontextes an eine feierliche, zumindest aber freudige Einholung oder Begegnung mit einer Persönlichkeit gedacht werden, die für die jeweiligen Personen von großer Bedeutung war.123 Dies kann m.E. auch für die ‚Einholung‘ des in der römischen Gemeinde längst bekannten und nun endlich auch nach dort kommenden Apostels durch die Gemeindeglieder aus Rom geltend gemacht werden, auch wenn hier zugegebenermaßen die Parallelen zur ‚Einholung‘ eines Herrschers recht gering sind, da Paulus als römischer Gefangener unterwegs ist. Für das NT kann weiter auf Joh 12,13 (hier aller-

119 Dass mit εἰς ἀέρα schlicht der Zwischenraum zwischen Himmel und Erde zu sehen ist, darauf verweisen z.B. auch H. Merklein, ἀήρ κτλ., EWNT2 I, 1992, 81-82, 82 und E. Best 199. 120 Vgl. für das Folgende ausführlicher F.W. Röcker, Belial, 294-306. 121 Damit würde dem sonst v.a. in der LXX üblichen Gebrauch Rechnung getragen. In der LXX meint εἰς ἀπάντησιν nahezu durchweg nicht mehr als ‚entgegen‘, vgl. WB6 160. 122 So F.F. Bruce 102. Bruce führt Belege aus Cicero, Att. VIII 16,2; XVI 11,6 an; vgl. im Anschluss an Bruce auch B. Witherington III 138. Ohne auf Bruce zu verweisen, so auch I.H. Marshall 131; D.M. Martin 153, vgl. weiter T. Holtz 203; St. Schreiber 257259; R. Hoppe 276. Vor Bruce hatten auf diese Bedeutung von εἰς ἀπάντησιν schon L. Morris 146; E. Best 199 und v.a. E. Peterson, ἀπάντησις, ThWNT I, 1933, 380; Ders., Einholung aufmerksam gemacht. Peterson ist dabei der wichtigste Gewährsmann für diese Interpretation von εἰς ἀπάντησιν. Weitere Vertreter sind genannt bei M.R. Cosby, Receptions, 19 mit Anm. 12 und J. Plevnik, Bringing, 537 Anm. 3. 541 Anm. 33. 543 Anm. 41. Für die Diskussion vgl. v.a. Cosby und Plevnik. 123 So ähnlich auch J.A.D. Weima 334.

Eschatologie 4,13-18

257

dings: ὑπάντησις [hypantēsis]) verwiesen werden, wo ebenfalls von einer feierlichen Einholung gesprochen werden kann.124 An unserer Stelle (1Thess 4,17) wird die Annahme dieser Interpretation des Begriffs durch die gesamte Schilderung der Ankunft des κύριος [kyrios] nahegelegt. Was die Dignität des Ereignisses betrifft, steht diese jedenfalls in keiner Weise hinter der Ankunft eines irdischen Herrschers in einer Stadt zurück. Die gleichzeitige Verwendung von παρουσία [ parousia] (Ankunft) und εἰς ἀπάντησιν [eis apantēsin] lässt besonders an einen Vergleich beider Ereignisse denken, da beide im hellenistischen Schrifttum auch politische Konnotation haben.125 Für παρουσία [ parousia] lässt sich das bei Paulus besonders in 1Kor 15,23 und beim Gebrauch im 1Thess (vgl. auch 2Thess) zeigen, wo jeweils eine Nähe zu dieser im hellenistischen Schrifttum verbundenen Vorstellung wahrscheinlich ist. In diesem Schriftenkorpus wurde παρουσία [ parousia] für die Ankunft eines Herrschers, des Kaisers, des Königs aber auch anderer Autoritätspersonen, ja selbst von Truppen in einer Stadt verwendet, bei der regelmäßig besondere Feste veranstaltet wurden. Ebenso diente das Wort als Bezeichnung für die helfende Ankunft eines Gottes. Der religiöse und politische Gebrauch stehen sich hierbei nicht sehr fern.126 Es kann vorausgesetzt werden, dass die Gemeindemitglieder in Thessalonich diese Bedeutung des Begriffes nicht nur aufgrund der eben erwähnten historischen Tatsachen kannten. Sie dürften dies zum einen auch deshalb gekannt haben, weil mit der Parusie eines Herrschers in einem Gebiet oft eine neue Ära anbrach, insofern etwa das Münzwesen umgestellt wurde, und zum andern, weil Mazedonien erst unter Kaiser Claudius ab 44 n.Chr. wieder als senatorische Provinz organisiert und Thessalonich (erneut) Sitz des Statthalters wurde. In diesem Zusammenhang kann angenommen werden, dass auch dessen παρουσία [ parousia] in der Stadt mit den entsprechenden Festlichkei-

124 Dass ὑπάντησις und ἀπάντησις Synonyme sind, zeigen neben Mt 25,1 (vgl. 25,6 mit den verschiedenen Textvarianten) und den Lesarten der Codizes D*, F und G zu 1Thess 4,17, sowie denjenigen von A und einigen Minuskeln bei Joh 12,13, auch die Kodizes A und B bei Ri 11,34, wo das eine Mal ἀπάντησις und das andere Mal ὑπάντησις verwendet ist. Vgl. für diese Interpretation von εἰς ὑπάντησιν in Joh 12,13 etwa J. Becker, Joh II 377f; S. Schulz, Joh 165. 125 Vgl. so auch St. Schreiber 258. Gleichzeitige Verwendung von ὑπάντησις und παρουσία findet sich etwa bei Josephus, Ant. XI 8,4 (327f ). 126 Vgl. für Belege im einzelnen WB6 1272; LSJ 1343; G. Milligan 145-148; B. Rigaux 196-201 und den Überblick bei E. Best 353f. Eingehend wird dies auch von A. Deissmann, Licht, 314-320 und von M. Dibelius 14-16 mit weiteren Belegen dargelegt.

258

Kommentar

ten begangen worden ist, zumal nahezu 30 Jahre kein Statthalter mehr in Thessalonich Einzug gehalten hatte.127 Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass Paulus an dieser Stelle die Vorstellung impliziert, die Gläubigen würden dem Herrn, der ‚vom Himmel her‘ kommt (V. 16: ἀπ’ οὐρανοῦ [ap‘ ouranou]), entgegengehen oder von ihrem Herrn ‚in die Luft‘ gebracht werden, um ihn zu seinem Eintreffen auf der Erde feierlich abzuholen oder um ihn auf seinem Triumphzug hierher zu begleiten.128 Versteht man den Terminus ἀπάντησις [apantēsis] aus diesem Kontext heraus, dann scheiden die beiden weiteren in der Forschung vorgeschlagenen Interpretationsmöglichkeiten aus. Zum einen wurde angenommen, der Aufenthaltsort der Christen zusammen mit ihrem Herrn sei nicht die Erde, sondern eben der ἀήρ [aēr], also der Raum zwischen der Erdoberfläche und dem ‚Himmel‘.129 Dies kann doch mit Sicherheit abgelehnt werden, da dieser ‚Raum‘, insofern er als Wohnraum vorgestellt wurde, als Aufenthaltsraum von Geistern oder Dämonen beschrieben ist (vgl. Eph 2,2; TestXII.Ben 3,4). Zum anderen hatte man angenommen, es handle sich um den Himmel, wohin die Gläubigen zusammen mit ihrem Herrn nach deren Entrückung kommen würden. Vertreter dieser Auffassung gehen auch davon aus, dass mit ἀπάντησις [apantēsis] kein terminus technicus für die feierliche Einholung eines Herrschers vorliege.130 Die Vergleichbarkeit der Parusie eines Herrschers und der Parusie des wiederkommenden Herrn wird dabei grundsätzlich infrage gestellt. Die Gläubigen machen sich nicht, so wird eingewandt, wie bei einer ἀπάντησις [apantēsis] üblich, selbst auf den Weg, um den κύριος [kyrios] einzuholen, sie müssen vielmehr von diesem erst geholt (ἁρπάζειν [harpazein]) bzw. auferweckt und geholt werden. Meist ist zudem bei politischen feierlichen Einholungen von festlicher Kleidung und von freudigem Jubelgeschrei der Menge die Rede, auch dies fehlt in 1Thess 4,13ff.131 Für die beiden zuletzt genannten Charakteristika, die zur ‚Einholung‘ eines politischen Herrschers 127 Mazedonien war von 27 v.Chr. bis 15 n.Chr. senatorische Provinz. Nachdem sich die Provinzen Achaja und Mazedonien aufgrund der hohen Steuerlast bei Tiberius beschwert hatten, unterstellte dieser 15 n.Chr. beide Provinzen der direkten Herrschaft des Kaisers und vereinigte sie mit der ebenfalls kaiserlichen Provinz Moesien, von wo aus sie vom kaiserlichen Legaten verwaltet wurden, vgl. Tacitus, Ann I 76.80. 128 Vgl. für dieses wörtliche Verständnis M. Dibelius 28; T. Holtz 203; I.H. Marshall 13. 129 Ältere Vertreter werden bei E. v. Dobschütz 198 angeführt. 130 Vertreten wurde dies etwa schon von E. v. Dobschütz 199 und J.E. Frame 176. Unter den neueren wird dies von Ch. A. Wanamaker 175 angenommen. 131 Auf diese Sachverhalte weisen bes. M.R. Cosby, Receptions, (22-28.) 28f und J. Plevnik, Parousia, 60-63.89 hin. Die folgende Diskussion erfolgt v.a. mit diesen beiden Autoren.

Eschatologie 4,13-18

259

gehören, ist jedoch zum einen auf die Verwandlung zu verweisen, die den Christen bei der Parusie zuteilwerden wird. Sie werden Auferstehungsleiber erhalten, was aus der direkten Parallele zu unserem Text, 1Kor 15,51-51 (vgl. 2Kor 5,1-10), hervorgeht. Zum andern wird die Parusie des kommenden Herrn ebenfalls nicht ohne triumphale Klänge erfolgen, die bei einer herkömmlichen ‚Einholung‘ nicht fehlen dürfen, insofern seine Parusie durch ‚himmlische Klänge‘ eingeleitet wird (vgl. 1Thess 4,16; 1Kor 15,52; Mt 24,31). Hier handelt es sich natürlich insgesamt um die christliche Vorstellung der Parusie des κύριος Ἰησοῦς [kyrios Iēsous], die eben, weil es sich um den vom Himmel Herabkommenden handelt, von einer irdischen Einholung einer Respektsperson abgehoben werden musste. Deshalb ist diese aber eben keineswegs frei von der Vorstellung der profanen hellenistischen Einholung eines Herrschers. Das Argument, das v.a. mit dem Begriff ἁρπάζειν [harpazein] verbunden wird, dass nämlich nicht die Einholenden die Initiative ergreifen, um den neuen Herrscher einzuholen, sondern vielmehr der Herrscher initiativ werde, damit die Einholung stattfinden könne, oder, anders formuliert, dass bei hellenistischen ‚Einholungen‘ der Schwerpunkt der Darstellungen auf dem zeremoniellen Empfang des kommenden Herrschers durch die Bürger liege, 1Thess 4,13ff aber der kommende Herr selber, seine Macht und Herrlichkeit, ins Blickfeld gerückt sei, ist für die christliche Vorstellung nur allzu gut nachvollziehbar. Der Ort der Begegnung der Christen mit ihrem Herrn kann nur mithilfe dieses kommenden κύριος [kyrios] erreicht werden. Einen anderen Terminus als ἁρπάζειν [harpazein], bzw. μετατιθέναι [metatithenai] konnte Paulus an dieser Stelle gar nicht verwenden. In diesem Zusammenhang ist es theologisch bedeutsam, dass der kommende Christus die Seinen zu sich holt und sie an seinem triumphalen Auftritt auf der Erde teilhaben lässt. Diese Umkehrung der Vorstellung aus dem profanen Bereich könnte eine wesentliche Pointe der urchristlichen Parusievorstellung im Vergleich mit der hellenistischen Parusievorstellung eines neuen Herrschers darstellen: Hatten sich die Menschen in der Antike bei der Parusie der weltlichen Herrscher selbst auf den Weg zu machen, um diese zu empfangen, so wird bei der Parusie des κύριος Ἰησοῦς [kyrios Iēsous] dieser sich aufmachen, um die Seinen zu sammeln. Damit ist eine Demonstration seines einzigartigen Wesens verbunden, das allen weltlichen Herrschern gegenübergestellt wird. Mit diesem Hinweis kann ein weiterer Einwand gegen den Vergleich der beiden Vorstellungen entkräftet werden, wonach die Parusie Christi doch völlig unerwartet komme und nicht, wie sonst üblich, von den Verantwortlichen entsprechend vorbereitet werden könne. Der kommende Christus wird es sein, der seine ‚Gefolgschaft‘

260

Kommentar

zur rechten Zeit zubereiten und auf seine Ankunft vorbereiten wird. Gleichzeitig kann darauf verwiesen werden, dass die Christen mehrfach von Paulus aufgefordert werden, sich durch entsprechendes Verhalten auf die unerwartete Parusie Christi vorzubereiten, mithin allzeit bereit zu sein, dem überraschend kommenden Herrn zu begegnen (1Thess 5,2.8132). Wird dieser theologische Sachverhalt im Blick behalten, so verwundert es nicht, dass das Motiv der Gabendarbringung für den Kommenden ebenfalls fehlt. Wobei immerhin darauf verwiesen werden kann, dass Paulus bei der Parusie dem kommenden Herrn einen Siegeskranz darbringen kann, nämlich die Gemeinde der Gläubigen (1Thess 2,19, vgl. Phil 4,1). In diesem Zusammenhang kann auch auf 2Kor 1,14 aufmerksam gemacht werden: Die Korinther sind für Paulus und seine Mitarbeiter der Ruhm (καύχημα [kauchēma]) am Tag des Herrn, wie diese umgekehrt für die Korinther einen solchen darstellen werden. Bei Paulus ist weiter die Vorstellung belegt, dass an jenem Tag ein ἄφθαρτος στέφανος [aphthartos stephanos] (unvergänglicher Siegeskranz) verliehen werde. Am wahrscheinlichsten ist es, dass dieser denjenigen bei der Parusie durch Christus gegeben werden wird, die sich am Lauf für das Evangelium so eingesetzt haben wie einer, der bei einem Wettkampf den Sieg davonträgt (1Kor 9,24f, vgl. Phil 3,14). Mit leeren Händen werden die Christen demnach den wiederkommenden Herrn nicht empfangen, auch wenn sie keine Geschenke vorzuweisen haben, wie man sie weltlichen Herrschern darzubringen pflegte, sondern das, was sie bringen, selbst empfangen haben. Dies ist jedoch ebenfalls nicht verwunderlich. Erstaunlich wäre es hingegen, wenn dem kommenden Christus dieselben – selbst gemachten und vergänglichen – Gaben zu Füßen gelegt würden, wie jenen Regenten. Damit liegt insgesamt in 1Thess 4,13ff zwar keine identische Vorstellung zur gemeinantiken ‚feierlichen Einholung‘ eines Herrschers vor, es kann aber von vergleichbaren Gedanken, bzw. von gewollten Anspielungen geredet werden. Der christliche Kontext erfordert dabei eigene Akzente, teilweise auch Modifikationen von traditionellen Motiven. Dies könnte so aber von recht vielen, wenn nicht allen ntl. Motiven, die sich an die pagane Umwelt anlehnen, gesagt werden, wurden sie doch alle zumindest ‚christologisch‘, d.h. aufgrund des Christusereignisses, modifiziert. Bei der Vorstellung, der Herr würde mit den Seinen auf die Erde kommen, um sein Reich aufzurichten, kann man zudem auf jene Schriften des Judentums verweisen, in denen von einem messianischen Reich auf dieser Erde die 132 Zu synoptischen Parallelen von 1Thess 5,2 vgl. F.W. Röcker, Belial, 310f, wo besonders auf Mt 24,43f / Lk 12,39f aufmerksam gemacht wird.

Eschatologie 4,13-18

261

Rede ist. Man hat hierbei besonders zu beachten, dass bei der Vorstellung eines messianischen Reiches, wie sie sich etwa äthHen 91,12f; Sib 3,652760; 4Esr 7,28f; syrBar 29,3–30,5133 findet, Traditionen von der Restauration des davidischen Reiches durch den kommenden Messias aufgenommen und weitergebildet wurden. Dieses Reich ist aber ein irdisches Reich. Man kann hierbei zudem an Röm 11,26b (= Jes 59,20) denken: „Aus Zion wird der Retter kommen und er wird alle Gottlosigkeit von Jakob abwenden“, womit wieder an einen Retter gedacht ist, der auf dieser Welt das Gott wohlgefällige Volk Israel bilden wird. Das Ergebnis dieser feierlichen Einholung des Herrn, bei der dieser in allem der souverän Handelnde bleibt (so), ist, dass wir, also sowohl die bei der Parusie verstorbenen als auch die übrig gebliebenen Glaubenden, zu denen sich Paulus zählt, allezeit mit dem Herrn sein werden. Aus einer bis zur Parusie befristeten Existenz im Modus ‚in Christus‘ (ἐν Χριστῷ [en Christō], 4,16, vgl. 2,14; Röm 8,1; 16,7; 1Kor 1,30; 2Kor 5,17) wird so eine unbefristete (πάντοτε [ pantote]) Existenz im Modus ‚mit Christus‘ (σὺν Χριστῷ [syn Christō]). Das „soziative σὺν Χριστῷ εἶναι [syn Christō einai] ist bei Paulus auf die zukünftige Gemeinschaft mit Christus bezogen“ (vgl. Phil 1,23).134 Wie diese im Einzelnen ausgestaltet sein wird, wird nicht weiter ausgeführt. Für die Thessalonicher scheint diese Frage von eher geringerer Bedeutung gewesen zu sein. 18 Darum, also weil das so ist, wie in den V. 14–17 beschrieben, und weil die Gemeinde in Thessalonich nun auch über diese Sache Bescheid weiß, erhalten die an Christus Glaubenden die Mahnung (παρακαλεῖτε [ parakaleite] ist Imperativ), einander mit diesen Worten immer wieder (iteratives Präsens) aufzurichten, zu stärken, eben zu trösten. In 5,11 wird dies nochmals aufgegriffen werden (vgl. schon 3,2.7) und durch ‚auferbauen‘ (οἰκοδομεῖν [oikodomein]) weiter erläutert werden. Das Verb παρακαλεῖν [ parakalein] bildet beide Male den Gegenbegriff zu λυπεῖν [lypein] (traurig sein) in 4,13.

IV Zusammenfassung Wie schon bei 4,1–12, spielt auch in diesem Abschnitt die Stärkung der Gruppenidentität eine nicht unwesentliche Rolle.135 Zudem wird in diesem Abschnitt ausgeführt, worin lebendiger Trost für zu Tode Betrübte liegt. 133 Vgl. zu diesen Belegen E. Lohse, χιλιάς κτλ., ThWNT IX, 1973, 455-460. 134 D. Häußer, Phil 107, vgl. zum Verhältnis von Phil 1,23 zu unserer Stelle a.a.O., 106108. 135 Vgl. neben B.J. Malina; J.J. Pilch, Commentary, 49 z.B. auch R. Gebauer, Seelsorger, 108.

262

Kommentar

Die an Jesus Christus als den Herrn (κύριος [kyrios]) Glaubenden unterscheiden sich von allen anderen durch ihren Glaubenshoffnungsgrund, der in den Ereignissen um jene Tage, die später als Karfreitag und Ostern weltweit bekannt und gefeiert werden,136 seinen historischen Grund und im Glauben all derer, die sich zu der Gruppe der Christianer (Χριστιανοί [Christianoi], Apg 11,26; 26,28; 1Petr 4,16) zählen, seinen ‚Glaubensbeweis‘ hat. Die Glaubenden wissen historisch, dass Jesus gestorben ist und das Grab am dritten Tag leer war (Mk 16,6 / Mt 28,5f / Lk 24,5-7). Sie sind verbunden im Glaubenswissen darum, dass er auferstanden ist (4,14a) und lebt, was zahlreiche, dem Paulus bekannte Personen bezeugen können (vgl. 1Kor 15,3-8).137 Sie sind darüber hinaus durch die Hoffnung miteinander verbunden, ‚dass Gott die Entschlafenen durch Jesus mit ihm führen wird‘ (4,14b). Es ist für den Glauben der Christianer nicht unwichtig, dass es dieser Jesus (von Nazareth) ist – er, der am Kreuz starb, im Grab lag und der nach dem Bekenntnis auferstanden ist –, der als Herr (κύριος [kyrios]) wiederkommen wird (ἡ παρουσία τοῦ κυρίου [hē parousia tou kyriou], die Parusie des Herrn, 4,15) und die ‚Toten in Christus‘ und die dann noch lebenden Glaubenden zu sich, zur ewigen Gemeinschaft mit ihm, in einem triumphalen und einzigartigen (weltweiten) Festakt138 sammeln wird (4,15-17). Der Glaube der Christianer ist deshalb kein gespenstischer Glaube der Fantasie (vgl. Mk 6,49 / Mt 14,26) und kein fundamentfreies fabelhaftes Wissen, das menschlichem Mythos entspränge (vgl. 2Petr 1,16), weil er seinen Ursprung in einem Gott hat, der sich irdisch gezeigt hat, der mithin in der Geschichte sichtbar (erkennbar) geworden ist,139 und weil es dieser bekannte, als Mensch zu den Menschen heruntergekommene Gott ist (Phil 2,7), mit dem deshalb in Verbindung mit seiner Auferstehung mit gutem Grund die Hoffnung verbunden ist, er werde wiederkommen. Zentral ist an dieser Stelle gewiss, dass „nicht der Glaube als solcher und somit ein menschlicher Erfahrungswert […] zur Vergewisserung herangezogen [wird], 136 Einen informativen Überblick über die Entstehung des Osterfest(kreis)es bietet K.-H. Bieritz, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, München 92014, 169-241. 137 Vgl. zur Auferstehungsthematik aus der Vielzahl der Literatur nach wie vor die Beiträge in F. Avemarie; H. Lichtenberger (Hg.), Auferstehung – Resurrection, WUNT 135, Tübingen 2001 und H.-J. Eckstein; M. Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 32007 (= 2001), aber z.B. auch H. Hempelmann, Wirklich auferstanden! Historische und philosophische Argumente für den Osterglauben, Witten 4 2011. 138 Vgl. das bei 4,17 zum Terminus der ἀπάντησις (Einholung) Ausgeführte. 139 Vgl. besonders jene Erscheinungsberichte, in denen die Aor. pass. Form von ὁρᾶν (sehen) mit der aktiven Bedeutung ‚erscheinen‘ (vgl. dazu HvS § 191 g) gebraucht wird: Lk 24,34; Apg 9,17; 13,31; 26,16; 1Kor 15,5-8.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

263

sondern das Heilshandeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu, auf das sich der Glaube bezieht.“140 Ein derartiges Glaubensbekenntnis der Hoffnung ist Trost – und nicht etwa Vertröstung (4,18). Dies kann wiederum nur bekannt bzw. assertorisch konstatiert werden und wird so zur Seelsorge: „Wir werden allezeit mit dem Herrn sein“! Das in der Taufe auf den Namen Jesu Christi (vgl. Röm 6,3; Gal 3,27: εἰς Χριστόν [eis Christon]) begonnene Leben in Christus (ἐν Χριστῷ [en Christō], vgl. 4,16) wird über den Tod hinaus in neuer Form (σὺν Χριστῷ [syn Christō], 4,17) fortgeführt werden.

Eschatologie und Ethik 5,1-11 I Übersetzung 1 Von Zeiten aber und Stunden, Brüder, habt ihr es nicht nötig, dass euch geschrieben werde, 2 ihr selbst wisst nämlich sehr genau, dass der Tag des Herrn wie ein Dieb in der Nacht, so kommt er.1 3 Immer wenn sie sagen:2 „Friede und Sicherheit“, dann kommt plötzlich das Verderben über sie, so wie die Wehen über eine Schwangere, sodass3 sie auf keinen Fall4 entfliehen können. 4 Ihr aber, Brüder, ihr seid nicht in der Finsternis, sodass5 euch der Tag wie ein Dieb überfällt. 5 Ihr alle nämlich, ihr seid Kinder des Lichts und Kinder des Tages. Wir sind weder der Nacht noch der Finsternis (zugehörig).6 6 Also lasst uns nun nicht schlafen, wie die Übrigen, sondern lasst uns wachsam und nüchtern sein.7 7 Die, die schlafen, schlafen des Nachts und die, die sich betrinken, sind des Nachts8 betrunken.

140 R. Gebauer, Seelsorger, 108. 1 Präsens mit futurischer Bedeutung, vgl. HvS § 197 c. 2 Ὅταν entspricht ὅτε ἄν und leitet einen temporalen Nebensatz ein. Λέγωσιν ist Konj. Präs. und signalisiert in Verbindung mit ὅταν Allgemeingültigkeit, vgl. HvS § 276 a. 3 Zum konsekutiv gebrauchtem ἵνα, das anstelle von ὥστε steht, vgl. HvS § 279 a. 4 Οὐ μή mit Konj. Aor. steht für die stärkste Verneinung eines in der Zukunft liegenden Sachverhalts, vgl. HvS § 247 a. 5 Erneut konsekutiv gebrauchtes ἵνα, das anstelle von ὥστε steht, vgl. HvS § 279 a; für diese Stelle auch NSS II, 203. 6 Alle vier Genitive sind Genitive Zugehörigkeit, gen. pertinentiae, wobei hier übertragener Gebrauch der engen Beziehung einer Person zu einer Sache vorliegt, vgl. HvS § 159 d; für diese Stelle auch NSS II, 203. 7 Drei präsentische Konjunktive, einer prohibitiv, zwei adhortativ. 8 Zweimal gen. temporis, vgl. HvS § 168 a.

264

Kommentar

8 Wir aber, weil wir des Tages9 sind, lasst uns nüchtern sein,10 nachdem11 wir als Panzer den Glauben und die Liebe und als Helm die Heilshoffnung12 angezogen haben, 9 denn13 Gott hat uns nicht zum Zorn bestimmt,14 sondern zum Heilsgewinn15 durch unseren Herrn, Jesus Christus, 10 der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder ob wir schlafen, wir zugleich zusammen mit ihm leben. 11 Deshalb16 tröstet einander und stärke17 einer den andern, so wie ihr es auch tut.

II Struktur Der Abschnitt ist deutlich markiert, sowohl was seinen Beginn als auch was seinen Abschluss betrifft. Περὶ δέ [ peri de] (von … aber) führt ein weiteres Thema ein (vgl. 4,9.13), die Anrede ‚Brüder‘ dient als weiterer Marker für einen Neueinsatz. Παρακαλεῖτε ἀλλήλους [ parakaleite allēlous] (tröstet einander) ist eine Abschlussformulierung, die schon von 4,18 her bekannt ist. Inhaltlich lassen sich vier Unterabschnitte bestimmen. Die V. 1–3 handeln von ‚Zeiten und Stunden‘ und haben den ‚Tag des Herrn‘ zum Thema. In V. 1 liegt die rhetorische Figur der praeteritio vor, wie dies schon aus 4,9 bekannt ist.18 In diesem wie auch im folgenden Abschnitt steht metaphorische Rede im Vordergrund. Hier, in V. 1–3, sind es die Metaphern vom Dieb in der Nacht und von den Wehen der Schwangeren. Die metaphorischen Gegensatzpaare Nacht und Tag, Finsternis und Licht, Betrunkenheit und Nüchternheit, schlafen und wachen prägen die V. 4–8. Wobei dies nicht die einzigen Metaphern im Abschnitt bleiben, auch anziehen, Panzer und Helm sind hier anzuführen. Die Metapher vom ‚Dieb‘ (V. 2.4), aber auch von ‚Tag‘ und ‚Nacht‘ (V. 2.4f ) verbinden diese beiden ersten Unterabschnitte. Mit V. 9–10 rückt mit einem weiteren Gegensatzpaar, nämlich dem des eschatologischen Zorns und des eschatologischen Heils, die grundsätzliche Bestimmung des Gläubigen ins Zentrum.

9 Erneuter gen. pertinentiae in übertragener Bedeutung, vgl. V. 5. 10 Adhortativer Konjunktiv, vgl. V. 6. 11 Das adverbiale Ptz. Aor. ist vorzeitig zu übersetzen, vgl. HvS § 231 d; für diese Stelle auch NSS II, 203. 12 Drei epexegetische Genitive, vgl. HvS § 165; für diese Stelle auch NSS II, 203. 13 Vgl. zu kausalem ὅτι HvS § 277 a. 14 Zu τίθεσθαι in dieser Bedeutung vgl. WB6 1628 s.voc. τίθημι II 2. c und BDR § 3162. 15 Σωτηρία ist gen. obiectivus, vgl. WB6 1310 s.voc. περιποίησις 2; NSS II, 203. 16 Zu διό vgl. bei der Übersetzung von 3,1. 17 Vgl. zur Übersetzung die Auslegung z.St. 18 Für Einzelheiten zu dieser Stilfigur vgl. die Auslegung dort.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

265

Der den Abschnitt abschließende V. 11 stellt eine Ermahnung dar, wobei dessen zwei Imperative (παρακαλεῖτε καὶ οἰκοδομεῖτε [ parakaleite kai oikodeomeite]) in einen Indikativ münden (ποιεῖτε [ poieite]). Die grammatische Struktur des Abschnitts ist aufgrund seiner relativ kurzen Sätze recht transparent. Der einleitende V. 1 bildet einen Hauptsatz für sich, dem sich V. 2 als weiterer eigener Hauptsatz mit demselben Subjekt (ihr, Brüder) und untergeordnetem konjunktionalen Nebensatz (ὅτι [hoti]) anschließt. V. 3 bildet eine Satzperiode, die durch die beiden temporalen Konjunktionen ὅταν [hotan] (immer wenn) … τότε [tote] (dann) dominiert wird. Die sich an den durch τότε [tote] eingeleiteten Nebensatz anschließende Metapher wird durch vergleichendes ὥσπερ [hōsper] (so wie) eigens markiert. Die Folgerung aus den beiden Konjunktionalsätzen ist mit καί [kai] angeschlossen. Die beiden im Konjunktiv stehenden finiten Verben zu Beginn und am Schluss der Satzkonstruktion bilden eine Art Klammer um den Satz (λέγωσιν … ἐκφύγωσιν [legōsin … ekphygōsin], sie sagen … sie entfliehen). V. 4 ist erneut ein selbstständiger Satz, ebenso wie V. 5. Beide haben jeweils indikativische Verbformen von εἶναι [einai] (sein) im Hauptsatz. Bei V. 4 ergänzt ein konjunktionaler Nebensatz (ἵνα [hina]) den Hauptsatz. V. 6 wird durch die Folgerungspartikel ἄρα [ara] eingeleitet, die durch οὖν [oun] verstärkt wird.19 Zwei substantivierte Partizipien in Verbindung mit jeweils wortstammverwandten finiten Verben prägen die Satzstruktur in V. 7 (schlafen, betrunken sein, Nacht). V. 8 bildet dazu den Gegensatz, was durch ein adversatives δέ [de] markiert ist: nüchtern sein, Tag. Wobei der Hauptsatz durch einen Nebensatz ergänzt wird, der von einem participium coniunctum eingeleitet wird (ἐνδυσάμενοι [endysamenoi]). V. 9 ergänzt ebenfalls den mit V. 8 begonnen Hauptsatz durch einen konjunktionalen Nebensatz (ὅτι [hoti]), welcher durch einen Relativsatz in V. 10 fortgeführt wird (τοῦ ἀποθανόντος … [tou apothanontos …], der gestorben ist …). Ein erneuter konjunktionaler Nebensatz (ἵνα [hina]), der den Hauptsatz ergänzt, beendet die längste Satzperiode im Abschnitt.

19 Vgl. HvS § 252 4. Dies ist im NT so nur im Corpus Paulinum belegt. Von den insgesamt zwölf Nachweisen für ἄρα οὖν finden sich acht im Römerbrief (Röm 5,18; 7,3.25; 8,12; 9,16.18; 14,12.19; vgl. Gal 6,10; Eph 2,19; 2Thess 2,15).

266

Kommentar

Grafisch lässt sich die Satzperiode von V. 8–10 wie folgt darstellen: ἡμεῖς δὲ

ἡμέρας ὄντες

νήφωμεν

ἐνδυσάμενοι θώρακα πίστεως καὶ ἀγάπης καὶ περικεφαλαίαν ἐλπίδα σωτηρίας· ὅτι οὐκ ἔθετο ἡμᾶς ὁ θεὸς εἰς ὀργὴν ἀλλ’ εἰς περιποίησιν σωτηρίας διὰ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ ἀποθανόντος ὑπὲρ ἡμῶν, ἵνα εἴτε γρηγορῶμεν εἴτε καθεύδωμεν ἅμα σὺν αὐτῷ ζήσωμεν.

[hēmeis de

hēmeras ontes nēphōmen endysamenoi thōraka pisteōs kai agapēs kai perikephalaian elpida sōtērias: hoti ouk etheto hēmas ho theos eis orgēn all’ eis peripoiēsin sōtērias dia tou kyriou hēmōn Iēsou Christou Tou apothanontos hyper hēmōn, hina eite grēgorōmen eite katheudōmen hama syn autō zēsōmen.]

Wir aber,

weil wir des Tages sind, lasst uns nüchtern sein, nachdem wir als Panzer den Glauben und die Liebe und als Helm die Heilshoffnung angezogen haben, denn Gott hat uns nicht zum Zorn bestimmt, sondern zum Heilsgewinn durch unseren Herrn, Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder ob wir schlafen, wir zugleich zusammen mit ihm leben.

III Einzelexegese Von Zeiten und Stunden, von Wachsamkeit und Nüchternheit 1 Paulus verweist mit der einleitenden Formulierung Von20 Zeiten aber und Stunden auf der Gemeinde bereits bekannte Unterweisung hin.21 Dass es sich um Bekanntes im eschatologischen Lehrstück von ‚den letzten Dingen‘ handeln muss, das legt nicht nur die rhetorische Figur der praeteritio nahe,22 sondern auch das Adverb ἀκριβῶς [akribōs] (sehr genau, V. 2).23 Im NT liegt in Apg 1,7 eine Parallelformulierung zu οἱ χρόνοι καὶ οἱ καιροί [hoi chronoi kai hoi kairoi] vor. Auch hier (Apg 1,7) geht es um die Wieder20 21 22 23

Zur Wendung περὶ δέ vgl. bei 4,9.13. Vgl. hierzu auch das zu 4,14 Ausgeführte. Vgl. dazu die Hinweise oben bei I und z.B. R. Hoppe 286.290. Vgl. zum Folgenden F.W. Röcker, Belial, 306-321.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

267

kunft Christi bzw. um die Aufrichtung der βασιλεία τῷ Ἰσραήλ [basileia tō Israēl] (Königreich für Israel, 1,6).24 In der atl. apokalyptischen und sapientialen Literatur sind zu vergleichen Dan 2,21 (‫[ ִע ָדַּניּ ָא ְוִזְמַניּ ָא‬ʿidānajjāʾ wezimnajjāʾ], LXX: καιροὺς καὶ χρόνους [kairous kai chronous]); 7,12 (‫ַעד־ְזַמן ְוִע ָדּן‬ [ad-zeman weʿidān], LXX: ἕως χρόνου καὶ καιροῦ [heōs chronou kai kairou]); Weish 8,8fin25 und aus der Qumranliteratur etwa 1QH IX (I),8; XV (VII),31; 1QS IV,1, die ebenfalls von ‚Zeiten und Stunden‘ reden.26 Sehr wahrscheinlich liegt damit ein Hendiadyoin vor, und es ist weniger die detaillierte Differenz zwischen Zeitpunkten (καιροί [kairoi]) und Zeitabschnitten (χρόνοι [chronoi]) im Blick.27 Aus MekEx 16,32 (59b) ist jedenfalls ersichtlich, dass das Judentum diese Frage zu denjenigen Dingen zählte, die unter dem Diktum firmierten: nescimus (wir wissen es nicht): Niemand weiß […] wann das Reich des Hauses David (das Messiasreich) an seinen Platz zurückkehren wird, u.[nd] wann das frevlerische Reich (= Rom) ausgerottet wird.28

Wie dem auch sei, in jedem Fall handelt sich mit der Formulierung um eine aus der apokalyptischen und weisheitlichen Sprache bekannten Redewendung, die Paulus aufnimmt29 und bei der die Thessalonicher das Gesamte der Lehre über die letzten Dinge assoziiert haben dürften, die Paulus ihnen bereits bei seinem Gemeindegründungsbesuch mitgeteilt hatte.30 2 Mit betontem Subjekt, ihr selbst, erinnert Paulus31 jetzt die Thessalonicher, dass sie bestimmte Einzelheiten über die Zeit vor der Parusie sehr genau (ἀκριβῶς [akribōs])32 von seiner Missionsverkündigung33 kennen. Mit ἀκριβεία [akribeia], so kann u.a. bei Josephus (Ant XX 43) und Lukas (Apg 24 R. Pesch, Apg 1, 65 hat vermutet, dass es sich bei Apg 1,7 um eine Neuformulierung von Mk 13,32 handelt, wobei evtl. 1Thess 5,1 bei der Formulierung eine Rolle gespielt haben könne. Vgl. zur Vorstellung auch Apg 3,19-21. Für den Bezug von Apg 1,7 zu Mk 13,32 vgl. auch D.L. Bock, Acts 63. 25 Von der Weisheit heißt es da: προγινώσκει καὶ ἐκβάσεις καιρῶν καὶ χρόνων (im voraus kennt sie den Ausgang aller Zeiten; vgl. zur Übersetzung H. Hübner, Weish 113). 26 Für weitere Belege vgl. z.B. St. Schreiber 265. 27 So schon E. v. Dobschütz 204 und im Anschluss an ihn z.B. I.H. Marshall 132, vgl. so auch St. Schreiber 265; J.A.D. Weima 344; R. Hoppe 290. 28 Bill II, 588f zu Apg 1,7. 29 So z.B. schon E. v. Dobschütz 204, vgl. auch R. Hoppe 287. 30 Vgl. für Einzelheiten dazu oben bei 4,13f. 31 Dies tut er fast schon stereotyp in diesem Brief, vgl. 2,1f.9-11; 3,3f; 4,2.11. 32 Sonst im Corpus Paulinum nur noch Eph 5,15. 33 Vgl. hierzu T. Holtz 212.

268

Kommentar

22,3; 26,5) nachgelesen werden, ist ein Spezifikum des Pharisäismus benannt. Paulus hat also demnach mit geradezu pharisäischer Akribie auf einzelne eschatologische Sachverhalte hingewiesen. Damit ist Paulus hier einem Zug seiner Ausbildung in Jerusalem bzw. seiner (einstigen) pharisäischen Existenz gefolgt.34 Sehr genau wissen die Thessalonicher z.B. über den Tag des Herrn Bescheid. Damit ist natürlich der Tag der Parusie des Herrn (2,19; 3,13; 4,15; 5,23) vom Himmel her (4,16) gemeint.35 Dass hier vom ‚Tag des Herrn‘ und nicht von der ‚Parusie des Herrn‘ die Rede ist, mag auch geschuldet sein der den Abschnitt durchziehenden Thematik von diesem Tag als Gerichtstag (vgl. v.a. 5,9 und im AT Jes 2,12-21; Jer 46,10; Joel 1,15; 2,1f.11fin; 3,4fin u.ö.),36 jedenfalls aber als Tag, bei dem zwischen Trunkenen und Nüchternen, Schlafenden und Wachenden usw. unterschieden werden wird. Der ‚Tag des Herrn‘ ist im Corpus Paulinum recht unmissverständlich als der Tag der Ankunft des Parusiechristus und der Sammlung seiner weltweiten Gemeinde beschrieben.37 Mit der Wendung ἡμέρα τοῦ κυρίου (ἡμῶν) (Ἰησοῦ) (Χριστοῦ) [hēmera tou kyriou (hēmōn) (Iēsou) (Christou)] (Tag des [unseres] Herrn [Jesu] [Christi]) wird im Corpus Paulinum auf diesen Tag Bezug genommen, außer an unserer Stelle und 1Kor 1,8 noch bei 1Kor 5,5; 2Kor 1,14 und 2Thess 2,2. Auch diese Stellen legen nahe, dass der Tag des Herrn mit dem Tag der Parusie des Herrn identisch ist und dass dieser sowohl Heil als auch Gericht bringen wird.38 Dieser Tag kommt wie ein Dieb in der Nacht. Das Bild vom Dieb in der Nacht ist so weit verbreitet, dass es schon im allerfrühesten Christentum Ge34 Zur Bedeutung des Begriffes ἀκριβεία für den Pharisäismus, und damit für Paulus, der seine pharisäische Prägung in Jerusalem erhalten hat, vgl. M. Hengel; R. Deines, Paulus, 117 mit Anm. 168 und a.a.O., 123f.127. Hengel und Deines verweisen (a.a.O., 117 mit Anm. 168) auf Josephus, Ant XX 43, wo von dem galiläischen Juden Eleasar gesagt wird: πάνυ περὶ τὰ πάτρια δοκῶν ἀκριβῆς εἶναι (bezüglich der väterlichen Überlieferungen galt er als ganz besonders kundig). Vgl. auch den Hinweis auf Vit 191 (a.a.O., 130 mit Anm. 205); vgl. weiter Bell II 162. 35 Vgl. 1Kor 1,8 wo ἡμέρα τοῦ κυίρου durch wenige Textzeugen in παρουσία τοῦ κυρίου geändert worden ist. 36 So v.a. N. Wendebourg, Tag, 162. 37 Außerhalb des Corpus Paulinum findet sich der Ausdruck ἡμέρα (τοῦ) κυρίου nur noch in Apg 2,20 in einem Zitat aus Joel 3,4 (LXX) und in 2Petr 3,10 in Verbindung mit dem Bild vom Dieb in der Nacht, vgl. dazu gleich. Die umfänglichste aktuelle Untersuchung zum ‚Tag des Herrn‘ hat N. Wendebourg, Tag vorgelegt. Zahlreiche Belege zum ‚Tag des Herrn‘ aus dem AT auch bei St. Schreiber 266f. 38 Vgl. ausführlich dazu F.W. Röcker, Belial, 361-364. Zur Identifikation des ‚Tages des Herrn‘ an unserer Stelle mit der Parusie Jesu Christi vgl. auch N. Wendebourg, Tag, 162 und z.B. St. Schreiber 267.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

269

meingut gewesen ist. Es eignete sich deshalb besonders dazu, in verkürzter Form an ein breiteres Wissen in den Gemeinden zu erinnern. Es ist u.a. in der synoptischen Tradition belegt und geht auf Jesus selbst zurück (Mt 24,43f / Lk 12,39f [Q]).39 Zur Bedeutung des Bildes vom Dieb für die Wiederkunft Christi in der urchristlichen Verkündigung können außerdem herangezogen werden: 2Petr 3,10; Offb 3,3; 16,15 (vgl. EvThom 21b.103; Did 16,1).40 Ein Dieb kommt unerwartet, plötzlich (vgl. 5,3) und immer zur ungelegenen Zeit, er nutzt meist die Zeit der Dunkelheit und Nacht.41 Zur Vorstellung der unerwartet plötzlichen Ankunft des Messias im Judentum vgl. auch Sanh 97a: „Ich habe gelernt: Drei kommen unerwartet, nämlich der Messias, ein Fund u. ein Skorpion.“42 Der Tag des Herrn, der wie ein Dieb in der Nacht kommt, so die Logik des weiteren Abschnittes, kommt für diejenigen, die wachen und nüchtern sind, zwar ebenfalls unerwartet, plötzlich und möglicherweise zur ungelegenen Zeit, aber sie sind nicht unvorbereitet auf dessen Kommen. Frappierenderweise wird das Bild vom in der Nacht kommenden Dieb auch zum Hinweis auf die Gewissheit, dass der Tag des Herrn kommen wird: So gewiss, wie der Dieb in der Nacht kommt, so gewiss kommt er, nämlich der Herr an seinem Tag.43 3 Das Subjekt der beiden finiten Verben sie sagen und sie entfliehen bleibt unbestimmt. Wer genau gemeint ist, bleibt daher auch unbestimmbar. Es kann nur so viel gesagt werden, dass es Personen sein mussten, die durch ihre immer wieder wiederholten (iteratives Präsens) Behauptungen über die Gegenwart eine nicht zutreffende Analyse derselben propagierten und dabei andere, nicht zuletzt auch die Gemeinde in Thessalonich, in falscher Sicherheit wogen. Am plausibelsten dürfte es sein, bei diesem unkonkreten Subjekt an jene zu denken, die 4,13 ‚die Übrigen‘, 4,4 ‚die Heiden, die Gott nicht kennen‘ und 4,12 ‚die, die außerhalb sind‘ genannt werden, also an jene, die sich nicht, wie die zur Gemeinde Gehörigen, von den ‚Götterbildern abgewandt haben‘ (1,9). Ihnen wird unterstellt, sie würden sagen: „Friede und Sicherheit“. Was auch immer sich hinter diesen beiden Schlagworten verber39 Vgl. J.A.D. Weima 346f, vgl. zur gemeindlichen Erweiterung des Jesuslogions J. Jeremias, Gleichnisse, 45-48. Zur Interpretation des Gleichnisses vgl. z.B. M. Labahn, Menschensohn. 40 Vgl. zum Kommen von Dieben in der Nacht im AT Jer 49,9 und die parallele Vorstellung dazu bei Ob 5, vgl. weiter Hiob 24,14fin; Joel 2,9 zu diesen Belegen vgl. bei St. Schreiber 267 und R. Hoppe 291f. 41 Zur Erwähnung der Nacht als Verbindungsglied zu den folgenden Ausführungen, die den Gegensatz Tag – Nacht ausführlicher aufgreifen, vgl. schon oben bei II. 42 Bill I, 601. 43 Οὕτως korrespondiert ὡς.

270

Kommentar

gen mag, es musste bei den Adressaten des 1Thess zu Verunsicherungen geführt haben, die deren eschatologischen Vorstellungen betraf. Die traditionsgeschichtlichen Bezüge für die beiden Schlagwörter ‚Friede‘ und ‚Sicherheit‘ versuchte man in der Forschung von drei unterschiedlichen Richtungen her zu erklären. Zum einen wurde an eine Anspielung auf die Grundpfeiler des römischen Reiches pax et securitas gedacht, die Termini und damit häufig auch der gesamte Abschnitt werden also auf einem politischen Hintergrund interpretiert.44 Zum anderen hat man als Traditionshintergrund die epikureische Philosophie angeführt, in der die beiden Begriffe eine hervorgehobene Rolle spielten.45 Als weitere Möglichkeit wurde die apokalyptisch-prophetische Tradition geltend gemacht, wie sie in Jer 6,14; Hes 13,10.16 angelegt ist.46 Ein politischer Schwerpunkt scheint mir in 1Thess 5,1ff jedoch nicht im Vordergrund zu stehen, da der Abschnitt eine derartige Konnotation kaum in erster Linie voraussetzt oder sie gar intendieren würde. Die Situation in Thessalonich lässt ebenfalls eher nicht an einen politischen Hintergrund denken. Dass allerdings sowohl dem Paulus als auch der Gemeinde in Thessalonich die Rede von jenen römischen ‚Grundpfeilern‘ bekannt gewesen ist, braucht deshalb keineswegs in Abrede gestellt zu werden. Noch klarer dürfte das für das Heranziehen der epikureischen Philosophie als Erklärungshilfe für die Interpretation der Wortverbindung gelten. Sie spielt hierfür jedoch ebenfalls höchstens eine untergeordnete Rolle. Am ehesten kann in diesem Zusammenhang noch an ein „verbreitetes Schlagwort“ gedacht werden, an das Paulus und auch die Adressaten des Briefes haben erinnert werden können.47 Der gesamte Kontext 4,13–5,11 legt eine Interpretation auf dem Hintergrund der atl. und jüdisch-apokalyptischen Vorstellungswelt nahe. Das konnte jedenfalls für 4,13-18 gezeigt werden. Für 5,3 kann zunächst auf Jer 6,14 und Hes 13,10.16 hingewiesen werden, wo mit der Behauptung von einigen, es herrsche (in politischer Hinsicht) Frieden, aus der Sicht der beiden Propheten nur von einem faulen Scheinfrieden die Rede ist. Eine ähnliche Warnung dürfte Paulus hier ebenfalls aussprechen, auch wenn literarisch kaum nachgewiesen werden kann, dass Paulus sich an dieser Stelle in der 44 So etwa H.L. Hendrix, Archaeology, 113-118; K.P. Donfried; (I.H. Marshall), Theology, 16, vgl. a.a.O., 54; G. Haufe 93; vgl. zu Donfried auch den Überblick bei A.J. Malherbe 303. Für diese Auffassung haben sich auch T.D. Still, Conflict, 262-266 (v.a. im Anschluss an die Ausführungen von H.L. Hendrix) und am ausführlichsten Chr. v. Brocke, Thessaloniki, 170-185 ausgesprochen. 45 Vgl. das Referat bei A.J. Malherbe 304f 46 Vgl. etwa B. Rigaux 557f; I.H. Marshall 134; T. Holtz 215; Ch. A. Wanamaker 180; E.J. Richard 250f. 47 So G. Haufe 93.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

271

Tradition von Jeremia oder Ezechiel stehend versteht. Sehr wahrscheinlich liegt die nächste Parallele zur hier vorliegenden Vorstellung im NT selbst. Dem knappen Hinweis des Paulus dürfte nämlich eine Tradition zugrunde liegen, wie sie auch bei Lk 21,34-36 vorauszusetzen ist.48 Schon der statistische Wortbefund im NT macht die Nähe der beiden Stellen deutlich. Drei Termini aus 5,3 sind im NT nur bei Lukas und im Corpus Paulinum belegt: Ἀσφάλεια [Asphaleia] (Sicherheit) ist außer 5,3 noch Lk 1,4; Apg 5,23

belegt, αἰφνίδιος [aiphnidios] (plötzlich) ist im NT nur 5,3 und Lk 21,34 nachweis-

bar,49

ἐφίστασθαι [ephistasthai] (über etwas kommen) ist im NT zwar 21-mal belegt, kommt aber ebenfalls nur bei Lk und im Corpus Paulinum vor, nämlich 18-mal im lukanischen Doppelwerk und dreimal im Corpus Paulinum, wobei das Verb sowohl 5,3 als auch Lk 21,34 gebraucht ist und im NT nur an diesen beiden Stellen in der Bedeutung ‚über etwas kommen‘ steht.50 Auch ἐκφεύγειν [ekpheugein] (entfliehen) ist im NT in auffallender Übereinstimmung bei Paulus und Lukas belegt, u.a. Lk 21,36.51 Für das Substantiv ὠδίν [ōdin] (Wehen) kann bei Lukas auf den als Parallelbegriff gebrauchten Terminus παγίς [ pagis] (Schlinge; Lk 21,35) verwiesen werden. Beide werden nämlich schon von der LXX synonym gebraucht, wie Ps 17(18),6 zeigt: Wehen (ὠδῖνες [ōdines]) des Hades umringten mich es umgaben mich Schlingen (παγίδες [ pagides]) des Todes.52 Im Übrigen sei wenigstens darauf hingewiesen, dass γρηγωρεῖν [grēgōrein] (wachen) in 5,6 durch das entsprechende Synonym ἀγρυπνεῖν [agrypnein] (sich wach halten) in Lk 21,36 belegt ist und jeweils beide aufgrund des Präsensstammes durative Bedeutung aufweisen.

48 Vgl. hierfür B. Rigaux 558 (vgl. auch die Tabelle a.a.O., 99f ); I.H. Marshall 134; T. Holtz 216 und, wenn auch zurückhaltend, R. Hoppe 297f. 49 Vgl. ἐξαίφνης Lk 2,13; 9,39; Apg 9,3; 22,6. Sonst im NT nur noch Mk 13,36 mit bemerkenswerter Nähe zu 1Thess 5,3ff. 50 Vgl. so WB6 668 s.voc. ἐφίστημι 1.b. 51 Vgl. weiter für Lukas: Apg 16,27; 19,16 und für Paulus: Röm 2,3; 2Kor 11,33 – sonst im NT nur noch Hebr 2,3; 12,25. 52 Mit der Übersetzung der Wurzel ‫חבל‬, die bei παγίς als hebr. Äquivalent vorauszusetzen ist, hatten schon die Übersetzer der LXX ihre Schwierigkeiten. So wurde ‫ חבל‬I (Strick, Seil; παγίς) mit ‫ חבל‬IV (Wehen; ὠδίν) verwechselt, vgl. Ps 18 (17),6 / 2Sam 22,6; Ps 116 (114),3. Bei Hiob 21,17c (ὠδίν) wurde von der LXX wahrscheinlich ‫ חבל‬III (Gewalttat, Mord) mit ‫ חבל‬IV verwechselt.

272

Kommentar

Nun mag allein der Wortbestand in den beiden Texten 5,3 und Lk 21,34-36 die Last eines Beweises für eine (literarische) Abhängigkeit des Paulus von Lukas nicht tragen können. Die verbalen Parallelen zwischen 5,3(.6) und Lk 21,3436 legen jedoch mindestens nahe, dass beide aus derselben urchristlichen Tradition schöpfen. Diese könnte möglicherweise ihrerseits bei Jesaja Anleihen gemacht haben. In Jes 13,6-8 ist ὠδίν [ōdin] (Wehe, 6,8a) und in Jes 24,17 παγίς [ pagis] (Schlinge) in eschatologischem Kontext belegt. In beiden Texten liegen im Wesentlichen dieselben Inhalte wie in Lk 21 bzw. 1Thess 5 vor.53 So ist in Jes 13,6 vom kommenden ‚Tag des Herrn‘ die Rede, mit dem die ‚Vernichtung von Gott‘ kommen wird; Jes 24,17 spricht von der Plötzlichkeit und Gefährlichkeit des kommenden ‚Tages des Herrn‘. Das in Jes 13,6 verwendete συντριβή [syntribē] (Vernichtung), das im NT nicht belegt ist, kann als Synonym zu ὄλεθρος [olethros] (Verderben) aufgefasst werden. Die Termini sind bei Jesaja wie bei Paulus jeweils aus stilistischen Gründen (Abwechslung) für ἡμέρα κυρίου [hēmera kyriou] verwendet. Wurden die Thessalonicher durch andauerndes ‚Gerede‘ von ‚Außenstehenden‘ verunsichert, die behaupteten, alles sei in bester Ordnung und es gebe gewiss keinen Anlass, sich angesichts des stabilen Friedens und der großen Sicherheit, die beide politisch gewährleistet seien, zu fürchten, schon gar nicht vor dem Kommen eines Herrschers (κύριος [kyrios]),54 der alles grundstürzend verändern werde? Die oben vorgestellten Überlegungen legen dies nahe. Dem will Paulus durch die Ausführungen 5,3-6(.7–11) begegnen. Denn gerade dann, wenn alle behaupten, überall herrsche Friede und man sei grundsätzlich sicher, gerade dann komme das Verderben plötzlich über sie. Was mit ὄλεθρος [olethros] verbunden werden konnte, das im NT nur im Corpus Paulinum und hier stets im Kontext von Gerichtsterminologie gebraucht ist (1Kor 5,5; 2Thess 1,9; 1Tim 6,9), zeigen, außer diesen Belegen, z.B. 3Reg (1Kön) 13,34, wo von der ‚vollständigen Vernichtung‘ des ‚Hauses des Königs Jerobeam‘ auf der Erde die Rede ist, oder Weish 1,12, wo ὄλεθρος [olethros] synonym zu θάνατος [thanatos] (Tod) gebraucht ist, und Weish 1,14, wo ‚Königtum der Hölle‘ (ᾅδου βασίλειον [hadou basileion]) paralleles Syntagma zu ‚Arznei des Verderbens‘ (φάρμακον ὀλέθρου [ pharmakon olethrou]) bildet. Auch auf Obd 13 (LXX), wo es um die Vernichtung der Völker am Tag des Herrn geht, kann verwiesen werden. Im Zusammenhang mit ei53 Zum Zusammenhang von Lk 21,34f und Jes 24,17 vgl. z.B. St. L. Bridge, Eagles, 145; A. J. Malherbe 291 und aus den Kommentaren zu Lk z.B. J. Nolland, Lk 35C, 1013; D.L. Bock, Lk 1693. 54 Erinnert sei auch an die politische Konnotation der Begriffe παρουσία (Ankunft, 4,15) und ἀπάντησις (Einholung, 4,17).

Eschatologie und Ethik 5,1-11

273

nem „schrecklichen Gericht“ ist OrSib III,326–328 davon die Rede, dass alle, die den „großen Tempel des Unsterblichen zerstört“ haben, „ins Verderben gehen werden“.55 Dieses Verderben kommt über sie. Wie schon 5,2 (ἔρχεται [erchetai], er kommt) wird auch hier das Präsens mit futurischer Bedeutung56 verwendet. Ἐφίστασθαι [Ephistasthai] mit Dativ steht in der Bedeutung ‚über etwas kommen‘, wobei meist Übles damit gemeint ist (vgl. Weish 6,857; 19,158).59 Das plötzliche Hereinbrechen des Verderbens über sie, also über diejenigen, die Subjekt des Satzes sind (sie sagen, bzw. sie fliehen), wird mit den Wehen einer Gebärenden60 verglichen. Außer an unserer Stelle ist ὠδίν [ōdin] im NT nur noch in Mt 24,8 / Mk 13,8 und Apg 2,24 belegt. Mt 24,8 / Mk 13,8 werden die Schreckensereignisse der Endzeit mit genau denselben Worten beschrieben, wie an unserer Stelle das plötzliche Hereinbrechen des ‚Verderbens‘.61 Damit wird dem Charakter des Verderbens ein weiterer Aspekt hinzugefügt: Es kommt nicht nur plötzlich wie ein Dieb, sondern auch unaufhaltsam – und ist gewiss nicht schmerzfrei. Zusammen mit dem Bild vom in der Nacht kommenden Dieb liegt damit eine breite Charakterisierung des kommenden Tages des Herrn vor. Die Vergleichspartikeln ὡς, οὕτως [hōs, houtōs] (V. 2) und ὥσπερ [ōsper] (so wie) korrespondieren einander. Abgeschlossen wird die Aussage durch einen konsekutiven Nebensatz. So wie eine Schwangere, wenn die Wehen einsetzen, aus diesen auf keinen Fall entfliehen kann,62 genauso wenig können diejenigen, die durch ihr Reden fälschlicherweise behaupten, es herrsche ‚Friede und Sicherheit‘, aus dem kommenden Verderben am ‚Tag des Herrn‘ entfliehen. Wie bereits erwähnt, ist die nächste Parallele zum hier vorliegenden Gebrauch von ἐκφεύγειν [ekpheugein] Lk 21,36. Die lk. Parallele enthält allerdings die Vorstellung, dass 55 Übersetzung nach H. Merkel, JSHRZ V/8, 1092. 56 Vgl. HvS § 197 c. 57 Den Starken droht (ἐφίσταται) ein strenges Gericht; Übersetzung nach H. Hübner, Weish 81. 58 Über die Gottlosen kam erbarmungsloser Zorn bis zum bitteren Ende; Übersetzung nach H. Hübner, Weish 220. 59 Vgl. WB6 668 s.voc. ἐφίστημι 1.b. 60 Τῇ ἐν γαστρὶ ἐχούσῃ (wörtlich: die [etwas] im Mutterleib Habende) meint „Schwangere“, vgl. Mt 1,18.23; 24,19 / Mk 13,17 / Lk 21,23; Offb 12,2. 61 Zum Gebrauchs von ὠδίν in apokalyptischem Kontext vgl. z.B. äthHen 62,4f, wo davon die Rede ist, dass die Menschen beim Anblick des richtenden Menschensohnes, der „auf dem Thron seiner Herrlichkeit“ sitzen wird, von ‚Wehen‘ überfallen werden. Für das AT sei in Verbindung mit dem (Gerichts-)Tag des Herrn auf Jes 13,8; 21,3; 26,17; Jer 6,24; 30,5f (hier im Zusammenhang mit nicht vorhandenem Frieden) verwiesen. 62 Zu sprachlichen Einzelheiten vgl. oben bei I.

274

Kommentar

aus all den bei der Ankunft des Menschensohns auftretenden Ereignissen (ταῦτα πάντα τὰ μέλλοντα γίνεσθαι [tauta panta ta mellonta ginesthai]) ein Entfliehen möglich ist. Dies ist deshalb der Fall, weil jenen, die wachend sind (ἀγρυπνεῖν = γρηγωρεῖν [agrypnein = grēgōrein] V. 6) tatsächlich diese Möglichkeit eröffnet ist. Das ist für jene, die davon reden, es herrsche ‚Frieden und Sicherheit‘, deshalb nicht möglich, weil sie daherreden, ohne etwas von den eschatologischen Wirklichkeiten Zorn(gericht) und Heils(gewinn) (5,9) auch nur zu ahnen. Über diese Wirklichkeiten jedoch wissen die Christen sehr gut Bescheid (5,2, vgl. 1,10; 4,14–17). 4 Dies wird jetzt durch die Kontrastierung (adversatives δέ [de] [aber]) der Gemeinde zu jenen und mit deren erneuter Anrede durch Brüder (vgl. 5,1) markiert: Sie aber wissen (5,2), was jene nicht wissen (können)! Der Gegensatz ihr – jene wird durch ὑμᾶς [hymas], das adversativ zu αὐτοῖς [autois] (V. 3) steht, nochmals aufgenommen. Ein weiteres Bild wird mit Finsternis in den Abschnitt eingebracht. Die folgende Metaphorik (V. 5.7f ) verkürzend wiedergebend, wird als Kontrastmetapher zu Finsternis jetzt nicht, wie zu erwarten wäre, das Licht, sondern der Tag angeführt. Der Gegensatz Tag und Nacht wurde freilich schon in V. 2 eingeführt: Der Tag des Herrn wird wie ein Dieb in der Nacht kommen.63 Überhaupt wird hier (V. 3f ) sehr verkürzt oder dicht die im ganzen Abschnitt verwendete Metaphorik gepresst. Die Konkretion der Metapher Nacht ist das gerade eben erwähnte ‚Verderben‘. Der ‚Tag‘ (V. 3) steht abgekürzt für den ‚Tag des Herrn‘ (V. 2), der ‚Dieb‘ ebenso kurz für das unheilvolle Erscheinen des ‚Diebes in der Nacht‘ (V. 2), die ‚Finsternis‘ metaphorisch für das ‚Verderben‘ (V. 3). Die Metaphorik von Licht und Finsternis, vom Tag (und vom Schlafen wie auch vom Anziehen) ist bei Paulus ausgeprägt auch in Röm 13,12-14 belegt. Der Abschnitt Röm 13,11-14 bietet im Übrigen eine Parallele zu 1Thess 5,1ff, insofern Paulus hier wie dort auf ein dem ‚Tag‘ angemessenes Verhalten insistiert, den er in Bälde erwartet.64 Mit der Finsternis ist die dem Menschen feindliche, die gottabgewandte Seite des Lebens gemeint, analog etwa zu Ps 74,20; 82,5; Spr 4,19. Die Verbindung von Finsternis mit dem Gerichtstag des Herrn ist bei Joel 2,1f; Am 5,20; Zef 1,15 belegt.65 Auf dieser Seite des Lebens, die die Finsternis des Tages des Herrn fürchten muss, stehen die Thessalonicher nicht! Dies wird zur Vergewisserung eigens 63 Vgl. J.A.D. Weima 354. 64 Ausführlich zum Vergleich der beiden Abschnitte bei R.F. Collins, Tradition, 170f. Zum bei Röm 13 stärker ethisch konnotierten Gebrauch der Metaphern vgl. St. Schreiber 279. 65 Vgl. für die Belege auch J.A.D. Weima 354; St. Schreiber 277; R. Hoppe 300.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

275

nochmals unter Hervorhebung des Subjekts betont: Ihr aber, Brüder, ihr seid (Ind. Präs.) nicht in derartiger Finsternis wie die Übrigen – auch wenn ihr dort einst gewesen seid, bevor ihr euch von den Götterbildern abgewandt habt (1,9) –, sodass66 euch der Tag (des Herrn) wie ein Dieb (in der Nacht) überfällt. In dieser Bedeutung wird das Verb καταλαμβάνειν [katalambanein] im NT nur hier verwendet.67 Unnötig, darauf hinzuweisen, dass das Bild vom in der Nacht kommenden Dieb damit nochmals eine weitere Nuance erhält. Für die, die auf den ‚Tag des Herrn‘ nicht vorbereitet sind, wird dieser überfallartig kommen. Die Gemeinde ist darauf jedoch vorbereitet. 5 Was vorher negativ formuliert wurde, wird jetzt positiv gesagt: alle seid ihr nämlich Kinder des Lichts und Kinder des Tages. Hier wie schon im vorausgehenden Satz ist das Subjekt betont, dieses Mal durch das Indefinitpronomen πᾶς [ pas] und das Personalpronomen ὑμεῖς [hymeis]. Erneut erfolgt die Vergewisserung durch das Verb im Ind. Präs. Die beiden Genitivkonstruktionen Kinder des Lichts und Kinder des Tages sind semitisierende Genitive (Hebraismen), die ebenso wie die beiden folgenden, die ohne direktes Bezugswort stehen, eine „enge Zugehörigkeit zu einer Person, Sache oder Eigenschaft“68 bezeichnen. Mit ‚Licht‘ und ‚Tag‘ sind Sphären benannt, zu denen die Gemeinde seit und mit ihrer Hinwendung zum lebendigen und wahren Gott (1,9) gehört, nämlich zur lebensfreundlichen und Gott zugewandten, von Gott erhellten Seite des Lebens (vgl. Ps 27,1; 112,4; Jes 2,5; 9,1; 60,19f u.ö.).69 Das Syntagma ‚Kinder des Lichts‘ ist auch sonst bei den ntl. Autoren bekannt, wie Lk 16,8 und Joh 12,36 zeigen, allerdings als einzige weitere Belege hierfür im NT. Die Wortverbindung ‚Kinder des Tages‘ ist nur hier im NT belegt70 und dürfte zum einen aufgrund des Gebrauchs von ἡμέρα [hēmera] im nahen Kontext motiviert sein, zum andern liegt in Verbindung mit dem folgenden kurzen Satz V. 5b eine kunstvolle literarische Konstruktion (Chiasmus) vor.71 66 Zum hier konsekutiv zu übersetzenden ἵνα vgl. schon oben bei I und auch J.A.D. Weima 355; St. Schreiber 278. 67 In Mk 9,18 ist von einem Dämon die Rede, der den Kranken ‚überfällt‘ oder ‚packt‘. – Für entsprechende Belege aus der Profangräzität vgl. WB6 839 s.voc. καταλαμβάνω 1.b; A.J. Malherbe 294. 68 HvS § 159 d, hier auch weitere Belege aus dem NT; vgl. auch den Hinweis oben bei I. 69 Aus der intertestamentaren Literatur sei v.a. auf den Dualismus in den Test.XII (Lev 19,1; Naph 2,7.10; Ben 5,3) und in Qumran bei 1QM passim und der Zwei-Geister-Lehre 1QS III,13-IV,26, vgl. auch 1QS I,9f hingewiesen; weitere Belege aus den Qumranschriften bei St. Schreiber 269. 70 Die LXX kennt beide Wortverbindungen (υἱοὶ φωτός / ἡμέρας) nicht. 71 Darauf machen J.A.D. Weima 357; R. Hoppe 303 aufmerksam.

276

Kommentar

a Ihr alle, ihr seid Kinder des Lichts b' Wir sind weder der Nacht

b und Kinder des Tages. a' noch der Finsternis zugehörig.

Die Satzaussage von V. 5b fügt dem in V. 2.4 Benannten keine sachlich wirklich neuen Inhalte hinzu. Der Subjektwechsel zur 1. Pers. Plural (wir) verstärkt jedoch nochmals die Zusammengehörigkeit der Gemeinde mit dem Missionsteam und weitet damit πᾶς [ pas] aus V. 5a jetzt wirklich auf alle aus. Insgesamt will V. 5 (und V. 4) die Gemeindeidentität der Thessalonicher in ihrer eschatologischen Ausrichtung (Licht, Tag, nicht Finsternis, Nacht) und in ihrer Gemeinschaft (ihr, ihr alle, vgl. ihr selbst [V. 2]) kräftigen und der Gemeinde gegenüber den Übrigen (V. 6, vgl. 4,13), denen, die draußen sind, Identitätsmarker benennen. Der Verzicht auf die Wiederholung von ‚Kinder‘ (υἱοί [hyioi]) in V. 5b impliziert evtl. den Gedanken, dass sich die zur Lichtseite Gehörenden in einer Art Eltern-Kind Verhältnis zur Lichtseite, also zu Gott hin, befinden, diejenigen, die zur Nachtseite gehören jedoch als eine Art unbestimmte Masse von der Finsternisseite beherrscht werden. 6 Mit der durch οὖν [oun] verstärkten Folgerungspartikel ἄρα [ara] (also … nun)72 wird der Gedankengang, ohne das Kontrastbild von Tag und Nacht, Licht und Finsternis völlig zu verlassen, mit einer Metaphorik fortgeführt, die dieses Bild erweitert. War es durch die Substantive bis hierher eher statisch gezeichnet, wird es nun durch die das Bild weiter zeichnenden Verben ‚lebendig‘. Waren seither Sphären, Bereiche und Zustände gemalt worden, so zeichnen die drei Konjunktive jetzt Handlungen und Verhaltensweisen in das Bild ein. Wir, als diejenigen, die dem Tag, dem Licht angehören, lasst uns nicht schlafen. Das Bild der Nacht gewinnt durch die Einzeichnung des Schlafenden an Plastizität, auch wenn hier das Verb metaphorisch gebraucht ist. Ein Verhalten, das nicht vorbereitet ist auf die Ankunft des wiederkommenden Herrn, weil mit dessen jederzeit möglicher Ankunft nicht gerechnet wird, wird auch Mk 13,36 durch καθεύδειν [katheudein] charakterisiert. In der zu V. 3 erkannten Parallelstelle Lk 21,34-36 wird nicht vor dem Schlaf gewarnt, sondern davor, dass Menschen ihr ‚Herz‘ durch „Verkatertsein, durch Rausch und durch Sorgen des Alltags“73 für alles andere völlig desensibilisieren74 und sie dann ‚plötzlich jener Tag überfällt‘. Stehen in Lk 21,34 übermäßiger Konsum und die Alltagssorgen als konkrete Beispiele für eine nicht angemessene Lebenshaltung ausdrücklich einem ‚wachen‘ Verhalten entge72 Vgl. HvS § 252,4. 73 So übersetzt M. Wolter, Lk 667. 74 Für Lk 21,34 paraphrasiert WB6 267 s.voc. βαρέω eben dieses Verb mit „Herzen, die schwer werden, d.h. ihre Feinfühligkeit verlieren“ und verweist auf Ex 7,14.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

277

gen, so dürfte dies an unserer Stelle mit lasst uns nüchtern sein (νήφωμεν [nēphōmen]) allgemein gefasst sein. Gemeint ist damit eine Lebenshaltung, die auch ‚besonnen sein‘ genannt werden kann (1Petr 4,7: σωφρονεῖν, νήφειν [sōphronein, nēphein]) und auf einen sensiblen, wachen Geist zielt, weil der Glaube nie ohne die Gefahr des Zweifels und sogar des folgenden Glaubensverlustes existiere (vgl. 1Petr 5,8: νήφειν, γρηγωρεῖν [nēphein, grēgōrein]). Dieser sensible und wache Geist kann aber nur zutage treten, wenn so konkrete Dinge, wie sie Lk 21,34 benannt werden, diesen nicht einnebeln und damit an seiner Aktivität hindern oder ihn gar ganz zum Schweigen bringen und also einschläfern. Paulus wird im folgenden V. 8 darauf hinweisen, woraus ein solch wacher Geist seine Energie zur Besonnenheit und seine abwehrende Kraft erhält. Hebt νήφειν [nēphein] eher auf den Intellekt ab,75 so bildet der Adhortativ lasst uns wachsam sein eher die allgemeinere Folie, auf der der freie und sensible Intellekt seine Tätigkeit ausüben kann. Γρηγωρεῖν [Grēgōrein] wird im hier vorliegenden übertragenen Sinn auch sonst in Verbindung mit der urchristlichen Parusieerwartung gebraucht (vgl. Mt 24,42; 25,13; Mk 13,35; Lk 12,37; Offb 3,2f; 16,15, vgl. Lk 21,36: ἀγρυπνεῖν [agrypnein]).76 Beide Adhortative ‚malen‘ die Bildseite des Tages, des Lichts weiter aus. Die angesprochenen Personengruppen sind auf der Nachtseite, der Seite der Finsternis, die Übrigen, von denen schon in 4,13 (vgl. 5,3) die Rede war.77 Auf der Seite des Tages und des Lichts ist die ‚Wirgruppe‘ angesprochen, also die Gemeinde in Thessalonich zusammen mit dem Missionsteam. Paulus und seine Mitarbeiter nehmen sich nicht davon aus, selbst beständig (Durativstämme der Konjunktive) darauf zu achten, nicht zu schlafen, sondern wachsam und nüchtern zu sein. In dieser Haltung und den damit verbundenen Handlungen sind die Thessalonicher mit den Missionaren verbunden. Die Verse 4–6 weisen mit dem Rhythmus, in dem die Gegensätze Tag und Nacht, Licht und Finsternis sowie wachen und schlafen wechseln, insgesamt eine doppelt chiastische Struktur auf, wie sie für V. 5 im Kleinen schon gezeigt werden konnte.

75 Darauf macht besonders R. Hoppe 304 unter Verweis auf 1Kor 15,34 aufmerksam, wo ἐκνήφειν (nüchtern) und ἀγνωσίαν ἔχειν (nicht wissen [wörtlich: Unwissen haben]) Parallelbegriffe sind. 76 Die Wortpaare καθεύδειν und γρηγωρεῖν kommen im NT in übertragener Bedeutung nur in 1Thess 5,6.10 vor; γρηγωρε/ιν und νήφειν nur in 1Thess 5,6 und 1Petr 5,8, schließlich kommen καθεύδειν und νήφειν nur in 1Thess 5,6 gemeinsam vor. 77 Vgl. zu ihnen die Auslegung an den beiden genannten Stellen.

278

Kommentar

V. 4: a Ihr aber, Brüder, seid nicht in der Finsternis b sodass euch der Tag wie ein Dieb überfällt V. 5: b' Ihr alle, ihr seid Kinder des Lichts und Kinder des Tages. a' Wir sind weder der Nacht noch der Finsternis. V. 6: a'' also lasst uns nun nicht schlafen, wie die Übrigen, b'' sondern lasst und wachsam und nüchtern sein.

Der gesamte Abschnitt erweist sich damit als überaus kunstvoll strukturiert und durchkomponiert. 7 Das Kontrastbild wird auch durch diesen Satz angereichert. Zunächst wird auf die Schlafenden rekurriert, die – selbstverständlich – des Nachts schlafen. So weit wird dem bisherigen Bildwerk nichts Neues hinzugefügt, außer dass jetzt die Ebene der Metapher verlassen und an das physische Schlafen gedacht ist,78 was auch durch die zweite Hälfte des Satzes naheliegt. Das Subjekt wechselt jedoch von der 1. Pers. Plural (wir) zur unpersönlichen und unspezifischen 3. Pers. Plural (sie), wie schon in V. 3. Eine allgemeine Erfahrung wird aufgegriffen und in das Kontrastbild auf der Seite der Nacht, der Finsternis eingezeichnet. Konnte bei V. 6 über Lk 21,34 vermutet werden, dass missbräuchlicher Alkoholkonsum als ein konkretes Kontrastbeispiel unter anderen zu νήφειν [nēphein] (nüchtern sein) von den Adressaten des Briefes wenigstens assoziiert werden konnte, so wird dies jetzt von Paulus ausdrücklich ins Bildfeld eingezeichnet: Die sich betrinken, sind des Nachts betrunken. Das konkrete Bild darf im vorliegenden Kontext jedoch nicht ethisch enggeführt werden.79 Die Dramatik und Plastizität, die das Bild durch den zweiten Teil des Satzes erhält, hat verweisende Funktion, insofern es nämlich zurückweist auf die Bedeutung von νήφειν [nēphein] als Parallelbegriff z.B. zu σωφρωνεῖν [sōphrōnein] (besonnen sein). Ein nüchternes, besonnenes Verhalten ist nicht möglich, wenn die Lebenshaltung so gestaltet ist, dass sie so besinnungslos ist, wie diejenige derer, die nachts betrunken schlafen und die, selbst wenn sie geweckt werden würden, nicht wahrnehmen könnten, was um sie herum geschieht. Hervorgehoben ist also die Bedeutung der besonnenen Nüchternheit bzw. der nüchternen Besonnenheit, die durch das Kontrastbild des schlafenden Betrunkenen kaum stärker markiert werden kann, da er auch im physischen Wachzustand wie ein Schlafender wirken würde. Ein Apell, 78 So wird καθεύδειν meist im NT verwendet vgl. z.B. Mt 8,24par; Mk 14,37-41par. 79 Vgl. Eph 5,18. Zur Betrunkenheit als dem Charakteristikum eines verwerflichen Lebensstils im AT und den außerkanonischen Schriften vgl. z.B. Spr 23,21.30-35; Jes 19,14; Jer 25 (LXX: 32),15f und TestXII.Jud 11,2; 13,6-14,8; 16,1-4, PsSal 8,14, vgl. für diese und weitere Belege St. Schreiber 281; R. Hoppe 305.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

279

möglichst keinen Alkohol zu trinken, ist also nicht als direkter sachlicher Bezug des Bildfeldes zu suchen, auch wenn natürlich zu konzedieren ist, dass ein betrunkener Mensch zu besonnenen Handlungen und Haltungen nicht, jedenfalls nur sehr bedingt, fähig ist. 8 Nun wird als Subjekt wieder die 1. Pers. Plural aufgenommen (vgl. V. 6) und damit gleichzeitig das positiv formuliert, was V. 5b negativ formuliert worden war: wir aber, weil wir des Tages sind. Das adversative δέ [de] markiert ebenso wie der Subjektwechsel den Kontrast zum vorangegangenen Vers. Der Genitiv ἡμέρας [hēmeras] ist analog den Genitiven in V. 5 zu deuten, wobei υἱοί [hyioi] (Kinder) ausgefallen ist. Das adverbiale Partizip ὄντες [ontes] ist kausal aufzulösen (weil wir … sind), unterstreicht es doch durch die Begründung zusätzlich den Gegensatz zum Vorausgegangenen. Auch der Adhortativ lasst uns nüchtern sein wurde, wie der Genitiv ‚des Tages‘ im Abschnitt bereits vorher ganz analog verwendet (wieder Konj. Präs., vgl. V. 6). Mit beidem (Genitiv und Adhortativ) ist erneut die neue Identität der Christen angesprochen, die eben Kinder des Tages sind! Bis hierher wurden Inhalte aus dem seither Ausgeführten wiederholt. Jetzt beginnt Paulus, eine neue Metaphorik einzuführen, indem er den Menschen im Licht das Kind des Tages in seiner ‚neuen Kleidung‘ zeichnet. Die vorzeitige Übersetzung des zweiten adverbialen Partizips (nachdem wir … angezogen haben) weist darauf hin, dass sich die neue Identität durch bereits angelegte, neue ‚funktionale‘ Kleidungsstücke, die der neuen Identität als nüchterne Kinder des Tages dienlich sind, ausweist. Nüchternheit im o.g. Sinn ist also möglich, nachdem und weil die neue Kleidung angelegt worden ist. Militärische Metaphorik wird von Paulus auch sonst verwendet (Röm 6,13; 13,12; 2Kor 6,7; 10,4; Phil 2,25 u.ö.). Besondere Nähe zu unserer Stelle liegt bei Röm 13,12-14 vor. Das Anziehen von ‚Waffen des Lichts‘ (ἐνδύσασθαι τὰ ὅπλα τοῦ φωτός [endysasthai ta hopla tou phōtos]) entspricht in der Ausdrucksweise und Absicht unserer Stelle: Die Rüstung und die Waffen sollen angezogen werden, um im eschatologischen Kampf bestehen zu können. V. 8 weist natürlich ebenfalls eine Nähe zu Eph 6,11-17 auf, wobei Paulus für die in 5,8 vorliegende Absicht nur Teile der Eph 6 vorgestellten Rüstung und der dazugehörigen Waffen auswählt.80 Bildgebende Stelle für 5,8 dürften Jes 59,17 (und Weish 5,18) gewesen sein.81 An beiden Stellen ist ebenfalls die Rede von den Rüstungsteilen Brustpanzer (der Gerechtigkeit, δικαοσύνην ὡς 80 Einen guten und anschaulichen Überblick über Waffen in biblischen Zeiten bietet S. Mittmann, Waffen und schweres Kriegsgerät, GBL 3, 1989, 1656-1666. 81 Vgl. so z.B. WB6 532 s.voc. ἐνδύω 2. a; A.J. Malherbe 297; St. Schreiber 282; R. Hoppe 306f.

280

Kommentar

θώρακα [dikaiosynēn hōs thōraka]) und Helm (des Heils, περικεφαλαίαν σωτηρίου [ perikephalaian sōtēriou]), die allerdings Gott sich selbst anlegt.82 Bei Paulus ist dies auf den einzelnen Glaubenden übertragen. Die Genitive Glaube, Liebe und Heilshoffnung interpretieren die Metaphern, ohne dass diese Interpretation weiter ausgeführt werden würde oder auch könnte. Mit den drei Genitiven sind die drei wesentlichen Elemente christlicher Existenz angesprochen: der Glaube, der die Zugehörigkeit zum Licht, bzw. zum Tag, dem Bereich Jesu Christi, des Herrn, eröffnet, die Liebe als die sichtbare Konkretion des Glaubens, des Lebens im Licht, und schließlich die Hoffnung auf das Heil als das stete Ausgerichtetsein auf das Kommen des hellen Tages des Herrn (V. 2), der für die Kinder des Lichts und des Tages ein heilvoller Tag sein wird. Die vorliegende triadische Struktur erinnert an 1,3 und bildet damit eine Inclusio. 9 Mit V. 9 erhalten die drei Adhortative und der Prohibitiv aus V. 6.8 ihre theologische Begründung, die ihrerseits im Heilsgeschehen Christi gründet. All die seither bildhaft gezeichneten bzw. im übertragenen Sinn gebrauchten kontrastartigen Sachverhalte Licht – Finsternis, Tag – Nacht, wachen – schlafen (V. 4–6.8a) und nüchtern sein (V. 6fin.8a) wie auch die die physische Welt betreffenden Eigenschaften (schlafen und betrunken sein, V. 7) kulminieren im eschatologischen Kontrastpaar Zorn – Heil. Mit begründendem ὅτι [hoti] (denn) wird der konjunktionale Nebensatz eingeleitet, der, wie gezeigt, vom Adhortativ ‚wir aber … lasst uns nüchtern sein‘ (V. 8a) abhängig ist.83 Das Syntagma Gott hat … bestimmt kommt in eschatologischem Kontext so im NT nirgends mehr vor. Paulus weiß aber davon, dass Gott bestimmte Dinge setzt bzw. bestimmt, so z.B. bestimmte Verhältnisse und Beziehungen im Gemeindeleben (1Kor 12,18.28). Aus der atl. Tradition ist ihm vertraut, dass Gott auch bestimmte Menschen, wie etwa Abraham, zu einem bestimmten Zweck oder Ziel eingesetzt hat (Röm 4,17, vgl. Gen 17,5 [LXX]), ebenso wie ihn und seine Mitmissionare (1Thess 3,3).84 Diese Vorstellung ist hier im Kontext der Eschatologie belegt. Das vorangestellte uns nimmt das Subjekt von V. 8 wieder auf und betont damit ein weiteres Mal den Gegensatz zu den ‚Übrigen‘ (V. 6), die schlafen und betrunken sind (V. 7). Mit dem zu erwartenden Zorn 82 Auch hier ist davon die Rede, dass Gott eine Rüstung anlegt, wobei Panzer und Helm genannt werden. Der Kontext Weish 5,17-22 beschreibt dann ein ganzes Waffenarsenal, dessen sich Gott bedienen wird. 83 Vgl. oben bei II. 84 Vgl. für diesen Gebrauch weiter Apg 13,47 (Jes 49,6 [LXX]); 1Petr 2,8. Zu κεῖμαι in 1Thess 3,3 als Perf. Pass. von τίθηναι vgl. die Hinweise oben bei der Übersetzung von 3,3.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

281

(Gottes) wird an 1,10, aber auch an 2,16 erinnert (vgl. Röm 1,18; 2,5; 5,9). Aus dem kommenden Zorngericht Gottes, der negativen Seite des Tages des Herrn, sind die Thessalonicher jedoch jetzt schon herausgerettet (1,10): Sie sind nämlich zu etwas anderem bestimmt, wie neben unserer Stelle auch 2,12 zeigt, aber ebenso aus 4,7; 5,24 und auch aus 1,4 ersichtlich wird (vgl. weiter 2Thess 2,14). Dies gilt aber für ‚die Übrigen‘ nicht, sie werden aus dem kommenden für sie schmerzhaften und dunklen Geschehen auf keinen Fall entfliehen können (5,3). Positiv wird nun aber ebenfalls benannt, wozu die Gemeinde bestimmt ist, nämlich zum Heilsgewinn. Etwas schwierig ist die Bedeutung des Verbalsubstantivs περιποίησις [ peripoiēsis] zu bestimmen,85 das im NT nur fünfmal belegt ist.86 Von den drei Möglichkeiten der Übersetzung, nämlich erstens ‚Erhaltung, Bewahrung‘, zweitens ‚Erwerbung, Gewinnen‘ und schließlich ‚Besitz, Eigentum‘,87 ist nur die zweite Möglichkeit für den vorliegenden Kontext plausibel. Die σωτηρία [sōtēria] ist weder etwas, das die Gemeinde bereits hätte und das sie deshalb lediglich noch ‚erhalten‘ bzw. ‚bewahren‘ müsste, noch ist sie ‚ein Besitz, ein Eigentum‘, auf das die Gemeinde deshalb Ansprüche hätte. Das Heil ist ein ‚Gewinn‘.88 Ein Gewinn ist das Heil insofern, als es dem Menschen aufgrund der göttlichen Bestimmung durch das Heilsgeschehen unseres Herrn, Jesus Christus, zum Leben hinzugegeben werden wird. Das Leben der Glaubenden wird als Gewinn aufgrund der freien göttlichen Entscheidung, ohne menschliches Zutun, allein durch das Heilsgeschehen am Kreuz, die σωτηρία [sōtēria] erhalten. Dies liegt jedoch noch in der Zukunft. Der Gedanke von der Zukünftigkeit des Heils liegt auch der gerade eben erst (V. 8) von Paulus angesprochenen Heilshoffnung (ἐλπὶς σωτηρίας [elpis sōtērias]) zugrunde.89 Eine Interpretation von περιποίησις [ peripoiēsis] als Gewinn legt sich auch aufgrund des Gebrauchs in 2Thess 2,14 nahe, wo davon die Rede ist, dass die Thessalonicher zum Gewinn der Herrlichkeit90 (unseres Herrn Jesus Christus) berufen (καλεῖν [kalein]) sind. Dieser Gewinn unterliegt zwar auf der einen Seite der nicht weiter durchschaubaren Bestimmung Gottes, ist jedoch ein Gewinn, der mit Gewissheit von Gott den Kindern des Lichts und des Tages (V. 5) gegeben werden 85 Von περιποιεῖν herzuleiten, zur Übersetzungsbreite vgl. das zum Substantiv Ausgeführte. 86 Außer an unserer Stelle auch 2Thess 2,14; Eph 1,14; Hebr 10,39; 1Petr 2,9. 87 Vgl. für die drei Möglichkeiten, die auch für das dazugehörige Verb περιποιεῖν gelten, WB6 1310. 88 Vgl. zur Diskussion auch St. Schreiber 284. 89 Vgl. zur künftigen σωτηρία bei Paulus v.a. Röm 1,16; 10,1.10; 13,11; Phil 1,28 (vgl. auch 2Thess 2,13; 2Tim 2,10; 3,15). 90 Auch hier folgt περιποίησις ein gen. obiectivus, vgl. nochmals WB6 1310 s.voc. περιποίησις 2.

282

Kommentar

wird, weil dies durch das bereits erfolgte Heilsereignis unseres Herrn bis zum Eintreffen des Heils am Tag des Herrn verbürgt ist. Paulus stellt, durch den erneuten Gebrauch der 1. Pers. Plural, sich und seine Mitmissionare hinsichtlich der Berufung und des Heilsgewinns in dieselbe Situation wie die Thessalonicher: Auch sie erwarten den Heilsgewinn hoffend.91 10 Die attributive Stellung des Partizips ἀποθανόντας [apothanontas] mit der präpositonalen Ergänzung ὑπὲρ ἡμῶν [hyper hēmōn] (der für uns gestorben ist, vgl. 1Kor 15,3; 2Kor 5,14f; Röm 14,15 auch Joh 11,51) belegt: Das bereits erfolgte Kreuzesgeschehen (vgl. 1Kor 1,13; 11,24; Gal 2,20fin; 3,13; Röm 5,6.8 u.ö.)92 ist Bürge für den erst noch kommenden Heilsgewinn. Das Sterben Jesu, auf das im Brief schon zweimal hingewiesen worden war (2,15; 4,14) ist ein stellvertretendes Sterben.93 Paulus musste diesen Sachverhalt im Brief nicht näher erläutern. Ganz offensichtlich waren die Thessalonicher darüber beim Gemeindegründungsbesuch so gut unterrichtet worden, dass es jetzt nicht nötig war, darüber mehr zu schreiben.94 Möglicherweise erinnert er die Thessalonicher an gemeinsam gefeiertes Abendmahl.95 Der Fokus liegt auf der eschatologischen Bestimmung, zu der die Thessalonicher von Gott berufen worden sind. Ziel des sich anschließenden finalen Nebensatzes (damit) ist das Zusammenleben mit Christus. Bevor jedoch diese finale Aussage verfasst wird, schiebt Paulus parenthetisch nochmals die beiden aus dem Abschnitt 5,1-11 inzwischen hinreichend vertrauten Verben dazwischen: ob wir wachen oder ob wir schlafen. Diese Parenthese ruft, ebenso wie die finale Aussage selbst, die in 4,13-18 erfolgten Aussagen auf. Es liegt also metaphorischer Gebrauch der beiden Verben vor.96 Damit ist ausgesagt: ob 91 Mit Recht weist R. Hoppe 309 Anm. 402 gegen St. Schreiber 285 u.a. darauf hin, dass die Präpositionalverbindung διά κτλ. nicht auch auf ἔθετο zu beziehen ist, da die zukünftige Perspektive den Kontext seit 4,13 prägt (vgl. besonders 4,14 aber auch 1,10). 92 Zur Bedeutung des Todes Jesu bei Paulus vgl. C. Breytenbach, Interpretationen. Zu den unterschiedlichen Deutungen des Todes Jesu im NT, wobei v.a. Stellvertretung und (Sühn-)Opfer zu nennen sind, vgl. J. Schröter, Sühne und insgesamt den Band J. Frey; J. Schröter (Hg.), Deutungen. Zum Zusammenhang von Tod Jesu und ewigem Leben vgl. R. Deines, Tod. 93 Die Textkritik zeigt, dass ὑπέρ mit Gen. durch περί mit Gen. ersetzt werden konnte. Beide Präpositionen können mit Gen. dieselbe Bedeutung haben, vgl. HvS § 184 n.r. 94 Vgl. so auch J.A.D. Weima 368. 95 Vgl. T. Holtz 231 der Abendmahlstradition als Hintergrund der Formulierung vermutet. 96 Anders noch in meiner Dissertation F.W. Röcker, Belial, 320. Dass καθεύδειν im NT sonst nicht metaphorisch verwendet wird, kann die Beweislast nicht allein tragen (so aber in meiner Dissertation), zumal metaphorischer Gebrauch in der LXX (Ps 87 [88],6; Dan 12,2) und auch sonst in der Gräzität belegt ist, vgl. nur WB6 789 s.voc. καθεύδω 2; J.A.D. Weima 370; St. Schreiber 287; R. Hoppe 311. Weima überlegt ebd., ob nicht auch Mt 9,24; Mk 5,39; Lk 8,52 metaphorischer Gebrauch von καθεύδειν vorliege.

Eschatologie und Ethik 5,1-11

283

wir nun leben (4,15.17), oder ob wir verstorben sind (vgl. 4,15.16), es wird bezüglich des Heilsgewinns kein Unterschied bestehen. Alle werden wir zugleich zusammen mit ihm leben (vgl. 4,17). Die Vergewisserung aus 4,17 wird nochmals wiederholt und damit in ihrer Zuverlässigkeit nachhaltig unterstrichen. Dieses Zusammenleben mit dem Herrn ist σωτηρία [sōtēria]. Mit diesem Heil wird die von den Glaubenden (vgl. die 1. Pers. Plural in 5,5b.6.8–10) gegenwärtig schon gelebte eschatologisch geprägte und auf das Eschaton ausgerichtete Existenz als Kinder des Lichts und des Tages (5,5) vollendet werden. Insofern ist das Heil für die Glaubenden ein (Zu-)Gewinn. Dass all dies christologisch grundiert ist, nämlich in seinem Sterben für uns (vgl. 4,14),97 braucht kaum noch mal eigens erwähnt zu werden. Der Rückgriff auf 4,13-17 signalisiert zusammen mit dem den Abschnitt abschließenden V. 11, der auf 4,18 zurückgreift, das Ende der eschatologischen Unterweisung im Brief. 11 Deshalb (διό [dio]) ist bei Paulus häufig satzeinleitend in Begründungszusammenhängen rückverweisend verwendet.98 Die Wendung tröstet einander ist Aufnahme aus 4,18,99 die hier durch ‚erbaue einer den andern‘ erweitert wird. Οἰκοδομεῖν [Oikodomein] ist übertragen gebraucht und hat mit der ursprünglichen Bedeutung vom Bau eines Hauses oder Turmes (z.B. Lk 6,48f; 14,28) nicht mehr besonders viel zu tun. Der Sinngehalt des Wortes wird mit ‚fördern, kräftigen, stärken‘ angegeben (Röm 14,19; 1Kor 8,1; 10,23b; 14,4.17). Dieser Gebrauch ist auch aus der LXX bekannt, wie Ps 27 (28),5; Jer 40 (33),7 zeigen.100 Über die Metapher der Kirche (ἐκκλησία [ekklēsia]) als Bauwerk (οἰκοδομή [oikodomē]) ist der Bezug wahrscheinlich dennoch erhalten geblieben (vgl. 1Kor 14,5.12), wobei hier „die ἐκκλησία [ekklēsia] Objekt der Bautätigkeit“ ist.101 Evtl. kann mit Stefan Schreiber vom ‚Bau‘ von „soziale[n] Einheiten“102 gesprochen werden. Eine Gemeinde ist in Thessalonich als soziale Einheit allerdings bereits ‚gebaut‘, sodass es tatsächlich darum gehen dürfte, die sozial vorhandene Einheit geistlich zu kräftigen und stärken. Von der gemeinten Sache her sind die genannten Stellen 97 Zur Funktion der Formel ὑπὲρ ἡμῶν (für uns) für die pln. Sühnevorstellung und deren Herkunft aus der jesajanischen Tradition (bes. Jes 53) vgl. immer noch O. Hofius, Gottesknechtslied, 117-123 und. P. Stuhlmacher, Theologie I, 294-300. 98 Vgl. neben 3,1 v.a. im Röm (1,24; 2,1; 4,22; 13,5; 15,7.22) und 2Kor (z.B. 4,16; 5,9; 6,17 u.ö.). 99 Zur Bedeutung vgl. die Auslegung dort. 100 Vgl. WB6 1132 s.voc. οἰκοδομέω 3, vgl. auch TestXII.Ben 8,3: „der reine Verstand [wirkt] aufbauend“, Übersetzung nach J. Becker, JSHRZ III/1, 135. 101 J. Pfammatter, οἰκοδομή κτλ., EWNT2 II, 1992, 1211-1218, 1213. 102 St. Schreiber 288.

284

Kommentar

heranzuziehen, wobei zu Röm 14,19 eine besondere (sprachliche) Nähe besteht. Kräftigen und stärken erfolgt aber u.a. durch trösten, insofern können sich die beiden Imperative auch gegenseitig interpretieren. Als Apposition ist hier nicht ‚einander‘ (ἀλλήλων [allēlōn]), sondern einer den andern (εἷς τὸν ἕνα [heis ton hena]) verwendet. Damit dürfte eine individuelle Ansprache jedes einzelnen Gemeindeglieds intendiert sein, wie sie bereits in 2,11 praktiziert wurde.103 Dies, so markiert Paulus eigens, wird unter den Christen in Thessalonich bereits anhaltend und nachhaltig (Durativstamm) praktiziert (vgl. 4,1.10): so wie ihr es auch tut.

IV Zusammenfassung Erneut wird die christliche Gemeinschaft der nicht Christus zugehörenden Gesellschaft gegenübergestellt. Die Metaphorik des Abschnitts kontrastiert die Gegensätze deutlich (Licht/Finsternis, Tag/Nacht, nüchtern/[be]trunken, wachend/schlafend). Der Hintergrund, auf dem diese Metaphern ihre Bedeutung entfalten, bildet die in 4,13-18 ausgeführte Hoffnung auf die Wiederkunft / den Tag des Herrn (παρουσία / ἡμέρα τοῦ κυρίου [ parousia / hēmera tou kyriou]; 4,15; 5,1). Weil sie von der Hoffnung der Wiederkunft ihres Herrn wissen und weil sie diese erwarten, gelten ihnen die positiv besetzten Metaphern. Über sie wird dieser Tag nicht kommen wie ein Dieb in der Nacht oder wie die Wehen über eine Schwangere, denn sie wissen gewiss, dass ihr Herr kommen wird. Sie sind aufgrund ihres Glaubenswissens und ihres Hoffnungsglaubens für diesen Tag gewappnet (5,8). Für sie wird es ein Tag des Gewinns, des Heilsgewinns sein (5,9); für die anderen ein Tag des Zorns (5,9, vgl. 1,10; 2,16). Dieses Wissen um Heil und Zorn warnt sie gerade, sich nicht Parolen wie „Friede und Sicherheit“ (5,3) anzuschließen, sondern verpflichtet sie, einen dementsprechenden Lebensstil zu führen. Ziel der eschatologischen Ausführungen in 4,13-17 und 5,1-10 ist die Stärkung der Gemeinde in der Hoffnung auf das ewige Leben ‚mit dem Herrn‘ (4,17; 5,10). In dieser Hoffnung liegt der Trost für die Christusgläubigen; dies ist der Trost, der von den Christusgläubigen weitergegeben werden kann (4,18; 5,11: παρακαλεῖν [ parakalein], trösten).

103 Vgl. so J.A.D. Weima 373 im Anschluss an A.J. Malherbe 301, hier entsprechende Belege aus der Profangräzität. Vgl. so auch St. Schreiber 288f; R. Hoppe 312.

Der Briefschluss 5,12-28

285

Der Briefschluss 5,12-28 I Übersetzung 12 Wir bitten euch aber, Brüder, die anzuerkennen,1 die sich um euch mühen,2 nämlich3 die, die euch im Herrn vorstehen und die euch belehren4 13 und sie ganz besonders in Liebe zu schätzen5 aufgrund ihres Werkes. Haltet Frieden untereinander.6 14 Wir ermahnen euch aber, Brüder, weist die Taktlosen zurecht, ermutigt die Kleinmütigen, nehmt euch der Schwachen an, seid langmütig gegenüber allen. 15 Seht darauf, dass nicht einer dem anderen Böses für Böses vergelte, sondern trachtet7 stets nach dem Guten sowohl im Umgang miteinander als auch8 im Umgang mit9 allen. 16 Freut euch stets. 17 Betet unaufhörlich. 18 Seid in allem dankbar, denn dies ist der Wille Gottes in Christus Jesus gegenüber euch. 19 Den Geist löscht nicht aus. 20 Prophetien verachtet nicht. 21 Alles aber prüft, das Gute haltet fest. 22 Von jeder Art von Bösem haltet euch fern. 23 Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch ganz und gar,10 sowohl euer Geist als auch (eure) Seele und (euer) Körper mögen in un-

1 So bei WB6 1128 s.voc. οἶδα 5 und NSS II, 203. 2 So bei WB6 1128 s.voc. οἶδα 5, vgl. a.a.O., 901 s.voc. κοπιάω 2, wo darauf verwiesen wird, dass ἐν „den Wirkungskreis“ des Mühens angibt. 3 Epexegetisches καί vgl. HvS § 252,29 a Ziff. (7) und die Auslegung. 4 Vgl. zur grundsätzlichen Möglichkeit νουθετεῖν so zu übersetzen vgl. J. Behm, νουθετέω κτλ., ThWNT IV, 1942,1013-1016, 1013. 5 So bei WB6 696 s.voc. ἡγέομαι 2 und NSS II, 203. 6 Ἐν ἑαυτοῖς entspricht ἐν ἀλλήλοις, das Reflexivpronomen ersetzt das Reziprokpronomen, vgl. dazu HvS § 139 k.n. Die v.l. αυτοις ist αὑτοῖς zu lesen; die zweisilbige Form αὑτός wurde in der hellenistischen Zeit durch die dreisilbige ἑαυτός verdrängt (so BDR § 64,1, vgl. auch NSS II, 203; B. Rigaux 578). 7 So bei WB6 404 s.voc. διώκω 4.b. 8 Für diese Übersetzung von καί … καί vgl. HvS § 252, 29. 9 Vgl. zu dieser Übersetzung von εἰς mit Akk. (zu, hin) bei NSS II, 204. 10 Vgl. NSS II, 204. Bei WB6 1145 s.voc. ὁλοτελής ist etwas ungelenk ‚ganz vollständig‘ übersetzt, vgl. jedoch a.a.O., beim Adverb ὁλοτελῶς wo ‚ganz und gar‘ als Übersetzung angegeben wird. Zur Verwendungsmöglichkeit des Adjektivs als Adverb vgl. HvS 137 d.

286

Kommentar

versehrtem Zustand11 untadelig bewahrt werden12 an der Parusie unseres Herrn Jesus Christus. 24 Zuverlässig ist der, der euch beruft, welcher (es) auch tun wird. 25 Brüder, betet auch für uns. 26 Grüßt alle Brüder mit dem heiligen Kuss. 27 Ich beschwöre euch beim Herrn, den Brief allen Brüdern vorzulesen. 28 Die Gnade unseres Herrn, Jesus Christus, sei mit euch.

II Struktur Der Abschnitt lässt sich aufgrund inhaltlicher Kriterien in mehrere Unterabschnitte gliedern. Die Verse 12-13 thematisieren das Verhältnis der gesamten Gemeinde zu ihrer Gemeindeleitung. In V. 14-15 wird das Verhältnis der einzelnen Gemeindeglieder untereinander angesprochen, wobei die Beziehung zu drei Verhaltensvarianten von Gemeindegliedern eigens benannt werden,13 bevor zwei Aspekte zu Sprache kommen, die gegenüber allen Gemeindegliedern gelten sollen.14 Der zuletzt genannte Aspekt wird in einem Gegensatzpaar formuliert (nicht …, sondern) wie dies in 5,1-11 mehrfach erfolgte. Die Verse 16–22 fallen durch sieben besonders kurze, ganz allgemein, aber wahrscheinlich nicht ganz grundlos gehaltene Ermahnungen auf. Die ersten drei (V. 16–18) sind formal durch die Imperative mit vorausgehender adverbialer Näherbestimmung miteinander verbunden. Nur die dritte Ermahnung, nämlich die Mahnung zur Dankbarkeit, erhält eine Begründung, welche sich freilich nicht nur auf diese beschränken lässt. Die folgenden vier Imperative stellen formal zwei Paare dar, die inhaltlich aufeinander zu beziehen sind.15 Die ersten beiden Imperative (V. 19f ) sind verneint (Prohibitive) und sprechen von Gaben im gemeindlichen Leben. Die beiden folgenden Imperative (V. 21f ) sind zum einen durch den Gegensatz gut/böse, aber auch durch Kom-

11 Die Objektsartangabe bezieht sich auf alle drei folgenden Substantive, vgl. HvS § 264 b und 264 c, wo darauf hingewiesen wird, dass sich ein Adjektiv, das mehrere koordinierte Substantive näher bestimmt, in seiner Kongruenz nach dem ersten ihm folgenden Substantiv im Satz richtet. 12 Der Aor. Opt. pass. ist ein kupitiver Opt., vgl. HvS § 211 b. Für die 3. Pers. Sg., die hier als 3. Pers. Pl. übersetzt wird, gilt das, was in der vorigen Anmerkung zur Kongruenz des Adjektivs bei Bezug auf mehrgliedrige Substantive, hier Subjekte, gesagt wurde, vgl. nochmals HvS § 264 b mit zahlreichen weiteren Belegen für diese grammatische Struktur im NT. 13 Nämlich Taktlosigkeit, Ängstlichkeit, Schwachheit. 14 Nämlich Langmut und nach Gutem zu trachten. 15 Dies hat die Auslegung zu zeigen.

Der Briefschluss 5,12-28

287

posita von ἔχειν [echein] (haltet fest / haltet fern) miteinander verbunden. Was die Kürze der Formulierungen betrifft, kann 2Kor 13,11 verglichen werden. Inhaltlich weist der Unterabschnitt V. 13b–22 eine besondere Nähe zu Röm 12,9-1816 auf (vgl. auch Phil 4,2-9). V. 23 erinnert an die Form eines Segensgebetes,17 dem mit V. 24 eine Vergewisserungsaussage angeschlossen ist. Schlüssigerweise folgt auf das Gebet und die Vergewisserung eine Mahnung zur Fürbitte auch für das Missionarsteam V. 25. Die Verse 26–28 schließen den Brief mit einem Grußauftrag, der beschwörenden Bitte um Verlesung des Briefes und einem Gnadenwunsch ab.

III Einzelexegese Abschließende Mahnungen, Wünsche und Grüße 12 Der thematische Neueinsatz des Schlussabschnittes des Briefes wird durch eine v.a. bei Paulus immer wieder verwendete Grundstruktur markiert: ein Verb des Bittens oder Sagens (meist παρακαλεῖν [ parakalein] oder ἐρωτᾶν [erōtan]), die Partikel δέ [de] und die Anrede der Adressaten durch den Vokativ Plural ἀδελφοί [adelphoi] – wir aber bitten euch, Brüder (vgl. 4,1.10b; 5,14; Röm 12,1; 15,30; 16,17; 1Kor 1,10; 16,15; 2Thess 2,1). Wobei ἐρωτᾶν [erōtan] einen eher flehentlichen, dringlich bittenden Ton impliziert.18 ‚Aber‘ ist nicht, wie z.B. 5,4.8, adversativ zu verstehen, sondern lenkt den Blick auf das jetzt anzusprechende Thema (vgl. 5,1). Die direkte Anrede mit ‚Brüder‘ heischt, wie schon mehrfach im Brief (zuletzt 5,1.4), Aufmerksamkeit und weist auf die familiale Beziehung der Glaubenden untereinander hin. Dieser Hinweis ist an dieser Stelle wieder nicht ganz unwichtig, geht es doch im

16 Dies wird immer wieder in der Literatur festgehalten, vgl. E. Best 241f, dem sich G. Haufe 100 anschließt; die Tabelle bei G. Haufe ebd. ist bei R. Hoppe 316 wieder abgedruckt, vgl. auch I.H. Marshall 145f; J.A.D. Weima 377. Ohne auf andere Autoren zu verweisen gibt auch Ch. A. Wanamaker 191 eine derartige Tabelle wieder. Haufe/Hoppe folgt die hier wiedergegebene: 1Thess 5,13b 5,15 5,16 5,17 5,19 5,21b.22

Röm 12,18 12,17a 12,12a 12,12c 12,11b 12,9b

17 Für die grammatikalisch nicht einfache Satzstruktur vgl. die Hinweise zur Übersetzung bei I. 18 Vgl. ausführlicher bei der Auslegung von 4,1.

288

Kommentar

Folgenden (V. 12f ) um das Verhältnis der Gemeinde zur Gemeindeleitung oder zu jenen, die Verantwortung in der Gemeinde übernommen haben. Auch hier gilt es selbstverständlich, diese als familiale Sozialstruktur (vgl. ἐν ἀγάπῃ [en agapē], in Liebe) zu gestalten. Die Bedeutung von εἰδέναι [eidenai], die hier mit anerkennen wiedergegeben ist, ist im NT singulär und auch sonst nur selten belegt. Die nähere Bestimmung erfährt der Infinitiv durch das sich in V. 13 anschließende ἡγεῖσθαι [hēgeisthai] ([wert]schätzen). Ähnlich hat Paulus 1Kor 16,18 formuliert, wo davon die Rede ist, dass die drei Gemeindedelegierten Stephanas, Fortunatus und Achaikus dem Paulus den Kontakt zur Gemeinde in Korinth, die er vermisste, ersetzten (16,17). Sie haben ihn durch ihre Anwesenheit innerlich erquickt (ἀναπαύειν [anapauein]), und Paulus weiß, dass dies den Dreien auch gegenüber der Gemeinde gelungen ist (16,18a): ‚Solche Menschen anerkennt‘ (ἐπιγινώσκειν [epiginōskein])!19 ‚Anerkennung‘ soll also von der gesamten Gemeinde denjenigen gegenüber erfolgen, die sich um euch mühen. Dieses Partizip, wie auch die beiden folgenden (προϊστάμενος [ proïstamenos] und νουθετῶν [nouthetōn]), weist darauf hin, dass es in der Gemeinde Personen gegeben haben muss, die regelmäßig bestimmte Dienste in und für die Gemeinde ausübten oder die bestimmte Verantwortungsbereiche übernommen hatten (vgl. ἔργον αὐτῶν [ergon autōn], ihr Werk, V. 13). Benannt sind keine Gemeindeämter, sondern Tätigkeiten.20 Allen drei Partizipien folgt das Personalpronomen ὑμᾶς [hymas] (euch), wodurch die persönliche Beziehung der gesamten Gemeinde zu der benannten Personengruppe21 hervorgehoben wird.22 Κοπιᾶν [kopian] meint ganz allgemein, sich für eine Sache nach Kräften einzusetzen, wie z.B. für die Sache des Herrn bzw. des Evangeliums (vgl. 19 Vgl. zur synonymen Bedeutung von ἐπιγινώσκειν 1Kor 16,18 und εἰδέναι 1Thess 5,12 W. Schrage, 1Kor 4, 459 Anm. 197. Dass ‚anerkennen‘ im 1Kor durch ‚unterordnen‘ (ὑποτάσσειν; 16,16) näher bestimmt wird und damit eine Ordnungsanweisung ist, ist der Gemeindesituation in Korinth zu verdanken, so wie die Verbindung zu ἡγεῖσθαι derjenigen in Thessalonich geschuldet ist. Vgl. auch Phil 2,29 und dazu D. Häußer, Phil 206f, der zu einer Interpretation von Phil 2,29 gelangt, die der hier für 1Thess 5,12 präferierten gleichkommt, ohne dass Häußer auf 5,12 Bezug nehmen würde. Schon WB6 1129 s.voc. οἶδα 5. verwies auf IgnSm 9,1, wo εἰδέναι parallel zu τιμᾶν (ehren) steht, wobei dies auf Gott und den Bischof bezogen ist und daher eine etwas andere Nuance als hier impliziert. – Den Bezug zu 1Kor 16,18 stellen z.B. auch A.J. Malherbe 310; St. Schreiber 297; J.A.D. Weima 383; R. Hoppe 317 her, Malherbe und Hoppe auch den Bezug zu Phil 2,29. 20 So mit R. Börschel, Konstruktion, 270; St. Schreiber 297; R. Hoppe 318 Anm. 8. 21 R. Börschel, Konstruktion, 271 bezeichnet sie als „stationäre συνεργοί“ des Paulus, die „am weiteren Aufbau der Gemeinde mit[wirken] und die Mitglieder in ihrem Glauben [stärken]“, deren klare Rolle im Gemeinschaftskonstrukt der Gemeinde noch unklar sei. 22 Vgl. so auch A.J. Malherbe 310f.

Der Briefschluss 5,12-28

289

Röm 16,12; 1Kor 15,10; Phil 2,16), oder, wie es hier der Fall ist, ausdrücklich für die Gemeinde (vgl. Röm 16,6; 1Kor 16,16; Gal 4,11). Die ‚Liebesmühe‘ der Gemeinde hatte Paulus bereits in 1,3 thematisiert. Von seiner Mühe um die Gemeinde war in 3,5 die Rede. In 1Thess 2,9 (vgl. 1Kor 4,12) machte er darauf aufmerksam, dass er und sein Missionsteam sich Tag und Nacht abmühten, damit sie der Gemeinde nicht zur Last fallen würden, womit wenigstens indirekt ebenfalls die Mühe um die Gemeinde gemeint ist.23 Die beiden folgenden Partizipien dürften diese ganz allgemeine Charakterisierung für die Tätigkeit der Gruppe, die anzuerkennen sei, konkretisieren. Καί [kai] dürfte an dieser Stelle also epexegetisch (nämlich) zu interpretieren sein: Das Allgemeine wird durch das Folgende spezifiziert.24 Mit die, die euch vorstehen ist eine Aufgabe angesprochen, die in Röm 12,8 als von Gott gegebene Gabe verstanden ist. In jedem Fall sind leitende Gemeindeaufgaben gemeint. Dabei dürfte konkret an organisatorische, evtl. auch repräsentative Aufgaben zu denken sein. In 1Tim 3,4f.12 wird mit προϊστάναι [ proïstanai] die Verantwortung des Familienvaters gegenüber seiner Familie beschrieben, wobei hier gewiss auch eine fürsorgende Aufgabe25 mitschwingt, was durch ἐπιμελεῖσθαι [epimeleisthai] (sorgen, 1Tim 3,5) belegt wird. Beide Aspekte dürften auch an unserer Stelle gemeint sein.26 Die präpositionale Apposition ἐν κυρίῳ [en kyriō] (im Herrn) weist diese Aufgabe einem geistlichen Raum zu, innerhalb dessen sie erfolgt, nämlich im Raum des Herrn, Jesus Christus. Die Aufgabe wird also aufgrund des geistgewirkten Charismas und in der geistbegabten Haltung von Menschen übernommen und ausgeführt, die sich im Raum, im Wirkbereich des Herrn, Jesus Christus, befinden.27 Die zweite Spezifikation von ‚mühen‘ wird durch ‚belehren‘ charakterisiert. „Die Grundvorstellung [sc. von νουθετεῖν [nouthetein], fwr] ist die des wohlmeinenden Ernstes, mit dem man auf jemandes Sinn u[nd] Gesinnung je nach Umständen durch Belehrung, Ermahnung, Warnung, Zurechtweisung einwirkt“.28 Der Kontext schließt eine Übersetzung mit Belehren jedenfalls keineswegs aus. Die Grup23 Für Einzelheiten vgl. jeweils die Auslegung oben zu den genannten Stellen im 1Thess. 24 Vgl. so auch St. Schreiber 298; anders R. Hoppe 318, der von drei Tätigkeiten ausgeht, dabei aber bei κοπιᾶν eine Antwort auf eine spezifische Tätigkeit schuldig bleibt. 25 So dezidiert E. v. Dobschütz 216 und etwas weniger pointiert auch F.F. Bruce 119; R. Hoppe 319. 26 J.A.D. Weima 385f präferiert zwar eine Interpretation von ‚vorstehen‘ im Sinn von „rule over“ (a.a.O., 385), meint dann jedoch, dass dies immer eine fürsorgliche Komponente impliziere. I.H. Marshall 148; R. Börschel, Konstruktion, 269 sehen beide Aspekte (vorstehen und Fürsorge tragen) gleich gewichtig vorliegen. 27 Vgl. für Weiteres bei 4,1. 28 J. Behm, νουθετέω κτλ., ThWNT IV, 1942, 1013-1016, 1013 mit zahlreichen Belegen aus der Profangräzität.

290

Kommentar

pe derer, die anzuerkennen sind, sind diejenigen, die sich ganz wesentlich um zwei Gemeindebereiche ‚mühen‘, nämlich zum einen die äußerliche Organisation der Gemeinde sowie deren Repräsentanz und die Fürsorge für sie, und zum anderen deren innerliche Stabilisierung dadurch, dass sie der Gemeinde ‚etwas in den Sinn legt‘.29 Damit dürfte die Orientierung stiftende, seelsorgliche Unterweisung in Lehre und Lebensstil angesprochen sein, die weniger die Vernunft als vielmehr den Sinn und den Willen des Menschen adressiert.30 Eine Differenz zu διδάσκειν [didaskein] liegt dadurch vor, dass mit diesem Verb tatsächlich eher die Vernunft adressiert wird (vgl. für ein Nebeneinander von beiden Verben Kol 3,16).31 13 Diejenigen, die sich um die Gemeinde mühen, soll die Gemeinde nicht nur anerkennen, sondern auch schätzen. Grammatikalisch ist ἡγεῖσθαι [hēgeisthai] noch vom satzeinleitenden finiten Verb ἐρωτῶμεν [erōtōmen] (wir bitten) abhängig. ‚Wertschätzung‘ stellt gegenüber ‚Anerkennung‘ aus V. 12 bereits allein eine Steigerung dar. Die Bedeutung ‚schätzen‘ im Sinn von ‚achten‘ bzw. ‚wertschätzen‘ für ἡγεῖσθαι [hēgeisthai]32 kennt Paulus auch sonst. Phil 2,3 (‚einer achte den andern höher als sich selber‘) und Röm 12,10, wo Paulus mahnt, dass einer dem andern in Ehrerbietung zuvorkommen (προηγεῖσθαι [ proēgeisthai]) soll, sind sprechende Belege dafür.33 Diese erbetene Wertschätzung für die, die sich für die Gemeinde mühen, wird durch das Adverb ‚ganz besonders‘ (ὑπερεκπερισσοῦ [hyperekperissou]) weiter intensiviert34 und durch in Liebe (ἐν ἀγάπῃ [en agapē]) in die geschwisterliche Liebe derer, die durch die Liebe Christi miteinander und mit Christus verbunden sind, in einen Rahmen der christlichen Ekklesiologie gestellt. Mit dem Hinweis auf die ‚ganz besondere Wertschätzung in Liebe‘ dürfte Paulus auf 4,9f zurückblenden. Die geschwisterliche Liebe in der Gemeinde ist ein Markenzeichen, das gerade die Thessalonicher besonders auszeichnet. 29 Νουθετεῖν ist zusammengesetzt aus νοῦν (Sinn, Wille) und τιθέναι (setzen, legen). 30 Vgl. H. Stadelmann, νουθετέω, TBLNT2 1, 1997, 380-381, 381; ähnlich auch F.F. Bruce 119; St. Schreiber 299. – Paulus hat dies selbst in seinem Brief so praktiziert und liefert damit ein Beispiel für νουθετεῖν: 4,1-12 zielt eher auf den Lebensstil, 4,13-18 eher auf die Lehre, 5,1-11 ist beides verbunden. 31 Im folgenden V. 14 wird der ganzen Gemeinde die Aufgabe, die mit νουθετεῖν verbunden ist, gegenüber den ‚Taktlosen‘ aufgetragen. Dass dann eher eine andere Nuance des Verbs im Vordergrund steht, lässt sich ebenfalls durch den Kontext plausibilisieren, vgl. die Auslegung dazu. 32 Sonst meist in der Bedeutung ‚leiten‘ oder ‚meinen‘, ‚glauben‘ verwendet, vgl. die Belege bei WB6 696. 33 Auf diese beiden Stellen verweist auch R. Hoppe 320. 34 Vgl. hierzu die Auslegung zu 3,10. Das Adverb ὑπερεκπερισσοῦ ersetzt einen Superlativ.

Der Briefschluss 5,12-28

291

Diese Liebe soll die Gemeinde gerade jenen in besonderem Maß zukommen lassen, die sich für sie auf unterschiedliche Weise besonders mühen. Dabei dürfte für diese frühe Zeit des Christentums noch nicht an eine Ämterstruktur gedacht werden, sondern an geistbegabte und begeisterte Christen, die sich und ihre Gaben in besonders zeitintensiver Weise und in für die Gemeinde besonders förderlicher und sie stabilisierender Weise einbringen. Derartige Geschwister sind ganz besonders in Liebe zu schätzen und achten. „Der Akzent liegt darauf, dass diejenigen, die sich besonders ins Zeug legen, aus keinem anderen Grund geachtet werden sollen als der Liebe, die ihnen zuteilwird. Es handelt sich um eine spezifische Form der Bruderliebe, die Paulus in 1Thess 4,9f angesprochen hat.“35 Welche sichtbare Form diese Wertschätzung annehmen könnte, schreibt Paulus nicht. Natürlich hat diese Wertschätzung aufgrund ihres Werkes zu erfolgen. Gemeint sind die drei eben genannten Aspekte des Einsatzes in der Gemeinde und für die Gemeinde. Die Personen sind also nicht aufgrund eines wie auch immer gearteten Amtes zu achten, sondern allein aufgrund ihres Tuns in und für die Gemeinde. Von nicht geringer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der ganzen Gemeinde die Aufgabe des Tröstens und Ermahnens bleibt (vgl. 4,18; 5,11). Gleich im Anschluss (V. 14f ) werden weitere Aspekte benannt, bei der die ganze Gemeinde Verantwortung für besonders benannte Gruppen trägt. Bereits der kurze, direkt folgende Satz wendet den Blick vom Verhältnis der gesamten Gemeinde zu jener Gruppe, die besondere Verantwortung in der Gemeinde übernommen hat, weg und richtet ihn hin zu allen Gemeindegliedern. Er hat keinerlei syntaktische Bindung an das Voraufgehende. Haltet Frieden untereinander spricht alle in gleicher Weise an. Paulus schließt diese Mahnung, so allgemein sie auch formuliert ist, gewiss nicht ohne Grund an. Wenn man das konzediert, lässt sich mutmaßen, dass zwischen jenen, die Verantwortung in der Gemeinde im Sinn von V. 12 übernommen hatten, und der übrigen Gemeinde kein Verhältnis geherrscht haben dürfte, das als ‚Friede‘ charakterisiert werden konnte. Schließlich muss er den Thessalonichern an dieser Stelle nicht sagen „habt Liebe untereinander“, was durch das Stichwort ἀγάπη [agapē] durchaus nahegelegen hätte, aber eben aufgrund von 4,9f völlig deplatziert gewesen wäre, er benennt stattdessen den Unfrieden als Problem. Welcher Art freilich der Unfriede gewesen sein mag, bleibt im Dunkeln. Erwähnenswert ist, dass Paulus hier möglicherweise auf Jesustradition zurückgreift, wie sie auch in Mk 9,50 greifbar wird (vgl. auch Röm 12,18; 2Kor 13,11). Dass sich der angemahnte Friede in der Liebe manifestiert und 35 Th. Söding, Nächstenliebe, 249.

292

Kommentar

nicht lediglich als Abwesenheit von Streit oder anderem36 verstanden werden darf, ist aus dem Kontext evident. „Das Halten des Friedens beinhaltet den Respekt gegenüber den Verantwortlichen, geht jedoch in diesem nicht auf. Der Friede in der Gemeinde ist für ihre Stabilität und ihr Fortbestehen unerläßlich.“37 14 Der Satzanfang ‚wir ermahnen euch aber, Brüder, ist als Beginn eines neuen Abschnitts aus dem Brief bereits hinlänglich bekannt (4,1.10, vgl. weiter z.B. Röm 12,1; 15,30; 16,17; 1Kor 1,10 u.ö.) und wurde kurz zuvor (5,12) strukturanalog gebraucht. Aufgrund der folgenden Ausführungen im Text liegt παρακαλεῖν [ parakalein] weniger ein tröstender als ein appellierend mahnender Ton zugrunde. Eingeleitet werden Mahnungen zum Verhalten der Gemeindeglieder zu bestimmten Personen unter ihnen, die sich gemeinschafts (zer)störend verhalten (V. 14), und zum generellen Verhalten untereinander (V. 15). Zunächst werden die Taktlosen erwähnt. Das (substantivierte) Adjektiv wird sonst im NT nicht mehr verwendet,38 das entsprechende Adverb nur in 2Thess 3,6.11 und das im NT ebenfalls nur einmal gebrauchte Verb (ἀτακτεῖν [ataktein]) in 2Thess 3,7. Die Bedeutung des Lexems ist ‚zügellos, disziplinlos leben‘, ‚ungeordnet, planlos sein‘ ‚faul sein‘, ‚sich vor pflichtgemäßer Leistung drücken‘.39 Das Wort ist aus der Profangräzität hinreichend belegt und bekannt. Es wird vor allem in Zusammenhängen verwendet, die das menschliche Verhalten in den Bereichen Ethik und Politik betreffen. „In beiden bezeichnet sie den Menschen als den, der sich außerhalb der notwendigen und gegebenen Ordnung stellt.“ 40 Die Folie, auf der ἄτακτος [ataktos] an unserer Stelle zu interpretieren sein dürfte, bieten 4,11f und auch 2,9, aber natürlich ebenfalls die Belege aus dem 2Thess. Dort, im 2Thess, dürfte die möglicherweise aus einer übersteigerten apokalyptischen Naherwartung erfolgte Arbeitsverweigerung oder auch Hyperaktivität den Hintergrund der Verwendung des Lexems gebildet haben. Ob dies im 1Thess so schon der Fall gewesen ist, muss offenbleiben. Jedenfalls dürfte ein Missverhältnis mancher Gemeindeglieder zur eigenen Erwerbsarbeit41 ein Grund gewesen sein, bei dem das Motiv zur Positionierung dieser Mahnung an der ersten Stelle der

36 37 38 39

Vgl. z.B. die Aufzählung Gal 5,20. R. Börschel, Konstruktion, 278. Für die LXX vgl. den einzigen Beleg bei 3Makk 1,19. Vgl. WB6 239f; G. Delling, ἄτακτος κτλ., ThWNT VIII, 1969, 48-49, 48f, jeweils mit zahlreichen Belegen aus der Profangräzität. 40 G. Delling, ἄτακτος κτλ., ThWNT VIII, 1969, 48-49, 49. 41 So mit G. Delling, ἄτακτος κτλ., ThWNT VIII, 1969, 48-49, 49, vgl. T. Holtz 251f; I.H: Marshall 150f.

Der Briefschluss 5,12-28

293

folgenden Aufzählungen zu suchen sein dürfte. Auch wenn hier noch nicht die Situation des 2Thess vorausgesetzt werden darf, kann angenommen werden, dass Paulus hier ein sich abzeichnendes und erkennbares Verhaltensmuster bei einigen Christen in Thessalonich anspricht. Es zeigte sich ganz offensichtlich, dass es bei einigen Verhaltenszüge gab, die dem ‚ordentlichen‘, ‚taktvollen‘ Leben nicht nur innerhalb der christlichen Sozialgemeinschaft widersprachen.42 Wenn man sich dabei nicht auf 4,11f konzentrieren will, kann der gesamte Abschnitt 4,1-12 als Hintergrund für mögliche Taktlosigkeit betrachtet werden. Dass sich die Taktlosigkeit lediglich auf Missachtung innergemeindlicher Ordnungen beziehe, wie sie sich aus 5,12f ableiten lassen würden,43 scheint mir eher unwahrscheinlich zu sein. Νουθετεῖν [nouthetein] wurde hier deshalb mit zurechtweisen übersetzt, um zu signalisieren, dass hier eher der deutlich wegweisende und richtungsangebende, ja appellierende Aspekt des Verbs vorauszusetzen ist und weniger der mahnend belehrende. Beide Male (5,12 und hier) ist allerdings der Wille des Menschen ‚Adressat‘ des ‚Zurechtweisens‘.44 Mit den Kleinmütigen (ὀλιγόψυχος [oligopsychos]), einem nur hier im NT verwendeten Wortfeld, wird eine weitere ‚Kategorie‘ von Gemeindegliedern charakterisiert. Das Wort ist in der gesamten Gräzität nur selten belegt. Seine Bedeutung gewinnt es auf dem Hintergrund sinnverwandter Worte wie σύμψυχος [sympsychos] (einträchtig, Phil 2,2), ἰσόψυχος [isopsychos] (gleichgesinnt, Phil 2,20) und εὐψυχεῖν [eupsychein] (guten Mutes sein, Phil 2,19)45 Gemeint ist jeweils der „gute oder weniger gute Stand des psychischen Menschen, also sein Lebensmut und seine Lebenskraft“.46 Der tatsächliche Grund für Kleinmütigkeit, Ängstlichkeit oder Verzagtheit in Thessalonich ist kaum noch erkennbar. Hat die Bedrückung und Sorge um das Ergehen der verstorbenen Mitchristen (4,13-18) die Folie dafür gebildet?47 Mitchristen von geringem Lebensmut oder geringer Lebenskraft sollen jedenfalls durch die Gemeinde ermutigt (παραμυθεῖσθαι [ paramytheisthai], vgl. 2,12) werden.48 42 So mit A.J. Malherbe 317. 43 So aber R. Hoppe 323. 44 St. Schreiber 305 setzt eine diskursive Aushandlungskultur in der jungen Gemeinde voraus und übersetzt mit „anleiten“ (a.a.O., 293). Ob dies wirklich die Kommunikationskultur der frühen Gemeinden war, bleibt mir angesichts der deutlichen Forderungen, die bei Paulus gerade in paränetischen Abschnitten erkennbar werden, mindestens fraglich. 45 Alle drei Wörter sind für das NT nur an den angegebenen Stellen im Phil belegt. 46 E. Schweizer, ὀλιγόψυχος 3, ThWNT IX, 1973, 667 (die Kongruenzen in der Satzstruktur wurden angepasst). 47 So J.A.D. Weima 394, der weitere Vertreter anführt. 48 Vgl. zu παραμυθεῖσθαι die Auslegung bei 2,12.

294

Kommentar

Eine ganz parallele Formulierung hierzu ist in 1Klem 59,4 im großen Schlussgebet des Briefes belegt: „Tröste die Kleinmütigen“ (παρακάλεσον τοὺς ὀλιγοψυχοῦντας [ parakaleson tous oligopsychountas]). Die Fürbitte lässt allerdings einen möglichen Grund für ihre Anführung noch nicht einmal erahnen. Das atl. Kolorit ist sowohl für 1 Clem als auch für unsere Stelle überaus wahrscheinlich, vgl. z.B. Jes 35,4 (LXX): „Tröstet einander, die ihr im Sinn kleinmütig seid“ (παρακαλέσατε, οἱ ὀλιγόψυχοι τῇ διανοίᾳ [ parakalesate, hoi oligopsychoi dianoia]). Spr 18,14 (LXX) ist davon die Rede ist, dass ein „kleinmütiger Mann“ kaum zu ertragen sei, womit die Brisanz der Kleinmütigkeit von Personen innerhalb einer Gemeinschaft plastisch wird. Nach Jes 57,15 (LXX) ist es Gott, der „den Kleinmütigen Geduld gibt“.49 Schließlich werden die Schwachen (ἀσθενεῖς [astheneis]) erwähnt. Auch hier ist es kaum noch möglich einen konkreten Sachverhalt zu definieren, auf dessen Hintergrund einzelne Glaubensgeschwister in Thessalonich als schwach bezeichnet werden könnten. Das Wort kann sich auf soziale (1Kor 1,27), physische (1Kor 11,30), das Gewissen betreffende (1Kor 8,7.9f ) oder geistliche (Röm 5,6) Schwachheit beziehen. Mir scheint es am wahrscheinlichsten zu sein, an Bedrängnisse und Anfeindungen aus dem sozialen Umfeld der Gemeinde zu denken, von denen 1,6; 2,14; 3,3 die Rede war.50 Diese soziale Ausgrenzung könnte dazu geführt haben, dass manche unsicher im Blick auf den neu eingeschlagenen Glaubensweg geworden waren und dazu neigten, sich wieder der vorherigen Lebens- und Glaubensweise zuzuwenden, von der sie sich erst kürzlich abgewandt hatten (1,9f ).51 Das Verb annehmen (ἀντέχειν [antechein])52 drückt ganz generell festhaltende Fürsorglichkeit und fürsorgliches Gehaltenwerden aus. Beides benötigen Menschen, die aufgrund von Bedrängnissen versucht sind, vom Glaubensweg abzuweichen oder ihn ganz aufzugeben. Es „[geht] darum, aufmerksam zu sein, sich ihrer [sc. der Schwachen, fwr] anzunehmen, an ihnen festzuhalten und sie zu stärken“.53 Zuletzt werden nicht mehr einzelne Personen in der Gemeinde angesprochen, sondern alle. Damit könnten entweder die drei vorher charakterisierten

49 Die Übersetzungen jeweils nach LXX.D. 50 Ähnlich auch R. Hoppe 324. 51 Ohne Bezug auf die angegebenen Stellen im 1Thess denkt I.H. Marshall 151 allgemein an Bedrängnis und Versuchung („hardship and temptation“), die mit der Schwachheit der Schwachen in Verbindung zu bringen sei. 52 In dieser Bedeutung nur hier im NT, vgl. die weiteren wenigen Belege Mt 6,24 / Lk 16,13; Tit 1,9 in der Bedeutung ‚festhalten, sich halten an‘. 53 R. Hoppe 323, vgl. ähnlich allgemein auch I.H. Marshall 152.

Der Briefschluss 5,12-28

295

Personen(gruppen) gemeint sein54 oder aber die ganze Gemeinde.55 Langmütig zu sein, ist den Grundcharakterzügen des Christseins zuzurechnen, insofern es eine ‚Frucht des Geistes‘ ist (Gal 5,22), und gilt als ein Wesensmerkmal der Liebe (ἀγάπη [agapē], 1Kor 13,4). Paulus nimmt Langmut bzw. Geduld als Charakteristikum für sich selbst in Anspruch (2Kor 6,6) und verwendet es zur Bezeichnung des Wesens Gottes (Röm 2,4; 9,22), womit er atl. Tradition folgt (Ex 34,6; Ps 102[103],8 u.ö.). Im hier vorliegenden Kontext ist die Langmut gewiss gegenüber den drei besonders benannten Personen(gruppen) zu üben. Dass die Langmut aber nicht auf jene beschränkt bleiben darf, sondern eben gegenüber allen Geschwistern56 zu üben ist, ist ebenso selbstverständlich und mit πρὸς πάντας [ pros pantas] auch am ehesten gemeint. Damit ist auch der Übergang zu V. 15 markiert, wo der Blick nochmals geweitet wird. 15 Mit der imperativischen Wendung seht darauf, dass nicht, die so – ὁρᾶτε μή [horate mē] – von Paulus nirgends mehr verwendet wird,57 wird die innergemeindliche Kommunikation fortgeführt. Die paränetische Thematik des Abschnitts 5,12ff wird ins Allgemeine, nämlich in die Antithese von Gut und Böse (κακός – ἀγαθός [kakos – agathos], böse – gut), und ins Allumfassende (εἰς αλλήλους καὶ εἰς πάντας [eis allēlous kai eis pantas]) geweitet. Böses mit Bösem zu vergelten erinnert an das ius talionis, das aus der atl. Tradition bekannt ist (vgl. Ex 21,23-25; Lev 24,19f; Deut 19,21), aber schon bald kritisiert wird (Spr 20,22; 24,29; Sir 28,1-7 und auch JosAs 23,9; 29,35).58 Bei Jesus wird dies völlig aufgebrochen, insofern die Feindesliebe als Kennzeichen der Jesusnachfolger gilt: Mt 5,38-40.43f / Lk 6,27-29. Möglicherweise hat die Jesusüberlieferung auch Einfluss auf die hier (und Röm 12,17) vorliegende Aussage. Hintergrund der Aussage ist die grundsätzliche Bereitschaft zur Vergebung in der christlichen Gemeinschaft, bei der die Aufforderung zum Verzicht, Böses mit Bösem zu vergelten, ein erster praktischer Schritt ist. Konkretionen des Bösen unterbleiben, sie sind daher am ehesten in jeder Form von lebensbehindernden und die Gemeinschaft der Glaubensgeschwister untereinander irritierenden Sachverhalten zu suchen. In der Gemeinde hat dabei jeder die Aufgabe, auf denjenigen (Sg. des Indefinitpronomens, 54 So z.B. G. Haufe 103. Ch. A. Wanamaker 198 denkt an die Personen, die 5,12 genannt sind 55 So T. Holtz 254; R. Börschel, Konstruktion, 289; St. Schreiber 306; J.A.D Weima 396. R. Hoppe 324 lässt die Frage offen. 56 Die Nichtchristen sind erst 5,15fin mitgemeint, anders A.J. Malherbe 320. 57 Am nächsten steht die Formulierung βλέπετε μή 1Kor 8,9; Gal 5,15; Kol 2,8. 58 Die Belege z.B. auch bei A.J. Malherbe 321; St. Schreiber 296.

296

Kommentar

gemeint ist jeder Einzelne) „ein[zu]wirken, dem Böses widerfährt, daß er nicht nach Vergeltung strebt“.59 Grundsätzlich kann dabei jeder in der Gemeinde einmal als vom Bösen Betroffener, einmal als einer, der zur Zurückhaltung mahnt, fungieren. Diese Reziprozität der Rollen verbindet letztlich auch einen mit dem anderen, insofern einer dem anderen einmal zum Helfer wird und einmal zu dem, der Hilfe benötigt. Wie schon in 2,11; 4,4; 5,11 wird auf den Einzelnen abgehoben, was ein Charakteristikum des 1Thess ist. Die negative Aussage aus V. 15a wird in der zweiten Hälfte des Verses ins Positive gewendet: Es gilt nicht nur, Böses nicht mit Bösem zu vergelten, sondern vielmehr stets nach dem Guten zu trachten. Dass das Gute hier das in der hellenistisch-römischen Ethik verbreitete Gute meine, trifft gewiss zu, so gewiss wie dieses die christliche Gemeinde mit der paganen Mitwelt verbindet.60 Der Begriff erhält jedoch durch 5,21 eine quasi theologische Spezifikation: Das Gute ist das, was nach ‚Prüfung‘ durch die christliche Gemeinde sich als solches erwiesen hat. Die pagane Ethik wurde von der christlichen Gemeinde nicht ‚ungeprüft‘ übernommen. Ernst v. Dobschütz formuliert daher zu Recht ganz allgemein, das Gute meine „alles das was dem andern frommt“.61 In einer derart allgemeinen Form dürfte τὸ ἀγαθόν [to agathon] von Paulus auch in Gal 6,9f und Röm 2,10; 12,2.21 gebraucht worden sein. Dafür, dass nach dem Guten zu trachten sei oder dass zielgerichtet nach etwas zu streben sei, das den Mitmenschen dient, gebraucht Paulus auch sonst das Verb διώκειν [diōkein], vgl. Röm 12,13 (Gastfreundschaft); 14,19 (Frieden und Erbauung); Phil 2,12.14 (eschatologische ‚Güter‘ wie Auferstehung, Siegespreis). Nach dem Guten zu trachten gilt es sowohl gegenüber den Glaubensgeschwistern (im Umgang miteinander) als auch gegenüber allen anderen Mitmenschen (vgl. nochmals Gal 6,10). Diese Aufforderung zielt sowohl auf die Stärkung der Gemeinschaft in der Gemeinde als auch auf die Reputation der christlichen Gemeinde in ihrem sozialen und politischen Umfeld (vgl. 4,12b). 16 Die folgenden drei Aufforderungen folgen formal jeweils demselben Schema: adverbiale Näherbestimmung mit folgendem Imperativ Präsens, wobei nach der dritten Aufforderung eine Begründung folgt, die an 4,3 erinnert. Stets (πάντοτε [ pantote]) ist ein Wort, das Paulus im 1Thess auffällig häufig verwendet; hier, nach 1,2; 2,16; 3,6; 4,17; 5,15 zum sechsten und letzten Mal (vgl. 2Thess 1,3.11; 2,13). Es scheint, als wolle er gegenüber den Thessa59 R. Börschel, Konstruktion, 294. 60 Vgl. so St. Schreiber 308; R. Hoppe 325f. 61 E. v. Dobschütz 222.

Der Briefschluss 5,12-28

297

lonichern besonders intensiv die Permanenz, Ausdauer und Nachhaltigkeit, die dem christlichen Glaubensweg in allen möglichen Bezügen eigen ist, vor Augen malen. Πάντοτε [ pantote] ist temporal zu verstehen. Freut euch stets wird um die Formel ἐν κυρίῳ [en kyriō] (im Herrn) erweitert auch bei Phil 3,1; 4,4 von Paulus verwendet. In 2Kor 13,11 werden in einem Atemzug die auch im hier vorliegenden Kontext gebrauchten Verben παρακαλεῖσθαι [ parakaleisthai] (lasst euch ermahnen / trösten, vgl. V. 14), und εἰρηνεύειν [eirēneuein] (Frieden halten, vgl. V. 13) genannt (vgl. auch Phil 2,18; Röm 12,12a). Im 1Thess war in 2,19f; 3,9 von der Freude die Rede, welche die Gemeinde dem Missionsteam bescherte. Die beiden präpositionalen Erweiterungen bei Phil 3,1; 4,4 weisen die Richtung, in welche dieser Imperativ verstanden werden kann: Freut euch stets, aufgrund eures Lebens, dass ihr jetzt im lebensgebenden Raum des Herrn leben könnt. Die Thessalonicher kennen diese Freude, die aus dem Heiligen Geist entspringt, aus eigener Erfahrung (1,6). Appelliert wird also an eine Lebensfreude, die das Leben der Gemeinde als Grundhaltung durchgehend und anhaltend prägen soll und die aus der ebenso durchgehenden und anhaltenden Beziehung des Herrn zu seiner Gemeinde und seiner Gemeinde zum Herrn resultiert und in ihm ihren Grund hat. Dabei sind natürlich das Christusereignis (4,14; 5,9b.10a) und das Kommen des Herrn (4,14; 5,10b) die ‚Rahmenereignisse‘, innerhalb derer sich diese Freude in der Gegenwart entwickeln kann und soll.62 Jeffrey A.D. Weima macht darauf aufmerksam, dass das Wortfeld χαρά, χαίρειν [chara, chairein] (Freude, freuen) auf griechischen Papyri auffallend häufig in christlichem Kontext belegt sei, hingegen in paganem Kontext verhältnismäßig selten vorkomme.63 War die Lebensfreude, neben der Geschwisterliebe (4,9) ein weiteres besonderes Erkennungsmerkmal der Christen?64 17 Hier ist, wie schon V. 16, eine Grundhaltung der Christen angesprochen: betet unaufhörlich. Ἀδιαλείπτως [Adialeiptōs] meint ebenfalls, wie schon πάντοτε [ pantote], die zeitliche Dimension. Der Imperativ Präsens (Durativstamm) ‚betet‘ appelliert in Verbindung mit ‚unaufhörlich‘ nicht an eine permanente z.B. gottesdienstliche Gebetspraxis,65 oder ununterbrochene Fürbitte (vgl. zu 5,25), sondern an eine permanente betende Lebensgrundhaltung, womit eine Haltung angesprochen ist, die alles von Gott erwartet und die 62 Vgl. ähnlich auch St. Schreiber 309. 63 Vgl. J.A.D. Weima 399. 64 Vgl. Lk 19,6; Joh 15,11; 16,24b; 17,13; Apg 2,46; 8,39fin; 13,52 u.ö., die Belege teilweise auch bei J.A.D. Weima 399. 65 Die Bedeutung des Gebets bei gottesdienstlichen oder gottesdienstähnlichen Veranstaltungen ist hier nicht das Thema (anders J.A.D. Weima 400).

298

Kommentar

weiß, dass sich das gesamte Leben der Gabe Gottes verdankt (V. 18). Paulus hat sich selbst als Vorbild für anhaltendes Beten im Brief bereits vorgestellt (1,2; 2,13; 3,10), wobei an diesen Stellen jeweils eher an iteratives Bitten und Danken zu denken ist.66 Bleibt noch darauf hinzuweisen, dass das Beten in der antiken Welt keineswegs unbekannt war und auch den Christen in Thessalonich schon vor ihrer Umkehr zum christlichen Glauben aus ihrer vorherigen religiösen Praxis vertraut gewesen ist (1,9b). Möglicherweise stellt jedoch die betende Lebensgrundhaltung, die davon weiß, dass das ganze Leben eine verdankte, weil von Gott geschenkte und gewährte Gabe ist, eine Differenz zur paganen Mitwelt dar. 18 Eine dritte Grundhaltung der Christen wird mit seid in allem dankbar angesprochen. Ἐν πάντι [En panti] hebt nun nicht primär auf die Zeit ab, sondern auf die unterschiedlichsten Lebenssituationen.67 Ob dabei eine Überlegung, wie sie in Röm 8,28 vorliegt, eine Rolle spielt?68 Paulus hat sich in 1,2; 2,13 (vgl. 2Thess 1,3; 2,13) gegenüber den Thessalonichern und auch in späteren Briefen jedenfalls mehrfach als Vorbild für eine dankbare Lebensgrundhaltung v.a. gegenüber den Glaubensgeschwistern vor Augen gemalt (Röm 1,8; 1Kor 1,4; Phil 1,3; Eph 1,16; Kol 1,3; Phlm 4). Dankbarkeit ist dabei nicht für die jeweilige Situation gefordert,69 sondern in ihr, was gewiss manchmal auch trotz ihr meinen kann. Dies legt sich überaus nahe aufgrund der Ausgrenzungs- und Verfolgungserfahrungen der Gemeinde, die im Brief mehrfach thematisiert worden sind. Dankbarkeit in jeder Situation kann zum einen ihren Grund im Heilsereignis und in der erwarteten Zukunft ‚mit Christus‘ zu sein haben, sodann in der Gewissheit, dass das, was einem Christenmenschen begegnet, Gottes Berufung und Willen entspricht (vgl. z.B. 3,3)70 und nicht zuletzt gewiss auch in der bloßen Tatsache, dass Glaubensgeschwis-

66 Vgl. ausführlich zum Gebet im NT O. Cullmann, Gebet; R.N. Longenecker (Hg.), Presence; H. Klein (Hg.), Gebet. Darin jeweils Abschnitte zum Gebet bei Paulus. 67 Vgl. St. Schreiber 309, der darauf hinweist, dass der temporale Aspekt eher durch περὶ πάντος ausgedrückt worden wäre; allerdings sieht auch er, aufgrund der Parallelität zu den beiden voraufgegangenen Aussagen, den zeitlichen Aspekt mitschwingen. Temporales und sachliches Moment lassen sich ohnehin im vorliegenden Kontext nicht trennen, vgl. so auch I.H. Marshall 155; R. Hoppe 327. 68 I.H. Marshall 156 verweist jedenfalls darauf. 69 So aber T. Holtz 257. 70 Die Dankbarkeit entspringt in diesem Fall nicht der möglicherweise schmerzhaften Situation, erfolgt also nicht für die Situation, sondern dem Wissen um Gottes Fürsorge und Gegenwart auch in dieser Situation. Vgl. für dieses Verständnis auch E. Best 236 aufgenommen von I.H. Marshall 156.

Der Briefschluss 5,12-28

299

ter vorhanden sind, deren Grundhaltung neben der Liebe auch die Freude und das (fürbittende) Gebet ist.71 In der zweiten Hälfte von V. 18 liegt eine Begründung für die drei voraufgehenden Imperative vor (denn dies):72 „Gott will, dass die Christen freudige, betende, dankende sind“.73 Der Rekurs auf den Willen Gottes erinnert an 4,3. Wurde dort in den folgenden Ausführungen der Wille Gottes im zwischenmenschlich-ethischen Bereich thematisiert, so hier der Wille Gottes im Bereich der Gestaltung des geistlichen Lebens, das zunächst das Verhältnis zu Gott betrifft, von dem jedoch das Leben in der Gemeinschaft der Mitchristen nicht unberührt bleiben kann, insofern das geistliche Leben des Einzelnen mit Gott Ausstrahlung auf das geistliche Leben der Geschwister untereinander in der Gemeinde hat. Die Ergänzung in Christus verweist auf die Christuszentrierung der Gestaltung des geistlichen Lebens wie auch darauf, dass sich in Christus dieser Wille Gottes manifestiert hat, insofern er Freude, Gebet und Dankbarkeit gelebt und gebracht hat und jetzt auch für diejenigen ermöglicht, die in seinem Wirkraum leben. Die den Satz abschließende Apposition gegenüber euch ist erneut direkte Ansprache der Gemeinde, die jedoch den erinnernden Zuspruch enthält, dass Gott in Christus für sie, die Gemeinde, seinen Willen geoffenbart hat. 19 Die Eröffnung der folgenden vier Imperativsätze thematisiert zuvorderst den Geist.74 Von der Wirkung des Geistes wissen die Thessalonicher aus eigener Erfahrung (1,5; 4,8f ). Der Terminus meint hier allgemein Geistwirkungen und Geistesgaben. Konkret kann an Geistesgaben gedacht werden, wie sie in 1Kor 12,8-10 (und 14,1ff ) geschildert sind, wobei von ihnen im Einzelnen im 1Thess nicht die Rede ist.75 Πνεῦμα [Pneuma] ist demnach hier am ehesten abbreviativ für unterschiedlichste Manifestationsweise des Geistes in der Gemeinde verwendet.76 Diese sind von jedem Einzelnen Gemeindeglied gemäß seiner Begabung in die Gemeinde zur Auferbauung (5,11 vgl. 1Kor 14,12.26) aller einzubringen – und nicht auszulöschen. Der Geist wird 71 Vgl. dazu auch die Auslegung bei V. 16. 72 Vgl. so u.a. auch E. v. Dobschütz 223f; I.H. Marshall 156; G. Haufe 105; J.A.D. Weima 402; R. Hoppe 327. St. Schreiber 310 sieht auch einen indirekten Bezug zum Folgenden vorliegen. 73 E. v. Dobschütz 224. 74 Für die Interpretation von 5,19f vgl. auch F.W. Röcker, Belial, 336-338. 75 Einen Bezug von πνεῦμα lediglich auf die Prophetie sieht J.A.D. Weima 405, wo er weitere Vertreter für seine Auffassung aufführt. Für die hier vertretene Auffassung vgl. I. H. Marshall 157; G. Haufe 106; P.-G. Müller 209; St. Schreiber 310; R. Hoppe 328. 76 Zum Heiligen Geist bei Paulus vgl. ausführlich F.D. Fee, Presence, zum Heiligen Geist im NT z.B. K. Erlemann, Geist.

300

Kommentar

im NT verschiedentlich mit der Metapher des Feuers bzw. des Brennens in Beziehung gebracht (Mt 3,11 / Lk 3,16; Apg 2,3; Röm 12,11; 2Tim 1,6),77 was das im NT seltene Verb auslöschen nicht verwunderlich macht. Σβέννυναι [sbennynai] ist im NT insgesamt sechsmal belegt, wird in einem derart übertragenen Sinn aber nur hier verwendet, sonst wird es häufig in anderem metaphorischen Kontext gebraucht (vgl. z.B. Mt 12,20; Eph 6,16).78 20 Da πνεῦμα [ pneuma] V. 19 als übergreifender Begriff für alle Geistesgaben zu verstehen ist, ist hier die Prophetie79 als eine konkret benannte Geistesgabe zu fassen.80 Die Erwähnung von πνεῦμα [ pneuma] und προφητεία [ prophēteia] im vorliegenden Zusammenhang weist die Gabe der Prophetie als die bedeutendste von allen Geistesgaben (vgl. 1Kor 14,1.4.5 u.ö.) dem Geist als einer seiner Wirkungsweisen zu. Schon Ernst v. Dobschütz konstatierte: „τὸ πνεῦμα […] ist das Genus, προφητείαι eine Spezies […]; es ist [sc. mit πνεῦμα [ pneuma]; fwr] die Gesamtheit der außerordentlichen Geisteswirkungen gemeint, wie sie Paulus z.B. 1Kor 12,8ff. 28ff. aufzählt“.81 Die Prophetie ist eine dieser Wirkungen. Im NT wird Prophetie zudem von weiteren Geisteswirkungen, wie etwa den ‚Geistrednern‘ abgehoben (vgl. 1Kor 12,10), in engem Zusammenhang mit dem Gebet gesehen (vgl. 1Kor 11,4f ) und in 1Kor 14 (insbes. 14,24f.32) wird sie in einer Weise beschrieben, die sie von der geistgewirkten Sonderrede der Glossolalie unterscheidet. Sie, die Prophetie, dient in besonderer Weise der Auferbauung der Gemeinde (1Kor 14,4), dem Lernen und der Ermahnung bzw. dem Trost (1Kor 14,3182). Prophetie meint in diesem Zusammenhang „aktuelle Ermutigungen und Weisungen, durch die Gott sein erhellendes und wegweisendes Wort jeweils in die Gemeinde hineinspricht“.83 Der Plural Prophetien weist auf derartige, jeweils

77 Die Belege z.B. auch bei I.H. Marshall 157; A.J. Malherbe 331; J.A.D. Weima 405, für entsprechende Belege aus der Profangräzität vgl. R. Hoppe 328 Anm. 64. 78 Vgl. zu einem möglichen Anlass für diese Ermahnung die Auslegung von V. 20. 79 Vgl. ausführlich zur Prophetie im NT immer noch die beiden Arbeiten von D.E. Aune, Prophecy und Th. W. Gillespie, Theologians. 80 Vgl. E. Schweizer, πνεῦμα κτλ., ThWNT V, 1959, 387-453, 420, der unter Hinweis auf 1Kor 14,37 und 1Thess 5,19 zwischen Geist(rede) und Prophetie derart differenziert. 81 E. v. Dobschütz 225. Vgl. hierfür auch E. Best 238f; F.F. Bruce 125; T. Holtz 259; I.H. Marshall 157; Ch.A. Wanamaker 202; D.M. Martin 184f; E.J. Richard 272. Vergleiche auch die Ausführungen von F.W. Horn, Angeld, 129f der insbesondere auf Joel 3,1 (LXX) verweist: προφητεύειν ist demnach die erste Gabe, die der göttlichen Ausgießung des Geistes folgt. Ausführlich haben sich W.C. v. Unnik, Geist, und C.J. Roetzel, I Thessalonians, zu 1Thess 5,19f geäußert. 82 Vgl. hierzu W. Schrage, 1Kor 3, 454f. 83 W. Schrage, 1Kor 3, 455; ähnlich auch E. Schnabel, 1Kor 839f. Diese Bedeutung wird auch sonst für unsere Stelle angenommen, vgl. nur St. Schreiber 311f; R. Hoppe 329.

Der Briefschluss 5,12-28

301

in prophetischem Geist erfolgte Aussprüche von Gemeindegliedern bei deren Versammlungen hin.84 Deshalb ist gerade die Prophetie als geistliche Gabe in der Gemeinde nicht zu verachten. Ἐξουθενεῖν [Exouthenein] ist für Paulus eine durchaus geläufige Vokabel mit deutlich ausdrucksstarker Bedeutung, die außer bei ihm (Röm 14,3.10; 1Kor 1,28; 6,4; 16,11; 2Kor 10,10; Gal 4,14) im NT nur noch dreimal im lukanischen Doppelwerk (Lk 18,9; 23,11; Apg 4,11) belegt ist. Zum möglichen Anlass von V. 19f: Gegenwärtige Kommentatoren weisen häufig darauf hin, dass die V. 19f keinerlei Möglichkeit eröffnen, einen konkreten Anlass für ihre Abfassung in der Gemeinde von Thessalonich zu erkennen.85 Möglicherweise, so lässt sich jedoch vermuten, haben die Thessalonicher kurz nach der Gemeindegründung durch das Missionsteam zunächst, was außerordentliche Manifestationen des Geistes in ihrer Gemeinde betraf, äußerst zurückhaltend reagiert. Die Prophetie mag dabei als die wichtigste Manifestation des Geistes eine herausragende Rolle gespielt haben, oder von Paulus an unserer Stelle auch nur deshalb angeführt sein, weil sie eben unter den Geistesgaben zu den herausragendsten zu zählen ist. Vielleicht gingen die Thessalonicher dabei so weit, dass sie jeglicher außerordentlichen Manifestation des Geistes, und dabei eben auch der Prophetie, wehrten. Friedrich W. Horn vermutet, dass die Prophetie „in hell.[enistischen] Gemeinden in geringem Ansehen stand und wohl auch Voraussetzungen für ihre Rezeption nicht wirklich gegeben waren“.86 Demgegenüber hat Willem C. v. Unnik gemeint, dass „ein Mensch, der sich wirklich vom Geist des Herrn berufen weiß, davon nicht schweigen [kann]“,87 und fragt deshalb, wie man sich das Auslöschen des Geistes vorstellen könne. Van Unnik führt als Beispiel etwa Pfingstgemeinden an, in denen ein solches ‚zum Schweigen bringen‘ undenkbar gewesen sei (und bis heute ist). Allerdings kann man hiergegen einwenden, dass eine Gemeinde, die nicht von vornherein für solche besonderen Erweise des Geistes offen ist, wie sie hier hinter dem Begriff πνεῦμα [ pneuma]

im Anschluss an 1Kor 14 vermutet werden, bis heute in der Lage ist, derartige Geisterweise einzudämmen oder ganz zum Schweigen zu bringen88 oder auch gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ich vermute in Anlehnung an F.W. Horn tatsächlich eine derartige Ausgangssituation in der Gemeinde von Thessalonich. War sie dem Paulus evtl. allzu nüchtern? Das Ergebnis 84 85 86 87 88

Zur prophetischen Rede im AT mit analoger Bedeutung vgl. etwa Am 3,7f; Mi 3,8. So z.B. St. Schreiber 310.312; R. Hoppe 328f. F.W. Horn, Angeld, 130. W.C. v. Unnik, Geist, 262. W.C. v. Unnik, Geist, 262 erinnert dabei als Möglichkeit, einen Charismatiker zum Schweigen zu bringen, an das Ende des Stephanus. Gewiss können Charismatiker auch auf weniger drastische Weise zum Schweigen gebracht werden.

302

Kommentar

der Untersuchung van Unniks kommt, trotz des eben erfolgten Einwandes, insgesamt der hier vertretenen Auffassung des Sachverhaltes sehr nahe, wenn er den Inhalt von 5,19f umschreibt mit: „Hemmet nicht bei euch selbst durch eure menschliche Einsicht und Scheu davor, wie Verrückte in den Augen der Menschen zu erscheinen, den euch von Gott verliehenen Geist, so dass er unwirksam wird und nicht seine mannigfachen Gaben (I Kor. xii 4 ff.) zeigen kann; verachtet auch nicht die Prophetien, die durch andere Geistbegabte gegeben werden, damit ihr nicht, wie früher die Kinder Israels euch dem Geiste Gottes widersetzet.“89 Van Unnik verweist dabei als seines Erachtens einzig wirklich überzeugendem Parallelbeleg90 aus der antiken griechischen Literatur auf Plut, Mor 402b–c: [b] Denn dies ist die Überlegung, welche der Glaubwürdigkeit des Orakels den meisten Abbruch tut, daß man sagt, eins von beiden müsse der Fall sein, entweder, daß die Pythia nicht an den Ort gelange, wo die Gottheit weilt, oder, daß [c] der Hauch gänzlich erloschen [τοῦ πνεύματος παντάπασιν ἀπεσβεσμένου] und seine Kraft verschwunden sei.91 Allerdings zeigt die knappe Erwähnung V. 19f, dass es nach den Informationen, die Paulus vorlagen, z.Zt. der Abfassung des Briefes noch kein besonders großes Problem in der Gemeinde gewesen sein konnte. Sicher war es aber kein Problem, das er deutlicher markieren oder gar in den Vordergrund hätte rücken müssen. Paulus verzichtete jedenfalls auf eine weiter gehende Unterweisung in dieser Sache. Die V. 19f, wie auch der gesamte Abschnitt 5,14–22, dürften kaum ohne konkrete Veranlassung geschrieben worden sein,92 auch wenn heute nähere Einzelheiten dazu nicht mehr eindeutig erkennbar sind.

21

Mit einer weiteren, eher allgemein gehaltenen Aufforderung, setzt Paulus seine den Brief abschließenden Ausführungen fort. Nicht nur an unserer Stelle fordert er dazu auf, Sachverhalte auf ihre gottgemäße Förderlichkeit und Angemessenheit zu prüfen (vgl. Röm 2,18; 12,2; Phil 1,10). In diesem Gott entsprechenden Rahmen sollen auch Menschen sich selber prüfen (Röm 14,22; 1Kor 11,28; 2Kor 13,5; Gal 6,4), nicht zu vergessen, dass Gott die

89 W.C. v. Unnik, Geist, 269. 90 Vgl. W.C. v. Unnik, Geist, 261. 91 W.C. v. Unnik, Geist, 265(-268). Dies ist denn auch der einzige Beleg, der in NW II/1, 797 zu 1Thess 5,19 verzeichnet ist; die Übersetzung hiernach. 92 So auch F.F. Bruce 125; I.H. Marshall 157. B. Henneken, Verkündigung, 104-107 hat demgegenüber u.a. darauf hingewiesen, dass allein schon aufgrund der in den pln. Briefen singulären Mahnung, die Prophetie nicht zu verachten, ein konkreter Anlass in der Gemeinde für diese Äußerung habe vorhanden sein müssen. Anders z.B. E. Best 237; B. Rigaux, Briefe, 187; M. Dibelius 31. Die textliche Differenz gegenüber der inhaltlich nächsten Parallele des Abschnittes in Röm 12,9-18 legt ebenfalls nahe, dass die hier vorliegende Auswahl der Ermahnungen anlasslos erfolgte.

Der Briefschluss 5,12-28

303

Herzen der Menschen prüft (1Thess 2,4). Natürlich sind auch prophetische Aussprüche hinsichtlich ihrer Geist- und erst recht ihrer Schriftgemäßheit zu beurteilen (1Kor 14,29-31: διακρίνειν [diakrinein], nicht δοκιμάζειν [dokimazein]), weil diese nicht schon allein aufgrund des Selbstanspruchs derer, die behaupten, prophetisch zu reden, geistgewirkt sein müssen. Alles (πάντα [ panta]) greift hier aber über die bloße Prüfung prophetischer Rede hinaus.93 Gemeint ist alles, was die Lebensführung, die Glaubenslehre und das Miteinander in der Gemeinde betrifft. Dies legt auch τὸ καλόν [to kalon] (das Gute) nahe, mit dem eben alles gemeint ist, das der christlichen Gemeinde insgesamt förderlich ist (vgl. 5,15: τὸ ἀγαθόν [to agathon]). Dies zu prüfen ist Aufgabe der ganzen Gemeinde. Ob also etwas im Rahmen des Willens Gottes ‚gut‘ ist, entscheidet die Gemeinde. Sie kann dies deshalb tun, weil sie grundsätzlich geistbegabt ist und erkennen kann, was der Geist wirkt (vgl. 1Kor 2,12). Das Gute wird sich der Gemeinde als solches geistgewirkt imponieren. Damit kann nur das als ‚gut‘ für die Gemeinde bezeichnet werden, was von dieser auch als solches akzeptiert worden ist. Dann aber, wenn sich etwas als ‚gut‘ erwiesen hat, gilt: Haltet es fest! Κατέχειν [Katechein] ist ein semantisch starkes Verb, das zum einen das unverrückbare Festhalten an der überlieferten Tradition (1Kor 11,2), aber auch das Festhalten im Sinn von ‚besitzen‘ (vgl. 2Kor 6,10; vgl. 1Kor 7,30) bezeichnen kann.94 22 In gewisser Weise ist V. 22 eine Fortführung von V. 21. Es gilt nicht nur das geprüfte Gute gut festzuhalten, sondern zusätzlich sich auch von jeder Art, jeder Manifestation von Bösem fernzuhalten. Εἶδος [Eidos] kommt in dieser Bedeutung nur hier im NT vor.95 Unterschiedliche ‚Arten‘ von Menschen sind Sir 23,16; 25,2 erwähnt. Dieselbe Formulierung wie an unserer Stelle liegt Josephus, Ant. 37 (= X 3,1), vor. Vom judäischen König Manasse (2Kön 21) wird hier berichtet: Er „[verübte] alle Arten von Frevel (πᾶν εἶδος πονηρίας [ pan eidos ponērias]) und [liess] nichts Schändliches unversucht“.96 Auch Hiob 1,1.8 (LXX) bildet eine parallele Formulierung zu unserer Stelle, wenn es dort beide Male von Hiob heißt: „er hielt sich fern von jeglicher bösen Tat“ (ἀπεχόμενος ἀπὸ παντὸς πονηροῦ πράγματος [apechomenos apo pantos 93 So mit R. Hoppe 330, anders St. Schreiber 312f. 94 Vgl. WB6 860 s.voc. κατέχω 1.b.β und γ. 95 Von der Gestalt, bzw. dem Aussehen Gottes ist Joh 5,37 die Rede, vom Heiligen Geist in der Gestalt einer Taube Lk 3,22 und vom veränderten Aussehen des Angesichts Jesu beim Beten Lk 9,29. Der einzig weitere Beleg für das Substantiv im NT meint Schauen als Gegensatz zu Glauben (2Kor 5,7); vgl. WB6 446. 96 Übersetzung nach der von H. Clementz besorgten Ausgabe (vgl. Litverz.). Zahlreiche weitere Belege aus der Profangräzität für die Übersetzung von εἶδος mit ‚Art‘ und der Interpretation des davon abhängigen Wortes πονηρός als Substantiv bei G. Milligan 77.

304

Kommentar

ponērou pragmatos]; vgl. Hiob 2,3).97 Die Vergleichstexte wie auch der Kontext selbst legen nahe, dass das Syntagma ‚jegliche Art von Bösem‘, alles einschließt, das dem Willen Gottes, dem Guten also (V. 21), entgegensteht. Die Gemeinde soll daher in all ihrem Tun und Lassen, in ihrem ‚Festhalten‘ und ‚Sich-Fernhalten‘ dem Willen Gottes entsprechend agieren. Auch das Lassen bzw. Sich-Fernhalten erfordert aktives Handeln, insofern ja geprüft werden muss, was zu lassen ist bzw. wovon es gilt, sich fernzuhalten. Mit dem Verb ἀπέχεσθαι [apechesthai] wird erneut (vgl. V. 18) an 4,3 erinnert.98 23 Das folgende Segensgebet setzt mit einer auch sonst bei Paulus bekannten Apposition zu θεός [theos] ein: der Gott des Friedens (vgl. Röm 15,33; 16,20; 1Kor 14,33; 2Kor 13,11; Phil 4,9; vgl. 2Thess 3,16; Hebr 13,20). Der Genitiv ist gen. qualitatis und beschreibt die Eigenschaft Gottes.99 Denkbar ist, dass mit der Apposition auf 5,3 angespielt ist und darauf verwiesen werden soll, dass von ‚Friede‘ wahrhaftig nur im Kontext von Gott die Rede sein kann, alle andere Friedensrede also bloßes falsches Friedensgerede ist. Eine Erinnerung an 5,13 ist jedoch wahrscheinlicher,100 würde doch dann unterstrichen werden, dass Friede in der Gemeinde ihren Ausgangspunkt beim ‚Gott des Friedens‘ nehmen muss. Möglicherweise liegt aber auch schlicht traditionelle Rede vor, wie sie mehrfach bei Briefschlüssen durch Paulus gebraucht wird; eine formale Verbindung zu 1,1 ist anzunehmen. Das prädikativ gebrauchte Pronomen αὐτός [autos] (selbst) hebt Gott als das handelnde Subjekt hervor. Aber (δέ [de]) ist nicht adversativ, sondern hat steigernde Funktion: ‚er selbst, Gott nämlich‘.101 Der Gebetswunsch wird durch zwei Optative ausgedrückt, die im Satz eine Inclusio bilden.102 Heiligen bzw. Heiligung war bereits Thema im Brief. Paulus verband den Willen Gottes mit Gottes Berufung und definierte beides als Heiligung (4,3.7), wobei er einzelne Aspekte davon, was unter Heiligung zu verstehen sei, durch einzelne ethische Anweisungen auch benannte (4,3-8). Das adverbial gebrauchte Adjektiv103 ‚ganz und gar‘ (ὁλοτελής [holotelēs]), womit ‚heiligen‘ näher be97 Übersetzung nach LXX.D; Die Belege auch bei WB6 446; St. Schreiber 313; R. Hoppe 330. 98 Für Weiteres zu ἀπέχεσθαι vgl. die Auslegung bei 4,3. 99 Vgl. HvS § 162a und auch D. Häußer, Phil, 303 (zu Phil 4,9). 100 Für einen Bezug zu 5,13 auch R. Hoppe 333. 101 Vgl. hierzu BDR § 447, 1c. 102 Das erste Prädikat (ἁγιάζειν) steht in Satzzweitstellung gleich nach dem Subjekt, das zweite Prädikat (τηρεῖν) in Satzendstellung. – Die Satzstruktur αὐτὸς δέ – Subjekt – Optativ als Gebetseinleitung auch in 3,11. Ausführliches zur kunstvollen Struktur des Gebetswunsches bei J.A.D. Weima 418 und St. Schreiber 315f. 103 Vgl. dazu den Hinweis bei der Übersetzung.

Der Briefschluss 5,12-28

305

stimmt wird, ist nur hier im NT belegt.104 Damit wird die Heiligung als Handeln Gottes am Menschen definiert. Sosehr es vom Menschen erwartet wird, sein Handeln am ‚Willen Gottes‘ auszurichten und der ‚Berufung Gottes‘ gemäß zu gestalten, so sehr bleibt die Heiligung ein Akt des ‚Gottes des Friedens‘. Er heiligt die Menschen, damit sie für die Begegnung mit ihm bei der Parusie des Herrn ‚ganz und gar‘, ‚unversehrt‘ und ‚untadelig‘ vorbereitet sind. Aus dieser Stelle kann erkannt werden, dass Heiligung auch als Prozess zu verstehen ist,105 dessen Vollendung am Tag der Parusie durch Gott selber erfolgt. Damit ist die Auffassung, dass Gott auch im Prozess der Heiligung vor der Parusie der Handelnde ist, aber ebenfalls plausibilisiert. Die Christen sind bereits jetzt heilig, insofern ihre Existenz eine eschatologisch geprägte ist; sie werden in vollkommener Heiligkeit leben, wenn das eschatologisch Erwartete zur Gegenwart geworden ist. Unserer Stelle am nächsten kommt das Gebet in 3,13. Heiligung hat hier wie dort das Ziel, untadelig gestärkt oder bewahrt zu werden an der Parusie des Herrn Jesus. Τηρηθείη [Tērētheiē] ist Opt. passiv, wobei ein passivum divinum vorliegt, Gott also Subjekt am Satzanfang (heiligen) und am Satzende (bewahren) ist. Als kupitiver Opt. impliziert die Formulierung die grundsätzliche Erfüllungsmöglichkeit des Gebetswunsches.106 Der Zusammenhang von Eschatologie und Ethik ist den Adressaten des Briefes inzwischen nicht nur aus 3,13 (vgl. auch 2,19f ), sondern auch aus der Abfolge der Themenkonstellation in Kapitel 4,1–5,11 hinreichend bekannt.107 Das Adverb untadelig (ἀμέμπτως [amemptōs]) hatte Paulus in 2,10 auf sein eigenes Verhalten bei seinem Gemeindegründungsbesuch in Thessalonich bezogen und es dort in einem Atemzug mit ‚heilig und gerecht‘ (ὁσίως καὶ δικαίως [hosiōs kai dikaiōs]) angeführt. Beim Gebet in 3,13 ist das entsprechende Adjektiv verwendet. Die an diesen Stellen vorliegende Bedeutung ist auch hier vorauszusetzen. Das Mittelglied des Satzes, das formal das Objekt bildet,108 führt in einer im NT singulären Trias aus, was zu heiligen und zu bewahren ist: sowohl euer Geist als auch (eure) Seele und (euer) Körper. Dass hier keine trichotomi104 In der LXX ist das Wortfeld gar nicht vorhanden. 105 Die Anrede der Christen in den Gemeinden mit ‚Heilige‘ (Röm 1,7; 15,25f.31; 16,2.15; 1Kor 1,2 u.ö.) setzt voraus, dass sie heilig sind! 106 Zur Parusie des Herrn vgl. bei 3,13. 107 Ausführlich dazu immer noch F. Laub, Verkündigung, vgl. auch F. Blischke, Begründung, 68-79. 108 Mit ὑμᾶς wird das Objekt zunächst gleich im Anschluss an das erste Prädikat (ἁγιάζειν) benannt, hier, in der Satzmittelstellung, wird auffallend breit entfaltet, was genau Objekt der Prädikatsinhalte sei. Es liegt also kein neues Objekt, sondern eine Objektsspezifikation vor.

306

Kommentar

sche Anthropologie vorliegt, wurde bereits von Ernst v. Dobschütz deutlich markiert.109 Paulus kann das Personalpronomen ὑμεῖς [hymeis] (ihr) durch τὸ πνεῦμα ὑμῶν [to pneuma hymōn] (euer Geist) ersetzen (Gal 6,18; Phil 4,23; Phlm 25), womit deutlich ist, dass bereits das Pneuma allein den ganzen Menschen bezeichnen kann. Aber auch die beiden anderen Termini können in der jüdisch-hellenistischen Literatur für den ganzen Menschen stehen (vgl. 2Makk 7,37; 14,34; Weish 1,4; 8,19f u.ö.).110 Ψυχή [Psychē] bezeichnet in 1Thess 2,8 das ganze Leben, die ganze Existenz des Missionsteams. Paulus will wohl durch die geradezu plerophorisch wirkende Bezeichnung des ganzen Menschen111 die sonst im Brief erkennbare emphatische, oft emotionale Kommunikationsweise nochmals aufnehmen und durch sein Segensgebet diese dichte Kommunikationsform in dieser besonders bedeutsamen Form der Verbundenheit im Gebet auch über Entfernungen hinweg (vgl. auch 5,25), wie auch an dieser besonders markanten Stelle am Briefschluss, zu einer gewissen Klimax führen. Dies zeigt sich auch durch die kunstvolle Satzstruktur: Inclusio durch zwei Optative, anaphorisches Stilmittel durch die beiden Adjektive (ὁλο- [holo-]) in der Satzmitte und schließlich triadische ‚Paraphrase‘ des Objekts. Der ganze Mensch sei ganz und gar geheiligt und bewahrt, und zwar in unversehrtem Zustand und untadelig – bis ans Ende. Das Adjektiv (ὁλόκληρος [holoklēros]) ist im NT nur noch Jak 1,4 belegt. Hier steht es parallel zu τέλειος [teleios] (vollkommen [und unversehrt]). Apg 3,16 ist das Substantiv ὁλοκληρία [holoklēria] verwendet und meint dort die ‚Gesundheit‘, die einem Gelähmten durch den von Christus gewirkten Glauben geschenkt worden ist. Hat ‚untadelig‘ eine ethische semantische Valenz, so wird mit ‚unversehrt‘ der Aspekt der Ganzheit unterstrichen: Der ganze Mensch in umfassend heilem Zustand ist gemeint. Dadurch, dass hier die Parusie nochmals erwähnt wird, und der Mensch als ganzer so pointiert in den Mittelpunkt (des Satzes) gerückt wird, dürfte den Thessalonichern der Abschnitt 4,13-18 in Erinnerung gekommen sein: Heiligung und Bewahrung erfolgen für den ganzen Menschen bis zur Parusie – das gilt für die Toten wie für die Lebenden (4,16f ). Wenn das Segensgebet zusätzlich auf dem Hintergrund der sozialen und politischen Anfeindungen und

109 Vgl. E. v. Dobschütz 229 und den Exkurs zur Trichotomie a.a.O., 330-332. Trichotomie vertrat z.B. noch W. Bornemann 247. 110 Vgl. für diese und weitere Belege neben E. v. Dobschütz 330-332 auch St. Schreiber 317. 111 Vergleichbar etwa Mk 12,30 / Mt 22,37 / Lk 10,27, worauf J.A.D. Weima 422 aufmerksam macht.

Der Briefschluss 5,12-28

307

Ausgrenzungen der Christen in der Stadt gehört wird, erhält es für die Adressaten eine weitere Dimension. 24 Dieser kurze, vergewissernde Satz klingt fast, als ob er anstelle eines ‚Amen‘ (vgl. 3,13fin) nach dem Gebet (V. 23) stünde. Möglicherweise ersetzt er dieses auch, indem dieser sonst übliche Gebetsschluss (vgl. neben 3,13 z.B. Röm 1,25; 9,5; 11,36; 16,27 u.ö.) deutlich erweitert wird. Dass Gott zuverlässig ist,112 auf seine Zusagen also Verlass ist, sein ganzes Wesen Zuverlässigkeit ist, wird Paulus auch in den Briefen an die Korinther so formulieren (1Kor 1,9; 10,13; 2Kor 1,18), wobei 1Kor 1,9 ebenfalls ein Zusammenhang zur Berufung hergestellt ist (vgl. so auch Jes 49,7113). Der Gebetsabschluss führt die Berufung Gottes und die Zuverlässigkeit Gottes zusammen: Er, der Berufende, er, dessen Wesen unter anderem darin besteht, Menschen zu berufen,114 er ist als solcher zuverlässig. Auch hiermit wird an den Briefanfang (1,4) erinnert, wie schon durch die Apposition ‚Friede‘ bei 5,23 an 1,1 erinnert worden ist. Dieser als Berufender zuverlässige Gott wird (es) auch tun. Der Bezug zum voraufgehenden V. 23 ist evident. Gott wird das, was die Berufung impliziert, nämlich Heiligung (vgl. erneut 4,3.7), auch tun. Er, der seinem Wesen nach Berufender ist, kann gar nicht anders, als seinem Wesen als Heiliger (vgl. nochmals Jes 49,7) nach zu handeln und damit die Heiligung auch zu bewirken. 25 Zum letzten Mal im Brief erfolgt hier, im eigentlichen Postskript des Briefes, die Anrede der Gemeindeglieder als Brüder. Das Missionsteam signalisiert der Gemeinde mit der Aufforderung betet auch für uns, dass sie ebenfalls der Fürbitte bedürfen.115 Sie selbst beten für die Gemeinde (1,2; 2,13; 3,9.12; 5,23f ) und fordern nun dazu auf, dieses auch für sie, die Missionare, regelmäßig (Durativstamm) zu tun (so auch 2Thess 3,1). Inhaltlich könnte die Gemeinde für die Überwindung der Hindernisse beten, die einem Besuch des Paulus in Thessalonich im Weg stehen (2,17f ), und natürlich ganz generell für die zielführende Ausübung seines Auftrags der Verkündigung des Evangeliums. Nicht zuletzt verstärkt die Fürbitte die Beziehung zwischen geografisch getrennten Glaubensgeschwistern.116 112 Das Syntagma πιστὸς ὁ θεός kommt so in der LXX nicht vor, ist ohne Artikel aber Deut 7,9; 32,4; Od 2,4 belegt. 113 Πιστός ἐστιν ὁ ἅγιος Ισραηλ, καὶ ἐξελεξάμην σε (treu ist der Heilige Israels, und ich habe dich erwählt), Übersetzung nach LXX.D. 114 So mit R. Hoppe 335. 115 Vgl. zur Bitte des Paulus um Fürbitte auch Röm 15,30-32; Phlm 22, wo beides Mal konkrete Anliegen genannt werden. Vgl. für eine allgemeine Aufforderung zum Gebet Phil 4,6. 116 So auch R. Börschel, Konstruktion, 320 und R. Hoppe 337.

308

Kommentar

26 Der Grußauftrag ‚grüßt‘ gehört zu den pln. Briefschlüssen dazu (vgl. v.a. Röm 16; Phil 4,21; Kol 4,15). Die Adressierung alle Brüder zeigt, dass durch den Brief zu jedem einzelnen Gemeindeglied eine Beziehung hergestellt bzw. diese vertieft und/oder aktualisiert werden soll (vgl. V. 27). Dies dürfte, angesichts der von mir vermuteten aufkommenden Spannungen in der Gemeinde (5,12-15), nicht ohne Grund erfolgen.117 Die Grußaufforderung erfolgt auch in anderen Briefen ganz analog der hier vorliegenden unter Angabe, auf welche Art der Gruß zu erfolgen habe. In den Paulusbriefen ist vom φίλημα ἅγιον [ philēma hagion],118 dem heiligen Kuss (osculum sanctum), an vier Stellen die Rede; außer hier auch in Röm 16,16; 1Kor 16,20 und 2Kor 13,12. Der öffentliche Kuss (meist auf die Wange) war in der Antike durchaus üblich und konnte als Ausdruck von Verehrung, Verbundenheit oder Freude am einander Sehen verstanden werden. Das Küssen in der Öffentlichkeit war aus den drei genannten Anlässen auch im Judentum erlaubt und sozial akzeptiert, nämlich als Begrüßungskuss, als Abschiedskuss (die Abschiedsgeste des Kusses wurde insbesondere auch gegenüber Toten ausgeübt) und als Kuss, der Verehrung gegenüber einer Respektsperson ausdrückte.119 Der Brauch des ‚heiligen Kusses‘ in der christlichen Gemeinde geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Praxis Jesu (und seiner Jünger) zurück. Der Kuss des Judas im Garten Gethsemane (Mk 14,45 parr.) sollte bei denen aus der Gemeinschaft um Jesus keinen Verdacht erregen, transportierte jedoch für die Außenseiter die ihnen wichtige Botschaft, wer der zu Verhaftende sei. Innerhalb der christlichen Gemeinschaft war er ein sichtbarer Ausdruck der ἀγάπη [agapē]; vgl. 1Petr 5,14, wo vom φίλημα ἀγάπης [ philēma agapēs] (Kuss der Liebe) die Rede ist. Da ausdrücklich dazu aufgefordert wird, alle Brüder mit dem Kuss zu grüßen, und mit ἀδελφοί [adelphoi] die gesamte Gemeinde angesprochen ist, wird zwischen Frauen und Männern kein Unterschied gemacht worden sein.120

117 Vgl. F.F. Bruce 134; I.H. Marshall 165. 118 Vgl. zum Folgenden W. Klassen, Kiss; ders., Kiss NT, AncB.D 4, 2009 (= 1992), 89-92, und E.D. Schmidt, Eschaton, 360-372. Am ausführlichsten immer noch K.-M. Hofmann, Philema hagion. Nicht nur die christliche Religion berücksichtigt S. Harst, Kuss. 119 Vgl. Bill. I, 995. Vgl. aus dem AT Gen 27,26f; 29,11.13; Ruth 1,9.14; 2Sam 14,33; 15,5; 1Kön 19,20 u.ö. (jeweils [κατα-]φιλεῖν), diese und zahlreiche weitere Belege bei St. Schreiber 325. 120 Vgl. W. Klaasen, Kiss NT, AncB.D 4, 2009 (= 1992), 89-92, 92, der zu 1Thess 5,26 notiert: „The second half of this sentence is not to be used to narrow the meaning of the first half […]; all members of the community are meant here, not merely the elders or the males.“

Der Briefschluss 5,12-28

309

William Klassen notiert, Paulus sei „the first popular ethical teacher known to instruct members of a mixed social group to continue to greet each other with a kiss whenever or wherever they meet“ gewesen.121 Damit war für die neu sich etablierende Gruppe der Christen ein Zeichen gegeben, das die religiösen, sozialen und ethnischen Unterschiede durchbrach und die Einheit in Christus (vgl. Gal 3,28) zum Ausdruck brachte. Gleichzeitig weisen jedoch die Imperative, mit denen der ‚heilige Kuss‘ bei Paulus stets verbunden ist, darauf hin, dass sich der öffentliche Kuss unter den Christen nur zögerlich durchsetzen konnte. Möglicherweise war man sich nicht sicher, ob die Herzlichkeit dieser Begrüßung nicht doch auf Kritik von außerhalb der christlichen Gemeinschaft stoßen würde und ob der erotische Aspekt des Kusses ihn wieder zu einem unheiligen Kuss machen würde. Tatsächlich kritisiert der aus Athen stammende christliche Philosoph Athenagoras um 176 n.Chr. die christliche Kusspraxis, indem er darauf verweist, dass schon der „geringste schlechte Gedanke ihn [sc. den heiligen Kuss, fwr] beschmutzt und vom ewigen Leben ausschließt“ (Suppl. 32). Bei welcher Gelegenheit diese Grußform ausgetauscht werden sollte, wird nicht erwähnt. Ob nur die gottesdienstliche Versammlung im Blick stand, kann wenigstens gefragt werden. 27 Die sich an den Grußauftrag anschließende Formulierung ist eine intensive Beschwörung: Das Kompositum ἐνορκίζειν [enorkizein] (ich beschwöre euch) ist nur hier im NT belegt und dient als Intensivum des Simplex ὁρκίζειν [horkizein]122 (im NT nur Mk 5,7; Apg 19,13). An allen genannten Stellen erfolgt die Beschwörung beim Herrn, bei Gott oder bei Jesus. Eine Aufforderung kann kaum stärker formuliert werden. Inhalt der beschwörenden Bitte ist es, den Brief allen Brüdern vorzulesen (vgl. Kol 4,16). Sah Paulus die Gefahr, dass einigen aus der Gemeinde der Brief vorenthalten werden würde, möglicherweise den ‚Taktlosen‘ (ἄτατκοι [ataktoi], 5,14)?123 Ausschließen lässt sich dies angesichts der intensiven Ausdrucksweise wohl nicht.124 Wen Paulus vor Augen gehabt haben könnte, muss aber offenbleiben. In jedem Fall ist es Absicht der Formulierung, dass der Brief wirklich jedem einzelnen Gemeindeglied zur Kenntnis gebracht werden soll. Paulus – das Subjekt hat von der 1. Pers. Plural zur 1. Pers. Singular gewechselt (vgl. 2,18; 3,5) – weiß sich mit jedem einzelnen in gleicher Weise verbunden und will jeden einzelnen mit seinem Brief ‚erreichen‘. Keiner ist ihm gleichgültig 121 122 123 124

W. Klassen, Kiss, 130. Vgl. F.F. Bruce 135. So z.B. M. Dibelius 32; G. Friedrich 251; F.F. Bruce 135; J.A.D. Weima 430. Anders z.B. St. Schreiber 328; R. Hoppe 339.

310

Kommentar

(vgl. 2,11). Wie schon beim ‚heiligen Kuss‘ ist es auch hier nicht klar, an welche Gelegenheiten Paulus denkt, anlässlich derer der Brief verlesen werden sollte. Gewiss ist eine gottesdienstliche Versammlung ein möglicher Ort, wahrscheinlich sind aber auch hier alle möglichen Gelegenheiten der Begegnung im Blick. Gottesdienstliche Lesungen, wie sie aus der frühen Kirche oder auch der Synagoge bekannt sind, bilden hier noch keinen möglichen Vergleichspunkt. 28 Der Segenswunsch am Briefende die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch ist pln. Konvention auch in anderen Briefen: Röm 16,20; 1Kor 16,23; 2Kor 13,13 (erweiterte Formulierung); Gal 6,18; Phil 4,23 (vgl. 2Thess 3,18) und entspricht dem Eingangsgruß (vgl. neben 1Thess 1,1 auch Röm 1,7; 1Kor 1,3; 2Kor 1,2; Gal 1,3; Phil 1,2; vgl. 2Thess 1,2). Die Gnade meint die „Segensfülle des Heilswerkes Christi“.125 Diesen umfassenden Segen, dieses umfassende Heil, möge die Gemeinde umfassen. Die Erwähnung des alle verbindenden Herrn, Jesus Christus, signalisiert der Gemeinde wodurch sie untereinander und mit dem Missionsteam (unseres Herrn) verbunden sind und was oder wer die Basis ihrer Einheit ist. Wer, wie die Thessalonicher, mit dem Briefschluss in antiken Briefen vertraut gewesen ist, wurde durch diese Form des Segenswunsches am Schluss besonders aufmerksam. Antike Briefe schlossen meist mit bloßem ‚lebe wohl‘ (ἔρρωσο [errōso], vgl. ἔρρωσθε [errōsthe] Apg 15,29) oder ‚sei glücklich‘ (εὐτύχει [eutychei]).126 Christen hatten sich beim Verabschieden anderes, mehr, eben Besseres zu sagen.

125 Vgl. die Auslegung zu 1,1. 126 Vgl. hierzu nur J.A.D. Weima 430f; St. Schreiber 323.

Literaturverzeichnis

311

Verzeichnisse I. Literaturverzeichnis Kommentare zum 1. Thessalonicherbrief Baumert, Norbert; Seewann, Maria-Irma, In der Gegenwart des Herrn. Übersetzung und Auslegung des ersten und zweiten Briefes an die Thessalonicher, Paulus neu gelesen, Würzburg 2014. Best, Ernest, A Commentary on the First and Second Epistles to the Thessalonians, HNTC, Peabody Mass. (USA) 1988 (= BNTC London 1972). Bornemann, Wilhelm, Die Thessalonicherbriefe, KEK X, Göttingen 5/61894. Bruce, Frederick F., 1 & 2 Thessalonians, WBC 45, Waco 1982. Calvin, Johannes, Der erste Brief an die Thessalonicher. K. Müller, Hg., Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift in deutscher Übersetzung, Neukirchen o.J. (übersetzt von Fr. Bröckermann). Dibelius, Martin, An die Thessalonicher I–II. An die Philipper, HNT 11, Tübingen 31937. Dobschütz, Ernst von, Die Thessalonicherbriefe, KEK X, Göttingen 71909 (ND 1974). Fee, Gordon D., The First and Second Letters to the Thessalonians, NICNT, Grand Rapids, Cambridge 2009. Frame, James Everett, The Epistles auf St. Paul to the Thessalonians, ICC, Edinburgh 1988 (= 1912). Friedrich, Gerhard, Der erste/zweite Brief an die Thessalonicher, in: J. Becker et al., Die Briefe an die Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, Thessalonicher und Philemon, NTD 8, Göttingen 17/41990 (= 1976), 203–251.252– 276. Gaventa, Beverly Roberts, First and Second Thessalonians, Int., Louisville (Kentucky) 1998. Green, Gene L., The Letters to the Thessalonians, PNTC, Grand Rapids, Cambridge 2002. Haufe, Günter, Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher, ThHK12/I, Leipzig 1999. Holtz, Traugott, Der erste Brief an die Thessalonicher, EKK XIII, Zürich u.a. 1986. Hoppe, Rudolf, Der erste Thessalonikerbrief. Kommentar, Freiburg u.a. 2016. Ders., Der zweite Thessalonikerbrief. Kommentar, Freiburg 2019.

312

Literaturverzeichnis

Laub, Franz, 1. und 2. Thessalonicherbrief, NEB 13, Würzburg 21988. Lünemann, Gottlieb, Kritisch exegetisches Handbuch über die Briefe an die Thessalonicher, KEK, 10. Abtlg., Göttingen 31867. Malherbe, Abraham J., The Letters to the Thessalonians, AncB 32B, New York u.a. 2000. Marshall, Ian Howard, 1 and 2 Thessalonians, NCBC, Grand Rapids, London 1983. Martin, D. Michael, 1, 2 Thessalonians, NAC 33, Nashville 1995. Marxsen, Willi, Der erste Brief an die Thessalonicher, ZBK.NT 11/1, Zürich 1979. Ders., Der zweite Thessalonicherbrief, ZBK.NT 11/2, Zürich 1982. Milligan, George, St Paul’s Epistles to the Thessalonians, London 1908. Morris, Leon, The First and Second Epistles to the Thessalonians, NICNT, Grand Rapids 1991. Müller, Paul-Gerhard, Der Erste und Zweite Brief an die Thessalonicher, RNT, Regensburg 2001. Philipps, Richard D., 1 & 2 Thessalonians, RefEC A Series, Philippsburg (USA) 2015. Reinmuth, Eckart, Die Briefe an die (Philipper,) Thessalonicher (und an Philemon), NTD 8/2, Göttingen 1998. Richard, Earl J., First and Second Thessalonians, SacPS 11, Collegeville 1995. Rigaux, Béda, Saint Paul: Les Épîtres aux Thessaloniciens, EtB, Paris 1956. Roose, Hanna, Der erste und zweite Thessalonicherbrief, BNT, NeukirchenVluyn 2016. Schlier, Heinrich, Der Apostel und seine Gemeinde. Auslegung des ersten Briefes an die Thessalonicher, Freiburg u.a. 21973. Schreiber, Stefan, Der erste Brief an die Thessalonicher, ÖTK.NT 13/1, Gütersloh 2014. Ders., Der zweite Brief an die Thessalonicher, ÖTK.NT 13/2, Gütersloh 2017. Wanamaker, Charles A., The Epistles to the Thessalonians. A Commentary on the Greek Text, NIGTC, Grand Rapids, Exeter 1990. Weatherly, Jon A., 1 & 2 Thessalonians, The College Pres NIV Commentary, Joplin/Miss. 1996. Weima, Jeffrey A.D., 1-2 Thessalonians, BECNT, Grand Rapids 2014. Witherington, Ben III, 1 and 2 Thessalonians. A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids 2006. Wohlenberg, Gustav, Der erste und zweite Thessalonicherbrief, KNT XII, Leipzig 21909.

Literaturverzeichnis

313

Zöckler, Otto; Schnedermann, G.; Luthardt, E.Chr., Die Briefe Pauli an die Thessalonicher, Galater, Korinther und Römer, KK B/3. Abtlg., Nördlingen 1887.

Weitere Literatur Aland, Kurt; Aland Barbara, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik, Stuttgart 21989. Ascough, Richard S., 1 & 2 Thessalonians. An Introduction and Study Guide Encountering the Christ Group at Thessalonike, London, New York 2017 (= 2014). Aune, David E., Prophecy in Early Christianity and the Ancient Mediterranean World, Grand Rapids 1983. –. The New Testament in its Literary Environment, LEC 8, Philadelphia 1989 (= 1987). –. Revelation, WBC.NT 52 A–C, Nashville 1997–1998. Bauckham, Richard J., Paul and Other Jews with Latin Names in the New Testament, in: C. Christophersen; A.J.M. Wedderburn, Hg., Paul, Luke and the Graeco-Roman World, FS A.J.M. Wedderburn, JSNT.S 217, Sheffield 2002, 2002–220. Becker, Eve-Marie, ὡς δι’ ἡμῶν in 2Thess 2.2 als Hinweis auf einen verlorenen Brief, NTS 55, 2009, 55–72. –. / Pilhofer, Peter, Hg., Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2009 (= 2005). Becker, Jürgen, Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1980. –. Das Evangelium nach Johannes, ÖTK 4/1–2, Gütersloh 21984–1985. (Strack, Hermann L.;) Billerbeck, Paul, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bde. I–IV/2, München 1924–1928 (Nachdrucke: I: 91986, II: 81983, III: 71979, IV/1–2: 81986). Bengel, Johann A. (übersetzt von C.F. Werner), Gnomon. Auslegung des Neuen Testaments in fortlaufenden Anmerkungen, Bde. I–II/2, Berlin 7 1959–1960 (= Leipzig 31876). Berger, Klaus, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II/3, Gütersloh 1981. Betz, Otto u.a., Hg., Calwer Bibellexikon, Bde. 1–2, Stuttgart 2003. Bietenhard, Hans, Das tausendjährige Reich. Eine biblisch-theologische Studie, Zürich 21955. Binder, Hermann, Paulus und die Thessalonicherbriefe, in: R.F. Collins, Hg., Correspondence, 87–93.

314

Literaturverzeichnis

Blischke, Folker, Die Begründung und die Durchsetzung der Ethik bei Paulus, ABG 25, Leipzig 2007. Bock, Darrell L., Luke, Vols. I–II, BECNT, Grand Rapids 2004 (= 1994– 1996). –. Acts, BECNT, Grand Rapids 2007. Bockmuehl, Markus N.A., 1 Thessalonians 2:14–16 and the Church in Jerusalem, TynB 52, 2001, 1–31. Boring, M. Eugene u.a., Hg., Hellenistic Commentary to the New Testament, Nashville 1995. Borland, James A., The Meaning of God’s Eschatological Trumpets, in: D.W. Baker, Hg., Looking into the Future. Evangelical Studies in Eschatology. Papers from 1999 Annual Meeting of the Evangelical Theological Society, Grand Rapids 200,1, 63–73. Börschel, Regina, Die Konstruktion einer christlichen Identität. Paulus und die Gemeinde von Thessalonich in ihrer hellenistisch-römischen Umwelt, BBB 128, Berlin, Wien 2001. Botermann, Helga, Der Heidenapostel und sein Historiker. Zur historischen Kritik der Apostelgeschichte, ThBeitr 24, 1993, 62–84. Böttrich, Christfried, Das slavische Henochbuch, JSHRZ V/7, Gütersloh 1995. Breytenbach, Cilliers, Interpretationen des Todes Christi, in: F.W. Horn, Hg., Paulus, 321–331. Bridge, Steven L., „Where the Eagles are Gathered“. The Deliverance of the Elect in Lukan Eschatology, JSNT.SS 240, Sheffield 2003. Brocke, Christoph vom, Thessaloniki – Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus. Eine frühe christliche Gemeinde in ihrer heidnischen Umwelt, WUNT II/125, Tübingen 2001. Broer, Ingo, „Der ganze Zorn ist schon über sie gekommen.“ Bemerkungen zur Interpolationshypothese und zur Interpretation von 1 Thess 2,14–16, in: R.F. Collins, Hg., Correspondence, 137–159. –. Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 32010. Bühlmann, Walter; Scherer, Karl, Sprachliche Stilfiguren der Bibel. Von Assonanz bis Zahlenspruch, Gießen 21994. Bultmann, Rudolf, Theologie des Neuen Testaments, UTB 630, Tübingen 9 1984. Burchard, Christoph, Joseph und Aseneth, JSHRZ II/4, Gütersloh 1983. Burkhardt, H. u.a., Hg., Das große Bibellexikon, Bde. 1–3, Wuppertal, Gießen 1987–1989.

Literaturverzeichnis

315

Byrskog, Samuel, Co-Senders, Co-Authors and Paul’s Use of the First Person Plural, ZNW 87, 1996, 230–250. Charlesworth, James H., Hg., The Old Testament Pseudepigrapha, Vols. I-II, Garden City, New York 1983–1985. Christianopulos, Dinos, Das antike Therme und die Gründung Thessalonikis, in: Eideneier, N; Eideneier, H., Hg., Thessaloniki, 33–34. Collins, Raymond F., Tradition, Redaction, and Exhortation in 1 Thess 4,13– 5,11, in ders., Studies, 154–172. –. Studies on the First Letter to the Thessalonians, BEThL 66, Leuven 1984. –. (Hg.,) The Thessalonian Correspondence, BEThL 87, Leuven 1990. Conzelmann, Hans, Der erste Brief an die Korinther, KEK V, Göttingen 12 (2) 1981. Cook, John G., Pagan Philosophers and 1 Thessalonians, NTS 52, 2006, 514– 532. Cosby, Michael R., Hellenistic Formal Receptions and Paul’s Use of ΑΠΑΝΤΗΣΙΣ in 1 Thessalonians 4:17, BBR 4, 1994, 15–34. Crüsemann, Marlene, Die pseudepigraphen Briefe an die Gemeinde in Thessaloniki. Studien zu ihrer Abfassung und zur jüdisch-christlichen Sozialgeschichte, BWANT 191, Stuttgart 2010. Cullmann, Oscar, Das Gebet im Neuen Testament. Zugleich Versuch einer vom Neuen Testament aus zu erteilenden Antwort auf heutige Fragen, Tübingen 1994 (21997). Deines, Roland, Der Tod des Gottessohnes und das ewige Leben der Menschen, in: J. Herzer u.a., Hg., Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik, UTB 4903, Tübingen 2018, 183–210. Deissmann, Adolf, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 41923. Dietrich, Walter, Samuel, BK.AT VIII/1–3, Neukirchen-Vluyn, Göttingen 2011–2019. Donfried, Karl Paul. Paul, Thessalonica and Early Christianity, Grand Rapids 2002 (= London, New York 2002). –. / Beutler, Johannes (Hg.). The Thessalonians Debate. Methodological Discord or Methodological Synthesis?, Grand Rapids, Cambridge 2000. –. Was Timothy in Athens? Some Exegetical Reflections on 1 Thess. 3.1–3, in: ders., Paul, 209–219. –. / Marshall, Ian Howard, The Theology of the Shorter Pauline Letters, NTTh, Cambridge 1993.

316

Literaturverzeichnis

Eckart, Karl-Gottfried, Der zweite echte Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher, ZThK 58, 1961, 30–44. Eideneier, Hans; Eideneier, Niki (Hg.). Thessaloniki. Bilder einer Stadt, Köln 1992. Ellingworth, Paul / Nida, Eugene A., A Handbook on Paul’s Letters to the Thessalonians, New York 1976. Erlemann, Kurt u.a., Hg., Neues Testament und Antike Kultur, Bde. 1–5, Neukirchen-Vluyn 2004–2008. –. Unfassbar? Der Heilige Geist im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 2010. Fee, Gordon D., God’s Empowering Presence. The Holy Spirit in the Letters of Paul, Peabody (Mass.) 62005 (= 1994). Fischer, Joseph A., Die Apostolischen Väter, SUC I, Darmstadt 91986. Fitzmyer, Joseph A., The Acts of the Apostles, AncB 31, New York u.a. 1998. Frey, Jörg, Paulus und die Apostel. Zur Entwicklung des paulinischen Apostelbegriffs und zum Verhältnis des Heidenapostels zu seinen „Kollegen“, in: E.-M. Becker; P. Pilhofer (Hg.). Biographie und Persönlichkeit des Paulus. WUNT 187. Tübingen 2009, 192–227. –. / Schröter, Jens (Hg.). Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament; UTB 2953, Tübingen 2007 (= WUNT 181, Tübingen 2005). Gatiss, Lee; Green, Bradley G., Hg., 1–2 Thessalonians, 1–2 Timothy, Titus, Philemon, RCS.NT XII, Downers Grove 2019. Gebauer, Roland, Das Gebet bei Paulus. Forschungsgeschichtliche und exegetische Studien, Gießen 1989. –. Paulus als Seelsorger. Ein exegetischer Beitrag zur Praktischen Theologie, CThM.A 18, Stuttgart 1997. Giebel, Marion, Reisen in der Antike, Darmstadt 1999. Gill, David W.J., Acts and Roman Policy in Judaea, in: A1CS 4, 1995, 15–26. Gillespie, Thomas, W., The First Theologians. A Study in Early Christian Prophecy, Grand Rapids 1994. Gillman, John, Paul’s ΕΙΣΟΔΟΣ: The Proclaimed and the Proclaimer (1Thes 2,8), in: R.F. Collins, Hg., Correspondence, 62–70. Gnilka, Joachim, Der Epheserbrief, HThK X/2, Freiburg 31982. –. Paulus von Tarsus, Zeuge und Apostel, HThK.S 6, Freiburg u.a. 1996. Goldschmidt, Lazarus (Übersetzer), Der babylonische Talmud, Bde. I–XII, Frankfurt/M. 1996 (= Berlin 21967). Goppelt, Leonhard, Der erste Petrusbrief, KEK XII/1, Göttingen 81978. Gorday, Peter, Hg., Colossians, 1–2 Thessalonians, 1–2 Timothy, Titus, Philemon, ACCS.NT IX, Downers Grove 2000.

Literaturverzeichnis

317

Göttel-Leypold, Monika; Heinrich Demling, Joachim, Die Persönlichkeitsstruktur des Paulus nach seinen Selbstzeugnissen, in: E.-M. Becker; P. Pilhofer, Hg., Biographie, 125–148. Grabner-Haider, Anton, Paraklese und Eschatologie bei Paulus. Mensch und Welt im Anspruch der Zukunft Gottes, NTA 4, Münster 21968. Gupta, Nijay, An Apocalyptic Reading of Psalm 78 in 2 Thessalonians 3, JSNT 31, 2008, 179–194. Guthrie, Donald, New Testament Introduction, Downers Grove 31970. Haacker, Klaus, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999. –. Paulus, der Apostel. Wie er wurde, was er war, Stuttgart 2008. –. Die Apostelgeschichte, ThKNT 5, Stuttgart 2019. Hahn, Ferdinand, Theologie des Neuen Testaments, Band I: Die Vielfalt des Neuen Testaments, Tübingen 22005. –. Theologie des Neuen Testaments, Band II: Die Einheit des Neuen Testaments, Tübingen 22005. Harnisch, Wolfgang, Eschatologische Existenz. Ein exegetischer Beitrag zum Sachanliegen von 1. Thessalonicher 4,13–5,11, FRALANT 110, Göttingen 1973. Harst, Sylvia, Der Kuss in den Religionen der alten Welt. Ca. 3000 v.Chr. – 381 n.Chr., Münster 2004. Hartmann, Lars, Prophecy Interpreted. The Formation of Some Jewish Apocalyptic Texts and of the Eschatological Discourse, Mark 13 Par, CB.NT 1, Lund 1966. Haubeck, Wilfried; von Siebenthal, Heinrich, Neuer sprachlicher Schlüssel zum griechischen Neuen Testament, Bde. 1–2, Gießen 1994–1997. Häußer, Detlef, Der Brief des Paulus an die Philipper, HTA, Witten 2016. Hawthorne, Gerald F.; Martin, Ralph P., Hg., Dictionary of Paul and his Letters. A Compendium of Contemporary Biblical Scholarship, Downers Grove, Leicester 1993. Heckel, Ulrich, Der Segen im Neuen Testament. Begriff, Formeln, Gesten. Mit einem praktisch-theologischen Ausblick, WUNT 150, Tübingen 2002. Heckel, Ulrich / Hengel, Martin (Hg.). Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991. Hemer, Colin J., The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, WUNT 49, Tübingen 1989. Hendrix, Holland L., Archaeology and Eschatology at Thessalonica, in: B.A. Pearson, Hg., The Future of Early Christianity, FS H. Koester, Minneapolis 1991, 107–118.

318

Literaturverzeichnis

Hengel, Martin, Paulus und Jakobus. Kleine Schriften III, WUNT 141, Tübingen 2002. –. Erwägungen zum Sprachgebrauch von „Χριστός“ bei Paulus und in der ‚vorpaulinischen‘ Überlieferung, in: ders., Paulus, 240–261. –. / Deines Roland, Der vorchristliche Paulus, in: Hengel, M., Paulus, 68–192. –. / Schwemer, Anna Maria, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998. –. / –. Geschichte des frühen Christentums Band I: Jesus und das Judentum, Tübingen 2007. –. / –. Geschichte des frühen Christentums Band II: Die Urgemeinde und das Judenchristentum, Tübingen 2019. Hengstl, Joachim, Hg., Griechische Papyri aus Ägypten als Zeugnisse des öffentlichen und privaten Lebens. Griechisch-deutsch, STusc, München 1978. Henneken, Bartholomäus, Verkündigung und Prophetie im 1. Thessalonicherbrief. Ein Beitrag zur Theologie des Wortes Gottes, SBS 29, Stuttgart 1969. Hofius, Otfried, Unbekannte Jesusworte, in: P. Stuhlmacher, Hg., Das Evangelium und die Evangelien, WUNT 28, Tübingen 1983, 355–382. –. Das vierte Gottesknechtslied in den Briefen des Neuen Testaments, in: B. Janowski; P. Stuhlmacher, Hg., Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte, FAT 14, Tübingen 1996, 107–127. Hofmann, Karl-Martin, Philema hagion, BFChrTh 38, Gütersloh 1938. Holtz, Traugott, Traditionen im 1. Thessalonicherbrief, in: U. Luz; H. Weder, Hg., Die Mitte des Neuen Testaments. Einheit und Vielfalt neutestamentlicher Theologie, FS E. Schweizer, Göttingen 1983, 55–78. –. On the Background of 1 Thessalonians 2:2–12, in: K.P. Donfried; J. Beutler, Hg., Debate, 69–80. Horn, Friedrich Wilhelm, Das Angeld des Geistes. Studien zur paulinischen Pneumatologie, FRLANT 154, Göttingen 1992. –. (Hg.). Paulus Handbuch, Tübingen 2013. Horsley, Greg H.R., Appendix: The Politarchs, in: A1CS 2, 1994, 419–431. Hübner, Hans, Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bde. 1–3, Göttingen 1990–1995. –. Die Weisheit Salomons, ATD.A 4, Göttingen 1999. Jeremias, Joachim, Jerusalem zur Zeit Jesu. Eine kulturgeschichtliche Untersuchung zur neutestamentlichen Zeitgeschichte, Göttingen 31962. –. Unbekannte Jesusworte, Gütersloh 31963. –. Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 101984. Jervell, Jacob, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 17/11998.

Literaturverzeichnis

319

Jewett, Robert, Paulus-Chronologie. Ein Versuch, München 1982. –. The Thessalonian Correspondence. Pauline Rhetoric and Millenarian Piety, FoFaNT, Philadelphia (USA) 1986. Josephus, Flavius, De Bello Judaico. Der jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, Bde. I–III (O. Michel; O. Bauernfeind [Hg.]), Darmstadt 1959– 1969. –. Jüdische Altertümer (ed. H. Clementz), Wiesbaden 91989. Karrer, Martin / Kraus, Wolfgang. (Hg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bde. 1–2, Stuttgart 2011. Kippenberg, Hans G.; Wewers, Gerd A. (Hg.), Textbuch zur neutestamentlichen Zeitgeschichte, GNT 8, Göttingen 1979. Klassen, William, The Sacred Kiss in the New Testament. An Example of Social Boundary Lines, NTS 39, 1993, 122–135. Klauck, Hans-Josef, 4. Makkabäerbuch, JSHRZ III/6, Gütersloh 1989. –. Die antike Briefliteratur und das Neue Testament. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, UTB 2022, Paderborn u.a. 1998. –. Die religiöse Umwelt des Urchristentums, Bde. I–II, StTh 9,1–9,2, Stuttgart u.a. 1995–1996. Klein, Günther, „Reich Gottes“ als biblischer Zentralbegriff, EvTh 30, 1970, 642–670. Klein, Hans, Hg., Das Gebet im Neuen Testament, WUNT 249, Tübingen 2009. Knibb, Michael A., The Qumran Community, CCWJCW 2, Cambridge u.a. 3 1994 (= 1987). Knoch, Otto, Der Erste und Zweite Petrusbrief. Der Judasbrief, RNT, Regensburg 1990. Kollmann, Bernd, Die Berufung und Bekehrung zum Heidenmissionar, in: F. W. Horn, Hg., Paulus, 80–91. Konradt, Matthias, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik im 1 Thess und 1 Kor, BZNW 117, Berlin u.a. 2003. Körtner, Ulrich H.J.; Leutzsch, Martin, Papiasfragmente, Hirt des Hermas, SUC III, Darmstadt 1998. Kreitzer, Larry J., Jesus and god in Paul’s Eschatology, JSNT.S 19, Sheffield 1987. Kümmel, Werner Georg, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 21 1983.

320

Literaturverzeichnis

Kuhn, Heinz-Wolfgang, Die Bedeutung der Qumrantexte für das Verständnis des Ersten Thessalonicherbriefes. Vorstellung des Münchener Projekts: Qumran und das Neue Testament, in: J. Trebolle Barrea; L. Vegas Montaner, Hg., The Madrid Qumran Congress. Proceedings of the International Congress on the Dead Sea Scrolls Madrid 18–21 March 1991, Vol. 1, StTDJ 11/1, Leiden 1992, 339–353. Labahn, Michael, Achtung Menschensohn! (Vom Dieb), in: R. Zimmermann, Hg., Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 22015, 154–160. Lambrecht, Jan, Thanksgivings in 1 Thessalonians 1–3, in: R.F. Collins, Hg., Correspondence,183–205 (geringfügig überarbeitet wieder abgedruckt in: K.P. Donfried; J. Beutler [Hg.], Debate, 135–162). Landmesser, Christoph, Erster Thessalonicherbrief, in: F.W. Horn, Hg., Paulus Handbuch, 165–172. Laub, Franz, Eschatologische Verkündigung und Lebensgestaltung nach Paulus. Eine Untersuchung zum Wirken des Apostels beim Aufbau der Gemeinde in Thessalonike, BU 10, Regensburg 1973. Liddell, Henry G.; Scott, Robert; Jones, Henry S., A Greek-English Lexicon, Oxford 91940 (ND 1990). Liljeström, Kenneth, The False Teaching an its Source According to 2 Thess. 2.2: A Proposal for a ‚Fresh‘ Reading of the Old Crux, in: L. Aejmeaeus; A. Mustakallio, Hg., The Nordic Paul. Finnish Approaches to Pauline Theology, London, New York 2008, 172–192. Lips, Hermann von, Timotheus und Titus. Unterwegs für Paulus, BG 19, Leipzig 2008. Lohse, Eduard, Paulus. Eine Biographie, München 1996. –. (Hg.). Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch, Darmstadt 41986. –. Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 15/12003. Lona, Horacio E., Die Eschatologie im Kolosser- und Epheserbrief, fzb 48, Würzburg 1984. –. Der erste Clemensbrief, KAV 2, Göttingen 1998. Longenecker, Richard N., Hg., Into God’s Presence. Prayer in the New Testament, Grand Rapids, Cambridge 2002. –. Prayer in the Pauline Letters, in: ders., Hg., Into God’s Presence. Prayer in the New Testament, Grand Rapids, Cambridge 2002, 203–227. Lüdemann, Gerd, Paulus, der Heidenapostel. Band I: Studien zur Chronologie, FRLANT 123, Göttingen 1980. Luckensmeyer, David, The Eschatology of First Thessalonians, NTOA/ StUNT 71, Göttingen 2009.

Literaturverzeichnis

321

Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1–4, Neukirchen-Vluyn u.a. 1985 (52002). Malherbe, Abraham J., Paul and the Thessalonians. The Philosophic Tradition of Pastoral Care, Philadelphia (USA) 1987. –. „Gentle as a Nurse“: The Cynic Background to 1 Thessalonians 2, in: ders., Paul and the Popular Philosophers, Minneapolis 2006, 35–48 (Erstveröffentlichung: NT 12, 1970, 203–217). –. Did the Thessalonians Write to Paul?, in: R. Fortna; B. Gaventa, Hg., The Conversation Continues. Studies in Paul and John in Honor of J. Louis Martyn, Nashville 1990, 146–257. Malina, Bruce J.; Pilch, John J., Social-Science Commentary on the Letters of Paul, Minneapolis 2006. Marshall, Ian H., The Acts of the Apostles. An Introduction and Commentary, TNTC, Leicester, Grand Rapids 1996 (= 1980). –. New Testament Theology. Many Witnesses, One Gospel, Downers Grove 2004. McNeel, Jennifer Houston, Paul as Infant and Nursing Mother. Metaphor, Rhetoric and Identity in 1 Thessalonians 2,5–8, Early Christianity and its Literature 12, Atlanta 2014. Merk, Otto, 1 Thessalonians 2:1–12: An Exegetical-Theological Study, in: K. P. Donfried; J. Beutler, Hg., Debate, 89–113. Merkel, Helmut, Sibyllinen, JSHRZ V/8, Gütersloh 1998. Metzger, Bruce M., Hg., ATextual Commentary on the Greek New Testament, London, New York 1975. Metzner, Rainer, Der Brief des Jakobus, ThHK 14, Leipzig 2017. Michel, Otto, Der Brief an die Römer, KEK IV, Göttingen 14/51978. Mittmann, Siegfried / Schmitt, Götz (Hg.). Tübinger Bibelatlas. Tübingen Bible Atlas Stuttgart 2001. Morgan-Gillman, Florence, Jason of Thessalonica (Acts 17,5-9), in: R.F. Collins, Hg., Correspondence, 39–49. Moule, Charles F.D., An Idiom Book of New Testament Greek, Cambridge u.a. 1977 (= 21959). Müller, Ulrich B., Der Brief des Paulus an die Philipper, ThHK 11/I, Leipzig 1993. Neudorfer, Heinz-Werner, Der erste Brief des Paulus an Timotheus, HTA, Wuppertal, Gießen 2004. Neugebauer, Fritz, In Christus. ΕΝ ΧΡΙΣΤΩΙ. Eine Untersuchung zum Paulinischen Glaubensverständnis, Göttingen 1961.

322

Literaturverzeichnis

Nicholl, Colin R., From Hope to Despair in Thessalonica. Situating 1 and 2 Thessalonians, SNTS.MS 126, Cambridge 2004. Nolland, John, Luke, WBC 35 A–C, Nashville 1989–1993. Ollrog, Wolf-Henning, Paulus und seine Mitarbeiter. Untersuchungen zu Theorie und Praxis der paulinischen Mission, WMANT 50, NeukirchenVluyn 1979. Osiek, Carolyn; Balch, David L., Families in the New Testament World. Households and House Churches, Louisville 1997. Pearson, Birger A., 1 Thessalonians 2:13–16: A Deutero-Pauline Interpolation, HThR 64, 1971, 79–94. Pesch, Rudolf. Die Entdeckung des ältesten Paulus-Briefes. Paulus – neu gesehen. Die Briefe an die Gemeinde der Thessalonicher, HerBü 1167, Freiburg 1984. –. Die Apostelgeschichte, EKK V/1–2, Zürich u.a. 1986. Peterson, Erik, Die Einholung des Kyrios, ZSTh 7, 1929/30, 682–702. Philonenko-Sayar, Belkis / Philonenko, Marc, Die Apokalypse Abrahams, JSHRZ V/5, Gütersloh 1982. Plevnik, Joseph, Paul and the Parousia, An Exegetical and Theological Investigation, Peabody 1997. –. 1 Thessalonians 4,17: The Bringing in of the Lord or the Bringing in of the Faithful?, Bib. 80, 1999, 537–546. Plözl, Franz X., Die Mitarbeiter des Weltapostels Paulus, Regensburg 1911. Pokorný, Petr; Heckel, Ulrich, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, UTB 2798, Tübingen 2007. Ravasz, Hajnalka, Aspekte der Seelsorge in den paulinischen Gemeinden. Eine exegetische Untersuchung anhand des 1. Thessalonicherbriefes, WUNT II/443, Tübingen 2017. Reinmuth, Eckart, Anthropologie im Neuen Testament, Tübingen, Basel 2006. Reiser, Marius, Hat Paulus Heiden bekehrt?, BZ 39, 1995, 76–91. Riesner, Rainer, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zu Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994. –. Paulus und die Jesus-Überlieferung, in: J. Ådna u.a., Hg., Evangelium, Schriftauslegung, Gemeinde, FS P. Stuhlmacher, Göttingen 1997, 346– 365. –. A Pre-Christian Jewish Mission?, in: J. Ådna; H. Kvalbein, Hg., The Mission of the Early Church to Jews and Gentiles, WUNT 127, Tübingen 2000, 211–250.

Literaturverzeichnis

323

–. Pauline Chronology, in: St. Westerholm, The Blackwell Companion to Paul, Oxford 2011, 9–29. Riessler, Paul, Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, Freiburg, Heidelberg 1928. Röcker, Fritz W., Belial und Katechon. Eine Untersuchung zu 1Thess 4,13– 5,11 und 2Thess 2,1–12, WUNT II/262, Tübingen 2009. Roetzel, Calvin J., I Thessalonians 5:12–28: A Case Study, SBL.SP 108, 1972, 367–383. Rohde, Joachim, Der Brief des Paulus an die Galater, ThHK 9, Berlin 1989. Roller, Otto, Das Formular der paulinischen Briefe. Ein Beitrag zur Lehre vom antiken Briefe, BWANT 58, Stuttgart 1933. Roloff, Jürgen, Der erste Brief an Timotheus, EKK XV, Zürich, NeukirchenVluyn 1988. Rudolph, Wilhelm, Haggai – Sacharja 1–8 – Sacharja 9–14 – Maleachi, KAT XIII/4, Berlin 1981 (= Gütersloh 1976). Sänger, Dieter, Heiden – Juden – Christen. Erwägungen zu einem Aspekt frühchristlicher Missionsgeschichte, ZNW 89, 1998, 145–172. Schelkle, Karl Hermann, Israel im Neuen Testament, Darmstadt 1985. Schlueter, Carol, Filling up the Measure. Polemical Hyperbole in 1 Thessalonians 2.14–16, LNTSt 98, Sheffield 1994. Schmeller, Thomas, Der zweite Brief an die Korinther, EKK VIII/1–2, Neukirchen-Vluyn, Ostfildern 2010–2015. Schmidt, Eckart David, Heilig ins Eschaton. Heiligung und Heiligkeit als eschatologische Konzeption im 1. Thessalonicherbrief, BZNW 167, Berlin, New York 2010. Schmithals, Walter, Die Thessalonicherbriefe als Briefkomposition, in: Dinkler, E. (Hg.), Zeit und Geschichte (FS R. Bultmann), Tübingen 1964, 295– 315. –. Paulus und die Gnostiker. Untersuchungen zu den kleinen Paulusbriefen, ThF 35, Hamburg-Bergstedt 1965. –. Die historische Situation der Thessalonicherbriefe, in: ders., Gnostiker, 89– 157. Schnabel, Eckhard J., Urchristliche Mission, Wuppertal 2002. –. Der erste Brief des Paulus an die Korinther, HTA, Wuppertal, Gießen 2006. –. Paul the Missionary. Realities, Strategies and Methods, Downers Grove, Nottingham 2008. Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 6 2007. –. Theologie des Neuen Testaments, UTB 2917, Göttingen 2007.

324

Literaturverzeichnis

Schrage, Wolfgang, Der erste Brief an die Korinther, EKK VII/1–4, Neukirchen-Vluyn u.a. 1991–2001 (VII/1: 1991, VII/2: 1995, VII/3: 1999, VII/4: 2001). Schreiber, Stefan, Aus der Geschichte einer Beziehung. Die Funktion der Erinnerung in 1Thess 2,1-12, ZNW 103, 2012, 212–234. Schreiner, Josef, Das 4. Buch Esra, JSHRZ V/4, Gütersloh 1981. Schröter, Jens, Sühne, Stellvertretung und Opfer. Zur Verwendung analytischer Kategorien zur Deutung des Todes Jesu, in: Frey, J. / Schröter, J. (Hg.). Deutungen, 51–71. Schubert, Paul, Form and Function of the Pauline Thanksgivings, BZNW 20, Berlin 1939. Schulz, Siegfried, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 16 (5) 1987. Schürer, Emil, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (rev. u. hg.v. Geza Vermes et al.), Vols. I–III.2, Edinburgh 1973–1987. Schürmann, Heinrich, Die Sprache des Christus, in: ders., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien, Düsseldorf 1968, 83–108. Schwab, Günther, Echtheitskritische Untersuchungen zu den vier kleineren Paulusbriefen I/B: Beobachtungen zur Sprache des ersten Thessalonicherbriefs, Norderstedt 2011. Schweitzer, Albert, Die Mystik des Apostels Paulus, UTB 1091, Tübingen 1981 (Neudruck der Ausgabe von 1930). Schwemer, Anna Maria, Vitae Prophetarum, JSHRZ I/7, Gütersloh 1997. –. Verfolger und Verfolgte bei Paulus. Die Auswirkungen der Verfolgung durch Agrippa I. auf die paulinische Mission, in: E.-M. Becker / P. Pilhofer, (Hg.), Biographie, 169–191. Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (hg. von W. Kraus und M. Karrer), Stuttgart 2009. Söding, Thomas, Nächstenliebe. Gottes Gebot als Verheißung und Anspruch, Freiburg 2015. Steimle, Christopher, Religion im römischen Thessaloniki. Sakraltopographie, Kult und Gesellschaft 168 v.Chr. – 324 n.Chr., STAC 47, Tübingen 2008. Still, Todd D., Paul’s Thessalonian Mission, SWJT 42, 1999, 4–16. –. Conflict at Thessalonica. A Pauline Church and its Neighbours, JSNT.S 183, Sheffield 1999. –. Paul and the Macedonian Believers, in: St. Westerholm, Hg., Paul, 30–45.

Literaturverzeichnis

325

Stirewalt, M. Luther Jr., Paul the Letter Writer, Grand Rapids, Cambridge 2003. Strack, Hermann L.; Stemberger, Günter, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 71982. Strecker, Georg, Literaturgeschichte des Neuen Testaments, UTB 1682, Göttingen 1992. Stuhlmacher, Peter, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, FRLANT 87, Göttingen 2 1966. –. Das paulinische Evangelium. I. Vorgeschichte, FRLANT 95, Göttingen 1968. –. Jesustradition im Römerbrief. Eine Skizze, ThBeitr 14, 1983, 240–250. –. Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band 1: Grundlegung. Von Jesus zu Paulus, Göttingen 32005 (11992). –. Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band 2: Von der Paulusschule bis zur Johannesoffenbarung, Göttingen 1999. C. Gaius Suetonius Tranquillus, Die Kaiserviten – De Vita Caesarum. Berühmte Männer – De Viris Illustribus. Lateinisch-deutsch (hg. von H. Martinet), STusc, Düsseldorf, Zürich 1997. Taatz, Irene, Frühjüdische Briefe. Die paulinischen Briefe im Rahmen der offiziellen religiösen Briefe des Frühjudentums, NTOA 16, Fribourg, Göttingen 1991. P. Cornelius Tacitus, Historiae – Historien. Lateinisch-deutsch (hg. von J. Borst), STusc, München, Zürich 51984. Theißen, Gerd, Psychologische Aspekte paulinischer Theologie, FRLANT 131, Göttingen 1983. Thielman, Frank, Theology of the New Testament. A Canonical and Synthetic Approach, Grand Rapids 2005. Thiselton, Anthony C., 1 & 2 Thessalonians Through the Centuries, Blackwell Bible Commentaries, Chichester 2011. Toorn, Karel v.d. u.a., Hg., Dictionary of Deities and Demons in the Bible, Leiden u.a. 21999. Trench, Richard Ch., Synonyma des Neuen Testaments, Tübingen 1907. Turner, Seth, The Interim, Earthly Messianic Kingdom in Paul, JSNT 25, 2002, 323–342. Unnik, Willem C. van, „Den Geist löschet nicht aus“ (1 Thessalonicher v 19), NT 10, 1968, 255–269. Vacalopoulos, Apostolos P., A History of Thessaloniki, Thessaloniki 1972. Velijanni-Tersi, Chryssula, Die Zeit des makedonischen Königreichs, in: Eideneier, N; Eideneier, H. (Hg.), Thessaloniki, 25–27.

326

Literaturverzeichnis

Vielhauer, Philipp, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin, New York 1985 (= 21978). Vutyras, Emmanuil, Thessaloniki unter römischer Herrschaft, in: Eideneier, N; Eideneier, H. (Hg.), Thessaloniki, 28–32. Wallace, Daniel B., Greek Grammar Beyond the Basics. An Exegetical Syntax of the New Testament, Grand Rapids 1996. Wander, Bernd, Gottesfürchtige und Sympathisanten. Studien zum heidnischen Umfeld von Diasporasynagogen, WUNT 104, Tübingen 1998. Weima, Jeffrey A.D.; Porter, Stanley E., An Annotated Bibliography of 1 and 2 Thessalonians, NTTS 26, Leiden u.a. 1998. Wendebourg, Nicola, Der Tag des Herrn. Zur Gerichtserwartung im Neuen Testament auf ihrem alttestamentlichen und frühjüdischen Hintergrund, WMANT 96, Neukirchen-Vluyn 2003. Wengst, Klaus, Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, Zweiter Klemensbrief, Schrift an Diognet, SUC II, Darmstadt 1984. Wenham, David, Paulus. Jünger Jesu oder Begründer des Christentums?, Paderborn u.a. 1999. Westerholm, Stephen, Hg., The Blackwell Companion to Paul, Chichester 2011. Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus (hg. von U. Schnelle) Bde. I–II, Berlin, New York 1996–2008. Wilcke, Hans-Alwin, Das Problem eines messianischen Zwischenreichs bei Paulus, AThANT 51, Zürich 1967. Wilckens, Ulrich, Der Brief an die Römer, EKK I-III, Neukirchen-Vluyn u.a. 2 1987 (I + II), 1982 (III). Winter, Bruce W., ‚If a Man does not Wish to Work …‘. A Cultural and Historical Setting for 2 Thessalonians 3:6–16, TynB 40, 1989, 303–315. –. The Book of Acts in its First Century Setting, Vols. 1–5, Grand Rapids, Carlisle 1993–1996. Wischmeyer, Oda, Paulus als Ich-Erzähler, in: E.-M. Becker; P. Pilhofer, Hg., Biographie, 88–105. Wolter, Michael, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008. Zahn, Theodor, Einleitung in das Neue Testament I–II, Leipzig 31906–1907 (Nachdruck Wuppertal, Zürich 1994). Zeller, Dieter, Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 2010. Zerwick, Maximilian, Biblical Greek Illustrated by Examples, SPIB 114, Rom 7 2001 (= 1963).

Autorenverzeichnis

327

II. Autorenverzeichnis A Aland, Barbara 151, 313 Aland, Kurt 151, 313 Ascough, Richard S. 17-18, 313 Aune, David E. 28, 34-35, 161, 300, 313 B Balch, David L. 194, 322 Bauckham, Richard J. 19, 313 Baumert, Norbert 101, 157, 311 Becker, Eve-Marie 313, 316-317, 324, 326 Becker, Jürgen 92, 111, 193, 197, 201, 204, 207, 257, 283, 311, 313 Bengel, Johann A. 123, 130, 198, 313 Berger, Klaus 194, 230, 313 Best, Ernest 35, 39, 44-46, 48, 5152, 58-59, 61, 67, 69, 72, 81, 8485, 87, 90, 95, 98, 107, 158, 232, 236, 256-257, 287, 298, 300, 302, 311 Betz, Otto 50, 313 Bietenhard, Hans 234, 249, 313 Binder, Hermann 24, 29, 313 Blischke, Folker 98, 108, 176, 223224, 305, 314 Bock, Darrell L. 14, 127, 153, 161, 187, 191, 267, 272, 314 Bockmuehl, Markus N.A. 122-123, 130, 314 Boring, M. Eugene 92, 314 Borland, James A. 253, 314 Bornemann, Wilhelm 51-52, 60, 8283, 104, 155, 157, 170, 196, 234, 237, 241, 306, 311

Börschel, Regina 66, 192, 195-197, 202, 206, 208-209, 213-214, 219, 229, 288-289, 292, 295-296, 307, 314 Botermann, Helga 120, 314 Böttrich, Christfried 254, 314 Breytenbach, Cilliers 139, 282, 314 Bridge, Steven L. 272, 314 Brocke, Christoph vom 9-10, 19-21, 57, 65, 119-121, 194, 270, 314 Broer, Ingo 23, 25, 114, 314 Bruce, Frederick F. 27, 54, 60-61, 67, 84, 87, 94, 98, 100, 115, 133, 139, 141, 145, 158, 181, 190, 194, 213, 241, 251, 256, 289-290, 300, 302, 308-309, 311 Bühlmann, Walter 117, 127, 314 Bultmann, Rudolf 90, 103, 314, 323 Burchard, Christoph 37, 314 Burkhardt, H. 314 Byrskog, Samuel 39-40, 315 C Calvin, Johannes 241, 311, 323 Charlesworth, James H. 315 Christianopulos, Dinos 9, 315 Collins, Raymond F. 26, 55, 236237, 241, 274, 313-316, 320-321 Conzelmann, Hans 249, 315 Cook, John G. 230, 315 Cosby, Michael R. 256, 258, 315 Crüsemann, Marlene 23-24, 315 Cullmann, Oscar 39, 298, 315 D Deines, Roland 22, 104, 268, 282, 315, 318

328

Autorenverzeichnis

Deissmann, Adolf 50, 141, 257, 315 Demling, Heinrich 114, 317 Dibelius, Martin 39-40, 53, 85, 95, 104-105, 125, 163-164, 198, 203, 251, 257-258, 302, 309, 311 Dietrich, Walter 198, 315 Dobschütz, Ernst von 15, 34, 36, 39, 41-46, 51-52, 55, 57, 66, 79, 82, 94, 98, 103, 106-107, 110-111, 118, 120, 130, 132, 137, 155, 157, 166-168, 170-171, 174, 181, 187188, 197, 203, 207, 209-210, 241, 258, 267, 289, 296, 299-300, 306, 311 Donfried, Karl Paul 15-16, 23, 49, 71, 73, 232, 237, 240-241, 270, 315, 318, 320-321 E Eckart, Karl-Gottfried 24, 316 Eideneier, Hans 315-316, 325-326 Ellingworth, Paul 115, 316 Erlemann, Kurt 299, 316 F Fee, Gordon D. 46-47, 52-53, 6061, 73, 84, 87, 95, 105, 124, 162, 170, 299, 311, 316 Fischer, Joseph A. 316 Fitzmyer, Joseph A. 104, 127, 316 Frame, James Everett 35, 55, 60, 89-90, 98, 108, 110, 120, 132, 157, 197, 213, 258, 311 Frey, Jörg 95, 282, 316, 324 Friedrich, Gerhard 37, 56, 61, 102, 233, 241, 247, 309, 311 G Gatiss, Lee 316

Gaventa, Beverly Roberts 84, 94-95, 98, 100, 107, 135, 190, 198, 311, 321 Gebauer, Roland 39, 223, 229, 241, 261, 263, 316 Giebel, Marion 12, 316 Gill, David W.J. 118, 316 Gillespie, Thomas W. 300, 316 Gillman, John 19-20, 102-103, 316, 321 Gnilka, Joachim 87, 234, 250, 316 Goldschmidt, Lazarus 22, 97, 105, 316 Goppelt, Leonhard 29, 56, 196, 316 Gorday, Peter 100, 196, 316 Göttel-Leypold, Monika 114, 317 Grabner-Haider, Anton 109, 317 Green, Bradley G. 316 Green, Gene L. 126, 311 Gupta, Nijay 317 Guthrie, Donald 15, 317 H Haacker, Klaus 19, 29, 119, 317 Hahn, Ferdinand 61, 96-97, 317 Harnisch, Wolfgang 232, 317 Harst, Sylvia 308, 317 Hartmann, Lars 317 Haubeck, Wilfried 317 Haufe, Günter 15, 21, 25, 31, 36-37, 43, 48, 53, 56, 60, 73, 82, 84, 8788, 95, 104, 115, 120, 181, 190, 194, 207, 219, 240-241, 270, 287, 295, 299, 311 Häußer, Detlef 12, 54, 85, 116, 188, 261, 288, 304, 317 Hawthorne, Gerald F. 317 Heckel, Ulrich 23, 25, 28, 35, 114, 245, 317, 322

Autorenverzeichnis

Hemer, Colin J. 21, 317 Hendrix, Holland L. 270, 317 Hengel, Martin 21-22, 97, 104, 122, 170, 231, 268, 317-318 Hengstl, Joachim 27, 318 Henneken, Bartholomäus 94-95, 302, 318 Hofius, Otfried 33, 240-241, 244, 283, 318 Hofmann, Karl-Martin 308, 318 Holtz, Traugott 15, 22, 25, 27, 3132, 34-39, 43-46, 48, 53-56, 5862, 66-68, 73, 80, 82-85, 87-88, 92, 94-95, 98-100, 102-103, 105, 107-108, 116-117, 120, 123, 125, 128-129, 131, 134-136, 138-140, 155-157, 171-174, 176, 182, 186, 188, 191-194, 201-203, 206-207, 209-211, 216-217, 219, 229, 236, 238, 240-241, 252, 256, 258, 267, 270-271, 282, 292, 295, 298, 300, 311, 318 Hoppe, Rudolf 10, 25, 39-40, 56, 95, 98, 104, 110-111, 115-118, 120, 125-127, 131-132, 134-135, 137138, 140-142, 152, 154-156, 158, 161-163, 165, 168, 170-174, 181, 185-191, 194-195, 197-199, 201204, 206-207, 209-210, 213, 215216, 218-220, 228-229, 241, 256, 266-267, 269, 271, 274-275, 277279, 282, 284, 287-290, 293-296, 298-301, 303-304, 307, 309, 311 Horn, Friedrich Wilhelm 29, 52-53, 140, 300-301, 314, 318-320 Horsley, Greg H.R. 10, 318 Hübner, Hans 70, 124, 207, 255, 267, 273, 318

329

J Jeremias, Joachim 22, 241, 269, 318 Jervell, Jacob 19, 104, 119, 318 Jewett, Robert 17, 25, 73, 319 Jones, Henry S. 320 Josephus, Flavius 10, 21, 47, 50, 92, 123, 130, 243, 257, 267-268, 303, 319 K Karrer, Martin 319, 324 Kippenberg, Hans G. 22, 319 Klassen, William 308-309, 319 Klauck, Hans-Josef 15, 25, 27-28, 222, 232, 319 Klein, Günther 249, 319 Klein, Hans 298, 319 Knibb, Michael A. 174, 319 Knoch, Otto 29, 319 Kollmann, Bernd 231, 319 Konradt, Matthias 319 Körtner, Ulrich H.J. 319 Kraus, Wolfgang 319, 324 Kreitzer, Larry J. 232-233, 319 Kuhn, Heinz-Wolfgang 100, 320 Kümmel, Werner Georg 15, 17, 23, 25, 319 L Labahn, Michael 269, 320 Lambrecht, Jan 35, 320 Landmesser, Christoph 72, 320 Laub, Franz 25, 223, 305, 312, 320 Leutzsch, Martin 319 Liddell, Henry G. 320 Liljeström, Kenneth 320 Lips, Hermann von 30, 320

330

Autorenverzeichnis

Lohse, Eduard 87, 100, 139, 196, 198, 241, 320 Lona, Horacio E. 99, 230, 320 Longenecker, Richard N. 36, 298, 320 Luckensmeyer, David 40, 60-63, 6569, 228, 231, 240, 320 Lüdemann, Gerd 23, 232, 320 Lünemann, Gottlieb 72, 83, 106, 155, 241, 312 Luthardt, E.Chr. 313 Luz, Ulrich 129, 233, 247, 252, 318, 321 M Malherbe, Abraham J. 12, 16-19, 21, 23, 29, 32-33, 36, 38-40, 44, 46, 52-53, 55-60, 65-69, 72-73, 80-88, 91-96, 98, 101, 103, 115, 120, 128, 135, 137, 142, 144, 155157, 164, 166-168, 174, 185-188, 193-194, 196-197, 201-202, 213, 218, 220, 228, 240-241, 270, 272, 275, 279, 284, 288, 293, 295, 300, 312, 321 Malina, Bruce J. 176, 223, 261, 321 Marshall, Ian Howard 14, 16, 23, 32-35, 37, 46-49, 51, 53, 56, 5859, 61, 67, 71-72, 80, 83-84, 8688, 90, 95, 98, 100, 120, 126, 128, 137-138, 141, 155, 158, 174, 181, 194, 197, 202-204, 209, 219, 231232, 237, 240-241, 250, 253, 256, 258, 267, 270-271, 287, 289, 292, 294, 298-300, 302, 308, 312, 315, 321 Martin, D. Michael 87, 120, 198, 256, 300, 312 Martin, Ralph P. 317

Marxsen, Willi 72, 241, 312 McNeel, Jennifer Houston 75, 321 Merk, Otto 76, 101, 109, 136, 321 Merkel, Helmut 273, 321 Metzger, Bruce M. 29, 71, 98, 151152, 165, 185, 321 Metzner, Rainer 116, 321 Michel, Otto 21, 196, 319, 321 Milligan, George 19, 81, 83, 186, 198, 257, 303, 312 Mittmann, Siegfried 321 Morris, Leon 87, 157, 241, 256, 312 Moule, Charles F.D. 40, 93, 141, 243, 321 Müller, Paul-Gerhard 25, 29, 35-36, 48, 53, 56, 59, 61, 73, 82, 84, 8789, 92-93, 95-96, 99-100, 115, 203, 206, 213, 215, 299, 312 Müller, Ulrich B. 116, 188, 321 N Neudorfer, Heinz-Werner 30, 38, 321 Neugebauer, Fritz 32, 237, 321 Nicholl, Colin R. 241, 322 Nida, Eugene A. 115, 316 Nolland, John 272, 322 O Ollrog, Wolf-Henning 20, 29-30, 154-155, 322 Osiek, Carolyn 194, 322 P Pearson, Birger A. 25, 317, 322 Pesch, Rudolf 19-20, 23-24, 267, 322 Peterson, Erik 256, 322 Philipps, Richard D. 9, 312

Autorenverzeichnis

Philonenko, Marc 201, 253, 322 Philonenko-Sayar, Belkis 201, 253, 322 Pilch, John J. 176, 223, 261, 321 Pilhofer, Peter 313, 316-317, 324, 326 Plevnik, Joseph 252-253, 255-256, 258, 322 Plözl, Franz X. 16, 30, 322 Pokorný, Petr 25, 114, 245, 322 Porter, Stanley E. 326 R Ravasz, Hajnalka 135-136, 144, 153, 161, 322 Reinmuth, Eckart 53, 56, 82, 95, 120, 138, 203, 241, 312, 322 Reiser, Marius 21-22, 322 Richard, Earl J. 24-25, 157, 166, 270, 300, 312 Riesner, Rainer 9, 11, 13-14, 16, 1823, 55, 73, 119-120, 122, 231, 241, 244, 250, 322 Riessler, Paul 197, 323 Rigaux, Béda 26, 46, 80-81, 85-86, 135-136, 157, 181, 209-210, 257, 270-271, 285, 302, 312 Röcker, Fritz W. 10, 19, 24, 31, 47, 57, 65, 119, 194, 227, 230-231, 234-236, 240, 245, 251, 256, 260, 266, 268, 282, 299, 323 Roetzel, Calvin J. 300, 323 Rohde, Joachim 323 Roller, Otto 27-28, 39, 323 Roloff, Jürgen 191, 323 Roose, Hanna 128, 141, 199, 203, 312 Rudolph, Wilhelm 25, 174, 323

331

S Sänger, Dieter 121, 323 Schelkle, Karl Hermann 25, 323 Scherer, Karl 117, 127, 314 Schlier, Heinrich 237, 312 Schlueter, Carol 127, 323 Schmeller, Thomas 127, 156, 173, 196, 204, 323 Schmidt, Eckart David 308, 323 Schmithals, Walter 24, 72, 231-232, 323 Schmitt, Götz 321 Schnabel, Eckhard J. 9, 11, 14-16, 18, 29, 33-34, 59, 152-153, 198, 217, 300, 323 Schnedermann, G. 313 Schnelle, Udo 15, 23, 25, 35, 90, 114, 323, 326 Schrage, Wolfgang 116, 152, 200, 288, 300, 324 Schreiber, Stefan 36-37, 39, 43-45, 62, 72-73, 82, 94, 98, 110, 115116, 120-121, 124-125, 130, 132, 134-135, 140, 153-155, 157-160, 162, 164-165, 169-172, 174, 179, 182, 185-188, 190, 192-195, 197200, 203, 206-207, 209, 213, 215220, 223, 229, 234-236, 246, 254, 256-257, 267-269, 274-275, 278279, 281-284, 288-290, 293, 295301, 303-304, 306, 308-310, 312, 324 Schreiner, Josef 247, 324 Schröter, Jens 68, 282, 316, 324 Schubert, Paul 35, 324 Schulz, Siegfried 257, 324 Schürer, Emil 105, 324 Schürmann, Heinrich 243, 324

332

Autorenverzeichnis

Schwab, Günther 24, 324 Schweitzer, Albert 234, 247, 324 Schwemer, Anna Maria 21-22, 97, 122, 125, 130, 231, 318, 324 Scott, Robert 320 Seewann, Maria-Irma 157, 311 Siebenthal, Heinrich von 317 Söding, Thomas 171, 216-217, 291, 324 Steimle, Christopher 10, 324 Stemberger, Günter 195, 249, 325 Still, Todd D. 11, 107, 139, 159, 217, 270, 324 Stirewalt, M. Luther Jr. 17, 28, 325 Strack, Hermann L. 195, 249, 313, 325 Strecker, Georg 35, 50, 325 Stuhlmacher, Peter 31, 50, 68, 161, 241, 283, 318, 322, 325 T Taatz, Irene 28, 325 Theißen, Gerd 90, 325 Thielman, Frank 109, 325 Thiselton, Anthony C. 325 Toorn, Karel v.d. 325 Tranquillus, C. Gaius Suetonius 325 Trench, Richard Ch. 164, 325 Turner, Seth 246, 249, 325 U Unnik, Willem C. van 300-302, 325 V Vacalopoulos, Apostolos P. 9, 325 Velijanni-Tersi, Chryssula 9, 325 Vielhauer, Philipp 326 Vutyras, Emmanuil 9-10, 326

W Wallace, Daniel B. 326 Wanamaker, Charles A. 25, 47-48, 53, 61, 82, 85, 87, 94-95, 98, 115, 133, 137, 150, 181, 187, 213, 215, 219, 232-233, 240-241, 258, 270, 287, 295, 300, 312 Wander, Bernd 21, 326 Weatherly, Jon A. 197, 312 Weima, Jeffrey A.D. 25, 110, 115118, 120, 123, 126-130, 134-142, 144, 152-154, 156-158, 160-164, 166-168, 171-174, 180-181, 186188, 190, 194, 197-199, 202, 207, 210, 212-213, 215-217, 219-221, 228, 231, 235, 240, 246, 256, 267, 269, 274-275, 282, 284, 287-289, 293, 295, 297, 299-300, 304, 306, 309-310, 312, 326 Wendebourg, Nicola 268, 326 Wengst, Klaus 326 Wenham, David 240-241, 326 Westerholm, Stephen 29, 323-324, 326 Wewers, Gerd A. 22, 319 Wilcke, Hans-Alwin 231, 326 Wilckens, Ulrich 61, 69, 326 Winter, Bruce W. 20, 326 Wischmeyer, Oda 95, 103-104, 326 Witherington, Ben III 10, 47, 57, 124, 197, 213, 215, 241, 256, 312 Wohlenberg, Gustav 29, 43, 58, 60, 81, 86, 94, 101, 157, 234, 241, 312 Wolter, Michael 276, 326 Z Zahn, Theodor 15, 96, 326

Autorenverzeichnis

Zeller, Dieter 91, 104, 326 Zerwick, Maximilian 80, 326 Zöckler, Otto 83, 313

333