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German Pages 376 [361] Year 2013
Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 21 Herausgegeben von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers
Maria Framke
Delhi – Rom – Berlin Die indische Wahrnehmung von Faschismus und Nationalsozialismus 1922–1939
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . .
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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Untersuchungsgegenstand, Quellen und Methodik . . . . . . 1.2 Ausgangsthesen und Aufbau des Buches . . . . . . . . . . .
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte . . . . 2.1 Faschismusforschung: Ansätze und Theorien . . 2.2 Nationalismen in Indien in der Zwischenkriegszeit 2.3 Faschismus in Indien . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Indische Faschisten? Zwei Fallbeispiele . . . . .
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3. Wissenschaftsaustausch und Propaganda: Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . 3.1 „Konstruktive Kooperation zwischen dem Osten und dem Westen“: Das IsMEO und die italienischen Bemühungen um kulturelle und Bildungspropaganda in Indien . . . . . . . . 3.2 Kulturaustausch oder Propaganda? Die Deutsche Akademie und ihre indischen Stipendiaten im nationalsozialistischen Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Organisation und Erziehung der Jugend als Voraussetzung für eine disziplinierte und geeinte Nation: Indische Debatten . . . . . . . . 4.1 Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Opera Nazionale Balilla: Ein Modell für die indische Jugend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Hindunationalistische Ambitionen: Moonje, Savarkar und die militärische Erziehung der indischen Jugend . . . . . 4.1.3 Die Wahrnehmung der italienischen Jugendorganisationen und des faschistischen Ideals der Körperkultur . . . . . . 4.2 Disziplin, nation building und Führerkult . . . . . . . . . . . 4.3 Nationalsozialistische Jugendpolitik als Vorbild für Indien? . . 4.3.1 Die Jugend- und Bildungspolitik der Nationalsozialisten .
81 81 85 86 96 104 109 109
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Inhaltsverzeichnis
4.3.2 Die indische Auseinandersetzung mit den Veränderungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rassismus und Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Indische Debatten zu nationalsozialistischen Rassentheorien . 5.1.1 „Wir sind (ebenfalls) Arier!“ Die indische Auseinandersetzung mit rassistischen Diskriminierungen in Deutschland 5.1.2 Aneignungen deutscher Rassentheorien in Indien? . . . . 5.1.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Indische Wahrnehmungen der Judendiskriminierung und -verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland und faschistischen Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Kontroversen um die Immigration jüdischer Flüchtlinge nach Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Italien und Deutschland: Referenzmodelle für Indiens wirtschaftliche Entwicklung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Nationale Planung im faschistischen Sinne: Ein Weg für Indien? 6.1.1 Planungsdiskurse auf dem südasiatischen Subkontinent . . 6.1.2 Die Arbeitslosenpolitik Deutschlands in indischen Debatten 6.1.2.1 Hitlers Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen . . . . . 6.1.2.2 Der Reichsarbeitsdienst . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Die korporative Staatswirtschaft in Italien: Ein Modell für die Bildung der indischen Nation? . . . . 6.1.4 Infrastrukturausbau, Landwirtschafts- und Sozialpolitik . 6.2 Die deutsch-indischen Handelsbeziehungen . . . . . . . . . . 6.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik . . . . . . . 7.1 Anti-Koloniale Solidarität? Der Abessinienkrieg . . . . . . . 7.1.1 Italiens Außenpolitik bis 1936 . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Die indische Wahrnehmung des Abessinienkrieges . . . . 7.1.2.1 Indische Diskussionen der italienischen Eroberungsmotive . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2.2 Hilfe für Abessinien? Indische Überlegungen und Positionierungen nach Ausbruch des Krieges . . . 7.1.3 Die Verantwortung Großbritanniens . . . . . . . . . . . 7.1.4 Völkerbund und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
7.2 Die Sudetenkrise 1938: Indische Kontroversen zur deutschen Expansionspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Die nationalsozialistische Außenpolitik . . . . . . . . 7.2.2 Indische Einschätzungen des deutschen Expansionismus und der tschechoslowakischen Minderheitenpolitik . . . 7.2.3 Vom Münchner Abkommen zum Ende der Tschechoslowakei: Die Beurteilung des Verhältnisses von Faschismus und Imperialismus und die Rolle der britischen Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Biografischer Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Meinen Eltern sowie Mirko und Nitin
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen ABP A.I.C.C. A.P. ASMAE BJVS BC BL B.N.C.C. BS CR CS CSP CWMG DKLV
Amrita Bazar Patrika All India Congress Committee Associated Press Archivio Storico del Ministero degli Affari Esteri Bangiya Jarman Vidya Samsad Bombay Chronicle British Library Bengal National Chamber of Commerce Bombay Sentinel Calcutta Review Congress Socialist Congress Socialist Party The Collected Works of Mahatma Gandhi Deutsche Kultur im Leben der Völker – Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums – Deutsche Akademie EPW Economic and Political Weekly G.I.L. Gioventù Italiana del Littorio G.U.F. Gruppi Universitari Fascisti HMS Hindu Mahasabha HJ Hitlerjugend HO The Hindu Outlook IESHR Indian Economic and Social History Review IJE Indian Journal of Economics INC Indian National Congress IOR India Office Records (OIOC Oriental and Indian Office Collection, now Asian and Africa Collections) IsMEO Istituto Italiano per il Medio ed Estremo Oriente MAwEPD Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums – Deutsche Akademie MR Modern Review MAS Modern Asian Studies NCW Netaji Collected Works NPEA Nationalpolitische Erziehungsanstalt NPC National Planning Committee NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NMML Nehru Memorial Museum and Library O.N.B. Opera Nazionale Balilla O.N.D. Opera Nazionale Dopolavoro PA-AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes P.N.F. Partito Nazionale Fascista
10 QFIAB RAD RSS SA SDP SWGBP SWJN VfZ YA YI
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Reichsarbeitsdienst Rashtriya Swayamsevak Sangh Sturmabteilung Sudetendeutsche Partei Selected Works of Govind Ballabh Pant Selected Works of Jawaharlal Nehru Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Young Asia Young India
Danksagung Ich möchte mich an dieser Stelle bei all denjenigen Personen und Institutionen bedanken, die mich in den letzten fünf Jahren, die bis zur Fertigstellung dieses Buches vergangen sind, unterstützt haben. Zu seinem Gelingen hat maßgeblich die engagierte Unterstützung und Betreuung meines akademischen Lehrers Professor Dr. Harald Fischer-Tiné beigetragen. Ihm danke ich für angeregte und fruchtbare Diskussionen und für seine stete und interessierte Förderung in fachlicher und menschlicher Hinsicht. Mein Dank gilt weiterhin Professor Dr. Dirk Schumann und Professor Dr. Ravi Ahuja für ihre nützlichen Hinweise während des Abfassens der Arbeit. Wichtige Hilfestellungen und Anregungen inhaltlicher Art erhielt ich durch Diskussionen mit einer ganzen Reihe von Personen, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden können: Dr. Nitin Sinha, Dr. Jana Tschurenev, Prof. Dr. Nadja-Christina Schneider, Carolien Stolte, Nikolay Kamenov, Claudia Prinz, Tobias Delfs, Prof. Dr. Roger Griffin, Dr. Aditya Sarkar, Anna Sailer, Dr. Lutz Klinkhammer, Prof. Dr. Joachim Oesterheld, Dr. Kris Manjapra, Dr. Jörg Zedler, Anke Bödeker, Torsten Weber und Dr. Marcus Daechsel. Weiterhin sei allen Teilnehmern des Intercultural Humanities Colloquium der Jacobs University Bremen, der Verandagespräche am Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Rom, des Kolloquiums des Deutschen Historischen Instituts (DHI) London, des Berliner Südasiensalons sowie meinen Kollegen in Göttingen gedankt, die mit mir das Thema mehr als einmal auch außerhalb der Universität diskutiert haben. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt war so freundlich, mich für ein zweijähriges Stipendium auszuwählen. Meine Forschungsaufenthalte wurden durch das DHI London, das DHI Rom sowie durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst unterstützt, wofür ihnen mein aufrichtiger Dank gilt. Die Jacobs University Bremen gewährte mir ein Anfangs- ebenso wie ein Abschlussstipendium. Als Historikerin ist man neben seinen Kollegen ebenso den Institutionen verpflichtet, die die Quellen erhalten und pflegen. Mein Dank gilt den Angestellten der Nehru Memorial Library in Delhi, des Asian & African Studies Reading Room in der British Library, des Archivio Storico del Ministero degli Affari Esteri sowie der Fondazione Gentile in Rom, des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes, des Zentrums Moderner Orient sowie der Staats-
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Danksagung
bibliothek, alle drei in Berlin, des Universitätsarchivs München sowie der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg in Frankfurt am Main. Bei der Korrektur der Arbeit leisteten mir Durdana Förster, Mirko Lecher, Ilona Framke, Esther Möller und wiederum Jana Tschurenev, Nikolay Kamenov, Carolien Stolte und Tobias Delfs unschätzbare Hilfe. Vonseiten des Verlags unterstützte mich Daniel Zimmermann in jeder Hinsicht. Ihnen sei ganz besonders herzlich gedankt. Zu guter Letzt möchte ich meinen Freunden, vor allem Mirko, Kristina, Thomas, Sabine und Anke sowie meinen Eltern danken. Ihr Glaube an mich, ihre Unterstützung in schwierigen Zeiten und ihr Verständnis hat die Fertigstellung dieses Buches erst möglich gemacht.
1. Einleitung „In India there are no fascists“, sagte Jawaharlal Nehru in einem Interview mit dem Korrespondenten der Rudé Právo, der Tageszeitung der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei im Juli 1938. Nehru,1 führender Politiker des Indian National Congress (INC, Indischer Nationalkongress) und erster Premierminister des unabhängigen Indien führte aus: Among the hundreds of millions of Indians there is hardly a person who would sympathise with the parties of the totalitarian powers. We are very well aware of what Berlin, Rome and Tokyo want but we shall never allow the forces of our national anti-imperialist movement to be harnessed to their carriage. We shall never join such powers – not even if they would be ready to support us – because their aims are directed against democracy; they want to drown the world in blood.2
Der in dieser Passage zutage tretende Antifaschismus bestimmte Nehrus außenpolitische, aber auch seine innenpolitische Ausrichtung. Seine Auseinandersetzung mit dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland machten ihn zu einem entschiedenen Kritiker beider Regime, der beharrlich die eigenen Landsleute vor den Gefahren, die von Rom und Berlin ausgingen, warnte. Die in dem Interview aufgestellte Behauptung, dass es in Indien kaum Sympathien für Faschismus und Nationalsozialismus gebe, entsprach allerdings, und dessen war sich Nehru durchaus bewusst, keineswegs der Realität, wie die folgenden Kapitel zeigen werden. Vor dem Hintergrund der sich kontinuierlich zuspitzenden Sudetenkrise empfand es Nehru wichtig, mit seiner Darstellung Indiens als antifaschistisches Land den faschistischen Mächten eine klare Absage zu erteilen. Gleichzeitig propagierte er durch die aufgestellte Behauptung seine Vision eines außenpolitisch selbstbestimmten, dem Ideal der Demokratie verpflichtenden Indiens. Indien befand sich in den mehr als eineinhalb Jahrzehnten zwischen der ‚Machtergreifung‘ 3 der Faschisten in Italien 1922 und dem Beginn des Zweiten 1
Zu Jawaharlal Nehru siehe den biografischen Anhang. Nehru, Jawaharlal: ‚Spain, China and India (31. 07.1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 92. 3 Der Begriff ‚Machtergreifung‘ wurde von 1933 bis 1945 in der Presse und im allgemeinen Sprachgebrauch in Deutschland einerseits für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 verwendet, andererseits für den längeren Prozess der nationalsozialistischen Demokratiebeseitigung und Herrschaftsfestigung. Die NSDAP und führende Nationalsozialisten hingegen gebrauchten vorrangig den Terminus ‚Machtübernahme‘. 2
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1. Einleitung
Weltkrieges 1939 im Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialmacht. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, in dem Indien unter Aufbringung großer menschlicher und finanzieller Opfer auf der Seite Großbritanniens gekämpft hatte, befriedigten die begrenzten Zugeständnisse der konstitutionellen Reformen von 1919, die teilweise als Entschädigung für die hohen Kosten des Krieges gedacht waren, die indische politische Öffentlichkeit kaum. Ihrer Unzufriedenheit verlieh sie in den nächsten Jahren verstärkt Ausdruck; immer mehr Menschen unterschiedlicher Schichten und Religionen schlossen sich der antikolonialen Bewegung an. Diese entwickelte sich in den Folgejahren zu einer Massenbewegung angeführt von Mahatma Gandhi 4 und dem INC, unter dessen organisatorischen Schirmherrschaft unterschiedliche politische Organisationen und Gruppierungen für die indische Unabhängigkeit kämpften. Die nationalistische Bewegung veränderte mit ihren Kampagnen und Maßnahmen in der Zwischenkriegszeit nicht nur die Geschicke des Landes, sondern auch die Politik der britischen Kolonialherren auf dem Subkontinent. Obgleich die Mitglieder der Unabhängigkeitsbewegung sich vorrangig mit innenpolitischen Problemen und dem Kampf für die Beendigung der Kolonialherrschaft auseinandersetzten, nahmen indische Nationalisten, Angehörige der Intelligenzija und die indische, englischsprachige Presse regen Anteil an globalen Ereignissen. Dies wird unter anderem ersichtlich, wenn man die indische Auseinandersetzung mit dem Faschismus Italiens und in den 1930er Jahren mit dem Nationalsozialismus in den Blick nimmt. Die Entstehung beider Regime, ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturpolitischen Maßnahmen, ihre außenpolitischen Manöver und die durch sie hervorgerufenen Krisen sowie die Reaktionen der anderen Staaten, insbesondere Großbritanniens und die Haltung des Völkerbundes wurden in indischen Debatten umfassend diskutiert. Dabei gab es neben Stimmen, die dem Faschismus und Nationalsozialismus kritisch gegenüberstanden, ebenfalls Personen, die mit beiden sympathisierten oder sie sogar in mancher Hinsicht als Vorbilder für Indien begriffen. Die in der Arbeit gewählte Periodisierung von 1922 bis 1939 berücksichtigt eine Ausprägung des Internationalismus, die durch die Zwischenkriegszeit geprägt wurde und sich über imperiale Grenzen hinweg an Deutschland und Italien orientierte. 5 Während des Ersten Weltkrieges hatte es zwar Kooperationen Seit Mitte der 1980er Jahre wird von der Forschung eher von ‚Machtübergabe‘ gesprochen (vgl. Frei, Machtergreifung, S. 136–145). 4 Siehe zu Mohandas Karamchand Gandhi den biografischen Anhang. 5 Kris Manjapra schreibt, dass es in der Kolonialzeit, vor allem seit dem späten 19. Jahrhundert, eine besondere Form von anti-kolonialem Internationalismus gegeben habe. Dieser habe Querschnittskategorien wie ‚die Kolonialisierten‘ oder ‚die unterdrückten Menschen der Welt‘ Priorität vor staatlichen Identitäten eingeräumt. Diese Art von Internationalismus strebte nach transkolonialer (antikolonialer) Solidarität. Manjapra un-
Untersuchungsgegenstand, Quellen und Methodik
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zwischen indischen Revolutionären und dem Deutschen Kaiserreich gegeben und entsprechende Netzwerke und Infrastrukturen existierten in der Zwischenkriegszeit weiterhin,6 trotzdem ist das Jahr 1922 mit dem Regierungsantritt Mussolinis in Italien eine wichtige Zäsur als Anfangspunkt in der indischen Auseinandersetzung mit Faschismus. Darüber hinaus waren die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen durch einen relativ offenen intellektuellen Austausch auf internationaler Ebene gekennzeichnet. Staatliche Zensur und andere Maßnahmen zur Kontrolle der öffentlichen Meinung, obgleich in kolonial abhängigen Ländern wie Indien vorhanden, spielten eine wesentlich geringere Rolle als während der beiden Weltkriege, was zu einer weniger befangenen Atmosphäre beitrug.7 Das Jahr 1939, das als Endpunkt dieser Periode angesehen werden kann, markiert aber gleichzeitig den Beginn für eine andere Ausprägung von Internationalismus, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg wirksam wurde und von verstärkten Forderungen nach Dekolonisation vonseiten asiatischer und afrikanischer Länder und von dem beginnenden Kalten Krieg geprägt war.
1.1 Untersuchungsgegenstand, Quellen und Methodik Die bisherige Forschung zum Thema Faschismus in Indien in der Zwischenkriegszeit hat sich schwerpunktmäßig auf den Hindunationalismus und sein Umfeld konzentriert. Die Positionen und Schriften von Einzelpersonen, wie Vinayak Damodar Savarkar, Balkrishna Shivram Moonje und Madhav Sadashiv Golwalkar 8, aber auch die Resolutionen und Arbeitsunterlagen der Hindu Mahasabha (HMS) sollen hier in einen wesentlich breiteren Zusammenhang gestellt werden, nämlich die Debatten in weiteren Teilen der nationalistisch orientierten englischsprachigen Öffentlichkeit in Indien. Ein zweiter For-
tersucht in seiner Fallstudie vor allem den Kommunismus als ‚transkoloniale Ökomene‘. Seine Argumentation kann allerdings nur begrenzt Anwendung für den transnationalen Austausch zwischen Indien und Deutschland und Italien finden. Transkolonialer Internationalismus spielte allerdings eine wichtige Rolle in Hinblick auf ablehnende indische Reaktionen gegenüber Faschismus und Nationalsozialismus (vgl. Manjapra, Internationalism, S. 159 und 173). 6 Vgl. dazu Kapitel 3.2. 7 Vgl. Schneider, Darstellung, S. 87; Bhattacharya, Propaganda, S. 126 ff.; Barrier, Banned, S. 65–154. Die Regierung Britisch-Indiens ergriff in der Zwischenkriegszeit gelegentlich Repressionsmaßnahmen gegenüber der Presse. Dabei kam vor allem während der durch Gandhi initiierten Kampagne der Nicht-Zusammenarbeit, aber auch gegenüber kommunistischen und kommunalistischen Veröffentlichungen ein weitreichendes Kontrollinstrumentarium zum Einsatz (vgl. Barrier, Banned, S. 108). 8 Siehe zu Vinayak Damodar Savarkar, Balkrishna Shivram Moonje und Madhav Sadashiv Golwalkar den biografischen Anhang.
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1. Einleitung
schungsfokus lag bisher auf dem Politiker Subhas Chandra Bose, 9 der im Zweiten Weltkrieg mit den Achsenmächten zusammenarbeitete, um auf diesem Wege Indien von der britischen Kolonialherrschaft zu befreien. Bose war bis 1939 führendes Mitglied des INC. In der Literatur wird er, trotz seiner Kollaboration mit Deutschland, Japan und Italien selten als Faschist, sondern überwiegend als (fehlgeleiteter) Nationalist beschrieben, womit auch die Darstellung des INC als monolithisch antifaschistischer Block unterstützt wird. Dieses in der Historiografie verankerte Bild des INC 10 lässt sich zum einen durch die starke antifaschistische Rhetorik verschiedener Kongresspolitiker, wie z. B. Jawaharlal Nehru, sowie durch deren Einfluss auf die offizielle Ausrichtung der Partei erklären. Zum anderen scheint auch die den Faschismus und Nationalsozialismus ablehnende Haltung der Congress Socialist Party (CSP), die unter dem organisatorischen Schirm des INC arbeitete, zu dem Bild beigetragen zu haben. Im vorliegenden Buch wird die bisherige Darstellung des INC kritisch überprüft. Teilte der gesamte INC, der innerhalb seiner organisatorischen Grenzen nicht nur die linke CSP, sondern auch einen starken rechten Flügel umfasste, antifaschistische Ansichten? Wie repräsentativ waren die faschismuskritischen Stimmen in der Nationalbewegung? Diese Fragen sollen mit Hilfe eines umfangreichen Quellenkorpus beantwortet werden. Eine lebhafte Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus fand nicht nur im Rahmen der institutionalisierten Politik in Indien statt, sondern ebenfalls unter Angehörigen der bengalischen Intelligenzija, die persönliche Beziehungen zu beiden Regimen pflegten, z. B. im Kultur- und Bildungsbereich und die auf dem Subkontinent als wichtige politische Impulsgeber wirkten. Die Gruppen bzw. die in dieser Arbeit ausgewählten Personen gehörten somit zum INC, zu den Hindunationalisten oder zur bengalischen Intelligenzija. Während die ersten beiden Gruppen politischen Organisationen bzw. Bewegungen entsprechen und trotz vorhandener personeller und inhaltlicher Überschneidungen in den 1920er, 30er und 40er Jahren 11 getrennt behandelt werden 9
Siehe zu Subhas Chandra Bose den biografischen Anhang. Vgl. Prasad, Origins, S. 112 ff.; Chandra, India’s, S. 392 ff.; Sharma, Reaction, S. 2. 11 Vgl. Gould, Hindu. Gould führt überzeugend aus, dass der INC in der späten Kolonialzeit weniger eine Partei, als eine Bewegung war, die sich auf eine breite Basis stützen konnte. Er untersucht in seiner Studie, wie in den 1930er und 1940er Jahren angeblich säkulare Kongressangehörige in der Schlüsselprovinz United Provinces durch hindunationalistische Ideologie und Politiksprache beeinflusst waren. Während in den 1920er Jahren enge institutionelle und personelle Verbindungen zwischen dem INC und der HMS bestanden, waren entsprechende Beziehungen am Ende der 1930er Jahre viel weniger offensichtlich. 1938 beschloss der INC, dass Mitglieder des Arbeitsausschusses nicht auf ähnliche Weise mit einer ‚kommunalen‘ Organisation affiliiert sein durften. Trotzdem bestanden, wie Gould zeigt, weiterhin eine Reihe informeller Beziehungen, so zum Bei10
Untersuchungsgegenstand, Quellen und Methodik
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sollten, umschreibt die dritte Gruppe eine heuristische Kategorie. Eine solche Einteilung wird der komplexen sozialen Realität notwendigerweise nur bedingt gerecht; eine einzelne Person konnte durchaus zu allen drei Gruppen gehören. Der Nutzen einer solchen Einteilung liegt jedoch darin, dass sie die Verschiedenartigkeit inmitten existierender Überschneidungen sichtbar machen kann. Das vorliegende Buch liefert keine allgemein gültigen Argumente für ganz Indien im konventionellen Sinn, allerdings beschränkt es sich auch nicht auf die Fallstudie einer einzelnen Gruppe oder einer einzelnen Region. Es umfasst die englischsprachige antikoloniale Öffentlichkeit und ist damit regional übergreifend. Transnationale Geschichte beschäftigt sich meines Erachtens nicht einfach mit der Tatsache, dass verschiedene Staaten und ihre Bewohner miteinander in Kontakt standen. Viel eher besteht ein wichtiger Aspekt transnationaler Geschichte darin zu untersuchen, wie Menschen und Ideen miteinander verbunden waren; und das kann anhand der Quellen, die in dieser Studie benutzt wurden, nachdrücklich aufgezeigt werden. Die Verbindungen oder Verflechtungen (im Englischen auch entanglements genannt), denen das Buch nachgeht, machen deutlich, dass Intellektuelle unterschiedlichen Ideen folgten, dass sie vielfache und widersprüchliche Identitäten und Ansichten entwickelten und dass sie die rigiden Begrenzungen von Regionen, Provinzen, Nationen und Nationalismen in Frage stellten. Die Auswahl der Akteure wurde vor allem von zwei Faktoren bestimmt, und das sind die beiden Ideologien, mit deren Rezeption sich das Buch auseinandersetzt: Faschismus und Nationalsozialismus sowie Nationalismus. In der Zwischenkriegszeit existierten in Indien eine Reihe verschiedener Nationalismen. Das vorliegende Buch konzentriert sich vorrangig auf eine dominante Variante des Nationalismus, auf den ‚Mainstream‘-Nationalismus der Unabhängigkeitsbewegung bzw. des INC. Eine zweite Nationalismusvariante, die hier ebenfalls Beachtung findet, ist der Hindunationalismus. Abermals ist es wichtig festzuhalten, dass nicht immer politische Identitäten eindeutig abgegrenzt werden können und um eben diese Vielseitigkeit deutlich zu machen, werden in den folgenden Kapiteln nicht nur hochrangige Politiker des INC oder prominente nationalistische Intellektuelle ins Blickfeld genommen. Ziel des Buches ist es vielmehr, weniger bekannte und erforschte Personen zu untersuchen, die gleichwohl durch ihre Schriften und Lebensgeschichten in signifikanter Weise die Debatten des interkontinentalen intellektuellen Austausches geprägt haben. spiel in der Zusammenarbeit zwischen Freiwilligenorganisationen (vgl. Gould, Hindu, S. 9 und 192 ff.; Gould, Congress, S. 628 f.). Zum Thema der inhaltlichen und personeller Überschneidungen zwischen INC und Hindunationalisten siehe auch: Bhagavan, Hindutva, S. 39–48; Pandey, Construction, S. 254.
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1. Einleitung
Als Quellenmaterial zur Untersuchung der Wahrnehmungen von Faschismus und Nationalsozialismus der drei beschriebenen Gruppen (Hindunationalisten, INC, Intelligenzija) werden einerseits ihre publizierten Werke, unveröffentlichte Privatpapiere sowie die Parteiunterlagen des INC und der HMS herangezogen. Andererseits liefern die Aktenbestände des italienischen Außenministeriums, des Gentile-Nachlasses und die India Office Records der British Library wichtige auswertbare Materialien. Als dritter und umfangreichster Quellenkorpus werden in diesem Buch eine Reihe indischer Zeitungen und Zeitschriften analysiert. In ihnen publizierten Angehörige der drei Gruppen ihre Artikel, mit denen sie zur Diskussion beitrugen. Gleichzeitig ermöglicht aber die Analyse der ausgewählten indischen Medien Aussagen zur Wahrnehmung des Faschismus und des Nationalsozialismus unter Angehörigen englisch gebildeter indischer Kreise, die die Nationalbewegung bzw. die Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützten oder in ihr politisch aktiv waren und sich an den medialen Debatten beteiligten. Die indische Presselandschaft kann in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts in drei breite Kategorien eingeteilt werden: in 1. englischsprachige Medien in britischem oder 2. indischem Besitz sowie in 3. indischsprachige Zeitungen und Zeitschriften. Während Zeitungen der ersten Kategorie größtenteils die Politik der Kolonialmacht unterstützten, vertraten die beiden anderen oftmals einen nationalistischen Standpunkt, standen der Unabhängigkeitsbewegung nahe oder wurden von Politikern des INC herausgegeben.12 Die englischsprachige nationalistische Presse gewann in den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg auf dem südasiatischen Subkontinent an Einfluss und professionalisierte ihre journalistische Arbeit, was ebenfalls mit der Betonung ihrer inhaltlichen Eigenständigkeit einherging. Letzterer Aspekt galt nicht nur gegenüber den britischen Kolonialherren, sondern auch gegenüber den Führern der Nationalbewegung und verursachte unter Umständen widersprüchliche Interessenlagen oder brachte kritische Berichterstattungen mit sich, insbesondere nach der Regierungsübernahme des INC in sieben von elf Provinzen Britisch-
12 Vgl. Sonwalkar, Murdochization, S. 823 f.; Schneider, Darstellung, S. 89 f. Die indische Presse, d. h. die Presse im indischen Besitz, entwickelte und konsolidierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zunächst als Produkt der indischen Reformbewegungen und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch den antikolonialen Unabhängigkeitskampf. Schneider zufolge wird sie aufgrund ihrer spezifischen Entstehungsgeschichte als „nationales Medium“ betrachtet. Dabei beziehe sich national nicht nur auf ihren geografischen Verbreitungsrahmen, sondern vor allem auf „die Schlüsselrolle, die sie im Hinblick auf die Herausbildung des antikolonial begründeten Nationalismus sowie einer Öffentlichkeit im klassisch-liberalen Sinn in Indien eingenommen“ habe (vgl. Schneider, Darstellung, S. 82).
Untersuchungsgegenstand, Quellen und Methodik
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Indiens 1937. 13 Die Heterogenität und Komplexität der Debatten in den nationalistischen englischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften zu innerindischen, aber auch zu internationalen Themen war keineswegs nur durch die journalistische Professionalität begründet. Sie spiegelten ebenfalls die Diversität der indischen Gesellschaft – in diesem Falle vor allem der englisch Gebildeten – sowie die umfangreichen Interessenlagen, die sich unter dem organisatorischen Dach der Nationalbewegung versammelten, wider. Dem INC gehörten sowohl auf Landes- als auch auf Provinzebene Vertreter mit äußerst verschiedenen Haltungen hinsichtlich wirtschaftlicher, sozialer und politischer Fragen an. Dennoch bemühte sich die Führungsspitze des INC eine gemeinsame Stimme zu finden, diese publik zu machen und damit ihren Anspruch durchzusetzen, allein für die gesamte indische Nation zu sprechen. Die nationalistische englischsprachige Presse wurde von den führenden Kongresspolitikern dabei als Instrument gesehen, die eigene Vision von einem unabhängigen Indien zu verbreiten und somit die indische Nation unter Führung des INC zu einen. Die Darstellung konkurrierender politischer Meinungen sowie kritische Auseinandersetzungen der Medien mit dem INC führten nicht nur zu Konflikten, sondern liefen seinen Bemühungen, sich als die Stimme Indiens zu präsentieren, entgegen.14 Vor diesem Hintergrund eröffnet eine Auswertung der ausgewählten Medien in diesem Buch den Zugang zu heterogenen Debatten zum italienischen Faschismus und zum Nationalsozialismus in nationalistischen indischen Kreisen, die den exklusiven Deutungsanspruch der Führungsspitze des INC in Frage stellten. 15 Als primäre Quellen für dieses Buch wurden Beiträge aus englischsprachigen Zeitungen (Bombay Chronicle, The Mahratta, The Hindu Outlook, The National Herald, Amrita Bazar Patrika und Forward/ Liberty) und aus Zeitschriften (Modern Review, Calcutta Review, Congress Socialist und Harijan) herangezogen.16 Diese Zeitungen und Zeitschriften befanden sich nicht nur in 13
Vgl. Israel, Congress, S. 330 und 335. Vgl. Israel, Communications, S. 156–215. Die vom INC proklamierte Einheit der indischen Nation war, Milton Israel zufolge, in der Zwischenkriegszeit noch keineswegs verwirklicht. Dementsprechend präsentierten die englischsprachigen nationalistischen Zeitungen und Zeitschriften nicht nur die Nation als vorgestelltes Ganzes, sondern ebenfalls bestimmte Teile derselben (vgl. ebd., S. 171). 15 Jawaharlal Nehru nahm bewusst im INC eine Stellung ein, die ihn in den Informationsaustausch zwischen dem Kongress, Indien und der restlichen Welt einband. Dabei erlaubten ihm sein Erfahrungsschatz, seine Ansichten und die langjährige Tätigkeit im Arbeitsausschuss des INC eine relative freie Kontrolle über die Informationspolitik des Kongresses auszuüben (vgl. Israel, Communications, S. 188). 16 Die Zeitungen und Zeitschriften wurden dabei für folgende Zeiträume ausgewertet: Bombay Chronicle und Amrita Bazar Patrika 1928–1939, The Mahratta 1933–1939, The National Herald 1938–1939, The Forward/Liberty 1923–1935, The Hindu Outlook 1938– 14
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1. Einleitung
indischem Besitz, sondern unterstützten die Nationalbewegung und ihre Ziele, insbesondere die Erlangung der indischen Unabhängigkeit. Sie nahmen somit an der Entwicklung nationalistischer Perspektiven teil und enthielten intellektuelle, oft widersprüchliche Reflektionsprozesse, die sich mit der Zukunft der Gesellschaft befassten. Englischsprachige Medien in indischem Besitz zirkulierten im Gegensatz zu indischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften durch die Wahl des Englischen über regionale Grenzen hinweg. Damit konnten im Englischen gebildete Leser im gesamten Land auf Informationen zugreifen und an Debatten teilhaben.17 Darüber hinaus ermöglichte es der Gebrauch der englischen Sprache, direkt mit der britischen Kolonialmacht und ihren Vertretern zu kommunizieren und die eigenen Vorstellungen und Meinungen zu präsentieren, ohne dass Übersetzungen nötig waren. Auch die indische Beteiligung an international geführten Debatten gestaltete sich durch englischsprachige Medien einfacher. Ein weiterer Grund für die Auswahl dieser Medien ist durch ihre jeweiligen Publikationsorte gegeben. Mit Ausnahme des direkt durch führende Mitglieder des INC kontrollierten National Herald und von Gandhis Zeitschrift Harijan wurden sie in den Provinzen Bombay und Bengalen publiziert, was den regionalen Schwerpunkt ihrer Berichterstattung bestimmte. Obgleich die ausgewählten Zeitungen und Zeitschriften überregional zirkulierten und internationale wie auch nationale Themen besprachen, ist ihr regionaler Hintergrund im Zusammenhang mit den ebenfalls untersuchten Gruppen der bengalischen Intelligenzija und den aus der Provinz Bombay stammenden Hindunationalisten wichtig. Bevor weitere, in diesem Buch verwendete mediale Quellen vorgestellt werden, sollen an dieser Stelle kurz einige Hintergrundinformationen zu den wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften gegeben werden. Der Bombay Chronicle wurde 1907 in Bombay (heute Mumbai) von Pherozeshah Metha mit der Absicht gegründet, der moderaten nationalistischen Politik der ‚westlich‘ gebildeten Wirtschaftskreise und der Intelligenzija eine Stimme zu geben. Unter dem britischen Herausgeber B. G. Horniman, der sich aktiv für die indische Unabhängigkeit einsetzte, verbreitete die Zeitung schon während des Ersten Weltkrieges radikale, modernistische Ansichten und übte einen immensen Einfluss auf die öffentliche Meinung Bombays aus. Bis 1930 bemühten sich die Herausgeber der Zeitung um einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Kräften innerhalb der INC-Führung und den regionalen Interessen Maharashtras (Provinz Bombay). Der Bombay Chronicle entwickelte sich in dieser Zeit zur wichtigsten englischsprachigen nationalistischen Zeitung in der Provinz Bombay 1939, Modern Review und Calcutta Review 1922–1939, Harijan 1936–1939 und Congress Socialist Sept. 1934-Juni 1939. 17 Vgl. Israel, Communications, S. 21.
Untersuchungsgegenstand, Quellen und Methodik
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mit einer Auflage von mehr als 10.000 Exemplaren in der Mitte der 1920er Jahre. Unter dem muslimischen Herausgeber S. A. Brevli (1923 bis 1949), der zwar keine eigenen politischen Ambitionen besaß, aber der Hindu-MuslimEinheit sowie sozialistischem Gedankengut verpflichtet war, wurde der Bombay Chronicle zu Beginn der 1930er Jahre endgültig zum Befürworter des INC, allerdings mit eigenen Ansichten und einem selbstständigen Leben.18 Die Amrita Bazar Patrika, gegründet 1868 von der Ghosh Familie im Dorf Amrita Bazar, wurde zuerst als Wochenzeitung in Bengali herausgegeben. 1871 erfolgte der Umzug nach Kalkutta (heute Kolkata) und die Zeitung wurde zweisprachig, in Bengali und Englisch veröffentlicht. Um den Regulierungen des Vernacular Press Act von 1878 zu entgehen, wandelten die Herausgeber die Patrika zu einer rein englischsprachigen Zeitung um, die seit 1891 täglich erschien. Die Amrita Bazar Patrika entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten zu einer der führenden Zeitungen in der Provinz Bengalen. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts galt sie als Stütze der Nationalbewegung, als eine der wichtigen nationalistischen Zeitungen, deren Herausgeber allerdings neben der Politik der Kolonialregierung ebenfalls die Maßnahmen der verschiedenen indischen Sektionen der antikolonialen Bewegung kritisch hinterfragten, wenn diese den eigenen Vorstellungen zuwiderliefen. In den 1930er Jahren wirkte Tushar Kanti Ghosh als Herausgeber, der sich aktiv am indischen Unabhängigkeitskampf beteiligte und in diesem Zusammenhang von der Kolonialregierung inhaftiert wurde.19 Eine zweite englischsprachige Zeitung aus der Provinz Bengalen war der Forward. Gegründet vom Kongresspolitiker und Führer der Swaraj Party C. R. Das im Herbst 1923, wurde die Zeitung in der Anfangszeit von Subhas Chandra Bose betreut. 1929 wurde sie in Liberty umbenannt.20 The National Herald wurde 1938 als Zeitung des INC in den United Provinces mit dem Ziel gegründet, eine loyale Kongresszeitung zu schaffen. Dies war nach Ansicht der Kongress-Politiker aufgrund der vermehrten Kritik der nationalistischen indischen Presse seit der Regierungsübernahme in der Mehrzahl der Provinzen Britisch-Indiens durch den INC 1937 dringend nötig. Der National Herald hatte insbesondere in den ersten Jahren viele Probleme qualitativer, personeller und finanzieller Natur, was seinen Absatz negativ beeinträchtigte. 21 Die Wochenzeitung The Mahratta wurde von Bal G. Tilak, einem bekannten Politiker der Unabhängigkeitsbewegung aus der Region Maharashtra, 1881 gegründet. Die Zeitung bemühte sich die gebildete englischsprachige Öffentlich18
Vgl. Milton, Communications, S. 216–245; Hazareesingh, City. Vgl. Israel, Communications, S. 45 und 89; Jeffrey, Bengali, S. 141 f.; Rangaswami, Journalism, S. 257–261. 20 Vgl. Bose, Majesty’s. 21 Vgl. Israel, Congress, S. 334 ff. 19
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keit der Provinz sowie die überregionale Intelligenzija anzusprechen. Gleichzeitig hatte Tilak mit Kesari eine weitere Zeitung, die in Marathi publiziert wurde, gegründet. In den 1930er Jahren wurden beide Zeitungen von N. C. Kelkar herausgegeben, der sowohl im INC wie auch in der HMS aktiv war. Parimala Rao kommt in diesen Zusammenhang zu dem Urteil, dass The Mahratta in den 1920er und 1930er Jahren die Ansichten der HMS vertrat. Allerdings veröffentlichte die Zeitung auch Beiträge, die von Angehörigen des linken Kongressflügels verfasst wurden. The Mahratta hatte Ende der 1920er Jahre eine Auflage von 1.100 Stück pro Ausgabe. 22 Die seit 1907 in Kalkutta erscheinende Zeitschrift Modern Review wurde in den 1930er Jahren von ihrem Gründer Ramananda Chatterjee herausgegeben. Chatterjee wollte mit seiner Zeitschrift die indische nationale Identität stärken. 23 Die wöchentlich erscheinende Zeitschrift Harijan wurde 1933 von Gandhi mit dem Ziel gegründet, seine Reformarbeit zur Verbesserung des Status und der Lebensbedingungen der sogenannten ‚Unberührbaren‘ (heute: Dalits) bekanntzumachen. Sie hatte Anfang der 1940er Jahre eine durchschnittliche Auflage von 10.000 Exemplaren pro Ausgabe. Die Zeitschrift, in der Gandhi die meisten Beiträge verfasste, wurde von Mahadev Desai, Gandhis Sekretär, herausgegeben. Sie umfasste neben vielfältigen sozialreformerischen Aufsätzen unter anderem Beiträge zu internationalen Angelegenheiten. 24 Die Wochenzeitschrift Congress Socialist war das offizielle Parteiorgan der CSP und wurde ab 1934 herausgegeben. Sie hatte eine Auflage von 2.000 Stück pro Ausgabe. 25 Die Calcutta Review, ursprünglich von Sir John Kaye 1844 gegründet, wurde ab 1921 von der Universität von Kalkutta als Monatszeitschrift herausgegeben und stellte eine wichtige Stimme im nationalistischen Diskurs dar. 26 Trotz der größtenteils vorhandenen Auflagezahlen ist die Beurteilung der Rezeption und Wirkungskraft dieser Zeitungen schwierig. Die ermittelten Auflagenhöhen deuten auf eine teils bescheidene, teils breitere Zirkulation. Auskunft über die genaue Anzahl der Leser geben sie allerdings nicht, da eine Zeitung auch von mehreren Personen gelesen werden konnte. Trotzdem ist die Existenz der hier untersuchten Wahrnehmungen vor dem Hintergrund der vielfältigen Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus in 22 Vgl. Israel, Communications, S. 17; Ahuja, History, S. 156 ff.; Rao, Foundations, S. 34 und 36 ff.; o. A.: ‚List of Newspapers‘, in: Report on Newspapers published in the Bombay Presidency, Nr. 45/1929, S. 8. 23 Vgl. Israel, Chatterjee, S. 1–46. 24 Vgl. Ahuja, History, S. 76; Raghavan, Press, S. 49. 25 Vgl. Zachariah, India, S. 51 und 77. 26 Vgl. The University of Calcutta, University Press and Publications, The Calcutta Review, http://www.caluniv.ac.in/univpublication/Calcutta%20Review.htm, Zugriff 24. 05. 2012, 17:02 Uhr.
Untersuchungsgegenstand, Quellen und Methodik
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nationalistischen indischen Kreisen von Bedeutung, da Debatten über die genutzten Medien weiter verbreitet und widersprüchliche und teilweise konträre Zukunftskonzepte reflektiert wurden. Neben den systematisch untersuchten Medien berücksichtigt das vorliegende Buch auch vereinzelt Beiträge aus indischen Zeitungen und Zeitschriften, die für die 1920er und 1930er Jahre nicht in Gänze ausgewertet wurden. Sie wurden einerseits hinzugezogen, da sie Aufsätze von verschiedenen, hier relevanten Akteuren beinhalten (Indian Journal of Economics, Journal of the Bengal National Chamber of Commerce, Prabuddha Bharata, The Insurance and Finance Review, Bangiya Jarman Vidya Samsad, The Hindustan Review und Young India). Andererseits fand ein Korpus von Zeitungsartikeln Eingang in die Untersuchung, der von der italienischen Botschaft in Indien in der Zwischenkriegszeit zusammengetragen wurde. Der Korpus beinhaltet vor allem Beiträge aus einer Reihe englischsprachiger nationalistischer Zeitungen (Bombay Sentinel, The Leader, The Tribune, Sind Observer, The Hindustan Times), vereinzelt auch aus indischen Medien in englischem und jüdischem Besitz (The Jewish Advocate und The Jewish Tribune) sowie aus regionalsprachigen Zeitungen. 27 Schließlich wurden ebenfalls eine Reihe europäischer Zeitschriften herangezogen, die Beiträge indischer Personen enthielten oder für die Fragestellungen in diesem Buch relevant waren (Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums – Deutsche Akademie, ab 1938: Deutsche Kultur im Leben der Völker – Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums – Deutsche Akademie, Young Asia und Asiatica). In den systematisch ausgewerteten indischen Zeitungen und Zeitschriften fiel insbesondere die quantitativ hohe Anzahl an veröffentlichten Beiträgen zum Thema Faschismus und Nationalsozialismus auf. Beitragsarten umfassten einerseits Meldungen von Presseagenturen wie Reuters, Associated Press India (API) oder Free Press of India sowie den Abdruck von schon anderweitig publizierten Artikeln, andererseits Leitartikel, Leserbriefe, Karikaturen, Nachrichten sowie Berichte der im Ausland stationierten Korrespondenten. 28 Auf eine Auswertung von Direkt-Meldungen der Presseagenturen, insbesondere von Reuters und API, die enge Verbindungen zur Regierung Britisch-Indiens 27 Aus dem Korpus gingen nur die nationalistischen englischsprachigen Zeitungen in die Analyse ein. Einzig drei Nachrichten aus der Times of India wurden als Beleg von Daten und Fakten herangezogen. Die von den italienischen Behörden zusammengetragenen Zeitungsbeiträge und Karikaturen behandelten vorrangig indische Wahrnehmungen und Debatten der faschistischen Außen- und Wirtschaftspolitik sowie der Rassengesetzgebung von 1938. Diskussionen über das nationalsozialistische Deutschland wurden nur vereinzelt gesammelt. 28 Vgl. Israel, Communications, S. 99–155.
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1. Einleitung
unterhielten, wird verzichtet. Ein Einfluss der Presseagenturen auf die Wahrnehmungen und Diskussionen in den analysierten Beiträgen muss aber dennoch festgehalten werden, da ihre Meldungen nicht nur als Informationsquelle für die indischen Autoren dienten, sondern auch meinungsbildend wirkten. Kenntnisse über das Wesen von Faschismus und Nationalsozialismus sowie über die Ereignisse in Europa erhielten die sich an den Debatten beteiligenden Inder nicht nur über Zeitungen, sondern ebenfalls durch entsprechende Bücher 29 sowie durch Erfahrungsberichte indischer Landsleute oder aufgrund eigener Reisen. In den Zeitungen berichteten regelmäßig indische Korrespondenten aus dem Ausland; so hatte die Amrita Bazar Patrika in den 1930er Jahren beispielsweise einen Berlin Letter, einen Rome Letter, aber auch einen Geneva Letter usw. 30 Die Thematisierung indischer Auseinandersetzungen mit Faschismus und Nationalsozialismus verlangt nach einer Methodik, die Nationalismen und Internationalismen kontextualisieren kann, ohne in den Grenzen des Nationalstaates verhaftet zu sein. In den letzten Jahrzehnten ließ sich eine verstärkte Internationalisierung der Geschichtsschreibung beobachten, in der seit den 1990er Jahren transnationale Perspektiven und globale Beziehungen immer mehr in den Vordergrund treten. 31 Transnationale Geschichte, wie sie bspw. Jürgen Osterhammel versteht, ist die Geschichte der Bewegungen von Menschen, Gütern, Wissen, die die Grenzen politisch oder ethnisch definierter ‚Kollektive‘ (zumeist Nationalstaaten oder Imperien seit dem 19. Jahrhundert) überschreiten. 32 Kiran Klaus Patel fasst zusammen, dass transnationale Studien die verschiedenen Formen der Interaktion, Verbindung, Zirkulation, Überschneidung und Verknüpfung erforschen, die über die Grenzen des Nationalstaates hinausreichen. Dennoch spielt für Patel die Nation weiterhin eine wichtige, sogar definierende Rolle für die transnationale Geschichtsschreibung. 33 Micol Seigel hingegen betont, dass transnationale Geschichte Einheiten untersucht, die sowohl größer, also auch kleiner als ein Nationalstaat sein können. 29
Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to O. Urchs (03. 09. 1936)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 154. Diskursstränge, die Einsicht in Perzeptionen und Positionen anderer Gruppen und Interessen gaben, so zum Beispiel aus der Perspektive verschiedener Religionsgemeinschaften, der britischen Regierung in Indien sowie der nicht (englisch) gebildeten Schicht, können über die benannten Quellen nicht rekonstruiert werden. 31 Vgl. Pernau, Geschichte; Budde/Conrad/Janz (Hg.), Geschichte; Clavin, Transnationalism, S. 421–439; Osterhammel, Gesellschaftsgeschichte, S. 464–479; Thelen, Nation, S. 965–975. 32 Vgl. Osterhammel, Globalgeschichte, S. 596. Osterhammel schreibt, dass der Begriff der transnationalen Geschichte für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert nur teilweise und in modifizierter Form anwendbar ist. 33 Vgl. Patel, Überlegungen, S. 628. 30
Untersuchungsgegenstand, Quellen und Methodik
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Die Nation kann ihrer Ansicht nach nicht Referenzrahmen in transnationalen Studien sein, sondern ist nur eines von zahlreichen sozialen Phänomenen, die untersucht werden können.34 Phillip Gassert plädiert ebenfalls für eine weiter gefasste Definition von transnationaler Geschichte, die im Sinne von Wolfram Kaiser Beziehungen „über Grenzen hinweg in allen ihren Dimensionen“ 35 umfasst. Insbesondere im Hinblick auf die Thematik dieses Buches ist Gasserts Anmerkung wichtig, dass auf diesem Weg auch Austauschprozesse mit nichteuropäischen Regionen berücksichtigt werden können, die erst im Zuge der Dekolonisierung Nationalstaaten gebildet bzw. sich nicht als solche konstituiert haben.36 Transnationale Geschichte, wie sie in Anlehnung an Seigel zu verstehen ist, fördert Untersuchungen zu Personen und Akteuren, die nicht zur Elite gehören, und nimmt auch deren Handlungsfähigkeit (agency) verstärkt in den Blick. 37 Transnationale Geschichte bedient sich verschiedener methodischer Ansätze, unter anderem aus der Komparatistik, der Kulturgeschichte und Kulturanthropologie und aus der Transferforschung. 38 Von den genannten Methoden erscheint vor allem der Transferansatz im ersten Moment als Bezugsrahmen vielversprechend. Die Untersuchungsgegenstände von Transferforschungen sind dabei vielfältig und umfassen Ideen, Güter, Personen und Institutionen aller Art. Transfers werden in der Forschung oftmals als hochkomplexe Interaktionen verstanden. Im Zuge des Transfers von einer Einheit (Gesellschaft, Nationalstaat usw.) zu einer anderen bleiben die jeweiligen Elemente keineswegs unverändert; sie werden also nicht als ‚fremde Bausteine‘ in der ‚empfangenden‘ Einheit übernommen.39 Darüber hinaus finden Transfers in bi- oder multidirektionalen Prozessen statt, wobei sie auf den Ausgangspunkt zurückwirken können. 40 Margrit Pernau hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Transfer gelingen, aber auch durch Ignorieren, Widerstand oder Verbot scheitern kann.41 Sie schreibt, dass ein Transfer gelungen ist, wenn eine Rezeption in der Zielkultur stattfindet und umschreibt die verschiedenen Formen der Rezeption. So kann das Fremde [..] abgesondert werden und als Fremdes gekennzeichnet bleiben; es kann angeeignet werden, hier ist es zwar noch als fremd markiert, hat jedoch schon einen
34 35 36 37 38 39 40 41
Vgl. Seigel, Compare, S. 63. Vgl. Kaiser, Weltgeschichte, S. 65. Vgl. Gassert, Geschichte, S. 1. Vgl. Seigel, Compare, S. 63. Vgl. Gassert, Geschichte, S. 10 ff.; Osterhammel, Transferanalyse, S. 439–466. Vgl. Tschurenev, Schulreform. Vgl. Patel, Perspektiven, S. 631 f. Vgl. Pernau, Geschichte, S. 48 f.
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Transformationsprozess durchlaufen; es kann weiterhin durch Akkulturation in einer Weise und in einem Ausmaß in den neuen Kontext integriert werden, dass sein fremder Ursprung vergessen wird. 42
Im vorliegenden Buch stehen indische Auseinandersetzungen mit Faschismus und Nationalsozialismus im Mittelpunkt der Betrachtung. Die indischen Auseinandersetzungen produzierten eine Reihe sehr verschiedener Antworten, allerdings bewegten diese sich größtenteils auf theoretischer Ebene und erfuhren aufgrund der kolonialen Situation Britisch-Indiens keine einflussreiche praktische Umsetzung. Aufrufe und Verweise, bestimmte Aspekte von Faschismus und Nationalsozialismus in Indien zu übernehmen, theoretische Diskussionen über beide Phänomene sowie Kritik und Ablehnung (einer Aneignung) kennzeichneten die indische Beschäftigung. Transfers beinhalten auch Perzeptionen, die eine bestimmte Art von Transfer darstellen. Zur Untersuchung eines Transfers, der nur bedingt akkulturiert wurde, in diesem Fall der Transfer faschistischer Ideologie und politischer Maßnahmen, wird hier methodisch das Instrumentariums der Perzeptionsanalyse verwandt. Mit Hilfe der Perzeptionsanalyse können anhaltende Debatten in einer Gesellschaft über Phänomene und Ereignisse in einer anderen Gesellschaft sichtbar und verfolgbar gemacht werden.43 Dabei bildet die ‚Perzeption‘ dieser Phänomene, die Wahrnehmung und Deutung von Entwicklungen in einem anderen staatlichen bzw. sozio-kulturellen Kontext, die Voraussetzung für die Rezeption, für ein potentielles Aufgreifen von für sinnvoll erachteten Modellen und dementsprechend für deren Aneignung. 44 Die Perzeptionsanalyse eignet sich als Methode in diesem Buch allerdings auch in einem weiteren Sinne. Die indische Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus führte neben sympathisierenden auch zu ablehnenden bzw. kritischen Reaktionen, die eine Übernahme faschistischer Ideen und Praktiken für Indien ausschlossen. Aufgrund dieser Annahme ist die Untersuchung der Wahrnehmungen und Deutungen von entscheidender Bedeutung. Für die Perzeptionsanalyse, wie sie hier durchgeführt werden soll, ist es zudem wichtig, nach Kontinuitäten und Brüchen in der indischen Wahrnehmung von Faschismus und Nationalsozialismus zu fragen und diese in den Kontext sich verändernder politischer Konstellationen zu stellen. Darüber hinaus findet die Analyse physischer Interaktionen hier Anwendung. Die untersuchten indischen Akteure waren in ihrer Auseinandersetzung mit Italien und Deutschland nicht einfach Beobachter.
42
Ebd. Vgl. Patel, Perspektiven, S. 632 f. 44 Vgl. zum Konzept von Aneignung: Rothermund, Aneignung; Fischer-Tiné, Character, S. 432–456. 43
Ausgangsthesen und Aufbau des Buches
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Durch ihre Reisen und Aufenthalte in beiden Ländern waren einige von ihnen direkt in wechselseitige Wissenstransferprozesse involviert. Innerhalb dieses Feldes der Geschichte transnationaler Austauschbeziehungen konzentriert sich das vorliegende Buch auf das Wissen über ein zentrales politisches Phänomen zweier europäischer Nationalstaaten, das sich in den Debatten indischer Kommentatoren formiert. Da diese sich zum Teil selbst in Deutschland und Italien aufgehalten haben, geht es auch um Reisende, die über die ‚fremde‘ Gesellschaft ‚zu Hause‘ Bericht erstatten – nun nicht mehr Europäer in Asien, sondern umgekehrt. Es ist dabei ein zentrales Interesse für die eigene „nation in the making“ zu erfahren, wie andere Nationen sich formieren, was dabei abstößt und auch was attraktiv erscheint.
1.2 Ausgangsthesen und Aufbau des Buches Das vorliegende Buch untersucht indische Diskussionen über das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland und vergleicht die indische Auseinandersetzung mit beiden Staaten, indem sie nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Wahrnehmung beider Regime fragt. Dabei werden zeitgenössische Debatten als Reflektion der politischen Kultur Indiens rekonstruiert und durch eine transnationale Perspektive kontextualisiert. Zunächst zeigt das Buch, dass vor allem der italienische Faschismus in gewisser Hinsicht als Referenzmodell für den sich formierenden indischen Nationalstaat wahrgenommen wurde. Dies kommt sowohl in Debatten über die zukünftige Staatsform und Wirtschaftsordnung als auch für die Schaffung einer starken geeinten Nation und die Überwindung kommunalistischer 45 Konflikte zum Ausdruck. Die Auseinandersetzung mit Italien und Deutschland und die Frage nach möglichen Aneignungen stellte gleichzeitig das britische Modell der parlamentarischen Demokratie und liberaler Wirtschaftsordnung in Frage und war, so lautet die These hier, stark von der eigenen kolonialen Erfahrung beeinflusst. Wurden Italien und Deutschland im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich von indischen Autoren als Alternativen zum Modell der britischen Kolonialmacht diskutiert, trifft dies für den außenpolitischen Bereich, wie zu zeigen sein wird, jedoch nicht zu und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen, so lautet die These, rief die Außenpolitik Roms und Berlins viel Kritik und Ablehnung hervor. Eine Aneignung entsprechender Maßnahmen schien hier kaum in Frage zu kommen. Zum anderen kommentierten die indischen Beobachter den 45 Unter Kommunalismus versteht man gewöhnlich die Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen verschiedener, hauptsächlich religiöser Gemeinschaften. Hintergrund der Konflikte ist dabei oftmals der Kampf um politische und wirtschaftliche Ressourcen.
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faschistischen und nationalsozialistischen Expansionismus vor dem Hintergrund einer Kritik der imperialen Politik Großbritanniens und hoben dabei auch die Gemeinsamkeiten hervor. Darüber hinaus waren indische Diskussionen über die Außenpolitik Italiens mit Vorstellungen kollektiver Sicherheit, wie sie durch den Völkerbund repräsentiert wurden, verbunden. Die Auseinandersetzung mit der Politik der Genfer Organisation im Abessinienkrieg, so wird gezeigt, hatte zwei wesentliche Auswirkungen: erstens lieferte sie stärkere Impulse zur Initiierung einer eigenständigen Außenpolitik durch indische Nationalisten als bisher angenommen; zweitens förderte sie alternative Vorstellungen kollektiver Sicherheit, die auf globaler Ebene wirken und auf Gleichheit aller Völker basieren sollten. Als die direkteste Form der Interaktion zwischen indischen Nationalisten und Italien und Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren können die Kooperationsbeziehungen im Bildungs- und Kulturbereich gelten. Im Rahmen des Buches wird gezeigt, dass über die Kooperationsbeziehungen wichtige Kommunikationskanäle entstanden, die die Zirkulation politischer Ideen und Beschreibungen der Maßnahmen beider Regime in Indien erleichterten. Der Erfolg der entsprechenden Initiativen bzw. Brüche in den Interaktionen wurden dabei auch von der indischen Auseinandersetzung mit anderen Aspekten des Faschismus und Nationalsozialismus geprägt. In der indischen Beschäftigung mit den Regimen Mussolinis und Hitlers wurden auch deren Jugendbewegungen, Bildungspolitik und damit zusammenhängend Fragen nach einem ‚Führer‘ und dem ‚Dienst an der Nation‘ sowie der Disziplin und Körperkultur/-ertüchtigung (physical culture) diskutiert. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen, die Antworten von Kritik und Ablehnung über Bewunderung bis hin zu Vorschlägen einer Aneignung beinhaltete, spiegelte dabei, so lautet die These hier, kaum eine reale Integration faschistischer und nationalsozialistischer Politik und Ideologie wider, sondern muss eher im Zusammenhang mit eigenen, indischen Traditionen und im Sinne des Zeitgeistes verstanden werden. Rassismus und Antisemitismus stellten konstituierende Aspekte von Faschismus und Nationalsozialismus dar. 46 Sie wurden in den analysierten indischen Quellen ebenfalls recht unterschiedlich diskutiert. Italienischer Rassismus wurde von indischen Kommentatoren vor allem im Zusammenhang mit der faschistischen ‚Zivilisierungsmission‘ im Abessinienkrieg thematisiert und aufgrund der eigenen Erfahrungen mit der britischen Kolonialherrschaft, so hier die These, überwiegend kritisch zurückgewiesen. Der deutsche Rassismus und dabei insbesondere die Stellung der Inder in der nationalsozialistischen Rassentheorie und ihre Behandlung in Deutschland nahm in indischen Debat46
Vgl. Hildebrand, Reich, S. 179 f.; Benz, Deutschland, S. 42–52.
Ausgangsthesen und Aufbau des Buches
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ten, auch vor dem Hintergrund der deutsch-indischen Kooperationsbeziehungen im Kultur- und Bildungsbereich einen großen Raum ein. Viele der indischen Beiträge kritisierten, so wird hier argumentiert, die abwertenden Äußerungen, allerdings ohne dabei – wie im italienischen Fall – Solidarisierungsbekundungen mit anderen rassisch diskriminierten Gruppen zu äußern oder auf eigene Erfahrungen im kolonialen Kontext zu verweisen. Anders stellten sich die nationalsozialistischen Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung dar. Hier wurden, durch die Zuspitzung der Situation für mitteleuropäische Juden im Verlauf des Jahres 1938, verstärkt antisemitismuskritische Kommentare in indischen Debatten geäußert. Einer uneingeschränkten Solidarisierung mit deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, so wird hier vermutet, war durch die oft als kritisch wahrgenommene Einwanderung jüdischer Flüchtlinge nach Indien bzw. durch die kontroversen indischen Diskussionen Grenzen gesetzt. Im Folgenden soll nun der Aufbau des Buches kurz vorgestellt werden. Vor der Analyse der Wahrnehmung des Faschismus und des Nationalsozialismus werden im zweiten Kapitel grundlegende Begriffe eingeführt. Hier wird einerseits ein kurzer Überblick über die für dieses Buch relevanten Debatten der Faschismusforschung gegeben und zusammengefasst, wie Faschismus und Nationalsozialismus in Indien definiert wurden bzw. welche konstituierenden Bestandteile in den indischen Debatten ausgemacht wurden. Andererseits wird im zweiten Kapitel die bisher vorhandene Literatur zu Faschismus in Indien vorgestellt. Abschließend wird am Beispiel zweier indischer Akteure, deren Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus in diesem Buch eine wichtige Rolle spielt, gezeigt, mit welchen Schwierigkeiten eine nachträgliche Beurteilung bzw. Beantwortung der Frage „Wer ist ein Faschist gewesen?“ verbunden ist. Da die Beschäftigung mit Faschismus und Nationalsozialismus immer politische Implikationen hat, möchte die Autorin an dieser Stelle nachdrücklich betonen, dass es hier keineswegs um ein ‚Reinwaschen‘ oder ‚Entschuldigen‘ indischer Faschisten und Faschismus-Sympathisanten geht. Sinnvoll scheint ihr eher eine Forschungsperspektive, die nicht die Kategorisierung einzelner Personen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, sondern der Frage nachgeht wie Faschismus und Nationalsozialismus sich für indische Beobachter darstellten, was genau ihnen ggf. attraktiv erschien. In den sich anschließenden fünf Hauptkapiteln werden einzelne Aspekte des Faschismus und des Nationalsozialismus bzw. Themenbereiche analysiert, die im ausgewählten Quellenkorpus entweder umfassend diskutiert oder in der vorhandenen Literatur als wichtige Beispiele der indischen Beschäftigung mit Faschismus und Nationalsozialismus benannt worden sind. Im dritten Kapitel steht die Analyse der Austauschbeziehungen zwischen Indien und Italien sowie Indien und Deutschland im Kultur- und Bildungsbereich im Mittelpunkt der
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Betrachtung. Die Ausführungen sollen zur Beantwortung der Fragen beitragen, wie Ideen zum und Diskurse über den Faschismus und den Nationalsozialismus nach Indien gelangten und inwieweit deutsche oder italienische Versuche, die öffentliche Meinung in Indien zu beeinflussen, nachgewiesen werden können, und wenn ja, auf welche Art und Weise. Dazu werden beispielhaft die Kooperationsbeziehungen des Istituto Italiano per il Medio ed Estremo Oriente (IsMEO) sowie der Deutschen Akademie mit indischen Intellektuellen untersucht. Das vierte Kapitel thematisiert indische Wahrnehmungen und Diskussionen der faschistischen und nationalsozialistischen Jugend- und Bildungspolitik sowie der Themen Körperertüchtigung, Disziplin, ‚Dienst an der Nation‘ und Militarisierung. Disziplin und Planung, so Zachariah in seinem wegweisenden Artikel „Rethinking (the Absence) of Fascism in India, c. 1922–1945“ waren womöglich „[…] the most explicit of the strands of pro-fascist arguments made in Indian circles“. 47 Disziplin wurde einerseits als grundlegende Voraussetzung für die Errichtung einer (zukünftigen) indischen Nation wahrgenommen, andererseits als Methode zur Kontrolle und Mobilisierung der Massen. 48 Im Anschluss an Zachariah wird im Kapitel 4 der Frage nachgegangen, inwieweit die faschistischen und nationalsozialistischen Jugendorganisationen, die Maßnahmen beider Regime zur Körperertüchtigung sowie ihre Praktiken zur militärischen und zivilen Erziehung von Jugendlichen im indischen Kontext als Vorbilder galten. Nach kurzen Darstellungen der Jugend- und Bildungspolitik im faschistischen Italien und im Nationalsozialismus werden entsprechende Wahrnehmungen und Beziehungen in hindunationalistischen Zirkeln, in der bengalischen Intelligenzija sowie in den nationalistischen Medien und im INC analysiert. Schon zeitgenössische Autoren, Politiker und die Presse in vielen Ländern setzten sich intensiv mit den rassistischen und antisemitischen Theoremen und Praktiken des deutschen und des italienischen Regimes auseinander. Dies lässt sich ebenfalls für den südasiatischen Subkontinent und insbesondere in den Schriften der ausgewählten Quellenbestände feststellen. Im fünften Kapitel werden dementsprechend zuerst die nationalsozialistischen Rassentheorien in Bezug auf Indien vorgestellt und anschließend die indische Auseinandersetzung mit der deutschen Rassenpolitik untersucht. Ein Fokus der Analyse liegt dabei auf Diskursen zur Stellung indischer Staatsangehöriger in der ‚Rassenhierarchie‘ des nationalsozialistischen Deutschland sowie auf konkreten Maßnahmen von indischer Seite, die sich gegen die wahrgenommenen deutschen Diskriminierungen richteten. Die Verfasserin argumentiert in diesem Zu47 48
Zachariah, Rethinking, S. 190. Vgl. ebd., S. 189 f.; Guha, Dominance, S. 135 ff.
Ausgangsthesen und Aufbau des Buches
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sammenhang, dass in den indischen Debatten weniger die grundsätzliche Ablehnung der nationalsozialistischen Rassentheorien und -politik im Vordergrund stand, sondern dass vor allem der geringe ‚rassische‘ Status der Inder zurückgewiesen wurde. Die Frage nach Aneignungen nationalsozialistischer Rassentheorien in Indien bildet den zweiten Schwerpunkt in Kapitel 5.1. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die hindunationalistische Auseinandersetzung mit Rassenkonzepten, die in der Sekundärliteratur schon umfassend ausgewertet wurde. Im Rahmen dieses Buches werden die verschiedenen Positionen von Christophe Jaffrelot, Tobias Delfs und Chetan Bhatt 49 vorgestellt und analysiert. Ein konstitutives Element der nationalsozialistischen Rassenpolitik war der Antisemitismus, der während des Zweiten Weltkrieges im Holocaust gipfelte. Die antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes, aber auch des faschistischen Italien wurden in medialen Debatten sowie von Politikern des INC und der HMS in Indien thematisiert und diskutiert. Die Wahrnehmung der deutschen Vorgänge in Indien zeigt dabei Brüche auf, die genauer hinterfragt werden müssen. Antisemitische Ideen spielten als historisches Phänomen in Indien nur eine äußerst untergeordnete Rolle und auch die Aneignung der nationalsozialistischen antisemitischen Ideologie konnte für die analysierten indischen Quellen kaum nachgewiesen werden. Nichtsdestoweniger gab es einen konkreten Berührungspunkt, der nicht nur eine umfangreiche Debatte, sondern auch vielfältige Hilfsinitiativen nach sich zog. Die durch die nationalsozialistische Rassenpolitik bzw. den fanatischen Antisemitismus ausgelöste Flüchtlingswelle mitteleuropäischer Juden unter anderem nach Indien wurde auf dem Subkontinent kontrovers diskutiert. Die Debatte um Vorteile und Nachteile einer jüdischen Immigration nach Indien war dabei einerseits vom Verständnis der kolonialen Situation des eigenen Landes, andererseits von Partikularinteressen beeinflusst. Ein in Indien weithin wahrgenommenes und intensiv diskutiertes Thema stellte die Wirtschaftspolitik Italiens und Deutschlands dar, die im sechsten Kapitel den Bezugsrahmen der indischen Auseinandersetzung liefert. Konfrontiert mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise und auf der Suche nach einem passenden ökonomischen Modell für (das unabhängige) Indien konzentrierten sich nationalistische Debatten stark auf die Konzepte wirtschaftlicher und sozialer Planung. Zachariah hat darauf hingewiesen, dass entsprechende Überlegungen oftmals mit den Themen nation building, Modernisierung oder
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ism.
Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus; Jaffrelot, Ideas, S. 327–354; Bhatt, Hindu National-
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1. Einleitung
mit Diskussionen über die zukünftige Regierungsform verbunden waren. Wirtschaftliche Planung und Entwicklung wurden somit zu entscheidenden Faktoren für die Konstruktion und Gestaltung einer unabhängigen und vereinten indischen Nation. 50 Dabei beobachtete und diskutierte man in Indien die wirtschaftlichen Entwicklungen und Planungsmaßnahmen in anderen Ländern, so unter anderem die des faschistischen Italien und des nationalsozialistischen Deutschland. Die wirtschaftlichen Erfolge beider Regime wurden von indischen Stimmen teilweise als nachahmenswerte Beispiele angeführt. 51 Auch Mario Prayer weist in seinem aktuellsten Aufsatz auf die Verbindungen indischer Intellektueller zum faschistischen Italien hin. Dabei konstatiert er, dass Erstere den Dialog außerhalb des kolonialen Kontexts gesucht hätten, um eine eigene nicht-koloniale Identität für ihr zukünftig unabhängiges ‚Heimatland‘ ausarbeiten zu können.52 Zachariahs und Prayers Thesen zur Vorbildfunktion Italiens und Deutschlands in puncto wirtschaftliche Planung und deren Instrumentalisierung für den erfolgreichen Aufbau eines Nationalstaates aufgreifend, wird hier der bisher noch nicht geklärten Frage nachgegangen, welche wirtschaftlichen Maßnahmen des Faschismus und Nationalsozialismus im Einzelnen als nachahmenswert wahrgenommen wurden und warum. Aus diesem Grund werden nach einer einleitenden Vorstellung von indischen Planungsdiskursen die Debatten um Themen wie Arbeitslosenpolitik, Arbeitsdienst, korporativer Staat, Infrastrukturausbau, Landwirtschaftspolitik und soziale Dienstleistungen untersucht. Dabei richtet sich der Fokus nicht nur auf jene Stimmen im indischen Diskurs, die sich für eine Übernahme deutscher und italienischer Maßnahmen aussprachen, sondern ebenfalls auf jene kritischen Meinungen, die dem faschistischen und nationalsozialistischen Beispiel ablehnend gegenüberstanden. Das sechste Kapitel schließt mit der Untersuchung der indischen Wahrnehmung der deutschen und italienischen Handelspolitik: einerseits die Auseinandersetzung mit den Autarkiekonzeptionen beider Regime, andererseits die realwirtschaftlichen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Britisch-Indien. Das siebente Kapitel untersucht die indische Auseinandersetzung mit der italienischen und der deutschen Außenpolitik am Beispiel des Abessinienkrieges und der Sudetenkrise. Die indische Öffentlichkeit zeigte in den 1930er Jahren ein großes Interesse an den politischen Entwicklungen in Europa, insbesondere an jenen, die von Italien und Deutschland ausgingen. Die Auswahl der beiden Fallstudien für die Untersuchung begründet sich folgendermaßen: der Abessinienkrieg prägte als „erster faschistischer Vernichtungskrieg der Ge50 51 52
Vgl. Zachariah, India, S. 6. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. Prayer, India, S. 254.
Ausgangsthesen und Aufbau des Buches
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schichte“ 53 die indischen Wahrnehmungen des Faschismus entscheidend und definierte sie in vielen Fällen neu; die Sudetenkrise, die in der Zerschlagung der Tschechoslowakei im Frühjahr 1939 endete, stellte die letzte große Krise und Herausforderung vonseiten der Nationalsozialistischen vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges dar, in der noch die Appeasement-Politik als Leitfaden der britischen Außenpolitik diente. Für die Untersuchung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Wahrnehmung von Faschismus und Nationalsozialismus bieten sich die beiden Fallstudien außerdem an, da beide Konflikte jeweils nur vom einem der Regime ausgingen. Der 1935 ausbrechende Abessinienkrieg wurde intensiv von der englischsprachigen indischen Presse sowie von indischen Politikern und Intellektuellen diskutiert. Die Debatten konzentrierten sich einerseits auf die mutmaßlichen Motive des faschistischen Regimes, Krieg gegen Abessinien zu führen, andererseits auf die Fragen, wie sich Indien gegenüber Italien positionieren und ob man und wenn ja, in welcher Form, Hilfeleistungen für Abessinien organisieren solle. Im Zusammenhang mit dem italienischen Überfall auf Abessinien wurde in indischen Debatten ebenfalls die Politik Großbritanniens und des Völkerbundes thematisiert. Beide Machtzentren trugen in indischen Diskursen einen Großteil der Verantwortung für die imperialistische Eroberungspolitik des faschistischen Italien. Die Auseinandersetzung mit den britischen Maßnahmen und denen des Völkerbundes ließ die Formulierung eigenständiger außenpolitischer Positionen notwendig erscheinen. Diese vor dem Hintergrund des Abessinienkrieges vorgebrachte Forderung blieb auch in den folgenden Jahren in den nationalistischen Debatten ein prominentes Thema und führte im Rahmen der Sudetenkrise zu weitreichenden Diskussionen, wie sich Indien im Falle eines künftigen europäischen Krieges verhalten solle. Während die deutschen Bemühungen, das zur Tschechoslowakei gehörende Sudetengebiet zu okkupieren, in den indischen Medien, aber auch von Politikern des INC und der CSP umfassend und größtenteils kritisch thematisiert wurde, nahm die Kritik an der britischen Politik und die Feststellung seiner Verantwortung für den Ausgang der Krise wiederum großen Raum ein. Das Verhalten Großbritanniens, sein Imperialismus, wurde von verschiedenen Autoren dabei mit Faschismus gleichgesetzt, die Ereignisse in Europa globalisiert und mit der eigenen, der indischen Situation vergleichbar gemacht. Auf diese Weise lieferte die Auseinandersetzung mit der faschistischen und der nationalsozialistischen Außenpolitik neue, brisante Argumente im Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft ebenso wie Gründe für die Notwendigkeit eines erfolgreichen indischen nation building. Ein weiterer Schwerpunkt in den Debatten über das nationalsozialistische Expansionsbestreben spielte die Frage nach dem Status von Minderheiten, ein The53
Vgl. Mattioli, Schlüsselereignis, S. 22.
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1. Einleitung
ma, das auch in Indien, vor allem in Hinblick auf die Verteilung von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen unter den Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften Bedeutung erlangt hatte. Zur besseren Übersichtlichkeit für die Leser enthält das vorliegende Buch einen biografischen Anhang. Dieser liefert in selektiver Form allgemeine Informationen über die wichtigsten Akteure, die in dieser Untersuchung behandelt werden.
2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte 2.1 Faschismusforschung: Ansätze und Theorien Die wissenschaftliche Literatur zum Thema Faschismus und Nationalsozialismus ist in ihrer Breite kaum erfassbar und hat eine Vielzahl kontroverser Interpretationen hervorgebracht. Auch die Debatten darüber, was Faschismus genau ist, dauern bis zum heutigen Tag an. Bei den Faschismustheorien, die sich seit der Zwischenkriegszeit entwickelt haben, lassen sich verschiedene Herangehensweisen unterscheiden.1 So haben monokausale Erklärungsmodelle, die zur Entstehung von Faschismus jeweils eine zentrale Ursache zu bestimmen suchen, diesen zum Beispiel als Auswuchs des Kapitalismus, als Resultat pathologischer psycho-sozialer Impulse, als typische Manifestation der totalitären Strömungen des 20. Jahrhunderts, als Revolte gegen Modernisierung ebenso wie auch als radikaler Ausdruck von Moderne oder – im Falle des Nationalsozialismus – als Konsequenz eines nationalen ‚Sonderwegs‘ beschrieben. 2 Vertretern eines generischen Faschismusbegriffes erscheinen solche monokausalen Ansätze als unzureichend, da es ihnen nicht gelinge „[…] a common or comparative category of diverse movements and regimes“ zu finden. 3 Die Suche nach allgemeinen Merkmalen oder einem gemeinsamen ‚Wesen‘ des Faschismus lässt sich bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen. Die Frage war hier, inwieweit sich der Faschismusbegriff, der v. a. auf dem italienischen Fall basiert, auf andere Kontexte übertragen lässt. Seither zielt die generische Forschungsrichtung auf die Identifikation der strukturellen Kernelemente für eine allgemeine Faschismusdefinition. 4 Im Verlauf der Zeit wurden dabei immer neue Charakteristika in den Mittelpunkt gestellt. In den 1960er Jahren schlug zum Beispiel Ernst Nolte das sogenannte ‚faschistische Minimum‘ vor, das aus folgenden Elementen besteht: Anti-Marxismus, Anti-Liberalismus und AntiKonservatismus, Führerprinzip, Parteiarmee und Totalitätsanspruch.5
1 Für Überblicksdarstellungen zu Faschismustheorien und zum Stand der Forschung siehe: Wippermann, Faschismustheorien; Bauerkämper, Faschismus, S. 18–46; Kershaw, Nazi; Larsen/Hagtvet/Myklebust (Hg.), Fascists. 2 Vgl. Payne, Fascism, S. 178; Bauerkämper, Faschismus, S. 18–27. 3 Vgl. Payne, Fascism, S. 191. 4 Vgl. Bauerkämper, Faschismus, S. 27. 5 Vgl. Nolte, Bewegungen.
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte
Während Noltes Konzept in Deutschland eine äußerst kritische Aufnahme fand, bemühten sich angelsächsische Forscher, wie Roger Eatwell, Roger Griffin, Walter Laquer, Stanley Payne und George Mosse, aber auch der israelische Politikwissenschaftler Zeev Sternhell weiterhin um allgemeine Faschismusdefinitionen. 6 Zu der Frage, was das ‚faschistische Minimum‘– von Griffin zusammengefasst „the lowest common denominator of defining features to be found in all manifestations of fascism“ 7 – ausmacht, wurde von der Forschung bis heute kein Konsens erzielt. Obwohl dieses Problem fortbesteht und sich der generische Ansatz mit der Kritik auseinanderzusetzen hatte, dass er zu einer Vereinfachung sehr unterschiedlicher historischer Prozesse führe, wurde der Gattungsbegriff Faschismus keineswegs aufgegeben. 8 Jedoch wendete beispielsweise Roger Griffin ein, dass es keine objektive Definition von Faschismus geben könne, da der Faschismusbegriff, wie alle Gattungsbezeichnungen in den Geisteswissenschaften, sich im Grunde auf einen ‚Idealtypus‘ beziehe. 9 Stanley Payne, der ähnlich argumentiert, wies zudem auf die Notwendigkeit hin, neben dem gemeinsamen Kern die Diversität faschistischer Bewegungen im Blick zu behalten: [..] when employing an inductive inventory of characteristics of generic fascism, individual movements should be understood to have potentially possessed (depending upon cases) further beliefs, goals, and characteristics of major importance that did not necessarily contradict the common features but went beyond them.10
Diese zunehmende Flexibilisierung des Faschismuskonzeptes scheint auf den ersten Blick auch für den Umgang mit der Problematik des nicht-europäischen Faschismus hilfreich. Jedoch zeigt sich, dass auch die offeneren Ansätze Faschismus zumeist als ausschließlich europäisches Phänomen begreifen. Eine ‚Anwendung‘ des nur vermeintlich ‚allgemeinen‘ Faschismusbegriffs auf Bewegungen, Organisationen und Parteien außerhalb Europas scheint daher nach wie vor problematisch, wie unten noch auszuführen sein wird. Selbst die Idee eines europäischen Faschismus, wie sie Ernst Nolte, Stanley Payne und Arnd Bauerkämper11 vertreten, ist keineswegs allgemein akzeptiert. Forscher wie Renzo de Felice, Karl Dietrich Bracher, Klaus Hildebrand, Bernd Martin und Gilbert Allardyce haben eingewandt, dass schon zwischen den beiden einzigen Staaten, in denen faschistische Gruppen die Regierung überneh6 Vgl. Griffin, Nature, S. 12 ff.; Sternhell, Fascism, S. 280–290; Eatwell, Model, S. 161– 194; Payne, History; Mosse, Introduction, S. 1–41; Laqueur, Fascism. 7 Griffin, Fascism, S. 1. 8 Vgl. Bauerkämper, Faschismus, S. 37. 9 Vgl. Griffin, Fascism, S. 2. 10 Payne, Fascism, S. 196. 11 Vgl. Nolte, Faschismus, S. 35–45; Bauerkämper, Faschismus; Payne, Geschichte.
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men konnten, nämlich Italien und Deutschland, unübersehbare Unterschiede bestanden hätten. Die generische Faschismustheorie ignoriere die spezifischen Charakteristika des Nationalsozialismus, vor allem dessen radikale Rassenpolitik und trivialisiere dadurch sein Terrorregime sowie den Holocaust. 12 Die in diesem Buch untersuchte indische Auseinandersetzung mit beiden Regimen zeigt, dass sich beide Auffassungen (sowohl die Betonung der Gemeinsamkeit als auch der Differenz von Faschismus und Nationalsozialismus) bereits in der zeitgenössischen Wahrnehmung finden lassen. Da der weitaus größere Teil der Diskussionen sich nur jeweils mit einem der beiden Phänomene bzw. einzelner seiner Aspekte beschäftigte, wird hier die Wahrnehmung von Nationalsozialismus und Faschismus soweit möglich getrennt analysiert, um auf dieser Grundlage vergleichen zu können. Im Zusammenhang mit diesem Buch ist nun vor allem interessant, inwieweit sich Faschismus als globales Phänomen verstehen lässt. Bei Stanley Payne (1987) findet sich das zirkuläre Argument, „[that, M. F.] the full characteristics of European fascism could not be reproduced on a significant scale outside Europe.“ 13 Seiner Ansicht nach habe es spezifische Vorbedingungen für die Entstehung des Faschismus in Europa gegeben, die in anderen Regionen nicht vollständig vorgelegen hätten.14 Dagegen plädieren neuere Forschungsbeiträge für eine offenere Definition von Faschismus, die Bewegungen und Regime auf anderen Kontinenten mit einbezieht, so z. B. Stein U. Larsen.15 Der von ihm herausgegebene Band „Fascism outside Europe“ versucht, einen systematischen Überblick über die globale Verbreitung faschistischer Ideen zu geben.16 Larsens Position, Faschismus sei auch außerhalb Europas zu finden gewesen, basiert auf einem Diffusionsmodell. So stamme Faschismus in außereuropäischen Regionen, Larsen zufolge, aus Europa, da „[…] much of the thinking and many of the organizational and political forms were diffused from European models.“ 17 Das europäische Modell habe sich dann in Asien und Lateiname-
12 Vgl. Bracher, Nationalsozialismus, S. 578 und 582 ff.; Martin, Tauglichkeit, S. 48–73; Bauerkämper, Faschismus, S. 36 f. 13 Payne, Fascism, S. 175. 14 Vgl. ebd. Als Vorbedingungen nennt Payne: „[…] (1) intense nationalist/imperialist competition among newer nations, formed mostly in the 1860s; (2) liberal democratic systems nominally in place in the same countries, but without deep functional roots on the one hand or a dominant elite or oligarchy on the other; (3) opportunity for mobilized nationalism on a mass basis as an independent force not restricted to elites or an institutionalized oligarchy, (4) a new cultural orientation stemming from the cultural and intellectual revolution of 1890–1914.“ (ebd.). 15 Vgl. Griffin, Nature, S. 146 ff.; Eatwell, Model; Larsen, Fascism. 16 Vgl. Larsen, Fascism. 17 Larsen, Diffusion, S. 717.
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte
rika mit verschiedenen lokalen und regionalen ‚Impulsen‘ zu neuen Bewegungen und Ideen verbunden.18 Die Vorstellungen des Faschismus als ausschließlich europäischem Phänomen bzw. Phänomen ausschließlich europäischen Ursprungs haben vor allem von Historikern mit Regionalexpertise Kritik erfahren. Rikki Kersten beispielsweise schreibt in ihrem Beitrag über Japan im „Oxford handbook of fascism“, dass Studien zum Faschismus in nicht-westlichen Gebieten oftmals entweder von der Suche nach nicht vorhandenen Eigenschaften und nach Mängeln gekennzeichnet sind oder dass sie nur hinsichtlich kultureller Differenzen Aufmerksamkeit erregen.19 An Payne 20 kritisiert sie, dass bei ihm faktisch asiatische „Besonderheiten“ herangezogen würden, um zu erklären, warum es dort zu keinem Faschismus europäischen Typs kommen konnte. 21 Diese Art eurozentrischer Geschichtsschreibung, in der Europa nicht Vergleichsobjekt, sondern Vergleichsstandard sei, liefe auf eine Form des intellektuellen Kolonialismus hinaus. 22 Auch Benjamin Zachariah, der zu Indien arbeitet, weist die Vorstellung von Faschismus als einem europäischen Phänomen zurück. Zachariah hebt dabei die Schwierigkeit hervor zu entscheiden, welche Phänome sich als genuin faschistisch definieren lassen und welche (wie z. B. „[…] the desire and ability […] to create movements of controlled mass participation and organized violence“ 23) sehr viel weiter verbreitet waren. Statt die Ursprünge faschistischer Ideen in Europa zu lokalisieren, spricht Zachariah von einem Zeitgeist, der auf älteren, ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Wissensbeständen basierte und sich in Debatten zwischen dem ‚Westen‘ und dem ‚Osten‘ formiert habe. 24 Während Forscher wie Kersten und Zachariah in die theoretischen Debatten um einen allgemeinen Faschismusbegriff intervenieren, stellen andere Experten außereuropäischer Kontexte die Frage nach den Reaktionen auf Faschismus und Nationalsozialismus in den Mittelpunkt. Ein Beispiel ist der aufschlussreiche Band „Blind für die Geschichte“, der sich mit den vielfältigen Wahrnehmungen des Nationalsozialismus im Mittleren Osten und Nordafrika beschäftigt. Hier wird einerseits gefragt, inwieweit öffentliche Stimmen in der arabischen Welt faschistische und nationalsozialistische Ideologien teilten. Gleichzeitig tragen die Beiträge durch die Untersuchung der Rezeptionsfor-
18 19 20 21 22 23 24
Vgl. ebd. Vgl. Kersten, Japan, S. 526 f. Vgl. Payne, History, S. 336. Vgl. Kersten, Japan, S. 527. Vgl. ebd. Zachariah, Rethinking, S. 181 f. Vgl. ebd.
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men und -wege zu einer Neubewertung des Faschismus als Phänomen mit globaler Reichweite bei. 25 Auch Götz Nordbruch richtet in seiner Arbeit zum Nationalsozialismus in Syrien und im Libanon den Fokus weniger auf die Ermittlung von Gemeinsamkeiten oder Unterschieden zwischen lokalen und nationalsozialistischen Akteuren. Sein Hauptinteresse liegt vielmehr in der Rekonstruktion der lokalen Beschäftigungen mit Nationalsozialismus als Reflektion der politischen Kultur. 26 An diese unterschiedlichen Einwände aus Sicht von regional-spezialisierten Historikern, die sich um ein nicht-europäisches Verständnis von Faschismus bemühen, knüpft das vorliegende Buch an. Dem entspricht auch eine Materialbasis, die vor allem Stimmen indischer Beobachter des italienischen Faschismus und des Nationalsozialismus enthält. Deren Aufmerksamkeit richtete sich, wie sich zeigen wird, teilweise gerade auf solche Aspekte, die man als ‚soft features‘ des Faschismus bezeichnen könnte bzw. auf Politiken, die zwar zum diskursiven Bereich von Faschismus gehören, aber ebenfalls als Teil eines breiteren Zeitgeistes gesehen werden können (z. B. Planwirtschaft, Jugendkult, Disziplin und Militarismus). 27 Statt von einem idealtypischen (europäischen) Faschismus oder einem festen ‚faschistischen Minimum‘ auszugehen, an dem Entwicklungen in Indien gemessen werden können, soll auch in diesem Buch ein Perspektivenwechsel vorgenommen werden, der die europäische Erfahrung gewissermaßen ‚dezentriert‘. Zur Beurteilung von Faschismus als globalem Phänomen ist es nicht nur wichtig, Formen seiner Aneignung durch soziale und politische Bewegungen und Regime zu analysieren und nach Kollaborationen und Allianzen zu fragen. Ebenso wichtig ist es zu untersuchen, wie bestimmte intellektuelle und politische Gruppen Faschismus diskutiert und definiert haben, welche seiner Elemente positiv beurteilt und welche zurückgewiesen wurden, zu welchem Zeitpunkt dies passierte und warum. Ein universaler Faschismusbegriff wird dabei nicht verworfen. Vielmehr geht es darum zu sehen, inwieweit eine Ein-
25 Vgl. Höpp/Wien/Wildangel (Hg.), Geschichte. Siehe dazu auch: Freitag/Gershoni (Hg.), Encounters, S. 310–450; Gershoni/Nordbruch, Sympathie. 26 Vgl. Nordbruch, Nazism. Eine ähnliche Herangehensweise verfolgt Peter Wien in seiner Arbeit, die nationalistische arabische Diskurse im Irak über Faschismus, Autoritarismus und Totalitarismus untersucht. Durch die Untersuchung der Perzeptionen und Debatten schlussfolgert Wien, dass keine Übernahme direkter faschistischer Gedanken, sondern eher Annäherungen an die faschistische Symbolik erfolgten (vgl. Wien, Nationalism). 27 Für die Frage, inwieweit bestimmte faschistisch anmutende Aspekte in Ländern des Mittleren Ostens, wie der Führerkult, Disziplin oder Jugendorganisationen als Teil eines weiter gefassten Zeitgeistes angesehen werden können, siehe: Wien, Terms, S. 319 f.; Wien, Nationalism, S. 3 und 113–116.
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte
beziehung außereuropäischer Wahrnehmungen einen Beitrag zur Charakterisierung des Faschismus leisten kann. Daher ist die Frage, wie Faschismus in der indischen Öffentlichkeit definiert wurde bzw. was genau als ‚faschistisch‘ verstanden wurde, zentraler Bestandteil der hier vorgenommenen Untersuchung der Wahrnehmung von Faschismus und Nationalsozialismus in Indien. Wie zu zeigen sein wird, beschäftigten sich die Kommentatoren aus Indien dabei eher mit den Methoden und der Politik als mit der Ideologie von Faschismus und Nationalsozialismus. Beide galten in der indischen Auseinandersetzung oftmals als Modernisierungsbewegung, in denen ein ‚starker Führer‘ mit effizientem zentralisiertem Staatsapparat die Nation einte. Insbesondere der letzte Topos des erfolgreichen nation building, Faschismus als Variante eines übersteigerten Nationalismus, der sich gegen externe und interne Kräfte durchsetzen konnte, spielte eine herausragende Rolle. 28
2.2 Nationalismen in Indien in der Zwischenkriegszeit Seit den 1870er/1880er Jahren hatten sich indische Intellektuelle und Politiker intensiv mit dem Thema Nationalismus beschäftigt und dabei diskutiert, inwieweit Indien bereits eine Nation sei und wie ein (zukünftiger) indischer Nationalstaat aussehen könne. 29 Die Auseinandersetzung mit dem Charakter und den Grenzen der indischen Nation bzw. eine Vorstellung von diesen bildete dabei eine wichtige Voraussetzung für das Argument nationaler Selbstbestimmung. Dieses legitimierte nicht nur indische Forderungen nach Erlangung der Unabhängigkeit, sondern wies auch gleichzeitig jegliche Unterstützung Europas auf dem Weg zur ‚Moderne‘ zurück. Die Auseinandersetzung um konkurrierende Entwürfe nationaler Identität ging oftmals auch mit einem Ringen um politische Hegemonie einher. 30 Eine Frage, die in den kontroversen Debatten um die indische Nation wiederholt auftauchte, ist die Frage nach ihrer Geschichte. Dabei standen sich primordiale Ursprungserzählungen und modernistische Vorstellungen, die an ihre Konstruktion unter modernen Bedingungen glaubten, gegenüber. Der erste Diskursstrang, der die historisch gewachsene innere Einheit Indiens betonte, war in Indien weit verbreitet und ließ sich in den Aussagen aller politischen Richtungen finden. 31 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges trat die indische Nationalbewegung in eine neue Phase ein. Der INC, der als moderates Vorhaben einer männ28
Vgl. Zachariah, Rethinking, S. 190. Vgl. Goswami, India, S. 7 ff. und 165 ff. Goswami bietet ebenfalls einen einführenden Überblick in die Historiografie zum Thema indischer Nationalismus (vgl. ebd., S. 288 f.). 30 Vgl. Six, Hindi, S. 24. 31 Vgl. ebd., S. 33 f.; Mann, Geschichte, S. 122, 126 ff. und 136 ff. 29
Nationalismen in Indien in der Zwischenkriegszeit
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lichen Hindu-Elite begonnen hatte, nutzte in den 1920er und 1930er Jahren zunehmend Techniken zur Mobilisierung der Massen und hoffte somit Bauern und Arbeiter, Muslime bzw. auch Frauen für die nationale Sache gewinnen zu können.32 Die zwei Jahrzehnte zwischen den Weltkriegen waren innenpolitisch von dem Ringen um mehr politische Zugeständnisse an die indische Bevölkerung gekennzeichnet. 1919 erließ die britische Kolonialregierung einen Government of India Act, auch als Montagu-Chelmsford-Reform bekannt, der die indischen Bemühungen im Krieg belohnen sollte. Das Gesetz enthielt erste Schritte in Richtung Selbstregierung. 33 Seine konkrete Bestimmungen befriedigten jedoch keineswegs die nationalistischen Ambitionen, da die britischen Konzessionen den indischen Forderungen nach Home Rule (Selbstregierung hinsichtlich interner Angelegenheiten) oder völliger Selbstbestimmung nicht weit genug entgegenkamen. Die Enttäuschung über die Montagu-Chelmsford Reform war nur einer der Gründe, der zur Kampagne der Nicht-Zusammenarbeit (Non-Cooperation) führte. Mahatma Gandhi initiierte 1920 diese NonCooperation, die darauf abzielte, Indien mit gewaltfreien Methoden von der britischen Herrschaft zu befreien. 34 Zu diesen Methoden gehörte die Rückgabe von Titeln, der Boykott von Schulen, Gerichtshöfen und Gemeinderäten, der Boykott ausländischer Produkte sowie die Unterstützung einheimischer Waren (khadi) und nationaler Schulen. Darüber hinaus zielte die Bewegung auf eine Vergrößerung der Mitgliederzahlen des INC, Freiwilligenverbände wurden aufgestellt und Demonstrationen und Hartals (Proteststreiks) durchgeführt. 35 Die Non-Cooperation-Bewegung wurde von Gandhi im Februar 1922 nach dem Chauri Chaura-Vorfall abgebrochen und die Jahre bis 1927 sahen den Niedergang und die Fragmentierung der Nationalbewegung. 36 Dies änderte sich mit der 1927 ernannten Simon Comission, die Vorschläge zur konstitutionellen Entwicklung Indiens unterbreiten sollte. Die Kommission, deren Mit32
Vgl. Kishwar, Gandhi, S. 1691–1702; Amin, Gandhi, S. 288–348. Das Gesetz führte ein spezielles konstitutionelles System namens Dyarchy ein. Das System umfasste eine Zentralregierung, die beinahe vollständig unter britischer Kontrolle stand, und Provinzregierungen, die den Provinz-Legislativen gegenüber verantwortlich waren. In den Regierungen auf Provinzebene gab es indische Minister, die bestimmte Ressorts leiten durften, allerdings solche mit wenig politischem Gewicht und geringen Geldmitteln (vgl. Metcalf/Metcalf, History, S. 166). 34 Vgl. Sarkar, India, S. 168–206. Auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges, der Erlass des Rowlatt Act, der verschiedene Kriegsbestimmungen zur Einschränkung bürgerlicher Freiheiten permanent etablierte sowie die Khilafat Bewegung, die sich für die Beibehaltung des Kalifats einsetzte, wirkten auf die Non-Cooperation Kampagne ein. 35 Vgl. ebd. 36 Vgl. ebd., S. 226 ff. In Chauri Chaura in den United Provinces verbrannten 22 Polizisten in ihrer Wache als verärgerte Bauern Feuer legten. 33
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte
glieder alle ‚weiß‘ waren, entfachte nicht nur Proteste, sondern führte auch zu dem Versuch, eine indische Verfassung zu entwerfen, die von den verschiedenen politischen Kräften anerkannt würde. Im Dezember 1928 verabschiedete der INC auf seiner Jahrestagung die Forderung nach völliger Unabhängigkeit (purna swaraj) innerhalb eines Jahres. Nach Verstreichen der Jahresfrist, die keine ausreichenden Zugeständnisse von britischer Seite sah, initiierte Gandhi eine zweite Massenkampagne. Die Bewegung des zivilen Ungehorsams (Civil Disobedience Movement) forderte nach anfänglichen Erfolgen, wie dem Gandhi-Irwin-Pakt, eine massive Gegenoffensive von britischer Seite heraus, die die Nationalbewegung 1933 und 1934 lahmlegte. Nach der Verabschiedung eines neuen Government of India Act im Jahr 1935, der weitere konstitutionelle Zugeständnisse brachte, allerdings nicht die erhoffte Unabhängigkeit, wurden 1937 Wahlen auf Provinzebene durchgeführt, in welchen der INC große Erfolge feierte. Er stellte in sieben von elf Provinzen die Regierung, was der Partei zum ersten Mal reale politische Macht, wenn auch nur in beschränktem Maße, einbrachte. 37 Während der INC in der Zwischenkriegszeit eine wichtige Rolle im indischen Unabhängigkeitskampf einnahm, entstanden in den 1920er Jahren eine ganze Reihe neuer politischer Kräfte, die Einfluss auf die Nationalbewegung nahmen. Neben Stammes-, Kasten-, Arbeiter- und Bauernbewegungen, formierten sich die indischen Kommunisten. Auch ‚kommunalistische‘ Parteien, wie die Muslim League und die HMS rangen um Einfluss. Neben dem ‚Mainstream‘-Nationalismus der Nationalbewegung wurden alternative, auf (religiöse) Gemeinschaften gerichtete Mobilisierungen nun wichtiger. 38 Die All India Hindu Mahasabha war 1915 mit dem Hintergrund gegründet wurden, die soziopolitischen Interessen der Hindus zu verteidigen. Ursprünglich betrieb sie Lobbyarbeit im INC und versuchte hier muslimischen Forderungen nach mehr politischer Partizipation entgegenzuwirken. In den 1920er Jahren verstärkte sich die hindunationalistische Ausrichtung der HMS, unter anderem durch die Stigmatisierung der ‚bedrohlichen Anderen‘ (vor allem Muslime). Obgleich die Partei nie große Wahlerfolge in der Zwischenkriegszeit verzeichnen konnte, spielte die HMS und vor allem ihr Präsident V. D. Savarkar eine wichtige Rolle in Hinblick auf die Ausformulierung eines ‚Hindu‘-Nationalismus. 39 Vor dem Hintergrund der Konkurrenz verschiedener Nationalismen erhielt die Frage nach nationaler Einheit im INC in der Zwischenkriegszeit erneut Auftrieb. Sie wurde zum entscheidenden Kriterium, den Anspruch des INC, die gesamte indische Nation gegenüber der britischen Kolonialmacht zu reprä37 38 39
Vgl. ebd., S. 261 ff. Vgl. ebd., S. 237–252; Pandey, Construction, S. 233 ff. Vgl. Gordon, Hindu, S. 145–203; Jaffrelot, Hindu, S. 17 ff.
Nationalismen in Indien in der Zwischenkriegszeit
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sentieren, umsetzen zu können.40 Wie Partha Chatterjee am Beispiel von Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru gezeigt hat, verfolgte die Führung der Unabhängigkeitsbewegung ein politisch-ideologisches Programm, mit dem die größtmögliche nationale Allianz geschaffen werden konnte. Dazu gehörte auch die breite Mobilisierung der Bevölkerung, insbesondere der Bauern für die „passive Revolution“, die auf die Gründung eines unabhängigen politischen Nationalstaates zielte. 41 Sumit Sarkar sagt in diesem Zusammenhang, dass, obgleich der indische Nationalismus in den Jahren von 1927 bis 1937 große Fortschritte machte, er von vielen Widersprüchen gekennzeichnet war. So bemühte sich der INC um Konsolidierung und Ausbau seiner Organisation, was eine Assimilierung und gleichzeitige Zügelung radikalerer Elemente der Unterschichten mit sich brachte. Darüber hinaus weckte der INC Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte, was unter den an Einfluss gewinnenden linken Kräften zu Enttäuschungen und innerhalb des Kongress zu Konfrontationen zwischen dem rechten und dem linken Flügel führte. 42 Im INC war die Vorstellung einer primordialen Einheit der Nation verbreitet. Dies schloss jedoch keineswegs die Notwendigkeit der weiteren Entwicklung der Nation aus. So begriff bspw. Nehru Indien, obgleich er auf die historischen Dimensionen der nationalen Einheit verwies, vor allem als eine „nation in the making“. 43 Nehru hielt es für dringend erforderlich, die indische Nation 40 Six führt aus, dass der Kolonialismus nicht nur den übergeordneten Rahmen der Entstehung des indischen Nationalismus bildete, sondern auch inhaltlich den wesentlichen Bezugspunkt (vgl. Six, Hindi, S. 34). 41 Vgl. Chatterjee, Thought, S. 48 f. Chatterjee analysiert in seiner Studie die Ideengeschichte des postkolonialen indischen Staates, indem er drei dafür notwendige (diskursive) Phasen vorstellt: der „moment of departure“, der „moment of manoeuvre“ und der „moment of arrival“. Im „moment of departure“ werde das nationalistische Bewusstsein mit dem rationalen Gedankengut der Post-Aufklärungszeit konfrontiert, was zu der Annahme wesenhafter kultureller Differenzen zwischen dem „Westen“ und dem „Osten“ sowie der Rückständigkeit des Letzeren führe. Die Rückständigkeit des „Ostens“ könne allerdings durch die Übernahme der modernen Attribute der europäischen Kultur überwunden werden, wobei die negativen Auswirkungen der Moderne durch die spirituelle Überlegenheit des „Ostens“ vermieden werden könnten. Während der „moment of departure“ ein elitäres Programm sei, brauche der nächste Schritt, der „moment of manoeuvre“, die Mobilisierung der Massen für den antikolonialen Kampf und ziele gleichzeitig auf deren Distanzierung von den Strukturen des Staates ab. Der „moment of arrival“ stelle die letzte Phase dar, wenn der nationalistische Gedanke am vollsten entwickelt sei und als Ordnungsdiskurs im Sinne einer rationalen Organisation der Macht auftrete. Nun präsentiere sich der Diskurs als homogen und die vorherrschende ideologische Einheit hinsichtlich des nationalistischen Gedankens versuche sich als einheitliches Lebens des Staates zu verwirklichen (vgl. ebd., S. 50 f.). 42 Vgl. Sarkar, India, S. 254 f. 43 Vgl. Six, Hindi, S. 29 f. und 34.
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte
umfassend zu modernisieren. Dabei glaubte er nur durch die Befolgung eines säkularen und rationalen Ansatzes die Massen für das politische Ziel, für das Erreichen der Unabhängigkeit, mobilisieren zu können.44 Im Gegensatz zu Gandhi 45 vertrat Nehru eher ein säkular-territoriales Nationenkonzept. Obgleich dieses nicht auf Religion oder kultureller Einheit gegründet sein sollte und sich Nehru kritisch gegenüber Gandhis Gebrauch hinduistischer Symbolik äußerte, beschrieb auch er in seiner „Discovery of India“ die indische Einheit als vorrangig hinduistisch geprägt. 46 Die Hindunationalisten wiesen dagegen nicht nur den Anspruch des INC zurück, die indische Nation zu repräsentieren, sondern entwickelten auch ein konkurrierendes Nationenmodell. Dieses schloss z. B. für Vinayak D. Savarkar ausschließlich die Hindus und dazu zählte er im weiteren Sinne auch Buddhisten, Jains und Sikhs, nicht jedoch die in Indien lebenden Muslime oder Christen ein. 47 Die indischen Debatten um die Nation, um Zugehörigkeiten, aber auch um die Form des zukünftigen Nationalstaates erhielten in Auseinandersetzung mit dem Faschismus neue Impulse, wie im Folgenden näher gezeigt werden soll.
2.3 Faschismus in Indien Bisher existieren kaum wissenschaftliche Arbeiten, die eine umfassende Analyse der Thematik Faschismus in Indien bzw. Wahrnehmung und Diskussion des Faschismus und des Nationalsozialismus in Indien bieten. Hervorgehoben sei jedoch Benjamin Zachariahs Artikel „Rethinking (the Absence of) Fascism in India, c. 1922–1945“. Anhand von Themen wie staatliche Planung, Massenmobilisierung, Eugenik, ‚Rasse‘ und Nation diskutiert Zachariah, inwieweit Ideen, die im Allgemeinen mit Faschismus assoziiert werden, in Indien verbrei44 Vgl. ebd., S. 29 ff.; Goswami, India, S. 1 ff.; Chatterjee, Thought, S. 131. Die mit dem Nationenkonzept eng verbundene Frage nach dem Staats- und Entwicklungsmodell und die Debatten darüber werden im Kapitel 6.1.1 behandelt. 45 Six zufolge hatte die „allgemein humanistische Religion der Gewaltlosigkeit [..] für Gandhi […] primär integrativen Charakter und transzendierte die engen und letztendlich trennenden Grenzen der einzelnen Religionsgemeinschaften hin zu einem allgemeinen und übergreifenden Postulat einer menschengerechten Entwicklung (vgl. Six, Hindi, S. 32). 46 Vgl. Sarkar, History, S. 363. 47 Vgl. Mann, Geschichte, S. 126 f. Einen Überblick über die Entwicklung hindunationalistischer, aber auch muslimischer Geschichtsschreibung und deren Auseinandersetzung mit den Themen Nation und nationale Einheit gibt: Mann, Geschichte, S. 71 ff. Nationalistische Diskurse, die auf einer Hindu-Identität basierten und Muslime als entweder Ausnahmen einer ansonsten organischen Einheit oder als ‚Fremdkörper‘ innerhalb der Nation beschrieben, existierten schon in den 1870er/1880er Jahren (vgl. Goswami, India, S. 10 und 207). Siehe zu Savarkars Vorstellungen einer Hindu-Nation die Kapitel 5.1.2 und 7.2.2.
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tet waren. 48 Dabei kommt er zu dem, wie er selbst meint, noch etwas unbefriedigenden Resultat, dass „[…] in terms of a history of ideas, one might find (forms of?) fascism in India, but fascism did not exist outside fringe groups, because the political and economic conditions for it did not exist.“ 49 Dieses vorläufige Ergebnis kann hier durch eine breit angelegte Analyse indischer Auseinandersetzungen mit Faschismus, die ebenfalls Aspekte wie Außenpolitik und Antisemitismus in den Blick nimmt, genauer geprüft werden. Neben Zachariahs programmatischen Text liegt zur Positionierung ausgewählter Personen, Parteien und Gruppierungen eine Reihe von Einzelstudien vor. 50 Dabei hat insbesondere Subhas Chandra Bose bzw. dessen Zusammenarbeit mit Hitler und Mussolini das Interesse der Forschung geweckt. 51 Padmalata Sharma untersucht in ihrer Dissertation die Positionen des INC, der CSP und der Communist Party of India (CPI) zum Faschismus und zum Nationalsozialismus in den Jahren von 1933–1939. Sie lässt allerdings eine differenzierte Auseinandersetzung mit Ansichten verschiedener Angehöriger der Parteien vermissen und schreibt, dass alle wichtigen indischen Politiker der genannten Parteien Faschismus und Nationalsozialismus in den 1930er Jahren vehement verurteilten. 52 Auch das relativ bekannt gewordene Zusammentreffen Gandhis mit Mussolini im Jahr 1931 hat die Forschung ausführlich dargestellt. 53 Die Auseinandersetzung der Hindunationalisten mit dem Faschismus wurde seit 1992 (vermutlich im Zusammenhang mit den schweren kommunalistischen Ausschreitungen nach der Erstürmung und Zerstörung der Babri Moschee in Ayodhya) wiederholt thematisiert. 54 Umfangreich hat die Fragestellung Marzia Casolari in ihrer unveröffentlichten Dissertation „Nazionalismo indiano, Italia
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Vgl. Zachariah, Rethinking, S. 178 f. Ebd., S. 197. 50 Dazu gehören auch die folgenden beiden Standardwerke, die sich mit Indiens Rolle bzw. mit der Haltung indischer Nationalisten im Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen: Voigt, Indien; Hauner, India. Mit der muslimischen Khaksarbewegung und ihrer Nähe zum Faschismus beschäftigt sich: Daechsel, Scienticism, S. 443–472. Die Haltung des wichtigen INC-Politikers Jawaharlal Nehru wurde unter anderem analysiert in: Framke, Nehrus; Weidemann, Nehru, S. 387–398. 51 Vgl. Sareen, Bose; Kuhlmann, Bose; Zöllner, Feind; Sareen, Nazi Germany; Weidemann, Bose, S. 317–329; Gordon, Brothers. Zur Indischen Legion, die 1941 von Bose geschaffen wurde und viele indische Kriegsgefangene für den Kampf an deutscher Seite gegen Großbritannien und für die Unabhängigkeit Indiens rekrutierte, siehe: Günther, Indien; Oesterheld, Legion, S. 209–226. 52 Vgl. Sharma, Reaction. 53 Vgl. Prayer, Search; Prayer, Regime, S. 256–259; Sofri, Gandhi. 54 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus; Jaffrelot, Christophe, Ideas, S. 327–354; Bhatt, Hindu Nationalism. 49
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e fascismo“ sowie in einem publizierten Aufsatz „Hindutva’s foreign tie-up in the 1930s. Archival Evidence“ 55 untersucht. Auch hinsichtlich der Vertreter der bengalischen Intelligenz liegen schon einige Untersuchungen vor, von denen allerdings ein Teil auf Italienisch publiziert wurde, was eine breite internationale Rezeption ihrer Forschungsergebnisse erschwert hat. 56 Verschiedene Forschungsarbeiten haben sich mit der Beziehung Benoy Kumar Sarkars zum faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland beschäftigt. 57 Umfassend mit der bengalischen Intelligenz, so zum Beispiel mit Rabindranath Tagore, hat sich Mario Prayer beschäftigt und dabei einerseits die Beziehungsgeschichte der indischen Nationalisten und des Mussolini-Regimes untersucht, ohne die Wahrnehmung des Faschismus zu thematisieren. 58 Andererseits hat Prayer in zwei Aufsätzen die Wahrnehmungen und Auseinandersetzung der bengalischen Presse und Intelligenz mit dem Faschismus dargelegt. 59 Dabei kommt er in dem 1996 veröffentlichten Beitrag zu dem Urteil, dass die bengalische Intelligenzija aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes und ihres Nationalismus den italienischen Faschismus positiv wahrnahm. 60 In seinem aktuellsten Aufsatz aus dem Jahr 2010 konstatiert Prayer, dass die indischen Intellektuellen in erster Linie Internationalisten gewesen seien, die sich vom Austausch mit Europa Impulse für die Errichtung 55
Vgl. Casolari, Nazionalismo; Casolari, Hindutva’s, S. 218–228. Die italienische Forschung hat sich ebenfalls mit Akteuren, wie Mahatma Gandhi und Subhas Chandra Bose beschäftigt (vgl. Martelli, L’India; Prayer, Gandhi, S. 55–83). Darüber hinaus wurden einzelne Personen bzw. Aspekte der italienisch-indischen Beziehungen untersucht, wie das IsMEO oder die indische Auseinandersetzung mit dem Abessinienkrieg (vgl. Ferretti, Politica, S. 779–819; De Felice, L’India, S. 1309–1363; Procacci, Parte). 57 Vgl. Flora, Sarkar; Flora, Essay; Manjapra, World. 58 Vgl. Prayer, Search. Auch in dem von ihm veröffentlichten Beitrag „Italian Fascist Regime and Nationalist India, 1921–1945“, der eine Analyse der italienischen Rezeption des nationalistischen Indien beinhaltet, gehört die benannte Thematik nicht zu Prayers Fokus (vgl. Prayer, Regime, S. 249–271). Zu den Personen, die in Prayers Forschungsbeiträgen eine Rolle spielen, gehören: Kalidas Nag, Mahatma Gandhi, Rabindranath Tagore, Benoy Kumar Sarkar, Taraknath Das, Pramatha Nath Roy, Monindra Mohan Moulik und Subhas Chandra Bose. 59 Vgl. Prayer, Internazionalismo; Prayer, India, S. 236–259. 60 Vgl. Prayer, Internazionalismo, S. 105. Prayer zufolge bewunderten die bengalischen Intellektuellen Italien als erfolgreiches Modell eines modernen Staates, der die Fähigkeit besaß, die Massen zu mobilisieren und ihnen einen neuen Geist von Disziplin einzuflößen, der soziale Harmonie herstellen und in sich alle Aspekte des öffentlichen und individuellen Lebens aufnehmen konnte. Auch die Industrialisierung und die Dynamik im internationalen Bereich, die zur Rückgewinnung des Prestiges für das ehemals unterdrückte Land geführt hätten, seien positiv rezipiert worden. Dabei sei das faschistische Beispiel wie eine geglückte Wiederholung der Swadeshi-Bewegung erschienen (vgl. ebd., S. 107). 56
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einer indischen anti-kolonialen Nation erhofften. Italien schien ihnen dabei aufgrund seiner sozio-ökonomischen und kulturellen Eigenschaften näher als andere europäische Staaten. Italiens Wiederauferstehung unter dem faschistischen Regime nahm die bengalische Intelligenzija, Prayer zufolge, als ein kulturell-historisches Phänomen wahr, das politische und moralische Erwägungen transzendierte. 61 Er kommt zu dem Schluss: „This suspension of a moral judgment on Fascism and Mussolini largely derived from the awareness that India would in any case have to follow its own path and remain true, not to a single ideology, but to its history.“ 62 Dieser abschließenden Einschätzung Prayers wird im vorliegenden Buch nur teilweise zugestimmt, wie die Ausführungen in den folgenden Kapiteln zeigen werden. Denn obgleich für Indien und dessen Zukunft vonseiten der bengalischen Intelligenzija eigenständige Vorstellungen, die den Gegebenheiten und der Geschichte des Landes angepasst waren, entwickelt wurden, darf die Vorbildwirkung des faschistischen Staates, dessen konkrete Maßnahmen in den indischen Diskussionen oft eine Anverwandlung erfuhren, nicht unterschätzt werden. Zur indischen Perzeption und Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus gibt es ebenfalls verschiedene Forschungsbeiträge. Yulia Egorova analysiert in ihrer Monografie „Jews and India. Perceptions and Image“ nicht nur die Haltung führender INC-Mitglieder und Hindunationalisten, sondern erwähnt ebenfalls kurz nationalsozialistische Propagandabemühungen in Indien und setzt sich mit den Debatten in der jüdischen Presse in Indien auseinander. Weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die indische Haltung gegenüber einer jüdischen Einwanderung sowie die Diskussion des Zionismus. Eine systematische Untersuchung verschiedener nationalistischer indischer Zeitungen und Zeitschriften fehlt bei Egorova jedoch. 63 Ähnliches lässt sich für Joan Rolands Monografie „The Jewish Communities of India“ feststellen, die nur im begrenzten Umfang indische Perzeptionen des deutschen Antisemitismus in der nationalistischen Presse behandelt. Roland beschreibt ausführlich die jüdische Immigration nach Indien, Gandhis Auseinandersetzung mit dem deutschen Antisemitismus sowie den indischen Zionismus und die Reaktionen auf diesen. 64 Eine interessante Aufsatzsammlung, die verschiedene Aspekte der jüdischen Einwanderung nach Indien behandelt, ist der Band von Johannes H. Voigt und Anil Bhatti „Jewish Exile in India, 1933–1945“. In diesem finden sich Beiträge, die die britischen Einreise- und Kontrollbestimmungen für den indischen Subkontinent in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Welt61 62 63 64
Vgl. Prayer, India, S. 254. Ebd. Vgl. Egorova, Jews, S. 35–54. Vgl. Roland, Communities, S. 177–210.
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte
krieges, die Reaktionen auf die jüdische Immigration sowie die Schicksale einzelner Einwanderer untersuchen.65 Abschließend darf ebenfalls ein Aufsatz von Johannes H. Voigt nicht unerwähnt bleiben, der einen ersten aufschlussreichen Überblick zur Emigration mitteleuropäischer Juden nach Indien gibt. 66 Ein signifikantes Defizit der vorhandenen Forschungsliteratur zur Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem europäischen Antisemitismus und dessen Folgen ist die absente Untersuchung indischer Debatten über die antijüdische Politik im faschistischen Italien. In dem vorliegenden Buch werden all diese Forschungen kritisch zusammengebracht. Dabei wird über sie hinausgegangen, um eine umfassendere Darstellung der Faschismuswahrnehmung in englisch gebildeten, nationalistischen Kreisen Indiens geben zu können.
2.4 Indische Faschisten? Zwei Fallbeispiele Zwei indische Akteure – Subhas Chandra Bose und Benoy Kumar Sarkar –, die in den folgenden Kapiteln immer wieder eine Rolle spielen werden, sind wie oben erwähnt von der Forschung näher untersucht worden, wobei auch ihr Verhältnis zum Faschismus und zum Nationalsozialismus immer wieder thematisiert worden ist. In der Beurteilung Subhas Chandra Boses spielte dieser Aspekt schon für seine Zeitgenossen eine wichtige Rolle. Die Auseinandersetzung mit den beiden Fallbeispielen soll exemplarisch die Schwierigkeiten und Komplexität einer nachträglichen Beantwortung der Frage über die ideologische Ausrichtung indischer Nationalisten, die den Faschismus und den Nationalsozialismus bewunderten und als Vorbild empfanden, aufzeigen. Wie schon in der Einleitung dargelegt, verfolgt das vorliegende Buch keine abschließende Klärung dieser Frage, sondern untersucht, was in den ausgewählten Akteursgruppen als Faschismus und als Nationalsozialismus verstanden wurde, wie beide Phänomene wahrgenommen und diskutiert wurden und welche Aspekte als nachahmenswert galten und warum, wobei die Beantwortung letzterer Frage durchaus das Problem ideologischer und politischer Überzeugungen berührt. Subhas Chandra Bose gilt in den meisten Monografien und Aufsätzen als ‚fehlgeleiteter‘ Nationalist, der durch seine Kollaboration mit den Achsenmächten zeigte, dass er für die Erlangung der indischen Unabhängigkeit bereit war, jede sich bietende Möglichkeit zu verfolgen. 67 Bose, Politiker des INC, 65
Vgl. Bhatti/Voigt, Exile. Vgl. Voigt, Emigration. 67 Vgl. Gordon, Brothers, S. 309; 370 f. und 454; Voigt, Hitler, S. 33–63; Pelinka, Demokratie, S. 96 ff. Pelinka schreibt, dass Bose durchaus gewisse Affinitäten gegenüber dem italienischen Faschismus pflegte, dass er aber kein Faschist im Sinne der faschistischen Bewegungen Europas war. Seine Einschätzung des Nationalsozialismus und Hitlers hingegen, war, Pelinka zufolge, von falschen Überlegungen geprägt. So habe im deutschen Falle die nationalsozialistische Ideologie, die rationale Zweckbündnisse ausschloss, gegen 66
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verbrachte in der Zwischenkriegszeit mehrere Jahre in Europa und studierte dort die politischen Institutionen und Philosophien. Dabei entwickelte er, Prayer zufolge, eine unabhängige, kreative Methode gegenüber den europäischen Ideologien. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit Wirtschafts- und offiziellen Kreisen empfand Bose als ausschlaggebend für die Durchsetzung eines nicht-kolonialen Bildes von Indien; dementsprechend suchte er vielfältige Kontakte zu Geschäftsleuten und Intellektuellen, unter anderem in der Tschechoslowakei, in Österreich und Italien. 68 Eine Aussage Boses, die immer wieder Zweifel an seinen ideologischen Vorstellungen aufkommen ließ und lässt, findet sich in seiner 1935 erstmals erschienenen Autobiografie „The Indian Struggle“. In ihr schrieb Bose: „Considering everything, one is inclined to hold that the next phase in world-history will produce a synthesis between Communism and Fascism. And will it be a surprise if that synthesis is produced in India?“ 69 Die Synthese der beiden Ideologien, Bose nannte sie Samyavada, kam seinem Erachten nach aufgrund der gemeinsamen Charakterzüge von Faschismus und Kommunismus zustande. 70 Bose widerrief seine Aussagen 1938 in einem Interview mit dem britischen Kommunisten Rajani Palme Dutt und distanzierte sich in diesem vom Faschismus. 71 Wie in den folgenden Kapiteln dareine Annäherung und mögliche deutsch-indische Kooperation gewirkt. Auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges seien Boses Aktivitäten in Deutschland durch die nicht sympathisierende bzw. ideologisch stark geprägte Haltung der Hitlerregierung eingeschränkt gewesen (vgl. Pelinka, Demokratie, S. 96, 98, 100 f. und 171 ff.). In verschiedenen Veröffentlichungen, oftmals durch Wegbegleiter Boses, gilt der bengalische Politiker nicht nur als Nationalist, sondern als Held des indischen Unabhängigkeitskampfes. Als Beispiel siehe: Werth, Tiger. Es gibt allerdings auch Einschätzungen, die ihn als Nazi-Kollaborateur darstellen, der viele Aspekte der faschistischen/nationalsozialistischen Ideologie nicht nur bewunderte, sondern aus Überzeugung teilte (vgl. Rössel, Seiten, S. 29–32). 68 Vgl. Prayer, India, S. 242. 69 Bose, Subhas Chandra: The Indian Struggle, 1920–1942, hg. von Sisir Kumar Bose und Sugata Bose, New Delhi 1997, S. 351. Bose hatte schon 1930 in seiner Antrittsrede als Bürgermeister von Kalkutta positiv über Faschismus gesprochen, indem er eine Synthese aus Faschismus und Sozialismus für Indien vorschlug (vgl. Gordon, Brothers, S. 234 f.). 70 Als solche benannte Bose die Unterordnung des Individuums unter den Staat, die Ablehnung parlamentarischer Demokratie, die Herrschaft einer Partei und die Unterdrückung jeglicher abweichender Meinungen sowie das Konzept wirtschaftlicher Planung (vgl. Bose, Struggle, S. 351 f.). 71 Vgl. o. A.: ‚Interview with R. Palme Dutt (24. 01. 1938)‘, in: NCW, Bd. 9, S. 2. Dutt fragte im Interview, ob Bose einen Kommentar zu seinen Ansichten zum Faschismus, wie er sie im seinem Buch „The Indian struggle“ geäußert habe, machen wolle. Bose erwiderte: „My political ideas have developed further since I wrote my book three years ago. What I really meant was that we in India wanted our national freedom, and having won it, we wanted to move in the direction of Socialism. This is what I meant when I
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte
gelegt wird, zeigte Bose bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ein ambivalentes Verhältnis zum Faschismus und zum Nationalsozialismus. So lehnte er die deutschen Rassenvorstellungen ebenso wie die imperialistischen Ambitionen Italiens im Abessinienkrieg ab. Andererseits begeisterte er sich für die Idee eines autoritären Staates mit einem ‚starken Führer‘. Auch pflegte er, sowohl während seines Europaaufenthaltes als auch nach seiner Rückkehr nach Indien, Kontakte zu deutschen und italienischen Diplomaten und Beamten. Schon in den 1930er Jahren legte Bose ein überaus ‚pragmatisches‘ Verständnis zur Kooperation mit allen potenziellen anti-britischen Kräften an den Tag, die unter Umständen den indischen Unabhängigkeitskampf unterstützen könnten. Dieser Pragmatismus führte nach Kriegsausbruch zu seiner Zusammenarbeit mit den Achsenmächten als Gegner Großbritanniens. Über Benoy Kumar Sarkar,72 den bengalischen Universalgelehrten und Professor an der Universität von Kalkutta, sind ebenfalls verschiedene Biografien und Aufsätze, die einzelne Aspekte seines Lebens untersuchen, erschienen.73 Mit seinen Beziehungen zum faschistischen Italien und zum nationalsozialistischen Deutschland haben sich dabei, wie kurz erwähnt, Giuseppe Flora und Mario Prayer, aber auch Swapan Bhattacharyya und Kris Manjapra ausführlicher beschäftigt. 74 Während Bhattacharyya die starke Sympathie Sarkars mit Deutschland und dem Hitlerregime sowie mit dem faschistischen Italien konstatiert,75 sagt Prayer, dass Sarkars Annäherung an das zeitgenössische Italien eher kulturell als ideologisch oder politisch bedingt war. Auch die wirtschaftli-
referred to ‚a synthesis between Communism and Fascism‘. Perhaps the expression I used was not a happy one. But I should like to point out that when I was writing the book, Fascism had not started on its imperialist expedition, and it appeared to me merely an aggressive form of nationalism.“ (ebd., S. 2). 72 Zu Benoy Kumar Sarkar siehe den biografischen Anhang. Eine ausführliche Darstellung von Sarkars Beziehungen und Auseinandersetzung mit dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland siehe Kapitel 6.1.2.1. 73 Vgl. Frykenberg, Sarkar, S. 197–217; Mukhopadhyay, Sarkar, S. 52–70; Mukherjee, Sarkar. 74 Vgl. Flora, Sarkar; Flora, Essay; Prayer, India, S. 236–242; Bhattacharyya, Sociology, S. 75 ff.; Manjapra, World. 75 Vgl. Bhattacharyya, Sociology, S. 81. Bhattacharyya erklärt diese Sympathie mit Sarkars Wahrnehmung eines gemeinsamen Schicksals des im Ersten Weltkrieg besiegten Deutschland und des kolonial unterjochten Indien. Deutschland wäre von den Siegermächten unterdrückt und aus diesem Grund ebenso wie Indien kolonialisiert. Sarkar bewunderte Hitler und Mussolini, da sie, laut Bhattacharyya, für ihn Nationalisten par excellence darstellten, die ihre jeweiligen Länder wieder erweckt, von der Abhängigkeit ausländischer Mächte befreit und im Falle Italiens von wirtschaftlicher und kultureller Rückständigkeit erlöst hatten (vgl. ebd., S. 81 und 84 f.).
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chen und sozio-ökonomischen Entwicklungen des faschistischen Regimes hätten für den bengalischen Intellektuellen ein nachahmenswertes Modell dargestellt. Prayer führt aus, dass sich Sarkar durch die Analysen der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Geschichte des ‚Westens‘ bemühte, indischen ‚Staatsmännern‘ bei der Formulierung ihrer Politik für eine nationale Entwicklung sowie für einen effizienten zukünftigen Staat innerhalb eines gültigen theoretischen Rahmens zu helfen. 76 Ähnlich wie Bhattacharyya deutet auch Flora auf Sarkars Glauben an die Vorbildwirkung des Faschismus und des Nationalsozialismus in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. 77 Gleichzeitig aber weist er darauf hin, dass Sarkar bestimmte Merkmale faschistischer und nationalsozialistischer Theorien, wie den Antisemitismus oder Rassismus nie geteilt habe. 78 Manjapra, der sich ausführlich mit Sarkars Beziehungen zu Deutschland und zum deutschen Rechtsradikalismus in der Zwischenkriegszeit beschäftigt hat, verneint einen entscheidenden Einfluss von Faschismus und Nationalsozialismus auf Sarkars intellektuelle Vorstellungswelt, die durch den indischen Kontext geprägt worden sei. 79 Wie die beiden hier näher vorgestellten Beispiele zeigen, sind nachträgliche Urteile über Personen, die sich intensiver mit Faschismus und mit Nationalsozialismus beschäftigt haben und dabei zu positiven Urteilen gekommen sind bzw. von solchen Akteuren, die Kontakte zu Vertretern beider Regime unterhielten, oft umstritten und verlangen nach einer genauen Kontextualisierung der lokalen politischen Kultur. In den folgenden Kapiteln wird die Frage nach der Nähe bzw. nach dem Verhältnis indischer Nationalisten zum Faschismus
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Vgl. Prayer, India, S. 238 f. Vgl. Flora, Sarkar, S. 63 ff. und 94 ff.; Flora, Essay, S. 106. 78 Vgl. Flora, Sarkar, S. 100. 79 Vgl. Manjapra, World, o. S. (Kapitel 7). So weist Manjapra darauf hin, dass Begriffe, die Sarkar benutzte, wie jati (Menschen, Volk), Greater India und mahamanab (der große Mann, Führer), seit Ende des 19. Jahrhunderts im politischen Diskurs Indiens gebräuchlich waren. Sie brachten Sarkar in der Zwischenkriegszeit mit pandeutschen Denkern in Verbindung, die Ideen von Volk, Lebensraum und despotischer Herrschaft befürworteten. Manjapra schreibt, dass Sarkar die Grammatik der deutschen konservativ-revolutionären Gedanken ebenso wie die indische politische Philosophie zur Umsetzung seiner antikolonialen Zielsetzungen gebrauchte, verschmolz und veränderte. Dabei hätte der bengalische Intellektuelle durchaus entscheidende ideologische Komponenten des Nationalsozialismus missinterpretiert und nicht-existente Gemeinsamkeiten zwischen Indien und Deutschland konstruiert. Manjapra schlussfolgert „The experience of colonialism formed such a fundamental aspect of Sarkar’s Indian world that much of his writing about the Nazis and about Hitler must be read and understood as a critique and attack on the status quo system of colonial domination.“ (ebd.). 77
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2. Faschismus in Indien: Zum Stand der Debatte
und zum Nationalsozialismus durch die Untersuchung, wie sie sich mit beiden Phänomenen auseinandergesetzt haben, welche Aspekte sie nachnahmensoder ablehnenswert fanden und welche Gründe es für ihre jeweiligen Reaktion gab, beantwortet.
3. Wissenschaftsaustausch und Propaganda: Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland 3.1 „Konstruktive Kooperation zwischen dem Osten und dem Westen“: Das IsMEO und die italienischen Bemühungen um kulturelle und Bildungspropaganda in Indien Zu Beginn der 1930er Jahre gab es verschiedene konkrete Initiativen, zwischen Italien und Indien Austauschbeziehungen im kulturellen und im Bildungsbereich aufzubauen. Zuvor hatte es schon verschiedene erste Bemühungen gegeben. So waren durchaus vereinzelt indische Wissenschaftler, Professoren, Politiker und Studenten in das faschistische Land gereist und italienische Forscher hatten Indien besucht.1 Ein gezielter, von der Regierung oder einer wissenschaftlichen Institution geförderter Austausch existierte aber noch nicht. 2 Dies sollte sich erst 1933 durch die Gründung des IsMEO (Italienisches Institut für den Mittleren und Fernen Osten) durch die faschistische Regierung ändern. Die Initiative zur Etablierung dieses Institutes ging von dem italienischen Tibet- und Buddhismusforscher Professor Giuseppe Tucci, der zum stellvertretenden Direktor des IsMEO ernannt wurde, und von dem früheren italienischen Generalkonsul in Kalkutta, Gino Scarpa, aus. Erste Planungen reichten ins Jahr 1930 zurück. 3 Der Gründung des IsMEO vorausgegangen waren ebenfalls Diskussionen über die Schaffung eines Italo-Indischen Institutes, das die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder stärken sollte. Diese Idee war 1 So besuchten Benoy Kumar Sarkar, Taraknath Das, Rabindranath Tagore (1925, 1926), B. S. Moonje (1931), Mahatma Gandhi (1931), Subhas Chandra Bose (1933/34, 1935), Sarojini Naidu (1929) und Kalidas Nag (1921, 1923) Italien. Carlo Formichi (1925/ 26) und Giuseppe Tucci (1925–1931) reisten nach Indien. Tucci war erst in Tagores Universität Shantiniketan, dann an der Universität Dacca (vgl. Flora, Tagore; Prayer, Search, S. 44–57; Prayer, Regime, S. 256 ff.; Prayer, India, S. 242–245 und 250–253; Gordon, Brothers, S. 276 ff. und 294, Desai, Mahadev: ‚Letters from Europe‘, in: YI, 14 (2) 1932, S. 10 f.; o. A.: ‚Brief vom Außenministerium an das Kriegsministerium zum Aufenthalt von B. S. Moonje (14. 03. 1931)‘, in: Affari politici, 1931–1945, ASMAE, Busta 1, India; o. A.: ‚We want to shoot you (24. 08. 1929)‘, in: The Tribune, S. 5). 2 Zur italienischen Beschäftigung mit Indien in den 1920er und 1930er Jahren siehe: Prayer, Regime, S. 249–271. 3 Eine gute Überblicksdarstellung über das IsMEO liefert: Ferretti, Politica, S. 779– 819.
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
erstmals 1929 von Benoy Kumar Sarkar und Corrado Gini, Professor für Statistik an der Universität Rom und erster Präsident des Istituto Centrale di Statistica del Regno d’Italia (Zentralinstitut für Statistik des Königreiches Italien), erörtert worden. In den nächsten Jahren beschäftigten sich verschiedene italienische Ministerien mit dem Vorhaben. Es wurde aber auf Betreiben Tuccis und des Außenministeriums zugunsten des IsMEO aufgegeben. 4 Neben Benoy Kumar Sarkar gab es mit Kalidas Nag 5 einen weiteren indischen Gelehrten, der sich schon vor der Gründung des IsMEO für den Aufbau enger Beziehungen im Wirtschafts-, Kultur- und Bildungsbereich zwischen Italien und Indien einsetzte. 6 Nach verschiedenen Besuchen in Italien gründete Nag 1931 das India Bureau mit der Zielsetzung, die indische Bildungsarbeit mit dem faschistischen Staat und in anderen europäischen Ländern zu koordinieren. In der zu diesem Zweck ebenfalls gegründeten Zeitschrift India and the World schrieb und veröffentlichte Nag Artikel, die über die Geschichte Italiens, aber auch über seine Gegenwart als faschistisches Land berichteten. Durch Nags Initiative etablierten sich verschiedene Austauschbeziehungen zwischen italienischen und indischen Bildungseinrichtungen, an denen unter anderem die Universität Rom, die Universität Perugia, das Istituto Interuniversitario Italiano und von indischer Seite die Universität von Kalkutta beteiligt waren.7 Auch war er in die Auswahl indischer Studierender involviert, die mit finanzieller Unterstützung des italienischen Staates nach Italien kamen. So sandte Nag unter anderem für Pramatha Nath Roy und Monindra Mohan Moulik Empfehlungsschreiben an die italienische Regierung. Dabei lag ihm, Prayer zufolge, viel daran, dass solche jungen Menschen ausgewählt wurden, die begierig auf eine technisch-industrielle oder wirtschaftliche Ausbildung in Italien waren, um so einen Bei4 Für eine ausführliche Darstellung der Ereignisse vgl. Flora, Essay, S. 357 ff. Flora liefert einen interessanten Überblick über die verschiedenen Interessen – politisch, ökonomisch, kulturell – innerhalb der faschistischen Regierung. Vor dem Hintergrund dieser gegensätzlichen Vorstellungen über eine engere italienisch-indische Kooperation geriet Sarkar ins Blickfeld bestimmter faschistischer Kreise, die über den Generalkonsul Gino Scarpa Informationen zu ihm einholten. Scarpa bezeichnete Sarkar als „politisch nicht vertrauenswürdig“. Diese Einschätzung half durchaus die Etablierung des geplanten Italo-Indischen Institutes auszusetzen (vgl. Flora, Essay, S. 369 f.). 5 Zu Kalidas Nag siehe den biografischen Anhang. Vgl. auch Prayer, India, S. 245 ff.; Prayer, Internazionalismo, S. 56 ff. 6 Prayer beschreibt Nag als den versiertesten Vertreter des bengalischen Internationalismus. Nag kam erstmals 1921 mit den italienischen Professoren Carlo Formichi und Giuseppe Tucci in Kontakt. Schon Mitte der 1920er Jahre kamen er und Tucci dann überein, das Studium indischer Studenten in Italien zu fördern (vgl. Prayer, India, S. 247). 7 Vgl. Prayer, India, S. 248; Prayer, Internazionalismo, S. 62 f. Interessanterweise war Nag gleichzeitig sehr aktiv in der europäischen Friedens- und Arbeiterbewegung (vgl. Prayer, India, S. 249 f.).
„Konstruktive Kooperation zwischen dem Osten und dem Westen“
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trag zur Reorganisation der indischen Wirtschaft im nationalistischen Sinne leisten zu können.8 Eine dritte Initiative zur Förderung der indisch-italienischen Beziehungen wurde von dem indischen Nationalisten und internationalen Gelehrten Taraknath Das 9 in Angriff genommen. Das, der während eines langen Aufenthaltes in Europa von 1924 bis 1934 immer wieder für längere Zeit in Italien lebte, trat 1931 mit Professor Tucci in Kontakt. In einem Brief im März 1931 schlug er ein Programm vor, durch das italienische Wissenschaftler nach Indien reisen sollten, um dort Vorlesungen über Italien seit dem Ersten Weltkrieg an verschiedenen indischen Universitäten zu halten. 10 Das zufolge brächte die Umsetzung des Programms großen Nutzen für Indien: […] because a large number of Indian scholars and students will have the opportunity to learn something about the great experiment in government and all walks of life, now being carried on in Italy. […] My point is that Italian Universities and Italian savants are doing so much in the field of the study of Indian culture; it is necessary for India’s own good – breaking up of cultural isolation – Indian universities and scholars should study about Italy and Italian contributions to world culture.11
Das schlug somit einen Wissenstransfer zwischen beiden Staaten vor. Das Studium des Faschismus bzw. der faschistischen Regierungsform in Italien stellte demnach für ihn ein wichtiges Mittel zur Überwindung der kulturellen Isolation Indiens und damit im weiteren Sinn einen Beitrag zur Erlangung der indischen Unabhängigkeit dar. Es scheint, dass das vorgeschlagene Programm in dieser oder einer ähnlichen Form durch Italien nicht umgesetzt wurde. Die Initiative, die dann real für engere indisch-italienische Austauschbeziehungen sorgte, war das IsMEO, das sich als eine vorrangig kulturelle Einrichtung, interessiert an wirtschaftlichen Fragen, präsentierte. So formulierte die Satzung des Instituts dessen Zielsetzung wie folgt: L’Istituto italiano per il Medio ed Estremo Oriente con sede in Roma ha lo scopo di promuovere e sviluppare i rapporti culturali ed economici fra I’Italia ed i paesi dell’Asia Centrale, Meridionale ed Orientale. 12 8
Vgl. Prayer, Internazionalismo, S. 63. Zu Taraknath Das siehe den biografischen Anhang. Zu Das sind zwei Biografien erschienen: Günther, Das; Mukherjee, Das. 10 Vgl. Das, Taraknath: ‚Brief an Giuseppe Tucci (06. 03. 1931)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 7, Nr. 13 IsMEO. 11 Ebd. Der Brief an Tucci enthielt außerdem den konkreten Vorschlag, dass die Universität von Kalkutta einen italienischen Gelehrten einladen solle, der Vorlesungen über die neueste italienische Geschichte abhalte. Das hoffte darüber hinaus, dass ein regulärer Studienkurs für italienische Geschichte an der Universität eingerichtet werden könne. 12 o. A.: ‚Statuto dell’Istituto Italiano per il Medio ed Estremo Oriente (s. d.)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 14, Nr. 28 IsMEO, S. 5. „Das Italienische Institut für den 9
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
Als konkrete Aufgabenstellungen wurden in der Satzung die Etablierung direkter Beziehungen mit gleichartigen Institutionen, die Pflege persönlicher Kontakte mit bedeutenden Menschen aus dem Bereich Wirtschaft und Kultur in den genannten Regionen, das Treffen von Vereinbarungen mit interessanten nationalen Institutionen, die Förderung von Stipendien und die Errichtung von Unterkünften für ‚orientalische‘ Studenten sowie die Unterstützung eines Dozenten- und Studentenaustausches genannt. Darüber hinaus gehörte zu den Aufgaben des IsMEO das Anlegen einer systematischen Sammlung von Publikationen und Informationen über/aus Asien sowie die Veröffentlichung von Publikationen und die Organisation von Konferenzen, die der Beziehungspflege zwischen Italien und den asiatischen Ländern dienen sollten.13 Die starke Betonung der kulturellen Ausrichtung in der Satzung des IsMEO darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ebenfalls politischen Zwecken diente und für das italienische Außenministerium von großem Interesse war. Prayer stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Expansionsbestrebungen des faschistischen Regimes auf Afrika und Asien zielten und Mussolinis Regierung eine Politik verfolgte, die im Falle eines Zusammenbruches des Britischen Imperiums auf die Übernahme von dessen Besitzungen abzielte. Aus diesem Grund, so schlussfolgert er, konzentrierte sich Rom auf die zukünftigen Führer Indiens, auf indische Studenten, die man von den guten Absichten Italiens überzeugen wollte.14 Das IsMEO zeigte trotz seines allgemein gehaltenen Namens von Anfang an ein besonderes Interesse für Indien.15 Die Aktivitäten des Institutes beinhalteten unter anderem die Bereitstellung von Stipendien für indische Studenten, die ihre Ausbildung an italienischen Universitäten fortführen wollten, und die Publikation von Artikeln und Büchern indischer Autoren.16 Darüber hinaus lud es indische Gelehrte zu Konferenzen oder für Vorträge nach Italien ein. So gab es beispielsweise 1934 eine Vorlesungsreihe in Rom zum Thema indische Kultur und Philosophie, gehalten von Professor Mahendranath Sarkar vom Presidency College in Kalkutta, über die auch in der indischen Presse Mittleren und Fernen Osten mit Sitz in Rom hat als Ziel die Förderung und Entwicklung von kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Italien und den Ländern Zentralasiens, des Südens und des Orients. [M. F.]“ 13 Vgl. ebd., S. 5 f. 14 Vgl. Prayer, Regime, S. 260. 15 Vgl. Flora, Essay, S. 369. 16 Zu den Publikationen, die mit Unterstützung des IsMEO veröffentlicht wurden, gehörte einerseits die Zeitschrift Asiatica, in der Beiträge indischer Autoren zu finden waren (vgl. Ferretti, Politica, S. 818). Andererseits wurden unter der Schirmherrschaft des Instituts folgende Bücher herausgegeben: Das, Politica; Das, Questione; Das Gupta, L’intimo; Bose, Lotta.
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berichtet wurde. 17 Auch der Direktor des Sanskrit Colleges in Kalkutta, Surendranath Dasgupta, reiste auf Einladung des IsMEO nach Italien, wo er einen Monat blieb. In Rom hielt er verschiedene Vorlesungen, welche indische Auffassungen zu Philosophie, Religion, Kultur und historischem Wissen erläuterten.18 1938 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Rom und traf im April 1939 mit dem italienischen Außenminister Galeazzo Ciano und eventuell mit Mussolini selbst zusammen.19 Informationen über die Arbeit und die Zielsetzungen des IsMEO gelangten vor allem über persönliche Korrespondenz nach Indien. Vereinzelt bewarben aber auch Beiträge in indischen Medien das Institut. So trug beispielsweise Taraknath Das zur Bekanntmachung der geplanten italienisch-indischen Kooperationsaktivitäten bei, indem er einen Beitrag in der Calcutta Review veröffentlichte. Darin stellte er die Wichtigkeit für ‚orientalische‘ Studenten in Italien zu studieren heraus. Auf diesem Weg seien sie in der Lage „[…] to further the interest of their native lands […] by applying the knowledge acquired in Italy which will serve as the second cultural home.“ 20 Die Studenten würden, Das zufolge, die effektivsten Instrumente zur Förderung der Kooperation zwischen ihren Heimatländern und dem faschistischen Land werden und den Einfluss Italiens im Orient ausdehnen. 21 Tatsächlich wurden Studenten zu wichtigen Akteuren des Ideenaustausches, wenn man das Beispiel von Monindra Mohan Moulik und Pramatha Nath Roy 17 Vgl. Schriftverkehr zu den Vorbereitungen der Reise in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 32, Nr. 13 IsMEO. Zur Berichterstattung siehe: o. A.: ‚Our Rome Letter (29. 04. 1934)‘, in: Forward, S. 4; o. A.: ‚Indo-Italian Cultural Co-operation‘, in: CR, 51 (3) 1934 Ser. 3, S. 416. Die Calcutta Review berichtete nicht nur kurz über die Einladung des IsMEO an Professor Sarkar, sondern druckte auch einige übersetzte Auszüge aus einem Artikel von Giuseppe Tucci ab, der über die Vorlesungen in der italienischen Zeitung Il Messagaro erschienen war. 18 Vgl. From a special correspondent: ‚Our Rome Letter (16. 04. 1935)‘, in: ABP, S. 8; From a special correspondent: ‚Hindu philosopher in Europe (10. 05. 1935)‘, in: ABP, S. 6. 19 Vgl. Prayer, India, S. 248. Inwieweit das Treffen mit Mussolini zustande kam, ist unklar. Prayer schreibt, dass es im April 1939 stattfand und gibt dafür einen Beleg aus der Sekundärliteratur an. In diesem konnte allerdings kein Hinweis auf ein Treffen mit dem italienischen Staatsoberhaupt gefunden werden (vgl. Dasgupta, Quest). Gegen diese Zusammenkunft spricht ebenfalls ein Schreiben von Dasgupta an Gentile, in welchem der indische Gelehrte festhält, dass er Mussolini bis zum 28. 04. 1939 nicht getroffen habe. Dasgupta notiert, dass er an dem Tag Rom in Richtung Mailand verließe und dass er bis Mitte Juli in Europa sei. Falls sich noch ein Treffen arrangieren ließe, wäre er bereit zurückzukehren, um den ‚Duce‘ seinen Tribut zu zollen (vgl. Dasgupta, Surendranath: ‚Brief an Gentile (28. 04. 1939)‘, in: Fondazione Gentile, Corrispondenza, fasc. Surendranath Dasgupta). 20 Das, Taraknath: ‚New Italy and the Orient‘, in: CR, 51 (1) 1934 Ser. 3, S. 39. 21 Vgl. ebd. Siehe zu Das’ Begeisterung für das faschistische Italien Kapitel 6.1.3.
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
näher untersucht, die finanziert durch die faschistische Regierung ihre Studien in Italien fortsetzen konnten. 22 Das IsMEO vergab entsprechend seiner Satzung ab 1933 Stipendien an indische Studenten. Für das Studienjahr 1933/34 wurde nur ein Stipendium, für 1934/35 drei verliehen, während für 1939 zwei angedacht waren. 23 Der erste Stipendiat, Pramatha Nath Roy, 24 war Dozent für Italienisch an der Universität von Kalkutta. 25 Er hatte schon in Indien mit Giuseppe Tucci zusammengearbeitet und 1930 ein Buch über das faschistische Italien mit dem Titel „Mussolini and the cult of Italian youth“ veröffentlicht. 26 In Italien wirkte er bei der Organisation des Ersten Kongresses der orientalischen Studenten mit und schrieb mehrere Beiträge für die von der Confederation of Oriental Students 27 herausgebende Zeitschrift Young Asia. 28 Weitaus wichtiger 22
Vgl. Prayer, Internazionalismo, S. 63 f. und 93 ff. Vgl. o. A.: ‚Schreiben des Außenministeriums an das IsMEO (18. 04. 1935)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 43, Nr. 8 Istituzione di corsi e lingue orientali presso I’IsMEO; del Giardino, Justo Giusto: ‚Brief an das Außenministerium (08. 10. 1934)‘, in: Ambasciata Londra, 1861–1950, ASMAE, Busta 835, Rapporti politici, colonie inglese; o. A.: ‚Borse di studio. 1939‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 71, Nr. 17 IsMEO. Es ist durchaus im Bereich des Möglichen, dass das IsMEO mehr als die oben angegebenen Stipendien finanzierte. In den Aktenbeständen des Außenministeriums findet sich unter anderem die Anfrage zur Reduzierung der Kosten für die Überfahrt aus Indien nach Italien für einen Studenten aus dem Punjab, der am Orientalistenkongress teilnehmen und im Anschluss an der Universität Rom studieren wollte (vgl. Außenministerium: ‚Brief an das italienische Generalkonsulat in Kalkutta (02. 06. 1935)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 43, Nr. 10 IsMEO). Ob in der Zwischenzeit auch indische Stipendiaten über Gelder des IsMEO nach Italien kamen, ist nicht eindeutig feststellbar, aber sehr wahrscheinlich. 24 Siehe zu Pramatha Nath Roy den biografischen Anhang. 25 Vgl. Nag, Kalidas: ‚Brief an E. Pagliano (12. 09. 1931)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 7, Nr. 13 IsMEO. 26 Vgl. Roy, Mussolini; Tucci, Giuseppe: ‚Brief (März 1931)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 7, Nr. 13 IsMEO. 27 Die Konföderation war ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen asiatischer Studenten in Europa. Sie tagte während des Ersten Studentenkongresses im Dezember 1933 in Rom. Von 1934 bis 1935 gab sie die Zeitschrift Young Asia (YA) heraus, die Aufsätze indischer Autoren enthielt (vgl. Kuhlmann, Bose, S. 93 ff.). 28 Vgl. Roy, P. N.: ‚The Evolution of Indian Youth‘, in: YA, 1 (2) 1934, S. 3–14; R., P. N.: ‚Panasia‘, in: YA, 1 (3–5) 1934, S. 20–27; R., P. N.: ‚Review of Reviews: Japanese Youth of today‘, in: YA, 1 (2) 1934, S. 35–39; o. A.: ‚P. N. Roy (03. 03. 1934)‘, in: IOR, L/PJ/12/475, BL, File 45/34; Drummond, Eric: ‚Letter to John Simon (04. 04. 1934)‘, in: IOR, L/PJ/12/ 475, BL, File 45/34; o. A.: ‚The Roman week for Oriental Students (1934)‘, in: IOR, L/PS/ 12/107, BL, File P.Z. 262934. Roy verfasste laut britischen Geheimdienstberichten ein Rundschreiben über den geplanten Kongress, das an verschiedene Studentenorganisationen in Europa verschickt wurde. Es ist anzunehmen, dass die Beiträge in Young Asia, die unter dem Kürzel P.N.R. veröffentlicht wurden, von Roy stammen. 23
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als diese Veröffentlichungen müssen aber für das IsMEO Roys Beiträge aus jener Zeit und nach seiner Rückkehr nach Indien in der Modern Review gewesen sein. In diesen beschrieb er das faschistische Italien in lobenden Worten und als Vorbild für Indiens Entwicklung. 29 Nach seiner Rückkehr nach Indien bekam er eine Professur für Italienisch an der Universität in Benares und galt dem IsMEO nach wie vor als Ansprechpartner, so zum Beispiel für italienische Besucher. 30 Noch deutlicher als im Falle Roys treffen die Aussagen von Taraknath Das auf Monindra Mohan Moulik 31 zu, der vom IsMEO selbst als „kostbares Propagandawerkzeug“ begriffen wurde. 32 Moulik, ein Student der Wirtschaftswissenschaften und Schüler von Benoy Kumar Sarkar, lebte von 1935 bis 1938 in Europa und verfasste in dieser Zeit an der Universität in Rom seine Dissertation zum Thema La Politica Finanziaria Britannica. 33 Auch veröffentlichte er mehrere Aufsätze zu Indien in den italienischen Zeitschriften Asiatica und Civiltà fascista sowie ein Buch über Nationalismus in Indien, herausgegeben vom IsMEO. 34 Für seine Studien erhielt er ein Stipendium; 35 gleichzeitig 29 Vgl. Roy, Pramatha Nath: ‚India and Italy – a plea for cultural co-operation‘, in: MR, 54 (4) 1933, S. 505–509; ‚Eleven years of fascism‘, in: MR, 55 (1) 1934, S. 35–43; ‚Twelve years of fascism‘, in: CR, 56 (1) 1935 Ser. 3, S. 15–28; ‚Rural broadcast in Italy‘, in: MR, 63 (6) 1938, S. 675–677. 30 Vgl. Hay, W. R.: ‚Memorandum No. D. 1260-F/38 (03. 03. 1938)‘, in: IOR, L/PS/12/ 225, BL, File P.Z. 729/37(5); o. A.: ‚Attivita dell’IS.M.E.O. (18. 02.1938)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 72, Nr. 1 IsMEO. 31 Zu Monindra Mohan Moulik siehe den biografischen Anhang. 32 Vgl. o. A. (18. 02. 1938), Raccolte Generale, Busta 72, Nr. 1. Prayer hingegen enthält sich jeglicher Einschätzungen hinsichtlich Mouliks ideologischer Nähe zum faschistischen Regime und urteilt, dass er von einem Internationalismus geprägt gewesen sei (vgl. Prayer, India, S. 248). 33 Vgl. Moulik, Economy, Vorwort. In Indien war Moulik Herausgeber der Wirtschaftszeitschrift Insurance and Finance Review gewesen (vgl. Flora, Essay, S. 198 FN 299). 34 Vgl. Moulik, Monindra Mohan: ‚Ideologia in conflitto nel nazionalismo indiano‘, in: Asiatica, 2 (5–6) 1936, S. 240–251; ‚La costituzione indiana alla prova‘, in: Asiatica, 3 (3) 1937, S. 147–153; ‚Rivisti: The Sociology of Population di Benoy Kumar Sarkar‘, in: Asiatica, 3 (2) 1937, S. 122 f.; ‚Nuove tendenze del nazionalismo indiano‘, in: Asiatica, 4 (3) 1938, S. 177–187; ‚Gandhismo e neogandhismo‘, in: Civiltà fascista, Feb. 1935, S. 155–164; Il fondamento ideale del nazionalismo indiano, Roma 1936. Im Vorwort zu einem seiner Bücher erwähnt Moulik, dass er außerdem im Il Sole und in der Rivista Italiana di Scienze Economiche Beiträge publiziert hätte (vgl. Moulik, Economy, Vorwort). 35 Vgl. del Giardino, Justo Giusto: ‚Brief an das Außenministerium (29. 10. 1934)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 32, Nr. 13 IsMEO; Gentile, Giovanni: ‚Brief an das Außenministerium (10. 01.1936)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 43, Nr. 10 IsMEO. Vorgeschlagen für das Stipendium wurde Moulik durch Kalidas Nag und Benoy Kumar Sarkar sowie durch den Vizekanzler der Universität von Kalkutta, Syama Prasad Mookerjee und den Bürgermeister von Kalkutta Nalini Ranjan Sarkar (vgl. Prayer, Internazionlismo, S. 64).
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
finanzierte er seinen Aufenthalt, indem er als Korrespondent für verschiedene indische Zeitungen, so zum Beispiel für die Amrita Bazar Patrika, tätig war. 36 Die anfänglichen Hoffnungen von italienischer Seite, die mit der finanziellen Unterstützung Mouliks verbunden waren, bewegten sich auf zwei Ebenen: einerseits hinsichtlich seiner künftigen Tätigkeit als Propagandist für das faschistische System, andererseits als Kollaborateur bei der wirtschaftlichen Expansion des mediterranen Staates auf dem Subkontinent. 37 Inwieweit Moulik letzterer Erwartung gerecht wurde, kann nicht abschließend beurteilt werden. Fest steht aber, dass seine Beiträge in der Amrita Bazar Patrika sowie in der Modern Review pro-italienisch waren und das faschistische System unkritisch und als überaus erfolgreich darstellten. 38 Damit erwies sich die Einschätzung des IsMEO, dass Moulik die erste direkte und sympathisierende Stimme für Italien in der indischen Presse sei, als durchaus richtig. 39 Eine weitere Umsetzung der in dem Statut des IsMEO angedachten Aufgaben stellte die Organisation mehrerer Kongresse für ‚orientalische‘ Studenten in Italien dar. Im Dezember 1933 fand die erste dieser Zusammenkünfte in Rom statt. An dem Kongress nahmen über 500 Studenten aus verschiedenen asiatischen und afrikanischen Ländern teil, die in Europa studierten; unter ihnen auch 113 Inder und Inderinnen. 40 Die indischen Studenten erhielten prominente Unterstützung, da der bekannte Politiker Subhas Chandra Bose ebenfalls am Kongress sowie am gleichzeitig stattfindenden dritten Treffen der Indian Students’ Convention in Rom teilnahm. 41
36 Vgl. Moulik, Economy, Vorwort; o. A. (18. 02. 1938), Raccolte Generale, Busta 72, Nr. 1. 37 Vgl. o. A.: ‚Kopie eines Reports des Generalkonsulats an das Außenministerium zu den Stipendien des IsMEO (08. 10. 1934)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 32, Nr. 13 IsMEO. 38 Siehe dazu Kapitel 6.1.4 und 7.1.3. 39 Vgl. o. A. (18. 02. 1938), Raccolte Generale, Busta 72, Nr. 1. Auch nach seiner Rückkehr nach Indien blieb Moulik Italien verbunden. So übernahm er in der von seinem ehemaligen Lehrer Benoy Kumar Sarkar 1938 gegründeten Bangiya Dante Sabha (Bengali Dante Society) die Aufgabe eines Sekretärs. Die Bengali Dante Society, die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sehr aktiv war, bemühte sich, Studien, Vorlesungen und Publikationen über die italienische Kultur und Gesellschaft zu fördern. An den Treffen der Gesellschaft nahmen der italienische Konsul C. Giuriati und Angehörige des Konsulats teil (vgl. Flora, Essay, S. 376 f.). 40 Vgl. Das, CR, 51 (1) 1934 Ser. 3, S. 39. In der Amrita Bazar Patrika und in der Calcutta Review erschienen Berichte, die von 600 Teilnehmern sprachen (vgl. o. A: ‚Cultural Unity (13. 01. 1934)‘, in: ABP, S. 10; o. A.: ‚Asiatic Students‘ Congress, Rome‘, in: CR, 50 (2) 1934 Ser. 3, S. 241 f.). 41 Vgl. o. A., CR, 50 (2) 1934 Ser. 3, S. 242; Bose, Subhas Chandra: ‚Letter to Naomi C. Vetter (12. 01.1934)‘, in: NCW, Bd. 8, S. 45; Sarkar, Amiyanath: ‚The Oriental Students’
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Die faschistische Regierung zeigte sich bei der Ausrichtung des Kongresses äußert großzügig. So waren Zugreisen innerhalb Italiens für die teilnehmenden Studenten kostenlos, ebenso gab es für eine Woche in Rom freie Verpflegung und Unterkunft.42 Benito Mussolini eröffnete den Kongress mit einer in den indischen Zeitungen wiedergegebenen Rede, in welcher er den Topos von der Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit des ‚Westens‘ und des ‚Ostens‘ zurückwies und die lange mediterrane Tradition der Einheit zwischen beiden Regionen betonte. 43 Durch das Aufkommen des Kapitalismus und einer neuen materialistischen Zivilisation habe sich die historische Verbundenheit des ‚Westens‘ und des ‚Ostens‘ verändert und die Ausbeutung des Letzteren sei zum bestimmenden Faktor geworden. Als Reaktion auf diese Entwicklungen, vor allem vor dem Hintergrund der heutigen Krisenzeit müsse das faschistische Italien, Mussolini zufolge, die historische Rolle des Einigenden wieder übernehmen. Er drückte abschließend die Hoffnung aus, die Tradition der konstruktiven Zusammenarbeit beider Regionen mit Hilfe der anwesenden Studenten wieder aufzunehmen. 44 Mussolinis Rede muss im Kontext seiner machtpolitischen Bestrebungen als Propagandawerkzeug gesehen werden. Der ‚Duce‘, der an eine weltweite Ausbreitung faschistischer Regimes seit Beginn der 1930er Jahre glaubte, suchte nach einer Begründung der globalen Bedeutung Italiens vor dem Hintergrund des gering vorhandenen Kolonialbesitzes seines Landes und verwies aus diesem Grund auf den weltweiten Erfolg der faschistischen Ideologie. 45 Im Sommer 1933 gab Mussolini die Anordnung, Kontakte mit ‚subversiven‘ Bewegungen in der ganzen Welt aufzubauen und im Herbst diskutierte das italienische Außenministerium die neue Asienpolitik des Regimes, die auf eine erhöhte (kulturelle) Einflussnahme Italiens im ‚Orient‘ abzielte und in der Gründung des IsMEO sowie in seinem Ausführungen vor den Studierenden während des Ersten Kongresses mündete. 46 Diese Aussagen Mussolinis, aber auch die bevorzugte Behandlung vor Ort – so standen beispielsweise Treffen mit dem Papst, dem Gouverneur von Rom und dem Rektor der römischen Universität auf dem Programm – 47 scheint die Teilnehmer beeindruckt und ihnen ein positives Bild vom faschistischen Regime in Italien vermittelt zu haben. Die italienische Regierung bemühte sich, Congress and the Third Convention of the Indian Students in Europe, Rome, 1933‘, in: MR, 55 (3) 1934, S. 276 ff. 42 Vgl. Bose (12. 01. 1934), NCW, Bd. 8, S. 45. 43 Vgl. Kuhlmann, Bose, S. 93 f. Zu den indischen Artikeln siehe: o. A. (13. 01.1934), ABP, S. 10; o. A., CR, 50 (2) 1934 Ser. 3, S. 242; Sarkar, MR, 55 (3) 1934, S. 276 ff. 44 Vgl. o. A. (13. 01.1934), ABP, S. 10. 45 Vgl. Kuhlmann, Bose, S. 89. 46 Vgl. ebd., S. 89 ff. 47 Vgl. o. A. (13. 01. 1934), ABP, S. 10.
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die Studenten vom Erfolg des faschistischen Experiments zu überzeugen und ihre ‚Sympathien‘ für die nationalen Bestrebungen der kolonial unterdrückten Länder Asiens und Afrikas zu zeigen. So trafen die ausländischen Studierenden mit Vertretern der faschistischen Universitätsgruppen zusammen, sie hörten Vorträge von akademischen und politischen Autoritäten zum Korporatismus sowie zur Bildung in Italien und sahen einen Film mit dem Titel „Schwarzhemden“. 48 Auch Subhas Chandra Bose nutzte die Zeit während und nach dem Kongress, um Kontakte mit italienischen Behörden und Personen zu schließen, und schätzte die Haltung des Regimes als sehr günstig hinsichtlich des indischen Anliegens ein, die Unabhängigkeit zu gewinnen. 49 Die Studenten reagierten positiv auf die italienische Initiative und beschlossen auf dem Ersten Kongress die Einrichtung eines permanenten Büros in Rom sowie den Aufbau einer Oriental Students’ Confederation, in der verschiedene indische Studenten, wie bspw. Amiyanath Sarkar, aktiv mitarbeiteten. 50 Zielsetzung der Verbindung war es, die Zentraleinrichtung aller asiatischen Studentenorganisationen in Europa zu werden, um auf diesem Weg die kulturellen Kontakte weiter fördern zu können.51 Vor diesem Hintergrund organisierte der Bund im Frühjahr 1934 ein weiteres Treffen, an dem neben Taraknath Das auch Prof. P. A. Wadia von der Universität Bombay teilnahm. Das begrüßte die Initiative vor dem Hintergrund seiner eigenen Bemühungen um Bildungskooperationen zwischen Indien und anderen Ländern und glaubte fest an ihren Erfolg, da: […] you are fortunate to have the blessings and personal support of Il Duce, a great statesman, who is conscious of the fact that the Twentieth Century is the century of the Orient and the oriental students, the future leaders of more than half of the population of the world, will play the most important part in the history of the world. 52
Zufrieden mit der Unterstützung des faschistischen Regimes, dessen ‚Philanthropismus‘ für Das zweifelsfrei feststand, forderte er von den ‚orientalischen‘ 48
Vgl. Prayer, Regime, S. 261. Vgl. Bose (12. 01.1934), NCW, Bd. 8, S. 4; o. A.: ‚Subhas Chandra Bose (15. 03. 1934)‘, in: IOR, L/PJ/12/214, BL, File 1115/24. 50 Vgl. o. A., CR, 50 (2) 1934 Ser. 3, S. 242; o. A.: ‚Subhas Chandra Bose and his contacts (12. 02. 1935)‘, in: IOR, L/PJ/12/215, BL, File 1115/24. So wurde Amiyanath Sarkar 1933 zum Sekretär und später zusätzlich zum Schatzwart ernannt. Er reiste 1934 durch verschiedene europäische Länder und machte Werbung für eine Teilnahme am Zweiten Kongress der ‚orientalischen Studenten‘. Vizepräsident der Oriental Students’ Confederation wurde während dieses Zweiten Kongresses Mullaval Sivasankara Sundaram, während das Amt des Assistenten des Sekretärs von D. N. Duvash übernommen wurde (vgl. ebd.; o. A.: ‚Oriental Students’ Confederation‘, in: CR, 54 (3) 1935 Ser. 3, S. 335). 51 Vgl. o. A. (12. 02.1935), IOR, L/PJ/12/215, File 1115/24. 52 Das, Taraknath: ‚Responsibility of Oriental Students in relation to world peace‘, in: YA, 1 (2) 1934, S. 49. 49
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Studenten Solidarität untereinander und nicht mit den Herrschern ihrer Länder. Zuerst müssten sie die Bedingungen in ihren jeweiligen Ländern in Ordnung bringen, auch unter Übernahme (Adaptation) bestimmter, besonders effizienter ‚westlicher‘ Errungenschaften. Mit aktiver Unterstützung ‚westlicher‘ Befürworter, die an einer Zusammenarbeit des ‚Okzidents‘ und des ‚Orients‘ interessiert seien, verspräche diese Vorgehensweise eine wirksame Unterstützung der Arbeit für weltweiten Frieden und Freiheit. Das hoffte dabei insbesondere auf die Hilfe des faschistischen Italien, dessen erklärte Bereitschaft zur Kooperation er für aufrichtig hielt. 53 Das’ Hoffnungen auf den Erfolg der Initiative, auf die Solidarität unter den Studenten sowie auf eine bedingungslose Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen der kolonial abhängigen Länder vonseiten der faschistischen Regierung erwiesen sich als vergebens. Während ein Beistand der Unabhängigkeitsbewegungen keineswegs in die realpolitischen Ambitionen Mussolinis passten, trotz aller gegenteiligen Behauptungen vor den Studenten, löste sich der studentische Zusammenhalt schnell aus verschiedenen Gründen auf. Schon zum Zweiten Kongress, welcher über den Jahreswechsel 1934/35 in Rom stattfand, kamen mit 130 Studenten wesentlich weniger Teilnehmer. Dies scheint unter anderem an Unstimmigkeiten zwischen den gewählten studentischen Repräsentanten sowie an deutschen Konkurrenzaktivitäten gelegen zu haben.54 Der dritte Kongress, der im August 1935 in Ortisei in der Nähe von Bolzano stattfand, stand schon unter den Vorzeichen des herannahenden Abessinienkrieges. Durch diesen Krieg zog das faschistische Regime, britischen Geheimdienstberichten zufolge, viel Kritik von ‚orientalischen‘ Studenten, insbesondere von indischer Seite, auf sich. 55 Für sie mussten nun Mussolinis frühere Aussagen zur konstruktiven Zusammenarbeit des ‚Westens‘ und des ‚Ostens‘ sowie zur anvisierten Einheit beider Regionen vor dem Hintergrund der imperialistischen Eroberung wie Hohn klingen. Die Auswirkungen des Krieges zeigten sich endgültig 1936 auf einem vierten Kongress, auf dem nur noch zwei indische Vertreter anwesend waren, von denen einer Monindra Mohan Moulik war. 56 Obwohl das IsMEO seine Arbeit auch nach 1936 fortsetzte und nun zum 53
Vgl. ebd. S. 51 ff. Vgl. o. A. (12. 02.1935), IOR, L/PJ/12/215, File 1115/24. Der britische Bericht spricht dabei von 44 indischen Teilnehmern für 1934/35. Er berichtet außerdem, dass die deutschen Behörden den Vorsitzenden der Oriental Students’ Confederation, einen Perser namens Danesh Khan, überzeugt hätten, den Sitz der Verbindung nach Berlin zu verlegen. Entsprechende Gegenmaßnahmen seien von italienischer Seite ergriffen worden und der Zweite Kongress hätte in Rom stattgefunden. 55 Vgl. o. A.: ‚Subhas Chandra Bose and his contacts (24. 09. 1935)‘, in: IOR, L/PJ/12/ 215, BL, File 1115/24. 56 Vgl. o. A.: ‚Zusammenfassender Bericht über den Kongress der orientalischen Stu54
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
Beispiel Sprachkurse in Japanisch, Chinesisch und Bengali sowie Geografieund Wirtschaftskurse zum ‚Nahen und Fernen Osten‘ zur Ausbildung von Übersetzern und Wirtschaftspropagandisten anbot, scheint es keine Studentenkongresse nach dieser Zeit mehr gegeben zu haben.57 Dahingegen intensivierte das Institut seine Aktivitäten auf dem indischen Subkontinent. Mit Hilfe des italienischen Generalkonsulats in Bombay richtete es eine Lehrposition für Italienisch ein, die nach eigenen Aussagen ein „prezioso elemento di penetrazione in India“ (ein kostbares Mittel der Durchdringung Indiens) darstellte. 58 Der Bericht des IsMEO machte keine Aussagen, wer diese Position innehatte oder wo sie exakt angesiedelt war. Es scheint aber wahrscheinlich, dass hier von Mario Carelli die Rede war, der mit einem Stipendium des IsMEO 1938 in Bombay am St. Xavier College Italienisch unterrichtete. 59 Carelli erstattete dem Präsidenten des IsMEO, Giovanni Gentile, mehrere Male Bericht über seine Bemühungen, Sympathien für das faschistische Italien in Indien zu generieren und geeignete Unterstützer und Helfer ausfindig zu machen. So schrieb er im Oktober 1938, dass der Unterricht gut verlaufe und er schon passende Kandidaten für künftige Stipendien gefunden habe. Außerdem habe er einen Vortrag über Bildung in Italien gehalten und bereite eine Konferenz über Kunst vor. Auch die Büchersendung des IsMEO und anderer Einrichtungen sei in Bombay sehr positiv aufgenommen worden.60 Ein späteres Schreiben enthielt Informationen zu persönlichen Kontakten, die er aufgenommen hatte, zur Möglichkeit Publikationen auszutauschen sowie zu Studienbedingungen für Italiener in Indien. 61 Das Beispiel Carellis, aber auch die Studenten in Bologna (09. 05.1936)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 52, Congresso degli studenti orientale, Bologna. 57 Vgl. Tucci, Giuseppe: ‚Brief an Giovanni Gentile (12. 06. 1936)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 52, Nr. 6 IsMEO; o. A.: ‚Werbeplakat (01. 12. 1937)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 63, Nr. 4 Propaganda culturale – IsMEO. Als Sprachdozent für Bengali wurde Monindra Mohan Moulik in Tuccis Schreiben genannt. 58 Vgl. o. A. (18. 02. 1938), Raccolte Generale, Busta 72, Nr. 1. 59 Vgl. o. A.: ‚Rendiconto di cassa 1938 IsMEO (s. d.)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 72, Nr. 1 IsMEO; Carelli, Mario: ‚Brief an Giovanni Gentile (11. 10. 1938)‘, in: Fondazione Gentile, Corrispondenza, fasc. Mario Carelli; Carelli, Mario: ‚Brief an Giovanni Gentile (27. 06.1939)‘, in: Fondazione Gentile, Corrispondenza, fasc. Mario Carelli. Der Rechenschaftsbericht des IsMEO führt Stipendien an zwei Italiener auf: 3.000 Lire an Mario Carelli und 1.500 Lire an Luciano Petech. Beide Männer waren in Indien tätig (vgl. o. A.: ‚Verbale della seduta dell’assemblea generale ordinaria e straordinaria dei soci del 27 giugno 1939 XVII (27. 06. 1939)‘, in: Raccolte Generale, ASMAE, Busta 72, Nr. 1 IsMEO). 60 Vgl. Carelli (11. 10. 1938), Fondazione Gentile, fasc. Mario Carelli. 61 Vgl. Carelli, Mario: ‚Brief an Giovanni Gentile (29. 11.1938)‘, in: Fondazione Gentile, fasc. Mario Carelli.
„Konstruktive Kooperation zwischen dem Osten und dem Westen“
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dentenkongresse, die Stipendien und sonstige Aktivitäten des IsMEO machen deutlich, dass es dem faschistischen Regime bei der Einrichtung des IsMEO nur oberflächlich um einen Kultur- und Bildungsaustausch ging. Das Institut stellte letztendlich ein wertvolles Propagandawerkzeug dar, das die Errungenschaften des Faschismus in Indien bekannt machen und Sympathien für Italien schaffen sollte. Passend zur italienischen Politik, die Beziehungen des Staates und des ‚Orients‘ verbessern zu wollen, präsentierte das Regime ausländischen Gästen seine bisherigen Errungenschaften. Auf der Europa-Tour einer Gruppe indischer Studentinnen, die auch durch Italien führte, wurden sie nicht nur von Mussolini persönlich empfangen, sondern besichtigten unter anderem Sabaudia, eine der neu errichteten faschistischen Idealstädte, Ausstellungen zur faschistischen ‚Revolution‘ sowie kürzlich geschaffene ländliche Schulen. 62 Die propagandistische Präsentation verfehlte dabei kaum ihre Wirkung und so fand sich ein lobender Bericht im Bombay Chronicle, der die Erfahrungen der jungen Frauen folgendermaßen zusammenfasste: […] one could not help seeing the convincing evidences of the work accomplished by Fascism. Italy is beautiful, Italy is young and the Youth Movement is strong. Littoria and Sabaudia are proofs enough to show how one mind has sufficed to rouse a thousand bands of activity. 63
Neben Werbeaktivitäten in Italien führte die faschistische Regierung direkte Propaganda auf dem Subkontinent durch. Involviert in Propagandaaktivitäten war dabei immer wieder das italienische Generalkonsulat in Kalkutta. Dieses bemühte sich, britischen und italienischen Berichten zufolge, einerseits um eine positive Darstellung des faschistischen Staates und seiner Aktivitäten in verschiedenen indischen Zeitungen. 64 Andererseits unternahm es Versuche, neue persönliche Kontakte mit indischen Politikern und Wissenschaftlern zu schaffen sowie bestehende zu vertiefen und zu benutzen. 65
62 Vgl. o. A.: ‚Visit of Indian Lady Students to Rome‘, in: YA, 1 (3–5) 1934, S. 37; From a correspondent: ‚Indian women students go to the West (09.12. 1934)‘, in: BC, S. 13. 63 o. A. (09. 12. 1934), BC, S. 13. 64 Vgl. o. A. (1938), IOR, L/PL/12/505, BL, File 1080/36; o. A.: ‚Extract from a secret report regarding the Italian Consul General in Calcutta (18. 03.1938)‘, in: IOR, L/PS/12/ 225, BL, File P.Z. 729/37(5). 65 Vgl. o. A. (18. 03. 1938), IOR, L/PS/12/225, File P.Z. 729/37(5); Hay, W. R. (03. 03. 1938), IOR, L/PS/12/225, File P.Z. 729/37(5); Generalkonsulat Bombay: ‚Brief an das Außenministerium (31.12. 1934)‘, in: Affari politici, 1931–1945, ASMAE, Busta 4, India; o. A. (18. 02. 1938), Raccolte Generale, Busta 72, Nr. 1. Den Unterlagen zufolge hatte das Konsulat Kontakte zum bengalischen Kongresspolitiker Tulsi Chandra Goswami und zu Subhas Chandra Bose. Darüber hinaus pflegte es Beziehungen zu Benoy Kumar Sarkar, Mo-
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
3.2 Kulturaustausch oder Propaganda? Die Deutsche Akademie und ihre indischen Stipendiaten im nationalsozialistischen Deutschland Indische Studierende hatte es vereinzelt schon vor 1914 an deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen gegeben. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann ihre Zahl stetig anzuwachsen. Das hatte verschiedene Ursachen. So führte die Kampagne der Non-Cooperation, die Mahatma Gandhi Anfang der 1920er Jahre gegen die britischen Kolonialherren initiierte, zu einer Abkehr vom bisher bevorzugten Studienland, Großbritannien. Gleichzeitig stieg mit einsetzender Industrialisierung die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften. Da Deutschland zu den fortschrittlichen Ländern in den Bereichen Technik und Industrie gehörte und international eine gute Reputation als Wissenschaftsstandort hatte, entschieden sich immer mehr Inder und auch Inderinnen, hier zu studieren.66 Trotz der steigenden Studentenzahlen gab es in den 1920er Jahren zunächst kaum systematische Bemühungen, den wissenschaftlichen und akademischen Austausch zwischen Deutschland und Indien zu fördern. Dies änderte sich 1927/28, als die 1925 gegründete Deutsche Akademie 67 in München aufgrund der Initiative von Taraknath Das und Karl Haushofer68 beschloss, die kulturelle Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern voranzutreiben. Der Sekretär der Deutschen Akademie Franz Thierfelder 69 wurde mit dem Aufbau eines India Institute (Indischer Ausschuß) beauftragt, der 1929 offiziell seine Arbeit aufnahm.70 Die Ende der 1920er Jahre initiierten Austauschbeziehungen stellten allerdings nicht die erste Kooperation zwischen indischen Nationalisten und Deutschland dar. Während des Ersten Weltkrieges hatte das deutsche Kaiserreich indische Revolutionäre, die sehr unterschiedliche politische und ideologische Hintergründe hatten, in ihren Bemühungen unterstützt, die britische Kolonialherrschaft unter Einsatz von Waffengewalt zu beenden und für Indien die nindra Mohan Moulik, Pramatha Nath Roy sowie zu Jayendraray B. Durkal, Professor für Englisch und Gujarati am M.T.B. Arts College in Surat. 66 Vgl. Oesterheld, Indien, S. 192. 67 Zur Deutschen Akademie siehe: Michels, Akademie, S. 11 ff.; Kathe, Kulturpolitik, S. 66–76. 68 Zur Person Karl Haushofers vgl. Jacobsen, Kampf, S. 79–104; Wolter, Volk. Die Person Karl Haushofers ist in der Forschung sehr kontrovers bewertet worden. Verschiedene Wissenschaftler haben seinen entscheidenden Einfluss auf die globalen Ideen und das Lebensraumkonzept des Regimes festgestellt und sehen ihn als den „geistigen Vater“ der nationalsozialistischen Kriegsziele (vgl. Hipler, Hitlers). Andere Forscher lehnen diese Interpretation unter dem Hinweis seiner geringen Einwirkung auf Hitler, der Ablehnung der geopolitischen Theoreme durch die NS-Führung sowie der Unterschiede in beiden Konzeptionen ab (vgl. Jacobsen, Kampf, S. 82 ff. und 101 f.). 69 Zu Franz Thierfelder siehe den biografischen Anhang. 70 Vgl. Thierfelder, Institute, S. 9.
Die Deutsche Akademie und ihre indischen Stipendiaten
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Unabhängigkeit zu erlangen.71 Die dabei zwischen dem deutschen Außenministerium und den indischen Nationalisten geknüpften Netzwerke und die etablierten Infrastrukturen bestanden in der Weimarer Republik und im nationalsozialistischen Deutschland teilweise weiter.72 Auch Taraknath Das, der sich für die Errichtung des India Institute einsetzte, hatte während des Ersten Weltkrieges mit den deutschen Behörden als Mitglied des India Independence Committee zusammengearbeitet. Dafür war er 1917 in den USA im Rahmen des Hindu German Conspiracy Case zu einer Haftstrafe von 22 Monaten verurteilt worden. Nach seiner Freilassung distanzierte er sich von jeder Form des bewaffneten Kampfes.73 Das 1929 gegründete India Institute verfolgte nach eigenen Angaben explizit keine politischen Ziele. Im Vordergrund stand der deutsch-indische Kulturund Bildungsaustausch und somit ein wechselseitiger Wissenstransfer, in dessen Rahmen Stipendien an indische Studenten für ein Studium an deutschen Universitäten vergeben, genaue Informationen über Universitäten und Technische Hochschulen in Deutschland bereitgestellt sowie Hilfestellung beim Finden von Praktika in deutschen Betrieben, Krankenhäusern und Laboratorien gewährt wurden. Darüber hinaus bemühte sich das India Institute, Studien zu Indien an deutschen Universitäten durch die Einladung indischer Gelehrter zu fördern und die „deutsche Kultur auf dem Subkontinent durch Kooperationen mit indischen Universitäten und Kultureinrichtungen zu verbreiten“.74 Von der Zusammenarbeit erhoffte man sich einerseits die Schaffung von Gastprofessuren für deutsche Wissenschaftler in Indien, andererseits ein erhöhtes Interesse am Erlernen der deutschen Sprache.75 Damit etablierten sich von deutscher Seite früher als vonseiten Italiens Austauschbeziehungen mit Indien. Während Informationen über das IsMEO hauptsächlich über persönliche Kontakte nach Indien gelangten, veröffentlichte die Deutsche Akademie außerdem regelmäßig Mitteilungen in der Calcutta Review. Diese Beiträge, die darauf abzielten, die eigene Arbeit und die Zielsetzungen weiter bekanntzumachen, wiesen unter anderem auf die Stipendienausschreibungen hin oder stellten die ausgewählten Stipendiaten näher vor.76 Auch Taraknath Das be71 Vgl. Bose, Revolutionaries; Barooah, Chatto; Ramnath, Haj. Einen Einblick in die deutschen Beweggründe, indische Nationalisten zu unterstützen, gibt: Manjapra, Illusions, S. 363–382. 72 Vgl. ebd., S. 377–382. 73 Vgl. Mukherjee, Das, S. 69–163. 74 Thierfelder, Institute, S. 10. 75 Vgl. ebd., S. 9 f. 76 Vgl. unter anderem: Die Deutsche Akademie: ‚Munich offers three scholarships to Indian students‘, in: CR, 31 (3) 1929 Ser. 3, S. 388 f.; o. A.: ‚Award of three fellowships to distinguished Indian scholars made by the German Academy of Munich for the academic
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
mühte sich die indische Öffentlichkeit, ähnlich wie im italienischen Fall, über die Initiativen des India Institute, in dem er lebenslanges Ehrenmitglied und Mitglied des Vorstandes war, zu informieren.77 Das, dessen Interesse und Aktivitäten hinsichtlich kultureller und Bildungskooperationen sich auch auf andere Länder richteten,78 räumte Deutschland und dessen Bewohnern, die er als „[…] the best educated and most civilised and highly cultured people of the world“ 79 betrachtete, trotzdem einen besonderen Platz ein. In verschiedenen Aufsätzen schlug er die „Verbreitung der deutschen Kultur“ in Indien vor. 80 Die ‚Machtübergabe‘ 1933 beeinflusste die Arbeit des India Institute der Deutschen Akademie ebenso wie dessen Wahrnehmung in Indien. Im Folgenden wird zuerst die indische Auseinandersetzung mit dem Wirken der Akademie, vor allem anhand der Beiträge ihrer Unterstützer und der Geförderten untersucht. Im Anschluss werden Aktivitäten der Akademie auf dem südasiayear, 1929–30“, in: CR, 33 (1) 1929 Ser. 3, S. 108–110; Thierfelder, Franz: ‚„Die Deutsche Akademie“ announces three new scholarships for Indian Students‘, in: CR, 34 (3) 1930 Ser. 3, S. 456 f.; o. A.: ‚India Institute of Die Deutsche Akademie secures a special fellowship for a distinguished medical scholar‘, in: CR, 37 (2–3) 1930 Ser. 3, S. 381 f.; Thierfelder, Franz: ‚India Institute of Die Deutsche Akademie offers twelve stipends for Indian Students for the academic year of 1931–32“, in: CR, 38 (3) 1931 Ser. 3, S. 494–496; Thierfelder, Franz: ‚Report of the Indian board of the German Academy for the year 1929–1930‘, in: CR, 38 (1) 1931 Ser. 3, S. 163–168; o. A.: ‚Die Deutsche Akademie honors Drs. Tagore and Raman‘, in: CR, 45 (2–3) 1932 Ser. 3, S. 383 f.; Thierfelder, Franz: ‚Advice to Indian students who wish to carry on higher studies in German universities‘, in: CR, 42 (2) 1932 Ser. 3, S. 233–236; Thierfelder, Franz: ‚India Institute of Die Deutsche Akademie offers stipends to Indian scholars for the academic year 1933–34‘, in: CR, 46 (3) 1933 Ser. 3, S. 424–426; o. A.: ‚Deutsche Akademie India Institute‘, in: CR, 48 (1) 1933 Ser. 3, S. 140 f. Der Bericht des Indischen Ausschusses für das Jahr 1929/30 erwähnt, dass Rundschreiben des Ausschusses an verschiedene indische Zeitschriften und Zeitungen geschickt und veröffentlicht wurden. 77 Vgl. Das, Taraknath: ‚Germany’s recovery in world politics (05. 12. 1929)‘, in: Liberty, S. 4 und 9; Das, Taraknath: ‚Educational opportunities for Indians in German universities‘, in: MR, 46 (1) 1929, S. 36–41. 78 Vgl. die folgenden Beiträge von Taraknath Das: ‚Value of Cultural Propaganda in International Relations‘, in: MR, 47 (3) 1930, S. 287–291; ‚International federation of Indian students‘, in: MR, 50 (4) 1931, S. 403–405; ‚Awakened India’s international cultural relations‘, in: Prabuddha Bharata, 36 (6) 1931, S. 271–277; ‚International educational notes‘, in: CR, 50 (3) 1934 Ser. 3, S. 291–298. 79 Das, Taraknath: ‚Germany’s recovery in world politics (30. 11.1929)‘, in: Liberty, S. 4. Ebenso: Das, Taraknath: ‚Indisch-deutsche kulturelle Zusammenarbeit‘, in: MAwEPD, 5 (1) 1930, S. 42; Das, Taraknath: ‚Educational recovery of Germany and India‘, in: CR, 28 (2) 1927 Ser. 3, S. 186–190. 80 Vgl. Das, Taraknath: ‚The New Germany and the future‘, in: CR, 32 (3) 1929 Ser. 3, S. 302–304; Das, Taraknath: ‚Germany – ten years after the world war‘, in: CR, 30 (3) 1929 Ser. 3, S. 261–271.
Die Deutsche Akademie und ihre indischen Stipendiaten
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tischen Subkontinent vorgestellt und abschließend die Frage nach ihrer ideologischen Ausrichtung bzw. ihrer Nähe zum Hitlerregime beantwortet. Die Förderungszahlen der indischen Stipendiaten zeigen für die Jahre von 1933– 1939 eine wechselhafte Entwicklung. Während die Zahl der indischen Stipendiaten der Deutschen Akademie in den letzten Jahren der Weimarer Republik stetig angestiegen war, verzeichnete das Jahr 1933/34 zunächst einen Rückgang, auf den aber 1934/35 wieder ein großer Anstieg folgte. In den Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schwankten die Zahlen, aber die Unterstützung Studierender durch Stipendien blieb bestehen. 81 Damit lag die Förderungsrate der Akademie wesentlich höher als die des IsMEO, was einerseits mit ihrer finanziellen Ausstattung, andererseits an ihrem bis 1938 bestehenden Status als Nicht-Regierungsinstitution im Zusammenhang gestanden haben könnte. 82 Das weiterhin bestehende indische Interesse an den Unterstützungsleistungen für ein Studium in Deutschland ist vor dem Hintergrund der Diskussionen über die Lebens- und Studienqualität indischer Studenten in Deutschland ab 1933 nicht selbstverständlich. Beiträge in der indischen englischsprachigen Presse informierten über Beleidigungen und rassistische Übergriffe auf Inder, aber auch über abwertende Berichte zu Indien in deutschen Medien. 83 Besondere Aufmerksamkeit erregte der Fall des in Berlin lebenden Journalisten A. C. N. Nambiar. 84 Nambiar, der in den 1920er und frühen 1930er Jahren enge Verbindungen zu kommunistischen und antikolonialen Bewegungen pflegte und politisch sehr aktiv war, wurde am 28. 02. 1933 ebenso wie J. Naidu, der Sohn der bekannten Kongresspolitikerin und Dichterin Sarojini Naidu, von der SA festgenommen. Er berichtete im Nachhinein über seine Erlebnisse in 81 Die in der Calcutta Review, in Thierfelders Bericht aus dem Jahr 1937 und im MAwEPD angegebenen Zahlen der Stipendien stimmen nicht überein. Dies kann an ursprünglich ausgeschriebenen und dann nicht vergebenen Stipendien liegen, aber auch an Verlängerungen von schon bewilligten Stipendien (siehe ohne Angabe von Jahren: Thierfelder, India, S. 15). Auch unterstützte die Akademie indische Studierende, indem sie für deren Studiengebühren aufkam (vgl. FN 167; o. A.: ‚Deutsche Akademie Scholarships‘, in: CR, 53 (1) 1934 Ser. 3, S. 114; o. A.: ‚German scholarship‘, in: CR, 63 (2) 1937 Ser. 3, S. 232; o. A.: ‚Indischer Ausschuß‘, in: MAwEPD, 10 (3) 1935, S. 532 f.; o. A.: ‚Indischer Ausschuß‘, in: MAwEPD, 11 (1) 1936, S. 165; o. A.: ‚Indischer Ausschuß‘, in: MAwEPD, 11 (2) 1936, S. 330 f.; o. A.: ‚Indischer Ausschuß‘, in: MAwEPD, 13 (1) 1938, S. 165; Thierfelder, India, S. 11–15). 82 Kathe, Kulturpolitik, S. 75. Im Juni 1938 erhielt die Kulturpolitische Abteilung des Auswärtigen Amtes die Aufsicht über die Deutsche Akademie und im November 1941 musste sie aufgrund eines Führererlasses ihre Rechtsform von einem eingetragenen Verein in eine Körperschaft öffentlichen Rechts umwandeln (vgl. ebd.). 83 Siehe dazu auch Kapitel 5.1.1. 84 Zu A. C. N. Nambiar siehe den biografischen Anhang.
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
verschiedenen indischen Zeitungen und beschrieb dort, wie die SA seine Wohnung stürmte, ohne einen Haftbefehl vorzuzeigen alles durchsuchte und unter anderem seine Arbeitspapiere, private Korrespondenz und die Schreibmaschine mitnahm. Nach einem ersten Verhör, der Durchsuchung seiner Person, etlichen Beleidigungen und körperlichen Misshandlungen sei er zu einer Polizeistation gebracht worden und bis zum 25. 03. 1933 inhaftiert geblieben, während Naidu schnell wieder freigelassen worden war. Weiterhin berichtete Nambiar, dass ihm nach seiner Entlassung mitgeteilt wurde, dass er innerhalb von acht Tagen Preußen zu verlassen habe. Seinen Aussagen zufolge gab es keinerlei Begründung für den Überfall auf seine Wohnung; auch sei keinerlei offizielle Anklage gegen ihn erhoben worden. Die beschlagnahmten Gegenstände und Unterlagen habe er nicht zurückerhalten. Nambiar, der nach eigenen Aussagen, keinen Groll gegen Deutschland oder die Deutschen hegte, nutzte seinen Bericht aber, um explizit auf die keineswegs freundliche Gesinnung der nationalsozialistischen Führung gegenüber Indien hinzuweisen. 85 Während augenscheinlich kein Mitglied der indischen Gemeinde Berlins zu seinen Gunsten bei den deutschen Behörden vorstellig wurde, erwirkte die Intervention des Britischen Konsulats in Berlin Nambiars Freilassung, und er verließ Deutschland in Richtung Prag. 86 Die indischen Reaktionen auf solche Berichte, aber auch auf die Artikel über rassistische Äußerungen waren ambivalent. Einerseits bewirkten sie Aufrufe, die von einem Studium in Deutschland abrieten87 oder über Protestmaßnahmen von indischer Seite berichteten. Neben kritischen Beiträgen fanden sich andererseits in der indischen Presse aber auch Artikel, die von unveränderten Studienbedingungen sprachen oder ausführten, dass indische Studenten auch unter der nationalsozialistischen Regierung willkommen seien. 88 Letztere Beiträge zur Diskussion kamen dabei vor allem von Personen, die der Deutschen 85 Vgl. Nambiar, A. C. N.: ‚Nambiar’s story of his arrest in Berlin (08. 05. 1933)‘, in: BC, S. 7; Nambiar, A. C. N.: ‚Nazi Storm Troopers (13. 05. 1933)‘, in: ABP, S. 9; o. A.: Extract from ‚Notes on suspect civilian Indians on the continent of Europe (July 1944)‘, in: IOR, L/ PJ/12/74, BL, File 5890/22. 86 Vgl. Rumbold, Horace: ‚Letter to Ministerialdirektor Dr. Dieckhoff (08. 03. 1933)‘, in: IOR, L/PJ/12/73, BL, File 5890/22; Chancery: ‚Letter to the Central Department, Foreign Office (10. 03. 1933)‘, in: IOR, L/PJ/12/73, BL, File 5890/22. 87 Vgl. Katyar, P. D.: ‚Nazi Propaganda against Indians (22. 08. 1934)‘, in: Forward, S. 10; o. A.: ‚Anti-Indian propaganda in Germany (08. 11. 1934)‘, in: BC, S. 18. 88 Vgl. Thierfelder, Franz: ‚India Institute of the Deutsche Akademie‘, in: CR, 47 (3) 1933 Ser. 3, S. 402 f.; Das, Taraknath: ‚Are Germans unfriendly to Indian students (29. 07. 1933)‘, in: ABP, S. 8; Das, Taraknath: ‚Position of Indian students in National Socialist Germany‘, in: MR, 54 (2) 1933, S. 184 f.; Das, Taraknath: ‚Reader’s letter: Indian students in Germany (10. 09. 1934)‘, in: BC, S. 8 f.; Goyal, Nathooram: ‚Indians in Germany (24. 11. 1934)‘, in: ABP, S. 12; Mazumdar, S. K.: ‚Indian students in Germany (10. 10. 1934)‘,
Die Deutsche Akademie und ihre indischen Stipendiaten
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Akademie nahestanden, so z. B. Dr. Subodh K. Majumdar, Dozent für Chemie am Ripon College in Kalkutta, der an der Universität München studiert hatte, 89 sowie Taraknath Das und Franz Thierfelder. Thierfelder, der relativ frühzeitig auf die Frage reagierte, ob indische Studenten in Deutschland nicht mehr sicher seien, beteuerte im Juni 1933 im Namen der Deutschen Akademie „[…] that the safety of the Indian students pursuing their scientific work and refraining from interfering with politics is guaranteed at present and in future“. 90 Ganz ähnlich argumentierte auch Taraknath Das. Unter Hinweis auf seine langjährigen Bemühungen, die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Indien zu fördern, schrieb er in einem Beitrag in der Modern Review, dass sich indische Studenten und Besucher nicht in die interne oder internationale Politik des Gastlandes einmischen sollten. 91 Während er auf die in den zurückliegenden Monaten gemachten positiven Erfahrungen in Deutschland – eigene und die indischer Studenten – hinwies, verharmloste er die Erlebnisse Nambiars als Ausnahmefall, der im Zuge einer Revolution vorkommen könne. 92 Dessen politische Betätigung, vor allem seine kommunistischen Tendenzen, wurden von denjenigen, die eine Beibehaltung der indisch-deutschen Austauschbeziehungen unter den Nationalsozialisten befürworteten, als entscheidender Grund für seine schlechte Behandlung gesehen. Taraknath Das revidierte allerdings seine Einschätzung Deutschlands einige Monate später in einem privaten Brief, in welchem er schrieb, dass er wegen der rassischen und politischen Verfolgung in Deutschland untröstlich sei. 93 Das, der nach einigen Monaten in der Schweiz und Italien im April 1934 in die USA zurückkehrte, war trotz seines persönlichen Unbehagens nicht bereit, die Arbeit bzw. Propaganda für eine deutsch-indische kulturelle Zusammenarbeit vollständig einzustellen. 94 in: ABP, S. 2; Majumdar, Subodh Kumar: ‚Indian Students in Germany (27. 08.1934)‘, in: Forward, S. 10. 89 Vgl. Thierfelder, India, S. 13. 90 Thierfelder, CR, 47 (3) 1933 Ser. 3, S. 403. 91 Vgl. Das, MR, 54 (2) 1933, S. 184 f. 92 Vgl. ebd. Das hatte für die kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leistungen des deutschen Volkes während der Weimarer Republik Hochachtung. Er schien, Günther zufolge, eine ähnliche Politik vonseiten der Nationalsozialisten erwartet zu haben. Zumindest benennt Günther das als den Grund für Das’ Übersendung seines Buches „Indien in der Weltpolitik“ an Adolf Hitler 1932. Dieser antwortete dem indischen Autor knapp im Dezember 1932, dass er es lesen würde, wenn er Zeit dafür fände (vgl. Günther, Das, S. 27). 93 Vgl. Das, Taraknath: ‚Letter to J. T. Sunderland (19. 10. 1933)‘, in: J. T. Sunderland Papers, NMML, Correspondence, Letters to and from Taraknath Das. 94 Zu einer weniger ambivalenten Beurteilung Taraknath Das’ hinsichtlich seiner Beziehungen zum nationalsozialistischen Deutschland vgl. Mukherjee, Das, S. 202; Günther,
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
Dies zeigte sich im Zusammenhang mit erneuten negativen Schlagzeilen über die Deutsche Akademie im Sommer 1934. M. S. Khanna, ehemaliger Stipendiat des India Institute an der Technischen Hochschule in Stuttgart, berichtete in zwei Beiträgen im Bombay Chronicle äußerst kritisch über die Situation indischer Studenten in Deutschland. Khanna, der Präsident der Federation of Indian Students abroad in Wien sowie Präsident der Hindustan Students’ Association in München gewesen war, wies in seinen Ausführungen auf Beiträge in der deutschen Presse hin, die abwertende oder falsche Informationen über Indien verbreiteten und merkte das Fehlen adäquater indischer Gegenmaßnahmen an. 95 Darüber hinaus äußerte er sich sehr negativ über die Arbeit der Deutschen Akademie, die er als Propaganda- und Kontrollinstitution gegenüber ausländischen Studierenden darstellte. 96 Auf die Vorwürfe reagierend, veröffentlichte Taraknath Das im September 1934 einen ausführlichen Leserbrief im Bombay Chronicle, in welchem er den Bericht Khannas zurückwies. Das entwarf in seinem Brief ein positives Bild von der Arbeit der Akademie und führte aus, dass diese seiner Ansicht nach vor allem an der Etablierung kultureller Kooperationen zwischen Deutschland und anderen Staaten interessiert sei. Wichtig schien ihm der Hinweis, dass die Einrichtung keinerlei Interesse an innen- und außenpolitischen Vorgängen habe und sich nicht an politischer Propaganda beteilige. 97 Das, der seine Vision von einer internationaler kulturellen Zusammenarbeit auch im Falle des nationalsozialistischen Deutschland nicht aufgeben wollte, führte aus: […] I earnestly request the Indian public to strengthen the work of cultural co-operation with all nations which are ruled by dictators – Russia, Italy, Germany, etc. – also those which have democratic institutions – Great Britain, France, the United States, Czechoslovakia, etc. All activities involving cultural co-operation should be conducted soberly; Das, S. 27. Beide Autoren stellen Das aufgrund seiner Entscheidung Deutschland zu verlassen, aber auch wegen seiner entschiedenen Ablehnung von Antisemitismus als Gegner des Nationalsozialismus/Faschismus dar. Diese Einschätzung muss zumindest in Hinblick auf seine Beziehungen mit dem faschistischen Italien revidiert und mit Deutschland eingeschränkt werden (vgl. Kapitel 4.2.2). 95 Appelle, etwas gegen die anti-indische Propaganda in Deutschland zu unternehmen, wurden von verschiedener Seite in der indischen Presse formuliert. Dabei wurde auch immer wieder auf die fehlenden indischen Propaganda- und Interventionsmöglichkeiten vor Ort hingewiesen (vgl. Nambiar (08. 05. 1933), BC, S. 7; o. A.: ‚Indians vilified in Germany (13. 07.1934)‘, in: BC, S. 12; o. A. (08. 11. 1934), BC, S. 18). 96 Vgl. o. A. (13. 07. 1934), BC, S. 12; o. A.: ‚Indian Students induced to do Nazi Propaganda (14. 07. 1934)‘, in: BC, S. 11 und 20. Ebenfalls kritisch zur Arbeit der Deutschen Akademie äußerte sich S. C. Guha in einem Interview mit dem Bombay Chronicle. Seiner Ansicht nach wurde die Akademie vollständig vom nationalsozialistischen Staat kontrolliert (vgl. o. A. (08. 11.1934), BC, S. 18). 97 Vgl. Das (10. 09. 1934), BC, S. 9.
Die Deutsche Akademie und ihre indischen Stipendiaten
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and one must not be too hasty to alienate cultural co-operation of a great nation like Germany. 98
Nur auf diesem Weg, so glaubte der indische Nationalist, könne sein Heimatland langfristig von der britischen Kolonialherrschaft befreit werden. Er schien sich dabei der Sensibilität seiner Forderung nach einer Zusammenarbeit mit Hitlerdeutschland durchaus bewusst zu sein und erklärte wohl aus diesem Grund explizit, dass er weder ein Sympathisant der Nationalsozialisten noch ein Anhänger von Diktaturen sei und dass er jegliche Form von rassischer, religiöser und politischer Verfolgung ablehne. Als Erklärung für die gegen Inder gerichteten Vorkommnisse und die abwertende Berichterstattung in deutschen Medien nannte er die problematischen innerdeutschen Veränderungen seit der ‚Machtübergabe‘. Dennoch empfahl er indischen Studenten weiterhin ein Studium in Deutschland, allerdings nur unter der Prämisse, dass sie sich von jeglicher Einmischung in die internen Angelegenheiten ihres Gastlandes fernhalten. 99 Die Berichterstattung in der indischen Presse über die Arbeit der Deutschen Akademie hielt in den folgenden Jahren an. 100 So veröffentlichte der Bombay Chronicle beispielsweise 1935 einen Beitrag, der über die Ernennung des indischen Astro-Physikers Meghnad Saha zum lebenslangen Ehrenmitglied des India Institute 101 sowie über eine durch die Akademie organisierte Vorlesungsreihe des Ökonomen Sudhir Sen informierte.102 Gleichzeitig hielten sich die 98
Ebd. Vgl. ebd. 100 Vgl. From a correspondent: ‚Indo-German cultural affinity (26. 06. 1934)‘, in: BC, S. 2; From our correspondent: ‚Dr. Sarkar in Germany (14. 07. 1934)‘, in: ABP, S. 11; o. A: ‚Study in German Universities (08. 09.1934)‘, in: ABP, S. 5; o. A.: Indo-German co-operation (09. 11. 1935)“, in: BC, S. 8; o. A.: ‚German stipends for Indian scholars (05. 01. 1935)‘, in: ABP, S. 10. 101 Zu den 1937 von Thierfelder aufgeführten indischen lebenslangen Ehrenmitgliedern gehörten neben Das und Saha: Sir. J. C. Bose, Pandit Madan Mohan Malaviya, Sir C. V. Raman, Sir Praphulla Chandra Ray, Prof. Benoy Kumar Sarkar und Dr. Rabindranath Tagore. Der Bericht enthielt keine Angaben darüber, wann die jeweiligen Personen zu Ehrenmitgliedern der Akademie ernannt worden waren. Die Aufzählung, die einem ‚who is who‘ der indischen Wissenschaftslandschaft gleicht, scheint aber anzudeuten, dass keiner von ihnen die Ehrenmitgliedschaft aus politischen Gründen nach 1933 zurückgegeben hatte (vgl. Thierfelder, India, S. 5). 102 Vgl. o. A. (09. 11. 1935), BC, S. 8. Dr. Sudhir Sen war ein ehemaliger Stipendiat der Deutschen Akademie. Seine Vorträge in Stuttgart und Dresden beschäftigten sich mit der indischen Wirtschaft. Daneben organisierte das India Institute weitere Vorträge: so zum Beispiel im Wintersemesters 1933–34 in München „Indien und seine geistigen Führer“ von Dr. J. C. Gupta, 1934 in München und Tübingen „Der Weg des arischen Inders zu Gott“ von Swami T. H. Bon sowie im selben Jahr in Hamburg, Marburg und München 99
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
Vorwürfe, dass durch das India Institute Propaganda für das nationalsozialistische Regime nicht nur unter indischen Studenten in Deutschland, sondern auch in Indien gemacht würde. So berichtete ein Beitrag im Bombay Chronicle im März 1939, dass die Akademie sechs- und zwölfmonatige Stipendien für Inder an deutschen Universitäten anbiete für ausgezeichnete Aufsätze zu dem Thema „Die arischen Ursprünge der Swastika und ihr gemeinsamer Gebrauch in Indien und Deutschland“.103 Die Einschätzung, dass es sich bei der Deutschen Akademie um eine nationalsozialistische Propagandainstitution handelt, wurde von den britischen Kolonialbehörden geteilt. Dazu muss angemerkt werden, dass die britischen Berichte des Judicial and Public Department aus den Jahren 1939 bis 1942 stammen und damit in die Zeit des Zweiten Weltkrieges mit Deutschland als feindliche Macht fallen. Die Berichte machen deutlich, dass die britische Verwaltung auf dem Subkontinent die Aktivitäten der Deutschen Akademie beobachtete. 104 Dabei galt die Einrichtung explizit als Instrument der Hitlerregierung zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Indern und Deutschen und zur „[…] Verbreitung der nationalsozialistischen deutschen Kultur auf dem Subkontinent basierend auf einer Kenntnis der deutschen Sprache“.105 Die Berichte nannten als Hauptwirkungsorte Kalkutta und Benares und erwähnten die für die Akademie in Indien tätigen Deutschen Horst Pohle und Alfred Würfel. Während Ersterer an der Universität von Kalkutta als Dozent für die deutsche Sprache angestellt war, arbeitete Würfel ab 1935 an der Universität in Benares als Lektor und studierte dort von Prof. Mahendra Nath Sircar „Social Background of Indian Life“ und 1936 in München „Modern India“ von Biren Roy (vgl. Thierfelder, India, S. 20). 103 Vgl. Adhikari, G.: ‚Nazi propaganda in India (24. 03. 1939)‘, in: BC, S. 11. 104 Vgl. o. A.: ‚India (s. d.)‘, in: IOR, L/PJ/12/657, BL, File 2558/42; o. A.: ‚Survey No. 22 of 1939 for the two weeks ending 14th October 1939‘, in: IOR, L/PJ/12/506, BL; o. A.: ‚Survey No. 23 of 1939 for the week ending 21th October 1939‘, in: IOR, L/PJ/12/506, BL. Dabei beschrieben die britischen Behörden auch Kontakte der Deutschen Akademie zur Hinduorganisation Arya Samaj und zur Hindu Mahasabha. Sie hatten ebenfalls die Aktivitäten indischer Studenten und Dozenten in Deutschland im Visier. Darüber hinaus sammelten sie Informationen zu weiteren Propagandaaktivitäten von deutscher Seite auf dem Subkontinent, wie zum Beispiel durch die diplomatischen Vertretungen vor Ort und die Auslandsorganisation der NSDAP sowie durch kommerzielle Einrichtungen, wie dem Indo-German News Exchange (vgl. o. A. (s. d.), IOR, L/PJ/12/657, File 2558/42; o. A.: ‚Note on the activities of foreign agents in India (1938)‘, in: IOR, L/PJ/12/505, BL, File 1080/36; o. A. ‚Dr. Oswald Urchs (31. 01. 1939)‘, in: IOR, L/PJ/12/505, BL, File 1080/36; o. A.: ‚An examination of the activities of the Auslands Organization of the National Socialistische Deutsche Arbeiter Partei, Part II – In India (1939)‘, in: IOR, L/PJ/12/505, BL, File 1080/36; o. A.: ‚The Indian students’ association in Munich (30. 01. 1939)‘, in: IOR, L/PJ/12/410, File 101/30; o. A.: ‚Indian societies and associations in Germany (08. 09. 1939)‘, in: IOR, L/PJ/ 12/410, File 101/30. 105 Vgl. o. A. (s. d.), IOR, L/PJ/12/657, File 2558/42.
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auch Sanskrit. Beide Dozenten waren nach Aussagen der Deutschen Akademie nach Indien gesandt worden, um deren Ziele des Kulturaustausches voranzutreiben. Die britische Verwaltung hingegen schätzte ihre Tätigkeiten ganz anders ein und beschrieb sie als nationalsozialistische Propagandisten.106 Dass diese Vermutung im Allgemeinen durchaus eine Berechtigung hatte, zeigt das Beispiel Heinz Nitzschkes, der als Lektor der Deutschen Akademie vor Pohle an der Universität von Kalkutta gewirkt hatte.107 Nitzschke, der im November 1933 nach Indien kam, veröffentlichte einen zweiteiligen Beitrag in der Amrita Bazar Patrika, in welchem er zuerst die Geschichte der deutschen Jugendbewegung vorstellte, um dann allgemeiner auf die gesellschaftlichen Veränderungen nach der ‚Machtübergabe‘ einzugehen.108 Seine Ausführungen hoben die Legitimität und Wichtigkeit der Umsetzung nationalsozialistischer Ideale hervor, die er folgendermaßen zusammenfasste: The individual has to sacrifice himself in service for this country. Obedience to a strong, socially minded authority, hard work, strict family discipline, chastity, self-denial, thrift, sobriety, leadership: these are the fundamental principles of new morals.109
Die Bildung müsse der deutschen Jugend Schlichtheit, Loyalität und Stolz auf „ihre deutsche Rasse“ vermitteln. Diesen Idealen entsprechend konzentriere man sich in Deutschland verstärkt auf die „Charakter“- und „Rassenbildung“ sowie auf physical education.110 Abschließend wies er darauf hin, dass die gegenwärtigen Veränderungen in Deutschland nicht nur institutioneller Natur, sondern Ausdruck einer neuen Geisteshaltung seien. Diese neue ‚Gesinnung‘ sei es, die der „deutschen Revolution“ ihre weitreichende Bedeutung gebe und die das deutsche Beispiel auch für andere Nationen interessant mache.111 Nitzschkes Ausführungen stellen ein überzeugendes Beispiel für deutsche Propaganda in Indien in der Zwischenkriegszeit dar und dementsprechend ver106 Vgl. ebd.; o. A. (14. 10. 1939), IOR, L/PJ/12/506; o. A. (21.10.1939), IOR, L/PJ/12/506; o. A.: ‚Survey No. 36 of 1942 for the week ending 3rd October 1942‘, in: IOR, L/PJ/12/510, BL, File 1080/A/36; Thierfelder, India, S. 22. Über Alfred Würfel gibt die Internetseite des Indien-Instituts München e. V. Auskunft. Nachdem er während des Zweiten Weltkrieges jahrelang in Bombay Sprachunterricht erteilt hatte, trat er später in den diplomatischen Dienst der Bundesrepublik Deutschland ein und arbeitete als Kulturattaché an der Deutschen Botschaft in New Delhi (vgl. Indien-Institut München, http://www.indien-institut. de/go/cms/front_content.php?idcat=91, Zugriff 23. 02. 2011, 11:49 Uhr). 107 Heinz Nitzschke, der Mitglied der NSDAP war, wurde 1939 Leiter der Abteilung Auslandslektorate der Deutschen Akademie (vgl. Michels, Akademie, S. 131 f.). 108 Vgl. Nitzschke, Heinz: ‚The German revolution (05. 12.1933)‘, in: ABP, S. 8; Nitzschke, Heinz: ‚German Revolution – II (06. 12. 1933)‘, in: ABP, S. 6. 109 Nitzschke (06. 12. 1933), ABP, S. 6. 110 Ebd. 111 Ebd.
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
wundert es wenig, dass die Deutsche Akademie von einigen indischen Autoren und von britischer Seite als nationalsozialistische Propagandainstitution begriffen wurde.112 Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, inwieweit solche Einschätzungen zur ideologischen Ausrichtung der Deutschen Akademie und des India Institute von der Forschung bestätigt werden. Der Historiker Eckard Michels führt zum Beispiel aus, dass, obgleich die Deutsche Akademie offiziell parteipolitisch neutral gewesen sei, sie sich schon vor 1933 als eine politisch eher rechts stehende Organisation gezeigt habe, die die ‚Machtübergabe‘ an die Nationalsozialisten dann freudig begrüßt und unaufgefordert rassisch und politisch unerwünschte Führungsmitglieder entfernt habe. 113 Auch Steffen Kathe weist auf die Annäherungsversuche der Deutschen Akademie ab 1933 hin und urteilt, dass sich die Leitung der Institution dem NS-Regime ‚angebiedert‘ habe, indem sie die eigene kulturpolitische Arbeit nach den nationalsozialistischen Vorstellungen ausrichtete. 114 Ähnlich bewertet Edgar Harvolk die Aktivitäten der Münchner Institution und weist dabei auf die Veränderungen ihrer Ausrichtung hin, die sich von einem „mitmachen, um zu überleben“ unter Präsident Friedrich von Müller (bis 1934) zu einer Partei- und Regierungshörigkeit zur Amtszeit Leopold Kölbls (1937–1939) wandelte.115 Während die Forschung damit ein größtenteils konsistentes Bild von der Ausrichtung der Deutschen Akademie zeichnet, führt die Bewertung der Einstellung einzelner Mitglieder zu kontroverseren Ergebnissen. Bedingt werden diese unter anderem durch die schwierige Klärung der Frage, ob Propagandatätigkeiten von Vertretern der Deutschen Akademie auf Grundlage ihrer Überzeugung oder aus Opportunismus stattgefunden haben.116 Ein Blick auf manche Mitglieder der Deutschen Akademie, zu nennen sind hier die Indologen Walther Wüst und Jakob W. Hauer, lässt zwar kaum Zweifel an deren Nähe zum nationalsozialistischen Regime zu. 117 Es gibt aber auch andere Fälle, die in 112 Nicht nur die Aktivitäten der Deutschen Akademie wurden in der indischen Presse und durch die britischen Kolonialherren als nationalsozialistische Propaganda thematisiert. Eine weitere Institution, die im Ruf stand, außergewöhnlich deutschlandfreundlich zu sein, war die Aligarh Muslim University. Insbesondere verschiedene indische Dozenten, die in Deutschland gelebt hatten, wie z. B. Sattar Kheiri, standen im Verdacht enge Verbindungen zum deutschen Propagandaministerium zu unterhalten. Der deutschen Gesellschaft, die es an der Universität gab, wurde nachgesagt, dass sie mit der finanziellen Unterstützung vonseiten der Nationalsozialisten pro-Hitler-Aktivitäten durchführe (vgl. Adhikari (24. 03. 1939), BC, S. 11; o. A.: ‚Nazi Propagandists busy in Aligarh (24. 05. 1939)‘, in: The National Herald, S. 5; siehe dazu auch: Siddiqi, Bluff, S. 255 ff.). 113 Vgl. Michels, Akademie, S. 102 ff. 114 Vgl. Kathe, Kulturpolitik, S. 73 f. 115 Vgl. Harvolk, Eichenzweig, S. 24 ff. 116 Vgl. Michels, Akademie, S. 106. 117 Vgl. zu Jakob Hauer: Junginger, Seminar, S. 176–207. Hauer war Indologe und Reli-
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der Forschung umstritten sind, wie das Beispiel Franz Thierfelder zeigt. Michels bspw. schreibt, dass dieser nie ein überzeugter Nationalsozialist gewesen sei, allerdings auch kein Gegner des Regimes.118 Steffen Kathe ist hingegen der Ansicht, dass Thierfelder zu einem Handlanger des Nationalsozialismus wurde, indem er aktiv an der Einsetzung des linientreuen Präsidenten der Akademie Karl Haushofer 1934 mitwirkte. Auch habe er verschiedentlich seine Loyalität zum neuen System ausgedrückt, z. B. 1933 als er die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten als notwendiges Mittel zur Befreiung der deutschen Literatur von „un-deutschen“ Werken verteidigte. Die Tatsache, dass Thierfelder niemals in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) eintrat, fällt für Kathe in seiner Bewertung kaum ins Gewicht. 119 Völlig gegenteilig wertet Lothar Günther, der Thierfelder als einen Gegner der Nationalsozialisten beschreibt.120 Dieses letzte Urteil kann vor dem Hintergrund des zumindest als opportunistisch zu bezeichnenden Verhaltens Thierfelders nicht aufrechterhalten werden. Die Bewertungen der Deutschen Akademie und ihres Sekretärs Franz Thierfelder, der sich auch nach 1933 intensiv für den Kulturaustausch zwischen Deutschland und Indien einsetzte, lassen ebenfalls nach dem Wirken und der Ausrichtung des India Institute sowie nach der Haltung der Akademie gegenüber Indien fragen. Giuseppe Flora weist darauf hin, dass in der Akademie und auch im India Institute Personen tätig waren, die stark mit Indien sympathisierten. Diese hätten ihre pro-indischen Maßnahmen unter ungünstigsten Bedin-
gionshistoriker, der ab 1940 das ‚Arische Seminar‘ der Universität Tübingen leitete und dabei eng mit dem Reichssicherheitshauptamt zusammenarbeitete. Zu Wüst siehe: Schreiber, Wüst. Walter Wüst war Indologe und Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität in München (1941–1945). Darüber hinaus war er seit 1937 Angehöriger der SS und wurde ab 1939 Kurator des SS-Ahnenerbes. Im Jahr 1937 übernahm er außerdem den Vorsitz des India Institute und war ab 1939 Stellvertretender Direktor der Deutschen Akademie (vgl. ebd., S. 11, 199, 206 und 221). 118 Vgl. Michels, Akademie, S. 115. Michels zufolge hatte Thierfelder vor 1933 in politischer Hinsicht eine „konservativ-revolutionäre“ Einstellung und lehnte die Weimarer Republik ab. Nach der ‚Machtübergabe‘ habe er nichts gegen eine engere Zusammenarbeit der Akademie mit wichtigen Institutionen des Hitlerregimes eingewendet. Allerdings habe es mindestens vier Motive gegeben, die ihn von der Ideologie und Politik der Nationalsozialisten trennten: So habe er den Rassismus und insbesondere den Antisemitismus des Regimes im Privaten abgelehnt, und er habe den Grundsatz der Gegenseitigkeit und Gleichberechtigung bei jeglichem Kulturaustausch mit dem Ausland vertreten. Darüber hinaus sei seine Faszination für die Nationen des Balkans kaum mit der nationalsozialistischen Abwertung slawischer Rassen einhergegangen und er sei gegen jede (offene) Politisierung der Auslandsarbeit gewesen (vgl. ebd., S. 35 f., 103, 112 und 115 f.). 119 Vgl. Kathe, Kulturpolitik, S. 70 ff. 120 Vgl. Günther, Das, S. 27.
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
gungen ausgeführt, wenn man die Verachtung bedenkt, die unter Teilen der Nationalsozialisten für Indien vorherrschte. 121 Günther stellt fest, dass der Indische Ausschuss durchaus Konzessionen an die Nationalsozialisten machen musste. So habe die Akademie nun einige dem Regime gegenüber aufgeschlossene Inder nach Deutschland eingeladen, wie zum Beispiel Professor B. S. Guha.122 Dieser hielt 1935 zwei Vorträge, in denen er über „Die rassische Zusammensetzung in Indien“ und „Die rassische Grundlage der Indo-Arier und die Rassenmischung in Indien“ referierte. Organisiert wurden die Veranstaltungen durch das India Institute in Zusammenarbeit mit der Anthropologischen Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene. 123 Solche Aktivitäten wurden ab 1933, Günther zufolge, zu notwendigen Voraussetzungen für eine Weiterführung des initiierten Studenten- und Wissenschaftleraustausches. Sie scheinen somit in Günthers Interpretation kein Beleg für die neue inhaltliche Ausrichtung des India Institute am Nationalsozialismus zu sein.124 Günthers Einschätzung steht im Gegensatz zu den Urteilen der britisch-indischen Verwaltung und zu denen verschiedener indischer Autoren, die die Akademie und das Institut als willfährige nationalsozialistische Propagandawerkzeuge begriffen. Für die Nähe des India Institute zum Hitlerregime bzw. zumindest für dessen im Zeitverlauf immer stärker werdende Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten gibt es allerdings weitere Beispiele. So bot es im Oktober 1938 zusammen mit der SS-Einrichtung „Lehr- und Forschungsgemeinschaft ‚Das Ahnenerbe‘“ ein Preisausschreiben an indischen Universitäten zu dem Thema „Symbolzeichen in Indien – Bedeutung, Entwicklung und Leben“ an. Als Preis wurde ein einjähriger Studienaufenthalt in Deutschland ausgelobt.125 Die Zusammenarbeit des India Institute mit dem ‚Ahnenerbe‘,126 das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den nordischen Abstammungsmythos zu erforschen und die proklamierte Superiorität der ‚arischen‘ Rasse wissenschaftlich zu belegen, ist einerseits durch personelle Überschneidungen in der Person Walter Wüsts erklärbar. Andererseits ist die Kooperation aber auch ein Indiz für die (kaum zu verhindernde) Einbindung der Münchner Institution in das nationalsozialistische Regime. So scheint hier das Urteil berechtigt, dass das India Institute der Deutschen Akademie eine Indien wohlgesonnene Einrichtung war, die sich nach 1933 allerdings schnell und ohne große
121 122 123 124 125 126
Vgl. Flora, Essay, S. 100 f. Vgl. Günther, Das, S. 27. Vgl. o. A.: ‚Indischer Ausschuß‘, in: MAwEPD, 10 (2) 1935, S. 386. Vgl. Günther, Das, S. 27. Vgl. o. A.: ‚Indischer Ausschuß‘, in: DKLV, 13 (4) 1938, S. 654. Zum Ahnenerbe siehe: Kater, Ahnenerbe.
Fazit
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Widerstände den neuen Gegebenheiten anpasste und im Rahmen ihrer Tätigkeiten auch Propaganda für das Hitlerregime betrieb. Anzufügen ist in diesem Zusammenhang, dass die Deutsche Akademie trotz der zeitgenössischen Diskussionen und der (immer wieder aufkommenden) Berichterstattung über die schlechte Behandlung von Indern in Deutschland ihre Arbeit mindestens bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fortsetzte und ihr Angebot von indischen Studenten weiterhin angenommen wurde. Die Weiterführung des deutsch-indischen Bildungsaustausches scheint dabei nicht nur aus ganz pragmatischen Gründen (den angebotenen Stipendien) erfolgt zu sein, sondern aufgrund der Befürwortung und Anerkennung durch indische Politiker und Professoren.127 1937 besuchte beispielsweise der bengalische Kongresspolitiker Bidhan Chandra Roy Deutschland und wurde in Berlin von der indischen Studentenverbindung durch einen Empfang geehrt. Auf diesem sprach er anerkennend über den Aufstieg Deutschlands und riet den indischen Studenten, vom deutschen Beispiel zu lernen und ihm nachzueifern. Inder sollten, Roy zufolge, alles Mögliche tun, um das Verständnis zwischen Indien und Deutschland zu stärken.128 Die Veröffentlichung dieser Ausführungen in der indischen Presse scheint die Wahrnehmung des nationalsozialistischen Deutschland als Studien- und Bildungsort positiv beeinflusst zu haben.
3.3 Fazit Indische Kooperationsbeziehungen im Bildungsbereich bestanden sowohl zum nationalsozialistischen Deutschland als auch zum faschistischen Italien. Sie sind die konkretesten Beispiele direkter Transfers von Menschen, Institutionen und Wissen zwischen Indien und Italien und Deutschland. Gemeinsam war in beiden Fällen, dass insbesondere Vertreter der bengalischen Intelligenzija aktiv an der Einrichtung und Aufrechterhaltung des Bildungsaustausches beteiligt waren. Während die Kooperationsbeziehungen zwischen Deutschland und Indien vor der ‚Machtübernahme‘ Hitlers initiiert und durch eine nicht-staatliche Einrichtung getragen wurden, die sich allerdings nach 1933 schrittweise den neuen Machthabern anpasste, kamen sie mit Italien zu einem Zeitpunkt zustande, als sich das Regime schon fest etabliert hatte, und waren eine Regierungsinitiative. Unterschiede in beiden Fällen lassen sich auch hinsichtlich der Zielsetzungen der beteiligten Institutionen feststellen. Die Deutsche Akademie arbeitete primär im Bereich des Kulturaustausches und richtete ihre Arbeit unter Franz Thierfelder vor allem auf Sprachförderung im Ausland aus. Zur Verbreitung der deutschen Kultur vergab das India Institute der Deutschen Akademie eine Vielzahl von Stipendien. Das IsMEO hingegen zielte mit seiner 127 128
Vgl. From our correspondent: ‚Berlin Letter (14. 08. 1938)‘, in: ABP, S. 20. Vgl. From our correspondent: ‚Dr. B. C. Roy in Berlin (15. 09. 1937)‘, in: ABP, S. 8.
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3. Indische Studenten und Dozenten in Italien und Deutschland
Initiative auf kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie auf eine positive Propaganda für das faschistische Regime. Es vergab dafür allerdings weitaus weniger Stipendien an indische Studierende als die deutsche Einrichtung. Die indischen Kooperationsbeziehungen mit Italien und Deutschland gestalteten sich bis Ende der 1930er Jahre keineswegs kontinuierlich oder störungsfrei. So erlitt das Engagement des italienischen Regimes, Beziehungen zu Indien aufzubauen, 1935/36 durch den Abessinienkrieg einen herben Rückschlag. Im Falle der Deutschen Akademie ließ sich ein solch starker Bruch zwar nicht feststellen; eine reibungsfreie Zusammenarbeit mit Indien existierte allerdings vor dem Hintergrund der rassenpolitischen Vorstellungen des Hitlerregimes zwischen 1933 und 1939 nicht. Dabei zeigt die Analyse der Quellen, dass die deutsche Institution und ihre Aktivitäten in indischen Debatten, im Gegensatz zum IsMEO, zunehmend kontrovers beurteilt wurden. Dass ihre Arbeit für indische Studierende in Deutschland und auf dem Subkontinent zum Erliegen gekommen wäre, lässt sich allerdings trotz vorhandender kritischer Stimmen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht feststellen. Die italienische Strategie, die bewusst auf die Ausbildung indischer Propagandisten mit Hilfe der Stipendienvergabe zielte, kann, wie die Beispiele von Pramatha Nath Roy und Monindra Mohan Moulik gezeigt haben, als erfolgreich gewertet werden. Obgleich die Deutsche Akademie im Gegensatz zum italienischen Staat nicht explizit auf die Ausbildung von Propagandisten zielte – zumindest wird diese Absicht nicht ausdrücklich erwähnt – scheinen auch ihre indischen Stipendiaten in der Mehrheit ein positives Bild vom nationalsozialistischen Deutschland gehabt zu haben, das sie wohl auch nach ihrer Rückkehr in der Heimat verbreiteten. Beide Institutionen bzw. die indischen Kooperationen mit diesen leisteten somit einen Beitrag, Diskussionen und Ideen zum Faschismus und Nationalsozialismus in Indien zu verbreiten.
4. Organisation und Erziehung der Jugend als Voraussetzung für eine disziplinierte und geeinte Nation: Indische Debatten 4.1 Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien In diesem Kapitel geht es um die indische Auseinandersetzung mit der Jugendund Bildungspolitik sowie mit Körperbildern des Nationalsozialismus und Faschismus. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie verschiedene damit verbundene Themen, z. B. Disziplin, Militarisierung, Männlichkeit und ‚Dienst an der Nation‘ in Indien wahrgenommen wurden. Inwieweit galten sie sogar als vorbildhaft? Jugendpolitiken setzten oftmals die Stärkung des individuellen Charakters und Körpers als ein Mittel zur Stärkung der Nation ein. Das Ideal der Stärke, das dabei eine herausragende Rolle spielte, war gleichzeitig mit Männlichkeit assoziiert und mit rigider Disziplinierung verbunden. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen war in indischen Debatten weithin verbreitet und hatte eine lange Tradition. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden vor allem als Reaktion auf die Erfahrungen kolonialer Diskriminierung und Verunglimpfung als „effeminate race“ 1 die Frage körperlicher Leistungsfähigkeit und damit eng zusammenhängend auch der vermeintliche Mangel der indischen Bevölkerung an Männlichkeit, Tapferkeit sowie militärischen Fähigkeiten zu breit diskutierten Themen auf dem Subkontinent. Die Debatten in Indien, zum Beispiel innerhalb des Arya Samaj, wurden stark durch zeitgenössische britische Diskurse über Körperertüchtigung, Eugenik und Evolutionismus beeinflusst. 2 Die Diskussionen führten bald zur Ergreifung zahlreicher Maßnahmen zur Körperertüchtigung, z. B. durch die Ramakrishna-Mission, den Arya Samaj oder die englische Intelligenzija. 3 Solche Ini1 Zum Einfluss der kolonialen Erfahrung und zu kolonialen Diskursen über physical culture und Maskulinität in Bezug auf Indien siehe: Topdar, Knowledge, S. 133 ff. und 147 ff.; Bannerjea, Man, S. 43 ff.; Dimeo, Parcel, S. 42 ff.; Sinha, Gender, S. 217–231; Basu/ Banerjee, Quest, S. 476–490. 2 Vgl. Fischer-Tiné, Character Building, S. 432–456; Fischer-Tiné, Spencer, S. 120–159; Watt, Nation, S. 44 ff. Eugenische Theorien und damit verbunden Forderungen zur Körperertüchtigung prägten ebenfalls indische Bewegungen zur Geburtenkontrolle (vgl. Ahluwalia, Restraint). Die Diskurse beeinflussten außerdem koloniale Bildungsprojekte in Indien (vgl. Sen, Schools, S. 60 ff.). 3 Zu Organisationen und Gruppen, die die mangelnde Körperkultur, unter anderem
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
tiativen gingen dabei partiell vonseiten der britischen Kolonialverwaltung aus oder entstanden in Kooperation mit dieser, wobei die britischen Beamten mit ihrem Einsatz in indischen Schulen ganz andere Ziele verfolgten als die indischen Nationalisten. 4 Sie zielten vor allem auf eine De-Politisierung der Kolonialisierten, denen Disziplin und Moral beigebracht werden sollte. 5 Wie ambivalent die britischen Bemühungen um die Verbesserung der körperlichen Fitness in Indien waren, zeigt sich auch am Beispiel der Boy Scouts. Während die Boy Scout-Bewegung durch die britischen Kolonialherren für ihre Kinder auf dem Subkontinent eingeführt wurde, herrschten kontroverse Auffassungen darüber vor, ob entsprechende Vereine auch für Inder erlaubt sein sollten. Trotz vorhandener Befürchtungen, dass in den Boy Scout Associations künftige Revolutionäre und Terroristen ausgebildet werden könnten, entstanden in den 1910er Jahren Zweigstellen, zu denen Inder Zutritt hatten bzw. indische Varianten. Unterstützung kam dabei auch vonseiten einiger britischer Kolonialbeamter, von Organisationen, wie dem YMCA und von Missionaren. 6 Die Auseinandersetzung mit den Themen Körperertüchtigung, Männlichkeit, Militarisierung und ihre praktischen Anwendungen setzte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit ungebrochener Intensität fort. So beschäftigten sich unter anderem die (nationalistischen) Medien, indische Politiker, Reformgruppen verschiedenster religiöser und politischer Couleur und Bildungsinstitutionen mit geistigen und körperlichen Dimensionen einer angestrebten Maskulinisierung der indischen Bevölkerung. Auch in den im Rahmen dieses Buches analysierten Zeitungen und Zeitschriften spielten sowohl physical culture als auch Programme zur Steigerung der Wehrtüchtigkeit der Nation eine wichtige Rolle. Dabei wurde im Zusammenhang mit einer weiteren Militarisierung Britisch-Indiens auch die Indianization der Armee in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts diskutiert.7 Beide Themen – Körperertüchtigung und Steigerung der Wehrtüchtigkeit 8 – wurden als Voraussetzung aber nicht ausschließlich bei indischen Studenten kritisierten und zu den Versuchen, diese zu verbessern vgl. Rosselli, Self-Image, S. 121–148; Topdar, Knowledge, S. 137 ff.; FischerTiné, Character, S. 442 ff.; Lelyveld, Aligarh’s, S. 253 ff.; Fischer-Tiné, Hope, S. 281 und 293 ff.; Basu/Banerjee, Quest. Zur Debatte um physische Tapferkeit und Männlichkeit in Bengalen im späten 19./frühen 20. Jahrhundert vgl. Chowdhury-Sengupta, Effeminate, S. 282–303; Chowdhury, Hero; Sinha, Masculinity. 4 Vgl. Fischer-Tiné, Character, S. 440 f.; Sen, Schools, S. 60 ff.; Topdar, Knowledge, S. 115 ff. und 149 ff. 5 Vgl. Topdar, Knowledge, S. 117 f. 6 Vgl. Watt, Promise, S. 37–62. Zur Boy Scout-Bewegung in Großbritannien siehe: Springhall, Boy, S. 125–158. 7 Vgl. Deshpande, Identities, S. 190–224. 8 Zu diesem Thema arbeitet Franziska Roy (Warwick) mit ihrer Dissertation: Youth, paramilitary organisations and national discipline in South Asia, c. 1915–1950.
Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien 83
für die erfolgreiche Konstruktion einer indischen Nation sowie für die Erlangung der Unabhängigkeit gesehen. Dabei herrschte teilweise die Auffassung vor, dass die körperliche Abhärtung des Individuums über Erfolg oder Misserfolg in der Ausbildung des national character bestimme. 9 In den Debatten äußerten sich neben hindunationalistischen Vertretern, auch die nicht-hindunationalistische Intelligenzija und der INC zu Wort.10 Auffällig ist dabei, dass die Entwicklungen im faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland offenbar eine eher untergeordnete Rolle in den indischen Diskussionen spielten. Im Gegensatz zur viel beachteten Wirtschafts- und Außenpolitik der beiden europäischen Staaten gab es vergleichsweise weniger Auseinandersetzungen mit den dort implementierten Maßnahmen zur Ertüchtigung des ‚Volkskörpers‘ und zur paramilitärischen Ausbildung breiter Gruppen der Bevölkerung. Dasselbe gilt auch für die in beiden Regimen lancierten Jugendbewegungen und alternativen Ausbildungsstätten. Das geringere Interesse an den allgemeinen Körperertüchtigungsprogrammen und den Methoden der paramilitärischen Ausbildung der Jugend in Italien und Deutschland 11 ist wohl
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Vgl. Fischer-Tiné, Character, S. 437 und 452 ff. Aufgrund der Vielzahl der vorhandenen Quellen für den Zeitraum ab Mitte der 1920er Jahre bis 1939 sollen hier nur exemplarisch einige Beispiele angeführt werden. Zu Gruppen und Organisationen, die sich mit physical culture beschäftigten, siehe: From a correspondent: ‚Physical Culture Institute (07. 04. 1927)‘, in: Forward, S. 6; Hardiker, N. S.: ‚Letter to Jawaharlal Nehru (11. 08. 1928)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File G-8/1928; o. A.: ‚Only strong men can be really non-violent (11. 06. 1931)‘, in: BC, S. 7; o. A.: ‚Physical training centres in Calcutta and Dacca‘, in: CR, 48 (3) 1933 Ser. 3, S. 398 f.; Gupta, P. K.: ‚Reader’s Letter: Bengal physical conference (22. 09. 1935)‘, in: Forward, S. 10; o. A.: ‚Indian physical culture (09. 07. 1936)‘, in: BC, S. 10; Leitartikel: ‚Physical training (06. 08. 1936)‘, in: BC, S. 6. Zu Studenten, Jugend und physical culture vgl. Leitartikel: ‚Physical Culture (11. 12. 1931)‘, in: Forward, S. 6; Das, Nilmoni: Reader’s letter: ‚Physical Education should be compulsory (20. 02.1934)‘, in: ABP, S. 14; From our own correspondent: ‚Discipline your life (19. 01. 1936)‘, in: ABP, o. S.; Athleticus: ‚Physical culture for women (08. 08. 1936)‘, in: BC, S. 6. Zur Forderung nach Militarisierung und zu entsprechenden Maßnahmen vgl. Leitartikel: ‚Military Training (04. 08. 1929)‘, in: Forward, S. 4; o. A.: ‚Military training for Students (08. 05. 1933)‘, in: BC, S. 6; o. A.: ‚Compulsory military training for Students (03. 08. 1936)‘, in: BC, S. 14; Sampurnanand: ‚Our educational policy (18. 09. 1938)‘, in: CS, S. 3; o. A.: ‚Military Training for all (03. 11. 1938)‘, in: ABP, S. 16; o. A.: ‚A National Militia (31. 05. 1939)‘, in: ABP, S. 6. 11 Einschränkend muss hier angemerkt werden, dass die Militarisierung Deutschlands unter der nationalsozialistischen Regierung durchaus in indischen medialen Debatten eine Rolle spielte, aber viel eher im Zusammenhang mit der deutschen Außenpolitik bzw. der ‚Gleichschaltung‘ der Bevölkerung besprochen wurde (vgl. o. A.: ‚Germany’s mental rearmament (04. 04. 1936)‘, in: CS, S. 6; From our own correspondent: ‚No Munich a tour expense (17. 06. 1939)‘, in: ABP, S. 10.) 10
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
dafür verantwortlich, dass sich Forderungen nach einer Übertragung entsprechender faschistischer und nationalsozialistischer Methoden in den indischen Kontext nur selten nachweisen lassen. Trotzdem ist eine Untersuchung dieser Aspekte vor dem Hintergrund der Breite, Kontinuität und Vielschichtigkeit der Debatte wichtig. Auch kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass indische Diskussionen um die Verbesserung der körperlichen Fitness und die Militarisierung der Nation in der Zwischenkriegszeit wichtige Stimuli hinsichtlich Inhalt und Umfang durch die europäischen Entwicklungen erhielten. Benjamin Zachariah schreibt in diesem Zusammenhang, dass Themen wie Körperertüchtigung, Kampfsport, Disziplin und Gehorsam gegenüber einem Führer in vielen Bewegungen, innerhalb und außerhalb des ‚Mainstream‘-Nationalismus in Indien, aber auch auf globaler Ebene eine wichtige Rolle spielten, und schlägt vor, sie auch als Teil eines transnationalen Zeitgeistes zu begreifen.12 Vor dem Hintergrund der globalen Entwicklungen, aber auch im Zusammenhang mit den oben beschriebenen Traditionen entstanden in den 1920er und 1930er Jahren in Indien eine Reihe neuer Jugend- und Freiwilligenbewegungen mit diversen politischen, sozialen und/oder religiösen Hintergründen, so z. B. die muslimischen Khaksar,13 der hindunationalistische Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS)14 und das Freiwilligenkorps des INC, die Hindustani Seva Dal. 15 Im Folgenden soll untersucht werden, welche Rolle das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland bei diesen Entwicklungen spielten. Dabei wird zu klären sein,
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Vgl. Zachariah, Rethinking, S. 189. Vgl. Daechsel, Scienticism, S. 443–472. 14 Der RSS (Nationaler Freiwilligenbund) ist eine hindunationalistische Organisation, die zur sogenannten Sangh Parivar (Familie des Sangh) gehört und als deren ideologische und personelle Quelle fungiert. Der RSS wurden nach eigenen Aussagen 1925 von K. B. Hedgewar gegründet. Die heutige Forschung geht allerdings davon aus, dass Moonje ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Initiierung und beim Aufbau des RSS spielte. Die Aktivitäten des RSS in der Zwischenkriegszeit reichten von Maßnahmen zur Körperertüchtigung, wie Mannschaftsspiele, Marschieren und Kampfsporttraining, über Singen zu ideologischen Aktivitäten (vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 15, Zavos, Emergence, S. 183 ff.; Andersen/Damle, Brotherhood, S. 30 ff.). 15 Freiwilligenverbände des INC hatten sich erstmals im Rahmen der Nicht-Zusammenarbeitsbewegung zu Beginn der 1920er Jahre gebildet. Ihr kohärenter Zusammenschluss kam 1923 unter der Leitung N. S. Hardikars während des Jahrestreffens des INC in Kakinada zustande. Die Seva Dals hatten in den 1920er Jahren unter anderem die Aufgabe die jährlichen Kongresstreffen sowie die politische Konferenzen auf Provinzebene zu organisieren. 1928 wurde dann die Hindustani Seva Dal unter Leitung Hardikars gegründet, um für die nächste, gegen die britische Kolonialherrschaft gerichtete Kampagne disziplinierte Kräfte zur Verfügung zu haben (vgl. Madhu, Volunteer; Menon, Movement, S. 152 f.). 13
Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien 85
wie die Maßnahmen beider Regime wahrgenommen wurden und ob die indische Auseinandersetzung mit der deutschen und italienischen Jugendpolitik und mit ihren Methoden zur Verbesserung der physischen Fitness zu einer Aneignung bestimmter Aspekte führte. 4.1.1 Die Opera Nazionale Balilla: Ein Modell für die indische Jugend? Die Ausbildung und Erziehung der italienischen Kinder und Jugendlichen entsprechend faschistischer Ideale war von entscheidender Wichtigkeit für Mussolinis Regierung, die sie auf diesem Weg für das Regime mobilisieren wollten. 16 Die Einbindung der jungen Generation in das faschistische Regime erfolgte dabei in mehreren Organisationen und Schritten. Obgleich es schon vor 1926 faschistische Jugendbünde gegeben hatte, begann erst in jenem Jahr die Regierung mit einer systematischeren Erfassung. Dies geschah einerseits durch die Gründung der Opera Nazionale Balilla (O.N.B.), welche die bisherigen Verbände unter die Kontrolle des Ministeriums für Nationale Bildung brachte und für die Jugend bis zu einem Alter von 18 Jahren verantwortlich war, sowie andererseits 1930 durch die Schaffung der Fasci Giovanili di Combattimento, die direkt der faschistischen Partei unterstanden.17 Zu den Aufgaben der O.N.B. gehörten die körperliche, moralische und vormilitärische Erziehung sowie die geistig-kulturelle und beruflich-technische Ausbildung der Kinder und Jugendlichen. Ihre Tätigkeitsfelder umfassten damit traditionelle Ausbildungs- und Sozialisationsaufgaben des Schulsystems. Disziplin, Respekt und Gehorsam gehörten zum Kanon der Eigenschaften, welche den Balilla (8– 14 Jahre) und den Avanguardisti (14–18 Jahre) vermittelt werden sollten.18 In den Fasci Giovanili waren junge Männer von 18 bis 21 Jahren organisiert. Ihr Charakter sollte entsprechend den politischen Idealen des Faschismus geformt werden. Auch in dieser Organisation galten Sport und körperliches Training als wichtige Bestandteile der Ausbildung. Korrespondierend zu den Organisationen für die Jungen wurden die Mädchen in das System integriert. Sie wurden eingeteilt in Piccole Italiane (8–14 Jahre), Giovani Italiane (14–18 Jahre) und Giovani Fasciste (18–21 Jahre). Die Mädchen und jungen Frauen erhielten ebenso wie die Jungen eine körperliche Erziehung, die aber eher auf Gesundheit und Schönheit als auf physische Kraft zielte. Wohltätigkeitsarbeiten stellten ein wichtiges Thema in den drei Vereinigungen dar, die mit Hilfe einer
16
Vgl. Ponzio, Projekt, S. 490. Vgl. Charnitzky, Schulpolitik, S. 263 ff. und 298 ff. Zur Gründung der O.N.B. vgl. Schleimer, Opera. 18 Vgl. Charnitzky, Unterricht, S. 109; Charnitzky, Schulpolitik, S. 263 ff. und 434; Petersen, Jugend, S. 200. 17
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
politisch-kulturellen Ausbildung ihre Mitglieder zu guten faschistischen Müttern machen wollten.19 Die Organisationen der O.N.B. sowie die Fasci Giovanili und die Giovani Fasciste wurden 1937 zur Gioventù Italiana del Littorio (G.I.L.) zusammengefasst. Die G.I.L. wurde vollständig der faschistischen Partei unterstellt und hatte einen stärker ausgeprägten militärischen Charakter. 20 Sie erfasste alle Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 21 Jahren. Zu ihrer Handlungsmaxime wurde das Motto „Credere, obbediere, combattare“ (glauben, gehorchen, kämpfen) erhoben. 21 Neben den genannten Jugendorganisationen ist außerdem die Gruppi Universitari Fascisti (G.U.F.) zu nennen, die Studentenorganisation des Regimes. Sie war besonders in den Bereichen Sport, Politik und Kultur aktiv und betonte die Pflicht zum ‚Dienst an der Nation‘ und den Mitmenschen. 22 Alle Jugendorganisationen waren ebenso wie das öffentliche Bildungssystem im faschistischen Italien auf die Umsetzung des totalitären Erziehungsanspruchs des Regimes ausgerichtet. Dieser die gesamte Nation umfassende Anspruch war verbunden mit Bemühungen, einen neuen Menschentypus, den des „faschistischen Italieners“, zu schaffen. Der faschistische Italiener sollte sich idealerweise „[…] vorbehaltlos in den Dienst der Volksgemeinschaft stellen und ihre ideellen wie materiellen Grundlagen mit dem Einsatz seines Lebens verteidigen.“ 23 Dies sollte durch eine als Charaktererziehung verstandene politische Indoktrination sowie durch die soldatische Ausbildung der männlichen und der auf Mutterschaft ausgerichteten weiblichen Jugend geschehen. 24 4.1.2 Hindunationalistische Ambitionen: Moonje, Savarkar und die militärische Erziehung der indischen Jugend Die bisherige Forschung hat klar nachgewiesen, dass es enge Beziehungen zwischen Vertretern des Hindunationalismus einerseits und dem faschistischen Italien andererseits gab. 25 Marzia Casolari hat in ihrer Arbeit über faschistische Einflüsse auf den Hindunationalismus in den 1920er und 1930er Jahren unter anderem durch die Auswertung der Marathi-sprachigen Zeitung Kesari gezeigt, dass insbesondere in der für die Entwicklung des Hindunationalismus wichtigen Region Maharashtra frühzeitig ein Interesse an den aktuellen italie19
Vgl. Charnitzky, Schulpolitik, S. 271 f., 298 ff. und 434. Vgl. ebd., S. 311 ff. 21 Vgl. Charnitzky, Unterricht, S. 123. 22 Vgl. Charnitzky, Schulpolitik, S. 298 ff. 23 Vgl. Charnitzky, Unterricht, S. 110. 24 Vgl. ebd., S. 109; Ponzio, Projekt, S. 489 ff. 25 Vgl. Casolari, Hindutva’s, S. 218–228; Delfs, Hindu-Nationalismus; Bhatt, Hindu Nationalism. 20
Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien 87
nischen Entwicklungen bestand. Casolari zufolge habe dieses Interesse durch die Italienreise von B. S. Moonje eine weitere Vertiefung erfahren. Als Resultat dieser Reise habe Moonje versucht, die Hindugesellschaft in militärischer Hinsicht entsprechend faschistischer Muster zu organisieren.26 Inwieweit dieser These Casolaris zugestimmt werden kann, wird im Anschluss überprüft. Der hindunationalistische Politiker B. S. Moonje war seit Mitte der 1920er Jahre an dem Problem der paramilitärischen Ausbildung und physischen Ertüchtigung der indischen Jugend interessiert und beschäftigte sich unter anderem mit Fragen der Indianization der Armee Britisch-Indiens und mit möglichen Maßnahmen für eine breite Militarisierung der indischen Gesellschaft. 27 So setzte er sich beispielsweise 1927 für die Gründung eines Fliegerklubs ein, 1928 bemühte er sich um die Errichtung von Schusswaffenvereinen in den Central Provinces und ein Jahr später fungierte er als Mitglied der Auswahlkommission für die Kandidaten der Sandhurst Military Academy. 28 Auch brachte er in seiner Funktion als Angehöriger der Central Legislative Assembly 1929 eine Resolution ein, welche die Kolonialregierung aufforderte, Schritte zur physischen und militärischen Ausbildung der indischen Jugend zu unternehmen. 29 Inwieweit diese Aktivitäten Moonjes schon von einer Bewunderung für den Faschismus beeinflusst waren, ist, wie noch deutlich werden wird, fraglich. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Zeitungsartikel, erschienen im Forward im Jahr 1925, der über die Versuche britischer Faschisten berichtet, militärisches Training durch den Beitritt in die Polizeieinheiten des Staates zu erhalten. Der Leitartikel, der sich kritisch zur faschistischen Praxis von Gewaltanwendung zur Machterlangung äußerte, beklagte den offensichtlichen Unterschied in der Behandlung der Faschisten und der indischen Bevölkerung. Während Erstere durch die britische Regierung trotz der Gefahr, die von ihnen ausgehe, trainiert würden, verweigere dieselbe Regierung indischen Schuljungen körperliche Ertüchtigung. Der Artikel verwies auf die Bemühungen Moonjes, per Gesetzesvorlage ein paramilitärisches Training für die indische Jugend einzuführen, um so deren physische Entwicklung zu verbessern und ihnen Disziplin beizubringen.30 Das Argument, dass solche Trainingseinheiten eine Gefahr für die Kolonialmacht darstellen könnten, wies der Autor zurück und versicherte:
26
Vgl. Casolari, Hindutva’s, S. 218. Vgl. Vaidya, Advocate, S. 70. 28 Vgl. Casolari, Hindutva’s, S. 227 FN 9. Zur Frage der Gründung der Schützenvereine siehe: verschiedene Briefe von B. S. Moonje (21. 02.1928; 22. 02. 1938, 03. 05. 1928) in: B. S. Moonje Papers, NMML, Letters 1926–1928, Copy Pad Nr. 44, File 7. 29 Vgl. Vaidya, Advocate, S. 70. 30 Vgl. o. A.: ‚Drilling (25. 10. 1925)‘, in: Forward, S. 4. 27
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
The drill and other practice would be no more than used to be given to volunteer cadets before the War. As a military measure it was quite inadequate and inefficient; but it did help boys physically and taught them the art to obey and to act in organised co-operation. It would have acted much to the benefit of the younger generation physically and helped in the formation of its character. 31
Unter dem sarkastischen Verweis, dass Indien mit diesem „Charakter-Training“ nicht die Segnungen der „Zivilisation des weißen Mannes“ übernehmen wolle, was in diesem Kontext als Anspielung auf die indischen Erfahrungen mit militärischer Gewalt durch die Kolonialherren gelesen werden kann, plädierte der Leitartikel für ein Bildungssystem, das starke und gesunde junge Männer hervorbringe. 32 Der Beitrag steht symptomatisch für zeitgenössische indische Forderungen nach körperlicher Ertüchtigung, Disziplin und militärischem Training für die Jugend, die von verschiedenen Gruppen artikuliert wurden. Er zeigt darüber hinaus aber auch, dass zumindest für den Herausgeber des Forward die Bemühungen Moonjes zu dieser Zeit höchstens von der taktischen Herangehensweise faschistischer Gruppierungen, nicht aber von der Ideologie Faschismus beeinflusst waren, der als gefährliches Gegenbeispiel zu den ‚unschuldigen‘ indischen Ambitionen dargestellt wurde. In persönlichen Kontakt mit dem italienischen Faschismus kam der hindunationalistische Politiker erst 1931 im Nachgang der Round-Table-Konferenz, als er eine Rundreise durch Europa machte und dabei in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien militärische Einrichtungen und Jugend-Institutionen besuchte. 33 In Rom, wo er sich vom 14. bis zum 22. 03. 1931 aufhielt, besichtigte Moonje eine Reihe relevanter Institutionen wie beispielsweise das Collegio Militare di Roma (Militärkolleg in Rom), die Scuola Centrale di Educazione Fisica (Zentralschule für physische Erziehung), die Accademia Fascista di Educazione Fisica (Faschistische Akademie für physische Erziehung) sowie die Balilla und Avanguardisti. 34 Während er von dem Militärkolleg kaum beeindruckt war – so fand er insbesondere die Organisation und Disziplin im Vergleich zur englischen Militärakademie Sandhurst nicht streng genug und die Jungen physisch weniger gut entwickelt als britische, französische oder deutsche Kadetten – imponierten ihm die Jugendorganisationen sehr. Diese waren seiner Meinung nach von Mussolini legitimer weise zur militärischen Ertüchtigung der vermeintlich nicht martialisch veranlagten Italiener erdacht worden: 31
Ebd. Vgl. ebd. 33 Vgl. Moonje, B. S.: ‚Tagebuchaufzeichnungen (21. 01.–24. 03. 1931)‘, in: B. S. Moonje Papers, NMML, Diaries 1926–1931, Nr. 3, File 1. 34 Vgl ebd., Aufzeichnungen vom 18. und 19. 03. 1931. 32
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[…] Italians by nature appear to be ease-loving [sic] and non-martial like the Indians generally. They have cultivated like Indians, the works of peace and neglected the cultivation of the art of war. Mussolini saw the essential weakness of his country and conceived the idea of the Balilla organization. […] Nothing better could have been conceived for the military organisation of Italy. […] India and particularly Hindu India need some such institutions for the military regeneration of the Hindus; so that the artificial distinction so much emphasized by the British of martial and non-martial classes amongst the Hindus may disappear. Our Institution of Rashtriya Swayamsevak Sangh of Nagpur under Dr. Hedgewar is of this kind, though quite independently conceived. I will spend the rest of my life in developing and extending this Institution of Dr. Hedgewar all throughout the Maharashtra and other provinces. 35
Deutlich geht aus dem Tagebucheintrag hervor, dass Moonje charakterliche Ähnlichkeiten zwischen Italienern und Indern festzustellen meinte, die er als Schwächen interpretierte. Deren Behebung und die Militarisierung Italiens durch das faschistische Regime beeindruckten ihn deshalb besonders. In Rom traf er ebenfalls mit verschiedenen italienischen Akademikern, wie beispielsweise Professor Tucci und mit Vertretern des faschistischen Regimes, wie dem Kriegsminister und dem Unterstaatssekretär für Bildung und schließlich mit Benito Mussolini selbst zusammen. 36 Das etwa halbstündige Interview mit Mussolini beschrieb Moonje ausführlich in seinem Tagebuch und behauptete dort, dass der italienische Premierminister alles über ihn gewusst habe und dem indischen Unabhängigkeitskampf aufmerksam folge. Als das Gespräch auf die militärische und physische Ausbildung der jungen Generation kam, drückte Moonje seine Bewunderung für die faschistische Balilla- und AvanguardistiOrganisationen aus und betonte ihren Vorbildcharakter für Indien. 37 Die Erlebnisse in Europa, insbesondere aber die Erfahrungen im faschistischen Italien, beeindruckten Moonje so nachhaltig, dass er nach seiner Rückkehr nach Indien die in seinem Tagebuch angekündigten Vorhaben der Reorganisation und Stärkung des RSS sowie des Aufbaus von Institutionen zur militärischen Regeneration der Hindus in die Tat umzusetzen begann. Bei der Realisierung dieser Vorhaben war eine Aneignung faschistischer Ideen durch Moonje und, Casolari zufolge, durch sein hindunationalistisches Umfeld nicht zu leugnen. 38 Dies wird unter anderem in einem Interview deutlich, das er im April 1931 der Tageszeitung The Mahratta gab. In diesem antwortete Moonje auf die Frage, welche Maßnahmen sich zur Einführung einer nationalen Miliz eignen würden:
35 36 37 38
Vgl. ebd., Aufzeichnung vom 19. 03. 1931. Vgl. ebd., Aufzeichnungen vom 16.–21. 03. 1931. Vgl. ebd., Aufzeichnung vom 19. 03. 1931. Vgl. Casolari, Hindutva’s, S. 220.
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
In fact, leaders should imitate the Youth movement of Germany and the Balilla and Fascist organizations of Italy. I think, they are eminently suited for introduction in India, adapting them to suit the special conditions. I have been very much impressed by these movements, and I have seen their activities with my own eyes in all details. 39
Diese Ausführungen, aber auch spätere Belege in seinem Tagebuch,40 die Moonjes Bewunderung für den Faschismus zeigen, lassen zu Recht dessen Vorbildwirkung auf die Aktivitäten des hindunationalistischen Politikers ab 1931 vermuten; allerdings zeugen sie ebenfalls von einer Bewunderung für die deutsche Jugendbewegung zur Zeit der Weimarer Republik. Inwieweit vor diesem Zeitpunkt der Faschismus und insbesondere dessen Jugendorganisationen als ein mögliches Referenzmodell – ein Modell, an dem sich (angeblich oder tatsächlich) orientiert wurde – für die organisatorischen Strukturen des RSS dienten, wird von Tobias Delfs anhand verschiedener Szenarien diskutiert. Einerseits weist Delfs darauf hinweist, dass „[…] die RSS-Basiseinheiten, die „Shakhas“, in denen Indoktrination und Drill der Jugend stattfanden und immer noch stattfinden, [..] bereits 1926 gegründet worden [seien, M. F.], also lange vor Moonjes Europareise“. 41 Andererseits hebt auch Delfs die von Casolari festgestellte positive Faschismusperzeption in der marathischen Tagespresse und deren möglichen Einfluss auf die öffentliche Meinung und damit auch auf die Hindunationalisten hervor. Für Delfs scheint aber die Möglichkeit einer Parallelentwicklung am plausibelsten und so betont er, dass die italienischen Jugendorganisationen erst im April 1926 einige Monate nach der Gründung des RSS eingeführt wurden.42 Das Kennenlernen der italienischen Organisationen im Jahr 1931, so folgert Delfs, habe Moonje dann vor allem von der Richtigkeit der bisher vorgenommenen Maßnahmen bestätigt, was „[…] letztlich zu deren weiterer und beschleunigter Verbreitung in Indien“ beigetragen habe. 43 Moonjes persönliche Kenntnis der faschistischen Jugendorganisationen, die
39
o. A.: ‚Dr. B. S. Moonje on Round Table Conference (12. 04. 1931)‘, in: The Mahratta,
o. S. 40 Vgl. Moonje, B. S.: ‚Tagebuchaufzeichnung (31. 01.1934)‘, in: B. S. Moonje Papers, NMML, Diaries 1932–1936, Nr. 6, File 2; Moonje, B. S.: ‚Tagebuchaufzeichnung (31. 03. 1934)‘, in: B. S. Moonje Papers, NMML, Diaries 1932–1936, Nr. 7, File 2. Im Tagebuch berichtet Moonje, dass er am 31. 01. 1934 zusammen mit Hedgewar einem Treffen vorsaß, auf welchem ein Vortrag über Mussolini und Faschismus gehalten wurde. Darüber hinaus diskutierte er am 31. 03. 1934 mit Hedgewar und Laloo Gokhale bei einem Treffen die Notwendigkeit eines starken Hindu-Führers für ein unabhängiges Indien und nannte neben dem Marathenkönig Shivaji auch Hitler und Mussolini als entsprechende Vorbilder. 41 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 81. 42 Vgl. ebd., S. 81 f. 43 Ebd., S. 122.
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er in dem Interview explizit als interessantes Modell bezeichnet, bestätigt, dass eine Rezeption stattfand und hat in der Forschung die Frage nach Ähnlichkeiten zwischen RSS und Faschismus aufgeworfen. Insbesondere zwei Aspekte haben bislang dabei die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das ist zum einen die Frage nach dem Vorhandensein eines Führerkults, zum anderen die Auseinandersetzung mit der Idee des Organizismus – das ist die Vorstellung von der Nation als organischer Körper – bzw. mit dessen praktischer Umsetzung in Sport und Körperertüchtigungsprogrammen. 44 So führt beispielsweise der französische Politologe Christophe Jaffrelot aus, dass im RSS die Gesamtorganisation wichtiger war als eine einzelne Führungspersönlichkeit, der Sangh sich somit letztlich also nicht auf die Autorität eines obersten Führers stützte. Diese Interpretation wird von Casolari und Delfs nicht geteilt: beide verweisen auf Moonjes ausdrückliche Bewunderung für ‚starke Führer‘, wie Hitler und Mussolini. 45 Hinsichtlich des zweiten Aspekts wurden verschiedentlich Gemeinsamkeiten zwischen dem faschistischen Vorstellungen und denen des RSS konstatiert. So schreibt beispielsweise Ian McDonald: „The RSS and the European fascist movements share the same organicist philosophy of physical culture and national identity.“ 46 Delfs, der ebenfalls anerkennt, dass der Organizismus in beiden Fällen eine wichtige Rolle spielt, setzt hingegen einschränkend hinzu, dass er höchstwahrscheinlich aber aus unterschiedlichen Quellen gespeist wurde. Er schließt damit die Übernahme des faschistischen Organizismus durch den RSS aus und weist auf andere Einflüsse, vor allem britischer Natur, hin. 47 Die Frage nach Moonjes Bezugnahme auf den Faschismus kommt erneut auf im Zusammenhang mit seinen Maßnahmen zur Errichtung der Bhonsla Military School ab 1934 und der Gründung der Central Hindu Education Military Society. 48 Diese zielten, Casolari zufolge, direkt auf die Militarisierung der Hindugesellschaft in Indien ab und in ihrem Zusammenhang kam Moonje immer wieder auf das Referenzmodell des faschistischen Italien und nun auch des nationalsozialistischen Deutschland zu sprechen. 49 So akzeptierte und wieder44 Vgl. ebd., S. 109. Die Idee, Nationen als historische Individuen aufzufassen, sie somit als eine lebende, atmende, unteilbare Einheit zu begreifen, hat ihren Anfang in der Romantik gehabt. Die Vorstellung vom organischen Nationalismus wurde im Faschismus aufgegriffen und militarisiert (vgl. ebd., S. 112). 45 Vgl. Jaffrelot, Hindu, S. 63; Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 81; Casolari, Hindutva’s, S. 221. 46 Vgl. McDonald, Patriots, S. 347. 47 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 120 ff. 48 Die Central Hindu Education Military Society wurde 1935 gegründet. Die Vorbereitungen zur Eröffnung der Bhonsla Military School dauerten bis 1937 an (vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 123; Rekhade, Bhonsla, S. 74–76). 49 Vgl. Casolari, Hindutva’s, S. 221.
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
holte er beispielsweise in einem Rundschreiben an potentielle Unterstützer seiner Militärschule die Argumente Mussolinis zum Sinn von Gewalt sowie die Aussagen des deutschen Professors und Nationalsozialisten Ewald Banse 50 zur Selbstopferung des Individuums für die Nation im Sinne einer Verschmelzung von Bürger und Soldat. 51 Auch nannte er als nachahmenswertes Beispiel für die Militarisierung der Hindugemeinschaft erneut die italienischen Jugendorganisationen. 52 Diese Belege untermauern die Argumentation von Casolari und Bhatt, der zufolge Moonje und dessen hindunationalistisches Umfeld nicht nur den Faschismus und den Nationalsozialismus zumindest in Teilen bewundert, sondern sich an ihnen in ihrer Arbeit für die Militarisierung der Hindunation und -jugend orientiert hätten. Dies soll hier nicht bestritten, jedoch weiter ausdifferenziert werden. Es erscheint wichtig aufzuzeigen, dass eine detaillierte Auswertung der B. S. Moonje Papers weitere Details enthüllt, die auch andere Inspirationsquellen aufzeigen. So enthalten die Papiere einen Bericht zum Arbeitsstand der Central Hindu Education Military Society aus dem Jahr 1936, in welchem explizit weitere Orientierungsmodelle für die geplante Bhonsla Military School genannt wurden.53 Casolari bezieht sich zwar in ihrem Aufsatz auf 50 Der Geograf Ewald Banse (1883–1953), seit Februar 1933 Mitglied der NSDAP, vertrat in seinen Schriften rassisch-völkische Konzepte und galt als Anhänger der Wehrwissenschaften. Er arbeitete bis April 1934 als Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Braunschweig. Danach wurde ihm vom Propagandaministerium die Lehrbefugnis entzogen. Zuvor waren schon zwei seiner Bücher, die außenpolitisch zu viel negative Aufmerksamkeit erregt hatten, verboten worden. Die gegen ihn gerichteten Maßnahmen der Nationalsozialisten, die vor allem die anderen europäischen Mächte beruhigen sollten, waren nur von kurzer Dauer, denn schon im Dezember desselben Jahres erhielt er eine Honorarprofessur in Hannover. Trotzdem geriet Banse aufgrund seiner eigenwilligen Thesen und seines ebensolchen Verhaltens immer wieder in Konflikt mit verschiedenen Ministerien des Hitlerregimes. Obgleich er selbst den Nationalsozialismus befürwortete, erhielt er bis Kriegsende kein Ordinariat (vgl. Heiber, Universität, S. 477 ff.). 51 Vgl. Moonje, B. S.: ‚Preface to the Scheme of the Central Hindu Military Education Society and its Military School (s. d.)‘, in: B. S. Moonje Papers, NMML, Subject File, 1935, Nr. 25. Banse hatte ein Buch zur „Wehrwissenschaft“ verfaßt. Aus diesem zitierte Moonje folgende kurze Sätze, die ihn besonders beeindruckten „[…] the mind of the nation, from childhood on must be impregnated at and familiarized with the idea of war“, da der „[…] dying warrior dies more easily when he knows that his blood is ebbing for his National God.“ (vgl. ebd.). Tobias Delfs weist zu Recht darauf hin, dass diese Aussagen weitgehend mit den faschistischen/nationalsozialistischen Idealen der Nation, wie sie zum Beispiel in den Kampfbünden vertreten wurden, übereinstimmen (vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 83). 52 Vgl. Moonje (s. d.), B. S. Moonje Papers, Subject File, 1935, Nr. 25. 53 Vgl. Moonje, B. S.: ‚Report of the progress of the work of the Society from 1st January, 1935 to 15th August, 1936‘, in: B. S. Moonje Papers, NMML, Subject File, 1934–1936, Nr. 23.
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die Quelle und schreibt, dass Moonje öffentlich ausführte, dass seine Ideen zur militärischen Reorganisation der Hindugesellschaft von britischen, französischen, deutschen und italienischen Militärschulen inspiriert waren. 54 Was sie aber in ihrer Darstellung auslässt, ist die Bedeutung der konkreten britischen Vorbilder Moonjes: The School, at Halton, for Boy mechanics for the Air forces [sic] and the Welington [sic] Public School, impressed me most. I, therefore, formulated my scheme of the Military School on the lines of the Halton School and the Welington [sic] Public School, with suitable modification to meet the requirements of our Indian situation and particularly the social and the economic conditions of the Hindus, for whom the School is primarily meant. 55
Dieselben Referenzmodelle für die Gestaltung der Bhonsla Military School nannte Moonje 1938 in einem Artikel in der Zeitung The Hindu Outlook, in welchem er die Geschichte ihrer Gründung und ihre Ziele vorstellte. 56 Mit beiden Quellenbelegen soll keineswegs vorgeschlagen werden, die Bewunderung des Faschismus bzw. die Aneignung faschistischer Modelle durch Hindunationalisten wie Moonje in ihrer Bedeutung abzumildern. Vielmehr geht es darum zu zeigen, dass Militarisierung von Gesellschaften ein weit verbreiteter Prozess war, der sich verschiedenster Modelle und Experimente bediente, die als Vorbilder wirken konnten. Entscheidend war offenbar nicht der ideologische Nährboden, auf dem solche Modelle gewachsen waren, sondern dass sie der jeweiligen Zielsetzung, in diesem Fall der breiten Militarisierung der Hindugemeinschaft, dienten. Das Thema der Militarisierung der Hindu-Jugend hatte ebenfalls einen prominenten Platz in der Politik der HMS, in welcher Moonje und ab 1937 Vinayak Damodar Savarkar führende Positionen innehatten. Die HMS beanspruchte für sich als politische Organisation, die Interessen der Hindugemeinschaft zu vertreten. 57 Moonje beschrieb ihre Zielsetzungen hinsichtlich einer Stärkung der Hindus eingehend auf der Sind Hindu Physical Culture Conference im Jahr 1933. Dort führte er aus, dass zur Erlangung der indischen Unabhängigkeit (swaraj) und zu ihrer Beibehaltung die Hindugemeinschaft gestärkt werden müsse. Dem von deutscher Seite im Ersten Weltkrieg angewandten System wissenschaftlicher Kriegsführung sei in der Zwischenzeit von anderen Natio-
54
Vgl. Casolari, Hindutva’s, S. 221. Moonje (s. d.), B. S. Moonje Papers, Subject File, 1934–1936, Nr. 23. 56 Vgl. Moonje, B. S.: ‚The Bhonsla Military School (06. 04. 1938)‘, in: HO, S. 6. 57 Zur Geschichte der HMS gibt es bisher nur wenige Einzeldarstellungen. Vgl. Babing, Politik; Meadowcroft, Emergence. Zur Entstehung und Politik der HMS vgl. ebenfalls Bhatt, Hindu Nationalism, S. 48 ff. 55
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
nen gefolgt worden. 58 So sei in vielen Ländern ein verpflichtendes physisches Training für Jungen und Mädchen zwischen 12 und 25 Jahren eingeführt worden, begleitet von einer theoretischen Wissensvermittlung zur Körperertüchtigung und „[…] in the case of males, in the science and art of warfare and, in the case of females, in different other arts required for complementing the gigantic efforts of the nation for self-defence“. 59 Ein Vergleich mit den physischen Eigenschaften der Hindus zeige deren mangelnde körperliche Entwicklung sowie deren erloschenen „martialischen Instinkte“. Unter Rückgriff auf die von den Briten angewandte Theorie der martial races erklärte es Moonje zur Aufgabe der HMS, den kriegerischen Instinkt in der Jugend „wieder zu beleben“, insbesondere in jenen Gruppen, die zu den sogenannten non-martial classes gehörten.60 Interessanterweise verwies er als Referenzmodelle für diese Aufgabe auf Japan und Deutschland zur Zeit des Kaiserreiches und der Weimarer Republik. 61 Er war der Ansicht, dass die Bemühungen der HMS eine junge Generation schaffen müssten, die die Verantwortung für die Verteidigung des Mutterlandes gegen Aggressionen von außen und innen tragen könne. Damit verwies Moonje auf das wichtigste Feindbild vieler Hindunationalisten, die Muslime, die in den meisten Spielarten des etablierten hindunationalistischen Diskurses von der Hindunation ausgeschlossen waren. 62 Das Thema der Militarisierung der Hindujugend und deren physische „Aufwertung“ spielte auch in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle in der Politik der HMS. So erließ sie immer wieder Resolutionen, die für ein verpflichtendes militärisches Training der Jugendlichen an Schulen und Universitäten sowie für die Einführung von Schusswaffenvereinen plädierten. 63 Die konstanten Bemühungen vonseiten hindunationalistischer Politiker bzw. Dachorganisationen wurden von ihnen nahestehenden Jugendbewegungen aufgegriffen. Im Rahmen der zweiten All Indian Hindu Youth Conference, die im Oktober 1936 in Lahore stattfand, wurde die Notwendigkeit besprochen, ein Programm zur Verbesserung der körperlichen Konditionen der Hindu58
Vgl. o. A.: ‚Instill spirit of warfare (14. 05. 1933)‘, in: The Mahratta, S. 5. Ebd. 60 Vgl. ebd. Das Konzept der martial races bzw. non-martial races (der kriegerischen bzw. der nicht-kriegerischen Rassen) wurde vonseiten der britischen Kolonialherren zur ethnischen Klassifizierung der indischen Bevölkerung angewendet. Es bildete die Grundlage der militärischen Rekrutierung in die indische Armee. Vgl. Roy, Warriors, S. 80–144; Streets, Races; Caplan, Gurkhas, S. 260–281; Omissi, Races, S. 1–27. 61 Vgl. ebd. 62 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 100, 104 f., 109 und 117 ff. 63 Vgl. o. A.: ‚Resolutions (1936)‘, in: IOR, L/PJ/7/1186, BL, File 50; o. A.: ‚Hindu Mahasabha Working Committee meets (03. 06. 1938)‘, in: The Mahratta, S. 8; o. A.: ‚Hindu National Parliamentary Board to be formed (11. 01. 1939)‘, in: HO, S. 9. 59
Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien 95
jugend einzuführen. Dazu hoffte man auf den Rat von Moonje und auch auf die tatkräftige Unterstützung des hindunationalistischen Politikers Keshav Baliram Hedgewar, 64 der als erster sarsanghchalak (oberster Führer) des RSS ein Netzwerk von Sportstätten in Nagpur eingeführt hatte. 65 In der Hindu-Jugendbewegung spielte neben der Körperertüchtigung auch das mit ihr eng verknüpfte Thema vom ‚Dienst an der/für die Nation‘ eine wichtige Rolle. Körperertüchtigung im Allgemeinen, insbesondere aber Mannschaftsportarten wurden als positive Einflüsse auf die Schulung des Charakters angesehen. Sie würden der Jugend, so glaubte man, „[…] toughness or ‚grit‘, esprit de corps and values of self-sacrifice for the greater good of the collectivity“ beibringen. 66 Sowohl Hedgewar als auch sein Nachfolger, der zweite sarsanghchalak des RSS Madhav Sadashiv Golwalkar, betonten die Notwendigkeit des Dienstes der Hindujugend an der Hindunation. 67 So führte Hedgewar 1938 auf der Hindu Youth Conference in Pune aus: Self interest must be sacrificed for the greater national interests. There must be complete identity established between the man and the nation which belongs to him. He must always think, speak and act in terms of Hindu Nation, Hindu Dharma, and Hindu Culture. […] They [the youth, M. F.] by their service, sacrifice and strength should make the Hindu Nation invincible and indissoluble. 68
Vorstellungen zum Dienst der Jugend für die Nation waren, wie oben beschrieben, auch im italienischen Faschismus von großer Bedeutung. Eine Aneignung entsprechender Vorstellungen durch die führenden Hindunationalisten kann insbesondere nach Moonjes Italienbesuch 1931 nicht ausgeschlossen werden. Allerdings war die Idee des ‚Dienstes für die Nation‘ keine Neuheit, sondern existierte auch in ihrer organizistischen Ausprägung bereits im frühen Hindunationalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts 69 und auch der RSS bediente sich dieser Vorstellung schon in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, wie der Eid 64
Zu Keshav Baliram Hedgewar siehe den biografischen Anhang. Vgl. Sharma, Diwan Chand/Prakash, Indra: ‚Second All-India Hindu Youth Conference (s. d.)‘, in: V. D. Savarkar Papers, NMML, File 23, Teil 1; Prakash, Indra: ‚An Appeal to Hindu young men (1936)‘, in: V. D. Savarkar Papers, NMML, File D.2.2, Letters 13. 02. 1935 to 13. 01. 1940, Nr. 34. Einen Überblick über die Entwicklung der Hindu Youth Movement gibt: Prakash, Indra: ‚The Hindu Youth Movement in Hindusthan (28. 12. 1938)‘, in: HO, S. 14 f. 66 Vgl. Watt, Nation, S. 49. 67 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 115. 68 Vgl. o. A.: ‚Hindu Youth Conference in Poona (25. 05. 1938)‘, in: HO, S. 13. 69 Vgl. Fischer-Tiné, Character, S. 450 ff. Die Idee, der Nation zu dienen, war auch außerhalb des hindunationalistischen Umfelds weit verbreitet, so bspw. in der Servants of India Society, in der Theosophischen Gesellschaft oder in den Seva Samitis (vgl. Watt, Nation). 65
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
der swayamsevaks (Freiwillige; Mitglieder der RSS) zu ihrer Einführung in den Sangh zeigt. Dieser enthielt die lebenslange Verpflichtung des Einsatzes und Opfers für die Bewahrung und den Fortschritt der Hindu-Nation. 70 Der Nationsbegriff bzw. die Vorstellung von der Nation bildete hier kein alle in Indien lebenden Menschen umfassendes Konzept, sondern konzentrierte sich ausgrenzend nur auf die Hindu-Bevölkerung.71 Das Interesse und der Einsatz für die physische Verbesserung und militärische Ausbildung vor allem der Jugend war keineswegs auf Mitglieder der HMS und des RSS beschränkt, wie die Ausführungen im folgenden Kapitel zeigen werden.72 Die Untersuchung der Quellen hat ebenfalls ergeben, dass der Faschismus von hindunationalistischer Seite durchaus bewundert wurde und seine Maßnahmen zur Organisation und Militarisierung der italienischen Jugend sowie zu deren körperlichen Ertüchtigung als nachahmenswerte, wenn auch keineswegs als exklusive Vorbilder galten. 4.1.3 Die Wahrnehmung der italienischen Jugendorganisationen und des faschistischen Ideals der Körperkultur Während die Bewunderung des Faschismus durch verschiedene hindunationalistische Politiker in der Forschung bekannt ist, fehlen Untersuchungen, die weitere Akteure in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Die im vorangegangenen Kapitel aufgezeigten Verbindungen zwischen staatlichen Institutionen, Universitäten und Bildungseinrichtungen in Italien und universitären sowie politischen Kreisen in Indien lassen zunächst vermuten, dass eine Rezeption der faschistischen Jugendorganisationen und ihrer Ideale auf dem Subkontinent verbreitet war und Diskurse über eine Aneignung oder Imitation existierten. Beiträge zu den Debatten seien dabei, so die Annahme, vor allem von den Personen gekommen, die in das dargestellte italienisch-indische Netzwerk eingebunden waren. So scheint es zunächst lohnenswert einen Blick auf die Stipendiaten des IsMEO zu werfen. Welche Ansichten vertrat beispielsweise Pramatha Nath Roy, dessen 1930 in Indien veröffentlichtes Buch „Mussolini and the cult of Italian youth“ schon im Titel auf den Begriff ‚Jugend‘ zurückgriff und der aktiv an der Organisation der ‚orientalischen‘ Jugend während des ersten Studentenkongresses in Rom beteiligt gewesen war. Roy beschrieb in der Einleitung zu seinem Werk die gegenwärtige Lage Indiens als die eines Landes zwischen zwei Zeitaltern und zwei Zivilisationen, dessen Zukunft von der Jugend und der 70 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 120. Siehe zum Ideal des Dienstes im RSS auch: Hansen, Masculinity, S. 146 f. 71 Siehe zum hindunationalistischen Nationenkonzept Kapitel 5.1.2. 72 Vgl. dazu auch Zachariah, Rethinking S. 189.
Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien 97
durch sie eingeschlagenen Richtung abhänge. Potenzielle Vorbilder gäbe es für die junge Generation Indiens viele, so zum Beispiel Großbritannien, die Sowjetunion oder die USA. Für Roy aber bedeutete eine Orientierung der indischen Jugend an diesen drei Ländern eher Nachteile, so sei man dem englischen Beispiel schon 150 Jahre gefolgt, aber es sei zu verwirrend, während das russische zu „entsetzlich“ und das amerikanische zu unbestimmt sei. Aus diesem Grund wolle er der jungen Generation Indiens das neue Italien näher bringen. Die Jugend Indiens müsse selbst entscheiden, ob sie dieses Beispiel als Inspiration nutzen wolle.73 Diesem Vorhaben entsprechend beschrieb Roy in den einzelnen Kapiteln des Buches die Ursachen der Entstehung des Faschismus, das Modell des korporativen Staates, die neue Wirtschafts- und Landwirtschaftsordnung, die Bevölkerungspolitik sowie die Themen Außenpolitik, Kultur und die Stadt Rom im Faschismus. Dabei wies er insbesondere in den Abschnitten, die sich mit wirtschaftlichen Aspekten bzw. mit dem Wesen des Staates beschäftigten, auf mögliche Aneignungen im indischen Kontext hin. Ausführlich und sehr positiv legte er außerdem in einem Kapitel den Aufbau der faschistischen Jugendorganisationen und ihre Aktivitäten dar. 74 Seinen Ausführungen zufolge bemühte sich das italienische Regime weniger um eine politische Unterweisung der jungen Generation; vielmehr ginge es der Regierung Mussolinis um ihre Durchdringung mit Werten wie Freude an der Arbeit, Disziplin, Selbstlosigkeit, Rechtschaffenheit, Loyalität, Aufrichtigkeit und Tapferkeit. 75 Die von Roy benannten Eigenschaften bildeten für Mussolini den Kanon der faschistischen Erziehungsziele. 76 Ihr Fehlen habe, so führt Roy aus, stets zu ungünstigen Bedingungen, wie z. B. zur Schwächung der Nation, geführt, die dann die Entstehung des Faschismus befördert hätten.77 Vor diesem Hintergrund stimmte Roy Mussolini zu, dass Faschismus eine universelle Bedeutung habe, insbesondere für solche Nationen, die einst Größe besessen hätten und sich nun um Regeneration bemühten.78 Die Vorstellung, dass Faschis-
73
Vgl. Roy, Mussolini, S. v f. Vgl. ebd., S. 194–204. 75 Vgl. ebd., S. 195. 76 Zu den faschistischen Erziehungszielen Mussolinis vgl. Schleimer, Opera, S. 80 ff. 77 Vgl. Roy, Mussolini, S. 195. 78 Vgl. Ebd. Die Bedingungen, die Einfluss auf die Entstehung des Faschismus gehabt hätten, beschrieb Roy im ersten Kapitel seines Buches. Dort skizzierte er den Einigungsprozess Italiens im 19. Jahrhundert und die anschließenden Schwierigkeiten verursacht durch die Einführungen der parlamentarischen Demokratie, durch die notwendige, aber nicht durchgeführte wirtschaftliche und soziale Regeneration des Landes, durch die fehlende Verbindung zu den Massen vonseiten der Parteien, durch das Aufkommen des Sozialismus, der sich zwar für die Massen und wirtschaftliche Reformen einsetzte, aber außerhalb des Staates bleiben wollte und letztendlich durch die Auswirkungen des Ersten 74
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
mus im Wesen auf die „Wiedergeburt“ der Nation ziele, wurde nicht nur von Roy, sondern wiederholt in indischen Debatten thematisiert.79 Entsprechende Diskussionen ähneln dabei den Ausführungen Roger Griffins, der Faschismus als „palingenetischer Ultra-Nationalismus“ versteht. 80 Obgleich auch im indischen Kontext verschiedene Autoren auf eine ‚Wiedergeburt‘ ihres Heimatlandes hofften, das in der Vergangenheit neben zivilisatorischer Größe auch Einigkeit besessen habe, beschrieben sie Indien dennoch als eine ‚nation in the making‘, als ein Land, das sich noch im Prozess der Nationenbildung befand. Auch Roy argumentierte auf diese Art und Weise, wie ein Beitrag in der Modern Review aus dem Jahr 1933 deutlich macht. Dort verwies er auf die Gemeinsamkeiten seines Heimatlandes und Italiens in ihrer historischen Entwicklung und ihrem politischen Schicksal, 81 stellte aber auch die Unterschiede klar heraus. So legte er dar, das Risorgimento habe Italien nicht nur seine politische Unabhängigkeit gegeben, sondern mit ihm habe auch die Bildung der italienischen Nation begonnen und es sei eine neue Zivilisation entstanden. Diese Prozesse seien durch den Faschismus fortgeführt worden. Indien hingegen kämpfe zwar für seine politische Freiheit und sehe dabei mit Bewunderung auf das Beispiel des „Jungen Italiens“. Allerdings kritisierte Roy, dass sich seine Landsleute dabei nicht auf ihre eigenen Wurzeln besännen, sondern anderen Nationen in dem Versuch europäisch zu werden nacheiferten. Insbesondere die Bemühungen, dem englischen Weg zu folgen, hätten das „Erwachen der indischen Nation“ verhindert.82 Mit dieser Darstellung teilte Roy die in indischen Debatten häufig vorhandene Begeisterung für das Risorgimento. 83 Trotz seiner Überzeugung, dass Indien aus seiner eigenen Tradition heraus einen Weg finden müsse, beschrieb Roy in dem Artikel das faschistische System als leuchtendes Vorbild hinsichtlich der künftigen politischen Struktur Indiens im Sinne der Herrschaft einer Partei, die gleichzeitig mit dem Staat und der Nation identifiziert werde sowie hinsichtlich verschiedener Werte, wie Disziplin, Einheit, Autorität. 84 Er führte aus: Weltkrieges und die bürgerkriegsähnlichen Zustände nach Friedensschluss in Italien (vgl. ebd., S. 1 ff.). 79 Vgl. Kapitel 6.1.3. 80 Vgl. Griffin, Fascism, S. 4. 81 Vgl. Roy, MR, 54 (4) 1933, S. 505 f. 82 Vgl. ebd., S. 506 f. 83 Das Risorgimento galt in nationalistischen Kreisen Indiens als Vorbild und studierenswertes Beispiel zur Erlangung nationaler Einheit (vgl. Srivastava, Mazzini; Fasana, Deshabhakta, S. 152–175). Die Rückbesinnung auf die eigene, indische Zivilisation war eine geläufige Forderung und findet sich unter anderem in verschiedenen ‚Asianismus‘-Diskursen, so zum Beispiel bei Kalidas Nag (vgl. Fischer-Tiné, Cult, S. 16–33). 84 Vgl. Roy, MR, 54 (4) 1933, S. 505 ff.
Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien 99
From Fascist Italy she [India, M. F.] can learn how to fight communism, communalism, provincialism, how to remedy the injustices of capitalism and harmonize the interests of different classes of society, how to make tradition a living force, how to promote and maintain national constructive action, how to promote the reform of the state on corporative basis […], how to awaken in the country a spirit of collaboration and discipline, of zeal and patriotic realism, how to protect and defend national agriculture as the essential basis of the economy of the country, and how to encourage athletics and every other form of sport for improving the physique of the race, how to induce people to go back to the land and to protect the villages from decadence. 85
Seine Ablehnung der Nachahmung (West-)Europas schien somit das faschistische Italien nicht einzuschließen, das für Roy in vielerlei Hinsicht ein Referenzmodell darstellte. Auffällig in diesem Quellenauszug ist, dass er hier keinerlei Imitation der Jugendbewegung, wohl aber der Körperertüchtigungsmaßnahmen des faschistischen Regimes vorschlug, die seines Erachtens zum einem racial improvement der Inder führen würden. Ein Jahr später kehrte Roy ausführlicher zum Thema Jugend zurück, wobei sich seine Ansichten zur Übernahme ‚westlicher‘ Werte und Modelle in Indien weiterentwickelt hatten. In einem Beitrag in der von der Confederation of Oriental Students herausgegebenen Zeitschrift Young Asia beschrieb er ausführlich die Referenzmodelle der indischen Jugendbewegung. Dabei stellte er wiederum fest, dass die junge Generation nicht fremde Vorbilder blind imitieren dürfe. Ausgangspunkt jeder Problemlösung könne alleine Indien und dessen gegenwärtige politische, wirtschaftliche und moralische Situation sein. Aus diesem Grund müsse die indische Jugend auch kritisch gegenüber dem Faschismus sein. 86 Roy kam 1935 in einem weiteren Aufsatz, gewidmet den „unablässigen Anstrengungen“ der Regierung Mussolinis, noch einmal auf das Thema der faschistischen Bildungs- und Jugendpolitik zurück, die er als eine der wichtigsten Institutionen des Faschismus bezeichnete. Nun hielt er sich trotz seiner positiven Ausführungen mit expliziten Empfehlungen hinsichtlich einer Nachahmung faschistischer Maßnahmen in Indien zurück. 87 Die Aussagen Roys in seinen Schriften scheinen auf einen Wandel seiner Ansichten zum Thema Faschismus und dessen Übernahme im indischen Kontext hinzudeuten. Grundsätzlich behielt er zwar eine positive Beurteilung des italienischen Regimes und seiner Politik bei, aber während er die indische Jugend 1930 als Träger von Veränderungen im eigenen Land darstellte, die das Beispiel des Faschismus studieren sollte, riet er ihr nur vier Jahre später von „blinden Imitationen“
85 86 87
Vgl. ebd., S. 508. Vgl. Roy, YA, 1 (2) 1934, S. 12 f. Vgl. Roy, CR, 56 (1) 1935 Ser. 3, S. 22.
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
ab. Die noch 1933 wahrgenommene Vorbildwirkung Italiens für die wirtschaftliche und politische Entwicklung Indiens fand in dem Beitrag von 1935 ebenfalls keinerlei Erwähnung mehr. Eine mögliche, wenn auch völlig hypothetische Erklärung könnte in Roys Erfahrungen vor Ort in Italien liegen. Unter Umständen bewirkte die Konfrontation mit der Realität des faschistischen Regimes die Einschätzung, dass Indien einen anderen Weg gehen müsse. Während Pramatha Nath Roy sich in verschiedenen Beiträgen mit der faschistischen Jugendpolitik beschäftigte, diskutierte Monindra Mohan Moulik dieses Thema in seinen regelmäßigen Artikeln für die Amrita Bazar Patrika nur sporadisch. Im Gegensatz zu Roy, der sich vor allem zu den Jugendorganisationen und den Maßnahmen des Regimes zur racial improvement äußerte, setzte sich Moulik dabei vor allem mit der moralischen Verbesserung der Nation auseinander. In einem Beitrag aus dem Jahr 1935 betonte er, dass innerhalb der italienischen Jugendbewegung nicht nur athletische Aktivitäten eine wichtige Rolle spielten, sondern in strikter Konformität mit den faschistischen Idealen und Realitäten auch moralische und spirituelle Disziplin. 88 Dabei wies er auf die besondere Rolle Mussolinis für die erfolgreiche ‚Erweckung‘ der Jugendlichen hin: The essential fact that the youth of the country have shaken off the shackles of despondency and pessimism that hang heavy on their attitude on life even a few years ago is explained by the moral revolution that has been inspired more by their personal contact with the Leader (Duce) than by dry and abstract platitudes served from Olympian [sic] heights. 89
Die persönlichen, direkten Kontakte, die Mussolini mit den Jugendlichen pflege, beeinflussten, Moulik zufolge, stark deren Enthusiasmus für den Faschismus. Mouliks Darstellung der Beziehung des ‚Duce‘ zur italienischen Jugend entsprach der offiziellen Leitlinie des Regimes, in dessen Erziehungspolitik der Glaube an den ‚Duce‘ und an seine Ideologie einen hohen Stellenwert einnahm. 90 Inwieweit sie die gelebte Realität widerspiegelte, ist indes fraglich. Auch zum militärischen Training äußerte sich Moulik. Es gebe der Jugend ein Gefühl für Stärke und Disziplin ohne absolute Untertänigkeit zu vermitteln. 88 Vgl. From our special correspondent: ‚Our Rome Letter (02. 06. 1935)‘, in: ABP, S. 8. Die Amrita Bazar Patrika veröffentlichte normalerweise nicht die Namen ihrer Auslandskorrespondenten. Hinsichtlich der Beiträge des Sonderkorrespondenten aus Rom erscheint es aber sehr sicher, dass diese von Moulik stammen. Einerseits gab Moulik selbst in dem Vorwort zu seinem Buch an für die Amrita Bazar Patrika aus Rom geschrieben zu haben, andererseits wurde er in einem Artikel den Leser der Zeitung als Spezialkorrespondent aus Rom vorgestellt (vgl. Moulik, Economy, Vorwort; Moulik, Monindra Mohan: ‚Life and Art in Pirandello (26. 04. 1936)‘, in: ABP, S. 17). 89 From our special correspondent (02. 06. 1935), ABP, S. 8. 90 Vgl. Schleimer, Opera, S. 83.
Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien 101
Dabei glaubte er, dass trotz des vorhandenen Systems der externen Disziplin das innere Selbst in seinen eigenen Urteilen und Denken frei bleibe. Letztendlich, schlussfolgerte der Autor, beschütze in Italien das Kollektiv den Einzelnen, aber es unterdrücke ihn nicht. 91 Mouliks Einschätzung der inneren Freiheit der Jugendlichen wird in der heutigen Forschung nicht geteilt. Ute Schleimer weist beispielsweise darauf hin, dass die durch die faschistischen Organisationen vermittelte Disziplin eine innere und eine äußere Dimension besaß, die auf die unbedingte Anpassung der Heranwachsenden hinauslief. Im Zuge der Disziplinierungsmaßnahmen hätten die Jugendlichen die Fähigkeit verloren, Kritik zu äußern und seien in eine Abhängigkeit von der O.N.B. geraten. 92 Obgleich Moulik die Jugendpolitik des Faschismus nicht ausdrücklich als nachahmenswertes Vorbild für Indien nannte, können seine positiven Darstellungen der faschistischen Institutionen und Ideale – in einem anderen Beitrag lobte er ausdrücklich die Sommerlager der Jugendorganisationen des Regimes für im Ausland lebende italienische Jugendliche 93 – als Imitationsempfehlungen gesehen werden. Auch indische Zeitungen und Zeitschriften diskutierten die italienische Jugend- und Bildungspolitik. So lassen sich einige Beiträge zu den faschistischen Organisationen sowie zur Körperertüchtigung in Italien finden, die sich fast immer gleichzeitig mit Entwicklungen in anderen Ländern auseinandersetzten. 94 So wurde in der Presse ebenfalls auf Jugendbewegungen und Körperkultur in Deutschland (der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Zeit), Frankreich, der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Österreich, Neuseeland sowie in den skandinavischen Ländern verwiesen. 95 Diese Verweise differenzierten nicht zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Formationen und politischen Systemen sowie Ideologien in den jeweiligen Ländern, sondern verwiesen auf als homogen wahrgenommene Jugendpolitik des ‚Westens‘. 96 91
Vgl. From our special correspondent (02. 06. 1935), ABP, S. 8. Vgl. Schleimer, Opera, S. 155. 93 Vgl. From our special correspondent: ‚Rome Letter (27. 09. 1936)‘, in: ABP, S. 22. 94 Vgl. Jadhav, G. M.: ‚Reader’s letter: Need for military education (16. 02. 1935)‘, in: BC, S. 8; Leitartikel: ‚The call to youth (14.11. 1928)‘, in: Forward, S. 4; Leitartikel: ‚Volunteer movement (11. 12. 1928)‘, in: Forward, S. 4; Coyajee, Sir Jehangir C.: ‚Fascist Ideals in Education (30. 09. 1934)‘, in: Forward, S. 13 f.; Chowdhury, Chameli: ‚Compulsory physical training (07. 07. 1935)‘, in: Forward, S. 10; From our own correspondent: ‚Follow Germany and Italy (05. 12.1934)‘, in: ABP, S. 10. 95 Vgl. Jadhav (16. 02. 1935), BC, S. 8; Leitartikel (14. 11. 1928), Forward, S. 4; Leitartikel (11.12. 1928), Forward, S. 4; Chowdhury (07. 07. 1935), Forward, S. 10; From our own correspondent (05. 12. 1934), ABP, S. 10. 96 Siehe für eine vergleichende Untersuchung zu Körperbildern und -praktiken in Deutschland und den USA: Patel, Erziehungsziel, S. 229–248. Zur Sokolbewegung siehe: 92
102
4. Organisation und Erziehung der Jugend
Ausführliche Darstellungen der eingeführten Maßnahmen des Regimes blieben in den indischen medialen Debatten der untersuchten Quellen eine Ausnahme und standen vor allem mit dem faschistischen Bildungssystem im Zusammenhang, wobei letztgenannte Artikel sich jeglicher Aussagen zur Übertragbarkeit des italienischen Modells in den indischen Kontext enthielten. 97 Ein Beitrag, der sich detailliert mit den faschistischen Erziehungsidealen auseinandersetzte, stammte von Sir Jehangir C. Coyajee, dem Direktor des Colleges of Arts, Science and Commerce an der Andhra University. 98 Unter dem Hinweis, dass in Italien die Bildungsreform 99 dem hervorragenden Philosophen Giovanni Gentile 100 anvertraut worden sei, beschäftigte sich Coyajee ausführlich mit der Frage, inwieweit das italienische Bildungssystem den organischen und totalitären Charakter des faschistischen Regimes reflektiere bzw. wie durchgreifend die staatliche Kontrolle sei.101 Dabei betonte er, dass grundsätzlich die Freiheit im Bildungsbereich (gemeint war hier neben der Freiheit des Geistes die Lehrfreiheit), auf welche die faschistische Reform ziele, nicht unvereinbar mit koordinierenden Aktivitäten des Staates sei. Letztendlich müsse man die Bildungsreform danach bewerten, ob es dem Staat gelinge, Autorität und Freiheit auszubalancieren.102 Die von Coyajee angesprochene Ambivalenz zwischen der Freiheit des Geistes und der Totalität des faschistischen Erziehungsanspruches leitete sich einerseits aus dem zwiespältigen Wesen der riforma Gentile ab, die Maßnahmen durchsetzte, welche von der faschistischen Partei abgelehnt wurden, sowie anderseits aus keineswegs kohärenten Vorstellungen ihres Verfassers.103 In dem 1934 veröffentlichten Artikel fehlte eine abNolte, Sokol. Zu Jugendbewegungen in Österreich: Seewann, Jugendbewegung. Zu Frankreich siehe: Coutrot, Youth, S. 23–35. 97 Vgl. Kumarappa, J. M.: ‚The fascist experiment in civic education‘, in: CR, 50 (1) 1934 Ser. 3, S. 105 f.; Mukhopadhyay, Syamadas: ‚Higher educational and cultural institutions in fascist Italy‘, in: CR, 51 (1) 1934 Ser. 3, S. 94–96; Mukhopadhyay, Syamadas: ‚Girls’ schools in fascist Italy‘, in: CR, 52 (2) 1934 Ser. 3, S. 230–233; Coyajee, Sir Jehangir C.: ‚Fascist ideals in education‘, in: CR, 53 (3) 1934 Ser. 3, S. 389 f. 98 Siehe zu Jehangir C. Coyajee den biografischen Anhang. 99 Obgleich Coyajee es nicht explizit benannte, bezogen sich seine Ausführungen auf die Schul- und Hochschulreform (riforma Gentile), die 1923 von Giovanni Gentile in seiner Funktion als Bildungsminister durchgeführt wurde (vgl. Koon, Believe, S. 67–108; Charnitzky, Schulpolitik, S. 73–154). 100 Siehe zu Giovanni Gentile den biografischen Anhang. 101 Vgl. Coyajee (30. 09. 1934), Forward, S. 13. 102 Vgl. ebd., S. 13 f. 103 Vgl. Charnitzky, Gentile, S. 10 ff. Charnitzky weist darauf hin, dass die Bildungsreform von 1923 auf die Restauration von Bildungsprivilegien einer bürgerlichen Elite zielte, womit Ambitionen anderer gesellschaftlicher Schichten, die den Faschismus unterstützten, begrenzt wurden. Darüber hinaus führte die Reform mit der Lehrfreiheit und
Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training in Italien 103
schließende Beurteilung der Bildungsreform. Diese hätte vonseiten Coyajees durchaus erfolgen können, da in den elf Jahren seit ihrer Einführung der Totalitätsanspruch des faschistischen Regimes in Erziehungsfragen ebenso offensichtlich hervorgetreten war wie die Demontage der „bürgerlichen“ Schulordnung von 1923. 104 Ein zweiter Aspekt, auf den Coyajee in seinem Beitrag einging, waren die Verdienste der Balilla-Organisation hinsichtlich der Verbesserung der körperlichen Fitness. Maßnahmen zur Körperertüchtigung, so führte er aus, hätten bisher im Aufgabenbereich der Schulen gelegen und seien vernachlässigt worden, was zu einem großen Teil an der Apathie der italienischen Nation gegenüber Sport gelegen habe. Um dieses Desinteresse der Italiener an physical culture zu überwinden, habe das faschistische Regime die Aufgabe der Körperertüchtigung an die neugegründeten Jugendorganisationen übergeben. Getragen wurde diese Entscheidung von dem Glauben, dass die „Einführung eines neuen Geistes“ von einer neuen Organisation übernommen werden müsse.105 Für Coyajee stellten die faschistischen Reformen somit ein lobenswertes Beispiel zur Durchführung notwendiger Reformen im Bildungs- und Jugendbereich dar. 106 Ein weiterer Artikel, der ausführlicher auf einen Aspekt des italienischen Bildungssystems einging, in diesem Fall auf die faschistischen Universitätsgruppen (Gruppi Universitari Fascisti), erschien in der Calcutta Review. Der Autor, Professor Syamadas Mukhopadhyaya, beschrieb darin detailliert die Organisation und Aktivitäten der G.U.F. sowie die faschistische Miliz der Universitäten. Der Artikel war dabei ganz in der propagandistischen Sprache des faschistischen Regimes gehalten und kam aufgrund der euphemistischen Darstellung des Faschismus einer impliziten Empfehlung gleich. 107 dem esame di stato (Staatsexamen) Maßnahmen ein, die gegen Beschlüsse der Partito Nazionale Fascista (P.N.F.) verstießen. Aufgrund der vielen Proteste gegen die Reform kam es nach Gentiles Rücktritt vom Amt des Bildungsministers zu vielen Anpassungen, zu einer „Politik der Retuschen“, die unter anderem auf eine stärkere Faschistisierung des Erziehungssystems hinausliefen. Während Gentile einerseits in seiner „bürgerlichen“ Reform Wert auf den freien Geist legte und noch 1929 ihren typisch liberalen Charakter lobte sowie sich über die ständige Einmischung der faschistischen Partei in die Schulverwaltung beschwerte, wurde anderseits auf seinen Vorschlag hin eine Loyalitätserklärung für Hochschullehrer gegenüber dem Regime Mussolinis eingeführt (vgl. ebd, S. 10 f.; Charnitzky, Schulpolitik, S. 144 ff.). 104 Vgl. Charnitzky, Gentile, S. 10; Koon, Believe, S. 68 und 96 ff. 105 Vgl. Coyajee (30. 09. 1934), Forward, S. 14. Zu den Schwierigkeiten bei der Verteilung der Bildungsaufgaben im faschistischen Staat vgl. Charnitzky, Unterricht, S. 122; Schleimer, Opera, S. 135 ff. Zur körperlichen Ertüchtigung in der faschistischen O.N.B. siehe: Schleimer, Opera, S. 145 ff. 106 Vgl. Coyajee (30. 09. 1934), Forward, S. 14. 107 Vgl. Mukhopadhyaya, Syamadas: ‚Organization of the fascist university groups and
104
4. Organisation und Erziehung der Jugend
4.2 Disziplin, nation building und Führerkult Nicht nur die Frage nach der Körperertüchtigung in Indien, sondern auch die Themen Konstruktion der Nation, Disziplin und Gehorsam gegenüber einem Führer wurden in der nationalistischen Presse und im INC wie schon bei den Hindunationalisten und in der Intelligenzija debattiert. Zu den Politikern des INC, die sich mit dem Führerkult und der Aufgabe der Jugend, die Nation zu einen und gegebenenfalls zu verbessern, auseinandersetzten, gehörten unter anderem Subhas Chandra Bose, Kailas Nath Katju und Sarojini Naidu. Bose erklärte beispielsweise 1928 auf dem All-India Youth Congress in Kalkutta, Jugendbewegungen seien durch ihren revolutionären Charakter sowie durch ein Gefühl der Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Ordnung und durch eine Vision für eine künftige bessere Ordnung gekennzeichnet.108 Bose zufolge hatten alle modernen Jugendbewegungen ähnliche Visionen und Ziele: Whether it is Bolshevism in Russia or Fascism in Italy or the Young Turk movement in Turkey, whether it is a movement in China or in Persia or in Germany, everywhere you will find the same impulse, vision and objective. Wherever the older generation of leaders have failed, youth have become self-conscious and have taken upon themselves the responsibilities of reconstructing society and of guiding it on towards a better and nobler state of existence.109
Auch die indische Jugend habe endlich begriffen, dass es an ihr läge, ein neues Indien – frei, großartig und stark – zu erschaffen.110 Ähnlich wie im Falle indischer Zeitungsbeiträge verwies Bose nicht ausschließlich auf das faschistische Italien als nachahmenswertes Vorbild für Indien, sondern nannte es zusammen mit anderen modernen Jugendbewegungen. Die Vorbildwirkung dieser Bewegungen schien dabei weniger in ihren jeweiligen Organisationsformen oder explizit verfolgten Zielsetzungen zu bestehen als vielmehr in der von Bose als
fascist university militia‘, in: CR, 52 (3) 1934 Ser. 3, S. 381–384. So schrieb der Autor in der kurzen Zusammenfassung seines Beitrages beispielsweise: „The Italian student by wearing the uniform of the Fascist Groups and of the University Militia, without losing their instinctive gaiety, which is natural to youth, has learned, throughs port [sic] and a moral and political discipline, to understand that Study represents for him to-day that same Duty, which, in his professional life, will be on day Work“ (vgl. ebd., S. 384). 108 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Speech at the third session of the All-Indian Youth Congress (25.12. 1928)‘, in: NCW, Bd. 5, S. 271. Auch an anderer Stelle thematisierte Bose die Ungeduld der indischen Jugend mit der gegenwärtigen Situation und stellte ihre Bedeutung für den Unabhängigkeitskampf sowie für den Aufbau einer neuen Welt fest (vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚The role of the youth in our national life (29. 11. 1929)‘, in: NCW, Bd. 5, S. 61 ff.; Bose, Subhas Chandra: ‚The objective of the youth movement (21.12. 1929)‘, in: NCW, Bd. 5, S. 92 ff.). 109 Bose (25. 12. 1928), NCW, Bd. 5, S. 272. 110 Vgl. ebd.
Disziplin, nation building und Führerkult
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Gemeinsamkeit wahrgenommenen Fähigkeit, Veränderungen in der Gesellschaft herbeizuführen, diese neu und vor allem besser zu gestalten. Ein halbes Jahr später kam Bose im Zusammenhang mit der Frage nach einer volunteer movement (Freiwilligenbewegung) für die Provinz Bengalen erneut auf das Thema zu sprechen. Auf einer Studentenkonferenz führte er aus, dass dies keine neue Idee sei, dass die Debatte darüber aber gegenwärtig wieder an Bedeutung gewinne. 111 Bose bezog sich mit dieser Aussage vermutlich einerseits auf das Freiwilligenkorps des INC (Hindustani Seva Dal), das sich im Jahr zuvor gegründet hatte, andererseits auf die Ideen zum Dienst an der Menschheit, formuliert von Swami Vivekananda am Ende des 19. Jahrhunderts. In Auseinandersetzung mit den Idealen Vivekanandas hatte Bose als Jugendlicher die Idee entwickelt, durch einen ‚Dienst an der Gesellschaft‘ (seva), dem eigenen Land zu dienen und wiederholt freiwillige Arbeiten in Dörfern und in der Krankenpflege geleistet. 112 Seiner Heimat, der Provinz Bengalen, attestierte Bose in puncto physischer Erziehung und militärischem Training große Defizite. Graduell setze sich hier nun die Erkenntnis durch, wie nützlich Freiwilligenbewegungen zur Behebung dieser Defizite seien.113 Bose vertrat die Ansicht, dass seine indischen Landsleute Disziplin erlernen müssten und empfahl als Instrument hierfür paramilitärische Exerzierübungen. Aus diesem Grund betonte er, dass auch die Freiwilligenorganisation des INC in ihrer Aufstellung und Ausbildung militärischen Standards folgen solle, wozu für Bose auch das Tragen einer Uniform gehörte. 114 Boses Forderungen nach einer Militarisierung und Uniformierung des Freiwilligenkorps des INC waren im Indien der 1920er und 1930er Jahre keineswegs ungewöhnlich, sondern reihten sich in einen (auch global) weitverbreiteten Diskurs zu Disziplin und Kontrolle ein, der vielerorts umgesetzt wurde. 115 Trotzdem waren seine Ansichten keineswegs unumstritten, und die Trainingsmethoden in puncto Körperertüchtigung und Drill bzw. deren Zielsetzungen sowie die Außendarstellung der Freiwilligenorganisation des INC wurden kontrovers diskutiert. So befürchteten Kritiker, wie Mahatma Gandhi, eine Militarisierung der Hindustani Seva Dal und sahen darin einen klaren Widerspruch zur Philosophie des 111 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚On the need of discipline (20. 08. 1929)‘, in: NCW, Bd. 5, S. 23. Zum Native volunteer movement von 1885/86 und der Frage nach der Militarisierung der Inder vgl. Sinha, Masculinity, S. 69 ff. Zu volunteer movements in den 1910er und 1920er Jahren siehe: Watt, Nation, S. 150 ff. 112 Vgl. Bose, Majesty’s, S. 19 f., 26 und 32. Die Idee des sozialen Dienstes bewegte Bose auch 1922 zur Organisation hunderter Kongressmitglieder, die zusammen mit ihm sechs Wochen lang nach schweren Überflutungen in Bengalen Hilfe leisteten (vgl. ebd., S. 52). 113 Vgl. Bose (20. 08. 1929), NCW, Bd. 5, S. 23. 114 Vgl. ebd., S. 23 f. 115 Vgl. Hansen, Masculinity, S. 140.
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gewaltlosen Widerstandes, die vom INC vertreten wurde. 116 Bose hingegen teilte diese Befürchtungen nicht und wies in seiner Rede auf eine Reihe von Ländern hin, die nur durch eine disziplinierte Organisation reformiert worden seien. Neben Beispielen aus China, England, Frankreich, Deutschland, Russland, Japan und der Türkei nannte er auch Mussolinis Schwarzhemden als eine dieser Bewegungen. Bose beendete seine Ansprache mit der Aufforderung an die indischen Studenten, sich von den neuen Ideen und Gedanken inspirieren zu lassen.117 Einen konkreten Vorschlag, dem faschistischen und nationalsozialistischen Beispiel nachzueifern, machte ebenfalls Kailas Nath Katju, Anwalt am Obersten Gerichtshof von Allahabad und wichtiger Politiker des INC. 118 Er riet den Studenten der Universität von Nagpur, sich Italien und Deutschland zum Vorbild zu nehmen. Solange sie diese Staaten nicht kopierten, sei es in einem Land wie Indien, das unter kommunalistischen Spannungen, provinziellen Eifersüchteleien und Parteidifferenzen leide, unmöglich, Einheit zu schaffen. Die Einheit hätten Italien und Deutschland nur gewonnen, indem sie ihr Vertrauen und ihren Gehorsam einem ausgewählten Führer gegeben hätten, an dessen Seite sie in allen Notlagen bleiben würden. Katju schlug für Indien denselben Weg vor; wenn der Führer ausgewählt sei, müsse sich Indien ihm preisgeben. Da die ältere Generation in Indien unfähig sei, die vielfältigen Probleme des Landes zu lösen, läge es an der Jugend, die Lektionen der fortschrittlichen Nationen des Westens, d. h. Italiens und Deutschlands, zu begreifen und die Heimat zu erlösen.119 Diskussionen über einen ‚starken Führer‘, der die Jugend bzw. das gesamte Land leiten und das Schicksal der Nation verändern könne, waren in den 1920er und 1930er Jahren global weit verbreitet. 120 Die englischsprachige indische Intelligenzija und nationalistische Politiker diskutierten das Thema in Hinblick auf die nationale Einheit Indiens, die von den immer wieder auftretenden kommunalistischen Auseinandersetzungen bedroht schien. 121 Zur Überwindung der festgestellten Defizite der indischen Nationenbildung 116 Vgl. Menon, Movement, S. 155; o. A. (11. 06. 1931), BC, S. 7. Obgleich Gandhi jegliche Forderungen nach einem paramilitärischen Training der Freiwilligen der Hindustani Seva Dal ablehnte, glaubte auch er an die Notwendigkeit von Disziplin und Kontrolle, die in seinen Kampagnen und seiner Philosophie eine wichtige Rolle spielten (vgl. Hansen, Masculinity, S. 140 f.). 117 Vgl. Bose (20.08.1929), NCW, Bd. 5, S. 24. 118 Zu Kailas Nath Katju siehe den biografischen Anhang. 119 Vgl. From our own correspondent (05. 12. 1934), ABP, S. 10. 120 Vgl. Kerby, Images, S. 240 ff.; Pinto/Eatwell/Larsen, Charisma. 121 Auch das faschistische Konzept des korporativen Staates betrachteten verschiedene indische Autoren als ein Referenzmodell, das bei der Überwindung des Kommunalismus helfen und Indien zur starken Nation machen könne. Siehe dazu Kapitel 5.1.3.
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wurden weitere Vorschläge in die Diskussionen eingebracht, die unter anderem auf die Durchsetzung nationaler Disziplin und in diesem Zusammenhang auf citizenship training (Schulung der bürgerlichen Rechte und Verhaltensweisen) zielten. Benjamin Zachariah hat in diesem Zusammenhang auf das Beispiel des Ingenieurs, Administrators und Staatsmannes Mokshagundam Visvesvaraya verwiesen, der nachhaltig die indischen Debatten über Planung und Entwicklung prägte und dabei auch die Wichtigkeit von nationaler Disziplin und citizenship training betonte. Dabei bediente er sich, Zachariah zufolge, ab 1934 einer eher autoritären Rhetorik, die positiv die Entwicklungen in den USA, aber auch im faschistischen Italien darstellte. 122 Auch Hitlers Deutschland galt als Vorbild für die Schaffung nationaler Einheit durch Disziplin. So beendete der konservative INC-Politiker und Premierminister der Provinz Madras C. Rajagopalachari 123 einen Streik, indem er in seiner Rede an die Arbeiterschaft auf das deutsche Beispiel verwies. Rajagopalachari führte aus, dass durch die nationalsozialistischen Bemühungen um nationale Einheit und Disziplin Deutschland wieder zu einem starken und freien Land geworden sei, in dem es seit zehn Jahren keine Arbeiterstreiks mehr gegeben habe. 124 Der Aufruf Rajagopalacharis muss vor dem Hintergrund der späten 1930er Jahre als einer Periode militanter Arbeitskämpfe, die von einer erhöhten Anzahl von Streiks in verschiedenen Provinzen Britisch-Indiens gekennzeichnet war, gesehen werden. Die 1937 gewählten INC-Provinzregierungen sahen sich nach ihrem Wahlsieg mit hohen Erwartungen sowohl von der Arbeiterschaft als auch von Geschäftsleuten und Industriellen konfrontiert, da beide Gruppen die Wahlen des INC unterstützt hatten. Dementsprechend versuchten die neugewählten Minister entsprechende Forderungen auszubalancieren. Im Rahmen der zwischen 1937 und 1939 immer wieder auftretenden Streiks zeigten sich verschiedene Provinzregierungen anfänglich auch in moderater Weise bereit, die Forderungen der Arbeiterschaft nach höheren Löhnen zu unterstützen. Im Verlauf des Jahres 1938 jedoch bemühten sich die Regierungen um eine stärkere Kontrolle von Arbeiterstreiks, die sie nun verhindern wollten. Dazu erließ zum Beispiel die Regierung der Provinz Bombay im November 1938 ein entsprechendes Gesetz, während generell ein härteres Vorgehen gegen die Arbeiter in den Provinzen zu verzeichnen war.125 Auch
122 Vgl. Zacharian, Rethinking, S. 190 f. So zeigte sich Visvesvaraya angetan von den Institutionen zur Gestaltung der Freizeit, die Mussolinis Regierung in Italien eingeführt hatte. Siehe zu Visvesvaraya Wirtschaftsideen und seiner Teilnahme am Planungsdiskurs Kapitel 6.1.1 und 6.1.2.1. 123 Zu C. Rajagopalachari siehe den biografischen Anhang. 124 Vgl. From our correspondent: ‚Model of Germany (08. 10. 1938)‘, in: ABP, S. 2. 125 Vgl. Markovits, Business; Krishna, Ministry.
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Rajagopalacharis Verweis auf Disziplin und nationale Einheit muss im Zusammenhang mit den Versuchen des INC, die Arbeiterstreiks zu beenden, gesehen werden. Während verschiedene eher konservative Kommentatoren die Themen nationale Disziplin und Training der Bürger unter Verweis auf faschistische und nationalsozialistische Modelle diskutierten, wurde ihre prinzipielle Notwendigkeit für die Bildung der indischen Nation ebenfalls seitens linker Kräfte in der Nationalbewegung anerkannt.126 Inwieweit die Forderungen nach nationaler Disziplin dabei vom faschistischen und nationalsozialistischen Vorbild beeinflusst waren, ist, wenn sich die Autoren nicht explizit dazu äußerten, aus zweierlei Gründen nur schwer festzustellen. So deutet Zachariahs Argumentation zum einen mit Recht darauf hin, dass auch dieses Thema, obgleich es heutzutage als ein Bestandteil von Faschismen gesehen wird, als Komponente des Zeitgeistes begriffen werden sollte. Zum anderen habe es eine weiter zurückreichende Geschichte und könne deshalb nicht ausschließlich unter der Geschichte des Faschismus subsumiert werden.127 Im Zusammenhang mit der Frage nach nationaler Einheit wurde, wie der Beitrag von Katju gezeigt hat, auch die Notwendigkeit einer hierarchischen Ordnung in indischen Debatten besprochen. Als Reaktion auf eine Rede von Sarojini Naidu 128 setzte sich der Leitartikel des Forward vom 21. 08. 1929 mit der Frage nach der disziplinierten Organisation der jungen Generation und der Führung der Jugend auseinander. Naidu hatte in der Ansprache in Bombay von ihren Reiseerfahrungen berichtet und gesagt, dass Indien eine Persönlichkeit wie Mussolini bräuchte, die den Massen Leben, Männlichkeit und Disziplin beibringen könnte.129 Der Artikel im Forward nahm ihre Idee dankend auf und beschrieb die Wichtigkeit eines Führers für die Jugendbewegung, die ansonsten, ungeduldig wie die Jugend sei, nur zögerlich und zynisch werde. Obwohl es schon Initiativen gebe, die Inder und vor allem die Jugendlichen zu organisieren, zum Beispiel in der Hindustani Seva Dal, bleibe noch viel zu tun.130 Der Beitrag schloss mit der Hoffnung:
126 Vgl. Zachariah, Rethinking, S. 191 f.; Begum, Hazra: ‚The role of youth leagues (11. 06. 1938)‘, in: CS, S. 433 f. 127 Vgl. Zachariah, Rethinking, S. 179 und 190 f. Zur Geschichte der Ideale von Nationenbildung, citizenship training, ‚Dienst an der Nation‘ und nationale Disziplin in Indien siehe: Watt, Nation. 128 Zu Sarojini Naidu siehe den biografischen Anhang. 129 Vgl. o. A. (24. 08. 1929), The Tribune, S. 5. In der Rede berichtete Naidu von weiteren Erfahrungen in der Tschechoslowakei, Frankreich und Großbritannien. Als Vorbild für Indien benannte sie neben Italien allerdings nur die Tschechoslowakei. 130 Vgl. Leitartikel: ‚Wanted discipline (21. 08. 1929)‘, in: Forward, S. 4.
Nationalsozialistische Jugendpolitik als Vorbild für Indien?
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The time has come for concerted action of a much bigger scale, and we hope our youngmen, at any rate, will raise above all petty factions, and groups and unite under one National Flag to carry the freedom movement to a victorious end.131
Die von Naidu ausgesprochene und vom Leitartikel aufgenommene Forderung nach einem ‚starken Führer‘, der Indien einen könne, wurde hier in einen Zusammenhang mit der angestrebten indischen Unabhängigkeit gestellt. Beide Statements waren Ausdrucks der Überzeugung, Indien müsse seine Zerrissenheit aufgeben, um die Unabhängigkeit von den Briten zu erkämpfen.
4.3 Nationalsozialistische Jugendpolitik als Vorbild für Indien? 4.3.1 Die Jugend- und Bildungspolitik der Nationalsozialisten Die nationalsozialistische Ideologie beruhte, ähnlich wie der Faschismus, auf den Mythen Jugend, Gewalt und Krieg. 132 Das Hitlerregime strebte als höchstes Ziel der Bildungspolitik die Erziehung der männlichen Jugend zu Soldaten und der weiblichen zur Mutterschaft im Dienste der Nation an. Die pädagogischen Bemühungen konzentrierten sich dabei vorrangig auf die Formung des Charakters und der Körper der jungen Generation. Sie sollte durch Zucht und Disziplin zum nationalsozialistischen Menschen erzogen werden.133 Anders als bei Mussolini stand im Mittelpunkt der Überlegungen Hitlers jedoch der Rassengedanke, der sich grundlegend auf alle erziehungspolitischen Forderungen der Nazis auswirkte. So beinhalteten nationalsozialistische Vorstellungen zur körperlichen Ertüchtigung im Gegensatz zum faschistischen Italien, Ute Schleimer zufolge, eine rassisch-biologische Komponente. 134 Zur Durchsetzung seiner Ziele vertrat das Hitlerregime das Konzept eines totalen Erziehungsstaates, das sich nicht allein auf die Schule bezog und dessen Umsetzung wesentlich radikaler als im faschistischen Italien verfolgt wurde. 135 Zur totalen Kontrolle der jungen Generation wurde eine Reihe von außerschulischen Organisationen unterhalten. Die Gründung der Hitlerjugend (HJ) 136 lag dabei mit dem Jahr 1926 in der Zeit vor der nationalsozialistischen ‚Machtübergabe‘ ; ab 1933 wurde sie entsprechend der Zielsetzungen des Regimes 131
Ebd. Vgl. Schleimer, Opera, S. 202 f. 133 Vgl. ebd., S. 217; Steinhaus, Hitlers, S. 65 ff. Schleimer führt in diesem Zusammenhaus aus, dass als erstrebenswerte Charaktereigenschaften Treue zum Führer, Opferbereitschaft, Verschwiegenheit, Verantwortungsbewusstsein und Willens- bzw. Entschlusskraft galten (vgl. Schleimer, Opera, S. 219). 134 Vgl. ebd., S. 218. 135 Vgl. ebd., S. 221. 136 Zur Hitlerjugend siehe unter anderem: Klönne, Jugend; Stachura, Youth, S. 121 ff. 132
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
instrumentalisiert.137 Die Aufgabenfelder der HJ bestanden in der körperlichen Erziehung, der weltanschaulichen Schulung und der ‚Charakterbildung‘ der männlichen deutschen Jugend.138 Sie war streng hierarchisch gegliedert und besaß eine paramilitärische Organisationsform. Darüber hinaus verfolgte die nationalsozialistische Jugendformation einen totalitären Anspruch, in dessen Rahmen sämtliche weiteren deutschen Jugendorganisationen ausgeschaltet wurden und alle deutschen Jugendlichen erfasst werden sollten.139 Das Verhältnis zwischen HJ und deutschem Schulwesen kann einerseits als sich ergänzend, andererseits als ambivalent beschrieben werden. In den meisten deutschen Schulen wurde durchaus das nationalsozialistische Erziehungsideal propagiert, wenngleich sie weiterhin auf eine formale Schulbildung zielten. 140 Eine Ausnahme stellten nationalsozialistische Eliteschulen, wie die Ordensburgen und die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEA) dar. Während Erstere den politischen Führungsnachwuchs der Partei ausbilden sollten, standen Letzere allen Jugendlichen offen, wobei die Unterrichtspläne der NPEA ganz auf eine Gemeinschaftserziehung zielten, die ‚politische Kämpfer‘ für das Hitlerregime hervorbringen sollte.141 In den analysierten indischen Debatten wurden weder die Ordensburgen noch die NPEA thematisiert. 4.3.2 Die indische Auseinandersetzung mit den Veränderungen in Deutschland Das nationalsozialistische Deutschland war neben Italien ein weiteres Beispiel, das zu einem gewissen Umfang Eingang in indische Debatten über Jugend- und Bildungspolitik fand. Angesichts der Tatsache, dass der nationalsozialistische Jugendmythos vor allem wegen seiner Rassenbiologie nicht zur universalen Ausbreitung fähig war, erstaunt es, dass er von indischen Autoren keineswegs weniger Aufmerksamkeit erhielt als der italienische, dessen Anziehungskraft 137 Die deutsche Jugendbewegung begann keineswegs mit der ‚Machtübernahme‘ der Nationalsozialisten. Ihre offizielle Gründung liegt im Jahr 1901, ihre Wurzeln reichen zurück zum Beginn des 19. Jahrhunderts (vgl. Schleimer, Opera, S. 225 f.; Laqueur, Jugendbewegung, S. 13 ff.). 138 Vgl. Schleimer, Opera, S. 227; Stachura, Youth, S. 138 f. Stachura führt aus, dass die weltanschaulichen Schulungen insbesondere die rassentheoretischen Ideale des Regimes, die Vorstellung von der deutschen Überlegenheit, Gehorsam, Loyalität zum Führer und zum Vaterland, die Tugenden des Ethos der Volksgemeinschaft sowie den Glauben an die Notwendigkeit der Opferbereitschaft vermittelten (vgl. ebd., S. 139). 139 Vgl. Schleimer, Opera, S. 229; Stachura, Youth, S. 121 ff. Zur Organisation und Ausbildung der Jugendführer der HJ siehe: Ponzio, Projekt, S. 492 ff. und 498 ff. 140 Vgl. Schleimer, Opera, S. 232 f. Zum Verhältnis von Schule und HJ siehe: ebd., S. 233 ff. 141 Vgl. Gelhaus/Hülter, Ausleseschulen, S. 50 ff.; Patel, Sinnbild; Pine, Education, S. 71–94; Klare, Ausleseschulen, S. 137–160.
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universaler schien. 142 Zu beiden Staaten unterhielten indische Akteure, wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt, Austauschs- und Kooperationsbeziehungen und die indischen Debatten über die deutschen und italienischen Jugendbewegungen lassen keinen deutlich signifikanten Unterschied in puncto Universalität des Jugendmythos erkennen. Wie im Falle Italiens gab es in indischen Zeitungen Beiträge, welche die deutsche Jugendbewegung erwähnten, ohne dabei näher auf ihre spezifischen Merkmale einzugehen oder Unterschiede zu anderen Jugendbewegungen zu benennen. Auch eine genaue Differenzierung zwischen der Zeit vor und nach der ‚Machtübergabe‘ fehlte oft. 143 Andere Artikel beschrieben hingegen detaillierter die nationalsozialistische Jugend- und Bildungspolitik und gingen auf einzelne Aspekte, wie das Schulsystem, Aktivitäten zur Körperertüchtigung oder die Organisation der Hitlerjugend sowie auf deren Anwendbarkeit in Indien, ein.144 Ein Beitrag, der 1937 in der Amrita Bazar Patrika erschien, diskutierte zum Beispiel die neuen Stundenpläne in deutschen Schulen. Dabei ging der Autor, Tariniprosad Ghose, auch auf die Fächer „Volks-“ und „Rassenkunde“ ein, die er als notwendig empfand und deren Hauptzweck seiner Ansicht nach in der Förderung des deutschen Nationalismus lag. 145 Ein weiteres Thema, welches Ghose in seinem Beitrag behandelte, war die deutsche Körperkultur. Der Autor behauptete, man brauche in Deutschland keine weiteren Gelehrten, Wissenschaftler, Schriftsteller oder Philosophen, sondern vielmehr „soldatische Persönlichkeiten“. Dazu müsste die deutsche Jugend ihre pazifistischen Neigungen aufgeben. Gemäß dem lateinischen Sprichwort „Si vis pacem, prepara bellum!“ betonte Ghose die Pflicht der gesamten deutschen Nation und vor allem der jungen Generation für einen Krieg vorbereitet zu sein, denn diese Vorbereitung sei die beste Garantie für einen Frieden.146 Diese Darstellung des 142
Vgl. Radkau, Jugend, S. 104. Vgl. Leitartikel (14. 11.1928), Forward, S. 4; Chowdhury (07. 07. 1935), Forward, S. 10; From our own correspondent (05. 12. 1934), ABP, S. 10. 144 Vgl. Jadhav (16. 02. 1935), BC, S. 8; Chaliha, Kuladhar: ‚A peep into the Nazi Germany (01. 09. 1935)‘, in: ABP, S. 17; o. A.: ‚Hitler Youth a German Oxford (12. 11. 1937)‘, in: The Mahratta, S. 5; o. A.: ‚Military training in Germany (16. 06. 1939)‘, in: The Mahratta, S. 10; Khair, G. S.: ‚German education under National Socialism‘, in: MR, 57 (1) 1935, S. 38–43. 145 Vgl. Ghose, Tariniprosad: ‚Education in modern Germany (03. 10.1937)‘, in: ABP, S. 6. Der Artikel von Ghose, der 1937 erschien, weist starke Ähnlichkeiten (auch sprachlicher Art) mit dem Artikel von G. S. Khair aus dem Jahr 1935 auf. Es scheint, dass der Autor den zuvor erschienen Aufsatz aus der Modern Review als Hauptquelle für die eigenen Ausführungen genommen hat. Zum Inhalt des Beitrages von Khair siehe unten. Die gemeinsamen Argumente werden nicht noch einmal aufgeführt. 146 Vgl. ebd. 143
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Autors stimmte, abgesehen vom Aspekt der Friedenssicherung, weitgehend mit den erziehungspolitischen Grundsätzen Adolf Hitlers überein.147 Besonders begeistert zeigte sich Ghose auch unter Hinweis auf den nationalsozialistischen Arbeitsdienst von der Überwindung einer rein akademischen Ausbildung.148 So schloss er seinen Artikel mit folgenden Worten: The great achievement of the German system of education under the Nazi regime is that it has become successful to a certain degree to do away with the over-academic dose in the system of education. In the new programme action has found more place than intellect. If German education can show a harmonious blending of intellect and action, philosophy and practice, if will be a unique contribution to the world.149
Kritik an einer allein auf die intellektuellen Fähigkeiten gerichteten Ausbildung war in Indien keineswegs neu, sondern seit dem späten 19. Jahrhundert verbreitet. Die indische Auseinandersetzung mit diesem Problem war dabei nicht zuletzt auch von entsprechenden Diskursen aus Großbritannien beeinflusst worden.150 Während Ghose nur indirekt auf den nachahmenswerten Charakter des deutschen Modells hinwies, schrieb G. M. Jadhav in einem Leserbrief an den Bombay Chronicle, dass Indien viel von Deutschland in Bildungsfragen lernen könne. Interessant seien insbesondere die Maßnahmen, die der körperlichen Ertüchtigung dienen, wie Spiele, Sport, Lager und Wanderungen. Dazu zählte Jadhav auch die Erlangung von topografischem Wissen, insbesondere unter militärischen Gesichtspunkten. Jadhav schrieb, dass all diese Aktivitäten in deutschen Schulen sehr populär geworden seien. An den schulfreien Wochenenden würden die Schüler hinaus in die Natur zum Wandern, Marschieren und Campen gehen. So würden sie Disziplin erlernen und Fähigkeiten entwickeln, ihr Land zu verteidigen. 151 Jadhav forderte in seinem Beitrag, dass die beiden letztgenannten Aspekte, Disziplin und die Verteidigung des Heimatlandes, in der Primär- und Sekundärstufe ebenfalls den indischen Schülern beigebracht werden müssten. Landesverteidigung war seiner Ansicht nach die erste Bürgerpflicht. Jadhav plädierte für eine landesweite Propaganda zur Einführung eines militärischen Trainings an indischen Schulen und Colleges und wies darauf hin, 147
Vgl. Lingelbach, Erziehung, S. 28 ff. Die Einführung des nationalsozialistischen Arbeitsdienstes in Indien wurde in verschiedenen Zeitungsbeiträgen zur Militarisierung und körperlichen Ertüchtigung der indischen Jugend gefordert (vgl. o. A.: ‚Military training for all (03. 11. 1938)‘, in: ABP, S. 16; Kumar, Bejoy: ‚Reader’s letter: Volunteer Labour Service (30. 03. 1935)‘, in: Forward, S. 10; Khair, MR, 57 (1) 1935, S. 40). 149 Ghose (03. 10. 1937), ABP, S. 6. 150 Vgl. Fischer-Tiné, Character, S. 434 ff. Zum Anti-Intellektualismus der Nationalsozialisten vgl. Stachura, Youth, S. 145 f. 151 Vgl. Jadhav (16. 02. 1935), BC, S. 8. 148
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dass viel Zeit während der Ausbildung bisher für ‚unnütze‘ Fächer verschwendet werde. 152 Jadhavs Begeisterung für das nationalsozialistische Erziehungssystem kann unter Umständen mit seiner engen Verbindung zu Deutschland erklärt werden. Er stand nicht nur im Kontakt mit der Deutschen Akademie, er hatte auch längere Zeit in Deutschland verbracht. In Bombay unterrichtete er Deutsch und Französisch unter anderem am Elphinstone College und hatte dort eine Deutsche Gesellschaft ins Leben gerufen.153 Sein Engagement hinsichtlich einer Militarisierung und verbesserten körperlichen Ertüchtigung der indischen Jugend hielt laut einem britischen Geheimdienstreport in den nächsten Jahren an. So arbeitete er als Direktor für militärische Bildung unter der INC-Regierung in Bihar. Auch stand er, den Briten zufolge, mit deutschen Nationalsozialisten in Kontakt, die aktiv Propaganda in Indien betrieben. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stellte Jadhav seine Aktivitäten keineswegs ein. Den Geheimdienstberichten zufolge pflegte er Kontakte mit den japanischen und italienischen Konsulaten in Indien, die ihn mit Büchern über militärisches Training von Jugendlichen versorgen sollten. Auch bot er 1942 der Punjab Students Federation eine Vorlesungsreihe zum Thema „military training“ an. 154 Ein weiterer Diskussionsbeitrag, der detailliert das deutsche Bildungssystem, den Aspekt der körperlichen Ertüchtigung, die Hitlerjugend und den Arbeitsdienst vorstellte, stammte von G. S. Khair, der von seinen Erfahrungen in Deutschland berichtete. Der Autor beschrieb verschiedene Schul- und Universitätsbesuche unter anderem in Berlin, Heidelberg und Frankfurt am Main sowie die Besichtigung eines Lagers des Arbeitsdienstes. 155 Die deutsche Bildung zielte seiner Ansicht nach dabei auf die Schaffung einer kraftvollen Nation mit einem nationalen Bewusstsein. Die deutsche Jugend solle, so legte der Autor dar, ihr Selbstbewusstsein aus dem Gefühl der „rassischen Überlegenheit“ erhalten, während die gesamte deutsche Nation Sicherheit durch die Einprägung der Prinzipien von Gehorsam und Disziplin erlange.156 Obgleich Khairs Darstellung der nationalsozialistischen Zielsetzungen und der Umsetzung der Politik auf eine positive Wahrnehmung der Bildungspolitik des Hitlerregimes deuten, zeigte er sich hinsichtlich des Rassenkundeunterrichts an deutschen Schulen kritisch. Einerseits wies er explizit darauf hin, dass dieser keineswegs auf wissenschaftlichen oder historischen Grundlagen beruhe, sondern einzig
152
Vgl. ebd. Vgl. Thierfelder, India, S. 23; o. A.: ‚Survey No. 18 of 1942 for the week ending 9th May 1942‘, in: IOR, L/PJ/12/509, BL. 154 Vgl. o. A. (1942), IOR, L/PJ/12/509, BL. 155 Vgl. Khair, MR, 57 (1) 1935, S. 38–43. 156 Vgl. ebd., S. 39. 153
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auf einer systematischen Darlegung von Hitlers bevorzugten Rassentheorien. Andererseits berichtete Khair kurz von einer Episode in einer Mädchenoberschule, die er besucht hatte. Dort war ihm die Teilnahme an einer Geschichtsstunde verwehrt worden. Als Grund dafür vermutete Khair, dass im Unterricht rassenkundlicher Lehrstoff vermittelt wurde. 157 Trotz dieser Erfahrung blieb sein Gesamteindruck ein positiver, insbesondere da Deutschland, Khair zufolge, zeige, dass Veränderungen in politischer und sozialer Hinsicht ebenfalls Modifikationen im pädagogischen Bereich nach sich ziehen müssten. Dies sollten indische Pädagogen vom deutschen Modell lernen. Dabei schien es ihm weniger auf eine direkte Übernahme einzelner Elemente anzukommen, sondern auf eine Nachahmung des übergeordneten Gedankens: For India, Germany holds the pattern of a national education that grows out of the native soil. The social and political philosphy of the nation needs to be defined in order to serve as a basis for educational ideals. Educators ought to take cognizance of the needs and weaknesses of Indian society and approch the problem from that direction. National education should aim at bringing about a vital integration in the Indian society and giving it the consciousness of strength. […]. The concept of an Indian culture should be the criterion for selecting the raw materials of education.158
Das nationalsozialistische Deutschland war somit für Khair das Referenzmodell einer erfolgreichen ‚Nationalerziehung‘. Neben diesen Beispielen, die eine Nachahmung bestimmter Aspekte oder der grundsätzlichen Idee der nationalsozialistischen Erziehungspolitik für Indien empfahlen, enthielten die Diskussionen in den indischen Medien auch vereinzelte Beiträge, die sich ablehnend äußerten bzw. auf negative Auswüchse des Systems hinwiesen. Im Mittelpunkt der Kritik standen die nach der ‚Machtübergabe‘ durchgeführten Veränderungen im universitären System Deutschlands. 159 So wies D. D. Karve, die neue Situation richtig erfassend, auf die Abschaffung der Lehrfreiheit sowie der politischen Neutralität des Lehrkörpers hin. Die wichtigste Aufgabe der Professoren sei nun die Vermittlung patriotischer, nationalsozialistischer Ideen an die Studenten. Die Universitäten seien nun nicht mehr ausschließlich für die Vermittlung von Wissen zuständig, sondern seien Zentren politischer Indoktrination geworden, die abweichende Meinungen nicht mehr zuließen.160
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Vgl. ebd., S. 42. Ebd., S. 43. 159 Vgl. Karve, D. D.: ‚The German universities under the Nazis‘, in: CR, 51 (1) 1934 Ser. 3, S. 125 f.; Kumarappa, J. M.: ‚The Nazi menace to German scholarship‘, in: MR, 54 (2) 1933, S. 151–155. 160 Vgl. Karve (1934), CR, 51 (1) Ser. 3, S. 126. Zur Lehrfreiheit siehe: Grüttner, Studenten, S. 155 ff. Zur ‚Gleichschaltung‘ der Universitäten sowie der ‚Selbstgleichschal158
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Kritik an den Veränderungen im universitären Bereich drückte ebenfalls der bekannte Wirtschafts- und Soziologieprofessor Jagadisan Mohandas Kumarappa 161 in einem Artikel in der Modern Review aus. Insbesondere die Haltung der Studenten habe sich aufgrund der nationalsozialistischen Revolution radikalisiert, die Universitäten seien „Brutstätten“ für einen chauvinistischen Nationalismus und Brennpunkt sozialer und politischer Unruhen.162 Kumarappa, der anschließend die wirtschaftlich oftmals prekäre Situation der deutschen Universitätsabsolventen beschrieb, legte dar, dass diese sich von Hitler eine Verbesserung ihrer ökonomischen Lage erhofften. Während er dafür durchaus Verständnis zu haben schien, fehlte ihm dieses, wenn er über die Gewalttätigkeiten gegenüber Professoren oder die „Reinigung“ von Bibliotheken durch Studenten berichtete.163 Obgleich Kumarappa die negativen Ereignisse an den deutschen Universitäten darstellte, kann sein Beitrag, der nur wenige Monate nach der ‚Machtübergabe‘ erschien, nicht als durchgehend kritisch gegenüber dem Nationalsozialismus bewertet werden. So drückte er in ihm die Hoffnung aus, dass Hitler, der selbst eine große Bewunderung für die deutsche Kultur pflege, den Studenten nun den richtigen Weg weisen würde, wobei für Kumarappa dieser Weg keinen Einsatz von Gewalt beinhaltete.164 Kumarappas Einschätzung Hitlers und seiner Aufgabe stimmte allerdings kaum mit dessen tatsächlichen Ansichten und praktischer Politik überein, denn der ‚Führer‘ maß bekanntlich weder der geistigen Erziehung eine hohe Bedeutung zu, noch mißbilligte er Gewalt. 165 Das Ergebnis, dass sich die Kritik des Autors eher gegen bestimmte Aspekte des Nationalsozialismus bzw. gegen verschiedene Prozesse im Verlauf der gesellschaftlichen Umgestaltung und nicht grundsätzlich gegen die neue Ideologie und ihre praktische Umsetzung richtete, bestätigt sich, wenn man Kumarappas Ausführungen zur Wirtschaftspolitik des Hitlerregimes analysiert. 166
tung‘ der Gelehrten vgl. Olszewski, Begeisterung, S. 76 ff.; Kater, Professoren, 67, S. 465– 488. 161 Zu J. M. Kumarappa siehe den biografischen Anhang. 162 Vgl. Kumarappa, MR, 54 (2) 1933, S. 151. 163 Vgl. ebd., S. 152 ff. Zum Verhalten der Studenten an deutschen Universitäten im Jahr 1933 und zur Stellung der Professoren vgl. Grüttner, Studenten, S. 62 ff.; Grüttner, Sorgenkind, S. 201 ff. Zur ‚Aktion wider den undeutschen Geist‘ vgl. Giles, Students, S. 129 ff.; Faust, Hochschulen, S. 31–50; Sauder, Bücherverbrennung. 164 Vgl. Kumarappa, MR, 54 (2) 1933, S. 154. 165 Vgl. Schleimer, Opera, S. 219; Grüttner, Studenten, S. 159. 166 Vgl. Kumarappa, Jagadisan M.: ‚Unemployment reduction in Germany‘, in: MR, 58 (1) 1935, S. 6. Siehe zu Kumarappas Ausführungen zur Wirtschaftspolitik Kapitel 6.1.2.1.
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4. Organisation und Erziehung der Jugend
4.4 Fazit Indische Debatten in den 1920er und 1930er Jahren über Jugend, Körperertüchtigung und paramilitärisches Training sowie die Fragen nach Disziplin, einer hierarchischen Ordnung und dem ‚Dienst an der Nation‘ waren keineswegs neu, sondern knüpften an eine reiche Tradition an. Die Auseinandersetzungen mit den britischen Kolonialherren hatten seit dem späten 19. Jahrhundert verschiedene Initiativen zur physischen und charakterlichen Stärkung der indischen Jugend hervorgebracht. Ende der 1920er Jahre fanden auch die Maßnahmen des faschistischen Italien und ein wenig später die des nationalsozialistischen Deutschland in puncto Jugend- und Bildungspolitik Eingang in die indischen Debatten. Manche Autoren lobten dabei die Entwicklungen in den beiden Regimen, andere äußerten Kritik und in einigen wenigen Beiträgen lassen sich direkte Empfehlungen für eine Aneignung entsprechender Konzepte finden. Detaillierte Beschreibungen des jeweiligen Systems in Italien und Deutschland sowie der Veränderungen in Deutschland unter der Hitlerregierung stammten dabei oftmals von Autoren, die die beiden Staaten bereist hatten. Im Zusammenhang mit Italien wurde vor allem das Thema paramilitärisches Training der Jugend diskutiert, wobei die italienischen Bemühungen teilweise als Referenzmodell galten, bzw. im Fall Moonjes wahrscheinlich eine Aneignung stattgefunden hat. Der Modellcharakter Italiens wurde von einigen Autoren vor allem mit den Ähnlichkeiten bzw. Gemeinsamkeiten, die zwischen Indien und dem mediterranen Staat bestünden, begründet. Solch ein Vergleich unterblieb im Fall des nationalsozialistischen Deutschland, das in indischen Beiträgen oftmals als Beispiel einer erfolgreichen ‚Nationalerziehung‘ diskutiert wurde. Eine Auseinandersetzung mit den in beiden Regimen, aber auch als Teil eines globalen Zeitgeistes, wichtigen Aspekten Führerkult, Disziplin und ‚Dienst an der Nation‘ fand ebenfalls in indischen Medien und unter Politikern statt, wobei eben jene Aspekte als wichtige Elemente für den Aufbau einer starken indischen Nation galten. Die Vorstellungen, wer dieser Nation angehörte, variierten dabei in den Diskursen.
5. Rassismus und Antisemitismus Der menschenverachtende Rassismus und Antisemitismus sowie deren Umsetzung in der Rassen- und ‚Judenpolitik‘ des Hitlerregimes gelten als konstitutive Aspekte des Nationalsozialismus. Lange Zeit wurden sie von verschiedenen Historikern als den Faschismus und Nationalsozialismus unterscheidende Faktoren angesehen.1 Diese Argumentation wird von der neueren Forschung immer mehr in Frage gestellt, wie Studien zum Rassismus und Antisemitismus im faschistischen Italien zeigen. 2 Allerdings sei es, Arnd Bauerkämper zufolge, nach wie vor unbestritten, dass sich „[…] die schrankenlose Repressions- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten deutlich von dem [italienischen, M. F.] Regime abhob […]“. 3 Dass diese Unterscheidung ebenfalls in den indischen Debatten wahrgenommen wurde, wird durch deren Konzentration auf Deutschland bei den Themen Rassismus und Antisemitismus deutlich.
5.1 Indische Debatten zu nationalsozialistischen Rassentheorien 5.1.1 „Wir sind (ebenfalls) Arier!“ Die indische Auseinandersetzung mit rassistischen Diskriminierungen in Deutschland Eine einheitliche rassenpolitische Doktrin besaß der Nationalsozialismus nicht. Er brachte eher eine Reihe recht unterschiedlicher, sich auch widersprechender Theoreme und Ideologeme zusammen, in denen auch die Stellung der Inder und die Frage nach dem Wesen und der Rolle der ‚Arier‘ 4 unterschiedlich
1 Vgl. Schmuhl, Rassismus, S. 182 ff.; Pommerin, Differenzen, S. 646–660; Bracher, Nationalsozialismus, S. 578 und 582 ff. 2 Einen historiografischen Überblick dazu bietet Hildebrand, Reich, S. 179 ff. 3 Bauerkämper, Faschismus, S. 37. 4 Im deutschen Sprachgebrauch, insbesondere in der Indologie, hat sich die Schreib¯ rya durchgesetzt, im Englischen gebraucht man Arya. In dieser Arbeit wird, um weise A den Gebrauch des Begriffes in seinem zeitgenössischem Kontext aufzuzeigen, ‚Arier‘ im deutschen und ‚Arya‘ im indischen Zusammenhang benutzt. Zur Entwicklung des Begriffes in der Sprachwissenschaft und in der (Rassen-)Anthropologie siehe: Hutton, Race, S. 80 ff.; Wiesehöfer, Geschichte, S. 149–165.
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5. Rassismus und Antisemitismus
bewertet wurden. 5 So vertrat der NS-Ideologe Alfred Rosenberg 6 das Primat der nordischen bzw. arischen Rasse, zu der er neben Deutschen auch Skandinavier, Engländer und die nordischen Amerikaner rechnete. Aufgrund der Inklusion der Engländer und ausgehend von einer Herrschaft der arischen Rasse als Ganzes, plädierte er für eine Unterstützung des britischen Weltreiches und damit für das Fortbestehen des britischen Kolonialismus in Indien.7 Gleichzeitig aber maß Rosenberg den alten Indern große Bedeutung bei, da ihre Religion für ihn eines der ersten Zeugnisse des nordischen Mythos darstellte. Insbesondere beeindruckt zeigte er sich von der Metaphysik, die das arische Indien der Welt geschenkt habe. 8 Auch das Kastensystem, welches die arischen Inder von der nicht-arischen Bevölkerung für lange Zeit getrennt und damit die ‚Rassenreinheit‘ sichergestellt habe, fand seine Zustimmung. Ihre Vermischung habe die ‚Reinheit des Blutes‘ ruiniert, weswegen Rosenberg auch keine hohe Meinung vom zeitgenössischen Indien hatte. 9 In rassenkundlicher Hinsicht einflussreich auf den Nationalsozialismus war ebenfalls Hans F. K. Günther,10 der die Inder als arische Gruppe der Indogermanen definierte und
5 Vgl. Sieferle, Indien, S. 458 ff. Sieferle ist der Ansicht, dass der ‚Arier‘-Begriff vonseiten der Nationalsozialisten 1933 noch gebraucht wurde, er aber ab 1935 aus dem offiziellen Sprachgebrauch des Regimes verschwand und die Ausgrenzung von ‚Anderen‘ nun einer vorrangig antisemitischen Stoßrichtung folgte. Auch Hutton konstatiert, dass nationalsozialistische Rassentheoretiker den Begriff Arier in rassischen Konzepten zurückwiesen (vgl. Hutton, Race, S. 80). Kritisch zu solchen Thesen positioniert sich Sheldon Pollock, der feststellt, dass es keine sozialgeschichtliche Untersuchung des Begriffes Arier gibt und der auf die Benutzung des Wortes auch für die Zeit nach 1935 deutet (vgl. Pollock, Oriente, S. 350 FN 16.) Zur Auseinandersetzung um die ‚richtige‘ Rassentheorie bis 1935 unter den Nationalsozialisten siehe: Essner, Gesetze, S. 61 ff. 6 Vgl. zu Rosenberg und seiner Ideologie in puncto Rasse und Religion: Bärsch, Religion, S. 192 ff. Siehe als Biografie ebenfalls: Cecil, Myth; Piper, Rosenberg. 7 Vgl. Sieferle, Indien, S. 456; Rosenberg, Mythus, S. 660 ff. Rosenberg zufolge wanderte die arische Rasse aus ihrer Urheimat (Atlantis) unter anderem nach Indien ein (vgl. ebd., S. 28 f.). 8 Vgl. Rosenberg, Mythus, S. 28 f. 9 Vgl. ebd., S. 29 ff. So bezeichnete er die aktuelle indische Bevölkerung als Erzeugnisse einer „Rassenschande“ und als „armselige Bastarde“ (vgl. ebd., S. 30). In Hinblick auf die Nationalbewegung urteilte er, dass diese keinen Erfolg haben könne, da die rassische Substanz der Arier bis auf geringe Überreste verschwunden sei. Deshalb „zeugte Indien“, ihm zufolge, „auch nur den müden Gandhi mit seinem Pazifismus, nicht einen, eine Neuschöpfung verkörpernden Feldherrn.“ (vgl. ebd., S. 662). 10 Hans F. K. Günther (1891–1968) war Professor für Sozialanthropologie in Jena. Er wechselte 1935 an die Universität in Berlin und lehrte von 1940–1945 an der Universität Freiburg i. Br. Günther war einer der bekanntesten deutschen Rassenkundler in der Zeit von 1918–1932. Nach 1933 publizierte er nicht mehr über Rasse, sondern über Familie, Ehe und Bauerntum (vgl. Mohler/Weissmann, Revolution, S. 422 f.).
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deren Untergang er aufgrund von Rassenvermischung, ideologischer Aufweichung, extremen Individualismus, der Auflösung moralischer Bindungen sowie des Verstädterungsprozesses konstatierte. Damit enthielt Günthers Darstellung alle Topoi der modernen Zivilisationskritik.11 Die Frage, welche rassentheoretischen Arbeiten Einfluss auf Hitlers Rassismus nahmen, kann nicht vollständig beantwortet werden. Wippermann und Burleigh zufolge kannte der ‚Führer‘ die meisten rassisch-anthropologischen, rassisch-hygienischen und antisemitischen Theorien, die er in „Mein Kampf“ in ein zusammenhängendes, unabhängiges, völlig irrsinniges rassenpolitisches Programm abwandelte.12 Hitler glaubte an das Vorhandensein von ‚höheren‘ und ‚niedrigeren‘ menschlichen Rassen und behauptete, dass die Arier die einzige ‚kulturschaffende‘ Rasse, Chinesen und Japaner immerhin noch ‚kulturtragend‘ seien. ‚Schwarze‘ und Slawen hingegen seien von ‚geringem Wert‘ und die Juden der Inbegriff des Bösen.13 Im Zusammenhang mit dem Vorhandensein verschiedener menschlicher Rassen sprach er sich für deren Reinhaltung, für die selektive Züchtung der ‚wertvollen arischen Rasse‘ und gegen eine Rassenvermischung aus, da diese zu einem Niedergang der Arier führen werde. 14 Darüber hinaus stand für ihn außer Frage, dass die ‚höherwertigen Rassen‘
11 Vgl. Sieferle, Indien, S. 458 ff. Die Werke des einflussreichen Schriftstellers und Rassen-Anthropologen Hans F. K. Günther wurden in den 1920er Jahren weithin gelesen. So hatte zum Beispiel seine „Kleine Rassenkunde des Deutschen Volks“ eine Zirkulation von 120.000 Exemplaren im Jahr 1928. Obgleich seine eugenischen Ideen Einfluss auf die Nationalsozialisten hatten, wurden seine Bücher später aufgrund ihrer Beschreibungen externer Charakteristika des nordischen Arier von der Hitlerregierung zurückgehalten (vgl. Marten, Racism, S. 23–41). Günther erhielt schon vor der ‚Machtübergabe‘ 1933 auf Druck der nationalsozialistischen Regierung in Thüringen einen Lehrstuhl an der Universität Jena (vgl. Mosse, Revolution, S. 218 und 318). 12 Vgl. Burleigh/Wippermann, State, S. 37 f. Hinsichtlich der Fragestellung, welche Theoretiker Hitler gelesen habe, herrscht keine Klarheit. Burleigh und Wippermann schreiben, dass Hitler mit seinen Behauptungen Gobineau und anderen Rassetheoretikern folgte. Ob er die Werke von Rassehygienikern wie Haeckel, Schallmayer und Ploetz direkt kannte, ist fraglich. Eher ist es wahrscheinlich, dass Hitlers Vorstellungen durch pseudowissenschaftliche Traktate, verfasst von Hentschel, Lanz von Liebenfels und Arthur Dinter geprägt worden waren (vgl. ebd., S. 38.). Zur Frage der formativen Einflüsse auf Hitlers Vorstellungen beim Thema Rasse siehe auch: Weikart, Darwin, S. 216 ff. Zum Einfluss der Ariosophen Lanz von Liebenfels und Guido von List auf Hitler siehe: Goodrick-Clarke, Roots, S. 192 ff.; Lütt, Wurzeln, S. 468–479. 13 Vgl. Hitler, Kampf, S. 317 ff. und 421; Burleigh/Wippermann, State, S. 38. Hitlers Rassenvorstellung beruhte auf biologistischen Grundlagen, da er an die Festlegung von Rassen durch den Faktor Blut glaubte und Sprache als Kriterium verneinte (vgl. Hitler, Kampf, S. 428). 14 Vgl. ebd., S. 428 f. und 443 ff.
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5. Rassismus und Antisemitismus
über die ‚niedrigeren‘ herrschen sollten.15 Das Judentum war in Hitlers Weltsicht der schlimmste Feind der Arier, der, seiner Ansicht nach, entweder räumlich oder körperlich isoliert und eliminiert werden müsste.16 Obgleich Hitler in der Beschreibung bzw. ‚Einstufung‘ der verschiedenen Rassen die Inder nicht explizit erwähnte, werden seine äußerst negativen Ansichten zu Indien in „Mein Kampf“ deutlich. Dort erörterte er die Frage, ob die britische Herrschaft in Indien wanke und verneinte sie kategorisch. Er stellte fest, dass die britischen Herrschaft in Indien nur dann enden könne, wenn: […] es [England, M. F.] entweder selbst in seiner Verwaltungsmaschinerie der rassischen Versetzung anheimfällt (etwas, das augenblickblich in Indien vollkommen ausscheidet), oder wenn es durch das Schwert eines machtvollen Feindes bezwungen wird. Indischen Aufrührern wird dies aber nie gelingen.17
Hitler, der die indischen Nationalisten abwertend als „asiatische Gaukler“ bezeichnete, beantwortete ganz im Sinne seiner Rassenlogik die Frage nach der britischen Kolonialherrschaft in Indien mit der Feststellung, dass er „[…] als Germane Indien trotz allem immer noch lieber unter englischer Herrschaft sehe als unter einer anderen“. 18 Auch in der deutschen Presse wurden nach 1933 immer wieder diskriminierende Äußerungen veröffentlicht. Diese Beiträge zogen ebenso wie die Aussagen hochrangiger Politiker und Hitlers gegenüber Indern vielfach Proteste von indischer Seite nach sich und beförderten die kritische Auseinandersetzung mit den Rassenvorstellungen der Nationalsozialisten. Dabei erschienen neben zahlreichen Artikeln zum deutschen Antisemitismus und dessen Folgen sowie zu rassistischen Äußerungen gegenüber Indern nur vereinzelt Beiträge in der indischen englischsprachigen Presse, die sich mit weiteren Regelungen und Konsequenzen der Rassengesetzgebung auseinandersetzten. Kaum ein Beitrag thematisierte nationalsozialistische Rassentheorien im Detail. 19 Die durch deutsche Politiker und in den Medien zum Ausdruck gebrachte Überzeugung von der Inferiorität der zeitgenössischen Inder führte zu einer umfangreichen Diskussion in indischen Medien, die zahlreiche vehemente Proteste und verständlicherweise nur wenige, die offizielle Rassenpolitik Deutschlands verteidigende Beiträge enthielt. 20 Der Autor einer dieser apologetischen Artikel 15
Vgl. ebd., S. 421. Vgl. ebd., S. 629 f. und 724 f.; Burleigh/Wippermann, State, S. 42. 17 Hitler, Kampf, S. 747. 18 Vgl. ebd. 19 Vgl. From our own correspondent: ‚Events in Europe (13.12. 1935)‘, in: ABP, S. 8; Ethanlogicus: ‚Fascism and false race science (30. 09. 1935)‘, in: BC, S. 6 und 8. 20 Vgl. Goyal (24. 11. 1934), ABP, S. 12; o. A.: ‚Does Germany want war? (26. 09. 1936)‘, in: BC, S. 15. 16
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führte aus, dass die Deutschen Indern gegenüber freundlich eingestellt seien und berief sich dabei auf seine eigenen Erfahrungen, die er während zweier Besuche im Herbst 1933 und Winter 1934 gemacht hatte. Er machte dabei folgende generalisierende Aussage: I think the Germans have not only some regard for us, but have reverence for our race and country as (1) they claim to be belonging to Aryan race; (2) they possess and study vast Sanskrit literature; and (3) they have adopted ‚Swastika‘ as their national symbol which is a typical Indian emblem. India being the biggest home of Aryans to-day and still holding the key of Sanskrit literature it seems rather unnatural that Germans have got any prejudice against Indians. 21
Der Autor wies in seinen Ausführungen durchaus auf wichtige Aspekte hin, welche die deutsch-indischen Beziehungen prägten. So herrschte in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts tatsächlich eine Indienbegeisterung unter Teilen der deutschen Bevölkerung vor und die wissenschaftliche Beschäftigung mit Indien hatte seit den 1820er Jahren eine weltweit anerkannte indologische Tradition hervorgebracht. 22 Seine Wahrnehmung einer gemeinsamen Zugehörigkeit zur arischen Rasse stimmt dabei mit einer der Lesarten überein, die weit verbreitet unter indischen Autoren (Aryas = Inder + Europäer) und auf Inklusion angelegt war. 23 Die von ihm festgestellte Freundlichkeit der Deutschen gegenüber Indien ließ sich bei nationalsozialistischen Einzelpersonen und Gruppen feststellen, die eine Vorbildwirkung des antiken Indien und seiner Glaubensvorstellungen konstatierten, den Unabhängigkeitskampf Indiens für unterstützenswert hielten oder die alten Inder als zur arischen Rasse dazugehörig begriffen. 24 Auffallend ist dabei, dass sich positive Einschätzun21
Goyal (24. 11.1934), ABP, S. 12. Vgl. Voigt, Hitler, S. 34; Sengupta, Salon; Günther/Rehmer, Inder, S. 65 ff. 23 Vgl. Trautmann, Aryans, S. 221. Eine weitere Lesart der indisch-europäischen Beziehungen bestand für indische Autoren darin, die arische Idee als Quelle von Differenz, Überlegenheit und ein höher entwickeltes Altertum (Aryas = Hindus) zu sehen. Die Auseinandersetzung mit der Arya-Theorie fand im größeren Maße allerdings in Diskussionen zur Zusammensetzung der indischen Bevölkerung statt. Interessant ist Trautmann Hinweis, dass während die „Aryan idea“ in Großbritannien eher als Zeichen der Inklusion angesehen wurde, sie auf dem europäischen Festland – und damit auch in Deutschland – eher als Symbol für Exklusion galt. Zur Entwicklung und Auseinandersetzung mit AryaTheorien in Indien siehe ebenfalls: Leopold, Theory, S. 271–297; Thapar, Theory, S. 3–29; Ballantyne, Orientalism, S. 169–187 und 230–234. 24 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 72 ff.; Sieferle, Indien, S. 457; Bärsch, Religion, S. 203 und 205. So soll sich der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, intensiv mit der altindischen Kultur, Religion und Philosophie auseinandergesetzt und starke Bewunderung für die geistige Überlegenheit der alten Inder empfunden haben (vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 72 f.). Sieferle erwähnt den ‚national-revolutionären‘ Flügel in der NSDAP um Otto Strasser, der sich vor 1930 für eine Unterstützung des indischen Unab22
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5. Rassismus und Antisemitismus
gen Indiens vor allem auf dessen Vergangenheit bezogen. Gleichzeitig aber gab es mit Hitler eine wichtige Führungspersönlichkeit, die weder Vorstellungen über gemeinsame rassische Ursprünge teilte, noch Bewunderung für die antike Zivilisation der Inder hatte, sondern ganz im Gegenteil abwertend über sie sprach. 25 Auch die gesetzlichen Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung deuteten auf eine den Indern gegenüber keineswegs freundlich eingestellte Rassenpolitik hin (siehe unten). Die rassistischen Vorstellungen der Nationalsozialisten zu Indien führten zu vehementen Protesten von indischer Seite. So informierte ein Schreiben der Federation of Indian Students Abroad die bengalische Öffentlichkeit über die sich verschlechternde Situation für indische Personen in Deutschland und benannte detailliert die diskriminierenden Ideen und Regelungen des Hitlerregimes. Der Verfasser des Beitrags, Dr. P. D. Katyar, der der Sekretär der in Wien ansässigen Föderation war, wies darauf hin, dass die Rassenpropaganda in Deutschland ursprünglich antisemitischer Natur gewesen sei, sich nun aber auch gegen ‚Neger‘ und ‚farbige‘ Menschen richtete. Empört schrieb er, dass es immer wieder Vorfälle gegeben habe, in denen Inder nicht als Arya angesprochen und behandelt worden seien, sondern als ‚Neger‘. 26 Der Beitrag wies eindeutig die durch das Regime systematisch verbreitete Vorstellung von der Überlegenheit der weißen Rasse und insbesondere der nordischen Rasse zurück und hob die indischen sowie japanischen Proteste gegen die geplante Gesetzgebung gegen eine Rassenvermischung hervor. Allerdings lassen die Ausführungen des Autors ebenfalls vermuten, dass er von einem rassisch höheren Status der Inder ausging, die seiner Ansicht nach ebenfalls in die Kategorie der Arya fielen. 27 Die Kritik der Föderation bzw. ihres Vorsitzenden war somit ambivalent: einerseits lehnte sie die Überlegenheit der weißen Rasse ab und verweigerte eine Kategorisierung von Indern als ‚farbig‘, anderseits bestätigte sie durch ihre Ansicht, dass Inder als Arya rassisch den Deutschen gleich-
hängigkeitskampfes ausgesprochen hatte. Ein Grund hierfür war die Annahme, mit Indien ein gemeinsames Schicksal zu teilen; beide Staaten seien Opfer der imperialistischen Westmächte. Dabei zielten Vertreter des ‚national-revolutionären‘ Flügels mit der Unterstützung Indiens in erster Linie auf eine Schwächung Großbritanniens. Nach 1930 setzte sich aber Hitler und der ‚national-imperialistische‘ Flügel in der NSDAP durch und damit verfestigte sich, Sieferle zufolge, das Primat der Rassenpolitik über den Nationalsozialismus (vgl. Sieferle, Indien, S. 457 und S. 465 f. FN 86). 25 Vgl. Voigt, Hitler, S. 34 ff.; Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 72. Hitler verachtete ebenfalls Gandhis Prinzipien der Gewaltlosigkeit, die eine wichtige Rolle im zeitgenössischen Unabhängigkeitskampf spielten. Ähnliches lässt sich für Hitlers ‚Chefideologen‘ Alfred Rosenberg feststellen (vgl. Voigt, Hitler, S. 47 f.; Rosenberg, Mythus, S. 662). 26 Vgl. Katyar, P. D.: ‚Nazi propaganda against Indians (22. 08. 1934)‘, in: Forward, S. 10. 27 Vgl. ebd.
Indische Debatten zu nationalsozialistischen Rassentheorien
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gestellt seien, die durch die Nationalsozialisten vorgebrachte Rassenhierarchie. Eine Solidarisierung mit anderen, durch die rassistischen Vorstellungen der Nationalsozialisten diskriminierten Menschen und Gruppen blieb in diesem Artikel ebenso aus wie eine grundsätzliche Ablehnung der entsprechenden Rassentheorien.28 Verschiedene Organisationen indischer Studenten in Deutschland und Österreich artikulierten ihren Protest gegen die anti-indische Propaganda in deutschen Medien, gegen die wahrgenommene schlechtere Behandlung von Indern im ‚Dritten Reich‘ sowie gegen die Rassenideologie der Nationalsozialisten direkt gegenüber dem Hitlerregime. Neben dem Hindustan Students’ Club in München und der Indian Students’ Association in Berlin 29 wurde erneut die Federation of Indian Students Abroad aktiv, die im August 1934 ein Memorandum an Adolf Hitler sandte, welches im Frühjahr 1935 im Bombay Chronicle abgedruckt wurde. 30 In diesem setzte sich der Verband für eine Rückbesinnung auf die früheren guten deutsch-indischen Beziehungen ein und forderte unter anderem das Ende der rassistischen Behandlung von in Deutschland lebenden Indern.31 Das Memorandum beschrieb Vorfälle, in denen Inder in Deutschland mit Steinen beworfen und als „Neger“ bezeichnet worden waren. Darüber hinaus wies es auf die vorgeschlagene diskriminierende Rassengesetzgebung des nationalsozialistischen Strafrechts 32 hin und warf die Frage auf, inwieweit die 28 Dieser Befund, der sich ebenso für die anderen hier analysierten Quellen verallgemeinern lässt, ist insoweit interessant, als dass Italiens rassistische Begründung des Abessinienkrieges in Sinne seiner ‚Zivilisierungsbemühungen‘ weithin kritische Stimmen und Solidarisierungen in den indischen Debatten hervorrief. Dies lässt sich nicht für den nationalsozialistischen Rassismus konstatieren, obgleich neben Indern viele weitere Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert wurden (vgl. hierzu: Höpp, Discourse, S. 171 ff.; Lusane, Hitler’s). 29 Vgl. Voigt, Hitler, S. 41. Der Hindusthan Students’ Club und die Indian Students’ Association schickten ihre Protestschreiben an das Auswärtige Amt. Der Vorsitzende des Hindustan Student’s Club, M. S. Khanna, beschrieb in einem Beitrag für den Bombay Chronicle ausführliche Maßnahmen vonseiten der indischen Studenten und führte aus, dass alle Minister der Hitlerregierung ein Prostest-Memorandum sowie eine Zusammenstellung von solchen deutschen Medienberichten erhalten hätten, die falsche Informationen über Indien verbreiteten. Khanna zufolge gab es aber keinerlei Reaktion auf die Schreiben (vgl. o. A. (14. 07. 1934), BC, S. 11 und 20). 30 Vgl. o. A.: ‚Anti-Indian Propaganda in German Press (20. 04. 1935)‘, in: BC, S. 13. Das Protestschreiben der Förderation wurde ebenfalls in der Tribune (Lahore), im Pioneer (Lucknow) und in der Free Press of India (Bombay) veröffentlicht (vgl. Voigt, Hitler, S. 41 FN 44). 31 Vgl. o. A. (20. 04. 1935), BC, S. 13. Beschwerden über rassistische Vorkommnisse und die Behandlung von ‚farbigen‘ Leuten richtete auch die ägyptische Botschaft an das Hitlerregime (vgl. Höpp, Discourse, S. 171 f.). 32 Vgl. Gruchmann, Blutschutzgesetz, S. 419. Im September 1933 hatten der preußische
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5. Rassismus und Antisemitismus
dort gebrauchte Formulierung „coloured people“ (‚farbige‘ Menschen) auch Asiaten und damit Inder einschlösse. Die Föderation schrieb, dass jede Gesetzgebung, die diskriminierend gegen Inder als Rasse gerichtet sei, sich unerfreulich auf die gesamte indische Bevölkerung auswirken würde. 33 In diesem Zusammenhang verwundert es dann auch nicht, dass der Erlass der Nürnberger Gesetze 34 und deren Ausführungsverordnung sowie mit dem Gesetz zusammenhängende ministeriale Runderlässe kaum Reaktionen oder Proteste in indischen Debatten hervorriefen, da sich die Gesetze in erster Linie mit dem Status und den (außer-)ehelichen Verbindungen zwischen Juden und Deutschen beschäftigten. 35 Erneute rassistische Äußerungen Hitlers 1936 riefen hingegen vehemente Proteste von indischer Seite hervor (siehe unten). Das Memorandum der Federation of Indian Students Abroad konzentrierte sich ebenso wie das einige Monate zuvor erschienene Informationsschreiben an die indische Presse vor allem auf die Stellung der Inder in der geplanten Rassengesetzgebung. Eine generelle Ablehnung der Rassenideologie wurde nicht formuliert; von vorrangiger Bedeutung schien die Tatsache, dass Inder rassisch nicht zu der Kategorie der ‚farbigen‘ Menschen gezählt werden sollten. Das Auswärtige Amt reagierte zunächst nicht auf die Protestschreiben der indischen Studentenorganisationen und wurde dafür von der Parteileitung geJustizminister Kerrl und sein Staatssekretär Freisler die Denkschrift „Nationalsozialistisches Strafrecht“ veröffentlicht, die im Juni 1934 in der amtlichen Strafrechtskommission erörtert wurde. Die Denkschrift behandelte schon den Tatbestand des „Rasseverrats“, der später in den ‚Nürnberger Gesetzen‘ umgesetzt werden sollte und sprach sich gegen Eheschließungen und außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen ‚Deutschblütigen‘ und „Angehörigen fremder Blutsgemeinschaften“ aus. Darüber hinaus lehnte er den „in schamloser Weise öffentlich [gepflogenen] Verkehr mit Angehörigen farbiger Rassen“ ab. Diese Aussage wurde nicht nur von indischer Seite stark kritisiert, sondern auch von Japan, Ceylon und verschiedenen südamerikanischen Staaten. Die Proteste bewirkten zwar beschwichtigende Antworten durch das Auswärtige Amt, die entsprechende Regulierungen wurden aber vor allem aus rechtlichen Bedenken nicht in den nie in Kraft getretenen Entwurf eingearbeitet (vgl. ebd., S. 418 ff.). 33 Vgl. o. A. (20. 04. 1935), BC, S. 13. 34 Vgl. Essner, Gesetze, S. 150 ff.; Herbst, Deutschland, S. 152. Zu den ‚Nürnberger Gesetzen‘ gehörten unter anderem das Reichsbürgergesetz und das ‚Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre‘, welches Hochzeiten und außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sowie die Beschäftigung von nicht-jüdischen Bediensteten, die jünger als 45 Jahre waren, in jüdischen Haushalten verbot. 35 Durch die Ausführungsverordnung vom 14. 11.1935 und dem ministerialen Runderlass des Preußischen und Reichsinnenminister vom 26. 11. 1935 wurden die zu verbietenden Eheschließungen konkretisiert. Sie bezogen sich jetzt zusätzlich auf Personen deutschen oder artverwandten Blutes mit ‚Zigeunern‘, ‚Negern‘ oder ihren ‚Bastarden‘ (vgl. Burleigh/Wippermann, State, S. 49).
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rügt. Voigt zufolge sah das Amt sich durch den Druck der indischen Proteste im Inland, aber auch auf dem Subkontinent schließlich genötigt, ein Antwortschreiben abzufassen. Dieses wurde in Rücksprache mit dem Rassenpolitischen Amt der NSDAP erstellt und an die Federation sowie in Abschrift an die anderen beiden indischen Studentenorganisationen geschickt. 36 Dieses Antwortschreiben vom 14. November 1934 wurde ebenfalls im Bombay Chronicle wiedergegeben. Der Brief, der im Namen des Reichskanzlers und des Außenministers von Ministerialrat Hans-Heinrich Dieckhoff verfasst worden war, versicherte den indischen Studenten die deutsche Bereitschaft, gute Beziehungen zwischen beiden Ländern zu pflegen. Hinsichtlich der anti-indischen Propaganda führte er aus, dass entsprechende Maßnahmen zu deren Unterbindung vonseiten der nationalsozialistischen Behörden durchgeführt würden, während er zur offiziellen Rassenpolitik Deutschlands anmerkte, dass diese nicht auf eine Verunglimpfung anderer Rassen ausgelegt sei. Einzig die Vermischung verschiedener Rassen durch Heirat untereinander sei unerwünscht. Wirtschaftliche und gesetzliche Beschränkungen gegen Angehörige fremder Rassen kämen im Deutschen Reich nicht zum Tragen. Einschränkungen wirtschaftlicher Natur seien aus rassischen Gründen ausschließlich den Juden auferlegt worden und zwar zum Schutz des deutschen Volkes vor dem Übergewicht einer ‚fremden‘ Gruppe. Als zuständige Stelle für die Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Rassengedanken nannte der Brief das Rassenpolitische Amt der NSDAP und betonte, dass das Amt ausschließlich nach den benannten allgemeinen Grundsätzen handele. 37 Als Zugeständnis an die Inder erklärte das Schreiben die Bereitschaft des Rassenpolitischen Amtes, auf die „[…] Bekämpfung von Mißgriffen in der rassenkundlichen Propagierung gerade im Hinblick auf Indien in Zukunft besondere Aufmerksamkeit zu richten“. 38 Die Übergriffe auf Inder seit der ‚Machtübernahme‘ seien Einzelfälle, die im Zuge einer Revolution vorkommen könnten. Das Schreiben betonte, dass keine neue Rassengesetzgebung geplant sei und es keineswegs beabsichtigt sei, die Stellung der in Deutschland lebenden Inder zu verschlechtern. Es schloss mit der Bitte, dass diese Antwort an interessierte Kreise in Indien weitergeleitet werde, um Unstimmigkeiten zwischen beiden Ländern auszuräumen. 39 Während diese Aussagen aufgrund erneuter anti-indischer Propaganda und aufgrund der nationalsozialistischen Rassen-Praxis die indischen Gefühle auf lange Sicht nicht zufriedenstellen konnten, machen sie dennoch klar, dass dem 36
Vgl. Voigt, Hitler, S. 41 f. Vgl. o. A. (20. 04. 1935), BC, S. 13. 38 Dieckhoff, Hans-Heinrich: ‚Brief an die Federation of Indian Students abroad (14. 11.1934)‘, zitiert in: Voigt, Indien, S. 43. 39 Vgl. o. A. (20. 04. 1935), BC, S. 13. 37
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5. Rassismus und Antisemitismus
Auswärtigen Amt an der Beibehaltung guter Beziehungen zu Indien gelegen war. 40 Auch indische Politiker positionierten sich zur nationalsozialistischen Rassenideologie und zu deren Auswirkungen auf die indischen Personen in Deutschland sowie zu den Reaktionen auf dem Subkontinent. So ergriff beispielsweise Subhas Chandra Bose, der sich zu diesem Zeitpunkt in Europa aufhielt, die Initiative und teilte seine Besorgnis sowohl dem India Institute der Deutschen Akademie als auch dem Auswärtigen Amt mit. Er hoffte auf ein Treffen mit einem führenden Vertreter der deutschen Politik, musste sich aber mit einer Aussprache mit Ministerialrat Dieckhoff zufriedengeben.41 Da diese keine konkrete Resultate brachte, schickte er im April 1934 ein Memorandum an das Auswärtige Amt, in welchem er verschiedene Maßnahmen vorschlug, die den negativen Auswirkungen der anti-indischen Presse und abwertender Statements vonseiten deutscher Politiker sowie der nationalsozialistischen Rassenpropaganda entgegenwirken sollten. 42 Auch später, als Reaktion auf neue rassistische Aussagen, so zum Beispiel als Protest gegen die Bezeichnung von Indern als „Bastarde“ im Völkischen Beobachter, richtete Bose weitere (erfolglose) Appelle an deutsche Behörden und Einzelpersonen, unter anderem an Vertreter des Auswärtigen Amtes und der Deutschen Akademie. 43 40 Die Antwort des Auswärtigen Amtes wurde, Voigt zufolge, auf dem Treffen der Federation of Indian and Ceylonese Students abroad in Rom Ende Dezember 1934 besprochen. Die Versammlung indischer Studenten, die im Anschluss an den Ersten Orientalischen Studentenkongress, organisiert durch das IsMEO, stattfand, nahm die Zusicherungen der deutschen Regierung positiv und dankbar auf, lehnte allerdings die Ausführungen zur Rassenvermischung ab (vgl. Voigt, Hitler, S. 43). 41 Vgl. Voigt, Hitler, S. 40. 42 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Letter to C. R. Prufer (05. 04. 1934)‘, in: NCW, Bd. 8, S. 61–64. 43 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Letter to Dr. Thierfelder (07.11. 1935)‘, in: NCW, Bd. 8, S. 111–115; Voigt, Hitler, S. 43. Bose protestierte ebenfalls gegen die Aufführung des Filmes „Lives of a Bengal Lancer“, der in den deutschen Kinos unter dem Titel „Bengali“ lief. Auch der Hindustan Students’ Club aus München sandte in diesem Zusammenhang ein Protestschreiben an das Auswärtige Amt. Voigt kommt hinsichtlich der Bemühungen Boses 1935 zu dem Urteil, dass dessen Proteste in außenpolitischer Hinsicht zu einer Zügelung des Rassenfanatismus des nationalsozialistischen Regimes führten. Boses Aktionen resultierten allerdings nicht in einem Abkommen oder einer Begegnung mit den deutschen Machthabern. Die auf eine Beschwichtigung der aufgebrachten indischen Ansichten zielenden Reaktionen des Hitlerregimes scheinen vor allem vor dem Hintergrund der deutschen Wirtschaftsinteressen erklärbar. Voigt weist in diesem Zusammenhang auf die Proteste des Verbandes der Indischen Industrie- und Handelskammern hin. Auch der Vorsitzende des Indo-German News Exchange, A. L. Sinha, sprach Hitler in einem Interview auf die nationalsozialistische Rassenideologie an und erhielt von ihm eine die Rassenpolitik verharmlosende Antwort, die die indischen Befürchtungen zerstreuen sollte
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Boses Resignation ob der Erfolglosigkeit der indischen Proteste sind besonders erkennbar in einem Brief aus dem Jahr 1936 an den Sekretär der Deutschen Akademie, Franz Thierfelder. In diesem machte er seine Hochachtung für die Arbeit der Akademie deutlich; gleichzeitig zeigten seine Ausführungen aber die Ernüchterung, die er angesichts der nationalsozialistischen Haltung gegenüber Indien fühlte. 44 Seine Enttäuschung war insbesondere durch Hitlers Rede in München am 26. 01. 1936 anlässlich der Zehnjahresfeier des N.S.D.-Studentenbundes größer geworden. In dieser Rede hatte der ‚Führer‘ das Recht der weißen Rasse auf Kolonien verteidigt und Indien ob seiner Abhängigkeit von Großbritannien verspottet, indem er sagte, dass erst die Briten den Indern das Laufen beigebracht hätten. 45 Bose wies die rassistischen Behauptungen Hitlers in dem Brief an Thierfelder zurück, indem er auf die ‚Fehler‘ in der Argumentation des ‚Führers‘ deutete: The new racial philosophy which has a very weak scientific foundation stands for the glorification of the white races in general and the German race in particular. Herr Hitler has talked of the destiny of white races to rule over the rest of the world. But the historical fact is that up till now the Asiatics have dominated Europe more than have the Europeans dominated Asia. […] I want to point out that it is historically false to say that Europe and Asia should not be at peace with one another. It therefore pains us that the new nationalism in Germany is inspired by selfishness and racial arrogance. 46
Auffällig an Boses recht kurzen Ausführungen ist, dass er einerseits die fehlende Wissenschaftlichkeit der Rassentheorie betonte, sich seine Proteste andererseits hier und an anderen Stellen ausschließlich auf die Position der Inder/Asiaten konzentrierten. Eine Auseinandersetzung und gegebenenfalls Kritik des nationalsozialistischen Antisemitismus blieb während seines Europaaufenthaltes ebenso aus wie eine generelle Diskussion der vom Hitlerregime propagierten Rassentheorien.47 Boses Schweigen scheint dabei mit diplomatischen Er-
(vgl. Voigt, Hitler, S. 43 ff.). Die Annahme der Nationalsozialisten, dass durch ihre Rassenpolitik wirtschaftliche Beziehungen gestört werden könnten, war nicht unbegründet. Subhas Chandra Bose beispielsweise schickte aufklärende Protestschreiben an die indische Presse, in welchen er über die Situation in Deutschland berichtete und sich für einen Boykott der deutsch-indischen Handelsbeziehungen aussprach (vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Letter to Amiya Chakravarti (11. 03. 1936)‘, in: NCW, Bd. 8, S. 152 f.). 44 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Letter to Dr. Thierfelder (25. 03. 1936)‘, in: NCW, Bd. 8, S. 165–168. 45 Vgl. Hitler, Adolf: ‚Rede (26. 02.1936)‘, in: Baynes, Speeches, S. 1258. 46 Bose, (25. 03. 1936), NCW, Bd. 8, S. 166. 47 Leonard Gordon schreibt in diesem Zusammenhang, dass Bose sich als Gast in Deutschland fühlte und sich deshalb nicht allgemein gegen den nationalsozialistischen Rassismus ausgesprochen hätte. Sein Schweigen hätte allerdings nicht bedeutet, dass er nicht sensibel in dieser Angelegenheit gewesen sei. So habe er mit einem befreundeten
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wägungen in Zusammenhang zu stehen, da er möglicherweise einen potentiellen Verbündeten für den indischen Unabhängigkeitskampf nicht brüskieren wollte. Eine Konzentration auf die Position der Inder trifft allerdings nicht nur auf Boses Beschäftigung mit der Thematik zu, sondern ist in den meisten indischen Beiträgen zur Wahrnehmung der deutschen Rassentheorien zu finden, die im Rahmen dieser Untersuchung analysiert wurden. Die negativen Wirkungen der München-Rede Hitlers zeigten sich, obgleich die deutsche Presse die Ausführungen des ‚Führers‘ nicht verbreitet hatten, in ganz Asien. 48 Auch in Indien reagierte die nationalistische englischsprachige Presse heftig und diskutierte die als Beleidigung empfundenen Äußerungen. Sie wurden in verschiedenen Beiträgen im Bombay Chronicle und in der Amrita Bazar Patrika nicht nur als arrogant und vor allem falsch zurückgewiesen, sondern die Autoren diskutierten auch, wie Indien reagieren könne. 49 Der Leserbrief von P. K. Apte beispielsweise wies Hitlers Ausführungen zur Überlegenheit der weißen Rasse zurück, indem er schrieb: […] he [Hitler, M. F.] conveniently forgets the glorious history of „Aryans“ from times immemorial, when the white race he speaks of, was in the woods and jungles and had no notion of society or nation-hood. One wonders why he takes pride in calling himself „Aryan“ and adopting the Swastika as the symbol of his party which are chiefly of Indian origin.50
In Aptes Ausführungen wird deutlich, dass dieser Hitlers Vorstellungen, wer als Arya gelte, ablehnte, indem er stolz auf die ‚arische‘ Geschichte Indiens verwies. 51 Auch der indische Kongresspolitiker und Bombayer Bürgermeister K. F. Nariman 52 positionierte sich zu Hitlers beleidigenden Äußerungen in zwei Arti-
Ehepaar aus Berlin den nationalsozialistischen Antisemitismus diskutiert (vgl. Gordon, Brothers, S. 282 und 687 FN 109). Siehe zu Bose Einschätzung des Antisemitismus auch Kapitel 5.2.2. 48 Vgl. Voigt, Hitler, S. 46. 49 Vgl. An Indian: ‚Hitler and India (30. 01. 1936)‘, in: BC, S. 6 f.; Baacha, S.: ‚Hitler’s insult (03. 02.1936)‘, in: BC, S. 13; From our special correspondent (13. 02. 1936), ABP, S. 8; Bhattacherjee, Nares Chandra: ‚Hitler & India (14. 02. 1936)‘, in: ABP, S. 14; o. A.: ‚India’s reply to Hitler’s insults (17. 02. 1936)‘, in: BC, S. 16. 50 Apte, P. K.: ‚Reader’s letter: Hitler’s insult (01. 02. 1936)‘, in: BC, S. 12. 51 Vgl. Hitler, Kampf, S. 318. Hitler äußerte sich in „Mein Kampf“ nicht detailliert, wen er als Arier begreift, benannte aber Europa und Amerika als arisch. Auch erklärte er, wie von den Ariern überall auf der Welt durch die Unterwerfung niederer Völker Kultur begründet worden sei. Durch die Verletzung des Gebots der Rassenreinheit hätten die arischen Eroberer allerdings immer wieder ihr eigenes Dasein beendet, dabei aber einen Teil der Kultur und oft einen helleren Hautton hinterlassen (vgl. ebd., S. 318 ff.). 52 Zu K. F. Nariman siehe den biografischen Anhang.
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keln im Bombay Chronicle. Er wies die Behauptungen des ‚Führers‘ hinsichtlich der Überlegenheit der westlichen Rasse in puncto Zivilisation zurück, indem er explizit deren Schattenseiten benannte, wie Militarismus, Rüstungswettlauf und destruktive Erfindungen zur Verbreitung von Katastrophen und Zerstörung. Die Überlegenheit einer Kultur oder Zivilisation wurde, Nariman zufolge, durch deren geistige Haltung in puncto Toleranz und Großzügigkeit, vor allem gegenüber anderen Religionen und Glaubensbekenntnissen bestimmt. Religiöser Fanatismus, Rassenhass und Feindseligkeiten waren für ihn Symptome der unzivilisierten Barbarei, die auch für Hitlers Deutschland festzustellen seien. 53 Indien hingegen beschrieb Nariman als tolerante, großzügige Zivilisation, die von alters her religiös verfolgten Gruppen Asyl gewährt habe. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen fragte er: Is it not under the circumstances rank presumption on the part of this Dictator, to pose as a representative of a superior race and civilization offering to carry the torch of light of modern progress and, development to the already highly civilised and morally purified and enlightened shores of India? The reverse proposition would be more appropriate. It would be to the advantage and for the benefit, of the present-day Germans, as well as to the prestige and status of European civilization, to emulate the noble and morally high standard of Indian life and culture […]. 54
Nariman hielt die Ausführungen Hitlers, die die Inder herabsetzen, vor dem Hintergrund der von ihm konstatierten moralischen Überlegenheit der indischen Zivilisation für Unsinn. Auffällig in beiden Beiträgen ist, dass der Kongress-Politiker hier zwischen den Begrifflichkeiten und Konzepten von Rasse und Zivilisation nicht wirklich unterschied. Er ignorierte die biologische Komponente, die im nationalsozialistischen Rassismus eine wichtige Rolle spielte. Die rassistischen Äußerungen des deutschen ‚Führers‘ wurden selbst von Monindra Mohan Moulik kritisiert. Moulik veröffentlichte als Sympathisant des Faschismus viele positive Beiträge in der Amrita Bazar Patrika über die faschistische Expansionspolitik in Abessinien, in denen er allerdings jegliche Beschäftigung mit italienischen Rassentheorien und den Zivilisierungsbemühungen des Mittelmeerstaates vermied. 55 Dem Nationalsozialismus in Deutschland hingegen scheint er ablehnend gegenübergestanden zu haben. Dies zeigte sich nicht nur in seiner Haltung zur Sudetenkrise und gegenüber dem deutschen Antisemitismus, 56 sondern auch in seinen Ausführungen zu den nationalsozialistischen Rassentheorien. In letzterem Zusammenhang wies Moulik die 53
Vgl. Nariman, K. F.: ‚Hitler’s outburst (07. 02. 1936)‘, in: BC, S. 8. Nariman, K. F.: ‚Hitler’s outburst (08. 02. 1936)‘, in: BC, S. 10. 55 Siehe dazu Kapitel 3.1 sowie 7.1.3. 56 Siehe zu Mouliks Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Deutschland ebenfalls Kapitel 5.2.1 und 7.2.2. 54
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Ideen Hitlers zur ‚Reinheit‘ des deutschen Blutes zurück, indem er auf die rassische Zusammensetzung des deutschen Volkes, bestehend aus sächsischen, polnischen, slowakischen, nordischen und sogar jüdischen Elementen, deutete. 57 Er kritisierte ebenfalls die „animalischen Vorurteile“, die nun in Deutschland gegen jeden vorherrschten, der nicht deutsch sei. Inwieweit Hitlers Äußerungen zu Indien in erster Linie auf eine Annäherung an Großbritannien zielten, war für den Autor von untergeordneter Bedeutung. Er forderte, dass dem ‚Führer‘ Deutschlands die negativen Auswirkungen seiner Rede bewusst werden müssten, und schlug deshalb vor, dass Indien gegen diesen unberechtigten Rufmord protestieren solle. Für den Fall, dass Hitler seinen Fehler nicht erkenne und korrigiere, sollte ein Boykott deutscher Waren in Indien durch den INC organisiert werden. 58 Mouliks Hoffnung, dass die nationalsozialistische Regierung zu einer Korrektur ihrer Rassenideologie bereit sein könnte, war völlig aussichtslos. Dem Hitlerregime war zwar durchaus an einer Aufrechterhaltung der guten deutsch-indischen Beziehungen gelegen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, zu Abweichungen von ihrem rassenpolitischen Kurs war sie allerdings nicht bereit. 59 Der von Moulik angedachte wirtschaftliche Boykott wurde auch in anderen Beiträgen in der indischen Presse vorgeschlagen. 60 Sarojini Naidu war hingegen der Auffassung, dass man Hitler mit verächtlichem Schweigen begegnen sollte. 61 Diese Reaktion ging aber manchen Indern nicht weit genug, und so verabschiedete zum Beispiel die National Students’ Union in Bombay eine Resolution, die sich für einen indischen Boykott der Olympischen Spiele 1936 in Deutschland aussprach, der aber nicht zustande kam. 62 Der Autor eines anderen Beitrags sah in der Erlangung der indischen Unabhängigkeit den einzigen Weg, um mit den arroganten und rassistischen Äußerungen des ‚Führers‘ umzugehen, da Indien nur dann auf der Basis absoluter Ebenbürtigkeit reagieren könne. Der Verfasser wies auch auf das Problem fehlender indischer Geschäftsstellen in Europa hin, die solche gegen Indien gerichtete Propaganda wirkungsvoll durch eine informative Öffentlichkeitsarbeit bekämpfen könnten. 63 Die Proteste gegen die Inder verunglimpfende Rassentheorien blieben folgenlos. Das nationalsozialistische Regime behielt seine rassistischen Annahmen zur rassischen Unterlegenheit ‚farbiger Menschen‘ bei. 57
Vgl. From our special correspondent: ‚Herr Hitler’s effusions (13. 02. 1936)‘, in: ABP,
S. 8. 58 59 60 61 62 63
Vgl. ebd. Vgl. Voigt, Indien, S. 45 f. Vgl. Baacha (03. 02. 1936), BC, S. 13; Bhattacherjee (14. 02. 1936), ABP, S. 14. Vgl. Baacha (03. 02. 1936), BC, S. 13. Vgl. o. A. (17. 02. 1936), BC, S. 16. Vgl. An Indian (30. 01.1936), BC, S. 6 f.
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5.1.2 Aneignungen deutscher Rassentheorien in Indien? In den untersuchten englischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften fanden umfangreiche Debatten zum nationalsozialistischen und faschistischen Antisemitismus sowie zu den abwertenden Rassenvorstellungen statt, an denen sich auch die Mitglieder des INC und der CSP beteiligten. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Rassentheorien der Nationalsozialisten und Faschisten hingegen und Fragen nach ihrer Übernahme oder Anverwandlung finden sich in den analysierten Quellen kaum. Einzig im Zusammenhang mit verschiedenen Hindunationalisten 64 ist umfangreicheres Primärmaterial zu diesem Thema vorhanden, ein Befund, der sich ebenfalls in der bisherigen Forschung widerspiegelt. 65 Die Beschäftigung mit hindunationalistischen Rassentheorien und die Frage, inwieweit diese faschistische und/oder nationalsozialistische Ideen beinhalteten, brachte dabei verschiedene Einschätzungen hervor, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. 66 Die Auseinandersetzung fokussiert sich dabei vor allem auf zwei Hindunationalisten, die in ihren Reden und Schriften Theorien zur Hindu-Rasse aufstellten. Das war zum einen der wohl einflussreichste Ideologe des Hindunationalismus von 1920 bis 1940 V. D. Savarkar, radikaler Revolutionär und später der Vorsitzende der HMS und zum anderen M. S. Golwalkar, sarsanghchalak des RSS. Savarkar entwickelte seine Ideen zur Hindunation und zu deren rassischer Komponente in dem Buch „Hindutva. Who is a Hindu?“, das 1923 in Nagpur publiziert wurde. In diesem führte er aus, dass Hindutva (Hindutum) 67 auf drei Säulen beruhe: auf „[…] a common nation (Rashtra), a 64 Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Hindunationalismus und Faschismus sind in Indien hochaktuell. So wurde und wird der militante Hindunationalismus im Zusammenhang mit den gewalttätigen, kommunalistischen Ausschreitungen, die Anfang 1993 auf die Zerstörung der Babri Masjid in Ayodhya folgten sowie mit den Pogromen 2002 in Gujarat von verschiedener Seite unter Verwendung des Faschismusbegriffes diskutiert (vgl. dazu Sen, Threats, S. 5–23; Sarkar, Fascism, S. 163–167; Ahmed, Fascism, S. 32–68; Raychaudhuri, Shadows, S. 259–279; Krishna, Fascism. Für eine Überblicksdarstellung der politisch-strategischen Dimension der aktuellen Debatten um Hindutva als Faschismus siehe: Framke/Tschurenev, Geschichte, S. 71–74). 65 Die Forschung zu Rassenkonzepten in und über Südasien hat in den letzten beiden Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen und eine Reihe inhaltlich diverser Arbeiten hervorgebracht. Ein ausgezeichneter Sammelband, der insbesondere durch seine thematische Vielfalt und sein einführendes Überblicksessay hervorsticht, ist: Robb, Concept. 66 Vgl. Jaffrelot, Ideas, S. 327–354; Jaffrelot, Hindu, S. 25–33 und 50–64; Bhatt, Hindu Nationalism, S. 85–89, 94–111 und 125–136; Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 106–109 und 132–142. 67 Hindutva beinhaltet, Chetan Bhatt zufolge, „the imputation of a core essence to ‚Hinduness‘, or the ‚beingness of a Hindu‘ that was imagined to be constitutive of Hindu identity […]“ (Bhatt, Hindu Nationalism, S. 77). Das Wort Hindutva ist ein neo-Sanskrit
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common race (Jati) and a common civilization (Sanskriti)“. 68 Religion hingegen spielte demnach in Savarkars Definition eines Hindus nur eine untergeordnete Rolle, obgleich sie zur Ausgrenzung der ‚Anderen‘, in diesem Fall der Muslime und Christen, aus der Hindunation instrumentalisiert wurde, indem das Vaterland (Pitribhu) gleichzeitig das Heilige Land (Punyabhu) sein sollte. 69 Die rassische Komponente des Hindutva-Konzeptes hingegen – der ‚die Hindus‘ verbindende Faktor des gemeinsamen Blutes – ist in der Forschungsliteratur verschiedentlich unter der Fragestellung seiner Nähe zu biologischen Rassentheorien der Nationalsozialisten untersucht worden. Christophe Jaffrelot beispielsweise stellt diese Verbindung nicht her, sondern charakterisiert Savarkars Hindutva-Konzept als ethnischen Nationalismus.70 Obgleich der Präsident der HMS durchaus Sympathien für Faschismus und Nationalsozialismus zeigte,71 war er, Jaffrelot zufolge, nicht mit faschistischen Autoren, die sich mit Eugenik beschäftigen, vertraut.72 Chetan Bhatt hält die Aussage Jaffrelots, dass Savarkars Hindutva eher eine Form des Ethnonationalismus als des biologischen Rassismus gewesen sei, für restriktiv. Seiner Ansicht nach enthielt das
Begriff, wobei der maskuline Sanskrit-Suffix –tva an das Wort Hindu angehängt wird und ein abstraktes Substantiv erschafft, das das ‚Hindutum‘ darstellt. Der Begriff Hindutva wurde in den 1890er Jahren durch Chandranath Basu bekannt gemacht und von Nationalisten, wie Tilak, genutzt. Bhatt zufolge stammt sein gegenwärtiger Gebrauch von der Interpretation Savarkars (vgl. ebd.). 68 Savarkar, Hindutva, S. 116. Die gemeinsame Nation (Rashtra) bedeutet bei Savarkar das Vorhandensein eines gemeinsamen Territoriums bzw. einer geografischen Einheit. Er definiert Hindutva detailliert folgendermaßen: „A Hindu, therefore, to sum up the conclusions arrived at, is he who looks upon the land that extends from Sindu to Sindu – from the Indus to the Seas, – as the land of his forefathers – his Fatherland (Pitribhu), who inherits the blood of that race whose first discernible source could be traced to the Vedic Saptasindhus and which on its onward march, assimilating much that was incorporated and ennobling much that was assimilated, has come to be known as the Hindu people, who has inherited and claims as his own the culture of that race as expressed chiefly in their common classical language Sanskrit and represented by a common history, a common literature, art and architecture, law and jurisprudence, rites and rituals, ceremonies and sacraments, fairs and festivals; and who above all, addresses this land, this Sindhusthan as his Holyland (Punyabhu), as the land of his prophets and seers, of his godmen and gurus, the land of piety and pilgrimage.“ (Savarkar, Hindutva, S. 115 f.). 69 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 32 und 63; Bhatt, Hindu Nationalism, S. 97 f. Bhatt argumentiert, dass Religion ein wichtiges Kriterium zur Ausgrenzung der Muslime und Christen aus der Hindunation bei Savarkar darstellte, da beide Gruppen die anderen von ihm beschriebenen Kennzeichnen (Territorium, Rasse, Kultur) erfüllten (vgl. ebd., S. 98). 70 Vgl. Jaffrelot, Hindu, S. 32; Jaffrelot, Ideas, S. 335 und 348. 71 Siehe zu Savarkars Ansichten zum Nationalsozialismus Kapitel 7.2.2 und 7.2.3. 72 Vgl. Jaffrelot, Ideas, S. 348.
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Konzept einen starken, wenn auch nicht biologischen Rassismus. 73 Eher im Sinne von Jaffrelot argumentiert hingegen Delfs, wenn er schreibt, dass Savarkar nicht auf die biologisch orientierten Rassentheoretiker zurückgriff, die im Nationalsozialismus von hoher Bedeutung gewesen seien. 74 So machen Savarkars Ausführungen deutlich, dass er die im Nationalsozialismus so wichtige Idee der ‚Rassenreinheit‘ verwarf, indem er beispielsweise schrieb: After all there is throughout the world so far as man is concerned but a single race – the human race kept alive by one common blood, the human blood. […] Nature is constantly trying to overthrow the artificial barriers you raise between race and race. To try to prevent the commingling of blood is to build on sand. […] Truly speaking all that any one of us can claim, all that history entitles one to claim, is that one has the blood of all mankind in one’s veins. The fundamental unity of man from pole to pole is true, all else only relatively so.75
Savarkars Ablehnung der Ideen zur ‚Rassenreinheit‘ bzw. seine Absage an biologische Rassentheorien wird ebenfalls deutlich, wenn man bedenkt, dass sich seine Hindunation aus Arya und Nicht-Arya zusammensetzt. Savarkar folgte in seinen Ausführungen, so schreibt Delfs, der klassischen Arya-Theorie, die von einer Einwanderung der Arya nach Indien ausging. Da die Arya ebenso wie die auf dem Subkontinent vorhandenen ‚Ureinwohner‘ die Hindunation konstituierten, sei jegliche Deutung der Arya als biologisch reinrassig ausgeschlossen gewesen. Delfs vermutet, dass Savarkar die Rassenmischung, auch unter den Hindus, nicht als Nachteil empfunden habe. Seine Ausführungen weisen eher auf die Anwendung sozialdarwinistischer Gedanken hin.76 So schrieb Savarkar über den Machtwettbewerb zwischen den Rassen, abhängig von deren moralischer und physischer Fitness, und sagte voraus, dass eine geeinte Hindunation expandieren und nach Weltmacht streben könne.77 Diese von ihm Mitte der 1920er Jahre verwendeten sozialdarwinistischen Argumente offenbaren gemeinsame intellektuelle Wurzeln mit den Rassentheorien der Nationalsozialisten (Herbert Spencer, Charles Darwin, Ernst Heinrich Häckel, Thomas Henry Huxley, Heinrich von Treischke, Friedrich Nietzsche und Johann Kaspar Buntschli). So seien Aussagen zur Expansion und Vormachtstellung in ähnlicher 73 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 96. Bhatt schreibt, dass in Hindutva eine Konzeption von Rasse entfaltet wurde, die in jeder Hinsicht erblich und auf in Bezug auf Kasten rassistisch war. Sie ähnelte anti-egalitären Theorien zur hierarchischen Aristokratie und rassischen Eminenz, die nach der französischen Revolution und in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa verbreitet waren (vgl. ebd.). 74 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 106. 75 Savarkar, Hindutva, S. 90. 76 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 107 f. Zur Untersuchung des Arier-Begriffes in der Rassentheorie vgl. Sieferle, Indien. 77 Vgl. Savarkar, Movement, S. 21; Savarkar, Hindutva, S. 141.
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Form, wenn auch mit einer deutlicheren Betonung der Rasse, bei Adolf Hitler zu finden.78 Die Analyse des 1923 entstandenen Hindutva-Konzeptes Savarkars hat durchaus die Wichtigkeit der Kategorie Rasse als konstituierenden Faktor der Hindunation, wenn auch nicht im biologischen, sondern eher im sozialdarwinistischen Sinn ergeben. Bhatt zufolge veränderte sich die Konzeption in den Schriften und Reden Savarkars in den 1930er Jahren, wobei der Einfluss von sehr rechten nationalistischen Ideologien (wie dem Faschismus und dem Nationalsozialismus) eine formende Rolle spielte. Savarkars Hindunationalismus sei nun auf Krieg, Militarismus und Minderheiten fixiert gewesen.79 Ergänzend sollte angemerkt werden, dass dieser Wandel seiner Vorstellungen, der insbesondere in den Schlüsseljahren 1938/39 zum Ausdruck kam, ebenfalls durch die Übernahme des Präsidentenamtes der HMS sowie durch deren entschiedene Gegnerschaft zum INC beeinflusst gewesen sein könnte. Savarkars Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus führte zur Bewunderung für dessen Außenpolitik und ließ ihn an einen Nationalismus, der auf rassischen und religiösen Zugehörigkeiten basierte, glauben.80 Sowohl im Falle der Sudetendeutschen als auch im Falle der deutschen Juden schien er der nationalsozialistischen Rassenlogik zu folgen, indem er schrieb, dass die Ersteren neben sprachlichen, kulturellen, historischen auch rassische Affinitäten mit den Deutschen aufwiesen, während er diese für die Juden anzuzweifeln schien. 81 Die Bewunderung für das nationalsozialistische Deutschland wurde vonseiten der Hindunationalisten auch direkt an das Hitlerregime herangetragen. So übermittelte der Generalkonsul Graf von Podewils im Frühjahr 1939 ein entsprechendes Schreiben des Generalsekretärs der HMS, Padamraj Jain, an das deutsche Außenministerium. In dem Brief deutete Jain auf die rassische Verbindung zwischen Indern und Deutschen durch das Aryatum hin, indem er schrieb: Germany’s solemn idea of the revival of Aryan culture, the glorification of the Swastika, her patronage for Vedic learning and the ardent championship of the tradition of IndoGermanic civilisation are welcomed by the religious and sensible Hindus of India with a 78 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 58 ff. und 70. Damit stellt Delfs keineswegs fest, dass Savarkar von den nationalsozialistischen Rassentheorien beeinflusst war. 79 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 106. Es scheint sinnvoll im Zusammenhang mit der Entwicklung von Savarkars Ideologie sogar von drei Phasen zu sprechen. In seinen Schriften aus der Zeit vor dem Abfassen des Werkes „Hindutva. Who is a Hindu?“ war Savarkar noch bereit, mit den Muslimen zusammenzuarbeiten (vgl. Savarkar, War). Ich danke Tobias Delfs für diesen Hinweis. 80 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 106. 81 Vgl. Savarkar, Hindu, S. 47. Siehe dazu Kapitel 5.2.2 und 7.2.2.
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jubilant hope. […] I think that Germany’s crusade against the enemies of Aryan culture will bring all Aryan nations of the world to their senses and awaken the Indian Hindus for the restoration of their lost glory. 82
Der Brief beschwor falsch verstandene Gemeinsamkeiten zwischen Indien und dem nationalsozialistischen Staat. 83 Neben der Frage nach der Nähe Savarkars zum Faschismus und zum Nationalsozialismus ist vor allem der RSS und mit ihm dessen zweiter Anführer Golwalkar in der Forschungsliteratur untersucht worden. So bezeichnet unter anderem Christophe Jaffrelot den RSS der 1920er und 30er Jahre als Indian version of fascism, eine Wahrnehmung, die sich unter anderem aus dem paramilitärischen Stil sowie aus der anti-liberalen Haltung der Organisation herleitet. Gleichzeitig betont Jaffrelot, dass der RSS ein spezifisch indisches Phänomen darstellte, es sich bei ihm also nicht um eine simple Reproduktion des europäischen Faschismus handelte, denn seine institutionelle Form hatte er schon angenommen, bevor Kontakte zum faschistischen Italien oder zu den Nationalsozialisten in Deutschland geknüpft wurden.84 Auch Chetan Bhatt setzt sich mit der Frage nach der Nähe des RSS zum Faschismus und zum Nationalsozialismus auseinander und weist darauf hin, dass die vorherrschende Meinung in der Literatur die Organisation nicht als grundsätzlich faschistisch einstuft. 85 Insbesondere dessen Erklärung, eine nicht-politische Organisation zu sein, und seine vorgebliche Aversion gegen eine Übernahme der Staatsmacht machen den RSS allenfalls „proto-faschistisch“. 86 Im Zusammenhang mit der Frage nach Gemeinsamkeiten zwischen den Ansichten des RSS und faschistischen sowie nationalsozialistischen Rassentheorien findet sich vor allem ein Zitat von Golwalkar, das immer wieder angeführt
82 Podewils, Graf von: ‚Brief des Deutschen Generalkonsulats an das Auswärtige Amt inkl. Statement von Jain (25. 03.1939)‘, in: Pol. VII, Indien Po. 2, PA-AA, R 104777. 83 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 66. 84 Vgl. Jaffrelot, Hindu, S. 50 f. Auch Jyotirmaya Sharma berüht die Frage nach Ähnlichkeiten, die sich im Faschismus und in Golwalkars Gedanken finden lassen. Er schreibt, dass Golwalkars Idee vom endlosen Opfer durch Individuen im Dienst der Nation, seine Argumente über die immanente Superiorität der Hindus gegenüber allen anderen Menschen, sein millenaristischer Fanatismus und die religiöse Ektase, die all seine Äußerungen kennzeichnete, die obsessive Betonung der Jugend und das ständige Reden über Verschwörungen gegen die Hindu Nation Themen sind, die deutliche Ähnlichkeiten zum Faschismus aufwiesen (vgl. Sharma, Vision, S. xliii). 85 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 124. Dazu gehören, Bhatt zufolge, zum Beispiel Anderson und Damle, Jaffrelot, Laqueur und Vanaik. Als Autoren, die den RSS als faschistisch bezeichneten, benennt er, Sarkar und Raychaudhuri. 86 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 124.
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wird. Dieser hatte in „We or Our Nationhood Defined“, geschrieben im Jahr 1939, ausgeführt: German race pride has now become the topic of the day. To keep up the purity of the Race and its culture, Germany shocked the world by her purging the country of the semitic Races – the Jews. Race pride at its highest has been manifested here. Germany has also shown how wellnight [sic] impossible it is for Races and cultures, having differences going to the root, to be assimilated into one united whole, a good lesson for us in Hindusthan to learn and profit by. 87
Golwalkar, der mit diesen Zeilen die beginnenden antijüdischen Pogrome in Deutschland zum Ausdruck ‚höchsten Nationalstolzes‘ erklärt hatte, glaubte, das deutsche Beispiel hielte eine interessante Lektion bereit. Diese beinhalte, dass Minderheiten im Land der Hindus bleiben dürften, jedoch nur vollständig untergeordnet. 88 Die Idee eines multi-ethnischen Nationalstaates schloss er damit aus. Mit seinen Aussagen zielte Golwalkar vor allem auf die indischen Muslime ab, deren Ausgrenzung aus der erhofften Hindunation beschlossene Sache schien, wenn sie sich nicht vollständig assimilieren und zu Hindus werden würden. Die indischen Muslime nahm er aufgrund der ihnen unterstellten mangelnden Assimilationsbereitschaft sowie aufgrund der vorgeblichen Unterstützung durch andere islamische Staaten als Gefahr für die Hindunation wahr. 89 Trotz dieser offensichtlichen Feindschaft gegenüber Muslimen und anderen Minderheiten bleibt die Frage bestehen, ob in den Ausführungen Golwalkars eine Übernahme faschistischer und/oder nationalsozialistischer Rassentheorien erkennbar ist. Jaffrelot schreibt in diesem Zusammenhang, dass Golwalkar keine dem Nationalsozialismus entsprechende Rassentheorie entwickelte,
87 Vgl. Golwalkar, Nationhood, S. 204. Das Buch We and Our Nationhood Defined ist nach 1939 in drei weiteren Auflagen erschienen und nahm einen sehr wichtigen Platz in der zeitgenössischen Literatur des Hindunationalismus ein. Heute wird das Buch vonseiten des RSS nicht mehr erwähnt, was unter anderem daran liegen könnte, dass die Organisation Golwalkar vor Faschismusvorwürfen schützen will. Eine zweite These geht davon aus, dass das Buch gar nicht von Golwalkar geschrieben wurde und es aus diesem Grund wenig Erwähnung findet (vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 92, FN 195 und 93). 88 So schrieb Golwalkar zu diesem Punkt: „From this standpoint, sanctioned the experiences of shrewd old nations, the foreign race in Hindusthan must either adopt the Hindu culture and language, must learn to respect and hold in reverence Hindu religion, must entertain no idea but those of glorification of the Hindu race and culture, i. e., of the Hindu nation and must lose their separate existence to merge in the Hindu race, or may stay in the country, wholly subordinated to the Hindu Nation, claiming nothing, deserving no privileges, far less any preferential treatment – not even citizen’s rights.“ (Golwalkar, Nationhood, S. 210). 89 Vgl. Jaffrelot, Hindu, S. 55.
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wohl aber einen Rassenbegriff benutzte, der auf kulturellen Bedingungen beruhte. 90 Seine Schriften und vor allem seine Definition der Nation, bestehend aus fünf Kriterien (Territorium, Rasse, Religion, Kultur und Sprache) zeigten zwar Einflüsse deutscher Autoren und ‚westlicher‘ Politik- und Staatswissenschaftler auf (Bluntschli, J. W. Burges, A. N. Holcombe und R. G. Gettell), 91 und auch sein Konzept der ‚Rasse‘ sei von Hitlers Ideologie inspiriert gewesen. Dennoch sei es Golwalkar nicht so sehr um ein biopolitisches Verständnis rassischer Homogenität, sondern um kulturelle Einheit gegangen. Ähnlich wie Savarkar sei er, Jaffrelot zufolge, nicht von der im Nationalsozialismus so wichtigen Idee der ‚Reinheit der Rasse‘ besessen gewesen. Zwar habe er einmal die Vorbildwirkung der deutschen ‚Rassenreinheit‘ für Indien hervorgehoben (siehe Zitat oben), sich ansonsten aber für die Integration aller indischen Gemeinschaften in eine gemeinsame Rasse ausgesprochen. 92 Bhatt hingegen gewichtet die Passage zum deutschen Rassenstolz anders und führt aus, dass das nationalsozialistische Deutschland für Golwalkar bestätigte, dass eine Nation aus einer reinen Rasse ohne irgendwelche Verunreinigungen bestehen sollte. 93 Auch Delfs beschäftigt sich in seiner Monografie mit Golwalkar und kommt zu dem Urteil, dass im Unterschied zu Savarkars Hindutva, Golwalkar den Faktor Rasse für die Konstituierung einer Nation höher bewertete als ein gemeinsames Territorium. Golwalkar habe allerdings ebenso wenig wie Savarkar auf die im Nationalsozialismus so wichtigen biologischen Rassentheorien zurückgegriffen. Seine Hindu-Rasse beruhe auf den Aryas, welche, im Gegensatz zu Savarkars Ausführungen, nicht von außerhalb nach Indien eingewandert seien, sondern schon immer auf dem Subkontinent gelebt hätten und überlegen seien. 94 Im Zusammenhang mit den Ausführungen zum nationalsozialistischen Deutschland und zur Frage nach der Assimilationsfähigkeit fremder Gemeinschaften in eine Nation interpretiert Delfs, ähnlich wie Jaffrelot, die Aussagen Golwalkars in dem Sinne, dass dieser glaubte, Minderheiten könnten nur schwer von der national race assimiliert und sollten deshalb besser entfernt werden. Golwalkar habe später noch Minoritäten Gewalt angedroht, falls sie den Assimilationsforderungen nicht nachkämen. 95 Delfs weist vor diesem Hintergrund Jaffrelots Ausführungen, dass es sich bei den Ideen Savarkars und Golwalkars eher um einen „racism of domination“ als um einen „of extermi90
Vgl. Jaffrelot, Ideas, S. 338 ff. Jaffrelot weist darauf hin, dass die meisten Bücher, die Golwalkar erwähnte, die deutsche Definition des ethnischen Nationalismus veranschaulichen würden (vgl. Jaffrelot S. 52 ff.). Zu Golwalkars Definition der Nation siehe: Golwalkar, Nationhood, S. 206. 92 Vgl. Jaffrelot, Hindu, S. 56 f. 93 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 133. 94 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 93 f. und 106. 95 Vgl. ebd., S. 97 ff. 91
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nation“ handelt, zurück. Seiner Ansicht nach deuten auch die Übertragung der nationalsozialistischen ‚Judenpolitik‘ auf die indische ‚Muslimfrage‘ sowie Verweise auf die verwandtschaftlichen Beziehungen als Arier auf den „[…] Vorbildcharakter des Nationalsozialismus und seiner Praxis für die militanten Hindunationalisten und deren Minderheitenpolitik“ hin. 96 5.1.3 Fazit Die indische Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Rassenvorstellungen der Nationalsozialisten trat vor allem im Zusammenhang mit zwei Aspekten auf: einerseits mit der Stellung der Inder/Indiens in den deutschen Rassentheorien, andererseits vor dem Hintergrund einer möglichen Übernahme bestimmter Elemente durch militante Hindunationalisten. Die Untersuchung der Schriften von Savarkar und Golwalkar hat ergeben, dass bei beiden durchaus die Kategorie Rasse eine Rolle für die Konstituierung der Hindu-Nation spielte, ebenso wie die Existenz der ‚Anderen‘ (in diesem Fall vor allem der muslimischen Minderheit). Beide zeigten sich beeindruckt von verschiedenen rassenpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten und waren wie sie von bestimmten Rassentheoretikern, u. a. von Herbert Spencer, Ernst Heinrich Häckel usw. beeinflusst. Allerdings sind auch hinsichtlich von Fragen nach der ‚Rassenreinhaltung‘ oder danach, welche Elemente wichtiger für die Konstituierung der Nation sind, Unterschiede zu den nationalsozialistischen Ideen feststellbar. So beeinflusste der biologische Rassismus hindunationalistische Rassenkonzepte, im Gegensatz zu nationalsozialistischen, kaum. Hinsichtlich des ersten in diesem Kapitel analysierten Aspekts wurde deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der indischen Beiträge die größtenteils diskriminierenden Äußerungen über das zeitgenössische Indien von nationalsozialistischer Seite und durch die deutsche Presse kritisch zurückwies. Verschiedene, wenig erfolgreiche Protestmaßnahmen von indischer Seite wurden durchgeführt und diskutiert. Dabei zeigten viele Teilnehmer an den Debatten kaum Interesse, sich intensiver mit den jeweiligen wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Theorien zu beschäftigen. Als zweiter interessanter Befund ergab die Analyse der Quellen, dass die kritische Auseinandersetzung mit den diskriminierenden Rassenvorstellungen der Nationalsozialisten sich oftmals ausschließlich auf die Situation der Inder bezog. Solidarisierende Äußerungen mit anderen, ebenfalls durch das Hitlerregime als rassisch ‚minderwertig‘ kategorisierte Gruppen blieben aus.
96
Vgl. ebd., S. 105.
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5.2 Antisemitismus 5.2.1 Indische Wahrnehmungen der Judendiskriminierung und -verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland und faschistischen Italien Neben vielen anderen Themen diskutierten diverse Beiträge in der englischsprachigen indischen Presse ebenfalls das Schicksal der jüdischen Bevölkerung im nationalsozialistischen Deutschland. Insbesondere in den Jahren 1933/34 und 1938/39 fanden die Leser neutrale Berichte sowie Leitartikel, Beiträge von Korrespondenten und Leserbriefe zu dieser Thematik vor. Das gehäufte Auftreten entsprechender Texte stimmte dabei auffällig mit den zeitgenössischen politischen Entwicklungen in Deutschland, aber auch mit der Radikalisierung im Hindunationalismus überein. Die Nationalsozialisten und ihr ‚Führer‘ Adolf Hitler sowie Teile der deutschen Gesellschaft vertraten starke antisemitische Ansichten, die nach 1939 in die Unfassbarkeit des Holocaust münden sollten. Der Antisemitismus der NSDAP, deren Definition des Judentums nicht auf religiösen Kriterien beruhte, sondern in der ‚Blut‘ das entscheidende Merkmal konstituierte, wurde nach der Machtübergabe 1933 in politische Aktionen umgesetzt. 97 Unmittelbar nach den Wahlen für den Reichstag im März 1933 brachen Pogrome in Deutschland aus, die sich hauptsächlich gegen jüdische Geschäftsleute, Richter und Mediziner richteten. Diese Gewalttaten führten zu einem temporären Boykott der jüdischen Läden, Anwaltspraxen usw. Der Boykott, obwohl geplant durch die Hitlerregierung, wurde ausgeführt durch die Parteiinstanzen. Dem Gewaltausbruch folgte bald der Erlass der sogenannten ‚Aprilgesetze‘, welche unter anderem den Ausschluss der jüdischen Bevölkerung vom Beamtentum, das Verbot für Juden, als Richter oder Anwälte zu arbeiten, sowie Quoten für jüdische Studenten und Schüler festsetzten. 98 Die indische Presse berichtete über diese Vorgänge. So veröffentlichte der Bombay Chronicle einen Beitrag, der die Entlassungen jüdischer Berufstätiger unter dem nationalsozialistischen Regime beschrieb und auf Folgen des antisemitischen Terrors, so etwa auf jüdische Selbstmorde hinwies. 99 Auch die Amrita Bazar Patrika berichtete über den antijüdischen Boykott. Ein Beitrag, der von der 97 Vgl. Herbst, Deutschland, S. 49–58. Zur Verfolgung der Juden in den 1930er Jahren unter dem Hitlerregime siehe: Friedländer, Nazi. Zum Antisemitismus in Deutschland siehe: Benz, Deutschland, S. 42–52. 98 Vgl. Herbst, Deutschland, S. 73–79. Zum Boykott und den ‚Aprilgesetzen‘ siehe: Plum, Wirtschaft, S. 272 ff. Plum weist darauf hin, dass antijüdische Boykottmaßnahmen vonseiten der Nationalsozialisten auch schon vor der ‚Machtübergabe‘ durchgeführt wurden, wogegen die Betroffenen mit juristischen Beschwerden und Eingaben vorgingen. Dies war unter der Hitlerregierung nicht mehr möglich. 99 Vgl. o. A.: ‚Oriental scholar commits suicide (25. 05. 1933)‘, in: BC, S. 10.
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Nachrichtenagentur Free Press stammte, wiederholte dabei, ohne weiteren Kommentar, die nationalsozialistische Propaganda. So beschrieb der Verfasser die Vorgänge in Deutschland als eine reine Angelegenheit der nationalsozialistischen Partei und verneinte jedwede Verbindung mit der Hitlerregierung. Die Ursache des Boykotts sah er nicht in der antisemitischen Haltung des Regimes, sondern in einer ausländischen Pressekampagne, die behauptete, dass gegen die Juden in Deutschland Gräueltaten verübt würden. Der Verfasser glaubte der nationalsozialistischen Propaganda, dass die Boykottmaßnahmen aufhören würden, wenn die Kampagne gegen das Reich im Ausland eingestellt werde.100 Die Einschätzung der Vorgänge in Deutschland und der Situation vor Ort schien für die indischen Autoren in den Anfangsjahren des Hitlerregimes, eventuell aufgrund der nationalsozialistischen Propaganda, nicht einfach zu sein. Dies verkompliziert eine Bewertung, inwieweit sie selbst antisemitisches Gedankengut teilten. Benoy Kumar Sarkar beispielsweise, der über die Situation der jüdischen Bevölkerung Deutschlands schrieb, wiederholte die nationalsozialistische Propaganda über die jüdische Dominanz in akademischen, juristischen und medizinischen Berufen. Dies entsprach jedoch nicht den tatsächlichen Verhältnissen: denn obgleich es durchaus eine Konzentration deutscher Juden in diesen Berufen gab, arbeitete ein weitaus größerer Teil im Handel und in handelsnahen Tätigkeiten. 101 Sarkar glaubte nach der Veröffentlichung der ‚Aprilgesetze‘, dass ein Berufsausschluss von Juden aus öffentlichen Institutionen keinesfalls vollständig geschehe, sondern nur bis zu dem Prozentsatz, der ihre demografische Stärke widerspiegelte. Sarkar war sich sicher, dass in einem wohlhabenden Land wie Deutschland mit seiner Masse an begüterten Familien, wie den jüdischen, es nicht lange dauere, die entlassenen jüdischen Talente in einer wirtschaftlich lohnenden Art und Weise umzuverteilen. 102 Seine Annahmen zur Situation der jüdischen Bevölkerung in Deutschland ließen 100 Vgl. Free Press Cable: ‚Boycott begins (02. 04.1933)‘, in: ABP, S. 8. Siehe zur Begründung des Boykotts vonseiten der Nationalsozialisten unter Verweis auf die anti-deutsche Propaganda durch das ‚internationale Judentum‘ : Benz, Juden, S. 273 f.; Plum, Wirtschaft, S. 274 f. Die Gewaltakte gegen Juden verschafften dem Regime in den ersten Wochen und Monaten eine schlechte internationale Presse. Da sich gleichzeitig Anzeichen eines Handelsboykotts gegen Deutschland mehrten, führte man als Gegenmaßnahme eine Medienkampagne gegen die angeblichen ausländischen Verleumdungen durch und kündigte den Judenboykott im April an, der dann in den ‚Aprilgesetzen‘ resultierte (vgl. Plum, Wirtschaft, 274). 101 Vgl. Plum, Wirtschaft, S. 268 und 282. Die jüdische Bevölkerung des Deutschen Reiches betrug im Jahr 1933 etwa eine halbe Million Menschen, was 0,76 % der Gesamtbevölkerung entsprach. Gleichzeitig stellten deutsche Juden im Juni 1933 11 % aller Ärzte, 16 % alle Rechtsanwälte/Notare und 13 % aller Patentanwälte im Deutschen Reich (ebd. S. 9 und 282). 102 Vgl. Sarkar, The Insurance and Finance Review, 1933, S. 19.
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dabei gänzlich die Intentionen der im Frühjahr 1933 eingeführten ‚Aprilgesetze‘ außer Acht. Nach diesen sollten die jüdischen Deutschen in Gänze aus ihren Berufen verdrängt werden. Allerdings gelang 1933 keineswegs eine vollständige Umsetzung der nationalsozialistischen Absichten, da einerseits eine Reihe von Ausnahmeregelungen getroffen wurden, andererseits sich die Bevölkerung teilweise resistent gegenüber Versuchen zeigte, die Juden aus dem Wirtschaftsleben zu vertreiben.103 Auch Sarkars Vorstellungen über die wirtschaftliche Potenz des deutschen Judentums und seiner Fähigkeit zur Selbsthilfe entsprachen nicht der realen Situation. So gab es unter den deutschen Juden eine große Anzahl weniger begüterter Menschen, die als Arbeiter, Angestellte, Hausangestellte oder Selbständige arbeiteten oder schon vor 1933 arbeitslos waren. Durch die ausgrenzenden gesetzlichen und nicht-gesetzlichen Boykottmaßnahmen des Hitlerregimes, die sich ebenfalls gegen Händler, Vertreter und Industriebetriebe richteten, vergrößerte sich das Heer der jüdischen Arbeitslosen, und die Lebensumstände der deutschen Juden verschlechterten sich rapide. 104 Die Vorstellung, dass Benoy Kumar Sarkar nicht hinreichend über Inhalt und Auswirkungen der Gesetze informiert gewesen sei, ist in seinem Fall schwer aufrechtzuerhalten, wenn man seine guten Beziehungen zu akademischen Kreisen in Deutschland, seine Fähigkeit, Deutsch fließend zu lesen sowie die verfügbaren Informationen in indischen Tageszeitungen über die anti-semitische Politik Hitlers berücksichtigt. Eher muss in diesem Zusammenhang vermutet werden, dass aufgrund seiner Hochachtung für die Deutschen Sarkar den Wahrheitsgehalt dieser Neuigkeiten bezweifelte. Seine verzerrte Vorstellung der Ereignisse ließ ihn erklären, dass es sich Deutschland gar nicht leisten könne, die wirtschaftliche und kulturelle Kooperation mit seinen jüdischen Einwohnern dauerhaft auszuschlagen. Indem er auf den längst vergessenen Kulturkampf gegen die Katholiken unter Bismarck verwies, gab Sarkar seiner Leserschaft die Zusicherung, dass die jüdische Frage in Deutschland in derselben Art und Weise in einigen Jahren keine Rolle mehr spielen würde. 105 Ein weiteres Beispiel für eine unreflektierte Beschäftigung mit dem deutschen Antisemitismus bietet ein Artikel von Jagadisan M. Kumarappa, der im November 1933 in der Modern Review erschien. Kumarappa, der detailliert die negativen Auswirkungen der neuen, gegen Juden gerichteten Gesetze in Deutschland beschrieb, legte ebenfalls ausführlich das nationalsozialistische Programm und dessen antisemitische Bestandteile dar. Dabei übernahm er, ähnlich wie in anderen indischen Beiträgen, die Argumente der Nationalsozia103 104 105
Vgl. Plum, Wirtschaft, S. 280 ff. Vgl. ebd., S. 268 ff., 282 und 292 ff. Vgl. Sarkar, The Insurance and Finance Review, 1933, S. 19.
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listen und ließ eine kritische Auseinandersetzung mit den Vorwürfen vermissen: so würden sich die Juden nicht genügend in der deutschen Gesellschaft assimilieren, sie hätten enge Verbindungen zu den Kommunisten und würden auf internationaler Ebene negative Propaganda gegen die Deutschen durchführen. Kumarappa stellte die antijüdischen Ausschreitungen vom Frühjahr 1933 als spontane Reaktion des deutschen Volkes auf Probleme mit den jüdischen Mitbürgern dar und lobte die Hitlerregierung hinsichtlich ihrer disziplinierten Kontrolle der Konflikte, die anderenfalls einen viel größeren Schaden hätten anrichten können. Allerdings war sich Kumarappa auch sicher, dass Hitler zukünftig den Antisemitismus als Regierungspolitik unterdrücken müsse, wenn sich die internationalen Beziehungen Deutschlands nicht verschlechtern sollten.106 Die Fehleinschätzung bezüglich der Natur der antijüdischen Ausschreitungen und der Rolle der Regierung hierbei scheint zu Kumarappas Beschreibung des Antisemitismus als „integralen Bestandteil des nationalen Wiederauflebens“ in Deutschland beigetragen zu haben.107 Die in seinen Ausführungen fehlende distanzierte Beschäftigung mit der nationalsozialistischen antisemitischen Polemik und mit der Politik Berlins kam ebenfalls in Kumarappas Urteil zum Ausdruck, dass es dennoch schade sei, dass: […] the regeneration of the German nation should be so intimately linked up with race hatred and animosity. While it is not difficult to understand the problem of an unassimilable [sic] element in national life, yet we must say that the present outbreak of evil passions among a large section of the German people will, as a memory, remain for a long time a blot on the record of a nation so proud of its high culture.108
Während sich hier eine Ablehnung Kumarappas von Gewalt und Rassenhass erahnen lässt, schien seine Sorge trotzdem weniger den jüdischen Opfern, als vielmehr den deutschen Tätern und deren Reputation zu gelten. Eine ähnliche Fehlinterpretation hinsichtlich der deutschen antijüdischen Politik lieferte ein Jahr später Paresh Chandra Das Gupta in seinem Artikel „Hitlerism analysed“ in der Amrita Bazar Patrika. Das Gupta versteckte seine Bewunderung für Hitler, für den ‚Führer‘, der die deutsche Nation regeneriert habe, nicht.109 Obgleich er einräumte, dass Antisemitismus ein konstituierender Faktor des Hitlerismus sei, erklärte und entschuldigte Das Gupta dessen Existenz, indem er ausführte: The persecution of the Jews is a self-defensive reaction against the de-Germanising movement in pre-Nazi Germany brought about by the international Jew. […] In Germany the Jew could not be true citizens of the State, because they could not make their interests one 106 107 108 109
Vgl. Kumarappa, J. M.: ‚Anti-Semitism in the Reich‘, in: MR, 54 (5) 1933, S. 496 ff. Vgl. ebd., S. 499. Ebd. Vgl. Das Gupta, Paresh Chandra: ‚Hitlerism analysed (26. 06. 1934)‘, in: ABP, S. 4.
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with the interest of the German people. They had international associations and international interests […].110
Der Autor fuhr in seinem Beitrag fort, Argumente zu wiederholen, die üblicherweise von den Nationalsozialisten zur Verteidigung ihrer Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung Deutschlands angeführt wurden.111 Seine unkritische Übernahme der nationalsozialistischen Argumentation scheint dabei mehr zu sein als eine bloße Wiederveröffentlichung deutscher Propaganda. Der Autor teilte vielmehr die Ansichten der Nationalsozialisten hinsichtlich der Juden und muss deshalb als Antisemit verstanden werden. Während in der indischen Presse demnach vorrangig neutrale Berichte und Beiträge erschienen, die Verständnis für die interne Politik des nationalsozialistischen Deutschland forderten, wurden in den analysierten Zeitungen auch einige Artikel veröffentlicht, die den deutschen Antisemitismus ablehnten und das Hitlerregime kritisierten.112 Ein Beispiel war ein Leserbrief vom März 1934, der auf die Unrichtigkeit der nationalsozialistischen Behauptungen hinwies. Der Autor, der das Pseudonym „Veritas“ gebrauchte, wendete sich an die Leser und fragte im Zusammenhang mit der angeblichen internationalen Pressekampagne, warum die jüdische Bevölkerung die Deutschen jetzt diffamieren sollte und warum sie es nicht schon zuvor getan hätten.113 Darüber hinaus wunderte er sich, warum sie dann nicht auch die Briten, Franzosen oder die Bengalen verunglimpfen würden, sofern sie überhaupt der Diffamierung nachgehen würden.114 Veritas zeigte mit seinen Äußerungen im Gegensatz zu Kumarappa oder Das Gupta Sympathie mit dem Schicksal der deutschen Juden. Er bot den Lesern der Zeitung eine andere Perspektive auf die Entwicklungen in Deutsch-
110
Ebd. Vgl. Herbst, Deutschland, S. 48–57. 112 Zu einer gegensätzlichen Einschätzung kam, Joan Roland zufolge, die englischsprachige Zeitschrift The Jewish Advocate. Dort stellte man fest, dass die indische Presse 1933 eindringlich die nationalsozialistischen Ausschreitungen verurteilt habe und mit den Juden sympathisierte (vgl. Roland, Communities, S. 186). Yulia Egorava kommt in ihrer Untersuchung zu dem undifferenzierten Urteil, dass die englische und indische nationalistische Presse in Indien den Nationalsozialismus ablehnte und bringt im Zusammenhang mit dem Antisemitismus einige Beispiele. Die jüdische Presse auf dem Subkontinent schätzte, Egorova zufolge, die sympathisierende Haltung der Inder. Verschiedene Beiträge wiesen allerdings darauf hin, dass erst die negativen Äußerungen Hitlers über Indien, die er 1936 in einer Rede in München kundgetan hatte, zu einer verstärkten Reflektion und Ablehnung der nationalsozialistischen Politik geführt hätten (vgl. Egorova, Jews, S. 43). 113 Vgl. Veritas: ‚Reader’s letter: Jews and Nazis (01. 03. 1934)‘, in: ABP, S. 11. 114 Vgl. ebd. 111
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land, wobei er Aspekte erwähnte, die oftmals in der Berichterstattung vernachlässigt worden waren. So schrieb er: As soon as the Nazis came in power the Jews were deprived of their German citizenship of nearly 1,000 years standing, – they who had done so much for Germany in the field of science, art, literature etc., were declared to be the enemies of Germany, to be treated as aliens and ultimately to be annihilated.115
Durch den Verweis auf die jüdischen Beiträge zum nationalen Leben Deutschlands konterkarierte Veritas die übliche Propagandadarstellung des ‚undeutschen Juden‘, der sich nur mit seinen Brüdern weltweit verbunden fühlte und sich konträr zum ‚deutschen nationalen Geist‘ verhielt. Seine Beschreibung im Zusammenhang mit der deutschen Staatsbürgerschaft für Juden entsprach dabei nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Die jüdische Bevölkerung Deutschlands war, wie oben beschrieben, durch die ‚Aprilgesetze‘ bestimmten restriktiven Einschränkungen unterworfen. Allerdings bedeuteten diese Begrenzungen ihrer persönlichen Rechte keine vollständige Aberkennung ihrer Staatsbürgerschaft, die erst durch die Einführung des Reichsbürgergesetzes 1935 bittere Realität wurde. Diesem Gesetz entsprechend wurden die Juden im ‚Dritten Reich‘ nicht als Reichsbürger angesehen, sondern erhielten den Status von Staatsangehörigen, die weder politische Rechte noch Pflichten besaßen.116 Das Reichsbürgergesetz wurde zusammen mit dem ‚Blutschutzgesetz‘ als die ‚Nürnberger Gesetze‘ bekannt. Ihr Erlass verursachte kaum Reaktionen in den analysierten Medien. 117 Erst drei Jahre später führten verschiedene Ereignisse, wie die Misshandlung der jüdischen Bevölkerung nach der Annexion Österreichs, die Novemberpogrome 1938, die als ‚Reichspogromnacht‘ traurige Berühmtheit erlangten,118 sowie die Emigration von Juden aus Deutschland, zu intensiven Debatten in Indien.119 Während die ersten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft wenig explizite Ablehnung des deutschen Antisemitismus in der Presse hervorgerufen hatte, machten sich deutliche Veränderungen wie115
Ebd. Vgl. Herbst, Deutschland, S. 150 f. 117 Vgl. From our correspondent: ‚European letter (24. 10. 1935)‘, in: Forward, S. 4. 118 Vgl. zu den Novemberpogromen: Graml, Reichskristallnacht; Benz, Novemberpogrom, S. 499–544. 119 Vgl. From our own correspondent: ‚Austrian Jews doomed (01. 04. 1938)‘, in: ABP, S. 8; From our own correspondent: ‚Our European letter (01. 07. 1938)‘, in: BC, S. 9; From our own correspondent: ‚Making Helots of Jews (07. 07. 1938)‘, in: ABP, S. 8; Von unserem Büro aus Patna: ‚Czech Jews’ appointment (04. 11.1938)‘, in: ABP, S. 16; o. A.: ‚History repeating itself (17. 11. 1938)‘, in: ABP, S. 8; Mukherjee, Phoni: ‚Hitlerism or German barbarism (20. 1. 1938)‘, in: ABP, S. 14; Sen, Bijoy Chandra: ‚Nazi barbarism (07. 12. 1938)‘, in: ABP, S. 18; Khambata, Byram: ‚Treatment of Jews (07. 03.1939)‘, in: BC, S. 12. 116
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derum ab 1938 bemerkbar. Trotzdem erschienen weiterhin Beiträge in englischsprachigen indischen Medien, die den Antisemitismus in Deutschland entschuldigten, unterstützten oder anderslautende Berichte für unwahr hielten. 120 Im gesamten Zeitraum befanden sich in der Presse auch immer wieder solche Artikel, die direkt oder indirekt auf nationalsozialistische Propagandamaßnahmen zurückgingen oder durch deutsches Geld subventioniert wurden.121 Ab 1938 erschienen in den indischen medialen Debatten viele Beiträge, die Deutschlands antisemitische Politik verurteilten. Dabei beteiligte sich mit Monindra Mohan Moulik auch ein Intellektueller an den Diskussionen, der im Zusammenhang mit Mussolinis Italien große Sympathien für den Faschismus, insbesondere für dessen Wirtschaftspolitik geäußert hatte. Auch hatte der bengalische Ökonom die Vorgehensweise des faschistischen Regimes im Abessinienkrieg verteidigt. Anders gestaltete sich allerdings Mouliks Meinung zur antisemitischen Politik der Hitlerregierung wie auch zur deutschen Außenpolitik in der Sudetenkrise.122 Das deutet darauf hin, dass er zwar mit dem italienischen Faschismus, nicht aber mit dem Nationalsozialismus sympathisierte. Gleich zweimal äußerte sich Moulik kritisch zu den deutschen antisemitischen Maßnahmen. Während er im ersten Artikel für die Amrita Bazar Patrika das Schicksal der deutschen Juden nur kurz erwähnte und ausführlicher Hitlers rassistische Äußerungen zu Indien thematisierte und zurückwies, kritisierte er in einem Interview, das in der Jewish Tribune im Juli 1938 erschien, die antisemitische Politik der nationalsozialistischen Regierung.123 Moulik legte dar, dass er den rassischen Wahnsinn Deutschlands nicht verstehe und die Verfolgung der Juden der humanitären Konzeption Indiens fremd sei. Antideutsche Äußerungen in der indischen Presse waren, seines Erachtens, eindeutig durch die antisemitische Politik Deutschlands begründet. Moulik stellte in seinen Ausführungen die indische Haltung zum Antisemitismus der Nationalsozialisten als hauptsächlich kritisch dar und gab somit kein realistisches Bild der doch differenzierten Meinungen auf dem Subkontinent wieder.124 Es ist interessant
120 Vgl. o. A.: ‚Modern fables from Germany (28. 12. 1938)‘, in: HO, S. 18; Bose, Sudhindra: ‚Jewish immigration in India‘, in: MR, 65 (5) 1939, S. 524 f.; Roland, Communities, S. 185. 121 Vgl. Seldte: ‚Hitlerism and the Jews (14. 04. 1933)‘, in: ABP, S. 9 und 14; o. A.: ‚Making of New Germany (13. 09.1933)‘, in: ABP, S. 5 und 8; Roland, Communities, S. 189 f.; Egorova, Jews, S. 42. 122 Siehe zu Mouliks Ansichten zum Abessinienkrieg Kapitel 7.1.3 und zur Sudetenkrise Kapitel 7.2.2. 123 Vgl. From our special correspondent (13. 02. 1936), ABP, S. 8; o. A.: ‚India condemns anti-semitic policy of the Nazi Government‘, in: The Jewish Tribune, 9 (5) 1938, S. 7. 124 Vgl. o. A. (1938), The Jewish Tribune, S. 7.
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festzustellen, dass der Interviewer der Zeitschrift Mouliks starke Sympathien für das faschistische Italien unerwähnt ließ. 125 Ende der 1930er Jahre wurden auch die Informationen der indischen Presse im Zusammenhang mit dem deutschen Antisemitismus immer konkreter. So thematisierte im August 1938 ein Artikel, verfasst vom Berliner Korrespondenten der Amrita Bazar Patrika, das Konzentrationslager Buchenwald in Thüringen. Buchenwald wurde durch den Autor als eine Stätte beschrieben, wo tausende Juden nur aus einem einzigen Grund litten, und zwar weil sie Juden seien. 126 Der Verfasser, dessen detaillierte Angaben zur Umgebung des Lagers und zu den Sicherheitsmaßnahmen implizieren, dass er vor Ort gewesen sein musste, offenbarte in seinem Artikel Bitterkeit und Mitleid, indem er schrieb: But more poignant than loss of work or business is the news of friends who suddenly disappear and are engulfed into the great concentration camp of Buchenwald. From this dread spot, in the heart of beautiful Thuringia, the relatives of those interned there have sometimes received a court official intimation that the prisoner had died on a certain date, that he has been cremated, and the ashes may be collected. Sometimes these notices reach the relatives very soon. The Buchenwald is not a healthy place.127
Der Korrespondent versorgte die Leser durch seinen Augenzeugenbericht nicht nur mit wertvollen Einblicken in innerdeutsche Vorgänge, sondern machte ihnen auch die lebensgefährliche Lage der Juden bewusst. Diese Gefahr wurde noch offensichtlicher nach den Novemberpogromen, die in den Leitartikeln der Amrita Bazar Patrika thematisiert wurden. Vier Tage nach der ‚Reichspogromnacht‘ verglich der Verfasser des Leitartikels die Ereignisse in Deutschland und die Angriffe auf das Leben, den Besitz und die Synagogen der Juden mit den Taten von Attila, dem Hunnen.128 In seinem Beitrag verwies er auf die offenkundige Unterstützung der Pogrome durch die Hitlerregierung, obgleich sich das Regime bemühte, den Ausschreitungen einen spontanen, ungeplanten Anschein zu geben und jeden direkten Befehl vermied.129 Noch stärker als die Kritik an der Regierungsmitwirkung war die Missbilligung der Haltung der britischen Regierung gegenüber Deutschland:
125 Vgl. Vor diesem Hintergrund scheint es auch wenig erstaunlich, dass Yulia Egorova Moulik ebenfalls nur als Kritiker der antisemitischen Politik Deutschlands einführt. Obgleich dies durch seine eigenen Äußerungen belegt wird, müssen seine Ansichten zum faschistischen Italien für eine umfassendere Einschätzung seiner Person mit einbezogen werden (vgl. Egorova, Jews, S. 47 f.) 126 Vgl. From our own correspondent: ‚Jews in Nazi Grip (22. 08.1938)‘, in: ABP, S. 4. 127 Ebd. 128 Vgl. Leitartikel: ‚The pogrom (13.11. 1938)‘, in: ABP, S. 8. 129 Vgl. Benz, November-Pogrom, S. 509 f.
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Mr. Chamberlain and Mr. Daladier wish to persuade the world that it is possible to have a real and lasting friendship with the Government that has connived at and publicly supported savageries which would put to shame even the Teutonic ancestors of the Germans. They scarcely realise that the world is faced with the task of saving civilisation from barbarism.130
Ein Grund, warum Großbritannien diese Aufgabe nicht verwirklichen konnte, lag nach der im Leitartikel vertretenen Ansicht darin, dass etwas in der westlichen Zivilisation ‚verrottet‘ sei. Diese Fäulnis wurde dabei in dem Artikel nicht als ausschließliches Charakteristikum der Deutschen bestimmt, sondern ebenfalls für die britischen Kolonialherren konstatiert. Zum Beweis dieser Behauptung wies der Verfasser auf die Ereignisse hin, die auf den Angriff auf Frau Sherwood 1919 in Amritsar gefolgt waren. Dieser Vorfall, der sich während der Protestkundgebungen gegen den Rowlatt Act ereignet hatte, hatte eine heftige Reaktion der britischen Regierung ausgelöst, die sich in „mass floggings, mass assaults and mass crawlings“ 131 gegenüber der indischen Bevölkerung gezeigt habe. 132 Die Vorkommnisse der ‚Reichspogromnacht‘, welche vonseiten der Nationalsozialisten als Vergeltung für den Mord an einem Botschaftsangehörigen in Paris durch einen jüdischen Einzeltäter dargestellt wurden, setzte der Leitartikel der Amrita Bazar Patrika mit den britischen Reaktionen in Amritsar gleich. Diese angedeutete Gleichsetzung des Nationalsozialismus und des britischen Imperialismus scheint nachhaltig durch die indischen Erfahrungen mit der britischen Herrschaft und ihren Auswirkungen beeinflusst worden zu sein. Es ist auffallend, dass die intensiven Gefühle, die mit dieser Erfahrung verbunden waren, in diesem Beitrag zur Konzentration auf indische Angelegenheiten führten und die Fokussierung auf das aktuelle Thema des Leitartikels, das Pogrom in Deutschland, verhinderten. Nicht nur an dieser Stelle ist erkennbar, dass Großbritannien und dessen konstatierte Verantwortung für bestimmte, als negativ wahrgenommene Entwicklungen in Europa im Mittel130
Leitartikel (13.11. 1938), ABP, S. 8. Ebd. 132 Vgl. Tuteja, Jallianwala, S. 225–227. Der 1919 eingeführte Rowlatt Act beinhaltete eine Reihe von Maßnahmen für Verhaftungen und Gerichtsverfahren ohne Geschworene. Er wurde von der indischen Öffentlichkeit weithin abgelehnt, wobei diese Haltung in verschiedenen Formen, vorrangig aber durch friedliche Proteste ausgedrückt wurde. Die Antwort der britischen Regierung bestand in der Einführung des Kriegsrechtes in mehreren Gebieten, so auch im Punjab. Der Angriff auf Frau Sherwood in Amritsar, dessen Ursache in der Tötung einiger indischer Protestanten lag, war nicht der einzige gewaltsame Vorfall in jenen Tagen. Vor dem Hintergrund die Ordnung in der Stadt wieder herstellen zu müssen, begingen die britischen Kolonialherren ein furchtbares Massaker in Jallianwala Bagh, wo sich eine friedliche Menge Demonstranten versammelt hatte. Anscheinend deutete der Verfasser des Leitartikels auf dieses Massaker, als er über den britischen Standpunkt schrieb. 131
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punkt der Aufmerksamkeit standen. Die fortwährende Behauptung, dass die britische Regierung vor dem Hintergrund ihrer eigenen Politik keinerlei Recht besitze, die bestürzenden, undemokratischen Maßnahmen des nationalsozialistischen Deutschland sowie des faschistischen Italien anzuprangern, muss der kolonialen Erfahrung der indischen Autoren zugeschrieben werden. Der Vergleich von britischem Imperialismus und Nationalsozialismus und die Gegenüberstellung ihrer Auswirkungen im Leitartikel stimmten mit dem offiziellen Standpunkt des INC überein. Obgleich das Novemberpogrom vonseiten des INC in keinerlei Resolution ausdrücklich verdammt wurde,133 beschäftigten sich verschiedene einflussreiche Mitglieder mit den Vorgängen in Deutschland. Jawaharlal Nehru zum Beispiel stellte einige Wochen nach der ‚Reichspogromnacht‘ fest: In fact, fascism in Europe is nothing but the application to home countries of the principles which imperialism has already tried in Asia. Yet the democratic tradition of the British people does place them in a slightly different position in regard to the home policy, which has nevertheless an imperialist background.134
Obwohl Nehru einräumte, dass Großbritannien von gewissen demokratischen Traditionen geprägt sei, beschrieb er die Politik des Inselstaates als imperialistisch und kam, wie zuvor, zu dem Urteil, dass es durchaus Ähnlichkeiten zwischen Faschismus und Imperialismus gebe.135 Nehru brachte seine ablehnende Haltung zum deutschen Antisemitismus schon früh in den Briefen an seine Tochter Indira zum Ausdruck. In einem Schreiben vom 31. 07. 1933 stellte er den Antisemitismus als wichtigen Bestandteil des nationalsozialistischen Programms dar, in dem Juden als fremde Rasse angesehen würden, die den hohen Standard der arischen deutschen Rasse verunreinige und senke.136 Auch 1935, während seine Frau Kamala wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes in einer Klinik in Badenweiler im Schwarzwald weilte, drückte Nehru bewusst seine kritische Haltung zur antijüdischen Politik der Nationalsozialisten aus, indem er in jüdischen Läden einkaufte. 137 Nehrus Auseinandersetzung mit dem deutschen Antisemitismus war bei wei-
133 Im März 1939 während der Jahrestagung des INC in Tripura erwähnte eine der dort verfassten Resolutionen den organisierten Terrorismus der Nationalsozialisten gegenüber den Juden und lehnte die dafür verantwortlichen Kräfte, die britische Außenpolitik, wie auch den Faschismus ab (vgl. A.I.C.C.: ‚Foreign Policy (10.–12. 03. 1939)‘, in: Congress Bulletin, (1) 1939, S. 7). 134 Nehru, Jawaharlal: ‚Britain’s foreign policy (07. 01. 1939)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 227. 135 Siehe zu den Diskussionen über die Ähnlichkeit von Imperialismus und Faschismus Kapitel 7.1.3. 136 Vgl. Nehru, Glimpses, S. 913. 137 Vgl. Gopal, Nehru, S. 193.
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tem nicht die einzige Stellungnahme vonseiten eines INC-Politikers, die mediales Interesse hervorrief. Wesentlich stärker noch beschäftigten sich indische Debatten mit Gandhis Standpunkt in dieser Angelegenheit. Der Mahatma schwieg lange Zeit zu diesem Thema, veröffentlichte aber nach wiederholten Anfragen Ende November 1938 einen Artikel in seiner Zeitschrift Harijan. 138 In diesem Beitrag drückte Gandhi seine Sympathie mit den deutschen Juden aus und erklärte, dass die nationalsozialistische Verfolgung der Juden beispiellos in der Geschichte sei. Tief bestürzt über die Vorgänge in Deutschland schrieb er, dass, falls es jemals einen vertretbaren Krieg im Namen der Humanität gebe, ein Krieg gegen das Hitlerregime, das auf so schamlose Weise eine ganze Rasse verfolge, gerechtfertigt sei. 139 Der Mahatma riet den deutschen Juden aktiven gewaltfreien Widerstand zu praktizieren: If I were a Jew and were born in Germany and earned my livelihood there, I would claim Germany as my home even as the tallest gentile German may, and challenge him to shoot me or cast me in the dungeon; I would refuse to be expelled or to submit to discriminating treatment. And for doing this, I should not wait for the fellow Jews to join me in civil resistance but would have confidence that in the end the rest are bound to follow my example. If one Jew or all the Jews were to accept the prescription there offered, he or they cannot be worse off than now.140
Dieser Ratschlag Gandhis, aber auch sein Vergleich der Situation der jüdischen Bevölkerung in Deutschland mit der früheren Lage der Inder in Südafrika,141 brachten dem Mahatma viel Kritik von jüdischer, aber auch von deutscher Seite ein. 142 Diese hörte auch nicht vor dem Hintergrund weiterer Beiträge im 138
Vgl. Roland, Communities, S. 186 f. Vgl. Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚The Jews‘, in: Harijan, 6 (42) 1938, S. 352. 140 Ebd. Durch die Befolgung dieses Rates könnten die deutschen Juden, so glaubte Gandhi, ihre Selbstachtung bewahren und das Gefühl der Hilflosigkeit abschütteln. Er schrieb in dem Aufsatz weiterhin: „And suffering voluntarily undergone will bring them [the Jews, M. F.] an inner strength and joy which no number of resolutions of sympathy passed in the world outside Germany can. Indeed even if Britain, France and America were to declare hostilities against Germany, they can bring not inner joy, not inner strength. The calculated violence of Hitler may even result in a general massacre of the Jews by way of his first answer to the declaration of such hostilities. But if the Jewish mind could be prepared for voluntary suffering even the massacre I imagine could be turned into a day of thanksgiving and joy that Jehovah had wrought deliverance of the race even at the hand of the tyrant“ (vgl. ebd., S. 352 f.). 141 So glaubte Gandhi, dass die deutschen Juden aufgrund ihrer kompakten, homogenen Gemeinschaftsstruktur, ihrer Talente und wegen der sie unterstützenden Weltöffentlichkeit weitaus wirksamer satyagraha leisten könnten, als es die Inder zu seiner Zeit in Südafrika gekonnt hätten (vgl. ebd., S. 353). 142 Vgl. Roland, Communities, S. 187 f.; Chatterjee, Gandhi, S. 117 ff.; Kling, Gandhi, S. 176 ff.; Leitartikel: ‚Mr. Gandhi’s remedy for persecution‘, in: The Jewish Tribune, 9 (10) 139
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Harijan auf, in welchen Gandhi auf die jüdischen und deutschen Kommentare reagierte, indem er einerseits die grundsätzliche Freundlichkeit seiner Zeilen gegenüber der deutschen Bevölkerung erklärte, andererseits erneut eine aktive Gewaltlosigkeit von den deutschen Juden forderte.143 Gandhis völlige Fehleinschätzung der Situation in Deutschland scheint darauf hinzudeuten, wie wenig er sich in der internationalen Politik auskannte; zumindest behauptete er dies selbst.144 Diese Erklärung wird allerdings in einigen Forschungsbeiträgen angezweifelt, die argumentieren, dass Gandhi zu jener Zeit durch verschiedene Freunde und Anhänger, wie Hermann Kallenbach, Margarete Spiegel, Romain Rolland, Henry Polak und Nehru, ausführlich über die Lage der europäischen Juden aufgeklärt wurde. 145 Der Mahatma scheint trotzdem nicht in der Lage gewesen zu sein, die Ungeheuerlichkeit des deutschen Antisemitismus zu begreifen. 146 Die sich immer weiter verschlechternde Situation der jüdischen Bevölkerung in Deutschland thematisierte schließlich auch ein Karikaturist des Bombay Chronicle. In einer Zeichnung vom August 1939 ist ein extrem abgemagerter jüdischer Mann zu sehen, der an einen Pfahl gekettet zwei Nationalsozialisten gegenübersteht. Einer dieser Männer ist Adolf Hitler, der ein Dokument und einen Füllfederhalter in den Händen hält und von dem Gefangenen eine Unterschrift unter einen Nicht-Angriffspakt haben möchte. In der Mitte steht ein
1938, S. 1; Leitartikel: ‚Gandhi and the Jews‘, in: The Jewish Advocate, 10 (17) 1938, S. 3 f. Jüdische Autoren wiesen vehement darauf hin, dass die Durchführung seines Ratschlags nichts bewirken würde, da die Nationalsozialisten die jüdische Bevölkerung terrorisiere und ermorde. 143 Vgl. Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚Reply to German critics‘, in: Harijan, 6 (45) 1938, S. 381; ‚Some questions answered‘, in: Harijan, 6 (45) 1938, S. 394; ‚Is non-violence ineffective?‘, in: Harijan, 6 (48) 1939, S. 417; ‚No apology‘, in: Harijan, 7 (2) 1939, S. 24; ‚The Jewish question‘, in: Harijan, 7 (16) 1939, S. 138; Roland, Communities, S. 188 f. 144 Vgl. Gandhi, Reply, Harijan, 6 (45) 1938, S. 381. 145 Vgl. Dalton, Gandhi, S. 137 und FN 177, S. 229 f.; Chatterjee, Gandhi, S. 114 f.; Voigt, Spell, S. 150–160. 146 Vgl. Dalton, Mahatma, S. 137; Shimoni, Gandhi, S. 45 und 51. Gegensätzlicher Ansicht ist Blair Kling, der schreibt, dass Gandhis Aufsätze ein tiefes Verständnis des Hitlerismus zeigen. Die Ausführungen des Mahatmas und insbesondere sein Konzept des satyagraha wurden dabei, Kling zufolge, von nur wenigen seiner Zeitgenossen verstanden (vgl. Kling, Gandhi, S. 176 f.). Zum Konzept des satyagraha (Kraft der Seele) und der Frage, inwieweit seine Anwendung unter dem Hitlerregime möglich gewesen wäre, siehe: Kling, Gandhi, S. 181 ff. Gandhis ‚eigenwillige‘ Beurteilung der Situation in Deutschland bzw. des Nationalsozialismus wird ebenfalls in einem Brief vom Dezember 1940 an Hitler deutlich, in welchem er den deutschen Reichskanzler im Namen der Menschlichkeit um die Beendigung des Krieges bat (vgl. Rothermund, Gandhi, S. 365).
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weiterer Mann, der wohl zur Lagermannschaft des Konzentrationslagers Dachau gehört, in dem die Szene angesiedelt ist. 147 Die Titelunterschrift besagt, dass jeden Moment die Unterzeichnung des Nicht-Angriffspaktes zwischen Hitler und den Juden erwartet wird und dass sich der ‚Führer‘ für Verhandlungen ins Konzentrationslager begeben habe. Sarkastisch schließt der Text mit der Bemerkung, dass der Karikaturist sich weigert, ebenfalls dorthin als Sonderkorrespondent der Zeitung zu gehen.148 Mit dieser letzten Bemerkung machte der Zeichner deutlich, dass er Konzentrationslager für lebensgefährliche Orte hielt. Der Abschluss eines Nicht-Angriffspaktes, dessen Nennung hier wohl eine Anspielung auf den drei Tage zuvor abgeschlossenen deutsch-russischen Nicht-Angriffspakt149 sein sollte, stand natürlich nie zur Debatte. Dies wird durch die Lage des Juden, der gefesselt ist und gar nicht reagieren kann, mehr als deutlich. Er steht sinnbildlich für die ausweglose Situation, in der sich die jüdische Bevölkerung in Deutschland befand, und für ihr Ausgeliefertsein gegenüber dem nationalsozialistischen Antisemitismus. Die indische Auseinandersetzung mit antisemitischen Maßnahmen be147
Vgl. SAD: ‚Nazi-Semite non-aggression pact in the making? (26. 08. 1939)‘, in: BC,
S. 7. 148 149
Vgl. ebd. Vgl. Herbst, Deutschland, S. 225 ff.
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schränkte sich keineswegs auf Deutschland, sondern verschiedene Beiträge, wenn auch weitaus weniger, diskutierten ebenfalls in den späten 1930er Jahren die neuen antijüdischen Rassengesetze in Italien. Debatten über einen italienischen Rassismus waren schon zuvor im Zusammenhang mit dem Abessinienkrieg und der anschließenden Errichtung des ‚Imperium Ostafrika‘ aufgetreten. 150 1938 richtete sich der Fokus auf die antisemitischen und rassistischen Erlasse des Mussolini-Regimes, denen am 25. 07. 1938 das manifesto della razza, ein Grundsatzpapier einer Gruppe faschistischer Wissenschaftler, vorausgegangen war. Die Gesetze brachten weitreichende Diskriminierungen mit sich, unter anderem Berufsausschlüsse, Betätigungsverbote und Regelungen zu reinrassigen Eheschließungen.151 Die Artikel in der indischen englischsprachigen Presse befürworteten keineswegs die italienischen Maßnahmen und spekulierten über die Motive des Regimes. 152 Dabei beschrieben einige Autoren die neuen Bestimmungen, wie beispielsweise die Entlassung jüdischer Lehrer, Direktoren und Professoren aus den italienischen Bildungseinrichtungen, das Heiratsverbot zwischen Italienern und Menschen jüdischer sowie nicht-arischer Abstammung sowie den Ausschluss von Juden aus Gelehrtengesellschaften, sozialen und Sportvereinen.153 Unter dem wiederholten Hinweis, dass die jüdische Bevölkerung Italiens zahlenmäßig gering und bisher gut in die italienische Gesellschaft, auch unter der faschistischen Herrschaft, integriert gewesen sei,154 vermuteten die Autoren als Beweggrund für den ideologischen Richtungswechsel der Regierung vor allem den Einfluss des Hitlerregimes bzw. entsprechende aus der Kooperation der Achsenmächte entstandene Verpflichtungen.155 Gestützt wurde diese Darstellung durch die Annahme, dass es kaum Antisemitismus in Italien gebe, eine Vermutung, die die historisch vorhandenen anti150
Siehe dazu Kapitel 7.1.2.1. Zum Inhalt und den einzelnen Bestimmungen des Manifestes, das eine biologisch begründete Differenz von Rassen feststellte, sowie zu den Problemen der Kongruenz mit den faschistischen Vorstellungen zur Nation, dem organischen Staat usw. siehe: Bernardini, Origins, S. 445 ff., Schlemmer/Woller, Faschismus, S. 179 ff.; Wildvang, Feind, S. 104 ff. Das Manifest konstatierte, dass die Juden nicht zur italienischen Rasse gehörten (vgl. Schlemmer/Woller, Faschismus, S. 180). 152 Vgl. Leitartikel: ‚And now Italy?‘, in: The Jewish Tribune, 9 (7) 1938, S. 1; From our own correspondent: ‚Discontent in Italy (10.10. 1938)‘, in: ABP, S. 9; From our own correspondent: ‚Political letter (06. 09. 1938)‘, in: ABP, S. 8. 153 Vgl. o. A.: ‚Anti-Semitic movement (03. 09. 1938)‘, in: Sind Observer, S. 12; o. A.: ‚Jews in Italy (08. 10. 1938)‘, in: BC, S. 6. 154 Vgl. o. A. (03. 09. 1938), Sind Observer, S. 12; From our own correspondent (10. 10. 1938), ABP, S. 9. 155 Vgl. From our own correspondent (06. 09. 1938), ABP, S. 8; From our own correspondent (10. 10. 1938), ABP, S. 9. 151
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semitischen Tendenzen im Land übersah.156 Dementsprechend beschrieben etliche Beiträge die geschockten Reaktionen der Italiener, welche, nach Aussagen der Verfasser, die antijüdischen Gesetze ablehnten.157 Die gegen die antisemitische Politik der Regierung gerichtete Haltung der Italiener wird einerseits durch die heutige Forschung konstatiert, andererseits werden hier auch Defizite festgestellt; so zum Beispiel fehlen Studien zu den Reaktionen der Bevölkerung auf die Rassengesetze. 158 Ein Fokus der Untersuchungen liegt bisher auf der Frage, inwieweit der 1938 so deutlich zutage getretene Antisemitismus ein aus Deutschland importiertes Phänomen im faschistischen Italien war oder aber ein unter dem Mussolini-Regime gewachsenes. 159 Während erstere Interpretation in einer Reihe historischer Arbeiten vertreten wurde,160
156 Vgl. Bernardini, Origins, S. 432; Schlemmer/Woller, Faschismus, S. 171 ff.; Wildvang, Feind, S. 44 ff.; Wyrwa, Antisemitismus, S. 87 ff. 157 Vgl. Waheed, Zahid: ‚Duce, you will never see Rome again (15. 01. 1939)‘, in: CS, S. 10; From our own correspondent (10. 10. 1938), ABP, S. 9; Leitartikel (Sept. 1938), The Jewish Tribune, S. 1. Ähnliche Perzeptionen zu Anzahl und Integrationsgrad des italienischen Judentums sowie zum Hintergrund des plötzlich auftretenden, bisher nicht vorhandenen Antisemitismus in Italien teilten europäische Beobachter (vgl. Bernardini, Origins, S. 431). 158 Vgl. Bernardini, Origins, S. 431; Schlemmer/Woller, Faschismus, S. 168 und 184 f.; Wildvang, Feind, S. 134 ff. Wildvang konstatiert, dass unter den nicht-jüdischen Italienern die Ansicht weitverbreitet war, dass die italienischen Rassengesetze als Imitation der Nationalsozialistischen oder auf Druck der deutschen Seite eingeführt wurden. Sie kommt außerdem zu dem Urteil, dass, obwohl es Anzeichen für die Ablehnung der leggi razziali in der italienischen Bevölkerung gab, die Mehrheit der Bevölkerung sich indifferent verhielt (vgl. Wildvang, Feind, S. 134 ff.). 159 Einen aktuellen Überblick zur Forschungsliteratur in dieser Frage bietet der Aufsatz: Schlemmer/Woller, Faschismus, S. 165 ff. Siehe ebenfalls: Collotti, Historiker, S. 59 ff. und 68 ff.; Wildvang, Feind, S. 17–28. Für eine Untersuchung der zeitgenössischen nationalsozialistischen Wahrnehmung der italienischen Rassenpolitik siehe: Pommerin, Differenzen, S. 646–660. Pommerin schreibt, dass sich die Nationalsozialisten einerseits sehr überrascht von dem ihrer Meinung nach plötzlich auftretenden italienischen Antisemitismus zeigten. Gleichzeitig aber hätten sie, beginnend mit der Verabschiedung der Rassengesetzgebung im Herbst 1938, immer wieder auf die Unterschiede in der Behandlung der jüdischen Bevölkerung in beiden Staaten bzw. auf die Schwäche und Inkonsequenz Italiens in dieser Angelegenheit hingewiesen. 160 Vgl. Michaelis, Mussolini, S. 407–414; De Felice, Storia; Perfetti, Fascismo, S. 371. Michaelis schreibt, dass die faschistischen Rassengesetze den wenig erfolgreichen Versuch einer Adaption der deutschen Rassentheorien unter italienischen Bedingungen darstellten. Seiner Ansicht nach war das manifesto della razza weder eine originär italienische Kreation, noch eine sklavische Imitation des deutschen Modells. Der rassische Antisemitismus war, Michaelis zufolge, eine logische Konsequenz der Achsenpolitik des Mussolini-Regimes (vgl. Michaelis, Mussolini, S. 412).
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scheint sich in jüngerer Zeit eher die zweite Argumentation durchzusetzen.161 Bernardini stellt in diesem Zusammenhang fest, dass Antisemitismus ganz logisch und natürlich aus dem Faschismus entstanden sei und sich aus faschistischen Grundsätzen und Politiken herausbildet habe, welche von der italienischen Bevölkerung durchaus unterstützt worden seien. Seines Erachtens existierte zwar ein deutscher Einfluss bei der Ausformulierung der italienischen Rassenpolitik, dieser sei aber eher zufällig als ursächlich gewesen. Einen Zwang oder entsprechende Forderungen von deutscher Seite habe es nicht gegeben.162 Der Erlass der Rassengesetze von 1938 hing, so führen verschiedene Forschungsbeiträge aus, eher mit Mussolinis Verhältnis zu den Juden, mit faschistischen Annahmen zur Superiorität einer Rasse als Voraussetzung für eine erfolgreiche imperialistische Politik und mit der Erschaffung des italienischen Imperiums, mit den ideologischen Grundsätzen des Faschismus sowie mit der politischen Isolation Italiens ab 1936/37 zusammen, wobei der letzte Aspekt durchaus zu einer Annäherung an das nationalsozialistische Deutschland geführt habe.163
161 Vgl. Bernardini, Origins; Schlemmer/Woller, Faschismus, S. 174; Collotti, Historiker, S. 61, 71 und 75; Wildvang, Feind, S. 22 f. und 103; Levi, Verfolgung, S. 158 ff. 162 Vgl. Bernardini, Origins, S. 431 ff. und 444. Bernardini weist auf die Unterschiede von Rassismus, der grundlegend biologisch motiviert sei und Antisemitismus hin, dem zunächst primär ein ideologisches Konzept zugrunde gelegen habe. Während der Antisemitismus ältere Wurzeln in Italien habe, sei Rassismus erst im Zusammenspiel mit dem imperialistischen Bewusstsein während der faschistischen Herrschaft aufgekommen. Beide Phänomene näherten sich Ende der 1930er Jahre an und wurden durch die Faschisten in der 1938 erlassenen Gesetzgebung konsolidiert. Damit einher ging die qualitative Veränderung des italienischen Antisemitismus von rein politisch oder ideologisch begründet zu rassistisch und biologisch motiviert (vgl. dazu ebenfalls sowie zu Fragen des Vergleichs von deutschen und italienischen Antisemitismus Schlemmer/Woller, Faschismus, S. 178 f. und 185 ff.). 163 Vgl. Bernardini, Origins, S. 439 ff.; Schlemmer/Woller, Faschismus, S. 174 ff.; Robertson, Race, S. 40 ff.; Wildvang, Feind, S. 103 f. So war Mussolinis Haltung zu den Juden vor 1935 ambivalent. Einerseits bewunderte er sie und pflegte mit einigen jüdischen Italienern Freundschaften, andererseits fürchtete er das ‚internationale Judentum‘. Die vehemente jüdische Kritik an der Abessinienkampagne des Regimes führte nicht nur zur Verstärkung des Antisemitismus der Faschisten, sie verringerte auch Mussolinis ‚Verständnis‘ für die Juden, bzw. seine Bereitschaft, sie als gleichberechtigte Staatsbürger zu dulden. Darüber hinaus bildeten die Erfahrungen während und im Anschluss an die faschistische Eroberung Abessiniens, die unter anderem Ausdruck fanden in den eingeführten Regulierungen zur Nichtvermischung von Rassen, wichtige Motive für die Ausformulierung eines rassistisch begründeten Antisemitismus (vgl. Bernardini, Origins, S. 442 f.; Robertson, Race, S. 41 f.).
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5.2.2 Kontroversen um die Immigration jüdischer Flüchtlinge nach Indien Jüdische Flüchtlinge, die aufgrund des Nazi-Terrors Europa verließen, siedelten sich ab 1933 in Indien an. Während anfänglich vor allem Ärzte aus Deutschland kamen, folgten ab Mitte der 1930er Jahre unter anderem Techniker, Krankenschwestern, Lehrer und Geschäftsleute aus Österreich, der Tschechoslowakei und Polen.164 Die wahrgenommene Einwanderung jüdischer Flüchtlinge löste frühzeitig Diskussionen aus, wobei insbesondere die befürchtete Konkurrenz um Arbeitsplätze eine Rolle spielte. So verursachte die Einwanderung jüdischer Mediziner aus Deutschland in den ersten Monaten des Jahres 1934 einen beträchtlichen Aufruhr in der Bombayer Ärzteschaft. Als dessen Folge beschäftigte sich unter anderem die Central Legislative Assembly mit der Angelegenheit; sie verhängte allerdings vorerst kein Berufsverbot für die Neuankömmlinge.165 Die neuen Entwicklungen fanden ebenfalls Eingang in den Bombay Chronicle, in dessen Leitartikeln, Beiträgen und Leserbriefen die verschiedenen Ansichten ausführlich diskutiert wurden.166 Dr. K. K. Dadachanji beispielsweise appellierte nicht nur an die indischen Ärzte sowie deren Vertretungen, die Indian Medical Association und die All-India Medical Licentiates’ Association, geeint in dieser Angelegenheit zu handeln, sondern forderte von den Gesetzgebern eine entsprechende Regulierung, die Praxen ausländischer Mediziner verbiete. Seiner Ansicht nach hatte die Einwanderung ausländischer Berufskollegen schon zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in der indischen Ärzteschaft geführt. Darüber hinaus wies er auf die Frage nach der Reziprozität hin. Während es indischen Ärzten in Deutschland nicht erlaubt sei, ihrer Profession nachzugehen, könnten deutsche Mediziner in Indien praktizieren.167 Während Dadachanji in den kommenden Wochen in weiteren Beiträgen Unterstützung erhielt,168 formte sich auch Widerspruch gegen seine Forderungen. So erklärte ein Autor, dass eine reziproke Behandlung im Falle der von den Nationalsozialisten enteigneten und vertriebenen Juden unmöglich sei, da sämtliche Ansprüche direkt an die für ihr Schicksal verantwortliche Regierung gerichtet werden müssten. Der Verfasser 164
Vgl. Egorova, Jews, S. 45. Vgl. Roland, Communities, S. 178 ff. 166 Vgl. Dadachanji, K. K.: ‚A menace to Indian doctors (24. 02. 1934)‘, in: BC, S. 6 und 8; Viator: ‚The case of exiled German doctors (08. 03.1934)‘, in: BC, S. 6 und 8; Victor: ‚German doctors in India (14. 03. 1934)‘, in: BC, S. 8; Patient’s view-point: ‚Reader’s letter: German doctors in Bombay (20. 03. 1934)‘, in: BC, S. 8. 167 Vgl. Dadachanji (24. 02. 1934), BC, S. 8; Dadachanji, K. K.: ‚Reader’s letter: German doctors in India (15. 03. 1934)‘, in: BC, S. 8. 168 Vgl. One of you: ‚Reader’s letter: German doctors for India (13. 03. 1934)‘, in: BC, S. 8; Adalja, K. V.: ‚Reader’s letter: German Doctors in India (26. 03. 1934)‘, in: BC, S. 6. 165
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fand es lächerlich „[…] to hold the German exiles responsible for the actions or policy of a Government which begins by treating them as aliens, criminals and parish of the worst order“.169 Andere Teilnehmer an der Debatte verwiesen auf Indiens traditionelle Toleranz und auf die Gastfreundschaft des Landes gegenüber Flüchtlingen. Sie empfanden den Ruf nach einem Berufsverbot für die jüdischen Flüchtlinge als unehrenhaft und menschenunwürdig. 170 Die Herausgeber des Bombay Chronicle forderten in einem Leitartikel die Einstellung der Initiative durch Dr. K. K. Dadachanji und dessen Unterstützer; trotzdem veröffentlichten sie seine Aussagen im Sinne der Pressefreiheit. 171 Die kontroversen Ansichten über die Berufsausübung ausländischer Ärzte in Indien fanden ebenfalls Ausdruck in den Resolutionen, die eine Versammlung der Bombayer Mediziner verabschiedete. Während einerseits Empörung über die unbeschränkte Zulassung ausländischer, nicht-indischer Ärzte und Zahnärzte geäußert wurde, erklärte das Treffen andererseits auch seine Sympathie für die jüdischen Berufskollegen aus Deutschland und versicherte, dass „[…] they would not be party to any discriminatory action seeking to single them out with a view to debar them from the practice of Medicine in this country“.172 Obgleich in den nächsten Jahren kaum weitere Beiträge im Bombay Chronicle erschienen, war die Auseinandersetzung um die Immigration jüdischer Ärzte keineswegs beendet. So prüfte, Joan Roland zufolge, das Bombay Medical Council ein Jahr später die Möglichkeit, die Berufsausübung von Ärzten und Zahnärzten auf indische Personen zu beschränken, und wurde in diesem Zusammenhang von der Provinzregierung an die Zentralregierung und das AllIndia Medical Council verwiesen.173 Die Dauer der Auseinandersetzung und die Zähigkeit, mit der die Einwanderungsfrage immer wieder thematisiert wurde, erstaunt vor dem Hintergrund der tatsächlich praktizierenden jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland. So hatten in Bombay innerhalb eines Jahres nicht mehr als zehn Immigranten eine medizinische Tätigkeit aufgenommen.174 Durch die europäischen Ereignisse vergrößerte sich ab 1938 die Zahl der Emigranten, und die Frage der jüdischen Einwanderung fand abermals Ein169
Vgl. Viator (08. 03. 1934), BC, S. 6. Vgl. Vaidya, S. K.: ‚Reader’s letter: German doctors in India (06. 03. 1934)‘, in: BC, S. 8; Viator: ‚Case of the exiled German doctors (16. 03. 1934)‘, in: BC, S. 6 und 8; Nariman, K. F.: ‚Reader’s letter: German doctors in India (17. 03. 1934)‘, in: BC, S. 8. 171 Vgl. Leitartikel: ‚Refugee German doctors (17. 03.1934)‘, in: BC, S. 10. Joan Roland zufolge vertraten zu diesem Zeitpunkt ebenfalls andere Zeitungen, wie der Bombay Sentinel und The Free Press Journal ähnliche, mit den jüdischen Flüchtlingen sympathisierende Auffassungen (vgl. Roland, Communities, S. 179 f.). 172 Egorova, Jews, S. 48. 173 Vgl. Roland, Communities, S. 180. 174 Vgl. ebd. 170
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gang in die indischen Zeitungsdebatten, in denen erneut ähnliche Argumente das Für und Wider betreffend vorgetragen wurden. Die Diskussion konzentrierte sich nach wie vor auf die medizinische Profession; allerdings wurde nun ebenfalls die Konkurrenz in anderen Berufsgruppen thematisiert, und der Kreis der an der Debatte Teilnehmenden hatte sich um führende Mitglieder des INC erweitert.175 Letztere kamen mit der Problematik durch die veränderten innenpolitischen Gegebenheiten verstärkt in Berührung. Aufgrund des 1935 eingeführten Government of India Act waren 1937 Wahlen auf Provinzebene durchgeführt wurden, in denen der INC äußerst erfolgreich gewesen war. Die im Anschluss gebildeten INC-Provinzregierungen mussten sich deshalb mit der Frage der jüdischen Immigration und Konkurrenz auseinandersetzen, so zum Beispiel in den United Provinces, in Bombay und Bihar. In der letztgenannten Provinz hatte der INC-Politiker und Bildungs- und Entwicklungsminister Dr. Syed Mahmud, nachdem er entsprechende Bewerbungen von Jawaharlal Nehru weitergeleitet bekommen hatte, erklärt, vier jüdische Experten einstellen zu wollen (siehe zu Nehrus Engagement ausführlich unten).176 Die Presse nahm das Thema auf und setzte sich mit der Frage der Ernennung von vier tschechischen Juden durch die INC-Provinzregierung auseinander. Der Autor eines Beitrages schrieb in diesem Zusammenhang, dass die Befürchtungen keine Basis hätten, da keine jüdischen Immigranten ernannt worden seien. Die falsche Ankündigung einer Einstellung hatte, dem Verfasser zufolge, „[…] considerable flutter in India and Overseas“ 177 verursacht. Ein weiterer Beitrag, der sich mit den Folgen jüdischer Immigration auseinandersetzte, erschien in der Amrita Bazar Patrika im Dezember 1938. Die175 Vgl. Ganapathy, T. R.: ‚Reader’s letter: Austrian Jew (08. 04. 1938)‘, in: BC, S. 11; Venkataraman, V. T.: ‚Reader’s letter: Austrian Jews (11. 04. 1938)‘, in: BC, S. 3; Kaskbekar, K. N.: ‚Reader’s letter: The Austrian Jews (13. 04. 1938)‘, in: BC, S. 9; A wandering Jew: ‚Reader’s letter: The Austrian Jews (11. 05.1938)‘, in: BC, S. 4; Ganapathy, T. R.: ‚Reader’s letter: Austrian Jews (14. 05. 1938)‘, in: BC, S. 16; Von unserem Büro aus Patna (04. 11.1938), ABP, S. 16; o. A.: ‚Frankly speaking „Jews and India“ (13. 02. 1939)‘, in: BC, S. 6. 176 Vgl. Egorova, Jews, S. 45; Roland, Communities, S. 183. Inwieweit die Einstellung der vier tschechischen Juden zustande gekommen ist, geht aus den Quellen ebenso wenig hervor wie aus der Sekundärliteratur. Die Jewish Tribune vom Dezember 1938 berichtet in der Angelegenheit nur, dass die INC-Regierung entschieden hätte, den vier jüdischen Immigranten Gehälter zwischen 250 und 500 Rupien monatlich zu zahlen. Auch über die Einsatzbereiche gab die Zeitschrift Auskunft: „[…] one will be an industrial organiser, another an industrial chemist, a third will be in charge of the scheme of controlling floods and rivers in Bihar and the fourth an expert in electricity.“ (vgl. o. A.: ‚Jewish refugees and the Behar government‘, in: The Jewish Tribune, 9 (10) 1938, S. 16). 177 Von unserem Büro aus Patna (04. 11.1938), ABP, S. 16.
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ser kurze, neutral gehaltene Bericht war von der Nachrichtenagentur Associated Press (A.P.) übernommen worden. Er beschrieb den Unmut der im Punjab gelegenen Zweigstelle der Indian Medical Association hinsichtlich des Zustroms von deutschen Juden, die einem medizinischen Beruf nachgingen und die von der Provinzregierung des INC in den United Provinces als Experten ernannt worden waren.178 Das von den indischen Ärzten wahrgenommene Problem wurde ebenfalls mit Subhas Chandra Bose, dem damaligen Präsidenten des INC, diskutiert. Dem Bericht zufolge reagierte Bose, indem er erklärte: […] that India could not tolerate foreign doctor insomuch as their competition with Indian doctors was concerned, but he [Bose, M. F.] found no objection in taking those men into service as experts on contractual basis, subject to certain conditions that they would not be allowed to practice after retirement in the provinces they had served.179
Der Autor des Artikels fuhr fort und schrieb, dass der Präsident des INC ernsthaft gegen den Zustrom von solchen Medizinern als Klasse nach Indien sei. Er riet der Abordnung der indischen Ärzte, die mit ihm das Gespräch gesucht hatten, die Angelegenheit zur Abstimmung und Organisation gemeinsamer Handlungen der Indian Medical Association zur Kenntnis zu bringen.180 Für die Indian Medical Association war das Thema aufgrund der Proteste der Bombayer Ärzteschaft von 1934/35 keineswegs neu. Die Befürchtungen der Mitglieder ernstnehmend schlug der Interessenverband auf der All-India Medical Conference im Dezember 1938 vor, die Einwanderung von praktizierenden Medizinern aus solchen Ländern, die ihrerseits die Qualifikationen indischer Ärzte nicht anerkannten, zu verbieten. 181 Die indische Regierung, die in den Versammlungen der Central Legislative Assembly wiederholt mit Anfragen hinsichtlich der Immigration jüdischer Experten und insbesondere von Doktoren konfrontiert war, vertrat die Ansicht, dass entsprechende Genehmigungen zum Praktizieren von den jeweiligen Provinzregierungen ausgegeben 178
Vgl. o. A.: ‚German Jew Doctors (02. 12. 1938)‘, in: ABP, S. 15. Ebd. 180 Vgl. ebd. Beiträge über den Protest der Zweigstelle und über ihr Gespräch mit Subhas Chandra Bose erschienen in verschiedenen deutschen Zeitungen. Die Artikel basierten auf einem Bericht des Deutschen Nachrichten-Büros, der offiziellen, zentralen Presseagentur des Deutsches Reiches zur Zeit des Nationalsozialismus (vgl. Nambiar, A. C. N.: ‚Letter to Jawaharlal Nehru (16. 12. 1938)‘, in: J. Nehru Papers, NMML, Correspondence, Bd. 53). 181 Vgl. Roland, Communities, S. 180. Eine andere Darstellung in diesem Zusammenhang lässt sich in den Ausführungen von Tilak R. Sareen finden. Er schreibt ohne Angabe eines Datums und ohne einen entsprechenden Beleg, dass es Jawaharlal Nehru gelang, die Indian Medical Association trotz aller Bedenken zur Anerkennung medizinischer Qualifikationen erworben in Zentraleuropa zu bewegen. Damit konnten seines Erachtens jüdische Ärzte in Indien praktizieren (vgl. Sareen, Responses, S. 57). 179
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werden müssten.182 Dementsprechend regelte die Bombayer Provinzregierung im Zuge der erneuten Proteste die Angelegenheit. Die beiden Kammern der Legislativen genehmigten 1938 den New Bombay Medical Act, der nur denjenigen Medizinern, deren Abschlüsse durch das All-India Medical Council anerkannt wurden, sowie Ärzten, die schon vor dem 10. 03. 1938 in Indien praktiziert hatten, die Erlaubnis gab, in den städtischen Gebieten der Provinz ihren Beruf auszuüben.183 Die Bestätigung der universitären Qualifikationen erfolgte unter dem Prinzip der Reziprozität. Da die indischen Abschlüsse weder in Deutschland noch in Österreich anerkannt waren, erhielten jüdische Mediziner aus beiden Ländern vom All-India Medical Council keine Zulassung. 184 Auf Nachfrage der englischsprachigen Zeitschrift The Jewish Tribune erklärte der Gesundheitsminister der Bombayer Regierung, G. M. Gilder, in einem Interview, dass die Nichtzulassung deutscher und österreichischer Juden ein Nebeneffekt des neuen Gesetzes sei. Das Gesetz sei mit seinen Bestimmungen zur Qualifikation von Ärzten nicht gegen die jüdischen Flüchtlinge gerichtet, allerdings, so gab er zu, seien sie davon betroffen. Gilder wies im Verlauf des Interviews darauf hin, dass die neuen Regulierungen kein Verbot der Berufsausübung in ländlichen Gebieten beinhalte. Es treffe außerdem nicht auf Flüchtlinge zu, die einen italienischen Abschluss vorweisen könnten, da in Italien Mediziner mit einer Qualifikation aus Indien praktizieren dürften.185 Das Thema der Immigration jüdischer Experten aus Mitteleuropa nach Indien brachte in der indischen Öffentlichkeit durchaus kontroverse Reaktionen hervor. Während es einerseits starke Sympathien mit den Juden gab, schien die Vorstellung, dass jüdische Flüchtlinge nach Indien einwanderten und mit den Indern um die vorhandenen Arbeitsplätze konkurrierten, beängstigend.186 Dies ließ sich insbesondere für Angehörige der Mittelklasse feststellen, die in bestimmten Berufen, so zum Beispiel als Ärzte arbeiteten oder ein Studium, beispielweise in Chemie absolviert hatten.187 Yulia Egorova schreibt in diesem Zusammenhang, dass die Angst vor der Konkurrenz nicht mit antijüdischen Gefühlen zusammenhing. 188 182
Vgl. ebd. Vgl. o. A.: ‚The New Bombay Medical Act and refugee doctors‘, in: The Jewish Tribune, 9 (10) 1938, S. 25. 184 Vgl. Egorova, Jews, S. 48. 185 Vgl. o. A., Medical Act, The Jewish Tribune, 9 (10) 1938, S. 25. 186 Diese Angst wird ebenfalls sichtbar im Protest der Maharashtra Chamber of Commerce. Die Kammer verabschiedete im August 1938 eine Resolution, welche sich gegen eine unbeschränkte Freiheit der Einreise, des Aufenthalts und der Tätigkeiten von Ausländern in Indien aussprach (vgl. Voigt, Emigration, S. 91). 187 Vgl. Von unserem Büro aus Patna (04. 11.1938), ABP, S. 16. 188 Vgl. Egorova, Jews, S. 49. 183
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Es ist interessant festzustellen, dass die Befürchtungen sowie die Reaktionen auf sie ungeachtet der Tatsache auftraten, dass die jüdische Immigration nach Indien Ende der 1930er Jahre durch die Immigrationsgesetzgebung der britischen Regierung stark beschränkt war. 189 Die Beschäftigung mit der Thematik und die Berichte darüber scheinen eher mit der Politik des INC im Zusammenhang zu stehen als mit den tatsächlichen Einwanderungszahlen (siehe unten).190 Der INC hatte keineswegs eine eindeutige Linie in dieser Angelegenheit. Obwohl Sympathie mit dem Schicksal der jüdischen Flüchtlinge vorhanden war,191 zögerten selbst Kongressmitglieder wie Nehru, der im Allgemeinen die Idee befürwortete, beim Gedanken an eine groß angelegte Einwanderung nach Indien: It may, however, be possible for us to take some experts and specialists. But it is far more difficult for some thousands of men and women to be provided for in a separate colony or otherwise. This could only be done by setting apart agricultural land for the purpose. India, […], is a heavily populated country with a tremendous land hunger among the people, chiefly because the country is mainly agricultural. There are millions of unemployed on the land. It is one of our principal problems to find land for them or other occupations. It is difficult, in the face of this unemployment and land hunger, to set aside a large tract of territory for Jewish immigrants. 192
Der Textauszug macht Nehrus Befürchtungen deutlich, dass eine unbeschränkte Immigration jüdischer Flüchtlinge die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit in Indien vergrößern und zu Konflikten um Siedlungs- bzw. Ackerland beitragen könnte. Seiner Ansicht nach waren weder die wirtschaftlichen noch die sozialen Rahmenbedingungen in Britisch-Indien stabil genug, um den verfolgten Juden Europas eine neue Heimat zu bieten. Es scheint, dass sich der INC nicht vorwerfen lassen wollte, nationale Interessen zu opfern, indem man Arbeitsplätze in Indien mit Ausländern besetzte oder das europäische Element in der Gesellschaft und Politik durch den Zuzug der jüdischen Flüchtlinge aus Mitteleuropa stärkte.193 Trotz der Ablehnung einer freien jüdischen Einwanderung nach Indien, die in der Literatur oftmals als Folge äußerer Umstände 194 und nicht als bewusste Entscheidung Nehrus dargestellt wird, darf dessen ernsthaftes Engagement, so 189
Oesterheld, Policy, S. 25–27. Vgl. ebd., S. 26. 191 Vgl. Gandhi, Harijan, 6 (42) 1938, S. 352 f.; Nehru, Months, S. 127. 192 Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to Greta Calmann (24. 12. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 224 f. 193 Vgl. Voigt, Emigration, S. 91. 194 So kommt Yulia Egorova zu dem Ergebnis, dass „though Nehru was eager to invite Jewish refugees to settle in India and took concrete steps to find employment for them, he was not in the position of providing for large-scale immigration.“ (vgl. Egorova, Jews, S. 46). Ähnlicher Ansicht ist Sareen, der schreibt, dass Nehru aufrichtig an einer Ansied190
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vielen jüdischen Flüchtlingen wie möglich zu helfen, nicht unerwähnt bleiben. Seine Bemühungen konzentrierten sich dabei auf gut ausgebildete Experten, die Indiens weiterer Entwicklung helfen sollten. Schon während seiner Europareise 1935/36 und dann wieder im Sommer 1938 konnte Nehru einige Eindrücke von der schwierigen Situation der Juden gewinnen. Einige Monate vor den Novemberpogromen in Deutschland kam Nehru während seines Aufenthaltes in Europa in Kontakt mit einzelnen Personen, aber auch Organisationen, die den jüdischen Flüchtlingen Hilfe leisteten. Benjamin Zachariah zufolge wurde zu diesem Zeitpunkt an ihn der Vorschlag herangetragen, dass einige dieser Emigranten Zuflucht in Indien finden könnten.195 Tilak R. Sareen weist in diesem Zusammenhang auch auf die vielen Bewerbungen arbeitsuchender Juden hin, die direkt an das All India Congress Committee (A.I.C.C.) geschickt wurden, sowie auf die Empfehlungen verschiedener Gesellschaften, die in Europa in dieser Frage tätig waren.196 Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass Nehru in der zweiten Jahreshälfte 1938 die Flüchtlingsbewegung wiederholt thematisierte, so unter anderem gegenüber Mahatma Gandhi. Dieser antwortete im August 1938 in einem Brief: Then about the Jews. I feel entirely like you. I boycott foreign goods not foreign ability. And I feel keenly for the persecuted Jews. As a concrete proposal I suggest you [sic] collecting the names of the most deserving ones and making it plain to them that they must be prepared to throw in their lot with us and accept our standard of living. 197
lung der jüdischen Flüchtlinge in Indien interessiert war. Dies sei durch die Opposition von verschiedener Seite aber nicht umsetzbar gewesen (vgl. Sareen, Responses, S. 58). 195 Vgl. Zachariah, Nehru, S. 96. Leider belegt Zachariah diesen Vorgang nicht. Ähnlich Gopal, der ebenfalls seine Aussagen in diesem Punkt nicht belegt (vgl. Gopal, Nehru, S. 236). Voigt weist darauf hin, dass der Vorsitzende des Council for German Jewry, Dr. Norman Bentwich, sich an die India League in England wandte und diese sich bereit erklärte, sich um Aufnahme- und Arbeitsmöglichkeiten auf dem indischen Subkontinent bemühen zu wollen (vgl. Voigt, Emigration, S. 90). Der Vorsitzende und Gründer der India League war V. K. Krishna Menon, der seit 1935 in engen Kontakt mit Nehru stand und während dessen Reise nach Europa 1938 ihn mit viel organisatorischer Hilfe zur Seite stand. Es ist anzunehmen, dass Menon, die Anfrage des Council for German Jewry an Nehru weitergeleitet hat (vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to Rajendra Prasad (20. 11. 1935)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 42). 196 Vgl. Sareen, Responses, S. 56. Sareen führt aus, dass viele der Empfehlungsschreiben von der German Indian Society, dem German Emergency Committee und weiteren Organisationen kamen (vgl. ebd.). 197 Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚Letter to Jawaharlal Nehru (31. 08. 1938)‘, in: J. Nehru Papers, NMML, Correspon-dence, Bd. 25.
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Gandhi zeigte sich, das macht sein Schreiben deutlich, der Einwanderung einer begrenzten Anzahl jüdischer Immigranten gegenüber aufgeschlossen. Allerdings war es ihm wichtig, dass die europäisch geprägten Flüchtlinge bereit seien, sich den indischen Gegebenheiten anzupassen und damit auch das Streben nach Unabhängigkeit akzeptierten. Nehru thematisierte die Frage der Emigration jüdischer Experten aus Mitteleuropa nach Indien ebenfalls in einen Brief an J. B. Kripalani. In diesem schlug er vor, die Dienste der jüdischen Experten (Wissenschaftler, Professoren, Techniker usw.) für Indiens Entwicklung auszunutzen. Arbeitsstellen würden nicht nur die Provinzregierungen bieten können, sondern auch die indischen Großindustriellen. Unter Hinweis auf die Proteste von bestimmten Berufsgruppen, insbesondere von indischen Ärzten, schrieb Nehru, dass er nicht solche jüdischen Experten im Sinn habe und bat Kripalani, seine Vorschläge an den Arbeitsausschuss (Working Committee) des INC weiterzuleiten.198 An welche Experten Nehru genau dachte, wird deutlich durch einen weiteren Briefwechsel, nun mit dem Premierminister der INC-regierten United Provinces, Govind Ballabh Pant. Dieser antwortete am 14. 09. 1938 auf Nehrus Vorschläge, dass jüdische Experten für verschiedene Industriezweige durchaus willkommen seien.199 Nehru reagierte darauf am 01. 10. 1938. Sein Schreiben macht deutlich, dass er an Pant schon Details über verschiedene österreichische Flüchtlinge geschickt hatte. Er fügte hinzu, dass weitere Informationen bald folgen würden. 200 Er betonte allerdings auch, dass sich seine Vorstellungen zum möglichen Einsatz jüdischer Flüchtlinge in Indien grundsätzlich von den Ideen Pants unterschieden. Nehru wollte die Experten weniger in bestimmten Industrien einsetzen, sondern suchte nach Leuten mit wirtschaftlichem und technischem Wissen, die einen gesamtheitlichen Entwicklungsplan für Indien vorschlagen könnten.201 Nehru erhielt während seines Europa-Aufenthaltes direkte Bewerbungen von Juden, die sich in Indien niederlassen wollten. Er schrieb in diesem Zusammenhang an A. C. N. Nambiar, einen Freund der Familie, und bat ihn, falls die Notwendigkeit bestehe, persönliche Interviews mit den geeigneten Kandidaten abzuhalten.202 Auch nach seiner Rückkehr nach Indien im November 1938 beschäftigte ihn das Thema und er bemühte sich, entsprechende Arbeitsmöglich198 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to J. B. Kripalani (24. 08. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 116. 199 Vgl. Pant, Govind Ballabh: ‚Cable to Jawaharlal Nehru (14. 09. 1938)‘, in: SWGBP, Bd. 8, S. 304 f. 200 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to G. B. Pant (01. 10. 1938)‘, in: SWGBP, Bd. 8, S. 461. 201 Vgl. ebd. 202 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to A. C. N. Nambiar (03. 10. 1938)‘, in: J. Nehru Papers, NMML, Correspondence, Bd. 53.
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keiten für jüdische Immigranten, die zahlreich Bewerbungen an den INC schickten, 203 zu finden. So prüften die Kongress-Provinzregierungen im November, welche offenen Stellen vor Ort mit Immigranten besetzt werden könnten und fertigten entsprechende Listen dazu an. 204 Mit Hilfe der von ihm geleisteten Lobbyarbeit versuchte Nehru, politische Entscheidungsträger und betroffene Berufsgruppen in Indien zu überzeugen, wobei der Erfolg recht bescheiden blieb (siehe für Bihar oben).205 Währenddessen lehnte der Arbeitsausschuss des INC in den ersten Monaten 1939 die von Nehru eingebrachte Resolution folgenden Wortlauts ab: The Committee sees no objection to the employment in India of such Jewish refugees as are experts and specialists and who can fit in with the new order in India and accept Indian standards […]. 206
Subhas Chandra Bose, der Nehru im Nachhinein in einen Brief vorwarf, Indien zu einem Asyl für Juden machen zu wollen, fand die außenpolitischen Ideen und den Standpunkt seines Kollegen zu idealistisch. Obgleich Bose selbst nach der ‚Reichspogromnacht‘ im Jewish Advocate die Rassenpolitik der Nationalsozialisten und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung kritisiert hatte, 207 deutete er wie schon an anderer Stelle an, dass es ungünstig sei, die Beziehung zu Deutschland von indischer Seite durch eine eindeutig antifaschistische Haltung zu ruinieren. 208 Nehru widersprach Boses Argumentation und begründete die eingebrachte Resolution mit der Idee, Indiens Entwicklung durch die Anstellung von erstklassigen Wissenschaftlern und Industriefacharbeitern zu unterstützen. Dabei setzte er, vielleicht um seinen Briefpartner zu beruhigen, hinzu, dass die Gehälter der eingestellten Juden niedrig wären und sie sowieso nur für eine bestimmte Zeit in Indien verbleiben würden; außerdem werde ihre Anzahl begrenzt sein. 209 Abgesehen von solchen und ähnlichen, oftmals auch öffentlich artikulierten verbalen Widerständen war die Immigration jüdischer Flüchtlinge mit diversen Schwierigkeiten pragmatischer Natur verbunden. Dies verdeutlicht ein Brief
203 Bewerbungen jüdischer Fachkräfte sind aufbewahrt in: A.I.C.C. Papers, NMML, File 12/1938. 204 Vgl. Voigt, Emigration, S. 91. 205 Die konkreten Resultate von Nehrus Bemühungen, Beschäftigung für jüdische Flüchtlinge zu finden, werden in der Literatur unterschiedlich bewertet. 206 Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to Subhas Chandra Bose (03. 04. 1939)‘, in: J. Nehru Papers, NMML, Correspondence, Bd. 9. 207 Vgl. Egorova, Jews, S. 38 f. 208 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Letter to Jawaharlal Nehru (1939)‘, in: NCW, Bd. 9, S. 198 f. Siehe dazu auch Kapitel 7.2.3. 209 Vgl. Nehru (03. 04. 1939), J. Nehru Papers, Bd. 9.
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Nehrus an Nambiar aus dem November 1938. In diesem bat er seinen Freund, in Kontakt mit zwei Juden in Wien zu treten und diese hinsichtlich einiger offener Fragen zu interviewen. Diese Herren, Martin Jahoda und Hans Mahler, sollten, ihre Eignung vorausgesetzt, die Aufsicht für die Druckerei des National Herald übernehmen. In dem Schreiben macht Nehru deutlich, dass dabei durchaus die politische Überzeugung der beiden Bewerber eine Rolle spielte. Obwohl keineswegs erwartet wurde, dass sie sich aktiv an der Politik des INC beteiligen würden, war ihm wichtig, dass sie dem indischen Unabhängigkeitskampf gegenüber positiv eingestellt waren. 210 Hinsichtlich des Gehalts machte er klar, dass dieses nicht besonders hoch sein werde und für die Reisekosten hoffte er auf den Beistand jüdischer Hilfsorganisationen. Bei einem erfolgreichen Abschluss der Gespräche musste schließlich noch die Beschaffung der Visa geklärt werden, was durch die Immigrationsbestimmungen der britischen Regierung keine einfache Aufgabe darstellte. 211 Neben Widerständen vonseiten bestimmter indischer Interessengruppen und Fragen der Finanzierung erschwerte somit insbesondere die Haltung der Regierung Britisch-Indiens die jüdische Einwanderung in der Zwischenkriegszeit. Nehru zumindest bezichtigte die Herrscher in diesem Zusammenhang einer kontraproduktiven Politik 212 und auch die pro-jüdisch eingestellte Regierung in London musste wiederholt auf die kaum ermutigende Haltung Delhis Rücksicht nehmen. London bemühte sich dennoch, die Regierung in Delhi von einer weniger strikten Haltung zu überzeugen, da man befürchtete, dass der INC die Immigrationsfrage der jüdischen Flüchtlinge gegen die britischen Kolonialherren politisch instrumentalisieren könnte. 213 In diesem Zusammenhang stellt sich einerseits die Frage nach den Immigrationsbestimmungen BritischIndiens, anderseits nach den Gründen der Regierung, die Einwanderung von Juden beschränken zu wollen. Hinsichtlich des ersten Aspekts liegt ein gut recherchierter Aufsatz von Joachim Oesterheld vor, der im Detail die britische Politik gegenüber deutschsprachigen Einwanderern nach Indien untersucht. 214 So brauchten ab Mai 1938 Träger eines gültigen deutschen oder österreichischen Passes ein Visum für die Einreise nach Großbritannien oder in die briti210 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to A. C. N. Nambiar (Nov. 1938)‘, in: J. Nehru Papers, NMML, Correspondence, Bd. 53. 211 Vgl. ebd.; Oesterheld, Policy, S. 25–27. 212 Vgl. Nehru (24. 12. 1938), SWJN, Bd. 9, S. 224; Roland, Communities, S. 183. 213 Vgl. Voigt, Emigration, S. 89 ff. So fürchtete die britische Regierung, dass Behauptungen aufkommen könnten, man vereitele die Hilfsbemühungen des INC, wenn man die Einreisen jüdischer Flüchtlinge nach Indien verweigern würde, obwohl die Emigranten von indischen Nationalisten einen Arbeitsplatz angeboten bekommen hätten (vgl. ebd., S. 90). 214 Vgl. Oesterheld, Policy.
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schen Kolonien. Als Folge der Novemberpogrome stieg die Anzahl von VisaBewerbungen mit dem Ziel Indien beachtlich an. Die britische Politik beschränkte daraufhin die Einreise, selbst für solche Personen, die alle seit September 1938 bestehenden Kriterien für eine Einreise nach Indien erfüllten, also als politisch unbedenklich befunden wurden und Freunde bzw. Verwandtschaft vor Ort hatten, die für sie bürgten. Die Bürgschaft für eine uneingeschränkte Versorgung musste von einem verlässlichen britischen oder nicht-britischen Einwohner Indiens für eine unbegrenzte Zeit beigebracht werden. Dies galt auch für Bewerber, die einen mehrjährigen Arbeitsvertrag mit einer indischen Firma vorweisen konnten.215 Diese Bestimmungen bildeten eine oftmals unüberwindbare Hürde für die jüdischen Flüchtlinge und wurden von verschiedenen Stimmen in den indischen Debatten sowie von jüdischen Hilfsorganisationen in Europa 216 durchaus kritisch gesehen. Insbesondere die letzte Bestimmung, die indirekt zeitlich unbegrenzte Arbeitsverträge für die Einwanderer voraussetzte, wurde von Nehru kritisiert. 217 Kritik kam auch von K. F. Nariman, der im Bombay Chronicle und im Bombay Sentinel ein Statement veröffentlichte, das auf die schwierige Situation der Juden in Zentraleuropa hinwies. In dem Statement forderte der INC-Politiker von Indien dieselbe Toleranz gegenüber den unglücklichen Flüchtlingen, die der Subkontinent seit jeher verfolgten Gemeinschaften gewährt habe. Seiner Ansicht nach waren die britischen Einreisebeschränkungen nicht nur beschämend und beleidigend, sondern auch unmoralisch und er warf in seinem Beitrag die Frage nach ihrer Legalität auf. 218 In diesem Zusammenhang forderte er 215
Vgl. ebd., S. 25 f. Das India Office in London wurde zum Beispiel von dem Council for German Jewry um Modifizierungen der Regulierung gebeten. Nach Beratung mit der Regierung in Delhi kam man zu der Übereinkunft, dass ebenfalls jüdische Flüchtlinge, die von der Jewish Relief Association in Bombay eine Bürgschaft erhielten, die Einreiseerlaubnis nach Indien erhalten würden. Dafür fiel die Auflage einen festen Arbeitsplatz nachweisen zu müssen für diese Immigranten weg (vgl. Oesterheld, Policy, S. 26; Voigt, Emigration, S. 92 f.). Die Jewish Relief Association hatte, Roland zufolge, entsprechende Bürgschaften während der gesamten 1930er Jahre an jüdische Emigranten vergeben. Oesterhelds Ausführungen lassen vermuten, dass dieses Arrangement durch die Anwendung der restriktiveren Einreisebestimmungen zwischen der britischen Regierung und den jüdischen Hilfsorganisationen erneut ausgehandelt werden musste (vgl. Roland, Communities, S. 177 f.). 217 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to A. C. N. Nambiar (05. 01. 1939)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File PL14/1939. Nehru hielt die Regulierung der Regierung aus ganz pragmatischen, arbeitstechnischen Gründen für nicht durchführbar. So war es seiner Ansicht nach wichtig, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber erst einmal kennenlernen, bevor man langfristige oder gar zeitlich unbegrenzte Verträge abschlösse (vgl. Nehru (Nov. 1938), J. Nehru Papers, Bd. 53). 218 Vgl. Nariman, K. F.: ‚Why ask for „guarantee“ from German Jews? (20. 02. 1939)‘, in: BC, S. 8. 216
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von den britischen Herrschern in Delhi eine Erklärung und kam zu dem Schluss, dass die Immigrationsbestimmungen viel zu streng seien. 219 Trotz der von verschiedener Seite vorgebrachten Kritik führten vermehrte Anfragen von Mitgliedern der Legislative Assembly sowie die oben dargestellten Widerstände gegen eine Immigration jüdischer Fachkräfte im Frühjahr 1939 zu einer weiteren Reduzierung der Einreisebewilligungen durch die Regierung. 220 Dabei ist es wichtig festzustellen, dass sich die britischen Herrscher in Delhi nicht nur von der Rücksichtnahme auf indische Befindlichkeiten leiten ließen, sondern mit den Begrenzungen auch eigene Motive verfolgten. Neben Befürchtungen ob der sozialen Folgen einer massenweisen Einwanderung 221 und existierenden britischen Vorurteilen gegenüber Deutschen und Mitteleuropäern 222 spielte insbesondere die Haltung der indischen Muslime, deren Anerkennung und Unterstützung der Briten ein wichtiges Element in der kolonialen Herrschaftsordnung darstellte, eine wichtige Rolle für die Entscheidungsträger in Delhi. 223 Sareen zufolge sprachen sich die Muslime Indiens nicht nur gegen eine jüdische Einwanderung auf dem Subkontinent aus, sondern lehnten die Immigration von Juden nach Palästina ab. Delhi war aus diesem Grund gegen die pro-zionistische Politik, welche die Heimatregierung in London verfolgte, und setzte sich auch nicht für eine Lockerung der Einreisebestimmungen nach Indien ein. 224 Neben den Bemühungen bestimmter Sektionen des INC und insbesondere Nehrus sowie vonseiten jüdischer Hilfsorganisationen, Arbeit für jüdische Flüchtlinge in Indien zu finden und ihnen damit die Einreiseerlaubnis zu verschaffen, traten vereinzelt weitere indische Initiativen auf. 225 So schlug beispielsweise L. B. Bhopatkar, Mitglied der Democratic Swarajya Party und Abgeordneter der Bombayer Legislative, den Fürsten von Gwalior und Cochin vor, jüdische Immigranten in ihren Staaten anzusiedeln. Bhopatkar war überzeugt, dass der Intellekt und die Emsigkeit der Juden zum Wohlergehen der Fürstenstaaten beitragen würden.226 Sein Vorschlag unterstützte das zuvor vorgebrachte Ersuchen von Shabdai S. Koder, des Anführers der jüdischen Gemeinde in Cochin und ihr Vertreter in der legislativen Versammlung des Staa219
Vgl. Roland, Communities, S. 184. Vgl. ebd., S. 183 f.; Oesterheld, Policy, S. 26 f. 221 Vgl. Oesterheld, Policy, S. 25. 222 Vgl. Siddiqi, Jews, S. 45 ff. 223 Vgl. Sareen, Responses, S. 58 f. 224 Vgl. ebd. Zur Wahrnehmung und Debatte des Zionismus durch die indische Öffentlichkeit vgl. Egorova, Jews, S. 49 ff.; Roland, Communities, S. 191 ff. 225 Vgl. Roland, Communities, S. 182 f. 226 Vgl. o. A.: ‚Settlement of Jewish refugees in Cochin and Gwalior states‘, in: The Jewish Tribune, 9 (10) 1938, S. 16. 220
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tes. Koder hatte sich mit dem Anliegen, die Einwanderung deutscher und österreichischer Juden zuzulassen, an den Diwan Sir R. K. Shanmukham Chetiar gewandt. Chetiar zeigte sich dem Vorschlag gegenüber aufgeschlossen, sagte aber, dass er die Angelegenheit mit seinen Kollegen besprechen müsse. Zuvor brauche er alle verfügbaren Informationen über die Qualifikationen der Immigranten, um einen konkreteren Plan entwerfen zu können. Dieser sei vor dem Hintergrund der vorhandenen Arbeitslosigkeit in Cochin notwendig, da die Neuankömmlinge keine Last werden sollten. 227 Obgleich Chetiar den Vorschlag zunächst positiv aufnahm, scheint die Idee im Endeffekt nicht umgesetzt worden zu sein. 228 Der deutsche Antisemitismus und das Flüchtlingsproblem der mitteleuropäischen Juden wurden ebenfalls von Taraknath Das thematisiert. Das, der verschiedene Aspekte des italienischen Faschismus bewunderte, lehnte die antisemitischen Maßnahmen des Hitlerregimes ab. Sein Fall spiegelt beispielhaft die Komplexität der indischen Faschismusauseinandersetzung wider und hebt deutlich den Einfluss hervor, den der koloniale Status Indiens in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus hatte. Das sah im italienischen Faschismus bzw. in verschiedenen seiner Aspekte nicht nur nachahmenswerte Muster für Indien, sondern pflegte ebenfalls eine tiefe Bewunderung für die deutsche Kultur und das deutsche Volk, wobei er in keiner seiner Schriften explizit den Nationalsozialismus pries. Ausdruck fand Das’ Haltung in seinen Bemühungen zur Förderung des kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs zwischen Indien auf der einen Seite sowie Deutschland und Italien auf der anderen Seite. Sein Engagement für die deutsch-indische Zusammenarbeit begann, wie in Kapitel 3.2 ausgeführt, schon zur Zeit der Weimarer Republik. Er führte es anfänglich auch unter dem nationalsozialistischen Regime fort. Nach 1934 scheint er sich davon distanziert zu haben; zumindest fehlen Belege, dass er weiterhin aktiv für Austauschbeziehungen zwischen seinem Heimatland und Deutschland eintrat. Während man bei Das aufgrund seiner Aktivitäten und Schriften eine Nähe zum Faschismus konstatieren kann, erfordert seine Haltung zum Nationalsozialismus vor dem Hintergrund seiner pro-jüdischen Ansichten eine differenzierte Betrachtung. Taraknath Das setzte sich für eine jüdische Immigration nach Indien ein. Er wandte sich in diesem Zusammenhang im März 1938 an
227 Vgl. o. A.: ‚The Dewan of Cochin and Jewish immigration into Cochin‘, in: The Jewish Tribune, 9 (10) 1938, S. 11. Der Diwan, das berichtete der Beitrag in der Jewish Tribune, war auch in Europa zuvor von verschiedenen Personen in dieser Sache angesprochen wurden. So diskutierte er die Angelegenheit unter anderem mit Neville Laski vom Board of Deputies of British Jews. 228 Vgl. Roland, Communities, S. 182.
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den bengalischen INC-Politiker Bidhan Chandra Roy 229 und bat diesen, bei der Aufnahme von jüdischen Medizinern aus Österreich behilflich zu sein. Das, der die Einlieferung von Juden in Konzentrationslager erwähnte, hoffte, dass die Ärzte in den medizinischen Institutionen Kalkuttas oder an der Universität der Stadt eine Anstellung finden könnten, und schlug Roy ebenfalls die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch die Einrichtung von Sanatorien unter anderem in Darjeeling und Shillong vor. 230 Obgleich sich Das für die Verfolgten des Nationalsozialismus einsetzte, zeigte das Schreiben ebenfalls seine Bereitschaft, die faschistischen Mächte zu akzeptieren. Dies schien vor dem Hintergrund der britischen Bemühungen um eine Verständigung mit Italien, Deutschland und Japan vonnöten. Das befürchtete, dass indische Proteste gegen die Achsenmächte den britischen Kolonialherren in die Hände spielen würden. 231 Er bat Roy, dies zu bedenken, und schrieb: Anti-India feeling in Japan, Italy and Germany will be asset to Britain and will help Britain to keep India under subjection. I am opposed to Fascism as British statesmen are but British statesmen are courting aid of Fascist powers. India should not antagonise others for mere sentimentalism. Please think about it. 232
Roys Antworten auf beide Punkte sind sehr aufschlussreich. Im Hinblick auf Das’ Aufforderung, sich die faschistischen Mächte nicht zu Feinden zu machen, stimmte Roy ihm zu und schrieb, dass man sich vorsichtig in der internationalen Politik verhalten solle. Gleichzeitig schrieb er aber, dass er nicht bereit sei, die faschistischen Tendenzen der gegenwärtigen europäischen Politik in irgendeiner Weise zu unterstützen. 233 Diese explizite Absage Roys an Faschismus und Nationalsozialismus erscheint weniger eindeutig, wenn man berücksichtigt, dass er sich, einem Zeitungsartikel der Amrita Bazar Patrika zufolge, während einer Studienreise durch Deutschland sehr beeindruckt von den Erfolgen des nationalsozialistischen Regimes gezeigt hatte. So legte er den indischen Studenten 1937 bei einem Empfang ihm zu Ehren in Berlin nahe, viel vom deutschen Aufschwung der letzten Jahre zu lernen und intensiv für die deutsch-indische Verständigung zu arbeiten. 234 Während er sich also einerseits 229
Zu B. C. Roy siehe den biografischen Anhang. Vgl. Das, Taraknath: ‚Letter to B. C. Roy (21. 03. 1938)‘, in: B. C. Roy Papers, NMML, Correspondence. Taraknath Das beschäftigte sich seit den späten 1920er Jahren mit der Lage der Juden in Europa, mit dem Zionismus und der britischen Außenpolitik (vgl. Das, Taraknath: ‚The British Empire and the Jews‘, in: MR, 44 (3) 1928, S. 278–280; Das, Taraknath: ‚The Jews of Germany‘, in: CR, 64 (2) 1937 Ser. 3, S. 212–216). 231 Vgl. Das (21. 03. 1938), B. C. Roy Papers. 232 Ebd. 233 Vgl. Roy, Bidhan Chandra: ‚Letter to Taraknath Das (03. 05. 1938)‘, in: B. C. Roy Papers, NMML, Correspondence. 234 Vgl. From our own correspondent (15. 09. 1937), ABP, S. 8. 230
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für die Beibehaltung des akademischen Austausches bzw. für die Studienmöglichkeiten indischer Studenten in Deutschland einsetzte und die Fortschritte Deutschlands unter Hitler bewunderte, war er andererseits offensichtlich nicht bereit, eine weitergehende Annäherung an die Achsenmächte als Preis für deren potentielle Hilfe gegenüber Großbritannien in Betracht zu ziehen. Hinsichtlich der österreichischen Mediziner schrieb er Das, dass er versuche, einen oder zwei mit Arbeit zu versorgen. Roy wies aber explizit auf die seines Erachtens zu erwartenden Schwierigkeiten hin. Seine Befürchtungen hingen dabei nicht mit der Konkurrenz einheimischer Berufsgruppen zusammen, sondern er mutmaßte, dass die jüdischen Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Indien begännen, sich als überlegen aufzuspielen und ihre Kontrolle sehr schwierig werde. 235 Woher diese Ansichten Roys kamen, ist kaum feststellbar. Auffällig ist allerdings ihre Nähe zu chauvinistischen Argumenten im ‚westlichen‘ Diskurs, die behaupteten, dass sich die Juden als etwas Besonderes empfänden, nichts zu den Gastnationen, in denen sie lebten, beitrügen oder ihnen zurückgäben, sondern dass sie dort nur ihr eigenes Vermögen vergrößerten.236 Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass ähnliche Argumente gegen die Einwanderung jüdischer Flüchtlinge in den anderen analysierten Quellen kaum vorkamen. Eine frappante Ausnahme bildete der antisemitische Argumente enthaltende Aufsatz des an der University of Iowa lehrenden indischen Politikwissenschaftlers Sudhindra Bose. 237 Er vertrat die Ansicht, dass sich die Juden niemals in Indien assimilieren würden. Er schrieb, dass der Mythos der eigenen rassischen Überlegenheit in den Juden beinahe so stark sei wie bei den Nationalsozialisten, und forderte ein Ende der jüdischen Einwanderung in Indien. 238 Taraknath Das setzte sich auch nach der wenig ermutigenden Antwort Roys weiterhin für eine jüdische Immigration nach Indien ein. 239 So veröffentlichte 235
Vgl. Roy (03. 05.1938), B. C. Roy Papers. Vgl. Egorova, Jews, S. 49. 237 Zu Sudhindra Bose siehe den biografischen Anhang. 238 Vgl. Bose, MR, 65 (5) 1939, S. 524 f. 239 Das veröffentlichte im Juni 1939 einen längeren Beitrag in der Modern Review, in welchen er detailliert die Geschichte der jüdischen Verfolgung darstellte und antisemitische Mythen widerlegte. Dabei kam er zu dem Verdikt, dass die gegenwärtige Verfolgung der Juden durch das Hitlerregime in Deutschland ohne Parallele in der Geschichte sei. Das hoffte, dass die negativen Erfahrungen mit dem rassischen Imperialismus des Westens zur Toleranz der Asiaten und damit zu einem freundlichen, solidarischen Verhalten gegenüber den Juden beigetragen hätten. Dabei verurteilte Das ohne eine Namensnennung jene einflussreichen Politiker des INC, die auf die extraterritorialen, panarabischen Gefühle der indischen Muslime Rücksicht nahmen und bezeichnete diese als antijüdisch. Seines Erachtens sollten nur die Völker wirkliche Freiheit erlangen, die dem Antisemitismus abschwören und er hoffte, dass Asien den verfolgten Juden helfen würde (vgl. Das, Taraknath: ‚Anti-Semitism and Anti-Asianism‘, in: MR, 65 (6) 1939, S. 647–649). 236
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die Modern Review im Januar 1939 einen Leserbrief Das’, in welchem er für die Immigration der jüdischen Flüchtlinge nach Indien plädierte und die antisemitischen Vorgänge in Mitteleuropa als Beispiele für einen „civilized barbarism“ bezeichnete. 240 Dabei nahm er den, auch von anderen Indern vertretenen Standpunkt ein, dass es der heiligen Tradition von ‚Mutter Indien‘ widerspräche, den verfolgten Menschen nicht zu helfen. Seines Erachtens hatten religiöse und rassische Verfolgung keinen Raum im hinduistischen Indien, welches universelle Toleranz predigte und niemals einen religiös begründeten Krieg geführt habe. 241 Mit solchen Aussagen ignorierte Das die Existenz und die Folgen kommunalistischer Auseinandersetzungen auf dem Subkontinent, deren ‚Bekämpfung‘ für den Aufbau einer geeinigten Nation er an anderer Stelle forderte. 242 Unter Umständen erschien ihm die Erwähnung der interreligiösen Probleme Indiens vor dem Hintergrund seines Anliegens als unpassend. Das’ Leserbrief rief Kritik hervor, die wiederum auf die wirtschaftlichen Folgen der jüdischen Einwanderung verwies und dafür plädierte, dass sich die Solidarität der Hindus vor allem in einer Hilfe für ihre armen indischen Brüder zeigen sollte. 243 Während Das die traditionelle Toleranz und Offenheit Indiens hinsichtlich der Immigration religiöser Gemeinschaften betonte, enthielt der oben schon erwähnte Beitrag von Sudhindra Bose eine ganz andere Lesart der Einwanderungsbewegung. Er bezeichnete die bisher zugezogenen fremden Rassen und Glaubensgemeinschaften als „Krebsgeschwüre“ Indiens. Unter Verweis auf die kommunalistischen Probleme bemerkte der Autor, dass der
240 Vgl. Das, Taraknath: ‚Reader’s letter: The Jewish refugees and India‘, in: MR, 65 (1) 1939, S. 121. Die Einwanderung der Flüchtlinge nach Indien stellte für Das einen Gewinn für den Subkontinent dar. 241 Vgl. ebd. Für das Argument der indischen Toleranz siehe auch: o. A.: ‚Miracle of Jewry (26. 09.1938)‘, in: BS, S. 2. Shalva Weil schreibt, dass die Juden in Indien traditionell eine problemlose Existenz hatten und in das hierarchische Gesellschaftssystem integriert waren. Für die jüdischen Immigranten der 1930er Jahre sah die Situation, auch aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Antisemitismus in Europa, völlig anders aus (vgl. Weil, Persecution, S. 65 ff.). 242 Im Zusammenhang mit Das’ Eintreten für eine jüdische Immigration nach Indien ist auch sein Nationenkonzept näher untersucht worden. Das’ Gleichsetzung von Indien mit ‚Hindu India‘ in diesem Beitrag negierte, Paromita Biswas zufolge, nicht nur die muslimischen Beiträge zum indischen kulturellen Erbe, sondern zeigte deutlich sein Verständnis von der indischen Nation als Hindu-Nation. Damit identifizierte Das, nach Ansicht von Biswas, ebenfalls die indischen Muslime als eine separate Rasse. Das’ Ansichten in diesem Artikel zeigen demnach Ambivalenzen auf – Indien als Land, in dem es keine rassische und religiöse Verfolgung gibt und gleichzeitig Indien als eine Hindunation, die das muslimische Erbe des Subkontinent ignoriert (vgl. Biswas, Displacements, S. 185). 243 Vgl. Bhaonani, Kishinchand D.: ‚The Jewish refugees and India‘, in: MR, 65 (3) 1939, S. 356.
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Subkontinent keineswegs durch die Flüchtlinge und Ausgestoßenen aus anderen Ländern aufgeblüht wäre. Bose ging davon aus, dass die Immigration jüdischer Flüchtlinge neue kommunalistische Auseinandersetzungen hervorrufen werde und riet seinen Landsleuten, dagegen vorzugehen. 244 Die Initiativen vonseiten des INC, durch Einzelpersonen wie Taraknath Das und im Zusammenhang mit Cochin riefen nicht nur in der Presse und unter den betroffenen Berufsgruppen Widerspruch hervor. Die Versuche, die Immigration der verfolgten jüdischen Flüchtlinge nach Indien zu unterstützen, wurden ebenfalls vom Präsidenten der HMS, von Vinayak Damodar Savarkar, abgelehnt. Während einer Ansprache auf der 20. Sitzung der HMS 1938 in Nagpur führte er aus, dass es in Indien nur wenige Juden gebe. Diese hätten den Hindus bisher keinerlei politische oder kulturelle Probleme bereitet, auch weil ihnen der Bekehrungseifer fehle. Weiterhin führte er seine Überzeugung aus, dass die Juden in Indien auch in Zukunft freundlich gegenüber den Hindus eingestellt sein würden, da diese ihnen Schutz gewährt hätten, als sie heimatlos waren. Ihre Assimilation in einen gemeinsamen indischen Staat werde problemlos verlaufen. 245 Trotz des von Savarkar gezeichneten Bildes des problemlosen Zusammenlebens mit den Juden in Indien sprach er sich gegen eine weitere Immigration von jüdischen Flüchtlingen aus: With every sympathy with the Jews outside India, the Hindus must therefore, oppose the present Congressite proposal of inviting or allowing any new Jewish colony to settle in India. India must be a Hindu land, reserved for the Hindus. While our own Hindu overpopulation in some parts of India is hard pressed to find land for extention [sic], how absurd it is to invite non-Hindu colonies to settle in our thinly populated parts! How ridiculous it is to find some Congressites preaching birth-control to restrict our own population in order to avoid overcrowding and start straightaway to invite Jewish colonies to settle in India. We must exhort our esteemed Divan of Cochin in particular to take a leaf out of the history of Travancore and set his face sternly against any proposal or outside pressure to allow the alien Jews to colonize the lands in Cochin. 246
Indem Savarkar von „fremden Juden“, von der „Kolonisierung“ Cochins und von „Kolonien von nicht-Hindus“ sprach, bediente er sich, Yulia Egorova zufolge, seiner üblichen extremistischen Rhetorik. Egorova kommt zu dem Urteil, dass Savarkars Ausführungen seine Bereitschaft zeigten, eine kleine jüdische Gemeinschaft in Indien zu akzeptieren, während eine größere von ihm als Bedrohung angesehen worden sei. Dabei ist ihr der Hinweis wichtig, dass weitere überzeugende Beweise fehlen, die zeigen, dass der HMS-Präsident beson-
244 245 246
Vgl. Bose, MR, 65 (5) 1939, S. 524 f. Vgl. Savarkar, Hindu, S. 56. Ebd., S. 57.
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ders unfreundlich gegenüber Juden eingestellt war. Jede größere nicht-hinduistische Gemeinschaft sei ihm in Indien ebenfalls nicht willkommen gewesen. 247 Dieser Befund, dass es in Nagpur nicht um die Juden in ihrer Identität als Juden ging, Savarkar also nicht antisemitische Vorstellungen zum Ausdruck brachte, wird bekräftigt, wenn man die Resolution des Arbeitsausschusses der HMS, verabschiedet in Delhi im Februar 1939, analysiert. Die Resolution enthielt eine erneute Ablehnung der Vorschläge des INC hinsichtlich einer Einwanderung von jüdischen Flüchtlingen nach Indien. Als Grund gab der Arbeitsausschuss der HMS den wachsenden Bevölkerungsdruck und die damit verbundenen Probleme in fast allen Regionen Indiens an. Dabei schien der HMS der Hinweis wichtig, dass die Hindus schon genug für die Torheit gezahlt hätten, Kolonien von fremden, rassisch, religiös und kulturell verschiedenartigen Völkern in Indien zuzulassen. 248 Dieses Urteil bezog sich auf alle ‚fremdartigen‘ Zuwanderer, nicht ausschließlich auf die Gemeinschaft der Juden, mit denen die HMS in ihrer gegenwärtigen Situation sympathisierte. So unterstützte die HMS zionistische Forderungen und vertrat, konsequent Savarkars Hindutva-Konzept folgend, die Ansicht, dass Palästina den Juden als ihr Mutterland sowie als ihr heiliges Land gehöre. 249 Aus diesem Grund forderte die Partei nicht nur von der britischen Regierung die Beibehaltung ihres Beistandes für eine jüdische Einwanderung nach Palästina, sondern verurteilte ebenfalls die pro-arabische Haltung des INC in dieser Frage. 250 Trotz der bisher aufgezeigten Haltung Savarkars, die augenscheinlich nicht von antisemitischen Motiven geprägt war, darf nicht unerwähnt bleiben, dass 247
Vgl. Egorova, Jews, S. 47. Vgl. o. A.: ‚Civil resistance in Hyderabad (08. 02. 1939)‘, in: HO, S. 14. 249 Die Resolution der Partei und ihres Vorsitzenden Savarkar stimmte dabei, Bhatt zufolge, mit dessen Ansichten zu den Juden Deutschlands überein, die er dort als unnatürlich an das deutsche Territorium gebunden wähnte. Seiner Ansicht nach gehörten die deutschen Juden ihrer wahren rassischen und religiösen Zugehörigkeit folgend nach Palästina. Darüber hinaus habe Savarkar die zionistischen Forderungen unterstützt, da ein militärisch starkes Israel von ihm als anti-islamische Festung gegen die arabischen Welt verstanden wurde (vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 108). 250 Vgl. ebd. Der INC vertrat offiziell eine pro-arabische Haltung in der Palästina-Frage, sichtbar unter anderem anhand einer Reihe von Resolutionen, die mit den Arabern sympathisierten und die britische Haltung in dieser Frage ablehnten. Der Kongress sprach sich für eine einvernehmliche Abmachung zwischen den Juden und Arabern aus und riet den ersteren sich nicht vom britischen Imperialismus ausbeuten zu lassen (vgl. Egorova, Jews, S. 50 ff.; Roland, Communities, S. 200). Hinzu kamen, Voigt zufolge, innenpolitische Gründe, wie die Beschwichtigung der Muslime im eigenen Lande und der Versuch sie von möglichen Forderungen nach einer eigenen Staatlichkeit, im Sinne eines Staatswesen, das seine nationale Identität im religiösen Bereich fand, abzubringen (vgl. Voigt, Emigration, S. 90). 248
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er gleichzeitig verschiedentlich die Situation in Indien – Hindumehrheit und muslimische Minderheit – mit der in Deutschland – nicht-jüdische Deutsche versus deutsche Juden – verglich und das rassistische Vorgehen der Nationalsozialisten bewunderte. 251 Dabei wurde der Status der jüdischen Bevölkerung in Deutschland bzw. die Frage, inwieweit sie zur deutschen Nation gehörten, zum argumentativen Referenzpunkt für Savarkar in puncto Ausgrenzung von Minderheiten. So verglich er beispielsweise beide Fälle in seiner Rede zur 21. Versammlung der HMS 1939 in Kalkutta folgendermaßen: „[…] the Indian Moslems are on the whole more inclined to identify themselves and their interests with Moslems outside India than Hindus who live next door, like the Jews in Germany.“ 252 Auffällig ist, dass Savarkar in seinen Ausführungen die rassische Typologisierung des ‚Anderen‘, in diesem Fall der deutschen Juden, mit einer eher auf kultureller und vor allem auf Religionszugehörigkeit basierenden Ausgrenzung der indischen Muslime verglich. 253 Delfs zufolge ist in Savarkars Äußerungen zu dieser Frage wiederum der Einfluss Bluntschlis erkennbar. Dieser hatte über die Notwendigkeit des Vorhandenseins einer Hauptnation geschrieben, wenn ein Volk aus mehreren Nationen bestehe. Delfs führt aus, dass für Savarkar die Juden in Deutschland ebenso wie die indischen Muslime gefährliche Fremdnationen gewesen seien, die sich den Hauptnationen, den Deutschen und den Hindus, unterzuordnen hätten. 254 Dass diese Unterordnung, wenn notwendig, unter Zwang erfolgen sollte, wird deutlich, wenn man eine Warnung Savarkars aus seiner präsidialen Ansprache in Nagpur 1938 liest. Dort erwiderte er in Antwort auf die angebliche Drohung der Muslim League, ihre nicht-indischen Glaubensgenossen zu Hilfe zu rufen, ähnlich, wie es die Sudetendeutschen mit Hitlers Regime gemacht hätten 255: 251 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 106; Casolari, Hindutva’s, S. 223 f.; Delfs, HinduNationalismus, S. 65 und 70. 252 Vgl. Savarkar, Hindu, S. 80. 253 Vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 97–99; Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 63 ff. Durch den Zusatz, dass ein Hindu Indien auch als sein heiliges Land ansehen müsste, schloss Savarkar indische Muslime und Christen von seiner Hindunation aus. 254 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 60 f., 63 ff. und 70 f. 255 Vgl. Jinnah, Mahomed Ali: ‚Presidential Address (08. 10. 1938)‘, in: Mitra, Register, Bd. 2 von 1938, S. 354. Jinnah wies die britischen Herrscher und den INC in seiner Rede darauf hin, dass der Kongress nicht die indische Nation repräsentiere und wies auf mögliche Konsequenzen dieser falschen Annahme unter Verweis des Falles der Sudetendeutschen hin. Er sagte: „It was because the Sudeten Germans who were forced under the heel of the majority of Czechoslovakia who oppressed them, suppressed them, maltreated them and showed a brutal and callous disregard for their rights and interests for two decades, hence the inevitable result that the Republic of Czechoslovakia is now broken up and a new map will have to be drawn. Just as the Sudeten Germans were not defenceless and survived the oppression and persecution for two decades so also the Musalmans
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If they [Angehörige der Muslim League, M. F.] grow stronger they can play the part of the Sudentan [sic] Germans alright. But if we Hindus in India grow stronger in time these Moslem friends of the league type will have to play the part of German-Jews instead. We Hindus have taught the Shakas and the Huns to play that part pretty well. So it is no use bandying words till the test comes. The taste of the pudding is in its eating. 256
Auch Marzia Casolari deutet auf die Ende der 1930er Jahre immer öfter auftretenden Vergleiche zwischen den deutschen Juden und indischen Muslimen hin und konstatiert Savarkars wachsende Radikalität in diesem Punkt. Casolari führt eine Reihe überzeugender Zitate Savarkars an, die aufzeigen, dass er die jüdische Bevölkerung in Deutschland nicht als Bestandteil der deutschen Nation ansah und die nationalsozialistische Politik gegenüber den ‚Anderen‘, den ‚Fremden‘ bewunderte, sie sogar für nachahmenswert in Indien hielt. 257 Savarkars Ansichten gegenüber dem Judentum und einer Einwanderung jüdischer Flüchtlinge nach Indien sind nur auf den ersten Blick diskrepant. Sowohl sein nicht-existenter Antisemitismus und die Unterstützung der zionistischen Forderungen als auch die Übernahme der nationalsozialistischen ‚Judenpolitik‘ als Referenzpunkt zum Umgang mit den indischen Muslimen leiten sich aus Savarkars Vorstellungen zur Konstituierung von Nationen ab. Die Debatten um die Niederlassung von jüdischen Flüchtlingen in Indien wurden, wie beschrieben, in Indien kontrovers geführt. Der Umfang, den die Debatten einnahmen, lässt durchaus die Frage nach der Anzahl der tatsächlich eingereisten Personen aufkommen. 258 Die vorhandenen Daten, die in der Sekundärliteratur angegeben werden, weisen kein eindeutiges Ergebnis aus, was unter anderem daran liegt, dass oftmals die genauen Erhebungszeiträume nicht genannt werden. 259 Roland zufolge erhielten in den 1930er Jahren bis Kriegsare not defenceless and cannot give up their national entity and aspirations in this great continent.“ (Ebd.). 256 Vgl. Savarkar, Rashtra, S. 53. 257 Vgl. Casolari, Hindutva’s, S. 223 f. 258 Ein Überblick zu den verschiedenen jüdischen Emigrantengruppen, ihren religiösen Affiliationen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Lebenslagen bietet: Weil, Persecution, S. 72 ff. 259 Sareen zitiert einen jüdischen Autor, wonach Indien die permanente oder zumindest temporäre Heimstatt für Hunderte jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland und Osteuropa wurde (vgl. Sareen, Responses, S. 57). Egorova gibt Zahlen aus der Zeitschrift Jewish Advocate wieder, wonach sich 1943 etwa 1.200 Juden aus Europa auf dem Subkontinent aufhielten (vgl. Egorova, Jews, S. 45). Die Times of India berichtete im Juni 1939 von etwa 600 jüdischen Immigranten, die in den letzten 2 Jahren nach Indien gekommen seien (vgl. o. A.: ‚Jewish refugees in India (20. 06. 1939)‘, in: The Times of India, S. 12). Schlussendlich gibt auch Shalva Weil einige Zahlen an und schreibt, dass mehr als 2.000 Juden in den 1930er und 1940er Jahren nach Indien einwanderten (vgl. Weil, Persecution, S. 71 f.)
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ausbruch mehr als 1.000 jüdische Flüchtlinge durch die Bürgschaften der Jewish Relief Association die Erlaubnis, sich in Indien niederzulassen.260 Wie viele durch Garantien von Einzelpersonen, Unternehmen oder anderen Organisationen einreisten, ist nicht ersichtlich. Für den Zeitraum von Januar 1938 bis zur ersten Woche des Februars 1939 gewährte die Regierung Britisch-Indiens 269 jüdischen Flüchtlingen Visa für Indien. 261 Die geringe Anzahl der tatsächlich nach Indien immigrierten Juden ist erstaunlich, wenn man die Breite der Kontroverse um eine jüdische Einwanderung bedenkt. 262 Dabei scheint außer Frage zu stehen, dass der Subkontinent wesentlich mehr Immigranten angezogen hätte, wenn die Einreisebestimmungen weniger streng gewesen wären. Andererseits ist der Umfang der innerindischen Auseinandersetzung auch ein Indikator für das tiefgehende Interesse an außenpolitischen Vorgängen sowie für die intensive Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und dessen antisemitischer Politik. Auffällig in den analysierten indischen Debatten ist, dass neben wenigen antijüdischen Stimmen die Kontroverse um eine jüdische Immigration nach Indien vor dem Hintergrund der wirtschaftlich-sozialen Bedingungen im eigenen Land erfolgte und damit partiell erneut in den Zusammenhang mit der kolonialen Situation gebracht wurde. Ähnliches ist ebenfalls in der Kontroverse um eine Ansiedlung jüdischer Flüchtlinge in anderen Regionen des britischen Weltreiches feststellbar. So rief das britische Vorhaben, 150 Juden im Hochland von Kenia anzusiedeln, Widerstand vonseiten indischer Abgeordneter in der Central Legislative Assembly in Delhi sowie vom INC hervor. 263 Dieser konkrete Siedlungsplan der britischen Regierung war im Nachgang der Konferenz von Evian vorgeschlagen worden, auf der über das von Deutschland ausgelöste Flüchtlingsproblem beraten worden war. Die britisch-indische Regierung hatte an der Konferenz im Sommer 1938 nicht teilgenommen und Indien war als mögliches Einwanderungsland ebenfalls nicht genannt worden. 264
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Vgl. Roland, Communities, S. 178. Vgl. Oesterheld, Policy, S. 26. Von den 269 Personen waren 128 Frauen und 16 Kinder. Wie viele von ihnen tatsächlich Indien erreichten, ist ebenfalls unklar. 262 Zur Emigration jüdischer Flüchtlinge nach Indien während des Zweiten Weltkrieges und zu ihrer Situation auf dem Subkontinent vgl. Voigt, Emigration, S. 93 f.; Oesterheld, Policy, S. 29 ff. 263 Vgl. Roland, Communities, S. 185; Voigt, Emigration, S. 91 f. Proteste von indischer Seite hatte es ebenfalls gegen die Öffnung von Britisch-Guyana für jüdische Flüchtlinge gegeben. So wies der Herausgeber der Zeitschrift Jewish Advocate, A. E. Shohet, darauf hin, dass Inder in diesem Zusammenhang die erneute Öffnung des Gebietes für eine indische Immigration zur Beibehaltung ihrer Vormachtstellung gefordert hätten (vgl. Roland, Communities, S. 185). 264 Vgl. Voigt, Emigration, S. 89 und 91. Zur jüdischen Emigration aus Deutschland und 261
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Trotzdem lösten die britischen Pläne nun Proteste von indischer Seite in Kenia aus und der East African Indian National Congress verkündete, dass er eine jüdische Einwanderung ablehne, solange die Rassendiskriminierung in Kenia fortbestehe. 265 Seine Resolution fand Anklang im INC, der das Thema aufgriff. So sprach der Kongress in einem Pressestatement des Foreign Department seine Sympathie und sein Verständnis für die verfolgten Juden aus, erklärte aber gleichzeitig, dass eine Einwanderung jüdischer Flüchtlinge nach Kenia zur Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Bedingungen der dort lebenden Inder führen würde. Da die Juden aus Deutschland und Österreich stammten, fürchtete der INC, dass sie dieselben Rechte bekämen, wie die Europäer vor Ort und damit in Fragen von Siedlungsland sowie von Beschäftigungsmöglichkeiten im Handel und Dienstleistungen gegenüber Afrikanern und Indern bevorzugt würden.266 Die Ungleichheiten in Kenia schrieb das Foreign Department dem britischen Imperialismus zu. In einer Welt, die durch den Imperialismus beherrscht würde, so fürchtete es, könnte der jüdische Zustrom zu einer Verschlechterung der Lage für die kolonial Abhängigen in Kenia führen.267 Die Kritik an Großbritannien und dessen Imperialismus wurde ebenfalls durch die nationalistische indische Presse aufgegriffen und unter anderem in einem Beitrag des Bombay Chronicle auch in Hinblick auf die Behandlung der Opfer des nationalsozialistischen Antisemitismus festgestellt. In dem Artikel vom 20. 09. 1938 beschrieb der Autor das britische Vorgehen in Kenia als „kriminelle Scheinheiligkeit“. Während Großbritannien seine Sympathie mit den Juden auf Kosten Anderer zeige, zum Beispiel indem es die Einwanderung in Kenia unterstütze, biete es den Flüchtlingen im eigenen Land kein Asyl an. 268 Die Kritik in der Debatte richtete sich somit primär gegen den britischen Imperialismus, während die Ursachen der jüdischen Immigration,
zu Bedingungen ihrer Ansiedlung in Gebieten des britischen Weltreiches siehe: Wischnitzer, Emigration, S. 23–44. 265 Vgl. Voigt, Emigration, S. 91. 266 Vgl. o. A.: ‚Colonisation of Jews (29. 08.1938)‘, in: ABP, S. 15. Dieselbe Pressemitteilung, erstellt von der Nachrichtenagentur United Press (U.P.) wurde im Bombay Sentinel veröffentlicht. 267 Vgl. ebd. Die indische Gemeinschaft in Kenia befürchtete, dass ein potenzieller finanzieller Beistand für die jüdischen Einwanderer durch die von ihnen gezahlten Steuergelder getragen würde. Darüber hinaus hing ihre Ablehnung der Immigration von Juden mit der Reservierung der besten Ländereien zusammen. Diese wurden, dem East African Indian National Congress zufolge, bisher von den europäischen Siedlern bearbeitet. Durch den erwarteten Zustrom an europäischen Juden, glaubten die Inder, würden sie jegliche Chance verlieren, dieses Land zu erhalten (vgl. o. A.: ‚Re-enacting Palestine tragedy in Kenya (19. 09. 1938)‘, in: BC, S. 12). 268 Vgl. o. A.: ‚Criminal hypocrisy (20. 09. 1938)‘, in: BC, S. 6.
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der nationalsozialistische Terror gegenüber den Juden, in diesen Beiträgen kaum thematisiert wurde. 269 5.2.3 Fazit Indische Debatten zum nationalsozialistischen und faschistischen Antisemitismus konzentrierten sich auf zwei hauptsächliche Themen: zum einen auf die antijüdischen Maßnahmen in Deutschland und Italien, zum anderen auf die Immigration jüdischer Flüchtlinge nach Indien. Während die Auseinandersetzung mit dem deutschen Antisemitismus anfänglich hauptsächlich ‚neutrale‘, unkritische sowie das Hitlerregime entschuldigende Beiträge hervorbrachte, änderte sich der Tenor ab 1938, und kritische Stellungnahmen von indischer Seite traten vermehrt auf. Die Auswertung der analysierten Quellen hat darüber hinaus ebenfalls ergeben, dass indische Debatten bis 1938 oftmals fehlerhafte Informationen wiedergaben, die wahrscheinlich aufgrund der deutschen antisemitischen Propaganda zustande kamen, oder die wichtige Entwicklungen vor Ort wie zum Beispiel den Erlass der ‚Nürnberger Gesetze‘ nicht thematisierten. Beide Ergebnisse sind interessant, wenn man berücksichtigt, dass die immer prekärer werdende Situation der Juden im Zusammenhang mit der Einwanderung jüdischer Flüchtlinge nach Indien seit 1934 durchaus in den Zeitungen und Zeitschriften diskutiert wurde. Eine umfangreiche Debatte, die zu internationalen Reaktionen führte, entstand Ende der 1930er Jahre durch Gandhis Artikel und Ratschläge an die jüdischen Gemeinden in Deutschland. Umfangreicher als die Auseinandersetzung mit den Vorgängen in Europa gestalteten sich die Diskussionen in Hinblick auf die Indien direkt betreffenden Folgen des nationalsozialistischen Antisemitismus. Die Einwanderung jüdischer Flüchtlinge aus Mitteleuropa stellte trotz ihrer real zahlenmäßig geringen Umsetzung ein weithin und kontrovers diskutiertes Thema dar. Insbesondere die Proteste bestimmter Berufsgruppen, aber auch die imperialen Interessen der britischen Kolonialherren sowie die gegen jede zu starke Minderheit gerichtete Nationenkonzeption der Hindunationalisten führten ebenso wie die vorsichtige, von eigenen politischen Prämissen geleitete Haltung des INC zu einer komplexen Debatte. Diese war geprägt von sich durchaus solidarisierenden Beiträgen, die aber kaum eine uneingeschränkte Einwanderung der unglücklichen jüdischen Flüchtlinge befürworteten.
269 Voigt zufolge reagierte die britisch-indische Regierung auf die Proteste der indischen Nationalisten und auf die Anfragen in der Central Legislative sehr diplomatisch und schloss sich den Forderungen nach Abbau sämtlicher rassistischer Barrieren beim Erwerb von Landbesitz in Kenia gegenüber der Regierung in London an. Der Besiedlungsplan kam letzten Endes nicht zustande, da sich die Europäer vor Ort mit den Indern verbündeten und das Vorhaben abwehrten (vgl. Voigt, Emigration, S. 92).
6. Italien und Deutschland: Referenzmodelle für Indiens wirtschaftliche Entwicklung? 6.1 Nationale Planung im faschistischen Sinne: Ein Weg für Indien? 6.1.1 Planungsdiskurse auf dem südasiatischen Subkontinent Die tief greifenden ökonomischen Veränderungen, hervorgerufen durch den Ersten Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise sowie die kritische Auseinandersetzung mit den bisher dominierenden liberalen, nicht-interventionistischen Wirtschaftslehren, verbunden mit dem Auftauchen von Alternativen zu ihnen generierten einen weitverbreiteten Diskurs über nationale (wirtschaftliche) Planung und deren Eignung im indischen Kontext.1 Die Weltwirtschaftskrise hatte den Subkontinent in verschiedener Hinsicht getroffen: sie hatte einen jähen Preisverfall, insbesondere bei landwirtschaftlichen Gütern, sowie eine schwere Krise in der exportorientierten Kolonialwirtschaft verursacht. Aufgrund ihres Einflusses auf die britischen Manufakturen und durch die vermehrte Einführung von protektionistischen Zöllen durch die indische Regierung zur Deckung des Finanzbedarfs Britisch-Indiens führte die Weltwirtschaftskrise aber auch zu einem verstärkten Wachstum der einheimischen Industrie auf dem Subkontinent. Trotz dieser Entwicklung verbesserte sich die wirtschaftliche Gesamtsituation des Landes nicht. Wirtschaftliche Stagnation und Massenarmut blieben dominante Merkmale der späten Kolonialzeit. 2 Die im Verlauf des Planungsdiskurses teilweise durch indische Nationalisten 1 Benjamin Zachariah hat dieses Argument im Zusammenhang mit dem nationalistischen Diskurs in Indien zum Thema Entwicklung gebraucht. Es hat seine Berechtigung ebenfalls im Hinblick auf die Idee von wirtschaftlicher Planung. Dabei hat Zachariah durchaus auf die Einschränkungen des proklamierten laissez-faire Konzeptes der Briten in Indien hingewiesen, wo Ausnahmen vorkamen und die Regierung selektiv intervenierte (vgl. Zachariah, India, S. 6 f. und 27; Zachariah, Search, S. 250). Siehe dazu auch Bhattacharya, Laissez-faire, S. 1–22; Tomlinson, Economy, S. 57 ff.; Gupta, State, S. 111–166. Für zeitgenössische Einschätzungen siehe unter anderem: Narain (1934), India, S. 265 ff.; Chaddha, Nawal Kishore: ‚The problem of unemployment of the educated classes in the United Provinces‘, in: IJE, 16 (1) 1935, S. 85. 2 Vgl. Rothermund, Impact, S. 91 ff.; Rothermund, History, S. 108 ff.; Gallagher/Seal, Britain, S. 399 ff. und 407 ff.
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6. Italien und Deutschland
und Ökonomen vorgebrachte Kritik an der Wirtschaftspolitik der britisch-indischen Regierung in Delhi stellte insoweit keine Neuerung dar, als dass missbilligende Äußerungen diesbezüglich eine lange Tradition hatten. So wiesen sie seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kontinuierlich auf Großbritanniens „economics of long-run development failure“ hin. 3 Dieses originär ökonomische Argument zum britischen Versagen in puncto indischer Wirtschaftsentwicklung wurde in den nächsten Jahrzehnten durch die Nationalbewegung weiterentwickelt und transformiert. Es fand als wesentlicher Bestandteil des politischen Prozesses seit Beginn des 20. Jahrhunderts Ausdruck zum Beispiel in Swadeshi- und Swaraj-Bewegungen sowie seit 1920 in den verschiedenen Kampagnen Gandhis. 4 Die sich verändernde ökonomische und politische Lage sowie die anwachsende Unzufriedenheit mit der britischen (Wirtschafts-)Politik in indischen nationalistischen Kreisen brachte seit Mitte der 1920er Jahre, und noch intensiver seit 1933/34, eine umfassende Anzahl an Büchern und Artikeln hervor, die sich mit ‚Planung‘ beschäftigten. 5 Die Prominenz des Planungsdiskurses in Indien zu jener Zeit wurde ebenfalls auf der 18. Indian Economic Conference, abgehalten 1934 in Patna, zum Ausdruck gebracht. In der 3 Vgl. Simmons, Development, S. 27 ff.; Chandra, Rise; Goswami, India, S. 209 ff. Einer der ersten indischen Nationalisten, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigte, war Dadabhai Naoroji. Er hatte 1871 eine Studie zu den Ursachen der indischen Armut verfasst. Zu seinen frühen Nachfolgern zählten unter anderem: B. G. Tilak, M. R. Ranande, R. C. Dutt und William Digby. Die kritischen Äußerungen von indischer Seite blieben keineswegs unangefochten, sondern bedingten eine starke Verteidigung der wirtschaftlichen Bilanz der Raj, z. B. durch den britischen Vizekönig Lord Curzon. Simmons weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Debatte zwischen beiden Lagern im Kampf um die ‚richtige‘ Interpretation, um die ‚wahren Gegebenheiten‘ nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart und Zukunft bezog und dabei Polemik oftmals den Vorzug vor Wissenschaftlichkeit erhielt (vgl. Simmons, Development, S. 27 ff.). Vgl. für einen historiographischen Überblick zur Frage der wirtschaftlichen Auswirkungen der britischen Herrschaft: Robb, Rule, S. 507 ff. 4 Vgl. Simmons, Development, S. 28. Der Begriff Swadeshi beinhaltet den Boykott von importierten Erzeugnissen und den Gebrauch von einheimischen Produkten, während Swaraj Selbstregierung bedeutet (siehe auch Kapitel 5.2). Zu Konzeption und Politik von Swadeshi vgl. Sarkar, Swadeshi, S. 242 ff. 5 Vgl. Leitartikel: ‚Planned economy (10. 03. 1934)‘, in: BC, S. 6; Shah, K. T.: ‚Planned national economy, I (24. 10. 1934)‘, in: BC, S. 6 und 9; Shah, K. T.: ‚Planned economy, II (26. 10. 1934)‘, in: BC, S. 6 und 12; Shah, K. T.: ‚Planned economy, III (30.10.1934)‘, in: BC, S. 4 und 9; o. A.: ‚Planned economy for India (27. 12. 1934)‘, in: BC, S. 7; Narain (1934), India, S. 264 ff. Einen Überblick zur Entwicklung des Planungsgedanken in Indien gibt: Krishna, Plan, S. 26 ff.; Chattopadhyay, Government, S. PE19 f. Chattopadhyay schreibt, dass ein starker Impetus für eine Beschäftigung indischer Denker mit Planung, wenn nicht sogar der hauptsächliche, auf die planerischen Bemühungen der Regierung in Delhi zwischen 1930–34 zurückging (vgl. ebd., S. PE20).
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Konferenz diskutierten insgesamt 13 Abhandlungen die Idee wirtschaftlicher Planung. 6 Bei der Suche nach nachahmenswerten oder zu vermeidenden Modellen analysierten die indischen Beiträge Entwicklungen in anderen Ländern oder wiesen zumindest oftmals auf diese hin. Dabei wurde in den indischen Debatten zur wirtschaftlichen Planung die Sowjetunion als das dominante Modell wahrgenommen,7 während entsprechende Maßnahmen in den 1930er Jahren vonseiten der britisch-indischen Regierung in den analysierten Debatten nur wenig thematisiert wurden.8 Überlegungen zu ökonomischer Planung für Indien spielten in der kolonialen Wirtschaftspolitik nach der Weltwirtschaftskrise und während des Zweiten Weltkrieges durchaus eine wichtige Rolle. Verschiedene Initiativen wurden ab 1930 u. a. von Georg Schuster, Mitglied im executive council des Vizekönigs und dort verantwortlich für das Thema Finanzen, zur Diskussion gestellt. Sie hatten aber kaum Auswirkungen auf die konkrete Wirtschaftspolitik der Briten in Indien 9 und müssen, Zachariah zufolge, vor allem als Versuche gesehen werden, das „framework of legitimacy for imperialism in India“ aufrechtzuerhalten.10 Indische Debatten diskutierten aber nicht nur die Sowjetunion als interessantes Modell; sie beinhalteten auch umfangreiche Verweise zu wirtschaftlichen Maßnahmen, die die Regierungen in den USA, in Großbritannien, der Türkei, Frankreich, Japan, Italien und Deutschland eingeführt und beaufsichtigt hatten.11 Planungsaktivitäten in der Sowjetunion sowie 6
Vgl. Krishna, Plan, S. 27 f.; o. A. (27. 12. 1934), BC, S. 7. Vgl. Markovits, Congress, S. 259; Zachariah, Search, S. 251. 8 Vgl. Narain (1934), India, S. 270 ff.; Karve D. G.: ‚Economic planning for India‘, in: IJE, 16 (1) 1935, S. 75 ff.; Krishna, Plan, S. 16 ff. Karve thematisierte verschiedene Probleme, welche die Ausarbeitung einer wirtschaftlichen Planung vonseiten der britisch-indischen Regierung behinderten und war dabei der Meinung, dass nur unter einer konstitutionellen Demokratie Planung erfolgreich sein würde. So fehlten der Regierung in Delhi, Karve zufolge, Zahlenmaterial in Form von Statistiken sowie die Meinung von indischen Experten und auch der wahrgenommene Provinzialismus, der die Ausbildung einer nationalen gesamtindischen Konzeption erschwere, schien ihm problematisch (vgl. Karve, IJE, 16 (1) 1935, S. 75 ff.). 9 Einen Überblick über britische Initiativen in puncto wirtschaftliche Planung und Entwicklung für Britisch-Indien liefert Zachariah, India, S. 88 ff. Siehe dazu auch: Chattopadhyay, Government, S. PE19 ff. 10 Zachariah, India, S. 131. 11 Vgl. Zachariah, Search, S. 251; o. A.: ‚Planned national economy (06. 11. 1934)‘, in: BC, S. 10; Muzumdar, S. M.: ‚Economic planning (13. 07. 1937)‘, in: BC, S. 6 und 8; o. A.: ‚National economy must be reorganized (16. 10. 1937)‘, in: BC, S. 20; Observateur: ‚Whom should we follow? (10. 09. 1937)‘, in: BC, S. 6; Parab, B. Y.: ‚Planning & Politics (21. 07. 1939)‘, in: BC, S. 6 und 12; Mitra, Amarendra, Prasad: ‚India’s need for planned economy (28. 07. 1935)‘, in: Forward, S. 4 und 12; Mukherjee, Nihar Ranjan: ‚Industrialisation of India‘, in: MR, 64 (6) 1938, S. 694 ff.; Visvesvaraya, Nation. 7
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in anderen Staaten stellten nicht nur für indische Autoren interessante Referenzmodelle dar, sondern spielten auch in den britischen Überlegungen zur Planung in Indien eine Rolle. 12 Während etliche Autoren eindeutig zwischen den ideologischen Systemen der jeweiligen Länder unterschieden, wobei Kategorien wie kapitalistisch, sozialistisch und faschistisch gebraucht wurden,13 verwiesen andere auf Planung und deren Vorbildcharakter für Indien, ohne vorhandene Unterschiede zwischen verschiedenen ideologischen Milieus deutlich zu machen.14 Auf diese Weise ignorierten letztere Beiträge nicht nur die diversen sozio-politischen Kontexte der verschiedenen Staaten, sondern auch die Bedingungen in Indien selbst. Die Ignoranz der realen Differenzen in den jeweiligen Staaten in einem Teil der indischen Beiträge scheint durch die allgemein anerkannte Wichtigkeit staatlicher Regulierung erklärbar, die die Frage nach den politischen und gesellschaftlichen Systemen und Ideologien, aber auch die Untersuchung der verschiedenen konkreten Maßnahmen zweitrangig machte. 15 Wissenschaftliche Untersuchungen haben die Thematik aufgegriffen und die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden staatlich regulierter Wirt12
Vgl. Chattopadhyay, Government, S. PE22. Vgl. Narain (1934), India, S. 275 ff.; Observateur (10. 09. 1937), BC, S. 6; Chetty, N. S.: ‚Our readers’ view „Is Planning necessarily socialistic?“ (31. 01. 1939)‘, in: BC, S. 10; Namjoshi, M. S.: ‚National economic planning (19. 05.1939)‘, in: BC, S. 6 und 17; Parab (21. 07. 1939), BC, S. 6 und 12; Sen, H. K.: ‚A planned economy for India‘, in: MR, 64 (3) 1938, S. 330–332. 14 Vgl. Leitartikel: ‚Co-operation and economic recovery (20. 02. 1937)‘, in: BC, S. 6; o. A. (16.10.1937), BC, S. 20; o. A. (06. 11.1934), BC, S. 10; Visvesvaraya, Nation, S. 8, 12 f., 21, 34 f., 47 und 69. Wiederholt wies beispielsweise Mokshagundam Visvesvaraya auf die Vorbildwirkung der japanischen Planungsaktivitäten hin, so zum Beispiel hinsichtlich von Entwicklungsorganisationen auf Distriktebene oder beim Thema Verteidigung. Dabei unterließ er aber jegliche Auseinandersetzung zu den Unterschieden zwischen den politischen und sozio-ökonomischen Gegebenheiten in Japan und Indien. Dementsprechend enthielten seine Äußerungen ebenfalls keinerlei Analyse der möglichen Schwierigkeiten beim Adaptieren des japanischen Modells im indischen Kontext. Als potentielle Vorbilder für sein Heimatland benannte er im selben Werk ebenfalls Großbritannien und die USA. 15 Die Auseinandersetzung mit dem regulierenden Staat in wirtschaftlicher Hinsicht in den 1930er Jahren und die Feststellung seiner herausragenden Rolle waren durchaus globale Phänomene und wurden auch in liberalen Kreisen als Möglichkeiten, die durch die Weltwirtschaftskrise verursachten Probleme zu beseitigen, erörtert. Sie führten nicht nur im Falle indischer Autoren zu undifferenzierten Gleichsetzungen. So nahmen bspw. 1933 italienische und deutsche Beobachter die Regierungspolitik des amerikanischen Präsidenten Roosevelts als dem Faschismus/Nationalsozialismus verwandte Maßnahme wahr, während britische und französische Kommentatoren vor allem Gemeinsamkeiten mit dem italienischen Staat feststellten (vgl. Schievelbusch, Verwandtschaft, S. 15 ff. und 24 ff.). 13
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schafts- und Planungspolitik in der Zwischenkriegszeit untersucht.16 Dabei konnten unter anderem bei konkreten Verfahrensweisen Ähnlichkeiten, zum Beispiel zwischen der Arbeitsbeschaffungspolitik des amerikanischen New Deal und des Hitlerregimes, beim Konzept des Arbeitsdienstes und Propagandamaßnahmen in beiden Staaten sowie bei Siedlungs- und großtechnischen Monumentalprojekten in Italien, Deutschland und den USA festgestellt werden.17 Mehr noch als auf Gemeinsamkeiten hat die Forschung allerdings auf die Unterschiede zwischen den staatlich regulierten (Wirtschafts-)Aktivitäten der einzelnen Länder verwiesen. Wolfgang Schievelbusch betont in seiner Monografie neben diversen, sowohl rhetorisch-ideologischen, als auch praktischen Ähnlichkeiten, eine Reihe wichtiger Differenzen zwischen den Regierungssystemen Roms und Berlins und dem in Washington. So weist er auf die Beibehaltung bürgerlicher Freiheiten und der politischen Opposition in den USA, auf die keineswegs gelenkte amerikanische Presse sowie auf das Tabu jeglicher politisch-ideologischer Kontrolle und Planung im amerikanischen Kontext hin.18 Auch Ludolf Herbst analysiert die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik im internationalen Vergleich und deutet dezidiert auf die Unterschiede zwischen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik und den Maßnahmen der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Japans. Er betont unter anderem, dass in Deutschland die Hinwendung zur Regulierung radikaler und früher erfolgte und die staatlichen Maßnahmen in den Dienst einer offenen hegemonialen Politik gestellt worden seien.19 Eine detaillierte Analyse der real umgesetzten Maßnahmen im Zuge des amerikanischen Korporatismus in den 1930er Jahren liefert außerdem James Whitman und zeigt dabei die Unterschiede des New Deal zum italienischen korporativen Modell auf. Insbesondere die Beschränkung korporativer Ideen auf den wirtschaftlichen Bereich sowie die Konzentration auf die Probleme des geschäftlichen Wettbewerbs hätten das amerikanische Konzept vom italienischen unterschieden.20 Während der nationalistische wirtschaftliche Diskurs in Indien oft konkrete Forderungen enthielt, Planung einzuführen, beinhaltete das Konzept von Planung selbst eines der schwerwiegendsten Hindernisse für dessen Implementierung. Nationale Planung wurde als Aufgabe und Verantwortung des Staates und seiner jeweiligen Regierung wahrgenommen. Indes bildete die koloniale 16 Einen Überblick über die vergleichende Forschung zu Faschismus/Nationalsozialismus und New Deal bis 2005 gibt Wolfgang Schievelbusch, der explizit auf die wiederholte Klarstellung in der Historiografie hinweist, dass damit nicht die Gleichstellung des Verglichenen gemeint ist (vgl. ebd., S. 16 und 173 ff.). 17 Vgl. ebd., S. 74 ff., 115 ff. und 142; Herbst, Wirtschaftspolitik, S. 154 ff. und 164. 18 Vgl. Schievelbusch, Verwandtschaft, S. 34, 66, 75 und 149. 19 Vgl. ebd., S. 175 f. 20 Vgl. Whitman, Corporatism, S. 747 ff.
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Herrschaft in den Augen vieler indischer Autoren, deren Schriften hier analysiert werden, keine nationale Regierung. 21 Folglich musste die Einführung einer geplanten Wirtschaft bis zur Unabhängigkeit Indiens verschoben werden. 22 Damit war aber, darauf wies zum Beispiel 1943 K. Krishna hin, das Problem der zukünftigen Natur des Staates keineswegs gelöst. Ob das unabhängige Indien ein demokratischer oder autoritärer, ein kapitalistischer oder sozialistischer Staat sein sollte, darüber gab es entweder geteilte Meinungen, oder aber die Problematik wurde gar nicht erst thematisiert. 23 Der Implementierungsaufschub jeglicher nationaler Planung in Indien bedeutete gleichwohl nicht, dass keinerlei Initiative ergriffen wurde. 1937 übernahm der INC die Regierung in sieben von elf Provinzen Britisch-Indiens. Der politische Erfolg erleichterte die Identifikation des INC mit dem Staat und rückte das Thema Planung, die als notwendige Verbindung zwischen den Menschen und dem Staat erschien, in den Vordergrund.24 Die Regierungsübernahme brachte im INC eine Diskussion um die Regelung bzw. Beschränkung des Wachstums moderner Industrien in den provinziellen Verantwortungsbereichen auf. 25 Vor diesem Hintergrund erließ der Arbeitsausschuss des INC im August 1937 eine Resolution, die die Ernennung eines Expertenkomitees vorschlug, welches sich mit Fragen der nationalen Rekonstruktion und sozialer Planung beschäftigen sollte. 26 Erneut griff der Kongress-Präsident Subhas Chandra Bose das Thema in seiner Rede auf dem Jahrestreffen des INC in Haripura im Januar 1938 auf und benannte als erste Maßnahme, die eine künftige nationale Regierung Indiens ergreifen müsse, die Ernennung einer Kommission zum Entwurf eines umfassenden Rekonstruktionsplans. 27 Im Oktober 1938 trat dann die Konferenz der Industrieminister der Provinzen unter dem Vorsitz Boses zusammen und verabschiedete folgende Resolution: […] the problems of poverty and unemployment, of National defence and of the economic regeneration in general cannot be solved without industrialization. As a step towards 21 Natürlich gab es ebenfalls indische Stimmen, die direkt an die britischen Herrscher appellierten, eine geplante Wirtschaft einzuführen (vgl. dazu Zachariah, India, S. 214). 22 Vgl. Visvesvaraya, Nation, S. 5, 11 und 73 ff.; Karve, IJE, 1935 S. 76 f. Für einen Überblick zu Planung im frühen 20. Jahrhundert vgl. Laak, Planung, S. 308 ff. 23 Vgl. Krishna, Plan, S. 48 ff., 56 ff. und 98 ff. 24 Vgl. Chakrabarty, Nehru, S. 285. Zum Zusammenhang von Planung und Staat und zur Identifikation des INC siehe auch: Chatterjee, Nation, S. 200 ff. Chatterjee weist darauf hin, dass Planung als eine Form der Festlegung der Staatspolitik wirkte. 25 Vgl. Chatterjee, Nation, S. 200. 26 Vgl. o. A.: ‚Proceedings of the Working Committee, Indian National Congress (14.–17. 08. 1937)‘, in: Mitra, Register, Bd. 2 von 1937, S. 313 f. 27 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚The Haripura Address (Februar 1938)‘, in: NCW, Bd. 9, S. 14.
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such industrialization, a comprehensive scheme of national planning should be formulated. This scheme should provide for the development of heavy industries, medium scale industries and cottage industries, keeping in view our national requirements, the resources of the country, as also the peculiar circumstances prevailing in the country. 28
Die Konferenz beschloss weiterhin, ein Nationales Planungskomitee ins Leben zu rufen (National Planning Committee, NPC). Dieses nahm ab Dezember 1938 unter dem Vorsitz von Jawaharlal Nehru seine Arbeit auf. Zu dem als Expertengremium konstituierten Komitee gehörten Industrielle, Ökonomen, Wissenschaftler und Politiker. 29 Die Zusammensetzung des NPC schloss aus, dass es sich in seiner Arbeit vorrangig von sozialistischen Planungsgedanken leiten ließ, obgleich mit Nehru und K. T. Shah zwei wichtige Befürworter dieses Konzeptes im Komitee arbeiteten. 30 Darüber hinaus sollte die Arbeit des NPC auf wissenschaftlicher Grundlage erfolgen. Seine Aufgaben schlossen die Sammlung notwendiger Daten für die Vorbereitung eines umfassenden Plans zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes sowie die Herausgabe von Empfehlungen ein, wie die Wirtschaft und die Gesellschaft im unabhängigen Indien organisiert werden sollten. So war beispielsweise die Zielsetzung, Armut und Arbeitslosigkeit zu beseitigen, mit den Themen Bildung und öffentliche Fürsorge verbunden. Dementsprechend wurden Subkomitees für Wohnungsbau, Gesundheit, allgemeine und technische Bildung sowie für Entwicklungsforschung eingerichtet. 31 Regelmäßige Treffen des Komitees sowie seiner 29 Unterkomitees und die Herausgabe verschiedener Publikationen endeten abrupt, als verschiedene Mitglieder des INC, die im NPC mitarbeiteten, während des Zweiten Weltkrieges verhaftet wurden. Planung als ökonomisches Prinzip wurde vonseiten des INC erst wieder nach der Erlangung der indischen Unabhängigkeit aufgegriffen und nun auch umgesetzt. 32 Trotz der kurzen Zeit, in welcher das NPC seine Arbeit verrichtete, wurde Planung zu einem Instrument der Festlegung der zukünftigen Staatspolitik. 33
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Shah, Committee, S. 9. Vgl. ebd. Zum NPC gehörten vier führende Industrielle und Händler (Pushottamdas Thakurdas, A. D. Shroff, Ambalal Sarabhai, Walchand Hirachand), fünf Wissenschaftler (Meghnad Saha, A. K. Shaha, Nazir Ahmad, V. S. Dubey, J. C. Ghosh), drei Ökonomen (K. T. Shah, Radhakamal Mukerhjee, M. Visvesvaraya) und drei Personen waren aufgrund ihrer politischen Legitimation dabei (Jawaharlal Nehru, der Gandhianer J. C. Kumarappa und der Arbeiterführer N. M. Joshi) (vgl. Chatterjee, Nation, S. 200). 30 Vgl. Zachariah, India, S. 216 ff.; Chakrabarty, Nehru. 31 Vgl. Shah, Committee, S. 15 und 96 ff. 32 Vgl. Rothermund, History, S. 133 ff.; Tomlinson, India, S. 168 ff.; Bagchi, Compromise, S. 611; Chakravarty, Development. Einen Überblick über Planungsinitiativen in Britisch-Indien während des Zweiten Weltkrieges gibt: Zachariah, Creativity, S. 547–578. 33 Vgl. Chatterjee, Nation, S. 201 f. Partha Chatterjee führt in diesem Zusammenhang 29
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Die Bildung des NPC implizierte nicht, dass der nationalistische Diskurs über Planung und die ins Auge gefasste Industrialisierung des Landes die einzige Alternative der zukünftigen indischen Wirtschaftspolitik darstellte. Im Gegenteil, die indischen Debatten wurden ebenfalls nachhaltig von den ökonomischen Ideen der Gandhianer beeinflusst, die Dezentralisierung, eine auf Dorfgemeinschaften basierende wirtschaftliche Ordnung, kleinräumige Landwirtschaft sowie einfache Industrien ohne den Einsatz von Maschinen favorisierten. 34 Ihre Vorstellungen wurden, obgleich von den Verfechtern moderner Industrialisierung nicht geteilt, von diesen vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, eine antikoloniale Massenbewegung zu bilden, unterstützt. Die politische Strategie bestand darin, weite Teile der indischen Bevölkerung mit Gandhis Vorstellungen zu den negativen Auswirkungen der modernen Zivilisation, die der europäische Kolonialismus mit sich gebracht hatte, vertraut zu machen und zu einen. Gandhis Argumentation gegen eine umfassende Industrialisierung, die er als Wurzel der indischen Armut ansah, war bis 1940 ein charakteristischer Bestandteil der INC-Rhetorik, auch wenn seine Vorstellungen vom größeren Teil der Kongressführung sowie von der Mehrheit der Intelligenzija nicht geteilt wurden. Die Konstituierung des NPC und die Erarbeitung konkreter Konzepte zur Planung und zum zukünftigen Staat sollten somit auch die Vorstellungen der Gandhianer marginalisieren. 35 Auch einzelne Intellektuelle beschäftigten sich mit der Frage, wie eine nationale Planung für ein unabhängiges Indien aussehen könnte. Ein wichtiger Autor in diesem Zusammenhang war Mokshagundam Visvesvaraya, der vielfältig über Planung und Entwicklung publizierte. 36 Er prägte den öffentlichen Diskurs in Indien nachhaltig mit seinen Schriften über das ökonomische Leben, nationale Regeneration, Industrialisierung, citizenship training und nation building. 37 Visvesvaraya entwarf ein detailliertes Schema, in welchem wirtschaftliche Planung alle administrativen Ebenen (Föderation, Provinz, Disaus, dass die Auseinandersetzung mit Planung ein übergreifendes System von koordinierten und konsistenten Politiken des nationalen Staates sichtbar werden ließ, wobei dieser Staat schon als konkrete Idee vergegenwärtigt wurde. Vor diesem Hintergrund war Planung nicht nur Teil der Machtantizipation durch die Führung des INC, sie trug in sich ebenfalls die Vorwegnahme der konkreten Art und Weise, in welcher die Macht innerhalb des nationalen Staates ausgeübt werden sollte. 34 Vgl. Zachariah, India, S. 156 ff.; Chakrabarty, Nehru, S. 282 ff. Ein Vertreter dieser Debatte, der als Sprachrohr Gandhis in wirtschaftlichen Angelegenheiten fungierte, war J. C. Kumarappa (vgl. Zachariah, Search, S. 255 ff.). 35 Vgl. Chatterjee, Nation, S. 201. 36 Zu M. Visvesvaraya siehe den biografischen Anhang. 37 Vgl. Zachariah, India, S. 243; Visvesvaraya, Nation; Visvesvaraya, Economy. Visvesvarayas Thesen wurden in der nationalistischen englischsprachigen Presse rezensiert und diskutiert und waren damit einer breiteren Leserschaft zugänglich (vgl. Leitartikel: ‚A
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trikt) umfassen und im politischen, sozialen, intellektuellen und spirituellen Bereich des nationalen Lebens wirken sollte. Planung war demnach, für Visvesvaraya, ein Konzept zum Aufbau der Nation. 38 Eine weitere einflussreiche Gruppe, deren Beiträge zur nationalen Planung einerseits theoretischer Natur waren, die andererseits aber auch in der Praxis viel Gewicht besaß, waren die indischen Geschäftsleute. Ihre Vertreter spielten nicht nur im NPC eine Rolle, wo sie sich für die Anerkennung des privaten Sektors innerhalb des geplanten Wirtschaftssystems einsetzten. 39 Während der kriegsbedingten Zwangspause des NPC gründeten sie ein weiteres Komitee, welches einen eigenen Plan für die wirtschaftliche Entwicklung Indiens ausarbeitete. Bekannt wurde das Resultat als Bombay-Plan. 40 Dieses Vorhandensein teilweise sehr widersprüchlicher Ideen zur wirtschaftlichen Entwicklung Indiens innerhalb der Nationalbewegung und ihr angeschlossener Gruppen schränkte die Arbeit des NPC ein, da sich das Komitee bemühte, Disharmonie sowie das Aufkommen ernsthafter Unzufriedenheit oder interner Streitigkeiten zu vermeiden. 41 Die kurze Überblickdarstellung macht deutlich, dass Debatten unter indischen Nationalisten zu Planung sowie zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Indiens vielfältig und diskrepant waren. Manche von ihnen zielten plan for India (19. 04. 1935)‘, in: BC, S. 6; Mitra (28. 07. 1935), BC, S. 12; Dastur, N. J.: ‚Nation building (19. 02. 1938)‘, in: CS, S. 137). 38 Vgl. Visvesvaraya, Nation, S. 3 f. Auffällig an den Ausführungen Visvesvarayas ist, dass er sich mit Äußerungen zur Staatsform, in welcher die nationale Planung für Indien stattfinden sollte, zurückhielt. Siehe dazu auch Kapitel 4.2. 39 Vgl. Markovits, Congress, S. 259. Markovits weist darauf hin, dass das von NPC geplante Wirtschaftssystem einen eher staatskapitalistischen Charakter hatte. Für das gleiche Argument siehe: Mukherjee, Class, S. 1516 ff. Mukherjee legt in seiner Studie dar, dass beide von ihm betrachteten Gruppen, sowohl die indische kapitalistische Klasse, wie auch die linken Nationalisten (z. B. Jawaharlal Nehru und K. T. Shah) vor 1947 dieselben Ziele verfolgten: die Überwindung des kolonialen Staatssystems und dessen Ersetzung durch eine unabhängige, indigene kapitalistische Staatsstruktur (vgl. ebd., S. 1516 und 1518 f.). 40 Vgl. ebd. Der Bombay-Plan, auch Tata-Plan genannt, wurde 1944 veröffentlicht. Da er Lösungsvorschläge zu einem Zeitpunkt anbot, an welchen das NPC seine Arbeit bei weitem nicht beendet hatte, wurde er als halbamtlicher Entwurf für die künftige wirtschaftliche Entwicklung Indiens vonseiten des INC anerkannt (vgl. ebd., S. 1516 ff.; Markovits, Congress, S. 260). 41 Vgl. Krishna, Plan, S. 37 ff.; Zachariah, India, S. 220; Chakrabarty, Nehru, S. 9 ff. Claude Markovits weist im Zusammenhang mit Überlegungen zur Wirtschaftspolitik für ein unabhängiges Indien auf ein weiteres Problem hin. In einer Studie zu den Beziehungen des INC und der indischen Wirtschaftsklasse von 1885 bis 1947 zieht er die Schlussfolgerung, dass die Frage der Art der zukünftigen indischen Wirtschaftsordnung vonseiten der Kongresspolitiker, mit Ausnahme Nehrus, wenig Beachtung geschenkt wurde. Markovits resümiert, dass sie an das Primat der Politik glaubten und ökonomische Erwägungen diesem folgen würden (vgl. Markovits, Congress, S. 263 f.).
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auf die Schaffung eines eigenen Wirtschaftskonzeptes, während andere Stimmen die Nachahmung von exogenen Planungsmodellen und -konzepten favorisierten, die sie als erfolgreich wahrnahmen. Das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien waren für verschiedene Teilnehmer an den Debatten solche Vorbilder. Ihre Beschäftigung mit einzelnen Aspekten der verschiedenen Wirtschaftspolitiken und die Antworten der Autoren auf die Frage nach einer möglichen Übernahme faschistischer und nationalsozialistischer Planungsmaßnahmen im indischen Kontext werden in den folgenden Kapiteln untersucht. 6.1.2 Die Arbeitslosenpolitik Deutschlands in indischen Debatten 6.1.2.1 Hitlers Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Während die globalen Entwicklungen, insbesondere die Planungsmaßnahmen in der Sowjetunion, mit Interesse verfolgt wurden, erhielten die italienische und die deutsche Wirtschaftspolitik in Indien ebenfalls breite Aufmerksamkeit und wurden durchaus als nachahmenswert angesehen. Intellektuelle und Ökonomen, aber ebenso Politiker zeigten sich mit Blick auf Deutschland besonders von dem Vierjahresplan, den Maßnahmen zur Infrastrukturentwicklung sowie von der Arbeitslosenpolitik beeindruckt. 42 So erklärte kurz nach der ‚Machtübergabe‘ Benoy Kumar Sarkar: And nobody is likely to derive more profit as well as inspiration from the methods and principles of Hitler’s economics than the peoples of Asia bent as they are on assimilating the technique of a radical transvaluation of life’s value. 43
Sarkar, 44 der in der Zwischenkriegszeit das intellektuelle Leben seiner Heimat Bengalen prägte, erhielt 1926 eine Professur für Wirtschaftslehre an der Universität von Kalkutta. Seine Publikationen, die unzählige ‚wohlwollende Informationen‘ über das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland enthielten, prägten neben seinen Aktivitäten die zeitgenössischen wirtschaftspolitischen Debatten. 45 In den 1920er Jahren lebte, arbeitete und reiste er im42 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚Economic autarchy as embodied in the German fouryear plan‘, in: CR, 66 (2) 1938 Ser. 3, S. 207 ff.; Sarkar, Benoy Kumar: ‚The theory of autarchy and swadeshi‘, in: CR, 68 (3) 1938 Ser. 3, S. 345 ff.; Kumar, Bejoy (30. 03. 1935), Forward, S. 10; Banerjee, Vijay Kumar: ‚Volunteer Labour Service (25. 08. 1935)‘, in: Forward, S. 4; o. A.: ‚Berlin Letter (10. 04. 1938)‘, in: ABP, S. 20. 43 Sarkar, Benoy Kumar: ‚The Hitler-State‘, in: The Insurance and Finance Review, Oct. and Nov. 1933, S. 9. 44 Sarkars Schriften und Ideen zur Wirtschaftspolitik wurden unter anderem untersucht von: Flora, Essay, S. 132–158 und 379–397; Frykenberg, Sarkar, S. 197–217. 45 Einen Überblick zum Forschungsstand zu Sarkar bezüglich der Frage, ob er ein Faschist gewesen ist, siehe Kapitel 2.3.
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mer wieder in Italien (1924, 1925, 1929–30) und Deutschland (1921–23, 1924– 25, 1930–31) und war eng mit den akademischen Kreisen in beiden Ländern verbunden.46 In Italien besichtigte Sarkar verschiedene ökonomische Einrichtungen und traf sich mit Vertretern des faschistischen Regimes. 47 Zurück in Indien verbreitete er aktiv Wissen über dieses Regime. 1934 stellte das italienische Außenministerium eine Akte zusammen, die die Themen auflistete, die von Sarkar an der Universität von Kalkutta unterrichtet wurden. Diese umfassten unter anderem: das konstitutionelle und wirtschaftliche Italien 1861–1905; Klassenkampf in Italien (1890–1905); Syndikalismus, Mussolini und Labriola; Rocco, Rossoni und Mussolini (1914–1918); die faschistische Herrschaft ab Oktober 1922; die sozialen und politischen Institutionen des Faschismus seit 1926; der korporative Staat seit 1934; Faschismus vis-à-vis Nationalsozialismus und Bolschewismus; Italien: Demographie und Landwirtschaft; das Landsystem in Italien; Bonifica 1870–1924; die Bonifica Integrale unter der Gesetzgebung Mussolinis seit 1928; Industrien und industrielle Organisation in Italien; das italienische Schiff-, Bank- und Versicherungswesen; der Außenhandel und Tourismus in Italien und der indisch-italienische Handel. Das Außenministerium hielt fest, dass Wissen zu diesen Themen in den Abschlussprüfungen der Universität abgefragt wurde. 48 In Deutschland wurde Sarkar zum Gastprofessor an die Technische Hochschule in München für das akademische Jahr 1930/31 berufen. 49 Er unterhielt enge Beziehungen zum India Institute der Deutschen Akademie in München und fühlte sich Deutschland auch nach der ‚Machtübergabe‘ weiter verbunden. So schrieb und übersetzte er einerseits mannigfaltige Artikel über Deutschland. Andererseits gründete er 1933 die Bangiya Jarman Vidya Samsad (Bengalische Gesellschaft für deutsche Kultur), deren selbsterklärte Zielsetzung darin bestand: „[t]o carry on and promote among our countrymen studies and inves-
46 Für einen detaillierten Bericht über Sarkars Aktivitäten in Italien vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚Contacts with economic Italy‘, in: Journal of the B.N.C.C., June and Dec. 1931, S. 1 ff. 47 Sarkar besichtigte zum Beispiel die Marelli-Werke und die Associazione Italiana Fascista degli Industriali Cotonieri (Vereinigung der Baumwollproduzenten), das Ministero delle Corporazioni (Korporationsministerium), wo er Unterredungen mit Dr. Schanzer, dem Direktor der Außenhandelssektion hatte, das Istituto Nazionale di Economia Agraria (Nationalinstitut für Landwirtschaft) und das Hauptquartier der Dopolavoro-Vereinigung. Während seiner Reisen traf er neben dem Bruder des Duce, Arnoldo Mussolini, der Il Popolo d’Italia herausgab, Prof. Serpieri, Staatssekretär für Landwirtschaft, sowie Senator Giovanni Gentile (vgl. Sarkar, Journal of the B.N.C.C., 1931, S. 1 ff.). 48 Vgl. o. A.: ‚Prof. Sarkar’s Lectures on Italy at the Calcutta University (1938)‘, in: Ambasciata Londra, 1861–1950, ASMAE, Busta 1010, Rapporti politici, colonie inglese. 49 Vgl. Sarkar, Centres, S. 10 und 15.
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tigations relating to German institutions, sciences and arts.“ 50 Zu den Mitgliedern der Gesellschaft gehörten neben Angehörigen der Intelligenzija auch Politiker und Unternehmer aus Bengalen. Zu ihren Treffen lud die Bangiya Jarman Vidya Samsad auch die diplomatischen Vertreter Deutschlands sowie vor Ort anwesende deutsche Gastwissenschaftler ein. 51 Schon bald fungierte die Gesellschaft als ein Diskussionsforum, das sich vorrangig mit zeitgenössischen Aspekten Deutschlands beschäftigte. Damit eignete sie sich nach Meinung von Giuseppe Flora auch gut als Propagandaeinrichtung. 52 Floras Urteil scheint seine Berechtigung zu haben, wenn man neben den Mitgliedern und personellen Netzwerken auch die Veröffentlichungen und angebotenen Kurse der Gesellschaft im Blick behält, die sich unter anderem mit Themen wie „Das neue Deutschland“, eugenischer Forschung, das Konzept des Volkes, mit Ingenieurwissenschaften, Literatur, Frauen, Journalismus, Medizin usw. in Deutschland beschäftigten. 53 Das Beispiel der Bangiya Jarman Vidya Samsad zeigt deutlich, dass die Bewunderung für Deutschland, für das zeitgenössische nationalsozialistische Regime und die Hoffnung auf deutsch-indische Kooperationen in einer bestimmten Gesellschaftsschicht Bengalens durchaus weit verbreitet war. Erwähnenswert scheint in diesem Zusammenhang auch eine Episode, die mit Hitlers „Mein Kampf“ und dessen Verwendung als Textbuch für postgraduate students der Volkswirtschaft, Soziologie und des Völkerrechts an der Universität von Kalkutta im Zusammenhang steht. Der amtierende Generalkonsul Eduard von Selzam berichtete dem Auswärtigen Amt im Mai 1934 von der Bereitschaft der Universität, das Buch zu benutzen, vorausgesetzt die ne50
o. A.: ‚Deckblatt‘, in: BJVS, 1938. Die folgenden Informationen sind dem Bulletin der Gesellschaft, das ebenfalls Bangiya Jarman Vidya Samsad (BJVS) hieß, aus dem Jahr 1938 entnommen. Präsident der Gesellschaft war zu diesem Zeitpunkt Narendra Nath Law, Herausgeber des Indian Historical Quarterly und Geschäftsführer der Bangeswari Cotton Mills. Zu den Mitgliedern gehörten unter anderem Tulsi Chandra Goswami (Anwalt und Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung Bengalens) und R. Ahmed (Direktor des Calcutta Dental College und Herausgeber des Dental Journal). 1938 gab die Gesellschaft einen Empfang zu Ehren von vier deutschen Gästen. Das waren der Atom-Physiker Walter Bothe, der Anthropologe und Rassentheoretiker Egon Freiherr von Eickstedt, der Pharmakologe Walter Straub sowie der Schriftsteller Baron von Veltheim. Zum Empfang kamen weit mehr als 100 Gäste, so unter anderem der deutsche Botschafter in Kalkutta Graf von Podewils, der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung, der Bürgermeister Kalkuttas S. K. Roy Choudhury, der Direktor des Presidency College B. M. Sen, Journalisten, indische Wissenschaftler und Industrielle sowie deutsche Vertreter verschiedener Unternehmen, so bspw. von Siemens-Schueckert und Agfa (vgl. ebd., S. 6 ff.). 52 Vgl. Flora, Essay, S. 106. 53 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚Greetings‘, in: BJVS, 1938, S. 6 ff.; o. A.: ‚Courses of studies and investigations at Bangiya Jarman Vidya Samsad‘, in: BJVS, 1938, S. 16. 51
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gativen Passagen zu Indien würden eine Überarbeitung erfahren. Die Idee, Hitler zu einer Änderung seiner anti-indischen Äußerungen zu veranlassen, stammte, von Selzam zufolge, von Benoy Kumar Sarkar. Hitler lehnte die entsprechende Anfrage allerdings ab. 54 Benoy Kumar Sarkar war nicht der Einzige in Indien, der die ökonomischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen im ‚Dritten Reich‘ anerkennend wahrnahm. Es gab allerdings wenig andere indische Kommentatoren, die so kontinuierlich Wissen über das nationalsozialistische Regime verbreiteten und deren Sympathien bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestehen blieben. Sarkar schrieb und publizierte über Deutschland und Italien in einer Reihe verschiedener indischer Zeitungen und Zeitschriften, zum Beispiel in Forward, Amrita Bazar Patrika, India and the World, Journal of the B.N.C.C., The insurance and finance review, Prabuddha Bharata und Arthik Unnati. 55 Ein Großteil seiner Artikel erschien jedoch in der englischsprachigen Zeitschrift Calcutta Review. Sie enthielt in den 1930er Jahren mehr als 40 Beiträge allein zu Wirtschafts- und Entwicklungsthemen. Unter anderem behandelte Sarkar in seinen Aufsätzen Arbeitslosigkeit, Finanzpolitik, Kartelle, Sozialdienstleistungen wie das Winterhilfswerk, Planung als wirtschaftliches Prinzip, Steuern, Außenhandel, Maßnahmen, die auf Autarkie abzielten, Bauprojekte, Rohstofffragen, Landrückgewinnung, Korporationen, Versicherungen sowie die Organisation von dopolavoro (Freizeit). Auffällig ist die thematische Bandbreite zu den Themen Wirtschaft und Entwicklung, die seine Schriften in dieser Periode abdeckten. Während Sarkar in den 1930er Jahren die auf Staatsplanung beruhenden Wirtschaftsmodelle des faschistischen Italien und des nationalsozialistischen Deutschland bewunderte und verschiedene Maßnahmen für nachahmenswert hielt, äußerte er sich Ende der 1930er Jahre und in den 1940er Jahren skeptisch zur Anwendbarkeit von Planung im indischen Kontext. Insbesondere zweifelte er an der Durchführbarkeit von Planung auf einer gesamtindischen Ebene und wies auf das Fehlen einer starken zentralen Autorität hin, die seines Erachtens die Leitung übernehmen müsse. 56 Eines der vielen Themen, zu dem Sarkar in der Zwischenkriegszeit intensiv arbeitete, war die Unterbeschäftigung in Indien und Möglichkeiten, diese zu reduzieren. Das Problem des Beschäftigungsmangels findet wenig Beachtung 54
Vgl. Voigt, Hitler, S. 38 f. Vor 1933 hatte Sarkar eine Reihe von Aufsätzen zu Deutschland und wirtschaftlichen Fragen zum Beispiel in der Modern Review, dem Journal of the B.N.C.C. und der Export and Import Review aus Berlin veröffentlicht. Er verfasste ebenfalls einige Beiträge in ausländischen Zeitungen und Zeitschriften. Diese Artikel beschäftigten sich thematisch mit Indien (vgl. o. A.: ‚Contributions on Italy and in Italian (1938)‘, in: Ambasciata Londra, 1861–1950, ASMAE, Busta 1010, Rapporti politici, colonie inglese). 56 Vgl. Flora, Essay, S. 386 ff. 55
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in der heutigen Forschungsliteratur zur wirtschaftlichen Situation Britisch-Indiens in der Zwischenkriegszeit. 57 Im Gegensatz dazu herrschte unter indischen Intellektuellen, Journalisten und Industriellen damals das Gefühl vor, dass die Beschäftigungssituation auf dem Subkontinent ein ernstes Problem darstelle. 58 Diese Ansicht wurde zum Beispiel auch von Visvesvaraya geteilt, der im Zuge seiner Forschung eingehend den indischen Arbeitsmarkt analysierte. 59 Unter dem Hinweis, dass keine offiziellen Statistiken für Britisch-Indien vorhanden seien, schätzte Visvesvaraya, dass nur 154 Millionen der Gesamtbevölkerung von 353 Millionen Indern in Beschäftigung stünden, während 40 bis 50 Millionen Menschen gar keine Anstellung hätten. 60 Indische Nationalisten und Ökonomen machten die britische Regierung in Indien für die düsteren Beschäftigungszahlen verantwortlich. Die Ausrichtung des kolonialen Regimes und die Folgen seiner Wirtschaftspolitik wurden im nationalistischen Entwicklungsdiskurs weithin als destruktiv wahrgenommen. 61 Einer der Gründe, warum die Zentralregierung kaum Interesse daran zeigte, die Unterbeschäftigung zu reduzieren, lag in den Bestimmungen des Government of India Act von 1919. Dieser hatte die Verantwortung für Industrien und nation building den Regierungen der Provinzen Britisch-Indiens übertragen. 62 In seiner Analyse erwähnte Visvesvaraya einen weiteren wichtigen Aspekt, der zum indischen Interesse an zeitgenössischen Strategien, Unterbeschäftigung zu bekämpfen, beigetragen haben könnte, nämlich die hohe Zahl arbeitsloser, gut (aus)gebildeter Menschen. Diese Gruppe umfasste, nach Visvesvaraya, etwa 1,5 Millionen Personen.63 Die fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten 57 Brian R. Tomlinson erwähnt beispielsweise nur kurz in seiner Monografie ‚The Economy of modern India, 1860–1970‘, dass in den 1930er Jahren die Beschäftigungsmöglichkeiten im landwirtschaftlichen Sektor zurückgingen (vgl. Tomlinson, Economy, S. 70 f.). 58 Vgl. Visvesvaraya, Economy, S. 212 ff.; Sarkar, Benoy Kumar: ‚A Scheme of economic development for Young India‘, in: MR, 38 (1) 1925, S. 17 ff.; Gandhi, M. P.: ‚Unemployment in India‘, in: IJE, 19 (3) 1939, S. 377 ff.; Narain (1934), India, S. 354 ff.; Kumarappa, J. C.: ‚Unemployment (s. d.)‘, in: J. C. Kumarappa Papers, NMML, III, Speeches and Writings, Vol. 1. 59 Vgl. Visvesvaraya, Economy, S. 212 ff. 60 Vgl. ebd., S. 212 und 268 f. Die angegebenen Daten gelten für das Jahr 1931. 61 Vgl. Zachariah, India, S. 26. Im Zusammenhang mit der Arbeitslosenproblematik beklagte Visvesvaraya, dass die Finanz-, Währungs-, Devisen- und Steuerpolitik der Briten gegen die Interessen Indiens gerichtet sei (Visvesvaraya, Economy, S. 214). 62 Vgl. Zachariah, India, S. 102. Die Verantwortungsbereiche der Provinzen machten die Implementierung eines landesweiten Schemas unmöglich. Darüber hinaus wurden potenzielle Initiativen der Provinzen von vornherein durch die Tatsache beschränkt, dass der Zentralregierung die Kontrolle der Steuern, Finanzen und Eisenbahnen oblag (vgl. Chaddha, IJE, 16 (1) 1935, S. 84 f.). 63 Vgl. Visvesvaraya, Economy, S. 212.
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für gebildete Inder war in der Tat eines der Themen, welches Intellektuelle und Angehörige der neuen englisch gebildeten Schicht immer wieder diskutierten.64 Es interessierte insbesondere die, die seit Jahrzehnten von diesem Phänomen betroffen waren. 65 Zur Verbesserung der Situation wurden zwei verschiedene Vorgehensweisen diskutiert. So gab es einerseits indische Autoren, die eine direkte Hilfe der (britischen) Zentralregierung befürworteten. Sie forderten von der Kolonialmacht unter anderem die Einführung von Beschäftigungsprogrammen sowie die Kapitalbereitstellung für eine weitere Industrialisierung des Landes und für umfangreichere technische Ausbildungsmöglichkeiten. 66 Andererseits beteiligten sich Gandhianer an den Debatten. Sie glaubten, dass das Problem durch eine dezentralisierte, auf Selbstversorgung ausgerichtete, einheimische Produktion gelöst werden könnte, die den Boykott ausländischer Produkte beinhaltete. 67 Bei der Suche nach Methoden, die Unterbeschäftigung zu reduzieren, diskutierten einige Autoren weitere Ansätze, in dem sie auf Entwicklungen in anderen Ländern, so zum Beispiel im nationalsozialistischen Deutschland verwiesen. Arbeitslosigkeit stellte 1933 in Deutschland ein ernsthaftes Problem dar. 68 Das Nazi-Regime erkannte schnell, dass es seine volle Aufmerksamkeit auf diese Problematik richten musste, um die gerade errungene Macht behalten zu können. Aus diesem Grund erließ die Hitlerregierung schon im Juni 1933 das sogenannte Reinhardt-Programm (das Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit), welches für direkte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen über eine Milliarde Reichsmark zur Verfügung stellte. 69 Die raschen Erfolge in der Reduzierung der Arbeitslosigkeit im Jahr 1933, die sich das Regime medienwirksam zugutehielt, hatten allerdings ihre Ursprünge zu einem großen Teil in entsprechenden Wirtschaftsprogrammen der Vorgängerregierungen Hitlers. 70 In 64 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚A Scheme of economic development for Young India‘, in: MR, 38 (1) 1925, S. 22 f.; Chaddha, IJE, 16 (1) 1935, S. 83 ff.; Narain (1934), India, S. 354 ff.; Zachariah, India, S. 34 ff. 65 Vgl. Fischer-Tiné, Wissen, S. 101 und 105. 66 Vgl. Visvesvaraya, Economy, S. 216 ff.; Chaddha, IJE, 16 (1) 1935, S. 84 ff. 67 Vgl. Kumarappa (s. d.), J. C. Kumarappa Papers, NMML, III, Speeches and Writings, Vol. 1. 68 Vgl. Patel, Soldaten, S. 41 ff. Patel stellt vor allem die Situation der deutschen Jugend in der Weltwirtschaftskrise bis 1933 dar. Für eine detaillierte Studie zur Geschichte der Arbeitslosigkeit siehe: Garraty, Unemployment. 69 Zu den 1933 durchgeführten Sofort-Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 150 ff.; Diehl, Marktwirtschaft, S. 138 ff.; Tooze, Wages, S. 37 ff. 70 Vgl. Buchheim, Wirtschaftsentwicklung, S. 654. Buchheims Aufsatz ist eine Replik auf einen Beitrag des Wirtschaftshistorikers Werner Abelshauser, in welchem dieser die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik zur Überwindung der ökonomischen Krisensitua-
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der Folgezeit behielt man in Berlin Arbeitsbeschaffungsprogramme bei und legte arbeitsbefördernde Investitionsmaßnahmen auf, wie zum Beispiel den Ausbau der Reichsautobahnen sowie die Ehestandsdarlehen.71 Die Maßnahmen erwiesen sich zur Schaffung von Arbeitsplätzen als recht erfolgreich.72 Eine systematische zentrale Lenkung aller Arbeitskräfte und damit auch der Arbeitslosen setzte im ‚Dritten Reich‘ aber erst ab Mitte 1936 ein, als der deutsche Arbeitsmarkt vor allem aufgrund des Aufrüstungsprogramms saturiert war und hinsichtlich verfügbarer Personen an seine Grenzen geriet. 73 Die als erfolgreich wahrgenommenen Maßnahmen der Hitlerregierung beeindruckten indische Autoren dabei ebenso wie die Priorität, die der Beseitigung der Arbeitslosigkeit in Deutschland vonseiten des Regimes eingeräumt wurde. Für Benoy Kumar Sarkar wurde die Arbeitsbeschaffungspolitik des nationalsozialistischen Deutschland nach 1933 zu einem interessanten Studienmodell. Bereits 1925 hatte der bengalische Ökonom in einem Aufsatz in der Modern Review festgestellt, dass die indische Armut aus dem weitverbreiteten Beschäftigungsmangel resultiere. Nur die Ausbreitung der Handelsaktivitäten und der Industrialisierung Indiens schien ihm ein wirksames Heilmittel zu sein,74 wobei Sarkar auf die Notwendigkeit ausländischer Investitionen hinwies. Die in dieser Forderung zum Ausdruck kommende Verbindung von angewandter Wirtschaftswissenschaft und ökonomischer Staatskunst stellte, Frykenberg zufolge, ein charakteristisches Kennzeichnen des ‚Sarkarismus‘, der Lehren tion in Deutschland positiv bewertete. Buchheim gibt einen kurzen Überblick über die seit vielen Jahren bestehende Debatte und kommt nach einer detaillierten Analyse zu dem Verdikt, dass „das Dritte Reich auch unter wirtschaftlichem Aspekt eine Zeit verpaßter Chancen und vergebener Wachstumsmöglichkeiten war und es [..] alles andere als ein Wirtschaftswunder [brachte, M. F.].“ (vgl. ebd., S. 663). Zu den arbeitspolitischen Maßnahmen in der Weimarer Republik siehe ebenfalls: Marcon, Arbeitsbeschaffungspolitik. Andere Faktoren, die zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit 1933/34 beitrugen, waren der einsetzende natürliche Konjunkturaufschwung, saisonale Verbesserungen sowie positive Annahmen in marktpsychologischer Hinsicht, die Hitlers Übernahme der Kanzlerschaft begleitetet haben könnten (vgl. Silverman, Hitler’s, S. 220). 71 Vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 150 ff.; Diehl, Marktwirtschaft, S. 138 ff. 72 Vgl. Herbst, Deutschland, S. 89 ff. 73 Vgl. Diehl, Marktwirtschaft, S. 140 ff.; Silverman, Hitler’s Economy, S. 216 ff. Die Politik der Arbeitskräfteregulierung war aus Sicht des Regimes notwendig, um den entstehenden Fachkräftemangel auszugleichen sowie die Versorgung der Rüstungsindustrie mit ausreichenden Arbeitskräften zu gewährleisten (vgl. ebd., S. 140). 74 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar, MR, 38 (1) 1925, S. 17. Auch in späteren Jahren publizierte Sarkar zum Thema Beschäftigungsmangel in Indien und verglich dabei die Zahlen des Subkontinents mit internationalen Statistiken. Als Maßnahmen zur Reduzierung von Unterbeschäftigung schlug er nun Emigration, Industrialisierung und Geburtenkontrolle vor (vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚Employment Planning and Poverty-Doctoring (22. 09. 1935)‘, in: ABP, S. 37).
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Sarkars, dar. 75 Mit den angedachten Investitionen endeten aber keineswegs Sarkars Ideen zur Hilfestellung ausländischer Staaten bei der Bekämpfung der indischen Arbeitslosigkeit. Nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, wurden die deutschen Maßnahmen sehr bald zum Referenzmodell. Sarkar verlieh seiner Begeisterung für die wirtschaftpolitischen Initiativen Hitlers in einem zweiteiligen Artikel in der Insurance and Finance Review Ausdruck. In diesem pries er den neuen deutschen ‚Führer‘ als den „greatest teacher and inspirer of Germany since Fichte“ und reihte die Nationalsozialisten unter „the greatest in the annals of the world’s constructive statesmanship“ ein.76 Zu den deutschen Maßnahmen, die er zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit als nachahmenswert erachtete, gehörten der Bau der Reichsautobahnen und das Heiratsdarlehen, dessen Vergabe an die Kondition geknüpft war, dass die Braut ihre Arbeit aufgab, wenn der zukünftige Ehemann wenigstens 125 Reichsmark pro Monat verdiente. Auch die Förderung der Anstellung von Dienstmädchen durch eine Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge der Beschäftigten sowie der Steuern für den Arbeitgeber fanden bei Sarkar Anklang. 77 Weitere Maßnahmen der Nationalsozialisten, die er in dem Artikel benannte, betrafen Beschränkungen beim Einsatz von Maschinen, Reduzierungen von Überstunden sowie die Einführung der 40-Stunden-Woche. 78 Er erwähnte in seinen Ausführungen außerdem den Erlass eines Gesetzes, welches den Städten, Ländern und kirchlichen Einrichtungen zinsfreie Darlehen für Reparaturen von öffentlichen Einrichtungen und Kirchen zur Verfügung stellte und auf diesem Weg Arbeit generieren sollte. 79 Sarkar befürwortete diese Maßnahmen. Er schlussfolgerte optimistisch, dass die Arbeitslosigkeit durch die Anwendung einer umsichtigen Gesetzgebung und durch eine Umvertei75
Vgl. Frykenberg, Sarkar, S. 210. Vgl. Sarkar, The Insurance and Finance Review, 1933, S. 2 und 9. Beide Teile des Artikels waren zuvor in einer kürzeren Version in der Amrita Bazar Patrika veröffentlicht worden (Sarkar, Benoy Kumar: ‚Ideals of Young Germany (29. 06. 1933)‘, in: ABP, S. 6; Sarkar, Benoy Kumar: ‚Economic Germany under Hitler Regime (17. 09.1933)‘, in: ABP, S. 39 und 41). 77 Vgl. ebd., S. 1 und 9. Neben der im Text erwähnten Äußerung Sarkars über die inspirierenden Kräfte nationalsozialistischer Wirtschaft für Asien, enthielt der Artikel einen weiteren eindeutigen Rat, Hitlers Politik zu folgen. Nach Sarkar war nichts „more valuable to Young Bengal today than an objective examination of the Hitler-state in its political, economic and sociological bearings.“ (S. 1). 78 Vgl. ebd., S. 9 ff. 79 Vgl. ebd., S. 12. Sarkar zufolge sollten die Regierungsdarlehen Anwendung in folgenden Fällen finden: „[…] (i) the establishment of small colonies in the outskirts of towns and cities, (ii) the colonization of agricultural areas by families of cultivators, (iii) the installation of arrangements for providing the people with gas, water and electricity, and (iv) the control and re-arrangement of rivercourses.“ (S. 12). 76
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lung des Reichtums durch den Staat erfolgreich bekämpft werden könne. 80 Dabei vertrat er die Meinung, dass das: [..] Hitler regime, although hundred percent nationalistic in outlook and ambition, deserves also to be appreciated as no less socialistic in its fundamental aims and objects, namely the elevation of the working men to a higher level of living and thinking. 81
Diese vermuteten sozialistischen Ziele des neuen Regimes waren nach Sarkar die Folge des nationalsozialistischen Strebens nach Klassensolidarität, sozialer Harmonie und nationaler Einheit, welches im direkten Gegensatz zur kommunistischen Idee des Klassenkampfes, d. h. des Konfliktes zwischen Kapital und Arbeit, stand. 82 Sarkar, der marxistische Ansichten ablehnte, fühlte sich von den Behauptungen angezogen, dass Nationalsozialismus und Faschismus die Klassengleichheit ohne das Instrument des Klassenkampfes herstellen könnten. Auch sympathisierte er mit ihrer starken Einflussnahme auf die Wirtschaft. 83 Die Vorstellung einer durch einen starken Staat geeinten Nation war im indischen Kontext weit verbreitet und wurde im nationalistischen Diskurs zum Beispiel von Gandhi vertreten. 84 In den 1930er Jahren avancierten das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland für einige indische Kommentatoren zu nachahmenswerten Vorbildern. Der Umstand, dass die Staatsformen Italiens und Deutschlands autoritärer Natur waren, schien Sarkar nicht zu stören. Er glaubte, dass Demokratie ein angemessenes politisches System für wirtschaftlich fortgeschrittene Länder darstelle, wohingegen eine autoritäre Herrschaft in solchen Staaten auftrete, die auf eine schnelle Industrialisierung zielten. 85 Auch Sarkars Bewunderung für Autoritarismus stellte, Giuseppe Flora zufolge, keine Ausnahmeerscheinung dar, sondern er betont, dass die Faszination für diese Herrschaftsideologie innerhalb der „Bourgeoise“ kolonialer Gesellschaften immer bestanden habe. Die bengalische Mittelklasse (und damit ebenfalls Sarkar) habe sich gefangen gefühlt zwischen den Kolonialherren einerseits und der mittellosen, ungebildeten Massen andererseits, die angeblich Anordnungen und nationale
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Vgl. ebd., S. 14. Ebd. 82 Vgl. ebd., S. 17. 83 Vgl. ebd., S. 5 f.; Flora, Essay, S. 378. Vor dem Hintergrund seiner Beschäftigung mit dem italienischem Regime entwickelte Sarkar die folgende Definition von Faschismus, abgedruckt in seinem Buch Ita¯lite ba¯ra kayak: „Fascism = State-Socialism = Solidarism = Nationalism (National unity, patriotism) + Socialism (what remains after (its) bad elements, that is the care for the self-interests of the working class, etc.“ (zitiert nach Flora, Essay, S. 378). 84 Vgl. Chatterjee, Thought, S. 48 f. 85 Vgl. Flora, Essay, S. 382. 81
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Führung gebraucht hätten. Dieses Gefühl habe wenig Raum für Demokratie gelassen 86 und kann zur Bewunderung für andere Regierungsformen beigetragen haben. In den nächsten Jahren verbreitete Benoy Kumar Sarkar mit seinen Artikeln weiterhin positive Bewertungen über die Maßnahmen des Hitlerregimes zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Dabei unterließ er es, Deutschland explizit als nachahmenswertes Modell zu nennen. Seine sympathisierenden Beschreibungen stellten allerdings indirekte Empfehlungen dar. 87 Sarkar war bei Weitem nicht der Einzige, der die nationalsozialistischen Wirtschaftsmaßnahmen positiv in der indischen Presse beschrieb. 88 1935 veröffentlichte Jagadisan M. Kumarappa einen Artikel über die Reduzierung von Arbeitslosigkeit in Deutschland in der Modern Review, in welchem der Autor Hitler für dessen verschiedene Arbeitsbeschaffungsprojekte pries. Kumarappa, der Deutschland als das Land des ‚Westens‘ mit der größten Überbevölkerung identifizierte, schrieb das Problem der Arbeitslosigkeit den fehlenden Migrationsmöglichkeiten innerhalb Deutschlands zu. Seiner Auffassung nach waren entsprechende Abwanderungsgelegenheiten mit dem Verlust der östlichen Territorien Deutschlands und der deutschen Kolonien im Zuge der Versailler Verträge verschwunden. 89 Verweise auf die Verträge von Versailles und deren ‚verheerende Folgen‘ für Deutschland waren in indischen medialen Debatten keine Seltenheit. Viele Beiträge empfanden die Behandlung der Deutschen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges als unfair. Nach 1933 ging dieses Mitgefühl oft einher mit einer Bewunderung für das nationalsozialistische Regime. 90 Wie 86
Vgl. ebd., S. 374. Vgl. folgende Beiträge von Benoy Kumar Sarkar: ‚State-Planning in Nazi Economy‘, in: CR, 49 (2) 1933 Ser. 3, S. 181 f.; ‚Economic planning as defined by Hitler‘, in: CR, 52 (1) 1934 Ser. 3, S. 94 f.; ‚Financial and economic recovery in Germany‘, in: CR, 57 (1) 1935 Ser. 3, S. 93; ‚The occupational advisers of new Germany‘, in: CR, 63 (1) 1937 Ser. 3, S. 116 f.; ‚Four years of economic Germany‘, in: CR, 64 (1) 1937 Ser. 3, S. 110 f.; CR, 66 (2) 1938 Ser. 3, S. 208 f. 88 Vgl. o. A.: ‚Germany today (26. 08. 1934)‘, in: BC, S. 13; From a correspondent: ‚German economic policy (12. 03. 1935)‘, in: BC, S. 10; From a correspondent: ‚Nazis battle with unemployment (27. 05. 1935)‘, in: BC, S. 9; Mukherjee, Pankaj Kumar: ‚New Experiment in Germany (06. 06. 1935)‘, in: Forward, S. 4; Bhattacharyya, Dhiman: ‚Reconstruction of Germany under Nazi rule (06. 12. 1935)‘, in: Forward, S. 4 und 9; From our own correspondent: ‚Economic aspects of Hitler’s victory (04. 11.1938)‘, in: The Mahratta, S. 2. In der indischen Presse gab es außerdem Beiträge von deutschen Beamten, die ein vorteilhaftes Bild von der nationalsozialistischen Arbeitslosenpolitik entwarfen. Vgl. dafür zum Beispiel: Selzam, Eduard von: ‚Germany since 1933 (05. 01. 1937)‘, in: ABP, S. 4; Selzam, Eduard von: ‚Germany since 1932 (03. 03. 1937)‘, in: ABP, S. 13. 89 Vgl. Kumarappa, MR, 58 (1) 1935, S. 6. 90 Vgl. Talukar, Subodh Chandra: ‚Hitlerism and world peace (21. 11. 1933)‘, in: ABP, 87
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Sarkar wies Kumarappa in seinem Artikel auf die wichtige Rolle des Staates bei der Schaffung von Beschäftigung durch öffentliche Arbeitsprojekte und bei der Verminderung des vorhandenen Arbeitskräftepotenzials hin. Gleichzeitig erwähnte er aber auch, dass das Hitlerregime die Notwendigkeit von privaten Wirtschaftsinitiativen betone und damit potenzielle Ängste vor bolschewistischen Tendenzen im nationalsozialistischen Programm zerstreue. 91 Interesse an den nationalsozialistischen Maßnahmen zur Verminderung der Arbeitslosigkeit zeigten nicht nur die Intelligenzija, sondern ebenfalls indische Politiker. Der bengalische Kongress-Politiker und Industrielle Nalini Ranjan Sarkar92 besuchte Deutschland 1936 und berichtete anschließend über seine Impressionen in der Amrita Bazar Patrika. Zu Beginn des Interviews mit dem Londoner Korrespondenten der Zeitung erklärte Sarkar explizit, dass Faschismus um seiner selbst willen keinerlei Faszination auf ihn ausübe. Seine Reise sei einzig seinem Interesse an Deutschlands wirtschaftlichem Experiment geschuldet, welches sich teilweise als brauchbar für Indien erweisen könne. 93 Anschließend lieferte Sarkar einen kurzen Überblick über die nationalsozialistische Arbeitsbeschaffungspolitik. 94 Dabei beschrieb er auch verschiedene
S. 8, From our London correspondent: ‚Germany to-day (01.11. 1936)‘, in: ABP, S. 6, Parmanand, Bhai: ‚Has Hitler any lesson for India? (27. 04. 1938)‘, in: HO, S. 3. 91 Vgl. Kumarappa, MR, 58 (1) 1935, S. 7. Konkret erwähnte Kumarappa als Methoden zur Senkung der Arbeitslosigkeit in Deutschland den Bau der Reichsautobahnen, Gartenbaumaßnahmen, Maßnahmen zur agrarischen Landnahme, Flussregulierungsvorhaben, den freiwilligen Arbeitsdienst, das Zurückhalten von Arbeitskräften in der Industrie, die Beschränkung der Tätigkeitsfelder für Frauen auf den Haushalt, die Drosselung von Arbeitskräften durch eine Einteilung der Arbeiter in Altersgruppen sowie die Regulierung der Arbeitszeit. 92 Zu Informationen über Nalini Ranjan Sarkar siehe den biografischen Anhang. 93 Vgl. From a London correspondent (01. 11. 1936), ABP, S. 6. Trotz dieser einleitenden Behauptung gewinnt der Leser den Eindruck, dass Sarkar versuchte, ein eindeutig ablehnendes Urteil über den Nationalsozialismus zu vermeiden. Auf die Frage wie er die vorgebrachte Kritik am Hitlerregime einschätze, erklärte Sarkar: „The methods they [the National Socialists, M. F.] may have followed in attaining power might be good, bad or indifferent. My prime interest was not in that but rather in the ways in which the National Socialist Government is trying to solve the various problems that face Germany to-day.“ (ebd.). Ein weiterer Beitrag zu Sarkars Deutschlandaufenthalt erschien im Bombay Chronicle. In diesem wurde über Treffen des indischen Politikers mit Vertretern der deutschen Wirtschaft und Politik in Berlin, organisiert durch den Orient Verein, berichtet, in dessen Verlauf die Verbesserung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen diskutiert wurde (vgl. o. A.: ‚Indo-German Trade relations (20. 09.1936)‘, in: BC, o. S.). 94 Vgl. From a London correspondent (01. 11. 1936), ABP, S. 6. Er erwähnte den Bau von Straßen und Häusern sowie den Arbeitsdienst als nationalsozialistische Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland.
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Maßnahmen als erfolgreiches Mittel zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, auf die üblicherweise eher von Kritikern des deutschen Regimes hingewiesen wurde, wie z. B. die jüdische Emigration und die Folgen der Wiederaufrüstungspolitik. Der Reporter stellte diese positive Beurteilung der nationalsozialistischen Politik durch Sarkar infrage und wollte wissen, ob sich die sogenannten Erfolge des Regimes langfristig nicht als trügerisch erweisen und letztendlich auf einen Krieg hinauslaufen würden. 95 Sarkar erkannte in seiner Antwort an, dass verschiedene deutsche Methoden keinerlei permanente Resultate gewährleisten konnten, wies aber trotzdem die kritische Nachfrage zurück, indem er erklärte, dass: […] it could be hardly gainsaid that for the present these [schemes, M. F.] have succeeded in relieving unemployment considerably and in bringing in a certain measure of prosperity and also the confidence and faith which are essential for the upward march of a nation. 96
Die wirtschaftlichen Erfolge des Hitlerregimes und damit verbunden die „Regeneration der deutschen Nation“ machten einen tiefen Eindruck auf Sarkar und ließen Deutschland als ein nachahmenswertes Referenzmodell für Indiens wirtschaftliches nation building erscheinen. Dabei schien für Sarkar die Wahl der eingesetzten Instrumente zur Umsetzung dieses Ziels von zweitrangiger Bedeutung zu sein. Eine positive Anerkennung der nationalsozialistischen Arbeitslosenpolitik findet sich ebenfalls in einem Artikel von Mohandas K. Gandhi, welchen dieser ein halbes Jahr nach Hitlers ‚Machtübernahme‘ verfasste. Gandhi, der eindeutig nicht-faschistische Grundsätze verfolgte, beschrieb die deutsche Einschränkung des Gebrauchs von Maschinen als nachahmenswert. Er schilderte Indien als ein Land, in welchem Millionen von Menschen nur partiell Arbeit hätten, und fürchtete eine weitere Verschlechterung der Situation, wenn Dampf oder Elektrizität bei der Produktion von Textilien zum Einsatz kämen. Dementsprechend plädierte Gandhi für eine verstärkte Produktion von khadi (handgesponnene und handgewebte Textilien) und verwies in diesem Zusam-
95 Vgl. ebd. Der Reporter brachte die Verringerung der Arbeitslosigkeit in Deutschland mit den folgenden Faktoren in Verbindung: „[…] (a) By creating Labour camps where hundreds of thousands of young men are mobilized on ridiculously low wages to clear swamps and other works of public utility. […] (b) By squeezing women out of employment and replacing them with unemployed men. The names of the women naturally do not find a place in the unemployment list. […] (c) By forcing employers to take in more men by reducing hours of work for the rest whose wage bills are cut in the same proportion, thus keeping the wage bill constant and (d) by armament booms“ (ebd.). 96 Ebd.
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menhang auf Deutschlands vermeintliche Rückkehr zu dörflichen Industrien als eine Methode, das Problem der Unterbeschäftigung zu lösen. 97 Neben anerkennenden Stimmen gab es allerdings auch kritische Beiträge von indischen Politikern hinsichtlich der nationalsozialistischen Maßnahmen. Im November 1938 fasste beispielsweise Jawaharlal Nehru die deutschen Bemühungen folgendermaßen zusammen: Obwohl das Phänomen der Arbeitslosigkeit als solches durch die Schaffung von verpflichtenden (erzwungenen) Arbeitslagern und die Vertreibung der Juden verschwunden sei, habe sich die wirtschaftliche Lage Deutschlands verschlechtert. 98 Nehru teilte somit keineswegs die positiven Einschätzungen seines Kollegen Sarkar. Kritik an der Politik der Nationalsozialisten lag ebenfalls in der indischen Presse vor. So zeigten beispielsweise die Herausgeber des Bombay Chronicle schon frühzeitig wenig Vertrauen in die deutsche Wirtschaftspolitik. Im Februar 1933 berichtete ein Leitartikel von Hitlers Plänen, die Arbeitslosigkeit mithilfe des vorgeschriebenen Arbeitsdienstes und durch die Wiederbevölkerung von ländlichen Gegenden zu beheben. Die Herausgeber gaben zu bedenken, dass beide Methoden ihre Vorteile hätten, da sie exzellent an die Arbeiterschaft appellieren würden; gleichzeitig aber warfen sie die Frage auf, wo die Finanzierung für diese Vorhaben herkommen solle, wenn die Regierung ohnehin mit Geldknappheit konfrontiert sei. 99 1935 stellte ein weiterer Leitartikel das Scheitern des wirtschaftlichen Programms des Hitlerregimes fest. Im Zusammenhang mit der Arbeitslosenpolitik erklärten die Herausgeber, dass die angewandten Maßnahmen, wie die Ausweisung der Juden, die Ausschließung von Frauen von einer Anstellung in der Industrie und die Organisation von Freiwilligenlagern, sich als nicht erfolgreich erwiesen hätten. Sie hätten weder die wirtschaftlichen Bedingungen der Deutschen verbessert, noch ihre Not gelindert. 100 Negative materielle Auswirkungen der nationalsozialistischen Arbeitslosenpolitik wurden ebenfalls in einem Kommentar im Congress Socialist festgestellt. Dort führte 97 Vgl. Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚Khadi and Harijans (27. 10. 1933)‘, in: CWMG, Bd. 56, S. 146 ff. 98 Vgl. Nehru, Glimpses, S. 921. 99 Vgl. Leitartikel: ‚Hitler’s hopes (03. 02. 1933)‘, in: BC, S. 4. Barkai weist darauf hin, dass die Maßnahmen zur Wiederbevölkerung des ländlichen Raumes nicht erfolgreich waren (vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 132). 100 Vgl. Leitartikel: ‚Indian trade with Europe (28. 09. 1934)‘, in: BC, S. 6. Ähnliche Behauptungen, dass sich die Situation der Deutschen durch die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung nicht gebessert hätte, wurden auch in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre laut. So wiesen Beiträge auf den sinkenden Lebensstandard der deutschen Arbeiterschaft sowie auf die „Verbannung“ der Frauen aus der Arbeitswelt hin (vgl. Vigilantes: ‚Notes on world affairs (10. 01. 1939)‘, in: National Herald, S. 6; o. A.: ‚Germany (03. 02. 1935)‘, in: CS, S. 3; Waheed, Zahid: ‚Monopoly capitalism in Germany (20. 11. 1938)‘, in: CS, S. 9).
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der Autor aus, dass durch die Umverteilung der vorhandenen Arbeit zwar die Arbeitslosenzahlen offiziell abgenommen hätten, dabei aber auch gleichzeitig die Löhne sänken. Letztendlich würden die deutschen Maßnahmen somit zu einer Verarmung der Massen führen.101 Die Kritik an den Methoden der deutschen Regierung wurde erneut 1935 in einem Leitartikel im Bombay Chronicle aufgegriffen, der sich mit dem Report des Handelsbeauftragten der indischen Regierung in Hamburg, Sen Gupta, beschäftigte. Der Artikel wies die positive Bewertung des Handelsbeauftragten hinsichtlich des Rückgangs der Arbeitslosigkeit in Deutschland zurück. Recht sarkastisch behauptete er, dass ein Handelsbeauftragter […] cannot, of course, be expected to analyse too closely the real decline in unemployment in a country […] which has added largely to artificial or temporary employment by restarting at full blast the military industries and those ministering to the provision of the munitions of war, and has revived the old barbarous custom of universal military conscription to withdraw a certain proportion from the otherwise overstocked labour market.102
Die Verknüpfung der Arbeitslosenproblematik mit der Wiederaufrüstung und Militarisierung Deutschlands wurde von etlichen Autoren kritisch gesehen.103 Der Erfolg der Nationalsozialisten, die Arbeitslosigkeit zu vermindern, war eng mit Hitlers Idee verbunden, Deutschland für einen Kriegseinsatz bereit zu machen.104 Obwohl es auch unter den indischen Autoren einige gab, die eine Indianization der Armee, der Luftwaffe und der Marine als Methode zur Arbeitsbeschaffung vorschlugen,105 wurden eine Militarisierung und (Wieder-)Aufrüstung im Allgemeinen nicht als adäquate wirtschaftspolitische Maßnahmen für Indien diskutiert. 6.1.2.2 Der Reichsarbeitsdienst Ein weiteres Thema, das in indischen Debatten kontrovers diskutiert wurde, war der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst.106 Dieser wurde oftmals pri101
o. A. (03. 02. 1935), CS, S. 3. Leitartikel: ‚Indo-German trade (21. 12. 1935)‘, in: BC, S. 6. 103 Vgl. From our own correspondent: ‚Our European letter (12. 02. 1938)‘, in: BC, S. 6; o. A. (03. 02. 1935), CS, S. 3. 104 Zum Zusammenhang von nationalsozialistischer Arbeitsbeschaffungspolitik und Aufrüstung vgl. Herbst, Wirtschaftspolitik, S. 157; Buchheim, Wirtschaftsentwicklung, S. 658; Barkai, Wirtschaftssystem, S. 150. 105 Vgl. Chaddha, IJE, 16 (1) 1935, S. 85; Nader, Anthony: ‚India’s problem of unemployment seen through a new opportunity: aviation as a career to the educated unemployed: a ten-year plan‘, in: IJE, 19 (1) 1938, S. 107 ff. 106 Einen guten Überblick über die Forschungsliteratur zum nationalsozialistischen Arbeitsdienst bis zum Jahr 2003 bietet: Patel, Soldaten, S. 19 ff. 102
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mär als ein Mittel zur Arbeitsbeschaffung wahrgenommen; eine Vorstellung, die, Wolfgang Benz zufolge, für die Regierungen von Brüning bis Hitler indiskutabel war. Der Dienst habe daher die Bemühungen der deutschen Regierungen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, kaum tangiert.107 Klaus Kiran Patel hingegen stellt fest, dass der nationalsozialistische Arbeitsdienst von 1933 bis 1935 als Mittel der Krisenfürsorge durchaus zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit in der Gruppe junger, männlicher, arbeitsfähiger und -williger Beschäftigungsloser beigetragen habe. 108 Das Konzept des Arbeitsdienstes war, wie aus den Ausführungen von Benz erkennbar ist, keineswegs eine Innovation der Nationalsozialisten. Schon zu Zeiten der Weimarer Republik hatte es eine umfassende Debatte über mögliche Inhalte und Zielsetzungen sowie über die Frage nach Freiwilligkeit oder Verpflichtung gegeben.109 In Abhängigkeit vom politisch-ideologischen Umfeld seiner Befürworter wurde er unter anderem als ein Mittel zum Ersatz der Wehrpflicht, zur Durchführung von Arbeiten, die dem Gemeinwohl nützen, zur Annäherung von Staat und Bürger, zur Übernahme von Verantwortung durch die Jugend, zur Schaffung neuer Erwerbsmöglichkeiten und zur Stärkung der deutschen Wirtschaft sowie zur Gewährleistung von Autarkie aufgefasst.110 Arbeitsdienste verfolgten somit nicht nur wirtschaftspolitische, sondern ebenso erzieherische Ziele.111 Während sich in den 1920er Jahren erste freiwillige Arbeitsdienste konstituierten,112 wurde ein Freiwilliger Arbeitsdienst (FAD) auf Reichsebene erst im Nachgang der Weltwirtschaftskrise und unter Druck der Arbeitslosenzahlen durch die Regierung Brüning 1931 eingeführt.113 Nach der ‚Machtübergabe‘ 1933 blieben die Debatte um Pflicht oder Freiwilligkeit sowie die Frage nach der Legitimation für den Arbeitsdienst diskutierte Themen, die zunächst nicht eindeutig geklärt werden konnten. Konstantin Hierl, der Staatssekretär für den Arbeitsdienst, plante den Umbau des FAD zum Pflichtdienst, aber stieß mit seinem Vorschlag auf Einsprüche. 114 Auch
107
Vgl. Benz, Arbeitsdienst, S. 322. Vgl. Patel, Soldaten, S. 145 f. Nach 1935 gab es im nationalsozialistischen Deutschland kein weitreichendes Problem mit Arbeitslosigkeit. 109 Vgl. Benz, Arbeitsdienst, S. 317 ff.; Patel, Soldaten, S. 32 ff. Siehe zur Vorgeschichte der Arbeitsdienste in den 1930er Jahren auch: Köhler, Arbeitsdienst, S. 11–80. 110 Vgl. ebd. 111 Vgl. Patel, Soldaten, S. 12; Götz, Geschwister, S. 327 f. 112 Vgl. Benz, Arbeitsdienst, S. 317 ff. 113 Vgl. ebd., S. 322. Die Implementierung des FAD war nach Auffassung der Regierung zur Entlastung des Arbeitsmarktes zwar ungeeignet, man hoffte jedoch, die Folgen der Arbeitslosigkeit damit ein wenig abschwächen zu können. 114 Vgl. ebd., S. 333 ff.; Götz, Geschwister, S. 327. Einwände kamen vonseiten des Finanzministers und des Auswärtigen Amtes. Letzteres befürchtete außenpolitische Proble108
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hinsichtlich der Zielsetzungen und damit verbunden der Zielgruppen des Arbeitsdienstes herrschte wenig Einigkeit innerhalb der Regierung und der NSDAP. Während das Wirtschaftsministerium beispielsweise den Dienst nur für Arbeitslose befürwortete, um Störungen im Wirtschaftsprozess zu vermeiden, war Hitler der Ansicht, dass er auch der Volkserziehung diene und damit allen jungen Leuten offenstehen müsse. Kritik kam vor 1935 auch von Seiten des Auswärtigen Amtes, das zwischenstaatliche Komplikationen aufgrund potenzieller wehrpolitischer Absichten des Arbeitsdienstes befürchtete. Diese Sorge wurde nach der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht im März 1935 hinfällig. 115 1935 wurde die Diskussionen um Pflicht oder Freiwilligkeit des Dienstes durch das Gesetz zum Reichsarbeitsdienst (RAD) beendet, dessen Zielsetzung gemäß § 1 nun wie folgt definiert war: (1) Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am Deutschen Volke. (2) Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen. (3) Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen. (4) Der Reichsarbeitsdienst ist zur Durchführung gemeinnütziger Arbeiten bestimmt. 116
Während der offizielle Wortlaut keinerlei wehrpolitische Motive des RAD erwähnte, wurden diese von verschiedenen indischen Autoren trotzdem vermutet. So beschrieben bspw. die Herausgeber des Congress Socialist in einem Kommentar aus dem Jahre 1935 den RAD als Militarisierungsmaßnahme des Regimes, der zur Versklavung der Deutschen beitrage. 117 Trotz dieser negativen Darstellung bestritt interessanterweise der Beitrag keineswegs den Nutzen des Arbeitsdienstes für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland. In dieser Einschätzung stimmten die Herausgeber mit anderen indischen Kritikern des Dienstes überein, die sich zweifelnd z. B. zu Fragen seiner Finanzierung sowie seines materiellen Nutzens für die einzelnen Teilnehmer äußerten, das übergeordnete Ziel der Arbeitsbeschaffung aber als erfüllt betrachteten.118 Ganz ähnlich beurteilten jene positiven Stimmen im indischen Diskurs den Erfolg des Arbeitsdienstes, die ihn vor allem als wirtschaftliches Instrument zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit begriffen.119 Es gab allerdings auch Beiträme, wenn ein Pflichtarbeitsdienst eingeführt würde, da auf der Genfer Abrüstungskonferenz im Juni 1933 ein Verbot der Arbeitsdienstpflicht beschlossen worden war. 115 Vgl. Benz, Arbeitsdienst, S. 334 f. 116 o. A.: ‚Das Reichsarbeitsgesetz (26. 06. 1935)‘, in: Stamm, Reichsarbeitsdienst, S. 13 f. 117 Vgl. o. A. (03. 02. 1935), CS, S. 3. 118 Vgl. Nehru, Glimpses, S. 921; From our London correspondent (01. 11. 1936), ABP, S. 6; Leitartikel (03. 02. 1933), BC, S. 4. 119 Vgl. From a special correspondent: ‚Germany to-day (12. 03. 1935)‘, in: BC, S. 10; Kumarappa, MR, 58 (1) 1935, S. 7.
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ge, die eine differenzierte Auffassung vertraten. Ein Beitrag im Bombay Chronicle bezeichnete den Freiwilligen Arbeitsdienst als ein von der deutschen Regierung angewandtes Instrument zur Arbeitsbeschaffung und wies auf dessen Nutzen für die politische Ökonomie hin, z. B. für die Verbesserung von Ackerland durch Erd- und Wasserarbeiten. Auf diese Argumentation aufbauend führte er aber gleichzeitig aus, dass die positiven Resultate des Arbeitsdienstes eher langfristiger Natur seien und er aus diesem Grund nur als flankierende Maßnahme zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit gesehen werden könne. 120 Neben Beiträgen, die vor allem die wirtschaftspolitischen Motive des RAD betonten, enthielten die Debatten auch Wortmeldungen, die andere Zielsetzungen thematisierten. Benoy Kumar Sarkar beispielsweise berichtete im Februar 1936 über die Einführung des neuen Gesetzes und seiner Bestimmungen in der Calcutta Review. Er schilderte den Pflichtarbeitsdienst als ein Instrument, das durchaus positive Effekte auf die deutsche Wirtschaft hatte, zum Beispiel mit der Durchführung öffentlicher Arbeiten, wie der Nutzbarmachung von Siedlungs- und Ackerland oder der Konstruktion von Straßen. Die Ausführung öffentlicher Arbeiten, so legte Sarkar dar, sei von großem Nutzen für eine Volkswirtschaft, da aufgrund fehlender Sofortgewinne Privatunternehmen kaum an solchen Aufträgen interessiert seien. 121 Obwohl Sarkar damit die materielle und wirtschaftliche Bedeutung des Arbeitsdienstes in seinen Ausführungen unterstrich, sah er diese als sekundär an. Der eigentliche, primäre Nutzen des Arbeitsdienstes lag für ihn in „[…] the training of young men and women in fellowship with the working classes by habits of manual labour“.122 Vor diesem Hintergrund begriff Sarkar den Dienst als ein pädagogisches Instrument zur Erweckung politischer und sozialer Verantwortlichkeit bei jungen Menschen. Er grenzte ihn ausdrücklich von jeglichem militärischen Dienst ab und verband ihn vielmehr mit dem Diskurs über Bildung und Erziehung der Nation. 123 Damit stellte er den Arbeitsdienst durchaus als ein Sozialisierungsinstrument dar. Unerwähnt ließ Sarkar allerdings seine Funktion als politisches Kontrollorgan der NSDAP. 124 Sarkars Ansichten zur nicht-militärischen Natur des Arbeitsdienstes werden von der Forschung so nicht bestätigt. Patel, der in seiner Monografie zum nationalsozialistischen und U.S.-amerikanischen Arbeitsdienst ausführlich deren 120
Vgl. From a correspondent (27. 05. 1935), BC, S. 9. Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚Compulsory manual labour in Germany‘, in: CR, 58 (1) 1936 Ser. 3, S. 221. 122 Ebd. 123 Vgl. ebd. 124 Patel zufolge sollte der RAD ab 1935 folgendes sein: Instrument der Arbeitsmarktpolitik, Sozialisationsinstanz und politisches Kontrollorgan der NSDAP (vgl. Patel, Soldaten, S. 134). 121
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Erziehungsziele untersucht, kommt zu der Überzeugung, dass der deutsche Arbeitsdienst junge Männer auf Wehrdienst und Krieg vorbereitete. 125 Der Dienst sei zwar keine primär militärische Organisation gewesen; nichtsdestoweniger habe er wehrpolitische Aufgaben, wie das Erlernen von Karten- und Fährtenlesen oder die Vermittlung von Disziplin, wahrgenommen 126 und sollte „[…] leicht aktivierbare, körperlich leistungsfähige, willige Befehlsempfänger“ 127 schaffen. Sarkars Einschätzung des deutschen Arbeitsdienstes als nichtmilitärisch negierte somit eine wichtige Komponente seiner Erziehungsaufgaben. Wesentlich prononcierter, vor allem in Hinblick auf die Anwendbarkeit in Indien, waren Aussagen zur Erziehung und zum ‚Dienst an der Nation‘ in einem Leserbrief vom März 1935 und in einem Artikel vom August 1935, die im Forward erschienen. Obgleich es auf den ersten Blick so scheint, als ob die Beiträge von unterschiedlichen Autoren stammen – der Text vom März ist mit Bejoy Kumar, der vom August mit Vijay Kumar Banerjee unterzeichnet – ist davon auszugehen, dass es sich bei beiden Autoren um ein und dieselbe Person handelt. Darauf weist nicht nur derselbe zweite Name und die Ähnlichkeit des ersten hin; viel aufschlussreicher ist der Inhalt beider Schreiben, der sich im Aufbau der Argumentationsstruktur gleicht, sowie die auffällige Verwendung ähnlicher Formulierungen.128 In beiden Beiträgen schildert der Autor den Arbeitsdienst als eine auf Freiwilligkeit basierende Einrichtung, was nach dem 26. 06. 1935 nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach. An diesem Tag wurde per Gesetz der RAD eingeführt.129 Darüber hinaus wiesen beide Beiträge ebenfalls auf die Anwendung militärischer Disziplin als Ordnungsprinzip des Arbeitsdienstes hin.130 Dabei ging der Artikel vom August 1935 in seiner Darstellung weiter als der Leserbrief und beschrieb den Dienst als eine gleichsam militärische Organisation.131 Hervorgehoben wurde ebenfalls in beiden Beiträgen, dass der Dienst allen Mitgliedern der deutschen Gesellschaft offenstehe, wodurch er auf eine Harmonisierung der verschiedenen Klassen hinwirke. Diese Einschätzung der Inklusionswirksamkeit des Arbeitsdienstes ignorierte dessen staatliche Zugangslimitationen. So waren Personen vom Dienst ausgeschlossen, die schwere Verbrechen begangen, sich staatsfeindlich betätigt hatten oder mit Zuchthaus bestraft worden waren. Auch die Gruppe der „Untauglichen“, dazu gehörten 125 126 127 128 129 130 131
Vgl. ebd., S. 237. Vgl. dazu auch Götz, Geschwister, S. 336 f. Vgl. Patel, Soldaten, S. 230 f. Ebd., S. 248. Vgl. Kumar (30. 03. 1935), Forward, S. 10; Banerjee (25. 08. 1935), Forward, S. 4. Vgl. Patel, Soldaten, S. 106 f. Vgl. Kumar (30. 03. 1935), Forward, S. 10; Banerjee (25. 08. 1935), Forward, S. 4. Vgl. Banerjee (25. 08. 1935), Forward, S. 4.
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unter anderem geistig und ein Teil der körperlich Behinderten sowie die vom Wehrdienst als völlig untauglich ausgenommenen Personen, wurde nicht zum Arbeitsdienst zugelassen. Dasselbe galt prinzipiell für Personen „nicht-arischer Abstammung“ sowie für solche, die mit „Nicht-Ariern“ verheiratet waren. Während des Zweiten Weltkrieges galt der Ausschluss ebenfalls für Sinti und Roma. 132 Der Autor führte in beiden Beiträgen im Forward weiterhin aus, dass die Teilnehmer des Arbeitsdienstes nicht nur über die Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten unterrichtet, sondern auch eine praktische Ausbildung erhalten würden.133 Auf diesem Wege würden sie verantwortliche Nationalsozialisten werden, die ihre Pflicht nicht nur an ihrem Arbeitsplatz erfüllen, sondern ihre Tüchtigkeit „[…] in response to the call of the nation and the state in every and all directions“ 134 beweisen würden. Die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Arbeitsdienst führte im Fall dieses Verfassers dazu, dass er sich für eine Übernahme dieses Konzepts in Indien aussprach. Unter Verweis auf die politischen und wirtschaftlichen Ähnlichkeiten zwischen Indien und dem Deutschland vor der ‚Machtübergabe‘, zog Bejoy Kumar den Schluss, dass eine einflussreichere, ausgedehntere und aktivere nationalsozialistische Organisation, angetrieben durch den nationalen Willen zur Macht, Indien zu einer glorreichen Zukunft führen könne. 135 In dem fünf Monate später veröffentlichten Artikel waren der Vergleich und die Forderung nach einer nationalsozialistischen Organisation für Indien nicht mehr enthalten. Vielmehr fand es der Verfasser nun wichtig, auf die Unterschiede zwischen den beiden Ländern hinsichtlich der politischen Zielsetzungen und Arbeitsmethoden hinzuweisen.136 Inwieweit er, vorausgesetzt es handelt sich um dieselbe Person, seine Meinung in Auseinandersetzung mit kritischen Äußerungen revidiert hatte, wird in dem Beitrag nicht deutlich. Nach wie vor plädierte der Autor aber für eine Übernahme des Arbeitsdienstes in den indischen Kontext und hoffte dabei auf einen „common point of agreement“ mit seinen Landsleuten. Der Arbeitsdienst sollte seinen Vorstellungen nach in Indien Folgendes bewirken: We can undertake to train the educated unemployed young people of our country to the responsibilities of civic duties and give them vocational training and other lessons on national economics, so that they may earn their bread and serve the nation as well. De132 Vgl. Patel, Soldaten, S. 138 ff. Dabei waren mit „Nicht-Ariern“ in erster Linie Personen jüdischer Abstammung gemeint. Die Aufnahme von Ausländern kam, Patel zufolge, durchaus für wenige Tage oder Wochen, allerdings vorrangig aus propagandistischen Motiven vor (vgl. ebd., S. 134). 133 Vgl. ebd.; Kumar (30. 03. 1935), Forward, S. 10. 134 Banerjee (25. 08. 1935), Forward, S. 4. Bei Bejoy Kumar liest sich das Zitat ähnlich: „in response to the call of their nation in any direction whatsoever.“ 135 Vgl. Kumar (30. 03. 1935), Forward, S. 10. 136 Vgl. Banerjee (25. 08.1935), Forward, S. 4.
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tachments of the Volunteer [sic] Labour Army, if organised in our country on this line may be usefully employed in the rural areas for various forms of social service which may be of benefit to themselves as well as the country at large.137
Diese beiden Quellen sind besonders bemerkenswert, da sie verschiedene Aspekte des indischen Diskurses über den Nationalsozialismus berühren. Über den rein wirtschaftlichen Aspekt, die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen, hinaus verband sich die indische Beschäftigung hier ebenfalls mit Ideen vom ‚Dienst an der Nation‘, wobei als Zielgruppe insbesondere die Jugend ins Blickfeld geriet. Auch die Themen Disziplin und Militarisierung Britisch-Indiens stellen in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitsdienst wichtige Referenzpunkte dar. 138 Diese These wird durch ein weiteres prominentes Beispiel unterstützt. Der INC-Präsident Subhas Chandra Bose sprach in seiner Rede auf dem Jahrestreffen in Haripura im Januar 1938 über die Notwendigkeit eines disziplinierten Freiwilligen-Korps und trainierter Parteiarbeiter zur zielgerichteten Mobilisierung der Massen sowie zu ihrer Kontrolle. Als geeignetes Studienobjekt für den INC empfahl er dabei den nationalsozialistischen Arbeitsdienst, der sich mit entsprechenden Abwandlungen im indischen Kontext als nützlich erweisen könne.139 Die schon in früheren indischen Debatten thematisierte Verbindung von Disziplin, ‚Dienst für die Nation‘ und Freiwilligenarbeit wurde nun mit einem zeitgenössischen, als erfolgreich wahrgenommenen Modell verknüpft, das als nachahmenswertes Vorbild dienen konnte. In die Debatte um die Möglichkeiten zur Nachahmung des deutschen Arbeitsdienstes in Indien brachte sich 1937 auch der deutsche Generalkonsul Eduard von Selzam ein. Von Selzam hielt drei Reden im All India Radio, die im Nachhinein in der Amrita Bazar Patrika abgedruckt wurden.140 Die dritte und letzte seiner Ansprachen behandelte ausführlich den RAD, von ihm dargestellt als eine der wichtigsten Errungenschaften der Nationalsozialisten, die den größten sozialen und erzieherischen Einfluss auf die Deutschen habe. Von Selzam zufolge hatte der RAD zwei wichtige Aufgaben: einerseits Deutschland autark und andererseits die deutsche Jugend zu (selbst)bewussten Befürwortern des Nationalsozialismus zu machen. Im Zusammenhang mit dem zweiten Aspekt führte er aus, dass durch die Teilnahme am RAD besonders das Gefühl der Kameradschaft und Klassengleichheit gefördert sowie die physischen Eigenschaften der jungen Leute verbessert würden. Abschließend mach137
Ebd. Siehe dazu Kapitel 4. 139 Vgl. Bose (Februar 1938), NCW, Bd. 9, S. 24. 140 Vgl. Selzam, Eduard von: ‚Germany since 1932 (03. 12. 1936)‘, in: ABP, S. 10, Selzam (05. 01. 1937), ABP, S. 4; Selzam (03. 03. 1937), ABP, S. 13. 138
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te der Generalkonsul deutlich, dass seiner Ansicht nach der Arbeitsdienst nicht einfach in anderen Ländern kopiert werden könne, da er eine durchweg deutsche Institution sei, die sich unter besonderen, nur für Deutschland geltenden Umständen entwickelt habe. Der RAD sei, wie der Nationalsozialismus, keine internationale, sondern eine rein deutsche Angelegenheit.141 Diese Aussagen des deutschen Generalkonsuls negierten nicht nur das Vorhandensein von Arbeitsdiensten in anderen Ländern,142 sondern werfen auch die Frage auf, warum er sich so explizit gegen eine Imitation aussprach. Immerhin besuchten nicht nur viele Ausländer in Deutschland Einrichtungen des Arbeitsdienstes bzw. reisten ins ‚Dritte Reich‘, um sich genau über ihn zu informieren, sondern erhielten problemlosen Zugang vonseiten des nationalsozialistischen Regimes. Dieses war, Angela Schwarz zufolge, nur allzu gern bereit, die Errungenschaften der Hitlerregierung den ausländischen Besuchern vorzuführen.143 Auch einige indische Reisende erhielten so Eindrücke aus erster Hand, über die sie in den indischen Medien berichteten.144 Inwieweit von Selzams Ausführungen im indischen Diskurs aufgegriffen wurden, konnte leider nicht eruiert werden. Sicher ist, dass die Bewunderung des Nationalsozialismus und die Debatten, welche Aspekte im indischen Kontext nachgeahmt werden könnten, durch seine Ausführungen nicht zum Erliegen kamen. Der ‚Nutzen‘ des Reichsarbeitsdienstes als Instrument der Beschäftigungspolitik wurde in indischen Debatten weder von seinen Kritikern, die vor allem seine wehrpolitischen Zielsetzungen ablehnten, noch von seinen Befürwortern in Frage gestellt. Letztere sahen in dem Dienst außerdem ein wichtiges pädagogisches Instrument zur Formung von ‚Charakter‘ und ‚Körper‘ der Jugend. 6.1.3 Die korporative Staatswirtschaft in Italien: Ein Modell für die Bildung der indischen Nation? Der faschistische Staat in Italien errichtete zwischen 1926 und 1934 ein korporatives Wirtschaftssystem.145 Dieser Prozess wurde begleitet durch die Auflösung der Gewerkschaften und die Abschaffung des Streikrechtes. Die neu geschaffenen Korporationen waren Regierungsgremien und hatten idealerweise die Aufgabe, all diejenigen, die an der Produktion beteiligt waren, das heißt 141
Vgl. Selzam (03. 03.1937), ABP, S. 13. Vgl. Patel, Soldaten, S. 13 f. 143 Vgl. Schwarz, Reise, S. 223 ff. 144 Vgl. Chaliha (01. 09. 1935), ABP, S. 17; Khair, MR, 57 (1) 1935, S. 38 ff. 145 Für einen Überblick zum Begriff und der Geschichte des Korporatismus, auch im italienischen Kontext, siehe: Whitman, Corporatism, S. 752. Zur Ausarbeitung einer zusammenhängenden Ideologie des faschistischen Korporativismus durch Ugo Spirito siehe: Gregor, Mussolini’s, S. 111–139. Einen Überblick zum korporativen Staat in Italien bietet: Whittam, Italy, S. 60 ff. 142
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die Arbeitgeber, die Arbeiter, die technischen Angestellten und das Führungspersonal, zu repräsentieren und zu organisieren. Darüber hinaus oblag es ihrer Verantwortung, die Produktion der verschiedenen wirtschaftlichen Sektoren zu planen und zu organisieren.146 In Indien avancierte das ökonomische System des faschistischen Italien schnell zu einem wichtigen Modell, das analysiert, diskutiert und bewundert wurde.147 Taraknath Das beispielsweise pries das neue Staatskonzept des faschistischen Italien folgendermaßen: Nell’attuale periodo di trasformazione della civiltà occidentale, l’ideale italiano dello Stato corporativo, concepito e attuato dal genio politico di Mussolini nel regime fascista, può essere considerato come una pietra miliare nella possibile evoluzione di un nuovo ordinamento sociale […].148
Diese enthusiastische Bewertung des Faschismus durch Taraknath Das erschien in dem Vorwort seines Buches Politica estera nell’Estremo Oriente. Die Monografie wurde 1938 unter der Schirmherrschaft des IsMEO veröffentlicht und war die italienische Version seines Buches Foreign policy in the Far East, erstmalig erschienen 1936 in New York. Von 1926 bis 1936 zeigte Das in seinen Schriften ein beträchtliches Interesse an verschiedenen Facetten des italienischen Faschismus. 149 Er war dabei besonders beeindruckt vom ‚nationalen Wiedererwachen‘ und der ‚Verjüngung‘ Italiens, von dessen Glauben an Stärke, Disziplin und Pflicht, von seinem Festhalten an einem Führer sowie von seiner vermeintlichen Klassenharmonie. 150 Das mahnte an, dass Indien in den folgenden Bereichen vom faschistischen Regime lernen solle: Hindu-Muslim-Kommunalismus, soziale Regeneration, nationale Verteidigung sowie militärische und zivile Bildung. 151 Er diskutierte jedoch nicht systematisch die Strukturen 146
Vgl. Morgan, Party, S. 86. Zu den Debatten über das korporative System in Italien vergleiche unter anderem: Chanda, Anil K.: ‚The Fascist State: In Theory and Practice‘, in: Hindustan Review, 58 (332) 1932, S. 31 ff.; o. A.: ‚Italy reverts to guild system (25. 06. 1934)‘, in: BC, S. 2; Sarkar, Benoy Kumar: ‚The Italian corporation of textile products‘, in: CR, 64 (3) 1937 Ser. 3, S. 357 f.; Sarkar, Benoy Kumar: ‚The corporative state as an expression of fascist totalitarianism‘, in: CR, 68 (2) 1938 Ser. 3, S. 232 ff. 148 Das, Politica, S. 4. „In der gegenwärtigen transformativen Phase der westlichen Zivilisation kann das italienische Ideal des korporativen Staates entworfen und implementiert im faschistischen Regime durch das politische Genie Mussolinis als Meilenstein in der möglichen Evolution einer neuen sozialen Ordnung betrachtet werden […].“ 149 Vgl. die folgenden Artikel von Taraknath Das: ‚The new greater Italy and Signor Mussolini‘, in: MR, 39 (6) 1926, S. 643–651; ‚Impressions of awakened Italy‘, in: CR, 28 (3) 1928 Ser. 3, S. 393–404; ‚New Italy and Greater India‘, in: MR, 49 (6) 1931, S. 644–650; ‚The new Italy‘, in: CR, 48 (2) 1933 Ser. 3, S. 155–161; CR, 51 (1) 1934 Ser. 3, S. 35–42. 150 Vgl. Das, MR, 49 (6) 1931, S. 644–646; Das, MR, 39 (6) 1926, S. 645 und 651; Das, CR, 28 (3) 1928 Ser. 3, S. 401–404; Das, CR, 48 (2) 1933 Ser. 3, S. 155. 151 Vgl. Das, MR, 49 (6) 1931, S. 646 und 650; Das, MR, 39 (6) 1926, S. 647. 147
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des Faschismus, sein Konzept oder seine Ideologie, ein Befund, der sich für die in diesem Buch analysierten Quellen verallgemeinern lässt. Eine systematische Auseinandersetzung mit den ideologischen Fundamenten des Faschismus war in den indischen Debatten weithin nicht existent. Die Organisation, Merkmale und Ziele des korporativen Staates in Italien wurden von verschiedenen indischen Autoren ausführlich beschrieben.152 Ein wichtiges Thema in den Ausführungen, das auch bei Taraknath Das Erwähnung findet, war dabei die Schaffung von Harmonie zwischen verschiedenen Klassen und Gruppen der Gesellschaft. In einem Artikel in der Modern Review beispielsweise deutete Sukumar Roy auf die enge Verbindung der faschistischen Ideen von Produktion, Nation und Staat, der auf eine „[…] essential community of interest of all classes of people“ 153 wirkte, hin. Dieses Ziel des faschistischen Staates offenbarte, Roy zufolge, den fundamentalen Unterschied zwischen Faschismus und Bolschewismus; während der Letztere als eine Klassenbewegung auf die Errichtung der Diktatur einer Klasse abziele, und zwar die des Proletariats, mache der Faschismus die Nation zur alleinigen Antriebskraft, die alle Klassen, Gruppen und Individualinteressen aufhebe. 154 Roy war davon überzeugt, dass die faschistische Konzeption der Produktion mit diesen allgemeinen Prinzipien korrespondierte. Der italienische Korporativismus verspreche das grundlegende Problem der modernen Gesellschaft, den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, zu lösen, indem er die jeweiligen Zielsetzungen beider Klassen den höheren Interessen der Produktion und damit der Nation unterordne.155 Sukumar Roy erkannte am Ende seines Beitrages an, dass: Liberalism and democracy have failed to give men industrial peace. Fascism strives to give it and it should not be condemned as incompetent simply because it is not liberal or democratic.156
Die Organisation von Produktion und Industrialisierung wurde in der ‚westlichen‘ Welt in der Zwischenkriegszeit als wichtige Maßnahme zur Formung der nationalen Einheit und damit des Nationalismus gesehen. Auch im indischen Kontext nahmen verschiedene Autoren diesen Zusammenhang wahr und sahen entsprechende Maßnahmen als geeignet an, um Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen der Bevölkerung zu überwinden. Im Gegensatz zum ‚Westen‘ war das Einsatzgebiet von staatlicher Planung und Kontrolle der Wirt152 Vgl. Narain (1934), India, S. 332 ff.; Narain, Tendencies, S. 160 ff.; Narain (1939), India, S. 390 ff.; Moulik, Economy, S. 34 ff.; Roy, Mussolini, S. 51 ff. 153 Roy, Sukumar: ‚Fascism and the problem of Labour and Capital‘, in: MR, 46 (3) 1929, S. 275. 154 Vgl. ebd. 155 Vgl. ebd., S. 275 f. 156 Ebd., S. 283.
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schaftsprozesse nicht auf die Klassen innerhalb der Gesellschaft beschränkt, sondern bezog sich in Indien ebenso auf die verschiedenen Religionsgemeinschaften (siehe unten). Ganz ähnlich wie Sukumar Roy argumentierte auch Pramatha Nath Roy. In seinem Buch „Mussolini and the Cult of Italian Youth“ wies Roy darauf hin, dass Italien durch die Einführung des korporativen Systems Kapital und Arbeit gesetzlich gleichgestellt habe. Durch diese Maßnahme habe das faschistische Regime den Klassenkonflikt beseitigt und die Nation geeint. Unter Verweis auf den politischen und sozialen Umbau, den Indien benötige, fragte Roy, ob die korporative Idee nicht auch Indien helfen könne, seine Probleme, zum Beispiel das des Kommunalismus, zu beseitigen. 157 Dieser stand, seiner Ansicht nach, der Lösung verschiedener Schwierigkeiten, wie der Rettung der hungernden Massen, des Niederreißens veralteter Institutionen sowie der Anhebung des allgemeinen Lebensstandards im Weg. Die faschistische Kritik an der vorangegangenen Ausbeutung Italiens durch die parlamentarische Politik könne ebenso auf die kommunalistischen Führer in Indien übertragen werden. Roy unterstrich seine Argumentation hinsichtlich einer möglichen und gewünschten Übernahme des korporativen Modells, indem er behauptete, dass der Korporativismus in Indien naturgegeben sei. Aus diesem Grund stelle dieser den Schlüssel für Indiens Probleme dar, welche nicht durch andere Regierungsformen, wie verantwortungsvollen Parlamentarismus oder Bolschewismus, beseitigt werden könnten. Roy übernahm in seinen Ausführungen die faschistischen Argumente über die Nation und den Staat. Deutlich wird dies unter anderem in seiner Auffassung, dass Indien zur Verbesserung der eigenen Situation einem Pfad folgen müsste „[…] not from any party or class point of view, but from that of the supreme interests of the nation which is above classes or communities“.158 Roys Darlegungen lassen erkennen, dass der Staat, seine gewählte Form und seine Aufgaben eine zentrale Rolle in den indischen Debatten einnahmen. 159 Planung wurde von den meisten Autoren als Angelegenheit des Staates gesehen, der mit Hilfe planerischer Maßnahmen vorhandene Probleme, wie den Kommunalismus, lösen sollte. Die Debatten über das Wesen des Staates trugen dazu bei, dass, obwohl das primäre Anliegen der Autoren die Wirtschaft war, 157
Vgl. Roy, Mussolini, S. 69–72. Ebd., S. 71 f. 159 Pramatha Roy beispielsweise schrieb ausführlich über das Wesen des faschistischen Staates. Der Faschismus wollte die uneingeschränkte Autorität des Staates wiederherstellen, so dass er die Bürger verteidigen und alle Probleme der Gesellschaft, wenn sie über die Individualinteressen hinausgingen, lösen könne. Im Faschismus seien der Staat und die Nation identisch und jegliche Einzelinteressen müssten sich den nationalen Interessen unterordnen (vgl. ebd., S. 53 f.). 158
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die Diskussionen oftmals auf die Themen Nation und Nationalismus hinausliefen. Ein zweiter Aspekt, der im skizzierten Diskurs offen zutage trat, war die Grundannahme vieler Beiträge, dass Indien ebenfalls eine Gesellschaft, bestehend aus verschiedenen Klassen darstelle. Diese Auffassung wurde allerdings nicht von allen geteilt, wie aus den Ausführungen von K. Krishna hervorging. Er schrieb, dass, während in Indien das Vorhandensein von Kasten anerkannt sei, die Existenz von Klassen bestritten werde. Diese Negation schien Krishna hinfällig, da seiner Ansicht nach Kasten ‚stratified classes‘ seien. Aus diesen Überlegungen heraus charakterisierte er die kommunalistischen Auseinandersetzungen in Indien im Grunde als Klassenkämpfe, die durch die Tatsache, dass Inder zu verschiedenen Nationen und Stämmen gehörten, noch verschärft würden.160 Auffällig ist die zentrale Stellung, die der Kommunalismus bzw. dessen Charakterisierung und die Mittel zu seiner Bekämpfung im indischen Planungsdiskurs einnahmen. Die Überlegungen, die sich mit der Übertragbarkeit wirtschaftlicher und infrastruktureller Konzepte und Maßnahmen beschäftigten, deuten darauf hin, dass im indischen Kontext bestimmte Aspekte des Faschismus als Modell für die Entwicklung des Subkontinents und für dessen post-koloniale Nationenkonstruktion verstanden wurden. Dabei spielte der Umstand, dass Italien erst relativ spät seine Nationalstaatlichkeit errungen hatte, eine maßgebliche Rolle. Das Land wurde von indischen Autoren als ein realistisches Modell wahrgenommen, gerade weil seine Industrialisierung und seine technische Entwicklung weniger fortgeschritten waren als die anderer europäischer Großmächte. „Of all the European nations“, schrieb Benoy Kumar Sarkar, „Italy, as the country that is next to us in range and intensity of modern developments, is from the nature of the case best fitted to be a guide to Young India in its attempts at modernization in technique, economic institutions and social structure.“ 161 Dabei schien Italien für Sarkar nicht nur aufgrund seines gegenwärtigen Entwicklungsstandes ein geeignetes Referenzmodell zu sein. Seine Schriften deuten vielmehr, wie Prayer ausführt, auf seine Überzeugung eines gemeinsamen Prozess historischer Entwicklung hin, in welchem z. B. das indische Konzept des swadesh-seva (des Dienstes am eigenen Landes) eine Parallele in Mussolinis Führerschaft gefunden habe.162 Außerdem habe Sarkar das faschistische Italien wegen seines autoritären Charakters geschätzt, der auf eine Harmonisierung der Klasseninteressen zielte, ohne Privatinitiativen zu unterdrücken. Diese Politik des faschistischen Staates habe mit Sarkars eige-
160 161 162
Vgl. Krishna, Plan, S. 103. Sarkar, Intercourse, S. 6. Vgl. Prayer, India, S. 240.
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nen Vorstellungen „[…] on the necessity to effect a constructive composition of class-disputes (sreni-samya, sreni-samanjasya)“ korrespondiert.163 Während der faschistische Staat und dessen ökonomische Gestalt für verschiedene Autoren als Vorbild für ein post-koloniales nation building dienten, gab es in den indischen Debatten auch warnende Stimmen. A. C. N. Nambiar beispielsweise schrieb 1929 einen Beitrag in der bengalischen Tageszeitung Liberty, in welchem er nicht nur die bisherigen wirtschaftlichen Leistungen von Mussolinis Regime stark kritisierte, sondern explizit Faschismus als ein nachahmenswertes Modell für Indien zurückwies. 164 So beschrieb Nambiar die bisherigen ökonomischen Erfolge der Faschisten vor allem als Fortsetzung eines Industrialisierungsprozesses, der schon vor dem Ersten Weltkrieg begonnen habe, durch diesen aber gehemmt worden sei. Er führte aus, dass Italien am Ende des 19. Jahrhunderts ein wirtschaftlich unentwickeltes Land gewesen sei. Die dann einsetzende Entwicklung der wirtschaftlichen Ressourcen sei natürlich schnell vorangeschritten; ähnliches habe man auch im Falle Russlands und Deutschlands beobachten können.165 Der faschistische Staat war, Nambiar zufolge, ein gefährliches Ideal für Indien, da Faschismus ein „vorzügliches“ Regierungssystem zur Bewahrung und Verstärkung des imperialistischen Gefüges in solchen Ländern darstelle, in denen die wirtschaftliche Basis des Imperialismus schwach sei. Da Indien sich aber in einem anti-imperialen Kampf befände, hielt Nambiar die Übernahme von faschistischen Ideen für gefährlich, da sie die Schaffung einer einheitlichen Front gegen die Briten verhindern würden.166 Die vermutete Fähigkeit des Faschismus, den Klassenkampf zu lösen und damit die Nation zu einen, wurde ebenfalls von solchen Autoren festgestellt, die ambivalente Ansichten zu Italien hatten. Brij Narain, Professor für Ökonomie in Lahore, beschäftigte sich ausführlich mit dem italienischen Korporativismus und seinen wahrgenommenen Erfolgen. Obgleich er anerkannte, dass der Faschismus eine starke, zentralisierte Regierung, gewaltige industrielle und landwirtschaftliche Entwicklungen sowie das Ende des Konfliktes zwischen Arbeit und Kapital mit sich gebracht habe, wies er sehr deutlich auf die von ihm wahrgenommenen Schwachpunkte der korporativen Konzeption hin. Der faschistische Staat, so schrieb Narain, müsse fortwährend zur Vermeidung eines erneuten ökonomischen Krieges im Lande seine Autorität behaupten. Industrieller Frieden im Faschismus beinhalte eine permanente Androhung von Strafe. Der Antagonismus der Klassen, der Narain zufolge im Sozialismus 163
Ebd. Vgl. Nambiar, A. C. N.: ‚Italy under the fascist Regime (16.10.1929)‘, in: Liberty, S. 4 und 11. 165 Vgl. ebd., S. 11. 166 Vgl. ebd., S. 4. 164
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vollständig beseitigt sei, bestehe in der italienischen Gesellschaft weiterhin.167 Aus diesem Grund hielt er fest, dass Faschismus nicht planen könne, sondern seine ökonomische Hierarchie (in Form des korporativen Staates) den Versuch darstelle, das wirtschaftliche Leben zu organisieren und dort Ordnung und Disziplin einzuführen, wo unter einem System freien Wettbewerbs Konflikte zwischen individuellen Interessen entstünden.168 Starke Kritik am korporativen System wurde ebenfalls in einem Artikel in der Calcutta Review 1929 geäußert. Der Autor des Beitrages, Abani Bhusan Rudra, wies darauf hin, dass die Implementierung der italienischen Reformen die ‚Faschisierung‘ der verschiedenen Klassenorganisationen absichere. Damit seien die Maßnahmen lediglich als Mittel zur Aufrechterhaltung der Dominanz der faschistischen Partei zu sehen.169 Hinsichtlich der Frage, ob das wirtschaftliche System in Italien den Klassenkampf zwischen Arbeit und Kapital lösen könne, war Rudra der Auffassung, dass ein Erfolg vor allem von der Unvoreingenommenheit und Integrität der Arbeitsgerichte abhängig sei, die über die gegensätzlichen Interessen zu urteilen hätten. Aufgrund vergangener Erfahrungen zweifelte der Autor aber stark daran, dass die Richter in Zukunft unabhängig und neutral richten würden.170 Weitere Kritikpunkte, die in indischen Debatten im Zusammenhang mit dem korporativen Staat und der neuen Wirtschaftsordnung in Italien vorgebracht wurden, waren der Mangel an ausländischen Investitionen, die Beschränkungen privater Initiative infolge der strengen Staatskontrolle sowie die Auflösung der freien und die Schaffung von faschistischen Gewerkschaften. 171 Grundlegende Kritik an der faschistischen Wirtschaftspolitik wurde ebenfalls von Jawaharlal Nehru geäußert. Er erklärte, dass sich bisher kein korporativer Staat in Italien herausgebildet habe, und fügte hinzu, dass der Kapitalismus dort nach wie vor auf eine ähnliche Art und Weise wie in anderen kapitalistischen Ländern wirke. Nehru, der gefestigte antifaschistische Ansichten hatte, nahm den Faschismus nicht als eine potenzielle Lösung des Klassenkampfes wahr. Vielmehr stellte er ihn als ein Produkt dieses Konfliktes dar bzw. als ein Resultat „[…] when the class conflicts between an advancing socialism and an entrenched capitalism become bitter and critical“. 172 167
Vgl. Narain (1934), India, S. 299 und 313. Vgl. ebd., S. 339. 169 Vgl. Rudra, Abani Bhusan: ‚The fascist movement in Italy, II‘, in: CR, 32 (3) 1929 Ser. 3, S. 324. 170 Vgl. ebd., S. 327. 171 Vgl. Ghose, Akshaya K.: ‚The fascist State‘, in: MR, 52 (1) 1932, S. 42; Nambiar, A. C. N.: ‚Italy under the fascist regime (16. 10. 1929)‘, in: Liberty, S. 11; o. A.: ‚The Corporative Staat (05. 05. 1929)‘, in: Liberty, S. 12. 172 Nehru, Glimpses, S. 826. 168
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Die indischen Kritiker des faschistischen korporativen Systems sahen in ihm, da es ihrer Ansicht nach die Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen in einer Gesellschaft nicht zu lösen vermochte, kein nachahmenswertes Modell für Indien, weder in wirtschaftlicher Hinsicht noch als Imitationsmuster für die Bildung einer geeinten post-kolonialen Nation. 6.1.4 Infrastrukturausbau, Landwirtschafts- und Sozialpolitik In indischen Debatten spielten im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik Italiens und Deutschlands die Maßnahmen beider Regime zur Entwicklung der Infrastruktur und der Landwirtschaft sowie bestimmte Aspekte der Sozialpolitik eine wichtige Rolle. Dabei finden sich in quantitativer Hinsicht mehr Aussagen zum mediterranen Staat als zu Hitlers Regime. Insbesondere Mussolinis Agrarpolitik schien für indische Autoren vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Struktur des eigenen Landes nicht nur von Interesse, sondern durchaus nachahmenswert. Die Ausgestaltung der Agrarpolitik Italiens war, Pramatha Nath Roy zufolge, vorrangig durch drei Überlegungen geprägt: von der Idee der wirtschaftlichen Stabilität der Nation, von Vorstellungen zur demografischen Stärke sowie von Wahrnehmungen der negativen Folgen von Industrialisierung und Urbanisierung. 173 Letztere hätten nach Ansicht Mussolinis zum Absinken der Moral geführt und sich negativ auf ein gesundes Wachstum der Menschen ausgewirkt. Diesen Prozessen könne durch eine Hinwendung zur Landwirtschaft entgegengewirkt werden.174 Die im Konzept der italienischen ruralisation enthaltene Kritik an der industriellen Zivilisation kam, Roy zufolge, den Ansichten Gandhis und Tagores gleich. Diese würden, inspiriert durch das Ideal des alten Indien, ebenfalls für eine Abwendung von der industriellen Zivilisation plädieren.175 Mit dieser Einschätzung stellte Roy nicht nur eine Verbindung zwischen den Maßnahmen des italienischen Regimes und den Ideen indischer Nationa-
173 Vgl. Roy, Mussolini, S. 146. Zur Agrarpolitik des faschistischen Regimes vgl. ebenfalls: Cohen, Fascism, S. 70–87; Nützenadel, Agrarpolitik, S. 281 ff. Nützenadel zufolge legte das faschistische Regime von Beginn an ein Augenmerk auf den landwirtschaftlichen Bereich, da es eine breite Unterstützung in den ländlichen Regionen der Po-Ebene und der Toskana erfuhr. Während die Regierung Mussolinis von 1922 bis 1925 noch einen liberalen Wirtschaftskurs verfolgte, wurden ab 1925 Überlegungen zum Agrarprotektionismus immer populärer. Diese wurden in der Folgezeit in Form von gesetzlichen Reformen und staatlichen Förderungsmaßnahmen implementiert. Von der faschistischen Agrarpolitik erhoffte sich die Regierung Mussolinis nicht nur eine Lösung der sozialen Probleme, sondern auch ein höheres Bevölkerungswachstum und eine Steigerung der inländischen Nahrungsmittelproduktion (vgl. Nützenadel, Agrarpolitik, S. 281–290). 174 Vgl. Roy, Mussolini, S. 148 f. 175 Vgl. ebd., S. 149.
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listen her, sondern er gab der faschistischen Politik zusätzlich Legitimität. Gandhis Kritik an der ‚modernen Zivilisation‘ hatte dieser schon 1909 in dem Buch Hind Swaraj dargelegt, welches seine Ansichten zu swaraj und zu den indischbritischen Beziehungen wiedergab. 176 Mitte der 1930er Jahre begann Gandhi nach seinem offiziellen Rückzug aus der ‚hohen Politik‘ intensiv für die Verbesserung der Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung zu arbeiten. Er hoffte die Bauern von ihren Lasten zu befreien, so dass diese als „Erben der indischen Zivilisation“ hervortreten und zu den wahren Bürgern der swaraj society werden könnten.177 In Hinblick auf die Vorstellungen zur wirtschaftlichen Stabilität Italiens führte Roy aus, dass Italien ein primär landwirtschaftlich geprägter Staat sei, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung einer Beschäftigung im Agrarsektor nachging. Der Industrialisierung des Landes sei durch mangelnde Ressourcen Grenzen gesetzt. Da beinahe die Hälfte des italienischen Staatseinkommens durch die Landwirtschaft und assoziierte Industrien erbracht würden, richte das faschistische Regime seine volle Aufmerksamkeit auf diesen Sektor, um nicht nur eine solide Wirtschaftsgrundlage zu schaffen, sondern diese ebenfalls unabhängig zu machen. 178 Die Autarkiebemühungen Italiens im Nahrungsmittelbereich fanden unter anderem Ausdruck in der Battaglia del Grano (Getreideschlacht).179 Seit der Jahrhundertwende hatten sich in der Tat im italienischen Nahrungsmittelbereich gravierende Veränderungen abgezeichnet, da die inländische Produktion den Bedarf nicht mehr decken konnte und entsprechende Bestände zur Deckung des Fehlbedarfes importiert werden mussten. Die Versorgungsschwierigkeiten aufgrund der Abhängigkeit von ausländischen Märkten, die besonders während des Ersten Weltkrieges sichtbar wurden, führten in nationalistischen Kreisen zur Forderung nach einer Selbstversorgung Italiens mit Nahrungsmitteln. Diese Forderung wurde 1919 ebenfalls von Mussolini aufgegriffen. Vor dem Hintergrund erster Anzeichen einer wirtschaftlichen Destabilisierung des Landes im Jahr 1924 infolge einer importierten Inflation, verursacht durch die Auslandsabhängigkeit der italienischen Wirtschaft, entschied sich das Regime für eine Reduzierung der Importe im Nahrungsmittelsektor, insbesondere bei Weizen. 180 Um den Bedarf an Weizen ohne entsprechende Einfuhren trotzdem decken zu können, rief Mussolini im 176
Vgl. Brown, Gandhi, S. 65. Vgl. ebd., S. 297 ff. 178 Vgl. Roy, Mussolini, S. 146 f. 179 Vgl. Cohen, Fascism, S. 72 f. 180 Vgl. Nützenadel, Landwirtschaft, S. 128–157; Nützenadel, Agrarpolitik, S. 285 ff. Die Regierung war der Ansicht, dass eine Verringerung der Einfuhr von Rohstoffen und Halbfertigprodukten aufgrund der mangelnden Rohstoffbasis Italiens nicht in Frage käme. 177
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Juni 1925 die Battaglia del Grano aus. Die angestrebte Erhöhung der Getreideproduktion sollte durch wirtschaftliche Anreize, technische Förderungsmaßnahmen und moralische Appelle sichergestellt werden.181 Die Bemühungen in der ‚Getreideschlacht‘ führten auf kurze Sicht zu keinerlei Erfolgen, langfristig konnte aber in diesem Sektor eine erkennbare Steigerung der Erntemengen sowie eine umfassende, wenn auch nicht vollständige Importsubstitution verwirklicht werden. Dabei ging der Produktionsanstieg nicht allein auf eine Erhöhung der Hektarbeträge, wie anfänglich geplant, zurück, sondern auch auf eine Ausweitung der Anbauflächen.182 Die langfristig erfolgreiche Umsetzung der Battaglia del Grano sowie die mit ihr zusammenhängenden propagandistischen Anstrengungen des faschistischen Regimes 183 scheinen zu einer überwiegend positiven Perzeption der Weizenkampagne im indischen Diskurs geführt zu haben.184 Nitya Narajan Banerjee beispielsweise schilderte in einem zweiteiligen Beitrag in der Amrita Bazar Patrika ausführlich und sichtlich beeindruckt die Maßnahmen Italiens, das unter der Führung Mussolinis nun einen unübersehbaren Platz unter den Nationen einnehme. 185 Der proklamierten Notwendigkeit für den mediterranen Staat, hinsichtlich seiner Nahrungsmittelproduktion autark zu sein, pflichtete Banerjee unter Verweis auf die italienischen Hauptimportrouten bei. Diese 181 Vgl. Nützenadel, Agrarpolitik, S. 289. Konkrete Maßnahmen des Regimes bestanden in einer Wiedereinführung des Weizenzolls, in direkten finanziellen Subventionen, in technischen Beihilfen für Weizen anbauende Betriebe, in Produktionswettbewerben sowie in einer groß angelegten Propagandakampagne. Auf administrativer Ebene wurden ein ‚Ständiges Weizenkomitee‘, angegliedert an die Regierungskanzlei, sowie ‚Provinzialkomitees‘ eingerichtet. 182 Vgl. ebd., S. 290 und 302; Nützenadel, Landwirtschaft, S. 144 ff. Nützenadel weist darauf hin, dass die faschistische Selbstversorgungspolitik im Agrarbereich numerisch äußerst erfolgreich war. Eine vollständige Autarkie in puncto Nahrungsmittel konnte zwar nicht erreicht werden, aber die Importzahlen gingen deutlich zurück, während die Exportergebnisse der landwirtschaftlichen Produkte stabil blieben bzw. gesteigert werden konnten. Als Aktivposten der italienischen Handelsbilanz lieferte der Agrarsektor einen erheblichen Teil der Devisen, die für die Einfuhr rüstungswichtiger Rohstoffe und Industriegüter gebraucht wurden (vgl. Nützenadel, Agrarpolitik, S. 302). 183 Siehe zur Propaganda: Nützenadel, Landwirtschaft, S. 149 ff. 184 Vgl. Banerjee, Nitya Narajan: ‚Mussolini & Italian Agriculture (30. 07. 1933)‘, in: ABP, S. 6; Banerjee, Nitya Naranjan: ‚Mussolini & Italian Agriculture – II (27. 09. 1933)‘, in: ABP, S. 14; Gupta, Mukul: ‚Economic renaissance of Italy (07. 04. 1934)‘, in: ABP, S. 8; Gupta, Mukul: ‚Economic renaissance of Italy – II (13. 04. 1934)‘, in: ABP, S. 8; Roy, Sudhansu Bhusan: ‚Economic significance of the Italian venture (15. 01.1936)‘, in: ABP, S. 8; Ghosh, Sailendra Nath: ‚Evolution of fascism in Italy (21.12. 1935)‘, in: Forward, S. 4 und 9; o. A.: ‚India needs no dictator (15. 07. 1934)‘, in: Forward, S. 7; Moulik, Economy, S. 92–94; Narain (1934), India, S. 247 f. 185 Vgl. Banerjee (27. 09.1933), ABP, S. 14.
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würden durch die Meerengen von Gibraltar, Suez und der Dardanellen verlaufen und könnten durch den Einsatz weniger feindlicher Truppen geschlossen werden, womit die Gefahr einer Hungersnot in Italien bestehe. Aus diesem Grund komme der italienischen Landwirtschaft eine politische Bedeutung zu.186 Banerjee beschrieb im Anschluss im Detail die administrative Organisation (die permanente Weizenkommission und die Provinzkomitees), die staatliche Regulierung der Preise und Zollabgaben, technische Verbesserungen, wie die Einführung von neuen Maschinen, Saatgut und Dünger, die Durchführung von Wettbewerben sowie die Ausstellungen und die Propagandatätigkeiten, die über die Neuerungen in puncto Landwirtschaft und Weizenanbau informierten. 187 Während Banerjee das Thema in dem ausführlichen Artikel nicht auf die Situation in Indien ausweitete, finden sich im indischen Diskurs durchaus Beiträge, die einen direkteren Bezug herstellen. Indiens Wirtschaftsstruktur und Probleme wurden von verschiedenen zeitgenössischen Autoren als landwirtschaftlich geprägt beschrieben.188 Anilbaran Ray, der die Bemühungen Italiens im Zuge der Weizenkampagne darstellte, hob die Wichtigkeit von Düngemitteln zur Erhöhung des landwirtschaftlichen Ertrags hervor. Unter Hinweis auf die italienischen Gesetze zu deren sachgerechten Lagerung beklagte er den verschwenderischen Umgang in Indien mit den naturgegebenen Ressourcen: In villages, cowdung, is heaped up by the roadside and is allowed to dry up in the sun and be washed away by rain, thus leaving very little of its manorial value but spoiling the health of the village. 189
Ray hoffte, dass man die Bauern, ähnlich wie in Italien, dazu bringen könnte, die Verschwendung einzustellen, um auf diesen Weg ihre Erträge zu verbessern. Erwähnungswert im Zusammenhang mit der indischen Wahrnehmung der Battaglia del Grano ist, dass keiner der Beiträge auf die hohen sozialen Kosten der Autarkiepolitik des faschistischen Regimes zu sprechen kam. Während Weizenimporte durch die Bemühungen des Regimes substituiert wurden, konnten die erzielten agrarischen Produktionssteigerungen nicht die Verminderung von Nahrungsmitteleinfuhren kompensieren. Hinzukamen zwei weitere, sich auf die Ernährungslage der Bevölkerung negativ auswirkende Aspekte. Einerseits setzte das Regime im Zeitverlauf immer stärker Agrarprodukte zur Herstellung industrieller Ersatzstoffe ein, andererseits exportierte es einen 186
Vgl. ebd. Vgl. ebd. 188 Vgl. Sundara, Planning, S. 1 ff. und 20 ff.; Visvesvaraya, Economy, S. 21 ff.; Narain (1934), India, S. 270 ff. 189 Vgl. Ray, Anilbaran: ‚Modern agriculture (17. 01. 1935)‘, in: BC, S. 6 und 8. 187
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großen Teil an Nahrungsgütern zur Beschaffung von Devisen für die Rohstoffund Industrieimporte. Die Folgen dieser Politik für die italienische Bevölkerung bestanden in einem partiellen Konsumverzicht bei praktisch allen Nahrungsmitteln und damit in einer Verschlechterung der Ernährungslage.190 Die Frage nach der Organisation der Landwirtschaft zum Zwecke der Selbstversorgung mit Nahrungsgütern kam im indischen Diskurs in Bezug auf die Agrarpolitik der Nationalsozialisten nur am Rande auf.191 Vereinzelt wiesen Beiträge kritisch darauf hin, dass die Maßnahmen zur Selbstversorgung und zur Regulierung des Lebensmittelkonsums in Deutschland vorrangig dem Ziel des Ausbaus der Rüstungsindustrie unterworfen seien.192 Das Thema der Lebensmittelversorgung in Deutschland wurde ebenfalls zeichnerisch thematisiert. Die Karikatur erschien 1939 im Bombay Chronicle und zeigt einen korpulenten Hermann Göring, seines Zeichens Leiter des Vierjahresplans (1936),193 der zwei bis auf die Knochen abgemagerten Deutschen mit böser Miene erklärt, dass Völlerei Hochverrat sei. 194 Der Zeichner deutete mit seiner Darstel190
Vgl. Nützenadel, Agrarpolitik, S. 301 ff. Vgl. Qureshi, State, S. 116 f.; Sarkar, Benoy Kumar: ‚Food planning in Germany‘, in: CR, 62 (1) 1937 Ser. 3, S. 353 ff.; Sarkar, CR, 66 (2) 1938, S. 214 f.; Observateur (10. 09. 1937), BC, S. 6. Siehe dazu auch: Barkai, Wirtschaftssystems, S. 141. 192 Observateur (10. 09. 1937), BC, S. 6. 193 Zu den Inhalten und Zielsetzungen des Vierjahresplans siehe: Barkai, Wirtschaftssystem, S. 211 ff.; Herbst, Deutschland, S. 161 ff. Der 1936 eingeführte Vierjahresplan zielte auf die wirtschaftliche Autarkie des ‚Dritten Reiches‘, insbesondere im Rohstoffbereich und sollte die Armee in vier Jahren einsatzfähig und die Wirtschaft entsprechend kriegsbereit machen. Hermann Göring wurde zum Generalbevollmächtigen des Vierjahresplans ernannt. Wichtig scheint der Hinweis, dass trotz aller Machtfülle der Apparat des Bevollmächtigten nie die Aufgabe einer umfassenden Planungs- und Kontrollinstanz für die gesamte deutsche Wirtschaft erfüllt hat (vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 211 f.). 194 Vgl. SAD: ‚Over-eating is high treason … (24. 07. 1939)‘, in: BC, S. 1. 191
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lung auf die Auswirkungen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik hin, deren Folge unter anderem eine im indischen Diskurs des Öfteren beschriebene Lebensmittelknappheit war.195 Diese Wahrnehmung der deutschen Ernährungslage entsprach dabei nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, sondern zeichnete ein überspitztes Bild. So kam es vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges durchaus zu Rationierungen, z. B. bei Butter und tierischen Fetten; allerdings standen bis 1939 die Entscheidungen über den Konsum von Nahrungsmitteln den Endverbrauchern weitgehend frei. 196 Gleichzeitig übte die Karikatur Kritik an der diktatorischen Natur des Regimes, in welchem alles, selbst die Nahrungsmittelaufnahme, einer staatlichen Kontrolle und strengen Regeln unterworfen schien. 197 Neben kritischen gab es ebenfalls vereinzelt Stimmen in der indischen Debatte, die zwar auf die vermuteten Schwierigkeiten in der deutschen Ernährungslage hinwiesen, aber voller Lob über die Anstrengungen des nationalsozialistischen Regimes berichteten, diese zu beheben.198 Neben der Getreideschlacht und der Frage nach der Selbstversorgung mit Lebensmitteln richtete sich die Aufmerksamkeit in indischen Debatten vor allem auf den Ausbau der ländlichen Infrastruktur. Jegliche Art von Infrastrukturmaßnahmen des faschistischen Italien und des nationalsozialistischen Deutschland wurden von indischer Seite wahrgenommen und diskutiert. Partiell für nachahmenswert befunden wurden unter anderem der Bau von Autobahnen in Deutschland, von Wasserkraftwerken und Transportsystemen unter anderem in Sizilien, Bolzano und in der Provinz Trentino, von Krankenhäusern, Schulen, Sportstadien, Kirchen und Kinos sowie der Ausbau des Eisenbahnnetzes und der Schifffahrtlinien in Italien.199 Oftmals benannten die Beiträge auch die positiven Auswirkungen der Maßnahmen auf Wirtschaft und 195 Vgl. Sarkar, CR, 62 (1) 1937 Ser. 3, S. 353 ff.; From our own correspondent: ‚Our Berlin Letter (06. 02. 1936)‘, in: ABP, S. 15; From our own correspondent: ‚Our European Letter (15. 01. 1936)‘, in: BC, S. 6; From our own correspondent: ‚Our European Letter (05. 12. 1935)‘, in: ABP, S. 8. 196 Vgl. Diehl, Marktwirtschaft, S. 96 f. 197 Während die Nahrungsmittelaufnahme nicht der direkten Kontrolle des Regimes unterworfen war, stellt Diehl für die Erzeugung von Nahrungsmittel fest, dass die Nationalsozialisten in diesem Punkt nach 1933 umfassende Maßnahmen zur güterwirtschaftlichen Lenkung ergriffen hatten (vgl. ebd., S. 88 ff.) Siehe dazu auch: Barkai, Wirtschaftssysteme, S. 136 f. 198 Vgl. o. A.: ‚Is war imminent? (05. 07.1939)‘, in: HO, S. 12. 199 Vgl. Sarkar, The Insurance and Finance Review, 1933 S. 9; Das, CR, 28 (3) 1928 Ser. 3, S. 393 und 403; Ghosh (21. 12. 1935), Forward, S. 9; Gupta (13. 04. 1934), ABP, S. 8; Sarkar, Benoy Kumar: ‚The shipping policy of imperial Italy‘, in: CR, 67 (2) 1938 Ser. 3, S. 345 f. Bewunderung und Anerkennung fanden die deutschen Maßnahmen des „sozialen Dienstes“, wie der Ausbau der Infrastruktur, der RAD und das Winterhilfswerk, auch bei
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Gesellschaft beider Regime, wie die Reduzierung von Arbeitslosigkeit, die Verbesserung des Handels, die Elektrifizierung des Landes und die Anhebung des Lebensstandards. 200 Die Notwendigkeit des Ausbaus der indischen Infrastruktur war dabei in den Beiträgen unumstritten. 201 Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit faschistischen Infrastrukturmaßnahmen im ländlichen Bereich außerdem im indischen Diskurs hervorgehoben wurde, war die bonifica integrale (ganzheitliche Landgewinnung). 202 Das Programm war 1928 von den Faschisten mit vielfältigen Hoffnungen eingeführt worden. Auf diesem Weg sollte Neuland kultiviert, ein höherer Ertrag per Hektar erbracht, die Nahrungsmittelbasis im Sinne der Autarkie gestärkt sowie neues Siedlungsland gewonnen und die Arbeitslosigkeit bekämpft werden.203 Die bonifica zielte auf eine Verbesserung der Infrastruktur, vor allem in schwach entwickelten Gebieten, und umfasste Bewässerungsmaßnahmen, die Trockenlegung von Sumpfgebieten sowie die Erschließung brachliegender Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung. Die Regierung unterstützte die Initiierung entsprechender Infrastruktur- und Meliorationsprojekte, sie stellte technische Hilfe sowie einige Geldmittel bereit und garantierte ansonsten kostengünstige Bankkredite. 204 Die Landeigentümer sollten, der Gesetzgebung zur Landgewinnung zufolge, die Regierungsinitiativen mit privaten Investitionen ergänzen. Dabei behielt sich das Regime das Recht vor, Ländereien der Grundbesitzer zu konfiszieren, falls sie sich nicht kooperativ zeigen sollten. Die Umsetzung der Gesetzgebung brachte in der Praxis nur wenig Erfolg mit sich, da keine signifikante Ertragssteigerung pro Hektar und Arbeiter in Gebieten mit extensiver Landgewinnung sowie in Zonen mit geringen Ausgaben für dieses Vorhaben zu verzeichnen war. 205 britischen Staatsangehörigen, die Deutschland in der Zwischenkriegszeit bereisten (vgl. Schwarz, Reise, S. 217 ff.). 200 Vgl. Sarkar, The Insurance and Finance Review, 1933, S. 9 ff.; Das, CR, 28 (3) 1928 Ser. 3, S. 393; Roy, CR, 56 (1) 1935 Ser. 3, S. 27; Ghosh (21. 12. 1935), Forward, S. 9. 201 Vgl. o. A. (16. 10. 1937), BC, S. 20. 202 Eine detaillierte Diskussion der bonifica integrale, ihrer Finanzierung, Organisation und ihres Scheiterns bietet: Nützenadel, Landwirtschaft, S. 211–253. 203 Vgl. ebd., S. 211. 204 Vgl. ebd., S. 211; Cohen, Fascism, S. 73. 205 Vgl. Cohen, Fascism, S. 79. Nützenadel fasst ebenfalls zusammen, dass die bonifica integrale scheiterte. Als problematisch benennt er die Vielzahl der beantragten Infrastrukturprojekte, deren Durchführbarkeit und Nutzen oftmals zweifelhaft waren sowie die nicht ausreichenden finanziellen Mittel von Staatsseite. Auch die Kontrolle der im Zuge der Projekte entstandenen Konsortien der Landbesitzer brachte nicht wenige organisatorische Probleme mit sich. Schließlich gestaltete sich die mangelnde Finanzierungsbeteiligung vonseiten der Landeigentümer als schwierig (vgl. Nützenadel, Landwirtschaft, S. 239 ff.).
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6. Italien und Deutschland
Die Darstellung der bonifica integrale war in indischen Veröffentlichungen überwiegend positiv; die Autoren äußerten sich weder zu ihren Defiziten noch zu ihrem Misserfolg. 206 So priesen beispielsweise Pramatha Nath Roy und Monindra Mohan Moulik die Neuartigkeit des Programms. Beide gaben zu, dass Ideen zur Landgewinnung in Italien, aber auch in anderen Ländern eine lange Tradition hatten. Das Novum der bonifica integrale, in Roys Worten seine Einzigartigkeit in der Geschichte aller Nationen, 207 läge allerdings in ihrem ganzheitlichen Charakter begründet. 208 Im Vergleich zu früheren Konzeptionen, die einzig die Austrocknung und Auffüllung von Sumpfland beinhaltet hätten, seien die Pläne der faschistischen Regierung viel umfassender und würde auf die moralische Verbesserung der Nation zielen. 209 Konkret versuche man: […] to transform the entire land, marshy or not marshy, and open it up to cultivation; to equip the country with first class roads, water-ways and drains, to create rural boroughs, supply drinking water, produce electric energy for purposes of agriculture and reclamation and to stop the exodus to towns by making the amenities of city-life available in the country-side. 210
Die den Propagandadarstellungen des faschistischen Regimes folgenden Ausführungen von Moulik und Roy verglichen die Planungen und Ankündigungen im Rahmen der bonifica kaum mit dem tatsächlich Erreichten. Insbesondere Moulik, dessen Monografie zum faschistischen Italien erst 1940, also zehn Jahre nach dem Werk von Roy erschien, hätte auf die Probleme und Defizite der italienischen Infrastrukturpolitik hinweisen können. Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, dass Informationen über die Misserfolge der ‚integralen Landgewinnung‘ im Zuge ihrer propagandistischen Ausschlachtung unter Umständen kaum verfügbar waren. Moulik verwendete in seiner Darstellung zumindest ausschließlich offizielle italienische sowie faschismusnahe Quellen. 211 Die Bewunderung, die Roy und Moulik für den Einsatz des faschistischen Staates in Fragen der Landrückgewinnung zeigten, ist aufgrund ihrer grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber dem Regime nicht überraschend. Anders stellt sich der Fall bei K. T. Shah, Professor für Wirtschaft in Bombay, Sozialist und Sekretär des National Planning Committees, dar. Shah beschrieb
206 Vgl. Roy, Mussolini, S. 156 f.; Moulik, Economy, S. 76 ff.; Shah, K. T.: ‚Land reclamation & improvement in Italy (29. 09. 1937)‘, in: ABP, S. 6 und 8; o. A. (15. 07.1934), Forward, S. 10; Gupta (13. 04. 1934), ABP, S. 8; o. A.: ‚Italian methods of agriculture (22. 12. 1934)‘, in: BC, S. 11; o. A. (16. 10. 1937), BC, S. 20. 207 Vgl. Roy, Mussolini, S. 156. 208 Vgl. ebd.; Moulik, Economy, S. 81 f. 209 Vgl. Roy, Mussolini, S. 156. 210 Vgl. ebd., S. 156 f. 211 Vgl. Moulik, Economy, S. 76 ff.
Nationale Planung im faschistischen Sinne
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in einem Artikel in der Amrita Bazar Patrika die Rückgewinnung und Verbesserung von Land als eines der agrarischen Probleme Indiens, mit welchem sich die neu gewählten Kongress-Ministerien in den Provinzen beschäftigten müssten. Während er in seinem Beitrag nur kurz auf Experimente in anderen Staaten, wie Russland oder den USA, verwies, setzte er sich detailliert mit dem italienischen Beispiel als potenzielles Referenzmodell für Indien auseinander. 212 Mehrfach betonend, dass er kein Bewunderer des Faschismus und weiterhin kritisch gegenüber dem italienischen Regime sei, stellte Shah fest, dass verschiedene Probleme in Italien mit Schwierigkeiten in Indien korrespondieren würden. Aus diesem Grund müssten die italienischen Maßnahmen, zum Beispiel im Bereich Aufforstung, Trockenlegung von Sumpfland, Korrektur von Wasserläufen sowie Versorgung mit Grundwasser und Elektrizität, von indischer Seite berücksichtigt werden. Solange solche landwirtschaftlichen Probleme in Indien nicht behoben würden, könne das Land, das aufgrund der Vernachlässigung und Ausbeutung durch eine fremde imperialistische Macht einen immensen Rückstand aufholen müsse, keine wirkliche Unabhängigkeit erlangen. 213 Die wirtschaftliche Entwicklung Indiens wurde somit zur wichtigen Voraussetzung für die Unabhängigkeit Indiens. Shah, der mit seinen Ausführungen die britische Kolonialherrschaft und deren Folgen für das indische Volk kritisierte, stellte somit die faschistischen Infrastrukturpolitik und die Maßnahmen zur Landgewinnung als Alternative zur bisherigen, inakzeptablen britischen Vorgehensweise dar. Auch für Vertreter des INC schien das politische System Italiens zweitrangig, wenn es um die Übernahme bzw. um Hilfestellungen hinsichtlich infrastruktureller Methoden ging. Auf Anregung von B. S. Jilani 214 schrieb zum Beispiel der aus Bihar stammende INC-Politiker und spätere Präsident der Republik Indien Rajendra Prasad 215 im November 1937 an den italienischen Generalkonsul in Kalkutta und bat ihn um Informationen zum Umgang mit Überschwemmungen sowie zur Kontrolle von Flüssen. Unter Verweis auf die konstant auftretenden schweren Hochwasser in seiner Heimatprovinz Bihar erhoffte er sich
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Vgl. Shah, 29. 09. 1937, ABP, S. 6. Vgl. ebd., S. 6 und 8. 214 Vgl. Jilani, B. S.: ‚The social order (17. 11.1937)‘, in: Chowdhary, Prasad, S. 121. Jilani trat an Prasad heran und berichtete von einer Besprechung, die er mit dem italienischen Generalkonsul über die Hochwasser in Bihar gehabt habe. Dabei erwähnte er die Leistungen italienischer Ingenieure unter der faschistischen Regierung hinsichtlich Landrückgewinnung und Korrekturen von Flussverläufen und übermittelte den Vorschlag des Generalskonsuls italienische Experten in Bihar einzusetzen, wobei Letzterer der Provinzregierung auch preislich entgegenkommen wolle. 215 Zu Rajendra Prasad siehe den biografischen Anhang. 213
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6. Italien und Deutschland
Vorschläge für englischsprachige Literatur zu diesem Thema, ebenso wie Hinweise, auf welchem Weg man die Wasserkraft produktiv einsetzen könne. 216 Ein letztes Thema, das mehrfach in indischen Debatten diskutiert wurde, war die Sozialpolitik bzw. der Wohlfahrtsstaat in Italien und Deutschland. Indische Autoren schrieben über die Maßnahmen der beiden Regime, die ihres Erachtens auf eine soziale und ökonomische Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung abzielten. Thematisiert wurden unter anderem die Einführung von Lohnfortzahlungen an Feiertagen, die Errichtung von Wohnstätten für Arbeiter durch das Hitlerregime sowie Maßnahmen zum Mutter- und Kindschutz im faschistischen Italien. 217 In Hinblick auf Deutschland veröffentlichte Benoy Kumar Sarkar verschiedene Beiträge in der Calcutta Review und im Forward 218 über das Winterhilfswerk. 219 In diesen lobte er es als eine herausragende Wohltätigkeitsorganisation und lieferte detaillierte Statistiken zu dessen Arbeit, zu den Spendern, der Art der Spenden und ihrer Verteilung. Das von der Hitlerregierung initiierte Winterhilfswerk stellte, Sarkar zufolge, ein studierenswertes Vorbild für indische Institutionen, wie die Ramakrishna-Mission, dar. In seinen Ausführungen schien es Sarkar wichtig, auf indische Formen von Wohltätigkeit zu verweisen. So nannte er unter anderem die bengalische Tradition des mushti-bhiksha (der Gabe von Almosen in der Form von kleinen Lebensmittelspenden) und setzte diese mit der Einsammlung und Verteilung von Lebensmittelspenden durch das Winterhilfswerk gleich. 220 Eine faschistische Institution, die ebenfalls verschiedentlich in der indischen Debatte thematisiert wurde, war die Opera Nazionale Dopolavoro (O.N.D.), 221 216 Vgl. Prasad, Rajendra: ‚Letter to the General Consul in Calcutta (20. 11. 1937)‘, in: Chowdhary, Prasad, S. 122 f. 217 Vgl. From our correspondent: ‚Berlin Letter (09. 01.1938)‘, in: ABP, S. 20; Sarkar, Benoy Kumar: ‚Workingmen’s dwellings in Germany‘, in: CR, 64 (3) 1937 Ser. 3, S. 358; Roy, Mussolini, S. 171 ff. 218 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚Winter relief‘ in Germany (10. 02. 1935)‘, in: Forward, S. 4; ‚German winter relief as a form of social service‘, in: CR, 59 (2) 1936 Ser. 3, S. 206– 215; ‚Winter relief in Germany‘, in: CR, 68 (1) 1938 Ser. 3, S. 88–90. 219 Für eine ausführliche Darstellung der Arbeit und Organisation des Winterhilfswerks vgl. Vorländer, NS-Volkswohlfahrt, S. 365–369 und 371–374. Zur Vorgeschichte und zum Wirken des Winterhilfswerk bis 1936 siehe: Tennstedt, Wohltat, S. 157–180. Das Winterhilfswerk des deutschen Volkes war 1933 von Hitler initiiert und unter der Leitung des Propagandaministers Joseph Goebbels als umfassende Nothilfeaktion durchgeführt wurden. In den folgenden Jahren wurde die Aktion zu einer bleibenden Einrichtung im ‚Dritten Reich‘ und avancierte zum Inbegriff für die nationalsozialistische Wohlfahrtsarbeit, die allerdings ebenfalls durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt umgesetzt wurde (vgl. Vorländer, NS-Volkswohlfahrt, S. 342). 220 Vgl. Sarkar, CR, 59 (2) 1936 Ser. 3, S. 206–215. 221 Zur O.N.D. vgl. Liebscher, Freude.
Nationale Planung im faschistischen Sinne
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welche die Freizeitaktivitäten der Italiener, den Dopolavoro (wörtlich: Feierabend), regelte. 222 Die Gründe für ihre Entstehung lagen, Monindra Mohan Moulik zufolge, in den verkürzten Arbeitszeiten in der Industrie und in der Frage nach gesunden Ablenkungen für die Arbeiter in der beschäftigungsfreien Zeit. Während es in allen industriell fortschrittlichen Ländern zu erfolgreichen Experimenten gekommen sei, habe, so schrieb Moulik, nirgendwo der Staat so ausführlich und engagiert Anteil genommen an der Organisation der Freizeitgestaltung, wie in Italien und Deutschland. Die 1925 gegründete O.N.D. verfolge das Ideal sozialer Gerechtigkeit und nationaler Vitalität und umfasse nicht nur Arbeiter und Bauern, sondern auch Angehörige der Mittelklasse und Künstler. 223 Die Institution habe dabei, Moulik zufolge: […] offered a great impetus to the revival of artistic, sportive and intellectual life of those classes of people for whom such pursuits would have otherwise remain a luxury. The Institution itself also sets on foot new movements in the fields of sports, travel, culture, social welfare, and the arts […]. 224
Obgleich der Beitrag kurz die verschiedenen Tätigkeitsfelder der O.N.D. benannte, konzentrierte sich Moulik im Anschluss vor allem auf eine ausführliche Darstellung der Wiederbelebung von Volksmusik, Volkstanz und Volksbräuchen in Italien. Trotz der Kürze bot seine Beschreibung ein durchweg positives Bild der faschistischen Sozialpolitik, das wichtige Charakteristika, wie ihre totalitären Disziplinierungseffekte oder das Bemühen des Regimes, durch Massenorganisationen wie die O.N.D. Unterstützung für seine faschistischen Praktiken zu sammeln, ausließ. Aus diesem Grund muss Mouliks Beitrag wegen seines Lebenslaufes, aber auch vor dem Hintergrund der Bemühungen der faschistischen Regierung, international das Bild eines Wirtschafts- und Sozialstaates zu vermitteln, als ein weiteres Propagandabeispiel verstanden werden. 225 Dabei wurden für Moulik, aber auch für Benoy Kumar Sarkar226 solche Personen zu befürwortenden Rezipienten und Übermittlern faschistischer Sozialpolitik, die entsprechende Maßnahmen des faschistischen Systems vor Ort, in Italien, kennengelernt hatten. 227 Die Einführung und Umsetzung sozialpoli222 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚The dopolavoro and the folk-movement in Italy‘, in: CR, 67 (2) 1938 Ser. 3, S. 237 ff.; Moulik, Monindra Mohan: ‚Social service in Fascist Italy‘, in: MR, 57 (6) 1935, S. 723; Moulik, Monindra Mohan: ‚Folk revival in Italy‘, in: MR, 64 (3) 1938, S. 356–363. Zur O.N.D. vgl. De Grazia, Culture. 223 Vgl. Moulik, MR, 64 (3) 1938, S. 357 f. 224 Ebd., S. 358. 225 Vgl. Liebscher, Freizeit, S. 72. 226 B. K. Sarkar besuchte am 06. 06. 1929 eine Dopolavoro-Einrichtung in Rom, am 05. 09. 1931 eine entsprechende Organisation in Urbe und am 21. 09. 1931 das Hauptquartier der Institution (vgl. Sarkar, Journal of the B.N.C.C., Juli und Dez 1931, S. 2, 6, 8 und 9). 227 Daniela Liebscher konstatiert diesen Vorgang in einem viel umfassenderen Umfang
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6. Italien und Deutschland
tischer Maßnahmen durch das italienische, aber auch durch das deutsche Regime war keineswegs eine Innovation, sondern hatte durchaus Vorbilder in den USA, die aber bei Moulik und Sarkar unerwähnt blieben. 228 Interessanterweise stellte sich die Frage nach der Freizeitgestaltung von Arbeitern nicht nur im indischen Kontext, sondern kam in vielen, im Gegensatz zu Indien industriell fortgeschrittenen Ländern auf. Deutschland und Italien bildeten dabei seit Mitte der 1930er Jahre nachahmenswerte Vorbilder für die Gründung nationaler Freizeitorganisationen in Bulgarien, Rumänien, Spanien, Portugal und Griechenland, und auch Staaten wie Albanien, die Ukraine, die Türkei, Ungarn, Polen, Finnland und Japan zeigten zumindest Interesse für solche Modelle. 229 Während die indischen Autoren keinerlei Aussagen zu einer Aneignung der faschistischen Maßnahmen machten, belegen die ausgewerteten Quellen dennoch das Interesse von indischer Seite an diesem Thema und stellen die Anfänge indischer Debatten über Sozialpolitik dar.
6.2 Die deutsch-indischen Handelsbeziehungen Obgleich die indische Wahrnehmung der deutschen und italienischen Handelspolitik nur teilweise mit der Perzeption von Faschismus und Nationalsozialismus in Zusammenhang stand, soll sie hier nicht unerwähnt bleiben. Neben dem Autarkiegedanken beider Regime als wichtiger Bestandteil der faschistischen und nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik und ihre auf ihn ausgerichteten handelspolitischen Aktivitäten wurden ebenfalls die realwirtschaftlichen Handelsbeziehungen, vor allem zwischen Deutschland und Indien diskutiert. Wie zuvor dargelegt, wurden die deutschen und die italienischen Autarkiemaßnahmen im landwirtschaftlichen Bereich von indischer Seite recht unterschiedlich wahrgenommen. Während die Maßnahmen Roms Bewunderung erfuhren, wurden die Folgen der Bemühungen des Hitlerregimes in diesem Bereich oftmals kritisch hinterfragt. Nichtsdestoweniger gab es mit Benoy Kumar Sarkar auch eine prominente indische Stimme, welche die Autarkieabsichten Deutschlands, vor allem dessen Anstrengungen in der Handelspolitik, po-
für die Rezeption des faschistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems durch Deutsche, die dem ‚Polittourismus‘ folgten und nach Italien reisten. Sie schlussfolgert, dass Personen, die vor 1933 in Deutschland zu diesem Thema publizierten, das System zuvor vor Ort studiert hatten (vgl. Liebscher, Freizeit, S. 72). 228 Vgl. Liebscher, Freizeit, S. 74 f. 229 Vgl. ebd., S. 86 ff., insbesondere FN 89; De Grazia, Culture, S. 239. Auch in Großbritannien und in der International Labour Organisation wurde das Thema der Freizeitgestaltung der arbeitenden Bevölkerung in den 1930er Jahren immer wichtiger und die italienischen Maßnahmen wurden in diesem Zusammenhang diskutiert und teilweise auch für nachahmenswert empfunden (vgl. De Grazia, Culture, S. 240).
Die deutsch-indischen Handelsbeziehungen
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sitiv bewertete. 230 Sarkar, der einen längeren Artikel in der Calcutta Review verfasste, stellte in seinem Beitrag die einzelnen Komponenten des Vierjahresplans (1936) vor, die auf eine wirtschaftliche Unabhängigkeit des nationalsozialistischen Deutschland zielten. Dabei zeigte er bei aller Bewunderung für das deutsche Vorgehen auch die potenziellen Gefahren für den indischen Export in Form eines Rückganges der Einfuhren nach Deutschland, vor allem im Bereich des Jutehandels, auf. 231 Trotz der skizzierten Risiken bewertete Sarkar die deutsche Vorgehensweise als Chance für den Weltmarkt und Indien. Dabei kam er zu dem Urteil, dass die nationalsozialistische Regierung keinesfalls auf die Schaffung eines geschlossenen Handelsstaates im Sinne Johann Gottlieb Fichtes ziele, sondern die Reichweite ihrer Maßnahmen durchaus mit der britischen und französischen Politik der imperial preferences oder den Zollmaßnahmen der USA vergleichbar sei. Deutschland brauche zur Umsetzung seiner anvisierten Wirtschaftspolitik ausländische Ingenieure, technische Experten und Handelshäuser. Darin liege eine weitere Chance für Indien, weshalb er dem Foreign Affairs Department des INC ebenso wie dem Indian Trade Commissioner der indischen Regierung riet, entsprechende Erkundigungen einzuziehen. 232 Zu einem ähnlichen Urteil bezüglich der Anregung des Marktes durch autarkiepolitische Maßnahmen kam Sarkar im Falle des faschistischen Italien. Anerkennend stellte er fest, dass es der Regierung Mussolinis trotz der Sanktionen im Rahmen des Abessinienkrieges gelungen sei, durch die Ausrichtung auf Selbstversorgung die italienische Wirtschaft zu konsolidieren. 233 Diese Einschätzung wurde ebenfalls von anderen indischen Autoren geteilt. 234 Sarkars positive Bewertung der faschistischen und nationalsozialistischen Autarkiebemühungen scheint dabei durch seine eigenen Erfahrungen im Rahmen der indischen Swadeshi-Bewegung beeinflusst worden zu sein. Auch zeigen seine Ausführungen, dass er in der Tradition jener indischen Intellektuellen stand, die sich ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit den Ideen staatlich-gelenkter wirtschaftlicher Entwicklung, mit dem Konzept der ‚Nationalökonomie‘ im Sinne Friedrich Lists auseinandergesetzt hatten. 230
Vgl. Sarkar, CR, 66 (2) 1938 Ser. 3, S. 207 ff.; Sarkar, CR, 68 (3) 1938 Ser. 3, S. 345 ff. Vgl. Sarkar, CR, 66 (2) 1938 Ser. 3, S. 213 f. 232 Vgl. ebd., S. 218 f. 233 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚Economic autarchy in Italy‘, in: CR, 68 (1) 1938 Ser. 3, S. 90–93. Über die auf Autarkie abzielende faschistische Wirtschaftspolitik äußerte sich Sarkar ebenfalls positiv in: ‚Economic Italy during the first years of the fascist regime‘, in: CR, 67 (1) 1938 Ser. 3, S. 97–103; ‚Trade balance and public finance: the experience of fascist Italy‘, in: CR, 55 (3) 1935 Ser. 3, S. 276. 234 Vgl. Roy (15. 01.1936), ABP, S. 8; o. A.: ‚Social reform in modern Italy (04. 11. 1937)‘, in: ABP, S. 2; From our special correspondent: ‚Rome Letter (13. 06. 1937)‘, in: ABP, S. 20. 231
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6. Italien und Deutschland
Sarkars Ansicht nach entsprachen die zeitgenössischen Wirtschaftspolitiken Italiens, Deutschlands, der Sowjetunion, aber auch der USA und Großbritanniens, die auf Planung und Selbstversorgung zielten, der älteren indischen Swadeshi-Konzeption, welche die Förderung eigener Industrien und den Kauf einheimischer Produkte verfolge. Beide Bewegungen hätten dieselben Motive und Antriebe, auch wenn es im Detail und vor allem hinsichtlich des Industrialisierungsgrades der jeweiligen Länder natürlich Abweichungen gebe. 235 Sarkars Gleichsetzung der indischen Swadeshi-Konzeption mit den Autarkiebemühungen Deutschlands und Italiens simplifizierte nicht nur die Hintergründe der Entstehung der jeweiligen Bewegungen, sondern wurde auch keineswegs den umfangreichen Inhalten Ersterer gerecht, wie Sarkar aus eigenen Erfahrungen, vor allem im Bereich einer nationalen Bildungsarbeit, wusste. 236 Während Swadeshi neben wirtschaftlichen Aspekten auch Themen wie nationale Bildung, Kultur und Politik einschloss, 237 zielten die italienische und deutsche Politik vor allem auf ökonomische Selbstversorgung. Darüber hinaus war die Swadeshi-Bewegung als Ausdruck des nationalen Unabhängigkeitskampfes auf die Vertreibung der britischen Kolonialherren, auf die Gewinnung von swaraj, gerichtet. 238 Diese Interessenlage teilten die Regierungen Hitlers und Mussolinis natürlich nicht. Sarkars Auffassung, dass in allen drei Fällen dieselben Motive wirken würden, scheint von seinen Vorstellungen eines wirtschaftlichen Nationalismus im Sinne Lists beeinflusst gewesen zu sein. Als Reaktion auf die nationalsozialistischen Planungen zur Selbstversorgung des Landes diskutierten indische Beiträge ebenfalls die deutsch-indischen Handelsbeziehungen. Die deutsche Außenhandelspolitik war seit Hitlers ‚Machtübernahme‘ vor allem durch den Vorrang der Aufrüstung determiniert. Importe benötigte das Land einerseits für die einheimischen Industrien, andererseits im Nahrungsmittelbereich. Durch den Rückgang der Exportbereitschaft aufgrund von Absatzschwierigkeiten auf dem Weltmarkt und der Vergrößerung der Absatzmöglichkeiten im Inland kam es 1934 zu einer schweren Außenhandelskrise. Diese war nicht nur durch eine passive Handelsbilanz Deutschlands gekennzeichnet, sondern führte auch zu einer drastischen Reduzierung der De-
235 Vgl. Sarkar, CR, 68 (3) 1938 Ser. 3, S. 345 ff. Mit diesem Hinweis unterschlug Sarkar einen äußerst wichtigen Unterschied zwischen dem indischen Fall sowie dem faschistischen und nationalsozialistischen Beispiel. Während die Initiatoren und Träger der Swadeshi-Bewegung unter der indischen Bevölkerung zu finden waren, lag die Initiative und Durchführung im Falle Italiens und Deutschlands bei den Regierungen Mussolinis und Hitlers. 236 Vgl. Flora, Essay, S. 29 ff. 237 Vgl. Sarkar, Swadeshi, S. 494 ff. 238 Vgl. ebd., S. 494.
Die deutsch-indischen Handelsbeziehungen
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visenreserven der Reichsbank. 239 Als Reaktion auf diese Krise ernannte Hitler den bisherigen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht im Juli 1934 zum neuen Reichswirtschaftsminister. Dieser übernahm mithilfe des sogenannten ‚Neuen Plans‘ eine totale Bewirtschaftung des Außenhandels, die unter anderem auf Regulierungen der warenmäßigen Zusammensetzung der Importe und der jeweiligen Mengen der Importgüter sowie auf bilaterale Verrechnungsabkommen zurückgriff. 240 Der ‚Neue Plan‘ wurde auch in indischen Debatten thematisiert und hierbei seine Auswirkungen auf die Wirtschaft des südasiatischen Subkontinents angesprochen. Benoy Kumar Sarkar beispielsweise stellte die Notwendigkeiten des deutschen Vorgehens in zwei Beiträgen heraus. 241 Als Grund für die wirtschaftlichen Außenhandelsprobleme benannte er nicht Hitlers Aufrüstungspolitik, sondern die aus dem Versailler Vertrag entstandenen Verbindlichkeiten, deren Begleichung Deutschland mit aller Ernsthaftigkeit verfolge. 242 Sarkar wies auf die Folgen der nationalsozialistischen Maßnahmen für indische Exporteure hin, deren Rechnungen aufgrund des Devisenmangels nicht beglichen würden. Zur Lösung dieses Problems empfahl er entsprechende Gespräche und den Abschluss eines bilateralen Verrechnungsabkommens zwischen Indien und Deutschland. Abschließend kam Sarkar unter Berufung auf die im Handelsjahr 1933/34 ähnlich gebliebenen Export- und Importzahlen zwischen beiden Ländern zu dem Urteil, dass die bilateralen, wirtschaftlichen Beziehungen stabil und normal seien. 243 Während Sarkars Darstellung der wirtschaftlichen Situation Deutschlands und der Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes grundsätzlich positiv ausfiel, gab es in den Debatten auch Meinungsäußerungen, die auf die negativen Folgen der neuen Politik sowohl für die deutsche Bevölkerung als auch für Indien verwiesen. 244 Im September 1934 erschien z. B. ein Leitartikel im Bombay Chronicle, der negative Auswirkungen auf die deutsche Industrie und den 239
Vgl. Herbst, Deutschland, S. 119 f. Vgl. ebd., S. 120 ff. Herbst führt aus, dass die Zielsetzung einer schnellen und umfassenden Aufrüstung, wirtschaftliche Alternativen wie die Rückkehr zu einer freien Außenhandelspraxis oder die Eingrenzung der Binnenkonjunktur verhinderte. 241 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚Indo-German trade relations (16. 01.1935)‘, in: Forward, S. 4 und 11; Sarkar, Benoy Kumar: ‚The new plan in German foreign trade (1934–1937)‘, in: CR, 66 (1) 1938 Ser. 3, S. 112 f. 242 Vgl. Sarkar (16. 01. 1935), Forward, S. 4. 243 Vgl. ebd., S. 4 und 11. So stieg, Sarkars Ausführungen zufolge, das indische Exportvolumen nach Deutschland von 86 Mio. Rupien (1932–33) auf 95 Mio. Rupien (1933–34), wobei der deutsche Anteil am indischen Export mit 6,5 % unverändert geblieben sei. Die indischen Importe aus Deutschland hätten 7,8 % für das Jahr 1932–33 betragen und seien mit 7,7 % im Jahr 1933–34 beinahe gleich geblieben (vgl. ebd., S. 11). 244 Vgl. Waheed, Zahid: ‚Economic consequences of Hitler (11. 12.1938)‘, in: CS, S. 4. 240
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6. Italien und Deutschland
einheimischen Arbeitsmarkt durch die Beschränkung der Rohstoffimporte durch die Hitlerregierung voraussagte. Auch verwies der Beitrag auf die indische Händler betreffende Entscheidung der deutschen Regierung, bestehende Verbindlichkeiten aus Importen nicht zu bezahlen. Obgleich der Verfasser keineswegs über die deutsche Vorgehensweise erfreut war, bestand für ihn das grundliegende Problem in dieser Angelegenheit in der Abhängigkeit Indiens von Großbritannien. Die Kolonialherren würden Verträge mit anderen Staaten zur Absicherung ihrer eigenen Händler abschließen und diese Abkommen würden auch für Indien gelten, wenn dieselben Interessen berührt würden. Wenn hingegen unabhängige indische Interessen betroffen seien, gebe es momentan keinen Schutz. 245 Ähnlich negativ in Bezug auf die innerdeutschen Auswirkungen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik und hinsichtlich des deutsch-indischen Handels äußerte sich im Dezember 1935 ein weiterer Leitartikel des Bombay Chronicle. Dieser beschrieb die 1934 eingeführte Mengenkontingentierung als mühevolles Hindernis für den Handel mit Deutschland und setzte hinzu, dass die nicht beglichenen Verbindlichkeiten der ausländischen Handelsfirmen weiter anwachsen würden. Im konkreten Falle Indiens habe der ‚Neue Plan‘ zu einer Umkehr in der Handelsbilanz geführt, die in den letzten Jahren aktiv zugunsten des Subkontinents ausgefallen sei. Gegen die nationalsozialistische Politik, bemerkte der Beitrag, könne Indien rein gar nichts unternehmen. 246 Die Einführung des Vierjahresplans (1936) in Deutschland, der aufgrund erneuter inländischer Wirtschaftsschwierigkeiten ins Leben gerufen wurde und die Selbstversorgung des Landes, insbesondere im Rohstoffbereich, absichern sollte, 247 wurde wie oben ausgeführt ebenfalls in indischen Debatten thematisiert. 248 Dabei zeigt die Analyse der Medien, dass die Meinungen im Gegensatz zu 1934/35 sich zunächst kaum mit den Auswirkungen des Plans auf die deutsch-indischen Handelsbeziehungen beschäftigten. 249 Erst die Urlaubsreise von Hjalmar Schacht nach Indien im Frühjahr 1939 brachte das Thema wieder verstärkt in die Pressedebatten zurück. Schacht, der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Ämter des Reichswirtschaftsministers sowie des Reichsbankpräsidenten bekleidete, 250 reiste nach Bombay, Delhi, Kalkutta und Madras und 245
Vgl. Leitartikel (28. 09. 1934), BC, S. 6. Vgl. Leitartikel (21. 12.1935), BC, S. 6. 247 Vgl. Herbst, Deutschland, S. 161 ff. 248 Auch von deutscher Seite wurden die deutsch-indischen Handelsbeziehungen thematisiert und für die zweite Hälfte der 1930er Jahre deren Stagnation festgestellt (vgl. Hauner, India, S. 65 f.). 249 Vgl. Sarkar, Benoy Kumar: ‚The commercial policy of Germany‘, in: CR, 67 (3) 1938 Ser. 3, S. 350 f.; From our correspondent: ‚Berlin Letter (10. 04. 1938)‘, in: ABP, S. 20. 250 Für eine Biografie Hjalmar Schachts siehe: Kopper, Schacht. 246
Die deutsch-indischen Handelsbeziehungen
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besuchte hier nicht nur Sehenswürdigkeiten, sondern traf sich auch mit indischen Geschäftsleuten und Politikern. 251 Da er noch immer das Amt eines Ministers ohne Portfolio in der Regierung Hitlers bekleidete, wurde er vonseiten Delhis wie ein offizieller Staatsgast behandelt und traf mit verschiedenen Provinzgouverneuren und dem Vizekönig zusammen. 252 Der Widerspruch zwischen Schachts touristischen Intentionen und den vielen ‚Geschäftstreffen‘ ließ verschiedene Beiträge in indischen Zeitungen sarkastisch anmerken, wie außergewöhnlich für einen typischen ‚Kaltwettertouristen‘ die Reise durch Indien in den heißen Sommermonaten sei. Sie wiesen auf die in Wirklichkeit vorhandenen wirtschaftlichen und politischen Motive der Tour hin, 253 die aber durch die Forschung zu Schacht nicht bestätigt werden. 254 So wurden Vermutungen geäußert, dass Schacht Bartergeschäfte 255 mit indischen Handelspartnern abschließen wolle, wobei es um den Austausch von deutschen Maschinen und indischen Rohstoffen ginge. Diese vonseiten der Nationalsozialisten eingesetzte Maßnahme fand wenig Anklang in den indischen Debatten. 256 Ein Leserbrief im Bombay Chronicle von Dorab Banaji fasste die indischen Befürchtungen hinsichtlich Bartergeschäfte wie folgt zusammen: I suppose Dr. Schacht has a compiled list with him of the manufactured goods his country can give in return for Indian raw produce but will the Doctor know that Indian merchants demand payment in money for the goods they supply and not what Germany has manufactured in the form of payment overseas? What guarantee has an Indian mer251 Vgl. Leitartikel: ‚The coming of Dr. Schacht (19. 04. 1939)‘, in: National Herald, S. 6; o. A.: ‚Dr. Schacht (23. 05. 1939)‘, in: National Herald, S. 6. 252 Vgl. Hauner, India, S. 67 f. 253 Vgl. Leitartikel (19. 04. 1939), National Herald, S. 6; o. A.: ‚Truth behind Dr. Schacht’s tour in India (12. 04. 1939)‘, in: BC, S. 16; o. A. (25. 03. 1939), National Herald, S. 6; Leitartikel: ‚The coming of Dr. Schacht (19. 04. 1939)‘, in: HO, S. 6. 254 Vgl. Kopper, Schacht, S. 336 f.; Hauner, India, S. 67. Kopper, dessen Biografie ein differenziertes Bild von Schacht entwirft, benennt eine Reihe von Gründen, warum Schacht nach Indien reiste: so hätte er gehofft, der ungewohnten Leere eines Lebens ohne Arbeit entfliehen zu können (er war im Januar 1939 als Präsident der Reichsbank entlassen worden) und Abstand zu seinem vormaligen Amt zu gewinnen. Darüber hinaus sei es ein langgehegter Traum Schachts gewesen, nach Indien zu reisen. Kopper glaubt nicht, dass die Indienreise, wie in Schachts Memoiren dargestellt, dazu diente, seine Beteiligung an einer Verschwörung gegen Hitler zu vertuschen. Hauner schreibt, dass die Reise Schachts auf eine Verbesserung des deutschen Images in Indien abzielte, belegt diese Aussage aber nicht. 255 Bartergeschäfte sind reine Kompensationsgeschäfte, bei denen zwischen zwei Marktpartnern die Abwicklung von Warenlieferungen im gleichen Wert ohne Geldzahlungen erfolgt (vgl. Wirtschaftslexikon24.net, http://www.wirtschaftslexikon24.net/d/ bartergeschaeft/bartergeschaeft.htm, Zugriff 16. 11. 2010, 11:17 Uhr). 256 Vgl. o. A. (12. 04. 1939), BC, S. 16; Banaji, Dorab: ‚Reader’s letter: Dr. Schacht’s visit to India (14. 04. 1939)‘, in: BC, S. 12; Leitartikel (19. 04. 1939), National Herald, S. 6.
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6. Italien und Deutschland
chant in the matter of payment for the goods he supplies? When the leader of German nation can tear to pieces treaties and pacts at his will and pleasure, what chances have poor Indian merchants of their contracts being honoured by the Germans?257
Verschiedene Beiträge sprachen sich aus diesem Grund explizit gegen den Abschluss von Handelsvereinbarungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland aus 258, und auch zeichnerisch wurden die Probleme des deutsch-indischen Handels thematisiert. So erschien im Bombay Chronicle am 11. 04. 1939 eine Karikatur, 259 die den Besuch Schachts und dessen potenzielle Auswirkungen auf die indische Wirtschaft zum Inhalt hatte.
Zu sehen sind in der Zeichnung zwei indische Männer, von denen einer Geld vergraben möchte. Vom anderen Mann darauf angesprochen, warum er das so eilig tue, antwortet er, dass Doktor Schacht in Indien eingetroffen sei. Die Karikatur wies somit auf die Wahrnehmung bzw. den Glauben hin, dass man das indische Geld vor dem ehemaligen Reichsbankpräsidenten und dessen Geschäften schützen müsse. Als vertrauenswürdiger Handelspartner wurden er und damit das nationalsozialistische Deutschland vom Zeichner nicht angesehen. Mobilisierend gegen jeglichen Handel mit Deutschland wirkte unter anderem die Anti-Nazi-League in Bombay, die Poster mit folgender Aufschrift in Bombay aushängte: „Boycott German goods!!! Warning: You pay for Nazi pro257 258
Banaji (14. 04. 1939), BC, S. 12. Vgl. ebd.; o. A. (12. 04. 1939), BC, S. 16; Leitartikel (19. 04. 1939), National Herald,
S. 6. 259
SAD: ‚Karikatur (11. 04. 1939)‘, in: BC, S. 1.
Die deutsch-indischen Handelsbeziehungen
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paganda, if you purchase German goods.“ 260 Auch der Verfasser eines Leitartikels in der Zeitung The Hindu Outlook sprach sich zu diesem Zeitpunkt gegen jegliche Handelsbeziehungen mit Deutschland als eindeutige Absage an den Nationalsozialismus aus. Er nannte als wichtigen Grund, der gegen ein Abkommen mit Deutschland spreche, dass Indien durch einen solchen Abschluss der nationalsozialistischen Macht wirtschaftlich und militärisch helfe. Dies liege nicht im Interesse seines Heimatlandes, das die gewalttätige, anti-demokratische, imperialistische und rassistische Natur des deutschen Regimes ablehne. 261 Der in den Beiträgen und Zeichnungen zum Ausdruck gebrachten kritischen Haltung setzten vereinzelte Stimmen eine weniger Deutschland-kritische Argumentation entgegen. So sprach sich ein Artikel in der Zeitung The Mahratta dagegen aus, indischen Händlern von Geschäften mit Deutschland abzuraten unter dem Hinweis, dass die Berliner Regierung keinen Krieg mit Indien führe und im Gegensatz zu Ländern wie Südafrika, Großbritannien und den USA Inder mit Respekt behandele. Allerdings fügte der Verfasser hinzu, dass vor dem Hintergrund all der ‚Erzählungen‘ über deutsche Grausamkeiten und Aggressionen, so beispielsweise gegenüber der eigenen jüdischen Bevölkerung sowie gegenüber unabhängigen Staaten, Schachts Mission in Indien nur erfolgreich sein könne, wenn Deutschland zeige, dass es nicht gegen Demokratie und die inhärenten Menschenrechte sei. 262 Ein anderer Beitrag wies darauf hin, dass Indien sich in seiner gegenwärtigen Situation, als kolonial abhängiges Land, gar nicht leisten könne, sich andere Nationen zum Feind zu machen. 263 Der Verfasser fragte im Zusammenhang mit Vorschlägen, die Reise Schachts zu boykottieren, warum Inder dies tun sollten und schrieb: „If the Indians do not contemplate boycott of any illustrious Britisher for conquest of India that is already made why should we boycott Germans in advance for her imaginary future conquest?“ 264 Abschließend riet er seinen Landsleuten, Deutschland, das seine Abhängigkeit und die ihm angetane Ungerechtigkeit abgeschüttelt habe, zu ehren. Erst dann könne Indien selbst gegen Ungerechtigkeit und seine eigene Abhängigkeit kämpfen. Die Argumentation des Autors ignorierte vollständig die konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die zum Nachteil der indischen Händler waren, und richtete sich vornehmlich gegen die britischen Kolonialherren. Deutschland hingegen schien der Verfasser für seine Stärke, die es unter den Nationalsozialisten gezeigt habe, zu bewundern. 265 260 Vgl. o. A.: ‚Poster (03. 04. 1939)‘, in: Hindustan Times, S. 12. Zu den Aktivitäten der Anti-Nazi-League siehe auch: Hauner, India, S. 66 f. 261 Vgl. Leitartikel (19. 04. 1939), HO, S. 6. 262 Vgl. o. A.: ‚Dr. Schacht (02. 06. 1939)‘, in: The Mahratta, S. 6. 263 Vgl. Sen, A. C.: ‚A letter to Dr. Schacht (15. 04. 1939)‘, in: BC, S. 12. 264 Ebd. 265 Vgl. ebd.
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6. Italien und Deutschland
Die Verbindung der Indienreise von Hjalmar Schacht mit der eigenen kolonialen Situation macht deutlich, dass die Wahrnehmung des deutschen Besuches nicht nur mit wirtschaftlichen, sondern auch mit politischen Themen in Verbindung gebracht wurde. So enthielt die Debatte ebenfalls die Vermutung, dass Schacht die Stimmungslage in Indien für den Fall eines englisch-deutschen Krieges herausfinden und Sympathien für den Nationalsozialismus auf dem Subkontinent aufbauen wolle. 266 Die Verbindung zum politischen Bereich und damit ein weiterer Beleg dafür, dass die indische Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik nicht nur die Perzeption ökonomischer Maßnahmen beinhaltete, sondern ebenfalls eng mit politischen Abwägungen verbunden war, findet sich in den Schreiben von K. L. Ganguly, dem Vertreter des Verbandes der Indischen Industrie- und Handelskammern (Federation of Indian Chambers of Commerce and Industry) in Deutschland. Ganguly, der seit 1935 diesen Posten bekleidete und ein Büro in Berlin hatte, kam 1938 nach dem Abschluss eines Handelsabkommens mit der deutschen Regierung nach Indien, um den Vertragsabschluss zu erklären und die Maßnahmen von indischer Seite zu organisieren. 267 Darüber hinaus stand sein Besuch in Verbindung mit seinen Plänen zum weiteren Ausbau der indisch-deutschen Handelsbeziehungen bzw. des indischen Außenhandels im Allgemeinen. Durch die von deutscher Seite eingeführten Maßnahmen, wie Devisenbewirtschaftung, Steuerung der Importe und Handelsrestriktionen, war es den einheimischen Geschäftsleuten, Ganguly zufolge, möglich, endlich die Kontrolle des indischen Außenhandels zu übernehmen. Dies war seiner Ansicht nach in Hinblick auf die Exportrückgänge Indiens nach Hitler-Deutschland und auf fehlende Handels- und Zahlungsausgleichsabkommen dringend notwendig. Auffällig in seinen Ausführungen an den Verband der Indischen Industrie- und Handelskammern ist, dass sich Ganguly jeglicher kritischer Einschätzung der nationalsozialistischen Handelspolitik sowie der Maßnahmen des Hitlerregimes enthielt, obgleich er selbst wenige Jahre zuvor im Namen des Verbandes gegen Beschränkungen für Inder im Bildungs- und Wirtschaftsbereich bei der Reichswirtschaftskammer protestiert hatte. 268 Eine konkrete Verknüpfung dieses Falles mit dem politischen Bereich trat ein, als Ganguly sich nach seiner Ankunft in Indien zweimal an Jawaharlal Nehru in seiner Funktion als Vorsitzender des NPC wandte und dessen Unterstützung für sein Vorhaben suchte. 269 In seinem ersten Schreiben an Nehru 266
Vgl. o. A. (12. 04. 1939), BC, S. 16; o. A. (23. 05. 1939), National Herald, S. 6. Vgl. Ganguly, K. L.: ‚Letter to the Federation of Indian Chambers of Commerce and Industry (10.11. 1938)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File PL 14/1939. 268 Vgl. ebd.; Voigt, Hitler, S. 44. 269 Vgl. Ganguly, K. L.: ‚Letter to Jawaharlal Nehru (23. 12. 1938)‘, in: A.I.C.C. Papers, 267
Fazit
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betonte er die Notwendigkeit der indischen Kontrolle des Außenhandels, auch vor dem Hintergrund der auf eine Industrialisierung des Landes gerichteten Ziele des NPC, und erklärte das Vorhaben zu einem nationalen Projekt. 270 Da er keine umgehende Antwort von Nehru erhielt, wandte er sich einige Tage später erneut an ihn und thematisierte dieses Mal auch die nationalsozialistische Regierung in Deutschland. Ganguly verneinte in eindeutigen Worten jedwede Sympathie für den Nationalsozialismus, setzte aber hinzu: But judging from practical business point of view that country appears to me to be the most favourable starting point. Germany wants our produces very badly and Germany wants to sell her industrial plants to our country also very badly. Therefore any organised attempt on our part on a national scale to have a direct economic relation with the economic life of that country is sure to be met with a favourable response from that country. But from the political standpoint if that is more harmful than the benefit that might be thus derived, this attempt has to be given up. 271
Ganguly kannte Nehru seit 1928 und hatte ihn im Sommer 1938 erneut in München getroffen. Unter dem Hinweis, dass er seinem Heimatland nur dienen wolle, die Aufgabe des Projektes allerdings ein nationales Opfer im wirtschaftlichen Bereich darstelle, legte er die Entscheidung über seinen Vorschlag in die Hände des INC-Politikers. Ganguly kann als ein weiteres Beispiel für die Ambivalenz indischer Akteure im Umgang mit Faschismus und Nationalsozialismus gesehen werden. Obgleich er seinen eigenen Aussagen zufolge den Nationalsozialismus in Gänze ablehnte, zeigte er hinsichtlich der deutschen Wirtschaftspolitik, insbesondere mit Blick auf positive Auswirkungen auf sein Heimatland, die entschlossene Bereitschaft mit dem Hitlerregime zusammenzuarbeiten.
6.3 Fazit Die Idee wirtschaftlicher Planung wurde in den 1930er Jahren weltweit diskutiert und in verschiedenen Varianten implementiert. Auch indische Intellektuelle und Politiker zeigten sich an Planung interessiert und setzten sich damit auseinander, wie Wirtschaft und Staat im zukünftigen (postkolonialen) Indien
NMML, File PL 14/1939; Ganguly, K. L.: ‚Letter to Jawaharlal Nehru (29. 12. 1938)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File PL 14/1939. 270 Vgl. Ganguly (23. 12. 1938), A.I.C.C. Papers, NMML, File PL 14/1939. Obwohl nach Ansicht Gangulys der indische Außenhandel dem Interesse der Massen dienen sollte und die Stärke der gesamten Nation bräuchte, wies er darauf hin, dass die anfängliche Arbeit nur vom Verband der Indischen Industrie- und Handelskammern übernommen werde könne, da dies momentan die einzig zentrale Organisation mit entsprechenden Mitteln sei. 271 Vgl. Ganguly (29. 12. 1938), A.I.C.C. Papers, NMML, File PL 14/1939.
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6. Italien und Deutschland
aussehen könnten, was zu einer Reihe konkurrierender Ideen in den indischen Debatten führte. Zwei Staaten, deren wirtschaftpolitische Maßnahmen neben denen der Sowjetunion in Indien großes Interesse erregten, waren das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland. Die ökonomischen Planungsinitiativen beider Länder stellten für viele indische Autoren, zu denen neben bengalischen Intellektuellen auch verschiedene Politiker des INC gehörten, Referenzmodelle dar. An der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik interessierten sie vor allem die Initiativen des Hitlerregimes zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit, seine Maßnahmen zur Erlangung von Autarkie, seine Handelspolitik, aber auch dessen soziale Dienstleistungen wie bspw. das Winterhilfswerk. Während die deutschen Bemühungen um Autarkie von vielen indischen Autoren dabei unter Verweis auf die hohen sozialen Kosten für die eigene Bevölkerung, aber auch vor dem Hintergrund ihrer Auswirkungen auf den indischen Handel kritisch hinterfragt wurden, erschien die Arbeitsbeschaffungspolitik der Nationalsozialisten und insbesondere der Arbeitsdienst nachahmenswerte Modelle. Letzerer galt dabei nicht nur als ein wichtiges wirtschaftliches Instrument; seine Bedeutung für die indischen Autoren lag vielmehr in der wahrgenommenen Zielsetzung des Arbeitsdienstes, die Jugend zu formen, zu disziplinieren und sie zum Träger einer starken Nation zu machen. Im Fall des faschistischen Italien interessierten sich indische Autoren für dessen Infrastrukturmaßnahmen und Landwirtschaftspolitik, die sie als nachahmenswerte Vorbilder diskutierten. Eine breite Auseinandersetzung gab es außerdem mit dem Konzept des korporativen Staates, der in verschiedenen indischen Beiträgen als Referenzmodell für ein (postkoloniales) nation building beschrieben wurde. Dabei übertrugen indische Autoren die durch den korporativen Staat propagierte Zielsetzung der Harmonisierung der Klassengegensätze auf die indische Gesellschaft und hofften durch eine Aneignung des korporativen Modells die kommunalistischen Konflikte überwinden zu können. Zusammenfassend kann angemerkt werden, dass indische Debatten über wirtschaftliches Wachstum, Industrialisierung und Planung oftmals gleichzeitig über die Nation und Nationalismus sprachen, was vor dem Hintergrund des andauernden Unabhängigkeitskampfes gegen die koloniale Herrschaft erklärbar scheint.
7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik Die Öffentlichkeit auf dem südasiatischen Subkontinent zeigte in den 1930er Jahren ein großes Interesse an den politischen Entwicklungen in Europa, insbesondere an jenen, die vom faschistischen Italien und vom nationalsozialistischen Deutschland ausgingen. Schon im vorangegangenen Jahrzehnt waren in der englischsprachigen indischen Presse vielfältige Beiträge zu außenpolitischen Themen erschienen. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der 1920 erfolgten Gründung des Völkerbundes und auf dessen Arbeit.1 Auch unter indischen Politikern und Intellektuellen wuchs nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und der kommunistischen Revolution in Russland in den 1920er Jahren ein verstärktes Interesse an den Vorgängen in der Welt. Die Diskussionen über Themen der Weltpolitik und Forderungen nach einer selbstbestimmten, von Großbritannien unabhängigen Außenpolitik mehrten sich. 2 1935 führten die ‚Heimkehr‘ des Saargebietes ins Deutsche Reich, der Ausbruch des Abessinienkrieges und die deutsche Besetzung des Rheinlandes zu einer explosionsartigen Zunahme der Beschäftigung mit außenpolitischen Themen, sowohl in der Presse als auch im INC, der CSP und der HMS. Die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges anhaltenden Annexionen und Konflikte wie beispielsweise der Spanische Bürgerkrieg, der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg oder der ‚Anschluss‘ Österreichs und des Sudetengebietes an Deutschland wurden mannigfaltig thematisiert und umfassend diskutiert. Die Auseinandersetzung mit den Vorgängen in Europa, Afrika und Asien blieb aber nicht bei theoretischen Diskussionen stehen. Sie mündete nach kurzer Zeit in konkrete Reaktionen und spielte eine wichtige Rolle bei der Ausformulierung eigenständiger außenpolitischer Positionen in Indien. In den folgenden zwei Unterkapiteln werden zum einen die indischen Wahrnehmungen und Reaktionen auf den Abessinienkrieg, zum anderen die der Sudetenkrise untersucht. Während die erstgenannte Fallstudie einen Konflikt in den Mittelpunkt stellt, der von der politischen Intention einer imperialisti1
Vgl. Framke, India’s; Verma, India, S. 270–302. Vgl. unter anderem Nehru, Jawaharlal: ‚Statement on the Independence Revolution (27. 01. 1928)‘, in: SWJN, Bd. 3, S. 20–23; Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚Notes‘, in: YI, 3 (42) 1921, S. 332 f.; Chandra, India’s, S. 398 ff.; Zachariah, Nehru, S. 56; Prasad, Origins, S. 61 ff.; Weidemann, Haltung, S. 80 ff. 2
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
schen Expansion durchdrungen war, handelt es sich beim zweiten gewählten Beispiel um eine Annexion vor dem Hintergrund eines „nationalen Projektes“. Obgleich es nicht wenige wissenschaftliche Arbeiten zum Abessinienkrieg gibt, ist die Forschungsliteratur bis zum Jahr 2005 kaum über Zusammenfassungen der wichtigsten Kriegsoperationen und der diplomatischen Entwicklungen hinausgegangen. Insbesondere Analysen zu den Verknüpfungen des Krieges und der Politik sowie seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft würden, Nicola Labanca zufolge, bisher noch fehlen. 3 In den letzten Jahren seit dem Verdikt Labancas sind eine Reihe neuer Publikationen in italienischer sowie in deutscher Sprache erschienen, die bisher unberücksichtigte Aspekte untersuchen, so unter anderem die Frage nach der Totalität der faschistischen Eroberung sowie den Einsatz von Gewalt. 4 Auch die Frage nach der Perzeption der faschistischen Expansion wurde bisher kaum bearbeitet. Eine Ausnahme in Bezug auf die Wahrnehmung des Abessinienkrieges in außereuropäischen Gebieten, unter anderem in Indien, stellt die Arbeit von Giuliano Procacci dar. 5 Procacci stützt sich in seiner Studie in Bezug auf Indien ausschließlich auf publiziertes Material der Mitglieder der Unabhängigkeitsbewegung sowie auf Quellen aus italienischen Archiven, wobei er ebenfalls dort vorhandene indische Zeitungsausschnitte verwendet. Eine umfassende Auseinandersetzung mit den Perzeptionen in der englischsprachigen Presse auf dem Subkontinent hinsichtlich des Krieges bleibt hingegen aus. 6
7.1 Anti-Koloniale Solidarität? Der Abessinienkrieg 7.1.1 Italiens Außenpolitik bis 1936 Wie in den vorangegangen Kapiteln beschrieben, brachte die faschistische Herrschaft grundlegende Veränderungen der innenpolitischen Verhältnisse Italiens in den 1920er und 1930er Jahren mit sich. Die faschistische Außenpolitik unterlag in ihren Zielsetzungen zunächst jedoch keinem großen Wandel, da
3 Vgl. Labanca, Erinnerungskultur, S. 53 f. Auch Aram Mattioli thematisiert die Grenzen der bisherigen Forschungen, die sich seiner Ansicht nach vor allem mit den Auswirkungen auf die europäische Sicherheitspolitik beschäftigten und die Folgen für die Äthiopier ignorierten. Giulia Brogini Künzi benennt als Forschungsschwerpunkte der traditionellen Historiographie neben dem Verlauf der Kriegshandlungen und der Diplomatiegeschichte, die Frage nach den Kriegsmotiven (vgl. Mattioli, Experimentierfeld, S. 20; Brogini Künzi, Italien, S. 31 ff.). 4 Vgl. Dominioni, Sfascio; Asserate/Mattioli, Vernichtungskrieg; Brogini Künzi, Italien; Mattioli, Experimentierfeld; Steinacher, Duce. 5 Vgl. Procacci, Parte. 6 Vgl. ebd., S. 44 ff.
Anti-Koloniale Solidarität? Der Abessinienkrieg
239
die Forderungen des vorfaschistischen Imperialismus zum Programm erhoben wurden.7 Mussolini verfolgte anfänglich eine zweigleisige Außenpolitik. Einerseits formulierte er die nationalistischen und expansionistischen Forderungen der Vorkriegsjahre, wie die Hegemonie Italiens im Mittelmeerraum und Balkangebiet, erneut als außenpolitische Zielsetzungen und stellte damit die nach dem Ersten Weltkrieg ausgehandelten Friedensverträge infrage. Andererseits unterhielt er, da Italien zu diesem Zeitpunkt zu schwach für eine revisionistische Politik war, gute Beziehungen zu Großbritannien, das auf dem bestehenden Status quo in Europa bestand. 8 Diese zweigleisige Außenpolitik, die insgesamt gesehen als weniger expansiv und eher zurückhaltend bezeichnet werden muss, behielt die Regierung Mussolinis bis in die 1930er Jahre bei. 9 Diese Zurückhaltung änderte sich mit dem italienischen Überfall auf Abessinien, dem heutigen Äthiopien. Schon vor den Faschisten hatten italienische Regierungskreise von der Besetzung Abessiniens geträumt, ein entsprechender Versuch war 1896 bei Adua kläglich gescheitert. 10 Nach dem Regierungsantritt der Faschisten rückte die alte, von den Nationalisten nie wirklich aufgegebene Forderung nach der Eroberung Abessiniens erneut ins Blickfeld. So zeigte Mussolini seit Mitte der 1920er Jahre Interesse an einer Eroberung des afrikanischen Landes. Die Ideen konkretisierten sich 1932, als das Kolonialministerium unter Emilio de Bono auf Anfrage Mussolinis einen Plan für einen Offensivangriff gegen Abessinien entwarf. Das Vorhaben wurde aber zurückgestellt bis 1934/35, bis zur Verbesserung der Beziehungen zu Großbritannien
7 Vgl. Lill, Italien, S. 376 f.; Brogini Künzi, Italien, S. 133 f. Obgleich Giulia Brogini Künzi Kontinuitäten zwischen der faschistischen und der liberalen, nationalistischen Kolonialpolitik benennt, zum Beispiel hinsichtlich des Rassismus oder personeller Beständigkeit bei den Kolonialoffizieren, weist sie darauf hin, dass ab der Mitte der 1920er Jahre ein neuer Typ von Expansionismus entstand. Dieser war u. a. geprägt von einer forcierten Propaganda, der Kontrolle der Medien sowie von einer veränderten Kriegsführung in den Kolonien, die immer weniger vor der Zivilbevölkerung haltmachte. 8 Vgl. Mantelli, Geschichte, S. 79; De Grand, Mussolini’s, S. 130. 9 Vgl. Lill, Italien, S. 398 f.; Pollard, Experience, S. 91. Die italienische Regierung versuchte verschiedentlich Einfluss auf andere Staaten auszuüben und ihren formellen sowie informellen territorialen Machtbereich zu vergrößern. Sie besetzte zum Beispiel 1923 nach einem Überfall auf eine italienische Grenzziehungskommission die griechische Insel Korfu, musste sich auf britischen und französischen Druck hin aber wieder zurückziehen. Trotz solcher außenpolitischer „Niederlagen“ blieb die italienische Regierung ihrem Kurs vorerst treu und konnte hinsichtlich ihres Hegemonialstrebens kleinere Erfolge verbuchen. So kam 1924 die Hafenstadt Fiume durch einen Vertrag mit Jugoslawien zu Italien, 1927 gelang es ein italienisches Halbprotektorat in Albanien zu errichten (vgl. Mantelli, Geschichte, S. 79–82). 10 Vgl. Sbacchi, Ethiopia, S. 4.
240
7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
und Frankreich, die nun im Grunde bereit waren, den imperialistischen Bestrebungen des faschistischen Italien nachzugeben.11 Im Dezember 1934 kam es an der Grenze zwischen der italienischen Kolonie Somalia und Abessinien zu einem Zwischenfall, in den Truppen beider Länder involviert waren. Mussolini nutzte diesen Vorfall zur Mobilisierung der Armee und Vorbereitung des Krieges, der am 03. Oktober 1935 mit dem Einmarsch italienischer Truppen in das Gebiet des afrikanischen Staates offiziell begann. Abessinien war zu diesem Zeitpunkt neben Liberia einer der beiden letzten noch unabhängigen Staaten Afrikas und wurde als feudale Monarchie seit 1930 von Kaiser Haile Sellassie I. regiert.12 Der Krieg endete zugunsten des faschistischen Regimes aufgrund der zahlenmäßigen und waffentechnischen Überlegenheit der italienischen Armee nach sieben Monaten mit dem Fall der Hauptstadt Addis Abeba.13 Im Mai 1936 wurde Abessinien zusammen mit den schon bestehenden italienischen Kolonien Eritrea und Italienisch-Somaliland zum sogenannten ‚Imperium Ostafrika‘ verbunden. Militärische Operationen von italienischer Seite zur endgültigen Befriedung Abessiniens hielten allerdings bis 1941, bis zur Befreiung des Landes durch die britische Armee, an.14 7.1.2 Die indische Wahrnehmung des Abessinienkrieges 7.1.2.1 Indische Diskussionen der italienischen Eroberungsmotive Der Beginn des italienisch-abessinischen Konflikts führte in der indischen englischsprachigen Presse zu einer neuen Intensität in der Auseinandersetzung mit dem italienischen Faschismus, sowohl quantitativ als auch hinsichtlich der spezifischen Arten der Rezeption. Schon in den Monaten vor Kriegsausbruch veröffentlichten Tageszeitungen und Zeitschriften informative Beiträge zu den bisherigen Beziehungen beider Länder sowie zur Stellung der verschiedenen Konfessionen und der indischen Bevölkerung in Abessinien.15 Darüber hinaus diskutierten die Journalisten, Herausgeber und Leser vorab Italiens explizit 11 Vgl. Mantelli, Geschichte, S. 105–107; Kallis, Ideology, S. 125. Zur Schlacht von Adua vgl. Pankhurst, Ethiopians, S. 188 ff. Zur Haltung der USA vgl. Beuttler, Italien, S. 80 ff. 12 Vgl. Mantelli, Geschichte, S. 107–109; Pankhurst, Ethiopians, S. 223 f. 13 Vgl. Labanca, Erinnerungskultur, S. 43 ff. Einen Überblick zum Abessinienkrieg gibt: Sbacchi, Ethiopia. Zur Periodisierung des Krieges vgl. Mattioli, Schlüsselereignis, S. 9; Thöndl, Abessinienkrieg, S. 408 f.; Dominioni, Sfascio. 14 Vgl. Brogini Künzi, Italien, S. 17 f. 15 Vgl. o. A.: ‚Adowa (15. 09.1935)‘, in: ABP, S. 17; Bose, Abinas Chandra: ‚Italo-Abyssinian conflict‘, in: MR, 58 (2) 1935, S. 325–330; Kamaladevi: ‚Italo-Abyssinian Tangle (10. 03. 1935)‘, in: CS, S. 7 f.; Leitartikel: ‚Italy and Musulmans (02. 07. 1935)‘, in: BC, S. 6; From our own correspondent: ‚Our London Letter (09. 09. 1935)‘, in: BC, S. 11; o. A.: ‚Indians in Abyssinia (14. 10. 1935)‘, in: BC, S. 10.
Anti-Koloniale Solidarität? Der Abessinienkrieg
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artikulierte und die von indischer Seite nur vermuteten Motive für die geplante Eroberung des afrikanischen Landes sowie deren Erfolgsaussichten. Einen wichtigen Topos hierbei bildete die Frage nach den vorgeblichen ‚Zivilisierungsbemühungen‘ Italiens,16 die einerseits mit rassistischen Äußerungen, andererseits mit dem Thema der Sklaverei in Abessinien verbunden waren. Giuliano Procacci benennt in diesem Zusammenhang einzig die in zwei indischen Tageszeitungen ausgetragene Kontroverse zwischen Charles F. Andrews und dem italienischen Generalkonsul Guido Sollazzo, aber das Thema wurde in der indischen Öffentlichkeit umfangreicher diskutiert.17 Andrews, ein englischer Geistlicher, Pädagoge und enger Vertrauter Mahatma Gandhis lebte seit 1904 in Indien und beteiligte sich intensiv am indischen Kampf für die Unabhängigkeit, den er für gerechtfertigt hielt. 18 Andrews reagierte am 05. 08. 1935 in einem Interview mit The Leader, einer Tageszeitung aus Allahabad, auf Aussagen Mussolinis, dass die ‚weißen Rassen‘ der Welt zivilisiert und die anderen Rassen, und damit auch die Inder, Barbaren seien, und wies diese zurück.19 Die Antwort des Generalkonsuls folgte wenige Tage später in der bengalischen Zeitung Forward. Sie stellte den Versuch dar, die Äußerungen Mussolinis abzumildern und die faschistischen Vorstellungen, die von einer rassischen Überlegenheit derjenigen Völker ausgingen, die andere Gemeinschaften unterwarfen, in einem positiven Licht zu präsentieren. Dabei glaubte Mussolini durchaus, dass rassisches Bewusstsein die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche imperialistische Politik sei. 20 Sollazzo erklärte weiterhin, dass der ‚Duce‘ keineswegs ‚Schwarze‘ aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminieren wolle. Er fordere nur, dass dem immer noch unzivilisierten Teil der ‚Schwarzen‘ das Recht verweigert werde, weiterhin in Barbarei zu leben und
16 Zum Thema Zivilisierungsmission vgl. Osterhammel, Europe. Osterhammel führt aus, dass eine der Vorbedingungen von Zivilisierungsbemühungen „basic trust in the malleability of the Other“ sei. Biologisch motivierter Rassismus entwerte ebenso wie Fantasien einer Herrenrasse jegliche Zivilisierungsmission (vgl. ebd., S. 33). Die vorgeblichen Zivilisierungsbemühungen in Abessinien wurden auch in italienischen Filmen propagandistisch thematisiert, die nicht nur auf die eigene Bevölkerung, sondern auch auf ein internationales Publikum zielten. Die Filme stellten das Vorgehen Italiens als legitim, modernisierend und vor allem als verschieden von den grausamen kolonialen Eroberungen Frankreichs und Großbritanniens dar (vgl. Amodeo, Empire’s, S. 166 ff. und 173). 17 Vgl. Procacci, Parte, S. 45 f.; Abbasi, Hasan Mohiuddin: ‚Italian imperialism and Abyssinia (21. 07. 1935)‘, in: Forward, S. 10; Simha, A. L.: ‚The problem of Abyssinia (28. 07. 1935)‘, in: ABP, S. 16; Leitartikel: ‚Abyssinia and India (13. 08. 1935)‘, in: BC, S. 6. 18 Vgl. Chaudhury, Andrews; Bose, Andrews. 19 Vgl. Chaturdevi, Benarsi Das: ‚War between Italy and Abyssinia (05. 08. 1935)‘, in: The Leader, S. 8. 20 Vgl. Bernardini, Origins, S. 442 f.
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
die Hilfe zivilisierter Nationen abzulehnen. 21 Um die aufgebrachte indische Öffentlichkeit, die Mussolinis Äußerungen als arrogant und herausfordernd empfand, 22 zu beschwichtigen, fügte der Generalkonsul seiner Antwort eine längere Passage über die italienische Bewunderung für die asiatischen Zivilisationen bei und bekräftigte, dass die Inder keine ‚Schwarzen‘ seien. Unter Hinweis auf die Rede Mussolinis während des Ersten Orientalischen Studentenkongresses in Rom im Dezember 1933 legte Sollazzo dar, dass Italien sich nicht nur als Herold, Verteidiger und Fürsprecher der Zusammenarbeit des Westens und des Ostens verstehe, sondern auch traditionsgemäß sein Imperium niemals auf einer Diskriminierung der Hautfarbe aufbauen könne. 23 Die konzilianten Äußerungen des italienischen Generalkonsuls entsprachen jedoch nur bedingt den tatsächlichen Leitlinien der faschistischen Kolonialpolitik. Schon vor Ausbruch des Abessinienkrieges hatten eine Reihe von administrativen Regelungen und Theorien, die sich mit Themen wie ‚Rassenmischung‘ und Bürgerrechten in den italienischen Kolonien beschäftigten, rassistische Tendenzen gezeigt. 24 De Donno sagt in diesem Zusammenhang, dass der koloniale Diskurs in Italien dennoch bis 1936 durch die Idee einer mediterranen Einheit geprägt war. Diese Idee habe eine Rhetorik der Inklusion geschaffen und die gemeinsame Herkunft von Italienern und Ostafrikanern konstatiert. Die faschistische Rassenideologie sei zu diesem Zeitpunkt nicht rassistisch gewesen, sondern war, De Donno zufolge, auf Assimilation angelegt. Gleichzeitig aber hätte es Rassismus in Ostafrika in Verbindung mit den Erfordernissen der kolonialen italienischen Administration gegeben. Nach dem Ende des Abessinienkrieges und der Errichtung des ‚Imperium Ostafrika‘ habe die faschistische Regierung in ihren kolonialen Besitzungen ein Apartheid-Regime eingeführt. 25 Während De Donno den Bruch im kolonialen Diskurs Italiens betont, schreibt Giulia Brogini Künzi, dass das italienische Bild der Afrikaner vor 1935 vom Glauben an deren „rassische Unterlegenheit“ geprägt war. Insbesondere in der Wissenschaft und in Fachzeitschriften über die Kolonien, aber auch in kultur-, partei- und militärspezifischen Periodika sei auf rassistische Argumentationen zurückgegriffen und der Topos vom rassisch minderwertigen Afrikaner bedient worden. So konnte Brogini Künzi in ihrer Analyse der zeitgenössischen Printmedien beispielsweise aufzeigen, dass das 21 Vgl. Sollazzo, Guido: ‚No antagonism to Asiatic Nations (17. 08. 1935)‘, in: Forward, S. 4 und 9. 22 Vgl. Leitartikel (13. 08. 1935), BC, S. 6; Saklatvala, Shapurji: ‚Abyssinia’s call to India (12. 08. 1935)‘, in: BC, S. 8. 23 Sollazzo, (17. 08. 1935), Forward, S. 4 und 9. 24 Vgl. Robertson, Race, S. 48; Barrera, Partilinearity, S. 97 f. 25 Vgl. Zur Entwicklung rassistischer Ideologien im kolonialen und faschistischen Italien siehe: De Donno, Razza, S. 399 ff.
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Bild vom „primitiven Schwarzen“, dessen Fortschritt, Wohlstand und Sicherheit einzig durch die Techniken und das Know-how der weißen Kolonialherren gesichert werden könne, schon in den 1920er Jahren weit verbreitet war. 26 Die öffentlichen Äußerungen des Generalkonsuls bewegten Andrews zu einer erneuten Stellungnahme, die aber dieses Mal als private Korrespondenz direkt an Sollazzo ging. In dem Brief vom 20. 08. 1935 drückte Andrews seine Bewunderung für Italien als Heimatland von Mazzini und Garibaldi aus, wies aber scharf von Sollazzo zitierten Aussagen Mussolinis zurück, dass die Abessinier „black, backward and savage“ seien. Es bereite ihm Qualen zu sehen, dass Italien die Fehler seines eigenen Heimatlandes, das rücksichtlose Verfolgen einer imperialen Politik, wiederhole. 27 Die im August mit der AndrewsSollazo-Kontroverse begonnene Debatte um die ‚Zivilisierungsbemühungen‘ Italiens war damit keineswegs beendet, sondern kam im Kriegsverlauf immer wieder auf. 28 Einwände von indischer Seite hatten dabei kaum direkte Auswirkungen auf die Politik des faschistischen Regimes, sie zogen jedoch italienische Propagandamaßnahmen nach sich. So veröffentlichte die Italian Community of India eine Reihe von Pamphleten, die den italienischen Angriff auf Abessinien zu rechtfertigen versuchten, über die ökonomischen Auswirkungen des Konfliktes berichteten und allgemein für das faschistische System in Italien warben. 29 Hinter der Italian Community of India verbarg sich nach Ansicht des Political and Judicial Department des britischen India Office, das die Propagandaaktivitäten des faschistischen Regimes genau überwachte, der italienische Generalkonsul Guido Solazzo in Indien. 30 26
Vgl. Brogini Künzi, Italien, S. 134 ff. Vgl. Andrews, C. F.: ‚Brief an den General-Konsul (20. 08.1935)‘, in: Affari politici, 1931–1945, ASMAE, Busta 4, India. 28 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Reply to Italian Consul-General (08. 05. 1936)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 567 f.; o. A.: ‚No truck with Imperialism (09. 05. 1936)‘, in: BC, S. 3; Nanavaty, Shankerprasad: ‚The Italian-Consul General’s challenge (09. 05.1936)‘, in: BC, S. 10. 29 Vgl. zur Rechtfertigung der italienischen Aggression unter anderem: Sollazzo, Italy; Italian Community of India, Andrews; The Italian Community in India, Abyssinia; Italian Community in India, Italy; Italian Community in India, Evidence; Italian Community in India, Life’s; Zoli, Adowa; Italian Community in India, Slavery; zu den ökonomischen Auswirkungen des Konfliktes siehe: The Italian Community of India, Trade; The Italian Community in India, Business; Italian Community of India, Condition; zur Propaganda für das faschistische Regime: Roy, Years; C. R., Enemy. 30 Vgl. o. A.: ‚Note on the activities of foreign agents in India 1938‘, in: IOR, L/PJ/12/ 505, BL, File 1080/36. Williams, Mussolini’s, S. 114. Obwohl die Propaganda der Achsenmächte in Indien vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eher sporadischer Natur war, wurden auf dem Höhepunkt des Abessinienkrieges viele Pamphlete vom italienischen Ministerium für Presse und Propaganda an die Botschaften und Konsulate zur sofortigen Verteilung geschickt. Einige dieser Pamphlete waren so aufrührerisch, dass 27
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Im Zusammenhang mit den rassistischen Äußerungen und als Hauptbeweggrund für die Notwendigkeit einer Zivilisierungsmission führte Italien die in Abessinien immer noch existierende Sklaverei an. Das afrikanische Land war 1923, trotz Kontroversen über das Problem der Leibeigenschaft, in den Völkerbund aufgenommen worden. Dabei war sein Eintritt, nach anfänglicher Ablehnung von italienischer Seite, letztendlich von Mussolinis Regierung unterstützt worden.31 Die Sklaverei und der Sklavenhandel wurden nur ein Jahr später von der abessinischen Regierung gegen den Widerstand der eigenen Bevölkerung aufgehoben. Etwa zwei Millionen illegale Sklaven gab es allerdings in den 1920er und 1930er Jahren weiterhin. 32 Das faschistische Regime führte im Vorfeld des Abessinienkrieges in den Medien einen Propagandafeldzug, der die Abschaffung der Sklaverei sowie Freiheit und Zivilisation für alle zukünftigen abessinischen Untertanen versprach. Auch in Genf argumentierten die Vertreter der italienischen Regierung mit Abolitionismus und zivilisatorischem Fortschritt. 33 Die Diskussion um Sklaverei in Abessinien wurde ebenfalls von der indischen englischsprachigen Presse aufgegriffen. So erschien am 22. 07. 1935 im Bombay Chronicle ein Bericht über die Situation von Muslimen in Abessinien, die, dem Autor zufolge, besonders schwer unter der Sklaverei leiden würden. Von den insgesamt zwei Millionen Sklaven, die es in dem afrikanischen Land gebe, gehöre die Mehrheit dem muslimischen Glauben an. 34 Der Artikel erwähnte ebenfalls die freundschaftliche Haltung, die Mussolini gegenüber Muslimen einnehme, und schloss mit der Zuversicht: […] in the event of Italy establishing a virtual control over the whole Abyssinian territory […] that Italy would proceed immediately with a strong and thorough stroke, to wipe out and eradicate entirely the centuries-old plague of slavery, restoring millions of Mohamedans to their natural and historical rights and complete freedom and equality. 35
die britische Regierung von Rom die augenblickliche Ablösung von Sollazzo forderte (vgl. Williams, Mussolini’s, S. 114). 31 Vgl. zur Aufnahme Abessiniens in den Völkerbund, den Kontroversen um die Sklaverei und den politischen Strategien der europäischen Mächte: Iadarola, Ethiopia’s, S. 601–622. 32 Vgl. Brogini Künzi, Italien, S. 165. Nach Schätzungen lebten 1914 zwölf Millionen Menschen in Abessinien, wovon ein Drittel bis ein Viertel, also drei bis vier Millionen, Sklaven waren. 33 Vgl. ebd., S. 165 f. 34 Vgl. From a correspondent: ‚Muslims in Abyssinia (22. 07. 1935)‘, in: BC, S. 10. Der Autor zitierte in seinem Artikel Berichte, wonach sich die muslimische Bevölkerung in Abessinien insgesamt auf fünf bis sechs Millionen Muslime belief. Auch diejenigen Muslime, die nicht in Sklaverei lebten, würden von der Regierung äußerst schlecht behandelt. 35 Ebd.
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Die hier von indischer Seite wahrgenommene Sympathie Roms gegenüber Muslimen war Bestandteil der italienischen Außenpolitik, die damit gleichzeitig einen antibritischen Kurs verfolgte. Mussolinis Propagandabemühungen im Mittleren Osten nahmen ab 1934 mit der Durchführung von Vorlesungsreisen, der finanziellen Unterstützung arabisch-nationalistischer Organisationen, aber auch durch Rundfunkübertragungen konkrete Formen an und forderten die britischen Interessen in der Region heraus. So sendete beispielsweise Radio Bari ab 1934 mit dem Ziel, den italienischen Einfluss im Mittleren Osten zu erhöhen und das Interesse des faschistischen Landes an der Region klarzustellen. 36 Der Programm-Mix von Radio Bari aus ‚östlicher‘ Musik und Nachrichten in Arabisch fand viele Zuhörer, ein Aspekt, der insbesondere nach dem Ausbruch des Abessinienkrieges an strategischer Bedeutung gewann. War bisher die Rundfunkpropaganda gegenüber Großbritannien neutral gewesen, nahmen nun anti-britische Töne, gekoppelt mit Parolen für die arabische Unabhängigkeit, stark zu. 37 Darüber hinaus stellte sich die italienische Regierung in ihrer Funktion als Freund der Araber, nun auch als deren Beschützer in Abessinien gegenüber den einheimischen Christen dar. 38 In Abessinien verfolgte die faschistische Regierung nach der Deklaration des ‚Imperiums Ostafrika‘ eine Politik, welche die muslimischen Bewohner des Landes nicht nur förderte, sondern teilweise gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen bevorzugte. 39 Die wohlwollende Behandlung der abessinischen Muslime durch die italienische Regierung wurde international wahrgenommen und hinterließ in den Staaten des ‚Mittleren Ostens‘ und in islamischen Ländern einen positiven Eindruck. Damit verbesserten sich die Erfolgsaussichten des italienischen Anspruchs, als Beschützer der arabischsprachigen Nationen zu fungieren. 40 Die italienische Propagandakampagne, die Mussolini als Schutzherr des Islams und damit auch der Rechte der Muslime zeigte, scheint in Südasien ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben, wie der Artikel im Bombay Chronicle zeigt. Die in dem Beitrag geäußerte Zuversicht über die Abschaffung der Sklaverei in Abessinien durch das Mussolini-Regime erwies sich in der Tat als begründet. Allerdings darf diese Maßnahme nicht als tatsächliches Motiv Italiens für die Eroberung Abessiniens verstanden werden. Es handelte sich dabei vielmehr, so 36 Vgl. MacDonald, Radio, S. 195. Zur Propaganda Italiens im Nahen Osten in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre sowie zu Mussolinis Rolle als „Beschützer des Islams“ vgl. auch: Williams, Mussolini; Wright, Mussolini, S. 121–130. 37 Vgl. MacDonald, Radio, S 196. 38 Vgl. ebd., S. 197. 39 Vgl. Sbacchi, Ethiopia, S. 161 ff. 40 Vgl. ebd., S. 164. Allerdings gab es auch in muslimischen Ländern kritische und teilweise ablehnende Reaktionen auf die italienischen Expansionsbemühungen, erkennbar im Abessinienkrieg (vgl. Gershoni/Nordbruch, Sympathie S. 187 ff., 195 ff. und 217 ff.).
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schlussfolgert zumindest Brogini Künzi, um ein politisches Kampfinstrument, mit dem Italien auch in Hinblick auf die eigenen Menschenrechtsverletzungen international seinen Ruf retten wollte. 41 Eine Verurteilung des imperialistischen Verhaltens Italiens erfolgte in dem Beitrag vom 22. 07. 1935 nicht; wohl aber in der Antwort der Herausgeber auf den Artikel, die am gleichen Tag veröffentlicht wurde. Der Leitartikel des Bombay Chronicle räumte ein, dass es Sklaverei in Abessinien gebe, fragte aber gleichzeitig, inwieweit diese Tatsache das Recht und die Ethik der italienischen Ansprüche stärke. Der Verfasser des Beitrages war der Ansicht, dass sich Sklaverei hinsichtlich ihrer Konsequenzen nicht auf einen bestimmten Typ begrenzen lasse, weshalb auch der Imperialismus zu den Sklaventreibern zu rechnen sei. Er glaubte nicht, dass Italien beabsichtigte, die muslimischen Sklaven zu befreien, sondern vermutete, dass das faschistische Regime als Konsequenz der imperialistischen Eroberung die restlichen Einwohner Abessiniens politisch versklaven werde. Die von italienischer Seite gelieferte Begründung für einen Expansionskrieg in Afrika wiesen die Herausgeber damit vehement zurück. 42 Nur vereinzelt führten Beiträge in der indischen englischsprachigen Presse als einen weiteren Beweggrund des faschistischen Expansionsstrebens die italienische Niederlage von Adua im Jahr 1896 an. 43 Das scheint vor allem daran zu liegen, dass die faschistische Regierung die revanchistische Begründung ‚einer Rache für Adua‘ in erster Linie als Instrument zur Mobilisierung der Heimatfront nutzte. 44 Weit verbreitet in der öffentlichen Diskussion war hingegen die Frage nach der wirtschaftlichen Notwendigkeit der geplanten Eroberung für den faschistischen Staat. Die ökonomische Situation in Italien gestaltete sich, den indischen Beiträgen zufolge, gegenwärtig oder in naher Zukunft schwierig, da dem faschistischen Regime beispielsweise Märkte für überschüssige Waren, billige Rohstoffe zur weiteren Industrialisierung des Landes, unterentwickelte Gebiete zur Investition von Mehr-Kapital sowie neues Siedlungsland für die eigene Bevölkerung fehlten. 45 Wenn Italien diese Probleme mithilfe einer kolonialen Expansion nicht bald löse, so mutmaßte ein Autor im Bombay Chronicle, werde das Regime im Innern mit einer Revolution kon-
41
Vgl. Brogini Künzi, Italien, S. 166 ff. Vgl. o. A.: ‚Italy and Musalmans (22. 07. 1935)‘, in: BC, S. 6. 43 Vgl. Abbas, K. A.: ‚Why Italy must fight Abyssinia (07. 05. 1935)‘, in: BC, S. 11. 44 Vgl. Brogini Künzi, Italien, S. 169 ff. Zur Mobilisierung der Heimatfront siehe: Terhoeven, Giornata, S. 73–89. 45 Vgl. From our own correspondent: ‚Italo-Abyssinian conflict (28. 08. 1935)‘, in: BC, S. 9; o. A.: ‚Abyssinia’s superhuman Task (02. 09. 1935)‘, in: BC, S. 1; From our own correspondent: ‚Our European Letter (12. 09. 1935)‘, in: ABP, S. 8; o. A.: ‚Italo-Abyssinian tangle (22. 09. 1935)‘, in: The Mahratta, S. 7. 42
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frontiert werden. 46 Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kam K. A. Abbas, der die innenpolitischen Verhältnisse hinsichtlich der Lebensmittelversorgung und der Beschäftigungszahlen als desperat beschrieb und auf die wachsende Unzufriedenheit in der italienischen Bevölkerung hinwies. Er resümierte sarkastisch: „Mussolini has failed to give bread to their [the Government of Italy, Anm. M. F.] subjects and as a substitute, he proposes to give them „glory“!“ 47 Die Annahme, dass das faschistische Regime die innenpolitische Unzufriedenheit durch außenpolitische Erfolge abzubauen gedachte, wurde auch in anderen Beiträgen diskutiert. 48 Das in den indischen Artikeln dargestellte klassische Kolonialverhältnis, in welchem die Peripherie der Metropole billige Rohstoffe für eine beschleunigte Industrialisierung liefert, war im Falle Abessiniens und Italiens allerdings nicht gegeben. Der mediterrane Staat entwickelte sich seit der zweiten Hälfte der 1930er Jahre von einem Agrar- zu einem Industrieland. Eine zeitnahe Ausbeutung des rohstoffreichen Abessiniens war aufgrund der mangelnden Infrastruktur, aber auch wegen des fortwährenden militärischen Widerstands nicht möglich. 49 Die indische Perzeption scheint in diesem Fall von den eigenen Erfahrungen geprägt gewesen zu sein. Diese kamen seit dem späten 19. Jahrhundert unter anderem in der nationalistischen Wirtschaftslehre der imperialistischen Ausbeutung Indiens basierend auf dem Konzept des drain of wealth zum Audruck. 50 In der indischen englischsprachigen Presse galten vor allem die italienische Zivilisierungsmission und die ihr zu Grunde liegende Rassenideologie sowie wirtschaftliche Motive als Beweggründe für die geplante Expansion des faschistischen Landes. Eine Wiedergutmachung der Schmach für die Niederlage bei Adua sowie Argumente, dass Italien doch nur der Politik der anderen Großmächte folge oder dass das Land sich gegen die Aufrüstung von abessinischer Seite schütze, wurden als mögliche Motive dagegen seltener thematisiert. 51 Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Forschungsstandes diskussionsbedürftig. Aristotle Kallis gibt eine kurze Zusammenfassung zur Frage der Einordnung des Krieges in der bisherigen Literatur. 52 Er verwirft 46
Vgl. o. A. (02. 09. 1935), BC, S. 1. Abbas, K. A. (07. 05. 1935), BC, S. 11. 48 Vgl. From our own correspondent (28. 08. 1935), BC, S. 9; o. A. (02. 09.1935), BC, S. 1; Zur Frage der wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeit sowie zu den ökonomischen Ergebnissen der italienischen Eroberung in Abessinien vgl. Larebo, Empire, S. 83–94. 49 Vgl. Beuttler, Italien, S. 61 f. 50 Vgl. Markovits, Congress, S. 257. 51 Vgl. Ahmed, R.: ‚The White Man’s Burden (04. 09.1935)‘, in: ABP, S. 6; From our special correspondent: ‚Our Rome Letter (06. 04. 1935)‘, in: ABP, S. 8; Menon, T. K.: ‚Has Britain to butter her loaf in Abyssinia? (08. 09. 1935)‘, in: The Mahratta, S. 8. 52 Vgl. Kallis, Ideology, S. 124. 47
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dabei die von F. Catalano, G. Rochat und G. Baer aufgestellte sozial-imperialistische Argumentation, die Italiens Außenpolitik ausschließlich als Ablenkungsmanöver und als innenpolitische Methode begreift, die Legitimität und Popularität des faschistischen Regimes nach einer Periode der Stagnation wieder zu stärken.53 Kallis weist eher auf die langfristigen Auswirkungen der Kampagne für die gesamte Außenpolitik des faschistischen Regimes hin und beschreibt die Aggression als Höhepunkt der italienischen Kolonialpolitik 54 im Mittelmeerraum und Gebiet des Roten Meeres. 55 Brogini Künzi hingegen verbindet außen- und innenpolitische Motive und schlussfolgert in ihrer Studie, dass vorrangig militärische und politische Interessen, weniger wirtschaftliche oder finanzielle Argumente, den Ausschlag gegeben hätten. 56 Zu einem ähnlichen Verdikt kommt Brunello Mantelli, der die Stärkung des kriegerischen, mannhaften Bildes des Regimes sowie eine Revision der Einflusssphären der Großmächte als wichtige Beweggründe der faschistischen Regierung nennt. Wirtschaftliche Motive seien von zweitrangiger Bedeutung gewesen. 57 Rassismus und der Glaube an eine Zivilisierungsmission waren in Italien zwar verbreitet, als vorrangige realpolitische Beweggründe für den Abessinienkrieg benennt sie die Forschung allerdings nicht. 58 Dass beide Themen, Rassismus/ 53
Vgl. ebd., S. 124 und 128. Die Frage nach dem ‚Charakter‘ des Abessinienkrieges ist in der Forschung umstritten. Während er oftmals noch als Kolonialkrieg dargestellt wird (Kallis) gibt es auch Untersuchungen, die auf seine totalitäre Natur hinweisen (Künzi, Thöndl), ihn als ersten Großkrieg einer faschistischen Macht kennzeichnen (Mattioli) oder seine doppelte Wirkung als Kolonialkrieg und europäisches Ereignis betonen (Labanca). Vgl. dazu Kallis, Ideology, S. 128 f.; Künzi, Italien, S. 339 ff.; Thöndl, Abessinienkrieg, S. 405 ff. und 418 f.; Mattioli, Abessinienkrieg, S. 257 ff.; Labanca, Erinnerungskultur, S. 33; Beuttler, Italien, S. 59 ff. 55 Vgl. Kallis, Ideology, S. 128 f. Eine zweite langfristige Konsequenz des Abessinienkrieges sieht Kallis in der Veränderung der strategischen Planung Mussolinis hinsichtlich territorialer Expansion. So hätte Italien die angestrebte Rolle des internationalen Schlichters und Entscheidungsfaktors in der europäischen Politik im Zuge des Krieges aufgegeben und sich Nazi-Deutschland angenähert. 56 Vgl. Brogini Künzi, Italien, S. 339 ff. Außenpolitisch hätte die Revanche für die Niederlage bei Adua sowie die Machtdemonstration gegenüber den anderen Großmächten mit dem Ziel einer Abänderung der in Versailles ausgehandelten Verträge im Vordergrund gestanden. Aus innenpolitischer Sicht wären die Machtentfaltung und Etablierung des faschistischen Regimes sowie die international vernetzte Doktrinschöpfung zum Totalen Krieg Motive gewesen (vgl. ebd., S. 340). 57 Vgl. Mantelli, Geschichte, S. 107. Das Thema des starken mannhaften Bildes des Regimes benennt neben weiteren Motiven auch Angelo Del Boca. Del Boca zufolge habe Mussolini herausfinden wollen, „ob nach dreizehn Jahren faschistischer Herrschaft der von ihm ersehnte ‚neue Italiener‘ geboren“ worden war“ (vgl. Del Boca, Yperit-Regen, S. 47). 58 Zur Idee der neuen Zivilisation Roms bei Mussolini siehe: Knox, Conquest, S. 10 f. 54
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Zivilisierungsbemühungen und die wirtschaftlichen Gegebenheiten in Indien als Hauptmotive für das italienische Vorgehen angesehen wurden, lässt sich wie oben beschrieben mit dem Propagandafeldzug des faschistischen Regimes in puncto Sklaverei, vor allem aber mit der eigenen kolonialen Situation erklären. Die rassistischen Äußerungen Mussolinis über die „coloured people“ und die Idee, dass diese von den ‚Weißen‘ zivilisiert werden müssten, wurden aufgrund der eigenen Erfahrungen mit Großbritannien als Kolonialmacht und den fragwürdigen Segnungen der britischen Zivilisierungsmission 59 viel stärker wahrgenommen, diskutiert und weitgehend zurückgewiesen. Die realpolitischen Motive des faschistischen Regimes wurden durch die von der eigenen kolonialen Situation geprägte Perspektive kaum thematisiert. 7.1.2.2 Hilfe für Abessinien? Indische Überlegungen und Positionierungen nach Ausbruch des Krieges Der Ausbruch des Abessinienkrieges am 03. 10. 1935 führte in Indien zu einer inhaltlichen Verlagerung der Diskussionen. So thematisierten sowohl die Presse als auch der INC und die CSP nun verstärkt die Frage nach dem Zusammenhang von Imperialismus und Faschismus. Auch über die eigene Positionierung gegenüber der Aggression Italiens verbunden mit der Frage, welche Hilfe für deren Opfer geleistet werden solle und könne, wurde jetzt intensiver debattiert. 60 Die unter dem Dach des INC agierende CSP 61 stellte sich sehr früh auf die Seite des afrikanischen Landes und forderte schon in den Sommermonaten vor Kriegsbeginn die Abhaltung eines panindischen ‚Abessinien-Tages‘, der am 01. 09. 1935 in verschiedenen indischen Städten begangen wurde. 62 Auf der Solidaritätskundgebung, die unter Federführung der CSP in Bombay stattfand, wurde unter anderem eine Resolution verabschiedet, die indische Kaufleute anhielt, keine Kriegsmaterialien an Abessiniens Gegner zu verkaufen. 63 Die CSP folgte ihrer Linie auch nach dem Ausbruch des Krieges. So wurde nicht nur mit ihrer Hilfe im Oktober 1935 in Bengalen eine Association against Italo-
59 Vgl. zur britischen Zivilisierungsmission in Indien: Mann, Torchbearers, S. 1–26. Vgl. zur indischen Wahrnehmung und Reaktion auf die Zivilisierungsmission: Fischer-Tiné, Occidentalism, S. 171–203. 60 Ähnlich wie in Indien debattierte auch die ägyptische Öffentlichkeit den Abessinienkrieg, mögliche Hilfeleistungen sowie die Rolle des Völkerbundes (vgl. Gershoni/Nordbruch, Sympathie, S. 187 ff., 195 ff. und 217 ff.). 61 Zur Rolle der CSP als linker Flügel des INC siehe: Chandra, Struggle, S. 18–39. 62 Vgl. o. A.: ‚An Abyssinia Day (31. 07.1935)‘, in: BC, S. 8; Leitartikel: ‚India and Abyssinia (24. 08. 1935)‘, in: BC, S. 6. 63 Vgl. o. A. (02. 09. 1935), BC, S. 1.
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Abyssinian war gegründet,64 eine Parteiresolution bekundete auch die Solidarität der CSP mit Abessinien bei gleichzeitiger Verurteilung der imperialistischen Aggression des faschistischen Italien. 65 Während sich die CSP somit frühzeitig positionierte, hielt sich der INC vor Ausbruch des Krieges mit Stellungnahmen zurück. Rajendra Prasad, der 1934 und 1935 den Posten des INC-Präsidenten innehatte, wies in den Sommermonaten jegliche Parteinahme für eine der beiden Seiten mit dem Hinweis auf die sich ständig verändernde Lage in Europa zurück. Er riet seinen indischen Landsleuten, sich mit Sympathie- oder Antipathiebekundungen zurückzuhalten und strikte Neutralität zu wahren. 66 Die Meinung des INC-Präsidenten darf dabei nicht als gemeingültig für den gesamten Nationalkongress angenommen werden, der eine Vielzahl politischer Gruppierungen mit teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen umfasste. Angeregt durch die außenpolitischen Vorgänge im Zusammenhang mit dem italienisch-abessinischen Konflikt begann deshalb im INC eine Debatte über die eigenen Positionen bzw. über die offizielle Linie, wobei auch das Fehlen einer selbständigen indischen Außenpolitik thematisiert wurde. Als Voraussetzung für die Einschätzung weltpolitischer Ereignisse und Prozesse benötige der INC, so schrieb Nehru, detaillierte Informationen und er setzte hinzu, dass diese nicht verfügbar seien. Nehru fürchtete, dass dieser Missstand unangenehme Folgen für Indien haben könne, und schrieb im Oktober 1935 in einem Brief an seine Schwester: Since yesterday I have been somewhat agitated about the Abyssinian affair. The actual coming of war makes my brain work in all manner of directions and I am a little troubled at the absence of real understanding of the situation in India. We have no clear view and we may get involved in all manner of difficulties before we know where we are. 67
Auch Subhas Chandra Bose, der 1935/1936 in Europa weilte, hatte nach Ausbruch des Krieges den Eindruck gewonnen, dass der INC keine eindeutige
64 Vgl. Indo-GDR Friendship Society, Traditions, S. 31. Die Gründung der Association against Italo-Abyssinian War fand im Rahmen eines Protesttreffens gegen die italienische Aggression am 27. 10. 1935 in Kalkutta statt. An der Versammlung nahmen 60 verschiedene politische und Gewerkschaftsorganisationen teil, unter anderem die CSP Bengal, der Bengal Provincial Trade Union Congress, die Labour Party of Bengal und das Muslim Youth Council. 65 Vgl. o. A.: ‚The All India Congress Socialist Party (s. d.)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File 25/1936. 66 Vgl. A farsighted Indian Youth: ‚Indians must be realistic (15. 09. 1935)‘, in: The Mahratta, S. 11. 67 Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to Vijaya Lakshmi Pandit (05. 10. 1935)‘, in: Sahgal, Freedom, S. 153.
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politische Ausrichtung in dieser wichtigen Frage habe. 68 Seine Kritik an der Inaktivität des INC sowie am Desinteresse seiner Führer an internationalen Angelegenheiten wurde durchaus von einigen seiner Landsleute geteilt. So forderte Benoy Jiban Ghosh im November 1935 in einem Beitrag in der Amrita Bazar Patrika, dass die Führung des INC eine klare Linie hinsichtlich des Abessinienkrieges einnehmen solle. Ghosh wies darauf hin, dass die CSP ihren Standpunkt mit ihrer Resolution zur Kriegsgefahr schon klargemacht habe, und war von der Verzögerungspolitik des INC, die er feige und halbherzig nannte, enttäuscht. 69 Zu der im Herbst 1935 geäußerten Kritik und zu den Befürchtungen wird auch das Schweigen Mahatma Gandhis beigetragen haben. Gandhi hatte im Sommer 1935 Interviews zum Konflikt verweigert, da er der Ansicht war, dass eine verbale Meinungsäußerung wertlos sei, solange keinerlei Aktion von seiner Seite folgen könne. 70 Nach Ausbruch des Krieges äußerte er sich dann doch in seiner Zeitschrift Harijan und verband den italienischabessinischen Konflikt mit der Frage nach Gewaltlosigkeit. Gandhi beschrieb in seinem Artikel, was passiere, wenn Abessinien gewaltlos handeln, das Land somit den Prinzipien des Satyagraha folgen würde. Er war überzeugt, dass ohne den Einsatz von Waffen, ohne Appelle an den Völkerbund für bewaffnete Interventionen und ohne jegliche Kooperation die italienische Okkupation des afrikanischen Landes nutzlos sei. Italien würde dann einzig und allein ein Territorium ohne seine Bewohner erobern, und dies liege nicht im italienischen Interesse. 71 Bis zum Mai 1936 finden sich in den Collected Works von Gandhi keine weiteren Aussagen zum Krieg, was wahrscheinlich mit seiner allgemeinen Zurückhaltung erklärbar ist, sich zu Fragen der internationalen Politik zu äußern. Erst dann, im Rahmen des Abessinien-Tages, lehnte er erneut einen Kommentar zur italienisch-abessinischen Frage ab.72 Obwohl Gandhi und viele der Führer des INC wenig Interesse an internationalen Angelegenheiten zeigten und sich mit Statements zurückhielten,73
68 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚The secret of Abyssinia and its lesson‘, in: MR, 58 (5) 1935, S. 576. 69 Vgl. Ghosh (02. 11. 1935), ABP, S. 17. Siehe dazu auch Kapitel 7.1.3. 70 Vgl. o. A.: ‚Statement on Italo-Abyssinian crisis (Am oder vor dem 01. 08. 1935)‘, in: CWMG, Bd. 61, S. 302. 71 Vgl. Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚The Greatest Force (12. 10. 1935)‘, in: CWMG, Bd. 62, S. 28–30. 72 Vgl. o. A.: ‚Interview to Associated Press (09. 05.1936)‘, in: CWMG, Bd. 62, S. 378. 73 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to Rajendra Prasad (20. 11. 1935)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 38 f. Nehru äußert in dem Brief Bedenken hinsichtlich des Interesses Gandhis und der meisten INC-Führer an außenpolitischen Vorgängen. Für ihn ist diese Situation untragbar, da er glaubt, die nationalen Probleme nur lösen zu können, wenn man sie in Beziehung zu den internationalen Angelegenheiten setze. Aus diesem Grund diskutierten Pra-
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stellte sich der INC, nachdem Nehru im April 1936 die Präsidentschaft übernommen hatte, offiziell auf die Seite Abessiniens und bekundete Solidarität mit seinen „brethren in distress“ 74 auf vielfältige Weise. Neben Resolutionen, die Abessinien moralisch unterstützten und die imperialistische Aggression Italiens verdammten,75 organisierte der INC zusammen mit der CSP im Mai 1936 einen weiteren Abessinien-Tag, der in verschiedenen indischen Städten abgehalten wurde. 76 Im April 1936 hatte der INC ebenfalls vor dem Hintergrund der oben skizzierten Überlegungen und der Kritik 77 auf dem Lucknow-Kongress den Aufbau eines Foreign Department beschlossen „[…] with a view to create and maintain contacts with Indians overseas, and with international, national, labour and other organisations abroad with whom co-operation is possible and is likely to help in the cause of Indian freedom“. 78 Das Department begann ab Juni 1936 mit der Herausgabe eines Mitteilungsblattes, das über weltweite Entwicklungen und die Standpunkte des INC zu diesen Aufschluss gab, so auch über den Abessinienkrieg.79 Die Auseinandersetzung mit der faschistischen Expansionspolitik übte somit einen nachhaltigen, nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Ausformung unabhängiger außenpolitischer Vorstellungen in der indischen Nationalbewegung aus. Während die offizielle Haltung des INC eindeutig mit Abessinien sympathisierte, wurden aber in den Reihen der Kongress-Mitglieder, wie schon kurz ausgeführt, auch ganz andere Meinungen artikuliert. Eine solche Stimme war die von Acharya J. B. Kripalani, 80 der ein enger Vertrauter Gandhis, Generalsekretär des INC und nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 Präsident des INC war. 1935 verfasste Kripalani das Pamphlet „Abyssinia and India“, in welchem er schrieb, dass man Italien für sein Vorgehen nicht verdammen solle, da es nur
sad und Nehru die Möglichkeiten anti-indische Propaganda im Ausland zu vermeiden und die eigenen, indischen Beweggründe bekannt zu machen. 74 Nehru, Jawaharlal: ‚Observance of Abyssinia Day – statement to the Press (05. 05. 1936)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 567. 75 Vgl. Indian National Congress: ‚Sympathy for Abyssinia (12.–14. 04. 1936)‘, in: o. A., Congress, S. 76 f. 76 Vgl. o. A.: ‚Congress Diary, Obituary (s. d.)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File 7/1936. 77 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Nationalist India’s Foreign Policy (11.12. 1935)‘, in: BC, S. 6 und 12. 78 Indian National Congress: ‚Foreign Department (12.–14. 04. 1936)‘, in: o. A., Congress, S. 75. 79 Vgl. Lohia, Rammanohar: ‚Foreign Department Newsletter, No. 1 (04. 06. 1936)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File FD 11/1936. Siehe zur seiner Bedeutung auch: Prasad, Origins, S. 99. 80 Zu Acharya J. B. Kripalani siehe den biografischen Anhang.
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tue, was alle starken Nationen vor ihm getan hätten. 81 Ob Indien dieser Machtgier selbst widerstehen könne, wenn es frei und stark sei, und ob es sich dann öffentlich zu Wort melden würde, war für ihn zweifelhaft. 82 Mit dieser Einschätzung legitimierte Kripalani in gewisser Hinsicht die koloniale Politik Großbritanniens gegenüber Indien, indem er das Recht des Stärkeren als gegeben hinzunehmen schien. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter in der Unabhängigkeitsbewegung nutzte er den italienisch-abessinischen Konflikt nicht als Vergleichsfall, um Einwände gegen die britische Kolonialherrschaft in Indien hervorzubringen. Kripalani führte in der weiteren Argumentation aus, dass Indien keine Verurteilung Italiens zustehe: After all the Italians are contemplating making slaves of a foreign nation. Here we are ever keeping our own fellow Indians and fellow Hindus in a perpetual slavery. I am sure even if Abyssinia is conquered by Italy the fate of the conquered will not be as bad as the fate of our Harijan brothers. For such as we, there is no point in condemnation. […] If we really are in earnest in our condemnation let us first eliminate tyranny from our lives and the national life. Not till then can we have the moral right to condemn injustice. 83
Kripalani, der als überzeugter Anhänger Gandhis dessen Kampagne zur Verbesserung der Lebensbedingungen der sogenannten ‚Unberührbaren‘, der Harijans, unterstützte, nutzte die Beurteilung der internationalen Situation zur Kritik an eigenen gesellschaftlichen Missständen. Er schrieb, Indien müsse zuallererst seine internen Probleme lösen, bevor man sich um andere Staaten kümmern könne, und kritisierte in diesem Zusammenhang auch die internationalistischen Bemühungen der Kongress-Sozialisten. Deren individueller Einsatz für das afrikanische Land war Kripalani zwar willkommen, ebenso wie verschiedene Bemühungen von Freiwilligen, aber er lehnte strikt eine Unterstützung Abessiniens durch die indische Nation in ihrer Gesamtheit ab. 84 Indien, das machen seine Ausführungen zu den weltpolitischen Vorgängen klar, müsse sich zuerst auf das Projekt der eigenen Errichtung der Nation konzentrieren. Die Beschäftigung des INC und der CSP mit dem Abessinienkrieg, insbesondere die Solidaritätsbekundungen und Resolutionen wurden auch in den indischen Printmedien thematisiert. Dabei unterstützten beispielsweise die Herausgeber der Amrita Bazar Patrika und des Bombay Chronicle die Haltung der Parteien, indem sie ihre Leser aufriefen, sich am Abessinien-Tag im Mai zu beteiligen. 85 In der Presse, vor allem in Leserbriefen und Leitartikeln, wur81 Vgl. Kripalani, Acharya J. B.: ‚Abyssinia and India (1935)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File 15/1936, S. 1. 82 Vgl. ebd., S. 2 und 4. 83 Ebd., S. 1. 84 Vgl. ebd., S. 3. 85 Vgl. Leitartikel: ‚Abyssinia Day (09. 05. 1936)‘, in: ABP, S. 8; Leitartikel: ‚India’s duty
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
den weitere Bereiche diskutiert, in welchen sich eine Unterstützung der abessinischen Sache durch die indische Öffentlichkeit anbot. Das war neben wirtschaftlichen Sanktionen, Finanzbeihilfen 86 auch die Frage nach medizinischem Beistand. 87 Vor und kurz nach Ausbruch des Krieges wurde im Bombay Chronicle die Möglichkeit der Entsendung einer medizinischen Hilfsmission diskutiert. In diesem Zusammenhang wies Mulraj Karsondas am 24. 08. 1935 in einem Leserbrief auf die Wahrscheinlichkeit von italienischen Luftangriffen hin, falls es zu einem Konflikt kommen sollte. Da Abessinien über keine Luftwaffe verfüge, sich also nicht verteidigen könne, fürchtete er verheerende Auswirkungen für das afrikanische Land: The air attacks are bound to destroy thousands of precious human lives and to result in conflagrations and complete wiping out of hundreds of towns and villages. They are bound to destroy thousands of innocent women and children, their houses, fields and all human possessions. 88
Um die möglichen Folgen abzuschwächen, schlug Karsondas die Entsendung eines medizinischen Hilfskomitees bestehend aus indischen Doktoren, Krankenschwestern und Mitgliedern des Roten Kreuzes vor. 89 Unterstützung fand der Vorschlag durch Balwantray Mehta, einem Mitglied der Servants of People Society. Mehta griff die Idee fünf Tage später in seinem Leserbrief an den Bombay Chronicle auf und appellierte an die politischen Führer der indischen Nation, diese Mission zu organisieren. 90 Dass die Realisierung einer solchen nicht-offiziellen Mission keineswegs problemlos gewesen wäre, wurde in einem weiteren Artikel zum Thema deutlich, der eineinhalb Monate später, nach dem Ausbruch des Krieges, erschien. In dem Beitrag wurden als Schwierigkeiten die Finanzierung des Projektes, der Transport der indischen Teilnehmer nach Abessinien sowie die zu erwartenden Probleme bei der sprachlichen Verstänto Ethiopia (06. 05. 1936)‘, in: BC, S. 6. In den Tageszeitungen finden sich außerdem Berichte über weitere Solidaritätstreffen, so beispielsweise im Oktober 1935 in Kalkutta und Bombay (vgl. Majumdar, Gunada Charan: ‚India & Abyssinian War (24. 10. 1935)‘, in: ABP, S. 15; o. A.: ‚India’s sympathy with Abyssinia (11.10.1935)‘, in: BC, S. 1). 86 Vgl. Leitartikel: ‚Wanted, Abyssinia fund (12. 10. 1935)‘, in: BC, S. 6. Der Bombay Chronicle rief in diesem Leitartikel seine Leser dazu auf, finanzielle Hilfen für Abessinien zum Kauf von Waffen bereitzustellen. 87 Solidaritätsbekundungen und Hilfsmaßnahmen für Abessinien kamen nicht nur aus Indien, sondern von verschiedenen nationalen und internationalen Organisationen. Für die afro-amerikanische und afrikanische Initiativen vgl. Sbacchi, Legacy, S. 14 ff. 88 Karsondas, Mulraj: ‚Reader’s letter: Italy’s aggression on Abyssinia (24. 08. 1935)‘, in: BC, S. 8. 89 Vgl. ebd. 90 Vgl. Mehta, Balwantray: ‚Threat to Abyssinia’s independence (29. 08. 1935)‘, in: BC, S. 8.
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digung genannt. Darüber hinaus wies der Verfasser auf den ungeklärten Status der Mission hin. Die indische Gesellschaft vom Roten Kreuz, die unter der Schirmherrschaft der britisch-indischen Regierung stand, wurde im Beitrag als ein möglicher Kooperationspartner genannt. Allerdings war noch nicht geklärt, welche Einstellung die Gesellschaft zu dem nicht-offiziellen Projekt hatte. 91 Diskussionen um eine medizinische Hilfe für die Opfer des Krieges fanden nicht nur in Bombay, sondern auch in Bengalen statt. Im November 1935 veröffentlichte die Ananda Bazar Patrika einen Appell der Indian Medical Association, in dem diese um finanzielle und materielle Unterstützung für Abessinien bat. Die Vereinigung plante, eine medizinische Mission zur Versorgung der Verwundeten nach Abessinien zu schicken, und veranschlagte dafür Spenden in Höhe von 250.000 Rupien. 92 Es ist aufgrund der in den Beiträgen angesprochenen Schwierigkeiten unwahrscheinlich, dass die geplanten Hilfsmissionen durchgeführt wurden. Vor Ort wirkte allerdings ein indischer Arzt, der zu den britischen Einheiten des Roten Kreuzes in Abessinien gehörte. Auch sammelte die indische Gesellschaft des Roten Kreuzes finanzielle und materielle Spenden für das afrikanische Land. 93 Leider zeigte sich bald, dass sich Mulraj Karsondas’ Vorhersage hinsichtlich der verheerenden Auswirkungen der italienischen Luftangriffe bewahrheitete. 94 Das faschistische Regime, welches den Krieg so schnell wie möglich gewinnen wollte, setzte, Aram Mattioli zufolge, auf „[…] die potenzierte Destruktionskraft von High-Tech-Waffen […] [sichtbar, M. F.] in der Barbarei des Luftkrieges und im inhumanen Giftgaseinsatz“. 95 Der Krieg, der von einer ausgeprägten Asymmetrie der militärischen Mittel gekennzeichnet war, richtete sich von Anfang an massiv und systematisch gegen die abessinische Zivilbevölkerung. 96 Der Einsatz von Giftgas, der von der italienischen Militärführung geheim gehalten werden sollte, blieb ebenso wie die Angriffe auf die Zivilbevölkerung
91
Vgl. o. A.: ‚Indian medical mission (10. 10. 1935)‘, in: BC, S. 14. Vgl. Indo-GDR Friendship Society, Traditions, S. 32. 93 Vgl. Leitartikel: ‚Help Abyssinia’s wounded (06. 01. 1936)‘, in: BC, S. 6; From our own correspondent: ‚Indian doctor to prove Italian barbarism to the world (06. 05. 1936)‘, in: BC, S. 16. Die indische Rote-Kreuz-Gesellschaft übergab 1935 vier Warensendungen mit Verbandsmaterial sowie 500 Rupien Bargeld an das Abessinische Rote Kreuz. 1936 spendete sie 5.000 Rupien aus dem ‚Disaster relief‘ Fonds sowie 30 Pfund Chinin im Wert von 460 Rupien an ihre afrikanische Schwestergesellschaft (vgl. Indian Red Cross Society, Report, S. 9 f.). 94 Zur Rolle der italienischen Luftwaffe im Abessinienkrieg vgl. Rochat, Air, S. 37–46. 95 Vgl. Mattioli, Schlüsselereignis, S. 12. 96 Vgl. ebd., S. 10 und 13. Siehe auch: Mattioli, Experimentierfeld, S. 94 ff.; Brogini Künzi, Italien, S. 278–291. 92
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der Weltgemeinschaft schon aufgrund der Proteste der abessinischen Regierung beim Völkerbund nicht verborgen.97 Diskussionen über das italienische Vorgehen kamen aus diesem Grund, im Gegensatz zu den Ausführungen von Giulia Brogini Künzi, 98 beispielsweise in Indien noch während des Krieges auf. So berichteten Beiträge im Bombay Chronicle kritisch über den Einsatz von Giftgas sowie über die Bombardierung der Zivilbevölkerung und der Einheiten des Roten Kreuzes. 99 Eine Rezeption der vom Mussolini-Regime abgegebenen Erklärungen für die Giftgasangriffe, die das italienische Vorgehen als 97 Vgl. Mattioli, Versagen, S. 111 ff.; Brogini Künzi, Italien, S. 254 ff. Zum Giftgaseinsatz Italiens vgl. Del Boca, Yperit-Regen, S. 45–58; Mattioli, Kriegsgewalt, S. 311–337. 98 Vgl. Brogini Künzi, Italien, S. 255. Brogini Künzi führt aus, dass erst nach dem Krieg im Ausland auf den Einsatz von chemischen Kampfstoffen hingewiesen wurde. 99 Vgl. Shah, K. T.: ‚The world and its ways (06. 01.1936)‘, in: BC, S. 6; J. D. M.: ‚Poison gas and fascism (29. 04. 1936)‘, in: BC, S. 6; Leitartikel: ‚Poison-Gassed (22. 04.1936)‘, in: BC, S. 6; From our own correspondent (06. 05. 1936), BC, S. 16. Zum italienischen Angriff auf Einheiten des Roten Kreuzes vgl. Baudendistel, Bombs, S. 110–167.
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Vergeltungsmaßnahme für Barbareien der Abessinier darstellten, fand in den indischen Debatten nicht statt. 100 Dem Thema der Bombardierung der Hilfsorganisationen widmete sich im Januar 1936 eine Karikatur, die Mussolini stellvertretend für die italienische Armee beim Luftangriff auf eine Einrichtung des Roten Kreuzes und unschuldige Zivilisten in Abessinien zeigte. 101 Der Titel der Karikatur „But tis a godlike work to civilise!“ ist dem Gedicht „On the prospect of peace“ von Thomas Tickell 102 entnommen. Der Zeichner verdeutlichte in seiner Karikatur die von ihm empfundene Heuchelei des faschistischen Regimes. Dieses behauptete einerseits Abessinien die Zivilisation bringen zu wollen, während es andererseits menschenverachtend gegen alle etablierten internationalen Konventionen verstieß. Dieser Widerspruch zwischen Italiens vorgeblicher civilising mission und seiner gegen die Genfer Konvention verstoßenden realen Kriegsführung kritisierte der Zeichner und wies das Verhalten des faschistischen Regimes kategorisch zurück. 7.1.3 Die Verantwortung Großbritanniens Während ein Teil der öffentlichen Meinung in Indien die italienische Aggression in Abessinien verurteilte und das faschistische Land als den Schuldigen benannte, gab es auch andere Stimmen. Diese betonten Italiens Verantwortung für den Krieg weniger oder gar nicht und verorteten die Schuld oder zumindest eine Mitschuld bei Großbritannien und dessen imperialistischer Politik. 103 Durch die Einbeziehung Großbritanniens stellten sie die Auseinandersetzung mit dem Faschismus – und im Fall der Sudetenkrise mit dem Nationalsozialismus – in eine vergleichende Perspektive hinsichtlich der Alternativen europäischer Politik. Die Beschäftigung mit dem Faschismus fand hierbei eigentlich nur indirekt statt, immer mit Blick auf die britische Politik und die eigene koloniale Situation. Der INC und die CSP beispielsweise sahen die Mitschuld der britischen Kolonialherren an der Eroberung Abessiniens als gegeben an und verurteilten in ihren Parteiresolutionen nicht nur die Politik des faschistischen Regimes, sondern auch die Vorgehensweise der europäischen Großmächte.104 Vor dem Hin100
Zur italienischen Begründung des Giftgaseinsatzes vgl. Sbacchi, Poison, S. 49 f. Vgl. Radha: ‚But tis a godlike work to civilize! (09. 01. 1936)‘, in: BC, S. 1. 102 Vgl. Stöver-Leidig, Gedichte, S. 191 ff. 103 Vgl. Menon (08. 09. 1935), The Mahratta, S. 8; Leitartikel (24. 08. 1935), BC, S. 6; United Press: ‚India and Italo-Ethiopian War (28. 10. 1935)‘, in: BC, S. 10; Iyenger, K. R. Shrinivasa: ‚Futility of the League (26. 01. 1936)‘, in: The Mahratta, S. 9; Leitartikel: ‚The great betrayal (20. 06. 1936)‘, in: BC, S. 6; From our own correspondent: ‚How Abyssinia was betrayed (11. 05. 1936)‘, in: BC, S. 12. 104 Vgl. Indian National Congress, Sympathy (12.–14. 04. 1936), Congress, S. 76 f.; o. A. (s. d.), A.I.C.C. Papers, File 25/1936. 101
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tergrund des Abessinienkrieges und der Frage nach der Verantwortung Großbritanniens wurde in der indischen Nationalbewegung vor allem die Beziehung von Faschismus und Imperialismus und damit die Einordnung des Konfliktes diskutiert. Insbesondere Jawaharlal Nehru, dessen außenpolitischen Ansichten unter anderem durch seine Verbindung zur League against Imperialism geprägt worden waren, hatte ein ausgeprägtes Interesse an internationalen Vorgängen im Allgemeinen und diesem spezifischen Thema im Besonderen.105 Schon früh beschäftigte er sich mit Faschismus und Nationalsozialismus. Er lehnte beide von Anfang an ab106 und beobachtete die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Abessinienkrieg daher sehr genau. Während seines Aufenthalts in Europa von September 1935 bis März 1936,107 in dessen Verlauf er eine Einladung Mussolinis ausschlug,108 verfasste Nehru eine Reihe von Reden, Briefen und Arti-
105 Nehru hatte während seines Europa-Aufenthalts 1927 in Brüssel am Congress of oppressed nationalities als offizieller Vertreter des INC teilgenommen. Die Konferenz, die von dem deutschen Kommunisten Willi Münzenberg in Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Internationalen organisiert worden war, brachte neben linken Demokraten, Kommunisten, Pazifisten und Gewerkschaftern auch zahlreiche Vertreter kolonial abhängiger Völker aus Asien, Afrika und Lateinamerika zusammen. Die Zielsetzung des Treffens war, antikoloniale Kräfte und die Arbeiterschaft gegen den Imperialismus zu organisieren. In Brüssel traf Nehru nicht nur Politiker und Unabhängigkeitskämpfer aus anderen Ländern, die seine politischen Ansichten beeinflussten, sondern er hielt auch während der Eröffnungsveranstaltung eine Rede. Darüber hinaus wurde er Mitglied des Ehrenpräsidiums und des Exekutivkomitees der auf dem Kongress gebildeten League against Imperialism. Auf Vorschlag Nehrus hin wurde der INC Mitglied in der League against Imperialism, und Abgeordnete der indischen Unabhängigkeitsbewegung nahmen an der nächsten Konferenz der Liga im August 1928 teil. Das positive Verhältnis verschlechterte sich Ende 1929, als der kommunistische Einfluss in der League, sehr zum Missfallen Nehrus, dominierend geworden war. 1931 kam das endgültige Aus in der Zusammenarbeit. Nehru wurde aus der League ausgeschlossen (vgl. Gopal, Nehru, S. 100 ff.; Louro, Peoples). 106 Vgl. Framke, Nehrus, S. 11–23. 107 Vgl. Brown, Nehru, S. 121 f. 108 Vgl. Nehru, Autobiography, S. 600; Nehru, Discovery, S. 33 f. Nehru legte in seiner Autobiografie offen, dass er trotz seiner starken Abneigung gegenüber dem faschistischen Regime in Italien Mussolini gern getroffen hätte, vor allem um sich ein besseres Bild von dessen Person zu machen. Zwei weitere Überlegungen, die dazu führten, die Einladung des italienischen Diktators abzulehnen, standen im Zusammenhang mit dem Abessinienkrieg und mit der Befürchtung, dass solch ein Treffen propagandistisch von den Faschisten ausgenutzt würde (vgl. Nehru, Autobiography, S. 600). Dieser Argwohn war in Anbetracht der faschistischen Instrumentalisierung des Besuches von Rabindranath Tagore in Rom 1926 sowie des gefälschten Interviews mit Mahatma Gandhi im Anschluss an dessen Aufenthalt in Italien 1931 nicht unbegründet. Siehe dazu: Prayer, Search, S. 44–57; Prayer, Regime, S. 256 ff.
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keln zum Thema 109 und kritisierte dabei das Verhalten Großbritanniens aufs Heftigste. Kaum ein Ereignis der letzten Jahre zeige, so führte er aus, die Falschheit und Scheinheiligkeit der britischen Regierung so sehr wie der Verrat an Abessinien. Das Inselreich habe wohlklingende Hilfsversprechen abgegeben und auch aufgrund der eigenen Rivalität mit Italien versucht, die italienische Expansion einzuschränken. Aber ein Erfolg der unzureichenden und halbherzigen Bemühungen sei ausgeschlossen gewesen, da Großbritannien die Niederlage einer imperialistischen Macht durch ein koloniales Land letztendlich nicht unterstützen wolle. 110 Im Zusammenhang mit Nehrus Wahrnehmung des britischen Verhaltens bildete sich im Zeitverlauf ebenfalls immer stärker die These von der Ähnlichkeit von Faschismus und Nationalsozialismus einerseits und Imperialismus andererseits heraus. Diese Entwicklung gipfelte im Mai 1936 in Nehrus Rede anlässlich des Abessinien-Tages in einer Gleichsetzung beider Phänomene: [T]oday we look to another part of the world, far from India, and to another imperialism, and we meet sorrowfully to consider a tragedy that has befallen our brethren in Abyssinia. […] And from this tragedy of a brave people we can learn many lessons. The first lesson is that imperialism and fascism, though they function through many countries and governments, are fundamentally of the same nature, the same urges push them forward, they pursue the same methods, and they are bent on the same exploitation of subject people.111
Die hier ausgesprochene Gleichsetzung war allerdings kein von der indischen Nationalbewegung oder Nehru erdachtes Novum. Die ab 1935 von der Komintern vertretene sogenannte ‚Dimitroff-Doktrin‘ wies auf den Zusammenhang beider Phänomene hin, indem sie den Faschismus „[…] als offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ 112 identifizierte. Georgi Dimitroff ver-
109 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to Lord Lothian (17. 01. 1936)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 63; Nehru, Jawaharlal: ‚The Presidential Address (12. 04. 1936)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 173 und 194; (05. 05.1936), SWJN, Bd. 7, S. 567. 110 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚The Lessons of Abyssinia (09. 05. 1936)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 570. 111 Ebd., S. 569. 112 Dimitroff, Georgi: ‚Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus (02. 08. 1935)‘, in: Faschismus, S. 50. Diese unter dem Namen ‚Dimitroff-Doktrin‘ bekannt gewordene Definition des Faschismus, die Dimitroff 1935 in seiner Rede auf dem VII. Weltkongress der Komintern vortrug, war in Grundzügen schon auf dem V. Weltkongress der Komintern 1924 beschlossen worden und hatte auf dem XIII. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationalen im Dezember 1933 ihre endgültige
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
wandte diese Definition in seiner Rede zur Schaffung einer Einheitsfront aller kommunistischen, sozialdemokratischen und bürgerlichen Kräfte gegen den Faschismus. Durch seinen Aufruf an die kolonial abhängigen Völker, sich an diesem Kampf durch die Bildung einer anti-imperialistischen Einheitsfront zu beteiligen, setzte er implizit Faschismus und Imperialismus gleich. 113 Die Ausführungen Dimitroffs scheinen über die unter dem Dach der CSP und damit des INC agierenden indischen Kommunisten Eingang in die Rhetorik der Parteien gefunden zu haben.114 Ihre Verwendung durch eine antikoloniale Bewegung, die trotz allem nur partielle Schnittmengen zu kommunistischen Strömungen aufwies, ist bemerkenswert, zog sie doch eine implizite Kennzeichnung der Kolonialmacht als faschistisch nach sich. 115 Die Gemeinsamkeiten von Imperialismus und Faschismus wurden ebenfalls in der indischen englischsprachigen Presse diskutiert. In einigen Beiträgen wurde dabei die Aggression vonseiten des italienischen Regimes als imperialistisch beschrieben und auf die Ähnlichkeit der Erfahrungen Indiens und Abessiniens hingewiesen.116 So führte beispielsweise die Amrita Bazar Patrika im Mai 1936 in einem Aufruf zur Unterstützung des afrikanischen Landes aus: Indians have had a bitter experience of the effects of western Imperialism. They have realised what it is to lose national freedom […]. There is, therefore, a bond of sympathy between them and the unfortunate people of Abyssinia which is probably not witnessed in any other part of the world.117
Formulierung erhalten (vgl. Luks, Entstehung, S. 177; Wippermann, Faschismustheorien, S. 59). 113 Vgl. Dimitroff, Offensive, S. 110. Zur inhaltlichen Diskussion der Dimitroff-Doktrin in der Historiografie siehe: Saage, Faschismus, S. 41 ff. 114 Die indischen Kommunisten wurden im Rahmen der neuen Komintern-Linie von Dimitroff, aber auch von den britischen Kommunisten R. Palme Dutt und Ben Bradley, sowie von Wang Ming, dem chinesischen Delegierten, auf dem VII. Weltkongress aufgefordert, eine Einheitsfront mit den linken Elementen des INC in Indien gegen den Imperialismus zu bilden. Dazu und zur Umsetzung dieser Aufforderung vgl. Chowdhuri, Leftism, S. 92 ff., 101 ff. und 154 f. 115 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚India and the World (06. 01. 1936)‘, in: SWJN, Bd. 7, S. 5. Zur Beziehung und Zusammenarbeit der CSP und der CPI vgl. Chaudhuri, Movement, S. 63 ff. Diese These blieb auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges populär, so zum Beispiel in dem 1951 erschienen Werk von Hannah Arendt, in welchen der Antisemitismus und der Imperialismus des 19. Jahrhunderts als wichtige Voraussetzungen des modernen Totalitarismus bezeichnet wurden (vgl. Arendt, Elemente). 116 Vgl. From our own correspondent (28. 08. 1935), BC, S. 9; Nariman, K. F.: ‚Lesson of Abyssinia (09. 05.1936)‘, in: BC, S. 6; Krishna, Gopal/Ahmed, Syed: ‚A correct attitude towards the Abyssinian question (20. 10. 1935)‘, in: The Mahratta, S. 7; Abbasi (21. 07. 1935), Forward, S. 10; Kamaladevi (10. 03.1935), CS, S. 7 f. 117 Leitartikel (09. 05. 1936), ABP, S. 8.
Anti-Koloniale Solidarität? Der Abessinienkrieg
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In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die Zeitung ihren Appell mit dem Argument begründete, dass Indien als kolonisiertes Land mit Abessinien die Erfahrung des Imperialismus teile. Der Leitartikel führte weiterhin aus, dass „[…] the Fascist menace in some form or other is visible in almost every part of the world“, und erklärte, dass „in a different garb we ourselves in India have been witnessing it to an increasing extent“.118 Mit diesen Aussagen folgte die Amrita Bazar Patrika der Argumentation des INC und der CSP. Einhergehend mit der Kritik an der britischen Regierung beinhalteten vereinzelte Beiträge auch Rechtfertigungsversuche hinsichtlich der italienischen Vorgehensweise. Insbesondere der special correspondent der Amrita Bazar Patrika aus Italien, Monindra Mohan Moulik, zeigte großes Verständnis für die italienische Politik, indem er behauptete „[…] for Mussolini, the Abyssinian expedition […] was far from a luxury or the satisfaction of an imperial vanity. It was a necessity and a desperate one“. 119 Moulik wies in seinem Beitrag auf die schwierige wirtschaftliche Situation in Italien hin und ging ebenfalls auf die sozialen Probleme ein, die aus ihr resultierten. Dabei schrieb er, dass Mussolini keinerlei Alternative zu einem Krieg habe, wenn er an der Macht bleiben wolle.120 In seinen Artikeln für die Amrita Bazar Patrika deutete Moulik immer wieder auf das britische Eingreifen und die Verantwortung der Kolonialmacht im Abessinienkrieg hin. Er sah Großbritannien als altes imperialistisches Land, das ängstlich darauf bedacht war, die Macht über seine Territorien zu behalten, und dabei keiner neuen imperialen Macht gestattete, die britischen Ansprüche zu bedrohen.121 In seinen Artikeln legitimierte Moulik die faschistische Eroberung und den italienischen Anspruch auf Kolonien, indem er Italiens Politik gegenüber Abessinien mit der britischen in Indien verglich: […] it may be safely predicted, that the Italian colonization in Ethiopia is going to be something absolutely different from the British colonization in Australia or India. Already thousands of workers and peasants have been transported from Italy to Ethiopia where they would labour hand in hand with the native population and work out their common destiny. The British people have colonies as merchants, bankers and masters etc. never as a ryot or as a coolie.122
118
Ebd. From our special correspondent: ‚Our Rome Letter (05.11. 1935)‘, in: ABP, S. 8. 120 Vgl. ebd. 121 Vgl. From our own correspondent: ‚Our Rome Letter (16. 02. 1936)‘, in: ABP, S. 15; From our special correspondent: ‚Our Rome Letter (24. 12.1935)‘, in: ABP, S. 6; From our own correspondent: ‚Sanctions and after (13. 12. 1935)‘, in: ABP, S. 8. 122 From our special correspondent: ‚Our Rome Letter (24. 05.1936)‘, in: ABP, S. 16. 119
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
Indem er solche Aussagen traf, wiederholte er die faschistische Propaganda des Mussolini-Regimes. 123 Mouliks Überzeugung, Großbritannien sei nicht daran interessiert, Abessinien zu helfen, sondern es gehe ihm einzig und allein darum, Italiens Expansion einzudämmen,124 wurde auch von anderen indischen Autoren geteilt. Während beispielsweise T. K. Menon darauf verwies, dass die Londoner Regierung in Afrika ihre Macht gegenüber Italien konsolidieren wolle und in Abessinien „her own bread to butter“ 125 habe, bezeichnete Taraknath Das im November 1935 die britischen Staatsmänner im Forward als scheinheilig. Der sogenannte italienisch-abessinische Konflikt war seinen Ausführungen zufolge nichts anderes als ein Ausdruck der englisch-italienischen Rivalität in Afrika, im Mittelmeerraum und im Indischen Ozean. Man müsse in diesem Zusammenhang nur an die verschiedenen Anlässe denken, bei denen Großbritannien, um Italiens Unterstützung der eigenen Weltpolitik zu erhalten, der Schaffung einer italienischen Vormachtstellung in Abessinien zugestimmt habe.126 Das, der in seinem Artikel das Vorgehen Italiens nicht ein einziges Mal kritisierte, führte weiter aus: The wrath of British statesmen against Italy and Signor Mussolini is unbounded at the present time, because Italy has stolen a march over the British in taking effective steps towards annexing Abyssinia, which the British themselves wished to do by their characteristic method of slow and careful penetration.127
Der von Taraknath Das diagnostizierte „Zorn“ Großbritanniens auf Italien vor dem Hintergrund eigener Annexionspläne in Abessinien wird in der Forschungsliteratur nicht bestätigt. Seine Ausführungen über die britische Unterstützung des faschistischen Regimes zum Erhalt der eigenen Weltpolitik hingegen werden unter anderen von Steven Morewood diskutiert. Morewood nennt als einen Grund für das kompromissbereite Handeln Londons dessen Angst, dass ein vollständiger Sieg oder eine Niederlage Italiens einerseits administrative Probleme, andererseits Unruhe für Großbritannien im Mittleren Osten und Afrika nach sich ziehen könne.128 Aus diesem Grund kommt er zu der Einschätzung, dass der italienisch-abessinische Konflikt für Großbritannien weniger einen internationalen, als vielmehr einen imperialen Charakter hatte. 129 Morewood gibt allerdings eine Reihe weiterer Gründe an, welche die 123 124 125 126 127 128 129
Vgl. Larebo, Empire, S. 86. Vgl. From our special correspondent (13. 12. 1935), ABP, S. 8. Menon (08. 09. 1935), The Mahratta, S. 8. Das, Taraknath: ‚Anglo-Italian Rivalry in Africa (02.11. 1935)‘, in: Forward, S. 4. Ebd. Vgl. Morewood, Rivalry, S. 173. Vgl. ebd., S. 175.
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Politik des Inselstaates während des Konfliktes beeinflusst hätten: die Unterstützung der italienischen Entschlossenheit, sich des Revisionismus Deutschlands zu erwehren, der Wunsch die existierenden Waffenbestände für einen möglichen Einsatz gegen Deutschland oder Japan zu erhalten sowie der Glaube, dass Appeasement die Anzahl der potentiellen Feinde reduzieren könne. 130 Auch R. A. C. Parker sieht die britische Außenpolitik von der Situation in Europa und dem Erstarken des nationalsozialistischen Deutschland, besonders dessen Wiederaufrüstung, determiniert.131 Das Inselreich sei nach Ausbruch des Krieges jedoch auch um die eigenen kolonialen Besitzungen besorgt gewesen, da es einen Angriff Italiens auf diese in Betracht zog. 132 Somit waren die Vorgehensweise Großbritanniens im Verlauf der Krise und insbesondere der Versuch, weiterhin einen Kompromiss mit dem faschistischen Regime zu finden, auch von den eigenen imperialen Interessen beeinflusst. Während in der Forschungsliteratur die Ambivalenzen im britischen Verhalten und eine Reihe von Motiven für die Ausformung der eigenen Außenpolitik dargelegt werden, lassen sich in den Beiträgen der englischsprachigen indischen Zeitungen vor allem zwei simplifizierende Argumentationslinien bei der Beurteilung des britischen Verhaltens gegenüber Italien ausmachen. So wurde Großbritannien zum einen aufgrund seiner angenommenen Rivalität mit Italien eine Mitschuld am Abessinienkrieg zugesprochen. Zum anderen gab es ebenfalls die Auffassung, dass das Inselreich trotz seiner Rivalität nichts gegen das faschistische Regime unternehmen werde, da imperialistische Mächte zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft in den Kolonien den Frieden untereinander wahren müssten. Diese Inaktivität der britischen Regierung wurde ebenfalls kritisiert.133 Auffällig bei der Auswertung der indischen Quellen ist, dass das italienische Vorgehen fast ausschließlich als Kolonialkrieg wahrgenommen wurde, wobei Hinweise auf Unterschiede zu bisherigen Methoden kolonialer Eroberungen und zu den eigenen Erfahrungen ausblieben bzw. in Vergleiche der abessinischen und indischen Situation mündeten, die vor allem Gemeinsamkeiten betonten.134 130
Vgl. ebd., S. 173. Vgl. Parker, Great Britain, S. 293 f. 132 Vgl. ebd., S. 314 und 318. 133 Vgl. Lohia, Rammanohar: ‚The Italo-Abyssinian Conflict (18. 08. 1935)‘, in: The Mahratta, S. 8; Nehru (09. 05. 1936), SWJN, Bd. 7, S. 569. 134 Zu den Unterschieden zwischen der faschistischen Eroberung in Abessinien und der Vorgehensweise anderer Kolonialmächte bei territorialen Annexionen sowie zur differenzierenden Bedeutung von Kolonialbesitz vgl. Labanca, Erinnerungskultur, S. 39 ff. und 52 ff. Labanca betont, dass die Italiener im Gegensatz zu anderen Kolonialmächten keineswegs an einem ‚Kolonialpakt‘, an politischen Zugeständnissen an die Kolonisierten zur Aufrechterhaltung der zentralen ökonomischen Funktion der Kolonien, interessiert wa131
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
Ein weiterer Aspekt, der in der Presse und unter den Politikern hinsichtlich der britischen Politik diskutiert wurde, war der mögliche Einsatz indischer Truppen in Afrika. Subhas Chandra Bose wies in einem Artikel in der Modern Review im November 1935 darauf hin, dass: Indian troops were sent with the idea of committing Indian support to British policy in Abyssinia and on the other hand, to remind Italy that the vast resources of India are behind Great Britain.135
Dieses Vorgehen Großbritanniens wurde nach den Erfahrungen Indiens während und nach dem Ersten Weltkrieg von indischen Nationalisten, wie Bose, abgelehnt.136 Er befürchtete, dass bei einem Eintritt Großbritanniens in den Konflikt Indien ebenfalls zur Kriegsteilnahme gezwungen werde. Dazu kam es zwar nicht, aber indische Soldaten dienten in Addis Abeba als Wache der britischen Gesandtschaft und beschützten dort mehr als 1.500 Flüchtlinge verschiedenster Nationalität, darunter 359 Inder. Nach dem Fall der abessinischen Hauptstadt im Mai 1936 boten sie anderen Gesandtschaften, Missionen und zivilen Institutionen Hilfe und Schutz.137 Für Bose hatte ein halbes Jahr zuvor selbst der Gedanke, Abessinien werde durch eine mögliche Niederlage Italiens auf der Gewinnerseite stehen, nichts Tröstliches. Er befürchtete, dass das afrikanische Land dann das Schicksal Indiens oder Palästinas teilen und durch Großbritannien unterjocht werde.138 Dass dies nicht besser als eine Eroberung durch Italien sei, machte Bose deutlich, indem er im Zusammenhang mit dem italienischen Vorgehen in Abessinien auf den gleichzeitig stattfindenden Abwurf von britischen Bomben auf Städte und Siedlungen in den North-West Frontier Provinces hinwies.139 Großbritannien wurde einmal mehr als imperia-
ren. Auch die zur Eroberung eingesetzten finanziellen und logistischen Methoden, die Anzahl der italienischen Soldaten, die Brutalität der Vorgehensweise sowie die Auswirkungen auf internationaler Ebene hatten, seiner Ansicht nach, eine neue Qualität, weshalb der Abessinienkrieg nicht als reiner Kolonialkrieg angesehen werden darf. 135 Bose, MR, 58 (5) 1935, S. 576. 136 Schon vor der enttäuschenden Erkenntnis im Nachgang des Ersten Weltkrieges, dass der militärische und wirtschaftliche Einsatz im Kriegsfall auf britischer Seite kaum zu konkreten politischen Verbesserungen im eigenen Lande führen würde, hatten Nationalisten den Gebrauch indischer Truppen für britische Expansionsbestrebungen in Asien und Afrika als ökonomische Ausbeutung des Subkontinents zurückgewiesen (vgl. Chandra, Rise, S. 747). 137 Vgl. o. A.: ‚Sending troops to Abyssinia (18. 09. 1935)‘, in: The Times of India, S. 13; o. A.: ‚British Guard at Addis Abeba (02. 09. 1936)‘, in: The Times of India, S. 10. 138 Vgl. Bose, MR, 58 (5) 1935, S. 576 f. 139 Vgl. ebd., S. 577. Siehe für eine zeitgenössische Darstellung und Diskussion der Luftangriffe auch: Andrews, Challenge, S. 115–134, 174 ff. und 184. Das Bombardement in den North-West Frontier Provinces fand im Zuge der sogenannten Waziristan-Kam-
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listische Macht dargestellt, die sich in ihrer Expansionspolitik nicht vom faschistischen Italien unterschied.140 Mit seiner Einstellung, Großbritannien militärisch in dessen zukünftigen Konflikten nicht unterstützen zu wollen, stand Bose keineswegs allein da, sondern argumentierte entsprechend der offiziellen Linien des INC und der CSP. Schon 1927 hatte der INC auf seiner Jahrestagung in Madras eine Resolution zur Kriegsgefahr verabschiedet. Die Resolution stellte fest, dass Indien sich nicht zu einem Werkzeug in imperialistischen Konflikten machen lassen wolle. Aus diesem Grund forderte der INC, dass die indische Bevölkerung das Recht habe, die Teilnahme an einem solchen Krieg zu verweigern.141 Das Thema wurde erneut 1934 aufgegriffen und nun von der gerade gegründeten CSP diskutiert, die vorschlug, internationale Krisen zur Erlangung der indischen Autonomie (swaraj) auszunutzen.142 Die entsprechende Resolution der CSP wurde von der Führung des INC 1934 nicht übernommen und auch ein weiterer Vorstoß der Kongresssozialisten 1935 beim Jahrestreffen des All India Congress Committee endete ergebnislos.143 Erst vor dem Hintergrund der wachsenden Spannungen ab Mitte der 1930er Jahre wiederholte auch der INC seine vorherigen Aussagen und erließ eine Reihe von Resolutionen, die den indischen Standpunkt zur Nicht-Teilnahme an einem imperialistischen Krieg mit Vehemenz wiederholten. 144 Die von der CSP gestellte Forderung nach einem Ausnutzen von Krisensipagne der Briten statt, die von 1936 bis 1939 gegen aufständische Stammesangehörige durchgeführt wurde. Im Rahmen der militärischen Operationen kam es dabei auch zum Abwurf von Bomben auf Zivilisten (vgl. Hauner, Man, S. 188; Moreman, Army, S. 150 f.; Roe, War, S. 130 ff.). Für einen Überblick zum Einsatz der Royal Air Force im kolonialen Kontext vgl. Omissi, Air. Zum militärischen Vorgehen der Briten in den North-West Frontier Provinces vgl. Townshed, Britain’s, S. 149–155; Barthorp, Frontier. 140 Anton Pelinka kommt im Zusammenhang mit Boses Einschätzung des Abessinienkrieges zu einem ähnlichen Urteil und erklärt, dass der bengalische Nationalist sich jeder Parteinahme entzogen habe. Er habe das italienische Vorgehen weder gutgeheißen, noch bewundert, aber Mussolinis Regime auch nicht kritisiert. Kritik habe Bose vor allem an der britischen Politik geäußert (Pelinka, Demokratie, S. 98). 141 Vgl. Indian National Congress: ‚Resolution on War Danger (12.–14. 04. 1936)‘, in: o. A., Congress, S. 76. 142 Vgl. Narayan, Jayaprakash: ‚Letter to the Secretary, Bihar Congress Socialist Party (04. 11.1934)‘, in: J. P. Narayan Papers, NMML, 1. Installment, Subject Files, File 2/1934– 39. 143 Vgl. Chaudhuri, Movement, S. 113. 144 Vgl. Indian National Congress, Resolution (12.–14. 04. 1936), Congress, S. 76; Indian National Congress: ‚Resolution on War Danger (27./28.12. 1936)‘, in: Kripalani, Congress, S. 88; A.I.C.C.: ‚Resolution on War Danger and Amendment of the India Act (29. 04.–01. 05. 1939)‘, in: Congress Bulletin, (2) 1939 S. 14. Siehe auch: Prasad, Origins, S. 132 ff.
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
tuationen für Indiens Unabhängigkeit erlangte vor dem Hintergrund des Abessinienkrieges eine neue Wertigkeit und Prägnanz. Anstelle von uneingeschränkter Solidarität gegenüber Abessinien wurde verschiedentlich diskutiert, wie man den Konflikt für die eigenen Interessen nutzbar machen könnte. 145 So erklärte beispielsweise Benoy Jiban Ghosh, dass [..] the sight of an Indian wasting his breath, money or resources for the preservation of Abyssinian independence, instead of utilizing them for the liberation of his own fatherland, is most ridiculous, grotesque, unnatural and insane. 146
Statt uneigennütziger Hilfe schlug Ghosh, der wie Bose einen Kriegseintritt Großbritanniens und damit auch von Britisch-Indien befürchtete, vor, kein Opfer ohne eine angemessene Kompensation zu erbringen.147 Damit argumentierte er im Sinne von Subhas Chandra Bose, der nach Ausbruch des Krieges forderte: Indian leaders should now take a realistic view of the situation. Mere expression of sympathy for Abyssinia will no longer suffice. When any international conflict takes place, each nation must look to its own interest. On the present occasion India has to look after herself.148
Obgleich Bose, wie oben ausgeführt, indische Militärhilfe für Großbritannien an sich ablehnte, machte er für den Fall, dass Indien dem britischen Imperialismus in Afrika helfe, deutlich, dass dies nur nach einer vorherigen Absicherung der indischen Interessen geschehen dürfe. 149 Während verschiedene Meinungen hinsichtlich einer Bewertung der Außenpolitik des faschistischen Italien in den indischen englischsprachigen Tageszeitungen und Parteien erkennbar sind, scheint weitgehender Konsens bezüglich der Rolle Großbritanniens in der italienisch-abessinischen Affäre geherrscht zu haben. Die britischen Politiker galten als wenigstens teilweise verantwortlich für den Konflikt und dessen Folgen – eine Meinung, die, wie oben schon erwähnt, auch vom INC und der CSP vertreten wurde. Diese weithin geteilte Einschätzung kann nur vor dem Hintergrund der diversen Erfahrungen der indischen Bevölkerung mit dem britischen Imperialismus und Kolonialismus erklärt werden. Die Kolonialmacht Großbritannien wurde, insbesondere von den Mitgliedern der Nationalbewegung, lange Zeit als Land wahrgenommen, das Indien die Unabhängigkeit geben werde, sobald seine Einwohner ihre po145 Vgl. Ifar: ‚The Indian attitude in the Italo-Abyssinian war (27.10.1935)‘, in: ABP, S. 8; Ghosh, Benoy Jiban: ‚Britain and the War vis-à-vis India (02. 11.1935)‘, in: ABP, S. 17. 146 Ghosh (02. 11. 1935), ABP, S. 17. 147 Vgl. ebd. 148 o. A.: ‚Abyssinia and imperialism (14. 10.1935)‘, in: BC, S. 10. 149 Vgl. ebd.
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litische Reife erlangt hätten. Diese Hoffnung versiegte in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts, insbesondere nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. 150 Beeinflusst durch die Erfahrungen mit den 1919 durchgeführten, keineswegs weitreichenden konstitutionellen Reformen in Britisch-Indien, verbreitete sich die Auffassung, dass Großbritannien als imperiale Macht alles Mögliche und Nötige tun würde, um seine Herrschaft zu sichern. Diese Erkenntnis zusammen mit der wahrgenommenen Konkurrenz Großbritanniens und Italiens um Kolonialbesitz sowie die zirkulierende These von der Ähnlichkeit von Imperialismus und Faschismus in puncto territorialer Eroberungen haben wohl zu einer Relativierung der auf Expansion angelegten faschistischen Außenpolitik vonseiten mancher Autoren beigetragen. 7.1.4 Völkerbund und Sanktionen Aufgrund seines im Ersten Weltkrieges geleisteten Beitrags und der öffentlichen Meinung auf dem Subkontinent wurde es Indien nicht nur gestattet, 1919 an den Friedensverhandlungen in Paris teilzunehmen, sondern seine Vertreter durften, wie die Repräsentanten der souveränen Staaten, den Friedensvertrag unterzeichnen. Während der Verhandlungen auf der Friedenskonferenz wurde unter anderem die Entscheidung getroffen, mit dem Völkerbund eine internationale Organisation ins Leben zu rufen, die den Frieden in Zukunft sichern sollte.151 Nach langen Diskussionen wurde auch Indien in dieses neue internationale Gremium aufgenommen. Bemerkenswert war an diesem Vorgang vor allem, dass Indien der einzige nicht-souveräne Staat, das einzige sich nicht selbstregierende Mitglied des Völkerbundes war.152 Diese offenkundige Anomalie, dass das Land offiziell souveräne Rechte in externen Angelegenheiten im Völkerbund besaß, während es gleichzeitig weder autonom war noch die Macht über seine internen Angelegenheiten hatte, war ein zentrales Thema in öffentlichen Debatten in Indien.153 Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Problematik des Völkerbundes und verschiedene damit zusammenhängende Aspekte in den 1920er und 1930er Jahren umfassend und kritisch auf dem Subkontinent diskutiert wurden. Die Frage der Repräsentation und des genauen Status von Indien im Völkerbund, das indische Recht auf Selbstbestimmung,154 150
Vgl. Seth, Histories, S. 101; Brown, War, S. 38 ff. Vgl. Verma, India, S. 1–13. 152 Vgl. ebd., S. 14–24; Coyajee, India, S. 20–23. 153 Vgl. Framke, India’s. 154 Vgl. ebd. Hinsichtlich der ersten drei genannten Punkte hat die Auswertung der öffentlichen Meinungen von 1919 bis 1933 ergeben, dass es in der Anfangszeit zwar positive Stimmen gab, der weitaus größere Teil der Beiträge aber zur Kritik tendierte. Ab Mitte der 1920er Jahre verstärkte sich dieser Trend noch. Zur Frage der indischen Selbstbestimmung siehe auch: Manela, Moment, S. 77–97 und 159–175. 151
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aber auch die Maßnahmen des Bundes hinsichtlich der Mandatsfragen, seine Reaktionen auf Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten sowie seine Initiativen bezüglich einer internationalen Arbeitsorganisation, des Handels mit Frauen, Kindern und Drogen und einer internationalen intellektuellen Zusammenarbeit fanden Eingang in die Zeitungs- und Politikdebatten.155 Die indische Beschäftigung mit der Haltung des Völkerbundes im Abessinienkrieg ist für eine Analyse der Wahrnehmung der faschistischen Expansionspolitik aus zweierlei Gründen von Bedeutung: einerseits aufgrund der dem Bund zugesprochenen Verantwortung für die faschistische Eroberung, andererseits da, wie im Falle Großbritanniens, auch hier die Auseinandersetzung mit der Genfer Politik zur Ausformulierung unabhängiger außenpolitischer Positionen beitrug. Die italienische Aggression in Abessinien löste 1935 eine schwere internationale Krise aus und stellte den Völkerbund, Mattioli zufolge, „vor die größte Bewährungsprobe seit seiner Gründung.“ 156 Italien und Abessinien, beide Mitgliedsstaaten des Bundes, standen sich in dem Konflikt gegenüber, was das Eingreifen des Völkerbundes aufgrund seiner Satzung unumgänglich machte. 157 Italiens Aggression brach nicht nur eine Reihe internationaler Verträge, wie den Briand-Kellog-Pakt, den Freundschaftsvertrag mit Äthiopien von 1928 sowie das Genfer Giftgas-Protokoll von 1925, der Überfall auf Abessinien kam auch einer Missachtung der Völkerbundsatzung gleich. 158 Nach Artikel 16 hatte das faschistische Regime damit einen Kriegsakt gegen die gesamte Völkergemeinschaft begangen.159 Die äthiopische Regierung rief aus diesem Grund den Völkerbund in den kommenden Monaten immer wieder um Hilfe an.160 Diese wurde dem afrikanischen Staat, Mattioli zufolge, allerdings nur halbherzig gewährt. Obgleich der Völkerbund Italien am 07. 10. 1935 als Aggressor die Schuld am Krieg zusprach, tat man in Genf wenig, um den Konflikt schnell und zugunsten Abessiniens zu lösen. So wurden zwar Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Italien verhängt, die am 18. 11. 1935 in Kraft traten und auch durch
155
Vgl. Verma, India, S. 270–302; Grant/Trivedi, Question, S. 21–43. Vgl. Mattioli, Versagen, S. 109. Auch Nicola Labanca kommt zu dem Verdikt, dass der faschistische Überfall auf Abessinien einen Frontalangriff auf den Völkerbund darstellte. Der Abessinienkrieg sei aus diesem Grund kein reiner Kolonialkrieg, sondern gleichzeitig ein bedeutendes Ereignis in der europäischen Geschichte (vgl. Labanca, Erinnerungskultur, S. 33). 157 Vgl. Knipping, System, S. 409. 158 Vgl. ebd., S. 409 ff.; Mattioli, Versagen, S. 110; Del Boca, Yperit-Regen, S. 45. Italien hätte als Mitglied des Völkerbundes entsprechend dessen Satzung seine Streitfrage mit einem anderen Mitgliedstaat entweder der Schiedsgerichtsbarkeit (Artikel 13) oder der Prüfung durch den Rat (Artikel 15) unterbreiten (Artikel 12) müssen. 159 Vgl. Knipping, System, S. 413–415. 160 Vgl. Mattioli, Versagen, S. 111 f. 156
Anti-Koloniale Solidarität? Der Abessinienkrieg
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die Regierung Britisch-Indiens unterstützt wurden.161 Diese zeigten aber aufgrund ihrer Halbherzigkeit kaum die erwünschte Wirkung.162 Einen Monat nach der Einnahme Addis Abebas hob man in Genf im Juni 1936 die Sanktionen wieder auf. Alle europäischen Mitgliedstaaten des Völkerbundes außer der Sowjetunion erkannten die Annexion Abessiniens in den folgenden zwei Jahren an. Der INC und die CSP verurteilten den Völkerbund und auch die in den indischen englischsprachigen Tageszeitungen veröffentlichten Beiträge äußerten sich überwiegend kritisch; insbesondere der Bombay Chronicle missbilligte wiederholt die Vorgehensweise Genfs. 163 Nur vereinzelt gab es Berichte, die entweder in einem neutralen Ton abgefasst waren oder die Politik des Völkerbundes positiv beurteilten.164 Anfänglich waren die kritischen Kommentare meist gemäßigt. So verglich beispielsweise ein Leitartikel im Bombay Chronicle das Tempo des Völkerbundes hinsichtlich des Sanktionsprogrammes mit dem einer Schnecke.165 Der Verfasser eines anderen Leitartikels forderte, dass der Bund handeln oder sterben müsse.166 Auch zeichnerisch wurde Kritik an der Politik Genfs geäußert. Die Karikatur „Nag-Panchami at Geneva“, die am 08. 08. 1935 im Bombay Chronicle erschien, zeigte den Völkerbund als Schlangenbeschwörer, der sich bemüht, das als Schlange dargestellte faschistische Italien in den Korb des Bundes zurückzuführen.167 Der Korb, der mit der Bemerkung „das Ansehen des Bundes hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Friedens“ gekennzeichnet war, wurde von zwei Frauen, die Großbritannien und Frankreich symbolisieren, mit Opfergaben gefüllt. Die Beschwörung hat – und das deutet schon der Titel Nag-Panchami an, der auf ein hinduistisches Fest hinweist, bei dem die Anbetung von Schlangen eine gewisse Rolle spielt – also eher einen besänftigenden Charakter. Die militärische Haltung des faschistischen Italien sollte mit 161 Vgl. Leitartikel: ‚Sanctions (20. 11. 1935)‘, in: Forward, S. 4; Verma, India, S. 107; Funke, Sanktionen, S. 48 ff. 162 Vgl. Mantelli, Geschichte, S. 109 ff. 163 Vgl. o. A. (s. d.), A.I.C.C. Papers, File 25/1936; Indian National Congress, Sympathy (12.–14. 04. 1936), Congress, S. 76 f.; Nehru (05. 05. 1936), SWJN, Bd. 7, S. 568; Krishna/Ahmed (20. 10.1935), Mahratta, S. 7; Leitartikel: ‚The war (13.10. 1935)‘, in: Forward, S. 4; Leitartikel: ‚The lessons of Abyssinia (07. 05. 1936)‘, in: ABP, S. 8; Leitartikel (09. 05. 1936), ABP, S. 8; o. A.: ‚You remember Abyssinia? (09. 05. 1936)‘, in: CS, S. 5 f.; J. D. M. (29. 04. 1936), BC, S. 6; Driver, P. N.: ‚Rape of Abyssinia (12. 06. 1936)‘, in: BC, S. 6; Munshi, K. M.: ‚The rape of Abyssinia (26. 06. 1936)‘, in: BC, S. 6. 164 Vgl. From our own correspondent: ‚Geneva Letter (20. 03. 1936)‘, in: ABP, S. 6; Namjoshi, D. M.: ‚No world war even yet (13. 10. 1935)‘, in: The Mahratta, S. 6. 165 Vgl. Leitartikel (12. 10. 1935), BC, S. 6. 166 Vgl. Leitartikel: ‚Choice before League (04. 10. 1935)‘, in: BC, S. 6. 167 o. A.: ‚Nag-Panchami at Geneva (08. 08. 1935)‘, in: BC, o. S.
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
Opfergaben, wie beispielsweise mit Zugeständnissen in Abessinien, abgemildert und ein Konflikt verhindert werden. In Indien verfolgte man in den kommenden Monaten aufmerksam die Geschehnisse in Abessinien und in Genf. Nach der Einnahme Addis Abebas verschärften sich der Ton im INC und die Meinungsäußerungen in der Presse. Kongress-Präsident Jawaharlal Nehru beispielsweise, der schon zuvor seine Desillusionierung über den Bund und dessen Mitgliedsstaaten zur Sprache gebracht hatte,168 fand auf dem Solidaritätstag für Abessinien im Mai 1936 starke Worte, um seine Unzufriedenheit auszudrücken: Anything more extraordinary than the weakness and helplessness of the League in the face of aggression by one of its members over another it would be hard to find, […]. The League may continue, as the dying continues for long, but no one can consider it as a means for enforcing collective security. The last effort of our present-day capitalist world to build up some kind of a world order and check has failed. 169
Vom Völkerbund, dem einstigen Hoffnungsträger für Frieden und Verständigung, erwartete Nehru keinerlei Hilfe mehr für Abessinien. Seiner Ansicht nach waren der Bund sowie die Idee der kollektiven Sicherheit, für die er seit seiner Gründung gestanden hatte, gescheitert. Der Abessinienkrieg markierte dabei für indische Autoren keineswegs den Beginn des Scheiterns, sondern stellte vielmehr den Höhe- bzw. vorläufigen Endpunkt einer Reihe vermeintlich ähnlich gearteter Ereignisse dar. Zu diesen wurden neben der japanischen Besetzung der Mandschurei die Politik des Bundes gegenüber der arabischen Bevölkerung in Palästina, die allgemeine Wiederaufrüstung sowie der Austritt
168 169
Vgl. Nehru (17. 01.1936), SWJN, Bd. 7, S. 63. Nehru (09. 05. 1936), SWJN, Bd. 7, S. 570.
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Deutschlands aus dem Völkerbund gezählt. 170 Obgleich aufgrund der Einführung und Durchsetzung von Sanktionen (s. unten) die Völkerbundarbeit für einige Monate durch kollektive Handlungen gekennzeichnet war, stellten die im Falle der deutschen Rheinlandbesetzung unterbliebenen Maßnahmen unter Beweis, dass man in Genf nicht bereit war, den europäischen Status Quo effektiv zu verteidigen. Es wurde offensichtlich, dass das System der kollektiven Sicherheit vor dem Hintergrund der individuellen Interessen der Nationalstaaten vorerst ausgedient hatte. Die Politik des Appeasements (des Beschwichtigens) wurde zur neuen Leitdoktrin.171 Dieser Wandel in der europäischen Diplomatie und Außenpolitik scheint dazu beigetragen zu haben, dass die indische Auseinandersetzung mit der Politik des Völkerbundes nach dem Abessinienkrieg stark nachließ. Die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auftretenden Konflikte und Annexionen von deutscher und italienischer Seite wurden in den englischsprachigen indischen Medien und im INC weiterhin umfassend analysiert und die Reaktionen einzelner Nationalstaaten, insbesondere Großbritanniens, besprochen. Die Maßnahmen und Beratungen des Völkerbundes hingegen fanden nun weitaus weniger Eingang in indische Diskurse, was durchaus seiner Wahrnehmung als gescheitertes Modell geschuldet war. Verschiedene indische Beiträge in der Presse, aber auch vonseiten der Nationalbewegung warfen vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen 1935/ 36 die Frage auf, warum der Völkerbund nicht erfolgreich seine Zielsetzung der Friedenssicherung umsetzen konnte. Die vorgebrachten Antworten nannten zwei Hauptmotive: einerseits wurde die Außenpolitik Großbritanniens und Frankreichs gegenüber anderen ‚westlichen‘ Mächten als Begründung angeführt; andererseits der ‚westliche, weiße‘ Imperialismus, einschließlich der Japans, gegenüber ‚farbigen‘ sowie kolonial abhängigen Völkern in Afrika und Asien.172 So stellte beispielsweise der INC in seinem Foreign Department Newsletter fest, dass der Völkerbund zu sehr von imperialistischen Interessen dominiert werde, um Gerechtigkeit und Gleichheit für schwächere Nationen durchsetzen zu können. Einzig der geeinte Kampf der kolonial abhängigen Länder könne die Welt von imperialistischer Unterdrückung befreien.173 Im Zusammenhang mit dem ersten Argument vertraten einige Autoren die 170 Vgl. Mehta (29. 08. 1935), BC, S. 8; Shah, K. T.: ‚The World and its ways (05. 05. 1936)‘, in: BC, S. 6; o. A.: ‚Abyssinia’s betrayal (16. 07.1936)‘, in: BC, S. 7; o. A. (09. 05. 1936), CS, S. 5. 171 Vgl. Baer, Sanctions, S. 177 f. 172 Vgl. Driver (12. 06. 1936), BC, S. 6; Leitartikel (20. 06.1936), BC, S. 6; Nariman (09. 05. 1936), BC, S. 6; o. A. (16. 07. 1936), BC, S. 7. 173 Vgl. Lohia, Rammanohar: ‚Foreign Department Newsletter, No. 3 (02. 07. 1936)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File FD 11/1936.
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
Ansicht, dass der Ursprung des Problems – das imperialistische Wetteifern des Westens – in den Bestimmungen der Pariser Vorortverträge von 1919/20 selbst läge. Ihrer Ansicht nach basierten die nach dem Ersten Weltkrieg mit den Verlierer-, aber auch ‚schwächeren‘ Siegermächten, wie Italien und Japan, getroffenen Vereinbarungen von Anfang an auf Ungerechtigkeit. 174 Obwohl sich die meisten Autoren mit Abessinien solidarisierten und das italienische Vorgehen verurteilten, legitimierten sie mit ihrer Argumentation indirekt die Ambitionen des faschistischen Staates, da sich ihre Kritik vor allem gegen das von Großbritannien, Frankreich und den USA geschaffene Nachkriegssystem richtete. Explizit ausgesprochen fand sich diese Rechtfertigung in einem Beitrag von Monindra Mohan Moulik in der Amrita Bazar Patrika. 175 In diesem schrieb er, dass Italien das Unrecht des Versailler Vertrags als tiefe Kränkung empfunden habe. Der gegenwärtige Konflikt sei nur ein Versuch des faschistischen Landes, eine Umverteilung der Kriegsbeute, für die man gemeinsam mit den Alliierten gekämpft und die man gewonnen habe, zu erreichen.176 Die Tatsache, dass Abessinien gar nicht zur Kriegsbeute des Ersten Weltkrieges gehört hatte, erwähnte der Verfasser nicht. Im Zusammenhang mit der Fragestellung, warum der Völkerbund die Aufrechterhaltung des Friedens nicht bewältigen konnte, wiesen indische Stimmen auch prononciert auf die Konsequenzen der gegenwärtigen britischen und französischen Außenpolitik hin. Großbritannien und Frankreich wurden fast immer im Kontext ihrer vermuteten imperialistischen Ambitionen beurteilt. So vertrat beispielweise die Zeitschrift Congress Socialist, das Sprachrohr der CSP, die Ansicht, dass der letzte Lebensfunke des Völkerbundes durch dessen Versagen erloschen sei, eines seiner Mitglieder vor dem Überfall eines anderen Mitgliedstaates zu schützen.177 Frankreich und Großbritannien, die mächtigsten Mitglieder des Bundes, hätten dieses Versagen verschuldet. Sie seien ausschließlich ihren imperialistischen Interessen gefolgt und hätten vor dem Hintergrund der deutschen Gefahr die Freundschaft mit Italien nicht aufgeben wollen.178 Diese 1936 abgegebene Einschätzung der britischen und französischen Politik im Völkerbund wird durchaus von Teilen der heutigen Forschung bestätigt. 179 Aram Mattioli weist darauf hin, dass London und Paris Mussolinis Vor174 Vgl. Driver (12. 06. 1936), BC, S. 6; From our special correspondent (24. 12. 1935), ABP, S. 6; Ifar (27.10. 1935), ABP, S. 8. Vgl. dazu für Deutschland: Talukar (21.11.1933), ABP, S. 8; Leitartikel: ‚Germany’s colonial claim (26. 02. 1937)‘, in: ABP, S. 8; o. A.: ‚Britain in true colours (25. 03. 1938)‘, in: ABP, S. 8. 175 Vgl. From our special correspondent (24. 12.1935), ABP, S. 6. 176 Vgl. ebd. 177 Vgl. o. A. (09. 05. 1936), CS, S. 5. 178 Vgl. ebd. 179 Vgl. Morewood, Rivalry, S. 173; Adams, Politics, S. 31 f.
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gehen in der Hoffnung tolerierten, ihn zu einer Allianz gegen das wieder erstarkende Hitler-Deutschland bewegen zu können.180 Ihre passive Politik habe zur Zerstörung des Systems der kollektiven Sicherheit beigetragen; 181 eine Ansicht, die 1936 nicht nur von Nehru, sondern auch in indischen Zeitungen vertreten wurde. 182 R. A. C. Parker betont in seinem Beitrag wesentlich stärker die Ambivalenzen in den Zielsetzungen Großbritanniens: einerseits habe sich London bemüht die Kooperation mit Italien und Frankreich aufrechtzuerhalten, andererseits habe es versucht, den Völkerbund zu unterstützen oder zumindest so zu wirken.183 In einer ähnlichen Zwickmühle habe sich Frankreich befunden. Aufgrund der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse sei die französische Regierung einerseits von einer Unterstützung der Rechten, die ein Zusammengehen mit Mussolini befürworteten, anderseits von den Radikalen, die die Arbeit des Völkerbundes wichtig fanden, abhängig gewesen.184 Die indische Enttäuschung über die Politik Genfs fand nicht nur Ausdruck in einem Anti-League-Day, organisiert von der CSP am 15. 07. 1936 in verschiedenen Städten auf dem Subkontinent,185 sondern auch in Debatten über Indiens Status im Völkerbund. Schon im August 1935 beklagte ein Leitartikel des Bombay Chronicle die indische Hilflosigkeit hinsichtlich des italienisch-abessinischen Konfliktes. Indien könne in Genf nicht einmal Protest gegen dessen 180 Vgl. Mattioli, Versagen, S. 111. Zu einer ähnlichen Beurteilung kommt Nicola Labanca. Allerdings betont er, dass die Haltung der westlichen Großmächte und die diplomatischen Manöver von britisch-französischer sowie von italienischer Seite keineswegs das faschistische Regime aus der Verantwortung für dessen tatsächliche Eroberungspläne entlassen würden. Die Vorgehensweise Mussolinis sei entgegen der Ansicht verschiedener Historiker (zu nennen sei hier insbesondere Renzo de Felice) keineswegs moderat gewesen und habe auf eine vollständige Eroberung gezielt (vgl. Labanca, Erinnerungskultur, S. 42 f.). 181 Vgl. Mattioli, Versagen, S. 114. 182 Vgl. o. A. (09. 05. 1936), CS. S. 5 f.; Leitartikel (20. 06. 1936), BC, S. 6; Shah (05. 05. 1936), BC, S. 6. 183 Vgl. Parker, Great Britain, S. 296 und 310. Der Einsatz für den Völkerbund und eine friedliche Lösung von Konflikten unter Anwendung von Sanktionen waren vonseiten des britischen Volkes durchaus erwünscht, wie der Peace Ballot vom Juni 1935 belegte. Der Peace Ballot war eine nicht offizielle Umfrage zu den Themen internationale Abrüstung und kollektive Sicherheit. Durchgeführt wurde sie von der League of Nations Union, die etwa 11,5 Millionen Antwortschreiben sammelte. Die Auswertung ergab unter anderen, dass die Briten größtenteils einen Verbleib ihres Landes im Völkerbund befürworteten und ökonomische, nichtmilitärische Maßnahmen in gemeinsamem Vorgehen mit anderen Nationen gegenüber einem Aggressor bevorzugten (vgl. Parker, Great Britain, S. 297 f.; Kershaw, Friends, S. 120 f.). 184 Vgl. Parker, Great Britain, S. 298 ff. 185 Vgl. Lohia, Rammanohar: ‚Foreign Department Newsletter, No. 4 (16. 07.1936)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File FD 11/1936; o. A. (16. 07. 1936), BC, S. 7.
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
Maßnahmen einlegen, da ihre sogenannten Repräsentanten vor Ort nicht die indische Meinung vertreten würden.186 Einige Monate später nannte Subhas Chandra Bose in einer Artikelserie über die zukünftige nationale Außenpolitik als eines der sieben Prinzipien, denen Indien folgen müsse, Misstrauen gegenüber dem Völkerbund.187 Im Frühjahr 1936 fragte dann ein Leitartikel des Bombay Chronicle, warum Indien, wenn es keinerlei Einfluss auf die internationale Politik nehmen könne, überhaupt noch Mitglied im Völkerbund sein solle, und wies auf die damit verbundene Demütigung und die Kosten hin. 188 Als Gegenentwürfe zu einer Mitgliedschaft im Völkerbund, als Erlösung für die „farbigen Menschen“, die „schwächeren Rassen“, kursierten in der indischen Presse zwei Alternativen, eine League of oppressed Nations und eine League of Asiatic and African coloured Nations. 189 Während sich die Meinungen zur Politik des Völkerbundes in den ausgewählten englischsprachigen Printmedien hinsichtlich des Abessinienkrieges relativ homogen, das heißt überwiegend kritisch, zeigten, wiesen sie vor dem Hintergrund der Sanktionspolitik doch unterschiedliche Standpunkte auf. In den untersuchten Beiträgen wurden vor allem zwei Themen debattiert: zum einen die Auswahl und Wirksamkeit der vom Völkerbund beschlossenen Sanktionen, zum anderen ihre Anwendung in Indien. Von Anfang an gab es in der indischen Presse geteilte Auffassungen darüber, ob die im Oktober 1935 beschlossenen und im darauffolgenden Monat verhängten Wirtschafts- und Fi186 Vgl. Leitartikel (13. 08. 1935), BC, S. 6. Dieser Vorwurf war keineswegs neu, sondern wurde von der indischen Presse seit Anfang der 1920er Jahre hervorgebracht. Insbesondere die Art und Weise, wie die Repräsentanten Indiens ausgewählt wurden, die jährlich an der Versammlung in Genf teilnahmen, erregte viel Kritik. Die indische Delegation bestand aus drei Personen, die nicht von der indischen Bevölkerung gewählt und nominiert wurden, sondern durch den Staatssekretär für Indien in Absprache mit der Regierung in Delhi bestimmt wurden. Die Befürchtung der Kritiker war, dass die Repräsentanten entsprechend der Vorgaben der britischen Regierung arbeiten würden und damit nicht Indiens wirkliche Wünsche vertreten könnten (vgl. Framke, India’s). 187 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Nationalist India’s foreign policy (19.12. 1935)‘, in: BC, S. 8. 188 Vgl. Leitartikel (22. 04. 1936), BC, S. 6. 189 Vgl. Leitartikel (07. 05.1936), ABP, S. 8; Leitartikel (09. 05.1936), ABP, S. 8; Nariman (09. 05. 1936), BC, S. 6. Die Idee einer League of oppressed Nations, bzw. Entwürfe, die diesen Namen benutzten, kamen verschiedentlich auf. Im indischen Kontext erwähnte zum Beispiel Benoy Kumar Sarkar einen solchen ‚Bund der unterdrückten Völker‘. Seine Idee wurde, Johannes Voigt zufolge, von Karl Haushofer aufgegriffen und provozierte scheinbar Hitler zu seinen negativen Äußerungen über die indische Nationalbewegung in „Mein Kampf“. Auch Subhas Chandra Bose beschäftigte sich in den frühen 1930ern mit der Idee, eine solche Liga der unterdrückten Menschen, zu gründen. Mussolini bot an, dieses Projekt zu unterstützen (vgl. Voigt, Hitler, S. 35 f.; Voigt, Indien, S. 33 f.; de Donno, Fabrizio, S. 404).
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nanzsanktionen gegen Italien ausreichend seien.190 So glaubte K. T. Shah, Generalsekretär des National Planning Committee, dass die Durchführung bestimmter italienischer Maßnahmen, wie die Rationierung von Lebensmitteln, für einen Erfolg des Wirtschaftsboykotts spräche.191 Dementgegen gab es auch Stimmen, die Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionen für eine Beendigung des Krieges äußerten. So schrieb zum Beispiel Subhas Chandra Bose im Oktober 1935 in einem Beitrag in der Modern Review, dass das faschistisch regierte Italien selbst erklärt habe, die Sanktionen aushalten zu können.192 Auch Monindra Mohan Moulik legte in einem teilweise bewundernden Ton in seinen Artikeln für die Amrita Bazar Patrika dar, dass die Sanktionen ihre Zielsetzung verfehlten und Italiens Ambitionen in Abessinien nicht beeinträchtigen würden.193 In diesem Punkt trafen die indischen Befürchtungen und Darstellungen sehr genau die Realität der Wirksamkeit der Sanktionen im fernen Europa. Das über Italien verhängte Embargo bezüglich Waffen, Munition und Kriegsgerät hatte wenig Einfluss auf Mussolinis Regierung, da das faschistisch regierte Land über eine eigene Rüstungsproduktion verfügte. Auch die Kreditsperre zeigte kurzfristig kaum Wirkung und der Ausschluss von Eisen, Stahl, Kohle und Öl vom Handelsembargo hemmte den Erfolg der Sanktionen.194 Hinzu kam, dass etliche Länder, die dem Genfer Bündnis nicht angehörten, weiterhin Handel mit Italien betrieben, während verschiedene Völkerbundstaaten die Sanktionen nicht in Gänze befolgten und damit dem faschistischen Regime halfen.195 Im Zusammenhang mit dem zweiten Aspekt, der Frage nach der Anwendung von Sanktionen in Indien, war schon früh der Vorschlag eines Handelsboykotts vonseiten des Bombayer Bürgertums formuliert worden. Auf einem Treffen im Oktober 1935 appellierte man „[…] to Indian merchants, traders and labour not to offer any co-operation or assistance directly or indirectly to Italy in this injustifiable campaign against Abyssinia.“ 196 Ähnliche Aufrufe las-
190 Vgl. Leitartikel (04.10.1935), BC, S. 6; Krishna/Ahmed (20.10.1935), The Mahratta, S. 7; Bose, MR, 58 (5) 1935, S. 577; Shah, K. T.: The world and its ways (12. 11.1935), in: BC, S. 6. 191 Vgl. Shah (12. 11.1935), BC, S. 6. 192 Vgl. Bose, MR, 58 (5) 1935, S. 577. 193 Vgl. From our special correspondent (05. 11.1935), ABP, S. 8; From our special correspondent (24. 12. 1935), ABP, S. 8; From our special correspondent: ‚Our Rome Letter (19. 04. 1936)‘, in: ABP, S. 13; From our special correspondent: ‚Our Rome Letter (19. 07. 1936)‘, in: ABP, S. 22. 194 Vgl. Mantelli, Geschichte, S. 109 ff.; Parker, Great Britain, S. 315. 195 Vgl. Funke, Sanktionen, S. 57 ff.; Petri, Autarkie, S. 34; Mantelli, Geschichte, S. 109 ff. 196 o. A. (11. 10. 1935), BC, S. 1.
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sen sich auch in anderen Zeitungsbeiträgen im weiteren Kriegsverlauf finden.197 So plädierte beispielsweise die Amrita Bazar Patrika im Mai 1936 für einen aktiven indischen Beitrag, indem sie vorschlug, jegliche Handelsbeziehungen mit dem faschistischen Italien einzustellen. 198 Während die Zeitung somit einen bedingungslosen Boykott der italienischindischen Handelsbeziehungen befürwortete, hatte sie sechs Monate zuvor in einem Beitrag auf die Probleme hingewiesen, vor allem auf die ernsthaften wirtschaftlichen Verluste, die die Durchsetzung von Sanktionen gegen Italien für Indien bedeuten würden. Die italienisch-indischen Handelsbeziehungen, deren Bilanz vor Kriegsausbruch zugunsten Indiens ausgefallen war, würden durch den Verlust der Exportgewinne mit Italien gewaltig leiden; insbesondere, da der Import von Luxusartikeln aus Italien nun durch britische Produkte substituiert werde. 199 Trotz dieser Befürchtungen war der Autor aber sicher gewesen, Indien sei „[…] prepared to make this huge sacrifice believing that she will thereby help the cause of freedom“. 200 Die Zeitung hatte die Hoffnung ausgedrückt, dass der Völkerbund die indischen Verluste durch ein Kompensationsschema für die Länder, die sich an den Sanktionen gegen Italien beteiligten, ausgleichen werde. 201 Befürchtungen hinsichtlich einer Verringerung des indischen Handelsvolumens wurden ebenfalls in zwei Leitartikeln des Forward artikuliert. 202 So wies der Artikel vom 20. 11. 1935 auf die Gefahr eines Exportrückgangs solcher Erzeugnisse hin, die eigentlich nicht unter die sanktionierten Produkte fielen, aber aufgrund der Reaktion vom faschistischen Staat nicht mehr bezogen würden.203 In Indiens Fall betreffe dies vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die Herausgeber des Forward waren überzeugt, das Opfer, das von Indien verlangt würde, bringe keinen realen Nutzen für Abessinien, da der Abessinienkrieg nicht lange genug anhalten würde, um Druck auf das faschistische Land auszuüben.204 Die in der Amrita Bazar Patrika und im Forward geäußerten Befürchtungen hinsichtlich eines Rückganges der Handelsbeziehungen durch die Anwendung von Sanktionen, erwiesen sich als durchaus gerechtfertigt. Einen Überblick hinsichtlich der Veränderungen im italienisch-indischen Handel liefert der Bericht von 1936/37 des Indian Trade Commissioner aus Mailand. Seine Informationen belegen, dass die Exporte und Importe zur 197
Vgl. Abbasi (21. 07. 1935), Forward, S. 10; Nanavaty (09. 05. 1936), BC, S. 10. Vgl. Leitartikel (09. 05.1936), ABP, S. 8. 199 Vgl. Leitartikel: ‚India and the sanctions (17.11. 1935)‘, in: ABP, S. 8. 200 Ebd. 201 Vgl. ebd. 202 Vgl. Leitartikel (20. 11. 1935), Forward, S. 4; Leitartikel: ‚Sanctions (09.12. 1935)‘, in: Forward, S. 4. 203 Vgl. Leitartikel (20. 11. 1935), Forward, S. 4. 204 Vgl. ebd. 198
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Zeit der Sanktionen beträchtlich zurückgingen. Die Daten im Bericht geben allerdings keinen Aufschluss darüber, zu welchem Anteil der Rückgang einem freiwilligen Boykott geschuldet war. 205 7.1.5 Fazit Die indische Auseinandersetzung mit der faschistischen Expansionspolitik war, wie sich am Beispiel des Abessinienkrieges zeigt, komplex und vielschichtig. Die Debatten in der Presse und in den Parteien konzentrierten sich nicht nur auf eine Analyse der Eroberungsmotive und diskutierten somit deren Legitimation, sondern führten auch zu konkreten Hilfsmaßnahmen und Solidaritätsbekundungen. Darüber hinaus trugen die indischen Diskussionen und die oftmals eingenommene vergleichende Perspektive, die das italienische Vorgehen eher indirekt über die Auseinandersetzung mit der Politik Großbritanniens und des Völkerbundes wahrnahm, dazu bei, eigene Standpunkte zu klären. Die sich vor diesem Hintergrund entwickelnden eigenständigen außenpolitischen Positionen stimmten selten mit denen Großbritanniens überein. Im weiteren Verlauf der 1930er Jahre und während des Zweiten Weltkrieges sollten diese eigenständigen Positionierungen zu den ohnehin schwerwiegenden Konflikten zwischen den Kolonialherren und ihren südasiatischen Untertanen beitragen und die Ausrichtung des Unabhängigkeitskampfes des INC entscheidend beeinflussen.
7.2 Die Sudetenkrise 1938: Indische Kontroversen zur deutschen Expansionspolitik 7.2.1 Die nationalsozialistische Außenpolitik Die Hitlerregierung hatte nach der ‚Machtübergabe‘ 1933 zunächst keine Veränderung der deutschen Außenpolitik 206 vorgenommen, sondern sich auf die innen- und wirtschaftspolitischen Probleme des Landes konzentriert. Dieser Fokus erklärt sich aus Hitlers Auffassung, dass zur Verfolgung einer aktiven Außenpolitik zuerst der Ausbau der nationalsozialistischen Machtposition, die Bündelung und Mobilisierung der inneren Kraft Deutschlands sowie die geistige und materielle ‚Wiederwehrhaftmachung‘ des deutschen Volkes vorangetrieben werden müssten. 207 Obwohl in den ersten Jahren nach der ‚Machtübergabe‘ außenpolitische Konflikte vermieden werden sollten, führten bei205
Vgl. Ahuja, Report. Zum Expansionismus der deutschen Außenpolitik vgl. Kallis, Ideology, S. 105 ff. Zum außenpolitischen Programm der Nationalsozialisten vor und nach der Regierungsübernahme 1933 siehe: Knox, Conquest, S. 2–57. 207 Vgl. Herbst, Deutschland, S. 99. 206
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
spielsweise das von deutscher Seite begonnene Wettrüsten sowie der Austritt aus dem Völkerbund 1933 zu Irritationen und einer zunehmenden Isolation Deutschlands. 208 Diese bestand allerdings nicht lange, da es das nationalsozialistische Regime in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre schaffte, die Isolation durch eine geschickte Außenpolitik zu überwinden.209 Die außenpolitische Situation blieb weiterhin stabil, als Deutschland im März 1938 den ‚Anschluss‘ Österreichs vollzog. Die britische Regierung verurteilte zwar diese ‚Einverleibung‘, betonte aber gleichzeitig, dass sie keine Verpflichtungen gegenüber dem mitteleuropäischen Staat habe. Kurze Zeit später erkannte Großbritannien die neue Situation offiziell an. Die zurückhaltenden Reaktionen Großbritanniens und Frankreichs bestärkten Hitler letztendlich darin, sein Augenmerk nun auf die Tschechoslowakei zu lenken. Deren vollständige Zerschlagung hoffte er mithilfe des ‚Sudetenproblems‘ herbeiführen zu können. Entsprechende Überlegungen gab es schon 1937. Im Frühjahr 1938 aber wurden die militärischen Planungen konkretisiert, während sich die nationalsozialistische Regierung in den Folgemonaten verstärkt um eine außenpolitische Isolation des Nachbarstaates bemühte. 210 Die Tschechoslowakei befand sich in diesen Monaten in einer schwierigen Lage. In dem Vielvölkerstaat lebten verschiedene Minderheiten, unter anderem die der Sudetendeutschen. Brechtken zufolge waren die Sudetendeutschen in mancherlei Hinsicht unterprivilegiert, was ihrer Unzufriedenheit durchaus eine Berechtigung gab. 211 Ein Teil von ihnen gehörte der Sudetendeutschen Partei (SDP) an, die ab 1937 die Wiedereingliederung Sudetendeutschlands ins „Dritte Reich“ forcierte und damit Hitlers Plänen sehr entgegen kam. 212 Hitler machte sich die Entwicklungen zunutze, indem er die Forderungen der SDP für seine Pläne instrumentalisierte. Der Vorsitzende 208 Vgl. Brechtken, Herrschaft, S. 124 ff.; Wendt, Deutschland, S. 109 ff.; Herbst, Deutschland, S. 129 ff. Maßnahmen zur Konfliktvermeidung von deutscher Seite waren unter anderen wiederholte Friedensbekundungen, der Abschluss des Vierer-Pakts 1933 zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland sowie der deutsch-polnische Nichtangriffspakt von 1934. 209 Vgl. Wendt, Deutschland, S. 113. Hilfreich erwies sich in diesem Zusammenhang auch, dass verschiedene europäische Staaten lieber eigene Sicherheitsinteressen verfolgten und sich bereitwillig auf Verhandlungen mit dem Hitlerregime einließen. Als Beispiele können dafür das deutsch-britische Flottenabkommen von 1935 sowie die Entstehung der Achse Berlin-Rom gelten (vgl. ebd., S. 113 f.; Herbst, Deutschland, S. 140 ff. und 177 ff.). 210 Vgl. Herbst, Deutschland, S. 184 ff. und 192; Brechtken, Herrschaft, S. 145 f.; Weinberg, Policy, S. 316 ff. 211 Vgl. Brechtken, Herrschaft, S. 145. 212 Zur Politik Konrad Henleins und der Sudentendeutschen Partei vgl. Smelser, Sudetenproblem.
Die Sudetenkrise 1938
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der Partei Konrad Henlein 213 hatte sich wiederholt mit dem deutschen Reichskanzler getroffen und von ihm im März 1938 die Empfehlung bekommen, ein Forderungsprogramm an die tschechoslowakische Regierung zu richten, das nicht erfüllt werden könne. Vor dem Hintergrund der wachsenden Spannungen beschloss die tschechoslowakische Regierung im Frühjahr 1938 eine Teilmobilisierung ihrer Truppen und zwang mit diesem Schritt ihren Verbündeten Frankreich sowie dessen Bündnispartner Großbritannien zu einem Bekenntnis gegen Deutschland. Die Unterstützung beider Länder für die Tschechoslowakische Republik hielt allerdings nicht lange an. Insbesondere Großbritannien übte ab Mai 1938 verstärkt Druck auf Prag aus, indem es zum Beispiel verschiedene Gesandte schickte, die auf weitreichende Zugeständnisse vonseiten der Tschechoslowakei drangen. Die Befolgung von Hitlers Rat erwies sich vor diesem Hintergrund für Henlein als schwierig, da Prag durch den Druck Londons und Paris seinen Forderungen schrittweise nachgab. 214 Letztendlich gelang es dem Vorsitzenden der SDP, jegliche Einigung mit der tschechoslowakischen Regierung bis Mitte September 1938 zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Sudetenkrise entschloss sich der britische Premierminister Neville Chamberlain zu mehreren direkten Treffen mit Hitler, auf denen trotz weitreichender Zugeständnisse an Berlin keine Einigung erzielt werden konnte. Um die Frage endgültig zu klären und die Eskalation des Konfliktes zu vermeiden, fand am 29. und 30. September in München eine Vier-Mächte-Konferenz statt, an der neben Chamberlain und Hitler auch der französische Ministerpräsident Édouard Daladier und Benito Mussolini teilnahmen. Die vier Staatsoberhäupter einigten sich während der Konferenz, bei der kein Vertreter der Tschechoslowakei anwesend war, auf das Münchner Abkommen. Dieses sah die Räumung und deutsche Besetzung derjenigen Gebiete vor, deren Bevölkerung zu mindestens 50 % deutsch war. Die Tschechoslowakei wurde als Gegenleistung für den Verlust dieser industriell sehr hoch entwickelten Zone, in der sich darüber hinaus noch ihre Grenzbefestigungen befanden, mit einem Garantieversprechen über die Wahrung ihres verbleibenden Territoriums abgefunden.215 Dieses war allerdings kaum etwas wert, da „[…] praktisch Frankreich und Großbritannien die Integrität eines Verbündeten … [preisgaben – M. F.], um selbst keinen Krieg führen zu müssen“. 216 Im weiteren Ereignisverlauf zeigte sich, dass die nationalsozialistische Regierung mit dem Er-
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Zu Henlein siehe: Gebel, Reich. Vgl. Herbst, Deutschland, S. 193 f.; Trhlik, Nehru, S. 30 ff.; Weinberg, Policy, S. 334 f. Zur Situation der Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei sowie zu den historischen Ursachen des Problems siehe auch: Vysn, Runciman. 215 Vgl. Herbst, Deutschland, S. 194 ff. 216 Brechtken, Herrschaft, S. 147. 214
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reichten keineswegs zufrieden war. Durch weiteres Taktieren, Intrigieren und den Einmarsch deutscher Truppen in Böhmen und Mähren im März 1939 gelang schließlich die endgültige Zerschlagung der Tschechoslowakei. Die Großmächte Frankreich und Großbritannien griffen in diesem Moment nicht mehr ein und ließen zu, dass aus dem ehemals souveränen Staat ein deutsch-kontrolliertes Protektorat wurde. 217 7.2.2 Indische Einschätzungen des deutschen Expansionismus und der tschechoslowakischen Minderheitenpolitik Nicht nur die italienische Außenpolitik, sondern auch die nationalsozialistischen Expansionsbestrebungen wurden von der englischsprachigen Presse in Indien sowie von Vertretern verschiedener Parteien aufmerksam verfolgt und diskutiert. Nach der umfangreichen Debatte über den Abessinienkrieg rückten 1936–38/39 neben dem Spanischen Bürgerkrieg vor allem die Sudetenkrise sowie die sich anschließende Auflösung der Tschechoslowakei ins Blickfeld des Interesses. Entscheidende Themen waren dabei neben der Wahrnehmung des deutschen Expansionismus die Minderheitenproblematik sowie vor dem Hintergrund der Beurteilung der britischen Außenpolitik erneut das Verhältnis von Imperialismus und Faschismus. Der Völkerbund und dessen Standpunkt zur nationalsozialistischen Politik spielte hingegen kaum noch eine Rolle, da der Glaube an eine erfolgreiche Politik der kollektiven Sicherheit in verschiedenen indischen Kreisen schon während des Abessinienkrieges erloschen war. Einfluss auf das mangelnde Interesse am Bund in Indien wird auch die Ablehnung der Völkerbundoption vonseiten der britischen Regierung zu jener Zeit genommen haben. London wirkte darauf hin, dass der Bund nicht mehr politische Arbeiten wahrnahm. Damit verlor Genf als politischer Machtfaktor an Bedeutung. 218 Deutsche Darstellungen über eine benachteiligende Minderheiten-Politik der Tschechoslowakei griff die indische Presse frühzeitig auf und diskutierte sie in den Monaten bis zum Münchner Abkommen größtenteils kritisch. 219 217 Vgl. Herbst, Deutschland, S. 198 f. und 220 f.; Vgl. Brechtken, Herrschaft, S. 149; Dolezel, Tschechoslowakei, S. 270 ff. 218 Vgl. Beck, Peace, S. 251. 219 Vgl. From our own correspondent: ‚Swiss Letter (28. 03. 1937)‘, in: ABP, S. 20; From our own correspondent: ‚European Letter (11. 07. 1937)‘, in: ABP, S. 20; From our own correspondent: ‚European Letter (07. 11.1937)‘, in: ABP, S. 20; From our own correspondent: ‚The levelling of Austria (04. 04. 1938)‘, in: ABP, S. 3; From our own correspondent: ‚European Letter (08. 05. 1938)‘, in: ABP, S. 20; From our own correspondent: ‚Our European Letter (03. 06. 1938)‘, in: BC, S. 6; Moulik, Monindramohan: ‚Nationalism and minorities in Czechoslovakia‘, in: MR, 63 (6) 1938, S. 626–635; From our own correspondent: ‚European Letter (31. 07. 1938)‘, in: ABP, S. 20; Tricumdas, Purshottam: ‚The storm centre
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Etliche Beiträge wiesen dabei auf die umfassenden Rechte der deutsch(sprachigen) Minderheit in dem zentraleuropäischen Staat hin. So konstatierte der Korrespondent des Bombay Chronicle im August 1938, die deutsche Minderheit sei „[…] already better off in many ways than every other minority in Europe, the latter overlooked by States like Germany, Italy and Poland“. 220 Monindra Mohan Moulik, der Korrespondent der Amrita Bazar Patrika aus Rom, setzte sich mit dem Thema in einem Artikel in der Modern Review im Juni 1938 auseinander. Der Autor, der die italienische Aggression in Abessinien in zahlreichen Beiträgen verteidigt hatte, äußerte sich nun kritisch zum deutschen Vorgehen und beschrieb detailliert die Maßnahmen der Prager Regierung, die seiner Ansicht nach mit den Minderheiten im eigenen Staat tadellos umging. 221 Moulik verwies auf die Gleichheit der Bürgerrechte für alle Staatsangehörigen, auf die politische Repräsentation der verschiedenen Minderheitengruppen in der nationalen Abgeordnetenkammer und auf die wirtschaftliche Entwicklung rückständiger Gebiete. 222 Die Prager Regierung berücksichtige ebenfalls sorgfältig die Stellung der Minderheiten „[…] in the matter of elementary and technical education, in the matter of taxation relief, in the matter of participation by all sections of the population in administrative services, the executive and the judiciary“. 223 Bemerkenswert in Mouliks Beiträgen ist seine unterschiedliche Beurteilung der expansiv-aggressiven Außenpolitiken Italiens und Deutschlands. Seiner Kritik des deutschen Expansionsdranges stand die Legimitation des italienischen Vorgehens in Abessinien gegenüber, welches er als politische, soziale und wirtschaftliche Notwendigkeit für den faschistischen Staat ansah. Diese Unterschiedlichkeit der Bewertungen lässt sich durch die koloniale Dimension, durch Mouliks Erfahrungen mit dem britischen Imperialismus erklären. So bezeichnete er die imperiale Politik Mussolinis im Vergleich zum britischen Imperialismus als die bessere, menschenwürdigere Variante. Seine gleichzeitig pro-faschistische und anti-nationalsozialistische Haltung beim Thema Expansionspolitik scheint darüber hinaus durch seine persönlichen Beziehungen und den mehrjährigen Aufenthalt in Italien beeinflusst worden zu sein. Italien stellte für Moulik ein nachahmenswertes Modell für Indien in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht dar. Vor dem Hintergrund der Lage seines eigenen, kolonial abhängigen Heimatlandes kritisierte er Großbritannien (03. 09. 1938)‘, in: CS, S. 6. Für eine eher pro-deutsche Sicht vgl: From our own correspondent (07. 11. 1937): ‚Berlin Letter‘, in: ABP, S. 20; Leitartikel: ‚The crisis in Central Europe (26. 04. 1938)‘, in: ABP, S. 8. 220 Vgl. From our own correspondent: ‚Our European Letter (16. 08. 1938)‘, in: BC, S. 6. 221 Vgl. Moulik, MR, 63 (6) 1938, S. 626 und 630. 222 Vgl. ebd., S. 626 ff. 223 Vgl. ebd., S. 630. Zur Minderheitenpolitik der tschechoslowakischen Regierung vgl. Dolezel, Tschechoslowakei, S. 257 ff.
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und verharmloste mit Hilfe dieser Kritik die kriegerische Außenpolitik Italiens. Anders lag der Fall bei Deutschland, zu dem Moulik nicht nur die persönlichen Beziehungen fehlten. Der Fall der Sudetendeutschen eignete sich aufgrund der real oder zumindest angenommen fehlenden britischen Interessen kaum als Vergleichsfall mit der eigenen kolonialen Situation. Darüber hinaus schien eine mögliche Vorbildfunktion des Hitlerregimes für Indien seines Erachtens nach nicht relevant, zumindest äußerte er sich dazu nicht. All diese Gründe führten zu der unterschiedlichen Beurteilung der Außenpolitiken Deutschlands und Italiens durch Moulik. Während viele Beiträge in der englischsprachigen Presse die Minderheitenpolitik der Tschechoslowakei als fortschrittlich und vorbildlich ansahen, enthielten die Zeitungen auch einige wenige Stimmen, die die Forderungen der SDP für gerechtfertigt hielten. 224 Sie vertraten zum Beispiel die Auffassung, dass die Behandlung der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei kaum auf Gleichberechtigung basiere. Die Verantwortung für die komplizierte Situation lag, dem Verfasser eines Leitartikels zufolge, bei den Völkerbundstaaten und ihrer Gestaltung der politischen Landkarte Europas nach dem Ersten Weltkrieg, die seines Erachtens eigennützigen Motiven gefolgt seien. Der Autor vertrat die Auffassung, dass man nicht erwarten könne, dass die Deutschen ihre Nationalität aufgeben würden.225 Die Politik des Völkerbundes gegenüber den europäischen Minderheiten 226 schien für ihn ein gescheitertes Projekt zu sein. Dem Bund wurde einmal mehr die Fähigkeit aberkannt für kollektive Sicherheit sorgen zu können. Die Ursachen hierfür wurden in den Grenzziehungen der Versailler Konferenz selbst gesehen. Die in der indischen Presse geführten zeitgenössischen Debatten zur Inklusivität und Vorbildlichkeit der tschechoslowakischen Minderheitenpolitik finden ebenfalls Berücksichtigung in der heutigen Forschung. So weist Stephan Dolezel unter anderem auf die in der Verfassung der Republik niedergelegte Nationalstaatskonzeption hin, welche von einer tschechoslowakischen Nation ausging und damit die verschiedenen Minderheiten des Staates von Beginn an ignorierte. 227 Darüber hinaus, konstatiert Dolezel, habe die sudetendeutsche Bevölkerung eine Reihe sozial- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen der 224
From our correspondent (28. 03.1937), ABP, S. 20; Leitartikel (26. 04. 1938), ABP,
S. 8. 225
Vgl. Leitartikel (26. 04. 1938), ABP, S. 8. Zur Minderheitenpolitik des Völkerbundes vgl. Scheuermann, Minderheitenschutz; Fink, Peace, S. 273–288. 227 Ausführlicher dazu und zum Widerspruch der Konstituierung der Tschechoslowakei als Nationalstaat und ihrer realen Struktur vgl. Kural, Tschechoslowakei, S. 63–70. Kural stellt in seinem Beitrag neben den eher diskriminierenden Maßnahmen, ebenfalls die Annäherungsversuche beider Seiten dar. 226
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Prager Regierung als gegen sie gerichtete Benachteiligung empfunden,228 zu der die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise noch beigetragen hätten. Deren Folgen in Gestalt von Rezession und Arbeitslosigkeit habe insbesondere Industriebereiche getroffen, die stark von deutschen Unternehmen dominiert wurden.229 Auffällig im Kontext der indischen Perzeption und Auseinandersetzung mit der Minderheitenproblematik der Tschechoslowakei ist die fehlende Verknüpfung mit der eigenen Situation. Der indische Subkontinent hatte in den 1920er und 1930er Jahren immer wieder schwere kommunalistische Unruhen, insbesondere zwischen Angehörigen der muslimischen und der hinduistischen Gemeinschaft erlebt. 230 Auch das Ringen um weitere politische Konzessionen von der britischen Kolonialmacht, insbesondere die erfolglosen Bemühungen um eine von indischer Seite ausgearbeitete Verfassung von 1928 bis 1935, waren durch die Minderheitenfrage geprägt gewesen. 231 Ende der 1930er Jahre spitzte sich der innerindische Konflikt immer weiter zu. Während in der Auseinandersetzung mit dem faschistischen Italien der Kommunalismus von verschiedenen Autoren thematisiert wurde, blieb jetzt jeglicher Rückbezug auf die eigene Minderheitenproblematik in den analysierten Beiträgen aus. Ein Grund hierfür könnte die Unterschiedlichkeit der Fälle sein. Während es sich bei der Tschechoslowakei um einen relativ jungen Staat handelte, dessen Grenzziehung und damit die in ihm ansässigen Minderheiten durch eine internationale Konferenz beschlossen worden war, lebten die verschiedenen Gemeinschaften in Indien schon seit Jahrhunderten unter wechselnden Herrschern zusammen. Ein zweiter Gegensatz lag in dem Charakteristikum, das den Status der Minderheit konstituierte. Während in Indien die Hauptkonfliktlinien zwischen den Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften verliefen, wobei religiöse Zugehörigkeiten oft mit verschiedenen sozialen, politischen und kulturellen Identitäten korrespondierten und somit kommunalistische Auseinandersetzungen nicht vorrangig religiös motiviert sein mussten, war im Fall der Tschechoslowakei für die Frage der Nationalität die Sprachzugehörigkeit ausschlag-
228 In diesem Zusammenhang zur Vergabe von Staatsaufträgen in der Tschechoslowakei siehe: Boyer, Vergabe, S. 81–115. Boyer zeigt anhand seiner Untersuchung auf, dass die Auftragsvergabe bis 1937 in der Tschechoslowakei in Teilen von einer ‚anti-deutschen Haltung‘ beeinflusst war. Gleichzeitig deutet er auf das Vorhandensein plausibler Gegenargumente von tschechischer Seite gegen deutsche Klagen über eine Benachteiligung (vgl. S. 82). 229 Vgl. Dolezel, Tschechoslowakei, S. 258 ff. 230 Vgl. Sarkar, India, S. 233 ff. und 352 ff. 231 Vgl. ebd., S. 261 ff. Zum Standpunkt des INC in dieser Frage vgl. Singh, Congress, S. 188–206.
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gebend. 232 Trotz dieses Befundes scheint die eigene Situation durchaus zur intensiven Diskussion der Thematik in Indien beigetragen zu haben. Innerhalb der indischen Debatte wurden auch immer wieder die Rolle des Hitlerregimes in dieser Angelegenheit sowie dessen außenpolitische Strategie besprochen. Die meisten Autoren wiesen auf die Einmischung Deutschlands bzw. auf dessen Unterstützung der SDP hin; etliche Beiträge diskutierten einen direkten Zusammenhang zwischen dem deutschen Expansionismus und der Sudetenfrage. 233 So beschrieb der Korrespondent der Amrita Bazar Patrika aus London im April 1938 das Vorgehen der nationalsozialistischen Regierung folgendermaßen: By refusing all concessions the Czecho-Slovak Government may offer, and by representing the demands of the national minorities as the perfectly natural demands of justice she [Deutschland, M. F.] makes, the dismemberment of Czecho-Slovakia seem a process of which Germany is not in the least responsible, although she is actively promoting it the whole time. 234
Hitler-Deutschland sei, darauf wies der Autor in seinen weiteren Ausführungen hin, nicht an Gesetzen für Minderheiten interessiert, sondern einzig daran, alle Deutschen zurück in die Grenzen des Reiches zu bringen. 235 Zu einem ähnlichen Verdikt kam der Karikaturist B. Verma. Seine Zeichnung, die am 07. 05. 1938 im Leader erschien, zeigt, wie die Tschechoslowakei von den Ansprüchen der sudetendeutschen Minderheit stranguliert wird, während Hitler sie gleichzeitig mit einem Schwert bedroht. Interessanterweise weist Verma schon zu diesem frühen Zeitpunkt auf die potentielle Gefahr hin, dass Deutschland die Tschechoslowakei zerschlagen und anschließend dem deutschen Staatsgebiet hinzufügen könnte. In der Karikatur beobachtet der britische Premierminister Neville Chamberlain durch ein Fernglas die Ereignisse und scheint sich bereitzuhalten. Der Zeichner lässt allerdings offen, wozu Chamberlain bereit ist, was als kritische Einschätzung der englischen Außenpolitik in Europa aufgefasst werden kann. Im weiteren Ereignisverlauf der Sommer- und Herbstmonate 1938, spätestens seit der deutschen Beteiligung an den internationalen Gesprächen zur Lösung der Sudetenkrise und in Anschluss an das Münchner Abkommen verzich232 Einen Überblick zum Thema kommunale Identität sowie zu deren akademische Debatten gibt: Chakrabarty, Introduction, S. 1–47. 233 Vgl. From our own correspondent: ‚Czechoslovakia doomed? (16. 04. 1938)‘, in: ABP, S. 8; From our own correspondent (07. 11.1937), Berlin Letter, ABP, S. 20; From our own correspondent (04. 04. 1938), ABP, S. 20; Leitartikel: ‚Nazi-Czech relations (03. 05. 1938)‘, in: BC, S. 6; From our own correspondent (03. 06. 1938), BC, S. 6. 234 From our own correspondent (16. 04. 1938), ABP, S. 8. 235 Vgl. ebd.
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While it is feared that Germany is preparing to devour Chzechoslovakia England is supposed to be keeping a sharp look out and holding itself in readiness for ……
tete kaum ein indischer Beitrag auf eine Beschreibung der deutschen Politik und ihrer Zielsetzungen. 236 Dabei wurde zum Beispiel die Instrumentalisierung der SDP durch die Hitlerregierung angesprochen und die Vermutung geäußert, dass die wirkliche Intention des nationalsozialistischen Regimes in der Ausweitung seines Einflusses auf die Tschechoslowakei liege. Im Zusammenhang mit seinem expansionistischen Programm strebe Deutschland die Kontrolle über die tschechoslowakische Außenpolitik sowie die Verbreitung seines totalitären Konzeptes im Nachbarland an. 237 Purshottam Tricumdas, Gründungsmitglied der CSP, ging in seinem Artikel im Congress Socialist noch einen Schritt weiter und vertrat die Auffassung, dass ohne Hitlers Einmischung die Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei zufrieden mit den anderen Nationalitäten zusammenleben würden. Das Minderheitenproblem war für Tricumdas ein künstlich geschaffenes, die Beschwerden der SDP erfunden. Letztendlich, so führte er aus, sei die Krise nur vor dem Hintergrund von Hitlers Zielsetzungen, eine deutsche Hegemonie über Zentral- und Osteuropa zu er236 Vgl. Tricumdas (03. 09. 1938, CS, S. 6 f.; From our own correspondent (31. 07.1938), ABP, S. 20; From our own correspondent: ‚European Letter (21. 08. 1938)‘, in: ABP, S. 20; From our own correspondent: ‚Our London Letter (09. 09. 1938)‘, in: BC, S. 6; o. A.: ‚Blackmail wins (20. 09. 1938)‘, in: BS, S. 2; From our own correspondent: ‚Review of Situation in Czechoslovakia (21. 09. 1938)‘, in: ABP, S. 6; Leitartikel: ‚Chamberlain’s apologia (28. 09. 1938)‘, in: BS, S. 2; From our own correspondent: ‚European Letter (09. 10. 1938)‘, in: ABP, S. 20. 237 Vgl. From our own correspondent (21. 09. 1938), ABP, S. 6.
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richten, zu verstehen. 238 Ähnlich argumentierte auch der Londoner Korrespondent des Bombay Chronicle, der darlegte, dass Deutschland nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs und durch die Kontrolle der Tschechoslowakei ein äußerst starkes Kontinentalimperium beherrschen werde. Darin und nicht in irgendwelchen außereuropäischen Kolonialabenteuern sah der Verfasser die eigentliche Zielsetzung der nationalsozialistischen Regierung. 239 Was bei der Analyse der ausgewerteten Quellen hervorsticht, ist der Befund, dass oftmals mit ebensolchen prägnanten Feststellungen die Beschäftigung mit den ideologischen Hintergründen der nationalsozialistischen Expansionspolitik endete. Die indischen Beiträge fokussierten sich eher auf die aktuellen diplomatisch-politischen Ereignisse. In einigen wenigen Artikeln verwendeten die Autoren zwar nationalsozialistische Begrifflichkeiten oder gaben Schriften wie „Mein Kampf“ als Informationsquelle an. 240 So legte der Verfasser, der unter dem Kürzel G. H. in der Modern Review regelmäßig zu den World Affairs schrieb, dar, dass für „Germany the Drang nach Osten is now assured, and the way to the Rumanian oil-fields and Ukrainian granary of the Soviet opened by the capitulation of Czecho-Slovakia. Mein Kampf is really to begin […]“. 241 Dennoch blieb auch in solchen Beiträgen die Auseinandersetzung mit dem ideologischen Programm des Nationalsozialismus begrenzt. Die Debatten um die Zielsetzungen der deutschen Außenpolitik setzten sich aber nicht nur mit den vorgeblich irredentistischen Motiven 242 des Hitlerregimes auseinander, sondern nannten auch wirtschaftliche Beweggründe für die Einverleibung des Sudetenlandes und die spätere Zerschlagung der restlichen Tschechoslowakei. 243 Die aktuellen Entwicklungen in Europa seien, so erklärte im März 1939 ein Leser in einem Schreiben an die Amrita Bazar Patrika, vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Determinismus Deutschlands sowie der „Lebensraum“-Theorie der Nazis kaum überraschend. 244 Die überlegene Technokratie der deutschen Industrie habe für eine unumstrittene Füh238
Vgl. Tricumdas (03. 09. 1938), CS, S. 6. Vgl. From our own correspondent (09. 09. 1938), BC, S. 6. 240 Vgl. o. A.: ‚Peace with shame (30. 09. 1938)‘, in: BS, S. 2; G. H.: ‚World Affairs‘, in: MR, 64 (5) 1938, S. 626; Sinha, Ila: ‚Peace or war? (25. 03. 1939)‘, in: ABP, S. 18. 241 G. H., MR, 64 (5) 1938, S. 626. 242 Vgl. Kallis, Ideology, S. 116 ff. Irredentismus ist eine Ideologie, die auf die Zusammenführung aller Vertreter einer Ethnie in einem einheitlichen Staat abzielt. Im Falle der Tschechoslowakei führt Kallis aus, dass Hitler ab 1937 auf deren völlige Inbesitznahme abzielte, was mit irredentistischen Motiven politisch und geographisch kaum begründet werden konnte (vgl. Kallis, Ideology, S. 120). 243 Vgl. o. A. (20. 09. 1938), BS, S. 2; G. H.: ‚World Affairs‘, in: MR, 64 (4) 1938, S. 504; Sinha (25. 03. 1939), ABP, S. 18; From our own correspondent: ‚Potentialities of Zech Conquest (31. 03. 1939)‘, in: The Mahratta, S. 4. 244 Vgl. Sinha (25. 03. 1939), ABP, S. 18. 239
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rungsposition des Reiches im wirtschaftlichen Leben Zentraleuropas gesorgt, sie aber auch abhängig gemacht: […] for raw materials on the Danubian and the Balkan States. She is also in desperate need of the agricultural resource of Hungary, Poland, Rumania, and Yugoslavia for feeding her own population and her four year plan that is designed to give her economic self-sufficiency is also impossible of attainment unless she can establish her economic sway over those countries. 245
Vor diesem Hintergrund habe die Tschechoslowakei, dem Verfasser zufolge, dem Hitlerregime im Weg gestanden und musste von Hitler erobert werden. 246 Die Wiedergabe von Argumenten, die die wirtschaftliche Notwendigkeit der deutschen Expansionspolitik darlegten, erstaunt vor dem Hintergrund der kolonialen Abhängigkeit Indiens, die mit der ökonomischen Ausbeutung des Subkontinents einherging. Ein Grund für diese kritiklose Darstellung könnte in der weiten Verbreitung der Swadeshi-Konzeption (im engeren Sinne die Produktion und der Kauf eigener Produkte und gleichzeitig der Boykott britischer Waren) in Indien gelegen haben. Verbunden damit waren weithin diskutierte und akzeptierte Vorstellungen über eine Autarkie für das eigene Land, in diesem Falle aber auch für europäische Staaten, wie Italien und Deutschland. Ein letztes Motiv für die Annexion der Sudetengebiete, das vor allem nach dem Abschluss des Münchner Abkommens in der indischen Presse diskutiert wurde, war der Revisionismus Deutschlands. Im Mittelpunkt der Debatte standen dabei die Friedensverträge von Versailles sowie deren Klauseln; ein Thema, das schon vor der Sudetenkrise von indischen Autoren immer wieder aufgegriffen worden war. 247 Dabei wurde unter anderem das Selbstbestimmungsrecht der Völker diskutiert. Unter dem Hinweis, dass die gegenwärtige Forderung der Sudentendeutschen nach Selbstbestimmung schon 1919 Gültigkeit besessen habe, kam ein Beitrag zum Beispiel zu dem Urteil, dass deren Herbeiführung nach dem Weltkrieg gar nicht von den Alliierten verfolgt worden sei. Vielmehr habe es im Interesse der Siegermächte gelegen, den deutschen Expansionismus einzudämmen, indem man die Bildung nicht freundlich gesinnter Nationalstaaten unterstützte. 248 Die Bildung dieser Nationalstaaten,
245
Ebd. Vgl. ebd. 247 Vgl. unter anderem zur indischen Auseinandersetzung mit den Regelungen des Versailler Vertrags hinsichtlich Deutschlands territorialen Ansprüchen: Husain, Mahmud: ‚Nazi foreign policy‘, in: MR, 56 (1) 1934, S. 48 ff.; o. A.: ‚Right of the Might (02. 02. 1936)‘, in: The Mahratta, S. 7; Basu, Sachin: ‚Oppressed Germany (18. 05. 1935)‘, in: ABP, o. S.; Parmanand (27. 04. 1938), HO, S. 3; o. A.: ‚Hitler saved Austria (30. 01. 1939)‘, in: ABP, S. 7. Zum Revisionismus in der deutschen Außenpolitik vgl. Kallis, Ideology, S. 105 ff. 248 Vgl. o. A. (20. 09. 1938), BS, S. 2. 246
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unter anderem der Tschechoslowakei, im Anschluss an die Friedensverhandlungen von Versailles wurde somit als Motiv des gegenwärtigen deutschen Expansionismus festgestellt. Während sich der Beitrag trotz dieser Argumentation insgesamt kritisch zum Vorgehen des Hitlerregimes positionierte, lassen sich ebenfalls Meinungsäußerungen in der Presse finden, die das Vorgehen der nationalsozialistischen Regierung für begründet hielten. 249 So schrieb beispielsweise ein Leser in der Amrita Bazar Patrika, dass Deutschland durch die Versailler Verträge in einer Art und Weise „territorial amputiert“ worden sei, die beinahe die Auslöschung seines Lebens bedeutet habe. 250 Weiterhin hieß es in dem Brief: Many small states created after Versailles were a punishment to Germany in so far as some predominantly German provinces were parceled out to those states. Spirit of vindictiveness ruled supreme at Versailles, and no thought was given to the future peace of the world, Sudetenland ought never to have been placed within the boundaries of Czechoslovakia, and if it is restored to Germany now no sacrifice is involved in this, except what Czech money was sunk in it for its development these twenty years. Joy and sorrow consequent upon the restoration of a property, wrongfully confiscated, are an illusion which should not throw sane people into hysterics. 251
Der Verfasser des Schreibens drückte klar seine Auffassung aus, dass die Bedingungen, in welche das besiegte Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg einwilligen musste, falsch gewesen seien und nicht auf eine dauerhafte Friedenslösung gezielt hätten. Diese negative Beurteilung des Versailler Vertrages übersah allerdings, dass dieser durch die Reorganisation Europas entlang nationaler Prinzipien Deutschlands außenpolitisches Potenzial weitestgehend unangetastet gelassen hatte. Die deutsche Position und seine künftigen Ambitionen wurden unter anderem durch die Auflösung Österreich-Ungarns, die Schaffung relativ schwacher Nationalstaaten in Mittel- und Südosteuropa sowie durch den Rückzug der USA aus Europa gestärkt. 252 Trotzdem schien dem Verfasser des Leserbriefes die Rückgabe des Sudetenlandes an das Deutsche Reich eine gerechte Angelegenheit zu sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass die meisten indischen Autoren, die sich zum revisionistischen Kurs Hitlers gegenüber den Bestimmungen der Versailler Verträge äußerten, von der Annahme geleitet waren, dass mit der Sudetenfrage eine berechtigte territoriale Reorganisation Europas diskutiert würde. Neben dem irredentistischen Argument war in den 249 Vgl. Mitra, Satventra Nath: ‚Czechoslowakia (19. 11. 1938)‘, in: ABP, S. 18; Tayal, S. P.: ‚Reader’s letter: Czech Sacrifice (10. 10. 1938)‘, in: ABP, S. 14. 250 Vgl. Tayal (10. 10. 1938), ABP, S. 14. 251 Ebd. 252 Vgl. Weinberg, Defeat, S. 248–260.
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indischen Medien der Glaube verbreitet, dass die Ursache der Sudentenkrise auch im Revisionismus der nationalsozialistischen Außenpolitik zu suchen sei. 253 Dabei übersahen einige Autoren allerdings, dass die von den Sudetendeutschen bewohnten Gebiete in der Tschechoslowakei vor dem Weltkrieg gar nicht zum Deutschen Kaiserreich, sondern zu Österreich-Ungarn gehört hatten, revisionistische Motive Deutschlands hier also gar nicht zum Tragen kamen. 254 Einer der wenigen, der auf diese falsche Wahrnehmung hinwies, war Jawaharlal Nehru. 255 Nehru, der im August 1938 für zehn Tage in der Tschechoslowakei weilte, 256 besuchte neben Prag verschiedene Städte in Böhmen, Mähren und der Slowakei und traf mit Personen verschiedenster Couleur zusammen: Tschechen, Slowaken und Sudetendeutsche, unter ihnen sowohl deutsche Sozialdemokraten als auch Anhänger Henleins. 257 Die Erfahrungen, die er während der Reise machte, bzw. die Informationen, die er sammelte, stellte er nicht nur in indischen Zeitungen dar und kommunizierte sie in Briefen an seine Landsleute. Vielmehr gab er auch eine Reihe von Interviews für die europäische Presse 258 und verfasste Anfang September 1938 einen Leserbrief an den Manchester Guardian. In diesem wies er darauf hin, dass die tschechoslowakische Regierung zu umfassenden Zugeständnissen in puncto Minderheitenrechte bereit sei, aber er legte auch seine Ansicht dar, dass: 253
Vgl. ebd.; o. A. (20. 09.1938), BS, S. 2. Vgl. Kallis, Ideology, S. 119. 255 Vgl. Nehru, Glimpses, S. 963. Siehe auch: From our own correspondent (28. 03. 1937), ABP, S. 20; Mitra, Satventra Nath (19.11.1938), ABP, S. 18. 256 Nehru besuchte Anfang August 1938 München. Inwieweit er sich während seines kurzen Besuches mit Vertretern des nationalsozialistischen Regimes getroffen hat, ist umstritten. Ein britischer Geheimdienstreport weist auf ein entsprechendes Treffen hin. Auch das deutsche Generalkonsulat in Bombay berichtet im Vorhinein von seinem Interesse Deutschland zu besuchen und mit verschiedenen Führungspersönlichkeiten, wie Außenminister von Ribbentrop zu sprechen. Nehru schrieb hingegen in einem Brief an den Arbeitsausschuss des INC, dass er mehrere Einladungen von deutscher Seite erhalten habe, diese aber aufgrund der gegenwärtigen politischen Situation in Europa nicht wahrnehmen werde. Aus deutschen Archiven sind bisher sind keine Unterlagen bekannt, die das Treffen bestätigen (vgl. o. A.: ‚Activities of Jawaharlal Nehru (29. 08. 1938)‘, in: IOR, L/ PJ/12/293, BL, File 295/26; von Dönhoff, Bogislaw: ‚Brief an das Auswärtige Amt (31. 05. 1938)‘, in: Pol. VII, Indien Po. 2, PA-AA, R 104777; Nehru, Jawaharlal: ‚Note to the Working Committee (01. 08. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 94). 257 Vgl. Trhlik, Nehru, S. 48 f. und 51; Krasa, Nehru, S. 342 f. 258 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚The Czech Crisis (18. 08. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 109 f.; ‚Letter to J. B. Kripalani (30. 08. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 117 f.; ‚The tension in Europe (31. 08. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 119 f.; ‚Germany and war (03. 09. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 129 f.; ‚India and the European crisis (05. 09. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 130 f.; Trhlik, Nehru, S. 54. 254
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
[…] everybody knows that the question at issue is not a minority one. If it was a love of minority rights that moved people, why do we not hear of the German minority in Italy or the minorities in Poland? The question is one of power politics and Nazi desire to break up the Czecho-Soviet alliance, to put an end to the one democratic State in Central Europe, to reach the Rumanian oil fields and wheat, and thus to dominate Europe. 259
Nehru, der sehr klar die seines Erachtens verfolgten außenpolitischen Zielsetzungen Deutschlands benannte, machte im weiteren Verlauf des Briefes aus seiner pro-tschechoslowakischen Haltung keinen Hehl und sprach dem zentraleuropäischen Staat die Sympathien des gesamten Indien aus. 260 Der Arbeitsausschuss des INC schloss sich Nehrus Worten am 28. 09. 1938 an und sandte ein Telegramm mit Sympathiebekundungen an Präsident Benesˇ. 261 Während Nehru und der INC somit offiziell die Sache der Tschechoslowakei unterstützten, nahm der Präsident der HMS, Vinayak Damodar Savarkar, einen anderen Standpunkt ein. Er war der Ansicht, dass Deutschland jede Rechtfertigung besitze, Österreich und die Sudetendeutschen ins Reich einzugliedern, da dies den Wünschen der Sudetendeutschen entspreche. 262 Indem die Prager Regierung dieses Anliegen ignorierte und die Deutschen gegen ihren Willen in Fremdherrschaft hielt, verstieß sie, Savarkar zufolge, gegen das Demokratieprinzip. 263 Ungewöhnlich an dieser Argumentation des Präsidenten der HMS mutet an, dass sie in einem gewissen Widerspruch zu seiner gewöhnlich vertretenen Linie, dass sich die Minderheiten in einem Land dem Willen 259 Nehru, Jawaharlal (08. 09. 1938): ‚Reader’s letter: The betrayal of Czecho-Slovakia‘, in: Nehru, Unity, S. 286. 260 Vgl. ebd. 261 Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Telegram to President Benes ˇ (28. 09. 1938)‘, in: A.I.C.C. Papers, NMML, File G71/1938. Diese Sympathiebekundung war von der ‚India League‘ in London schon erwartet worden. Sie hatte das Schweigen des INC-Präsidenten anmahnend, ein Telegramm mit der Bitte an Subhas Chandra Bose gesandt, dem tschechoslowakischen Präsidenten Benes die wirklichen, sympathisierenden Ansichten Indiens mitzuteilen (vgl. From our London correspondent: ‚Our London Letter (05. 10. 1938)‘, in: BC, S. 6). 262 Vgl. Hindu Mahasabha Office Bombay Branch: ‚Press Statement (s. d.)‘, in: V. D. Savarkar Papers, NMML, File 23, Teil 2, Miscellaneous Correspondence, Jan. 1938 – May 1939. Das Datum der Rede, der 01. 08. 1938, wird von Marzia Casolari in ihrem Aufsatz angegeben. Savarkar hielt Ansprachen mit denselben oder zumindest ähnlichen Inhalten aber auch in Delhi, Ferozepur und in weiteren Städten. Die Rede zur indischen Außenpolitik scheint er auch noch einmal in Pune im Oktober 1938 gegeben zu haben (vgl. Casolari, Hindutva, S. 223; o. A.: ‚Vir Savarkar on India’s foreign policy (09. 11. 1938)‘, in: HO, S. 13; Leszczynski, G. L. ‚Letter to J. D. Malekar (19.11. 1938)‘, in: V. D. Savarkar Papers, NMML, File 23, Teil 2, Miscellaneous Correspondence, Jan. 1938 – May 1939; Malekar, J. D.: ‚Letter to G. L. Leszczynski (22. 11. 1938)‘, in: V. D. Savarkar Papers, NMML, File 23, Teil 2, Miscellaneous Correspondence, Jan. 1938 – May 1939). 263 Vgl. Hindu Mahasabha Office Bombay Branch (s. d.), V. D. Savarkar Papers, File 23, Teil 2.
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der Mehrheit unterordnen müssten, steht. 264 Im Falle der Sudetendeutschen machte Savarkar allerdings klar, dass hier die kurze territoriale Zugehörigkeit zur Tschechoslowakei weit weniger wiege als die rassischen, sprachlichen, kulturellen und historischen Bindungen an Deutschland. 265 Da die Idee eines gemeinsam bewohnten Territoriums entscheidend in Savarkars ideologischem Konstrukt zur Bildung von Nationen war, 266 ist es wenig verwunderlich, dass die Annexion der Sudetengebiete seinen Beifall fand: Now that Germany is strong why should she not strike to unite all Germans and consolidate them into a Pan-German state and realize the political dream which generations of German people cherished.267
Die Ausführungen Savarkars weisen, Tobias Delfs zufolge, auf zwei wichtige intellektuelle Einflüsse. So sei seine Nähe zum deutsch-schweizerischen Staatsund Rechtstheoretiker Johann Kaspar Bluntschli sowie zum Evolutionssoziologen Herbert Spencer erkennbar, die beide über das Recht einer starken Nation sich durchzusetzen geschrieben hatten. 268 Ein weiteres Motiv, das Savarkars Verständnis für die Errichtung eines pandeutschen Staates geprägt haben könnte, sind seine eigenen Bemühungen um ein Greater India. Savarkar und weite Kreise der HMS stellten in ihren Ausführungen zu Greater India Asien als einen hinduistisch-buddhistischen Kontinent dar und wiesen wiederholt auf dessen gemeinsame Zivilisation hin, die andere Gruppen, unter anderem die der Muslime, ausschloss.269 Nach dem Münchner Abkommen thematisierte Savarkar bei einer Versammlung am 04. 10. 1938 in Delhi die Verhandlungen noch einmal und gratulierte Hitler zur Befreiung der Sudetendeutschen aus den ‚Klauen‘ der Tschechoslowakei. Erneut rechtfertigte er das deutsche Vorgehen mit einer auf Rasse, Sprache und Kultur basierenden Begründung. 270 Das deutsche Beispiel 264
Siehe zu Savarkars Vorstellungen zu Minderheiten Kapitel 5.1.2. Vgl. Savarkar, Rashtra, S. 46 f. 266 Savarkar beschrieb seine Vorstellungen, wer zur Hindunation gehöre und durch welche Aspekte sie sich konstituiere ausführlich in dem Werk „Hindutva: Who is a Hindu?“. 267 Ebd. 268 Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 68 f. In seiner „Allgemeinen Staatslehre“ schreibt Buntschli, dass nur starke Nationen (politisch befähigte) das Recht hätten, zu einem selbstständigen Volk zu werden. Schwache Nationen hingegen müssten sich unterordnen. Bei Spencer haben militärisch starke Nationen oder Rassen das Recht Schwächere zu bezwingen, um sich so im „physiologischen“ Wettbewerb der Nationen behaupten zu können (vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 68 f.). Siehe dazu auch Kapitel 5.1.2. 269 Vgl. Fischer-Tiné/Stolte, Asia. 270 Vgl. From our own correspondent: ‚Vir Savarkar congratulates Herr Hitler (12. 10. 1938)‘, in: HO, S. 18. 265
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
als Vorbild nehmend forderte er, dass alle Hindus eine vereinte Nation bilden sollten, da sie ebenfalls Sprache, Kultur, Gebräuche und Lebensart gemein hätten. 271 Die Frage, wer die Nation konstituiert, beschäftigte den Präsidenten der HMS auch weiterhin, und so führte er unter Hinweis auf die Vorgänge in der Tschechoslowakei wenig später aus, dass, falls ein Plebiszit in Indien durchgeführt werde, Hindus sich für Hindus und Muslime sich für Muslime entscheiden würden, da es zur Bildung einer Nation nicht ausreiche, für einige Jahrhunderte zusammenzuleben. Dafür sei der gemeinsame Wunsch, zusammenzuleben und eine gemeinsame Nation zu bilden, essenziell. 272 Savarkar drückte damit einmal mehr seine Auffassung aus, dass Hindus und Muslime nicht zur selben Nation gehören und dies auch nicht wollten. 7.2.3 Vom Münchner Abkommen zum Ende der Tschechoslowakei: Die Beurteilung des Verhältnisses von Faschismus und Imperialismus und die Rolle der britischen Außenpolitik Der Abschluss des Münchner Abkommens wurde in vielen indischen Beiträgen und Debatten einerseits als Verrat der europäischen demokratischen Mächte an der Tschechoslowakei sowie als die endgültige Durchsetzung des Prinzips „Might is Right“, andererseits als erneute Bestätigung angesehen, dass Faschismus und Imperialismus im Grunde dasselbe seien. Damit fand die Beschäftigung mit Faschismus und Nationalsozialismus wiederum in Auseinandersetzung mit der Kolonialmacht Großbritannien statt. Besonders deutlich artikulierte dies Jawaharlal Nehru. Seit dem Abessinienkrieg hatte er immer wieder auf die Gemeinsamkeiten von Faschismus und Imperialismus hingewiesen. 273 Vor dem Hintergrund der Appeasement-Politik 274 Großbritanniens äußerte er am 02. 10. 1938 in einem Artikel für den National Herald seine Ansicht zu dem gerade geschlossenen Münchner Abkommen: 271
Vgl. ebd. Vgl. ‚Extract from the weekly confidential report of the District Magistrate (21.10. 1938)‘, in: Home Special Department, MSA, File 60D(g) Pt II, 1937, zitiert in: Casolari, Hindutva, S. 223. 273 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚The Need for understanding India (27. 06.1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 28; Nehru, Jawaharlal: ‚Peace and Empire (15.–16. 07.1938)‘, in: Nehru, Unity, S. 268 ff. 274 Vgl. Adams, Politics, S. 1, 14 und 155 ff. Als Appeasement (Besänftigung, Beschwichtigung) wird, Adams zufolge, die Politik der ‚National Government‘ in Großbritannien in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre bezeichnet, die vor allem darauf abzielte, Bedrohungen des Friedens abzuwehren, indem man zu einer Übereinkunft mit dem deutschen Reichskanzler Adolf Hitler gelangte. McDonough kommt in seiner Analyse der Außenpolitik Neville Chamberlains hingegen zum Ergebnis, dass Appeasement eine ältere Tradition hatte und während der gesamten Zwischenkriegszeit eine Rolle spielte (vgl. McDonough, Chamberlain, S. 154). 272
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Imperialist Britain was not going to support democracy, and if by any chance it did so in reality, it would have to shed its imperialism. The British Government understood this well enough and threw all its weight on the side of fascism. […] The world was to be made safe not for democracy but for fascism, and with this end in view the British National Government has functioned these many years. 275
Nehru war von den europäischen Entwicklungen sehr enttäuscht und betonte nicht nur die Zusammenarbeit von Faschismus und Imperialismus, sondern warf in seinen Ausführungen Großbritannien vor, nicht die Demokratie, sondern den Faschismus gestärkt und verteidigt zu haben. Für den indischen Unabhängigkeitskämpfer hatten die ehemals demokratischen Kräfte, die sich in seinen Augen selbst mehr und mehr faschistischer Methoden bedienten, in Europa versagt. 276 Diese Wahrnehmung trug dazu bei, dass er seine Ansichten zu einem möglichen Kriegseinsatz auf britischer Seite modifizierte. Hatte er sich im Einklang mit der Linie des INC bisher vehement gegen eine indische Beteiligung an einem imperialistischen Krieg ausgesprochen, bewog ihn das Erstarken des Faschismus und des Nationalsozialismus zum Umdenken. Während er einerseits eine Teilnahme Indiens an einem Krieg aufseiten Großbritanniens gegen die Achsenmächte nicht mehr völlig ausschloss, machte er andererseits klar, dass diese Option nur möglich sei, wenn Indien zuvor die Unabhängigkeit gewährt werde. 277 Nehru behielt seine Ansichten mehr oder weniger stark ausgeprägt in den nächsten Jahren bei. 278 Sie wurden während der Sudetenkrise, aber auch im Anschluss, nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, bei weiten nicht von allen Führern des INC geteilt. So gab es 1938 verschiedene Auffassungen darüber, wie man sich zu Faschismus und Nationalsozialismus, zur möglichen Kriegsteilnahme und später zur Verteidigung Indiens positionieren sollte. 279 Subhas Chandra Bose, der zur Zeit des Münchner Abkommens Präsident des INC war, forderte in einer Rede im Februar 1938, dass Indiens Außenpolitik sich nicht 275
Nehru, Jawaharlal: ‚Peace and After (02. 10. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 181. Vgl. Ebd.; Nehru, Jawaharlal: ‚On the brink (22. 09. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 157. 277 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚The Czech Crisis (17. 08. 1938)‘, in: SWJN, Bd. 9, S. 110; Nehru, Jawaharlal: ‚The Choice before Us (28. 09. 1938)‘, in: Nehru, Unity, S. 294 ff.; Nehru, Jawaharlal: ‚Relief for Ten Days (18. 04. 1939)‘, in: Nehru, Unity, S. 301 ff. 278 Vgl. Voigt, Indien, S. 39 ff. und 138 ff.; Brown, Nehru, S. 140 f. und 146 ff. 279 Vgl. Voigt, Indien, S. 39 ff. und 138 ff.; Voigt, Co-operation, S. 349–374. Interessanterweise stellte der Arbeitsausschuss des INC im Herbst 1938 seine Limitierungen in dieser Angelegenheit fest und sah in Nehru, der die internationalen Ereignisse aufgrund seiner Europareise am ehesten beurteilen konnte, den geeignetsten Mann, um die außenpolitische Orientierung in einem möglichen Krieg festzulegen. Nach dem Münchner Abkommen scheinen die individuellen Standpunkte wieder mehr an Gewicht gewonnen zu haben (vgl. Pant, Govind Ballabh: ‚Letter to Jawaharlal Nehru (09. 10.1938)‘, in: SWGBP, Bd. 8, 1997, S. 306 f.). 276
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von den internen Angelegenheiten eines Landes oder von dessen Staatsform beeinflussen lassen solle. Viel eher sollte sie sich auf alle richten, die mit den indischen Unabhängigkeitsbestrebungen sympathisierten, unabhängig von deren politischen Ansichten. 280 Mehr als ein Jahr später schrieb er in derselben Angelegenheit einen Brief an Nehru und betonte in diesem, dass es seines Erachtens keinen Sinn mache, Länder wie Deutschland und Italien ständig zu verurteilen, während man gleichzeitig dem britischen und französischen Imperialismus ein gutes Führungszeugnis ausstelle. 281 Boses Ausführungen beinhalteten erste Untertöne seiner während des Zweiten Weltkrieges verfolgten Politik ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund‘, die letztendlich in einer Zusammenarbeit mit den Achsenmächten mündete. Seine Haltung in dieser Frage war indes nicht neu, sondern stellte eine Kontinuität seiner Aktivitäten und Bemühungen in Europa dar. Boses ‚pragmatisches‘ Verständnis zur Kooperation mit allen potenziellen anti-britischen Kräften zeigte sich auch in persönlichen Kontakten, die er in dieser Zeit mit den diplomatischen Vertretern Italiens und Deutschlands in Indien unterhielt. 282 Seine ambivalenten Ansichten und Aktivitäten riefen, obgleich verschiedene seiner Aufsätze vor allem das nationalsozialistische Deutschland kritisierten, Ablehnung hervor, 283 nicht nur von prominenten Zeitgenossen, wie Nehru. 284 Seine Haltung wurde ebenfalls in der Presse, so zum Beispiel in verschiedenen Karikaturen thematisiert. In der im Januar 1938 in der Hindustan Times erschienenen Karikatur 280
Vgl. Bose (Februar 1938), NCW, Bd. 9, S. 27. Vgl. Bose, Subhas Chandra: ‚Letter to Jawaharlal Nehru (28. 03. 1939)‘, in: NCW, Bd. 9, S. 199. 282 Vgl. Urchs, Oswald: ‚Brief an die Leitung der Auslands-Organisation (24. 12. 1938)‘, in: Pol. VII, Indien Po. 2, PA-AA, R 104777; Giuriati, C.: ‚Brief des Italienischen Generalkonsulat in Kalkutta an das Außenministerium (11. 11. 1938)‘, in: Ambasciata Londra, 1861–1950, ASMAE, Busta 1010, Rapporti politici, colonie inglese. Die schwierige Einschätzung von Boses Haltung zum Faschismus und Nationalsozialismus wurde 1938 auch von deutscher Seite durch den Landesgruppenleiter der NSDAP in Indien, Dr. Oswald Urchs, bestätigt. Dieser hatte Bose immer als politisch sehr links eingeschätzt, revidierte allerdings seine Ansicht nach einem Gespräch mit dem INC-Präsidenten und beurteilte ihn nun als Realpolitiker. Auch in den Unterlagen des italienischen Konsulats führte man Bose in der Liste über antifaschistische Reden und Schriften auf (vgl. Italienisches Generalkonsulat in Bombay: ‚Brief an den Außenminister (25. 05. 1938)‘, in: Ambasciata Londra, 1861–1950, ASMAE, Busta 1010, Rapporti politici, colonie inglese). 283 Vgl. o. A. (24. 01. 1938), NCW, Bd. 9, S. 2; From our own correspondent: ‚Germany and India (15. 03. 1936)‘, in: ABP, S. 17; Bose, Subhas Chandra: ‚Europe – to-day & to-morrow (05. 09. 1937)‘, in: ABP, S. 17 und 27. 284 Vgl. Nehru, Jawaharlal: ‚Letter to Subhas Chandra Bose (03. 04. 1939)‘, in: NCW, Bd. 9, S. 225. Nehru schrieb ebenfalls rückblickend zu Boses Ansichten in dieser Frage in seiner „Discovery of India“, die 1944 während eines Gefängnisaufenthalts entstand. Er führte aus, dass Bose zwar die anti-deutschen, anti-italienischen und anti-japanischen 281
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„On our close contact with the progressive movements abroad will depend not only the salvation of India but of suffering humanity as well.“ – Mr. Subhas Bose.
„Another mass contact effort“ ist Subhas Chandra Bose bei dem Versuch zu sehen, mit Mussolini Kontakt aufzunehmen. Dieser entbietet ihm ebenso wie Hitler und Franco den Hitlergruß, während unter anderem Stalin und Roosevelt ohne eine derartige Geste mit von der Partie sind. 285 Der Titel der Zeichnung verweist auf die mass contact-Kampagne des INC, mit deren Hilfe man hoffte, mehr Muslime für die eigene Partei bzw. muslimische Unterstützung für den Unabhängigkeitskampf gewinnen zu können.286 Die Idee des Massenkontaktes wurde in der Zeichnung ironisch aufgegriffen und auf die internationale Ebene übertragen, wo Bose scheinbar mit jeder Macht, egal ob diese dem kommunistischen, faschistischen oder demokratischen Lager zuzurechnen ist, in Verbindung treten wolle. Dem Zeichner zufolge glaubte der Kongresspräsident, dass die Erlösung Indiens und der Menschheit nur durch enge Kooperationen mit ausländischen progressiven Bewegungen erreicht werde könnten. Dabei schien für Bose auch die Zusammenarbeit mit dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland vielversprechend zu sein. Im Zusammenhang mit der Frage nach einer zukünftigen Kriegsbeteiligung Indiens nahm Bose den Standpunkt ein, dass man diese unbedingt zur Gewinnung der eigenen Unabhängigkeit ausnutzen und den Briten ein Ultimatum für purna swaraj stellen müsse. 287 Er versuchte den INC von der Notwendigkeit dieses Vorgehens zu überzeugen und hielt einen nationalen Befreiungskampf Schritte des INC nicht gutgeheißen, sie aber auch nicht aufgrund ihrer weiten Verbreitung bekämpft hätte (vgl. Nehru, Discovery, S. 429). 285 Shankar: ‚Another mass contact effort (23. 01.1938)‘, in: Hindustan Times, o. S. 286 Vgl. Hasan, Mass, S. 198–222; Pandey, Congress, S. 629–654. 287 Vgl. Bose (28. 03. 1939), NCW, Bd. 9, S. 199 und 209 f.; Bose, Struggle, S. 371 und 373.
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für notwendig, falls sich Großbritannien weigern sollte, dem Subkontinent die Unabhängigkeit zu geben. 288 Diese Ansicht Boses wurde z. B. keineswegs von Mahatma Gandhi und dessen Anhängern geteilt, die am Prinzip der Gewaltlosigkeit festhielten und jegliche indische Kriegsteilnahme prinzipiell ablehnten. 289 Gandhi, der in seiner Zeitschrift Harijan verschiedene Artikel zum Ausgang der Sudetenkrise veröffentlichte, verurteilte die Außenpolitik Großbritanniens im Gegensatz zu Nehru nicht. Obwohl er das Münchner Abkommen einen ‚Frieden ohne Ehre‘ nannte, legte er dar, dass seiner Ansicht nach der britische Premierminister Neville Chamberlain kaum eine andere Wahl gehabt habe. Großbritannien, das (zumindest gemäß der eigenen Verlautbarungen) für Demokratie stehe, habe gegen die gewalttätigen Diktaturen Hitlers und Mussolinis keine Chance gehabt.290 Gandhi bedauerte, dass die Tschechoslowaken nicht das Prinzip der Gewaltlosigkeit als Waffe zur Verteidigung der nationalen Ehre gekannt hätten, 291 und forderte sie auf, diese Methode zur Verteidigung ihrer Freiheit einzusetzen. 292 Auch die CSP, die unter dem Dach des INC arbeitete, vertrat hinsichtlich einer indischen Kriegsteilnahme eindeutig weiterhin ihren Standpunkt. So wiederholten Narandra Dev und M. R. Masani in einem Pressestatement Anfang Oktober 1938 die Leitlinie der Partei, jeglichen Kriegseinsatz für Großbritannien zu vermeiden und machten deutlich, dass die CSP alles versuchen werde, um den Arbeitsausschuss des INC entsprechend zu beeinflussen. 293 Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und dessen Außenpolitik führte im INC und in der CSP gleichzeitig zur Diskussion des britischen Verhaltens sowie zum Nachdenken über die eigene Positionierung. Vor diesem Hintergrund muss auch die Debatte um eine poten288
Vgl. Bose, Struggle, S. 371 und 373. Vgl. Brown, Gandhi, S. 320 ff.; Voigt, Co-operation, S. 349 ff. 290 Vgl. Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚If I were a Czech‘, in: Harijan, 6 (36) 1938, S. 290. Gandhi beschrieb in dem Artikel das Verhalten der britischen und französischen Regierung. Er führte aus, indem er darauf verwies, dass Hitler und Mussolini diktatorische Macht hätten: „It is different with Mr. Chamberlain or M. Daladier. They have their Parliaments and Chambers to please. They have parties to confer with. They cannot maintain themselves on a perpetual war footing if their language is to have a democratic accent about it.“ Gandhi, der glaubte, dass einzig das Prinzip der Gewaltlosigkeit zu echter Demokratie führe, forderte Großbritannien, Frankreich, aber auch die USA auf, sich entsprechend zu verhalten (vgl. ebd.). 291 Vgl. Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚Logical consequence‘, in: Harijan, 6 (35) 1938, S. 282. Siehe auch: Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚Discussion with Christian Missionaries (12. 12. 1938)‘, in: CWMG, Bd. 68, S. 205 f. 292 Vgl. Gandhi, Harijan, 6 (36) 1938, S. 290. Zur Diskussion über den Einsatz von Gewaltlosigkeit in diesem Zusammenhang siehe auch: Gandhi, Mohandas Karamchand: ‚Why not Great Powers?‘, in: Harijan, 6 (40) 1938, S. 328. 293 Vgl. o. A.: ‚At all costs (02. 10. 1938)‘, in: CS, S. 1. 289
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zielle Kriegsteilnahme Indiens als mehr oder weniger direkte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eingeordnet werden, wiederum bedingt durch die koloniale Abhängigkeit des Subkontinents. Obwohl innerhalb der Führung des INC verschiedene Vorstellungen zirkulierten, wie Indien sich im Falle eines künftigen Krieges verhalten sollte, erließ der Kongress im Februar 1938 auf seinem jährlichen Treffen in Haripura eine Resolution gegen die indische Teilnahme an einem imperialistischen Krieg aufseiten Großbritanniens. Die Versammlung schrieb der britischen Regierung ebenfalls die Verantwortung für die sich immer weiter verschlechternde weltweite Situation zu, da London die faschistischen Mächte in Deutschland, Spanien und im Fernen Osten unterstützt habe. 294 Um flexibel und unabhängig in außenpolitischen Fragen reagieren zu können, beschloss der Arbeitsausschuss des INC im April 1938 die Einrichtung eines Foreign Affairs Subcommittees. 295 Trotz der Feststellung der britischen Verantwortung für den Erfolg des Faschismus und trotz der skizzierten unterschiedlichen Standpunkte im INC wurden die faschistische und die nationalsozialistische Außenpolitik der Achsenmächte in den offiziellen Resolutionen des INC immer wieder abgelehnt. 296 Diese Position wurde, wie oben schon erwähnt, nicht von der HMS geteilt. So verteidigte ihr Präsident Savarkar in seiner Rede zur indischen Außenpolitik Deutschland und Italien, indem er erklärte: Germany has every right to resort to Nazism and Italy to Fascism and events have testified that those isms and forms of Government were imperative and beneficial to them under the conditions that obtained there […] Surely Hitler knows better than Pandit Nehru what suite Germany best. The very fact that Germany or Italy has so wonderfully recovered and grown so powerful as never before at the touch of the Nazi or Fascist magical wand is enough to prove that those politics „isms“ were the most congenial tonics their health demanded.297
Die Sichtweise Nehrus zurückweisend führte Savarkar aus, dass es in Indien viele Hindu Sanghatanisten 298 gebe, die keinerlei Feindseligkeit gegenüber 294 Vgl. Kripalani, J. B.: ‚Circular to the Provincial Congress Committees (05. 03. 1938)‘, in: Mitra, Register, Bd. 1 von 1938, S. 312. Im Nachgang des Jahrestreffens bekräftigte Kripalani noch einmal in einem Rundschreiben an die INC-Komitees der Provinzen die Wichtigkeit dieses Beschlusses, welcher der indischen Bevölkerung weithin bekannt gemacht werden sollte (vgl. ebd.). 295 Vgl. o. A.: ‚Working Committee proceedings (01.–06. 04. 1938)‘, in: Mitra, Register, Bd. 1 von 1938, S. 314. 296 Vgl. o. A.: ‚Tripuri Congress (10.–12. 03. 1939)‘, in: Indo-GDR Friendship Society, traditions, S. 35. 297 Hindu Mahasabha Office Bombay Branch (s. d.), V. D. Savarkar Papers, File 23, Teil 2. 298 Als Hindu Sanghatanisten werden die Anhänger der Hindu-Sangathan-Bewegung
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
Deutschland, Italien oder Japan aufgrund der von diesen Ländern gewählten Regierungs- oder Verfassungsform hegen würden.299 Letztendlich versicherte Savarkar, dass die HMS eine neutrale Haltung gegenüber den internen Angelegenheiten und zwischenstaatlichen Beziehungen aller Nationen einnehme, und bemerkte, dass jede Nation, die dem indischen Unabhängigkeitskampf freundlich gesinnt sei, auch Indiens Freund sei. 300 Mit diesen Aussagen distanzierte sich die HMS nicht nur von der Politik des INC in außenpolitischen Angelegenheiten, sondern ihr Präsident zeigte auch seine Faszination und Sympathie für Faschismus und Nationalsozialismus. Gleichzeitig kritisierte der HMS-Präsident die Briten, deren Positionierung auf Seiten Prags, angeblich zum Schutz der Demokratie, reine Augenwischerei sei. Wenn Großbritannien an einer Verteidigung der Demokratie wirklich gelegen sei, so forderte er, solle es Indien die Möglichkeit geben, sich als freier und demokratischer Staat zu organisieren. Damit war die Verbindung zur eigenen kolonialen Situation einmal mehr hergestellt. 301 Die Ablehnung der britischen Außenpolitik während der Sudetenkrise teilte Savarkar mit dem INC. Die Einschätzung der Position Londons und die sich daraus herleitenden Konsequenzen für das eigene Verhalten allerdings wiesen kaum Übereinstimmungen auf, da Savarkar stark mit dem Nationalsozialismus sympathisierte. Vor diesem Hintergrund ist die 2006 aufgestellte These Jürgen Lütts, dass die nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges von der HMS verfolgte Zusammenarbeit mit den Briten ein Beleg für deren faschismusablehnende Haltung sei, wenig überzeugend.302 Viel eher,
verstanden, die auf die Einheit und den Zusammenhalt aller Hindus abzielte. Sie wurde vonseiten verschiedener hindunationalistischer Führer in den 1920er Jahren initiiert (vgl. Jaffrelot, Hindu, S. 20–24). 299 Vgl. Hindu Mahasabha Office Bombay Branch (s. d.), V. D. Savarkar Papers, File 23, Teil 2. 300 Vgl. ebd. 301 Vgl. ebd. 302 Vgl. Lütt, Indien, S. 281 (FN 27). Wortwörtlich führt Lütt aus: „Die Hindu Mahasabha, eine Vorläuferin der in der heutigen Innenpolitik von ihren Gegnern als ‚faschistisch‘ geschmähten Parteien und Organisationen, hat sich selbst nie als ‚faschistisch‘ bezeichnet und auch keine institutionellen Verbindungen mit Mussolinis Italien oder Hitlers Deutschland gehabt, im Gegenteil: während des Zweiten Weltkrieges versuchte ihr Präsident Savarkar, mit den Briten zu kollaborieren“ (ebd.). Der Einwand Lütts gegenüber immer wieder vorgebrachten Faschismusvorwürfen steht dabei durchaus in einem ambivalenten Verhältnis zu früheren Aussagen von ihm. So hatte er in einem Aufsatz aus dem Jahr 2001 auf die verbalen Sympathiebekundungen für die Regime in Italien und Deutschland vonseiten Savarkars hingewiesen. Dessen Kooperationswillen nach Kriegsausbruch bezeichnete Lütt als zweideutig, sogar als zwielichtig. Als Grundlage der Annäherung an die Briten galt ihm damals schon die Hoffnung der Hindunationalisten, dass Inder durch den Krieg militärische Erfahrungen sammeln könnten (vgl. Lütt, Jahre, S. 90).
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darauf weist Delfs hin, scheint der Kooperationswillen der Hindunationalisten mit den britischen Kolonialherren durch die erwünschten Militarisierungs- und Stärkungsmöglichkeiten der Hindu-Nation und dem „Gegennationalismus“ der HMS erklärbar. 303 Die positive Haltung der HMS gegenüber Deutschland zeigte sich nicht nur auf verbaler Ebene, sondern zog außerdem konkrete außenpolitische Aktivitäten nach sich. Einerseits bemühte man sich um die Weitergabe und Veröffentlichung der Ausführungen Savarkars zur indischen Außenpolitik und zur Sudetenkrise in deutschen, italienischen und japanischen Zeitungen. 304 Diese Politik scheint Früchte getragen zu haben, wie die Wiedergabe einer Rede des HMSPräsidenten im Völkischen Beobachter im November 1938 zeigt. 305 Andererseits lässt sich in den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes ein Brief von Padamraj Jain, dem Generalsekretär der HMS, vom 14. 03. 1939 finden, welcher die Sympathie und Bewunderung seiner Partei für das nationalsozialistische Deutschland deutlich zum Ausdruck bringt. 306 Ebenso wie innerhalb der indischen Parteien lässt sich in der indischen englischsprachigen Presse ein facettenreiches Bild zum Verhältnis von Imperialismus und Faschismus, zur britischen Außenpolitik und zur indischen Positionierung in einem künftigen Krieg feststellen. 307 Großbritanniens Vorgehen wurde dabei größtenteils kritisch wahrgenommen. Die Londoner Regierung wurde unter anderem als ‚Schöpfer Hitlers‘, 308 als verantwortlich für die Preisgabe der Welt und der Demokratie an die faschistischen Diktatoren, 309 als weitgehend faschistisch 310 sowie als Pawlowscher Hund, der neu-konditioniert auf 303 Vgl. Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 77; Bhatt, Hindu Nationalism, S. 103 f. Bhatts Ausführungen zufolge behielt Savarkar seine Sympathien für den Nationalsozialismus auch nach Ende des Krieges bei (vgl. ebd., S. 107). 304 Vgl. Leszczynski, (19. 11. 1938), V. D. Savarkar Papers, File 23, Teil 2; Malekar, J. D. (22. 11. 1938), V. D. Savarkar Papers, File 23, Teil 2; Savarkar, Vinayak Damodar: ‚Letter to Seth Jugalkishorji Birla (02. 11. 1938)‘ in: V. D. Savarkar Papers, NMML, File 23, Teil 2, Miscellaneous Correspondence, Jan. 1938 – May 1939. 305 Vgl. Casolari, Hindutva, S. 223. 306 Vgl. Podewils (25. 03. 1939), Pol. VII, Indien Po. 2, PA-AA, R 104777; dazu ausführlich Delfs, Hindu-Nationalismus, S. 66 f. 307 Vgl. Leitartikel: ‚Fate of smaller democracies (29. 09. 1938)‘, in: ABP, S. 8; o. A.: ‚Great betrayal (02. 10. 1938)‘, in: CS, S. 1; Leitartikel: ‚Those noble laurels (09. 10. 1938)‘, in: BC, S. 6; Leitartikel: ‚The Four-Power-Pact (21. 10. 1938)‘, in: ABP, S. 8; Leitartikel: ‚What next? (17. 03.1939)‘, in: ABP, S. 8; Sen, Sisir Kumar: ‚A double stroke (24. 03. 1939)‘, in: ABP, S. 18; Batlivala, Bhicco: ‚From Manchuria to Munich (03. 05. 1939)‘, in: BC, S. 6 und 13. 308 Vgl. Batlivala (03. 05.1939), BC, S. 13. 309 Vgl. Leitartikel (09.10.1938), BC, S. 6. 310 Vgl. Desai, Raman K.: ‚Is India safe after Munich? (06. 10. 1938)‘, in: BS, S. 2.
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7. Faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik
Faschismus sei, beschrieben.311 Auch die Amrita Bazar Patrika hinterfragte am 13. 10. 1938 in ihrem Leitartikel die Resultate des Münchner Abkommens, vor allem die angebliche Sicherung des Friedens durch die britische AppeasementPolitik, kritisch. Der Autor, der die Vorgehensweise der Londoner und Pariser Regierungen verurteilte, führte aus, dass der errungene Frieden nur von kurzer Dauer sei und früher oder später die imperialen Interessen Deutschlands und Italiens mit denen Großbritanniens und Frankreichs kollidieren würden.312 Alle vier Länder waren nach Meinung des Verfassers, unabhängig davon, ob sie sich selbst demokratisch oder totalitär nannten, imperialistische Staaten, die für ihren eigenen Wohlstand schwächere oder weniger organisierte Menschen ausbeuteten. Aus diesem Grund würden sie in der Zukunft bei der Verteilung der Beute aneinandergeraten.313 Der Leitartikel, der in seiner Analyse das Verhalten der imperialen Mächte mit dem des faschistischen und des nationalsozialistischen Regimes gleichsetzte, wies damit implizit auch auf die vermuteten Gemeinsamkeiten beider Phänomene hin. Wesentlich deutlicher drückte dies ein Leitartikel des Bombay Chronicle vom Juli 1938 aus. Der Autor charakterisierte in dem Beitrag Faschismus als Verlangen, etwas an sich zu reißen und Imperialismus als das Verlangen, das, was man an sich gerissen hat, zu behalten. 314 Er schloss mit der Feststellung, dass „[..] Mr. Chamberlain is an Imperialist, the elder brother of Fascist“. 315 Während Großbritannien aufgrund seiner imperialistischen Politik in beiden Beiträgen eine Mitverantwortung an der Abtretung der sudetendeutschen Gebiete zugeschrieben wurde, gab es in der Presse ebenfalls Artikel, die die britische Außenpolitik ganz anders bzw. weniger kritisch beurteilten und keinerlei Aussagen zu dem Verhältnis von Faschismus und Imperialismus trafen. 316 Der Linie des INC und der CSP folgend lehnten verschiedene Beiträge eine indische Kriegsteilnahme aufseiten Großbritanniens gegen Deutschland und Italien ab. 317 Gleichzeitig diskutierte man in der indischen englischsprachigen Presse die Frage nach einer nationalen Verteidigung. Auf die Schwäche Großbritanniens gegenüber den Achsenmächten hinweisend forderten zum Beispiel Taraknath Das und Raman Desai eine Militarisierung der indischen Be-
311
Vgl. G. H., MR, 64 (5) 1938, S. 624. Vgl. Leitartikel: ‚The next victim (13. 10. 1938)‘, in: ABP, S. 8. 313 Vgl. ebd. 314 Vgl. Leitartikel: ‚Appeasing the world (18. 07. 1938)‘, in: BC, S. 6. 315 Ebd. 316 Vgl. Sinha (25. 03. 1939), ABP; S. 18; o. A. (30. 09. 1938), BS, S. 2; o. A.: ‚Is Britain doomed? (16. 03. 1939)‘, in: BS, S. 2. 317 Vgl. Leitartikel (29. 09.1938), ABP, S. 8; From our own correspondent (05.10.1938), BC, S. 6. 312
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völkerung, um einer potentiellen faschistischen Invasion entgegentreten zu können.318 7.2.4 Fazit Die indische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Außenpolitik in der englischsprachigen Presse sowie im INC, der CSP und der HMS wurde in den vorangegangenen Ausführungen am Beispiel der Sudetenkrise dargestellt. Dabei fanden sich neben anti-faschistischen Stimmen auch nicht wenige mit Deutschland sympathisierende Meinungen. Im Zusammenhang mit der Thematik diskutierten die indischen Autoren und Politiker vor allem die Rechtmäßigkeit der sudetendeutschen Forderungen sowie die Minderheitenpolitik der Tschechoslowakei und die des Völkerbundes, der ansonsten in den Debatten kaum eine Rolle spielte. Auch die deutschen Motive für eine Annexion der Sudetengebiete wurden analysiert, wobei die indische Beschäftigung größtenteils oberflächlich blieb und keine Auseinandersetzung mit den theoretischen Schriften der Nationalsozialisten in den Beiträgen stattfand. Die Perzeption und Diskussion der Vorgänge im fernen Europa trug, ähnlich wie im Falle des Abessinienkrieges, dazu bei, die eigenen Positionen nicht nur gegenüber den faschistischen Staaten, sondern auch, gleichsam zusammenhängend, gegenüber den britischen Kolonialherren zu hinterfragen. Die weitere Verfestigung und Verbreitung der These von der Verwandtschaft von Faschismus und Imperialismus in den untersuchten Quellen ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Befund. Ein zweites Ergebnis, das besonders im Vergleich mit den indischen Reaktionen auf den Abessinienkrieg deutlich wird, ist die scheinbar geringere Betroffenheit der Autoren. Dies mag daran liegen, dass es zu praktischen Hilfsleistungen in diesem Falle keine Gelegenheit gab. Eine wichtige Rolle kann aber auch die Tatsache gespielt haben, dass durch den italienischen Angriffskrieg, die Bewohner Abessiniens kolonialisiert wurden. Diese Erfahrung, welche die indischen Autoren persönlich nachempfinden konnten und welche solidarische Gefühle bei einigen von ihnen hervorrief, blieb im Zusammenhang mit der Sudetenkrise aus.
318 Vgl. Raman (06. 10. 1938), BS, S. 2; Das, Taraknath: ‚British foreign policy and Czechoslovakia‘, in: MR, 64 (6) 1938, S. 672.
8. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen In der vorliegenden Studie wurden indische Auseinandersetzungen mit dem italienischen Faschismus und dem Nationalsozialismus in der Zwischenkriegszeit rekonstruiert und analysiert. Am Anfang der Untersuchung stand die Beobachtung, dass bisher, wenn von Faschismus in Indien die Rede war, hindunationalistische Akteure im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen. Auch ist der Topos eines INC, der, von der ambivalenten Haltung Subhas Chandra Boses einmal abgesehen, antifaschistische Ideale vertrat, nach wie vor verbreitet. Eine Analyse der Faschismuswahrnehmungen englisch gebildeter indischer Kreise, die in der Nationalbewegung politisch aktiv waren bzw. die Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützten, versprach hier zu nuancierten Beurteilungen zu führen. Somit trägt die Untersuchung zur Klärung der Fragen bei, wie Faschismus und Nationalsozialismus in Indien perzipiert wurden und welche Bedeutung beide Phänomene bzw. einzelne ihrer Aspekte für verschiedene Gruppen und Individuen in Indien hatten. Die Analyse der ausgewählten Quellen zeigt diverse Reaktionen – von positiven Darstellungen, über Hinweise zur Übernahme bestimmter Konzepte bis zur Kritik und Ablehnung – in der indischen Beschäftigung mit Faschismus und Nationalsozialismus auf. Auch beinhaltete die indische Auseinandersetzung mit beiden Phänomenen physische Interaktionen und die Beteiligung an konkreten Wissenstransfers. Wie in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, kam es im indischen Fall zu verschiedenen, eher auf theoretischer Ebene, das heißt im diskursiven Bereich, stattfindenden Wissensproduktionen über faschistische und nationalsozialistische Politikmaßnahmen, die durchaus zu Aufrufen, die italienischen und deutschen Vorbilder zu übernehmen, führten. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Ideologie des Faschismus oder des Nationalsozialismus blieb dabei in den meisten Fällen aus und wurde, wenn überhaupt von Personen oder in Zeitschriften vorgenommen, die sich überwiegend kritisch zu beiden Phänomenen positionierten, z. B. von Jawaharlal Nehru und im Congress Socialist. 1 Die fehlende Auseinandersetzung mit der zugrundeliegenden Ideologie beider Phänomene führte in vielen Fällen dazu, dass sich die Diskussionen durch Eklektizismus auszeichneten und sich
1
Vgl. Nehru, Glimpses; Framke, Nehrus.
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8. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
die indischen Antworten oftmals nur auf wenige Aspekte konzentrierten. Dabei konnte durchaus, wie die Beispiele von B. C. Roy und K. T. Shah gezeigt hat, dieselbe Person bestimmte Facetten des Faschismus oder des Nationalsozialismus (Wirtschaftspolitik) bewundern und gleichzeitig andere ablehnen (Außenpolitik und Antisemitismus). Eine ähnlich offene Ausrichtung war in den untersuchten Tageszeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme des Congress Socialist und des National Herald, vorhanden, die in ihren Leitartikeln, Reportagen und Leserbriefen die gesamte Bandbreite indischer Antworten veröffentlichten. 2 Aufgrund der indischen Beschäftigung erfolgte kaum eine konkrete Übernahme und/oder Aneignung einzelner faschistischer und nationalsozialistischer Aspekte, mit Ausnahme verschiedener ‚Zeitgeist‘-Phänomene (unter anderem Uniformierung, Gehorsam gegen einem Führer, Jugendbewegungen, Körperertüchtigung), die, wie neuere Forschungen gezeigt haben, ebenfalls in kolonialen und semi-kolonialen Staaten des Mittleren Ostens eine wichtige Rolle spielten. 3 Das Ausbleiben praktischer Umsetzungen faschistischer oder nationalsozialistischer Politikmaßnahmen kann, so schreibt Stein Larsen, durch drei verschiedene Faktoren erklärt werden. Einerseits habe sich aufgrund der kolonialen Situation keine faschistische Alternative in Indien entwickelt. Der starke Zugriff der britischen Kolonialherren auf die Verwaltung und das Militär sowie das wiederholte Ausspielen der verschiedenen nationalistischen Gruppierungen gegeneinander habe dazu geführt, dass indischen Nationalisten die politische Macht versagt blieb, entsprechende Maßnahmen der Referenzmodelle vor Ort einzuführen. Zweitens, so legt Larsen dar, verhinderte Gandhis gut organisierte Bewegung der Gewaltfreiheit das Aufkommen großangelegter Alternativen sowohl innerhalb als auch außerhalb des INC. Als dritten Punkt, der die Übernahme des Faschismus auf dem Subkontinent im Sinne einer umfangreichen nationalen Mobilisierung behindert habe, benennt Larsen Konflikte zwischen verschiedenen religiösen Gruppen sowie die Traditionen sozialer Stigmatisierung (Kastensystem).4 Obgleich Larsens Analyse der Gründe, warum sich keine faschistische Massenbewegung auf dem Subkontinent entwickelte, interessante Einblicke bietet und erste Erklärungsmuster liefert, scheint sie vor dem Hintergrund, dass sich
2 Die von den Kongresssozialisten herausgebende Zeitschrift und der ab 1938 erscheinenden Herald, der vom INC herausgegeben wurde und stark in der antifaschistischen Tradition Nehrus stand, veröffentlichten fast ausschließlich kritische Beiträge über das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland. 3 Vgl. Wien, Terms. 4 Vgl. Larsen, Diffusion, S. 750 f.
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in verschiedenen Ländern auch kleinere, politisch wenig einflussreiche faschistische Bewegungen entwickelt hatten, nicht ausreichend. Darüber hinaus folgten indische Nationalisten, wie die vorangegangenen Kapitel deutlich gemacht haben, keineswegs alle den Vorstellungen Gandhis; selbst innerhalb des INC existierten diverse, oft widersprüchliche Vorstellungen und Konzepte zu verschiedenen Themen, wie Wirtschafts- und Außenpolitik, Jugend und Rassismus. Gerade dieser Punkt, das Vorhandensein vielfältiger Diskurse sowie die Feststellung, dass Deutschland und Italien nur zwei von vielen zeitgenössischen Modellen waren, mit denen sich indische Politiker und Intellektuelle auseinandersetzten scheint zur Klärung der Frage, warum ein Transfer im Sinne einer praktischen Übernahme faschistischer und nationalsozialistischer Politikmaßnahmen und Ideologien in den ausgewählten Beispielen ausblieb, beizutragen. In den analysierten Debatten zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen sowie in den Diskussionen um Jugend, ‚Dienst an der Nation‘ und Disziplin wurden weitere Referenzmodelle, wie die Sowjetunion, die USA, aber auch die Türkei erwähnt, während die Auseinandersetzung mit der faschistischen und nationalsozialistischen Außenpolitik oftmals eine Beschäftigung mit Großbritanniens und dem Völkerbund einschloss. Obgleich das vorliegende Buch vor allem die indische Beschäftigung mit Faschismus und Nationalsozialismus thematisiert, scheint eine breiter angelegte Untersuchung, welche weiteren ideologische Strömungen und Politikmaßnahmen in den 1920er und 1930er Jahren als Orientierungspunkte für ein erfolgreiches indisches nation building und zur Erlangung der Unabhängigkeit diskutiert wurden, in Zukunft fruchtbar. Dies soll hier kurz an einem Beispiel genauer erläutert werden. Das Denken und Handeln von Taraknath Das, der aufgrund seiner Aufenthalte über persönliche Erfahrungen mit Italien und Deutschland verfügte und zu beiden Ländern umfangreich publizierte, war zeitlebens vom Kampf für die indische Unabhängigkeit bestimmt. Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, hatte insbesondere das faschistische Italien für Das Vorbildcharakter, allerdings war es bei weitem nicht das einzige Modell, auf welches er sich bezog. In den 1920er und 1930er Jahren bemühte Das sich aktiv, die Forderungen der Nationalbewegung und Indiens Status auf globaler Ebene bekanntzumachen. Ein Weg, die indischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterstützen, sah Das in der Etablierung von Kooperationsbeziehungen im Kultur- und Bildungsbereich. Auf diesem Weg, so glaubte er, könne der dringend erforderliche Wissenstransfer zwischen ‚effizienten‘ westlichen Ländern und Indien aufgebaut werden. Deutschland und Italien schienen aufgrund ihrer hohen zivilisatorischen Leistungen in der Vergangenheit dabei besonders geeignet. Allerdings waren sie nicht die einzigen Länder und Regionen, mit denen Indien Beziehungen aufbauen sollte. So benannte Das unter anderem die USA, Frankreich, Spanien, Lateinamerika, Russland und
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Skandinavien als geeignete Partner für Kooperationsbeziehungen. 5 Weiterhin schlug Taraknath Das Ende der 1920er Jahre vor, sich an den Völkerbund zu wenden,6 da er glaubte, dass „no nation, which wishes to cultivate world public opinion, can ignore the institution of the League of Nations. India […] should utilise it to the fullest extent“. 7 Das war bei weitem nicht der Einzige, der über die Möglichkeit nachdachte, Indiens Forderungen nach Selbstbestimmung vor dem Völkerbund zu präsentieren. Die indische Presse und verschiedene Politiker hatten die Möglichkeit, den Völkerbund in dieser Angelegenheit anzurufen, nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur umfassend diskutiert, eine Reihe indischer Nationalisten war auch persönlich nach Genf gereist, um entsprechende Forderungen zu erheben. Allerdings zeigten diese Initiativen nur wenig Erfolg und führten ab Mitte der 1920er Jahre dazu, dass der Völkerbund nur noch vereinzelt als eine Institution wahrgenommen wurde, die den indischen Unabhängigkeitsbestrebungen helfen könnte. 8 Taraknath Das gehörte mit seiner 1928 gestellten Forderung zu der kleinen Minderheit, die diese Option noch in Betracht zog. Das zeigte eine große ideologische Offenheit bei der Frage, wie man Indiens Unabhängigkeit unterstützen könnte, und optierte ebenfalls für pan-asiatische Ideen. Gute Beziehungen zu anderen asiatischen Ländern stellten seiner Ansicht nach eine wichtige Voraussetzung dar, um mit ihnen eine strategische Allianz gegen die Imperialmächte zu bilden und die Freiheitsbestrebungen der Kolonien zu unterstützen. 9 Taraknath Das’ Methoden und Ideen, wie die Unabhängigkeit seines Heimatlandes von der britischen Kolonialherrschaft zu erreichen sei, veränderten sich im Verlauf der Zeit; sein Ziel aber blieb dasselbe. Im Rahmen dieses Buches wurden folgende Themen ausgewählt, die von indischer Seite nicht nur ausführlich besprochen wurden, sondern auch Vergleiche mit der eigenen Situation nach sich zogen: nationale Mobilisierung der Jugend, Rassismus und Antisemitismus sowie Wirtschafts- und Außenpolitik im Faschismus und im Nationalsozialismus. Die indische Auseinandersetzung mit dem faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland führte zur Feststellung von Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschieden zwischen Mussolinis und Hitlers Regime. Beide Staaten wurden zeitweise sowohl vonseiten bengalischer Intellektueller wie Benoy Kumar Sarkar, Pramatha Nath 5 Vgl. Das, Taraknath (1928): ‚India in the eyes of Europe‘, in: CR, 26 (2) Ser. 3, S. 181 f. und 198–200. 6 Vgl. ebd., S. 182–198. 7 Vgl. ebd., S. 196. 8 Vgl. Framke, India’s. 9 Vgl. Das, Taraknath: ‚Awakened Asia and Germany in world politics‘, in: CR, 25 (1) 1927 Ser. 3, S. 107–113; Das, Taraknath: ‚Pan-Asianism, Asian Independence and World Peace‘, in: MR, 45 (1) 1929, S. 44–52. Siehe dazu auch: Fischer-Tiné, Cult.
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Roy oder Taraknath Das, aber auch von hindunationalistischen Politikern wie B. S. Moonje und V. D. Savarkar sowie von Mitgliedern des INC, wie Kailas Nath Katju, C. Rajagopalachari, Sarojini Naidu, Subhas Chandra Bose und Nalini Ranjan Sarkar, als Referenzmodelle wahrgenommen. Das indische Interesse an den wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen unter der faschistischen und der nationalsozialistischen Regierung sowie Überlegungen zu deren Aneignung hatte dabei verschiedene Gründe. So stellten Italien und Deutschland mögliche Alternativen zum britischen Modell der parlamentarischen Demokratie und liberalen Wirtschaftsordnung dar, deren Ablehnung vor dem Hintergrund der eigenen kolonialen Erfahrung, wohl aber auch im Zusammenhang mit sozialistischen und korporatistischen Sympathien erfolgte. Darüber hinaus erschienen Italien und Deutschland verschiedenen indischen Autoren als Leidensgenossen, deren Beziehungen zu Großbritannien wie im indischen Fall nicht auf einem gleichberechtigten Status beruhten. Während die eigenen Probleme als Resultat der britischen Kolonialherrschaft gesehen wurden, schien es einigen indischen Autoren, dass Italien, aber mehr noch Deutschland schwer unter dem Ausgang des Ersten Weltkrieges und den Folgen des im britischen Interesse geschlossenen Versailler Vertrages zu leiden gehabt hätten. In diesem Zusammenhang wurden beide ‚Führer‘, Mussolini und Hitler, in den indischen Beiträgen verschiedentlich als Erneuerer ihrer Länder und als ‚Befreier‘ von der Willkür Großbritanniens bzw. der Westmächte dargestellt. Ein weiterer Grund, warum das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland von indischen Autoren als Orientierungspunkte wahrgenommen wurden, lag weniger an der Singularität ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik, als daran, dass ihre Aktivitäten, z. B. im Bereich wirtschaftlicher Planung oder der Förderung von Körperertüchtigung, Disziplin und ‚Dienst an der Nation‘, Bestandteil eines globalen Zeitgeistes waren. Vor diesem Hintergrund diskutierten indische Autoren gleichzeitig Planungsmodelle verschiedener Ländern ohne auf deren spezifische ideologische und politische Wesensmerkmale einzugehen. Obgleich Italien und Deutschland somit in den indischen Debatten bei weitem nicht die einzigen Beispiele für wirtschaftliche und soziale Planung darstellten, ließen sie ihre wahrgenommenen Erfolge im Bereich Infrastrukturausbau, Beschäftigungspolitik oder ‚Harmonisierung von gesellschaftlichen Gegensätzen‘ als nachahmenswerte Vorbilder erscheinen. Dabei spielte die Perzeption des Faschismus und des Nationalsozialismus als moderne Bewegungen, von denen man Wege lernen konnte, Indiens ‚Rückständigkeit‘ zu überwinden, eine wichtige Rolle. Der globale Zeitgeist liefert ebenfalls eine Erklärung dafür, warum Subhas Chandra Bose als Referenzmodelle für den Aufbau einer paramilitärischen Freiwilligenbewegung neben Italien auch China, England, Frankreich, die Wei-
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marer Republik, die Sowjetunion, Japan und die Türkei nannte. Im Zusammenhang mit Debatten um Jugendpolitik und Körperkultur muss außerdem bemerkt werden, dass obgleich Italien und Deutschland hier von indischer Seite positiv diskutiert wurden, entsprechende Beiträge im Vergleich zu solchen, die sich mit Wirtschafts- und Außenpolitik beschäftigten, weniger oft vorkamen. Dies scheint vor allem dadurch begründet, dass Ideen über die Stärkung des individuellen Charakters und Körpers sowie die Verbreitung ‚männlicher‘ Tugenden und Disziplin als ein Mittel zur Stärkung der Nation schon ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Indien besprochen wurden und in entsprechende Aktivitäten, wie Schulprojekten und dem Aufbau von Jugendorganisationen, mündeten. Die indische Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus führte nicht nur zur Feststellung von Gemeinsamkeiten beider Phänomene, sondern machte auch Unterschiede zwischen Mussolinis und Hitlers Regime deutlich. So wurde Italien viel stärker als Deutschland als Vorbild für den sich formierenden indischen Nationalstaat wahrgenommen. Dies kam sowohl in Debatten über die zukünftige Staatsform und Wirtschaftsordnung als auch in Diskussionen über die ‚Schaffung einer starken geeinten Nation‘ zum Ausdruck. Besonders wichtig erschien Vertretern der bengalischen Intelligenzija aber auch INC-Politikern wie Kailas Nath Katju die Aneignung des italienischen Vorbildes zur Überwindung kommunalistischer Konflikte. Während Katju zur Lösung des Kommunalismus-Problems den unbedingten Gehorsam gegenüber einem Führer sowie die Disziplinierung der Nation vorschlug, favorisierten die Intellektuellen aus Bengalen das Modell des korporativen Staates, das ihrer Ansicht nach auf eine Harmonisierung von Unterschieden in einer Gesellschaft zielte. Die wiederholten Hinweise auf den Vorbildcharakter des faschistischen Regimes für die Entwicklung der indischen Nation standen dabei in einem Zusammenhang mit der verschiedentlich artikulierten Auffassung, dass bestimmte Probleme in Italien mit denen in Indien korrespondierten. Intellektuelle wie Benoy Kumar Sarkar oder Pramatha Nath Roy sowie Politiker wie B. S. Moonje verglichen sowohl das ‚Entwicklungsstadium‘ beider Staaten als auch ‚Charaktereigenschaften‘ von Italienern und Indern. Darüber hinaus thematisierten unter anderem Taraknath Das und Pramatha Nath Roy die faschistischen Bemühungen um eine ‚Wiedergeburt‘ der Nation, die auch für Indien erstrebenswert schien. Entsprechende indische Aussagen, die Analogien in der Entwicklung Deutschlands und Indiens feststellten oder das Vorhandensein gleicher Wesensmerkmale konstatierten, kamen – von den Diskussionen um gemeinsame ‚rassische Ursprünge‘ abgesehen – kaum vor. Obgleich auch verschiedene wirtschaftliche und soziale Maßnahmen der Nationalsozialisten von indischen Autoren neben Themen wie ‚Nationalerziehung‘, Führerkult, Disziplin und ‚Dienst an der Nation‘ positiv besprochen
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wurden – zu erwähnen sind hier vor allem die Arbeitslosenpolitik und der Arbeitsdienst – blieben Empfehlungen zu deren Umsetzung im indischen Kontext hinter vergleichbaren Aussagen zum Faschismus zurück. Das scheint einerseits mit der wesentlich längeren innenpolitischen Konsolidierungsphase des italienischen Regimes in Verbindung zu stehen. Während Mussolini erst nach 13-jähriger Regierungszeit und nach vielen in Indien für erfolgreich gehaltenen wirtschaftlichen und sozialen Reformen mit dem Überfall auf Abessinien die expansiv-imperialistische Seite des Faschismus zeigte, bemühte sich Hitler nach sehr kurzer Zeit um eine Revision der territorialen Bestimmungen des Versailler Vertrages und verfolgte nach nur vier Jahren ab 1937 eine immer aggressivere Außenpolitik, die in den indischen Debatten größtenteils kritisch kommentiert wurde. Ein zweiter, wahrscheinlich sogar wichtigerer Grund für die deutlich schwächer ausgeprägte Orientierung an Deutschland scheint in der indischen Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Rassismus und Antisemitismus gelegen zu haben. Während beide Ideologien im Zusammenhang mit dem faschistischen Italien durchaus kritisch diskutiert wurden, nahmen indische Debatten zur nationalsozialistischen Rassentheorie und -politik nicht nur einen wesentlich breiteren Raum ein, sondern wurden auch wiederholt im Zusammenhang mit anderen Themen angeführt. Zum einen konnte dabei die Frage nach einer möglichen Aneignung bestimmter Elemente durch militante Hindunationalisten geklärt werden. Die Analyse der Schriften von Savarkar und Golwalkar hat deutlich gemacht, dass beide von der rassenpolitischen Diskriminierungspolitik der Nationalsozialisten beeindruckt waren bzw. gar der Kategorie ‚Rasse‘ eine Relevanz bei der Konstituierung der Hindu-Nation zuschrieben. Gleichzeitig konnten aber auch Unterschiede zu den nationalsozialistischen Vorstellungen festgestellt werden, so griffen bspw. die hindunationalistischen Kommentatoren im Gegensatz zu den Nationalsozialisten nicht auf biologische Rassentheorien zurück. Auch lehnten sie die im Nationalsozialismus elementare Forderung einer ‚Reinhaltung‘ der Rasse ab. Zum anderen setzten sich die indischen Autoren mit dem Status Indiens/der Inder in den zeitgenössischen Rassenvorstellungen der Nationalsozialisten auseinander und wiesen herabsetzende Äußerungen zurück. Dabei richtete sich ihre Kritik vor allem gegen die niedrige Stellung, die die Inder innerhalb der nationalsozialistischen Rassenhierarchie einnahmen, nicht aber generell gegen die Idee einer rassistischen Hierarchisierung. Dieser Befund steht im deutlichen Gegensatz zu den Ergebnissen, die die Untersuchung der indischen Debatten zum italienischen Rassismus ergeben haben. Indische Diskussionen italienischer Rassenvorstellungen kamen insbesondere im Zusammenhang mit dem Abessinienkrieg und dessen Begründung durch Mussolinis Regime als ‚Zivilisierungsmission‘ vor. Sie wurden größtenteils kritisch diskutiert und von den
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indischen Autoren aufgrund ihrer Solidarisierung mit den Einwohnern Abessiniens zurückgewiesen. Auch die indische Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus hat sich, das hat die Analyse der Quellen gezeigt, vor allem auf die deutschen Entwicklungen konzentriert. Indische Autoren besprachen einerseits die nationalsozialistische Judenverfolgung, andererseits thematisierten sie die Immigration jüdischer Flüchtlinge nach Indien. Dabei lässt sich in der Wahrnehmung des Antisemitismus ganz klar ein Wandel feststellen. Während in den indischen Debatten anfänglich vor allem neutrale oder apologetische Beiträge zu finden waren, nahmen kritische Berichte und Beurteilungen ab 1938, insbesondere nach der ‚Reichspogromnacht‘ zu. Neben den Folgen des Antisemitismus in Europa thematisierten indische Autoren in einem weitaus größeren Umfang die Indien direkt betreffende Einwanderung jüdischer Flüchtlinge. Diese Debatten waren von Anfang an kontrovers, wobei Befürworter, wie auch Gegner einer jüdischen Immigration sowohl unter den (bengalischen) Intellektuellen als auch bei den Politikern des INC zu finden sind. Die Hindunationalisten lehnten zwar jegliche weitere Zuwanderung von ‚fremden‘ Minderheiten ab. Diese Zurückweisung kann aber nicht als spezifischer Ausdruck von Antisemitismus gedeutet werden, sondern liegt in ihrem exklusiven Konzept einer Hindunation im Allgemeinen begründet. Die analysierten Debatten zeigten ebenfalls Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Hinblick auf die indischen Kooperationsbeziehungen zu Italien und Deutschland im Bildungs- und Kulturbereich. Mit beiden Staaten existierten Austauschbeziehungen, an deren Initiierung und Umsetzung sich vor allem Studierende und Dozenten/Professoren, vorrangig aus Bengalen, beteiligten. Die untersuchten Institutionen, das IsMEO und die Deutsche Akademie, sowie ihre Aktivitäten in Bezug auf Indien unterschieden sich dabei in vielen Punkten. Während die Deutsche Akademie, die schon vor 1933 Stipendien an indische Studierende vergeben hatte, sich erst in den folgenden Jahren der nationalsozialistischen Linie anpasste und ihren Schwerpunkt im Bereich des Kulturaustausches sah, war das IsMEO eine Einrichtung des faschistischen Staates, die die kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Indien verbessern und Propaganda für das Mussolinis Regime betreiben sollte. Gemeinsam war beiden Initiativen, dass sich die Kooperationsbeziehungen mit Indien keineswegs kontinuierlich gestalteten. Während ein eindeutiger Bruch nach dem italienischen Überfall auf Abessinien feststellbar ist, gab es kein vergleichbar wirkendes Einzelereignis in Bezug auf Deutschland. Hier erschwerten die rassistischen Vorstellungen und Maßnahmen des Hitlerregimes zwischen 1933 und 1939 immer wieder die Arbeit der Deutschen Akademie. Ein letzter Aspekt, der in diesem Buch umfassend analysiert wurde und Antworten auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der indischen Wahrneh-
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mung des Faschismus und des Nationalsozialismus bereithält, ist die italienische und die deutsche Außenpolitik. Während indische Autoren sowohl Italien als auch Deutschland einen aggressiven Expansionsdrang zuschrieben, beurteilten sie die außenpolitischen Vorgehensweisen der beiden Regime unterschiedlich. Italiens Überfall auf Abessinien wurde in vielen indischen Beiträgen als imperialistisches Vorgehen begriffen. Vor dem Hintergrund der eigenen kolonialen Erfahrung erklärt diese Wahrnehmung nicht nur die vielen kritischen Stimmen gegenüber Italien, sondern ebenfalls die indischen Sympathiebekundungen mit Abessinien, die nicht nur verbal geäußert wurden, sondern in konkrete Aktivitäten, wie Solidaritätsdemonstrationen oder der Sammlung von Spendengeldern, mündeten. Die nationalsozialistische Außenpolitik im Fall der Sudetenkrise wurde hingegen in Indien als territorialer Expansionismus wahrgenommen. Obgleich ein großer Teil der indischen Autoren das deutsche Vorgehen ablehnte und verurteilte, solidarisierten sie sich weit weniger mit Prag als zuvor mit Abessinien. Dafür scheint es vor allem zwei Gründe gegeben zu haben: erstens da das deutsche Vorgehen nicht auf die Eroberung und Kolonialisierung eines außereuropäischen Gebietes zielte und zweitens die kritische Auseinandersetzung mit der ‚Neugestaltung‘ Europas durch den Völkerbund nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Während die Einordnung der italienischen und der deutschen militärischen Expansion in den indischen Debatten somit durchaus Unterschiede aufweist, war den außenpolitischen Maßnahmen beider Regime gemein, dass sie im Gegensatz zur Wirtschafts- und Sozialpolitik Mussolinis und Hitlers kaum als Alternativmodell zur Außenpolitik der britischen Kolonialmacht diskutiert wurden. Nur vereinzelt fanden sich indische Kommentatoren, wie Savarkar oder Subhas Chandra Bose, die Deutschland und Italien zwar nicht als Vorbilder, aber doch als strategisch nützliche Partner ansahen. Darüber hinaus kommentierten indische Beobachter die faschistische und die nationalsozialistische Außenpolitik vor dem Hintergrund einer Kritik des britischen Imperialismus und hoben dabei Gemeinsamkeiten hervor. Die Auseinandersetzung mit den politischen Reaktionen der Londoner Regierung auf den Abessinienkrieg und die Sudetenkrise ließ viele indische Autoren zu dem Schluss kommen, dass die britischen Kolonialherren eine Mitverantwortung bzw. die Hauptverantwortung an der Niederlage des afrikanischen Staates sowie an den ‚Verlust‘ der Sudetengebiete an Deutschland trugen. Die aus dieser Vorstellung resultierende Ablehnung der britischen Vorgehensweise führte zur Formulierung eindringlicher Forderungen nach einer eigenen indischen Außenpolitik. Dies schien nicht nur im Zusammenhang mit den in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre immer bedrohlicheren expansionistischen Bestrebungen Italiens und Deutschlands zu stehen; eine selbstbestimmte indische Außenpolitik war für viele indische Autoren durch das als im Zusammenbruch befindlich wahr-
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genommene System der kollektiven Sicherheit, institutionalisiert im Völkerbund, eine absolute Notwendigkeit. Die indische Auseinandersetzung mit dem Abessinienkrieg beinhaltete umfassende Diskussionen der Politik und der Positionierung des Völkerbundes zur italienischen Aggression. Die vom Bund initiierten Maßnahmen zur Lösung des Konfliktes wurden innerhalb der Nationalbewegung, aber auch vonseiten der nationalistischen englischsprachigen Presse größtenteils kritisch eingeschätzt. Die Institution des Völkerbundes war spätestens im Frühjahr 1936 für viele indische Kommentatoren diskreditiert und wurde im Verlauf der Sudetenkrise in den hier analysierten Diskussionen nur wenig thematisiert. Die Enttäuschung mit der Politik der Genfer Organisation im Abessinienkrieg lieferte wichtige Impulse zur Entwicklung alternativer Vorstellungen kollektiver Sicherheit. Die Diskussionen über Konzepte wie die League of Asiatic and African coloured Nations oder die League of oppressed Nations durch indische Politiker und die nationalistische Presse zeigen dabei deutlich, dass sich die gewählten Akteure als Mitglieder einer transnationalen Gemeinschaft begriffen. Auf dieser Grundlage forderten sie globale Mitspracherechte ein, die auf internationaler Gerechtigkeit, vor allem für die kolonial und semi-kolonial abhängigen Völker, basieren sollten. Die indische Auseinandersetzung mit den Konflikten, die in der Zwischenkriegszeit durch die Expansionsgier Italiens und Deutschlands entstanden und in die neben Großbritannien auch der Völkerbund involviert waren, wirkte in langfristiger Perspektive ebenfalls auf die Entstehung der Blockfreien-Bewegung. In der Forschungsliteratur ist durchaus bekannt, dass verschiedene, die Idee der Bündnisfreiheit kennzeichnende Faktoren schon vor 1947 in den Debatten des INC und insbesondere bei Nehru vorhanden waren. So entfremdete sich der INC bspw. in der Zwischenkriegszeit von der Außenpolitik der Westmächte und begann eine ambivalente Haltung gegenüber politischen Blöcken und militärischen Allianzen einzunehmen.10 Bisher unbeachtet geblieben sind die in diesem Buch aufgezeigten Auswirkungen auf die Außenpolitik des postkolonialen Staates aufgrund der Beschäftigung einer breiten indischen Öffentlichkeit mit der faschistischen und nationalsozialistischen Außenpolitik.11 Es hat sich gezeigt, dass die Ausstrahlung und Wirkung des Faschismus weit über die Frage hinausgeht, ob es in außereuropäischen Kontexten, wie hier in Indien, Faschisten gab. Faschismus und Nationalsozialismus wurden kontrovers diskutiert; dabei liefen die Debatten auch quer zu politischen Parteien und Gruppierungen: die Gegenüberstellung des Hindunationalismus als indischer Spielart des Faschismus und einer antifaschistischen Kongresspartei lässt 10 11
Vgl. Keenleyside, Prelude; Louro, Peoples. Vgl. dazu auch ausführlich: Framke, Solidarität.
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sich nicht aufrechterhalten. Vielmehr wurden verschiedenste Länder, Regime und politische Maßnahmen beobachtet und kommentiert vor dem Hintergrund der Frage, inwieweit sie Dekolonisationsprozesse befördern und welche unterschiedlichen Visionen sie für eine indische „nation in the making“ zu bieten hatten.
Biografischer Anhang 1 Bose, Subhas Chandra Subhas Chandra Bose (1897–1945) war ein bedeutender Unabhängigkeitskämpfer und Politiker des INC aus Bengalen. Nach einem Studium in Kalkutta ging er nach Großbritannien, um sich hier auf die Aufnahmeprüfung für den Indian Civil Service vorzubereiten. Obwohl er diese erfolgreich bestand, entschied sich Bose gegen eine Laufbahn im Beamtendienst und schloss sich dem bengalischen Politiker C. R. Das an. Nach dessen Tod wurde Bose sein politischer Nachfolger und übernahm das Präsidentenamt des bengalischen INC. Auch arbeitete er als Bürgermeister von Kalkutta. Innerhalb des INC gehörte Bose zum radikalen Flügel. Er setzte sich für eine schnelle Unabhängigkeit Indiens ein und war bereit, dafür den von Gandhi propagierten Weg der Gewaltlosigkeit zu verlassen. Aufgrund seiner Aktivitäten im Unabhängigkeitskampf wurde Bose verschiedene Male von den britischen Kolonialherren inhaftiert. In den 1930er Jahren hielt er sich aus Gesundheitsgründen für mehrere Jahre in Europa auf und knüpfte hier mit Politikern und Intellektuellen viele Kontakte. Nach seiner Rückkehr nach Indien wurde er 1938 sowie 1939 zum Präsidenten des INC gewählt, musste sein Amt aber nach dem zweiten Sieg aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit Gandhi über die Frage, auf welchem Weg Indiens Unabhängigkeit erreicht werden solle, aufgeben. Bose gründete daraufhin seine eigene Partei, den Forward Bloc und führte nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine Kampagne gegen die Zusammenarbeit mit den Briten im gegenwärtigen Konflikt durch. 1940 wurde er verhaftet und entzog sich dem Hausarrest durch eine Flucht nach Deutschland. Hier organisierte er die Legion „Freies Indien“ und versuchte mit deutscher Unterstützung, die Unabhängigkeit Indiens herbeizuführen. Nachdem seine Bemühungen erfolglos blieben, reiste Bose nach Südostasien und organisierte hier mit japanischer Hilfe die Indian National Army. Bose starb wahrscheinlich bei einem Flugzeugabsturz in Taiwan 1945 (vgl. Kuhlmann, Bose; Bose, Majesty’s).
1 Wenn nicht anders angegeben, stammen die entsprechenden Daten aus zuvor zitierten Quellen.
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Biografischer Anhang
Bose, Sudhindra Dr. Sudhindra Bose (1883–1946) lehrte von 1913/14 bis 1946 in der Abteilung für Politikwissenschaften an der Universität von Iowa. Bose, der Pionierarbeit in der Lehre von asiatischer Politik und Zivilisation in den USA leistete, verfasste vier Bücher und viele Artikel in amerikanischen und indischen Zeitschriften. Für die Modern Review schrieb er des Öfteren und äußerte sich zum Beispiel zum Völkerbund oder der japanischen Herrschaft in Korea (vgl. The University of Iowa Libraries, Special Collections & University Archives, http:// www.lib.uiowa.edu/spec-coll/archives/guides/RG99.0147.htm, Zugriff 08. 02. 2011, 11:45 Uhr).
Coyajee, Jehangir C. Sir Jehangir C. Coyajee (1875–1943) war ein indischer Wirtschaftswissenschaftler. Er studierte in Bombay und in Cambridge. Nach seiner Rückkehr nach Indien unterrichtete er Wirtschaftswissenschaften am Presidency College in Kalkutta, dessen Rektor er ebenfalls 1930/31 war. 1928 wurde er in den Ritterstand erhoben. Coyajee hatte eine Reihe von Ämtern inne, so wurde er 1930 in das Indian Council of State berufen und nahm als Delegierter an den Sitzungen des Völkerbundes 1930 und 1932 teil. Zwischen 1932 und 1935 hatte er eine Professur für Wirtschaftswissenschaften an der Andra University in Waltair inne und wurde 1933 auch Vizekanzler der Einrichtung (vgl. Encyclopaedia Iranica, http://www.iranica.com/articles/coyajee-sir-jehangir-cooverji-, Zugriff 27. 05. 2011, 18:14 Uhr).
Das, Taraknath Das (1884–1958) war ein indischer Nationalist und internationaler Gelehrter. Er verließ Indien 1905, nachdem er sich an antibritischen Aktivitäten beteiligt hatte. Über Japan, wo er ein Jahr blieb, erreichte er 1906 die USA und setzte hier seine Studien in Wirtschaft und Politik fort. Gleichzeitig engagierte er sich für die Rechte der Inder in Nordamerika und setzte sich für die Unabhängigkeit seines Heimatlandes ein. Dazu gründete er die Free Hindustan Movement, deren Zeitschrift Free Hindustan ab 1907 erschien. Auch unterstützte er die 1913 gegründete Ghadr Party. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete er für das India Independence Committee, das sich in Berlin gebildet hatte und dessen Ziel es war, die britische Herrschaft in Indien mit deutscher Hilfe zu beenden. Nach seiner Rückkehr in die USA wurde Das im Hindu German Conspiracy Case angeklagt und 1918 zu 22 Monaten Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung gab Das jede revolutionäre Aktivität auf und war nun nur noch als Gelehrter und Kulturpolitiker tätig. Nach seiner Promotion im Jahr 1924, reiste er nach Europa, wo er bis 1934 blieb. Während dieser Zeit lebte er auch immer wieder für längere Zeit in Deutschland und Italien. Besonders eng war
Biografischer Anhang
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Das mit München und dessen geistigen Leben verbunden. Nach seiner Rückkehr nach Nordamerika nahm er verschiedene Lehrtätigkeiten auf und erhielt u. a. eine Professur für World Affairs an der New York University sowie eine Dozentur für Orientalische Geschichte an der Columbia University. Das, der instrumental für die Gründung des Indischen Ausschuss gewesen war, half nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit, das India Institute wieder zu eröffnen (vgl. Günther, Taraknath Das).
Gandhi, Mohandas Karamchand Mahatma Gandhi (1869–1948) war Rechtsanwalt und politischer sowie geistiger Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Gandhi, der sein Konzept des gewaltfreien Widerstandes (Satyagraha) in seiner Zeit in Südafrika entwickelt und erprobt hatte, kam 1915 nach Indien zurück. Hier initiierte er in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Kampagnen und half, den INC zu einer Massenorganisation auszubauen. Unter Anwendung seines SatyagrahaKonzeptes leitete Gandhi drei gewaltfreie Widerstandsbewegungen (Non-Cooperation 1920–22, Civil Disobedience 1930–34 und Quit India ab 1942) und wurde dafür immer wieder inhaftiert. Neben seinen Bemühungen um die Unabhängigkeit Indiens arbeitete Gandhi in den 1930er Jahren insbesondere für einen Verbesserung der Lebensbedingungen der Dalits. Gandhi wurde 1948 von einem radikalen Hindunationalisten ermordet (vgl. Brown, Gandhi).
Gentile, Giovanni Giovanni Gentile (1875–1944) war ein italienischer Philosoph und Pädagoge. Nach seinem Universitätsabschluss an der Scuola Normale Superiore in Pisa unterrichtete er Philosophie an italienischen Gymnasien. 1906 erhielt er eine Philosophieprofessur an der Universität in Palermo, 1914 ging er an den Lehrstuhl der Scuola Normale Superiore und erhielt 1917 den Ruf an die Sapienza in Rom. Nach dem Marsch auf Rom ernannte ihn Mussolini 1922 zum Erziehungsminister. Das Amt hatte Gentile nur bis 1924 inne, dann sah er seine Aufgabe – die Umsetzung der Bildungsreform – als erfüllt an und ging zurück an die Universität. Trotzdem blieb Gentile dem faschistischen Regime und vor allem Mussolini verbunden und war intensiv in die faschistische Kulturpolitik involviert. Dies zeigte sich unter anderem an der Kumulation von Ämtern und Funktionen. So war Gentile unter anderem seit 1922 Senator auf Lebenszeit, von 1925–29 Mitglied des faschistischen Großrats, Präsident der 1925 eingesetzten „Kommission der Achtzehn“ für die Verfassungsreform, Präsident des faschistischen Kulturinstituts Istituto Nazionale di Cultura Fascista (1925– 1937), kommissarischer Direktor der Scuola Normale Superiore (1928–1935 und 1937–1943) sowie Präsident des IsMEO (ab 1933). 1943 schloss er sich
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Mussolini und der Republik von Salò an und wurde 1944 wahrscheinlich von Partisanen ermordet (vgl. Charnitzky, Gentile, S. 6 und 13).
Golwalkar, Madhav Sadashiv M. S. Golwalkar (1906–73) war der zweite sarsanghchalak (oberster Führer) des RSS. Er stammte aus einer Brahmanenfamilie in der Nähe von Nagpur. Nach seinem Studium der Zoologie in Benares arbeitete er zuerst als Dozent und später als Anwalt in Nagpur. Er trat dem RSS 1931 bei und begann ab 1933 aktiv für den Sangh tätig zu sein. Nach Hedgewars Tod 1940 wurde Golwalkar sein Nachfolger als Führer des RSS (vgl. Bhatt, Hindu, S. 125).
Hedgewar, Keshavrao Baliram K. B. Hedgewar (1889–1940) gilt als Gründer des RSS und war dessen erster Vorsitzender. Hedgewar stammte aus einer orthodoxen Brahmanenfamilie in Nagpur. Er studierte Medizin in Kalkutta, praktizierte allerdings niemals als Arzt, da er sich in der Unabhängigkeitsbewegung engagierte. Er nahm aktiv an Tilaks Home Rule-Bewegung teil und organisierte während des Jahrestreffens des INC in Nagpur das Freiwilligen-Korps. Zweimal, 1921 und 1931, wurde er wegen der Teilnahme an einer Satyagraha-Kampagne inhaftiert. 1925 gründete Hedgewar wohl mit Unterstützung von Moonje den RSS in Nagpur. Dessen Zweigstellen verbreiteten sich im folgenden Jahrzehnt schnell in Nord- und Zentralindien. 1938 war Hedgewar der Vorsitzende der Hindu Yuvak Parishad (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 2, S. 161 f.).
Katju, Kailas Nath Kailas Nath Katju (1887–1968) stammte aus einer Mittelklasse Brahmanenfamilie in Jaora, einem kleinen Staat in Malwa. Katju war Anwalt und arbeitete zuerst in Kanpur, ab 1914 in Allahabad. Sein Interesse galt der Politik und Bildungsangelegenheiten. Er war Mitglied in verschiedenen Gremien der Universität Allahabad und wurde nach der Unabhängigkeit Kanzler der Saugar University. Ab 1937 betätigte sich Katju aktiv in der Politik und war Mitglied des INC. In den späten 1930er Jahren war er verantwortlich für den Bereich Justiz in der INC-Regierung unter G. B. Pant in den United Provinces. Während des Zweiten Weltkrieges wurde er für die Ausübung von passivem Widerstand gegen die Briten inhaftiert. Im unabhängigen Indien hatte Katju eine Reihe hoher Ämter inne. So arbeitete er u. a. als Gouverneur von Orissa und Westbengalen. Er war Innenminister in Delhi und übernahm später den Verteidigungsbereich. Katju war ebenfalls Ministerpräsident von Madhya Pradesh (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 2, S. 302 f.).
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Kripalani, J. B. (Acharya) Acharya Kripalani (1888–1971) war ein INC-Politiker, Unabhängigkeitskämpfer und enger Vertrauter Mahatma Gandhis. Kripalani besuchte verschiedene Universitäten, die er wegen seiner nationalistischen Aktivitäten immer wieder verlassen musste. Trotzdem gelang es ihm, sein Studium mit einem Master in Geschichte und Wirtschaft abzuschließen und im akademischen Bereich eine Anstellung zu finden. 1912–1917 arbeitete er als Dozent am Muzaffarpur College in Bihar und leitete 1920–1927 die Gujarat Vidyapeeth. Diese Hochschule war von Gandhi gegründet worden. Ab 1927 wurde Kripalani aktiv im INC und engagierte sich auch in Gandhis Ashram. Von 1934 bis 1945 war er der Generalsekretär des INC. Kripalani nahm ab 1921 an allen INC-Kampagnen teil und wurde mehrere Male inhaftiert. 1946 wurde er INC-Präsident. Nach der Unabhängigkeit entfernte er sich langsam vom Kongress und gründete 1951 mit der Krishak Mazdoor Praja Party eine eigene Partei (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 2, S. 362–364).
Kumarappa, Jagadisan Mohandas J. M. Kumarappa (1886-?), Bruder von J. C. Kumarappa, des bekannten Ökonomen und engen Vertrauten Mahatma Gandhis, war ein einflussreicher Akademiker. Sein Studium absolvierte Kumarappa in Harvard, Boston und an der Columbia University in New York. Er hatte seit 1915 verschiedene Dozenturen und Professuren unter anderem an der Lucknow University sowie an der Mysore University inne. Kumarappa, dessen Interesse von Philosophie, über Soziologie zu Politik und Wirtschaft reichte, war 1926 Mitglied des Institutes für Internationale Politik des Völkerbundes gewesen. Er unternahm viele Reisen, v. a. in die USA und nach Europa, wo er an verschiedenen Universitäten Gastvorträge hielt. 1936 erhielt er eine Professur für Social Economy am Tata Institute of Social Science, dessen Direktor er 1941 wurde. Kumarappa war Mitglied des Expertenkomitees für Kriminologie der Vereinten Nationen 1949 sowie Mitglied im Social Welfare Panel der Planungskommission der indischen Regierung (vgl. Binani/Rama Rao, India, S. 1716).
Moonje, Balkrishna Shivram B. S. Moonje (1872–1948), von Beruf Arzt, war ein indischer Politiker, der anfänglich im INC tätig war und unter anderem mit Bal Gangadhar Tilak zusammenarbeitete. Nach Übernahme der Führung des INC durch Mahatma Gandhi zog sich Moonje zurück, da er dessen Ansichten zur Gewaltlosigkeit nicht teilte und die politische Strategie der Nicht-Zusammenarbeit ablehnte. Mit der Swaraj Party nahm er 1923 an den Wahlen in den Central Provinces teil, übernahm aber trotz einer Mehrheit seiner Partei keine Regierungsverantwortung. 1926 wurde Moonje in die Central Legislative Assembly gewählt. Mit seiner Entfer-
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nung vom INC näherte er sich seit Beginn der 1920er Jahre der HMS an. So gehörte er zu den Gründern einer Zweigstelle der Partei in Nagpur und wurde 1927 zu ihrem Präsidenten gewählt. Auch spielte er eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Gründung und Etablierung des RSS, dessen erster Vorsitzender Hedgewar eng mit Moonje verbunden war. Moonje war ein einflussreicher Hindunationalist, dessen besonderes Interesse sich auf die Stärkung der Hindugemeinschaft und auf ihre Militarisierung richtete (vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 69 f., 117 und 122 ff.; Hardas, Life-sketch, S. 5–9).
Moulik, Monindra Mohan M. M. Moulik (1909-?) war ein indischer Gelehrter. Als Student der Wirtschaftswissenschaften war er ein Schüler von Benoy Kumar Sarkar gewesen. Er lebte von 1935 bis 1938 in Europa, die meiste Zeit davon in Italien, und promovierte an der Universität in Rom mit einer Dissertation zum Thema „La Politica Finanziaria Britannica“. Er war Stipendiat des IsMEO, gleichzeitig arbeitete er als Korrespondent für verschiedene indische Zeitungen, so zum Beispiel für die Amrita Bazar Patrika. Auch war er 1937 als Dozent für Bengali an der Universität Rom tätig. Nach seiner Rückkehr nach Indien wirkte Moulik als Sekretär der Bangiya Dante Sabha (Bengali Dante Society) und trat 1948 in den diplomatischen Dienst der Republik Indien ein. 1958 ging er als Berater des Generaldirektors der Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen zurück nach Rom (vgl. Flora, Sarkar, S. 376 f.; Moulik, Feast).
Nag, Kalidas Dr. Kalidas Nag (1892–1966) war ein bekannter Akademiker und Professor für Alte Indische Geschichte und Kultur an der Universität von Kalkutta. Sein Studium absolvierte Nag in Kalkutta und Paris. Anschließend hatte er verschiedene Professuren und akademische Ämter inne, so zum Beispiel als Direktor des Mahindra College Galle in Sri Lanka 1919/20. 1921 nahm Nag als Repräsentant Indiens am 3. Internationalen Bildungskongress in Genf sowie ein Jahr später an der International League for Peace and Freedom in Lugano teil. Nag war an der Gründung der Greater India Society beteiligt und gab deren Zeitschrift India and the World von 1932–36 heraus. 1930/31 war er als Gastprofessor am Institut für Internationale Bildung in New York und arbeitete für den Völkerbund in Genf. Als Delegationsmitglied nahm er 1938 an der 2. British Commonwealth Relations Conference in Sydney teil (vgl. Binani/Rama Rao, India, S. 1721).
Naidu, Sarojini Sarojini Naidu (1879–1949), geboren in Hydarabad, war eine bedeutende indische Dichterin, Unabhängigkeitskämpferin und Politikerin des INC. Studiert
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hatte Naidu in Hyderabad, am Kings College in London sowie am Girton College in Cambridge. Sie war Mitglied der Royal Society of Literature seit 1924 und betätigte sich aktiv in der indischen Frauenbewegung. 1925 wurde sie zur Präsidentin des INC gewählt und im Rahmen der Kampagne des Zivilen Ungehorsams 1930 inhaftiert. In den 1930er Jahren war sie für mehrere Jahre Mitglied des Arbeitsausschusses des INC und wurde nach der Unabhängigkeit 1947 Gouverneurin des indischen Bundesstaates Uttar Pradesh (vgl. Sen, Bd. 3, S. 194–197).
Nambiar, Arathil Candeth Narayan A. C. N. Nambiar (1896-?) war ein indischer Journalist, Nationalist und Diplomat. Er leitete seit 1929 das vom INC eingerichtete Indian Students’ Information Bureau in Berlin, das nach dem Überfall der Sturmabteilung (SA) 1933 geschlossen wurde. Er verließ daraufhin Deutschland und lebte bis zum Kriegsausbruch in Prag, wo er als Korrespondent für verschiedene indische Zeitungen arbeitete und mit Jawaharlal Nehru und Subhas Chandra Bose zusammentraf. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ging er nach Frankreich, wo ihn Bose 1941 trotz seiner kommunistischen Neigungen für eine Mitarbeit in der Zentrale Freies Indien in Deutschland bewegen konnte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Nambiar von den Briten verhaftet, aber später freigelassen. Er trat dann in das diplomatische Korps des unabhängigen Indien ein. Nambiars Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten beeinflusste seine persönliche Freundschaft mit Jawaharlal Nehru anscheinend nicht, obgleich dieser ein überzeugter Anti-Faschist war. Nehru schickte Nambiar 1955 als indischen Botschafter in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. Das Gupta, Handel, S. 114 f.; Kuhlmann, Bose, S. 48 f., 170 und 343).
Nariman, Khurshed Framji K. F. Nariman (1882–1948) war ein Anwalt, Unabhängigkeitskämpfer und bedeutender INC-Politiker. Zwischen 1924 und 1939 war er gewähltes Mitglied der Bombay Corporation und 1935/36 der Bürgermeister der Stadt. Sieben Jahre lang bekleidete er das Präsidentenamt des Bombay Congress Committee und war einige Jahre auch Mitglied des Arbeitsausschusses des INC. Als Unterstützer der INC-Kampagnen gegen die britische Kolonialherrschaft wurde er mehrere Male inhaftiert. Nach einer Auseinandersetzung mit Sardar Patel 1937 zog er sich von der aktiven Kongress-Arbeit zurück und nahm eine kritische Haltung gegenüber dem INC ein. Sein Interesse galt neben der Stadtentwicklung auch der Jugend- und Studentenbewegung (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 3, S. 241–243).
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Nehru, Jawaharlal Jawaharlal Nehru (1889–1964) war ein bedeutender INC-Politiker und der erste Premierminister des unabhängigen Indien. Seine universitäre Ausbildung erhielt Nehru vollständig in Großbritannien. 1916 trat Nehru der Home Rule League von Annie Besant bei und traf zum ersten Mal Gandhi, der für lange Jahre sein politischer Mentor wurde. Nehru wurde im INC aktiv und arbeitete bei allen wichtigen Kampagnen mit, wobei er etliche Male von den Briten inhaftiert wurde. Nehru nahm im Verlauf der Zeit immer wieder wichtige Ämter im INC ein, so war er 1929 und 1936 Präsident des INC und übernahm 1938 den Vorsitz des NPC. Durch mehrere lange Europareisen (1926/27, 1935/36, 1938) entwickelte er ein tiefes Interesse und Verständnis für außenpolitische Vorgänge. Nehru, der politisch links zu verorten ist, schloss sich nicht der CSP an. Zur Erlangung der Unabhängigkeit, glaubte er, müsse der INC die indischen Massen vertreten und einschließen. Seine Vision für ein unabhängiges Indien sah einen säkularen, rationalen, sozialistisch orientierten Staat vor (vgl. Brown, Nehru).
Prasad, Rajendra Dr. Rajendra Prasad (1884–1963) war ein bedeutender INC-Politiker, Anwalt und enger Vertrauter Gandhis aus Nordbihar. Aufgrund seiner Arbeit für den Kongress im Rahmen der verschiedenen Kampagnen gegen die britische Kolonialherrschaft wurde er mehrere Male inhaftiert. 1935 wurde Prasad zum Präsidenten des INC gewählt, 1937 bildete er zusammen mit Sardar Patel und Maulana Azad das Parliamentary Board des INC und beteiligte sich als Mitglied des Arbeitsausschusses an vielen wichtigen Entscheidungen. 1950 wurde er zum Präsidenten des unabhängigen Indien ernannt (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 3, S. 403–408).
Rajagopalachari, C. C. Rajagopalachari (1879–1972) war Anwalt, Unabhängigkeitskämpfer und ein bedeutender INC-Politiker in Südindien. Sein Studium hatte Rajagopalachari in Bangalore und Madras absolviert. Er arbeitete seit 1910 als Anwalt mit einer eigenen Praxis. Rajagopalachari nahm an vielen Protestkampagnen gegen die britischen Kolonialherren teil, so z. B. am Rowlatt Act Satyagraha und an der Nicht-Zusammenarbeitsbewegung. Er gab Gandhis Zeitschrift Young India heraus, während Gandhi im Gefängnis saß. 1921 arbeitete er als Generalsekretär des INC und war Mitglied des Arbeitsausschusses. Rajagopalachari engagierte sich in der Prohibition League und für die Rechte der Dalits. Auch in den 1930er Jahren war er Mitglied des Arbeitsausschusses des INC und führte den Tamil Nadu Congress. 1937 wurde er Premierminister in Madras (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 3, S. 439–443).
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Roy, Bidhan Chandra Dr. B. C. Roy (1882–1962) geboren in Patna, arbeitete als Arzt und Politiker. Er gehörte in den 1920er Jahren der Swaraj Party und den sogenannten Big Five des bengalischen Congress an und bekleidete in den 1930er Jahren verschiedene wichtige Posten im INC. So war er bspw. Mitglied des Arbeitsausschusses 1930 und 1939 sowie Präsident des Bengal Provincial Congres Committee. 1931/32 war er Bürgermeister von Kalkutta und wurde 1942 zum Vizekanzler der Universität von Kalkutta ernannt. Nach der Unabhängigkeit bekleidete er das Amt des Premierministers von West-Bengalen (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 3, S. 532–534).
Roy, Pramatha Nath P. N. Roy (1900/01–?) lehrte vor 1933 als Dozent für Italienisch an der Universität Kalkutta und arbeitete dort mit Giuseppe Tucci, dem berühmten italienischen Gelehrten, zusammen. Roy gehörte zu den indischen Stipendiaten des IsMEO und kam 1933 nach Italien. Hier wirkte er bei der Organisation des Ersten Kongresses der orientalischen Studenten mit. Nach seiner Rückkehr nach Indien erhielt er eine Professur für Italienisch an der Universität von Benares.
Sarkar, Benoy Kumar Benoy Kumar Sarkar (1887–1949) war ein einflussreicher indischer Ökonom und Soziologe. Sarkar, der an der Universität Kalkutta studierte, wurde noch während seiner Zeit dort im Rahmen der Swadeshi-Bewegung 1905 politisch aktiv. Die Erfahrungen dieser ersten Massenkampagne gegen die britische Herrschaft, in deren Verlauf Sarkar sich für nationale Bildungseinrichtungen engagierte, prägten ihn stark, und er wurde zu einem radikalen Antiimperialisten. Von 1914–1925 lebte er in verschiedenen Ländern in Asien, Nordamerika und Europa und lehrte dort als Gastprofessor an verschiedenen Universitäten. 1926 kehrte er nach Indien zurück und erhielt eine Professur in Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Kalkutta, die er bis 1949 innehatte. Sarkars akademische Aktivitäten und Interessen waren breit gefächert und umfassten neben Wirtschaftswissenschaften u. a. Politische Philosophie, Geschichte, Soziologie, Literatur und Anthropologie (vgl. Mukherjee, Sarkar).
Sarkar, Nalini Ranjan Nalini R. Sarkar (1882–1953) geboren im Mymensingh Distrikt in Bengalen (im heutigen Bangladesch) war ein vielseitiger Geschäftsmann und Politiker, der in verschiedenen Organisationen und Parteien tätig war. In den 1920er Jahren war er Mitglied der Swaraj Party und als deren Abgeordneter in der Legislative Assembly Bengalens. Gleichzeitig aber gehörte er ab Mitte der
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1920er Jahre zu den Big Five des INC in Bengalen und wurde 1935 zum Bürgermeister von Kalkutta gewählt. Er organisierte mit A. K. Fazlul Haq die Krishak Praja Party und wurde 1937 Finanzminister im Kabinett von Haq. Ab 1941 war Sarkar Mitglied im Executive Council des Vizekönigs, trat aber von diesem aus Protest gegen die Behandlung Gandhis im Gefängnis 1943 zurück. 1947 kam er wieder zum INC und arbeite als Finanzminister im Kabinett von B. C. Roy (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 4, S. 71 f.).
Savarkar, Vinayak Damodar V. D. Savarkar (1883–1966) war ein Revolutionär und Hindunationalist aus dem heutigen Maharashtra. Er stammte aus einer Chitpavan Brahmanenfamilie. Savarkar engagierte sich früh für Indiens Unabhängigkeit und gründete aus diesem Grund 1904 die Geheimgesellschaft Abhinav Bharat, die gewalttätige, revolutionäre Aktionen gegen die Briten plante und ausführte. Er studierte in Pune und ab 1904 Jura in Bombay und erhielt ein Stipendium, mit dessen Hilfe er 1906 nach England ging. In London wohnte Savarkar im India House von Shyamji Krishnavarma und organisierte die Free India Society. Gandhis Konzept der Gewaltlosigkeit lehnte Savarkar ab. 1910 wurde er verhaftet und wegen aufrührerischer Aktivitäten gegen die Krone zu lebenslanger Haft auf den Andamanen verurteilt. 1924 wurde er freigelassen und begann sich politisch zu engagieren. Ein Jahr zuvor hatte Savarkar sein berühmtes Werk „Hindutva. Who is a Hindu?“ veröffentlicht. Savarkar war von 1937 bis 1940 Präsident der HMS und danach krankheitsbedingt bis 1944 nur für wenige Monate (vgl. Bhatt, Hindu Nationalism, S. 79 ff.).
Thierfelder, Franz Felix Reinhold Franz Thierfelder (1896–1963) war ein deutscher Journalist und Pressereferent der Deutschen Akademie in München. Thierfelder, der als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, studierte nach seiner Rückkehr 1919 Germanistik, nordische Sprachen, Zeitungs- und Staatswissenschaften sowie Volkswirtschaft. 1921 nahm er als Freiwilliger an der Niederschlagung des kommunistischen Aufstandsversuchs in Mitteldeutschland teil. Ein Jahr später promovierte Thierfelder über ein Thema der schwedischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts und legte ebenfalls eine Promotion in Volkswirtschaft über den Bund der Landwirte in Sachsen vor. In den nächsten Jahren arbeitete er als Journalist für verschiedene Zeitungen, so unter anderem für die Kattowitzer Zeitung, die Goslaer Zeitung und schließlich als Redakteur für die Dresdener Nachrichten. Von 1926 bis 1937 war Thierfelder in der Deutschen Akademie tätig und arbeitete anschließend zwischen 1939 und 1942 als freier Journalist. Ab 1942 hatte er die Leitung der Volksbildungsstätte in München inne (vgl. Michels, Akademie, S. 33 ff. und 194 f.).
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Visvesvaraya, Mokshagundam Sir M. Visvesvaraya (1861–1962), geboren im Fürstenstaat Mysore, studierte Ingenieurwissenschaften und arbeitete in verschiedenen Anstellungen mit dem besonderen Fokus auf Wasserversorgung. 1909 wurde er zum Chefingenieur von Mysore ernannt und auf seine Initiative wurde 1911 die Mysore Economic Conference ins Leben gerufen, die sich mit der Entwicklung des Staates beschäftigte. Von 1912 bis 1918 war er der Diwan von Mysore und konzentrierte sich nicht nur auf den wirtschaftlichen, sondern auch auf den politischen Fortschritt sowie auf Verbesserungen im Bildungsbereich des Fürstentums. Im Anschluss arbeitete er in vielen Komitees, so unter anderem im Bombay Technical and Industrial Education Committee sowie im Irrigation Enquiry Committee. Darüber hinaus arbeitete er als Direktor der Tata Iron & Steel Company (1927–1955) und engagierte sich weiterhin im Infrastruktur- und Bildungsbereich (vgl. Sen, Dictionary, Bd. 4).
Quellen und Literatur 1.
Primärquellen
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Politisches Archiv des Auswrtigen Amtes Pol. VII, Indien Po. 2, PA-AA, R 104777
Zentrum Moderner Orient Report on Newspapers published in the Bombay Presidency, 1929
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Register Abessinien 239 f., 243–247, 249–252, 254 f., 25487, 257, 259–262, 264, 268–270, 272, 275 f., 281 Abessinienkrieg 32 f., 63, 80, 237–240, 243 f.30, 245, 248, 24854 und 55, 263134, 266, 277, 280, 309 f. –, Giftgaseinsatz 255 f., 268 –, indische Debatten 33, 50, 129, 145, 227, 238, 240–247, 249–257, 265140, 266, 301, 309, 311 –, indische Hilfsleistungen 33, 249, 254 f., 25486 –, indische Kritik an Großbritannien 257– 267 –, Resolution zur Kriegsgefahr 251, 265 –, s. a. Rassismus –, s. a. Völkerbund –, Schlacht von Adua 239, 246 f., 24856 –, Sklaverei in Abessinien 241, 244–246, 24432 und 34 –, Solidarisierung mit Abessinien 249–254, 270 –, Zivilisierungsbemühungen Italiens 241– 243, 24116 Andrews, Charles F. 241–243 Antisemitismus 28, 31, 117, 139 –, Gandhi 47, 149 f., 149140 und 141 –, Hitler 119 f. –, in Italien 152, 152151, 153159 und 160, 154, 154162 und 163 –, indische Diskussionen des deutschen Antisemitismus 29, 30 f., 47, 51, 71 f.94, 120, 122, 124, 127, 127 f.47, 131, 134, 136, 138–146, 143112, 146125, 148, 148133, 150 f., 169239, 170, 175, 177, 199, 233, 304, 309 f. –, indische Diskussionen des italienischen Antisemitismus 152 f., 177 –, in Indien 143, 169, 170241, 171 f., 174 –, nationalsozialistische Judenverfolgung/ Pogrome 136, 139, 144, 146–148, 163, 165, 310
–, nationalsozialistische Gesetzgebung und Boykottmaßnahmen 117, 124 f., 12434, 139, 13998, 140100, 141, 144 –, s. a. Juden Appeasement 33, 263, 271, 292, 292274, 300 Arbeitsdienst 32, 183, 201–203, 205 f., 207 f. –, indische Diskussionen zum RAD 112 f., 112148, 19891 und 94, 200, 203–207, 236 Arbeitslosenpolitik 32, 188 –, Arbeitslosigkeit in Deutschland 141, 193 f., 193 f.70, 202, 202113 –, Arbeitslosigkeit/Unterbeschäftigung in Indien 155, 160, 167, 185, 191–193, 19261, 19474 –, deutsche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 193–195 –, indische Diskussionen der deutschen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 194 f., 197–201, 19788, 19891 und 94, 19995, 236, 308 f. –, s. a. Reichsarbeitsdienst Arier 117, 1174, 122, 134 f., 206, 206132 –, arisches Indien im Altertum 118, 121, 128, 133, 137 –, Inder als Arier zeitgenössisch 73102, 74, 78, 1189, 138, 121 f., 12123, 133, 134 f., 137 –, nationalsozialistische Theorien 74, 78, 118–120, 1185 und 7, 11911, 12851, 148 –, s. a. Rassentheorie Außenpolitik 33, 45, 83, 97, 134, 271 f. –, faschistische 27 f., 32 f., 238–240, 245, 247 f., 305 f., 310 f. –, Imperium Ostafrika 152, 240, 242, 245 –, nationalsozialistische 27, 32 f., 8311, 134, 277–280, 289, 301, 305 f., 309–311 –, s. a. Abessinienkrieg –, s. a. Sudetenkrise –, selbstbestimmte Außenpolitik in Indien 28, 33, 237, 250, 263, 274, 274189, 277, 293–299, 311 f.
Register Autarkie 32, 191, 236, 287 –, im Faschismus 216, 217182, 218, 221, 227 f. –, im Nationalsozialismus 202, 219193, 226– 228 –, s. a. Landwirtschaftspolitik –, s. a. Vierjahresplan Bangiya Jarman Vidya Samsad 189 f., 19051 Bhatt, Chetan 31, 92, 13167, 132, 13269, 133– 135, 13373, 13585, 137, 172249, 299303 Bildung(spolitik) 28, 30, 54, 62, 64, 75, 79– 83, 85–89, 96, 99, 101–103, 102 f.103, 109– 113, 116, 185, 204, 209, 228, 234, 317, 318, 320, 323, 325 Bose, Subhas Chandra 16, 21, 45, 4551, 4656 und 58, 48–50, 48 f.67, 49 f.69–71, 531, 60, 62, 65 f.65, 104–106, 104108, 105112, 126–128, 12643, 127 f.47, 158, 158180, 163, 184, 207, 250, 264–266, 265140, 274 f., 274189, 290261, 293–296, 294 f.282 und 284, 303, 307, 311, 315, 321 Bose, Sudhindra 169–171, 316 Brogini Künzi, Giulia 2383, 2397, 242, 246, 248, 24856, 256, 25698 Carelli, Mario 64 Casolari, Marzia 45 f., 86 f., 89–93, 174 Chamberlain, Neville 147, 279, 284 f., 296, 296290, 300 Citizenship training 107, 108127, 186 Congress Socialist Party 16, 22, 33, 45, 131, 237, 249–253, 257, 260 f., 265 f., 269, 272 f., 285, 296, 300 f. Coyajee, Jehangir C. 102 f., 316 Dadachanji, K. K. 155 f. Das, Taraknath 4658, 53 FN1, 55, 5511, 57, 59, 62 f., 66–68, 71–73, 7192 und 94, 73101, 167–171, 168230, 169239, 170242, 209 f., 262, 300 f., 305–308, 316 f. Dasgupta, Surendranath 57, 5719 Delfs, Tobias 31, 90 f., 9251, 133 f., 13479, 137, 173, 291, 298 f. Deutsche Akademie 30, 66–69, 6981–82, 71–80, 7296, 73101–102, 74104, 75107, 76 f.117, 77118, 113, 126 f., 189, 310, 324 Deutschland
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Dieckhoff, Hans-Heinrich 125 f. Dienst an der Nation 28, 30, 81, 105112, 116, 205, 207, 212, 305, 307 f. –, im Faschismus 86 –, im Hindunationalismus 95, 13484 –, im Nationalsozialismus 109 –, s. a. Reichsarbeitsdienst –, Swami Vivekananda 105 Dimitroff-Doktrin 259 f., 259112, 260114 Disziplin 28, 30, 39, 3927, 4660, 81 f., 84 f., 8415, 87 f., 97 f., 100 f., 104–109, 106116, 112 f., 116, 205, 207, 209, 214, 225, 236, 305, 307 f. Erster Weltkrieg 14 f., 18, 20, 40, 4134, 5075, 55, 66 f., 93, 180, 197, 213, 216, 237, 239, 264, 264136, 267, 272, 282, 287–289, 306 f., 311, 316, 324 Faschismustheorien 35–40 Federation of Indian Students abroad 72, 122–125 Flora, Giuseppe 50 f., 544, 77 f., 18844, 190, 196 f. Foreign Department INC 176, 252 –, Newsletter 271 Frankreich 88, 101, 106, 108129, 181, 183, 240, 24116, 270–273, 278–280, 278208, 296290, 300, 305, 307 Freiwilligenbewegung 16 f.11, 41, 84, 8415, 105, 106116, 207, 307 Führer 28, 40, 50, 84, 91, 104, 106, 108 f., 109133, 110138, 115, 119, 127–130, 139, 142, 151, 195, 209, 212, 304, 307 f. –, Kult 3927, 91, 104, 116, 308 Gandhi, Mohandas Karamchand 14, 157, 20, 22, 41–45, 4445, 4658, 47, 531, 66, 105, 106116, 12225, 149 f., 149140 und 141, 150146, 161 f., 177, 180, 186, 18634, 196, 199 f., 215 f., 241, 251–253, 25173, 258108, 296, 296290, 304 f., 315, 317, 319, 322, 324 Ganguly, K. L. 234 f. Gehorsam –, im Faschismus 85 –, gegenüber Führer 84, 104, 106, 304, 308 –, im Nationalsozialismus 110138, 113 Gentile, Giovanni 64, 102, 10299, 102 f.103, 18947, 317 f.
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Register
Golwalkar, Madhav Sadashiv 15, 95, 131, 135–138, 13584, 13687 und 88, 13791, 309, 318 Greater India 5179, 291, 320 Griffin, Roger 36, 98 Großbritannien 14, 28, 33, 4551, 50, 66, 88, 97, 108129, 112, 12123, 121 f.24, 127, 130, 147 f., 164, 169, 176, 180 f., 18214, 183, 226229, 228, 230, 233, 237, 239, 24116, 245, 249, 251, 257–259, 261–268, 270–273, 277–281, 292 f., 292274, 295–300, 296290, 305, 307, 312, 315, 322 Günther, Hans F. K. 118 f., 11810, 11911 Haile Sellassie I. 240 Handelsbeziehungen –, deutsch-indische 32, 126 f.43, 226–235 –, italienisch-indische 275 f. Handelsboykott 41, 126 f.43, 130, 193, 275– 277, 287 Handelspolitik 32, 226 –, im Nationalsozialismus 226, 228 f., 234, 236 Haushofer, Karl 66, 6668, 77, 274189 Hedgewar, Keshavrao Baliram 8414, 89, 9040, 95, 318, 320 Henlein, Konrad 279, 289 Hindu Mahasabha 15, 16 f.11, 18, 22, 31, 42, 74104, 93 f., 96, 131 f., 134, 171–173, 237, 290–292, 297–299, 298302, 301, 320, 324 Hindunationalismus 15, 17, 42, 86, 95, 131 f., 13164, 134, 13687, 139, 299, 312 Hindustan Students’ Association 72, 123, 12329, 12643 Hindustani Seva Dal 105 f., 106116, 108 Hindutva 131 f., 131 f.67, 13268, 13373, 134, 137, 172, 324 –, s. a. Rassentheorie Hitler, Adolf 45, 5075, 6669, 7192, 9040, 91, 109, 112, 114 f., 119 f., 11912–13, 122–124, 12225, 12643, 127–130, 12851, 134, 137, 139, 142, 143112, 145, 149140, 150 f., 150146, 169, 188, 190 f., 195, 197, 201, 203, 224219, 228 f., 231254, 274189, 277–279, 284 f., 286242, 287, 291, 292274, 295, 296290, 297, 299, 307, 309 Imperialismus 33, 50, 63, 154, 169239, 172250, 176 f., 181, 213, 223, 237–241, 243, 246 f.,
250, 257, 258105, 262 f., 266 f., 271 f., 281, 311 –, Verhältnis zu Faschismus/Nationalsozialismus 147 f., 249, 258–261, 260114 und 115, 267, 280, 292–294, 299–301, 311 –, s. a. Dimitroff-Doktrin India Institute (Indischer Ausschuss) 66– 68, 67 f.76, 72–74, 73102, 76–79, 76 f.117, 126, 189, 317 Indian Medical Association 155, 158, 158181, 255 Indian National Congress 13, 130 f., 134, 148 f., 148133, 157 f., 157176, 160, 162–166, 164213, 168, 169239, 171 f., 172250, 173255, 175–177, 184–186, 185 f.33, 18740 und 41, 207, 223, 227, 235–237, 249–253, 251 f.73, 257, 258105, 260 f., 260114, 265 f., 269–271, 277, 289256, 290, 290261, 293, 293279, 294282, 294 f.284, 295–298, 297294, 300 f., 303–305, 3042, 307 f., 310, 312, 315, 317–324 Indian Students’ Association 123, 12329 Indian Students’ Convention 60 Infrastrukturausbau 32, 212, 215, 221, 307 –, faschistisch 220, 221–223, 236 –, nationalsozialistisch 188, 220, 220 f.199 Intellektuelle/Intelligenzija 14, 16–18, 20, 22, 30, 32 f., 39 f., 46 f., 4660, 51, 79, 81, 83, 104, 106, 145, 186, 188, 190, 192 f., 198, 227, 235–237, 305 f., 308, 310 IsMEO 30, 4656, 53–57, 5616, 5717, 59 f., 63– 65, 6459, 67, 69, 79 f., 12640, 209, 310, 317, 320, 323 –, s. a. Stipendien –, s. a. Studentenkongress Italian Community of India 243 Jadhav, G. M. 112 f. Jaffrelot, Christophe 31, 91, 132, 135–137, 13791 Jain, Padamraj 134 f., 299 Juden 140, 140101, 148, 200 –, Experten/Mediziner 155 f., 158 f., 158181, 161 f., 168 f. –, Haltung der britisch-indischen Regierung 160, 164, 165216, 166 –, Immigration nach Indien 29, 47 f., 155, 160 164 f. –, Immigrationszahlen 174 f., 174259
Register –, indische Debatten zur jüdischen Immigration nach Indien 31, 156171, 157, 159– 174, 160194, 170242, 172249, 177, 310 –, Kenia 175 f., 176267 –, s. a. Antisemitismus –, Vergleich mit Muslimen 173 f. Jugend(bewegung) 39, 3927, 306 –, faschistische Jugendorganisationen 30, 83, 85 f., 111 –, indische Diskussionen 28, 30, 81–85, 87 f., 90, 92–97, 99–101, 103 f., 104108, 106, 108, 110 f., 112148, 113–116, 207 f., 236, 304, 308 –, in Indien 84, 8414 und 15 –, nationalsozialistische Jugendorganisationen und Jugendpolitik 30, 75, 83, 109– 111, 202 –, Vorbilder/ Referenzmodelle 90–94, 99, 101, 106, 114, 116 Karikaturen 23, 150 f., 219 f., 232, 256 f., 269 f., 284 f., 294 f. Katju, Kailas Nath 104, 106, 108, 307 f., 318 Katyar, P. D. 122 Khanna, M. S. 72, 12329 Körperertüchtigung (physical culture) 28, 30, 81–84, 94, 101, 103, 304, 307 f. –, Debatten in Indien 82, 87 f., 91, 94–96, 99, 101, 104 f., 111–113, 112148, 116, 307 f. –, im Faschismus 85, 96 –, im Nationalsozialismus 75, 109 f., 208 –, Maßnahmen in Indien 81 f., 8414, 93 Körperkultur 28, 101, 111, 308 –, s. a. Körperertüchtigung Kolonialherrschaft (Kolonialherren) 14, 16, 18, 28, 33, 66, 73, 82, 8415, 88, 9460, 116, 120, 147, 147132, 164, 168, 177, 196, 223, 228, 230, 233, 243, 253, 257, 277, 299, 301, 304, 306 f., 311, 315, 321 f. Kolonialismus 14, 14 f.5, 38, 4340, 118, 186, 266 –, koloniale Situation Indiens 14–16, 26– 29, 31, 5075, 73, 81 f., 148, 167, 175 f., 183 f., 186, 196, 233 f., 249, 253, 257, 260, 263, 281 f., 287, 296–298, 304, 307, 311 Kommunalismus 2745, 209, 283, 308 –, s. a. korporativer Staat
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Konzentrationslager 146, 151, 168 korporativer Staat 62, 183, 208 f. –, Gemeinsamkeiten Indiens und Italiens 212 f. –, indische Diskussionen 32, 97, 106121, 189, 191, 208–211, 213–215, 236, 308 –, Kommunalismus 106121, 211 f. –, s. a. Nationenbildung (nation building) Kripalani, J. B. (Acharya) 162, 252 f., 297294, 319 Kumarappa, Jagadisan Mohandas 115, 141–143, 197 f., 19891, 319 Landwirtschaftspolitik 32, 97, 189, 213, 215–221, 215173, 223, 236 –, Battaglia del Grano (Getreideschlacht) 216–218, 220 Larsen, Stein U. 37, 304 League of Asiatic and African coloured Nations 274, 312 League of oppressed Nations 274, 274189, 312 Männlichkeit 81 f., 108 Martial Races 89, 94, 9460 Mein Kampf 119 f., 12851, 190, 274189, 286 Militarisierung 30, 39 –, B. S. Moonje 87–89, 91–94, 320 –, indische Diskussionen 30, 81–84, 87 f., 100, 105, 106116, 112 f., 112148, 116, 204 f., 207, 209, 300 f., 307 –, Hindu Mahasabha und RSS 94, 96, 134 f., 298 f., 298302 –, im Faschismus 85 f., 9144 –, im Nationalsozialismus 8311, 110, 129, 201, 203 –, weitere Referenzmodelle 93, 307 Moonje, Balkrishna Shivram 15, 531, 8414, 87–95, 9040, 9251, 116, 307 f., 319 f. Moulik, Monindra Mohan 4658, 54, 57–60, 5932–35, 6039, 63, 6457, 65 f.65, 80, 100 f., 10088, 129 f., 145 f., 146125, 222, 225 f., 261 f. 272, 275, 281 f., 320 Muslime 94, 132, 13269, 13479, 136, 138, 166, 169239, 170242, 172250, 173 f., 173253, 244– 246, 24434, 24540, 283, 291 f., 295 Mussolini, Benito 56–57, 5719, 61, 63, 65, 85, 88 f., 9040, 91 f., 97, 99 f., 106, 107122, 108 f., 145, 152–154, 153160, 154163, 189,
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Register
209, 209148, 212 f., 215–217, 215173, 227 f., 228235, 239–245, 24536, 247, 24855 und 57, 249, 256–258, 258108, 261 f., 265140, 272 f., 273180, 274189, 275, 279, 281, 295 f., 296290, 298302, 306–311, 317 f. Nag, Kalidas 4658, 531, 54, 546 –7, 5935, 9883, 320 Naidu, Sarojini 531, 69, 104, 108 f., 108129, 130, 307, 320 f. Nambiar, Arathil Candeth Narayan 69–71, 162, 164, 213, 321 Nariman, Khurshed Framji 128 f., 165 f., 321 Nationalismus 17, 1812, 40, 4029, 43, 4340, 46, 59, 9144, 98, 111, 115, 137, 210, 212, 228, 236 –, s. a. Hindu –, Mainstream 17, 42, 84 Nationalerziehung 114, 116, 308 Nationenbildung (nation building) 27, 31– 33, 43, 98, 106, 108, 186, 192, 199, 204, 208–215, 236, 291 f., 305, 313 Nationalbewegung/Unabhängigkeitsbewegung 14, 16–21, 40–43, 108, 1189, 180, 187, 238, 252 f., 258 f., 258105, 266, 271, 274189, 303, 305, 312, 317 f. Nehru, Jawaharlal 13, 16, 1915, 43 f., 148, 150, 157, 158181, 160–166, 160 f.194, 161195, 165217, 185, 18529, 18739 und 41, 200, 214, 234 f., 250, 251 f.73, 252, 258 f., 258105 und 108, 270, 273, 289 f., 289256, 292–294, 293279, 294 f.284, 296 f., 303, 3042, 312, 321 f. Nitzschke, Heinz 75, 75107 Opera Nazionale Dopolavoro 224 f. Organizismus 91 Oriental Students’ Confederation 58, 62, 6250, 6354, 99 Pant, Govind Ballabh 162 Payne, Stanley 36–38, 3714 Planung 30–32, 44, 235 –, National Planning Committee 185 f. –, Planungsdiskurse in Indien 31 f., 107, 179–188, 1818, 18214, 185 f.33, 307Planungspolitik in der Zwischenkriegszeit 181–183
–, Referenzmodell Deutschland 32, 191, 195, 199, 207, 236 –, Referenzmodell Italien 27, 32, 191, 212, 223, 236 –, s. a. Arbeitslosenpolitik –, s. a. Autarkiemaßnahmen –, s. a. Infrastrukturausbau –, s. a. korporativer Staat –, s. a. Landwirtschaftspolitik –, s. a. Nationenbildung (nation building) –, s. a. Sozialpolitik –, s. a. Vierjahresplan –, s. a. Wirtschaftspolitik Procacci, Giuliano 238, 241 Prasad, Rajendra 223, 223214, 250, 251 f.73, 322 Prayer, Mario 32, 46 f., 4658 und 60, 49, 50 f., 53 f., 546, 56, 5719, 5932, 212 Presse in Indien 18–24, 1812 Propaganda 53, 59, 71, 112, 190, 225, 251 f.53 –, italienische 59, 61, 65, 80, 217181, 218, 222, 243–245, 243 f.30, 249, 262, 310 –, deutsche 47, 66, 72, 7295, 74–76, 74104, 76112, 78 f., 113, 122 f., 125 f., 130, 140, 143– 145 –, s. a. Deutsche Akademie –, s. a. IsMEO Rajagopalachari, C. 107, 307, 322 Rassenpolitik –, faschistisch 2327, 152–154, 152151, 153158, 159 und 160, 247 –, nationalsozialistische 31, 37, 117, 123 f., 123 f.32, 125 –, Rassenreinheit/Rassenvermischung 78, 118 f., 1189, 122, 125, 12640, 12851, 130, 133, 137 f., 148, 154163, 242, 309 Rassentheorie 30 f., 44, 75, 77118, 80, 9250, 109 f., 110138, 117–120, 127, 170242, 291268 –, hindunationalistische 31, 131–138, 13269, 13373, 13478, 172 f., 172249, 291, 309 –, indische Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Rassentheorie 30 f., 50, 71, 73, 80, 111, 113 f., 120, 122–138, 126 f.43, 142, 148, 163, 233, 291, 309 –, Lage der Inder in Deutschland 29, 69– 72, 121–123, 125–128
Register –, Rassenhierarchie 30, 31, 119 f., 122–124, 130, 309 –, s. a. Arier –, s. a. Rosenberg, Alfred –, s. a. Golwalkar, M. S. –, s. a. Günther, Hans F. K. –, s. a. Hitler, Adolf Rassismus –, Abessinienkrieg 28, 12328, 152, 154163, 241 f. –, nationalsozialistisch 28, 30, 69–72, 120, 122–124,12331, 126 f., 129 f., 145, 310 Rosenberg, Alfred 118, 1187, 12225 Roy, Bidhan Chandra 79, 168 f., 304, 323 Roy, Pramatha Nath 4658, 54, 57–59, 5828, 65 f.65, 80, 96–100, 9778, 211, 211159, 215 f., 222, 306–308, 323 RSS 84, 8414, 89–91, 95 f., 131, 135, 13687, 318, 320 Sarkar, Benoy Kumar 46, 4658, 48, 50 f., 5075, 5179, 531, 54, 544, 59, 5935, 6039, 6565, 73101, 140 f., 188–191, 18947, 19155, 194– 197, 19474, 19577 und 79, 19683, 204 f., 212, 224–229, 225226, 228235, 229243, 274189, 306, 308, 320, 323 Sarkar, Nalini Ranjan 5935, 198 f., 19893, 307, 323 f. Savarkar, Vinayak Damodar 15, 42, 44, 93, 131–135, 13268 und 69, 13478, 137 f., 171–174, 172249, 173253, 290–292, 290262, 291266, 297–299, 298302, 307, 309, 311, 324 Schacht, Hjalmar 229–234, 231254 Sudetendeutsche Partei (SDP) 278 f., 282, 284 f. Sudetenkrise 32 f., 237, 278–280 –, Auflösung der Tschechoslowakei 33, 278, 280, 286 –, deutscher Expansionismus 280, 284– 288, 311 –, Diskussionen zur Kriegsgefahr 33, 293– 297, 293279, 299 f. –, Haltung Großbritanniens 278–281, 292 f., 292274, 295–300, 296290, 312 –, indische Diskussionen 13, 129, 134, 145, 173, 173 f.255, 280–292, 293, 296–301, 311, 293279 –, Minderheitenpolitik der Tschechoslowakei 33 f., 278–285, 289 f., 301
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–, Münchner Abkommen 279 f., 284, 287, 291–293, 296, 300 –, s. a. Sudetendeutsche Partei –, s. a. Appeasement Shah, K. T. 185, 18529, 222 f., 275, 304 Sollazzo, Guido 241–243, 24330 Sozialdarwinismus 133 f. –, s. a. Rassentheorie Sozialpolitik 27, 215, 224–226, 281, 307, 311 –, s. a. Opera Nazionale Dopolavoro –, s. a. Winterhilfswerk Stipendien 56, 58 f., 5823, 5935, 64 f., 6459, 67, 69, 6981, 74, 79 f., 310 Studentenkongress 58, 5823, 27 und 28, 60– 65, 6250, 6354, 96, 12640, 242, 323 Swadeshi 4660, 180, 1804, 227 f., 228235, 287, 323 Swaraj 42, 93, 180, 1804, 216, 228, 265, 295 Tagore, Rabindranath 46, 531, 73101, 215, 258108 Thierfelder, Franz Felix Reinhold 66, 71, 73101, 77, 77118, 79, 127, 324 transnationale Geschichte 24–27 Tschechoslowakei 13, 33, 49, 101, 108129, 155, 278–280, 282–292, 283228, 286242, 301 Tucci, Giuseppe 53–55, 531, 546, 5511, 5717, 58, 89, 323 Vertrag von Versailles 197, 24856, 287 f. Vierjahresplan 188, 219, 219193, 227, 230 Visvesvaraya, Mokshagundam 107, 107122, 18214, 18529, 186 f., 18637, 18738, 192, 325 Völkerbund 33, 244, 24960, 273183, 278, 280, 282, 301, 305, 306, 311, 316, 319 f. –, Abessinienkrieg 28, 33, 256, 268–276, 268156 und 158, 312 –, Debatten in Indien zur Gründung und Arbeit 237, 267 f. –, Indien als Mitglied des Völkerbundes 267 f. –, indische Diskussionen zur Politik im Abessinienkrieg 14, 251, 268–277, 312 –, kollektive Sicherheit 28, 270 f., 273, 273183, 280, 282, 311 f. –, Sanktionen 227, 254, 268 f., 271, 273183, 274–277 Voigt, Johannes 47 f., 125, 12640 und 43, 161195, 172250, 177269, 274189
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Register
Weltwirtschaftskrise 31, 179, 181, 18215, 19368, 202, 283 Wiedergeburt der Nation 97 f., 308 Winterhilfswerk 191, 220 f.199, 224, 224219, 236 Wirtschaftspolitik 2327, 179 f. –, faschistisch 31, 145, 183, 208–224, 236 –, nationalsozialistisch 31, 115, 183, 188– 208, 219 f., 226–236, 304 Zachariah, Benjamin 30–32, 38, 44 f., 84, 107 f., 160, 1791, 181
Zeitgeist 28, 38 f., 3927, 84, 108, 116, 304, 307 Zivilisation –, asiatische 242 –, für Abessinien 244, 257 –, Hindu 291 –, indische 96, 9883, 122, 129, 215 f. –, italienische 98, 215 –, westliche 61, 88, 129, 147, 186, 216 Zweiter Weltkrieg 13 f., 15 f., 31, 33, 4550, 48 f.67, 50, 6039, 69, 74, 75106, 79 f., 113, 181, 185, 191, 206, 220, 237, 24330, 260115, 271, 277, 293 f., 298, 298302, 315, 317 f., 321