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German Pages 753 Year 2001
BERND HEINRICH
Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmielhäuser em. ord. Professor der Rechte an der UniveiSitäl Hambwg
und Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 132
Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht Auslegungsrichtlinien unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsguts der Amtsdelikte
Von
Bemd Heinrich
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Ulrich Weber, Tübingen Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Heinrich, Bemd: Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht : Auslegungsrichtlinien unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsguts der Amtsdelikte I von Bemd Heinrich.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Strafrechtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 132) Zug!.: Tübingen, Univ., Habii.-Schr., 1999 ISBN 3-428-10253-3
Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2001
ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-10253-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1999/2000 von der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen. Das Manuskript wurde Ende Januar 1999 abgeschlossen und anläßlich der Drucklegung nochmals überarbeitet, so daß Rechtsprechung und Literatur bis Ende Juli 2000 berücksichtigt werden konnten. Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Ulrich Weber, Tübingen, der mich- beginnend mit der Themenwahl bis hin zur Veröffentlichung des Manuskriptes - stets hilfreich unterstützt und betreut hat. Nicht nur sein stets offenes Ohr und die mitunter kritischen Anregungen, sondern vor allem auch der mir im Rahmen meiner Assistententätigkeit von ihm eröffnete Freiraum für eigene wissenschaftliche Tätigkeiten, haben entscheidend dazu beigetragen, daß die Schrift in erträglichem zeitlichen Rahmen und mit der erforderlichen Genauigkeit fertiggestellt werden konnte. Weiteren Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Theodor Lenckner, dessen wertvolle Anregungen mich damals davon überzeugten, mich bei der Wahl des Themas der Habilitationsschrift für die Problematik des Amtsträgerbegriffes zu entscheiden. Nicht vergessen werden dürfen aber an dieser Stelle wiederum die vielen Ungenannten, die mir über die Jahre hinweg mit Rat und Tat zur Seite standen, allen voran meine Lehrstuhlkollegen und -kolleginnen, die mich in manchen Situationen durch ein fruchtbares Gespräch auf den ,,richtigen" Weg brachten. Ferner meine Tochter Nadja, die mich tatkräftig bei der Erstellung des Sachverzeichnisses unterstützte. Schließlich möchte ich aber auch diejenigen ,,Fachfremden", die beim Korrekturlesen nach Abschluß des Manuskriptes erstmals- und teilweise verbunden mit einem siehedich nicht immer ganz unberechtigten Kopfschütteln - mit einem juristischen Text konfrontiert wurden, nicht unerwähnt lassen. Tübingen, im August 2000
Bernd Heinrich
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung und ProblemsteUung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
B. Die historische Entwicklung des Amtsträgerbegriffes und der Amts· deUkte . .. . . .... ......... .. .. . ................. . .. . .. . . . . . . 38 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
II. Die Entwicklung des Beamtenturns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
l. Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Das Beamtenturn im Frühmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Das Beamtenturn im Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4. Das Beamtenturn des patrimonial-ständischen Staates . . . . . . . . . . . . . . 47 5. Das Beamtenturn im Absolutismus bis hin zum Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 6. Das Beamtenturn zur Zeit der Geltung des Preußischen Allgemeinen Landrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 7. Das Beamtenturn im Deutschen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 8. Das Beamtenturn in der Weimarer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 9. Das Beamtenturn in heutiger Zeit ......... . .............. . ... 60 III. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes .. ... .. . . 61 I. Die Amtsdelikte im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2. Die Lex Salica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Die Lex Ribvaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4. Der Sachsenspiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 5. Die Carolina .. .. ... . .. . . . .... .. .. ..... . . . . . .... ........ 66 6. Die Lehre von den delicta ministrorum principis . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 7. Die Regelung im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 . . . . . . 69
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Inhaltsverzeichnis 8. Die Regelung in den Partikular-Strafgesetzen des 19. Jahrhunderts
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a) Das Bayrische Strafgesetzbuch von 1813 .............. . ..... 75 b) Strafgesetzbuch filr das Königreich Würtemberg von 1839 . .. . ... 76 c) Criminalgesetzbuch für das Herzogthum Braunschweig von 1840 . . . 77 d) Criminalgesetzbuch für das Königreich Hannover von 1840 . . . . . . 78 e) Strafgesetzbuch für das Großherzogthum Baden von 1845 ..... .. . 78 f) Strafgesetzbuch ftlr die Thüringschen Staaten von 1848 . . . . . . . . . . 79
g) Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851 .. . . ...... 79 h) Strafgesetzbuch flir das Kaiserthum Oesterreich von 1852 ........ 86 i) Strafgesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1855 ...... . .. . . 87 9. Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes . .......... . .. .. .. 88 10. Die Regelung in § 359 des Reichsstrafgesetzbuches .......... . ... 91 a) Die gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Der Beamtenbegriff in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 d) Der Entwurf 1909 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 e) Die Entwürfe 1925 und 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 f) Der Entwurf 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
g) Der Entwurf 1936 . ............. . .............. . .. .. 126 h) Der Begriff des Amtsträgers in anderen Rechtsgebieten . . . . . . . . 128
11. Die sprachliche Neufassung des § 359 StGB durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz 1953 .............................. 128 12. Der Entwurf 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 13. Die heutigen Legaldefinitionen in § 11 I Nr. 2-4 StGB . . . . . . . . . . 138 14. Das Korruptionsbekämpfungsgesetz 1997 . . .............. . . .. 142 IV. Die Unterscheidung von Strafrecht und Disziplinarrecht . . . . . . . . . . . . 148 1. Die Entwicklung bis zum Preußischen Allgemeinen Landrecht . . . . . . . 148 2. Die Loslösung des Disziplinarrechts vom Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Das Disziplinarrecht heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
C. Der Amtsträgerbegriff im Regelungsgefuge der AmtsdeHkte .... . ...... 161 I. § 11 I Nr. 2-4 StGB in ihrer Bedeutung als Legaldefinitionen . . . . . . . . 161 1. Die Legaldefinitionen des § 11 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Inhaltsverzeichnis
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2. Die Legaldefinition des§ 11 I Nr. 2 StGB . . .. . ............ . .. . 165 3. Die Geltung fiir das gesamte Strafrecht ....................... 171 II. Übersicht über die Amtsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Delikte von Amtsträgem, gegen Amtsträger und unter Mitwirkung von Amtsträgem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Delikte unter Beteiligung von Personen, die den Amtsträgem gleichgestellt sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Eigentliche und uneigentliche Amtsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Allgemeine und besondere Amtsdelikte - Tatbestandliehe Einschränkungen des Täterkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 III. Kritik an der Verwendung des Begriffes des ,,Amtsträgers" . . . . . . . . . . 188 IV. Strafrechtlich selbständige Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 l. Die klassische Akzessorietätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
2. Die Verselbständigung des strafrechtlichen Beamtenbegriffes . . . . . . . . 196 3. Die öffentlich-rechtliche Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4. Die strafrechtliche Theorie . . ............................. . 201 5. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 V. Das Rechtsgut der Amtsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 l. Die Lehre von der Dienstpflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
2. Die Lehre von der Amtspflichtverletzung ...................... 215 3. Ablehnung eines flir alle Amtsdelikte geltenden gemeinsamen Rechtsgutes ................................ . .... . .... 219 4. Die Koppelung verschiedener Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Gemeinsames Rechtsgut Dienst- oder Amtspflichtverletzung . . . . . 222 b) Gemeinsames Rechtsgut Schutz der Staatsgewalt vor mißbräuchlicher Kompetenzanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) Gemeinsames Rechtsgut Gesetzmäßiges Funktionieren der Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 d) Gemeinsames Rechtsgut Schutz des staatlichen Amtes . . . . . . . . . 227 e) Gemeinsames Rechtsgut Schutz der staatlichen Einrichtungen . . . . 231 f) Gemeinsames Rechtsgut Interessen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . 232
5. Das Rechtsgut der Amtsdelikte in der heutigen Diskussion ...... . .. 234 a) Mißbrauch der Amtsgewalt als Amtspflichtverletzung . . . . . . . . . . 234
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Inhaltsverzeichnis b) Reinheit der Amtsftlhrung ............................. 235 c) Funktionsfähigkeit staatlicher Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 d) Vertrauen der Allgemeinheit in die Reinheit der Amtstuhrung .... 236 e) Ablehnung eines gemeinsamen Rechtsgutes .. ............... 237 f) Die Ansicht Wagners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 6. Exkurs: Die Diskussion um das Rechtsgut der Bestechungsdelikte . . . . 239 a) Dienstpflicht ............................... . ...... 240 b) Reinheit der Amtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Unentgeltlichkeit der Amtsftlhrung ................... . ... 242 d) Grundsatz der Uneigennützigkeit der Amtsträger . . . . . . . . . . . . . 244 e) Verflilschung des Staatswillens ....... .. ............... . . 244 f) Gesetzmäßiges Funktionieren der Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . 247 g) Vertrauen der Allgemeinheit in die Reinheit der Amtsausübung und in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . 248 h) Komplexes Rechtsgut Vertrauen der Allgemeinheit und Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung ................ 253 7. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Schutzzweck der RechtsgUter im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Rechtsgutstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 bb) Individuelle RechtsgUter .......................... 259 cc) Nicht-individuelle RechtsgUter .................. . .. . 262 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Anwendung dieser Grundsätze auf die Amtsdelikte ........... 267 aa) Schutz des ,,Staates" im Interesse der einzelnen StaatsbUrger ................ ..... ................. 267 bb) Schutz mehrerer RechtsgUter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 cc) Die speziellen RechtsgUter der einzelnen Amtsdelikte .. . ... 273 dd) Das gemeinsame Rechtsgut der Amtsdelikte . . . . . . . . . . . . 275 ee) Anwendung auf die Delikte des 30. Abschnitts des Besonderen Teils des StOB, bei denen Amtsträger als Täter auftreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 ff) Anwendung auf sonstige Delikte, bei denen Amtsträger als Täter auftreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 gg) Anwendung auf Delikte, bei denen Amtsträger als Opfer beteiligt sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 hh) Anwendung auf Delikte, bei denen Amtsträger auf sonstige Weise mitwirken ....................... . ... 305
Inhaltsverzeichnis
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ii) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 c) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 VI. Folgerungen der Rechtsgutsdiskussion ftlr die Auslegung des Amtsträgerbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
D. Der Amtstrlgerbegrifl' des f 11 I Nr. l StGB
313
I. Überblick ............................................ 313 II. Der Beamtenbegriff des § II I Nr. 2a I. Alt. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 317
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2. RUckgriff auf beamtenrechtliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 3. Anstellungsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 4. Freiwilligkeit der BegrUndung des Beamtenverhältnisses . . . . . . . . . . . 326 5. Art der zu verrichtenden Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 6. Weitere Voraussetzungen ............. ...... ..... .. . ...... 337 7. Spezialprobleme ....................................... 338 a) Zeitpunkt der Tat und Beamtenbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 b) Vorläufige Amtsenthebung ...................... . ..... 339 c) Ruhestandsbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 d) Anfechtbare oder nichtige Beamtenbestellung . . . . . . . . . . . . . . . 340 III. Der Begriff des Richters, § 11 I Nr. 2a 2. Alt., Nr. 3 StGB . . . . . . . . . . 342 IV. Das sonstige öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis, § 11 I Nr. 2b StGB ............ . ............................. . .... 349
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Die öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnisse im einzelnen . . . . . . . . . . 353 3. Sonderproblem: die Übernahme von Ehrenämtern . . . . . . . . . . . . . . . 359 4. Sonderproblem: der Beliehene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 V. Die sonstige Bestellung i.S.d. § 11 I Nr. 2c StGB ... . .. . ......... 365
I. Die verpflichtende Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 a) Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
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Inhaltsverzeichnis b) Sonstige Stellen
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2. Die verschiedenen Varianten des§ 11 I Nr. 2c StGB ....... . .... . 386 a) Tätigkeit bei einer Behörde ....... . .. .. ............. . . . 386 b) Tätigkeit bei einer sonstigen Stelle ..... . ................ . 387 c) Tätigkeit im Auftrag einer Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 d) Tätigkeit im Auftrag einer sonstigen Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 3. Die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung .. .. ................ 391 a) Anknüpfungspunkt: Verwaltungsrecht .. . . . .......... . .. . .. 392 b) Die beiden Extrempositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 c) Die Ansicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 d) Analyse staatlicher Verwaltungstätigkeit
400
aa) Die Eingriffsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 bb) Die Leistungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 cc) Die erwerbswirtschaftlich-fiskalische Tätigkeit ... . . .. . .. . 415 e) Auslegungsrichtlinie-Orientierung an dem durch die Amtsträgertatbestände zu schützenden Rechtsgut ............ .. ... 419 f) Einheitliche Auslegung des Begriffes in § 11 I Nr. 2c StOB . . . . . 423
g) Einheitliche Auslegung fllr alle Amtsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . 430 h) Anwendung auf die einzelnen Fallgruppen staatlicher Verwaltungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 aa) Die Eingriffsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 bb) Die Leistungsverwaltung ......................... 433 (1) Die Leistungsverwaltung unter Geltung des § 359
StOB a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
(2) Die Unbeachtlichkeit der Organisationsform . . . . . . . . 438 (3) Einschränkungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 (4) Eigene Stellungnahme .................... . ... 452 (5) Die Sozial- und Förderungsverwaltung ........ . .. . 478 cc) Die erwerbswirtschaftlich-fiskalische Tätigkeit . ...... . ... 478 (1) Die staatliche Beschaffungsverwaltung . ....... . .. . 479
(2) Die wirtschaftliche Betätigung des Staates . . . . . . . . . . 493 i) Abgrenzung zum Bereich der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
j) Abgrenzung zum Bereich der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 502 k) Abgrenzung zum Bereich der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 I) Sonderfall: Wehrverwaltung .................. ... . . . . .. . 504 m) Trennung von Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
Inhaltsverzeichnis
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4. Die eigene Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ............... . ............... . ................ 512 5. Der Bestellungsakt . . ....... . .. ... ... ... . ............... 520 a) Die Trennung von Bestellungsakt und Grundverhältnis .. . ..... . 521 b) Formfreiheit des Bestellungsaktes ....... . ......... ... ... . 527 c) Zeitlicher Umfang der Bestellung ........................ 533 d) Sonstige Anforderungen an den Bestellungsakt . . . . . . . . . . . . . . 543 e) Bestellung von juristischen Personen und Organen sowie das Problem der Subdelegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 6. Sonderproblem: Freiwilligkeit der Übernahme
549
VI. Die Einschränkung auf das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
E. Der Begriff des fiir den öfTenUichen Dienst besonders Verpffichteten, § 11 I Nr. 4 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 I. Der mögliche Personenkreis der Verpflichteten ................... 567 l. Die unmittelbare Beschäftigung bei einer Behörde oder sonstigen Stelle i.S.d. § 11 I Nr. 4a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 2. Die sonstige Tätigkeit flir eine Behörde oder sonstige Stelle i.S.d. § 11 I Nr. 4a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 3. Die Beschäftigung bei einer Organisation i.S.d. § 11 I Nr. 4b StGB, die ftlr einen Hoheitsträger tätig wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 4. Die sonstige Tätigkeit ftir eine Organisation i.S.d. § ll I Nr. 4b StGB, die für einen Hoheitsträger tätig wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 II. Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ....... . .. . 580 III. Die förmliche Verpflichtung . ... . ....... . ................... 581 IV. Die Verwaltungspraxis bei der Durchführung des förmlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590
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F. Exkun: Die Besteclilichkelt und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 I. Die Aufnahme der Angestelltenbestechung ins StOB . . . . . . . . . . . . . . . 594
II. Rechtsgut des § 299 StOB
m. Inhalt des § 299 StOB
602
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
IV. Besonders schwere Fälle, § 300 StOB
613
V. Strafantragserfordernis, § 301 StOB . . .. .. . . . . ......... . ...... 614 VI. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617
G. Anwendungsbereiche ... .. ................. . ........... . .. .. . 619 I. Post und Telekommunikation ... . .. . .................. . .. . .. 619
1. Die Postrefonnen 1989 und 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 2. Die Amtsträgereigenschaft der Beschäftigten der Deutschen Bundespost nach bisherigem Recht . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . .. . . . . 624 3. Die Amtsträgereigenschaft der Beschäftigten der Bundesanstalt fUr Post und Telekommunikation Deutschen Bundespost sowie der Regulierungsbehörde fUr Telekommunikation und Post . . . . . . . . . . . . . . 628 4. Die Amtsträgereigenschaft der Beschäftigten der Deutschen Post AG . . 632 5. Die Amtsträgereigenschaft der Beschäftigten der Deutschen Postbank AG und der Deutschen Telekom AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 II. Die Eisenbahnen des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636
1. Die Eisenbahnrefonn 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 2. Die Amtsträgereigenschaft der Beschäftigten der Deutschen Bundesbahn nach bisherigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 3. Die Amtsträgereigenschaft der in der Eisenbahnverwaltung beschäftigten Personen nach heutigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
m. Private Planungsbüros
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645
Inhaltsverzeichnis
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IV. Kirchenbeamte ......................................... 658 V. Beamte der Europäischen Gemeinschaft
665
VI. Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 VII. Gemeinderäte, Stadträte etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 Vill. Vorstandsmitglieder von Landesbanken ............. ............ 678 IX. Geschäftsllihrer einer GmbH mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung
X. Mitglieder privater Ordnungsgruppen XI. Mitarbeiter der Treuhand
682 685 687
Xll. V -Leute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689
H. Zusammenfassung und Ausblick .......... . .................... 691 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
Abkürzungsverzeichnis a.a.O.
am angegebenen Ort
ABlEG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Abs.
Absatz
AbfG
Abfallgesetz
a.E.
am Ende
AE
Alternativentwurf
a.F.
alte Fassung
AG
Aktiengesellschaft
AK
Alternativkommentar
ALR
Allgemeines Landrecht
Alt.
Alternative
a.M.
anderer Meinung
a.M.
am Main
Anm.
Anmerkung
AO
Abgabenordnung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts, zitiert nach Band und Jahrgang
arg.
argurnenturn
ARSP
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, zitiert nach Jahrgang
Art.
Artikel
AsylVerfG
Asylverfahrensgesetz
AT
Allgemeiner Teil
ATO
Allgemeine Tarifordnung für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst
Aufl.
Auflage
AuslG
Ausländergesetz
AWG
Außenwirtschaftsgesetz
Abkürzungsverzeichnis BadStRBI.
17
Großherzoglich Badisches Staats- und Regierungsblatt
BAPostG
Bundesanstalt Post-Gesetz
BAT
Bundes-Angestelltentarifvertrag
BaWü
Baden-Württemberg
BayGO
Bayrische Gemeindeordnung
BayObiG
Bayrisches Oberlandesgericht
BayRegBI.
Churpfalzbairisches Regierungsblatt
BayVBI.
Bayrische Verwaltungsblätter, zitiert nach Jahrgang
BayVerf
Verfassung des Freistaats Bayern
BB
Betriebsberater, zitiert nach Jahrgang
BBankG
Bundesbankgesetz
BBG
Bundesbeamtengesetz
Bd.
Band
BDH
Bundesdisziplinarhof
BDO
Bundesdisziplinarordnung
BeamtVG
Beamtenversorgungsgesetz
Bem.
Bemerkung
BENeugiG
Gesetz zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen
bezw.
beziehungsweise
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBI.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen - Amtliche Sammlung, zitiert nach Band
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen - Amtliche Sammlung, zitiert nach Band
BJagdG
Bundesjagdgesetz
BI.
Blatt
BNotO
Bundesnotarordnung
BRAO
Bundesrechtsanwaltsordnung
BRD
Bundesrepublik Deutschland
2 Heinrich
18
Abkürzungsverzeichnis
BR-Drs.
Bundesratsdrucksache
BRRG
Beamtenrechtsrahmengesetz
Bsp.
Beispiel
BT
Besonderer Teil
BT-Drs.
Bundestagsdrucksache
BtMG
Betäubungsmittelgesetz
Buchst.
Buchstabe
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes - Amtliche Sammlung, zitiert nach Band
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes - Amtliche Sammlung, zitiert nach Band
BWahlG
Bundeswahlgesetz
BWahlO
Bundeswahlordnung
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CDU
Christlich-demokratische Union
ChemG
Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen - Chemikalikengesetz
Chr.
Christus
CR
Computer und Recht, zitiert nach Jahrgang
csu
Christlich-soziale Union
DB
Der Betrieb, zitiert nach Jahrgang
DDR
Deutsche Demokratische Republik
ders.
derselbe
dgl.
dergleichen
d.h.
das heißt
d.i.
das ist
Diss.
Dissertation
DJ
Deutsche Justiz, zitiert nach Jahrgang
DÖV
Die öffentliche Verwaltung, zitiert nach Jahrgang
DR
Deutsches Recht, vereinigt mit der Juristischen Wochenschrift, zitiert nach Jahrgang
Abkürzungsverzeichnis
19
DRiG
Deutsches Richtergesetz
DRiZ
Deutsche Richterzeitung, zitiert nach Jahrgang
DRPf.
Deutsche Rechtspflege, zitiert nach Jahrgang
DRZ
Deutsche Rechts-Zeitschrift, zitiert nach Jahrgang
DStR
Deutsches Strafrecht. Strafrecht. Strafrechtspolitik. Strafprozeß, zitiert nach Band und Jahrgang
DVBI.
Deutsches Verwaltungsblatt, zitiert nach Jahrgang
E
Entwurf
EG
Europäische Gemeinschaft(en)
EGStGB
Einflihrungsgesetz zum Strafgesetzbuch
ENeuOG
Eisenbahnneuordnungsgesetz
etc.
et cetera
EU
Europäische Union
EWiR
Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht, zitiert nach Jahrgang
f.
folgende
FernmAnlG
Fernmeldeanlagengesetz
FDP
Freie Demokratische Partei
ff.
fortfolgende
FG
Festgabe
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
G
Gesetz
GA
Goltdammers Archiv flir Strafrecht und Strafprozess; bis 1870: Goltdammer, Archiv flir Preußisches Strafrecht; 1871-1879: Goltdammer, Archiv flir Gemeines Deutsches und Preußisches Strafrecht; 188~1899: Goltdammer, Archiv flir Strafrecht, zitiert nach Jahrgang (vor 1934 zitiert nach Band und Jahrgang)
GABI.
Gemeinsames Amtsblatt des Innenministeriums, des Finanzministeriums, des Ministeriums flirWirtschaft, Mittelstand und Verkehr, des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt, des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung sowie der Regierungspräsidien des Landes Baden-Württemberg, zitiert nach Jahrgang
GBI.
Gesetzblatt
gern.
gemäß
20
Abkürzungsverzeichnis
GemO
Gemeindeordnung
GeschOBReg
Geschäftsordnung der Bundesregierung
GewO
Gewerbeordnung
GG
Grundgesetz
GK
Gemeinschaftskommentar
GMBI.
Gemeinsames Ministerialblatt des Auswärtigen Amtes I des Bundesministers des Ionern I des Bundesministers ftlr Jugend, Familie und Gesundheit I des Bundesministers ftir Raumordnung, Bauwesen und Städtebau I des Bundesministers ftlr innerdeutsche Beziehungen I des Bundesministers fUr Forschung und Technologie I des Bundesministers fUr Bildung und Wissenschaft I des Bundesministers ftlr wirtschaftliche Zusammenarbeit, herausgegeben vom Bundesministerium des Innem, zitiert nach Jahrgang
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GRUR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, zitiert nach Jahrgang
GS
Der Gerichtssaal. Zeitschrift fUr Strafrecht, Strafprozeß und die ergänzenden Disziplinen, zitiert nach Band und Jahrgang
GS
Gedächtnisschrift
GTZ
Deutsche Gesellschaft filr technische Zusammenarbeit
GVBI.
Gesetz- und Verordnungsblatt
GVG
Gerichtsverfassungsgesetz
HAG
Heimarbeitsgesetz
HESt
Höchstrichterliche Entscheidungen. Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Gerichte in Strafsachen (1946-1948), zitiert nach Band
h.M.
herrschende Meinung
HRR
Höchstrichterliche Rechtsprechung. Ergänzungsblatt zur "Deutschen Justiz" und zur amtlichen Sammlung der Reichsgerichtsentscheidungen, zitiert nach Jahrgang
Hrsg.
Herausgeber
HS
Halbsatz
i.d.F.
in der Fassung
i.e.S.
im engeren Sinne
IHKG
Gesetz Uber die Industrie- und Handelskammer
ILM
International Legal Materials, zitiert nach Jahrgang
Abkürzungsverzeichnis insbes.
insbesondere
21
IntBestG
Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung
i.S.d.
im Sinne des/der
i.V.m.
in Verbindung mit
i.w.S.
im weiteren Sinne
JArbSchG
Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend - Jugendarbeitsschutzgesetz
JR
Juristische Rundschau, zitiert nach Jahrgang
mRA
Juristische Ausbildung, zitiert nach Jahrgang
JuS
Juristische Schulung, zitiert nach Jahrgang
Justiz
Die Justiz, Amtsblatt des Ministeriums flir Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-WUrttembergs, zitiert nach Jahrgang
JW
Juristische Wochenschrift, zitiert nach Jahrgang
JZ
Juristenzeitung, zitiert nach Jahrgang
Kap.
Kapitel
KasttG
Kastrationsgesetz
KfSachVG
Kraftfahrsachverständigengesetz
KG
Kammergericht
KreisG
Kreisgericht
Kriminalist
Der Kriminalist, zitiert nach Jahrgang
Kriminalistik
Kriminalistik, zitiert nach Jahrgang
lit.
Iitera
LK
Leipziger Kommentar
LM
Fritz Lindenmaier I Philipp Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes
LS
Leitsatz
LuftVG
Luftverkehrsgesetz
LVwVfG
Landesverwaltungsverfahrensgesetz
LZ
Leipziger Zeitschrift ftlr Deutsches Recht, zitiert nach Jahrgang
mbH
mit beschränkter Haftung
MBI.
Ministerialblatt
MDR
Monatsschrift flir Deutsches Recht, zitiert nach Jahrgang
Abkürzungsverzeichnis
22 MStGB
Militärstrafgesetzbuch
MTL II
Manteltarifvertrag fiir Arbeiter des Bundes
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.
nach
NArchKrimR
Neues Archiv des Kriminalrechts, zitiert nach Band und Jahrgang
NdsRpfl.
Niedersächsische Rechtspflege, zitiert nach Jahrgang
nF I n.F.
neue Fassung
NJW
Neue juristische Wochenschrift, zitiert nach Jahrgang
NK
Nomos Kommentar
Nr.
Nummer
NRW /NW
Nordrhein-Westfalen
NRWJMBI.
Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, zitiert nach Jahrgang
NSDAP
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
NStZ
Neue Zeitschrift ftlr Strafrecht, zitiert nach Jahrgang
NStZ-RR
Neue Zeitschrift ftlr Strafrecht, Rechtsprechungsreport, zitiert nach Jahrgang
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, zitiert nach Jahrgang
NZWehrR
Neue Zeitschrift ftlr Wehrrecht, zitiert nach Jahrgang
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development
OGHSt
Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes ftir die Britische Zone in Strafsachen, zitiert nach Band
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberverwaltungsgericht
OWiG
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
ParlStG
Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre
PostG
Postgesetz
PostStruktG
Poststrukturgesetz
PostVerfG
Postverfassungsgesetz
PostVerwG
Postverwaltungsgesetz
RBG
Reichsbeamtengesetz
Abkürzungsverzeichnis
23
Recht
Das Recht. Rundschau für den deutschen Juristenstand, zitiert nach Jahrgang
Rechtsprechung
Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen, zitiert nach Band und Jahrgang
RegBI.
Regierungsblatt
RG
Reichsgericht
RGBI.
Reichsgesetzblatt
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen - Amtliche Sammmlung, zitiert nach Band
RGStGB
Reichsstrafgesetzbuch
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen - Amtliche Sammlung, zitiert nach Band
RiStBV
Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren
Rn.
Randnummer
RPflG
Rechtspflegergesetz
RT-Drs.
Reichstagsdrucksache = Anlagen zu den stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Reichstages
s.
Seite
SGB
Sozialgesetzbuch
SJZ
Süddeutsche Juristenzeitung, zitiert nach Jahrgang, Spalte
SK
Systematischer Kommentar
sog.
sogenanntelr
SoldG
Soldatengesetz
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SpKG
Sparkassengesetz
StGB
Strafgesetzbuch
StPO
Strafprozeßordnung
StrRG
Gesetz zur Reform des Strafrechts (Strafrechtsreformgesetz)
StrRÄndG
Gesetz zur Änderung des Strafrechts (Strafrechtsänderungsgesetz)
StV
Strafverteidiger, zitiert nach Jahrgang
StVG
Straßenverkehrsgesetz
TKG
Telekommunikationsgesetz
u.
und
24
Abkünungsveneichnis
u.a.
unter anderem
UPR
Umwelt- und Planungsrecht, zitiert nach Jahrgang
UWG
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
V.
vor
Var.
Variante
VerpflG
Verpflichtungsgesetz
Verw
Die Verwaltung, zitiert nach Jahrgang
VerwArch
Verwaltungsarchiv, zitiert nach Jahrgang
vgl.
vergleiche
vo
Verordnung
V OBI.
Verordnungsblatt
VwKostG
Verwaltungskostengesetz
VwVfG
Verwaltungsverfahrensgesetz
VwR
Verwaltungsrecht
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, zitiert nach Band und Jahrgang
wistra
Zeitschrift flir Wirtschaft. Steuer. Strafrecht, zitiert nach Jahrgang
WM
Wertpapiermit~ilungen.
WRP
Wettbewerb in Recht und Praxis, zitiert nach Jahrgang
WRV
Weimarer Reichsverfassung
WStG
Wehrstrafgesetz
WüStRBl.
Königlich Württembergisches Staats- und Regierungsblatt
ZAkDR
Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht, zitiert nach Jahrgang
z.B.
zum Beispiel
zitiert nach Jahrgang
Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht,
ZBR
Zeitschrift für Beamtenrecht
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, zitiert nach Jahrgang
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik, zitiert nach Jahrgang
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, zitiert nach Band und Jahrgang
A. Einleitung und Problemstellung Im Rahmen der Amtsdelikte spielt der Begriff des Amtsträgers eine zentrale Rolle. Sowohl ftir die Begehung eines sogenannten "eigentlichen" als auch für die eines sogenannten "uneigentlichen" Amtsdeliktes 1 ist es eine unabdingbare Voraussetzung, daß ein Amtsträger in irgendeiner Form an der Deliktsverwirklichung beteiligt ist, sei es als Täter, als Tatopfer oder als sonstiger Beteiligter. Darüber hinaus findet sich bei einigen Amtsdelikten auch eine Erweiterung des Personenkreises auf die "für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten". Diese Begriffe werden im einzelnen in § 11 I Nr. 2 und 4 StGB näher umschrieben. Dabei löste die Vorschrift des § 11 I Nr. 2 StGB die bis zum 1. Januar 1975 geltende Begriffsbestimmung des strafrechtlichen ,,Beamten" in § 359 StGB a.F. ab, § 11 I Nr. 4 StGB umschreibt in etwa den Personenkreis, der von der bis dahin geltenden ,,Bestechungsverordnung"3 erfaßt war4 • Trotz dieser zentralen Bedeutung hat der (strafrechtliche) Beamten- bzw. Amtsträgerbegriff in der wissenschaftlichen Diskussion bis vor kurzem eher ein Schattendasein geführt5. Zwar liegt eine umfangreiche Einzelfallrechtsprechung
1
Zu diesen Begriffen vgl. näher unten C II 3.
Vgl. hienu noch unten C II I. Ferner spielt der Begriff des Amtsträgers bei den Amtsdelikten (zur weiten Auslegung des Begriffes der Amtsdelikte vgl. unten C II 1) nicht nur für die Strafbegründung oder Strafrahmenerhöhung eine Rolle, sondern er wird auch bei der Frage des Strafantrages(§§ 77a, 194 III, 230 II StGB) sowie bei der Strafbarkeit wegen Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter (§ 5 Nr. 12-14 StGB) relevant. 2
3 "Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen" in der Fassung vom 22. Mai 1943 (RGBI. 1943 I, S. 351 sowie BGBI. III, S. 2034-1), aufgehoben durch Art. 287 Nr. 3 des EGStGB vom 2. März 1974 (BGBI. 1974 I, S. 469). Die BestechungsVO löste wiederum die frühere "Verordnung über die bei Behörden oder in kriegswirtschaftlichen Organisationen beschäftigten Personen" vom 3. Mai 1917 (RGBI. 1917, S. 393) ab. Vgl. hienu ausführlich unten B III 10 a. 4 Geppert, JURA 1981, 42 (45); Göhler, NJW 1974, 825 (831); LK-Gribbohm, 11. Aufl., § II Rn. 18; Preisendanz, § 11 Anm. IV I ; Schönlce/Schröder-Eser, § 11 Rn. 15, 34; SK-Rudolphi, § 11 Rn. 8; SK-Samson, 5. Aufl., § 11 Rn. 18.
sAus der älteren Literatur zum Amtsträger- bzw. Beamtenbegriff sind zu nennen die Werke von (geordnet nach dem Erscheinungsjahr): S.Puppe, Die Begriffe "Beamter" und "Amt" im Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1908; Hol/, Der Begriff des Beamten im strafrechtlichen Sinn, 1908; Hochheiser, Der Beamtenbegriff im deutschen Reichsstrafrecht, 1929; Keßmann, Der Beamtenbegriff des Reichsstrafgesetzbuches in seiner rechtsgeschichtlichen Entwicklung, 1933; Kelpin, Beamteneigenschaft und Ausübung obrigkeitlicher Funktionen, 1935; Erb, Der Beamtenbegriff des Straf-
26
A. Einleitung und Problemstellung
insbesondere zu§ 359 StGB a.F. vor, die auch heute noch in der Kommentarliteratur einen breiten Raum einnimmt6, zusammenhängende Darstellungen waren aber eher selten. Erst in jüngster Zeit erfreut sich das Thema zunehmender Beliebtheie. Auch die Rechtsprechung wurde in jüngster Zeit vermehrt mit dem Problem konfrontiert8• Bisher lassen sich aus der Vielzahl der ergangenen Entscheidungen jedoch kaum zusammenhängende Strukturen erkennen. Insbesondere die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu § 359 StGB a.F. ist zudem häufig widersprüchlich. Diese Unsicherheit ist umso bedauerlicher, wenn man bedenkt, daß durch die zunehmende ,,Privatisierung" von Verwaltungsaufgaben - erwähnt seien hier nur beispielhaft die Bereiche der ehemaligen Deutschen Bundespost, der ehemaligen Deutschen Bundesbahn sowie die zunehmende Beauftragung von privaten Unternehmen zur Vorbereitung von Entscheidungen der Verwaltungsbehörden - Betätigungsfelder entstehen, in denen die Handelnden zumindest nicht mehr eindeutig dem klassischen Amtsträgerbegriff zugeordnet werden können9• Problematisch ist dies vor allem im Hinblick darauf, daß die ,,Privatisierung der Verwaltung" nicht etwa bereits ihren Abschluß gefunden hat, sondern in ihrer Entwicklung eher noch am Anfang stehen dürfte 10•
rechts (§ 359 StGB) und seine Anwendung auf die Amtsträger der Bewegung, 1938; Weiß, Der Beamtenbegriff im Sttaf- und Haftungsrecht, 1961; SchriJder, Der strafrechtliche Beamtenbegriff in der Entwicklung der Rechtsprechung und der EntwUrfe, 1965; zu den Amtsdelikten allgemein (wiederum in zeitlicher Reihenfolge): Wachinger, Verbrechen und Vergehen im Amt, 1909; Karstedt, Der Begriff der Amtsdelikte im geltenden Strafrecht und seiner Reform, 1931; Stock, Entwicklung und Wesen der Amtsverbrechen, 1932; Munzinger, Die sogenannten eigentlichen und die sogenannten uneigentlichen Amtsdelikte, 1934; Stephan, Die Amtsverbrechen und der§ 50 RGStGB, 1938; ferner aus neuerer Zeit Wagner, Amtsverbrechen, 1975. 6 Hierzu auch Rohlff, S. 3; so findet sich z.B. bei LK-Gribbohm, II. Aufl., § 11 Rn. 47 ff., eine knapp 3 Seiten lange Aufzählung von Urteilen, die sich mit der strafrechtlichen Beamteneigenschaft einzelner Personen- und Berufsgruppen beschäftigen. 7 Vgl. Haft, N1W 1995, 1113; ders., N1W 1996, 238; ders., NStZ 1998, 29; ders., Lenckner-FS 1998, S. 81; Lenckner, ZStW 106 (1994), 502; Martin, JuS 1998, 182; Otto, JURA 1997, 47; ders., JR 1998, 73; Ransiek, NStZ 1997, 519; ders., NStZ 1998, 564; Roh(ff, Die Täterder "Amtsdelikte", 1995; Schramm, JuS 1999, 333; TraumaM, Die Anwendung der Bestechungsdelikte auf die Inhaber privater Ingenieur- und Planungsbüros, 1997; Weiser, N1W 1994, 968; Welp, Lackner-FS 1987, S. 761; Zeiler, MDR 1996, 439. 8 BGHSt 42, 230 - Dolmetscher; 43, 96 - Planungsingenieur; 43, 370 - GTZ; BGH NJW 1998, 2372- Bauingenieur; BGH N1W 1999, 2378- Flughafengesellschaft; BayObiG N1W 1996, 268 -Ingenieur; OLG Frankfun N1W 1994, 2242- Bauleiter; OLG Frankfurt NStZ 1997, 200- Flughafenangestellte; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 263 - GTZ; KG NStZ 1994, 242 - Treuhand; LG Frankfurt NStZ-RR 1996, 259- Flughafenangestellte.
9 Speziell mit den Problemen, die sich aus der zunehmenden Privatisierung öffentlicher Aufgaben ftlr das Strafrecht ergeben, beschäftigen sich die Beiträge von Lenckner, ZStW 106 (1994), 502, und Zechlin, BB 1982, 439. 10 So auch Lenckner, ZStW 106 (1994), 502; Ossenbühl, JR 1992, 453; Traumann, S. 17; vgl. auch BR-Drs. 298195, S. 5; Kiimmerer, JZ 19%, 1042.
A. Einleitung und Problemstellung
27
Wenn in diesem Zusammenhang von der Privatisierung staatlicher Aufgaben die Rede ist, so fallen hierunter, wie eben schon angedeutet, ganz verschiedene Bereiche 11 • Während friiher vornehmlich die Frage der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch öffentliche Unternehmen unter dem Stichwort der ,,Privatisierung" diskutiert wurde12, sind es in neuererZeiteine Vielzahl von Privatisierungsformen, derer sich die Verwaltungspraxis bedient, um das Ziel des "schlanken Staates" durchzusetzen. Sie können in der vorliegenden - vorwiegend strafrechtlich orientierten - Arbeit nicht im einzelnen aufgezählt und analysiert werden. Daher soll an dieser Stelle lediglich ein grober Überblick gegeben werden. Zum einen ist festzustellen, daß in zunehmendem Maße - im Interesse einer vereinfachten, kostengünstigen und beschleunigten Erledigung von Verwaltungsaufgaben - traditionelle Aufgaben der Verwaltung, die bisher von staatlichen Behörden selbst wahrgenommen wurden, aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung herausgenommen und auf neu geschaffene juristische Personen des Privatrechts übertragen werden (uneigentliche Privatisierung man spricht hier auch von Organisationsprivatisierung oder formeller Privatisierung13). Privatisiert wird hier also lediglich die Organisationsform, nicht aber die Aufgabe selbst, da die Anteile an dem neu gegründeten Unternehmen mehrheitlich in staatlicher Hand verbleiben. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich bei der übertragenen Aufgabe um eine solche handelt, bei deren Erfüllung der Staat eine Monopolstellung innehat oder ob er gleichberechtigt neben anderen rein privaten Unternehmen am Wettbewerb teilnimmt 14. Zumeist werden hierbei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, teilweise auch Aktiengesellschaften
11 Vgl. zur "Privatisierung" von Verwaltungsaufgaben allgemein v.Amim, Rechtsfragen der Privatisierung, 1995; v.Amim/BorelWogt, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, 2. Aufl. 1980; Bauer, VVDStRL 54 (1995), 243; Di Fabio, JZ 1999, 585; Donges u.a., Privatisierung auch im Westen, 1983; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984; ders., DÖV 1986, 897; Grabbe, Verfassungsrechdiebe Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, 1979; v.Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982; Hengstschläger, VVDStRL 54 (1995), 165; Hoffmann-Riem, DVBI. 1996, 225; Jaag, VVDStRL 54 (1995), 287; Kllmmerer, JZ 1996, 1042; Möschel, Gernhuber-FS 1993, S. 905; ders., Schmidt-FS 1997, S. 351; Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), 137; Osterloh, VVDStRL 54 (1995), 204; Schoch, DÖV 1993, 277; ders., DVBI. 1994, 962; Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975; Stober, NJW 1984, 449; Theobald, DVBI. 1996, 663; Tiemann, BayVBI. 1976, 261; Traumann, S. 17 ff.; Graf Vitzthum, AöR 104 (1979), 580; Wieland, Verw 1995, 315; Wolff/Bachof/Stober, VwR II, § 104a. 12
Traumann, S. 17; vgl. hierzu Ossenbühl, VYDStRL 29 (1971), 137 (145 f.).
BGHSt 43, 370 (374)- GTZ; Bull, Rn. 39; Di Fabio, JZ 1999, 585 (588); Gusy, ZRP 1998, 265 (267); KIJmmerer, JZ 1996, 1042 (1043); M(Jschel, Gernhuber-FS 1993, S. 905 (907); ders., Schmidt-FS 1997, S. 351; Ossenbühl, JR 1992,473 (475); SK-Rudolphi, § 11 Rn. 12; Stern, DVBI. 1997, 309 (310); Stober, NJW 1984, 449 (450); Traumann, S. 117; Graf Vitzthum, AöR 104 (1979), 580 (588 ff.). Ygl. hierzu auch BR-Drs. 298/95 (Beschluß), S. 11; BR-Drs. 298195, S. 2, 7 und BR-Drs. 571/95, S. 9. 13
1• Donges u.a., S. 26 f.; Traumann, S. 117; vgl. auch Stern, DVBI. 1997, 310 (311), der von formeller Privatisierung nur dort spricht, wo das staatliche Unternehmen nicht in einem Konkurrenzkampf mit anderen privaten Anbietern steht, wo es also keinen .,Markt" gibt.
28
A. Einleitung und Problemstellung
gegründet (oder erworben), bei denen das Grund- oder Stammkapital entweder vollständig (,,Eigengesellschaft" 15) oder zumindest mehrheitlich (,,Beteiligungsgesellschaft") in der Hand der die Gründung betreibenden Gebietskörperschaft bleibe6 • Die ehemalige Deutsche Bundespost 17 und die ehemalige Deutsche Bundesbahn 18 sind hierfür - zumindest nach derzeit geltenden Recht - eindrucksvolle Beispiele19. Die zweite Fallgruppe betrifft die mehr schleichende, versteckte Privatisierung von Verwaltungsaufgaben. So ist in zunehmendem Maße zu beobachten, daß sich insbesondere in der öffentlichen Bauverwaltung (vergleichbares giltjedoch auch für andere Bereiche20) die Behörden zur Vorbereitung öffentlicher Bauvorhaben privater Planungsbüros bedienen, die für die Behörde die notwendigen Planungsarbeiten im Vorfeld der Errichtung beispielsweise von öffentlichen Schwimmbädern oder Kläranlagen durchflihren21 (eigentliche Privatisierung - teilweise wird hier auch von Aufgabenprivatisierung22, Verfahrensprivatisierung23 oder funktioneller" Privatisierung gesprochen25). Für diesen
15
Vgl. zur Eigengesellschaft ausführlich Graf Vitzthum, AöR 104 (1979), 580 (611 ff.).
16
Vgl. BR-Drs. 298/95, S. 12.
Anders wohl SK-Rudolphi, § 11 Rn. 12, der hier einen Fall der Aufgabenprivatisierung annimmt. Dies ist aber solange nicht richtig, wie die öffentliche Hand (noch) die Mehrheit der Aktien besitzt; vgl. zur Amtsträgereigenschaft der Beschäftigten der Deutschen Bundespost und ihrer Nachfolgeunternehmen unten G I. 11
18 Vgl. zur Amtsträgereigenschaft der Beschäftigten der Deutschen Bundesbahn (sowie der Deutschen Bahn AG) unten G II.
19 Vgl. auch OssenbiJhl, JR 1992,473, der davon spricht, daß im kommunalen Bereich ca. 40% der wirtschaftlichen Unternehmen der Kommunen Westdeutschlands in Rechtsformen des Privatrechts betrieben werden. 20 Traumann, S. 118, nennt hier Leistungen auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet allgemein, daneben aber auch noch Dienstleistungen der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte, Dienstleistungen der rechts- und wirtschaftsberatenden sowie der künstlerischen, journalistischen und übersetzenden freien Berufe. 21 Vgl. zu diesem Problemkreis, insbesondere aus strafrechtlicher Sicht, Lenckner, ZStW 106 (1994), 502, sowie hinsichtlich der Amtsträgereigenschaft der Beschäftigten von privaten Planungsbüros ausführlich unten G III. 22 Anders Di Fabio, JZ 1999, 585 (588), der hierunter die sogleich noch zu behandelnden Fälle der materiellen Privatisierung versteht.
23
Di Fabio, JZ 1999, 585 (589 f.).
Vgl. hierzu auch Bull, Rn. 39, der den Begriff der funktionellen Privatisierung ausdrücklich von dem der materiellen Privatisierung unterscheidet. In der Tat findet sich diese Fallgruppe der Privatisierung oft unter dem Stichwort "materielle Privatisierung", was zur Verwirrung führen kann, da unter der "materiellen Privatisierung" im eigentlichen Sinne der vollständige Verzicht des Staates auf die Durchflihrung einer Aufgabe zu verstehen ist; vgl. hierzu sogleich im Text. Zum Begriff der funktionallen Privatisierung auch Di Fabio, JZ 1999, 585 (588 f.). 24
25 Ossenbühl, JR 1992,473 (475); hierzu auch bereits ders., VVDStRL 29 (1971), 137 (141 f.); ferner Kämmerer, JZ 1996, 1042 (1043), und Graf Vitzthum, AöR 104 (1979), 580 (593 f.).
A. Einleitung und Problemstellung
29
Bereich ist es kennzeichnend, daß der staatliche Träger die Durchführung von Aufgaben zwar Privaten überläßt, die Verwaltung aber die Aufsicht und Gewährleistung behält und letztlich auch die Verantwortung für die zu treffenden Entscheidungen übernimmt. Die strafrechtliche Dimension eines solchen Verhaltens liegt auf der Hand26. Denn können die ausschließlich nach den Vorschriften des Privatrechts tätigen Architekten und Ingenieure nicht als Amtsträger im Sinne des Strafrechts angesehen werden, so können für sie die gesamten Amtsdelikte nur über den Umweg der "besonderen Verpflichtung" für den öffentlichen Dienst i.S.d. § 11 I Nr. 4a StGB zur Anwendung gebracht werden. Doch selbst wenn eine solche Verpflichtung vorgenommen wurde, was in der Praxis allerdings nicht allzu häufig vorkommt, wird hiervon lediglich ein Teil der Amtsdelikte erfaßt, nämlich nur solche, bei denen neben den Amtsträgem auch die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten genannt sind wie beispielsweise die Bestechungsdelikte, §§ 331 ff. StGB, nicht aber die Körperverletzung im Amt, § 340 StGB. Daneben reicht die für Angestellte geschäftlicher Betriebe geschaffene Vorschrift der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB (früher§ 12 UWG) bei weitem nicht aus, um die jeweiligen Fälle in befriedigender Weise zu lösen27. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auch noch auf die Privatisierung von Teilen der kommunalen Verwaltung insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge28 hinzuweisen. Hier ist zu beobachten, daß Aufgaben wie die Müll- und Abwasserbeseitigung, der öffentliche Personennahverkehr, der Betrieb von Schwimmhallen etc. zunehmend von privaten Anbietern wahrgenommen werden29. Allerdings sind hier die Grenzen der Aufsichts- und Kontrollrechte sowie der Verantwortungsübernahme der Gemeinde für die zu treffenden Entscheidungen fließend und überschneiden sich mit der nachstehend genannten Fallgruppe. Diese beinhaltet die vollständige Verlagerung von Aufgaben, die ursprünglich von Trägem der staatlichen Verwaltung wahrgenommen wurden, auf Pri-
26
Vgl. auch BR-Drs. 298195, S. 12.
n Zu § 299 StOB vgl. unten Teil F. 28 Zur Kategorisierung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche staatlicher Verwaltung sowie dem Begriff der "Daseinsvorsorge" vgl. unten D V 3 d.
29 Traurnann, S. 17, weist darauf hin, daß infolge der zunehmenden Verschuldung vieler Kommunen diesen künftig nichts anderes mehr Ubrig bleiben wird, als sich auf ihre "eigentlichen" Aufgaben, d.h. hoheitlichen Aufgaben sowie auf Dienstleistungen im Bildungs-, Sozial- und Kulturwesen, die niemand anders erbringen kann oder will, zu konzentrieren; hierzu auch Ehlers, DÖV 1986, 897; Ossenbühl, JR 1992, 473. Anschaulich auch Kerbel, S. 40 ff., die die Korruption in der öffentlichen Verwaltung am Beispiel der Stadtverwaltung Frankfurt a.M. empirisch untersucht.
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A. Einleitung und Problemstellung
vatrechtssubjekte (materielle Privatisierung im eigentlichen Sinne~. Die staatlichen Träger verzichten in diesen, zur Zeit noch eher selten vorkommenden Fällen31 vollständig oder zumindest weitgehend auf Gewährleistungs- und Aufsichtsrechte, so daß hierin ein Verzicht auf die W ahmehmung der Aufgabe an sich zu sehen isf2 • Diese Einteilung in verschiedene Fallgruppen kann allerdings, wie bereits ausgeführt, höchstens als grobe Orientierung dienen. Zu vielfältig sind die Formen, in denen die Verwaltung Aufgaben privatisiert oder/und von verwaltungsexternen Personen vornehmen läßt. Was die strafrechtliche Beurteilung angeht, so hat diese facettenreiche Privatisierung von Verwaltungsaufgaben allerdings zur Folge, daß der ohnehin unscharfe Amtsträgerbegriff leicht jegliche Konturen verliert. Diese Unsicherheit bei der Beurteilung des strafrechtlichen Amtsträgerbegriffes ist umso bedenklicher, wenn man sich klar macht, daß es- was die strafrechtliche Seite angeht - insbesondere die Amtsdelikte sind, die dazu dienen sollen, Korruption, Bestechung und Geheimnisverrat im Bereich der öffentlichen Verwaltung einzudämmen. So ist die vollständige Herausnahme der soeben genannten Tätigkeitsfelder aus dem Anwendungsbereich der Amtsdelikte gerade im Hinblick auf die immer wieder beklagte Korruption im öffentlichen Bauwesen33 - insbesondere bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge- sicherlich unangebracht34• Es muß also die Frage gestellt werden, inwieweit durch
30 Bull, Rn. 39; Gusy, ZRP 1998, 265 (267); Traumann, S. 117; vgl. auch Möschel, GemhuberFS 1993, S. 905 (907); ders., Schmidt-FS 1997, S. 351; vielfach wird der Begriff der materiellen Privatisierung jedoch auch im oben bei der zweiten Fallgruppe gennanten Sinne fUr die dort genannten Fälle der funktionellen Privatisierung gebraucht. Dies kann mitunter zu Verwirrungen fUhren, da es sich um auch in ihren rechtlichen Folgen vollkommen unterschiedliche Bereiche der Privatisierung handelt; vgl. auch Donges u.a., S. 28, wo davon die Rede ist, bei der materiellen Privatisierung wUrde sich die öffentliche Hand aus der Bereitstellung und Herstellung eines Gutes zurtlckziehen; dies wUrde "etwas unscharf' auch als Aufgabenprivatisierung bezeichnet. 31
Vgl. auch Gusy, ZRP 1998, 265 (268).
Vgl. zu weiteren Formen der Privatisierung Ktimmerer, JZ 1996, 1042 (1043), der noch die Vennögensprivatisierung (Übertragung von Eigentum oder anderen Vermögenswerten, gegebenenfalls auch wirtschaftlicher Unternehmen oder Beteiligungsrechte auf Private), die Verfahrensprivatisierung (Überantwortung verfahrensbezogener Handlungen) und die Finanzierungsprivatisierung 32
(Finanzierung staatlichen Handeins durch Private) nennt.
33 Vgl. hierzu Broßffhode, NStZ 1993, 369; Dölling, Gutachten, S. 17, 20 f., 23; ders., NJW 1996, Beilage zu Heft 23, S. 16 ( 17); Heninger, JZ 1996, 822; Kemer!Rixen, GA 1996, 355 (368); Littwin, ZRP 1996, 308 (309); Möhrenschlager, JZ 1996, 822; Müller, Kriminalistik 1993, 509; Schaupensteiner, Kriminalistik 1990, 507; ders., ZRP 1993, 250; ders., Kriminalist 1996, 7; ders., NStZ 1996,409 (411); Traumann, S. 19 ff.; Weiser, NJW 1994, 968; ferner Lenckner, ZStW 106 (1994), 502 (503). 34 Neben dem öffentlichen Bauwesen findet sich noch eine Vielzahl weiterer korruptionsanflilliger Bereiche. Zu nennen ist hier insbesondere die Genehmigungskorruption bei der Erteilung von ausländerrechtliehen Aufenthaltsgenehmigungen, der Führerscheinvergabe, der Rückstellung vom Wehr- und Zivildienst, der Erteilung von Erlaubnissen nach dem Gewerbe- und Gaststättenrecht, den umweltrechtlichen Genehmigungen und bei den Zulassungsverfahren neuer Stoffe und Präpara-
A. Einleitung und Problemstellung
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die (zulässige?35) Delegation von Aufgaben, die ursprünglich von den Behörden selbst wahrgenommen wurden, an private Institutionen auch die strafrechtliche Amtsträgereigenschaft mit übergeht oder ob diese vielmehr bei einer solchen Übertragung "auf der Strecke" bleibt. Hierbei ist auch die im Verfassungsrecht aufgeworfene Frage von Interesse, inwieweit der Staat sich durch eine ,,Flucht ins Privatrecht" bestehender verfassungsrechtlicher Bindungen, insbesondere Grundrechtsbindungen, entziehen kann36• Es wird jedenfalls kaum bestritten werden können, daß die Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf Private nicht zu einer generellen "Abwahl des Strafrechts " 31 und zu einer damit verbundenen pauschalen Nichtanwendbarkeit der Amtsdelikte führen darf. Daß das Problem der Bekämpfung der Korruption38 auch und gerade mit den Mitteln des Strafrechts von hoher aktueller Brisanz ist, wird durch die Tatsache untermauert, daß es auf dem 61. Deutschen Juristentag in Karlsruhe 1996 zum Schwerpunktthema in der strafrechtlichen Abteilung gemacht wurde. Es wurde hierbei insbesondere der Frage nachgegangen: ,,Empfehlen sich Änderungen des Straf- und Strafprozeßrechts, um der Gefahr von Korruption in Staat,
te; vgl. hierzu näher Kemer!Rixen, GA 1996, 355 (367 f.); Möhrenschlager, JZ 1996, 822; Schaupensteiner, NStZ 1996, 409 (410 f.); ders., Kriminalist 1996, 7; Traumann, S. 19. Vgl. hierzu aber auch BGHSt 38, 199 (205) -GmbH-Geschäftsführer: ,,Dem Senat ist bewußt, daß diese Auslegung (des § II I Nr. 2 StOB) Lücken bei der Bekämpfung der Korruption und des Mißbrauchs von Machtstellungen läßt, die bei weiterer Privatisierung der Erftlllung öffentlicher Aufgaben nicht unerheblich sind. Diese Lücken kann der Senat im Wege der Auslegung nicht schließen. Dazu ist der Gesetzgeber berufen."
3' Inwieweit die Träger staatlicher Verwaltung dazu befugt sind, in größerem Ausmaße Privatisierungen vorzunehmen, ist eine verfassungs- und verwaltungsrechtlich zu beurteilende (Vor-)Frage, die hier nicht geklärt werden soll. Hinzuweisen ist an dieser Stelle lediglich darauf, daß von der Rechtsprechung jedenfalls Privatisierungen im Bereich hoheitlicher Tätigkeit häufig als unzulässig angesehen werden; vgl. KG NJW 1997, 2894- Parkraumüberwachung; AG Alsfeld NJW 1995, 1503- Geschwindigkeitsmessungen (wobei hier jeweils die Besonderheit hinzukam, daß die Übertragung der Aufgaben auf Private ohne gesetzliche Grundlage vorgenommen wurde); hierzu auch Grabbe, S. 145 ff.; zur Zulässigkeil der Privatisierung im Bereich der Leistungsverwaltung zur Daseinsvorsorge (konkret hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute) Schmidt, ZIP 1983, 1038 (1041). 36 Vgl. zu dieser Frage insbesondere im Hinblick auf die Weite des Amtsträgerbegriffes Rohlff, S. 174 ff., sowie ausftihrlich unten D V 3d bb.
37 Zu diesem Begriff Haft, NJW 1995, lll3 (lll7); Lenckner, ZStW 106 (1994), 502 (502, 506); Ossenbühl, JR 1992, 473 (475); Traumann, S. 21; Weiser, NJW 1994, 968. 38 Zur Korruption allgemein Arzt/Weber, LH 5, Rn. 428 ff.; Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, 1981; Dölling, Gutachten, S. 7 ff.; Eser!Oberhofen/Huber (Hrsg.), Korruptionsbekämpfung durch das Strafrecht, 1997; Friedeich Ebert Stiftung, Korruption in Deutschland, 1995; Friedeich Ebert Stiftung, I. Nachfragekonferenz zur Korruption in Deutschland, 1996; Hettinger, NJW 1996, 2263 (2265); Lang, Kriminalistik 1993, 363; Lisken, NJW 1995, 1873; Kerbel, Korruption in der öffentlichen Verwaltung am Beispiel einer Großstadtverwaltung, Diss. Speyer 1995; Schäfer, in: Verhandlungen, S. L 14 ff.; Schaupensteiner, Kriminalistik 1994, 514; ders., Kriminalist 1996, 7; ders., NStZ 1996, 409; Tondorf, Staatsdienst und Ethik, 1995; Vahlenkamp/Knauß, Korruption- hinnehmen oder handeln, 1995; Walter, Kriminalistik 1994, 514.
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A. Einleitung und Problemstellung
Wirtschaft und Gesellschaft wirksam zu begegnen?'m. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Diskussion im Vorfeld des im Jahre 1997 verabschiedeten Korruptionsbekämpfungsgesetzes40 • Am 3. November 1995 beschloß der Bundesrat, den Entwurf eines solchen Gesetzes in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen41 • Daneben verabschiedete auch die Bundesregierung am 19. Juni 1996 einen ,,Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption"42 • Neben einer allgemeinen Anhebung der Strafrahmen der Bestechungsdelikte (§§ 331 ff. StGB und § 12 UWG a.F.43), der Aufnahme des 39 Vgl. hierzu das Gutachten C zum 61. Deutschen Juristentag Karlsruhe 1996 von Dölling (zitiert: Dölling, Gutachten). Eine Kurzfassung hiervon findet sich in der Beilage zu NJW 1996, Heft 23, S. 16; vgl. auch die Beilage zu NJW 1996, Heft 35, S. 26 f.; ein Bericht über den Tagungsverlauf sowie die gefaßten Beschlüsse ist abgedruckt in NJW 1996, 2987 (2989 f., 2995 ff.) und in: Verhandlungen, Juristentag 1996, S. L I ff., 55 ff.; vgl. hierzu auch die auf dem 61. Deutschen Juristentag erstatteten Referate von Schaefer, Verhandlungen S. L 9 ff., und Volk, Verhandlungen, S. L 35 ff. 40
"Gesetz zur Bekämpfung der Korruption" vom 13. August 1997 (BGBI. 1997 I, S. 2038), in
Kraft getreten am 20. August 1997. Stellungnahmen hierzu finden sich bei Bottke, ZRP 1998, 215;
Duttge, ZRP 1997, 72; Geerds, JR 1996, 309; Hettinger, NJW 1996, 2263; Kerner/Rixen, GA 1996, 355; König, DRiZ 1996, 357; ders., JR 1997, 397; ders., JZ 1997, 132 (135); Korte, NJW 1997, 2556; ders., NStZ 1997, 513; Lackner/Kühl, vor§ 398 Rn. I; Uttwin, ZRP 1996, 308; Lüderssen, BB 1996, 2525; ders., JZ 1997, 112; ders., StV 1997, 318; Möhrenschlager, JZ 1996, 822; Pfeiffer, NJW 1997, 782; Ransiek, StV 1996, 446; Schaupensteiner, Kriminalistik 1996, 237, 306; ders., NStZ 1996, 409; ders., Kriminalistik 1997, 699; Wolters, JuS 1998, 1100. Vgl. zu den Bemühungen, der Korruption auf europäischer Ebene entgegenzuwirken, den "Vorschlag fiir einen Rechtsakt des Rates über die Fertigstellung eines Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind", abgedruckt in: Ratsdokument 5502/96 sowie BT-Drs. 224/96; ferner das EU-Bestechungsgesetz, BGBI. 1998 II, S. 2340, sowie das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung, BGBI. 1998 II, S. 2327; vgl. zu diesem europarechtlichen Aspekt noch ausfUhrlieh unten G V.
=
41 Vgl. BT-Drs. 13/3353 BR-Drs. 298/95 (Beschluß); der Entwurf ist hervorgegangen aus Anträgen des Bundeslandes Berlin vom 24. Mai 1995, BR-Drs. 298/95, und des Freistaates Bayern vom 12. September 1995, BR-Drs. 571/96; vgl. hierzu auch die weiteren Stellungnahmen Bayerns, BR-Drs. 298/3/95, und Sachsen-Anhalts, BR-Drs. 29812/95. 42 BR-Drs. 553/96. Der Entwurf ging zurück auf den Gesetzentwurf einiger Abgeordneten aus der CDU/CSU-Fraktion sowie der FDP-Fraktion; vgl. BT-Drs. 13/5584 (ferner die Anträge in BTDrs. 13/8082 und 13/8085). Dieser Entwurf wurde unverändert als Entwurf der Bundesregierung übernommen; vgl. BT-Drs. 13/6424, S.4. Hierzu auch die Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 553/2/96 = BT-Drs. 13/6424, S. 5 ff., und die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 13/6424, S. 12 ff. Vgl. schließlich auch noch die Anträge der SPD-Fraktion, BT-Drs. l2n42, 13/1717 sowie in BT-Drs. 13/8083 und 13/8084; ferner den der Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 13/617.
43 In § 299 StGB wurde die Strafobergrenze schließlich im Vergleich zu § 12 UWG a.F. von einem auf drei Jahre Freiheitsstrafe hinaufgesetzt. Bei den §§ 331 ff. StGB wurde die Strafobergrenze für die Vorteilsannahme, § 331 StGB, und die Vorteilsgewährung. § 333 StGB. von zwei auf drei Jahre Freiheitsstrafe erhöht, während es bei der Bestechlichkeit, § 332 StGB, und der Bestechung, § 334 StGB, beim bisherigen Strafrahmen blieb, jedoch flir besonders schwere Fälle nunmehr eine Sonderregelung in§ 335 StGB geschaffen wurde. Vgl. hierzu auch die differenzierende Stellungnahme des 61. Deutschen Juristentages, Abteilung Strafrecht, Beschlüsse II 7 (§ 331 ff. StGB) und II II (§ 12 UWG a.F.), abgedruckt in NJW 1996, 2994 (2996, 2997); ferner Dölling,
A. Einleitung und Problemstellung
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§ 12 UWG a.F. als neuen § 299 ins StGB44, der Aufnahme von besonders schweren Fällen mit Regelbeispielen (insbesondere zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität45), der Einführung einer Strafbarkeit von Amtsträgem bei bloßer Vorteilsannahme für die dienstliche Tätigkeit auch ohne Nachweis einer Unrechtsvereinbarung46, der Ausdehnung des Vorteilsbegriffes auch auf Vorteile für Dritte47, der Strafbarkeit der Vorteilsgewährung auch für bereits vorgenommene Diensthandlungen und Diensthandlungen, zu denen der Amtsträger verpflichtet ist48, der Einführung einer Kronzeugenregelung49, Regelungen
Gutachten, S. 75 ff., 89; ders., NJW 1996, Beilage zu Heft 23, S. 16 (18); König, DRiZ 1996, 357 (362 f.); Korte, NJW 1997, 2556; Möhrenschlager, JZ 1996, 822 (826 f.); Ransiek, StV 1996,446 (453); Schaefer, Verhandlungen, S. L 9; kritisch zur Strafrahmenanhebung Geerds, JR 1996, 309 (311); Heninger, NJW 1996,2263 (2272 f.); Kemer/Rixen, GA 1996, 355 (384).
=
44 So zumindest im Entwurf des Bundestages, BR-Drs. 553/96 BT-Drs. 13/5584, der insoweit später auch Gesetz wurde; zustimmend Möhrenschlager, JZ 1996, 822 (827); der Bundesrat hingegen sprach sich fllr einen Verbleib der Angestelltenbestechung im UWG aus, vgl. BR-Drs. 298/95 (Beschluß), S. 21 und BR-Drs. 55312/96; ebenso Dölling, Gutachten, S. 85; ders., NJW 1996, Beilage zu Heft 23, S. 16 (18); Geerds, JR 1996, 309 (312); Kerner/Rixen, GA 1996, 355 (392). Der 61. Deutsche Juristentag sprach sich im übrigen ebenfalls für eine Nichtübernahme des § 12 UWG a.F. ins StGB aus; vgl. den Beschluß II 9 der Abteilung Strafrecht, abgedruckt in NJW 1996, 2994 (2996). 4 s Jetzt: §§ 300, 335 StOB. Vgl. hienu auch das Referat von Schaefer, Verhandlungen, S. L 9 ff. (16, 32), auf dem 61. Deutschen Juristentag in Karlsruhe 1996. Ein Bericht hierüber findet sich in NJW 1996, 2987 (2989). Vgl. ferner den Beschluß I 3 der Abteilung Strafrecht auf diesem Juristentag, abgedruckt in NJW 1996,2994 (2995), und Dölling, Gutachten, S. 29; ders., NJW 1996, Beilage zu Heft 23, S. 16 (17).
46 So zumindest der Entwurf des Bundesrates, BR-Drs. 298/96 (Beschluß), auf Vorschlag Berlins (BR-Drs. 298/95) entgegen dem Vorschlag Bayerns (BR-Drs. 571196 und 298/3/95). Im Entwurf des Bundestages wurde dagegen ursprünglich an der Unrechtsvereinbarung festgehalten (BRDrs. 553/96 = BT-Drs. 13/5584); vgl. hienu auch die Diskussion auf dem 61. Deutschen Juristentag in Karlsruhe 1996, Tagungsbericht, NJW 1996, 2987 (2989 f.). Dieser sprach sich- allerdings in etwas abgeschwächter Form - ebenfalls für eine Streichung der Unrechtsvereinbarung aus; vgl. den Beschluß II 2, Alternative 3, der Abteilung Strafrecht, abgedruckt in NJW 1996, 2994 (2996); so auch Schaefer, Verhandlungen, S. L 9 (23 f.); kritisch zur Streichung allerdings Geerds, JR 1996, 309 (310 f.); Heninger, NJW 1996, 2263 (2268 f.); Kemer/Rixen, GA 1996, 355 (381 f.); Volk, Verhandlungen, S. L 35 (40 f.); differenzierend Möhrenschlager, JZ 1996, 822 (826); ferner Korte, NStZ 1997, 513 (514 f.). Der Gesetzgeber folgte schließlich einer differenzierenden Lösung; vgl. hienu sogleich unten im Text. 47 Vgl. die jetzige Regelung in§§ 331 I, II I, 332 I I, II I, 333 I, II, 334 I, II I StOB. So auch der 61. Deutsche Juristentag in Karlsruhe 1996; vgl. den Beschluß II 3 der Abteilung Strafrecht, abgedruckt in NJW 1996, 2994 (2996); ferner Hettinger, NJW 1996, 2263 (2268 Fn. 59); Kerner/Rixen, GA 1996, 355 (381); kritisch hienu Ransiek, StV 1996,446 (451); vgl. auch Volk, Verhandlungen, S. L 35 (41 ff.).
.os Vgl. die jetzige Regelung in§ 333 I, II StOB; so auch der 61. Deutsche Juristentag in Karlsruhe 1996; vgl. den Beschluß II 4 der Abteilung Strafrecht, abgedruckt in NJW 1996, 2994 (2996); ferner Geerds, JR 1996, 309 (311); Kerner/Rixen, GA 1996, 355 (380 f.). 49 Die Einfuhrung einer Kronzeugenregelung wurde hingegen vom Gesetzgeber abgelehnt. Auch der 61. Deutschen Juristentag in Karlsruhe 1996 lehnte die vorgeschlagene Regelung knapp ab; vgl. den Beschluß 111 3 der Abteilung Strafrecht, abgedruckt in NJW 1996, 2994 (2997); kritisch hienu ebenfalls Kerner/Rixen, GA 1996, 355 (384); Littwin, ZRP 1996, 308 (313); Ransiek, StV 1996,
3 Heinrich
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über die Vermögensstrafe und den erweiterten Verfall50 sowie strafprozessualen Erleichterungen insbesondere bei .der Überwachung des Femmeldeverkehrs51, wurde auch die Erweiterung des Täterkreises bei den Bestechungsdelikten durch eine Gleichstellung weiterer Personengruppen mit den Amtsträgern bzw. eine Änderung des § 11 I Nr. 2 StGB selbst diskutie~2 • Das letztlich verabschiedete .,Gesetz zur Bekämpfung der Korruption" vom 13. August 199753, in Kraft getreten am 20. August 1997, übernahm weitgehend die vorgeschlagenen Änderungen54• Lediglich an der Notwendigkeit einer Unrechtsvereinbarung bei den Tatbeständen der Bestechlichkeit, § 332 StGB, und der Bestechung, § 334 StGB, wurde festgehalten. Dagegen wurde bei der Vorteilsannahme, § 331 StGB, sowie bei der Vorteilsgewährung, § 333 I StGB, auf den Nachweis einer Unrechtsvereinbarung verzichtet. Der Vorteil muß nunmehr nur noch als Gegenleistung für eine vorgenommene oder vorzunehmende Dienstleistung erbracht werden. Es genügt also, daß der Vorteil allgemein für die Dienstleistung erbracht wird oder erbracht werden soll55. Ferner wurde auf die Einführung einer Kronzeugenregelung56 ebenso verzichtet wie auf die Er-
446 (449 f.); Volk, NJW 1996, 879 (881). Dagegen befürworten Dölling, Gutachten, S. 74 f., 91; ders., NJW 1996, Beilage zu Heft 23, S. 16 (18 f.), und Schaefer, Verhandlungen, S. L 9 (27), die
Einfllhrung einer Kronzeugenregelung bei den Bestechungsdelikten. Ebenso der Entwurf des Bundesrates, BR-Drs. 298/95 (Beschluß), S. 12, und BR-Drs. 553/2/96, S. 8, II; ferner Schaupensteiner, Kriminalist 1996, 417 (417 f.). ~Jetzt: §§ 302, 338 StGB; so auch der 61. Deutsche Juristentag in Karlsruhe 1996; vgl. die Beschlüsse II 8 und II 12 der Abteilung Strafrecht, abgedruckt in NJW 1996, 2994 (2996, 2997); ferner Dölling, Gutachten, S. 72, 91; ders., NJW 1996, Beilage zu Heft 23, S. 16 (18), der diese Regelungen jedoch lediglich fllr die§§ 331 ff. StGB, nicht jedoch fiir § 12 UWG a.F. (jetzt: § 299 StGB) vorschlug; kritisch zu diesen Regelungen insgesamt Kerner/Rixen, GA 1996, 355 (384); Möhrenschlager, JZ 1996, 822 (828 Fn. 57a); Ransiek, StV 1996, 446 (448). SI Diese Regelung wurde vom Gesetzgeber abgelehnt; gegen die Aufnahme der §§ 332, 334 StGB in den Katalog des§ 100a StPO auch schon der Antrag des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, BR-Drs. 29812/95. Dagegen sprach sich der 61. Deutsche Juristentag in Karlsruhe 1996 für eine Aufnahme dieser Strafnormen in den Katalog des§ 100a StPO aus; vgl. den Beschluß III I der Abteilung Strafrecht, abgedruckt in NJW 1996, 2994 (2997); ebenso der Entwurf des Bundesrates, BRDrs. 298/95 (Beschluß), S. 22 f., und BR-Drs. 553/2/96, S. 13; Dölling, Gutachten, S. 100 f.; ders., NJW 1996, Beilage zu Heft 23, S. 16 (19); Geerd.s, JR 1996, 309 (313); Kerner/Rixen, GA 1996, 355 (393); König, DRiZ 1996, 357 (365); Littwin, ZRP 1996,308 (313); Schaefer, Verhandlungen, S. L 9 (27); Schaupensteiner, Kriminalist 1996,417 (418); kritisch hierzu Ransiek, StV 1996, 446 (449).
s2 Vgl. zu diesen Vorschlägen im einzelnen unten B 111 14. Sl
BGBI. 1997 I,
s. 2038.
so Siehe im einzelnen unten B Ill 14.
ss Vgl. hierzu die Begründung in der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 13/8079, S. 34 f. S6 Es ist hier lediglich disziplinarrechtlieh die Möglichkeit der Gewährung einer monatlichen Unterhaltsleistung vorgesehen worden, wenn der Beamte wegen pflichtwidriger Annahme von Belohnungen oder Geschenken (§§ 43 BRRG, 70 BBG) aus dem Dienst entfernt wurde, gleichzeitig
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öffnung der Möglichkeit der Überwachung des Fernmeldeverkehrs bei den Bestechungsdelikten. Von einer Erweiterung des Täterkreises speziell für die Bestechungsdelikte wurde ebenfalls abgesehen und an der einheitlichen Amtsträgerdefinition festgehalten. Allerdings wurde in § 11 I Nr. 2c StGB nunmehr ausdrücklich klargestellt, daß es auf die von der Verwaltung zu ihrer Aufgabenerfüllung gewählte Organisationsform nicht ankommf7 • Eine von den einzelnen Straftatbeständen losgelöste, abstrakte Klärung des Begriffs des Amtsträgers, wie sie sich bislang in § 359 StGB a.F. fand und seit 1975 in § 11 I Nr. 2 StGB normiert ist, steht allerdings vor dem Problem, daß sie ohne Rückgriff auf die einzelnen Straftatbestände der Amtsdelikte kaum möglich ist58 • Denn man läuft leicht Gefahr, über den Wunsch nach abstrakter Klärung des Begriffes den spezifischen Unrechtsgehalt der einzelnen Amtsdelikte aus dem Auge zu verlieren59• Andererseits hat eine "vor die Klammer" gezogene Legaldefinition auch gerade den Sinn, eine für mehrere Straftatbestände geltende allgemeine Begriffsbestimmung zu ermöglichen, weswegen es beispielsweise unzulässig wäre, die Definition ausschließlich am Rechtsgut eines einzelnen Amtsdeliktes oder an den praktischen Bedürfnissen einer bestimmten Vorschrift auszurichten60• Auf Einzelheiten hierzu wird noch zurückzukommen sein61 . Bei der Beantwortung der Frage, wer als Amtsträger im Sinne des Strafrechts anzusehen ist, wird auch die grundsätzliche Überlegung zu berücksichtigen sein, inwieweit sich der Staat zur Erledigung seiner Aufgaben überhaupt "Beamter" bedienen soll oder ob er diese Aufgaben nicht besser von Privatpersonen oder dazwischengeschaltenen privaten Unternehmen erfüllen lassen sollte62. Dabei drängt sich auch unmittelbar die Frage auf, welche Bereiche der Staat notwendigerweise selbst regeln muß, d.h. nicht auf private Institutionen übertragen darf, welche Aufgaben er andererseits nicht an sich ziehen darf und bei welchen er ein Wahlrecht besitzt.
aber als Kronzeuge fungierte; vgl. § 11a I 800. Eine ähnliche Regelung findet sich nun auch in § 58a der Wehrdisziplinarordnung. 57
Vgl. hierzu im einzelnen noch ausführlich unten 8 111 14.
Vgl. hierzu auch AK-Sonnen, vor§ II Rn. 7; Lenckner, ZStW 106 (1994), 502 (507); Rohlff, S. 8; P.Schrßder, S. 49; Stock, S. 6; Traumann, S. 22; Wagner, JZ 1987, 594; Weiser, NJW 1994, 968 (969). 58
Wagner, S. 26. Lenckner, ZStW 106 (1994), 502 (507 ff.); Roh/Jf, S. 8; P.Schröder, S. 49, 56; Weiser, NJW 1994, 968 (968 f.); Welp, Lackner-FS 1987, S. 761 (771). 59 60
61
6
3*
Vgl. unten C I I.
z Hierzu Bu/1, § 1 Rn. 37 ff.; zu dieser Frage schon Hol/, S. 2.
36
A. Einleitung und Problemstellung
Bevor nun jedoch auf den Inhalt des heute in § 11 I Nr. 2 StGB geregelten Amtsträgerbegriffes eingegangen wird, soll zuerst dessen historische Entwicklung nachgezeichnet werden63, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf die bis 1975 geltenden Normierung des (strafrechtlichen) Beamtenbegriffes in § 359 StGB a.F. zu legen ist64• Voraussetzung für das Verständnis dieser Entwicklung ist einerseits ein Blick auf die Entwicklung des Beamtenturns an sich65 als auch auf die sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts vollziehende Loslösung des Disziplinarrechts vom Strafrecht66• Im Anschluß daran sollen einige allgemeine Erörterungen über die Stellung des Amtsträgerbegriffes im Regelungsgefüge der Amtsdelikte67 und über die Möglichkeit einer strafrechtlich selbständigen Begriffsbestimmung im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten (sogenannte ,.Relativität der Rechtsbegriffe")68 zu der zentralen Frage nach dem Rechtsgut der Amtsdelikte fiihren69• Denn erst diese Rechtsgutsbestimmung gibt schließlich den Rahmen vor, in welchem sich eine Auslegung des Amtsträgerbegriffes des § 11 I Nr. 2 StGB70 und des Begriffes des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten nach§ 11 I Nr. 4 StGB bewegen71 muß. Dies folgt daraus, daß der (erhöhte) Unrechtsgehalt der Amtsdelikte gerade aus der notwendigen Beteiligung eines Amtsträgers72 folgt, weswegen das Rechtsgut der Amtsdelikte auch für die Auslegung des Amtsträgerbegriffes im allgemeinen und hierbei auch für die einzelnen Merkmale des Amtsträgerbegriffes im besonderen eine entscheidende Rolle spielen muß73• Der Schwerpunkt wird hierbei auf das Merkmal der ,,Aufgaben der öffentlichen Verwaltung" zu legen sein, welches sowohl in § 11 I Nr. 2c StGB als auch in § 11 I Nr. 4a, b StGB eine entscheidende Rolle spielt'4 • Nach dieser allgemeinen Begriffsbestimmung und einem kurzen Überblick über die den§ 12 UWG a.F. ablösende neue Vorschrift der ,,Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr", § 299 StGB75, werden zum Schluß die gewonnenen Erkenntnisse auf einige spezielle,
63
Vgl. unten B 111.
~>t
Vgl. unten B UJ 10, II.
6!1
Vgl. unten B U.
66
Vgl. zu dieser Entwicklung unten B IV.
67
Vgl. hierzu unten Teil C I-111.
61
Vgl. hierzu unten C IV.
69
Dieser Frage wird unten, C V, nachgegangen werden.
70
Diese Austubrungen schließen sich dann in Teil D der vorliegenden Arbeit an.
71
Vgl. hierzu unten TeilE.
7l
Hierzu
73
Hierzu ausfllhrlich unten C VI.
74
Vgl. hierzu unten D V 3, E II.
c n l.
"Vgl. hierzu unten Teil F.
A. Einleitung und Problemstellung
37
in Rechtsprechung und Literatur besonders umstrittene Tätigkeitsfelder und Berufsgruppen übertragen76 • Nicht behandelt werden können in der vorliegenden Abhandlung die Probleme des allgemeinen Strafrechts, die sich im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Amtsdelikte und den Amtsträgerbegriff stellen, insbesondere die Beteiligungsproblematik77 sowie Vorsatz- und lrrtumsfragen78 • Hierzu ist an dieser Stelle nur anzumerken, daß sich die Probleme im Vorsatzbereich und dementsprechend auch die Irrtumsproblematik verständlicherweise in umso größerem Maße stellen, je unklarer die (objektiven) Anforderungen an den Amtsträgerbegriff letztlich sind79 • Nur wenn es gelingt, eindeutige objektive Kriterien ftir die Abgrenzung des Amtsträgers vom Nichtamtsträger zu finden, wird auch für den subjektiven Bereich eine befriedigende Lösung möglich sein.
76
Vgl. hierzu Teil G der vorliegenden Arbeit.
77
Zur Täterschaft und Teilnahme bei Amtsdelikten vgl. Stephan, S. 58 ff.; Wagner, S. 373 ff.
78 Zu Vorsatz- und lntumsfragen in bezug auf den strafrechtlichen Amtsträgerbegriff vgl. ausfllhrlich P.Schr6der, S. 240 ff., Wagner, S. 315 ff. 79 Es ist hier insbesondere fraglich, ob der Vorsatz hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals ,,Amtsträger" eine positive Kenntnis der Amtstrligereigenschaft voraussetzt, der Täter also wissen muß, daß er selbst, das jeweilige Tatopfer oder der beteiligte Dritte ,,Amtsträger" ist (in diese Richtung die frühere Rechtsprechung des Reichsgerichtes; vgl. RGSt 23, 374 [375 f.] - Fleischbeschauer; 24, 83 [86] -Hausvater; 52, 349 [351] - Hilfsgepäckträger; RG GA 42 [1894], 234Bahnagent; zu dieser Rechtsprechung P.Schr6der, S. 126 f.) oder ob es ausreicht, wenn der Täter lediglich die (tatstichlichen) Umstlinde kennt, die seine Amtsträgereigenschaft begründen, auch wenn er hieraus nicht den Schluß zieht, daß eine Amtsträgereigenschaft vorliegt (seit 1918 ständige Rechtsprechung; vgl. RGSt 53, 131- Feldpostpakete; 57, 366 [367]- Wohnungsunterkommission; 62, 337 [339]- Registrator; 68, 70 [73 f.] - Postkrankenkasse; 73, 169 [171)- Fleischbeschauer; 74, 105 [109)- Staatliches Landgut; 74, 251 [254]- Klinikverwaltung; 75, 193 [195]- Organisationswalter; 75, 396 [398]- Getreidewirtschaftsverband; 76, 209 [213]- Berufsgenossenschaft; RG IW 1931, 62 [63 f.] - Stadtbetriebsamt; IW 1933, 1727 - Gemeindekirchenrat; IW 1935, 1248 [1249)- Kirchenkassierer; IW 1939,625- HilfspaketzusteDer; RG GA 58 [1911], 173 [174]Postaushelfer; GA 63 [1917], 432 [433]- Postaushelfer; RG HRR 1934 Nr. 1174 -Lehrling; HRR 1940 Nr. 264- Plomben; HRR 1940 Nr. 711 - Postagentenvertreterin; HRR 1940, Nr. 1161 Kreissparkasse; HRR 1942, 828 - Sammelbezugsscheinstelle; RG DR 1940, 443 - Goldtaxator; BGHSt 2, 119 [120]- Postbeamter; 6, 17 [20]- Ortskrankenkasse; 8, 321 (323]- Postfacharbeiter; BGH NJW 1960,253- Ausg1eichsausschuß; OLG Braunschweig HESt l, 264 (268]- StunnfUhrer; OLG Frankfurt NJW 1953, 1075 (1076]- Straßenbahnschaffner; OLG Hamm NRWJMBI. 1952, 157 [159] -Ersatzkasse; OLG Hessen, Kasseler Strafsenat, HESt 2, 175 [179 f.]- Wehrmacht; OLG Oldenburg JR 1950, 410 - Reichsbahnbeamter; KG 1961, 228 [229] - Abrechnungskassierer; vgl. auch die Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 10. Band, 113. Sitzung, S. 331 (339 - Beitrag von Sclu'ifer)).
B. Die historische Entwicklung des Amtsträgerbegriffes und der Amtsdelikte
I. Einleitung Untersucht man den heutigen strafrechtlichen Amtsträgerbegriff auf seine historischen Vorläufer, so steht man einerseits vor der Notwendigkeit, sich mit der Entstehung des Beamtenturns1 an sich auseinanderzusetzen, andererseits ist auch der Entwicklung der einzelnen Tatbestände der Amtsdelikte besondere Beachtung zu schenken. Denn der strafrechtliche Amtsträgerbegriff entwickelte sich nicht abstrakt, sondern bildete sich erst im Zusammenhang mit den einzelnen, zuerst verstreut auftretenden Amtsdelikten heraus2 • Außerdem war von einem spezifisch strafrechtlichen Amtsträgerbegriff, wie noch zu zeigen sein wird3, lange Zeit nicht die Rede. Denn die Amtsdelikte erfaßten früher ausschließlich diejenigen Personen, die nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts ,,Beamte" oder "Staatsdiener" waren. Ferner ist bei der Prüfung der Strafbarkeit wegen einer Dienstpflichtverfehlung auch die sich erst langsam herausbildende Unterscheidung zwischem den strafrechtlich zu beurteilenden Amtsdelikten und den öffentlich-rechtlich zu beurteilenden Disziplinarvergehen zu beachten4 • Trotz dieser Notwendigkeit einer historischen Betrachtung ist jedoch der Umstand nicht aus den Augen zu verlieren, daß insbesondere der Inhalt der Amtsdelikte, wie dies bei kaum einer anderen Deliktsgruppe der Fall ist, abhängig ist von der jeweils geltenden Verfassung. Denn gerade die Amtsdelikte werden durch das jeweils geltende Staats- und Verfassungsrecht in besonderer Weise geformt'. Im folgenden soll nun zuerst in gebotener Kürze auf die Entstehung, Entwicklung und Bedeutung des Beamtenturns eingegangen werden6, um anschlie-
1
Vgl. hierzu sogleich unten B II.
2
Stock, S. 6.
1
Vgl. unten B
m.
• Vgl. hierzu unten B IV. -Wobei allerdings nicht verkannt werden soll, daß das Strafrecht selbstverständlich als Teilgebiet des öffentlichen Rechts anzusehen ist. ' So schon Binding, GS 64 (1904), 1; P.Schrlider, S. 25. 6
Vgl. hierzu sogleich unten B II.
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
39
ßend die Entwicklung der Amtsdelikte und mit ihr eng zusammenhängend die Entwicklung des strafrechtlichen Amtsträgerbegriffes aufzuzeigen'. Diese beiden Materien sind zusammen zu behandeln, da einerseits als Amtsdelikte nur diejenigen Delikte anzusehen sind, die entweder von oder gegen oder zumindest unter Beteiligung eines Amtsträgers begangen werden8, andererseits aber die Herausbildung gerade des strafrechtlichen Amtsträgerbegriffes, der mit dem staatsrechtlichen Beamtenbegriff nicht identisch sein muß9 , ohne Betrachtung der jeweils in Frage kommenden Amtsdelikte nicht möglich ist. Abschließend ist auf die eben schon erwähnte Unterscheidung von Amtsdelikten, die mit einer Kriminalstrafe geahndet werden, und Dienstverfehlungen, denen mit disziplinarischen Maßnahmen zu begegnen ist, einzugehen 10• Hierbei wird sich zeigen, daß sich das Disziplinar(straf-)recht erst langsam aus dem allgemeinen Kriminalrecht der Amtsverbrechen herausgelöst und zur selbständigen Disziplin entwickelt hat.
II. Die Entwicklung des Beamtenturns Die Rolle und der Status des Beamten ist seit jeher eng mit der jeweils zugrundeliegenden Staatsform verknüpft11 • Dort, wo sich ein Staatswesen herausbildete, fanden sich auch bald ,,Beamte", "Staatsdiener" oder ,,königliche Bedienstete", die entweder für den jeweiligen Landesherren persönlich oder für das Staatswesen als solches tätig wurden.
1. Antike Bereits seit etwa dem 3. Jahrtausend v. Chr. findet man im alten Ägypten sogenannte "Schreiberbeamte", deren Aufgabe es war, im Interesse einer geordneten Staatsverwaltung nach den jährlichen Nilüberschwemmungen das Land neu einzuteilen und die Ernteerträge zentral zu verteilen 12• Überhaupt entwickelte sich in den beiden Hochkulturen Ägypten und Babyion bereits in früher Zeit ein
Vgl. hierzu unten B III.
7
1
Vgl. hierzu unten C II I.
9
Näher zu dieser Problematik unten C IV.
10
Vgl. hierzu unten B IV.
Zur geschichtlichen Entwicklung des Beamtenbegriffes vgl. Hattenhauer, Geschichte des deutschen Beamtentums, 2. Aufl. 1993; lsaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtentums, 1878; Thiele, Die Entwicklung des Deutschen Berufsbeamtentums, 1981. 11
12
Kienzler, Rn. 12; Scheerbach/HlJjJken, § I I; vgl. hierzu auch Borch, S. 27 f.; Till, S. 136.
40
B. Die historische Entwicklung
wahrer Beamtenstaat, das erste Fachbeamtenturn der Geschichte 13 • Es sind hierin bereits Strukturen einer bürokratischen Verwaltung erkennbar, die streng zentralistisch organisiert war und sich nach dem göttlichen Willen des Herrschers zu richten hatte 14. Auch in China wurden seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. in zunehmendem Maße kaiserliche Beamte zur Verwaltung des Reiches eingesetzt15. Das griechische und insbesondere das römische Staatswesen wiesen ebenfalls über weite Strecken ein hoch entwickeltes Beamtenturn auf. Dennoch fehlt im römischen Recht eine einheitliche allgemeine Definition des Beamtenbegriffes16. Es findet sich lediglich eine Vielzahl von Regelungen über einzelne (höhere) Beamtenkategorien: Konsuln, Diktatoren, Prätoren, Censoren, Volkstribunen, Ädilen, Quästoren und auch Priester17, um nur einige davon zu nennen18. Diese waren jeweils mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten ausgestattet. Der Grund, weshalb darüber hinaus eine einheitliche Beamtendefinition fehlt, lag wohl zumindest bis zum Ende der römischen Republik (27 v. Chr.) daran, daß das römische Staatswesen bis dahin weit weniger Aufgaben öffentlich-rechtlicher Natur zu bewältigen hatte als der moderne Staat19. Daher reichte ein überschaubarer Beamtenapparat und eine begrenzte Anzahl von Beamtenkategorien aus, um die staatlichen Aufgaben zu erfüllen. Eines darüber hinausgehenden allgemeinen Beamtenbegriffes bedurfte es somit nicht20 • Auffallend ist ferner, daß in der Frühzeit des römischen Reiches die höheren Beamten zumeist nur für eine bestimmte Zeit (oft nur für ein Jahr) ein Staatsamt durch Los oder Wahl erlangen konnten21 und für die Ausübung auch nur eine geringe Entschädigung bekamen, so daß die Beamtentätigkeit nur wirtschaftlich gesicherten Personen offenstand22. Allerdings stand diesen höheren Beamten zur Erledigung ihrer Aufgaben, soweit erforderlich, ein ständig besol-
13
Borch, S. 25; Hintze, S. 18; Till, S. 136.
14
Borch, S. 29.
u Kienzler, Rn. 12; vgl. auch Borch, S. 30; Scheerbarth/Höffken, § 1 I. 16
Holl, S. 4; Meves in: Holtzendorff, S. 932.
Da die römische Religion eine Staatsreligion war, zählten folgerichtig auch die Priester zu den Staatsbeamten; vgl. Holl, S. 4; Meves in: Holtzendorff, S. 932. 17
18 Zu den einzelnen Beamtentypen im Zeitalter der Republik vgl. Dulckeit/Schwan/Waldstein, § 15 II-VIII; Karlowa, Bd. I, S. 206 ff.; Kühler, S. 80 ff.; Mommsen, Abriss, S. 157 ff. 19
Holl, S. 4.
20
Holl, S. 4.
21
Hochheiser, S. 39; vgl. hierzu auch Hintze, S. 18 f.
22
Dulckeit/Schwan/Waldstein, § 15 I 5; Ti//, S. 136.
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
41
detes ,,Behörden"personal (die apparitores) zur Verfügung23 • Diese Personengruppe kann aufgrund des häufigen Wechsels der höheren Beamten als das beständige Element im Unterbau der Staatsverwaltung angesehen werden24 und ist somit eher mit dem Beamtenturn im heutigen Sinne zu vergleichen als die höheren Beamten. Es umfaßte sowohl die teilweise sogar dem Ritterstande angehörenden und sehr angesehenen scribae (Schreiber), die sich zumeist aus Freigelassenen rekrutierenden lictores (Polizeidiener)25 und die viatores (Amtsboten). Ferner zählten hierzu die praecones (Herolde), Opferdiener und VorzeichendeuteT etc. 26• Erst zu Beginn des Zeitalters des Prinzipats unter Octavianus Augustus (31 v. Chr. bis 14 n. Chr.) kamen auch die höheren Beamten allmählich in den Genuß einer regelmäßigen Besoldung. Spätestens seit der Verwaltungsreform durch Hatirian (ll7-138 n. Chr.)27 entwickelte sich schließlich auch hier ein fest besoldeter Beamtenstand28 • Dennoch war diese Form des Beamtenturns vor allem im späteren Kaiserreich mit unserem heutigen Verständnis des Beamtenbegriffes kaum vergleichbar. Denn die ,,Beamten", die nunmehr vom Kaiser ernannt wurden29 waren weniger Organe des Staates als vielmehr ausschließlich den jeweiligen Herrschern persönlich unterworfene Personen30• Dabei fand sich eine streng hierarchische Gliederung innerhalb des Verwaltungsapparates, an dessen Spitze der Kaiser die unumschränkte Befehlsgewalt ausübte31 •
2. Das Beamtenturn im Frühmittelalter Nach dem Untergang des weströmischen Reiches im Jahre 476 n. Chr. entfaltete sich in Mittel- und Westeuropa das fränkische Reich, welches sich ab der Regierungsübernahme des Merowingerkönigs Chlodwig im Jahre 482 zum
23
Dulckeit/Schwarz/Waldstein, § 15 I 3 d.
24
E.Meyer, S. 144; Wieacker, S. 464 Fn. 13.
2>
Hierzu auch E.Meyer, S. 142 f.
26
Zum ganzen auch KunkeVWittman, S. 110 ff.; E.Meyer, S. 114.
n
Hierzu Kühler, S. 213 f.
Kahler, S. 214; Till, S. 136 f.; zu den einzelnen Ämtern und Beamtenkategorien im Zeitalter des PrinzipaiS und in der späteren Kaiserzeit vgl. Karlowa, Bd. I, S. 526 ff., 828 ff.; Kühler, S. 209 ff.; Walter, S. 401. 28
29
Mommsen, Abriss, S.361; Siher, S. 64.
30
Hintze, S. 19; Hochheiser, S. 39 f.; Kühler, S. 307, 312.
31
Hattenhauer, S. 3 f. ; Hochheiser, S. 40; Karlowa, Bd. I, S. 828; Siher, S. 64.
42
B. Die historische Entwicklung
Großreich entwickelte. Dennoch wirkten die romanischen Kulturtraditionen insbesondere im Westteil des fränkischen Reiches fort. Nicht nur, daß Chlodwig 498 zum katholischen Glauben übertrat und im Jahre 507 vom (ost-)römischen Kaiser die Würde eines römischen Konsuls zugesprochen bekam, auch die römischen Verwaltungseinrichtungen wirkten teilweise weiter, wenn auch weit weniger effizient als zu Zeiten des römischen Kaiserreiches32• Was das Beamtenturn angeht, so ist hier an oberster Stelle die königliche Kanzlei zu nennen33• Für die Ausfertigung von Urkunden und königlichen Befehlen wurden Referendare (später "Kanzler") und Notare weltlichen Standes eingesetzt. Entscheidend für die Sicherung der Herrschaft des Königs in den ländlichen Gebieten war die Einsetzung von Stadt- bzw. Gaugrafen (comes civitatis), die innerhalb ihrer Grafschaft (comitatus) die militärischen und (zumindest in den ehemaligen römischen Gebieten) auch die richterlichen Aufgaben wahrnahmen. Schließlich sind noch die Königsboten (missi dominici) zu nennen, deren Aufgabe es war, die verschiedenen Regionen des Reiches zu bereisen, königliche Dienstleute und Kirchen zu kontrollieren, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, Beschwerden entgegenzunehmen und teilweise auch selbst Gericht zu halten34• Das Frühmittelalter war ferner geprägt durch die Wirtschafts- und Sozialstruktur der Grundherrschaft. Der Grundherr verpachtete den Grund und Boden an Einheimische, die ihm hierfiir Zinsen zu entrichten und zudem Frondienste zu leisten hatten. Durch die hierdurch entstehende persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit der Nutzungsberechtigten übte der Grundherr in zunehmendem Maße auch die richterliche Gewalt bei privatrechtliehen Streitigkeiten aus.
3. Das Beamtenturn im Hochmittelalter In Deutschland war die Zeit des Hochmittelalters (hauptsächlich zwischen dem 8. und dem 13. Jahrhundert) geprägt durch das Lehnswesen35• Dieses hatte in gleichem Maße Einfluß auf die Verwaltung des Staates wie auf das Verhältnis des Monarchen zu seinen Untertanen. Von einem "Staat" im heutigen
32
Willoweit, § 4 II 1; Zippelius, Verfassungsgeschichte, § 3 I.
33
Vgl. hierzu Willoweit, § 4 II 1; Zippelius, Verfassungsgeschichte, § 4 I.
34
Willoweit, § 5 II 5.
Vgl. hierzu Hattenhauer, S. 6 ff., und ausfUhrlieh Ganslwf, Was ist das Lc:hnswesen?, 1977; Wyluda, Lc:hnsrecht und Beamtentum, 1969; auf eine andere Entwicklung in Brandenburg-Preußen weist jedoch Bornhak, 2. Bd., S. 2 f. hin; vgl. ferner zum altgermanischen Gefolgschaftswesen bis zum 8. Jahrhundert Hintze, S. 20 f. 3'
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
43
Sinne, der sich dadurch auszeichnet, daß ein gegenüber den einzelnen Rechtsgenossen unabhängiges Rechtssubjekt vorhanden ist, kann zu dieser Zeit allerdings noch nicht gesprochen werden36• Nicht der Territorialstaat im heutigen Sinne, sondern ein personaler Friedensverband zwischen dem König als Lehnsherr und den durch Eid gebundenen Lehensträgem war kennzeichnend flir die Staatsorganisation in dieser Zeie7 • Das Lehnswesen hatte seinen Ursprung in der königlichen Gefolgschaft. Auserwählte Personen unterwarfen sich dem Monarchen zu Dienst und Gehorsam, was insbesondere auch unter militärischen Gesichtspunkten von erheblicher Bedeutung war. Aus diesem Gefolgschaftsverhältnis entwickelten sich mit der Zeit gegenseitige Rechtsbeziehungen, auch der König war zunehmend gegenüber seinen .. Vasallen" durch bestimmte Pflichten gebunden38• Als Vasallen kamen vor allem hochstehende und verdiente Adlige in Frage, die bereits politische Macht besaßen und dadurch dem König gefährlich werden konnten, wenn er sie nicht persönlich an sich band39• Durch Eid (Treueschwur) und Hingabe des Lehnsgutes (beneficium) wurden sie daher zur Einhaltung des Friedens gegenüber der königlichen Zentralgewalt und zur Leistung von Rat und Tat verpflichtet40• Die politisch wichtigsten Ämter übten dabei die Grafen (comes) aus, die schon seit der fränkischen Zeit die obersten Gerichts-, Militär- und Verwaltungsbeamten in den Regionen waren41 • Die Verleihung des Lehens für versprochene und geleistete Treue und Dienste42 konnte sich auf mehrere Lehnsobjekte beziehen. Mit dem Lehen verbunden war zumeist die Verleihung eines Wirtschaftsgutes, in aller Regel Grundbesitz. Aber auch sonstige Güter, Kirchen oder Klöster kamen hierfür in Betracht43 • Zunehmend wurde es auch üblich, dem Lehnsträger ein mit Rechten und Pflichten ausgestattetes öffentliches Amt zu verleihen, welches dieser von nun an im eigenen Namen verwalten bzw. wahrnehmen mußte44 • Da flir die Verleihung dieses Amtes aus den eben genannten Gründen mehr der persön-
Hochheiser, S. 41. Vgl. Hattenhauer, S. I, 7; Hochheiser, S. 42. 38 Vgl. hierzu Willoweit, § 5 II 7.
36 37
39 Hattenhauer, S. 7 f.; insofern wird deutlich, daß der Begriff des ,,Beamten" nach unserem heutigen Verständnis auf den Lehnsträger kaum paßt; vgl. hierzu auch Keßmann, S. 21.
..o Hanenhauer, S. 7. 41
Hanenhauer, S. 5 f.; Willoweit, §§ 4 II I, 5 II 2; vgl. auch oben 8 I 2.
42
Hier ist in erster Linie der Kriegsdienst zu nennen.
43
Wyluda, S. 21.
44
Hierzu P.Schröder, S. 33.
8. Die historische Entwicklung
44
liehe Stand und die Treue gegenüber dem Monarchen als eine persönliche Qualifikation des Lehnsträgers ausschlaggebend waren, mußte der Amtsinhaber regelmäßig weder eine Ausbildung noch eine Prüfung ablegen 45 , was der "Qualität" der Amtsausübung nicht unbedingt zu Gute kam. Mit dem Amt verbunden war zumeist auch das Recht zur Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Abgabenhoheit in einem bestimmten Bezirk. Ferner konnten Forst-, Fischerei- und Münzrechte verliehen werden46• Der Lehnsträger war seinerseits berechtigt, Teile seines Lehens an eigene Gefolgsleute (Aftervasallen) weiterzugeben, die nun ihrerseits über den geleisteten Treueschwur mit dem Lehnsherren verbunden waren. Auf diese Weise entstand eine Lehenspyramide, an deren Spitze der König stand47 • Wie schon erwähnt, war die Übertragung eines Amtes grundsätzlich mit der Verleihung eines Wirtschaftsgutes, zumeist Grundbesitz, verbunden, welches dem Inhaber auch wirtschaftliche Sicherheit brachte48 • Der Amtsinhaber erhielt darüber hinaus weder vom Monarchen noch vom "Staat" feste Einkünfte oder eine feste Besoldung. Statt dessen erhielt er als Gegenstand des Lehens zumeist die Emunität, d.h. die Abgabenhoheit in einem bestimmten Bezirk49• Diese beinhaltete das ausschließliche Recht, in diesem Gebiet von den Untertanen Abgaben, Steuern, Zölle und Bußen zu verlangen. So standen beispielsweise den Grafen sämtliche in ihrer Region anfallenden gerichtlichen Bußen zu50• Diese Abgaben sicherten dem Lehnsträger den Lebensunterhalt. Daß dem Lehnsträger statt einer festen Besoldung die Abgabenhoheit übertragen wurde, erklärt sich allerdings nicht zuletzt daraus, daß sich damals die Geldwirtschaft noch nicht in dem Maße durchgesetzt hatte, wie wir es heutzutage kennen, so daß eine ausschließliche Besoldung in Geld nicht denkbar war. Auch die dem Lehnsträger von den Untertanen zu entrichtenden Abgaben wurden zumeist in Naturalien geleistet51 • Zusammengefaßt läßt sich somit sagen, daß die Übertragung des Lehens ftir den Lehnsträger eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hatte. Dies führte dazu, daß daneben die Wahrnehmung des ,,Amtes" zur bloßen Nebenbeschäftigung wurde52•
s Hienu auch Hattenhauer, S. II .
4
46
Zu den Lehnsobjekten allgemein Ganshof, S. 120 ff.; Wyluda, S. 21.
47
Ganshof, S. 17 f.; Willoweit, § 5 II 7; Wyluda, S. 19.
48
Till, S. 142; Wyluda, S. 17.
49
Hanenhauer, S. 7; Till, S. 139.
:JO
Hanenhauer, S. 7.
SI
Presting, ZBR 1957, 345; vgl. hierzu auch Bomhak, Bd. 2, S. 7; Hintze. S. 21.
s2 Presting, ZBR 1957, 345.
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
45
Wurde das Lehen anfangs nur auf eine gewisse Dauer vergeben, erfolgte bald die Verleihung auf Lebenszeif3• Später erzwangen die inzwischen politisch sehr stark gewordenen Lehnsträger sogar die Vererblichkeit der Lehen54• Im Laufe der Zeit schwand darüber hinaus das persönliche Element der Treuepflicht mehr und mettrs. Das Lehen verdinglichte sichS6, die damit zusammenhängenden Ämter wurden zunehmend als ,,Privateigentum" des Lehnsträgers angesehen und dienten dem Amtsinhaber auch als Machtinstrument gegenüber dem Lehnsherren. Dies flihrte zwangsläufig zu einer Schwächung der Zentralgewalt57. Am Ende nahmen die Lehnsträger sogar das Recht in Anspruch, ohne Mitwirkung des Lehnsherren über das Lehen zu verfügens8• In späterer Zeit (etwa zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert) entwikkelte sich parallel zu den Lehnsträgem der Stand der sogenannten Ministerialen59. Dies waren zumeist ehemalige Unfreie, die vom König in den Stand des niederen Adels erhoben wurden und denen nun kleinere Lehen, insbesondere ein zur eigenen Versorgung ausreichendes Grundvermögen, übertragen wurden. Ihre Aufgabe war es vor allem die Angelegenheiten der lokalen Verwaltung zu besorgen60• Da sie im Gegensatz zu den Lehnsträgem keine politische Macht besaßen, waren sie in weit größerem Maße von ihrem Landesherren abhängig und entwickelten sich letztlich zum Träger der spätmittelalterlichen Verwaltung61. Auch sie können jedoch nicht als Beamte im heutigen Sinne angesehen werden62, da sie ihre Tätigkeit nicht im Namen des Königs, sondern in eigenem Namen wahrnahmen und vielfach - vergleichbar mit den zuvor genannten Lehnsträgem - mit der Amtsausübung nicht Allgemeininteressen, sondern eigene Interessen verfolgten. Ähnlich wie die sonstigen Lehnsträger bekamen auch die Ministerialen kein Gehalt, sondern mußten ihre Einkünfte aus ihrem Lehen ziehen. Ferner mußten auch sie dem König durch Eid die Treue schwören und waren zum Kriegsdienst verpflichtet. Darüber hinaus bestand für sie
53
Wyluda, S. 20.
Hattenhauer, S. 8; Hintze, S. 21; Wyluda, S. 21. Willoweit, § 5 II 7, spricht davon, daß sich die Vererblichkeit der Lehen zum Teil schon während des 9. Jahrhunderts durchsetzte. 54
55
Till, S. 139.
56
Hattenhauer, S. 8; Hintze, S. 21 ; Till, S. 140; Wyluda, S. 21.
57
Hintze, S. 20 f.; Till, S. 140.
58
Hattenhauer, S. 8.
Zu den Ministerialen vgl. Hintze, S. 24 ff.; Scheerbarth/Höjjken, § I I; Summer, ZBR 1982, 321 (324). 59
60
Vgl. hierzu Hattenhauer, S. 8; Till, S. 141.
61
Hattenhauer, S. 8; Hintze, S. 25.
62 Dennoch sieht Hattenhauer, S. 9, in den Ministerialen die ersten Ansätze des modernen Beamtentums; so auch Hintze, S. 28.
46
B. Die historische Entwicklung
allerdings eine Residenzpflicht. Auch durften sie sich ohne Zustimmung des Landesherrn nicht in fremde Dienste begeben63 • Daneben fand sich eine umfangreiche Ämtervergabe im Zusammenhang mit der Verwaltung des fürstlichen Hofes. Zwar würde man die am Hofe tätigen Personen nach heutigem Verständnis überwiegend wohl nicht als öffentlichrechtlich beschäftigte Beamte, sondern als privatrechtlich angestellte Dienstleistende ansehen. Da sich aber zu jener Zeit eine strenge Unterscheidung zwischen der öffentlich-rechtlich zu beurteilenden Staatsverwaltung und den privatrechtlich zu beurteilenden Beziehungen der einzelnen Rechtsgenossen untereinander noch nicht entwickelt hatte64, wurden die sogenannten "Hofämter" (Truchseß, Mundschenk, Marschall, Kämmerer, Jäger, Förster etc.)65 gleichsam ebenfalls als Teile der Staatsverwaltung angesehen66 • Ferner gab es zu dieser Zeit bereits am Hofe tätige königliche Berater (consiliarii)67 , die den König unterstützten, ohne daß damit die Übertragung eines Lehens verbunden w~s.
Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang auch die Kirchenbeamten69 zu nennen, die mangels Trennung von Staat und Kirche und infolge der Beauftragung der Kirche mit staatlichen Aufgaben zu dieser Zeit ebenfalls zur Staatsverwaltung zu zählen waren. Schließlich sei noch auf die zumeist ehrenamtlich verwalteten Ratsämter in den sich in der Spätphase des Hochmittelalters stark entwickelnden und aufblühenden Städten hingewiesen70• Da die Städte zumeist eine relative Selbständigkeit aufwiesen, war die Besetzung der Ämter eine Aufgabe der städtischen Selbstverwaltung.
63
Hattenhauer, S. 10.
64
Hochheiser, S. 41.
Hierzu Willoweit, § 5 ß 2; diese Hofämter waren jedoch an feste Funktionen gebunden und konnten nur am königlichen Hof ausgeübt werden. Daher können sie nicht als Vorläufer des modernen Beamtenturns angesehen werden; vgl. Hattenhauer, S. 9, 37 f. 65
66
Hattenhauer, S. 4 f.; Hochheiser, S. 41 ; Stock, S. 25.
67
Hattenhauer, S. 5.
Diese königlichen Berater erlangten jedoch in Deutschland erst im Zeitalter des patrimonialständischen Staates als sog. ,..fürstliche Rlite" entscheidende Bedeutung; vgl. unten B II 4 a.E. Anders hingegen die Entwicklung in Frankreich. Hier spielten insbesondere die juristischen Berater des Königs schon im 12. und 13. Jahrhundert eine große Rolle; vgl. Hattenhauer, S. 38 f. Zu der in Frankreich zu dieser Zeit besonders bedeutsamen Beamtenkategorie der "Bailles", die in persönlicher Abhängigkiet vom König als Amtsleute eingesetzt wurden ohne dabei Lehnsträger zu sein, vgl. auch Hintze, S. 23. 68
69
Vgl. hierzu Hattenhauer, S. 11 ff.
70
Hierzu Hattenhauer, S. 20 ff.; Stock, S. 25, 28 f.
Il. Die Entwicklung des Beamtenturns
47
4. Das Beamtenturn des patrimonial-ständischen Staates Nach dem Rückgang des Lehnswesens etwa ab dem 15. Jahrhundert und dem zunehmenden Entstehen von Territorialstaaten 11 bot sich staatsrechtlich ein neues Bild. Ein Blick auf Preußen mag diese Situation verdeutlichen. Die Rolle des Kurfürsten war schwach. In der Ausübung der Staatsgewalt war er abhängig von den (Reichs-)Ständen, in deren Händen die gesamte Steuer- und Finanzverwaltung lag72 • Eine Ausnahme bot lediglich die Verwaltung der kurfürstlichen Domänen. Von einem "Staat" im heutigen Sinne kann dabei allerdings immer noch nicht gesprochen werden73• Es handelte sich vielmehr um eine Vielzahl von unabhängigen ständischen Territorien, die lose in der Hand des Kurfürsten zusammengefaßt waren. Infolgedessen war auch die Anzahl der vom Landesherrn zur Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben oder zur Verwaltung des Hofes angestellten Personen gering. Nicht der Landesherr, sondern die Gemeinden, Gutsherren und Stände beschäftigten die überwiegende Zahl der Bediensteten74• Die Ortsverwaltung lag vornehmlich in den Händen der Rittergutsbesitzer und der städtischen Gemeinden. Polizei und Gerichtsbarkeit waren - infolge der aufgezeigten geschichtlichen Entwicklung des Lehnsherrschaft - untrennbar mit dem Grundbesitz verbunden. Sie erschienen als dessen Zubehör75 und waren daher der eigentlichen Staatsverwaltung entzogen. Die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder die Gerichtsbarkeit wurde nicht als staatliches Amt, sondern als privatrechtliche Befugnis ihres jeweiligen Inhabers angesehen. Dieser konnte sie nach seinem eigenem Ermessen ausüben76 • Die Wahrnehmung der Staatsgewalt diente somit nicht in erster Linie dazu, das staatliche Wohl zu fördern, sondern richtete sich ausschließlich nach den privaten Interessen ihres Inhabers77. Entsprechendes galt für die Bediensteten der Stände, die für diese die obrigkeitlichen Funktionen ausübten78 • Auch sie wurden nicht im Interesse der Gemeinschaft tätig. Der Staat und damit zusammenhängend auch die staatlichen Funktionen (Gerichtsbarkeit etc.) wurden insgesamt mehr als Eigentumsobjekt und somit als reines Wirtschaftsgut angesehen. Dies hatte auch zur Folge, daß
71
Vgl. hierzu Hattenhauer, S. I; Ti/1, S. 140 f.
72
Vgl. hierzu Stock, S. 24.
73
Stock, S. 24.
74
H.Schulze, S. 298; Stock, S. 25.
75
Bornhak, Bd. 2, S. 3; Stock, S. 24.
76
Stock, S. 24 f.
n Stock, S. 25. 78
Stock, S. 26.
48
B. Die historische Entwicklung
die Güter und Hoheitsrechte nach privatrechtliehen Grundsätzen veräußert und verpfändet werden konnten79• Die Anstellung der zur Verwaltung notwendigen Beamten erfolgte nun zunehmend aufgrund eines privatrechtliehen Vertrages zwischen dem Beamten und dem Fürsten80 unter Übergabe einer sogenannten Bestallungsurkunde81 • Hierin wurden die gegenseitigen Leistungen, Rechte und Pflichten genauestens vereinbart82. Das Pflichtenverhältnis war somit begrenzt und ergab sich aus der Aufzählung der einzelnen Obliegenheiten83. Infolgedessen war der einzelne Beamte also nicht, wie später zur Zeit des Absolutismus, zur restlosen Hingabe seiner Person, zu unbedingtem Gehorsam und bedingungsloser Treue verpflichtet84. Andererseits konnten die Beamten, den Grundsätzen eines privatrechtliehen Anstellungsverhältnisses entsprechend, aber auch jederzeit entlassen werden85. Ferner findet sich zumeist in der Bestallung- über den Umfang der zu erfüllenden Pflichten hinaus - auch eine Festlegung der amtlichen Kompetenzen zur Ausübung der landesherrlichen Rechte gegenüber den Untertanen selbst86. Die Bestallungsurkunde diente insoweit den Untertanen gegenüber als Vollmacht87. Das Beamtenverhältnis war in dieser Zeit geprägt durch eine kurze Amtszeit88, inzwischen jedoch teilweise bereits durch eine Besoldung in Geld89. Ferner fand zunehmend eine spezielle Ausbildung zum Hof- und Staatsdienst statt. Diese beiden Dienste erfuhren im einzelnen jedoch immer noch keine Trennung90• Denn eine Unterscheidung zwischen einem öffentlich-rechtlichen und einem privatrechtliehen Anstellungsverhältnis wurde auch zu dieser Zeit noch nicht getroffen91 • Später setzte sich dann zunehmend die Bestellung zum
79
Bornhak, Bd. 2, S. 3 f.; Gerber, AöR 57 (1930), I (21 f.); Stock, S. 25.
80
Bornhak, Bd. 2, S. 4 f.; Keßmann, S. 20; S.Puppe, S. 17; Stock, S. 20 f., 24, 26.
81
Vgl. hierzu Stock, S. 20 f., 116 ff.
82
S.Puppe, S. 17.
83
Stock, S. 21.
84
Stock, S. 20 f.
8!1
Kiittgen, Berufsbeamtentum, S.9; Stock, S. 22.
86
Stock, S. 21.
87
Bornhak, Bd. 2, S. 5; Stock, S. 21.
Die Anstellung auf Lebenszeit stellte in dieser Periode eine seltene Ausnahme dar und kam, wenn überhaupt, nur auf oberster Verwaltungsebene vor; vgl. Bornhak, Bd. 2, S. 5. 88
89 Till, S. 141 ; neben der Geldbesoldung hielt sich bis ins 18. Jahrhundert hinein noch die teilweise Besoldung in Naturalien; vgl. Presting, ZBR 1957, 345 (346). 90
Stock, S. 25, 34; Till, S. 141.
91
Kiittgen, Berufsbeamtentum, S. 8 f.
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
49
Beamten auf Lebenszeit durch. Allerdings war immer noch nicht der Staat als Institution das Bezugsobjekt, sondern es stand weiterhin die persönliche Beziehung des Beamten zum Landesherren im Mittelpunkt92. Der Beamte war ein persönlicher Diener des Fürsten93• Der privatrechtliche Charakter des Anstellungsverhältnisses blieb auch im 17. Jahrhundert noch erhalten. Allerdings wandelte sich zunehmend der Akt der Anstellung: weg von der vertraglichen Vereinbarung und hin zu einem einseitigen Akt des Landesherrn94 • Auch wurde die Festlegung der zu leistenden Dienste und Pflichten in den Bestallungsurkunden immer allgemeiner und abstrakter gefaßt95 und durch einseitige Instruktionen und Anordnungen des Landesherrn ausgefüllt und geregelt96• Selbst die Richter (Bsp.: Reichshofrichter ab 123597 und die Richter am königlichen Kammergericht vom Beginn des 15. Jahrhunderts an bis 149598), die weder Lehnsnehmer noch Ministeriale waren, übten die Amtsstellung als persönliche Vertreter des Königs und nicht als unabhängige Staatsorgane aus99 • Auch sie konnten jederzeit abberufen werden 100• Ähnlich ist das Verhältnis der Richter am Reichskammergericht ab 1495 zu beurteilen101 • Auf die Besetzung der Richterstellen am Reichskammergericht hatte jedoch inzwischen nicht mehr ausschließlich der Kaiser Einfluß. Er war hierfür auf die Mitwirkung der Reichsstände angewiesen 102• Auch dem Reichskammergericht selbst stand bei der Berufung der Richter ein Mitspracherecht zu 103 • Insofern wird auch
92
Hochheiser, S. 42; Keßmann, S. 22; S.Puppe, S. 17; P.Schröder, S. 32; Traumann, S. 23.
93
S.Puppe, S. 17.
94
Behnke, ZBR 1963, 257 (264); Bornhak, Bd. 2, S. 8; Schütz·Maiwald, Teil A Rn. 2; Stock,
s. 22.
9s V gl. aber auch Stock, S. 12, der davon ausgeht, daß später, im Zeitalter des Absolutismus, neben den immer detaillierter und umfangreicher werdenden Instruktionen und Reskripten auch in den Bestallungsurkunden wieder eine präzise Fixierung der Dienstpflichten vorgenommen wurde. 96 Vgl. hierzu Bornhak, Bd. 2, S. 8 f., der hieraus bereits den öffentlich-rechtlichen Charakter des Anstellungsverhältnisses schließen will; dagegen Stock, S. 22.
97 Hochheiser, S. 43 f.; Till, S. 138, und ausführlich Frank/in, Das Reichshofgericht im Mittelalter, 1867.
98
Hochheiser, S. 44 f.
99
Hochheiser, S. 43 f.
100
Hochheiser, S. 44.
101
Vgl. hierzu Hochheiser, S. 45 ff.; Odersky, NJW 1995, 2901; Smend in: Zeumer, S. 1 ff.
102 Odersky, NJW 1995, 2901 (2902). Im übrigen war es in der Rechtslehre der damaligen Zeit ohnehin umstritten, ob die Besetzung der Reichsämter, wozu auch das Reichskammergericht zählte, überhaupt (noch) Sache des Kaisers oder nicht vielmehr bereits Sache der Reichsstände war; vgl. hierzu Keßmann, S. 8; H.Schulze, S. 298; Stock, S. 25. 103
Odersky, NJW 1995, 2901 (2902).
4 Heinrich
B. Die historische Entwicklung
50
die Ansicht vertreten, daß die Richter am Reichskammergericht ab 1495 die ersten beamteten und nur dem Gesetz unterworfenen Berufsrichter, mithin keine persönlich vom König abhängigen Beamten mehr gewesen seien, sondern weitgehend unabhängig waren 104• Andererseits war der spätestens ab 1559 tätige Reichshofrat105 nach heutiger Sicht wiederum als ausschließliches Organ des Monarchen anzusehen 106• Zu erwähnen sind ferner noch die Verwalter und Pächter der (kur-)fürstlichen Domänen 107• Diese Domänenpächter verwalteten für den Fürsten dessen Grundbesitz und übten hier die niedere Gerichtsbarkeit, die Polizeigewalt und die sonstigen Verwaltungstätigkeiten aus 108 • Nach herrschender Ansicht wurden sie dabei jedoch nicht für den Fürsten in dessen Funktion als Landesherr, sondern lediglich in dessen Funktion als Grundherr tätig, da er insofern auf gleicher Stufe mit den übrigen Grundherren Inhaber der obrigkeitlichen Befugnisse war109• . Daneben gab es jedoch bereits seit dem 12. Jahrhundert, in größerer Zahl dann allerdings erst ab dem 16. Jahrhundert, sogenannte "fürstliche Räte" (consiliarii familiares), die, ohne daß damit ein Lehen verknüpft war, aufgrundeines privatrechtliehen Dienstvertrages angestellt waren, um den Monarchen bei der Ausübung seiner hoheitlichen Befugnisse zu unterstützen 110• Insbesondere sind hier die vornehmlich ab dem 16. Jahrhundert im Zuge der Rezeption des römischen Rechts römisch-rechtlich geschulten Juristen zu nennen, die als sog. "gemietete Doktoren" dem Landesherren zur Seite standen 111 • Da diese fürstlichen Räte in zunehmendem Maße auf Dauer angestellt wurden, sind hierin Ansätze eines Berufsbeamtenturns zu erkennen 112, weswegen in der Schaffung der Institution der "fürstlichen Räte" von manchen der Beginn des modernen Beamtenturns gesehen wird 113 •
104
Vgl. Odersky, NJW 1995, 2901 (2902); Poetsch, S. 60, 69; dagegen Hochheiser, S. 47 ff.
105
Zum Reichshofrat vgl. u.a. Herchenhahn, S. I ff., und Maser, S. I ff.
106
Hochheiser, S. 49 f.
Dabei ist darauf hinzuweisen, daß der Begriff des .,Beamten" bis ins 18. Jahrhundert hinein nach brandenburg-preußischem Recht ausschließlich die Verwalter und Pächter der kurfürstlichen Domänen umfaßte; vgl. Stock, S. 6 Fn. I und S. 25; hierzu auch Keßmann, S. 12, 18. 107
108
Stock, S. 6 Fn. I, 34.
109
Gerber, AöR 57 (1930), I (15 f.); Stock, S. 6 Fn. I und S. 25.
Vgl. hierzu Hintze, S. 27 f.; Keßmann, S. II. Presting, ZBR 1957, 345; Stock, S. 30 ff.; vgl. zu den ,,königlichen Beratern" (consiliarii) im Hochmittelalter bereits oben B II 3. 110
111
Bornhak, Bd. 2, S. 5; Hintze, S. 27 f.; Stock, S. 30.
112
Hintze, S. 28; KiJttgen, Berufsbeamtentum, S. 8; Presting, ZBR 1957, 345.
113 Till, S. 150; wohl auch Stock, S. 30, 116 ff. Fn. I; ausführlich zum Beamtenbegriff insbesondere in der Rechtslehre des 17. und 18. Jahrhundert Keßmann, S. 7 ff.
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
51
S. Das Beamtenturn im Absolutismus bis hin zum Preußischen AUgemeinen Landrecht von 1794
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts vollzog sich die Überwindung des patrimonial-ständischen Staates hin zum absolutistischen Staat, die Zurückdrängung der Macht der Stände zugunsten einer zentralen Herrschaftsgewalt des Landesherrn114. Hierzu benötigte der absolute Monarch in erster Linie ein treues, ihm blind ergebenes Beamtentum, welches er zur Durchsetzung seiner politischen Ziele und zum Kampf gegen die Macht der Stände einsetzen konntem. Waren zuvor die Beamten überwiegend Bedienstete der Stände gewesen, so dehnte der Monarch nunmehr sein Recht, die zur Ausübung der Verwaltungs- und Kontrollfunktion erforderlichen öffentlichen Bediensteten durch einseitigen Hoheitsakt zu ernennen, auf immer weitere Personenkreise aus 116• Es entstand eine zentrale Behördenorganisation, die in zunehmendem Maße Zuständigkeiten an sich riß und die Aufsicht über die ständische und gemeindliche Verwaltung flihrte 117, zugleich aber auch ein Berufsbeamtentum, welches mit dem Beamtenturn der heutigen Zeit vergleichbar ist118• In gleicher Weise wandelte sich die Qualität des (lnnen-)Verhältnisses zwischen dem Bediensteten und dem Landesherrn. Es entwickelte sich vom privatrechtlichen Anstellungsverhältnis zum staatsrechtlichen Verhältnis 119• Dabei wurden die Bediensteten aus allen bisherigen Ständen heraus unterschiedslos rekrutiert, mußten eine Prüfung ablegen 120 und wurden zu strenger Pflichttreue erzogen. Nicht mehr auf den eigenen Vorteil, sondern nur noch auf die Herbeiführung des Gemeinwohls sollten sie bedacht sein 121 •
114
Zu dieser Entwicklung vgl. Stock, S. 27 ff.
m Behnke, 116
ZBR 1%3, 257 (264).
Schmidt-Aß~nn-Kunig, 6. Abschnitt Rn. 16, H.Schu/ze, S. 299; Stock, S. 29.
117 Vgl. hierzu Gerber, AöR 57 (1930), 1 (19 f.); Stock, S. 27; insbesondere sind hier die Kriegskommissariate und Amtskammern zu nennen, die später zu den Kriegs- und Domänenkammern (Provinzialverwaltungsbehörden) vereinigt wurden. 118 Presting, ZBR 1957, 345; Stock, S. 9 f. geht daher davon aus, daß spätestens seit der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. in Brandenburg-Preußen ( 1713-1740) ein Beamtenturn im modernen Sinne besteht. Ebenso Jung, S. 33; Kelpin, S. 3; Schmidt-Aßmann-Kunig, 6. Abschnitt Rn. 16; H.Schulze, S. 299. Auch Hattenhauer, S. 100, und Traumann, S. 24, sprechen von Friedrich Wilhelm I. als dem Schöpfer des preußischen Beamtenturns.
119
Vgl. hierzu näher Stock, S. 22 ff., 38.
120
Bomhak, Bd. 2, S. 9 f., und Strunk, Rn. 3, der in den seit 1755 fUr die Justiz und seit 1770
für die Verwaltung notwendigen Prüfungen die ersten Ansätze eines Fachbeamtenturns sieht; hierzu auch Hintze, S. 33 f.; Kelpin, S. 4. 121
Stock, S. 10.
52
B. Die historische Entwicklung
Wurde bereits zuvor die wirtschaftliche Sicherstellung des Beamten zunehmend von der lnnehabung des Amtes und den daraus fließenden Einkünften und Vorteilen gelöst, so übernahm der Staat nun auch in verstärktem Maße eine Verpflichtung zur Personensorge122• Es entwickelte sich die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherren für die für ihn tätigen Beamten, die insbesondere auch den Grundsatz der Alimentierung beinhaltete. Dieser Fürsorgepflicht entsprach auf der anderen Seite ein besonderes Treueverhältnis des Beamten zum Staat. In diesem .,besonderen Gewaltverhältnis" verpflichtete sich der Beamte zu besonderer Treue und Hingabe, zum Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit und zu einem auch über die Ausübung des konkreten Amtes hinaus würdigen Gesamtverhalten 123• Dieses besondere Gewaltverhältnis, welches die besondere Beziehung des Staatsdieners zum Staat kennzeichnet, war fortan zu unterscheiden vom allgemeinen Gewaltverhältnis, in welchem sich jeder einzelne Staatsbürger bzw. jede der Staatsgewalt unterworfene Person befand. Durch die Pflicht zum restlosen Einsatz seiner gesamten Persönlichkeit mit allen seinen geistigen und körperlichen Kräften bis hin zur Selbstaufopferung 124 unterschied sich der Beamte auch vom Angestellten und vom Arbeiter, die aufgrund eines privatrechtliehen Vertrages angestellt waren. Diese vollständige Unterwerfung der eigenen Persönlichkeit unter die Interessen des Staates gipfelte in Anordnungen, die dem Beamten jegliche private Tätigkeit verbot, ihm untersagte, seinen Amtssitz ohne Genehmigung zu verlassen und die selbst die Eheschließung der Genehmigungspflicht durch den Dienstherren unterwarf125• Hand in Hand mit dieser das gesamte Privatleben des Beamten umfassenden Treuepflicht ging eine teilweise mit außerordentlicher Strenge durchgeführte Bestrafung bei dienstlichen Verfehlungen auch leichterer und mittlerer Art126• Dies ist aus der Erwägung heraus verständlich, daß der Monarch, wie erwähnt, auf ein treues, ihm blind ergebenes Beamtenturn angewiesen war und jede Pflichtwidrigkeit daher den Beamten als Feind der monarchischen Politik erscheinen lassen mußte127• Andererseits wurde jedoch daran festgehalten, daß ein Beamter- zumindest in Brandenburg-Preußen -jederzeit, auch ohne Durch-
122 Vgl. hierzu auch P.Schröder, S. 33, 44, der als bahnbrechend fllr die Trennung der finanziellen Sicherung des Beamten von der Ausübung des Amtes allerdings erst das Jahr 1805 ansieht, da sich erst hier dieser Grundsatz erstmals in der Kodifikation des Beamtenrechts in Bayern finde. 123
Klingen, Berufsbeamtentum, S. 108; Stock, S. 8 f.; Strunk, Rn. 4; hierzu auch Traumann,
1:u
Stock, S. II.
125
Stock, S. 12; vgl. hierzu auch Hintze, S. 12; H.Schulr.e, S. 300.
s. 24.
Behnke, ZBR 1963, 257 (264 f.); Stock, S. 13; zur Entstehung und Entwicklung der besonderen Beamtendelikte vgl. unten B Ill, zur Abgrenzung dieser Delikte wiederum zu disziplinarrechtliehen Verfehlungen vgl. unten B IV. 126
127
Vgl. hierzu Behnke, ZBR 1963, 257 (264).
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
53
fl.ihrung eines gerichtlichen Verfahrens, aus seinem Dienst entlassen werden konnte 128 • Allerdings gewann im Laufe des 18. Jahrhunderts die auf gemeinrechtliche Wurzeln zurückgehende und von dem Reichskammergerichtsassessor Johann Ulrich Freiherr von Cramer neu formulierte Inamovibilitätstheorie, die seit einer Entscheidung aus dem Jahre 1759 auch vom Reichskammergericht vertreten wurde, in anderen Ländern immer größere Bedeutung129• In der Tat bedeutete der Grundsatz, daß ein Beamter nur bei dienstlichem Fehlverhalten entlassen werden konnte, eine entscheidende Wandlung im Verhältnis des Fürsten zu seinen Staatdienern. Denn durch die Anerkennung der Inamovibilitätstheorie wurde dem Beamten erstmals ein echter Rechtsstatus zugesprochen130. Somit entstand ein Berufsbeamtentum131 , welches sich mit der Zeit zu einem von den übrigen Ständen gelösten, reinen Berufsstand entwickelte, der nicht nur fl.ir den Staat, sondern vor allen Dingen auch durch den Staat lebte132. Mit dieser Entwicklung korrespondierte auch eine Entstehung gewisser Standespflichten, deren Verletzung zur Grundlage der Amtsdelikte wurde 133• Das Beamtenturn unterstand dabei unmittelbar dem König, war unmittelbar seinem Willen unterworfen und entwickelte sich in der Folgezeit zu einem zuverlässigen Werkzeug und neben dem Heer zu einer weiteren Stütze der absoluten königlichen Macht 134• Auch fl.ir das Heer läßt sich eine ähnliche Entwicklung feststellen. Denn die Angehörigen des Heeres hatten zunehmend Treue und Gehorsam lediglich dem Landesherrn nicht aber den einzelnen Ständen gegenüber zu leistenm. Durch die Schaffung eines stehenden, allein dem Monarchen unterworfenen Heeres zeigte sich auch hier die Ablösung des nur durch privatrechtliehen Dienstvertrag angeworbenen Söldners hin zu einem mit seiner ganzen Person dem Monarchen unterworfenen Soldaten 136•
128
Vgl. Bomhak, Bd. 2, S. 11; Hintze. S. 34; H.Schulze. S. 301 ; Stock, S. 34 f.
129
Vgl. Köttgen, Beamtenrecht, S. 9; Presting, ZBR 1957, 345; Stock, S. 34 f.
130
Vgl. auch Amdt, DÖV 1966, 809.
131
Köttgen, Beamtenrecht, S. 7.
132
H.Schulze, S. 300; Stock, S. 10, 14, 19; Traumann, S. 24.
133
Stock, S. 38.
IJol
Stock, S. 10.
m Vgl. hierzu Stock, S. 27. 136
Stock, S. 27.
54
B. Die historische Entwicklung
6. Das Beamtenturn zur Zeit der Geltung des Preußischen Allgemeinen Landrechts Der Wandel der Rechtsstellung des Beamten, welche nach heutigem Verständnis gekennzeichnet ist durch ein besonderes Verhältnis zwischen dem Beamten als Einzelperson und dem Staat als Träger der öffentlichen Gewalt (und nicht mehr zu dem Monarchen als absolutem Herrscher) vollzog sich schließlich in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus 137• Diese Entwicklung war eine zwangsläufige Folge des neuen Staatsverständnisses. Denn wurde der Staat nunmehr, im Gegensatz zum Absolutismus, als ein vom jeweiligen Souverän losgelöstes und selbständiges Gebilde anerkannt, so war die Loslösung des einzelnen Beamten von der Person des Monarchen und die Zuordnung zum Staat nur folgerichtig. Zwar bestand die Treue- und Gehorsamspflicht formell immer noch gegenüber dem König 138• Da dieser sich nunmehr jedoch nicht mehr als absoluter Monarch, sondern nur noch als "erster Diener des Staates" betrachtete, wandelte sich auch die Funktion des einzelnen Beamten. Aus dem ,,königlichen Bediensteten" oder ,,Fürstendiener" wurde der "Staatsdiener"139, der nunmehr auch in Ansätzen über einen gegenüber der Einwirkung seines Dienstherren gesicherten rechtlichen Status verfügte. Allerdings war das Beamtenverhältnis auch weiterhin gekennzeichnet durch ein die gesamte Persönlichkeit des Beamten umfassendes besonderes Dienstverhältnis mit einer besonderen, auch das Privatleben erfassenden Treuepflicht140, deren Verletzung auch strafrechtlich sanktioniert wurde 141 • Die erste umfassende Regelung des Beamtenrechts fand sich schließlich im Preußischen Allgemeinen LAndrecht (ALR) vom 5. Februar 1794142• Diese Bestimmungen können auch als Ausgangspunkt unseres heutigen staatsrechtlichen Beamtenbegriffes angesehen werden 143• Hier findet sich im Zehnten Ti-
137
Hochheiser, S. 51; Moelter, S. 4; S.Puppe, S. 20; P.SchrtJder, S. 32; Stock, S. 15 Fn. 33.
So mußten die preußischen Beamten beispielsweise nach Art. 108 der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 (Gesetzessanunlung 1850, S. 17 Nr. 3212, abgedruckt auch in der Ge· setzessammlung Preußen 1806·1874, Bd. 2, S. 251 ff.) dem KtJnig den Eid der Treue und des Gehorsams leisten und die gewissenhafte Beachtung der Verfassung beschwören; vgl. Stock, S. 18; Traumann, S. 24. 131
139 Hintze, S. 35; Schmidt-Aßmann-Kunig, 6. Abschnitt Rn. 16; H.Schulze, S. 301 f.; Stock, S. 17; Traumann, S. 24. 1.oo
Stock, S. 15, 18; Traumann, S. 24.
1• 1
Stock, S. 155.
1• 2
Karstedt, S. 9; vgl. hierzu noch näher unten B IIl 7.
So auch Erb, S. 7; Hochheiser, S. 55; P.SchriJder, S. 36; SchUtz-Maiwald, Teil A Rn. 3; Stock, S. 4 Fn. 7, 16; Summer, ZBR 1982, 321 (325 f.). 1• 3
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
55
tel des Zweiten Teils unter der Überschrift "Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staates" eine Vielzahl von Vorschriften, die sowohl die besonderen Beamtenpflichten als auch die aus dem Beamtenstatus für den Beamten erwachsenden Rechte ausführlich regeln. Erfaßt wurden sowohl ,,Militairbediente" (§§ 4-67 II 10 ALR) als auch "Civilbediente" (§§ 68-145 ll 10 ALR), wobei "alle Beamten des Staates", die nicht zum Militairstande gehörten, als Civilbeamte anzusehen waren(§ 68 II 10 ALR). Sie standen "entweder in unmittelbaren Diensten des Staats, oder gewisser demselben untergeordneter Collegien, Corporationen und Gemeinen"(§ 69 II 10 ALR). Zu letzteren gehörten vor allem die in städtischen oder patrimonialherrlichen Diensten stehenden Bediensteten, beispielsweise die Richter der Untergerichte144. Die allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätze waren in§§ 1-3 II 10 ALR geregelt, die die Aufgaben und Pflichten der Beamten betrafen. Demnach war es Aufgabe der Beamten, "die Sicherheit, die gute Ordnung, und den Wohlstand des Staats unterhalten und befördern zu helfen" (§ I ll 10 ALR), wobei sie "außer den allgemeinen Unterthanenpflichten dem Oberhaupte des Staates besondre Treue und Gehorsam schuldig" waren(§ 2 ll 10 ALR). Über das hierdurch gesetzlich normierte besondere Gewaltverhältnis 145 hinaus, welches als das wesentliche Element jedes dienstrechtlichen Beamtenverhältnisses angesehen wurde, regelte § 3 ll 10 ALR weitere amtsabhängige Sonderpflichten: jeder sei "nach der Beschaffenheit seines Amtes, und nach dem Inhalte seiner Instruktion, dem Staate noch zu besondern Diensten durch Eid und Pflicht zugethan". Hier wird deutlich, daß die Beamten als ,,Diener des Staats" ihre Dienste erstmalig nicht mehr dem König, sondern allgemein "dem Staate" gegenüber zu leisten hatten 146. Obwohl sie auch weiterhin den Anordnungen des Königs Folge leisten mußten, erschienen sie nun nicht mehr als persönliche Vertreter des Königs, sondern waren als Staatsorgane anzusehen 147. Auch wurde der Grundsatz der jederzeitigen Entlaßbarkeit der Beamten modifiziert 148. In §§ 98-102 II 10 ALR fanden sichjetzt Vorschriften, die das Verfahren der Ent-
144 Stock, S. 17, der auch darauf hinweist, daß zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ALR die Gemeinden noch keine selbständigen Subjekte des öffentlichen Rechts, sondern lediglich unselbständige Verwaltungsbezirke des absoluten Staates waren. 1~
P.Schrlider, S. 36; vgl. hierzu aber auch KeßmaM, S. 35.
146
Hochheiser, S. 53.
147
Hochheiser, S. 53.
Zur Entstehungsgeschichte der entsprechenden Bestimmungen vgl. Behnke, ZBR 1963, 257 (268 ff.); vgl. auch ders., Bundesdisziplinarordnung, S. 47, der aufgrundder Regelung der§§ 98 ff. II 10 ALR davon ausgeht, daß nunmehr willkUrliehe Entlassungen praktisch ausgeschlossen waren. lolll
56
B. Die historische Entwicklung
lassung eines Beamten an bestimmte Förmlichkeiten band149• Außerdem war in § 335 li 20 ALR sogar die Möglichkeit eines gerichtlichen Entlassungsverfahrens vorgesehen 150• Andererseits wurde durch das ALR aber auch untermauert, daß der Beamte zur Hingabe seiner gesamten Persönlichkeit verpflichtet war, daß die Dienst- und Treuepflicht ihn also auch in seinem Privatleben zu einem standesgemäßen Verhalten verpflichtete 151 • So bedrohte § 363 II 20 ALR beispielsweise diejenigen Beamten mit Amtsentzug, "die sich durch unregelmäßige Lebensart, Spiel, oder Verschwendung in Schulden stürzen; oder sich durch niederträchtige Aufführung verächtlich machen". Somit wurde der Status der Beamten als besonderer Berufsstand152 mit besonderen Pflichten erstmals ausdrücklich normiert und gefestigt. Neben dem Adelsstand 153 waren die Beamten zur wichtigsten gesellschaftliche Gruppe mit einem eigenen Standesrecht herangewachsen 154• Auf dieser Basis setzte sich die bereits zuvor begonnene Entwicklung zum staatsrechtlichen Verhältnis fort. Zur Begründung des Staatsdienerverhältnisses wurde eine besondere Eignung und Qualifikation gefordert. Es galt der Grundsatz der lebenslangen Amtstätigkeit155. Der Begriff des ,,Beamten", der früher nur die königlichen Domänenpächter umfaßte, fand zwar an einigen Stellen schon Einzug ins ALR, setzte sich jedoch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts endgültig durch 156• Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß es neben den Staatsbeamten auch weiterhin Bedienstete des Königs, sogenannte Kronbeamten gab 157 • Diese waren jedoch nicht notwendigerweise Bedienstete des Staates, denn sie standen teilweise in einem ausschließlich privatrechtlich zu beurteilenden Dienstverhältnis zum Monarchen. Sie bezogen ihr Gehalt zumeist aus der Kronfideikommiß-
149 Die Entlassung hatte durch dan Staatsrat zu erfolgen. Dem Beamten mußte rechtliches Gehör gewährt werden (§ 99 II 10 ALR). Lediglich fiir die Untergerichte galt ein strenges Verfahren(§ 99 II 17 ALR); hierzu Hintze, S. 35 f.; Hubrich, GS 75 (1910), 53 (59 f., 67 ff.); Stock, S. 35 f., 160.
ISO Vgl. hierzu Behnke, ZBR 1963, 257 (264), der aufgrund dessen der These Stocks (Stock, S. 35 f., 146 Fn. 3) widerspricht, auch das ALR gehe noch vom Grundsatz der freien Entlaßbarkeit der Beamten aus.
'" Vgl. hierzu Stock, S. 154. "2
Hierzu P.Schrtider, S. 36; Stock, S. 154 f.; Traumann, S. 24.
" 3
Vgl. hierzu die Vorschriften des 9. Titels des Zweiten Teils des ALR.
ISol
Zu diesem Aspekt auch P.Schrtider, S. 36.
"'Hubrich, GS 75 (1910), 53 (59); vgl. auch§ 170 II 6 ALR. IS6
Fn. l.
Gerber, AöR 57 (1930), I (14 ff.); Hintze, S. 35; PreYting, ZBR 1957, 345; Stock, S. 6
1s7 Vgl. zur rechtlichen Entwicklung dieser ,,Beamten der königlichen Haus- und Hofverwaltung" auch RGSt 12, 419 (424)- Jagdhüter; 21, 381 -Hofmarschall.
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
57
kasse, einer ,,Privatkasse seiner Majestät des Königs" 158• Allerdings schloß es ein solches "Hofamt" auch nicht notwendigerweise aus, daß der Betreffende zugleich als Staatsbeamter anzusehen waru9• Dem preußischen Vorbild entsprechend wurden- hier allerdings in Einzelgesetzen - schließlich auch in Bayern (1805Y 60, Nassau (1811) 161 , Baden (1819) 162, Hessen-Darmstadt (1820) 163, Sachsen-Coburg (1821)164 und Würtemberg (1821)165 Kodifikationendes Beamtenrechts verabschiedet166• 7. Das Beamtenturn im Deutschen Reich Die Rechtsstellung der Beamten im neu geschaffenen Deutschen Reich fand im Reichsbeamtengesetz von 1873 (RBG) 167 und in den jeweiligen Landesbeamtengesetzen seine Regelung 168 • Nach § 1 RBG war derjenige Beamte als ,,Reichsbeamter" anzusehen, der "entweder vom Kaiser angestellt oder nach Vorschrift der Reichsverfassung den Anordnungen des Kaisers Folge zu leisten verpflichtet ist."
1' 8 So das Preußische Obertribunal in GA 1859, 378 (379 f.) - Schauspielhausintendant; vgl. auch RGSt 31, 47- Domanialforstaufseher.
1' 9 So ausdrücklich das Preußische Obertribunal in GA 1859, 378 (386)- Schauspielhausintendant- entgegen der Ansicht der Vorinstanzen; vgl. a.a.O., S. 379 f., 382 f.; vgl. auch RGSt 21, 381 (382) - Hofmarschall.
160 KutfUrstlich-bayrische Hauptlandespragmatik über die Dienstverhältnisse der Staatsdiener vom I. Januar 1805 (BayRegBl. 1805, S. 225); hierzu Hintze, S. 38 f.; vgl. ferner das Bayrische Staatsdienergesetz von 1818 (BayRegBl. 1818, S. 334). 161
Staatsdieneredikt von Nassau vom 6. Dezember 1811 (VOBI. 1811, S. 118).
162
Staatsdieneredikt von Baden vom 30. Januar 1819 (BadStRBl. 1819, S. 11).
163
Staatsdieneredikt von Hessen-Darmstadt vom 12. April 1820 (RegBl. 1820, S. 189).
Civil-Staatsdienstverordnung von Sachsen-Coburg vom 20. August 1821 (Sammlung der Landesgesetze und Verordnungen tllr das Herzogtum Coburg, Bd. 6, S. 151). 164
1~
Civil-Staatsdienergesetz vom 28. Juni 1821 (WüStRBl. 1821, S. 441).
Vgl. weitergehend Hattenhauer, S. 259; Summer, ZBR 1982, 321 (326 ff.), und ausflihrlich Wunder, S. 1 ff. 166
167 Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Beamten vom 31. März 1873, RGBI. 1873, S. 61; zur Entwicklung des Beamtenrechts in der Kaiserzeit vgl. Hintze, S. 39 ff., der hier auch einen Vergleich mit dem Beamtenrecht anderer Länder in der damaligen Zeit vornimmt.
168 Eigene Landesbeamtengesetze wurden erlassen von Württemberg (Gesetz betr. die Rechtsverhältnisse der Staatsbeamten sowie der Angestellten an den Latein- und Realschulen vom 28. Juni 1876, RegBl. 1876, S. 211), Baden (Beamtengesetz vom 24. Juli 1888 in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. August 1908, RegBl. 1908, S. 420), Bayern (Beamtengesetz vom 16. August 1908, GVBI. 1908, S. 581) und Sachsen-Weimar (1909).
8. Die historische.Entwicldung
58
Dabei wurde am öffentlich-rechtlichen Charakter des Staatsdienstes festgehalten169. Dies geht nicht zuletzt aus Art. 18 I der Reichsverfassung 170 hervor, wonach der Kaiser zwar die Reichsbeamten ernennt, diese jedoch für das Reich vereidigen läßt. Inzwischen hatte sich auch die Unterscheidung zwischen Amtsflihrung und Dienstverhältnis durchgesetzt171 • Letzteres bestand auch dann noch fort, wenn der Beamte im Einzelfall kein Amt (mehr) ausübte. Der Beamte konnte aus dem Dienstverhältnis jetzt nur noch in Ausnahmefällen entlassen werden (Art. 18 I der Reichsverfassung, § 2 RBG). Man konnte ihn jedoch jederzeit auf einen anderen - gleichrangigen - Posten versetzen (§ 23 RBG).
8. Das Beamtenturn in der Weimarer Zeit Nach dem Ende der Monarchie in Deutschland172 im Jahre 1918 geriet das Berufsbeamtenturn in eine .,gefährliche Krise" 173 • Trotz einiger Widerstände wurde jedoch an der Institution an sich festgehalten 174• Kennzeichnend blieb das besondere öffentliche Treue- und Gewaltverhältnis, in welchem der Beamte zum Reich, zu einem Land, einer Gemeinde oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts stand 175• Im Gegensatz zu einem Bediensteten, der auf der Grundlage eines privatrechtliehen Arbeitsvertrages angestellt war, war der Beamte auch weiterhin zu besonderer Treue und Hingabe sowie zum Einsatz seiner gesamten Persönlichkeit verpflichtet176• Das Beamtenverhältnis ergriff das Leben des Beamten in jeglicher Hinsicht und verpflichtete ihn auch im außerdienstlichen Bereich grundsätzlich zu einem loyalen Gesamtverhal-
169 Vgl. BVerfGE 3, 58 (116 f.)- NS-Beamtenverhältnisse, u.a. mit Hinweis auf den Wortlaut der Eidesfonnel; vgl. hierzu die Verordnung betreffend den Diensteid der unmittelbaren Reichsbeamten vom 29. Juni 1871, RGBI. 1871, S. 303. 170 RGBI. 1871, S. 64; vgl. auch schon Art. 18 der Verfassung des Norddeutschen Bundes (BGBI. des Norddeutschen Bundes 1867, S. 1). 171
Presting, ZBR 1957, 345 (346).
Vgl. zum Beamtenrecht in dieser Zeit Wolfsstieg, Das Beamtenreichsrecht nach lnkrafttreten der Reichsverfassung vom 11. August 1919, 1921. 172
173
Jung, S. 36.
Stock, S. 7 f., weist allerdings darauf hin, daß es auch in der Weimarer Zeit Stimmen gab, die davon ausgingen, einen einheitlichen Beamtenbegriff könne es gar nicht geben, die Bezeichnung ,.Beamter" sei daher in den verschiedenen Gesetzen in verschiedenem Sinne zu verstehen; so vor allem Eckstein, AöR 27 (1911), 487 (488 ff., 543). 174
1"
Stock, S. 8 f., 214 ff.
Vgl. § 10 RBG: ,,Jeder Reichsbeamte hat die Verpflichtung, ... durch sein Verhalten in und außer dem Amte der Achtung, die sein Beruf erfordert, sich würdig zu zeigen". 176
II. Die Entwicklung des Beamtenturns
59
ten 177• Die Beamten waren dabei ausschließlich dem Staat als Träger der öffentlichen Gewalt unterworfen. Das persönliche Band der Treue gegenüber dem Staatsoberhaupt war - zumindest vom rechtlichen Standpunkt aus betrachtet endgültig weggefallen178• Nach Art. 130 I der Weimarer Reichsverfassung (WRV) 179 wurden die Beamten daher auch als Diener der Gesamtheit und nicht als Diener einer Partei angesehen. Sie hatten fortan Treue (nur noch) der Verfassung zu schwören.
Art. 129 I 3 WRV garantierte den Beamten die Unverletzlichkeit "wohlerworbener Rechte". Hierzu gehörte z.B. die Anstellung auf Lebenszeit (Art. 129 I I WRV), der Gesetzesvorbehalt für die Amtsenthebung (Art. 129 li WRV) sowie für die Versetzung und die Versorgung (Art. 129 I 2 WRV). Ferner wurde dem Beamten das Einsichtsrecht in seine Personalakten (Art. 129 III 3 WRV), nicht jedoch die Belassung in einem bestimmten Amt garantiert180• Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde das Beamtenrecht durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns vom 7. April 1933 181 und das Deutsche Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 182 unter nationalsozialistischen Geschichtspunkten modifiziert183• Es erhielt mit der Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Führer wieder einen personenbezogenen Einschlag 184• Die Parteizugehörigkeit wurde zu einem entscheidenden Kriterium für den Zugang zum öffentlichen Diense 8s.
177 Hintze, S. 10 f.; Stock, S. 8; vgl. hierzu auch Gerber, AöR 57 (1930), I (64 ff.), und KlJttgen, Berufsbeamtentum. S. 108. 178
Vgl. hierzu auch Stock, S. 18 f.
Vgl. zum Beamtenbegriff in der Weimarer Zeit Klingen, Berufsbeamtentum, 1928; ders., Beamtenrecht, 1929; Presting, ZBR 1957, 345 (346 f.); Stock, S. 213 ff. 179
180
Unklar allerdings RGZ 104, 58 (61 f.)- Altersgrenzengesetz.
RGBI. 1933 I, S. 175; vgl. ferner das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts vom 30. Juni 1933 (RGBI. 1933 I, S. 433). 181
182
RGBI. 1937 I, S. 39.
Zum Beamtenrecht im Dritten Reich vgl. Kelpin, S. 12 ff.; Hans Mommsen, Beamtenturn im Dritten Reich, 1966; Mühl-Benninghous, Das Beamtenturn in der NS-Diktatur bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges, 1996; Roth, Claussen-FG 1988, S. 25. Ferner BVerfGE 3, 58 (89 ff.)NS-Beamtenverhältnisse. 183
184 Vgl. BVerfGE 3, 58 (89, 118)- NS-Beamtenverhältnisse; vgl. hierzu auch§ 2 des Gesetzes über die Vereidigung der Beamten und der Soldaten der Wehrmacht vom 20. August 1934 (RGBI. 1934 I, S. 785).
'" Vgl. §§ 4. 8 V, 1211 der Reichsgrundsätze über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten vom 14. Oktober 1936 (RGBI. 1936 I, S. 893) sowie den Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren vom 27. Februar 1936, abgedruckt in DJ 1936, s. 350.
60
B. Die historische Entwicklung
9. Das Beamtentom in heutiger Zeit Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches galten sämtliche Beamtenverhältnisse als erloschen 186• Zwar, so führt das BVerfG aus 187, lasse der Wechsel der Staatsform üblicherweise das Beamtenverhältnis unberührt. Dies setze jedoch voraus, daß es sich um echte Beamtenverhältnisse im traditionellrechtsstaatliehen Sinne handele, wie sie sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelt haben. Dies gelte für die Beamtenverhältnisse des nationalsozialistischen Staates aber gerade nicht188 • Entgegen einiger Bestrebungen, das Beamtenrecht nunmehr durch ein einheitliches, auch die Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes erfassendes öffentliches Dienstrecht abzulösen, wurde, wie schon 1919, an der Institution des Berufsbeamtenturns festgehalten 189• Zur verfassungsrechtlichen Grundlage wurde Art. 33 V GG, wonach das Recht des öffentlichen Dienstes nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtenturns zu regeln ist190• Somit geht das Grundgesetz nicht mehr, wie zuvor Art. 129 I 3 WRV, vom verfassungsrechtlichen Schutz der subjektiven Rechte der Beamten ("wohlerworbene Rechte") aus, sondern garantiert lediglich die Erhaltung der Einrichtung des Berufsbeamtenturns im Interesse der Allgemeinheit191 • Auf dem Gebiet der Bundesrepublik wurde die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder hinsichtlich der Regelung des Beamtenrechts für die jeweiligen Landesbeamten beibehalten. Demzufolge wurden auch entsprechende Landesbe-
1116 BVerfGE 3, 58 (76 ff., 115, 133)- NS-Beamtenverhältnisse; 6, 132 (150 ff.)- Gestapo; 15, 105 (112)- Justizinspektor; 22, 387 (408)- Alimentation; 28, 163 (173)- Reichsarbeitsdienstfiihrer; Battis, BBG, Einleitung, Rn. 4; Schmidt-Aßmann-Kunig, 6. Abschnitt Rn. 20; anders hingegen BGHZ 13, 265 (292 ff.)- NS-Beamtenverhältnisse: grundsätzlicher Fortbestand. Vgl. hierzu auch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom II. Mai 1951 (BGBI. 1951 I, S. 307). 187
BVerfGE 3, 58 (115 ff.) - NS-Beamtenverhältnisse.
181
BVerfGE 3, 58 (118 f.)- NS-Beamtenverhältnisse.
Vgl. zur Frage der Entwicklung des Beamtenrechts nach 1945 Grotkopp, Beamtenrecht und Staatsformwechsel, 1992, S. 167 ff.; Hattenhauer, S. 423 ff.; Morsey, DÖV 1993, 1061; Schwegmann (Hrsg.), Die Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns seit 1945, 1986. 18~
190 Hierzu gehören u.a. die Alimentationspflicht (vgl. BVerfGE 8, I [14 ff.]- Beamtenbesoldung; 71, 39 [62]- Ortszuschlag), die Fürsorgepflicht (BVerfGE 43, 154 [165 f.]- Datenzentrale; 8, 332 [356]- Oberkreisdirektor), die politische Treuepflicht (BVerfGE 39, 334 [347]- Berufsverbot) und die wichtigsten Grundsätze des Disziplinarrechts (vgl. BVerfGE 7, 129 [144]- Dienstbezüge), nicht hingegen ein Recht am Amt, verstanden als Recht auf Ausübung der Amtsgeschäfte (vgl. BVerfGE 8, 332 [344 ff.]- Oberkreisdirektor); vgl. hierzu auch die Übersicht bei Jarass/Pieroth, Art. 33 Rn. 37 ff.
191
BVerfGE 3, 58 (137, 160)- NS-Beamtenverhältnisse; Wiese, S. 22 m.w.N.
III. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
61
amtengesetze erlassen 192• Dem Bund steht lediglich eine Rahmengesetzgebungskompetenz zu (Art. 75 Nr. I GG). Ausschließlich mit Geltung für die Bundesbeamten wurde am 14. Juli 1953 das Bundesbeamtengesetz (BBG) geschaffen193. Wenig später, am I. Juli 1957 wurde dann das Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) verabschiedet194. Was die Gesamtstruktur der öffentlichen Verwaltung angeht, so läßt sich erstmals in der Weimarer Zeit ein prozentualer Rückgang der Gruppe der Beamten zugunsten der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst feststellen19~. ein Trend, der auch heute noch zu beobachten ist. Während vor dem Ersten Weltkrieg die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst zahlenmäßig kaum eine Rolle spielten, stieg ihre Zahl später kontinuierlich an. Während dann im Jahre 1930 den 706 500 Beamten des Deutschen Reiches insgesamt 178 561 Angestellte und 246 907 Arbeiter im öffentlichen Dienst gegenüberstanden196, hat sich das Verhältnis bis heute nochmals verändert. Ausgehend von den Vollzeitbeschäftigten standen 1995 den rund 1,98 Millionen Beamten insgesamt 2,30 Millionen Angestellte und 1,09 Millionen Arbeiter im öffentlichen Dienst gegenüber197 . Allerdings ist die Zahl der Staatsbediensteten infolge der zunehmenden Privatisierungsmaßnahmen heute wieder rückläufig. So standen 1998 den rund 1,69 Millionen Beamten nur noch 1,85 Millionen Angestellte und 0,62 Millionen Arbeiter im öffentlichen Dienst gegenüber198.
111. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes Verfolgt man die historische Entwicklung, so ist festzustellen, daß sowohl eine zusammenhängende Normierung als auch einheitliche Systematik der ,,Amts-
192 Vgl. die Übersicht über die derzeit geltenden Beamtengesetze der Länder bei SchützMaiwald, Teil A Rn. 9 ff., und im Gesamtkommentar Öffentlicher Dienst.! 1, D 030- D 045.
193 BGBI. 1953 I, S. 551; bis zum Inkrafttreten des BBG galt das Deutsche Beamtengesetz von 1937 (RGBl. 1937 I, S. 39) in einer "entnazifizierten" Fassung weiter; vgl. auch BVerfGE 3, 58 (119 f.)- NS-Beamtenverhältnisse; Jung, S. 41; Schütz-Maiwald, Teil A Rn. 8. 194
Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts vom I. Juli 1957, BGBI. 1957 I,
19'
Vgl. die Zusammenstellung bei Moelter, S. 49 f., 52 Fn. 6, 54.
1911
Zahlen nach Moelter, S. 49.
197
Quelle: Statistisches Jahrbuch flir die Bundesrepublik Deutschland 1995, Tabelle 20.7.2.,
198
Quelle: Statistisches Jahrbuch flir die Bundesrepublik Deutschland 1998, Tabelle 20.8.2,
s. 667.
s. 519.
s. 516.
•
62
B. Die historische Entwicklung
delikte" in den früheren Rechtsordnungen fehlt 199• Die erste umfassende Regelung findet sich erst im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794200• Zwar existierten auch vor dieser Zeit vereinzelt Strafnormen, die Ähnlichkeiten mit den heutigen Amtsdelikten aufweisen, wie beispielsweise die ,,Richterdelikte" in der ,,Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V." (Carolina)201 • Es handelte sich hierbei jedoch lediglich um unsystematisch nebeneinandergestellte Einzeltatbestände. Diese wurden zudem nicht als selbständige, sich von den übrigen Delikten unterscheidende Tatbestände besonderer Art (Sonderdelikte) angesehen, sondern stellten zumeist lediglich besondere Anwendungsfälle allgemeiner strafrechtlicher Deliktsbegriffe d~. Dabei war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die persönliche Qualifikation des Täters als öffentlicher Bediensteter bzw. Staatsdiener eine strafrechtlich eherunbeachtliche Tatsache203 • 1. Die Amtsdelikte im römischen Recht Bereits im römischen Recht finden sich verschiedene Rechtsfiguren, die mit einzelnen, heute noch existierenden Amtsdelikten vergleichbar sind. Sie wurden mit der Rezeption des römischen Rechts in späterer Zeit auch in Deutschland bekannt und haben Rechtslehre, Rechtsprechung und Gesetzgebung stark beeinflußt204. Dabei fällt auf, daß die Verbrechen der öffentlichen Bediensteten bereits damals mit höherer Strafe bedroht waren als vergleichbare Verbrechen von Nichtbeamten205• Eine einheitliche Gruppe von Amts- oder Beamtendelikten gab es allerdings im römischen Strafrecht, wie schon erwähnt, noch nichf06. Dies lag jedoch auch daran, daß die strafbaren Handlungen hier nach prozessualen Gesichtspunkten, d.h. nach der Art der gerichtlichen Geltendmachung und nicht, wie heute, nach Deliktsarten oder Tätergruppen eingeteilt waren207• Grundsätzlich wurden im römischen Strafrecht die strafbaren Handlungen der Beamten unter die allgemeinen Bestimmungen subsumiert. Daneben gab es allerdings auch einzelne Sonderdelikte. Erwähnenswert sind dabei im einzelnen
199
Stock, S. 88.
200
Vgl. hierzu bereits oben B II 6 und ausftlhrlich unten B 111 7.
201
Vgl. hierzu noch unten B 111 5.
202
Stock, S. 37.
203
Stock, S. 37.
200
Munt.inger, S. 2; Stock, S. 62, 76.
205
Holl, S. 4.
206
Meves in: Holtzendorff, S. 915; S.Puppe, S. 14; Stephan, S. 10; Stock, S. 64.
207
Stephan, S. I 0.
III. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
63
das crimen pecuniarum repetundarumws, welches mit der heutigen (passiven) Bestechung sowie mit der Erpressung im Amt vergleichbar isf09, jedoch darüber hinaus auch Fälle der bloßen Geschenkannahme ohne Amtspflichtsverletzung, später dann jeden gewinnsüchtigen Amtsmißbrauch erfaßte210• Hiervon sonderte sich später die concussio publicti11 ab, die sich speziell mit der Erpressung im Amt befaßte. Der Täterkreis umfaßte hier sämtliche öffentlichen Bediensteten. Vielfach wurde jedoch die Deliktsbegehung durch einen Richter als besonders strafwürdig herausgestellt212• Als nächstes zu erwähnen ist der peculatus213, welcher das Staatsvermögen allgemein vor Zugriffen durch einen Amtsträger schützen wollte, also auch den Diebstahl an beweglichen Sachen erfaßte. Täter konnte hier jeder sein, dessen Aufgabe es war, öffentliche Gelder oder Sachen zu verwalten214• Von der Deliktsgruppe des peculatus teilweise abgesondert215 wurde das crimen de residuii16, das insbesondere die Amtsunterschlagung an eingenommenen Geldern, die Nichtverwendung zu einem bestimmten Zweck sowie die Gebührenüberhebung erfaßte. Der Täterkreis erstreckte sich dabei auf diejenigen Bediensteten, denen öffentliche Gelder oder die Einziehung von öffentlichen Geldem anvertraut war, in aller Regel also auf Kassenverwalter bzw. Kassenbeamten.
208 Vgl. hierzu EngelluJrdt, S. 25 ff.; Hardtung, S. 19 f.; Mommsen, Strafrecht, S. 705 ff., 721; Rein, S. 604 ff.; Rilinger, S. 219 ff.; Stock, S. 63, 69 ff. 209 Das crimen pecuniarum repetundarum richtet sich letztlich dagegen, daß ein Amtsträger von Untertanen Geld annimmt, welches zurückgefordert werden kann und von ihm auch zurückgefordert werden muß. Dabei war es anfangs gleichgültig, ob der Amtsträger das Geld durch Erpressung oder durch Bestechung erlangte; vgl. hierzu Hardtung, S. 19; Hofmeister, S. 8 ff.; Mommsen, Strafrecht, S. 714 f.; Rein, S. 604; zu den Bestechungsdelikten im römischen Recht allgemein Alcalay, S. 4 ff. 210 Berner, S. 648; Feuerbach, S. 197; P.Schröder, S. 34; Stock, S. 63; es ist an dieser Stelle jedoch darauf hinzuweisen, daß zuweilen sogar davon ausgegangen wird, daß es bis zum Ende des Zeitalters der Republik das Delikt der Vorteilsannahme im eigentlichen Sinne noch gar nicht gegeben habe und und die Annahme von Geschenken durch Beamte lediglich gegen den Anstand, nicht jedoch gegen die Rechtsordnung verstieß; vgl. hierzu Hardtung, S, 19; Mommsen, Strafrecht, S. 706; Rein, S. 627 Fn. 2.
211
Mommsen, Strafrecht, S. 710, 716 f.; Rein, S. 343 ff., 605; Stock, S. 64, 72 f.
212
Stock, S. 69.
213
Vgl. hierzu Mommsen, Strafrecht, S. 764; Rein, S. 672 ff.; Rilinger, S. 225 ff.; Stock,
s. 65 ff.
214 Vgl. hierzu Stock, S. 66. Teilweise wurde diese Rechtsfigur jedoch über die Veruntreuung von Staatsvermögen hinaus auch auf anderes Vermögen ausgedehnt. Der Täterkreis umfaßte nach dieser Ansicht allgemein die Vermögensverwaltung, d.h. sämtliche Personen, die einem anderen über Vermögensgegenstände Rechenschaft abzulegen hatten. 21 s Das Verhältnis des crimen de residuis und des peculatus ist im einzelnen zweifelhaft; vgl. hierzu Stock, S. 63, 65 ff. 216 Meves in: Holtzendorff, S. 916; Mommsen, Strafrecht, S. 764; Rein, S. 695 ff.; P.Schröder, S. 34; Stock, S. 63, 67 ff.
B. Die historische Entwicklung
64
Erwähnenswert ist noch der ambitu.$2 11, welcher die Amtserschleichung (insbesondere mittels Bestechung) in gewissen Fällen unter Strafe stellte. Hiervon erfaßt wurden jedoch auch die Fälle der unrechtmäßigen Amtsvergabe. Von den Rechtsprechungsdelikten ist insbesondere dasfalsum218 zu nennen, worunter u.a. die Richterbestechung und die Rechtsbeugung zu fassen ist219 • Schließlich sind noch die auch damals bereits eine Sonderrolle einnehmenden Militärstraftatenm sowie die sogenannte vis publica221 zu nennen, die die rechtswidrige (gewalttätige) Behandlung von Bürgern unter Mißbrauch der Amtsgewalt und Überschreitung der amtlichen Befugnisse zum Gegenstand hatte. Auch die allgemeine Deliktskategorie der crimen majestatis, der Majestätsverbrechen222, bedarf in diesem Zusammenhang noch besonderer Erwähnung, da hierunter auch schwere Verletzungen der Amtspflicht, wie z.B. die Verletzung der Verfassung oder der Kriegsbeginn ohne Auftrag gefaßt wurden223 • 2. Die Lex Salica Auch das frühe germanische Strafrecht enthält bereits einige Einzeltatbestände, die mit den heutigen Amtsverbrechen vergleichbar sind, ohne den Begriff der Amtsverbrechen als Sammelbezeichnung jedoch zu kennen224 • In der "Pactus legis Salicae" (Lex Salica)225, dem berühmtesten aller germanischen Stammesrechte, die vermutlich zu Beginn des 6. Jahrhunderts unter
217 Ambitus war ursprünglich das Verbrechen der unrechtmäßigen Amtsbewerbung und hat seinen Namen von der Sitte der römischen Kandidaten, auf dem Forum und auf dem Campus Martius herumzugehen und die stimmberechtigten Bürger um ihre Stimme zu bitten; vgl. Rein, S. 701 ff.; ferner Mommsen, Strafrecht, S. 865 ff.; Rilinger, S. 239 ff.; Stock, S. 63, 71 f. 218
Mommsen, Strafrecht, S. 667, 674 f.
Insoweit war hinsichtlich der Richterbestechung das crimen pecunianum repetundarum als Unterfall desfalsum anzusehen; so auch Stock, S. 70. Das ,.crimen falsi" gingjedoch weit darüber hinaus und urnfaßte eine Vielzahl von Fälschungs- und Betrugsdelikten; vgl. hierzu auch Hupe, S. 13 ff.; Mommsen. Strafrecht, S. 667 ff. 219
220
Mommsen, Strafrecht, S. 561 f.; Mum:.inger, S. 2; Rein, S. 698 ff.
221
Meves in: Holtzendorff, S. 916.
222
Mommsen, Strafrecht, S. 537 ff.
223
Stephan, S. I I.
224
P.Schröder, S. 34.
m Text u.a. abgedruckt und übersetzt bei Eckhardt, Germanenrechte I l; vgl. auch ders., Pactus legis Salicae II I, S. 97 ff. (65 Titel-Text- dieser Text wurde hier bei der Zählung zugrundegelegt). Die Lex Salica liegt jedoch in verschiedenen Ausgaben vor; zu anderem Zählungen vgl. Eckhardt, Germanenrechte II I; ders., Pactus Jegis Salicae II 2 (70 Titel-Text); ders., Pacus legis Salicae I (80 Titel-Text).
III. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
65
Chlodwig entstanden ist, finden sich (im 65 Titel-Text) in§§ I, 2 des 57. Titels (,,De rachineburgiis" - "Von den Geschworenen")226 Vorschriften über die Justiz- und Pfändungsverweigerung, worunter u.a. auch die Urteilsverweigerung fiel 227 • Desweiteren enthält § 3 des 57. Titels eine Vorschrift über die Rechtsbeugung, die ebenfalls als Justizverweigerung, nämlich als die Verweigerung des richtigen Rechts angesehen wurde228• Eine nähere Bestimmung über diejenigen Personen, die neben den vom Volk gewählten Richtern als Urteilsfinder tätig wurden (die sogenannten Rachimburgen oder Geschworenen) findet sich in der Lex Salica allerdings nichf29 • Bis heute ist unklar, wer das Rachimburgen-Kollegium ernannte oder wählte. Vermutlich bestand es aus adligen Grundbesitzern und anderen persönlich herausragenden Dinggenossen230• 3. Die Lex Ribvaria In der Lex Ribvaria, dem im 7. Jahrhundert aufgezeichneten Stammesrecht der ribvarischen Franken231 , finden sich (im 89 Titel-Text) im 55. Titel (,,De rachinburgiis Iegern dicentibus"- "Von den rechtsprechenden Geschworenen") die dem 57. Titel der Lex Salica entsprechenden Vorschriften über die Justizverweigerung sowie über den "ungerechten Richter"232 • Ferner wurde für die richterlichen Amtswalter in § 1 des 88. Titels233 das Verbot der Bestechlichkeit (passive Bestechung) aufgenommen234 • Es findet sich hier eine Aufzählung der mit der Rechtspflege befaßten Amtswalter, denen untersagt wird, Geschenke im Zusammenhang mit ihrer richterlichen Tätigkeit anzunehmen235•
226 Nach anderer Zählung im 60. Titel; vgl. Eckhardt, Germanenrechte II I; ders., Pactus legis Salicae II 2 (jeweils 70 Titel-Text); ders., Pactus legis Salicae I (80 Titel-Text).
m Sauer, S. 506; Schmitt-Weigand, S. 8 ff.; P.Schröder, S. 34 Fn. 15; vgl. auch Stephan,
s. 12 f.
228 Vgl. hierzu Schmitt-Weigand, S. 13 ff.; zur Justizverweigerung im altdeutschen Recht allgemein Cohn, S. 10 ff. 229
Vgl. hierzu Schmitt-Weigand, S. 9 Fn. 34.
230
Schmitt-Weigand, S. 5 m.w.N.
231
Text u.a. abgedruckt und übersetzt bei Eckhardt, Germanenrechte II I, S. 137 ff. (89 Titel-
Text).
m Nach anderer Zählung ist dies der 56. Titel. 233
Nach anderer Zählung der 91. Titel.
234
Vgl. hierzu Schmitt-Weigand, S. 17; P.Schröder, S. 34.
m Vgl. näher Schmitt-Weigand, S. 17. 5 Heinrich
66
8. Die historische Entwicklung
4. Der Sachsenspiegel Vereinzelte Amtsdelikte, vorwiegend wiederum ,,Richter"delikte, wurden auch in den Sachsenspiegel aufgenommen. In§ 8 des 13. Artikels im 2. Buch findet sich beispielsweise eine Vorschrift über die Rechtsverweigerung: derjenige Richter, der Unrecht nicht bestraft, hat diejenige Strafe zu erwarten, die gegen den Rechtsbrecher hätte verhängt werden müssen (Talionsprinzip)236 • Dennoch war der Begriff des ,,Amtsdeliktes" dem Sachsenspiegel, wie im übrigen auch den späteren Quellen des deutschen Mittelalters, fremd237 •
5. Die Carolina Auch in der "Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V." (Carolina) von 1532 findet sich noch keine einheitliche Regelung der Amtsdelikte238• Wiederum tauchen lediglich vereinzelt einige Vorschriften auf, die die Beamten betreffen, wobei wiederum vorzugsweise die Amtswidrigkeiten des Richters239 unter Strafe gestellt wurden2AO. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Art. 20 (Haftung des Richters gegenüber dem zu Unrecht Gefolterten), Art. 21 (Verbot für den Richter, von Personen, die sich mit Zauberei beschäftigen, Anzeigen entgegenzunehmen, um ein Strafverfahren einzuleiten oder Gefängnis zu verhängen), Art. 22 (Verbot der Verurteilung allein aufgrund vori Indizien), Art. 61 (Untersagung des Torturmißbrauchs), Art. 100 (Verbot überflüssiger Untersuchungen), Art. 115 (Verbot des Parteiverrats, d.h. die Bedienung beider Parteien desselben Rechtsstreits durch den ,,Prokurator"), Art. 180 (Verbot der Gefangenenbefreiung durch Gefängnisbeamte241 ), Art. 205 (Richterbestechung) und Art. 218, 219 (Verbot des Falschurteils242).
136 Zum Reichshofrichter (iusticiarius curie), dessen Stellung durch Friedlich II. im Jahre 1235 geschaffen wurde, vgl. Hochheiser, S. 43 f.
237
Stephan, S. 13.
238
Vgl. hierzu Engelhardt, S. 35; Stephan, S. 13; Stock, S. 54 ff.
Vgl. zur Rechtsstellung der Richter am Reichskammergericht nach 1495 auch Hochheiser, S. 45 ff.; ferner Stock, S. 46 ff. 239
1AO
Stephan, S. 13.
Der Kreis der tauglichen Täter wurde hier jedoch bald auf weitere Personen, wie etwa Richter, Gerichtsknechte und alle beamteten Personen, die einen Gefangenen zu bewachen hatten, ausgedehnt; vgl. hierzu Stock, S. 87 m.w.N. 241
242
Vgl. zu den einzelnen Delikten Stock, S. 55 ff.; P.Schröder, S. 35 m.w.N.
lli. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
67
Die strafrechtlichen Regelungen der Carolina wurden abgerundet und ergänzt durch die Reichskammergerichtsordnung von 1555 und die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577243, in denen insbesondere Strafnonnen gegen Richter und Advokaten wegen Prozeßverschleppung und Ungebühr aufgenommen wurden244 • Auch diese enthielten jedoch keine besondere Deliktsgruppe der Amtsverbrechen und legten auch keinen einheitlichen Beamtenbegriff zugrunde245• Der Täterkreis der einzelnen Delikte wurde vielmehr von Fall zu Fall verschieden bestimmt246• Ergänzend zur Carolina und den genannten weiteren Vorschriften mußte jedoch, da diese eben keine lückenlose Regelung enthielten, darüber hinaus auf Rechtsfiguren zurückgegriffen werden, die sich im römischen Recht entwickelt hatten247•
6. Die Lehre von den deUcta ministrorum principis Im Zuge der Rezeption des römischen Rechts im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Einteilung der römisch-rechtlichen Amtsdelikte von der gemeinrechtlichen Wissenschaft aufgegriffen und weiterentwickelt248• Man verstand nunmehr unter dem crimen repetundarum allgemein den Amtsmißbrauch, worunter auch die amtliche Erpressung (concussio publica) und die Bestechung (corruptio) fielen 249• Als weitere Gruppe wurde das crimen de residuis, die Veruntreuung von Geldem und öffentlichem Eigentum durch Kassenbeamte angesehen250• Als dritte Gruppe erkannte man die Verletzung der Richterpflichf51 , die sowohl die Nichtausübung des Richteramtes als auch dessen gesetzwidrige Ausübung umfaßte, sofern hierdurch anderen ein Schaden
lAJ
Vgl. hierzu Sauer, S. 506 f.; Segall, S. 1 ff.; Stock, S. 57 ff.
2Ao6
Vgl. Stephan, S. 13 f.
2A' Stock, S. 61. 246
Stock, S. 61.
Meves in: Holtzendorff, S. 917; Stock, S. 57, 63. Allerdings weist Engelhardt, S. 35 f., unter Berufung auf Feuerbach, S. 196 f., darauf hin, daß eine Übertragung gerade bei den Amtsverbrechen äußerst problematisch war. 2.47
m Vgl. hierzu P.Schrlider, S. 35; Stephan, S. 14. 2.49
Feuerbach-Mittermaier, §§ 478 ff.; Meves in: Holtzendorff, S. 917; Stephan, S. 14; Stock,
2SO
Feuerbach-Mittermaier, §§ 481-482.
~•
Feuerbach-Mittermaier, §§ 483-485; hierzu auch Kqrstedt, S. 71; Stephan, S. 14.
s. 70 f.
8. Die historische Entwicklung
68
entstand252. Völlig außerhalb der Amtsverbrechen standen wiederum die Militärverbrechen253. Über diese wenigen Fälle von speziellen Amtsdelikten hinaus wurden jedoch Arntspflichtverletzungen, wenn mit ihnen ein allgemeines Verbrechen verbunden war, welches auch von Privatpersonen verübt werden konnte, ausschließlich nach diesem bestraft. Die •.Amtsdelikte" waren in diesem Fall lediglich spezielle Anwendungsfalle allgemein gültiger Deliktsbegriffe254 • Die Tatsache, daß der Täter ein öffentlicher Bediensteter war, bedeutete dabei eine strafrechtlich eher unerhebliche Qualifikation des Täters255• Erschienen somit die Amtsdelikte immer noch nicht als zusammenhängende, einheitliche Gruppe von Delikten, die nur von der besonderen Personengruppe der Beamten begangen werden konnten256, so änderte sich dies im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung, die insbesondere die fürstlichen Bediensteten (ministri principis) innerhalb der absoluten Monarchie erlangten, wurde eine gewisse Systematisierung der von ihnen begangenen Verbrechen durch die Herausbildung der Deliktsgruppe der .,Verbrechen der Staatsdiener", der "delicta ministrorum principis" erreicht257. Hierbei wurden, anknüpfend an die Person des Handlungssubjekts, sämtliche Delikte gesammelt, die von dieser speziellen Tätergruppe begangen werden konnten258. Insofern kann man sie im weitesten Sinne als Vorläufer der heutigen Amtsdelikte ansehen259. Die Amtsdelikte (delicta ministrorum principis) zerfielen dabei in zwei Gruppen, die delicta communia ministrorum principis (=allgemeine Delikte, die von jeder anderen Person begangen werden konnte und bei der die Amtsträgerschaftlediglich strafmodifizierende Wirkung hatte) und die delicta propria ministrorum principis (= Delikte, die ausschließlich von Amtsträgem begangen werden konnten). Schon hier zeichnete sich also eine Differenzierung innerhalb
m Zu dieser Einteilung Feuerbach-MinemuJier, § 477; Meves in: Holtzendorff, S. 917; Wachinger, S. 194. 253
Vgl. hierzu Feuerbach-MinemuJier, §§ 486-494.
254
Karstedt, S. 71; Munr.inger, S. 3; Stephan, S. 14; Stock. S. 37, 77.
25'
Stock, S. 37.
256 Stock, S. 2 f., spricht in diesem Zusammenhang von einer "ungeheure(n) Menge von höchst kasuistischen Einzeltatbeständen". 257
Vgl. hierzu Stephan, S. 15; Stock, S. 37 ff., 88 ff.
251
V.Lisr.t!Schmid, § 178 II; Munr.inger, S. 3; P.Schröder, S. 35; Stock, S. 37, 88 f.
259
Stock, S. 2 f., 37, 89.
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
69
der Gruppe der Amtsdelikte ab, die wir später in der Einteilung der Amtsdelikte in "uneigentliche" und "eigentliche" Amtsdelikte wiederfinden260• Unter diese zweite Gruppe der delicta propria ministrorum principis faßte man sowohl die in den einzelnen Tatbeständen formulierten Amtsverbrechen (delicta propria nominata261 ) als auch die nicht im einzelnen festgelegten, generalklauselartig formulierten allgemeinen Dienstvergehen, die allgemein pflichtwidrige Amtshandlungen der öffentlichen Bediensteten unter Strafe stellten und die in etwa den heutigen Disziplinarvergehen entsprachen (delicta propria innominata)262• Da die - immer noch rein strafrechtlich und nicht etwa "lediglich" disziplinarrechtlieh zu beurteilende - letztgenannte Generalklausel im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend mit dem langsam sich durchsetzenden Grundsatz des ,,nulla poena sine lege" in Konflikt geriee63, wurde auch sie mit der Zeit in fest umrissene Einzeltatbestände aufgelöst. Insbesondere in der Zeit des preußischen Absolutismus findet sich ein überaus reiches Material an Vorschriften über die Bestrafung dienstlicher Verfehlungen von öffentlichen Bediensteten264 in Form einer Vielzahl von verschiedenen Ordnungen, Instruktionen und Reskripten für einzelne Bedienstetenkategorien265• Die Gruppe der delicta propria nominata wuchs somit an und umfaßte nun zunehmend sowohl die "Verbrechen der Diener des Staates" als auch die bloßen- nun jedoch in Einzeltatbeständen formulierten - Dienstpflichtverletzungen der Angehörigen des Standes der königlichen Staatsdiener. Dies führte nun aber erneut zu einer Vermischung von Kriminal- und Disziplinarrecht, da sich beide Arten von Verfehlungen nun in einer Deliktskategorie wiederfanden266• 7. Die Regelung im Preußischen AUgemeinen Landrecht von 1794 Im ,,Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten" vom 5. Februar 1794 finden sich erstmalig Regelungen, die in ihrer Systematik mit den heuti-
260
Vgl. hierzu unten C II 3.
Hierunter fielen die bereits oben genannten Gruppen des crimen repetundarum, des crimen de residuis und die Verletzung der Richterpflicht. 261
262
Behnke, ZBR 1%3, 257 (266); Munzinger, S. 3; P.Schröder, S. 35; Stephan, S. 15; Stock, 101 ff.
s. 89 f., 263
Behnke, ZBR 1%3, 257 (266); Stock, S. 38, 100 ff.
264
Vgl. hierzu Stock, S. 127 ff.
265
Stock, S. 127 f.
266
Munzinger, S. 3; Stock, S. 38 f., 103 f.; hierzu noch, genauer unten B IV.
B. Die historische Entwicklung
70
gen Amtsdelikten vergleichbar sind267. Diese Vorschriften können daher auch als Vorläufer der heutigen Amtsdelikte angesehen werden268 . Ihnen lag als gemeinsamer Strafgrund die Verletzung der dem Beamten obliegenden, sich aus dem besonderen Treueverhältnis ergebenden (Dienst-)Pflichten zugrunde269 • Durch die Amtsdelikte sollte daher der Beamtenstand an sich vor unwürdigen und pflichtwidrig handelnden Mitgliedern geschützt werden270. Die Strafnormen des ALR knüpften bei der Bestimmung der Strafbarkeit daher erstmals streng an das Handlungssubjekt, also den Beamten oder Staatsdiener an und normierten hiervon ausgehend die einzelnen Delikte271 , während in den früheren Rechtsordnungen, ausgehend von den einzelnen Deliktskategorien, die Beamteneigenschaft ein strafrechtlich eher unbedeutender Umstand war. Diese Anknüpfung an das Handlungssubjekt ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil sie der sonstigen Systematik des ALR widerspricht. Denn für die Einteilung der Strafvorschriften des Allgemeinen Landrechts war ansonsten der ein bestimmtes Rechtsgut bedrohende Charakter der deliktischen Handlung und nicht das jeweilige handelnde Subjekt entscheidend272 • Lediglich bei den Amtsdelikten wurde hiervon eine Ausnahme gemacht: das Subjekt des Handeins wurde stärker betont als die deliktische Handlung selbst. Daher ist es zutreffend, wenn man das Beamtenstrafrecht des ALR als Standesstrafrecht bezeichnef73. Diese enge Anhindung an das Handlungssubjekt und somit an die Verletzung von Standespflichten der Staatsdiener führte allerdings dazu, Nichtbeamte aus diesem Bereich der Strafbarkeit völlig auszugrenzen. Auch eine Teilnahme von Nichtbeamten an den Amtsdelikten kam daher nicht in Betracht274• Die maßgeblichen strafrechtlichen Bestimmungen finden sich im Achten Abschnitt ("Von den Verbrechen der Diener des Staates") des Zwanzigsten Titels ("Von den Verbrechen und deren Strafen") im Zweiten Teil des ALR (§§ 323508 II 20 ALR). Darüber hinaus existierten zwar vereinzelt noch weitere
Zur Rechtslehre während der Zeit der Entstehung des Allgemeinen Landrechts vgl. KeßS. 23 ff. Zur Behandlung der Amtsdelikte im ALR vgl. insbesondere Hubrich, GS 75 (1910), 53; Stock, S. 145 ff.; Wachinger, S. 194 ff. 267
mDM,
261
P.SchriJder, S. 32; vgl. auch Binding, Lehrbuch II 2, § 189 VIII a.E.
269
Hochheiser, S. 61; Stock, S. 154; TraumaM, S. 24 f.
270
rn
P.SchriJder, S. 40; TraUmDM, S. 25. Stock, S. 156; TraumaM, S. 24.
m Stock, S. 156; TraUmDM, S. 24. P.SchriJder, S. 40; Stock, S. 155, 243; Traumann, S. 24. Allerdings versucht P.Schrlider, S. 42, nachzuweisen, daß das Beamtenstrafrecht des ALR zugleich auch als Amtsstrafrecht anzusehen war, da als Beamter nur deljenige angesehen werden konnte, dem auch tatsächlich ein Amt übertragen worden war; vgl. hierzu sogleich noch näher am Ende dieses Abschnitts. m
274
Beseler, S. 565 f.; Stock, S. 178.
ill. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
71
Straftatbestände, die entweder von275 oder an276 Staatsbediensteten begangen werden konnten. Diese sind jedoch ftir das systematische Verständnis von minderer Bedeutung277 • Andererseits finden sich aber in §§ 323 ff. II 20 ALR auch vereinzelt Vorschriften, die lediglich dem näheren Umfeld der Amtsdelikte zuzuordnen sind, da sie ausschließlich die Strafbarkeit von nichtbeamteten Personen regeln278 • Der angesprochene Achte Abschnitt ist dabei in mehrere Teile gegliedert. In §§ 323-365 II 20 ALR finden sich allgerneine Bestimmungen ftir alle Arten von Beamten (Bsp.: Amtsanmaßung, Arntsungehorsam, Bestechlichkeit). Danach folgen Spezialvorschriften, die nur für bestimmte Gruppen von Staatsbediensteten galten (Justiz-, Finanz-, Polizei-, Magazin-, Registratur-, Archiv-, Kirchen- und Schulbedienstete sowie Militärpersonen)279, wobei eine eindeutige verwaltungsrechtlich-organisatorische Einteilung vorgenommen wurde(§§ 366504 II 20 ALR)280• Der Achte Abschnitt wird abgeschlossen durch einige Vorschriften über Personen, die, ohne Staatsdiener zu sein, dem "gemeinen Wesen" dennoch besonders verpflichtet sind (§§ 505-508 II 20 ALR)281 • Insgesamt spiegelt sich im ALR bei den Amtsdelikten das Einteilungprinzip wieder, welches sich bereits im gemeinen Recht entwickelt hatte282: einerseits findet man hier die delicta communia (Delikte also, die von jedermann begangen werden konnten und bei denen die Eigenschaft des Täters als Amtsträger lediglich strafmodifizierende Wirkung hatte), andererseits gibt es daneben auch die delicta propria (Delikte, die ausschließlich von Amtsträgem begangen werden konnten). In diesem Bereich wurde wiederum eine Unterscheidung zwischen den delicta propria norninata (geschriebene Einzeltatbestände) und den delicta propria innorninata (Generalklauseln) gemacht.
m §§ 555-556, 1030, 1307, 1334-1344, 1384, 1385, 1420 II 20 ALR und § 205 II 15 ALR i.V.rn. §§ 1370, 1371 II 20 ALR. 276
ALR.
§§ 207-209 II 20 ALR (,,Beamtenbeleidigung"); §§ 308-313 II 20 ALR; § 877 b) II 20
m Vgl. auch
Hochheiser, S. 58.
Vgl. §§ 323-324 (Amtsanmaßung), 368-370 (Bestechung), 469, 471, 476-498 (Mitwirkung an einer Desenation) 505-508 (Strafdrohungen gegen Ärzte, Wundärzte und Hebammen) II 20 ALR; hierzu auch Hochheiser, S. 59; Hubrich, GS 75 (1910), 53 (76 f.); kritisch gegenüber dieser fehlenden Systematik und dem "völligen Durcheinander" von Vorschriften in diesem Abschnitt Behnke, ZBR 1963, 257 (261). 278
279 In unserer heutigen Terminologie wUrde man diese Delikte als "besondere Amtsdelikte" bezeichnen; vgl. hierzu unten C II 4.
280
Hochheiser, S. 58 f.
281
Insbesondere sind hier aufgefUhn: Ärzte, Wundärzte und Hebammen.
282
Behnke, ZBR 1963, 257 (266); Hubrich, GS 75 (1910), 53 (73); Stock, S. 152.
8. Die historische Entwicklung
72
Als eine solche umfassende Generalklausel, die zugleich den zentralen (Auffang-)Tatbestand dieses Abschnittes darstellt, kann § 333 II 20 ALR angesehen werden283• Hier wurde allgemein derjenige mit Strafe bedroht, der (vorsätzlich) "den Vorschriften seines Amtes zuwider handelt". Eine Verletzung der Amtspflichten aus "grober Fahrlässigkeit oder aus Unwissenheit" pönalisierte § 334 II 20 ALR während§ 335 II 20 ALR geringere Sanktionen (Warnung, Verweis, geringe Geldstrafe) für Amtspflichtverletzungen aus "geringem Versehen" enthält. Diese Normen waren stets anwendbar, sofern keine spezielleren Vorschriften einschlägig waren284• Nach heutigem Verständnis sind sie allerdings eher als disziplinarrechtliehe Vorschriften anzusehen. Interessant ist schließlich noch ein Hinweis auf § 339 II 20 ALR, der festlegte, daß immer dann, wenn ein Beamter ein Verbrechen beging, welches mit seinem Amte in keiner Beziehung stand (wenn also gerade kein Amtsdelikt vorlag), neben einer Zuchthaus- oder Festungsstrafe "allemal außer dieser Strafe ihre Cassation erfolgen" sollte. Es handelte sich hier also um eine Vorschrift, die ebenfalls einen ausschließlich disziplinarrechtliehen Charakter trug285 • Eine nähere Umschreibung des Täterkreises findet sich im Achten Abschnitt des ALR jedoch nicht. Lediglich die bereits angesprochene Aufteilung in Spezialdelikte, die nur von Angehörigen verschiedener Berufsgruppen begangen werden konnten (§§ 366-504 II 20 ALR- nach heutigem Verständnis handelt es sich hierbei um "besondere Amtsdelikte"286) kann hier etwas weiterführen. Darüber hinaus verwendet das ALR scheinbar wahllos die Täterbezeichnungen ,,Diener des Staats", ,,Beamte" ~nd "Officianten"287, wobei § 365 II 20 ALR den Hinweis enthält, daß die allgemeinen Vorschriften(§§ 323-364 II 20 ALR), die für die Offleianten des Staates gelten, sowohl auf die mittelbaren als auch auf die unmittelbaren Beamten Anwendung findet. Es ist daher davon auszugehen, daß die Verfasser des ALR diese Bezeichnungen als Synonyme verstanden und hierdurch keine Differenzierungen beabsichtigt waren288 • Will man nun aber feststellen, welchen Täterkreis die Amtsdelikte im Auge hatten, wer also unter den Begriff des ,,Beamten" oder ,,Diener des Staates" im Sinne des Preußischen Allgemeinen Landrechts fiel, muß mangels einer eigenen Begriffsumschreibung im Achten Abschnitt des Zwanzigsten Titels im Zweiten
283
P.Schröder, S. 38.
284
Stock, S. 146.
m Zur Abgrenzung von Straf- und Disziplinarrecht in dieser Zeit vgl. noch genauer unten 8 IV I. 286
Vgl. hierzu unten C II 4.
287
Vgl. hierzu Stock, S. 17 Fn. 42.
288
So auch Hochheiser, S. 59 Fn. 6; Hubrich, GS 75 (1910), 53 (54).
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
73
Teil des ALR auf die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Vorschriften des ALR zurückgegriffen werden, diejenigen Normen also, die das ,,Beamtenrecht" als Regelungsgegenstand hatten289. Dies legt auch § 365 II 20 ALR nahe, der ausdrücklich auf§ 69 II 10 ALR, also auf eine "Vorschrift des Beamtenrechts" verweist290. Diese beamtenrechtlichen Vorschriften finden sich im Zehnten Titel des Zweiten Teils des ALR unter der Überschrift "Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staates". Auf diese Normen wurde oben291 bereits eingegangen. Fraglich ist aber, inwieweit sich der strafrechtliche Beamtenbegriff der §§ 323 ff. II 20 ALR mit demjenigen des Verwaltungsrechts in §§ 1 ff. II 10 ALR tatsächlich deckte. Hierzu ist zu bemerken, daß § 365 li 20 ALR, wie eben schon erwähnt, ausdrücklich auf § 69 li 10 ALR verweist, also den staatsrechtlichen Beamtenbegriff den strafrechtlichen Normen zugrunde legte. Ferner können sich viele der in §§ 323 ff. II 20 ALR angedrohten Sanktionen, wie beispielsweise die Cassation und die Degradation292, aber auch die Suspension293 und die Strafversetzung294 ihrem Wesen nach nur gegen Beamte im staatsrechtlichen Sinne nicht aber gegen nichtbeamtete Personen richten295. Stellt man darüber hinaus noch den Umstand in Rechnung, daß sowohl die Überschrift des (verwaltungsrechtlichen) Zehnten Titels des 2. Teils als auch die des (strafrechtlichen) Achten Abschnitts des Zwanzigsten Titels des 2. Teils gleichlautend von ,,Dienern des Staates" sprechen, kann insgesamt davon ausgegangen werden, daß unter der Geltung des Preußischen Allgemeinen Landrechts der strafrechtliche Beamtenbegriff vollständig mit dem des staats(verwaltungs)rechtlichen Beamtenbegriffes identisch war96 und sämtliche ,,Diener des Staates" umfaßte. Wer nach den Normen des Staatsrechts als Staatsdiener angestellt war, war somit auch Beamter im strafrechtlichen Sinne. Als letztes ist hier noch auf die Frage einzugehen, ob nun als Beamte im Sinne des Allgemeinen Landrechts alle diejenigen anzusehen waren, die in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat standen (insofern wäre
289
P.Schröder, S. 37.
§ 365 II 20 ALR lautet: "Alles, was vorstehend § 323-364. von den Vergehungen der Offleianten des Staats verordnet ist, gilt sowohl von den mittelbaren als unmittelbaren Beamten desselben. (Tit. X. § 69.)". 290
291
Vgl. oben B II 6.
292
Vgl. beispielsweise§ 334 II 20 ALR.
293
Vgl. §§ 403, 500 II 20 ALR.
2114
Vgl. §§ 456, 457 II 20 ALR.
295
So auch Hochheiser, S. 61.
296 Nähere Nachweise bei Erb, S. 7; Hochheiser, S. 55 ff., 59 f. Fn. 7, S. 62; Keßmann, S. 44; S. Puppe, S. II, 21 f.; P.Schröder, S. 37; Stock, S. 155; Traumann, S. 25; Wachinger, S. 199.
B. Die historische Entwicklung
74
also eine bloße "Anstellung" hinreichend und notwendig gewesen)297, oder ob es letztlich auf die tatsächliche Übertragung eines Amtes ankam298• Hierzu ist zu bemerken, daß eine eindeutige Klärung in diesem Bereich wohl kaum möglich ist. Das Allgemeine Landrecht unterschied nicht zwischen .,Staatsdienern" und ,,Amtsträgern". Allerdings sollte nach der Rechtslehre der damaligen Zeit als Staatsdiener nur derjenige angesehen werden, der auch tatsächlich ein ,,Amt" innehatte, dem also ein ,,Amt" übertragen wurde299• Das ,,Amt" war also das wesentliche Kriterium für die Begründung der Beamtenqualität. Einen Beamten ohne Amt konnte es somit nicht geben300• Daraus folgt, daß die Amtsübertragung die einzige Form der Anstellung eines Beamten war, die das damalige Recht kannte301 • Dies ergibt sich auch aus § 3 li 10 ALR, der die besonderen Amtspflichten des Beamten von der ,,Beschaffenheit seines Amtes" abhängig macht. Unter einem ,,Amt" wurde hierbei ein Kreis von Geschäften angesehen, die in der Tätigkeit zu einem besonderen Staatszweck und in der Ausübung eines Zweiges der Regierungsgewalt bestanden302• Dies legt es nahe, daß unter der Wahrnehmung eines Amtes immer eine hoheitliche Betätigung zu verstehen w~3 • Ausschließlich an dieses Amt und die Verletzung der mit ihm verbundenen Pflichten knüpften auch die Amtsdelikte an. Die Amtspflichtsverletzung des Beamten war somit das Merkmal, welches die Amtsdelikte des ALR von allen anderen strafbaren Handlungen unterschied304 • Eine Trennung dahingehend, daß der Akt der Begründung des öffentlichen Dienstverhältnisses (in Form einer ,,Ernennung zum Beamten") und die Übertragung eines bestimmten Amtes als zwei unterschiedliche Vorgänge anzusehen seien, fand nicht statt. Insoweit konnte aber sowohl aus der Übergabe einer Bestallungsurkunde (als formloser Akt) als auch aus der tatsächlichen Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes die Beamteneigenschaft geschlossen werden.
197
In diese Richtung Erb, S. 7; Stock, S. 8 f.
291
So Keßmann, S. 34 ff.; P.SchriJder, S. 40 ff., 89.
299
Keßmann, S. 29, 34, 43; P.SchriJder, S. 41.
300
Keßmann, S. 37; P.Schr/Jder, S. 42.
301
Keßmann, S. 37; KiJttgen, Berufsbeamtentum, S. 146.
JCn
Keßmann, S. 34.
P.SchriJder, S. 41 f. 304 Hochheiser, S. 61; Stock, S. 154. Daher lag es auch nahe, die Dienst- oder Amtspflichtver303
letzung als Schutzgut der Amtsdelikte anzuerkennen; vgl. hierzu noch ausfUhrlieh unten C V 1.
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
75
8. Die Regelung in den Partikular-Strafgesetzen des 19. Jahrhunderts In den Partikular-Strafgesetzen der deutschen Länder5 finden sich, dem ALR folgend, nunmehr auch regelmäßig Strafnonnen für Amtsdelikte. Eine Regelung darüber, welche Personen von diesen Strafvorschriften erfaßt wurden, ist jedoch nicht in allen Strafgesetzbüchern enthalten306•
a) Das Bayrische Strafgesetzbuch von 1813 Das Bayrische Strafgesetzbuch vom 6. Mai 1813, welches im wesentlichen auf Feuerbach zurückgeht, unterscheidet zwischen den besonderen Verbrechen (Art. 351 ff.) und den besonderen Vergehen (Art. 437 ff.) der Staatsbeamten und öffentlichen Diener. Eine eigene Beamtendefinition findet sich hierin nichfO'I. Allerdings unterscheidet das Gesetz in seinem Sprachgebrauch in den verschiedenen Straftatbeständen zwischen den "Staatsbeamten", den "Staatsdienern", den "öffentlichen Beamten" und den ,,Beamten". Diese Unterscheidung ist jedoch bedeutungslos308• Ferner findet sich in Art. 366, 459 die Regelung, daß diese Strafnonnen ,,nicht bloß von den unmittelbaren, sondern auch von den mittelbaren Beamten des Staats" erfüllt werden können309• Zur letzte:ren Gruppe zählte man sowohl diejenigen, die von Personen angestellt wurden, denen der Staat das Ernennungsrecht überlassen hatte, als auch diejenigen, die in unter staatlicher Aufsicht und Leitung stehenden öffentlichen Stiftungen und sonstigen Anstalten tätig waren310• Das Bayrische Strafgesetzbuch vom 10. November 1861 enthielt dann allerdings in Art. 396, 397 eine Begriffsumschreibung des Handlungssubjektes der Amtsdelikte. Nach Art. 396 I fanden die Amtsdelikte Anwendung "von allen Beamten und öffentlichen Dienern des Staates sowie von den Beamten und öf-
30l Vgl. hierzu auch Wachinger, S. 200 ff. Eine- allerdings nicht vollständige- Sammlung der Partikular-StrafgesetzbUcher der deutschen Länder findet sich bei Stenglein, Sammlung der deutschen StrafgesetzbUchet, Bd. I-XII. 306 Speziell zu dem von den Amtsdelikten erfaßten Personenkreis in den verschiedenen PartikularstrafgesetzbUchern Wachinger, S. 211 ff. Jm Hierzu auch Wachinger, S. 211, mit dem Hinweis auf die Amtlichen Anmerkungen, in denen der Staatsdienst vor allem dem "privatrechtlichen Lohndienst" gegenübergestellt wird.
308
Wachinger, S. 211.
309 Nahezu
wortgleiche Regelungen finden sich im Strafgesetzbuch für die Herzoglich-Oldenburgischen Lande vom 10. September 1814 in Art. 356 ff., 371 bzw. Art. 466 ff., 488. 310
Wachinger, S. 211.
76
B. Die historische Entwicklung
fentlichen Dienern der Gemeinden, den öffentlichen Corporationen und öffentlichen Stiftungen, ferner von allen jenen, welche mit den Verrichtungen eines solchen Beamten oder öffentlichen Dieners vorübergehend oder ständig betraut und hierfür in öffentliche Pflicht genommen sind"311 • Art. 396 II dehnte einen Teil der Bestimmungen ausdrücklich auf Notare, Gerichtsboten und Rechtsanwälte aus. Schließlich bestimmte Art. 397: ,,Auf Staatsbürger, welche zu einer öffentlichen Funktion berufen sind, desgleichen auf die zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten berufenen Schiedsrichter finden die Bestimmungen ... , soweit dies nach der Beschaffenheit der ... strafbaren Handlungen möglich ist, gleichfalls Anwendung"312• b) Strafgesetzbuch für das Königreich Würtemberg von 1839 Der Dritte Titel des Strafgesetzbuches flir das Königreich Würtemberg vom
1. März 1839 (Art. 399 ff.) enthält die "Vergehungen wider die Pflichten des
öffentlichen Dienstes". Hier findet sich in Art. 399 eine - sehr weitreichende313 - Umschreibung derjeniger Personen, die unter den Begriff des "öffentlichen Dieners" fielen, nämlich: "1) die Justiz- und Verwaltungsbeamten, welche im Hof- oder Civil-Staatsdienste, bei der Hofdomänenkammer und dem Kriegsministerium angestellt sind; ferner die ständischen Beamten und die Kirchen- und Schuldiener. 2) die standesherrlichen und ritterschaftliehen Justiz-, Polizei- und Forstbeamten, soweit ihnen die Eigenschaft von Staatsdienern zukommr14. 3) die Gehülfen der unter den Ziff. 1. und 2. genannten Beamten, wenn sie entweder eidlich oder durch Handgelübde an Eidesstatt in Pflicht genommen sind. Dahin gehören insbesondere: Oberamts- und Amts-Aktuare, Kameralamts-Buchhalter, Forst- und Notariats-Assistenten, Referendäre und Vicare; 4) die bei den Arntskörperschaften, den städtischen und Landgemeinden, und bei den unter öffentlicher Aufsicht und Leitung stehenden Anstalten, Stiftungen oder anderen Verwaltungen angestellten Beamten, mit Einschluß der Gemeinderäte und gewählten Gerichtsbeisitzer; 5) die untergeordneten Gehülfen und Diener der Obrigkeit, soweit sie zu öffentlichen Dienstverrichtungen ordnungsmäßig bestellt, und deshalb eidlich oder durch Handgelübde an Eidesstatt in Pflichten genommen worden sind; 6) die zum Dienste des Publikums für be-
311
text.
Die aus heutiger Sicht unrichtige grammatikalische Formulierung entstammt dem Gesetzes-
312
Hierzu auch Wachinger, S. 215.
313
Wachinger, S. 212.
Durch Gesetz vom 4. Juli 1849 fielen mit der standesherrlichen und ritterschaftliehen Gerichtsbarkeit auch diese Kategorien der Staatsdiener weg. 314
rn. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
77
sondere Geschäfte öffentlich ernannten oder ermächtigten, und deshalb förmlich in Pflichten genommenen Personen"315• Bemerkenswert ist, daß Art. 404 des Gesetzbuches die Teilnahme von Nichtamtsträgem an einem Amtsdelikt nur dann als strafbar ansah, wenn darin nicht nur ein Amtsverbrechen, sondern auch ein allgemeines Delikt lag, es sich nach heutiger Teminologie bei dem betreffenden Amtsdelikt also um ein "uneigentliches" Amtsdelikt handelte.
c) Criminalgesetzbuch für das Herzogthum Braunschweig von 1840 Unter dem Titel III ,,Amtsverbrechen" finden sich in §§ 248 ff. des Criminalgesetzbuches für das Herzogthum Braunschweig vom 1. Juli 1840 zuerst in Kapitel 1 einige allgemeine Vorschriften, unter anderem in § 248 eine Amtsträgerdefinition, bevor die einzelnen Delikte in Kapitel 2 01erletzung allgemeiner Dienstpflichten- §§ 256 ff.) und Kapitel 3 (Verletzung besonderer Amtspflichten - §§ 271 ff.) aufgezählt werden. Deuten die Überschriften der beiden Kapitel darauf hin, daß hier zwischen ,,Dienst-" und ,,Amtspflichten" differenziert werden soll, so ergibt eine Analyse der entsprechenden Normen allerdings keine Trennung von disziplinarrechtliehen und strafrechtlichen Verstößen. Vielmehr werden in Kapitel 2 allgemeine Amtsdelikte, in Kapitel 3 hingegen besondere Amtsdelikte genannt, die nur von bestimmten Beamtenkategorien begangen werden können. Dabei enthält § 248 folgenden Wortlaut: ,,Die nachfolgenden Bestimmungen sind anzuwenden: 1) auf alle im Civilstaatsdienste stehenden Personen; 2) auf landschaftliche Beamte; 3) auf Kirchen- und Schulbeamte; 4) auf Gemeindebeamte, sowie diejenigen Personen, die ... (gemäß) der Verordnung vom 26. März 1823 ... die Landespolizei verwalten316; 5) auf Prokuratoren, Notare, Advokaten, Ärzte, Wundärzte, Apotheker, Mäklerund überhaupt solche Personen, welche von einer obrigkeitlichen Behörde mit einer öffentlichen Funktion bekleidet und auf dieselbe beeidigt oder mitteist Handgelöbnisses an Eidesstatt verpflichtet sind". Hinsichtlich der Teilnahme von Nichtamtsträgern enthält § 252 des Gesetzbuches eine dem Art. 404 des Würtembergischen Gesetzbuches entsprechende Regelung.
m Vgl. ferner Art. 453. Hier findet sich eine Aufzählung deljeniger Personen, die über die öffentlichen Diener hinaus ,,zu öffentlichen Verrichtungen aufgestellt" sind: ,,Rechtsanwälte, Notare, Aerzte, Wundaerzte, Hebammen, Apotheker, Feldmesser und andere zur Ausübung einer Kunst vom Staate ermächtigte Personen, Wechsel- und Waarensensale und öffentliche Boten". 316 Hier galt fllr das FUrstenthum Lippe-Detmold folgende Sonderregelung: "4) auf Gemeindebeamte, sowie diejenigen Personen, welche die Lokalpolizei verwalten".
78
B. Die historische Entwicklung
d) Criminalgesetzbuch für das Königreich Hannover von 1840 Im Criminalgesetzbuch für das Königreich Hannover vom 8. August 1840 wird der Anwendungsbereich des Fünfzehnten Kapitels "Von strafbaren Dienstverletzungen der öffentlichen Beamten" (Art. 340 ff.) mit "unmittelbaren oder mittelbaren öffentlichen Dienern" umschrieben (Art. 340). Diesen gleichzustellen sind nach Art. 341: ,,1. die, welche bei den Stadt- oder Landgemeinden und bei den diesen untergeordneten öffentlichen Anstalten, Stiftungen oder sonstigen Verwaltungen angestellt und entweder eidlich oder durch Handgelöbnis an Eidesstatt verpflichtet wurden; 317 II. diejenigen, welche zum Dienste des Publikums, für besondere Geschäfte öffentlich ernannt oder ermächtigt und deshalb förmlich in Pflichten genommen sind, wozu insbesondere Sachwalter, Anwälte und Notare gehören".
e) Strafgesetzbuchfür das Großherzogthum Baden von 1845 Das Strafgesetzbuch für das Großherzogthum Baden vom 6. März 1845 unterscheidet im Rahmen des 64. Titels (Von den besonderen Verbrechen öffentlicher Diener- §§ 657 ff.) zwischen den "öffentlichen Dienern" (§ 657) und den ,,niederen öffentlichen Dienern" (§ 658). Es findet sich hierbei eine kasuistische Aufzählung mehrerer Beamtengruppen. Zu den öffentlichen Dienern zählten nach § 657 ,,Hof= und Staatsdiener, die Diener der Kirche, der Gemeinden, der Stiftungen, des öffentlichen Unterrichts und anderer in Bezug auf ihre Verwaltung unter der Aufsicht des Staates stehenden öffentlichen Anstalten, sowie deren Stellvertreter und Gehülfen, die von der zuständigen Behörde bestellt sind". Gemäß § 658 werden dagegen zu den niederen öffentlichen Dienern gezählt: ,,niedere Hofdiener, Gendarmen, Zoll= und Steueraufseher, Postcondukteure, Briefträger, Waldhüter, Feldhüter, Polizeidiener, Gefangenenwärter, Kanzleidiener, Amtsdiener und andere Diener öffentlicher Behörden".
317 Ähnlich auch die Regelung in An. 439 des Sttafgesetzbuches ftir das Großherzogthum Hessen vom 17. September 1841 sowie in An. 435 des Strafgesetzbuches ftlr das Herzogthum Nassau vom 14. April 1849: ,,Die in diesem Titel enthaltenen Strafbestimmungen sind auf alle Staatsbeamte und öffentliche Diener anwendbar, auch auf diejenigen, welche Gemeindeämter bekleiden oder bei den Stadt- und Landgemeinden und bei den diesen untergeordneten öffentlichen Anstalten, Stiftun· gen oder sonstigen öffentlichen Verwaltungen angestellt und entweder eidlich oder durch Handgelöbnis an Eidesstatt verpflichtet werden".
ID. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
79
j) Strafgesetzbuch für die Thüringschen Staaten von 1848
Im Strafgesetzbuch für das Großherzogthorn Sachsen-Weimar-Eisenach, die Herzogthümer Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg-Gotha, Anhalt-Dessau und Köthen, und die Fürstenthümer Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen und Neuß jüngere Linie (sog. "Thüringsches Strafgesetzbuch") von 1848 findet sich in Art. 307 lediglich die grobe Umschreibung "Staatsdiener und andere in Pflicht stehende öffentliche Beamte".
g) Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851 Im 28. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten vom 14. April 1851 finden sich in §§ 309-331 Strafnormen über die "Verbrechen und Vergehen im Amte". Auffallend ist, daß nicht mehr die "Verbrechen der Diener des Staates" im Titel genannt waren, wie dies noch im Preußischen Allgemeinen Landrecht der Fall war, sondern daß nunmehr bereits nach der Überschrift das ,,Amt" als Anknüpfungspunkt diente318• Die Anzahl der strafrechtlich zu beurteilenden Amtsdelikte wurde gegenüber dem Preußischen Allgemeinen Landrecht wesentlich verringert319• Dies hatte seine Ursache jedoch in erster Linie in der Herausnahme der disziplinarrechtliehen Bestimmungen aus dem Strafgesetzbuch infolge der inzwischen durchgefiihrten Differenzierung zwischen Disziplinarrecht und Strafrecht320• Diejenigen Tatbestände, die ausschließlich die Verletzung von Standespflichten der Beamten betrafen, waren nunmehr im StGB nicht mehr enthalten. Dies fiihrte auch dazu, daß Sanktionen wie die Cassation, Degradation, Suspension und Amtsentsetzung im Strafgesetzbuch nicht mehr geregelt waren321 • Als Strafen waren nur noch die allgemeinen Strafen vorgesehen, d.h. Strafen, die auch fiir andere Delikte verhängt wurden und somit jedermann treffen konnten. Auch war eine allgemeine schwerere Bestrafung eines Beamten bei Delikten, die nicht in sein Amt einschlugen, ausgeschlossen322• Über die mögliche Nebenstrafe der "Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter" und der Koppelung des Verlustes der bürgerlichen Ehreinfolge rechtskräftiger Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe mit der Aufhebung des Beamtenverhältnisses (§§ 12
318
Vgl. auch P.SchriJder, S. 43.
319
Erb, S. 7; Hochheiser, S. 63; Stock, S. 40, 173, 196.
320
Siehe hierzu unten B IV 2.
321
Vgl. hierzu auch P.Schriider, S. 43; Stock, S. 176, 183.
322
Vgl. auch P.Schriider, S. 43, 45 f .
B. Die historische Entwicklung
80
Nr. 2; 11 lli; 22 des Preußischen Strafgesetzbuches) war aber weiterhin eine der Amtsentsetzung vergleichbare Rechtsfolge möglich. Das Preußische StGB ist gekennzeichnet durch klar umrissene Tatbestände, die wesentlich präziser gefaßt sind, als diejenigen des ALR323• Es finden sich nach der Herausnahme des Disziplinarrechts auch keine pauschal die ,,Pflichtverletzungen" der Staatsdiener erfassenden Generalklauseln mehr. Erstmals war auch die Teilnahme eines Nichtbeamten an einem Amtsverbrechen pönalisiert (§ 331 II), wodurch eine aus der besonderen Konzentration des ALR auf das Handlungssubjekt resultierende und von vielen beklagte Strafbarkeitstücke geschlossen wurde324 • Darüber hinaus enthielt das Preußische StGB von 1851 aber auch Amtsdelikte, die von nichtbeamteten Tätern begangen werden konnten (Bsp.: "Schiedsrichter" in§§ 310, 314; "Geschworener" in§ 313). Dies bedeutete einen gewissen Einbruch in das ansonsten immer noch aufrechterhaltene "Standesstrafrecht", welcher die spätere Ausweitung des (strafrechtlichen) Beamtenbegriffes auf nichtbeamtete Personen erleichterte325• Denn nunmehr konnten erstmals auch Personen, die in keinem dienstrechtlichen Pflichtenverhältnis standen, taugliche Täter eines Amtsdeliktes sein. Als mögliche Täter eines Amtsdeliktes der§§ 309 ff. des Preußischen Strafgesetzbuches werden aber dennoch überwiegend die ,,Beamten" genannt. In § 331 hält das Preußische Strafgesetzbuch auch eine eigene Definition des Beamtenbegriffes bereitl26: "Die Vorschriften dieses Titels finden Anwendung auf alle öffentlichen Beamte, sie mögen in unmittelbarem oder mittelbarem Staatsdienste stehen327, auf Lebenszeit oder nur zeitweise oder vorläufig angestellt sein, einen Diensteid geleistet haben oder nicht. Nehmen Personen, welche keine Beamte sind, an einem der in diesem Titel bezeichneten Verbrechen oder Vergehen Theil, so sollen, soweit keine Ausnahmen bestimmt sind, die allgemeinen Grundsätze über Theilnahme gelten328."
323
Stock, S. 196.
324
Vgl. hierzu auch Goltdammer, Band 2, S. 704 f., und Stephan, S. 16.
325
P.Schröder, S. 43; Traumann, S. 26 f.
Zu deren Entstehung vgl. Beseler, S. 563; Hochheiser, S. 69 f.; Stock, S. 197; Wachinger, S. 213. Zum Beamtenbegriff des Preußischen Gesetzbuches von 1851 vgl. auch Hubrich, GS 75 (1910), 53 (111 ff.); Wachinger, S. 213 ff. 326
327 Der letzte Halbsatz galt nicht in dem zu den Preußischen Staaten zählenden Fürstentum Waldeck.
328 Eine Ausnahme hiervon galt lediglich fiir den Fall des § 309 des Preußischen StOB, der eine der heutigen Vorteilsannahme, § 331 StOB, vergleichbare Regelung enthielt.
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
81
Genau betrachtet stellte diese Regelung jedoch keine Begriffsbestimmung im eigentlichen Sinne dar129• Denn sie verwies ihrerseits lediglich auf die formale Anstellung. Als unmittelbare Staatsbeamte wurden alle diejenigen angesehen, die ihr Amt unmittelbar und allein vom König oder von einer königlichen Behörde erhalten hatten330. Hierzu zählten unter anderem auch die "einen Teil der Rechtspflege ausübenden" Notare, Gerichtsvollzieher und Rechtsanwälte331. Als mittelbare Staatsdiener wurden hingegen diejenigen angesehen, die von einer Korporation (Gemeinde, Kreis, Provinz, Verband) oder von sonstigen Inhabern einer öffentlichen Gewalt oder gewisser Regierungsrechte (mediatisierte Fürsten, Standesherren, Gutsherren etc.) gewählt, berufen oder bestellt wurden 332• Unterscheidungskriterium zwischen unmittelbarem und mittelbarem Staatsdienst war insoweit also, ob sich die Tätigkeit des Beamten auf die Wahrnehmung von Interessen des Staates oder von Rechten· und Interessen einer Korporation oder eines sonstigen Dritten bezog333 . Nicht unter den Beamtenbegriff fielen hingegen die Kirchenbeamten (die in einigen der zuvor genannten Partikular-Strafgesetzbüchem noch ausdrücklich aufgeführt waren334, die Gemeindeverordneten, die Abgeordneten der Kreistage, Provinz- oder Kommunallandtage, die Mitglieder von Handelskammern, die Ärzte, die Makler, die Privatgehilfen der Beamten sowie die Beamten von Aktiengesellschaften, was insbesondere auf die Eisenbahnbeamten335 zutraf. Ebenso wurden die ,,Beamten" der Zünfte nicht als (mittelbare) Staatsbedienstete angesehen, da die Zünfte - unter Berufung auf das ALR - zwar nach § 191 II 8 ALR privilegierte Korporationen, aber nicht dem Staat nach§ 69 II 10 ALR eingegliedert gewesen seien und somit auch keine öffentlichen Ämter hätten vergeben können3~. Der (strafrechtliche) Beamtenbegriff sollte jedoch nach den Motiven des Gesetzgebers im Vergleich zu demjenigen des Preußischen Allgemeinen Land-
329
Keß11UUU1, S. 45; P.Schröder, S. 45.
330
Goltdarnmer, Band 1, S. 517; Wachinger, S. 213.
331
Goltdarnmer, Band I, S. 518; Wachinger, S. 213.
332
m
Goltdarnmer, Band I, S. 517; Wachinger, S. 214. Goltdarnmer, Band I, S. 517.
334
Vgl. hierzu auch RGSt 47 (49)- Bischof; 56, 399 - Pfarrer/Wahlvorsteher; ferner unten
G IV.
33s Preußisches Obertribunal in GA 1954, 565 - Eisenbahnbeamte; Goltdarnmer, Band 1, S. 517; Wachinger, S. 213 f.; vgl. auch das Preußische Obertribunal in GA 1853, 264- Zünfte: nur diejengen Eisenbahnbeamten sind mittelbare Staatsbeamte, denen zusätzlich auch die Handhabung der Aufgaben der Bahnpolizei übertragen wurde. Ebenso unter Geltung des § 359 StGB a.F. Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff 14, 775- Privat-Eisenbahn-Schaffner. 336
Preußisches Obertribunal GA 1853, 264 - Zünfte; hierzu auch P.Schröder, S. 90.
6 Heinrich
82
8. Die historische Entwicklung
rechts von 1794 keine grundsätzliche Änderung erfahren337• Es fand somit noch keine Trennung zwischen dem Beamten im staatsrechtlichen und dem Beamten im strafrechtlichen Sinne statt338 • Dies ergibt sich bereits notwendigerweise aus dem später39 noch eingehend zu untersuchenden Verhältnis von Strafrecht und Disziplinarrecht: stellen die Amtsdelikte lediglich Fälle besonders schwerer Dienstverfehlungen dar, die mit den Mitteln des Disziplinarrechts nicht mehr zu fassen sind340, so sind die dienstrechtlichen Vorschriften Ausgangspunkt auch der strafrechtlichen Beurteilung. Der strafrechtliche Beamtenbegriff setzte daher einen Beamten im staatsrechtlichen Sinne voraus, da nur dieser eine nach den beamtenrechtlichen Vorschriften zu beurteilende Dienstverfehlung begehen konnte341 • Eine Aufhebung der Identität von staatsrechtlichem und strafrechtlichem Beamtenbegriff und die damit verbundene Ausweitung dieses Tatbestandsmerkmals bereitete dann jedoch das Preußische Obertribunal vo~2 • Denn es wurde bei der Begriffsbestimmung in der Folgezeit nicht mehr allein darauf abgestellt, ob jemand in der Weise als Beamter "angestellt" war, daß er in einem besonderen Dienstverhältnis mit einem Träger staatlicher Gewalt stand343 •
337 Vgl. das Preußische Obertribunal in GA 1859, 378 (385)- Schauspielhausintendant; ferner das Preußische Obertribunal in: Oppenhojf2, 14 (15)- Provinzial-Feuersozietltt; so auch Hochheiser, S. 63 ff.; Keßmann, S. 6, 45; P.Schr(}der, S. 45; Stock, S. 197; Traumann, S. 27; zweifelnd Erb, S. 7. 338
Hochheiser, S. 68; Keßmann, S. 49 f.; P.Schr(}der, S. 43, 89; Traumann, S. 26 f.
339
Vgl. unten B IV 1.
In den Materialien zum Preußischen Strafgesetzbuch taucht öfter der Passus auf, daß Kriminalstrafe nur dort eintreten solle, wo die höchst zulässige Oisziplinarstrafe nicht ausreiche; nähere Nachweise hierzu bei Hochheiser, S. 68. 340
341 Hochheiser, S. 68; P.Schr(}der, S. 45. Vgl. hierzu auch Stock, S. 40 f., der in der Tatsache der erstmaligen legislatorischen Trennung von Kriminalrecht und Disziplinarvergehen allerdings den ersten Schritt der Loslösung des strafrechtlichen vom staatsrechtlichen Beamtenbegriff sieht. 342 So Erb, S. 7 f.; Hochhei.ser, S. 70 ff.; Meves in: Holtzendorff, S. 934; Stock, S. 197; anders jedoch Keßmann, S. 49 f., und P.Schr(}der, S. 89, die davon ausgehen, die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals stUnde auch weiterhin in der Tradition des Allgemeinen Landrechts. Diese Ansichten widersprechen sich jedoch nur auf den ersten Blick. Wie später noch ausgeftlhrt wird, war das Preußische Obertribunal stets bestrebt, den Beamtenbegriff im Sinne des Staatsrechts erweiternd auszulegen, also keinen eigenständigen strafrechtlichen Beamtenbegriff zu schaffen. Dies wird u.a. deutlich in der Entscheidung des Preußischen Obertribunals in GA 1859, 378 (379, 380, 385) - Schauspie1hausintendant. Daß es eine solche Zweiteilung dadurch jedoch faktisch vorbereitete, konnte damals noch nicht vorausgesehen werden. Vgl. zur Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals ausfUhrlieh Oppenhoff, Preußisches StGB, § 331 Anm. 2; Traumann, S. 27 ff. 343 Entscheidungen des Preußischen Obertribunals aus den Jahren 1851-1871 zum Begriff des Beamten i.S.d. § 331 des Preußischen StGB finden sich in den Entscheidungen des Preußischen Obertribunals 37, 38- Bahnpolizeibeamter; 42, 27 =GA 1859, 378- Schauspielhausintendant (zu dieser Entscheidung Keßmann, S. 48 f.; P.Schr(}der, S. 90 f.); Preußisches Obertribunal in GA 1854, 566- Postexpeditionsgehilfe; GA 1857, 693- Feldmesser; GA 1857, 851 -Synagogen-Gemeinde; GA 1858,57- Postillion; GA 1859, 852- Gefangenen-Inspektor; GA 1865, 887- Steuer-
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
83
Vielmehr wurde darüber hinaus auch deijenige als Beamter i.S.d. § 331 angesehen, dem- ohne daß eine formelle Anstellung im Sinne des Staats- und Verwaltungsrechts vorlag - von der Staatsgewalt, unmittelbar oder mittelbar, die Ausführung von Geschäften, die das "Interesse des Staates"344 angingen bzw. der "Herbeiführung der Zwecke des Staates"34~ dienten, unter öffentlicher Autoritäf-46 übertragen wurde. An anderer Stelle ist davon die Rede, die Beamten müßten "staatliche Funktionen" 347 wahrnehmen oder dem Betreffenden müßten die Amtsgeschäfte anvertrauf48 worden sein. Das heißt aber nichts
Rezeptor; ferner Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff I, 204 - Innung; I, 396 - HandwerkerFortbildungsschule; 2, 14 - Provinziai-Feuersozietät; 3, 294 - Chausseegeldpächter; 3, 296 Postexpeditionsgehilfe; 4, 154 =GA 1864, 150- Postexpeditionsgehilfe; 5, 504- Postexpeditionsgehilfe; 6, 3- Magistratsbote; 6, 346- Feldhüter; 7, 86- Eichmeister; 7, 515- Amtsschreiber; 7, 581 -Bahnwärter; 8, 108- Einschätzungs-Kommission; 8, 140- Privatförster; 8, 192- Gemeindediener; 8, 471 -Nachtwächter; 8, 578- Polizeiverwalter; 8, 579- Provinziai-Feuersozietät; 9, 17 - Privatförster; 9, 303 - Schulze; 9, 394 - Wahlvorstand; 9, 604 - Wahlvorsteher; 9, 653 - Kreisgerichtssekretär; 9, 728- Rendant; 10, 77- Städtischer Bezirkvorsteher; 10, 270- Advokat; 10, 288 - Einschätzungs-Kommission; 10, 485 - Rechtsanwalt; 10, 498 - Feldhüter; 10, 687 - Feldhüter; 10, 693 - Presbyter; 10, 787 - Gemeindevorsteher; II, 39 - Postillion; 11, 86 - Hilfsexekutor; 11, 114- Bürogehilfe; 11, 367- Eisenbahnpolizei; 11, 408- Rechnungsfllhrer; 11, 499Einschätzungs-Kommission; 11, 580- Landschafts-Direktion; 12, 161 - Kirchenkollegium. :144 Preußisches Obertribunal in Oppenhoff7, 515 (516)- Amtsschreiber; 10, 288- Einschätzungs-Kommission; 11, 499 (500)- Einschätzungs-Kommission. 34s So die Formulierung des Preußischen Obertribunals in GA 1859, 378 (379)- Schauspielhausintendant- sowie in: Oppenhoff8, 108- Einschätzungs-Kommission (fllr den Begriff der Behörde); 9, 604- Wahlvorsteher; vgl. auch das Preußische Obertribunal in GA 1857, 851 (852)Synagogen-Gemeinde; Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff 11, 499 - Einschätzungs-Kommisssion (.,öffentlicher Zweck"). Ferner später zu § 359 StGB a.F. Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff 13, 505- Geodätiker. Hierzu auch Hochheiser, S. 71. 346 So die Formulierung des Preußischen Obertribunals in: Oppenhoff9, 604- Wahlvorsteher - sowie in: Oppenhoff 8, 108- Einschätzungs-Kommission (fllr den Begriff der Behörde). Vgl. auch Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff II, 39 (40)- Postillion. Hier wurde als Beamter derjenige angesehen, dem .,die äußere Legitimation zur Geltendrnachung von AutoriUJtsrechten dem Publikum gegenüber verliehen ist". Traunwnn, S. 28, weist allerdings darauf hin, daß der Begriff der .,öffentlichen Autorität" ansonsten in der Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals keine selbständige Bedeutung hatte, daß vielmehr durch jede Tätigkeit zu staatlichen Zwecken diese öffentliche Autorität begründet wurde. 347 Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff9, 394- Wahl vorstand; vgl. auch Preußisches Obertribunal in GA 1859, 378 (379)- Schauspielhausintendant; Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff 9, 17 (18) - Privatförster (Ausübung öffentlicher Funktionen); 10, 498 - Feldhüter (polizeiliche Funktionen); 10, 687 - Feldhüter (.,öffentliche Funktion"); II, 499 - Einschätzungs-Kommission; ferner zu § 359 StOB a.F. das Preußische Obertribunal in: Oppenhoff 15, 554 (555) - Nachtwächter; 16, 87 - Gemeinde-Feldhüter; 18, 620 - Beamter. 348 Preußisches Obertribunal in GA 1854, 566- Postexpeditionsgehilfe; GA 1859, 852 (853)Gefangenen-Inspektor; ähnlich Preußisches Obertribunal in GA 1857, 693- Feldmesser (,,Beschäftigung übertragen"); GA 1865, 887 (888)- Steuer-Rezeptor (,,Amt übertragen"); Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff, 1, 204 - Innung (.,amtliche Tätigkeit"); 3, 296 -Postexpeditionsgehilfe (.,amtliche Eigenschaft"); 6, 3 (4)- Magistratsbote (.,amtlich beauftragt"); 7, 86 (88)- Eichmeister (.,Handeln in amtlicher Eigenschaft"); 7, 515 (516) -Amtsschreiber; 8, 192 (194) - Gemeindediener (.,amtliche Eigenschaft"); 8, 578 (579) - Polizeiverwalter (.,amtliche Eigenschaft").
B. Die historische Entwicklung
84
anderes, als daß neben der formalen Anstellung als Beamter auch die konkrete Aufgabe, die der Betroffene zu erfüllen hatte, zum Gegenstand der Betrachtung gemacht wurde349• Nicht mehr das durch eine besondere Treuepflicht gekennzeichnete Innenverhältnis, sondern die tatsächliche Ausübung eines öffentlichen Amtes wurde mithin entscheidend3so. Daher war es auch ausreichend, wenn dem Betreffenden eine nur vorübergehende Beschäftigung übertragen wurde351 (wobei allerdings ein einzelnes bestimmtes Geschäft- d.h. ein einzelner Auftrag - nicht genügte352). Außerdem wurden keine besonderen qualitativen Anforderungen an die zu verrichtende Tätigkeit gestellt3S3. Deutlich wird diese Entwicklung in einer Entscheidung des preußischen Obertribunals aus dem Jahre 1868 formuliert: "Die Amtseigenschaft ... beruht ihrem Wesen nach nicht darin, daß Jemand dauernd als Beamter angestellt ist, sondern darin, daß er als Organ der Staatsregierung fungirt und von derselben berufen ist, um unter öffentlicher Autorität die Herbeifilhrung der Zwecke des Staates zu ermöglichen"3"'. In der weiteren Entwicklung wurde dann zunehmend der Schwerpunkt der Auslegung auf die ,,Herbeiführung der Zwecke des Staates" gelegt, also auf die konkrete Funktion abgestelltm. Sowohl die (formelle) ,,Berufung" als auch das Tätigwerden "als Organ der Staatsverwaltung" traten dagegen immer weiter zurück und verloren mit der Zeit an eigenständiger Bedeutung356. Unter ,,Berufung" wurde letztlich nur noch die tatsächliche Aufgabenübertragung durch die zuständige Behörde357 verstanden, wobei es ,,hierzu auch nicht notwendig
349
Erb, S. 8.
3~
Preußisches Obertribunal in: Oppenlwf! 10, 687 - Feldhüter; vgl. auch P.Schrßder, S. 89;
Traumann, S. 27.
351 Preußisches Obertribunal in GA 1859, 852 (853) -Gefangenen-Inspektor; GA 1865, 887 (888)- Steuer-Rezeptor; Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff1, 581 -Bahnwärter; II, 86Hilfsexekutor; ferner zu § 359 StGB a.F. das Preußische Obertribunal in: Oppenhoff 13, 505 Geodätiker; 16, 356- Gefangenentransporteur.
352 Preußisches Obertribunal in: Oppenlwf! II, 86 - Hilfsexekutor. Insoweit unterschied das Gericht in einer späteren, bereits zu § 359 StGB a.F. ergangenen Entscheidung zwischen der Übertragung eines Amtes (wenigstens vorübergehend) und der Wahrnehmung eines Auftrages (Übertragung eines einzelnen Geschäfts); vgl. Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff 16, 356 - Gefangenentransporteur; hierzu auch P.Schrßder, S. 31. 353
Traumann, S. 28.
»~Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff9, 604- Wahlvorsteher. 335
So auch TraumaM, S. 27 f., der insoweit von einem funktionellen Beamtenbegriff spricht.
336
So auch TraumaM, S. 27.
"' Preußisches Obertribunal in: Oppenhoff II, 86- Hilfsexekutor; ferner zu § 359 StGB a.F. das Preußische Obertribunal in: Oppenho!f 13, 505 - Geodätiker; 15, 554 - Nachtwächter; vgl. auch Traumann, S. 27 f. - insofern diente das Merkmal der ,,Berufung" am Ende lediglich noch dem
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
85
gewisser Förmlichkeiten"3s8 bedurfte - die förmliche ,,Anstellung als Beamter" stand also nicht mehr im Mittelpunkt. Ein Grund für diese Entwicklung ist in erster Linie darin zu sehen, daß im Bereich der öffentlichen Verwaltung ein Umstrukturierungsprozeß begann, der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkte und der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Zunehmend weitete der Staat sein Aufgabenfeld auf Tätigkeiten aus, die über den Bereich der klassischen hoheitlichen Eingriffsverwaltung hinausgingen und den Bereich der Leistungsverwaltung zur Daseinsvorsorge erfaßten3s9. Die expandierenden Verwaltungsaufgaben von Post und Bahn sind hierfür zwei besonders anschauliche Beispiele. Dieser Funktionswandel brachte es mit sich, daß viele Personen in einer Art und Weise mit der Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung betraut wurden, die sich von der bisherigen beamtenrechtlichen Anstellung und der Übertragung eines öffentlichen Amtes unterschied360• In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, daß das Preußische Obertribunal niemals davon sprach, einen eigenen strafrechtlichen Beamtenbegriff neben dem Beamtenbegriff des Staatsrechts schaffen zu wollen361 . Das Gericht war im Gegenteil stets darum bemüht, allgemein den Begriff des ,,Beamten" - d.h. den Begriff des Beamten im staatsrechtlichen Sinne - auszulegen362. Insofern ist es nicht ganz korrekt, wenn behauptet wird, das Preußische Obertribunal habe über den staatsrechtlichen Beamtenbegriff hinaus einen eigenen strafrechtlichen Beamtenbegriff schaffen wollen. Richtig ist vielmehr, daß zu dieser Zeit ein eindeutiger Begriff des ,,Beamten im Sinne des Staatsrechts" noch gar nicht existierte, bzw. der Begriff des Beamten auch unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten noch nicht auf diejenigen Personen beschränkt war, die "als Beamte" unter Übergabe einer Anstellungsurkunde in ein Dienstverhältnis übernommen wurden363. Insoweit kann die Rechtsprechung dahingehend verstanden werden, daß auch die staatsrechtliche Beamtenstellung keine
Ausschluß angemaßter Tätigkeiten. Zur vergleichbaren Problematik des Merkmals der ,,Bestellung" im heutigen § II I Nr. 2c StGB vgl. ausfUhrlieh unten D V 5. 3>~ Preußisches Obertribunal in: Oppenlwff16, 356- Gefangenentransporteur (allerdings bereits zu § 359 StOB a.F.).
359 Vgl. zu dieser Entwicklung auch P.SchriJder, S. 25 ff.; zur Kategorisierung staatlicher Tätigkeitsbereiche vgl. unten D V 3 d. 360
Vgl. hierzu Moelter, S. 97 f.; P.SchriJder, S. 26 f.
361
Keßmann, S. 49 f.; P.Schr&Jer, S. 89; TraumaM, S. 28.
362
P.SchriJder, S. 91; vgl. auch (zu§ 359 StOB a.F.) das Preußische Obertribunal in: Oppenhoff
18, 620 - Beamter: es sei zu prüfen, ob die dem Beamten übertageneo Funktionen ,,nach dem inneren Staatsrecht die Eigenschaft eines Beamten begründen". 363
So auch Moelter, S. 96 f.
86
B. Die historische Entwicklung
ausdrückliche Begründung eines Dienst- und Treueverhältnisses erforderte, sondern auch hierfür die tatsächliche W ahmehmung einer staatlichen Funktion ausreichte. Als Anknüpfungspunkt für die Begründung der Beamteneigenschaft kann somit - wiederum unter Zugrundelegung des Beamtenbegriffes des ALR364 das übertragene ,,Amt" angesehen werden36s, worunter ein bestimmter Kreis öffentlicher Funktionen verstanden wurde366 • Zur Auslegung wurde dabei eine allgemeine Kabinettsorder vom 11. August 1832367 herangezogen, die allerdings nur versuchte, die Beamteneigenschaft als solche zu beschreiben. An eine spezifisch strafrechtliche Betrachtung wurde auch bei der Abfassung dieser Kabinettsorder noch nicht gedacht. Dies kann wiederum als Hinweis darauf angesehen werden, daß damals (noch) von einer Einheit des Beamtenbegriffes im Straf- und Staatsrecht ausgegangen wurde368• In dieser Kabinettsorder heißt es: "Das Wesentliche der Beamtenqualität besteht in der provisorischen oder definitiven Anvertrauung der Amtsgeschäfte durch die berechtigte Behörde, und in der Übernahme derselben Seitens des dazu Verstatteten, gleichgültig, ob ein Amtseid geleistet wurde oder nicht".
Die Rechtsprechung stellte sich daraufhin auf den Standpunkt, daß jeder, der ,,in amtlicher Eigenschaft handeln kann" als Beamter angesehen werden konnte369, unabhängig davon, ob er als Beamter "im staatsrechtlichen Sinne angestellt worden war oder nicht.
h) Strafgesetzbuchfür das Kaiserthum Oeste"eich von 1852 Das Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen ftir das Kaiserthum Oesterreich vom 27. Mai 1852 regelte in §§ 101 ff. den ,,Mißbrauch der Amtsgewalt" und in §§ 331 ff. die "Uebertretungen gegen die
*
Worauf P.SchrtJder, S. 89, ausdrUcklieh hinweist. Moelter, S. 97; P.SchrlJder, S. 43, 89; Traumann, S. 27; vgl. auch das Preußische Obertribunal in: Oppenhoff 4, 154 (155)- Postexpeditionsgehilfe (=GA 1864, 150 [151]); 9, 604 (605)365
Wahlvorsteher; 10, 687- Feldhüter. 366
Keßmann, S. 46; vgl. auch das Preußische Obertribunal in: Oppenhoff 10, 687 - Feldhüter.
Gesetzessammlung 1832, S. 204; auch abgedruckt in GA 1854, 566 und GA 1858, 57 (58) sowie bei Mannkopf, S. 212; ferner Karstedt, S. 32; Keßmann, S. 47 f. 367
361
Hierzu auch Keßmann, S. 47 f.
So ausdrUcklieh das Preußische Obertribunal in: Oppenhoff3, 296- Postexpeditionsgehilfe; 7, 86 (88 a.E.)- Eichmeister; 8, 192 (194)- Gemeindediener; 8, 578 (579)- Polizeiverwalter; 9, 653 (655) - Kreisgerichtssekretär. 369
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
87
Pflichten eines öffentlichen Amtes'm0• § 101 spricht hierbei von der Strafbarkeit des Staats- oder Gemeindebeamten und enthielt für den Begriff des Beamten folgende Definition: "Als öffentlicher Beamter ist derjenige anzusehen, welcher vermöge unmittelbaren oder mittelbaren öffentlichen Auftrages, mit oder ohne Beeidigung, Geschäfte der Regierung zu besorgen verpflichtet ist."
Hierfür werden wiederum in § 102 Beispiele aufgeführt, die allerdings sowohl an den Status als auch an die jeweils vorgenommene Tätigkeit anknüpfen. Hiernach ist ein Beamter insbesondere a) ein Richter, Staatsanwale71 oder anderer obrigkeitlicher, wie auch sonst jeder in Pflichten stehender Beamte ... ; b) jeder Beamte, der in Amtssachen, daher auch ein Notar, der bei der Aufnahme oder Ausfertigung einer Notariatsurkunde372, eine Unwahrheit bezeugt; c) der ein ihm anvertrautes Amtsgeheimnis gefährlicher Weise eröffnet ... ; d) ein Advokat oder anderer beeideter Sachwalter ... Demgegenüber wird bei den Übertretungen der §§ 331 ff. ganz allgemein nur auf die "öffentlichen Beamten oder Diener" abgestellt. Dabei verweist § 331 zur näheren Begriffsbestimmung auf § 68373• Diese Norm, die eigentlich die Strafvorschrift des Aufstandes enthält, nennt im zweiten Absatz folgende Personengruppen: Richter, jede obrigkeitliche Person, Beamte, Abgeordnete, Bestellte oder Diener einer Staats- oder Gemeindebehörde, Zivil-, Finanz- oder Militärwachen, Gendarmen, Forstbeamte, die zur Bewachung der Wälder aufgestellt sind, auch wenn sie in Privatdiensten stehen, jedoch von der zuständigen Behörde beeidet wurden, Forstaufsichtspersonal, welches auf gleiche Weise beeidigt wurde, Personen, die zur Aufsicht auf Staats- oder Privateisenbahnen oder zur Besorgung des Verkehrs auf denselben oder zum Schutze oder Betriebe des Staatstelegraphen bestellt wurden. i) Strafgesetzbuchfür das Königreich Sachsen von 1855
Im Strafgesetzbuch für das Königreich Sachsen vom 13. August 1855 sind die Amtsdelikte im 18. Kapitel ("Von Pflichtverletzungen in besonderen Ver-
370
Hierzu ausfllhr1ich Wachinger, S. 216.
Diese Personengruppe fehlte noch im Österreichischen Strafgesetzbuch vom 3. September 1803; dies hatte seinen Grund jedoch darin, daß die Institution der Staatsanwaltschaft erst Mitte des 19. Jahrhunderts gesetzlich aufgenommen und dadurch der bis dahin geltende lnquisitionsprozeß abgelöst wurde; hierzu Wagner, JZ 1974, 212 (212 f.). 372 Dieser Passus fehlte noch im ÖSterreichischen Strafgesetzbuch vom 3. September 1803. 371
373
Ebenso verweist auch§ 312 dieses Gesetzes auf§ 68.
88
B. Die historische Entwicklung
hältnissen" - Art. 362 ff.) geregelt. Hier ist sowohl von "Staatsdienern" als auch von "öffentlichen Beamten" und anderen "in besonderen öffentlichen Pflichten stehenden Personen" die Rede. Teilweise werden auch Personen genannt, die "zu einem Privatgeschäfte von einer öffentlichen Behörde oder einem Notar" verpflichtet wurden. Eine nähere Begriffsbestimmung des betreffenden Personenkreises findet sich jedoch in diesem Gesetzbuch nicht.
9. Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes Am 31. Mai 1870 wurde das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes erlassen374, welches am 1. Januar 1871 in Kraft trat. Es geht im wesentlichen auf das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 zurück375• Was den Bereich der Amtsdelikte .sowie die Umschreibung des Beamtenbegriffes angeht, wurden keine wesentlichen Änderungen vorgenommen376• Auch hier wird an die Regelungen des Preußischen StGB angeknüpft. Dies ist insofern bemerkenswert, als dem Gesetzeswortlaut des § 331 des Preußischen StGB, wie bereits ausgefuhre77, eine Trennung von staatsrechtlichem und strafrechtlichem Beamtenbegriff noch unbekannt war, das Preußische Obertribunal378 eine solche Unterscheidung jedoch bereits erkennen ließ, indem das Merkmal der ,.Anstellung" über die Begründung eines Dienst- und Treueverhältnisses hinaus auch bei der tatsächlichen Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung angenommen wurde. Insofern hätte der Gesetzgeber einen Grund daflir gehabt, zu dieser Frage zumindest Stellung zu nehmen. Dennoch fand die vom Preußischen Obertribunal vorgenommene Ausweitung des Beamtenbegriffes im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag379• Bei den Amtsdelikten knüpfte die Strafbarkeit auch weiterhin lediglich an den Begriff des ,,Beamten" an. Wie schon in § 331 des Preußischen StGB fand sich nun auch in § 359 des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes eine Legaldefinition dieses Begriffes. Hierin heißt es: "Unter Beamten im Sinne dieses Strafgesetzes sind zu verstehen alle im Dienste des Bundes oder in unmittelbarem oder mittelbarem Dienste eines Bundesstaates, auf
374
Bundesgesetzblatt des NorddeUischen Bundes, 1870, S. 195.
m Erb, S. 8; Hochheiser, S. 72; Keßmann, S. 6, 15; v.Liszt/Schmidt, § 13 II I; P.Schröder, S. 47; vgl. aber auch Karstedt, S. 33. 376
P.Schrlider, S. 47.
377
Vgl. oben B 111 8 g.
378
Vgl. oben B 111 8 g.
379
Zum ganzen ausführlich Hochheiser, S. 73 f.; Hubrich, GS 75 (1910), 53 (I 13).
ill. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
89
Lebenszeit, auf Zeit oder nur vorläufig angestellte Personen, ohne Unterschied, ob sie einen Diensteid geleistet haben oder nicht, ingleichen Notare, nicht aber Advokaten und Anwalte."
Die ausdrückliche Ausklammerung der ,,Advokaten und Anwalte" beruhte hier auf partikularrechtliehen Besonderheiten, da diese Berufsgruppen landesrechtlich teilweise noch zu den Beamten gezählt wurden. Zu erwähnen ist hier insbesondere, daß Rechtsanwälte in Preußen zur Zeit der Geltung des preußischen Strafgesetzbuches noch als staatliche Beamte tätig waren380. Ferner zählten nach § 31 II des Strafgesetzbuches sowohl die Advokatur als auch die Anwaltschaft- ebenso wie das Notariat- zu den "öffentlichen Ämtern" im Sinne des StGB381 . Insbesondere dieser Umstand macht deutlich, daß das Gesetz von einem teilweisen Auseinanderfallen der Begriffe "öffentliches Amt" und ,,Beamteneigenschaft" ausgeht. Hinsichtlich der Notare sah man eine Aufnahme in § 359 StGB deswegen für notwendig an, weil ihre staatsrechtliche Stellung in den einzelnen Staaten des Norddeutschen Bundes ebenfalls sehr verschieden gestaltet war82. Ansonsten diente die ausdrückliche Erwähnung der Notare, Advokaten und Anwalte jedoch lediglich der Klarstellung und sollte keine materielle Änderung im Vergleich zum früheren Recht mit sich bringen 383. Auch während der (kurzen) Geltung des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes und in den Anfangsjahren der Geltung des Reichsstrafgesetzbuches384 bis zur Errichtung des Reichsgerichts im Jahre 1879 hielt das Preußische Obertribunal an seiner bisherigen Rechtsprechung und der Erweiterung des Beamtenbegriffes auch auf ,,Nichtbeamte", die in amtlicher Eigenschaft tätig waren, fese 85 . Entscheidend sei nicht der Rechtscharakter der Anstellung,
380 So vor allem die Anwälte in den altpreußischen Provinzen; vgl. das Preußische Obertribunal in: Oppenhoff 10, 270 (271)- Advokat. 381
Vgl. hierzu auch Hubrich, OS 75 (1910), 53 (113).
382
Hol/, S. 51.
383
Hochheiser, S. 72 f.; F.Meyer, § 359 Anm. I.
380
Vgl. sogleich unten B III 10.
Vgl. hierzu das Preußische Obertribunal in: Oppenhoff 12, 388- Amtsbote; 12, 554- Bauaufseher; 13,431- Stadtverordneten-Vorsteher; 13,461- Ortssteuererheber; 13, 505- Geodätiker; 14, 107- Eisenbahn-Polizeibeamter; 14, 168- Distrikts-Kommissar; 14, 318- Pfarrer; 14, 356Wege-Kommissar; 14, 390- Privatforster; 14, 600- Gendarm; 14, 775- Privat-Eisenbahn-Schaffner; 15, 7- Civilsupemumerar; 15, 144- Dolmetscher; 15, 335- Aushilfs-Pfarrer; 15, 375- Pfarrer; 15, 422- Geistlicher; 15, 554- Nachtwächter; 15, 655- Kreisvikar; 15, 768- Kirchenbücher; 16, 87- Gemeinde-Feldhüter; 16,273- Taxator; 16,356- Gefangenentransponeur; 16,644 (=GA 1875, 552)- Lotterie-Kollekteur; 16, 707- Privat-Eisenbahn; 16, 724- Amtssekretär; 17, 222Volksschullehrer; 17, 729- Kirchenvorstand; 17, 743- Pfarrer; 17, 767- Feldhüter; 18, 39- Eisenbahnpolizeibeamter; 18, 178- Wasserwerks-Kontrolleur; 18, 505- Privateisenbahn; 18, 620Beamter; 18, 629- Steiger; 19, 475 - Schulvorstand; 20, 51 - Schulkassenrendant; 20, 220- Landbriefträger; 20, 225- Gemeindeexekutor. Vgl. zum ganzen auch Hochheiser, S. 76. 385
90
B. Die historische Entwicklung
sondern die tatsächliche Übertragung öffentlicher Funktionen, mithin die tatsächliche Ausübung eines öffentlichen Amtes386 • Daß jedoch andererseits die tatsächlich übertragene und ausgeübte Funktion nicht allein entscheidend war, sondern lediglich in denjenigen Fällen zur Ausdehnung des Beamtenbegriffes führte, in denen die Begründung eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses durch eine formalisierte Anstellung nicht festzustellen war, wird in einer- allgemein bereits zu § 359 des Reichsstrafgesetzbuches ergangenen - Entscheidung des Preußischen Obertribunals aus dem Jahre 1877 deutlich. Hier wird ausgeführt: "Das Wesentliche ist also die Anstellung d.i. die Uebertragung von Pflichten und damit verbundenen Rechten zu Staatszwecken durch die staatliche Autorität ... Der regelmäßige Akt der Uebertragung ist das Anstellungsdekret, und die Urkunde, durch welche die öffentlich-rechtliche Natur dieses Aktes zum solennen Ausdrucke gelangt, ist die Bestallung. Die Bestallungsurkunde ist hiernach ein vollwichtiger Beweis dafUr, daß einer Person die Beamtenqualität beigelegt ist"387•
Erst in zweiter Linie untersucht das Gericht nun, wie vorzugehen ist, wenn eine solche formelle ,,Anstellung" durch Begründung eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses fehlt: "Es muß daher untersucht werden, ob die Verrichtungen selbst, zu welchen der Angeklagte angenommen worden, sich als Dienste darstellen, welche dem Staate filr seine besonderen Zwecke durch besonders dafUr bestimmte Organe geleistet zu werden pflegen und ob die Annahme unter Umständen erfolgt ist, welche dieselbe einer Anstellung gleichstellen"311•
Aus dem letzten Halbsatz (,.gleichstellen") könnte nun geschlossen werden, daß das Preußische Obertribunal in diesen Fällen eben nicht davon ausging, daß eine Anstellung tatsächlich vorlag. Eine Anwendung des § 359 StGB wäre dann nur im Wege der Analogie möglich gewesen, was man jedoch vermeiden wollte. Daher versuchte auch das Reichsgericht, wie sogleich noch zu zeigen sein wird389, in den Fällen, in denen eine formelle Anstellung nicht festgestellt werden konnte, eine Anstellung wenigstens zu fingieren.
386 Preußisches Obertribunal in: Oppenhoif 12, 388 (389) - Amtsbote; 15, 768 - Kirchenbücher; 18, 629 (631)- Steiger. 387
Preußisches Obertribunal in: Oppenhoif 18, 629 (631)- Steiger; hienu auch P.Schr/Jder,
388
Preußisches Obertribunal in: Oppenhoif 18, 629 (631) - Steiger.
389
Vgl. unten B IIl 10 b.
s. 92.
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
91
10. Die Regelung in § 359 des Reichsstrafgesetzbuches a) Die gesetzliche Regelung Durch Reichsgesetz vom 15. Mai 1871 390 wurde das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes umgestaltet, an die nunmehrigen staatlichen Verhältnisse angepaßt und als Reichsstrafgesetzbuch neu verkündet. Es trat am 1. Januar 1872 in Kraft. Entscheidende Änderungen fanden, zumindest was die Amtsdelikte betrifft, nicht statt. Da, wie eben gesehen391 , die hier interessierenden Regelungen des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes auf das Preußische StGB von 1851 zurückgehen, lassen sich somit auch die Vorschriften des Reichsstrafgesetzbuches unmittelbar auf das Preußische StGB (und da dieses die Grundgedanken des Preußischen Allgemeinen Landrechts zum Beamtenbegriff übernahm auch auf dieses) zurückführen392• An der Legaldefinition393 des Beamtenbegriffes in § 359 StGB wurde festgehalten, eine materielle Änderung fand auch hier nicht statf94• Es wurden lediglich die Worte ,,im Dienste des Bundes" durch die Worte ,,im Dienste des Reichs" ersetzt. Die ,,Anwalte" wurden dann später, dem Sprachgebrauch entsprechend, durch ,,Anwälte" ersetztl95. § 359 StGB erhielt somit folgende Fassung: "Unter Beamten im Sinne dieses Strafgesetzes sind zu verstehen alle im Dienste des Reichs oder in unmittelbarem oder mittelbarem Dienste eines Bundesstaats, auf
390
RGBI. 1871, S. 127.
391
Oben B 111 9.
39Z Vgl. hierzu Erb, S. 8 f.; Hubrich, GS 75 (1910), 53 (114, 121), mit dem Hinweis auf die Stenographischen Berichte des Reichstages 1870, Bd. 111, An!. S. 84; Hoc~iser, S. 73 f.; Meves in: Holtzendorff, S. 924 f.; Oppenheim, S. 13; Stock. S. 197 f.; Traumann, S. 30. 393 Allerdings war es umstritten, ob § 359 StOB a.F. tatsächlich, wie die damals h.M. annahm, eine Legaldefinition enthielt (so Eckstein, AöR 27 [1911], 487 [488 ff.]; Frank, § 359 Anm. 1; Olshausen, § 359 Anm. 2; S.Puppe, S. 84; Wachenfeld, S. 590; Wachinger, S. 235 f.) oder lediglich eine allgemein-erläuternde Umschreibung der einzelnen fllr die strafrechtliche Beurteilung wesentlichen Merkmale (so Holl, S. 1, 10, 11; v.Lisr.t-Schmidt, § 178 ID); offen gelassen bei Erb, S. 2; auch das Reichsgericht geht in ROSt 5, 337 - Lohnschreiber - davon aus, § 359 StOB stelle keine .,Definition" des Begriffes des Beamten auf. Vgl. hierzu noch unten CI I. 394
Erb, S. 8; Hoc~iser, S. 73.
Eine Gesetzesänderung wurde allerdings nicht ausdrUcklieh vorgenommen, so daß hinsichtlich des Zeitpunktes der Änderung eine ziemliche Unklarkeil herrscht. So enthlllt der Kommentar von Frank in der 2. Aufl. 1901 ebenso wie ab der 8-10. Aufl. 1911 bis zur 18. und letzten Aufl. 1931 den Begriff ,,Anwalte", während er in der 5.-7. Aufl. 1908 den Begriff ,,Anwälte" verwendet. Während GiJbel, 2. Aufl. 1922; Hahn, 3. Aufl. 1877; v.Olshausen, 10. Aufl. 1916; Oppenhoff, StOB, 10. Aufl. 1885; Rubo, 1879; RUdorff, 3. Aufl. 1881, und Schwa11,e, 5. Aufl. 1884 noch den Begriff der ,,Anwalte" verwenden, heißt es bei Binding, Lehrbuch 11 2, 1905, S. 382 Fn. 1; Da/ekel Fuhrmann, 18. Aufl. 1926; LK-Rosenberg, I. Aufl. 1920, und Schiinke, I. Aufl. 1942, bereits ..Anwälte". 3"'
92
8. Die historische Entwicklung Lebenszeit, auf Zeit oder nur vorläufig angestellte Personen, ohne Unterschied, ob sie einen Diensteid geleistet haben oder nicht, ingleichen Notare, nicht aber Advokaten und Anwälte."
Betrachtet man den Wortlaut des§ 359 StGB genauer, so wird deutlich, daß die Begriffsbestimmung letztlich nur ein einziges positives Tatbestandsmerkmal enthielt, nämlich die ,,Anstellung im inländischen Staatsdienst"396 • Die Auslegung dieses Merkmals stand daher fortan auch im Mittelpunkt der Diskussion in Rechtsprechung und Literaturl97• Alle weiteren Umschreibungen dienten lediglich der näheren Bestimmung dieses Merkmals. Die Umschreibung ,,im Dienste des Reiches oder in unmittelbarem oder mittelbarem Dienste eines Bundesstaats" weist lediglich darauf hin, daß der gesamte inländische Staatsdienst erfaßt werden sollte, die Worte "auf Lebenszeit, auf Zeit oder nur vorläufig" machen deutlich, daß es auf die Dauer der Anstellung nicht ankam. Mit dem Hinweis darauf, daß es keinen Unterschied mache, "ob sie einen Diensteid geleistet haben oder nicht", wird lediglich auf die Form des Begriffsmerkmals der Anstellung verwiesen und die Erwähnung der Notare, Advokaten und Anwalte hatte lediglich klarstellende Bedeutung, sie wirkte aber nicht konstitutiv. Insoweit hätte sich der Gesetzgeber in § 359 StGB auch mit dem Wortlaut begnügen können: "Unter Beamten im Sinne dieses Strafgesetzes sind alle im inländischen Staatsdienste angestellten Personen zu verstehen". Eine inhaltliche Änderung wäre damit nicht verbunden gewesen. Der Gesetzgeber wollte durch seine weitergehende Umschreibung lediglich verhindern, daß die Rechtsprechung bei der Auslegung der Merkmale ,,inländischer Staatsdienst" und ,,Anstellung" zu einer, von den eigenen Vorstellungen abweichenden, restriktiven Auslegung gelangen könnte. So wollte man verhidern, daß etwa künftig flir die ,,Anstellung" eine Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit und die Ableistung eines Diensteides fordern könnte398• Die in der Folgezeit vorgenommene Auslegung des Begriffes des ,,Beamten im Sinne des Strafrechts" wäre jedenfalls auch unter Zugrundelegung des vorgeschlagenen verkürzten Wortlautes des § 359 StGB möglich gewesen.
396
Karstedt, S. 40; P.SchrlJder, S. 57; Traumann, S. 30.
397
Vgl. hierzu sogleich unten B III I0 b, c.
391 Auf der anderen Seite war die Aufnahme der negativen Merkmale in den § 359 StOB auch insoweit historisch bedingt, als daß hinsichtlich der Begrundung des Beamtenverhältnisses zur da· maligen Zeit eine Vielzahl unterschiedlicher landesrechtlicher Vorschriften existierte, man aber be· strebt war, für das Strafrecht eine einheitliche Regelung zu tteffen; hierzu schon oben B II1 9 und P.Schröder, S. 84 ff.
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
93
Die Regelung des § 359 StGB erschien jedoch bereits zur damaligen Zeit teilweise als unvollständig399 und mußte durch Spezialvorschriften ergänzt werden. So wurden hinsichtlich der Verletzung von Dienstgeheimnissen in § 353b li StGB diejenigen Personen den Beamten gleichgestellt, die für eine amtliche Stelle tätig waren und "auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Dienstpflicht durch Handschlag oder zur Verschwiegenheit besonders verpflichtet" wurden400 • Auch in den strafrechtlichen Nebengesetzen fand man häufig Erweiterungen des Beamtenbegriffes. So dehnte beispielsweise § 10 li, III der Reichsabgabenordnung401 den strafrechtlichen Beamtenbegriff ausdrücklich auf Beamte der Finanzgerichte, Personen aus, die ehrenamtlich für die Finanzverwaltung tätig wurden und auf Sachverständige und weitere Personen, die von Finanzbehörden und-gerichtenzugezogen wurden402 • Ferner ist hier die - im Hinblick auf die Probleme im Zusammenhang mit der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges erlassene- Verordnung über die bei Behörden oder in kriegswirtschaftlichen Organisationen beschäftigten Personen von 1917403 sowie die sie ablösende, mit ihr inhaltlich aber weitgehend übereinstimmende Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen (Bestechungsverordnung) aus dem Jahre 1943 zu nennen404•
399 Vgl. hier nur Binding, OS 64 (1904), 1 (2), der davon spricht, daß der gesamte 28. Abschnitt des RStOB bereits zum Zeitpunkt seines lnkrafttretens als anachronistisch anzusehen war; ferner Schönke/Schröder-Eser, § 11 Rn. 14. 400 Darüber hinaus enthielt § 355 I StOB a.F. eine Sonderregelung ftlr Telegraphenbeamte oder andere mit der Beaufsichtigung und Bedienung einer öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt betrauten Person. .OOI
Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (ROBI. 1919, S. 1993 [1995]).
Vgl. ferner § 46 VII des Bankgesetzes vom 30. August 1924 (ROBI. 1924 Il, S. 235 [245 f.]); §§ 45 I, 74 I, II der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 17. Juli 1928 (ROBI. 1928 II, S. 541 [560, 578]); § 6 I, II der Vorläufigen Durchftlhrungsbestimmungen zur Verordnung Uber die Errichtung der Deutschen Rentenbank vom 14. November 1923 (RGBI. 1923 I, S. 1092); § 36 II des Gesetzes betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 (ROBI. 1900, S. 306 [314]); § 2 II des Viehseuchengesetzes vom 26. Juni 1909 (ROBI. 1909, s. 519 [520]). 402
403
Bekanntmachung vom 3. Mai 1917 (ROBI. 1917, S. 393).
Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen in der Fassung vom 22. Mai 1943 (RGBI. 1943 I, S. 351 sowie BOBI. 111, S. 2034-1), geändert durch Art. 20 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBI. 1969 I, S. 645 [665]), aufgehoben durch Art. 287 Nr. 3 des EGStGB vom 2. März 1974 (BGBI. 1974 I, S. 469 [631]); hierzu Moelter, S. 261 ; ferner Rohlff, S. 32 ff. Wenn Zechlin, BB 1982, 439 (440), die BestechungsVO von 1943 als typischen "Ausdruck der (faschistischen) Kriegswirtschaft" betrachtet, so läßt er dabei völlig außer Acht, daß die BestechungsVO von 1943 in der BestechungsVO von 1917 ihre Vorläuferin hatte. 404
94
B. Die historische Entwicklung
Durch diese Verordnungen wurden für Personen, die als Nichtbeamte in der öffentlichen Verwaltung tätig waren und die auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten durch Handschlag verpflichtet wurden405, besondere Strafnormen für die Vorteilsannahme (oder einfache passive Bestechung, § 2 BestechungsVO), die Bestechlichkeit (oder schwere passive Bestechung, § 3 BestechungsVO), die aktive Bestechung(§ 4 BestechungsVO), die Vorteilsverschaffung (§ 6 BestechungsVO) und den Geheimnisverrat(§ 7 BestechungsVO) geschaffen. Wurde die Verordnung anfangs deswegen notwendig, weil infolge der Einziehung von Beamten zum Kriegsdienst gegen Ende des Ersten Weltkrieges viele Stellen in der Verwaltung (vorübergehend) mit Nichtbeamten besetzt werden mußten406, zeichnete sich später ein Strukturwandel in der öffentlichen Verwaltung an sich ab407, der es erforderlich machte, auch gegenüber nichtbeamteten Angestellten der öffentlichen Hand, die nunmehr in zunehmendem Maße mit der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben betraut wurden, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, wenn diese ihre dienstliche Stellung mißbrauchten. Während sich zuvor die staatliche Verwaltung schwerpunktmäßig auf den Bereich der hoheitlichen Tätigkeit im Rahmen der Gefahrenabwehr beschränkte, kamen nun verstärkt die Bereiche der Daseinsvorsorge408 und der Wirtschaftslenkung hinzu Diese Aufgaben mußten nicht mehr notwendigerweise von Beamten im staatsrechtlichen Sinne ausgeübt werden mußten409 • Dabei erfüllte die Bestechungsverordnung eine Auffangfunktion, die sich aus der Unsicherheit
~ Vgl. § l I der BestechungsVO von 1943: "Wer, ohne Beamter zu sein, bei einer Behörde oder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts oder, sofern sich der Staat ihrer ftlr die staatliche Wirtschaftslenkung bedient, bei einer berufsständischen Organisation, einer Personenvereinigung des Handelsrechts, einem Kartell oder einem wirtschaftlichen Verbande hauptamtlich oder nebenamtlich beschäftigt oder ehrenamtlich tätig ist, kann auf die gewissenhafte Erftlllung seiner Obliegenheiten durch Handschlag verpflichtet werden". Demgegenüber erfa8te § II der Verordnung aus dem Jahre 1917 einen engeren Personenkreis: "Wer, ohne Beamter zu sein, bei Behörden oder in kriegswirtschaftlichen Organisationen beschäftigt ist, kann auf die gewissenhafte Erftlllung seiner Obliegenheiten durch Handschlag verpflichtet werden". Der Täterkreis der Verordnung wurde dann erstmals durch eine Gesetzesänderung am 12. Februar 1920 (Art. 111 der Verordnung über die Ausdehnung einzelner Vorschriften fllr die Kriegswirtschaft auf die Übergangswirtschaft, RGBI. 1920, S. 230) erweitert. § I I der nunmehrigen "Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen" erhielt folgende Fassung: "Wer, ohne Beamter zu sein, bei einer Behörde oder in einer Organisation der Kriegs- oder Übergangswirtschaft beschäftigt oder bei einer solchen Organisation als Mitglied des Aufsichtsrats oder eines Beirats oder als zugezogener Vertrauensmann oder Sachverständiger oder in ähnlicher Stellung tätig ist, kann auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten durch Handschlag verpflichtet werden". 4011
Hierzu Rohlff, S. 32.
.w7
Vgl. hierzu bereits oben B 111 8 g.
a Vgl. zu diesem Begriff unten D V 3d bb. 409
Hierzu Rohlff, S. 32.
III. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
95
über die Reichweite des (strafrechtlichen) Beamtenbegriffes und somit über den Anwendungsbereich der klassischen Amtsdelikte ergab410• Denn von der Bestechungsverordnung wurden ausdrücklich nur diejenigen Personen erfaßt, die keine Beamten waren, wobei unter dem Begriff des Beamten hier derjenige des § 359 StGB, also der .,strafrechtliche" Beamtenbegriff, zu verstehen war411 • Je weiter also der Beamtenbegriff des § 359 StGB ausgedehnt wurde, desto kleiner wurde der Personenkreis, den die Bestechungsverordnung erfaßte412 • Schließlich waren neben den reichs- bzw. später bundesrechtlichen Strafvorschriften des damaligen 28. Abschnittes des StGB413 noch zahlreiche weitere landesrechtliche Strafvorschriften, insbesondere gegen den Geheimnisverrat, erforderlich414 • Auffallend ist, daß sich aus dem (kaum geänderten Gesetzeswortlaut) des
§ 359 StGB keine Antwort auf die Frage der Identität oder der Verschiedenheit
des staatsrechtlichen und des strafrechtlichen Beamtenbegriffes ergibt. Dies ist umso bemerkenswerter, als das Preußische Obertribunal415 eine solche Ausweitung ja bereits vorgenommen hatte416• Es stellt sich daher die Frage, ob die nahezu wörtliche Übernahme des § 331 des Preußischen StGB von 1851 in das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 nun bedeutet, daß der Gesetzgeber zum ursprünglichen, dem Gesetzeswortlaut des § 331 des Preußischen StGB eher ent-
410
So auch Rohl.ff, S. 32 f.
RGSt 62, 96 (98)- Bestechung; 73, 29 (30)- Überwachungsstelle; P.Schröder, S. 168 f. Fn. 12; a.M. allerdings RG JW 1931, 62- Stadtbetriebsamt Hier wird ausgeftlhrt, unter dem Begriff des Beamten i.S.d. § 1 der VO über die bei Behörden oder in kriegswirtschaftlichen Organisationen beschäftigten Personen von 1917 (die Betreffenden wurden noch vor der gesetzlichen Änderung im Jahre 1920 verpflichtet) seien nur Beamte im staatsrechtlichen Sinne zu verstehen, weswegen eine Person, die nach dieser VO verpflichtet wurde, dennoch Beamter im strafrechtlichen Sinne (i.S.d. § 359 StGB) sein könne. Es ist allerdings zu vermuten, daß das Reichsgericht in dieser Entscheidung lediglich klarstellen wollte, daß die Verpflichtung nach § 1 der VO eine strafrechtliche Beamtenstellung nach § 359 StGB nicht ausschließt, da § 359 StGB der Verordnung über die bei Behörden und in kriegswirtschaftlichen Organisationen beschäftigten Personen infolge dr Subsidiarität der BestechungsVO vorgeht. 411
412 Rohl.ff, S. 33 f., geht daher davon aus, daß die Bestechungsverordnung kaum praktische Bedeutung erlangt hat, da sie von der Entwicklung und Ausweitung des strafrechtlichen Beamtenbegriffes des § 359 StGB überholt wurde. So auch Moelter, S. 266, mit einer Zusammenstellung der Verurteiltenziffern aus den Jahren 1918-1935 und 1959-1970 sowie P.Schröder, S. 169. Diese Tendenz wird auch durch die bereits genannte Entscheidung RG JW 1931, 62- Stadtbetriebsamt, bestätigt, in dertrotzeiner Verpflichtung nach der VO von 1917 eine Beamteneigenschaft i.S.d. § 359 StGB angenommen wurde. 413 Vgl. zu den Amtsdelikten des Nebenstrafrechts Hochheiser, S. 11 f., 99 ff.; zum Verhältnis des Reichsstrafrechts zum Landesstrafrecht vgl. Meves in: Holtzendorff, S. 928 ff.
Vgl. auch SK-Samson, 5. Aufl., § II Rn. 9. s Vgl. hierzu oben B III 8 g.
414 41
416
Vgl. Hochheiser, S. 74 f.; P.SchrtJder, S. 70.
96
B. Die historische Entwicklung
sprechenden Rechtszustand zurückkehren wollte oder ob durch die Übernahme des Wortlauts auch deren im Wege der Rechtsfortbildung entstandene weite Auslegung durch das Preußische Obertribunal gebilligt werden sollte417 • Die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals konnte allerdings dem Gesetzgeber nicht unbekannt geblieben sein418• Sie bildete sich auf der Grundlage des Wortlauts des§ 331 des Preußischen StGB heraus, ohne daß eine dementsprechende Änderung des Gesetzestextes als notwendig angesehen wurde. Auch sah der damalige preußische Gesetzgeber sich bis zur Aufhebung der Vorschrift nicht veranlaßt, dieser weiten Auslegung des Beamtenbegriffes durch das Preußische Obertribunal durch einen gesetzgebensehen Akt einen Riegel vorzuschieben. Hätte der Gesetzgeber des Reichsstrafgesetzbuches nun eine Rückentwicklung zum früheren Rechtszustand, zur Identität von staats- und strafrechtlichem Beamtenbegriff bzw. die alleinige Anknüpfung des strafrechtlichen Beamtenbegriffes an die Begründung eines dienstrechtlichen Beamtenverhältnisses gewünscht, so hätte es nahegelegen, daß er dies über einen geänderten, die weite Auslegung nicht mehr zulassenden Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gebracht hätte419• Dies ist jedoch nicht geschehen. Auch finden sich weder in den Motiven oder Entwürfen noch in der Gesetzesbegründung zu § 359 StGB irgendwelche Anhaltspunkte, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten420• Aus diesen Umständen läßt sich daher der Schluß ziehen, daß der Gesetzgeber im Jahre 1871 die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals und dessen weite Auslegung des strafrechtlichen Beamtenbegriffes gebilligt hat421 •
b) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts422 Auch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts erfuhr der Beamtenbegriff des § 359 StGB schon früh eine weite Auslegung. Dabei wurde anfangs an die
417
Zu dieser Frage ausftlhrlich Erb, S. 9; Hochheiser, S. 76 f.; Traumann, S. 30.
418
Erb, S. 9; Hochheiser, S. 74; P.SchriJder, S. 70; Traumann, S. 30.
Erb, S. 9; hienu auch P.Schröder, S. 70. 420 Erb, S. 9; Hochheiser, S. 74 f.; Traumann, 30. 421 Erb, S. 9, und Hochheiser, S. 74 f., die auch darauf hinweisen, daß der Grund ftlr die 41 ~
gesetzgebensehe Zurtickhaltung darin gelegen haben könnte, den Gerichten die Möglichkeit flir eine weitere richterliche Rechtsfortbildung zu erhalten.
422 Es soll an dieser Stelle lediglich ein grober Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Beamtenbegriff des § 359 StOB a.F. gegeben werden. Da die Auslegung der einzelnen Merkmale des § 359 StOB a.F. auch bei der Auslegung des heutigen § II I Nr. 2 StOB berilcksichtigt werden kann, werden die Ausruhrungen des Reichsgerichtes und auch des Bundesgerichthofs zu den Detailproblemen später bei der Auslegung der einzelnen Merkmale des § II I Nr. 2 StOB ausgiebig erörtert; vgl. unten D II-V.
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
97
Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals423 angeknüpft und die - sehr weitgehende - Formulierung gebraucht, Beamter sei, "wer dazu berufen ist, als Organ der Staatsgewalt unter öffentlicher Autorität für die Herbeifiihrung der Zwecke des Staates tätig zu sein'o424•
Allerdings ist es nicht klar ersichtlich, ob das Reichsgericht in diesen Entscheidungen den strafrechtlichen Beamtenbegriff auf der Grundlage des § 359 StGB als Legaldefinition42S (weiter)entwickeln wollte, oder ob es die Vorschrift des § 359 StGB lediglich als allgemeine Begriffsumschreibung verstand und zum Ausgangspunkt nahm, um auf der Grundlage dieser Norm eine eigenständige strafrechtliche Begriffsbestimmung vorzunehmen, die quasi ,,neben" dem Gesetzeswortlaut stand426• Auch wird es nicht deutlich, inwieweit sich das Reichsgericht in diesen frühen Entscheidungen bereits von der Begriffsbestimmung des öffentlichen Rechts abwenden, d.h. neben den Begriff des Beamten im staatsrechtlichen (beamtenrechtlichen) Sinne einen eigenen (weitergehenderen) Begriff des Beamten im strafrechtlichen Sinne stellen wollte427 • So wurde noch in einer
423 Vgl. hienu bereits oben B lß 8 g. Anders wohl Rohlff, S. 14 f., die davon spricht, erst das Reichsgericht habe erstmals in RGSt 51, 65 (66) - Postaushelfer - einen eigenständigen, vom staatsrechtlichen Beamtenbegriff losgelösten, strafrechtlichen Beamtenbegriff entwickelt. Dies mag, was dessen ausdrückliche Bezeichnung als solchen angeht, zutreffen. Inhaltlich wurde jedoch eine solche Auslegung, wie oben, B III 8 g, gezeigt wurde, bereits durch das Preußische Obertribunal auf der Grundlage des § 331 des Preußischen Gesetzbuches von 1851 vorgenommen, da auch zu dieser Zeit bereits ein Bedürfnis flir die Einbeziehung nichtbeamteter Personen in den Täterkreis der Amtsdelikte bestand. 424 RGSt I, 327 (327 f.)- Hilfsgerichtsschreiber; 2, 189 (191 f.)- Privat-Postgehilfe; 2, 316 (317) - Pfarrer; 3, 258 (262) - K.irchenrendant; 5, 337 (338) - Lohnschreiber; 8, 29 (31) - Bieraufschlagskassier; 9, 204 (209)- Schulvorstand; 14, 345 (347)- Schleusenmeister; 14, 350 (351)Nachtwächter; 16, 378 (382)- Stationsgehilfe; 24, 83 (86)- Hausvater; 29, 230 (231)- Bürovorsteher; 30, 29 (30)- Hundefänger; 39, 232 (233)- Gefangenenhilfstransporteur; 40, 201 (201 f.) - Wahlvorsteher; 55, 28 - Schleichhandel; 56, 387 (390) - Wahlvorsteher; vgl. hienu auch RGSt 19, 85 (86) - Konkursverwalter; 20, 70 (72) -Trichinenschauer; 23, 374 (375) - Fleischbeschauer; 36, 434 (435)- Gesellenprüfung; RG Rechtsprechung 5 (1883), 328- Aufseherin; zu dieser ,,Formel" auch Hol/, S. 13; diese Forderung tauchte, wie bereits gesehen, erstmals auf in einer Entscheidung des Preußischen Obertribunals aus dem Jahre 1874, abgedruckt in: Oppenhoff 15, 655 (661) - Kreisvikar; zum ganzen P.Schröder, S. 93 ff.; kritisch zu dieser Definition Binding, Lehrbuch II 2, S. 382 Fn. 3. Auffallend ist, daß diese ,,Autoritätsformel" auch heute noch zur Definition des Begriffes der ,,Behörde" verwendet wird; vgl. BGH NJW 1957, 1673- Ortskrankenkasse; BayOblG NJW 1993, 2947 - Postbank.
425
In diese Richtung RGSt 23, 374 (375) - Fleischbeschauer.
426
So die Beurteilung von Erb, S. II; Rohlff, S. 14; Stock, ZAkDR 1937, 698.
421 Dies geschah ausdrücklich erst in der Entscheidung RGSt 60, 139 - Reichsbahnbeamter im Jahre 1926; vgl. hienu sogleich noch unten in diesem Abschnitt; andererseits findet sich aber bereits in RGSt 1, 327 - Hilfsgerichtsschreiber, die Ansicht, daß eine vertragliche Klausel derge-
1 Heinrich
8. Die historische Entwicklung
98
Entscheidung aus dem Jahre 1893428 ausgeführt, "die Frage, ob jemand als Beamter oder Staatsdiener zu gelten hat, gehört in erster Linie nicht dem Strafrecht, sondern dem allgemeinen öffentlichen Rechte an. Das Strafrecht kann den öffentlich-rechtlichen Begriff für seine Zwecke einengen oder erweitern, aber nicht neu schaffen'"429• Dies ist deswegen bemerkenswert, weil sich in der Staatsrechtslehre gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend eine restriktive Interpretation des Beamtenbegriffes durchsetzte, die ausschließlich auf das (dienstrechtliche) Innenverhältnis abstellte430 • Die Begriffe ,,Amt" und ,,Beamter" fielen hiernach auseinander. Zwar könne die Anstellung eines Beamten nicht anders erfolgen, "als zu dem Zwecke der Uebertragung eines Amtes"431 • Es wurde jedoch von der staatsrechtlichen Seite aus inzwischen anerkannt, daß es einerseits Beamte ohne Amt geben könne432, andererseits aber die Übernahme eines Amtes nicht zwangsläufig bedeute, daß der Betreffende dadurch auch zum (staatsrechtlichen) Beamten werde433 • Allein das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis war aber für die Beamtenqualität aus staatsrechtlicher Sicht ausschlaggebend434. So wird man letztlich davon ausgehen können, daß sich der Beamtenbegriff im Staatsrecht und im Strafrecht etwa zur gleichen Zeit in völlig unterschiedliche Richtungen entwickelte435 • Da auf diese Entwicklung jedoch in der frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht näher eingegangen wurde, wird auch nicht deutlich, ob unter der
stalt, daß Hilfsgerichtsschreibern nicht "die Eigenschaft eines Staatsbeamten" zukomme, die Beamteneigenschaft i.S.d. § 359 StGB nicht ausschließe, da ,,mit jenen Worten lediglich gewisse feste Rechte gegenüber dem Staate, insbesondere nach der finanziellen Seite, den Hilfsgerichtsschreibern abgesprochen werden." Ferner RG Rechtsprechung 5 (1883), 328 (330)- Aufseherin. 428
RGSt 23, 374 - Fleischbeschauer.
RGSt 23, 374 (375) - Fleichbeschauer. Wenn das RG bereits in RGSt 2, 189 - PrivatPostgehilfe - von einem ,,strafrechtlichen Begriff des Beamten" spricht, so darf dies noch nicht in Abgrenzung zum staatsrechtlichen Beamtenbegriff verstanden werden; zur Abhängigkeit der strafrechtlichen Begriffsbestimmung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften vgl. noch unten C IV. 429
430
Vgl. Laband, S. 429 ff.; Meyer!Anschatz, S. 573.
431
Laband, S. 430.
432 Laband, S. 430; vgl. ferner Binding, Lehrbuch II 2, § 193 I 3; S.Puppe, S. 64; Wachinger, S. 235; dies wird allerdings auch in RGSt 10, 199 (201)- Schächter- anerkannt; ferner RGSt 29, 321 (323) - Pfarrer. 433
Laband, S. 430; so auch RGSt 29, 321 (323) -Pfarrer; 39, 204- Vormund.
43'
Laband,
43'
Traumann, S. 32.
s. 431.
m. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
99
"öffentlichen Autorität" ein besonderes dienstrechtliches Verhältnis436 oder die unter staatlicher Aufsicht tatsächlich geleisteten Dienste437 verstanden wurde438. Es ist lediglich davon auszugehen, daß das Reichsgericht bereits in diesen Entscheidungen - wiederum unter Anknüpfung an die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals - in erster Linie das dienstrechtliche Anstellungsverhältnis prüfte und nur dann, wenn ein solches (z.B. wegen fehlender Bestallung oder Vereidigung) nicht nachgewiesen werden konnte, in erweiternder Auslegung auf die tatsächlich ausgeübte Funktion abstellte439• Über diese Funktionswahrnehmung sollte jedoch- zumindest zu dieser Zeit- noch kein eigenständiger (strafrechtlicher) Beamtenbegriff entwickelt werden. Das Abstellen auf die ausgeübte Funktion diente damals lediglich dazu, eine Anstellung zu "fingieren", um den Betreffenden (zugleich auch) als "staatsrechtlichen Beamten" ansehen zu können440• Man hielt also immer noch daran fest, daß der durch diese weite Auslegung gefundene Beamtenbegriff ein solcher im dienstrechtlichen Sinne sei441 • Dies könnte jedoch auch damit zusammenhängen, daß unter Zu-
436 So zumindest ROSt 2, 189 (191 f.)- Privat-Postgehilfe; RO IW 1906, 492- Postaushelfer; in diese Richtung auch aus der Literatur Hol/, S. 23; v.Liszt/Schmidt, § 178 III Fn. 2. 437 So ROSt I, 327 (328)- Hilfsgerichtsschreiber; 2, 316 (317)- Pfarrer; 3, 258 (261 f.)- Kirchenrendant (,.mittelbarer Staatsbeamter"); 24, 83 (86) - Hausvater; in dieser Richtung aus der Literatur Rosenberg, LZ 1918, 195 (196); Stock, ZAkDR 1937, 698. 438 Vgl. hierzu ausfUhrlieh P.Schriider, S. 93 ff.; Traumann, S. 34; ferner Moelter, S. 100, der ausfllhrt, die Autoritätsfonnel "orientiere sich in erster Linie an der Funktion des Beamten und an das Amt, daß er innehatte".
439 Dies wird u.a. in ROSt 16, 378 (379) - Stationsgehilfe - deutlich. Hier ist davon die Rede, daß "in erster Reihe" die Anstellung entscheidend sei, d.h. die ,,Berufung des Betreffenden zur Wahrnehmung der dem Staatszwecke unmittelbar oder mittelbar dienenden öffentlichen Funktionen." Weiter folgen das Gericht: ,,Erst in zweiter, eventueller Reihe, wenn sich in Ermangelung eines unzweideutigen fonnalen Berufungsaktes (Bestallung, Vereidigung, Verpflichtung u. dgl.) Inhalt und rechtliche Bedeutung der Anstellung selbst nicht ermitteln läßt, wird es statthaft sein, aus An und Beschaffenheit der thatsächlich ausgeübten öffentlich-rechtlichen Dienstfunktionen auf die durch Anstellung begründete Beamteneigenschaft zurUckzuschließen". Ebenso ROSt 5, 337 (338) - Lohnschreiber: ,,Die Natur der Dienste ist vielmehr nur im allgemeinen ein Kriterium fllr das Vorhandensein der Beamteneigenschaft. wo letztere nicht aus der Bestallung selbst sich ergiebt". - In erster Linie ist also die Bestallung entscheidend. Fehlt eine solche, so ist aus der Natur der Dienste heraus festzustellen, ob eine Beamteneigenschaft vorliegt. Die Bestallung ist also nur ein Indiz fllr das Bestehen eines Beamtenverhältnisses; vgl. hierzu auch P.Schröder, S. 99 f .
.wo So auch P.Schröder, S. 102; vgl. anschaulich ROSt 20,70 (72, 77)- Trichinenschauer. Hier wird zwar einerseits festgestellt, daß die Beamteneigenschaft auch bei Fehlen eines fonnellen Anstellungsaktes möglich sei, wenn die ausgefllhrte Tätigkeit ,,nach staatsrechtlichen Grundsätzen nur im Falle der Ausübung durch einen öffentlichen Beamten Wirksamkeit erlangen kann" (a.a.O., S. 72); andererseits wurde aber auch fllr diese Personen geforden, daß sie zur gewissenhaften ,,Erfllllung der ihnen zugewiesenen Funktionen durch Zwang anzuhalten und im Unterlassungsfalle ... im Disziplinarwege zu strafen" sein mUßten (a.a.O., S. 77). Dies heißt aber nichts anderes, als daß auch die ,,Beamten kraft Funktionszusammenhang" staatsrechtlich als Beamte angesehen wurden, da ansonsten die Anwendung des Disziplinarrechts ausgeschlossen gewesen wäre. 441 So wird in ROSt 33, 29 (30) - Geflingnisarzt - betont, der betreffende Arzt erweroe durch die rein privatrechtliche Anstellung ,,nicht die Eigenschaft eines Beamten, in der er der Disziplinar-
B. Die historische Entwicklung
100
grundelegung des überkommenen Beamtenbegriffes des Preußischen Allgemeinen Landrechts die Beamteneigenschaft (erst) mit der Amtsübertragung erlangt werden konnte, dann aber jedenfalls stets zu bejahen war, wobei die Beamteneigenschaft dann auch immer als eine solche im dienstrechtlichen Sinne angesehen wurde442• Durch diese Fiktion- die aber, wie gesehen, im Widerspruch zur damaligen staatsrechtlichen Dogmatik stand - konnte das Reichsgericht letztlich die Einheitlichkeit von strafrechtlichem und staatsrechtlichen Beamtenbegriff aufrechterhalten443 • Darüber hinaus hielt das Reichsgericht aber von Anfang an daran fest, daß bei sämtlichen Amtsdelikten von einer gleichlautenden Begriffsbestimmung des ,,Beamten" auszugehen sei und der Kreis der Betroffenen nicht am jeweiligen Delikt ausgerichtet werden dürfe444 • Diese ursprünglich vom Reichsgericht vertretene Auffassung (die sog. ,,Autoritätsformel") war nun aber insoweit problematisch als sie einerseits in manchen Bereichen zu weit ging44' - auch Schöffen und Geschworene hätten hiernach zu den Beamten i.S.d. § 359 StOB gezählt werden können - andererseits aber auch eine sehr restriktive Auslegung ermöglichte446• So beschränkte das Reichsgericht mit Hilfe der Autoritätsformel die Annahme einer Beamteneigenschaft in früheren Urteilen zeitweise auf ,,Dienstverrichtungen, die nur unter der Voraussetzung der Wahmehmung durch einen öffentlichen Beamten rechtliche
gewalt einer amtlich vorgesetzten Stelle unterstände". Somit wurde die Beamteneigenschaft i.S.d. § 359 StOB gekoppelt mit der Möglichkeit der Ausübung disziplinarischer Maßnahmen. In ROSt 38, 235 (238) - Voreinschätzungskommission - ist davon die Rede, Beamter könne nur sein, "wer in einem Dienstverhälmis ... steht". Zur Ausweitung des staatsrechtlichen Beamtenbegriffes durch das Reichsgericht vgl. Erb, S. 11 f.; Jaschkowitz, JW 1934, 1156 (1157) m.w.N.; P.Schröder, s. 94, 98. 442 1n diese Richtung auch ROSt 17, 406 (408)- Leichenschauer; 26, 437 (438)- Gemeindebeamter. Diesen Weg beschreitet auch KeßmaM, S. 34 ff., 67 f., mit folgender Argumentation: der strafrechtliche Beamtenbegriff des § 359 StOB a.F. fuße auf einem historisch gewachsenen doppelgleisigen dienstrechtlichen Beamtenbegriff. Die dienstrechtliche Beamteneigenschaft beruhe entweder auf der organisatorischen Eingliederung des Berufenen in den Staatsorganismus oder aber auf der Übernahme eines Amtes i.S.d. ALR. Denn nach dem ALR versehe auch detjenige ein Amt, der mit der Ausübung eines Teiles der Staatsgewalt, d.h. mit besonderen staatlichen Funktionen betraut sei. Diese Personen seien nach dem Beamtenbegriff des ALR, auf den der Beamtenbegriff des § 359 StOB a.F. aufbaue, ebenfalls als dienstrechtliche Beamte, zumindest im strafrechtlichen Sinne, anzusehen. 443 Hierzu P.Schröder, S. 98, und Traumann, S. 32 f., der auch darauf hinweist, daß die reichsgerichtlichen Zivilrechtssenate bis zuletzt daran festhielten, daß auch diejenigen Personen, die öffentlich-rechtliche Funktionen wahrnahmen, ohne formal als ,,Beamte" angestellt zu sein, dienstrechtlich dennoch als Beamte anzusehen waren; vgl. ROZ 89, 294 (297)- Nachtwachmann; 125, 420 (421 f.)- Kohlenstelle; 134, 17 (19)- BUrogehilfe. 444
Vgl. hierzu auch Rohlff, S. 14.
...., Vgl. hierzu auch Karstedt, S. 45 f.; Rosenberg, LZ 1918, 195; P.Schröder, S. 99 f.; Stock, ZAkDR 1937, 698. 406
Vgl. Moelter, S. 100.
ill. Die Entwicklung der Amtsdelikte und des Amtsträgerbegriffes
101
Wirkung gewinnen'""7, Tätigkeiten also, "die ihrer Natur nach vermöge der Bestimmungen des öffentlichen Rechts nur durch einen Beamten vorgenommen werden können'1448• In Zusammenhang mit den Geschehnissen des Ersten Weltkrieges und dem hierdurch entstandenen Bedürfnis, eine Vielzahl von Personen hilfsweise mit der Verrichtung staatlicher Aufgaben zu betrauen449, die zweifelsohne nicht als dienstrechtliche Beamte angesehen werden konnten, korrigierte das Gericht dann diese Begriffsbestimmung in späteren Entscheidungen450 und entwickelte einen nun ausdrücklich neben dem staatsrechtlichen Beamtenbegriff stehenden strafrechtlichen Beamtenbegriff, der auch die Grundlage für die heute geltende gesetzliche Bestimmung in § 11 I Nr. 2 StGB darstellt. Spätestens mit der Postaushelfer-Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1917451 war diese Entwicklung abgeschlossen452• Von nun an nahm das Reichsgericht ausdrücklich eine zweistufige Prüfung vor und bekannte sich spätestens seit der
447 So u.a. in RGSt 16, 378 (379) - Stationsgehilfe; 49, lll (113) - Postaushelfer; ähnlich RGSt 2, 189 (191)- Privat-Postgehilfe; 4, 214 (215)- Forstaufseher; 20, 70 (72)- Trichinenschauer; RG JW 1916, 1588- Postaushelfer; JW 1917, 725 Nr. 8- Postaushelfer; RG IW 1917, 725 Nr. 9Feldpostpakete.
448 RGSt 49, lll (113) - Postaushelfer; diese Beschränkung wurde später ausdrUcklieh aufgehoben; vgl. u.a. RGSt 51, 398 (399)- Postaushelfer-und RGSt 52, 309 (310)- Postaushelfer (eine Entscheidung, in der der 2. Strafsenat ausdrücklich darauf hinweist, er halte an seiner abweichenden Meinung in RGSt 49, III - Postaushelfer nicht mehr fest). 449 Zu nennen ist hier insbesondere der Bereich der Post. Die Notwendigkeit gerade in diesem Bereich eine Vielzahl von Hilfskräften vorübergehend zur Kastenleerung, Briefverteilung, Zustellung von Briefen und Telegrammen etc. anzustellen, beschäftigte die Rechtsprechung in mehreren Fällen. Diese ,,Postaushelferurteile" wurden fllr die Entwicklung des strafrechtlichen Beamtenbegriffes des § 359 StGB wegweisend. Vgl. u.a. RGSt 23, 183- Postaushelfer; 49, III - Postaushelfer; 51, 65- Postaushelfer; 51, ll3- Aushilfspostillion; 51, 398- Postaushelfer; 52, 309- Postaushelfer; 54, 202- Postagentenvertreter; RG JW 1906. 492- Postaushelfer; IW 1916, 1588 Postaushelfer; JW 1917, 725 Nr. 8 - Postaushelfer; JW 1917, 725 Nr. 9 - Feldpostpakete; IW 1928, 2324- Postaushelfer; IW 1931, 3671 - Postaushelfer; IW 1939, 625- Hilfspaketzusteller; RG GA 40 ( 1892), 337 - Postagentenvertreter; GA 58 (1911 ), 173 - Postaushelfer; GA 63 (1917), 432- Postaushelfer; RG HRR 1929 Nr. 677- Schalteroeamter; 1940 Nr. 711 - Postagentenvertreterin; RG LZ 1916, 554- Postaushelfer; LZ 1916, 822- Landbriefträger; RG Recht 1915 Nr. 1250 - Postaushelfer; Recht 1915 Nr. 2416- Briefträger; RG DJ 1939, 1499- Zivilangestellter; vgl. ferner bereits RGSt 2, 189- Privat-Postgehilfe- und später BGHSt 8, 321 PostfachaJbeiter; BGH GA 1953, 49 - Postfacharoeiter; KG HESt 2, 68 - Kraftwagenfllhrer; hierzu allgemein P.SchrlJder, s. 103 ff.
.oo Vgl. nur die eben bereits genannten Entscheidungen RGSt 51, 398 (399) - Postaushelfer; 52, 309 (311)- Postaushelfer- sowie RG IW 1931, 62 (62 f.)- Stadtbetricbsamt. 4' 1 RGSt 51, 65 (66)- Postaushelfer; vgl. aber auch schon RG GA 63 (1917), 432- PostBushelfer: "Die Anstellung ... kann erfolgen entweder unmittelbar durch die vertragsmäßige Begründung eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses oder mittelbar durch Übertragung öffentlichrechtlicher Funktionen".
m Hierzu auch P.SchrlJder, S. 103 ff.; Traumann, S. 35.
102
B. Die historische Entwicklung
Reichsbahnbeamten-Entscheidung aus dem Jahre 1926453 auch explizit zu einer Trennung von staatsrechtlichem und strafrechtlichem Beamtenbegriff54•
Als erstes zählte man zu den Beamten i.S.d. § 359 StGB diejenigen Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Staate oder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft standen (Beamte im staatsrechtlichen Sinne - vgl. heute § 11 I Nr. 2a StGB)455 • Die Beamteneigenschaft war in diesen Fällen mit der formellen Anstellung, d.h. mit der Ernennung zum Beamten stets gegeben. Qualität und Form der Anstellung richteten sich nach dem maßgeblichen Reichs-456 (später: Bundes-) oder Landesrecht457 • Auf die im Einzelfall konkret ausgeübte oder übertragene Tätigkeit kam es dabei genausowenig an wie auf die Frage, ob dem Beamten überhaupt ein Amt übertragen worden wa.r458• Es genügte also auch eine Tätigkeit rein handwerksmäßiger (mechanischer) Art459 • Eine Ausnahme wurde lediglich dann gemacht, wenn der Beamte eine Tätigkeit ausübte, die völlig außerhalb des Aufgabenbereichs der Anstellungsbehörde lag4al. Erfaßt wurden somit sämtliche Dienste, die nach den jewei-
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AG.
ROSt 60, 139- Reichsbahnbeamter; ausdrtlcldich auch ROSt 67, 299 (300)- Straßenbahn-
"" Der Begriff des Beamten im strafrechtlichen Sinne -.in Abgrenzung zu demjenigen im Sinne des Staatsrechts- wurde allerdings bereits zuvor in den Entscheidungen ROSt 54, 202 (203)- Postagentenvertreter und ROSt 56, 366 (367) - Wohnungsamt - gebraucht.
.,, ROSt 60, 139 (140)- Reichsbahnbeamter; 67, 299 (300)- Straßenbahn-AG; 68, 70 (71)Postkrankenlcasse; RG JW 1931, 62- Stadtbetriebsamt; JW 1931, 3670- Amtsvormund.