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German Pages 400 [451] Year 2018
Historisch-Theologische Auslegung
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Neues Testament Herausgegeben von Gerhard Maier ٠ Heinz-Werner Neudorfer ٠ Rainer Riesner ٠ Eckhard J. Schnabel
Der Brief des Paulus an die Kolosser
Joel White
SCM R.BROCKHAUS, WITTEN BRUNNEN VERLAG, GIESSEN
© 2018 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Max-Eyth-Str. 41 · 71088 Holzgerlingen Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]
Umschlaggestaltung: agentur krauss GmbH, Herrenberg Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg Verzeichnisse: Daniel Steigerwald Druck und Bindung: Finidr s.r.o. Gedruckt in Tschechien ISBN 978-3-417-29736-2 (SCM R.Brockhaus) ISBN 978-3-7655-9736-7 (Brunnen Verlag) Bestell-Nr. 229.736 Datenkonvertierung: Stephan Maier, Achern
INHALT
Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Stadt Kolossä . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gemeinde in Kolossä . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verfasserschaft des Kolosserbriefs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ort und Zeit der Abfassung des Kolosserbriefs . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die „Kolossische Irrlehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Gliederung des Kolosserbriefs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Beziehung des Kolosserbriefes zu anderen Schriften im Corpus Paulinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die theologische Eigenart des Kolosserbriefes . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 15 16 28 35 50 53
II. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Briefanfang (1,1–2,5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Präskript (1,1-2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Einleitung (1,3-23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Dank für die Kolosser (1,3-8) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Gebet für die Kolosser (1,9-14) . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3. Das Christuslied (1,15-20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4. Erinnerung und Ermahnung (1,21-23) . . . . . . . . . . . 1.3. Die Selbstvorstellung des Apostels (1,24–2,5) . . . . . . . . . . 1.3.1. Der Auftrag des Paulus als Völkerapostel (1,24-29) . . 1.3.2. Das Anliegen des Paulus für die Kolosser (2,1-5) . . . 2. Briefkorpus (2,6–4,6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Einleitende Aufforderung (2,6-7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Warnung vor der kolossischen Irrlehre (2,8-23) . . . . . . . . . 2.2.1. Die Wertlosigkeit der kolossischen Irrlehre (2,8-15) . 2.2.2. Der betrügerische Charakter der kolossischen Irrlehre (2,16-23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Schlüsse aus der Tauferfahrung der an Christus Gläubigen (2,20–3,4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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53 55 61 61 61 68 68 85 104 154 165 165 190 205 205 214 214
. . 249 . . 264
2.3.1. Unterwerft euch nicht den Mächten, denen ihr mit Christus in der Taufe verstorben seid (2,20-23) . . . . . . 2.3.2. Tretet ein in die himmlische Sphäre, in der ihr mit Christus in der Taufe auferweckt wurdet (3,1-4) . . . . . 2.4. Ethische Ermahnungen (3,5–4,6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Legt den „alten Menschen“ mit seinen Sünden ab (3,5-11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Zieht den „neuen Menschen“ mit seinen Tugenden an (3,12-17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Lebt standesgemäß im christlichen Haushalt (3,18–4,1) 2.4.4. Betet und bezeugt das Evangelium (4,2-6) . . . . . . . . . 3. Briefschluss (4,7-18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Empfehlung der Briefträger (4,7-9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Grüße (4,10-14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Letzte Anweisungen (4,15-17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Eigenhändiger Gruß und Segen (4,18) . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . Quellentexte . . . . . . . . . . . . Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . Kolosser-Kommentare . . . . . Andere Kommentare . . . . . . Aufsätze und Monographien
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. 264 . 277 . 285 . 285 . . . . . . . .
306 326 354 361 361 366 373 378
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381 381 383 385 387 388
Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . Verzeichnis griechischer Wörter
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419 419 431 448
Vorwort der Herausgeber Die Kommentarreihe „Historisch-theologische Auslegung des Neuen Testaments“ will mit den Mitteln der Wissenschaft die Aussagen der neutestamentlichen Texte in ihrer literarischen Eigenart, im Hinblick auf ihre historische Situation und unter betonter Berücksichtigung ihrer theologischen Anliegen erläutern. Dabei sollen die frühere wie die heutige Diskussion und neben den traditionellen auch neuere exegetische Methoden berücksichtigt werden. Die gemeinsame Basis der Autoren der einzelnen Kommentare ist der Glaube, dass die Heilige Schrift von Menschen niedergeschriebenes Gotteswort ist. Der Kanon Alten und Neuen Testaments schließt den Grundgedanken der Einheit der Bibel als Gottes Wort ein. Diese Einheit ist aufgrund des Offenbarungscharakters der Heiligen Schrift vorgegeben und braucht nicht erst hergestellt zu werden. Die Kommentatoren legen deshalb das Neue Testament mit der Überzeugung aus, dass die biblischen Schriften vertrauenswürdig sind und eine Sachkritik, die sich eigenmächtig über die biblischen Zeugen erhebt, ausschließen. Wo Aussagen der biblischen Verfasser mit außerbiblischen Nachrichten in Konflikt stehen oder innerhalb der biblischen Schriften Spannungen und Probleme beobachtet werden, sind Klärungsversuche legitim und notwendig. Bei der Behandlung umstrittener Fragen möchten die Autoren vier Regeln folgen: 1. Alternative Auffassungen sollen sachlich, fair und in angemessener Ausführlichkeit dargestellt werden. 2. Hypothesen sind als solche zu kennzeichnen und dürfen auch dann nicht als Tatsachen ausgegeben werden, wenn sie weite Zustimmung gefunden haben. 3. Offene Fragen müssen nicht um jeden Preis entschieden werden. 4. Die Auslegung sollte auch für denjenigen brauchbar sein, der zu einem anderen Ergebnis kommt. Unser Kommentar will keine umfassende Darstellung der Auslegung eines neutestamentlichen Buches in Geschichte und Gegenwart geben. Weder bei der Auflistung der Literatur noch in der Darstellung der Forschungsgeschichte oder der Auseinandersetzung mit Auslegungspositionen wird Vollständigkeit angestrebt. Die einzelnen Autoren haben hier im Rahmen der gemeinsamen Grundsätze die Freiheit, beim Gespräch mit der früheren und aktuellen Exegese eigene Akzente zu setzen. Die Kommentarreihe unternimmt den Versuch einer „geistlichen Auslegung“. Über die möglichst präzise historisch-philologische Erklärung hinaus soll die Exegese die Praxis von Verkündigung, Seelsorge sowie Diakonie im Blick behalten und Brücken in die kirchliche Gegen-
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Vorwort der Herausgeber
wart schlagen. Die Autoren gehören zu verschiedenen Kirchen und Freikirchen der evangelischen Tradition. Unterschiede der Kirchen- oder Gemeindezugehörigkeit, aber auch unterschiedliche exegetische Meinungen wollen sie weder gewaltsam einebnen noch zum zentralen Thema der Auslegung machen. Der Nähe zur gemeindlichen Praxis wird dadurch Rechnung getragen, dass neben griechischen bzw. hebräischen Texten die entsprechenden Begriffe noch einmal in Umschrift erscheinen. Auf diese Weise kann auch dem sprachlich nicht entsprechend ausgebildeten Laien zumindest eine Andeutung der Sprachgestalt der Grundtexte vermittelt werden. Die Auslegung folgt einem gemeinsamen Schema, das durch römische Ziffern angezeigt wird. Leserinnen und Leser finden unter I eine möglichst genaue Übersetzung, die nicht vorrangig auf eine eingängige Sprache Wert legt. Unter II ist Raum für Bemerkungen zu Kontext, Aufbau, literarischer Form oder Gattung sowie zum historischen und theologischen Hintergrund des Abschnitts. Unter III folgt dann eine Vers für Vers vorgehende Exegese, die von Exkursen im Kleindruck unterbrochen sein kann. Abschließend findet man unter IV eine Zusammenfassung, in der das Ziel des Abschnitts, seine Wirkungsgeschichte und die Bedeutung für die Gegenwart dargestellt werden, soweit das nicht schon im Rahmen der Einzelexegese geschehen ist. Alle Auslegung der Bibel als Heiliger Schrift ist letztlich Dienst in der Gemeinde und für die Gemeinde. Auch wenn die „Historisch-theologische Auslegung“ keine ausdrückliche homiletische Ausrichtung hat, weiß sie sich dem Ziel verpflichtet, der Gemeinde Jesu Christi für ihren Glauben und ihr Leben in der säkularen Moderne Orientierung und Weisung zu geben. Die Herausgeber hoffen, dass die Kommentarreihe sowohl das wissenschaftlich-theologische Gespräch fördert als auch der Gemeinde Jesu Christi über die Konfessionsgrenzen hinaus dient. Landesbischof i. R. Dr. Gerhard Maier Dr. Heinz-Werner Neudorfer Prof. Dr. Rainer Riesner Prof. Dr. Eckhard J. Schnabel
Abkürzungen
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Abkürzungen Bauer / Aland W. Bauer / K. Aland / B. Aland. Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. Berlin 61988 BC Biblischer Commentar über das Alte Testament BDR F. Blass / A. Debrunner / F. Rehkopf. Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. Göttingen 182001 BKV Bibliothek der Kirchenväter BTCB Brazos Theological Commentary on the Bible CAH Cambridge Ancient History CGTC Cambridge Greek Testament Commentary ECL Early Christianity and Its Literature EGGNT Exegetical Guide to the Greek New Testament Elb. Elberfelder Übersetzung rev. 2006 EÜ Einheitsübersetzung EWNT Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament FChr Fontes Christiani GBL Das große Bibellexikon HTA Historisch Theologische Auslegung HvS Heinrich von Siebenthal: Griechische Grammatik zum Neuen Testament ICC International Critical Commentary JDS Judean Desert Studies JSHRZ Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit LCL Loeb Classical Library LÜ 1984 Luther-Übersetzung 1984 KD Kirchliche Dogmatik Novum Testament Graece, 28. Aufl. NA28 NTD Das Neue Testament Deutsch PAST Pauline Studies RGG Religion in Geschichte und Gegenwart RHPhR Revue dʼhistoir et de philosophie religieuses RNT Regensburger Neues Testament SHBC Smyth & Helwys Bible Commentary ThHK Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament
8 THNTC ThWAT ThWNT TLNT TU TWNT UTB WA WMANT WStB WUNT ZBK ZNW
Abkürzungen
Two Horizons New Testament Commentary Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Hg. v. G. Kittel / G. Friedrich. Stuttgart 1933–1979 Theological Lexicon of the New Testament Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Uni-Taschenbücher Weimarer Ausgabe: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe Wissenschaftliche Monographien zum Alten und zum Neuen Testament Wuppertaler Studienbibel Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zürcher Bibelkommentar Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft
Abkürzungen biblischer Bücher: Gen, Ex, Lev, Num, Deut, Jos, Ri, Rut, 1Sam, 2Sam, 1Kön, 2Kön, 1Chron, 2Chron, Esr, Neh, Est, Hi, Ps, Spr, Koh, Hld, Jes, Jer, Klgl, Hes, Dan, Hos, Joel, Am, Obd, Jona, Mi, Nah, Hab, Zef, Hag, Sach, Mal Mt, Mk, Lk, Joh, Apg, Röm, 1Kor, 2Kor, Gal, Eph, Phil, Kol, 1Thess, 2Thess, 1Tim, 2Tim, Tit, Phlm, Hebr, Jak, 1Petr, 2Petr, 1Joh, 2Joh, 3Joh, Jud, Offb Sonstige Abkürzungen 4Esr Esra-Apokalypse 1Klem 1. Klemensbrief 2Klem 2. Klemensbrief 1Makk 1. Makkabäerbuch 2Makk 2. Makkabäerbuch 3Makk 3. Makkabäerbuch 1QH Qumran: Loblieder (Hodajot) 1QM Qumran: Kriegsrolle 1QS Qumran: Gemeinderegel 1QSa Qumran: Gemeinschaftsregel 1QSb Qumran: Segenssprüche 4Qflor Qumran: Florilegium 4Qpatr Qumran: Patriarchensegen
Abkürzungen
a.a.O. AcI Adj., adj. Adv., adv. AdvHaer Akk. AkkO Akt., akt. Ann Ant Aor. Apol Ar Art. äthHen AutCL AutEph AutKol AZ b Barn BB Bell Ber BM BQ CA CAp CD Chag CL Comm CP Dat. dat. caus. dat. instr. dat. resp. dat. soc. DCD
am angegebenen Ort accusativus cum infintivo = akk. Subj. eines Inf. Adjektiv, adjektivisch Adverb, adverbial Irenäus: Adversus haereses / Gegen die Irrlehren Akkusativ Akkusativobjekt Aktiv, aktivisch Tacitus: Die Annalen Josephus: Antiquitates Judaicae / Jüdische Altertümer Aorist Justinus: Apologia Traktat: Arachin Artikel Henochapokalypse (äth.) Autor des Christuslieds Autor des Epheserbriefes Autor des Kolosserbriefes Traktat: Aboda Zara Babylonischer Talmud Barnabasbrief Traktat: Baba Batra Josephus: De Bello Iudaico / Der jüdische Krieg Traktat: Berakot Traktat: Baba Mezia Traktat: Baba Qamma Confessio Augustana Josephus: Contra Apionem Damaskusschrift Traktat: Chagiga Christuslied Kommentar Corpus Paulinum Dativ dativus causae = Dativ des Grundes dativus instrumenti = Dativ des Mittels dativus respectūs = Dativ der Hinsicht / Beziehung dativus sociativus = Dativ der Gemeinschaft Augustinus: De Civitate Dei / Vom Gottesstaat
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10 Dial c Tryph Did dur. EG epex. Erub ETF EvThom Fem. fem. Flacc Fut, fut. Gen. gen. epex. gen. auct. gen. obj. gen. pert. gen. poss. gen. pret. gen. subj. georg. HebrEv HerHist Herm (m v) HistEccl Hor HS(S) HT IgnEph IgnMagn IgnSm IgnTrall Impf. Ind. Inf. Impf. Impv. instr. j
Abkürzungen
Justin: Dialogus cum Tryphone Judaeo / Dialog mit dem Juden Tryphon Didache / Zwölfapostellehre durativum Evangelisches Gesangbuch epexegetisch Traktat: Erubin Evangelisch-Theologische Fakultät Thomas-Evangelium Femininum, feminin Philo: In Flaccum Futur, futurisch Genitiv genitivus epexegeticus = erklärender Genitiv genitivus auctoris = Genitiv des Urhebers genitivus obiectivus = objektiver Genitiv genitivus pertinentiae = Genitive der Zugehörigkeit genitivus possessoris = Genitiv des Besitzers genitivus pretii = Genitiv des Wertes genitivus subiectivus = subjektiver. Genitiv Vergil(ius): georgica, Ländliche Gedichte Hebräer-Evangelium Herodot: historiai (Hirt des) Hermas (mandata, visiones) Eusebius, Historia Ecclesiae / Geschichte der Kirche Traktat: Horajot Handschrift(en) Haustafel Ignatius: An die Epheser Ignatius: An die Magnesier Ignatius: An die Smyrnäer Ignatius: An die Trallier Imperfekt Indikativ Infinitiv Imperfekt Imperativ instrumental Jerusalemer Talmud
Abkürzungen
Jad Jeb Jh.(s) Jub Ker Ket KI Konj. LA Leg Leg ad Gai LXX M. MartPol Mask., mask. Med., med. Meg Men Midr Qoh MS(S) MT MtEv Nat Ned Nid Nom. NPP Ntr., ntr. Obj. Opt. P. Abot P. REI pa(r)r. Part. Pass. passim Perf. Pes
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Traktat: Jadajim Traktat: Jebamot Jahrhundert(s) Jubiläenbuch Traktat: Keritot Traktat: Ketubbot kolossische Irrlehre Konjunktiv Lesart Philo: Legum allegoriae, Allegorische Erklärung der Gesetze Philo: Legatio ad Gaium, Gesandtschaft an Gajus Septuaginta Mischna Martyrium des Polycarp Maskulinum, maskulin Medium, medial Traktat: Megilla Traktat: Menuchot Midrasch Qohelet Manuskript(e) Masoretischer Text Matthäusevangelium Plinius: naturalis historia, Naturgeschichte Traktat: Nedarim Traktat: Nidda Nominativ neuere Paulusperspektive Neutrum, neutrisch Objekt (gramm.) Optativ Papyrus Pirqe Abot / Sprüche der Väter Pirqe Rabbi Eliezer: Prag 1784 und die Parallelpassage(n) in den anderen Evangelien Partizip Passiv durchgängig Perfekt Traktat: Pesachim
12 Plur. Polyc Präp., präp. Präs. Pron. Prov. PsSal Qid s. S. Sanh Sat Schab Scheq Sing. Sir Subj. Subst., subst. Sus syrApkBar Taan TacHist TestAss TestDan TestJos Texte KV Tob t.t. u.Ä. usf. Vita Josephus: Weish Zeb z.St.
Abkürzungen
Plural Brief des Polykarp Präposition, präpositional Präsens Pronomen Provinz Psalmen Salomos Traktat: Qidduschin siehe Seite Traktat: Sanhedrin Juvenal: Satiren Traktat: Schabbat Traktat: Scheqalim Singular Jesus Sirach Subjekt (gramm.) Substantiv, substantivisch Susanna Baruchapokalypse (syr.) Traktat: Taanit Tacitus: Historiae Testament der 12 Patriarchen: Asser Testament der 12 Patriarchen: Dan Testament der 12 Patriarchen: Josef Texte der Kirchenväter Buch Tobit/Tobias terminus technicus = ein Fachbegriff und Ähnliche(s) und so fort Josephi vita, Aus meinem Leben Weisheit Salomos Traktat: Zebachim zur Stelle
Weitere Abkürzungen sind S. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (Berlin 21992, 32014), zu entnehmen.
1. Die Stadt Kolossä
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I. Einleitung 1. Die Stadt Kolossä Was von der antiken Stadt Kolossä übrig geblieben ist, liegt größtenteils unter einem unauffälligen Hügel am Fuß des hohen Berges Kadmos nahe der Ortschaft Honaz begraben.1 Diese ist ca. 200 km östlich von der türkischen Stadt Kuşadasi am Ägaischen Meer gelegen. Heute fahren von dort aus viele Touristen nach einem Besuch der beeindruckenden Ruinen von Ephesus in wohlklimatisierten Reisebussen über gute Straßen durch das Mäandertal, biegen nach Südosten in das Lykostal ab und besuchen auf jeden Fall Hierapolis und, wenn sie Zeit haben, auch noch Laodizäa. Bis nach Kolossä schaffen es nur die Bibelinteressierten unter ihnen. Denn bis heute ist diese historische Stätte archäologisch unerschlossen. Kolossäs Anfänge liegen im Dunkeln. Herodot berichtet (7,30,1), dass Xerxes während seines Feldzuges nach Kolossä kam (481 v.Chr.). Er nennt den Ort „eine große Stadt Phrygiens“. Xenophon beschreibt sie als eine „bewohnte Stadt, wohlhabend und groß“ (Anab. 1,2,6). Eine Hauptstütze des Wohlstandes im Lykostal war damals die Schafzucht.2 Strabo berichtet, dass die dort produzierte Wolle – genannt „kolossisch“ (κολοσσηνός) – schwarz und angenehm weich war (Geogr. 12,8,16). Im 1. Jh. n.Chr. gehörte jedoch die Blütezeit Kolossäs der älteren Vergangenheit an, denn nach der Gründung Laodizäas um die Mitte des 3. Jh.s v.Chr. verlor Kolossä rasant an wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung. Die Einwohnerzahl der Stadt im 1. Jh. lässt sich nicht leicht einschätzen. Strabo bezeichnet sie als πολίσμα (Geogr. 12,8,13), das Lightfoot mit „small town“ übersetzt.3 Lightfoots Einschätzung der Stadt als unbedeutsam etablierte sich in der Forschung und blieb lange Konsens. In letzter Zeit aber mehren sich die Stimmen, die dieses Urteil hinterfragen.4 Kolossä war gleichwohl mit Abstand der kleinste Ort, an den ein Gemeindebrief des Paulus adressiert ist. Mitten im ursprünglichen Siedlungsgebiet der Phrygier, das im 1. Jh. teils der 1 Vgl. Günther, Türkei, 133. Eine hilfreiche Kurzdarstellung der Geschichte und Geographie Kolossäs unter Berücksichtigung der wichtigsten epigraphischen, literarischen und numismatischen Quellen bietet Bormann 12-28. 2 Vgl. Erdemir, Textiles, 104-129. 3 Vgl. Lightfoot 16. 4 Dunn 20 weist darauf hin, dass der Begriff πολίσμα keine Auskunft über die Größe einer Stadt gibt. Vgl. auch Cadwallader, Axiom, 160.
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I. Einleitung
Provinz Asien und teils der Provinz Galatia angehörte, war die Identität der Stadt mindestens genauso stark durch die politische Macht Roms5 und die kulturelle Anziehungskraft des Hellenismus geprägt wie durch volksspezifische Eigenschaften. In religiöser Hinsicht spiegelte die Stadt typische hellenistische Vielfalt wider. Numismatische und literarische Zeugen belegen die Verehrung zahlreicher Göttinnen und Götter dort wie überall im kleinasiatischen Raum.6 Auch der Kaiserkult war stark verbreitet und von großer Bedeutung. Simon Price zufolge war er der allerwichtigste Kult in der Provinz Asien, und sein Einfluss war in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu spüren.7 Demographisch zeichnete sich diese für antike Verhältnisse dicht besiedelte Region8 durch einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil aus. Laut Josephus (Ant 12,148-149) siedelte der syrische Herrscher Antiochus III. (242–187 v.Chr.) 2000 jüdische Familien aus Mesopotamien in Phrygien und Lydien an. Aufgrund einer Notiz von Cicero (Flac. 28.67-68), welche die jüdischen Tempelsteuergelder aus dem Bezirk Laodizäa mit 20 Pfund Gold angibt, schätzen Forscher die Zahl der freien jüdischen Männer auf etwa 9000.9 Beachtliche jüdische Gemeinden waren also im 1. Jh. im Lykostal längst etabliert und scheinen in der Gesellschaft gut integriert gewesen zu sein.10 Im Jahr 60 oder 61 n.Chr. wurde die Region durch ein schweres Erdbeben erschüttert (Tacitus, Ann 14.27).11 Laodizäa und Hierapolis konnten wiederaufgebaut werden und gediehen weiterhin. Das Schicksal von Kolossä kann mangels archäologischer Erschließung der Ruinen nicht mit Sicherheit eruiert werden, jedoch mehren sich Indizien dafür, dass der frühere Forschungskonsens, Kolossä habe sich nach dem Erdbeben nicht erholen können und sei lange unbesiedelt geblieben, gründlich revidiert werden muss.12
5 6 7 8 9
Vgl. Kearsley, Evidence, 131. Vgl. Canavan, Clothing, 23. Vgl. Price, Rituals, 130. Vgl. Bormann 15-16. Vgl. Foster 14, der diese Zahl als Obergrenze festlegt. Lightfoot 20 geht von mindestens 11 000 aus. 10 Vgl. P. Trebilco, Communities, 186. 11 Eusebius zufolge geschah das folgenschwere Erdbeben erst nach dem Großbrand in Rom (64 n.Chr.), doch in der Regel schenken neuzeitliche Forscher der Angabe des Tacitus größeres Vertrauen. Vgl. aber Barth/Blanke 9-10. 12 Vgl. Cadwallader, Axiom, 170-174; Duman/Konakçi, Witness, 270; Foster 3-8.
2. Die Gemeinde in Kolossä
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2. Die Gemeinde in Kolossä Laut dem Zeugnis des Kolosserbriefs (fortan mit „Kol“ abgekürzt) wurde die Gemeinde in Kolossä nicht durch Paulus, sondern durch seinen Mitarbeiter Epaphras, einen aus dem Lykostal stammenden Judenchristen,1 gegründet. Es ist anzunehmen, dass Epaphras entweder während der ersten Missionsreise des Paulus 46-47 n.Chr. im pisidischen Antiochia, das zur römischen Provinz Galatien gehörte und eine der bedeutendsten Städte der gesamten Region Phrygiens war (Apg 13,14-52),2 oder während des Aufenthalts des Paulus in Ephesus (53–55 n.Chr.) zum Glauben kam. Letzteres wird in der Forschung meistens vorausgesetzt; Ersteres wird selten erwogen.3 Aber Kolossä verfügte nicht nur nach Westen, sondern auch nach Osten über wichtige kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen und lag näher an Antiochia als an Ephesus. Ein plausibles Szenario wäre also, dass Epaphras den Apostel erstmals in der Synagoge in Antiochia hörte4 und dadurch Anhänger der jungen Jesusbewegung wurde, danach wieder in das Lykostal zog und selbstständig missionierte, um erst später während des Aufenthaltes des Paulus in Ephesus als Mitarbeiter ausgebildet und in sein Heimatgebiet ausgesandt zu werden (vgl. 1,7; 4,1213). Es wird meistens angenommen, dass sich Paulus niemals vor der Abfassung des Kol in Kolossä aufhielt. Dennoch ist Bo Reickes These, dass Paulus das Lykostal während seiner dritten Missionsreise auf dem Weg nach Ephesus bereiste,5 nicht gleich abzuweisen und würde beim oben skizzierten Szenario an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Paulus pflegte auf seinen Reisen junge Christen bzw. potenzielle Mitarbeiter zu besuchen, um sie zu betreuen bzw. auszubilden, und das missionarische Potenzial des Epaphras war offensichtlich beachtenswert. Unter seiner Leitung wurden nicht nur in Kolossä, sondern wohl auch in den benachbarten Städten Laodizäa und Hierapolis Gemeinden gegründet (vgl. 4,13). Zu den Gemeindegliedern in Kolossä zählten die Hauptpersonen, die im Phlm erwähnt werden, nämlich Philemon, Onesimus, Archippus und Apphia (vgl. 4,9.17; Phlm 1-2).
1 2 3 4 5
So auch Schnabel, Mission, 1371-1372. Ebd. 1052. Vgl. Gnilka 3; Wilson 6; Moo 27. Barth/Blanke 17 erwägt diese Möglichkeit. Vgl. Reicke, Setting, 432; Reicke, Re-examining, 75-76. Vgl. dazu Standhartinger, Studien, 14.
16
I. Einleitung
3. Die Verfasserschaft des Kolosserbriefs In der neueren deutschen Forschung wird i.d.R. bestritten, dass der Autor des Kol (fortan mit „AutKol“ abgekürzt) mit Paulus identisch ist.1 Im angelsächsischen Raum hingegen hält sich die Zahl der Vertreter und der Bestreiter der paulinischen Verfasserschaft mehr oder weniger die Waage.2 Hier wie dort wird eine Entscheidung gegen die paulinische Verfasserschaft nicht selten mit gewissen Vorbehalten getroffen. Denn es besteht gemeinhin Konsens, dass der Kol von allen umstrittenen Paulusbriefen derjenige ist, der dem „typisch“ Paulinischen am nächsten steht, sodass selbst viele Gegner der paulinischen Verfasserschaft ihm eine Sonderstellung einräumen.3 Ernst Käsemanns Urteil über die Datierung des Kol wird deswegen oft zitiert: „Wenn echt, um des Inhaltes und Stiles willen so spät wie möglich; wenn unecht, so früh wie denkbar.“4 Für die paulinische Verfasserschaft des Kol, die übrigens erstmals 1838 im deutschen Sprachraum von Ernst Mayerhoff infrage gestellt wurde,5 sprechen sich eine ganze Reihe von Forschern aus.6 Ihnen gegenüber stehen aber
1 So Schnelle, Einleitung, 362. 2 Brown, Introduction, 610, schätzte bereits 1997, dass sich 60 Prozent der kritischen Forscher gegen die paulinische Verfasserschaft des Kol ausgesprochen hatten. Gemessen an der Zahl derer, die sich seitdem für die Verfasserschaft durch Paulus entschieden haben (vgl. Anm. 23), neigt sich womöglich die Waage bald etwas in die andere Richtung. 3 Vgl. Holtzmann, Kritik, 22, demzufolge der Kol „zugleich paulinisch und nichtpaulinisch“ sei. Laut Schweizer, Kolosserbrief, 150-163, ist er „weder paulinisch noch nachpaulinisch“. Auch Ollrog, Paulus, 237-238, betont die Sonderstellung des Kol. 4 Käsemann, Kolosserbrief, 1728. 5 Vgl. Mayerhoff, Colosser. Bereits 1805 äußerte der Engländer Edward Evanson Zweifel an der Verfasserangabe des Kol (vgl. Evanson, Dissonance, 313-314). Laut Lona, Eschatologie, 22, war er der erste, der diese Ansicht öffentlich vertrat. 6 Vgl. u.a. Jülicher/Fäscher, Einleitung, 128-129; Percy, Probleme, 66.135-136; Lohmeyer 8-13; Kehl, Christushymnus, 163-164; Moule 13-14; Caird 155-157; Kümmel, Einleitung, 298-305; O’Brien xli-xlix; Cannon, Material, 175-229; Bruce 32-33; Martin 98; Barth/ Blanke 114-126; Murphy-O’Connor, Paul, 237-239; Porter/Clarke, Perspective, 77-83; Garland 17-22; Ellis, Documents, 266-275; Frenschkowski, Pseudepigraphie, 256-258; Reicke, Re-Examining, 75-78; DeSilva, Introduction, 696-701; Thompson 2-5; Smith, Perspective, 6-16; Witherington 19; Moo 26-41; Bird 5; Köstenberger/Kellum/Quarles, Cradle, 600-604; Heil, Encouragement, 5-7; Hagner, Introduction, 563-566; Pao 20-23; Gupta 1-10; Pascuzzi, Authorship, 254; Seitz 47-53; Campbell, Framing, 32.304; Moses, Practices, 197; MaGee, Portrait, bes. 126-127; Baumert/Seewann 39-46; Thiessen, Paulusbriefe, 201-215; Keesmaat 557-558; Anderson, Perspective, 187-195. Holtzmann, Kritik, 279-286, und Masson 86, vertreten die These, dass ein ursprünglich paulinischer Brief vom Autor des Eph überarbeitet wurde.
3. Die Verfasserschaft des Kolosserbriefs
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viele Gegenstimmen.7 Manche lassen die Entscheidung offen.8 Unter den verschiedenen Stellungnahmen der Bestreiter der Echtheit, sind es vor allem zwei Argumente, die als ausschlaggebend betrachtet werden. Der vermeintlich deuteropaulinische Stil des Kol Erstens wird behauptet, dass sich der Stil des Kol zu sehr von den paulinischen Hauptbriefen unterscheide, als dass er derselben Hand entstammen könnte.9 Es wird auf die hohe Zahl der Hapaxlegomena hingewiesen: 34 Lexeme kommen nur hier im NT vor. Weitere 28 tauchen in den unumstrittenen Paulinen kein zweites Mal auf. Zweitens fehlt eine Reihe von zentralen paulinischen Begriffen, dazu viele typisch paulinische Übergangs- und Folgerungspartikel. Nicht zuletzt wird gegen die Echtheit angeführt, dass der pleonastische Stil bzw. die lockere Gedankenführung sowie die Aneinanderreihung von mehrfachen Genitiven für echte Paulinen untypisch seien.10 Das Stilargument ist jedoch aus folgenden Gründen nicht überzeugend: Die Zahl der Hapaxlegomena im Kol ist im Vergleich zu den unumstrittenen Paulinen nicht auffallend groß. Sie entspricht nämlich in etwa der Zahl derer in den ähnlich langen Briefen an die Galater11 und Philipper.12 Außerdem häufen sich die Hapaxlegomena im Kol gerade dort, wo Paulus entweder ein Traditionsstück heranzieht oder aus frühchristlichen Traditionen schöpft (vgl. 1,12-14; 1,15-20; 2,9-15)13, sowie auch dort, wo sich der Inhalt themen7 Vgl. u.a. Lohse 253-254; Bornkamm, Paulus, 246; Ernst 150-152; Gnilka 11-17; Schweizer 23; Conzelmann 176-177; Lindemann 10-12; Pokorný 2-17; Furnish, Art. Colossians, ABD I, 1090-1096; Müller, Anfänge, 13-19; Wolter 27-31; Hübner 9-10; Standhartinger, Studien, 1-2; Lincoln 580; MacDonald 7-9; Aletti, Art. Kolosserbrief, RGG4 IV, 1502; Leppä, Making, 9-15; Schnelle, Einleitung, 361-367; Wilson 34-35; Pizzutto, Leap, 73; Heininger, Rezeption, 313-314; Pokorný/Heckel, Einleitung, 625; Talbert 11; Sumney 19; Bormann 35; Dettwiler, lettre, 126; Foster 78-81. 8 Vgl. Lähnemann, Kolosserbrief, 179; Barclay 18-35. 9 Dieses Urteil stößt seit der Veröffentlichung der Dissertation von Bujard aus dem Jahr 1972, Untersuchungen, auf breite Zustimmung in der deutschen Forschung. Am Ende seines ausführlichen Vergleichs des Kol mit den unumstritten Paulinen (sowie dem 2Thess, den er übrigens aufgrund seiner Analyse für echt hält; vgl. z.B. S. 20-21) kommt Bujard zum Ergebnis, dass „die Differenz[en] zwischen dem Stil des Kol und dem der Paulusbriefe nach Einheitlichkeit, Art und Größe so gravierend sind, daß eine Verfasserschaft des Paulus für den Kol schon allein von daher ausgeschlossen werden muß“ (S. 220). 10 Vgl. v.a. Lohse 133-140. 11 Vgl. Percy, Probleme, 17-18. 12 Vgl. Kiley, Colossians, 44. 13 Cannon, Material, 11-49, stellt fest, dass mehr als 50 Prozent vom Kol 1–2 den Einfluss von Wörtern, Konzepten und Ausdrucksweisen verrät, die dem allgemeinen frühchristlichen Traditionsgut entstammen. Laut Ellis, Documents, 108, macht übernommenes Traditionsgut in Summe 42 Prozent des Gesamtinhaltes des Kol aus. Das erschwert jegli-
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gemäß von dem der übrigen Paulinen stark unterscheidet, z.B. in der Auseinandersetzung mit der falschen Lehre in Kolossä (vgl. 2,6-23). Das Fehlen zentraler paulinischer Begriffe kann sich nicht mehr als Argument gegen die Echtheit des Kol behaupten. Das konnte es nur so lange, wie sich die Vorherrschaft des Gal und des Röm in der protestantischen Paulusforschung aufrechterhalten ließ, die in der Rechtfertigungslehre die Mitte des paulinischen Evangeliums sah und damit protopaulinischen Weizen von deuteropaulinischer Streu meinte trennen zu können.14 Diese Vorherrschaft musste jedoch in den letzten Jahrzehnten zwei grundlegenden Erkenntnissen der Forschung weichen: Erstens ist es inzwischen allseits anerkannt, dass die paulinischen Schriften keine theologischen Traktate, sondern echte Briefe sind, die situationsbezogene Schwerpunkte setzen. Ihr Inhalt darf deswegen nicht von einer vermeintlichen Mitte der paulinischen Theologie her beurteilt werden. Sonst müssten auch der 1Kor und der 1Thess, denen manche typischen Rechtfertigungsvokabeln ebenfalls fehlen, in den Verdacht kommen, nichtpaulinisch zu sein. Zweitens lässt die sogenannte „Neuere Paulusperspektive“ (NPP) von neuem die Frage aufkommen, ob die Rechtfertigungslehre tatsächlich die Mitte der paulinischen Theologie bildet bzw. ob es überhaupt so etwas wie diese eine Mitte gibt. Wie man die Ergebnisse der NPP im Einzelnen auch beurteilen mag, es ist ihr weitgehend unumstrittener Verdienst, es ermöglicht zu haben, das theologische Anliegen des Apostels breiter zu fassen, sodass die Themen des Kol samt ihrem entsprechenden Vokabular darin durchaus ihren Platz haben. Das Fehlen vieler für Paulus typischer Partikeln verspricht u.U. ein gewichtigeres Argument zu sein.15 Denn man würde nicht erwarten, dass diese themenbedingt variieren, sondern dass deren Gebrauch ein stabiles Stilmerkmal eines Autors über mehrere Schreiben hinweg bleibt – natürlich vorausgesetzt, dass diese derselben Gattung angehören. Da sich der brieflich-diskursive Charakter des Kol nicht wesentlich von dem der unumstrittenen Paulinen unches Urteil über die Verfasserschaft des Kol auf der Basis des Stils bzw. des Vokabulars erheblich. 14 Wright, Justification, 27, lädt zu einem „thought experiment“ ein und überlegt, ob nicht die Geschichte der westlichen Kirche ganz anders verlaufen wäre, wenn sich die Reformatoren mehr mit der kosmischen Christologie im Kol und im Eph als mit der Rechtfertigungslehre in Gal und Röm befasst hätten. In diesem Fall hätte sich, so Wright, die ntl. Wissenschaft wahrscheinlich in heftige Diskussionen über den deuteropaulinischen Charakter des Gal oder des Röm verstrickt, weil sich ihr Stil von den „unumstrittenen“ Gefangenschaftsbriefen stark unterscheidet. 15 Vgl. Sanders, Dependence, 40-41, der auf das Fehlen des für Paulus typischen Gebrauches der μὲν … δέ Konstruktion sowie der weiterführenden Verbindungspartikel δέ hinweist.
3. Die Verfasserschaft des Kolosserbriefs
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terscheidet, könnte man ceteris paribus davon ausgehen, dass solche Partikeln bei echten Paulusschreiben mit ähnlicher Ausrichtung wie der Kol in ähnlichem Umfang vorkommen. Allerdings ist die Beweislage nicht eindeutig, denn es gibt im Kol auch auf dieser sprachlichen Ebene durchaus paulinische Stileigentümlichkeiten.16 Neuere Studien raten ohnehin zum vorsichtigen Umgang mit solchen Stilargumenten.17 Es bleibt die auffällig pleonastische Syntax des Kol, die Kümmel triftig als „schwerfällig, wortreich, überladen bis zur Undurchsichtigkeit mit Nebensätzen, Partizipial- und Infinitiv-Konstruktionen oder Substantiven mit ἐν“ beschreibt.18 Diese bedarf auf jeden Fall einer Erklärung (siehe unten), welche aber keineswegs zwingend einen pseudepigraphischen Verfasser verlangt. Außerdem darf die Tatsache nicht übersehen werden, dass der Kol „mit den anerkannten Paulusbriefen einige gerade für Paulus eigentümliche Phrasen und Wortverbindungen … gemeinsam hat“.19 Schließlich ist nicht zu vergessen, dass der verhältnismäßig kleine Umfang des Corpus Paulinum (fortan mit „CP“ abgekürzt) alle Argumente bzgl. Sprache und Stil erheblich erschwert. Ob die vorhandenen Daten ausreichen, um angemessene Urteile über die Verfasserschaft zu fällen, mag bezweifelt werden.20 Erschwerend kommt hinzu, dass auch der Kol zu klein ist, um durch 16 Kümmel, Einleitung, 300. 17 Kenny, Study, bes. 80-100, nimmt bei seiner Untersuchung nicht nur die (von der Forschungsmehrheit aufgrund von theologischen Vorüberlegungen) als „unumstritten“ angesehenen Paulusbriefe als Vergleichsbasis, sondern das ganze Corpus Paulinum. Somit vermeidet er eine in der ntl. Wissenschaft weit verbreitete aber dennoch methodisch fragwürdige Vorgehensweise, die einem Argumentieren im Kreis kaum entkommen kann (vgl. dazu Campbell, Framing, 286-292). Kenny stellt aufgrund seiner Analyse von 99 syntaktischen Elementen eine Skala der Abweichungsquotienten der einzelnen Briefe im Vergleich zu den anderen 12 Briefen auf und stößt dabei auf interessante Ergebnisse: Der Kol befindet sich durchaus in der statistischen Mitte des Feldes. Von einem stylometrischen Standardprofil der 13 Paulusbriefe weicht vergleichsweise der 1Kor wesentlich weiter ab als der Kol (S. 92-100). Neumann, Authenticity, 215-216, der einen statistischen Vergleich des CP mit den Werken anderer frühchristlicher Autoren durchführt und somit notwendige Kontrollmechanismen in seine Überlegungen einbaut, kommt aufgrund seiner Ergebnisse zu dem Schluss, dass gerade die am häufigsten angeführten Indizien, wie etwa die Zahl der Hapaxlegomena oder der Mangel an „typisch paulinischen“ Partikeln und Konstruktionen, sich als „very ineffective at separating authors“ erweisen. 18 Vgl. Kümmel, Einleitung, 299-300, sowie auch Lohse 136-138. 19 Percy, Probleme, 66. Kümmel, Einleitung, 300, listet folgende Beispiele auf, die nur in den Paulusbriefen vorkommen: διὰ τοῦτο καί (Kol 1,9); χαρίζεσθαι im Sinne von „vergeben“ (Kol 2,13; 3,13); ἐν μέρει im Sinne von „in einer Sache“; πᾶν ἔργον ἀγαθόν (Kol 1,10). 20 O’Donnell, Fingerprints, bes. 245-251, stellt aufgrund seiner ausführlichen Untersuchungen im Bereich der Korpuslinguistik ernsthaft infrage, ob bei Korpora mit einem ver-
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stylometrische Analyse ein zuverlässiges Urteil bzgl. seiner Verfasserschaft zu erzielen.21 Vielleicht aus diesem Grund geben selbst viele Verfechter der deuteropaulinischen Verfasserschaft des Kol zu, dass Sprach- und Stilargumente allein nicht gewichtig genug sind, um sich gegen die paulinische Verfasserschaft zu entscheiden.22 Deswegen kommt dem zweiten Hauptargument weitaus größeres Gewicht zu. Die fortgeschrittene Theologie des Kol Bestreiter der paulinischen Verfasserschaft des Kol behaupten, dass sich die Theologie des Kol wesentlich von der der unumstrittenen paulinischen Briefe unterscheidet. Es sei in einigen zentralen Punkten eine theologische Entwicklung gegenüber dem Röm bzw. den Korintherbriefen zu vermerken, die zu Lebzeiten des Paulus nicht mehr hätte abgeschlossen sein können. Insbesondere sei hinsichtlich folgender Themen ein fortgeschrittenes Entwicklungsstadium erkennbar:23 a. Christologie: Im Kol habe das Heilswerk Christi im Gegensatz zu den unumstrittenen Paulinen kosmisches Ausmaß angenommen. Christus sei Herr des Kosmos und Schöpfungsmittler geworden, durch den der ganze Kosmos bestehe. Der Autor knüpfe zwar an Aussagen der Protopaulinen an, gehe aber weit über diese hinaus. b. Ekklesiologie: Der Leib Christi sei entsprechend der Christologie im Kol kosmisch gedeutet worden. Während diese paulinische Metapher in den unumstrittenen Paulinen lediglich die Ortsgemeinde beschreibe, sei sie im Kol auf die Gesamtkirche angewandt worden. Das Konzept von Christus als Haupt der Kirche sei dem einfacheren ursprünglichen Konzept des gegliederten Leibes offensichtlich auferlegt worden. c. Eschatologie: Der eschatologische Vorbehalt der Protopaulinen sei im Kol fast gänzlich überwunden.24 Die für sie kennzeichnende „Liminalität“ sei im Kol nirgends zu finden.25 Durch die Taufe werden an den Gläubigen der Tod und die Auferstehung Christi vollzogen. Zukünftige Heilsgüter seien bei den Christen bereits in der Gegenwart ohne Einschränkung vorhanden.
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hältnismäßig geringen Umfang wie dem CP stylostatistische Erhebungen verwertbare Ergebnisse im Hinblick auf Fragen der Verfasserschaft bieten können. Laut Eder, Size, 1811, kann selbst ein Text mit einem Umfang von 2500 Wörtern „hardly provide a reliable result, to say nothing of shorter texts“. Der Kol hat einen Umfang von 1574 Wörtern (so Hoehner, Ephesians, 30). Vgl. Schnelle, Einleitung, 363. Vgl. zum Folgenden v.a. Schnelle, Einleitung, 363-365. Vgl. Punt, Eschatology, 288-297. Vgl. Wetz, Aspekte, 206.
3. Die Verfasserschaft des Kolosserbriefs
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Das Argument vom vermeintlich fortgeschrittenen theologischen Stadium des Kol ist jedoch kritisch zu betrachten. Jeglicher Versuch, eine Entwicklung in der Theologie des Kol gegenüber den Protopaulinen zu demonstrieren, ist mit großen methodischen Schwierigkeiten behaftet, und nicht jeder, der einen solchen Versuch unternommen hat, scheint sich des Ausmaßes der Herausforderung bewusst zu sein.26 Vielen Entwicklungsthesen mangelt es z.B. an einer wissenschaftlich erforderlichen Falsifizierbarkeit.27 Ihre Verfechter verlieren aus dem Blick, dass wir über etwaige deuteropaulinische Autoren nichts Sicheres wissen. Dass jene Autoren überhaupt existierten, ist eine Vermutung, die ausschließlich auf Analysen der zu untersuchenden Briefe ruht. Falls es sie wirklich gab, haben sie keine verfolgbaren historischen Spuren hinterlassen. Sie können (und werden) deswegen für jede vermeintliche konzeptuelle Entwicklung verantwortlich gemacht werden, und keine davon kann durch einen Vergleich mit einer objektiv greifbaren deuteropaulinischen Theologie bestätigt oder dementiert werden. Es fällt auch auf, wie leicht man sich bei Fragen der konzeptuellen Unterschiede zwischen den unumstrittenen Paulinen und dem Kol in Zirkelschlüssen verfangen kann: Wird vorausgesetzt, dass der Kol deuteropaulinisch ist, vermutet man aufgrund dieser Voraussetzung eine theologische Entwicklung gegenüber früheren Briefen, die wiederum als Beweis für eine späte Datierung des Kol gelten soll. Anfang und Ende der sich daraus ergebenden theologischen Entwicklungsstränge können ohne Bezugnahme auf Datierungshypothesen nicht gesichert werden und sind unter Annahme konkurrierender Entwürfe ohne Weiteres umkehrbar. Überhaupt macht sich eine gewisse Willkür in der wissenschaftlichen Diskussion des Kol bemerkbar, wenn behauptet wird, dass eine bestimmte gedankliche Entwicklung dem ungeheuer kreativen Geist des Paulus unmöglich gewesen wäre, seinen ihm nachahmenden Schülern hingegen relativ einfach von der Hand ging. Methodisch muss festgehalten werden: Die Klärung der Verfasserschaftsbzw. der Datierungsfrage sollte aufgrund anderer Kriterien erfolgen, bevor man sich anschickt, die theologische Entwicklung im CP zu schildern.28 26 Selbst die These, dass man in der Theologie des Paulus eine Entwicklung von einem fließenden Anfang bis hin zu ihrem Endpunkt verfolgen kann, ist in der Forschung umstritten. Für eine solche Entwicklung plädieren u.a. Wiefel, Hauptrichtung, 65-81, und Schnelle, Wandlungen, 37-48. Doch Lindemann, Paulus, 377-399, und Sänger, Adressaten, 247-275, stehen dieser These kritisch gegenüber. 27 Vgl. dazu Popper, Falsifikationismus, 127-134. 28 Vgl. Baumert/Seewann 43-46, die die theologischen Argumente, die gegen die paulinische Verfasserschaft des Kol angeführt werden, für schwach erklären, weil diese (im Gegensatz zu den starken Gründen erster Ordnung – Addressenangaben und Grußlisten –
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Selbst dann muss man sich ernsthaft fragen, inwiefern die situationsbedingte Natur der Paulusschriften ein solches Unternehmen überhaupt zulässt. Denn es kann sein, dass ihre situationsbezogenen Äußerungen rhetorisch mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlagen, ohne dass gleich von einer „Entwicklung“ oder „Wandlung“ die Rede sein muss. Hier steht die ntl. Wissenschaft auf wesentlich weicherem Boden, als sie bereit ist, zuzugeben.29 Klaus Haackers Urteil verdient Beachtung: Theologische Argumente sollen „in der Diskussion über die Echtheit der überlieferten Paulusbriefe besser ausgeklammert oder wenigstens deutlich heruntergestuft werden“.30 Zweitens sind theologische Unterschiede zwischen dem Kol und den unumstrittenen Paulinen nicht so gravierend wie oft behauptet. Die Christologie des Briefes ist beispielsweise nicht erkennbar „höher“ als diejenige, die uns in 1Kor 8,4; 15,20-28 oder Phil 2,5-11 begegnet, auch wenn sie zugegebenermaßen in sprachlicher Hinsicht ausgeschmückter oder gar überladen wirkt. Der kosmologische Aspekt, der in diesen Texten implizit vorhanden ist, wird im Kol freilich ausgeweitet, aber ein großer christologischer Sprung ist nicht feststellbar. Ähnliches lässt sich bzgl. der Ekklesiologie des Kol sagen. Zwar wird im Kol das paulinische Bild des Leibes Christi durch den Gedanken des Hauptseins Christi ergänzt. Doch ist die Kopfmetaphorik dem Christuslied (1,15-20) entlehnt, das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vom AutKol geschrieben wurde, sondern nur von ihm zitiert und zu theologischen und paränetischen Zwecken eingesetzt wurde (vgl. 1.2.3. Das Christuslied [1,15-20]). Freilich bejaht er das Bild und macht es sich zu eigen. Paulus hätte jedenfalls keinen Grund gehabt, sich gegen diese gedankliche Entwicklung zu wehren, waren doch die Komponenten dafür spätestens seit der Abfassung des 1Kor vorhanden.31 Darauf will Kümmel hinaus, wenn er behauptet, dass der Gedanke von bzw. zweiter Ordnung – stilistische Merkmale) eine bestimmte Theorie über die Entwicklung paulinischer Texte voraussetzen. 29 Vgl. Reicke, Caesarea, 279. 30 Haacker, Rezeptionsgeschichte, 226. 31 In 1Kor 11,17; 12,12-27 wird die Gemeinde metaphorisch als Leib Christi dargestellt, wenngleich dort keine Rede vom Haupt des Leibes ist. In 1Kor 11,3 wird Christus jedoch als „Haupt des Mannes“ beschrieben. Die Metapher vom Haupt im Sinne von „Anführer“ ist also bereits dort auf Christus bezogen worden. Die notwendigen Teile des Bildspenders stehen m.a.W. schon zu ihren Diensten bereit. Auch die konzeptionelle Vorarbeit am Bildempfänger ist schon geleistet worden. Schließlich hat Paulus längst die Beziehung zwischen Christus und der Gemeinde als organische Einheit dargestellt, indem er Christus in 1Kor 15,20 als „Erstlingsgabe von den Toten“ bezeichnete. Vgl. dazu White, Erstlingsgabe, 109-162. Die konzeptuelle Nähe zum in Kol 1,18 vorkommenden Prädikat „Erstgeborener von den Toten“ liegt auf der Hand.
3. Die Verfasserschaft des Kolosserbriefs
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Christus als Haupt des Leibes, der Gemeinde, „im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie nicht auffällig“ ist.32 Schließlich gibt es gute Gründe zu bezweifeln, dass die eschatologische Kluft zwischen den unumstrittenen Paulinen und dem Kol – dort eschatologischer Vorbehalt, hier völlig realisierte himmlische Existenz – in Wirklichkeit so groß ist.33 Todd Still kommt in seiner Untersuchung auf mehrere Indizien für eine aufrechterhaltene eschatologische Spannung im Kol: 1. Paulus spricht zwar betonter von der Hoffnung als aufbewahrtem Schatz im Himmel (vgl. 1,5), dennoch werden die Kolosser ermahnt, daran festzuhalten (vgl. 1,23). 2. Es ist möglich, die Verbindung zum Haupt zu verlieren (vgl. 2,18-19). 3. Geistliches Wachstum steht trotz geistlicher Auferstehung noch aus (vgl. 3,17). 4. Der Dienst des Paulus ist noch ein Dienst des Leidens (vgl. 1,24).34 Weitere Indizien lassen sich dieser Liste hinzufügen: 5. Christen stehen in Gefahr verführt zu werden (vgl. 2,4-5). 6. Weisheit und Erkenntnis sind im Einklang mit frühjüdisch-apokalyptischen Ansichten verborgen (vgl. 3,3-4).35 7. Die Lebensweise der Gläubigen lässt sich erst bei der Wiederkunft Jesu völlig realisieren (vgl 3,1-4). 8. Christen müssen aufgefordert werden, den neuen Menschen anzuziehen, der dazu noch „erneuert“ werden muss (vgl. 3,10). 9. Christliche Sklaven bekommen ihren Lohn vom Herrn als geistliches Erbe erst im Eschaton (vgl. 3,24).36 Außerdem ergibt die stärkere Betonung der realisierten eschatologischen Existenz im Briefkontext einen durchaus klaren Sinn: Sie widerspricht der Lehre der Gegner, indem sie deutlich macht, dass die Jesusnachfolger bereits alles in Christus haben, was sie brauchen, und nichts entbehren, was sie sich aus anderen Quellen herbeischaffen müssten.37 Bei der Annahme der Aufgabe 32 33 34 35
Kümmel, Einleitung, 302. Vgl. Wessels, Eschatology, 183-202; Dübbers, Christologie, 240-241. Vgl. Still, Eschatology, 128-130. Vgl. Sumney 117, der die Implikation seines Arguments für die Frage der Verfasserschaft des Kol übersieht. 36 Vgl. Witulski, Gegenwart, 211-242, der sich dieser Sachlage selbstverständlich bewusst ist und dennoch an der grundsätzlichen Aufhebung des eschatologischen Vorbehalts des Paulus durch den AutKol festhält (S. 255). Um ein eklatantes non sequitur zu vermeiden, postuliert Witulski, dass diese Aufhebung nur die räumliche Dimension des Heils betrifft, während der Vorbehalt in zeitlich-ethischer Hinsicht vom AutKol wieder von Neuem eingeführt wird (S. 226). Allerdings untergräbt Witulski seine eigene These, indem er selbst zugibt: „Aber auch die räumliche Konzeption des Verfassers des Kol kommt letztlich ohne einen eschatologischen Vorbehalt nicht aus“ (S. 227). Es fragt sich, woran dann das fortgeschrittene Entwicklungsstadium in der Eschatologie des Kol bzw. der große Unterschied zu Paulus zu erkennen ist, die eine Identifikation des AutKol mit dem Apostel unmöglich machen. 37 Vgl. insbes. Sappington, Revelation, 227-228.
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des eschatologischen Vorbehalts hingegen drängt sich die Frage auf, warum sich der AutKol überhaupt die Mühe macht, mit den abwegigen Glaubensvorstellungen der Kolosser aufzuräumen, wenn diese das bereits erlangte eschatologische Heil in keiner Weise gefährden können. Die beiden Haupteinwände gegen die paulinische Verfasserschaft erweisen sich also als nicht schwerwiegend genug, um etwaige Zweifel daran zu verstärken. Ihrerseits ist die Annahme einer pseudepigraphischen Verfasserschaft nicht unproblematisch.38 Sie widerspricht der eindeutigen Überzeugung der frühen Kirche. Obwohl der Kol nicht zweifelsfrei in den frühesten nachneutestamentlichen Schriften (Barnabas, Hermas, Ignatius) rezipiert wurde, sollte man dieses argumentum e silentio nicht allzu hoch bewerten, gilt es doch gleichermaßen für einige Protopaulinen.39 Fest steht allerdings, dass es vom Anfang seiner gesicherten Rezeption an – und diese ist keineswegs spät – für die nachapostolischen Väter außer Frage stand, dass der Kol vom Apostel Paulus verfasst wurde. Weder Irenäus (AdvHaer 3,14,1) noch Tertullian (De Praescr. Haer. 7) hegen Zweifel an der paulinischen Verfasserschaft des Kol, und er erscheint zusammen mit den anderen Paulusbriefen in den frühesten kanonischen Listen (Marcion und Muratori).40 Der Unterschied im Stil bzw. in der Theologie zu den anderen Paulinen hat die frühen Kirchenväter offensichtlich nicht weiter gestört. Douglas Moos Urteil zum Kol ist also durchaus zuzustimmen: Es gab unter den frühen Christen keinen Zweifel an der paulinischen Verfasserschaft des Briefes und er wurde ohne jegliche Kontroverse in den sich im Entstehen begriffenen christlichen Kanon aufgenommen.41 Die Tatsache, dass der Kol „aus einer konkreten Abfassungssituation für eine konkrete Gemeindesituation geschrieben wurde“,42 erschwert die Annahme einer Abfassung in nachpaulinischer Zeit. Denn die These, dass der Brief ein deuteropaulinisches Werk ist, scheint nur im Abstrakten wirklich plausibel zu sein. Sobald man aber versucht, den Entstehungsvorgang des Kol als Pseudepigraph innerhalb der vom Brief vorgegebenen historischen und literarischen Parameter nachzuzeichnen, verliert die These an Überzeugungskraft.43 Zu diesen Parametern gehört u.a. die unbestreitbare Tatsache, dass der Kol zum Phlm, dessen Echtheit allseits anerkannt wird, in enger Bezie38 39 40 41 42 43
Vgl. Anderson, Perspective, 187-192. Vgl. Barth/Blanke 118. Vgl. Zahn, Grundriß, 17-18.28. Vgl. Moo 29-30. Ollrog, Paulus, 237. Vgl. Luz 188-189.
3. Die Verfasserschaft des Kolosserbriefs
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hung steht.44 Warum ein anonymer Schreiber gerade diesen kleinen Brief als Vorlage für ein Pseudepigraphon wählen würde, bleibt ein Rätsel. Warum er ausgerechnet Kolossä, die nicht zu den Städten des direkten Wirkens des Paulus zählte und zu der Zeit, als ein Schüler des Paulus den Brief verfasst hätte, vielleicht sogar in Trümmern lag, als Adressat wählen würde, wenn ihm eine ganze Reihe bedeutenderer Städte zur Verfügung stand, ist genauso unbegreiflich.45 Noch unergründlicher ist der bei der Pseudonymitätshypothese als Legitimationsversuch zu deutende Verweis auf einen weiteren pseudonymen oder wenigstens unbekannten Paulusbrief an die Laodizäer (vgl. 4,16).46 Überhaupt ist es unersichtlich, welchem Zweck ein pseudonymer Kol dienen sollte. Es werden keine Missstände in der Gemeinde erwähnt, und die in ihm bekämpfte Irrlehre wird nur in groben Zügen beschrieben (dazu siehe unten). Angesichts dieser Sachlage lässt sich fragen, wie die wirklichen Empfänger des Briefes überhaupt wahrgenommen hätten, dass er an sie gerichtet worden ist. Der Kol gibt auch wenig Information über Paulus weiter und scheint weder die Autorität des Paulus noch die des Epaphras stützen zu wollen. Wenn darüber hinaus der Kol als literarische Vorlage für den ebenso pseudepigraphischen Eph gedient haben sollte, wovon die meisten Vertreter eines deuteropaulinischen Kol ausgehen,47 rückt eine plausible Entstehungsgeschichte in weite Ferne. Wenn wir z.B. annehmen, dass der AutEph fälschlicherweise gedacht hat, der Kol sei ein echter Paulusbrief, dann bedeutet das, dass sich dieser wesentlich früher als der Eph als echter Paulusbrief in einer vermutlich bereits im 1. Jh. im Umlauf befindlichen Paulusbriefsammlung (vgl. 2Petr 3,15-16) etablieren konnte,48 was aber den Weg für die Aufnahme eines späteren, ähnlichen Pseudepigraphs neben dem Kol in diese Sammlung erheblich erschwert hätte. Denn eine solche Sammlung hätte alsbald kanonische Züge angenommen, darunter auch die Tendenz „Eindringlinge“ abzuweisen.49 Wenn hingegen dem AutEph bewusst war, dass der Kol kein echter Paulusbrief war, stellt sich die Frage, ob er gerade einen Pseudepigraph als 44 Dies stellt für Smith, Perspective, 15, den „deciding factor“ für die paulinische Verfasserschaft des Kol dar. 45 Vgl. Wedderburn, Baptism, 70. 46 Vgl. Luz 189. 47 So Ollrog, Paulus, 278. 48 Vgl. dazu Niebuhr, Paulusbriefsammlung, 196-198. Richards, Codex, 151-166, behauptet, dass die Sammlung auf Paulus selbst zurückgeht. Zahn, Geschichte, 835, ist eher zuzustimmen, dass sie zwischen 80 und 85 n.Chr. entstanden ist, allenfalls aber noch im 1. Jh. (vgl. Vollenweider, Art. Paulus, RGG4 VI, 1062). Historisch greifbar wird sie erstmals Mitte des 2. Jh. s in der Kanonliste des Marcion (vgl. Gamble, Art. Canon. New Testament, ABC Ι, 854). 49 Vgl. Aichele, Control, 20-22.
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I. Einleitung
Vorlage für einen weiteren herangezogen hätte. Nur bei relativ zeitnaher Abfassung kann man sich vorstellen, dass die Aufnahme zweier ähnlicher pseudepigraphischer Briefe in eine Sammlung von Paulusbriefen einigermaßen problemlos verlaufen würde.50 Das erklärt vielleicht, warum viele Forscher, insbesondere im deutschen Sprachraum, vermuten, es habe in Ephesus eine „Paulusschule“ gegeben,51 in der sich verschiedene Schüler des Apostels über seine Theologie austauschten und pseudonyme Schreiben wie den Kol und den Eph verfassten52 oder sogar den Kol gemeinsam verfassten.53 Diese These bringt aber ihrerseits viele Probleme mit sich.54 Zudem fehlt von einer solchen Pseudepigraphenwerkstatt jede historische Spur. Der eigentümliche Stil des Kol lässt sich auch ohne Rekurs auf Pseudonymitätshypothesen befriedigend erklären. Drei Möglichkeiten sind besonders in Erwägung zu ziehen. a. Die Unterschiede im Stil seien gar nicht so gravierend, wie viele Forscher behaupten. Werden der Briefkontext und die rhetorische Situation des Kol adäquat berücksichtigt, seien die stilistischen Unterschiede im Vergleich zu den unumstrittenen Paulinen nicht so gewichtig, dass sie zwingend einem anderen Autor zugeschrieben werden müssen.55 Dieses Argument hat auf jeden Fall eine gewisse Geltung, denn bei vielen Untersuchungen besteht die Stilanalyse viel zu oft darin, dass die Stileigentümlichkeiten des Kol akribisch aufgelistet und statistisch mit denen der unumstrittenen Paulinen verglichen werden. Dabei werden der Zweck des Briefes oder die sprachliche Funktion seiner Einzelaussagen völlig außer Acht gelassen.56 Ein solches Verfahren ist in sprachwissenschaftlicher Hinsicht „abwegig“ und seine Resultate „wertlos“.57 Dennoch sind die Argumente von Walter Bujard, die die diesbezügliche Diskussion in der deutschsprachigen Forschung nachhaltig beeinflusst haben (vgl. Punkt I, 3., Anm. 26), nicht gleich von der Hand zu weisen. Denn selbst bei angemessener Berücksichtigung der rhetorischen und thematischen Faktoren, die auf den Schreibstil eines Au50 Trobisch, Entstehung, 133-136, umgeht diese Problemlage, indem er argumentiert, dass neben einer Ursammlung der paulinischen Hauptbriefe eine Teilsammlung der Briefe Eph bis Phlm entstand, die Anfang des 2. Jh. s der Ursammlung entweder von Polykarp in Smyrna oder Onesimus in Ephesus hinzugefügt wurde. Das bleibt aber spekulativ. 51 Laut Vollenweider, Art. Paulus, RGG4 VI, 1063, sei dies die Voraussetzung für die Entstehung von Sammlungen der Paulusbriefe. 52 Vgl. z.B. Roloff, Kirche, 222; Best, Relationship, 96. 53 Vgl. Standhartinger, Colossians, 592. 54 Vgl. Frenschkowski, Pseudepigraphie, 260-262; Müller, Problem, 174.196-197. 55 Vgl. Moo 31. 56 Vgl. Bujard, Untersuchungen, 13-18. 57 Ebd. 232-233.
3. Die Verfasserschaft des Kolosserbriefs
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tors im Einzelfall einwirken könnten, bedürfen manche Stilunterschiede zwischen dem Kol und den unumstrittenen Paulusbriefen dennoch einer befriedigenden Erklärung.58 b. Paulus habe sich in seinen Briefen an kleinasiatische Gemeinden bewusst einer „asianischen“ Rhetorik bedient. Demzufolge habe Paulus seinen Stil seinem jeweiligen Publikum angepasst, wie man es von einem geschulten Rhetor erwarten würde. Asianische Rhetorik sei von einer Vorliebe für eine blumige Sprache geprägt, die jede Menge Ausschmückungen, Pleonasmen, angehäufte Nebensätze und Asyndeta enthält. Der eigentümliche Stil des Kol lasse sich allein durch die besondere rhetorische Strategie des Paulus zufriedenstellend erklären. Diese These, die einige Beobachtungen aus der Arbeit von Ernst Percy rezipiert59 und auf Bo Reicke zurückgeht,60 wurde neuerlich von Ben Witherington wieder zur Diskussion gestellt.61 Einige Fragen bleiben dabei offen. Selbst in der Antike war man im Unklaren darüber, was unter „asianische“ Rhetorik verstanden werden sollte.62 Die These setzt zudem eine relativ hohe rhetorische Bildung bei Paulus voraus; dass Paulus diese vorweisen konnte, ist in der Forschung umstritten.63 Außerdem bietet sie keine Erklärung dafür, warum die gleichen vermeintlich asianischen Merkmale nicht genauso häufig in dem an kleinasiatische Gemeinden gerichteten Gal vorkommen. Denn man müsste nach dieser Theorie erwarten, dass Paulus auch bei der Abfassung jenes Briefes asianische Rhetorik eingesetzt hätte. c. Timotheus, der als Mitverfasser genannt wird (vgl. 1,1),64 sei als Hauptautor des Kol anzusehen.65 Eventuell haben die Haftbedingungen des Apostels eine stärkere Beteiligung am eigentlichen Schreiben des Kol ver58 59 60 61 62 63 64
65
Ebd. 224-229. Vgl. Percy, Probleme, 18-35; ebd., Zu den Problemen, 179-180. Vgl. Reicke, Setting, 429-438. Vgl. Witherington 4-6. Witherington wird u.a. von Anderson, Perspective, 195, beigepflichtet. Vgl. Wilamowitz-Moellendorff, Asianismus, 1. Dafür, dass Paulus eine rhetorische Ausbildung genoss, sprechen sich Forbes, Comparison, 23-24; Becker, Paulus, 58, aus. Dagegen äußert sich Tiwald, Hebräer, 77-78. Die Erwähnung eines Mitverfassers kommt äußerst selten in antiken Briefen vor und verdient, wo dies doch geschieht, größere Aufmerksamkeit, als die nt. Wissenschaft ihr normalerweise schenkt. Vgl. Murphy-O’Connor, Paul, 19; Richards, Letter Writing, 3435. Vgl. Schweizer 26-27; Dunn 35-39; Luz 184-190; Ollrog, Paulus, 236-242; Niebuhr, Paulusbriefsammlung, 266; Wedderburn, Baptism, 71; Bevere, Sharing, 54-59; Wilckens, Theologie, 254; Geréb, Paulus, 35. Berger 736 denkt an einen anderen Mitarbeiter, wahrscheinlich Tychikus oder vielleicht Epaphras (so auch Fuchs, Ort, 78; Gorman, Apostle, 551), der im Auftrag des Paulus den Kol geschrieben hat.
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I. Einleitung
hindert, sodass Timotheus dabei eine Rolle zugekommen sei, die wesentlich über die eines gewöhnlichen Sekretärs hinausging. Der Grad der Beteiligung des Paulus wird unterschiedlich betrachtet. Manche sehen in Timotheus den eigentlichen Verfasser; Paulus habe lediglich den Brief unterschrieben.66 Andere glauben, Paulus habe Timotheus den Briefinhalt in groben Zügen geschildert oder auch die Ausführungen des Timotheus kontrolliert.67 Beide Vorgehensweisen sind jedenfalls mit antiken Vorstellungen von genuiner Verfasserschaft kompatibel.68 Die dritte Lösung bietet wohl die beste Erklärung für den eigentümlichen Stil des Kol. Dennoch sollte man sich nicht allzu schnell für eine de facto alleinige Verfasserschaft durch Timotheus oder einen anderen Mitarbeiter entscheiden. Dadurch würde man dem Kol eine beispiellose Sonderstellung unter den Paulusbriefen einräumen, die ihrerseits einer plausiblen Erklärung bedürfte. Eine solche These entbehrt auch jeder Notwendigkeit, denn man kann sich ohne Weiteres eine Entstehungssituation vorstellen, in der Paulus, obwohl er die Hauptverantwortung für die Themenwahl des Kol getragen und dessen Inhalt entscheidend geprägt hat, wegen seiner Haftbedingungen nicht in der Lage war, die sprachliche Gestalt des Briefes im gleichen Maße mitzubestimmen, wie es seiner Gewohnheit entsprach. Dabei wird Timotheus bei der Verfassung des Kol eine wesentlich größere Rolle als Mitverfasser zugefallen sein, als dies z.B. beim 2Kor der Fall war. Demzufolge ist es sein Schreibstil, der hier stärker zur Geltung kommt. So kann der Autorenangabe, so wie sie angegeben ist, voll und ganz Rechnung getragen werden.
4. Ort und Zeit der Abfassung des Kolosserbriefs Unter der Annahme, dass der Kol kein Pseudepigraph, sondern ein echter Paulusbrief ist, gilt eines als so gut wie sicher: Die Briefe an die Kolosser und an Philemon sind am gleichen Ort bzw. während der gleichen Gefangenschaft des Paulus geschrieben (vgl. Kol 4,3.10.18; Phlm 10,23). Die Übereinstimmung der Grußlisten und anderer Details lässt kein anderes Urteil zu (siehe dazu unten). Es ist sogar möglich, dass beide Briefe gleichzeitig durch Tychikus und Onesimus nach Kolossä überbracht wurden.1 Wahrscheinlicher 66 Vgl. Trebilco, Christians, 180, Fn. 2. 67 Vgl. Dunn 38. 68 Vgl. Baum, Pseudepigraphie, 193. Über die Rolle von Schülern und Sekretären bei der Verfassung antiker Briefe vgl. Mitchell, Autographs, 292-304. 1 Vgl. Carson/Moo, Introduction, 592; Witherington 24.
4. Ort und Zeit der Abfassung des Kolosserbriefs
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ist jedoch, dass sie in einem relativ kurzen Abstand zueinander abgeschickt wurden – zuerst der Phlm mit Onesimus, als Paulus den neu bekehrten entflohenen Sklaven zu seinem Herrn zurückschickte (vgl. Phlm 12, 16), einige Wochen oder Monate später dann der Kol mit Tychikus und Onesimus, der inzwischen zu den Mitarbeitern des Apostels zählte (vgl. 4,7-9).2 Das enge Geflecht zwischen dem Phlm und dem Kol bedeutet, dass zur Klärung ihrer Abfassungsverhältnisse Daten aus beiden Briefen herangezogen und verglichen werden können. Das Bild, das dadurch entsteht, ist dennoch komplex. Drei verschiedene Abfassungsorte bzw. Abfassungszeiträume kommen für Forscher, die die paulinische Verfasserschaft des Kol akzeptieren, infrage: 1) Die Mehrheit geht davon aus, dass Paulus den Kol in den frühen 60er-Jahren des 1. Jh.s während der (ersten) Gefangenschaft in Rom verfasst hat.3 2) Seit den 20er-Jahren des 20. Jh.s geht eine zunehmende Zahl von Forschern von einer Gefangenschaft in Ephesus aus.4 Viele davon vermuten, dass der Phlm und – insofern sie Paulus oder Timotheus für den Autor halten – auch der Kol während dieser Gefangenschaft, die wohl gegen Ende des dreijährigen Aufenthalts des Paulus in Ephesus 53-55 n.Chr. stattfand, verfasst wurden.5 Obwohl weder die Apg noch die paulinischen Briefe eine Gefan2 Thornton, Zeuge, 207-210, macht u.a. geltend, dass die Terminologie, mit der Paulus Onesimus in 4,9 beschreibt, einen zeitlichen Abstand zum Phlm impliziert (wobei Thornton die Zeitspanne willkürlich mit „kaum unter 1-2 Jahren“ veranschlagt). Denn während sich der Titel „geliebter Bruder“ (Phlm 16) durchaus für einen Neubekehrten eignet, erweckt die Bezeichnung „der treue und geliebte Bruder“ den Eindruck, dass Paulus Onesimus für einen Mitarbeiter hält (vgl. dazu Ollrog, Paulus, 101-106; Ellis, Paul, 13-14), und der Hinweis, dass er „einer von euch“ ist, setzt wohl voraus, dass er inzwischen als Mitglied in der Gemeinde in Kolossä aufgenommen wurde (vgl. zu 4,9 sowie Luz 189). Es ist also wahrscheinlich, dass der von Paulus im Phlm geäußerte Wunsch, Onesimus könnte ihm während seiner Gefangenschaft dienen, von Philemon erfüllt wurde (vgl. White, Philemon, 39). Dieser scheint den entflohenen Sklaven bei seiner Ankunft in Kolossä in der Tat als Bruder empfangen und nach Aufnahme in der Gemeinde wieder zu Paulus zurückgeschickt zu haben (vgl. McKnight, Philemon, 40). 3 Vgl. Lightfoot 32; Moule 24; Bruce 32; Dunn 40-41; Witherington 19; Moo 46; Pao 2325; Gupta 11-12; Seitz 30. 4 Zu den frühesten Vertretern dieser These gehören Deissmann (vgl. Paulus, 13, Anm. 2), Michaelis (vgl. Gefangenschaft, passim), Duncan (vgl. Ministry, 62-87) und Suhl (vgl. Briefe, 146-151). 5 Vgl. neben den in Anm. 4 erwähnten Forschern auch Ollrog, Paulus, 241; Wright 21-39; Martin 96-98; Thiessen, Christen, 111-138; Luz 185; Murphy-O’Connor, Paul, 237; Barnet, Paul, 217; Bird 15; Riesner, Chronology, 20; Omerzu, Spurensuche, bes. 326; Sanders, Paul, 130-131; Keesmaat 558. Dunn 41 gibt Rom nur zögernd den Vorzug vor Ephesus. Daraus folgt, dass der in enger literarischer Beziehung zum Kol stehende Eph auch in Ephesus verfasst wurde (natürlich nur bei Annahme der paulinischen Verfasserschaft; vgl. dazu Barth, Ephesians, 2-61; Arnold, Ephesians, 46-52). Der Philipperbrief hingegen weist zu den anderen drei Gefangenschaftsbriefen keine unmittelbare literarische Bezie-
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I. Einleitung
genschaft in Ephesus ausdrücklich erwähnen, gibt es einige Indizien dafür, dass tatsächlich damit zu rechnen ist.6 (1) In 2Kor 11,23 erwähnt Paulus, dass er häufig im Gefängnis war. (Clemens von Rom spricht von sieben Gefangenschaften des Paulus; vgl. ad Cor 5,6.) In Röm 16,7 nennt Paulus Andronikus und Junia seine (ehemaligen) „Mitgefangenen“. Da Paulus sowohl den Röm als auch den 2Kor während seiner dritten Missionsreise schrieb, können mit diesen Hinweisen die späteren uns aus der Apg bekannten Gefangenschaften in Cäsarea und Rom nicht gemeint sein. (2) Paulus berichtet in 2Kor 1,8 von einer Bedrängnis, die ihm und Timotheus in Asien widerfahren ist, welche sie „über allem Maß bedrückte“ und „sie ihrer ganzen Kraft beraubte, sodass sie am Leben verzweifelten“. Diese starke Ausdrucksweise könnte freilich auf verschiedene Nöte und Gefahren hinweisen, aber ein Aufenthalt im Gefängnis wäre durchaus davon erfasst. Wenn 2Kor 1,8 so zu verstehen ist, hätte Timotheus die Haft mit Paulus mindestens zeitweise geteilt, was für seine Mitbeteiligung an der Abfassung des Kol, wie oben geschildert, sprechen würde. (3) In 1Kor 15,32 beteuert Paulus, dass er in Ephesus „mit wilden Tieren“ gekämpft hat. Wenn die Aussage wörtlich zu nehmen ist,7 hätten wir einen Beweis für eine Gefangenschaft in Ephesus, aber auch wenn sie im übertragenen Sinne zu verstehen ist, was wahrscheinlicher ist,8 würde sie vorzüglich als Metapher dafür dienen.9 (4) Auch Lukas weiß davon, dass Paulus in Ephesus nicht näher beschriebene „Bedrängnisse“ (πειρασμοί) widerfuhren (vgl. Apg 20,19). 3) Eine Abfassung während der Gefangenschaft in Cäsarea (57–59) wäre ebenso denkbar – diese These wird von einer Forschungsminderheit ver-
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hung auf und muss deswegen nicht zwingend während der gleichen Gefangenschaft geschrieben worden sein. Vgl. Reicke, Caesarea, 277. Dennoch halten es nicht wenige Forscher für wahrscheinlich, dass auch der Phil während der ephesischen Gefangenschaft geschrieben wurde. Michaelis’ Versuch (Gefangenschaft, 108-134), diese These zu festigen, wirft die herkömmliche Paulus-Chronologie im großen Stil um und überzeugt deswegen nicht. Das gilt ebenso für Campbell, Framing, 305, der von einer Verfassung im Osten der Provinz Asien in 50 n.Chr. ausgeht. Überlegenswerter sind die Ausführungen von Bird 1315, der auf die vielen Ähnlichkeiten zwischen dem Kol und dem Phil hinweist, und eine gemeinsame Provenienz in Ephesus als „marginally less problematic“ einschätzt. Vgl. auch Häußer, Philipper, 24-28; Sanders, Paul, 580-584. Kontra Witherington, Imprisonment, 525-532, der allerdings die biblische Beweislage ungenügend berücksichtigt. Vgl. aber White, Imprisonment, 551-553. So viele Stimmen der alten Kirche. Vgl. Schrage, Korinther 4.243. Vgl. Malherbe, Beasts, 71-80. Vgl. Crossan/Reed, Paul, 277.
4. Ort und Zeit der Abfassung des Kolosserbriefs
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treten.10 Befürworter weisen auf interessante Details der beiden Briefe hin, die, wie sie meinen, besser zu Cäsarea als Rom passen: die Ankündigung eines Besuchs nach Kolossä (Phlm 22), die günstigeren Reisebedingungen für einen Sklaven auf der Flucht (kürzere Distanz, keine Notwendigkeit einer Schiffsreise11), und die Tatsache, dass Tychikus und Aristarchus mit Paulus nach Jerusalem reisten (vgl. 4,7.10 mit Apg 20,4). Eine Entscheidung zugunsten einer der möglichen Abfassungsorte fällt nicht leicht. Keiner davon entbehrt einer grundsätzlichen Plausibilität. Für Rom sprechen viele Indizien. Erstens geben die Subskriptionen einiger MSS Rom als Abfassungsort an.12 Eusebius geht davon aus, dass Aristarchus mit Paulus in römischer Haft saß (HistEccl 2.22.1). Der Tatsache, dass Lukas sich bei Paulus aufhielt, während Paulus den Kol schrieb (vgl. 4,14; Phlm 24), verleihen Verfechter einer römischen Provenienz des Kol großes Gewicht, denn die vierte der sogenannten „Wir-Stellen“ (Apg 27,1–28,16) umfasst die Zeit in Rom, während der Aufenthalt des Paulus in Ephesus von keiner „WirStelle“ erfasst wird. (Die zweite setzt unmittelbar nach dem Aufenthalt in Ephesus ein; vgl. Apg 20,5-15.) Schließlich wird oft behauptet, dass die Entwicklung in der Theologie des Kol gegenüber dem 1Kor und dem Röm es erforderlich macht, die Abfassung des Kol später als jene Briefe anzusetzen.13 Für Ephesus spricht einiges. Dass der Sklave Onesimus es leichter gehabt hätte, Paulus dort als in Rom aufzusuchen, liegt aus geographischer Sicht auf der Hand. Zudem erweckt 4,7-9 den Eindruck, dass die Kolosser vor dem Empfang des Kol bereits von der Verhaftung des Paulus wissen und sich über ihn Sorgen machen, was bei einem Gefängnisaufenthalt in Ephesus viel leichter vorstellbar ist. Von Ephesus aus ergibt auch die Ankündigung eines baldigen Besuchs in Kolossä (vgl. Phlm 22) am meisten Sinn. Umgekehrt wäre es nach einer Entlassung aus der Haft sowohl in Cäsarea als auch in Rom notwendig gewesen, aufwendige Vorkehrungen zu treffen und eine lange Reise auf sich zu nehmen, bevor es sich überhaupt anbieten würde, einen Brief mit Besuchsnotiz vorauszuschicken. Es fragt sich zudem, warum Paulus, wenn er mit seiner baldigen Entlassung aus der Haft in Cäsarea oder Rom rechnete, es überhaupt beabsichtigen würde, Onesimus vorauszuschicken statt mit ihm 10 Vgl. Dibelius 52; Kümmel, Einleitung, 305-306; Lohmeyer 14-15; Reicke, Caesarea, 278-80; Gunther, Paul, 98-104; Robinson, Redating, 61-85; Ellis, Documents, 266-275. 11 Die Wahrscheinlichkeit, als entflohener Sklave ertappt zu werden, war wesentlich höher auf Schiffsreisen bzw. in Rom. Vgl. Thiessen, Christen, 130. 12 Vgl. Foster 450. 13 Vgl. aber dazu die auf S. 20-21 angemeldeten Bedenken zur These einer theologischen Entwicklung bei Paulus.
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I. Einleitung
mitzureisen. Bei der relativ kurzen Distanz zwischen Ephesus und Kolossä ist dies eher verständlich. Aus diesen Gründen geben sogar manche Bestreiter einer ephesischen Provenienz zu, dass die Entscheidung zugunsten von Ephesus fallen müsste, wenn man nur von den Indizien des Phlm ausgehen würde.14 Überhaupt ist der rege Verkehr zwischen Paulus und Kolossä, den der Phlm und der Kol gemeinsam belegen, leichter vorstellbar unter der Annahme, Paulus sei in Ephesus in Haft gewesen. Schließlich sei noch der antimarkionitische Prolog zum Kol aus der zweiten Hälfte des 2. Jh.s n.Chr. zu erwähnen. Dieser liefert ein frühes Indiz für eine Abfassung während einer Gefangenschaft in Ephesus. Die Argumente für Cäsarea sind stärker als meistens angenommen, dennoch bleiben nicht unerhebliche Schwierigkeiten bestehen: 1.Weder die Gefangenschaftsbriefe noch die Apg lassen einen regen Schriftverkehr mit bzw. ein intensives Kommen und Gehen von Mitarbeitern aus dem kleinasiatischen Raum in dieser Zeit vermuten. 2. Noch schwieriger ist die Annahme, dass Aristarchus zusammen mit Paulus in Cäsarea gefangen gehalten wurde. 3. Dass Paulus Grund hätte, eine Entlassung aus der Haft in Cäsarea zu erwarten, welche ihm einen baldigen Besuch nach Kolossä ermöglichen würde, ist angesichts seines Appells an den Kaiser unwahrscheinlich. Bei der Abwägung dieser vielseitigen Argumente gegeneinander sind folgende Überlegungen zu bedenken: Die Entscheidung für einen der möglichen Abfassungsorte des Kol muss unabhängig von jeglicher These einer vermeintlichen Entwicklung in der Theologie des Kol gegenüber den unumstrittenen Paulinen getroffen werden (vgl. S. 20-21). Wenn man diese methodische Vorgabe missachtet, kann man es, wenn überhaupt, nur mit äußerster Mühe vermeiden, sich in einem ausweglosen Zirkelschluss zu verfangen. Denn Erwägungen über das theologische Entwicklungsstadium des Kol beeinflussen – in der Regel sogar stark – stets die Frage der Datierung (und somit des Abfassungsortes) des Kol, und die auf diese Weise aufgestellte chronologische Einordnung des Kol in das CP wird wiederum häufig vorausgesetzt, um die theologische Weiterentwicklung des Kol gegenüber den unumstrittenen Paulusbriefen darzustellen. Eine solche Argumentationsweise ist methodisch unzulässig.15 14 Vgl. Moo 46. Vertreter eines pseudonymen Kol zögern in der Regel nicht, Ephesus als Abfassungsort des Phlm anzugeben. Vgl. Lohse 264. 15 Davor warnte bereits Michaelis, Gefangenschaft, 7-8: „Die sprachlichen und theologischen Beobachtungen, die an den Gefangenschaftsbriefen gemacht werden, können höchstens sekundäre Geltung für sich beanspruchen, sobald ein Maßstab für die zeitliche Einordnung der Gefangenschaftsbriefe verlangt wird. Die Entscheidung liegt da letzten
4. Ort und Zeit der Abfassung des Kolosserbriefs
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Keine der drei Städte kann der anderen a priori als bevorzugtes Ziel eines entflohenen Sklaven – falls Onesimus tatsächlich einer war (vgl. zu 4,9) – vorgezogen werden. Um jedoch nach Rom zu kommen, war eine Schiffreise nötig, was ein erhöhtes Risiko, am Hafen ertappt zu werden, mit sich brachte. Wenn aber Onesimus Paulus bewusst in seiner Funktion als amicus domini aufsuchen wollte, hätte er vielleicht auch dieses Risiko in Kauf genommen. Die von Paulus geäußerte Hoffnung, bald aus der Haft entlassen zu werden, sowie die Ankündigung eines bald darauf folgenden Besuchs nach Kolossä (Phlm 21) sprechen am ehesten für Ephesus und am wenigsten für Cäsarea. Überhaupt lässt sich aufgrund des regen Verkehrs zwischen dem Apostel und den Gemeinden im Lykostal, der im Kol attestiert wird, der Eindruck kaum erwehren, dass sich Paulus bei der Abfassung des Briefes in einer „Missionszentrale“ befindet.16 Von den drei in Erwägung zu ziehenden Städten passt diese Beschreibung nur auf Ephesus.17 Die bemerkenswerte Übereinstimmung in den Namen derer, die sich bei Paulus aufhalten und Grüße ausrichten (vgl. 4,10-14 mit Phlm 23), kann nur bei der Annahme eines kurzen zeitlichen Abstandes zwischen der Abfassung des Phlm und des Kol befriedigend erklärt werden. Denn wie oben schon erwähnt, scheint der Phlm zuerst mit Onesimus und der Kol erst später mit Tychikus und Onesimus verschickt worden zu sein. Das geht aus dem markanten Unterschied in den Prädikaten, mit denen Onesimus in den jeweiligen Briefen beschrieben wird, hervor (vgl. S. 28-29). Diese legen nahe, dass zwischen der Abfassung jener Briefe Onesimus als Mitglied in der Gemeinde in Kolossä aufgenommen, zu Paulus zurückgeschickt und als Mitarbeiter in den Dienst des Apostels eingestellt worden ist (vgl. S. 29, Anm. 2). Ein solcher Ablauf wäre bei der Abfassung beider Briefe in Ephesus innerhalb von einigen Wochen durchaus möglich, während er bei ihrer Abfassung sowohl in Rom als auch in Cäsarea mehrere Monate gedauert hätte.18 Endes immer bei den Ergebnissen, die sich durch Untersuchung der lokalen, personalen und historischen Angaben erarbeiten lassen. Mit anderen Worten: ein Urteil über die Entwicklung der paulinischen ‚Theologie‘ – besser: der Gedankenwelt des Paulus – ist abhängig von der Chronologie der Quellen, der Paulusbriefe; die Chronologie der Paulusbriefe aber ist grundsätzlich und entschieden abhängig von dem Urteil über das itinerarum Paulinum.“ Ähnlich argumentiert Duncan, Ministry, 122. 16 Vgl. Lähnemann, Kolosserbrief, 178-179. 17 Vgl. Schnabel, Mission, 1362-1365. 18 Dunn 40 stimmt deswegen der römischen Provenienz des Kol (äußerst zögernd) nur unter der Annahme zu, dass dieser ein paar Tage später als der Phlm geschrieben wurde und dass beide Briefe doch gleichzeitig mit Tychikus und Onesimus verschickt wurden. Das ist aber gerade wegen der Veränderung in der Beschreibung von Onesimus unwahrscheinlich, selbst unter der Voraussetzung, dass der Kol von Timotheus verfasst wurde.
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I. Einleitung
Die Mitgefangenschaft des Aristarchus mit Paulus lässt sich schwer mit einer Haft in Cäsarea vereinbaren, ist aber in Rom wie in Ephesus gleichermaßen vorstellbar (Apg 19,29; 27,2). Dass Lukas niemals während des Aufenthalts des Paulus in Ephesus auch dort war, darf nicht aufgrund eines diesbezüglich fehlenden Hinweises in den „Wir-Stellen“ der Apg angenommen werden.19 Mindestens fünf Jahre liegen zwischen dem ersten und dem zweiten Wir-Bericht (Apg 16,10-17; 20,5-15). Wo sich Lukas während der Mission des Paulus in der Provinz Asien aufhielt, ist nicht bekannt, aber gewisse Details in seiner Schilderung der Ereignisse in Ephesus geben den Eindruck, dass er die Stadt kannte (vgl. Apg 19,9.27.29). Dass er Paulus während dieser Zeit besucht hätte, insbesondere wenn ihm zu Ohren gekommen ist, dass Paulus im Gefängnis saß, ist nicht unwahrscheinlich. Warum er dies in seinem Bericht über den Aufenthalt des Paulus in Ephesus nicht erwähnt, wissen wir nicht. Lukas berichtet ohnehin nicht alles Wesentliche, was Paulus widerfahren ist (vgl. den sog. „antiochenischen Zwischenfall“ in Gal 2,11-14).20 Auffallend ist jedoch, wie oben bereits deutlich wurde (vgl. S. 30), dass sowohl Paulus als auch Lukas zögern, Genaueres über die offensichtlich schlimmen Ereignisse während dieser Zeit zu berichten. Der fehlende sichere Beleg für einen Aufenthalt des Lukas in Ephesus gleicht sich bei der Abwägung der Frage nach dem Abfassungsort des Kol durch den Mangel an einem sicheren Beweis für die Anwesenheit des Timotheus in Rom aus.21 Wir gehen im Folgenden von der Abfassung des Kol bzw. des Phlm während des zwei- bis dreijährigen Aufenthaltes des Paulus in Ephesus 53–55 n.Chr., am ehesten gegen Ende dieser Zeit, aus.
19 Dieses argumentum e silentio ist zwar wegen des besonderen Charakters der „Wir-Stellen“ stärker als solche Argumente üblicherweise sind. Dennoch haben diese Stellen nicht primär autoptische Funktion, als wollte Lukas bloß bestätigen, dass er an bestimmten Ereignissen, die er in der Apg beschreibt, beteiligt war bzw. an anderen nicht. Vielmehr dienen sie, wie Thornton, Zeuge, 360-367, aus seiner ausführlichen Untersuchung der „Wir-Stellen“ resümiert, in erster Linie der Feststellung, dass Lukas an entscheidenden Stellen Zeuge dafür war, dass und wie sich Gottes Plan verwirklicht hat. Wenn Thornton Recht hat, dann wäre nicht zu erwarten, dass Lukas stets hervorheben würde, wann und wo er überall dabei war, sondern nur dann, wenn die von ihm geschilderten Ereignisse seiner Meinung nach ein Fortschreiten des heilsgeschichtlichen Programms Gottes darstellten. Der lange Aufenthalt des Paulus in Ephesus gehörte vermutlich nicht dazu. 20 Vgl. Omerzu, Spurensuche, 314. 21 Vgl. Bird 13.
5. Die „Kolossische Irrlehre“
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5. Die „Kolossische Irrlehre“ Einige Stellen im Kol, insbesondere 2,8.16-23, bezeugen, dass die Gemeinde in Kolossä mit einer „Irrlehre“1 konfrontiert war, zu der Stellung zu nehmen der Hauptanlass des Briefes war. Sie stellt den Angelpunkt des Briefes dar, um den sich alle Lehrinhalte drehen.2 Das Ausmaß des Einflusses dieser Lehre in der Gemeinde ist unklar. In seiner Auseinandersetzung mit ihr bleibt Paulus im Vergleich zu seiner spürbaren Entrüstung in Gal oder Phil gelassen. Hier ist seine Rhetorik wesentlich weniger kämpferisch, sodass man den Eindruck bekommt, er warnt vor einer sich anbahnenden, aber noch nicht akut gewordenen Gefahr des Abfalls vom wahren Glauben an Christus. Die Christen in Kolossä liebäugeln zwar mit einer aus der Sicht des Paulus heterodoxen Lehre – und das ist offensichtlich Grund genug zur deutlichen Mahnrede –, sind aber nach dem Ton des Kol zu beurteilen noch nicht ganz in ihren Bann gezogen worden. Das hat vielleicht damit zu tun, dass die Lehre nicht in der Gemeinde entstanden, sondern von außen an sie herangetragen zu sein scheint.3 Wenigstens polemisiert Paulus nirgendwo gegen die Irrlehrer selbst. Diese üben Einfluss auf die Gemeinde aus, gehören ihr aber aller Ansicht nach selbst nicht an. Was die „kolossische Irrlehre“ (fortan mit „KI“ abgekürzt) ausmacht bzw. wie sie religionsgeschichtlich einzuordnen ist, wird seit Lightfoot (1875) 1 In neueren Beiträgen zum Thema wird der Gebrauch von herkömmlichen Bezeichnungen wie „Irrlehre“ oder „Häresie“ kritisch hinterfragt bzw. vermieden. An ihrer Stelle schlägt man neutrale Termini wie z.B. „Philosophie“ vor. Dadurch wird versucht, einer begrüßenswerten Forderung der modernen Geisteswissenschaften nachzukommen: Die bei einer Untersuchung zu beschreibenden Phänomene sollen nicht im Voraus durch die Annahme einer Außenperspektive („etic“) negativ beurteilt, sondern sollen durch das Bemühen um für die Innenperspektive („emic“) akzeptable Begriffe objektiv dargestellt werden. Doch die Lage ist in Bezug auf den Kol kompliziert und wirft viele Fragen auf: Wessen Innenperspektive soll hier bevorzugt werden: die des Paulus oder derer, die er kritisiert? Ist „Philosophie“ tatsächlich ein emic Begriff – sogar ein Schlagwort – der Gegner, wie viele meinen (vgl. zu 2,8)? Wenn nicht, ist er im Mund des Paulus so neutral, wie er in unseren Ohren klingt? Diese Fragen bleiben offen. Während das Wort „Häresie“ wegen seines anachronistischen Anklangs zu vermeiden ist, leistet der Begriff „Irrlehre“ einen akzeptablen Dienst, erstens, weil es der Ansicht des Apostels, wie sie im Kol zum Ausdruck kommt (vgl. Kol 2,4), durchaus entspricht, und zweitens, weil der Kol zu wenig Information liefert, um eine Innenperspektive der Position der Gegner einzunehmen. Zur Diskussion vgl. Standhartinger, Studien, 16, Anm. 63; Dunn 17. 2 Das Bild stammt von Gnilka 163. Ich drücke mich aber bewusst vorsichtiger aus als er: „Um [diesen Angelpunkt] dreht sich in größerer oder geringerer Entfernung fast alles, was im Brief gesagt wird“ (meine Hervorhebung). Inwiefern der paränetische Teil des Kol auch die Auseinandersetzung mit der kolossischen Irrlehre widerspiegelt, muss offenbleiben. 3 So auch Foerster, Irrlehrer, 72.
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I. Einleitung
kontrovers diskutiert. Es hat schon zahlreiche, teilweise weit auseinanderliegende Vorschläge gegeben,4 was bei manchen Autoren die Frage auslöst, inwiefern es überhaupt möglich ist, die KI zu beschreiben. Methodische Vorsicht ist auf jeden Fall geboten, denn die KI ist nur aus dem Kol rekonstruierbar, und das macht ein sogenanntes „Mirror-Reading“ des Kol erforderlich.5 Es geht dabei darum, aus den spärlichen und z.T. polemischen Äußerungen des Paulus ein möglichst komplettes und unbefangenes Bild von der KI zu erstellen. Dabei muss man sich der Gefahr von Zirkelschlüssen bewusst sein: Man konstruiert aus mehrdeutigen Äußerungen „die KI“, deren Existenz aber nicht unabhängig vom Kol belegt werden kann. Diese Konstruktion wird dann zur Auslegung anderer Details des Briefes herangezogen, die wiederum die Richtigkeit der These unter Beweis stellen sollen. Trotz dieser Gefahr kommt man nicht umhin, eine Hypothese hinsichtlich des Wesens der KI aufzustellen und zur Deutung des polemischen Teils des Kol heranzuziehen.6 Die Hypothese muss jedoch – unabhängig davon, ob auf deren Basis eine kohärente Auslegung erfolgt – an sich und ohne Rekurs auf den Kol als plausibel, wenn nicht wahrscheinlich, gelten. Eine Hypothese über das Wesen der KI kann, wie oben erwähnt, nur aus den Äußerungen des Paulus im Kol aufgestellt werden. Dabei ist methodisch zu beachten, dass diese Äußerungen unterschiedlichen Charakters sind und ihnen daher auch unterschiedliches Gewicht verliehen werden muss, wenn es darum geht, die KI (statt die Auffassung des Paulus von derselben) möglichst objektiv zu beschreiben. Dabei erweist es sich als hilfreich, die für die korrekte Einschätzung der KI relevanten Äußerungen des Paulus – hauptsächlich aus den polemischen Teilen des Briefes (2,8.16-23) – in drei Kategorien einzuteilen.7 An erster Stelle stehen inhaltliche Beschreibungen der KI. Darunter sind folgende: 1. Die KI gebietet das Einhalten von bestimmten Feiertagen, Reinheitsgeboten und Speiseregeln (2,16.21). 2. Die KI fordert asketische Praktiken (2,18.23). 3. Die KI fördert die Huldigung von Engelwesen (2,18).
4 Gunther, Opponents, 3-4, listet 44 unterschiedliche Lösungsvorschläge seit dem Aufkommen der Debatte im 19. Jh. auf. Viele überschneiden sich, sodass es hier nicht notwendig ist, alle zu behandeln. 5 Vgl. dazu Barclay, Mirror-Reading, 73-93. 6 Vgl. Müller, Gegner, 369-374. Kontra Cavin, Existence, 13-14. 7 Die Kategorien (und z.T. auch die aufgelisteten Äußerungen in überarbeiteter Form) sind Garland 25-26 entnommen. Die Bedeutung mancher dieser Äußerungen ist umstritten. Für die hier vertretenen Deutungen vgl. jeweils die entsprechenden Stellen im Kommentarteil.
5. Die „Kolossische Irrlehre“
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An zweiter Stelle befinden sich wertende Äußerungen des Paulus über die KI. Dazu gehören folgende: 1. Die KI ist wertlos und beruht auf menschlichen Traditionen bzw. auf elementaren Prinzipien (2,8.22). 2. Die KI ist mit der Lehre von Christus unvereinbar (2,8). 3. Die Regeln der KI sind bloß ein „Schatten zukünftiger Heilsgüter“ (2,17). 4. Die Vertreter der KI haben die Verbindung zum „Haupt“ verloren (2,19). 5. Wer der KI folgt, unterwirft sich den Elementen des Kosmos (2,20). 6. Die KI hat nur den Schein der Weisheit (2,23) bzw. die Vertreter der KI bringen nur schön klingende Argumente (2,4). 7. Die von der KI geforderten asketischen Praktiken sind wertlos im Kampf gegen die Befriedigung des Fleisches (2,23). An dritter Stelle stehen theologische Aussagen, die Paulus bewusst der KI entgegenzusetzen scheint. Hier sind vor allem folgende zu erwähnen: 1. Die Christen in Kolossä sollen in dem, was sie schon gelernt haben, besonders in Bezug auf Christus, gefestigt bleiben (1,23-24). 2. Die göttliche Fülle wohnt in Christus, und die Christen sind wiederum von Christus „erfüllt“ (2,8-9). 3. Die Christen sind mit Christus in der Taufe begraben und auferweckt worden (2,12). 4. Christus hat sowohl die Sünden der Kolosser gänzlich getilgt als auch die dämonischen Mächte besiegt (2,13-14). Anhand dieser Liste leiten wir zwei Postulate ab, die für den Versuch, die KI religionsgeschichtlich einzuordnen, bestimmend sein sollen: 1. Nur Hypothesen, die diese vielfältigen Äußerungen adäquat erklären können, gelten als plausibel. 2. Je weniger unterschiedliche Traditionsquellen herangezogen werden müssen, um eine Hypothese plausibel erscheinen zu lassen, desto wahrscheinlicher ist diese Hypothese. (Dies entspricht dem anerkannten Sparsamkeitsprinzip der Wissenschaft, oft „Ockhams Rasiermesser“ genannt, welches besagt, dass von mehreren Theorien, die den gleichen Sachverhalt erklären können, die einfachste vorzuziehen ist.) Nun wollen wir, mit diesen methodischen Überlegungen im Hinterkopf, von den vielen Versuchen, die KI zu eruieren, die einflussreichsten erörtern und kritisch beurteilen: 1. Die KI war ein „gnostischer Judaismus“ mit konzeptuellen Verbindungen zur Essener-Bewegung. Diese These vertrat J.B. Lightfoot, der damit die Diskussion über die KI ins Rollen brachte.8 Er bemerkt „the presence of two 8 Vgl. Lightfoot 73-113. Eine ähnliche These vertritt Lohmeyer 3, demzufolge die KI „auf eine hellenistisch-philosophische ,Gnosis‘ und eine jüdisch-ethische Praxis sich gründet“.
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disturbing elements which threatened the purity of Christian faith and practice“ in Kolossä.9 Eines davon nennt er das „judäische Element“ und das andere das „gnostische Element“. Paulus habe diese aber nicht auf zwei Fronten bekämpft, sondern es mit einer synthetischen Lehre zu tun gehabt, die beide Elemente in sich vereinte. Diese Synthese sei schon in der Essener-Bewegung, die Lightfoot als Frühform der Gnosis identifiziert, vollzogen worden. Lightfoot kannte die Essener nur durch Josephus; 70 Jahre mussten noch vergehen, bevor die Qumran-Schriften entdeckt werden sollten. Dennoch wies er auf drei übereinstimmende Tendenzen zwischen der KI und den Essenern hin, die auch in Qumran galten: strenge Askese, einen Hang zur kosmologischen Spekulation und einen konspirativ anmutenden Exklusivismus. Konkrete Parallelen konnten jedoch nicht ausfindig gemacht werden, sodass diese These das Feld nicht behaupten konnte, wenngleich durch die Veröffentlichung der ersten Qumran-Schriften gewisse lexikalische und phänomenologische Berührungspunkte auffielen und infolge dessen Lightfoots jüdisch-gnostische Rekonstruktion um die Mitte des 20. Jh.s für kurze Zeit wieder auf Resonanz stieß.10 Diese Berührungspunkte konnten sich aber nicht darüber hinwegsetzen, dass die Schriften aus Qumran eine grundsätzliche Revision von Lightfoots Bild der Essener erforderlich sowie eine unmittelbare Traditionskontinuität zwischen Kolossä und Qumran unhaltbar machten. Indessen bleibt unklar, inwiefern es überhaupt legitim ist, von Spuren der „Gnosis“ in den ntl. Schriften zu sprechen.11 Konsens besteht darin, dass von einer ausgeprägten gnostischen Lehre, wie sie uns bei Basilides, Cerinthus und Valentinus begegnet, um die Mitte des 1. Jh.s noch keine Rede sein kann. Dennoch erwägen nicht wenige Forscher – angeregt vor allem durch die Entdeckung der Nag-Hammadi-Schriften –, ob die Gnosis tiefe vorchristliche bzw. jüdische Wurzel hat.12 Ihnen zufolge könne man eine Entwicklungslinie des gnostischen Denkens verfolgen, die in Qumran und der jüdischen Apokalyptik ihren Anfang nimmt und in den klassischen gnostischen Lehrsystemen des 2. Jh.s ihren Höhepunkt erreicht.13 Irgendwo auf dieser Linie lasse sich die
9 Lightfoot 73. 10 Vgl. Davies, Scrolls, 166-169; Saunders, Heresy, 133-145; Benoit, Qumran, 17; Moule 31-32; Yamauchi, Parallels, 141-152; Rollins, Tendenz, 126-129. 11 Die Literatur zum Thema ist enormen Ausmaßes, und der Kol bleibt ein Brennpunkt der Diskussion. Vgl. die ausführlicheren Stellungnahmen von Wilson 35-58; Scholer, Art. Gnosis, DLNT 400-412. 12 Vgl. Porkorný 98-101; Attridge, Becoming, 490-497. 13 Vgl. Wilson 57.
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sogenannte „Protognosis“ einreihen, die in der KI zum Vorschein komme.14 Obwohl diese These auf den ersten Blick einleuchtend klingen mag, sie ist nicht unproblematisch. Erstens müssen sprachliche Parallelen zwischen der KI und späteren gnostischen Entwürfen noch lange nicht als traditionsgeschichtliche Verbindungen gelten.15 Zweitens sind die vermeintlich gnostischen Phänomene der KI nicht eindeutig als solche zu bezeichnen. Andere religionsgeschichtliche Einflüsse sind genauso denkbar. Es scheint angebracht, auf vorsichtige Distanz zur These einer Protognosis hinter der KI zu gehen.16 2. Die KI war eine christlich-gnostische Mysterienreligion, die in der Region um Kolossä entstanden ist. Diese These vertrat Martin Dibelius.17 Er geht davon aus, dass die KI keineswegs lange vor der christlichen Botschaft in Kolossä Fuß gefasst hat. Sie sei erst entstanden, „als Glieder der Christengemeinde in die Kultgenossenschaft der στοιχεῖα eintraten, ohne ihrem Christentum abzuschwören.“18 Auskunft über diese Lehre bekomme man vor allem in 2,18, denn hier habe Paulus – und diese Annahme ist für Dibelius’ These unentbehrlich – „ganz offensichtlich … Termini der bekämpften Lehre verwendet.“19 Im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit steht das ungewöhnliche Verb ἐμβαυτεύειν, das auch in Inschriften des Apollosheiligtums im von Kolossä nicht weit entfernten Klaros auftaucht und laut Dibelius ein t.t. für die Initiation (Einweihung) in die Geheimnisse eines kleinasiatischen Mysterienkults war.20 Daraus schließt Dibelius: „So durfte auch die in Kolossä im ersten christlichen Jahrhundert eingedrungene Religion, deren Sprache ἐμβαυτεύειν technisch verwendete, eine Mysterienreligion sein.“21 Im Zentrum dieser Religion habe die kultische Verehrung der Elemente (στοιχεῖα) gestanden, die „wohl den ältesten sicher datierbaren und geschichtlich erkennbaren Einzelfall
14 Ebd. 61. Die These von Hartman, Humble, 35-39, lässt sich schwer nach den gängigen traditionsgeschichtlichen Kategorien charakterisieren, weil Hartman selbst diese nicht versucht. Die Betonung auf der Rolle der Pleroma in der KI lässt sie aber am ehesten einem vermeintlichen „Protognostizismus“ zuordnen. 15 Vgl. Yates, Colossians, 54. 16 So auch Dunn 31. 17 Vgl. Dibelius, Isisweihe, 30-79. 18 Ebd. 56. 19 Ebd. 20 Sappington, Revelation, 154, bemerkt, dass Dibelius und der Engländer W. H. Ramsay etwa zeitgleich und scheinbar unabhängig voneinander zu diesem Ergebnis kamen (vgl. die von Sappington angegebenen Quellen), aber nur Dibelius zog daraus weitreichende Schlüsse im Hinblick auf die KI. 21 Vgl. Dibelius, Isisweihe, 62.
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einer frühen und keimhaften christlich-gnostischen Bildung“ darstellt.22 Dem folgen H.-M. Schenke23 und, im Großen und Ganzen, E. Lohse24 und R.A. Argall25. Der Hauptunterschied zwischen Dibelius und Lohse liegt darin, dass – während für Dibelius jüdische Elemente so gut wie keine Rolle in der KI spielen– Lohse der jüdischen Tradition einräumt, „einen bedeutenden Beitrag jüdischer Überlieferung aufgenommen“ zu haben.26 Dibelius‘ These ist auf mehreren Fronten angreifbar. Erstens ist die Annahme, dass es sich bei der KI um eine „keimhafte christlich-gnostische Bildung“ handelt, wie oben bereits geschildert, aus historischer Sicht fragwürdig. Vor allem die von Dibelius vermutete Verehrung der στοιχεῖα lässt sich schwerlich gnostischen Traditionen zuordnen.27 Zweitens stammen die Klaros-Inschriften, die für die Dibelius’sche Rekonstruktion einen überaus wichtigen Deutungsbeitrag leisten, aus dem 2. Jh. n.Chr.28 Somit kann nicht bewiesen werden, dass der Gebrauch des Verbs ἐμβατεύειν in Kol 2,18 in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dessen Vorkommen in Klaros steht. Drittens ist es ohnehin zweifelhaft, dass das Verb ἐμβατεύειν die von Dibelius vermutete technische Bedeutung wirklich besitzt. F. Francis weist auf den entscheidenden Unterschied im Sitz im Leben der beiden Vorkommen von ἐμβατεύειν hin: Das Apollosheiligtum in Klaros war ein Orakeltempel, den man buchstäblich betreten musste. Francis argumentiert demzufolge überzeugend, dass das Verb schlicht und einfach „eingehen“ oder „eintreten“ bedeutet und bei den Klaros-Inschriften lediglich den Eintritt in das Heiligtum bezeichnet.29 Damit war freilich in diesem konkreten Fall die Einweihung in Mysterien verbunden, aber dies ist dem Kontext und nicht dem Lexem selbst zu entnehmen.30 Das nachvollziehbare Fazit von Francis lautet daher: „There is absolutely no evidence that ἐμβαυτεύειν can stand alone for initiation.“31 Es handelt sich also in 2,18 schwerlich um die Inanspruchnahme des technischen Vokabulars eines Mysterienkults seitens des Paulus. Die These von Dibelius ist letztlich unhaltbar.
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Ebd. 66. Vgl. Schenke, Widerstreit, 391-403. Vgl. Lohse 186-191. Vgl. Argall, Source, 14-20. Vgl. Lohse 186-191. Vgl. DeMaris, Controversy, 79-84. Vgl. Dibelius, Isisweihe, 59. Vgl. Francis, Humility, 172.201. Vgl. DeMaris, Controversy, 84. Francis, Humility, 172.
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3. Die KI war eine Mischung aus einem gnostischen Judaismus und verschiedenen paganen Elementen. Diese These wurde von Günther Bornkamm vertreten.32 Die KI sei ihm zufolge in der Gemeinde in Kolossä entstanden und nicht, wie Dibelius meinte, von außen an sie herangetragen worden. Wichtigste pagane Elemente seien die Lehre von den Weltelementen und die Verehrung der Gestirnmächte gewesen, die hinter dem στοιχεῖα -Begriff stehen. Diese seien „nicht beziehungslos neben die Lehre von Christus gesetzt“, sondern „für einen integrierenden Bestandteil des Christusglaubens“ gehalten worden.33 Die Wurzel der KI liege im gnostisch geprägten Judaismus, in den aber auch persische, chaldäische und hellenistische Elemente eingeflossen sind. Der gnostische Charakter der Lehre sei dem eigentümlichen Vokabular des Kol und vor allem dem hohen Stellenwert der verschiedenen Himmelsmächte zu entnehmen, und ihre Vorstellungswelt sei die der Mysterien. Der jüdische Charakter sei an ihrer hohen Einschätzung des Gesetzes klar zu erkennen. Es könne also keinen Zweifel daran geben, dass die KI eine „Abart jüdischer Gnosis“ ist.34 Auch Bornkamms These überzeugt nicht. Der Forschungseifer, mit dem er religionsphänomenologische Übereinstimmungen zwischen der KI und verschiedenen paganen Glaubensrichtungen feststellt, ist zwar bewundernswert, methodisch aber kritisch zu hinterfragen. Noch stärker als bei Dibelius werden aus thematischen Parallelen generative konzeptuelle Verbindungen hergeleitet, deren Existenz jedoch nicht unabhängig belegt werden kann. Indizien für eine solche synkretistische Religion in der Region um Kolossä gibt es jedenfalls nicht, erst recht nicht für eine, die Christus in die στοιχεῖα zu integrieren versuchte.35 Nicht zuletzt bestehen wie bei den anderen bisherigen Entwürfen erhebliche Zweifel, ob es noch als legitim angesehen werden kann, eine Lehre um die Mitte des 1. Jh.s als „gnostisch“ zu bezeichnen. 4. Die KI war eine asketisch ausgerichtete, mystisch geprägte jüdische Glaubensrichtung. Diese These geht auf einen erstmals 1962 veröffentlichten Aufsatz von Fred Francis zurück.36 Sie ist im angelsächsischen Raum auf breite Zustimmung gestoßen.37 Ausschlaggebend für Francis’ These ist, wie 32 33 34 35 36
Vgl. Bornkamm, Häresie, 139-156. Ebd. 140-141. Ebd. 147. Vgl. Smith, Perspective, 28. Vgl. Francis, Humility, 163-195. Bruce 22-26 argumentiert ähnlich und vermutet hinter der KI jüdischen Merkabah-Mystizismus. 37 Vgl. Bandstra, Errorists, 343; Lane, Creed, 216-218; Evans, Mystics, 195-201; O’Brien xxxviii; Yates, Colossians, 58-59; Sappington, Revelation, bes. 150-170; Smith, Perspective, passim, insbes. 36-38; Witherington 110.164-167; Sumney 11.
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bei Dibelius, seine originelle Deutung von Kol 2,18. Wie der Titel des Aufsatzes – „Humility and Angelic Worship in Col 2:18“ – schon andeutet, hängen laut Francis die beiden genannten Tropen eng miteinander zusammen und weisen gemeinsam auf einen spezifischen Hintergrund der KI hin. „Demut“ (ταπεινοφροσύνη) versteht Francis als quasi-technischen Sammelbegriff der Gegner für verschiedene asketische Praktiken, die in der jüdisch-apokalyptischen Literatur mehrfach belegt sind. Das Verb ἐμβατεύειν sei hingegen kontra Dibelius kein technischer Begriff (vgl. Dibelius’ Auslegung and Francis’ Kritik oben), sondern bedeute „Eingehen und in Besitz Nehmen“. An dieser Stelle bezeichne es analog zum Gebrauch in der jüdischen Apokalyptik das Eingehen in den Himmel durch visionäre Reisen. Die Anhänger der KI haben versucht, so Francis, „to enter heaven in order to possess themselves of salvation“.38 Schließlich sei „Anbetung der Engel“ (θρησκεία τῶν ἀγγέλων) nicht, wie meist angenommen, als objektiver, sondern als subjektiver Genitiv zu deuten. D.h., nicht die Engel werden von Menschen angebetet, sondern die Menschen haben durch visionäre Erfahrungen Anteil an der Anbetung, die die Engel an Gott richten. Von diesem himmlischen Gottesdienst sei im AT und in den Qumranschriften immer wieder die Rede. Die KI sei also darauf ausgerichtet, ihren Anhängern visionäre Erfahrungen des Himmels durch asketische Praktiken zu verschaffen, und sei ohne Rückgriff auf andere Traditionskomplexe gegen den Hintergrund der lebendigen mystischen Tradition der jüdischen Apokalyptik völlig verständlich. Francis bietet ohne Frage eine überlegenswerte Darstellung der KI. Sie kann trotzdem wegen zweier Probleme nicht ganz überzeugen. Erstens ist es fraglich, ob im Frühjudentum asketische Praktiken wirklich als Voraussetzung für oder Vorbereitung auf visionäre Himmelsreisen galten. Die von Francis erwähnten Belege dafür sind entweder wesentlich später als der Kol oder zweideutig.39 Zweitens ist es alles andere als klar, dass θρησκεία τῶν ἀγγέλων als subjektiver Genitiv zu deuten ist. Die herkömmliche Deutung als objektiver Genitiv muss weiterhin als wahrscheinlicher gelten (vgl. zu 2,18).40 38 Francis, Background, 199. 39 Vgl. DeMaris, Controversy, 75-77. 40 So auch DeMaris, Controversy, 59-63; Arnold, Syncretism, 90-95; Lincoln 563. Aufgrund von Arnolds Analyse hat Lincoln seine Position in dieser Hinsicht revidiert. Noch in der veröffentlichten Version seiner 1975-Cambridge-Dissertation hatte er für den subjektiven Genitiv argumentiert (vgl. Paradise, 112), aber Arnold konnte Lincoln überzeugen, dass „in both Jewish and pagan sources angels were invoked for protection, for revelations, for cursing other humans, for warding off evil, and for dealing with evil spirit powers“ (Lincoln, Paradise, 563), was durchaus unter dem Begriff θρησκεία verstanden werden kann. Berger 738 versteht unter θρησκεία τῶν ἀγγέλων Engelverehrung im Sinne
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5. Die KI war eine von den philosophischen Strömungen der Zeit stark beeinflusste hellenistisch-jüdische Glaubensrichtung, die vor allem um die Integration der Lehre von den Weltelementen in ihr Denksystem bemüht war. Eduard Schweizer führt diese Bemühungen auf den Neuphythagoreismus zurück.41 Richard DeMaris sucht ihre Wurzeln im Mittelplatonismus.42 Troy W. Martin vermutet hinter der KI eine zynische Kritik an dem christlichen Glauben, betont aber stärker den Bezug zu Kol 2,8.43 Andrew Lincoln fasst die der KI zugrunde liegende Philosophie allgemeiner auf: Sie verbindet einige jüdische Propria mit für den Hellenismus typischen kosmologischen Anliegen.44 Unerlässlich für die Gültigkeit aller solchen Thesen ist die Annahme, dass die Wendung στοιχεῖα τοῦ κόσμου nicht wie im Gal „auf den Zusammenhang zwischen Gesetzeserfüllung und Zeitordnung, sondern in den Bereich der hellenistischen Philosophie“ weist.45 Aber gerade diese Annahme ist fraglich, ist doch eine konzeptuelle Nähe im jeweiligen Gebrauch der Wendung im Gal und im Kol nicht nur möglich, sondern, wie unten geschildert wird, wahrscheinlich (vgl. zu 2,8).46 Außerdem wird bei allen Theorien, die einen hellenistisch-philosophischen Traditionshintergrund hinter der KI vermuten, ihre ausgesprochen jüdische Färbung zu wenig beachtet. 6. Die KI war eine synkretistische Mischung aus verschiedenen Traditionen. Die genauere Zusammensetzung dieser Traditionsmischung wird unterschiedlich gedeutet. H. Wayne House spricht ganz allgemein von einem Synkretismus aus jüdischen, heidnischen und christlichen Konzeptionen.47 Für Andreas Lindemann besteht sie aus jüdischen Traditionen, gnostischen Denkansätzen und Elementen der Mysterienreligionen.48 Johannes Lähnemann ver-
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eines objektiven Genitivs, vertritt aber mit Francis, dass die KI eine esoterische Glaubensrichtung darstellt, die ihren Anhängern visionäre Himmelsreisen durch asketische Praktiken verspricht, wobei Berger das jüdische Proprium der KI stärker hervorhebt. Die in Anlehnung an Francis postulierte Beteiligung am himmlischen Gottesdienst ist nur eine von vielen unhaltbaren Prämissen, die die These von Royalty, Visions, 329357, abwegig erscheinen lassen. Ihm zufolge sei die KI mit dem prophetischen Wirken des Johannes, des Autors der Offenbarung, und seiner Anhänger in Verbindung zu bringen. Schweizer 100-104 wird von Hoppe, Triumph, 137-145 (der den Einfluss der Mysterienkulte und hellenistisch-jüdischer Traditionen hervorhebt), und (mit gewissen Vorbehalten) Wolter 161-162 gefolgt. Vgl. DeMaris, Controversy, 131-133. So auch Kooten, Christology, 143. Vgl. Martin, Philosophy, insbes. 58-114. Vgl. Lincoln 567. Schnelle, Einleitung, 374. So auch Pokorný 96. Vgl. House, Heresies, 59. Ähnlich Maisch 154-155. Vgl. Lindemann 82-85.
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mutet ein Gebilde aus phrygischen Volksreligionen, persischen Mythen und hellenistisch-jüdischen Traditionen.49 Udo Schnelle identifiziert Elemente aus dem hellenistischen Judentum, der phrygish-lydischen Volksfrömmigkeit, der neuphythagoreischen Philosophie und den Mysterienkulten.50 Clinton Arnold führt sie auf den phrygischen Volksglauben, lokale jüdische Traditionen und die christliche Lehre zurück.51 Arnolds These ist insbesondere in der angelsächsischen Forschung auf Resonanz gestoßen und verdient es deswegen, etwas ausführlicher beschrieben zu werden.52 Grundlegend für seine These war die unveröffentlichte 1968-Harvard-Dissertation von A.T. Kraabel. Letzterer kommt zum Schluss, dass die jüdischen Gemeinden in Kleinasien Engelverehrung in Verbindung mit magisch-apotropäischen Praktiken betrieben haben und dass daher „Lydian-Phrygian Judaism of a fairly ordinary type“ hinter der KI stehe.53 Arnold stimmt Kraabel weitestgehend zu: Die Gegner in Kolossä haben versucht, Engelwesen durch magische Riten heraufzubeschwören (das sei mit der in 2,18 erwähnten „Anbetung der Engel“ gemeint),54 damit diese sie vor dämonischen Mächten (darauf beziehe sich der Begriff στοιχεῖα τοῦ κόσμου in 2,9.20) schützen.55 Arnold geht aber über Kraabel hinaus. Die „Philosophie“ der Gegner in Kolossä weise einen bemerkenswerten Synkretismus auf, der aus einer Mischung von Elementen aus „Volksjudaismus“, phrygischen Mysterien und regionalen Bräuchen, insbesondere den monatlichen Riten zu Ehren des Mondgottes Men, bestehe.56 Die These, dass hinter der KI ein bunt gemischter Synkretismus gedeiht, hat bestimmt etwas Anziehendes an sich und lässt sich aufgrund ihrer Komplexität nicht allzu leicht widerlegen. Es melden sich aber gerade deswegen methodische Bedenken an. Zum einen neigen die Vertreter der SynkretismusThese dazu, wie wir bei anderen Thesen schon gemerkt haben, aus vereinzelten sprachlichen und phänomenologischen Parallelen konzeptuelle Verbindungen herzustellen, die aber keiner unabhängigen Beweisführung unterzogen werden können, weil sie nicht außerhalb des Kol belegt sind. Zum anderen drohen die Einzelthesen durch die Anhäufung von vermeintlichen Einflüssen aus den verschiedensten religiösen und philosophischen Strömun49 50 51 52 53 54
Vgl. Lähnemann, Kolosserbrief, 82-100. Vgl. Schnelle, Einleitung, 375. Ähnlich Foster 105-112. Vgl. Arnold, Syncretism, passim. U.a. Moo 57-58 und MacDonald 10-11 folgen der These Arnolds. Kraabel, Judaism, 146. Arnold, Syncretism, 10: „The ‚worship of angels‘ in Colossians 2:18 refers essentially to a magical invocation of angels, especially for apotropaic purposes.“ 55 Ebd. 158-194. 56 Ebd. 226-227.
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gen profillos zu werden. Der Verdacht, dass ihre Verfechter nicht immer der Versuchung widerstanden haben, ihrem synkretistischen Gemisch je nach Erklärungsbedarf beliebig neue Komponenten hinzuzufügen, lässt sich nicht ganz verdrängen. Die Vielfalt an dargebotenen Kombinationen unterschiedlicher Quellen gebietet jedenfalls einen vorsichtigen Umgang mit drei- oder gar viergliedrigen synthetischen Gebilden. All diese Thesen sind im Sinne unseres zweiten Beurteilungspostulats (einfachere Erklärungen sind vorzuziehen; vgl. S. 37) sorgfältig zu prüfen.57 7. Es gab keine KI. Mit dieser provokanten These reagierte Morna D. Hooker auf die stets wachsende Zahl an unterschiedlichen Erklärungsversuchen der Kolosser-Forschung.58 Hooker weist auf die für Paulus ungewöhnliche Gelassenheit hin, mit der er auf die vermeintliche Irrlehre reagiert. Hätte es wirklich innerhalb oder außerhalb der Gemeinde in Kolossä eine Irrlehre gegeben, die die Vorrangstellung Christi vor anderen Mächten untergraben und deshalb für die Gläubigen eine ernstzunehmende Gefahr gebildet hätte, sei anzunehmen, dass Paulus jene Irrlehre klarer dargestellt und energischer widerlegt hätte. Die Tatsache, dass er dies nicht tut, deute darauf hin, dass Paulus es mit keiner einzelnen Lehre bzw. keinen bestimmten Lehrern aufnimmt. Er habe stattdessen versucht, die junge Gemeinde, deren Mitglieder größtenteils paganer Herkunft waren, vor verschiedenen Strömungen ihrer Umgebung, von denen weiterhin eine Gefahr für sie ausging – z.B. der lähmende Einfluss der Sternenmächte –, zu warnen. Hookers Aufsatz enthält vieles, was überlegenswert ist. Er lässt berechtigte Zweifel vor allem an jenen Thesen aufkommen, die hinter der KI ein spezifisches Lehrsystem bzw. eine bestimmte philosophische Schule vermuten, denn in diesem Fall würde man tatsächlich erwarten, dass das Profil des in die Gemeinde hineinwirkenden Lehrsystems greifbarer wäre, wenn Paulus die Gemeinde in Kolossä davor warnen wollte. Dennoch scheint Hooker zu weit in die andere Richtung auszuschlagen, denn die Ansicht, dass Paulus im Kol lediglich auf diffuse Strömungen und Einflüsse in der Gesellschaft reagiert, lässt sich nur schwer mit dem Gesamteindruck des Kol in Einklang bringen. Insbesondere 2,18-23 hinterlässt den Eindruck, dass die Kontrahenten des 57 Für eine etwas ausführlichere Kritik der These von Arnold vgl. Smith, Perspective, 3132. 58 Vgl. Hooker, Teachers, 115-131. Stettler, Kolosserhymnus, 59, folgt Hooker. Auch Standhartinger, Studien, 27, warnt vor einer „monokausalen Erklärung der Entstehung und Intention des Kol durch eine die Gemeinde(n) bedrängende Opposition“. Der Kol reagiere stattdessen auf die „Verunsicherungen und mögliche[n] Erschütterungen“, die in der Gemeinde durch den Tod des Paulus ausgelöst wurden (S. 181-182). Der Auffassung von Standhartinger folgt auch Maisch 153.
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Paulus ganz bestimmte Praktiken und Sichtweisen fördern, und es darf nicht a priori entschieden werden, dass diese in kein kohärentes Traditionsschema passen. Außerdem berücksichtigt Hooker die besondere Schwerpunktsetzung des Kol zu wenig. Seine auffällige Betonung auf einer realisierten eschatologischen Existenz, die vielen Forschern in Bezug auf die Verfasserangabe ein Dorn im Auge ist, lässt sich am besten als eine bewusst von Paulus gegen die esoterische Lehre der Gegner ausgerichtete Korrektur erklären (siehe dazu unten).59 Unter der Annahme der deuteropaulinischen Verfasserschaft des Kol kommt N. Frank ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es keine konkrete KI gab.60 Da die Situierung des Kol fiktiv sei und der Kol „sich grundsätzlich durch eine universell-umfassende Perspektive“ auszeichne, sei auch eine „Lokalisierung der ‚Gegner‘“ nicht vorzunehmen. Die Beschreibung der KI diene vielmehr „als allgemeine Handreichung für den Umgang mit abweichenden Lehren und Praktiken … und weist daher bewusst kein spezifisches Referenzprofil im Hinblick auf eine konkrete Gruppierung auf“.61 Franks Ansicht ist – ganz von der für ihre These notwendigen Annahme, dass der Kol ein nach dem Ableben des Paulus verfasstes Schreiben ist (vgl. zur Problematik der Pseudonymitätshypothese S. 24-26) zu schweigen – mit Skepsis zu betrachten. Natürlich hat sie recht, dass die bisherigen Rekonstruktionsversuche der KI keine Übereinstimmung im Ergebnis erzielt haben,62 aber nicht deswegen, weil die KI „kein spezifisches Referenzprofil“ aufweist. Im Gegenteil: Kol 2,8-23 liefert viele Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion der KI, und manche davon sind ziemlich konkret (z.B. V. 8, 16 und 18). Sie sind bloß sehr schwer zu deuten bzw. einem bestimmten traditionsgeschichtlichen Hintergrund zuzuweisen. Das hat aber mit unserer geschichtlichen und kulturellen Distanz von der damaligen Situation zu tun, weniger mit der mangelnden Spezifizität der Bezüge zur KI selbst.63 8. Die KI war eine in ihren wesentlichen Zügen jüdische Glaubensrichtung (am ehesten) pharisäischer Prägung, die in den Diaspora-Synagogen Klein59 60 61 62 63
Vgl. O’Brien xxxi. Vgl. Frank, Kolosserbrief, 411-432. Ebd. 413-415. Ebd. 415. Vgl. die Kritik an Franks These durch Bormann 49-51, der darauf hinweist, dass „der Briefautor recht konkrete Entwicklungen … vor Augen hatte“, die zwar „nicht auf das Wirken einer uns bekannten philosophischen und/oder religiösen Gemeinschaft oder Weltanschauung zurück[zu]führen“ sind, aber durchaus „philosophisch begründete … religiöse Praktiken“ umfassen, auch wenn die „Gegner … namentlich und nach ihrem Gruppenprofil unbenannt“ bleiben.
5. Die „Kolossische Irrlehre“
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asiens nicht ungewöhnlich war. Diese These, die in der Forschung zunehmend Gehör findet,64 ist die logische Folge der in der jüngeren Vergangenheit wachsenden Bereitschaft, die phänomenologische Vielfalt dessen, was als „jüdisch“ angesehen werden darf, anzuerkennen.65 Dadurch sind die Thesen, die in der KI vorwiegend ein dem Judentum fremdes Lehrsystem mit nur unbedeutenden jüdischen Elementen sehen, sowohl unnötig als auch unwahrscheinlich geworden.66 Die Exegese der relevanten Stellen bzw. die Auswertung der von Garland hervorgehobenen Äußerungen des Kol (vgl. S. 36-37), deren Resultate wir hier nur kurz zusammenfassen, wird zeigen, dass letztere These, ein überwiegend jüdischer Hintergrund stehe hinter der KI, unseren beiden Postulaten am besten entspricht. Dass die KI mindestens ein jüdisches Element enthält – die Pflicht zur Einhaltung des Sabbats (vgl. 2,16) –, ist wohl kaum zu leugnen. Aber auch die Erwähnung von Feiertagen und Neumondfeiern sowie von Speiseregeln im selben Kontext, auch wenn diese nicht ausdrücklich mit jüdischen Bräuchen in Verbindung gebracht werden, lassen am ehesten daran denken, besonders im Zusammenhang mit dem Sabbatkonzept. Schließlich begegnet uns die dreifache Auflistung „Fest, Neumond, Sabbat“ des Öfteren im AT (vgl. 1Chr 23,31; 2Chr 2,3; 31,3; Hes 45,17; Hos 2,13, 1Esd 5,51; Jdt 5,6). Die Tatsache, dass Paulus diese Einrichtungen einen „Schatten zukünftiger Heilsgüter“ nennt (2,17), macht es zudem schwer vorstellbar, dass er an heidnische Bräuche denkt.67 Es muss angesichts von 2,23 als sehr wahrscheinlich gelten, dass ein asketisches Element Bestandteil der KI war.68 „Demut“ (ταπεινοφροσύνη) scheint, wie Francis behauptet (siehe oben), in der Tat eine Umschreibung für asketi64 Vgl. Schenk, Art. Kolosserbrief, ANRW II, 25.4.3349-3354. Von der grundsätzlich jüdischen Prägung der KI gehen u.a. auch folgende Autoren aus: Foerster, Irrlehrer, 80; Wright, Poetry, 463-464; Wedderburn, Theology, 10-11; Dunn 23-35; Garland 23-33; Luz 218-219; Stuhlmacher, Theologie 12-13; Sappington, Revelation, 15-19; Bevere, Sharing, 255; Sellin, Konsolidierung, 267; Thompson 6-9; Wilckens, Theologie, I,3.255-256; Huttner, Christianity, 122-131; Oropeza, Jews, 247-253; Mathewson, ReExamination, bes. 675; Holladay, Introduction, 605-606. Der Versuch von Wilson, Hope, 35-38, die KI näher als „Proto-Elchasaitismus“ zu identifizieren und in Zusammenhang mit einer im 2. Jh. in Syrien aufkommenden jüdisch-christlichen Gruppierung zu bringen, ist trotz mancher Parallelen nicht überzeugend. 65 Vgl. Tiwald, Hebräer, 35-41; Cavin, Existence, 137; sowie die ausführlichere Diskussion in Bevere, Sharing, 17-23. 66 Dunn, Colossians, 33. 67 Vgl. Barth/Blanke 340. 68 Laut Smith, Perspective, 115, stellt dies „one of the few areas of agreement among scholars“ dar.
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I. Einleitung
sche Praktiken, insbesondere das Fasten,69 zu sein (vgl. Lev 16,29.31; 23,27.29.32; Ps 35,13 [= 34,15 LXX], Jes 58,3; Jdt 4,9; PsSal 3,8). Die „strenge Behandlung des Leibes“ (ἀφειδία σώματος) läuft auf das Gleiche hinaus. Wie allein schon die oben erwähnten Stellen beweisen, ist auch dieses Element vor einem allgemein jüdischen Traditionshintergrund problemlos erklärbar. Der asketische Zug unter den Sympathisanten der KI hängt, wie aus 2,18 hervorzugehen scheint, mit der „Anbetung der Engel“ (θρησκεία τῶν ἀγγέλων) zusammen. Eine solche Praxis ist innerhalb frühjüdischer Denkkategorien nachvollziehbar, und zwar ohne die Notwendigkeit eines fragwürdigen Rückgriffs auf andere zeitgenössische Strömungen, ob phrygisch-völkischen, allgemein hellenistischen oder philosophischen Ursprungs.70 Denn die „Anbetung von Engeln“, egal ob sie als heterodoxe Fehlentwicklung (die Sicht des Paulus) oder als erbauliche Huldigung von himmlischen Geschöpfen (vermutlich die Sicht der Anhänger der KI) eingestuft wird, kann durchaus als „jüdisch“ angesehen werden.71 Engelverehrung ist auf jeden Fall von manchen jüdischen Gruppierungen praktiziert worden (vgl. zu 2,18). Damit ist natürlich nicht gesagt, dass alle diese Praxis gut fanden. Im Gegenteil: Biblische wie außerbiblische Quellen warnen häufig vor der Gefahr des Abdriftens in Richtung der Anbetung jener höheren Geschöpfe. Im AT rügen die Propheten das Volk wegen seiner offensichtlich immer wieder vorkommenden Neigung, das Himmelsheer, hinter dem nach jüdischer Vorstellung Engelmächte standen (vgl. das Astronomische Buch des äthiopischen Henochbuchs, insb. äthHen 75,1; 80,6; 82,4.9-14 sowie Philo, Opif 73; Offb 1,20), anzubeten (Deut 4,19;
69 Vgl. Lincoln, Paradise, 111. 70 Vgl. Huttner, Christianity, 129: „We know nothing of a pagan cult of angels in the Lycus Valley […].“ So auch Carr, Angels, 70. Kontra Williams, Cult, 413-438. 71 An dieser Stelle muss auf den Unterschied zwischen einer religionsgeschichtlichen (d.h. diachronischen) und einer soziologischen (d.h. synchronischen) Analyse des Phänomens der Engelverehrung im Frühjudentum hingewiesen werden. Die religionsgeschichtliche Analyse versucht, die Traditionslinien auf ihre religiösen und philosophischen Wurzeln zurückzuverfolgen. Dass die jüdische Engelverehrung im Laufe ihrer Entwicklung aus unterschiedlichen Quellen gespeist wurde, ist kaum zu leugnen, aber in soziologischer Hinsicht (und für unsere Zwecke) ist dies weniger relevant. Vermutlich hätte keiner der Beteiligten an der Kontroverse in Kolossä bloß die „Verehrung“ von Engeln an sich als synkretistischen Fremdkörper im jüdischen Glaubenssystem betrachtet. Sie war im 1. Jh. n.Chr. – damit wäre Paulus mit allen Juden und Judenchristen in Kolossä einig geworden – ein Bestandteil allgemeiner jüdischer Frömmigkeit, die außer vielleicht in manchen elitären Kreisen nicht grundsätzlich hinterfragt wurde. Strittig war nur, wieweit diese in Richtung Anbetung gehen durfte, bevor man den monotheistischen Glauben definitiv verlassen hatte. Vgl. dazu Stuckenbruck, Veneration, insbes. 146-149, 200-203.
5. Die „Kolossische Irrlehre“
49
17,3; Jer 8,2; 19,13; Zef 1,5; Amos 5,26 bzw. Apg 7,42).72 Auch im NT wird implizit davor gewarnt (vgl. Mt 4,8-10; Gal 1,8; Offb 19,10; 21,8-9). „Jüdisch“ heißt aber eben nicht gleich „orthodox“, wie auch immer dies zu bewerten ist.73 Die Charakterisierung der KI als „Philosophie“ (φιλοσσφία) in 2,8 spricht keineswegs gegen einen jüdischen Hintergrund (vgl. die Exegese zu 2,8) Es ist zwar nicht zu leugnen, dass der Begriff an sich aus dem Hellenismus kommt. Doch frühjüdische Autoren gebrauchen ihn gerne als Bezeichnung für die jüdische Religion schlechthin (vgl. 4Makk 5,11.22; Philo, Somn 2,127; VitMos 2,16; LegGai 156, 245; Josephus, CAp 1,54; 2,47), während Josephus ihn bekanntlich als Sammelbegriff für die verschiedenen jüdischen Glaubensrichtungen einsetzt (Bell 2,119; Ant 18,11). Es spricht also nichts dagegen, dass Paulus oder die Irrlehrer selbst eine in ihren Grundzügen jüdische Lehre als „Philosophie“ bezeichnen würden. Dass er sie zudem als „gemäß menschlicher Tradition“ (κατὰ τὴν παράδοσιν τῶν ἀνθρώπων) beschreibt, bestätigt diese Annahme, ist dies doch derselbe Ausdruck, den Jesus laut Mk 7,8 für pharisäische Traditionen gebraucht. Eine ähnliche Wendung begegnet uns in 2,22, wo Paulus die von der KI geforderten asketischen Handlungen als „gemäß menschlicher Ordnungen und Lehrsätze“ (κατὰ ἐντάλματα καὶ διδασκαλίας τῶν ἀνθρώπων) charakterisiert. Es handelt sich um eine transparente Anspielung auf die Tradition einer Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern hinsichtlich des Nichteinhaltens gewisser jüdischer Reinigungsgebote seitens seiner Jünger. In Anlehnung an Jes 29,13 wirft Jesus den Pharisäern vor, sie lehrten bloß menschliche Lehrsätze und Ordnungen (διδασκαλίας ἐντάλματα τῶν ἀνθρώπων; vgl. Mk 7,7; Mt 15,9). Auch hier scheint also Paulus jüdische Bräuche im Sinne zu haben. Die Bedeutung der Wendung στοιχεῖα τοῦ κόσμου im gleichen Vers ist freilich umstritten, aber dass sie im Mund des Paulus eine judaisierende Irrlehre bezeichnen kann, zeigt schon der Gebrauch dieses Ausdrucks in Gal 4,4.9. Diese „Elemente des Kosmos“ (vgl. die Exegese zu 2,22) werden jedenfalls von Teilen des Frühjudentums als bedrohliche Mächte wahrgenommen.74 Überall begegnen uns also Ausdrucksweisen, die nachweislich auf jüdische Quellen zurückgeführt werden können. Damit soll nicht behauptet werden, dass die KI von nichtjüdischen Elementen völlig unbeeinflusst war.75 Aber 72 73 74 75
Vgl. Lohse 146-149; Smith, Perspective, 86. Ähnlich auch Schenk, Art. Kolosserbrief, ANRW II, 25.4.3352. Vgl. Stuhlmacher, Theologie I, 13. Es ist vor allem kaum zu leugnen, dass magisch-apotropäische Praktiken eine nicht unwesentliche Rolle in der Alltagsreligion vieler jüdischer Bewohner Kleinasiens im 1. Jh.
50
I. Einleitung
die These, dass die Irrlehre in ihren Grundzügen jüdisch war, kann ohne Weiteres im Sinne unseres ersten Beurteilungspostulats als plausibel gelten: Alle uns durch die Äußerungen des Paulus bekannten Aspekte der KI lassen sich zufriedenstellend auf einen jüdischen Hintergrund zurückführen.76 Natürlich erfüllt die These auch unser zweites Postulat auf vortreffliche Weise. Denn sie kann die unterschiedlichen Elemente der KI durch den Rückgriff auf einen einzigen, wenn auch keineswegs schmalen Traditionsstrang erklären: das Diasporajudentum des 1. Jh.s n.Chr. Von dieser These gehen wir in der Auslegung des Kol aus.
6. Die Gliederung des Kolosserbriefs Der Aufbau des Kol entspricht im Wesentlichen jenem der anerkannten Paulinen.1 Ungewöhnlich jedoch ist die erweiterte Einleitung, die durch die Aufnahme des ChristusLiedes (1,15-20) eine untypische Verlagerung des theologischen Schwerpunktes nach vorne im Brief bewirkt. Schwierigkeiten bei der
spielten. Vgl. Arnold, Syncretism, 15-17. Auch wenn diese Praktiken einen Einfluss auf die KI ausübten, bleibt das Ausmaß dieses Einflusses unklar. 76 Arnold ist dieser Position in neueren Stellungnahmen wesentlich nähergekommen. Vgl. vor allem Arnold, Sceva, 7-26, gefolgt von Pao 31-32. Während er grundsätzlich an seiner These festhält, dass hinter der KI ein bunter Synkretismus steckt, beteuert er, dass „I do, in fact, see a substantial Jewish contribution to the problem at Colossae“ (S. 7). Diese nennt er sogar „folk Judaism“ (S. 24) und sieht sogar in Skeva und seinen sieben Söhnen (vgl. Apg 19,13-16) ein kleinasiatisches Exemplar dieses volkstümlichen jüdischen Glaubens. Kennzeichnend dafür sei eine Faszination mit „rituals of power, incantations, and angelic adjurations“ (S. 22). Die Annäherung Arnolds an die Position von Dunn und Garland ist begrüßenswert. Es fragt sich nur, ob er weiterhin den Begriff „Synkretismus“ wirklich braucht, um eine Volksreligion, die er bereits als „jüdisch“ charakterisiert, zu beschreiben. Dass die KI heterodoxe Elemente umfasste (wenigstens aus der Sicht des pharisäischen Judentums, das Paulus vermutlich für normativ hielt), ist bereits konstatiert worden. Dass die Befürworter der KI ihre Praktiken als unjüdisch bzw. sich als Synkretisten, die bewusst aus diversen religiösen Strömungen eine eigene Lehre entwickelten, betrachtet haben, darf bezweifelt werden. 1 Vgl. Luz 183. Die Briefe des Paulus sind als echte Briefe und nicht als literarische oder rhetorische Kunstwerke zu betrachten. Die klassische Rhetorik hat gewiss bei der Gestaltung des Briefes ihre Spuren hinterlassen, sodass es durchaus möglich ist, einige Perikopen mit Elementen einer Rede nach den Vorgaben der rhetorischen Handbücher der Antike in Verbindung zu bringen (vgl. vor allem die Kommentare von Wolter, Lincoln und Witherington). Dennoch erscheint es sinnvoller, die Gesamtstruktur des Kol anhand der einfacheren Briefrhetorik darzustellen und im Kommentarteil auf die möglichen rhetorischen Einflüsse an gegebener Stelle hinzuweisen. Vgl. O’Brien, Art. Letters, 550-553.
6. Die Gliederung des Kolosserbriefs
51
Zuordnung in der Gliederung bereiten vor allem zwei Abschnitte: Es ist erstens nicht ganz klar, ob 2,4-5 noch zur Selbstdarstellung des Apostels (1,24– 2,3) gehört – so die Mehrheit der Kommentatoren – oder besser als Einleitung zum Briefkorpus (2,6–4,6) aufzufassen ist.2 Für Letzteres spricht der Inhalt, der das Anliegen des Briefes durch eine allgemeine Warnung vor der Gefahr, in die Irre geleitet zu werden, vorwegnimmt. Dennoch signalisieren sowohl der Wechsel vom 1. Sing. zum 2. Plur. als auch die Partikel οὖν, dass Paulus mit der eigentlichen Argumentation erst mit 2,6 ansetzt. Die unterschiedlichen Auffassungen der Forscher ergeben sich wohl daraus – und das soll man nicht außer Acht lassen –, dass dieses Textstück eine Scharnierfunktion hat. Es dient nämlich dem fließenden Übergang vom vorhergehenden zum nachfolgenden Abschnitt, und ist deswegen weder vom einen noch vom anderen streng abzugrenzen. Zweitens ist die Zuordnung von 2,20–3,4 nicht eindeutig. In der Regel wird 2,20-23 mit 2,16-19 als eine einheitliche Perikope zusammengenommen. Viele Kommentatoren halten aber 3,1-4 für eine thematische Weiterführung von 2,20 bzw. für eine Art Resümee der Warnung vor der KI (2,6-23).3 Andere Forscher – wahrscheinlich die Mehrheit – nehmen 3,1-4 wegen des Wechsels zu einem paränetischen Ton (vgl. 3,3) mit dem nächsten Abschnitt (3,5–4,6) zusammen.4 Es wird selten erwogen, ob 2,20–3,4 in sich zusammenhängender Abschnitt ist, der wie 2,4-6 eine Scharnierfunktion hat, welche den Übergang von der Warnung vor der KI (2,8-23) zu den ethischen Ermahnungen (3,5– 4,6) erleichtert,5 aber einiges spricht dafür. Zum einen ähneln sich 2,20-23 und 3,1-4 von ihrer Struktur: Beide beginnen mit indefiniten Konditionalsätze, in denen Paulus die Kolosser direkt anspricht (vgl. 2,20 mit 3,1). Der paränetische Ton wird somit bereits in 2,20 angeschlagen. Zum anderen beziehen sich beide Konditionalsätze auf die hinter 2,11-12 erkennbare Taufparänese (vgl. die Exegese dort) und ziehen ethische Schlüsse aus der für den Apostel offensichtlichen Tatsache, dass Gläubige an Christus mit ihm in der Taufe gestorben (2,20) und auferstanden (3,1) sind. Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Gliederung des Kol:
2 3 4 5
So z.B. Harris 85. So z.B. Bruce 94; Harris 85; Lincoln 556; Witherington 151. So z.B. Barth/Blanke 391-392; Dunn 199-201; Pokorný 21. Vgl. aber insbes. Dübbers, Christologie, 263-264, sowie Louw, Reading, 26-30; Knowles, Christ, 190; Constantelos, Diversity, 56; Baumert/Seewan 128. LaMarche, Structure, 460461, fasst 2,16–3,2 als zusammenhängende Einheit auf.
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I. Einleitung
1. Briefanfang (1,1–2,5) 1.1. Präskript (1,1-2) 1.2. Einleitung (1,3-23) 1.2.1. Dank für die Kolosser (1,3-8) 1.2.2. Gebet für die Kolosser (1,9-14) 1.2.3. Das Christuslied (1,15-20) 1.2.4. Erinnerung und Ermahnung (1,21-23) 1.3. Die Selbstvorstellung des Apostels (1,24–2,5) 1.3.1. Der Auftrag des Paulus als Völkerapostel (1,24-29) 1.3.2. Das Anliegen des Paulus für die Kolosser (2,1-5) 2. Briefkorpus (2,6–4,6) 2.1. Einleitende Aufforderung (2,6-7) 2.2. Warnung vor der kolossischen Irrlehre (2,8-19) 2.2.1. Die Wertlosigkeit der kolossischen Irrlehre (2,8-15) 2.2.2. Der betrügerische Charakter der kolossischen Irrlehre (2,16-19) 2.3. Schlüsse aus der Tauferfahrung der Gläubigen an Christus (2,20–3,4) 2.3.1. Unterwerft euch nicht den Mächten, denen ihr mit Christus in der Taufe gestorben seid (2,20-23). 2.3.2. Tretet ein in die himmlische Sphäre, in der ihr mit Christus in der Taufe auferweckt wurdet (3,1-4). 2.4. Ethische Ermahnungen (3,4–4,6) 2.4.1. Legt den „alten Menschen“ mit seinen Sünden ab (3,4-11). 2.4.2. Zieht den „neuen Menschen“ mit seinen Tugenden an (3,12-17). 2.4.3. Lebt standesgemäß im christlichen Haushalt (3,18–4,1). 2.4.4. Betet und bezeugt das Evangelium (4,2-6) 3. Briefschluss (4,7-18) 3.1. Empfehlung der Briefträger (4,7-9) 3.2. Grüße (4,10-14) 3.3. Letzte Anweisungen (4,15-17) 3.4. Eigenhändiger Gruß und Segen (4,18)
7. Die Textüberlieferung
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7. Die Textüberlieferung Die sogenannten „ständigen Zeugen“ bzw. die häufig zitierten Zeugen bilden in der Textausgabe NA28 die Grundlage für die textkritische Bewertung der MSS und Urteile über die ursprüngliche LA an Stellen, deren Text nicht eindeutig überliefert wurde. Für den Kol gehören folgende MSS dazu:1 Papyri: 46, 61 Majuskeln: 01) )א, A (02), B (03), C (04), D (06), F (010), G (012), H (015), I (016), K (018), L (020), P (025), Ψ (044), 048, 075, 0198, 0208, 0278 Minuskeln: 33, 81, 104, 365, 630, 1175, 1505, 1506, 1739, 1881, 2464 Lektionare: l 249, l 846 Die textkritische Analyse im exegetischen Teil beschränkt sich i.d.R. auf Stellen, an denen etwaige Varianten einen Einfluss auf die Auslegung des Textes haben. Bis auf acht Ausnahmen (vgl. die textkritischen Anmerkungen zu 1,7.20.22; 2,12.13.15; 3,6; 4,12) folgt sie dem Urteil der Herausgeber von NA28. Nur an diesen Stellen wird ausführlicher auf die textkritische Sachlage eingegangen. Ansonsten begnügt sich die Analyse i.d.R. mit der Darstellung des „negativen Befundes“ – d.h. nicht aufgelistete ständige Zeugen bestätigen den Text von NA28 –, und es wird kurz zusammengefasst, warum der Entscheidung des Herausgeberkomitees zuzustimmen ist.
8. Die Beziehung des Kolosserbriefes zu anderen Schriften im Corpus Paulinum Kol gehörte vermutlich bereits ab den frühen 80er-Jahren des 1. Jh.s einer Paulusbriefsammlung an (vgl. S. 25) und weist dementsprechend viele Verbindungen zum CP auf. Am auffälligsten sind diese im Hinblick auf den Phlm. Denn in beiden Briefen 1. werden Paulus und Timotheus als Verfasser genannt (vgl. 1,1 mit Phlm 1), 2. lassen fünf der gleichen Personen Grüße ausrichten (vgl. 4,10-14 mit Phlm 23-24) und 3. befindet sich Archippus unter den Adressaten (vgl. 4,17 mit Phlm 2). Es handelt sich m.a.W. sowohl beim Kol als auch beim Phlm um die gleiche Briefsituation, und es ist anzunehmen, dass sie in einem kurzen zeitlichen Abstand zueinander verschickt wurden (vgl. S. 2829). 1 Vgl. NA28, 21. Für eine ausführlichere Beschreibung der ständigen Zeugen vgl. Foster 115-120.
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I. Einleitung
In einem engen literarischen Verhältnis steht der Kol auch zum Eph.1 Dies bestätigen allein schon die praktisch identischen Tychikus-Notizen in beiden Briefen, die übrigens unter der Annahme der paulinischen Verfasserschaft ihre zeitnahe Abfassung und Austragung bestätigen: Kol 4,7-8: Tychikus, der geliebte Bruder, treuer Diener und Mitstreiter im Herrn wird euch über alles, was mich angeht, mitteilen. Ich habe ihn aus diesem Grund zu euch geschickt, damit ihr erfahrt, wie es uns geht, und er eurem Herzen Trost zuspricht.
Eph 6,21-22: Damit auch ihr erfahrt, was mich angeht und was ich tue: Alles wird euch Tychikus, der geliebte Bruder und treuer Diener im Herrn, mitteilen. Ich habe ihn aus diesem Grund zu euch geschickt, damit ihr erfahrt, wie es uns geht, und er eurem Herzen Trost zuspricht.
τὰ κατ ̓ ἐμὲ πάντα γνωρίσει ὑμῖν Τύχικος ὁ ἀγαπητὸς ἀδελφὸς καὶ πιστὸς διάκονος καὶ σύνδουλος ἐν κυρίῳ. ὃ ἔπεμψα πρὸς ὑμᾶς αὐτὸ τοῦτο, ἵνα γνῶτε τὰ περὶ ἡμῶν καὶ παρακαλέσῃ τὰς καρδίας ὑμῶν
ἵνα δὲ εἰδῆτε καὶ ὑμεῖς τὰ κατ ̓ ἐμὲ, τί πράσσω πάντα γνωρίσει ὑμῖν Τύχικος ὁ ἀγαπητὸς ἀδελφὸς καὶ πιστὸς διάκονος ἐν κυρίῳ. ὃ ἔπεμψα πρὸς ὑμᾶς αὐτὸ τοῦτο, ἵνα γνῶτε τὰ περὶ ἡμῶν καὶ παρακαλέσῃ τὰς καρδίας ὑμῶν
Darüber hinaus setzen beide Briefe ähnliche theologische Schwerpunkte bzgl. der Christologie, Ekklesiologie und Eschatologie und verwenden dafür oft das gleiche (diesen Briefen eigene) Vokabular.2 Wenn diese Gemeinsamkeiten auf eine literarische Abhängigkeit eines dieser Briefe vom anderen zurückzuführen sind,3 dann ist mit der Forschungsmehrheit davon auszugehen, dass der Kol als Vorlage für den Eph diente und nicht umgekehrt.4 In diesem Fall müsste der Eph als Pseudepigraphon aufgefasst werden, das folglich nicht unmittelbar für die Auslegung des Kol, sondern genau genommen nur für die Erfassung seiner Wirkungsgeschichte relevant ist. Möglich ist aber auch, dass Paulus oder – analog zur oben vertretenen These bezüglich der Entstehung des Kol – einer seiner Mitarbeiter in seinem Auftrag5 mehr oder weniger gleichzeitig sowohl einen Brief an eine bestimmte Ortsgemeinde, der sich mit der 1 Vgl. Polhill, Relationship, 439-441. 2 Vgl. Arnold, Ephesians, 552-553. 3 Dies wird allerdings von manchen Kommentatoren infrage gestellt. Vgl. Best, Ephesians, 20-25; Talbert, Ephesians, 5-6. 4 So auch MacDonald 4. Vgl. u.a. Gnilka, Epheserbrief, 12-13; Lincoln, Ephesians, 170; Kooten, Christology, 227-230; Sellin, Epheserbrief, 159. Kontra Thiessen, Paulusbriefe, 154-165. 5 Vgl. Rabens, Art. Ephesians, 239-241.
9. Die theologische Eigenart des Kolosserbriefes
55
dort spezifischen Problematik einer aufkommenden Irrlehre und ihrer Bekämpfung befasst, als auch einen allgemeineren Rundbrief, der die im Kol angewandten theologischen Themen und paränetischen Anliegen für ein breiteres Publikum fruchtbar macht, geschrieben hat.6 In diesem Fall ist immer noch vom Primat des Kol auszugehen, aber der Eph hätte für die Auslegung des Kol wesentlich größere Relevanz. Zwischen dem Kol und den anderen Briefen im CP wird auch nicht selten eine literarische Beziehung, auch wenn bei Weitem keine so enge wie bei den Briefen an Philemon und an die Epheser, vermutet.7 Forscher betonen insbesondere verschiedene theologische und terminologische Übereinstimmungen zum 1Kor,8 zum Röm9 und zum Phil.10 Ob diese wirklich reichen, um die These einer literarischen Verbindung zu bestätigen, bleibt dahingestellt. Bei der Annahme der paulinischen Verfasserschaft des Kol rückt die Frage ohnehin in den Hintergrund, lassen sich doch in diesem Fall die Übereinstimmungen auf den gemeinsamen Autor zurückführen. Demzufolge darf und muss man bei der Auslegung des Kol die anderen Briefe des Paulus als wichtigste Deutungshilfe heranziehen.11 Das gilt natürlich auch, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß, bei der vor allem in der deutschen Forschung weit verbreiteten Annahme, dass der Kol das literarische Produkt einer Paulusschule ist, welche das Erbe des Apostels aufzubewahren und für die theologische Reflexion über die Herausforderungen, die sich den Gemeinden in nachpaulinischer Zeit stellten, bestimmend zu machen versuchte.12
9. Die theologische Eigenart des Kolosserbriefes Es wird allseits anerkannt, dass der Kol gegenüber den unumstrittenen Paulinen und insbesondere hinsichtlich seiner Christologie, Eschatologie und Ekklesiologie eigene (bzw. teilweise mit dem Eph gemeinsame) theologische Akzente setzt. Wie wir bei der Behandlung der Verfasserfrage gesehen haben, sehen viele Forscher darin eine nachpaulinische Entwicklung, die vor allem 6 Ähnlich auch Bruce 230-231. Zur möglichen Verfasserschaft des Eph durch Paulus vgl. die auf S. 29, Anm. 5 erwähnten Kommentare. 7 Vgl. Leppä, Making, 223, die allerdings nur die unumstrittenen Paulinen mit dem Kol vergleicht. Das gleiche gilt für Frank, Kolosserbrief, 348-353. 8 Vgl. Bruce 231-232, sowie kritisch dazu Hoppe, Triumph, 259-264. 9 Vgl. Lohse 255. 10 Vgl. Kiley, Colossians, 76-91; Bormann, Bedeutung, 321-341, bes. 330-335. 11 Vgl. dazu vor allem Wilson, Parallels, 341-364. 12 Vgl. Schnelle, Einleitung, 48-53.
56
I. Einleitung
durch die Aufgabe des für Paulus typischen eschatologischen Vorbehalts gekennzeichnet ist. Denn ihrer Meinung nach ist eine Entwicklung des Ausmaßes, wie sie diese im Kol wahrnehmen zu können meinen, innerhalb der Wirkungszeit des Paulus nicht möglich. Daher wird sie i.d.R. dem Imitationseifer eines Schülers bzw. des Schülerkreises des Apostels zugeschrieben. Das ist, wie wir oben gesehen haben, nicht die einzige und wahrscheinlich auch nicht die beste Lösung, zumal sie einerseits mit methodischen Schwierigkeiten behaftet ist und andererseits erkennbaren Berührungspunkten mit den unumstrittenen Paulinen zu wenig Tribut zollt (vgl. S. 20-26). Unter der Annahme der paulinischen Verfasserschaft stellt sich erst recht die Frage, ob im Kol ein fortgeschrittenes Stadium des theologischen Denkens des Apostels feststellbar ist. Aus zwei Gründen ist diese These mit Vorsicht zu betrachten. Erstens ist davon auszugehen, dass die entscheidende Entwicklung der Theologie des Paulus in den Jahren zwischen seiner Bekehrung (ca. 32 n.Chr.) und dem Anfang seiner Schreibtätigkeit (frühestens Ende der 40erJahre, zumindest was seine uns erhaltenen Briefe betrifft) erfolgt ist.1 Man kann daher nicht ohne Weiteres annehmen, dass etwaige ungewöhnliche theologische Äußerungen in einem späteren Brief auf eine Entwicklung in der Theologie des Paulus gegenüber seinen früheren Briefen zurückzuführen sind. Genauso möglich ist (und dies muss im Einzelfall ernsthaft erwogen werden), dass sich Paulus erst in einer späteren Briefsituation zur Äußerung einer bereits früher gefestigten theologischen Überzeugung veranlasst sah. Nehmen wir als Beispiel die vielerorts vermutete Entwicklung in der Ekklesiologie des Kol gegenüber den Hauptbriefen. Wie oben dargestellt (vgl. S. 22, Anm. 31) lagen die notwendigen Komponenten für die Beschreibung von Christus als Haupt der Gemeinde – eine organische Verbindung zwischen Christus und der Gemeinde aufgrund der Auferstehung und eine deutliche Führungsrolle Christi gegenüber der Gemeinde – bereits im 1Kor vor. Wichtige gedankliche Bausteine dafür sind sogar in 1Thess 4,13-18 feststellbar. Wie die Exegese des Kol zeigen wird, bot aber erst die Situation in Kolossä den erforderlichen Anlass zur Ausführung der Haupt-Leib-Verbindung zwischen Christus und der Gemeinde. Zweitens ist, insbesondere gegenüber den Korintherbriefen und dem Römerbrief, selbst bei spätmöglichster Datierung eines vom Paulus verfassten Kol (Anfang der 60er-Jahre) weder viel Zeit noch Anlass für weitreichende Veränderungen in der Grundhaltung des Apostels. Welchen Grund er z.B. gehabt hätte, um zwischen der Mitte bzw. dem Ende der 50er-Jahre und dem 1 Vgl. Hengel/Schwemer, Paulus, 27-28.460-461.
9. Die theologische Eigenart des Kolosserbriefes
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Anfang der 60er-Jahre seinen eschatologischen Vorbehalt gänzlich aufzugeben, ist nicht sofort ersichtlich. Zudem lässt ein Vergleich des Kol mit den früheren Paulusbriefen bezweifeln, dass die diesbezüglichen Unterschiede in Wirklichkeit so eklatant sind, wie in der Forschung oft behauptet wird. (Vgl. die auf S. 23 von T. Still und mir angeführten Evidenzen für eine aufrechterhaltene eschatologische Spannung im Kol.) Ein fruchtbarerer Ansatz scheint derjenige zu sein, der in der angelsächsischen Paulusforschung zunehmend Anerkennung findet.2 Dieser verlangt, dass die Situationsbedingtheit der Paulusbriefe gebührend respektiert wird. Das beginnt damit, dass man von dem Versuch absieht, aus jenen Schreiben eine „Theologiegeschichte“ des Paulus zu erschließen. Er verbietet keineswegs das Bemühen um eine möglichst genaue Beschreibung der paulinischen Theologie (auch wenn er Zweifel anmeldet, dass dies bei der schmalen Beweislage lückenlos gelingen wird). Vielmehr macht er aber geltend, dass jeder Brief, auch wenn er Einblick in die Gesamttheologie des Apostels gewährt, trotzdem nur bestimmte, für die Briefsituation relevante Themen bespricht und dementsprechend seine Akzente setzt. Diese sollen vorerst für sich allein sprechen dürfen, ohne gleich nach ihrer Übereinstimmung mit entsprechenden Themen in den Hauptbriefen befragt zu werden. Hält man sich an diese Vorgehensweise, lässt sich das Eigenprofil der jeweiligen Briefe besser herausarbeiten, was erst in weiterer Folge die Erschließung einer zwar nicht mehr von einer vorgefassten „Mitte“ her systematisierbaren, dafür aber facettenreicheren paulinischen Theologie ermöglicht. Welche Auswirkung dieser Ansatz für die Erhebung der Theologie des Kol hat, soll hier in aller Kürze zusammengefasst und im Kommentarteil ausführlich erläutert werden. Ausgangspunkt für unsere Überlegungen ist die Prämisse, dass die Theologie, die im Kol zum Ausdruck kommt, im Dienst des symbuleutischen Anliegens des Briefes steht. Diese ist nämlich bewusst formuliert, um die Kolosser davon zu überzeugen, dass sie der KI kein Gehör mehr und ihre Aufmerksamkeit wieder ganz dem im Evangelium verkündeten Christus schenken sollen.3 Die Akzentverschiebung in der Christologie, Eschatologie und Ekklesiologie, die im Kol gegenüber den unumstrittenen Paulinen, insbesondere den Hauptbriefen, erkennbar wird, lässt sich größtenteils darauf zurückführen.
2 Vgl. Schreiner, Epistles, 41-45; Boer, Paul, 369-371; Moo 60; Beale, Theology, 181-182. 3 So auch Moo 60.
58
I. Einleitung
In der Christus-Darstellung des Kol wird dies gleich ersichtlich. Einerseits besteht Kontinuität zwischen den christologischen Aussagen des Kol und denen der unumstrittenen Paulinen: 1. Gott ist der Vater Jesu Christi (vgl. 1,3 mit Röm 15,6; 1Kor 1,3; 2Kor 1,3); 2. der Kreuzestod Christi überwindet die Feindseligkeit zwischen Gott und den Menschen und ermöglicht Versöhnung mit Gott (vgl. 1,21-22 mit Röm 5,10); 3. Gott hat Jesus von den Toten auferweckt (vgl. 2,12 mit Röm 6,4; 8,11; 1Kor 6,14; 1Thess 1,10); 4. Christus wurde erhöht und sitzt zur Rechten Gottes (vgl. 3,1 mit Röm 8,34; Phil 2,9); 5. Christus wird wiederkommen (vgl. 3,4 mit 1Kor 11,26; 15,23; 1Thess 1,10; 2,19; 3,13; 4,15-18). Andererseits ist die Christologie des Kol unvergleichlich hoch: 1. Christus ist das Ebenbild Gottes (1,15) und Schöpfungsmittler (1,16); 2. der ganze Kosmos wurde für ihn geschaffen (1,6); 3. das Versöhnungswerk Christi hat universales Ausmaß (1,20); 4. in Christus wohnt die „Fülle Gottes“ (1,19; 2,9); 5. „alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis“ sind in ihm verborgen (2,3). Zwar gibt es auch hier Verbindungen zu den unumstrittenen Paulinen – z.B. zur Ebenbildlichkeit Christi (vgl. 2Kor 4,4), zur Schöpfungsmittlerschaft Christi (vgl. 1Kor 8,6) und zur Identifikation Christi mit der Weisheit (vgl. 1Kor 1,25.30) –, aber das sind vereinzelte Aussagen, die in dieser Dichte nirgendwo sonst im CP vorhanden sind. Der Grund für diese Zuspitzung der christologischen Potenz gegenüber herkömmlichen paulinischen Äußerungen liegt in der Irrlehre, die Paulus in Kolossä zu bekämpfen bemüht war. Wie wir gesehen haben bzw. wie die Exegese noch zeigen wird, geht es dabei um geistliche Mächte, die die Vertreter der KI als Engel verehren, weil sie meinen, dass diese Mächte einen entscheidenden Einfluss auf das Leben der Menschen ausüben (vgl. zu 2,8). Sie fühlen sich diesen Geisteswesen ausgeliefert und wollen sie beschwichtigen bzw. auf ihre Seite ziehen.4 Paulus will mit seinen unüberbietbaren christologischen Ausführungen den Kolossern deutlich machen, dass sie von diesen Mächten nichts zu befürchten haben, weil jene Mächte Christus unterstellt sind, und auch nichts bekommen werden, was sie nicht längst in Christus genießen. Das folgt einfach daraus, dass er diese Mächte geschaffen und befriedet hat. Sie haben keinen Anteil am Göttlichen, denn die ganze Fülle Gottes – das ist, wie die Exegese zeigen wird, eine Umschreibung für Gott selbst (vgl. zu 1,19; 2,9) – wohnt in Christus. Ähnlich verhält es sich bei der Eschatologie des Kol. Es ist zwar eine Verzerrung des Sachverhalts, wenn manche Kolosser-Forscher von einer Auflö4 Zur Weltanschauung der Kolosser in ihrem hellenistischen Kontext vgl. Wilson, Glory, 25.
9. Die theologische Eigenart des Kolosserbriefes
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sung der eschatologischen Spannung, wie sie sonst bei Paulus zu spüren ist, sprechen (vgl. S. 23), aber es stimmt wohl, dass die eschatologische Auffassung des Kol stärker präsentisch und weniger zukunftsbezogen ist, wie etwa die des 1Thess oder auch des 1Kor und des Röm. Dort ist z.B. die Auferstehung der Gläubigen ein noch ausstehendes Ereignis, nach dem sich die Gläubigen sehnen (vgl. Röm 6,3-5; 8,11.18-23; 1Kor 6,14). Im Kol hingegen ist das Auferstehungsleben bereits durch die Taufe erfahrbar (vgl. 2,12; 3,1). Es stimmt auch, dass die für die unumstrittenen Paulinen eher typische zeitliche Aufteilung zwischen dem jetzigen Heilszustand und der erst in Zukunft zu erwartenden Vollendung zugunsten von räumlichen Vorstellungen parallel existierender Heilssphären – dem Himmel oben und der Erde unten – in den Hintergrund getreten ist, wobei auch hier vor einer Übertreibung des Ausmaßes dieses Phänomens zu warnen ist. Denn auch in den unumstrittenen Briefen konzipiert Paulus die jeweiligen Heilssphären als räumlich getrennte Bereiche (vgl. Phil 3,21; 1Thess 1,10) und behauptet sogar an „realisierten“ eschatologischen Ereignissen in der Himmelsphäre beteiligt gewesen zu sein (vgl. 2Kor 12,1-4), genauso wie auch der Kol noch ausstehende Ereignisse im eschatologischen Zeitablauf kennt (vgl. zu 3,4). Wiederum aber lassen sich die Verschiebungen in der eschatologischen Schwerpunktsetzung des Apostels anhand der zu widerlegenden KI erklären.5 Denn diese versprach, ihren Anhängern durch asketische Praktiken und das Einhalten jüdischer Riten die Teilnahme an der Himmelssphäre und damit auch Einfluss auf deren Bewohner zu ermöglichen. Sie beanspruchte somit für sich ein Realisierungspotenzial geistlicher Existenz und Kraft, das für seine Botschaft von Christus entsprechend stark zu beanspruchen Paulus bis dahin keinen Anlass gehabt hatte. Dennoch musste er keine grundsätzlich neuen theologischen Ansichten ad hoc konzipieren, um diesen enthusiastischen Tendenzen entgegenzutreten, sondern nur die bereits vorhandenen präsentischen Elemente seiner Theologie, die in anderen Briefen vereinzelt bezeugt sind, gleichsam aktivieren. Korrigierend beteuert er, dass die Christen bereits die Sphäre Christi bewohnen (3,1-3), der seinerseits selbst von der göttlichen Fülle bewohnt wird (1,19; 2,9), und deswegen schon Zugang zu allen Schätzen der Weisheit und der Erkenntnis haben (2,3). Selbstverständlich stellt das keine ausgeglichene paulinische Eschatologie dar, sondern lediglich die situationsbedingte Anwendung paulinischer Eschatologie. Sie ist aber deswegen weder als unpaulinisch noch unbedingt als spätpaulinisch zu betrachten. 5 So auch Lona, Eschatologie, 235-236, der allerdings die paulinische Verfasserschaft des Kol bestreitet.
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I. Einleitung
Auch die Schwerpunktsetzung in der Ekklesiologie des Kol lässt sich als eine maßgeschneiderte Antwort auf die Herausforderung verstehen, welche die KI für die Gemeinde in Kolossä darstellte. Das fällt insbesondere bei der Leib-Metaphorik auf. Dass die Gemeinde als Leib Christi bezeichnet wird, ist keine Eigenart des Kol (vgl. 1Kor 12,12-27; Röm 12,4-5). Neu ist nur die Darstellung von Christus als Haupt des Leibes (vgl. Kol 1,18; 2,19). Für diese folgenschwere Erweiterung der Leib-Metapher lagen aber die konzeptuellen Bausteine, wie oben schon bemerkt, bereits in den Konzeptionen des Apostels vor, als er den 1Thess und den 1Kor schrieb (vgl. S. 22). Es wäre methodisch unzulässig, einfach anzunehmen – selbst bei Datierung des Kol während der römischen Gefangenschaft –, dass die chronologische Reihenfolge, in der die verschiedenen Komponenten der Metapher in seinen Briefen auftauchen, der Entwicklung der Metapher in seinen Gedanken entspricht. Wir wissen nicht, wann welche Aspekte des Bildes vom Leib – die Beziehung zwischen Haupt und Rumpf und die Beziehung der Glieder untereinander – seine Fantasie anregten. Wir wissen nur, wie er beide Aspekte textpragmatisch in unterschiedlichen Briefsituationen einsetzt. In Kolossä versuchten die Anhänger der KI durch asketische Riten Verbindungen zu verschiedenen Geistes- bzw. Engelwesen herzustellen. Paulus erinnert die Gemeinde daran, dass die einzige Verbindung, auf die es ankommt, bereits hergestellt wurde: zu Christus, dem Haupt der Gemeinde (vgl. 1,18). Es gilt diese Verbindung zu pflegen, denn nur so können die Glieder des Leibes wachsen und gedeihen (vgl. 2,19). Die Ekklesiologie des Kol wurde also bewusst formuliert, um einer ihr konkurrierenden Konzeption eines Abhängigkeitsverhältnisses zu anderen der Gemeinde übergeordneten Geistesmächten entgegenzutreten. Die antike Vorstellung vom Haupt nicht nur als den Leib anführende, sondern auch als für das Wohlergehen des Leibes verantwortliche Instanz diente Paulus dazu vortrefflich.6 Das theologische Profil des Kol lässt sich also zufriedenstellend anhand der Situation vor Ort in Kolossä erklären. Hier begegnet uns keine umfassende, sondern eine angewandte Theologie des Apostels, die erkennbare Verbindungslinien zu paulinischen Hauptthemen aufweist, diese aber problemorientiert weiterführt, um die Christen in Kolossä für ihre Auseinandersetzung mit der KI zu wappnen. Das soll nun die Auslegung des Briefes im Einzelnen bestätigen.
6 Vgl. Arnold, Jesus, 350-355; Moo 67.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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II. Auslegung 1. Briefanfang (1,1–2,5) 1.1. Präskript (1,1-2)
I Übersetzung 1 Paulus, der durch den Willen Gottes zum Apostel des Messias Jesu berufen wurde, und Timotheus, unser Bruder, 2 an die heiligen und treuen Geschwister im Messias, die in Kolossä leben. Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, sei mit euch.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 1,2: 1) A D* F G 33 104 lat syp sams bopt fügen ’Ιησοῦ nach Χριστῷ ein. Damit wurde die Bezeichnung an das vorhergehenden (1,1) und an das folgenden (1,3) Vorkommen von Χριστοῦ ’Ιησοῦ angepasst. 2) אA C F G I 075 104 365 630 1241 2464 it vgcl syh** bo sowie Hier fügen καὶ κυρίου ’Ιησοῦ Χριστοῦ nach ἡμῶν ein. Damit wird der Gnadengruß der für die paulinischen Briefe typischen Formel angeglichen (vgl. 1Kor 1,3; 2Kor 1,2; Gal 1,3; Eph 1,2; Phil 1,2; 2Thess 1,2; Phlm 3). Gerade deswegen ist diese Ergänzung als spätere Hinzufügung zu betrachten und die kürzere LA vorzuziehen. Form. Das Präskript des Kol entspricht seiner Form nach hellenistischen Briefkonventionen, enthält aber einige für die Paulusbriefe typische Noten.1 Diese grundsätzliche Form ist schlicht: Autorenangabe – Adressenangabe – Grußformel. Die Autorenangabe in 1,1 ist identisch mit 2Kor 1,1 und im Hinblick auf die Beschreibung des Briefautors beinahe identisch mit 1Kor 1,1, Eph 1,1 und 2Tim 1,1. Wolter sieht darin eine bewusste „Nachahmung des paulinischen Briefstils“ durch einen pseudepigraphischen Schreiber um „den Adressaten des Briefes dessen paulinische Authenzität glaubhaft zu machen“.2 Warum der Schreiber dann bei der Adressenangabe und der Grußformel so deutlich von der paulinischen Praxis abweicht (vgl. zu 1,2 unten), bleibt bei dieser These unklar. Die Vermutung, dass die Grußformel dem früh-
1 Vgl. O’Brien, Letters, 551; Lohse 32; Sumney 25; Bormann 52. 2 Wolter 47.
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II. Auslegung
christlichen Gottesdienst entnommen wurde,3 kann ebenso wenig bewiesen werden wie diejenige, dass sie von Paulus selbst stammt.4
III Einzelexegese 1 Dass Paulus durch den Willen Gottes zum Apostel des Messias Jesus berufen wurde (Παῦλος ἀπόστολος Χριστοῦ Ἰησοῦ διὰ θελήματος θεοῦ), ist grundlegend für seine Selbstauffassung. Der Begriff „Apostel“ (ἀπόστολος) kann ganz allgemein „Abgesandter“ oder „Bote“ bedeuten. Paulus gebraucht ihn auch manchmal in diesem Sinne, z.B. wenn er von ihm beauftragte Mitarbeiter beschreibt (vgl. Röm 16,7; 2Kor 8,23; Phil 2,25), hier jedoch gemäß seiner im NT vorherrschenden quasi-technischen Bedeutung, durch die er das Amt des Apostels im engeren Sinne für sich beansprucht. Der Ausdruck „Wille Gottes“ (θέλημα θεοῦ) kommt 19-mal im CP vor (Röm 1,10; 2,18; 12,2; 15,32; 1Kor 1,1; 2Kor 1,1; 8,5; Gal 1,4; Eph 1,1.5.9.11; 5,17; 6,6; Kol 1,1.9; 4,12; 1Thess 5,1; 2Tim 1,1) und spielt eine grundlegende Rolle in der Theologie des Paulus. Dass Gott bestimmte Ziele verfolgt und diese seinem Volk offenbart, setzt er als Jude voraus (vgl. Ex 33,13; Ps 103,7; 143,10; Jes 55,811). Für den Jesusnachfolger kommt die Überzeugung hinzu, dass Gottes Wille seinen Gesamtplan für die Schöpfung in Christus erfasst (vgl. Eph 1,910), insbesondere die Befreiung der Menschheit vom Versklavtsein in der gegenwärtigen Weltepoche (vgl. Gal 1,4), aber auch die Rolle der Gläubigen in diesem Plan, sei es seine als Apostel (vgl. 1Kor 1,1; 2Kor 1,1; Eph 1,1; 2Tim 1,1) oder die seiner Adressaten (vgl. 2Kor 8,5; Eph 5,17; 6,6; Kol 4,12; 1Thess 5,1). Paulus betont durch das Präpositionalgefüge durch den Willen Gottes (διὰ θελήματος θεοῦ), dass er sich seine apostolische Autorität nicht selbst erworben hat, sondern dass ihm diese aufgrund des Entschlusses Gottes übertragen wurde. Hinter dieser Überzeugung steht die lebhafte Erinnerung an sein außergewöhnliches Bekehrungs- bzw. Berufungserlebnis, durch das sich Jesus ihm als Messias offenbarte und ihn in seinen Dienst bestellte (vgl. Gal 1,12.1516).5 Daraus leitete er für sich keinen apostolischen Ruf in den Zwölferkreis hinein (dieser war gemäß der frühchristlichen Tradition, die Lukas aufgreift, nach der einmaligen Ersetzung des Judas durch Matthias geschlossen; vgl. Apg 1,15-26), sondern als „Apostel zu den Heiden“ (vgl. Röm 11,13) eine eigenständige heilsgeschichtliche Rolle ab (vgl. zu 1,24-27).6 Deswegen 3 4 5 6
So Lohmeyer 19; Bruce 39. So O’Brien 4-5. Vgl. Kim, Origin, 56-66. Vgl. Riesner, Frühzeit, 207-209; Wilk, Bedeutung, 373-378.408.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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konnte er nicht nur für Gemeinden, die er selbst gegründet hat, sondern auch für Gemeinden in seinem erweiterten Wirkungskreis, wie jene in Kolossä, und sogar darüber hinaus (vgl. Röm 1,1) apostolische Vollmacht beanspruchen. Dass er dabei selbstbewusst auftritt, ist klar – und für Paulus nicht ungewöhnlich; von einem polemischen Ton kann man jedoch nicht sprechen.7 Paulus stellt sich in seinen Briefen mit Vorliebe als „Apostel des Messias Jesus“ (ἀπόστολος Χριστοῦ Ἰησοῦ; vgl. die Autorenangaben in 1Kor, 2Kor, Eph, 1Tim, 2Tim und Tit), manchmal als „Diener des Messias Jesus“ (vgl. die Autorenangaben der Röm und Phil) vor.8 Auch wenn Paulus sonst beliebig zwischen Χριστός Ἰησοῦς und Ἰησοῦς Χριστός wechselt – daran lässt sich jedenfalls keine programmatische Absicht erkennen –, scheint seine Selbstbezeichnung für seinen apostolischen Dienst eine festgelegte Form angenommen zu haben. Darin unterscheidet sie sich von der Selbstbezeichnung der anderen ntl. Briefautoren in diesem Punkt (vgl. die Autorenangaben in 1Petr, 2Petr, Jak und Jud). Diese Sachlage stützt die Annahme, dass der Begriff Χριστός bei Paulus nicht bloß zu einem Beinamen für Jesus geworden ist, wie eine Mehrheit in der Forschung meint,9 sondern seine (quasi-)tituläre Konnotation stets (mit ein paar wenigen möglichen Ausnahmen) beibehält.10 Wir übersetzen ihn deswegen durchgehend im Kol mit „Messias“. Timotheus wird hier, wie auch bei den Autorenangaben in 2Kor, Phil, 1Thess, 2Thess und Phlm, als Mitabsender des Kol erwähnt. Seine genauere Rolle bei der Verfassung des Briefes ist umstritten. Manche halten ihn für den eigentlichen Schreiber des Kol (vgl. S. 27-28). Das vermuten vor allem 7 So auch Barth/Blanke 140; Garland 40. Kontra Lightfoot 131; Schweizer 31. 8 In den Thessalonicherbriefen stellt Paulus sich und seine Mitarbeiter nur mit Namen vor. Im Phlm bezeichnet er sich bedingt durch die Briefsituation als „Gefangener des Messias Jesus“ (δέσμιος). Im Gal beginnt er, auch durch die Ausgangssituation bedingt, förmlich mit einer Apologia seiner Berufung zum Apostel. 9 Vgl. z.B. Hahn, Hoheitstitel, 223-224. 10 Gegen die Mehrheitsmeinung äußern sich u.a. Wright, ΧΡΙΣΤΟΣ, 41-55; Novenson, Messiahship, 396-412; Barth/Blanke 137; Bird 33-34. Moo 75 äußert berechtigte Zweifel, dass für einen Juden mit der Biographie eines Paulus die tituläre Nuance des ChristusBegriffs jemals ganz in den Hintergrund geraten konnte. Ähnlich Schnelle, Paulus, 497498. Novensons 2012 veröffentlichte Princetoner Dissertation, Christ, insbes. 64-97, liefert nun wichtige Impulse für eine weiterführende Diskussion. Er argumentiert, m.E. überzeugend, dass das Nomen „Christos“ bei Paulus weder als Eigenname (der eine Einzelperson bezeichnet, ohne gleichzeitig assoziative Begleitvorstellungen hervorzurufen; z.B. „Octavian“) noch als Titel (der in erster Linie eine Klasse, gleichzeitig aber auch eine Einzelperson bezeichnen kann; z.B. „Kaiser“), sondern als „honorific“ oder „Ehrentitel“ (der in erster Linie eine Einzelperson und gleichzeitig eine Klasse bezeichnet; z.B. „Augustus“) aufzufassen sei. Novensons These verspricht, die Vielfalt der sprachlichen Phänomene bzgl. des Christus-Begriffs besser erfassen zu können als die bisherigen Optionen. Vgl. dazu auch Foster 127-128.
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II. Auslegung
diejenigen, die die Unterschiede zwischen dem Stil und der Theologie der unumstrittenen Paulinen und dem Kol für gravierend halten. Es kann durchaus sein, dass Timotheus bei der Verfassung des Kol eine größere Rolle zukam als bei anderen Briefen, in denen er als Mitabsender angeführt ist (vgl. S. 27-28). Dass ihm der Apostel diese Verantwortung zugetraut hätte, steht außer Frage. Der aus Lystra stammende Timotheus wird zusammen mit seiner jüdischen Mutter durch die Verkündigung des Paulus während seiner ersten Missionsreise zum Glauben an Jesus als Messias gekommen sein (vgl. Apg 14,8-23) und wurde auf Empfehlung der Gemeinde in Lystra von Paulus bereits während seiner zweiten Missionsreise in sein Mitarbeiterteam aufgenommen (vgl. Apg 16,1-3). Auf seine Zugehörigkeit zum engsten Kreis des Apostels wird wahrscheinlich durch seine Bezeichnung als unser Bruder (wörtlich „der Bruder“; ὁ ἀδελφός) hingewiesen.11 Das schließt aber nicht aus, dass seine Angehörigkeit zur „Familie Gottes“ – und dadurch zu den Geschwistern in Kolossä (vgl. zu 1,2) – auch die Wahl des Begriffs in diesem Kontext beeinflusste. Ob nun als „Mitarbeiter“ oder „Mitchrist“, Timotheus ist Paulus während der Zeit ihres gemeinsamen Dienstes sehr ans Herz gewachsen. Der Apostel betrachtete ihn wie seinen eigenen Sohn (vgl. 1Kor 4,17; Phil 2,22), und falls der griechische Vater des Timotheus früh verstorben war – in einigen wenigen Manuskripten wird in Apg 16,1 die Mutter von Timotheus zum Zeitpunkt der zweiten Missionsreise als Witwe bezeichnet –, dürfte Paulus ganz natürlich die Rolle eines Ziehvaters für diesen jungen Mann übernommen haben. 2 Die Gemeinde in Kolossä wird als die heiligen und treuen Geschwister im Messias in Kolossä (τοῖς ἐν Κολοσσαῖς ἁγίοις καὶ πιστοῖς ἀδελφοῖς ἐν Χριστῷ) angesprochen. Es darf inzwischen als Konsens gelten, dass der mask. Plur. „Brüder“ (ἀδελφοί) als Anrede im Kontext der ntl. Briefe sowohl männliche als auch weibliche Gemeindeglieder umfasst. So ist er auch hier mit Geschwister zu übersetzen.12 Die Bezeichnung von Nichtverwandten als Geschwister – in den Humanwissenschaften „fiktive Verwandtschaft“ genannt – fällt auf. Obwohl dieser Brauch manchmal vorschnell als Proprium frühchristlicher Gemeinden dargestellt wird, gilt es inzwischen als bewiesen, dass er im antiken Vereinswesen nicht unbekannt war.13 Was aber den christlichen Gebrauch doch auszuzeichnen scheint, ist die Tatsache, dass er über alle sozio-
11 Vgl. Ellis, Paul, 13-18; Ollrog, Paulus, 77-78; Moo 76. Kontra Pokorný 27; Sumney 26. 12 Vgl. Wolter 49; Luz 193; Moo 76. 13 Vgl. Harland, Identity, 65-74.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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ökonomischen Grenzen hinweg praktiziert wurde, selbst zwischen Sklaven und ihren Herren (vgl. Phlm 16). Unklar bleibt hingegen, ob ἁγίοις mit einer Minderheit der Kommentatoren als Adj. („heilig“)14 oder mit der Mehrheit als eigenständiges Subst. („die Heiligen“)15 aufzufassen ist. Einerseits begegnet das für Paulus typische ἁγίοι bei ihm sonst nur als Subst.; andererseits kommt die Bezeichnung πιστοὶ ἀδελφοί bzw. ἀδελφοί als Umschreibung für ἐκκλησία in seinen Präskripten außer an dieser Stelle nicht vor, sodass man in jedem Fall von einer Abweichung seiner gewöhnlichen Praxis reden muss. Gerade als Umschreibung für die Gemeinde wirkt „die heiligen und treuen Geschwister“ konzeptuell betrachtet durchaus paulinisch und an dieser Stelle angebracht. Das Lexem ἅγίος ist ein kultischer Begriff, der über 700-mal in der LXX vorkommt, in den allermeisten Fällen als Übersetzung für das hebräische Lexem קדשׁ. In beiden Sprachen wird sowohl die Reinheit des so bezeichneten Objekts als auch sein Abgesondertsein für die Zwecke Gottes denotiert.16 In Bezug auf die Gemeinde betont Paulus – gerne am Anfang seiner Briefe – Letzteres (vgl. Röm 1,7; 1Kor 1,2: Christen sind „berufen, Heilige zu sein“ [κλητοὶ ἁγίοι]), und Paulus leitet davon selbstverständlich eine Aufforderung zur moralisch einwandfreien Lebensführung ab (vgl. z.B. 1Kor 6,13-20). Diese paränetische Leitlinie verfolgt er konsequent auch in Kol (vgl. 1,22; 3,12). Das zweite Adj. „treu“ (πιστός; hier pass.)17 kommt öfter bei Paulus vor, jedoch als Beschreibung der ganzen Gemeinde sonst nur in Eph 1,1.18 Das Etikett „treu“ verdient nach ntl. Gebrauch jener, dem eine Aufgabe oder ein Dienst oder eine Boschaft anvertraut wurde, und auf den gezählt werden kann, dass er seinen Auftrag zuverlässig ausführt, aufbewahrt oder überliefert (vgl. 1Kor 1,9; 2Kor 4,17; Eph 6,21; Kol 4,7; 1Tim 1,12; 2Tim 2,13; Hebr 2,17; 14 Vgl. Luz 192; Garland 41; T. Slater, Translating, 52-54; Sumney 26-27; Bird 35; Bormann 55; Foster 130. 15 Vgl Lohmeyer 18; Lohse 35; Gnilka 28-29; Schweizer 33; O’Brien 3; Lindemann 16; Bruce 39; Pokorný 28; Harris 8-9; Martin 101-102; Barth/Blanke 139; Dunn 48; MacDonald 31; Wilson 70; Moo 78; Pao 48. Die Tatsache, dass sich ein einziger Artikel (τοῖς) auf beide der von der Mehrheit vermuteten Substantive bezieht, würde nur gegen diese Deutung sprechen, wenn zwei unterschiedliche Gruppen (die ἁγίοι und die ἀδελφοί) gemeint wären (vgl. HvS §131c), was aber hier nicht der Fall ist. 16 Vgl. Balz/Schneider Art. ἅγιος κτλ, EWNT I, 42-43. 17 So auch Bruce 39; Dunn 49. Kontra Gnilka 29; O’Brien 3; Wolter 49, die die aktive Bedeutung „gläubig“ vorziehen. Diese kommt aber selten bei Paulus vor und passt nicht im Kontext. 18 Ansonsten bezeichnet er folgende Personen als „treu“: Gott (1Kor 1,9; 10,13; 2Kor 1,18; 1Thess 5,24; 2Thess 2,3; 2 Tim 2,13), Mitarbeiter (1Kor 4,2.17; Eph 6,21; Kol 1,7; 4,7), sich selbst (als von Gott treu gefunden; 1Kor 7,25; 1Tim 1,2).
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II. Auslegung
3,2; Off 2,13). Indem der Apostel bereits am Anfang des Briefes den Kolossern diese Auszeichnung zuspricht, bringt er seine Zuversicht zum Ausdruck, dass sie die Strömungen, die in die Gemeinde hineinwirken, richtig einschätzen und dementsprechend darauf reagieren werden. Gleichzeitig fordert er sie dadurch implizit dazu auf, gerade in dieser Situation Christus die Treue zu halten. Als solche, die einerseits „im Messias“ – ein Lieblingsausdruck des Apostels,19 der den Bereich beschreibt, in dem Christus herrscht und in dem sich der an ihn Glaubende befindet20 – und andererseits „in Kolossä“ sind, ist dies sowohl die momentane Herausforderung, vor der seine Adressaten stehen, als auch ihre besondere Berufung.21 Die Grußformel Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, sei mit euch (χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ θεοῦ πατρὸς ἡμῶν) weicht, wie bei der textkritischen Analyse schon bemerkt, von der paulinischen Standardformel durch das Fehlen des Zusatzes „und dem Herrn Jesus Christus“ (καὶ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ) ab. Dass diese ungewöhnliche Auslassung bewusst geschah, weil Paulus erst in V. 3 diese Formel gebrauchen und sie im Gruß nicht vorwegnehmen wollte,22 ist unwahrscheinlich. Jedenfalls ließ er sich durch solche Überlegungen nicht davon abbringen, die gleiche Formel in 2Kor 1,2-3 zweimal hintereinander zu gebrauchen. Ebenso scheitert die These, dass Paulus aus stilistischen Gründen vermeiden wollte, dreimal in einem kurzen Präskript Christus zu erwähnen,23 an einem Vergleich mit Phil 1,1-2. Eine theologische Absicht ist auch nicht dahinter zu erkennen. Man muss sie auch nicht krampfhaft suchen; die paulinischen Grußformeln weisen verschiedene Variationen auf und können sogar noch kürzer ausfallen (vgl. 1Thess 1,1).24 Wie das Präskript insgesamt ist insbesondere die Grußformel an hellenistischen Konventionen angelehnt und entspricht der frühchristlichen Tradition
19 Das Präpositionalgefüge ἐν Χριστῷ bzw. ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ [τῷ κυρίῳ ἡμῆν] – die Reihenfolge der Begriffe variiert leicht – kommt mehr als 80 Mal im CP vor, sonst aber im NT nur im 1. Petrusbrief. Vgl. Dunn 49. 20 Eine alle relevanten Stellen erfassende Deutung dieses facettenreichen Begriffs ist wohl kaum möglich (vgl. BDR §219[4]), aber hier legt die bewusste Angleichung an „in Kolossä“ eine lokative Nuance nahe; vgl. Wright 10-11. Dahinter steht das für Paulus umfassende heilsgeschichtliche Paradigma des alten bzw. des neuen Bundes, nach dem man sich entweder „in Adam“ oder „in Christus“ befindet (vgl. Röm 5,12-21; 1Kor 15,22). So auch Moo 77. 21 Vgl. Tidball, Christ, 63. 22 So Moo 79. 23 So Sumney 29. 24 So auch Lohse 39-40.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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(vgl. 1Petr 1,2; 2Petr 1,2; Offb 1,4).25 Aus diesem Grund kann man nicht mit Sicherheit sagen, dass die Formel ursprünglich vom Apostel stammt, auch wenn sie bei ihm als Erstem belegt ist. Er setzt sie in allen seinen Briefen ein und modifiziert sie nach eigenem Ermessen. Gnade – χάρις auf Griechisch – lässt der gewöhnliche hellenistische Gruß χαίρειν deutlich anklingen.26 Dieser wird mit dem für jüdische Briefe typischen Segenswunsch Friede (εἰρήνη; Heb. )שׁלוםkombiniert.27 Hinter diesem hebräischen Begriff steht, wie von vielen Kommentaren betont wird, ein umfassendes Konzept des Wohlergehens des Einzelnen und der Gemeinschaft und nicht nur das Nichtvorhandensein eines Kriegszustandes.28 Dass dieser ganzheitliche Friede von Gott kommt, d.h. dass er allein sein Geber und Garant ist, war den Juden eine Selbstverständlichkeit; dass Gott in einer besonderen Beziehung zum jüdischen Volk stand, sodass man von unserem Vater sprechen konnte, ebenso, gehörte es doch zum identitätsstiftenden Selbstbewusstsein Israels, dass Gott es als „erstgeborenen Sohn“ auserwählt hat (vgl. Ex 4,22; Hos 11,1).
IV Zusammenfassung Die Präskripte der Paulusbriefe folgen hellenistischen Briefkonventionen und sind stark formalisiert. Deswegen soll man von eher krampfhaften Versuchen absehen, ihren Einzelheiten weitreichende theologische Implikationen zu entlocken (wobei auffällige Abweichungen von Standardformeln natürlich von Bedeutung sein können).29 Im Kol dient das Präskript einerseits der Begründung der apostolischen Autorität des Paulus, ohne die er kein Recht gehabt hätte, diesen Brief zu schreiben, und andererseits der Inanspruchnahme einer Beziehung zu den Kolossern, ohne die er keinen Anlass gehabt hätte, dieser Gemeinde zu schreiben. Letzteres ist im Falle des Kol besonders wichtig, weil Paulus die Gemeinde in Kolossä weder gründete noch persönlich kannte. Den25 2Joh 3 fügt ein Element hinzu: „Gnade, Barmherzigkeit und Friede“ (χάρις ἔλεος εἰρήνη); dieser vollere Gruß kommt auch in den beiden Timotheusbriefen (vgl. 1Tim 1,2; 2Tim 1,2) zur Anwendung. 26 Vgl. Adams, Letter, 47. So auch die überwiegende Mehrzahl der Kommentatoren. Kontra Gnilka 28. 27 Vgl. die Bar-Kochba-Briefe, die alle mit diesem Gruß beginnen. Sowohl Gnilka 27 als auch Pokorný 28 verweisen auf eine Parallele zur frühchristlichen Grußformel im pseudepigraphischen Baruchbrief aus dem 2. Jh. n.Chr. (vgl. syrApkBar 78,2). Da es sich aber um eine syrische Übersetzung einer bis auf Fragmente verloren gegangenen griechischen Fassung handelt, die wiederum nach mehrheitlicher Forschungsmeinung auf ein hebräisches Original zurückgeht, kann man nicht mit Sicherheit sagen, wie eng die Parallele wirklich ist. Vgl. Murphy, Art. Baruchschriften, RGG4 I, 1144-1145. 28 Vgl. vor allem O’Brien 5; Barth/Blanke 141. 29 Vgl. Dunn 49.
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II. Auslegung
noch ist er der Überzeugung, dass zwischen ihm und der Gemeinde – und nicht nur zwischen ihm und Einzelpersonen in der Gemeinde (Epaphras, Onesimus, Philemon etc.) – eine Beziehung besteht. Diese Überzeugung ist letztlich in ihrer gemeinsamen Identität als „Geschwister in Christus“ begründet. Christus, das Haupt, hat sowohl Paulus als auch die Christen in Kolossä in seinen Leib, die Gemeinde, eingegliedert (vgl. Eph 4,15-16; Kol 1,18). Als Glieder des Leibes Christi haben sie jeweils unterschiedliche Aufgaben zugeteilt bekommen (vgl. 1Kor 12,12-30). Paulus trägt als von Gott auserwählter Heidenapostel Verantwortung für die Etablierung und Festigung der Gemeinden in seinem Wirkungsfeld.30 Der Auftrag an die Gemeinde in Kolossä ist zwar weniger exponiert aber deswegen nicht weniger wichtig: Christus die Treue zu halten und ein heiliges (d.h. ein Gott geweihtes und moralisch reines) Leben zu führen. In ihrem spezifischen Kontext hat dieser Auftrag angesichts der besonderen Herausforderung, vor die die KI die Gemeinde stellt, ein eigenes Profil. Darüber will Paulus sie im Kol unterweisen.
1.2. Einleitung (1,3-23) 1.2.1. Dank für die Kolosser (1,3-8)
I Übersetzung 3 Wir danken Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus, des Messias, jederzeit für euch, wenn wir beten, 4 denn wir haben von eurem Glauben an den Messias Jesus gehört sowie von der Liebe, die ihr für alle Heiligen habt 5 wegen der Hoffnung, die für euch im Himmel aufbewahrt ist. Davon habt ihr bereits durch das Wort der Wahrheit – das Evangelium – gehört, 6 das zu euch gekommen ist, sowie auch zur ganzen Welt. Es bringt auch in der ganzen Welt Frucht hervor und wächst, sowie es dies auch unter euch tut seit jenem Tag, an dem ihr das erste Mal davon gehört und darin die Gnade Gottes klar und deutlich erkannt habt. 7 Genauso habt ihr es von Epaphras, unserem geliebten Mitsklaven, gelernt, der sich als treuer Diener des Messias an unserer Stelle erwiesen hat. 8 Er hat uns von eurer Liebe im Geist berichtet.
30 Vgl. White, Erstlingsgabe, 204-215.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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II Struktur Textkritische Anmerkungen. 1,3: 1) Manche Zeugen fügen τῷ (D* F G) oder καί ( אA C2 D1 I K L P Ψ 075 33 81 104 365 630 1175 1505 1881 2464 lat) nach θεῷ hinzu. Beide Varianten sind als Versuche, das ungewöhnliche Fehlen eines Artikels vor πατρί – möglicherweise unter dem Einfluss einer hebräischen Dankformel (vgl. die Exegese von 1,3) – zu glätten bzw. als Angleichungen an die paulinische Standardformel zu betrachten. 2) B D* F G 075 33 104 ersetzen πέρι mit ὑπέρ. Daraus ergibt sich kein Unterschied in der Bedeutung (vgl. BDR §229.1). Durch die Änderung wird die Dankformel an 1,9 angeglichen. 1,4: In B fehlt ἣν ἕχετε nach ἀγάπην. Bei D2 K L Y 630 1739 1881 wird das Relativpron. ἣν durch den Artikel τὴν ersetzt. In beiden Fällen handelt es sich um Versuche, den Stil bzw. die Zweideutigkeit der Vorlage auszubessern. 1,6: 1) D1 F G K L Ψ 075 630 1505 2464c d m sy sowie Ambst fügen καὶ nach κόσμῳ ein. Die LA ohne καὶ ist besser bezeugt und lectio difficilior. Der spätere Ausbesserungsversuch weist jedoch auf die korrekte Deutung des grammatisch komplexen Satzes hin (vgl. die Exegese von 1,6). 2) καὶ αὐξανόμενον fehlt u.a. bei D1 K 6 323 614 629 630. Die ausführlichere LA könnte durch Angleichung an 1,10 entstanden sein, aber der äußere Befund spricht eindeutig für sie. Vermutlich ist die Auslassung durch Homoioteleuton entstanden: Die Partizipien καρποφορούμενον und αὐξανόμενον haben die gleiche Endung, was das Auge eines Kopisten leicht dazu hätte verleiten können, beim Kopieren des Textes vom ersteren zum letzteren Wort zu springen. 1,7: 1) D2 K L Ψ 075 104 365 630 1175 1739 1881 vgmss syh sams fügen καί nach καθώς ein. Der äußere Befund für die LA ohne καί ist jedoch gewichtiger (darunter 46.61vid אA B), und eine spätere Hinzufügung lässt sich leichter als eine Auslassung erklären. Vermutlich war einem späteren Kopisten daran gelegen klarzumachen, dass Epaphras nicht nur in Kolossä tätig war („genauso habt auch ihr es von Epaphras gelernt“). 2) NA28 folgt der breiter bezeugten LA ὑμῶν bei א2 C D1 K L P Ψ 075 33 81 104 365 630 1175 1241s 1739 1881 2464 lat syr co. Die Variante ἡμῶν ist aber u.a. in den frühesten und wichtigsten Zeugen (46 *אA B sowie D* F G 1505 m) belegt und deswegen vorzuziehen. So auch die Mehrheit der Kommentatoren.31
31 Für die LA ὑμῶν entscheiden sich u.a. Ollrog, Paulus, 101; Bormann 66-67; Lindemann 19; Sumney 31-32.
70
II. Auslegung
Form. Nach dem Briefpräskript folgt eine Einleitung in der für die paulinischen Briefe üblichen Form. Diese beginnen in der Regel mit einer Danksagung (vgl. Röm 1,8; 1Kor 1,4; Phil 1,3; Kol 1,3; 1Thess 1,2; 2Thess 1,3; 2Tim 1,3; Phlm 4) oder einem Lobpreis (2Kor 1,3) oder sogar mit beiden (Eph 1,3.16). Gal, 1Tim und Tit verzichten auf beides. Die verhältnismäßig lange Einleitung in Kol umfasst 1,3-23. Inhaltliche Übereinstimmung zwischen1,38 und 1,23 legt den Schluss nahe, dass diese Stellen eine thematische Inclusio bilden, und folglich, dass 1,3-28 als in sich geschlossene Texteinheit zu betrachten ist.32 Dafür spricht auch, dass der Wechsel sowohl im Ton in 1,24 als auch in der Person (ab 1,24 redet Paulus in der 1. Pers. Sing.) eine deutliche Zäsur darstellt. Die Binnenstruktur dieser Einleitung wird unterschiedlich erfasst. Die Mehrheit der Forscher meint, dass die Danksagung 1,3-8 umfasst und dass Paulus ab 1,9 mit einem Gebetsbericht (vgl. unten) einsetzt.33 Da aber dieser in den paulinischen Briefen sonst nur im Eph, dessen paulinische Verfasserschaft mehrheitlich abgelehnt wird, vorkommt (vgl. Eph 1,15-19), betrachten andere diesen Gebetsbericht als Teil einer ungewöhnlich langen Danksagung. Darüber, wo diese aufhört, gibt es keinen Konsens: Manche halten 1,11 für den Schluss,34 während andere ab 1,14 einen Schnitt machen35 und wieder andere das Christuslied (1,15-20; vgl. dazu unten) hinzuziehen bzw. eine Zäsur erst ab 1,20 vorfinden und manche sogar erst ab 1,23.36 Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen legen den Schluss nahe, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Abschnitten innerhalb der Einleitung fließend sind. Dennoch sind Danksagung und Gebetsbericht gedanklich klar voneinander getrennt, sodass die Mehrheitsmeinung am ehesten überzeugt. Die Form der Danksagung folgt einem für Paulus typischen Grundschema:37 (1) das Verb „Danken“ (εὐχαριστέω) in der 1. Person,38 (2) das Objekt (im Dat.) des Danks: „Gott“ (τῷ θεῷ), (3) ein temporales Umstandsadverb; 32 Vgl. Wolter 49. 33 Vgl. Lightfoot 126; Lohmeyer 15; Lohse 40-42; Lähnemann, Kolosserbrief, 61; Zeilinger, Erstgeborene, 34-35; Gnilka 7; Schweizer 34; Bruce 35; Pokorný 30; Harris 28; Wolter 50; MacDonald 40; Bormann 59-60; Pao 43-44. 34 Vgl. Standhartinger, Studien, 76-78; Barth/Blanke 42. 35 Vgl. O’Brien, Thanksgivings, 75; Maisch 53; Witherington 118-120; Moo 80-81; Bird 36. 36 Vgl. Schubert, Form, 6; Garland 44; Luz 183; Sumney 30. 37 Vgl. O’Brien 7-9. 38 Warum Paulus bei seinen Danksagungen zwischen der 1. Pers. Plur. und der 1. Pers. Sing. wechselt, ist nicht ganz ersichtlich. Es hängt offensichtlich nicht davon ab, ob er allein als Briefautor auftritt oder andere Personen in seine Autorenangabe einschließt, wie ein Blick auf die folgende Tabelle deutlich macht:
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1. Briefanfang (1,1–2,5)
meistens „stets“ (πάντοτε), (4) der Anlass des Danks; oft wie hier „für euch“ (περὶ ὑμῶν), (5) eine temporale Partizipialkonstruktion, die angibt, wann gedankt wird; hier wird sie mit „während wir beten“ (προσευχόμενοι) kurz gehalten, (6) eine Angabe des Grundes für den Dank, die oft mit einem ὅτιNebensatz (vgl. Röm 1,8; 1Kor 1,5; 2Thess 1,3) oder wie hier mit einer kausalen Partizipialkonstruktion: „weil wir gehört haben“ (ἀκούσαντες; vgl. auch 1Thess 1,3; Phlm 4) eingeleitet wird, und schließlich (7) eine durch einen ἵναoder ὅτι-Nebensatz eingeleitete Angabe des Beweggrundes oder des Inhalts des Gebets; wegen der Überladung der Danksagung durch andere Zusätze wird dies im Kol auf die Beteuerung des unablässigen Gebetes in 1,9 verschoben. Der Impuls, Gott am Anfang eines Briefes zu danken, entspricht hellenistisch-jüdischer Gewohnheit (vgl. 2Makk 1,10-11),39 und die Form der Danksagung weist gewisse Ähnlichkeiten mit allgemein hellenistischen Briefkonventionen auf, wie insbesondere die Papyri belegen.40 Dennoch kann von einer unüberlegten Anpassung der paulinischen Danksagungen an hellenistische Konventionen keine Rede sein.41 Dafür sind diese zu unterschiedlich und dem jeweiligen Briefkontext zu geschickt angepasst.42 Sie dienen vorzüglich der „Fokussierung der brieflichen Situation“43 – d.h. sie leiten die Hauptthemen des Briefes ein bzw. deuten an, worin das Anliegen des Paulus beVerbformen von εὐχαριστέω in den Danksagungen des Corpus Paulinum Paulus als einziger Autor Paulus + andere Absender 1. Pers. Sing. 1. Pers. Plur.
39 40
41 42
43
Röm, Eph, 2Tim
—
1Kor, Phil, Phlm Kol, 1Thess, 2Thess
Aus seinem Gebrauch lässt sich nur mit Sicherheit schließen, dass Paulus den „schriftstellerischen“ Plur. (pluralis sociativus) in den Danksagungen meidet (kontra MacDonald 36), wenn er als alleiniger Autor schreibt – wie übrigens sonst in seinen Briefen (vgl. HvS §139e). Der Gebrauch des Plur. ist dazu selten genug, dass man ihn als eher untypisch für Paulus bezeichnen kann und deswegen als echten Plur., der den Zweit- bzw. Drittautor in den Dank einschließt, ernst nehmen soll. Vgl. Roller, Formular, 169-172, gefolgt von Bormann 62. Dazu ausführlich Collins, Decade, 167-168. Vgl. Schubert, Form, 158-179. Schubert schließt daraus den „wide-spread conventional use of an epistolary … introductory thanksgiving“ (S. 180), was allerdings von der neueren Forschung infrage gestellt wird. Vgl. Pao, Gospel, 105-113; P. Arzt-Grabner, Thanksgiving, 143. Arzt, Epistolary, 45-46. Pao, Gospel, 118-119. Laut Arzt-Grabner, Thanksgiving, 155, sind die paulinischen Danksagungen „always related to the actual situation of the letter writer and caused by good news about the recipient“. Er nimmt nur die unumstrittenen Paulinen in den Blick, aber die Exegese wird deutlich machen, dass das Gleiche auch für die Danksagung in Kol gilt. Laut Shepherd, Thanksgiving, 37, dient die Danksagung im Kol der Bekämpfung der KI. Schubert, Form, 180. Ähnlich Weima, Paul, 59.
72
II. Auslegung
steht – und bringen gleichzeitig seine pastorale Fürsorge für die Adressaten zum Ausdruck.44 Auffallend an der Danksagung im Kol ist das Vorkommen der bekannten paulinischen Trias – Glaube, Liebe, Hoffnung (πίστις, ἀγάπη, ἐλπίς) – in 1,45a, die uns in ihrer klassischen Form in 1Kor 13,13 begegnet und hinter den Formulierungen in 1Thess 1,3; 5,8 deutlich erkennbar ist. Obwohl alle drei Begriffe auf eine „reiche Geschichte im hellenistisch beeinflußten Judentum“ zurückblicken,45 sind sie in der uns bekannten Konstellation erst vom Apostel aufgestellt worden.46 Je nachdem, ob Forscher den Kol für genuin paulinisch oder deuteropaulinisch halten, betonen sie die Kontinuität bzw. die Diskontinuität des Gebrauchs der Trias im Kol mit jenem der unumstrittenen Paulinen. Beides lässt sich nachweisen. Hier wie dort fassen die Kardinaltugenden die fideistischen, ethischen und eschatologischen Dimensionen der paulinischen Theologie als „Kurzformel des Christseins“ zusammen.47 Dennoch gibt es Unterschiede: Im 1Kor und im 1Thess werden Glaube, Liebe und Hoffnung in kein Kausalitätsverhältnis zueinandergesetzt, sondern stehen unabhängig nebeneinander; im Kol ist die Liebe (und vielleicht auch der Glaube) von der Hoffnung ursächlich bedingt (vgl. unten). Außerdem ist mit „Hoffnung“ in 1,5 nicht „das Hoffen“ (spes qua speratur), sondern „das Gehoffte“ (spes quae speratur) gemeint.48 Das ist kein Beweis für die nachpaulinische Verfasserschaft des Kol, wie gelegentlich behauptet wird. Im Gegenteil: Analoge Verschiebungen lassen sich gegenüber dem „klassisch paulinischen“ Gebrauch in Gal 5,5-6 ausmachen. Hoffnung ist nämlich auch dort „das Gehoffte“, und sie steht im (umgekehrten) kausalen Verhältnis zum Glauben. Der Tatbestand spricht also, wenn überhaupt, dafür, dass die jeweiligen Elemente der Trias je nach Briefsituation sowohl unterschiedlich betont und nuanciert als auch in unterschiedliche Verbindung zueinander gesetzt werden. Dass z.B. die Hoffnung in 1,5 (und 1,23) als spes quae speratur konnotiert wird, hängt in diesem Brief eng mit der Betonung der Verfügbarkeit aller Heilsgüter in Christus in der Gegenwart zusammen.49 Ein solches Feingefühl in der Anwendung der
44 Vgl. O’Brien, Thanksgivings, 262-263. Die von O’Brien herausgestellten didaktischen und paränetischen Funktionen der Danksagungen sind m.E. im Kol weniger ausgeprägt. 45 Söding, Trias, 46, gefolgt von Maisch 59. 46 Vgl. Söding, Trias, 40-41. So auch Wolter 51. Kontra Bornkamm, Hoffnung, 57; Lohse 45. 47 Söding, Trias, 11. 48 Vgl. Standhartinger, Hoffnung, 8-9. 49 Vgl. Söding, Trias, 178-179.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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Trias ist – allen Gegenargumenten zum Trotz50 – Paulus nicht weniger zuzutrauen als seinen Schülern.
III Einzelexegese Die Struktur dieses Abschnittes ist komplex. Er bildet einen einzigen Satz, der aus einem Hauptsatz, vier Relativsätzen sowie mehreren durch Partizipien, Präpositionen und καθὼς eingeleiteten Nebensätzen besteht. 3 Mit Wir danken (εὐχαριστοῦμεν) sind sowohl Paulus als auch Timotheus, der Mitverfasser des Kol (eventuell sogar der Hauptverfasser; vgl. S. 27-28), erfasst.51 Dank gilt Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus, des Messias (τῷ θεῷ πατρὶ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ). Das Fehlen eines üblicherweise zu erwartenden Artikels vor πατρί ist wahrscheinlich dem semitischen Einfluss zuzuschreiben, der in der stereotypen Danksagung nachwirkt.52 Die Prädikation „Vater unseres Herrn Jesus, des Messias“ ist einmalig unter den paulinischen Danksagungen und kommt wohl nicht zufällig in einem Brief vor, der die Einzigartigkeit Christi in besonderem Maße betont. Ihr formelhafter Klang verrät ihren Ursprung im frühchristlichen Gottesdienst,53 während dessen Ablauf in Anlehnung an jüdische Segenssprüche – die ursprüngliche Formel „Gepriesen sei Gott / der Herr“ findet man überall in der LXX (vgl. z.B. Gen 9,26; 14,20; 24,27; Ex 18,10; Rut 4,14; Tob 13,2; Ps 67,32) sowie gelegentlich auch im NT (vgl. Lk 1,68; Röm 9,5) – vermutlich ausgerufen wurde: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (vgl. 2Kor 1,3; Eph 1,3; 1Petr 1,3). Dass diese Formel reibungslos in das paulinische Dankschema aufgenommen wird, zeigt, wie eng Lob und Dank in der Vorstellung des Apostels miteinander verwandt sind. Die Autoren danken Gott jederzeit für euch, wenn wir beten (πάντοτε περὶ ὑμῶν προσευχόμενοι). Das Präpositionalgefüge περὶ ὑμῶν könnte sich entweder auf εὐχαριστοῦμεν oder auf προσευχόμενοι beziehen – beim Letzteren müsste man mit „wir danken … wenn wir für euch beten“ übersetzen54 –, aber ein Vergleich mit den anderen paulinischen Danksagungen legt Ersteres nahe. Das Gleiche gilt ebenso für das Adverb πάντοτε (vgl. 1Kor 1,4; 1Thess 1,2; 2Thess 1,4). Paulus und Timotheus denken demzufolge weniger an regelmäßige Ge-
50 51 52 53 54
Vgl. v.a. Bornkamm, Hoffnung, 61-64. So auch Bormann 62 in Anlehnung an Roller, Formular, 170-171. Vgl. Barth/Blanke 151. So auch Luz 194. Diese Deutung befürworten Lohse 44; O’Brien 10; Bruce 39; Wright 54; Wolter 50; Dunn 56; Maisch 58; Sumney 33.
74
II. Auslegung
betszeiten55 und behaupten erst recht nicht, dass sie ununterbrochen für die Kolosser beten, sondern sie bringen zum Ausdruck, dass ein Empfinden des Danks für die Kolosser ständig ihre Gebete begleitet.56 4 Erwartungsgemäß wird als nächstes der Grund für den empfundenen Dank angegeben: denn wir haben von eurem Glauben an den Messias Jesus gehört (ἀκούσαντες τὴν πίστιν ὑμῶν ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ). Das Aor. Part. ἀκούσαντες trägt eindeutig eine kausale Nuance. Paulus, der die Gemeinde in Kolossä nur vom Hörensagen kennt, hat, wie die Grußliste in 4,10-14 bezeugt, durch gemeinsame Bekannte und Freunde, vor allem aber durch Epaphras (vgl. zu 1,7-8), vieles über sie gehört, was ihn erfreut. Die Präp. ἐν hat die Grundbedeutung „in“, und manche Kommentatoren wollen diese lokative Nuance auch hier beibehalten.57 Doch steht ἐν in der Koine häufig für ἐις,58 sodass die Bedeutung „an“ wahrscheinlicher ist.59 Somit wird der Messias Jesus als das Objekt des Glaubens der Kolosser identifiziert, wie dies in der Parallelformulierung in Phlm 5 durch die Präp. πρός unmissverständlich gemacht wird.60 Dafür spricht neben einem Vergleich mit dem paulinischen Gebrauch (vgl. Röm 3,24; Gal 3,26; Eph 1,15;) die Tatsache, dass das unmittelbar darauffolgende Subst. ἀγάπη auch ein bestimmtes Objekt hat. Mit „Glaube an Jesus Christus“ ist in erster Linie die Annahme des Evangeliums gemeint,61 die aber gemäß dem aktiven Sinn des Lexems πίστις auch das daraus resultierende Vertrauen voraussetzt.62 Auch die Liebe, die ihr für alle Heiligen habt (καὶ τὴν ἀγάπην ἣν ἕχετε ἐις πάντας τοὺς ἀγίους), erweckt in Paulus ein Gefühl der Dankbarkeit. Die Liebe ist für Paulus im besonderen Ausmaß eine Eigenschaft Gottes (vgl. Röm 5,5; 8,39; 2Kor 13,13; Gal 2,20), die auch Christus auszeichnet (vgl. Röm 8,35; 2Kor 5,14; Eph 3,19). Dennoch bedeutet ἀγάπη entgegen einer weitverbreiteten Annahme nicht die „göttliche Liebe“, sondern ist auch, wie an dieser Stelle, der gängige biblische Begriff für die Liebe unter den Menschen.63 Das Besondere an dieser Liebe ist aus der Sicht des Apostels, dass die Kolosser sie 55 Kontra O’Brien 9-10; Dunn 56. 56 So auch Luz 194. 57 Vgl. Lohse 46; O’Brien 11; Bruce 41; Harris 16; MacDonald 37; Sumney 34; Bormann 62; Pao 51. 58 Vgl. HvS §184g.i. 59 Vgl. Lightfoot 133-134; Schweizer 35; Pokorný 33; Wolter 51; Garland 47; Maisch 58; Moo 84. 60 So auch Gnilka 32. 61 Vgl. Söding, Trias, 43. Kontra Barth/Blanke 152-153; Bird 38. 62 Vgl. Bauer 1314. 63 Vgl. Pokorný, 33.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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instinktiv für andere empfinden, ob in Kolossä oder am anderen Ort, die wie sie von Gott für seine Zwecke abgesondert wurden (vgl. zu „heilig“ in 1,2). Gerade dieses Zusammengehörigkeitsgefühl lässt quasi-familiäre Beziehungen entstehen, die Paulus nun beansprucht, um den Jesusanhängern in Kolossä seine apostolische Botschaft mitzuteilen. 5 Die Liebe, die die Kolosser für alle Heiligen an den Tag legen, ist wegen der Hoffnung, die für euch im Himmel aufbewahrt ist (διὰ τὴν ἐλπίδα τὴν ἀποκειμένον ὑμῖν ἐν τοῖς οὐρανοῖς), entstanden. Es wird kontrovers diskutiert, ob auch der Glaube in dieser ursächlichen Beziehung zur Hoffnung steht oder, wie in unserer Übersetzung angedeutet, nur die Liebe. Nach formellen syntaktischen Kriterien ist die Ausgangslage klar: Das Partizipialkonstrukt διὰ τὴν ἐλπίδα bezieht sich auf das in 1,4 vorkommende Verb ἕχετε,64 das wiederum mittels des Akk. fem. Sing. Relativpron. (ἣν) nur auf ἀγάπη bezogen werden kann. Möglicherweise liegt jedoch eine constructio ad sensum vor. Demnach wird nicht nur ἀγάπη, sondern auch πίστις von διὰ τὴν ἐλπίδα näher bestimmt.65 In diesem Fall wäre sowohl der Glaube als auch die Liebe der Kolosser von der Hoffnung getragen.66 Das wäre möglich, wenn mit dem Glauben, von dem hier die Rede ist, die anhaltende Treue zu Christus gemeint wäre, aber wir haben bereits gesehen, dass an die Annahme des Evangeliums zu denken ist, und diese kann schwerlich von der Hoffnung motiviert sein, die laut Paulus vom Glauben getragen wird (vgl. Gal 5,5-6). Die Hoffnung, von der Paulus hier spricht, ist, wie wir oben in unserer Analyse der Trias gesehen haben, nicht „das Hoffen“ selbst, sondern „das Gehoffte“. Deswegen kann sie die Liebe begründen.67 Die Hoffnung wird bildlich als Schatz dargestellt, der für euch im Himmel aufbewahrt ist. Dem semitischen Gebrauch entsprechend ist hier wörtlich die Rede von „den Himmeln“ (ἐν τοῖς οὐρανοῖς). Paulus wechselt aber ständig zwischen Sing. und Plur., sodass man der Wahl des Numerus nur mit Vorbehalt eine bestimmte Absicht beimessen sollte. Das Verb ἀπόκειμαι bedeutet konkret „bereitliegen“ oder „aufbewahrt sein“. Es konnotiert, dass etwas Wertvolles gut aufgehoben ist und einem später zur Verfügung stehen wird (vgl. Lk 19,20). 2Tim 4,8 spricht von einer „Krone der Gerechtigkeit, die für ihn aufbewahrt ist“, und steht somit 1,5 konzeptuell am nächsten (vgl. auch 2Makk 12,45). Der gleiche Gedanke, etwas anders formuliert, begegnet in 64 Theoretisch könnte es sich auch auf εὐχαριστοῦμεν in 1,4 beziehen, aber dies ist aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Vgl. Gnilka 33; Harris 17. 65 So auch Bruce 41; Harris 17; Bormann 63. 66 So Barth/Blanke 154-155. 67 Ähnlich Wolter 52.
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II. Auslegung
1Petr 1,4. Hinter all diesen Aussagen schimmert das jüdisch-apokalyptische Konzept des eschatologischen Lohns durch (vgl. syrApkBar 14,12; 4Esr 7,14.77; 2Makk 12,45). Das mag manchen lutherischen Kommentatoren „unevangelical“ erscheinen,68 lässt sich aber durchaus mit anderen Aussagen von Paulus (vgl. Röm 2,6-10; 2Kor 5,10) und erst recht von Jesus (vgl. Mt 5,12; 10,41; 25,31-46) vergleichen.69 Im Gegensatz zum Glauben und zur Liebe wird die Hoffnung hier nicht näher bestimmt. Die Tatsache, dass sie „im Himmel aufbewahrt ist“, lässt aber neben 1,27 vor allem an 3,1-4 denken. Das „Gehoffte“ ist in diesem Fall das mit Christus in Herrlichkeit Vereintsein, das bei aller Diesseitssbezogenheit des Kol dennoch ein starkes (typisch paulinisches) eschatologisches Moment in sich trägt und keineswegs durch die Übertragung von zeitlichen in räumliche Vorstellungen aufgelöst wird.70 Das ist wohl die Hoffnung, von der ihr bereits durch das Wort der Wahrheit – das Evangelium – gehört habt (ἣν προηκούσατε ἐν τῷ λόγῳ τῆς ἀληθείας τοῦ εὐαγγελίου). Das Verbkompositum „zuvor Vernehmen“ (προακούω) kommt nur hier im NT vor. Paulus spielt damit darauf an, dass die Jesusanhänger in Kolossä ursprünglich nicht von ihm evangelisiert wurden; was er nun in seinem Brief bestätigt, haben sie bereits von Epaphras gehört. Der Ausdruck „das Wort der Wahrheit“ (ὁ λόγος τῆς ἀληθείας) begegnet mehrfach im NT (vgl. 2Kor 6,7; Eph 1,13; 2Tim 2,15; Jak 1,18), was sich dadurch erklären lässt, dass er bereits vor dem ntl. Zeitalter den Charakter einer festen Redewendung hatte.71 Diese funktioniert in der Weisheitsliteratur als Umschreibung für die Wahrheit selbst (vgl. Spr 22,21; Koh 12,10; PsSal 16,10) – so wird sie auch in 2Kor 6,7 gebraucht –, kann aber auch die Torah bezeichnen (vgl. Ps 118,43 LXX). Analog dazu ist ihre Anwendung in 2Tim 2,15, wo sie das Wort Gottes im Allgemeinen denotiert. Hier wie in Eph 1,13 wird sie explizit mit dem zu ihr in Apposition stehenden „Evangelium“ – d.h. der rettenden Botschaft von Christus72 – in Verbindung gebracht. Dass damit Paulus für das Evangelium höchstmögliche Autorität beansprucht, ist klar. Es geht ihm aber hier nicht, wie z.B. in Gal, darum, seine 68 So Barth/Blanke 154, n. 16. Vgl. u.a. Philipp Melanchthon, Kolosserkommentar, loc. cit. Johannes Bugenhagen, Annotationes, loc. cit. 69 Vgl. Pokorný 34. 70 Ähnlich Barth/Blanke 170-172; Sumney 36. Kontra Bornkamm, Hoffnung, 61-62; Pokorný 34. 71 Wenn das stimmt, erübrigt sich (wenigstens zum größten Teil) die Diskussion über die syntaktische Beziehung zwischen dem nomen regens (λόγος) und dem nomen rectum (ἀληθείας), denn der Ausdruck hat in diesem Fall eine quasi-technische Bedeutung, die Paulus beansprucht, um sie mit der Botschaft von Christus in enge Beziehung zu setzen. 72 So sollte es auch in Jak 1,18 verstanden werden. Vgl. White, Erstlingsgabe, 251-252.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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apostolische Autorität zu untermauern; vielmehr dient die Wahl des Ausdrucks „Wort der Wahrheit“ der klaren Unterscheidung zwischen dem Wahrheitsgehalt des Evangeliums und dem der KI, die er in 2,8 als „wertlos“ und „betrügerisch“ bezeichnet (vgl. a.a.O.).73 6 Dieses Wort der Wahrheit, das Evangelium, ist zu euch gekommen (τοῦ παρόντος εἰς ὑμᾶς). Das Verb πάρειμι bedeutet oft so viel wie „anwesend sein“, hat aber hier eine perfektische Ausrichtung im Sinne von „gekommen sein“.74 Das, worauf Paulus mit der zunächst trivial erscheinenden Aussage, dass das Evangelium zu den Kolossern gekommen ist, hinauswill, wird erst in 1,7 klar: Er möchte eigentlich erläutern, wie dies erfolgte. Bevor er aber seinen Gedanken zu Ende führt, fällt ihm ein, dass er noch etwas über die Ausbreitung des Glaubens an Christus im Allgemeinen sagen will: Das Evangelium ist zu den Kolossern gekommen, sowie auch zur ganzen Welt. Es bringt auch in der ganzen Welt Frucht hervor und wächst, sowie es dies auch unter euch tut (καθὼς καὶ ἐν παντὶ τῷ κόσμῳ ἐστὶν καρποφορούμενον καὶ αὐξανόμενον καθὼς καὶ ἐν ὑμῖν). Dieser gedankliche Einschub75 sorgt für Diskussion unter den Exegeten, weil er eine Doppelung beinhaltet (τοῦ παρόντος εἰς ὑμᾶς … καθὼς καὶ ἐν ὑμῖν), die sich syntaktisch schwer einordnen lässt. Wörtlich ist die Rede von dem Evangelium „das zu euch gekommen ist, sowie es auch in der ganzen Welt fruchtbar ist und wächst, sowie auch unter euch“. Unter den verschiedenen Lösungsansätzen, die in den Kommentaren erwogen werden,76 überzeugt der vielleicht älteste Deutungsversuch am ehesten. Denn viele Manuskripte in der westlichen und byzantinischen Tradition fügen nach κόσμῳ ein kopulatives καὶ hinzu (vgl. die textkritische Anmerkung zu 1,6), um diesen Solözismus auszubessern. Dadurch werden zwei Aussagen über das Evangelium deutlich voneinander getrennt: 1) Es ist bei euch gepredigt worden, wie auch in der ganzen Welt, und 2) es bringt Frucht hervor und wächst sowohl bei euch als auch in der ganzen Welt.77 Diese Hinzufügung entspricht wohl kaum der ursprünglichen LA und löst das syntaktische Problem nicht wirklich, aber sie gibt die korrekte Deutungsrichtung an. Denn das Rätsel löst sich, sobald man erkennt, dass der Ausdruck καθὼς καὶ ἐν παντὶ τῷ κόσμῳ sowohl anaphorisch auf τοῦ παρόντος εἰς ὑμᾶς als auch kataphorisch auf ἐστὶν καρποφορούμενον καὶ αὐξανόμενον ausgerichtet ist, wie wir es in der Übersetzung deutlich zu machen versuchen. 73 74 75 76 77
So auch O’Brien 12. Vgl. BDR §322. Vgl. Gnilka 34. Vgl. Barth/Blanke 159-160 für eine ausführliche Diskussion. So auch Moo 87.
78
II. Auslegung
Die Behauptung, das Evangelium sei „zur ganzen Welt gekommen“, ist natürlich als Hyperbel aufzufassen, aber damit ist nicht gesagt, dass sie jeglicher tieferen Bedeutung entbehrt. Im Röm, der zeitnah mit dem Kol verfasst wurde (bei unserer Datierung des Kol),78 spricht Paulus davon, dass er „im Halbkreis von Jerusalem bis nach Illyrien das Evangelium Christi erfüllt“ habe (Röm 16,19b). Er scheint damit zu meinen, dass er das für die „Gesandten zu den Völkern“ in Jes 66,18-21 vorgesehene Missionsgebiet (bis auf Spanien; das stand zur Zeit der Abfassung des Röm noch bevor) bereist, Gemeinden gegründet und somit seinen Auftrag erfüllt hat.79 Außerhalb seines Bereiches haben andere mit ähnlichem Erfolg gearbeitet mit dem Resultat, dass in kaum mehr als zwei Jahrzehnten das Evangelium in den wichtigsten Städten des Römischen Reiches, darunter Rom, Alexandrien, Antiochien, Ephesus, Korinth, Kyrene und Thessalonich, Fuß gefasst hat und somit aus der Sicht eines Bewohners des Mittelmeerraums „die ganze Welt“ missioniert wurde. Paulus unterstreicht noch eines: Überall, wo das Evangelium hinkommt, „bringt es Frucht hervor und wächst, sowie es dies auch unter euch tut“. Die periphrastische Konstruktion ἐστὶν καρποφορούμενον καὶ αὐξανόμενον umfasst zwei Partizipien. Das Verb καρποφορέω (wörtlich „Frucht tragen“) – hier im sonst selten belegten Med.80 – kommt in der LXX an drei Stellen und nur im konkreten Sinne vor (Hab 3,17; Weish 10,7; OdSal 4,17). Im NT begegnet es auch nicht gerade oft, einmal konkret (Mk 4,28) und ansonsten nur im übertragenen Sinne: bei Paulus außer hier und in 1,10 nur noch in Röm 7,45, um die jeweilige Auswirkung des Lebens in Christus (ἵνα καρποφορήσωμεν τῷ θεῷ) bzw. unter dem Gesetz (εἰς τὸ καρποφορήσαι τῷ θανάτῷ) zu charakterisieren und im restlichen NT nur noch in der Deutung des Gleichnisses vom vierfachen Boden (nicht aber im Gleichnis selbst), um das Resultat des Hörens und Empfangens des Wortes zu beschreiben (vgl. Mt 13,23; Mk 4,20; Lk 8,15). Im Gegensatz dazu kommt das Verb αὐξάνω häufig sowohl im AT wie auch im NT vor, u.a. in der stereotypen Formulierung „fruchtbar sein und sich vermehren“, die uns erstmals im Fortpflanzungsgebot in Gen 1,28 (αὐξάνεσθε καὶ πλήθυνσεσθε) begegnet. Dieses für die Heilsgeschichte programmatische Gebot wird immer wieder aufgegriffen, entweder als wieder78 Nach dem Forschungskonsens hat Paulus den Röm im Frühjahr 56 n.Chr. in Korinth auf der dritten Missionsreise geschrieben. Vgl. Schnelle, Einleitung, 135. Wir gehen von einer Abfassung des Kol in 55 n.Chr. aus (vgl. Einleitung). 79 Vgl. dazu Riesner, Frühzeit, 213-225; White, Erstlingsgabe, 204-212. 80 Vgl. Sumney 38. Lightfoot 135 spricht von einem „dynamischen“ Med., das – so Pokorný 36 – „die innere Energie des Evangeliums bezeugt“. Lohse 50 sieht hingegen keinen Bedeutungschied zum Aktiv und scheint, wie ein Vergleich mit 1,10 zeigt, wo das gleiche Verb im Aktiv vorkommt, darin recht zu behalten.
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holter Imp. (an Noah: Gen 9,1), als Verheißung, dass Gott das Volk fruchtbar machen und vermehren wird (an Abraham: Gen 17,2.6; Ismael: Gen 17,20; Isaak: Gen 26,22.24; Jakob: Gen 28,3; 35,11; 48,4; das Volk vor der Landnahme: Lev 26,9; das Volk nach der Rückkehr aus dem Exil: Jer 3,16; 23,3) oder als Feststellung, dass das Volk tatsächlich fruchtbar geworden ist und sich vermehrt hat (Gen 47,27; Ex 1,7). Aus diesem Grund vermuten manche Forscher hier eine bewusste Anspielung auf Gen 1,28,81 aber die Sachlage gebietet Vorsicht. Denn an anderer Stelle wird durch die wörtliche Aufnahme beider in Gen 1,28 vorkommenden Verben im NT deutlich auf diese Tradition angespielt (Apg 6,7; 7,18; 12,24), was in Kol 1,6 nicht der Fall ist. Paulus hätte genauso unmissverständlich darauf anspielen können, wenn ihm daran gelegen gewesen wäre, aber hier wählt er statt πληθύνω das selten vorkommende καρποφορέω, was jeglichen Anklangspotenzials in diese Richtung entbehrt. Wahrscheinlicher ist gerade deswegen eine Anspielung auf das Gleichnis vom vierfachen Boden.82 Denn zwischen jenem Gleichnis und 1,6 gibt es mehrere Übereinstimmungsmomente: 1) Es ist hier wie dort das Wort (λόγος), das Frucht hervorbringt; 2) das Verb αὐξάνω kommt in der markanischen Version der Gleichniserzählung im Zusammenhang vom „Frucht hervorbringen“ (vgl. Mk 4,8; dort allerdings διδώμι καρπὸν) vor; 3) die ungewöhnliche Reihenfolge – „Frucht hervorbringen“ vor „wachsen“ – charakterisiert sowohl die Markusstelle als auch 1,6.83 Eine Anspielung setzt natürlich voraus, dass Paulus die Jesustradition und insbesondere die Gleichnisse Jesu kannte, was nicht endgültig bewiesen werden kann, aber durchaus plausibel ist.84 Mittels dieser in der Jesustradition beheimateten Agrarmetaphorik beschreibt Paulus in erster Linie die Verbreitung des Evangeliums in der Welt. Überall, wo es von den Aposteln und ihren Mitarbeitern verkündet wird, kommen Menschen zum Glauben an Jesus, den Messias, und wachsen im Glauben heran. Dass Paulus aber nicht nur an die geographische Ausbreitung des Evangeliums denkt, sondern auch an das Wachstum der Christen im Glauben, wird erst in 1,10 deutlich, wenngleich dies hier durch die Übereinstimmung in der Metaphorik vorweggenommen wird. Auch in Kolossä wächst das Evangelium und bringt Frucht hervor, seit jenem Tag, an dem ihr das erste Mal davon gehört habt (ἀφ̓ ἧς ἡμέρας ἠκούσατε). Wie die Übersetzung deutlich macht, 81 Vgl. Beale 842-846; Lohse 50; O’Brien 13; Wright 57-58; Moo 88; Beetham, Echoes, 41-59; Bird 40. 82 So auch Bruce 42. 83 Vgl. Gnilka 35; Wolter 54. 84 Vgl. Wenham, Paul, 86-90.
80
II. Auslegung
weist der Tempus des Verbs für „Hören“ (ἠκούσατε = Aor.) zusammen mit dem temporalen Präpositionalgefüge ἀφ ̓ ἧς ἡμέρας auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rezeption des Evangeliums durch die Kolosser hin.85 Sie haben darin die Gnade Gottes klar und deutlich erkannt (καὶ ἐπέγνωτε τὴν χάριν τοῦ θεοῦ ἐν αληθείᾳ). Ungeachtet der Tatsache, dass Paulus in seinen Danksagungen die Gnade selten ausdrücklich betont (sonst nur in 1Kor 1,3), handelt es sich dabei um einen seiner Lieblingsbegriffe.86 Gnade gehört unverrückbar in die Mitte seiner Theologie, weil sie „am klarsten sein Verständnis des Heilsgeschehens ausdrückt“.87 Demnach ist Gnade nicht in erster Linie eine Eigenschaft Gottes, die den Zorn Gottes deswegen übertrumpft, weil sie etwa höher auf der göttlichen Werteskala angesiedelt ist, sondern sie bezieht sich konkret auf den Sühnetod Jesu am Kreuz, durch den der Sünder vor dem Zorn Gottes gerrettet wird (1Thess 1,10; Röm 5,9).88 Diese Konkretion der Gnade Gottes im Kreuzesgeschehen beschäftigt den Apostel auch im Kol (vgl. 1,21-22; 2,13-16) und bildet die gedankliche Mitte des Evangeliums, das den Kolossern verkündet wurde und dem sie Glauben geschenkt haben. Ab und zu begegnet einem die Ansicht, dass das zusammengesetzte Verb ἐπιγινώσκω gegenüber γινώσκω, dem gewöhnlichen Verb für „erkennen“ oder „verstehen“, eine Steigerung darstellt.89 Wenn dies zuträfe, konnotierte es ein vollkommenes oder präzises Verständnis des Objekts der Betrachtung (vgl. z.B. 1Kor 13,12). In vielen Fällen gibt es jedoch keinen Bedeutungsunterschied zwischen dem einfachen Verb und dem Kompositum, sodass wir hier besser beraten sind, nicht allzu großes Gewicht auf die Vorsilbe ἐπι- zu legen.90 Dass die Kolosser die Gnade „klar und deutlich“ erkannt haben, wird ohnehin durch das Präpositionalgefüge ἐν ἀληθείᾳ (wörtlich „in Wahrheit“) nachdrücklich behauptet, falls dies, wie hier angenommen, adverbial gebraucht bzw. auf das Verb ἐπιγινώσκω bezogen wird.91 Diese Deutung ist den Alternativen, wonach ἐν ἀληθείᾳ entweder attributiv aufzufassen ist, d.h. auf χάρις bezogen und mit „die wahre Gnade Gottes“ übersetzt wird,92 oder zusammen mit τὴν χάριν τοῦ θεοῦ als intertextuellen Verweis auf ἐν τῷ λόγῳ 85 Ein Verweis auf die Annahme des Evangeliums durch die Adressaten ist ein typischer Topos der paulinischen Einleitungen. Vgl. Wolter 53. 86 Laut Eßer, Art. Gnade, TBLNT I, 593, kommt das Nomen χάρις 100 Mal in den paulinischen Schriften vor. 87 Conzelmann, Art. χάρις, ThWNT IX, 383. Meine Hervorhebung. 88 Vgl. Bultmann, Theologie, 287-289. 89 Vgl. z.B. Sumney 39. 90 So auch Dunn 62; Barth/Blanke 161. 91 So auch Harris 21; Moo 89. 92 Vgl. Lohmeyer 28; Gnilka 36; Dunn 63; Pao 56.
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τῆς ἀληθείας (vgl. 1,4) zu verstehen und mit dem Evangelium gleichzusetzen ist,93 vorzuziehen, weil sie besser in den Briefkontext passt: Die Kolosser sollen angesichts der in die Gemeinde hineinwirkenden Irrlehre mit ihrem strengen Verhaltens- und Ritenkodex daran denken, dass sie bei ihrer Bekehrung die Gnade Gottes im Evangelium ungetrübt wahrgenommen haben.94 7 Mit einem dritten durch καθώς eingeleiteten Nebensatz ruft Paulus die Kolosser ins Gedächtnis: Genauso habt ihr die Botschaft von der Gnade Gottes in Christus von Epaphras gelernt (καθώς ἐμάθετε ἀπο Ἐπαφρᾶ). Der Aor. des Verbs μανθάνω weist auf eine ausführliche Unterweisung in der Vergangenheit hin, die sowohl die anfängliche Verkündigung des Evangeliums als auch die Vermittlung wichtiger Lehrsätze oder Prinzipien (vgl. Phil 4,9), die für das Leben als Nachfolger (μαθητής) Jesu von grundsätzlicher Bedeutung sind, umfasst.95 Diese Unterweisung geschah durch Epaphras, der außer hier nur noch in den Grußlisten des Kol (4,12) und des Phlm (23) erwähnt wird. Er stammt, wie aus 4,12 hervorgeht, selbst aus Kolossä und ist von Paulus zum Mitarbeiter ausgebildet und in seine Heimatstadt zurückgeschickt worden (vgl. S. 15). Sein Name ist eine Kurzform von „Epaphroditus“, aber es ist unwahrscheinlich, dass er mit jenem Mitarbeiter des Apostels gleichzusetzen ist, der uns in Phil 2,25 und 4,18 begegnet.96 Paulus bezeichnet Epaphras als unseren geliebten Mitsklaven, der sich als treuer Diener des Messias an unserer Stelle erwiesen hat (τοῦ ἀγαπητοῦ συνδούλου ἡμῶν ὅς ἐστιν πιστὸς ὑπὲρ ἡμῶν διάκονος τοῦ Χριστοῦ). Alle drei Topoi – (Mit)Sklave (σύνδούλος), treu (πιστός) und Diener (διάκονος) – spiegeln das ideale „Mitarbeiterprofil“ des Paulus wider.97 In 4,7 werden sie (zusammen mit dem zusätzlichen Prädikat „geliebter Sohn“) auch auf Tychikus bezogen. „Sklave“ (δοῦλος) bezeichnet jemanden, der zum Besitz eines anderen gehört und über sich selbst nicht frei verfügt. In der statusbewussten Welt der Antike standen Sklaven ganz unten in der gesellschaftlichen Rangordnung. Dieser Ausdruck des niedrigen Status erfuhr jedoch – vermutlich unter Einfluss der Jesustradition (vgl. Mk 10,44) – eine einzigartige Umwandlung, die ihn zu einem Ehrentitel in den frühchristlichen Gemeinden avancieren ließ. So wurde „Sklave“ – häufig in Verbindung mit dem Gen. poss. Ἰησοῦ Χριστοῦ (vgl. Jak 1,1; 2Petr 1,1; Jud 1) bzw. Χριστοῦ Ἰησοῦ (vgl. Röm 1,1; Phil 1,1) oder θεοῦ (vgl. Tit 1,1) – zu einer bevorzugten Selbstbezeichnung 93 94 95 96 97
Vgl. Lohse 51; O’Brien 14; Wolter 53; Barth/Blanke 161; Luz 195. Ähnlich Lightfoot 136. Vgl. Tidball, Christ, 36-37. Vgl. Trainor, Epaphras, 8-9. Vgl. Ellis, Coworkers, 183-189, insbes. 184.
82
II. Auslegung
der Apostel, insbesondere des Paulus,98 durch die sie ihre Ergebenheit gegenüber Jesus Christus bzw. seine Verfügungsgewalt über sie zum Ausdruck brachten. Nur im Kol wird der Begriff gebraucht, um einen anderen als Mitarbeiter zu bezeichen (1,7; 4,7), und dort ausschließlich mit der Vorsilbe συν-, wohl um deutlich zu machen, dass Paulus Epaphras und Tychikus den gleichen – statt eines niedrigeren – Status zuschreibt wie sich selbst. „Diener“ (διάκονος) gehört hingegen zu den bevorzugten Bezeichnungen für Mitarbeiter bei Paulus;99 neben Epaphras und Tychikus werden Apollos (1Kor 3,5), Phöbe (Röm 16,1) und Timotheus (1Tim 4,6) ausdrücklich als solche erwähnt. Gegenüber δουλεύω, bei dem, wie oben dargestellt, der Aspekt der Unterordnung in den Vordergrund tritt, wird durch διακονέω viel mehr die Tätigkeit des Dienens selbst betont.100 Ob nun „Sklave“ oder „Diener“, in beiden Fällen sahen die Apostel und ihre Mitarbeiter in Christus ihr großes Vorbild (vgl. Phil 2,7; Röm 15,8), und sie waren bestrebt, sich wie er als „treu“ (πιστός) zu erweisen (vgl. zu 1,2). Epaphras war jedenfalls einer, zu dem nach Meinung des Paulus diese Auszeichnung durchaus passte. Er genoss das volle Vertrauen des Apostels und diente den Kolossern im Auftrag bzw. anstelle von Paulus selbst (ὑπὲρ ἡμῶν; zur Begründung dieser LA vgl. die textkritische Anmerkung zu 1,7). Dieser betrachtete Epaphras als Teil seines Missionsteams und daher als verlängerten Arm seiner eigenen missionarischen Bemühungen. Eventuell schimmert auch die Missionsstrategie des reifen Apostels durch: Er „konzentrierte sich auf die größeren Städte, seine Mitarbeiter wirkten in deren Umgebung“.101 8 Ebendieser Epaphras war es, der uns von eurer Liebe im Geist berichtet hat (ὁ καὶ δηλώσας ἡμῖν τὴν ὑμῶν ἀγάπη ἐν πνεύματι). Diese Notiz erinnert wegen des Verbs (δηλώσας; Aor. Part. von δηλόω) an 1Kor 1,10; auch dort wurde Paulus über die Situation in einer ihm nahestehenden Gemeinde berichtet (ἐδηλώθη; Aor. Pass.). Epaphras war bei Paulus, als jener den Kol schrieb (vgl. 4,12), und wird nun als Hauptquelle der bereits in 1,4 vorkommenden Nachricht, dass dem Apostel die Liebe der Kolosser für alle Heiligen zu Ohren gekommen ist, identifiziert. Das Objekt ihrer Liebe bleibt hier unerwähnt. Es könnte Paulus sein; das hieße in diesem Fall, dass Epaphras von 98 Vgl. Wolter 55. 99 Ebd. Noch zu den Lebzeiten des Paulus kommt dem Ausdruck διάκονος eine quasitechnische Bedeutung als Bezeichnung für ein bestimmtes Leitungsamt innerhalb der Ortsgemeinde zu („Diakon“; vgl. Phil 1,1; 1Tim 3,8.12), aber diese ist hier nicht gemeint. 100 Vgl. Weiser, Art. διακονέω, EWNT I, 726-727. 101 Gnilka 37.
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der Liebe der Kolosser zu Paulus erzählt hatte.102 Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie wie in 1,4 als eine besonders herausragende Eigenschaft dieser Gemeinde aufgefasst werden soll.103 Dafür spricht, dass Paulus ihre Liebe als Resultat des Wirkens des Geistes betrachtet (ἐν πνεύματι; Dat. instr.).104 Der Heilige Geist wird nur dieses eine Mal im Kol ausdrücklich erwähnt – das ist für Paulus untypisch –, aber die hier vorliegende Begründung ethischer Verhaltensnormen in der Befähigung durch den Geist ist durch und durch paulinisch.105 Jede Tugend, allen voran die Liebe, ist für ihn geistgewirkt (vgl. Gal 5,22-23). Nun konnte der Gemeindegründer seine Freude darüber, dass sich die Gemeinde in Kolossä darin auszeichnet, offensichtlich nicht für sich behalten, und Paulus freut sich mit ihm, nimmt aber dies zum Anlass, die Kolosser an den göttlichen Ursprung dieser Liebe zu erinnern.
IV Zusammenfassung Die Danksagungen in den paulinischen Briefen sind, wie oben geschildert, hellenistischen Briefkonventionen entlehnt und dienen der Fokussierung der Briefsituation. Sie bereiten die Leser bzw. Hörer auf die im Briefkorpus angesprochenen Themen vor, ohne diese inhaltlich vorwegzunehmen. Die Aufnahme der paulinischen Trias von (der in ihrer hier vorkommenden Reihenfolge) Glaube, Liebe und Hoffnung in die Danksagung lässt z.B. erahnen, dass sich die Botschaft des Kol im weitesten Sinne mit diesen drei Themenbereichen beschäftigen wird, und weiter, dass diese anders gewichtet und auch anders aufeinander bezogen werden als in 1Kor 13,13 oder 1Thess 1,3. Der logische Duktus ihrer Reihenfolge ist hier wie folgt: 1) Die Christen in Kolossä haben dem Evangelium Glauben geschenkt, woraus 2) eine feste Hoffnung entstanden ist, die 3) sie zu einer vorbildlichen vom Geist geschenkten Liebe anhält und motiviert. Der Glaube der Kolosser an den Messias Jesus ist aber in der gegenwärtigen Situation gefährdet, weil sie mit der KI liebäugeln und neben dem erhöhten Christus auch andere Geisteswesen zu Hilfe holen oder beschwichtigen wollen (vgl. S. 48-49), wodurch sie im Begriff sind, sich erneut den „Elementarmächten des Kosmos“ zu unterstellen (vgl. 2,20). Sie höhlen dabei das Hoffnungsgut, das für sie im Himmel aufbewahrt ist (vgl. 1,5), in gefährlichem Ausmaß aus und verlieren damit die treibende Kraft hinter der 102 So Lindemann 20. 103 So auch Dibelius 7; Gnilka 38; Moo 91 n. 44; Sumney 42. 104 Vgl. HvS §184i. Schweizers Position, dass diese Wendung adjektivisch im Sinne von „geistlich“ zu deuten ist (38-39), hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. Vgl. Gnilka 38 n. 55; Sumney 42. 105 Vgl. Wolter 56-67.
84
II. Auslegung
Liebe, die sie bisher auszeichnete. Ein Anzeichen dafür sieht Paulus im Umgang der Gemeindeglieder miteinander (vgl. zu 3,5-11). Dieser Entwicklung entgegenzuwirken ist der Zweck des Kol. Er dient dazu, den Glauben der Kolosser an den Messias zu festigen, was in weiterer Folge ihre Hoffnung stärker und sicherer machen und sie zu einem noch größeren Liebeswerk antreiben und ihr Verhalten grundsätzlich prägen soll (vgl. zu 3,12–4,1). Von einem Glauben, der der Wahrheit hinsichtlich des Messias Jesus entspricht, hängt also die positive Weiterentwicklung der Gemeinde ab. Dieser Glaube entsteht und gedeiht durch die Verkündigung bzw. durch die Annahme des Wortes der Wahrheit, des Evangeliums. Deswegen ist es für Paulus wichtig, am Anfang des Kol zu betonen, dass die Botschaft, die die Kolosser gehört und der sie geglaubt haben, die gleiche ist, die durch ihn und die anderen Apostel in der ganzen Welt gepredigt wird und auch Frucht trägt. Damit impliziert er natürlich, dass sie im starken Gegensatz zur KI steht, die außerhalb von Kolossä keine Annahme findet und in Kolossä nicht zum Wachstum der Gemeinde beiträgt. Denn Letztere ist der Botschaft der Gnade Gottes in Jesus, die die Kolosser im Evangelium erkannt haben (vgl. 1,6), genau entgegengesetzt. Sie will durch ihre asketisch-judaisierenden Praktiken (vgl. S. 47-48) mühsam erarbeiten, was der Gemeinde in Christus längst umsonst erteilt worden ist: die ganze Fülle Gottes (vgl. 1,19; 2,9). Da aber die Kolosser diese Botschaft nicht direkt von Paulus, sondern von Epaphras hörten, schließt die Danksagung ungewöhnlicherweise mit einer Bestätigung, dass der Apostel seinen Mitarbeiter für vertrauenswürdig und zuverlässig hält. Epaphras ist, wie Paulus selbst, ein treuer Diener Christi, sodass Paulus keine Zweifel hat, dass den Kolossern das Evangelium, das sie von Epaphras hörten, genauso wahrheitsgetreu vermittelt worden ist, als wenn der Apostel dies selbst erstmals verkündet hätte.
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1.2.2. Gebet für die Kolosser (1,9-14)
I Übersetzung 9 Gerade deswegen hören wir nicht auf, seit dem Tag, an dem wir davon hörten, für euch zu beten und zu bitten, dass ihr mit der Erkenntnis seines Willens erfüllt werdet durch die ganze Vielfalt der Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt. 10 So könnt ihr ein Leben führen, das des Herrn würdig ist, und ihm in allem gefallt, indem ihr im Hinblick auf jedes nur erdenkliche gute Werk Frucht tragt, in der Erkenntnis Gottes wachst, 11 mit aller Kraft gestärkt werdet, die seine herrliche Macht zu bieten hat, für jede Art von Ausdauer und Geduld, 12 und mit Freude dem Vater dankt, der euch fähig gemacht hat, Anteil am Erbe der Heiligen im Licht zu haben. 13 Er hat uns aus dem Machtbereich der Finsternis gerettet und uns in den Herrschaftsbereich seines geliebten Sohnes versetzt. 14 In ihm haben wir Erlösung, die Vergebung der Sünden.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 1,9: B K vgms lassen καὶ αἰτούμενοι nach προσευχόμενοι weg. Die Auslassung ist vermutlich durch Homoioteleuton entstanden; beide Partizipien haben die gleiche Endung (-μενοι). 1,10: 1) א2 D2 K L P Ψ 075 104 365 630 1505 fügen nach περιπατῆσαι das in den besten MSS fehlende implizite Inf. Obj. ὑμας ein. 2) א2 Ψ 075 104 1175 1505 lat fügen ἐν vor τῇ ἐπιγνώσει ein, während D2 K L 630 dies mit dem Präpositionalgefüge εἰς τῆν ἐπίγνωσιν ersetzen. Die von NA28 bevorzugte einfache Dativkonstruktion ist besser bezeugt. 1,12: 1) 46 und Ambrosiaster fügen ein kopulatives καὶ vor εὐχαριστοῦντες, 46 und B ἅμα nach εὐχαριστοῦντες ein. Beide Varianten stellen Versuche dar, den Text zu glätten. 2) ( אF G) f g vgcl syp sams boms Orlat Spec fügen θέῳ, C3 075 81c 104 365 1739mg ar vgs syh** θέῳ καὶ nach τῷ ein, um den Ausdruck dem Stil der üblichen paulinischen Dankformel anzupassen. Der Text von NA28 ist aber gut bezeugt und lectio difficilior. 3) D*.c F G 33 1175 it sa sowie Ambst und Spec lesen καλέσαντι statt ἱκανώσαντι. B verbindet beide LA zu καλέσαντι καὶ ἱκανώσαντι. Der von NA28 bevorzugte LA ist sowohl lectio difficilior also lectio brevior. 4) A C D F G K L P Ψ 075 33 81 630 1241s 105 2464 haben ἡμᾶς nach ἱκανώσαντι, aber ὑμᾶς ist besser bezeugt. 1,14: 1) Nur B und co haben den Aor. ἔσχομεν statt ἔχομεν. 2) 630 1505 2464 vgcl, syh und Cass passen den Text Eph 1,7 an, indem sie διὰ τοῦ αἵματος αὐτοῦ nach ἀπολύτρωσιν einfügen.
86
II. Auslegung
Form. Dieser typisch paulinische Gebetsbericht106 ist trotz seiner Eigenständigkeit als Texteinheit mit der Danksagung in 1,3-8 eng verknüpft.107 Dort behandelte Themen werden hier wieder aufgegriffen und schon Gesagtes noch einmal bestätigt: Dank gegenüber dem Vater (vgl. 1,3 mit 1,12), unablässiges Gebet für die Kolosser (vgl. 1,3 mit 1,9), Anteilnahme an dem, was man über die Kolosser hört (vgl. 1,4 mit 1,9), die Topoi des Fruchttragens und des Wachstums sowie die Betonung auf Erkenntnis (vgl. 1,6 mit 1,10). Die Perikope dient als Überleitung zum darauffolgenden Traditionsstück (1,15-20) und bildet zusammen mit ihm einen einzigen langen Satz. Gebetsbericht und Traditionsstück sind dennoch aus traditionsgeschichtlichen und textpragmatischen Gründen als jeweils in sich zusammenhängende Texteinheiten zu betrachten. Denn das frühchristliche Traditionsstück ist trotz syntaktischer Unterordnung durch ein anfängliches Relativpron. nur formal mit dem Gebetsbericht verknüpft und stellt eine eigenständige Größe mit programmatischer Funktion für den Rest des Briefes dar (vgl. dazu S. 116). Der Gebetsbericht weist eine überladene und durch Parataxis gekennzeichnete Struktur auf,108 die in zwei Teile aufgeteilt werden kann: Der erste Teil (1,9-12) besteht aus einem Hauptsatz (1,9a), der das unablässige Gebet des Apostels und seines Mitarbeiters für die Kolosser beteuert, einem ἵνα-Nebensatz (1,9b), der den Inhalt dieses Gebetes zusammenfasst, einer Infinitivkonstruktion, die das erwünschte Resultat des Gebetes zum Ausdruck bringt (1,10a), und vier Partizipialkonstruktionen mit jeweils modaler Sinnrichtung; d.h. sie erläutern, wie dieses Resultat erreicht wird (1,10b-12). So ergibt sich das folgende syntaktische Gerüst: „Wir beten, dass …, sodass ihr …, indem ihr erstens …, zweitens …, drittens … und viertens ….“ Der zweite Teil (1,1213) knüpft mit zwei Relativsätzen (ὅς … in 1,13 und ἐν ᾧ … in 1,14) am letzten Präpositionalgefüge an; beide Relativpron. beziehen sich auf πατήρ in 1,12. Jedoch dient wiederum die syntaktische Unterordnung der Relativsätze nicht der engen Verknüpfung mit dem ersten Teil, sondern der Fokussierung
106 So Wolter 58. 107 So auch Hartman, Words, 199; Foster 152. Phil weist eine ähnliche Aufteilung zwischen Danksagung (Phil 1,3-6) und Gebetsbericht (Phil 1,9-11) auf. Vgl. dazu Wiles, Prayers, 194-215. Sowohl in Phil (1,7) als auch in Kol (1,7) werden Danksagung und Gebetsbericht durch einen erläuternden καθώς-Nebensatz voneinander getrennt. 108 Die Charakterisierung des Abschnittes durch Luz 197 als „ein ziemlich ungeformter Wortschwall“ geht zu weit. Lohmeyer 30-31 gelingt es jedenfalls, ihm eine durchdachte Struktur zu entnehmen. Wie dies auch im Einzelnen zu bewerten sei, die semantisch kommunikative Intention des Textes ist trotz des plerophoren Stils durchaus erkennbar. Vgl. das Diagramm des Textes bei Pao 66.
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auf das Heilswerk Gottes in Christus, das sich als grundlegend für die Anliegen des restlichen Briefes erweist. Wohl unter dem Einfluss der traditionsgeschichtlichen Untersuchung Ernst Käsemanns, der in 1,12-20 eine frühchristliche Taufliturgie vorfand,109 postulieren manche Ausleger eine Zäsur zwischen 1,11 und 1,12 und behandeln 1,12-14 als liturgische Einleitung zum folgenden Gedicht, die bereits mit ihm überliefert wurde,110 oder als unabhängiges Traditionsstück111 bzw. als vom AutKol aus frühchristlichem Traditionsgut komponiertes Stück,112 das dem Gebet vorangestellt wurde. Für diesen Vorschlag spricht die durchgängige Häufung von Termini, die für Paulus untypisch sind – in 1,12: „fähig machen“ (ἱκανάω), „Anteil am Erbe“ (μερίς), „Heilige im Licht“ (ἁγία ἐν τῷ φωτί); in 1,13: „versetzen“ (μεθίστημι), „das Reich seines geliebten Sohnes“ (βασιλεία τοῦ υἱοῦ τῆς ἀγάπης αὐτοῦ); in 1,14: „Vergebung der Sünden“ (ἄφεσις τῶν ἁμαρτιῶν). Zweifel melden sich jedoch an, ob diese Termini wirklich auf einen liturgischen Sitz im Leben des frühesten Christentums zurückgeführt werden können. Denn bei näherer Betrachtung sticht ihre Ähnlichkeit nicht mit spezifisch frühchristlichem, sondern mit allgemein jüdischem Traditionsgut ins Auge.113 Damit soll nicht geleugnet werden, dass liturgische Elemente im ganzen Abschnitt und sogar in einer auffallenden Dichte in 1,12-14 vorkommen, aber zur Erschließung ihres traditionsgeschichtlichen Hintergrundes fehlt uns genauere Information über die gottesdienstliche Liturgie in der frühen Kirche.114 Gegen die These, dass 1,12-14 mit 1,15-20 zusammenhängt und überliefert wurde, spricht vor allem aber, dass durch die Abkoppelung der vierten Partizipialkonstruktion (1,12) von den anderen drei (1,10b-11)115 ein augenfälliges Strukturmerkmal des Gebetsberichts ignoriert und somit die Textästhetik erheblich gestört wird.116
109 Vgl. Käsemann, Taufliturgie, 34-51. 110 Vgl. Käsemann, Taufliturgie, 37-38; Lohse 66-67; Lähnemann, Kolosserbrief, 32 n. 10; Schweizer 44; Martin 103-104. 111 Vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 145-146; Ellis, Colossians, 419. 112 Vgl. Zeilinger, Erstgeborne, 38-39, 77; Gnilka 45; Schweizer 44; Lindemann 22-24; Pokorný 42-43; Hoppe, Triumph, 181-183. 113 Vgl. Dunn 68. 114 Vgl. O’Brien 20. 115 Wolter 58 bemerkt zu Recht, „daß kein erkennbares Textgliederungssignal auf eine Abtrennung des Partizips eucharistountes von den drei parallelen Partizipien in V 10-11 hinweist“. Ähnlich Dunn 68. 116 Das Gleiche gilt für den Strukturierungsvorschlag von Maisch 55-56, nach dem das Part. εὐχαριστοῦντες auf Paulus und Timotheus bezogen wird („wir danken …“) und den Gedanken von 1,3 wieder aufnimmt bzw. die Reihe der Partizipien in 1,9 fortführt.
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II. Auslegung
III Einzelexegese 9 Paulus leitet seinen Gebetsbericht unüblicherweise mit Gerade deswegen (διὰ τοῦτο καὶ)117 ein, wobei dadurch keine streng logische Schlussfolgerung aus dem unmittelbar Vorhergehenden intendiert ist. Stattdessen dient diese resümierende Einleitung nach der parenthethischen Ausführung über Epaphras in 1,7-8 dazu, den Faden der unterbrochenen Gedankenführung (Danksagung–Gebetsbericht; siehe dazu oben) wiederaufzunehmen. Sie bezieht sich insbesondere auf 1,3-4. Dort wurde bereits zum Ausdruck gebracht, was hier mit anderen Worten noch einmal betont wird: Weil Paulus und Timotheus von dem Glauben und der Liebe der Kolosser durch Epaphras (und wohl auch anderen) erfahren haben, hören wir nicht auf, seit dem Tag, an dem wir davon hörten, für euch zu beten (ἡμεῖς ἀφ̓ ἧς ἡμέρας ἠκούσαμεν οὐ παούμεθα ὑπὲρ ὑμῶν προσευχόμενοι). Der Topos des beharrlichen Betens begegnet häufig im NT;118 die Form an dieser Stelle (οὐ + Med. von παύω + ὑπὲρ ὑμῶν + Part. von προσευχόμαι κτλ) ist jedoch einzigartig (vgl. aber Eph 1,16: οὐ + Med. von παύω + Part. von εὐχαριστέω + ὑπὲρ ὑμῶν) und verleiht der Behauptung eine auffallende Ernsthaftigkeit. In pragmatischer Hinsicht dient sie dazu, den guten Willen der Adressaten zu sichern: Paulus, der den meisten von ihnen noch nicht begegnet ist, betet für sie mit derselben Inbrunst und Stetigkeit, die seine Gebete für die von ihm persönlich gegründeten Gemeinden auszeichnen (vgl. Phil 1,3-4; 1Thess 1,2). Eine solche Beteuerung wird bei den Kolossern einen positiven Eindruck hinterlassen und sie in weiterer Folge für manches ermahnende Wort empfänglicher gemacht haben. Das bezweckte Resultat (der ἵνα-Nebensatz hat hier wie üblich finale Bedeutung)119 seines ständigen Betens für die Gläubigen in Kolossä beschreibt Paulus etwa verallgemeinernd wie folgt: dass ihr mit der Erkenntnis seines Willens erfüllt werdet (ἵνα πληρωθῆτε τὴν ἐπίγνωσιν τοῦ θελήματος αὐτοῦ). Nun hat er bereits in 1,6b bestätigt, dass die Kolosser die Gnade Gottes im Evangelium klar und deutlich erkannt hatten, und stellt dabei die Kolosser als die Handelnden dar (ἐπέγνωτε: Verb im Aor. Akt.). Hier geht es um eine tiefer gehende Erkenntnis (ἑπίγνωσις; sonst 3-mal im Kol: 1,10; 2,2; 3,10), die dem erstmaligen Erfassen der Gnade Gottes hinzugefügt wird und das Ergründen
117 Für diese Deutung der stereotypen Wendung διὰ τοῦτο καὶ (vgl. auch Lk 11,49; Joh 12,18; 1Thess 2,13) vgl. Moule 52; Zerwick, Greek, §462. 118 Vgl. Wolter 209. 119 Vgl. HvS §272a.
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des Willens Gottes ermöglicht.120 Wohl deswegen wird Gott in diesem Fall als der Handelnde dargestellt. Er selbst muss die Kolosser mit dieser Art von Erkenntnis „erfüllen“ (πληρωθῆτε; passivum divinum), denn diese kann gemäß der jüdischen Tradition, in der Paulus steht, nur von Gott selbst geschenkt werden (vgl. Jer 31,34; Ps 119,66; 143,10; Spr 2,6; OdSal 9,77).121 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Konzept des „Willens Gottes“ eine grundlegende Rolle bei Paulus spielt und ein breites Feld absteckt, denn es schließt Gottes Absichten sowohl für den Kosmos wie auch für sein Volk als Ganzes wie auch für jeden Einzelnen ein (vgl. zu 1,1). Ihn können die Kolosser nur durch die ganze Vielfalt der Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt (ἐν πάσῃ σοφίᾳ καὶ συνέσει πνευματικῇ) begreifen.122 Der Ausdruck „Weisheit und Einsicht“ (σοφίᾳ καὶ συνέσις) kommt häufig in der LXX vor (Ex 31,3; 35,31.35; Deut 4,6; 1Chr 22,12; 2Chr 1,10-12; 2,12; Jes 11,2; Dan 2,21). Weisheit spielt vor allem in der Kreuzestheologie des Apostels eine wichtige Rolle. Diese findet ihre klassische Formulierung in 1Kor 1– 4 und wird im Kolosserbrief weiter ausgeführt.123 Auch an dieser Stelle steht Paulus ganz in der Tradition der Weisheit und bezeichnet mit diesem Begriff eine Eigenschaft Gottes (vgl. Hi 28,1-28; Ps 104,24; Spr 8,20-31; Weish 9,9; Sir 1,1), an der er den Menschen Anteil haben lässt (vgl. Hi 12,13; 38,36; Ps 51,6; Spr 2,6; Κoh 2,26; Weish 7,7; 8,21; Sir 43,33), damit sie seinen Willen erkennen und entsprechend handeln können (vgl. Spr 2,1-22; 3,21-23; 4,1112; Κoh 10,10; Weish 10,1-21).124 „Einsicht“ (συνέσις) wird häufig in der Weisheitsliteratur als Synonym von „Weisheit“ (σοφία) gebraucht, um einen Parallelismus zu erzeugen (vgl. Hi 28,20; 39,17; Ps 49,3; 110,10; Spr 1,7; 2,23.6; 9,10; 24,3; Sir 1,4; 14,20; 15,3; 39,6). Damit wird deutlich, dass kein wesentlicher Bedeutungsunterschied zu „Weisheit“ intendiert ist. Ebenso
120 Dies geht aus dem Kontext und nicht, wie gelegentlich behauptet wird, aus einer durch das Kompositum „Er-kenntnis“ (ἐπι-γνῶσις) markierten Intensivierung gegenüber der einfachen „Kenntnis“ (γνῶσις) hervor. Vgl. Wilson 100. Kontra Lightfoot 138. 121 Vgl. Gnilka 40-41. Der göttliche Ursprung aller Erkenntnis wird besonders in den Qumranschriften betont. Vgl. dazu Lohse 56-7. 122 Die Präp. ἐν ist am ehesten instr. aufzufassen. Vgl. Harris 30-31. 123 Vgl. Hoppe, Triumph, 36. Die enge thematische Verbindung zwischen 1Kor und Kol im Hinblick auf die paulinische Kreuzestheologie wäre jedoch bei der zeitnahen Verfassung dieser beiden Briefe, von der wir ausgehen, befriedigender zu erklären als durch die Vermutung der Rezeption durch einen pseudepigraphischen Autor. 124 Dass mit „Weisheit“ ein wichtiger Topos der antiken Philosophie aufgegriffen wird (vgl. Bormann 68), darf nicht übersehen werden. Der Begriff spielte wohl in der KI eine wichtige Rolle. Bestimmt gebraucht Paulus ihn auch deswegen hier. Aber er will ihn neu bzw. jüdisch-weisheitlich und auch kreuzestheologisch füllen. Vgl. dazu unten.
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II. Auslegung
deutlich folgt daraus, dass sich beide Adj. πᾶς und πνευματικός auf beide Subst. beziehen.125 Entscheidend für die korrekte Deutung dieses etwas überladenen Präpositionalgefüges ist die Wahrnehmung einer bewussten Anspielung auf Jes 11,110.126 Dieser Text wurde im Frühjudentum vielfach als messianische Prophezeiung gedeutet (vgl. ÄthHen 49,3-4; PsSal 17,35-43; 1QSb V,20-29; TestLev 18,1-8)127 und ist auch Paulus als solche bekannt (vgl. Röm 15,12). Verbale Übereinstimmung besteht einerseits zwischen 1,9 und Jes 11,2 LXX, wo der Prophet voraussagt, dass „der Geist der Weisheit und Einsicht“ (πνεῦμα σοφιας καὶ συνέσεως) auf dem „Baumstumpf Isais“ ruhen wird, und andererseits zwischen 1,9 und Jes 11,9 LXX, wo behauptet wird, dass die Erde eines Tages „mit der Erkenntnis des Herrn gefüllt wird (ἐνεπλήσθη ἡ σύμπασα τοῦ γνῶναι τὸν κύριον). Paulus verknüpft somit zwei Verse, die sich jeweils am Anfang and am Ende dieser Jesajarede befinden, miteinander. Damit macht er klar, dass er sich nicht bloß einer wohlklingenden Formulierung bedient, sondern dass seine Ausführungen an dieser Stelle von jener Rede insgesamt beeinflusst werden. Dafür spricht auch die motivgeschichtliche Übereinstimmung mit 1,6, denn die Erfüllung des prophetischen Wortes, dass die Erde mit der Erkenntnis des Herrn voll wird, scheint der Apostel in der Verkündigung des Evangeliums in der ganzen Welt zu sehen. Daraus folgt, dass das Adjektiv πνευματικός dem normalen paulinischen Gebrauch entsprechend mit „durch den Geist vermittelt“ wiedergegeben werden soll.128 Die übliche Übersetzung „geistlich“ (vgl. u.a. LÜ 1984 und Elb.) ist angesichts der starken Betonung in Jesaja 11,1-10 auf den Geist als Inbegriff der Gegenwart Gottes zu schwach. Denn die Weisheit und Einsicht, die Paulus für die Kolosser erbittet, werden ausschließlich durch den Geist Gottes vermittelt, wie aus 1Kor 2,10-16, dem locus classicus in dieser Hinsicht, und der Parallelstelle in Eph 1,17 – dort bittet Paulus, dass Gott „euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung schenkt, damit ihr ihn erkennt“ – deutlich hervorgeht. Eine unabhängig von seiner Gegenwart zu125 So auch Wright 61; Barth/Blanke 175; Sumney 44. Kontra Bruce 45 Anm. 23; Bormann 67. 126 Vgl. Fee, Intertextuality, 208-209. Beetham, Echoes, 61-79. Andere Ausleger verweisen auf Ex 31,3; 35,31 LXX, wo vom Kunsthandwerker Bezalel gesagt wird, dass Gott ihn mit dem πνεῦμα θεῖον σοφίας καὶ συνέσεως erfüllt hatte, sodass er befähigt wurde, die Geräte für die Stiftshütte anzufertigen. Diese Tradition stellt eventuell einen sekundären Bezug der Anspielung dar (vgl. Beale 847-848). Beetham macht aber u.a. geltend, dass die lexikalische Übereinstimmung zwischen Jes 11,2 und Kol 1,9 genauer ist. 127 Vgl. die ausführliche Diskussion bei Beetham, Echoes, 67-72. 128 Ebd. 74-76.
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gängliche „geistliche Weisheit und Einsicht“ wäre dem Apostel ein fremder Gedanke. Durch den Geist haben hingegen die Gläubigen Zugang zu der ganzen Vielfalt – artikelloses πᾶς trägt die Nuance „jede Art von“129 – der Weisheit und Erkenntnis. 10 Erkenntnis ist für Paulus, der damit der atl.-weisheitlichen Tradition vollends beipflichtet, nicht Selbstzweck, sondern sie zielt darauf, dass ihr ein Leben führen könnt, das des Herrn würdig ist, und ihm in allem gefallt (περιπατῆσαι ἀξίως τοῦ κυρίου εἰς πᾶσαν ἀρεσκείαν). Es handelt sich wörtlich um das „Wandeln“ (περιπατέω) vor dem Herrn, einen Semitismus, der der atl. Redewendung „Herumgehen vor dem Angesicht Gottes“ ()התהלך לפני אלהים entlehnt und den Lesern älterer Bibelübersetzungen noch vertraut ist. Der metaphorische Gebrauch von περιπατέω im Sinne von „Lebensführung“ kommt bei Paulus häufig vor (vgl. Röm 6,4; 8,4; 13,13; 14,15; 1Kor 3,3; 7,17; 2Kor 4,2; 5,7; 10,2.3; 12,18; Gal 5,16; Eph 2,2.10; 4,1.17; 5,2.8.15; Phil 3,17-18; Kol 2,6; 3,7; 4,5; 1Thess 2,12; 4,1.12; 2Thess 3,6.11). An unserer Stelle schmückt er die einfache Redewendung mit zwei weiteren Tropen aus. Erstens soll die Lebensführung der Kolosser des Herrn würdig sein (ἀξίως τοῦ κυρίου; Gen. pret.130). Das Adverb ἀξίως kommt in der LXX nur selten vor (vgl. Weish 7,14; 16,1; Sir 14,11). Das lässt manche Kommentatoren hinter der Formulierung „des Herrn würdig wandeln“ den Einfluss des frühchristlichen Taufunterrichts vermuten.131 Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie von Paulus selbst stammt. Er ruft an anderer Stelle dazu auf, „eurer Berufung würdig zu wandeln“ (Eph 4,1; ἀξίως περιπατῆσαι τῆς κλήσεως) bzw. „Gottes würdig zu wandeln“ (1Thess 2,12: περιπατεῖν … ἀξίως τοῦ θεοῦ; vgl. auch den konzeptuell ähnlichen Ausdruck in Phil 1,27 „sich des Evangeliums des Messias würdig verhalten“; ἀξίως τοῦ εὐαγγελόυ τοῦ Χριστοῦ πλιτεύεσθε). Mit dem „Herrn“ meint Paulus seiner Gewohnheit entsprechend – auch im Kol (vgl. 1,3; 2,6; 3,13.24) – wohl Jesus.132 „Würdig“ bezieht sich nicht auf den innewohnenden Wert der Person, sondern wird hier im Sinne von „angemessen“ oder „entsprechend“ gebraucht (vgl. 1Kor 11,27). Gemeint ist, dass es von der Lebensführung der Christen in Kolossä abzuleiten sein müsste, dass sie dem Herrn zugehörig sind.133 Zweitens soll die Lebensführung der Kolosser ihm in allem gefallen (wörtlich „zu allem Wohlgefallen gelangen“; εἰς πᾶσαν ἀρεσκείαν). Das Verbalno129 130 131 132 133
Vgl. BDR §275(3). So auch Harris 31. Vgl. HvS §163b. Vgl. Gnilka 41 in Anlehnung an Conzelmann 181. Vgl. Barth/Blanke 177; Dunn 71. Kontra Aletti, 72-73. Vgl. Wolter 60-61.
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II. Auslegung
men ἀρεσκεία kommt nur hier im NT vor, aber das Verb ἀρέσκω begegnet häufiger, insbesondere im CP (vgl. Röm 8,8; 15,1-3; 1Kor 7,32-34; 10,33; Gal 1,10; 1Thess 2,4.15; 4,1; 2Tim 2,4; sonst nur in Mt 14,6; Mk 6,22; Apg 6,5). Auch die Kompositwurzel εὐάρεστ- gehört zum charakteristisch paulinischen Vokabular im NT (Röm 12,1-2; 14,18; 2Kor 5,9; Eph 5,10; Phil 4,18; Kol 3,20; Tit 2,9; sonst nur in Hebr 11,5-6; 12,28; 13,16.21). Dass Gott an unserer Stelle das implizierte Objekt ist, geht aus dem Kontext klar hervor und entspricht der Grundhaltung des Apostels: Paulus will Gott und nicht Menschen gefallen (vgl. 1Thess 2,4), und er betet, dass auch die Kolosser diese Haltung einnehmen. Beide Tropen – „würdig wandeln“ und „dem Herrn gefallen“ – konnotieren also mehr oder weniger das Gleiche. Das könnte bloß auf den pleonastischen Stil des Kol zurückzuführen sein; es lässt sich aber darin vielleicht eine tiefere Absicht erblicken. Denn die Redewendung „Herumgehen vor dem Angesicht Gottes“ ( התהלך לפני אלהיםu.ä.) wird häufig von der LXX mit „Gefallen vor Gott“ (εὐαρεστέω ἐναντίον τοῦ θεοῦ u.ä.) übersetzt (vgl. Gen 6,9; 17,1; Ps 56,14 [LXX 55,14]; 116,9 [LXX 114,9]). Dass sich darunter programmatische Aussagen über Noah und Abraham befinden, fällt besonders auf. Demzufolge könnte Paulus durch diese Doppelung auf die Erzväter angespielt haben, die nach jüdischer Tradition besonders vorbildlich waren. Laut Gen 6,9 „wandelte Noah mit Gott“ ( ;)התהלך את־אלהיםnach Gen 17,1 befahl Gott Abraham: „Wandle vor meinem Angesicht“ ()התהלך לפני. An diesen Stellen löst die LXX die Metaphorik auf – gegen ihre übliche Praxis134 – und übersetzt die Redewendung „Wandeln mit/vor Gott“ konkret mit „Noah gefiel Gott“ (τῳ θεῷ εὐρέστησεν Νωε) bzw. „[Abraham,] sei gefallend vor mir“ (εὐαρέστει ἐναντίον ἐμοῦ). Der Unterschied zwischen den jeweiligen Texttraditionen könnte die Aufmerksamkeit des Paulus durchaus erweckt haben;135 es fällt auf, dass er die Topoi des Gehens und Gefallens an einer anderen Stelle verwendet, um Ähnliches zum Ausdruck zu bringen (vgl. 1Thess 4,1).136 Die Formulierung in 1,10 wäre in diesem Fall nicht einer blumigen Rhetorik ge-
134 Üblicherweise gibt die LXX die metaphorische Wendung mit διέρχομαι (vgl. 1Sam 2,30.35; 1Kön 3,6) bzw. am häufigsten mit πορεύομαι (vgl. 1Kön 2,4; 8,23.25; 9,4; 2Kön 20,3; 2Chr 6,14.16; 7,17; Jer 38,3) wieder. Für die Übersetzung mit εὐαρεστέω vgl. auch Gen 24,40; Ps 56,14; 116,9). 135 Das ist keineswegs ohne Parallele bei Paulus. Vgl. die wohl bewusst erfolgte Ambiguierung der MT- und LXX-Lesarten von Hab 2,14 in Röm 1,17. Dazu ausführlich Dunn, Romans, 45-46. 136 Vgl. MacDonald 55.
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schuldet und trüge keine „leise Unangemessenheit an sich“,137 sondern ließe sich als der Versuch des Apostels verstehen, den Facettenreichtum beider Texttraditionen hinter der Feststellung der vorzüglichen Lebensführung Noahs bzw. der Aufforderung an Abraham, genauso wie Noah vor ihm zu wandeln, zu erfassen.138 Dass das Subst. ἀρεσκεία im NT sonst nicht vorkommt (siehe oben), spricht für diese Deutung. Es folgt nun eine zusammenhängende Kette von vier Partizipialkonstruktionen mit jeweils modaler Sinnrichtung (siehe oben), die im Genaueren beschreiben, worin ein Leben, das des Herrn würdig ist und ihm in allem gefällt, besteht. Dies wird erreicht, erstens indem ihr im Hinblick auf jedes nur erdenkliche gute Werk Frucht tragt (ἐν παντὶ ἕργῳ ἀγαθῷ καρποφοροῦντες). Die Präp. ἐν leitet ein Dat. resp. ein;139 damit wird klargemacht, worauf sich das Fruchtragen bezieht.140 Zum artikellosen πᾶς vgl. zu 1,9. Zur metaphorischen Trope des Fruchttragens vgl. zu 1,6. Dass Paulus seine Leser zu „guten Werken“ anspornt, klingt in protestantischen Ohren zunächst befremdend, entspricht aber durchaus dem paulinischen Heilsverständnis, das man mit „gerettet aus Gnade zu guten Werken“ – etwas vereinfacht, aber nicht falsch – charakterisieren könnte (vgl. Eph 2,9-10 mit Röm 2,7; 13,3; 2Kor 9,8; 2Thess 2,17; 2Tim 3,17; Tit 2,14). Die „Werke“, die er hier meint, sind nicht – wie typischerweise im Röm (vgl. 3,20.28) und Gal (vgl. 2,16; 3,2.5.10) – „Gesetzeswerke“ (d.h. sie bestehen nicht im Befolgen jüdischer Ritualgesetze, insbes. im Hinblick auf Beschneidung), sondern – in Übereinstimmung mit Jakobus (vgl. Jak 2,14-26) – tugendhafte Handlungen, durch die sich der Glaube auszeichnet. Die von Paulus erzielte Lebensführung erfolgt zweitens, indem ihr in der Erkenntnis Gottes wachst (αὐξανόμενοι τῇ ἐπιγνώσει τοῦ θεοῦ). Zur Trope 137 Lohmeyer 33-34. Lohmeyers Abneigung vor dem „Hauch jüdischen Denkens“, den er an dieser Stelle verspürt, führt ihn zu dem Schluss, dass das nomen actionis unmöglich „Gott“ als sein Objekt haben kann – im AT eine Selbstverständlichkeit (vgl. Ex 15,26; Deut 12,8 etc.: ἀρεστὸν ἐνώπιον θεοῦ) –, sondern dass Paulus hier das Handeln, „das in der von ihm [d.h. dem Gläubigen] erwählten Gemeinschaft ‚Wohlfgefallen‘ findet“, meinen muss. Für ein überzeugendes Gegenargument vgl. Lohse 60-61. 138 Daran, dass Abrahams Glaubenspraxis in der Theologie des Paulus eine programmatische Rolle spielt, besteht kein Zweifel. Wright, Paul, 787, macht geltend, dass Paulus Abraham bewusst in eine typologische Beziehung zu Noah (und hinter Noah zu Adam) setzt. Damit greift er auf eine zu wenig beachtete Analyse des jüdischen Forschers Fishbane, Interpretation, 372-373, zurück, die auf die vielfältigen intertextuellen und strukturellen Verknüpfungen zwischen den Erzählungen von Adam, Noah und Abraham hinweist. 139 HvS §178. 140 Kontra Barth/Blanke 179, die das Dat. instr. deuten. Sie konstatieren, dass dadurch keine Angabe bzgl. des Ziels des Wachstums vorliegt.
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II. Auslegung
des botanischen Wachstums vgl. zu 1,6. Manche Kommentatoren knüpfen diese Partizipialkonstruktion eng an die vorhergehende, weil die Partizipien in 1,6 zusammengehören.141 Die Wahl der Verben ist ohne Zweifel davon geprägt. Es spricht jedoch nichts dagegen, dass Paulus hier an zwei unterschiedliche Prozesse denkt.142 Ihre Zusammengehörigkeit beruht nicht auf der Verknüpfung der Partizipien in 1,6, sondern auf ihrer paradigmatischen Beziehung in der Kette der Partizipialkonstruktionen. Somit ist es auch hier möglich, das auf das Partizip folgende Präpositionsgefüge als Dat. resp. zu deuten, und diese Deutung ist aus textästhetischen Gründen vorzuziehen.143 Das ergibt durchaus einen guten Sinn, denn mit der zweiten Wendung schlägt der Apostel eine Brücke zwischen dem erstmaligen Erkennen der Gnade Gottes im Evangelium (1,6) und dem weiterführenden Erkennen des Willens Gottes (1,9): Die Kolosser sollen von der anfänglichen Erkenntnis hin zur tieferen Erkenntnis „heranwachsen“ (vgl. 2,19). 11 Eine Lebensführung, die des Herrn würdig ist und ihm in allem gefällt, erfolgt drittens, indem ihr mit aller Kraft gestärkt werdet, die seine herrliche Macht zu bieten hat, für jede Art von Ausdauer und Geduld (ἐν πάσῃ δυνάμει δυναμούμενοι κατὰ τὸ κράτος τῆς δόξης αὐτοῦ εἰς πᾶσαν ὑπομονὴν καὶ μακροθυμίαν). Diese wohl wegen ihres semitischen Charakters schwerfällige Ausdrucksweise144 besteht aus drei aufeinanderfolgenden Präpositionalkonstruktionen. Die erste, mit aller Kraft gestärkt werdet (ἐν πάσῃ δυνάμει δυναμούμενοι), wird durch ἐν + Dat. instr. eingeleitet. Zum artikellosen πᾶς vgl. 1,9; ihre genaue Nuance in Verbindung mit dem Kollektivum „Kraft“ – wörtlich „durch jegliche Kraft“ – lässt sich nur schwer im Deutschen erfassen. Das gilt ebenso für die hier vorkommende figura etymologica (Stilfigur der Wiederholung des gleichen Wortstamms:145 2-mal δυναμ-; d.h. wörtlich „mit Kraft bekräftigt“). Das Part. δυναμούμενοι kann entweder Med. – in diesem Fall sollte der Nebensatz mit „indem ihr euch mit aller Kraft verstärkt werden lasst“ übersetzt werden146 – oder Pass. sein, wie wir es oben übersetzen. Die Kraft, um die es hier geht, kommt selbstverständlich von Gott (vgl. Eph 1,19). Kraft gehört laut Paulus, der damit ganz in der Tradition des AT steht, zu den wesentlichen Eigenschaften Gottes (vgl. Röm 1,20).147 Ihr 141 Vgl. Wolter 62; Barth/Blanke 179. 142 So auch O’Brien 23; Pao 71. 143 So auch O’Brien 23; MacDonald 48-9; Wilson 106; Pao 71. Kontra Lightfoot 139; Lohse 61-2; Gnilka 42; Sumney 49. 144 Vgl. Dunn 73. 145 Vgl. dazu HvS §294h. 146 So Barth/Blanke 180. 147 Vgl. Friedrich, Art. δύναμις, εως, ἡ dynamis „Kraft“, EWNT I, 862-863.
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Ausmaß lässt sich vor allem daran erkennen, dass Gott Jesus Christus von den Toten auferweckt hat (vgl. Röm 1,4; 1Kor 6,14; Phil 3,10). Sie kommt zum Ausdruck im Evangelium (vgl. Röm 1,16; 1Kor 1,18; 1Thess 1,5), durch dessen Annahme sie auch im Leben der Gläubigen wirksam wird (vgl. Eph 1,19). Diese Kraft wird den Gläubigen in dem Maße erteilt, wie sie – so die zweite Präpositionalkonstruktion in der Reihe – seine herrliche Macht zu bieten hat (wörtlich „gemäß der Kraft seiner Herrlichkeit“; κατὰ τὸ κράτος τῆς δόξης αὐτοῦ). Das Wort κράτος, das hier mit „Macht“ übersetzt wird, kommt noch weitere 11-mal im NT vor, häufig im explizit doxologischen Zusammenhang (Lk 1,51; 1Tim 6,16; 1Petr 4,11; 5,11; Jud 25; Offb 1,6; 5,13) oder wie hier und in Eph 1,19 als Synonym für δύναμις, um die Aussage pleonastisch auszuschmücken (ansonsten nur noch in Apg 19,20; Eph 6,10; Hebr 2,14). Die Verbindung zwischen Kraft und „Herrlichkeit“ (δόξα) begegnet schon in liturgischen Texten des AT (1Chr 16,21; Ps 24,8 = Ps 23,8 LXX; 29,1 = 28,1 LXX; 63,3 = 62,3 LXX) und prägt auch die Doxologien des NT (Jud 25; Offb 1,6; 5,13). Das Nomen δόξα ist i.d.R. bedeutungsträchtig; in der LXX übersetzt es konsequent das hebr. כבוד, das den Lichtglanz Gottes bezeichnet.148 Im vorliegenden Fall steht dies allerdings nicht im Vordergrund, sondern die Wendung „Kraft seiner Herrlichkeit“ lässt sich am ehesten als Semitismus auffassen, was dem Genitivattribut τῆς δόξης eine adjektivische Nuance verleiht. Man übersetzt sie am besten mit „seine herrliche Kraft“. Die Ausstattung mit „aller Kraft, die seine herrliche Macht zu bieten hat“ ist gemäß der dritten Präpositionalkonstruktion für jede Art von Ausdauer und Geduld (εἰς πᾶσαν ὑπομονὴν καὶ μακροθυμίαν). Zum artikellosen πᾶς vgl. 1,9. „Ausdauer“ (ὑπομονή) begegnet häufig bei Paulus (Röm 2,7; 5,3-4; 8,25; 15,4-5; 2Kor 1,6; 6,4; 12,12; 1Thess 1,3; 2Thess 1,4; 3,5; 1Tim 6,11; 2Tim 3,1; Tit 2,2), vor allem im Kontext des Leidens, und beschreibt die Fähigkeit, in widrigen Umständen standhaft zu bleiben. „Geduld“ (μακροθυμία), ein synonymer Begriff, der auch oft bei Paulus vorkommt (Röm 2,4; 9,22; 2Kor 6,6; Gal 5,22; Eph 4,2; Kol 1,11; 3,12; 1Tim 1,16; 2Tim 3,10; 4,2), wird häufiger auf Menschen als auf Umstände bezogen,149 ihm sollte aber angesichts des besonders in diesem Abschnitt auffallenden pleonastischen Stils keine eigenständige Bedeutung zugemessen werden.150 Es fällt auf, dass Konzepte wie Kraft (δύναμις), Herrlichkeit (δόξα) und Macht (κράτος) nicht, wie man es eher erwarten würde, durch Zeichen und Wunder oder heldenhaftes 148 Vgl. Hegermann, Art. δόξα, EWNT I, 834. 149 Vgl. Wright 64. 150 Vgl. Wolter 63; Dunn 74. Kontra Barth/Blanke 182.
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Auftreten zum Ausdruck kommen, sondern im geduldigen Ertragen schwieriger Lebenslagen.151 Eine ähnliche Vorstellung liegt Eph 3,16 zugrunde. Dort werden unter Heranziehung der gleichen Konzepte ebenso wenig spektakuläre Machtdarstellungen erwartet, sondern vielmehr die Stärkung des inneren Menschen. Trotz auffälliger Übereinstimmung mit stoischen Ansichten ist vor allem ein Unterschied bemerkbar: für Paulus können diese Tugenden nicht in der selbstgenügsamen Unabhängigkeit, sondern nur in der Abhängigkeit von Gott erlangt werden.152 12 Viertens und abschließend wird eine Lebensführung, die des Herrn würdig ist und ihm in allem gefällt, dadurch möglich gemacht, dass man mit Freude dem Vater dankt, der euch fähig gemacht hat, Anteil am Erbe der Heiligen im Licht zu haben (μετὰ χαρᾶς εὐχαριστοῦντες τῷ πατρὶ τῷ ἱκανώσαντι ὑμᾶς εἰς τὴν μερίδα τοῦ κλήρου τῶν ἁγίων ἐν τῷ φωτί). Das Präpositionalgefüge „mit Freude“ (μετὰ χαρᾶς) kann entweder anaphorisch auf die dritte Partizipkonstruktion (1,11)153 oder, wie wir es mit der Mehrheit auffassen, kataphorisch auf das letzte Partizip bezogen werden.154 Für Ersteres spricht die Verknüpfung zwischen den Topoi des Ausharrens und der Freude an anderer Stelle bei Paulus (Röm 5,3; 12,12).155 Für Letzteres spricht die Tatsache, dass die anderen Partizipialkonstruktionen in der Kette mit ähnlichen vorgezogenen Präpositionsgefügen verziert sind. Dank und Freude sind zudem bei Paulus eng miteinander verknüpft (vgl. Phil 1,4). Die Wendung „dem Vater danken“ greift die Danksagung wieder auf (vgl. zu 1,3). Gott wird durch eine substantivierende Partizipialkonstruktion näher beschrieben als derjenige, der euch fähig gemacht hat, Anteil am Erbe der Heiligen zu haben (τῷ ἱκανώσαντι ὑμᾶς εἰς τὴν μερίδα τοῦ κλήρου τῶν ἁγίων). Was Paulus damit meint, ist nicht ganz klar, zumal der sprachliche Stil für ihn untypisch ist.156 Das Verb ἱκανόω, das wir hier mit „fähig machen“ übersetzen, begegnet sonst nur im NT in 2Kor 3,6; außerhalb des NT wird es nur im Pass. gebraucht.157 „Anteil“ (μερίς) kommt nur noch einmal bei Paulus in 2Kor 6,15 vor (sonst nur bei Lukas: Lk 10,42; Apg 8,41; 16,12), während „Erbe“ (κλῆρος; wörtlich „Los“) kein zweites Mal im CP anzutreffen ist. Be151 152 153 154
Ähnlich Gnilka 43. Vgl. Bruce 48. So Lightfoot 140; Schweizer 43; Pokorný 37; Barth/Blanke 182. Vgl. Dibelius 8; Lohmeyer 38; Lohse 66; Gnilka 43-44; O’Brien 25; Lindemann 22; Bruce 48; Harris 33; Dunn 75; Luz 196; MacDonald 49; Maisch 54; Wilson 110; Moo 100; Sumney 53; Pao 73. 155 Vgl. Barth/Blanke 182. 156 Vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 79. 157 Vgl. Bauer 740. Das Adj. ἱκανός kommt hingegen häufig vor. Vgl. Barth/Blanke 184.
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stimmend für die Deutung dieses Satzes ist die Tatsache, dass μερίς in der LXX charakteristischerweise das jeweilige Gebiet des gelobten Landes bezeichnet, das den Stämmen Israels bei der Landnahme zugeteilt wurde (vgl. Jos 14-19 passim);158 diese bekamen einen „Anteil am Erbe“ Israels. Auch wenn uns diese Wendung in der LXX so nicht begegnet (vgl. aber Ps 15,5), werden im Hexateuch Wörter der κλήρο-Familie häufig mit μερίς in Verbindung gebracht (Num 18,20; Deut 10,12; 12,12; 14,27.29; 18,1; 32,9; Jos 13,7; vgl. auch 2Sam 20,1; Jes 53,12; 57,6; Jer 13,25; 28,19; OdSal 2,9; Weish 2,9; Sir 24,12; 45,22; PsSal 14,5).159 Paulus spielt also bewusst auf die atl. Tradition der Landnahme an.160 Darin sind sich die Kommentatoren weitestgehend einig. Seltener wird bemerkt, dass Paulus damit gerade heidnischen Gläubigen Anteil an Israels Erbe verspricht. Was im Eph explizit und ausführlich beschrieben wird (vgl. Eph 2,11-22), wird hier nur angedeutet. Wer hingegen mit den „Heiligen“ (ἅγιοι) gemeint ist, an deren Erbe die Gläubigen Anteil haben, ist umstritten. Im AT kann der Begriff Engel bezeichnen (Hi 15,15; Ps 89,6; Sach 14,5). Auch in Qumran ist dieser Gebrauch belegt, an einer herausragenden Stelle sogar in engem Zusammenhang mit dem Topos des Erbens: „Denen, die Gott erwählt hat, gab er sie zu ewigem Besitztum, gab ihnen ein Erbteil im Lose der Heiligen und mit den Himmelssöhnen verband er ihren Rat“ (vgl. 1QS 11,7-8). Aus diesem Grund gehen viele Kommentatoren davon aus, dass auch hier Engelwesen gemeint sind.161 Andere halten ihnen entgegen, dass „Heilige“ bei Paulus üblicherweise gläubige Menschen bezeichnet (vgl. Röm 1,7; 12,13; 15,25; 1Kor 6,1; 16,5; 2Kor 1,1; 8,4 etc.).162 Im Kol wird der Begriff jedenfalls sonst nur in diesem Sinne gebraucht (vgl. 1,2.4.26; 3,12). Allerdings darf man nicht übersehen, dass gerade dort, wo Paulus auf apokalyptisches Traditionsgut zurückgreift, was sich hier vermuten lässt (siehe unten), ein bewusster Hinweis auf Engelgestalten nicht auszuschließen ist (vgl. 1Thess 3,13; 2Thess 1,10). Es ist auch möglich, dass der Ausdruck an dieser Stelle sowohl Engel als auch Gläubige ein-
158 Vgl. Foerster, Art. κλῆρος κτλ, ThWNT III, 758-759. 159 Für eine Analyse des Gebrauches der entsprechenden hebräischen Begriffe im MT und im Qumranschrifttum vgl. Lohse 70-71. 160 Vgl. Fee, Intertextuality, 205-206; Beetham, Echoes, 81-82. 161 Vgl. Lohse 71; Martin, Reconciliation, 106-107; Gnilka 47; Lindemann 22; Pokorný 43-44; Wolter 65; MacDonald 50. 162 Vgl. Dibelius 8; Schweizer 47-48; O’Brien 26-27; Bruce 49-50; Wright 64-65; Harris 34; Barth/Blanke 186; Luz 198; Lincoln 593-594; Maisch 65-69; Moo 101-102; Gupta 46; Pao 74; H. Stettler, Heiligung, 546; Foster 165-167.
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II. Auslegung
schließt.163 Das wäre in rhetorischer Hinsicht ein kühner Schachzug, wird doch dadurch die Anbetung der Engel auf subtile Weise dekonstruiert, zu der sich manche in der Gemeinde verleiten ließen (vgl. zu 2,18). Denn es wäre albern, Wesen anzubeten, mit denen man auf einer Stufe steht. Die Heiligen, seien es nun Engel, Menschen oder beides, stehen nach jüdisch-apokalytischer Vorstellung „im Licht“ (ἐν τῷ φωτί) Gottes (vgl. äthHen 1,8; 104,2; syrApkBar 51,10; 1QM XIII,5.9; CD XIII,12). Diese lokative Deutung des Präpositionalgefüges ist einer attributivischen – im Sinne von „das lichtvolle Erbe“ – vorzuziehen.164 Das Erbe ist also nicht, wie bei der atl. Tradition, die Paulus beansprucht, ein Gebiet in Israel, sondern ein Platz vor Gottes Thron. Er will damit sagen – analog zu 3,1-4 –, dass die Gläubigen in Kolossä bereits durch Christus Anteil am himmlischen Leben haben bzw. alle Vorrechte geniessen, die mit dieser erhöhten Stellung einhergehen. 13 Die Erinnerung daran, dass man nun Anteil am Erbe der Heiligen hat, veranlasst Paulus darüber nachzusinnen, wie es dazu gekommen ist. Seine Antwort lautet: Er hat uns aus dem Machtbereich der Finsternis gerettet und uns in den Herrschaftsbereich seines geliebten Sohnes versetzt (ὅς ἐρρύσατο ἡμᾶς ἐκ τῆς ἐξουσίας τοῦ σκότους καὶ μετέστηεσεν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ υἱοῦ τῆς ἀγάπης αὐτοῦ). 1,13 setzt mit dem Relativpron. ὅς an. Dadurch wird diese Aussage engstens mit der vorhergehenden verknüpft. Die ungewöhnliche akt. Diathese des Verbs ἱκανόω mit Gott als Subj. (siehe oben) deutete schon an, dass die unerwartete Veränderung „unserer“ aussichtslosen Lage ausschließlich auf Gottes Eingreifen zurückzuführen ist. Der Wechsel zur 1. Pers. Plur. an dieser Stelle ist auffallend.165 Dadurch macht Paulus klar, dass er sich diesbezüglich voll und ganz mit den Kolossern identifiziert. Er lässt den Gedanken gar nicht erst aufkommen, dass er aufgrund seines Judeseins ein Anrecht auf das Erbe hätte, was sonst aus der Formulierung in 1,12 vielleicht abzuleiten gewesen wäre. Die Gläubigen in Kolossä stehen also wie Paulus selbst im Bereich des Lichts (1,12), aber alle – Juden- wie Heidenchristen – gehörten vormals dem „Machtbereich der Finsternis“ (ἐξουσία τοῦ σκότους) an. Diese Redewendung befindet sich nur noch einmal im NT auf den Lippen Jesu (Lk 22,53). Die 163 Vgl. Zeilinger, Erstgeborene, 138-139; Sappington, Revelation, 199-200; Wilson, 113114; Bormann 73-74. Lohmeyer 39 denkt an „die himmlischen Gestalten, Engel, ,Gerechte und Auserwählteʻ des ATs“, mit denen die ntl. Gläubigen verbunden sind. 164 Vgl. Maisch 65. 165 Pao 75 führt ihn auf die Bekenntnissprache zurück, derer sich Paulus bedient, aber diese beeinflusst bereits 1,12 und scheint deswegen für den Wechsel nicht verantwortlich zu sein.
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Gegenüberstellung von Licht und Finsternis als den jeweils zugehörigen Gebieten des Guten bzw. des Bösen ist bereits im AT166, aber besonders in den Qumranschriften belegt (vgl. 1QS I,9; II,7; III,17-21; IQM I,1). Sie spiegelt typisch hellenistisch-jüdische Bekehrungskonzeptionen wider (vgl. JosAs 8,9; 15,12),167 die stark auf die Missionssprache der ntl. Gemeinde einwirkten (vgl. Mt 3,13-15; Apg 26,18) und dem Apostel durchaus vertraut waren (vgl. 2Kor 6,14; Eph 5,7-8; 1Thess 5,5). Mit dem Begriff ἐξουσία unterstreicht Paulus die unheimliche Macht des Bösen, der man aus eigener Kraft nicht entkommen kann.168 Deswegen hängt für den Apostel alles davon ab, dass Gott handelt. Das hat er bereits getan, wie der Aor. unterstreicht, indem er uns aus jener Herrschaft „rettete“ (ἐρρύσατο). Das Verb ῥύομαι kommt häufig in der LXX vor, in der Mehrzahl der Fälle mit Gott als Subjekt.169 Es wird besonders mit der allergrößten und für Israel identitätsstiftenden Rettungsaktion Gottes in Verbindung gebracht: dem Auszug aus Ägypten (vgl. Ex 6,6; 14,30; Ri 6,9).170 Spielte Paulus bereits in 1,12 auf die Tradition der Landnahme an (siehe oben), so macht er nun auf eindrückliche Art und Weise von der ExodusTradition Gebrauch.171 Das lässt sich nicht nur vom Verb ableiten; vielmehr entsteht durch die Gesamtaussage ein Bild im Kopf des mit dem AT Vertrauten, das auf eine Identifikation mit dem Auszug aus Ägypten drängt: Damals rettete Gott sein Volk aus der Herrschaft des Pharaos und „versetzte“ es – μετέστησεν; das Verb μεθίστημι denotiert die Übertragung eines Objekts von einem Ort zum anderen (vgl. 1Kor 13,2)172 – in das gelobte Land. Paulus gebraucht dieses Bild, um eine aus seiner Sicht noch viel größere Rettungsaktion zu beschreiben. Nun werden die Gläubigen nicht aus Ägypten gerettet, sondern aus der Herrschaft des Bösen; sie werden nicht in ein geographisches Gebiet hineingeführt, sondern „in den Herrschaftsbereich des geliebten Sohnes Gottes“ (εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ υἱοῦ τῆς ἀγάπης αὐτοῦ) versetzt. Der Begriff βασιλεία, den wir mit „Herrschaftsbereich“ (statt dem 166 167 168 169 170 171
Vgl. Hübner 52. Vgl. Wolter 66. So ähnlich auch Wolter 66; MacDonald 51. Vgl. Barth/Blanke 188-189. Vgl. Wright 65. So der Konsens der Forschung. Vgl. u.a. Barth/Blanke 188; Beale 849; MacDonald 51. Moo 103-104 ist vorsichtiger, warnt vor der Gefahr der Überbetonung des Exodus-Zusammenhangs und hebt die Verbindung zur prophetischen Aussicht auf die Rückkehr aus dem Exil stärker hervor. 172 Beetham, Echoes, 91, Anm. 38, ist der Meinung, dass μεθίστημι + εἰς eine standardisierte Redewendung ist, und verweist auf den Gebrauch bei Josephus (vgl. Ant 4,20; 9,235; 10,144.242; 18,235).
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II. Auslegung
üblichen „Reich“) übersetzen, bezeichnet nicht nur das Territorium, über das regiert wird, sondern die Regierung selbst.173 Weil sich Paulus aber hier einer metaphorischen Sprache bewusst bedient, um bei seinen Hörern/Lesern die Vorstellung eines Auszuges aus einem Land in ein anderes zu erwecken, soll die territoriale Konnotation in der Übersetzung beibehalten werden.174 Die Genitivkonstruktion, die hier mit „des geliebten Sohnes Gottes“ übersetzt wird, heißt wörtlich „seines Sohnes der Liebe“, ein schwerfälliger Semitismus,175 der wahrscheinlich dem frühchristlichen Traditionsgut entnommen ist176 und vielleicht auf den Bund mit David anspielt (vgl. 2Sam 7,12-13).177 Der primäre Bezug dürfte aber die Taufe Jesu sein; von der göttlichen Stimme, die Jesus als „meinen geliebten Sohn“ (vgl. Mk 1,11: ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός) auszeichnete, wird Paulus wohl gehört haben.178 Die Rede von der Herrschaft Christi bzw. des Sohnes ist nicht typisch. Bei Paulus wird sie nur selten als solche explizit bezeichnet (vgl. Eph 5,5; 2Tim 4,1);179 aus dieser Tatsache sollen jedoch keine vorschnellen Schlüsse über die Bedeutung des Konzepts gezogen werden. Wenn es ihm um die heilsgeschichtliche Abfolge bei der Auferstehung der Toten geht, unterscheidet Paulus zwischen der zeitlich begrenzten Herrschaft des Sohnes und der ewigen Herrschaft des Vaters (vgl. 1Kor 15,24-28), aber das ist hier nicht im Blick.180 Vielmehr schimmert Jesustradition durch (vgl. Mt 13,40-41; 25,31),181 mit dem wesentlichen Unterschied, dass Jesus vom Kommen seines Reiches in der Zukunft spricht, während Paulus, wie der Aor. an unserer Stelle zeigt, an ein bereits vollzogenes Ereignis denkt. Manche Kommentatoren sehen darin eine Realisierung eschatologischer Erwartungen, die bei Paulus seinesgleichen sucht.182 Dem ist entgegenzuhalten, dass Röm 8,29-30 unserem Text in seiner Vorstellung der bereits vollzogenen eschatologischen Vollendung in nichts nachsteht. 14 Paulus beteuert weiter: In ihm haben wir Erlösung, die Vergebung der Sünden (ἐν ᾧ ἕχομεν τὴν ἀπολύτρωσιν τὴν ἄφεσιν τῶν ἁμαρτιῶν). Wie in 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182
Vgl. Luz, Art. βασιλεία, EWNT I, 483; Ladd, Presence, 122-148. Vgl. Bormann 74. Vgl. Gnilka 49; Maisch 70, Anm. 58. So Lindemann 23. So Schweizer 48; Barth/Blanke 189; Gupta 47. Aber vgl. Beetham, Echoes, 97-98, der keine bewusste Anspielung auf den Davidbund sieht. Vgl. z.B. Wright 66. Vgl. Foster 169-171. Kontra O’Brien 28. Vgl. Wenham, Paul, 72. Stettler, Heiligung, 548, vermutet auch eine gedankliche Verbindung zu Dan 7, wo die Heiligen Anteil am Reich des Menschensohnes haben. Vgl. Dunn 77.
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1,13 handelt es sich hier im Griech. um einen Relativsatz. Das Relativpron. ᾧ bezieht sich auch auf das Nomen „Sohn“ (υἱός) in 1,12. „Erlösung“ (ἀπολύτρωσις) konnotierte ursprünglich den Loskauf eines Sklaven oder Gefangenen durch die Zahlung eines Lösegelds (λύτρον).183 Das Verbalnomen kommt in der LXX nur einmal (vgl. Dan 4,34) und im Profangriechisch auch selten vor. Im NT wird es ausschließlich von Paulus (vgl. Röm 3,24; 8,23; 1Kor 1,30; Eph 1,7.14; 4,30) bzw. von ihm nahestehenden Autoren (vgl. Lk 21,28; Hebr 9,15; 11,35) verwendet. Das dem Subst. zugrundeliegende Verb λυτρόω begegnet hingegen häufig in der LXX, dafür selten im NT (vgl. Lk 24,21; Tit 2,14; 1Petr 3,18) und nie bei Paulus. Im Pentateuch bezeichnet es die Erlösung des Erstgeborenen beim Passaereignis (vgl. Ex 13,13.15) sowie den Loskauf von Sklaven (vgl. z.B. Lev 19,20; 25,47-49) und Besitztümern (vgl. z.B. Lev 25,25.30). Es dient zudem als terminus technicus der Opfersprache für die Auslösung von Opfertieren (vgl. z.B. Lev 27,19ff.) Am wichtigsten für unsere Zwecke ist jedoch die enge konzeptuelle Verbindung durch das AT hindurch mit dem Auszug aus Ägypten (vgl. z.B. Ex 6,6; 15,3; Est 7,8; 9,26; 13,6; 2Sam 7,3; Neh 1,10; Ps 73,2; Jes 44,23; Mi 6,4).184 Angesichts der zahlreichen Anspielungen auf den Auszug und die Landnahme in diesem Abschnitt (vgl. zu 1,12-13) kann es kaum Zweifel geben, dass Paulus auch hier diese Tradition aufgreift.185 Was Paulus im Genaueren damit meint, macht er durch die in Apposition zur „Erlösung“ stehende Wendung „die Vergebung der Sünden“ (ἄφεσις τῶν ἁμαρτιῶν) klar. Dieser Ausdruck oder ähnliche Wendungen kommen im NT häufig vor (vgl. Mt 26,28; Mk 1,4; Lk 1,77; 3,3; 24,47; Apg 2,38; 5,31; 10,43; 13,38; 26,18; Eph 1,7), aber Paulus spricht üblicherweise von Sünde in der Einzahl.186 Der ungewöhnliche Gebrauch leitet sich wohl aus dem Einfluss der frühchristlichen Tradition her, denn dass „Christus für unsere Sünden gestorben ist“, gehört zu den frühesten Bekenntnisformeln der Jesus-Bewegung (vgl. 1Kor 15,3).187 Vor allem in der deutschen Forschung wird hier eine An183 Vgl. Bauer 190. Für eine ausführliche Analyse vgl. Spicq, Art. λύτρον κτλ, TLNT, 2, 423-431. 184 Vgl. Beetham, Echoes, 85. 185 So auch Dunn 80; Beale 848; Pao 77-78. 186 Außer in AT-Zitaten (Röm 4,7; 11,27) und an Stellen, die frühchristliches Traditionsgut eindeutig aufgreifen (1Kor 15,3; Gal 1,4), kommt das Wort in der Mehrzahl bei Paulus nur noch in Röm 7,5; 1Kor 15,17; Eph 2,1; 1Thess 2,16; 1Tim 5,22.24; 2Tim 3,6 vor, und auch an den meisten von diesen Stellen ist der Einfluss der Tradition nicht auszuschließen. 187 Vgl. ausführlich dazu Riesner, Messias, 373-392. Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass Paulus die Mehrzahl hier gebraucht, um einer spezifischen Lehrmeinung der KI entgegenzuwirken. Kontra Lightfoot 143; O’Brien 29; Bruce 191-192; Moo 106-197.
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II. Auslegung
spielung auf die Taufe bzw. die Aufnahme eines Elements der frühchristlichen Taufliturgie vermutet.188 Für Paulus dürfte jedoch ein anderer Traditionszusammenhang im Vordergrund stehen: die Rückkehr Israels aus der babylonischen Gefangenschaft.189 Programmatisch dazu gehörte für die Propheten, welche sie voraussagten, dass Gott Israels Sünden vergeben bzw. nicht weiter bedenken wird (vgl. Jes 33,24; Jer 31,34 [38,34 LXX]; 33,8 [40,8 LXX]; Hes 36,22-36). Somit verknüpft der Apostel die zwei großen Rettungsmotive des AT – Auszug aus Ägypten (Erlösung) und Rückkehr aus dem Exil (Vergebung der Sünden) – miteinander und bezieht beide gleichermaßen typologisch auf Christus.190 In ihm haben wir aus der Sicht des Apostels die Erfüllung dessen, was in diesen beiden Ereignissen typologisch angelegt wurde: die versprochene Rettung der Menschheit.
IV Zusammenfassung Auch wenn dieser Gebetsbericht sich an eine typisch paulinische Briefkonvention angelehnt ist (siehe oben), darf man ihn deswegen nicht minder bewerten. Paulus meint es ernst, wenn er davon spricht, dass er für die Kolosser unaufhörlich betet. Das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, stellt aber deswegen nicht bloß eine fromme Floskel dar. Es handelt sich bei diesem Topos um „ein anhaltendes, nicht aufhörendes Element unserer Lebensgestaltung“,191 zu dem Paulus alle Christen auffordert (vgl. 1Thess 5,17). Er selbst geht diesbezüglich beispielhaft voran.192 Wie die Danksagung (1,3-8) ist auch der Inhalt des Gebetes auf die Situation der Kolosser bezogen und spielt auf epistemologische Konzepte an, die die KI für sich beansprucht: Erkenntnis, Weisheit, Einsicht (1,9). Indem Paulus diese von Gott für die Gläubigen in Kolossä erbittet, deutet er bereits in der Briefeinleitung an, dass sie nicht etwa von Engelwesen durch asketische Praktiken zu erlangen sind. Es sind auch keine esoterischen Kenntnisse, die Paulus für seine Hörer/Leser erbittet, sondern es handelt sich – ganz im Sinne der frühjüd. Tradition, in der er steht – um praktische Weisheit, die es den Empfängern ermöglicht, ein Leben zu führen, dass Gottes Zustimmung bekommt. Dabei denkt der Apostel – wiederum gut jüdisch – an atl. Vorbilder, insbeson188 Vgl. Käsemann, Taufliturgie, 34-51, gefolgt von Lohse 76; Gnilka 50; Schweizer 49-50; Lindemann 24; Pokorný 45. Wolter 69; Bormann 75 stehen dieser These skeptisch gegenüber. Vgl. dazu Lincoln, Theology, 48-50. 189 Vgl. Barth/Blanke 192-193. 190 So auch Beale 849-850. 191 Gebauer, Gebet, 141. 192 Vgl. dazu ausführlicher Ostmeyer, Kommunikation, 114-116.
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dere Noah und Abraham, die Gott gefielen (vgl. Gen 6,9 und 17,1 LXX), nicht wegen ihrer strengen Askese, sondern weil ihre Lebensweise deutlich machte, dass ihre höchste Loyalität Gott galt. Die Lebensweise, die Paulus den Christen in Kolossä nahelegt, wird durch die viergliedrige Kette von Partipizien erläutert, die in 1,10-12 folgt und eine paulinische Ethik in Kleinformat bietet. Sie besteht erstens in einer Vielfalt an guten Werken, zweitens in immer tieferen Kenntnissen von Gott und seinem Willen, drittens in Ausdauer angesichts widriger Umstände, die durch die Verleihung göttlicher Kraft möglich gemacht wird, und viertens in Dankbarkeit gegenüber Gott. Bis auf Letzteres findet man Analogien zu diesen Aufforderungen in der paganen Philosophie, doch der Ton ist hier ein ganz anderer. Denn für Paulus ist es klar, dass all dies nur in der Abhängigkeit von Gott erfolgt und nicht durch eigene Anstrengung, wie es die KI propagiert. Dieser Ethik liegt ein bestimmtes Narrativ zugrunde, das tief in der Heilsgeschichte des AT verwurzelt ist, wie aus unserer Analyse von 1,12-14 hervorging. Es ist die Erzählung von dem rettenden Eingriff Gottes in die Geschichte Israels, um sein Volk aus der Gefangenschaft in Ägypten und in ein gutes Land zu führen, das ihm als bleibendes Erbe zugedacht wurde. Bereits im Pentateuch wurde die Aufforderung an Israel, ein heiliges Leben zu führen, durch diese große Rettungstat Gottes untermauert.193 Nun wird das ExodusMotiv (bzw. das Motiv der Rückkehr aus dem Exil, die die atl. Propheten bereits als zweiten Exodus auffassen) von Paulus typologisch aufgegriffen und nun auf das Erlösungwerk des Messias Jesus übertragen. Die Kolosser sollen sich in diese Geschichte einreihen, sie zu ihrer eigenen machen. Der amerikanische Neutestamentler Richard Hays spricht diesbezüglich von einer „conversion of the imagination“.194 Gemeint ist die Aneignung einer völlig neuen weltanschaulichen Perspektive, die von dem atl. Metanarrativ des Heils geprägt ist und nun im Messias ihren Höhepunkt erreicht. Alle Christen, egal ob jüdischer oder heidnischer Herkunft – selten ist der Wechsel von der 2. Pers. Plur. zur 1. Pers. Plur. so aussagekräftig wie an dieser Stelle –, wurden durch Gottes Sohn aus der Gefangenschaft unter antigöttlichen Mächten herausgerissen und in seinen Machtbereich hineingestellt. Dieses Bewusstsein will Paulus stärken, denn es liefert die treibende Kraft zur Umsetzung der ethischen Normen, die Gottes Zustimmung bekommen. Es schützt, wie der weitere Verlauf des Kol klarmacht, vor der großen Versuchung, die die KI für die Gemeinde in Kolossä darstellt. Denn ihre abwegigen Normen basieren auf 193 Vgl. H. Stettler, Heiligung, 65. 194 Vgl. Hays, Conversion, 1-24.
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II. Auslegung
einem völlig anderen Narrativ, welches den Engelmächten, ob gut oder schlecht, eine wesentlich höhere Bedeutung zuschreibt, als sie es verdienen, und Christus viel zu geringschätzt. Um diese Ansicht zu korrigieren geht es Paulus im nächsten Abschnitt.
1.2.3. Das Christuslied (1,15-20)
I Übersetzung 15a Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, 15b der Erstgeborene über alles Geschaffene. 16a Denn in ihm wurde alles geschaffen 16b im Himmel und auf der Erde, 16c sowohl sichtbare als auch unsichtbare Dinge, 16d seien es Throne oder Herrschaften 16e oder Mächte oder Gewalten. 16f Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. 17a Und er ist vor allem, 17b und in ihm besteht alles, 18a und er ist das Haupt des Leibes, also der Gemeinde. 18b Er ist der Anfang, 18c der Erstgeborene von den Toten, 18d damit er von allen der Erstrangige werden konnte. 19 Denn in ihm gefiel es der ganzen Fülle zu wohnen, 20a und durch ihn alle Dinge mit ihm zu versöhnen, 20b indem er durch das Blut seines Kreuzes Frieden gestiftet hat, 20c seien es Dinge auf der Erde oder in den Himmeln.
II Struktur
Textkritische Anmerkungen. 1,16: 1) Bei א2 A C D K L P 075 81 104 365 630 1175 vgmss sowie Eus und Lcf befindet sich vor ἐν τοῖς οὐρανοῖς bzw. vor ἐπὶ τῆς γῆς ein zweites bzw. ein drittes τὰ, wodurch die nächste Zeile adj. mit πάντα in 16a verknüpft wird. Ein wesentlicher Bedeutungsunterschied entsteht dadurch nicht, aber die ausgewogene Zeilenaufteilung geht verloren. Die besseren MSS belegen die LA von NA28. 2) 46 fügt gegen die breite Mehrheit vor τὰ in der letzten Zeile ὅτι hinzu. 1,18: 1) 46 B 075 0278 81 104 1175 1739 1881 fügen ἡ vor ἀρχή ein. Da eine spätere Einfügung wahrscheinlicher ist als eine spätere Auslassung, ist die LA von NA28 vorzuziehen.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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2) 46 und *אlassen ἐκ vor τῶν νεκρῶν aus und betonen somit die Identifikation Christi mit den Toten, anstatt mit der Mehrheit die partitive Nuance hervorzuheben. Letztere LA ist lectio difficilior, da es schwer vorstellbar ist, dass ein späterer Kopist die Präposition ἐκ hinzufügen und damit die Symmetrie mit 1,15 (πρωτότοκος πάσης κτίσεως) zerstören würde. Vgl. Offb. 1,15. 1,20: 46 אA C D1 Κ P Ψ 048vid 33 365 630 1505 sy bo sowie Hil fügen an dieser Stelle δι ̓ αὐτοῦ hinzu. Diesen stehen B D* F G I L 075 0278 81 104 1175 1241s 1739 1881 2464 latt sa sowie Or gegenüber, die dieses Präpositionalgefüge auslassen, sodass aufgrund der äußeren Bezeugung keine eindeutige Entscheidung möglich ist. NA28 entscheidet sich für die Aufnahme dieses Zusatzes, setzt ihn aber in eckige Klammern, wodurch die Herausgeber signalisieren, dass ihre Entscheidung „nicht gänzlich gesichert werden“ kann.195 Falls der Zusatz der ursprünglichen LA entspricht, wovon die meisten Kommentatoren nach dem Prinzip der lectio difficilior ausgehen, dient er nach dem erklärenden Nebensatz in 1,20b der Wiederaufnahme des Gedankens von 1,20a (vgl. das Vorkommen von δι ̓ αὐτοῦ dort) und verleiht diesem stärkeres Gewicht. Dennoch gibt es gute Gründe, an seiner Ursprünglichkeit zu zweifeln. Er fügt keine zusätzliche Information hinzu, stört die Symmetrie des Gedichts (vgl. dazu unten) und wirkt an dieser Stelle wie ein Fremdkörper. Eine spätere Hinzufügung lässt sich als Reflex eines eifrigen Kopisten erklären, der gewährleisten wollte, dass die unpaulinische Formulierung „durch das Blut seines Kreuzes“ (διὰ τοῦ αἵματος τοῦ σταυροῦ αὐτοῦ) nicht wörtlich aufgefasst wird (siehe dazu unten). Form. Kaum ein Text im NT wurde so oft und eingehend untersucht wie die in der Forschung meist „Kolosser-„ oder „Christushymnus“ genannte Perikope von 1,15-20.196 Dass „Hymnus“ die richtige Bezeichnung für diesen Text ist, wird von einigen Autoren bestritten.197 Sie weisen zu Recht darauf hin, dass ihm keine durchgehende rhythmische Struktur zu entnehmen ist,198 wes195 NA28 10. 196 Zur Forschungsgeschichte bis ca. 1962 vgl. Gabathuler, Jesus, passim. Für den Rest des 20. Jh.s vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 1-35. 197 Vgl. O’Neill, Source, 87-100; Schenk, Christus, 144-145; Balchin, Colossians, 87; Wright, Poetry, 448. Wolter 71-72 sowie Berger, Formen, 402, die hellenistische Kategorien bevorzugen, sprechen hier von einem Enkomium. 198 Gordley, Hymn, 181-191, versucht 1,15-20 eine solche Struktur zu entnehmen. Dieses gelingt ihm nur durch die Streichung von 1,16b-e bzw. durch einen nicht nachvollziehbaren Strukturvorschlag (vgl. dazu unten). Dennoch weist er überzeugend nach, dass der Text von rhythmischen Elementen und Parallelismen durchdrungen ist. Vgl. dazu Bormann 84-85, der wegen Gordleys Analyse an der Bezeichnung „Hymnus“ festhält. So auch Botha, Analysis, 249.
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II. Auslegung
halb er streng genommen der antiken Gattung des „Hymnus“ nicht zugeordnet werden kann.199 Dennoch sind dem Text einige Gattungsmerkmale von Hymnen nicht abzusprechen.200 Diese deuten darauf hin, dass er ursprünglich eine liturgische Funktion hatte. Hier wird m.a.W. ein poetisches Stück zitiert, das seinen Adressaten bekannt war,201 am ehesten durch den Gottesdienst, wo „fleißig gesungen und dafür gedichtet“ wurde.202 Es ist also ein „Lied“ im herkömmlichen Sinne und teilt „ein grundlegendes Merkmal der neutestamentlichen und frühchristlichen „hymnischen“ Stücke“: Es stellt Christus ins Zentrum des gottesdienstlichen Lobs.203 Solche „Christuslieder“ besaßen „eine ganz wesentliche Bedeutung für den urchristlichen Gottesdienst“204 und hinterließen an verschiedenen Stellen im NT ihre Spuren. 1,15-20 als „Christuslied“ (im Folgenden = CL) zu bezeichnen, scheint also durchaus angebracht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Paulus selbst das CL gedichtet hat, entweder unabhängig von oder im Zuge der Abfassung des Kol, wie eine Minderheit in der Forschung energisch behauptet.205 Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Paulus ein schon im frühchristlichen Traditionsgut vorhandenes Stück in seinen Brief aufgenommen bzw. dass er es nicht selbst komponiert hat.206 Dafür spricht u.a., dass sich der Text durch seine poetische Sprache und seinen ihm eigenen Stil deutlich vom Kontext abhebt.207 Die klare Anlehnung des CL an bekannte paulinische Motive (etwa die Ebenbild-Christologie, die 199 Vgl. Hoppe, Triumph, 148; Maisch 77; Sumney 60-61; Brucker, „Songs“, 4. Edsall/ Strawbridge, Songs, 296-300. 200 Vollenweider, Enkomium, 225-227, zieht deswegen die Bezeichung „hymnisches Christuslob“ vor. Vgl. auch Wolter 72; Smith, Perspective, 148-149. 201 So auch Lohse 84; Martin, Hymn, 199-200. 202 Hengel, Christuslied, 382. Kontra Maisch 104-105. Versuche, den Sitz im Leben des Gedichts näher zu bestimmen, etwa als Bestandteil einer Taufliturgie (vgl. Käsemann, Taufliturgie, 31-54; Löwe, Bekenntnis, 301-304) oder Eucharistiefeier (vgl. Pokorný 61), müssen wegen des Mangels an genauerer Information über den Ablauf frühchristlicher Gottesdienste spekulativ bleiben. 203 Hengel, Christuslied, 383. 204 Hengel, Hymnus, 13. 205 Vgl. Maurer, Begründung, 85; Kümmel, Einleitung, 302; L. Helyer, Colossians, 172; Wright, Poetry, 464; O’Brien 40-42; Barth/Blanke 234-235; Pizzutto, Leap, 109; Smith, Perspective, 152-153. 206 So die überwiegende Mehrheit der Forscher. Vgl. u.a. Ellingworth, Colossians, 252-53; Deichgräber, Gotteshymnus, 152; Burger, Schöpfung, 8; Cannon, Material, 28; Dübbers, Christologie, 7; Ellis, Colossians, 420-421; Gordley, Hymn, 2. Die Behauptung von Carlos Reyes, Structure, 139, dass in der neueren Forschung die paulinische Herkunft des CL zunehmend bejaht wird, kann, wenn überhaupt, nur für den angelsächsischen Raum gelten. 207 Vgl. Schweizer 50-51; Bormann 80.
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Leibmetaphorik, und den Versöhnungsgedanken; siehe dazu unten) lässt aber erkennen, dass es im Einflussbereich des Apostels, d.h. wahrscheinlich unter seinen engsten Mitarbeitern, entstanden ist.208 Es ist „fest in der paulinischen Theologie“ verankert und trägt „die eigenhändige Signatur des Paulus“,209 sodass es zumindest in diesem erweiterten Sinne als paulinisch aufgefasst werden muss. Denn dadurch, dass Paulus das CL in den Kol aufnimmt, bejaht er seinen Inhalt und macht es förmlich zu seinem eigenen Lied. Die vielen terminologischen und thematischen Übereinstimmungen zwischen dem CL und anderen Teilen des Kol geben Zeugnis davon.210 In der Forschung werden die ursprüngliche Gestalt, der Aufbau sowie die Traditionshintergründe des CL nach wie vor intensiv diskutiert. Bezüglich der ursprünglichen Gestalt gibt es eine kaum noch zu überblickende Zahl an redaktionskritischen Textanalysen. Diese reichen von radikalen Interpolationstheorien, die hinter dem CL eine Urform vermuten, bei der nur etwa die Hälfte der Zeilen vorhanden war,211 zu jenen, die davon ausgehen, dass im Kol das CL in seiner Urfassung vorliegt.212 Völlig verschont von allem Emendationseifer sind nur folgende Zeilen geblieben: 15b, 16a, 18b, 18c und 19. Es besteht also kein Konsens über das Ausmaß der vermeintlichen Auslassungen. Vielmehr gibt es widersprüchliche Behauptungen bzgl. der Ursprünglichkeit einzelner Elemente, sodass man gut beraten ist, alle Textrekonstruierungsvorschläge mit einem gewissen (methodisch begründeten) Vorbehalt zu betrachten.213 Es existieren nämlich keine konkurrierenden Textformen des CL (außer in Bezug auf δι ̓ αὐτοῦ in 1,20c; vgl. die textkritische Analyse dazu) und somit keine objektive Vergleichsbasis für etwaige Rekonstruktionsversuche. So ist es z.B. gleichermaßen wahrscheinlich, dass Teile
208 Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 48, 346-347. Ellis, Coworkers, 188, erwägt diese Möglichkeit für die hymnischen Textstücke in den paulinischen Briefen im Allgemeinen. 209 Kehl, Christushymnus, 163. 210 Vgl. Gordley, Hymn, 265-266. 211 Vgl. Hegermann, Vorstellung, 92-93; Kehl, Christushymnus, 37; Burger, Schöpfung, 38. Rollins, Tendenz, 132-133, ist der Meinung, dass das CL ursprünglich nur aus 1,15-18a bestand, dem der AutKol eine zweite, die theologia gloriae korrigierende Strophe hinzufügte. Auch Benoit, L’hymne, 259, ist der Meinung, Paulus habe einem übernommenen Gedicht eine zusätzliche Strophe hinzugefügt. 212 Neben den Autoren, die das CL ausdrücklich für eine Komposition des Paulus halten (vgl. S. 104, Anm. 205), vgl. Baugh, Form, 227-244; McCown, Structure, 160; Carlos Reyes, Structure, 139; Stettler, Kolosserhymnus, 100; Stuhlmacher, Theologie, II, 7. 213 Bormanns verherrendes Urteil zu den form- und religionsgeschichtlichen Untersuchungen des CL bis in die 70er-Jahre des 20. Jh.s gilt m.E. auch für seine Redaktionsgeschichte bis heute: Sie ist zu keinen „wirklich haltbaren Ergebnissen gekommen“ (Bormann 79).
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II. Auslegung
des ursprünglichen Liedes gestrichen, als dass ihm fremde Zusätze hinzugefügt wurden.214 Von allen Emendationsvorschlägen hat derjenige von Ernst Käsemann, dem CL seien die Elemente „der Gemeinde“ (τῆς ἐκκλησίας) in 1,18a und „durch das Blut seines Kreuzes“ (διὰ τοῦ αἵματος τοῦ σταυροῦ αὐτοῦ) in 1,20b vom AutKol hinzugefügt worden,215 am meisten Zustimmung gefunden. Aber Käsemann geht in seiner Analyse davon aus, dass das CL in seiner ursprünglichen Form ein vorchristlicher gnostischer Hymnus zu Ehren des Urmensch-Erlösers war, der von einem unbekannten Redaktor für den christlichen Gottesdienst durch diese Hinzufügungen brauchbar gemacht wurde. Diese These, die dem inzwischen erreichten Forschungskonsens zufolge nicht mehr haltbar ist (siehe unten), nötigt Käsemann schlichtweg zur Streichung dieser Elemente.216 Wenn man aber mit der jüngeren Forschung voraussetzt, dass Christus schon bei der Entstehung des CL als Subjekt feststand, erregen diese explizit „christlichen“ Erläuterungen keinen Anstoß mehr.217 Obwohl Käsemanns religionsgeschichtliche Zuordnung des CL in der jüngeren Forschung keine Zustimmung findet, halten viele vor allem deutsche Forscher dennoch an seinem Ergebnis fest. Sie unterscheiden sich von ihm nur darin, dass sie die von Käsemann vermuteten Zusätze keinem unbekannten Redaktor im Vorfeld, sondern dem AutKol zuschreiben.218 Dafür werden weder textkritische Argumente geboten – der Text ist an beiden Stellen gesichert – noch werden Überlegungen hinsichtlich der Aufnahme und Anwendung des CL im weiteren Verlauf des Kol angestellt, die auf einen Kommentar des AutKol hinweisen könnten (siehe dazu unten). Vielmehr handelt es sich um Vorentscheidungen der Forscher darüber, was dem AutCL theologisch zuzutrauen wäre, und für viele scheiden das Konzept einer universalen Kirche sowie der Gedanke einer kosmischen Versöhnung von vorneherein aus.219 Die Exegese gibt jedoch keinen Grund zur Annahme, dass diese Textelemente später hinzugefügt wurden (vgl. zu 1,18 und 1,20). Sie stören zwar die streng linearen theologischen Entwicklungshypothesen der Forscher, aber keineswegs die thematische Einheit des CL.
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Vgl. Pollard, Colossians, 572-573, gefolgt von Wright, Poetry, 445; Bormann 85. Vgl. Käsemann, Taufliturgie, 36-37. Vgl. dazu Gabathuler, Haupt, 49-61. Vgl. Hofius, Erstgeborener, 187-193; Pizzutto, Leap, 143-144. Vgl. u.a. Hegermann, Vorstellung, 92-93; Gabathuler, Haupt, 130-131; Deichgräber, Gotteshymnus, 148; Lohse 82; Zeilinger, Erstgeborene, 41-42; Gnilka 58; Conzelmann 183; Lindemann 25; Wolter 74; Hübner 56; Luz 200. 219 Vgl. z.B. Gnilka 57; Wolter 74.
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Erwägenswerter ist die von vielen Autoren vertretene These, dass das aus 1,16d-e bestehende Textstück – „seien es Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten“ – eine spätere Einfügung des AutKol ist.220 Man kann sich jedenfalls gut vorstellen, wie Paulus eine allgemeine Formulierung im ursprünglichen Lied gerade wegen des Hangs zur Engelverehrung unter den Kolossern (vgl. S. 48-49) durch eine Liste von verschiedenen Bezeichnungen für geistliche Wesen ergänzen wollte, um klar zu machen, dass Christus auch diesen Wesen vorgeordnet ist.221 Die Exegese a.a.O. kommt zum vorsichtigen Schluss, dass es sich bei diesem Text so verhält. Bezüglich des Aufbaus stehen grundsätzlich zwei Thesen zur engeren Auswahl.222 Erste Strukturanalysen fassten das CL als ein Gedicht mit zwei Strophen auf, und diese Meinung wird bis in die Gegenwart von vielen Forschern geteilt.223 Die Zäsur zwischen den zwei Strophen wird in der Regel vor der Wiederholung des Relativpron. ὅς in 1,18b vorgenommen.224 In jüngerer Zeit ziehen aber zunehmend viele Ausleger in Anlehnung an die bahnbrechende Analyse von Christian Maurer eine dreigliedrige Struktur in Erwägung.225 220 Vgl. von Allmen, Réconciliation, 39; Beasley-Murray, Colossians, 170; Burger, Schöpfung, 38; Deichgräber, Gotteshymnus, 146-147; Dübbers, Christologie, 100; Ernst 175; Gabathuler, Haupt, 130-131; Gordley, Hymn, 191; Hegermann, Vorstellung, 92-93; Hoppe, Triumph, 223; Hofius, Erstgeborener, 189-190; Kehl, Christushymnus, 31; Lincoln 602-603; Murphy-O’Connor, Tradition, 234; Robinson, Analysis, 286; Schweizer 54; Dunn 85; Maisch 80. 221 Ähnlich Schweizer 54.69. 222 Einzelstimmen argumentieren für eine viergliedrige Struktur (vgl. Pöhlmann, All-Prädikationen, 53-74; Zeilinger, Erstgeborene, 42-43), sogar für eine fünfgliedrige Struktur (vgl. Masson, L’hymne, 79-93) oder eine chiastische Struktur (vgl. Bammel, Versuch, 88-95; Wright, Poetry, 449; Talbert 184; Heil, Colossians, 19-21). Der hymnische Charakter des CL spricht allerdings gegen solche komplexeren Gliederungen. Lohmeyer 41-42 zieht 1,13-14 zum CL als geschlossene Texteinheit hinzu und schlägt eine Gliederung vor, die die offensichtlichen parallelistischen Formulierungen im CL übersieht. 223 Vgl. Weiß, Christus, 45-46; Dibelius 6; Norden, Agnostos, 252-253; Robinson, Analysis, 286; Käsemann, Taufliturgie, 34-36; Bammel, Versuch, 88-95; Ellingworth, Colossians, 252-253; Gabathuler, Haupt, 130-131; Deichgräber, Gotteshymnus, 150; Kehl, Christushymnus, 37; von Allmen, „Réconciliation, 40; Lohse 82; Wengst, Formeln, 175; Ernst 175-176; Burger, Schöpfung, 38; Aletti, Colossiens , 45; Fowl, Story, 103; Harris 42; J. Murphy-O’Connor, Tradition, 233-234; Hübner 54-55; Garland 85-86; Jones, „L’évangile, 13-23; Standhartinger, Studien, 2.7; Stettler, Kolosserhymnus, 8693; Wolter 72-73; Barth/Blanke 227; Fee, Christology, 300; Bosch, Hymnus, 24-25; Moses, Practices, 166. 224 Für einige Autoren erfolgt die Zäsur zwischen 1,17 und 1,18. Vgl. Weiß, Christus, 45; Dibelius 12; Harris 42; Garland 85-86; Stettler, Kolosserhymnus, 86-93; Stuhlmacher, Theologie, II, 7; Moses, Practices, 166. 225 Vgl. Maurer, Begründung, 81-85; Martin, Hymn, 195-205; Lähnemann, Kolosserbrief, 38; Benoit, L’Hymne, 226-232; LaMarche, Structure, 455-456 (mit kleiner Abweichung); Schweizer 51-52; McCown, Structure, 161; Beasley-Murray, Colossians, 170;
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II. Auslegung
Demnach dient 1,17-18a als eine Art Zwischenstrophe oder Refrain. Daraus ergibt sich eine Gliederung, wie sie bei der Übersetzung des Texts dargestellt wurde: 1,15-16 bildet die erste Strophe, 1,17-18a eine Zwischenstrophe und 1,18b-20 die zweite Strophe.226 Beiden Strukturvorschlägen gemeinsam ist die Aufteilung des CL in zwei Strophen. Auffallende Parallelitäten zwischen den Strophen bestätigen diese Grundansicht.227 Denn bei beiden (1.) steht das Relativpron. ὅς („der“) am Anfang der ersten Zeile (15a / 18b), (2.) befindet sich das Wort πρωτότοκος („Erstgeborener“) am Anfang der zweiten Zeile (15b / 18c), (3.) wird die Signifikanz der Prädikation „Erstgeborener“ durch einen ὅτιNebensatz („denn …“) erläutert (16a / 19), (4.) begegnet uns der Merismus „in den Himmeln und auf der Erde“ vor (16b / 20c, in 20c in umgekehrter Reihenfolge), (5.) erscheint der Begriff πᾶς („alles“) dreimal (15b, 16a, 16f / 18d, 19, 20d), (6.) kommen folgende Partizipialwendungen jeweils ein Mal vor: ἐν αὐτῷ („in ihm“; 16a / 19), δι ́ αὐτοῦ („durch ihn“; 16f / 20a) und εἰς αὐτόν („auf ihn hin“; 16f / 20a). Strittig ist nur, ob 1,17-18a zur ersten Strophe hinzugenommen oder als unabhängige Zwischenstrophe aufzufassen ist. Für letztgenannte Ansicht geben textästhetische Überlegungen den Ausschlag: 1. Durch die Verknüpfung von 1,17-18a an 1,15-16 entsteht ein deutliches Ungleichgewicht zwischen den beiden Strophen.228 2. 1,18a nimmt die Thematik der zweiten Strophe vorweg, wodurch sich viele Forscher zu der sonst nicht notwendigen Streichung von τῆς ἐκκλησίας („der Gemeinde“) genötigt sehen (siehe dazu unten). 3. Nur so kommt die „strenge Parallelität“ der zwei καὶ αὐτός ἐστιν-Sätze
Gnilka 58-59; Helyer, Colossians, 169; Bruce, Problems, 99-111; Baugh, Form, 227244; Hoppe, Triumph, 159-161; Arnold, Syncretism, 249-250; Dunn 84; Carlos Reyes, Structure, 140; Lincoln, Colossians, 602-603; Oliveira, Christozentrik, 81-82; Hofius, Erstgeborener, 190-193; Hahn, Theologie I, 350-351; Hooker, Wisdom, 121; Dübbers, Christologie, 86-91; Wilson 126-127; Ellis, Colossians, 419-420; Luz 199; Witherington 129; Moo 115-116; Tipton, Christology, 185; Sumney 61-62; Bird 50. 226 Fowl, Story, 191, und Gordley, Hymn, 191, gehen auch von einer dreigliedrigen Struktur aus, vermuten aber folgende Gliederung: Strophe (Kol 1,15-18a) – Antistrophe (Kol 1,18b-20b) – Epode (Kol 1,20c). Ähnlich auch Martin, Reconciliation, 109-110, der alle drei Glieder einfach „Strophen“ nennt. 227 Vgl. z.B. Wolter 72. 228 Das gestehen auch Verfechter einer zweigliedrigen Struktur ein, z.B. Wolter 73.
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(„und er ist …“) in 1,17a und 1,18a zur Geltung.229 Diese werden einander durch den chiastischen Aufbau von 1,17-18a gegenübergestellt. Ferner haben diese Sätze jeweils resümierende bzw. weiterführende Funktion: 1,17a fasst den Inhalt der ersten Strophe zusammen, während 1,18a den Inhalt der zweiten Strophe vorwegnimmt.230 Durch diese einfache chiastische Struktur (a-ba’) wird die Aussage „in ihm bestehen alle Dinge“ in 1,17b betont, ja sogar zur Hauptaussage des CL aufgewertet.231 Dieser Strukturvorschlag lässt sich im folgenden Diagramm plastisch vor Augen führen:
Durch diese Gliederung entsteht ein ausgewogenes Gleichgewicht im CL – beide Strophen haben ungefähr den gleichen Umfang –,232 und seine Schwerpunkte werden sofort ersichtlich. Die erste Strophe hebt die erhabene Stellung Christi über der Schöpfung hervor. Diese mündet in die Aussage, dass Christus (zeitlich) vor allem steht (1,17a). Die zweite Strophe betont die erhabene Stellung Christi im Versöhnungswerk Gottes. Dies klingt schon in der dem 229 So Maurer, Begründung, 82, der erstmals auf die Wichtigkeit dieser Beobachtung hingewiesen hat. 230 Ebd., 83. 231 So auch Carlos Reyes, Struktur, 144. Pizzutto, Leap, 118-119, schlägt eine ähnliche Struktur vor, will aber die beiden Strophen im Sinne eines Chiasmus jeweils als A und A’ verstehen. Die Strophen sind jedoch weder thematisch noch stilistisch aufeinander bezogen. 232 Vgl. Pokorný 49.
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II. Auslegung
V. 17a gegenüberstehenden Einleitung zur zweiten Strophe (1,18a) an, wonach Christus als Haupt des Leibes, der Gemeinde, vorgestellt wird. Drehund Angelpunkt des Liedes ist die alles umfassende Hauptaussage des CL (1,18b), dass in Christus alle Dinge bestehen. Um die traditionsgeschichtliche Einordnung des CL hat sich eine ganze Reihe von Forschern in unzähligen Beiträgen bemüht. Wir besprechen hier nur diejenigen, die im Laufe der Forschungsgeschichte breitere Zustimmung erhalten haben.233 Für einen gnostischen Hintergrund argumentierte Käsemann. Er vertrat in Anlehnung an seine Lehrer Rudolf Bultmann234 und Martin Dibelius235 die These, das CL feiere in seiner ursprünglichen Form „das übergeschichtliche und metaphysische Drama des gnostischen Erlösers“, und „die Konturen des gnostischen Urmensch-Erlösers“ seien selbst nach seiner frühchristlichen Überarbeitung nicht zu übersehen.236 Obwohl diese These für eine kurze Zeit die Aufmerksamkeit der ntl. Forschung auf sich zog, konnte sie sich doch nicht behaupten. Erstens konnte man in den Jahren nach dem Erscheinen des Aufsatzes von Käsemann geltend machen, dass eine vorchristliche Gnosis nicht nachweisbar ist;237 insbesondere fehlt von einem vorchristlichen gnostischen Erlösermythos jede Spur.238 Zweitens sind (zusätzlich zu den Käsemannschen Glossen; siehe dazu oben) einige Elemente des CL mit gnostischen Vorstellungen unvereinbar, u.a. die Bezeichnung des Erlösers als Erstgeborener von den Toten sowie die Aufgabe eines kosmischen Dualismus.239 Somit ist von der These Käsemanns abzusehen, aber auch von Entwürfen, die mit gnostischen Einflüssen allgemeinerer Art auf das CL rechnen.240
233 Ernst Lohmeyers Versuch, das CL als Meditation der jüdischen Festtage Rosch Haschana (Neujahrstag) und Yom Kippur (Versöhnungstag) zu erschließen (vgl. Lohmeyer 4347), hat kaum Einklang gefunden. Bis auf thematische Gemeinsamkeiten (die im Falle von Rosch Haschana erst aus späteren rabbinischen Quellen hervorgehen) gibt es keine klaren Belege für bewusste Anspielungen auf kultische Feiern im CL. 234 Vgl. Bultmann, Theologie, 166-186. 235 Vgl. Dibelius 11-12. 236 Käsemann, Taufliturgie, 39-40. 237 Vgl. Yamauchi, Gnosticism, insbes. 184-186; Hengel, Ursprünge, 190-223. 238 Vgl. v.a. Colpe, Erlösermythus. Vgl. auch Fossum, Colossians, 183-184. 239 Vgl. Lohse 83; Schweizer 71-72; Lindemann 26. 240 So auch Stettler, Kolosserhymnus, 41. Hegermann, Vorstellung, glaubt z.B., dass gnostische Konzeptionen nicht direkt, sondern über die hellenistische Synagoge einen Einfluss auf das CL ausgeübt haben (vgl. insbes. S. 200). Auch Conzelmann 183 rechnet mit gnostischen Einflüssen. Gnilka 59-61 ist der Meinung, dass das CL wenigsten in der Schuld des gnostischen Gedankenguts stehe. Pokorný 54-58 zufolge ist der Autor des CL mit gnostischen Ansichten wenigstens vertraut.
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Größeres Ansehen in der Forschung genießt inzwischen die These, dass das CL seine Wurzel in jüdisch-hellenistischer Weisheitsspekulation hat.241 Ihre Befürworter weisen auf Gemeinsamkeiten zwischen Aussagen über den Sohn Gottes im CL und jenen über die Figur der Weisheit in frühjüdischen Schriften hin. Vom Hymnus in Sprüche 8, in dem die als tugendhafte Frau personifizierte Weisheit eine Präexistenz vor sowie eine beratende Rolle bei der Schöpfung für sich beansprucht (Spr 8,22-31), ließen sich vor allem zwei in der jüdischen Weisheitstradition stehende Autoren zu ähnlich schillernden Äußerungen über die Weisheit inspirieren. Jesus Ben Sira (2. Jh. v.Chr.) ist sich ihres göttlichen Ursprungs sowie ihrer Vorrangstellung vor der Schöpfung gewiss (Sir 24,3-9). Der Autor der Weisheit Salomos (1. Jh. v.Chr.) lässt sich durch diese Äußerungen nicht unterbieten. Die Weisheit war ihm zufolge bei der Erschaffung der Welt anwesend (Weish 9,9), war sogar die Werkmeisterin (τεχνίτης) hinter der Schöpfung (Weish 7,22; 8,6). Sie ist Gottes kraftvoller Atem, die Emanation seiner Herrlichkeit und – für die Auslegung des Kol von größter Relevanz – das Ebenbild (εἰκών) seiner Güte (Weish 7,25-26). Philo von Alexandrien wird als weiterer Zeuge der weisheitlichen Tradition herangezogen, auch wenn die am meisten zitierten Stellen eher vom Logos (Wort) als von der Weisheit reden. Diese seien aber bei ihm geradezu austauschbare Begriffe.242 Für Philo ist das Wort bzw. die Weisheit das Ebenbild (εἰκών) und der Anfang (ἀρχή) Gottes (LegAll 1,43; 3,96). Das Wort ist auch Gottes „Erstgeborener“ (Conf 146-147; Somn 1.215; Agr 51; wohl gemerkt: πρωτόγονος). Diese Übereinstimmungen in der Terminologie des CL und jüdischer weisheitlicher Lobesreden über die Weisheit sind augenfällig. Sie sind aber noch kein stichhaltiger Beweis dafür, dass eine geradlinige Traditionsabhängigkeit des Ersteren vom Letzteren besteht. Denn die Übereinstimmungen wirken bei genauerer Betrachtung weniger überzeugend, als die Verfechter dieser These behaupten:243 1. Weder bei den oben erwähnten Autoren noch sonst in der 241 Vgl. Lightfoot 143-144; Lohse 84; Gabathuler, Haupt, 133; Kehl, Christushymnus, 6163; Lähnemann, Kolosserbrief, 39; Vawter, Hymn, 71; O’Brien 43-44; Zeilinger, Erstgeborene, 180; Aletti, Colossiens, 148-152; Fowl, Story, 118-121; MacDonald 66-67; Wolter 76-77; Dunn 85-86; Lamp, Wisdom, 45-53; Oliveira, Christozentrik, 82; Standhartinger, Studien, 205-206; Maisch 85-95; Stuhlmacher, Theologie, II, 8; Dübbers, Christologie, 12 (neben „erhebliche[n] popularphilosophischen Einflüssen platonischer bzw. stoischer Provenienz“); Gordley, Hymn, 16; Wilckens, Theologie, I, 3.258-259; Witherington 130-131; Beetham, Echoes, 113-137; Luz 110; Sumney 65; Bosch, Hymnus, 26-29; Bormann 87. 242 Vgl. Beetham, Echoes, 122-125, sowie die von ihm erwähnten Autoren (S. 124, Anm. 50). 243 Vgl. dazu insbes. Fee, Christology, 317-321, sowie White, Rez. Fee, Christology, 241245. Vgl. auch die von Percy, Probleme, 70-71, angemeldelten Zweifel, „ob die Vor-
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jüdischen Weisheitsliteratur wird die Weisheit oder das Wort wie im CL als πρωτότοκος bezeichnet, sondern nur als πρωτόγονος, was ganz andere Konnotationen mit sich zieht. 2. Die Bezeichnung der Weisheit als εἰκών in Weish 7,26 ist kein wirkliches Pendant zur Aussage über Christus in 1,15, denn im weisheitlichen Lob ist dies Teil einer lebendigen Metapher – die Weisheit wird dargestellt als Bild, das man in einem Spiegel sieht –, die im CL nicht mitschwingt. Darüber hinaus wird im weisheitlichen Text nicht behauptet, die Weisheit sei Ebenbild Gottes, wie im CL, sondern genau genommen „das Ebenbild seiner Güte“. Das heißt, bei der Weisheit wird ein die Einzigartigkeit Gottes bewahrender, semantischer „Abstandshalter“ in die Formulierung eingebaut, der bei Christus im CL wegfällt. 3. Im Gegensatz zum Sohn Gottes im CL wird von der Weisheit behauptet, sie ist von Gott geschaffen worden (Sir 1,4.9). 4. Auf der anderen Seite wird vom Sohn behauptet, dass die ganze Schöpfung auf ihn hin (εἰς αὐτὸν; 1,16) geschaffen worden ist. Dafür gibt es keine Analogien in der Weisheitsliteratur.244 Das bedeutet, es sind nicht nur gewisse Ähnlichkeiten zwischen der Figur der Weisheit und dem Sohn Gottes festzustellen, sondern auch markante Unterschiede. Resümierend ist also festzuhalten: Während man beim CL durchaus von Anklängen an die jüdische Weisheitstradition sprechen kann, geht die These einer direkten Ableitung des Ersteren vom Letzteren über die Beweislage hinaus.245 Eine Verknüpfung des CL mit der rabbinischen Auslegung versuchte C.F. Burney in einem viel diskutierten Beitrag nachzuweisen.246 Burney vermutet, dass hinter dem CL eine midraschartige Exegese steht. Der Autor sei gemäß dem rabbinischen Auslegungsprinzip gezera-schawa vorgegangen und habe eine Verbindung zwischen Gen 1,1 und Spr 8,22 über das in beiden Texten vorkommende hebräische Wort ראשׁיתhergestellt. Die Prädikation „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (πρωτότοκος πάσης κτίσεως) in 1,15b sei eine bewusste Anspielung auf die Selbstaussage der Weisheit in Spr 8,22: „Der Herr zeugte mich als Anfang seines Werks“ (nach Burneys Übersetzung; )יהוה קנני ראשׁית דרכו. In den darauffolgenden Zeilen des CL sei jede erdenkliche Deutungsmöglichkeit des ersten Wortes von Gen 1,1 ( )בראשׁיתreflektiert und ausgelegt worden. Demzufolge könne die Präposition ְבdie Bedeutung „in“ (Griech. ἐν), „durch“ (Griech. διά) und „hinein“ (Griech. εἰς) haben, und das Bedeutungsspektrum von ראשׁיתschließe „Anfang“ (vgl. 1,17a: „er stellung von Christus als Schöpfungsmittler allein durch die Identifizierung mit der halbabstrakten Gestalt der Weisheit … zu erklären sei“ (70). 244 Vgl. Schweizer 61. 245 Ähnlich auch McDonough, Christ, 78-85.175-176. 246 Vgl. Burney, Christ, 160-177.
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ist vor allen Dingen“), „Summe“ (vgl. 1,17b: „in ihm bestehen alle Dinge“), „Haupt“ (vgl. 1,18a; κεφαλή) und „Erstlingsgabe“ (vgl. 1,18b; ἀρχή) mit ein. Burneys geniale Auslegung konnte spätere Ausleger (mit einigen Ausnahmen im angelsächsischen Raum)247 nicht überzeugen, zu eigentümlich wirkten manche seiner Thesen. Dass z.B. das Wort ἀρχή mit dem Konzept der Erstlingsgabe in Verbindung stehen sollte, entbehrt jeder Grundlage.248 N.T. Wright ist es zwar gelungen, diese Eigentümlichkeiten teilweise aus dem Weg zu räumen, u.a. gerade indem er ἀρχή mit dem im Kontext des CL wesentlich näherliegenden Konzept des Anfangs in Verbindung setzt.249 Dennoch bleiben zwei erhebliche Einwände gegen diesen Ansatz bestehen. Erstens setzt er beim Schreiber ein Übermaß an sprachlichem und exegetischem Fingerspitzengefühl voraus, als hätte dieser eine ausführliche Wortstudie des Begriffs ראשׁיתim AT durchgeführt und seine Ergebnisse wörterbuchartig aufgestellt, bevor er das CL gedichtet hat. Dabei müsste ihm aus unerklärlichen Gründen eine der wichtigsten Bedeutungsnuancen von ראשׁיתim AT, „Erstlingsgabe“ (ἀπαρχή), die dazu auch hervorragend zu seiner Thematik gepasst hätte (vgl. 1Kor 15,20), völlig entgangen sein.250 Zweitens gibt es einfach zu viel, was dieser Ansatz nicht erklären kann: warum gerade das erste Prädikat „Ebenbild“ (εἰκών) einen derart herausragenden Platz im Lied einnimmt (1,15a) – von ראשׁיתin Spr 8,22 bzw. Gen 1,1 lässt es sich nicht herleiten – oder worauf die Behauptung, dass alles in Christus besteht (1,17b), zurückzuführen ist. Überhaupt bleibt die zweite Strophe von der Analyse völlig unberührt.251 Begrüßenswert an diesem Ansatz ist jedoch, dass durch ihn atl. Parallelen in das Blickfeld traditionsgeschichtlicher Analysen des CL gerieten. Für die These, dass sich das CL unmittelbar an atl. Traditionen anlehnt, setzte sich Christian Stettler in seiner 2001 veröffentlichen Tübinger Disserta247 Vgl. Davies, Paul, 150-152; Caird, Letters, 175; Helyer, Christology, 240-241; Hooker, Wisdom, 116-128; Smith, Perspective, 156-158; Bird 49. 248 Burney zog vermutlich einen falschen Schluss aus der Tatsache, dass ראשׁיתsowohl „Erstlingsgabe“ als auch „Anfang“ bedeuten kann. Diese unterschiedlichen Konzepte werden aber konsequent durch unterschiedliche Lexeme ins Griechische übertragen. Dort, wo der Kontext klarmacht, dass es sich um Erstlingsgaben handelt, übersetzt die LXX mit ἀπαρχή, und dort, wo „Anfang“ gemeint ist, übersetzt die LXX in der Regel mit ἀρχή. Vgl. White, Erstlingsgabe, 20-31. 249 Vgl. Wright, Poetry, 455-457. Wright versucht Burneys Fehler zu korrigieren, indem er πρωτότοκος mit ראשׁיתin Verbindung bringt. Aber auch dieser Versuch scheitert an den lexikalischen Gegebenheiten. Denn in der LXX steht hinter πρωτότοκος konsequent das Wort ( בכורvgl. White, Erstlingsgabe, 26). D.h., auf das Konzept „Erstgeborener“ würde man bei einer Reflexion über den Begriff ראשׁיתschwerlich kommen. 250 Vgl. White, Erstlingsgabe, 24-25. 251 Vgl. Lincoln 605.
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II. Auslegung
tion ein. Ausgehend von einer erstmals 1979 erschienenen Arbeit von H. Gese, der die jüdische Weisheitstradition als „konsequente Entfaltung der atl. Theologie“ auffasste und das CL dieser Tradition ganz und gar zuzuordnen versuchte,252 versteht Stettler das CL als „eine Mischform von Beraka [= Segenspruch] und atl. ‚Hymnus‘“.253 Er macht darauf aufmerksam, dass der Text eine Vielzahl an hebräischen Stilelementen aufweist, die man auch in den Psalmen vorfindet (z.B. kurze Sätze, Parataxis, Parallelismus).254 Weiter weist er darauf hin, dass sich die sonst „rätselhafte“ Einsetzung des CL mit dem Relativpron. ὅς255 als deutliches Merkmal der Berakot, die gattungstypisch mit der Anfangsformel „( ברוך יהוה אשׁרgesegnet bist du, Jahwe, der …“) beginnen, erklären lässt. Das anfängliche griechische Pron. funktioniere demnach analog zu dem in atl. Makarismen vorkommenden hebräischen Wort ( אשׁרvgl. z.B. Ps 1,1; Spr 8,34 nach dem MT und der LXX). Andere Elemente, insbesondere die ὅτι-Erklärungssätze in 1,16 und 1,19, seien von der Gattung des Hymnus übernommen worden, wo typischerweise auf den Aufruf zum Lob ein Grund folgt.256 Es ist also Stettler zufolge „nicht nötig, nach einer hellenistischen Analogie [zum CL] Ausschau zu halten; die Form lässt sich ohne Weiteres innerhalb des Umfelds der alttestamentlich geprägten Literatur erklären.“257 Stettlers Ansatz hat viele Vorteile. Er ermöglicht es, „die alttestamentlichjüdische Tradition in ihrer ganzen Breite (und nicht nur in ihrer hellenistischjüdischen, gar philonischen Interpretation)“ zur Deutung des CL heranzuziehen.258 Er erklärt auch zufriedenstellend, warum es im CL deutliche Anklänge an die hellenistisch-jüdische Weisheitstradition gibt (ohne sich gleich auf die unbefriedigende These einer direkten Abhängigkeit stützen zu müssen): durch die gemeinsame Verwurzelung in biblischen Traditionen. Wie die Exegese im Folgenden zeigen wird, vermag er zudem die gegenwärtige Gestalt des CL auch ohne Rückgriff auf Interpolationstheorien als theologisch durchdachtes Loblied Christi zu erschließen. Last but not least passt nach diesem Ansatz auch die Form des CL, die von atl.-weisheitlichen Gattungen geprägt sei, hervorragend zu seinem Inhalt, wenn – wie die Auslegung des Textes ergeben wird – dieser stark vom AT her bestimmt ist. 252 253 254 255 256
Vgl. Gese, Weisheit, 218-248, insbes. 240. Stettler, Kolosserhymnus, 84. Ebd. 81. So K. Berger, Art. Gattungen, ANRW II, 25.2, 1191. Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 83-84. Ähnlich auch Aletti, Colossiens, 3, der hinter dem CL die Form des altestamentlichen Todahs (Lobeshymnus) sieht. 257 Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 84. 258 Ebd. 57. Ähnlich auch Wright, Poetry, 453.
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III Einzelexegese 15 In seiner ursprünglichen Form wird das CL wohl mit einer Eingangsformel wie „Gepriesen sei Jesus Christus“ (Εὐλογητὸς Ἰησοῦς Χριστός) begonnen haben.259 Als Paulus es in den Kol aufgenommen hat, ließ er diese Formel weg und knüpfte den folgenden Relativsatz (ὅς …) direkt an die Aussage über den Sohn an (vgl. 1,13): Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes (ὅς ἐστιν εἰκὼν τοῦ θεοῦ τοῦ ἀόρατου). Das griechische Wort εἰκών, das hier mit „Ebenbild“ übersetzt wird, bedeutet konkret „Bild“; im NT durchwegs genauer „die abgebildete Gestalt“ eines Wesens.260 Die konzeptuelle Nähe von 1,15a zu Phil 2,6 und Hebr 1,3 ist unübersehbar. Trotzdem darf das Besondere an dieser Aussage nicht durch den vorschnellen Vergleich mit anderen ntl. christologischen Texten nivelliert werden. Denn die explizite Identifikation des Sohnes mit dem Ebenbild Gottes wird im NT ausschließlich von Paulus vollzogen. Die Mehrheit der Kommentatoren meint hier, wie wir oben gesehen haben, die Aufnahme einer frühjüdischen Weisheitstradition entdeckt zu haben (vgl. Philo, LegAll 1,43; Weish 7,26: die Weisheit ist das Ebenbild der Güte Gottes). Ein anderer Bezug liegt aber deutlich näher: einer, der (wie die Weisheitstradition selbst) in der biblischen Schöpfungsgeschichte verankert ist.261 Denn nicht nur in 1,15, sondern auch in 2Kor 4,4 wird Christus als „Ebenbild Gottes“ bezeichnet. Dort wird das Prädikat εἰκών mit der Herrlichkeit (δόξα) Gottes in enge Verbindung gebracht. Die gleiche Verbindung stellt auch 2Kor 3,18 her, wonach die ethisch-eschatologische Transformation der Gläubigen, um die es Paulus geht, durch das Betrachten des Ebenbildes (d.h. des Christus) erfolgt, sodass sie „von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν) verwandelt werden.262 Ein ähnlicher Gedanke begegnet uns in 3,10, wo als Folge des bildlichen „Ausziehens“ des alten Menschen bzw. im Zuge des „Anziehens“ des neuen Menschen die Erneuerung der Gläubigen „gemäß dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat“ (κατ ̓ εἰκόνα τοῦ κτισάντος αὐτόν) geschieht. Die Anbindung an 1,15a ist offensichtlich. Das Ebenbild Gottes, dem gemäß Gott den Menschen geschaffen hat, ist also kein anderer als Christus selbst.263 259 260 261 262
Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 83. Vgl. G. Kittel, Art. εἰκών, ThWNT II, 393. Vgl. Pollard, Colossians, 575. Auch in 1Kor 11,7-9 werden εἰκών und δόξα aufs Engste miteinander verknüpft. Hier wird allerdings der Mann (im Gegensatz zur Frau) als das Ebenbild und die Herrlichkeit Gottes bezeichnet. Die besondere Thematik bedingt den eigentümlichen Gebrauch, den Paulus dort von der εἰκών-Terminologie macht. Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 110. 263 Ebd. 106.
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II. Auslegung
Diese intratextuelle Anspielung in 3,10 auf 1,15 lässt den gemeinsamen Traditionshintergrund beider εἰκών-Aussagen erkennen. Denn die Wendung in 3,10 erinnert an die Absichtserklärung Gottes in Gen 1,26, „Wir wollen einen Menschen machen gemäß unserem Ebenbild, uns ähnlich“ (ποιήσωμεν ἄνθρωπον κατ ̓ εἰκόνα ἡμετέρα καὶ καθ ̓ ὁμοίωσιν), und die darauffolgende Bekräftigung in Gen 1,27, dass es genauso geschah: „gemäß dem Ebenbilde Gottes schuf er ihn“ (κατ ̓ εἰκόνα θεοῦ ἐποίησεν αὐτοῦ). Die LXX übersetzt צלםhier mit εἰκών, während ὁμοίωσις für דמותsteht. Diese hebräischen Wörter sind mehr oder weniger austauschbar, wie Gen 5,3 zeigt. Auf jeden Fall festzuhalten ist, dass nach der Auffassung der LXX in Gen 1,26-27 nicht behauptet wird, der Mensch ist das Ebenbild Gottes, sondern dass er gemäß dem Ebenbild Gottes (κατ ̓ εἰκόνα) geschaffen wurde. Diese Auffassung ist offensichtlich maßgeblich für die Aussagen des Paulus in 1,15; 3,10 sowie in 2Kor 3,18; 4,4.264 Christus ist das Ebenbild Gottes. Gemäß diesem Ebenbild wurden die Menschen geschaffen bzw. werden die Gläubigen erneuert. Wie kamen der Apostel bzw. der Autor des CL (im Folgenden = AutCL) zu dieser im Rahmen der jüdischen Weltanschauung außergewöhnlichen Überzeugung?265 Zur theologischen Reflexion stand dem Kreis um Paulus vor allem die Vision des Propheten Hesekiel von Gott auf seinem Thron in Hes 1 zur Verfügung.266 In diesem Text ist Hesekiel offensichtlich darum bemüht, die Transzendenz Gottes zu würdigen, wenn er in Hes 1,26 von einer „Gestalt wie die Erscheinung eines Menschen“ (MT: ;דמות כמרא אדםLXX = ὁμοίωμα ὡς εἶδος ἀνθρώπου) spricht, die auf dem Thron saß. Diese ist umgeben von Feuerflammen und hellem Licht (Hes 1,27-28). Hesekiel identifiziert das, was ihm offenbar wurde, als „die Erscheinung der Gestalt der Herrlichkeit Jahwes“ (Hes 1,28; MT: ;מרא דמות כבוד יהוהLXX: ἡ ὅρασυς ὁμοιώματος δόξης κυρίου). Hier sind die notwendigen Elemente der paulinischen Ebenbild-Christologie vorhanden: eine Gestalt, die aussieht wie ein Mensch, die aber mit der Herrlichkeit Gottes, d.h. mit seinem überwältigenden Lichtglanz, in engster Verbindung steht. Die theologische Reflexion über die Anwendbarkeit von Gen 1,26 und Hes 1,26 erfolgte aber erst im Kreis um den Apostel (der Stephanus-Kreis hätte 264 Die hebräische Präposition ְבּkann auch im Sinne eines Beth essentiae gebraucht werden, um eine einfache Prädikation auszudrücken (vgl. Joüon/Muraoka, Grammar, §133c). Dass Paulus die Aussage von Gen 1,26 auf diese Weise auffassen kann, wenn es seinem Anliegen entspricht, beweist 1Kor 11,7-9 (vgl. S. 115, Anm. 262). Wenn es ihm aber um die Christologie geht, folgt er, wie wir gesehen haben, der Auslegung der LXX. 265 Vgl. dazu Kehl, Christushymnus, 54-55. 266 Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 111-114, gefolgt von McDonough, Christ, 91-92.
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vielleicht vor ihm Anlass dazu gehabt; vgl. Apg 7,55), nachdem er selbst einer ähnlichen Gestalt begegnet ist. Auf dem Weg nach Damaskus sah er den erhöhten Jesus von Nazareth vom Lichtglanz Gottes umhüllt (vgl. Apg 9,3; 22,6; 26,13). Diese überwältigende Erfahrung ebnete den Weg zur Identifikation Christi mit der Gestalt, welche die Herrlichkeit Gottes verkörpert, und in weiterer Folge mit dem Ebenbild Gottes. Die paulinische Christologie bleibt ohne Einbeziehung dieser persönlichen Erfahrungsebene unerklärbar.267 Aus diesen Überlegungen folgt, dass wir es hier nicht mit einer sogenannten „Adam-Christologie“ zu tun haben.268 Diese lässt sich dort erkennen, wo es Übereinstimmung zwischen Adam und Christus bzgl. ihrer heilsgeschichtlichen Rollen gibt (vgl. Röm 5,12-21; 1Kor 15,45-49). In einem solchen Zusammenhang ist es vielleicht berechtigt, von Christus als dem „zweiten Adam“ zu reden. Hier jedenfalls nicht.269 Denn die „Ebenbild-Christologie“, die im CL zum Vorschein kommt, hebt gerade die Einzigartigkeit Christi, d.h. seine unmittelbare Wesensnähe zum Schöpfer, hervor. Dadurch wird der ontologische Unterschied zwischen dem Sohn Gottes und allen Geschöpfen – dazu gehört selbstverständlich Adam – betont, was natürlich in weiterer Folge die Beteiligung des Sohnes am schöpferischen Geschehen ermöglicht. Es muss kaum erwähnt werden, dass damit die Präexistenz Christi einfach vorausgesetzt wird.270 Die konzeptuelle Nähe zum Christushymnus in Phil 2,6-11 ist augenfällig (vgl. Phil 2,6: ὃς ἐν μορφῇ θεοῦ ὑπάρχων; nach Gnilka: „der in der Daseinsweise Gottes sich befand“271), ebenso aber markante Unterschiede in der Ausrichtung und bzgl. der Funktion des Textes. Phil 2,6-11 stellt die Inkarnation des Messias in den Mittelpunkt und wird unmittelbar paränetisch eingesetzt: Die Gläubigen sollen sich in ihrem Verhalten am Beispiel Jesu orientieren. Die Funktion des CL ist eindeutig epideiktisch (es gibt im ganzen CL nichts, was man nachahmen könnte), und die Inkarnation gerät nur andeutungsweise in einer Zeile ins Blickfeld (vgl. zu 1,19). Christus wird also hier nicht als „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ in dem Sinne dargestellt, dass durch seine Menschwerdung das grundsätzlich Unsichtbare nun doch sichtbar gemacht
267 Vgl. Kim, Origin, 223-233, sowie ebd., Paul, 165-213. Vgl. auch Bruce 57; Pizzutto, Leap, 250-251; Smith, Perspective, 160. 268 So z.B. Kim, Origin, 260-67; Pokorný 62-63; Martin 109; Beale 851-853. 269 Vgl. Gnilka 59; Schweizer 58; Dunn 87-88. 270 Vgl. Tipton, Christology, 185-191. Kontra Dunn 89. 271 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 111.
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II. Auslegung
wird.272 Man darf in den Begriff „unsichtbar“ (ἀόρατος)273 nicht platonische Konzeptionen von einem der noumenalen Realität zugehörigen und daher durch die Sinne nicht wahrnehmbaren Wesen hineinlesen. Denn das AT macht keine absoluten Aussagen über die grundsätzliche Unsichtbarkeit Gottes, sondern betont stattdessen, dass Gott unter normalen Bedingungen menschlichen Augen verhüllt bleibt.274 In visionären Erlebnissen, die wir nicht aufgrund moderner Vorurteile als weniger real herabstufen dürfen, wird er jedoch sichtbar (z.B. Jes 6,1; Dan 7,9). Dazu gehört die Vision des Hesekiel, die, wie oben geschildert, hinter der Formulierung in Kol 1,15a steht. In seiner Beschreibung derselben versucht der Prophet zwar die Transzendenz Gottes durch eine Kette von Genitiven (Hes 1,28; „die Erscheinung der Gestalt der Herrlichkeit Jahwes“) zu würdigen. Dennoch beteuert er, dass er Gott als hellen Lichtglanz wahrgenommen habe. Mit diesem Lichtglanz Gottes, der durch seine Menschwerdung verdeckt worden und erst durch seine Auferstehung und Erhöhung wieder zum Vorschein gekommen ist (vgl. 2Kor 5,15; Phil 3,21), bringt der AutCL, wie oben erläutert (vgl. S. 118), Christus in Verbindung. Schon mit dem ersten Prädikat des CL wird also der Wesensunterschied Christi zu allen Geschöpfen unterstrichen. Bei der in Gen 1,1 (ein Text von prägender Bedeutung für das CL; vgl. zu 1,16) bereits vollzogenen Aufteilung des Alls in zwei grundsätzliche Wesensarten – Göttliches und Geschaffenes – macht das CL deutlich, auf welche Seite Christus gehört. Dies wird durch das zweite Prädikat, der „Erstgeborene über alles Geschaffene“ (πρωτότοκος πάσης κτίσεως), sicherlich nicht aufgehoben.275 Diese Genitivkonstruktion ist, wie aus der Übersetzung hervorgeht, als Gen. obj. aufzufassen.276 Erst im Zuge der arianischen Kontroverse wurde diese Ausdrucksweise als problematisch empfunden.277 Gemäß der konkreten Bedeutung des Wortes „Erstgeborener“ (πρωτότοκος) und der Deutung des Genitivs als Gen. part. sei Christus
272 Vgl. Wolter 75. Kontra Pokorný 64. 273 Das Adjektiv kommt außer in Kol 1,15.16 noch drei Mal im NT vor (Röm 1,26; 1Tim 1,17; Hebr 11,27), und nur in 1Tim 1,17 mit direktem Bezug auf die Person Gottes. In der LXX kommt es auch drei Mal vor (Gen 1,2; Jes 45,3; 2Makk 9,5) aber nie mit Bezug auf Gott. 274 Vgl. dazu Lindemann 25; Barth/Blanke 196; Sumney 63-64. 275 Nicht nur hier, sondern auch in Röm 8,29 werden „Ebenbild“ und „Erstgeborener“ miteinander in Verbindung gebracht, was wiederum die enge Verknüpfung des CL an die paulinische Theologie unter Beweis stellt. Vgl. Schweizer 59. 276 Vgl. HvS §160. Einige Autoren (vgl. Lightfoot 148; Lohse 87) vermuten hier einen Gen. comp. („der Erstgeborene vor allem Geschaffenen“). Das wäre ungewöhnlich und zieht andere Probleme nach sich. Vgl. Hockel, Christus, 33. 277 Vgl. Hockel, Christus, 77.
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Arius zufolge „das erstentstandene aller Geschöpfe“.278 Der unmittelbare Kontext lässt aber diese Auslegung nicht zu.279 Zwar kann Lukas die konkrete Bedeutung für den neugeborenen Jesus verwenden (Lk 2,7; vgl. auch den Textus Receptus von Mt 1,25) – Jesus ist in der Tat Marias erstgeborener Sohn –, und der Autor des Hebräerbriefes erzählt von den tatsächlich Erstgeborenen Israels, die in der Passahnacht verschont wurden (Hebr 11,28). Aber sonst wird im NT der Begriff „Erstgeborener“ im übertragenen Sinne gebraucht, besonders um die zeitliche Priorität Christi vor allen anderen bei der Auferstehung plastisch darzustellen (Röm 8,29; Kol 1,18; Offb 1,5), aber auch um für die so Bezeichneten eine Vorrangstellung zu beanspruchen, wie Hebr 12,27 dies für die Gemeinde der Gläubigen tut. Dieser titulare Gebrauch des Begriffs ist kein ntl. Novum, sondern hat eine lange Tradition im AT: Gott nennt Israel „mein Erstgeborener“ (Ex 4,22 LXX). David – wohl gemerkt: der letztgeborene Sohn seiner Familie (vgl. 1Sam 17,14) – wurde von Gott zum „Erstgeborenen“ erhoben (Psalm 88,28 LXX).280 Mit diesem Psalmtext gerät der messianische Gebrauch, um den es sich in Kol 1,15 sowie in Hebr 1,6 handelt, in den Blick. Es ist so gut wie sicher, dass der Autor des Hebräerbriefes auf diesen Text anspielt (vgl. Hebr 1,5), und wahrscheinlich, dass der AutCL dies ebenso tut.281 Dabei tritt die ursprüngliche Bedeutung des Lexems – „der nach der Geburtsordnung erste“ – völlig in den Hintergrund.282 Auch der Gedanke der zeitlichen Priorität ist höchstens sekundär.283 Hier geht es um die Hoheitswürde und die Vorherrschaft des Sohnes, durch die er aufgrund seiner Wesensähnlichkeit mit Gott (εἰκών) Vollmacht über den Kosmos besitzt.284 Die Wendung πάσης κτίσεως, die wir mit „über alles Geschaffene“ übersetzt haben, heißt genau genommen nicht „die Gesamtheit des Geschaffenen“ – dafür würde man eher πάσης τῆς κτίσεως (mit Artikel) erwarten –, sondern sie trägt die Nuance „jedes beliebige Geschöpf“.285 Das ist zugegebenermaßen kein großer Bedeutungsunter-
278 279 280 281 282 283 284 285
Ebd. 31. Vgl. auch Helyer, Arius, 59-61. Vgl. Argyle, πρωτότοκος, 61-62. Vgl. Maisch 108-109. Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 152; Fee, Intertextuality, 215-216; Beale 853-854; Moo 119. Vgl. Lightfoot 146-147. Kontra Witherington 134. So auch Barth/Blanke 195. Ähnlich Caird, Letters, 176-177; Wolter 77. Lightfoot 146147 und Gnilka 63, meinen, dass der Begriff „Erstgeborener“ beide Gedanken, zeitliche Priorität und Vorherrschaft, gleichermaßen konnotiert. Vgl. BDR §275. So auch Percy, Probleme, 68-69; Stettler, Kolosserhymnus, 147-148.
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II. Auslegung
schied, aber im Hinblick auf die Aufzählung der kosmischen Mächte in Kol 1,16d-e ist er nicht unerheblich. 16 Natürlich wird durch diese Nuancierung keineswegs geleugnet, dass Christus Vollmacht über die gesamte Schöpfung hat. Das macht der darauffolgende Begründungssatz deutlich: Denn in ihm wurde alles geschaffen (ὅτι ἐν αὐτῷ ἐκτίσθη τὰ πάντα). Christus war an der Erschaffung des ganzen Kosmos beteiligt. Deswegen steht ihm der Titel „Erstgeborener“ zu. Der Aor. des Verbs κτίζω verdeutlicht, dass hier keine immerwährende schöpferische Tätigkeit im Blick ist, sondern die ursprüngliche Schöpfung der Welt.286 „Alles“ (τὰ πάντα) meint die Gesamtheit dessen, was geschaffen wurde. Weil das Hebr. kein Wort kennt, das den Begriffen „Kosmos“ oder „Universum“ genau entspricht, übersetzt die LXX das hebr. Wort כלgewöhnlich mit (τὰ) πάντα (vgl. z.B. Gen 1,31; Jes 44,24; 45,7), um dieses Konzept auszudrücken. Das NT lehnt sich an diesen Gebrauch an (vgl. 1Kor 8,6; 12,6; Eph 1,11; Hebr 1,3; Offb 4,11).287 Der Satz beeindruckt wegen seines absoluten Anspruchs: „Alles, was ist …, verdankt sich der Schöpfung ‚in Christus.ʻ“288 Wie der AutCL die Aufgabe Christi bei der Schöpfung genau auffasst, wird kontrovers diskutiert. Probleme bereitet u.a. die mehrdeutige Präposition ἐν. Diese darf nicht für sich allein, sondern muss zusammen mit den Präpositionen διά und εἰς in der Parallelaussage von 16f, alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen (τὰ πάντα δι ̓ αὐτοῦ καὶ εἰς αὐτὸν ἔκτισται), mit der 16a eine Inclusio bildet,289 betrachtet werden. Die große Ähnlichkeit zu Röm 11,33, wo allerdings von Gott statt Christus die Rede ist – „denn von ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge“ (ὅτι ἐξ αὐτοῦ καὶ δι ̓ αὐτοῦ καὶ εἰς αὐτὸν τὰ πάντα) –, fällt auf: In beiden Formulierungen dient τὰ πάντα als Subjekt; in beiden werden auch unterschiedliche Präpositionen mit der gleichen Bezugsgröße verbunden.290 1Kor 8,6 stellt ein einfacheres Beispiel derselben Trope dar.
286 287 288 289
Vgl. Schweizer 60. Kontra Conzelmann 183. Vgl. Barth/Blanke 199. Gnilka 65. Vgl. Wolter 77; Sumney 65. Mit Pokorný 64, gleich von einem Chiasmus zu reden, strapaziert die Binnenstruktur von V. 16. Während 16b-c eine zweigliedrige chiastische Gegenüberstellung aufweist, ist 16d-e von einfachen Parallelismen geprägt. Siehe dazu unten. 290 Ein wesentlicher Unterschied ist aber ebenso zu bemerken: In Kol 1,16 wird die Präposition ἐκ in Bezug auf Christus im Kontext von Schöpfungsaussagen bewusst vermieden. Denn die frühesten christlichen Credos, die vom jüdischen Monotheismus stark geprägt sind, heben die Urheberrolle ausschließlich für Gott auf (1 Kor 8,6; Röm 11,33). Vgl. Gnilka 64.
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Seit Eduard Norden wird die Formulierung vielerorts auf den Einfluss „stoischer Allmachtsformeln“ zurückgeführt.291 Diese stehen tatsächlich den ntl. Aussagen in formaler Hinsicht verblüffend nahe. Marcus Aurelius sagt z.B. über die Natur: „von dir kommt alles, in dir ist alles, und zu dir geht alles hin“ (ἐκ σοῦ πάντα ἐν σοῦ πάντα εἰς σὲ πάντα; vgl. 4,23). Weitere Beispiele ließen sich auch bringen. Trotzdem ist bei der Formel im CL nicht an die Aneignung stoischen Gedankenguts zu denken, sondern lediglich an die Inanspruchnahme einer im Hellenismus weitverbreiteten sprachlichen Konvention, mit der auch Griechisch sprechende Juden vertraut waren.292 Denn der Inhalt ist von der biblischen Schöpfungstheologie her zu bestimmen.293 Wie ist aber die Präp. ἐν in 16a zu deuten bzw. was meint die Behauptung, dass alles „in Christus“ geschaffen wurde? Vier Optionen werden für gewöhnlich in Erwägung gezogen. Wahrscheinlich die Mehrheit versteht ἐν im lokalen Sinne: Christus sei förmlich der Ort, an dem das Schöpfungsgeschehen erfolgt ist.294 Nach Meinung einiger Forscher verbirgt sich dahinter die philonische Vorstellung vom Logos als Ort, an dem der Kosmos vorgebildet war295 oder der stoische Gedanke vom Kosmos als Leib, der von Gott erfüllt ist.296 Doch diese Zurückführung auf hellenistische Konzeptionen bereitet Probleme. Die stark platonisch gefärbte Sichtweise Philos ist eben nur in der Lage, eine Erklärung für die Erschaffung des Unsichtbaren (τὰ ἀόρατα) zu liefern, nicht aber, wie ausdrücklich im CL, des Sichtbaren (τὰ ὁρατα).297 Es geht nämlich dem AutCL eben nicht um die Generierung der Ideenwelt in den Gedanken Gottes, die übrigens schwerlich mit dem Verb κτίζω konnotiert werden kann. Genauso wird ein Monotheist, dem die strenge Trennung zwischen Schöpfer und Schöpfung wichtig ist, wenig mit dem eklatanten Pantheismus stoischer Vorstellungen anfangen können.298 Deswegen ziehen viele Forscher eine instrumentale Deutung von ἐν vor.299 Dieser zufolge wird Christus als das Mittel bzw. der Mittler, durch den Gott die Welt geschaffen hat, verstanden. Das Hauptproblem mit dieser Auslegung
291 292 293 294 295 296 297 298 299
Vgl. Norden, Agnostos, 240-250. Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 155. Ähnlich Bruce 62. Vgl. Bruce 62. Vgl. u.a. O’Brien 45; Bruce 61-62; Harris 44; Garland 88; Moo 120-121. So Fowl, Story, 109; Wolter 79; Dunn 91, Anm. 20; Luz, „Kolosser“, 202. So Schweizer 60. Ähnlich Percy, Probleme, 69. Vgl. dazu Kehl, Christushymnus, 103-104. Vgl. Craddock, Things, 79. Ähnlich Hegermann, Vorstellung, 96; Lohse 90; Witherington 134; Wilson 138; Sumney 68.
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II. Auslegung
besteht darin, dass damit das Präpositionalgefüge „durch ihn“ (δι ̓ αὐτοῦ) in 1,16 überflüssig wird.300 Ein dritter Lösungsvorschlag, der der Präp. einen philosophisch-technischen Sinn verleihen will, wird seit Feuillet in Erwägung gezogen.301 Ausgehend von der platonischen Kausallehre, die zwischen verschiedenen Arten der Ursächlichkeit unterscheidet und diese anhand verschiedener Präpositionen darstellt (vgl. z.B. Seneca, Ep 65,8), soll der Gebrauch von ἐν erschlossen werden. Demnach gibt ἐν die exemplarische Ursache, d.h. in unserem Fall den Prototyp, nach dessen Muster etwas anderes geschaffen wird, wieder.302 Diese These setzt beim AutCL einen hohen Grad an Vertrautheit mit der hellenistischen Philosophie voraus und geht wiederum von einer stoischen Konzeption von Gott selbst als Vorlage für den Kosmos aus, die dem Denken des AutCL fremd zu sein scheint (vgl. zu 1,20). Ein vierter Deutungsversuch beginnt mit der Beobachtung, dass 16a und 16f eine Inclusio bilden (siehe oben) und diese Zeilen vom Inhalt her, bis auf die jeweils eingesetzten Präpositionen, praktisch identisch sind. Dies führt einige Forscher zu dem Schluss, dass die Bedeutung von ἐν αὐτῷ in 16a erst durch δι ̓ αὐτοῦ und εἰς αὐτὸν in 16f präzisiert wird.303 Stettler findet hier in Anlehnung an Burney (vgl. S. 115) einen Fall von rabbinischer Exegese von בראשיתin Gen 1,1 vor, wonach die jeweiligen Wiedergabemöglichkeiten der hebräischen Präposition ְבּins Griechische förmlich ausprobiert wurden, also durch die mit ְבּam direktesten korrespondierende Präposition ἐν sowie mit δiά und εἰς (mit jeweils instrumentaler bzw. finaler Sinnrichtung).304 Diese These ist in textästhetischer Hinsicht anziehend, setzt aber die Verknüpfung von Gen 1,1 mit Spr 8,22 nach der gezera schawa-Methode bzw. die Identifizierung des dort vorkommenden Begriffs ראשיתmit Christus im Vorfeld der Dichtung des CL voraus. Schließlich ist keiner dieser Deutungsvorschläge wirklich zufriedenstellend. Am ehesten ist von einer lokalen Bedeutung auszugehen, wobei klarzustellen ist, dass dieser weder stoische Ideen vom Weltleib noch philonische Logos-Spekulation zugrunde liegen. Ein anderer Bezug liegt wesentlich näher: die uns überall im frühesten Christentum begegnende Gewohnheit, von
Vgl. Bauer, Art. διά, 523, §5a. Vgl. Feuillet, Création, 1-9. Vgl. Kehl, Christushymnus, 101, 107; Gnilka 64-65; Wedderburn, Theology, 26. Vgl. Percy, Probleme, 70; Barth/Blanke 198; Dübbers, Christologie, 97-98; McDonough, Christ, 185-186. 304 Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 156-157. 300 301 302 303
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der Sphäre des Wirkens Gottes als „in Christus“ zu sprechen.305 Wahrscheinlich lässt sich diese Wendung nicht genau spezifizieren; zu sehr ist sie schon eine etablierte Redewendung der urchristlichen Liturgie geworden.306 Am meisten hilft ein Blick auf den Kontext der Aussage. Denn schon in der Überleitung zum CL ist vom „Reich des Sohnes“ (βασιλεία τοῦ υἱοῦ) die Rede (1,13). Demzufolge lägen wir nicht ganz falsch, wenn wir „in ihm“ als „in seinem Wirkungsbereich“ auffassen. In 1,16b-c wird die alles umfassende Reichweite des τὰ πάντα näher erläutert. „Alles“ bedeutet die Gesamtheit dessen, was im Himmel307 und auf der Erde ist (ἐν τοῖς οὐρανοῖς καὶ ἐπὶ τῆς γῆς), sowohl das Sichtbare wie auch das Unsichtbare (τὰ ὁρατὰ καὶ τὰ ἀόρατα). Die Erwähnung des formelhaften „Himmel und Erde“ im Kontext einer Aussage über die Schöpfung macht deutlich, dass 1,16c auf Gen 1,1 anspielt. Diese zwei Zeilen stellen zusammen einen Parallelismus dar, wobei ihre genaue Beziehung zueinander, sowohl inhaltlich als auch in formaler Hinsicht, zunächst offenbleiben muss. Beide Zeilen sind Stilfiguren, genau genommen Merismen, die durch die Bestimmung von diametrisch entgegengesetzten Größen auch alles dazwischen Vorstellbare einschließen. Weiter ist es wahrscheinlich, dass die Glieder der beiden Merismen als Chiasmus aufzufassen sind:308 a ἐν τοῖς οὐρανοῖς b καὶ ἐπὶ τῆς γῆς b' τὰ ὁρατὰ a' καὶ τὰ ἀόρατα
a im Himmel b und auf der Erde b’ das Sichtbare a’ und das Unsichtbare
Wenn das stimmt, dann setzt der AutCL „Himmel“ mit der unsichtbaren und „Erde“ mit der sichtbaren Schöpfung gleich. Das hieße, er denkt – vielleicht in Anlehnung an Gen 2,1 – einerseits an die himmlischen Heerscharen, die unter normalen Bedingungen nicht sichtbar sind,309 und andererseits an 305 Vgl. Percy, Probleme, 69-70; Fowl, Story, 109. 306 Vgl. v.a. Moo 121. 307 Im Griech. steht wörtlich „in den Himmeln“: Dies steht unter dem Einfluss der LXX, die das hebr. שׁמיםoft mit οὐρανοί wiedergibt, der Plur. für das, was im Deutschen „Himmel“ heißt, und ist genauso mehrdeutig wie jener Begriff. In hymnischen Texten wird der Plur. bevorzugt. Vgl. Traub, Art. οὐρανός, ThWNT V, 510. 308 So auch Gnilka 65; O’Brien 46; Wolter 93; Garland 88; Moo 122. Kontra Lightfoot 151; Harris 45; Barth/Blanke 200. 309 Die Aufteilung des Universums in Sichtbares und Unsichtbares ist nicht platonischen Ursprungs (so Wolter 78; Maisch 110), auch wenn das Gegensatzpaar ὁρατός/ἀόρατος im Hebräischen keine genaue Entsprechung findet (vgl. dazu Stettler, Kolosserhymnus, 164). Die Lektion, die Barr, Semantics, bes. 6-20, der ntl. Wissenschaft vor einem hal-
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II. Auslegung
die vielfältigen irdischen Wesen. Dass diese Auffassung von Gen 1,1 im Frühjudentum nicht einzigartig ist, macht Neh 9,6 klar.310 Die Betonung liegt darauf, dass Christus durch seine Schöpfungstätigkeit über beide „Gattungen“ Regierungsgewalt ausübt. Dem Chiasmus von 16b-c folgt eine Auflistung von Machtinstanzen in 16d-e: seien es Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten (εἴτε θρόνοι εἴτε κυριότητες εἴτε ἀρχαὶ εἴτε ἐξουσίαι). Wie oben bereits erwähnt (vgl. S. 109), gibt es erwägenswerte Gründe anzunehmen, dass diese Liste nicht zu der ursprünglichen Form des CL gehörte, sondern dem CL von Paulus hinzugefügt wurde. Dazu ist er von einem anderen frühchristlichen Lied veranlasst worden, das die letzteren beiden Begriffe gebraucht (vgl. S. 217-219 und zu 2,15). Damit nimmt der Apostel sein wichtiges Anliegen im Kol vorweg: die Gläubigen in Kolossä davon zu überzeugen, dass alle unsichtbaren Wesen – auch die antigöttlichen „Mächte und Gewalten“ – Christus untergeordnet sind. Dass es sich bei dieser Liste nur um unsichtbare Geschöpfe handelt, und nicht, wie manche Forscher meinen, um beide unmittelbar vorher beschriebenen Bereiche der Schöpfung – das Sichtbare und das Unsichtbare311 – geht aus dem Briefkontext hervor.312 Denn die KI scheint keine mit der christlichen Lehre unvereinbare Unterwerfung vor politischen Mächten verlangt zu haben, sondern die Huldigung von Engelmächten (vgl. S. 48-49). Freilich können die hier verwendeten Begriffe, insbes. „Throne“ und „Herrschaften“,313 auch irdische Machthaber bezeichnen, doch ihre Dichte im vorliegenden Text erinnert an Berichte über visionäre Erfahrungen in frühjüd. Schriften, in denen von verschiedenen Arten von Engelmächten erzählt wird (vgl. slawHen 20,1; TestLev 3,8; äthHen 61,10; AscIs 8,8).314 Im CL werden vier von insgesamt fünf
310 311
312 313 314
ben Jahrhundert erteilt hat, darf nicht vergessen werden: Das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein bestimmter Termini sagt nichts über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein etwaiger durch sie bezeichneter Konzepte aus. Nach atl. Auffassung gibt es jedenfalls viele Wesen, die normalerweise unsichtbar sind. Vgl. dazu Num 22,21-33; 2Kön 6,16-17. Vgl. Kline, Genesis, 82. Vgl. Lightfoot 152-153; Barth/Blanke 201-202. Diese Sichtweise hat neuen Aufschwung durch das in letzter Zeit besonders im angelsächsischen Raum zunehmende Interesse an den politischen Dimensionen der paulinischen Theologie bekommen. Vgl. z.B. Walsh/Keesmat, Colossians, 91-92; Maier, Civility, 333; Sumney 68. Demzufolge seien solche Termini bewusst gewählt worden, um römische Machtansprüche zu untergraben. Vgl. dazu kritisch White, Subtexts, 308-311. Vgl. Luz 202; Wolter 78; Harris 45. Vgl. Moses, Practices, 169. Vgl. Bruce 63-64; Bird 53-54; Dunn 92; Garland 89; Gnilka 65; Moo 122; Lohmeyer 57.
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Bezeichnungen für Engelwesen aufgezählt, die in den ntl. Schriften vorkommen.315 Es geht Paulus aber nicht darum, diese unterschiedlichen Machtbegriffe genau zu definieren bzw. sie semantisch voneinander abzugrenzen.316 Dass sie bestimmte Engelhierarchien abbilden, kann auch nicht mit Sicherheit behauptet werden.317 Durch ihre Anhäufung wird vielmehr beteuert: Egal welche unsichtbaren Wesen es gibt und wie sie alle heißen, egal welche Kräfte sie auch haben mögen, sie gehören allesamt zu der durch Christus geschaffenen Welt und sind deshalb existenziell abhängig von ihm.318 Es folgt daraus, dass sie ihm, wie die übrige Schöpfung auch, völlig untertänig sind. Textpragmatisch hat also diese Wesensspezifizierung die Funktion, die Herrschaft Christi auch über die unsichtbaren Wesen insgesamt auszurufen. Christen haben von ihnen – und das soll die Gemeinde in Kolossä vollends begreifen – nichts Schlimmes zu befürchten, aber auch nichts Gutes zu erwarten, was sie nicht unmittelbarer und im volleren Ausmaß von Christus selbst bekommen können (siehe zu 2,9-10 unten). An dieser Stelle gibt weder das CL noch Paulus über diese Wesen eine Bewertung ab – mit den hier verwendeten Begriffen können grundsätzlich sowohl gute als auch böse Engelwesen gemeint sein319 –, sondern es wird unbefangen von jeglicher spezifisch paränetischen Absicht die Herrschaft Christi über alle geschaffenen Wesen in der sichtbaren und der unsichtbaren Welt ausgerufen. Trotzdem ist im Kontext des Kol sicherlich in erster Linie an böse Mächte zu denken,320 denn Paulus setzt, wie die weitere Exegese zeigen wird (vgl. zu 2,8.20), diese allgemeine Formulierung in seiner Auseinandersetzung mit der KI gezielt ein: Das Liebäugeln der Kolosser mit solchen Engelgestalten ist aus seiner Sicht ein gefährliches Spiel mit den „Elementen des Kosmos“ – d.h. mit dämonischen Mächten, die die Menschen gefangen nehmen – und soll ein Ende haben.
315 Vgl. Carr, Angels, 48-52. Die fünfte Bezeichnung ist δύναμις. Für θρόνοι vgl. Offb 4,4; für κυριότητες vgl. Eph 1,21; 2Petr 2,10 sowie 1Kor 8,5 (κύριοι). Die Begriffe ἀρχαὶ und ἐξουσίαι treten häufig gemeinsam auf, besonders im Corpus Paulinum. Vgl. Röm 13,3; 1Kor 15,24; Eph 1,21; 2,2; 3,10; 6,12; Kol 2,10.15; Tit 3,1. 316 Vgl. Lohmeyer 58; Maisch 110-111; Luz 202. 317 Kontra Lightfoot 153-154; Lindemann 27; Dunn 92. 318 So bereits Theodor von Mopsuestia, ad Col, a.a.O. Ähnlich Lincoln, Paradise, 120. 319 Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 196; Smith Perspective, 165-166. Kontra einerseits Arnold, Syncretism, 252-255, der hier nur böse Mächte sieht, und andererseits Carr, Angels, 43, der behauptet, mit diesen Begriffen können nur gute Engel gemeint sein. 320 So auch Cavin, Existence, 133-134.
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II. Auslegung
Die erste Strophe des CL schließt mit der parallel zu 16a stehenden Behauptung: Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen (τὰ πάντα δἰ αὐτοῦ καὶ εἰς αὐτὸν ἐκτίσται). Damit wird aber nicht einfach wiederholt, was vorhin gesagt wurde. Der Wechsel vom Aorist zum Perfekt des Verbs κτίζω zeigt, dass der Autor nicht nur die Erschaffung der Welt als Ereignis in der fernen Vergangenheit betrachtet, sondern vielmehr das fortwährende Ergebnis des Schöpfungsgeschehens in Bezug auf seine Zielsetzung im Blick hat. Was er nun hinsichtlich der Rolle Christi sagt, ist bemerkenswert: Alles, was existiert, ist durch Christus (δι ̓ αὐτοῦ) und auf ihn hin (εἰς αὐτὸν) geschaffen worden. Wolter formuliert es treffend: „Der präexistente Mittler der Schöpfung ist auch ihr Ziel.“321 Die Überzeugung, dass Christus bei der Schöpfung eine Mittlerrolle einnimmt, entstammt einer christologischen Bekenntnisformel des frühesten Christentums (vgl. 1Kor 8,6 sowie Joh 1,3; Hebr 1,2).322 Dass er auch das Ziel ist, auf das die Schöpfung hinausläuft, ist ein Novum. In Bezug auf beide Aussagen wird die weisheitliche Tradition überboten. Wie viele Kommentatoren bemerken, wird nirgendwo in der Weisheitsliteratur von der Sophia auch nur annähernd behauptet, sie sei das Ziel der schöpferischen Tätigkeit Gottes.323 Aber auch die Behauptung, dass die Welt durch Christus geschaffen wurde, sucht in weisheitlichen Quellen ihresgleichen. Zwar wird eine instrumentale Rolle für die Weisheit bei der Schöpfung durch die Präposition ἐν (vgl. Ps 103,24 LXX) oder auch durch den Dat. instr. (vgl. Spr 3,19; Weish 9,2) beansprucht, aber eine genaue Entsprechung zum Präpositionsgefüge (διὰ σοφίας) gibt es nicht.324 Wenn hier also jüdisch-weisheitliche Traditionen anklingen, dürfen wir uns nicht etwa vorstellen, dass der Begriff „Weisheit“ im bereits vorhandenen hymnischen Material durch „Christus“ mechanisch ersetzt wurde.325 Ihr Einfluss auf das CL ist eher indirekt und verdankt sich vielmehr der Nähe der Konzeptionen „Weisheit“ und „Wort“ im Frühjudentum. Denn in den Überlegungen des Autors des CL dürfte das Konzept „Wort“ in Anlehnung an den Schöpfungsbericht von Gen 1 im Vordergrund gestanden haben. Schließlich wird dort die augenfällige Bindung der schöpferischen Kraft Gottes an sein Wort durch die neunfach wiederholte Einleitungsformel „und Gott sprach“ (Gen 1,3.6.9.11.14.20.24.26.29) stark betont. Dadurch ist die Vorstellung, dass Gott die Welt „durch sein Wort“ ge321 322 323 324 325
Wolter 79. Vgl. Schrage, Korinther II, 221-223. Vgl. u.a. Schweizer 61; O’Brien 47. Vgl. Fee, Christology, 598. Ähnlich Kehl, Christushymnus, 99, der allerdings einen wesentlich stärkeren Einfluss der weisheitlichen Tradition im Hintergrund des CL vermutet.
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schaffen hat, ein wichtiges Theologumenon im Judentum und im frühesten Christentum geworden (vgl. Weish 9,1; 4Esdr 7,139; 16,59; Hebr 11,33; 2Pet 3,5). Die Identifizierung dieses Schöpfungswortes Gottes mit Christus als dem präexistenten Logos wird ohne große Mühe und nicht erst im johanneischen Kreis erfolgt sein (vgl. 2Kor 4,6 mit Joh 1,1-3; Offb 19,13). Somit entstand die charakteristisch christliche Aufteilung der Schöpfungskompetenzen: Gott als Urheber und Christus als Mittler der Schöpfung. Anders verhält es sich bei der Vorstellung, dass alles „auf Christus hin“ geschaffen wurde. Hier verblasst die Trennlinie zwischen Urheber und Mittler. Denn das frühchristliche Traditionsgut behauptet in Einklang mit dem Judentum, dass alles auf Gott ausgerichtet sei (εἰς αὐτὸν; vgl. 1Kor 8,6; Röm 11,36). Auch hier dürfte der Schöpfungsbericht von Gen 1,1–2,3 eine entscheidende Rolle gespielt haben, denn die literarische Gliederung des Berichts anhand des auf den Sabbat ausgerichteten Wochenablaufs, an dessen Ende Gott über der Schöpfung thront,326 vermittelt eindrücklich, wie das „auf ihn hin“ aufgefasst werden könnte. Am siebten Tag steht alles bereit, Gottes Willen auszuführen, d.h. seine Pläne für die Welt zu verwirklichen. Wie kam es dazu, dass sich der AutCL berechtigt fühlte, Christus in diese Zielsetzung des Kosmos einzuschließen? Wenn die rabbinische Tradition, dass die Welt für den Messias geschaffen wurde (vgl. bSan 98b), schon im vorchristlichen Zeitalter geläufig war, kann natürlich diese eine Rolle gespielt haben. Wie dem auch sei, auch Paulus teilte die Meinung, dass die Schöpfung auf ein Ziel ausgerichtet ist.327 Für ihn aber nimmt dieses Ziel erst mit der Auferstehung Jesu klare Konturen an (Röm 8,19-23).328 Deswegen musste auch das εἰς αὐτὸν der theologischen Bekenntnisformel christologisch – d.h. zugleich auch eschatologisch329 – gedeutet werden. Denn der kommende Weltenrichter und Herrscher des Alls, dem jede andere Macht untergeordnet ist, ist nun einmal der auferstandene Christus selbst (vgl. 1Kor 15,20-28). Der Apostel wird das wohl seinem Schülerkreis, einschließlich dem AutCL, eingeprägt haben. 17 leitet die Zwischenstrophe des CL ein. Wie im Strukturdiagramm (vgl. S. 111) dargestellt, lässt sich 1,17a – er ist vor allem (καὶ αὐτός ἐστιν πρὸ πάντων) – als Zusammenfassung der ersten Strophe verstehen. Die Präposition πρό kann sowohl eine zeitliche als auch eine rangmäßige Voranstellung konnotieren. Hier ist gemäß dem paulinischen Gebrauch an den zeitlichen
326 327 328 329
Vgl. Kline, Prologue, 22-23. Vgl. dazu White, Cosmology, 95-103. Vgl. White, Erstlingsgabe, 163-195. Vgl. Gnilka 65-66; Frank, Kolosserbrief, 137-138.
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II. Auslegung
Aspekt zu denken.330 Es geht also um die Präexistenz Christi. Dabei lässt sich der AutCL nicht auf ontologische Spekulationen über das Wesen des Sohnes ein, sondern im Einklang mit der ersten Strophe versucht er die Vorherrschaft Christi über die ganze Schöpfung durch seine zeitliche Vorrangstellung zu begründen.331 Lightfoot deutet das dem Verb εἰμί vorangestellten Pron. αὐτός als Anspruch auf die Gottesidentität: αὐτός ἐστιν πρὸ πάντων bedeute „er existiert vor allem“ und entspreche demnach genau dem ἐγώ εἰμί in Joh 8,58.332 Der chiastische Aufbau von 1,17-18a, nach dem 1,17a und 1,18a parallel zueinander stehen, lässt diese Deutung aber schwerlich zu, da αὐτός ἐστιν in 1,18a diesen Sinn nicht haben kann. 17b Und in ihm besteht alles (καὶ τὰ πάντα ἐν αὐτῷ συνέστηκεν) bildet die Spitze der als Chiasmus strukturierten Zwischenstrophe (siehe dazu S. 111) und somit auch die Hauptaussage des CL. Wie „in ihm“ zu deuten ist, wurde oben schon besprochen (vgl. zu 1,16a). Das Verb συνίστημι, das uns im NT mit dieser Bedeutung sonst nur in 2Petr 3,5 begegnet, heißt hier „existieren“ oder „bestehen“. Die Perfektform hat eine präsentische Nuance: Das fortwährende Bestehen des Kosmos ist Christus zu verdanken.333 Nun ist die Idee, dass der Kosmos durch ein göttliches Ordnungsprinzip besteht, zunächst ein „hellenistisch-popularphilosophische[r] Gemeinplatz“.334 In der vom Hellenismus beeinflussten frühjüd. Literatur wurde diese Konzeption übernommen, aber erst nachdem sie einigermaßen entabstrahiert und unmittelbarer mit dem biblischen Gottesbild verknüpft wurde. Der starke Einfluss des Stoizismus ist z.B. bei Philos Logos-Konzeption spürbar, doch ist es bei ihm immerhin das Wort des lebendigen Gottes, das alles erhält und verhindert, dass sich die einzelnen Teile des Alls auflösen bzw. dass sie auseinandergeraten (Fug 112; Her 188). So fasste es die weisheitliche Tradition auf: Gott hält durch seinen Geist bzw. durch sein Wort alles zusammen (Weish 1,7; Sir 43,26). Dennoch ist das Konzept, dass die Welt durch Gottes Handeln besteht, dem Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,3 nicht fremd, auch wenn dies auf ihm eigene Weise ausgedrückt wird: nicht im Sinne einer Durchdringung der Materie von einem göttlichen Prinzip, sondern – gut atl. – im Sinne der Ausführung eines Herrscherbefehls.335 Das Resultat ist eine gute, geordnete Schöpfung, die der Zielsetzung Gottes dient. Dass diese herrschende und ordnende Rolle bei der Erhaltung 330 331 332 333 334 335
Vgl. Moo 125. Vgl. Lohmeyer 60. Ähnlich auch Wolter 80. Vgl. Lightfoot 155-156; Lohmeyer 60. Vgl. Moo 125. Vgl. Hegermann, Vorstellung, 95. Ähnlich McDonough, Christ, 187.
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des Kosmos nun Christus zugesprochen wird, erscheint nach dem „in ihm“, „durch ihn“ und „auf ihn hin“ der ersten Strophe geradezu ein unausweichlicher Schluss zu sein. 18 Die Aussage in 18a und er ist das Haupt des Leibes, also der Gemeinde (καὶ αὐτός ἐστιν ἡ κεφαλὴ τοῦ σώματος τῆς ἐκκλησίας) sorgt seit Langem für intensive Diskussion. Die Forschung beschäftigt vor allem die Frage, ob das epex. Genitivattribut τῆς ἐκκλησίας erst später dem ursprünglichen CL hinzugefügt wurde, und, wenn ja, auf welchen traditionsgeschichtlichen Hintergrund die Konzeption von Christus als Haupt des Leibes zurückzuführen ist. Weniger umstritten ist die Bedeutung von Haupt (κεφαλή: vgl. Eph 5,23, wo das Bild von Christus als Haupt der Gemeinde auch vorkommt). Der übertragene Sinn des Wortes ist bereits in der LXX belegt, wo κεφαλή öfter das hebr. Wort ראשׁübersetzt (vgl. Deut 28,13; Ri 11,11; 2Sam 22,44), das genauso konkret „Kopf“ wie sinnbildlich „Führer“ bzw. „Herrscher“ bedeuten kann. Letztgenannte Bedeutung ist auch bei Paulus in 1Kor 11,3 gesichert. Dass ihm das metaphorische Ausweitungspotenzial des Begriffs bewusst war, macht der Kontext deutlich (vgl. 1Kor 11,2-16). Dort wird in der Argumentation zwischen κεφαλή im konkreten und im übertragenen Sinn hin- und hergewechselt. Auch im CL handelt es sich um eine lebendige Metapher. Christus steht in derselben Beziehung zur Gemeinde wie der Kopf zum Rumpf im menschlichen Körper. Es handelt sich primär um die Herrschaft Christi über die Gemeinde, wie der Gebrauch des Wortes in 2,10 deutlich macht.336 Dabei belässt Paulus es aber nicht, denn er macht auch in 2,19 von der Leibmetaphorik Gebrauch und legt sie dort umfassender aus (vgl. a.a.O.). Dabei betont er dort einen anderen Aspekt der Kopf-Leib-Verbindung, der wahrscheinlich auch in Kol 1,18a mitschwingt: die fördernde und fürsorgliche Funktion des Kopfes im Hinblick auf den Leib. Denn der Kopf ist nach antiken Vorstellungen nicht nur die den Leib beherrschende Instanz, sondern er sorgt auch für den Leib, indem er ihn mit allem, was er zum Leben nötig hat, versorgt (vgl. Eph 5,23.29).337 Dieser Aspekt der Metapher kommt in den letzten Zeilen des CL, wo der Autor die Aufmerksamkeit der Hörer/Leser auf das Versöhnungswerk Christi lenkt, stärker zum Vorschein. War aber das Genitivattribut τῆς ἐκκλησίας Bestandteil des ursprünglichen CL oder, wie viele Forscher meinen, eine spätere Hinzufügung des AutKol? Die Frage ist in gewisser Hinsicht unerheblich, denn auch wenn Letzteres 336 So auch Wolter 81-82. 337 Vgl. Arnold, Jesus, 350-355.
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II. Auslegung
stimmte, ist der Zusatz immer noch ein Teil des CL, wie Paulus es in den Kol einbaute bzw. wie er es gedeutet haben wollte. Egal wie das CL in seiner ursprünglichen Form aussah, es ist seine im Kol vorliegende Gestalt, die für die Auslegung maßgebend ist. Andererseits könnten etwaige strukturelle und theologische Spannungen im CL durch eine redaktionsgeschichtliche Analyse möglicherweise erklärbar sein. Was die Struktur des CL betrifft, so meinen viele, dass eine Aussage über die Gemeinde an dieser Stelle fehl am Platz ist. Das hängt aber i.d.R. mit ihrem Urteil zusammen, dass 1,18a zur ersten Strophe des Liedes mit ihrem kosmologischen Themenschwerpunkt gehört. Unsere Strukturanalyse (siehe S. 109-111) hat allerdings ergeben, dass dieser Satz als letzte Zeile einer Zwischenstrophe aufgefasst werden muss und somit eine chiastische Parallele zu 1,17a bildet. Er dient analog zu 1,17a in Bezug auf die erste Strophe, um – diesmal vorausblickend – die zweite Strophe inhaltlich zusammenzufassen. Aus textpragmatischer Perspektive bereitet die Aussage den Hörer/Leser auf einen Wechsel des thematischen Schwerpunktes in der zweiten Strophe vor. War bisher das Verhältnis Christi zum Kosmos das Thema, so soll nun im Folgenden sein Verhältnis zur Gemeinde besungen werden. Bei der Annahme einer dreigliedrigen Strukturierung stört die Genitivkonstruktion τῆς ἐκκλησίας nicht im Geringsten, und eines der Hauptargumente gegen ihre Ursprünglichkeit wird somit entkräftet. Trotzdem gehen viele Forscher nach wie vor davon aus, dass der AutKol die Wendung τῆς ἐκκλησίας dem ursprünglichen Liedtext später hinzufügte, und das, obwohl Käsemanns These von einer gnostischen Vorlage des CL, die diese Annahme erst nötig machte, so gut wie niemand mehr zustimmen würde (siehe dazu oben).338 Wenigstens in der deutschen Forschung hält die Mehrheit dennoch daran fest, dass V. 18a ursprünglich nur die Vorherrschaft Christi über den Kosmos bekräftigen wollte und dass der AutKol durch den Zusatz eine metaphorische Leib-Aussage mit kosmischer Ausrichtung in eine ekklesiologische umgedeutet hat.339 Anstelle des gnostischen Urmenschmythos 338 Stettler, Kolosserhymnus, 232, macht auf diesen „merkwürdigen“ Zustand aufmerksam. 339 Vgl. Lohse, Christusherrschaft, 204-205; Lähnemann, Kolosserbrief, 37; Ernst 168169; Gnilka 68; Merklein, Theologie, 49-50; Schweizer 52-53; Pokorný 68-69; Martin 106-107; Wolter 81-82; Hoppe, Triumph, 175; Dunn 94-95; MacDonald 66; Hahn, Theologie I, 351-352; Maisch 113; Frank, Kolosserbrief, 151-153. Laut Kehl, Christushymnus, 93, ist es in der Forschung „eine ausgemachte Sache, die schon gar nicht mehr diskutabel ist, daß die Hauptprädikation ursprünglich – auch wenn der Hymnus christlichen Ursprungs ist – ohne den Zusatz [τῆς ἐκκλησίας] kosmische Bedeutung hatte …“ Dieses Urteil mag gestimmt haben, als Kehl es seinerzeit formulierte, aber inzwischen haben nicht wenige Forscher, besonders im angelsächsischen Raum, ihre Zweifel an dem ursprünglich kosmischen Charakter des Satzes angemeldet. Vgl. Beasley-Murray, Colossians, 180; O’Brien 48-49; Wilson 146-148; Pizzutto, Leap, 149-153.159-173;
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sucht sie den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Aussage meist in der hellenistischen Vorstellung vom Kosmos als beseeltem Leib. Nun war diese Idee auch dem Frühjudentum bekannt (vgl. Philo, Som 1.144), aber es bestehen erhebliche Zweifel, ob bei solchen Spekulationen, sei es in jüdischen oder nichtjüdischen Kreisen, eine ausgeprägte Haupt- / Leib-Gegenüberstellung eine wesentliche Rolle spielte. Jedenfalls gibt es dafür keine klaren Belege.340 Auch in den anerkannten Paulusbriefen kommt diese Gegenüberstellung so nicht vor, aber die Vorstellung von der Gemeinde als „Leib Christi“ ist bereits bei Paulus – und nur bei ihm – im NT vorhanden (vgl. 1Kor 10,17; 12,1213.27; Röm 12,4-5). In einem anderen Zusammenhang begegnet uns bei ihm auch das Konzept von Christus als „Haupt“ (vgl. 1Kor 11,3). Es spricht also nichts dagegen, auch wenn viele Forscher dies für einen un- oder gar antipaulinischen Gedankensprung halten,341 dass Paulus selbst diese beiden Ideen miteinander verknüpft und sich Christus als „Haupt des Leibes, also der Gemeinde“ vorgestellt hat. Schließlich standen Paulus als Resultat seiner eigenen theologischen Bemühungen mehrere konzeptuelle Komponenten zur Verfügung, aus denen eine solche Verknüpfung hergestellt werden konnte, von denen der Bundesgedanke oder die Symbolik des eucharistischen Leibes am vielversprechendsten erscheinen.342 Vielleicht waren es aber vor allem die im hellenistischen Zeitalter gängigen anatomischen Vorstellungen von der Beziehung zwischen Kopf und Rumpf im menschlichen Körper, die Paulus am
Moo 126; Sumney 71. Auch im deutschen Sprachraum vermehren sich kritische Stimmen über die kosmologische Deutung des ursprünglichen Lieds. Vgl. (neben Kehl) Hofius, Erstgeborener, 187-188; Dübbers, Christologie, 10-11; Stettler, Kolosserhymnus, 221-234; Stuhlmacher, Theologie II, 10-11. 340 Vgl. Barth/Blanke 206. In Orph Frag 21a wird Zeus und bei Philo der Himmel als „Haupt“ (Som 1.144) bezeichnet, aber ein Bezug zum „Leib“ fehlt in beiden Texten. Die Identifikation des Logos mit dem „Haupt“, dessen Glieder die Welt darstellen, in Philo, Quaest Ex 2,117, ist laut Schweizer, Art. σῶμα κτλ, ThWNT VII, 1051, Anm. 340, möglicherweise einer christlichen Redaktion unterzogen worden – der Text ist nur in armenischer Übersetzung erhalten – und kann deswegen nicht als sicherer Beleg gelten. 341 Laut Roose, Hierarchisierung, 119, habe Paulus die Gemeinde als Leib „demokratisch“ konzipiert, der AutKol hingegen „monarchisch“. Roose wird gefolgt von Frank, Kolosserbrief, 154. Allein diese Begriffswahl macht den Eindruck unvermeidlich, dass hier die moderne gesellschaftspolitische Einstellung der Forscher ihre Analyse des Anliegens der jeweiligen ntl. Autoren stark beeinflusst. 342 Stettler, Kolosserhymnus, 204-221, listet sechs mögliche paulinische Gedankenkomplexe auf, die eine Rolle gespielt haben können, und warnt vor dem Druck, unbedingt „[e]ine monokausale traditionsgeschichtliche Ableitung der Vorstellung“ (S. 199) finden zu müssen.
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II. Auslegung
unmittelbarsten beeinflussten. Diese scheinen auf alle Fälle hinter seinen Ausführungen in 2,19 zu liegen, die er bewusst am CL anknüpft (vgl. a.a.O.).343 Auch der AutCL wird wohl nicht an den kosmischen Leib gedacht haben, denn dadurch entstünde eine zu große Spannung zur zweiten Strophe, die „einer unlösbaren Schwierigkeit“344 gleichkäme. Wie soll nämlich der Kosmos überhaupt versöhnungsbedürftig geworden sein, wenn Christus mit ihm eine organische Einheit bildet, wie sie zwischen der Weltseele und dem Weltleib besteht?345 Der implizite Pantheismus dieser Vorstellung macht sie für monotheistische Konzeptionen von der Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung unbrauchbar. Der AutCL wird also seine Inspiration aus einer anderen näherliegenden Quelle geschöpft haben. Als Angehöriger des Schülerkreises oder gar engster Mitarbeiter des Apostels wird er nicht nur von der hohen paulinischen Christologie, sondern auch von seiner hohen Ekklesiologie stark geprägt gewesen sein, was ihn wohl veranlasst haben wird, die Vorherrschaft Christi über die Gemeinde in unvergleichlich hohen Tönen zu loben. Die Genitivkonstruktion τῆς ἐκκλησίας war demzufolge aller Wahrscheinlichkeit nach Teil des ursprünglichen CL. Wir haben es also von vorneherein mit einer ekklesiologischen Aussage zu tun, die nicht nur wegen der im Vergleich zum Gebrauch in Röm und 1Kor erweiterten Leibmetaphorik bemerkenswert ist, sondern auch wegen der Auffassung von Gemeinde, die ihr zugrunde liegt. Es ist nicht, wie in den unumstrittenen Paulinen, eine bestimmte Ortsgemeinde, die mit einem Leib verglichen wird, sondern es ist die Gesamtheit derer, die Christus gehören, die als „Leib Christi“ bzw. als „Gemeinde“ bezeichnet wird. Der urchristliche Gebrauch von ἐκκλησία, der wohl der LXX entlehnt ist und die ursprüngliche Konnotation „Versammlung“ beibehalten hat (ἐκκλησία kommt ca. 100-mal in der LXX vor und gibt, bis auf wenige Ausnahmen, stets קהלwieder),346 wird dadurch überboten. Dennoch sollte man wiederum nicht meinen, dies sei für Paulus ein riesiger Gedankensprung gewesen. Selbst die atl. Konzeption von der קהל יהוהbezeichnet nicht nur die gegenwärtig an einem Ort Versammelten, sondern umfasst manchmal das ganze Volk Gottes (vgl. z.B. 1Chr 28,8). Dass Paulus mit ἐκκλησία τοῦ θεοῦ eine ähnliche Bezugsgröße – sie wird natürlich christolo343 Vgl. Lightfoot 198-200. 344 So Hegermann, Schöpfungsmittler, 106, der es aber dabei belässt, dass die kosmische Denkweise des Hymnus „von andersartigen Vorstellungen her in auffallender Weise durchbrochen“ wird. 345 Vgl. Kehl, Christushymnus, 93. 346 Vgl. Schmidt, Art. καλέω κτλ, ThWNT III, 530-531.
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gisch umgedeutet – meinen kann, belegen Gal 1,13 und 1Kor 15,9. Darüber hinaus scheint in 1Kor 10,32 und 12,28 eine erweiterte Konzeption von der Gemeinde als überörtlicher geistlicher Einheit zumindest angelegt zu sein. Deswegen konnte sich Paulus, auch als er nicht anwesend war, der korinthischen Gemeinde zugehörig fühlen (vgl. 1Kor 5,3). Gemeinde ist also für ihn von Anfang an nicht lediglich die Versammlung vor Ort gewesen, sondern „die vorgegebene durch Christus begründete Heilsgemeinde Gottes“, die dort, wo die Gläubigen zusammenkommen, eine örtliche Präsenz hat.347 Mit 18b, Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten (ὅς ἐστιν ἀρχή πρωτότοκος ἐκ τῶν νεκρῶν), beginnt die zweite Strophe des CL. Hier wird das Subjekt – nach wie vor Christus – mit zwei weiteren gewichtigen Prädikaten versehen. Das Wort ἀρχή drückt zunächst zeitliche Priorität aus und markiert den Beginn eines Geschehens oder Zeitablaufes. Manche Forscher meinen, es handelt sich hier um eine Anspielung auf die weisheitliche Tradition, nach der die Weisheit als „Anfang“ bezeichnet werden kann (vgl. Spr 8,22; Philo, Leg All 1,43).348 Oder sie vermuten in Anlehnung an Burney (vgl. S. 115), dass eine midraschartige Auslegung des Begriffs ראשׁיתbzw. ἀρχή vorliegt, derzufolge der AutCL Gen 1,1 mit Spr 8,22 verknüpfte und die präexistente Weisheit mit Christus in Verbindung brachte.349 Doch ist es nicht so sehr die Ähnlichkeit zwischen Gen 1,1 bzw. Spr 8,22 und Kol 1,18b, die ins Auge sticht, sondern vielmehr ein markanter Unterschied. Gen 1,1 erzählt lediglich von dem, was „am Anfang“ war (Hebr. ;בראשׁיתGr. ἐν ἀρχή), anstatt jemanden als den „Anfang“ zu bezeichnen.350 Auch eine gedankliche Verbindung zwischen Christus und der Weisheit anhand von Spr 8,22 scheint wegen der mit dem CL nicht in Einklang zu bringenden Vorstellung von der Weisheit als einem Geschöpf ausgeschlossen zu sein (vgl. Spr 8,22 LXX: κύριος ἔκτισεν με ἀρχὴν ὁδῶν αὐτοῦ; wörtl.: „Der Herr schuf mich als Anfang seiner Wege“). Bei Philo gehört das Wort ἀρχή zu einer Reihe von Nominativprädikaten, die er zur Beschreibung der Weisheit heranzieht. Ihm kommt aber keine besondere Betonung zu. Auffällig bei Kol 1,18b ist vor allem, dass ἀρχή eine quasi-titulare Nuance, etwa im Sinne von „Gründer“, trägt.351 Es erinnert stark an den Gebrauch des Wortes in der Offenbarung, wo der Sohn „der Anfang“ (ἡ ἀρχή; vgl. Offb 22,13) bzw. „der Anfang der Schöpfung Gottes“ (ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ 347 348 349 350 351
So Schrage, Korinther I, 1991, 103. Vgl. Ernst 170, Wolter 83; Beetham, Echoes, 134. Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 244. Wie eine direkte Anspielung auf Gen 1,1 aussieht, zeigt Joh 1,1. Vgl. Moo 129.
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II. Auslegung
θεοῦ; vgl. Offb 3,14) genannt wird. Letztgenannter Ausdruck kommt Kol 18b auch inhaltlich sehr nahe, wenn, wie anzunehmen ist, mit der Schöpfung die neue Schöpfung gemeint ist.352 Denn in der zweiten Strophe des CL richtet der Autor seinen Blick auf die zur neuen Schöpfung gehörige Gemeinde (vgl. 2Kor 5,17) und stellt Christus an den Anfang des Heilsgeschehens, um das es ihm im Folgenden geht. Christus ist der Anfang hinsichtlich der Auferstehung, wie das zweite Prädikat, „der Erstgeborene von den Toten“, das in Apposition zum ersten steht, deutlich macht. Das Wort „Erstgeborener“ (πρωτότοκς) haben wir bereits untersucht (vgl. zu 1,15b). Unsere Analyse hat ergeben, dass an jener Stelle der zeitliche Aspekt des Begriffs völlig in den Hintergrund getreten ist. Hier ist er wieder vordergründig, wobei der Gedanke der Herrscherwürde keineswegs verschwindet.353 Schließlich hängt die Auferstehung aus ntl. Sicht mit der Erhöhung des Sohnes zur Herrlichkeit an Gottes Seite engstens zusammen (siehe unten).354 Der AutCL beansprucht also durch die Apposition von ἀρχή und πρωτότοκς zunächst eine zeitliche Vorrangstellung für Christus in Bezug auf die Auferstehung. Deswegen entschied er sich für das Wort ἀρχή anstatt des der paulinischen Theologie näherstehenden ἀπαρχή („Erstlingsgabe“; vgl. 1Kor 15,20). Letzteres ist nämlich ein kultischer Begriff, bei dem nicht die Nuance des zeitlich Vorgeordnetseins, sondern die des Geweihtseins vordergründig ist, und der sich in dieser Hinsicht von ἀρχή unterscheidet.355 Es geht ihm jedoch nicht darum – hier besteht ein Unterschied zu seiner Behauptung in 1,17a hinsichtlich des Kosmos –, die Vorherrschaft Christi über die Auferstandenen aus der zeitlichen Vorrangstellung abzuleiten. Diese wurde schon in 18a durch das Prädikat „Haupt“ für Christus implizit beansprucht und wird durch den anschließenden ἵνα–Nebensatz explizit betont (siehe unten). Mit der Wortwahl soll vielmehr die Wirkung der Auferstehung Christi auf die Verstorbenen greifbar gemacht werden. Denn der Begriff „Anfang“ setzt die Zugehörigkeit Christi zu einer umfassenderen Größe voraus. Er ist der Erste aus der Reihe der Auferstandenen, bleibt aber bei Weitem nicht der Einzige. Viele werden folgen, sodass Christus bei der Auferstehung als der „Erstgeborene unter vielen Geschwistern“ (πρωτότοκος ἐν πολλοῖς ἀδελφοῖς; vgl. Röm 8,29) auftreten wird. Die Erstlingsgabenmetapher in 1Kor 15,20-24 zeigt, 352 353 354 355
Vgl. Beale, Revelation, 298. Vgl. auch Moule 69. So auch Moo 129. Vgl. Wolter 84. Vgl. White, Erstlingsgabe, 307-308. Kontra Stettler, Kolosserhymnus, 149-150.243244, der den Unterschied zwischen ἀρχή und ἀπαρχή missachtet und die Begriffe für mehr oder weniger austauschbar hält.
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wie das erfolgt: Durch die Darbringung der Erstlingsgabe Christus wird die ganze restliche „Ernte“ geweiht, sodass auf seine Auferstehung notwendigerweise die Auferstehung seiner Anhänger folgt.356 Das CL setzt diesen Vorgang einfach voraus und begnügt sich mit der Feststellung, dass Christus der Anfang (der Auferstehung) und somit der „Erstgeborene von den Toten“ ist. Dieser titulare Gebrauch scheint übrigens nicht nur in den paulinischen Gemeinden geläufig, sondern auch im Kreis um Johannes bekannt gewesen zu sein (vgl. Offb 1,5). Mit dem Finalsatz damit er von allen der Erstrangige werden konnte (ἵνα γένηται ἐν πᾶσιν αὐτὸς πρωτεύων) wird in 18d zum Ausdruck gebracht, worauf der AutCL mit der Doppelprädikation der zweiten Zeile hinauswill. Das Verb πρωτεύω ist ein ntl. Hapaxlegomenon und bedeutet seinem Gebrauch in der LXX entsprechend „dem Rang nach der Erste sein“ (vgl. Est 5,11; 2Makk 6,18; 13,15).357 Es gibt zu diesem ἵνα-Nebensatz keine Entsprechung in der ersten Strophe. Trotzdem besteht kein Grund, ihn als späteren Zusatz zu tilgen,358 denn thematisch passt er an dieser Stelle recht gut. Er gibt das Ziel bzw. das tatsächliche Ergebnis der Auferstehung Christi an: Christus ist der Erstgeborene aus den Toten geworden, damit ihm die höchstmögliche Rangordnung erteilt werden konnte. Hier wird abstrakt formuliert, was im Christushymnus des Philipperbriefes plastischer dargestellt ist: Vor Christus wird sich jedes Knie beugen (vgl. Phil 2,10). Nach der Ausdrucksweise des AutCL heißt das: Er hat den Vorrang vor allem Geschaffenen und somit die Vollmacht darüber (ἐν πᾶσιν).359 Nun ist dies bereits in der ersten Strophe mit Nachdruck betont worden. Neu in der zweiten Strophe ist die konzeptuelle Verbindung zwischen der Auferstehung und der aus ihr hervorgehenden alles andere überragenden Vollmacht des Sohnes. Damit steht der Autor jedoch auf dem festen Boden nicht nur der paulinischen, sondern auch der ntl. Christologie insgesamt (vgl. Röm 1,3-4; Eph 1,20-23; Mt 28,18; Apg 2,24.36). 19 Der Begründungssatz Denn in ihm gefiel es der ganzen Fülle zu wohnen (ὅτι ἐν αὐτῷ εὐδόκησεν πᾶν τὸ πλήρωμα κατοικῆσαι) stellt den Ausleger vor mehrere Schwierigkeiten. Erstens ist es nicht ganz klar, wer oder was Subjekt dieses Nebensatzes ist, denn wie im Deutschen gibt es im Griechi356 Vgl. White, Erstlingsgabe, 109-163. 357 Vgl. W. Michaelis, Art. πρωτεύω, ThWNT VI, 882-883. 358 Kontra Bammel, Versuch, 95; Lähnemann, Kolosserbrief, 36; Beasley-Murray, Colossians, 170; Burger, Schöpfung, 38; Ernst 176; Gabathuler, Haupt, 103-131; Kehl, Christushymnus, 37; Lincoln, Colossians, 603; Schweizer 65-66 etc. 359 Die Dativkonstruktion ἐν πᾶσιν könnte auch „in allen Belangen“ bedeuten (vgl. O’Brien 51; Wilson 151), aber „unter allen Geschöpfen“ passt in diesem Kontext besser (vgl. Moule 70).
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II. Auslegung
schen bei Neutra keinen morphologischen Unterschied zwischen dem Nom. und dem Akk. Das Ntr. πλήρωμα kann also im vorliegenden Satz entweder das nom. Subj. des finiten Verbs εὐδοκέω oder das Subjektsakk. des Inf. κατοικῆσαι (AcI) sein. Wenn es als Subj. von εὐδοκέω aufgefasst werden soll, dann ist es im Sinne unserer Übersetzung zu verstehen, wobei wir zum Zweck der Analyse mit einer den griech. Fällen entsprechenden, wenn auch etwas umständlicheren, Wiedergabe besser bedient sind: „Denn die ganze Fülle hatte Gefallen daran, in ihm zu wohnen“. So versteht auch die Forschungsmehrheit diesen Satz.360 Wenn aber πλήρωμα als AcI von κατοικῆσαι zu deuten ist, so ist der Satz mit der Minderheit wie folgt zu übersetzen: „Denn Gott hatte Gefallen daran, dass die ganze Fülle in ihm wohnt“.361 Gegen die Meinung der Mehrheit wird eingewandt, dass das in 1,20b auf das Subj. von 19 bezogene Part. ein Mask. ist. Dies könnte aber als constructio ad sensum aufgefasst werden, zumal „die Fülle“, wie die Exegese zeigen wird, als eine Umschreibung für Gott zu verstehen ist. Für die Mehrheitsmeinung spricht die Tatsache, dass in 2,9 πλήρωμα eindeutig das Subj. eines Satzes ist, der zweifellos auf das CL Bezug nimmt. Das bedeutet, dass zumindest Paulus πλήρωμα als Subj. des Satzes im CL aufgefasst hat. Dies ist ohnehin „die einzige grammatikalische Lösung“,362 wenn man mit der Forschungsmehrheit das CL als eigenständige Komposition auffasst. Zweitens stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Wortes πλήρωμα bzw. nach seinem traditionsgeschichtlichen Hintergrund.363 Im konkreten Sinne bedeutet es „der volle Inhalt“ eines Behälters und kann im übertragenen Sinne die Ladung oder Besatzung eines Schiffs oder sogar die Bevölkerung einer Stadt bezeichnen. In manchen Kontexten hat es die Bedeutung „das Ganze“ bzw. „das Vollmaß“. In der LXX kommt der Begriff nur in stereotypen Wendungen vor und bezeichnet den Inhalt – die „Fülle“ (hinter dem griech. Lexem steht überall מלואbzw. ;מלאalso „das, was erfüllt“) – von Erde, Meer und Erdkreis.364 Diese Konnotation ist auch durchweg bestimmend für das NT.365 Der an unserer Stelle befindliche absolute Gebrauch des Wortes – d.h. ohne ein unmittelbar darauf folgendes (i.d.R. Genitiv-) Attribut – ist einzig360 Vgl. Moule 70-71; Lohse 98; Kehl, Christushymnus, 110; O’Brien 51; Wolter 85; Wilson 151-152; Dunn 101; Gnilka 72-73; Harris 49-50; Schweizer 65-66; Stettler, Kolosserhymnus, 250. 361 Vgl. Lightfoot 158; Barth/Blanke 210-212; Bird 56-57. 362 Kehl, Christushymnus, 110. 363 Zum Bedeutungsspektrum mit den profangriechischen Belegen vgl. G. Delling, Art. πλήρωμα, ThWNT VI, 297-298. 364 Vgl. Kehl, Christushymnus, 118. 365 Vgl. Overfield, Pleroma, 390-391.
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artig im NT (mit Ausnahme von Mk 2,21, wo πλήρωμα einen Flicken, den man auf ein Stoffstück näht, bezeichnet – eine idiomatische Anwendung des Begriffs, deren Herleitung nicht mehr zu rekonstruieren ist).366 Eine technische Bedeutung im engeren Sinne wie z.B. im Valentinianismus (einer gnostischen Lehre der zweiten Hälfte des 2. Jh.s n.Chr.), nach der das „Pleroma“ aus einer Hierarchie von Äonenwesen besteht, die die göttliche Einheit bilden,367 ist aber ausgeschlossen, da es für einen vorchristlichen Gebrauch des Begriffs in diesem Sinne keine Belege gibt.368 Zudem bietet ein Vergleich des Gebrauches des Wortes in gnostischen Texten mit seinem Gebrauch im NT keine Anhaltspunkte für eine konzeptuelle Abhängigkeit, weder in die eine noch in die andere Richtung.369 Auch eine kosmische Deutung nach stoischen Konzeptionen von dem Pleroma als dem mit Gott gleichzusetzenden Kosmos selbst, der von Christus umfasst wird, überzeugt nicht.370 Denn die dafür unentbehrliche passive Nuance des Wortes – „das Erfüllte“ – kommt nur in den hermetischen Schriften vor und ist selbst dort kein t.t. für diese (durchaus geläufige) stoische Vorstellung.371 Zudem muss dem CL zufolge das All mit Gott versöhnt werden, sodass eine Bedeutungsableitung vom Konzept des von Gott erfüllten Kosmos geradezu unmöglich erscheint.372 Aus diesen und anderen Gründen konnten Thesen, die einen technischen Gebrauch von πλήρωμα in 1,19 vorfinden wollen, bisher nicht überzeugen. Es ist dennoch zu erwägen, ob πλήρωμα wenigstens eine quasi-technische Nuance trägt. Das wäre der Fall, wenn dieser Begriff in der KI eine Rolle spielte, um z.B. die Gesamtheit der στοιχεῖα τοῦ κόσμου zu bezeichnen373 oder die geistliche Erfahrung zu beschreiben, die einem durch die Einhaltung besonderer Vorschriften zugänglich gemacht werden sollte.374 Das Wort wäre demnach polemisch eingesetzt, um der KI entgegenzuhalten, dass „die ganze Fülle“ ausschließlich in Christus zu finden ist. Denn πᾶν τὸ πλήρωμα ist genau genommen eine Tautologie, und manche sehen darin eine gegen die KI gerichtete Spitze.375 Solche Thesen setzen selbstverständlich voraus, dass das CL im 366 367 368 369 370 371 372 373 374 375
Ebd., 390. Vgl. A. Wucherpfennig, Art. Valentianismus, RGG4 VIII, 873-874. Vgl. Kehl, Christushymnus, 111. Vgl. Overfield, „Pleroma, 396. Vgl. Dupont, Gnosis, 473-476. Dupont wird gefolgt von Benoit, Leib, 271-276; Langkammer, Einwohnung, 258-263. Vgl. Kehl, Christushymnus, 112-115. Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 253. Vgl. Bornkamm, Häresie, 140-141. Vgl. Moo 132. Ebd. So auch O’Brien 52.
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II. Auslegung
Kontext der KI entstanden ist, gewissermaßen als Antwort darauf. Das wäre möglich, wenn es aus der Schreibfeder des Paulus bzw. des AutKol stammen sollte, ist aber weniger nachvollziehbar und letztlich unnachweisbar, wenn davon ausgegangen wird, dass das CL ein vorpaulinisches Traditionsstück ist. Der traditionsgeschichtliche Hintergrund des Begriffs πλήρωμα in 1,19 lässt sich also weder anhand von hellenistisch-philosophischen Konzeptionen noch anhand der KI selbst erläutern. Zu brauchbareren Ergebnissen führt hingegen die Befragung atl. bzw. frühjüd. Traditionen. In der LXX kommt das griechische Wort als Prädikat für Gott zwar nicht vor, dennoch begegnet uns im Kontext der atl. Zionstheologie häufig die Vorstellung, dass die Herrlichkeit Gottes ( )כבוד יהוהdie Stiftshütte (Ex 40,34-35) bzw. den Tempel (Hes 43,5; 44,4; 1Kön 8,10; Jes 6,1) „erfüllt“ (der hebr. Verbstamm מלאist der gleiche, hinter dem sich das von der LXX mit πλήρωμα übersetzte Nomen verbirgt).376 Es ist von daher kein Zufall, dass die Aussage „denn in ihm gefiel es der ganzen Fülle zu wohnen“ (ὅτι ἐν αὐτῳ εὐδόκησεν πᾶν τὸ πλήρωμα κατοικῆσαι) auf Ps 68,17 (67,17 LXX) anspielt, in dem es vom Berg Zion heißt, dass es „Gott gefiel, in ihm zu wohnen“ (εὐδόκησεν ὁ θεὸς κατοικεῖν ἐν αὐτῳ).377 Der Targum zu Ps 68,17 präzisiert, dass es Gottes Schekina – seine Herrlichkeit, sein Lichtglanz – ist, die auf dem Zionsberg wohnt.378 Somit laufen in 1,19 zwei Fäden der atl. Zionstheologie zusammen: die Überzeugung, dass der Tempel von der Herrlichkeit Gottes erfüllt wird oder sein soll, und die Erwählungsformel „es gefiel ihm zu wohnen“.379 Der AutCL stellt also durch die deutliche Anspielung auf Ps 68,17 einen Bezug zur Zionstheologie mit ihrer klar umrissenen Vorstellung von der den Tempel erfüllenden Herrlichkeit Gottes her und überträgt diese Vorstellung auf Christus. Die „Fülle Gottes“ (vgl. 2,9: πλήρωμα τῆς θεότητος) ist diese Herrlichkeit.380 Nun erfüllt sie nicht mehr den Tempel, sondern Christus 376 Vgl. dazu ausführlich Stettler, Kolosserhymnus, 255-259, sowie Barth/Blanke 212. 377 Allein schon die auffällige Übereinstimmung des Vokabulars lässt keinen Zweifel daran, dass eine Anspielung vom Autor des CL intendiert ist. Vgl. Beale, Colossians, 855-856; Beetham, Echoes, 143-156. 378 Vgl. Schweizer 66; Stettler, Kolosserhymnus, 254. 379 Zum Letzteren vgl. G. Münderlein, Erwählung, 266. Münderlein geht zu weit, wenn er κατοικεῖν ἐν als „erwählen“ definieren will (vgl. die kritische Stellungnahme von Stettler, Kolosserhymnus, 251-252). Dass die Wendung in diesem Kontext Gottes erwählendes Handeln denotiert, ist dennoch nachvollziehbar. 380 Unsere Deutung steht im Einklang mit denen von Moule 70 („God in all his fulness“; vgl. auch Wright 80; Moo 132) oder Beetham, Echoes, 153 („the divine presence“; ähnlich Garland 93), präzisiert sie aber, indem sie sich an eine vom AT bevorzugte Ausdrucksweise hält, wenn es darum geht, die unmittelbare Anwesenheit Gottes zu beschreiben. Die Definitionen von Pokorný (71: „die Einheitlichkeit des Willens Gottes
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selbst.381 Die Tempelkritik, die in 1,20 unüberhörbar wird (vgl. a.a.O.), ist also bereits in 1,19 impliziert.382 Es darf zudem nicht übersehen werden, dass die Aussage von 1,19 nach dieser Auffassung in die unmittelbare Nähe der εἰκών-Christologie der ersten Zeile des CL (1,15a) rückt, denn wie oben geschildert, steht das atl. Konzept vom „Ebenbild“ in genauso direkter Beziehung zur Herrlichkeit Gottes wie das von der „Fülle“. Beide Aussagen – „Christus ist das Ebenbild Gottes“ und „die Fülle Gottes wohnt in Christus“ – drücken so gesehen das Gleiche aus. Beide wollen sagen: Die Herrlichkeit Gottes ist in Christus, und nur in ihm, unmittelbar gegenwärtig. Die erste Strophe will diese Tatsache hinsichtlich der ursprünglichen Schöpfung betonen; die zweite Strophe führt sie in Bezug auf die neue Schöpfung aus. Es bleibt noch zu fragen, auf welches Ereignis sich die Aussage von 1,19 bezieht, denn der Aor. Inf. κατοικῆσαι deutet, im Gegensatz zu der Präsenzform in 2,9, auf ein einmaliges „Wohnung Nehmen“ hin.383 Die Antworten auf diese Frage fallen sehr unterschiedlich aus. Eine Minderheit argumentiert, dass der AutCL den präexistenten Christus im Blick hat und dass es um die Entscheidung Gottes in Ewigkeit geht, Christus zum Mittler der Schöpfung und des Heils zu machen.384 Dafür gibt es aber in der Traditionsgeschichte keine Anhaltspunkte. Diese These setzt vielmehr eine fortgeschrittene christologische Reflexion voraus, wie sie erst viel später nachgewiesen werden kann, sodass wir besser beraten sind, mit der Mehrheit an den irdischen Jesus zu denken. Darüber, was genau gemeint ist, gehen die Meinungen auseinander. Manche sehen darin wegen des gemeinsamen Motivs des „Gefallens“ (εὐδοκέω) eine Bezugnahme auf die Taufe (vgl. Mt 3,17; Mk 1,11; Lk 3,22) bzw. auf die Verklärung (vgl. Mt 17,5; Lk 12,32) Jesu,385 andere auf seine Auferstehung386 oder seine Erhöhung.387 Wahrscheinlicher ist, dass der AutCL an „die Gesamtheit des Geschehens, das mit dem menschlichen Leben Jesu begonnen und in der Erhebung zum Kyrios geendet hat“, denkt.388 Auf jeden
381 382 383 384 385 386 387 388
und die Intensität seiner Wirkung“) oder Wolter (85: „die Gesamtheit der zum Heil wirkenden Merkmale und Kräfte“) muten zu unpersönlich an. Kehls Indentifikation des πλήρωμα mit dem Heiligen Geist (vgl. Christushymnus, 123-124; so auch Bandstra, Plērōma, 100-101; Arnold, Syncretism, 263) ist hingegen eine zu enge Bestimmung des im CL vorfindlichen Konzepts. Ähnlich Beale 856-857; Beetham, Echoes, 153-154. So auch Stuhlmacher, Theologie, II, 10-11. Vgl. Schweizer 67; Harris 50. Vgl. Aletti 110; Sumney 75. Vgl. Münderlein, Pleroma, 39; Pokorný 72. Vgl. Gnilka 73; Lindemann 28; Wedderburn, Theology, 32-33. Vgl. Schweizer 67; Wolter 85. Lohmeyer 65. Ähnlich auch Harris 50.
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II. Auslegung
Fall scheint dies die Meinung des ersten Auslegers des CL zu sein: Paulus selbst. Denn er bemerkt in deutlicher Anlehnung an das CL in 2,9, dass die Fülle Gottes in Christus σωματικῶς – d.h. „körperlich“ bzw. „in körperlicher Gestalt“ – wohnt (vgl. a.a.O.). Dies ergibt als Kommentar zu einer Aussage über die Menschwerdung bzw. das Menschsein Jesu am meisten Sinn. 20 Der AutCL lenkt den Blick des Lesers bzw. Hörers schließlich auf das Erlösungswerk Christi. Die durch Voranstellung betonte Wendung durch ihn (δι ̓ αὐτοῦ), mit der die Zeile 20a beginnt, dient analog zur gleichen Wendung in 1,16f dazu, die Mittlerrolle Christi hervorzuheben, dort in Bezug auf die Schöpfung, hier in Bezug auf das Heil. Die Zeile als Ganzes und durch ihn alle Dinge mit ihm zu versöhnen (καὶ δι ̓ αὐτοῦ ἀποκαταλλάξαι τὰ πάντα εἰς αὐτόν) setzt den Gedanken von 1,19 fort, indem es das Verb εὐδόκησεν mit einem zweiten Infinitiv ergänzt. Auch hier haben wir es mit einer Aoristform (ἀποκαταλλάξαι) zu tun, d.h. mit einer Handlung, die parallel zu κατοικῆσαι als einmaliges Ereignis aufgefasst werden soll. Im NT wird die Wortgruppe καταλλάσσω κτλ nur von Paulus benutzt (vgl. Röm 5,10-11; 11,10; 1Kor 7,11; 2Kor 5,18-20). Die LXX zieht διαλλάσσω κτλ vor (vgl. Ri 19,3; 1Sam 29,4; 1Esdr 4,31; 2Makk 6,27; Hi 5,12; 12,20.24; 36,28; Weish 15,4; 19,18; im NT nur in Mt 5,25), wobei kein Unterschied in der Bedeutung der jeweiligen Verben im Kontext vom Versöhnungsgeschehen festzustellen ist.389 Das Verb mit Doppelpräfix (ἀπό + κατά + ἀλλάσσω) kommt nur hier bzw. in 1,22 und Eph 2,16 vor – es ist vor diesem Zeitpunkt in der ganzen griechischen Literatur nicht belegt390 – und drückt nach Meinung vieler Kommentatoren – wenn überhaupt ein Bedeutungsunterschied zum Verb mit einfachem Präfix (κατά + ἀλλάσσω) besteht391 höchstens eine Intensivierung der dadurch bezeichneten Aktion aus.392 Die Wahl des komplexeren Kompositums erfolge demzufolge vor allem aus stilistischen Gründen.393 Manche Stimmen warnen jedoch davor, gerade bei einem Neologismus die Möglichkeit vorschnell auszublenden, dass das Präfix ἀπο- einen semantischen Beitrag im Sinne des deutschen „rück-“ leistet. Demnach ginge es um die Wiederherstellung eines status quo ante zwischen Gott und der Schöpfung.394 Subjekt des Verbs ist, 389 Vgl. C. Breytenbach, Versöhnung, 82. 390 Es wird daher oft vermutet, dass das Lexem ein Wortgebilde des Apostels oder seines Kreises ist. Vgl. Büchsel, Art. ἀλλάσσω κτλ, ThWNT I, 252-260, bes. 259; Dunn 102; Porter/Clarke, Perspective, 79-80. Dies kann weder bewiesen noch widerlegt werden. 391 Vgl. Büchsel, Art. ἀλλάσσω κτλ, ThWNT I, 252-260, bes. 259; Barth/Blanke 214. 392 Vgl. Lohmeyer 66; Gnilka 74; Bruce 74, Anm. 164; Stettler, Kolosserhymnus, 268. 393 Vgl. Barth/Blanke 214. 394 Vgl. Lightfoot 159-160; Beasley-Murray, Colossians, 179; Anderson, Perspective, 322323.
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wie in 1,19, „die Fülle“ als Umschreibung für die Herrlichkeit – und damit die Person – Gottes: „Denn es gefiel der ganzen Fülle … alles mit Christus zu versöhnen“. Somit ähnelt 1,20 in formaler Hinsicht 2Kor 5,19, wo es sinngemäß heißt: „Gott war daran, sich in der Person des Messias mit der Welt zu versöhnen“ (θεὸς ἧς ἐν Χριστῷ κόσμον καταλλάσσων ἑαυτῷ).395 Die Nähe zur paulinischen Versöhnungslehre ist also deutlich erkennbar, aber ebenso ein markanter Unterschied: Im CL steht nicht das Reflexivpron. ἑαυτόν, sondern das Personalpron. αὐτόν. Ersteres entspricht der typisch paulinischen Formulierung. Denn nach der gewöhnlichen Vorstellung des Apostels versöhnt Gott die Welt mit sich (vgl. 2Kor 5,18-20) bzw. werden wir mit Gott versöhnt (vgl. Röm 5,10-11). Nirgendwo sonst behauptet Paulus, dass Gott die Welt mit Christus versöhnt. In Eph 2,16 ist Christus zwar das Subjekt des Verbs ἀκοκαταλλάσσω, aber wie in den unumstrittenen Paulinen ist auch dort die Person, mit der die Menschen versöhnt werden, Gott statt Christus selbst. In diesen unterschiedlichen Ausrichtungen der jeweiligen Aussagen des CL und des Paulus sehen einige Kommentatoren eine zu große Spannung und deuten deswegen das vermeintliche Personalpron. als defektive Form des Reflexivpron. (αὐτόν).396 Das kann nicht ausgeschlossen werden, denn diese Schreibvariante ist für das Koine-Griech. nicht ungewöhnlich, insbes. wenn es sich um die dritte Person handelt.397 Sie würde aber die Symmetrie des CL erheblich stören, denn in beiden Strophen kommen jeweils ἐν αὐτῷ, δι ̓ αὐτοῦ und εἰς αὐτόν vor – die letzten beiden sogar jeweils in der gleichen Zeile –, und zwar sonst immer mit klarem Bezug zu Christus.398 Es ist also auch hier davon auszugehen, dass αὐτόν ein echtes Personalpron. und Christus sein Referent ist. Problematisch wäre dies nur, falls überhaupt, wenn man davon ausginge, dass Paulus selbst das CL verfasste. Wenn er aber das CL dem frühchristlichen Traditionsgut entnahm, liegt genau genommen kein „paulinischer Gebrauch“ vor. Es ist sogar möglich, dass der Kommentar des Paulus in Kol 1,22 versucht, diese Aussage des CL etwas zu glätten, um sie besser auf seine versöhnungstheologischen Formulierungen 395 Diese Deutung setzt voraus, dass bei θεὸς ἧς ἐν Χριστῷ κόσμον καταλλάσσων ἑαυτῷ, das Verb als periphrastische Konstruktion (ἧς … καταλλάσσων) aufzufassen ist (vgl. Thrall, 2 Corinthians II, 433). Wenn aber das Partizip als abverbiale Wendung zu verstehen ist („Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich“), wäre die Ähnlichheit zu Kol 1,20 immer noch gegeben, wenn auch nicht ganz so auffällig. 396 Vgl. Wright 80; MacDonald 64; Wilson 154. 397 Vgl. HvS §139j. 398 Gnilka 74 hält aus diesem Grund jeden anderen Referenten von αὐτόν für ausgeschlossen.
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II. Auslegung
abzustimmen (vgl. zu 1,22). Die beste Erklärung dürfte jedoch in einer anderen Richtung liegen, denn die Aussage in 1,20 unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von allen anderen paulinischen (auch ggf. deuteropaulinischen) Versöhnungsaussagen: in ihrem Objekt. Dort sind es nämlich Menschen (oder die Menschheit als Ganzes), die mit Gott versöhnt werden (sollen).399 Hier geht es darum, dass das All (τὰ πάντα) bzw. alles, was sich auf der Erde und im Himmel befindet (vgl. zu 1,20c), „auf Christus hin“ versöhnt wurde. Wie das genau zu verstehen ist, müssen wir noch eruieren, doch gilt es vor allen anderen Überlegungen festzuhalten, was in vielen exegetischen Untersuchungen übersehen wird: dass nämlich das CL im Vergleich mit den paulinischen Versöhnungsaussagen eine ganz andere Ausrichtung hat. Von einer großen Spannung zwischen diesen beiden Ansichten kann also keine Rede sein. Zudem gibt es keinen Grund zur Annahme, dass diese Zeile Paulus in irgendeiner Weise gestört hat. Denn auch wenn die Formulierung der uns bekannten paulinischen Ausdrucksweise – man darf nicht vergessen, wie spärlich die relevanten Aussagen eigentlich sind400 – nicht entspricht, ist der Gedanke, dass der Kosmos samt seinen sichtbaren und unsichtbaren Einwohnern wieder in ein geordnetes und angemessenes Verhältnis zu Christus gebracht werden musste oder noch muss, dem Apostel keineswegs fremd (vgl. Röm 8,19-23; 1Kor 3,22-23; 15,23-28). Damit sind wir schon beim nächsten Punkt, denn wie man die Versöhnung des Alls „auf Christus hin“ zu verstehen hat, wird in der Forschung unterschiedlich beantwortet. Die Antwort hängt im Wesentlichen damit zusammen, ob man 1,20b teilweise oder ganz als Einfügung des AutKol auffasst. Käsemanns These, dass die Wendung διὰ τοῦ αἵματος τοῦ σταυροῦ αὐτοῦ nicht zum ursprünglichen CL gehört, genießt trotz der allgemeinen Ablehnung seiner These eines gnostischen Hintergrundes hinter dem CL breite Zustimmung (vgl. S. 108-109). Viele halten sogar die ganze Zeile – auch das anfängliche 399 So auch in Röm 11,5, wo Paulus von der καταλλαγὴ κοσμοῦ spricht, und in 2Kor 5,19, wo das griechische Wort κόσμος das Objekt des Verbs καταλλάσσω bildet, denn wie der Kontext deutlich macht, denotiert der Begriff an beiden Stellen nicht das Universum, sondern dem üblichen paulinischen Gebrauch entsprechend die Menschheit. Vgl. White, Cosmology, 91-92. 400 Kehl, Christushymnus, 131, erinnert deswegen zu Recht, dass „[d]ie Versöhnungsterminologie der paulinischen Homologumena … keine breite Basis für eine genaue inhaltliche Bestimmung“ der paulinischen Versöhnungstheologie bietet. Es ist besonders fraglich, wenn man auf dieser schmalen Basis schließen zu können meint, dass Paulus Versöhnung nur anthropologisch, nicht aber kosmologisch gedacht haben konnte oder wollte.
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Partizip εἰρηνοποιήσας – für einen späteren Zusatz.401 Damit fehle ein deutlicher Bezug zum Sühnetod Christi, denn Sühne sei einer einflussreichen Untersuchung von C. Breytenbach zufolge nicht mit dem Konzept der Versöhnung bzw. mit der Wortgruppe δι- /καταλλάσσω κτλ in Verbindung zu bringen.402 Vielmehr knüpfe der AutCL an profane Versöhnungsvorstellungen an.403 Diese seien überwiegend politischer Natur. Die Wortgruppe komme z.B. oft im Kontext der Einstellung von Kriegshandlungen zwischen Feinden vor. In seiner ursprünglichen Form sei also das CL ausschließlich hellenistischen Konzeptionen der Versöhnung verpflichtet gewesen. Einen kultischen Zusammenhang, wie dieser in 1,20b deutlich an den Tag tritt, bestehe in der hellenistischen Vorstellung von Versöhnung nicht.404 Breytenbachs Analyse ist insofern hilfreich, als er geltend macht, dass zwischen den Konzepten „Versöhnung“ und „Sühne“ bzw. zwischen den Lexemen, die diesen semantischen Feldern angehören, deutlich und konsequent zu unterscheiden ist.405 Das heißt aber nicht, dass diese Themenkomplexe in den urchristlichen Gemeinden streng auseinandergehalten und erst durch Paulus verknüpft wurden, sodass die Deutung des Todes Jesu als Sühnegeschehen außerhalb von Palästina unbekannt war. Vielmehr ist das Verständnis des Todes Jesu als stellvertretendes Sühneopfer eine vorpaulinische Tradition, auf deren Basis Paulus Versöhnung ausrufen bzw. den Feinden Gottes (Röm 5,10) anbieten zu können meint. Es ist von daher kein Zufall, dass dort, wo Paulus von Versöhnung durch Christus spricht, „diese Versöhnung als durch den stellvertretenden Sühnetod Jesu geschehen verstanden“ wird (vgl. Röm 5,8-10; 2Kor 5,21; Kol 1,22; Eph 2,13-14).406 Es ist deswegen keineswegs überraschend, sondern gut paulinisch, wenn der AutCL, sobald er in 1,20a von der Versöhnung durch Christus spricht, diese in 1,20b mit einem Hinweis auf die friedensstiftende Wirkung des Kreuzes begründet: indem er durch das Blut seines Kreuzes Frieden gestiftet hat (εἰρηνοποιήσας διὰ τοῦ αἵματος σταυροῦ αὐτοῦ). Das Partizip εἰρηνοποιήσας, ein ntl. Hapaxlegomenon, hat eine modale Sinnrichtung. Es erklärt, wie die Überwindung der Feindschaft, welche die Versöhnung voraussetzt, möglich wurde. Das Mask. ist als constructio ad sensum mit Bezug auf Gott, 401 Vgl. Burger, Schöpfung, 38; Wolter 80; Hoppe, Triumph, 223; Kehl, Christushymnus, 37; Cannon, Material, 32-33. 402 Vgl. Breytenbach, Versöhnung, 64-65. 403 Ebd. 188. 404 Ebd. 64-65. 405 Ebd. 99-100. 406 Stettler, Kolosserhymnus, 272. Ähnlich auch Hofius, Erwägungen, 190; Stuhlmacher, Theologie, I, 319.
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II. Auslegung
der den Referenten des grammatischen Subjekts πλήρωμα („die Fülle“) bildet, zu verstehen. Gott hat also durch den Tod des Messias „Frieden gemacht“. Hinter dieser Aussage steht das atl. Konzept von „Schalom“ ()שׁלום, das – anders als das, was mit dem griechischen Begriff εἰρήνη konnotiert wird – viel mehr umfasst als nur die Beendigung eines Kriegszustandes. Schalom heißt Sicherheit, Wohlstand und heile Beziehungen.407 Im AT ist dies alles stets Gottes Werk. Er ist der „Friedensmacher“ (vgl. Jes 45,7 LXX: ὁ ποιῶν εἰρήνην; MT: )עשׂה שׁלום. In der Zionstheologie, die der AutCL bereits in 1,19 rezipiert hat (vgl. S. 140-141), fungiert der Inhaber des Thrones auf dem Zionsberg als Garant für die Schalom-Ordnung Gottes. Schon zu der Zeit Jesajas mündete diese Tradition in die Vorstellung von dem versprochenen Nachfolger Davids, der den Titel „Friedefürst“ ( )שׂר שׁלוםträgt und ein ewiges Friedensreich gründet (vgl. Jes 9,5-6).408 Die Tradition, dass Gott Frieden stiftet, indem er seinen Messias nach Zion sendet, ist also tief im AT verwurzelt und stand längst vor dem 1. Jh. n.Chr. fest.409 Ganz ungewöhnlich im Kontext des Frühjudentums hingegen ist die Vorstellung, dass die Schalom-Ordnung Gottes mittels des Todes seines Messias wiederhergestellt werden soll. Dafür gibt es im Frühjudentum vor dem 1. Jh. n.Chr. keine Anhaltspunkte.410 Demzufolge kann es nur die nachösterliche Gemeinde gewesen sein, die in Auseinandersetzung mit dem Tod Jesu atl. Versöhnungstraditionen mit denen des Sühnekultes verknüpfte. Maßgeblich dafür war die Erinnerung an Jesu eigene Deutung seines bevorstehenden Todes, wie sie in Mk 10,45 tradiert ist. Der Menschensohn ist demnach gekommen, „um sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (δοῦναι τὴν ψυχὴν αὐτοῦ λύτρον ἀντι πολλῶν). Mit dieser Anspielung auf die Tradition der Knechtslieder macht Jesus deutlich, dass er seinen eigenen Tod als Ablösung (λύτρον = ;כפרvgl. Jes 43,3) verstanden hat. In der Abendmahlstradition wird seine Ansicht erneut deutlich: Jesu Blut wird „vergossen für viele (vgl. Jes 53,12) zur Vergebung der Sünden“ (vgl. Mk 14,24). Auch Paulus steht, wie
407 408 409 410
Vgl. Steck, Friedensvorstellungen, 27-29. Vgl. Stettler, Kolosserhymnus, 274. Vgl. Horbury, Messianism, 36-63. Vgl. Juel, Exegesis, 126-127. Der Targum zu Jes 52,13, der frühestens aus dem 1. Jh. n.Chr. stammt, identifiziert erstmals den Knecht mit dem Messias, und wäre somit der früheste außerchristliche Beleg für eine ähnliche Tradition. Qumran kannte bekanntlich eine zweite priesterlich-messianische Gestalt, auf die einige Leidenaussagen aus Jes 53 bezogen wurden (vgl. 4Q540-541; so auch Stuhlmacher, Theologie II, 129), aber dies war eben nur deshalb möglich, weil die messianischen Aufgaben an sich aufgeteilt wurden.
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oben schon gemerkt, ganz in dieser jesajanischen411 und jesuanischen Tradition (vgl. 1Kor 11,24-25). Der AutCL kennt sie auch, wie 1,20b zeigt. Die Formulierung ist jedoch nicht paulinisch. Sowohl das Partizip εἰρηνοποιήσας als auch die Wendung „das Blut seines Kreuzes“ finden wir sonst bei Paulus nicht. Dass der AutCL darauf zurückgreifen kann, ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Tradition des stellvertretenden Sühnetodes Jesu bereits in der allerfrühesten Phase der Reflexion über die Bedeutung seines Todes in der Jerusalemer Gemeinde etabliert hat.412 Der Geltungsbereich des Versöhnungsgeschehens wird in 1,20c im wahrsten Sinne des Wortes „kosmisch“ aufgefasst. Durch den Sühnetod Christi hat Gott „alles“ (τὰ πάντα) auf Christus hin versöhnt. Der Merismus von 20c seien es Dinge auf der Erde oder in den Himmeln (εἴτε τὰ ἐπι τῆς γῆς εἴτε τὰ ἐν τοῖς οὐρανοῖς), der seine bis auf die Reihenfolge genaue Entsprechung in 1,16b findet, lässt keinen Zweifel daran, dass damit der AutCL das ganze Universum als Objekt des Versöhnungsbemühens Gottes versteht. Wie ist das gemeint? Ein Beleg für die Allversöhnungslehre ist es jedenfalls nicht, und in der Tat haben nur wenige in der Auslegungsgeschichte eine solche Deutung in Erwägung gezogen.413 Das wäre nur bei Streichung der Anspielung auf den Sühnetod Christi in 1,20b (siehe dazu oben) ernsthaft in Betracht zu ziehen, wofür es erst seit dem 20. Jh. Befürworter gab. So wie der Text aber steht, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass der AutCL von der allgemeinen ntl. sowie der paulinischen Soteriologie abrücken will. Demnach ist durch den Tod Jesu am Kreuz Sühne geleistet und der Weg zur Rechtfertigung des Sünders freigemacht worden. Aufgrund dessen geht nun das Wort der Versöhnung in die Welt hinaus, es muss aber auch angenommen werden (vgl. 2Kor 5,20).414 Auch Schweizers These, hinter der Aussage stehe die griechische Vorstellung vom Streit der Elemente und Kräfte des Kosmos, denen der Logos ein die Weltordnung überhaupt erst entstehen lassendes Gleichgewicht aufzwingt,415 kann nur bei der Streichung jeglichen Gedankens des Sühnetods Jesu aus dem 411 Laut Watson, Hermeneutics, 503, diente Jes 53 dem Apostel als wichtige „lexical resource“ für seine Soteriologie. 412 Vgl. Hengel, Sühnetod, 1-25.135-137. 413 Vgl. die Diskussion bei Gnilka 81-83. 414 Wright 81 weist darauf hin, dass sogar die profan-politischen Konnotationen des Versöhnungskonzepts (wie sie u.a. von Breytenbach herausgearbeitet wurden; siehe oben) es verbieten, Versöhnung als „automatisch erfolgt“ zu betrachten. Sie setzt immer den Willen beider voneinander entfremdeten Parteien zur Wiederaufnahme einer Beziehung voraus. 415 Vgl. Schweizer, Versöhnung, 164-178, insbes. 171-178.
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II. Auslegung
CL erwogen werden. Es fehlt aber keineswegs an einer traditionsgeschichtlichen Erklärung, die gerade diesen Gedanken zur Geltung kommen lässt. Denn auch die jüdische Tradition weiß von einem Zerwürfnis im Kosmos, das allerdings erst nach der Erschaffung der Welt durch den Sündenfall entstanden ist. Dieser Überzeugung scheint auch der AutCL zu sein. Wenigstens setzt 1,20 voraus, dass „Einheit und Harmonie des Kosmos eine empfindliche Störung, ja einen Bruch erlitten haben“416 bzw. mit Blick auf 1,16, dass „higher powers have coopted certain aspects of the created order“.417 Dadurch ist laut Paulus die Schöpfung „der Nichtigkeit unterworfen“ worden und sehnt sich seitdem danach, die ihr vorgesehene Rolle in der Schöpfungsordnung wieder einzunehmen (vgl. Röm 8,19-20).418 Sie bedarf also einer Versöhnung, d.h. einer Wiederherstellung der Schalom-Ordnung, die durch das Einwirken der Sünde in die Brüche ging. Auch dafür bot der jüdische Sühnekult die Lösung, denn er ist nicht nur zur Vergebung der menschlichen Sünde gedacht, sondern auch „auf die Erhaltung und Erneuerung des Kosmos gerichtet“.419 „Versöhnung“ ist also hier nicht im engeren soteriologischen Sinne aufzufassen, sondern es soll mit dem Begriff zum Ausdruck kommen, dass die Schöpfung wieder grundsätzlich in die korrekte Beziehung zu ihrem Schöpfer gesetzt wird.420 Lohse sagt es wohl am besten: Das All ist versöhnt worden, indem durch die Auferstehung und Erhöhung Christi Himmel und Erde wieder in ihre durch Gottes Schöpfung bestimmte Ordnung zurückgebracht worden sind. Nun steht das All wieder unter seinem Haupt, und damit ist kosmischer Friede eingekehrt. Dieser Friede, den Gott durch Christus gestiftet hat, schließt das All wieder zur Einheit zusammen und hält die wiederhergestellte Schöpfung in der Versöhnung mit Gott fest.421 Der AutCL stellt diese kosmische Versöhnung in hymnischer Sprache als bereits erfolgte Tatsache dar. Sein Lob an Christus erfasst die eschatologische Realität, die dem Apostel auf dem Weg nach Damaskus offenbar wurde und sich der Gemeinschaft der Jesusnachfolger in der Anbetung erschließt. Von eschatologischem Vorbehalt ist im CL nichts zu merken, aber auch nichts zu erwarten. Denn ein solches Lied zielt nicht auf die theologische Ausgewogenheit zwischen dem „schon jetzt“ und dem „noch nicht“, sondern darauf, dem 416 417 418 419 420 421
Lohse 101. Moses, Practices, 175. Vgl. White, Cosmology, 99-100. Stuhlmacher, Theologie II, 11. Ähnlich auch Percy, Probleme, 94; Tidball, Christ 84. Lohse 101.
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auferstandenen Herrn Jesus Christus gebührendes Lob zukommen zu lassen. Dies ist dem CL auf unübertreffliche Weise gelungen.
IV Zusammenfassung Das CL ist ein „epochaler neutestamentlicher Text“,422 mit dem im Hinblick auf die Christologie des NT ein Höhepunkt erreicht wird. Es ist jedoch unwahrscheinlich, wie die eingehende Analyse des CL zeigte, dass Paulus selbst dieses Lied gedichtet hat. Es handelt sich vielmehr um ein in den westkleinasiatischen Gemeinden bekanntes, früheste christliche Reflexionen hinsichtlich des Todes und der Auferstehung Jesu aufarbeitendes Traditionsstück. Es ist gut vorstellbar, dass dieses Loblied zur Ehre des Auferstandenen und Erhöhten zu den „Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern“ gehörte, die die Gemeinde in Kolossä in ihren Versammlungen aus vollem Herzen singen sollte (vgl. 3,16). Die Tatsache, dass Paulus im Kol immer wieder bewusst auf das CL anspielt, um seine paränetischen Äußerungen zu bekräftigen,423 bestätigt den Eindruck, dass die Gemeinde in Kolossä dieses Lied kannte. Paulus will also die Gemeinde aus ihrem eigenen Liedgut belehren und korrigieren.424 Dies geht er geschickt an, indem er das CL im Anschluss an die Danksagung, die er relativ kurz hält, zitiert. Damit erreicht der Apostel zweierlei: Erstens gewinnt er die Sympathie seiner Zuhörer, indem er sie entsprechend der von der griechischen Rhetorik empfohlenen Einsetzung eines Enkomiums ihrer „Helden“ in höchsten Tönen lobt. So stellt er eine Verbindung zu seinen Lesern her und versucht, sie auf seine Seite zu ziehen.425 Das war in diesem Fall besonders wichtig, weil die Kolosser den Apostel nur vom Hörensagen kannten. Sie waren jedoch mit dem CL bestens vertraut, und vermutlich mochten sie es auch. Durch die Heranziehung eines ihnen bekannten Liedes appelliert Paulus nicht nur an ihren Verstand, sondern auch an ihre Emotionen und beteuert: Wir sind uns einig. Wir kennen den gleichen Herrn Jesus Christus und zwar so wie wir ihn im CL besingen, und wir wollen ihm gemeinsam folgen.426
422 Gnilka 77. 423 Gordley, Hymn, 265-266, identifiziert 19 explizite Wortverbindungen und sechs weitere thematische Verbindungen zwischen dem CL und dem Rest des Kol. Rund 80 Prozent des Liedstoffes werden im restlichen Brief aufgegriffen. Vgl. auch Copenhaver, Echoes, 239-252. 424 So auch Copenhaver, Echoes, 253. 425 Ebd. 259 426 Vgl. Moses, Practices, 159: „The author [of the CL] offers the believers at Colossae an authoritative statement of truth to which these believers have given their assent.“
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II. Auslegung
Dies führt zum zweiten Punkt, denn das CL dient auch dazu, die Kolosser für die Botschaft des Kol empfangsbereit zu machen.427 Paulus beabsichtigte, der KI eine klare, wenn auch verhältnismäßig sanfte Absage zu erteilen. Die KI zeichnete sich hauptsächlich durch die Forderung nach dem Einhalten jüdischer Speise- und Reinheitsgebote sowie asketischer Praktiken aus, welche ihren Anhängern visionäre Erfahrungen und damit Zugang zu der Ebene der unsichtbaren geistlichen Mächte ermöglichen sollten (vgl. zu 2,16-19). Durch die Verehrung dieser Geisteswesen erhofften sich die Anhänger der KI erhöhten Schutz und Segen. Sie leugneten Christus zwar nicht, stellten ihn aber de facto auf das gleiche Niveau mit anderen Mächten, was ihn natürlich seiner Einzigartigkeit beraubte. In dieser Situation zieht Paulus das CL heran, um die Überlegenheit Christi über die Engelmächte, die von den mit der KI liebäugelnden Kolossern verehrt wurden, zu belegen. Die zwei Strophen des Liedes eignen sich dafür hervorragend. In der ersten Strophe wird die überragende Stellung Christi über die Schöpfung besungen. Die Titel „Ebenbild Gottes“ und „Erstgeborener der Schöpfung“ beanspruchen nämlich für Christus eine Stellung in unmittelbarer Nähe zu Gott. Erst später, im Rahmen der nicänischen und chalcedonischen Kontroversen, versuchten die nachapostolischen Väter die Wesensidentität Christi mit Gott bzw. die korrekte Abgrenzung seiner Person von der des Vaters genauer zu bestimmen.428 Die Formulierungen der ersten Strophe des CL lassen jedoch ihrerseits keinen Zweifel daran, auf welcher Seite Christus bei der atl. Aufteilung des Universums in Göttliches und Geschaffenes gehört. Er ist göttlicher Natur. Die Himmelsmächte hingegen, ob Engel oder Dämonen, sind allesamt der geschaffenen Welt zuzuordnen. Daraus folgt, wie das CL selbst explizit hervorhebt, dass Christus an ihrer Schöpfung beteiligt war. Alles, was sich im Kosmos befindet – und dazu gehört jedes auch nur erdenkliche Geisteswesen –, wurde im Wirkungsbereich Christi, durch Christus und sogar für ihn geschaffen. Die zweite Strophe setzt sich mit dem in der Antike seitens sowohl der Juden als auch der Heiden wahrgenommenen Bruch in der kosmischen Ordnung auseinander, ohne ihn explizit zu kommentieren.429 Es ist für den AutCL allerdings unumgänglich, für diesen Bruch eine christologische Lösung zu finden. Denn für sich allein wird die Erkenntnis, dass Christus alles geschaffen hat, den frühen Christen letztlich wenig Trost geboten haben, zumal (wiede427 Ebd. 257. 428 Vgl. dazu Gnilka 78-79. 429 Vgl. Wilson, Hope, 3-4.
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rum allseits) davon ausgegangen wurde, dass die geistlichen Mächte inzwischen dem kosmischen Ordnungsprinzip (nach griechischer Auffassung) oder dem Willen ihres Schöpfers (nach jüdischer Auffassung) getrotzt hatten und nun selbstständig agierten. Diese Mächte übten nach allgemeiner Meinung einen als stark empfundenen Einfluss auf das tägliche Leben des antiken Menschen aus, d.h. auf das Gelingen oder Nichtgelingen seiner Geschäfte und seiner Beziehungen sowie auf die Fortsetzung oder Wiederherstellung seiner Gesundheit und seines Glücks, und stellten somit eine ständige Bedrohung dar. Die vom AutCL dafür gebotene Lösung bezeugt seinen theologischen Tiefsinn, denn er begnügt sich nicht etwa mit christlich angehauchten apotropäischen Formeln430 oder der Heraufbeschwörung guter Engel,431 sondern er zielt auf das, was Gordley in Anlehnung an Condit „communal definition“ nennt.432 Die Identität der Christus-Anhänger soll über ihr Verhältnis zu Christus selbst gestiftet werden. So greift der AutCL die zwei wesentlichen christlichen Grundüberzeugungen auf, welche bereits die nachösterliche Jerusalemer Gemeinde in ihrer Identität festigte: „Christus ist für unsere Sünden gestorben“ und „Christus ist von den Toten auferstanden“ (vgl. 1Kor 15,3-5). Diese arbeitete er in seinem Lied auf eigenständige und kreative Weise auf. Die Nähe zur paulinischen Theologie ist gegeben, aber sowohl die Formulierungen als auch die textpragmatische Ausrichtung der zweiten Strophe sind nicht die des Apostels. Denn der Tod, die Auferstehung und die Erhöhung Christi ermöglichen nicht nur die Versöhnung der Menschen – Juden und Heiden – mit Gott (so charakteristischerweise Paulus), sondern sie „versöhnen“ den ganzen Kosmos („alles, was sich in den Himmeln und auf der Erde befindet“) mit seinem Schöpfer. Weil Christus dadurch seine rechtmäßige Vorrangstellung vor allen geschaffenen Wesen wieder eingenommen hat bzw. wieder zu ihrem unbestrittenen Haupt geworden ist, führt er sie in die für sie vorgesehene, dem Schöpfer untergeordnete Beziehung zurück. Aus alledem folgt natürlich, dass die geistlichen Mächte ihre bedrohliche Autonomie verlieren. Die daraus resultierende Ordnung ist als Inbegriff des atl. Konzepts des Schalom die Voraussetzung für den kosmischen Frieden. Somit eignet sich der Begriff „Versöhnung“ bestens als Bezeichnung für die Wiederherstellung derselben.
430 Solche Formeln genossen in den jüdischen Gemeinden Kleinasiens große Beliebheit. Vgl. Kraabel, Judaism, 146. 431 Diese Praxis ist in den jüdischen und jüdisch-christlichen Kreisen Kleinasiens belegt. Vgl. Stuckenbruck, Veneration, 200-203. 432 Gordley, Hymn, 261, zitiert Condit, Functions, 284-299.
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II. Auslegung
In der Auslegungsgeschichte des Kol bemerkte man schon von Anfang an, dass das CL Christus als Herrn der ursprünglichen Schöpfung einerseits und der neuen Schöpfung andererseits akklamiert (vgl. Justin, dial. 138,2). In diesem Zusammenhang lässt sich die Hauptaussage in 1,17b „in ihm besteht alles“ erschließen. Da Christus sowohl bei der Schöpfung des Kosmos als auch bei der Wiederherstellung der Schalom-Ordnung Gottes im Kosmos eine entscheidende Mittlerrolle spielt und selbst das Ziel darstellt, worauf alles hinsteuert, ist diese Behauptung aus der Sicht des AutCL keine Übertreibung. Die Beteiligung Christi an der Erschaffung der Welt war bereits Bestandteil frühester christlicher Bekenntnisse (vgl. 1Kor 8,6). Die Sicht von einem das All umfassenden Versöhnungswerk Christi kommt in der Tradition aber erstmals hier explizit vor, wenngleich die dafür erforderlichen Bausteine bereits in der paulinischen Theologie und teilweise schon in den tempelkritischen Ansichten des Stephanuskreises bereitlagen. Sie entstammt der Erfahrung, die die frühesten Christen bei ihrer Bekehrung mit dem auferstandenen und erhöhten Herrn machten. Denn sie erkannten, dass Gott durch Christus dabei war, die Welt mit sich zu versöhnen, und folgten förmlich dem Rat des Paulus an die Korinther, indem sie sich davon ergreifen ließen (vgl. 2Kor 5,19-20). Sie erlebten also innerhalb ihres Erfahrungshorizonts die Wirklichkeit, die in der zweiten Strophe zum Ausdruck kommt, und einer unter ihnen, der AutCL, folgte diesem christologischen Faden bis hin zu seiner unübertrefflichen Vorstellung von einem befriedeten Universum, in dem jedes Wesen seinen rechtmäßigen Platz in der wiederhergestellten kosmischen Ordnung unter der Herrschaft des Messias einnimmt. Natürlich drängt sich dabei die Frage auf, ob dem wirklich so ist, ob in der Erfahrung der ersten Christen oder – erst recht – darüber hinaus. Auch wenn es stimmen sollte, dass die ersten Christen „in Christ’s death and resurrection … the key to resolving the disharmonies of nature“433 entdeckt zu haben glaubten, wie können wir den Wahrheitsgehalt des CL in einer Welt, in der einerseits Menschen die genetische Zusammensetzung von Pflanzen und Tieren beinahe beliebig umgestalten können und andererseits die Natur immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint, weiterhin bejahen? Zwei textpragmatische Bemerkungen dürfen uns dabei eine Hilfe sein. Erstens, das CL ist kein Lehrtext, sondern es ist ein Loblied – heute würde man „Anbetungslied“ sagen – und will gattungsgerecht aufgefasst werden.434 Ein 433 Dunn 104. 434 Vgl. Schweizer 220-222, für den die Erkennung und Respektierung des Unterschieds zwischen liturgischer und lehrhafter Sprache „wesentlich“ ist. Vgl. auch Wolter 90.
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solches Lied knüpft, wie oben erwähnt, an die Erfahrung der Christen an, versucht aber mittels überschwänglichen Lobes eine Erfahrungsebene zu erschließen, die im Hier und Jetzt noch nicht unmittelbar zugänglich ist. Es beschreibt eine eschatologische Realität, die vorerst nur in der Gemeinde – die somit einen Vorausblick auf das umfassende Versöhnungswerk Gottes in Zukunft ermöglichen soll –, noch nicht aber in der Geschichte realisiert wird. Das gottesdienstliche Lob des erhöhten Herrn mit „Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern“ (3,18) verschafft dem daran Beteiligten also genau das, was die KI anstrebt: Zugang zu einer sonst verschlossenen Wirklichkeitsebene, bei der allerdings die Herrlichkeit Christi den Glanz jedes geschaffenen Geisteswesens verblassen lässt und die nicht aus eigenem Bemühen erklommen werden muss, sondern sich einem in der gemeinsamen Anbetung Jesu einfach öffnet. Zweitens ist der Gebrauch, den Paulus vom CL im Zuge des Kol macht, für die angemessene Anwendung der Theologie des CL wegweisend. Denn er beschreitet gerade nicht den Weg der Anhänger der KI, indem er sich in kosmischen Spekulationen verliert. Er zeigt z.B. kein Interesse an Himmelsreisen oder Engelhierarchien. Er entwickelt aus der kosmischen Christologie des CL auch keine theologia gloriae. Zwar will Paulus die Kolosser dazu ermutigen, sich stets auf die Wahrheit, dass Christus hoch erhoben zur Rechten Gottes sitzt, zu besinnen, doch ihre Teilnahme an dieser Realität ist „verborgen“ (3,13). So bleibt diese Äußerung in Hinblick auf die Inanspruchnahme kosmischer Erhabenheit sogar hinter anderen paulinischen Aussagen, etwa 1Kor 3,22; 6,2-3, deutlich zurück. Paulus geht es im Kol erstaunlich wenig um die Niederlage der himmlischen Mächte und erst recht nicht um die Beteiligung der Gläubigen daran – selbst das Triumphieren Christi über sie ist für ihn nur deswegen von Interesse, weil es bedeutet, dass die Christen in Kolossä ihnen nicht mehr untergeordnet sind (vgl. zu 2,15-16.20) –, sondern um die Heranreifung der Gläubigen (vgl. 2,19) bzw. um ihre Erneuerung im Ebenbild Christi (vgl. 3,10). Diese erreichen sie nun gerade nicht durch die Aufnahme des Kampfes mit den geistlichen Mächten – hier besteht ein wesentlicher Unterschied zum Eph – sondern vor allem durch die Einübung von Tugenden (vgl. 3,12-17) und die Beachtung der Haustafeln (Kol 3,18–4,1). Triumphalismus sieht anders aus. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass Paulus der hohen Christologie des CL aus voller Überzeugung zustimmt. Die Erfahrung, die er mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Damaskus machte, veränderte sein Denken, sodass er Jesus, den gekreuzigten Nazaräer, nunmehr für den hält, der im CL besungen wird: den Herrn über die Schöpfung und den Wiederhersteller der kosmischen Ordnung.
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II. Auslegung
1.2.4. Erinnerung und Ermahnung (1,21-23)
I Übersetzung 21 Auch euch hat er versöhnt, die ihr einst von Gott entfremdet und ihm feindlich gesinnt wart; das ließ sich an euren bösen Werken erkennen. 22 Nun aber wurdet ihr in seinem fleischlichen Leib durch seinen Tod versöhnt, sodass er euch als heilig, makellos und unschuldig vor Gott darstellen kann, 23 was auch geschehen wird, wenn ihr wirklich im Glauben ausharrt, fest gegründet, und euch von der Hoffnung des Evangeliums nicht abrücken lasst. Dies ist das gleiche Evangelium, das bei euch Gehör gefunden hat, das jedem Geschöpf unter dem Himmel verkündet wird und dessen Diener ich, Paulus, geworden bin.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 1,22: 1) NA28 und wohl die Mehrheit der modernen Bibelübersetzungen entscheiden sich für die LA ἀποκατήλλαξεν (3. Sing. Aor. Aktiv des Verbs ἀποκαταλλάσσω), die von אA C D2 K L P Ψ 048 075 0278 81 365 630 1175 1241s 1505 1739 1881 2464 lat sy bezeugt ist. Doch der 2. Plur. Aor. Pass. ἀποκατηλλάγητε ist von 46 und B belegt. Diese LA ist eindeutig lectio difficilior, denn die daraus resultierende Satzkonstruktion ist schwierig, zumal der Inf. in 22b (παραστῆναι) ein aktives Verb voraussetzt. Es ist gut vorstellbar, dass spätere Kopisten geneigt gewesen wären, diese grammatische Ungereimtheit auszubessern. Andere Varianten – D* F G b vgms sowie Irlat Ambst Spec haben ἀποκαταλλαγέντες; 33 hat ἀποκαταλλάκται; 104 hat ἀπηλλάξεν – lassen sich ebenso als Versuche erklären, den syntaktischen Bruch der passiven LA zu glätten.435 2) Im ursprünglichen Text ist das Genitivpron. αὐτοῦ nach σαρκός nicht vorhanden, wird aber von אA P 81 630 1241s 2464 ar syp.h** sowie Irlat und Spec eingefügt. Es ist ohnehin klar, dass es sich um den Tod Jesu handelt. 1,23: 1) Wegen der nachfolgenden attributiven Partizipialkonstruktion τῇ ὑπο τὸν οὐρανόν fügen viele Zeugen aus stilistischen Gründen ein zusätzliches τῇ vor κτίσει ein. 2) Offenbar fanden manche Kopisten die Selbstbezeichnung des Paulus als „Diener“ unbefriedigend und ersetzten diese unter Einfluss von 1Tim 2,7 mit „Herold und Apostel“ (κῆρυξ καὶ ἀπόστολος; *אP) oder unter Einfluss von 2Tim 1,11 mit „Herold und 435 Vgl. Metzger, Commentary, 621-622, der hier mit der (zögerlichen) Entscheidung des UBS-Komitees bricht und in einer eigenen Notiz darauf hinweist, dass nur die passive LA die Entstehung der anderen erklären kann. Zum gleichen Schluss kommt Comfort, Text, 623-624.
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Apostel und Lehrer“ (κῆρυξ καὶ ἀπόστολος καὶ διδάσκολος; A syrhmg samg) oder „Lehrer und Apostel“ (διδάσκολος καὶ ἀπόστολος; 81 vgms). Form. In 1,21-23 hebt Paulus die Bedeutung des CL für die Christen in Kolossä hervor. Wie oben bereits erwähnt, dient das Lied als Ausgangsbasis für die Zurückweisung der KI sowie (wenigstens teilweise) als Grundlage für die paränetische Ausrichtung des Kol überhaupt. Aber dieser anspruchsvollen theologischen Indienstnahme des CL ist eine persönliche Stellungnahme und eine indirekte Ermahnung an die Kolosser vorgeschaltet. Denn bevor Paulus die Gläubigen in Kolossä auffordert, liebgewonnenen apotropäischen und asketischen Praktiken den Rücken zu kehren, versucht er sie emotional auf seine Seite zu holen, indem er sie an ihre Bekehrung erinnert. Dass die Kolosser überhaupt die Errettung, die 1,13-14 so eindrücklich beschreibt, erfahren haben, ist auf die im CL besungenen Wahrheiten zurückzuführen. Denn auch die Gläubigen in Kolossä gehören selbstverständlich zu dem in der ersten Strophe beschriebenen „alles“, was in, durch und für Christus geschaffen wurde. Die Versöhnung, die in der zweiten Strophe geschildert wird, umfasst somit auch sie. Das, wozu sich die Jesusnachfolger in Kolossä durch das Singen des CL im gottesdienstlichen Lobpreis bekennen, ist also nichts anderes als das Fundament ihres Glaubens und der Inhalt des Evangeliums, auf dem ihre ganze Hoffnung ruht. Daran will Paulus sie erinnern, bevor er sie auffordert, über das theologische, lehrhafte und ethische Anwendungspotenzial des Liedes nachzudenken. Diese kleine Mahnrede hat also Überleitungsfunktion.436 Sie knüpft sowohl thematisch an der gewichtigen soteriologischen Aussage in 1,13 als auch unmittelbar am Versöhnungsgedanken in den letzten Zeilen des CL (1,20) an, indem sie die Jesusnachfolger in Kolossä in das kosmische Versöhnungsgeschehen einschließt (1,21), diese auffordert, erneut über den Kontrast zwischen dem „Einst“ und dem „Jetzt“ des eigenen Lebens nachzudenken (1,22) und sie implizit vor den Folgen eines Abrückens von den Grundlagen ihres Glaubens warnt (1,23). Die Überleitung vom CL zu unserem Text ist etwas holprig. Durch die Voranstellung des Akk. Obj. „euch“ (ὑμᾶς) im Nebensatz (1,21) und seine daraus resultierende Trennung vom Hauptverb „Versöhnen“ (1,22; das Pass. von ἀποκαταλλάσσω) – 14 Wörter stehen dazwischen – entsteht ein Anakoluth: „Nun wurdet ihr aber versöhnt … um euch … als Heilige, Makellose und Untadelige hinzustellen.“ Stilistisch ist das alles andere als schön; trotzdem ist
436 So auch Gnilka 88.
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II. Auslegung
der Sinn des Satzes klar und seine rhetorische Kraft unbeeinträchtigt.437 Dennoch ist es nicht ganz klar, wie im Genaueren die Verknüpfung zwischen dem CL und der Mahnrede erfolgt, weil die Zuordnung von 1,21 nicht eindeutig ist. Drei semantische Relationen zwischen ihm und dem Vorhergehenden sind möglich. Erstens könnte der Nebensatz als Weiterführung des Gedankengangs des CL aufgefasst werden. Er würde in diesem Fall dienen, um „euch“ in das „Alles“, das Gott laut 1,19-20 mit sich versöhnen wollte, aufzunehmen, etwa wie folgt: „Es gefiel Gott, alles zu versöhnen … auch euch …“. Erst mit 1,22 würde ein neuer Gedanke beginnen. Zweitens könnte, insbesondere wenn die erste Variante zutrifft und der Duktus des CL in 1,21 fortgesetzt wird, 1,22b als Ergänzung zur Behauptung in 1,19 betrachtet werden. 1,22a wäre in diesem Fall als Parenthese, die den Lesern nach dem verheerenden Urteil in 1,21 Erleichterung verschaffen will, und das Inf. παραστῆσαι, wie die vorhergehenden Infinitive κατοικῆσαι (1,19) und ἀποκαταλλάξαι (1,20), als weiteres Akk. Obj. des Verbs εὐδόκησεν aufzufassen. Der Gedankengang wäre dann wie folgt: „Gott wollte erstens mit seiner ganzen Fülle in Christus wohnen (1,19), zweitens alles versöhnen (1,20-22a) und drittens euch hinstellen (1,22b) …“. Die dritte Möglichkeit, die wir vorziehen, setzt voraus, dass zwischen 1,20 und 1,21 eine Zäsur erfolgt und mit 1,21 ein neuer Gedanke beginnt. Der Wechsel zur 2. Pers. Plur. in 1,21 legt dies ohnehin nahe. Das CL ist somit als abgeschlossene Einheit zu betrachten, die das kosmische Ausmaß des Werkes Christi in den Mittelpunkt stellt. In 1,21-23 will Paulus nun hervorheben, dass die Versöhnung des Alls auch die Christen in Kolossä einschließt, und er deutet bereits an, was im weiteren Verlauf des Kol umfangreich ausgeführt wird: dass dies für sie weitreichende ethische Folgen hat.438
III Einzelexegese 21 Um die Jesusnachfolger in Kolossä für sein eigentliches Anliegen empfänglich zu stimmen, greift Paulus auf ein von ihm bevorzugtes Motiv zurück: den Kontrast zwischen vorchristlicher und christlicher Existenz.439 Indem er sie daran erinnert, wie ernst ihre Lage war, bevor Gott durch Christus ihr Schicksal wendete, nimmt er den Gedanken von 1,13-14, der durch die Aufnahme des CL ins Leere zu treffen drohte, wieder auf. Wie an anderer Stelle führt er diesen Kontrast anhand eines der frühchristlichen Predigt entlehnten
437 So auch Lohmeyer 70. 438 Ähnlich Lähnemann, Kolosserbrief, 43. 439 Vgl. Tachau, „Einst“, insbes. 79-95.
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„Einst-Jetzt-Schemas“ aus.440 Durch die antithetische Gegenüberstellung des „Einst“ und des in 1,22 folgenden „Nun“ nimmt er die eigentliche Paränese (3,1–4,6) vorweg und bereitet die Kolosser auf sie vor. Durch die Voranstellung des Pron. euch (καὶ ὑμᾶς) wird die Aufmerksamkeit der Kolosser darauf gelenkt. Paulus beschreibt die Christen in Kolossä als einst von Gott entfremdet (ποτε ὄντας ἀπηλλοτριωμένους). Das Verb ἀπαλλοτριόω, das wir hier mit „entfremden“ übersetzen, bezeichnet in seiner aktiven Form die Erschaffung einer emotionalen Distanz zwischen zwei Parteien mit dem Resultat, dass diese sich gegenseitig als Fremde betrachten (vgl. Jos 22,25; Sir 11,34 LXX). Es begegnet meistens, wie bei allen drei Vorkommen des Verbs im NT (vgl. auch Eph 2,12; 4,18), als passivum perfektum. Die periphrastische Konstruktion (εἰμί + Part.) vermittelt noch stärker als das Partizip allein den Eindruck, dass es sich um einen andauernden Zustand handelt.441 Es wird nicht ausdrücklich gesagt, dass Entfremdung von Gott gemeint ist; dies aber macht der Kontext klar, zumal die Überwindung derselben laut 1,22 das Wieder-vorGott-stehen-Können bewirkt. Hier liegt ein Unterschied zum Gebrauch des Topos der Entfremdung in Eph vor. Jener Brief will stärker die Einheit der Gemeinde begründen und betont deswegen die Überwindung der grundlegenden Trennung von Juden und Heiden. In Eph 2,12 wird Israel als räumliche Größe vorgestellt, d.h. als Heilsraum, aus dem die Heiden ausgeschlossen waren. Unserem Text konzeptuell näher steht Eph 4,18. Dort wird betont, dass die Heiden vom wahren Leben, das nur bei Gott zu finden ist, entfremdet sind (ἀπηλλοτριωμένοι τῆς ζωῆς τοῦ θεοῦ). In 1,21 bestätigt der Gebrauch der 2. Pers. Plur. (ὑμᾶς), dass Paulus zunächst diese typisch frühjüdische Perspektive gegenüber heidnischer Existenz einnimmt. Das macht er aus rhetorischen Gründen; er will die Kolosser kurz aufschrecken lassen, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dass er aber eigentlich der Überzeugung ist, dass Judenchristen wie er im selben Boot saßen wie die Heiden, geht aus dem Gebrauch der 1. Pers. Plur. (ἡμᾶς) in 1,13-14 eindeutig hervor (siehe oben). Aus der Entfremdung von Gott ist aktive Feindschaft zwischen Gott und den Menschen entstanden.442 Die gebrochene Beziehung, die sich zunächst durch Distanziertheit und Misstrauen äußerte, wandelte sich in eine feindliche
440 Vgl. Tachau, „Einst“, 133-134, der an dieser Stelle Bultmann folgt (vgl. Theologie, 76.107). Ähnlich Berger, Formen, 190-191, der das Einst-Jetzt-Schema der Gattung der „postconversionalen Mahnrede“ zuordnet. 441 Vgl. BDR §352. 442 Vgl. Lohse 105; O’Brien 66.
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II. Auslegung
Gesinnung (ὄντας … ἐχθροὺς τῇ διανοίᾳ).443 Wörtlich heißt es: „ihr wart Feinde (oder „verfeindet“) hinsichtlich des Sinnes“ (διανοίᾳ = Dat. rel.). Das Nomen διάνοια begegnet häufig in der LXX und übersetzt typischerweise ((ב „ =( לבHerz“). Dieser hebr. Begriff umfasst nicht nur den Sitz der Emotionen wie im Deutschen, sondern auch der Gedanken und Überlegungen. Die rationale Komponente tritt beim griechischen Wort viel stärker in den Vordergrund, sodass es oft mit „Denkkraft“ oder „Verstand“ übersetzt werden muss.444 Es kommt allerdings nur 12-mal im NT vor, davon nur drei Mal im CP; außer hier in Eph 2,3 (im Plur.) und Eph 4,18. Es ist deswegen davon auszugehen, dass die umfassenderen Konnotationen des hebräischen Begriffs in Anlehnung an den LXX-Gebrauch mitschwingen, wenn Paulus vom διάνοια spricht. Die deutschen Begriffe „Sinn“ oder „Gesinnung“ geben das Gemeinte am ehesten wieder. Diese feindliche Gesinnung ließ sich an euren bösen Werken erkennen (ἐν τοῖς ἔργοις τοῖς πονηροῖς). Das Präpositionalgefüge lässt zwei mögliche Deutungen zu. Entweder kann die Präp. ἐν + Dativ den Grund der Feindschaft angeben445 – in diesem Fall müsste man den Ausdruck etwa mit „weil eure Werke böse waren“ übersetzen – oder sie kann eine Situation (d.h. eine örtliche Nuance im übertragenen Sinn) beschreiben, in der das im Dativ Beschriebene in Erscheinung tritt446 – dann bedeutet die Wendung, dass sich die feindliche Gesinnung in bösen Werken äußerte.447 Letzteres ist vorzuziehen, da es der typisch frühjüdischen Auffassung entspricht448 und in der Jesustradition tiefe Wurzeln hat (vgl. Mt 7,16-20). Die bösen Werke, an die Paulus denkt, werden erst später im Kol ausführlich beschrieben (vgl. 3,5-9). An dieser Stelle wird vorerst nur festgehalten, dass diese ausweglos erscheinende Situation „einst“ (ποτέ) auf die Kolosser zutraf. 22 Das entsprechende „jetzt“ zum „einst“ in 1,21 wird jetzt ausgeführt: Nun aber wurdet ihr versöhnt (νυνὶ δὲ ἀποκατηλλάγητε). Zur Bedeutung des Verbs ἀποκαταλλάσσω vgl. zu 1,20. Trotz des durch Menschen verursachten und vorherrschenden Zustandes der Entfremdung und Feindschaft hat Gott die Initiative ergriffen, um sie mit sich zu versöhnen (ἀποκατηλλάγητε ist 443 Mit Lightfoot 161, der Feindschaft als Konsequenz der Entfremdung auffasst. So auch Lohse 106; Luz 207. Kontra Wolter 91, der der Meinung ist, dass sich die beiden Begriffe gegenseitig auslegen. 444 Vgl. Bauer 371. 445 So Schlatter 264; Harris 57; MacDonald 71. 446 Vgl. HvS §184i; Lightfoot 181. 447 So Harder, Art. πονηρός, πονηρία, ThWNT VI, 557, Anm. 73; Lindemann 31-32; Moo 140; Pokorný 77. 448 Vgl. Wolter 92-93.
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passivum divinum; der Gebrauch des Aorists deutet auf eine einmalige Handlung hin).449 Was im CL mit „durch das Blut seines Kreuzes“ (1,20: διὰ αἵματος τοῦ σταυροῦ αὐτοῦ) bildhaft zum Ausdruck gebracht wurde, wird nun konkreter formuliert: Versöhnung erfolgte in seinem fleischlichen Leib durch seinen Tod (ἐν τῷ σώματι τῆς σαρκὸς αὐτοῦ διὰ τοῦ θανάτου). Die Wendung gibt Ort – im Leib Christi450 – und Mittel – durch seinen Tod451 – des Versöhnungsgeschehens an. Der Semitismus „Leib des Fleisches“ (so wörtlich; vgl. 1QpHab 9.2 mit Sir 23,17; äthHen 102,5) begegnet uns auch in 2,11, aber kein weiteres Mal im NT. Die jeweiligen Bedeutungsnuancen der Begriffe σώμα und σάρξ kommen hier kaum zum Tragen. Vielmehr betont Paulus durch diese Tautologie452 die Gebrechlichkeit leiblicher Existenz, die sich deutlich im Kreuzestod Jesu zeigt.453 Dem Ausdruck ist weder eine polemische Absicht gegen gnostische Tendenzen der KI454 noch das Bemühen um einen Kontrast zum mystischen Leib der Kirche455 zu entnehmen. Letzteres wäre durch den Verweis auf den Tod hinreichend markiert. Wahrscheinlicher ist wegen der lexikalischen Übereinstimmung mit 1,24, wo die Begriffe σώμα und σάρξ wieder vorkommen, dass ein impliziter Vergleich zwischen dem Leiden Jesu und den Bedrängnissen der Gemeinde beabsichtigt ist.456 Vielleicht lässt sich jedoch bloß die Ergriffenheit des Apostels angesichts des schrecklichen Opfers, das die Versöhnung mit Gott von Jesus verlangte, an dieser Stelle vernehmen. In der Sache stimmt diese Aussage mit der paulinischen Theologie überein, die das Versöhnungsgeschehen im Ableben des Leibes Jesu lokalisiert (vgl. Röm 7,4; 8,3).457 Darauf kommt Paulus auch im Kol ausführlicher zu sprechen (vgl. 2,11-15). Die atl. Auffassung von Versöhnung, nach der ein Sühneopfer immer erforderlich war, bildet hier den wesentlichen Verständnishorizont für die Erschließung des Heilswerkes Christi. Die Deu-
449 Bei der textkritischen Variante ἀποκατηλλάγητε, für die wir uns entschieden haben (vgl. S. 154), besteht Übereinstimmung mit der üblichen paulinischen Auffassung zum Versöhnungsgeschehen, nach dem Gott das Subjekt und Christus der Mittler ists. Vgl. zu 1,20. 450 So auch Dibelius 22; Lindemann 32; Barth/Blanke 221; Clark, Completing, 96. Kontra Bruce 78, Anm. 181, der ἐν instrumental auffasst. 451 So auch Pokorný 77. 452 Vgl. Lohmeyer 71; Dunn 108. 453 Vgl. Dunn 107-109; Bird 61. 454 Vgl. Abbott 226; O’Brien 66; Witherington 139. 455 Vgl. Lightfoot 162; Lohmeyer 71; Lohse 107; Gnilka 90; Schweizer 76; Wolter 93; Luz 207. 456 Vgl. MacDonald 72. 457 Vgl. Stettler, Heiligung, 551.
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II. Auslegung
tung seines Todes als Sühneopfer lässt sich auf Jesus selbst zurückführen (vgl. zu 1,20). Paulus geht hier wie an anderer Stelle (vgl. 1Thess 4,7) von der Annahme aus, dass sich der Sinn des Heils nicht in der Errettung des Menschen erschöpft, sondern einem umfassenderen Zweck dient: sodass er euch als heilig, makellos und unschuldig vor Gott darstellen kann (παραστῆναι ὑμᾶς ἁγίους καὶ ἀμώμους καὶ ἀνεγκλήτους κατενώπιον αὐτοῦ). Das implizite Subjekt des Verbs παρίστημι lässt sich wegen des Anakoluths (vgl. S. 154) nicht eindeutig feststellen, aber der nächstliegende Bezug ist das Genitivpron. αὐτοῦ in der Wendung „sein fleischlicher Leib“ (1,22a). Es ist also gemäß der gewöhnlichen Vorstellung des Apostels Christus, der die Gläubigen „hinstellt“ (so wörtlich) vor Gott.458 Der Versuch, παρίστημι einem bestimmten Sitz im Leben zuzuordnen, ob juridisch,459 kultisch,460 oder beides gleichzeitig,461 scheitert an seiner vielfältigen Anwendung.462 Wichtiger für die Deutung des Textes ist ohnehin die Einsicht, dass Paulus an ein endzeitliches Ereignis denkt (vgl. Röm 14,10; 2Kor 4,14; 11,2; Eph 5,27; Kol 1,28).463 Zur genaueren Bedeutung des Begriffs „heilig“ (ἅγιος) vgl. zu 1,2. Er ist, wie auch das Wort „makellos“ (ἄμωμος), der atl. Kultsprache entnommen. Letzteres bezeichnet im Pentateuch ein Tier, das keinerlei Mängel aufweist und deswegen als Opfertier taugt (vgl. Ex 29,1; Lev 1,3.6 etc.). In den Psalmen bzw. in der Weisheitsliteratur wird der Begriff im übertragenen Sinne auf Menschen bezogen, um ihre Tadellosigkeit in moralischer Hinsicht zu bezeichnen (vgl. Ps [LXX] 17,24; 18,13; 36,18; 63,5; 118,80; Spr 11,20; 20,7; Weish 2,22; Sir 31,8; 40,19). Diese übertragene Bedeutung ist hier wie in der Parallelstelle in Eph 5,27 im Blick (vgl. auch Eph 1,4; Phil 2,15; Jud 24; Offb 14,5). Das Wort „unschuldig“ (ἀνέγκλητος) begegnet selten im NT und nur im CP (außer hier nur noch in 1Kor 1,8; 1Tim 3,10; Tit 1,6.7) und nur ein einziges Mal in der LXX (3Makk 3,51). Es ist ein Alltagsbegriff, der forensische Konnotationen haben kann.464 Das ist hier der Fall,465 da es darum geht „vor ihm“ (κατενώ458 459 460 461 462 463
So auch Sumney 86. Kontra Lightfoot 162; Harris 59; Luz 206; MacDonald 72. So Dibelius 22; Lohse 107-108; Bormann 107; Stettler, Heiligung, 551. So Lightfoot 162. So Dunn 109. Vgl. Barth/Blanke 222; MacDonald 72. Vgl. O’Brien 68-69; Luz 207; Sappington, Revelation, 187-188; Moo 142-143; Sumney 85. Kontra Lightfoot 162-163; Lohse 108. Dort, wo es sich um ein Ereignis in der Gegenwart handelt, sind es die Gläubigen selbst, die sich ihm bzw. der Gerechtigkeit hinbzw. darstellen (vgl. Röm 6,13.19; 12,3). 464 Vgl. W. Grundmann, Art. ἀνέγκλητος, ThWNT I, 358. 465 Vgl. Pokorný 77
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πιον αὐτοῦ) – gemeint ist Gott, nicht Christus466 – beim endzeitlichen Gericht zu bestehen. 23 Ob dies im Falle der Gläubigen in Kolossä zutreffen wird, hängt von der Erfüllung einer Bedingung ab, die Paulus pleonastisch formuliert: wenn ihr wirklich im Glauben ausharrt, fest gegründet, und euch von der Hoffnung des Evangeliums nicht abrücken lasst (εἴ γε ἐπιμένετε τῇ πίστει τεθεμελιωμένοι καὶ ἑδραῖοι καὶ μή μετακινούμενοι ἀπὸ τῆς ἐλπίδος τοῦ εὐαγγελίου). Genau genommen werden zwei Bedingungen angeführt; sie sind aber in Wirklichkeit eine und dieselbe, einmal positiv – „wenn ihr bleibt…“ – und einmal negativ – „wenn ihr nicht abrückt…“ – ausgedrückt. Der Form nach (εἴ + Verb im Ind.) stellt die Protasis eine indefinite Kondition dar,467 die durch die Hinzufügung der Partikel γε gesteigert wird („wenn wirklich“).468 Die Bedingung ist also real, und Paulus erwägt ernsthaft die Möglichkeit, zumindest an dieser Stelle, dass sie von den Kolossern nicht erfüllt wird.469 Unter „Glaube“ (πίστις) versteht der Apostel den Inhalt des Evangeliums, den sie gehört und bejaht haben (vgl. zu 1,4-5),470 blendet aber dabei den anfänglichen Vollzug des Glaubens keineswegs aus.471 Dabei müssen sie beharrlich „bleiben“ (ἐπιμένω). Das Verb bedeutet konkret „an einem Ort verweilen“ (vgl. z.B. 1Kor 16,8). Hier begegnet es im übertragenen Sinne mit der Bedeutung „bei etwas bleiben“ bzw. „verharren“. Weiter müssen sie hinsichtlich des Glaubens „gegründet und fest“ (τεθεμελιωμένοι καὶ ἑδραῖοι) sein.472 Diese Wendung ist wohl als Hendiadys, aufzufassen; daher die Übersetzung „fest gegründet“. Das Verb θεμελιόω bedeutet konkret „ein Fundament (θεμέλιον) legen“ (vgl. Mt 7,25). Das Pf. pass. Part. begegnet auch in Eph 3,17 in Kombination mit „verwurzelt“ (ἐρριζωμένοι). Hier wählt Paulus als synonymen Begriff „fest“ (ἑδραῖος; wörtlich „sesshaft“, von ἕδρα = Sitz),473 der außer hier nur noch an zwei Stellen vorkommt: in 1Kor 7,37, wo er auf das Herz bezogen wird (ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτοῦ ἑδραῖος) und bedeutet, dass man bei einer getroffenen Entscheidung bleibt, und 1Kor 15,58, wo er uns in Kombi466 467 468 469
470 471 472 473
So auch Pokorný 77; Moo 143; Sumney 86. Kontra Pao 108. Vgl. HvS §281. Vgl. HvS §252,10. Vgl. Lohse 108; Garland 97; MacDonald 73; Wilson 165; Pao 109; Clark, Completing, 97. Kontra Gnilka 91; O’Brien 69; Lindemann 32; Harris 60; Barth/Blanke 223; Moo 114; Sumney 86. Harris 60 weist allerdings zu Recht darauf hin, dass Paulus grundsätzlich Zuversicht bzgl. der geistlichen Lage der Kolosser zum Ausdruck bringt (vgl. 2,5). Nichtsdestotrotz ist hier die implizite Warnung vor dem Abfall ernst gemeint. Vgl. MacDonald 73; Moo 144-145; Witherington 140. Kontra Sumney 87. Vgl. Wolter 95. Vgl. Gnilka 91. Vgl. Harris 60.
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II. Auslegung
nation mit ἀμετακίνητος, der Negation der adj. Form des Verbs μετακινέω (= „abrücken“ bzw. „verrücken“) begegnet. Diese Wurzel kommt nur noch an unserer Stelle im NT als Part. (μετακινούμενοι) vor. So wird durch das Verb ἐπιμένω, die beiden Partizipien τεθεμελώμενοι und μετακινούμενοι sowie das Adjektiv ἑδραῖος das Konzept des Dem-Glauben-treu-Bleibens durch die Anhäufung von Begriffen, die das an einem Ort Stehenbleiben konnotieren, stark betont.474 Das, wovon die Kolosser nicht abrücken dürfen, ist „die Hoffnung des Evangeliums“ (ἀπὸ τῆς ἐλπίδος τοῦ εὐαγγελίου). Gemeint ist das Objekt der Hoffnung (vgl. zu 1,5),475 das in der Botschaft des Evangeliums dargestellt wird (Gen. poss.). Die gedankliche Verbindung zu 1,4-5 ist auffallend.476 Dort spricht Paulus in zuversichtlichen Tönen von derselben Hoffnung, die den Kolossern im Evangelium verkündet wurde und die sie im Glauben angenommen haben. Das, worauf sie hoffen, ist bei Gott im Himmel gut aufgehoben. Hier beim Übergang zum Hauptteil des Briefes klingt neben der Zuversicht auch ein ermahnender Ton an: Auch, wenn sich das Gehoffte nicht verrücken lässt, müssen die Kolosser darauf achten, dass sie sich von dem im Evangelium Verkündeten nicht abrücken lassen. Die KI stellt gerade diesbezüglich eine Gefahr dar. Das Evangelium wird in dreifacher Hinsicht näher beschrieben. Es ist erstens das gleiche Evangelium, das bei euch Gehör gefunden hat (οὗ ἠκούσατε). Die Gläubigen in Kolossä haben die Verkündigung des Evangeliums nicht nur „gehört“ (so wörtl.), sondern sie haben es, wie Paulus bereits in der Danksagung ausführte, auch als Wahrheit erkannt (vgl. zu 1,5-6). Zweitens, es wird jedem Geschöpf unter dem Himmel verkündet (τοῦ κηρυχθέντος ἐν πάσῃ κτίσει τῇ ὑπὸ τὸν οὐρανόν). Das Wort, das wir mit „Geschöpf“ übersetzen (κτίσις), kann entweder einzelne Wesen oder die Gesamtheit der geschaffenen Dinge – „die Schöpfung“ – bedeuten.477 Das darauffolgende attributive Präpositionalgefüge „unter dem Himmel“ (τῇ ὑπὸ τὸν οὐρανόν) – eine atl. Wendung, die mit „in der ganzen Welt“ (vgl. 1,6) gleichzusetzen ist – macht deutlich, dass hier Ersteres gemeint ist (vgl. Apg 2,5). „Jedes Geschöpf“ steht frühjüdischem Gebrauch entsprechend für „jeden Menschen“ (= Synekdoche).478 Dass es sich hier um eine literarische Hyperbel handelt, ist offensicht474 475 476 477 478
Vgl. Barth/Blanke 223; Maisch 129-130. So auch Gnilka 91; Wolter 96. Vgl. Wright 88; Wolter 95. Vgl. Harris 61. Vgl. Lohse 110. So auch Gnilka 91-92; Schweizer 78; Wolter 96; MacDonald 74; Maisch 130. Kontra Lightfoot 163; Wright 89; Moo 146, Anm. 257; Pao 110.
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lich; gemeint ist die weltweite Ausbreitung des Evangeliums, wie dies der längere Markusschluss, vielleicht in Anlehnung an unseren Text, vorsieht (vgl. Mk 16,15). Obwohl viele Kommentatoren den Aor. des Verbs κηρύσσω als abgeschlossene Handlung deuten, ohne näher darauf einzugehen,479 trägt er hier eine komplexive Nuance; d.h. er bezieht sich auf etwas Andauerndes.480 Vielleicht schimmert aber hier in der bewussten Übertreibung die Überzeugung des Apostels durch, dass die weltweite Verkündigung des Evangeliums zu einem erfolgreichen Abschluss kommen wird.481 Drittens beteuert der Apostel, dass dies dasselbe Evangelium ist, dessen Diener ich, Paulus, geworden bin (οὗ ἐγενόμεν ἐγὼ Παῦλος διάκονος). Obwohl er den Titel „Diener“ nicht grundsätzlich vorzieht bzw. den Apostelbegriff nicht prinzipiell meidet (vgl. 1,1 mit Jak 1,1; Off 1,3), entspricht es sehr wohl seiner Überzeugung, dass Apostel in erster Linie Diener sind (vgl. insbes. 1Kor 3,5; 2Kor 3,6; 6,4; manchmal auch δοῦλος: Röm 1,1; Gal 1,10). Dennoch bezeichnete sich Paulus nur hier und in Eph 3,7 als „Diener des Evangeliums“. An unserer Stelle wird diese Selbstauffassung durch die zusätzlich zum Verb (das im Griechischen keines expliziten Subj. bedarf) vorhandenen Personalpron. und durch den Eigennamen (ἐγὼ Παῦλος) sehr stark betont. Die Wahl des Verbs „Werden“ (γίνομαι) statt „Sein“ (εἰμί) lässt vermuten, dass Paulus an seine Berufung zum Apostel denkt (vgl. zu 1,1). Im Kontext will er auch betonen, dass er ausschließlich dem von Gott offenbarten Evangelium verpflichtet ist und kein mit ihm konkurrierendes duldet (vgl. Gal 1,6-9), und seien es auch nur gewisse mystische oder asketische Zusatzlehren, wie diese die KI bietet. Mit rhetorischem Geschick beansprucht er damit indirekt aber deutlich Autorität über die Gemeinde in Kolossä.482
IV Zusammenfassung Im Übergang zum ersten Hauptteil des Briefes erinnert Paulus die Kolosser an ihre heidnische Vergangenheit. Um einen starken Kontrast zu ihrem jetzigen Leben als Nachfolger Jesu zu ziehen, macht er Gebrauch von einem EinstJetzt-Schema, das seinen Lesern aus frühchristlichen Predigten bekannt war. Zu diesem Schema gibt es keine genauen Parallelen im AT,483 dennoch ist die Denkweise durchwegs atl. Ursprungs. Insbesondere im Deut wird ethisches
479 480 481 482 483
Vgl. z.B. Lindemann 32; Harris 62. Vgl. HvS §199c; Barth/Blanke 224. Ähnlich Pokorný 79; Wolter 96. Ähnlich Bormann 108. Vgl. Tachau, Einst, 68-69.
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II. Auslegung
Verhalten durch die Erinnerung an den Frondienst in Ägypten angemahnt (vgl. die 5-mal vorkommende Formel „denk daran, dass du ein Sklave in Ägypten warst“ in Deut 5,15; 15,15; 16,12; 24,18.22). Wir haben bereits gesehen, dass Paulus der Auszug aus Ägypten als typologisches Muster für das Heil in Christus dient (vgl. zu 1,13-14). Diese Befreiung vom Sklavendasein schließt er an anderer Stelle in das Einst-Jetzt-Schema ein: „Ihr wart Sklaven der Sünde … nun seid ihr aber von der Sünde befreit worden …“ (Röm 6,20.22). Damit stellt der Apostel die Erfahrung der Kolosser in einen heilsgeschichtlichen Rahmen und lädt sie dazu ein, ihr Leben anhand der biblischen Narrative zu deuten. Sie werden förmlich, wie wir bereits bei der Analyse des atl. Hintergrundes zu 1,13-14 gesehen haben, in die Geschichte Gottes mit Israel aufgenommen. Obwohl sie einst in ihrer heidnischen Existenz von Gott entfremdet waren, sind sie nun durch den Opfertod des Messias Jesus mit dem Gott Israels versöhnt worden, damit auch sie vor ihm „heilig, makellos und unschuldig“ stehen dürfen. Somit wird für die Ethik, die im Verlauf des Kol ausgeführt wird, eine tragfähige Basis gelegt, die über das gewöhnliche, seit Bultmann vorherrschende Indikativ-Imperativ-Paradigma hinausreicht. Jenes umfasst nur ein einzelnes Leben. Durch die Anknüpfung an 1,13-14 wir es aber klar, dass das Narrativ, um das es hier geht, die gesamte Heilsgeschichte umfasst bzw. den ursprünglichen Plan Gottes aufgreift: ein „Volk seines Eigentums“ aus der Sklaverei zu retten (vgl. Ex 19,4-6) und durch dieses Volk alle anderen Völker zu segnen (vgl. Gen 12,1-3 mit Gal 3,13-14). All das haben nun die Christen in Kolossä durch die Verkündigung des Evangeliums eigens erfahren. Die Mahnrede dient einerseits der Vergewisserung der Kolosser, dass ihr Heil bereits erfolgt ist;484 die Feindschaft gegen Gott gehört der Vergangenheit an: „Ihr wart einst von Gott entfremdet …“ (1,20). Daraus folgt andererseits Ermutigung und Zuspruch für die Gegenwart – „Nun seid ihr versöhnt …“ – und Motivation, die ausgemalte Zukunft – vor Gott tadellos stehen – im jetzigen Leben zu verwirklichen (1,21). Von diesem Evangelium – d.h. von dieser Lebens- und Heilsnarrative und dem darin zu Tage tretenden Selbstverständnis – dürfen sie nicht abrücken (1,23). Mit dieser Formulierung kommt zum ersten Mal im Kol eine dunkle Wolke auf. Bisher gab es nicht den geringsten Hinweis dafür, dass aus der Sicht des Paulus eine reale Gefahr droht, die die Kolosser ihrer Hoffnung berauben könnte. Noch beschreibt er sie nicht, aber es ist bereits klar, dass die KI ihre Schatten vorauswirft. Im Folgenden wird der Apostel in aller Deutlichkeit
484 Ebd. 112-113.
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ausführen, warum wegen dieser Lehre, mit der die Christen in Kolossä liebäugeln, der sie sich aber noch nicht verschrieben haben (deswegen der milde Ton), Grund zur Sorge besteht.
1.3. Die Selbstvorstellung des Apostels (1,24–2,5) 1.3.1. Der Auftrag des Paulus als Völkerapostel (1,24-29)
I Übersetzung 24 Deswegen freue ich mich wegen der Leiden, die ich für euch erleide, denn dadurch ergänze ich in meinem Fleisch das, was an den Bedrängnissen des Messias für seinen Leib, die Gemeinde, noch aussteht. 25 Ihr Diener bin ich geworden gemäß dem Auftrag, den Gott mir gegeben hat, damit ich in Bezug auf euch die Schrift erfülle. 26 Es handelt sich um ein Geheimnis, das dem menschlichen Geschlecht seit jeher verborgen war, nun aber den Heiligen Gottes offenbart worden ist. 27 Durch sie hat Gott beschlossen, unter den Völkern all den herrlichen Reichtum dieses Geheimnisses kundzutun: Auch ihr gehört zum Messias. Das ist auch eure herrliche Hoffnung. 28 Ihn, den Messias, verkündigen wir, wobei wir mit allem, was die Weisheit zu bieten hat, jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen unterrichten mit dem Ziel, dass wir jeden Menschen im Messias vollkommen darstellen. 29 Dafür mühe ich mich ab und darum ringe ich durch die Kraft, die Gott mir schenkt und sich in mir als außerordentlich kräftig erweist.
II Struktur
Textkritische Anmerkungen. 1,24: א2 075 81 1241s t vgms syh sowie Chr machen explizit, indem sie das Personalpron. μου nach παθήμασιν hinzufügen, was ohnehin klar ist: dass es sich um das eigene Leiden des Apostels handelt. 1,27: 1) 46 lässt aus stilistischen Überlegungen – d.h. um die Kette von Genitiven aufzubrechen – den Genitiv-Zusatz τῆς δόξης nach πλοῦτος weg. 2) D* F bv gmss sowie Ambst ersetzen τούτου mit τοῦ θεοῦ, während bei אursprünglich τοῦ stand. Der Text von NA28 ist wegen seiner breiten Belegung vorzuziehen. 3) אC D H I K L Ψ 075 9278 81 104 65 630 1175 1241s 1505 2464 ersetzen das besser bezeugte neutrische Pron. ὅ nach ἔθνεσιν mit dem mask. Pron. ὅς. 1,28: 1) Das zweite Vorkommen von πάντα ἄνθρωπον wurde bei D* F G 0278 33 it vgms syp sowie C und Ambst als vermeintliche Doppelung gestrichen. 2) א2 D1 H K L P Ψ 075 0278 04 365 630 1175 1505 lat syp sa bomms fügen Ἰησοῦ nach Χριστῶ ein. Die kürzere LA ist besser bezeugt.
166
II. Auslegung
Form. Mit 1,24 beginnt ein neuer Abschnitt. Das signalisiert vor allem der Wechsel von der direkten Anrede mit der 2. Pers. Plur. zur Rede mit der 1. Pers. Sing., der bereits im letzten Nebensatz von 1,23 erfolgt. Da die Anrede in der 1. Pers. Sing. sich bis 2,5 erstreckt, ist eine Mehrheit in der Forschung der Ansicht, dass 1,24–2,5 eine abgeschlossene Perikope bildet.485 Ein weiteres formales Indiz dafür sind die jeweils in 1,24 und 2,5 vorkommenden Verweise auf die Freude, die Paulus im Hinblick auf die Gemeinde in Kolossä empfindet. Sie dienen als thematische Inclusio, die Anfang und Ende des Abschnitts markiert.486 Unklarheit besteht jedoch darüber, ob dieser Abschnitt dem ersten Hauptteil zugeordnet werden soll487 oder einen eigenen Hauptteil bildet.488 Dadurch würde dem Abschnitt der Charakter eines eigenständigen Arguments im Sinne der antiken rhetorischen Betonung auf ethos verliehen.489 Dagegen spricht zum einen, dass Paulus sich im dem Kol zeitlich nahestehenden 1Kor (bei unserer Datierung des Kol) bewusst von den Überzeugungskünsten der Rhetoriker, insbesondere vom Appell an den ethos, distanziert,490 und zum anderen, dass gemäß antiken Denkens ein Verweis auf sein andauerndes Leiden gerade das Gegenteil eines Beweises für seine Zuverlässigkeit bzw. seinen Charakter darstellt.491 Wahrscheinlicher ist, dass Paulus noch gedanklich dabei ist, den Grund dafür zu legen, dass die Kolosser bereitwillig seinen ermahnenden Worten im Briefkorpus Gehör schenken, indem er sie von seinem apostolischen Auftrag als Heidenmissionar (1,24-29) und seinem Bemühen um sie (2,1-5) überzeugt. Somit ist dieser Abschnitt, wie es für solche apostolischen Selbstdarstellungen typisch ist,492 dem Briefanfang zuzuordnen.
485 Folgende Minderheitsvoten sind anzumerken: Harris 5 und Gupta 33 sind der Ansicht, dass der Abschnitt bis 2,3 reicht. Laut Dibelius 1, Bruce 80, Dunn 113 und Bird 63 kommt er erst nach 2,7 zum Abschluss. Lohmeyer 15 und Gnilka 7 machen nach 1,29 eine Zäsur zwischen zwei Hauptteilen (1,9-29 und 2,1-19). 486 Vgl. Bormann 109. 487 Vgl. Lähnemann, Kolosserbrief, 61; Wright 47; Harris 5; Luz 183; Moo 73; Gupta 33. Laut Lohse 29-30, Schweizer 39 und Lindemann 14 umfasst der erste Hauptteil 1,9– 2,23. 488 Vgl. Pokorný 80; Wolter 98-99; Barth/Blanke 252; Maisch 25; Talbert 198; Witherington 142; Sumney 95; Bormann 109; Pao 34. 489 So Sumney, Argument, 340-341; ders., Function, 309-314. 490 Vgl. Litfin, Proclamation, 204-209. 491 Vgl. Hafemann, Suffering, 133-134. Sumney, Afflictions, 666, behauptet, dass antike Rhetoriker die Hervorhebung des eigenen Leidens empfehlen, merkt aber nicht, dass sie an durch glorreiche Taten bereits überwundenes Leiden denken. Das entspricht kaum der Perspektive des Paulus an unserer Stelle. Für eine ausführlichere kritische Anfrage an Sumneys These vgl. Clark, Completing, 60-61. 492 Vgl. Berger, Formen, 326.
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Darin ist Paulus hauptsächlich bemüht, seine Berufung zum apostolischen Dienst an die Völker und seine Verantwortung für sie – darunter auch die Kolosser, auch wenn die Existenz ihrer Gemeinde nicht unmittelbar auf seinen Dienst zurückzuführen ist – zu begründen. Er nähert sich diesem Thema keineswegs sachlich distanziert, sondern ausgesprochen pathetisch.493 Pathos, der Appell an die Emotionen der Zuhörer, um sie für die eigene Sache zu gewinnen, gehört zu den geschätzten Instrumentarien der klassischen Rhetorik (vgl. Aristoteles, Rhetorik I, 1.1356a), aber Paulus setzt sie hier nicht aus rhetorisch-strategischen Gründen ein. Seine ungeheuchelte emotionale Beteiligung an den Entwicklungen in der Gemeinde in Kolossä ist ihm nicht abzustreiten. Sie lässt sich an den ausdrucksstarken Verben, mit denen er sein Bemühen um sie beschreibt (1,24: „sich freuen“; 1,28: „verkündigen“, „ermahnen“; 1,29: „abmühen“, „ringen“), sowie am überladenen Satzbau in diesem Abschnitt erkennen. Denn 1,24-29 ist ein einziger komplizierter Satz, der aus einem Hauptsatz, fünf Relativsätzen, zwei in Apposition stehenden Substantiven sowie einigen Partizipkonstruktionen und Präpositionsgefügen besteht. Dazu kommt gleich am Anfang ein Enthymem – ein Argument, bei dem eine Prämisse unausgesprochen bleibt494 – hinzu (siehe unten). Das alles trägt nicht gerade dazu bei, dass sich die Gedanken des Paulus mühelos erschließen lassen, macht ihn, den von modernen Lesern oft als streitfreudig und unnahbar abgestempelten Apostel, aber durchaus menschlich sympathischer.
III Einzelexegese 24 Paulus beginnt seine Ausführungen über seinen apostolischen Dienst mit einer für ihn typischen Beteuerung der empfundenen Freude für seine Adressaten: Deswegen freue ich mich (νῦν χαίρω). Das Verb „sich freuen“ in der 1. Pers. Sing. Ind. Präs. (χαίρω) begegnet uns häufig in seinen Briefen und sonst im NT nur vereinzelt in der johanneischen Literatur (vgl. Röm 16,19; 1Kor 16,17; 2Kor 7,9.13.16; 13,9; Phil 1,18; 2,17; Kol 2,5; 1Thess 3,9 mit Joh 11,15; 2Joh 4; 3Joh 3). Etwas überraschend ist aber der hier angegebene Anlass seiner Freude: wegen der Leiden, die ich für euch erleide (ἐν τοῖς παθήμασιν ὑπὲρ ὑμῶν). Diese Aussage einschließlich der darauffolgenden Begründung – denn dadurch ergänze ich in meinem Fleisch das, was an den Bedrängnissen des Messias für seinen Leib, die Gemeinde, noch aussteht (καὶ ἀνταναπληρῶ τὰ ὑστερήματα τῶν θλίψεων τοῦ Χριστοῦ ἐν τῇ
493 So auch Witherington 143. 494 Vgl. Harjung, Lexikon, 166-168.
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II. Auslegung
σαρκί μου ὑπὲρ τοῦ σώματος αὐτοῦ ὅ ἐστιν ἡ ἐκκλησία) – gehört zu den meist diskutierten Texten im CP. Fast jedes Wort ist umstritten. Das Adverb „deswegen“ (νῦν) kann auf dreierlei bzw. viererlei Art und Weise aufgefasst werden: erstens temporal im Sinne von „nachdem sich diese Dinge ereignet haben“;495 zweitens locker weiterführend entsprechend dem deutschen „nun“, das in vielen Fällen so viel bedeutet wie „das nächste, was ich nun thematisieren will“;496 drittens schlussfolgernd mit Bezug entweder auf den ganzen vorhergehenden Abschnitt – etwa „aufgrund von alledem, was ich bisher gesagt habe“497 – oder auf den unmittelbar vorangehenden Gedanken – im Sinne von „weil ich ein Diener des Evangeliums bin“.498 Von diesen Deutungsmöglichkeiten scheint eine strenge temporale Deutung am wenigsten schlüssig zu sein, denn auf ein bestimmtes vorangegangenes Ereignis bzw. auf bestimmte vorangegangene Ereignisse wird nicht hingewiesen. Was die zweite Option betrifft, spricht nichts dagegen, das Adverb einfach weiterführend zu deuten, aber auch nicht sonderlich viel dafür. Am ehesten jedoch kann man von einer logischen Schlussfolgerung ausgehen, wobei nicht das ganze bisherige Argument, sondern nur der unmittelbare Bezug zum Wort „Diener“ (διάκονος) im Blick ist. Denn wie wir sehen werden, geht es im ganzen darauffolgenden Abschnitt um eine Darstellung des Dienstverständnisses des Apostels. Mit seinem apostolischen Dienst assoziiert Paulus zunächst sein „Leiden“ (παθήμασιν; Dat. Plur. von πάθημα). Das Lexem, ein Synonym von θλῖψις (siehe dazu unten), das er gerne zur Abwechslung gebraucht, wenn er sein Leiden ausführlicher thematisiert (vgl. 2Kor 1,4-7),499 kommt – nur im Plur. – im NT 16-mal vor (in der LXX hingegen kein einziges Mal) und bezeichnet die schmerzvollen Erfahrungen und Gemütszustände, die Menschen in Not widerfahren.500 Paulus beteuert: ich freue mich wegen der Leiden (χαίρω ἐν τοῖς παθήμασιν; ἐν bezeichnet hier den Anlass zur Freude)501 und bedient
495 Vgl. Lightfoot 164, der darunter einen Kontrast zum hypothetischen Bedrücktsein des Paulus wegen seines Leidens versteht, und Kremer, Bedrängnisse, 135, der dies auf die neue heilsgeschichtliche Epoche, in der sich Paulus zu sein wähnt, bezieht. Vgl. auch Abbott 228; Harris 65. 496 Vgl. Moo 149. 497 Vgl. Lohse 112; MacDonald 78. 498 Vgl. Barth/Blanke 253. 499 Vgl. Kremer, Bedrängnisse, 135; O’Brien 76. 500 Vgl. Kremer, πάθημα, EWNT III, 2. In seltenen Fällen kann es auch die Bedeutung „Leidenschaft“ haben (vgl. Gal 5,24; Röm 7,5). 501 Vgl. HvS §184i; Kremer, Bedrängnisse, 135.
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sich dabei einer für das NT typischen Ausdrucksweise (vgl. z.B. Jak 1,2-4; 1Petr 1,6-7). Ähnliche Aussagen begegnen uns auch in den unumstrittenen Paulinen. In Röm 5,3 rühmt sich Paulus seiner Erfahrungen mit dem Leid (καυχώμεθα ἐν ταῖς θλίψεσιν), und in 2Kor 1,4-5 sieht er in seinem Leiden einen positiven Zweck, der ihn zum Lob Gottes veranlasst: Der in leidvollen Lebenslagen (ἐπὶ πάσῃ τῇ θλίψει ἡμῶν) erfahrene Trost ermöglicht es ihm, anderen Trost zu spenden. An unserer Stelle geht Paulus sogar weiter: Leid hat nicht nur für ihn und indirekt für andere eine unerwartet positive Seite, sondern es ist ganz und gar für euch (ὑπὲρ ὑμῶν). Damit könnte Paulus meinen, dass es zugunsten der Gemeinde erfolgt oder dass er an ihrer Stelle leidet.502 Eine Entscheidung darüber lässt sich aber erst treffen, nachdem wir die crux interpretum im nächsten Satz entschlüsselt haben.503 Paulus kann sich über das erfahrene Leid freuen, denn (epex. καί) dadurch ergänze ich in meinem Fleisch das, was an den Bedrängnissen des Messias für seinen Leib, die Gemeinde, noch aussteht. „Ergänzen“ übersetzt das seltene Verb ἀνταναπληρόω, das nur hier in der gesamten griech. Bibel vorkommt. Das Bikompositum (ἀντί + ἀνά + πληρόω) kommt auch in der außerbiblischen Literatur in der Zeit zwischen dem 4. Jh. v.Chr. und dem 3. Jh. n.Chr. nur 13-mal vor.504 Das Verb πληρόω begegnet uns hingegen häufig im NT (87-mal, davon 13-mal bei Paulus) und hat die Grundbedeutung „füllen“ oder „vollmachen“. Auch das Kompositum (ἀνα + πληρόω) kommt 5-mal bei Paulus vor (1Kor 14,16; 16,17; Gal 6,2; Phil 2,30; 2Thess 2,16; sonst nur 1mal in Mt 13,14).505 Die Hinzufügung des einfachen Präfixes ἀνά verstärkt lediglich die Aktion des Verbes.506 Ob das Bikompositum auch die gleiche Bedeutung hat wie die anderen beiden Formen oder das zusätzliche Präfix ἀντί einen eigentlichen semantischen Beitrag zur Bedeutung des Verbs macht, ist in der Forschung umstritten. Denn viele sehen in der Hinzufügung eines zusätztlichen Präfixes bloß eine stilistische Variante von πληρόω bzw. ἀναπληρόω, wie diese in der Koine manchmal vorkommt.507
502 503 504 505 506 507
Vgl. Bauer, 1658-1659. Vgl. zum Folgenden meine ausführlichere Stellungnahme in White, Paul, 89-106. Vgl. Clark, Afflictions, 14-47. Vgl. Hübner, πληρόω, EWNT III, 257. Ebd. 257-258. Vgl. Moule 78-79; Barth/Blanke 255-256; Sumney 99. Die letzteren beiden Kommentare verweisen auf ἀποκαταλάσσω in 1,20 als ein weiteres Beispiel dieses lexikalischen Phänomens, aber vgl. die Einwände zum vorschnellen Schluss bzgl. jenes Kompositums auf S. 142-143.
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II. Auslegung
Ausführliche Wortstudien, insbes. die von Jacob Kremer508 und Bruce Clark,509 lassen jedoch Zweifel an dieser vermeintlichen Glättung der Bedeutung aufkommen. Denn beide sind aufgrund ihrer Analyse zu dem Schluss gekommen, dass 1) das Doppelpräfix ἀντανα- bedeutungsträchtig ist bzw. dass das erste Präfix ἀντ[ι]- einen entscheidenden semantischen Beitrag im Sinne von „gegenüber“ leistet,510 und dass 2) – während das Kompositum ἀναπληρόω (πληρόω mit einfachem Präfix) die Bedeutung „füllen“ oder „erfüllen“ hat – das Bikompositum ἀνταναπληρόω (πληρόω mit Doppelpräfix) in Kol 1,24 die Nuance „ausgleichen“ bzw. „ergänzen“ trägt.511 Clark führt die Diskussion weiter, indem er geltend macht, dass überall, wo das komplexere Verbkompositum vorkommt, sein Gebrauch sich wie folgt beschreiben lässt: Ein erster Akteur hat im Vorfeld einen (aus welchen Gründen auch immer) ergänzungsbedürftigen Beitrag zu einer erforderlichen Gesamtmenge geleistet. Das Verb ἀνταναπληρόω beschreibt die Aktion eines zweiten Akteurs, der den zu ergänzenden Restbeitrag aus einer dem ersten Beitragenden nicht zugänglichen Quelle hinzufügt, sodass die Gesamtmenge (oder -summe512) erreicht wird. Sowohl Kremers als auch Clarks Analyse zufolge gehört also zur Grundbedeutung des Verbs, dass 1) der fehlende Beitrag nun gänzlich gebracht wird und 2) dass dieser einer anderen Quelle entstammt als der erste Beitrag.513 Wir können also die Bedeutung des Verbs, das Paulus hier verwendet, mit „ergänzen anstelle eines anderen“ bestimmen.514 Dies wäre weniger strittig, wenn es sich nicht gerade um „das an den Bedrängnissen des Messias noch Ausstehende“ (τὰ ὑστερήματα τῶν θλίψεως τοῦ Χριστοῦ) handelte, das Paulus ergänzen zu müssen meinte. Ebendiese Behauptung verleiht der Stelle ihre Brisanz. „Das … noch Ausstehende“ übersetzt ὑστερήματα (wörtl. „Mängel“). Das Wort im Sing. oder Plur. kommt 9mal im NT vor, davon 7-mal in den Paulusbriefen (neben unserer Stelle in 1Kor 16,17; 2Kor 8,14; 9,12; 11,9; Phil 2,30; 1Thess 3,10). Phil 2,30 ist besonders hilfreich als Vergleichstext. Dort geht es um Epaphroditus, der als 508 509 510 511
Vgl. Kremer, Leiden, 156-163. Vgl. Clark, Afflictions, 13-52. So auch Abbott 229-230. Vgl. Kremer, Leiden, 160; Clark, Afflictions, 42. So bereits Johannes Chrysostomus und Theodoret (vgl. dazu Kremer, Leiden, 16.22-23). So auch Lightfoot 165; Perriman, Pattern, 65. 512 Die Wurzel πληρόω hat im finanziellen Kontext eine quasi-technische Bedeutung. Vgl. Lang, Disbursing, 122-125. 513 Vgl. Kremer, Leiden, 158-160; Clark, Afflictions, 42-43. So auch Bormann 111. 514 Vgl. Clark, Afflictions, 158. So bereits Lincoln 613: „to fill up / complete for someone else“.
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Bote und Diener im Auftrag der Gemeinde in Philippi dem Apostel während seiner Gefangenschaft beistand (vgl. Phil 2,25). Dieser habe laut Paulus sein Leben riskiert, um „den Mangel an eurem Dienst an mich auszufüllen“ (ἵνα ἀναπληρώσῃ το ὑμῶν ὑστέρημα τῆς πρός με λειτουργίας). Damit bringt Paulus Folgendes (hyperbolisch) zum Ausdruck: Da die Philipper nicht als geschlossene Einheit nach Rom fahren konnten, um Paulus in seiner Not zu dienen, ersetzte sie Epaphroditus und füllte diesen „Mangel“ aus.515 In 1,24 besteht Paulus zufolge überraschenderweise ein empfundener Mangel hinsichtlich der „Bedrängnisse des Messias“ (θλίψεις τοῦ Χριστοῦ). „Bedrängnis“ übersetzt das griechische Wort θλῖψις, das häufig in der LXX begegnet, und eine Vielfalt an menschlicher Not bzw. menschlichem Leid umfasst.516 Der Begriff kommt 45-mal im NT vor, davon 24-mal bei Paulus, der damit u.a. Verfolgung (2Thess 1,4), Gefangenschaft (Eph 3,13), Armut (2Kor 8,13) und sogar innere Not (2Kor 2,4; 7,5) bezeichnet.517 Was man unter den Bedrängnissen des Messias verstehen soll, wird seit jeher kontrovers diskutiert. Konsens besteht – den Vorurteilen mancher prot. Ausleger zum Trotz – weitestgehend darin, dass damit keine Ergänzungsbedürftigkeit hinsichtlich der Sühnewirkung des Todes Jesu impliziert wird.518 In seinem ausführlichen Forschungsüberlick, den er 45 Jahre später in einem Aufsatz selbst resümierte, zeigte Kremer, dass seit den Anfängen der Rezeptionsgeschichte von 1,24 im Wesentlichen drei verschiedene Deutungen erwogen werden. In der Tradition des Pelagius519 stehen Exegeten, die die Wendung τοῦ Χριστοῦ als qual. Gen. auffassen und unter dessen Bedrängnissen die Leiden des Apostels verstehen, die denen des Messias ähneln.520 Augustinus verstand darunter die Leiden des mystischen Christus, d.h. die Kirche. Paulus meine also, dass er das unerfüllte Leiden der Kirche auffülle.521 Dieser Deutung des großen Kirchenvaters sind erwartungsgemäß viele gefolgt.522 Diesen beiden Auslegungssträngen haftet jedoch die Schwierigkeit an, dass sie nicht zufriedenstellend erklären können, warum Paulus sein Leiden, das dem des Christus ähnelt
515 516 517 518 519
Vgl. Häußer, Philipper, 209. Vgl. Schlier, Art. θλίβω, ThWNT III, 140-142. Vgl. Barth/Blanke 290. Vgl. Kremer, Bedrängnisse, 131. Vgl. Pelaguis, Auslegung des Kolosserbriefes, a.a.O. Vgl dazu Kremer, Leiden, 39-40; ders., Bedrängnisse, 131. 520 Vgl. Moir, Colossians, 480; Trudinger, Note, 37-38; Bormann 112-114. 521 Vgl. Augustinus, Auslegung zu Ps 61. Vgl. Kremer, Leiden, 42-51; ders., Bedrängnisse, 131-132. 522 Vgl. Ernst 186.
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II. Auslegung
oder in mystischer Verbindung mit ihm erfolgt, als Mangel des Leidens Christi empfinden sollte.523 In einer dritten Traditionslinie, die ihren Ausgangspunkt bei Johannes Chrysostomus hat,524 stehen diejenigen, die bejahen, dass es sich hier um die eigenen Leiden Christi handelt.525 Die Wendung τοῦ Χριστοῦ ist demnach als Gen. subj. aufzufassen: Die Bedrängnisse sind ganz und gar dem Messias zugehörig. Dabei wird aber zwischen seinem satisfaktorischen und seinem ädifikatorischen Leiden unterschieden.526 Dieser Unterscheidung liegt die Tatsache zugrunde, dass θλίψις nirgends im NT mit dem Kreuzestod Christi in Verbindung gebracht wird. Eine Identifikation des Leidens des Apostels mit dem sühnewirkenden Passionsleiden des Messias, die sehr schwer mit der Soteriologie seiner übrigen Briefe in Einklang zu bringen wäre, bemüht sich also Paulus selbst zu vermeiden. Damit können theologische Bedenken im Blick auf diese letztere Auslegungsspur, die ceteris paribus die natürlichste Deutung des Ausdrucks darstellt,527 aus dem Weg geräumt werden. Denn das vermeintlich schwerwiegende theologische Problem, das dagegenspräche, ist imaginärer statt realer Natur.528 Die Bedrängnisse des Messias, die Paulus ergänzt, erleidet er in meinem Fleisch (ἐν τῇ σαρκί μου). Der Begriff „Fleisch“ (σάρξ) kommt 147-mal im NT vor, davon 97-mal im CP.529 An unserer Stelle konnotiert er körperliche Schwachheit, d.h. alles, was einen Menschen in seiner sterblichen Existenz bedroht oder gefährdet,530 auch seelische Zustände wie Ängste und Sorgen. Kontrovers diskutiert wird der syntaktische Bezug des Präpositionalgefüges. Am natürlichsten ist es adv. im Sinne von „ich ergänze in meinen Leib, was an den Bedrängnissen Christi fehlt“, zu deuten,531 wie in unserer Übersetzung. Versuche, es als eine seltene Objektergänzung532 zu ὑστερήματα zu deuten – demnach spräche Paulus von seinen eigenen noch nicht ausreichenden Bedrängnissen533 –, überzeugen nicht. Zum einen lässt die Bedeutung des Verbs 523 So auch Lohmeyer 77; O’Brien 78. 524 Vgl. Johannes Chrysostomus, 4. Homilie zum Kolosserbrief, a.a.O. Vgl. dazu Kremer, Leiden, 10-20; ders., Bedrängnisse, 133; Reumann, Colossians, 455-456. 525 Vgl. Lightfoot 165-167. 526 Ebd. 166. 527 So auch Luz 210. 528 Vgl. Lightfoot 166. 529 Vgl. Thiselton, Art. σάρξ, NIDNTT I, 674. 530 Vgl. Sand, Art. σάρξ, EWNT III, 550. 531 Vgl. Harris 66. 532 Vgl. HvS §183c. 533 Vgl. Abbott 232; Flemington, Interpretation, 87; Wolter 102; Talbert 201-202; Baumert/ Seewann 103.
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ἀνταναπληρόω diese Deutung nicht zu. Das Präfix ἀντ[ι]- verlangt nämlich, wie oben ausgeführt, dass das einen ergänzungsbedürftigen Beitrag Ergänzende aus einer anderen Quelle als jener Beitrag stammen muss. Hätte also Paulus unmissverständlich zum Ausdruck bringen wollen, dass er das für ihn vorgesehene Pensum an eigenem Leid noch auffüllen muss, weil er bis dahin nur einen Teil davon erlitten hat, hätte er zumindest das erste Präfix weglassen, wenn nicht sogar ein anderes Verb gebrauchen müssen. Zum anderen sind solche Auslegungsversuche i.d.R. theologisch motiviert und bemühen sich, den Gedanken eines ergänzungsbedürftigen Leidens Christi zu umgehen. Wie wir oben gesehen haben, sind solche Bemühungen unnötig. Das, was Paulus erleidet, ist für euch (ὑπὲρ ὑμῶν) bzw. für seinen Leib, die Gemeinde (ὑπὲρ τοῦ σώματος αὐτοῦ ὅ ἐστιν ἡ ἐκκλησία).534 Durch die Identifikation des Leibes Christi mit der Kirche greift Paulus eine Einsicht des CL wieder auf (vgl. zu 1,18). Wie diese sich gegenseitig erklärenden Präpositionalgefüge zu deuten sind, hängt natürlich mit den bisher ausgeführten exegetischen Entscheidungen zusammen. Wie oben erwähnt, kann man die Präp. ὑπὲρ entweder begünstigend – „zu eurem Vorteil“ bzw. „zum Vorteil der Gemeinde“535 – oder stellvertretend – „an eurer Stelle“ bzw. „anstelle der Gemeinde“536 – auffassen. Letzteres wird wohl von der Mehrheit der Exegeten befürwortet, oft mit einem expliziten Verweis auf das frühjüd. Konzept der „messianischen Wehen“, das den traditionsgeschichtlichen Hintergrund liefere.537 Demnach gibt es für das Volk Gottes ein von Gott vorhergesehenes Pensum – ein eschatologisches Maß538 – an Leid, das erst ertragen werden muss, bevor das messianische Zeitalter anbricht. Paulus freue sich dieser Deutung zufolge, wenn er mehr von dieser Gesamtmenge tragen darf, denn dadurch werden andere, darunter auch die Christen in Kolossä, weniger davon abbekommen539 bzw. breche dadurch das messianische Zeitalter früher an.540
534 Dass diese Ausdrücke parallel zueinander stehen, geht aus der Satzstruktur hervor:24a νῦν χαίρω ἐν τοῖς παθήμασιν ὑπὲρ ὑμῶν24b καὶ ἀνταναπληρῶ τὰ ὑστερήματα τῶν θλίψεως … ὑπὲρ τοῦ σώματος αὐτοῦ Vgl. dazu Kremer, Bedrängnisse, 134; Barth/ Blanke 257. 535 Vgl. z.B. Gnilka 95; Barth/Blanke 295. 536 Vgl. z.B. Maisch 137; Witherington 45. 537 Vgl. Dibelius 23; Best, Body, 132-133; Zeilinger, Erstgeborene, 89; Bauckham, Again, 169; Lohse 113-114; O’Brien 78-79; Lindemann 33; Bruce 83; Wright 92; Witherington 44-45; Pao 125-126. 538 Vgl. Stuhlmann, Maß, bes. 91-92. So auch Lohse 114. 539 Vgl. z.B. Wright 93. 540 Vgl. z.B. Stettler, Interpretation, 205-206.
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II. Auslegung
Es ist eine offene Frage, auf die wir hier nicht eingehen können, inwiefern sich eine solche Vorstellung in die Theologie des Paulus integrieren lässt.541 Wie dem auch sei, ein schwerwiegender Einwand gegen diese Auslegung besteht wiederum in der Bedeutung des Verbs ἀνταναπληρόω. Denn es impliziert, wie wir oben gesehen haben, dass, nachdem der Apostel seinen ergänzenden Beitrag geleistet haben soll, nichts mehr hinzuzufügen ist. M.a.W. behauptet Paulus durch den Gebrauch dieses Verbs, dass er alles, was noch an den Leiden des Messias fehlt, durch seinen Dienst erbracht hat. Weitere Beiträge von anderen Christen sind nicht vorgesehen. Viele Ausleger schließen dieses die lexikalische Analyse des Verbs nahelegende Deutung von vornherein aus – oder sie sehen darin einen weiteren Beweis für die pseudepigraphische Verfasserschaft des Kol.542 Dass Paulus von sich behaupten könnte, er und er allein solle das, was an den Bedrängnissen des Messias fehlt, ergänzen, ist für sie mit seiner Theologie bzw. seiner Auffassung von seinem apostolischen Dienst nicht auf einen Nenner zu bringen. Diese in der Tat auf den ersten Blick befremdliche Ansicht lässt sich aber durchaus mit der besonderen heilsgeschichtlichen Rolle, die der Apostel für sich als den Heidenmissionar schlechthin beansprucht, vereinbaren.543 Denn Paulus versteht seinen Dienst selbstbewusst als einen expliziten Auftrag Christi, zu den Völkern zu gehen. Diese Ansicht verdankt er seiner Begegnung mit dem auferstandenen Herrn, der ihm Lukas zufolge seinen eigenen Auftrag als Knecht, der als Licht zu den Nationen bestellt wurde, übertragen hat (vgl. Apg 9,15; 13,47 mit Jes 49,6).544 Dass dies auch der Überzeugung des Paulus selbst entsprach, machen viele paulinischen Texte, die seine Auffassung von seinem apostolischen Dienst thematisieren, durch auffallende intertextuelle Bezüge zu Jesaja klar (vgl. Röm 15,20-21; 2Kor 6,1-2; Gal 1,1516).545 Wenn man bedenkt, dass Jesus sein eigenes Wirken (mit ein paar we541 Vgl. die kritische Äußerung zur These der messianischen Wehen von Kremer, Bedrängnisse, 137; Lincoln 614; Sumney, Lacking, 668. 542 Vgl. z.B. Kiley, Colossians, 59-60; Sumney, Lacking, 664, Anm. 1. 543 Vgl. Munck, Paul, 36-49. 544 Folgende Autoren betonen (trotz auffälliger Unterschiede in ihren Auslegungen), dass die Aussage des Paulus, er ergänze das, was an den Bedrängnissen Christi mangelt, heilsgeschichtlich zu deuten ist und mit seiner Selbstauffassung, er sei der jesajanische Bote zu den Völkern, zusammenhängt: Dunn 116-117; Stettler, Interpretation, 192-196; Moo 152-153. 545 Vgl. Dunn 116, Fn. 13; White, Paul, 102-104. Clark, Completing, 150-157, betont zwar die Einzigartigkeit des Dienstes bzw. des Leidensauftrags des Apostels, deutet diese aber lediglich synchron gegen den Hintergrund von 2Kor 5,18–6,4. Dabei übersieht er die vielen Anklänge an die jesajanische Versöhnungsthematik, die in 2Kor 5–7 das Dienstverständnis des Paulus prägt. Vgl. dazu Beale, Background, 550-581.
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nigen Ausnahmen, die dazu dienen, seinen universalistischen Ausblick dennoch zu bestätigen) bewusst auf Israel eingrenzt (vgl. Mt 15,24) und auch die Zwölf von ihm zunächst keinen Auftrag über Israel hinaus bekamen (vgl. Mt 10,6), kann man durchaus nachempfinden, dass Paulus insbes. Jes 49,6546 als noch nicht durch den Messias selbst erfüllt betrachtete. Ist Paulus aber der Überzeugung, dass er Anteil am Sendungsauftrag des jesajanischen Knechtes hat, weil hier ein „Mangel“ besteht, den er in programmatischer Weise ergänzen muss, so stellt es keinen großen Gedankensprung dar, wenn er meinen würde, einen entsprechenden Teil des Leidens des Knechtes übernehmen zu müssen (vgl. Jes 52,13–53,12, insbes. 53,7). Freilich macht Paulus diese Verknüpfung in seinen Aussagen über sein Leiden weder hier noch an anderer Stelle explizit, aber im Allgemeinen ist die enge Verbindung, die er zwischen seinem apostolischen Dienst und seinem Leiden sieht, unstrittig.547 Dass diese Verbindung auch hier im Blick ist, geht aus der zweifachen Beteuerung des Apostels unmittelbar vor und nach 1,24, er sei Diener (διάκονος) des Evangeliums bzw. der Gemeinde geworden, (vgl. zu 1,23 und 1,25) eindeutig hervor. Die Sachlage spricht am ehesten für eine heilsgeschichtliche Deutung von 1,24, wie wir sie oben ausgeführt haben. Dazu kommt unterstützend hinzu, dass sie allein von den mit ihr konkurrierenden Auslegungen beiden lexikalisch erforderlichen Aspekten des Verbs ἀνταναπληρόω – volle Ergänzung (1) aus einer anderen Quelle (2) – ihren vollen Tribut zollt. 25 Die Erwähnung der Gemeinde am Ende von 1,24 veranlasst Paulus zu einer weiteren Beteuerung hinsichtlich seines Dienstes: Nicht nur kommt sein Leiden der Gemeinde zugute, sondern ihr Diener bin ich geworden (ἧς ἐγενόμην ἐγὼ διάκονος). Ein zweites Mal innerhalb von drei Versen betont Paulus also durch die gleiche Konstruktion – Relativpron. + ἐγενόμην ἐγὼ [+ Παῦλος in 1,23] διάκονος (vgl. die Ausführungen zu 1,23) – seinen Status als Diener. Wie oben bereits erwähnt, hängt dies engstens mit seiner Berufung als Apostel zusammen. Sein Verständnis davon führt er nun im Folgenden weiter aus: Er ist Diener der Gemeinde geworden gemäß dem Auftrag, den Gott mir gegeben hat (κατὰ τὴν οἰκονομίαν τοῦ θεοῦ τὴν δοθεῖσαν μοι). Das griech. Wort, das hier mit „Auftrag“ übersetzt wird (οἰκονομία), kommt im NT, abgesehen vom Gleichnis vom klugen Verwalter (Lk 16,1-8), nur im CP vor (neben unserer Stelle auch in 1Kor 9,1; Eph 1,10; 3,2.9; 1Tim 1,4). Seine 546 „Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wiederaufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.“ (EIN) 547 Vgl. Hafemann, Suffering, bes. 7-87; Cahill, Parallelism, 144.
176
II. Auslegung
Bedeutung ist „eigentümlich unspezifisch und diffus“.548 In der Profangräzität bezeichnet es u.a. eine verwaltende Tätigkeit, die Verwaltung, die administrative Gewalt, eine bestimmte Aufgabe oder Regelung, ein Amt sowie die gerechte Ausübung eines Amts.549 In Eph 1,10 und 3,9 wird es im Gegensatz zu Eph 3,2, der unserem Vers in vielerlei Hinsicht ähnelt, zu einer Bezeichnung für den Heilsplan Gottes überhaupt,550 aber man darf nicht vorschnell diese Bedeutung auf Kol 1,25 übertragen.551 Paulus meint hier nicht, dass Gott ihm seinen gesamten Heilsplan anvertraut hat, sondern οἰκονομία steht hier als Metonymie des Ganzen für einen Teil davon. Es geht ihm nämlich in 1,25 vordergründig darum, dass Gott ihm eine spezifische Verwaltungsaufgabe innerhalb dieses Gesamtplans aufgetragen hat (die Wendung τοῦ θεοῦ ist Gen. auct.;552 das Aor. Part. δοθεῖσαν ist passivum divinum). D.h. der göttliche Ursprung der οἰκονομία wird stärker betont als ihr Amtscharakter. Die Bedeutungsnuance „Auftrag“ passt somit am besten im Kontext.553 Das Präpositionalgefüge εἰς ὑμᾶς, das wir mit in Bezug auf euch übersetzt haben (wörtl. „für euch“), kann entweder anaphorisch auf das Partizip δοθεῖσαν – dann meinte Paulus, dass Gott ihm eine Aufgabe gegeben hat, die den Kolossern zugutekommt554 – oder kataphorisch auf die darauffolgende Infinitivkonstruktion πληρῶσαι τὸν λόγον τοῦ θεοῦ (wörtl. „das Wort Gottes zu erfüllen“) – in diesem Fall hieße es, dass der Auftrag darin bestand, das (auch) die Kolosser betreffende Wort Gottes auszuführen555 – bezogen werden. Eine Entscheidung darüber hängt mit der korrekten Deutung des Infinitivs zusammen, der sich entweder im finalen Sinn – dann heißt es, dass Gott Paulus eine bestimmte Aufgabe übertragen hat, um sein Wort zu erfüllen – oder epex. – in diesem Fall besteht die Aufgabe darin, das Wort Gottes zu erfüllen – auffassen lässt.556 Durch diese Konstellation ergeben sich vier Auslegungsmöglichkeiten, die sich nur geringfügig voneinander unterscheiden, von denen aber die wahrscheinlichste diejenige ist, die εἰς ὑμᾶς kataphorisch und πληρῶσαι epex. deutet. Die Übersetzung der Infinitivkonstruktion mit damit ich in Bezug auf euch die Schrift erfülle versucht dieser Nuance gerecht zu werden. Für die Bedeutung des Verbs πληρόω („erfüllen“) vgl. zu 548 549 550 551 552 553 554 555 556
Kuhli, Art. οἰκονομία, EWNT II, 1215. Vgl. LSJ 1204. Vgl. Best, Ephesians, 138. So auch Dunn 118. Vgl. Harris 67. Vgl. Ernst 187; Luz 210; Geréb, Paulus, 39-40. Vgl. Harris 68. Vgl. Dibelius 24; Barth/Blanke 260. Vgl. Harris 68.
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1,24. Die Wendung „das Wort / die Worte erfüllen“ (πληρόω [Akt. oder Pass.] + λόγος/λόγοι; vgl. Lk 1,20; Joh 12,38; 15,25; 18,9.32) oder ähnliche Wendungen557 begegnen häufig im NT. Sie sind der Sprache der Prophetie entlehnt und passen reibungslos in die folgenden apokalyptischen Motive (vgl. zu 1,26).558 Deswegen übersetzen wir τὸν λόγον τοῦ θεοῦ (wörtl. „das Wort Gottes“) mit „die Schrift“, auch wenn kaum ein Ausleger die aus lexikalischer Hinsicht naheliegende Möglichkeit erwägt, dass Paulus zum Ausdruck bringen will, er erfülle durch die Ausführung seines Auftrags atl. Prophetie. Ist dies tatsächlich der Fall, muss man überlegen, welches Wort der Schrift Paulus dabei bedacht hätte. Wir haben oben gesehen, dass er sich als unmittelbar vom auferstandenen Herrn zur Heidenmission, um die es im Folgenden geht, berufen verstand. Lukas zufolge bestellte der Herr den Apostel zu diesem Dienst mit einem expliziten Hinweis auf Jes 49,6; Paulus solle der Auftrag, ein Licht für die Völker zu sein bzw. ihnen das Heil zu bringen (vgl. Apg 13,47 und a.a.O.), übertragen werden.559 Dieses Jesajawort, das er wohl kaum aus eigenen Stücken für sich beansprucht hätte, galt es durch seine Missionstätigkeit zu erfüllen,560 und das tat er in Bezug auf die Kolosser, indem er veranlasste, dass sein Mitarbeiter in Kolossä das Evangelium gepredigt und eine Gemeinde gegründet hat (vgl. zu 1,6). Diese Ansicht ist auf dem Hintergrund seiner allgemeinen Aussage in Röm 15,18-19, dass er Heidenmission im nordöstlichen Mittelmeerraum betrieben und somit dort „das Evangelium des Messias erfüllt“ (πληρόω + τὸ ἐυαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ) habe, zu verstehen.561 Auch hinter dieser auffälligen Formulierung stehen jesajanische Vorstellungen von der Ausbreitung des Evangeliums unter den Völkern (vgl. Jes 66,19), die Paulus als Vorgaben für seine missionarischen Bemühungen betrachtete.562
557 Beispielsweise „das Gesagte erfüllen“ (πληρόω + ῥηθὴν; vgl. die sogenannten Reflexionszitate in Matthäus, z.B. Mt 1,22); „die Schrift erfüllen“ (πληρόω + ἡ γραφή; Lk 4,21; Joh 13,18; 17,12; 19,24.36; Apg 1,16; Jak 2,23); „seine Worte erfüllen (πληρόω + ῥήματα αὐτοῦ; Lk 7,21); „all das Geschriebene erfüllen (πληρόω + πάντα τὰ γεγραμμένα; Lk 24,44). 558 Kontra Lang, Disbursing, 131, dem zufolge die Wendung πληρῶσαι τὸν λόγον τοῦ θεοῦ ein t.t. des Finanzwesens ist und etwa „disbursing the account of God“ bedeutet. Damit überstrapaziert er die Fiskalmetaphorik, die mit Sicherheit lediglich hinter οἰκονομία ausgemacht werden kann, aber hier nicht zwingend den Hintergrund bestimmen muss. 559 Dass dies nicht der Fantasie des Lukas entsprungen ist, sondern durchaus der Überzeugung des Paulus entsprach, zeigt u.a. Gal 1,16. 560 Ähnlich Pao 128. 561 Vgl. Munck, Paul, 47-48. 562 Vgl. Riesner, Frühzeit, 213-225, gefolgt von White, Erstlingsgabe, 204-212.
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II. Auslegung
26 Paulus bedient sich eines in der frühjüdischen Tradition vorgeprägten Revelationsschemas,563 durch das er beteuern will, es handelt sich beim Auftrag, den er als Heidenmissionar bekommen hat, um ein Geheimnis, das dem menschlichen Geschlecht seit jeher verborgen war (τὸ μυστήριον τὸ ἀποκεκρυμμένον ἀπὸ τῶν αἰώνων καὶ ἀπὸ τῶν γενεῶν). Das Wort μυστήριον, das wir hier mit „Geheimnis“ übersetzen, kommt im NT 28-mal vor, davon 22mal im CP, und wurde z.Z. des NT im Profangriech. mit den Mysterienreligionen assoziiert. Es bezeichnete ursprünglich unaussprechliche, dem rationalen Denken unerschließbare Wahrheiten.564 Wichtiger für den paulinischen Gebrauch ist jedoch seine quasi-technische Bedeutung in der frühjüd. Apokalyptik, nach der die Gedanken und Pläne Gottes gemeint sind, die den Menschen verborgen sind (vgl. äthHen 63,3), aber Auserwählten durch göttliche Offenbarung zugänglich gemacht werden können (vgl. äthHen 106,19).565 Hinter dem Vorkommen des Wortes μυστήριον an unserer Stelle stehen die endzeitlichen Vorstellungen von Dan 2 LXX, der einzigen Stelle im AT, an der es in diesem Sinne gebraucht wird (vgl. Dan 2,18-19.27-30.47; μυστήριον übersetzt stets das aram. )ָרז.566 Gott ist es, der Tiefes und Verborgenes enthüllt (vgl. Dan 2,22) – nach der Ausdrucksweise des Paulus: alles, was dem menschlichen Geschlecht seit jeher verborgen war (wörtlich: „verborgen vor den Äonen und vor den Generationen“; τὸ ἀποκεκρυμμένον ἀπὸ τῶν αἰώνων καὶ ἀπὸ τῶν γενεῶν). Dass mit αἰῶνες und γενεαί geistliche Mächte gemeint sind,567 entspricht nicht dem üblichen Gebrauch dieser Termini.568 Die parallel zueinander stehenden ἀπό + Gen. Präpositionalgefüge könnten einen Pleonasmus darstellen, der die Dauer des beschriebenen Zustandes betont.569 Die Wiederholung der Präp. und des Art. vor γενεῶν spricht allerdings dagegen.570 Vielmehr liegt die Deutung nahe, nach der das erste Präpositionalgefüge temporal und das zweite lokal aufzufassen ist.571 Dafür spricht vor allem, dass dadurch ein ausgeglichener Kontrast zwischen 1,26a und 1,26b entsteht: Was seit ewig (ἀπὸ τῶν αἰώνων) den Menschen (ἀπὸ τῶν γενεῶν) verborgen war, ist nun (νῦν) Gottes Heiligen (τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ) offenbart worden (vgl. a. a.O.). 563 564 565 566 567 568 569 570 571
Vgl. Dahl, Beobachtungen, 4-5; Berger, Formen, 327. Vgl. Krämer, Art. μυστήριον, EWNT ΙΙ, 1098-1099. Ebd. 1100. Vgl. insbes. Wilson 174-176; Beale 858-859. Vgl. Dibelius 24. Vgl. Dunn 1119. Vgl. Gnilka 101; Barth/Blanke 262-264. Vgl. Zerwick §184. Vgl. Harris 69.
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Das Verb ἀποκρύπτω kommt nur 4-mal im NT vor, 3-mal bei Paulus und dann immer als Perf. Pass. Part. mit unmittelbarem Bezug zu μυστήριον (neben 1,26 vgl. 1Kor 2,7; Eph 3,9). Paulus betont somit im Einklang mit der frühjüd. Apokalyptik das grundsätzliche Verborgensein der Geheimnisse Gottes. Hier haben die Weisen, wie auch Jesus bestätigt (vgl. 1Kor 2,7 mit Lk 10,21), keinen epistemologischen Vorsprung, wenn es um die Erkenntnis der Absichten Gottes geht. Wenn er nicht die Initiative ergreift, bleibt diese allen Menschen verhüllt. Es ist umso erstaunlicher, dass das Geheimnis (das vom Obj. des Inf. πληρῶσαι zum Subj. des finiten Verbs ἐφανερώθη wechselt) nun aber den Heiligen Gottes offenbart worden ist (νῦν δε ἐφανερώθη τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ). Das Adv. νῦν ist, wie oben schon bemerkt, hier temporal zu verstehen. Das Verb φανερόω kommt 49-mal im NT vor, fast immer im Pass. mit der Bedeutung „sich offenbaren“, „bekannt werden“ oder „sichtbar werden“. Paulus gebraucht das Lexem oft als Synonym für ἀποκαλύπτω;572 erstere Bedeutung liegt auch hier wegen des eindeutigen apokalyptischen Motivs nahe. Wahrscheinlich sind mit den Heiligen die Christen, insbes. die Apostel, und keine Engel gemeint (vgl. zu 1,12), obwohl ein Bezug zu den Engeln wegen des apokalyptischen Kontexts nicht völlig ausgeschlossen werden kann.573 In der Parallelstelle Eph 3,5 spricht Paulus ebenso von einem Geheimnis, dass früheren Generationen nicht offengelegt wurde, „nun aber den heiligen Aposteln und Propheten im Geist offenbart wird“ (νῦν ἀπεκαλύψθη τοῖς ἁγίος ἀποστόλοις αὐτοῦ καὶ προφήταις ἐν πνεύματι). Ob Paulus, wie Petrus, der Meinung ist, dass Einsicht in die Heilspläne Gottes den Engeln nicht gewährt ist, wissen wir nicht (vgl. 1Petr 1,10-12), aber die Empfänger der offenbarten Geheimnisse Gottes sind auch für ihn auserwählte Menschen, die diese an die Gemeinde weitergeben.574 27 Durch sie – d.h. durch die Apostel und Propheten, insbes. Paulus selbst – hat Gott beschlossen, unter den Völkern all den herrlichen Reichtum dieses Geheimnisses kundzutun (οἷς ἠθέλησεν ὁ θεὸς γνωρίσαι τί τὸ πλοῦτος τῆς δόξης τοῦ μυστηρίου τούτου ἐν τοῖς ἔθνεσιν). Das Relativpron. οἷς bezieht sich auf ἁγίοις in 1,26. Je nach dem, wen man unter den „Heiligen“ versteht, wird dieses entweder als Objektsdat. oder – selten erwogen aber durchaus möglich – als Dat. instr. aufzufassen sein. Wenn mit den Heiligen alle Christen gemeint sind, dann liegt es nahe, οἷς im Sinne des Ersteren zu 572 Vgl. Müller, Art. φανερόω, EWNT ΙΙΙ, 988. 573 Kontra Lohmeyer 82. 574 Ähnlich Barth/Blanke 264.
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II. Auslegung
deuten. In diesem Fall will der Nebensatz zum Ausdruck bringen, dass Gott allen Christen etwas bekannt machen wollte. Demnach stünde ἐν τοῖς ἔθνεσιν in Apposition zu οἷς, und man müsste etwa übersetzen: „Ihnen, den Völkern, wollte Gott … kundtun“.575 Wie aber oben bereits ausgeführt, spricht einiges dafür, dass Paulus mit den Heiligen insbes. die Empfänger der Offenbarungen Gottes meint. Ist dies tatsächlich der Fall, empfiehlt es sich, οἷς mit instrumentaler Nuance zu deuten, wie wir es in unserer Übersetzung tun. In der Verbkonstruktion ἠθέλησεν γνωρίσαι (wörtlich: „er wollte bekanntmachen“) sind sowohl das finite Verb als auch der Inf. Aoristformen, die auf unauffällige Art und Weise von dem berichten, was Gott in der Vergangenheit beschlossen hat. „Wollen“ bringt hier nicht ein vages Wünschen zum Ausdruck, sondern Entschlossenheit.576 Um heilsgeschichtlich bedeutsame Ereignisse zu beschreiben, verwendet das NT typischerweise den historischen Aor.577 Hier handelt es sich um den ewigen Ratschluss Gottes, nach dem zur gegebenen Zeit das bereits in 1,26 erwähnte Geheimnis gelüftet werden sollte. Paulus lässt die Spannung zunächst ansteigen; wir wissen noch nicht, worum es bei diesem Geheimnis geht. Zuerst unterstreicht er die überragende Vorzüglichkeit des Geheimnisses mit auffallend blumiger Sprache.578 Eine Genitivkette mit vier Gliedern versucht zu erfassen, (wörtl.) „welchen Reichtum der Herrlichkeit dieses Mysteriums“ (τί τὸ πλοῦτος τῆς δόξης τοῦ μυστηρίου τούτου) Gott kundtun will. Das Subst. τὸ/ὁ πλοῦτος579 bezeichnet konkret ein beträchtliches Ausmaß an irdischen Gütern und im übertragenen Sinne einen großen Überfluss an einer bestimmten Eigenschaft oder einer geistigen/geistlichen Ressource. Die Wendung „der Reichtum seiner Herrlichkeit“ (τὸ πλοῦτος τῆς δόξης) ist als Semitismus auffassen, wodurch der Genitivkonstruktion τῆς δόξης eine adj. Nuance zukommt (vgl. zu 1,11). Man übersetzt sie am besten mit „der herrliche Reichtum“.580 Paulus gebraucht die gleiche Wendung in Röm 9,23 (auch dort als Objekt des Verbs γνωρίζω), um die Größe der Gnade zu beschreiben, die Gott den Auserwählten erweist. Sie wird auch in Eph in Verbindung mit dem Erbe der Heiligen (1,18) und der Kraft Gottes (3,16) gebraucht. Überall wird dadurch konnotiert, dass das Ausmaß dessen, worauf sich die Wendung bezieht, überraschend groß und uner575 576 577 578 579
Vgl. Barth/Blanke 264. Vgl. Dunn 121; Wilson 178. Vgl. HvS §199b. Vgl. Ernst 187. Das Substantiv πλοῦτος ist streng genommen ein Maskulinum, aber Paulus kennt das Lexem auch als Neutrum. Vgl. Wilson 178-179. 580 So auch Gnilka 102; Harris 70.
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wartet ist. Wenn also Paulus an unserer Stelle vom herrlichen Reichtum des Geheimnisses spricht, erweckt er damit den Eindruck, dass dies alle Erwartungen bzgl. seines Umfangs bzw. seiner Wirkung übertrifft. Das Präpositionalgefüge ἐν τοῖς ἔθνεσιν bezieht sich adv. auf γνωρίζω;581 das Geheimnis soll unter den Völkern bekanntgemacht werden.582 Nach der spannungsvollen Umschreibung des Geheimnisses kommt Paulus endlich dazu, dies zu lüften: Auch ihr gehört zum Messias. Wörtlich heißt es an dieser Stelle: „es (d.h. das Geheimnis; das Relativpron. ὅ bezieht sich auf μυστηρίον in 1,26) ist der Messias unter euch“ (ὅ ἐστιν Χριστὸς ἐν ὑμῖν). Das Präpositionalgefüge ἐν ὑμῖν kann entweder „in euch“ oder „unter euch“ bedeuten. Letzteres ist hier vorzuziehen, da es parallel zur Wendung „unter den Völkern“ in 1,27a (vgl. auch zu 1,6) steht.583 Darüber, was mit dem Geheimnis genau gemeint ist, gibt Eph 3,6 Auskunft: Es besteht darin, dass auch die Völker wörtl. „Miterben, Mitleib und Mitglieder der Verheißung in Christus“ (συγκληρονόμα σύσσωμα καὶ συμμέτοχα τῆς ἐπαγγελίας ἐν Χριστῷ) sind. Den Heiden wird somit nichts weniger als die volle Anteilnahme am Volk Gottes zugesprochen. Nun ist es aber nicht so, dass die Aufnahme der Heiden in den Bund mit Gott an sich eine ganz neue Offenbarung wäre, die erst durch Paulus bekannt gemacht wurde. Bereits die atl. Propheten redeten davon, dass die Völker im Zuge der Rückkehr Israels aus dem Exil mit den Juden nach Jerusalem hinaufgehen werden. Dieses Motiv kommt so häufig vor, dass man dafür eine eigene Fachbezeichnung geprägt hat: die „Völkerwallfahrt“.584 Gemäß den gängigen Vorstellungen im Frühjudentum aber nahm man an, dass solche „gottesfürchtigen“ Heiden zum Judentum konvertieren würden. Die Jerusalemer Gemeinde dachte auch nicht anders darüber, bis die Bekehrung des Cornelius und die Entstehung einer starken heidenchristlichen Minderheit in Antiochien (vgl. Apg 10,9–11,26) sie dazu zwang, sich mit diesem judeozentrischen Erbe kritisch auseinanderzusetzen. Dass Heiden als Heiden – und nicht als Proselyten – Aufnahme in das Volk Gottes finden sollten, wäre sonst wohl kaum jemandem in den Sinn gekommen. Das ist also das Geheimnis, von dem Paulus behauptet, ihm wurde es offenbart,585 und er war auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass diese radikale Ansicht von der Jerusalemer Gemeinde akzeptiert werden und sich über581 582 583 584 585
Vgl. Lightfoot 169. Kontra Harris 71. Vgl. O’Brien 86; Barth/Blanke 265. Vgl. Lohse 121-122; Gnilka 102; Barth/Blanke 265. Kontra O’Brien 87; Dunn 122. Vgl. Maier, Völkerwallfahrt, bes. 3-41. So auch Bruce 84.
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II. Auslegung
all als Konsensposition durchsetzen konnte. Der Messias der Juden ist auch der Messias der Völker. Es geht hier um nichts weniger als die uneingeschränkte Teilnahme ursprünglich heidnischer Jesusnachfolger am endzeitlichen Heilsgeschehen in Christus. Das, sagt Paulus, ist auch eure herrliche Hoffnung (ἡ ἐλπὶς τῆς δόξης; zur adj. Bedeutung der semitischen Wendung τῆς δόξης vgl. zu 1,26). Damit ist die gleiche Hoffnung gemeint, von der Paulus mit Begeisterung in seiner Danksagung (vgl. zu 1,5) gesprochen hat. 28 Paulus wechselt nun abrupt zur 1. Pers. Plur. (und gleich wieder in 1,29 zur 1. Pers. Sing. zurück) um zu behaupten: Ihn, den Messias, verkündigen wir (ὃν ὑμεῖς καταγγέλλομεν). Die Verwendung des Personalpron., durch die der Plur. Subj. betont wird, macht es eher unwahrscheinlich, dass dies einen unbedachten Wechsel zum schriftstellerischen Plur. darstellt.586 Im Gegenteil: Paulus will bewusst betonen, nachdem er seine einzigartige heilsgeschichtliche Rolle als Völkerapostel hervorgehoben hat, dass auch andere wie Timotheus und Epaphras genauso wie er an der Verkündigung des Evangeliums maßgeblich beteiligt waren.587 Das Lexem καταγγέλλω κτλ, das im Profangriech. einfach „berichten“ oder „erzählen“ bedeuten kann (auch im NT; vgl. Apg 16,21), aber auch gelegentlich als t.t. für offizielle Proklamationen verwendet wurde,588 ist unter dem Einfluss des Apostels zur quasi-technischen Bezeichnung für die Missionspredigt geworden.589 Es begegnet nur 2-mal in der LXX (2Makk 8,36; 917), dafür 18-mal im NT, ausschließlich im CP (7mal neben unserer Stelle auch in Röm 1,8; 1Kor 2,1; 9,14; 11,26; Phil 1,1718) und in der Apg (11-mal; 3,24; 4,2; 13,38; 15,36; 16,17.21; 17,3.13.23; 26,23). Bei Paulus kommt Χριστός als Obj. des Verbs (bzw. das Subj. im Pass.) auch in Phil 1,17-18 vor.590 Damit wird klar, dass der Apostel seine Aufgabe in erster Linie als Dienst der Verkündigung vom Messias Jesus – d.h. vor allem von seiner Kreuzigung und Auferstehung (vgl. 1Kor 2,2; 15,35) – versteht. Auch wenn dies den Schwerpunkt des Dienstes des Paulus und seiner Mitarbeiter bildet, so will er gleichzeitig beteuern, dass wir mit allem, was die Weisheit zu bieten hat, jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen unterrichten (νουθετοῦντες πάντα ἄνθρωπον καὶ διδάσκοντες πὰντα 586 Kontra Moo 159, der dies als Möglichkeit erwägt. 587 Vgl. MacDonald 82; Pao 131. Kontra Lohmeyer 86-87. 588 Vgl. Schniewind, Art. ἀγγελία κτλ, ThWNT I, 68-69; Gnilka 103; Barth/Blanke 265, Anm. 53. 589 Vgl. Wolter 106. 590 Sonst ist das Objekt: euer Glaube (Röm 1,8), das Mysterium (1Kor 2,1), das Evangelium (9,14) und Jesu Tod (1Kor 11,26).
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ἄνθρωπον ἐν πάσῃ σοφίᾳ). Die Partizipialkonstruktion könnte die Art und Weise der Verkündigung bestimmen; in diesem Fall müsste man wie folgt übersetzen: „Ihn verkündigen wir, indem wir jeden Menschen ermahnen bzw. unterrichten.“591 Eine modale Nuance, die die Begleitumstände schildert, unter denen die Verkündigung erfolgt, ergibt jedoch einen besseren Sinn;592 am besten leitet man, wie wir es in der Übersetzung tun, diesen abhängigen Nebensatz mit wobei o.Ä. ein. Das Verb νουθετέω findet sich im NT nur bei Paulus bzw. auf den Lippen des Paulus (vgl. neben unserer Stelle Apg 20,31, in der von Lukas berichteten Rede des Apostels zu den Ältesten der Gemeinde in Ephesus; Röm 15,14; 1Kor 4,14; Kol 3,16; 1Thess 5,12.14; 2Thess 3,15) und bedeutet „Ermahnen“ oder „Warnen“. Ersteres erfasst den Sinn besser, da es sich hier wie bei allen anderen Vorkommen des Verbs im NT nicht um eine spezifische Warnung bzw. um eine Zurechtweisung in einem spezifischen Fall handelt, sondern um eine andauernde Tätigkeit im Sinne von regelmäßiger ethischer Unterweisung im Kontext der Gemeinde.593 Damit rückt seine Bedeutung in die Nähe des darauffolgenden und im NT häufig vorkommenden Verbs διδάσκω (= „Lehren“), das allerdings allgemeinere Inhalte (Lehrsätze, Prinzipien, Geund Verbote etc.) umfasst.594 Mit diesem Hinweis auf seine Lehrpraxis weist Paulus darauf hin, dass er überall in den Gemeinden, die er gründete, sowohl während seiner Aufenthalte vor Ort als auch durch seine Briefe, solche Lehrinhalte systematisch vermittelte und dass er erwartet, dass sie diese in ihrer Verkündigung und ethischer Unterweisung unverändert weitergeben (vgl. 1Kor 4,17; 2Thess 2,15). Da das Akk. Obj. jeden Menschen (πάντα ἄνθρωπον) wiederholt wird bzw. auf beide Verben folgt, ist es eher unwahrscheinlich, dass diese als Hendiadys aufzufassen sind,595 etwa um eine bestimmte Art oder Form des Lehrens zu konnotieren (z.B. „eindringliches Lehren“). Vielmehr scheint Paulus zwei unterschiedliche Tätigkeiten vor Augen zu haben – einerseits die Paränese (das Auffordern zum korrekten Handeln), andererseits die Katechese (das Vermitteln von grundlegenden Lehrinhalten).596 Paulus betont, dass er und seine Mitarbeiter um beides bemüht waren,
591 592 593 594
Vgl. Lohse 123; O’Brien 87; Wright 97-98. Vgl. Harris 72; MacDonald 82-83. Ähnlich Barth/Blanke 267. Vgl. Lohse 123; Dunn 124. Die Verben νουθετέω und διδάσκω werden bereits von Platon (Protagoras 323d; Respublica 399b; Leges 845b) synonym gebraucht. 595 Kontra Sumney 108. 596 Ähnlich Wilson 180-181.
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II. Auslegung
indem sie Menschen überall, wo sie hinkamen, stets sowohl zum richtigen Denken als auch zum richtigen Tun angehalten haben. Trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtung gehören beide Tätigkeiten unbedingt zusammen,597 wie ihre wiederholte Koordination in 3,16 belegt. Dort wie hier beteuert Paulus, dass diese doppelte Aufgabe mit allem, was die Weisheit zu bieten hat (ἐν πάσῃ σοφίᾳ), ausgeführt werden soll (ἐν + Dat. ist hier modal aufzufassen).598 Die gleiche Wendung ist bereits in 1,9 vorgekommen, wo sie allerdings durch Einsicht (συνέσις) ergänzt wird, was evtl. eine bewusste Anspielung auf das AT darstellt (vgl. dazu a.a.O.). An dieser Stelle liegt die Betonung auf dem angemessenen Umgang mit den Hörern, der es ihnen ermöglicht, Lehre und Korrektur anzunehmen. Zum artikellosen πᾶς (= „jede Art von Weisheit“) vgl. zu 1,9. Im Zusammenhang mit der modalen Präpositionalkonstruktion wird damit konnotiert, dass man diese Aufgaben mit Takt und Feingefühl erledigen soll. Schlatter formuliert es trefflich: „Wer ohne Weisheit warnt und lernt, kann niemand [sic] helfen.“599 Unter der Weisheit, die es bei der Lehre und Ermahnung anzuwenden gilt, versteht Paulus „praktische-ethische Lebensanweisung“.600 Das wird vor allem dadurch klar, dass er behauptet, er betreibe seinen Dienst der Verkündigung, Ermahnung und Lehre mit dem Ziel, dass wir jeden Menschen im Messias vollkommen darstellen (ἵνα παραστήσωμεν πάντα ἄνθρωπον τέλειον ἐν Χριστῷ). Bereits das dritte Mal in diesem Vers identifiziert der Apostel „jeden Menschen“ als Objekt seiner Bemühungen. Viele Kommentatoren meinen, dass damit die ehrgeizige Vision des Paulus von der weltweiten Verkündigung des Evangeliums aufgegriffen wird;601 Dunn meint darin sogar einen impliziten Heilsuniversalismus entdeckt zu haben.602 Da aber auch Tätigkeiten angeführt werden, die typischerweise im Kontext der örtlichen Gemeinde ausgeübt werden, ist es wahrscheinlicher, dass Paulus hier betonen möchte, dass jedes Glied der Gemeinde in diesen Prozess eingeschlossen ist bzw. dass kein einziges ausgelassen werden darf.603 Dabei ist eine polemische Spitze, die sich gegen die elitäre Einstellung der Vertreter der KI richtet, nicht zu überhören.604 597 598 599 600 601
So auch Lightfoot 170. Vgl. HvS §180; Pokorný 87; MacDonald 83. Kontra Lindemann 34-35. Schlatter 270. Schweizer 90. Vgl. Lightfoot 170; Lohse 124; Gnilka 103; Barth/Blanke 267; Maisch 143; Sumney 109; Bormann 115. 602 Vgl. Dunn 125. 603 Vgl. Schweizer 89-90; Bruce 87; Harris 72. 604 Vgl. Sappington, Revelation, 186; Abbott 235; O’Brien 88.
1. Briefanfang (1,1–2,5)
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Was Paulus mit diesem ἵνα-Finalsatz (vgl. zu 1,9) im Genaueren meint, lässt sich am besten durch einen Vergleich mit 1,22, der unserem Text in vielerlei Hinsicht ähnelt, feststellen. Das Verb παρίστημι hat hier wie dort, keine technische Bedeutung (vgl. zu 1,22), wie manchmal vermutet,605 sondern evoziert einen ausgeprägten eschatologischen Horizont.606 Am Ende will Paulus alle Gläubigen, für die er als Apostel eine Verantwortung trägt, vor Gott (vgl. κατενώπιον αὐτοῦ in 1,22) „vollkommen“ (τέλειον) hinstellen.607 Das kann nur „im Messias“ (ἐν Χριστῶ) erfolgen. Dieses bei Paulus häufig vorkommende Präpositionalgefüge (vgl. dazu zu 1,2) funktioniert hier analog zu „durch seinen Tod“ (διὰ τοῦ θανάτου) in 1,22. Die Vollkommenheit, die sich Paulus für die Christen in seinen Gemeinden wünscht, ist also mit jener Heiligkeit, Makellosigkeit und Unschuld, die Christus durch seinen Versöhnungstod ermöglicht, gleichzusetzen. Die Übereinstimmung des Sitzes im Leben zwischen 1,22 und 1,29 – das 20-mal im NT vorkommende Adj. τέλειος entstammt der klassischen und hellenistischen Opfersprache608 – stellt die einst populäre religionsgeschichtliche Deutung, nach der Paulus mit τέλειος einen Begriff aus der Gnosis für seine Zwecke polemisch gebraucht,609 ernsthaft infrage. Aus demselben Grund ist es ebenso fraglich, dass er den Begriff den Mysterien610 oder der KI611 entnommen hat. Denn es handelt sich hier – anders als in 1Kor 2,6 – nicht um einen Erkenntnisvorsprung, den Christen der Besitz des Geistes ermöglicht, sondern – ähnlich wie bei Matthäus (vgl. Mt 5,48; 19,21) und Jakobus (vgl. Jak 1,4) – um eine moralische Reinheit im Sinne einer tadellosen Lebensführung, zu der die Gläubigen in Kolossä durch Lehre und Ermahnung befähigt und ermutigt werden sollten.612 29 Dafür – d.h. für das in 1,28b angeführte Ziel – mühe ich mich ab und darum ringe ich durch die Kraft, die Gott mir schenkt und sich in mir als außerordentlich kräftig erweist (εἰς ὃ καὶ κοπιῶ ἀγωνιζόμενος κατὰ τὴν ἐνέργειαν αὐτοῦ τὴν ἐνεργουμένην ἐν ἐμοὶ ἐν δυνάμει). Das Hauptverb κοπιάω kommt im NT 23-mal vor, davon 14-mal im CP, und bezeichnet im Profangriech. anstrengendes körperliches Arbeiten oder das daraus resultie-
605 Vgl. z.B. Moule 85. 606 Vgl. Bruce 87-88; O’Brien 89; Sappington, Revelation, 188-190. 607 Der eschatologische Kontext spricht gegen die Übersetzung mit „reif“ oder „ausgewachsen“. So auch Witherington 147-148. Kontra Wilson 181. 608 Vgl. Hübner, Art. τέλειος, EWNT III, 821-822. 609 So Lightfoot 170-171; Dibelius 25. 610 So MacDonald 83. 611 So Schweizer 90. 612 Vgl. Moo 161-162.
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II. Auslegung
rende Erschöpftsein.613 Paulus gebraucht es häufig im übertragenen Sinne, um die Widrigkeiten, die er im Rahmen seines apostolischen Wirkens erdulden musste, zu beschreiben (vgl. zu 1Kor 4,12; 15,10; Gal 4,11; 1Tim 4,10). Das Part. ἀγωνιζόμενος bezieht sich nur locker im Sinne eines participium coniunctum614 auf κοπίω; d.h. es ist aus semantischer Perspektive dem Hauptverb nicht untergeordnet, sondern beide Verben sind als unabhängige miteinander koordinierte Verben aufzufassen (vgl. 1Tim 4,10: εἰς τοῦτο γὰρ κοπιῶμεν καὶ ἀγωνιζόμεθα). Das Verb ἀγωνίζομαι ist dem Kampfsport entnommen und bedeutet im eigentlichen Sinn „im Wettkampf kämpfen“ oder überhaupt „kämpfen“,615 aber es handelt sich hier höchstwahrscheinlich um eine verblasste Metapher, die – genauso wie in den meisten Fällen bei der deutschen Wendung „ich ringe darum“ – keine Vorstellung von einem Ringkampf in den Gedanken hervorruft,616 sondern mehr oder weniger als Synonym von κοπιάω funktioniert. Durch den Pleonasmus wird die Intensität des Engagements des Apostels hinsichtlich seines Dienstes der Verkündigung unterstrichen. An dieser Stelle geht er nicht näher darauf ein, aber u.a. geben die Peristasenkataloge der Korintherbriefe (1Kor 4,6-13; 2Kor 4,7-15; 6,3-10; 11,21b-30; 12,9b-10) eindrückliches Zeugnis von den vielfältigen Anstrengungen, die er bereit war, um des Evangeliums willen zu ertragen.617 Die Kraft dafür habe er trotz aller Mühe nicht aus sich selbst heraufbeschworem, sondern diese Anstrengungen sind nur durch die Kraft, die Gott mir schenkt (wörtl. „gemäß seiner Kraft“; κατὰ τὴν ἐνέργειαν αὐτοῦ), möglich gewesen. Das Subst. ἐνέργεια, das wir mit „Kraft“ übersetzen, bezeichnet im klassischen Griech. die zur Durchführung einer Handlung notwendige Leistungsfähigkeit (vgl. z.B. Aristoteles, EN 1098b33). Im NT begegnet es uns nur bei Paulus, besonders als Eigenschaft Gottes (neben unserer Stelle vgl. Eph 1,19; 3,7; Kol 2,12; vgl. aber auch Eph 4,16; 2Thess 2,9.11); hier wie in Eph 3,7 meint es die Kraft, die Gott618 dem Apostel zur Durchführung seiner Mission trotz erheblichen Widerstandes verleiht. Es handelt sich also nicht um Ressourcen, die Paulus aus eigenen Reserven aktiviert, sondern um göttliche Kraft, die – wie er im weiteren Verlauf betont – sich in mir als 613 614 615 616 617 618
Vgl. Harnack, Κόπος, 1. Vgl. HvS §231j. Vgl. Dautzenberg, Art. ἀγών κτλ, EWNT I, 59. Vgl. Pfitzner, Agon, 109-110. Vgl. dazu Choi, Schwach, 45-246. Oder Christus (so Harris 74); der nächstmögliche Bezug des Personalpron. αὐτοῦ ist Christus (vgl. 1,28), aber es ist genauso möglich, dass Paulus an Gott denkt (vgl. 1,27). In 2,12 spricht Paulus explizit von der ἐνέργεια τοῦ θεοῦ. Vgl. Barth/Blank 270; Sumney 110-111.
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außerordentlich kräftig erweist (τὴν ἐνεργουμένην ἐν ἐμοὶ ἐν δυνάμει). Das Akk. med. Part. ἐνεργουμένην ist attributiv und bezieht sich auf das aus demselben Wortstamm gebildete Nomen ἐνέργεια („die in mir kraftspendende Kraft“ = figura etymologica619), was durch die Übersetzung mit „Kraft“/„kräftig“ transparent gemacht werden soll. Durch das Präpositionalgefüge ἐν δυνάμει (wörtlich: „mit Macht; vgl. zu 1,11) betont Paulus noch einmal zum Schluss das Ausmaß der ihm von Gott zur Verfügung gestellten Kraft. Der daraus resultierende Pleonasmus (wörtlich „die Kraft, die durch Macht wirksam wird“) lässt sich am besten mit außerordentlich kräftig übersetzen.
IV Zusammenfassung Kol 1,24-29 gewährt den Hörern/Lesern des Kol einen tiefen Einblick in das Verständnis des Paulus von seinem Dienst als Apostel für die Völker. Dabei beansprucht er für sich eine herausragende Rolle im heilsgeschichtlichen Ablauf. Ausgehend von seiner Beteuerung in 1,23, dass er ein Diener des Evangeliums ist, beschreibt Paulus zunächst den damit verbundenen Leidensauftrag, der ihm auferlegt wurde. Dieser besteht seiner Überzeugung nach darin, dass er durch das, was ihm auf seinen Missionsreisen an leidvollen physischen und psychischen Erfahrungen widerfahren ist, den noch fehlenden Beitrag zum vorgesehenen Leidenspensum des Messias leistet. Paulus meint damit nicht – darin sind sich alle Exegeten einig – das mit der Passion Jesu zusammenhängende Leid, welches er „für unsere Sünden“ ertrug (vgl. 1Kor 15,3; Gal 1,4), sondern die Schmähungen und Entbehrungen, die jener während der Zeit seines Wirkens auf Erden erdulden musste. Von Letzteren blieb nach Ansicht des Paulus noch einiges aus, und er sollte diese „Mängel“ durch die Anstrengungen und Bedrängnisse, die er nun im Dienst des Messias Jesus erleidet, „ergänzen“. Philologische Untersuchungen des betreffenden Verbs ἀνταναπλήροω in 1,24 führen zum Ergebnis, dass Paulus meint, er selbst müsse das gesamte noch ausstehende Pensum an Leiderfahrungen des Messias erbringen.620 Dieser zunächst befremdliche Gedanke lässt sich am ehesten als Resultat intensiver Reflexion über die jesajanische Konzeption des Knechtes Gottes verstehen. Denn Paulus war überzeugt, dass der auferstandene Herr und Messias Jesus ihm höchstpersönlich die Ausführung seines eigenen Auftrags, 619 Vgl. HvS 294h. 620 Andere Erklärungsversuche – etwa, dass Paulus an das im Frühjudentum gängige Konzept der „messianischen Wehen“ denkt, von denen alle Gläubigen einen Anteil übernehmen müssen, oder meint, sein eigenes Pensum am für ihn vorgesehenen Leid noch nicht erfüllt zu haben – werden der Bedeutung des Verbs nicht gerecht. Vgl. zu 1,24.
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II. Auslegung
„Licht zu den Nationen“ zu sein, anvertraut hat (vgl. Gal 1,15-16 mit Apg 13,47 und Jes 49,6). Jesus hat nämlich diesen Auftrag zu seinen Lebzeiten nicht vollzogen, sondern er ist nur zum „Haus Israel“ gegangen (vgl. Mt 15,24) und sah zunächst für die Zwölf auch nichts anderes vor (vgl. Mt 10,6). Das fällt deutlich hinter die Erwartungen von Jes 49,6 zurück, demzufolge gerade dies „zu wenig“ war, und Paulus verstand seine Aufgabe darin, dass er den noch ausstehenden Teil des Auftrags des Knechtes, „Heil bis an die Enden der Erde“ zu bringen, erfüllen sollte. Εs wäre nicht verwunderlich, wenn Paulus daraus gefolgert hätte, dass er ebenso einen Anteil am Leiden des Knechtes (vgl. Jes 52,13–53,12) übernehmen sollte.621 Diese leidvollen Erfahrungen erträgt er aber mit Freude, weil sie „für euch“ – die Adressaten – sind; d.h. sie hängen, wie seine Ausführungen in den folgenden Versen klarmachen, mit seinem Dienst als Völkerapostel zusammen. Erscheint es einem anmaßend und selbstverherrlichend, dass Paulus sich selbst eine einzigartige heilsgeschichtliche Rolle zuerteilt, so sollte man bedenken, dass er keine anderen messianischen Privilegien exklusiv für sich beansprucht, als nur das des Leidens. Er muss im Auftrag des Messias den Völkern das Evangelium verkündigen (vgl. 1Kor 9,16-17); er darf deswegen leiden. Nur dieses messianischen „Vorrechts“ rühmt er sich (vgl. 2Kor 11,2330). Paulus leugnet dabei nicht, dass andere auch leiden müssen. Der apostolische Dienst, den nicht nur er, sondern auch andere (Apollos, Barnabas etc.) ausüben, erfordert – nicht zufällig, sondern gemäß dem Willen Gottes – die Bereitschaft, jede Menge an Drangsalen und Entbehrungen zu erdulden (vgl. 1Kor 4,9-13).622 Überhaupt ist es den Nachfolgern Jesu bestimmt (ἐχαρίσθη; wörtl. „geschenkt“ = passivum divinum) für ihren Messias zu leiden (vgl. Phil 1,29). All das ist Paulus bewusst, und er bejaht es auch. Er wähnt sich nicht als einsamen Helden im Leiden für den Herrn. Dennoch schöpft er Kraft für seinen beschwerlichen Dienst aus der Überzeugung, dass das ihm widerfahrende Leid mit seinem Auftrag zusammenhängt. Genau darin kann er anderen als Vorbild dienen: nicht im Leiden an sich – diese Funktion übernimmt Christus selbst (laut Petrus; vgl. 1Petr 3,18–4,2.13), und es ist auffallend, dass sich Paulus diesbezüglich nicht als Exempel darstellt –, sondern hinsichtlich seiner Bereitschaft, sich für das Evangelium energisch einzusetzen (vgl. 1,29). Welches Resultat er sich dabei erhofft, macht er im nächsten Abschnitt klar. 621 Letztlich bleibt jeder Erklärungsversuch – auch dieser – spekulativ, denn Paulus lässt die Hauptprämisse seines Arguments unerwähnt (Enthymeme), sodass jeder Ausleger versuchen muss, diese zu ergänzen. 622 Vgl. Hafemann, Suffering, 81-83.
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Für Paulus hängt also sein Leidensauftrag mit der heilsgeschichtlichen Rolle, die er von Gott zugeteilt bekommen hat, zusammen. Diese bestand im Wesentlichen darin, ein „Geheimnis“ zu lüften: Nicht nur Juden, sondern auch Heiden gehören dem jüdischen Messias Jesus. Paulus bezeichnet dies – nicht ganz dem quasi-technischen Sinne des Wortes in der frühjüdischen Apokalyptik entsprechend – als „Mysterium“. Völlig verborgen war es den atl. Propheten nämlich nicht, dass Gott sich eines Tages den Völkern in seiner Barmherzigkeit zuwenden würde. Jesaja sehnt sich z.B. der Zeit entgegen, in der diese mit den Israeliten zum Berg Zion hinaufgehen werden, um sich nach Gott und seinen Wegen zu erkundigen (Jes 2,1-4). Für Juden im 1. Jh. n.Chr. war es aber selbstverständlich, dass diese Aufnahme der Völker durch den kultisch zu vollziehenden Übertritt zum Judentum erfolgen musste. Paulus war es, der statt eines Religionswechsels der Bekehrten energisch einen Paradigmenwechsel seitens derjenigen forderte, die sich als das um den Messias Jesus wiederhergestellte Israel verstanden. Früher und eingehender als alle anderen in der neu aufkommenden Jesus-Bewegung (außer vielleicht Stephanus, der aber nicht lange genug lebte, um sie nachhaltig zu beeinflussen; vgl. Apg 7) begriff er die weitreichenden Implikationen ihrer Grundüberzeugung, dass „der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes, sondern allein durch den Glauben an Jesus, den Messias, gerechtfertigt wird“ (Gal 2,16). Damit ist die aus jüdischer Sicht am tiefsten greifende Unterscheidung der Menschheit – die zwischen Juden und Nichtjuden – endgültig überwunden worden (vgl. Gal 2,38; 6,15). Diese neue Sichtweise, die sich zwar nicht ohne heftigen Widerstand, aber innerhalb kürzester Zeit in der frühesten Kirche durchsetzen konnte, ist der Inhalt des Geheimnisses, das Paulus „offenbart“ wurde (vgl. Eph 3,1-6). Dieses Ergebnis ist ohne den unermüdlichen Einsatz des Paulus in der Verkündigung des Evangeliums nicht denkbar, und seine Bereitschaft, dafür jedes erdenkliche Opfer zu bringen, ist wiederum der Überzeugung des Apostels geschuldet, er habe einen Auftrag vom auferstandenen Herrn erhalten, das Schriftwort von Jes 49,6 zu erfüllen. Diesem unerschütterlichen Sendungsbewusstsein des Völkerapostels verdankt auch die Gemeinde in Kolossä ihre Existenz. Paulus ist sich dessen auch bewusst. Deswegen fühlt er sich für sie und ihre Entwicklung verantwortlich und daher auch genötigt, sie vor der in ihrer Mitte aufkeimenden Irrlehre zu warnen. Der Auftrag des Apostels erschöpft sich aber nicht darin, das Evangelium zu verkündigen und dann möglichst schnell weiterzuziehen. Denn Paulus zielt auf eine Veränderung im Denken und in der Lebensweise der Hörer bzw. Leser, die es ihnen ermöglicht, im Endgericht vor Gott „vollkommen“ zu er-
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II. Auslegung
scheinen. Das macht einen Dienst der Lehre und Ermahnung erforderlich, und diesem gibt sich Paulus unter enormer Anstrengung hin (vgl. 1,28-29). Spätestens an dieser Stelle ist es klar, dass er nicht mehr nur an seine herausragende Rolle denkt, sondern auch diejenigen mit einbezieht, die mit ihm vor Ort zusammenarbeiten (vgl. den auffälligen Wechsel zum 1. Plur. in 1,28). Epaphras, Timotheus und er mühen sich ab, um jedem Menschen in ihrem Verantwortungsbereich – das ist im vorliegenden Fall die Gemeinde in Kolossä – dazu zu verhelfen, dass sie diese „herrliche Hoffnung“ ergreifen. Schließlich muss für Paulus – darin zeigt sich seine wahre Größe – der heilsgeschichtliche Paradigmenwechsel, dessen Notwendigkeit er wahrscheinlich als Erster erkannte, nicht nur im Abstrakten begriffen, sondern auch in der Praxis vollzogen werden. Mit der ganzen Kraft, die Gott ihm verlieh, setzte er sich dafür ein.
1.3.2. Das Anliegen des Paulus für die Kolosser (2,1-5)
I Übersetzung 1 Denn ich möchte euch darüber in Kenntnis setzen, wie sehr ich mich um euch und die Laodizäer sowie um alle, die mich noch nicht persönlich zu Gesicht bekommen haben, bemüht habe, 2 damit ihre Herzen ermutigt und sie in der Liebe vereint werden. Sie sollen auch den ganzen Reichtum der Gewissheit, die aus ihrer Einsicht in die Erkenntnis des Geheimnisses Gottes – des Messias – entsteht, ergreifen. 3 Denn in ihm sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen. 4 Das will ich gesagt haben, damit es keinem gelingt, euch durch schöne Worte zu betrügen. 5 Denn auch wenn ich körperlich abwesend bin, im Geist bin ich doch bei euch, und ich freue mich über das, was ich vorfinde: euren geregelten und standfesten Glauben an den Messias.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 2,1: 1) D*.2 F G K L 630 1241s m haben περὶ statt die in den besten MSS belegte LA ὑπὲρ. 2) 104 424 vgms syh*.* fügen unter Einfluss von 4,13 καὶ τῶν ἐν Ἱεραπόλει nach Λαοδικείᾳ hinzu. 2,2: 1) Wegen des Anakoluths συμβιβασθέντες (mask. Part. obwohl der nomen regens καρδίαι fem. ist) ziehen א2a D2 K L Ψ 075 0278 81 104 365 630 1505 syhmg συμβιβασθέντων (Gen. mask. Plur.) vor, um wenigstens Übereinstimmung mit dem ihm unmittelbar vorangehenden Pron. αὐτῶν zu erzielen. 2) D* und die Peschitta lassen καὶ nach ἀγάπῃ weg. Auch Hil und Ambst kennen diese LA, die damit das darauffolgende Präpositionalgefüge dem vo-
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rangehenden Partizip zuordnet und damit die syntaktische Ambiguität der ursprünglichen LA auflöst. 3) A C 33 81 fügen nach πᾶν den Artikel τὸ hinzu, während א2a D*.1 Ηvid K L P Ψ 075 0278 104 365 630 1175 1505 1881 2464 πᾶν πλοῦτος (ntr.) mit πάντα πλοῦτον (mask.) ersetzen.623 Beide LA sind als stilistische bzw. grammatische Verbesserungsversuche späterer Kopisten einzustufen. 4) Für die Genitivkonstruktion τοῦ θεοῦ Χριστοῦ gibt es eine große Vielfalt an Varianten.624 Diese von NA28 bevorzugte Variante ist aber u.a. durch 46 und B belegt und kann am besten die Entstehung der anderen LA erklären. 2,3: א2 A D2 H K L P 0278 81 104 365 630 sowie Cl fügen den Gen. Artikel τῆς vor γνώσεως hinzu, aber die LA ohne Artikel ist besser bezeugt. 2,4: 1) א2 Ac C D K L P Ψ 048 075 0208 0278 33 104 365 630 1175 1505 1739 1881 2464 lat sy sowie Cl fügen vor λέγω die Partikel δέ hinzu, aber die besseren Zeugen lassen sie weg. 2) א2 K L P Ψ 075 0278 104 630 1505 sy sowie Clpt ersetzen unter Einfluss von 2,8 μηδείς mit μή τὶς. Form. Kol 2,1-5 ist kein eigenständiger Abschnitt, sondern er ist, wie wir bereits gesehen haben (vgl. S. 166), der Selbstvorstellung des Paulus (1,24– 2,5), mit der er die lange Einleitung des Briefes abrundet und die als Übergang zum Briefkorpus dient, zu- bzw. unterzuordnen. Auch 2,4-5 gehört nicht zum darauffolgenden Hauptabschnitt des Kol, wie manche Kommentatoren vermuten,625 obwohl ihm eine gewisse Übergangsfunktion von der Einleitung zum Briefkorpus nicht abzusprechen ist. Vielmehr dient 2,1-5 als emotionale Stütze der keineswegs einfachen „Zuständigkeitserklärung“ des Apostels für die Kolosser in 1,24-29. Ging es ihm dort darum, seinen Dienst in theologischer, insbes. heilsgeschichtlicher Hinsicht zu begründen, so will er nun an dieser Stelle seine persönliche Anteilnahme am Geschehen in Kolossä zum Ausdruck bringen. Gerade weil er die Gemeinde dort nicht kennt (abgesehen von einzelnen Mitgliedern wie Philemon), liegt es ihm sehr daran zu beteuern, wie stark er sich mit ihnen verbunden fühlt und welche guten Gedanken er über sie denkt. Rhetorisch dient dies natürlich dazu, seine Hörer bzw. Leser für die in 2,6-23 folgende Warnung vor der KI empfänglich zu stimmen, aber sein Pathos wirkt nicht gekünstelt oder überzogen, sondern eher zurückhaltend. Hier tritt nicht der Paulus auf, der freimütig und direkt spricht, wie wir ihn aus den Korintherbriefen kennen. Seine Wortwahl, besonders in 2,2-3, ist pleonastisch und etwas überladen, als strenge er sich in der Suche nach den richtigen Worten vor einem Publikum, das er nicht kennt und daher nicht einschätzen kann, 623 Vgl. S. 180, Anm. 579. 624 Vgl. Comfort, Text, 625-626. 625 Vgl. Harris 85.
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II. Auslegung
zu sehr an. Vielleicht tut er sich auch schwer, sein Anliegen, das er hier nur einleitend vorwegnehmen, aber nicht ausführlich besprechen möchte, im Abstrakten zu formulieren. In weiterer Folge wird es jedenfalls klarer, welche Einsichten und Erkenntnisse er der Gemeinde vermitteln möchte und wie diese sie vor der KI schützen sollen.
III Einzelexegese 1 Paulus bedient sich einer für hellenistische Briefe typischen Mitteilungsformel,626 um sein Bemühen um die Kolosser zu unterstreichen: Denn ich möchte euch darüber in Kenntnis setzen (θέλω γὰρ ὑμᾶς εἰδέναι). Die Formel betont die Wichtigkeit der darauffolgenden Mitteilung. Diese lässt sich als Schlussfolgerung (γὰρ) aus der vorhergehenden Darstellung des Dienstes des Apostels begreifen: Sein Auftrag als Völkerapostel erfordert eine Bereitschaft zu leiden und sich für die Evangelisation der Völker abzumühen. Dass dies kein Luftschloss ist, das die Kolosser beeindrucken soll, aber keinen Bezug zu ihrer Wirklichkeit hat, soll sich den Kolossern zeigen, indem sie wahrnehmen, wie sehr ich mich um euch bemüht habe (ἡλίκον ἀγῶνα ἔχω ὑπὲρ ὑμῶν; wörtl.: „welchen großen Kampf ich euretwegen habe“). Das Relativpron. ἡλίκος leitet hier eine indirekte rhetorische Frage ein, die durch die eindrückliche Metaphorik – ἀγών, nomen actionis des Verbs ἀγωνίζομαι, ist ein Begriff aus dem Ringsport (vgl. zu 1,29) – an Aussagekraft gewinnt. Paulus will dadurch betonen, dass er sich hinter den Kulissen für sie einsetzt, auch wenn er sie persönlich nicht kennt. In erster Linie meint er wohl sein „Ringen“ um sie im Gebet (vgl. zu 1,3.9),627 aber er wurde vermutlich zudem durch Onesimus und Epaphras, die zur Zeit der Abfassung des Kol bei Paulus waren (vgl. 1,9.12), über die Umstände in Kolossä ausführlich informiert und hat wohl mit ihnen beraten bzw. das weitere Vorgehen in der Gemeinde besprochen. Die Sorgen der Gläubigen in Kolossä sind auch seine Sorgen, denn sein apostolischer Auftrag, den er in 1,24-29 so selbstbewusst schildert, umfasst auch sie. In textpragmatischer Hinsicht dient diese Beteuerung der Begründung einer Vertrauensbeziehung zwischen dem Apostel und den Kolossern, sodass sie die
626 Dibelius 25. Mullins, Disclosure, 44-55, identifiziert vier Merkmale dieser Formel: 1) das Verb θέλω; 2) den Inf. eines Verbs aus dem semantischen Feld „Wissen“ (hier das Perf. Inf. εἰδέναι); 3) die Person bzw. Personen, die angesprochen werden im Akk. (hier ὑμᾶς); 4) die Information, die mitgeteilt werden soll. Die Formel kommt außer hier bei Paulus an folgenden Stellen vor: Röm 1,13; 11,25; 1Kor 10,1; 11,3; 12,1; 2Kor 1,8; Phil 1,12 (βούλομαι statt θέλω); 1Thess 4,13. 627 So auch Lightfoot 172; Luz 211.
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Medizin, die er ihnen im Folgenden vorsorglich verabreichen möchte, tatsächlich schlucken. Gleichzeitig will Paulus betonen, dass er nicht nur um die Kolosser bemüht ist, sondern auch um die anderen Jesusnachfolger im Lykostal, d.h. um die Laodizäer sowie um alle, die mich noch nicht persönlich zu Gesicht bekommen haben (καὶ τῶν ἐν Λαοδικείᾳ καὶ ὅσοι οὐχ ἑόρακαν τὸ πρόσωπόν μου ἐν σαρκί). Die Stadt Laodizäa liegt etwa 18 km nordwestlich und flussabwärts von Kolossä am Lykos und war im 1. Jh. n.Chr. von größerer wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung als Kolossä.628 Sie dürfte etwa zeitgleich mit Kolossä von Epaphras evangelisiert worden sein, und offensichtlich herrschte zwischen den beiden durch seine Bemühungen entstandenen Schwestergemeinden eine enge Beziehung (vgl. Kol 4,13.16). Später im 1. Jh. konnte sich die Gemeinde in Laodizäa stärker profilieren in der kleinasiatischen Gesamtkirche – sie ist z.B. Adressat einer der sieben Sendschreiben in der Johannesapokalypse (vgl. Offb 3,14-22) –, aber zum Zeitpunkt der Abfassung des Kols war dies noch nicht der Fall.629 Laut 4,13 gab es auch eine dritte Gemeinde in Hierapolis, die ihre Existenz dem unermüdlichen Einsatz des Epaphras zu verdanken hatte. Warum sie hier nicht ausdrücklich erwähnt wird – frühere Kopisten empfanden dies als störend und fügten „die Hierapolitaner“ (τῶν ἐν Ἱεραπόλει) an gegebener Stelle hinzu (vgl. die textkritische Anmerkung zu 2,1) –, entzieht sich unseren Kenntnissen. Vermutlich sind sie implizit mit den anderen in der Region, die Paulus noch nicht „persönlich zu Gesicht“ bekommen haben, gemeint. Wir übersetzen τὸ πρόσωπόν μου ἐν σαρκί bewusst redundant, um den Pleonasmus im Griech. – wörtlich spricht Paulus von denen, die „mein Gesicht im Fleisch“ noch nicht gesehen haben – wiederzugeben.630 Sowohl „Gesicht“ (πρόσωπον) als auch „Fleisch“ (σάρξ) stehen als Teile des Körpers eines Menschen metonymisch für die Person. Paulus meint schlicht: „Wir kennen uns noch nicht“.
628 Für ausführlichere Information über Laodizea vgl. Huttner, Christianity, 37-41. 629 Weil er Kol für ein späteres Pseudepigraphon hält, betrachtet Lindemann (12-13, 36) die Gemeinde in Laodizea als die wahren Adressaten des Briefes. Aber selbst bei der fragwürdigen Annahme, dass die Gemeinde in Kolossä nach dem Erdbeben in 60/61 n.Chr. ausgelöscht wurde (vgl. Lindemann 13), hätten die Laodizäer auch ohne Rekurs auf die Kolosser jahrzehntelang danach eine Fälschung problemlos erkennen bzw. aufdecken können. Die Aufnahme des Kol in die Paulusbriefsammlung, die im 1. Jh. bereits im Umlauf war, stellt deswegen die These eines pseudepigraphischen Kol vor erhebliche Schwierigkeiten. Vgl. S. 24-26. 630 So auch O’Brien 91-92.
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II. Auslegung
2 Das Ziel der Bemühungen des Paulus, besonders in seinen Gebeten, für die Gläubigen im Lykostal631 ist: damit ihre Herzen ermutigt werden (ἵνα παρακληθῶσαν αἱ καρδίαι αὐτῶν). Das Herz steht, wie bereits im AT, metonymisch für die Quelle des geistigen Lebens des Menschen einschließlich seiner Gedanken und Gefühle sowie seiner Willenskraft.632 Das Verb παρακαλέω, das wir mit „ermutigen“ übersetzen, hat ein breites Bedeutungsspektrum (je nach Kontext: „bitten“, „ermahnen“, „trösten“ etc.).633 Seine Bedeutung an unserer Stelle ist durch die hier vorkommende Redewendung „das Herz ermutigen“, die an drei weiteren Stellen bei Paulus (aber sonst nicht in der Griech. Bibel) erscheint (Eph 6,22; Kol 4,8; 2Thess 2,17), paradigmatisch bestimmt. An diesen Stellen trägt sie die Nuance „sich stärken“ bzw. „verstärkt hervorgehen“.634 Sie blickt auf das voraus, worin Paulus die Kolosser unterweisen möchte, damit sie nicht nur die Herausforderung, vor die die KI sie stellt (2,819), sondern – entsprechend ihrer Stellung in Christus – das Leben meistern können (2,20–4,6). Die Ermutigung des Herzens, welche die Kolosser aufgrund der Bemühungen des Apostels erfahren sollen, erfolgt auch deswegen, weil sie in der Liebe vereint werden (συμβιβασθέντες ἐν ἀγάπῃ). Das mask. Part. συμβιβασθέντες ist ein Anakoluth, das sich auf das Fem. αἱ καρδίαι αὐτῶν (= αὐτοί) bezieht (vgl. die textkritische Bemerkung zu 2,2). Das Verb συμβιβάζω, das wir mit „vereinen“ übersetzen, kann auch die Bedeutung „belehren“ oder „unterrichten“ haben. In der LXX ist diese sogar ihre einzige Bedeutung (vgl. Ex 4,12.15; 18,16; Lev 10,11; Deut 4,9; Ri 13,8; Ps 31,8; Jes 40,13-14). Auch im NT ist diese Nuance eindeutig belegt (vgl. Apg 9,22; 16,10; 19,33). Aufgrund der starken Betonung auf „Einsicht“ und „Erkenntnis“ im unmittelbaren Kontext ziehen manche Kommentatoren diese Bedeutung auch hier vor.635 Dagegen spricht aber das auf das Verb bezogene Präpositionalgefüge „in Liebe“, das wesentlich leichter mit der Bedeutung „vereint sein“ in Einklang zu bringen ist, sowie das spätere Vorkommen dieses Verbs mit dieser Bedeutung in 2,19 und in der Parallelstelle in Eph 4,16.636 Hier erscheint es als Aor. Pass. Part., das sich auf παρακλήθῶσιν bezieht und entweder temporal – man müss631 Dass Paulus an alle Gemeinden in der Region denkt, erklärt den syntaktisch ungeschickten Wechsel von „euch“ in 2,1 zu „ihre Herzen“ hier. Vgl. Schweizer 93. 632 Vgl. Barth/Blanke 277; Bormann 118. 633 Schmitz, Art. παρακαλέω, TWNT V, 790-798; Bjerkelund, Parakalô, 24. 634 So auch O’Brien 92-93; Barth/Blanke 275-276. 635 Vgl. Dibelius 25-26; O’Brien 93. 636 Vgl. auch Lightfoot 173; Lohmeyer 92-93; Wolter 110; Moo 166; Barth/Blanke 277278. Paulus gebraucht συμβιβάζω im Sinne von „unterweisen“ nur in 1Kor 2,16, wo er Jes 40,13-14 zitiert.
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te in diesem Fall mit „damit ihre Herzen ermutigt werden, nachdem sie in der Liebe vereint werden“ übersetzen – oder modal gedeutet werden muss. Im Falle des Letzteren muss überlegt werden, ob die modale Nuance im engeren Sinne gemeint ist – dann würde man übersetzen mit „damit ihre Herzen ermutigt werden dadurch, dass sie in der Liebe vereint werden“ – oder, wie wir es deuten, ob Paulus es gebraucht, um auf die näheren Begleitumstände hinzuweisen. Weiter sollen die Kolosser auch den ganzen Reichtum der Gewissheit, die aus ihrer Einsicht in die Erkenntnis des Geheimnisses Gottes – des Messias – entsteht, ergreifen (καὶ εἰς πᾶν πλοῦτος τῆς πληροφορίας τῆς συνένεως εἰς ἐπίγνωσιν τοῦ μυστηρίου θεοῦ Χριστοῦ). Wolter geht einen Schritt zu weit, wenn er behauptet, dass an dieser Stelle „die syntaktische Fortsetzung des Gedankengangs … nicht mehr zu rekonstruieren“ ist, und auf jeglichen Versuch, dies zu tun, gänzlich verzichtet.637 Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass der pleonastische Stil des Apostels es ausgesprochen schwierig macht, diese Aussage im Genaueren zu deuten. Probleme bereitet das komplexe Präpositionsgefüge sowohl in syntaktischer Hinsicht, weil man entscheiden muss, wie sich dieses auf den vorhergehenden ἵνα-Nebensatz bezieht und ob das zweite εἰς denselben Gedanken weiter ausführt oder einen zusätzlichen Gedanken einleitet, als auch in lexikalischer Hinsicht, weil unklar ist, wie Paulus bestimmte Begriffe, insbes. πληροφορία, füllt. Wir widmen uns diesen Aufgaben in umgekehrter Reihenfolge. Das Nomen πληροφορία, das in der LXX gar nicht und im NT nur 4-mal vorkommt (neben unserer Stelle in 1Thess 1,5; Hebr 6,11; 10,22), bedeutet entweder „Fülle“ oder „volle Zuversicht“ im Sinne von „Gewissheit“. Letzteres ist an unserer Stelle wahrscheinlicher,638 zumal „Fülle“ in Verbindung mit πᾶν πλοῦτος tautologisch wirkt639 und den bereits überladenen Satz noch umständlicher macht. Paulus will also sagen: Der Reichtum der Gewissheit, die er den Kolossern gönnt, folgt aus ihrer „Einsicht“ (Gen. des Urhebers; bzgl. συνέσις vgl. zu 1,9).640 Syntaktisch unklar ist, wie oben bereits angedeutet, ob das darauffolgende Präpositionalgefüge (εἰς ἐπίγνωσιν τοῦ μυστηρίου θεοῦ Χριστοῦ) ein weiteres
637 Wolter 111. Sumney 116 versucht hingegen, aus dem rhetorischen Laster des ausufernden Stils des Kol eine Tugend zu machen, und fällt auf der anderen Seite vom Pferd. 638 Vgl. Lightfoot 173; MacDonald 85. Kontra Barth/Blanke 279. 639 Vgl. Delling, Art. πληροφορία, ThWNT VI, 309, der diese Deutung dennoch vorzieht. Vgl. auch Schweizer 94. 640 Vgl. Moule 86.
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II. Auslegung
unabhängiges Satzelement darstellt,641 oder ob es epex. erklärt, worin die bereits erwähnte Einsicht besteht.642 Letzteres ergibt wegen der starken semantischen Überlappung der jeweiligen Nomen συνέσις und ἐπίγνωσις einen besseren Sinn.643 Paulus fängt demzufolge an, vom „ganzen Reichtum der Gewissheit der Einsicht“ zu reden, und charakterisiert diese Einsicht näher als „die Erkenntnis des Geheimnisses Gottes, nämlich Christus“ (so wörtl. die jeweiligen Genitivketten). Damit greift er Themen wieder auf, die er in seinem Gebet (vgl. 1,9-14) angeschnitten hat. In 1,9 hat er bereits beteuert, dass er unermüdlich dafür betet, dass die Kolosser mit zunehmender Erkenntnis (ἐπίγνωσις) vom Willen Gottes erfüllt werden. Hier geht es um die Erkenntnis vom „Geheimnis Gottes“, das er näher als den Messias identifiziert. Das Genitivattribut Χριστοῦ bezieht sich nämlich auf ἐπίγνωσιν, nicht auf τοῦ μυστηρίου θεοῦ; es ist somit epex. zu deuten und erklärt, worin das Geheimnis Gottes besteht.644 Von diesem im Evangelium geoffenbarten Geheimnis war kurz vorher die Rede (vgl. zu 1,27). Dort ging es darum, dass auch Nichtjuden – darunter auch selbstverständlich die Jesusnachfolger in Kolossä – zum Messias gehören. In dieses Geheimnis sollen sie tiefer eindringen und daraus Gewissheit schöpfen. Es handelt sich also in 2,2b um einen einzigen, wenn auch kompliziert formulierten Wunsch des Apostels hinsichtlich des Erkenntnisstandes der Kolosser. Die spezifische Wortwahl, insbes. die Verbindung der drei wichtigsten Begriffe σύνεσις, ἐπιγνωσις und μυστηρίον miteinander, ist geprägt von atl. apokalyptischen (vgl. Dan 2,19-21 [Theodotion]) und weisheitlichen Traditionen (vgl. Spr 2,3-6).645 Dadurch wird unterstrichen, wie eng diese frühjüdischen Traditionsstränge im Frühchristentum miteinander verknüpft sind.646 Der genauere Bezug dieses überfrachteten Präpositionsgefüges zum ἵνα-Nebensatz muss noch eruiert werden, zumal es durch ein grammatisch vieldeutiges καί mit ihm verknüpft wird. Dies soll am ehesten im Sinne von „wie auch“ 641 642 643 644 645
Vgl. Pao 137. Vgl. Barth/Blanke 279. Vgl. Gnilka 110. Vgl. Lightfoot 173; Barth/Blanke 279. Vgl. Beale 859. Eine bewusste Anspielung auf Spr 2,3-6 an dieser Stelle ist aber gegen Beale nicht erkennbar. 646 Vgl. Dunn 132. Frühere Forschergenerationen sahen hinter der Apokalyptik eine pessimistische, ausschließlich das Jenseitige betonende Bewegung, die in Kontrast zur lebensbejahenden, das Diesseitige betonenden Tradition der Weisheit stand (vgl. z.B. Vielhauer, Apokalyptik, 407-421). Diese Einschätzung ist in der jüngeren Forschung gänzlich revidiert worden, sodass nun die tiefe Verwurzelung der frühjüdischen Apokalyptik in den prophetischen und weisheitlichen Traditionen des AT nicht mehr infrage gestellt wird. Vgl. Rowland, Apocalypticism, 345-346.
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und die darauffolgende Präp. εἰς im Sinne von „hinsichtlich“ aufgefasst werden.647 Damit wird ein zweiter Begleitumstand (neben der Vereinigung in der Liebe), durch den die Kolosser ermutigt werden sollen, angeführt. Trotz der vielen semantischen Schwierigkeiten ist die pragmatische Ausrichtung von 2,2 klar genug: Sie greift sowohl die Fürbitte von 1,9 (vgl. das Vorkommen von σύνεσις und ἐπιγνωσις an beiden Stellen) als auch das Offenbarungsschema von 1,26-28 auf648 und weist damit ebenso eindrücklich auf die geistigen Ressourcen, die den Kolossern im Evangelium zur Verfügung stehen. Die Gewissheit, die aus der zunehmenden Erkenntnis des Evangeliums hervorgehen soll, wird – das macht der folgende Abschnitt klar – der wichtigste Baustein in der Befestigungsanlage gegen die KI, die Paulus um den Glauben der jungen Gemeinden im Lykostal errichten will (vgl. zu 2,5). 3 Zunehmende Erkenntnis vom Messias trägt deswegen zur Ermutigung der Gläubigen bei, weil in ihm alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind (ἐν ᾧ εἰσιν πάντες οἱ θησαυροὶ τῆς σοφίας καὶ γνώσεως ἀπόκρυφοι). Dass sich das Präpositionsgefüge ἐν ᾧ auf das unmittelbar vorhergehende Χριστοῦ bezieht (statt z.B. auf μυστηρίου), ist naheliegend und wird von kaum jemandem bestritten. So wie in 2,2 lassen sich auch hier weisheitliche und apokalyptische Begriffe reibungslos miteinander verbinden. Die Lexeme, die wir mit „Weisheit“ (σοφία) und „Erkenntnis“ (γνῶσις) übersetzen, werden auch in der Weisheitsliteratur häufig als synonyme Begriffe verwendet (vgl. Spr 2,6; 30,3; Koh 1,16-18; 2,21.26; 9,10; Weish 6,22; Sir 21,8). Paulus macht von ihnen den gleichen Gebrauch in Röm 11,33. An dieser Stelle greift Paulus wieder Motive auf, die er bereits in seinem Eingangsgebet einführte (vgl. die lexikalische und traditionsgeschichtliche Analyse von σοφία und επίγωνις zu 1,9). Dort hob er insbes. durch die Anspielung auf Jes 11,1-10 den pneumatologischen Charakter der wahren Erkenntnis hervor: Sie ist letztlich eine Gabe des Geistes (vgl. Eph 1,17 sowie 1Kor 2,6-16). Hier präzisiert er seine Meinung in christologischer Hinsicht – Paulus steht in einer Tradition, die Jes 11,1-10 messianisch deutet (vgl. zu 1,9) – und fordert seine Gegner implizit heraus: Zur echten Weisheit gelangt man nur im Messias Jesus.649 Das vermitteln vor allem die beiden weisheitlich bzw. apokalyptisch gefärbten Begriffe, die Paulus hier aber sonst selten (θησαυρός; nur noch in 2Kor 4,7) bzw. nirgends (ἀπόκρυφος; das Wort kommt nur noch im NT in Mk 4,22 par vor) gebraucht. 647 Vgl. HvS §252,29; §184g(3). 648 Vgl. auch Wolter 111. 649 Vgl. Maisch 146.
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II. Auslegung
Das Wort „Schatz“ (θησαυρός) bezieht sich in der Weisheitsliteratur vorwiegend konkret auf materielle Güter, aber die metaphorische Rede von „Schätzen der Weisheit“ ist auch belegt (vgl. Sir 1,25; 7,14; Bar 3,14).650 Diese Schätze sind im Messias „verborgen“ (ἀπόκρυφος).651 Die Wortwahl rezipiert unverkennbar ein Orakel an einen früheren Gesalbten (χριστὸς) in Jes 45,1-3, dem Gott verspricht, dunkle, verborgene und unsichtbare Schätze (θησαυροὺς σκοκεινούς ἀπόκρυφους ἀοράτους) der Erkenntnis (ἵνα γνῷς) zu geben. Was sich der atl. Prophet von Kyros erhoffte, findet also Paulus zufolge seine typologische Erfüllung im Messias Jesus.652 Der Apostel meint somit nicht, dass diese Schätze weiterhin niemandem zugänglich sind, sondern seine Übertragung der messianischen Verheißungen in Jes 45 auf den Messias Jesus will im Kontext des Kol betonen, dass sie außerhalb vom Messias nicht zu erschließen sind.653 Aber weil Weisheit und Erkenntnis in ihm „verborgen“ sind und die Gläubigen in Kolossä ihm gehören (vgl. 1,27), steht ihnen beides zur Verfügung. Im Einklang mit der weisheitlichen Tradition ist diese Weisheit für Paulus keine abstrakte Größe, sondern sie wirkt sich praktisch im Leben der Gläubigen aus. Sie ermöglicht, wie bereits in 1,10 dargestellt, eine Lebensführung, die dem Herrn gefällt. Das kann – so die Ausführungen im Folgenden – die KI nicht bieten. 4 Das – d.h. die vorhergehende Rede von der Vorzüglichkeit Christi und der Gewissheit, die aus der Erkenntnis von ihm erfolgt – will ich (Paulus) gesagt haben, damit es keinem gelingt, euch durch schöne Worte zu betrügen (τοῦτο λέγω ἵνα μηδεὶς ὑμᾶς παραλογίζηται ἐν πιθανολογίᾳ). Die Einleitungsformel τοῦτο λέγω kommt mit leichter Abweichung nur bei Paulus vor (vgl. τοῦτο δὲ λέγω in 1Kor 7,6 und Gal 3,17, λέγω δὲ τοῦτο in 1Kor 1,12 sowie τοῦτο oὖν λέγω in Eph 4,17).654 Wir übersetzen mit „das will ich gesagt haben“, um sowohl ihren eindeutigen Beteuerungscharakter als auch ihren anaphorischen Bezug zu den Ausführungen des Apostels in 2,1-3 klarer hervorzuheben. Letzteres ist einem kataphorischen Bezug zum darauffolgenden 650 Vgl. auch Pao 139. 651 Lightfoots Urteil, dass der Terminus dem Gnostizismus entstammt (S. 174), ist, genauso wie die These eines gnostischen Hintergrundes hinter der KI insgesamt, nicht haltbar. Vgl. S. 38-39. 652 Diese Einsicht verdanke ich meinem ehemaligen Kommilitonen und dem jetzigen Professor für Neues Testament am Gordon Conwell Theological Seminary Sean McDonough. 653 Vgl. Wolter 112. Sumney 116 erfasst die Intention dieser Aussage trefflich: “If ‘all the treasures of wisdom and knowledge’ are in Christ, it is useless to seek them elsewhere” (kursiv bei Sumney). 654 Vgl. aber διὰ τοῦτο λέγω ὑμιν, das manchmal als Einleitungsformel für Jesuslogia dient (vgl. Mt 6,25; 12,31; 21,43; Mk 11,24; Lk 12,22) sowie ταῦτα λέγω in Joh 5,34.
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ἵνα-Nebensatz, der demnach imperativisch aufgefasst werden müsste,655 mit der Forschungsmehrheit vorzuziehen.656 Ein solcher Gebrauch – imperativisches ἵνα nach einer Einleitungsformel – ist im NT nicht belegt.657 Außerdem ergäbe die darauffolgende Begründung in 2,5a nach dem vermeintlichen Befehl in 2,4b keinen Sinn,658 ebenso wenig die Partizipialkonstruktion in 2,5b.659 Textästhetische Überlegungen sprechen auch für diese Deutung, denn dadurch steht diese Formel der Mitteilungsformel in 2,1 gegenüber und bildet zusammen mit ihr eine Inclusio. Die Konjunktion ἵνα ist demnach gemäß ihrer üblichen finalen Sinnrichtung zu deuten (vgl. dazu Joh 5,34: ταῦτα λέγω ἵνα ὑμεις σώθητε). Der Duktus des Diskurses ist somit klar: „Das vorher Gesagte dient folgendem Zweck …“. Was Paulus mit seinen pathetischen Ausführungen in 2,1-3 bezweckt, macht er im ἵνα-Nebensatz von 2,4b klar: Es soll keinem gelingen, die Gläubigen in Kolossä „durch schöne Worte zu betrügen“ (ἵνα μηδεὶς ὑμᾶς παραλογίζηται ἐν πιθανολογίᾳ). Das Verb παραλογίζομαι, das wir mit „betrügen“ übersetzen, begegnet im NT nur noch in Jak 1,22. Im profanen Griech. dient es u.a. als t.t. des Rechnungswesens mit der Bedeutung „(absichtlich) falsch berechnen“, war aber auch im Alltag gebräuchlich und negativ konnotiert im Sinne von „betrügen“.660 In der LXX, wo das Lexem 14-mal vorkommt, sowie im NT hat es stets diese negative Konnotation. Die Sprache ist polemisch, aber Paulus ist keineswegs an einer objektiven Darstellung der CL bzw. der Motive der Lehrer interessiert, sondern will die Gemeinde vor einer realen Gefahr für ihren Glauben warnen. Ob die Befürworter der KI „betrügen“ wollten, kann dahingestellt sein; dass ihre Ansichten dies tatsächlich tun, ist aus der Sicht des Paulus ganz sicher. Das geht auch aus seiner Charakterisierung ihrer Lehre als „schöne Rede“ (πιθανολογία) hervor. Dieser Ausdruck, ein Kompositum bestehend aus πιθανός (= „überzeugend“) und λόγοι (= „Worte“), erscheint sonst nirgendwo im NT, ist aber auch ein bekannter t.t. im profanen Griech., der ein plausibles (in Abgrenzung von einem zwingenden) Argument markiert.661 Dass er an dieser Stelle negativ konnotiert ist, ist un-
655 So Moule 88, gefolgt von Wilson 188. 656 Vgl. u.a. Lightfoot 175; Bandstra, Errorists, 340; O’Brien 97; Harris 86; Barth/Blanke 283-285; Wolter 112; Dunn 132-133; MacDonald 86; Moo 172; Sumney 118; Pao 139140. 657 Vgl. Moo, 172; O’Brien 97. 658 Vgl. O’Brien 97; Sappington, Revelation, 177. 659 Vgl. Barth/Blanke 284. 660 Vgl. LSJ 1317. 661 Vgl. Gnilka 113-114.
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II. Auslegung
übersehbar.662 Denn Paulus hält die KI angesichts der Offenbarung des Mysteriums in Christus, die er im Vorhergehenden beschrieben hat, keineswegs für plausibel. „Schöne Worte“ erfasst im Deutschen hervorragend die von ihm erwünschte Nuance. 5 Paulus fährt mit einem Begründungssatz (γάρ) fort, der aber genau genommen ein Anakoluth ist, denn er erklärt nicht, worin die Gefahr der KI besteht – dies würde nach 2,4 logisch folgen, erfolgt aber erst im nächsten Abschnitt –, sondern warum er so eindringlich auf diese Gefahr hinweisen möchte: Denn auch wenn ich körperlich abwesend bin, im Geist bin ich doch bei euch (εἰ γὰρ καὶ τῇ σαρκὶ ἄπειμι ἀλλὰ τῷ πνεύματι σύν ὑμῖν εἰμι). Bereits in 2,1 hat er beteuert, dass er – obwohl er die Gläubigen im Lykostal nicht kennt – in seinen Gebeten sehr um sie bemüht ist. Seine Gefangenschaft (vgl. 4,18) hindert ihn, persönlich nach Kolossä zu kommen – wörtl. heißt es, dass er „bezüglich des Fleisches abwesend ist“ (τῇ σαρκὶ ἄπειμι; für „Fleisch“ als Metonymie für die Person vgl. 2,1). Doch er fühlt sich ihnen so verbunden, dass er sich wähnt, „im Geist“ (τῷ πνεύματι) bei ihnen zu sein. Viele Ausleger sind der Ansicht, dass Paulus damit den Geist Gottes meint und an eine durch ihn vermittelte „geistliche Anwesenheit“ denkt, die es ihm tatsächlich ermöglicht, in einem realen, wenn auch nicht rational erfassbaren Sinne bei der versammelten Gemeinde zu sein.663 Manche Kommentatoren wollen dies mit einem Verweis auf 1Kor 5,3, wo die Rede von der „Anwesenheit im Geist“ mit einem durch den Brief vermittelten Urteil über den Sünder verbunden wird, begründen.664 Wahrscheinlicher haben wir es aber mit „ein[em] geläufige[n] Element der hellenistischen Brieftopik“ zu tun, nach dem „im Geist bin ich bei euch“ so viel wie „in Gedanken bin ich bei euch“ bedeutet.665 Es gibt Beispiele aus den Papyri, die sich der gleichen Sprache bedienen, um genau
662 Ähnlich Bormann 120. 663 Vgl. Dibelius 26; Lohse 131; Pokorný 91; Moo 173; Sumney 120; Heil, Encouragement, 97. 664 Vgl. z.B. O’Brien 98; Dunn 134. Aber vgl. Thraede, Grundzüge, 98, der aufgrund seiner Untersuchung „griechisch-römischer Brieftopik“ das Wort πνεῦμα in diesem Kontext als „Bestandteil eines briefspezifischen Motivs“ betrachtet, das keinen theologischen Inhalt vermittelt. 665 So Wolter 113, der sich auf die einflussreichen Untersuchungen von Koskenniemi, Studien, 172-180, und Thraede, Grundzüge, 102-106, beruft. Weil er aber von einem pseudepigraphischen Schreiben ausgeht, hält er diese „Brieffiktion“ für den Versuch, nicht räumliche, sondern zeitliche Distanz zu überbrücken (weil Paulus – bereits gestorben – in der Vergangenheit existiert). Beispiele für eine solche Anwendung der Trope führt er nicht an.
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das zum Ausdruck zu bringen.666 Paulus meint demzufolge nicht, dass er irgendwie durch seinen Brief wirklich anwesend ist, sondern der Kol dient bloß als Ersatz für seine Anwesenheit. Paulus ist sich nicht sicher, dass dieser seine feste Überzeugung, im Messias seien alle notwendigen geistlichen Ressourcen vorhanden, adäquat vermitteln kann. Wäre er bei ihnen, könnte er das bestimmt, aber das ist nicht möglich, sodass seine briefliche „Präsenz“ genügen muss. Paulus gibt sich aber trotz der Bedrohung, die durch die KI auf die Gemeinde einwirkt, zuversichtlich, denn ich freue mich über das, was ich vorfinde: euren geregelten und standfesten Glauben an den Messias (χαίρων καὶ βλέπων ὑμῶν τὴν τάξιν καὶ τὸ στερέωμα τῆς εἰς Χριστὸν πίστεως ὑμῶν). Die Begriffe χαίρων (Part. Präs. von χαίρω = „sich freuen“; vgl. zu 1,24) und βλέπων (Part. Präs. von βλέπω = „sehen“; hier bildhaft: Paulus fährt mit der Trope der Anwesenheit durch einen Brief fort) bilden ein ungewöhnliches Hendiadys,667 das im Sinne von „ich freue mich zu sehen“ aufzufassen ist.668 Das Doppelpartizip bezieht sich auf die metaphorische Anwesenheit des Paulus in Kolossä und hat eine modale Sinnrichtung, die die näheren Begleitumstände des „Besuchs im Geist“ beschreibt: Er ist bei ihnen und freut sich über das, was er sieht. Der lobende Ton bereitet die Kolosser auf die folgende Ermahnung vor; das ist keine typisch deutsche rhetorische Strategie, aber durchaus charakteristisch für antike Paränese.669 Das, was Paulus durch die Berichte seiner Mitarbeiter über die Situation der Gemeinde in Kolossä erfreut, ist wörtl. „eure Ordnung (τάξις) und Festigkeit (στερέωμα) hinsichtlich eures Glaubens an den Messias“. Diese Ausdrücke erscheinen als Begriffspaar nur hier in der gesamten griech. Literatur des Altertums.670 Das Lexem τάξις kommt bei Paulus nur noch in 1Kor 14,40 vor, wo es sich auf den geregelten Ablauf im Gottesdienst bezieht, wie er diesen in den vorhergehenden Versen geschildert hat. Sonst im NT wird τάξις im kultischen Kontext gebraucht, einmal von Lukas, um die Reihenfolge im Schichtdienst der Priester (Lk 1,8), und mehrmals im Hebr, um in Anlehnung an Ps 110,4 die priesterliche Ordnung Melchisedeks zu beschreiben bzw. diese mit der Ordnung Aarons zu kontrastieren (Hebr 5,5.10; 6,20; 7,11.17). Das Wort στερέωμα kommt häufig in der LXX mit der konkreten Bedeutung „Himmels666 Vgl. P. Lond. 1926 [IV]: εἰ κὲ ἐν σώματι οὐκ ἷκα παρὰ τοὺς πόδας σ[ο]υ, ἐν πνεύματι εἷκα πρὸς τοὺς πό[δ]ας σου. Zitiert in Koskenniemi, Studien, 176. 667 Vgl. Gnilka 114. 668 Vgl. BDR §471 (5); O’Brien 98-99. 669 Vgl. Wolter 114. 670 Vgl. Gnilka 114.
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II. Auslegung
gewölbe“ vor (vgl. u.a. die Schöpfungsgeschichte: Gen 1,6.7.8.14.15.17.20), aber nur hier im NT. Mit der abstrakten Bedeutung „Festigkeit“, wie Paulus es hier benützt, ist es sonst nicht belegt.671 Beide Begriffe begegnen im militärischen Kontext: τάξις beschreibt die zur Aufstellung von Truppen erforderliche Disziplin bzw. das ästhetische Resultat derselben (vgl. Xenophon, Anab. 1.2.18; Plutarch, Vit. Pyrrh. 16.4); στερέωμα bezieht sich auf die Dichte bzw. die vermeintliche Unnachgiebigkeit einer Frontstellung (vgl. 1Makk 9,14). Dass Paulus sie an dieser Stelle im Dienste einer militärischen Metapher gebraucht672 wird von der Mehrheit der Kommentatoren mit Skepsis betrachtet.673 Sie weisen darauf hin, dass sie eine verständliche alltägliche Bedeutung haben und keine t.t. des Militärwesens sind. Beides stimmt, und dennoch passt im Kontext ein militärisches Bild hervorragend, denn Paulus hat soeben die Gläubigen in 2,4 gegen eine drohende Gefahr – die KI, die er im Folgenden genauer beschreiben wird – gewarnt. Eine Ermutigung, dagegen eine geordnete und starke Front aufzustellen, würde einen durchaus wirkungsvollen rhetorischen Effekt haben.674 Die von Paulus gelobte Ordnung und Festigkeit bezieht sich auf den Glauben der Kolosser an den Messias (τῆς εἰς Χριστὸν πιστεως ὑμῶν). Wegen ihres Glaubens an Jesus als den Messias hat Paulus die Gemeinde bereits in der Danksagung gelobt (vgl. zu 1,4). Diesen stellt nun Paulus im Dienste der Kriegsmetaphorik implizit als Verteidigungsanlage dar. Sie muss, um eine effektive Front gegen die in die Gemeinde von außen eindringende Irrlehre bilden zu können, gut durchdacht und stark sein. Paulus hat bereits vom „Reichtum der Gewissheit der Erkenntnis vom Messias“ in 2,2 gesprochen. Im Folgenden erfährt man, wozu dieser auch gebraucht wird: damit der Glaube der Kolosser in der Auseinandersetzung mit der KI standhalten und trotzdem gedeihen kann.
IV Zusammenfassung Paulus verlässt in diesem Abschnitt die für ein überwiegend heidnisches Publikum anspruchsvolle theologische Diskursebene von 1,24-29 und bringt stärker als bisher seine persönliche Verbundenheit mit der Gemeinde in Kolossä zum Ausdruck. Vielleicht spürt er instinktiv, dass es in Anbetracht seines An671 672 673 674
Vgl. LSJ, Art. στερέωμα, 1641. So u.a. Lightfoot 176; Lohmeyer, 95; Wright 96; Bird 70. So auch u.a. O’Brien 99; Schweizer 96; Barth/Blanke 287-288; Wolter 114; Moo 174. Die Häufigkeit, mit der Kriegsmetaphorik auftaucht, wenn sich Paulus mit Opponierenden auseinandersetzt (vgl. Gerber, Paulus, 181-184), gebietet zumindest, dass man ernsthaft erwägt, ob sie auch hier vorhanden ist.
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liegens nicht genügt, Menschen, die ihn nicht persönlich kennen, über seine heilsgeschichtliche Rolle als Apostel zu den Völkern bzw. seine Einsicht in das Geheimnis des Evangeliums in Kenntnis zu setzen. Er will nämlich erreichen, dass die Kolosser weiterhin seinem Evangelium und nicht der KI folgen, die ihnen wohl eher ein Zu- und kein Gegensatz dazu zu sein schien. So muss er sie davon überzeugen, dass ihm nicht nur sein theologisches Programm, sondern sie selbst am Herzen liegen. Das tut er, indem er betont, wie unermüdlich er ihretwegen im Gebet und in den Gesprächen, die er mit seinen Mitarbeitern über Entwicklungen in der Gemeinde führt, ringt. Der Ton an dieser Stelle ist der eines Freundes, der sich über den Weg, den einer eingeschlagen hat, Sorgen macht, statt eines Anführers einer Bewegung, der um sein Vermächtnis bemüht ist. Dabei kennt Paulus die allerwenigsten unter den Jesusnachfolgern in Kolossä. Das beeindruckt aber gerade deswegen, weil es nicht Teil einer durchdachten rhetorischen Strategie ist.675 Dafür ist der alles andere als geschickte Schreibstil in 2,2 ein Beweis. Man spürt förmlich, wie der in anderen Briefen so wortgewandte Apostel nach der richtigen Formulierung ringt, wenn er „geliebten Fremden“ erklären will, worum er sich ihretwegen abmüht. Stilistisch gelingt es ihm nicht, die dafür richtige Mischung aus respektvollem Abstand und geschwisterlicher Zuneigung herzustellen. Das Resultat ist eine nicht enden wollende Genitivkette, deren genauer semantischer Inhalt sich nur schwer erschließen lässt. Gerade das macht Paulus aber als Mensch, wenn nicht als Autor, zugänglicher. Er weiß, wieviel davon abhängt, dass er die Kolosser überzeugen kann, ihm und seinem exklusiven Christus-Evangelium Glauben zu schenken, und wirkt nervös. Sein Kommunikationsvermögen leidet darunter, und die lange Einleitung droht kurz vor dem Ziel unter dem Gewicht der Pleonasmen in diesem Vers zu versinken. Nur so viel ist klar: Paulus will die Kolosser ermutigen und stärken, und dazu ist einerseits erforderlich, dass sie in der Liebe vereint sind, und andererseits, dass sie zu tieferen Erkenntnissen des Geheimnisses Gottes gelangen. Zweifel kommen auf, ob der Apostel mehr als Platitüden zu bieten hat. Dass dies tatsächlich der Fall ist, beweist der einfach formulierte Relativsatz von 2,3, der so kurz und bündig ist, wie der Nebensatz in 2,2 sperrig war, und eine für den gesamten Brief programmatische Aussage darstellt: im Messias, und nirgends sonst, ist alle notwendige Erkenntnis zu finden. Das bringt auf einen Nenner, was die Kolosser begreifen müssen. Die Bündelung apoka675 Kontra Witherington und andere Befürworter einer bewusst gewählten „asianischen“ Rhetorik. Vgl. Einleitung, S. 27.
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II. Auslegung
lyptischer und weisheitlicher Tropen an dieser Stelle – verborgene Geheimnisse, die nun offenbart werden, und Schätze der Weisheit, die gefunden werden – wirkte sicherlich anziehend auf die Hörer bzw. Leser, die diese Sprache von den Anhängern der Mysterien und der Philosophen kannten. Denn es gab im hellenistischen Zeitalter viele Stimmen, die all dies versprachen, aber nicht ohne Anstrengung und mit keiner Garantie auf Erfolg. Dass die erforderlichen Kenntnisse des Göttlichen, die ein Leben gelingen lassen, an einem Ort zu haben wären, und dass diese allein dadurch zu erlangen wären, dass man dem Messias Jesus gehört, ist im Kontext des antiken Kolossä wahrlich eine gute Nachricht. Das zermürbende und angstmachende Manövrieren durch das Minenfeld der vielfältigen göttlichen Instanzen hinter den Naturmächten (vgl. zu 2,8), die einen je nach Laune segnen oder schaden können, hätte damit ein Ende. Das müssen die Gläubigen in Kolossä begreifen. Nur so werden sie in die Lage versetzt, sich gegen die verlockenden, aber letztlich leeren Behauptungen der KI zu wehren. Diesen ist ihre Anziehungskraft nicht abzustreiten. Sie versprach Zugang zu Engelwesen und durch sie zur göttlichen Weisheit, war aber aus der Sicht des Apostels nur Schein und Trug und stellt einen Rückschritt in ein bereits hinter sich gelassenes Sklavendasein unter antigöttlichen Mächten dar, die der Messias am Kreuz vollends besiegt hat (vgl. zu 2,8-23). An dieser Stelle deutet Paulus nur vage an, dass den Kolossern eine reale Gefahr droht – er spricht von „schönen Worten“, die in die Irre führen. Im Folgenden wird er diese Gefahr wesentlich klarer schildern. Vorerst will er aber ihre Herzen gewinnen und betont wiederum zum Schluss dieses Abschnitts, wie gerne er sie persönlich besucht hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, und wie er im Grunde genommen zuversichtlich ist, dass der Glaube der Gemeinde stark genug ist, um der KI eine starke Front zu bieten. Kol 2,1-5 ist gewissermaßen ein Kuriosum. Bis auf 2,3 ist es aus theologischer Sicht nicht gewichtig, und selbst 2,3 ist bloß eine Zusammenfassung bereits angeschnittener Themen (vgl. insbes. 1,9.15-20.24-29), an der man geneigt ist, schnell vorbeizugehen: Nach der langen Einleitung will man endlich erfahren, was Paulus wirklich auf dem Herzen hat. Auch aus rhetorischer und stilistischer Hinsicht bleibt dieser Abschnitt hinter dem zurück, was man von Paulus gewohnt ist. Kol 2,2 gehört zu den überladensten Sätzen, die der Apostel je geschrieben hat. Dennoch entfaltet dieser Abschnitt eine unerwartete Kraft. Diese wächst zum einen aus der ästhetisch wirksamen Schlichtheit von 2,3, die sowohl inhaltlich als auch stilistisch ihresgleichen sucht. In schöner Bildersprache, die apokalyptische und weisheitliche Traditionen zugleich bündelt, fasst Paulus mit erstaunlicher Knappheit zusammen, warum Christus
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
205
allein genügt. Zum anderen vermittelt dieser Abschnitt wie kaum ein anderer die unverfälschte Nächstenliebe des Apostels. Ihm liegt viel daran, auch den Kolossern sein Interesse bzw. seine Zuneigung zu bekunden. Ähnliche Stellen begegnen in den Thessalonicher-, Philipper, und Korintherbriefen, aber diese Gemeinden waren Paulus bekannt; die Kolosser nicht. Paradoxerweise unterstreicht sein ungeschickter Satzbau die Echtheit seiner Anteilnahme. Perfekte Rhetorik wäre u.U. suspekte Rhetorik; das entspräche dem ehrgeizigen heilsgeschichtlichen Programm des Völkerapostels. Aber so, wie er hier schreibt, kommt das aus einem Herzen voller Leidenschaft für Menschen, die er zwar nicht kennt, aber dennoch liebt.
2. Briefkorpus (2,6–4,6) 2.1. Einleitende Aufforderung (2,6-7)
I Übersetzung 6 Ihr habt also den Messias Jesus anfangs als den Herrn empfangen; demgemäß solltet ihr euer Leben unter seiner Herrschaft führen. 7 Bleibt in ihm verwurzelt, baut weiter auf ihm auf; ich meine damit: bleibt im Glauben gefestigt, so wie ihr darin unterwiesen wurdet, und seid über das Maß hinaus dankbar.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 2,7: 1) Die Majuskeln A C I Ψ sowie 2464 haben ἐν (statt τῇ; vgl. NA28) vor πίστει. Die LA ἐν τῇ ist von אD2 K L P 078 104 630 1175 1505 1739 1881 sowie Cl bezeugt. Die von NA28 bevorzugte LA mit τῇ ist aber auch gut (vor allem durch B) und breit bezeugt und ist als lectio brevior vorzuziehen. 2) Vor dem Präpositionalgefüge ἐν εὐχαρστίᾳ fügen B D2 H K L 0278 104 365 630 1505 (ar) m sy sams bo sowie Aug und wahrscheinlich Ambst ἐν αὐτῇ, vielleicht unter dem Einfluss von 4,2, ein.1 Die Majuskeln א2 und D* sowie (b) f vgcl syhmg fügen ἐν αὐτῷ vor ἐν εὐχαρστίᾳ ein, vermutlich durch Anpassung an das vorhergehende ἐν αὐτῷ in 2,7 verursacht. Die LA von P Ψ 048, nach der ἐν εὐχαρστίᾳ mit ἐν αὐτῇ ersetzt wird, lässt sich am besten als Kürzung der längeren LA ἐν αὐτῇ ἐν εὐχαρστίᾳ be-
1 Vgl. Metzger 555.
206
II. Auslegung
greifen und als sekundär einstufen. Die LA ἐν εὐχαρστίᾳ ist gut bezeugt und als lectio brevior vorzuziehen. Form. Mit 2,6-7 beginnt, wie die Partikel οὖν (= „deswegen“, „also“) sowie der Wechsel von der 1. Pers. Sing. zur 2. Pers. Plur. deutlich machen, das Briefkorpus des Kol.2. Seiner Form nach ist 2,6-7 eine typische „postconversionale Mahnrede“,3 die als Übergang vom langen Briefanfang (1,1–2,5) zum Briefkorpus (2,6–4,6) dient und somit den Dreh- und Angelpunkt des ganzen Briefes darstellt.4 Sie funktioniert als Briefthese,5 indem sie in einem knappen Nebensatz (2,6a) den christologischen Fokus der Einleitung (2,3-23), insbes. des CL (1,15-20), resümiert6 und in zweifacher Hinsicht den Ton für den Rest des Briefes setzt. Erstens wird durch die implizite Aufforderung, an der von Paulus und seinen Mitarbeitern überlieferten Botschaft von Christus festzuhalten, die erforderliche Reaktion auf die KI, mit der sich der Apostel im unmittelbar darauf folgenden Abschnitt (2,8-23) auseinandersetzt, vorweggenommen. Zweitens wird durch einen einfachen Imperativsatz darauf hingewiesen, dass die Botschaft von Christus einen entsprechenden Lebenswandel verlangt und als Grundlage für die ethischen Ermahnungen (3,5–4,6) dient. Der Text besteht aus einem Satz von überschaubarer Länge, der aber dennoch viele verschiedene Satzelemente verbindet: einen Hauptsatz, zwei Komparativnebensätze und vier Partizipialkonstruktionen.7
III Einzelexegese 6 Paulus beginnt das Briefkorpus mit einer Erinnerung an die bereitwillige Akzeptanz des Evangeliums seitens der Kolosser: Ihr habt also den Messias Jesus anfangs als den Herrn empfangen (wörtl. „Als ihr also den Messias Jesus als Herrn empfangen habt“; ὡς οὗν παρελάβετε τὸν Χριστὸν Ἰησοῦν τὸν κύριον). Im Griech. handelt es sich bei diesem Nebensatz um eine Protasis, die mit der Partikel ὡς eingeleitet wird.8 (Wir haben 2,6 des besseren Verständnisses wegen in zwei Hauptsätze verwandelt und ὡς durch „dementsprechend“ 2 Wolters Gliederungsvorschlag (114-117; vgl. auch Luz 212-213), nach dem 2,6-8 die Einleitung zum Briefkorpus bildet, ist zu sehr von Vorgaben der klassischen Rederhetorik bestimmt und misst dem Wechsel im Ton zwischen 1,7 und 1,8 zu wenig Bedeutung bei. 3 Vgl. Berger, Formen, 190-196. 4 Vgl. Lähnemann, Kolosserbrief, 111-112; Dübbers, Christologie, 181-182; O’Brien 105; Moo 177. 5 Vgl. Thompson, Formation, 185. Ähnlich Merk, Erwägungen, 415. 6 Ähnlich Lähnemann, Kolosserbrief, 49. 7 Vgl. die syntaktische Analyse von Zeilinger, Erstgeborene, 50. 8 Das zu erwartende Korrespondenzpartikel οὕτως in der Apodosis (2,6b) wird elidiert.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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im zweiten Hauptsatz wiedergegeben.) Die Partikel hat eine komparative Nuance bei finiten Verben und gibt an, auf welche Weise ein Vorgang erfolgt.9 Die Konjunktion οὖν kennzeichnet häufig einen Schluss, der aus einem vorhergehenden Diskurs folgert, markiert aber insbes. in Verbindung mit anderen Partikeln einen Übergang.10 An unserer Stelle wird damit offenbar kein logischer Schluss aus dem unmittelbar vorhergehenden Abschnitt gezogen, wohl aber eine lockere Verbindung zur Lehre über den Messias Jesus, insbes. im CL (1,15-20), das die Kolosser kennen und bejahen, hergestellt. Diese haben sie „empfangen“ (παρελάβετε); durch den Gebrauch des Aor. verweist Paulus auf die Anfänge der Gemeinde in Kolossä, als Epaphras ihnen das Evangelium verkündete (vgl. 1,5-9).11 Das Verb παραλαμβάνω, das hier verwendet wird, ist ein bereits im Frühjudentum üblicher t.t. der Rabbinen für die Aufnahme einer Lehrtradition.12 Paulus gebraucht es öfter, um eine mit Bedacht formulierte Äußerung bzw. Äußerungen zu bezeichnen, und konnotiert damit, dass diese aufzubewahren sind bzw. dass an ihrer überlieferten Form nicht zu rütteln ist.13 Unsere Stelle fällt insofern aus der Reihe, als dass es sich hier nicht um einen Lehrsatz handelt, sondern wörtlich um „den Messias Jesus den Herrn“ (τὸν Χριστὸν Ἰησοῦν τὸν κύριον). Die Verbindung dieser drei Nomen miteinander begegnet uns zwar häufig bei Paulus, aber genau diese Konstellation findet man nirgendwo sonst im NT.14 Ihre genaue semantische Funktion ist umstritten, zumal sie den Bekenntnissatz „Jesus Christus Kyrios“ in ihren verschiedenen Gestalten evoziert und möglicherweise das Verb εἰμί elidiert. Gemeint ist nicht die persönliche Aufnahme Jesu im Leben eines Gläubigen, wie man diese in der pietistischen Tradition betont, und auch nicht die liturgische Identifikation mit Jesus in der Taufe.15 Jedenfalls gibt es für diese Deutungen keine weiteren Anhaltspunkte im NT: das Verb παραλαμβάνω wird von Paulus nie in diesem Sinne gebraucht.16 Auch das Fehlen des üblichen Personalpron. ἡμῶν nach κυρίον spricht gegen solche Annahmen.17 Manche Forscher 9 10 11 12 13
14 15 16 17
Vgl. Bauer 1789. Ebd. 1200. So auch Wolter 117. Vgl. Zeilinger, Erstgeborene, 116; Barth/Blanke 299-301. Vgl. 1Kor 11,23: die Abendmahlsparänese; 1Kor 15,1.3; Gal 1,9.12; 1Thess 2,13: das (paulinische) Evangelium; 1Kor 15,3: ein frühchristliches Bekenntnisstück; Phil 4,9; 1Thess 4,1; 2Thess 3,6: apostolische Lehre. Lediglich Kol 4,17 entspricht diesem Gebrauch nicht, vgl. dazu a.a.O. Vgl. Moo 178. Kontra Wegenast, Verständnis, 126-129; Wolter 117; Gnilka 116; Meeks, Formation, 46. Vgl. Barth/Blanke 300. Vgl. Harris 88-89.
208
II. Auslegung
folgen der Satzstellung der Nomina und deuten „Christus“ als Hauptobj. des Verbs. Sie übersetzen etwa wie folgt: „Als ihr den Christus empfangen habt, nämlich Jesus den Herrn …“.18 Paulus ist aber sonst im Kol nicht bemüht zu betonen, dass der Christus mit Jesus von Nazareth identisch ist; gnostische Anwandlungen musste er entgegen der Meinung früherer Forschergenerationen nicht bekämpfen.19 Andere Kommentatoren sind der Meinung, dass es sich um ein doppeltes Bekenntnis zu Jesus als Messias und Herrn handelt.20 Das entspräche zweifelsohne frühchristlichen Anliegen im Allgemeinen (vgl. Apg 2,36). Wahrscheinlicher ist aber, dass die Hinzufügung des zweiten τὸν vor κύριον dazu dient, dieses Nomen von den anderen beiden abzusetzen. Paulus will damit betonen, dass die Kolosser den von ihm als jüdischen Messias21 wahrgenommenen Jesus von Nazareth als den kosmischen Kyrios des CL anerkannt haben.22 Diese Auslegung entspricht am besten dem Gebrauch des Apostels, dem frühchristlichen Credo „Jesus (Christus) ist Herr“ gemäß, an anderen programmatischen Stellen (vgl. Röm 10,9; 1Kor 12,3; 2Kor 4,5; Phil 2,11). Sie ergibt auch im Kontext des Kol am meisten Sinn, denn aus der Sicht des Apostels wird gerade der Stellenwert Jesu als Kyrios durch die KI infrage gestellt. Paulus erinnert die Gläubigen in Kolossä daran, dass sie sich bereits bei der Gründung der Gemeinde durch den Dienst des Epaphras diesem Bekenntnis angeschlossen haben. Auf dieselbe Art und Weise, wie die Kolosser den Messias Jesus bei der Gründung der Gemeinde wahr- und aufgenommen haben – als den kosmischen Herrn –, demgemäß solltet ihr euer Leben unter seiner Herrschaft führen (wörtl. „wandelt in ihm“; ἐν αὐτῷ περιπατεῖτε). „In ihm“ bzw. „im Messias“ zu sein ist, wie wir bereits gesehen haben, eine Lieblingskonzeption des Apostels und markiert den Bereich, in dem Christus herrscht (vgl. zu 1,2).23 Gemeint ist natürlich kein Territorium, sondern Paulus denkt an den bei der Erlösung der Jesusnachfolger in Kolossä vollzogenen Herrschaftswechsel (vgl. 1,13). Dieser Wechsel erfordert für ihn selbstverständlich eine entsprechende Veränderung in der Lebensführung. Das Verb περιπατέω ist 18 19 20 21
Vgl. Lightfoot 176; Harris 89; Lohse 142; Pao 155. Vgl. Moo 178. Vgl. Moule 90; Dunn 139-141. Hier wie überall gehe ich davon aus, dass Paulus das Nomen Χριστός bewusst als messianischen Ehrentitel und nicht als Eigenname verwendet. Vgl. dazu S. 63, Anm. 9. Dass wenigstens an dieser Stelle Χριστός als messianischer Titel aufzufassen ist, bestätigen Moule 89; Harris 88; Barth/Blanke 302; Wilson 190-191; Bormann 123. Kontra Lohse 142; Gnilka 116. 22 So auch Gnilka 116; O’Brien 106; Moo 179. 23 Ähnlich Schweizer 98-99.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
209
eine bekannte atl. und frühjüd. Trope für den „Lebenswandel“ (vgl. zu 1,10). Paulus führt an dieser Stelle nicht aus – wie man es vielleicht erwarten würde – wie sich ein Leben unter der Herrschaft des Messias Jesus konkret gestalten lässt, sondern nimmt mit dieser Aufforderung lediglich die detaillierte Paränese von 3,5–4,6 vorweg. 7 Angesichts der gefährlichen Irrlehre, welche die Kolosser von ihrer anfänglichen Anerkennung der Identität Jesu als Herr und einer dementsprechenden Lebensführung abzuleiten droht, will Paulus sie auffordern, daran festzuhalten. Dazu bedient er sich dreier eindrücklicher Metaphern, deren gemeinsames Vergleichsmoment in der Unbeweglichkeit bzw. Unverrückbarkeit besteht. Diese werden dem Hauptverb περιπατέω als Partizipialkonstruktionen mit modaler Sinnrichtung zugeordnet und lassen sich am besten imperativisch übersetzen.24 Die erste Aufforderung, die die Kolosser befähigen soll, ein Leben unter der Herrschaft Jesu zu führen, lautet: Bleibt in ihm verwurzelt (ἐρριζωμένοι; Perf. Pass. Part. von ῥιζόω). Das Verb ist der Agrarsprache entnommen und bedeutet „Wurzel schlagen lassen“. Es kommt nur 5mal in der LXX vor (Jes 40,24; Jer 12,2; Sir 3,28; 24,14; PsSal 14,4) sowie im NT nur noch in Eph 3,17 und wird überall metaphorisch gebraucht. In Eph 3,17 fordert Paulus seine Hörer bzw. Leser dazu auf, „in der Liebe verwurzelt“ zu sein; hier geht es wie in 2,6 um das Bleiben „in ihm“; d.h. im Herrschaftsbereich des Messias. Das Präpositionsgefüge ἐν αὐτῷ bezieht sich sowohl auf dieses als auch auf das darauffolgende mit ihm durch καὶ verbundene Part.,25 das die zweite Aufforderung ausdrückt: Baut weiter auf ihm auf (καὶ ἐποικοδομούμενοι ἐν αὐτῷ). Das Verb, das aus dem Bauwesen stammt und die Bedeutung „auf etwas aufbauen“ trägt, kommt insgesamt 7-mal im NT vor, 6mal bei Paulus (neben unserer Stelle 1Kor 3,10 [2-mal].12.14; Eph 2,20; Jud 20), dafür kein einziges Mal in der LXX. Auch der Gebrauch dieses Verbs ist in der Bibel stets metaphorisch. Das Bild impliziert an unserer Stelle, dass ein Fundament bereits besteht, auf dem die Gemeinde in Kolossä errichtet wurde (so auch in Eph 2,20, wo allerdings das Fundament die Apostel und Propheten bilden). Sie muss ihrerseits darauf achten, dass der Aufbau – dieser ist noch nicht abgeschlossen, wie der Tempus des Part. (Präs.) vermittelt – in keine 24 Vgl. HvS §231k; Barth/Blanke 303. 25 Das Verb ἐποικοδομέω verlangt genau genommen als entsprechende Präposition ἐπί (vgl. Eph 2,20). Als constructio ad sensum ergänzt aber ἐν ἀυτῷ beide Partizipien. Vgl. HvS §265. So auch Wolter 119; Maisch 151. Kontra Barth/Blanke 304. Sie deuten ἐν ἀυτῷ instrumental im Sinne von „durch den Messias“, aber der Gebrauch der beiden Verben in den Parallelstellen Eph 2,20; 3,17 spricht dagegen. Für eine ausführliche Diskussion zur Funktion des Präpositionalgefüges an dieser Stelle vgl. Merk, Erwägungen, 413-416.
210
II. Auslegung
Schieflage gerät. Die konzeptuelle Nähe zu Eph 2,20 (und Distanz zu Jud 20) spricht dagegen, dass wir es hier mit einer verblassten Metapher zu tun haben.26 Auffallend ist auch, dass die gleiche Kombination von Agrar- und Baummetaphorik in 1Kor 3,5-17 – dort natürlich ausführlicher – vorkommt. Die dritte Partizipialkonstruktion führt die Metaphorik der Unbeweglichkeit fort, ist aber mit den ersten beiden nicht direkt verknüpft. Jene Partizipien werden durch das beiden zugeordnete Präpositionalgefüge ἐν αὐτῷ ergänzt; die dritte hat ihre eigene Οbjektsergänzung. Deswegen ist nicht davon auszugehen, dass sie bloß die Reihe an Aufforderungen weiterführt. Vielmehr erklärt sie den genaueren Sinn der ersten beiden. Die Konjunktion καὶ ist somit epex. zu deuten.27 Wir übersetzen daher an dieser Stelle wie folgt: ich meine damit: bleibt im Glauben gefestigt (καὶ βεβαιούμενοι τῇ πίστει). Das Verb βεβαίοω kommt in der LXX nur 2-mal in den Psalmen (40,13; 118,28) und 8mal im NT (neben unserer Stelle Mk 16,20; Röm 15,8; 1Kor 1,6.8; 2Kor 1,21; Hebr 2,3; 13,9) vor und bedeutet „stärken“, „festmachen“ oder „festigen“. Die Übereinstimmung mit dem Vergleichsmoment der vorhergehenden Partizipien28 spricht am ehesten für letztere Konnotation. Dem Partizip folgt der Objektsdat. τῇ πίστει. Das nomen actionis πίστις kann, wie „Glaube“ im Deutschen, subj. – der Akt des Glaubens wäre damit gemeint (fides qua creditur)29 – oder obj. – in diesem Fall handelt es sich um das, woran man glaubt (fides quae creditur) – gedeutet werden.30 Paulus gebrauchte πίστις bereits 1,23 im objektiven Sinne, und der darauffolgende Verweis auf Unterricht spricht dafür, dass dies auch hier gemeint ist.31 Mit dem Glauben meint Paulus also in Übereinstimmung mit 2,6 die Lehre über Christus, in der die Kolosser von Epaphras unterwiesen wurden. Die Nuance des Dativs wird unterschiedlich aufgefasst. Möglich wäre 1) ein Dat. instr. – das würde heißen, dass die Gemeinde durch die Lehrinhalte gefestigt werden sollte;32 2) ein lokaler Dat. – damit wäre die Metaphorik der ersten Partizipialkonstruktion weitergeführt: „in ihm verwurzelt“ würde mit „im Glauben gefestigt werden“ erklärt;33 3) ein Dat. resp. – das Gefestigtsein wäre somit auf
26 27 28 29 30 31 32 33
Kontra Moo 181. So auch Barth/Blanke 305. So auch Wolter 118. Vgl. Moule 90. Vgl. Lohse 143; O’Brien 108; Pao 158. Vgl. Löwe, Bekenntnis, 303. Vgl. Lightfoot 177. Vgl. Harris, 90; MacDonald 89; Wilson 193.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
211
den Glauben bezogen.34 Da die ersten beiden Möglichkeiten nicht in befriedigender Weise erläutern, was mit den beiden vorhergehenden Partizipialkonstruktionen (1) bzw. mit der unmittelbar vorhergehenden Partizipialkonstruktion (2) gemeint ist, ist die dritte Option vorzuziehen. Somit heißt „in ihm verwurzelt bleiben“ bzw. „weiter auf ihm aufzubauen“, in der apostolischen Lehre bzgl. Christus, so wie ihr darin unterwiesen wurdet (καθὼς ἐδιδάχθητε), gefestigt zu bleiben. Paulus setzt mit dem Gebrauch des Verbs διδάσκω (vgl. zu 1,28) voraus, dass die Gläubigen in Kolossä auf adäquate Art und Weise in Glaubensinhalten über den Messias Jesus, vor allem im Hinblick auf sein Herrsein, von Epaphras unterwiesen wurden (vgl. 1,7)35, und erwartet, dass sie davon nicht abrücken. Eine ähnliche Ermahnung bekamen auch die Epheser (vgl. Eph 4,20-21). In alledem gilt: seid über das Maß hinaus dankbar (περισσεύοντες ἐν εὐχαριστίᾳ). Mit dieser Aufforderung – die vierte Partizipialkonstruktion in der Reihe – greift Paulus erneut sein Eingangsgebet auf, in dem er Dankbarkeit als notwendiges Element einer gottgefälligen Lebensführung bezeichnet (vgl. 1,10-12). Er denkt hier wie dort in erster Linie an den im Leben der Gläubigen in Kolossä vollzogenen Herrschaftswechsel; dieser Gedanke bildet den unmittelbaren Kontext an beiden Stellen. Die Erinnerung an diese Veränderung und ihre Auswirkungen im Leben der von Christus Erlösten (vgl. 1,21-22) soll sie mit Dankbarkeit erfüllen. Das wird nun durch das Verb περισσεύω unterstrichen. Es kommt im CP 22-mal vor, aber nur hier mit unmittelbarem Bezug zur Dankbarkeit. Es bedeutet „überfließen“ bzw. „im Überfluss vorhanden sein“. Ob das Präpositionalgefüge ἐν εὐχαριστίᾳ lokal oder instrumental zu deuten ist,36 hat kaum Auswirkung auf die Bedeutung. Dass damit auf einen liturgischen Kontext hingewiesen wird,37 ist unwahrscheinlich, auch wenn der gottesdienstliche Lobpreis durch die Aufforderung erfasst wird. Die Rede vom „überfließenden“ Dank lässt aber kaum zu, dass sie darauf beschränkt werden kann.38 Die starke Betonung im Kol auf Dank und Danksagung (vgl. 1,12; 3,15.17; 4,2)39 deutet darauf hin, dass eine grundsätzliche Lebenshaltung gemeint ist.
34 35 36 37 38 39
So auch Dunn 142; Sumney 129. So auch Lightfoot 177. Vgl. Harris 91. So Löwe, Bekenntnis, 303. Vgl. Barth/Blanke 307. Vgl. Meeks, Formation, 51-52; Standhartinger, Studien, 241.
212
II. Auslegung
IV Zusammenfassung Diesem Abschnitt kommt als Dreh- und Angelpunkt des Kol enorme Bedeutung zu.40 In einem kurzen Satz fasst Paulus sein christologisches Anliegen zusammen und nimmt vorweg, was er im Briefkorpus detailliert darlegen möchte. Zu allererst erinnert er die Gemeinde in Kolossä daran, dass auch sie den jüdischen Messias Jesus als den Herrn anerkannt hat. Hier denkt er nicht an die subjektive Wahrnehmung einzelner Christen, sondern an die anfängliche Verkündigung seines Evangeliums durch Epaphras. Er ist sich sicher, dass sein geschätzter Mitarbeiter das Evangelium wahrheitsgetreu gepredigt hat, als er die Gemeinden im Lykostal gründete (vgl. 1,5-7). Nun stehen uns keine Transkripte der Evangelisationspredigten des Epaphras zur Verfügung, aber es ist davon auszugehen, dass sie genauso stark vom frühchristlichen Traditionsgut geprägt waren wie die Einleitung des Kol. Insbesondere 1,1320 gibt Einblick in die Schwerpunkte, die Paulus bzw. Epaphras in seinem Auftrag bei der Verkündigung des Evangeliums gesetzt haben werden. Dabei stand die Errettung durch Christus (vgl. 1,13) im Vordergrund. Diese wird als Befreiungsaktion dargestellt, die ein Herrschaftswechsel aus dem Machtbereich der Finsternis unter die Regierungsgewalt des Sohnes bewirkt. Sie setzt die Erhabenheit Christi über allen anderen Mächten des Kosmos, die anschließend im CL gefeiert wird (vgl. 1,15-20), voraus. Diese Mächte wurden allesamt durch Christus und „auf ihn hin“ geschaffen (vgl. 1,16), und Gott wird sie alle „auf ihn hin“ versöhnen (vgl. 1,17), d.h. sie wieder in die von der Schöpfung her bestimmte Abhängigkeitsbeziehung zu sich führen. Das bejahen die Jesusnachfolger in Kolossä bei ihren gottesdienstlichen Zusammenkünften nicht nur in Bekenntnissätzen wie „der Messias Jesus ist Herr“, sondern auch in ihrem Liedgut, von dem das CL ein hervorragendes Exemplar darstellt. Das Evangelium, das Paulus und seine Mitarbeiter predigten, betonte also stets die Identität des Messias Jesus als kosmischer Kyrios. So haben die Kolosser ihn erlebt, und als solchen hat ihn die Gemeinde bei ihrer Gründung anerkannt. Im Weiteren lässt Paulus, vorerst auf subtile Art und Weise, andeuten, welche Gefahr seiner Meinung nach von der KI ausgeht. Er hat bereits in 2,4 seine Sorge zum Ausdruck gebracht, dass die Gläubigen in Kolossä durch „schöne Worte“ in die Irre geführt werden. Im Folgenden wird er sich intensiv mit ihr auseinandersetzen, aber bereits an dieser Stelle erahnt man das Hauptproblem mit der KI aus seiner Sicht: Sie stellt implizit den Herrschaftsanspruch Jesu – d.h. seine Identität als Kyrios – infrage. Deswegen seine Aufforderung: Die 40 Vgl. Meeks, Body, 210, hält 2,6 für “the key verse for understanding the letter”.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
213
Kolosser sollen gemäß dem paulinischen Evangelium, das sie anfänglich vollends bejaht haben, weiterhin ihr Leben unter seiner Herrschaft führen. Dazu ist es erforderlich, dass sie „in ihm verwurzelt bleiben“ und „weiter auf ihm aufbauen“ (2,7). Diese Metaphern vermitteln den Eindruck, dass für Paulus die Gefahr nicht so sehr darin besteht, dass die Gläubigen von heute auf morgen die Herrschaft Jesu verleugnen, sondern darin, dass ihr Bekenntnis nach und nach durch die Ansichten und Praktiken der Vertreter der KI ausgehöhlt wird. Gegen diese Gefahr verschreibt der Apostel zwei wirkungsvolle Mittel. Zum einen ist es notwendig, dass die Kolosser „im Glauben gefestigt bleiben“ (2,7). Der Glaube, den Paulus an dieser Stelle meint, ist nicht das subjektive Vertrauen, als wollte er bloß sagen: „Versucht, noch fester an Jesus zu glauben“. Durch solche Parolen wäre niemandem geholfen worden. Es geht ihm vielmehr darum, die Jesusnachfolger in Kolossä daran zu erinnern, dass sie systematisch und in geordneter Weise von seinen Mitarbeitern im Hinblick auf die Person des Messias Jesus und sein Werk unterwiesen wurden. Davon sollen sie nicht abrücken. Impliziert wird natürlich dadurch, dass diese Unterweisung weiterhin in der Gemeinde erfolgen muss. Nur so kann die Identität der Gemeinde als Sphäre, in der sich die Herrschaft des Kyrios Jesus ausbreiten kann, bewahrt werden. Die Forderung nach geregelter Lehre ist kein Beweis für die deuteropaulinische Herkunft des Kol. Der Jude Paulus wird sie von Kindesbeinen in den Synagogen erfahren haben und selbstverständlich in die von ihm und seinen Mitarbeitern gegründeten Gemeinden eingeführt haben. In welcher Form dieser Unterricht stattfand, können wir nur anhand von Analogien zur Synagogenpraxis vermuten. Dass aber systematische Unterweisung in den paulinischen Gemeinden stattfand, davon geben seine Briefe reichlich Zeugnis. Zum anderen betont er – nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal im Kol – die Notwendigkeit des Danks. Die Aufforderung dazu ist ein charakteristischer und wesentlicher Aspekt christlicher Paränese. Dank soll laut Paulus „über das Maß hinaus“ vorhanden sein. Ihm werden keine Grenzen gesetzt, für ihn wird kein liturgischer Rahmen vorgeschrieben. Es geht um eine grundsätzliche Haltung zum Leben, die nicht aus den Augen verliert, dass das Herrsein Jesu für diejenigen, die seine Herrschaft anerkennen, unvergleichlichen Segen bedeutet. Diese wird Paulus in weiterer Folge ausführen (vgl. 2,11-15), aber schon in der Briefeinleitung hat er die Kolosser auf die Versöhnung mit Gott, die Christus durch seinen Tod am Kreuz errungen hat, hingewiesen. Das muss Dank hervorbringen, der aber wiederum davor bewahren soll, sich aus dem Herrschaftsbereich des Messias Jesus zu bewegen, um ir-
214
II. Auslegung
gendwelche vermeintlichen Vorteile bei anderen Mächten zu suchen, die dem kosmischen Kyrios unterstellt sind.
2.2. Warnung vor der kolossischen Irrlehre (2,8-23) 2.2.1. Die Wertlosigkeit der kolossischen Irrlehre (2,8-15)
I Übersetzung 8 Passt auf, dass keiner euch durch jene wertlose und betrügerische Lehre gefangen nimmt, die auf menschlichen Traditionen sowie auf den Elementarmächten des Kosmos beruht und nicht auf dem Messias. 9 Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit in leiblicher Gestalt, 10 und ihr seid in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist, erfüllt. 11 In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen vollzogen wird, sondern durch das Ablegen des fleischlichen Leibes, das heißt durch die Beschneidung des Messias. 12 Ihr seid mit ihm in der Taufe mitbegraben, mit ihm seid ihr auch mitauferweckt durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat. 13 Auch euch, als ihr noch aufgrund eurer Übertretungen und eures unbeschnittenen Fleisches tot wart – euch hat er zusammen mit ihm lebendig gemacht, indem er unsere Übertretungen vergab: 14 Zum einen tilgte er den Schuldschein, der gegen uns ausgestellt war, samt seinen gegen uns gerichteten Ordnungen, und hob ihn restlos auf, indem er ihn ans Kreuz nagelte. 15 Zum anderen entwaffnete er die Mächte und Gewalten und stellte sie der Öffentlichkeit zur Schau, indem er sie durch den Messias in seinem Siegeszug umherführte.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 2,10: 46 B D F G haben das ntr. Relativpron. ὅ anstelle der von der breiter bezeugten LA mit dem mask. Relativpron. ὅς. Das ntr. Pron. würde sich auf πλήρωμα in 2,9 beziehen, was aber voraussetzt, dass dies auch für αὐτῷ in 2,10 gilt. Wahrscheinlicher ist aber, dass αὐτῷ in 2,10 die gleiche Referenzgröße hat wie in 2,9 und sich auf Christus bezieht. Die Verwechslung zwischen ὅ und ὅς geschieht häufig im Kol und geht in beiden Richtungen.41 Die LA von NA28 ist vorzuziehen. 2,11: א2 D1 K L Ψ 075 (0208) 104 630 1505 (b) sy sowie Augpt fügen τῶν ἁμαρτιῶν nach σώματος ein. Ein früherer Kopist wollte eventuell das redundant wirkende σῶμα 41 Vgl. Lightfoot 249. Kontra Comfort, Text, 627.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
215
τῆς σαρκός auflösen. Die LA von NA28 ist jedenfalls besser bezeugt. 2,12: 1) *אA C D2 K L P Ψ 33 81 104 630 1175 124s 1505 2464 sowie Tert haben statt βαπτισμῷ (Dat. mask. von βαπτισμός) die Variante βαπτίσματι (Dat. mask. von βάπτισμα). Nach dem äußeren Befund ist aber die LA von NA28 vorzuziehen. Vielleicht zog ein späterer Kopist βαπτίσμα als den klareren Begriff in Bezug auf die christliche Taufe vor.42 2) B D F G 0278 6 33, fügen τῶν vor νεκρῶν ein. Diese LA ist gegen die NA28 bevorzugte Auslassung, die von 46 אA C K L P Ψ 075 81 104 365 630 1775 1241s 1881 2464 pm bezeugt wird, vorzuziehen. Denn seine Auslassung durch Homoioteleuton ist wahrscheinlicher als seine spätere Einfügung, zumal ἐκ τῶν νεκρῶν wesentlich seltener im NT vorkommt (dafür im CL: vgl. 1,18; sonst nur in Eph 5,14; 1Thess 1,10) als ἐκ νεκρῶν. 2,13: 1) Aufgrund von äußeren Kriterien kann man kaum entscheiden, ob die Präp. ἐν vor τοῖς nachträglich eingefügt wurde ( *אB L Ψ 075 0278 33 81 365 1175 1241s 1881 2464 b vgmss sowie Or1739mg und Ambst haben sie nicht) oder die ursprüngliche LA (mit 46 א1 A C D F G K P 048 104 630 1505 1739 pm lat) wiedergibt. Eine spätere Einfügung ist gegen NA28 etwas wahrscheinlicher als eine nachträgliche Auslassung. 2) D F G vgmss fügen ἐν vor τῇ ein. Die LA von NA28 ist eindeutig vorzuziehen. 3) Welches Pron. συνεζωποίησεν folgt – ἡμᾶς (so 46 B 33 m vgms sowie Or1739mg und Ambst) oder ὑμᾶς (so *אA C K L 81 630 1739 1881 vgmss) –, kann nicht allein aufgrund des äußeren Befundes entschieden werden. א2 D F G P Ψ 075 0208 0278 104 365 1175 1241s 1505 2464 lat sowie Tert lassen das Pron. überhaupt aus, aber dies ist eindeutig eine sekundäre LA , die die Wiederholung des Pron. am Anfang von 2,13 korrigieren will.) Αls lectio difficilior wäre ἡμᾶς vorzuziehen, aber wegen ihrer breiten geographischen Bezeugung sowie der untragbaren Inkongruenz zwischen dem Akk. Pendens ὑμᾶς am Anfang des Verses mit ἡμᾶς als Akk.Obj. ist die von NA28 bevorzugte LA (ὑμᾶς) vorzuziehen. Wahrscheinlich kam es sehr früh zu einer Verwechslung der sehr ähnlichen Pronomen. 4) א2 K* L P 33 f vg samss sowie Tert ersetzen ἡμῖν nach χαριςάμενος mit ὑμῖν. Die 1. Person Plur. Pron. ist aber die besser bezeugte LA. 2,14: 1881, ein Zeuge ersten Rangs, lässt τοῖς δόγμασιν, wohl aus stilistischen Gründen, aus. 2,15: Gegen die Mehrheit der Manuskripte, der NA28 folgt, fügen die gewichtigen Zeugen 46 und B sowie vgms καὶ nach ἐξουσίας ein. Nach dem Prinzip lectio difficilior ist letztere LA vorzuziehen. Man kann sich gut vorstellen, dass das Vorkommen eines zweiten καί – sowohl vor als auch nach ἐξουσίας – frühen Kopisten aufgrund von stilistischen Überlegungen suspekt erschien und von ihnen gestrichen wurde. 42 Vgl. Bruce 102, Anm. 56.
216
II. Auslegung
Form. Nach dem ungewöhnlich langen Briefanfang (1,3–2,5) und der einleitenden Aufforderung des Briefkorpus (2,6-7) kommt Paulus endlich dazu, der Gemeinde in Kolossä sein Anliegen zu unterbreiten. In 2,8-19, einer thematischen Einheit, die nach rhetorischen Gesichtspunkten einem argumentio gleichkommt,43 will er sie vor der KI warnen. Weil er in einigen Punkten konkret auf sie eingeht und teilweise dafür ihre Begrifflichkeit gebraucht, häufen sich in diesem Abschnitt die Hapaxlegomena bzw. sonst selten vorkommende Ausdrücke. Sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht kann er in zwei untergeordnete Einheiten aufgeteilt werden. Die Aufforderung in 2,8 dient zunächst als Überschrift für beide Einheiten, welche die KI als „wertlose und betrügerische Lehre“ beschreibt und somit die beiden Angriffsflächen nennt, gegen die Paulus im Folgenden jeweils ins Feld zieht: ihre Wertlosigkeit im Vergleich zur Lehre vom Messias Jesus (2,8-15) und ihren betrügerischen Charakter (2,16-19). Beide Teile beginnen mit einleitenden Imperativsätzen warnenden Charakters (vgl. 2,8 und 2,16). Die erste Einheit 2,8-15 ist eine für den Kol typische Periode. Mit bis zu fünfgliedrigen Genitivketten, scheinbar unzähligen Nebensätzen sowie vielen Präpositionalgefügen und Partizipialkonstruktionen ist ihre Syntax erwartungsgemäß kompliziert, aber nicht undurchsichtig.44 Hier liegt kein stringentes Argument vor, aber schwerpunktmäßig kann man diese Einheit in drei Teile aufteilen.45 Nach einer verallgemeinernden Beschreibung der KI anhand dreier κατά- Präpositionalgefüge in 2,8 führt Paulus in einem ersten Teil durch zwei knappe Behauptungen aus, warum die Lehre von Christus der KI überlegen ist (2,9-10). Im zweiten Teil bemüht er sich um eine theologische Erklärung dafür, wie Christen durch ihre Identifikation mit Christus in den Genuss der Fülle an göttlichem Segen kommen, den die KI verspricht, aber nicht gewähren kann (2,11-12). Schließlich beschreibt Paulus im dritten Teil mithilfe von beeindruckenden Bildern, wie Gott sowohl die Sünde als auch die Mächte, die die Kolosser förmlich im Stand der Sklaverei hielten, überwand, um ihr Heil in Christus zu bewirken (2,13-15). Die drei Teile scheinen jeweils in unterschiedlichen Traditionszusammenhängen entstanden zu sein. Eindeutig ist jedenfalls der Bezug im ersten Teil (2,8-10) zum CL (vgl. 1,15-20). Nach dem diesen Abschnitt einleitenden Imperativsatz in 2,8 kommentiert Paulus midraschartig zwei Aspekte des Lieds: 2,9-10a referiert 1,16, und 2,10b zieht einen für die Demontage der KI wesent43 Vgl. Wolter 115. 44 Kontra Gnilka 118. 45 Das Schema ist mit leichten Änderungen Harris 97-98 entnommen.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
217
lichen Schluss aus der Vorrangstellung des Messias als Haupt der Mächte und Gewalten (vgl. 1,16.18). Dem zweiten Teil (2,11-12) liegt aller Wahrscheinlichkeit nach eine auch hinter Röm 6,3-5 erkennbare Taufparänese zugrunde.46 Die gleichen Elemente werden in der gleichen Reihenfolge gleicherweise auf die Taufe bezogen: Mitsterben, Mitbegrabensein, Mitauferwecktwerden mit Christus. Diese bemerkenswerte Übereinstimmung lässt möglicherweise auf einen frühchristlichen Brauch schließen, diese Trias über Neubekehrte bei ihrer Taufe auszurufen. Paulus scheint zumindest davon auszugehen, dass die Gläubigen in Kolossä in Vorbereitung auf ihre Taufe unterwiesen wurden, dass sie sich in der Taufe mit dem Tod und der Auferstehung Christi identifizieren. Nun schöpft er aus diesem bedeutungsträchtigen Ritus, um sie von der Vollkommenheit ihres Heils in Christus bzw. den für sie daraus resultierenden unübertrefflichen Vorteilen zu überzeugen und sie dadurch für die KI unempfänglich zu machen. Im dritten Teil (2,13-15) kann man nach einem mit typisch paulinischen Motiven ausgestatteten Einleitungssatz (2,13) hinter den Ausführungen in 2,14-15 die Spuren eines weiteren frühchristlichen Liedes ausmachen.47 Der Text sticht aus zweifachem Grund ins Auge. Zum einen ist er mit ntl. (χειρόγραφον, προσηλόω) und paulinischen (ἐξαλείπω) Hapaxlegomena bzw. seltenen Begriffen wie das Part. ἀπεχδυσάμενος (sonst nur in 3,9; vgl. aber das nomen actionis ἀπέχδυσις in 2,11), das Verb δειγματίζω (sonst nur in Mt 1,19) und das Part. θριαμβεύοντος (sonst nur in 2Kor 2,14) übersät. Vorsicht ist geboten, wenn man aus statistischen Erhebungen wie dieser Schlüsse über die Herkunft von Texten ziehen möchte, aber es fällt auf, dass jeder dieser Begriffe metaphorisch gebraucht wird. Wir haben es also, wie es scheint, auf jeden Fall mit dichterischer Prosa zu tun.48 Zum anderen ist dem Text eine durchdachte Struktur zu entnehmen, die sowohl 2,14 (bis auf einen Zusatz) als auch 2,15 gänzlich erfasst und beide Verse als parallel zueinander stehende Strophen erschließen lässt.49 Diese Struktur erkennt man am besten, wenn man ihre übereinstimmenden Syntagmen nebeneinanderstellt, wie im folgenden Diagramm: 46 So auch Gnilka 119; Standhartinger, Studien, 139; Dübbers, Christologie, 248. Zu Röm 6,3-5 vgl. Käsemann, Römer, 155. 47 Vgl. Schille, Hymnen, 31-37; Deichgräber, Gotteshymnus, 167-169; Lohse 160; Pokorný 101; Martin, Reconciliation, 116-123; Cannon, Use, 44-47. Lohmeyer 114 spricht von einem „Psalm“. Kontra Barth/Blanke 387ff. 48 Vgl. Smith, Perspective, 89. 49 Vgl. Carr, Angels, 60-61.
218
II. Auslegung
Mask. Sing. Aor. (Akt.) Part. Dir. Obj. (mit Bezug zu συνεζωοποίησεν)
Silben
14a ἐξαλείψας er tilgte
τὸ καθ’ ἡμῶν χειρόγραφον den gegen uns ausgestellten Schuldschein
12
15a ἀπεκδυσάμενος (aktivisch) er entwaffnete
τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς ἐξουσίας die Mächte und Gewalten
15
καί epex. Dir. Obj.
verbum finitum
adv. Präp.
ἦρκεν hob er auf
ἐκ τοῦ μέσου 9 restlos
Silben
14b καὶ und
αὐτο ihn
15b καὶ und
(τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς ἐξουσίας) ἐδειγμάτισεν ἐν παρρησίᾳ 11 (die Mächte und Gewalten) stellte er zur öffentlich Schau
Mask. Sing. Aor. Akt. Part. (mit Bezug zum verbum finitum) 14c προσηλώσας indem er nagelte
Präd.Dir. Obj. Ergänzung αὐτὸ ihn
15c θριαμβεύσας αὐτοὺς indem er im Siegeszug umherführte sie
Silben
τῷ σταυρῷ ans Kreuz
9
ἐν αὐτῷ durch den Messias
9
Die Übereinstimmung ist bemerkenswert, besonders, wenn man bedenkt, dass keine einzige Umstellung notwendig ist, um die jeweiligen Satzelemente ihren syntaktischen Kästchen zuzuordnen. Bloß eine Auslassung war nötig: Der Satzteil „samt seinen gegen uns gerichteten Ordnungen“ (τοῖς δόγμασιν ὃ ἦν ὑπεναντίον ἡμῖν) hat den Charakter einer parenthetischen Bemerkung – wahrscheinlich von Paulus – und passt nicht in die Struktur.50 Außerdem ist zu beachten, dass der Ausdruck „die Mächte und Gewalten“ (τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς ἐξουσίας) in 2,15 nur einmal vorkommt, aber als Obj. dient sowohl des Part. ἀπεκδυσάμενος (med., aber akt. gebraucht; vgl. zur Exegese von 2,15)
50 Vgl. Martin, Reconciliation, 117; Cannon, Use, 46.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
219
als auch des Verbs ἐδειγμάτισεν.51 Die markante Übereinstimmung in der Struktur schlägt sich auch, wie das Diagramm zeigt, im relativen Gleichgewicht der jeweiligen Silbenzahlen zwischen den parallel zueinander stehenden Zeilen nieder. Mehrere Indizien weisen also darauf hin, dass hinter 2,14-15 ein „Errettungslied“ auszumachen ist.52 Dieses Lied scheint ursprünglich Christus gewidmet zu sein, aber Paulus nimmt es an einer Stelle des Kol auf, in der genau genommen das Werk Gottes in Christus beschrieben wird.53 Das mag kein großer Unterschied sein, aber die daraus resultierende Unsicherheit bzgl. des Subjekts (vgl. zu 1,15) im Kontext des Briefes erschwert die Erschließung des Textes seit dem Beginn seiner Auslegungsgeschichte. Eine Rekonstruktion des ursprünglichen Lieds, wie dies ab und zu unternommen wird,54 ist wohl nicht mehr möglich.55 Dennoch ist die Nähe zum urchristlichen Gottesdienst greifbar, wo sich solche imposanten Bilder in Liedern bei den Hörern einprägten und ihre Ansichten nach und nach veränderten (vgl. zu 3,16).
III Einzelexegese 8 Paulus beginnt diesen Abschnitt mit einer Warnung: Passt auf, dass keiner euch durch jene wertlose und betrügerische Lehre gefangen nimmt (βλέπετε μή τις ὑμας ἔσται ὁ συλαγωγῶν διὰ τῆς φιλοσοφίας καὶ κενῆς ἀπάτης). Die Konstruktion βλέπω + μή gebraucht er öfter, um seine Hörer bzw. Leser auf Gefahren aufmerksam zu machen (vgl. 1Kor 8,9; 10,12; Gal 5,15).56 Das auf diese Konstruktion folgende Verb ist normalerweise im Aor. Konj. (vgl. den paulinischen Gebrauch an den oben erwähnten Stellen). Das hier vorkommende ungewöhnliche Fut. Ind. ἔσται unterstreicht die unmittelbare Bedrohung für die Kolosser.57 Dass Paulus das Indefinitivpron. „keiner“ (wörtl. „nicht einer“; μή τις) gebraucht, heißt nicht, dass er an einen einzelnen Irrlehrer denkt.58 Es hat vermutlich damit zu tun, dass er seine Kontrahenten in Kolossä nicht kennt und daher verallgemeinert (vgl. Gal 1,7).59 Dennoch stellen sie eine Gefahr dar: Paulus fürchtet, dass die Vertreter der KI, die er im Folgenden genauer beschreiben wird, die Christen in Kolossä „gefangen neh51 52 53 54 55 56 57 58 59
So auch Lohse 167. Vgl. ausführlicher White, Ermahnt einander, 82-85. Vgl. Burger, Schöpfung, 108. Vgl. Burger, Schöpfung 108-109. Vgl. Gnilka 120-121; Sappington, Revelation, 206-207. Vgl. Bauer 284-285. Vgl. Lightfoot 178, gefolgt von Harris 91; Wilson 193. Vgl. Gnilka 121. Kontra Harris 92. Vgl. Lightfoot 178; Wolter 120; Moo 185.
220
II. Auslegung
men“ (wörtl. ist die Rede von „dem Gefangennehmenden“; ὁ συλαγωγῶν). Das Verb συλαγωγέω ist ein Hapaxlegomenon; sein Gebrauch ist erstmals überhaupt an dieser Stelle belegt. Gemäß der Zusammensetzung des Wortes – in solchen Fällen ist man auf etymologische Analyse angewiesen – handelt es sich konkret um einen, der eine Beute abführt (σῦλη bzw. σῦλον bezeichnet das Recht, eine Schiffsladung zu beschlagnahmen bzw. die in Beschlag genommene Ladung; der Plur. σῦλα bezeichnet die Beute;60 ἄγω bedeutet „abführen“, „wegführen“). Um seine Leser wachzurütteln, malt Paulus ihnen somit ein beängstigendes Bild vor Augen: sie gleichen Kriegs- oder Raubbeute, die von Söldnern und Piraten beschlagnahmt wird.61 Die Bedrohung für die Kolosser geht von denen aus, die sie durch jene wertlose und betrügerische Philosophie (wörtl.: durch die Philosophie und leere Täuschung; διὰ τῆς φιλοσοφίας καὶ κενῆς ἀπάτης) in die Irre führen. Da weder die Präp. διὰ noch der Art. τῆς vor dem zweiten Glied in dieser Wendung wiederholt wird, kann man davon ausgehen, dass es sich hier um ein einheitliches Konzept (Hendiadys) handelt. Daraus ergibt sich, dass καὶ epex. gedeutet werden soll.62 Der Art. macht deutlich, dass Paulus eine bestimmte Größe vor Augen hat: die KI.63 Er ist aber noch kein Indiz, dass der Begriff „Philosophie“ die Bezeichnung der Irrlehrer selbst für ihre Lehre war.64 Das ist denkbar, aber keineswegs sicher;65 für ein zuverlässiges Urteil fehlt jegliche objektive Basis. Nur so viel ist klar: Es handelt sich nicht um eine allgemeine Absage an philosophisches Denken,66 sondern um eine Warnung vor einer spezifischen Lehre, über die Paulus von Epaphras und vielleicht auch anderen unterrichtet wurde und die er als gefährlich für die Weiterentwicklung der Gemeinde in Kolossä einstuft. Den Begriff „Philosophie“ darf man nicht anachronistisch auffassen. Er deckt im hellenistischen Zeitalter viel mehr ab „als ein nur denkerisches Bemühen um die Erkenntnis der dem Verhältnis von Gott, Welt und Mensch zugrunde liegenden Prinzipien“,67 sondern erfasst „alle Formen der Weltdeu60 Vgl. LSJ 1671. 61 Vgl. O’Brien 109; Dunn 147. Kontra Bormann 125-126, der den Sitz im Leben des Verbs in antiken Asylvorschriften vermutet. 62 Vgl. Harris 92; Dübbers, Christologie, 197. 63 Vgl. HvS §131. 64 So Gnilka 122 Dübbers, Christologie, 202-203. 65 Von der Annahme, dass „Philosophie“ der Begrifflichkeit der Vertreter der KI entstammt, gehen neben Gnilka folgende Forscher aus: Lightfoot 179; O’Brien 109; Lindemann 82; Smith, Perspective, 79; Müller, Gegner, 377. Vgl. aber das negative Urteil von Sumney 130. 66 Vgl. Moo 185. 67 Wolter 120.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
221
tung und Welterklärung“,68 auch, was wir üblicherweise unter Religion verstehen.69 Sogar die Mysterien konnten so bezeichnet werden.70 Frühjüd. Autoren setzen das Wort gerne in ihrer Auseinandersetzung mit hellenistischen Kontrahenten ein bzw. wenn es darum ging, ihren Glauben für Außenstehende zu erklären oder zu rechtfertigen (vgl. 4Makk 5,11.22; Philo, Somn 2,127; VitMos 2,16; LegGai 156, 245; Josephus, Ap 1,54; 2,47).71 Für unsere Zwecke ist die Tatsache wichtig, dass Josephus seinem römischen Publikum die unterschiedlichen Glaubensrichtungen innerhalb des Frühjudentums, wie diese von den Pharisäern, Sadduzäern und Essenern praktiziert wurden, als „Philosophien“ vorstellt (vgl. Bel 2,119; Ant 18,11). Der Begriff kann m.a.W. Lehrmeinungen und Glaubenspraxis einer einzelnen jüdischen Gruppierung bezeichnen, und es gibt gute Gründe, sich bei der Suche nach religionsgeschichtlichen Vorläufern der KI auf das Diasporajudentum zu beschränken. Wie wir in der Einleitung gesehen haben (vgl. S. 46-50), lassen sich alle Bestandteile der KI im Hinblick darauf und ohne Rückgriff auf die philosophischen Schulen, die Mysterien oder den örtlichen Volksglauben hinreichend erklären. Das betrifft allerdings nur die Sache selbst; manche Begriffe, vor allem „Elemente“ (στοιχεῖα), dürfte Paulus dem zeitgenössischen philosophischen Diskurs entnommen und für eigene Zwecke gebraucht haben (vgl. dazu unten). Die Glaubensinhalte der KI hält Paulus für „wertlos“ und „betrügerisch“ (wörtl. „leeren Betrug“; κενὴ ἀπάτη). Das Adj. κενός bedeutet konkret „ohne Inhalt, ertraglos“ (vgl. Mk 12,3; Lk 1,53; 20,10-11). Paulus gebraucht es im übertragenen Sinn mit der Bedeutung „sinnlos“ oder „zwecklos“ (vgl. 1Kor 15,10.14.58; 2Kor 6,1; Gal 2,2; Phil 2,16; 1Thess 2,1; 3,5). Hier und in der Parallelstelle Eph 5,6 beschreibt es Lehrinhalte. Der deutsche Begriff „wertlos“ erfasst das damit Gemeinte wohl am besten. Das Nomen ἀπάτη trifft hingegen ein Urteil im Hinblick auf die Motivation der Lehrer (auch in Eph 5,6, wo aber das Verb ἀπατάω vorkommt): Sie wollen betrügen. Diese beiden Begriffe sind nicht von ungefähr, sondern mit Bedacht gewählt. Denn Paulus betont im Folgenden erstens, dass die KI im Vergleich zu seiner Lehre wertlos ist, indem er auf die Vorzüge der Botschaft von Christus hinweist (2,8-15), und zweitens, dass sie Falsches fordert und verspricht und somit betrügt (2,16-19).
68 69 70 71
Lindemann 39. Vgl. Wilson, Hope, 7-8. Vgl. Wolter 121. So auch Schweizer 106.
222
II. Auslegung
Die KI charakterisiert Paulus vorerst durch drei knappe Partizipialkonstruktionen, die jeweils mit κατά beginnen. Diese Lehre ist wertlos erstens, weil sie auf menschlichen Traditionen beruht (κατὰ τὴν παράδοσιν τῶν ἀνθρώπων). Paulus beanspruchte bereits in 2,6 das rabbinische Vokabular der Überlieferung von den Traditionen der Väter, um die Christen in Kolossä zu loben: Sie haben Jesus, den Messias und Herrn, „empfangen“. Das gleiche Vokabular verwendet der Apostel nun, um die Vertreter der KI zu tadeln. Ihre Glaubensinhalte sind wörtl. „gemäß der Überlieferung der Menschen“. Jesus rügte die Pharisäer, weil „ihr an der Überlieferung der Menschen festhaltet“ (vgl. Mk 7,8 par; κρατεῖτε τὴν παραδόσιν τὼν ἀνθρώπων). Es wird in der Forschung trotz der wörtlichen Übereinstimmung zwischen Kol 2,8 und Mk 7,8 zu wenig erwogen, ob Paulus an dieser Stelle Jesustradition aufnimmt.72 Abwegig ist es aber nicht, zumal Markus zu denen gehört, die beim Verfassen des Briefes bei ihm waren (vgl. 4,10), und die asketischen Praktiken der Vertreter der KI mit denen der Pharisäer, wie sie Markus in Mk 7,2-4 beschreibt, durchaus vergleichbar sind (vgl. zu 2,20-21). Eine genauere Analyse dieses Sachverhalts ist aber erst sinnvoll, nachdem wir die Ausführungen des Paulus zu diesen Praktiken bzw. die auffälligere Übereinstimmung mit der (markanischen) Jesustradition in 2,22 untersuchen. Paulus hält die KI für wertlos zweitens, weil sie auf den Elementarmächten des Kosmos beruht (κατὰ τὰ στοιχεῖα τοῦ κόσμου).73 Der Begriff, den wir hier mit „Elementarmächte“ übersetzen (στοιχεῖα), gehört zu den wichtigsten der antiken Philosophie überhaupt, und die Wendung τὰ στοιχεῖα τοῦ κόσμου bei Paulus hier und in 2,20 sowie in Gal 4,3.9 (im letzteren Vers ohne Genitivattribut aber mit klarem Bezug zu Gal 4,3) ist seit Jahrzehnten das Objekt intensiven Forschungsinteresses. Unzählige Beiträge haben eine große Vielfalt an Deutungsversuchen zur Diskussion gestellt, die sinnvollerweise drei Hauptkategorien zugeordnet werden können. Eine Gruppe von Forschern behauptet, dass στοιχεῖα seinem frühesten Gebrauch entsprechend die Grundstoffe bezeichnet, aus denen der Kosmos besteht.74 Andere Forscher sind der Meinung, dass der Ausdruck eine sekundäre Bedeutung im Sinne von kosmischen Ordnungsprinzipien trägt75 bzw. als „grundlegende Lehre“ aufzufassen
72 Vgl. aber Wright 101; Wenham, Paul, 96; Pao 159. 73 Vgl. meinen Beitrag zum Gebrauch des Ausdrucks in Gal: White, Cosmology, 100-101. 74 Vgl. Delling, Art. στοιχεῖον, ThWNT VII, 683-686; Blinzler, Lexikalisches, 441; Schweizer 101; Lindemann 40; Rusam, Belege, 124-125; Wolter 123; DeMaris, Controversy, 52-55; Luz 220; MacDonald 97-98; Maisch 157-160; Moo 187-192. 75 Vgl. Hartman, Humble, 34.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
223
ist.76 Schließlich vertreten nicht wenige Gelehrte die Meinung, dass die Wendung Engelmächte beschreibt, deren Wirkung Paulus hinter den Praktiken der KI vermutet.77 Die Diskussion leidet teilweise darunter, dass man nicht klar genug unterscheidet zwischen dem, wie der Ausdruck „Elemente der Welt“ (στοιχεῖα τοῦ κόσμου) im kosmologischen Diskurs des hellenistischen Zeitalters gebraucht wird, und seiner Anwendung bei Paulus. Was Ersteres betrifft, so kann es nach den Beiträgen von Blinzler und Rusam (vgl. S. 222, Anm. 74) keinen begründeten Zweifel geben, dass der Ausdruck im 1. Jh. n.Chr. einen eindeutigen Bezug hatte: die materiellen Grundstoffe, aus denen der Kosmos besteht.78 Das heißt aber nicht, dass Paulus ihn im gleichen Sinn gebraucht haben muss. Er wollte ja den Kolossern keine Naturlehre unterbreiten, sondern sie vor Gefahren warnen, die sie aus dem Bereich des Heils wie Raubbeute abzuführen drohten (vgl. 1,13 mit 2,8). Der Kontext ist m.a.W. ein anderer, und der Ausdruck kann durchaus im neuen, ihm fremden Kontext einen anderen Bezug bekommen haben.79 Dies geschieht per definitionem bei der Ausbildung neuer Metaphern,80 wie das folgende Beispiel veranschaulicht: Das Wort „Maus“ hatte im Deutschen bis weit ins 20. Jh. hinein einen klaren konkreten zoologischen Bezug, bekam aber mit der Entwicklung des Computers einen zusätzlichen und im neuen Kontext genauso klaren Bezug durch die metaphorische Erweiterung des ursprünglich eindeutigen Lexems. Wie bei allen neu aufkommenden Metaphern gelingt die Kommunikation, wenn man das tertium comparationis (Vergleichsmoment) zwischen „Bildspender“ (dem kleinen Tierchen) und „Bildempfänger“ (dem Computerzubehör) korrekt erfasst.81 (Man kommt übrigens schnell darauf, dass dies beim Begriff „Maus“ ausschließlich mit der Form zu tun hat.) Inzwischen hat sich die Metapher standardisiert, sodass die bildhafte Qualität des Begriffs in Bezug auf einen Computerteil kaum mehr wahrgenommen wird. Wenden wir uns dem Ausdruck „Elemente der Welt“ bei Paulus zu, so stellen wir anhand dieses Beispiels fest, dass Ausleger vor einer doppelten Aufgabe stehen. Sie müssen ein Urteil treffen, ob es sich dabei um metapho76 Vgl. Lightfoot, 180; Moule 90-92; Sappington, Revelation, 164-170. 77 Vgl. Dibelius 27-29; Percy, Probleme, 166-167; Lohse 146-150; Wright 101-102; Bruce 99-100; Harris 93; Dunn 148-151; Hübner 76-79; O’Brien 110; Arnold, Returning, 75; Bird 75-76; Lincoln 565-657; Smith, Perspective, 87; Pao 161-162; Frey, Jude, 72. 78 Vgl. Schweizer, Elemente, 149-150; Woyke, Nochmals, 221-222; Bormann 129. 79 Ähnlich Bormann 129. 80 Vgl. Reiser, Metaphorik, 59. 81 Vgl. Weinrich, Semantik, 325-344.
224
II. Auslegung
rische Sprache handelt, und wenn ja, müssen sie das vom Autor gemeinte tertium comparationis identifizieren. Bei den oben skizzierten Auslegungsoptionen, geht die erste davon aus, dass es tatsächlich die vier (oder fünf) Grundstoffe sind, aus denen der Kosmos nach antikem Verständnis besteht, die die Bezugsgröße des Ausdrucks bilden. Das ist möglich, auch wenn es selbst den Vertretern dieser Deutung selten gelingt, es dabei zu belassen. In ihren weiterführenden Erklärungen können sie es nämlich kaum vermeiden, diese „Elemente“ doch noch zu personifizieren, sodass ein deutlicher Unterschied zur dritten Option (geistliche Mächte) nicht immer auszumachen ist.82 Das gilt auch für Eduard Schweizers einflussreichen Auslegungsversuch: Er knüpft einerseits eine Verbindung zum im 1. Jh. n.Chr. aufkommenden Neupythagoreismus, dessen Anhänger durch asketische Praktiken bemüht waren, ihre Seelen aus der Gefangenschaft zu ihren von den schweren Elementen behafteten Leibern zu befreien.83 Andererseits muss er zugeben, dass gerade die antiken Autoren, die solche Konzeptionen verbreiteten, die Elemente personifizieren.84 Auch andere Probleme haften seiner Deutung an. Sie kann erstens nur einen Aspekt der KI – ihren Hang zum Asketismus (vgl. 2,16a.21) – verdeutlichen; ihr Verlangen nach der Einhaltung jüdischer Festtage (vgl. zu 2,16) und der Huldigung der Engel (vgl. zu 2,18) bleibt dabei rätselhaft. Zweitens kann Schweizer nicht beweisen, dass neupythagoreische Konzeptionen bzgl. der Elemente früh genug in Kolossä aufgekommen sind, um die Vertreter der KI bzw. den AutKol beeinflusst zu haben.85 Dennoch sind Schweizers Ausführungen hilfreich, denn er weist auf eine allgemeine Haltung griechischen Denkens (und nicht nur spezifisch pythagoreischer Konzeptionen) hin: die Materie, die aus den Elementen besteht, wird als für die Seele erschwerend empfunden. Der Körper sei eine Last für die Seele – laut Platon bekanntlich ein Sarg (vgl. Gorg 493a) oder ein Gefängnis (vgl. Phaedo 82e) –, der es durch geläutertes Denken und korrekte Lebensführung zu entkommen galt. Das Gefühl, den materiellen Elementen „versklavt“ zu sein, war also weit verbreitet im hellenistischen Zeitalter. Die Suche nach einer Erklärung für die KI, die die „Elemente der Welt“ konkret auffasst, gelingt also letztlich nicht.86 So muss eine metaphorische Deutung in Erwägung gezogen werden. Der Kol lässt zumindest den Verdacht aufkommen, dass Paulus diese Elemente mit den „Mächten und Gewalten“ in 82 83 84 85 86
Vgl. z.B. Moo 190-191. Vgl. Schweizer, Slaves, 464-465; ders., Askese, 344-345. Vgl. Schweizer, Altes, 115-116; ders., Slaves, 464-465. Vgl. Kahn, Pythagoras, 186-187. Vgl. Percy, Probleme, 158.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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Verbindung bringt, deren Haupt Christus ist (vgl. 2,10) und welche Christus bereits besiegt hat (vgl. 2,15).87 Eine Bestätigung, dass wir an persönliche Wesen denken sollen, liefert der Gebrauch der Wendung in Gal 4,3. Dort spricht Paulus davon, dass jüd. Gläubige von den Elementen der Welt versklavt waren. Dabei ähneln die Elemente Erziehern und Verwaltern eines minderjährigen Erben (vgl. Gal 4,2). Der Kontext macht zwar klar, dass der Apostel unter diesen Elementen Vorschriften des Gesetzes versteht, die keine Geltung mehr haben (vgl. Gal 4,5). Aber auch die Heidenchristen in den Gemeinden Galatiens waren von den „schwachen und armen Elementen“ (τὰ ἀσθενῆ καὶ πρωχὰ στοιχεῖα) versklavt (Gal 4,9), wobei sich der Ausdruck nicht mehr auf die Thora, sondern auf die Götzen, denen die Heiden vormals gedient hatten (vgl. Gal 4,8), bezieht. Dass für Paulus hinter diesen Götzen dämonische Mächte auszumachen sind, geht deutlich aus 1Kor 10,20 hervor. Eine befriedigende Deutung der „Elemente der Welt“ muss also diese komplexe Sachlage erklären. Diese Elemente sind einerseits die „Mächte und Gewalten“ (vgl. Kol 2,8.10.15), die hinter den Götzen stehen (vgl. Gal 4,8-9). Andererseits machen sie von den Vorschriften des Gesetzes Gebrauch (vgl. Gal 4,2-3.5). Daraus lässt sich schließen, dass eine metaphorische Deutung der Elemente, welche sie als „grundlegende Lehre“ o.ä. auffasst (vgl. S. 222), nicht überzeugen kann, denn es ist kaum vorstellbar, dass Paulus in den Vorschriften der Thora selbst das Problem sieht (vgl. Röm 7,7-12). Sie hatten einst „eine wichtige, aber heilsgeschichtlich letztlich episodenhafte Funktion“.88 Seitdem der Sohn Gottes gekommen ist, um die unter dem Gesetz zu erlösen, haben sie jedoch ihre Geltung verloren (vgl. Gal 4,4-5). Es müssen also persönliche Wesen sein, die sowohl die Gesetzesvorschriften bei Juden als auch die Götzen bei Heiden gebrauchen, um Menschen zu versklaven (vgl. Gal 4,3.9) bzw. gefangen zu nehmen (vgl. Kol 2,8). Darin besteht das tertium comparationis zwischen Bildspender (den Grundstoffen) und Bildempfänger (dämonischen Mächten): Beide versklaven. Die Wendung „Elemente der Welt“ entstammt also nach unserem Verständnis nicht der KI selbst,89 sondern stellt eine metaphorische Erweiterung eines Ausdrucks durch Paulus dar,90 der in der Umwelt durch platonische und stoische Einflüsse eine hohe Bekanntheit genoss.91 Paulus wusste vermutlich um 87 Vgl. Benoit, Angelology, 13. 88 Woyke, Nochmals, 233. 89 So auch Percy, Probleme, 166-167; Pokorný 96; Sappington, Revelation, 169; Moo 188. Kontra Schweizer 101-102; Wolter 158. 90 Ähnlich Dübbers, Christologie, 207, Anm. 50. 91 Vgl. die ausführlichen Belege bei Wolter 123.
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II. Auslegung
die allgemein hellenistische Bestrebung nach Erlösung aus der materiellen Welt.92 Diese wurde, wie wir oben gesehen haben, als Befreiung von den „Elementen der Welt“ verstanden werden. Paulus übernahm den Begriff und setzte ihn polemisch ein, um die von der KI propagierten Vorschriften zu beschreiben. Denn in Wirklichkeit führen diese Vorschriften – asketische Praktiken, die Einhaltung von jüdischen Feiertagen und Engelverehrung – nicht zur Erlösung, sondern, weil sie Teil der vergänglichen „Weltordnung“ (σχῆμα τοῦ κόσμου; vgl. 1Kor 7,31) sind, in die Sklaverei zu dämonischen Mächten.93 Sie beruhen m.a.W. nicht auf dem Messias (καὶ οὐ κατα Χριστόν), die dritte und letzte κατά-Partizipialkonstruktion. Was der Apostel damit meint, führt er in den folgenden Versen aus. 9 Der Messias selbst stellt das Kontrastprogramm zur KI dar, denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit in leiblicher Gestalt (ὅτι ἐν αὐτῷ κατοικεῖ πᾶν τὸ πλήρωμα τῆς θεότητος σωματικῶς). Der Bezug zum CL ist offensichtlich (vgl. zu 1,19). Paulus fügt der Liedzeile, die er hier zitiert – „in ihm gefiel es der ganzen Fülle zu wohnen“ –, zwei erklärende Zusätze hinzu. Erstens ergänzt er das Subj. πλήρωμα mit dem epex. Gen. τῆς θεότητος94. Der Begriff θεότης, ein Hapaxlegomenon in der griech. Bibel, bedeutet weder „Gott“ (θέος) noch „Göttlichkeit“ (θειότης), sondern die „Gottheit“95 oder das „Gottsein“96 im Abstrakten. Die Aussage des Apostels ist somit unübertrefflich; die Gesamtheit dessen, was sich durch den Begriff „Gottheit“ erfassen lässt, wohnt in Christus. Umgekehrt bedeutet dies, dass es keinen Bestandteil des Wesens Gottes gibt, der außerhalb von Christus existiert. Zweitens wird das Verb „Wohnen“ (κατοικέω) durch das Adv. σωματικῶς, das wie θεότης weder im NT noch im LXX ein zweites Mal vorkommt, näher bestimmt. Die Bedeutung des Lexems ist umstritten, nicht zuletzt deswegen, weil sich spätere christologische Kontroversen teilweise daran entfachten. Unter den vielen Deutungsversuchen gibt es drei Hauptoptionen, die in der Forschung auf größere Resonanz gestoßen sind: 1. Das Adv. bezieht sich auf die „leibliche Gestalt“, die Christus angenommen hat.97 2. Es trägt hier die Be-
92 Vgl. Wolter 158. 93 Wie sich Paulus dies vorgestellt haben könnte, zeigt Thornton, Festivals, 99-100, exemplarisch anhand der Berechnung der Neumondfeste in der Diaspora. 94 Vgl. Pokorný 102. 95 Vgl. Bormann 131. 96 Vgl. Maisch 163. 97 Vgl. Lightfoot 182; Lohmeyer 106; Lohse 151, Anm. 5; O’Brien 112-113; Harris 99; Barth/Blanke 314-315; Hübner 79-80; MacDonald 98; Smith, Perspective, 93.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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deutung „in Wirklichkeit“98 – und nimmt damit den Kontrast zwischen „Schatten“ (σκιά) und „Leib“ (σῶμα) in 2,17 vorweg. 3. Mit Verweis auf 1,24 wird das Adv. im Sinne von „korporativ“ gedeutet und auf die Kirche als Leib Christi bezogen.99 Von diesen Auslegungsoptionen ist die erste aus lexikalischen Gründen vorzuziehen; die anderen beiden haben den Charakter von Verlegenheitslösungen, weil die Vorstellung, dass Paulus gemeint haben könnte, auch der erhöhte Christus wohne in leiblicher Gestalt – das legte die Präsenzform des Verbs κατοικέω nahe –, modernen Exegeten unmöglich erscheint.100 Dies ist zugegebenermaßen keine einfache Konzeption, aber sie scheint Paulus nicht gestört zu haben, wie der Vergleich mit Phil 3,21 klarmacht. Die Argumentation dort im Hinblick auf den Auferstehungsleib setzt nämlich voraus, dass der Leib Christi bei seiner Erhöhung verwandelt und eben nicht von ihm verlassen wurde. Auch wenn diese Vorstellung dem Dogmatiker den Kopf zerbricht, muss sich der Exeget genauso wenig um eine (meta)physische Erklärung dieser Transformation bemühen, wie der Apostel selbst es tat. Wichtiger für unsere Zwecke ist die Funktion dieser Ansicht im Kontext des Kol: Die wie auch immer geartete Leiblichkeit des erhöhten Messias steht der Leibfeindlichkeit der KI gegenüber. Die strengen Vorschriften bzgl. der Einhaltung jüdischer Feiertage sowie die asketischen Praktiken ihrer Anhänger bezeichnet Paulus, wie wir gesehen haben, polemisch als „Elementarmächte der Welt“. Sie wollten auf diese Weise der materiellen Welt entfliehen, werden aber dadurch dämonischen Mächten versklavt. In Christus hingegen bewohnt Gott Materie und heiligt sie somit. Dadurch wird allen platonisch-hellenistischen Erlösungsvorstellungen eine klare Absage erteilt. Die Lehre, die auf Christus beruht, hat somit eine unabdingbare leibliche Komponente, die für Paulus das Wesen des Heilsgeschehens in Christus betrifft. Dies führt er in seiner weiteren Argumentation aus. 10 Mit der Fülle der Gottheit, die in Christus wohnt, seid ihr in ihm erfüllt (καὶ ἐστέ ἐν αὐτῷ πεπληρωμένοι). Bereits am Anfang des Kol (vgl. 1,2) sowie in der einleitenden Aufforderung zum Briefkorpus (2,6-7) betonte Paulus, dass die Gläubigen „im Messias“ sind. Dadurch sind sie, um das im Griech. offensichtliche Wortspiel ins Deutsche zu übertragen,101 „mit der ganzen Fülle 98 Vgl. Dibelius 29; Lindemann 40; Pokorný 102-103; Schweizer 107-108; Wolter 126; Dübbers, Christologie, 216-217; Maisch 163. 99 Vgl. Bornkamm, Häresie, 145; Anwander, Kol, 278; Gnilka 129. Ähnlich Burger, Schöpfung, 87-88. 100 Vgl. Wolter 126. 101 Vgl. Gnilka 130.
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II. Auslegung
erfüllt“ (πλήρωμα ist nomen actionis des Verbs πληρόω, das hier periphrastisch gebraucht wird;102 zum Verb vgl. zu 1,24). Das Part. Perf. trägt die Nuance eines Dauerzustandes, in dem die Christen in Kolossä Zugang zu dieser Fülle haben. Christus selbst wird – wieder mit einem Verweis auf das CL – als derjenige bezeichnet, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist (ὅς ἐστιν ἡ κεφαλὴ πάσης ἀρχῆς καὶ ἐχουσίας). Im CL wird betont, dass Christus alles im Kosmos, auch die unsichtbaren Engelwesen, für die „Macht“ (ἀρχή) und „Gewalt“ (ἐχουσία) gängige Bezeichnungen sind (vgl. zu 1,16), geschaffen hat. An dieser Stelle zieht nun Paulus explizit den logischen Schluss daraus: Christus ist aufgrund dessen ihr „Haupt“ (κεφαλή; zur Bedeutung vgl. zu 1,18). Die textpragmatische Ausrichtung dieser Feststellung ist klar: es ergibt keinen Sinn, dass die Anhänger der KI Engelwesen huldigen (vgl. 2,18) in der Hoffnung, dadurch eine „zusätzliche Heilssicherung“103 zu erwerben. Christus beherrscht alle geistlichen Wesen, auch diejenigen, die den Gläubigen schaden und sie vernichten wollen (vgl. 2,15). Somit haben Christen Zugang zur allen Engeln übergeordneten Autorität.104 In ihm ist alles, was es an göttlichen Vorteilen zu genießen gibt, und er erfüllt die Gemeinde. So erweist sich die KI wiederum als wertlos. Sie kann nur bieten, was die, die in Christus sind, schon längst besitzen. 11 War im ersten Teil dieses Abschnitts (2,9-10) die erhabene Stellung des Messias im Fokus der Überlegungen des Paulus, so steht im zweiten Teil (2,11-12) sein Werk, das im Gegensatz zur KI das Heil der Christen in Kolossä bedingungslos zugesichert hat, im Mittelpunkt. Es überrascht zunächst, wie der Apostel diesen neuen Themenkreis einleitet: In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen vollzogen wird (ἐν ᾧ καὶ περιετμήθητε περιτομῇ ἀχειροποιήτῳ). Nichts im Kol bisher hat den Leser darauf vorbereitet, dass nun plötzlich von der Beschneidung die Rede ist. Viele Exegeten meinen deswegen, dass wir es auch hier mit einem Aspekt der KI zu tun haben; d.h. dass die Vertreter der Irrlehre verlangt haben, dass sich die heidnischen Christen beschneiden lassen.105 Das würde dem entsprechen, was wir sonst über sie wissen, denn sie haben auf jeden Fall die 102 103 104 105
Vgl. Harris 100. Kontra Lightfoot 182. Wolter 127. So auch Schweizer 109. Vgl. Lightfoot 183; Lohmeyer 108; Lindemann 41; Lähnemann, Kolosserbrief, 51; Beasley-Murray, Chapter, 473; Dunn 155-166; MacDonald, Asceticism, 279; Bevere, Sharing, 65-66; Salter, Baptism, 22; Beetham, Echoes, 173. Kontra O’Brien 115; Luz 216; Arnold, Syncretism, 297; Dübbers, Christologie, 228-229; Moo 197. Dass es sich um einen jüdischen Ritus handelt und nicht etwa einen Initiationsritus der Mysterien, legt Foerster, Irrlehrer, 73-74, überzeugend dar.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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Einhaltung jüdischer Feiertage gefordert (vgl. 2,16). Vielleicht wusste Paulus, dass die diesbezügliche Aufdringlichkeit seiner Gegner die Heidenchristen in Kolossä beunruhigt hat. Jedenfalls spricht er sie direkt an und beteuert – wohl zu ihrer großen Überraschung –, dass sie bereits beschnitten worden sind (περιετμήθητε = 2. Pl. Aor. Pass. von περιτέμνω = wörtl. „herumscheiden“). Sie müssen sich nicht dem schmerzhaften chirurgischen Eingriff, der männlichen Proselyten zum jüdischen Glauben unumgänglich war, unterziehen lassen, denn eine Beschneidung, die nicht mit Händen vollzogen wird (περιτομῇ ἀχειροποιήτῳ; Dat. instr.), ist bereits an ihnen durchgeführt worden. Das Adj. ἀχειροποίητος begegnet uns sonst nur 2-mal im NT (vgl. Mt 14,58; 2Kor 5,1). Auch wenn diese Wendung in der LXX nicht vorkommt, erscheint es offensichtlich, dass Paulus von einer bekannten atl. Trope Gebrauch macht: der „Beschneidung des Herzens“ (vgl. Lev 26,41; Deut 10,16; 30,6; Jer 4,4; 9,2526; Hes 44,7.9; vgl. auch Barn 10,12).106 In der deuteronomischen Tradition begegnet sie uns im paränetischen Kontext: Es reicht nicht, wenn die Israeliten bloß ihre Vorhäute beschneiden; auch ihre Herzen müssen beschnitten werden. Sie werden damit zur Umsetzung der Forderungen des Gesetzes angehalten. Darin fand Paulus Konzeptionen vor, die er auch im Röm 2,28-29 aufarbeitet: Nicht die äußere Beschneidung zählt, sondern die innere: das sich Aneignen einer Herzenshaltung, die sich in Gehorsam gegen Gott ausdrückt. Das Adjektiv ἀχειροποίητος trägt auch die Konnotation, dass diese Beschneidung, auf die es Paulus ankommt, nicht – wie die Beschneidung der Vorhaut – von Menschen, sondern nur von Gott selbst durchgeführt werden kann.107 Die passive Form des Verbs bestätigt, dass Gott hier – wie sonst nur bei der Beschneidung des Herzens in Deut 30,6 – der Handelnde ist.108 Die folgenden parallel zueinanderstehenden Präpositionalgefüge erklären wie diese „nicht mit Händen vollzogene Beschneidung“ an den Christen durchgeführt worden ist (ἐν + inst. Dat.) Sie erfolgt durch das Ablegen des fleischlichen Leibes (ἐν τῇ ἀπεκδύσει τοῦ σώματος τῆς σαρκός). Das nomen actionis „Ablegen“ (ἀπέκδυσις) kommt nur hier im NT und kein einziges Mal in der LXX vor; das Verb ἀπεκδύομαι begegnet uns 2-mal im Kol (2,15; 3,9) und sonst nirgendwo in der griech. Bibel. Das Doppelpräfix (ἀπo + ἐκ + δύομαι) betont die Abgeschlossenheit der Aktion.109 Der Ausdruck „Leib des Fleisches“ ist uns bereits in 1,22 im Zusammenhang mit der Kreuzigung Jesu begegnet (vgl. zur Bedeutung dort). Das ist der erste Hinweis, was damit an 106 107 108 109
Vgl. Ferguson, Circumcision, 485-486; Wolter 129; Salter, Baptism, 21-22. Vgl. Gnilka 133; O’Brien 115-116; Barth/Blanke 317. Vgl. Beetham, Echoes, 157. So Lightfoot 184; Gnilka 131.
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II. Auslegung
dieser Stelle gemeint ist (vgl. dazu unten). Einen weiteren Hinweis liefert das zweite Präpositionalgefüge, das parallel zum ersten steht – es wird wie das erste mit ἐν + Dat. instr. eingeführt – und jenes epex. ausführt: Die Beschneidung, die nicht mit Händen vollzogen wird, geschieht durch die Beschneidung des Messias (ἐν τῇ περιτομῇ τοῦ Χριστοῦ). Was Paulus darunter versteht, wird in der Forschung intensiv diskutiert. Die Lösung hängt von der korrekten Deutung des Genitivattributs τοῦ Χριστοῦ ab. Es kann als Gen. subj. aufgefasst werden und würde in diesem Fall die „Beschneidung, die der Messias durchführt“ bedeuten.110 Die Hauptschwierigkeit mit dieser Auslegung liegt darin, dass das passivum divinum in 2,11a impliziert, wie wir oben gesehen haben, dass nicht Christus, sondern Gott der Beschneidende ist. Außerdem wiederholte sich Paulus in diesem Fall, denn er hat im selben Atemzug behauptet, dass die Christen in Kolossä „in ihm“ oder „durch ihn“ (ἐν ᾧ) beschnitten worden sind. Manche deuten den Genitiv als Gen. poss. bzw. Gen. der näheren Bestimmung und verstehen darunter „die Beschneidung, die dem Messias gehört“;111 d.h. das christliche Pendant zur Beschneidung, also die Taufe. Problematisch an dieser Deutung ist, dass Paulus, wie oben ausgeführt, hier nicht den atl. Ritus der Beschneidung thematisiert, sondern die Beschneidung des Herzens, die er von ersterer bewusst unterscheidet. Schließlich kann der Genitiv als Gen. obj. aufgefasst werden und meint „die Bescheidung, die an dem Messias vollzogen wurde“.112 Dies entspräche dem gewöhnlichen Gebrauch (vgl. Ex 4,25-26).113 Dabei ist klar, dass auch diese Beschneidung metaphorisch aufgefasst werden muss, denn es ist kaum vorstellbar, dass Paulus an die am Säugling Jesus vollzogene Beschneidung denkt und sich vorstellt, seine Nachfolger wären auf irgendeine Weise mit ihm „mitbeschnitten“. Gemeint ist nach dieser Auslegung die Kreuzigung, durch die Christus „den fleischlichen Leib“ ablegte. Wie oben schon angedeutet, verweist Paulus mit diesem Ausdruck intratextuell auf 1,22, wo er behauptet: „nun wurdet ihr in seinem fleischlichen Leib (ἑν σώματι τῆς σαρκὸς αὐτοῦ) durch seinen Tod versöhnt“. Paulus stellt sich also den Kreuzestod Jesu analog zur Beschneidung als Entfernung des Fleisches vor, das von Sün-
110 Vgl. Windisch, Taufe, 197; Bruce 104; Lindemann 41; Moo 200; Bird 78. 111 Vgl. Gnilka 132, Anm. 70; Pokorný 104-105; Lindemann 41-42; Luz 222; Schweizer 111; Harris 102; MacDonald 100; Bird 78; Foster 264-265. Ähnlich auch Baumert/Seewann 115-116. 112 Vgl. Moule 96; Lohmeyer 109-111; Robinson, Body, 41-42; Tannehill, Dying, 49; Dunn 157-158; Bevere, Sharing, 68-69; Witherington 157; Lincoln 624; O’Brien 117; Barth/Blanke 364-365; Smith, Perspective, 95-96; Heil 113; Pao 165-166. 113 Vgl. Beetham, Echoes, 177.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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de verhaftet wird.114 Darin besteht m.a.W. das tertium comparationis der Metapher zwischen Bildspender (Beschneidung) und Bildempfänger (Kreuzigung). Weil seine Nachfolger in ihm beschnitten worden sind, indem sie sich der Beschneidung des Herzens unterzogen haben, d.h. indem sie sich zum Glauben an den Messias Jesus bekannt haben, werden ihre Sünden abgelegt, denn es waren ebendiese, die er „in der Gestalt des sündigen Fleisches“ trug (vgl. Röm 8,3). Dass mit der „Beschneidung des Messias“ die Kreuzigung Jesu gemeint ist, legt auch 2,12 nahe, dem wir uns nun zuwenden, denn dort fehlt ein expliziter Verweis darauf bei der Anwendung der Taufformel, wo man ihn auf jeden Fall erwartet hätte (vgl. Röm 6,3-4 mit 2,20; 3,1). 12 Die Christen in Kolossä wurden also bei der „Beschneidung des Messias“ förmlich „mitbeschnitten“; d.h., um diesen Gedanken in vertrautere paulinische Sprache zu verkleiden: Sie sind mit ihm mitgekreuzigt (vgl. Gal 2,19). Der Apostel folgert charakteristischerweise daraus: Ihr seid mit ihm in der Taufe mitbegraben (συνταφέντες αὐτῷ ἐν τῷ βαπτισμῷ). Paulus gebraucht hier nicht das übliche Wort βαπτίσμα (19-mal im NT) für „Taufe“, sondern das seltenere βαπτισμός (4-mal im NT, sonst im Plur.). Letzteres bezeichnet auch rituelle Waschungen (so in Mk 7,4 und vielleicht auch in Hebr 6,2; 9,10). Es ist nicht auszuschließen, dass Paulus den ungewöhnlichen Begriff deswegen verwendet hat, weil er die christliche Taufe etwaigen Waschungen, die die Vertreter der KI verlangt haben, polemisch gegenüberstellen wollte.115 Eine Anknüpfung an die Taufparänese in Röm 6,4 ist jedenfalls unübersehbar.116 Vor allem fällt auf, dass das Verb συνθάπτω nur dort und an dieser Stelle im NT gebraucht wird. Das Aor. Pass. Part. συνταφέντες bezieht sich auf das Verb περιετμήθητε in 2,11 und trägt eine modale Nuance. Damit wird der Mechanismus der metaphorischen Beschneidung beschrieben: Das Ablegen des Fleisches geschieht durch das Mitbegrabensein mit Christus. Auf Tod und Begräbnis folgt dem frühchristlichen Kerygma entsprechend die Auferweckung: Mit ihm seid ihr auch mitauferweckt (ἐν ᾧ καὶ συνηγέρθητε). Das Relativpron. ᾧ könnte sich entweder auf Christus117 oder die Tau-
114 Die Textvariante, nach der τῶν ἁμαρτίων vor τῆς σάρκος hinzugefügt wurde, ist zwar ein späterer Zusatz (vgl. die Textkritik zu 2,11), ermöglicht aber einen Einblick in die frühe Auslegung des Textes und erfasst m.E. die korrekte Deutung. 115 Vgl. MacDonald 100. Ähnlich Ferguson, Baptism, 106. Rituelle Waschungen spielten in vielen jüdischen Gruppierungen im Frühjudentum eine große Rolle (vgl. Lawrence, Washing, bes. 185-194). 116 Vgl. Wedderburn, Baptism, 72-75; Frank, Kolosserbrief 176-178. 117 So Gnilka 134; Gardner, Circumcised, 174-176; O’Brien 118-119; Dunn 160-161; Wolter 132; Barth/Blanke 320-321; Pao 167.
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II. Auslegung
fe118 beziehen. Ersteres ist aus kontextuellen Gründen vorzuziehen, denn in diesem Abschnitt geht es durchgehend um Christus.119 Außerdem ist die Terminologie von der Taufparänese vorgegeben (vgl. die traditionsgeschichtliche Analyse auf S. 216-217). Das Präpositionalgefüge ἐν ᾧ ist genau genommen lokativ, aber das Verbkompositum mit Präfix συν- verlangt hier die Bedeutung „mit ihm“ (vgl. 2,13: συνεζωονποίησεν ὑμᾶς σὺν αὐτῷ). Die Identifikation des Gläubigen mit Christus in seinem Tod ermöglicht auch die Mitbeteiligung an seiner Auferstehung (vgl. Röm 6,4.8; Kol 3,1; Eph 2,5-6). Der Wechsel von der Zukunftsperspektive in Röm 6,4.8, wonach die in der Taufe symbolisierte Auferstehung noch aussteht, zur Einsicht des AutKol bzw. des AutEph, dass diese „Mitauferstehung“ bereits in der Taufe erfolgt ist, hat in der Forschung eine intensive Diskussion ausgelöst. Viele sehen darin einen entscheidenden Beweis dafür, dass der Kol deuteropaulinisch ist. Ihrer Meinung nach findet man hier eine Preisgabe des eschatologischen Vorbehalts vor, die sich mit der Lehre des Apostels nicht vereinbaren lässt.120 Gegen diese Auffassung sprechen folgende Argumente: 1. Die Beweislage, der man die „korrekte“ paulinische Deutung der Trope des Mitauferwecktseins mit Christus im Sinne eines notwendigen eschatologischen Vorbehalts zu entnehmen vermag, ist denkbar schmal: Sie beschränkt sich auf die (eventuell vorpaulinische)121 Taufparänese in Röm 6. Daraus weitreichende Schlüsse für die paulinische Theologie bzw. für die Verfasserschaft des Kol und Eph zu ziehen, ist unangebracht. 2. Von einer allgemeinen Preisgabe des eschatologischen Vorbehalts im Kol kann keine Rede sein. Die für Paulus typische Spannung zwischen bereits erfolgter und noch nicht erlangter Teilhabe am endzeitlichen Heilsgeschehen begegnet uns an vielen Stellen des Kol (vgl. dazu S. 23), nicht zuletzt beim Gedanken des mit Christus Auferstandenseins (vgl. zu 3,1-4). 3. Dass Paulus im Kol den gegenwärtigen Besitz vermeintlich zukünftiger Heilsgüter betont, ist angesichts der Situation, in der sich die Gemeinde in Kolossä befindet und zu der der Kol Stellung nimmt, vollkommen einleuchtend. Der KI, die einen mühsamen Weg bis zum Erlangen des endgültigen Heils vorschreibt, stellt Paulus das „Wort der Wahrheit“ (vgl. 1,5) entgegen, dass die Kolosser in Christus schon jetzt zu allem Zugang haben, was Jesus bereits erlangt hat. Eine effektivere rhetorische Strategie ist kaum
118 So Lightfoot 185; Burger, Schöpfung, 96; Pokorný 112; Schweizer 113; Harris 104; Moo 203. 119 So auch Pao 167. 120 Vgl. Wolter 132; Schweizer 112-113. 121 Vgl. Schweizer 111.
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vorstellbar.122 4. Der Unterschied zur rhetorischen Situation in Röm 6,1-11 wird in der Diskussion zu wenig berücksichtigt. Dort stellt sich der Apostel die Frage, ob man in Anbetracht der überragenden Gnade Gottes in der Sünde verharren soll (vgl. Röm 6,1). Die Antwort darauf ist für ihn ein klares μὴ γένοιτο (vgl. Röm 6,2a). Um diese Antwort zu begründen, führt Paulus seine Tauftheologie aus. Dabei verwendet er, wie auch im Kol, die von ihm geprägten συν-Termini: „mitkreuzigen“ (συσταυράω) in Röm 6,6, „mitbegraben“ (συντάπτω) in Röm 6,4; „mitleben“ (συζάω) in Röm 6,8. Die rhetorische Situation verlangt, dass im Gegensatz zu den ersten zwei Verben, die in Vergangenheitsformen formuliert werden, das „Mitleben“ als davon abhängiges bzw. daraus folgendes Resultat dargestellt wird. Dafür eignet sich die Zukunftsform in Röm 6,8, die nicht nur einen temporalen, sondern auch einen logischen Aspekt hat, der auf eine Lebenshaltung hinweist, die bereits gegenwärtig erfolgt bzw. erfolgen soll.123 Aus semantischer Perspektive kann man übrigens von „mitauferweckt mit Christus“ ohne erklärenden Zusatz, der in der knappen Formulierung fehl am Platz wäre, nur in der Vergangenheit sprechen (was Paulus in Röm 6 vermeiden will), weil Christi Auferstehung in der Vergangenheit liegt. Die Zukunftsform würde implizieren, dass Christus selbst noch nicht auferweckt worden ist. Wir haben also in 2,11-12 typisch paulinische Tauftheologie, die aber vom Apostel der rhetorischen Situation des Kol angepasst und entsprechend formuliert wird, um gegen die KI möglichst effektiv ins Feld ziehen zu können. Das betrifft einerseits die eigentümliche sprachliche Gestalt seiner Ausführungen, insbes. seiner Beschneidungsmetaphorik und seiner Charakterisierung der Taufe als rituelle Waschung. Wahrscheinlich berührt Paulus damit Praktiken der Vertreter der KI. Er dreht sozusagen den Spieß um und verwendet die jüdische Ausrichtung der KI polemisch gegen sie. Andererseits hebt er das im Taufvorgang symbolisch ausschlagbare Moment der präsentischen Eschatologie – Identifikation mit Christus sowohl im Tod als auch in der Auferstehung als bereits abgeschlossen – hervor, um die Vollkommenheit des Heils in Christus gegenüber der Auffassung der Vertreter der KI, dass dies ergänzungsbedürftig sei, zu betonen. Typisch paulinisch ist auch – vom Inhalt her; die Formulierung entspricht der für den Kol typischen Vorliebe für Genitivketten – die Zuschreibung der Wirkung der Taufe: Die Identifikation mit dem Messias in seinem Tod und seiner Auferstehung erfolgt durch den Glauben an die Kraft Gottes (διὰ 122 Ähnlich auch MacDonald 101. 123 Vgl Wedderburn, Baptism, 44.
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II. Auslegung
τῆς πίστεως τῆς ἐνεργείας τοῦ θεοῦ). Mit Glaube (πίστις) ist das Vertrauen gemeint (vgl. zu 1,4). Das Objekt des aktiven Glaubens im Kol ist sonst Christus (vgl. 1,4; 2,5), hier aber „die Kraft Gottes“ (ἐνέργεια τοῦ θεοῦ; zur Bedeutung vgl. zu 1,29). Die Formulierung nimmt das darauffolgende, der frühchristlichen Bekenntnistradition entnommene Gottesprädikat der ihn aus den Toten auferweckt hat (τοῦ ἐγείραντος αὐτὸν ἐκ τῶν νεκρῶν; vgl. Apg 3,15; 4,10; 13,30; Röm 4,24; 8,11; 10,9; Gal 1,1; Eph 1,20; 1Thess 1,10; 1Petr 1,21) vorweg.124 Sie überrascht im Kontext der Identifikation mit dem Messias in seiner Auferstehung nicht, denn wirksamer Glaube setzt für Paulus die Überzeugung, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, voraus (vgl. Röm 10,9).125 Die offensichtliche Anlehnung an Bekenntnisformeln des frühen Christentums spricht gegen Deutungsversuche, die entweder πίστις auf die Treue Gottes beziehen126 oder die Kraft Gottes als Ursache (statt Objekt) des Glaubens auffassen. 13 Es wird nun klarer, dass Paulus in 2,11 die Heidenchristen im Blick hatte, als er ihre Identifikation mit dem Messias in der Taufe als Beschneidung des Herzens bezeichnete. Er wollte sie, wie wir oben gesehen haben (vgl. zu 2,11), beruhigen, weil die Vertreter der KI sie wahrscheinlich zur Beschneidung nach dem jüdischen Ritus zwingen wollten. Seine heidenchristlichen Glaubensgenossen bleiben vorerst weiter das Objekt seiner Aufmerksamkeit im dritten Teil dieses Abschnitts (2,13-15): Auch euch, als ihr noch aufgrund eurer Übertretungen und eures unbeschnittenen Fleisches tot wart … (καὶ ὑμᾶς νεκροὺς ὄντας τοῖς παραπτώμασιν καὶ τῇ ἀκροβυστίᾳ τῆς σαρκὸς ὑμῶν). „Euch“ (ὑμᾶς) ist Akk. Pendens; das Pron. wird nach dem Hauptverb wiederholt. Damit wird anredeartig betont, dass die Heidenchristen in Kolossä aufhorchen sollen. Was er nun sagen will, betrifft sie. Er greift wieder zum „Einst-Jetzt-Schema“ (vgl. zu 1,21; das Part. ὄντας trägt hier eine temporale Nuance im Sinne von „als ihr tot wart“), um ihre Lage zu beschreiben. Sie waren nämlich vor ihrer Bekehrung „tot“. Totsein ist eine typische atl.-frühjüd. Trope für das Leben außerhalb der Sphäre, in der Gott herrscht (vgl. Philo, Fug 56; Lk 15,24.32; Röm 8,10-11). Das gilt insbes. für Nichtjuden (vgl. JosAs 8,9-10; Pseudo-Philo, De Jona, 153). Dieser Zustand hat sowohl einen konkreten als auch einen formalen Grund; beide Gründe ergänzen das Part. als Dativattribute (Dat. caus.). Einerseits stehen konkrete „Übertretungen“ (παραπτώμασιν = Dat. Plur. von παράπτωμα) im Raum. Gemeint 124 Vgl. Wolter 133. 125 Vgl. Auch Lightfoot 185. 126 Vgl. Barth/Blanke 322; Baumert/Seewann 115.
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sind einzelne klare definierbare Sünden, wie z.B. diejenigen, die in den Lasterkatalogen von 3,5.8 aufgelistet werden.127 Der Begriff ist gut paulinisch (im NT kommt er außer in Mt 6,14-15 und Mk 11,25 nur bei ihm vor; vgl. Röm. 4,25; 5,15-17.18.20; 11,11-12; 2Kor 5,19; Gal 6,1; Eph 1,7; 2,1.5), und die gleiche Auffassung, dass Heiden wegen ihrer Übertretungen geistlich tot sind, begegnet uns auch in Eph 2,1.5. Andererseits befinden sie sich in dieser unerquicklichen Lage wegen des – so wörtl. – „Unbeschnittenseins eures Fleisches“ (ἀκροβυστία τῆς σαρκός). Paulus meint mit diesem Semitismus – in der LXX begegnet uns mehrfach der Ausdruck „Fleisch des Unbeschnittenseins“ (σάρξ τῆς ἀκροβυστίας = „Vorhaut“; vgl. Gen 17,11.14.24-25; 34,24; Lev 12,3; Jdt 14,10) – die körperliche Beschneidung.128 Der Begriff „Unbeschnittensein“ (ἀκροβυστία) kommt im NT außer in Apg 11,3 nur bei Paulus vor (vgl. Röm 2,25-27; 3,30; 4,9-12; 1Kor 7,18-19; Gal 2,7; 5,6; 6,15; Eph 2,11; Kol 3,11) und fungiert als Umschreibung für das Heiden-sein an sich. Was hier nur kurz thematisiert wird, beschreibt Paulus ausführlicher in Eph 2,11-12: Nichtjude zu sein heißt, ohne den Messias zu sein, entfremdet von Israel und daher getrennt vom Bund, den Israel mit Gott verband. Weil aber Vergebung für Übertretungen nur im Bund mit Gott möglich war, waren Heiden ohne Hoffnung, weil ohne Gott.129 In dieser misslichen Situation befanden sich auch die Heiden in Kolossä bevor sie zum Glauben an den Messias kamen. Das änderte sich aber schlagartig, denn euch hat er zusammen mit ihm lebendig gemacht (συνεζωοποίησεν ὑμᾶς σὺν αὐτῷ). Paulus entschlüsselt damit die passive Formulierung von 2,12 („ihr wurdet mit auferweckt“; συνηγέρθητε) und identifiziert Gott als Subjekt des Satzes. Die Auferstehungsthematik verdrängt keineswegs, wie manche Kommentatoren behaupten,130 das Kreuzigungsmoment der Taufmetaphorik – beide sind, wie wir oben gesehen haben, vorhanden (vgl. zu 2,12) – , auch wenn die Betonung im Kol deutlich auf Ersterem liegt. Paulus nimmt mit diesem zweiten Verweis (vgl. 2,12) auf die Gegenwärtigkeit der Mitauferstehung mit Christus die ethischen Ausführungen in 3,1-17 vorweg, kehrt aber sofort zum vordergründigen Thema zurück: die Wirkung des Todes Jesu im Hinblick auf die Sünde. Das Mitauferwecktsein mit Christus ist möglich geworden, indem er unsere Übertretungen vergab (χαρισάμενος ἡμῖν πάντα τὰ παραπτώματα). Das 127 Vgl. Gnilka 136. 128 Vgl. Harris 106. Für eine mögliche Erklärung für die Verdrehung der Wortreihenfolge bei Paulus vgl. Beetham, Echoes, 175-176. 129 Ähnlich Barth/Blanke 366; MacDonald 101. 130 Vgl. Wolter 134.
236
II. Auslegung
Verb χαρίζομαι, das wir mit „vergeben“ übersetzen, hat die Grundbedeutung „schenken“ bzw. „großzügig beschenken“ (vgl. z.B. Lk 7,21; Röm 8,32; 1Kor 2,12). Im Kontext von Schuld – ob konkret in Bezug auf einen Geldbetrag (vgl. Lk 7,42-43) oder im übertragenen Sinn im Hinblick auf Sünde (vgl. 2Kor 2,7.10; 12,13; Eph 4,32; Kol 3,13) – bringt es zum Ausdruck, dass die Schuld aufgehoben wird. Das Part. χαρισάμενος trägt eine modale Nuance; d.h. die Aufhebung der Schuld, die wir uns aufgeladen haben, ermöglicht die Teilhabe an der Auferstehung Christi. Das ergibt sich daraus, dass es genau die Übertretungen sind, die von uns begangen wurden und unseren geistlichen Tod verursacht haben, die nun vergeben worden sind; die Referenzgröße beim doppelten Gebrauch von παράπτωμα ist eindeutig die gleiche. Auffallender ist jedoch der plötzliche Wechsel, mitten im Satz, vom 2. Plur. Pron. „euch“ (ὑμᾶς) zum 1. Plur. Pron. „uns“ (ἡμῖν). Hat Paulus angefangen, mittels typisch frühjüd. Tropen die besonders verzweifelte Lage der Heidenchristen zu beschreiben, so scheint er automatisch, wenn er von der Vergebung zu sprechen beginnt, sich selbst zu den in deren Genuss Gekommenen hinzuzuzählen. Die jeweilige Ausgangslage der heiden- und judenchristlichen Gläubigen mag aus heilsgeschichtlicher Perspektive verschieden sein; in Bezug auf ihren Bedarf an Vergebung sowie die dafür gebotene Lösung unterscheiden sie sich jedoch in keiner Weise. 14 Vergebung setzt nach atl.-frühjüd. Verständnis voraus, dass mit der Sünde etwas geschieht; d.h. dass sie abgetragen, gesühnt oder gereinigt wird. Um dies seinen heidenchristlichen Lesern verständlich zu machen, gebraucht Paulus ein Bild, von dem er ausgehen konnte, dass es ihnen zugänglich war, und das vom Verb χαρίζομαι einigermaßen vorgegeben wird: die Begleichung einer Schuld. Gott, erklärt der Apostel, tilgte den Schuldschein, der gegen uns ausgestellt war (ἐξαλείψας τὸ καθ’ ἡμῖν χειρόγραφον). Das Wort, das wir mit Schuldschein übersetzen (χειρόγραφον), kommt nur hier im NT vor und ist t.t. für einen Schuldbrief, durch den ein Kreditnehmer bestätigt, dass er dem Kreditgeber eine bestimmte Summe schuldet, sowie seine Absicht beteuert, diese zurückzuzahlen.131 In der LXX werden solche Schuldbriefe in Tob 5,3; 9,5 erwähnt (vgl. auch TestIob 11,11). Paulus spricht in Phlm 18-19 zwar nicht von einem χειρόγραφον, verwendet aber dafür charakteristische Termini (vgl.
131 Vgl. Deissman, Licht, 239-240. Carr, Angels, 55-58, vermutet hinter dem Begriff Beichtinschriften, die man in antiken Tempeln gefunden hat. Diese weisen zwar interessante Parallelen im Hinblick auf die Funktion von Cheirographa an unserer Stelle auf, werden aber nie als solche bezeichnet.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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die Verben ὀφείλω und ἀποτίνω). Der Phlm kommt somit einem Schuldschein gleich. Es gilt daher als sicher, dass der Apostel diesen Brauch kannte.132 Das Verb, das wir mit „tilgen“ übersetzen (ἐξαλείφω), heißt genau genommen „auslöschen“; d.h. – um vorerst auf der Bildebene zu blieben – das auf einem Blatt Geschriebene (mit einer Flüssigkeit) abwischen (vgl. Ex 32,3233; Num 5,23; Ps 69,28; Off 3,5). Papyrus war in der Antike teuer;133 man warf ihn nicht nach einmaligem Gebrauch weg, sondern man entfernte den Text und verwendete ihn erneut. Auf der Referenzebene ist es aber Paulus sicherlich bewusst, dass das Verb im moralischen Kontext eben die Bedeutung von „Sünden vergeben“ trägt (Ps 50,3; 50,11; 108,14; Jes 43,25; Jer 18,23; 2Makk 12,42; Sir 40,12; 46,20; PsSal 13,10; Apg 3,19). Dieser Gebrauch ist wahrscheinlich von der im Frühjudentum gelegentlich vorkommenden Konzeption eines Sündenregisters, in dem die Übertretungen des Einzelnen aufgelistet werden (vgl. Dan 7,10; äthHen 89,61-63.70-71; 108,7-10; ApkZef 3,6-9; Offb 20,12), bestimmt.134 In diesem Sinne ist es „gegen uns ausgestellt“ (καθ’ ἡμῖν). Der Bezug des Part. ἐξαλείψας ist nicht eindeutig. Es könnte sich mit modaler Sinnrichtung anaphorisch auf das Verb συνεζωοποίησεν beziehen – in diesem Fall gäbe es die näheren Begleitumstände des „mit ihm Auferwecktwerdens“ an – oder auf das vorhergehende Partizip χαρισάμενος – dann wäre damit erklärt, wie es zur Vergebung unserer Übertretungen kommt.135 Der Bezug könnte aber auch kataphorisch zum darauffolgenden Verb ἦρκεν sein, wiederum mit modaler Sinnrichtung – in diesem Fall wäre der Mechanismus der Aufhebung der Schuld näher erläutert. Von diesen drei Möglichkeiten ist die erste wegen des parallelen Aufbaus zwischen 1,14 und 1,15 (vgl. zur Strukturanalyse auf S. 217-219) am wahrscheinlichsten. Die Beschreibung des Schuldscheins lässt in stilistischer Hinsicht zu wünschen übrig. Das hat damit zu tun, dass, wie die traditionsgeschichtliche Analyse dieses Teils (vgl. S. 216-217) gezeigt hat, Paulus das von ihm herangezogene frühchristliche Liedgut an dieser Stelle parenthetisch kommentiert. Der Schuldschein war gegen uns ausgestellt, betont der Apostel wiederholend, samt seinen gegen uns gerichteten Ordnungen (τοῖς δόγμασιν ὃ ἦν ὐπεναντίον ἠμῖν). Das Wort, das wir mit „Ordnung“ übersetzen (δόγμα), kommt mit 132 Vgl. Barth/Blanke 370. 133 Richards, Paul, 51-52. 134 Vgl. Lohse, χειρόγραφον, 425; Dibelius 31; Wolter 136; Dunn 164; Smith, Perspective, 97-98; Sumney 144. Für die bereits bei Origenes belegte Deutung, nach der das Cheirographon einen Pakt zwischen Adam und dem Teufel darstellt (vgl. Lohmeyer 116-117), bietet der Text keine Anhaltspunkte. Vgl. die Kritik von Gnilka 138. 135 Vgl. Moo 208-209.
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II. Auslegung
dieser Bedeutung im NT nur noch in Eph 2,15 vor; sonst nur mit der Bedeutung „Befehl“ oder „Gebot“ im lukanischen Doppelwerk (vgl. Lk 2,1; Apg 16,4; 17,7). Gemeint sind die rituellen Vorschriften des mosaischen Gesetzes,136 besonders diejenigen, deren Einhaltung von den Vertretern der KI gefordert wurden.137 Diesen Schluss legt der Gebrauch des Nomens in Eph 2,15 sowie des verwandten Verbs δογματίζομαι in 2,20 mit Verweis auf Speise- und Reinheitsgebote nahe. Die syntaktische Funktion des Dativattributs τοῖς δόγμασιν ist indessen unklar. Es könnte theoretisch als Ergänzung des Part. ἐξαλείψας fungieren, aber dann hätte der Ausdruck eine positive Nuance – etwa „die Ordnungen des Evangeliums“ durch die (Dat. instr.) der Schuldschein getilgt wurde.138 Paulus aber bringt das Wort sonst nie in Verbindung mit dem Evangelium.139 Erwogen wird manchmal auch, ob es sich auf den Relativsatz ὃ ἦν ὐπεναντίον ἠμῖν bezieht. Damit wäre zum Ausdruck gebracht, dass der Schuldschein mittels der Ordnungen (Dat. instr.) gegen uns steht.140 Am wahrscheinlichsten aber ist, dass τοῖς δόγμασιν als Ergänzung zu χειρόγραφον im Sinne eines Dat. soc. fungiert und, wie wir übersetzt haben, den Schuldschein samt seinen Ordnungen meint.141 Diese Ordnungen stehen, wie der Schuldbrief selbst, gegen uns (ὃ ἦν ὐπεναντίον ἠμῖν). Der parenthetische Einschub wiederholt also, was im Liedgut bereits zuvor über den Schuldschein gesagt wurde, als wollte Paulus auf diese Weise den Ernst der Lage, in der wir uns befinden, betonen. Diesen Schuldschein hob er [Gott] restlos auf (καὶ αὐτὸ ἦρκεν ἐκ τοῦ μέσου; wörtl. „und diesen nahm er aus der Mitte“). Die Partikel καί hat eine epex. Nuance; der Satz erklärt somit, wodurch die Tilgung des Schuldscheins erfolgte. Das Verb αἴρω bedeutet im konkreten Sinne „aufheben“ und kann auch, wie im Deutschen, die übertragene Bedeutung „unwirksam machen“ 136 So auch Lightfoot 187; Abbott 255; Harris 108; Dunn 165; Moo 210. Kontra Barth/ Blanke 370; Sumney 145. 137 So auch Yates, Metaphor, 257; Sappington, Revelation, 219; Pao 171. Es ist wegen des jüd. Charakters der KI nicht notwendig, wie manchmal in der Diskussion angenommen wird (vgl. Schweizer 116), streng zwischen der Deutung von „Ordnungen“ als Vorschriften des mosaischen Gesetzes und Forderungen der Irrlehrer zu unterscheiden bzw. sich für eine davon zu entscheiden. Die Schnittmenge zwischen diesen beiden Größen ist der genaue Bezug des Begriffs an dieser Stelle. 138 Diese Ansicht war unter den Kirchenvätern verbreitet (vgl. Lightfoot 188), wird aber kaum noch vertreten. Vgl. aber Blanchette, Cheirographon, 310-311; Martin, Reconciliation, 121-122. 139 So auch Barth/Blanke 328. 140 Vgl. Percy, Probleme, 88; Barth/Blanke 329-330; Smith, Perspective, 102-104. 141 Vgl. so Harris 109; Bruce, 106, n. 80; Carr Angels, 57-58; Dunn, nach der Übersetzung auf S. 145, der sich allerdings in seiner Analyse vorsichtiger zeigt (S. 165); MacDonald 102.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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haben (vgl. Joh 1,29). Das Präpositionalgefüge „aus der Mitte“ (ἐκ τοῦ μέσου) stellt eine Redewendung dar, die die Intensität der durch das Verb ausgedrückten Handlung verstärkt (vgl. Jes 57,2 LXX).142 Manche Übersetzungen geben diese Wendung wörtlich wieder (vgl. z.B. die LÜ) oder lassen sie einfach weg (vgl. z.B. die EÜ). Dynamischer wirkt eine adv. Wiedergabe, etwa mit „gänzlich“ oder „restlos“. Gott vermochte es, den Schuldschein aufzuheben, indem er ihn ans Kreuz nagelte (προσηλώσας αὐτὸ τῷ σταυρῷ). Das Verb προσηλόω ist ein ntl. Hapaxlegomenon, sein Gebrauch im Kontext einer Kreuzigung ist aber auch bei Josephus belegt (vgl. Bell 2,308). Die Sinnrichtung der Partizipialkonstruktion scheint eindeutig modal zu sein. Paulus greift mit diesem Verweis auf das Kreuz (σταυρός) ein wichtiges Thema des CL auf: die durch den Kreuzestod des Messias ermöglichte Versöhnung mit Gott (vgl. 1,20.22). Die Formulierung setzt voraus, wie wir oben schon angedeutet haben, dass nach atl.-frühjüd. Auffassung, der Paulus beipflichtete, die Sünde nicht einfach übergangen werden kann, sondern ausgelöscht bzw. entfernt werden muss. Die Metaphorik des Schuldscheins wird durch das zusätzliche, gegenüber dem ersten Bild fremde Motiv der Kreuzigung strapaziert, weil Paulus offensichtlich beide Wirkungen – Tilgung und Entfernung – gleichzeitig vermitteln will. Interessanterweise werden die gleichen Motive durch die unterschiedlichen Schicksale zweier Ziegen beim atl. Versöhnungstagsritus veranschaulicht: die eine Ziege wird als Opfer dargebracht, die andere wird weggeschickt (vgl. Lev 16,6-10). Nun gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass Paulus in 2,14 darauf anspielt – die Bilder, die er gebraucht, sind ganz andere –, aber der Vergleich zeigt, wie selbstverständlich es für einen Juden wie ihn sein musste, unterschiedliche Konzeptionen der Sündenvergebung gedanklich miteinander zu verknüpfen. Bei einer derart komplexen Metapher kann man erst recht keine stringente Übereinstimmung zwischen Bild- und Referenzebene erwarten, wie etwa eine Identifikation des Schuldscheins mit Christus selbst.143 Dass Paulus damit auf den Titulus (vgl. Mt 27,37 par) anspielt – so überlegenswert diese Vermutung für viele auch zu sein scheint144 – kann auch nicht geltend gemacht werden. Schließlich war es kein gängiger Brauch, eine die Strafe begründende Urkun-
142 Vgl. Pao 171. Carr, Angels, 58, gelingt es, den idiomatischen Charakter der Wendung mit seiner Übersetzung „threw away for good“ beizubehalten. 143 So Blanchette, Cheirographon, 311; Dunn 166. 144 Vgl. Dibelius 31; Lohse 165, Anm. 7; Pokorný 117; Ernst 205; Lähnemann, Kolosserbrief, 128; Wright 113.
240
II. Auslegung
de an dem Kreuz eines Verurteilten anzubringen.145 Eine gedankliche Verknüpfung zwischen Schuldschein und Titulus wäre indessen von keinem in Kolossä ohne ausdrücklichen Verweis erstellt worden. Es ist für Paulus auch unerheblich, dass ein Schuldschein üblicherweise vom Schuldner ausgestellt, während das mosaische Gesetz von Gott erlassen wurde.146 Es würde die Metaphorik überstrapazieren, wenn wir uns deswegen den Schuldschein als ein von der Menschheit ausgestelltes Gehorsamsgelübde vorstellen müssten.147 Paulus kombiniert diese beiden Metaphern – Schuldschein und Kreuz – , weil sie dasselbe tertium comparationis haben: Schuldvergebung. Sonstige zufällige Übereinstimmungsmomente zwischen den jeweiligen Bildspendern und dem Bildempfänger sind nicht im Blick. Im Kontext des Kol und der Auseinandersetzung mit den Vertretern der KI bedeutet dies, dass es auch keinen Rest an Schuld gibt, der anderweitig erledigt werden muss, und deswegen auch keinen Bedarf an den von ihnen geforderten Praktiken und Bemühungen. 15 Nicht nur die Sünde, sondern auch die geistlichen Mächte stellten für die Gläubigen eine Bedrohung dar. Auch diese mussten überwunden werden, wenn Gläubige mit Christus lebendig gemacht werden sollten. Deswegen fährt Paulus mit seiner Würdigung des Werkes des Messias im Hinblick auf diese Mächte fort, indem er beteuert: Gott entwaffnete die Mächte und Gewalten (ἀπεκδυσάμενος τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς ἐξουσίας). Die gleichen „Mächte und Gewalten“ wie in 2,10 bzw. im CL sind hier im Blick (vgl. dazu ausführlich zu 1,16). Das Verbkompositum ἀπεκδύομαι begegnet uns im NT nur hier und in 3,9 (das verwandte nomen actionis ἀπεκδύσις ist uns schon in 2,11 begegnet) und ist vor Kol nicht belegt. Das Verb ἐκδύω (mit einfachem Präfix ἐκ-) kommt gelegentlich vor (sonst 6-mal im NT: Mt 27,28.31; Mk 15,20; Lk 10,30; 2Kor 5,3-4) mit der Bedeutung „(Gewänder) ausziehen“. Das Doppelpräfix ἀπό + ἐκ könnte dazu dienen, die Abgeschlossenheit bzw. die Unumkehrbarkeit der Aktion des Verbs zu betonen.148 Das Part. ἀπεκδυσάμενος bezieht sich parallel zu ἐξαλείψας in 2,14 auf das Hauptverb συνεζωοποίησεν und gibt den zweiten Begleitumstand des Mit-Christus-lebendig-gemachtWerdens an. Seine Bedeutung ist aus zwei Gründen umstritten. Der erste betrifft die Diathese des Verbs. Der Form nach ist ἀπεκδυσάμενος med. und wäre folglich reflexiv im Sinne von „sich ausziehen“ zu deuten bzw. verlangte kein
145 146 147 148
Vgl. Wolter 137. Vgl. Walter, Handschrift, 117. Vgl. Moule 97; Schlatter 281-282. Vgl. Oepke, Art. δύω, ThWNT, ΙΙ, 319.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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Obj. In der Koine wird aber das Med. manchmal akt. gebraucht.149 Trifft dies an dieser Stelle zu, dann wäre gemeint, dass das Subj. des Verbs das Obj. auszieht. Zweitens wurde möglicherweise an dieser Stelle ein Subjektwechsel vorgenommen.150 Ist Gott logischerweise das Subj. von συνεζωοποίησεν und ἦρκεν, so meinen manche Kommentatoren, dass nun Christus das implizite Subj. des Part. ἀπεκδυσάμενος ist. Aus dieser Sachlage ergeben sich vier Auslegungsoptionen: 1. Gott ist das Subj. des Part., das akt. gebraucht wird; in diesem Fall will Paulus zum Ausdruck bringen, dass „Gott den Mächten und Gewalten (ihre Kraft) abgezogen“ bzw. sie „entwaffnet“ hat.151 2. Christus wird als Subj. des Part. aufgefasst, und die akt. Bedeutung wird beibehalten; dann meint Paulus, dass „Christus den Mächten und Gewalten (ihre Kraft) abgezogen“ bzw. sie „entwaffnet“ hat.152 3. Gott ist Subj. des Part., das eine med. Bedeutung trägt; in diesem Fall heißt es so viel wie: „Gott hat sich die Mächte und Gewalten wie ein Gewand ausgezogen“.153 4. Christus als Subj. des Part. mit med. Bedeutung; dann möchte Paulus sagen: „Christus hat sich die Mächte und Gewalten wie ein Gewand ausgezogen“.154 Von diesen Optionen ist die erste den anderen vorzuziehen. Zum einen ist ein Subjektwechsel von Gott zu Christus an dieser Stelle unwahrscheinlich. Nichts in der Formulierung oder im Duktus des Arguments macht ihn erforderlich oder bereitet einen darauf vor. Zum anderen passt eine akt. Nuance besser in den Kontext; bei med. Deutung muss man sich vorstellen, dass die Mächte und Gewalten Gott (oder Christus) vor der Kreuzigung wie ein Ge149 Vgl. BDR §316 (1); Zerwick §235. 150 Folgende Autoren vermuten einen Subjektwechsel bereits ab 2,14: Moule 100-111; Hanson, Studies, 10-11; Carr, Angels, 59; Martin, Reconciliation, 116-118. 151 Vgl. Oepke, Art. δύω, TWNT, ΙΙ, 319; Dibelius 32-32; Schweizer 117; O’Brien 126127; Harris 110; Wolter 137; Hübner 85; Lincoln 626; MacDonald 103; Pao 172; Sumney 146; Foster 275-276. 152 Vgl. Sappington, Revelation, 212. 153 Vgl. Pokorný 118; Smith, Perspective, 106-107; Dübbers, Christologie, 260-261; Baumert/Seewann 117. Egan, Evidence, 55-56, setzt sich für diese Option ein, will aber das mediale Verb im Sinne eines indirekt-reflexiven Mediums deuten (vgl. HvS §190b). Die von ihm gebotene Übersetzung der Partizipialkonstruktion bleibt dennoch aktivisch: „God uncovered the principalties and powers“. 154 Vgl. Lightfoot 189-191; Moule 101-102; Schille, Hymnen, 35; Hanson, Studies, 9-10; Dunn 167; Cavin, Existence, 144. Die Position von Robinson, Body, 41, ist dieser Option zuzuordnen. Er greift eine Auslegung, die unter den lateinischen Vätern beliebt war, wieder auf, indem er ἀπεκδυσάμενος als intransitives Verb (und folglich τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς ἐξουςίας ausschließlich als Obj. des Verbs ἐνδειγμάτισεν) auffasst. Dieses wird als intratextueller Verweis auf 2,11 verstanden. Demnach habe Christus sein eigenes Fleisch ausgezogen. Robinson wird gefolgt von Carr, Angels, 59-60, Yates, Christ, 585-586, und Wilson 212. Vgl. aber die Kritik an dieser Deutung von Moo 213-214.
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II. Auslegung
wand anhafteten und dass er diese erst dadurch ablegen könnte. Parallelen dafür sucht man vergeblich im NT. Paulus will also sagen, dass Gott die Mächte und Gewalten, die sich gegen Christus gestellt hatten, auszog. Im Kontext von Kriegsmetaphorik – dass diese das Bild beherrscht, macht das folgende Partizip θριαμβεύσας klar (vgl. dazu unten) – ist das Verb entsprechend konnotiert: den Feinden wird die Waffenrüstung ausgezogen.155 Wir übersetzen daher mit „entwaffnen“. Paulus fügt erklärend hinzu – wiederum durch ein epex. καί (vgl. zu 1,14 bzw. die Textkritik zu 1,15) –, dass die Entwaffnung der Mächte und Gewalten erfolgte, indem Gott sie der Öffentlichkeit zur Schau stellte (καὶ ἐδειγμάτισεν ἐν παρρησίᾳ). Die Ausdrucksweise ist pleonastisch; das Verb δειγματίζω heißt an sich schon „der Öffentlichkeit Beschämendes aufdecken“ (vgl. Mt 1,19) oder „öffentlich bestrafen“,156 und das Präpositionalgefüge ἐν παρρησίᾳ trägt hier die Bedeutung „in der Öffentlichkeit“ (vgl. Joh 7,4; 16,29).157 Konnotiert wird dadurch, dass die sich gegen Gott auflehnenden Mächte, vor denen die Kolosser großen Respekt hatten, völlig gedemütigt werden. Ohne Waffenrüstung haben sie keinen Glanz mehr, stehen ohne jegliche Würde da und sind erstaunlich schwach und ungefährlich geworden. Diese öffentliche Demütigung der Mächte und Gewalten geschah, indem er [Gott] sie in seinem Siegeszug umherführte (θριαμβεύσας αὐτοὺς). Durch diese Partizipialkonstruktion, die sich mit modaler Sinnrichtung auf das finite Verb ἐδειγμάτισεν bezieht, rückt die durchgehende Kriegsmetaphorik des Bildes deutlich in den Fokus. Denn das hier von Paulus verwendete Verb θριαμβεύω macht deutlich, besonders im Zusammenhang mit dem Verb δειγματίζω, dass er an einen römischen Triumphzug denkt (vgl. Plutarch, Mar 12,2).158 Dadurch feierten Feldherrn ihre glorreichen militärischen Siege über feindliche Heere.159 Das Obj. des Verbs wird dementsprechend „der Öffentlichkeit im Triumphzug vorgeführt“.160 Hier begegnet uns das majestätische 155 Vgl. Pokorný 118-119. 156 Vgl. Hanson, Studies, 3-5. 157 Vgl. Dunn 168; Smith, Perspective, 106; Wilson 212. Die Wendung kann auch die Bedeutung „freimütig“ haben (vgl. Weish 5,1; dort eindeutig, im Gegensatz zu Eph 6,19, wo beide Möglichkeiten einen guten Sinn ergeben). So Lightfoot 191; Carr, Angels, 63; Harris 111; MacDonald 103. 158 Vgl. Heilig, Triumph, 89. 159 Vgl. Wolter 137. Für eine ausführliche Beschreibung vgl. Beard, Triumph, bes. 7-41. 160 Ähnlich Heilig, Triumph, 96-97, aufgrund einer eingehenden Untersuchung des Verbs und verwandter Lexeme in den antiken Quellen. Vgl. auch Williamson, Triumph, 319; Yates, Christ, 575. Egan, Evidence, 40-44, gefolgt von Barth/Blanke 335, will das Lexem im Sinne von „offenbaren“ oder „offenlegen“ auffassen. Vgl. aber die Kritik an dieser Deutung von Carr, Angels, 62, und Yates, Christ, 576-577.
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und zugleich erschreckende Bild einer militärischen Siegesparade, die u.a. den Zweck hatte, der Schande der besiegten Mächte Ausdruck zu verleihen.161 Römische Triumphzüge waren den Lesern des Kol zumindest vom Hörensagen bekannt (vgl. Josephus, Bell 7,116-157; Plutarch, Aem 32-34; Rom 16,47; Pomp 14,1-6).162 Dennoch sollte man sich davor hüten, alle möglichen Elemente eines römischen Triumphzuges in das Bild hineinzutransportieren, denn über den Ablauf geben antike Quellen z.T. widersprüchliche Informationen.163 Paulus hat indessen wiederum ein bestimmtes tertium comparationis vor Augen: Die Mächte und Gewalten sind Christus untertan. Dass er primär an dämonische Mächte denkt, machen die Parallelen in Eph 2,2; 6,12 deutlich.164 Natürlich schwingt so etwas wie Schadenfreude mit, weil die bösen Mächte, die Juden und Heiden gleichermaßen zugesetzt haben, besiegt werden. Aber im Kontext des Kol geht es in textpragmatischer Hinsicht darum, dass die Gläubigen in Kolossä ungeachtet des Bestrebens der Vertreter der KI von den Engelmächten überhaupt nichts brauchen. Alles, was jene zu bieten hätten, und noch vieles mehr, ist ihnen bereits in Christus, ihrem Haupt, zugänglich. Gott triumphierte über die geistlichen Mächte durch den Messias (ἐν αὐτῷ). Das 3. mask. oder neut. sing. Dat. Pron. könnte sich auf das Kreuz165 – falls das Subj. Christus ist (siehe oben), wäre dies sogar naheliegend – oder auf Christus selbst beziehen.166 Die mehrfache Betonung in diesem Abschnitt der vielen geistlichen Errungenschaften, die wir „in Christus“ genießen (vgl. 2,9-12) zusammen mit der Tatsache, dass ein Subjektwechsel nach 2,13 nicht nachgewiesen werden kann, spricht eher für die zweite Option. Das Präpositionalgefüge könnte entweder instrumental oder lokativ aufgefasst werden. Weil es hier implizit auch um das geht, was Gott alles durch Christus erreichte, ist Ersteres vorzuziehen.
IV Zusammenfassung Paulus ist überzeugt, dass die KI eine Gefahr für die Gläubigen in Kolossä darstellt. Noch geht er nicht auf die problematischen Ansichten und Praktiken 161 162 163 164
Vgl. Sumney 147. Vgl. Yates, Christ, 580. Vgl. Beard, Triumph, 72-106. Vgl. Pao 172. Neben Pao vertreten folgende Autoren die Meinung, dass feindliche Mächte hier im Fokus sind: Lightfoot 192; Smith, Perspective, 111-113; Dunn 169; Moo 212. 165 Vgl. Lightfoot 192; Moule 100; Martin, Reconciliation, 123; Carr, Angels, 63-64; Yates, Christ, 590; Wilson 191.211. 166 Vgl. Dunn 169; MacDonald 104; Moo 215; Pao 172-173; Sumney 148.
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II. Auslegung
ein, die diese Lehre vertritt (vgl. 2,16-23), aber seine einleitende Warnung vor ihr beschreibt sie als „wertlos“ und „betrügerisch“ (2,8). In 2,8-15 führt der Apostel aus, warum er sie für wertlos hält. Sie ist erstens „menschlichen Traditionen“ verpflichtet. Gemeint sind, wie erst in 2,16-23 klar wird, wo Paulus diesen Gedanken wieder aufgreift, vor allem jüdische Speise- und Reinheitsgebote. Diese wollen die Vertreter der KI, ihre Gesinnungsgenossen in den Gemeinden in Galatien nachahmend, den Heidenchristen in Kolossä auferlegen. Es gibt in unserem Abschnitt Hinweise, dass sie ihnen auch die Beschneidung und rituelle Waschungen aufdrängten. Die rhetorische Situation des Kol ähnelt der im Gal mit dem markanten Unterschied, dass dort die judaisierende Gruppierung innerhalb der Gemeinde entstanden ist, während sie in Kolossä von außen auf sie einzuwirken versucht (vgl. S. 35). Es kann kein Zufall sein, dass Paulus nach den gleichen rhetorischen Mitteln greift, um die Gefahr zu bekämpfen, auch wenn sein Ton im Kol wegen des Unterschieds im Hinblick auf die Ausgangslage weniger kämpferisch klingt.167 Wie im Gal vergleicht Paulus das jüdische Regiment der KI mit den Elementen, aus denen die Materie besteht (vgl. Gal 4,3.9 mit 2,8.20). Nach hellenistischer Auffassung müsste der nach Seelenheil Strebende bemüht sein, der materiellen Welt, insbes. dem eigenen Körper, durch den streng geregelten Umgang mit ihr – also durch asketische Praktiken – förmlich zu entkommen. Jüd. Speise- und Reinheitsgebote übten wohl deswegen auf neue heidnische Anhänger des jüd. Messias eine große Faszination aus. Paulus will ihnen aber klarmachen, dass nicht die Materie versklavt, sondern gerade das Regelwerk. Letzteres nützen dämonische Mächte – die gleichen, die hinter den Götzen stehen, denen die Heiden vormals dienten (vgl. Gal 4,8-9) –, um sie wieder in ein Leben zu führen, das von Angst und Bedrückung gekennzeichnet ist. Denn ähnliche Befürchtungen plagen Asketen und Götzendiener zugleich: „Habe ich genug getan?“ – „Habe ich etwas übersehen?“ Seines Heils kann weder der eine noch der andere jemals gewiss sein. In dieser Situation entfaltet Paulus seine Christologie bzw. Soteriologie. Dabei betont er besonders diejenigen Aspekte derselben, die den Verzerrungen der KI am ehesten entgegenwirken. Sein pastorales Feingefühl zeigt sich darin, dass er keine neuen theologischen Ansichten einführt, um die Gläubigen in Kolossä zurechtzuweisen. Das hätte sie womöglich nur noch mehr verunsichert; sie kannten ihn ja größtenteils nicht persönlich. Stattdessen verlässt
167 Ich gehe von einer frühen Datierung des Gal (vor dem Apostelkonzil) aus, sodass bei meiner Datierung des Kol vier oder fünf Jahre dazwischenlagen.
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er sich auf den Kolossern vertrautes Traditionsgut: das CL (vgl. 2,9-10 mit 1,15-20), eine Taufparänese, in der sie vielleicht selbst vor ihrer Taufe unterwiesen wurden oder die sogar bei ihrer Taufe über sie ausgesprochen wurde (vgl. 2,11-12), und ein weiteres Christuslied (vgl. 2,14-15). Das erweckt Vertrauen und schafft eine emotionale Verbindung, die die Kolosser von vornherein positiv auf die Botschaft des Apostels einstimmt. Er setzt diese Traditionsstücke ein, um in drei Teilen unterschiedliche Facetten seines Hauptanliegens hervorzuheben: die Überlegenheit der Lehre von Christus gegenüber der KI. Im ersten Teil zitiert Paulus eine Zeile des CL: „in ihm gefiel es der ganzen Fülle zu wohnen“ (1,19). Diese ergänzt er mit zwei bedeutungsträchtigen Zusätzen in 2,9. Erstens erklärt er genauer was mit „Fülle“ gemeint ist, indem er diesem Begriff das Genitivattribut „der Gottheit“ hinzufügt. Paulus will damit sicherstellen, dass den Kolossern die unüberbietbare christologische Aussage des Liedes nicht entgeht: Es gibt keinen Zugang zur Gottheit außerhalb von Christus. Denn diese ist gänzlich in Christus zu finden. Keine Teilchen des Göttlichen sind anderweitig im Kosmos zu empfangen. Es gibt zwar andere geistliche Wesen, denen es an Kraft nicht fehlt, aber diese sind keine Gottheiten und nur „göttlich“, insofern sie Christus untergeordnet sind. Zweitens wohnt diese Gottheit in Christus „in leiblicher Gestalt“. Damit wird der Leibfeindlichkeit aller hellenistischen Heilskonzeptionen eine Absage erteilt. Der unsichtbare Gott scheut sich nicht, Leiblichkeit anzunehmen, sich materiell erfassen zu lassen (vgl. Joh 1,18). Beteiligung an der göttlichen Sphäre, die Paulus übrigens auch fördern möchte (vgl. 3,1), kann folglich nicht die Verneinung des von der Materie bzw. aus den Elementen beschaffenen Leibes voraussetzen. Praktisch heißt das: Die asketischen Tendenzen der KI sowie ihre Forderung nach der Einhaltung jüdischer Vorschriften, seien es Kaschrutbestimmungen, rituelle Reinheitsgebote oder die Beschneidung – die symbolische Verwerfung des Fleisches –, sind nicht Christus gemäß (2,8) und ihnen muss Einhalt geboten werden. Paulus selbst kombiniert in weiterer Folge die Aussage des CL, dass die Fülle der Gottheit in Christus wohnt, mit einem Proprium seiner eigenen Theologie, dass Christus „in euch“ wohnt (1,27b), und schließt logischerweise daraus, dass die Fülle der Gottheit die Gläubigen erfüllt (vgl. 2,10a). Die Bemühungen der Vertreter der KI sind somit völlig umsonst, denn die göttliche Sphäre, die sie mit ihren Bemühungen erschließen wollen, ist denen, die in Christus sind, bereits erschlossen. Ihre Huldigung der Engelmächte (vgl. zu 2,18), um diese zu ihrer eigenen Gunst zu beeinflussen, ist vergebliche Mühe, denn diese Mächte sind Christus, ihrem Haupt (vgl. 2,10b mit 1,16.18), unter-
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II. Auslegung
tänig. Sie können den Gläubigen nur das tun, was Christus ihnen gebietet oder erlaubt. Dem zweiten Teil (2,11-12) liegt wahrscheinlich eine frühchristliche Taufparänese zugrunde. Diese scheint aus drei Elementen, die wir auch in den Ausführungen des Paulus zur Taufe in Röm 6,3-5 finden, zu bestehen: Mitsterben (im Kol metaphorisch als „Mitbeschnittensein“ formuliert), Mitbegrabenund Mitauferwecktwerden mit Christus. Vermutlich spielte diese Trias eine Rolle bei Tauffeiern, an denen die Gläubigen in Kolossä auch beteiligt waren. Dadurch wurden sie mit einem grundlegenden Aspekt paulinischer Soteriologie vertraut gemacht: Identifikation mit Christus in seinem Tod und seiner Auferstehung (vgl. Röm 6,3-10; Gal 2,20; Eph 2,5; Phil 3,l0-11). Die Taufparänese folgt dem wohl ältesten Kerygma der frühen Kirche (vgl. S. 101) – „Christus ist gestorben für unsere Sünden, er ist begraben und am dritten Tag ist er auferstanden“ (1Kor 15,3-4) – Schritt für Schritt. Aus der Überzeugung heraus, dass diese „für uns“ geschah, folgerte Paulus ein „mit ihm“ (vgl. 2Kor 5,14).168 Neben den theologischen Überlegungen, die ihn zu dieser Ansicht führten, hinterließ wohl seine eigene Taufe (vgl. Apg 9,18; 22,16) einen tiefen Eindruck der symbolischen Identifikation mit Christus, sodass er diese als ein Ihm-gleich-Werden in seinem Tod und seiner Auferstehung erlebte (vgl. Phil 3,10-11). Im Unterschied zur Formulierung in Röm 6,8, nach der die Mitauferstehung mit Christus als anzustrebende Zukunftsperspektive dargestellt wird, wird sie an unserer Stelle als bereits in der Taufe erfolgtes Ereignis aufgefasst. Daraus ist in der kritischen Forschung ein Stein des Anstoßes geworden, weil man sich anscheinend keine Situation vorstellen kann, in der Paulus diese Verlagerung von der eschatologischen Hoffnung auf Auferstehung in eine präsentische Inanspruchnahme derselben vorgenommen hätte. Aber die Lage in Kolossä bot genau diese Situation. Erlangung des Heils ist dort durch den Einfluss der Vertreter der KI ein prekäres Unterfangen geworden, das ein strenges Regiment und den Beistand der Engelmächte voraussetzt (vgl. 2,1623). Demgegenüber setzt Paulus seine Tauftheologie, nach der die Errettung durch Identifikation mit Christus im Glauben geschieht. Tiefgehende Veränderung aufgrund von z.T. mühsamer Arbeit steht einem dennoch bevor, wie die Ausführungen in Kol 3 zeigen. Die Ethik ist m.a.W. die Gleiche, die Paulus im Röm fordert (vgl. 3,5-10 mit Röm 13,11-14). Auch der Treibstoff ist der 168 Vgl. Kim, Origin, 301. Zu 2Kor 2,14-15 vgl. Allo, 166: „Cette sotériologie essentielle de Paul apparaît, dans la brève expression de ces versets, en tout sa force et sa plénitude.“
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Gleiche: die Kraft, durch die Gott Christus von den Toten auferweckte (vgl. 2,12 mit Röm 8,11). Nur die Perspektive hat sich geändert, damit die Kolosser diese Kraft für sich in ihrer Lage effektiver einsetzen können. Hier gibt es keine unüberbrückbare Kluft zwischen dem echten sich nach dem Eschaton ausstreckenden Paulus und seiner sich zunehmend in der Gegenwart gemütlich einrichtenden Schule. Es gibt nur den einen Apostel und Pastor, der seine Theologie weise kontextualisiert, um die ethische Transformation, um die es ihm geht, effektiver voranzutreiben. Nachdem Paulus im ersten Teil die erhabene Stellung Christi und im zweiten Teil die Beteiligung der Gläubigen in Kolossä daran durch die Identifikation mit Christus in der Taufe erläutert hat, legt er im dritten Teil (2,13-15) dar, wie Letzteres überhaupt möglich geworden ist. Er beginnt dabei mit einer für ihn typischen Schilderung der misslichen Situation, in der sich seine mehrheitlich heidenchristlichen Leser vor ihrer Bekehrung befanden (vgl. Eph 2,1-3.11-12): Sie waren aufgrund konkreter Übertretungen geistlich tot mit keiner Aussicht auf eine Veränderung ihrer Lage wegen ihres Getrenntseins vom Gott Israels (vgl. 2,13). Dennoch hat Gott sie mit Christus wieder lebendig gemacht, indem er ihnen ihre Sünden vergab. Paulus wittert bei diesem Zuspruch vielleicht die Gefahr, dass gerade seine heidnischen Leser diese Wende in ihrer Lage der Willkür Gottes zuschreiben könnten: ihre Götter waren unberechenbar; vielleicht war es der Gott Jesu, des Messias, auch. Die Vertreter der KI standen ihnen mit ihrem Regelkatalog und mit ihrem Verweis auf Engelmächte bereitwillig zur Seite, um sie darin zu unterweisen, wie sie sich diese unerwartete Gunst Gottes einigermaßen absichern könnten. Paulus will den Jesusnachfolgern in Kolossä ein besseres Fundament legen (vgl. 2,7) und beruft sich wiederum auf ein ihnen wohl bekanntes Lied, das aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich als eine Meditation des Werkes Christi konzipiert war. Er zitiert es nicht in voller Länge, wie zuvor das CL, sondern gibt nur zwei Zeilen davon in 2,14-15 wieder. Die erste Zeile befasst sich mit dem Modus der Vergebung. Sie beantwortet die Frage, auf welcher Basis Gott vergeben konnte, denn nach atl.-jüd. Verständnis muss die zwischen Gott und dem Menschen stehende Sünde gesühnt bzw. weggetragen werden (vgl. den Ritus am Versöhnungstag in Lev 16,6-10). Anhand der beeindruckenden Bilder des Liedes – hier liegt keine abstrakte Analyse, sondern kunstvolle Dichtung vor – weist Paulus die Kolosser darauf hin, dass Gott die Schuld, die aus konkreten Übertretungen entstanden ist, wie den auf einem Schuldschein stehenden Betrag restlos gelöscht hat, weil Christus diesen ans Kreuz nagelte. Das Lied bringt die aus zwei unterschiedlichen Sitzen im Leben entnommenen Metaphern etwas durcheinander, aber die Motive der Süh-
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II. Auslegung
ne bzw. des Abschaffens der Schuld der Menschen als Resultat des Werkes Christi hat sich durch das Singen des Liedes im gottesdienstlichen Kontext (vgl. 3,16) in das Vorstellungsvermögen der Kolosser eingeprägt, und Paulus konnte damit rechnen, dass sie begriffen, was gemeint war. Die zweite Zeile widmet sich dem Resultat des Werkes Christi im Hinblick auf die geistlichen Mächte, die die Gläubigen in Kolossä vormals versklavt hielten. Das Lied bedient sich dafür einer unerschrockenen Kriegsmetaphorik, genau genommen des Bildes eines römischen Siegeszugs. Christus wird als Feldherr dargestellt, der die Mächte zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen hat und ihnen nun ihre Waffenrüstung auszieht. Sie werden der Öffentlichkeit nackt und hilflos vorgeführt. Ihren ehemaligen Sklaven, die sie früher mit Angst und Bange erfüllt haben, müssen sie sich präsentieren. Wie die Naziführung, die vormals Millionen von Menschen ungeheuer große Furcht einjagte, bei den Nürnberger Prozessen plötzlich jeden Schrecken verlor und wie schlotterige alte Männer wirkte, so erschienen die besiegten Mächte nur noch als schwach und jämmerlich. Die Vorstellung, dass diese einen existenziell bedrohen könnten, löst nurmehr Lachen statt Zittern aus. Mit diesen Liedzeilen knüpft Paulus gedanklich an 1,14 an, wo er beteuerte, dass wir in Christus sowohl Erlösung (d.h. Befreiung von der Sklaverei) als auch Vergebung der Sünde erfahren (vgl. dazu a.a.O.). Beides ist überaus wichtig. In der Westkirche hat man sich so sehr mit Letzterem beschäftigt, dass man die Notwendigkeit des Ersteren weitgehend aus den Augen verlor. Einzelne Stimmen wie Gustav Aulén169 mahnten jedoch zur Beibehaltung dieses wichtigen Vermächtnisses ntl. Glaubens. Für unsere Zwecke ist es wichtig, sich zu verinnerlichen, dass paulinische Analyse der Sünde immer Analyse der ersten Sünde gleichkommt (vgl. Röm 5,12-21), und diese hatte zwei Facetten. Die eine hat damit zu tun, dass Adam Gott gegenüber ungehorsam war und dadurch Schuld auf sich lud, die vergeben werden musste. Die andere besteht darin, dass Adam dem Satan gegenüber gehorsam war und sich dadurch in seine Macht begab, von der er befreit werden musste. Christus hat – das ist die erfreuliche Botschaft des von Paulus zitierten Liedes – beide Probleme gänzlich gelöst. Das erinnert an ein anderes, altbekanntes Lied: Rock of Ages. Wohl die wenigsten, die dieses Lied kennen und lieben – im Angelsächsischen sind das immer noch viele (es gehört sogar zum Repertoire Bob Dylans) –, wissen, was der Dichter Augustus Toplady (1740–1778), meinte, wenn er Christus in einer Zeile bittet: „Be of sin the double cure“ (zu Deutsch: „Sei du die doppelte Lösung für die Sünde“). Er meinte wohl genau 169 Aulén, Christus Victor, bes. 20-23.
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das, was Paulus anhand des frühchristlichen Lieds, das er in 2,14-15 heranzieht, feierlich verkündet: Wir sind sowohl von der Schuld vor Gott als auch von der Sklaverei der Sünde ein für alle Mal durch Christus befreit!
2.2.2. Der betrügerische Charakter der kolossischen Irrlehre (2,16-23)
I Übersetzung 16 Lasst also niemand euch verurteilen wegen dem, was ihr esst oder trinkt oder in Bezug auf Festtage, Neumondfeste oder Sabbatfeiern. 17 Das sind bloß Schatten zukünftiger Heilsgüter, der Körper aber gehört dem Messias. 18 Keiner soll euch richten, der am Fasten und an der Verehrung der Engel Gefallen hat und dauernd auf das eingeht, was er in Visionen gesehen hat. Ein solcher hält viel von sich, hat aber dazu keinen Grund, denn seine Gesinnung ist fleischlich. 19 Er hat die Verbindung zum Haupt verloren, aus dem der ganze Leib, der durch die Gelenke und Bänder versorgt und zusammengehalten wird, zur von Gott geschenkten Größe heranwächst.
II Struktur
Textkritische Anmerkungen. 2,16: אA C D F G I K P Ψ 075 0278 33 81 104 365 630 1175 1241s 1505 2464 lat syh sowie McionE und Eus ersetzen καὶ mit ἤ nach βρώσει. Die LA von NA28, der die gewichtigen Zeugen 46 B 1739 1881 sowie b und vgms folgen, ist mit NA28 vorzuziehen. 2,17: Die LA von B F G 614 B D sowie McionE, Ambst und Spec, die ἅ mit ὅ ersetzt, ist wohl auf einen Flüchtigkeitsfehler eines frühen Kopisten zurückzuführen. 2,18: 1) Der Kopist, der für das Fehlen der Präp. ἐν in *אverantwortlich war, wollte vermutlich die ungewöhnliche Syntax dieses Satzes ausbessern. 2) Eine Reihe von Zeugen fügt entweder μή (א2 C D1 K L P Ψ 075 0278 81 104 365 630 1175 1241s 1505 1881 2464 sowie Hiermss) oder οὐ (F G) nach ἃ ein. Die LA von NA28 ist aber eindeutig besser bezeugt. 2,19: D* 105 (b) syh sowie Nov und MVict fügen Χριστὸν nach κεφαλήν ein. Dieser erklärende Zusatz ist eindeutig sekundär. Form. Wie wir bereits bei der Analyse von 2,8-15 bemerkt haben, setzt sich der ganze Abschnitt 2,8-19 mit der KI auseinander und erläutert zuerst, warum diese Lehre im Gegensatz zur Botschaft vom Messias, die die Kolosser bereitwillig empfingen, wertlos (vgl. 2,8-15) und betrügerisch ist (vgl. 2,16-19). Analog zum vorhergehenden leitet Paulus auch diesen Abschnitt mit einem Imperativsatz in der 3. Person ein und warnt verallgemeinernd vor jemandem (τὶς), der für die Irrlehrer insgesamt steht. Die Warnung betrifft die Praktiken
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II. Auslegung
und Ansichten der KI, die in diesen Versen beschrieben werden. Die Beschreibung ist keineswegs neutral – darum ist der Apostel nicht bemüht –, sondern wertend und ablehnend. Sie hat den klaren Zweck, den Gläubigen in Kolossä von einem Kurs abzuraten, der sie von der Botschaft von Christus wegzuführen droht (vgl. 2,8). Trotz ihrer sicherlich subjektiven Darstellungsweise, der man sich bei der Auslegung bewusst sein soll, nimmt die KI nur in dieser Perikope erkennbare Gestalt an. Ohne sie wäre der Kol um einiges rätselhafter. Durch sie ergibt seine theologische Eigenart – etwa seine herausstechend hohe Christologie und seine im Vergleich zu den Protopaulinen stärker präsentische Eschatologie – durchaus einen Sinn. Der Abschnitt kann grob in zwei Teile aufgeteilt werden, die jeweils mit Imperativsätzen in der 3. Pers. Sing. beginnen. 2,16-17 besteht aus einem kurzen Hauptsatz und einem noch kürzeren Nebensatz und stellt den Exegeten weder in lexikalischer noch in syntaktischer Hinsicht vor große Schwierigkeiten. Die Praktiken der Vertreter der KI werden in 2,16 beschrieben; 2,17 fasst ihren relativen Wert im Hinblick auf Christus zusammen. 2,18-19 ist um einiges komplizierter. Hier begegnen uns seltene z.T. quasi-technische Begriffe in einem Satz mit gleich vier Partizipialkonstruktionen (θέλων … ἐμβατεύων … φυσιούμενος … κρατῶν), die sich jeweils auf das Hauptverb (καταβραβευέτω) beziehen. Die ersten zwei dieser Partizipialkonstruktionen beschreiben die Begeisterung der Vertreter der KI für ihre Praktiken, während die letzten zwei diese negativ bewerten.
III Einzelexegese 16 Wie im vorigen Abschnitt 2,8-15 beginnt Paulus auch diesen mit einem Befehl: Lasst also niemand euch verurteilen wegen dem, was ihr esst oder trinkt oder in Bezug auf Festtage, Neumondfeste oder Sabbatfeiern (μὴ οὖν τις ὑμᾶς κρινέτω ἐν βρώσει καὶ ἐν πόσει ἢ ἐν μέρει ἑορτῆς ἢ νεομηνίας ἢ σαββάτων). Die Form des Befehls (3. Pers. Sing. Präs. Imp. von κρίνω = „richten“, „verurteilen“) fordert eine unbestimmte Person auf, mit einer Handlung aufzuhören.170 Die Person, um die es geht, wird nicht näher identifiziert (τὶς). Der Befehl ist offen formuliert, sodass er sich auf mehrere Personen beziehen könnte. Die Formulierung erinnert an vorhergehende Warnungen vor unbestimmten Personen, die die Gläubigen in Kolossä durch ihre Lehre „betrügen“ (vgl. 2,4: μηδείς) oder „gefangen nehmen“ (vgl. 2,8: τὶς) wollen. Diese Eigentümlichkeit führt manche Forscher zu dem Schluss, dass es in Wirklichkeit keine KI gegeben habe (vgl. S. 45-46). Vielmehr habe Paulus bzw. der 170 Vgl. HvS §212e.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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AutKol seine Leser vor diffusen Strömungen in ihrem Umfeld warnen wollen.171 Spätestens an dieser Stelle wird es aber deutlich, dass das, was diese Personen lehren, klare Konturen hat, auch wenn Paulus nicht genau weiß, wer sie sind bzw. sie nicht namentlich kennt oder nennen will – das ist wohl der Grund für die anonyme Formulierung (vgl. zu 2,8). Zum ersten Mal im Kol nimmt also die KI klarere Konturen an. Ihre Befürworter fällen ein negatives Urteil über das Verhalten der Gläubigen in Kolossä, das angesichts dessen, was Gott in Christus vollbracht hat (vgl. 2,13-15) – das bringt die Verbindungspartikel οὖν (= „also“ oder „deshalb“) zum Ausdruck172 – nicht zulässig ist: Lasst also niemand euch verurteilen (μὴ οὖν τις ὑμᾶς κρινέτω). Das von den Irrlehrern angeprangerte Verhalten erfasst zum einen die Vernachlässigung von Speisegeboten (wegen dem, was ihr esst oder trinkt; ἐν βρώσει καὶ ἐν πόσει), zum anderen bezieht es sich (ἐν μέρει) 173 auf das Nichteinhalten verschiedener jährlich, monatlich und wöchentlich stattfindender kultischer Feiertage (Festtage, Neumondfeste oder Sabbatfeiern; ἑορτῆς ἢ νεομηνίας ἢ σαββάτων).174 Letzterer Begriff belegt den grundsätzlich jüd. Charakter der KI, denn auch wenn nur dieser von den drei, für sich allein stehend, eindeutig jüd. ist, so ist die formelhafte Trias unverkennbar atl. bzw. frühjüd. Ursprungs (vgl. Neh 10,34; 1Chr 23,31; 2Chr 2,3; 31,3; Hes 45,17; Hos 2,13; 1Makk 10,34; Jdt 8,6; Jub 1,14).175 Es ist deswegen auch naheliegend, die Betonung auf den Verzicht von Speise und Trank gegen einen frühjüd. Hintergrund zu deuten.176 Dies gilt ungeachtet dessen, dass Fasten selbstverständlich ein Teil griech.-röm. Frömmigkeit war; es spielte z.B. eine wichtige Rolle bei den Mysterien (vgl. Apuleius, Metam. 11,23.28) sowie in manchen philosophischen Kreisen, u.a. bei den Pythago171 172 173 174
So z.B. Hooker, Teachers, 329. So auch Carr, Angels, 67. Vgl. Lightfoot 193. Im Griech. jeweils im Sing. In der deutschen Übersetzung würde aber der Gebrauch des Sing. vermitteln, dass es sich um bestimmte Feiertage handelt, was in diesem Kontext irreführend wäre. Der Versuch einiger Exegeten, einen Bezug von σάββατα auf den wöchentlichen Sabbat bzw. die klare Abwertung des jüdischen Sabbats zu leugnen (vgl. z.B. Wood, Sabbath, 338-342; Preez, Judging, 94.148), überzeugt angesichts des formelhaften atl. und frühjüd. Gebrauches nicht. Giem, Sabbatōn, 206-207, sieht den Bezug zum wöchentlichen Sabbat, fasst ihn aber mit den anderen Begriffen als Metonymie für die an den verschiedenen jährlich, monatlich und wöchentlich dargebrachten Opfern. Dafür bietet der Text keine Anhaltspunkte. 175 Vgl Bormann 142. Kontra Foster 282, der auf die Wichtigkeit der Trias für die Deutung des Verses leider nicht eingeht, und Maisch 185-186, die die schwer nachvollziehbare These in den Raum stellt, dass der jüdische AutKol unbewusst zur Trias greift, obwohl in Wirklichkeit der Begriff σαββάτων auf den paganen Sabazioskult hinweist. 176 Vgl. Beetham, Echoes, 197-198.
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II. Auslegung
reern (vgl. Diogenes Laertius 8,33-35; Philostratus, Vit. Apoll. 1,8; 2,37).177 Gerade in der Diaspora verzichteten Juden häufig auf bestimmte Speisen (insbes. Fleisch) und Wein, um mögliche kultische Unreinheit zu vermeiden (vgl. Dan 1,8; Tob 1,10-12; Jdt 12,2.19; ZusEst 14,17; JosAs 7,1; 8,5; Josephus, Vita, 14) oder als Zeichen besonderer Frömmigkeit (vgl. Jer 35,6-7; Jdt 6,8; TestSim 3,4; TestJos 3,4; PsSal 3,7-8). Auch unter Juden sah man eine Verbindung zwischen Fasten und einer erhöhten Empfangsbereitschaft für visionäre Erfahrungen (vgl. Dan 10,3; syrApkBar 20,5-6), die bei der KI eine wesentliche Rolle gespielt zu haben scheinen (vgl. zu 2,18). 17 Das Problem mit der Verpflichtung zur Einhaltung jüdischer Kaschrutbestimmungen und Kalendervorschriften besteht aus der Sicht des Paulus darin, dass sie bloß Schatten zukünftiger Heilsgüter sind (ἅ ἐστιν σκιὰ τῶν μελλόντων). Das Relativpron. ἅ bezieht sich – das macht das weiterführende Argument klar – auf alle in 2,16 genannten Vorschriften des mosaischen Bundes (sowie auf das erst im Frühjudentum stärker betonte Fasten), die unter den Vertretern der KI Beachtung fanden.178 Für Paulus gehören aber diese mit der Beschneidung (vgl. zu 2,11) der Vergangenheit an. Sie hatten während der Zeit der Gültigkeit des mosaischen Bundes eine berechtigte pädagogische Funktion, sind aber, seitdem der Messias gekommen ist, nicht mehr bestimmend (vgl. Gal 4,1-5). Denn der Körper, der den Schatten wirft, gehört dem Messias (τὸ δὲ σῶμα τοῦ Χριστοῦ; Gen. poss.). Erst mit diesem ergänzenden Nebensatz wird die Schatten- bzw. Körper-Metaphorik des Apostels, die man übrigens auch bei Philo (vgl. PostCaini 112; ConfLing 190; MigAbr 12; Dec 82) und Josephus (vgl. Bell 2,28) im anderen Kontext findet, verständlich.179 Sowie der Körper eines Menschen am helllichten Tag einen Schatten wirft und man darin den Umriss des Menschen erkennen kann, so gab es zu atl. Zeiten eine zukünftige Heilswirklichkeit (τῶν μελλόντῶν),180 die in den kultischen Einrichtungen und Abläufen des alten Bundes umrissartig zu erkennen war: die Person und das Werk Christi.181 Die Transparenz des metaphorischen Vergleichs spricht gegen jeglichen Versuch, wie dieser ab und zu unternommen wird, einerseits den „Körper“ (σῶμα) in diesem Bild als „Leib Christi“ im
177 178 179 180
Vgl. Wolter 141-142. So auch MacDonald 110. Vgl. Wolter 144. Foerster, Irrlehrer, 74, sieht in dieser positiven Formulierung eine Bestätigung, dass es sich um jüdische, statt heidnische oder pythagoreische Praktiken handelt. 181 So auch Lightfoot 195; Fowl, Story, 146.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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Sinne der Kirche,182 andererseits „kommende Dinge“ (τῶν μελλόντων) als die zukünftigen Vorzüge der Gemeinde im Eschaton,183 zu deuten. Hier begegnet uns eine für das NT charakteristische Typologie (statt platonischer Scheinwirklichkeit),184 wie sie auch in der Gegenüberstellung vom alten und neuen Bund in Hebr 10,1 zutage tritt.185 18 Dieser Vers, der Exegeten vor komplexe lexikalische und syntaktische Herausforderungen stellt, gehört zu den schwierigsten im ganzen NT. In struktureller Hinsicht steht er parallel zu 2,16 und beginnt mit einem ähnlichen Imperativsatz: Keiner soll euch richten (μηδεὶς ὑμᾶς καταβραβευέτω). Die offene Formulierung zeigt, dass Paulus an die gleichen ihm namentlich nicht bekannten Personen denkt, die die KI in der Gemeinde propagieren (vgl. zu 2,8). Das Verb, das wir mit „richten“ übersetzen (καταβραβέυω), kommt weder im NT noch in der LXX ein weiteres Mal vor. Auch in außerbiblischen Quellen ist es selten anzutreffen.186 Seine Bedeutung ist dementsprechend umstritten. Die einfache Verbform βραβέυω ist ein t.t. aus dem Sportwesen und beschreibt die Tätigkeit eines Schiedsrichters,187 hat aber im übertragenen Sinne die einfache Bedeutung „richten“ (vgl. 3,15).188 Viele Forscher entnehmen dem Präfix κατα- die Nuance „gegen“ und verstehen das Kompositum im Sinne von „disqualifizieren“.189 Es bleibt aber spekulativ, ob es wirklich diese Bedeutung tragen kann.190 Seit Chrysostomus (vgl. 7. Homilie zum Kol, a.a.O.) wird die These gelegentlich vertreten, dass das Verb „jemanden des 182 Z.B. Gnilka 148; Luz 224; Barth/Blanke 341-342. Auslegungsversuche, die τὸ δὲ σῶμα τοῦ Χριστοῦ als Akk. Obj. des Verbs κρινέτω (vgl. Martin, Everyone, 254-255) oder des Verbs καταβραβευέτω (vgl. Moir, Thoughts, 363-365) auffassen, setzen diese Deutung voraus. Die Syntax des Satzes wird jedoch durch beide Vorschläge umständlicher als bei der Annahme, dass es sich beim Ausdruck um einen Solözismus bzw. ein Gen. poss. handelt, der dem Satz einen akzeptablen Sinn verleiht. 183 Vgl. z.B. Foster 283-284. 184 Vgl. Schweizer 120; Wright 119-121; Barth/Blanke 340; Bird 84-85; Son, σῶμα, 236237. 185 Laut Martin, Everyone, 254-255 verteidige der AutKol die Einhaltung von Speiseregeln und Feiertagen seitens der Gemeinde in Kolossä als einen Vorgeschmack zukünftiger Realitäten gegenüber den Vertretern der KI, die diese abwerten. Seine originelle Auslegung ist angesichts der Parallele in Hebr 10,1, wo der Ausdruck σκιὰ τῶν μελλόντων eindeutig die Minderwertigkeit der Einrichtungen des alten Bundes im Vergleich zum neuen Bund konnotiert, nicht haltbar. Vgl. Cole, Christian, 276-277. 186 Für eine ausführliche Analyse des außerbiblischen Vorkommens vgl. Beetham, Echoes, 202-203. 187 Vgl. Barth/Blanke 342. 188 Vgl. Gnilka 148. 189 Vgl. Francis, 164; Pokorný 132; Schweizer 122; Harris 120; Martin, Philosophy, 136; Dunn 177; Bormann 143. 190 Vgl Moo 224.
254
II. Auslegung
Preises berauben“ bedeutet.191 Für die bewusste Heranziehung einer Metapher aus dem Bereich Sport gibt es aber keinen kontextuellen Anhaltspunkt.192 Wenn überhaupt, dann haben wir es hier mit einer verblassten Metapher zu tun, sodass eine allgemeine Deutung im Sinne von „richten“ wegen der Parallele zu 1,16 vorzuziehen ist.193 Warum die Vertreter der KI ein negatives Urteil über die aus ihrer Sicht defizitäre Frömmigkeitspraxis der Kolosser treffen bzw. was für eine geistliche Haltung hinter diesem Urteil aus der Sicht des Paulus steht, führt er in 2,18-19 durch jeweils zwei Partizipialkonstruktionen (θέλων κτλ und ἐμβατεύων κτλ bzw. φυσιούμενος κτλ und οὐ κρατῶν κτλ) aus.194 Was die Praktiken der Irrlehrer betrifft, ergänzt der Apostel seine Beschreibung in 1,16 um zwei weitere Charakteristika: Ihre Befürworter haben am Fasten und an der Verehrung der Engel Gefallen (θέλων ἐν ταπεινοφροσύνῃ καὶ θρησκείᾳ τῶν ἀγγέλων). Das eigenartige Vokabular lässt den Eindruck entstehen, dass wir es hier mit der Ausdrucksweise der Vertreter der KI zu tun haben. Über die Bedeutung des Partizips θέλων sind die Kommentatoren alles andere als einig. Dass es sich auf das unmittelbar vorhergehende Verb καταβραβεύω bezieht, scheint nahezuliegen, auch wenn ab und zu andere Lösungsversuche unternommen werden.195 Die einfachste Erklärung wäre, dass das Partizip für sich allein steht und die Bedeutung „wollend“ trägt mit der Konnotation „nach eigener Wahl“ in diesem Kontext.196 Das Problem mit dieser Lösung ist, dass sie tautologisch wirkt, denn jeder, der handelt, will das tun, was er tut. Es müsste einen triftigen Grund geben, warum dies im gegenwärtigen Zusammenhang besonders betont werden sollte. Besser verfährt man, wenn man θέλων mit der Präp. ἐν zusammennimmt und als standardisierte Redewendung und im Sinne von „bestehend auf“197 oder – am wahrscheinlichsten – als Septuagintismus mit der Bedeutung „Gefallen habend an“ auffasst.198 Für Letzteres spricht, dass in der LXX ב+ „ =( הפץGefallen haben 191 192 193 194 195
Vgl. Theodor von Mopsuestia, a.a.O.; Lightfoot 195; Lincoln 632; MacDonald 111. Vgl. Yinger, Translating, 144-145. Vgl. Beetham, Echoes, 201; Maisch 183; Pao 188. Vgl. Wolter 145. Robertson, Pictures, IV, 496, will z.B. θέλων ἐν auf das folgende Nomen ταπεινοφροσύνῃ beziehen und schlägt für den daraus resultierenden Ausdruck die Bedeutung „durch bereitwillige Demut“ vor. 196 Vgl. LÜ a.a.O; Fridrichsen, θέλων, 136-137. 197 Vgl. Harris 121; Pao 188. 198 Vgl. Lightfoot 195-196; Percy 145-146; Moule 104; Gnilka 148; Pokorný 122-123; Wolter 145; Dunn 178; MacDonald 111-112; Dübbers, Christologie, 270-271; Foster 287.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
255
an“) mehrmals wörtl. mit θέλω ἐν übersetzt wird (vgl. 1Sam 18,22; 2Sam 15,26; 1Kön 10,9; 2Chron 9,8; Ps 111,1; 146,10; Koh 5,3; Mal 1,10). Die Befürworter der KI finden also zum einen großen Gefallen am „Fasten“ (wörtlich „Demut“ = ταπεινοφροσύνη).199 Der Ausdruck „Demut“ dient hier wie in den mosaischen Bestimmungen bzgl. des Versöhnungstags als Metonymie für das allein an diesem Tag im kultischen Kalender verordnete Fasten (vgl. Lev. 16,29.31; 23,27.29) und wird sonst in einigen atl. und frühjüd. Texten als Synonym für das Fasten gebraucht (vgl. Esr 8,21; Ps 34,13 LXX; Jes 58,3; Jdt 4,9; Sir 34,26; PsSal 3,8: aethHen 108,7-9). Dafür, dass dies auch hier gemeint ist, spricht auch, dass das Subst. in 2,23 in Verbindung mit Züchtigung des Leibes gesetzt wird.200 Für unsere Zwecke von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass in einigen frühjüd. Kreisen die Ansicht herrschte, das Fasten fördere die Empfangsbereitschaft für visionäre Erfahrungen, die bei der KI eine wesentliche Rolle spielten (siehe unten).201 Zum anderen geben sich die Befürworter der KI der „Verehrung der Engel“ (θρησκείᾳ τῶν ἀγγέλων) hin und verlangen dies von anderen. Wie aus dem Fehlen einer zweiten Präp. ἐν vor θρησκείᾳ zu schließen ist, hängt dieser Brauch eng mit der Betonung des Fastens zusammen.202 Seit Fred Francis wird die Bedeutung dieses Ausdrucks kontrovers diskutiert. Vor ihm wurde i.d.R. einfach angenommen, dass es sich um einen Gen. obj. handelt; m.a.W. dass die KI die Huldigung von Engelwesen propagierte.203 Francis stellte jedoch die These in den Raum, dass das Genitivattribut als Gen. subj. aufzufassen ist. Demzufolge ging es den Vertretern der KI nicht darum, die Engel anzubeten, sondern sie wollten an der Anbetung Gottes in der himmlischen Sphäre zusammen mit den Engeln beteiligt sein.204 Für die traditionelle Auslegung sprechen sich jedoch nach wie vor viele Forscher aus.205 Francis verweist zwar auf einige Stellen, wo auf das nomen regens θρησκεία ein Gen. subj. folgt, z.B. „Anbetung der Juden“ (vgl. z.B. 4Makk 5,7; Josephus, Ant 199 Dass mit „Demut“ in erster Linie Fasten gemeint ist, argumentieren u.a. Francis, Humility, 168; Dunn 178-179; Beetham, Echoes, 208-209. 200 Vgl. Wolter 145-146. 201 Vgl. Francis, Humility, 168-171; Sappington, Revelation, 65-66. 202 Vgl. Harris 121; Barth/Blanke 344-346. 203 So Arnold, Syncretism, 90-91. Vgl. (vor Francis) Lightfoot 196; Abbott 268. 204 Folgende Autoren folgen Francis: Lincoln, Paradise, 112; Carr, Angels, 69-71; O’Brien 142-143; Rowland, Visions, 75-77; Barth/Blanke, 345, Dunn, 180-81; Sappington, Revelation, 158-59; Evans, Mystics, 197-201; Lane, Creed, 216-218; Smith, Perspective, 122-127; Harris 121; Wolter 146; Dunn 179-182; Bormann 144-145; Bird 86. 205 Arnold, Syncretism, 90-102; Schweizer 122-123; Luz 217; Maisch 190; Dübbers, Christologie, 271-272; Moo 227; Pao 188-189; Foster 288-290.
256
II. Auslegung
12,253),206 aber Arnold zeigt, dass das Wort in solchen Kontexten die Bedeutung „religiöse Praxis“ bzw. „Religion“ im Allgemeinen trägt (wie bei seinem sonstigen Vorkommen im NT; vgl. Apg 26,5; Jak 1,26-27) und nicht den spezifischen Akt der Anbetung meint.207 Weiter konnte Arnold überzeugend darlegen, dass überall sonst, wo der Name bzw. die Namen oder die Bezeichnung für ein übernatürliches oder mehrere übernatürliche Wesen im Genitiv auf θρησκεία folgt, stets zum Ausdruck gebracht wird, dass diese Wesen von Menschen verehrt oder angebetet werden.208 Die traditionelle Auslegung scheint also nach wie vor die korrekte zu sein. Manche Kommentatoren schließen aus der Praxis der „Anbetung der Engel“, dass wenigstens dieser Aspekt der KI nicht auf jüdische Wurzeln zurückgeführt werden kann.209 Mit einem solchen Urteil muss man aber zurückhaltend sein. Denn es ist unklar, was Paulus in textpragmatischer Hinsicht mit dem Ausdruck θρησκεία erreichen will. Wir wissen z.B. nicht, ob dieser als „emic“ (Insider) oder „etic“ (Outsider) Terminus aufzufassen ist (zum Begriffspaar emic/etic und seiner Wichtigkeit für die Exegese vgl. S. 35, Anm. 1). Wir können m.a.W. nicht sagen, ob die Vertreter der KI tatsächlich selbstbewusst die Anbetung von Engelwesen betrieben („emic“ Perspektive), oder ob Paulus ihnen nur vorwarf, sie beteten die Engel an („etic“ Perspektive), während seine Kontrahenten von sich behaupteten, ihnen bloß besondere Ehrerbietung, aber keine Anbetung im engeren Sinne entgegenzubringen (etwa analog zur Rolle der Heiligen in der röm.-kath. bzw. orthodoxen Tradition).210 Überhaupt muss man aus methodischer Sicht äußerst vorsichtig sein, von unserer Warte aus ein Urteil zu treffen bzgl. dessen, was im kleinasiatischen Diasporajudentum des 1. Jh.s n.Chr. als „jüdisch“ gelten darf. Entscheidend dafür ist nicht etwa, ob rabbinische Kreise in Jerusalem die Glaubensinhalte und Praktiken der Juden in der Region für „orthodox“ – selbst der Begriff ist anachronistisch – gehalten hätten, sondern, ob die judaisierende Gruppierung, die die KI vorantrieb, die Verehrung von Engelwesen mit ihrem jüd. Glauben für vereinbar hielt. In der Tat gibt es Indizien, dass Engelverehrung „ein generelles jüdisches Phänomen in dieser Zeit“ war.211 Sie ist in den Sabbatliedern
206 207 208 209 210 211
Vgl. Francis, Humility, 180. Vgl. Arnold, Syncretism, 91-92. Ebd. 92-93. Vgl. z.B. Smith, Perspective, 125-126. Vgl. dazu Pokorný 96-97. Berger 738.
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aus Qumran auf jeden Fall belegt (vgl. 4Q400.2; 4Q401.14.i; 4Q403.1)212. Auch der früheste Kommentar zum Kol, Theodorets Interpretationes in Pauli epistolas (vgl. PG 82, 613A), verweist bereits auf einen jüd. Hintergrund der Engelverehrung in Kolossä: „Die Verfechter des [jüd.] Gesetzes brachten ihnen auch bei, Engel anzubeten, denn sie meinten, dass durch jene das Gesetz gegeben wurde.“213 Eine Art Engelverehrung oder -huldigung scheinen also die Vertreter der KI gefordert zu haben. Vermutlich hätten sie bestritten, dass sie Engel tatsächlich anbeteten – es ist wohl eher die Ansicht des Apostels, dass ihre Praxis der Anbetung gleichkommt. Vielmehr empfahlen sie die Schau der Engel als ermutigende, heilsbestätigende Erfahrung.214 Eine vorbildliche jüd. Frömmigkeit (vgl. zu 2,16.18) und asketische Praktiken, insbes. das Fasten, förderten ihrer Überzeugung nach solche visionären Erfahrungen. Diese waren, wie Sappington überzeugend darstellt, ein fester Bestandteil der jüdischen Mystik, die in viele Gruppierungen des Frühjudentums hineinwirkte und ihre Glaubenspraxis beeinflusste.215 Paulus beschreibt die KI weiter, indem er von einem spricht, der dauernd auf das eingeht, was er in Visionen gesehen hat (ἅ ἑόρακεν ἐμβατεύων). Der Relativsatz, den wir auf diese Weise wiedergeben, „gehört zu den größten Rätseln des Kol“.216 Das ntl. Hapaxlegomenon hat die Grundbedeutung „eingehen“ oder „in Besitz nehmen“ (vgl. 1Makk 12,25; 13,20; 14,31; 15,40; 2Makk 2,30). Spätestens seitdem Martin Dibelius die These in den Raum stellte, dass der Begriff als t.t. der Mysterien aufzufassen und entsprechend auszulegen ist, wird er in der Forschung intensiv diskutiert. Dibelius ist aufgefallen, dass das Verb öfter auf Inschriften aus dem 2. Jh. n.Chr. im ApollonHeiligtum des nahe gelegenen Klaros im Zusammenhang mit der Befragung des dortigen Orakels auftaucht. Er schloss daraus, dass es bei diesen Mysterien einen Initiationsritus bezeichnet, dem sich die Apollon Geweihten unterziehen mussten, bevor sie das Heiligtum betreten durften. Solche Initiationsriten wä-
212 Vgl. Schwemer, Gott, 100. 213 Vgl. Huttner, Christianity, 128-129, der allerdings davor warnt, diesen Beleg überzubewerten, da Theodoret Kol 2,18 als Ausgangspunkt für die im 4. Jh. vom Konzil in Laodizea verbotene christliche Engelverehrung in Kleinasien versteht. 214 Ähnlich Pao 189-190. 215 Vgl. Sappington, Revelation, 55-88. 216 Wolter 147. Auf Auslegungsoptionen, die auf der Basis von Textemendationsversuchen erfolgen (vgl. Lightfoot 197; Ewald 400), gehen wir hier nicht näher ein. Vgl. dazu Barth/Blanke 346-347. Solche Eingriffe in den Text sind Verlegenheitslösungen, für die es keinen triftigen Grund gibt.
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II. Auslegung
ren also die Zugangsvoraussetzungen für die Teilnahme an den Mysterien der KI.217 Francis konnte allerdings Dibelius überzeugend entgegenhalten, dass der Begriff in Wirklichkeit keine technische Bedeutung, sondern bloß in diesem Kontext die Konnotation von „einweihen“ trägt, weil man bei der Initiation, entsprechend der Grundbedeutung des Lexems, tatsächlich in den Tempel hineinging. Seinerseits vertritt Francis die Position, dass mit ἐμβατεύω ein Betreten der himmlischen Sphäre gemeint ist.218 Laut Francis geschieht dies in visionären Erfahrungen, durch die man sich dort der Anbetung Gottes mit den Engeln (vgl. dazu oben) anzuschließen vermag. Francis gelingt es aber nicht, befriedigend zu erklären, warum Paulus für eine so einfache Konzeption ein so seltenes Wort gebraucht. Beide Deutungsversuche setzen voraus, dass sich das Part. auf das Verb ἑόρακεν bezieht und dass der Relativsatz so viel wie „welche Dinge er bei seiner Einweihung gesehen hat“ (Dibelius) oder „welche Dinge er beim Eintreten der himmlischen Sphäre gesehen hat“ (Francis) bedeutet. Wahrscheinlicher ist, dass sich das Part. ἐμβατεύων wie die anderen Part. in 2,18-19 auf das Hauptverb καταβραβευέτω bezieht (vgl. zur Struktur auf S. 249-250). In diesem Fall ist der Begriff am ehesten metaphorisch aufzufassen. Manche Autoren weisen z.B. darauf hin, dass er im übertragenen Sinne so viel wie „sich intensiv beschäftigen“ oder „genau untersuchen“ bedeuten kann (vgl. 2Makk 2,30; Philo, Plant 80).219 Demnach sind die Vertreter der KI „nur noch beschäftigt mit dem, was sie gesehen haben“. Möglich wäre auch eine metaphorische Erweiterung dieser Redewendung im Sinne von „dauernd erzählen“.220 Auch im Deutschen kann man verbal „auf etwas eingehen“. Das scheint hier gemeint zu sein. Demnach ist das Relativpron. nicht syntaktisch auf die vorhergehenden Nomina (Fasten und Engelverehrung) zu beziehen, stünde aber im logischen Zusammenhang mit diesen Praktiken im Sinne eines verbindenden Glieds. Fasten verschafft nämlich nach der KI günstige Bedingungen für visionäre Erfahrungen, in denen die Engelmächte offenbar werden, und ermöglicht somit ihre angemessene Huldigung. Paulus bewertet die geistliche Haltung hinter den Praktiken der KI negativ: Ein solcher hält viel von sich, hat aber dazu keinen Grund, denn seine 217 Vgl. Dibelius, Isisweihe, 30-79. Dibelius folgen u.a. im Wesentlichen Lindemann 4849, Pokorný 123-124, Hübner 88-89, Maisch 200-202, Bormann 146 und Foster 291292. 218 Vgl. Francis, Humility, 171-176. So auch Schweizer 123-124; Dunn 182-184; Pao 190. 219 Vgl. Abbot 269; Lohmeyer 124; Luz 217. 220 Vgl. Moo 227-228.
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Gesinnung ist fleischlich (εἰκῇ φυσιούμενος ὑπὸ τοῦ νοὸς τῆς σαρκὸς αὐτοῦ). Das Part., das wir mit er hält viel von sich übersetzen (φυσιούμενος), beschreibt zusammen mit den anderen Part. in 2,18-19 das, was der Richtende in 2,18a tut. Das Verb heißt wörtl. im Pass. „aufgeblasen sein“ und begegnet uns sonst nur im 1. Korintherbrief (1Kor 4,6.18.19; 5,2; 8,1 [Akt.]; 13,4). In Korinth habe es also auch Leute gegeben, die aufgrund ihrer besonderen geistlichen Einsichten (vgl. z.B. 1Kor 8,1.4; 13,2) und Erfahrungen (vgl. z.B. 1Kor 13,1) „aufgeblasen“ waren, und Paulus bekämpfte sie mit ähnlichen rhetorischen Mitteln. Zum Stolz haben die Vertreter der KI jedenfalls keinen Grund (εἰκῇ; wörtl. heißt es, sie sind „umsonst“ aufgeblasen – auch dieser Ausdruck ist typisch paulinisch; vgl. Röm 13,4; 1Kor 15,2; Gal 3,4; 4,11; sonst nur in Spr 28,25), denn die visionären Erfahrungen des einzelnen, die er seiner typisch jüd. Frömmigkeit und vor allem dem Fasten zuschreibt, erfolgen in Wirklichkeit „aufgrund der Gesinnung seines Fleisches“ (so wörtl.: ὑπὸ τοῦ νοὸς τῆς σαρκὸς αὐτοῦ). Von der Gesinnung (νοῦς) spricht Paulus im Gegensatz zu den anderen Autoren des NT häufig (außerhalb des CP kommt der Begriff nur noch in Lk 24,45 und Offb 13,18; 17,9 vor), denn ihm ist es – gut atl. – stets wichtig, mit welcher Herzenshaltung religiöse Bräuche wie das Fasten praktiziert werden; selbst Beschneidung ist wertvoll als Zeichen der wirklichen Treue zu Gott (vgl. Röm 3,1-3). Aber im Falle der KI ist die Gesinnung der Asketen, die sich sicherlich für überdurchschnittlich „geistlich“ hielten, eigentlich fleischlich (τῆς σαρκὸς). Zum ersten Mal im Kol begegnet uns in dieser ironischen Bemerkung221 der Begriff „Fleisch“ mit der für Paulus charakteristischen Bedeutung. Hier geht es offensichtlich nicht um den Stoff, aus dem der menschliche Körper besteht (wie bisher im Kol), obwohl dieser auf nicht genauer definierbare Weise mit der Neigung des Menschen im sterblichen Leib zur Sünde zusammenhängt (vgl. Röm 6,12; 7,25) und die Abschaffung derselben sogar in der Beschneidung – dem Entfernen eines kleinen entbehrlichen Teils des Körpers – symbolisch dargestellt wird (vgl. zu 2,11). Es geht für Paulus vielmehr darum, dass die Gedanken des mit Gott nicht versöhnten Menschen Gott gegenüber feindlich sind (vgl. Röm 8,7), und die Praktiken, die aus einer solchen Gesinnung hervorgehen, nicht Gott, sondern, wie Paulus hier und in 2,20-23 ausführt, der eigenen Eitelkeit dienen. 19 Die fleischliche Haltung des in 2,18a Richtenden ist darauf zurückzuführen (vgl. epex. καί), dass er die Verbindung zum Haupt verloren hat (καὶ οὐ κρατῶν τὴν κεφαλήν). Das Haupt ist natürlich Christus, wie einige 221 Vgl. Pao 191.
260
II. Auslegung
Textzeugen durch die Einfügung von Χριστὸν an dieser Stelle (vgl. die textkritische Anmerkung zu 2,19) unmissverständlich machen wollten. Damit wird noch einmal auf die Beschreibung von Christus als „Haupt des Leibes, der Gemeinde“ im CL (vgl. 1,18 mit 2,10) Bezug genommen. Die Faszination der Vertreter der KI mit den von Christus geschaffenen Mächten und Gewalten, die zu ihrer Verehrung führte, ist für Paulus der Beweis, dass diese Menschen nicht mehr an Christus „festhalten“ (so wörtl.: κρατέω). Die ungewöhnliche Negation eines Partizips mit οὐ statt μή verstärkt die verneinte Aktion: Ein solcher hat überhaupt keine Verbindung mehr zum Haupt.222 Menschen in der Antike waren gewohnt, halbfertige Statuen auf öffentlichen Plätzen zu sehen, denen der Kopf (der im Gegensatz zum Körper kein Massenprodukt, sondern individuell angefertigt und später daraufgesetzt wurde) noch fehlte. Sie hatten somit vielleicht einen stärkeren Eindruck als wir, dass die Identität einer Person im Kopf angesiedelt sei und dass der Körper diese Identität vom Kopf verliehen bekomme.223 Dieser Gedankenkomplex erweckt beim Apostel das drastische Bild von vom Körper getrennten Körperteilen, das ihn veranlasst, die Körpermetaphorik gegenüber ihrer Funktion in 1Kor 12 in eine neue Richtung zu entfalten. Ging es dort um die Verbindung der Körperglieder untereinander als Bild der Zugehörigkeit der Gemeindeglieder zu- bzw. ihrer Abhängigkeit voneinander, so handelt es sich an unserer Stelle um die Abhängigkeit der Gemeinde von ihrem Haupt, aus dem der ganze Leib … zur von Gott geschenkten Größe heranwächst (ἐξ οὗ πᾶν τὸ σῶμα … αὔξει τὴν αὔξησιν τοῦ θεοῦ). Sowohl die constructio ad sensum im Hinblick auf das Relativpron. (κεφαλή ist fem. und verlangte ἧς statt des mask. οὗ; Paulus denkt offensichtlich an Christus) als auch die figura etymologica wie auch das etwas umständliche Genitivattribut (τοῦ θεοῦ; am ehesten subj. Gen.) erschweren die Deutung einzelner Aspekte dieses Relativsatzes. Auch die kuriose physiologische Vorstellung, dass der Körper vom Kopf aus heranwächst, stört moderne Leser zunächst. Dies entspricht wohl der antiken Vorstellung, dass die Versorgung des Körpers vom Kopf – nach der Anthropologie des Hippokrates dem Hauptorgan des Körpers –224 ausgeht.225 Dennoch malt Paulus ein plastisches Bild aus, das als Metapher trotz ihrer Komplexität gelingt. Der Leib (σῶμα) ist im Gegensatz zum Kopf unterentwickelt – das Bild ist bewusst grotesk; so soll es eigentlich nicht sein – und 222 223 224 225
Vgl. Harris 123. Vgl. Canavan, Clothing, 120-121. Vgl. Gnilka 153. Vgl. Dunn 185-186.
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bedarf noch einiges an Wachstum (αὔξησις), bevor er die dem Kopf entsprechende Größe, die Gott ihm schenken will,226 erreicht. Dieses Wachstum hängt aber auch davon ab, dass der Leib durch die Gelenke und Bänder versorgt und zusammengehalten wird, (διὰ τῶν ἁφῶν καὶ συνδέσμων ἐπιχορηγούμενον καὶ συμβιβαζόμενον). Gelenke und Bänder (ἁφαί καὶ σύνδεσμοι) sind gängige anatomische Begriffe für Körperteile, mit denen die Menschen damals durch ihre unmittelbare Beteiligung an der Schlachtung von Tieren mindestens genauso gut vertraut waren wie wir. Durch die Gelenke wird nach antiker Vorstellung der ganze Leib versorgt (ἐπιχορηγούμενον: Pass. Part. von ἐπιχορηγέω) – d.h. durch sie flossen Nahrung und Lebenssäfte zu allen Gliedmaßen hin (vgl. Eph 4,12; dort gebraucht Paulus das gleiche Bild) –,227 während er von den Bändern zusammengehalten (συμβιβαζόμενον: Pass. Part. von συμβιβάζω) wird.228 Was Paulus durch diese einprägsame Metapher sagen will, ist klar. Sie ist eigentlich eine Allegorie im Kleinformat. Der Leib stellt, wie im CL, auf das hier implizit Bezug genommen wird (vgl. zu 1,18), selbstverständlich die Gemeinde dar.229 Die Gelenke und Bänder sind die Lehrer, die die Gemeinde mit geistlicher Nahrung – der Botschaft von Christus – versorgen, sodass die Glieder stark und der ganze Leib reif werden. Aber die Irrlehrer in Kolossä haben die Verbindung zum Haupt des Leibes – Christus selbst – verloren, sodass die Nahrungszufuhr unterbrochen wird und der Körper leidet. Damit wird ein verheerendes Urteil über die Vertreter der KI gefällt, das vielleicht wegen seiner Subtilität umso wirksamer ist. Das ist Dekonstruktion vom Feinsten.
IV Zusammenfassung Paulus sieht in der KI eine große Gefahr für die Gemeinde in Kolossä. Das macht der warnende Ton, den er bereits in 2,4 und 2,8 angeschlagen hat, deutlich genug. Die Warnungen blieben aber bisher allgemein. In diesem Abschnitt erhebt er wieder seine warnende Stimme, geht aber näher auf die Praktiken und Ansichten ein, die in seinen Augen mit dem Evangelium, das die Kolosser durch Epaphras empfingen, unvereinbar sind. Das sind u.a. typisch
226 227 228 229
So auch Harris 124; Pao 192. Vgl. Gnilka 153. Vgl. zur technischen Bedeutung dieser Begriffe Lightfoot 198-200. Vgl. Schweizer 125. Kontra Dibelius 36 (gefolgt u.a. von Kooten, Christology, 53-58), der darin einen Verweis auf den stoischen „Weltleib“ sieht. Aber die Anspielung auf das Haupt im CL ist offensichtlich, und der Bezug zur Gemeinde, egal ob τῆς ἐκκλησίας ursprünglich zum Lied gehörte oder später vom AutCL oder AutKol hinzugefügt wird, ist im gegenwärtigen Kontext eindeutig.
262
II. Auslegung
judaisierende Eigentümlichkeiten wie die Einhaltung von Speiseregeln und Feiertagen (vgl. 2,16), die uns sonst vor allem im Gal begegnen. Insbes. Gal 4,1-7 beleuchtet die Argumentation des Apostels an unserer Stelle, denn dort will Paulus die Christen in Galatien davon überzeugen, dass die Vorschriften des mosaischen Bundes eine aus heilsgeschichtlicher Perspektive zeitlich begrenzte Funktion haben. Analog zur Phase der Minderjährigkeit des Erben, dem Regeln und Bestimmungen auferlegt werden, obwohl er ein freier Mann ist, wurden dem Volk Gottes ebenso solche kultischen Bestimmungen bis zum Kommen des Messias auferlegt. Nun aber gelten diese nicht mehr, und jeglicher Versuch, die Nachfolger des Messias dazu zu zwingen, dass sie diesen folgen, gleicht einem Schritt zurück in die Sklaverei. Dieselbe Logik prägt die Ausführungen des Paulus an unserer Stelle, auch wenn seine Argumentationsweise nicht heilsgeschichtlich, sondern typologisch ist. In 2,17 verwendet er das Bild eines Körpers, der am helllichten Tag einen Schatten erzeugt. Die Bestimmungen des alten Bundes stellen den Schatten dar; der Körper, der den Schatten wirft, ist Christus. Sich dem Schatten zuzuwenden, bzw. dem Abriss des Körpers, der ihn verursacht, größere Bedeutung zuzuschreiben als dem Körper selbst, wäre absurd. Genauso wenig sinnvoll ist es, den überholten Bestimmungen der Vergangenheit Folge zu leisten, nachdem der Messias, auf den sie hindeuten, erschienen ist. Auch asketische Praktiken spielten bei der KI eine wichtige Rolle. Diese wurden, insofern die kärgliche Information, die diese Stelle bietet, ein zuverlässiges Urteil erlaubt (andere Quellen stehen uns leider nicht zur Verfügung), in Zusammenhang mit mystischen Erfahrungen gebracht. Wahrscheinlich glaubten die Vertreter der KI, dass sie sich insbes. durch das Fasten Zugang zur himmlischen Sphäre verschaffen konnten. Dort begegneten ihnen Engelwesen, durch die sie Ermutigung und Trost zu erfahren behaupteten, und diesen brachten die Irrlehrer im Gegenzug besondere Ehrerbietung dar. Den Gläubigen in Kolossä legten sie solche Praktiken mit entsprechender Aussicht auf ähnliche geistliche Erfahrungen nahe. Gerade an dieser Stelle sind Forscher immer wieder geneigt, die Quelle solcher asketischen Tendenzen in nichtjüd. Traditionszusammenhängen zu suchen. Diese können jedenfalls unter den judaisierenden Kreisen, die ihren Einfluss sonst überall in den Gemeinden des paulinischen Wirkungsbereiches geltend gemacht haben, nicht nachgewiesen werden. Wie aber Francis, Sappington und andere inzwischen überzeugend darstellen konnten, gab es in verschieden jüd. Gruppierungen des 1. Jh.s n.Chr. ähnliche Praktiken und Ansichten. Damit erübrigen sich Erklärungsversuche, die auf etwaige Parallelen in den Mysterien oder unter den philosophischen Schulen hinweisen.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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Wie dem auch sei, das Urteil des Paulus über die Frömmigkeitspraktiken fällt uneingeschränkt negativ aus. Die visionären Erfahrungen der Irrlehrer sind dem Apostel zufolge nicht, wie sie meinen, das Zeichen besonderer Geistlichkeit. Im Gegenteil, sie belegen eine fleischliche – d.h. gegen Gott gerichtete – Gesinnung, denn alles, was die Aufmerksamkeit der Gläubigen von ihrem Haupt ablenkt, baut nicht auf, sondern schwächt und verhindert das Wachstum des Leibes, d.h. der Gemeinde. Der christologische Eifer des Apostels erinnert an die atl. Betonung der Herrlichkeit Jahwes, der diese nicht mit anderen Göttern teilt (vgl. z.B. Jes 42,8), oder auch an die Verklärung Jesu, bei der dem Vorschlag des Petrus, Altäre für Mose und Elija neben einem für Jesus zu errichten, eine an Deutlichkeit kaum zu überbietende himmlische Absage erteilt wurde (vgl. Mt 17,1-8 par). Im Zeitalter des Pluralismus muss sich die Kirche dieses Erbes neu besinnen und, auch wenn dies Anstoß erregt, auf die Einzigartigkeit der Offenbarung Gottes in Christus hinweisen. Ein anderes Evangelium kennt sie nicht. Selbstverständlich muss diese Botschaft gegenüber Andersgläubigen demütig und respektvoll in Form einer Einladung zum Dialog verkündet werden. Dennoch darf der wahre Nachfolger Christi ihn nicht vor den Menschen verleugnen (vgl. Mt 10,32-33). Hier ist Weisheit und Feingefühl gefragt. Das gilt auch für ökumenische Gespräche, für die dieser Abschnitt auch relevant ist. Als Protestant sollte man unbedingt wahrnehmen, dass andere kirchliche Traditionen die Ehrerbietung der Heiligen bzw. an sie gerichtete Gebete nicht als Anbetung verstehen, sich aber nicht verbieten, die Frage dennoch zu stellen, ob diese Praxis wirklich in Einklang mit der apostolischen Lehre zu bringen ist. Diesbezügliche Kritik Luthers und der anderen Reformatoren an der röm.kath. Kirche rückte bald hinter heftigen Debatten über Dogmen, insbes. die Rechtfertigungslehre, in den Hintergrund. Sola gratia wurde aus geschichtlichen Gründen heißer umkämpft als solus Christus, und Röm und Gal – wenigstens in evangelischen Kreisen – höher geachtet als Kol und Eph. Wenn aber Letztere wieder als vollwertig paulinisch anerkannt werden könnten, würden andere Fragen an Bedeutung gewinnen. Im Übrigen wären alle Traditionen angehalten, ihre Frömmigkeitspraxis zu überprüfen und am Maßstab des Kol zu messen: Alles, was von Christus ablenkt, muss kritisch betrachtet werden. Gerade die Anforderungen der Ökumene und erst recht der pluralistischen Gesellschaft, in der wir leben, verlangen eine Konzentration auf das Wesentliche des Evangeliums. Das ist für Paulus selbstverständlich Christus selbst.
264
II. Auslegung
2.3. Schlüsse aus der Tauferfahrung der an Christus Gläubigen (2,20–3,4) 2.3.1. Unterwerft euch nicht den Mächten, denen ihr mit Christus in der Taufe verstorben seid (2,20-23)
I Übersetzung 20 Da ihr nun mit dem Messias den Elementarmächten der Welt abgestorben und somit von ihnen befreit seid, warum unterwerft ihr euch ihnen, als lebtet ihr noch in der Welt? 21 „Berühre das nicht!“ „Iss dies nicht!“ „Taste jenes nicht an!“ 22 Solche Verbote betreffen Dinge, die durch Verbrauch vernichtet werden, und sind bloß menschliche Regeln und Lehrsätze. 23 Diese haben zwar den Ruf aufgrund ihrer „Scheinheiligkeit“ und „Demut“ – damit meine ich ihre strenge Behandlung des eigenen Leibes –, Weisheit zu verleihen, sind aber ohne jeglichen Wert im Kampf gegen die Befriedigung des Fleisches.
II Struktur
Textkritische Anmerkungen. 2,20: 0278 2.*אc 365 630 1505 ar m vgmss syh sowie Ambr und Spec fügen οὖν nach εἰ ein, aber die von den besten Zeugen attestierte LA ohne οὖν ist mit NA28 als lectio brevior vorzuziehen. 2,23: 1) F G it (bo), gefolgt von Hil, Ambst und Spec, fügen τοῦ νοός nach ταπεινοφροσύνῃ ein. Auch hier bekommt die kürzere, von den besten MSS bezeugte LA mit NA28 den Vorzug. 2) 46 B 1739 b m vgmss sowie Hil, Ambst und Spec lassen καὶ vor ἀφειδίᾳ aus. Bei so wichtigen Zeugen wäre das lectio brevior i.d.R. vorzuziehen,230 aber bei der breiten Bezeugung der vielen und teilweise ebenso wichtigen Zeugen ist dem vorsichtigen Votum von NA28 (καὶ wird in eckigen Klammern gesetzt) zuzustimmen.231 Form. Wie wir bei unseren Überlegungen bzgl. der Struktur des Kol in der Einleitung gesehen haben (vgl. S. 51), spricht einiges dafür, dass man 2,20– 3,4 als einen eigenständigen, in sich zusammenhängenden Abschnitt im Briefkorpus (2,6–4,6) betrachten soll. Sowohl 2,20 als auch 3,1 fangen mit indefiniten Konditionalsätzen in der 2. Pers. Plur. an und beziehen sich jeweils auf das Mitsterben bzw. das Mitauferstehen mit Christus. Damit wird die Taufparänese hinter 2,11-12, die den Kolossern vertraut war (vgl. a.a.O.), aufgegriffen und zwecks ethischer Ermahnung eingesetzt. Paulus zieht nämlich in 230 Vgl. Lightfoot 206. 231 Vgl. Harris 132.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
265
den beiden Perikopen dieses Abschnitts aus den zwei wesentlichen Elementen einer frühchristlichen Taufformel konkrete Schlüsse hinsichtlich des Umgangs mit der KI einerseits (2,20-23), die keine wirkliche Hilfe im Kampf gegen die fleischliche Gesinnung bietet, und der Möglichkeit wirklicher ethischer Veränderung andererseits (3,1-4). Die Ausrichtung auf die Taufparänese rechtfertigt den Versuch, die Zuordnung dieses Abschnitts bzgl. der Gesamtstruktur von Neuem zu überlegen. Die erste Perikope in diesem Abschnitt (2,20-23) stellt Ausleger, bis auf 2,23, vor keine nennenswerten Probleme. Dafür gehört 2,23 nach Meinung vieler Forscher zu den aus syntaktischer Sicht schwierigsten Stellen des NT.232 Sorgfältige lexikalische und syntaktische Analyse lässt sie jedoch trotz einer zugegebenermaßen komplizierten Ausdrucksweise als verständliche Aussage erschließen, auch wenn man noch mehr als sonst die eigene Auslegung als Provisorium betrachten muss. Wegen ihres Inhalts – sie ist eine programmatische Aussage in Bezug auf Askese – kann man auf exegetische Anstrengungen im Bemühen um ihre Bedeutung auf keinen Fall verzichten.
III Einzelexegese 20 Nach der Darstellung der KI in 2,16-19, spricht Paulus die Gläubigen in Kolossä direkt in der 2. Pers. Plur. an: Da ihr nun mit dem Messias den Elementarmächten der Welt abgestorben und somit von ihnen befreit seid … (εἰ ἀπεθάνετε σὺν Χριστῷ ἀπὸ τῶν στοιχείων τοῦ κόσμου). Es handelt sich um einen irrealen Konditionalsatz; d.h. die Schlussfolgerung in der Apodosis wird als logisch notwendig betrachtet, wenn die Behauptung in der Protasis in Wirklichkeit zutrifft.233 Weil Paulus davon ausgeht, dass dies tatsächlich der Fall ist – das ist normalerweise so, wenn die Apodosis als Frage formuliert wird –,234 lässt sich die die Protasis einführende Partikel εἰ am besten mit „da“ oder „weil“ statt „wenn“ wiedergeben. Mit diesem Nebensatz greift der Apostel seine Ausführungen in 2,11-12 wieder auf und erinnert die Gläubigen in Kolossä durch eine Anspielung auf eine (wahrscheinlich) vorpaulinische Taufparänese (vgl. Röm 6,8 sowie S. 217) daran, dass sie mit Christus gestorben sind (ἀπεθάνετε; 2. Pl. Aor. von ἀποθνῄσκω, das übliche Wort für „sterben“). Dies entspricht der „Beschneidung des Messias“, derer sie sich durch den Glauben an ihn unterzogen haben (vgl. zu 2,11). Die Elementarmächte stehen, wie wir bereits in 2,8 gesehen haben, in Anlehnung an 232 Vgl. z.B. Wolter 153; Bormann 150-151. 233 Vgl. HvS §281. 234 Vgl. Louw, Reading, 26; Bormann 148.
266
II. Auslegung
Gal 4,3 für die Vorschriften des mosaischen Gesetzes (dort insbes. die Beschneidung, die zur Einhaltung der Bestimmungen des Gesetzes – auch die kultischen natürlich, um die es in 2,16 ging – verpflichtet), die die Menschen nun, nachdem der Messias gekommen ist, nur noch versklaven. Diesen Vorschriften ist der Gläubige mit Christus abgestorben. Wörtlich heißt es „ihr seid von den Elementarmächten der Welt gestorben“ (ἀπό + part. Gen.). Es handelt sich dabei wahrscheinlich um eine Ellipse für „ihr seid den Elementarmächten der Welt gestorben und somit von ihnen befreit“.235 Die Apodosis in 2,20b, warum unterwerft ihr euch ihnen? (τί … δογματίζεσθε;), ist natürlich eine rhetorische Frage. Man könnte sie dementsprechend als Behauptung wiedergeben: „… dann gibt es keinen Grund, euch ihnen zu unterwerfen“, aber der Unterton der Enttäuschung, die in der Frage steckt, ginge dadurch verloren. Das Verb δογματίζω ist ein ntl. Hapaxlegomenon und könnte der Form nach entweder pass. mit der Bedeutung „sich befehlen lassen“236 oder med. im Sinne von „sich jemandem unterwerfen“237 gedeutet werden. Der Unterschied in der Bedeutung ist nicht groß, aber im Kontext passt die med. Deutung etwas besser. Wir haben nämlich gesehen, dass Paulus die Vorschriften des mosaischen Gesetzes metaphorisch als Elementarmächte bezeichnet, weil diese die Menschheit in einem der Sklaverei ähnlichen Zustand halten. Wenn sich die Gläubigen in Kolossä zur Einhaltung dieser Vorschriften verpflichten würden, wie dies die Vertreter der KI fordern, würden sie sich in die Gewalt der Mächte begeben, als lebtet ihr noch in der Welt (ὡς ζῶντες ἐν κόσμῳ). „Welt“ übersetzt κόσμος, meint aber nicht wie in 1,6 die von Menschen bewohnte Erde – dort lebten die Gläubigen natürlich nach wie vor –, sondern das Schema der Welt (vgl. 1Kor 7,31b) mit ihren Werten und Normen. Ihr Leben ist nicht mehr von diesem Schema bestimmt. Sie gehören diesem Weltsystem nicht mehr an, weil sie ihm wiederum mit Christus gestorben sind (vgl. Gal 6,14). Es gibt also keinen Grund mehr, seinen Vorschriften – und dazu gehören sowohl jüd. Ritualgebote als auch asketische Anstrengungen – Folge zu leisten. 21 Als Beispiel für die Vorschriften, die die Vertreter der KI den Gläubigen in Kolossä als Verhaltensnormen auferlegen wollen, erwähnt Paulus plakativ folgende drei: „Berühre das nicht!“ „Iss dies nicht!“ „Taste jenes nicht an!“ (μὴ ἅψῃ μηδὲ γεύσῃ μηδὲ θίγῃς). Das Verb γεύομαι heißt eigentlich „schmecken“ bzw. „kosten“ und steht hier als Metonymie für „Essen“. Die 235 Vgl. O’Brien 149; Harris 127. 236 Vgl. Gnilka 157; Barth/Blanke 354. 237 Vgl. Moo 234; Foster 298.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
267
ganze Palette jüd. Speiseregeln und Reinigungsriten wird mit diesem allgemeinen Verbot erfasst. Zwischen den Verben für „Berühren“ (ἅπτω) und „Tasten“ (θιγγάνω) besteht kein erkennbarer Bedeutungsunterschied (vgl. Ex 19,12).238 Obwohl einzelne Kommentatoren vermuten, dass ἅπτω einen längeren Kontakt im Sinne von „behandeln“ oder „besitzen“ konnotiert, während θιγγάνω ein flüchtiges Berühren meint,239 bleibt die lexikalische Basis für eine solche Unterscheidung fraglich.240 In manchen Kontexten wird ἅπτω euphemistisch für sexuellen Kontakt gebraucht (vgl. z.B. Gen 20,6; 1Kor 7,1), und es ist möglich, dass damit auf die sexuelle Askese der Vertreter der KI angespielt wird,241 auch wenn eine solche Praxis im vorigen Abschnitt keine ausdrückliche Erwähnung findet.242 Die genaue Bedeutung dieser Termini ist aber für unsere Zwecke nicht von großem Belang, denn das sind selbstverständlich keine wirklichen Verbote der KI als solche, sondern stellen eine sarkastische Charakterisierung der Haltung ihrer Vertreter – so bereits Chysostomus (vgl. 7. Hom. zum Kol. a.a.O.) – seitens des Paulus dar.243 22 Die negative Einschätzung des Paulus im Hinblick auf die asketischen Praktiken der KI war bereits ab 2,16 klar. Nun führt er in 2,22-23 drei Argumente an, warum sie seiner Meinung nach unnütz und sogar gefährlich sind: Erstens, solche Verbote betreffen Dinge, die durch Verbrauch vernichtet werden (ἅ ἐστιν πάντα εἰς φθορὰν τῇ ἀποχρήσει). Wörtlich heißt es: „All diese sind für die Vernichtung mittels Verbrauch.“ Das ntr. Plur. Relativpron. ἅ bezieht sich auf die plakativen Verbote in 2,21. Diese stehen metonymisch für die Dinge, insbes. Speisen und Getränke, die verboten sind.244 Die pass. Verbform „vernichtet werden“ übersetzt das Präpositionalgefüge εἰς φθορὰν; das Nomen φθορά kommt im NT noch einige Male bei Paulus (Röm 8,21; 1Kor 15,42.50; Gal 6,8) und sonst nur im 2. Petrusbrief (1,4; 2,12.19) vor. Im Kontext geht es darum, dass das von den Vertretern der KI verlangte Regiment auf Stoffe fokussiert ist, die der menschliche Körper verbraucht. Durch den Verbrauch (Dat. instr. von ἀπόχρησις; das Lexem begegnet uns nur hier in der griech. Bibel) werden diese Substanzen abgebaut und betreffen den Körper nicht mehr. Es handelt sich bei dieser kurzen Schilderung natürlich nicht um eine biologische Erklärung des Stoffwechsels, weder aus antiker noch aus 238 239 240 241 242 243
Vgl. Pokorný 128. Vgl. z.B. Lohse 181; Harris 129; MacDonald 116. So Gnilka 158; Moo 235. Vgl. Schweizer 127; Gnilka 158; Bormann 149. Kontra Moo 236; Maisch 203-204. Vgl. Lightfoot 203-204. So auch u.a. Lohmeyer 128; Lohse 181; Wolter 152; Lincoln 633-634; MacDonald 116; Moo 235; Sumney 162. 244 Vgl. Lightfoot 204; Moule 108.
268
II. Auslegung
moderner Sicht, sondern um die Beobachtung, dass Speisen und Getränke nur kurz in Berührung mit dem Körper kommen und somit keinen bleibenden Einfluss auf ihn haben. Die zweite Hälfte von 2,22 spielt, wie wir im Folgenden sehen werden, auf die Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern in Mk 7,1-8 an, und diese Tradition beeinflusst auch die Formulierung in 2,22a. Paulus scheint nämlich das Jesuslogion in Mk 7,18 an dieser Stelle zu rezipieren: „Alles, was von außen in einen Menschen hineingeht, geht in seinen Bauch – nicht sein Herz – hinein und wird ausgeschieden.“245 Zweitens, die Vorschriften der KI sind bloß menschliche Regeln und Lehrsätze (κατὰ τὰ ἐντάλματα καὶ διδασκαλίας τῶν ἀνθρώπων). Die Formulierung mit κατά (wörtl. „gemäß“) nimmt den Faden von 2,8, wo Paulus die KI als „gemäß menschlicher Traditionen“ (κατὰ τὴν παράδοσιν τῶν ἀνθρώπων) charakterisierte, wieder auf. Dieser Ausdruck ließ uns bereits dort vermuten, dass ein Zusammenhang mit der Tradition hinter Mk 7,1-15 besteht (vgl. zu 2,8). Diese Vermutung wird nun durch eine klare Anspielung – die deutlichste im Kol auf das AT – auf Jes 29,13 bestätigt. Jesaja beschuldigte seinerzeit die Schriftkundigen in Jerusalem, Gott umsonst anzubeten, weil sie „die Regeln und Lehrsätze von Menschen“ (ἐντάλματα ἀνθρώπων καὶ διδασκαλίας) lehrten. Laut Mk 7,7 (bzw. der Parallelstelle in Mt 15,9) zitierte Jesus diese Jesajastelle in seiner Auseinandersetzung mit den Pharisäern und Schriftgelehrten aus Jerusalem über ihre Reinheitsvorschriften. Es fällt auf, dass das Lexem, das wir mit „Regeln“ übersetzten (Sing. ἔνταλμα), nur an den Stellen im NT vorkommt, die Jes 29,13 explizit rezipieren (vgl. Mt 15,9; Mk 7,7; Kol 2,22). Das Wort, das wir mit „Lehrsätze“ wiedergeben (Sing. διδασκαλία), begegnet häufiger im NT, aber im Kontext ist der Bezug zu Jes 29,13 bzw. Mk 7,7 par genauso deutlich. Die Kommentatoren geben unterschiedliche Antworten auf die Frage, ob sich Paulus bzw. der AutKol an dieser Stelle unmittelbar auf Jes 29,13 bezieht246 oder diese Anspielung durch die Jesustradition vermittelt wird.247 Da es sich hier um Reinheitsvorschriften handelt und Paulus an anderen Stellen Vertrautheit mit der Tradition hinter Mk 7,1-17 unter Beweis stellt (vgl. Röm 14,14), spricht nichts gegen die Annahme, dass er auch hier diese Tradition referiert.248 Das gilt erst recht, wenn jene Vorschriften nicht bloß eine
245 U.a. bemerkt Wolter 152 die Parallele. 246 Vgl. Gnilka 158-159; Wilson 228; Beetham, Echoes, 218. 247 Vgl. Lightfoot 204-205; Pokorný 129; Wolter 152-153 (etwas vorsichtig); Dunn 192194; Moo 237-238; Sumney 163-164. 248 Vgl. Wenham, Paul, 387.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
269
zufällige Ähnlichkeit mit pharisäischen Bräuchen aufweisen, sondern, wie wir meinen, demselben frühjüd. Boden entstammen. Wie dem auch sei, für Paulus ist klar, dass der ganze Katalog an Regeln, denen die Vertreter der KI so emsig folgen und deren Einhaltung sie von anderen fordern, nicht Gotteswerk, sondern menschliche Konstruktion ist, und von daher genauso vergeblich wie die leeren Frömmigkeitsgesten, die Jesaja einst beklagte. 23 Drittens, diese Vorschriften haben zwar aufgrund ihrer „Scheinheiligkeit“ und „Demut“ – damit meine ich ihre strenge Behandlung des eigenen Leibes – den Ruf, Weisheit zu verleihen, sind aber ohne jeglichen Wert im Kampf gegen die Befriedigung des Fleisches (ἅτινά ἐστιν λόγον μὲν ἔχοντα σοφίας ἐν ἐθελοθρησκίᾳ καὶ ταπεινοφροσύνῃ καὶ ἀφειδίᾳ σώματος οὐκ ἐν τιμῇ τινι πρὸς πλησμονὴν τῆς σαρκός). Hinter dieser Übersetzung verbirgt sich einer der schwierigsten Sätze im ganzen NT, an dem sich bereits viele Exegeten die Zähne ausgebissen haben. Bevor wir uns mit seiner undurchsichtigen Syntax befassen, müssen wir uns über die Funktion bzw. Bedeutung einiger teilweise seltener Begriffe im Klaren sein. Das Relativpron. ἅτινα (Nom. ntr. Plur. von ὅστις) bezieht sich, wie das einfache ἅ in 1,22 auf die Gebote,249 die – wie dort metonymisch – für die Einhaltung derselben stehen. Das häufig vorkommende Lexem λόγος hat ein breites Bedeutungsspektrum; in diesem Zusammenhang passt die Nuance „Ruf“ oder „Ansehen“ am besten.250 Das darauffolgende Genitivattribut σοφίας ist als Gen. part. aufzufassen. Demnach handelt es sich um einen Ruf hinsichtlich der Weisheit. Gemeint ist wohl die Einschätzung der Vertreter der KI, dass ihre Vorschriften Weisheit fördern oder verleihen. Das Nomen ἐθελοθρησκία befindet sich erstmals in der gesamten griech. Literatur an dieser Stelle. In solchen Fällen ist man auf etymologische Analyse angewiesen, um sich der Wortbedeutung zu nähern. Das Kompositum lässt sich in ἐθελο- (= entweder „freiwillig“, „gerne“ oder „angeblich“)251 und θρησκεία (= „Religion“ im Allgemeinen oder „Anbetung“ im Genaueren) aufteilen. Die Kommentatoren rätseln darüber, was damit gemeint sein könnte, und bieten eine Vielfalt an Deutungsoptionen an. Diese lassen sich im Wesentlichen auf drei Möglichkeiten eingrenzen: „freiwilliger Gottesdienst“,252
249 250 251 252
So auch Pokorný 130. So Lightfoot 205; Moule 108; Reicke, Verständnis, 42; Hübner 93; Bormann 150. Vgl. Reicke, Verständnis, 45. So Gnilka 160. Ähnlich Lohmeyer 129; Pokorný 131; Barth/Blanke 360-361; Wilson 230; Lindemann 51.
270
II. Auslegung
„selbsterfundene Religion“,253 oder „Quasi-Frömmigkeit“.254 Falls der Ausdruck von den Vertretern der KI stammt,255 hat er für sie natürlich eine positive Konnotation (im Sinne der ersten Deutungsoption) und wird von Paulus leicht polemisch gebraucht (gemäß der zweiten Deutungsoption). Es fällt nämlich auf, dass das Kompositum zwei Lexeme – θέλων und θρησκεία – kombiniert, die uns zuvor in 2,18 bei der Wendung θέλων ἐν θρησκείᾳ τῶν ἀγγέλων begegneten,256 und weiter, dass das Wort ταπεινοφροσύνη auch dort vorkommt. Wir bemerkten bei unseren exegetischen Ausführungen a.a.O., dass diese Formulierungen wahrscheinlich die Ausdrucksweise der KI widerspiegeln. Wenn das stimmt, dann ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass Paulus hier ein Wortspiel einsetzt. In diesem Fall wäre das Wortgebilde in seinem Munde negativ konnotiert257 und sollte gemäß der dritten Deutungsoption ausgelegt werden: Das Gefallen (θέλων) der Vertreter der KI an der Verehrung (θρησκεία) der Engel sei in Wirklichkeit nichts anderes als „Scheinheiligkeit“ (ἐθελοθρησκεία). „Demut“ (ταπεινοφροσύνη) steht hier wie in 2,18 synekdochisch für die Askese, insbes. das Fasten (vgl. a.a.O.). Das macht auch der erklärende Zusatz (vgl. καὶ epex.) deutlich: damit meine ich ihre strenge Behandlung des eigenen Leibes (καὶ ἀφειδίᾳ σώματος). Das Wort ἀφειδία, das wir mit „strenge Behandlung“ übersetzen, begegnet selten in der griech. Literatur und nur an dieser Stelle in der griech. Bibel. Verhältnismäßig häufig hingegen findet man die Wendung ἀφειδεῖν τοῦ σώματος (vgl. z.B. Josephus, Bell 3.212),258 allerdings nicht mit Bezug zur Askese, sondern zum Zustand des den Gefahren für Leib und Leben im Krieg Ausgeliefertseins. Das „Nichtverschonen des Leibes“ (so wörtl.) lässt sich jedoch hervorragend auf asketische Praktiken übertragen. Gemeint sind im Genaueren das soeben erwähnte Fasten (vgl. zu ταπεινοφροσύνη) sowie die Speiseregeln der KI, die in 2,16 und 2,21 beschrieben wurden.259
253 So Hanssler, Satzkonstruktion, 143. Ähnlich Lightfoot 206; Lohse 185; Schweizer 128; Dunn 195; Wolter 154; Luz 217; MacDonald 117; Maisch; 205; Moo 240-241; Pao 198; Foster 303-304. 254 So Reicke, Verständnis, 46. Ähnlich Francis, Humility, 181; Fowl, Story, 149-150. 255 Vgl. Lohse 185; Gnilka 159; MacDonald 117. 256 Vgl. Wolter 153-154. 257 Vgl. Hübner 93. Hübners Vorschlag – „angeblich selbstbestimmte Frömmigkeit“ – kombiniert ohne Begründung zwei Deutungsmöglichkeiten und wirkt außerdem zu harmlos. 258 Lightfoot 206 gibt weitere Beispiele. 259 So auch Moo 241.
271
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
Zwei weitere Ausdrücke verdienen eine kurze Bemerkung, bevor wir uns der Syntax des Satzes zuwenden. Der Begriff τιμή kann an dieser Stelle entweder „Wert“ oder „Ehre“ bedeuten;260 der Nebensatz οὐκ ἐν τιμῇ τινι kann demnach meinen, dass die Vorschriften „jeglichen Wert entbehren“ oder „in keiner Weise ehrenhaft sind“. Wie wir gleich sehen werden ist die Entscheidung, die der Exeget diesbezüglich trifft, für die Auslegung des Satzes wegweisend. Schließlich heißt das Lexem πλησμονή wörtl. „Sättigung“ und begegnet mit dieser Bedeutung häufig in der LXX (vgl. z.B. Ex 16,3.8; Lev 25,19; 26,5). An unserer Stelle, dem einzigen Vorkommen des Lexems im NT, hat es die Konnotation von „Befriedigung“. In syntaktischer Hinsicht stellt 2,23 Exegeten vor ein großes Rätsel. Der Satz beginnt harmlos genug mit einem klaren Subj. (ἅτινά) und Hauptverb (ἐστιν). Die weiteren Satzteile können diesen aber nur schwerlich zugeordnet werden. Konsens besteht einigermaßen darüber, dass das Präpositionalgefüge, das wir mit „aufgrund ihrer „Scheinheiligkeit“ und „Demut“ – damit meine ich ihre strenge Behandlung des eigenen Leibes“ (ἐν ἐθελοθρησκίᾳ καὶ ταπεινοφροσύνῃ καὶ ἀφειδίᾳ σώματος) übersetzen, eine instrumentale oder begründende Sinnrichtung haben und deswegen bei der weiteren syntaktischen Analyse unberücksichtigt bleiben kann. Schwierigkeiten hingegen bereitet die korrekte Identifizierung des Prädikats. Drei Möglichkeiten bietet die Satzkonstruktion an. Die erste fasst ἐστιν periphrastisch zusammen mit dem Partizip ἔχοντα auf.261 Das kann man als Satzdiagramm wie folgt darstellen: ἅτινα
ἐστιν
ἔχοντα
λόγον
σοφίας
Subj.
Verb.
Periphr. Part.
Dir. Obj.
Gen. Attr.
haben
den Ruf
der Weisheit
welche
Demnach bilden 2,23a (ἅτινα … σώματος) und 2,23b (οὐκ … σαρκός) gleichwertige Satzteile in einer kontrastiven μέν … δέ Konstruktion. Probleme bereiten bei dieser Auffassung das Fehlen der Partikel δέ nach οὐκ,262 sowie die ungewöhnliche Position von μέν – man würde es gleich nach ἅτινά erwarten. Eine genaue Übersetzung wäre: „Einerseits haben solche Vorschrif260 Reicke, Verständnis, 48-49 will das Wort im Sinne von „Achtung“ oder „Rücksichtnahme“ auffassen, aber die daraus resultierende Auslegung erscheint kontextfremd. 261 Vgl. Harris 131. 262 Es wird von Befürwortern dieser Deutung davon ausgegangen, dass das Partikel δέ elidiert wird (vgl. z.B. Harris 131). Vgl. aber dazu Reicke, Verständnis, 41-42, der eine Elidierung des Partikels δέ kategorisch ausschließt. Auch Dunn 198 steht der These einer Elidierung skeptisch gegenüber.
272
II. Auslegung
ten den Ruf der Weisheit …, andererseits haben sie nicht irgendeinen Wert / tragen nichts Ehrenwertes im Kampf gegen das Fleisch bei.“ Die zweite Möglichkeit versteht das vorletzte Präpositionalgefüge im Satz als Prädikatergänzung des Verbs ἐστιν im Hauptsatz. Das lässt sich graphisch folgendermaßen darstellen: ἅτινα
ἐστιν
οὐκ
ἐν
τιμῇ
τινι
Subj.
Verb.
Neg.
Präp.
Präp. Obj.
Adj.
welche
sind
nicht
in
Ehre/Wert
irgendwelche
Nach dieser Deutung besteht der Hauptsatz aus ἅτινα ἐστιν … ὀυκ ἐν τιμῇ τινι πρὸς πλησμονὴν τῆς σαρκός, während λόγον μ. ἔ. σ. ἐ. ἐ. κ. τ. κ. ἀ. σώματος den Nebensatz darstellt. Eine wörtliche Übersetzung wäre: „Solche Vorschriften haben nicht irgendeinen Wert / tragen nichts Ehrenwertes im Kampf gegen das Fleisch bei, obwohl sie den Ruf der Weisheit haben …“ Die dritte Möglichkeit deutet das letzte Präpositionalgefüge im Satz als Prädikatergänzung des Hauptverbs. Das sieht im Satzdiagramm so aus: ἅτινα
ἐστιν
πρὸς
πλησμονὴν
τῆς σαρκός
Subj.
Verb.
Präp.
Präp. Obj.
Gen. Attr.
welche
sind
für
Befriedigung
des Fleisches
Nach diesem Verständnis der Syntax bildet ἅτινα ἐστιν … πρὸς πλησμονὴν τῆς σαρκός den Hauptsatz, und λόγον μ. ἔ. σ. ἐ. ἐ. κ. τ. κ. ἀ. σ. ο. ἐ. τ. τινι den Nebensatz. Demnach würde man den Vers wörtlich wie folgt übersetzen: „Solche Vorschriften sind für die Befriedigung des Fleisches, auch wenn sie, obwohl sie den Ruf der Weisheit haben, nicht irgendeinen Wert / nichts Ehrenwertes an sich haben.263 Befürworter der beiden letzteren Auffassungen der Syntax des Satzes müssen sich um eine Erklärung für die eigentümliche Position der Partikel μέν sowie das Fehlen eines entsprechenden δέ bemühen. Reickes Lösung überzeugt am ehesten. Er ist der Meinung, dass hier ein sogenanntes μέν solitarium vorliegt, das die „Prägnanz eines Wortes sowohl schriftlich wie mündlich auszudrücken“ versucht.264 Dies funktioniert analog zu einem in Klammern gesetzten Ausrufezeichen hinter einem Ausdruck in einem modernen deutschen Text als rhetorische Glosse, um Zweifel bzgl. der Eignung des gewählten, 263 So insbes. Hollenbach, Col. II.23, 254-261. 264 Reicke, Verständnis, 43. Vgl. dort die ntl. Beispiele, die er auflistet.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
273
i.d.R. unmittelbar vorhergehenden Wortes – in unserem Fall λόγον – anzumelden: „Diese Vorschriften haben den Ruf (!), Weisheit zu verleihen …“. Vielleicht spielt Paulus damit höhnisch auf den Anspruch der Vertreter der KI an, ihre Lehre enthalte „Worte der Weisheit“ (vgl. 1Kor 2,13); die Verbindung zwischen Weisheit und Askese ist u.a. bei Philo belegt (Leg All 3.72).265 Falls dies zutrifft, bemerkt der Apostel sarkastisch, dass die KI nur den „Ruf“ hat, weise machen zu können, in Wirklichkeit aber hat sie mit der Weisheit, wie sie bereits mehrfach im Kol beschrieben wurde (vgl. 1,9.28; 2,3; 3,16; 4,5), überhaupt nichts zu tun.266 Nach dieser umfangreichen lexikalischen und syntaktischen Analyse sind wir nun in der Lage, die Bedeutung des ganzen Satzes zu bestimmen. In der Auslegungsgeschichte von 2,23 gibt es hauptsächlich drei Deutungsvorschläge, die immer wieder in Erwägung gezogen werden.267 Sie unterscheiden sich darin, wie sie den Begriff τιμή sowie die syntaktische Funktion des Präpositionalgefüges οὐκ ἐν τιμῇ τινι deuten. Die wohl gegenwärtig populärste Auslegung deutet den Begriff τιμή im Sinne von „Wert“ und nimmt die letzten beiden Präpositionalgefüge (οὐκ ἐν τιμῇ τινι πρὸς πλησμονὴν τῆς σαρκός) wie folgt zusammen: „Solche Vorschriften haben den Ruf, Weisheit zu verleihen …, sind aber ohne jeglichen Wert im Kampf gegen die Befriedigung des Fleisches“.268 Diese Auslegung stimmt mit der paulinischen Anthropologie, wie sie uns etwa im Gal oder Röm begegnet, vorzüglich überein. Das Fleisch – wiederum als antigöttliche Einstellung verstanden (vgl. zu 2,18) – kann nicht mit äußerlichen Frömmigkeitsgesten bekämpft werden. Asketische Praktiken kommen an die Wurzel des Problems nicht heran und sind deswegen wertlos in diesem Kampf. Die Begierden des Fleisches werden, wie Paulus in weiterer Folge ausführt, auf eine völlig andere Art und Weise überwunden. 265 Vgl. Wolter 154. 266 Vgl. Gnilka 160. 267 Eine Auslegung, die unter den Kirchenvätern beliebt war (vgl. dazu Lightfoot 207-208), kann ausgeschlossen werden. Demnach wäre der Hauptsatz wie folgt aufzufassen: „Solche Vorschriften … dienen in keiner ehrenwerten Weise der Befriedigung des Fleisches.“ Die Logik des Satzes wäre demnach, dass es ehrbare Wege gibt, um das Fleisch zu befriedigen, die Vorschriften der KI gehören aber nicht dazu. Diese Lösung ist in syntaktischer Hinsicht akzeptabel, bescheinigt jedoch dem Text eine überaus unpaulinische Konzeption des Fleisches. Die Auffassung, dass dies unter Umständen auf ehrenwerte Weise befriedigt werden kann, spiegelt nämlich die frühmittelalterliche Dichotomie zwischen Materie und Geist wider, aber nicht die hier gemeinte Auffassung des Paulus von „Fleisch“ als gegen Gott gerichtete Einstellung. 268 Diese Deutung befürworten Lightfoot 206; Moule 108; Wright 127-128; Harris 130; Lincoln 634; MacDonald 118; Moo 238-241; Pao 197; Foster 305-306.
274
II. Auslegung
Viele Exegeten verstehen τιμή im Sinne von „Ehre“ und verleihen dem vorletzten Präpositionalgefüge (οὐκ ἐν τιμῇ τινι) einen vom letzten Präpositionalgefüge (πρὸς πλησμονὴν τῆς σαρκός) unabhängigen Sinn. Dieser Auslegung nach ist der Satz in etwa so zu deuten: „Solche Vorschriften … sind in keiner Weise ehrenhaft und dienen nur der Befriedigung des Fleisches“.269 Die Logik des Satzes wäre in diesem Fall, dass die Praktiken der Vertreter des KI überhaupt nichts Ehrenhaftes an sich haben, weil sie wider Erwarten zur Befriedigung des Fleisches beitragen. Auch diese Auslegung lässt sich ohne Weiteres mit paulinischen Überzeugungen in Einklang bringen, insbes. seiner impliziten Identifizierung jüd. Gesetzesbestimmungen mit Werken des Fleisches (die übrigens in einer Liste erscheinen, die auch mit ἅτινά εστιν eingeleitet wird) in Gal 5,19-21. Die von den Vertretern der KI beliebten Praktiken wie das Fasten und die Einhaltung der Reinheitsgebote beschäftigen sich mit dem Leib mit derselben Intensität wie diejenigen, die ihre körperlichen Begierden nicht in Zaum halten können. Beide dienen auf ihre Weise dem Fleisch. Eine dritte Auslegungsoption vermittelt etwas zwischen den beiden vorhergehenden, indem sie τιμή im Sinne von „Wert“ auffasst und die beiden letzten Präpositionalgefüge unabhängig voneinander deutet. Der daraus resultierenden Satz lässt sich wie folgt verstehen: „Solche Vorschriften … entbehren aber jeglichen Werts; sie dienen nur der Befriedigung des Fleisches“.270 Wie die anderen beiden ist diese Auslegung durchaus mit der paulinischen Theologie, wie sie uns in den Hauptbriefen begegnet, vereinbar. Es erweist sich als äußerst schwer, zwischen diesen Lösungsvorschlägen zu wählen. Keiner davon entbehrt einer grundsätzlichen Plausibilität; keiner räumt jeden Zweifel aus dem Weg. Die erste Lösung („Solche Vorschriften haben … den Ruf, Weisheit zu verleihen, entbehren aber jeglichen Werts im Kampf gegen die Befriedigung des Fleisches“) ist schließlich wegen der größeren Kohärenz, die sie dem Gesamtargument verleiht, vorzuziehen. Die jeweiligen Präpositionalgefüge wirken, wenn sie als Einzelbehauptungen gedeutet werden, etwas zu trotzig und plakativ: Die Vorschriften „sind wertlos / haben nichts Ehrenhaftes an sich“ und „befriedigen nur das Fleisch“. Fasst man sie aber als Einheit auf, so klingt der Satz vielmehr nach einem durchdachten Argument, das im Kontext eine offensichtliche Schlagkraft entfaltet: Sie sind „ohne jeglichen Wert im Kampf gegen die Befriedigung des Flei269 Diese Deutung vertreten (trotz diverser Ansichten im Hinblick auf verschiedene Einzelheiten) Reicke, Verständnis, 37; Lohse 185-186; Hollenbach, Col. II.23, 254; Gnilka 161; Pokorný 130-131; Hübner 94; Luz 224-225; Maisch 204-206. 270 Vgl. Gnilka 129; Lindemann 50; Wolter 139.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
275
sches“. Das entspricht eher dem Eindruck, den dieser Abschnitt zusammen mit dem vorhergehenden erweckt.
IV Zusammenfassung Paulus sieht in der KI, wie die Analyse dieser Stelle ergeben hat, ein großes theologisches Problem und drei praktische Schwierigkeiten, vor denen er die Gläubigen in Kolossä an dieser Stelle warnt. Das unüberwindbare theologische Problem mit der KI erweist sich darin, dass sie, indem sie hauptsächlich aus einem Katalog an Vorschriften besteht, ein Sich-wieder-versklaven-Lassen von den „Elementarmächten“ der Welt darstellt. Hinter dieser Ansicht kann man vor allem die Überlegungen des Paulus in Gal 4,1-11 erkennen. Überhaupt ist die Übereinstimmung zwischen den Ausführungen des Paulus an unserer Stelle und der Theologie des Gal bemerkenswert. In den galatischen Gemeinden sorgte eine judaisierende Gruppierung für Probleme, weil sie den Gläubigen ähnliche Vorschriften auferlegen und sie insbes. zur Beschneidung verpflichten wollte. In seiner Reaktion darauf macht Paulus einerseits klar, dass die mosaischen Bestimmungen an sich nicht schlecht sind, sondern nur überholt (vgl. Gal 4,1-7). Andererseits stehen hinter solchen Bemühungen dämonische Mächte, die die Christen durch die Einhaltung dieser Bestimmungen versklaven wollen (vgl. Gal 4,8-10). In seiner Auseinandersetzung mit ähnlichen Entwicklungen in Kolossä erinnert Paulus die Gläubigen dort an ihre Taufe. In der Vorbereitung darauf bzw. bei der Taufe selbst haben die Mitarbeiter des Apostels sie darin unterwiesen, dass sie durch die Taufe mit Christus mitgestorben sind – d.h. auch, dass sie den bösen Mächten, die Christus am Kreuz besiegt hat, gestorben sind – und ihren Anweisungen nicht mehr folgen müssen. Insofern stellt Paulus die Christen in Kolossä vor eine Wahl: die Verbindung zu Christus, ihrem Haupt, aufrechterhalten oder den Vertretern der KI folgen und diese Verbindung verlieren. Für ihn ist die Wahl natürlich klar, aber um seine Hörer bzw. Leser mit ins Boot zu holen, weist er auf drei Mängel der KI hin. Die ersten zwei leitet er von der Jesustradition ab, wie diese später in Mk 7,1-23 aufgeschrieben wurde und bereits zu seiner Zeit wohl mündlich im Umlauf war. Der dritte Mangel ist eine von ihm selbst in polemischer Auseinandersetzung mit den Behauptungen der KI formulierte Erwiderung derselben. Erstens betrachtet Paulus in Übereinstimmung mit Jesus (vgl. Mk 7,18-19) Speise und Getränke als an sich unwesentliche Faktoren im Hinblick auf moralische Reinheit. Diese werden konsumiert und ausgeschieden und berühren nicht das Herz des Menschen (vgl. 2,22a). Sie verändern ihn weder zum Schlechten noch zum Guten.
276
II. Auslegung
Zweitens sind die spezifischen Vorschriften bzgl. dessen, was man wann und wo essen darf (eventuell auch bzgl. sexueller Abstinenz; vgl. zu 2,21), bloß von Menschen formulierte Gebote und Lehrsätze. Hier folgt er auch Jesus (vgl. Mk 7,6-8), der ein passendes Zitat aus Jesaja anführte (Jes 29,13), um diesen Vorwurf gegen die Pharisäer im Hinblick auf ihre Reinigungsbräuche geltend zu machen. Dass Paulus dieses Jesuslogion auf Speisegebote, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mosaische Bestimmungen umfassten, anwendet, zeigt, wie sehr sein Denken von einem heilsgeschichtlichen Umbruch geprägt ist. Seit der Ankunft des Sohnes Gottes, der uns von der Last der Forderungen des Gesetzes befreit hat (vgl. Gal 4,4-5), haben diese keine Relevanz mehr. Sie galten im alten Bund; die Kinder Gottes sind aber im neuen Bund davon befreit (vgl. Gal 4,24-26), und diejenigen, die die Einhaltung solcher Bestimmungen einfordern, propagieren menschliche, aber keineswegs göttliche Weisheit. Drittens erweist sich das Programm der Vertreter der KI als völlig nutzlos im Hinblick auf das, worauf es wirklich ankommt: die Bekämpfung der fleischlichen Begierden, der Haltung des natürlichen Menschen – des Menschen ohne den Geist des neuen Bundes –, die sich gegen Gott auflehnt und nur moralisch Verwerfliches vollbringt (vgl. Gal 5,16-21). Paulus hätte den Vertretern der KI vielleicht zugestanden, ihre Absichten seien nicht verkehrt gewesen, aber ihr „Wort der Weisheit“, das durch die strenge Behandlung des Leibes auf die Eindämmung der Begierden zielte, entpuppt sich als „Scheinheiligkeit“. Es nützt nichts. Obwohl Paulus an anderen Stellen Hinweise bzgl. seiner Haltung zur Rolle von Speise und Trank in der christlichen Lebensführung gibt (vgl. Röm 14,1-17; 1Kor 10,23-31; 1Tim 4,1-5), machen keine davon seine grundsätzliche Skepsis hinsichtlich Nahrungsaskese so deutlich. Damit ist nicht gesagt, dass er prinzipiell gegen das Fasten war; er übte sich laut seines Selbstzeugnisses (vgl. 2Kor 6,5; 11,27; wobei auffallend ist, dass Verweise darauf in Peristasen- statt Tugendkatalogen erscheinen!) und des Zeugnisses des Lukas (vgl. Apg 9,9; 13,1-2; 14,23) zumindest gelegentlich selbst darin. Nirgends aber wird diese als Heiligungsmaßnahme dargestellt. Es scheint eher eine Art Konzentrationshilfe im Hinblick auf seinen Dienst oder in Vorbereitung auf die Einsetzung von Mitarbeitern zu sein. Gegen die Sünde setzt er sie jedoch nicht ein. In einer Zeit, in der selbst Protestanten „geistliche Übungen“ einschließlich des Fastens vermehrt praktizieren – und dagegen ist an sich nichts einzuwenden –, ist Reflexion über diesen Brauch und andere asketische Bräuche anhand ntl. Texte, darunter auch dieser, erforderlich, um sicher zu gehen, dass sie zum Wohl und nicht zum Schaden des Menschen geschehen.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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2.3.2. Tretet ein in die himmlische Sphäre, in der ihr mit Christus in der Taufe auferweckt wurdet (3,1-4)
I Übersetzung 1 Da ihr also nun mit dem Messias mit auferweckt wurdet, streckt euch nach den Dingen aus, die oben sind, dort, wo der Messias zur Rechten Gottes sitzt. 2 Sinnt darüber nach, wie das Leben im Himmel abläuft, statt auf der Erde. 3 Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit dem Messias verborgen bei Gott. 4 Wenn aber der Messias, euer Leben, offenbar wird, dann werden auch wir mit ihm in Herrlichkeit offenbar werden.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 3,4: 1) B(*).2 D1 H K L 0278 630 1175 1241s 1505 1739 2464, syr sa sowie Meth und Ambr lesen ἡμῶν statt ὑμῶν nach ζωή. Diese LA ist lectio difficilior, denn der Wechsel von ἡ ζωή ἡμῶν in 3,3 zu ἡ ζωή ὑμῶν in 3,4 ist störend. Die von NA28 bevorzugte LA ist wesentlich besser bezeugt und deswegen vorzuziehen.271 2) A 1881 2644 lassen σὺν αὐτῷ nach ὑμεῖς aus. Die besten MSS bezeugen jedoch den ursprünglichen Text. Einen späteren Kopist störte womöglich diese als unnötige Redundanz empfundene Wiederholung nach σὺν τῷ Χριστῷ in 3,3. Form. Wir sahen bereits in der Einleitung (vgl. S. 51-52) bzw. bei der Analyse von 2,20-23 (vgl. S. 264-265), dass 2,20–3,4 einen eigenständigen Abschnitt im Briefkorpus darstellt. Die deutliche Anbindung an der frühchristlichen Taufparänese mit ihrer Rede vom „Mitsterben“ bzw „Mitauferstehen“ mit Christus, die Paulus in 2,11-12 theologisch auswertet, wird nun in diesem Abschnitt herangezogen, um die darauffolgende Paränese (3,5–4,6) zu begründen. In 2,20-23 setzte er die Trope des „Mitsterbens“ ein, um der KI eine deutliche Absage zu erteilen, weil sie in Bezug auf das immer wieder erläuterte Ziel des Evangeliums (vgl. 1,9-11.22.28; 2,6-7) – das Aneignen eines heiligen Lebensstils – nichts nützt und sogar kontraproduktiv ist. Nun weist er in 3,1-4 auf das „Mitauferstehen“ – die andere Seite des „Taufmedaillons“ – hin, um den Jesusnachfolgern in Kolossä zu zeigen, dass die erforderliche ethische Veränderung, die er im darauffolgenden Abschnitt ausführlich beschreibt, 271 Die Meinung der Kommentatoren über die korrekte LA ist geteilt. Für ὑμῶν sprechen sich u.a. folgende aus: Dibelius 40; Harris 140; Metzger 557; Pokorný 137; Moo 251, Anm. 20. Folgende geben ἡμῶν den Vorzug: Lightfoot 210; Lohse 196; O’Brien 157; Dunn 202, Anm. 3; Wolter 169.
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II. Auslegung
auch möglich ist. Dieser geht aber notwendigerweise eine veränderte Denkweise voraus, die dadurch erfolgt, dass man die Implikationen des Mitauferstehens mit Christus in der Taufe begreift. Dieser aus vier unkomplizierten Sätzen bestehende Abschnitt ist einfach strukturiert. Er lässt sich in zwei Teile aufteilen. Der erste Teil umfasst zwei Imperativsätze (3,1-2). Der erste Satz (3,1) ist eine Konditionalperiode, an der ein bedeutungsträchtiger Relativsatz angeknüpft ist. Der zweite Satz (3,2) folgt asyndetisch auf den ersten und wiederholt im Wesentlichen seine Aussage. Diese besteht darin, dass die mit Christus in der Taufe Mitauferweckten ihre Lebensweise an den Maßstäben der himmlischen Sphäre, wo sich der auferstandene Christus bereits aufhält, orientieren sollen. Der zweite Teil (3,3-4) begründet die durch Redundanz betonte Aufforderung des ersten Teils (vgl. γάρ in 3,3), indem er den Kolossern zwei wichtige Perspektiven aufzeigt: zum einen die Möglichkeit, sich in der Gegenwart diese Maßstäbe zu erschließen (3,3); zum anderen die Aussicht auf die eschatologische Realisierung einer dem Christus gemäßen Lebensweise in der Zukunft, die sie dazu in ihren Bemühungen um ethische Veränderung anspornen soll (3,4).
III Einzelexegese 1 Analog zu 2,20 leitet Paulus diese Perikope mit einem Konditionalsatz ein: Da ihr also nun mit dem Messias mit auferweckt wurdet … (εἰ οὖν συνηγέρθητε τῷ Χριστῷ). Wie in 2,20 geht Paulus davon aus, dass die Kondition bei den Gläubigen in Kolossä erfüllt wurde: Sie sind mit Christus durch die Taufe gestorben (vgl. zu 2,12 und 3,3) und darauf folgt (οὖν) ihre Auferstehung mit ihm, die ebenso in der Tauferfahrung realisiert wird (vgl. 2,12, wo die gleiche Verbform vorkommt). Diese Erkenntnis sollte laut Paulus zu einer neuen Denkweise führen. Deswegen die Aufforderung: streckt euch nach den Dingen aus, die oben sind (τὰ ἄνω ζητεῖτε). Wörtl. heißt es, dass die Kolosser die Dinge oben „suchen“ (2. Pers. Plur. Imp. von ζητέω) sollen. Gemeint ist aber nicht, dass man etwas bzw. jemanden lokalisieren muss, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist (vgl. z.B. Lk 13,24; 24,5), oder etwas ausfindig machen muss, was einem abhanden gekommen ist (vgl. z.B. Lk 15,8), sondern dass man nach etwas strebt, was man haben oder erreichen möchte (vgl. z.B. Lk 12,31; 19,47). Es handelt sich um „die Dinge, die oben sind“ (τὰ ἄνω). Dieser Ausdruck, der uns nur hier und in 3,2 im NT begegnet, kann so viel bedeuten wie „der Himmel“ (so z.B. in Spr 8,28, seinem einzigen Vorkommen in der LXX). Die örtliche Metapher von einem Himmel „oben“ gebraucht Paulus, bespielweise im Vergleich zu Johannes, selten, aber auch er setzt sie gelegentlich ein (vgl. 1Thess 4,15-17; 2Kor 12,2-4). Daraus Schlüsse über
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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sein kosmologisches Weltbild zu ziehen, sollte man lieber ganz lassen.272 Paulus meint jedenfalls nicht, wie 3,2 deutlich macht, „bemüht euch, in den Himmel zu kommen“. Es geht vielmehr darum, die eigenen Gedanken nach den Maßstäben der „himmlischen“ Sphäre auszurichten und seine Einstellungen davon prägen zu lassen. „Oben“ ist dort, wo der Messias zur Rechten Gottes sitzt (οὗ ὁ Χριστός ἐστιν ἐν δεξία τοῦ θεοῦ καθήμενος). Das Verb ist entweder periphrastisch (ἐστιν … καθήμενος) – in diesem Fall wird bloß der Aufenthaltsort des Messias festgestellt – oder es wird zwar festgehalten, dass er sich in der himmlischen Sphäre aufhält (ἐστιν), aber vielmehr betont, dass er dort zur Rechten Gottes sitzt (καθήμενος).273 Es handelt sich demnach um die sessio Christi; er hat seine eschatologische Position eingenommen und regiert bereits.274 Ausschlaggebend für letztere Auslegung ist die Einsicht, dass Paulus auf Ps 110,1 anspielt,275 den meistzitierten atl. Text im NT.276 Im Kontext des Psalms geht es um eine Einladung Gottes an den Messias (Davids „Herr“), seinen designierten Platz zur Rechten einzunehmen (vgl. Ps 109,1 LXX: κάθου ἐκ δεξιῶν μου), während Gott ihm seine Feinde unterwirft. Dieser Gedanke hallt im Kol unüberhörbar nach.277 Denn aus der Sicht des Apostels hat Gott inzwischen die feindlichen Mächte besiegt (vgl. 2,15). Christus ist bereits aufgrund der Auferstehung (vgl. 1,18) ihr unanfechtbares Haupt geworden (vgl. 2,10) und beherrscht sie vollends. 2 Das bestätigt die folgende Aufforderung, die im Wesentlichen die vorhergehende wiederholt und präzisiert: Sinnt darüber nach, wie das Leben im Himmel abläuft, statt auf der Erde (τὰ ἄνω φρονεῖτε μὴ τὰ ἐπι τῆς γῆς). Das Verb, dass wir mit „Nachsinnen“ übersetzen (φρονέω), bedeutet „intensiv über etwas nachdenken“ oder „die Gedanken auf etwas richten“ und kommt häufig bei Paulus vor (sonst im NT nur in Mk 8,33 par Mt 16,23 und Apg 28,22). In Phil 3,19 warnt Paulus vor „Feinden des Kreuzes“, die u.a. daran zu erkennen sind, dass sie über „Irdisches nachsinnen“ (οἱ τὰ ἐπίγεια φρονοῦντες). Die Formulierung an dieser Stelle ruft die Kolosser zum Gegenteil auf, indem sie einen Kontrast zwischen himmlischen und irdischen Abläufen bildet. Gemeint mit der Forderung des Paulus ist nicht, dass sich die Gläubigen in Kolossä 272 273 274 275
Vgl. White, Cosmology, 91. Kontra Sumney 177. So die große Mehrheit in der Forschung. Vgl. u.a. Lohse 193; Gnilka 173; Harris 137. Vgl. Hay, Glory, insbes. 159-161. Vgl. Beale 863-865; Beetham, Echoes, 219-220. So auch die Mehrheit der Kommentatoren kontra Foster 310-311. 276 Vgl. Beetham, Echoes, 228. 277 Vgl. Loader, Christ, 210; Schweizer 132.
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II. Auslegung
durch mystische Erhebung in die himmlische Sphäre vertrösten sollen278 – gerade dagegen hat er sich bei seiner Stellungnahme zur KI in 2,19 gewehrt. Es geht vielmehr darum, dass sie in der täglichen Auseinandersetzung mit den sich Gott widerstrebenden Mächten daran denken, dass Christus bereits regiert, und entsprechend auf gottgefällige Weise handeln (vgl. 1,10).279 Diese Einstellung soll, wie der nächste Abschnitt klarmacht, konkrete ethische Auswirkung auf ihr Leben haben.280 3 Die wiederholte Aufforderung in 3,1-2 wird durch die Behauptung Denn ihr seid gestorben (ἀπεθάνετε γὰρ) begründet. Die Beteuerung, dass die Gläubigen gestorben sind, dient dazu, die Kondition in 3,1 als erfüllt darzustellen, und bezieht sich wiederum auf ihre Taufe (vgl. zu 2,11). In der Taufe sterben sie aber nicht nur mit Christus, sondern sie werden auch mit ihm zu einer neuen Dimension des Lebens auferweckt. Hinter dieser Überzeugung lässt sich die eigene reflektierte Tauferfahrung des Apostels erkennen (vgl. Apg 19,8 mit Gal 2,19-20). Die dadurch erfolgte Identifikation mit Christus in seinem Tod und seiner Auferstehung stellt für ihn – ungeachtet seiner Absage an die Mystik der KI – ein Mysterium dar, wie der auffallende Gebrauch apokalyptischer Tropen in 3,3b-4 deutlich macht. Weil das Sterben der Jesusnachfolger selbstverständlich nicht realiter, sondern „nur“ symbolisch in der Taufe geschieht, hat die Auferstehung, die ihnen darin wiederfährt, eine vorerst nach außen nicht wahrnehmbare Qualität: und euer Leben ist mit dem Messias verborgen bei Gott (καὶ ἡ ζωὴ ὑμῶν κέκρυπται σὺν τῷ Χριστῷ ἐν τῷ θεῷ). Das einfache Verb, das wir mit „verborgen“ übersetzen (Perf. Pass. von κρύπτω), ist mit dem komplexen Verb ἀποκρύπτω in 1,26 sowie dem Adj. ἀπόκρυφος in 2,3 sinnverwandt. In der jüd. Apokalyptik gilt, dass die göttliche Sphäre Menschen grundsätzlich verborgen ist, und es bedarf einer Enthüllung, wenn ihnen diese Sphäre zugänglich gemacht werden soll (vgl. zu 1,26). Weil sich Christus durch seine Erhöhung in dieser Sphäre befindet und wir in ihm sind, ist unser Auferstehungsleben „bei Gott“ (ἐν τῷ θεῷ) und daher verborgen.281 Neben den apokalyptischen Assoziationen, die das Wort „verborgen“ ins Bewusstsein ruft, ist es vielleicht wiederum die Taufparänese, die die Wortwahl am meisten beeinflusst. Dadurch wird „Mitbegrabensein“ (vgl. 2,12a) – mit Christus im Grab verdeckt, von der Erde bedeckt und der Welt der Lebenden verhüllt – evoziert.
278 279 280 281
Ähnlich Dunn 205; Lincoln 638. Ähnlich Lohse 194; Sumney 176. Vgl. Wilson 238. Vgl. Wolter 167, der die Denkweise des Autors „fast syllogistisch“ nennt.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
281
Es lässt sich seit Bultmann kaum vermeiden, dass mancher deutsche Theologe die Wendung „euer Leben“ (ἡ ζωὴ ὑμῶν) im Sinne einer abstrahierten „eigentlichen Existenz“ o.ä. zu deuten versucht.282 Leider gebraucht Paulus diese Wendung kein zweites Mal und führt auch nicht an dieser Stelle weiter aus, was er damit meint, aber es ist unwahrscheinlich, dass er in solchen existenzialen Kategorien denkt. Überhaupt müsste man infrage stellen, ob Paulus mit der Wendung so etwas wie „euer jeweiliges individuelles Dasein“ o.ä. meint, wovon viele Kommentatoren unreflektiert ausgehen. In den seltenen Fällen, wo sie doch versuchen, diese Auslegung zu rechtfertigen, geraten sie in Erklärungsnot,283 denn eine solche Ausdrucksweise ist in der griech. Bibel nicht belegt. In der einzigen Stelle im NT, in der die Wendung sonst vorkommt (Jak 4,14), wird damit der tägliche Ablauf des Lebens konnotiert. Das lässt zumindest die Überlegung zu, ob ihre Konnotation an unserer Stelle in diese Richtung zu suchen ist.284 Es ist sogar möglich, auch wenn eine solche Auslegung bisher nicht zur Diskussion gestellt wurde, dass der Ausdruck als eine bewusste Anspielung auf das einzige unabhängige Vorkommen des Ausdrucks in der LXX – in Deut 32,47 (4Makk 18,1 wiederholt ihn mit Bezug darauf) – aufzufassen ist. Dort, am Ende des sogenannten zweiten Liedes des Mose, eines Textes von programmatischer Bedeutung für Paulus,285 beschreibt Mose „die Worte des Gesetzes“, die im Deut ausgeführt werden (vgl. Deut 32,46), als „euer Leben“ – d.h. im Kontext „die für euch von Gott vorgesehene Lebensweise“. Darum geht es auch schwerpunktmäßig im Kol,286 wie der Einleitung (vgl. 1,9-10) zu entnehmen ist. Auch der weitere Verlauf des Kol spricht für diese Deutung, denn in der anschließenden Paränese (3,5–4,6) werden die Implikationen des jetzigen Verborgenseins (bzw. des zukünftigen Offenbarwerdens; vgl. zu 3,4) des Lebens in Christus ausführlich besprochen. Das sind zum einen die Notwendigkeit, sich um ethische Veränderung zu bemühen (vgl. 3,5-17), und zum anderen die entsprechende Gestaltung von Beziehungen im christlichen Haushalt (vgl. 3,18–4,1). Die Behauptung „euer Leben ist mit dem Messias verborgen bei Gott“ dient demnach dazu, die Begründung der wiederholten Aufforderung von 3,1-2 weiter auszuführen: Die Gläubigen sollen sich nach den Dingen, die oben 282 Vgl. z.B. Schweizer 138; „[D]er einzelne Mensch in seinem eigentlichen Selbst [lebt] schon im Himmel …“; Hübner 99: „Euer eigentliches Leben ist … in Gott verborgen“ (kursiv bei Hübner). Ähnlich auch Lohmeyer 134. 283 Vgl. z.B. Pao 213. 284 Ähnlich Dunn 207. 285 Vgl. White, Messias, 234-237. 286 Vgl. Heil 1-5. Der Untertitel von Heils Kommentar fasst das Thema des Kol treffend als „Encouragement to Walk in All Wisdom als Holy Ones in Christ“ zusammen.
282
II. Auslegung
sind, austrecken bzw. darüber nachsinnen, wie die Dinge oben ablaufen, weil die für sie vorgesehene Lebensweise nur dort, wo sich Christus befindet, erfahrbar ist. Sie ist, wie apokalyptische Erkenntnisse insgesamt, eine verborgene, auf Hoffnung hin orientierte Lebensweise (vgl. 1,5), die sich vorerst nur in der Identifikation mit dem Messias in der Taufe erschließen lässt. Das klingt in unseren Ohren, wie alle von der Apokalyptik gefärbten Wahrheiten, zunächst befremdend, aber im Kontext ist der Ton dieser Behauptung optimistisch und ermutigend. Eine dem Herrn gefällige Lebensweise (vgl. 1,10) – normalerweise eine verborgene Realität, die sich erst im Eschaton realisieren lässt – ist jetzt möglich, weil Christus sie den mit ihm in der Taufe Mitauferweckten offenbart. 4 Die apokalyptische Ausrichtung des Lebens im Messias ist – das will Paulus seinen Lesern/Hörern versichern – ein Provisorium: Wenn aber der Messias, euer Leben, offenbar wird, dann werden auch wir mit ihm in Herrlichkeit offenbar werden (ὅταν ὁ Χριστὸς φανερωθῇ ἡ ζωὴ ὑμῶν τότε καὶ ὑμεῖς σὺν αὐτῷ φανερωθήσεσθε ἐν δόξῃ). Der Duktus des Arguments geht asyndetisch weiter; d.h. seine semantische Beziehung zum vorhergehenden Satz ist durch keine Verbindungspartikel bestimmt. Dennoch scheint es klar, dass Paulus einen Kontrast zwischen der jetzigen „verborgenen“ Lebensweise der Nachfolger des Messias und der zukünftigen Realisierung des Auferstehungslebens in der Zukunft bildet.287 Zum Verb φανερόω (= „sich offenbaren“) und seine Bedeutung für die Apokalyptik vgl. zu 1,26. Der Vers besteht aus einem verhältnismäßig kurzen Konditionalsatz mit temporaler Ausrichtung: Wenn das in der Protasis geschilderte Ereignis – die Erscheinung des Messias,288 die für Paulus eine sichere Zukunftsperspektive ist – geschieht, dann folgt notwendigerweise der in der Apodosis beschriebene Vorgang: das Versetzen der Gläubigen in die himmlische Sphäre (ἐν δόξῃ; vgl. die gleiche Wendung in 1Kor 15,4; 1Tim 3,16),289 wo Christus bereits ist. Diese Aussicht entspricht den eschatologischen Erwartungen des Apostels seit seinem ersten Brief (vgl. 1Thess 4,17).290 Es darf im Übrigen nicht übersehen werden, wie mühelos – förmlich mitten im Satz – er von einem räumlichen Kontrast (oben/ unten) in 3,1-3 zu einem zeitlichen Kontrast (jetzt / in der Zukunft) in 3,4 287 Ähnlich Dunn 207-208. 288 Kontra Swart, Vision, 173-175, dessen präsentische Auslegung den durchaus überlegenswerten Versuch darstellt, das Sterben und Verborgensein mit Christus als Erläuterung der Taufsymbolik zu erfassen, aber letztlich nicht überzeugend darlegen kann, dass diese Symbolik statt einer apokalyptischen Sichtweise für die Wortwahl bestimmend ist. Vgl. die Kritik von Pao 214-215. 289 Vgl. Harris 141; Foster 316. 290 So auch Sumney 176-177.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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wechselt. Diese zwei Dimensionen einer apokalyptischen Sichtweise – die zeitliche und räumliche –291 dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden (vgl. S. 23, Anm. 36). Beide sind an dieser Stelle gleichermaßen vom eschatologischen Vorbehalt geprägt. Auf den ersten Blick wird unsere Deutung, nach der die Wendung „euer Leben“ eine nach himmlischen Maßstäben orientierte Lebensweise konnotiert, durch ihre Identifikation mit Christus erschwert. Diese ungewöhnliche Ausdrucksweise ist aber nicht weniger befremdlich als die Aufforderung (auch im paränetischen Zusammenhang), Christus anzuziehen (vgl. Röm 13,14), oder die Behauptung in Phil 1,21, wie diese wörtl. übersetzt werden sollte, „Leben (Verb statt Nomen) heißt für mich Christus“ (ἐμοί γὰρ το ζῆν Χριστὸς). Der Gedanke ist durchaus paulinisch: Früher offenbarte das Gesetz, was Gott gefällig ist; nun hat das Gesetz in Christus sein Ende gefunden (vgl. Röm 10,4), und die Lebensweise, die jetzt zählt, ist vom Glauben an Christus bestimmt (vgl. Röm 10,5-10). Aus rhetorischer Perspektive eignet sich diese Wendung – so gedeutet – hervorragend als polemischer Gegensatz zum Programm der Vertreter der KI. Sie propagierten eine Lebensweise, die die strenge Einhaltung jüd. Speise- und Reinheitsgebote verlangte, aber nach der Überzeugung des Paulus ein Sklavendasein unter der bedrückenden Gewalt dämonischer Mächte ist. Die wahre Lebensweise jedoch stellt Christus dar,292 und in ihm haben die Nachfolger Jesu uneingeschränkten Zugang dazu.
IV Zusammenfassung In der Taufe wird nicht nur das Mitsterben und Mitbegrabensein mit dem Messias symbolisch dargestellt, sondern auch das Mitauferstehen mit ihm. Die kritische Forschung beschäftigt an dieser Stelle vor allem die Tatsache, dass diese Mitauferweckung nicht, wie in Röm 6,8, bloß als eine hoffnungsspendende Zukunftsperspektive, sondern als bereits in der Taufe erfolgtes Ereignis dargestellt wird. Dies sei ein deutliches Indiz – für viele Forscher vielleicht sogar das wichtigste – dafür, dass nicht Paulus, sondern einer seiner Schüler den Kol geschrieben haben muss. Der echte Paulus habe ihnen zufolge am eschatologischen Vorbehalt festgehalten, während die Eschatologie 291 Nach einer in der Forschung allseits akzeptierten Definition. Vgl. Collins, Apocalypse, 9. 292 Ähnlich Foster 318: “The assurance of Christ being their life (Col 3,4) means that believers should live Christ-like lives.” Foster geht in seiner Analyse von 3,4 leider nicht näher darauf ein, sondern dieser bemerkenswerte Satz wird seinen Ausführungen zu 3,5 vorgeschoben.
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II. Auslegung
des AutKol mit dieser Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Taufe und Auferstehung völlig realisiert geworden sei. Dabei übersehen sie, dass gerade an dieser Stelle der für Paulus typische eschatologische Vorbehalt bewahrt, ja sogar auf kreative Weise unterstrichen wird: Auferstehung mit Christus geschieht zwar symbolisch in der Taufe, aber vorerst nur darin. Auferstehungsleben bleibt eine verborgene – d.h. nicht völlig realisierte – Wirklichkeit. Vertraute paulinische eschatologische Konzeptionen begegnen uns also in neuer Gestalt. Diese entfaltet sich, wie im folgenden Abschnitt klar wird, als eine beeindruckende Kraft zur ethischen Veränderung. Dass solch originelles Denken dem geistreichen Apostel unmöglich gewesen, dafür aber seinen ihn nachahmenden Schülern mühelos eingefallen sein sollte, leuchtet nicht ein. Diese Auffassung tut ihm, der im Laufe seines Dienstes um einiges massivere Gedankengebäude abgerissen hat, schlicht Unrecht. Die Erschließung dieser Perikope wird durch anachronistische Vorstellungen hinsichtlich dessen, was die Wendung „euer Leben“ in 3,3-4 bedeutet, noch schwieriger. Man kann allzu leicht am eigentlichen Anliegen des Apostels vorbeigehen, wenn man nicht sorgfältig reflektiert, was er mit diesem eigentümlichen Ausdruck – er begegnet uns nur hier bei Paulus und sonst äußerst selten in der griech. Bibel – wirklich meint. Dabei erscheint er modernen Menschen gar nicht eigentümlich, sondern, im Gegenteil, auf trügerische Art und Weise sehr vertraut. Wir reden andauernd von „meinem Leben“, und selbst die Tatsache, dass uns das Genitivattribut hier im Plural begegnet, hält uns nicht davon ab, ihn im Sinne von „meinem eigenen Dasein“ zu deuten. Wir denken für gewöhnlich an ein abstrahiertes „Ich“, das außerhalb und völlig unabhängig von alltäglichen Lebensabläufen und sogar Lebensgemeinschaften existiert. Viele lesen „euer Leben ist in Christus verborgen“ (3,3) und wähnen sich sofort in einem geschützten Raum, in dem ihr wahres Ich, geborgen und sicher, gedeihen kann. Sie hören „Christus ist euer Leben“ (3,4) und strecken sich, vom postmodernen Selbstentfaltungsdrang beflügelt, nach einer mehr von der Romantik als von der Bibel geprägten Vorstellung ihrer eigenen Person aus, die durch Christus endlich ihr volles Potenzial erreichen kann. Paulus geht es um etwas ganz anders. Wie die Exegese gezeigt hat, bedeutet die Wendung „euer Leben“ eben nicht „euer Dasein“, sondern gemäß ihrem einzigen Vorkommen im AT (Deut 32,47) „die für euch von Gott vorgesehene Lebensweise“. Diese ist an den ethischen Normen, die auf der Erde gelten, nicht ablesbar, sondern bleibt eine verborgene Realität, die nur „oben“, wo sich Christus befindet, zur Entfaltung kommt. In der Identifikation mit Christus in der Taufe haben die Gläubigen zu dieser Lebensweise, die zu fördern es
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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der ausdrückliche Sinn und Zweck des Kol ist (vgl. 1,9-10), uneingeschränkten Zugang. Nur dadurch wird sie erschlossen.
2.4. Ethische Ermahnungen (3,5–4,6) 2.4.1. Legt den „alten Menschen“ mit seinen Sünden ab (3,5-11)
I Übersetzung 5 Tötet deshalb die Glieder, die auf der Erde sind: Unzucht, Unreinheit, unbändige Leidenschaft, abartige Begierde, und vor allem die Habgier, die dem Götzendienst gleichkommt. 6 Ihretwegen kommt der Zorn Gottes. 7 Auch ihr habt diese Dinge einst praktiziert, als ihr darin verstrickt wart. 8 Nun aber müsst ihr auch all diese ablegen: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Gerede. 9 Hört auf, einander zu belügen, denn ihr habt den alten Menschen zusammen mit seinen Praktiken ausgezogen 10 und den neuen Menschen angezogen. Dieser wird durch Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat, erneuert. 11 Dort, wo er ist, kann es keinen Griechen oder Juden, keinen Beschnittenen oder Unbeschnittenen, keinen Barbaren oder Skythen, keinen Sklaven oder Freien mehr geben, sondern Christus umfasst alles und ist in allem.
II Struktur
Textkritische Anmerkungen. 3,5:1) א2 A C3 D F G H K L P 075 0278 104 365 630 1505 1881 latt sy sowie Irlat fügen ὑμῶν nach μέλη ein, aber dieser Zusatz fehlt in den besten MSS. 2) κακήν fehlt bei 46. Die Auslassung ist vielleicht aufgrund von Homoioarkton (vgl. das darauffolgende καί) entstanden. 3,6: 1) C*vid D* F G vgmss ersetzen ἃ mit ὅ (der Sing. Art. beziehe sich demnach im Sinn eines constructio ad sensum nur auf εἰδωλολατρία). 46 und syp ersetzen ἃ mit ταῦτα γὰρ. Die von NA28 bevorzugte LA ist von der Mehrheit der besten Zeugen unterstützt. 2) אA C D F G H I K L P Ψ 075 0278 33 81 104 365 630 1175 1241s 1505 1739 1881 2464 lat sy bo fügen das Präpositionalgefüge ἐπι τοῦς υἱοὺς τῆς ἀπειθείας an dieser Stelle ein. NA28 nimmt es u.a. deswegen in den Haupttext auf, wenn nur unter Vorbehalt (darauf verweisen die eckigen Klammern).293 Doch zwei frühe und erstrangige Zeugen, 46 und B, gefolgt von b sa, enthalten es nicht, und es lässt sich nicht 293 Das Zögern der Herausgeber von NA28 spiegelt sich in der Uneinigkeit unter den Kommentaren hinsichtlich dieser LA wider. Für die Auslassung äußern sich u.a. Lightfoot 213; Lohse 202, Anm. 2; Lincoln 641; Foster 324. Für ihre Beibehaltung plädiert u.a. Dunn 210, Anm. 4. Barth/Blanke 405 halten eine Entscheidung für unmöglich.
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II. Auslegung
leicht erklären, warum sie es ausgelassen hätten, wenn es in ihrer Vorlage vorzufinden gewesen wäre. Ambrosiaster, der bereits Ende des 4. Jh.s die Paulusbriefe (außer Hebr) kommentierte, weiß auch nichts davon. Vermutlich haben wir es hier mit einer Anpassung an Eph 5,6 zu tun, wo uns die vollständige Formulierung begegnet. Diese frühe Einfügung glättet den grammatisch schwierigen Übergang zu 1,7, sodass das textkritische Prinzip des lectio difficilior auch für die Auslassung geltend gemacht werden kann. 3,8: F G it vgmss co sowie Ambst fügen μὴ ἐκπορευέσθω nach ὑμῶν ein und passen den Text somit Eph 4,29 an. 3,11: 1) Die Einfügung von ἄρσεν καὶ θῆλυ nach ἔνι, die von D* F G it vgs sowie Hil und Ambr bezeugt ist, stellt den eindeutigen Versuch dar, den Text Gal 3,28 anzupassen. 2) Der breiten Bezeugung von τὰ nach ἀλλὰ steht seine Auslassung in *אA C 33 1241s sowie bei Cl gegenüber. Wegen des Verdachts einer Anpassung am CL (vgl. 1,16.17.20) müsste letztere LA als lectio difficilior gelten. Die Auslassung ist aber eventuell durch Homoioteleuton (vgl. den griech. Text in scriptio continua: αλλαταπαντα) entstanden, sodass der vorsichtigen Entscheidung von NA28 (τὰ steht in eckigen Klammern) zuzustimmen ist. Form. Den Übergang zum paränetischen Teil des Kol bildet, wie wir bereits in der Einleitung sahen (vgl. S. 51), 2,20–3,4, wo die Taufparänese aus 2,1112 (vgl. a.a.O.) in zweifacher Hinsicht eingesetzt wird: Einerseits wird das Motiv des Mitsterbens mit Christus in der Taufe gebraucht, um eine Absage an die asketischen Tendenzen der KI zu erteilen (2,20-23; vgl. S. 262-263); andererseits dient das Motiv des Mitauferstehens mit Christus in der Taufe dazu, die Gläubigen zu grundlegender ethischer Veränderung anzuspornen (3,1-4; vgl. S. 277-278). Spezifische ethische Ermahnungen folgen im Abschnitt 3,5–4,6, der in vier Teile unterteilt werden kann (vgl. die Gliederung auf S. 52). Die lexikalische und thematische Überstimmung mit dem Eph (vgl. S. 54-55) ist in diesem Abschnitt besonders auffallend, und der für viele Forscher störende Stil des Briefanfangs und bisherigen -korpus (vgl. S. 17-18) weicht nun einem, der unmissverständlich paulinisch ist. Im ersten Teil der ethischen Ermahnungen 3,5-11, der von einer komplexen Körper- und Kleidermetaphorik geprägt ist, fordert Paulus seine Leser bzw. Hörer auf, sich von einzelnen Sünden zu trennen. Die Aufforderungen des Apostels sind allgemeiner Natur; nirgendwo wird auf gemeindespezifische Angelegenheiten Bezug genommen.294 Die Betonung liegt fast ausschließlich auf den negativen Forderungen des Evangeliums; vorwegnehmend wird nur in 3,10 auf die Not-
294 Vgl. Lohse 197.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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wendigkeit hingewiesen, nicht nur Sünden abzulegen, sondern diese durch Tugenden zu ersetzen. Auf Letzteres geht Paulus in 3,12-17 näher ein. In 3,5 und 3,8 begegnen uns Lasterkataloge – Listen von Sünden, die es zu vermeiden gilt. Solche Listen findet man öfter in frühjüd. Texten (vgl. Weish 14,25-26; 4Makk 1,26-27; 2,151QS 4,9-11; Philo Sacr 32; 10,4-5).295 Auch Paulus macht häufig von ihnen Gebrauch (vgl. Röm 1,29-31; 1Kor 5,10-11; 6,9-10; 2Kor 12,20; Gal 5,19-21; 1Tim 1,9-10; 2Tim 3,2-5). Sie kommen aber auch in der Jesustradition (vgl. Mk 7,21-22) sowie bei Petrus (vgl. 1Petr 4,3) und in der frühchristlichen Literatur (vgl. 1Klem 35,5; Did 5,1-2, Barn 20,1-2) vor. Ihr Traditionshintergrund ist umstritten. Unter dem Einfluss der religionsgeschichtlichen Schule gingen viele von ihrer Verwurzelung im Stoizismus aus,296 aber berechtigte Zweifel melden sich gegen diese Deutung an.297 Vor allem das Vorkommen ähnlicher Listen in Qumran, deren Übereinstimmung mit ntl. Listen in Bezug auf Laster und Tugenden beeindruckend ist (vgl. v.a. 1QS 4,3.9-11), spricht gegen die These eines stoischen Hintergrunds.298 Am ehesten sind sie als abstrahierte Zusammenfassungen der Gebote und Verbote des AT zu erschließen.299 Rätselhaft bleibt, warum die beiden Lasterkataloge in unserem Abschnitt (3,5.8) sowie der Tugendkatalog im darauffolgenden Abschnitt (3,12) jeweils fünf Glieder haben. Dibelius sieht eine Verbindung zu fünfgliedrigen Lasterund Tugendkatalogen im Manichäismus.300 Lohse zufolge geht das Fünferschema auf „iranische Vorstellungen“ zurück, wonach „die Glieder des Menschen seine guten oder bösen Taten [sind]“, von denen „jeweils fünf gute und fünf schlechte Taten angegeben werden“.301 Schweizer vermutet eine Korrespondenz zum 4 + 1-Schema der Weltelemente.302 Wie wir aber bereits gesehen haben, kommen solche Listen bei Paulus häufig vor, und eine auffällige Tendenz zu einem bestimmten Zahlenschema ist ihnen insgesamt nicht zu entnehmen. 295 296 297 298 299
300 301 302
Vgl. Dunn 213. Vgl. Easton, Lists, 1. Vgl. O’Brien 179. Vgl. Wibbing, Lasterkataloge, 44-58. Wibbings Vermutung, dass iranische kosmologische Konzeptionen hinter den Listen auszumachen sind, ist aber kaum überzeugend (vgl. Barth/Blanke 401). Vgl. Bevere, Sharing, 190-193. Beveres Versuch, als konzeptuelle Basis für Tugendund Lasterkataloge im NT das Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26) zu identifizieren, stellt jedoch eine über die Beweislage hinausgehende Engführung der möglichen Bezugstexte dar. Vgl. Dibelius 41. Vgl. Lohse 198. So auch Gnilka 179-180; Lindemann 55. Vgl. Schweizer 140-141.
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II. Auslegung
Eine andere Art von Liste begegnet uns in 3,11. Sie umfasst vier Gegensatzpaare, die jeweils aus jüd. und hellenistischer Perspektive ethnische und sozioökonomische Dualitäten von grundlegender Bedeutung für die antike Welt darstellen, die aber unter den Nachfolgern des Messias Jesus keine Rolle mehr spielen sollen. Obwohl diese Listen Spuren einer ihnen zugrundeliegenden Formel – vermutlich einer Taufformel –aufweisen,303 kommen sie im NT nur bei Paulus vor, sodass man nur mit Vorbehalt von einer „vorpaulinischen Tradition“ sprechen kann.304 Die hier gebräuchlichen Gegensatzpaare finden wir zum größten Teil an anderen Stellen im CP: „Grieche“/„Jude“ (vgl. Röm 1,16; 2,9-10; 3,19; 10,12; 1Kor 12,13; Gal 3,28); „Beschnittene“/„Unbeschnittene“ (vgl. 1Kor 7,18-19; Gal 3,28; 5,6; 6,15); „Sklave“/„Freier“ (vgl. 1Kor 7,21-22; 12,13; Eph 6,8). Das geschlechtliche Gegensatzpaar „Mann“/ „Frau“, das einzig in Gal 3,28 vorkommt (ἄρσεν/θῆλυ; es handelt sich genau genommen um die biologischen Geschlechterbegriffe „Männchen“/„Weibchen“ – vgl. das Englische „male“/„female“ – statt die üblichen Genderbegriffe ἀνήρ/γυνή), wird hier nicht erwähnt;305 dafür das sonst nirgends angeführte Paar „Barbar“/„Skythe“.
III Einzelexegese 5 Die Gläubigen in Kolossä sollen sich, wie die Analyse von 3,1-4 gezeigt hat, nach der von Gott gewollten Lebensweise ausstrecken, die ihnen in Christus zugänglich gemacht worden ist. Diese Lebensweise verlangt als Konsequenz (οὖν) das Bemühen um ethische Veränderung. Darum geht es in der diese Perikope einleitenden Aufforderung: Tötet deshalb die Glieder, die auf der Erde sind (νεκρώσατε οὖν τὰ μέλη τὰ ἐπι τῆς γῆς). Das finite Verb, das wir mit „tötet“ übersetzen (2. Pers. Plur. Imp. von νεκρόω), kommt nur an dieser Stelle in NT vor (das Pass. Part. mit der Bedeutung „abgestorben“ begegnet uns in Röm 4,19; Hebr 11,12). An anderer Stelle macht Paulus metaphorischen Gebrauch vom Bild der Gliedmaßen (μέλη) eines menschlichen Körpers, um das aufeinander Angewiesensein der Gläubigen am Ort zu ver303 Vgl. Meeks, Image, 180-182. 304 So Wolter 181. 305 Warum Paulus dieses Gegensatzpaar im Kol nicht thematisiert, bleibt ein Rätsel, über das bloß spekuliert werden kann. Viele vermuten, dass dies der vermeintlich Frauen herabstufenden Lehre der Haustafel weichen musste (vgl. Pokorný 143-144; Luz 230). Diese Erklärung scheitert am Vorhandensein des Gegensatzpaares „Sklave“ / „Freier“ in der Formel trotz der restriktiven Sklavenparänese in der Haustafel-Tradition. Der Grund für die Auslassung könnte banaler sein: Vielleicht war die Rolle der Geschlechter – im Gegensatz zu Fragen bzgl. der Notwendigkeit, das jüd. Gesetz zu halten, und des Slaven / Herr-Verhältnisses – einfach kein Thema in der Gemeinde in Kolossä.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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anschaulichen. Dieser ekklesiologische Gebrauch der Metapher, nach der die Angehörigen der Gemeinde als Körperglieder dargestellt werden, ist vor allem aus 1Kor 12 bekannt (vgl. aber auch Röm 12,4-5; Eph 4,25; 5,35). Im Schatten dieses großen ekklesiologischen Entwurfs steht der bescheidenere Gebrauch der Leibmetaphorik an unserer Stelle um den Vorgang, wonach man die Sünde von sich weist, bildhaft darzustellen. Die Aussage ist keineswegs „seltsam verschlüsselt“,306 sondern durchaus zugänglich: Die Gliedmaßen stehen katachrestisch für einzelne Sünden, die man abtöten soll.307 Dieses Bild kommt bei Paulus kein zweites Mal vor (in Röm 6,12-23; 7,5.23 steht „Glieder“ synekdochisch für den wirklichen Leib bzw. die Körpersubstanz), aber das Konzept hinter der Metaphorik begegnet uns auch in Röm 8,13: Diejenigen, die im Geist wandeln, sollen die „Werke des Körpers“ töten. Zusammen erschließen diese Texte bzw. Röm 6–8 insgesamt einen wichtigen Aspekt der Hamartiologie des Paulus. Für ihn hängt die Neigung zur Sünde unter den Nachfolgern Jesu – ein Zustand, den der in ihnen wohnende Geist Gottes nicht einfach dulden kann – damit zusammen, dass sie noch im sterblichen Leib bzw. im von der Sünde behafteten Fleisch existieren (vgl. Röm 7,24-25; 8,3). Diese Vorstellung entspricht allgemeinen frühjüd. Konzeptionen (vgl. Jak 4,1; syrApkBar 49,3) und verlangt ein hartes Vorgehen, um sich von sündhaften Verhaltensweisen zu trennen. Einzelne Sünden müssen mit drastischen Gegenmaßnahmen bekämpft werden, die einem Abtöten eines Körpergliedes gleichkommen. Macht man sich die Mühe, dieses erschreckende Bild genauer auszumalen, so kann man sich kaum der Überlegung erwehren, dass Paulus an dieser Stelle das Jesuslogion von der Hand bzw. vom Auge, die/das einen zum Bösen verführt, und besser abgehackt bzw. ausgerissen werden soll (vgl. Mt 5,29-30; 18,8-9 par), rezipiert.308 Das lässt sich allerdings nicht eindeutig beweisen; es bleibt bei der Feststellung einer bemerkenswerten motivgeschichtlichen Übereinstimmung zwischen Jesus und Paulus. Diese liegt am ehesten an ihrer gemeinsamen Verwurzelung in den Gesetzesbestimmungen des AT.309 306 So Gnilka 179. 307 Einige Kommentatoren deuten μέλη auch hier konkret im Sinne von wirklichen Gliedmaßen (vgl. Moule 115-116), wollen aber das Töten selbstverständlich metaphorisch verstehen. Paulus habe demnach gewollt, dass die Kolosser ihre sterblichen Leiber für tot erachten (vgl. Röm 8,10). Das auf 3,5a folgende Sündenregister scheint aber hier in Apposition zu τὰ μέλη zu stehen (vgl. unten), was seine metaphorische Identifikation mit den Gliedern wahrscheinlich macht. 308 Vgl. Davies, Judaism, 139; Wenham, Paul, 274-275. 309 Vgl. Bevere, Sharing, 190-192.
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II. Auslegung
Die Verortung der Glieder „auf der Erde“ sorgt in der Forschung für Diskussion. Schweizer vermutet dahinter komplexe Übereinstimmungsmomente zwischen „platonisch-pythagoreischen“ Konzeptionen vom Weltleib, der im „kleinen Kosmos“ des menschlichen Leibes abgebildet sei, und der Vorstellung von Christen, deren Glieder noch auf der Erde sind, obwohl sie eigentlich bereits der himmlischen Sphäre angehören.310 Näher liegt jedoch die Verbindung zu 2,2, wo die Dinge, die oben sind, den Dingen, die „auf der Erde“ sind, gegenübergestellt werden. Es handelt sich also jeweils um eine der himmlischen Sphäre bzw. der Erde entsprechende Lebensweise (vgl. zu 3,3). Nachdem Paulus in der vorhergehenden Perikope zum Nachsinnen über himmlische Abläufe ermahnt, fordert er in diesem Abschnitt zum entsprechenden Handeln gegen eine irdische Lebensweise. Diese Lebensweise wird anhand eines fünfgliedrigen Sündenregisters beschrieben, das in Apposition zu „Glieder“ steht:311 Unzucht, Unreinheit, unbändige Leidenschaft, abartige Begierde, und vor allem die Habgier, die dem Götzendienst gleichkommt (πορνείαν ἀκαθαρσίαν πάθος ἐπιθυμιαν κακήν καὶ τὴν πλεονεξίαν ἥτις ἐστιν εἰδωλολατρία). Die einzelnen Sünden wollen keine vollständige Liste der möglichen Sünden sein,312 sondern sind exemplarischer Natur. „Unzucht“ (πορνεία) bezeichnet die ganze Breite außerehelicher geschlechtlicher Beziehungen.313 Sie steht auch am Beginn der Sündenregister in 1Kor 6,9-10 bzw. Gal 5,19, und ihr folgt „Unreinheit“ (ἀκαθαρσία), wie in Gal 5,19. Das Wort, das uns häufig im kultischen Kontext in der LXX begegnet, hat aber diese Nuance bereits vor dem ntl. Zeitalter verloren.314 Es kommt im NT außer in Mt 23,27 nur bei Paulus (vgl. Röm 1,24; 6,19; 2Kor 12,21; Gal 5,19; Eph 4,19; 5,3; Kol 3,5; 1Thess 2,3; 4,7) vor, wo sein Bedeutungsspektrum jegliche Art von moralischer Verdorbenheit umfasst; an unserer Stelle konnotiert es durch die Verknüpfung mit Unzucht (vgl. auch 2Kor 12,21; Eph 5,3.5) insbes. sexuelle Verunreinigung. Das Lexem, das wir mit „unbändiger Leidenschaft“ übersetzen (πάθος), kann eine neutrale oder positive Nuance haben, aber im NT hat das seltene Wort (es kommt nur noch in Röm 1,26 und 1Thess 4,5 vor) eine ausschließlich negative Konnotation im Sinne eines ungezügelten Verlangens nach sexueller Be310 Vgl. Schweizer 138-139. 311 Vgl. Lohse 198. 312 Kontra Wolter 174. Grant, Decalogue, 6, ist der Meinung, dass die Liste zur Veranschaulichung des sechsten und des zehnten Gebots des Dekalogs dient. Die Übereinstimmungsmomente sind aber alles andere als exakt. 313 Vgl. Bauer 1389; Wolter 175; Luz 228; Sumney 189; Maisch 221. 314 Vgl. Dunn 214.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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friedigung. Nach einer Dreierkette, mit der Betonung eindeutig auf sexuellen Sünden,315 wird die Perspektive durch den Ausdruck „abartige Begierde“ (ἐπιθύμια κακή) erweitert; er bezeichnet die Sehnsucht nach allen möglichen Dingen, darunter natürlich auch verbotene sexuelle Praktiken.316 So gesehen erleichtert das Vorkommen dieses Ausdrucks an vorletzter Stelle den Übergang zur letztgenannten Sünde in der Liste, der „Habgier“ (πλεονεξία). Das Lexem begegnet uns 8-mal in der LXX, 10-mal im NT, davon 6mal bei Paulus (außer hier auch in Röm 1,29; 2Kor 9,5; Eph 4,19; 5,3; 1Thess 2,5). Trotz mancher Versuche, das Gegenteil zu beweisen,317 trägt es keine sexuelle Nuance.318 Diese Sünde fällt aus der Reihe, zum einen aus dem eben genannten Grund, zum anderen, weil Paulus ihr erklärend hinzufügt, dass sie dem Götzendienst gleichkommt (ἥτις ἐστιν εἰδωλολατρία). Sie wird außerdem hervorgehoben dadurch, dass ihr sowohl die Partikel καὶ (wahrscheinlich mit steigernder Bedeutung)319 als auch der entsprechende Artikel vorsteht;320 das trifft auf kein weiteres Glied weder in diesem noch in dem in 3,8 vorkommenden Lasterkatalog zu. Die Gleichsetzung der Habgier mit Götzendienst, die uns auch in der Parallelstelle Eph 5,5 begegnet, wirkt vielen zunächst übertrieben (so bereits Chrysostomus, Hom. Eph. 18, a.a.O.), gilt doch Götzendienst als die Apostasie schlechthin.321 Rosner verweist in seiner ausführlichen Untersuchung der Identifikation der beiden Konzepte in Kol 3,5 und Eph 5,5 auf die vielen Gemeinsamkeiten zwischen Habgier und Götzendienst aus biblischer Sicht.322 Insbesondere aber ähnelt Habgier dem Götzendienst, indem sie Gott mit anderen Dingen – Geld, materiellen Gütern – ersetzt, die ihn als Objekt der höchsten Liebe, des Vertrauens und Gehorsams des Menschen verdrängen.323 Das Jesuslogion, nachdem der gleichzeitige Dienst Gottes und des Mammon unmöglich sei (vgl. Mt 6,24 par Lk 16,13), war Paulus vielleicht bekannt, aber hier liegt keine unmittelbare Anspielung darauf vor, sondern sowohl Jesus als
315 316 317 318
319 320 321 322 323
Kontra Bormann 158, für den nur der erste Terminus sexuell konnotiert ist. Vgl. Lightfoot 211-212; Maisch 221. Vgl. Dunn 215; Moo 257; Baumert/Seewan 139, Anm. 55. Vgl. Lightfoot 212; Foster 322-323. Damit soll nicht geleugnet werden, dass es in bestimmten Kontexten eine sexuelle Konnotation haben kann, aber auch diese sind verhältnismäßig selten in der griech. Bibel. Vgl. die ausführliche Analyse bei Rosner, Greed, 105-107. Vgl HvS §259,29b mit Lightfoot 212: „and especially“. Vgl. u.a. Lohse 200; O’Brien 174. Vgl. Rosner, Greed, 3. Ebd. 149-154. Ebd. 159-164.
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II. Auslegung
auch Paulus spiegeln eine typische jüd. Denkweise wider.324 Gemeinsam haben alle in dieser Liste aufgeführten Sünden, dass sie die Unfähigkeit bezeichnen, die Begierde zu bändigen bzw. auf ihr angemessenes Objekt hinzulenken und somit gemäß dem Willen Gottes zu befriedigen. 6 Die Auflistung dieser Laster veranlasst Paulus zu einer dem modernen Menschen befremdlichen Feststellung: Ihretwegen kommt der Zorn Gottes (δι ̓ ἃ ἔρχεται ἡ ὀργὴ τοῦ θεοῦ). Die Parallelstelle Eph 5,6 identifiziert das Objekt des Zorns Gottes genauer als „die Kinder der Ungerechtigkeit“, und die Texttradition ergänzte mit diesem gleichen Zusatz sehr früh an unserer Stelle, wohl um ihre Härte etwas abzumildern (vgl. die textkritische Anmerkung zu 3,6). Es handelt sich trotz der Präsensform des Verbs eindeutig um das eschatologische Gericht Gottes gegen die Sünde (vgl. z.B. 1Thess 1,10).325 Dass Gottes Zorn (ὀργή) die angemessene und sogar notwendige Reaktion eines heiligen Gottes auf menschliche Sünde ist,326 entspricht der Überzeugung des Paulus (vgl. Röm 1,18-32; 2,5.8; 3,5-6; Eph 2,3); ebenso aber die Ansicht, dass Gott die Menschen vor seinem Zorn retten will (vgl. Röm 5,9; 1Thess 1,10). Darin erweist sich, dass mit Gottes Zorn kein unbändiger Affekt gemeint ist,327 sondern die konsequente, in seinem Wesen verankerte Abneigung gegen die Sünde, die ihn unbeirrbar bewegt, sie auszulöschen und damit Gerechtigkeit wiederherzustellen. Die Erwartung des kommenden Zorngerichts Gottes ist ein selbstverständlicher Bestandteil atl. und jüd. Erwartung, die laut frühchristlichem Zeugnis auch von Jesus (vgl. u.a. Mt 10,15; 12,4243; 25,31-46; Joh 3,18; 12,31), dem Täufer (vgl. Mt 3,7; Joh 3,36), Jakobus, dem Herrnbruder (vgl. Jak 5,9), Petrus (vgl. 2Petr 3,7) sowie dem Schreiber des Hebräerbriefes (vgl. Hebr 10,27) und dem Schreiber der Apokalypse (vgl. u.a. Offb 11,17-18; 21,11-15) geteilt wird. 7 Paulus erinnert die Kolosser daran, dass dieser Lasterkatalog vormals ihren Lebensstil beschrieb: Auch ihr habt diese Dinge einst praktiziert, als ihr darin verstrickt wart (ἐν οἷς καὶ ὑμεῖς περιεπατήσατέ ποτε ὅτε ἐζῆτε ἐν τούτοις). Dafür bedient er sich nochmals des frühchristlichen Einst / JetztSchemas (vgl. zu 1,21). Wörtlich heißt es, dass sie in diesen Dingen „wandelten“ (Aor. von περιπατέω; für diese Redewendung vgl. zu 1,10) und „lebten“ (Impf. von ζάω). Diese Behauptung wirkt tautologisch,328 besonders in deutscher Übersetzung (welche die chiastische Form nicht zur Geltung kommen 324 325 326 327 328
Vgl. Wolter 175; Maisch 221. Vgl. Gnilka 183. So auch Moo 258. Vgl. Lindemann 56. Vgl Pokorný 141.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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lässt),329 aber der Aorist des ersten Verbs ist konstatierend, während das Imperfekt des zweiten Verbs einen durativen Aspekt hat.330 Letzteres übersetzen wir daher mit „verstrickt sein“, um die eindeutig negative Konnotation des Gemeinten zu erfassen. Paulus will also die Gläubigen in Kolossä vor einem Rückfall in eine ihnen allzu vertraute Lebensweise, die nichts mit einem des Herrn würdigen „Lebenswandel“ zu tun hat (vgl. 1,10), mit Nachdruck warnen. Ihr früheres Leben war von diesen Sünden gekennzeichnet (vgl. Eph 2,12); so darf es nie wieder werden. Gleichzeitig will Paulus trösten und ermutigen: Diesen Lebensstil haben die Nachfolger des Messias hinter sich gelassen; das Zorngericht Gottes wird sie nicht mehr treffen. 8 Weil die Christen in Kolossä nicht länger gemäß ihrer alten Lebensweise agieren sollen, sieht sich Paulus genötigt, sie bzgl. eines weiteren Bereiches ihres Lebens ermahnend anzusprechen: Nun aber müsst ihr auch all diese ablegen: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Gerede (νυνὶ δὲ ἀπόθεσθε καὶ ὑμεῖς τὰ πάντα ὀργήν θυμόν κακίαν βλασφημίαν αἰσχρολογίαν ἐκ τοῦ στόματος ὑμῶν). Noch einmal begegnet uns ein fünfgliedriger Lasterkatalog (vgl. zu 3,5), diesmal aber werden Sünden genannt, die schwerpunktmäßig verbale Äußerungen betreffen. „Zorn“ (ὀργή), die angemessene Reaktion Gottes auf die Sünde (vgl. zu 3,6), ist völlig unangebracht als menschlicher Affekt. Paulus teilt wohl die Einschätzung des Jakobus, dass menschlicher Zorn im Gegensatz zu seinem göttlichen Pendant i.d.R. nicht Gerechtigkeit bewirkt (vgl. Jak 1,20), sondern das Gegenteil. „Wut“ (θυμός) ist ein häufiger Terminus in der LXX und im NT (er kommt aber außer hier nur noch 4-mal im CP vor; vgl. Röm 2,8; 2Kor 12,20; Gal 5,20; Eph 4,31) und wird oft im selben Atemzug mit Zorn genannt. In der Antike verstand man darunter – falls ein semantischer Unterschied zwischen den beiden Dispositionen ausgemacht werden kann –331 die anfallsartige Äußerung des Zorns in Wort und Tat.332 „Bosheit“ (κακία; außer hier 10-mal im NT, davon 6-mal im CP: Mt 6,24; 8,22; Röm 1,29; 1Kor 5,8; 14,20; Eph 4,31; Tit 3,3; Jak 1,21; 1Petr 2,1.16) ist ein allgemeiner Begriff für moralisch verwerfliches Be329 Vgl. Heil 142-143:
a „in denen“ (ἐν οἷς) b „auch ihr wandeltet“ (καὶ ὑμεῖς περιεπατήσατέ) c „einst“ (ποτε) c' „damals“ (ὅτε) b' „ihr lebtet“ (ἐζῆτε) a' „in ihnen“ (ἐν τούτοις) 330 Vgl. Harris 149; Foster 326. 331 Vgl. Lohse 203. 332 Vgl. die Belege in den Stoikern und den Kirchenvätern bei Lightfoot 214.
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II. Auslegung
nehmen. Hier wird damit im Kontext, wie in Eph 4,31, vor allem gehässiges Gespräch konnotiert.333 „Lästerung“ (βλασφημία; im CP nur noch in der Parallelstelle Eph 4,31 und 1Tim 6,4 belegt) bezeichnet verleumderisches Reden über andere; nicht nur über die Gottheit, wie man fälschlicherweise aufgrund einer anachronistischen Auffassung des griech. Begriffes, von dem das Fremdwort „Blasphemie“ abgeleitet wird, vielleicht vermuten würde. Das Wort, das wir mit „schändliches Gerede“ (αἰσχρολογία) übersetzen, kommt nur hier in der griech. Bibel vor. In außerbiblischen Texten bezeichnet es obszöne Äußerungen, überlappt aber auch mit dem semantischen Feld von βλασφημία und umfasst somit auch lästerliche und insbesondere ausfällige Aussagen über andere Leute.334 Das Präpositionsgefüge ἐκ τοῦ στόματος ὑμῶν bezieht sich wahrscheinlich nur auf das letzte Glied in der Liste;335 dadurch wird aber der allgemeine Eindruck verstärkt, dass der Katalog als Ganzes Sünden der „Zunge“, wie Jakobus diese wohl nennen würde (vgl. Jak 3,1-12), thematisiert. All diese Sünden336 sollen als Folge der Identifikation mit Christus in der Taufe (νυνὶ δέ) abgelegt werden (ἀπόθεσθε). Das Bild vom Töten der Körperglieder (vgl. 3,5) weicht nun einer anderen Metapher, die nun den restlichen Abschnitt bestimmt: das Aus- bzw. Anziehen von Kleidern.337 In ihrer ausführlichen Untersuchung der Kleidermetaphorik im Kol führt Rosemary Canavan die identitätsstiftende Funktion von Kleidern in der Antike deutlich vor Augen. Demzufolge nimmt Paulus eine „visual construction of identity“ vor, die die Gläubigen in Kolossä daran erinnern soll, dass sie im Zuge ihrer Bekehrung bzw. ihrer Aufnahme in die Gemeinde einen neuen Status haben. Dieser kommt darin zum Ausdruck, dass sie sich dementsprechend – metaphorisch natürlich – neu einkleiden.338 Dass Paulus an einen bestimmten Taufritus denkt, demgemäß die Täuflinge tatsächlich ihre Kleider ausziehen bzw. nach der Taufe neue anziehen,339 lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.340 Diese Annahme stützt sich vor allem auf die Nähe von Taufparänese und Kleidermetaphorik in Gal 3,26, aber eine solche konzeptuelle Verbindung 333 Vgl. Moo 264. 334 Vgl. Lightfoot 214. 335 Vgl. Sumney 197; Foster 330. Schweizer 145 und Barth/Blanke 407 beziehen es auf die letzten beiden Glieder, geben aber keine überzeugenden Gründe dafür. 336 Τὰ πάντα bezieht sich kataphorisch auf den Lasterkatalog in 3,8 (so Moule 118; O’Brien 187; Moo 263), nicht anaphorisch auf 3,6 (so Lightfoot 214). 337 Vgl. Canavan, Clothing, 143-145. So auch O’Brien 186; Gnilka 184; Pao 223; Heil 148; MacDonald 136. Moo 263-264 bestreitet, dass es sich hier um den metaphorischen Gebrauch von ἀποτίθημι handelt. 338 Vgl. Canavan, Clothing, 45-48. Vgl. auch Beale 866. 339 Vgl. Meeks, Image, 183; Tidball, Christ, 79; Maier, Picturing, 66. 340 Vgl. Canavan, Clothing, 47; Foster 333-334.
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fehlt im Kol. Noch unwahrscheinlicher – jedenfalls fehlt jeglicher Hinweis im Text dafür – ist ein Bezug zu Bekleidungsriten der Mysterien.341 Der Traditionshintergrund ist wohl eher in der Geschichte von Adam und Eva zu suchen, die nach dem Sündenfall ihre erbärmlichen Schürzen ablegen, um von Gott neu eingekleidet zu werden (vgl. Gen 3,7.21).342 Dafür spricht vor allem, dass in 3,10 eine deutliche Anspielung auf die Erschaffung Adams erkennbar ist (vgl. dazu unten). 9 Dem zweiten Lasterkatalog lässt Paulus einen Imp. folgen, der eine weitere Sünde der Zunge verbietet: Hört auf, einander zu belügen (μὴ ψεύδεσθε εἰς ἀλλήλους). Paulus gebraucht das Verb sonst nur negiert als rhetorische Beteuerung, dass er die Wahrheit spricht („ich lüge nicht“; vgl. Röm 9,2; 2Kor 11,31; Gal 1,20; 1Tim 2,7). Ein ausdrückliches Gebot gegen das Lügen kommt bei ihm nur hier und in der Parallelstelle Eph 4,31 vor. Die formale Eingrenzung des Verbots auf die Gemeindeglieder („einander“) bedeutet natürlich nicht, dass Lügen außerhalb der Gemeinde in Ordnung wäre. Vermutlich weiß Paulus von Epaphras oder aus anderen Quellen, dass die Gläubigen in Kolossä in dieser Hinsicht einer besonderen Ermahnung bedürfen. Die Form des Verbots erweckt jedenfalls diesen Eindruck, denn der negierte Imp. Präs. (μὴ ψεύδεσθε) zielt i.d.R. auf die Einstellung einer bereits vorhandenen Verhaltensweise.343 Spezifische Vorfälle sind dem Kol nicht zu entnehmen, aber in der Jerusalemer Gemeinde sah sich Petrus veranlasst, gegen diese giftige Blüte mit aller Härte vorzugehen (vgl. Apg 5,3-4). Paulus pflichtet Petrus implizit bei, dass das gegenseitige Vertrauen in der Gemeinde durch einen lockeren Umgang mit der Wahrheit auf keinen Fall zerstört werden darf. Die besondere Abneigung des Apostels gegen das Lügen hat vielleicht nicht nur pragmatische, sondern auch theologische Gründe. Es fällt nämlich auf, dass Lügen, wie Habgier (vgl. 3,5), von Paulus an anderer Stelle mit Götzendienst in Verbindung gebracht wird (vgl. Röm 1,25),344 sodass beide Lasterkataloge eventuell über diese Gemeinsamkeit miteinander verknüpft werden können. So gesehen belegen insbes. die in ihnen exemplarisch aufgeführten Verhaltensweisen – falsches Begehren und gehässiges Reden – eine fehlgeschlagene Verhältnisbestimmung zum Schöpfer, die für den Apostel die Wurzel allen Götzendienstes ist (vgl. Röm 1,18-32).
341 342 343 344
So Lohse 204. Vgl. O’Brien 189. Vgl. Beale 866-867; Canavan, Clothing, 151. Vgl. HvS §212e. So auch Bruce 140; Dunn 220. Vgl. Pao 225.
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II. Auslegung
Der Eindruck, dass eine solche jüdisch-monotheistische Grundhaltung hinter der Paränese steht, wird durch die Begründung in 3,9b-10 verstärkt: Denn ihr habt den alten Menschen zusammen mit seinen Praktiken ausgezogen und den neuen Menschen angezogen (ἀπεκδυσάμενοι τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον σὺν ταῖς πράξεσιν αὐτοῦ τὸν νέον). Die beiden Aor. Med. Partizipien (ἀπεκδυσάμενοι … καὶ ἐνδυσάμενοι; zu ἀπεκδύομαι vgl. zu 2,11) haben eine kausale Sinnrichtung345 und beziehen sich auf bereits in der Taufe Geschehenes.346 Die Kleidermetaphorik wird nun auf unerwartete Weise fortgeführt. Da zum einen bereits in 3,5 sündhafte Verhaltensweisen mit Körpergliedern verglichen wurden und zum anderen solche Verhaltensweisen in 3,8 als Kleidungsstücke dargestellt wurden, die ausgezogen werden sollen, lässt sich Paulus dazu verleiten, diese Bilder miteinander zu kombinieren. Freilich überspannt er damit den Bogen: Es ist nun der ganze „alte Mensch“ (vgl. Röm 6,12; Eph 4,22), dem die ganze Palette an Sünden förmlich in den Gliedern steckt – „zusammen mit seinen Praktiken“ umfasst wohl beide Lasterkataloge –, der ausgezogen werden muss, damit der neue Mensch wie mit einem neuen Anzug eingekleidet werden kann. 10 Wer genau ist dieser neue Mensch? Einerseits geht die Antwort auf diese Frage aus dem impliziten Bezug zur Taufe hervor: Er ist „niemand anderer als der in der Taufe mit Christus auferstandene“.347 Andererseits greift Paulus nach einer tiefer gehenden heilsgeschichtlichen Antwort, die im Menschsein nach Gottes Schöpfungsabsichten begründet ist: Dieser wird durch Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat, erneuert (τὸν ἀνακαινούμενoν εἰς ἐπιγνωσιν κατ̓ εἰκόνα τοῦ κτίσαντος αὐτόν). Hier liegt eine klare Anspielung auf die Erschaffung des Menschen in Gen 1,26-27 vor.348 Dort beschließt Gott „den Menschen gemäß seinem Ebenbild“ (ἄνθρωπον κατ̓ εἰκόνα kommt 2-mal vor) zu machen. Die lexikalische Übereinstimmung mit unserem Text ist auffällig. Der Bezug ist also zum Menschen in seinem ursprünglichen Zustand nach seiner Erschaffung. Jener neue Mensch ist aber nicht mit einem Schlag vorhanden, sondern entsteht erst durch einen Prozess der „Erneuerung“ (ἀνακαινούμενoν = Präs. Pass. Part. von ἀνακαινόω; das Verb begegnet uns nur noch in 2Kor 4,16, dazu kommt das entsprechende nomen actionis in Röm 12,2 und Tit 3,5 hinzu), ein 345 Kontra Lightfoot 215; Lohse 203-204; Pokorný 142-143, die den Partizipien eine imperativische Nuance verleihen wollen, und Lindemann 55, der sie modal auffasst. 346 Vgl. Schnackenburg, Mensch, 400-401; Gnilka 185-185; Wolter 178-179. D.h. aber nicht, dass hier ein bestimmter Taufritus referiert wird. Vgl. die Diskussion zu 3,8. 347 Wolter 179. 348 So die Mehrheit der Kommentatoren. Kontra Wilson 252.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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charakteristisch paulinisches Konzept im NT.349 In diesem attributiven Partizip steckt das ganze anthropologische Drama des Sündenfalls, denn aus dem nach dem Ebenbild Gottes geschaffenen Menschen ist „eine erschreckende Erscheinung boshafter Neigungen und sündhafter Begierden“ geworden.350 Dieser „alte Mensch“ muss wie ein verdrecktes Kleidungsstück ausgezogen und mit einem neuen ersetzt werden (vgl. auch die Parallelstelle in Eph 4,24). Der neue Mensch hat hingegen, wie der Bezug zur anfänglichen Schöpfung deutlich impliziert, Anteil an der neuen Schöpfung (vgl. 2Kor 5,17). Es geht also nicht bloß um die neue Ausstattung des Menschen mit göttlichen Werten und Tugenden, sondern um die Konstruktion einer neuen Wirklichkeit, von der die Nachfolger Jesu ergriffen werden.351 Diese Erneuerung ist auf „Erkenntnis“ (εἰς ἐπιγνωσις; vgl. zu 1,9) angelegt. Die genaue Nuance der Präp. εἰς ist unklar;352 am ehesten ist mit einer Konsekutivergänzung zu rechnen:353 Die erzielte Erneuerung führt zur Erkenntnis von Gott und seinen Wegen, welche Adam hatte, aber durch seine Auflehnung gegen Gott einbüßte (vgl. Röm 1,18-32), und welche nun durch die neuschöpferische Tätigkeit Gottes bzw. Christi erschlossen wird.354 Von der „Erneuerung des Sinnes“ (ἀνακαινώσις τοῦ νοὸς) spricht Paulus in Röm 12,2. Dadurch wird der Gläubige wieder in die Lage versetzt, den Willen Gottes zu erkennen. Genau darum geht es auch hier, denn von „Erkenntnis“ war bereits im Gebet des Paulus für die Kolosser (1,9-14) die Rede. Davon sollen sie erfüllt werden und darin wachsen. Die Gläubigen in Kolossä werden somit befähigt, ein Leben zu führen, das des Herrn würdig ist (vgl. zu 1,9-10). Der Mensch soll wörtl. „gemäß dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat“, erneuert werden. Während der Bezug zu Gott als Schöpfer in Gen 1,2627 eindeutig ist, entsteht durch die Aufnahme des Intertextes in den Kol eine gewisse Zweideutigkeit, die wahrscheinlich von Paulus gewollt ist. Denn es gehört zu den Hauptanliegen des CL, Christus als Mitbeteiligten an der Schöpfung des Alls – und somit des Menschen – darzustellen (vgl. 1,16), und es ist „äußerst unwahrscheinlich“, dass 3,10 ohne Bezug zum CL formuliert wurde.355 Wie unserer Analyse des CL bereits gezeigt hat (vgl. zu 1,15), ist Christus selbst das vollkommene Ebenbild Gottes, demgemäß (κατά) – also im 349 350 351 352 353 354 355
Vgl. Buchegger, Erneuerung, 83. Schnackenburg, Mensch, 396. Ähnlich Schweizer 148; O’Brien 189-190; Dunn 221. Die semantischen Optionen legt Harris 152-153 dar. Vgl. Zerwick/Grosvenor, Analysis, 609. So auch Lightfoot 215; MacDonald 138. Vgl. Dunn 221-222. Hübner 104. Kontra Schnackenburg, Mensch, 403-404; Wolter 180.
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II. Auslegung
Sinne des Verhältnisses zwischen Prototyp und Nachbau – die Menschen geschaffen wurden. Diese ursprüngliche Ähnlichkeit zum Ebenbild sollte nun nach und nach erneuert werden (vgl. 2Kor 3,18). 11 Durch die Erneuerung des Menschen entsteht nach Vorstellung des Apostels ein neues Gemeinwesen,356 in dem die alten das Weltsystem begründenden Dualitäten keine Rolle mehr spielen:357 Dort, wo er ist, kann es keinen Griechen oder Juden, keinen Beschnittenen oder Unbeschnittenen, keinen Barbaren oder Skythen, keinen Sklaven oder Freien mehr geben (ὅπου οὐκ ἔνι Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος περιτομὴ καὶ ἀκροβυστία βάρβαρος Σκύθης δοῦλος ἐλεύθερος). Das Adverb „wo“ bzw. „dort“ (ὅπου) könnte sich sowohl auf den neuen Menschen oder auf das Ebenbild in 3,10 beziehen. Letzteres ist wahrscheinlicher, denn die seltene und standardisierte Negation οὐκ ἔνι (außer hier noch in 1Kor 6,5; Gal 3,28; Jak 1,17; das Finitum ἔνειμι kommt im NT nur in diesen Versen vor) findet eine deutliche Parallele in Gal 3,28. Dort fungiert sie, genau wie hier, um auf die prinzipielle Unmöglichkeit – οὐκ ἔνι bedeutet nicht bloß, dass das darauffolgende Prädikat nicht existiert, sondern dass es nicht existieren darf oder kann –358 des weiteren Aufrechterhaltens religiös-ethnischer und sozialer Unterschiede „in Christus“ hinzuweisen.359 In ihm gelten die binären Kategorien, ohne die sich der antike Mensch die Welt kaum vorstellen konnte,360 nicht mehr. Die Argumentationsweise macht aber trotzdem klar, dass auch „der neue Mensch“ im Blick ist. Dieser steht, wie in Eph 2,15, für die neue Menschheit, die durch die wiederhergestellte Beziehung zum Schöpfer gemäß dem „Ebenbild“ (= Christus; vgl. dazu oben) erneuert wird. Paulus denkt m.a.W. nicht an Individuen, sondern an die Gemeinde als Ganze. Es folgen nun vier Begriffspaare. Die ersten zwei nehmen eine jüdische Perspektive ein; die letzten zwei beziehen sich auf konventionelle ethnische und sozioökonomische Betrachtungsweisen im Hellenismus. Die Liste folgt aber sonst einer nicht ganz nachvollziehbaren Logik bzgl. ihrer Zusammensetzung, und die Konnotationen einzelner Elemente, insbes. des dritten Ge356 Vgl. Schnackenburg, Mensch, 406. 357 Leithart, Delivered, 224-225, versteht das Werk Christi und des Geistes als restlosen Abbau der Stoicheia-Herrschaft, die die Welt in binäre Gegensätze aufteilt. Leitharts Verständnis von den „Elementen“ ist von stoischen Vorstellungen geprägt, die Paulus nicht nachweislich teilte. Seine Einsicht im Hinblick auf die Überwindung binärer Kategorien entspricht dennoch paulinischem Denken und ist für Ekklesiologie und Ethik äußerst hilfreich. 358 Vgl. Lightfoot 216. 359 Vgl. Wolter 181; Dunn 222. 360 Vgl. Lloyd, Polarity, 15-26.
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gensatzpaares (falls es sich tatsächlich um ein Gegensatzpaar handelt; dies wird von vielen Exegeten infrage gestellt),361 sind teilweise umstritten. Diese wollen wir im Folgenden jeweils paarweise untersuchen: Das Gegensatzpaar „Grieche“/„Jude“ (Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος) stellt wahrscheinlich die grundlegende Aufteilung in die zwei für einen Juden prägenden Kulturkreise dar.362 Der Gebrauch des Wortpaares ist in zweierlei Hinsicht anders als sonst bei Paulus: Zum einen wird es im Röm weitestgehend synonym für „Beschnittener“/„Unbeschnittener“ im Sinne einer religio-ethnischen Unterscheidung gebraucht; hier haben die Begriffe eine andere Konnotation. Zum anderen ist die Reihenfolge der Begriffe nur hier vertauscht; sonst steht „Jude“ überall an erster Stelle. Man kann über die Ursache für diese Abweichung von der Gewohnheit des Apostels nur spekulieren. Am ehesten ist an ein rhetorisches Zugeständnis an sein nichtjüd. Publikum zu denken, das die offensichtlich jüd. Innenperspektive ausgleichen soll.363 Die Juden im 1. Jh. lebten in einer Welt, in der hellenistische Philosophien, gesellschaftliche Werte, Kunst- und Architekturformen und vieles mehr vorherrschend waren. Keine – nicht einmal die Einwohner Palästinas und erst recht nicht Diaspora-Juden – konnten sich ihrem Einfluss ganz entziehen.364 Dieser war ihnen in vielen Fällen nicht bewusst, aber es gab genug eklatante Reibungspunkte (z.B. Essensgewohnheiten, Kleidungsstil, sexuelle Normen etc.), die insbesondere Juden pharisäischer Prägung zum „Kulturkampf“ aufstachelten. Sie wollten ihre überlegene Lebensweise (ihrer Meinung nach; Nichtjuden sahen die Dinge natürlich anders) vor solchen kulturellen Strömungen schützen. Noch wichtiger für fromme Juden als die soziokulturelle Unterscheidung zwischen Juden und Griechen war die kultisch-religiöse Grenze zwischen Juden und Nichtjuden, die symbolisch vor allem durch Beschneidung markiert war. Die Beschneidung als Zeichen des Bundes Gottes mit Israel diente der Absonderung des jüdischen Volkes als Volk Gottes schlechthin. Das Begriffspaar „Beschnittene“/„Unbeschnittene“ (περιτομὴ καὶ ἀκροβυστία) beschreibt somit den aus jüd. Sicht wichtigsten Unterschied zwischen Menschen überhaupt. Wir haben gesehen, dass die Vertreter der KI die Einhaltung des jüd. Gesetzes einschließlich der Beschneidung einforderten (vgl. insbes. zu 2,11.16). Dieser judaisierenden Tendenz gebietet Paulus Einhalt, indem er, genauso wie im Gal, die darin zum Ausduck kommende grundlegende kulti-
361 362 363 364
Vgl. Foster 338. Ähnlich Pao 227. Vgl. O’Brien 192; Foster 340. Vgl. Hengel, Judentum, 191-195.
300
II. Auslegung
sche Unterscheidung des alten Bundes für überwunden erklärt in Christus (vgl. Gal 3,28; 5,6; 6,15). Das dritte Begriffspaar „Barbar“/„Skythe“ (βάρβαρος Σκύθης) sorgt wegen seiner Einzigartigkeit für rege Diskussion in der Forschung. Das Lexem βάρβαρος kommt an vier weiteren Stellen im NT vor (vgl. Apg 28,2.4; Röm 1,14; 1Kor 14,11); Σκύθης kein zweites Mal. Die Forschungsmehrheit ist der Meinung, dass es sich bei diesem Paar um keine Gegensätze handelt, sondern um komplementäre Termini, die auf der Zunge von Hellenisten in Bezug auf Nichtgriechen deklassierend und ausgrenzend wirken. „Barbar“ sei nach dieser „etic“-Betrachtungsweise (vgl. S. 35, Anm. 1) im Sinne eines „Unkultivierten“ zu verstehen, dem die griechische Sprache und daher auch die Vorzüge hellenistischer Kultur fremd waren. „Skythe“ sei eine schmähende Steigerung davon; es bezeichne die niedrigste und gemeinste Sorte von Barbar überhaupt.365 Es kommen jedoch berechtigte Zweifel auf, ob diese Auffassung der Absicht des Apostels entspricht. Zum einen fiele eine komplementäre und steigernde Anordnung dieser Termini aus der Reihe, weil die anderen Begriffspaare offensichtlich jeweils Gegensätze bilden.366 Zum anderen gibt es in der Antike kein einheitliches Bild von den Skythen. Während „Barbar“ nachweislich die oben genannte Konnotation tragen konnte (auch für Paulus; vgl. 1Kor 14,11), ist den Quellen nicht zu entnehmen, dass „Skythe“ – insbesondere dort, wo beide Begriffe im gleichen Zusammenhang auftreten – als Synonym dafür diente.367 Es ist zwar nicht zu leugnen, dass die Grausamkeit der Skythen – bereits von Herodot bemerkt (vgl. 4.64-65) – gerade im Frühjudentum eine sprichwortartige Bekanntheit besaß (vgl. 2Makk 4,47; 3Makk 7,5; Josephus, Ap 2.269), aber im griechischen Kulturkreis wurden sie auch als „unverdorbenes und freies Naturvolk“ stilisiert.368 Diese Anfragen an die Mehrheitsmeinung haben Anlass zu verschiedenen Erwägungen gegeben, wie man das Begriffspaar doch als Gegensätze deuten könnte. Douglas Campbell weist auf die chiastische Struktur der ersten zwei Begriffspaare und meint, die letzten zwei (Barbar, Skythe, Sklave, Freier) seien auch als Chiasmus nach dem gleichen Muster aufzufassen. Demnach seien „Barbar“ mit „Freier“ und „Skythe“ mit „Sklave“ chiastisch verknüpft; d.h. die beiden ethnischen Bezeichnungen stellen den stereotypischen Sklaven
365 Vgl. Lightfoot 100.216-217; Lohse 207-208; Schweizer 149-150; O’Brien 193; Lincoln 644; Pokorný 144; Lindemann 58; Luz 230. 366 Vgl. Gerstacker / Kuhnert / Oldemeier / Quenouille, Skythen, 25. 367 Vgl. Campbell, Unravelling, 124. 368 Wolter 183.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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bzw. Freien dar.369 Campbells Vorschlag bietet eine plausible Erklärung für die Struktur des Textes,370 scheitert aber zum einen daran, dass die Beweislage für die Identifikation von Skythen mit Sklaven äußerst dünn und letztlich nicht überzeugend ist,371 und zum anderen daran, dass es „in der gesamten antiken Literatur keine einzige Parallele“ gibt für die vermeintliche Gleichsetzung zwischen „Barbar“ und „Freier“.372 Troy Martin behauptet hingegen, Paulus nehme die Perspektive der Vertreter der KI – diese seien von kynischem Gedankengut beeinflusst, und die Kyniker haben sich mit den Skythen wegen ihres autarken Lebensstils identifiziert – und deren „emic“ Betrachtungsweise ein, nach der alle Nichtskythen als Barbaren galten.373 Martins These setzt nicht nur seine kühne Identifikation der Irrlehrer mit Kynikern in Kolossä voraus, sondern auch, dass Paulus genau darüber Bescheid wusste. Beides sind bloß Vermutungen. Außerdem werden Skythen selbst in den von Martin angeführten Quellen als „Barbaren“ bezeichnet,374 und stehen somit in komplementärer statt antithetischer Beziehung zu ihnen.375 Vielversprechend hingegen sind neuere Versuche, die Termini „Barbar“ und „Skythe“ im konkreten statt übertragenen Sinne aufzufassen. Mehrfach wurde z.B. erwogen, ob diese als ethnische Größen aufzufassen sind und für die Völker am Rand – d.h. also im äußersten Süden bzw. im äußersten Norden – des Imperiums stehen.376 Erwähnenswert sind auch Untersuchungen, die diese Bezeichnungen auf Rassenunterschiede zwischen dunkelhäutigen Berber-Stämmen in Nordafrika und hellhäutigen Skythen am Kaukasus zurückzuführen versuchen. Diese These wurde 1930 von Theodor Herman zur Diskussion gestellt, aber seine Schlüsse hinsichtlich der Konnotation von „Barbar“ an dieser Stelle gingen über die von ihm angeführte Beweislage hinaus.377 Rückenwind bekam er jedoch von späteren Untersuchungen jenes Begriffs in rabbinischen Quellen, wodurch die These deutlich an Wahrschein-
369 Vgl. Campbell, Unravelling, 127-128, gefolgt von Heil 151. 370 Vgl. Pao 228-229. 371 Vgl. Martin, Chiasm, 259-261. Die Tatsache, dass Maier, Barbarians, 389, zum gegenteiligen Schluss kommt – ihm zufolge handelt es sich bei den Konnotationen der Begriffe um „enslaved barbarians subject to Roman domination and free Scythians outside Roman control“ –, bezeugt die ambivalente Natur der Beweislage. 372 Vgl. Gerstacker / Kuhnert / Oldemeier / Quenouille, Skythen, 26. 373 Vgl. Martin, Perspective, 253-260. 374 Vgl. Gerstacker / Kuhnert / Oldemeier / Quenouille, Skythen, 26. 375 Vgl. Campbell, Response, 83. 376 Vgl. Bowersok, East-West, 172-173; Maier, Barbarians, 388-392; Sumney 208-209; Bormann, Weltbild, 92. 377 Vgl. Hermann, Barbar, 106-107.
302
II. Auslegung
lichkeit gewann.378 Am ehesten lässt sich eine Erklärung geltend machen, die sowohl den topographischen als auch den rassischen Aspekt vereint. Mit diesem Begriffspaar unterstreicht Paulus also die alle ethnisch-geographischen Grenzen überschreitende Kraft des Evangeliums, die gemäß seiner universalisierenden Ausrichtung alle Völker einschließt (vgl. 1,26-27).379 Zum Schluss kommt das Gegensatzpaar „Sklave“/„Freier“ (δοῦλος ἐλεύθερος). Mit dieser Aufhebung des Werte- und Würdegefälles zwischen Sklaven und Freien dekonstruiert Paulus eine für die Antike grundlegende und allseits unkritisch akzeptierte sozialökonomische Aufteilung der Gesellschaft. Dass aber diese vorerst eine innergemeindliche Realität bleibt, machen seine Ausführungen in 3,22–4,1 deutlich. Paulus führt keinen Sklavenaufstand an und rüttelt nicht öffentlich an der Institution der Sklaverei, die für ihn sowie seine Zeitgenossen den Charakter einer „unumstößliche[n] Gegebenheit“ besaß.380 Dennoch waren die Ansichten des Apostels revolutionär, weil er eindeutig die Statusunterschiede zwischen Sklaven und ihren Herren „in Christus“ nivellierte und beide auf die Ebene von Geschwistern stellte.381 Ein Umbruch der Verhältnisse in der Gemeinde in Kolossä war die unvermeidliche Konsequenz seines Eintretens für den Sklaven Onesimus, der vermutlich schon zum Zeitpunkt der Abfassung des Kol auf Wunsch des Apostels von Philemon freigesetzt wurde (vgl. S. 28-29). Als Paulus also auf die Überwindung dieser sozialen Dualität in Christus hinwies, hatte dieses Programm in der Gemeinde bereits eine konkrete Ausdrucksform angenommen. Alle die in 3,11a angeführten gesellschaftlichen Dualitäten müssen der neuen Wirklichkeit in Christus weichen, denn nicht sie bestimmen diese Wirklichkeit, sondern Christus umfasst alles und ist in allem (ἀλλὰ τὰ πάντα καὶ ἐν πᾶσιν Χριστός). Der Ausdruck „alles in allem“ hat den Charakter einer Redewendung (vgl. 1Kor 15,28; Eph 1,23). Während τὰ πάντα eindeutig ntr. ist, könnte πᾶσιν entweder ntr. oder mask. sein. Wenn Paulus mit τὰ πάντα meint, dass Christus alles „ist“ (das Verb εἰμί ist elidiert) – d.h. im Kontext, dass er alles „umfasst“ –, dann wäre es möglich, dass „in allem“ im Sinne von „in allen Menschen, die zu ihm gehören“ (= mask. Dat. Pl. von πᾶν) zu verstehen ist.382 Näher liegt aber ein Bezug zum CL, insbes. 1,17b – „alles besteht durch ihn“ (τὰ πάντα ἐν αὐτῷ συνέστηκεν) – und 1,18 – „damit er von allen der Erstrangige werden konnte“ (ἵνα γένηται ἐν πᾶσιν αὐτος πρωτεύων); 378 379 380 381 382
Vgl. Goldenberg, Scythian-Barbarian, bes; 96-97. Ähnlich Maier, Picturing, 92. Vgl. Reinmuth, Philemon, 8. Vgl. White, Philemon, 37-39. Vgl. Sumney 207.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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somit ist πᾶσιν als ntr. Dat. Pl. von πᾶν zu deuten. Gemeint ist, dass Christus seine Gemeinde dermaßen erfüllt (vgl. 2,9; Eph 1,23), dass es keinen Platz mehr für Unterscheidungen nach kulturellen, religiösen, ethnischen oder sozioökonomischen Kriterien gibt. Die „übergeordnete Identität“ in Christus müsste alle „subgroup identities“, die sonst eine so wichtige Rolle im Leben spielen, verdrängen.383
IV Zusammenfassung Wir haben bei unserer Betrachtung des Abschnitts 2,20–3,4 bemerkt, wie gründlich Paulus seine Ethik auf der Taufparänese aufbaut. Diese Ausrichtung ist auch an anderen Stellen in seinen Briefen spürbar (vgl. z.B. Röm 6,1-11; Gal 3,26-29), aber nirgendwo wie hier führt Paulus so konkret aus, welche ethischen Konsequenzen die Identifikation mit dem Tod und der Auferstehung mit Christus, die in der Taufe dargestellt wird, haben soll. Paulus redet Klartext. Der „alte Mensch“, der von unbändigen Gelüsten und einer Unfähigkeit, seine Gefühle und v.a. seine Zunge in Zaum zu halten, gekennzeichnet ist, muss mit Christus in der Taufe sterben. Um dies zu erklären, bedient sich Paulus einer komplexen Bildersprache. Zum einen stellt sich der Apostel den Prozess des sich Trennens von verschiedenen Lastern, wahrscheinlich in Anlehnung an die Jesustradition (vgl. Mt 5,29-30; 18,8-9 par), als das Abhacken bzw. Ausreißen von Körpergliedern vor (vgl. zu 3,5). Dieses drastische Bild wird aufgrund des Ernstes, mit dem Gott gegen solche Sünden vorgeht, durchaus rhetorisch gerechtfertigt: Der „Zorn Gottes“ – seine in seiner heiligen Natur begründete Abneigung gegen die Sünde, die ihn notwendigerweise veranlasst, diese auszurotten – richtet sich gegen die aufgelisteten Laster (3,6). Solche Aussagen stoßen zunehmend auf Unverständnis in vielen Gemeinden und Kirchengemeinschaften, denn das Zorngericht Gottes ist trotz seiner zentralen Stelle in der Lehre des Paulus aus ihrem Themenregister gestrichen worden. Bei aller Vorsicht, die das Thema verlangt, muss dies als Fehlentwicklung eingestuft werden, u.a. deswegen, weil man ohne diese Komponente die Gnadenlehre des Apostels nicht verstehen kann. Jener sonst so wertvolle und einzigartige christliche Gedanke wird infolgedessen bis zur Unkenntlichkeit verdreht, bis davon nur noch Parolen wie „Gott findet dich genial“ übrigbleiben. Die ausufernde „Ich“-Zentriertheit unserer Zeit braucht wohl kaum weitere Bestätigung in dieser Hinsicht. Die ermahnende und korrigierende Ausrichtung paulinischer
383 Esler, Oleiculture, 123.
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II. Auslegung
Paränese, insbes. an dieser Stelle, ist nötiger – und die Aufgabe, ein solches Wort für moderne Menschen verständlich zu machen, schwieriger – denn je. Zum anderen gebraucht Paulus das Bild des Ausziehens von Kleidungsstücken, um den Prozess der ethischen Veränderung zu illustrieren. Vielleicht verspürte er die Notwendigkeit, der drastischen Metaphorik des Tötens eine zugänglichere hinzuzufügen. Weitere Laster werden aufgelistet – es handelt sich diesmal schwerpunktmäßig um Sünden der Zunge in 3,8. Diese sollen nach und nach „ausgezogen“ und – damit nimmt Paulus den nächsten Briefabschnitt vorweg – durch Tugenden ersetzt werden. Vor der Banalität rettet er dieses Bild selbst, indem er sofort von den einzelnen Lastern absieht und wieder eine wachrüttelnde Metapher einsetzt: Nicht bloß ein paar Eigenschaften müssen ausgetauscht werden, sondern der ganze Mensch! Denn es geht um nichts weniger als die Wiederherstellung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes – für Paulus ist dies kein anderer als Christus selbst (vgl. 1,15). Was also beim ersten Blick als ein (zugegeben kreativer) Einsatz atl. Gebots- und Verbotsethik aussieht, entpuppt sich als eine schöpfungstheologische Begründung christlicher Normen von ausgesprochenem Tiefgang. So düster das erste Bild ist, so hoffnungsvoll ist das darauffolgende. Es stellt nämlich die Möglichkeit grundlegender ethischer Veränderung durch proleptische Beteiligung an der neuen Schöpfung in Aussicht und motiviert die Nachfolger Jesu, sich voller Zuversicht auf das Wagnis einzulassen, das ntl. Ethik eigentlich ist. Der neue Mensch, den man dabei anzieht, steht für eine Gemeinschaft, in der andere Werte und Normen herrschen (vgl. 3,11).384 In der Stelle Eph 2,15, die einer midraschartigen Auslegung unseres Textes gleichkommt, malt Paulus in einer kreativen Anwendung des Urmensch-Mythos aus, wie dieser neue Mensch eigentlich aus zwei Menschentypen – Jude und Nichtjude – erschaffen ist und somit die aus jüdischer Sicht wesentlichste Polarität in der gesellschaftlichen Welt überwunden wird. Es gehört zu den bedeutungsträchtigen Auswirkungen der paulinischen Theologie, dass der Apostel diese fundamentale und heilsrelevante Aufteilung der Menschheit in Juden und Nichtjuden über den Haufen wirft. Noch vor der Abfassung des Gal – nach der sogenannten Provinzhypothese sein erster Brief, geschrieben vor dem Jerusalemer Konzil (ca. 49 n.Chr.) – hat er bereits die radikalen Implikationen des Evangeliums bzgl. der heilsgeschichtlich begrenzten Gültigkeit des mosaischen Gesetzes erkannt (vgl. Gal 3,23-29). Denn „in Christus bewirkt weder das Beschnittensein noch das Unbeschnittensein irgendetwas, sondern nur der Glaube, der sich in Liebe ausdrückt“ (vgl. Gal 5,6 sowie 6,15). Es war vor allem Paulus, 384 Vgl. Bock, New Man, 158-159.
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der die Leitfiguren der Gesamtgemeinde an einem kritischen Punkt in ihrer empfindlichsten Entwicklungsphase von dieser Ansicht überzeugen konnte (vgl. Apg 15,1-21). Die trennende Wand der Feindschaft zwischen Juden und Nichtjuden müsste der neuen Wirklichkeit des „neuen Menschen“ weichen (vgl. Eph 2,14). Als wäre das nicht genug – „Dajenu“, wie die Juden im Pesach-Seder hinsichtlich des fortschreitenden Heilswirkens Gottes mehrfach betonen –, fährt Paulus in 3,11 explizit mit dem Umsturz weiterer anthropologischer Polaritäten fort. Jeglicher Anspruch auf kulturelle Überlegenheit eines bestimmten Volkes bzw. einer bestimmten Zivilisation – dafür waren besonders Hellenisten und wiederum Juden in der Antike bekannt – wird relativiert. Sozioökonomische Unterschiede – z.Z. des Paulus wurden diese nicht nur als Schicksalsschläge betrachtet, sondern auch als Auswirkung grundlegender Charaktereigenschaften, die einen bestimmten Typos von Menschen oder ein bestimmtes Volk prägten – werden für unwesentlich gehalten. Sogar ethnische Unterschiede werden nivelliert. Der Bezug zur Schöpfung und zur sich bereits in der Gemeinde realisierenden Neuschöpfung, die sich an den Bedingungen der noch nicht gefallenen Schöpfung orientiert, veranlasst den Apostel, die allseits in der Antike akzeptierten Dualitäten zu durchbrechen und sich das menschliche Miteinander radikal neu zu vorzustellen. Es ist vielleicht auch der Schöpfungsbezug, der ihn an unserer Stelle wegen ihrer starken ekklesiologischen Ausrichtung (im Gegensatz zur ähnlichen, jedoch betont soteriologisch ausgerichteten Aussage in Gal 3,28) davon abhält, die Überwindung des einzigen in der Schöpfung gegründeten Unterschieds zwischen Menschen – des geschlechtlichen (vgl. Gen 1,27) – zu postulieren. Auch dieser muss in der Gemeinde neugestaltet werden (vgl. zu 3,18-19), aber er ist in den Augen des Paulus im Gegensatz zu den in 3,11 genannten binären Beziehung mehr als nur ein weltliches Konstrukt. Wie dem auch sei, unser Abschnitt bezeugt die Kraft des Evangeliums zur grundlegenden Veränderung des Menschen und seines Schicksals, sowohl in individueller als auch kollektiver Hinsicht. Das antike Weltbild, nach dem der Mensch und seine Gesellschaft bloß ein Abbild des Kosmos ist, lässt solche Veränderung schwerlich zu; die „Natur“ (die nach hellenistischer Auffassung gesellschaftliche Konventionen umfasst) gibt mehr oder weniger alles vor. Paulus kann sich hingegen aufgrund seiner im gleichen Ausmaß schöpfungstheologisch und christologisch-soteriologisch durchdachten Anthropologie eine neue Wirklichkeit vorstellen, in der nicht nur das Individuum und seine Innenwelt verändert werden können, sondern auch die Gemeinschaft der Gläubigen und – weil es sich um den Herrn des Kosmos handelt, dem sie sich
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II. Auslegung
unterstellt – schließlich die ganze Gesellschaft. Damit diese Vorstellung keine utopische Zukunftsvision bleibt, fordert der Apostel die Gemeinde auf, diese durch die Kraft des Evangeliums, das sie durch Epaphras empfangen habt und das bereits in ihr Früchte trägt (1,5-8), im Sinne von leicht verständlichen und konkreten ethischen Schritten umzusetzen.
2.4.2. Zieht den „neuen Menschen“ mit seinen Tugenden an (3,12-17)
I Übersetzung 12 Zieht also das an, was sich für Gottes heilige und geliebte Erwählte gehört: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut und Geduld. 13 So werdet ihr einander ertragen und vergeben können, wenn einer gegen jemand anderen eine Beschwerde hat. Genauso wie der Herr euch vergeben hat, so sollt auch ihr einander vergeben. 14 Über allem anderen zieht die Liebe an, welche das Band der Vollkommenheit ist. 15 So wird der Friede des Messias in euren Herzen regieren, zu dem ihr durch die Teilnahme an dem einen Leib berufen wurdet. Seid dazu auch dankbar. 16 Die Botschaft vom Messias wird unter euch im Übermaß wohnen, indem ihr mit allem, was die Weisheit zu bieten hat, einander unterweist und ermahnt mit Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern, und mit Dankbarkeit aus ganzem Herzen zu Gott singt. 17 Alles, was ihr tut in Wort oder Tat, tut alles im Namen des Herrn Jesus, und dankt Gott dem Vater durch ihn.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 3,13: 1) Statt μομφήν hat D* μέμψιν, während F und G die LA ὀργήν haben. Wegen seiner breiteren und besseren externen Bezeugung ist μομφήν eindeutig vorzuziehen. 2) Statt κύριος lesen א1 C D1 K L P Ψ 075 81 104 365 630 1241s 1505 1739 1881 2464 ar m sy co sowie Cl und Ambst Χριστός (und erfassen damit den Referenten des Titels korrekt). *אsowie vgmss haben θεός, und 33 hat (in klarer Anlehnung an Eph 4,32) θεὸς ἐν Χριστῷ. Wegen seiner guten und breiten Bezeugung ist die von NA28 bevorzugte LA vorzuziehen. 3,14: 1) Das schwer erklärbare ntr. Relativpron. ὅ, das weder mit ἀγάπην noch mit σύνδεσμος übereinstimmt, hat viele Varianten verursacht, aber ὅ ist gut bezeugt und eindeutig lectio difficilior. 2) Statt des besser bezeugten τελειότητος lesen D* F G it vgmss sowie Ambst ἐνότητος (= „Einheit“), vermutlich unter dem Einfluss von Eph 4,3. 3,15: 1) Statt Χριστοῦ lesen א2 C2 D2 K L Ψ 33 104 630 1881 vgmss sowie Ambst θεοῦ, vermutlich weil der Ausdruck ἡ εἰρήνη τοῦ Χριστοῦ ungewöhnlich war. 2) Bei
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46 B 6 1739 und 1881 – alle keine Zeugen, die man ignorieren darf – fehlt ἑνὶ vor σώματι. Welche LA vorzuziehen ist, ist nicht ganz ersichtlich: Einerseits ist die Auslassung lectio difficilior; andererseits lässt sie sich aufgrund von Homoiarkton (ἐν ἑνὶ) erklären. Wegen der breiteren Bezeugung für ἑνὶ ist der Entscheidung von NA28 zuzustimmen. 3,16: 1) Statt Χριστοῦ haben *אI 1175, bo swie Cl κυρίου, während bei A C* 33 104 1241s vgms sowie Aug θεοῦ steht. Der ungewöhnliche Ausdruck „Wort Christi“ (λόγος τοῦ Χριστοῦ; nur hier im NT) hat anscheinend manche Kopisten veranlasst, ihn mit dem bekannteren „Wort des Herrn“ oder „Wort Gottes“ zu ersetzen. 2) Anstelle von ὕμνοις haben eine Reihe von Zeugen καὶ ὕμνοις καὶ (C3 D1 Ivid K L Ψ 075 81 104 365 639 2464 vgmss syp sowie Ambst) bzw. καὶ ὕμνοις (C2 P 33 1881) oder ὕμνοις καὶ (Avid). Die LA von NA28 ist eindeutig besser bezeugt, und der Einfluss von Eph 5,19 lässt sich bei den Varianten spüren. 3) Ob τῇ vor χάριτι ursprünglich zum Text gehörte oder später eingefügt wurde, lässt sich aufgrund von äußeren Kriterien schwer sagen. NA28 setzt den Artikel in eckige Klammern. Weil Kopisten vermutlich eher geneigt gewesen wären, ihn auszulassen als einzufügen, ist die LA von NA28 leicht vorzuziehen. 4) D2 I K L 365 630 sowie Cl lesen das Sing. τῇ καρδίᾳ statt ταῖς καρδίαις. Die LA von NA28 ist aufgrund der besseren Bezeugung eindeutig vorzuziehen. 5) C2 D2 K L Ψ* 104 630 1241s ar vgmss bomss ersetzen unter Einfluss von Eph 5,19 θεῷ mit κυρίῳ. Auch an dieser Stelle bekommt die LA von NA28 aufgrund der besseren Bezeugung den Vorzug. 3,17: 1) Für κυρίου Ἰησοῦ gibt es verschiedene Varianten: A C D* F G haben Ἰησοῦ Χριστοῦ; 1175 365 אvgcl samss bo (ar b syp) lesen κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ; L und Hier haben nur κυρίου. Am breitesten und besten bezeugt ist jedoch die von NA28 bevorzugte LA. 2) Das Verbindungswort καὶ fehlt in 46 אA B C 81 1739 it vgmss syp sowie bei Spec. Als lectio difficilior (τῷ θεῷ καὶ πατρὶ kommt häufig vor) ist diese LA vorzuziehen. Form. Der Abschnitt 3,12-17 kann in zwei Teile aufgeteilt werden.385 Der erste Teil umfasst 3,12-14 und führt die in 3,8-11 vorherrschende Kleidermetaphorik weiter fort (vgl. zu 3,8). Ging es in 3,5.8 um die einzelnen Laster, die man als Folge der Identifikation mit dem Messias in der Taufe ablegen muss (vgl. a.a.O.), geht es in 3,12 um die Tugenden, die man anziehen soll. Zur auffälligen Fünfgliedrigkeit (sowohl der Laster- als auch) der Tugendkataloge vgl. S. 287. Paulus ergänzt diese Liste durch zwei Partizipialkonstruktionen, die deutlich machen, dass die angeführten Tugenden im Leben der Gläubigen nicht auf der Ebene einer abstrakten Tugendlehre bleiben, sondern konkretes 385 Vgl. die ausführliche Analyse der Struktur bei O’Brien 196-197.
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II. Auslegung
Handeln fordern (vgl. 3,13a). Die Betonung liegt dabei auf der Notwendigkeit der ständigen gegenseitigen Vergebungsbereitschaft, ohne die die Gemeinde nicht gedeihen kann. Die Liebe wird in 3,14, die Kleidermetaphorik wieder aufgreifend, als Obergewand vorgestellt, welche die Jesusnachfolger in Kolossä – nicht die Tugenden; die Metapher wird also nicht konsequent zu Ende geführt – wie ein Band (vgl. 2,19) aneinanderbindet. Der zweite Teil des Abschnitts 3,15-17 erweist sich in zweierlei Hinsicht als in sich zusammenhängende Texteinheit. Zum einen fordert jeder Vers zum Dank auf; die Wurzel εὐχαριστ- dient als den Abschnitt umrahmende thematische Inclusio.386 Zum anderen beinhaltet jeder Vers viele formelhafte Elemente. Die Sprache hat durchwegs einen gottesdienstlichen Klang. Vor allem sticht die bemerkenswerte Übereinstimmung in der Struktur zwischen 3,15a und 3,16a ins Auge, wie die folgende Tabelle deutlich macht: Subj.
Gen. Attr.
3. Sing. Imp.
Präp.-Gefüge (lok.)
15a ἡ εἰρήνη
τοῦ Χριστοῦ βραβευέτω ἐν ταῖς καρδιαις ἡμῆν Der Friede des Messias regiere in euren Herzen
16a ὁ λόγος Das Wort
τοῦ Χριστοῦ ἐνοικείτω des Messias wohne
ἐν ἠμῖν in euch
Adverb –
Silben 18
πλουσίως 16 im Übermaß
Solche Übereinstimmung in Syntax, Konzeption und Länge ist wahrscheinlich nicht zufällig entstanden, sondern weist auf die bewusste Formulierung für liturgische Zwecke hin. Die Sätze sind eventuell einer Segensformel387 oder sogar einem frühchristlichen Lied entnommen und stellen wiederum die paränetische Rolle, die solche liturgischen Elemente im Kol spielen, unter Beweis. Auch wenn die Aussage in 3,17 diesem Muster nicht folgt, liegt doch ihr formelhaftes Gepräge auf der Hand. In motivgeschichtlicher Hinsicht fällt in 3,12-17 insbes. die Inanspruchnahme vieler Elemente der atl. Erwählungstheologie auf. Die Gemeinde wird in 3,12 mit bekannten Prädikaten des Volkes Israels im AT angesprochen. In 3,15-16 wird ihr zugesprochen, dass sie in den Genuss messianischer Gaben kommen soll. Sie darf laut 3,17 für sich den Namen des Herrn in Anspruch nehmen und sollen entsprechend reden und handeln. So stellt sich heraus, dass 386 Vgl. Pao 238-239. 387 So Gnilka 193.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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der Gemeinde alle Privilegien und Pflichten, die Gott Israel gewährte und auferlegte, nun übertragen werden.
III Einzelexegese 12 Der Abschnitt 3,12-17 beginnt mit einer Aufforderung: Zieht also das an, was sich für Gottes heilige und geliebte Erwählte gehört (ἐνδύσασθε οὗν ὡς ἐλεκτοὶ τοῦ θεοῦ ἅγιοι καὶ ἠγαπημένοι). Der Imp. „zieht an“ (ἐνδύσασθε; für die Bedeutung von ἐνδύω vgl. zu 3,10; für eine Analyse der Kleidermetaphorik vgl. zu 3,8-10) greift den Gedanken von 3,10 wieder auf (οὗν hat hier eine weiterführende Funktion388). Drei Begriffe beschreiben die Gemeinde als „erwählt“ (ἐλεκτοὶ), „heilig“ (ἅγιοι) und „geliebt“ (ἠγαπημένοι), wobei der erste als Subst.– das Genitivattribut „Gottes“ (τοῦ θεοῦ) bezieht sich also genau genommen nur auf ἐλεκτοὶ – und die letzten beiden als Adj. fungieren.389 Die Anlehnung an atl. Erwählungstheologie ist offensichtlich, treten doch diese Elemente, wie insbes. Wolter bemerkt, häufig im AT im selben Zusammenhang auf, um die Beziehung Gottes mit Israel zu beschreiben (vgl. Deut 4,37; 10,15; 14,2; Ps 47,5; Jes 41,8).390 Von programmatischer Bedeutung ist vor allem Deut 7,6-8, wo alle drei Konzepte – Erwählung, Heiligung und Von-Gott-geliebt-Sein – miteinander verknüpft sind.391 Wer genau das Objekt der Gunst Gottes war, sorgte im Frühjudentum für intensive Diskussion.392 Die Qumrangemeinschaft beanspruchte diesen Status für sich (vgl. z.B. 1QS 11,7-8; 1QM 12,1); unter den Nachfolgern Jesu waren es vor allem Paulus (vgl. Röm 1,7; 11,28) und Petrus (vgl. 1Petr 1,1; 2,9), die diesen Anspruch für die Gemeinde aus Juden und Heiden geltend machten. „Erwählung“ ist jedenfalls für Paulus ein vielfältiges Konzept, das hier aber nicht im Sinne einer ausgereiften christlichen Prädestinationslehre aufgefasst werden sollte.393 Weder steht der Beginn der Gemeinde durch die Übertragung von Israel-Prädikaten auf sie im Mittelpunkt, noch rücken etwaige ursächliche Überlegungen bzgl. des Glaubens der Einzelnen in den Blick, wie sonst in den Evangelien, sondern ihr Endziel.394 Es geht dem Apostel im Kontext darum, dass die Gemeinde zu einem des Herrn würdigen Lebensstil berufen wird (vgl. 1,10; 2,6-7). Dafür spricht auch das Adj. „heilig“ (ἅγιοι), 388 389 390 391 392 393 394
Vgl. HvS §252,51. Vgl. Harris 160-161. Vgl. Wolter 184. Ebd. Vgl. Grindheim, Crux, 35-76. Vgl. Lightfoot 220. Ebd.
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II. Auslegung
das eine kultische Nuance trägt und sowohl Absonderung zu einem bestimmten Zweck als auch Aufforderung zu einer moralisch einwandfreien Lebensführung impliziert (vgl. zu 1,2). Die Gläubigen sind auch von Gott „geliebt“ (ἠγαπημένοι), ein seltenes aber bedeutungsträchtiges Prädikat der Gemeinde bei Paulus (vgl. Röm 1,17; 1Thess 1,10; 2Thess 2,13). Paulus betont jedoch an anderer Stelle die große Liebe Gottes für sein Volk (vgl. Röm 8,37; Eph 2,4) und sogar für ihn persönlich (vgl. Gal 2,20). Durch das Adv. ὡς wird die Gemeinde nicht mit anderen Gruppen, etwa den Engeln, verglichen,395 sondern dadurch werden die für Jesusnachfolger charakteristischen Eigenschaften angeführt.396 Paulus beschreibt die dem neuen Menschen angemessene „Bekleidung“ (vgl. 3,10) – analog zu den Kleidungsstücken, die er ausziehen soll, anhand eines fünfgliedrigen Tugendkatalogs (vgl. S. 287) – wie folgt: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut und Geduld (σπλάγχνα οἰκτιρμοῦ χρηστότητα ταπεινοφροσύνη πραΰτητα μακροθυμίαν). Im Schrifttum des Frühjudentums sind das Eigenschaften, die für fromme Juden charakteristisch sind.397 Dafür schenkt diese Liste bemerkenswerterweise den Kardinaltugenden der Griechen keine Beachtung.398 Im Folgenden können diese Eigenschaften nur kurz beschrieben werden. Die Redewendung, die wir mit „herzliches Erbarmen“ übersetzen (σπλάγχνα οἰκτιρμοῦ), heißt wörtlich „Gedärme der Barmherzigkeit“. Die Gedärme galten als Sitz der Gefühle,399 aber die Metapher scheint längst vor der Mitte des 1. Jh.s n.Chr. verblasst zu sein. In der LXX begegnet uns das Wort „Gedärme“ (σπλάγχνα) überwiegend in den auf Griechisch verfassten oder tradierten Spätschriften (sonst nur in Jer 28,13; Spr 12,10; 26,22). In den Makkabäerbüchern kommt es nur im konkreten Sinne vor (2Makk 9,4-5; 4Makk 5,30; 10,8; 11,19; 14,13; 15,23.29), aber sonst häufig im übertragenen Sinne (OdSal 9,78; Weish 10,5; Sir 30,7; 33,5). Im NT begegnet uns der Terminus 11-mal, davon nur ein Mal im konkreten Sinne (Apg 1,18). Bis auf den jeweils einmaligen Gebrauch im lukanischen bzw. im johanneischen Schrifttum (Lk 1,78; 1Joh 3,17) sind alle anderen Vorkommen des Wortes paulinisch (neben unserer Stelle in 2Kor 6,12; 7,15; Phil 1,8; 2,1; Phlm 7,12.20). Es kann allein für sich „Barmherzigkeit“ bedeuten (vgl. 2Kor 6,12; 7,15;); durch die 395 Vgl. Lohmeyer 145. 396 Vgl. HvS §252,61 (2). So auch die Mehrheit der Kommentatoren (vgl. z.B. Lohse 210; O’Brien 198). 397 Vgl. Wolter 185. 398 Vgl. Luz 230; Barth/Blanke 418-419. 399 Vgl. Bauer 1523-1524.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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Hinzufügung eines Genitivattributs wird der Eigenschaft Nachdruck verliehen (vgl. Phil 2,1, wo uns das Hendiadyoin σπλάγχνα καὶ οἰκιρμοί begegnet).400 Das Wort, das wir mit „Erbarmen“ übersetzen (οἰκιρμός), ist ein häufiger Begriff in der LXX, der im NT nur von Paulus (vgl. die untenstehenden Stellen) und einmal von dem AutHebr (vgl. Hebr 10,28) gebraucht wird. Er bezeichnet für Paulus in erster Linie eine Eigenschaft Gottes (vgl. Röm 12,1; 2Kor 1,3 mit Ex 34,6), die auch den Umgang der Gläubigen untereinander prägen soll (vgl. Phil 2,1). „Güte“ übersetzt χρηστότης und bezeichnet eine Tugend, die im hellenistischen Zeitalter – gemessen am Vorkommen des Wortes auf Grabinschriften – besondere Beachtung genoss.401 Es kommt in der LXX vor allem in den Ps und den PsSal vor. Im NT begegnet es nur im CP (außer hier noch in Röm 2,4; 3,12; 11,22; 2Kor 6,6; Gal 5,22; Eph 2,7; Tit 3,4), wiederum primär als eine Eigenschaft Gottes. Sie beschreibt seine wohlwollende Haltung den Menschen gegenüber, die in konkreten Taten des Segens und des Heils zum Ausdruck kommt.402 Der Umgang der Christen untereinander soll Gottes Güte widerspiegeln. Das Wort, das wir mit „Demut“ übersetzen (ταπεινοφροσύνη), kommt außerhalb des Kol im NT nur noch an folgenden Stellen vor: Apg 20,19; Eph 4,2; Phil 2,3; 1Petr 5,5. Das Subst. ist in der LXX nicht belegt, dafür häufig das Adj. ταπεινός. Bisher ist es uns im Kol nur als quasi-t.t. für das Fasten (vgl. zu 2,18) bzw. als bevorzugte Bezeichnung für die Frömmigkeitspraxis der Vertreter der KI, die Paulus höhnisch in den Mund nimmt (vgl. zu 2,23), begegnet. Das Konzept war Paulus jedoch als christliche Tugend zu wertvoll, als dass er das Wort den Irrlehrern kampflos überlassen hätte. Es beschreibt eine Haltung, nach der man „andere höher achtet als sich selbst“ (vgl. Phil 2,3). Dass der Apostel dies als Tugend ansah, wird den Kolossern vorerst seltsam vorgekommen sein, denn Hellenisten waren stets um die eigene Ehre bemüht und wetteiferten miteinander um Status und Ansehen.403 Ihnen galt die Demut als „eine niedrige, servile Gesinnung“.404 Erst unter dem Einfluss des ntl. Normensystems und insbes. des Paulus gewann sie eine positive Konnotation.405
400 401 402 403 404 405
So auch Dunn 228; Wilson 258. Vgl. Foster 347. Vgl. O’Brien 199-200. Vgl. Finney, Honour, 5-48. Gnilka 194. Vgl. Becker, Demut, 1-5.
312
II. Auslegung
„Sanftmut“ (πραΰτης kommt 11-mal im NT, davon 8-mal im CP: außer hier in 1Kor 4,21; 2Kor 10,1; Gal 5,23; 6,1; Eph 4,2; 2Tim 2,25; Tit 3,2; das Adj. πραΰς begegnet uns weitere 4-male) war im Gegensatz zu Demut eine von Hellenisten und Juden zugleich geschätzte Tugend. Paulus versteht darunter nicht nur einen Gemütszustand, sondern auch das aktive Bemühen um das Wohlergehen des Nächsten (vgl. Gal 6,1). Er bringt sie häufig mit „Demut“ in Verbindung (vgl. 2Kor 10,1; Gal 5,23; Eph 4,2). Für beides – Demut und Sanftmut – stellt Jesus in seiner Person dar, was damit gemeint ist (vgl. Mt 11,29). Zum Schluss kommt passenderweise die „Geduld“ (μακροθυμία; vgl. zu 1,11), die auch in Eph 4,2 mit Demut und Sanftmut in einer Reihe steht. Sie bezeichnet die Fähigkeit, schwierige Menschen zu ertragen.406 Auch sie gehört zu den Ureigenschaften des Gottes Israels (vgl. Ex 34,6 mit Röm 2,4), die es ihm ermöglichte, sein widerspenstiges Volk über eine lange Zeitperiode zu erdulden und sie trotz ihrer Auflehnung gegen ihn immer wieder anzunehmen. Somit steht er im starken Kontrast zu den griech. Göttern, deren Verhalten typischerweise von Impulsivität und Willkür gekennzeichnet war. Wessen Beispiel die Christen in Kolossä folgen sollen, macht die anschließende Aufforderung des Apostels unmissverständlich klar. 13 Wer die in 3,12 aufgelisteten Tugenden „anzieht“, wird in der Lage sein, die impliziten Forderungen, welche die zwei darauffolgenden Partizipialkonstruktionen darstellen, zu erfüllen: So werdet ihr einander ertragen und vergeben können (ἀνεχόμενοι ἀλλήλων καὶ χαριζόμενοι ἑαυτοῖς). Die Präsensform deutet auf die Notwendigkeit, diese Handlungen andauernd (falls sie linear zu deuten ist) oder immer wieder (falls iterativ) auszuführen.407 Solches Verhalten wird von allen im Umgang mit allen anderen erwartet. Zwischen dem Reziprokpron. ἀλλήλων und dem Reflexivpron. ἑαυτοῖς – den unterschiedlichen Kasus bestimmt das jeweilige Verb – gibt es keinen Bedeutungsunterschied (vgl. im Deutschen: „vergebt einander“ = „vergebt euch“).408 Die Übersetzung hebt die wohl finale Sinnrichtung der Partizipien hervor.409 Diese bringen demnach weder die Mittel zur Aneignung der Tugenden zum Ausdruck (modale Sinnrichtung)410 noch sind sie imperativisch aufzufassen411
406 407 408 409 410 411
Vgl. Gnilka 195. Vgl. HvS §194a. Vgl. O’Brien 202. Ähnlich Gnilka 195; Dunn 230. Vgl. Aletti 237; Lindemann 61; Wilson 260-261. So die Mehrheit. Vgl. z.B. Lohse 212, Barth/Blanke 422; Hübner 105; MacDonald 140.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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noch geben sie bloß begleitende Umstände an.412 Die Logik in diesem Abschnitt ist vielmehr eine uns vertraute paulinische: Die in der Taufe symbolisch vollzogene Identifikation mit Christus erschließt einen neuen Denkhorizont, der das Ablegen alter Laster bzw. das Aneignen neuer Tugenden vorstellbar und durchführbar macht, was wiederum zu einem dem Herrn gefälligen Umgang miteinander führt.413 Die Tugenden sind m.a.W. kein Selbstzweck. Denn das Endziel ist für Paulus stets Verhaltensänderung statt abstrakte Tugendlehre. „Ertragen“ (Med. von ἀνέχω) kann im NT sowohl eine negative (vgl. Mk 9,19 par; 2Kor 11,4.9.20) als auch, wie hier und in der Parallelstelle Eph 4,2, eine positive (vgl. 2Thess 1,4; Hebr 13,22) Nuance haben. Im Kontext handelt es sich um die Fähigkeit, schwierige Menschen zu erdulden, statt die Beziehung zu ihnen abzubrechen. Diese Qualität beschreibt schließlich Gott in seinem Umgang mit uns (vgl. Röm 2,4 bzw. das seltene, von unserem Verb abgeleitete nomen actionis ἀνοχή dort). Damit aus dem Ertragen kein passives (oder gar passiv-aggressives!) Verhalten wird, ist der Wille, einander zu vergeben (χαρίζόμενοι = Präs. Med. Part. von χαρίζομαι; zur Bedeutung vgl. zu 2,15), unentbehrlich. Damit niemand diese Implikation übersieht, erörtert sie Paulus unmissverständlich in einem Konditionalsatz, der sich auf die zweite Partizipialkonstruktion bezieht: Vergebung ist immer dann an der Tagesordnung, wenn einer gegen jemand anderen eine Beschwerde hat (ἐαν τις πρός τινα ἔχῃ μομφήν). Das Wort, das wir mit „Beschwerde“ übersetzen (μομφή), ist ein seltener Ausdruck der klassischen Dichtung414 und kommt in der griech. Bibel kein zweites Mal vor. Der prospektive Fall (ἐαν + Konj.) bezeichnet eine Situation, mit der gerechnet werden muss.415 Daraus muss man freilich nicht notwendigerweise schließen, dass Paulus damit auf konkrete Vorfälle in der Gemeinde hinweist.416 Doch dieser Konditionalsatz und der in 3,13c folgende Vergleich haben den Charakter eines gedanklichen Einschubs mitten im Tugendkatalog (die Liebe fügt Paulus der Liste erst in 3,14 hinzu). Vielleicht fielen ihm (bzw. jemandem in seinem Kreis, der mit der Lage in Kolossä vertraut war) beim Schreiben bestimmte Situationen ein, die dieses ermahnende Wort erforderlich machten.417 Dass es Spannungen in der Gemeinde gab, die
412 413 414 415 416 417
So Harris 162; Moo 278, Anm. 102; Pao 243. Ähnlich Wolter 185. Vgl. Lohse 212, Anm. 11. Vgl. HvS 280c. So Lohse 212; Gnilka 196; Wolter 185. Vgl. Lohmeyer 146; Pokorný 145; Pao 243.
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II. Auslegung
beispielsweise zu ausfälligen Bemerkungen führten, ist angesichts des Versuchs der Vertreter der KI, diese zu propagieren, durchaus vorstellbar. Als wäre es damit nicht klar, fügt Paulus mittels eines Vergleichs eine explizite Forderung hinzu: Genauso wie der Herr euch vergeben hat, so sollt auch ihr einander vergeben (καθὼς καὶ ὁ κύριος ἐχαρίσατο ὑμῖν οὕτως καὶ ὑμεῖς). Der „Herr“ ist für Paulus typischerweise Christus,418 auch im Kol (vgl. 1,3; 2,6; 3,17), sodass man davon ausgehen kann, dass auch hier ihm statt Gott der Kyrios-Titel zukommt.419 Bei der Überlieferung des Textes merkt man bereits sehr früh eine Tendenz, diese Identifikation explizit zu machen (viele Zeugen haben Χριστός statt κύριος; vgl. die textkritische Anmerkung a.a.O.). Untypisch für Paulus ist jedoch, dass Christus statt Gott Subj. des Verbs χαρίζομαι ist; Vergebungsvollmacht schreibt er für gewöhnlich Letzterem zu.420 Die Formulierung in der Parallelstelle in Eph 4,2 (καθὼς καὶ ὁ θεὸς ἐν Χριστῷ ἐχαρίσατο ὑμῖν) legt die Möglichkeit nahe, dass κύριος an unserer Stelle bewusst wegen seiner Zweideutigkeit gewählt wurde.421 Das ist vielleicht ein Zugeständnis an die vorpaulinische Tradition, aus welcher der Apostel in 2,13b zitiert (χαρισάμενος ἡμῖν πάντα τὰ παραπτώματα), denn dort verursachte die Aufnahme zweier Strophen eines „Errettungsliedes“, das ursprünglich dem Heilswerk Christi gewidmet war, Probleme hinsichtlich der genauen Identifizierung des Subjekts (vgl. dazu a.a.O.). Paulus hätte sich aus eigenen Stücken vermutlich präziser ausgedrückt (etwa „Gott vergab uns aufgrund des Kreuzestodes Christi restlos unsere Schuld“), fand die Formulierung jedoch vorliegend und übernahm sie auch so. An unserer Stelle greift er den Gedanken von 2,13b-14 wieder auf und wählt Worte, die im Einklang mit dem vorher Zitierten stehen. Wie dem auch sei, Paulus verpflichtet die Gemeinde in Kolossä mittels einer καθὼς … οὕτως-Konstruktion zur gegenseitigen Vergebung anhand des Beispiels Jesu. Die Konstruktion ist typisch paulinisch (vgl. 2Kor 1,5; 8,6; 10,7; Phil 3,17; 2Thess 2,4); das dadurch zum Ausdruck Gebrachte ist der Jesustradition entnommen. Wie im Vaterunser (vgl. Lk 11,4) und im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (vgl. Mt 18,21-35) dient Gott selbst als nachzuahmendes Beispiel: Die Inanspruchnahme seiner Vergebung für unsere Ver418 Vgl. Moo 279-280. 419 So auch die überwiegende Mehrheit der Kommentatoren. Bestritten wird dies jedoch von Ernst 228. 420 Vgl. Hübner 105-106; MacDonald 140-141; Dunn 231; Maisch 233; Foster 350-351. 421 Dies setzt voraus, dass Eph von Paulus stammt (vgl. S. 29, Anm. 5), aber selbst wenn er das Werk eines Paulusschülers ist, gilt er dennoch als frühes und ernstzunehmendes Zeugnis zur Intention des Apostels.
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gehen verpflichtet uns zur Vergebungsbereitschaft gegenüber anderen, die sich an uns vergangen haben. 14 Der kleine Exkurs über die Notwendigkeit, einander zu vergeben (3,13), unterbricht kurz die Auflistung der Tugenden, denn die wichtigste fehlt noch. Das Bild von 3,12 wieder aufgreifend beteuert Paulus nun: Über allem anderen zieht die Liebe an (ἐπι πᾶσιν δὲ τούτοις τήν ἀγάπην). Vorerst die Kleidermetaphorik fortführend stellt sich Paulus die „Liebe“ als Obergewand – das wichtigste „Kleidungsstück“, das man über allen anderen Gewändern anzieht –422 vor (ἀγάπη ist, wie die fünf Abstrakta in 3,12, Obj. des Imp. ἐνδύσασθε; zum Subst. vgl. zu 1,4 und S. 74-75). Er wechselt aber mitten im Satz das Bild,423 indem er von der Liebe behauptet, sie ist das Band der Vollkommenheit (ὅ ἐστιν σύνδεσμος τῆς τελειότητος). Es stört zunächst, dass der Bezug des ntr. Relativpron. ὅ das unmittelbar vorhergehende fem. Subst. ἀγάπη ist, aber ὅ ἐστιν wurde in der Koine, unabhängig vom Geschlecht des Bezugswortes, zunehmend die Standardform der Konstruktion Relativpron. + εἰμί.424 Das Wort, das wir mit „Band“ übersetzen (σύνδεσμος), bezeichnet im konkreten Sinne das, was einander zugehörige Gegenstände zusammenhält.425 Als anatomischer Begriff ist es uns bereits in 2,19 begegnet (vgl. a.a.O.). Sonst kommt das seltene Wort im NT nur im übertragenen Sinne mit entsprechendem Genitivattribut vor: das Band der Ungerechtigkeit (σύνδεσμος ἀδικίας; Apg 8,23), das Band des Friedens (σύνδεσμος τῆς εἰρήνης; Eph 4,3) und an unserer Stelle das Band der Vollkommenheit (σύνδεσμος τῆς τελειότητος). Das Substantiv τελειότης begegnet uns selten im NT (nur noch in Hebr 6,1), aber das Adj. τέλειος kommt häufig vor. Der Gen. ist qualitativ („das vollkommene Band“) aufzufassen.426 Das Bild vermittelt die herausragende Wichtigkeit der Liebe: Sie hält die Gemeinde zusammen.427 Unter den Tugenden ist sie für Paulus die größte (vgl. 1Kor 13,13). Sie bildet im Einklang mit der Lehre Jesu (vgl. Mk 12,28-31 par) die unverrückbare Mitte der paulinischen Ethik (vgl. Röm 13,8-9). 422 Vgl. u.a. Lightfoot 222; Wolter 186; Moo 280. 423 Die Belege dafür, dass σύνδεσμος einen Gürtel bezeichnen kann, fallen spärlich aus. Vgl. LSJ 1701 mit Wilson 262. 424 Vgl. Robertson, Grammar, 713. 425 Vgl. Bauer 1567. 426 Vgl. HvS §162a mit Pao 245. 427 Der jähe Bildwechsel vermittelt nicht, dass die anderen Tugenden durch die Liebe zusammengehalten werden (so Moule 123; Dibelius 43; Maisch 233-234; Sumney 218) – das würde die Kleidermetaphorik nahelegen –, sondern im Einklang mit dem metaphorischen Gebrauch von σύνδεσμος in 2,19 die Gläubigen untereinander (vgl. Pokorný 145; O’Brien 203-204; Dunn 232; Bormann 170; Pao 245).
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II. Auslegung
15 Auf die konkrete Aufforderung in 3,15, einander zu vergeben, folgt ein ermutigender Zuspruch:428 So wird der Friede des Messias in euren Herzen regieren (καὶ ἡ εἰρήνη τοῦ Χριστοῦ βραβευέτω ἐν ταῖς καρδίαις). Der Form nach handelt es sich bei diesem Satz um einen Imp. in der 3. Pers. Sing., was von den meisten Kommentatoren als weiterführendes Gebot verstanden wird. In der Koine wird jedoch der Imp., vor allem in der dritten Person, statt des klassischen Opt. für Wünsche und ermutigende Äußerungen häufig gebraucht.429 „Friede“ (εἰρήνη; vgl. zu 1,2) bezeichnet bei Paulus sowohl einen objektiven Zustand der Einigkeit zwischen den Menschen und Gott (locus classicus dafür ist Röm 5,1) bzw. untereinander (vgl. z.B. Röm 14,19; 1Kor 7,15; Eph 2,14-15), als auch, wie hier, das subjektive Empfinden von Wohlergehen, das daraus hervorgeht (vgl. Phil 4,7). Das macht das Präpositionalgefüge „in euren Herzen“ (ἐν ταῖς καρδίαις) deutlich. Zum „Herz“ als Sitz der Gefühle vgl. zu 2,2. Die Wendung „der Friede des Messias“ (ἡ εἰρήνη τοῦ Χριστοῦ) – gemeint ist der Friede, den der Messias gibt (Gen. subj.)430 – begegnet uns kein zweites Mal im NT. Dass aber Jesus seinen Nachfolgern Frieden schenken möchte, ist in der Jesustradition tief verankert (vgl. Mk 5,34; Lk 7,50; 8,48; Joh 14,27; 16,33; 20,19.21.26). Das Wort, das wir mit „regieren“ übersetzen (3. Pers. Sing. Präs. Imp. von βραβεύω), ist ein ntl. Hapaxlegomenon (in der LXX kommt es ein einziges Mal in Weish 10,12 vor). Es stammt aus dem Sportwesen und beschreibt konkret die Tätigkeit eines Schiedsrichters (vgl. zum Kompositum καταβραβεύω in 2,18). Im übertragenen Sinne drückt es die Kompetenz des Herrschens bzw. des Bestimmens aus. Der Zuspruch des Friedens ist keine sentimentale Floskel. Paulus ist, wie wir in 3,13 gesehen haben, vermutlich über eine spannungsgeladene Situation in der Gemeinde informiert worden und ermahnt deshalb zur gegenseitigen Vergebungsbereitschaft. In der Überzeugung, dass die Betroffenen seinem Rat folgen werden, spricht er der Gemeinde mit pastoraler Fürsorge zu, dass nach der Schlichtung des Streits die Ruhe wieder einkehren wird. Hier steht v.a. die Gefühlswelt der Gläubigen im Mittelpunkt; Versuche, der Aussage einen tieferen theologischen Sinn zu entnehmen, wirken gekünstelt.431 Dennoch versteht Paulus diesen Seelenzustand als messianisch-eschatologische
428 429 430 431
Vgl. Lohse 214. Vgl. BDR §384; HvS §212a. Vgl. Harris 165. Vgl. z.B. Lohse 215: Nicht „die Innerlichkeit des Seelenfriedens und die Stimmung des Herzens“, werde von der εἰρήνη τοῦ Χριστοῦ erfasst, sondern „[d]er ganze Mensch“. Sie stelle „geradezu den Bereich [dar], in dem er als der neue Mensch existiert.“
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Gabe, denn Frieden stiftet nach atl. Vorstellung der ultimative Bote Gottes, der Messias (vgl. Jes 9,5-6; 52,7; Mi 5,4 mit Eph 2,17).432 Paulus erinnert die Gemeinde daran, dass es dieser messianische Friede ist, zu dem ihr durch die Teilnahme an dem einen Leib berufen wurdet (εἰς ἣν καὶ ἐκλήθητε ἐν ἑνὶ σώματι). Das Verb, das hier mit „berufen“ übersetzt wird (καλέω), kommt sehr häufig im NT vor. Dass es sich um ein passivum divinum handelt, ist offensichtlich. Berufung ist ein wichtiges Konzept der ntl. Theologie, insbes. der paulinischen Ekklesiologie, und wächst aus der Überzeugung des Apostels, dass die Gläubigen Gottes „Erwählte“ sind (vgl. zu 3,12: ἐκλεκτοί). Daraus folgt für ihn nicht nur die Absonderung von einem von den Lastern in 3,5.8 geprägten Lebensstil, sondern auch die Bestellung zu einer neuen Qualität des Lebens, die von den Tugenden in 3,12 gekennzeichnet ist. Diese Berufung erfolgt „durch die Teilnahme an einem Leib“ (ἐν ἑνὶ σώματι; das Präpositionalgefüge hat eine modale Sinnrichtung).433 Die Gemeinde hat Paulus in 2,19 bildhaft als Leib (σῶμα) dargestellt, der vom Haupt Christus angeführt wird (vgl. 1,18) und aus vielen Gliedern besteht, die zusammenarbeiten und somit das Wachstum des Leibes gemeinsam fördern sollen. Wie bereits an anderen Stellen öfter schon bemerkt, ist der Einfluss der Taufparänese auch hier offensichtlich (vgl. 1Kor 12,13). Aus der Überzeugung des Berufenseins soll auch eine Haltung der Dankbarkeit hervorgehen, zu der Paulus explizit auffordert: Seid dazu auch dankbar (καὶ εὐχάριστοι γίνεσθε). Obwohl das Adj. εὐχάριστος nur hier im NT vorkommt, begegnen entsprechende Verbformen und das nomen actionis häufig. Zur Dankbarkeit hat Paulus die Kolosser schon in 2,7 angehalten (vgl. a.a.O.). Sie wird dort als das Resultat eines gefestigten Glaubens an Jesus als Herrn und Messias dargestellt. Hier greift Paulus implizit hinter den Glauben auf die Erwählung als weiterem Grund zur Dankbarkeit zurück und nimmt gleichzeitig die Aufforderung zur Dankbarkeit in 3,17 vorweg. 16 Der Friede, den der Messias seinem erwählten Volk schenkt, wird an dieser Stelle durch eine weitere Gabe ergänzt: Die Botschaft vom Messias wird unter euch im Übermaß wohnen (ὁ λόγος τοῦ Χριστοῦ ἐνοικείτω ἐν ὑμῖν πλουσίως). Der Form nach handelt es sich analog zu 3,15a um einen Imp. in der 3. Pers. Sing. (vgl. zur Struktur S. 308).434 So kann und soll die Aussage als weiterer Zuspruch an die Nachfolger Jesu verstanden werden (vgl. zu 3,15), der ihnen tiefergehende Einsicht in „das Wort des Messias“ (ὁ λόγος 432 Vgl. Gnilka 198. 433 Vgl. O’Brien 204; Wolter 189. 434 Vgl. O’Brien 207.
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II. Auslegung
τοῦ Χριστοῦ) verspricht, wenn sie diesem Wort einen hohen Stellenwert in ihren Gottesdiensten einräumen. Das Lexem λόγος hat ein breites Bedeutungsspektrum, das sowohl „Kunde“ als auch „Belehrung“ (und vieles mehr) umfasst. Da beides hier mitschwingt, trifft „Botschaft“ den gemeinten Sinn vielleicht am besten.435 Das Genitivattribut τοῦ Χριστοῦ ist – wiederum analog zu seinem Gebrauch in 3,15a – als Gen. subj. aufzufassen.436 Gemeint ist also nicht in erster Linie die Kunde bzw. Lehre über den Messias, sondern das, was der Messias verkündigt oder lehrt. Dass der kommende Gesalbte sein Volk unterweisen und aufklären wird, gehört zu den zentralen messianischen Erwartungen im Frühjudentum bzw. im frühen Christentum (vgl. z.B. Jes 9,12 [mit Mt 4,12-17]; 49,2 [mit Offb 1,16]; 61,1 [mit Lk 4,16-22]; Joh 1,35-42; 4,25; Eph 2,17). Für Paulus gehört dieser Dienst des Messias nicht der Vergangenheit an, sondern er geht im frühchristlichen Gottesdienst weiter. Der nur hier im NT vorkommende Ausdruck „das Wort des Messias“ hebt zugleich im Kontext des Kol implizit seine überragende Stellung gegenüber der KI hervor.437 Damit erinnert Paulus die Gläubigen noch einmal an das Evangelium, das er in 1,5 als „das Wort der Wahrheit“ (ὁ λόγος τῆς ἀληθείας), in 1,25 als „Wort Gottes“ (ὁ λόγος τοῦ θεοῦ) und in 2,7 schlicht als „den Glauben“ (ὁ πίστις) bezeichnete (vgl. a.a.O.).438 In dieser Lehre wurden die Kolosser von Epaphras unterwiesen (vgl. zu 1,7), und Paulus hat sie ermahnt, darin gefestigt zu bleiben, genauso wie sie es gelernt haben (vgl. zu 2,7). Jetzt lenkt er wieder die Aufmerksamkeit der Kolosser auf die Botschaft des Messias. Diese soll „unter euch wohnen“ (ἐνοικείτω ἐν ὑμῖν). Das Verb ἐνοικέω, das wir mit „wohnen“ übersetzen, begegnet uns nur im CP (außer hier in Röm 8,11; 2Kor 6,16; 2Tim 1,5.14) und hat stets als Subj. eine geistliche Größe: den Geist (vgl. Röm 8,11; 2Tim 1,14), Gott (vgl. 2Kor 6,16) oder – unserem Text am ähnlichsten – den Glauben (2Tim 1,5). Die gedankliche Nähe zu 2,6-7 ist offensichtlich, auch wenn das Verb dort nicht vorkommt. Dort hieß es, die Kolosser sollen die Botschaft, die sie durch Epaphras empfangen haben, tiefe Wurzeln schlagen lassen, ihr Leben darauf aufbauen und auf dem Fundament des Glaubens bleiben. Hier wechselt das Bild, aber die Betonung liegt ebenfalls auf der Durchdringung des Lebens der Gläubigen durch das Evangelium. „Unter euch“ übersetzt das Präpositionsgefüge ἐν ἡμῖν, das auch mit „in jedem einzelnen von euch“ wiedergegeben 435 Vgl. Pao 247. 436 So auch Lightfoot 224; Moule 125; Bruce 157; Wilson 266. Kontra O’Brien 206-207; Moo 285-286. 437 Vgl. Gnilka 199-200; O’Brien 206. 438 Vgl. Gnilka 199, Wolter 189.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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werden kann. Im Kontext geht es aber primär um den gottesdienstlichen Gesang (vgl. unten), sodass die kollektive Deutung vorzuziehen ist.439 Das Adv. πλουσίως, das wir mit „im Übermaß“ übersetzen, kommt im NT selten vor (nur noch in 2Tim 6,16; Tit 3,6; 2Petr 1,11) und vermittelt hier, dass die Botschaft vom Messias stets im Mittelpunkt der gottesdienstlichen Versammlung stehen muss.440 Soweit bietet der Vers keine nennenswerten Probleme, aber die folgenden Präpositionsgefüge und Partizipialkonstruktionen sind nicht eindeutig hinsichtlich ihrer Bezüge und lassen mehrere mögliche Deutungen zu. Diese müssen sorgfältig abgewogen werden.441 Der Nebensatz indem ihr mit allem, was die Weisheit zu bieten hat, einander unterweist und ermahnt (ἐν πάσῃ σοφίᾳ διδάσκοντες καὶ νουθετοῦντες ἑαυτούς) bezieht sich mit modaler Sinnrichtung auf den vorhergehenden Imperativsatz. Er erläutert m.a.W., wie die Botschaft des Messias unter den Kolossern „wohnen“ soll. Die Wendung ἐν πάσῃ σοφίᾳ – hier wie in 1,28 als „mit allem, was die Weisheit zu bieten hat“ übersetzt – ist, auch wie in 1,28, der doppelten Partizipialkonstruktion διδάσκοντες καὶ νουθετοῦντες (wörtl. „lehrend und ermahnend“) zuzuordnen (vgl. zu 1,28 zur Syntax sowie zur Bedeutung der Begriffe).442 Ging es dort darum, dass die Apostel, insbes. Paulus, „jeden Menschen mit allem, was die Weisheit zu bieten hat, ermahnen und unterrichten“, so macht er an dieser Stelle deutlich, dass die Gläubigen nicht nur auf apostolische Unterweisung angewiesen sind, sondern diesbezüglich auch füreinander (ἑαυτούς) Verantwortung haben. Dass Paulus meint, die Kolosser sollen ihren Dienst des Unterrichtens und Ermahnens mit – d.h. mittels – Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern (ψαλμοῖς ὕμνοις ᾠδαῖς πνευματικαῖς) betreiben, wird von manchen Forschern infrage gestellt. Denn es ist nicht ganz klar, ob sich diese dreifache Begriffskette anaphorisch auf die vorhergehenden Partizipien „lehrend und ermahnend“, wie wir mit wohl der Mehrheit der Kommentatoren meinen,443 oder kataphorisch auf das folgende Partizip „singend“ (ᾄδοντες), wie eine beachtliche Minderheit behauptet,444 bezieht. Letztere Deutung entfaltet eine offen439 440 441 442 443
So auch Gnilka 200; Moo 286. Kontra Lightfoot 224. Vgl. Hengel, Christuslied, 390; Moo 286. Vgl. ausführlicher zu 3,16b White, Ermahnt einander, 79. So auch die überwiegende Forschungsmehrheit. Kontra Lohmeyer 150. Vgl. Lightfoot 224; Lohmeyer 150; O’Brien 208-209; Gnilka 200; Pokorný 147; Hengel, Christuslied, 389-390; Standhartinger, Studien, 243; Sumney 225; Moo, 286-288; Lincoln 649; MacDonald 143; Pao 248-249. 444 Vgl. Harris 167; Schweizer 157; Wolter 189-190; Dunn 211, Anm. 14; Wilson 266-267; Maisch 234-235.
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II. Auslegung
sichtliche satzparadigmatische Logik, denn das Verb „Singen“ (ᾄδω; im NT nur noch in Eph 5,19; Offb 5,9; 14,3; 15,3 aber in der LXX, bes. in den Psalmen, häufig vorzufinden) nimmt natürlicherweise solche Begriffe als seine Objektergänzung. Trotzdem spricht einiges dafür, dass die Kette einen anaphorischen Bezug hat und näher beschreibt, wie nach der Vorstellung des Apostels durch Gesang im Gottesdienst gegenseitig unterrichtet und ermahnt werden soll (Dat. instr.). Erstens würde ein kataphorischer Bezug das Partizip ᾄδοντες mit gleich vier Dativattributen überladen und das relative Gleichgewicht der beiden auf das Hauptverb ἐνοικείτω bezogenen Partizipialkonstruktionen stören. Zweitens stehen die drei Begriffe im Dat., wo man den Akk. erwarten würde;445 die Aufforderung „singt mit oder mittels Psalmen etc.“ wirkt ungeschickt. Drittens scheint die Parallelstelle in Eph 5,19 unsere Deutung zu unterstützen: Dort ermutigt Paulus die Christen in Ephesus „einander mit Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern zuzusprechen“ (λαλοῦντες ἑαυτοῖς ἐν ψαλμοῖς ὕμνοις ᾠδαῖς πνευματικαῖς).446 Viertens haben wir bereits an anderen Stellen des Kol gemerkt, wie Paulus das CL genau zu diesem Zweck – Ermahnung und Lehre – zitiert und kommentiert (vgl. 1,15-20 mit 1,21-22; 2,9-10) sowie ein frühchristliches „Errettungslied“ dazu einsetzt (vgl. 2,14-15 mit 3,13). Es ist also anzunehmen, dass Paulus von einer Konzeption des frühchristlichen Gottesdienstes ausgeht, nach der „Psalmen, Hymnen, und geistliche Lieder“ eine zentrale Rolle spielen und z.T. als Grundlage der Unterweisung und Ermahnung dienen sollten. Die Begriffskette ist pleonastisch,447 und die Begriffe lassen sich nicht streng voneinander unterscheiden,448 sodass eine genaue Untersuchung der unterschiedlichen Lexeme mit dem Ziel, etwaige damit gemeinte Musikgattungen zu identifizieren, keinen großen Erfolg versprechen würde.449 Man kann nicht einmal mit Sicherheit „Psalmen“ einerseits und „Hymnen“ und „Lieder“ andererseits jeweils dem jüd. und dem griech. Kulturkreis zuordnen,450 denn ein „Psalm“ (ψάλμα, ψαλμός) bezeich-
445 So auch Pao 248-249. 446 Sowohl textkritische (vgl. Best, Ephesians, 501) als auch syntaktische Überlegungen lassen auch in Bezug auf Eph 5,19 kein endgültiges Urteil über die Bedeutung und den Umfang der Partizipialkonstruktion zu, aber das Verb λαλέω verlangt normalerweise eine Objektergänzung, die dort nur diese Begriffskette sein kann. 447 Vgl. Hengel, Christuslied, 391. Ähnlich Luz 231-232. 448 Vgl. Schweizer 157; Wolter 190. Eine gute, kompakte Analyse der einzelnen Begriffe bietet Dunn 237-241. 449 Vgl. Seidel, Musik, 444; Löhr, Beginnings, 164. 450 So tendenziell Gnilka 201.
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net im Griech. ein von Saiteninstrument(en) begleitetes Lied und muss nicht auf biblische Texte verweisen.451 Auch wenn die Vermutung nicht abwegig ist, dass Paulus dabei an atl. Psalmen denkt,452 muss man sich dabei vor der anachronistischen Vorstellung hüten, dass der „Psalter“ im frühchristlichen Gottesdienst als Gesangsbuch verwendet wurde.453 Paulus geht es weder um die einzelnen Begriffe noch um musikalische Gattungen, sondern darum, dass das Liedgut der Gemeinde in seiner Vielfalt der Verkündigung des Evangeliums dient. Wichtig dabei ist die „geistliche“ Qualität (πνευμαμτικός) der Lieder.454 Dass diese oft auf spontane Eingabe des Geistes erfolgten, kann nicht bezweifelt werden;455 dass aber „geistlich“ genau das in diesem Kontext bezeichnet, liest zu viel in das Wort hinein.456 Nicht ihr Inspirationsmodus, sondern ihr Ursprung wird durch diese Bezeichnung hervorgehoben.457 Auf diese kostbare Ressource darf die Gemeinde nicht verzichten, sondern soll sie zur Heranreifung der Gläubigen einsetzen (vgl. zu 2,19). Weiter soll die Gemeinde in Kolossä die Botschaft vom Messias unter sich wohnen lassen, indem – wie die vorhergehende ἐν + Dat. Partizipialkonstruktion 3,16b bezieht sich auch diese mit modaler Sinnrichtung auf den Imperativsatz 3,16a – sie mit Dankbarkeit aus ganzem Herzen zu Gott singt (ἐν τῇ χάριτι ᾄδοντες ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν τῷ θεῷ). Das Wort, dass wir mit „Dankbarkeit“ übersetzen (χάρις), legen manche Kommentatoren seiner Grundbedeutung folgend im Sinne von „Gnade“ aus.458 Paulus gebraucht es aber öfter mit der Bedeutung „Dankbarkeit“ (vgl. Röm 6,17; 7,25; 1Kor 10,30; 15,57; 2Kor 2,14; 8,16; 9,15).459 Diese wird sowohl in 3,15 als auch in 3,17 thematisiert, sodass sich das Konzept des Singens mit Dankbarkeit in diesem Zusam-
451 452 453 454 455 456 457 458
459
Vgl. LSJ 2018; Moo 289. Vgl. Seidel, Musik, 444. Vgl. Hengel, Christuslied, 366-370. Das Adjektiv muss sich nicht nur auf das letzte Glied, sondern kann sich auf alle drei Liedformen beziehen. Vgl. Barth/Blanke 428; Standhartinger, Studien, 243, Anm. 263. Vgl. Moo 290. Vgl. Schweizer 157; Sumney 225-226. Kontra Dunn 239. So auch Hengel, Christuslied, 391. Vgl. Lightfoot 225-226; Lohse 217-218; Gnilka 201; Wolter 190-191. Vom Grundbegriff leiten andere die Konnotation „Anmut“ (vgl. Schweizer 157-158) oder „Gefälligkeit“ (vgl. Baumert/Seewan 150) ab. Auf das Vorhandensein des (textkritisch umstrittenen, aber wahrscheinlich ursprünglichen) Artikels τῇ vor χάριτι wird von den Befürwortern dieser Deutung i.d.R. zu viel Gewicht gelegt. Paulus rief gerade vorher in 3,15 zur Dankbarkeit auf (zwar kommt dort das Verb statt des Nomens vor, aber das Konzept steht damit im Raum). Der Artikel verweist auf diese bereits thematisierte Dankbarkeit (so auch Harris 171). Vgl. Pao 250.
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II. Auslegung
menhang mühelos erschließen lässt.460 Mit dieser Haltung (Dat. instr.) soll die Gemeinde in den gottesdienstlichen Gesang einstimmen. Über den Bezug und die Bedeutung des darauffolgenden Präpositionsgefüges „in euren Herzen“ (ἐν ταῖς καρδίαις) ist man in der Forschung auch nicht einig. Dass der Autor die Gläubigen „zum schweigenden Singen“ auffordert,461 ist höchst unwahrscheinlich; wie sollen sie denn einander dadurch lehren und ermahnen? Die Redewendung trägt zwar öfter die Bedeutung „sich selbst im Stillen“ mit Verben des Sprechens oder Denkens (vgl. z.B. Ps 4,5; 27,3; Zef 1,12; Sach 12,5; Mt 9,4; Lk 2,6.8), aber Paulus gebraucht es nirgends in diesem Sinne (vgl. Röm 2,15; 5,5; 2Kor 1,22; 3,2; 4,6; 7,3; Eph 3,17), auch nicht in 3,15. Manchmal wird erwogen, ob sich der Ausdruck auf das vorhergehende Präpositionsgefüge bezieht, und die Dankbarkeit, zu der Paulus die Gemeinde auffordert „in ihren Herzen“ verortet wird.462 Das ist möglich, entspricht aber auch nicht dem gewöhnlichen Gebrauch. Die Tatsache, dass der Ausdruck unmittelbar auf das Verb folgt, lässt eher vermuten, dass er sich auch darauf bezieht. Konnotiert wird das gleiche wie in 3,15: Die Kolosser sollen Gott (τῷ θεῷ) ihre Lieder singen „mit dem ganzen Sein“ bzw. „mit vollem Elan“.463 17 Paulus schließt diesen Abschnitt mit einer allgemeinen Aufforderung in der Form eines gewöhnlichen Konditionalsatzes (ἐὰν + Konj.) ab: Alles, was ihr tut in Wort oder Tat, tut alles im Namen des Herrn Jesus (καὶ πᾶν ὅ τι ἐὰν ποιῆτε ἐν λόγῳ ἢ ἐν ἔργῳ πάντα ἐν ὀνόματι κυρίου Ἰησοῦ). Die Formulierung erinnert stark an 1Kor 10,31. Zu guten Werken hat Paulus die Kolosser schon in 1,10 explizit angehalten; eine ausdrückliche Aufforderung zum gottgefälligen Reden kommt noch in 4,6. In beiden Fällen wird das jeweilige Verhalten als notwendige Komponente eines von den Nachfolgern Jesu erwarteten „Lebenswandels“ (vgl. das Verb περιπατέω in 1,10 und 4,5) betrachtet. Die Aufforderung ist eine geeignete Zusammenfassung von 3,5-16 und zugleich ein implizites Zugeständnis des Apostels, dass christliche Ethik nie kasuistisch erfasst werden kann.464 Auch, wenn er sich nicht scheut, klare Urteile in bestimmten Situationen zu geben (vgl. seine Auseinandersetzung mit der KI in 2,16-19), ist sich Paulus bewusst, dass darüber hinaus moralisches Handeln allgemeinen Prinzipien unterstellt werden muss. An anderen Stellen dienen ihm in dieser Hinsicht – gut jüdisch – das Liebesgebot (vgl. Röm 13,9; 460 461 462 463 464
Vgl. O’Brien 210; Moo 289, Anm. 144; Maisch 235. Standhartinger, Studien, 244-245. So auch Gnilka 201. Vgl. Wright 145; Moo 289, Anm. 144. Vgl. O’Brien 210; Harris 171. Vgl. Wolter 191.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
323
Gal 5,14; implizit auch in 3,14) oder Schöpfungsordnungen (vgl. Röm 1,2021; Eph 5,31). Diese werden an unserer Stelle durch eine ausgesprochen christliche Note ergänzt: Was „im Namen des Herrn Jesus“ getan oder gesagt werden kann, ist ethisch zulässig. Auch im AT wurde Reden und Handeln legitimiert, wenn es im Namen des Herrn (ἐν ὀνόματι κυρίου = ;בשם יהוה vgl. z.B. Deut 18,22; 1Sam 17,45)465 geschah. Im Übrigen ist es charakteristischerweise der Messias, der „im Namen des Herrn“ kommt (vgl. Ps 118,26 mit Mk 11,9 par). Im Bewusstsein, dass Jesus ebendieser Messias ist, berief sich die Urgemeinde Lukas zufolge auf seinen Namen mit Verweis auf Ps 118,22, um ihr den jüd. Führern fragwürdiges Verhalten zu rechtfertigen (vgl. Apg 4,6-12). Bald wurde „im Namen unseres Herrn Jesus Christus“ u.ä. zur „urchristlichen Wendung“466 (vgl. 1Kor 5,4; 6,11; Phil 2,10). Die allgemeine Anweisung in 3,17a veranlasst Paulus noch einmal zu betonen, dass Dankbarkeit alles Handeln der Nachfolger des Messias untermauern soll: und dankt Gott dem Vater durch ihn (εὐχαριστοῦντες τῷ θεῷ πατρὶ δι ̓ αὐτοῦ). Die Sinnrichtung des Partizips ist modal und gibt die Umstände an, die das Reden und Wirken der Gläubigen begleiten soll.467 Das ist bereits die vierte ausdrückliche Aufforderung zum Dank im Kol (vgl.1,12; 2,7; 3,15). Wie in 1,12 soll er an den Vater gerichtet werden. Diesmal fügt Paulus hinzu, dass Dank „durch“ Christus möglich ist. Gemeint ist wohl nicht bloß, dass Christus den Dank an den Vater vermittelt,468 sondern dass sein Erlösungswerk den Gott gebührenden Dank überhaupt möglich macht.469
IV Zusammenfassung In 3,5-11 werden die ethischen Folgen von der Identifikation der Gläubigen in der Taufe unter dem Einfluss des Bildes vom Ausziehen verschiedener Laster schwerpunktmäßig negativ formuliert. In 3,12-17 führt Paulus das Bild positiv aus, indem er von den Tugenden spricht, die anstelle der Laster, angezogen werden sollen (vgl. 3,12). Tugendlehre ist jedoch für den Apostel ein Mittel zum Zweck, denn nicht Tugenden im Abstrakten werden angestrebt, sondern konkrete Handlungen, die aus tugendhaften Einstellungen hervorgehen. Der Tugendkatalog, der sich hier empfiehlt, weist manche zufälligen Übereinstimmungen mit hellenistischen Listen auf, aber insbes. seine Betonung auf Barmherzigkeit, Demut und Langmut bezeugt seine grundsätzlich jüd. Provenienz. 465 466 467 468 469
Zur Bedeutung des Namens Gottes im AT vgl. v.a. Seitz 167. Lohse 218. Vgl. Harris 171; MacDonald 144. So Gnilka 202; Moo 291-292. Ähnlich Lohse 219; Bird 109; Pao 251-252.
324
II. Auslegung
Überhaupt hat dieser Abschnitt ein starkes messianisch-eschatologisches Gepräge. Das Volk Gottes, das jetzt aus Heiden und Juden zusammen besteht und alle ethnischen und sozioökonomischen Grenzen überwinden soll, wird – wiederum durch Identifikation mit dem Heilswerk des Messias in der Taufe – um ihn versammelt. Die Versammlung Israels hat Gott durch die Propheten versprochen, und nun wird sie auf zugegebenermaßen unerwartete Weise Wirklichkeit. Deswegen werden der Gemeinde charakteristische Prädikate Israels im AT zugeschrieben: Sie sind Erwählte Gottes, heilig und geliebt (vgl. 3,12). Die im AT vorausgesagte Friedensmission des Messias hat unter ihnen schon begonnen (vgl. 3,15), und es sind nicht in erster Linie Paulus und die anderen Apostel, die die Gemeinde unterweisen, sondern in Erfüllung atl. und frühjüd. Erwartungen ist es der Messias selbst (vgl. 3,16). Die Richtigkeit unserer Entscheidung, Χριστός stets als Ehrentitel aufzufassen und konsequent mit „Messias“, statt „Christus“, zu übersetzen (vgl. S. 63), wird auf jeden Fall durch den Gebrauch an dieser Stelle bestätigt.470 Bei der Konkretisierung der Ethik heben sich zwei Elemente besonders hervor, und es wird nicht von ungefähr sein, dass beide in der Jesustradition verankert sind und von Jesus stark gefördert werden. Zum einen handelt es sich um die gegenseitige Vergebungsbereitschaft; zum anderen um die Liebe (vgl. 3,13-14). Sollte die Gemeinde, die wie der menschliche Körper aus vielen Gliedern besteht, zusammenwirken und wachsen, so muss sie durch die Liebe verbunden sein, und das erfordert die Einsicht, dass man auf die Vergebungsbereitschaft anderer angewiesen und dazu auch anderen gegenüber verpflichtet ist. Im hellenistischen Alltag, der von einem ständigen Wettkampf um Ehre und Status über alle Schichten hinweg geprägt war, der wiederum durch die gesetzlichen und asketischen Bestrebungen der KI auch unter den Nachfolgern des Messias zu gedeihen drohte, konnte die Gemeinde nur durch solche Einsicht ihre Bestimmung als messianisches Volk erfüllen. Die Gemeinde in Kolossä erhält aber von Paulus nicht nur Forderungen, sondern auch Zuspruch. Durch das Anziehen des neuen Menschen – d.h. durch das sich Aneignen der Tugenden des Volkes Gottes –, das förmlich ihr Erbteil ist (vgl. zu 1,12), stellen sich die Anhänger des Messias unter seine Herrschaft und kommen in den Genuss seiner Gaben. Zum einen erleben sie seinen Frieden: „In ihren Herzen“ macht sich ein Gefühl der Ausgeglichenheit und des Wohlergehens breit (vgl. 3,15). Theologen (insbes. westlicher Prägung) sind von Berufs wegen gefährdet, hinter jedem Begriff ein theologisches Gesamtschema zu entdecken. Sie betonen zwar zu Recht, dass „Friede“ 470 Ähnlich Dunn 233-234.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
325
bei Paulus meistens einen objektiven Zustand bezeichnet, der aus der Überwindung der Feindschaft zwischen Gott und Menschen resultiert. Aber Paulus visualisiert hier, wie in Phil 4,7, in erster Linie die Auswirkung dieser neuen Wirklichkeit auf das Gemüt. Wer sich vom Messias führen und verändern lässt, erlebt Frieden nicht nur als rational erfassbares Beziehungsschema, sondern spürt auch, wie sich Zufriedenheit in ihm breit macht, und kommt zur Ruhe. Zum anderen werden die Nachfolger des Messias vom Messias selbst unterwiesen. Denn die „Botschaft des Messias“ sollte, insbes. im frühchristlichen Gottesdienst, den Paulus offensichtlich vor Augen hat, immer tiefer in sie eindringen und ihr Denken verändern (vgl. 3,16). Aber selbst hier, wo es um den Verstand geht, tritt überraschenderweise wiederum nicht der nüchterne Paulus, der Theologe, auf, sondern der gefühlvolle Gemeindeleiter. Es ist auch nicht die moderne Predigt, welche die von ihm erstrebte Veränderung im Denken (vgl. Röm 12,2) herbeiführt, sondern die Botschaft wird vorzugsweise in Form von „geistlichen Liedern“ verschiedener Gattung vermittelt. Ermahnung und Lehre erfolgen seiner Vorstellung nach am besten durch Gesang. Wir bekommen im NT selten einen Blick in die gottesdienstlichen Versammlungen des frühesten Christentums, aber wo uns das gewährt wird (vgl. 1Kor 5,4-5; 11,4-5.17-33; 14,26-40; eventuell idealisiert in den Thronsaalvisionen der Offb), wird uns kein vertrautes Bild vermittelt. „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land“, sagte der englische Schriftsteller L.P. Hartley, „sie haben dort andere Bräuche“. Das trifft auf den frühchristlichen Gottesdienst zu. D.h. nicht, dass wir alle uns vertrauten liturgischen Formen über den Haufen werfen und sklavisch dem Ideal eines ntl. Gottesdienstes nachjagen müssen. Selbst die bruchstückhafte Information, die wird erhalten haben, weist auf vielfältige Formen hin. Aber davon können wir auf jeden Fall lernen, und die Unterweisungsfunktion des Liedgottesdienstes ist vielleicht ein Gebiet, über das es sich lohnen würde, intensiver nachzudenken.471 Schließlich stellt Paulus alle ethische Reflexion unter ein Gesamtprinzip: Alles muss im Namen des Messias Jesus geschehen (vgl. 3,17). Es wäre eine Engführung, wenn man darauf bestehen würde, dies sei das alleingültige Prinzip jeglichen ethischen Diskurses. Denn selbst in diesem Abschnitt wird auch das Liebesgebot zu diesem Zweck implizit herangezogen, und andere Stellen machen deutlich, dass Schöpfungsordnungen für Paulus einen hohen Stellenwert für die Einschätzung des korrekten Verhaltens haben. Der Name Jesus ist 471 Vgl. meine Überlegungen in White, Ermahnt einander, inbes. 89-90.
326
II. Auslegung
auch kein Talisman bzw. keine magische Formel, die alles, was man sowieso tun und haben will, legitimiert. Vielmehr beansprucht er den Herrschaftsbereich des Messias, in den die Gläubigen versetzt werden (vgl. 1,13), und hat somit eine präskriptive Funktion. Er gebietet und verbietet gemäß dem, was eines gottgefälligen Lebensstils würdig ist (vgl. 1,10). Hinter allen Ausführungen des Apostels in diesem Abschnitt steht also eine Vision von dem, was es heißt, das Volk des Messias zu sein. Hier hilft letztlich keine Kasuistik, oder wenigstens nur sehr bedingt. Ethisches Verhalten, das den Messias ehrt, folgt aus der Identifikation mit dem Messias in der Taufe, durch die der alte Mensch stirbt und der neue zum Leben erweckt wird. Das ist keineswegs das Ende aller Bemühungen in ethischer Hinsicht, sondern vielmehr ein hoffnungsvoller Anfang.
2.4.3. Lebt standesgemäß im christlichen Haushalt (3,18–4,1)
I Übersetzung 18 Ihr Frauen, ordnet euch euren Ehemännern unter, wie es im Herrn eigentlich angemessen ist. 19 Ihr Männer, liebt eure Ehefrauen und lasst keine Bitterkeit gegen sie aufkommen. 20 Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem, denn das gefällt dem Herrn. 21 Ihr Väter, provoziert eure Kinder nicht, damit sie nicht mutlos werden. 22 Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren in allem, nicht nur, wenn sie euch gerade beobachten, um ihnen zu gefallen, sondern mit aufrichtigem Herzen aus Ehrfurcht vor dem Herrn. 23 Egal welche Arbeit ihr tut, arbeitet fleißig, als dientet ihr dabei dem Herrn statt Menschen, 24 denn ihr wisst, dass ihr vom Herrn euren gerechten Lohn als Erbe empfangen werdet. Ihr dient in Wirklichkeit dem Herrn, dem Messias. 25 Denn wer Unrecht tut, wird das Unrecht empfangen, das er getan hat, und es gibt kein Ansehen der Person. 4,1 Ihr Herren, gewährt euren Sklaven ihren gerechten und fairen Teil, denn ihr wisst, dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 3,18: D* F G 075 it vgmss syp.h** fügen ὑμ͂ων nach ἀνδράσιν ein. L 365 630 1175 1881 2464 pm fügen ἰδίοις vor ἀνδράσιν ein. In beiden Fällen wollten spätere Kopisten offensichtlich deutlich machen, dass es sich um Ehefrauen handelte. 3,19: Ähnliche Korrekturen haben Kopisten vorgenommen bzgl. γυναῖκος: C2 D* F G it vgcl sy sowie Ambst und Spec fügen ὑμῶν nach γυναῖκος, und א2 075 1175 fügen ἑαυτῶν nach γυναῖκος ein. Die
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
327
von NA28 bevorzugte LA ist eindeutig vorzuziehen. 3,20: 0198 81 630 1241s ar vgmss sowie Cl und Ambst haben τῷ statt ἐν, aber die LA von NA28 ist hervorragend bezeugt. 3,21: אA C D* F G L 075 0198 0278 33 81 104 365 1175 1241s 1505 sowie Ambst lesen παροργίζετε statt ἐρεθίζετε unter dem Einfluss von Eph 6,4. 3,22: 1) Das Präpositionsgefüge κατὰ πάντα fehlt in 46 075 028 81 1241s vgms sa. Einerseits könnte eine Einfügung den Versuch darstellen, die Aufforderung an die Sklaven der an die Kinder anzugleichen. Andererseits könnte ein früher Kopist die Aufforderung zum Gehorsam „in allem“ eventuell zu absolut gefunden und es ausgebessert haben. Wegen der breiten Bezeugung ist die von NA28 bevorzugte, längere LA beizubehalten. 2) Die von NA28 bevorzugte LA ist dem Dat. Plur. ὀφθαλμοδουλίαις, das von אC K L Ψ 0278 33vid 630 1175 1505 1739 1881 2464 syh sowie Cl bezeugt ist, aufgrund der besseren Bezeugung vorzuzuiehen. 3) Statt κύριον lesen 46 א2 D2 K 104 630 d vgcl θeόν, aber die von NA28 bevorzugte LA ist besser und breiter bezeugt. 3,23: 1) Für ὃ gibt es Varianten, die u.a. πᾶν hinzufügen, aber die von NA28 bevorzugte LA ist gut bezeugt und erklärt die Entstehung der anderen LA am besten. 2) Wohl unter dem Einfluss von Eph 6,7 fügen A 075 sowie Cl δουλεύοντες nach κυρίῳ ein. 3) Vor οὐκ fehlt καὶ in 46 B 1739 sowie Ambst. Die Qualität dieser Zeugen sowie die Tendenz zur Anpassung an Eph 6,7 sprechen für die Auslassung. 3,24: 1) F G ar d m* bopt sowie Ambst ersetzen τῷ κυρίῳ Χριστῷ mit τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ᾧ. Die von NA28 bevorzugte LA ist besser und breiter bezeugt. 2) D1 K L Ψ 075 104 630 1175 1505 sy sowie Cl fügen γάρ vor κυρίῳ ein. 3,25: F G I it vgcl sowie Ambst, Pel und Cass fügen παρὰ τῷ θεῷ nach προσωπολημψία ein. Der Einfluss von Eph 6,9 erklärt den Zusatz. Form. Neben dem CL (1,15-20) ist 3,18–4,1 sicherlich der in der modernen Forschung am meisten und am ausführlichsten untersuchte Abschnitt des Kol. Das ist durchaus verständlich, denn die sogenannte „Haustafel“ (in weiterer Folge „HT“; der Begriff stammt von Martin Luther)472 stellt Kommentatoren vor mehrere Herausforderungen, wobei die exegetische wohl die geringste ist. Der Text „stellt eine abgeschlossene, paränetische Einheit dar, die sich in Aufbau und Stil vom übrigen Brief abhebt“.473 In struktureller Hinsicht folgt sie einem klaren Schema: Die verschiedenen Mitglieder des typischen – vielleicht besser: stereotypen – antiken Haushalts werden paarweise auf ihre Pflichten innerhalb der dort geltenden hierarchischen Beziehungen, in denen sie sich befinden, angesprochen, zuerst die jeweils untergeordneten Individuen, da472 Vgl. Standhartinger, Studien, 247, Anm. 1. 473 Gielen, Tradition, 3.
328
II. Auslegung
nach die ihnen übergeordneten Personen.474 Das erste Paar besteht aus Ehefrauen (3,18) und Ehemännern (3,19), das zweite aus Kindern (3,20) und Vätern (3,21) und das dritte aus Sklaven (3,22-24) und Herren (4,1). Die untergeordneten Parteien sind selbstverständlich unterschiedliche Personen im Haushalt. Der pater familias hingegen verkörpert alle drei übergeordneten Rollen in seiner Person. Im folgenden Diagramm wird der Text entsprechend diesem Schema zur Veranschaulichung aufgeteilt: Untergeordnete Personen
Übergeordnete Personen
Ehefrauen 18 Ihr Frauen, ordnet euch euren Ehemännern unter, wie es im Herrn eigentlich angemessen ist.
Ehemänner 19 Ihr Männer, liebt eure Ehefrauen und lasst keine Bitterkeit gegen sie aufkommen.
Kinder 20 Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem, denn das gefällt dem Herrn.
Väter 21 Ihr Väter, provoziert eure Kinder nicht, damit sie nicht mutlos werden.
Sklaven 22 Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herrn in allem, nicht nur, wenn sie euch gerade beobachten, um ihnen zu gefallen, sondern mit aufrichtigem Herzen aus Ehrfurcht vor dem Herrn. 23 Egal welche Arbeit ihr tut, arbeitet fleißig, als dientet ihr dem Herrn statt Menschen, 24 denn ihr wisst, dass ihr vom Herrn euren gerechten Lohn als Erbe empfangen werdet. Ihr dient in Wirklichkeit dem Herrn, dem Messias. 25 Denn wer Unrecht tut, wird das Unrecht empfangen, das er getan hat, und es gibt kein Ansehen der Person.
Herrn 4,1 Ihr Herren, gewährt euren Sklaven ihren gerechten und fairen Teil, denn ihr wisst, dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt.
Sieht man von der Unterweisung an die Sklaven in 3,22-25 ab, die um einiges länger ist als alle anderen Elemente, handelt es sich um mehr oder 474 Vgl. die ausführliche Analyse der Struktur bei Gielen, Tradition, 104-121.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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weniger ausgeglichene Anweisungen, sowohl in Bezug auf ihre Länge als auch auf ihre charakteristischen Züge. Ein Blick auf die HT in Eph 5,21–6,9 ergibt das gleiche Gesamtbild; dort werden allerdings (mit Ausnahme der Anweisung an die Väter) den jeweiligen Unterweisungen ausführlichere Erklärungen hinzugefügt, besonders derjenigen an die Ehemänner. Das erweckt den Eindruck, dass es sich um eine in frühchristlichen Kreisen bekannte paränetische Form handelt. Diese hinterließ auch an anderen Stellen im NT ihre Spuren, vor allem in 1Petr 2,18–3,7, wobei sie dort wesentlich stärker im Dienst der Paränese umgestaltet wurde.475 Zusammen bezeugen diese drei Texte die Existenz eines bereits vor der Abfassung des Kol vorliegenden Traditionsstücks, dessen klares und einfaches Schema sich leicht einprägen ließ.476 Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die HT ursprünglich mündlich überliefert wurde.477 Dabei scheint das Textstück 3,23-25 nicht der vorpaulinischen HT zu entstammen, sondern stellt wahrscheinlich eine Ergänzung des Paulus dar. Dafür spricht zum einen, dass es dem für den Kol charakteristischen Stil ähnelt und sich somit vom Rest der HT abhebt,478 und zum anderen, dass die Protasis des Konditionalsatzes in 3,23 – „egal welche Arbeit ihr tut“ (ὃ ἐὰν ποιῆτε) – den abschließenden Gedanken des vorhergehenden Abschnitts in 3,17 – „alles, was ihr tut“ (πᾶν ὃ τι ἐὰν ποιῆτε) – wieder aufgreift. Das dürfte im Übrigen befriedigend erklären, warum die HT an dieser Stelle von Paulus referiert wird. Sie ist weder zusammenhanglos noch wurde sie willkürlich an dieser Stelle eingeschoben, wie viele Forscher meinen,479 sondern sie dient der Veranschaulichung des abstrakt formulierten Prinzips in 3,17, auf dem Paulus teilweise seine Ethik aufbaut (vgl. S. 322-323).
475 Vgl. Gielen, Tradition, 376. Gelegentlich zählt man Röm 13,1-7; 1Tim 2,8-15; 6,1-2; Tit 2,1-10 zu den HT hinzu. Diese Stellen sind vielleicht davon beeinflusst, entbehren aber der für die HT als charakteristisch geltenden Form. Vgl. Lillie, House-Tables, 182. 476 Dass die HT ein vorgeformtes Traditionsstück ist, hat Seeberg, Katechismus, 37-39, als erster erkannt (so Crouch, Origin, 13), und diese Einsicht wurde seitdem selten infrage gestellt (vgl. dazu Hering, Haustafeln, 16). 477 Vgl. Gnilka 216; Gielen, Tradition, 122-128. 478 Vgl. Luz 233. 479 Vgl. z.B. Lohmeyer 153: 3,18–4,1 sei eine „in sich geschlossene Paränese …, die nicht mit dem bisher Erörterten in näherem Zusammenhang steht.“ So auch Bormann 176. Ähnliche Beobachtungen führten Munro, Evidences, 440, zum Schluss, dass es sich bei diesem Abschnitt um einen späteren Einschub handelt. Spuren eines solchen Einschubs lassen sich jedoch in der Textgeschichte nicht finden, und der Text stört keineswegs den Fluss des Kol, sondern vielmehr moderne Empfindlichkeiten bzgl. seines Inhalts. Vgl. die Kritik an Interpolationsthesen bei Lincoln, Household Code, 94-95.
330
II. Auslegung
Die Frage nach der Gattung der ntl. HT kann als geklärt betrachtet werden.480 Es wurde nämlich zunehmend seit den 70er-Jahren des 20. Jh.s anerkannt und wird inzwischen kaum mehr bezweifelt, dass sie der sogenannten „Ökonomik“ zuzuordnen ist.481 Dieses vielerorts in der antiken Literatur diskutierte Gebiet der Popularethik widmete sich der rechtmäßigen Führung des Haushalts, und die HT lässt sich ohne große Mühe als ein ihm zugehöriges Exemplar erschließen. Ein Vergleich mit der Pflichtenlehre des Aristoteles deckt beispielsweise die bemerkenswerte Übereinstimmung mit einzelnen Elementen der HT auf: „Da es nun klar ist, aus welchen Komponenten der Staat (πόλις) besteht, ist es notwendig etwas über die Haushaltsführung (οἰκονομία) zu sagen. Denn jeder Staat besteht aus Haushalten (οἶκος) …, und die primären und kleinsten Teile [des Haushalts sind die Verhältnisse zwischen] Herr und Sklaven, Ehemann und Ehefrau sowie Vater und Kindern“ (Aristoteles, Politik, I.12.1253b). Das gleiche 3x2 Schema untermauert u.a. auch die häusliche Ethik Senecas (vgl. Ep 94,1) und Philos (vgl. Hypoth 7,14).482 Die Anweisungen der kolossischen HT entsprechen somit im beeindruckenden Ausmaß der aristotelischen Rollenverteilung sowie ihrem hierarchischen Gefälle, wie sich diese im Haushalt der antiken Gesellschaft vorfanden. Nachdem sich diese Einsicht über die Gattungszugehörigkeit der HT durchsetzen konnte, war die Forschung zunächst bemüht, ihre ursprüngliche Gestalt zu beschreiben.483 Der Text im Kol kommt dieser wohl am nächsten,484 aber auch er lässt eine Rekonstruktion der vor ihrer Verschriftlichung
480 Vgl. Dunn 243: „The debate as to where this material has derived from … should probably now be regarded as settled.“ Bergers Versuch (Formgeschichte, 136-141), die Gattung der HT wegen ihrer paränetischen Ausrichtung der Gnomik zuzuordnen, ist nicht überzeugend. Vgl. die Kritik von Gielen, Tradition, 62-66. 481 In einem 1953 veröffentlichten Aufsatz gelang es Rengstorf, Mahnungen, 136-141, den Sitz im Leben der HT im antiken Haushalt mit nachhaltiger Wirkung auf die weitere Forschung zu bestimmen (vgl. Hering, Haustafeln, 25). Anderthalb Jahrzehnte später nahmen ungefähr zeitgleich und offenbar unabhängig voneinander folgende drei Forscher Rengstorfs Faden auf und verwiesen auf die Parallele zwischen der ntl. HT und der antiken Ökonomik: Lührmann, Haustafeln, insbes. 85-87; Thraede, Hintergrund, 362366; Balch, Wives, 21-62. 482 Vgl. ausführlicher Wolter 197. 483 Vgl. z.B. Gielen, Tradition, 3-4. Angefangen mit David Schroeders unveröffentlichter Hamburger Diss., Die Haustafeln des Neuen Testaments: Ihre Herkunft und ihr theologischer Sinn (1959), geriet die spezifische Form der ntl. HT stärker in den Blick. Vgl. dazu Crouch, 26-31. 484 Diesem Urteil stimmt die Mehrheit der Forscher zu. Vgl. Standhartinger, Studien, 248.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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geläufigen Form nicht zu.485 Man steht auf sichererem Boden mit der Behauptung, dass die Kernsätze der jeweiligen Anweisungen diese Form widerspiegeln.486 Die sechs Gebote, die aus einer Anrede der jeweiligen Adressatengruppe durch einen Nom. Plur. Subst. mit dazugehörigem Artikel, einem Imp. Präs. in der 2. Pers. Plur. und dem entsprechenden Objekt bestehen, sind kurz und einprägsam und eignen sich bestens zum Auswendiglernen. Darüber hinaus lässt sich mit Zuversicht nur sagen, dass die paulinischen HT im Vergleich zum Ethos der Ökonomik eigene Akzente setzen:487 Die untergeordneten Parteien werden direkt angesprochen, die Hausherren werden stärker in die Pflicht genommen, und alle werden unter die Herrschaft des Herrn gestellt.488 Beschrieben wird somit ein idealisierter christlicher Haushalt, in dem die Mitglieder nach dieser Idealvorstellung allesamt Christen und daher redlich bemüht sind, ihre reziproken Verpflichtungen wahrzunehmen und gewissenhaft auszuführen. Die Situation in den Gemeinden, die zur Umsetzung der spezifischen Anweisungen der HT angehalten wurden, dürfte eine andere gewesen sein.489 Die untergeordneten Parteien waren wohl öfter übergeordneten Personen, die ihre neue Identität in Christus nicht teilten, unterstellt und dadurch in manche ethischen Konflikte geraten.490 Dennoch stellt die ntl. HTTradition den ernsthaften Versuch dar, das neue Wertesystem der sich mit Christus in der Taufe identifizierenden Christen (vgl. 3,1-17) innerhalb der hierarchischen Struktur des antiken Haushalts, in dem sie nach ihrer Bekehrung nicht minder integriert waren wie vorher, zu verwirklichen.491 Auch wenn geklärt ist, dass die Form der HT in der antiken Ökonomik ihre Wurzeln hat, so bleibt die Frage nach ihrem traditionsgeschichtlichen Hintergrund bzgl. ihres spezifischen Inhaltes noch offen. Die intensive Diskussion darüber kann hier nur kurz skizziert werden.492 Sie wird seit dem Anfang des 485 Kontra Gielen, Tradition, 127-128. Gielen hält die kolossische HT, bis auf die Anweisung an die Sklaven, die in ihrer originalen Form aus 3,22a.24a bestanden habe) für die ursprüngliche Version. Aber ein Vergleich mit der HT im Eph lässt Zweifel an diesem Urteil aufkommen. Es entzieht sich z.B. unserer Erkenntnis, ob der Begründungssatz bei der Anweisung an die Kinder ursprünglich τοῦτο γάρ ἐστιν δίκαιον (Eph 6,1) oder τοῦτο γάρ εὐαρεστόν ἐστιν ἐν κυρίῳ (Kol 3,20) lautet bzw. ob ein Begründungssatz überhaupt vorhanden war. 486 Vgl. Gielen, Tradition, 107. 487 Vgl. Balch, Household Codes, 39; Standhartinger, Studien, 258. 488 Vgl. dazu Maisch 245-247.258-259. 489 Vgl. MacDonald, Identification, 67. 490 Vgl. Sumney 234. 491 Vgl. Laub, Franz, Die Begegnung des frühen Christentums mit der antiken Sklaverei. SBS 107. Stuttgart 1982, 19-31.85-89; Gielen, Tradition, 68-74. 492 Zur Forschungsgeschichte vgl. ausführlich Crouch, Origin, 13-31; Gielen, Tradition, 24-67; Hering, Haustafeln, 9-60.
332
II. Auslegung
20. Jh.s geführt, und auch nach hundert Jahren scheint sich noch kein Konsens anzubahnen. Im Grunde genommen werden drei verschiedene Hintergründe erwogen: 1. Hellenistische, insbes. stoische, philosophische Traditionen. Mit dem einflussreichen Kolosser-Kommentar von Martin Dibelius nahm die Diskussion ihren Ausgang. Er stellte die These in den Raum, dass die Haustafeltradition der stoischen Pflichtenlehre entlehnt und von hellenistisch-jüdischen Kreisen aufgegriffen wurde und über diesen Weg in die frühchristliche Paränese gelangte.493 Für ihn sowie seinen Schüler Karl Weidinger, der Dibelius beipflichtete und weitere vermeintliche Quellen der HT erschloss,494 war diese Tradition kaum mehr als ein Stück profanphilosophischer Sittenlehre, das allenfalls nur oberflächlich „verchristlicht“ wurde. Obwohl diese die erste Phase der HT-Forschung beherrschende These eine in sich kohärente Erklärung für die Entstehung der HT bot, waren wenige konkrete Übereinstimmungsmomente mit stoischem Gedankengut auszumachen, sodass sie berechtigterweise ihre Dominanz nach und nach einbüßen musste. 2. Hellenistisch-jüdische Sittenlehre. Lohmeyer stellte als erster nach Dibelius die stoische bzw. hellenistisch-philosophische Herkunft der HT infrage und argumentierte für ihre Basis in der deuteronomischen Gesetzgebung, welche als „jüdische Katechismustradition“ in rabbinischen Kreisen ausgebildet worden sei.495 James Crouch wollte den Sitz im Leben der HT in der jüdischhellenistischen Mission näher bestimmen.496 Leider konnte auch diese vielversprechende These allenfalls durch allgemeine thematische aber keine konkreten Parallelen bestätigt werden. 3. Frühchristliche Paränese. Karl Heinrich Rengstorf versuchte, die Einzelelemente der HT als „Stücke spezifisch urchristlicher Prägung“497 zu begreifen. David Schroeders These, dass die HT eine Schöpfung des Paulus war, der damit Jesustradition aufnahm, um egalitären Impulsen im Frühchristentum – teilweise seine eigenen (vgl. Gal 3,18)! – entgegenzuwirken, konnte aber nicht überzeugen.498 Das Gleiche gilt für David Verners Behauptung, dass die HT ein spezifisch christliches Schema darstellt.499 Trotz ihrer jeweiligen Stärken
493 494 495 496 497 498 499
Vgl. Dibelius 48-50. Vgl. Weidinger, Haustafeln, 23-50. Vgl. Lohmeyer 155. Ähnlich Bormann 178. Vgl. Crouch, Origin, 146-151. Vgl. Rengstorf, Mahnungen, 136. Vgl. Crouch, Origin, 26-31. Vgl. Verner, Household, 83-91.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
333
konnte keine dieser Thesen die offensichtlichen thematischen Übereinstimmungen mit außerchristlichen Quellen zufriedenstellend erklären. Angesichts der vielen bisher unbefriedigenden Versuche, die Herkunft der HT anhand eines einheitlichen traditionsgeschichtlichen Hintergrundes zu beleuchten, steht die gegenwärtige Forschung einer möglichen Vielfalt an Einflüssen auf die HT-Tradition wesentlich offener gegenüber.500 Spätestens seit Crouch ist die Suche nach einem einheitlichen Traditionshintergrund hinter den HT aufgegeben worden.501 Es ist nämlich allseits anerkannt worden, dass es kaum möglich ist, popularphilosophische, hellenistisch-jüdische und frühchristliche Einflüsse streng auseinanderzuhalten bzw. ihre jeweils spezifischen Beiträge zur Grundform der ntl. HT zu bestimmen. Griechische, jüdische und christliche Autoren zeigten gleichermaßen Interesse an der rechten Haushaltsführung, und ihre jeweiligen literarischen Äußerungen zum Thema bezeugen, dass sie in vielen Punkten miteinander übereinstimmten.502 Das sollte nicht überraschen: Die hierarchische Struktur des antiken Haushalts, die in der HT zum Ausdruck kommt, ist nie grundsätzlich infrage gestellt worden; sie galt gemeinhin als ordnungsstiftende, von Gott bzw. von der Natur vorgegebene Gestalt, die das Wohlergehen der Menschen garantierte.503 Am ehesten ist davon auszugehen, dass die frühchristliche HT-Tradition im Umfeld der von Paulus und seinen Mitarbeitern gegründeten Gemeinden in und um Ephesus entstanden ist. Das würde ihre erstmalige Bezeugung im Kol und im Eph sowie ihre Bekanntheit in den petrinischen Gemeinden erklären. Vielleicht waren es die ersten Gemeindevorsteher in diesen Gebieten, die leicht einprägsame Sprüche zwecks Unterweisung in die christliche Haushaltsführung gesucht haben.504 Für das Zusammenleben in und das Gedeihen von Hausgemeinden und -gemeinschaften, die eine wesentliche Rolle in der weiterführenden Mission des Paulus spielten, war eine solche Unterweisung unentbehrlich.505 Es ist nachzuvollziehen, dass sie die Form von der Ökonomik, vielleicht sogar die Imperativsätze im Kern, übernahmen, denn sie wussten, dass diese auf allgemeine Zustimmung stoßen würden. Die frühchristliche Gemeinde drückte aber dieser Form ein bewusst christliches Gepräge auf. Wie die Exegese zeigen wird, hat sie die in der Gesellschaft vorherrschende Beziehungshierarchie keineswegs unkritisch übernom500 501 502 503 504 505
Vgl. Lincoln 652-653. So Hering, Haustafeln, 36. Vgl. Barclay, Ordinary, 241; Foster 371. Vgl. Lincoln, Household Codes, 101. Vgl. Foster 370. Vgl. Gielen, Tradition, 100-101.
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II. Auslegung
men.506 Vielmehr ließ sie diese von (wenn nicht im modernen Sinne egalitären Impulsen, dann wenigstens) einem Ethos der gegenseitigen Verantwortung vor dem Herrn, dem alle gleichermaßen unterstellt werden, durchdringen. Dieses Ethos hinterließ konkrete Spuren. Vor allem die direkte Ansprache der untergeordneten Parteien ist außerhalb des NT so gut wie unerhört.507 Was solche Eigentümlichkeiten zu bedeuten haben, wird die Exegese näher erörtern. Es bleibt nach dieser kurzen Einführung in die ntl. HT-Tradition nur, nach der Absicht des Paulus zu fragen. Auch wenn grundsätzlich klar ist, dass er den Haushaltsmitgliedern Anweisungen in Bezug auf ihre Pflichten gegenüber ihren über- bzw. untergeordneten Hausgenossen erteilen will, stellt sich die Frage, warum er auf diese der paganen Ökonomik entlehnte Form zurückgreift. Viele Forscher bescheinigen ihm ein apologetisches Interesse.508 Urchristliche Gemeinden wie die in Kolossä seien mit Skepsis von ihren Mitbürgern bzw. auch von den Behörden betrachtet worden. Ihre Lehre und Praxis haben den Anschein erweckt, dass sie die gesellschaftliche Ordnung umwerfen wollten, und Paulus sei bemüht zu zeigen, dass von christlichen Gemeinden keine solche Gefahr ausgeht. Sie bejahen die allgemein anerkannten gesellschaftlichen Hierarchien, insbes. die Position des pater familias, der in der Familie, dem wichtigsten Baustein des Staats, als Garant für die Beachtung der Normen und überhaupt für Ordnung sorgt.509 Andere Forscher vermuten, dass Paulus durch eine raffinierte rhetorische Strategie gerade diese weltlichen Hierarchien auf subtile Art und Weise zu dekonstruieren versucht.510 Die Gemeinde in Kolossä sei sich darüber im Klaren, dass sie die HT „gegen den Strich“ lesen soll.511 Paulus habe die HT in den Kol bloß als „public transcript“ aufgenommen, welche die Behörden beruhigen sollte, jedoch beabsichtigte, dass die Gemeinde das subversive Potenzial des „hidden transcripts“ erkennt und sich innerhalb ihrer Möglichkeiten gegen hierarchische Strukturen auflehnt.512
506 Vgl. Foster 368. 507 Vgl. Schweizer 159-160; Lincoln, Household Codes, 101-102; MacDonald, Identification, 72. 508 Vgl. z.B. Bird 114. 509 Vgl. MacDonald 161-162; Sumney 243. 510 Vgl. Foster 368-369. 511 Vgl. Standhartinger, Studien, 274. 512 Vgl. Walsh/Keesmat, Colossians, 209, und Sumney 236-238, jeweils mit Verweis auf Scott, Domination, passim. Für eine Kritik der voreiligen Anwendung von Scotts These auf paulinische Texte vgl. Heilig, Criticism, 50-67.
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Schließlich gibt es Stimmen in der Forschung, die meinen, Paulus habe die HT als Mittel zur Gestaltung einer genuin christlichen Ethik eingesetzt, die sich im Spannungsfeld zwischen den geltenden Normen im antiken Haushalt und der prinzipiellen Nivellierung der vorherrschenden hierarchischen Beziehungen in der Gemeinde (vgl. 3,11) bewähren musste. Er habe zwar von einer konventionellen Form Gebrauch gemacht, habe diese aber mit neuem Inhalt gefühlt, vor allem durch die Unterstellung sowohl der unter- wie auch der übergeordneten Personen in den jeweiligen Paarbeziehungen dem über allen regierenden Herrn Jesus Christus. Durch die Einsetzung der HT habe sich der Apostel eines weisheitlichen Modus bedient,513 der der Gemeinde zeigt, wie man in konkreten Alltagssituationen „des Herrn würdig wandelt“.514 Von diesen drei Ansätzen steht der letzte auf einer Linie mit dem Gesamtzweck des Kol und ist deswegen vorzuziehen. Die Exegese wird zeigen, dass Paulus zwar allgemein anerkannte Verhaltensnormen bejaht, aber diese durch den auffälligen Gebrauch des Begriffs κύριος (7-mal in diesem Abschnitt) auf eine neue Basis stellt.515 Vielleicht gibt es aber einen konkreten Grund für den Rückgriff auf die HT. Wie oben schon erwähnt (vgl. S. 328-329), kommentiert Paulus die HT ausführlich an einer einzigen Stelle, der Anweisung an die Sklaven (3,23-25). Ihm scheint es besonders daran gelegen zu sein, dass gerade die Sklaven ihre Pflicht gegenüber ihren Herren erfüllen. Viele Kommentatoren nehmen an, dass dies mit dem im Verhältnis zu den Sklavenhaltern größeren Anteil an Sklaven in der Gemeinde zu tun hat,516 aber der Gedanke ist nicht abwegig, dass die Freilassung des Onesimus bzw. seine Aufnahme in den Mitarbeiterkreis des Apostels (vgl. S. 33, 302) unter den anderen Sklaven ähnliche Erwartungen erweckten und dass dies für Spannungen sorgte.517 Paulus will nicht verstanden werden, als rufe er zu einem Sklavenaufstand auf.518 Theologisch misst er dem Stand, egal ob dem des Sklaven oder des Freien, keine Bedeutung bei (vgl. 1Kor 7,17-24). Er ist zwar prinzipiell für die Freilassung zumindest von gläubigen Sklaven, deren Herren auch der Gemeinde angehören, verfolgt jedoch eine kooperative statt konfrontative Strategie, um dieses Ziel zu 513 514 515 516 517 518
Vgl. Lincoln, Household Code, 102-111. Vgl. Barth/Blanke 473/475; Barclay, Ordinary, 245-247. Vgl. Barclay, Ordinary, 245. Vgl. z.B. O’Brien 231-232; Lindemann 68. Vgl. Lohmeyer 155; Ernst 235; Knox, Philemon, 30-31; Gorman, Apostle, 565. Dass die Sklavenparänese „der steilen These“ von 3,11 entgegenwirken sollte, sodass jene nicht als Aufruf zur Aufhebung der Sklaverei verstanden wird (so Luz 237), ist unwahrscheinlich, denn es gibt keine Indizien dafür, dass diese Formel in anderen paulinischen Gemeinden ein solches revolutionäres Potenzial zu entfalten drohte.
336
II. Auslegung
erreichen.519 Sein Kommentar der HT macht deutlich, dass er das Gleiche von den Betroffenen in der kolossischen Gemeinde erwartet.
III Einzelexegese 18 Zuerst werden die Ehefrauen angesprochen: Ihr Frauen, ordnet euch euren Ehemännern unter (αἱ γυναῖκες ὑποτάσσεσθε τοῖς ἀνδράσιν). Die entsprechende Anweisung der ephesischen HT ist fast identisch (vgl. Eph 5,22). Paulus spricht zwar von „Frauen“ und „Männern“, meint aber eindeutig „Ehefrauen“ und „Ehemänner“, wie es die HT-Tradition verlangt. Bei Paulus gilt: Wenn er die Begriffe ἀνήρ und γυνή im gleichen Kontext gebraucht, egal ob sie im Sing. oder im Plur. stehen, dann hat er den Ehemann bzw. Ehemänner und die Ehefrau bzw. Ehefrauen im Sinne. Es muss weder ein Genitivpron. noch ein Art. noch ein Adj. („eigener“/„eigene“) hinzufügt werden, um diese Bedeutung zu bestimmen. Solche Ergänzungen werden manchmal aus stilistischen Gründen vorgenommen, sind aber keineswegs notwendig.520 Das Verb, das hier mit „sich unterordnen“ übersetzt wird (ὑποτάσσεσθε = 2. Pers. Plur. Med. Pass. Imp.),521 begegnet uns 38-mal im NT, davon 28-mal im CP,522 und meint im Kontext „sich unter die Vollmacht [eines anderen] begeben“.523 Gegen etwaige Versuche, diese Bedeutung bzw. die Übersetzung abzuschwächen, muss sich der Exeget aus Gründen der Redlichkeit stellen.524 Derartige Kunstgriffe haben eher mit moderner Bestürzung wegen der vermeintlich negativen sozialen Auswirkungen des Begriffs als mit ernstzunehmenden sprachlichen Einwänden zu tun. Die Erwartung, dass sich die Frau ihrem Ehemann unterordnen sollte, war in der damaligen Gesellschaft nichts Ungewöhnliches (vgl. Pseudo-Callisthenes 1.22.4: „es ist für eine Frau angebracht, sich ihrem Mann unterzuordnen“; πρέπον ἐστὶ τὴν γυναῖκα τῷ ἀνδρὶ ὑποτάσσεσθαι, sowie Plutarch Conj. praec. 33: „So ist es auch bei Frauen; wenn sie sich ihren Männern unterordnen, werden sie gelobt“; τοῦτο συμβάινει καὶ περὶ τὰς γυναῖκας· ὑποτάττουσαι μὲν γὰρ ἑαυτὰς τοῖς ἀνδράσιν ἐπαινοῦνται). Im Gegenteil, sie „entspricht dem moderaten Patriarchalismus der Ökonomik-Tradition“.525 Sie nimmt zunächst die soziale Wirklichkeit der an519 Vgl. White, Philemon, 33-37. 520 Vgl. White, Ehefrauen, 265-267. 521 Die meisten Kommentatoren deuten das Verb als Medium (vgl. z.B. O’Brien 221; Gupta 166; Pao 262), aber der Form nach könnte es auch ein refl. Pass. sein (vgl. Moo 299, Anm. 181). In beiden Fällen ist die Bedeutung gleich (vgl. Harris 178). 522 Vgl. Barth/Blanke 434. 523 Vgl. Pao 262. 524 Ähnlich Dunn 247. 525 Wolter 200.
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tiken Welt, egal ob römisch, griechisch oder jüdisch geprägt, unverzerrt wahr: Frauen waren schlichtweg ihren Ehemännern gemäß den geltenden Normen und Gesetzen untergeordnet.526 Paulus verlangt von Jesusnachfolgerinnen in Kolossä, dass sie sich dagegen nicht auflehnen, sondern sich freiwillig unter die von der Gesellschaft anerkannte Vollmacht ihres Ehemannes begeben. Blinder Gehorsam gegenüber ihren Männern ist aber von den Ehefrauen nicht verlangt.527 Man kann sich z.B. schwerlich vorstellen, dass Paulus, trotz gegenteiliger Erwartung seitens der griech.-röm. Gesellschaft (vgl. Plutarch, Conj. praec. 19),528 christliche Ehefrauen nichtgläubiger Männer ermutigt hätte, die Götter ihrer Männer anzubeten, falls letztere dies einforderten. Die Stellung, die Paulus der Frau im Haushalt einräumt, ist auf jeden Fall höher als die der Kinder und der Sklaven. Wahrscheinlich vermeidet er deswegen das Verb ὐπακoύω, wenn er die Ehefrauen anspricht (im Gegensatz zu den anderen beiden untergeordneten Gruppen; vgl. 3,20.22), denn „[w]o immer ὑποτάσσεσθαι steht, ist jedweder Zwang ausgeschlossen.“529 Wichtiger als die Wahl des Verbs für die korrekte Einschätzung der Haltung, die Paulus von den Ehefrauen fordert, ist die Bedingung,530 mit der er den Imp. ergänzt: Die Frauen sollen sich ihren Ehemännern unterordnen wie es im Herrn eigentlich angemessen ist (ὡς ἀνῆκεν ἐν κυρίῳ). Das Verb ανήκω kommt nur noch 2-mal im NT vor (vgl. Eph 5,18; Phlm 8) und bezeichnet das, was gebührend ist bzw., etwas veraltet ausgedrückt, was „sich geziemt“. Als Norm ist das „sich Geziemende“ ein stoisches Konzept, das im Hellenismus stark rezipiert wurde.531 Paulus nimmt es formal auf, verändert es aber inhaltlich durch den Zusatz „im Herrn“. Für diejenigen, die sich mit dem „Herrn Jesus“ (vgl. 3,17) identifizieren, gibt also eine „eigentliche“ Verhaltensweise – das Impf. ἀνῆκεν verleiht dem Verb eine besondere Betonung im Sinne von „eigentlich“ oder „durchaus“ und kann sich auf die Gegenwart beziehen –,532 die als gebührlich bzw. geeignet gilt. Die Norm ist also nicht die gesellschaftliche Konvention, sondern das, was einen des Herrn würdigen Lebensstil fördert (vgl. 1,10). 526 527 528 529 530
Vgl. Urban, Rolle, 18-19. Vgl. Kähler, Frau, 180. Vgl. Schrage, Ethik, 12. Kähler, Frau, 179. Vgl. auch Schweizer 164. Der Partikel ὠς könnte kausal aufgefasst werden (so Gielen, Tradition, 139-140), aber eine modale Sinnrichtung (vgl. Harris 178; Baumert/Seewann 430-432) ergibt angesichts des idiomatischen Gebrauches des impf. Verbs ἀκῆκεν (vgl. zu 3,18 oben) den besseren Sinn. 531 Vgl. Foster 375. 532 Vgl. HvS §198i.
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II. Auslegung
Paulus kommentiert diese Aufforderung sonst nicht näher, sodass wir hier keinen Einblick bekommen, wie er sich die von der HT-Tradition geforderte Unterordnung der christlichen Ehefrau praktisch vorstellt. Zur ausführlichen Unterweisung in diese Thematik fehlte ihm der konkrete Anlass, denn der ausschlaggebende Grund, warum er die HT heranzog, lag im Bereich der Sklavenparänese (vgl. S. 335-336). Ansonsten gibt es im Kol keine Hinweise, dass das Verhalten der Frauen in der Gemeinde, obwohl sie offensichtlich manche verantwortliche Leitungsposition innehatten (vgl. 4,15), als problematisch empfunden wurde. 19 Entsprechend dem Schema der HT werden als nächste die Ehegatten angesprochen: Ihr Männer, liebt eure Ehefrauen (οἱ ἄνδρες ἀγαπᾶτε τὰς γυναῖκας). Die Liebe ist eine Tugend, welche die Nachfolger des Messias untereinander praktizieren sollten (vgl. 3,14), aber hier werden christliche Ehemänner aufgefordert, sich im Umgang mit ihren eigenen Frauen besonders darum zu bemühen. Das christliche Gepräge der ntl. HT-Tradition erweist sich u.a. darin, dass diese Aufforderung in der Literatur der Ökonomik ihresgleichen sucht.533 Vermutlich lag auch dafür kein konkreter Anlass in der Gemeinde in Kolossä vor. Sie gehörte zur HT-Tradition und wurde deswegen mitaufgenommen in den Kol. Es fällt auf, dass die ephesische HT durch einen expliziten Bezug zur Liebe Christi in Form eines καθὼς-Nebensatzes (vgl. Eph 4,25: „Ihr Männer, liebt eure Ehefrauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat“) das geeignetere Pendant zur Anweisung an die Ehefrauen in 3,18 bildet. Vielleicht steht der Text im Eph der ursprünglichen Form der HT näher. In unserem Text folgt hingegen auf den Imperativsatz keine normative Erläuterung wie in 3,18 und Eph 4,25, sondern eine weitere Aufforderung, diesmal negativ formuliert: und lasst keine Bitterkeit gegen sie aufkommen (καὶ μὴ πικραίνεσθε πρὸς αὐτάς). Das Verb πικραίνω (nur hier bei Paulus und im NT nur noch 3-mal in Offb 8,11; 10,9-10) heißt im konkreten Sinne „einen bitteren Geschmack erzeugen“. Das Verb im Med.534 meint im übertragenen Sinne „sich erzürnen bzw. böse werden“. Was veranlasste Paulus zu dieser Veränderung in der Form, wenn es dazu keinen unmittelbaren Grund gab? Darüber kann man nur mutmaßen. Vielleicht spürte Paulus die Schwäche, die aus christlicher Sicht in der hierarchischen Struktur des Haushalts lag. Auch wenn er diese an sich bejahte, war ihm wohl klar, dass sie eine Gefahr in sich barg: Ehemänner wären den geltenden 533 Vgl. Schrage, Ethik, 12-13; Moo 302-303. 534 So Campbell, Colossians, 63. Die Mehrheit hält das Verb für ein Pass. (so Foster 377378). Der Bedeutungsunterschied ist eigentlich minimal, aber durch das Med. kommt die willensmäßige Beteiligung des Subj. stärker zur Geltung.
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gesellschaftlichen Normen folgend womöglich geneigt, Gehorsam von ihren Gattinnen einzufordern, wozu die HT weder durch die Wahl des Verbs in der Frauenparänese noch durch die direkte Anrede der jeweiligen Parteien Anlass gibt. Falls die Ehefrauen nicht einlenkten – man kann sich z.B. eine Situation vorstellen, in der eine nichtgläubige Frau es ablehnen würde, Christus anzubeten (vgl. 1Kor 7,12) –, wäre Bitterkeit gegen die Frau die natürliche Reaktion. Dieser Sünde (vgl. Eph 4,31; Hebr 12,15) sollen sie aber keinen Raum geben. 20 Das Beziehungspaar Eltern/Kind wird als nächstes behandelt. Die Kinder kommen als untergeordnete Partei zuerst dran: Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem (τὰ τέκνα ὑπακούετε τοῖς γονεῦσιν κατὰ πάντα). Der Begriff τέκνον bezeichnet in erster Linie eine Beziehung und sagt an sich nichts über das Alter des Kindes aus.535 Dennoch ist der hellenistischen Ökonomikliteratur die Erwartung abzulesen, dass Kinder in der Antike solange einer Gehorsamspflicht (Imp. von ὑπακούω) gegenüber ihren Eltern (γονεῦσιν = Dat. mask. Pl. von γονεύς) unterlagen, bis sie volljährig geworden waren.536 Solche Kinder sind auch hier im Blick.537 Eine Pflicht zum „Gehorsam“ impliziert im Gegensatz zur von den Ehefrauen verlangten „Unterordnung“ das Recht der übergeordneten Partei, diesen einzufordern. Den Kindern wird sogar durch die Hinzufügung des Präpositionalgefüges „in allem“ (κατὰ πάντα) noch eingeschärft, dass dieses Recht der Eltern uneingeschränkt gilt.538 Zunächst spiegelt diese Aussage, wie bei den Ehefrauen, die gesellschaftliche Stellung sowie die rechtliche Lage minderjähriger Kinder in der Antike wider; die römische patria potestas der Väter war im 1. Jh. geradezu absolut.539 Ähnliche Aufforderungen zum Gehorsam findet man in der Literatur der Ökonomik (vgl. z.B. Epictetus, Diatr. 2,10.7, der Söhnen die Pflicht auferlegt, ihren Vätern „in allem zu gehorchen“ = πάντα ὑπακούειν). Aber die Pflicht zum Gehorsam gegenüber den Eltern war auch im AT verankert (vgl. Deut 21,18-23). Begründet wird diese Aufforderung durch die Behauptung denn das gefällt dem Herrn (τοῦτο γὰρ εὐάρεστον ἐστιν ἐν κυρίῳ). Das Adj. εὐάρεστος kommt in der LXX nur in Weish 4,10; 9,10, und im NT nur bei Paulus und seinem Kreis vor (außer hier noch in Röm 12,1-2; 14,8; 2Kor 5,9; Eph 5,10; Phil 4,18; Tit 2,9; Hebr 13,21). Das Verb εὐαρεστέω begegnet uns häufiger in 535 Vgl. Lohse 226, Anm. 4. 536 Vgl. Pao 268-269; Maisch 240. 537 Vgl. Luz 236; Lincoln 656. Kontra Barth/Blanke 439-440; Sumney 244 (der sich fälschlicherweise auf Lincoln beruft). 538 Vgl. Gielen, Tradition, 145. 539 Ebd. 146-148.
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II. Auslegung
der LXX, aber im NT nur in Hebr 11,5-6; 13,16. Unter dem Einfluss von 3,18 ersetzt ἐν κυρίῳ den sonst üblichen einfachen Dat. mit keiner wesentlichen Auswirkung auf die Bedeutung.540 Während die bei den Ehefrauen angewandte Norm – das „sich Geziemende“ (ἀνῆκεν) – der hellenistischen Popularphilosophie entstammt, ist das „dem Herrn Gefallende“ eine typisch jüd. Ausdrucksweise für das atl. Bild des „Herumgehens vor dem Angesicht Gottes“ ( התהלך לפני אלהיםwird häufig in der LXX durch εὐαρεστέω + τῷ κυρίῳ oder ἐναντίον κυρίου übersetzt: vgl. Gen 5,22.24; 6,9; 17,1; 24,40; 48,15; Ps 55,14, 114,19), das wiederum hinter dem Konzept eines „des Herrn würdigen Wandels“ steht (vgl. zu 1,10). Der Herr ist aber hier kein anderer als Jesus selbst (vgl. 3,17). Wie bei den Ehefrauen wird also eine auf die Kinder bezogene häusliche Norm zu einem Dienst für den Herrn gehoben und dadurch veredelt. 21 Nachdem die Kinder zum Gehorsam verpflichtet werden, werden die Väter zur Milde im Umgang mit ihren Kindern angemahnt: Ihr Väter, provoziert eure Kinder nicht (οἱ πατέρες μὴ ἐρεθίζετε τὰ τέκνα ὑμῶν). Das Verb ἐρεθίζω (= „aufreizen“ oder „herausfordern“) begegnet selten in der LXX und im NT außer hier nur noch in 2Kor 9,2, wo es jedoch eine positive Nuance im Sinne von „ermuntern“ trägt. Die Parallelstelle in der ephesischen HT verwendet παρορίζω (= „zornig machen“ bzw. „erzürnen“; vgl. Eph 6,4). Obwohl die römische patria potestas uneingeschränkt galt und hier nicht grundsätzlich infrage gestellt wird, werden Väter, die die rechtliche Verantwortung für die Erziehung der Kinder trugen, angehalten, ihre Kinder nicht zu überfordern. Das ist an sich kein christliches Proprium, zumal auch viele griechische Philosophen und Schriftsteller für „eine maßvolle Lenkung durch den Vater“ plädieren und „ihn auf die Notwendigkeit vorbildlichen Verhaltens hinweisen und die Entscheidung über Strenge und Nachsicht, Lob und Tadel am rechten Ort in seine Verantwortung legen“.541 Milde von den Vätern wird mit Blick auf das Wohlergehen der Kinder eingefordert, damit sie nicht mutlos werden (ἵνα μὴ ἀθυμῶσιν). Das Verb ἀθυμέω ist ein ntl. Hapaxlegomenon und beschreibt einen Zustand der Enttäuschung und Motivationslosigkeit, der jegliches weitere Vorankommen im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel – in diesem Fall einen reifen Charakter – verhindert (vgl. seinen Gebrauch in Deut 28,65-66; Jdt 7,22 LXX).542 Wie bei der Aufforderung an die Ehemänner in 3,19 und im Gegensatz zu den 540 Vgl. Pao 268. 541 Gielen, Tradition, 157 (Hervorhebung bei der Autorin). Vgl. diess. 145-158. 542 Vgl. Barth/Blanke 445.
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Unterweisungen an die Ehefrauen und Kinder fehlt auch hier der Verweis auf eine christologische Norm. 22 Die im Vergleich zu den anderen Unterweisungen ausführliche Sklavenparänese beginnt, wie auch die vorhergehenden, mit einer knappen Aufforderung: Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren in allem (οἱ δοῦλοι ὑπακούετε κατὰ πάντα τοῖς κατὰ σάρκα κυρίοις). Sie ist beinahe identisch mit der Aufforderung an die Kinder (vgl. zu 3,20), und die Übereinstimmung ist wohl nicht zufällig, denn die Stellung der Sklaven im Haushalt kam der eines Kindes gleich.543 Alles, was von den Kindern in Bezug auf ihre Eltern verlangt wird, sollen die Sklaven ihren „Herren nach dem Fleisch“ – so wörtlich – entgegenbringen. Das entspricht der rechtlichen Lage von Sklaven im Römischen Reich. Die HT nimmt mit dem expliziten Verweis darauf, dass die Sklaven ihren irdischen Herren Gehorsam schulden, die starke Betonung im Folgenden, dass sie damit einem viel wichtigeren Herrn dienen (vgl. 3,24), gleich vorweg. Analog zu der Aufforderung an die Ehemänner bzw. Väter folgt auf das positiv formulierte Gebot ein negativer Zusatz. Die Sklaven sollen ihren Herren Gehorsam leisten nicht nur, wenn sie euch gerade beobachten, um ihnen zu gefallen (μὴ ἐν ὀφθαλμοδουλίᾳ ὠς ἀνθρωπάρεσκοι). Das hier und in der Parallelstelle Eph 6,6 vorkommende Substantiv ὀφθαλμοδουλία, das wir mit einem Nebensatz wiedergeben, ist wahrscheinlich von Paulus geprägt worden.544 Es ist jedenfalls vor ihm in der ganzen griech. Literatur nicht belegt.545 Die Sklaven sollen keinen „Augendienst“ – so wörtl. – leisten. Sie sollen m.a.W. nicht nur fleißig arbeiten, wenn ihre Herren anwesend sind, als solche, die bloß „Menschen gefallen“ (ἀνθρωπάρεσκος – ein subst. Adj., das aus ἄνθρωπον und ἀρεστός gebildet wird – letzteres ist bedeutungsgleich mit εὐαρεστός; vgl. zu 3,20). Auch dieses Wort begegnet uns im NT nur hier und in Eph 6,6, aber in diesem Fall greift Paulus einen Begriff auf, der in Ps 52,6 LXX und in PsSal 4,1.7-8.19 vorkommt. Das Gebot hat eine zweifache Ausrichtung: Zum einen verbietet es Sklaven, eine heuchlerische Show abzuziehen (vgl. den Gebrauch im PsSal 4) und nur dann hart zu arbeiten, wenn Begünstigungen für sie herausschauen. Zum anderen erinnert es sie daran, dass es darum geht, nicht Menschen, sondern Gott zu gefallen.546 Nicht halbherzig und heuchlerisch sollen die Sklaven ihren Dienst leisten, sondern mit aufrichtigem Herzen aus Ehrfurcht vor dem Herrn (ἀλλ̓ ἐν 543 544 545 546
Vgl. Gielen, Tradition, 161. Vgl. Moule 130; Lohmeyer 157-158; Harris 182. Vgl. Barth/Blanke 446. Vgl. Sumney 248.
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II. Auslegung
ἀπλότητι καρδίας φοβούμενοι τὸν κύριον). Das Subst. ἀπλότης begegnet uns im NT nur bei Paulus (außer hier und in der Parallelstelle Eph 6,5 auch in Röm 12,8; 2Kor 1,12; 8,2; 9,11.13; 11,3). Zum Begriff „Herz“ bei Paulus vgl. zu 2,2. Wörtl. heißt es also, dass Sklaven „in Schlichtheit/Einfalt des Herzens“ (ἐν ἀπλότητι καρδίας) dienen sollen. Damit wird ein Ideal des frühen Judentums beschrieben (vgl. Weish 1,1; TestRub 4,1; TestIss 3,8; 4,1; 7,7), das im bewussten Kontrast zu „Augendienst, um Menschen zu gefallen“, im vorhergehenden Abschnitt steht. Von Sklaven wird somit verlangt, dass sie aus lauteren Motiven handeln. Sie dürfen sich nicht nur gelegentlich bemühen, um in der Gunst ihrer irdischen Herren zu steigen, sondern sollen stets gewissenhaft arbeiten, weil sie den eigentlichen Herrn „fürchten“ (φοβούμενοι = Nom. mask. Plur. Partizip von φοβέομαι mit kausaler Sinnrichtung).547 Gemeint ist natürlich wieder Christus (vgl. 3,17), der dadurch mit Gott, dem „Herrn“ des AT, aufs Engste identifiziert wird.548 Das Konzept „die Furcht des Herrn“ hat tiefe Wurzeln im AT. Es begründet das Leben der Weisen überhaupt: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit“ (vgl. Ps 110,11 LXX; Spr 1,7; 9,10; Sir 1,14 sowie unzählige ähnliche Sprüche in der Weisheitsliteratur, welche die Vorteile der Furcht des Herrn loben). Paradoxerweise braucht derjenige, der den Herrn „fürchtet“, keine Angst vor ihm zu haben (vgl. Ex 20,20: Mose sagte dem Volk, „Fürchtet euch nicht ()אל תירו, denn Gott ist gekommen, um euch zu prüfen und damit die Furcht vor ihm ( )יראוüber euch kommt, sodass ihr nicht sündigt“; die LXX löst diese Spannung auf, indem sie den anfänglichen negativen Befehl in einen positiven umwandelt: „Seid guten Mutes“). Gemeint ist also „Ehrfurcht“ – das Überwältigtsein von der Macht und Herrlichkeit Gottes, das einen bewegt, sich ihm zu unterwerfen.549 Paulus identifiziert die Furcht des Herrn als einen Beweggrund in seinem eigenen Dienst (vgl. 2Kor 5,11) – auch das hat seine Wurzel im AT (vgl. Deut 10,12-13; 1Sam 12,24) –, und die ephesische HT wird mit einer allgemeinen Aufforderung des Paulus an alle, sich einander „in der Furcht des Messias“ unterzuordnen (ὑποτασσόμενοι ἀλλήλοις ἐν φόβῳ Χριστοῦ), eingeleitet. 23 Auch, wenn wir die ursprüngliche Form der HT nicht rekonstruieren können (vgl. S. 330-331), ist dennoch davon auszugehen, dass der nächste Satz von Paulus stammt: Egal welche Arbeit ihr tut, arbeitet fleißig (ὃ ἐὰν ποιῆτε ἐκ ψυχῆς ἐργάζεσθε). Dieser einfache Konditionalsatz bezieht sich 547 Vgl. Foster 387. 548 Vgl. Gielen, Tradition, 170-173. 549 Vgl. Moo 311.
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nämlich auf 3,17 („Alles, was ihr tut …“; καὶ πᾶν ὃ τι ἐὰν ποιῆτε).550 Dieser Bezug wird in den Kommentaren eher selten bemerkt.551 Es ist aber kein unwichtiges Detail, sondern gibt, wie oben bereits erwähnt (vgl. S. 335-336), eventuell Auskunft über den unmittelbaren Anlass zur Einfügung der HT an dieser Stelle. Dieser hängt mit der spezifischen Situation in Kolossä zusammen; dort sollte ein auf das Begehren des Paulus freigelassener Sklave neben anderen Sklaven in der Gemeinde seinen Platz einnehmen. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Entwicklung für Spannungen sorgte, und in diese Situation spricht Paulus ein klärendes Wort, indem er die Aufforderung der HTTradition an die Sklaven kommentiert. Diese sollen „fleißig“ (wörtlich „aus der Seele“; ἐκ ψυχῆς) arbeiten. Das Verb ἐργάζομαι bezeichnet jede Art von körperlicher oder mentaler Arbeit, und meint hier die unterschiedlichen Aufgaben eines Haussklaven. Egal worin diese bestehen, die Sklaven sollen sie verrichten, als dientet ihr dabei dem Herrn statt Menschen (ὡς τῷ κυρίῳ καὶ οὐκ ἀνθρώποις). Nun wird explizit zum Ausdruck gebracht, was schon in 3,22 implizit war: Der Dienst der Sklaven soll als Dienst für den Herrn Jesus betrachtet werden. Was man dem Herrn tut, soll man selbstverständlich mit ganzem Einsatz machen; das stand bereits im Schema, das Juden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon im 1. Jh. täglich rezitierten (vgl. Deut 6,4-5 mit Sir 7,27-30; Mk 12,30).552 Paulus versucht mit dem Hinweis auf diese eigentlich für den ganzen Haushalt bestimmende Norm die knifflige Lage in Kolossä zu entschärfen, denn dadurch wird das soziale Gefälle in der Gemeinde mit einem Zug nivelliert: Alle stehen auf einer Stufe und dienen dem einen Herrn. 24 Sklaven, die ihren irdischen Herren mit der in 3,23 beschriebenen Haltung dienen, tun dies nicht vergeblich, denn ihr wisst, dass ihr vom Herrn euren gerechten Lohn als Erbe empfangen werdet (εἰδότες ὅτι ἀπὸ κυρίου ἀπολήμψεσθε τὴν ἀνταπόδοσιν τῆς κληρονομίας). Die Sinnrichtung des Part. εἰδότες ist eindeutig kausal: Weil die Sklaven in der Gemeinde wissen, dass es sich so verhält, werden sie umso motivierter sein, die Aufforderung in 3,23 zu erfüllen. Sie dürfen nämlich sicher sein, dass sie für ihren Dienst „Vergeltung“ bzw. einen „Lohn“ bekommen werden. Das Nomen ἀνταπόδοσις, das hinter
550 Deswegen gebraucht Paulus ποιέω und nicht etwa, um ein etwaiges Steigerungspotenzial des folgenden Verbs ἐργάζομαι auszuschöpfen. Kontra Lightfoot 228. 551 Vgl. aber Lohse 228; Gnilka 222; Wolter 204; Sumney 249, die die Aufnahme von 3,17 nebenbei erwähnen. 552 Dass Paulus bewusst auf das Schema anspielt, wie Dunn 256 erwägt, kann nicht mit Sicherheit behauptet werden. Vgl. Foster 388.
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II. Auslegung
dem deutschen Begriff steht, begegnet uns 16-mal in der LXX, aber nur hier im NT. Aber das verwandte Nomen ἀνταπόδομα kommt im NT 2-mal (Lk 14,12; Röm 11,9) und das Verb ἀνταποδίδωμι 6-mal (Lk 14,14; Röm 11,35; 12,19; 1Thess 3,9; 2Thes 1,6; Hebr 10,30) vor. Diese Wortgruppe vermittelt das Konzept einer gerechten Entlohnung für erbrachte Leistungen.553 Der Begriff wird hier durch das Genitivattribut τῆς κληρονομίας näher bestimmt (Gen. epex.).554 Sklaven bekamen per definitionem keine Vergütung für ihre Arbeit von ihren irdischen Herren und konnten nach römischem Recht nichts erben,555 aber christliche Sklaven durften wissen, dass ihr Lohn vom Herrn – nach wie vor handelt es sich um Jesus Christus (vgl. 3,17) – als „Erbe“ ausbezahlt wird. Die Rede vom Erbe greift den Gedanken in 1,12 von der Anteilnahme der Gläubigen in Kolossä am Erbe der Heiligen und somit die atl. Tradition von der Zuteilung der jeweiligen Stammesgebiete im verheißenen Land wieder auf (vgl. zu 1,12). An jener Stelle sollten die heidnischen Christen staunen (aus jüdischer Sicht), dass sie am Erbe Israels beteiligt sind; nun dürfen die Sklaven unter den Nachfolgern des Messias nicht weniger staunen, dass auch sie dieses Erbe antreten werden.556 Durch das Tempus des Verbs, das wir mit „empfangen“ übersetzen (ἀπολήμψεσθε = Fut. von ἀπολαμβάνω), wird vermittelt, dass an eine eschatologische „Auszahlung“ und somit an einen geistlichen Lohn gedacht wird. Seit Kant gilt es als unlauter, vom Lohngedanken motiviert zu sein, aber solche Bedenken hatte Paulus nicht (vgl. Röm 2,6-8; 2Kor 5,10). Im Gegenteil: Er steht in der jüdischen Tradition, die darin keinen Widerspruch zur Lehre der Gnade gesehen hat.557 Vor Paulus stellte Jesus ganz unverhohlen seinen Nachfolgern einen ewigen Lohn für ihre Treue zu ihm in Aussicht (vgl. Mt 25,14-30). Schließlich wird explizit gemacht, warum die Sklaven ihren irdischen Herren mit ganzem Einsatz dienen sollen „als würden sie dem Herrn dienen“ (vgl. 3,23). Das ist nämlich kein bloßer Vergleich, sondern entspricht aus der Sicht des Paulus der Realität: Ihr dient in Wirklichkeit dem Herrn, dem Messias (τῷ κυρίῳ Χριστῷ δουλεύετε). Der Form nach könnte das Verb δουλεύετε (2. Pers. Plur. von δουλεύω = „Sklave sein“ oder „Sklavendienst tun“) entweder
553 554 555 556
Vgl. Moo 312, Anm. 209. Laut O’Brien 229 gilt dies als Konsensposition unter den Kommentatoren. Vgl. Standhartinger, Studien, 251; Dunn 257; Sumney 250. Die Textstellen 1,12 und 3,24 stehen so verstanden nicht in Spannung zueinander, wie Bormann 183, meint, sondern 3,24 beansprucht das Erbe der Heiligen für die Sklaven und hebt sie im Sinne von 3,11 auf dieselbe Ebene wie die Freien in der Gemeinde. 557 Vgl. Barclay, Paul, 309-318.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
345
ein Imp. – so die Mehrheit der Kommentatoren –558 oder ein Ind. – so eine beträchtliche Minderheit –559 sein. Ein Urteil darüber, wer hier recht hat, ist nicht leicht zu treffen.560 Dass die HT typischerweise vom Imp. Gebrauch macht, sagt hier nichts aus,561 denn dieser Satz ist vermutlich nicht Teil der ursprünglichen HT, sondern des Kommentars des Paulus. Falls es sich dennoch um einen Imp. handelt, präzisiert dieser Befehl den vorhergehenden in 3,23 (ἐργάζεσθε). Dafür spricht am ehesten, dass die Begründung in 3,25 (γάρ) nach einem Imp. einen etwas besseren Sinn ergibt,562 aber diese könnte sich genauso auf ἐργάζεσθε beziehen. In diesem Fall wäre 3,24 als Ganzes als parenthetische Erläuterung aufzufassen. Es sind vor allem textästhetische Gründe, die für die Deutung des Satzes als Ind. sprechen. Demnach gibt Paulus sowohl einen positiven (3,24a) als auch einen negativen Beweggrund (3,25), um die Sklaven in der Gemeinde zum Ausführen des Befehls zu motivieren, und unser Satz in 3,24b erläutert parenthetisch, welchem Herrn sie „in Wirklichkeit“ dabei dienen. Die Bezeichnung Jesu als „der Herr Messias“ (so wörtl.: κύριος Χριστός) findet man nur hier und in Röm 16,18 (genauer: κύριος ὑμῶν Χριστός). Auch dort handelt es sich um das Dativobj. des Verbs δουλεύω, sodass davon auszugehen ist, dass Paulus auf die Doppelbedeutung von κύριος als Titel und Standbezeichnung anspielt. Die schlichte Behauptung, dass die Sklaven in letzter Instanz Christus dienen, spiegelt die allgemeine Haltung des Paulus wider, dass alle Christen Diener Christi sind (vgl. Röm 12,11; 14,18), allen voran er selbst als Apostel (vgl. Röm 1,1; 1Kor 4,1; Gal 1,10; Phil 1,1). Es soll nicht übersehen werden, dass Paulus mit dieser impliziten Gleichstellung die Institution der Sklaverei dekonstruiert, jedenfalls unter Christen: Was für die Sklaven im Haushalt gilt, gilt gleichermaßen für alle anderen in der Gemeinde. 25 Gerechtigkeit verlangt nicht nur, dass man den gerechten Lohn für geleistete Arbeit bekommt, sondern auch, dass Bosheit entsprechend entlohnt wird: Denn wer Unrecht tut, wird das Unrecht empfangen, das er getan hat (ὁ γὰρ ἀδικῶν κομίσεται ὃ ἠδίκησεν). Dieser Satz entspricht sowohl der Form (Subj.: Nom. mask. Sing. Art. + entsprechendes subst. Part.; Präd.: Fut. Verb) als auch dem Inhalt nach „einer Vielzahl von weisheitlichen Aussage558 Vgl. Abbot 295; Moule 131; Schweizer 168; Gnilka 223; Harris 185-186; O’Brien 229; Wright 150; Lohse 229; Hübner 113; Garland 250; Barth/Blanke 447-448; Lincoln 658; Moo 313; Pao 275-276. 559 Vgl. Lightfoot 229; Lindemann 67; Dunn 257; MacDonald 158; Gupta 173; Foster 391392; Campbell 66. 560 Pao 275-276 bietet das beste Argument für einen Imp., Foster 391-392 für einen Ind. 561 Kontra Moo 313. 562 Vgl. Harris 186.
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II. Auslegung
worten, die den unmittelbaren Zusammenhang von Tun und Ergehen formulieren“.563 Ein Beispiel von vielen aus den Sprüchen (das im Übrigen für die HT besonders relevant ist) bietet Spr 19,26 LXX: „Wer seinen Vater missachtet und seine Mutter ablehnt, wird sich schämen müssen“ (ὁ ἀτιμάζων πατέρα καὶ ἀποθόυμενος μητέρα αὐτοῦ καταισχυνθήσεται). Das Verb κομίζω im Med. bedeutet „erhalten“ oder „erlangen“. Das Verb kommt auch in der Parallelstelle Eph 6,8 – dort wird aber versprochen, dass Gutes mit Gutem belohnt wird – und sonst bei Paulus nur in 2Kor 5,10 vor. Die Kommentare setzen sich z.T. ausführlich mit der Frage auseinander, wem diese Drohung gilt: den Sklaven564 oder (auch) den Herren, die im darauffolgenden Vers explizit angesprochen werden.565 Das Argument, dass diese Aussage aufgrund der Struktur der HT nur an die Sklaven gerichtet sein kann,566 überzeugt nicht; sie ist wahrscheinlich eine Bemerkung des Paulus, die nicht der Logik der Struktur streng angepasst werden muss. Andererseits folgt aus der Tatsache, dass Paulus vom Unrecht spricht, nicht unbedingt, dass sich er schon den Herren zugewandt haben muss; auch Sklaven konnten – wenn nicht nach moderner Überzeugung, dann sicherlich nach antiker Meinung – ihre Herren ungerecht behandeln (vgl. Phlm 18).567 Ausschlaggebend für die Ansicht, dass beide Gruppen angesprochen werden und 3,25 als Übergang zur direkten Anrede der Herren in 4,1 dient, ist zum einen die Tatsache, dass bei der Parallelstelle in der ephesischen HT die antithetische Mahnung explizit an beide gerichtet ist (vgl. Eph 6,8). Zum anderen weist das atl. Prinzip, auf das sich Paulus hier beruft, in dieselbe Richtung: und es gibt kein Ansehen der Person (καὶ οὐκ ἔστιν προσωπολημψία). Das wohl in der Urgemeinde geprägte nomen actionis προσωπολημψία (wörtl. „das Empfangen des Gesichts“), das außer hier und der Parallelstelle Eph 6,9 im NT nur in Röm 2,11 und Jak 2,1 und in der LXX überhaupt nicht vorkommt, ist der hebräischen Trope נשא פנים, welche die LXX üblicherweise mit λαμβάνω πρόσωπον übersetzt (vgl. Lev 19,15; Ps 82,2 [81,2 LXX]; Mal 2,9; Lk 20,21; Gal 2,6), entnommen.568 An unserer Stelle beruft sich Paulus auf die Selbstverständlichkeit, dass es bei Gott (Eph
563 Wolter 206. 564 Vgl. Lohse 230; O’Brien 230-231; Lindemann 67; Wolter 205; MacDonald 158; Garland 250; Moo 314; Foster 392-393. 565 Lightfoot 229; Abbot 295-96; Gnilka 223-224; Schweizer 168; Barth/Blanke 449; Lincoln 658; Gielen, Tradition, 195-195; Pao 276. 566 Vgl. MacDonald 158; Moo 314. 567 Vgl. O’Brien 230-231. 568 Vgl. Dunn 258; Pao 277.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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6,9; Jak 2,1) kein Ansehen der Person gibt (vgl. Deut 10,17; Sir 35,12-13). Gerade die programmatische Stelle in Lev 19,15 zeigt, dass dies nach atl. Verständnis keinen prinzipiellen Vorzug für die Unterdrückten bedeutet; ein Richter soll weder für die Mächtigen noch für die Armen Partei ergreifen.569 Das diesem Spruch zugrundeliegende Verständnis verleiht der Deutung, dass Paulus in 3,25 sowohl an die Sklaven als auch an die Herren denkt, zusätzliches Gewicht. 4,1 Als übergeordnete Gruppe des letzten Beziehungspaares werden zum Schluss der HT die Sklavenhalter angesprochen: Ihr Herren, gewährt euren Sklaven ihren gerechten und fairen Teil (οἱ κύριοι τὸ δίκαιον καὶ τὴν ἰσότητα τοῖς δούλοις παρέχεσθε). Das Med. des Verbs παρέχω bedeutet hier „gewähren“ oder „verschaffen“. Das ntr. Adj. δίκαιον dient hier als Subst. und bedeutet „der gerechte Anteil“. Was die HT-Tradition darunter versteht, wird näher erläutert (epex. καί) durch das Subst. ἰσότης, ein seltenes Wort, das im NT nur hier und in 2Kor 8,13-14 vorkommt. Es bedeutet „Gleichheit“ oder, wie an unserer Stelle, „Billigkeit“ (so auch im Zusammenhang mit δίκαιος bei Aristoteles (vgl. Eth. Nic. V.1129a.34a).570 Es geht nämlich in der HT-Tradition um die faire Behandlung der Sklaven, nicht um ihre Gleichstellung in rechtlicher Hinsicht.571 Dennoch ist Standhartingers These, dass das Wort der HT vom AutKol wegen seiner Doppeldeutigkeit hinzugefügt wurde,572 erwägenswert, vor allem angesichts des insgesamt dekonstruierenden Untertons der Sklavenparänese (vgl. dazu S. 302) bzw. der ebenfalls dekonstruierenden Rhetorik des Phlm, der auf die Freilassung des Onesimus zielt.573 Wie dem auch sei, die Sklavenhalter werden „dazu angehalten, ihre Pflichten gegenüber den δοῦλοι gewissenhaft zu erfüllen“.574 Diese Aufforderung hat tiefe Wurzeln im AT (vgl. z.B. Ex 20,10; Lev 25,39-43),575 aber das Bemühen um
569 Vgl. Wolter 206. 570 Ibid. 207. 571 Vgl. Lightfoot 230. So auch Vasser, Slaves, 69, der aber dennoch den Terminus mit „equality“ wiedergeben will. Vassers lexikalische Analyse ist hilfreich, aber er übersieht dabei, dass die HT nur die wirtschaftliche Beziehung zwischen Herren und Sklaven bespricht, und in dieser Hinsicht kann von Gleichheit keine Rede sein. Er hat aber recht, dass Paulus im Gemeindekontext eine radikale Gleichheit zwischen Herren und Sklaven vertritt, die vor allem in der alle Klassenunterschiede nivellierenden Tischgemeinschaft der frühen Christen zum Ausdruck kommt. Der Samen, der in der späteren christlichen Tradition eine Abschaffung der Sklaverei forderte, wurde somit bereits gestreut. 572 Vgl. Standhartinger, Studien, 275. 573 Vgl. White, Philemon, bes. 32-33. 574 Lohse 230-231. 575 Vgl. Dunn 259.
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II. Auslegung
eine faire Behandlung der Sklaven war auch in der hellenistischen Popularphilosophie keine Seltenheit (vgl. Seneca ep. 47, bes. Abschnitt 11; PseudoPhokylides 223-227). Das christliche Profil dieser Aufforderung entfaltet sich aber erst in der Begründung, die darauf folgt. Die Aufforderungen an die Hausherren in ihrer Rolle als Ehemänner und Väter blieben ohne Motivationssatz, aber nun wird einer eingefügt, der für sie in allen drei Rollen gleichermaßen gilt und – passend zum Abschluss der HT – das christologische Prinzip hinter allen sowohl an die unter- wie an die übergeordneten Parteien noch einmal treffend formuliert: denn ihr wisst, dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt (εἰδότες ὅτι καὶ ὑμεῖς ἔχετε κύριον ἐν οὐρανῷ). Der Herr „im Himmel“ bzw. „in den Himmeln“ – so die Parallelstelle in Eph 6,8 – kann aus atl.-frühjüd. Sicht nur einer sein (vgl. z.B. 2Chr 36,23; Esr 1,2; Neh 1,5; Ps 2,4; Jes 66,1; Mt 6,9; 11,25), aber hier ist wiederum Jesus, der Messias (vgl. 3,17.24), gemeint, der die himmlische Herrschaft zur Rechten Gottes bereits ausübt (vgl. 3,1). Von ihm werden auch die Herren ihren entsprechenden Lohn erhalten (vgl. 3,24-25).
IV Zusammenfassung Die ntl. HT haben der Moderne bzw. der Postmoderne nichts zu bieten. Manche Theologinnen und Theologen schreiben sich das mit reformatorischem Eifer auf die Fahne. Andere äußern sich nicht explizit dazu, sympathisieren aber offensichtlich mit dieser Meinung, während viele Gemeinden und Kirchengemeinschaften am liebsten darüber schweigen. Zu stark und lähmend ist der Vorwurf, dass die Kirche durch ihre konservative Lehre jahrhundertelang an der Unterdrückung ganzer Gesellschaftsgruppen bzw. an der Aufrechterhaltung ausbeuterischer gesellschaftlicher Strukturen beteiligt war. Das sollte man auch nicht krampfhaft zu leugnen versuchen. Dass die Kirche an vielerlei Unrecht, sowohl durch Begehungs- als auch durch Unterlassungssünden, mitschuldig gewesen ist, steht nicht zur Debatte. Wollen wir aber nicht unhistorischem Denken zum Opfer fallen, dürfen wir modernes Rechtsempfinden nicht zum Maßstab urchristlicher Paränese machen. Noch bis vor 200 Jahren war auch die westliche Welt streng patriarchalisch, Frauen und Kinder waren sowohl de jure als auch de facto benachteiligt, und Sklaven in Amerika bzw. Leibeigene in Europa leisteten ihren Dienst unter (zwar nicht immer, aber oft) äußerst menschenunwürdigen Bedingungen. Man darf aber dabei nicht vergessen: Dass sich diesbezüglich die Lage gerade in diesen Teilen der Welt zum Besseren gewendet hat, ist z.T. – vielleicht sogar zu einem beträchtlichen Teil – dem Einfluss eines biblischen Men-
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schenbildes, das die Würde jedes Individuums theologisch begründet, zu verdanken.576 Eine korrekte Einschätzung der Auswirkung der ntl. HT-Tradition auf die Urgemeinde (und in weiterer Folge auf die christliche Kirche sowie die abendländische Zivilisation, die ihr Erbe für sich beanspruchte) muss sich deswegen bemühen, ihren statt unseren Standpunkt einzunehmen bzw. sich in ihre Selbstverständlichkeiten hineinzudenken. Die grundsätzliche Frage, die letztlich entscheidet, ob uns heute noch die HT-Tradition etwas zu bieten hat, kann daher nur folgende sein: Inwiefern war ihre Wirkung für die Menschen in Kleinasien im 1. Jh., die sie umzusetzen versuchten, befreiend, nicht im Sinne von modernem Selbstentfaltungswahn, sondern – entsprechend der Absicht des Evangeliums – im Sinne einer charakterreifenden und gemeinschaftsstiftenden Transformation? Dass sie dazu einen wichtigen Beitrag leistet, ist der implizite Anspruch des Kol (vgl. zu 1,9-14; 2,6-7; 3,5-17), und daran soll ihre Aussagekraft in erster Linie gemessen werden. Das ist nicht nur eine in theologiegeschichtlicher Hinsicht verantwortliche Vorgehensweise, sondern stellt auch die beste Möglichkeit dar, ihr eigentliches Anwendungspotenzial zu erschließen. Dennoch steht der Vorwurf im Raum: Die HT-Tradition sei eine die ausbeuterischen Gesellschaftsstrukturen der Antike untermauernde Ethik, die zwar schnell christlich getauft wurde, aber des Evangeliums nicht wirklich würdig ist. Sie sei streng patriarchalisch, diene der Unterdrückung von Frauen bis heute und rechtfertige sowohl die Sklaverei als auch den Missbrauch von Kindern. Wenn nur ein kleiner Teil von alledem stimmt, dann fragt man sich ernsthaft, ob die HT nicht jeglichen Anwendungspotenzials entbehrt. Unserem geschichtlichen Ansatz folgend fragen wir nun nach der Auswirkung der HT in ihrem ursprünglichen Kontext. Zunächst nimmt die HT-Tradition, wie wir gesehen haben, die sozialen Bedingungen des 1. Jh.s unverblümt wahr. Der antike Haushalt war patriarchalisch strukturiert. Der pater familias hatte im frühen Prinzipat beinahe unbegrenzte Vollmacht über die anderen Mitglieder des Hauses. Auch wenn die HT-Tradition an der rechtlichen Lage nichts ändern konnte und dies auch nicht erwog, schränkte sie innerhalb der christlichen Gemeinschaften die autoritäre Position des Hausherrn ein, indem sie die untergeordneten Personen in den Beziehungspaaren als wertvolle Individuen betrachtete, deren Würde es zu schützen galt. Das ist an sich schon eine beachtenswerte Errungenschaft.
576 Ähnlich Barclay, Ordinary, 254.
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II. Auslegung
Am wenigsten stört modernes Empfinden die Aufforderung an die Kinder, ihren Vätern zu gehorchen (vgl. 3,20). Von den antiautoritären Erziehungsmodellen, die im letzten Drittel des letzten Jh.s in manchen Kreisen hoch im Kurs waren, hört man heutzutage so gut wie nichts mehr. Die Einsicht, dass Kinder klare Grenzen brauchen, um sich zu entwickeln, hat sich durchgesetzt. Andererseits scheint die implizite Einschränkung der elterlichen Vollmacht in 3,21 vernünftig. Dieser Teil der HT wird selten problematisiert, aber auch nicht besonders ernst genommen. Von Interesse ist er dennoch, weil die HT Kinder – hier sind, wie die Exegese klargemacht hat, minderjährige Kinder im Blick – als Personen wahrnimmt, die besonders schutz- und förderungsbedürftig sind. Das spiegelt die atl.-jüd. Tradition wider, die die Familie als den Ort betrachtet, an dem Kinder diesen Schutz erleben und in dem sie gedeihen und sich zu reifen Persönlichkeiten entwickeln können. In dieser Tradition steht auch Jesus, der die Kinder besonders ins Auge fasste und sie segnete (vgl. Mk 10,13-16 par). Die HT kann als Modus zur Vermittlung dieses Segens verstanden werden, denn die Beziehungshierarchie dient dem Wohl der Kinder (vgl. die Parallelstelle Eph 6,1-3). Genießen zumindest die Prinzipien hinter der Kinder- / Elternparänese allgemeine Zustimmung, so wird die Aufforderung an die Ehefrauen, sich ihren Ehemännern unterzuordnen, in unserer Zeit und besonders im Westen als problematisch empfunden (vgl. 3,18). Dabei ist die HT in ihrem Kontext als fortschrittlich zu bezeichnen. Obwohl die Position der Frau in der Gesellschaft nicht dadurch verbessert wird, bringt ihr die HT-Tradition höhere Achtung entgegen. In der paulinischen Version der HT wird sie nicht zum Gehorsam, sondern zur Unterordnung aufgefordert. Das vermittelt, wie die Exegese zeigte, den Eindruck, dass ihr im Gegensatz zu Kindern und Sklaven eine gewisse Autonomie zugestanden wird, z.B., wenn ihr Glaube an Jesus, den Messias, verlangt, dass sie sich von der Frömmigkeitspraxis des nichtchristlichen Ehemanns distanziert. Schließlich muss die in der Literatur der Ökonomik beispiellose Aufforderung an die Ehemänner, ihre Frauen zu lieben – wenn sie ernstgenommen wurde – für eine Verbesserung der Lage der Ehefrau im Haushalt gesorgt haben. Dennoch bleibt ihre Rolle in der Beziehungshierarchie eindeutig die untergeordnete. Versuche, die Sachlage durch einen Verweis auf die HT im Eph zu entschärfen, indem man den einleitenden Imperativsatz (vgl. Eph 5,21: „Ordnet euch einander unter in der Furcht des Herrn“) als Aufforderung zur „reziproken Unterordnung“ deutet, überzeugen nicht. Demnach müssten sich die Personen in den jeweiligen Beziehungspaaren gegenseitig unterordnen. Ein solches in sich widersprüchliches Konzept hat aber mit der Gestaltung des
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häuslichen Alltags in der Antike nichts zu tun, und die einzelnen Unterweisungen lassen sich nicht in dieses Schema pressen. Der Kontext verlangt vielmehr, dass Eph 5,21 im Sinne einer „distributiven Unterordnung“ aufgefasst wird: Wie die einzelnen Gebote eigentlich klarmachen, geht es darum, dass sich manche Personengruppen anderen Personengruppen unterordnen. Hier kann es nicht darum gehen, die Frage nach der andauernden Gültigkeit der Eheordnung, wie sie in den paulinischen HT dargestellt wird, ausführlich zu beantworten. Wir können nur einige wichtige Parameter für die Diskussion kurz auflisten. Erstens gilt es zu beachten, dass Paulus zur Rolle der Frau in der Gesellschaft keine Stellung nimmt und, wie eine nähere Betrachtung der umstrittenen Stellen zeigt, auch wenig über die Rolle der Frau in der Gemeinde sagt.577 Einzelne Bemerkungen in seinen Briefen belegen, dass Frauen in seinen Gemeinden wichtige, z.T. leitende Aufgaben erfüllten (vgl. zu 4,15). Zweitens lässt die auffallende Form der HT, wonach Frauen direkt angesprochen werden, als Prinzip aufstellen, dass Unterordnung nicht etwa vom Mann eingefordert, sondern von der Frau willentlich erbracht werden soll. Im Übrigen gibt die HT keine Anweisungen darüber, wie diese Unterordnung im Genaueren auszusehen hat. Vermutlich wird diese je nach Kultur und Ehe sehr unterschiedlich sein. Drittens dürfen die negativen Konnotationen des Ausdrucks „Unterordnung“ in der Moderne die Diskussion darüber, was mit dem biblischen Prinzip gemeint ist, nicht lähmen. Auch wenn es in unseren Ohren unmöglich klingt und mit Unterdrückung gleichgesetzt wird, können sich Christen mit dieser falschen Identifikation nie zufriedengeben. Denn sie beten einen Herrn an, der sich seinem Vater, dem er in allem gleich ist, ewig unterordnet (vgl. 1Kor 15,29), und der sich in erster Linie als Diener der Menschheit offenbart (vgl. Röm 15,8-9a mit Mk 10,45). Ein Unterschied im Wert bzw. in der Würde dessen, der sich einem anderen unterordnet, ist also solchen Formulierungen nicht zu entnehmen. Viertens soll laut der Erläuterung der HT in Eph 5,32 die Rollenverteilung in einer christlichen Ehe als gemeinsame Arbeit an einem theologischen – genau genommen christologischen – Projekt verstanden werden. Mann und Frau haben unterschiedliche Rollen in der Darstellung eines großen Mysteriums zugeteilt bekommen. Sie stellen jeweils die große Liebe Christi für die Gemeinde und die diese Liebe erwidernde Zuneigung und Achtung der Gemeinde für ihren Herrn dar. Die Eheparänese der HT kann beinahe als dramaturgische Anleitung dazu verstanden werden. Dabei 577 Alle paulinischen „Problemstellen“ bzgl. Frauen (vgl. 1Kor 11,3-16; 14,33-36 und 1Tim 2,9-15) zielen m.E. darauf, die Ehe zu regeln, und sagen über ihre Rolle in der Gemeinde und der Gesellschaft nichts Wesentliches aus. Vgl. White, Ehefrauen, 265280.
352
II. Auslegung
soll nicht Angst vor der Verletzung festgelegter Grenzen, sondern künstlerische Freiheit im Ausdruck des darzustellenden Stoffes das Leitmotiv sein. Die Sklavenparänese stellt die moderne Kirche vor noch größere Herausforderungen. Eine unhistorische Betrachtungsweise entsetzt sich darüber, dass Paulus nicht die Abschaffung einer menschenunwürdigen Einrichtung forderte und sich selbst im Falle des Onesimus nur mit äußerster Vorsicht, um die Ehre seines Herrn nicht zu verletzen, für dessen Freilassung einsetzte.578 Historisches Denken nimmt zur Kenntnis, dass die Sklaverei zu den ältesten und stabilsten gesellschaftlichen Strukturen der Menschheit gehört und dass ihre Abschaffung für antike Menschen geradezu unvorstellbar war. Das zeigt sich u.a. auch an den wenigen Gruppierungen, die sich prinzipiell dagegenstellten. Selbst die Stoiker, die um einen humanen Umgang mit Sklaven bemüht waren und dafür plädiert haben, haben die Institution als solche nicht infrage gestellt.579Auch die Qumran-Gemeinschaft, die die Sklaverei in ihrer Mitte abschaffte, forderte keine kulturelle Revolution, sondern entfernte sich von der Gesellschaft, um ihren elitären Idealen Ausdruck zu verleihen.580 Ein historisch verantwortlicher Ansatz nimmt auch wahr, dass die antike Sklaverei ein komplexes Phänomen war, das sich mit unseren moralischen Kategorien, welche die jahrhundertelange Entwicklung eines christlichen Menschenbildes voraussetzen, nicht adäquat einschätzen lässt.581 Zum einen war die Grenzlinie zwischen Sklaverei und Freiheit in der Antike oft undeutlich und fließend, sodass viele Menschen in einer nach modernem Empfinden sozioökonomischen Grauzone dazwischen existierten. Zum anderen gelangten Menschen nur in den seltensten Fällen aufgrund ihrer Rasse, Hautfarbe oder Nationalität in die Sklaverei. Außerdem war die Lage von Hausbediensteten, zu denen etwaige Sklaven in der Gemeinde in Kolossä höchstwahrscheinlich gehörten, oft besser als die der libertini.582 Zu alledem kommt hinzu, dass (im Gegensatz zur Lage der Sklaven in der Moderne) die Aussicht auf Freilassung für Haussklaven i.d.R. gut war. Freigelassene eines römischen Bürgers konnten sogar mit römischer Staatsbürgerschaft rechnen.583 Natürlich hatte man als Sklave keine Rechte und war allerlei Missbrauch hilflos ausgeliefert, sodass Paulus der Meinung war, die Freiheit sei ceteris paribus der
578 579 580 581 582 583
Vgl. White, Philemon, 34-35. Vgl. Müller, Philemon, 60. Vgl. Barth/Blanke, Philemon, 78-79. Vgl. Müller, Philemon, 56-57. Vgl. Barth/Blanke, Philemon, 3-4. Vgl. Garnsey/Saller, Kaiserreich, 157.164.170-177.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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Sklaverei vorzuziehen (vgl. 1Kor 7,21),584 aber es war von vornherein nicht eindeutig, dass Sklaven das allerschlechteste Los gezogen hatten.585 Wir hatten schon einmal Anlass, Hartleys Maxime zu zitieren (vgl. S. 325): „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land; sie haben dort andere Bräuche“. Auch hier gilt es, sie nicht zu ignorieren. Die Abschaffung der gesetzlich erlaubten Sklaverei gehört zu den wirklich revolutionären Errungenschaften der Moderne, und sie verdankt sich im nicht unwesentlichen Ausmaß dem Einfluss der christlichen Überzeugung von der Gleichheit und Würde eines jeden Menschen vor Gott. Eine verantwortliche christliche Sozialethik sieht nach dieser Entwicklung anders aus als vorher. Sie muss die Abschaffung aller menschenunwürdigen Verhältnisse einklagen (illegale Formen der Sklaverei müssen z.B. mehr denn je bekämpft werden) und kann sich nicht mit der bloßen Linderung der Lage der Unterdrückten zufriedenstellen. Völlig unbrauchbar sind die Anweisungen der HT an die Sklaven durch den geschichtlichen Fortschritt dennoch nicht geworden. Weil die Lage mancher Sklaven in der Antike, besonders derjenigen im häuslichen Bereich, dem modernen Verhältnis zwischen Arbeitgebern und -nehmern zu einem gewissen Grad ähnelt, können Letztere der Sklavenparänese Prinzipien entnehmen, die ihr Engagement am Arbeitsplatz bereichern könnten.586 Die Einsicht, dass christliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in erster Linie dem Herrn im Himmel dienen, und der Grundsatz, dass sie stets ihr Bestes bieten sollen, haben das Potenzial, jegliche mondäne Erwerbstätigkeit zum „Gottesdienst“ zu erheben. Hier ist noch viel Raum für weiterführende theologische Reflexion.587 Das, was die HT-Tradition zu einem vollwertig christlichen ethischen Ansatz erhebt, sind aber letztlich nicht vernunftmäßige Argumente, die beweisen, 584 Die Intention des griech. Textes (δοῦλος ἐκλήθης μή σοι μελέτω ἀλλ’ εἰ καὶ δύνασαι ἐλεύθερος γενέσθαι μᾶλλον χρῆσαι) ist jedoch umstritten. Die LÜ 2009 übersetzt: „Bist du als Knecht berufen, dann sorge dich nicht; doch, wenn du frei werden kannst, dann mache davon umso lieber Gebrauch.“ Für diese Deutung argumentieren u.a. Schrage, Korinther 6,12–11,16, 139-140, und Deming, Diatribe, 130-137. Sie ist m.E. der Deutung etwa der EÜ, die dem Text eine geradezu diametral entgegengesetzte Aussage entnimmt, vorzuziehen: „Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; auch wenn du frei werden kannst, lebe lieber als Sklave weiter.“ Vgl. dazu Flexsenhar, Slaves, 71-88. 585 Vgl. dazu Bormann 184: „Die Entlassung aus dem Sklavenstatus konnte sowohl Strafe als auch Belohnung sein“, denn „nach hellenistischem Recht führte die Freilassung in den prekären Status des „fremden Mitbewohners“, des μέτοικος.“ 586 Vgl. den diesbezüglichen Versuch von Hinson, Household, 505-506. 587 Das vielversprechende „Theology of Work Project“ in den USA versucht dies auf populärer Ebene voranzutreiben (vgl. www.theologyofwork.org).
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II. Auslegung
dass sie einen Fortschritt gegenüber den Grundsätzen der antiken Ökonomik darstellt, oder die ihre patriarchalischen Prämissen, wenn auch nur ansatzweise, hinterfragen. Eine solche Vorgehensweise läuft Gefahr, wenn man sich damit begnügt, antike Selbstverständlichkeiten durch moderne zu ersetzen und letztere zum alleingültigen ethischen Maßstab zu machen. Das wirklich Christliche an der paulinischen HT zeigt sich darin, dass sie jede Partei unbeirrbar dazu auffordert, ihre dem Gegenüber in der jeweiligen Paarbeziehung zu erbringende Pflichterfüllung als Dienst an dem Kyrios Jesus zu betrachten. Es verwundert nicht, dass der Kol, der die Anerkennung Christi als Herrn des Universums einschließlich aller Mächte und Gewalten als Fundament aller weiteren theologischen und ethischen Reflexion legt, Bewährtes zur Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen aus profanen Quellen schöpft. Paulus besteht nämlich darauf, dass Gott alles mit sich versöhnen möchte; dazu gehören auch offensichtlich gesellschaftliche und familiäre Beziehungen. In Christus werden diese neu ausgerichtet. Das „Angemessene“ wird nicht über Bord geworfen, sondern wird in Relation zu Christus gesetzt.588 Schließlich geht es bei der HT darum, dass alle Nachfolger Jesu ihm gehorchen und sich ihm unterordnen.
2.4.4. Betet und bezeugt das Evangelium (4,2-6)
I Übersetzung 2 Widmet euch dem Gebet. Seid dabei wachsam und dankbar. 3 Betet dabei auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das Wort öffnet, damit ich über das Geheimnis vom Messias reden kann, für das ich im Gefängnis bin, 4 und damit ich es entsprechend meiner Verpflichtung, dies zu verkündigen, offenbaren kann. 5 Lebt weise vor den Außenstehenden, nützt dabei jede Gelegenheit aus. 6 Eure Worte sollen stets voller Gnade sein, mit Salz gewürzt, denn ihr müsst in der Lage sein, jedem Einzelnen eine Antwort zu geben.
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 4,2: 1) I 33 1241s* 1881 vgmss sowie Orlat haben das Part. προσκαρτεροúντες anstelle des besser und breiter bezeugten Imp. προσκαρτερεῖτε. 2) Das Präpositionalgefüge ἐν εὐχαριστίᾳ fehlt bei D*, gefolgt von Ambst. Der Text von NA28 ist eindeutig vorzuziehen. 4,3: 1) A fügt in Anlehnung an die Parallelstelle Eph 6,19 ἐν παρρησίᾳ nach λόγου ein. 2) 588 Vgl. Schrage, Ethik, 9.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
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Anstelle von dem besser bezeugten Χριστοῦ haben B* L vgms samss θεοῦ. 3) B F G vgms haben ὃν statt ὃ.589 Die von NA28 bevorzugte LA ist eindeutig besser bezeugt. Form. Der letzte Abschnitt im Briefkorpus schließt zugleich den paränetischen Teil des Kol ab. Sein Inhalt ist aber nicht der Ethik gewidmet, sondern die ethischen Ermahnungen in 3,5–4,1 münden in eine allgemeine Aufforderung zum Gebet für und zur Beteiligung an der Verkündigung des Evangeliums. Das hat seine offensichtliche Logik, denn die Lebensweise der Gläubigen in der Gemeinde und ihren Häusern soll auf Außenstehende anziehend wirken. Der Text umfasst drei Sätze. Der erste Satz (4,2-4) ist komplex und besteht aus einem Imp., zwei modalen Partizipialkonstruktionen, einem ἵναNebensatz, einem Inf. Obj. und schließlich einem Präpositionalgefüge. Er setzt sich schwerpunktmäßig mit der Notwendigkeit des Gebets, sowohl im Allgemeinen als auch im Hinblick auf die Verbreitung des Evangeliums durch den Apostel und sein Team, auseinander. Es ist typisch für Paulus, dass er um Gebet bittet, wenn er sich dem Ende eines Briefes nähert (neben der Parallelstelle Eph 6,18-20 vgl. Röm 15,30-32; 1Thess 5,25; 2Thess 3,1-2; Phlm 22).590 Die letzten zwei Sätze (4,5-6) sind einfacher formuliert und dem Umgang der Gemeindeglieder mit Außenstehenden gewidmet. Die Sprache in diesem Abschnitt ist nicht gehoben, sondern alltäglich, wie die Anliegen, die sie zum Ausdruck bringt. Paulus verwendet alltägliche Tropen, die aber in motivgeschichtlicher Hinsicht weder von atl. noch frühjüd. Traditionen direkt beeinflusst zu sein scheinen. Vielmehr greift er intratextuell auf frühere Themen des Kol auf, vor allem die apokalyptische Sprache vom „Mysterium“ (vgl. 1,2627) sowie die weisheitliche Betonung einer Lebensweise, die Gott gefällt und auch gelingt (vgl. 1,10; 2,2-3).
III Einzelexegese 2 Nach den personenbezogenen Unterweisungen der HT bedient sich Paulus eines bekannten Topos der frühchristlichen Paränese,591 indem er die ganze Gemeinde zum beharrlichen Gebet auffordert: Widmet euch dem Gebet (τῇ προσευχῇ προσκαρτερεῖτε). Der gleiche Befehl begegnet uns in Röm 12,12 und das Motiv an mehreren Stellen im NT (vgl. z.B. die Parallelstelle 589 Die Argumente, die Bockmuehl, Note, 489-494, für die ohnehin schwach bezeugte LA δίο bietet, sprechen nach den Prinzipien der Textkritik, insbes. lectio difficilior, eher gegen als für sie. 590 Vgl. Dunn 261; Moo 318-319. 591 Vgl. Wolter 209.
356
II. Auslegung
Eph 6,18 sowie 1Thess 5,17). Das Verb προσκαρτερέω, das 10-mal im NT vorkommt, davon 6-mal in der Apg (vgl. Apg. 1,14; 2,42.46; 6,4; 8,13; 10,7 sowie Mk 3,9; Röm 12,12; 13,6 und unsere Stelle), bedeutet „sich emsig beschäftigen mit etwas“, in diesem Fall dem Gebet. Jesu Praxis (vgl. z.B. Lk 6,12) und Lehre (vgl. z.B. Lk 18,1) gab wohl diesbezüglich den Ton für die Urgemeinde an.592 Paulus weist auf sein eigenes unablässiges Beten für die Kolosser in der Einleitung zum Brief hin (vgl. 1,9). Hier fordert er sie auf, ihn nachzuahmen. Als nächstes beschreibt er die Haltung, in der dieses Gebet erfolgen soll: Seid dabei wachsam und dankbar (γρηγοροῦντες ἐν εὐχαριστίᾳ). Das Part. des Verbs γρηγορέω hat an dieser Stelle eine modale Sinnrichtung und beschreibt die das Gebet begleitenden Umstände.593 Auch hinter diesem Befehl ist der Einfluss Jesu zu spüren, denn in der Jesustradition mahnt er seine Jünger mehrfach zur Wachsamkeit angesichts der gegenwärtigen Versuchung und des nahenden Eschatons (vgl. Mt 24,42; 25,13; 26,38-41 par; Mk 13,34-37; Lk 12,37). Bei Paulus begegnet uns das Verb außer hier nur in 1Kor 16,13 und 1Thess 5,6.10. Dafür kommt der Verweis auf die Dankbarkeit als notwendige Begleiterin des Gebetes (ἐν + Dat. bezeichnet die Art und Weise wie eine Handlung erfolgt)594 in fast jedem Brief vor (vgl. die Analyse der Danksagung auf S. 70-73 sowie zu 1,3). 3 Paulus denkt bei seiner Ermahnung zum beharrlichen Gebet an ein spezifisches Anliegen, für das er die Gebete der Kolosser begehrt: Betet dabei auch für uns (προσευχόμενοι ἅμα καὶ περὶ ἡμῶν). Während sie Gott ihre Bitten nennen (das Part. προσευχόμενοι beschreibt die weiteren Begleitumstände des angemahnten Betens; ἅμα bezeichnet die Gleichzeitigkeit zweier Handlungen), sollen sie für Paulus und seine Mitarbeiter beten.595 Es entspricht der Gewohnheit des Apostels, dass er Gebete für sich und seinen Dienst begehrt (vgl. Röm 15,30-31; 2Kor 1,11; Phil 1,19; 1Thess 5,25; 2Thess 3,1-2).596 Die Gläubigen in Kolossä sollen beten, dass Gott uns eine Tür für das Wort öffnet (ἵνα ὁ θεὸς ἀνοίξῃ ἡμῶν θύραν τοῦ λόγου). Der ἵνα-Nebensatz hat in der Koine neben seiner klassischen finalen Bedeutung (vgl. zu 1,9) auch wie hier eine konsekutive Ausrichtung.597 Damit wird der Inhalt des Gebetes kurz erläutert (vgl. neben der Parallelstelle Eph 6,19 auch Röm 592 593 594 595 596 597
So auch Foster 398. Vgl. O’Brien 237; Pao 290-291. Vgl. HvS §184j(3). So auch insbes. Lightfoot 231; Pao 292. Vgl. Dunn 263. Vgl. HvS §272e.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
357
15,31; 2Thess 3,1).598 Die metaphorische Rede von einer „offenen Tür“ im Sinne einer Gelegenheit, die es zu nutzen gilt, begegnet uns weitere zwei Mal bei Paulus (vgl. 1Kor 16,9; 2Kor 2,12). Es bezeichnet in allen drei Fällen die Möglichkeit, das Evangelium – wörtl. „das Wort“ (vgl. zu 1,5) – zu verkündigen. Es ist möglich (kann aber nicht mit Sicherheit behauptet werden), dass Paulus mit diesem Bild auch seinen Wunsch andeutet, von seiner Gefangenschaft befreit zu werden.599 Der darauffolgende Inf. hat eine finale Ausrichtung: Gott soll eine Tür aufmachen, damit ich über das Geheimnis vom Messias reden kann (λαλῆσαι τὸ μυστήριον τοῦ Χριστοῦ).600 Das Evangelium bezeichnete Paulus bereits in 1,26-27 und 2,2 als Geheimnis (vgl. die Ausführungen dort), das Christus selbst ist.601 Dem Apostel liegt sehr viel daran, dass er die Möglichkeit bekommt, das nun durch die Botschaft vom Messias offenbarte Geheimnis, das auch für die Völker Rettung ermöglicht, weiterhin zu verkünden. Aber die „Tür“ ist in diesem Fall zu; d.h. es stehen Hindernisse im Wege.602 Die Erfahrung hat den Apostel gelehrt, dass die Gelegenheit zur freien Verkündigung des Evangeliums keine Selbstverständlichkeit ist, sondern von Gott erbeten werden muss. Warum ihm dies bei der Abfassung des Kol ein besonderes Anliegen ist, wussten die Kolosser bereits, aber andere Leser des Briefes erfahren es erst jetzt. Auch wenn Paulus früher durchschimmern ließ, dass die Bedingungen, in denen er sich befindet, für die Verbreitung des Evangeliums widrig sind (vgl. 1,24), bemerkt er hier zum ersten Mal, dazu nur nebenbei, dass es sich um das Wort handelt, für das ich im Gefängnis bin (δι ̓ ὃ καὶ δέδομαι). Vermutlich befindet sich Paulus, wie wir in der Einleitung argumentiert haben (vgl. S. 28-31), unter Hausarrest in Ephesus (oder Rom). Die Umstände erlauben es ihm nicht, sich frei zu bewegen, aber er konnte manche Gäste empfangen und somit auch die Verbindung zu seinen Mitarbeitern und den Gemeinden durch Besuche und Briefe aufrechterhalten. 4 Die Kolosser sollen insbes. beten, dass Gott den Apostel befähigt (der Wechsel zur 1. Pers. Sing. ist auffallend), auch diese begrenzten Möglichkeiten zu nützen, um das Wort zu verbreiten, damit ich es entsprechend meiner Verpflichtung, dies zu verkündigen, offenbaren kann (ἵνα φανερώσω αὐτὸ ὡς δεῖ με λαλῆσαι). Der zweite ἵνα-Nebensatz präzisiert den Inhalt des vor598 599 600 601 602
Vgl. O’Brien 238. Vgl. Dunn 263. Vgl. Harris 195. Vgl. Beale/Gladd, Hidden, 212; Gupta 187. Vgl. Gnilka 229.
358
II. Auslegung
hergehenden in 4,3.603 Paulus wünscht sich für sich selbst vor allem anderen die Gebete der Gläubigen in Kolossä. Dass er hier das Verb, das wir mit „offenbaren“ übersetzen (φανεράω), gebraucht, statt das bei ihm übliche καταγγέλλω (vgl. z.B. 1Kor 2,1) oder ähnliches, hängt mit der apokalyptischen Rede vom „Geheimnis“ in 4,3 zusammen.604 Mit jenem Begriff weist Paulus implizit auf 1,25-26 hin, wo er sich als Diener des Geheimnisses, das Gott ihm offenbarte (zum Verb φανερόω vgl. zu 1,26), vorstellte. Er wurde vom Herrn beauftragt, dieses Evangelium den Völkern zu verkündigen. Diesen Auftrag betrachtete er als Pflicht (vgl. 1Kor 9,16); deswegen ertrug er bereitwillig die damit verbundenen Bedrängnisse (vgl. zu 1,24). Trotzdem will er das Evangelium mutig und offen verkündigen (vgl. das Verb παρρησιάζομαι in der Parallelstelle Eph 6,4). 5 Nicht nur Paulus, sondern auch die Kolosser tragen Verantwortung für die Verbreitung des Evangeliums. Deswegen fordert er sie auf: Lebt weise vor den Außenstehenden (ἐν σοφίᾳ περιπατεῖτε πρὸς τοὺς ἔξω). Wörtlich heißt es, die Kolosser sollen „in Weisheit wandeln“ (zur Metapher des „Herumgehens“ im Sinne von der Lebensführung vgl. zu 1,10; zum Begriff „Weisheit“ vgl. zu 1,9). Der Bezug zur atl.-jüd. Weisheitstradition ist unübersehbar, denn es ist nach dieser Tradition die Weisheit, die ein Leben ermöglicht, das Gott gefällt und auch gelingt.605 Eine solche Lebensführung hat auch eine positive Wirkung nach außen, denn das Evangelium erweist sich nicht als abstrakte Heilslehre für einzelne Eingeweihte, die eine besondere Bereitschaft mitbringen, strenge Frömmigkeitsbemühungen anzustellen, sondern als praktische Anleitung zu einem Lebensstil, der Außenstehende anspricht (die Wendung οἱ ἔξω bezeichnet solche, die nicht zur Gemeinde gehören; vgl. 1Kor 5,12-13; 1Thess 4,12).606 Deswegen gilt: Nützt dabei jede Gelegenheit aus (καιρὸν ἐξαγοραζόμενοι). Das Wort, das wir mit „ausnützen“ wiedergeben (Präs. Med. Part. vom Verb ἐξαγοράζω), heißt im Akt. wörtlich „aufkaufen“ bzw. „freikaufen“. Im letzteren Sinne begegnet es uns 2-mal bei Paulus (Gal 3,15; 4,5), um das Erlösungswerk Christi zu beschreiben. Im Med. hat es die Konnotation „zum eigenen Vorteil gänzlich nutzen“ und kommt mit dieser Bedeutung nur noch in der Parallelstelle Eph 5,16 vor. Das Part. hat hier eine modale Sinnrichtung. Das Wort für „Zeit“ (καιρός) begegnet uns häufig im NT und bezeichnet nicht den Fortlauf der Zeit bzw. die Zeitdauer, sondern einen Zeitpunkt bzw. einen 603 604 605 606
Vgl. Dunn 264. Vgl. Lohse 234; Barth/Blanke 454. Ähnlich Lincoln 662. Vgl. Moo 326-327.
2. Briefkorpus (2,6–4,6)
359
Zeitabschnitt und konnotiert oft wie hier den für eine bestimmte Tätigkeit geeigneten Moment. Es ist möglich, dass Paulus mit dieser Wendung auf Dan 2,8 LXX anspielt: Dort wirft König Nebuchadnezer seinen Weisen vor, sie wollen nur „Zeit gewinnen“ (ἐξαγοράζετε καὶρον), weil sie seine Forderung nicht erfüllen können.607 Allerdings hat die Trope an unserer Stelle eine andere Konnotation; der Apostel ermutigt die Kolosser damit, analog zu seinem Anliegen für seinen eigentlichen Dienst, dass die Gläubigen in Kolossä jede Gelegenheit, die Botschaft vom Messias Jesus zu erzählen, nutzen sollen (vgl. 1Petr 3,15). 6 Des Weiteren sollen eure Worte stets voller Gnade sein (ὁ λόγος ὑμῶν πάντοτε ἐν χάριτι). Wenn die Nachfolger Jesu die Möglichkeit haben, ihn vor ihren Mitmenschen zu bezeugen, dann sollen sie auf die Art und Weise achten, wie sie reden. Ihr „Wort“ (Sing. im Griech.) soll immer von Gnade gekennzeichnet (wörtl.: „stets in Gnade“) sein. Was damit gemeint ist, ist nicht ganz klar. Das Präpositionalgefüge ἐν χάριτι kommt nur 6-mal im NT, davon 5-mal im CP (vgl. außer hier Röm 5,15; 2Kor 1,12; Gal 1,6; 2Thess 2,16; 2Petr 3,18) vor, aber sonst wird damit das gnadenvolle Handeln Gottes bzw. Christi beschrieben. Als Charakteristikum der menschlichen Sprache wird die Wendung nur hier gebraucht. Die darauffolgende Partizipialkonstruktion mit Salz gewürzt (ἅλατι ἠρτυμένος) erlaubt uns jedoch näher zu bestimmen, was mit der Aufforderung zur gnadenvollen Rede gemeint ist.608 Die Wendung war ein bekanntes Idiom (vgl. Cicero, Orat 1,159; Plutarch, De Garr. 515),609 welches betont, dass man mit wohltuenden Worten einiges erreichen kann. Paulus hat im Blick, dass die Empfangsbereitschaft der Hörer für die Botschaft von Christus durch das Auftreten der Gläubigen einschließlich ihrer Art zu reden maßgeblich beeinflusst wird.610 Diese soll „nicht fad, sondern muss gewürzt und richtig gewählt sein“.611 Der Inhalt muss aber auch stimmen. Die Nachfolger Jesu sollen nicht verlegen und unbeholfen dastehen, wenn sie die Möglichkeit haben, den Messias zu bezeugen, denn ihr müsst in der Lage sein, jedem Einzelnen eine Antwort zu geben (εἰδέναι πῶς δεῖ ὑμᾶς ἐνι ἐκάστῳ ἀποκρίνεσθαι). Diese Mahnung spiegelt die Lage der frühesten Christen an vielen Orten wider, die von ihren Mitbewohnern oder auch den Behörden mit Skepsis betrachtet wurden (vgl. 1Petr 3,15). In solch einer Situation sollten Christen gut durchdachte 607 608 609 610 611
Vgl. Beale 868. Vgl. O’Brien 242; Pao 297. Vgl. Dunn 266-267. Vgl. Moo 331. Lohse 239.
360
II. Auslegung
Antworten sowohl auf ehrliche als auch auf böswillige Fragen bereit haben. Diese sollen dennoch keine Parolen sein, sondern den individuellen Bedürfnissen „jedes Einzelnen“ entsprechen.612 Paulus mutet somit der zu diesem Zeitpunkt verschwindend kleinen Schar an Jesusnachfolgern sehr viel zu. Er stellt sich offenbar eine Gemeinde vor, die nicht nur hinter geschlossener Tür ihren Glauben pflegt, sondern mutig und selbstbewusst in der Nachbarschaft und auf dem Marktplatz auftritt,613 und rechnet nicht nur mit Widerstand, sondern auch mit Zuwachs durch das treue Zeugnis der einfachen Glieder des Leibes Christi.
IV Zusammenfassung Zum Schluss des paränetischen Teils des Kol wendet sich Paulus zwei Themen zu, die ihn selbst mindestens genauso betreffen wie die Kolosser. Als erstes fordert er seiner Gewohnheit entsprechend gegen Ende seiner Briefe die Gemeinde zum beharrlichen Gebet auf. Gebet gehört zu den ureigenen Praktiken der christlichen Gemeinde (vgl. Apg 2,42). In unserem Zeitalter des Individualismus, in dem Gebet für viele Christen eine private fakultative geistliche Übung geworden ist und sich ihre Beteiligung am gemeinsamen Gebet auf formale gottesdienstliche Gebete beschränkt, belehrt uns die Urgemeinde eines Besseren. Ihrem Beispiel folgen auch in unserer Zeit viele nichtwestliche Kirchen, wo regelmäßige Treffen zum Gebet unter hoher Beteiligung der Gemeindemitglieder stattfinden, und auch kleine Scharen von Gläubigen in westlichen Kirchen, die sich gegen den Zeitgeist stellen und der Aufforderung des Apostels, geschweige denn Jesu, unbeirrbar folgen. Was sie dadurch bewirken, bleibt uns verborgen. Es dürfte aber viel mehr sein, als wir erahnen. Paulus hat ein besonderes Anliegen, für das er die Gebete der Kolosser begehrt: er steht unter Hausarrest und merkt, dass dadurch die Verbreitung des Evangeliums zum Stillstand zu kommen droht. Er möchte es mutig und energisch verkündigen, aber hat sehr beschränkte Möglichkeiten, dies zu tun. Die Kolosser sollen beten, dass sich diese Situation ändert. Wir wissen aus dem Phlm, dass Paulus die Hoffnung hegt, aus der Gefangenschaft freigelassen zu werden (vgl. Phlm 22), und vielleicht deutet er diesen Wunsch durch das Bild der sich öffnenden Tür, für die die Gläubigen beten, an. Es geht ihm aber nicht in erster Linie um sich, sondern um die Verkündigung der Botschaft
612 Vgl. Pao 298. 613 Vgl. Dunn 267.
3. Briefschluss (4,7-18)
361
vom Messias Jesus. Er will, dass das Evangelium offene Türen findet. Seine Leidenschaft für das Wort, das ihm anvertraut wurde, ist beeindruckend. Die „Schlichtheit des Herzens“ (so wörtl. 3,22), zu der Paulus den Sklaven ermahnt, charakterisiert seinen eigenen Dienst für den Herrn in Bezug auf seinen Auftrag. Dieser Auftrag ist aber nicht nur seiner. Auch die Gläubigen in Kolossä sollen jede Gelegenheit nutzen, die sie bekommen, um die Botschaft des Evangeliums zu verkünden. Dazu müssen sie vorbereitet sein, und vor allem muss ihr Lebensstil diese Botschaft bestätigen. Außenstehende sollen erkennen können, dass das Leben der Nachfolger des Messias gelingt – nicht nach gesellschaftlichen Maßstäben, sondern nach weisheitlichen Prinzipien, die heile Beziehungen mit Gott und den Menschen fördern und Freude und Dankbarkeit entstehen lassen. Wenn Außenstehende danach fragen oder sie deswegen anfeinden, sollen die Gläubigen in der Lage sein, bedacht und besonnen darauf zu antworten und dafür auch triftige Worte mit passendem Inhalt zu finden. Mit dieser Aufforderung liefert Paulus den deutlichsten Beleg für die ntl. Erwartung, dass die Verbreitung des Evangeliums nicht nur die Verantwortung einer dafür besonders begabten und dazu bestellten Gruppe innerhalb der Gemeinde ist, sondern von allen Gemeindegliedern nach ihren Möglichkeiten getragen werden soll.614 Auch daran müssen wir wohl immer wieder erinnert werden.
3. Briefschluss (4,7-18) 3.1. Empfehlung der Briefträger (4,7-9)
I Übersetzung 7 Tychikus, der geliebte Bruder, treuer Diener und Mitstreiter im Herrn wird euch alles, was mich angeht, mitteilen. 8 Ich habe ihn aus diesem Grund zu euch geschickt, damit ihr erfahrt, wie es uns geht, und er eure Herzen ermutigt, 9 zusammen mit Onesimus, dem treuen und geliebten Bruder, der einer von euch ist. Alles, was sich hier ereignet, werden sie euch berichten.
614 O’Brien, Gospel, 109-139.
362
II. Auslegung
II Struktur
Textkritische Anmerkungen. 4,8: 46 א2 C D1 K L Ψ 104 630 1505 1739 1881 2464 f vg sy samss bo sowie Ambst haben γνῷ τὰ περὶ ὑμῶν statt γνῶτε τὰ περὶ ἡμῶν. Es ist wohl unmöglich allein aufgrund der äußeren Bezeugung eine Entscheidung bzgl. der ursprünglichen LA zu treffen.1 Es gibt aber gute Gründe, die gut und breit bezeugte und von NA28 bevorzugte LA vorzuziehen.2 Anderenfalls entsteht ein non sequitur, denn das Präpositionsgefüge εἰς αὐτὸ τοῦτο bezieht sich auf 4,7, und nur diese LA bestätigt, was Paulus dort sagt. Die Veränderung dürfte den Versuch darstellen, die Form des Verbs (3. Pers. Sing. Aor. Konj.) dem darauffolgenden παρακαλέσῃ anzupassen. Schließlich stimmt diese LA mit der Parallelstelle Eph 6,22 überein, und dort gibt es keine Unsicherheit bzgl. des Texts. Form. In der Antike stellten Briefe die einzige Möglichkeit dar, mit anderen Menschen über längere Distanzen hinweg direkt zu kommunizieren. Unter Privatpersonen erfolgte die Bestellung eines Briefes i.d.R. nicht über offizielle Kanäle, sondern indem man einer vertrauten Person, die zu den Empfängern zu reisen beabsichtigte oder dazu bestellt wurde, den Brief übergab.3 Briefboten erfüllten mehrere wichtige Aufgaben. So gewährleisteten sie u.a. die sichere Überbringung des Schreibens, lasen es in vielen Fällen vor und dienten als seine ersten Ausleger, zumal die Leser bzw. Hörer von ihnen genauere Erläuterungen dessen, was der Autor an unklaren oder knapp gehaltenen Stellen gemeint hat, erwarteten.4 Auch Paulus benutzte diese informelle „Post“, und manchmal erwähnte er den Briefboten oder (in einem Fall) die Briefbotin (vgl. Röm 16,10; 1Kor 16,10). Diese Rolle übernahm im Falle des Kol und des Eph, der vermutlich gleichzeitig geschickt wurde, Tychikus.5 Die nahezu identischen Empfehlungen des Tychikus im Kol und Eph bestätigen neben beträchtlicher inhaltlicher Überstimmung der beiden Briefe diese Annahme (vgl. S. 53-54). Mit Tychikus reiste auch Onesimus. Paulus vertraut den beiden Mitarbeitern nicht nur den Kol an, sondern auch die Verantwortung, Nachrichten über seine Person mitzuteilen. Die Sprache in diesem Abschnitt ist stereotyp und somit unauffällig.
1 Vgl. Head, Reconsideration, 303-304. 2 Vgl. v.a. Lightfoot 235; Metzger, Commentary, 626. Kontra Head, Reconsideration, 309315. 3 Vgl. Richards, Paul, 178-180. 4 Vgl. Richards, Paul, 201-204; Head, Letters, 239-243. 5 Vgl. Pokorný 161.
3. Briefschluss (4,7-18)
363
III Einzelexegese 7 Den Kolossern überbringt Tychikus (Τύχικος) den Kol. Er wird neben unserem Text und der Parallelstelle 6,21 drei weitere Male im NT erwähnt (vgl. Apg 20,4; 2Tim 4,12; Tit 3,12) und gehörte offensichtlich zu den vertrauten Mitarbeitern des Paulus. Nur in Apg 20,4 erfahren wir Näheres über ihn; er stammte nach den Angaben des Lukas aus Asien und begleitete den Apostel zusammen mit anderen Vertretern der paulinischen Gemeinden auf seiner Reise nach Jerusalem. Wahrscheinlich kam Tychikus in Ephesus durch den Einfluss des Paulus zum Glauben und wurde dort von Paulus zum Mitarbeiter ausgebildet.6 Dafür spricht, dass er mit typischen Bezeichnungen für die Mitarbeiter des Apostels beschrieben wird: Er ist der geliebte Bruder, treuer Diener und Mitstreiter im Herrn (ὁ ἀγαπητὸς ἀδελφὸς καὶ πιστὸς διάκονος καὶ σύνδουλος ἐν κυρίῳ; zur Bedeutung dieser Termini vgl. zu 1,2.7).7 Die Anhäufung solcher Ausdrücke impliziert nicht notwendigerweise, dass Paulus um den ehrenvollen Empfang seines Mitarbeiters besorgt war.8 Vielmehr spricht es dafür, dass Tychikus von Paulus besonders geschätzt wurde. Auf ihn meinte Paulus offensichtlich zählen zu können. Tychikus wird euch alles, was mich angeht, mitteilen (τὰ κατ’ ἐμὲ πάντα γνωρίσει ὑμῖν). Die Wendung τὰ κατὰ + Pron., Personennamen usw. war im hellenistischen Zeitalter als Mitteilungsformel gebräuchlich.9 Das Verb, das wir mit „mitteilen“ übersetzen (γνωρίζω), kann im Offenbarungszusammenhang verwendet werden, um die Bekanntmachung von Grundlegendem über Gott und seine Pläne zu bezeichnen (vgl. Kol 1,27), aber auch, wenn es sich, wie an dieser Stelle, bloß um die Weitergabe persönlicher Informationen handelt.10 Die Vermutung, dass damit dem Ergehen des Paulus wegen seines heilsgeschichtlichen Auftrags besondere Bedeutung beigemessen wird,11 liest zu viel in die Wahl des Verbs hinein bzw. setzt den pseudepigraphischen Ursprung des Kol voraus. Es gehörte zu den informellen Aufgaben eines Briefüberbringers dazu, Neuigkeiten über den Verfasser zu erzählen (vgl. S. 362), aber in der schwierigen Lage, in der sich Paulus befindet, liegt ihm besonders viel daran, dass die Kolosser erfahren, wie es ihm wirklich geht. 8 Tychikus konnte Paulus mit der vielfältigen Aufgabe eines Briefboten vertrauen: Ich habe ihn aus diesem Grund zu euch geschickt (ὃν ἔπεμψα 6 7 8 9 10 11
Ähnlich Moo 334. Vgl. auch Ladd, Friends, 507-508. Kontra Moo 335. Vgl. Lohse 240, Anm. 2. Vgl. O’Brien 246. Vgl. Barth/Blanke 476.
364
II. Auslegung
πρὸς ὑμᾶς εἰς αὐτὸ τοῦτο). Die Form des Verbs (Aor. von πέμπω = „schicken“, „senden“) ist zunächst erklärungsbedürftig. Paulus hat Tychikus beim Schreiben noch nicht losgeschickt, aber er gebraucht dem brieflichen Kontext des Kol entsprechend den epistolarischen Aor., der die Handlung aus der Sicht des Empfängers – d.h. als bereits durchgeführt – darstellt (vgl. Phlm 12).12 Das Präpositionalgefüge „aus diesem Grund“ (εἰς αὐτὸ τοῦτο) verweist kataphorisch auf den folgenden Nebensatz, greift aber auch den Gedanken von 4,7 wieder auf. Paulus betont, dass Tychikus von ihm beauftragt wurde, die Gemeinde in Kolossä zu besuchen, damit ihr erfahrt, wie es uns geht (ἵνα γνῶτε τὰ περὶ ἡμῶν). Die Wendung „die uns betreffenden Dinge“ (so wörtl. τὰ περὶ ἡμῶν) unterscheidet sich in semantischer Hinsicht von der entsprechenden Wendung in 4,7, bis auf die Änderung von der 1. Pers. Plur. zur 2. Pers. Plur., in keiner Weise. Vielleicht wechselt Paulus unbewusst zum schriftstellerischen Plur., aber seine Praxis lässt genauso möglich erscheinen, dass er mit dem Wechsel diejenigen, die gerade bei ihm in Ephesus sind, bewusst einschließen möchte (vgl. S. 70, Anm. 38).13 Tychikus soll also den Kolossern alle Neuigkeiten über ihn und seine Gefährten erzählen. Paulus beabsichtigt damit, dass er eure Herzen ermutigt (καὶ παρακαλέσῃ τὰς καρδίας ὑμῶν). Dieselbe Wendung gebrauchte er bereits in 2,2 (vgl. die Analyse a.a.O.). Sowohl um das Wohlergehen seiner Mitarbeiter als auch der Gläubigen in Kolossä war der Apostel offensichtlich stets bemüht. 9 Tychikus reiste nach Kolossä aber nicht allein. Paulus schickte ihn zusammen mit Onesimus, (σὺν̓ Ονησίμῳ), dem Haussklaven des Philemon, um den es im kürzesten uns erhaltenen paulinischen Brief geht (vgl. Phlm 10). Mehr über ihn erfahren wir hier nicht, außer, dass er einer von euch ist (ὅς ἐστιν ἐξ ὑμῶν). Das könnte entweder heißen, dass er aus Kolossä stammt14 oder – etwas wahrscheinlicher – dass er der Gemeinde dort angehört.15 Letzteres wissen wir jedenfalls auch aus dem Phlm, der manches über die Umstände (wenn auch nicht genug, um sich ein ganz klares Bild von der Lage zu machen), die zur Anwesenheit des Onesimus bei Paulus am Abfassungsort des Phlm führten, nebenbei erwähnt. Wahrscheinlich hat Onesimus Paulus bewusst in Ephesus aufgesucht (vgl. die Diskussion zum Abfassungsort des Kol auf S. 28-34), damit sich der Apostel in der Rolle des amicus domini für ihn einsetze.16 Warum Onesimus aus dem Haus seines Herrn geflohen ist, 12 13 14 15 16
Vgl. HvS §199j sowie Harris 201. So auch Foster 415. Vgl. Lindemann 72; Lohse 241; Pao 311-312. Vgl. Gnilka 235. Vgl. Wolter 227-230.
3. Briefschluss (4,7-18)
365
wissen wir nicht, aber es ist klar, dass der reumütige Sklave während seines Aufenthalts bei Paulus zum Glauben gekommen ist (vgl. Phlm 10). Paulus schickte ihn nach Kolossä zurück mit der Bitte an seinen Herrn, Philemon möge ihn wie einen Bruder empfangen, ihn befreien und wieder nach Ephesus kommen lassen, damit Paulus ihn in seinen Dienst als Mitarbeiter aufnehmen könne (vgl. Phlm 15-16).17 Offensichtlich sah Paulus in diesem Jungbekehrten einiges an Potenzial (vgl. Phlm 11). Onesimus ist für Paulus der treue und geliebte Bruder (τῷ πιστῷ καὶ ἀγαπητῷ ἀδελφῷ) geworden. Wie wir oben gesehen haben, entspricht diese Bezeichnung der für Paulus typischen Art und Weise, seine Mitarbeiter zu beschreiben.18 Solche Termini fehlen im Phlm, wo statt dessen Bekehrungsmetaphorik vorherrscht (vgl. Phlm 10). Diesem Unterschied in der jeweiligen Beschreibung des Onesimus im Phlm und im Kol wird von denen, die meinen, der Kol sei zusammen mit dem Phlm geschickt worden, zu wenig Bedeutung beigemessen.19 Während es auf der Hand liegt, dass der Kol mit dem Eph gleichzeitig überbracht wurde (vgl. S. 362), führt der auffällige Wechsel in den Termini zum Schluss, dass zwischen der Abfassung des Phlm und des Kol etwas Zeit vergangen ist, in der Onesimus vom Neuling im Glauben zum geschätzten Mitarbeiter avanciert ist. Diese Tatsache erschwert im Übrigen die These einer Abfassung der beiden Briefe in Rom (vgl. S. 33). Zusammen mit Tychikus erfüllt auch Onesimus eine der informellen Funktionen eines Briefträgers: Alles, was sich hier ereignet, werden sie euch berichten (πάντα ὑμῖν γνωρίσουσιν τὰ ὧδε). Die Wendung „das sich hier Ereignende“ (so wörtl. τὰ ὧδε) bedeutet im Wesentlichen das Gleiche wie die verwandten Ausdrücke in 4,7-8. Zum dritten Mal betont Paulus somit, wie sehr er möchte, dass die Kolosser erfahren, wie es ihm und seinem Team an Mitarbeitern geht.
IV Zusammenfassung Der Abschnitt 4,7-9 dient formal der Vorstellung und Empfehlung der Überbringer des Kol, aber durch ihn bekommen wir, neben jenem in der Einleitung, einen weiteren Eindruck von der hohen Achtung, die Paulus vor seinen Mitarbeitern hatte. Die Ausdrücke, die der Apostel gebraucht, um sie zu beschreiben, bezeugen seine Wertschätzung für sie und sind von echter Zuneigung und sogar von einem gewissen Stolz gekennzeichnet. Auch wenn uns ihre Rolle 17 Vgl. White, Philemon, bes. 33. 18 Vgl. Pokorn 161. Kontra Dunn 273; Wolter 215. Paulus vermeidet die Bezeichnungen „Sklave“ und „Diener“, welche er aber nicht scheut, Tychikus zu verleihen, wohl aus dem Grund, dass Onesimus ein ehemaliger Sklave war. Vgl. Moo 336. 19 Vgl. Moo 334.
366
II. Auslegung
im Großen und Ganzen verborgen bleibt, bezeugen solche Einblicke, dass diese nicht unwesentlich war. Ohne seine Mitarbeiter hätte Paulus bei Weitem nicht so viel erreicht. Ein Aspekt ihrer Aufgabe wird an dieser Stelle besonders hervorgehoben. Es wird nämlich dreimal in diesem kurzen Abschnitt betont, dass die Briefboten die Empfänger über Paulus genauer informieren werden. Paulus geht offensichtlich noch zum Zeitpunkt der Abfassung des Kol davon aus, dass die Kolosser bereits von seiner Verhaftung erfahren haben (was übrigens eher für einen Gefängnisaufenthalt in Ephesus spricht; vgl. S. 29-30). Er will nicht, dass sie sich seinetwegen Sorgen machen, und Tychikus und Onesimus sollten ihnen mitteilen, wie es ihm wirklich geht. Die mehrfache Betonung, dass sie dies tun werden, begründet die Annahme, dass sie eher Negatives zu berichten hatten. Das würde im Einklang mit 2Kor 2,8-9 stehen, wo Paulus beteuert, dass die letzte Phase seines Aufenthaltes in Ephesus zu den schwierigsten und bedrückendsten in seinem Dienst gehörte. Darüber will er im Kol nicht reden, aber die Briefträger werden die Gemeinde davon in Kenntnis setzen. Dabei scheint seine größte Sorge nicht seine Lage, sondern ihre Reaktion darauf zu sein. Auch hierin zeigt sich die wahre Größe des Apostels.
3.2. Grüße (4,10-14)
I Übersetzung 10 Es grüßt euch Aristarchus, mein Mitgefangener, und Markus, der Cousin des Barnabas. Über ihn habt ihr schon Anweisungen erhalten; wenn er zu euch kommt, nehmt ihn herzlich auf. 11 Auch Jesus, der auch Justus genannt wird, lässt euch grüßen. Das sind die einzigen Juden unter meinen Mitarbeitern für das Reich Gottes. Sie ermutigen mich sehr. 12 Epaphras, einer von euch und ein Sklave des Messias, lässt euch grüßen. Er ringt stets um euch in seinen Gebeten, dass ihr vollkommen und völlig überzeugt werdet vom ganzen Willen Gottes. 13 Denn ich bescheinige ihm, dass er sehr um euch und die Gläubigen in Laodizäa und Hieropolis bemüht ist. 14 Lukas, der geliebte Arzt, grüßt euch, und Demas auch.
II Struktur
Textkritische Anmerkungen. 4,12: 1) אA B C I L 0278 33 81 104 365 1175 2464 lat fügen Ἰησοῦ nach Χριστοῦ ein, aber der Name fehlt bei 46 D F G K Ψ 075 630 1505 1739 1881 it vgmss sy, gefolgt von Ambst und Hier. Nach dem Prinzip lectio brevior ist die kürzere LA vorzuziehen, da eine spätere Einfügung, etwa in Anlehnung an Röm 1,1, wahrscheinlicher ist als die Aus-
3. Briefschluss (4,7-18)
367
lassung.20 2) 46 D1 K L P Ψ 075 0278 630 1175 1505 sy haben πεπληρωμένοι statt πεπληροφορημένοι, aber Letzteres ist wesentlich besser bezeugt. 4,13: Der ungewöhnliche Ausdruck πολὺν πόνον verursachte eine Reihe von Varianten: πολὺν κόπον (D* F G 629); πολὺν πόθον (104); πολὺν ἀγῶνα (6 1739 1881); ζῆλον πολὺν (K L Ψ 630 1505 sy); ζῆλον (D1 075 33); πόνον πολὺν (365 2646). Die LA von NA28 ist aufgrund der besseren Bezeugung vorzuziehen. Form. Dem hellenistischen Brauch und seiner eigenen Gewohnheit entsprechend (vgl. Röm 16,21-23; 1Kor 16,19-20; Phil 4,21-22; Phlm 23-24, mit der diese Liste der Grüße ausrichtenden Personen bis auf einen Namen übereinstimmt; 2Tim 4,19-21; Tit 3,15) lässt Paulus gegen Ende des Kol Grüße von sich und anderen ausrichten. Diese erfolgen in der ersten (4,18), der zweiten (4,15) und der dritten Person (4,10.12.14). Alle drei Formen beinhalten folgende Elemente: 1. das Verb ἀσπάζομαι (= „grüßen“); 2. der Name der Grüße ausrichtenden Person oder Personen; 3. die Grußempfänger, entweder die Gemeinde in Kolossä (durch das Pron. ὑμᾶς bezeichnet) oder namentlich erwähnte Personen oder Gruppen (vgl. 4,15).21 Manche der Namen in den Grußlisten sind uns vertraut, andere begegnen uns kein weiteres Mal. In manchen Fällen wird die Person, die Grüße ausrichten lässt, knapp (manchmal nur mit Namen) identifiziert (vgl. Markus in 4,10, Justus in 4,11 sowie Lukas und Demas in 4,14), aber in anderen Fällen dienen die Grüße auch der Empfehlung bzw. Auszeichnung der die Grüße ausrichtenden Person (vgl. Aristarchus und Markus in 4,10 sowie Epaphras in 4,12-13) mit dem offensichtlichen Ziel, ihr Ansehen in der kolossischen Gemeinde zu stärken bzw. ihren herzlichen Empfang in Kolossä implizit oder explizit zu fördern. Die Meinungen der Kommentatoren bzgl. der korrekten Aufteilung des Textes in Grüße und Anweisungen sind geteilt. Auch wenn manche 4,15 verständlicherweise zur Grußliste von 4,10-14 hinzunehmen möchten,22 scheint es angebrachter, der nach den Verbformen erschlossenen Aufteilung von NA28 zu folgen. Demnach bilden die in der 3. Pers. Sing. ausgerichteten Grüße anderer Personen (vgl. ἀσπάζεται in 4,10.12.14) eine Einheit, und die Bitte des Paulus an die Gemeinde in Kolossä in der 2. Pers. Plur., sie mögen Grüße von ihm an andere ausrichten (vgl. ἀσπάσεσθε in 4,15), werden zu den letzten Anweisungen des Apostels (4,15-17) zugeordnet.23
20 21 22 23
Vgl. Comfort 637; Foster 429. Kontra Metzger 559. Vgl. Weima, Paul, 325-330. Vgl. Wolter 219; Moo 332. Vgl. Dunn 274; Sumney 265; Foster 435.
368
II. Auslegung
III Einzelexegese 10 Mit den Grüßen anderer Personen fängt Paulus an: Es grüßt euch Aristarchus (ἀσπάσεται ὑμᾶς̓ Αρίσταρχυς). Über Aristarchus lernen wir einiges in der Apg (vgl. Apg 19,29; 20,4; 27,2). Er stammte aus Thessaloniki und begleitete Paulus öfter auf seinen Reisen. Zusammen mit Tychikus gehörte er zu der Gruppe, die mit Paulus nach Jerusalem reiste und war noch mit ihm in Cäsarea. Ob seine Bezeichnung als mein Mitgefangener (ὁ συναιχμάλωτος μου) wörtlich oder im übertragenen Sinne (= „Gefangener Christi“)24 zu verstehen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Auch Markus, der Cousin des Barnabas (Μᾶρκος ὁ ἀνεψιὸς Βαρναβᾶ) lässt die Gemeinde grüßen. Die verwandtschaftliche Beziehung dieses Markus mit Barnabas (ἀνεψιός bezeichnet einen Cousin, nicht einen Neffen)25 erlaubt die sichere Identifizierung mit Johannes Markus,26 einer im Urchristentum bekannten Gestalt aus der Jerusalemer Gemeinde (Apg 12,12). Dieser reiste mit Paulus und Barnabas nach ihrem sogenannten „Hungersnotbesuch“ in Jerusalem (Apg 11,2730) nach Antiochien (Apg 12,25) und begleitete sie auf der ersten Missionsreise, wobei er dieses Unterfangen vorzeitig abbrach (Apg 15,37) – sehr zum Missfallen des Paulus – und danach nur mit Barnabas unterwegs war (Apg 15,39). Markus wird neben unserer Stelle und in der Apg auch in 2Tim 4,11, Phlm 24 und 1Petr 5,13 erwähnt. Paulus bemerkt parenthetisch: Über ihn habt ihr schon Anweisungen erhalten (περὶ οὗ ἐλάβετε ἐντολὰς). Obwohl sich dieser Relativsatz rein grammatisch auf Barnabas beziehen könnte, ist ein Bezug zu Markus naheliegend,27 zumal Barnabas zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit Paulus zusammenarbeitete. Paulus weist darauf hin, dass die Kolosser die Markus betreffenden „Anweisungen“ (wörtl. ἐντολαί: „Gebote“) bereits bekommen haben. Das ist eine starke Ausdrucksweise, denn nur bei einigen wenigen von den vielen Vorkommen des Begriffs im NT handelt es sich um menschliche Befehle; meistens werden damit Gottes Gebote oder Aussagen der Schrift bezeichnet.28 Offensichtlich handelt es sich um die Aufforderung eines in der Gemeinde angesehenen Menschen, vielleicht von einem Apostel, aber Spekulation über seine Identität kann das Rätsel nicht auflösen.29 Es könnte 24 25 26 27
So Ladd, Friends, 508-509; O’Brien 250. Vgl. Lightfoot 236-237; O’Brien 250. Kontra Gnilka 238; Baumert/Seewann 167. So auch Barth/Blanke 479. So auch die Forschungsmehrheit (vgl, z.B. Pao 313; Sumney 271). Kontra Baumert/Seewann 167. 28 Vgl. Foster 422-423. 29 Manche Forscher denken an Petrus oder Barnabas; vgl. O’Brien 251.
3. Briefschluss (4,7-18)
369
sich auf eine frühere Anweisung von Paulus selbst beziehen,30 auch wenn zugegebenermaßen die passive Formulierung in diesem Fall dafür etwas ungewöhnlich wäre.31 Die unmissverständliche Aufforderung der Markus betreffenden Anweisungen lautet: Wenn er zu euch kommt, nehmt ihn herzlich auf (ἐὰν ἔλθῃ πρὸς ὑμᾶς δέξασθε ἀυτόν). Der Konditionalsatz ist prospektiv; die Protasis bezeichnet eine Handlung, womit man rechnen konnte.32 Paulus will, dass die Kolosser Markus „herzlich aufnehmen“ (δέχομαι = „empfangen“). Im Kontext wird damit konnotiert, dass sie ihn nicht widerwillig, sondern bereitwillig und ohne Zögern empfangen. Der Satz ist als Wiederholung einer vormals erteilten Aufforderung an die Kolosser aufzufassen.33 Über den Grund, warum sich Paulus genötigt fühlt, diese noch einmal ausdrücklich zu erwähnen, schweigt er. Vielleicht wusste die Gemeinde, dass es zwischen Paulus und Markus einen Bruch gegeben hatte, und betrachtete den inzwischen scheinbar wieder von Paulus angenommenen Mitarbeiter (vgl. Phlm 24; 2Tim 4,11) weiterhin mit Skepsis. Paulus selbst stellt sich aber jetzt voll und ganz hinter seinen Mitarbeiter. 11 Paulus fügt den beiden Namen in 4,10 einen dritten hinzu: Auch Jesus, der auch Justus genannt wird, lässt euch grüßen (καὶ Ἰησοῦς ὁ λεγόμενος Ἰοῦστος). Dieser Jesus wird kein zweites Mal im NT erwähnt,34 und auch hier erfährt man nichts über ihn, außer dass er und die anderen beiden die einzigen Juden unter meinen Mitarbeitern für das Reich Gottes sind (οἱ ὄντες ἐκ περιτομῆς οὗτοι μόνοι συνεργοὶ εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ). Syntaktisch handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Relativsätze, die zwei verschiedene Aussagen über diese Männer machen: dass sie einerseits jüdischer Herkunft sind (die Wendung οἱ ἐκ περιτομῆς bezeichnet solche, die zum jüdischen Volk zählen; vgl. Apg 10,45; 11,12; Gal 2,12) und andererseits die einzigen anwesenden Mitarbeiter (συνεργοί; der Begriff kommt weitere 12-mal im NT vor, 11-mal in den paulinischen Briefen) des Paulus sind.35 Weil aber der Apostel im Folgenden Grüße von drei weiteren Mitarbeitern ausrichtet, ist es klar, dass die Relativsätze einander im Sinne der angebotenen Übersetzung 30 31 32 33 34
Vgl. Foster 423. Vgl. Moo 339. Vgl. HvS §280c. Vgl. Lightfoot 236; Harris 206. Seit Theodor Zahn wird jedoch immer wieder in Erwägung gezogen, dass dem Gen. Ἰησοῦ in Phlm 23 im Laufe der Überlieferungsgeschichte des Textes ein Schlusssigma abhandengekommen ist. Das hieße, dass der Name ursprünglich ein Nom. war, und somit, dass Jesus Justus auch dort in der Grußliste erscheint. Vgl. dazu Bormann 194. 35 Vgl. Barth/Blanke 480-481; Dunn 274; Wilson 295.
370
II. Auslegung
bedingen: Die drei in 4,10-11 erwähnten Personen sind die einzigen Mitarbeiter des Apostels jüdischer Herkunft, die bei der Abfassung des Briefes anwesend sind.36 Genau genommen stimmt diese Angabe nicht; Timotheus ist auch bei Paulus während dieser Phase bzw. wird er als Mitschreiber des Briefes identifiziert (vgl. 1,1). Vielleicht wurde er gerade aus diesem Grund ausgelassen; Timotheus hat den Kol wahrscheinlich selbst – wenn auch unter der Leitung des Paulus – verfasst (vgl. S. 27-28), und identifiziert sich mit dem Autor an dieser Stelle. Die Wendung „Mitarbeiter für das Reich Gottes“ (συνεργοὶ εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ) greift die Jesustradition auf (vgl. die Analyse des Begriffs βασιλεία zu 1,13). Es ist zu einer Binsenwahrheit geworden, dass die Rede vom Reich Gottes ein Proprium der Jesusverkündigung ist, das aber kaum von der nachösterlichen Gemeinde rezipiert wurde. In Wirklichkeit aber spricht Paulus nicht selten vom Reich Gottes (neben dieser Stelle weitere 11-mal: Röm 14,17; 1Kor 4,20; 6,9-10; 15,24.50; Gal 5,21; 1Thess 2,12; 2Thess 1,5; 2Tim 4,1.18), manchmal in bewusster Anlehnung an Jesustradition (vgl. 1Kor 6,9-10; 15,50; Gal 5,21), manchmal aber, wie hier, um sein Evangelium zu beschreiben bzw. zusammenzufassen (vgl. Röm 14,17; 1Kor 4,20).37 Für Paulus ist es von besonderer Bedeutung, dass das Reich Gottes nun der „Herrschaftsbereich seines geliebten Sohnes“ geworden ist (vgl. 1,13). Die Formulierung zeigt einerseits, für wie wichtig Paulus seinen eigenen Dienst hielt – es geht um nichts Geringeres als die Verkündigung des Reiches, dass Jesus seinerseits proklamierte –, und andererseits seine hohe Achtung für seine Mitarbeiter. Paulus fügte der ehrenvollen Beschreibung seiner jüdischen Mitarbeiter eine persönliche Note hinzu: Sie ermutigen mich sehr (οἵτινες ἐγενήθήσάν μοι παρηγορία; wörtl. heißt es: „diese sind mir ein Trost geworden“). Das Wort παρηγορία ist ein ntl. Hapaxlegomenon (vgl. aber 4Makk 5,12; 6,1), das aber häufig auf Grabinschriften vorkommt (vgl. z.B. IG VII,2544; IK Knidos I,303; SEG 57,1586), um den Hinterbliebenen Trost zuzusprechen.38 12 Auch Epaphras, einer von euch und ein Sklave des Messias, lässt euch grüßen (ἀσπάζεται ὑμᾶς Ἐπαφρᾶς ὁ ἐξ ὑμῶν δοῦλος Χριστοῦ). Epaphras ist bereits am Anfang des Kol als ein geschätzter Mitarbeiter des Apostels erwähnt worden (vgl. 1,7). Nun wird er als „einer von euch“ (ὁ ἐξ ὑμῶν) beschrieben. Hat diese Wendung in Bezug auf Onesimus vermittelt, dass dieser 36 Vgl. Harris 208; Foster 424-426. 37 Vgl. Wenham, Paul, 71-78. 38 Vgl. O’Brien 482.
3. Briefschluss (4,7-18)
371
ehemalige Sklave nun der Gemeinde in Kolossä angehört, so bedeutet es hier eher, dass Epaphras aus Kolossä stammt (vgl. zu 4,10). Paulus nennt Epaphras in 1,7 seinen „geliebten Mitsklaven“. Darauf verweist die ähnliche Bezeichnung – „Sklave des Messias“ – an dieser Stelle. Darin ähnelt Epaphras Paulus, der sich in erster Linie als „Sklave des Messias Jesus“ versteht (vgl. Röm 1,1). Der Titel zeigt, in welcher Ehre Paulus seinen Mitarbeiter hielt.39 Auch Epaphras ringt stets um euch in seinen Gebeten (πάντοντε ἀγωνιζόμενος ὑπὲρ ὑμῶν ἐν ταῖς προσευχαῖς). Zum Verb ἀγωνίζομαι, das wir mit „Ringen“ übersetzen vgl. zu 1,29. Die Formulierung erinnert an die Beteuerung des Paulus, dass er nicht aufhört, für die Kolosser zu beten (vgl. 1,9) und dass er sehr um sie im Gebet bemüht war (vgl. 2,1). Offensichtlich gehörte für den Apostel das Gebet für seine Gemeinde zu den wichtigen Aspekten seines Dienstes, und diese Haltung legte er auch seinen Schülern nahe. Paulus fasst den Inhalt des Gebetes des Epaphras (für diese Sinnrichtung der Partikel ἵνα vgl. zu 4,3) wie folgt zusammen: dass ihr vollkommen und völlig überzeugt werdet vom ganzen Willen Gottes (ἵνα σταθῆτε τέλειοι καὶ πληροφορημένοι ἐν παντὶ θελήματι τοῦ θεοῦ). Wörtl. heißt es, dass die Jesusnachfolger in Kolossä „vollkommen dastehen“ sollen (ἵνα σταθῆτε τέλειοι; vgl. zur ähnlichen Wendung ἵνα παραστήσωμεν τέλειον in 1,28). Der Begriff πληροφορημένοι kann entweder „voll werden“40 bedeuten, oder – wie wir meinen, zumal es im Zusammenhang mit dem Topos des „Willens Gottes“ passt – „völlig überzeugt sein“.41 Paulus hat schon in seinem Gebetsbericht gleich am Anfang des Kol beteuert, wie wichtig es ihm ist, dass die Christen mit der Erkenntnis des Willens Gottes erfüllt werden (vgl. zu 1,9). Zum Schluss des Kol betont er dies noch einmal kräftig: die Kolosser sollen von „jedem Aspekt“ (zur Bedeutung des artikelosen πᾶς vgl. zu 1,9) des Willens Gottes überzeugt werden. 13 Der von Epaphras ausgerichtete Gruß dient dem Apostel als Anlass, seinen Mitarbeiter ausdrücklich zu empfehlen: Denn ich bescheinige ihm, dass er sehr um euch und die Gläubigen in Laodizäa und Hieropolis bemüht ist (μαρτυρῶ γὰρ αὐτῷ ὅτι ἔχει πολὺν πόνον ὑπὲρ ὑμῶν καὶ τῶν ἐν Λαοδικείᾳ καὶ τῶν ἐν Ἱεραπόλει). Das Wort, das wir mit „bescheinigen“ übersetzen (μαρτυρέω), ist der Gerichtsprache entnommen: Paulus lässt förmlich eine „rechtsverbindliche Beurkundung“ ausstellen,42 dass Epaphras „viel Mühe hat“ (so wörtl.; das Wort πόνος kommt in der LXX häufig vor, aber im NT nur hier sowie 3-mal in der Johannesapokalypse; vgl. Offb 16,10.11; 21,4). 39 40 41 42
Vgl. Ollrog, Paulus, 75-76. Vgl. Lohse 243-244; O’Brien 254. Vgl. Lightfoot 240; Moule 138. Wolter 219.
372
II. Auslegung
Damit legitimiert der Apostel Epaphras als seinen autorisierten Lehrbeauftragten,43 nicht nur in Kolossä, sondern auch in Laodizäa (vgl. zu 2,1) und in Hieropolis. Letztere Stadt, die 24 km nordwestlich von Kolossä und um Einiges näher an Laodizäa lag, wird nur hier im NT erwähnt. Wie Laodizäa war Hieropolis größer und bedeutsamer als Kolossä. Offensichtlich gab es dort auch eine Gruppe von Jesusnachfolgern, und die Gemeinden der drei Städte scheinen ein kleines Netzwerk gebildet zu haben, das Paulus als lockeren Gemeinschaftsverband betrachtete, der seinem Einflussbereich unterstellt war. 14 Zwei weitere Personen lassen Grüße ausrichten: Lukas, der geliebte Arzt, grüßt euch, und Demas auch (ἀσπάζεται ὑμᾶς Λουκᾶς ὁ ἰατρὸς ὁ ἀγαπητὸς καὶ Δημᾶς). Lukas, der nach sehr früher Tradition, die zu bezweifeln es keinen Anlass gibt,44 eines der vier Evangelien und die Apg schrieb, wird im NT außer hier weitere 2-mal erwähnt: In Phlm 24 wird er zusammen mit Aristarchus (vgl. 4,10) und Demas als Mitarbeiter des Apostels (οἱ συνεργοὶ μου) bezeichnet, und in Tim 4,11 lernen wir, dass er bei Paulus während seiner Gefangenschaft war. Er war offenbar kein Jude (vgl. 4,11). Dass er Arzt (ἰατρός) war, lernen wir nur an dieser Stelle. Dass er Paulus und seinem Team als Arzt diente, kann man jedoch dieser kurzen Notiz nicht entnehmen, auch wenn die Vorstellung nicht abwegig ist, dass er seine Heilkünste nach Bedarf zum Wohl der Mannschaft einsetzte. Jedenfalls muss er eine höhere Bildung genossen haben, wovon das lukanische Doppelwerk zeugt. Paulus schätzte ihn offenbar sehr; vgl. die Bezeichnung „geliebt“ (ἀγαπητός). Über Demas, der auch in Phlm 24 erwähnt wird, erfahren wir nichts an dieser Stelle. Auch er war Nichtjude und gehörte zum Mitarbeiterkreis des Apostels. In 2Tim 4,10 wird er ein weiteres Mal im negativen Zusammenhang erwähnt: Er verließ Paulus während seiner Gefangenschaft „aus Liebe zur Welt“ (ἀγαπήσας τὸν νῦν αἰῶνα) und ging nach Thessalonich, eventuell seiner Heimat. Diese Information aus einer späteren Zeit darf jedoch das neutrale Bild von Demas, das uns an dieser Stelle begegnet, nicht trüben.
IV Zusammenfassung Die Tendenz, die Grußlisten in den paulinischen Briefen zu überfliegen, ist verständlich. Auch wenn manche von ihnen Exkurse beinhalten, die theologisch gewichtig sind (vgl. Röm 16,17-20), sind die Listen voll von Namen, die uns wenig sagen. Außer Stoff für Spekulationen über mögliche Verbindungen zu frühchristlichen Traditionsträgern oder für Erzählfiguren in christlichen 43 Vgl. Trainor, Epaphras, 84. 44 Hengel, Evangelien, 64-71.
3. Briefschluss (4,7-18)
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Romanen scheinen sie nicht viel zu bieten. Der Kol ist diesbezüglich keine Ausnahme. Dennoch sollte man es aus zwei Gründen nicht versäumen, auch diesen Text etwas genauer zu lesen. Erstens gibt er uns einen Einblick in die Missionsarbeit des Paulus. Hier haben wir Information aus erster Hand, die uns ermöglicht, uns zwar kein eingehendes, aber ein durchaus wichtiges Bild von seinem Vorgehen bei der Gründung von Gemeinden zu machen. Heute würde man sagen, dass Paulus gut „vernetzt“ war. Er hielt die Verbindung zu anderen Leitfiguren der Urgemeinde trotz divergierender Arbeitsbereiche und mancher Spannungen aufrecht (vgl. zu Barnabas in 4,10). Darüber hinaus war er bemüht, junge Mitarbeiter auszubilden und einzusetzen.45 In dieser Liste spürt man, wie sehr ihm daran gelegen war, solche Menschen zu fördern und sie in ihren jeweiligen Diensten zu etablieren. Es ist kein Wunder, dass spätere Generationen in seiner Vorgehensweise eine brauchbare kulturübergreifende Missionsstrategie gefunden haben, die sie motivierte, die Ausbildung fähiger Mitarbeiter vor Ort zu betonen.46 Zweitens fällt zwischen den Zeilen auf, wie sehr Paulus seine Mitarbeiter ins Herz schloss. Wir hatten schon früher im Kol Anlass zum Plädoyer, dass das gängige Bild von Paulus als religiösem Fanatiker, dem sein theologisches Programm wichtiger war als die Menschen, dringend revidiert werden müsse. Auch hier merken wir, dass seine Leidenschaft – und leidenschaftlich war er allemal – vor allem den Menschen in seinem Umkreis galt. Es ist rührend zu sehen, wie er ihre Autorität untermauern möchte bzw. wie wichtig es ihm ist, dass sie in den Gemeinden ernst genommen werden – mit einem Wort, wie stolz er auf sie ist. Auch das sollte christlichen Leitern als Vorbild im Umgang mit jungen Menschen in ihrem Umfeld dienen.
3.3. Letzte Anweisungen (4,15-17)
I Übersetzung 15 Grüßt die Geschwister in Laodizäa sowie Nympha und die Gemeinde, die sich bei ihr zu Hause versammelt. 16 Nachdem dieser Brief bei euch vorgelesen worden ist, sorgt dafür, dass er auch in der Gemeinde in Laodizäa vorgelesen wird, wie auch ihr den Brief aus Laodizäa vorlesen solltet. 17 Und sagt Archippus: Führe den Dienst aus, den du im Herrn empfangen hast, damit du ihn erfüllst. 45 Vgl. Ollrog, Paulus, 109-160. 46 Vgl. z.B. Schnabel, Paul, 388-392.
374
II. Auslegung
II Struktur Textkritische Anmerkungen. 4,15: 1) Bzgl. der korrekten Akzentuierung des Namens Nympha bzw. des Geschlechts der sogenannten Person sind die Zeugen, insofern sie überhaupt Akzente setzen, geteilter Meinung. Statt Nύμφαν (Akk. fem.) haben D2 K L 104 326 365 630 1175 1505 1739* 2464 bo Νυμφᾶν (Akk. mask.). Aufgrund der Akzentsetzung allein ist die Frage nicht befriedigend erklärbar. 2) Erst die textkritische Analyse des Pron. vor ἐκκλησίαν gibt den Ausschlag. Die von NA28 bevorzugte LA αὐτῆς ist besser bezeugt als αὐτοῦ (vgl. D F G K L Ψ 365 630 1241s 1505 syp.hmg). Die LA αὐτῶν, obwohl auch gut bezeugt (vgl. אA C P 075 33 81 104 326 1175 2464 bo), ist eindeutig sekundär.47 Nympha ist somit als Frau zu identifizieren. Form. Zum Schluss des Kol gibt Paulus drei Anweisungen: einen Grußauftrag, eine Anordnung bzgl. des Austausches von Briefen mit der Gemeinde in Laodizäa und eine Ermahnung an eine Einzelperson. Der Ton ist sachlich und die Inhalte sind alltäglich. Gerade darin besteht ihr Wert: Sie geben Einblick in Facetten des Gemeindealltags im 1. Jh., die uns sonst verborgen blieben.
III Einzelexegese 15 Nachdem Paulus die Grüße anderer Menschen an die Gemeinde in Kolossä ausgerichtet hat, bittet er sie, Grüße von ihm auszurichten: Grüßt die Geschwister in Laodizäa sowie Nympha und die Gemeinde, die sich bei ihr zu Hause versammelt (ἀσπάσασθε τοὺς ἐν Λαοδικείᾳ καὶ Νύμφαν καὶ τὴν κατ̓ οἶκον αὐτῆς ἐκκλησίαν). Dieser scheinbar einfache Gruß wirft Fragen auf. Haben wir es mit einer einzigen Gemeinde in Laodizäa zu tun, zu der die Hausgemeinde, die sich bei Nympha trifft, auch gehört? Oder treten hier zwei verschiedene Gemeinden in Erscheinung? Wenn Letzteres, ist Nymphas Gemeinde mit der Gemeinde in Hierapolis zu identifizieren, wie manchmal vermutet wird?48 Für diese Vermutung spricht, dass eine Gemeinde in Hierapolis in 4,13 erwähnt wurde, aber der Text selbst legt diese Identifizierung nicht nahe. Wahrscheinlicher ist, dass Nympha zur Gemeinde in Laodizäa gehört und ihr Haus ein Treffpunkt für manche Gemeindeversammlungen dort war.49 Daraus lässt sich schließen, dass Nympha eine wohlhabende Person war, die gewissermaßen als Gönnerin der Gemeinde agierte. Da Nympha und nicht ihr Mann erwähnt wird, vermuten manche, dass sie verwitwet war,50 aber andere Erklärungen sind auch möglich: dass z.B. ihr Mann nicht gläubig war, aber 47 48 49 50
Vgl. Metzger 560. Vgl. Gnilka 243-244; Gielen, Interpretation, 123-124. Vgl. Lindemann 77; Foster 438. Vgl. Moo 349; Sumney 278.
3. Briefschluss (4,7-18)
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nichts dagegen hatte, dass seine Frau die Gemeinde zu sich einlud. Einigermaßen sicher ist nur aufgrund des ausdrücklichen Grußes, dass es zwischen Nympha und Paulus eine persönliche Bindung gab,51 deren genauere Natur uns jedoch unbekannt ist. 16 Paulus gibt nun Anweisungen im Hinblick auf den Kol, den er gleich beenden und abschicken wird: Nachdem dieser Brief bei euch vorgelesen worden ist, sorgt dafür, dass er auch in der Gemeinde in Laodizäa vorgelesen wird (καὶ ὅταν ἀναγνωσθῇ παῤ ὑμῖν ἡ ἐπιστολή ποιήσατε ἵνα καὶ ἐν τῇ Λαοδικέων ἐκκλησίᾳ ἀναγνωσθῇ). Das Verb, dass wir mit „vorlesen“ übersetzen (ἀναγινώσκω), bedeutet „lesen“ oder im Kontext einer Versammlung „vorlesen“. Das Vorlesen von Gemeindebriefen war im 1. Jh. schlicht eine Notwendigkeit, denn nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung konnte lesen.52 Vermutlich übernahm diese Funktion Tychikus, der zusammen mit Onesimus den Kol überbringen sollte (vgl. 4,7-8). Nachdem dies erfolgte bzw. nachdem der Kol kopiert und aufbewahrt worden war, sollte er an die Gemeinde in Laodizäa weitergeleitet und dort vorgelesen werden. Wiederum bezeugt damit der Kol eine enge Beziehung zwischen den Gemeinden in Kolossä und Laodizäa (vgl. 2,1; 4,13). Paulus war offensichtlich der Meinung, dass die Gläubigen in Laodizäa von dem an die Kolosser gerichteten Brief profitieren konnten. Inwiefern die KI dort für Probleme sorgte, entzieht sich unseren Kenntnissen, aber Paulus wollte auch die Gemeinde in Laodizäa vor dieser Gefahr warnen. Des Weiteren ordnet Paulus an, dass auch ihr den Brief aus Laodizäa vorlesen solltet (καὶ τὴν ἐκ Λαοδικαείας ἵνα καὶ ὑμεῖς ἀναγνῶτε). Offenbar hat Paulus einen zusätzlichen Brief an die Laodizäer geschickt, und er wünscht sich, dass die beiden Briefe zwischen den Gemeinden ausgetauscht werden. Nun kennen wir keinen Brief an die Laodizäer, aber es fehlt nicht an Vermutungen, was mit diesem Brief geschehen ist bzw. welcher vorhandene Brief dieser sein könnte. Seit Marcion vermuten viele, dass der Eph, bei dem in wichtigen MSS die Adresse fehlt, ebendieser Brief sei.53 Andere sind der Meinung, mit dem Brief an die Laodizäer sei der Phlm gemeint.54 Manche Vertreter einer pseudepigraphischen Abfassung des Kol sehen Laodizäa als den eigentlichen Adressaten an.55 Leider befriedigt keine dieser Thesen: Eine Identifikation mit einem der Briefe im CP ist unwahrscheinlich – der Eph hat 51 52 53 54 55
Vgl. Wolter 219. Vgl. Richards, Reading, 347-348. Vgl. Lightfoot 244; Dibelius 52.56-57. Vgl. Knox 19; Schweizer 179. Vgl. Lindemann 76; Kiley, Colossians, 133, Anm. 44; Pokorný 17; Lincoln 668.
376
II. Auslegung
den Charakter eines Rundbriefes, und es bedarf einer komplexen Hypothese, um den Phlm in einen Laodizäerbrief zu verwandeln. Auch die Erklärung, dass ein pseudepigraphischer AutKol den wirklichen Adressaten tarnen wollte, wird durch die Aufforderung zu einem Briefaustausch erheblich erschwert.56 Schließlich muss man eingestehen: Aus unerklärlichen Gründen wurde der Brief an die Laodizäer nicht in die Paulusbriefsammlung aufgenommen und geriet in Vergessenheit. Was aus dem Brief geworden ist, wissen wir nicht. 17 Die letzte Anweisung gilt einer Einzelperson in der Gemeinde: Und sagt Archippus: Führe den Dienst aus, den du im Herrn empfangen hast, damit du ihn erfüllst (καὶ εἴπατε Ἀρχιππῳ βλέπε την διακονίαν ἣ παρέλαβες ἐν κυρίῳ ἵνα αὐτὴν πληροῖς). Archippus wird auch in Phlm 2 als zweiter Mitadressat des Phlm genannt. Manche vermuten deshalb eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen Philemon, Apphia und Archippus – i.d.R., dass Letztgenannter der Sohn der ersteren beiden ist. John Knox hat die These aufgestellt, dass Archippus der eigentliche Adressat des Phlm ist und dass Paulus ihn an unserer Stelle ermahnt, den ihm zugewiesenen „Dienst“ – d.h. die Freilassung seines Sklaven Onesimus – unverzüglich auszuführen.57 Diese These ist wegen ihrer vielen unbegründeten Prämissen von der späteren Forschung nicht aufgenommen worden. Mit Sicherheit kann man aufgrund von Phlm 2 nur behaupten, dass Archippus eine führende Rolle in der Gemeinde in Kolossä hatte. Archippus wird aufgefordert, nach seinem Dienst zu „sehen“ (so wörtl.: βλέπω); d.h. er soll ihm seine Aufmerksamkeit schenken. Diese Redewendung begegnet häufig bei Paulus (vgl. 1Kor 1,26; 3,10; 8,9; 10,12; 16,10; Gal 5,15; Eph 5,15; Phil 3,2; Kol 2,8), wobei die Konnotation sowohl negativ im Sinne von „aufpassen vor“ (vgl. zu 2,8), oder wie hier positiv im Sinne von „sich widmen“ sein kann. Der öffentliche Charakter dieser Ermahnung – der Kol sollte in der Gemeinde vorgelesen werden (vgl. 4,16) – bedeutet, dass sie als eine Rüge aufgefasst worden ist,58 und impliziert, dass Archippus im Hinblick auf seinen Dienst nachlässig war. Um welchen Dienst es sich dabei handelt, sagt Paulus nicht, und keine exegetischen Anstrengungen konnten bisher darüber eine befriedigende Auskunft geben. Ob eine Einzelaufgabe oder ein geregelter und regelmäßiger Dienst gemeint ist (διακονία kann beides bezeichnen), können wir auch nicht sagen; die Rede vom „Empfang“ eines 56 Vgl. Wolter 220-221. 57 Vgl. Knox 19. 58 Vgl. Lindemann 77.
3. Briefschluss (4,7-18)
377
Dienstes durch Archippus (ἣ παρέλαβες) spricht eher für ein Amt, das er übernommen hat, aber das Verb „erfüllen“ (πλερόω) passt besser zu einer konkreten Aufgabe, die erfüllt werden soll. Aus der Sicht des Paulus ist jedenfalls klar: Archippus empfing diesen Dienst „im Herrn“ (ἐν κυρίῳ), und er ist deswegen als wichtige Aufgabe zu betrachten. Nach der Sklavenparänese (vgl. 3,22-25) wirkt diese Ermahnung umso eindrücklicher: Archippus darf die ihm vom Herrn zugewiesene Aufgabe auf keinen Fall vernachlässigen, sondern muss sie „mit aufrichtigem Herzen aus Ehrfurcht vor dem Herrn“ (vgl. 4,22) erfüllen.
IV Zusammenfassung Nur in diesem Abschnitt bekommen wir einen Einblick in den Gemeindealltag in Kolossä, und selbst dieser ist frustrierend kurz. Wir merken jedoch die intensive Vernetzung zwischen Paulus und den Gemeinden in Kolossä und Laodizäa sowie auch zwischen den beiden Gemeinden. Paulus richtet über Erstere Grüße an Letztere aus. Er nennt eine Person in der Gemeinde in Laodizäa namentlich; offensichtlich gab es zwischen ihm und Nympha eine persönliche Beziehung. Die Briefe an die beiden Gemeinden sollen untereinander ausgetauscht werden. Das ist an sich keine Information von großer Bedeutung, aber es ist der erste Hinweis auf eine Sammlung der Paulusbriefe59 und stellt somit einen ersten Schritt zur Gestaltung des ntl. Kanons dar. Diese Briefe zusammen mit dem ihm aus persönlichen Gründen überaus wertvollen Phlm hat u.a. Onesimus gelesen, und er war nach einer erwägenswerten These maßgeblich an der Paulusbriefsammlung beteiligt.60 Wie dem auch sei, wir werden durch 4,15-16 in eine Zeit zurückversetzt, in der es das NT nicht gab und Gemeinden auf einzelne apostolische Schreiben, die sie untereinander austauschten, angewiesen waren. Wir werden in diesem Abschnitt auch Zeugen des Ausübens apostolischer Autorität seitens des Paulus. Die öffentliche Ermahnung des Archippus, er möge seinen Dienst nicht vernachlässigen, kommt einer Rüge gleich, und Paulus nimmt in Kauf, dass diese leitende Person in der kolossischen Gemeinde in seiner Ehre gekränkt sein könnte. Im Phlm vermied Paulus die Konfrontation und suchte Konsens durch eine rhetorische Strategie, die Ehrverlust zu vermeiden versuchte.61 Wieso er an dieser Stelle wesentlich weniger darum bemüht ist, wissen wir nicht. Es wäre schön, wenn wir die erforderliche Hin59 Vgl. Bormann 197. 60 Vgl. Trobisch, Entstehung, 133-136. Warum der Brief an die Laodizäer nicht aufgenommen wurde, bleibt bei jeder These zur Entstehung der Paulusbriefsammlung ein Rätsel. 61 Vgl. White, Philemon, 33.
378
II. Auslegung
tergrundinformation hätten, um uns ein klareres Bild von der Lage zu machen, aber das ist uns leider nicht vergönnt. Klar ist jedoch, dass Paulus sich nicht scheut, wenn es ihm notwendig erscheint, seine Autorität als Apostel, der den Dienst des Epaphras im Lykostal legitimiert, zu gebrauchen, um Missstände zu korrigieren.
3.4. Eigenhändiger Gruß und Segen (4,18)
I Übersetzung 18 Dieser Gruß von Paulus entstammt meiner Hand. Gedenkt meiner Fesseln. Die Gnade sei mit euch.
II Struktur
Textkritische Anmerkungen. א2 D K L P Ψ 075 0278 104 365 630 175 1241s 1505 1739c 2464 lat sy bopt fügen ἀμήν nach ὑμῶν ein. Die LA ohne abschließendes Amen, die NA28 vorzieht, ist aber gut bezeugt, und spätere Kopisten tendierten dazu, ein Amen überall am Ende ihrer MSS einzufügen.62 Form. Trotz seiner Kürze besteht der letzte Vers des Kol aus drei Teilen: einer Grußformel, einer parenthetischen Aufforderung, der Lage des Paulus zu gedenken, und einem Segenswunsch.
III Einzelexegese 18 Paulus schließt den Kol – hellenistischen Briefkonventionen folgend – mit einem Gruß, dem er eine Beteuerung vorausschickt: Dieser Gruß von Paulus entstammt meiner Hand (ὁ ἀσπασμὸς τῇ ἐμῇ χειρὶ Παύλου). In der Antike wurden formalere Briefe durch eigens dafür ausgebildete Schreiber verfasst, und in fünf paulinischen Briefen neben dem Kol gibt es wenigstens Hinweise, dass der Apostel ihre Dienste in Anspruch nahm (vgl. Röm 16,22; 1Kor 16,21; Gal 6,11; 2Thess 3,17; Phlm 19). Es war aber üblich, dass der eigentliche Autor den Abschluss eigenhändig schrieb,63 und das tut Paulus an dieser Stelle. Der gleiche Gruß begegnet uns auch in 1Kor 16,21 und 2Thess 3,17 (beim Letzteren mit zusätzlichem Authentizitätsvermerk). Die genaue syntaktische Funktion des Gen. Παύλου ist nicht ganz klar. Am ehesten ist er als Gen. poss. aufzufassen und wie oben zu übersetzen,64 aber er könnte auch
62 Vgl. Foster 449. 63 Vgl. Roller, Formular, 72.500-501. 64 Vgl. Wilson 296.307; Foster 447-448.
3. Briefschluss (4,7-18)
379
Gen. subj.65 oder Gen. epex.66 sein. Es handelt sich jedoch um Bedeutungsnuancen, die den allgemeinen Sinn des Satzes nicht im Wesentlichen verändern. Bevor Paulus den eigentlichen Gruß schreibt, schiebt er eine letzte knappe Bitte an die Kolosser ein: Gedenkt meiner Fesseln (μνημονεύετέ μου τῶν δεσμῶν). Fesseln dienen hier als Metonymie für Gefangenschaft, und die Formulierung muss nicht unbedingt heißen, dass er buchstäblich in Ketten lag. Wie dem im Genaueren auch sei, Paulus lässt ein zweites Mal durchschimmern, dass er sich unter Hausarrest befindet (vgl. 4,3). Das erste Mal wies er auf seine Umstände hin, um nach Gebet zu fragen, während an unserer Stelle damit keine ausdrückliche Bitte um Gebet verknüpft ist.67 Das Verb μνημονεύω trägt jedenfalls diese Konnotation eher selten: Es kommt 7-mal bei Paulus vor (neben unserer Stelle vgl. Gal 2,10; Eph 2,11; 1Thess 1,3; 2,9; 2Thess 2,5.8) und davon nur einmal im Kontext des Betens. Dennoch wird Paulus, der stets im Gebet um andere bemüht war (vgl. 1,9; 2,1) und seinen Schülern diese Beständigkeit auch beibrachte (vgl. 4,12-13), davon ausgegangen sein, dass die Kolosser seine Bitte als Gebetswunsch auffassen. In 4,3 ging es ihm darum, dass ihn seine Gefangenschaft daran hinderte, das Evangelium zu verkündigen. Hier spezifiziert er sein Anliegen nicht. Aber gerade in der Kürze des Auftrags liegt ein Hauch von Pathos, als leide der Apostel seelisch unter seinem Schicksal, wolle die Kolosser aber nicht mit Einzelheiten belasten. Schließlich äußert Paulus seinen Gruß in Form eines Segens: Die Gnade sei mit euch (ἡ χάρις μεθ ̓ ὑμῶν). Die christologische Näherbestimmung dieses typisch paulinischen Segenswunsches als die Gnade Jesu Christi (vgl. Röm 16,20; 1Kor 16,23; 2Kor 13,13; Gal 6,18; Phil 4,23; 1Thess 5,28; 2Thess 3,18) fehlt, wie in 1Tim 6,21 und 2Tim 4,22, kurioserweise auch hier. Es kann kein Zufall sein, dass der Gnadengruß am Anfang des Kol, mit dem dieser Segenswunsch eine Art Briefinclusio bildet, auch der typisch paulinischen christologischen Note entbehrt (vgl. zu 1,2). Der Kontrast zu dem Hauptanliegen des Kol, dessen Fokussierung auf Christus als einzige Quelle göttlichen Segens unter den paulinischen Briefen seinesgleichen sucht, könnte nicht auffallender sein. Was Paulus damit beabsichtigte, bleibt ein Rätsel.
65 Vgl. Harris 215. 66 Vgl. Robertson 513. 67 So Foster 448.
380
II. Auslegung
IV Zusammenfassung Der eigenhändige Gruß steht, wie auch viele Kommentatoren behaupten, die den Kol für pseudepigraphisch halten, „im Dienste der Authentizitätssicherung“.68 Doch die wenigsten von ihnen reflektieren die ethischen Implikationen dieser Einsicht. Ist der Kol tatsächlich ein Pseudepigraph, so ist dem eigentlichen Verfasser eine Täuschungsabsicht nicht abzustreiten, insbes. wenn er sich nicht davor scheut, sogar den Authentizitätsvermerk zu fälschen. Damit eine solche Täuschungsabsicht gelingen könnte, muss er zu unlauteren Mitteln gegriffen haben; er muss z.B. an dieser Stelle seine Schrift künstlich verändert oder einen Freund gebeten haben, das Schlusswort zu schreiben, damit der Gruß ein anderes Schriftbild aufweist als der Rest des Briefes.69 Dass dies den hohen ethischen Maßstäben entspricht, die der Kol den Gläubigen in Kolossä auferlegt (vgl. 3,5-17) bzw. ob es als Dienst aus reinem Herzen in Ehrfurcht vor dem Herrn gelten könnte (vgl. 3,22), erscheint nicht nur modernen Lesern als fragwürdig, sondern wäre auch Menschen in der Antike genauso erschienen.70 Ein pseudepigraphischer Kol dekonstruiert sich selbst, spätestens im letzten Vers. Es gibt aber, wie wir in der Einleitung und an vielen Einzelstellen des Briefes gesehen haben, jeden Grund zur Annahme, dass es sich beim Kol um einen echten Paulusbrief handelt. Er lässt sich reibungslos und auch ohne Rekurs auf komplizierte Entwicklungsthesen in die Theologie des Paulus einreihen und wendet diese geschickt in der Situation, vor die die KI die Gemeinde in Kolossä stellt, an. Mit dem eigenhändigen Segen legitimiert Paulus die Lehre, in der sein Schüler Epaphras die Kolosser unterwies, und somit auch die Gemeinschaft selbst. Der Brief endet mit einer impliziten Erinnerung daran, dass sowohl er als auch sie die Gnade, die der Messias Jesus ihnen in seinem Tod und seiner Auferstehung erwiesen hat, weiterhin brauchen.
68 Wolter 223. Vgl. auch Gnilka 247; Pokorný 165. 69 Vgl. Foster 447. 70 Vgl. Baum, Pseudepigraphie, 38.179-181.
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Aufsätze und Monographien
Autorenverzeichnis
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Verzeichnisse erstellt von Daniel Steigerwald
Autorenverzeichnis A Abbott, T.K. 159, 168, 170, 172, 184, 238, 255, 385 Adams, Sean A. 67, 295, 388-389, 393, 407, 415 Aichele, George 25, 388 Aletti, Jean-Noël 17, 91, 109, 113, 116, 141, 312, 385, 388 Allmen, D. von 109, 388 Allo, E. 246, 387 Anderson, Garwood P. 16, 24, 27, 142, 388 Anwander, Anton 227, 388 Argall, Randall A. 40, 388 Argyle, A.W. 121, 388 Arnold, Clinton E. 29, 42, 44-45, 50, 54, 60, 110, 127, 131, 141, 223, 228, 255-256, 387-389, 416 Arzt, Peter 71, 389 Arzt-Grabner, Peter 71, 389 Attridge, Harold A. 38, 389 Aulén, Gustav 248, 389 B Balch, David L. 330-331, 389 Balchin, John F. 105, 389 Balz, Horst 65, 384 Bammel, Ernst 109, 137, 389 Bandstra, Andrew J. 41, 141, 199, 389 Barclay, John M.G. 17, 36, 333, 335, 344, 349, 385, 389
Barr, James 125, 389 Barth, Markus 14-16, 24, 29, 47, 51, 63, 65, 67, 70, 73-77, 80-81, 9091, 93-97, 99-100, 102, 106, 109, 120-122, 124-126, 133, 138, 140, 142, 159-163, 166, 168-169, 171, 173, 176, 178-184, 186, 194-196, 199, 202, 207-211, 217, 226, 229231, 234-235, 237-238, 242, 253, 255, 257, 266, 269, 285, 287, 294, 310, 312, 321, 335-336, 339-341, 345-346, 352, 358, 363, 368-369, 385, 387 Bauckham, Richard J. 173, 390 Bauer, Walter 74, 96, 101, 124, 158, 169, 207, 219, 290, 310, 315, 383 Baugh, Steven M. 107, 110, 390 Baum, Armin D. 28, 380, 390, 416 Baumert, Norbert 16, 21, 51, 172, 230, 234, 241, 291, 321, 337, 368, 385 Beale, Gregory K. 57, 79, 90, 99, 101-102, 119, 121, 136, 140-141, 174, 178, 196, 279, 294-295, 357, 359, 385, 387, 390 Beard, Mary 242-243, 390 Beasley-Murray, Paul 109, 132, 137, 142, 228, 390 Becker, Eve-Marie 311, 390 Becker, Jürgen 27, 383, 390 Beetham, Christopher 79, 90, 97, 99-101, 113, 135, 140-141, 228-
420
Autorenverzeichnis
230, 235, 251, 253-255, 268, 279, 390 Benoit, Pierre 38, 107, 109, 139, 225, 390 Berger, Klaus 27, 42-43, 105, 116, 157, 166, 178, 206, 256, 329, 382, 385, 391 Best, Ernest 26, 54, 173, 176, 320, 387, 391 Bevere, Allan R. 27, 47, 228, 230, 287, 289, 391 Bird, Michael 16, 29-30, 34, 63, 65, 70, 74, 79, 110, 115, 126, 138, 159, 166, 202, 223, 230, 253, 255, 323, 334, 385 Bjerkelund, Carl J. 194, 391 Blanchette, O.A. 238-239, 391 Blanke, Helmut 14-16, 24, 47, 51, 63, 65, 67, 70, 73-77, 80-81, 9091, 93-97, 99-100, 102, 106, 109, 120-122, 124-126, 133, 138, 140, 142, 159-163, 166, 168-169, 171, 173, 176, 178-184, 194-196, 199, 202, 207-211, 217, 226, 229-231, 234-235, 237-238, 242, 253, 255, 257, 266, 269, 285, 287, 294, 310, 312, 321, 335-336, 339-341, 345346, 352, 358, 363, 368-369, 385, 387 Blinzler, Josef 222-223, 391 Bockmuehl, Markus 355, 391 Boer, Martinus C. de 57, 391 Bormann, Lukas 13-14, 17, 46, 55, 61, 65, 69-71, 73-75, 89-90, 98, 100, 102, 105-108, 113, 160, 163, 166, 170-171, 184, 194, 200, 208, 220, 223, 226, 251, 253, 255, 258, 265, 267, 269, 291, 301, 315, 329,
332, 344, 353, 369, 377, 385, 389, 391 Bornkamm, Günther 17, 41, 72-73, 76, 139, 227, 391-392, 394, 403 Bosch, Jordi Sanchez 109, 113, 392 Botha, Jan 105, 392 Bowersok, Glen Warren 301, 392 Breytenbach, Cilliers 142, 145, 147, 392 Brown, Raymond E. 16, 384, 392 Bruce, F.F. 16, 29, 41, 51, 55, 62, 65, 70, 73-75, 79, 90, 96-97, 101, 110, 119, 123, 126, 142, 159, 166, 173, 181, 184-185, 215, 223, 230, 238, 295, 318, 385, 392, 408 Brucker, Ralph 106, 392 Büchsel, Jürg 142 Bujard, Walter 17, 26, 392 Bultmann, Rudolf 80, 112, 157, 392 Burger, Christoph 106-107, 109, 137, 145, 219, 227, 232, 392 Burney, C.F. 114-115, 124, 135, 392 C Cadwallader, Alan H. 13-14, 392, 395, 401, 414 Cahill, Michael 175, 393 Caird, George B. 16, 115, 121, 385 Campbell, Constantine R. 301, 338, 345, 385, 391 Campbell, Douglas A. 16, 19, 30, 300-301, 393, 404 Canavan, Rosemary 14, 260, 294295, 393 Cannon, George E. 16-17, 106, 145, 217-218, 393 Carlos Reyes, L. 106-107, 110-111, 393
Autorenverzeichnis
Carr, Wesley 48, 127, 217, 236, 238239, 241-243, 251, 255, 393 Carson, Donald A. 28, 385, 393, 407 Cavin, Robert L. 36, 47, 127, 241, 393 Choi, Young Sook 186, 393 Clark, Bruce T. 159, 161, 166, 169170, 174, 393 Clarke, Kent D. 16, 142, 408 Cole, H. Ross 253, 393 Collins, John J. 283, 391, 393, 409 Collins, Raymond F. 71, 393 Colpe, Carsten 112, 393 Comfort, Philip W. 154, 191, 214, 367, 384 Condit, Celeste M. 151, 393 Constantelos, Demetrios J. 51, 394 Conzelmann, Hans 17, 80, 91, 108, 112, 122, 385, 411 Copenhaver, Adam 149, 394 Craddock, Fred B. 123, 394 Crossan, J. Dominic 30, 394 Crouch, James E. 329-333, 394 D Dahl, Nils Alstrup 178, 394 Dautzenberg, Gerhard 186 Davies, William D. 38, 115, 289, 394 Deichgräber, Reinhard 87, 96, 106, 108-109, 217, 394 Deissmann, Adolf 29, 394 Delling, Gerhard 138, 195, 222 DeMaris, Richard E. 40, 42-43, 222, 394 Deming, Will 353, 394 DeSilva, David A. 16, 394 Dettwiler, Andreas 17, 394
421
Dibelius, Martin 31, 39-42, 83, 9697, 109, 112, 159-160, 166, 173, 176, 178, 185, 192, 194, 200, 223, 227, 237, 239, 241, 257-258, 261, 277, 287, 315, 332, 375, 381, 385, 394 Dübbers, Michael 23, 51, 106, 109110, 113, 124, 133, 206, 217, 220, 225, 227-228, 241, 254-255, 395 Duman, Bahadir 14, 395 Duncan, George 29, 33, 395 Dunn, James D.G. 13, 27-29, 33, 35, 39, 47, 50-51, 65-67, 73-74, 80, 87, 91-92, 94-96, 100-101, 109-110, 113, 119, 123, 126-127, 132, 138, 142, 152, 159-160, 166, 174, 176, 178, 180-181, 183-184, 196, 199-200, 208, 211, 220, 223, 228, 230-231, 237-239, 241-243, 253-255, 258, 260, 268, 270-271, 277, 280-282, 285, 287, 290-291, 295, 297-298, 311-312, 314-315, 319-321, 324, 330, 336, 343-347, 355-360, 365, 367, 369, 385, 387 Dupont, Jacques 139, 395 E Easton, Burton Scott 287, 395 Edsall, Benjamin 106, 395 Egan, Rory B. 241-242, 395 Ellingworth, Paul 106, 109, 395 Ellis, E. Earle 16-17, 29, 31, 64, 81, 87, 106-107, 110, 395-396, 412 Erdemir, Hatice 13, 395 Ernst, Josef 17, 109, 132, 135, 137, 171, 176, 180, 239, 314, 335, 385 Eßer, Hans-Helmut 80 Esler, Philip F. 303, 395 Evans, Craig A. 41, 255, 396, 405
422
Autorenverzeichnis
Evanson, Edward 16, 396 F Fäscher, Erich 16, 401 Fee, Gordon D. 90, 97, 109, 113, 121, 128, 396, 415 Ferguson, Everett 229, 231, 396 Feuillet, A. 124, 396 Finney, Mark T. 311, 396 Fishbane, Michael 93, 396 Flemington, W.F. 172, 396 Flexsenhar, Michael 353, 396 Foerster, Werner 35, 47, 97, 228, 252, 396, 408 Forbes, Christian 27, 396 Fossum, Fossum 112, 396 Foster, Paul 14, 17, 31, 44, 53, 63, 65, 86, 97, 100, 230, 241, 251, 253-255, 258, 266, 270, 273, 279, 282-283, 285, 291, 293-294, 299, 311, 314, 333-334, 337-338, 342343, 345-346, 356, 364, 367-370, 374, 378-380, 385 Fowl, Stephen E. 109-110, 113, 123, 125, 252, 270, 396 Francis, Fre 40-43, 47, 253, 255256, 258, 262, 270, 396-397 Frank, Nicole 46, 55, 129, 132-133, 231, 397 Frenschkowski, Marco 16, 26, 397 Frey, Jörg 223, 397, 407 Fridrichsen, Anton 254, 397 Friedrich, Gerhard 94, 384 Fuchs, Rüdiger 27, 397 Furnish, Victor P. 17 G Gabathuler, Hans Jakob 105, 108109, 113, 137, 397
Gamble, Harry Y. 25 Gardner, Paul D. 231, 397 Garland, David E. 16, 36, 47, 50, 63, 65, 70, 74, 109, 123, 125-126, 140, 161, 345-346, 385 Garnsey, Peter 352, 397 Gebauer, Roland 102, 397 Gerber, Christine 202, 397 Geréb, Zsolt 27, 176, 397 Gerstacker, Andreas 300-301, 397 Gese, Hartmut 116, 398 Gielen, Marlies 327-331, 333, 337, 339-342, 346, 374, 398 Giem, Paul 251, 398 Gladd, Benjamin L. 357, 390 Gnilka, Joachim 15, 17, 35, 54, 65, 67, 70, 74-75, 77, 79-80, 82-83, 87, 89, 91, 94, 96-97, 100, 102, 108, 110, 112, 119, 121-122, 124126, 129, 132, 138, 141-143, 147, 149-150, 155, 159, 161-162, 166, 173, 178, 180-182, 184, 196, 199, 201, 207-208, 216-217, 219-220, 227, 229-231, 235, 237, 253-254, 260-261, 266-270, 273-274, 279, 287, 289, 292, 294, 296, 308, 311313, 317-323, 329, 343, 345-346, 357, 364, 368, 374, 380, 386-387, 405 Gordley, Matthew E. 105-107, 109110, 113, 149, 151, 398 Gorman, Michael J. 27, 335, 398 Grant, Robert M. 290, 398, 414 Grindheim, Sigurd 309, 398 Grosvenor, Mary 297, 384 Grundmann, Walter 160 Gunther, J.J. 31, 36, 398 Günther, Matthias 13, 398
Autorenverzeichnis
Gupta, Nijay K. 16, 29, 97, 100, 166, 336, 345, 357, 386 H Haacker, Klaus 22, 384, 398 Hafemann, Scott J. 166, 175, 188, 398 Hagner, Donald A. 16, 390, 398 Hahn, Ferdinand 63, 110, 132, 398 Hanson, Anthony 241-242, 398 Hanssler, Bernhard 270, 399 Harder, Günther 158 Harland, P.A. 64, 399 Harnack, Adolf von 186, 399 Harris, Murray J. 51, 65, 70, 74-75, 80, 89, 91, 96-97, 109, 123, 125126, 138, 141, 158, 160-163, 166, 168, 172, 176, 178, 180-181, 183184, 186, 191, 199, 207-208, 210211, 216, 219-220, 223, 226, 228, 230, 232, 235, 238, 241-242, 253255, 260-261, 264, 266-267, 271, 273, 277, 279, 282, 293, 297, 309, 313, 316, 319, 321-323, 336-337, 341, 345, 357, 364, 369-370, 379, 386, 390 Hartman, Lars 39, 86, 222, 399 Häußer, Detlef 30, 171, 387, 416 Hay, David M. 279, 399 Hays, Richard B. 103, 399 Head, Peter M. 362, 399 Heckel, Ulrich 17, 408 Hegermann, Harald 95, 107-109, 112, 123, 130, 134, 399 Heil, John Paul 16, 109, 200, 230, 281, 293-294, 301, 386 Heilig, Christoph 242, 334, 399 Heininger, Bernd 17, 399
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Helyer, Larry 106, 110, 115, 121, 399 Hengel, Martin 56, 106, 112, 147, 299, 319-321, 372, 399-400, 411 Hering, James P. 329-331, 333, 400 Hermann, Theodor 301, 400 Hinson, E. Glenn 353, 400 Hockel, Alfred 120, 400 Hofius, Otfried 108-110, 133, 145, 400 Holladay, Carl R. 47, 400 Hollenbach, Bruce 272, 274, 400 Holtzmann, Heinrich J. 16, 400 Hooker, Morna D. 45-46, 110, 115, 251, 390, 400-401 Hoppe, Rudolf 43, 55, 87, 89, 106, 109-110, 132, 145, 401 Horbury, William 146, 396, 401 House, H. 43, 329, 401 Hübner, Hans 17, 99, 108-109, 169, 185, 223, 226, 241, 258, 269-270, 274, 281, 297, 312, 314, 345, 386 Huttner, Ulrich 47-48, 193, 257, 401 J Jones, Peter 109, 401 Joüon, Paul 118, 384 Juel, Donald 146, 401 Jülicher, Adolf 16, 401 K Kähler, Else 337, 401 Kahn, Charles 224, 401 Käsemann, Ernst 16, 87, 102, 106, 108-109, 112, 217, 388, 401 Kearsley, Rosalinde 14, 401 Keesmat, Sylvia C. 126, 334, 414
424
Autorenverzeichnis
Kehl, Nicholas 16, 107, 109, 113, 118, 123-124, 128, 132-134, 137139, 144-145, 401 Kellum, L. Scott 16, 402 Kenny, Anthony 19, 401 Kiley, Mark 17, 55, 174, 375, 401 Kim, Seyoon 62, 119, 246, 401 Kittel, Gerhard 117, 384 Kline, Meredith G. 126, 129, 388, 401 Knowles, Michael P. 51, 401 Knox, John 335, 375-376, 402 Konakçi, Erim 14, 395 Kooten, George H. van 43, 54, 261, 402 Koskenniemi, Heikki 200-201, 402 Köstenberger, Andreas J. 16, 402 Kraabel, A. 44, 151, 402 Kremer, Jacob 168, 170-174, 402 Kuhli, Horst 176 Kuhnert, Anne 300-301, 397 Kümmel, Werner G. 16, 19, 22-23, 31, 106, 402 L Ladd, George E. 100, 363, 368, 402 Lähnemann, Johannes 17, 33, 4344, 70, 87, 109, 113, 132, 137, 156, 166, 206, 228, 239, 402 LaMarche, Paul 51, 109, 402 Lane, William L. 41, 255, 402 Lang, T.J. 170, 177, 402 Langkammer, Hugolinus 139, 402 Laub, Franz 331, 402 Lawrence, Jonathan D. 231, 403 Leithart, Peter J. 298, 403 Leppä, Outi 17, 55, 403 Lightfoot, J.B. 13-14, 29, 35, 37-38, 63, 70, 74, 78, 81, 89, 94, 96, 101,
113, 120-121, 125-127, 130, 134, 138, 142, 158-160, 162, 168, 170, 172, 181, 184-185, 192, 194-196, 198-199, 202, 208, 210-211, 214, 219-220, 223, 226, 228-229, 232, 234, 238, 241-243, 251-252, 254255, 257, 261, 264, 267-270, 273, 277, 285, 291, 293-294, 296-298, 300, 309, 315, 318-319, 321, 343, 345-347, 356, 362, 368-369, 371, 375, 386 Lillie, William 329, 403 Lincoln, Andrew T. 17, 42-43, 48, 50-51, 54, 97, 102, 109-110, 115, 127, 137, 170, 174, 223, 230, 241, 254-255, 267, 273, 280, 285, 300, 319, 329, 333-335, 339, 345-346, 358, 375, 386, 388, 403, 415 Lindemann, Andreas 17, 21, 43, 65, 69, 83, 87, 96-97, 100, 102, 108, 112, 120, 127, 141, 158-159, 161, 163, 166, 173, 184, 193, 220-222, 227-228, 230, 258, 269, 274, 287, 292, 296, 300, 312, 335, 345-346, 364, 374-376, 381, 386, 403 Litfin, Duane 166, 403 Lloyd, G.E.R. 298, 403 Loader, W.R.G. 279, 403 Lohmeyer, Ernst 16, 31, 37, 62, 65, 70, 80, 86, 93, 96, 98, 109, 112, 126-127, 130, 141-142, 156, 159, 166, 172, 179, 182, 194, 202, 217, 226, 228, 230, 237, 258, 267, 269, 281, 310, 313, 319, 329, 332, 335, 341, 386 Löhr, Hermut 320, 392, 403 Lohse, Eduard 17, 19, 32, 40, 49, 55, 61, 65-66, 70, 72-74, 78-79, 81, 87, 89, 93-94, 96-97, 102,
Autorenverzeichnis
106, 108-109, 112-113, 120, 123, 132, 138, 148, 157-162, 166, 168, 173, 181, 183-184, 200, 208, 210, 217, 219, 223, 226, 237, 239, 267, 270, 274, 277, 279-280, 285-287, 290-291, 293, 295-296, 300, 310, 312-313, 316, 321, 323, 339, 343, 345-347, 358-359, 363-364, 371, 386, 403 Lona, Horacio 16, 59, 403 Louw, Johannes P. 51, 265, 403 Löwe, Hartmut 106, 210-211, 403 Lührmann, Dieter 330, 403-404 Luz, Ulrich 24-25, 27, 29, 47, 50, 64-65, 70, 73-74, 81, 86, 96-97, 100, 108, 110, 113, 123, 126-127, 158-160, 166, 172, 176, 192, 206, 222, 228, 230, 253, 255, 258, 270, 274, 288, 290, 300, 310, 320, 329, 335, 339, 386 M MacDonald, Margaret 17, 44, 54, 65, 70-71, 74, 92, 94, 96-97, 99, 113, 132, 143, 158-162, 168, 182185, 195, 199, 210, 222, 226, 228, 230-231, 233, 235, 238, 241-243, 252, 254, 267, 270, 273, 294, 297, 312, 314, 319, 323, 331, 334, 345346, 386, 404 MaGee, Gregory S. 16, 404 Maier, Harry O. 126, 294, 301-302, 404 Maier, Michael P. 181, 404 Maisch, Ingrid 43, 45, 70, 72-74, 87, 96-98, 100, 106, 109, 113, 121, 125, 127, 132, 162, 166, 173, 184, 197, 209, 222, 226-227, 251, 254-255, 258, 267, 270, 274, 290-
425
292, 314-315, 319, 322, 331, 339, 386 Malherbe, Abraham 30, 404 Martin, Ralph P. 16, 29, 65, 87, 97, 106, 109-110, 119, 132, 217-218, 238, 241, 243, 386, 395, 404, 406, 408, 410 Martin, Troy W. 43, 253, 301, 393, 404 Masson, Charles 16, 109, 386, 404 Mathewson, David L. 47, 404 Maurer, Christian 106, 109, 111, 405 Mayerhoff, Ernst 16, 405 McCown, Wayne 107, 109, 405 McDonough, Sean M. 114, 118, 124, 130, 198, 405, 415 Meeks, Wayne A. 207, 211-212, 288, 294, 396-397, 405 Merk, Otto 206, 209, 405 Metzger, Bruce M. 154, 205, 277, 362, 367, 374, 384 Michaelis, Wilhelm 29-30, 32, 137, 405 Mitchell, Timothy N. 28, 405 Moir, Ian A. 253, 405 Moir, W.R.G. 171, 405 Moo, Douglas J. 15-16, 24, 26, 2829, 32, 44, 57, 60, 63-66, 70, 74, 77, 79-80, 83, 96-97, 99, 101, 110, 121, 123, 125-126, 130, 133, 135-136, 139-140, 158, 160-162, 166, 168, 174, 182, 185, 194, 199200, 202, 206-208, 210, 219-220, 222, 224-225, 228, 230, 232, 237238, 241, 243, 253, 255, 258, 266268, 270, 273, 277, 291-292, 294, 313-315, 318-319, 321-323, 336,
426
Autorenverzeichnis
338, 342, 344-346, 355, 358-359, 363, 365, 367, 369, 374, 386, 393 Moses, Robert Ewusie 16, 109, 126, 148-149, 405 Moule, C.F.D. 16, 29, 38, 88, 136138, 140, 169, 185, 195, 199, 208, 210, 223, 230, 240-241, 243, 254, 267, 269, 273, 289, 294, 315, 318, 341, 345, 371, 386, 400 Müller, Peter 17, 26, 36, 179, 220, 352, 388, 391-392, 397, 405-406, 411-412 Mullins, Terence Y. 192, 406 Munck, Johannes 174, 177, 406 Münderlein, Gerhard 140-141, 406 Munro, Winsome 329, 406 Muraoka, Takamitsu 118, 384 Murphy, F.J. 67 Murphy-O’Connor, Jerome 16, 27, 29, 109, 406 N Neumann, Kenneth J. 19, 406 Niebuhr, Karl-Wilhelm 25, 27, 406 Norden, Eduard 109, 123, 406 Novenson, Matthew V. 63, 406 O O’Brien, P.T. 16, 41, 46, 50, 61-62, 65, 67, 70, 72-74, 77, 79, 81, 87, 94, 96-97, 100-101, 106, 113, 123, 125, 128, 132, 137-139, 157, 159-161, 168, 172-173, 181, 183185, 193-194, 199-202, 206, 208, 210, 220, 223, 226, 228-231, 241, 255, 266, 277, 287, 291, 294-295, 297, 299-300, 307, 310-312, 315, 317-319, 322, 335-336, 344-346,
356-357, 359, 361, 363, 368, 370371, 386, 406 O’Donnell, Matthew Brook 19, 406 Oepke, Albrecht 240-241 Oldemeier, Fritz 300-301, 397 Oliveira, Anacleto de 110, 113 Ollrog, Wolf-Henning 16, 24-25, 27, 29, 64, 69, 371, 373, 407 Omerzu, Heike 29, 34, 407 O’Neill, J.C. 105, 407 Oropeza, B.J. 47, 407 Ostmeyer, Karl-Friedrich 102, 407 Overfield, P.D. 138-139, 407 P Pao, David W. 16, 29, 50, 65, 70-71, 74, 80, 86, 94, 96-98, 101, 161162, 166, 173, 177, 182, 196, 198199, 208, 210, 222-223, 230-232, 238-239, 241, 243, 254-255, 257259, 261, 270, 273, 281-282, 294295, 299, 301, 308, 313, 315, 318321, 323, 336, 339-340, 345-346, 356, 359-360, 364, 368, 386, 407 Pascuzzi, Maria 407 Percy, Ernst 16-17, 19, 27, 113, 121, 123-125, 148, 223-225, 238, 254, 407 Perriman, Andrew 170, 407 Pfitzner, Victor C. 186, 407 Pizzutto, Vincent A. 17, 106, 108, 111, 119, 132, 407 Pöhlmann, Wolfgang 109, 407 Pokorný, Petr 17, 43, 51, 64-65, 67, 70, 74, 76, 78, 87, 96-97, 102, 106, 111-112, 119-120, 122, 132, 140-141, 158-161, 163, 166, 184, 200, 217, 225-227, 230, 232, 239, 241-242, 253-254, 256, 258, 267-
Autorenverzeichnis
269, 274, 277, 288, 292, 296, 300, 313, 315, 319, 362, 375, 380, 386, 408 Polhill, John B. 54, 408 Popper, Karl 21, 408 Porter, Stanley E. 16, 142, 388-389, 393, 405, 407-408, 415 Price, Simon R.F. 14, 408 Punt, Jeremy 20, 408 Q Quarles, Charles L. 16, 402 Quenouille, Nadine 300-301, 397 R Rabens, Volker 54, 408 Reed, Jonathan L. 30, 394 Reicke, Bo 15-16, 22, 27, 30-31, 269-272, 274, 408 Reinmuth, Eckart 302, 388, 411 Reiser, Marius 223, 408 Reumann, John 172, 408 Richards, E. Randolph 25, 27, 237, 362, 375, 408-409 Riesner, Rainer 29, 62, 78, 101, 177, 409 Robinson, James M. 109, 409 Robinson, John A.T. 31, 230, 241, 409 Roller, Otto 71, 73, 378, 409 Rollins, Wayne G. 38, 107, 409 Roloff, Jürgen 26, 409 Roose, Hanna 133, 409 Rosner, Brian S. 291, 409 Rowland, Christopher 196, 255, 409 Royalty, Robert M. 43, 409 Rusam, Dietrich 222-223, 409
427
S Saller, Richard 352, 397 Salter, Martin 228-229, 409 Sand, Alexander 172 Sanders, Edward P. 18, 29-30, 409410 Sänger, Dieter 21, 410-411 Sappington, Thomas J. 23, 39, 41, 47, 98, 160, 184-185, 199, 219, 223, 225, 238, 241, 255, 257, 262, 410 Saunders, Ernest W. 38, 410 Schenk, Wolfgang 47, 49, 105, 410 Schenke, Hans-Martin 40, 410 Schille, Gottfried 217, 241, 410 Schlatter, Adolf 158, 184, 240, 387 Schlier, Heinrich 171 Schmidt, Karl Ludwig 134 Schmitz, Otto 194, 408 Schnabel, Eckhard 15, 33, 373, 410 Schnackenburg, Rudolf 296-298, 410-411 Schneider, Gerhard 65, 384 Schnelle, Udo 16-17, 20-21, 43-44, 55, 63, 78, 410 Scholer, David M. 38, 410 Schrage, Wolfgang 30, 128, 135, 337-338, 353-354, 388, 410 Schreiner, Thomas R. 57, 410 Schubert, Paul 70-71, 410 Schweizer, Eduard 16-17, 27, 43, 63, 65, 70, 74, 83, 87, 96-97, 100, 102, 106, 109, 112, 114, 119-120, 122-123, 128, 132-133, 137-138, 140-141, 147, 152, 159, 162, 166, 184-185, 194-195, 202, 208, 221225, 227-228, 230, 232, 238, 241, 253, 255, 258, 261, 267, 270, 279, 281, 287, 290, 294, 297, 300, 319-
428
Autorenverzeichnis
321, 334, 337, 345-346, 375, 387, 411 Schwemer, Anna-Maria 56, 257, 400, 411 Scott, James C. 334, 402, 411 Seeberg, Alfred 329 Seewann, Maria-Irma 16, 21, 172, 230, 234, 241, 337, 368, 385 Seidel, Hans 320-321, 411 Seitz, Christopher 16, 29, 323, 387 Sellin, Gerhard 47, 54, 411 Shepherd, Thomas R. 71, 412 Siebenthal, Heinrich von 65, 71, 74, 83, 88, 91, 93-94, 120, 143, 158, 161, 163, 168, 172, 180, 184, 186187, 197, 209, 220, 241, 250, 265, 291, 295, 309-310, 312-313, 315316, 337, 356, 364, 369, 384 Slater, Thomas B. 65, 412 Smith, Ian K. 16, 25, 41, 45, 47, 49, 106, 115, 119, 127, 217, 220, 223, 226, 230, 237-238, 241-243, 255256, 412 Söding, Thomas 72, 74, 412 Son, Sang-Won (Aaron) 253, 396, 412 Spicq, Ceslas 101, 412 Standhartinger, Angela 15, 17, 26, 35, 45, 70, 72, 109, 113, 211, 217, 319, 321-322, 327, 330-331, 334, 344, 347, 389, 412 Steck, Odil Hannes 146, 412 Stettler, Christian 45, 105, 107, 109, 112, 115-118, 121, 123-125, 127, 132-133, 135-136, 138-140, 142, 145-146, 173-174, 412 Stettler, Hanna 97, 100, 103, 159160, 412 Still, Todd D. 23, 57, 412
Strawbridge, Jennifer R. 106, 395 Stuckenbruck, Loren 48, 151, 412 Stuhlmacher, Peter 47, 49, 107, 109, 113, 133, 141, 145-146, 148, 400, 412 Stuhlmann, Rainer 173, 412 Suhl, Alfred 29, 412 Sumney, Jerry L. 17, 23, 41, 61, 6466, 69-70, 73-74, 76, 78, 80, 83, 90, 94, 96, 106, 110, 113, 120, 122-123, 126, 133, 141, 160-161, 166, 169, 174, 183-184, 186, 195, 198-200, 211, 220, 237-238, 241, 243, 267-268, 279-280, 282, 290, 294, 301-302, 315, 319, 321, 331, 334, 339, 341, 343-344, 367-368, 374, 387, 413 T Tachau, Peter 156-157, 163, 413 Talbert, Charles H. 17, 54, 109, 166, 172, 387 Tannehill, Robert C. 230, 413 Thiessen, Jacob 16, 54 Thiessen, Werner 29, 31, 413 Thiselton, Anthony 172 Thompson, James W. 206, 413 Thompson, Marianne Meye 16, 47, 387 Thornton, Claus-Jürgen 29, 34, 413 Thornton, T.G.C. 226, 413 Thraede, Klaus 200, 330, 413 Thrall, Margaret 143, 388 Tidball, Derek J. 66, 81, 148, 294, 413 Tipton, Lane G. 110, 119, 413 Tiwald, Markus 27, 47, 414 Trainor, Michael 81, 372, 392, 395, 401, 414
Autorenverzeichnis
Traub, H. 125 Trebilco, Paul 14, 28, 414 Trobisch, Daniel 26, 377, 414 Trudinger, L. 171, 414 U Urban, Christina 337, 414 V Vasser, Murray 347 Vawter, Bruce 113, 414 Verner, David C. 332, 414 Vollenweider, Samuel 25-26, 106, 414 W Walsh, Brian J. 126, 334, 414 Walter, Nikolaus 240, 414 Watson, Francis 147, 415 Wedderburn, A.J.M. 25, 27, 47, 124, 141, 231, 233, 403, 415 Wegenast, Klaus 207, 415 Weidinger, Karl 332, 415 Weima, Jeffrey A.D. 71, 367, 415 Weinrich, Harald 223, 415 Weiß, Johannes 109, 415 Weiser, Alfons 82 Wengst, Klaus 109, 415 Wenham, David 79, 100, 222, 268, 289, 370, 415 Wessels, G.F. 23, 415 Wetz, Christian 20, 415 White, Joel 22, 29, 68, 76, 78, 113, 115, 126, 129, 136-137, 144, 148, 169, 174, 177, 219, 222, 279, 281, 302, 319, 325, 336, 347, 351-352, 365, 377, 415-416 Wibbing, Siegfried 287, 416 Wiefel, Wolfgang 21, 416
429
Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 27, 416 Wilckens, Ulrich 27, 47, 113, 416 Wiles, Gordon P. 86, 416 Wilk, Florian 62, 416 Williams, A. 48, 416 Williamson, Jr. 242, 416 Wilson, Walter T. 15, 17, 38, 47, 55, 58, 65, 89, 94, 96, 98, 110, 123, 132, 137-138, 143, 150, 161, 178, 180, 183, 185, 199, 208, 210, 219, 221, 241-243, 268-269, 280, 296, 311-312, 315, 318-319, 369, 378, 387, 417 Windisch, Hans 230, 417 Witherington III, Ben 16, 27-30, 41, 50-51, 70, 110, 113, 121, 123, 159, 161, 166-167, 173, 185, 203, 230, 387, 417 Witulski, Thomas 23, 417 Wolter, Michael 17, 43, 50, 61, 6465, 70, 72-75, 79-83, 86-88, 91, 94-95, 97, 99, 102, 105-106, 108110, 113, 120-123, 125-126, 128, 130-132, 135-136, 138, 141, 145, 152, 158-159, 161-163, 166, 172, 182, 194-195, 197-202, 206-207, 209-210, 216, 219-222, 225-229, 231-232, 234-235, 237, 240-242, 252, 254-255, 257, 265, 267-268, 270, 273-274, 277, 280, 288, 290, 292, 296-298, 300, 309-310, 313, 315, 317-322, 330, 336, 343, 346347, 355, 364-365, 367, 371, 375376, 380, 387 Wood, Kenneth H. 251, 417 Woyke, Johannes 223, 225, 417 Wright, N.T. 18, 29, 47, 63, 66, 73, 79, 90, 93, 95, 97, 99-100, 105-
430
Autorenverzeichnis
106, 108-109, 115-116, 140, 143, 147, 162, 166, 173, 183, 202, 222223, 239, 253, 273, 322, 345, 387, 417 Wucherpfennig, Ansgar 139 Y Yamauchi, Edwin M. 38, 112, 417 Yates, Roy 39, 41, 238, 241-243, 417
Yinger, Kent L. 254, 417 Z Zahn, Theodor 24-25, 369, 417 Zeilinger, Franz 70, 87, 98, 108109, 113, 173, 206-207, 417 Zerwick, Maximilian 88, 178, 241, 297, 384
Stichwortverzeichnis
431
Stichwortverzeichnis A Abendmahl 146 Abendmahlstradition 146 Abfassung 15, 22, 24, 26-28, 30-34, 54, 78, 106, 192-193, 302, 304, 329, 357, 364-366, 370, 375 Abfassungsort 31-32, 34, 364 Abfassungssituation 24 Abraham 79, 92-93, 103 Absage 150, 220, 227, 245, 263, 277, 280, 286 Absonderung 299, 310, 317 Abstinenz 276 Adam 93, 119, 237, 248, 295, 297 Adressaten 21, 53, 61-62, 66, 72, 80, 88, 106, 167, 193, 331, 375376, 410 Adressatengruppe 331 Adresse 61, 375 Adressenangabe 61 Affekt 292-293 Agrarmetaphorik 79 Ägypten 99, 101-103, 164 Allversöhnungslehre 147 Amt 62, 176, 377 Anbetung 42, 44, 48, 98, 148, 153, 255-258, 263 Andronikus 30 Ängste 172, 244, 248, 342, 352 Anlass 56, 59, 67, 71, 83, 119, 167168, 300, 338-339, 343, 353, 371373 Ansehen 113, 311, 326, 328, 346347, 367 Anthropologie, anthropologisch 144, 260, 273, 305
Antiochia, Antiochien 15, 78, 181, 368, 400 Äonenwesen 139 Apokalyptik, apokalyptisch 38, 42, 178-179, 189, 196-197, 280, 282, 414 Apollon 257 Apollon-Heiligtum 257 Apostasie 291 Apostelbegriff 163 Apphia 15, 376 Apuleius 251, 381, 394 Arbeit 27, 116, 246, 326, 328-329, 342-345, 351, 353 Arbeitnehmer 353 Archippus 15, 53, 373, 376-377 Aristarchus 31-32, 34, 366-368, 372 Aristoteles 167, 186, 330, 347, 381 Arius, arianisch 121, 399 Arzt 71, 366, 372 Askese, asketisch 38, 41, 84, 103, 224, 267, 270, 273, 411 Aufenthaltsort 278-279 Auferstehung, Auferstehungsthematik 59, 231, 280, 284 Auferstehungsleben 59, 280, 284 Auferweckung Siehe Auferstehung Auftrag 27, 52, 65, 68, 78, 82, 165166, 171, 174-178, 188-189, 192, 212, 358, 361 Augendienst 342 Augustinus 171, 381 Ausdauer 85, 94-95, 103 Auserwählte 98 Auslösung 101
432
Stichwortverzeichnis
Autor 28, 61, 70 Autorenangabe 28, 61, 70 Autorität 25, 62, 67, 76-77, 163, 228, 373, 377-378 B Barbar 300-301, 400 Barmherzigkeit 67, 189, 323 Barnabas 24, 188, 366, 368, 373 Baummetaphorik 210 Bedrängnis 30 Befreiung 62, 164, 212, 226, 248 Befreiungsaktion 212 Befriedigung 37, 264, 269, 272-274, 291 Begierde 285, 290, 292 Behörden 334, 359 Bekehrung 56, 81, 152, 155, 181, 234, 247, 294, 331, 365 Bekehrungsmetaphorik 365 Bekenntnis 98, 106, 128-129, 207208, 210-211, 213, 234, 403, 409, 411 Bekenntnisformel 128-129 Bekenntnissatz 207 Bekenntnissprache 98 Bekenntnistradition 234 Bekleidung 295 Bekleidungsriten 295 Beraka 116 Berber 301 Berufung 63, 66, 91, 163, 167, 175, 317, 385 Berührung 268 Beschneidung 93, 214, 228-231, 233-235, 244, 252, 259, 265-266, 275, 299
Beschneidungsmetaphorik 233 Beschnittener, beschnitten 214, 228231 Besitz 42, 81, 185, 232, 257 Bestimmung 125, 141, 230, 324 Besuch 13, 32 Beute 220 Bezalel 90 Beziehungshierarchie 333, 350 Beziehungsschema 325 Bildung 27, 372 Bitte 365, 367, 379 Bitterkeit 326, 328, 338-339 Blut 104-105, 108, 145-147, 159 Bosheit 285, 293, 345 Bote 171, 174, 317 Briefträger 52, 361, 366 Bugenhagen 76, 392 Bund 100, 181, 235, 253, 276 C Caesarea, Cäsarea 22, 30-34, 368, 382, 408 Christologie, christologisch 18, 20, 22-23, 51, 54-55, 57-58, 106, 109110, 113, 118-119, 124, 133-135, 137, 141, 149, 153, 206, 217, 220, 225, 227-228, 241, 244, 250, 254255, 305, 395, 398, 400, 407, 410411 Christuslied 22, 52, 70, 104, 106, 245, 319-321, 400 Chrysostom, Chrysostomus 170, 172, 253, 291, 381 Cicero 14, 359, 381 Clemens von Rom 30 Credo 208
Stichwortverzeichnis
D Dämonen, dämonisch 150 Dank 52, 68-74, 83-86, 96, 102103, 149, 162, 182, 202, 211, 213, 306, 308, 317, 321-323, 356, 361 Dankbarkeit 74, 103, 211, 306, 317, 321-323, 356, 361 Dankformel 69, 85 Danksagung 70-73, 83-84, 86, 96, 102, 149, 162, 182, 202, 211, 356 Datierung 16, 21, 32, 56, 60, 78, 166, 244 David 100, 330, 332, 398, 414 Davidbund 100 Demas 366-367, 372 Demut 306, 310-312, 323, 390 Demütigung 242 Denkweise 134, 163, 278, 280, 292 deuteropaulinisch, Deuteropaulinen 21, 72, 232, 397, 415 Dialog 263 Diaspora 46, 226, 252, 299, 389 Diogenes 252, 381 Dualität 302 E Ebenbild 58, 104, 106, 113-114, 117-119, 141, 150, 153, 285, 296298, 304 Ebenbildlichkeit 58 Echtheit 17-18, 22, 24, 205, 391 Ehe 330, 336, 338, 350-351 Ehefrau 330, 336, 338, 350 Ehemann 330, 336 Eheordnung 351 Eheparänese 351 Ehre 81, 149, 208, 256, 262-263, 272, 311, 324, 352, 371, 377
433
Ehrentitel 81, 208, 324 Ehrerbietung 256, 262-263 Ehrfurcht 326, 328, 341, 377, 380 Einfalt 342 Eingabe 321 Eingangsformel 117 Eingangsgebet 197, 211 Einheit 22, 51, 108, 134-135, 139, 148, 156-157, 171, 216, 274, 327, 367 Einigkeit 316 Einsicht 85, 89-90, 102, 160, 173, 179, 184, 190, 195-196, 198, 203, 232, 279, 298, 317, 324, 329-330, 350, 353, 380 Einweihung 39-40, 258 Ekklesiologie, ekklesiologisch 20, 22-23, 54-57, 60, 134, 298, 317 Elementarmächte 227, 265-266 Elija, Elia 263 Eltern 326, 328, 339, 341 Empfehlung 52, 64, 361, 365, 367 Engel 36, 42, 44, 48, 58, 60, 97-98, 102, 109, 127, 150-151, 179, 204, 223-224, 228, 245-247, 249, 254258, 262, 270 Engelgestalten 97, 127 Engelmächte 48, 150, 223, 245247, 258 Engelverehrung 42, 44, 48, 109, 256-258 Engelwesen 36, 44, 60, 97, 102, 127, 204, 228, 255-256, 262 Entfernung 35, 230 Entfremdung 157-158 Entlassung 31-32, 353 Entlohnung 344 Enttäuschung 266, 340
434
Stichwortverzeichnis
Epaphras 15, 25, 27, 68-69, 74, 76, 81-82, 84, 88, 182, 190, 192-193, 207-208, 210-212, 220, 261, 295, 306, 318, 366-367, 370-372, 378, 380, 414 Ephesus 13, 15, 26, 29-34, 78, 183, 320, 333, 357, 363-366, 404-405, 413-414, 417 Epictetus 339, 381 Erbarmen 306, 310 Erbe 23, 55, 85, 96-98, 103, 180181, 326, 328, 343-344, 349 Erbteil 97, 324 Erdbeben 14, 193 Erhabenheit 153, 212 Erhöhung 120, 136, 141, 148, 151, 227, 280 Erinnerung 52, 62, 98, 146, 154, 164, 206, 211, 380, 411 Erkenntnis 23, 59, 85-86, 88-91, 9394, 102, 150, 179, 190, 195-198, 202-203, 220, 278, 285, 296-297, 331, 371 Erlösung 85, 100-102, 142, 208, 226, 248, 323, 358 Erlösungswerk 142, 323, 358 Ermahnung 52, 154-155, 184-185, 201, 211, 264, 295, 320, 325, 356, 374, 377 Erneuerung 117, 148, 153, 297-298, 392 Errettung 155, 160, 212, 246 Erschaffung 113, 122-123, 128, 148, 152, 157, 295-296 Erstgeborener, Erstgeburt 22, 70, 98, 104, 108-110, 112-114, 120, 133, 135-137, 150, 173, 206-207, 400, 417
Erstlingsgabe, Erstling 22, 68, 76, 78, 115, 129, 136-137, 177, 415 Erwählte 306, 309, 324 Erwählung 140, 308-309, 317, 406 Erwählungsformel 140 Erwählungstheologie 308-309 Erwartung 292, 336-337, 339, 361 Erwerbstätigkeit 353 Erzväter 92 Eschatologie, eschatologisch 16, 20, 23, 54-55, 57-59, 283, 403 Eschaton 23, 247, 253, 282 Essener 37-38, 383 Ethik, ethisch 103, 117, 164, 246, 298, 303-304, 315, 322-324, 329330, 335, 337-338, 349, 354-355, 381, 410-411 Ethnie, ethnisch 302 Ethos 331, 334, 413 Eusebius 14, 31, 382 Eva 295 Evangelisation 192 Exil 79, 99, 102-103, 181, 416 Exodus 99, 103 Exodus-Motiv 103 Exodus-Tradition 99 F Fasten 48, 249, 251-252, 254-255, 257-259, 262, 270, 274, 276, 311 Feiertag 112, 224, 249-251 Feind 58, 145, 157-158, 164, 305, 325 Feindschaft 145, 157-158, 164, 305, 325 Feindseligkeit 58 Fesseln 378-379 Festtage 112, 224, 249-251 Siehe auch Feiertag
Stichwortverzeichnis
Finsternis 85, 98-99, 212 Fleisch 165, 167, 169, 235, 241, 252, 272-274, 289 Flucht 31 Frau 113, 117, 336-337, 339, 350351, 374-375, 401, 408 Frauenparänese 339 Freiheit 352 Freilassung 335, 347, 352-353, 376 Fremde 157 Freude 83, 85, 96, 166-168, 188, 361 Friede 61, 66-67, 146, 148, 306, 316-317, 324 Friedensmission 324 Friedensreich 146 Frömmigkeit 48, 251-252, 254, 257, 259, 263, 269, 273, 311, 350, 358 Frömmigkeitsbemühungen 358 Frömmigkeitsgesten 269, 273 Frömmigkeitspraxis 254, 263, 311, 350 Frondienst 164 frühjüdisch, Frühjudentum, frühjüd. 23, 42, 48, 90, 102, 126, 128, 130, 133, 140, 146, 173, 178-179, 181, 187, 207, 209, 231, 234, 236237, 239, 251-252, 255, 269, 287, 289, 300, 309, 318, 324, 348, 355 Führungsrolle 56 Fülle 37, 58-59, 84, 104, 137-138, 140-142, 156, 214, 216, 226-228, 245 Fundament 155, 161, 209, 247, 318, 354 Fürbitte 197 Furcht 248, 342, 350 Fürsorge 72, 316
435
G Gabe 197, 317 Galatia, Galatien 14-15, 244, 262 Gäste 357 Gattung 18, 106, 116, 157, 325, 330 Gattungszugehörigkeit 330 Gebet, beten 70, 86, 88, 102, 371 Gebetsbericht 70, 86, 88, 102, 371 Gebiet 97-99, 325, 330 Gebot 78, 295, 316, 341 Gedärme 310 Gedicht 87, 107, 109 Geduld 85, 306 Gefangener 63, 368 Gefangenschaft 28-30, 32, 102-103, 171, 200, 224, 357, 360, 372, 379, 405, 407 Gefängnis 30, 34, 224, 354, 357 Gefühle 194, 303, 310, 316 Gegensatzpaar 125, 288, 299, 302 Geheimnis 165, 178-181, 196, 203, 354, 357, 410 Gehorsam 229, 240, 327, 337, 339341, 350 Gehorsamsgelübde 240 Gehorsamspflicht 339 Geist 21, 68, 82-83, 85, 89-91, 130, 141, 179, 190, 200, 273, 276, 289, 318 Geld 236 Geldbetrag 236 Gelegenheit 354, 357-359, 361 Gelenke 249, 261 Gemeindeglieder 64, 84, 260, 295, 355 Gemeindeleiter 325 Gemeindesituation 24 Gemeindevorsteher 333
436
Stichwortverzeichnis
Gemeinschaft 46, 67, 93, 148, 304305, 352, 380 Gemeinwesen 298 Gemüt 312, 325 Gemütszustand 312 Gerechtigkeit 75, 160, 292-293, 345 Gesamtkirche 20 Gesang 321 Gesangsbuch 321 Geschaffenes 150 Geschlecht, geschlechtlich 165, 178, 315 Geschöpf 135, 154, 162 Geschwister 61, 64, 68, 373-374 Gesellschaftsgruppen 348 Gesetz 78, 225, 240, 257, 283, 288 Gesetzesvorschriften 225 Gesinnung 158, 249, 259, 263, 265 Gestirnmächte 41 Gewalten 104, 214, 217-218, 228, 241-243, 260, 354 Gewand 240-242 Glaube 72, 74-75, 83-84, 93, 182, 202, 204, 213, 221, 234, 257, 304, 350, 412 Glaubenspraxis 93, 221, 257 Gläubige, Glaubensgenossen 51, 97, 225, 234, 240, 266, 297 Gleichheit 347, 353 Gleichnis 78-79, 175, 314 Glieder 39, 60, 68, 110, 125, 133, 261, 285, 287-288, 290, 294, 360 Gliederung 50-51, 109-111, 129, 286 Glosse 272 Gnadengruß 61, 379 Gnadenlehre 303 Gnomik 330
Gnosis, gnostisch 38, 41, 112, 139, 185, 395, 400, 410, 417 Götter 14, 247, 337 Gottesbild 130 Gottesdienst 42-43, 62, 73, 106, 108, 201, 219, 318, 320-321, 325, 400 Gotteswerk 269 Göttliches, göttlich, Göttliche 120, 150 Götzendienst 285, 290-291, 295 Gruppierung 46-47, 221, 244, 256, 275 Gruß 61, 66-67, 74, 367, 369, 374, 378 Grußauftrag 374 Grußformel 61, 66-67, 378 Grußliste 74, 367, 369 Güte 113, 117, 306, 310-311 H Habgier 285, 290-291, 295 Haft 30-34 Hamartiologie, hamartiologisch 289 Häresie 41, 139, 227, 392 Siehe auch Irrlehre Haupt 20, 22-23, 56, 60, 68, 104, 108-109, 112-113, 131, 133, 137, 148, 151, 214, 217, 225, 228, 243, 245, 249, 259-261, 263, 275, 279, 317, 390, 397 Siehe auch Kopf Haus 188, 334, 357, 360, 364, 374, 379 Hausarrest 357, 360, 379 Hausgemeinde 374 Hausgenossen 334
Stichwortverzeichnis
Haushalt 52, 281, 326, 328, 330331, 333, 335, 337, 341, 343, 345, 349-350 Haushaltsführung 330, 333 Haustafel, HT 332 Haustafeltradition 332 Hautfarbe 352 Heiden 150, 157, 166, 174, 178, 181, 189, 225, 229, 234-236, 243244, 309, 324 Heidenchristen 225, 229, 234, 236, 244 Heidenmissionar 166, 174, 178 Heil 20, 72, 78, 87, 93, 103, 135, 164, 176, 182, 184, 232, 249, 252, 314, 324, 358 Heilsgemeinde 135 Heilsgeschehen 182, 232 Heilsgeschichte 78, 103, 164 Heilsgüter 20, 72, 232, 249, 252 Heilslehre 358 Heilsplan 176 Heilsuniversalismus 184 Heilsverständnis 93 Heilswerk 20, 87, 314, 324 Heilswirklichkeit 252 Heilige 65, 83, 87, 155 Heiligkeit 185, 287 Heiligkeitsgesetz 287 Heiligung 97, 100, 103, 159-160, 309, 412 Heilkünste 372 Hellenismus, hellenistisch 14, 37, 43-44, 49, 71-72, 99, 116, 123, 130, 140, 298, 332-333, 337, 394, 399 Heranreifung 153, 321 Hermas 24 Herodot 13, 300, 382
437
Herrschaft 85, 98-100, 127, 131, 152, 205, 208-209, 211-213, 298, 324, 326, 331, 348, 370, 405 Herrschaftsbereich 85, 98-99, 209, 213, 326, 370 Herrschaftswechsel 208, 211212 Herz 64, 161, 194, 229, 259, 275, 373 Herzenshaltung 229, 259 Hesekiel 118, 120 Hexateuch 97 Hierarchie 139 Hieropolis 366, 371-372 Hoffnungsgut 83 Honaz 13 Hymnus 106, 108-109, 113, 116, 132, 134, 149, 153, 217, 241, 306, 319-320, 392, 394, 400, 410 I Identität 14, 68, 151, 209, 212-213, 260, 331, 368 Ignatius 24 Illyrien 78 Impulsivität 312 Individuum 305 Initiation 39, 228, 257-258 Initiationsritus 228, 257 Inkarnation 119 Innenwelt 305 Inspirationsmodus 321 Institution 302, 345, 352 Irdisches, irdisch 279 Irrlehre 41, 139, 227, 392 Irrlehre, KI 25, 35-52, 55, 57-60, 68, 71, 77, 81, 83-84, 89, 101103, 126-127, 139-140, 150, 153, 155, 162-164, 184, 189, 191-192,
438
Stichwortverzeichnis
194, 197-204, 206, 208-209, 212214, 216-217, 219-228, 231-234, 238, 240, 243-247, 249-262, 265270, 273-277, 280, 283, 286, 299, 311, 314, 318, 322, 324, 375, 380 Irrlehrer 35, 47, 49, 219-220, 228, 238, 249, 252, 254, 261-263, 301, 396 Israel 98-99, 103, 121, 157, 164, 175, 189, 235, 299, 309, 396, 398399 J Jahwe 116 Jakobus 93, 185, 292-294 Jerusalem 31, 78, 181, 256, 268, 363, 368, 381, 412 Jesajarede 90 Jesusanhänger 76 Jesusbewegung 15 Jesusnachfolger 23, 62, 148, 155156, 182, 193, 196, 208, 212-213, 280, 308, 310, 371 Jesustradition 79, 81, 100, 158, 222, 268, 275, 287, 303, 314, 316, 324, 332, 356, 370 Josephus 14, 38, 49, 99, 221, 239, 243, 252, 255, 270, 300, 382 Judaismus 41 Juden, jüdisch, judäisch, judaisierend 37-38, 42, 47-48, 50, 62-63, 67, 76, 89, 98, 113, 123, 128, 150151, 157, 181-182, 189, 213, 223, 225, 239, 243, 252, 256, 285, 296, 298-299, 304-305, 309-310, 312, 324, 332, 337, 343, 366, 369, 372, 397 Judenchristen 15, 48, 157
Judentum 44, 47, 129, 181, 189, 299, 397-399, 411 Junia 30 Justin 152, 382 Justus 366-367, 369 K Kadmos 13 Kaiser 14, 32 Kaiserkult 14 Kalendervorschriften 252 Kampfsport 186 Kanon, kanonisch 24, 412 Kant 344 Kaschrutbestimmungen 245, 252 Kasuistik, kasuistisch 322, 326 Katechese 183 Kaukasus 301 Kerygma 231, 246 Kinder 276, 292, 326-328, 331, 337, 339-341, 348, 350 Kirche 18, 20, 24, 26, 30, 87, 108, 171, 173, 189, 227, 246, 253, 263, 348-349, 352, 397, 400, 403, 409, 411 Kirchenväter 24 Klaros 39-40, 257 Klassenunterschiede 347 Kleidermetaphorik 286, 294, 296, 307-309, 315 Kleidung 297, 299 Kleidungsstil 299 Kleidungsstück 297 Kleinasien, kleinsasiatischer Raum 44, 257, 349 Knechtslieder 146 Konvention 123, 337 Kopf 20, 22-23, 56, 60, 68, 99, 104, 108-109, 112-113, 131, 133, 137,
Stichwortverzeichnis
148, 151, 214, 217, 225, 227-228, 243, 245, 249, 259-261, 263, 275, 279, 317, 390, 397 Kopfmetaphorik 22 Körper 131, 133, 224, 244, 249, 252, 259-262, 267-268, 286, 324 Körpermetaphorik 260 Körperteile 261 Kosmos, kosmisch, kosmologisch 20, 37, 58, 89, 121-124, 129-134, 139, 144, 147-148, 150152, 212, 214, 222-224, 228, 245, 305 Kredit 236 Kreditgeber 236 Kreditnehmer 236 Kreuz 58, 80, 89, 147, 159, 172, 204, 213-214, 230, 239-240, 247, 275, 401 Kreuzesgeschehen 80 Kreuzestheologie 89, 401 Kreuzestod 58, 159, 172, 230, 239 Kreuzigung 182, 229-231, 235, 239, 241 Kreuzigungsmoment 235 Krieg 202, 242, 248, 270 Kriegsmetaphorik 202, 242, 248 Kult, kultisch 160 Kultsprache 160 Kultur 300, 320, 351, 397, 414 Kulturkreis 300, 320 Kunst 90 Kunsthandwerker 90 Kyniker 301 L Land 79, 97, 99, 101 Landnahme 79, 97, 99, 101
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Laodizea 193, 257 Laster 195, 287, 291-295, 303-304, 307, 313, 323 Lasterkatalog 291-295 Lästerung 285, 293 Lebensführung 65, 91, 93-94, 96, 185, 198, 208-209, 211, 224, 276, 310, 358 Lebensgemeinschaften 284 Lebenshaltung 211, 233 Lebenssäfte 261 Lebenswandel 206 Lebensweise 23, 103, 189, 278, 282284, 288, 290, 293, 299, 355 Lehrinhalte 183, 210, 221 Lehrmeinung 101 Lehrpraxis 183 Leibfeindlichkeit 227, 245 Leiblichkeit 227, 245 Leibmetaphorik 107, 131, 134, 289 Leid 169, 171, 173, 187-189 Leidensauftrag 189 Leidenschaft 205, 285, 290, 361 Leitungsposition 338 Lektionare 53 Licht 85, 95-96, 99, 118-120, 174175, 177, 188, 236, 394 Lichtglanz 95, 118-120 Liebe 68, 72, 74-76, 82-84, 88, 190, 194-195, 197, 203, 209, 291, 304, 306, 308, 310, 313, 315, 322, 324325, 338, 351, 372, 412 Liebesgebot 322, 325 Liebeswerk 84 Lied 107, 109, 115, 126, 148-149, 151, 153, 155, 212, 219, 237-238, 247-248, 261, 308, 321 Liedgut 149, 212, 237-238, 321 Liturgie, liturgisch 87, 125
440
Stichwortverzeichnis
Lob 70, 73, 114, 116, 148-149, 153, 155, 169, 211, 340 Lobpreis 70, 155, 211 Logos 113, 123-124, 129-130, 133, 147 Lösegeld 146 Loskauf 101 Loyalität 103 Lukas 30-31, 34, 62, 96, 121, 174, 177, 183, 201, 276, 323, 363, 366367, 372, 413 Luther 327 Lykostal 13-15, 33, 193, 197, 200, 212, 378 M Mäandertal 13 Macht 85, 98, 103, 126, 212 Machtbereich 85, 98, 103, 212 Machthaber 126 Mahnrede 155-156, 164 Mahnung 346, 359 Makellosigkeit 185 Manichäismus 287 Mann 14, 64, 117, 248, 262, 326, 328, 336-338, 351, 369, 374 Marcion 24-25, 375 Maria 400 Markus 222, 366-369 Melanchthon 76, 386 Mensch 62, 102, 118-120, 142, 144, 146, 189, 203, 220, 240, 266, 281, 296-298, 304-305, 316, 326, 351352, 398, 416 Menschenbild 416 Menschensohn 146, 398 Menschheit 62, 102, 144, 240, 266, 298, 304, 351-352 Menschwerdung 119-120, 142
Metapher, Metaphorik 20, 22, 30, 60, 79, 92, 131, 186, 202, 210, 223, 231, 239-240, 252, 254, 260261, 278, 289, 294, 304, 308, 310, 358, 408-409, 415 Milde 340 Minderjährigkeit 262 Missbrauch 349, 352 Mission 15, 30, 33-34, 64, 78, 82, 99, 182, 186, 332-333, 368, 373, 403, 406-407, 410, 416 Missionsarbeit 373 Missionsgebiet 78 Missionspredigt 182 Missionsreise 15, 30, 64, 78, 368 Missionssprache 99 Missionsstrategie 82, 373 Mitarbeiter 15, 27-29, 33, 54, 6263, 65, 81-82, 84, 134, 177, 182183, 201, 212, 275, 356, 363-366, 369-373, 407 Mitauferstehung, Mitauferstehen 235, 246, 264, 283 Mitbeteiligung 30, 232 Mitgefangener 366 Mitsterben 217, 246, 264, 283 Mitteilungsformel 192, 199, 363 Mittel 123, 213, 312, 323, 335 Mittelplatonismus 43 Mittler 123, 128-129, 141-142, 152, 159 Mittlerrolle 128, 142, 152 Moderne 348, 351-353 Monotheismus, monotheistisch 122 Mose, mosaisch 263, 281, 342 Motivationslosigkeit 340 Mysterien 39-41, 44, 204, 221, 228, 251, 257-258, 262, 295 Mysterienreligion 39
Stichwortverzeichnis
Mystik 257, 280 N Nachfolger 81, 146, 163, 230-231, 262-263, 282-283, 293, 297, 304, 317, 323, 325, 338, 354, 359, 361 Nahrung 261, 276 Nahrungsaskese 276 Nahrungszufuhr 261 Narrative 164 Nationalität 352 Natur 22, 123, 145, 150, 152, 172, 223, 286, 290, 301, 303, 333, 375 Naturlehre 223 Neigung 48, 259, 289 Neumondfeste 226, 249-251 Neupythagoreismus 224 Neuschöpfung 305 Nichtjude 235, 372 Noah 79, 92-93, 103 Nordafrika 301 Nympha 373-375, 377 O Obergewand 308 Offenbarung 43, 90, 135, 178, 181, 200, 263 Öffentlichkeit 214, 242, 248 Ökonomik 330-331, 333-334, 336, 338-339, 350, 354 Ökonomikliteratur 339 Ökumene 263 Onesimus 15, 26, 28-29, 31, 33, 68, 192, 302, 335, 347, 352, 361-362, 364-366, 370, 375, 377 Opfer 101, 164, 189, 239, 348 Opfersprache 101 Opfertod 164
441
Orakel 198 Ordnung 130, 146, 148, 150-153, 201-202, 295, 334 Ordnungsprinzip 130, 151 Origenes 237, 417 Ortsgemeinde 20, 54, 82, 134 P Palästina 145 Pantheismus, pantheistisch 123, 134 Paradigmenwechsel 189-190 Paränese, paränetisch 119, 157, 183, 201, 209, 213, 277, 281, 296, 304, 329, 332, 348, 355, 415 Parusie 23 Passaereignis 101 Passionsleiden 172 Patriarchalismus 336 Paulinen, Paulusbrief, Paulusschreiben 17-26, 28, 32, 50, 55-59, 64, 71-72, 134, 143, 169, 380 Paulus, paulinisch 18, 55, 57, 397, 405-406, 412 Paulusforschung 18, 57 Paulusschule 55, 397, 405-406, 412 Paulusperspektive, NPP 18 Pelagius 382 Pentateuch 101, 103, 160 Peristasenkataloge 186, 393 Petrus 179, 188, 263, 287, 292, 295, 309, 368 Pflicht 47, 330-332, 335, 339, 354, 358 Pflichtenlehre 330, 332 Pflichterfüllung 354 Pharisäer, pharisäisch 222, 276
442
Stichwortverzeichnis
Philemon 15, 28-29, 55, 68, 191, 302, 335-336, 347, 352, 364-365, 376-377, 385-388, 402, 416-417 Philosophie 43-44, 89, 103, 124, 220, 222, 404, 408 Philostratus 252, 382 Phrygien 14 Phrygier 13 Platon 183, 224, 382 Plutarch 202, 242-243, 336-337, 359, 382 Polemik, polemisch 139, 185, 199, 226-227, 231, 233, 270 Polykarp 26 Popularethik 330 Popularphilosophie, popularphilosophisch 340, 348 Postmoderne 348 Prädestinationslehre 309 Präexistenz 113, 119, 130 Präskript 52, 61, 66-67 Predigt 156, 325 Prinzipat 349 Prinzipien 37, 81, 183, 322, 350, 353, 355, 361 Privilegien 188, 309 Prolog 32 Propheten 48, 90, 102-103, 118, 120, 179, 181, 189, 198, 209, 324 Prophetie 177 Prophezeiung 90 Proselyten 229 Protestanten 276 Protognosis, protognostisch 39 Provinzhypothese 304 Pseudepigraph, Pseudepigraphon 24-25, 28, 54, 193, 380 Pseudepigraphie, pseudepigraphisch 16, 26, 28, 380, 390, 397
Pseudo-Callisthenes 336, 383 Pseudo-Phokylides 348 Q Qumran 38, 97, 146, 257, 287, 309, 352, 383, 390, 410-411, 416-417 Qumrangemeinschaft 309 Qumranschrifttum 97 R Rangordnung 81, 137 Rasse 301, 352 Rassenunterschiede 301 Ratschluss 180 Raubbeute 220, 223 Rechtfertigung 18, 147, 263 Rechtfertigungslehre 18, 263 Regel 244 Regelwerk 244 Regierung 100, 126, 212 Regierungsgewalt 126, 212 Regiment 244, 246, 267 Reichtum 165, 179-181, 190, 195196, 202 Reinheit 65, 185, 275 Reinigung 267 Reinigungsriten 267 Reise 31, 363 Religion 39, 41, 49, 221, 384, 400, 405, 411 Religionsgeschichte, religionsgeschichtlich 35, 37, 391 Rettung 99, 102, 357 Rettungsaktion 99 Rezeptionsgeschichte 22, 171, 398, 407 Rhetorik, rhetorisch 22, 27, 35, 50, 92, 149, 167, 203, 205, 303, 347 Ringkampf, Ringsport 186, 192
Stichwortverzeichnis
Ritual 93, 266, 403 Ritualgebote 266 Ritualgesetze 93 Ritus 44, 59-60, 217, 228, 230, 234, 247, 394 Rollenverteilung 330, 351 Rom 14, 29-31, 33-34, 78, 171, 243, 357, 365 Rückfall 293 Rückkehr 79, 99, 102-103, 181 Ruhe 316, 325 Rumpf 60, 131, 133 Rundbrief 55 S Sabazioskult 251 Sabbat 129, 249, 251 Sabbatfeiern 249 Saiteninstrument 321 Salz 354, 359 Sanftmut 306, 310, 312 Satan 248 Säugling 230 Schadenfreude 243 Schafzucht 13 Schalom 146, 148, 151-152 Schatten 37, 47, 164, 249, 252, 262, 289 Schatz 23, 75 Schlachtung 261 Schlichtheit 204, 342, 361 Schöpfer 119, 123, 134, 148, 151, 295, 297-298 Schöpfungsbericht 128-130 Schöpfungsgeschehen 123 Schöpfungsgeschichte 117, 202 Schöpfungskompetenzen 129 Schöpfungsmittler 20, 58, 114, 134, 399
443
Schöpfungstheologie 123 Schrift 165, 176-177, 325, 340, 368, 380 Schriftsteller 325, 340 Schuld 112, 214, 236-240, 247-249 Schuldbrief 236, 238 Schuldner 240 Schuldschein 214, 236-240, 247 Schuldvergebung 240 Schüler 25-26, 129, 283, 332, 380 Schülerkreis 129 Schwachheit 172 Seele 224, 244, 316 Seelenheil 244 Seelenzustand 316 Segen 52, 150, 213, 216, 378, 380 Sendung 175, 189 Sendungsauftrag 175 Sendungsbewusstsein 189 Seneca 124, 348, 383 Septuaginta, LXX 48, 65, 73, 76, 78, 89-92, 95, 97, 99, 101-103, 115116, 118, 120-122, 125, 128, 131, 134-135, 137-138, 140, 142, 146, 157-158, 160, 168, 171, 178, 182, 194-195, 199, 201, 209-210, 226, 229, 235-236, 239, 253-255, 271, 278-279, 290-291, 293, 310-311, 316, 320, 339-342, 344, 346, 359, 371, 383 Sex, sexuell 291 Sieg 214, 218, 242-243 Siegesparade 243 Siegeszug 214, 218, 242 Sittenlehre 332 Skepsis 46, 202, 276, 334, 359, 369 Sklave 31, 81, 164, 204, 283, 288, 300, 302, 335, 338, 341, 343-344,
444
Stichwortverzeichnis
347, 352-353, 365-366, 370-371, 377 Sklavenaufstand 302, 335 Sklavendasein 164, 204, 283 Sklavenhalter 347 Sklavenparänese 288, 335, 338, 341, 347, 352-353, 377 Sklaverei 164, 216, 226, 248-249, 262, 266, 302, 335, 345, 347, 349, 352-353 Skythe 300, 400 Sohn 64, 103, 113-114, 117, 119, 121, 135, 225, 376 Sophia 128 Sorgen 31, 165, 172, 192, 203, 212, 366 Soteriologie, soteriologisch 147, 172, 244, 246, 305, 392 Sozialethik 353 Spanien 78 Speise 150, 238, 244, 251, 275-276, 283 Sport 253-254, 316 Sportwesen 253, 316 Staat 330, 352 Staatsbürgerschaft 352 Städte 13-15, 25, 33-34, 82, 138, 193, 372 Stämme 344 Stammesgebiete 344 Stärkung 96 Statuen 260 Status 81-82, 175, 294, 309, 311, 324, 353 Stetigkeit 88 Stiftshütte 90, 140 Stilanalyse 26 Stimme 100, 261
Stoa, stoisch, stoische Philosophie, Stoizismus 130, 287 Strabo 13, 383 Strophe 107, 110-112, 115, 128132, 134-137, 141, 150-152, 155 Sühne 80, 145, 147-148, 171, 248, 400 Sühnekult 148 Sühnetod 80, 145, 147, 400 Sühnewirkung 171 Sünde 101, 148, 164, 216, 231, 233, 235-236, 239-240, 247-249, 259, 276, 289-293, 295, 303, 339, 417 Sündenregister 289-290 Sündenvergebung 239 Synagoge 15, 112, 213 Synagogenpraxis 213 Synkretismus, synkretistisch 43-44, 50 T Tacitus 14, 383 Tadel 340 Tat 29, 47, 121, 147, 174, 256, 293, 306, 322 Taufe 20, 37, 51-52, 59, 87, 100, 102, 106, 108-109, 112, 141, 207, 214-215, 217, 230-234, 245-247, 264-265, 275, 277-278, 280, 282284, 286, 294, 296, 303, 307, 313, 317, 323, 326, 331, 401, 417 Tauferfahrung 52, 264, 278, 280 Taufformel 231, 265 Taufliturgie 87, 102, 106, 108109, 112, 401 Taufparänese 51, 217, 231-232, 245-246, 264-265, 277, 280, 286, 294, 303, 317
Stichwortverzeichnis
Tauftheologie 233, 246 Taufvorgang 233 Tempel 140-141, 258 Tempelkritik 141 Territorium 100, 208 Tertullian 24, 383 Textkritik 231, 242, 355 Texttradition 292 Theodor von Mopsuestia 127, 254, 383 Theodoret 170, 257, 383 Theodotion 196 Theologiegeschichte 391, 398, 406, 410 Theologumenon 129 Thessalonika, Thessalonich 78, 372 Thora, Tora 225 Thronsaalvisionen 325 Tilgung 238-239 Timotheus 27-30, 33-34, 53, 61, 64, 73, 82, 87-88, 182, 190, 370, 405 Tischgemeinschaft 347 Titulus 239-240 Tod, töten, tot 20, 45, 146-147, 151, 154, 159, 182, 213-214, 217, 230236, 246-247, 280, 289, 303, 380 Traditionsgeschichte, traditionsgeschichtlich 141, 416 Traditionsgut 17, 87, 97, 100-101, 106, 129, 143, 212, 245 Traditionshintergrund 43, 48, 118, 287, 295, 333 Traditionsstück 17, 86, 140, 149, 329 Traditionszusammenhang 102 Transformation 117, 227, 247, 349 Treue, treu 18, 65-66, 68, 75, 81, 84, 162, 212, 234, 259, 344 Triumphzug 242-243
445
Trost 54, 150, 169, 262, 370 Tugend 83, 195, 287, 311-312, 338, 416 Tür 354, 356-357, 360 Tychichus, Tychikus 27-29, 31, 33, 54, 81-82, 361-366, 368, 375 U Übermaß 115, 306, 317 Unangemessenheit 93 Unbeschnittensein 304 Ungerechtigkeit 315 Unrecht 284, 326, 328, 345-346, 348 Unreinheit 252, 285, 290 Unschuld 185 Unsichtbarkeit, unsichtbar 120, 126 Unterdrückung 348-349, 351 Unterordnung, unterordnen 82, 86, 336-338, 350-351, 354, 401 Unterweisung 81, 183, 213, 319320, 325, 328, 333, 338 Unterweisungsfunktion 325 Unzucht 285, 290 Urchristentum 368, 400, 405, 411 Urgemeinde 323, 346, 349, 356, 360, 373 Urheber 129 Urkunde 240 Urmenschmythos 132 V Valentinianismus 139 Verbote 183, 264, 267, 287 Verehrung 14, 39-41, 150, 249, 254256, 260, 270 Verfasser 16-21, 23-25, 28-29, 46, 53-56, 59, 70, 72, 174, 232, 363, 380, 397
446
Stichwortverzeichnis
Verfasserschaft 16-21, 23-25, 2829, 46, 54-56, 59, 70, 72, 174, 232, 397 Verfolgung 171 Verführung, verführen, verführt 23, 289 Vergebung 85, 87, 100-102, 146, 148, 235-237, 247-248, 308, 313316, 324 Vergebungsbereitschaft 308, 315316, 324 Vergebungsvollmacht 314 Vergütung 344 Verhalten 83-84, 119, 164, 251, 266, 312-313, 322-323, 326, 335, 338 Verhaltensnormen 83, 266, 335 Verheißung 79, 181 Verklärung 141, 263 Verkündigung 64, 81, 84, 90, 162164, 182-184, 186, 189, 212, 321, 355, 357, 360, 370 Versöhnung 58, 108, 111-112, 131, 142, 144-145, 147-148, 151-153, 155-156, 159, 185, 213, 239, 247, 392, 411 Versöhnungsgeschehen 142, 155, 159 Versöhnungstag 112, 247 Versöhnungstagsritus 239 Versöhnungstheologie 144 Versöhnungstod 185 Versöhnungswerk 58, 111, 131, 152-153 Versuchung 45, 103, 356 Vertrauen 14, 74, 82, 213, 234, 245, 295 Verwalter 175 Verwaltungsaufgabe 176
Visionen 118, 120, 184, 249, 257, 282, 326, 413, 417 Völkerapostel 52, 165, 182, 188, 192 Völkerwallfahrt 181, 404 Vollkommenheit 185, 217, 233, 306, 315 Vollmacht 63, 121-122, 137, 336337, 349-350 Vorbehalt 20, 23, 57, 75, 107, 148, 283-285, 288 Vorhäute 229 Vorherrschaft 18, 121, 130, 132, 134, 136 Vorrechte 98 Vorschriften 139, 225-227, 238, 245, 252, 262, 266, 268-269, 271276 W Wachsamkeit 356 Wachstum 23, 79, 84, 261, 263, 317 Waffenrüstung 242, 248 Wahrheit 76-77, 84, 153, 162, 295 Warnung 51-52, 161, 183, 191, 214, 219-220, 244, 249 Waschung 233 Weisheit 23, 37, 58-59, 76, 85, 8991, 102, 113-114, 116-117, 128, 135, 160, 165, 182, 184, 190, 196198, 204, 263-264, 269, 272-274, 276, 306, 319, 342, 358, 398, 400 Weisheitsliteratur 76, 89, 114, 128, 160, 197-198, 342 Weisheitstradition 113-114, 116117, 358 Weltanschauung 46, 58, 118 Weltdeutung 221
Stichwortverzeichnis
Weltelemente 287 Weltenrichter 129 Weltleib 124, 134, 290 Weltordnung 147 Weltseele 134 Weltsystem 266, 298 Werke 24, 85, 93, 146, 158, 189, 213, 219, 228, 252, 289, 298, 314, 382 Werte 331 Wertesystem 331 Wesen 36, 98, 109, 120-121, 126127, 130, 150-152, 162, 225, 227228, 245, 256, 292 Wesensähnlichkeit 121 Wesensidentität 150 Westkirche 248 Wettkampf 186, 324 Widerstand 189, 360 Wiederherstellung 142, 148, 151152, 304 Wiederkunft 23 Siehe auch Parusie Wille 62, 194, 313 Willenskraft 194 Willkür 21, 247, 312 Wirkungsgeschichte 54 Wohlergehen 60, 312, 316, 333, 340, 364 Wohlgefallen 91 Wohlstand 146
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Wunder 95, 373 Wurzel 38, 41, 113, 162, 170, 209, 273, 295, 308, 342 Wut 285, 293 X Xenophon 13, 202, 383 Xerxes 13 Z Zahlung 101 Zeichen 95, 252, 259, 263, 299 Ziege 239 Ziel 33, 128-129, 137, 152, 165, 184, 194, 203, 277, 320, 335, 367 Zion 140, 146, 189 Zionstheologie 140, 146 Zorn 80, 285, 292-293, 303 Zorngericht 293, 303 Züchtigung 255 Zufriedenheit 325 Zugang 59, 91, 150, 153, 204, 228, 232, 245, 262, 283, 285 Zukunft 59, 100, 153, 232, 246, 278, 282-283, 306, 417 Zukunftsperspektive 232, 246, 282-283 Zukunftsvision 306 Zunge 295, 300, 303-304 Zurechtweisung 183 Zwischenstrophe 110, 129-130, 132
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Verzeichnis griechischer Wörter
Verzeichnis griechischer Wörter Die Definitionen einzelner griechischer Wörter sind, falls nicht anders angegeben, Bauer entnommen. Α ἀγάπη 72, 74-75, 82, 315 ἅγίος 65 ἀγωνίζομαι 186, 192, 371 ᾄδω 320 ἀθυμέω 340 αἰσχρολογία 294 ἀκαθαρσία 290 ἀκροβυστία 235, 298-299 ἀνακαινόω 296 ανήκω 337 ἀνήρ 288, 336 ἀνταναπληρόω 169-170, 173-175 ἀνταπόδοσις 343 ἄνω 278-279 ἀξίως 91 ἀόρατος 120, 125 ἀπαλλοτριόω 157 ἀπάτη 221 ἀπεκδύομαι 229, 240, 296 ἀπλότης 342 ἀποκρύπτω 179, 280 ἀπόκρυφος 197-198, 280 ἀπολαμβάνω 344 ἀπολύτρωσις 101 ἀπόστολος 62-63, 154-155 ἀρεσκεία 92-93 ἀρχή 104, 113, 115, 135-136, 228 αὐξάνω 78-79 ἀφειδία 48, 270 ἀχειροποίητος 229 Β βαπτισμός 215, 231
βασιλεία 87, 99-100, 125, 370 βλασφημία 294 βραβεύω 254, 316 Γ γεύομαι 266 γινώσκω 80, 375 γνωρίζω 180-181, 363 γρηγορέω 356 γυνή 288, 336 Δ δηλόω 82 διακονέω 82 διάκονος 54, 81-82, 163, 168, 175, 363 διάνοια 158 διδασκαλία 268 δόγμα 237 δογματίζω 266 δόξα 95, 117 δουλεύω 82, 344-345 δοῦλος 81, 163, 298, 302, 353, 370 δύναμις 94-95, 127 Ε ἐθελοθρησκία 269 εἰκών 113-115, 117-118, 121, 141 εἰρήνη 66-67, 146, 306, 308, 316 ἐκδύω 240 ἐκκλησία 65, 134, 168, 173 ἐλπίς 72 ἐμβατεύω 258 ἐμβαυτεύειν 39
Verzeichnis griechischer Wörter
ἐνέργεια 186-187, 234 ἐνοικέω 318 ἐξαγοράζω 358 ἐξαλείφω 237 ἐξουσία 98-99 ἐπιθύμια 291 ἐπιμένω 161-162 ἐποικοδομέω 209 ἐργάζομαι 343 ἐρεθίζω 340 εὐάρεστος 339 εὐχαριστέω 70-71, 88 Θ θέλω 192, 255 θεμελιόω 161 θεότης 226 θλῖψις 168, 171 θρησκεία 42, 48, 255-256, 269-270 θριαμβεύω 242 θυμός 293 Ι Ἰησοῦς 63, 117, 369 ἱκανόω 96, 98 ἰσότης 347 Κ καιρός 358 κακία 293 καλέω 134, 194, 317 καρποφορέω 78-79 καταβραβέυω 253 καταγγέλλω 182, 358 κατοικῆσαι 137-138, 140-142, 156 κεφαλή 115, 131, 228, 260 κηρύσσω 163 κλῆρος 96-97 κομίζω 346
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κοπιάω 185-186 κράτος 94-95 κτίσις 162 Λ λόγος 76, 79, 177, 269, 307-308, 317-318, 359 λυτρόω 101 Μ μακροθυμία 95, 312 μανθάνω 81 μεθίστημι 87, 99 μερίς 87, 96-97 μνημονεύω 379 μομφή 313 μυστήριον 178-179, 357 Ν νουθετέω 183 νοῦς 259 Ο οἰκιρμός 311 οἰκονομία 175-177, 330 ὀργή 292-293 ὀφθαλμοδουλία 341 Π πάθημα 168 πάθος 290 παραλαμβάνω 207 πάρειμι 77 παρέχω 347 παρηγορία 370 παρίστημι 160, 185 πατήρ 86 περιπατέω 91, 208-209, 292, 322 περισσεύω 211
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Verzeichnis griechischer Wörter
πιθανολογία 199 πικραίνω 338 πίστις 72, 74-75, 161, 210, 234, 318 πιστός 65, 81-82 πλεονεξία 291 πληροφορία 195 πλήρωμα 137-141, 146, 214, 226, 228 πλησμονή 271 πλουσίως 308, 317, 319 πνευματικός 90 πραΰτης 312 προακούω 76 προσηλόω 217, 239 προσκαρτερέω 356 προσωπολημψία 327, 346 πρωτεύω 137 πρωτότοκος 105, 110, 114-115, 120-121, 135-136, 388 Ρ ῥιζόω 209 ῥύομαι 99 Σ σάρξ 159, 172, 193, 235 σοφία 89, 197 σπλάγχνα 310-311 στερέωμα 201-202 στοιχεῖα 39-41, 43-44, 49, 139, 221223, 225, 409, 417
συλαγωγέω 220 συμβιβάζω 194, 261 σύνδούλος 81 συνέσις 89, 184, 195-196 συνθάπτω 231 συνίστημι 130 σώμα 159 σωματικῶς 142, 226 Τ τάξις 201-202 ταπεινοφροσύνη 42, 47, 255, 270, 310-311 τέκνον 339 τελειότης 315 τιμή 271, 273-274 Υ ὑποτάσσεσθαι 336-337 Φ φανεράω 358 φανερόω 179, 282, 358 φθορά 267 Χ χαρίζομαι 236, 313-314 χάρις 66-67, 80, 321, 379 χρηστότης 311 Χριστός 63, 117, 182, 208, 279, 302, 306, 314, 324, 345