Denken im Modell: Theorie und Erfahrung im Paradigma eines pragmatischen Modellbegriffs [1 ed.] 9783428482245, 9783428082247


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German Pages 481 Year 1994

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Denken im Modell: Theorie und Erfahrung im Paradigma eines pragmatischen Modellbegriffs [1 ed.]
 9783428482245, 9783428082247

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Jörg Wernecke · Denken im Modell

Philosophische Schriften Band 13

Denken im Modell Theorie und Erfahrung im Paradigma eines pragmatischen Modellbegriffs

Von

Jörg Wernecke

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Wernecke, Jörg: Denken im Modell : Theorie und Erfahrung im Paradigma eines pragmatischen Modellbegriffs I von Jörg Wernecke. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Philosophische Schriften ; Bd. 13) Zugl.: Augsburg, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-08224-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-08224-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Vorwort Neben persönlichen Erkenntnisinteressen, Frage- und Problemstellungen wurde die Beschäftigung mit der Thematik dieser Arbeit auch von aktuellen, in die Öffentlichkeit getragenen philosophischen Diskursen mitbestimmt. In diesem Zusammenhang hat insbesondere jene Standortbestimmung provoziert, welche eine Gegenwartsdiagnostik unter dem Etikett postmnderne Kultur verortet Die dieser Verortung implizite Zurücknahme von Geltungsansprüchen philosophischer Diskurse führt dann aber auch folgerichtig zu der Frage, ob ein wesentliches Resultat postmoderner Reflexionen darin zu identifizieren ist, daß sich Philosophie in einer Unverbindlichkeit der Diskurse verliert, die vielleicht noch einen kleinen Kreis sich elitär dünkender Personen befriedigen kann. Es dürfte nicht überraschen, daß dieses Verständnis vom Autor nicht geteilt und demnach auch zurückgewiesen wird. Diese Problemstellung verdeutlicht aber die Notwendigkeit der Konstitution eines alternativen Weges, der zwar auf der einen Seite die Spannung zwischen der notwendigen Verabschiedung sowohl einer dogmatischen Metaphysik als auch eines szientistischmethodologischen Reduktionismus und auf der anderen Seite der potentiell unendlichen Perspektivität und Pluralität von Welt und den Zugangs- bzw. Aneignungsformen zu ihr beibehält, jedoch eine Unverbindlichkeit angesichts der umfassenden lebensweltlichen Problembestände zurückweist. Diese Arbeit versteht sich demnach auch als ein partieller Diskussionsbeitrag zu dieser Thematik. Großen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Arno Baruzzi für seine Geduld und seine fachliche Unterstützung bei der Realisation dieser Dissertation. Insbesondere seiner Anregung anläßtich einer Magisterarbeit verdanke ich die Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex und die Fortführung in Form dieser Arbeit. Mein besonderer Dank gebührt aber auch Herrn Prof. Dr. Herbert Stachowiak, der diese Arbeit wesentlich durch die Überlassung von unveröffentlichten Manuskripten, Anregungen und auch intensiven Gesprächen förderte und anregte. Neben vielen anderen anregenden Diskussionspartnern möchte ich mich besonders auch bei Herrn Prof. Dr. Ulrich Weiß für die sich bereits über Jahre erstreckenden intensiven Gespräche bedanken. Schließlich danke ich für die Bewilligung eines einjährigen Stipendiums zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Jörg Wemecke

Inhaltsverzeichnis

Einleitung .............. ........ ........ ... .. ............ ............... .... ............................. ...........

11

Erstes Kapitel

Zur Propädeutik des ModeUbegrift's 1. Anmerkungen zur Geschichte des Modellbegriffs ............................................

27

2. Das Modellverständnis innerhalb aktueller Epistemologiekonzepte ................

38

Zweites Kapitel

Die formale Interpretation des Modellbegriffs 1. Einleitung . .... ......... .. .. .... ..... .... ..... ............ ... .................................. ............ .....

52

2. Der formale Modellbegriff innerhalb der Genese neuzeitlicher Rationalität ...

56

3. Der moderne Kalkülismus und seine /mplikationen ........................................

64

4 . Zur Explikation des mathematischen und logischen Modellbegriffs ................

78

4.1 Zum Problem des Geltungsbereichs formaler Modelle ........................

78

4.2 Der Modellbegriff innerhalb aktueller Konzeptionen von Mathematik und Logik .... .. ..... ..... ................... ...... ............. ... ............. .....................

83

4.3 Der formalsemantische Modellbegriffund das Problem der Wahrheit.. 93 4.4 Anmerkungen zur linguistischen Adaption des formal-semantischen Modellbegriffs ....................................................................................

106

8

lnhaltsverzeiclmis

Drittes Kapitel Der Modellbegriff in der empirischen Theorienbildung

1. Einleitung ......................................................................................................

123

2. Die modelltheoretische Rekonstruktion empirischer Theorien ........ ......... ........

136

2.1 Die formal-strukturelle Rekonstruktion empirischer Theorien.............

136

2.2 Die prädikatenlogische Adaption des empirischen Modellbegriffs .......

144

3. Der informelle Modellbegriff des 'Non-statement-view' ..................................

161

3.1 Das formale Instrumentarium des strukturalistischen Rekonstruktivismus ............................................................................

161

3.2 Die strukturalistische Rekonstruktion der Theoriendynamik ........ .......

173

4. Die operative Modeliierung der Empirie und der Erlanger Konstruktivismus.. 200 4.1 Das BegründWlgsproblem innerhalb der Konzeption empirischer Modelle ..... .... .. .... ...... .. ..................... .... .............. ................................

200

4.2 Die FWlktion des Modells innerhalb der operativen DeulWlg des Experiments.......................................................................................

211

5. Zusammenfassung................. .........................................................................

231

Viertes Kapitel Pragmatic movement und der Modeltismus des Systematischen Neopragmatismus

1. Einleitung ....... ............................ ... ................ ..... ......................... ......... .........

241

2. Die erkenntnistheoretische Basis des Systematischen Neopragmatismus .. .. .....

251

2.1 Der pragmatische Entschluß ...............................................................

251

2.2 Das Modellkonzept der Erkenntnis .....................................................

257

2.2.1 Die Implementation des Modellbegriffs innerhalb des Systematischen Neopragmatismus ................................... ... ....

257

Inhaltsverzeichnis 2.2.2 Anmerkungen zu den semiotisch-pragmatischen rmd kybernetischen Implikationen innerhalb des pragmatischen Modellismus ........................................................................................

9

262

2.2.3 Zur formalen Rekonstruktion der Modell-Original-Relation innerhalb des pragmatischen Modelltheorie ............................. 281

3. Zur /mplemenlation eines pragmatisch-semiotischen Epistemologiekonzeptes .. 290 3.1 Die erkenntnistheoretischen lmplikationen des pragmatisch-semiotischen Epistemologiekonzeptes .......... ............. ... .. ..................... ... .. ... .

290

3.2 Die Rekonstruktion des empirischen Theorienbegriffs innerhalb des pragmatisch-semiotischen Epistemologiekonzeptes ..................... ........

310

3.2.1 Anmerkungen zur Reichweite formalsprachlicher Rekonstruktionsmodelle innerhalb des pragmatisch-semiotischen Modellismus ..... 310 3.2.2 Zur Bestimmung der Reichweite und Struktur empirisch-operativer Fundierungsversuche empirischer Theorien innerhalb des pragmatisch-semiotischen Epistemologiekonzeptes ................................. 329 3.2.3 Der empirische Geltungsanspruch empirischer Theorien innerhalb des Problemkontextes von Realismus und Instrumentalismus ....... 352

4. Das Konzept einer Pragmatologie wuJ. Praxeologie innerhalb des Systematischen Neopragmatismus . .......................... .................. .......... ...... .... .

373

4.1 Zur pragmatologisch-operativen Erweiterung des Theorienbegriffs .....

373

4.2 Anmerkungen hinsichtlich der planungstheoretischen Implikationen innerhalb des Gesellschaftsmodells des Systematischen Neopragmatismus ................................................................................................

386

4.3 Anmerkungen zur Deontik rmd entscheidrmgstheoretisch ethischen Werte-rmd Normenvergewisserung innerhalb des Systematischen Neopragmatismus ...............................................................................

405

Rückblick..........................................................................................................

417

Literaturverzeichnis ...........................................................................................

441

Namenverzeichnis ....... .......... .... .. ........... ......... ..................... .............. .... ... .........

463

Sachverzeichnis ......... .............. ... ....... .............................. ....................... .. .........

467

Einleitung Folgt man kritischen Stimmen hinsichtlich der aktuellen Situation der Philosophie, so wird Philosophie nicht selten nur mehr als Ausformung einer spezifischen Expertenwissenschaft, als Ausdruck einer spezifisch elitärintellektuellen Diskursivität beschrieben, welche sich insbesondere dadurch auszeichnet, außerhalb der von den Protagonisten etablierten Sprachspiele unverständlich zu sein und lediglich einem Selbstzweck hinsichtlich selbstproduzierter Folgeprobleme zu genügen. Neben einer manchmal narzißtisch anmutenden Selbstzentriertheil philosophischer Diskurse und einem Verlust an einer die Gegenwartsprobleme aufgreifender Streitkultur, die auch die Kritik der Öffentlichkeit nicht scheut, resultiert dieses Urteil insbesondere auch aus der spezifisch aktuellen Situation, d.h. aus der gegenwärtigen immanenten Befindlichkeit philosophischer Diskursivität, welche sich, trotz der in Teilbereichen zu beobachtenden Annäherung, durch eine nach wie vor bestehende starke Polarisierung zwischen hermeneutisch, historisch und philologisch orientiertem Verständnis auf der einen Seite, und einer an die formalen und empirisch orientierten Wissenschaftsdisziplinen sich anlehnenden analytischen und empirischen Philosophie (Logischer Rationalismus und Logischer Empirismus) auf der anderen Seite charakterisieren läßt. Demnach befmdet man sich in jenem Konflikt, zum einen mit einer Pluralität der Diskurse konfrontiert zu sein, welchen zum anderen, aufgrund eines in weiten Teilen der analytischen und empirischen Philosophie nach wie vor bestehenden Methodenmonismus, ein methodologisch scheinbar begründeter Geltungsanspruch hinsichtlich der Erkenntnisgebilde gegenübersteht. Wie diese Arbeit jedoch zu belegen versucht, ist diese Polarisierung nicht zwingend, vielmehr verweist sie auf die Aufnahme eines interdisziplinären Diskurses. Diese diskursive Pluralität unterstreicht sodann jedoch die Notwendigkeit von Wahlentscheidungen, Entscheidungen, welche wiederum einer Rechtfertigung bedürfen, die nur in Form einer Explikation und Transparenz hinsichtlich der Auswahl und Gewichtung der dargestellten Diskurse erfolgen kann. Im Hinblick auf diese vom Autor als notwendig erachtete Transparenz philosophischer Diskurse bedarf es demgemäß auch einer Offenlegung jener Erkenntnisintentionen, die die Wahl dieser spezifischen Thematik und der innerhalb dieser Arbeit dargelegten speziellen Analysen bestimmen. Drei Ebenen können in diesem Zusammenhang benannt werden: (1) Zum einen ist ein spezifisches Forschungsinteresse als ursächlich anzusehen. Demnach wird eine Fortführung der bereits in den 60er und 70er Jahren dieses Jahrhunderts

Einleitung

12

erfolgten Arbeiten zur Thematik des Modellbegriffs angestrebt, welche sich aufgrund der seit diesem ersten Forschungshöhepunkt vollzogenen Entwicklungen (diachrone Betrachtungsweise der Theoriengenese, Soziologisierung der Erkennulisgebilde) innerhalb der analytischen Philosophie als notwendig erweist. Insbesondere aber die immer stärker werdenden Pragmatisierungstendenzen innerhalb der analytischen Philosophie unterstreichen die Notwendigkeit, diese Entwicklungen mitzuverfolgen, da auch für das allgemeine Philosophieverständnis wichtige Implikationen mit diesen Tendenzen verbunden sind. (2) Als ein weiteres Moment können die aktuellen Diskussionen hinsichtlich eines diese Kultur möglicherweise betreffenden Paradigmenwechsels, folgt man zumindest den Ausführungen Lyotards (1986), zu einer postmodernen Kultur identifiziert werden. Diese Entwicklung betrifft insbesondere das dieser Kultur zugrundeliegende Erkenntnis- bzw. Wissenschaftskonzept 1 , sie hat aber auch weitreichende Auswirkungen auf die bestehenden sozialen Strukturen moderner Gesellschaftssysteme wie auch für das Individuum. In diesem Zusammenhang wird aber nicht nur ein Legitimationsproblem hinsichtlich der szientistischen Spielregeln, d.h. hinsichtlich der verwendeten Sprach- und Handlungsspiele identifiziert, vielmehr wird eine allgemeine Delegitimierung hinsichtlich der innerhalb der traditionellen Philosophie und dieser Kultur bestehenden Metaerzählungen2 konstatiert, welche zu einer anderen Art von Legitimierung in Form einer Performativität3 , somit zum Problem der Legitimation des gesamten abendländischen Epistemologiekonzeptes führt. (3) Das dritte den Erkenntnisintentionen des Autors zugrundeliegende Moment ist in der Frage nach der Relation von wissenschaftlicher Rationalität und Kultur, Kultur im Sinne einer Pluralität von Lebensformen gedeutet, identifizierbar. Diese Fragestellung resultiert insbesondere aus dem heute bestehenden Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Momenten, denn zum einen ist man innerhalb hochindustrialisierter Gesellschaftsformen mit einer Kultur konfrontiert, die in einem immer größeren Umfang von einer spezifischen, d.h. wissenschaftlich-technokratischen Rationalität strukturiert und normiert wird, wohingegen man es auf der anderen Seite mit einer Ausformung dieser szientistisch-technokratischen Rationalität zu tun hat, welche sowohl immanent mit Legitimations-, Begründungs- und Geltungsproblemen beschäftigt ist, als auch auf einer Operationalisierungsebene das Mißtrauen gegenüber ihr, aufgrund der von ihr mitverursachten und von einer Aneignungsideologie getragenen Zerstörung ökologischer Lebensräume, im Anwachsen begriffen ist.

1

Vgl. m. J. -F. Lyotard: Das postmoderne Wissen, 1986, S.l9.

2

Vgl. m. Anmk. I, S. ll2ff.

3

Vgl. m. Anmk. 1, S.l23ff.

Einleitung

13

Kehren wir zunächst zu dem spezifisch modelltheoretischen Forschungsinteresse zurück, so gestattet ein kurzer Rekurs der zugrundeliegenden Forschungsgeschichte schon eine differenziertere Analyse dieser Erkenntnisintentionen. Ein wesentlicher Forschungsbereich modelltheoretischer Analysen ist dabei insbesondere innerhalb der Mathematik und Logik in Form der formalsemantischen Modelltheorie identifizierbar. Es handelt sich dabei zwar um die Thematisierung spezifischer Grundlagen- bzw. Begründungsprobleme innerhalb der Mathematik, jedoch beinhalten sie auch für explizit philosophische Diskurse weitreichende Implikationen, etwa was den Status von Sprache innerhalb der Relation von Universal- und Idealsprache, die ihr zugrundeliegenden Denotations- und Konnotationsmomente, aber auch den innerhalb wissenschaftlicher Sprachspiele notwendigen Rekurs auf ein Geltungsvokabular (Wahrheits-, Referenz- und Synonymitätsbegriff) betrifft. Als ein weiterer Forschungsschwerpunkt können die Adaptionsversuche des formalsemantischen Modellbegriffs innerhalb der empirisch orientierten Wissenschaftsdisziplinen, insbesondere der Physik, genannt werden. Die Ursachen für diese Adaption sind zum einen in dem Erfolg der lnstrumentalisierung formaler Ausdruckssysteme für physikalische Anwendungen zu identifizieren, sie beruhen zum anderen jedoch auch auf einer engen kulturell bedingten Interdependenzrelation zwischen Mathematik und dem neuzeitlich-abendländischen Naturwissenschaftsparadigma, was wiederum als Ausdruck der Übernahme eines Teils eines seit der Antike bestehenden Wissenschafts- und Rationalitätsideals in Form mathematischer und logischer Methoden zu werten ist. Diese Orientierung an diesem Rationalitätsideal ist schon innerhalb Platons noch am Eleatismus sich orientierenden 'Timaios' identifizierbar4, wenn etwa der KOO"j.LO~ VO'fl'tO~ durch vou~ und A.oyo~ bestimmt wird, wobei die Hypothese naheliegt, daß letztere Bestimmung auch auf Parmenides These5 der Identität von Sein und Denken zurückgeht. Die Bevorzugung der Mathematik als ideale Erkenntnismethode ist dabei insbesondere in jener Vorstellung begründet, daß das reinste Denken, da es unabhänig von der Sinnlichkeit vollwgen wird, in Form mathematischer Methoden zum Ausdruck kommt, woraus in Adaption der These von Parmenides gefolgert werden kann, daß das mathematische Denken das (reine) Sein zu ergründen vermag. Mit diesem Verständnis ist aber auch ein starkes Mißtrauen gegenüber der sinnlichen Erfahrung verbunden, ein Mißtrauen, daß auch noch in dem mit der Renaissance sich konstituierenden abendländisch-neuzeitlichen Wissenschaftsparadigma zum Ausdruck kommt, denn trotz der in dieser Kulturepoche zumindest in Teilbereichen erfolgenden Rehabilitation des sinnlich Seienden, im Sinne einer systematischen Erforschung der Naturphänomene mittels

4

Vgl. m. Platon: Timaios, 37b f.; vgl.a.m. dem folgenden Kapitell.l.

5 Vgl. m. Parmenides: Fragment 5; in: W. Nestle (Hrsg.): Die Vorsokratiker, S.ll6.

Einleitung

14

der Empirie in Form von Experimenten, bleibt dennoch weiterhin ein Mißtrauen gegenüber der Sinnlichkeit bestehen, indem diesem Mißtrauen mittels der Mathematisierung der Empirie begegnet werden soll. In diesem Sinne identifiziert auch A. Koyre' 6 das zentrale Moment für die Genese des neuzeitlich-abendländischen Wissenschaftskonzeptes nicht vordergründig in der Rehabilitation der Empirie, sondern versteht den Versuch einer umfassenden Mathematisierung der Empirie als den wesentlichen Impuls für die Entwicklung dieses Wissenschaftsparadigmas. Gleichgültig, wie man vorerst auch immer die Relation der beiden Momente Empirie und Mathematik für die Entwicklung dieses abendländischen Wissenschaftskonzepts differenziert bestimmen mag, so kann schon festgehalten werden, daß die Mathematisierung der Empirie ein entscheidendes Charakteristikum für das neuzeitliche Epistemologie- und Rationalitätskonzept darstellt. Diese Ausführungen erweisen sich jedoch nicht nur hinsichtlich der Genese des diese Kultur insbesondere heute so bestimmenden Wissenschaftsparadigmas als relevant, sie gewähren vielmehr auch einen Einblick in eine mit dieser Entwicklung verbundene Konstitution eines spezifischen anthropologischen Verständnisses, denn auch der Mensch, nunmehr auch als ein empirisches 'Objekt' verfügbar, wurde diesem Rationalitätskonzept unterworfen, indem zum einen die Strukturen und Regeln des (humanen) Denkens auch als Regeln eines formalen Kalküls interpretierbar sein sollten, wobei neben Hobbes und Descartes insbesondere auch auf Leibniz verwiesen werden muß, der, folgt man den Ausführungen in Kapitel II, den modernen Modellbegriff im Rahmen des Konstitutionsentwurfes eines allgemeinen Logiksystems schon vorwegnahm, und indem zum anderen auch eine Instrumentalisierung und formale Operationalisierung humaner Vernunft erfolgte, wenn etwa im Materialismus des 18. Jahrhunderts versucht wurde, humane Intelligenzleistung mittels 'intelligenter' mechanischer Maschinen zu maschinalisieren.? Diese Intention einer Maschinalisierung humaner Intelligenzleistungen hat eine direkte Fortsetzung innerhalb der Mitte dieses Jahrhunderts einsetzenden Kybernetikbewegung gefunden, wobei insbesondere die Informatik und die nicht-klassische Maschinentheorie in Form heutiger Computertechnologie immer weiter, auch in die elementarsten Lebensbereiche vordringt. Jedoch werden nicht nur auf der Ebene technischer Konstrukte informationstechnologische Strukturen in lebensweltliche Bereiche transferiert, vielmehr hat auch die Intention der Maschinalisierung humaner Vernunft mit der Entwicklung 6 Vgl. m. A . Koyre ': Galilei, 1988, S.26ff.. Hinsichtlich dieses thematischen Zusammenhanges betont Koyre' (1988) insbesondere auch die große Nähe zwischen Platon und Galilei, wenn er im Hinblick auf Galilei etwa ausführt: "Die neue Wissenschaft gilt ihm als experimenteller Beweis der platonischen Lehre."(ebd., S.51). 7

Vgl. m. den Ausführungen im folgenden Kapitel 11.2.

Einleitung

15

moderner Computertechnologien, in Form der Forschungen zur 'Künstlichen Intelligenz', in der Gegenwart eine direkte Fortsetzung gefunden.& In diesem Zusammenhang muß jedoch immer wieder daraufhingewiesen werden, daß es sich bei Computern stets um technisch operationalisierte Konstrukte einer spezifischen Algorithmentheorie handelt, so daß aufgrund des gelungenen technischen Konstrukts noch keineswegs geklärt ist, inwieweit eine Transferierung der formal-symbolischen Algorithmen auf den empirischen Phänomenbereich überhaupt einen Geltungsanspruch formulieren kann. Würde man den symbolisch-algorithmischen Ausdruckskonstrukten des Computers einen ontischen Status zubilligen, eine Position, die aufgrund der Ausführungen in Kapitel II von mir nicht geteilt wird, so könnte geschlossen werden, daß sich, wenn eine spezifische Algorithmenstruktur ein Abbild (Modell) der Welt (Original) repräsentiert, in und mittels der Maschine eine Konstitution von Welt vollziehen würde. 9 Im Hinblick auf die rechnergestützte Simu8 Insbesondere die Anwendung der Arithmetik wurde als originäre Fähigkeit humaner Vernunft gedeutet, eine Fähigkeit, die jedoch mit der Erfmdung mechanischer Rechner maschinalisiert werden konnte, so daß es möglich schien, die gesamten humanen Vernunftleistungen mittels Rechenmaschine zu maschinalisieren. Die Entwicklung von Rechenmaschinen bis zum heutigen Computer kann durch folgende Schritte skizziert werden: Ausgehend von der Idee der Logarithmen veröffentl.1544 des Theologen und Mathematikers M. Stiefel, über ihre Anwendung durch den Schweizer Uhrmacher und Astronom J. Bürgi (ca.1588), ihre systematische Darstellung durch den schottischen Theologen Lord J. Napier (Mirfici Logarithmorum canonis descriptio', Edinburgh 1614) und seine Erfindung der 'Nepersehen Rechenstäbchen' (1617) wurden die Grundlagen für die Entwicklung mechanischer Rechner gelegt, die es schließlich dem Tübinger Theologen und Mathematiker Wilhelm Schickard (1592-1635) auch gestatteten, die Nepersehe Erfindung in Form einer mechanischen Zwei-Spezies-Rechenmaschine zu veJbessem. Insbesondere das 17. Jahrhundert trug entscheidend, besonders was die mathematischen (Vgl. m. Kap.II.2 zum Kalkülbegriff) und mechanischen Grundlagen betrifft, zur Entwicklung moderner Computer bei. Neben B. Pascals Erfmdung seiner Rechenmaschine Pascaline' (1642) ist A. Kirebers Erfindung der 'Mathematischen Orgel' und C. Schotts 'Organmn Mathematicum' (1688) hervorzuheben, wobei G. W. Leibttiz, trotz noch bestehender Schwierigkeiten, besonders die Entwicklung einer wirklichen Vier-Spezies-Rechenmaschine (Staffelwalzerunaschine, Idee des Dualsystems) entscheidend voranbrachte, so daß es dem Württemberger Ph. M. Hahn 1744 gelang, eine korrekt arbeitende Vier-Spezies-Rechenmaschine zu bauen. Für die Entwicklung moderner Analog- u. Digitalcomputer fehlte noch das Konzept einer Programm- und Datenspeicherung, wobei die durch ein Lochband programmgesteuerten Wehstühle des J. M. Jacquard einen wichtigen Entwicklungsschritt marlderen. Die am weitesten fortgeschrittene Technologie von Rechenmaschinen im 19. Jahrhundert repräsentiert die von Ch. Babbage 1832 konstruierte 'Erste Differenziermaschine', wobei die Realisation der EntWÜrfe progranungesteuerter Großrechenanlagen an den eingeschränkten technischen Möglichkeiten scheiterten. Neben Ada Lovelace muß auch G. Boole zu den mathematischen Pionieren für moderne Rechnerarchitekturen gezählt werden, wobei insbesondere A. M. Turing (1936) und A. Church (1936) wichtige Einblicke in die mathematischen Grundlagen zu verdanken sind. 1934 entwickelte K. Zuse schließlich den ersten modernen Computer, wobei es sich bei heutigen Computern fast ausschließlich um digitale J. v. Neumann Registermaschinen handelt, die dank der technisch weit fortgeschrittenen Miniaturisierung sehr flexible Einsatzmöglichkeit bieten. In jüngster Zeit sind neben sequentiellen 'nmnber crunchem' besonders parallele Rechnerarchitekturen und 'neuronale Netze' hervorzuheben.

9 In diesem Zusammenhang müssen insbesondere die Fortschritte hinsichtlich der Simulation des visuellen empirischen Phänomenbereichs mittels Computer, d.h. mittels mathematischer Modeliierungen genannt werden, wobei besonders eine engere Anhindung von Benutzer und Computer angestrebt wird. Diese Entwicklungen werden besonders in den als 'Cyberspace' bekannten Simulationsmodellen

16

Einleinmg

lation humaner Vernunftleistungen hätte dies eine Kalkülisierung bzw. eine Algorithmisierung dieses spezifischen (humanen) Leistungspotentials zur Folge, so daß der Computer als ein formales Modell humaner Intelligenz gedeutet werden könnte. Die Schwierigkeiten, die einer erfolgreichen Realisation dieser Intention entgegenstehen, sind aber bereits auf einer operationalen als auch theoretischen Ebene deutlich zu Tage getreten 10 , so daß forschungsstrategisch in der Mehrzahl der Ansätze nicht mehr eine eineindeutig (isomorph) ontische Relation zwischen Algorithmus (Modell) und humaner Intelligenz (Original) unterstellt wird, sondern indem ein 'Als-ob' der Relation, im Sinne von Analogiemodellen, propagiert wird. Es handelt sich demnach um eine Anthropomorphisierung der Maschine, welche jedoch aufgrund der notwendig kritischen Anmerkungen hinsichtlich der Geltung von Analogiemodellen, wie die weiteren Ausführungen in Kapitel II darlegen, zurückzuweisen ist. Demnach kann festgehalten werden, daß die Computerisierung der Lebenswelt als Ausdruck eines weiteren Versuchs einer umfassenden Mathematisierung der Welt zu werten ist, ein Versuch, der in Form des Konstrukts Computer lediglich einen vorläufig letzten Höhepunkt darstellt Die Mathematisierung der Empirie, d.h. der Glaube an eine umfassende Mathematisierbarkeit der Welt, impliziert aber auch die Vorstellung, durch die Übernahme des mathematischen Instrumentariums die immanente Exaktheit und Sicherheit dieser formalen Methoden für eine umfassende Kontrollierbarkeits- und Machbarkeilsvorstellung nutzen zu können. Dieses Moment der Kontrollierbarkeit hat insbesondere in der neuzeitlichen Techni.kentwicklung, aufgrund einer spezifischen heuristisch-operativen Qualität hinsichtlich spezifischer Erkenntnisintentionen, einen weiteren Höhepunkt in der Gegenwart erreicht, eine Entwicklung, die auch einer humanen Alleignungsideologie gegenüber der Welt Vorschub leistete. Aus diesen skizzenhaften Einleitungsgedanken wird deutlich, daß es sich bei dem neuzeitlichen Versuch einer umfassenden Mathematisierung des empirischen Phänomenbereichs auch um ein spezifisches Charakteristikum des abendländischen Rationalitäts- und Wissenschaftsverständnisses handelt, ein Verständnis, welches mittels der historischen als auch systematischen Analyse des Modellbegriffs differenziert veranschaulicht werden kann und interessante Einblicksmöglichkeiten hinsichtlich der historischen als auch zukünftigen Genese dieses Wissenschaftsparadigmas gestattet. deutlich, wo über spezielle Brillen und Handschuhe eine direkte Schnittstelle zwischen Mensch und Computersimulationen gegeben ist, so daß der Benutzer direkt (Echtzeit) in die Dynamik der Simulation (virtuelle Wirklichkeit') eingreifen kann. Man kann in diesem Zusammenhang m.E. auch in Anlehnung an A. Baruzzi (Mensch Wld Maschine, 1973, S.77) von einer spezifischen Spannung zwischen einer Modellrealität und einem Realitätsmodell sprechen, eine Spannung, die uns an späterer Stelle dieser Arbeit noch beschäftigen wird. 10 Als eine kleine Auswahl von Kritikern an der Al-Forschung seien lediglich H. L. Dreyfus (1985), R. Penrose (1989) und J. Weizenbaum (1978) in diesem Zusammenhang genannt.

Einleitung

17

Wenn in den Ausführungen zuvor von einem Rationalitätsideal die Sprache war, so könnte leicht der Eindruck gewonnen werden, als würde es sich bei dem abendländischen Wissenschaftskonzept um ein homogenes Gebilde handeln. Daß das Gegenteil der Fall ist, wurde bereits zu Beginn dieses Kapitels im Zusammenhang mit der Darlegung der Erkenntnisintentionen formuliert, denn in neueren Diskussionen können folgenreiche Entwicklungen beobachtet werden, die insbesondere eine Legalisierung einer Pluralität der Diskurse zur Folge haben. Diese Pluralität muß im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen auch auf der Ebene der neuzeitlich-naturwissenschaftlichen Erkenntniskonzepte konstatiert werden, wobei bis in jüngster Zeit das zentrale Interesse nach wie vor darin bestand, wie die Ausführungen in Kapitel III noch belegen werden, in Vermittlung über eine allgemeine Übereinkunft hinsichtlich eines normativ-allgemeingültigen Methodenbegriffs eine Legitimation hinsichtlich dieser Erkenntnisform zu erlangen. Eine wesentliche Kennzeichnung des neuzeitlich-abendländischen Wissenschaftskonzepts kann demnach auch im Sinne einer starken Orientierung am Methodenbegriff bzw. am methodisch strukturierten Vorgehen identifiziert werden, ein Vorgehen, welches Heidegger etwa als ein 'nachstellend-sicherstellendes Vorgehen' hinsichtlich einer unterstellten Gegenständigkeil der Natur charakterisiert. 11 Folgt man den Ausführungen in Kapitel III dieser Arbeit, so kommt die zentrale Ausrichtung an einem methodischen Vorgehen auch in der Genese des Experiments als ein zentrales Instrument dieses Erkenntnisparadigmas zur Aneignung von Welt zum Ausdruck, indem innerhalb dieses Vorgehens insbesondere die Entwicklung der Meßphysik von zentraler Bedeutung ist. Hinter dieser Entwicklung der Meßphysik verbergen sich jedoch zwei weitere wichtige Momente, indem zum einen, wie zuvor schon erwähnt wurde, eine Operationalisierung des mathematischen Instrumentariums hinsichtlich der Empirie, d.h. eine Meßbarkeit der Empirie unterstellt wird, was zum anderen aber auch bedeutet, daß Natur bzw. Empirie als bloßer Gegenstand (Gegenständigkeit) vorgestellt wird, den man mittels dieser Methode 'dingfest' machen will und hinsichtlich einer notwendigen Kontingenzbewältigung auch operationalisierbar gestalten muß. Man kann somit auch in Anlehnung an Heidegger von einer Reduktion auf ein 'berechnendes Denken' 12 sprechen, als auch mit diesem Vorgehen eine Normierung der Empirie verbunden ist, indem eine Ausgrenzung jener Bereiche des empirischen Phänomenbereichs erfolgt, die sich nicht mittels des spezifischen Methodeninstrumentariums erschließen lassen. Auch ich stimme

11

Vgl. m. M . Heidegger: Wissenschaft und Besinnung, 19673 , S.50.

12

So führt Heidegger (1967) etwa aus: "Das nachstellend-sicherstellende Verfahren aller Theorie des Wirklichen ist ein Berechnen." (Vgl. m. Anmk. 11, S.SO); oder an einer späteren Stelle: "Die Physik mag die allgemeinste und durchgänige Gesetzlichkeit der Natur aus der Identität von Materie und Energie vorstellen, dieses physikalisch Vorgestellte ist zwar die Natur selbst, jedoch unweigerlich nur die Natur als das Gegenstandsgebiet, dessen Gegenständigkeil sich erst durch die physikalische Bearbeitung bestimmt und in ihr eigens erstellt wird." (ebd., S.54). 2 Wemecke

Einleitung

18

mit Heidegger darin überein, wenn er nach der Legitimation für ein solches Vorgehen fragt: "Woher nehmen die Wissenschaften das Recht, den Standort des Menschen zu bestimmen und sich als den Maßstab solcher Bestimmung anzusetzen?" 13 Versucht man eine Antwort auf diese Frage nach der Legitimation auf immanent wissenschaftlicher Ebene, so muß konstatiert werden, daß sich sowohl der Rationalitätsbegriff innerhalb dieser Wissenschaftlergemeinschaft einer allgemeinen Übereinkunft entzieht, als auch der Logische Rekonstruktivismus und Logische Empirismus, folgt man den Ausführungen in Kapitel III, es nicht vermag, das Fundament empirischer Wissenschaft methodologisch-normativ zu sichern. Diese Entwicklungen können aber auch innerhalb von nicht explizit als wissenschaftstheoretisch gekennzeichneten Diskursen der Gegenwartsphilosophie identifiziert werden, indem zum einen ein faktischer Bestand unterschiedlichster philosophischer Diskurse zu konstatieren ist und zum anderen bereits eine explizite Thematisierung der Anerkennung unterschiedlichster Rationalitätsmodelle vollzogen wird. 14 Diese Entwicklungen auch innerhalb der Gegenwartsphilosophie, das in großen Bereichen zu beobachtende Abrücken von der Idee einer Einheit der Rationalität unter gleichzeitiger Anerkennung eines wissenschaftlichen Toleranzprinzips, als Ausdruck der Anerkennung unterschiedlicher Rationalitätsmodelle, ist wohl selbst auch als Ausdruck eines weit verbreiteten Zweifels an der Verläßlichkeit der Rationalität im Sinne eines vernünftigen Handeins innerhalb rationaler wissenschaftlicher Praxis zu werten. Aber auch explizit nur auf eine Diskursivität ausgerichteten philosophischen Diskursen haftet die Schwierigkeit an, sowohl innerhalb ihrer eigenen Immanenz die zur Anwendung gelangenden Rationalitätsstandards, aufgrund ihres stets autoreflexiven (selbst- und rückbezüglichen) Charakters, nicht begründen zu können, als auch eine Faktizität einer Pluralität von unterschiedlichen philosophisch rationalen Diskursen zu konstatieren ist, Rationalitätsmodelle, die sich nicht selten gegenseitig ausschließen. Auf einer empirisch-operativen Ebene mag sich hinter dieser Entwicklung die spezifische Erfahrung der Gegenwart von zwar (wissenschaftlich-immanent) rationalen, aber oft nur mehr schwer als auch vernünftig klassifizierbaren Strukturen wissenschaftlicher Praxis verbergen, wenn etwa wissenschaftlich-technische Konstrukte die potentielle Gefährdung großer Bevölkerungsgruppen miteinbeziehen, d.h. wenn die immanente Rationalität des funktionalen Konstrukts verabsolutiert wird. In der Tat lassen diese Erfahrungen Zweifel an der Rationalität dieser Rationalitätsform als berechtigt erscheinen, wenn wohl auch dem 'Zeitgeist' hinsichtlich der These der Irrationalität der Rationalität ein besonderer Tribut gezollt wird. Insbesondere letztere These scheint zwar einen klassischen Wi13

Vgl. m. M . Heitkgger: Was heißt Denken, 1971 3 , S.18.

14

Vgl. z.B. m. H . Spinner: Pluralismus als Erlcenntnismodell, 1974.

Einleitung

19

derspruch zu beinhalten, da sich auch hinter dem Vorwurf der Irrationalität der Rationalität ein Entwurf von Rationalität verbirgt, jedoch verweist diese These noch auf einen weiteren, zu Beginn dieses Kapitels schon angedeuteten Zusammenhang, indem eine sozial bestimmte Partikularisation und Normierung von spezifischen Rationalitätsstandards, z.B. in Vermittlung über eine spezifische Wissenschaftlergemeinschaft, vollwgen wird. Diese Entwicklungen können demnach als Ausdruck eines mittlerweile weit verbreiteten, zu tiefstvon einer Skepsis geprägten Verhältnisses gegenüber einer technologisch geprägten Rationalität selbst gewertet werden, ein Verhältnis, welches insbesondere in einem Gegensatz zu einer nach eigenem Selbstverständnis zu tiefst rational geprägten hochindustrialisierten Gesellschaft und Kultur steht. Stimmt man dieser Zeitdiagnose zu, so folgt als einzig mögliche Schlußfolgerungen keinesfalls, daß diese Kultur mit einem selbstverschuldeten und gescheiterten Experiment eines spezifischen Rationalitätskonzepts, welches es zu überwinden gilt, konfrontiert ist, vielmehr kann diese Beschreibung auch als Ausdruck eines noch bestehenden Defizits an Rationalität gewertet werden, welches somit durch eine Zunahme rationaler Vorgehensweisen vermindert werden muß. Der Versuch einer Beantwortung dieser Fragen führt hinsichtlich der Problemgenese unvermeidbar zum Problem technischer Rationalität zurück, denn der moderne Rationalitätsbegriff wurde von der Technik für eine weitestgehend technokratisch strukturierte Gesellschaft vereinnahmt, wodurch Technik zum Synonym für eine anscheinend vollständig empirisch operationalisierbare Rationalität mutierte. 15 Mit dieser Entwicklung war aber noch eine weitere Reduktion verbunden, indem die Reduzierung von Rationalität auf eine technische Herstellungspraxis auch die Trennung von einem zuvor als wesentlich erachteten Teil der Rationalität vollwg. Denn Rationalität in Form einer durch Technik operationalisierten Praxis brauchte nicht mehr, so hatte es zumindest den Anschein, auch noch hinsichtlich einer humanen Lebenspraxis, von einer Reproduktionsvernunft abgesehen, vernünftig zu sein, es genügte, die durch Technik bestimmten eigenen vernünftigen Kriterien der Herstellharkeil und Reproduzierbarkeil zu erfüllen. Der Vorwurf der Irrationalität der Rationalität offenbart somit einen weiteren Zusammenhang, indem sich die Irrationalität der Rationalität, als Ausdruck ihrer eigenen Widervemünftigkeit, in Form der Ablehnung der Notwendigkeit einer der humanen Lebenspraxis entsprechenden vernünftigen Basis zeigt. Die am Anfang dieses Kapitels erfolgte Bestimmung der dieser Arbeit zugrundeliegenden Erkenntnisintentionen strukturiert auch den methodischen Aufbau dieser Arbeit, welcher zum einen in Form einer systematischen als 15 VgL zu diesem Absatz insb. m. R. Kötter: Zum Verhältnis von technischer und naturwissenschaftlicher Rationalität, 1987; u. J. Mittelstraß: Forschung, Begründung, Rekonstruktion, 1984.

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auch historischen Darstellung hinsichtlich der Genese des Modellbegriffs zum Ausdruck kommt und sich zum anderen durch das Aufgreifen der je spezifischen paradigmenimmanenten Argumentationsstrukturen charakterisieren läßt. Demnach folgt der methodische Aufbau insoweit den inhaltlichen Bestimmungen, als eine Entwicklung von der syntaktischen, über die semantische, zu einer pragmatischen Strukturierung epistemischer Erkennblisformen verfolgt wird. Dies bedeutet, daß dieser spezifisch neuzeitliche Entwurf eines Rationalitätskonzepts auf syntaktischer Ebene, ausgehend von den historischen Kalkülisierungsbestrebungen, bis zur Genese des die Gegenwart bestimmenden Logikverständnisses dargestellt wird, wobei, wie Kapitel II veranschaulicht, insbesondere schon die Darstellung der Grundlagenprobleme der Logik und Mathematik die semantische Ebene in Form des formalsemantischen Modellbegriffs erschließt. Die bereits erwähnte Übernahme dieses formalen Instrumentariums (formalsemantischer Modellbegrift) innerhalb der empirisch orientierten Wissenschaftsdisziplinen verdeutlicht das zweite wesentliche Moment des gegenwärtig bestimmenden Wissenschaftsparadigmas, welches sich insbesondere dadurch auszeichnet, eine umfassende Aneignung von Welt mittels einer formalsemantischen Deskription des empirischen Phänomenbereichs, in operativer Rückbindung an eine empirisch-experimentelle Validierung, zu vollziehen. Die Ausführungen in Kapitel III versuchen diesen Implikationen gerecht zu werden. Dabei beschreibt diese semantische Ebene auch den bereits erwähnten ersten Forschungshöhepunkt modelltheoretischer Analysen, welcher in den 60er und Anfang der 70er Jahre dieses Jahrhunderts zu identifizieren ist. Jedoch sind seit diesem ersten Schwerpunkt modelltheoretischer Analysen auch innerhalb der Wissenschaftstheorie folgenreiche Weiterentwicklungen zu beobachten, die insbesondere den zu Beginn innerhalb der analytischen Philosophie und im Logischen Empirismus vorherrschenden Optimismus mittlerweile gedämpft, wenn nicht gar ins Gegenteil verkehrt haben. Diese Entwicklungen führen schließlich zur dritten methodischen Ebene dieser Arbeit in Form der pragmatischen Strukturierung epistemischer Erkennbliskonstrukte. Insbesondere die Arbeiten Poppers verdeutlichen schon die Notwendigkeit weitreichender Einschränkungen hinsichtlich der Positionen des Logischen Empirismus und des 'Wiener-Kreises', Einschränkungen, die schließlich aufgrundder von Kuhn in den Mittelpunkt gerückten Historisierung und Soziologisierung wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisgehalte, einschließlich der Radikalisierung durch Feyerabend, dazu führten, daß sich wissenschaftliche Erkenntnis nunmehr mit dem Stigma einer intellektuellen Anrüchigkeil in Form des Vorwurfs einer Irrationalität wissenschaftlicher Rationalität konfrontiert sah. Selbst diese kritische Position blieb natürlich nicht ohne Folgen für die Entwicklungen neuer Analyse- und Methodeninstrumente innerhalb des Paradigmas des Logischen Rekonstruktivismus, wie die folgenden Ausführungen hinsichtlich der informellen Modelltheorie des Non-statement-view belegen.

Einleitung

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Jedoch ist mit dieser Entwicklung auch eine umfassende Erschütterung des auch gegenwärtig oft noch dominanten, 'absolutistisch' orientierten neuzeitlichen Wissenschaftsverständnisses verbunden, Erschütterungen, die insbesondere die eingangs schon genannten Legitimations-, Begründungs- und Geltungsprobleme epistemischer Erkenntnisgebilde betreffen. Mit diesen Problemen sind des weiteren auch Schwierigkeiten hinsichtlich des traditionellen Ziels der Entwicklung einer allgemein nomothetischen Wissenschaftskonzeption verbunden, die zum einen die nomothetische Charakterisierung selbst betreffen, zum anderen aber auch, aufgrund der Schwierigkeiten hinsichtlich eines Methodenmonismus, die Relation der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen zueinander (etwa Geistes- vs. Naturwissenschaften) thematisieren müssen. Demnach bedarf es sowohl der Thematisierung der Frage, welcher Geltungsanspruch mit Gesetzesaussagen überhaupt in Verbindung gebracht werden kann (z.B. allgemeingültiger Anspruch hinsichtlich eines womöglich ontischen Referenzbereiches?), wie es auch notwendig ist zu fragen, ob eine Übertragung eines möglicherweise streng nomothetischen Charakters der Naturwissenschaften auf andere Wissenschaftsbereiche überhaupt sinnvoll ist. Vorausgreifend muß jedoch schon angemerkt werden, daß in den folgenden Ausführungen dieser Arbeit eine kritische Position gegenüber dem Versuch der Konzeption einer allgemeingültigen und nomothetisch strukturierten 'scientia universalis' eingenommen wird, wohingegen vielmehr, aufgrundder Schwierigkeiten innerhalb dieses Konzeptionsversuchs, die Notwendigkeit gesehen wird, ein alternatives, d.h. ein pragmatisch-semiotisches Erkenntniskonzept, in Anlehnung an Stachowiaks pragmatischen Modellismus, dem zuvor skizzierten traditionellen Erkenntniskonzept gegenüberstellen zu müssen. Die zuvor erfolgte direkte Bezugnahme auf ein pragmatisch-semiotisches Modellkonzept der Erkenntnis verdeutlicht zwei für dieses Arbeit in den weiteren Ausführungen noch zentral werdende Momente, in Form einer Pragmatisierung und semiotischen Deutung szientistischer Erkenntnisformen. Forschungshistorisch betrachtet, besteht in Rückbindung an Ch.S. Peirce eine enge Interdependenz dieser zwei Momente, wohingegen in der heutigen 'Forschungslandschaft' eine schärfere Differenzierung vollwgen wird, indem sich die Semiotik mittlerweile zu einer eigenständigen linguistischen Disziplin emanzipiert hat. Wenden wir uns zunächst dem Pragmatismus zu, so belegen die folgenden Ausführungen in Kapitel IV, daß eine umfassende Rehabilitation des Pragmatismus innerhalb der deutschsprachigen Philosophie notwendig ist, eine Rehabilitation, die insbesondere aufgrund der zu Beginn dieses Paradigmas durchaus als unkundig zu kennzeichnenden Rezeption notwendig ist.16 Insbesondere dieser Rezeption ist es wohl zuzuschreiben, daß der Pragmatismus in den negativen Ruf geriet, lediglich eine Ansammlung intellektueller Plattheiten bzw. Ausdruck eines naiven Funktionalismus und Instru16

Vgl. m. Einleitung von K. Oehier zu W. James: Der Pragmatismus, 1977, S.XXVlllf.

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mentalismus zu sein. Zu diesem Fehlurteil hat wohl auch die innerhalb des Pragmatismus formulierte kritische bis ablehnende Position gegenüber dem die Philosophie bis zu diesem Paradigma bestimmenden Begrtindungskonzept beigetragen, die etwa auch in der spezifisch pragmatischen Konzeption des Wahrheitsbegriffs zum Ausdruck kommt. Innerhalb des klassischen Pragmatismus rückt nunmehr, in Vermittlung über die zentrale Thematisierung von Handlungen, das Erkenntnissubjekt und die soziale Dimension von Erkenntnisgebilden in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses, eine Dimension, die somit auch die Einbeziehung einer die sozialen Folgen der Anwendung dieser Erkenntnisgebilde berücksichtigenden Analyse, somit eine ethische Fragestellungen aufgreifende 'Nutzenanalyse' impliziert. Im Vordergrund steht somit auch die Intention, einen Ausgleich zwischen den beiden Momenten Erkennen und Handeln, zwischen Theorie und Praxis anzustreben. Demnach impliziert diese pragmatische Konzeption aber auch weitreichende Folgen für wissenschaftliche Erkenntnisgebilde, denn es wird nicht vordergründig die Konstitution eines theoretischen Wissens als Primat, welches unterstellt, ein Handeln erst begrunden zu können, angestrebt, vielmehr wird die finale und utilitaristische Bindung von praktischer Erkenntnis thematisiert. Der Pragmatismus ist demnach auch nicht an der Reduktion auf einen lediglich kontemplativtheoretisch erschlossenen Wahrheitsbegriff interessiert, sondern 'prozessualisiert' ihn im Hinblick auf einen konkreten Erkenntnisprozeß. Insbesondere der von H. Stachowiak konzipierte pragmatische Modellismus und seine Fortführung in Form des Systematischen Neopragmatismus veranschaulichen, wie Kapitel IV darlegt, die fruchtbare Adaption und Weiterentwicklung klassisch-pragmatischer Positionen, wobei neben pragmatisch-semiotischen Überlegungen insbesondere auch ursprünglich vom Logischen Empirismus geprägte modelltheoretische Analysen miteinbezogen werden. Versucht man zentrale Implikationen dieses Paradigmas pointiert zu charakterisieren, so können die folgenden vier Implikationen dargelegt werden: (I) Ablehnung des traditionellen Erkenntniskonzeptes, welches auf ein hinreichendes und durch Notwendigkeit ausgezeichnetes Wissen abzielt. (Jedoch Beibehaltung eines rationalen Rechtfertigungsdiskurses und konsistenter empirisch-operativer Handlungen.) (2) Liberalität hinsichtlich des zu verwendenden Erkenntnis- und Methodeninstrumentariums. (3) Berücksichtigung interner und externer interdisziplinärer Forschung. (4) Thematisierung des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft sowohl hinsichtlich des Versuchs der Operationalisierung und lnstrumentalisierung von wissenschaftlichen Erkenntniskonstrukten innerhalb gesellschaftlicher Bedingungsgefüge und Prozesse als auch hinsichtlich der Frage nach der Notwendigkeit und Möglichkeit der Einbeziehung einer wissenschaftsinternen und politischen Ethik. Die zentrale Thematisierung pragmatischer Problemstellungen innerhalb des Systematischen Neopragmatismus führt demnach auch über explizit wissenschaftstheoretische Analysen hinaus, indem nicht nur die Bindung von

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Wissenschaft an spezifische, auch gesellschaftlich-kulturelle Normen, sondern auch das Problem der Verantwortung innerhalb von Wissenschaft für die von ihr konzipierten Erkenntnisgebilde problematisiert wird. Es erfolgt somit eine Einbeziehung sowohl soziologischer Problemstellungen, als auch eine Analyse normativer bzw. ethischer Diskurskontexte in Form der Problematisierung ethisch fundierter Entscheidungen aufgegriffen wird, welche im Sinne einer philosophisch fundierten Vernunft als Regulativ hinsichtlich des durch eine Aneignungsideologie geprägten neuzeitlich-wissenschaftlichen Verfügungswissens zur Anwendung gelangen sollen. Im Hinblick auf die diese soziologischen und ethischen Fragestellungen betreffenden Problemkontexte muß jedoch hinsichtlich der Ausführungen innerhalb dieser Arbeit angemerkt werden, daß aufgrund der notwendig thematischen Begrenzung nur eine skizzierte Darstellung erfolgen kann, denn selbst eine auch nur annäherungsweise der Komplexität ethischer Fragestellungen gerecht werdend wollende Darstellung würde schon eine eigene umfassende Monographie erfordern. Die in Kapitel IV im Zusammenhang mit dem Systematischen Neopragmatismus erfolgenden kurzen Ausführungen hinsichtlich dieses spezifischen Themenkomplexes sind demnach einem systematischen Erkenntnisinteresse zuzuordnen, indem spezifische und als wichtig erachtete Entwicklungen innerhalb dieses Paradigmas nicht ausgegrenzt werden sollten. Jedoch muß im Hinblick auf diesen Diskurs auch vorausgreifend schon angemerkt werden, daß nicht nur eine paradigmenimmanente Notwendigkeit hinsichtlich der Einbeziehung ethischer Reflexionen besteht, vielmehr verdeutlicht der Systematische Neopragmatismus, daß ethische Diskursinhalte nicht erst a posteriori an Wissenschaft heranzutragen sind, sondern daß sie schon in die methodische Ausgangsbasis, die selbst schon das Erkenntnisinstrumentarium konstituiert, zu integrieren sind. Als ein weiteres zentrales Moment des methodischen Vorgehens dieser Arbeit wurde bereits der ausdrückliche Rekurs auf paradigmenimmanente Argumentationsstrukturen betont. Diese Intention beruht auf jenem Motiv, nicht von einer bereits als gesichert unterstellten Metaebene kritisch-reflexiver Diskursivität, welche die eigenen methodischen Prämissen und inhaltlichen Problemstellungen nicht hinterfragt, sondern lediglich voraussetzt, auszugehen, wonach die zu Beginn dieser Einleitung formulierte Notwendigkeit einer umfassenden Transparenz auch für das methodische Vorgehen dieser Arbeit eingelöst werden sollte. Die folgenden Analysen versuchen demnach eine Offenlegung der je spezifischen paradigmenimmanenten Erkenntnisintentionen, Motivstrukturen und Methoden, wobei insbesondere nach der immanenten Konsistenz, den enthaltenen Reduktionismen, aber auch nach dem spezifischen Verständnis des Zugangs zu und des Umgangs mit (Lebens-) Welt gefragt wird. Im Hinblick auf jene Intention, der stets gegebenen Gefahr einer Immunisation der formulierten Position entgegenzuwirken, sei des weiteren angemerkt, daß der Autor dieser Arbeit versucht, sich in 'ontologischer Sparsamkeit' zu üben, d.h. so lange als nur irgend möglich ohne ontologische

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(oder transzendentale) Implikationen auszukommen. Demnach versteht sich diese Arbeit auch ausdrücklich als ein philosophischer Diskurs, auch wenn der erste (zu oberflächliche) Eindruck darin bestehenden könnte, daß primär Probleme formaler und empirischer Wissenschaftsdisziplinen im Vordergrund stehen würden. Die zuvor dargestellten wissenschaftsimmanenten Begründungs- und Geltungsprobleme verweisen jedoch auch auf eine reflexive Metaebene, indem, um es mit dem Kantschen Vokabular zu formulieren, nach den Bedingungen derMöglichkeit von Erkenntnis überhaupt zu fragen ist, was bedeutet, daß man sich nunmehr innerhalb einer philosophischen Diskursivität bewegt. Insbesondere im Hinblick auf die innerhalb von explizit als wissenschaftstheoretisch ausgewiesenen Diskurskontexten thematisierten Begriffe wie Wahrheit, Wirklichkeit usw. muß demnach in Anlehnung an W. Baizer u. M. Heidelberger jedoch festgehalten werden: "Gleichgültig, wie man heute die Schlüssigkeil dieser früher gegebenen Argumente einschätzen mag, so ist es unbestreitbar, daß die damals 'gelösten' philosophischen Probleme de facto nicht verschwunden sind, sondern heute, in weitergeführtem und reinterpretiertem Gewande, in neuer Dringlichkeit gestellt werden."17 Neben dem Aufgreifen von Problemen innerhalb von Begründungs- und Ethikdiskussionen zeichnet sich diese Arbeit jedoch insbesondere auch dadurch als ein explizit philosophischer Diskurs aus, als sie eine spezifische heuristische Qualität philosophischer Reflexion in Form einer Korrektivfunktion identifiziert, welche eine Ideologiekritik insbesondere im Sinne einer aufklärerischen Intention verfolgt. Innerhalb dieses thematischen Zusammenhanges bedeutet dies, daß der folgende philosophische Diskurs die mittlerweile zu konstatierende kulturelle Dominanz der formal- und naturwissenschaftlichen Disziplinen auf Genese und Geltungsanspruch kritisch hinterfragt und demnach überall dort kritisch einzugreifen versucht, wo aufgrund von 'Pseudo-Objektivierungen' versucht wird, die Ambiguität der Welt zu unterschlagen, bzw. wo Reduktionismen als Objektivationen von Welt gedeutet werden. Trotz der zuvor ausgeführten inhaltlichen Parallelen zu Heideggerschen Denkinhalten besteht meine Intention, im Gegensatz zu Heidegger (1967), jedoch keineswegs darin, das Wesen der Wissenschaft bestimmen (denken?) zu wollen, indem dem 'Geheimnisvollen im Anwesen des Anwesenden', " ... da sich das Anwesen in die Gegenständigkeil des Wirklichen herausstellt ... " 18 , im Denken eine neue Zugangsmöglichkeit eröffnet werden soll. Die beiden Erkenntnisbereiche Wissenschaft und Philosophie werden von meiner Person vorerst lediglich, um das Sprachspiel Heideggers fortzuführen, als ein " ... bloßes Gernächte des Menschen ... " 19 gedeutet, wobei eine we-

17

Vgl. m. W . Ba/ur I M. Heidelberger: Einleitlmg, 1983, S 10.

18

Vgl. m. Anmk. 11, S.49.

19

Ebenda.

Einleitung

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sentliche Erkenntnisintention meiner Person darin besteht, hinsichtlich der umfassend historischen und systematischen Komplexität des Phänomens 'Wissenschaft' einen differenzierteren Zugang zu eröffnen. Es wird demnach, im Gegensatz zu Heidegger, keineswegs davon ausgegangen, daß hinsichtlich dieses thematischen Zusammenhanges ein 'größeres Geschick' 20 waltet, vielmehr versucht sich der Autor in Bescheidenheit zu üben, indem vorerst lediglich ein besseres Verständnis wissenschaftlichen Denkens angestrebt wird, bevor etwa die Unterstellung gewagt werden könnte, daß die Wissenschaft nicht denkt. 21 Kehren wir zur spezifischen Thematik dieser Arbeit zurück, so erhebt sich angesichts der dargelegten Probleme - auf der Ebene theoretischen Wissens in Form der Geltungs-, Legitimations- und Begründungsprobleme formaler und empirischer Erkenntniskonzepte als auch auf der Ebene operational orientierter Wissenschaft in Form der durch technische Konstrukte verursachten Katastrophen innerhalb der Technologien selbst, einschließlich des allgemeinen Lebensraumes Ökosystem Erde- jedoch die Frage nach den noch verbleibenden Möglichkeiten einer adäquaten humanen Kontingenzbewältigung innerhalb einer diese Kultur auch weiterhin normierenden Strukturierung menschlichen Denkens und Handeins durch Wissenschaft und Technik. Die folgenden Analysen sollen demnach keineswegs eine prinzipielle Wissenschaftsfeindlichkeit zum Ausdruck bringen, vielmehr muß wiederholt auf die bereits dargelegte Position des Autors hingewiesen werden, daß eine jedwede Ideologisierung in Form von Pseudo-Objektivierungen reduktionistischer Zugangsweisen sowohl hinsichtlich anthropologischer Konzepte als auch hinsichtlich von Welt zurückgewiesen werden muß. Die vom Autor vertretene Position folgt insoweit auch Adomos und Horkheimers in der 'Dialektik der Aufklärung' geäußerten Kritik22 , als sie sich gegen eine ausschließliche Verdinglichung der Natur und des Menschen wendet. Auch soll mit den folgenden Ausführungen nicht die Position eines umfassenden Kulturpessimismus zum Ausdruck gebracht werden, vielmehr wird die Anerkennung der Notwendigkeit eines kulturellen Pluralismus eingefordert, was somit auch zur Folge hat, sich gegen eine einseitige Normierung durch eine spezifisch epistemische Rationalität, bei aller auch von meiner Person zugestandenen Leistungsfähigkeit dieses Paradigmas im Hinblick auf spezifische Erkenntnisintentionen, zur Wehr setzen zu müssen. Im Mittelpunkt der Intentionen des Autors steht demnach das Motiv eines an der Oberfläche des Bewußtseins zu erhaltenden Verständnisses von Welt im Sinne einer Ambiguität, eine Intention, die jedoch in einem gewissen Gegensatz zu der wissenschaftlich-methodischen Zielsetzung in Form einer

20

Vgl. m. Anrnk. II, S.38.

21

Vgl. m. Anmkl3, S.4.

22

Vgl. m. Th . W. Adorno IM. Horlchei.mer: Dialektik der Aufldänmg, 1986, S.31f.

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Einleitung

Sprach- und Handlungsnormierung steht Dabei wird von meiner Person durchaus die Notwendigkeit anerkannt, sich innerhalb eines wissenschaftlichen Vorgehens in eine normierte und geschlossene, da methodisch bestimmte Struktur begeben zu müssen. Jedoch darf bei diesem Vorgehen nicht, folgt man den weiteren Ausführungen innerhalb dieser Arbeit, die Einbettung dieser Erkenntnisstrukturen in eine latent differente Totalität unterschlagen werden, d.h. der 'lediglich' modellistische Charakter von Erkenntniskonstrukten darf nicht verabsolutiert bzw. in jenem Sinne objektiviert werden, indem ihnen eine realistische Abbildungsfunktion zuerkannt wird. Diese Arbeit fragt demnach nach der Möglichkeit und Beschaffenheit 'adäquaterer' epistemischer Erkenntnisformen, welche es möglicherweise vermögen, die kritisierten Implikationen im Sinne einer anzustrebenden humanen Kontingenzbewältigung zu vermeiden. Abschließend sollte nicht unerwähnt bleiben, daß sich der Autor durchaus des begrenzten Geltungsanspruchs dieser Arbeit bewußt ist, indem diese Arbeit selbst nur den aktualisierten Stand eines spezifisch persönlichen Lernprozesses widerspiegelt. Die zuvor formulierten methodenkritischen Anforderungen gelten demnach auch für den spezifischen Diskurs dieser Arbeit, so daß eine möglichst umfassende Transparenz hinsichtlich der Argumentationsstrukturen angestrebt wurde, eine Intention, welche auch die Ausführungen der Formalisierungen bestimmt hat. Es ist demnach auch die Hoffnung des Autors, daß die aufgrund der dargelegten spezifischen Themenstellung und der Erkenntnisintentionen notwendig zu vollziehenden spezifischen Akzentunerungen sich nicht als Problemverfalschung erwiesen haben.

Erstes Kapitel

Zur Propädeutik des Modellbegriffs 1. Anmerkungen zur Geschichte des Modellbegriffs Die Darstellungen der zwei folgenden Kapitel kann einleitend schon vorweggenommen werden, daß der Modellbegriff eng mit einem Repräsentations(Bild, Symbol), Relationen- (Analogie, Ähnlichkeit, Struktur) und dem Funktionsbegriff verbunden ist. Demnach muß der Modellbegriff auch in einer engen Interdependenz zu den philosophiegeschichtlich tradierten Ideen-, Zeichen- und Bedeutungslehren diskutiert werden, wobei ein zumindest ansatzweise systematischer Gebrauch des Modellbegriffs erst innerhalb der jüngeren wissenschaftlichen Sprachpraxis nachweisbar ist. Aufgrund dieses großen Spektrums des Bedeutungsfeldes des Modellbegriffs könnte man den Anspruch an eine Begriffsexplikation des Modellbegriffs dahingehend bestimmen, daß das große Bedeutungsfeld sowohl innerhalb der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen als auch hinsichtlich eines gewissen verbreiteten Allgemeinverständnisses in Form einer verallgemeinemden Systematik erfaßt werden sollte. Diesem Anspruch, auch im Sinne einer 'Allgemeinen Modelltheorie' 1 , steht aber eine Sprachpraxis in beiden zuvor genannten Sprachbereichen gegenüber, die wenig von einer Systematik sowohl hinsichtlich der Funktionen als auch hinsichtlich eines allgemein anerkannten Bedeutungsfeldes gekennzeichnet ist. Notwendig erscheint demnach zunächst eine Begriffsexplikation, die die historischen und systematischen Differenzen und Gemeinsamkeiten des Modellbergriffs veranschaulicht. Als eine wesentliche Arbeitserleichterung für den Verfasser kann die Möglichkeit eines Rückgriffs auf bereits vorliegende Analysen gewertet werden, die für diese Arbeit eine entscheidende Orientierungsbasis darstellen. 2 Eine erste Annäherung an den 1 Vgl. m. dem gleichnamigen Standardwerk im Hinblick auf diesen Themenbereich von H . Stachowiak: Allgemeine Modelltheorie. 1973. 2 Neben den bereits erfolgten Literaturangaben sei noch auf die folgenden Autoren, die lediglich eine Auswahl darstellen, verwiesen: L. Apostel: Toward the formal Study of Models in the Nonforrnal-Sciences, 1%1; u. W. Herzog: Modell und Theorie in der Psychologie, 1984 in diesem Zusammenhang muß angemerlct werden, daß insbesondere iMerhalb psychologischer Theorien vielfaltige anthropologische Modelle auch philosophischer Herkunft den Modellbildungen zugrunde liegen; u. A . Kuipers: Modeland lnsight, 1961; u. G . Lind: Models in Physics. Some Pedagogical Reflections based

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l. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

Modellbegriff wird auf eine zweifache Weise geleistet. Zum ersten soll eine ethymologische Analyse ein erstes Verständnis ermöglichen, bevor zum zweiten den Veränderungen der funktionalen und semantischen Funktionen des Modellbegriffs in seiner historischen Genese ein Zugang eröffnet werden soll. Das deutsche Wort Modell wurde aus dem lateinischen Sprach- und Kulturraum übernommen. Inhaltlich stimmt das deutsche Wort Modell mit der italienischen Form modello, der französischen Form modele und der englischen Form modeln I pattern in weiten Bereichen überein. Die italienische Wortform modello entwickelte sich aus dem vulgärlateinischen Substantiv modulus (Maß), das als Deminutivum auf das Substantiv modus (Maß, Takt, Ziel, Regel, Art) zurückgeht. Wahrscheinlich geht letztere Form auf die beiden lateinischen Verben medeor und meditor (nachsinnen, überdenken) zurück, die mit den griechischen Verben J.LEÖO~m (bin bedacht) und ~llÖO~m (ersinne) verwandt sind (got. miton; ahd. mezzan: messen, schätzen). Das lateinische Lehnwort modulus wurde in zweifacher Weise ins Deutsche übernommen, nämlich alsmodelund als modu/. 3 Diese Übernahme verdeutlicht schon das doppelte Funktionsfeld des Modellbegriffs, welches sowohl auf den Bereich des Herstellens, der Technik, als auch auf das theoretische Denken verweist Schon in der Antike wurde der der Begriff des Modells sowohl im handwerklich-künstlerischen Bereich als Synonym für Muster, Vorbild gebraucht, z.B. in der Bildhauerei, als auch in der Astronomie in einem theoretisch abstrakten Sinn. Durch die sprachgeschichtliche Analyse ist schon eine erste semantische Bestimmung eröffnet. Je nach unterstelltem Umfang des inhaltlichen Bedeutungsfeldes des Modellbegriffs können erste Anfänge des Modelldenkens schon in der Magie oder dem Mythos bestimmt werden. In einem sehr detaillierten Aufsatz von R. Müller4 werden demnach die unterschiedlichsten Formen menschlichen Modelldenkens schon mit dem Beginn menschlicher Kulturation aufgezeigt, als Kultobjekte, Fetische, aber auch Werkzeuge und Waffen. Der Begriff des Modells und seine sprachgeschichtliche Entwicklung verweist dabei aber schon auf den semantisch nicht einheitlichen Gebrauch in sehr unterschiedlichen Bereichen humanen Handeins und Denkens. Der Modellbegriff deckt ein weites Spektrum wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher Bedeutungsfelder mit sehr unterschiedlichen Funktionen ab. Dieses große semantische und funktionale Spektrum wird in der sehr differenzierten Analyse R. Müllers aufgezeigt und dabei, bei aller Differenz der verschieon the History of Science, 1980; R. Müller: Zur Geschichte des Modellbegriffs Wld des Modelldenkens im Berugsfeld der Pädagogik, 1980; u. A. Tarslci: Grundzüge des Systemenkalküls 1/II, 1935/36. 3 Vgl. in diesem Zusammenhang m. M. Petschenig (Hrsg.): Der kleine Stowasser, Lateinischdeutsches Schulwörterbuch, 1971; u. R .SchüJzeichel: Althochdeutsches Wörterbuch, 1974. 4

Vgl. m. R . Müller: Zur Geschichte des Modelldenkens Wld des Modellbegriffs, 1983.

I. Anmerkungen zur Geschichte des Modellbegriffs

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denen Ansätze, der Versuch eines Nachweises einer gewissen homogenen Struktur unternommen. Ist schon in der römischen Antike als auch im Mittelalter der Gebrauch der Begriffemodus wie modulus nachweisbar, so erfährt der Modellbegriff seine volle Tragweite, in seiner Funktion als Vorbild, als idealer oder plastischer Entwurf, als auch in seiner Funktion als heuristischanschauliches Ideal zu didaktischen Zwecken im Anschauungsunterricht in der handwerklichen und technischen Ausbildung, erst in der Renaissance.5 Jedoch erlebte der Modellbegriff mit der Anthropozentrierung innerhalb der Kunst der Renaissance auch eine umfassendere qualitative Erweiterung seines Funktionsfeldes. Der Begriff modello wurde nicht nur mehr in einem gegenständlichen Sinne, in Form von maßstabsgerechten, architektonischen Entwürfen der Baukunst, z.B. in den Dombauhütten des Hochmittelalters oder als der Begriff modell im Bereich des Goldschmiedehandwerks im 16. Jahrhundert, gebraucht, sondern fand auch Eingang in die Anfänge des neuzeitlichen Naturwissenschaftsparadigmas. So wurde, parallel zur Entwicklung des neuzeitlichen Wissenschaftsverständnisses, innerhalb der bildenden Kunst im künstlerischen Akt die Aufgabe des Künstlers nicht mehr vordergründig in der Offenlegung der Ideen, wie es noch eine platonistisch ausgerichtete Kunstauffassung6 vom Künstler forderte, verstanden, sondern die Nachbildung des Menschen als modello in seiner Sinnlich-korporalen Verfaßtheil revolutionierte das 14. u. 15. Jahrhundert Europas, wie auch auf naturphilosophischer Seite das aktiv handelnde Subjekt in der Erforschung der phänomenalen Empirie die Neuzeit entscheidend prägte. Dabei war auch der künstlerische Bereich auf das engste mit den Anfängen neuzeitlich naturwissenschaftlicher Forschung verknüpft, wie z.B. die anatomischen Studien Leonardo da Vincis belegen. Kunst, Technik und wissenschaftliche Forschung wurden noch als Einheit des menschlichen Weltverhältnisses und humaner Weherschließung verstanden. Neben der Baukunst, d.h. der Beschäftigung mit Problemen der Geometrie und Architektur, gewann der Modellbegriff mit den einsetzenden Diskussionen platonischer Texte im Kreis um Marsilio Ficino in Florenz ein weiteres Bedeutungsfeld hinzu, indem dieser Zeitraum auch den Beginn der Einbeziehung des Modellbegriffs in theoretisch-wissenschaftliche Fragestellungen markiert. So kann die Entwicklung der Zahlen- und Geometriemystik der frühen italienischen Renaissance, die z.B. bei Pico della Mirandola7 seinen 5 Vgl.

m. Anmk. 4, S.24ff.

IDitemimmt im 'Sophistes' (235c ff.) eine UnterscheidiDig in zwei Gatt\Digen der abbildenden KIDist, indem er die El1COO't1.1CTJ "tE"XVTJ (ebenbildnerische KIDist) von der cpav'tam1CTJ "tE"XVTJ (trugbildnerische KW!st) IDiterscheidet. Bildende KID1st ist dennoch aber immer auch noch abbildende Tätigkeit, denn es bleibt immer eine Differenz zwischen Votbild IDid Bild (Abbild) auch bei der ebenbildnerischen KW!st. Diese Differenz ließe sich nur aufheben, wenn es dem Künstler gelingen würde, das Sein, d.h. die Idee, als Votbild, das was 'hinter der sinnlichen ErscheiniDig sich vetbirgt, zum Ausdruck m bringen. 6 Platon

7

Vgl. m. Giovanni Pico della Mirandola: Über die Würde des Menschen, 1988, S.57ff. Pico be-

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1. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

Ausdruck fand, auch als ein Modelldenken mittels der Mathematik bzw. Geometrie interpretiert werden, ein Ansatz, der in den kosmologischen Entwürfen von Kopernikus und Kepler im begrenzten Umfang seine Fortsetzung erfuhr. Versteht man als eine der zentralen Bedeutungen des Modellbegriffs den Hinweis auf eine idealisierende Funktion, so können die dem Kopernikanischen System zugrundeliegenden Vorstellungen, in Form der Forderung der ontologisch und aristotelisch geprägten Idealvorstellung von notwendig kreis- und gleichförmigen bewegten Bahnen von Körpern (Planeten), durchaus als Modellvorstellungen gedeutet werden. Doch al!ch noch Keplers Entwurf einer ' Kosmographie' kann in diesem Sinne als Modell, angelehnt an eine Geometriemystik, verstanden werden. 8 Mit der fortschreitenden Genese des abendländischen Epistemologiekonzeptes verlor der Modellbegriff in einem immer größeren Umfang seine ursprünglich lediglich heuristisch-veranschaulichende Funktion und wurde in einem verstärkten Maße abstrahiert und formalisiert, eine Entwicklung, die durchaus auch als eine Parallele zur allgemeinen Wissenschaftsentwicklung der Neuzeit verstanden werden kann. So verwendete Descartes zwar noch nicht den Modellbegriff in dem expliziten mathematischen Sinne, jedoch kann die algebraische Interpretation der euklidischen Geometrie, wie sie in den 'Regulae ad directionem ingenii' von ihm ausgeführt wurden, durchaus als Modell gedeutet werden.9 Die algebraische Interpretation der euklidischen Geometrie liefert somit ein wahres analytisches Modell, eine Deutung, die dem modernen formalen Modellbegriff entspricht, in jenem Sinne, daß ein Modell eine wahre Interpretation eines Formalsystems darstellt. In den sogenannten exakten modernen Naturwissenschaften, besonders aber auch in den neopositivistisch-wissenschaftstheoretischen Strömungen zu Beginn dieses Jahrhunderts, wurde der Modellbegriff mit der Durchsetzung des neuzeitlichen Wissenschaftsparadigmas in einem Säkularisationsprozeß 'ent-ontologisiert' und außerhalb einer Substanzmetaphysik angesiedelt, da die Frage nach dem 'Wesen' der Dinge als nicht entscheidbar oder gar als überflüssig für den Erkenntnisfortschritt angesehen wurde. In den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses rückte von nun an der theoretische Modellbegriff, der aber eine zieht in diesem Text die Kabbala, die viele Elemente der hebräischen Zahlenmystik enthält, und rugleich als Buch Gones als auch als Buch der Wissenschaft verstanden wird, als ein wichtiges Erltenntnisinstrument mit in die Analyse ein. 8 Für Kep/er stellt Gon, als ein die Natur bildener Gon, einen unendlichen Geometer dar, so daß die Aufgabe des Astronomen darin bestehen muß, die geometrischen Gesetze der Natur ru erkennen, was rugleich die wahre Erkenntnis von Gon und Natur bedeutet. Vgl. m. J. Kepler: Tenius Interveniens, CXXVI, (Repr.l941) S.245f. Vgl. in diesem Zusammenhang a.m. E. v. Samsonov: Die Erzeugung des Sichtbaren. Die philosophische Begründung naturwissenschaftlicher Wahrheit bei Johannes Kep/er, 1986, S.26ff.

9 Vgl. m. K. Mainzer: Modell, 1984, Sp. 47-50; u. R . Descarles: Regulae ad directionem ingenii, Regula XV-XVII.

1. Arunerlrungen zur Geschichte des Modellbegriffs

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spezifische Semantik innerhalb seiner spezifischen Anwendungsgebiete wie Mathematik, Physik und Chemie erhielt. Dennoch blieb zunächst eine heuristische Funktion bei der Verwendung des Modellbegriffs weitgehend vorherrschend, in jenem Sinne, daß die naturwissenschaftliche Rekonstruktion der Empirie als Hypothesenbildung zur Erklärung und Deskription, somit auch als Modellbildung in Form von Bildern, Idealisierungen und Analogien, vollzogendurch den humanen Verstand, interpretiert wurde. So wurden in der Physik des 19. Jahrhunderts z.B. elektrische Vorgänge von Faraday und Maxwell mittels mechanistischer Vorstellungen 'erklärt,' ein Ansatz, der z.B. von P. Duhem kritisiert wurde, denn die vordergründige Aufgabe der Physik besteht nach ihm nicht in der Konstruktion von Modellen, die für ihn einen lediglich heuristischen Erkenntniswert besitzen, sondern in der Aufstellung von die Empirie beschreibenden mathematisch-formalen Kalkülsystemen. 10 Im Sinne der Orientierung der neuzeitlichen Naturwissenschaften am Wissenschaftsideal Mathematik wird somit im Laufe dieser Arbeit auch noch zu diskutieren sein, welcher Geltungsanspruch und welcher Begründungsanspruch mit der Transferierung des formalen Instrumentariums im Hinblick auf die abendländischen Versuche einer Wirklichkeitserfassung verbunden werden können, insbesondere auch im Hinblick auf das mit diesem Paradigma verbundene Rationalitätskonzept. Es bedarf demnach auch einer Antwort auf die Frage, inwieweit die abendländisch geprägten Kriterien des von der Antike bis zur Gegenwart reichenden Epistemiologiekonzeptes die eigenen Verifikationskriterien (z.B . Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit) erfüllen können und inwieweit nicht eine pragmatische Relativierung dieses auch heute noch so bestimmenden Erkenntniskonzeptes notwendig wird. Die Zurücknahme des allgemeingültigen Geltungsanspruchs empirisch-wissenschaftlicher Theorien im Hinblick auf eine objektive Deskription der Wirklichkeit als Empirie, die aufgrund der noch nachzuweisenden Notwendigkeit einer intentional-pragmatischen Relativierung notwendig wird, impliziert sodann auch eine interessante Entwicklung innerhalb des Bedeutungsfeldes des Modellbegriffs, indem er mit Stachowiaks Erkenntniskonzept eine pragmatische Fundierung erfahrt. Diese notwendige intentional-pragmatische Relativierung, die jedoch keineswegs die These eines allgemeinen Relativismus impliziert, beinhaltet auch die Zurückweisung der Rekonstruktionsmöglichkeit einer allgemein verbindlichen und normativen Methodologie. Diese Entwicklung der notwendigen Zurücknahme des vermeintlich objektiven Geltungsanspruchs resultiert insbesondere auch aus den Einsichten in den begrenzten Geltungsanspruch formaler Modelle, der aber auch in aktuellen Diskussionen, aufgrund ihrer immanenten Exaktheit innerhalb dieser formalen Sprachspiele, mit ihnen noch des öfteren in Verbindung gebracht wird. Somit wird deutlich, daß sich im Hinblick auf das 10 Vgl. m. K . Mainzer: Modell, 1984, Sp.47; u. P. Duhem: Ziel wtd Struktur physikalischer Theorien, 1908.

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l. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

Bedeutungsfeld des Modellbegriffs der Kreis wieder geschlossen hat, indem die Entwicklung, ausgehend von einem lediglich heuristischen Verständnis, über eine scheinbar Objektivität verleihende Formalisierung des Modellbegriffs, schließlich dazu führt, daß den formalen Modellen wiederum ein lediglich heuristischer Erkenntniswert im Sinne einer 'ars inveniendi' zugewiesen werden kann, wenn sie außerhalb ihres immanenten Sprachspiels im Hinblick auf eine Erschließung von Wirklichkeit operationalisiert werden sollen. In diesem Zusammenhang soll jedoch keineswegs unterschlagen werden, daß hinsichtlich der Komplexität der heuristischen Modellfunktionen, insbesondere im Vergleich zu jenen Funktionen, die zu Beginn der Adaption des Modellbegriffs und im proloszientistischen Alltag zu identifizieren sind, ein umfassender Erkenntniszuwachs, im Sinne einer Handlungskompetenz, innerhalb des modernen Modelldenkens zu konstatieren ist. Dieser Problemkomplex wird insbesondere am Modellbegriff deutlich, da mittels der ihm zugrundeliegenden Begriffsgeschichte und der den Modellbegriff verwendenden unterschiedlichen Erkenntniskonzepte, die sich vom formal-logischen bis zum pragmatischen Modellbegriff erstrecken, eine historisch-systematische Diskussion auch des gegenwärtigen Rationalitäts-, Wissenschafts- und Wirklichkeitsverständnisses veranschaulicht werden kann. Wie die beiden Beispiele Kopemikus und Kepler aber auch verdeutlichen, wurden über einen langen Zeitraum innerhalb der Genese des neuzeitlichen Wissenschaftskonzeptes die formalen Modelle, die z.B. innerhalb der Physik als empirische Theorie operationalisiert werden, im Sinne einer ontologischen Abbildtheorie interpretiert, d.h. der formale Ausdruck wurde als Abbild der empirischen Wirklichkeit gedeutet, was nur verständlich wird, wenn man zum einen den formalen Modellen einen ontologischen Geltungsanspruch unterstellt und zum zweiten somit Welt als ein aus ontisch-formalen Strukturen bestehendes Gefüge versteht. Die formalen Strukturen bestimmen somit die Eigenschaften des empirischen Geschehens, formales und empirisches Modell stehen demnach in einer hornamorphen Relation zueinander, und es bedarf dann lediglich noch der Identifikation der richtigen Methode, um diese formalen Strukturen zu entdecken, was zugleich impliziert, daß es sich um eine Erkenntnis mit einem objektiven Geltungsanspruch handelt. Dieser Ansatz einer ontologischen Abbildtheorie mathematisch-formaler Modelle hinsichtlich des empirischen Phänomenbereichs mußte aufgrund von immanenten Inkonsistenzen einer ontologischen Begründung sowohl innerhalb der Logik und Mathematik als auch innerhalb des Konzeptes der Rekonstruktion empirischer Theorien, die in Form gewisser Widerspenstigkeilen der Empirie zum Ausdruck kamen, aufgegeben werden. Diese Notwendigkeit führte aber zu weitreichenden erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Folgeproblemen, etwa im Hinblick auf den Wirklichkeits- und Wahrheitsbegriff oder hinsichtlich des Geltungs- und Begründungsanspruchs wissenschaftlicher Erkenntnisgebilde, wovon diese Arbeit, wie ich hoffe, einen dezidierten und differenzier-

1. Anmerlmngen mr Geschichte des Modellbegriffs

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ten Eindruck hinterläßt Innerhalb des naturwissenschaftlichen Erkenntniskonzeptes ist man somit mit dem Folgeproblem konfrontiert, die Relation zwischen dem fonnalen Modell, das dann lediglich noch als ein fonnales Instrument zu verstehen ist, und dem empirischen Phänomenbereich hinsichtlich des Geltungs- und Begründungsanspruchs zu bestimmen, insbesondere wenn das Erkenntnisziel empirischer Theorien in der Fonnulierung wahrer Aussagen im Hinblick auf die Empirie zu identifizieren ist. 11 In diesem formalen Sinne liefern z.B. die unterschiedlichen astronomischen Entwürfe des Ptolemäus, Kopernikus und Kepler, wobei das Keplersche Modell aus dem Modell der Newtonsehen Physik ableitbar ist, mittels ihrer mathematischer Beschreibungen als fonnales Modell verschiedene Modelle der Planetenbahnen.12 Innerhalb dieses nur skizzierten Problemfeldes, das in Kapitel III noch differenziert dargestellt wird, kommt aber schon eine diese Arbeit bestimmende Spannung zum Ausdruck. Denn zum einen stellt sich die spezifische Frage nach dem Verhältnis von fonnalem Modell und empirischem Modell, wobei letzteres Modell einen zentralen, über das derzeitige Wissenschaftskonzept vennittelten, diese Kultur bestimmenden Zugang zum gegenwärtigen Wirklichkeitsbegriff wiedergibt. Zum zweiten ist man mit der umfassenderen Frage nach dem Verhältnis von Modell und Wirklichkeit, somit nach Funktion und Geltungsanspruch des Modellbegriffs, nach der erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Basis des Modellierungsprozesses, konfrontiert. In diesem Zusammenhang stellt sich demnach wiederum das schon in der Einleitung genannte Grundproblem dieser Arbeit in Fonn der Frage nach der Relation von Realitätsmodell und Modellrealität Wie zuvor schon kurz skizziert wurde, ist das traditionelle Modellverständnis durch eine abbildtheoretische Vorstellung geprägt. 13 Demnach läßt sich das traditionelle Bedeutungs- und Funktionsfeld des Modellbegriffs durch das Konzept einer prinzipiellen Differenz zwischem einem Original (Urbild, Vorbild) und einem dazu auf Analogie- und Ähnlichkeitsbildungen basierenden Abbild des Originals, das auch als Modell bezeichnet wird, kennzeichnen. Nicht eine Identität bestimmt dabei die Relation zwischen dem Original und dem Modell, sondern eine als Differenz ausgewiesene Relation in Fonn von Ähnlichkeit, Imitation, Repräsentation oder hypothetischer Konstruktion konstituiert den Modell- und Abbildbegriff. Elemente der Bildanalyse sind demnach das Vorbild (Original), das abgebildet wird, als auch das Medium, in welches das Vorbild als Bild (Modell) abgebildet wird. Des weiteren ist aber 11 Vgl. z.B. m. F. v. Kutschera: Grundfragen der Erltenntn.istheorie, 1982, S.177; oder: M. Preze/ecki: Die Logik empirischer Theorien, (orig.1962) 1983, S.Sl. 12

Vgl. m. K. Mainzer: Modell, 1984, Sp. 48.

13

Vgl. m. J . Nieraad: Abbildtheorie, 1971, Sp. 1-3.

3 Wemecke

I. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

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die Form, der Modus der Relationenbildung von Interesse, d.h. auch die Bestimmung jenes Prozesses, der vom Vorbild (Original) zum Bild (Modell), als Abbild des Vorbilds, führt (und vice versa). Das Bild (Modell) verweist somit stets immer auf etwas anderes, in diesem Zusammenhang auf das Vorbild (Original). Die Bedingung dieses Prozesses ist demnach eine Differenz, die mit dem Kantschen Vokabular auch als transzendental bestimmt werden kann, indem sie die Bedingung der Möglichkeit für diese Form der Relationenbildung darstellt. Das Vorbild (Original) ist, zumindest innerhalb dieses traditionellen, ontologisch abbildtheoretischen Verständnisses, hinsichtlich seines ontologischen Status unabhängig vom Bild (Modell), es ist dem Bild (Modell) ontologisch vorgeordnet, so daß prinzipiell verschiedene Bilder (Modelle), z.B. aufgrund von unterschiedlichen Darstellungsmedien, möglich sind. Jedoch ist das Vorbild (Original) methodisch nur vom Bild (Modell) ausgehend bestimmbar, außer es wird ein ontologischer Bestand schon als Originalbereich vorausgesetzt. Diese Differenz zwischen Vorbild (Original) und Abbild (Modell) besteht aber nicht nur im Hinblick auf den ontologischen Status, sondern weist auch die Möglichkeit einer materialen Differenz auf, indem der Reproduktionsprozeß als Herstellung der Relation innerhalb eines spezifischen Mediums vollzogen wird, so daß das Bild (Modell), trotz der Ähnlichkeit, etwas anderes im Vergleich zum Vorbild (Original) darstellt. Diese Differenz kann dabei aufgrund ihres transzendentalen Charakters innerhalb der Abbildtheorie nie aufgehoben werden, was zur Folge hat, daß, unterstellt man einen ontologischen Bestand eines Originals, lediglich eine approximative Annäherung innerhalb der Relation bestimmt werden kann. Philosophiehistorisch betrachtet, geht diese abbildtheoretische Konzeption auf die beiden Vorsokratischen Atomisten Leukipp und Demokrit zurück, die die Vermittlung von Gegenstand und Vorstellung materialistisch, durch Atome hervorgerufene Abbilder der Gegenstände erklärten. So formulierte etwa Demokrit: "(6) Die Natur besteht aus Atomen, die im leeren Raum umhergeschleudert werden. (14) Diese Erörterung zeigt, daß wir in Wirklichkeit über nichts etwas wissen, sondern daß jedermanns Meinung nur auf den ihm zufließenden Vorstellungsbildern beruhen. (16) Es wird sich zeigen, daß es gar schwierig ist, zu erkennen, welche Eigenschaften jedes Ding in Wirklichkeit hat. (20) ... In Wirklichkeit existieren nur die Atome und der leere Raum ....."14 Seine differenzierte Ausformung erfuhr die Abbildtheorie jedoch erst innerhalb der platonischen 'Erkenntnistheorie', wo ihr eine zentrale Funktion zukommt. Dies wird deutlich, wenn man Platons innerhalb des 'Timaios' vollzogene Konzeption der Unterscheidung zwischen den schon von den Vorsokratikern im Ansatz vorgezeichneten zwei ontologischen Bereichen, in Form des Ideenkosmos und der Welt des Sinnlichen, des Seienden, wobei letztere einer ständigen Veränderung und einem Wandel unterworfen ist, einer Analy14

Vgl. m. W. Nestle (Hrsg.): Die Vorsokratiker, 1956, S.l55f.

1. Anmerlcllllgen zur Geschichte des Modellbegriffs

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se im Hinblick auf ihre Relation zueinander unterzieht. Neben der Differenzierung in zwei ontologische Bereiche bestimmt diese Konzeption aber auch den Geltungsanspruch, der aus beiden 'Welten' abgeleiteten Aussagen. Denn die Ideen als immer während Seiendes, unentstanden, unwandelbar, stets mit sich selbst identisch, erschlossen durch vou~ (Venunft, Geist) und mittels des A.oyo~ (Denken), können demnach adäquat auch nur in Form immer gültiger, konstanter Aussagen bestimmt werden. Somit kann die Darstellungsform der Aussagen über die Welt des Seienden auch nur in Form von nicht-konstanten, nur vorläufig gültigen Aussagen erfolgen, denn der Gegenstandsbereich dieser Aussagen ist die Welt des Sinnlichen, des Seienden, als einer sich stets in einem Wandel begriffenen Welt der Erscheinungen. Demnach stehen sich zwei 'Welten' in Form eines KOOJ.l.O~ at~'to~ und eines KOOJ.l.O~ VO'fl'tO~ gegenüber, wobei ersterer Bereich lediglich eine Erkenntnisgeltung im Sinne des Meinens (öosa), letzterer hingegen im Sinne des Wissens (emO'tT)Jl.Tl) und der Einsicht (VO'flcrt~) besitzt. 15 Die lediglich potentiellen 'Möglichkeitsaussagen' des ersten Bereichs stehen somit in einem Gegensatz zu den Wahrheitsaussagen des KOOJ.l.O~ VO'fl'tO~, die sich durch eine Eindeutigkeit in Form von Exaktheit, Konstanz, innerer Konsistenz und Widerspruchsfreiheit auszeichnen. Jedoch darf die Differenz beider Bereiche nicht als die Konzeption zweier isolierter Welten gedeutet werden, vielmehr befinden sie sich in einer spezifischen Relation, indem das Seiende der Welt der Erscheinungen einen (relativen) Anteil an dem hinter dem Sinnlichen stehenden Bereich der Ideen, des Seins, hat. Die mögliche Interpretation einer 'Zwei-Welten-Theorie' entspricht somit nicht Platons Intention, wie er im 'Parmenides' als Kritik an dieser Theorie auch darlegt. 16 Denn dieser Ansatz impliziert, wie K.Gioy 17 hervorhebt, die Gefahr einer Weltpotenzierung und eines regressus ad infinitum, da die Bestimmung der Relation 'beider Welten' mittels der J1.€'Ö€St~ eine 'dritte Welt' notwendig voraussetzen würde, hinsichtlich der die beiden Welten erst im Hinblick auf eine mögliche Ähnlichkeit gemeinsamer Eigenschaften verglichen werden könnten (ad infinitum). K.Gloy identifiziert daher in dieser Schwierigkeit die entscheidende Ursache für Platons Einführung der Urbild-Abbild-Konzeption, der somit die Abwendung dieser Gefahr in Zusammenhang mit der 'Jl.€&9.~-Problematik' zugedacht wird. 18 Die sinnlichen Gegenstände sind demnach Abbilder bzw. Nachbilder der nicht-korporalen Ideen, und die Sinnlich-korporale Welt ist demnach auch nur ein Bild des Ideenkosmos. Dieses Urbild-Abbild-Konzept, gewonnen aus der Analyse von Einzelseiendem, wird von Platon im 'Timaios' auf das Universum des KOGJl.O~ 15

Vgl. m. Platon: Tirnaios, 37b f.

16

Vgl. m. Platon: Parmenides, 127e.

17

Vgl. m. K . Gloy: Studien zur platonischen Naturphilosophie im Tirnaios, 1986, S. l3.

18

Vgl. m. Anmk. 17, S.l4.

1. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

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mcr1'frl'to~. als Abbild eines Vorbildes, übertragen, wobei natürlich auch in diesem Zusammenhang die Relation zwischen dem Vor- bzw. Urbild und dem Abbild geklärt werden muß. Es geht demnach nicht mehr um Einzelseiendes, sondern es steht ein Verständnis des Gesamtbereichs des sinnlich Seienden im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Aus der Verfassung der sinnlichen Welt, gedeutet als Abbild (Bild, Modell), soll demgemäß das Vorbild (Urbild, Original) erschlossen werden. Ausgehend von der innerhalb der griechischen Antike weit verbreiteten Prämisse, daß der KOO"J.I.O~ nicht chaotisch, sondern schön sei, denn die Ordnung des Kosmos drückt zugleich auch seine Schönheit aus, wird auf das Vorbild geschlossen, dem somit auch das Attribut der Schönheit, jedoch in einem allgemeineren, umfassenderen Sinn, zukommt. Der Begriff des Schönen ist aber nicht in einem neuzeitlichen Sinne als ästhetische, sinnliche Kategorie zu verstehen, sondern als 'Vollkommenheit', als das 'Gute schlechthin', im Sinne der Synonymität von KW..ov und aya:{}ov, und ist somit eingebettet in die KaAOKaya-öta. Dieses zugrundeliegende Urbild wird von Platon aber auch durch das Schönheits- bzw. Vollkommenheitsideal des vouC im 'Timaios' 19 charakterisiert, was die Frage nach dem Aufbau dieses 'Vemunftsystems' nach sich zieht. 20 In diesem Zusammenhang findet in Form der Mathematik ein wesentliches Moment dieser Arbeit wieder Eingang in die Analyse, indem der Mathematik innerhalb des 'Timaios' eine wesentliche Funktion, zum einen in Form der Proportionslehre und zum anderen in Form der Homöomerie (Symmetrie und Harmonie), zugewiesen wird. 21 Denn erst mittels der mathematischen Proportion wird die Erweiterung der aus der ionischen Naturphilosophie bekannten beiden Elemente Feuer und Erde durch die Elemente Wasser und Luft begründbar, indem sich alle vier Elemente in gleichem Verhältnis zueinander befinden und somit das Weltall, das sich stets selbst genügt, als zeitlose Einheit, Ganzheit konstituieren.

Wie zuvor schon erwähnt wurde, begründet das antike Konzept des KOO"J.I.OC, in dem sich das Vollkommenheitsideal in Form mathematischer Proportionen ausdrückt, vermittelt über einen abbildtheoretischen Zugang, auch das neuzeitliche Weltbild innerhalb des heliozentrischen Weltentwurfs (z.B. Keplers) und konstituiert somit letztendlich auch das neuzeitliche Wissenschaftsparadigma. Eine weitere zentrale Funktion erfährt die Abbildtheorie innerhalb der repräsentationstheoretischen Konzeptionen der Neuzeit, die sich in der neuzeitlichen Erkenntnistheorie als eine Kritik am 'naiven Realismus' versteht. Die Position des 'naiven Realismus' kann mit Kutschern (1982) wie folgt zusammengefaßt werden: "Die Dinge, die wir wahrnehmen, existieren an sich,

19 Vgl. m. Anmk. 15, 30b. 20

Vgl. m. Anmk. 15, 31bff.

21

Vgl. m. Anmk. 17, S.l9.

1. Anmerkm1gen zur Geschichte des Modellbegriffs

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und die Attribute, die wir an ihnen wahrnehmen, kommen ihnen selbst zu."22 Die repräsentationstheoretische Konzeption der Erfahrung, als Kritik an der zuvor genannten Position, kann man dann mit Kutschera auch wie folgt, veranschaulicht mittels des algebraischen Modellbegriffs, darstellen: ,,Ist die Algebra A ein Modell der Algebra A ', so kann man sagen, A repräsentiere die Algebra A', oder A sei ein Bild von A'."23 Wie Kutschera an gleicher Stelle weiter ausführt, besteht die These dieser Klasse von Abbildtheorien darin, daß die phänomenalen Objekte und Attribute ein Modell der realen Objekte der Außenwelt und ihrer realen Attribute bilden. Demnach liegt kein hornamorphes Modell vor, denn die Phainomena sind nur als ein partielles Modell der Außenwelt zu verstehen, da nicht alle realen Objekte und Attribute beobachtbar sind. Die phänomenalen Objekte werden dabei aber nicht als einzelne reale Objekte, sondern lediglich als Aggregate von realen Objekten im Hinblick auf ihre Erkennbarkeil gedeutet. Die erkenntnistheoretische Basis sowohl der kritisierten Position, in Form des naiven Realismus, als auch der Kritik, in Form des repräsentationstheoretischen Ansatzes, ist in beiden Fällen jedoch die gleiche, denn beide erkenntnistheoretischen Positionen unterstellen einen ontologischen Realismus als Basis. Diese Bestimmung impliziert des weiteren aber noch keinen erkenntnistheoretischen Realismus, der eine Erfahr- oder Erkennbarkeil objektiver Tatsachen behauptet, denn es wird eine partielle Repräsentation von realen Objekten unterstellt. Als zwingend erweist sich diese Implikation jedoch nicht, denn ein ontologischer Realismus kann auch, wie das Beispiel Kant zeigt, die Basis eines erkenntnistheoretischen Idealismus darstellen. Die erkenntnistheoretische Kritik am naiven Realismus wird dabei in den repräsentationstheoretischen Entwürfen Descartes und Lackes, aber auch im erkenntnistheoretischen Idealismus von Berkeley bis Fichte zum Ausdruck gebracht. Gemeinsam ist dieser repräsentationstheoretischen als auch idealistischen Kritik die unterstellte Differenz zwischen realen Sachverhalten bzw. Eigenschaften und phänomenalen Sachverhalten bzw. Eigenschaften. Der erkenntnistheoretische Idealismus 'radikalisiert' diesen Ansatz, indem lediglich Phainomena als Gegenstände der Erfahrung identifiziert werden. Eine Kennzeichnung verschiedener Abbildtheorien kann in diesem Zusammenhang somit durch die Zuordnung der Phainomena, die als Modelle interpretiert werden können, zu der Außenwelt, die als Original gedeutet werden kann, erfolgen. Eine Abbildtheorie ist demnach dann ein erkenntnistheoretischer Idealismus, wenn die Objekte des Modells und des Originals in jener Form verschieden sind, so daß alle Gegenstände der Erfahrung bloße Phainomena darstellen.

12

Vgl. m. F. v. Kutschera: Grundfragen der Erketu1tnistheorie, 1982, S.l84.

23

Vgl. m. Anmk. 22, S. l92.

38

I. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

2. Das Modellverständnis innerhalb aktueller Epistemologiekonzepte Wenden wir uns nunmehr den explizit epistemischen Ausfonnungen des Modellbegriffs in Mathematik, Logik und den empirischen Wissenschaften zu, so ist eine zunehmende Systematisierungsleistung zu beobachten. Ohne zunächst auf die funktionalen und semantischen Unterschiede zwischen dem mathematisch-logischen und empirisch-epistemischen Modellbegriff einzugehen, kann ein wesentliches Entwicklungsmoment des Modellbegriffs innerhalb des neuzeitlichen Wissenschaftsverständnisses bestimmt werden. Demnach besteht ein charakteristischer Unterschied zwischen dem traditionellen und dem modernen Modellverständnis auf der Ebene der ontologischen Bestimmung, der moderne Modellbegriff wird in einem Säkularisationsprozeß entontologisiert, und ist zum zweiten in der Bestimmung des Originals (Vorbilds) zu identifizieren, das in der traditionellen Metaphysik als Urbild, als Welt der Ideen, des Seins, bestimmt wurde, im modernen Modellbegriff aber lediglich in einem methodischen Sinne verstanden wird, indem eine relationale Bestimmung erfolgt, die nicht mehr Dinge im Hinblick auf eine Erfassung ihres ' Wesens' aufeinander abbildet, sondern Ähnlichkeiten als strukturelle Relationen bestimmt. Auch innerhalb der neuzeitlichen Naturwissenschaften bestand noch lange die Vorstellung, daß die Funktion empirischer Theorien in jenem Moment zu identifizieren sei, die Wirklichkeit möglichst getreu widerzuspiegeln. Das Fehlschlagen dieser Bemühungen wurde dann lediglich noch in technischen oder mathematischen Unzulänglichkeiten identifiziert, da die Möglichkeit der Bestimmung einer nonnativ-verbindlichen Methodologie für eine Objekttreue Widerspiegelung der Realität innerhalb einer spezifischen Theorie unterstellt wird, die somit den einzigst möglichen Zugangsweg zur Empirie darstellt. Reste dieser Vorstellung finden sich z.B. auch noch bei H. Hendrichs (1973), einem Biologen mit philosophischen Ambitionen, etwa wenn er ausführt: ,,Naturwissenschaft und Philosophie entwerfen beide mitteilbare und damit überprüfbare, aber nicht beweisbare Modelle, die Erfahrung am einfachsten erklären und Wirklichkeit abbilden."24 An anderer Stelle führt der gleiche Autor des weiteren aus: ,,Dabei nähern sich in der eine Eigendynamik bewirkenden Spannung zwischen Modell und Wirklichkeit diese einander."25 Jedoch konstituierten Mach und Hertz schon Ende des 19. Jahrhunderts ein

24 Vgl. m. H. Hendrichs: Modell WJd Eifahrung, 1973, S.IIO. HervorhebWJgen innerhalb des Zi· tats stammen vom Autor. 25

Vgl. m. Anmk. 24, S.23.

2. Das Modellverständnis innerhalb aktueller Epistemologiekonzepte

39

neues Wissenschaftsverständnis, das nicht mehr von einer objekttreuen Widerspiegelung der Realität innerhalb einer empirischen Theorie ausgeht, sondern Strukturtreue Relationen lediglich als Grundlage hat. 26 Die weiteren wissenschaftstheoretischen Diskussionen sind sodann mit dem Folgeproblem konfrontiert, den Status der Geltung der strukturtreuen Relationen im Hinblick auf die Empirie näher zu klären, denn es ist möglich, diese Strukturen zum einen als Eigenschaften der Empirie zu identifizieren, sie zum anderen aber auch lediglich als Eigenschaften des formalen Erkenntnisinstrumentes zu deuten, das sich somit lediglich im Hinblick auf die Relation von Empirie und spezifischer Erkenntnisintention bewährt hat. Die Diskussionen der folgenden Kapitel vorausgreifend muß angemerkt werden, daß sich auf der Basis von strukturtheoretischen Symbolisierungen immanent keine begründete Aussage über eine Wirklichkeit-apriori ableiten läßt, denn zum einen lassen die Symbole verschiedene Bedeutungszuweisungen zu und zum zweiten erweist sich ein Zugang zum Original (Realität) methodisch nur in Vermittlung über das Modell als möglich, was zur Folge hat, daß sich somit methodisch begründet weder eine Aussage über eine Strukturtreue 'Widerspiegelung' einer apriorischen Wirklichkeit im Modell, noch eine Aussage über den Grad der approximativen Annäherung des Modells an das Original ableiten läßt, was die Identifikationsmöglichkeit eines normativ-faktischen Wirklichkeitsbestandes voraussetzen würde. Dieses strukturtheoretische Verständnis verweist auf ein an späterer Stelle noch sehr zentral werdendes Moment, denn es ist in diesem Vorgehen auch ein methodenökonomischer Gewinn zu identifizieren, da diese strukturtheoretischen Relationenbildungen auch einem Symbolisierungsprozeß unterworfen werden können, was in Form von mathematisch-logischen aber auch semiotischen Zeichensystemen, wie etwa von Peirce und Morris vollzogen, erfolgen kann. Auch innerhalb der Formalwissenschaften läßt sich diese Entwicklung nachvollziehen, wobei beiden Modellbegriffen auch eine Repräsentationsfunktion gemeinsam ist, die somit sowohl in einem idealen als auch realen Sinne verstanden werden kann. Diese Veränderung im Hinblick auf die abbildtheoretische Interpretation des Modellbegriffs kommt auch in Wittgensteins 'Tractatus logico-philosophicus' zum Ausdruck, indem mittels einer Wahrheitsbedingungensemantik, in Form eines Logikmodells, eine Modellrelation mit dem Ziel einer Beschreibung der Welt vollzogen wird.27 So führt Wittgenstein im 'Tractatus' z.B. aus: ,,2.19 Das logische Bild kann die Welt abbilden. 6.13 Die Logik ist keine Lehre, sondern ein Spiegelbild der Welt. 26 Die Logik ist transzendental."28

26

Vgl. m. Anmk. 4, S.66ff.

Zur Wingensteinschen Bildtheorie vgl. a. m. E. Stenius: Wingensteins Tractat. Eine kritische DarlegWig seiner Hauptgedanken, 1964. Zl

28 Vgl. m. L. WillgefiStein: Tractatus logico-philosophicus, 1984; Satz 2.19 vgl. m. S.l6; Satz 6.13 Vgl. m. 5.76.

I. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

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Im Zusammenhang mit dieser Wahrheitsbedingungensemantik stellen sich jedoch die zwei folgenden Probleme: Zum einen stellt sich die Frage nach den ontologischen (ontischen) Prämissen, auf denen ein Satz gegründet ist, wenn eine wahrheitsdefinite Festlegung in Form von 'wahr' oder ' falsch' erfolgen soll. Zum zweiten ist man mit dem Problem konfrontiert, ob es gerechtfertigt ist, Sätze als ausschließlich isolierte sprachliche Gebilde zu interpretieren. So wie Sätze im 'Tractatus' isolierbar erscheinen, indem man sie verknüpfen und zerlegen kann, so scheint auch Welt als ein teilbares Gebilde. Es verwundert daher nicht, wenn behauptet wird, daß dem isolierbaren Satz auch ein isolierbarer Teil der Welt entspricht: "I. Die Welt ist alles, was der Fall ist. 1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge. 1.13 Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt. 1.2 Die Welt zerfällt in Tatsachen. 1.21 Eines kann der Fall sein oder nicht der Fall sein und alles übrige gleich b1eiben."29

In Anlehnung an Frege wird das erste Problem im Sinne der Intensionalität innerhalb der Logikkonzeption Wittgensteins problematisiert: "2.0211 Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Satz Sinn hat, davon abhängen, ob ein anderer Satz wahr ist. 2.0212 Es wäre dann unmöglich, ein Bild der Welt (wahr oder falsch) zu entwerfen. 2.0213 Die Substanz der Welt kann nur eine Form und keine materiellen Eigenschaften bestimmen. Derm diese ~erden erst durch die Sätze dargestellt - erst durch die Konfiguration der Gegenstände geb1ldet." 30

Kehren wir zur Funktion des Modellbegriffs bei Wittgenstein zurück, so wird die Relation von Bild, Modell, Sprache, Wirklichkeit und Welt wie folgt von ihm bestimmt: ,,2.063 Die gesamte Wirklichkeit ist die Welt. 2.1 Wir machen uns Bilder der Tatsachen. 2.11 Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vor. 2.12 Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit. 4.01 Der Satz. ist ein Bild der Widdichkeil Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken." 31

Das folgende Kapitel II wird sich insbesondere mit den Folgen dieses von Wittgenstein erhobenen Geltungsanspruchs formaler Logikmodelle auseinandersetzen. Dabei wird sowohl der vermeintlich transzendentale Charakter formaler Modelle als auch ihre Operationalisierung zu hinterfragen sein, denn mit formalen Modellen wird unterschwellig innerhalb von vielen Wissenschaftsdisziplinen nach wie vor der zuvor genannte transzendentale Geltungs-

29

Vgl. m. Anrnk. 28, S.11.

Vgl. m. Anrnk. 28, S.l3. Diese Position Willgensteins impliziert somit in Anlehnung an G. Frege das Problem des ontischen Status z.B. von Eigennamen, was die Gegenthese provoziert, daß lediglich der Gebrauch der Sprache bestimmt, was eine Eigenschaft oder ein Eigenname ist. 30

31

Vgl. m. Anrnk. 28, zu den Sätzen 2.063-2.12 Vgl. m. S.14f. u. Satz 4.01 Vgl. m. S.26.

2. Das Modellverständnis innerhalb aktueller Epistemologiekonzepte

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anspruch, auch im Sinne eines 'Modellplatonismus', noch in Verbindung gebracht. Die Deutung des Modellbegriffs innerhalb des modernen Wissenschaftsverständnisses als Relationenbegriff wird auch in der Verwendung des Isomorphiebegriffs deutlich, der zwar auch schon Ende des 19. Jahrhunderts innerhalb empirischer Wissenschaftsdisziplinen, wie z.B. der Chemie, eine Verwendung erfuhr,32 aber besonders innerhalb der Formaiwissenschaften Mathematik und Logik strukturtheoretisch thematisiert wird. Eine Übertragung dieses formalen strukturtheoretischen Instrumentariums erfolgte aufgrund der allgemein starken Tendenzen zu einer Mathematisierung, so z.B. auch innerhalb der Kybernetik und Systemtheorie. 33 In der Entwicklung dieser beiden neuen wissenschaftlichen Disziplinen drückt sich aber auch eine Veränderung im Hinblick auf das Verständnis der Realität und ihrer Erschließung aus. Nicht mehr einzelne empirische Phänomenbereiche werden analysiert, sondern der Systemgedanke betont einen interaktiven Ansatz, indem die Interdependenz von Einzelsystemen innerhalb eines Gesamtsystems, durchaus im Sinne eines Holismus verstanden, im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses steht. In diesem Zusammenhang muß jedoch daraufhingewiesen werden, daß mit diesem strukturtheoretischen Vorgehen zugleich ein Bedeutungs-, wenn nicht gar ein Gegenstandsverlust verbunden ist. Denn es wird bewußt, aufgrund methodenökonomischer Intentionen, von Bedeutungsgehalten und Gegenständen abstrahiert, um symbolisierte Relationenzuordnungen vollziehen zu können. Lenk (1982) interpretiert die Systemtheorie als ein operatives Modell, das Formalisierungs- und Kalkülisierungsinstrumente zur Verfügung stellt, die einen " ... instrumentellen Charakter aufweisen zur Darstellung der erst zu liefemden inhaltlichen Modellaussagesysteme oder der empirischwissenschaftlichen Theorien und die somit der diesbezüglichen Ergänzung bedürfen.''34 Nach Lenks Deutung bedürfen operative Modelle systemtheoretischer Ausrichtung jedoch, wenn sie als Theorien klassifiziert werden sollen, neben einer Zuweisung ihrer Referenda auch einer Ergänzung durch nomologische Hypothesen. Dennoch können sich diese Modelle beim Versuch eines Zugangs zu komplexen Systemen als methodischer Gewinn erweisen, da sie, trotz ihres lediglich deskriptiven und instrumentellen Charakters, für eine Simulation empirischer Realsysteme mittels Computer herangezogen werden können. In diesem Zusammenhang wird von Lenk aber auch besonders die Flexibilität des Modellbegriffs betont, die seine Verwendung, trotz des lediglich hypothetischen Charakters im Hinblick auf eine Realgeltung, begründet: 32

Vgl. m. Anmk. 4, S.57.

Vgl. m. W. R. Ashby: Einführung in die Kybernetik, 1974, S.l48; u. L. v. Bertalanffy: General System Theory, 1973, insb. Chap.3; u. H. Stachowialc: Denken und Erkennen im kybernetischen Modell, 1975 (2. Aufl.). 33

34

Vgl. m. H . Lenk: Zur Sozialphilosophie der Technik, 1982, S.115f.

I. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

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,,Das Modellspiel ist flexibel, in der heuristischen Interaktion zwischen Wissenschaftler und Systemmodell schrittweise aufgebaut und schwebt gleichsam als fiktive Modellkonstruktion ohne strikte Gesetzeskraft über dem 'Boden der Realität' .''35 Diese einleitenden Darlegungen verdeutlichen, wie z.B. auch Apostel (1961) hervorhebt, daß auch innerhalb der naturwissenschaftlichen und mathematisch bestimmten Wissenschaftsdisziplinen ein umfangreiches Bedeutungs- und Funktionsfeld des Modellbegriffs gegeben ist. Die dem gegenwärtigen empirisch orientierten Epistemologiekonzept zugrundeliegende begriffliche Bestimmung des Modellbegriffs, im Sinne einer expliziten begrifflichen Defmition, ist daher auch erst jüngeren Datums, d.h. erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisbar36 . So erhielt der Modellbegriff erst mit Tarskis (1935/36) Formulierung eines axiomatisierten, formal-semantischen Modellbegriffs innerhalb der Mathematik und Logik eine exakte Definition und ein spezifisches Anwendungsgebiet zugewiesen, obwohl der Modellbegriff innerhalb der Mathematik auch im deutschen Sprachraum schon länger in Gebrauch war3 7 . Dieser formale Modellbegriff, dabei handelt es sich um die formal-semantische Interpretation von syntaktischen Kalkülkonstruktionen, ist somit auch in die Grundlagendiskussionen der Mathematik, die das erste Drittel dieses Jahrhunderts bestimmten, eingebettet und kann informell als Deutung, die einen Ausdruck A (Kalkül) erfüllt, d.h. eine wahre Interpretation von A darstellt, beschrieben werdcn.38 Besonders in der empirischen Theorienbildung der Gegenwart kommt aufgrundder großen Akzeptanz hinsichtlich der Verwendung formaler bzw. formal-semantischer Modelle die schon mehrfach angesprochene Orientierung am Wissenschaftsideal Mathematik zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang stellen sich daher zwei Problemebenen: Zum ersten die Frage nach dem Geltungsanspruch der aus der Transferierung der formalen, mathematischen Modelle auf die Erfassung empirischer Phänomenbereiche resultierenden Erkenntnisgebilde und zum ·zweiten, natürlich in enger Verflechtung zum ersten Problemkomplex, die Frage nach der Funktion des Modellbegriffs in einem metatheoretischen, methodologischen Sinne. So wird z.B. von W. Deppe39, 35

Vgl. m. Anmk. 34, S. l19.

Vgl. m. M. Jammer: Die Entwicklung des ModeUbegriffs in den physikalischen Wissenschaften, 1965, S.l67. 36

37 Vgl. z.B. m. ChT. Wolf!: Mathematisches Lexicon, 1716; u. J. H. Zedler: Grosses vollständiges UniversaUexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd.21, 1739; u. J. H. G. Jacobsson: Technologisches Wörterbuch, 1783; u. L. Boltzmann: Vorlesungen über MaxweUs Theorie der Electricität und des Lichtes, 1898 .

38 Vgl. m. W. Marlcwald: Einführung in die formale Logik und Metamathematik, 1972. Weitere Ausführungen zu diesem Themenbereich werden in Kap.III dargestellt. 39

Vgl. m. W. Deppe: Formale Modelle in der Psychologie, 1977, S.l47.

2. Das Modellverständnis innerhalb aktueller Epistemologiekonzepte

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einem an methodologischen Fragen der Psychologie interessierten Empiriker, die Verwendung formaler, mathematisch-logischer Modelle als ein Element eines methodischen Zugangs innerhalb der Psychologie verstanden. Die folgende Diskussion ist daher auch als eine methodologische Fragestellung zu identifizieren, in jenem Sinne, daß Modelle hinsichtlich einer Theorie der Methoden gedeutet werden können, was dann Gegenstand einer Modelltheorie in Form einer allgemeinen Methodologie wäre. Dabei ist unter einer methodologisch orientierten Modelltheorie eine Theorie der Anwendung von jenen Modellen zu verstehen, die als ein Instrument bzw. Hilfsmittel der Theorienbildung fungieren. Innerhalb dieser methodologischen Interpretation der Modelltheorie müssen des weiteren aber zwei Problemebenen unterschieden werden: Zum ersten impliziert die Frage nach der Möglichkeit einer methodologischen Modelltheorie zugleich das Problem einer Logik der Forschung40 , was die Frage aufwirft, inwieweit empirischer Forschung, aber auch wissenschaftlicher Tätigkeit im allgemeinen, überhaupt eine verbindlich logische oder informelle, jedoch auch rationale Struktur im Hinblick auf ihr Vorgehen, der Operationalisierung ihrer Instrumente, der Begründung und Darstellung ihrer Ergebnisse, zugebilligt werden kann. In diesem Zusammenhang kann eine weitere Komplexitätsebene hinzugewonnen werden, wenn man die Reichenbachsche41 Unterscheidung zwischen einem 'context of discovery' und 'context of justification' innerhalb dieses Diskurses mitberücksichtigt Zwar negiert Reichenbach die Möglichkeit einer logischen Strukturanalyse des 'context of discovery', dennoch muß aber die Frage nach dem methodologischen Gewinn des Modellbegriffs in diesem Problemzusammenhang gestellt werden, wenn man das Ziel wissenschaftlicher Forschung als rational strukturierten Erkenntnisgewinn etwa hinsichtlich des empirischen Phänomenbereichs und nicht lediglich als Deskription intuitiver Wissensbestände versteht. Gibt es demnach so etwas wie eine Logik des Erkenntnisgewinns in Form einer Logik des Erkenntnisprozesses? Eine mögliche Beantwortung dieses Problemfeldes wird in Zusammenhang mit dem Problem der Theoriendynamik in Kapitel III dieser Arbeit diskutiert. Zum zweiten impliziert der Problemkomplex einer methodologisch gedeuteten Modelltheorie die Frage nach der Funktion einer logischen Rekonstruktion empirischer Theorien, wie auch in Kapitel III noch differenzierter dargestellt wird. Eine empirische Theorie, formuliert mittels eines spezifischen (formalen) semantischen Sprachsystems, soll in diesem Zusammenhang zum einen einen spezifischen Erkenntnisgewinn sichern, wie sie auch zum zweiten einer spezifisch 40 Vgl. m. K. Popper: Logik der Forschung, 1982, S.37. Im Gegensatz zu Poppers Position, die sich am mathematischen, formal-semantischm Modellbegriff orientiert, erhält der Modellbegriff ein erweitertes Bedeutungsfeld mgewiesm, indem eine methodologisch gedeutete Modelltheorie im Sinne einer Logik bzw. formalen Rekonstruktion der Forschung interpretiert wird. 41

Vgl. m. H . Reichenbach: Der Aufstieg der wissenschaftlichm Philosophie, 1968, S.258ff.

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1. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

wissenschaftlichen Deskriptionsnorm genügen soll, wobei natürlich die Hintergründe dieser Normierung und das Ziel der Deskription innerhalb dieser Arbeit noch zu analysieren und zu bewerten sind. Hinsichtlich der Intention des spezifischen Epistemologiekonzeptes empirischer Forschung, nämlich wahre bzw. empirisch sinnvolle, somit operational transferierbare Aussagen, Beschreibungen der phänomenalen Wirklichkeit zu erschließen, stellt sich natürlich die Frage, inwieweit mit diesem Vorgehen ein wissenschaftlicher Fortschritt, wie immer er auch interpretiert wird oder beschaffen sein mag, in Verbindung zu bringen ist. Ermöglicht demnach die logische Rekonstruktion empirischer oder auch nicht-empirischer Theorien einen Erkenntnisfortschritt im oben formulierten Sinne oder wird nur eine spezifische Norm erfüllt? Gerade aber in Zusammenhang mit dem Gebrauch des Modellbegriffs im strukturtheoretisch-mathematischen Sinne - dieser Modellbegriff kann der Klasse der strukturellen und abstrakten Modelle zugeordnet werden - können zwei Interpretationsmöglichkeiten im Hinblick auf das Theorienverständnis innerhalb des gegenwärtigen Epistemologiekonzeptes als wesentlich identifiziert werden: (I) Durch die Übertragung des logischen Modellbegriffs auf den Begriff der empirischen Theorie wäre es möglich, von einem Modell nicht mehr nur im Sinne einer wahren Interpretation eines Kalküls A, sondern auch im Sinne der Erfüllung einer axiomatisiert vorliegenden empirischen Theorie zu sprechen. (2) Des weiteren könnte man mittels einer defmitorischen Zurückführung des Begriffs des Analogiemodells auf den Begriff des (logischen) formal-semantischen Modells eine Präzisierung der zuvor schon betonten traditionellen Funktion des Modellbegriffs im Sinne einer Heuristik versuchen. Demnach würde, wie Stegmüller (1983) ausführt, gelten: ,,Isomorphe Modelle ein und derselben axiomatischen Theorie wären dann wechselseitige Analogiemodelle voneinander."42 Beide Möglichkeiten setzen jedoch eine axiomatisierte Darstellungsform der empirischen Theorien voraus, eine Bedingung, die von den wenigsten Theorien erfüllt wird. Dieses Problem verdeutlicht somit auch den Hintergrund für die so intensiven Axiomatisierungsbemühungen, die das aktuelle Bild des logischen Rationalismus in Form einer logischen Rekonstruktion empirischer Theorien bestimmen. Jedoch muß in diesem Zusammenhang auch das zugrundeliegende methodische Ideal der Axiomatisierung hinsichtich der damit verbundenen Ziele, des Leistungsvermögen, des Begründungs- und Geltungsanspruchs hinterfragt werden, eine Problemstellung, die in Kapitel II wieder aufgegriffen wird. Doch über die Transferierung des mathematisch-strukturtheoretischen und mengentheoretischen Modellbegriffs auf die Konstituierung und formale Rekonstruktion empirischer Theorien hinaus, ist die Anwendung des Modellbe42 Vgl. m. W. Stegmüller: Probleme Wld Resulrate der Wissenschaftstheorie Wld analytischen Philosophie, Bd.l, 1983, S.175.

2. Das Modellverständnis innerhalb aktueller Epistemologiekonzepte

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griffs innerhalb der Erfahrungswissenschaften durch zwei weitere wichtige Bedeutungsfelder geprägt, zum einen durch die Deutung von Theorien als idealisierende Modelle und zum zweiten durch die Funktion als Analogiemodell.43 Das vorherrschende Verständnis des Modellbegriffs im Zusammenhang mit empirischen Theorien kommt in der Interpretation von Theorien als idealisierende Modelle zum Ausdruck. Mit dieser Formulierung soll betont werden, daß diesen Theorien lediglich ein noch hypothetischer Geltungsanspruch zugrunde liegt, daß es sich um vorläufige Konstrukte handelt, die einer Ergänzung aufgrund der zugrundeliegenden vereinfachenden Annahmen bedürfen. Streng betrachtet, wird innerhalb dieses Ansatzes eine scharfe Unterscheidung zwischen Modell und Theorie vollzogen, so daß das verwendete Modelllediglich einen methodischen Zwischenschritt, im Gegensatz zur abgeschlossenen Theorie, darstellt. Versteht man den Begriff der Theorie und des Modells in diesem Zusammenhang jedoch als Synonym, ein Ansatz, der den adäquateren Zugang darstellt, so wird auch der Geltungs- und Begründungsanspruch der empirischen Theorien relativiert, indem es sich lediglich stets nur um vorläufige, idealisierte Zugangsweisen zur Empirie handelt. Wie zuvor schon erwähnt wurde, wird das zweite wichtige Bedeutungsfeld des Modellbegriffs durch die Verwendung als Analogiemodell repräsentiert. So wird auch von Stegmüller (1983) den Analogiemodellen im Zusammenhang mit der Funktion einer Erklärung noch ein gewisser Erkenntniswert, wenn auch 'nur' auf heuristischer Ebene, zugestanden. 44 Dieser heuristische Gewinn zeigt sich z.B. in jenem Vorgehen, daß ein bereits erforschter Gegenstandshereich für neue Anwendungen herangezogen wird, wie es etwa in der Deutung der Elektrophysik durch mechanistisch orientierte Modelle vollzogen wurde. Stegmüller betont daher bei dieser Form modelltheoretischer Interpretationen erfahrungswissenschaftlicher Theorien, jedoch im Sinne einer Kritik, " ... daß der tatsächliche Geltungsbereich der Theorie ein sehr begrenzter ist."45 Hinsichtlich des Erkenntniswertes äußert er sich sogar eher pessimistisch bis negativ: "Sie werden, wenn überhaupt, in den meisten Fällen nur approximative Erklärungen und Prognosen gestatten."46 In einem ähnlichen approximativen Sinne wird der Modellbegriff auch von Popper (1984) gebraucht: ,,Modelle sind von unserem Standpunkt aus nichts anderes als Versuche, neue Gesetze auf schon überprüfte Gesetze zurückzuführen (sowie auf Annahmen über typische Anfangsbedingungen oder das Vorhandensein einer typischen Struktur - das heißt das Modell im engeren Sinne)." 47 Dieser Pro42 u. W. K. Essler: Wissenschaftstheorie Bd.II, 1971, S.41.

43

Vgl. m. Anmk.

44

Vgl. m. Anmk. 42, S.171ff.

42.

45

Vgl. m. Anmk.

46

Ebenda.

47

Vgl. m. K. Popper: Objektive Erkenntnis,

1984 , S.373.

46

l. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

blembestand, insbesondere die Frage nach dem Geltungsanspruch, nach der Geltungsreichweite und dem Begründungszusammenhang empirischer Theorien, die auch als empirische Modelle interpretiert werden können, wird in Kapitel III wieder aufgegriffen und es wird des weiteren der Versuch eines differenzierteren Zugangs zu diesem Problemfeld unternommen. Vorausgreifend muß jedoch angemerkt werden, daß die heuristische Funktion des Analogiemodells auf eine in dieser Arbeit noch zentral werdende dezisionärpragmatisch bestimmte Implikation des Modellbegriffs verweist, wie sie in Stachowiaks Erkenntniskonzept eines 'Systematischen Neopragmatismus' 48 differenziert analysiert wird. Nähere Ausführungen zu diesem Erkenntniskonzept werden in Kapitel IV dieser Arbeit dargestellt. Wie schon mehrfach innerhalb dieses Kapitels betont wurde, kommt der mathematischen Strukturtheorie im Zusammenhang mit der Operationalisierung des Modellbegriffs ein zentraler Stellenwert zu, so daß es mir wichtig erscheint, noch einmal differenzierter auf diesen Modellbegriff einzugehen, auch um ein besseres Verständnis für die Folgeentwicklungen innerhalb der Genese der Adaption des Modellbegriffs zu ermöglichen. Hinsichtlich dieses strukturtheoretischen Verständnisses des Modellbegriffs und seiner Operationalisierung innerhalb der an den Formalwissenschaften orientierten Wissenschaftsdisziplinen bieten sich, um an dieser Stelle nur ein Beispiel von verschiedenen möglichen Zugängen zu nennen, zwei unterschiedliche Möglichkeiten an, die zwar in einem gewissen systematisch-historischen Zusammenhang stehen, jedoch hinsichtlich der aus den unterschiedlichen Konzepten resultierenden erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Folgerungen weitreichende Differenzen aufweisen. Gemeint sind in diesem Zusammenhang zum einen ein am metamathematischen Modellbegriff orientierter, dem 'Statement-view' - Theorien werden als Aussagesysteme interpretiert - zuzurechnender Ansatz und zum zweiten der aus der Kritik an ersterem Ansatz hervorgegangene modelltheoretische Ansatz des 'Systematischen Neopragmatismus', der auf Stachowiak zurückgeht. Innerhalb der ersten Konzeption kann man eine Definition des Modellbegriffs im Sinne des mathematischen Modellbegriffs, ausgedrückt als eine relationale Bestimmung, wie folgt versuchen: Eine Modellrelation als Beziehung zwischen einem Modell und einem Original ist dann gegeben, wenn zwischen zwei Strukturbereichen S1 und S2 , somit zwischen dem Abbild (Modell) und dem abgebildeten System (Original), eine mindestens partielle und hornamorphe Relation vorliegt 49 Neben der Frage nach der Adäquatheil der Transferierung des mathematischen, strukturtheoretischen Instrumentariums auf den mittels des Modellbegriffs beschriebenen empirischen Theorienbegriff, ist dieser Defmitionsversuch zum anderen durch 48 Vgl. m. H. Stachowiak: Etkenntnissmfen zum Systematischen Neopragmatismus meinen Modelltheorie, 1983. 49

Vgl. m. Anmk. 39, S,148f.

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mr Allge-

2. Das Modellverständnis innerhalb aktueller Epistemologiekonzepte

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ein weiteres immanentes Problem, das sich aus der Transferierung des mathematischen Modellbegriffs ergibt, gekennzeichnet. Der mathematische Modellbegriff ist auch in diesem Zusammenhang nach Tarski (1953) dahingehend zu verstehen, daß ein Modell eine Realisation einer Theorie ist, in der alle gültigen, d.h. deduktiv ableitbaren Sätze der Theorie erfüllt sind.5° Diese Deutung liegt auch Suppes Modellbegriff der Relation Modell und Theorie zugrunde: "Grob gesprochen kann man ein Modell einer Theorie defmieren als mögliche Realisation, in der alle gültigen Sätze der ·Theorie erfüllt sind. Und eine mögliche Realisierung einer Theorie ist eine Entität passender mengentheoretischer Struktur.''51 In diesem Sinne fonnulieren auch Essler (1971) und Kutschera (1982) den Zusammenhang zwischen einer Theorie und dem mathematisch orientierten Modellbegriff, etwa wenn Essler ausführt: ,,Denn daß eine Gegenstandsart Modell einer Theorie ist, wird als gleichwertig angesehen damit, daß es eine semantische Interpretation über den Bereich dieser Gegenstände gibt, bei der alle Sätze dieser Theorie wahr sind; ... :·52 Aus Kutscheras Deutung folgt sogar eine direkte Synonymität zwischen einem mathematischen Modell und einer empirischen (physikalischen) Theorie: ,,Physikalische Theorien sind nichts anderes als mathematische Modelle der physischen Wirklichkeit." 53 Auf diese Möglichkeit der Interpretation von Theorien macht auch Stegmüller aufmerksam, wobei in diesem Zusammenhang eine direkte Interdependenz zwischen dem fonnalen Modellbegriff der Logik und dem Begriff einer Theorie, Theorie im 'Statement-view' als eine Klasse von Sätzen verstanden, unterstellt wird: ,,Der Begriff der logischen Wahrheit von Sätzen (oder der Allgemeingültigkeit von Formeln) sowie der Begriff der logischen Folgerung werden auf den Modellbegriff zurückgeführt."54 Aus dieser Konzeption folgt, daß, wenn man eine Theorie als eine Klasse von wohlgefonnten Sätzen oder Formeln versteht, es notwendig ist, bei einer Unterstellung einer logischen Wahrheit der Sätze der Theorie, auf den mathematischen Modellbegriff zu rekurrieren. Letzterer Ansatz bezieht sich zwar lediglich auf das immanente mathematische Modell, dennoch wird mit der durch ein mathematisches Modell dargestellten empirischen Theorie auch innerhalb dieser fonnalsemantischen Konzeption ein Geltungsanspruch im Hinblick auf den empirischen Phänomenbereich unterstellt, wobei dieses formale Beschreibungsmodell noch einer empirischen Validierung bedarf. Zwar stellt auch Suppes (1981) mengentheoretische Fonnulierung schon eine gewisse Weiterentwicklung im Vergleich zu Esslers (1971) und Kutscheras (1982) noch direkt am fonnal-semantisch, mathematisch bestimmten modelltheoreti50 Vgl. m. A. Tarski: A General Method in Proofs of Undeddability, 51 Vgl. m . P.

Suppes: Modelle von Daten, 1983, S.l9l.

52

Vgl. m. W . K . Essler: Wissenschaftstheorie, Bd.II, 1971, S.42.

53

Vgl. m. Anmk. 22, S.177.

54

Vgl. m . Anmk. 42, S.174.

1953.

I. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

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sehen Ansatz dar, jedoch versucht Kapitel III aufzuweisen, daß wesentliche immanente Probleme dieses Modellverständnisses auch in Suppes Ansatz ungelöst bleiben, die sodann auf die Notwendigkeit einer pragmatischen Fundierung verweisen, wie sie in Stachowiaks Ansatz erstmals systematisch vollzogen wird. Die Verknüpfung des tradierten Modellbegriffs mit dem fonnalen, mathematischen und strukturellen Modellbegriff, im Sinne einer analogisierenden, heuristisch-veranschaulichenden Funktion, wird insbesondere auch in der Repräsentationsfunktion des Modells hinsichtlich idealer oder realer Entwürfe - auch im Hinblick auf die Wirklichkeitskonstitution - deutlich und zwar in der Transferierung des mathematischen Modellbegriffs auf die empirische Theorienbildung. Versteht man zum ersten, wie schon mehrfach erwähnt wurde, unter dem Begriff des mathematischen Modells eine fonnal-semantische Deutung, Interpretation, die einen fonnalen Ausdruck a bzw. alle formal-abstrakten Ausdrücke einer Menge A erfüllt und somit eine wahre Interpretation darstellt55 , zum zweiten unter einer empirischen Theorie, gemäß dem 'Statement-view', eine wahre Satzklasse, die wahre Aussagen über die Empirie wiedergibt, so repräsentiert das fonnale, mathematische Modell, formuliert z.B. in Fonn eines Axiomensystems A, das empirische Modell Memp bzw. die Empirie E als ein Darstellungsmodell Mn, somit also eine empirische Theorie. 56 Die Schwierigkeit dieser Ansätze im Sinne des oben genannten Definitionsversuchs besteht jedoch in der Unmöglichkeit, aufgrund der Definition selbst eine eindeutige Bestimmung von Original- und Modellbereich vorzunehmen, d.h. bei z.B. zwei vorgegebenen Strukturen zu entscheiden, welche der beiden Strukturklassen als Modell- oder Originalbereich und vice versa anzusehen ist. Die hinsichtlich des Defmitionsversuches bestehende Notwendigkeit einer eindeutigen Bestimmung von Abbild (Modell) und Abgebildetem (Original bzw. Objektbereich), und die innerhalb der Wissenschafts- und Sprachpraxis in den meisten Fällen bestehende Unmöglichkeit einer Erfüllung dieser Forderung, kann, in Folge des Nichtbeachtens dieser Schwierigkeit, für die aus den Modellrelationen abgeleiteten Aussagen, weitreichende Folgen in Fonn von Sinnverschiebungen bzw. Sinnentstellungen nachsichziehen.57 Gesucht ist also eine Definition, sofern sie überhaupt ge55

Vgl. m. Anrnk. 38, S.41.

Diese Darstellung ist lediglich als eine informelle Arunerkung zu werten, eine differenziertere Diskussion fmdet sich in Kapitel IV. 56

57 W. Deppe (vgl. m. Arunk. 39, S.l49) führt in diesem Zusanunenhang ein Beispiel aus der psychologischen Forschung an, das den Zusanunenhang veranschaulicht. Demnach seien zwei Systeme von Aussagen (Satzsysteme) gegeben: I:1 : Theorie der abhlingigen stochastischen Prozesse; I:z : Das Problem des menschlichen Begriffserwetbs, das mittels eines stochastischen Prozesses beschrieben wird. Ein Mathematiker würde z.B. I:1 als Original interpretieren und I:2, ein nach stochastischen Prozessen arbeitender Mensch, als Modell der Theorie der abhänigen stochastischen Prozesse deuten. Bei einem Psychologen hingegen würde es sich genau um die umgekehrte Zuordnung der Systeme

2. Das Modellverständnis innerhalb aktueller Epistemologiekonzepte

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mäß des notwendig weiten Bedeutungsfeldes möglich ist, die diese Schwierigkeit beseitigt bzw. erst gar nicht impliziert. W. Deppe (1977) versucht, in Rückgriff auf Apostel (1961), dieser Schwierigkeit dadurch zu begegnen, indem eine Bestimmung von Modell- und Originalbereich nicht innerhalb des immanenten Relationengebildes vollzogen wird, sondern erst nach der eigentlichen Modeliierung aufgrund einer vierstelligen Relation R(S, P, M, T), somit aufgrund einer pragmatischen Entscheidung, erfolgt. Diese vierstellige, pragmatisch bestimmte Relation R besagt, " ... daß ein Subjekt S in der Absicht P das Modell M als Modell für den Prototyp T benutzt."58 Modell- und Originalbereich werden also nicht mehr innerhalb der immanenten relationalen Struktur, somit auch nicht mehr innerhalb des formalen, mathematischstrukturtheoretischen Modells bestimmt und sind somit auch nicht mehr ausschließlich Gegenstand einer formal-semantischen Modelltheorie. Vielmehr bestimmen die vom ModellbenutzerS intendierten Anwendungen I (bzw.P), denen spezifisch pragmatisch bestimmte Erkenntnisintentionen zugrunde liegen, welche der beiden Strukturen S1 u. S2 als Modell bzw. Original zu interpretieren sind.59 Insbesondere Stachowiak60 betont innerhalb seines modellistisch-pragmatologisch orientierten Epistemiologiekonzeptes, im Sinne eines Systematischen Neopragmatismus, die notwendig pragmatisch ausgerichtete Einbettung einer erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Konzeption, die stets als modellistisches Erkenntniskonzept, jedoch außerhalb eines lediglich strukturthteoretischen Verständnisses, zu verstehen ist. Des weiteren impliziert dieser erkenntnistheoretische Ansatz eine umfassende Kritik am traditionellen Wissenschaftsverständnis, indem ein Erkenntniskonzept zurückgewiesen wird, dessen Basis ein absoluter Wahrheitsbegriff und ein apriorischer Wirklichkeitsbegriff bildet. Statt dessen wird ein intentional-pragmatischer Erkenntnisbegriff thematisiert, der auch die Frage nach dem 'Wissen wozu?' in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses rückt. Da das Original methodisch lediglich ausgehend vom Modell erschlossen werden kann, eine bestbewährte empirische Theorie (empirisches Modell) nicht als approximative Annäherung an die Realität zu verstehen ist, da dieses Modell zugleich immer intentional-pragmatisch relativiert werden muß, können auch keine definitorisch eindeutigen, objektiven

handeln: 58

r.1 wäre das Modell und r.:, hingegen das Original.

Vgl. m. Anrnk. 39, S.l50.

59 Auch in diesem Zusammenhang kann ein Beispiel Deppes (vgl. m. Anrnk. 39, S. l57) mr Veran· schaulichung herangezogen werden. Dabei steht das Problem im Mittelpunkt, welchen Sinn und Zweck Tierversuche innerhalb der empirischen Forschung besitzen, in Form der Frage: Sind Tiere geeignete Modelle für Menschen? Die pragmatische Variable P soll es ermöglichen, die unterstellten Struktur· symmetrien zwischen Tier und Mensch, z.B. in Form der elektrophysiologischen Struktur des Nervensystems, präzise hinsichtlich der spezifischen Forschungsintentionen m bestimmen. 60

Vgl.m. Anrnk.l , S.131ff.

4 Wemecke

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I. Kap.: Zur Propädeutik des Modellbegriffs

Aussagen über das Original (Realität) abgeleitet werden. Demnach bestimmt ein konstruktiver Zugang die Welterschließung, was jedoch nicht mit einem allgemeinen Relativismus verwechselt werden darf, denn eine Empirie ist zwar als Basis des Modellierungsprozesses innerhalb empirischer Modelle Voraussetzung und auch Bewährungsbasis, indem als Validierungskriterium lediglich die Bewährung des Modells in seiner Operationalisierung als möglich erachtet wird, jedoch muß der Bewährungsbegriff selbst immer als pragmatisch-intentional relativiert interpretiert werden. Dieses Konzept impliziert demnach einen Bewährungsfortschritt, der sich aber an einer rationalen Rekonstruktion der die Entscheidungsprozesse bestimmenden pragmatischen Elemente zu orientieren hat. Erkenntnis wird demnach durch zwei Momente bestimmt, zum einen durch den pragmatischen Entschluß61 und zum zweiten durch das Modellkonzept der Erkenntnis62 . Innerhalb der Stachowiakschen 'Allgemeinen Modelltheorie' ist Erkenntnis daher stets Erkenntnis in Modellen, d.h. sie ist immer Modell von etwas, Abbildung oder Repräsentation von natürlichen oder künstlichen Erkenntnisobjekten, jedoch orientiert sie sich, im Unterschied zu den bisher vorgestellten Ansätzen, nicht am formal-semantischen, mathematisch-strukturtheoretisch bestimmten Modellbegriff, sondern impliziert einen sowohl strukturellen als auch materialen Abbildungsbegriff. Des weiteren erfährt der Modellbegriff innerhalb Stachowiaks Systematischen Neopragmatismus auch die Zuweisung einer meta-erkenntnistheoretischen Funktion, wenn er etwa ausführt: ,,Hiernach ist alle Erkenntnis in Modellen oder durch Modelle, und jegliche menschliche Weltbegegnung überhaupt bedarf des Mediums Modell.''63 Dieser modelltheoretische Ansatz wird aber nur adäquat erfaßt, wenn seine pragmatische Einbettung mitberücksichtigt wird. In diesem pragmatologischen Sinne wird der Abbildungsbegriff in jenem Sinne relativiert, als das Modell aufgrund der Entscheidungen und spezifischen Erkenntnisintentionen des Modellbildners nicht alle Attribute des modellierten Originalbereichs erfaßt, so daß der Modellierungsprozeß stets auch präterierte und abundante Attribute aufweist. Dieses pragmatisch bestimmte modellistische Erkenntniskonzept unterliegt stets dem Frageschema: ..... Modell wovon, für wen, wann und wozu.'