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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 199
Defizite in der Korruptionsbekämpfung und der Korruptionsforschung Beiträge auf der 9. Speyerer Demokratietagung vom 26. und 27. Oktober 2006 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
Herausgegeben von
Hans Herbert von Arnim
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Defizite in der Korruptionsbekämpfung und der Korruptionsforschung
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 199
Defizite in der Korruptionsbekämpfung und der Korruptionsforschung Beiträge auf der 9. Speyerer Demokratietagung vom 26. und 27. Oktober 2006 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
Herausgegeben von
Hans Herbert von Arnim
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-13242-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Korruption ist mittlerweile als Übel allgemein erkannt. Den Kampf dagegen haben sich Staat, Verwaltung und Wirtschaft erklärtermaßen aufs Panier geschrieben. Das war das Thema früherer Speyerer Tagungen. Dabei wird aber leicht übersehen, dass es nach wie vor große Lücken und Schwachstellen bei der Bekämpfung von Korruption gibt, die auf andere Bereiche ausstrahlen und es auch dort erschweren, energisch gegenzuhalten. Für Korruption besonders anfällige Bereiche sind: die Kommunen, die Europäische Union sowie ganz generell Politik und die Wirtschaft. Das hat systemische Gründe: In den Kommunen liegt ein Schwergewicht öffentlicher Investitionsund Bautätigkeit. Gleichzeitig ist die öffentliche Kontrolle ausgesprochen schwach. In der Europäischen Union sind die Anreize zur Korruption besonders ausgeprägt, aber auch hier leidet die Kontrolle Not. Bei der Bekämpfung politischer Korruption entscheiden Politiker häufig in eigener Sache. In der Wirtschaft ist der Korrekte oft der Dumme im Wettbewerb. Hinzu kommt die fortschreitende Ökonomisierung von Staat und Verwaltung einschließlich der neu entdeckten Neigung zum Sponsoring. Dadurch drohen überkommene Hemmungen gegen Korruption abgebaut zu werden. Solche „korruptogenen“ Bereiche, die auch die wissenschaftliche Forschung bisher eher stiefmütterlich behandelt, waren Gegenstand der 9. Speyerer Demokratietagung. Bei der Vor- und Nachbereitung der Tagung haben mich Dr. Sebastian Wolf und Diplomvolkswirt Andrei Kiraly wesentlich unterstützt. Ihnen gilt auch an dieser Stelle mein besonderer Dank. Speyer, im August 2009
Hans Herbert von Arnim
Inhaltsverzeichnis Korruption: Begriff und systemische Defizite in der Korruptionsbekämpfung Von Hans Herbert von Arnim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bericht über die Diskussion des Beitrags von Hans Herbert von Arnim Von Sebastian Wolf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Korruption und ihre Bekämpfung in Deutschland Von Heinz Georg Bamberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Bericht über die Diskussion des Beitrags von Heinz Georg Bamberger Von Katrin Schoppa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Gemeinden: Nährboden der Korruption (Thesen) Von Thomas Leif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Bericht über die Diskussion des Beitrags von Thomas Leif Von Sven Barnekow. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Korruption im Arzneimittelmarkt Von Peter S. Schönhöfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Bericht über die Diskussion des Beitrags von Peter S. Schönhöfer Von Carolin Tegeler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Politische Korruption in Deutschland – ein verschwiegenes Fundamentalproblem? Von Bernhard G. Suttner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 The European Union: An Eldorado of Corruption? Von Siim Kallas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Bericht über die Diskussion des Beitrags von Siim Kallas Von Stephanie Schiedermair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
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Inhaltsverzeichnis
Ökonomisierung von Staat und Verwaltung – Vorschub für Korruption? Von Christoph Reichard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Bericht über die Diskussion des Beitrags von Christoph Reichard Von Stefan Ittner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Korruption in der Energiewirtschaft: Wie Stromkonzerne mit der Politik kungeln (Thesen) Von Cerstin Gammelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Resümee Von Hans Herbert von Arnim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Korruption: Begriff und systemische Defizite in der Korruptionsbekämpfung Von Hans Herbert von Arnim I. Einleitung Korruption ist mittlerweile als Übel anerkannt, als schwere administrative, politische und gesellschaftliche Plage, die nicht nur Bananenrepubliken in fernen Ländern heimsucht, sondern auch entwickelte westliche Demokratien, auch Deutschland. Das überkommene Bild vom korrekten preußischen Beamten hat uns lange vorgegaukelt, wir wären in Deutschland sozusagen immun gegen alle Arten von Korruption. Doch ist inzwischen auch bei uns – angesichts der fast täglichen Meldungen in den Medien – Ernüchterung eingetreten. Seit einiger Zeit haben sich Politik, Verwaltung und Wirtschaft den Kampf gegen Korruption erklärtermaßen aufs Panier geschrieben. Das wurde bereits in früheren Speyerer Demokratietagungen deutlich. In der öffentlichen Diskussion – auch in der Wissenschaft – wird aber leicht übersehen, dass es nach wie vor große Lücken und Schwachstellen bei der Bekämpfung von Korruption gibt, die auf andere Bereiche ausstrahlen und es auch dort erschweren, energisch gegen Korruption vorzugehen. Ich möchte im Folgenden auf drei Punkte eingehen: • auf das Wesen von Korruption, • auf den Begriff „Korruption“ und schließlich • auf systembedingte Defizite bei der Bekämpfung von Korruption. II. Das Wesen von Korruption Versucht man das Wesen der Korruption zu erfassen, so ergibt sich, dass Korruption letztlich die pervertierte Kehrseite des Verhaltens eines redlichen Treuhänders darstellt. Ein redlicher Treuhänder wird ausschließlich im Interesse seines Treugebers tätig. Das ist seine ethische und rechtliche Pflicht. Im Staat, in Unternehmen und Vereinen, überall muss man bestimmten Funktionsträgern Macht anvertrauen, sonst können sie ihre Aufgabe nicht erfüllen.
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Wie aber kann gesichert werden, dass sie diese Macht nicht für eigene Zwecke missbrauchen? Dies sicherzustellen ist die zentrale Aufgabe. Bezogen auf den Staat und seine Diener, geht es um das Ethos und die Pflichten des guten Beamten. Die ganze Amtsidee ist durchdrungen von der durch Sachlichkeit und Unparteilichkeit geprägten Wahrnehmung öffentlicher Ämter im Sinne des Gemeinwohls. Das ist überhaupt der Kern des modernen Staats, wie er sich seit der Aufklärung ausgebildet hat. Korruption ist das genaue Gegenteil davon. Hier missbrauchen der Beamte, der Minister, der Bürgermeister, der Abgeordnete, die alle rechtlich und ethisch auf das Gemeinwohl verpflichtet sind, ihre letztlich vom Volk verliehene Amtsmacht für private Zwecke. Allerdings ist Korruption keineswegs auf den Staat beschränkt. Auch in Wirtschaft und Gesellschaft finden sich vielfach Treuhandstellungen, die missbraucht werden können. Überall geht es darum, die „Fremdnützigkeit“ als Kerninhalt der Pflicht des Treunehmers sicherzustellen. Sie ist das Gegenteil zum eigennützigen Handeln des Korrupten. III. Der Korruptionsbegriff Wenden wir uns nun dem konkreten Begriff „Korruption“ zu. Pathetisch ausgedrückt, geht es bei der Korruption um Verrat, um den Verrat eines Treunehmers an den Interessen seines Treugebers. Nüchterner und auf einen kurzen Nenner gebracht, wird Korruption häufig so definiert: Korruption ist der „Missbrauch anvertrauter Macht zur Erlangung privater Vorteile“. Diese Definition verwendet auch die Nichtregierungsorganisation Transparency International. In dem Wort „anvertraut“ kommt die Treuhänderstellung zum Ausdruck, die für den Korruptionsbegriff konstitutiv ist. Ein Kennzeichen dieses Begriffes ist, dass er nicht auf eine bestimmte Gesetzeslage abhebt, also auch dann erfüllt sein kann, wenn die Handlung – worauf die Betroffenen sich dann gern berufen – „ganz legal“, also gesetzlich nicht verboten ist. Der Gesetzgeber oder besser: die Menschen, die die Hebel der Gesetzgebung bedienen, können ja selbst korrupt sein. Und warum sollte Korruption an höchster Stelle begrifflich von vornherein ausgeklammert bleiben? Korruptes Verhalten des Gesetzgebers kann – infolge seiner Breitenwirkung – ja besonders schlimm und zersetzend sein. Bemerkenswert ist ferner, dass der genannte Korruptionsbegriff nicht unbedingt voraussetzt, dass die Machtstellung zum eigenen privaten Vorteil des Korrumpierten missbraucht wird. Auch die §§ 331 ff. StGB, also die strafrechtlichen Korruptionstatbestände, lassen es seit einigen Jahren genügen, dass dem Amtsträger „Vorteile für sich oder einen Dritten“ gewährt oder versprochen werden. Deshalb kann zum Beispiel ein Bürgermeister, der sich im
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Zusammenhang etwa mit der Genehmigung einer Gewerbeansiedlung eine Spende für die Stadt, etwa für die Anlage eines Kinderspielplatzes, versprechen lässt, es schnell mit dem Staatsanwalt zu tun bekommen. Normalerweise sind an der Korruption – neben dem Treugeber, zu dessen Lasten die Entscheidung erfolgt, – zwei Parteien beteiligt: (1.) der Treunehmer, der die treuwidrige Entscheidung trifft, und (2.) eine weitere Person, die den Treunehmer durch das Versprechen von Vorteilen zu der treuwidrigen Entscheidung veranlasst. Dies muss aber nicht so sein. Unter den Korruptionsbegriff fallen auch Konstellationen, in denen beides zusammenfällt und der Treunehmer seine Entscheidungsmacht ausschließlich im eigenen Interesse missbraucht. Man spricht bei solchen Entscheidungen in eigener Sache von Selbstkorruption oder Autokorruption. Auch hier liegt zweifellos ein „Missbrauch anvertrauter Macht zur Erlangung privater Vorteile“ vor. Bei der Autokorruption sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Einmal die direkte Autokorruption, bei der der Amtsträger sich durch Missbrauch seiner Amtsstellung selbst bereichert, wie z. B. ein Beamter, der sich (oder einem „Vetter“) einen günstigen Kredit oder eine Subvention zuschanzt. Zur Kategorie der direkten Autokorruption gehören aber zum Beispiel auch missbräuchliche Versorgungsregelungen, welche sich Parlamentsabgeordnete unter Ausnutzung ihrer Schlüsselstellung als Gesetzgeber bewilligen. Hier ist der Gesetzgeber selbst korrupt. Auch wenn das Parlament überzogene Parteien-, Fraktions- oder Stiftungsfinanzierung festlegt, missbrauchen die Abgeordneten ihr Amt, wenn auch nicht unbedingt zum eigenen, so doch zum privaten Vorteil anderer, eben der Partei oder Parteistiftung. Es handelt sich, kurz und plastisch gesagt, um politische Selbstbedienung. Auch hier wird eine anvertraute Machtstellung, nämlich die der Abgeordneten, im privaten Interesse missbraucht, und es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, derartige Legalkorruption aus dem Begriff auszuklammern, auch wenn dies – wohl aus Scheu vor der hohen Politik – vielfach geschieht. Für solche Formen der Autokorruption gibt es zahlreiche Beispiele in der Geschichte der Bundesrepublik. Denken Sie an den hessischen Diäten-Skandal von 1988, den Hamburger Versorgungsfall von 1991 oder den Versorgungsskandal im Saarland 1992. In allen Fällen bewilligten sich Politiker – im Wege von Gesetzen, die allerdings so formuliert waren, dass keiner sie verstand – Riesenversorgungen, die schon nach kürzester Amtszeit beansprucht werden konnten und einen Millionenwert darstellten. Nachdem die Gesetze dechiffriert worden waren und ihr Inhalt offenbar wurde, woran ich nicht ganz unschuldig war, mussten sie unter dem Druck der Öffentlichkeit überall zurückgenommen werden. In Hamburg geschah diese sogar mit Rückwirkung, in Hessen mussten der Landtagspräsident und sein Stellvertreter, die das missbräuchliche Diätengesetz ausgeheckt hatten, ihren Hut neh-
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men. In allen Bundesländern, auch in Rheinland-Pfalz, mussten die Ministergesetze, die absurd üppige Pensionen vorsahen, entschärft werden. Die zweite Kategorie, die indirekte Autokorruption, ist Korruption sozusagen auf einer höheren Ebene. Hier missbraucht die Politik ihre Machtstellung, um sich selbst von den normalen Maßstäben der Korruption und der Korruptionsbekämpfung frei zu zeichnen. Indirekte Korruption ist dadurch gekennzeichnet, dass Amtsträger im eigenen Interesse Regelungen treffen (oder auch Regelungen unterlassen), die sie selbst und ihre Kollegen begünstigen, • indem sie sich unangemessene Möglichkeiten der Bereicherung eröffnen oder • indem sie verhindern, dass korrupte Verhaltensweisen verboten werden oder zumindest verhindern, dass sie verfolgt und sanktioniert werden. Ein Beispiel für gesetzgeberische Ermächtigungen zur Selbstbereicherung sind die grotesken Spesenregelungen, die das Europäische Parlament sich bewilligt hat. Diese erlauben es den Abgeordneten, zum Beispiel die Kosten von Linienflugzeugen abzurechnen, auch wenn der Abgeordnete Billigflüge gebucht hatte. Das läuft auf Betrug hinaus, nur eben auf legalisierten Betrug, weil die entsprechenden Regelungen dies erlauben. Europäischen Abgeordneten ist es auch gestattet, Familienangehörige, zum Beispiel die Ehefrau, als Mitarbeiter einzustellen und mit dieser Art von Vetternwirtschaft das Familieneinkommen auf Kosten des Steuerzahlers aufzustocken. Ein Beispiel gesetzgeberischer Großzügigkeit gegen sich selbst durch Verhinderung eines wirksamen Verbots ist der überaus laxe Straftatbestand der Abgeordnetenkorruption (§ 108e StGB). Er ist – darüber ist sich die strafrechtliche Kommentarliteratur einig – bloß symbolische Gesetzgebung, die kaum jemals zur Anwendung kommen wird. Deutsche Abgeordnete können, rechtlich fast unbeschränkt, Geld und andere Vorteile entgegennehmen, und, ganz legal, Handlungen tätigen, die, wenn Beamte sie vornähmen, schwer bestraft würden. Wie unangemessen dies ist, sieht man bereits daran, dass die Bestechung ausländischer Parlamentarier tatbestandlich sehr viel schärfer gefasst ist (siehe das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung). Eine Verschärfung des § 108e StGB wird allerdings spätestens mit der Umsetzung der UN-Konvention zur Bekämpfung der Korruption unausweichlich. Man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man gerade darin einen Grund dafür sieht, dass der Bundestag die Ratifizierung dieser – von Deutschland vor drei Jahren unterzeichneten Konvention – nicht eben forciert. Auch eine weitere häufig aus dem Korruptionsbegriff ausgeklammerte Kategorie von Handlungen fällt eindeutig darunter: die sogenannte parteipolitische Ämterpatronage. Hier missbrauchen Amtsträger ihre Macht im Interesse
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der Parteien, indem sie Parteiangehörige bei der Vergabe von Stellen im öffentlichen Dienst bevorzugen. Das ist nach Verfassung und Beamtengesetzen zwar strikt untersagt, wird aber dennoch vielfach praktiziert. Dadurch können hintergründige Netzwerke gestärkt werden, die den Nährboden für weitere Korruption bilden und deshalb ein besonderes Gefahrenpotential für Rechtsstaat und Demokratie darstellen können. Die Scheu vor den Mächtigen im Staat darf meines Erachtens kein Grund sein, die Dinge nicht beim Namen zu nennen und Ämterpatronage das Etikett des Korruptiven zu ersparen. Wichtige öffentliche Meinungsbildner finden allerdings nichts dabei, wenn Parteien ihre Leute in Schlüsselstellungen des öffentlichen Dienstes hieven. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass sie selbst im Glashaus sitzen. Parteipatronage beschränkt sich ja keineswegs auf den öffentlichen Dienst, sondern umfasst auch Bereiche wie • hohe Gerichte, insbesondere Verfassungsgerichte, • die Spitzen der Rechnungshöfe, • wichtige Positionen in den öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehanstalten, • Führungspositionen in öffentlichen Unternehmen, • Spitzenpositionen in Schulen und allmählich auch in den Universitäten, • Sachverständigenkommissionen und sonstige Einrichtungen der wissenschaftlichen Politikberatung. Dadurch dass die Parteien alle möglichen Kontrollinstanzen mit ihren Parteigängern zu durchsetzen und dadurch bis zu einem gewissen Grad gleich zu schalten suchen, droht die Kontrollwirkung dieser Institutionen gerade in Bezug auf parteilich bedingte Korruptionsfälle geschwächt und der Gedanke der Gewaltenteilung unterlaufen zu werden. Was bleibt, ist die Hoffnung auf den sogenannten Beckett-Effekt, also die Prägung durch das Amt – unabhängig davon, wer einem das Amt verschafft hat. Unter den Korruptionsbegriff fällt es meines Erachtens auch, wenn Abgeordnete sich gleichzeitig als Lobbyisten bezahlen lassen. Auch dies scheint mir ein Missbrauch des Amtes zu sein. Denn der Abgeordnete ist in aller Regel ja gerade wegen seines Mandats für das Unternehmen oder den Verband, die ihn anmieten, von Wert. Hierher gehört etwa der Fall des Europaabgeordneten Elmar Brok, der gleichzeitig hochbezahlter Brüsseler Cheflobbyist des Bertelsmann-Konzerns ist, ebenso der Fall des Bundestagsabgeordneten Reinhard Göhner, der gleichzeitig Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Arbeitgeberverbände ist, sowie der Fall des Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen, der zusätzlich Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie werden wollte.
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Diese Fallgruppe zeigt meines Erachtens dreierlei: 1. Ob dem Abgeordneten praktisch nachgewiesen werden kann, dass er sich in seiner Amtsführung von seinem Geldgeber hat beeinflussen lassen, was ohnehin kaum je möglich sein wird, ist für die Charakterisierung seines Verhaltens als korrupt unerheblich, obwohl die Betroffenen sich regelmäßig darauf berufen, sie würden sich nicht beeinflussen lassen. Der Missbrauch des Amtes liegt bereits im Eingehen solcher Lobbyverhältnisse. Wer zwei Herren dient, kann – nach aller Lebenserfahrung – nicht mehr unabhängig sein. 2. Heimlichkeit ist keineswegs unbedingte Voraussetzung für den Korruptionsbegriff, obwohl Korruption häufig das Licht der Öffentlichkeit scheut. In den genannten Fällen wollen die Betroffenen das allerdings nicht gelten lassen und berufen sich darauf, ihre Wähler und die Öffentlichkeit insgesamt wüssten ja, dass sie gleichzeitig bezahlte Lobbyisten seien. 3. Wenn bei der Einschätzung, ob ein bestimmtes Verhalten einen Missbrauch der anvertrauten Machtstellung darstellt, die Berliner oder Brüsseler Politik Maßstäbe entwickelt, die von den allgemeinen Maßstäben der Bürger und der Öffentlichkeit abweichen, kann es meines Erachtens nur auf die allgemeinen Maßstäbe – auf die Anschauung „aller billig und gerecht Denkenden“ – ankommen, nicht auf die Sondermoral der politischen Klasse. Diese scheint in der Tat nichts dabei zu finden, wenn Abgeordnete ihre Unabhängigkeit, für deren Sicherung sie vom Steuerzahler bezahlt werden, an „das große Geld“ verkaufen oder sonst ihre Ämter für Parteizwecke instrumentalisieren. Das sieht man etwa daran, welche wichtige Rollen Brok, Göhner und Röttgen in Fraktion und Parlament spielen. Auch bei den Straftatbeständen der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung (§§ 331, 333 StGB) braucht keineswegs nachgewiesen zu werden, dass der Amtsträger sich durch den versprochenen Vorteil tatsächlich hat beeinflussen lassen. Vielmehr erfüllt bereits das sogenannte Anfüttern den strafrechtlichen Tatbestand. Hier geht es um etwas, was – seit dem berüchtigten Ausspruch des Generalbevollmächtigten von Flick, Eberhard von Brauchitsch, – „Pflege der politischen Landschaft“ bzw. Pflege der Verwaltungoder Regierungslandschaft heißt. Weder ist es erforderlich, dass der gewährte Vorteil die Gegenleistung für eine bestimmte Diensthandlung darstellt, noch dass der Amtsträger pflichtwidrige Diensthandlungen vornimmt. Die Annahme von Vorteilen, die erkennbar mit Bezug auf sein Amt gewährt werden, stellt bereits den Missbrauch dar. Der Korruptionsbegriff „Missbrauch anvertrauter Macht zur Erlangung privater Vorteile“ erscheint mir aber immer noch zu eng, weil er bestimmte korruptionsnahe Verhaltensweisen nicht erfasst, obwohl die Rechtsordnung sie verbietet. Hier verlegt das Recht den Schutz vor Korruption bereits in ein
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Vorstadium. Bestimmte Handlungen werden verboten, weil sie nach innen die Gefahr des Missbrauchs und nach außen den bösen Schein des Missbrauchs begründen – und weil der Missbrauch selbst regelmäßig ohnehin kaum zu beweisen ist. Hierher gehört wohl bereits • das sogenannte Selbstkontrahieren, das § 181 BGB verbietet, • ebenso die Annahme von Geschenken durch einen Beamten, die § 43 Beamtenrechtrahmengesetz (und die entsprechenden Beamtengesetze des Bundes und der Länder) untersagt, • desgleichen die Mitwirkung eines Stadtratsmitglieds an Entscheidungen, die ihm (oder ihm Nahestehenden) einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen können. Ein solches Mitwirken verbietet das Kommunalrecht. Eine Vorverlegung der rechtlichen Barrieren gegen Korruption stellt auch das Gebot dar, bestimmte nachamtliche Karenzzeiten einzuhalten (§ 42a BRRG und die entsprechenden Bestimmungen der Beamtengesetze des Bundes und der Länder). Danach muss einem Beamten, der nach seinem Eintritt in den Ruhestand zu einem Unternehmen überwechseln will, mit dessen Belangen er vorher amtlich befasst war, ein solches Überwechseln innerhalb der Karenzzeit verboten werden, wenn dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können. Der Sinn der 1985 eingeführten Vorschriften, die eine gewisse Verwandtschaft mit arbeitsrechtlichen Wettbewerbsverboten aufweisen, ist der Schutz der Integrität der früheren Amtsführung. Das drohende Verbot soll der Gefahr entgegenwirken, dass schon der aktive Beamte zugunsten seines späteren Arbeitgebers agiert. Bereits der böse Schein eines solchen „vorauseilenden Gehorsams“ soll vermieden werden. Außerdem soll verhindert werden, dass der ehemalige Beamte seine Kenntnis der behördlichen Interna für seinen neuen Arbeitgeber ausschlachtet und damit der Behörde schadet. Die Vorschrift scheint in der Praxis allerdings kaum ernst genommen und und strikt angewendet zu werden. So konnte Caio Koch-Weser, der als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium millionenschwere Maßnahmen zugunsten der Deutschen Bank getroffen hatte, unmittelbar nachdem er Anfang 2006 in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden war, Londoner Repräsentant eben dieser Bank werden, ohne dass ihm das etwa verboten worden wäre. Anders mag es sein, wenn ein ausscheidender Beamter keinen politischen Rückenwind besitzt, sondern sich im Gegenteil den Unwillen der politischen Spitze zugezogen hat, wie etwa im Falle des ehemaligen rheinlandpfälzischen Beamten Rudolf Oster, der sich mit einer öffentlichen Kritik der Finanzpolitik dieses Landes missliebig gemacht hatte. Dann kann die Vorschrift geradezu als Repressalie instrumentalisiert werden.
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IV. Systembedingte Bekämpfungsdefizite Ich komme nun in einem dritten Teil zu solchen Bereichen, die für Korruption besonders anfällig erscheinen. Klar ist zunächst, dass die Korruptionsgefahr bei der Erfüllung bestimmter Funktionen der Verwaltung besonders groß ist, etwa bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Bauten und Leistungen. Bisher – in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft – kaum behandelt aber ist die weit darüber hinaus gehende Frage, ob es nicht auch ganze Ebenen des politisch-administrativen Systems gibt, in denen – sozusagen aus systemischen Gründen – einerseits die Möglichkeit und Versuchung zur Korruption besonders ausgeprägt sind und andererseits die Kontrolle besonders schwach ist. Dies vor allem ist das Thema unserer diesjährigen Tagung und der nachfolgenden Referate. Deshalb beschränke ich mich auf kurze Anmerkungen. Als Kandidaten für besonders korruptionsanfällige Bereiche in Staat und Gesellschaft kommen – diese These liegt unserer Tagung zugrunde – in Betracht: • die Politik, • die Kommunen, • die Europäische Union und • die Wirtschaft. Im Bereich Politik ist die Bekämpfung von Korruption besonders wichtig, weil politische Korruption auf alle anderen Bereiche – die Verwaltung, die Gerichte, die Medien und die Gesellschaft generell – ausstrahlt. Dem von ihr gewählten Politiker misst die Bevölkerung – immer noch – eine gewisse Vorbildrolle zu. Wird diese Erwartung enttäuscht, droht das allgemeine Rechtsgefühl zu erodieren, und auch das Vertrauen des öffentlichen Dienstes in die Richtigkeit und Angemessenheit der Politik abzubröckeln. Zugleich stößt die Bekämpfung von Korruption auf besondere Probleme. Ein Grund liegt darin, dass Politiker hier letztlich in eigener Sache entscheiden. Und wer sägt sich schon gern den Ast ab, auf dem er sitzt? Hinzukommt, dass gewisse Formen der politischen Korruption, etwa Ämterpatronage, in der Praxis etabliert sind, weil ihre Handhabung die politische Karriere oft fördert und, wer sich gegen derartige Praktiken wendet, im politischen Wettbewerb leicht benachteiligt wird. Beispiele sind – neben der quasi-Duldung parteipolitischer Ämterpatronage – • die schon erwähnte bloß symbolische Gesetzgebung gegen Korruption deutscher Abgeordneter und
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• die rechtlich völlig unbeschränkte nach-amtliche Betätigungsmöglichkeit von Regierungsmitgliedern, auch wenn Interessenkollisionen mit Händen greifbar sind. Deshalb konnte Gerhard Schröder den Vorsitz im Aufsichtsrat der Pipeline-Gesellschaft übernehmen, obwohl er den Deal mit dem dahinterstehenden russischen Staatsunternehmen Gazprom eingefädelt hatte. Der französische Philosoph Bernard-Henri Levi ernannte Schröder daraufhin zum „Weltmeister in der Kategorie Korruption in einem demokratischen Staat.“ • Hierher gehört auch die politische Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft. Sie stellt – gerade in Sachen politischer Korruption – ein Problem dar. Strafgerichte dürfen wie alle Gerichte nicht von sich aus tätig werden, sondern bedürfen eines Antrags der Staatsanwaltschaft. Wenn diese aber aus politischen Gründen mauert, nützt alle Unabhängigkeit der Gerichte nichts. Wie die Politik hier Einfluss nehmen kann, hat Winfried Maier, der als bayerischer Staatsanwalt mit der CDU-Spendenaffäre befasst war, am eigenen Leib erfahren. Maier hat dies in der Dinnerspeech einer früheren Speyerer Demokratietagung eindrucksvoll verarbeitet. Wegen der Ausstrahlungswirkung politischer Korruption muss, wer Korruption wirklich ernsthaft bekämpfen will, zu allererst gegen Korruption in der Politik vorgehen. Wie bereits das Sprichwort sagt, wird die Treppe nun einmal von oben gekehrt. Ein Beispiel für das abbröckelnde Vertrauen der Verwaltung in die Politik lieferte Rainer Magulski, der Leiter der Kriminalpolizei in Konstanz. Er glaubte es nicht mehr vertreten zu können, Gesetze zu exekutieren, die ein Parlament beschlossen hatte, dessen Mitglieder straflos bestochen werden konnten, und quittierte deshalb den Dienst. Mit der Frage, ob „Politische Korruption in Deutschland – ein verschwiegenes Fundamentalproblem?“ ist, befasst sich Bernhard Suttner, der Vorsitzende der ödp in Bayern. Die bayerische ödp hat eine ganze Reihe von erfolgreichen Volksentscheiden in Bayern initiiert, die Reformen brachten und Schwachstellen ausbügelten. Auf kommunaler Ebene ist einerseits das Korruptionspotential besonders groß, weil hier das Schwergewicht der Verwaltung liegt. Zudem wird der größte Teil der öffentlichen Investitionen auf kommunaler Ebene getätigt, und die führen regelmäßig zu millionenschweren Aufträgen an Unternehmen. Die räumliche Nähe begünstigt in den Kommunen das Entstehen von Netzwerken, die ihrerseits einen günstigen Nährboden für Korruption darstellen können. Da es in den Gemeinden natürlich auch um Politik geht, kommen die schon unter dem Stichwort „Politik“ genannten Gefahren hinzu, was die Anfälligkeit für Korruption noch weiter verstärkt.
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Der besonderen Korruptionsgefahr in den Kommunen steht keine ausreichende Kontrolle gegenüber. So ist zum Beispiel die Kontrolle etwa durch die Öffentlichkeit relativ schwach. Meist gibt es nur eine einzige Lokalzeitung, die sich ihrerseits auf die Verwaltung angewiesen glaubt und der deshalb die nötige Bissigkeit oder, vornehmer formuliert, die erforderliche Konfliktfähigkeit und Konfliktbereitschaft fehlt, ganz abgesehen von den nötigen Kapazitäten für die Recherche von Korruptionsfällen. Auch die gesetzlichen Vorkehrungen gegen korruptive Machenschaften sind auf kommunaler Ebene besonders lax. Beispiele: • Geldzahlungen an Parteien in der auf kommunaler Ebene üblichen Größenordnung brauchen nicht publiziert zu werden. (Die Publikationspflicht gilt erst ab Spenden in Höhe von 10.000 EUR im Jahr.) • Die Finanzwirtschaft von Parteien auf kommunaler Ebene unterliegt keinerlei Kontrolle. Wirtschaftsprüfer brauchen praktisch bloß die oberen Ebenen der Parteien zu überprüfen. • Richter, auch Verwaltungsrichter, dürfen gleichzeitig ein Mandat in einer kommunalen Volksvertretung ausüben und dort sogar den Fraktionsvorsitz übernehmen. Das begründet den bösen Schein der Befangenheit solcher Richter in Prozessen mit politischem Einschlag. Besonders korruptionsgefährdet erscheint auch die Europäische Union. Ihr Haushalt besteht zum allergrößten Teil aus Subventionen, die aller Erfahrung nach besonders „korruptogen“ sind. Die Agrarpolitik, also der Bereich mit den höchsten Ausgaben, ist ein fatales Beispiel von Protektionismus. Die massiven öffentlichen Eingriffe in den Markt beruhen auf einem überaus komplexen, kaum mehr durchschaubaren Regelwerk, das vielfache Anreize für Korruption bietet und gleichzeitig die Übersichtlichkeit und Kontrolle erschwert. Zudem verwalten die Mitgliedstaaten der EU scheinbar fremdes Geld, was ihren Kontrollwillen nicht gerade erhöht. Hinzu kommt, dass in Deutschland die Verwaltung in der Hand der Länder liegt, aber allein der Bund Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. So verstärken sich die Kontrolldefizite noch weiter, die in vertikal verflochtenen Systemen ohnehin zu bestehen pflegen. Auch gibt es ein gewisses Nord-Süd-Gefälle in der EU in Bezug auf die Einschätzung von Korruption. Was in Skandinavien als ernster Verstoß gilt, mag in Griechenland oder Süditalien als ganz normal erscheinen. Korruptionsbekämpfung in der EU tendiert deshalb leicht zum kleinsten gemeinsamen Nenner. Besonders schwer wiegt, dass richtig eklatante Fälle politischer Korruption auf höchster EU-Ebene – etwa im Europäischen Parlament – die glaubwürdige Bekämpfung von Korruption in Verwaltung und Wirtschaft nicht gerade erleichtern. Das Thema „ Bekämpfung der Korruption in der Europäischen Union“ behandelt Siim Kallas, Vizepräsident der Europäischen Kommission und der für die Bekämpfung von Korruption zuständige Kommissar.
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In der Wirtschaft herrscht ohnehin ein anderes Ethos als im Staat. Hier steht – anders als bei Staatsdienern – in Praxis und Theorie von vornherein nicht das Gemeinwohl im Vordergrund, sondern das Interesse am eigenen Gewinn. Die Wirtschaftswissenschaften arbeiten seit Adam Smith mit dem Bild des „Homo oeconomicus“, eines ausschließlich auf die Realisierung seines eigenen Interesses erpichten Kunstmenschen. Korruption erscheint in dieser Sicht dann oft nur als besonders intensive und skrupellose Wahrnehmung des Eigeninteresses. Wer sich korrekt verhält, droht gelegentlich als der Dumme dazustehen. Wie sollen sich z. B. Unternehmen verhalten, wenn sie in Ländern an Aufträge kommen wollen, in denen man ohne Schmiergeld kaum eine Chance hat? Gerät – ob der Üblichkeit solcher Zahlungen – am Ende gar ihre Bewertung als „missbräuchlich“ im Sinne des Korruptionsbegriffs in Zweifel? Dass der Begriff „Missbrauch“ je nach Kulturkreis durchaus unterschiedlich zu interpretieren ist, wird man jedenfalls kaum leugnen können. Die von der Ökonomie betonte Bedeutung des Eigeninteresses des jeweiligen Akteurs ist auch ein Grund für die Befürchtung, die im Zuge von Verwaltungsreformen seit einiger Zeit im Gang befindliche „Ökonomisierung von Staat und Verwaltung“ könnte der Korruption Vorschub leisten. Diesem Thema widmet sich Christoph Reichard, Professor an der Universität Potsdam und mit einschlägigen Fragen vielfach befasst. Was die Wirtschaft betrifft, sind zwei Ebenen zu unterscheiden: einmal die Korruption staatlicher Amtsträger durch die Wirtschaft und zum zweiten die Korruption von Unternehmen durch Unternehmen. Den ersten Bereich haben wir implizit bereits mit behandelt. Aber auch der zweite Bereich ist von erheblicher Relevanz. Auch die Bestechung von Angestellten und Beauftragte privater Unternehmen steht unter Strafe. Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft auch in solchen Fällen. Eine Fülle von Großunternehmen sind nach Presseberichten hier verwickelt. Die Rede ist etwa von Ikea, Infineon, Volkswagen, BMW, DaimlerChrysler, Philips und Karstadt Sport. Bestechung „im geschäftlichen Verkehr“ wird allerdings grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt. Auch der tatbestandliche Bereich des Strafbaren ist deutlich enger als bei Amtsträgern. Das „Anfüttern“ ohne Bezug zu einer bestimmten Handlung bleibt – anders als bei der Vorteilsannahme durch Amtsträger – straffrei. Das nachträgliche „Dankeschön“ wird ebenfalls nicht erfasst. Korruption in der Wirtschaft wird am Beispiel der Pharmaindustrie behandelt: Der Medizinprofessor Peter Schönhöfer, Herausgeber des pharma-kritischen „arznei-Telegramms“, widmet sich dem Thema „Korruption im Arzneimittelmarkt“. Von Cerstin Gammelin, die wegen Krankheit absagen musste, liegen immerhin Thesen zum Thema „Korruption in der Energiewirtschaft“ vor.
Bericht über die Diskussion des Beitrags von Hans Herbert von Arnim Von Sebastian Wolf Diskussionsleiter Udo Theobald, Vizepräsident des Sächsischen Rechnungshofs, Leipzig, dankte Herrn von Arnim für seinen einleitenden Vortrag. Von Arnim habe sich in einer umfassenden Einführung zum Thema der 9. Speyerer Demokratietagung vor allem mit dem Korruptionsbegriff befasst. Jetzt sei die Gelegenheit, grundsätzliche Aspekte des Phänomens „Korruption“ zu diskutieren oder auch auf vom Referenten angesprochene Teilaspekte einzugehen. Georg Weishar, Oberregierungsrat der Regierung von Oberfranken, Bayreuth, sprach das Problem der Abgrenzung von Korruption im Hinblick auf politische Entscheidungsprozesse auf Kommunalebene an. Er nannte das Beispiel kleiner Gemeinden in Oberfranken, die sich teilweise mehrere Feuerwehren leisteten. Der Grund hierfür seien nicht etwa entsprechende tatsächliche Bedarfe, sondern der Wunsch der Lokalpolitiker, Wählerstimmen zu gewinnen. Hier stelle sich einerseits die Frage, ob eine solche Orientierung am Wählerwillen bzw. am politischen Erfolg bereits als Korruption zu bewerten sei. Andererseits müsse diskutiert werden, ob nur Einzelpersonen oder auch ein Kollegialorgan wie ein Gemeinderat korrupt sein könnten. Dr. Till Müller-Heidelberg, Rechtsanwalt, Bingen, äußerte Zweifel an dem von von Arnim vorgeschlagenen weiten Korruptionsbegriff, soweit dieser über die Rechtswidrigkeit hinausreiche. Das Beispiel der Pensionsregelungen für Abgeordnete zeige, dass die bloße Qualifizierung „unangemessen“ keinen echten Bewertungsmaßstab liefere und zu beinahe willkürlichen rechtspolitischen Diskussionen führen könne. Der Korruptionsbegriff werde entwertet, wenn man ihn auf alle Handlungen ausdehne, die politisch unsinnig seien oder lediglich auf Wählerstimmen abzielten. Die Erhöhung der Vorstands- und Aufsichtsratsgehälter großer Unternehmen in den letzten Jahren stelle ebenfalls eine unangemessene Form der Selbstbereicherung dar, die bekämpft werden müsse. Auch hier führe die Brandmarkung von Missständen als Korruption aber möglicherweise zu einer Entwertung des Korruptionsbegriffs, und Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung könnten an Glaubwürdigkeit verlieren. In seiner Antwort auf die beiden Diskussionsbeiträge wies von Arnim zunächst darauf hin, dass er sich mit dem von Müller-Heidelberg kritisierten
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Korruptionsbegriff – Korruption als Missbrauch einer anvertrauten Machtstellung zum privaten Vorteil – an eine in der Wissenschaft verbreitete Definition anlehne, die auch Transparency International Deutschland übernommen habe. Die von Müller-Heidelberg vorgeschlagene rein gesetzesakzessorische Korruptionsdefinition stelle eine bloße Orientierung an den Bestechungsstraftatbeständen des Strafgesetzbuchs dar und reiche nicht aus. Dies werde ganz deutlich, wenn man an so genannte „Bananenrepubliken“ denke, in denen der Gesetzgeber durch und durch korrupt sei und eindeutig korruptive Handlungen bewusst nicht unter Strafe stelle. Dieses Extrembeispiel zeige, dass man eine begriffliche Möglichkeit brauche, um auch Tatbestände erfassen zu können, die der Gesetzgeber straflos lasse, weil er vielleicht selbst korrupt sei. Daher verwende er gerne die genannte Korruptionsdefinition, die freilich generalklauselartig vage sei und vor allem vom Verständnis des Begriffs „Missbrauch“ abhänge. Juristen seien allerdings daran gewöhnt, auch mit Generalklauseln umzugehen. In der Diskussion seien zwei Grenzfälle beschrieben worden. Weishar habe das Beispiel überflüssiger Feuerwehren in kleinen Gemeinden genannt. Hierbei handele es sich zweifellos um Verschwendung öffentlicher Gelder. Wenn man in der Feuerwehr allerdings auch einen Ort für bürgerschaftliches Engagement sehe, könnten der Feuerwehr neben ihrer eigentlichen Kernfunktion auch andere Aufgaben zukommen. Bei den zahlreichen Feuerwehren handele es sich schwerlich um Missbrauch. Im Folgenden machte von Arnim deutlich, dass seiner Auffassung nach nicht nur Einzelpersonen, sondern durchaus auch Kollektive korrupt sein könnten. Ein Beispiel hierfür seien die vom saarländischen Landtag vor Jahren beschlossenen völlig unangemessenen Pensionsregelungen für Minister, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit von Regierungs- und Oppositionsfraktionen ausgehandelt wurden und Pensionen bereits nach dem ersten Amtstag vorsahen. Ob die von Müller-Heidelberg angesprochenen hohen Vorstands- und Aufsichtsratsgehälter als Korruption zu werten seien, hänge wieder von der Auslegung des Begriffs „Missbrauch“ ab. In diesem Fall empfehle sich etwa ein Vergleich mit ausländischen Vorstandsgehältern. Auch hier seien die Grenzen fließend. Auf den weiten Korruptionsbegriff wolle er trotz seiner generalklauselartigen Vagheit dennoch nicht verzichten. Der Begriff sei flexibel und ermögliche unter anderem auch rechtspolitische Bewertungen. Hierüber könne man aber natürlich streiten. Horst Trieflinger, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Vereins gegen Rechtsmissbrauch e. V., Frankfurt a. M., sprach das von der Korruptionsforschung bislang vernachlässigte Problem lukrativer Nebentätigkeiten von Richtern an. Wo Richter als Treuhänder für Banken und Versicherungen, Leiter von betrieblichen Einigungsstellen, Schiedsrichter in Wirtschaftstreitigkeiten oder Abgeordnete in Kommunalparlamenten und Kreistagen tätig würden, ver-
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dienten sie teilweise weitaus mehr als in ihrem Hauptberuf. Es stelle sich die Frage, ob ein Richter, der nebenberuflich als Treuhänder für eine Versicherung arbeite und von dieser ein beachtliches Gehalt beziehe, noch unbefangen und unparteiisch über Klagen von Versicherten urteilen könne. Die Lebenserfahrung schließe dies aus. Ein anderes Beispiel betreffe die Rechtsstreitigkeiten um Schrottimmobilien. Der Bankensenat des Bundesgerichtshofs habe die in den Unterinstanzen erfolgreichen Klagen größtenteils zurückgewiesen. Der Senatsvorsitzende sei allerdings Mitherausgeber der Zeitschrift für Bankrecht, und die Senatsmitglieder verdienten sich ein einträgliches Zubrot in bankenfinanzierten Seminaren. Um den Geruch der Korruption loszuwerden, müssten sich Richter eigentlich aus ihren freiwillig eingegangen wirtschaftlichen Abhängigkeiten lösen. Die Politik sei gefordert, richterliche Nebentätigkeiten zu verbieten, die zu Interessenkollisionen führten. von Arnim wies darauf hin, dass die Richter in den von Trieflinger genannten Fällen eigentlich wegen Befangenheit hätten abgelehnt werden müssen. Allerdings entschieden Gerichte selbst über Befangenheitsanträge, in letzter Instanz die höchsten Gerichte, die von Interessenkollisionen teilweise ganz besonders betroffen seien. Hier bestehe ein Problem des Entscheidens in eigener Sache, da Richter über Richter urteilten. Der Gesetzgeber sei in der Tat gefragt, durch strengere Regelungen Korruptionsverdachtsfälle im Vorfeld auszuschließen, also dem „bösen Schein“ vorzubeugen. Trieflinger gab zu bedenken, dass die meisten Rechtssuchenden von etwaigen Interessenkonflikten bei Richtern nichts wüssten. Zumindest in Hessen sei vor einigen Jahren ein Nebentätigkeitsregister eingeführt worden. Personen, die beispielsweise gegen eine Bank oder Versicherung klagen, könnten hier eine Anfrage stellen, ob der ihren Fall bearbeitende Richter eine Nebentätigkeit bei der betreffenden Bank oder Versicherung ausübe. Zum Thema Richter als Abgeordnete in Kommunalparlamenten und Kreistagen gebe es eine aufschlussreiche Studie von Dr. Ralf Bernhard, in der eine Unvereinbarkeit dieser Nebentätigkeiten mit dem Richtergesetz und dem Grundgesetz festgestellt werde. Auch in diesem Bereich gebe es eindeutige Interessenkollisionen, etwa wenn ein Richter, der als Abgeordneter in einem Stadtparlament sitze, über Amtshaftungsklagen gegen seine Kommune zu entscheiden habe. von Arnim pflichtete Trieflinger bei. Auch er halte es für einen Missstand, wenn beispielsweise ein Fraktionsvorsitzender in einer Kommunalvertretung gleichzeitig als Verwaltungsrichter für politisch einschlägige Verfahren zuständig sei. Hier entstünden leicht Zweifel an der richterlichen Unabhängigkeit. In diesen Fällen griffen wohl die jetzigen Befangenheitsvorschriften nicht, weil der Zusammenhang möglicherweise zu vage sei. Hans-Albert Kwasny, Städtischer Oberverwaltungsrat, Herne, widersprach der These von Arnims, die Korruptionsgefahr auf kommunaler Ebene sei be-
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sonders hoch. So stünden beispielsweise den Kommunen in Nordrhein-Westfalen derzeit fast keinerlei Mittel für Investitionen zur Verfügung. Außerdem sollten die Leistungen der örtlichen Rechnungsprüfungsämter nicht unterschätzt werden. In Herne seien bereits einige Unregelmäßigkeiten im Vergabebereich aufgedeckt worden, und strenge Vorschriften sorgten künftig für eine Eindämmung der Korruption. Gerd von Lennep, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, nahm Bezug auf den Diskussionsbeitrag von Weishar und plädierte gegen einen zu weiten Korruptionsbegriff. Die kommunale Selbstverwaltung sei in Art. 28 Grundgesetz und den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen abgesichert. Diese Kompetenz der Kommunen zur eigenverantwortlichen Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze dürfe nicht durch einen zu weiten Korruptionsbegriff eingeschränkt werden. Zu viele Feuerwehren in einer Kommune stellten möglicherweise freiwillige Ausgaben dar, die getätigt werden dürften, wenn das entsprechende Geld zur Verfügung stehe. Sei dies nicht der Fall, müsse die Aufsicht einschreiten. Hier bestünden also eindeutige Grenzen. Entsprechende Beschlüsse der Kommunen im Rahmen ihrer eigenverantwortlichen Regelungsbefugnis seien in keinem Fall korruptiv. Peter Kalusche, Direktor beim Thüringer Rechnungshof, Rudolstadt, teilte ergänzend zum Diskussionsbeitrag von Trieflinger mit, dass der Thüringer Rechnungshof kürzlich eine Prüfung zu Nebentätigkeiten von Richtern begonnen habe. Man habe zunächst einen Fragebogen an das Justizressort geschickt und um eine lückenlose Aufführung der Nebentätigkeiten aller Thüringer Richter im Jahr 2005 gebeten. Im Anschluss seien örtliche Erhebungen geplant. Dr. Anke Saebetzki, Referatsleiterin im Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein, Kiel, sprach das Abgrenzungsproblem zwischen politisch erwünschtem Sponsoring und dem Straftatbestand der Vorteilsannahme (§ 331 Strafgesetzbuch) an. Angesichts der klammen Finanzlage der Kommunen seien zusätzliche Einnahmen durch Sponsoring sehr willkommen, aber die Abgrenzung zu möglichem Missbrauch sei schwierig. Wegen der unklaren Rechtslage hielten sich die Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein derzeit mit Ermittlungen in diesem Bereich zurück, und das Innenministerium sei gefragt, klare Regelungen für sinnvolles und zulässiges Sponsoring zu entwerfen. Auf kommunaler Ebene bestehe aufgrund der räumlichen Nähe leicht die Gefahr, dass Unternehmen, die etwa großzügige Summen für den Bau eines Kindergartens zur Verfügung stellen, bei künftigen Auftragsvergaben bevorzugt werden. Zu diesem Themenkomplex wünschte sich Saebetzki stärkere Unterstützung durch die Wissenschaft und eine bundesweite Debatte, da die Problematik des rechtlichen Graubereichs zwischen Sponsoring und Korruption nicht auf Schleswig-Holstein begrenzt sei.
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von Arnim antwortete zunächst auf den Diskussionsbeitrag von Kwasny und wies darauf hin, dass er die Institutionen zur Korruptionsbekämpfung in seinem Vortrag bewusst nicht behandelt habe. Er habe die Tätigkeit der Rechnungsprüfungsämter keinesfalls abwerten wollen und unterstütze diese ausdrücklich. So trete er schon seit langem für eine Stärkung der Unabhängigkeit der Rechnungsprüfungsämter ein. Zu von Lenneps Beitrag sei anzumerken, dass die Kommunen im Rahmen ihrer Selbstverwaltung an das Wirtschaftlichkeitsprinzip gebunden seien, das öffentliche Verschwendung verbiete. Amtsmissbrauch auf kommunaler Ebene stelle Korruption dar, die durch die Selbstverwaltungskompetenz nicht gedeckt sei. Bei dem Fall der Feuerwehren handele es sich nicht um Korruption. Anschließend äußerte von Arnim bezugnehmend auf den Diskussionsbeitrag von Kalusche die Hoffnung, über den weiteren Verlauf der Prüfung von Nebentätigkeiten von Richtern durch den Thüringer Rechnungshof informiert zu werden. Das von Saebetzki angesprochene Abgrenzungsproblem zwischen Sponsoring und Vorteilsannahme sei durch die vor einigen Jahren vorgenommene Verschärfung des § 331 Strafgesetzbuch entstanden. Im Bereich des Sponsorings habe ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Vor 20 oder 30 Jahren etwa sei in der Wissenschaft die Finanzierung von Forschungsprojekten durch die direkt an den Forschungsergebnissen interessierte Wirtschaft noch sehr skeptisch beurteilt worden. Heute werde derartiges Sponsoring sogar gefördert, auch von den Wissenschaftsministerien. In den Kommunen sei eine ähnliche Entwicklung im Gang. Das von Saebetzki erwähnte Sponsoring auf kommunaler Ebene sei trotz der knappen Kassen seiner Ansicht nach bedenklich, wenn der Geldgeber auf ihm günstiges Handeln der Kommune angewiesen sei. Der Tatbestand der Vorteilsannahme sei dann schnell erfüllt. So ermittle die Staatsanwalt in Rheinland-Pfalz beispielsweise gegen einen Oberbürgermeister, der amtlich mit den Belangen eines Sponsors befasst war, welcher einen großen Beitrag zum Bau einer Stadthalle geleistet habe. Wenn man den § 331 Strafgesetzbuch ernst nehme, müsse man zweifelhafte Sponsoringpraktiken zurückfahren. Es gebe zwar erhebliche Bestrebungen, § 331 Strafgesetzbuch zu beschneiden, er lehne dies aber ab. In seinen Schlussbemerkungen zeigte sich auch Theobald angesichts der mannigfaltigen Abgrenzungsprobleme skeptisch gegenüber dem von von Arnim verwendeten weiten Korruptionsbegriff. Er wies außerdem darauf hin, dass die Abgrenzung zwischen Korruption und Untreue in der Diskussion gar nicht zur Sprache gekommen sei. Viele der angesprochenen Beispiele bewegten sich am Rande der Untreue. Hier müsse unterschieden werden zwischen bloßer Verschwendung im haushaltsrechtlichen Sinne und strafbarer Haushaltsuntreue. Diese Abgrenzung sei außerordentlich schwierig, wie auch die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeige. Aus der Diskussion sei ersichtlich geworden, dass Abgrenzungen getroffen werden müssten
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zwischen strafrechtlich relevanter Korruption und dem bloßen Verstoß gegen ethisch-moralische Gebote, zwischen Befangenheit und noch zulässigen Interessenkonflikten, zwischen dem unredlichen Kauf von Wählerstimmen und üblichen Wahlkampfinstrumenten sowie zwischen politisch erwünschtem Sponsoring und „Anfüttern“ bzw. Vorteilsannahme. Theobald nannte abschließend zwei Beispiele aus seiner beruflichen Praxis. Nach der von von Arnim verwendeten Korruptionsdefinition sei politische Selbstbedienung bereits gleichbedeutend mit Korruption. Der Begriff der „Autokorruption“ habe ihn in diesem Zusammenhang sofort an eine aktuelle Debatte in Sachsen über die Nutzung von Dienstwagen erinnert. Hier sei derzeit hochumstritten, ob der Direktor des sächsischen Landtags seinen Dienstwagen auch für private Zwecke nutzen dürfe. Außerdem habe der Landtagspräsident seinen Dienstwagen auch für die Arbeit in seinem Wahlkreis verwendet, ohne die nach den abgeordnetenrechtlichen Bestimmungen erforderlichen ca. 200 EUR aus seiner pauschalen Aufwandsentschädigung zurückzuzahlen. Zur Problematik des Sponsorings skizzierte Theobald den Fall einer Hochschule für Musik, die ohne Ausschreibung einen hochwertigen Flügel erwarb. Den Auftrag erhielt ein Unternehmer, der bereits in seinem Angebot signalisiert hatte, der Hochschule im Falle des Zuschlags eine Spende in bezifferter Höhe zukommen zu lassen. In derartigen Fällen sei zu fragen, ob der Faktor „Heimlichkeit“ ausschlaggebend sei, damit die umstrittenen Handlungen als Korruption bewertet werden könnten. So habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zur Fraktionsfinanzierung und zu Entschädigungen für besondere Funktionen von Abgeordneten das Prinzip der Transparenz als entscheidend herausgestellt.
Korruption und ihre Bekämpfung in Deutschland Von Heinz Georg Bamberger I. Einleitung Der Verein Transparency International hat im Oktober 2006 die Ergebnisse einer weltweiten Umfrage vorgelegt, die er alle vier Jahre durchführt. Befragt wurden elftausend Geschäftsleute in 125 Ländern, an welche Firmen sie Bestechungsgelder gezahlt haben. So entstand ein Ranking, wie sehr sich Firmen aus 30 alten und neuen Exportländern der Bestechung bedienen. Deutschland rangiert in der Rangfolge der am wenigsten korrupten Länder auf Platz sieben. Hierbei muss man berücksichtigen, dass deutsche Firmen mit einem relativ hohen Anteil (9,5 Prozent) am Weltexport doppelt und dreifach so viele Aufträge eroberten wie fast alle der wichtigsten Konkurrenten und dementsprechend mehr Gelegenheiten für korruptive Verwicklungen hatten. Das Ergebnis ist nicht schlecht – aber auch nicht gut. Noch weniger als Deutschland mit korrupten Firmenpraktiken aufgefallen sind die Schweiz, Schweden, Australien, Österreich, Kanada und Großbritannien. Zu berücksichtigen ist auch, dass es um Korruption im Geschäftsverkehr geht, nicht um die im staatlichen Bereich. Korruption verstehen wir als Missbrauch anvertrauter Macht zur Erlangung privater Vorteile. Meistens ist sie Bruch rechtlicher Normen. Immer geht es um die Verletzung auch ethischer Grundsätze. Hierunter fallen nicht nur strafbare Verhaltensweisen wie Bestechlichkeit und Bestechung, Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung oder Straftatbestände, die häufig in Zusammenhang mit diesen Delikten auftreten, etwa Unterschlagung, Betrug und Subventionsbetrug, Untreue, Geldwäsche, Strafvereitelung im Amt, Verletzung des Dienstgeheimnisses, wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen und Steuerhinterziehung. Über das Strafrecht hinaus verbietet die Rechtsordnung Verhaltensweisen, die den Anschein und die Gefahr von Unlauterkeit hervorrufen. Insbesondere verbietet die Rechtsordnung Amtsträgern, dass sie sich in bestimmte Situationen begeben, in der sie Interessenskollisionen ausgesetzt sind. Beispiele sind das beamtenrechtliche Verbot, Geschenke anzunehmen im Beamtenstatusgesetz und die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes, die die Mitwirkung eines Amtsträgers an einem Verwaltungsverfahren verbieten, wenn
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er selbst oder ein Angehöriger beteiligt ist oder aus anderen Gründen Befangenheit zu besorgen ist. Die Grenzbereiche sind groß. Missbrauch anvertrauter Macht, den nicht ausdrücklich das Gesetz verbietet, der aber ethisch missbilligt wird. Das sich Begeben in Situationen, die den Anschein von Bestechlichkeit erwecken. Verflechtungen von Staat und Wirtschaft, die missbilligt werden müssen. Verschwiegene hohe Gehälter aus Nebentätigkeiten von Abgeordneten und vieles mehr. Es geht um Geld, oft um sehr viel Geld, um bezifferbaren volkswirtschaftlichen Schaden. Weit darüber hinaus beschädigt Korruption das Vertrauen jedes einzelnen darauf, dass die anderen, insbesondere die Akteure in Politik und Wirtschaft, die Spielregeln des demokratischen Rechtsstaats und der sozialen Marktwirtschaft einhalten. Ohne ein Mindestmaß dieses Vertrauens funktioniert weder das politische System noch der freie Wettbewerb. Ohne ein Mindestmaß dieses Vertrauens gerät auch die Motivation des einzelnen, diese Spielregeln selbst einzuhalten, ins Wanken. Das Leistungsprinzip im Beamtenrecht und der freie Wettbewerb in der Marktwirtschaft werden durch Korruption untergraben. Immer geht es um das Vertrauen der Bürger in die bestehende demokratische und rechtsstaatliche, auch wirtschaftliche Ordnung. Korruption ist auf eine Weise gefährlich, die der nicaraguanische Schriftsteller und Politiker Sergio Ramírez so beschreibt: „nicht als sporadische Tat einer Gruppe von Einzelpersonen, sondern als Verhalten, das das Gemeinwesen beschädigt und unter der Hand versucht, sich einen Freibrief im individuellen und kollektiven Bewusstsein zu verschaffen. Das ist der größte Schaden.“ Man kann andererseits kein politisches System denken oder konstruieren, das die Gefahr von Korruption vollkommen ausschließt. Der englische Historiker Lord Acton hat dazu gesagt: „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“. Der Demokratie droht immer auch der erste Teil dieses Satzes. Man muss deshalb Korruptionsbekämpfungsmechanismen als notwendigen und immer währenden Bestandteil jedes rechtsstaatlichen demokratischen Systems ansehen. Korruptionsbekämpfung ist nicht nur etwas für korrupte Staaten, sondern gehört als ein notwendiges Kontrollsystem zu jeder Ausübung anvertrauter Macht, durch die jede repräsentative Demokratie regiert wird. Korruptionsbekämpfung muss Standard sein. Ich möchte in den folgenden drei Abschnitten zunächst auf die auch für Deutschland geltenden internationalen und europäischen Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen eingehen. Sodann will ich darstellen, was unsere drei Staatsgewalten – Legislative, Exekutive, Judikative – zur Korruptionsbe-
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kämpfung tun oder tun sollten. Im dritten Abschnitt möchte ich schwerpunktartig die Problematik des Whistle-blowers, also des Hinweisgebers, darstellen, ferner auf die Frage, aus welchen Gründen wir ein Informationsfreiheitsgesetz als Landesgesetz geschaffen haben, und auf den Bereich des Sponsoring eingehen. II. Rechtsinstrumente gegen Korruption auf internationaler Ebene Der Europarat, der sich mit der Durchsetzung und Verbesserung rechtsstaatlicher Standards befasst, hat im Jahr 1999 eine „Staatengruppe gegen Korruption“, auch (nach der französischen Version des Namens) „GRECO“ genannt ins Leben gerufen, in der Deutschland Mitglied ist. Die Mitgliedstaaten untersuchen und bewerten sich gegenseitig im Hinblick auf ihre Korruptionsbekämpfungsmechanismen nach den „Rules of Procedure“, die auf der ersten Plenarversammlung von GRECO im Oktober 1999 in Strasbourg verabschiedet wurden. Diese Bewertungen enthalten Empfehlungen für die Fortentwicklung der Korruptionsbekämpfung. Der Evaluationsbericht über Deutschland vom 1. Juli 2005 enthielt beispielsweise die Empfehlung, den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen über Verwaltungsvorgänge zu erleichtern. Auf diese Weise ist ein Impuls für das deutsche Informationsfreiheitsgesetz entstanden, das Anfang des Jahres 2006 für den Bund in Kraft getreten ist. Auch auf Länderebene gibt es bereits entsprechende Gesetze, so auch in Rheinland-Pfalz. An Korruptionsbekämpfung besteht naturgemäß ein großes internationales Interesse. Ebenso wie Korruption das Funktionieren unseres eigenen politischen und wirtschaftlichen Systems gefährdet, beeinträchtigt es auch die Effizienz internationaler politischer Systeme und der Weltwirtschaft. Fünfmal im Jahr tagt eine Arbeitsgruppe der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Sitz in Paris. Diese Arbeitsgruppe befasst sich mit Fällen von Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr. Beispielsweise wurden dort Verstöße gegen das UN-Embargo gegen den Irak behandelt, die unter Missbrauch des Oil-forfood-Programms der Vereinten Nationen begangen wurden. Die Sachverhalte werden der Arbeitsgruppe durch die Auswertung von Presseberichten und durch die Berichte der Mitgliedsstaaten bekannt. In den Sitzungen werden die Fälle mit dem Ziel erörtert, einen einheitlichen Standard der Strafverfolgung durchzusetzen. Auch Deutschland muss hier Rede und Antwort stehen. Die Europäische Union bekämpft Korruption – auch im Interesse der Mitgliedstaaten. 80 % ihres Haushalts werden von Mitgliedstaaten bewirtschaftet. Jeder Mitgliedstaat hat also ein Interesse daran, dass auch die anderen Mitgliedstaaten effektiv Korruption bekämpfen. Die Europäische Union hat dazu eine Korruptionsbekämpfungsbehörde, abgekürzt OLAF nach der fran-
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zösischen Namensversion „Office européen de la lutte anti-fraude“, eingerichtet. Gibt es einen begründeten Anfangsverdacht auf Betrug zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts, kann OLAF in allen Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der Gemeinschaft Verwaltungsermittlungen durchführen. Die Behörde hat außerdem den Auftrag, sonstiges schwerwiegendes Fehlverhalten der EU-Bediensteten bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit aufzudecken. Die Ermittlungsbefugnisse und Verfolgungszuständigkeiten der Behörde sind aber begrenzt: Sie erstrecken sich auf den Zugang zu Informationen und Räumlichkeiten der Gemeinschaftsinstitutionen, das Recht zur Nachprüfung der Buchhaltung oder auf Auszüge aus allen Unterlagen. Außerdem kann das Amt von allen betroffenen Personen die Auskünfte einholen, die es für seine Ermittlungen als erforderlich ansieht. OLAF kann aber keine Beschlagnahmen oder Durchsuchungen bei Privaten durchführen, sondern muss ihre Erkenntnisse an nationale Strafverfolgungsbehörden weitergeben, die dann tätig werden. Weitere wichtige Rechtsinstrumente gegen Korruption auf der internationalen Ebene sind der Rahmenbeschluss der Europäischen Union aus dem Jahre 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, das Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption und das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption. Neben einem einheitlichen Standard der Korruptionsbekämpfung in den einzelnen Ländern befassen sich diese Abkommen auch damit, Strafbarkeits- und Strafverfolgungslücken bei der Korruption im internationalen Bereich, also bei internationalen Organisationen und im internationalen Verkehr, zu schließen. III. Korruptionsbekämpfung durch Legislative, Exekutive und Judikative Korruptionsbekämpfung ist gefordert als Leistung des gesamten demokratischen Systems, aller drei Gewalten, die hierfür in besonderer Weise ihre Mechanismen der Kontrolle und Machtbalance aktivieren müssen. Ich meine, zuerst müssten die politischen Akteure selbst sich einer stärkeren Kontrolle und mehr Transparenz unterwerfen. Das betrifft etwa die Frage der Nebentätigkeiten von Abgeordneten. Wichtig und in ihrer Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen ist die durch Presse und Medien in der Zivilgesellschaft hergestellte Öffentlichkeit. Dem Gedanken folgend hat der Gesetzgeber Mitte des Jahres 2005 das Abgeordnetengesetz entsprechend novelliert. Seit Beginn der 16. Legislaturperiode sind die Mitglieder des Deutschen Bundestags verpflichtet, über Tätigkeiten und Einkünfte neben ihrem Mandat nach den Verhaltensregeln des Parlaments Auskunft zu geben.
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Erlauben Sie, dass ich zunächst auf Gesetzesvorhaben auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung eingehe. Im September 2006 wurde ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Zweites Korruptionsbekämpfungsgesetz vorgelegt. Mit den vorgeschlagenen Änderungen sollten im Wesentlichen verschiedene Rechtsinstrumente der Vereinten Nationen, des Europarats und der Europäischen Union in das nationale Recht umgesetzt werden. Der Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr sollte erweitert werden. Der geltende § 299 des Strafgesetzbuchs setzt in seiner bisherigen Fassung voraus, dass ein Vorteil als Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb angenommen oder gewährt wird. Dies soll auch so bleiben. Entsprechend den internationalen Vorgaben sollen Bestechungshandlungen im privaten Sektor zusätzlich auch dann strafbar werden, wenn Vorteile für eine Pflichtverletzung gegenüber dem Geschäftsherrn angenommen oder gewährt werden. Auch die Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung ausländischer und internationaler Amtsträger soll ausgedehnt werden. Das deutsche Strafrecht soll für im Ausland begangene Korruptionstaten immer dann gelten, wenn entweder der Amtsträger oder derjenige, der ihn auf unlautere Weise zu beeinflussen sucht, Deutscher ist. Der Vortatenkatalog der Geldwäsche soll auf die Straftaten der Abgeordnetenbestechung und der banden- oder gewerbsmäßig begangenen Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr erweitert werden. Bedauerlicherweise wurde das Zweite Korruptionsbekämpfungsgesetz in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht mehr beschlossen. Die Einführung einer allgemeinen Kronzeugenregelung war im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vereinbart worden. Ein Referentenentwurf für eine allgemeine Kronzeugenregelung wurde auch vorgelegt. Die Aufklärungshilfe durch einen Kronzeugen sollte nach dem Referentenentwurf immerhin auch dann belohnt werden, wenn sie Taten der Bestechlichkeit und der Bestechung betrifft. Das Justizministerium Rheinland-Pfalz hatte im Gesetzgebungsverfahren die Auffassung vertreten, dass auch die Vorteilsannahme und die Vorteilsgewährung in diesen Katalog aufgenommen werden sollte. Bedauerlicherweise wurde der Vorschlag nicht umgesetzt. Zum 1. September 2009 ist das 43. Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft betreten. Der neu geschaffene § 46b des Strafgesetzbuches sieht die Möglichkeit einer Milderung der Strafe für bestimmte Täter vor, die bei der Aufklärung oder Verhinderung schwerer Straftaten freiwillig helfen. Ferner enthielt der Koalitionsvertrag des Jahres 2005 die Vereinbarung, den Katalog der Straftaten, zu deren Aufklärung Telefone überwacht werden können, zu reformieren. Hier sollte der Kern der Korruptionsdelikte ebenfalls aufgenommen werden. Dies ist dann auch durch die Aufnahme der Tatbestän-
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de der Bestechlichkeit und der Bestechung in den Katalog des § 100a der Strafprozessordnung durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen Ende des Jahres 2007 geschehen. Sowohl die Anwendung der Kronzeugenregelung als auch Telefonüberwachungsmaßnahmen sind meines Erachtens in Verfahren wegen zentraler Korruptionsdelikte notwendig und auch verhältnismäßig. Für Korruption ist es typisch, dass mehrere Beteiligte vorhanden sind, bis hin zu Netzwerken, die alle aus eigenem Interesse „dicht halten“. Der Anreiz einer Strafmilderung oder Straffreiheit erscheint erforderlich, um solche abgeschotteten Strukturen aufzubrechen. Auch die Telefonüberwachung wäre ein geeignetes und notwendiges Mittel. Wie etwa der Drogenhandel geschieht auch Korruption durch illegale Vereinbarungen, die schwer zu beweisen sind, aber mit Hilfe von Telefonüberwachungen eben leichter zu beweisen wären. Kronzeuge und Telefonüberwachung bieten also die reale Möglichkeit einer besseren Tataufklärung. Natürlich hat man bei einer Ausweitung der Kronzeugenregelung wie auch der Telefonüberwachung ein Unbehagen. Hier scheinen mir diese Mittel aber im Hinblick auf die Art der in Rede stehenden Kriminalität und den Schaden, den sie anrichtet, durchaus verhältnismäßig. Worauf konzentrierte sich sonst noch die rechtspolitische Diskussion in jüngster Vergangenheit? Kritisiert wird oft, dass die Abgeordnetenbestechung unzureichend unter Strafe steht. Zwar ist der Stimmenkauf im Plenum gegenwärtig strafbar. Dasselbe gilt meines Erachtens auch für die Abstimmung in den Ausschüssen des Parlaments; das ist aber schon durchaus umstritten. Nicht unter Strafe steht aber beispielsweise die Bestechung eines Abgeordneten dafür, dass er in seiner Fraktion in bestimmter Weise abstimmt. Hierzu müsste ein Gesetzentwurf am besten aus der Mitte des Bundestages eingebracht werden. Internationale Vorgaben, nämlich das Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption vom 27. Januar 1999 und das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31. Oktober 2003 drängen dazu, die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung über den jetzigen § 108e des Strafgesetzbuchs hinaus zu erweitern. Dem müssen wir meines Erachtens nachkommen. Im Bereich der Kerndelikte der Korruption, also Bestechlichkeit und Bestechung sowie Vorteilsannahme und -gewährung, wird darüber diskutiert, welche Unrechtsvereinbarung den Tätern mindestens nachgewiesen werden muss. Bestechlichkeit setzt voraus, dass der gewährte Vorteil die Gegenleistung für eine konkrete, rechtswidrige Diensthandlung war. Vorteilsannahme setzt nur voraus, dass der Vorteil für die Dienstausübung gewährt wurde. Früher musste für den Tatbestand der Vorteilsannahme noch nachgewiesen werden, dass der Vorteil für eine konkrete Diensthandlung gewährt wurde, insofern wurde das Korruptionsstrafrecht bereits verschärft. Wenn aber ein Unternehmer einen Bürgermeister zu privaten Feiern und Reisen einlädt, mit der Begründung, der Bürgermeister sei sein
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„Freund“, wird ein Zusammenhang mit der Dienstausübung oft schwer nachzuweisen sein. Soll der Straftatbestand der Vorteilsannahme weiter verschärft werden und bereits ein Zusammenhang mit dem Amt an sich ausreichen? Keine einfach zu beantwortende Frage. Hier sollte man die grundsätzliche Funktion des Strafrechts als ultima ratio, als letztes Mittel bedenken. Es geht in dem genannten Beispiel um eine kommunale „Amigo-Affäre“, um einen Verhaltenskodex für Bürgermeister, der den bösen Anschein vermeiden soll. Die Frage ist, ob hier primär Strafrecht gelten sollte und ob es überhaupt möglich ist, die Vielgestaltigkeit der Fälle in Strafvorschriften, die bestimmt genug sind, aufzufangen. Vielleicht wären hier verwaltungsrechtliche, beamtenrechtliche, disziplinarrechtliche Regelungen besser geeignet. Korruptionsbekämpfung ist eine ständige Aufgabe der Exekutive. Auch hier sind Verbesserungen notwendig. Wichtig wäre eine allgemein für Behörden begründete Verpflichtung, einen Korruptionsverdacht der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Eine derartige Anzeigepflicht könnte als Bestandteil des Strafverfahrenrechts durch Bundesgesetz für alle Behörden bestimmt werden. Für rheinland-pfälzische Behörden wurde eine solche Pflicht im Jahre 2003 durch die Verwaltungsvorschrift zur Bekämpfung der Korruption begründet. Die Steuerbehörde ist nach § 4 Absatz 5 Nummer 10 Einkommensteuergesetz verpflichtet, die Staatsanwaltschaften über Tatsachen zu unterrichten, die den Verdacht eines Bestechungsdelikts begründen. Für eine allgemeine Anzeigeverpflichtung der Staatsanwaltschaft gegenüber spricht, dass leicht Beweismittel verloren gehen können, wenn die Behörde selbst zu ermitteln versucht. Was die in Rheinland-Pfalz bestehende Verwaltungsvorschrift angeht, so habe ich Bedenken, ob ein solches Regelwerk ausreichend sein kann. Wenn wir Korruption als eine schwerwiegende Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat erachten, dann sollte auch der demokratische Gesetzgeber durch Gesetz dieser Gefahr begegnen. Auch auf der Grundlage der Erkenntnisse der Rechnungshöfe entstehen mitunter Ermittlungsverfahren. Erkenntnisse können sich aber auch aus den öffentlichen Berichten der Rechnungshöfe ergeben. In unserem Land veröffentlicht der Rechnungshof neben den üblichen Jahresberichten jährlich einen zusätzlichen Kommunalbericht. Denkbar ist auch die gezielte Mitteilung eines Sachverhalts. In Rheinland-Pfalz wie in anderen Bundesländern auch müssen Unternehmen, die im Rahmen laufender Ausschreibungsverfahren schwere Verfehlungen begangen haben, an eine zentrale Stelle beim Finanzministerium gemeldet werden, die eine so genannte „Schwarze Liste“ führt, damit diese Informationen für andere Ausschreibungsverfahren verfügbar sind.
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Die Judikative ist ständig mit Korruptionsfällen befasst. In RheinlandPfalz hat es in den vergangenen 10 Jahren 130 Verurteilungen wegen Korruptionsdelikten gegeben. 48 Personen wurden zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, davon wiederum 12 Personen zu einer Freiheitsstrafe über zwei Jahren, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Allerdings ist zu betonen, dass Korruptionsdelikte ein sehr großes Dunkelfeld haben. Das Problem ist nicht die Aufklärungsquote bei konkreten Verdachtslagen. Die ist recht hoch, es werden Aufklärungsquoten von 98 % und mehr angegeben. Die Problematik besteht – dazu komme ich noch – darin, wie man Korruption ans Licht bringt. Aus dem Bereich der Polizei wird zum Teil die Auffassung vertreten, es handele sich um eine Art von Holkriminalität. Wichtig seien regelmäßige Informationsgespräche der Strafverfolgungsbehörden mit den für Korruptionsbekämpfung zuständigen Stellen etwa der Kreise und Städte. IV. Ausgewählte Problembereiche Ich darf im letzten Kapitel auf die drei Problembereiche eingehen, die ich mit den Stichworten „Hinweisgeber“, „Informationsfreiheitsgesetz“ und „Sponsoring“ kennzeichnen möchte. 1. Hinweisgeber Weil es bei den Korruptionsdelikten wohl ein großes Dunkelfeld gibt, ist eine der wichtigen Fragen, wie wir Korruption ans Licht bringen, damit sie bekämpft und, soweit es um Straftaten geht, verfolgt werden kann. Weil Hinweisgeber, so genannte Whistle-blower, berufliche Nachteile riskieren, liegt es nahe, anonyme Anzeigen zu ermöglichen, und zwar solche, die eine gewisse Kommunikation der Ermittlungsbehörden mit dem Hinweisgeber ermöglichen. Zu diesem Zweck haben wir in Rheinland-Pfalz die Einrichtung des Vertrauensanwalts eingeführt, der durch seine berufliche Schweigepflicht als Rechtsanwalt die Anonymität des Hinweisgebers wahrt, diesen aber auch beraten kann. Für dieses Modell haben sich inzwischen mehrere andere Bundesländer interessiert, das Saarland hat ebenfalls einen Vertrauensanwalt eingeführt. In Niedersachsen, Brandenburg und Hamburg wurde stattdessen die Möglichkeit eines anonymen E-Mail-Verkehrs mit der Polizei installiert. Die Folge sind nicht nur nützliche Hinweise sondern auch falsche Hinweise. Aus falschen Hinweisen können aber gleichwohl Verdachtslagen entstehen, die die Ermittlungsbehörden nach dem Legalitätsprinzip verpflichten, tätig zu wer-
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den, also beispielsweise bei dem Verdächtigten zu durchsuchen. Wenn sich dann herausstellt, dass der Hinweis falsch war, wird das Ermittlungsverfahren zwar eingestellt, aber die Durchsuchung bei dem zu Unrecht Beschuldigten hat dann oft schon stattgefunden. Die Gefahr falscher Hinweise an den Vertrauensanwalt ist demgegenüber geringer, weil die Hemmschwelle im persönlichen Gespräch von Angesicht zu Angesicht größer ist und die Möglichkeiten der Verstellung geringer sind als bei der Formulierung anonymer E-Mails; deshalb meine Skepsis gegenüber dem niedersächsischen, brandenburgischen und hamburgischen Weg. Ich meine allerdings, dass wir zu gegebener Zeit prüfen sollten, ob wir nicht neben der Einrichtung des Vertrauensanwalts doch auch auf die anonymen Hinweise per E-Mail angewiesen sind. Oft sind für Whistle-blower berufliche Nachteile bis hin zum Mobbing die Folgen seines Verhaltens. Hier ist die Fürsorgepflicht des Vorgesetzten, insbesondere der Behördenspitze von existentieller Bedeutung. Sofern die Behördenspitze selbst in den Korruptionsfall verwickelt ist, muss die Aufsichtsbehörde handeln und sollte entsprechend der Korruptionsbekämpfungsleitlinie des Europarats die Behördenspitze auswechseln, auch um Nachteile für die Zeugen zu verhindern. Ferner muss sich das gesellschaftliche Bewusstsein ändern, in dem sich Korruptionstaten noch allzu oft hinter dem Trugbild eines Kavaliersdelikts verstecken. Dementsprechend erscheint der Zeuge als Denunziant. Tatsächlich ist er einfach Zeuge einer Straftat. In dem Maße, in dem sich das Bild von Korruption verändert, wird sich auch das „Image“ des Zeugen verändern. In der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags gab es konkrete Bestrebungen, den Informantenschutz für Arbeitnehmer in das Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen. Der Arbeitnehmer sollte konkreten Anhaltspunkten für die Verletzung gesetzlicher Pflichten in seinem beruflichen Umfeld ein normiertes Anzeigerecht erhalten, damit er – bei wahrheitsgemäßen Angaben – vor möglichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen bewahrt würde. Potenzielle Whistle-blower hätten sich durch dieses Signal möglicherweise ermutigen lassen, ihr Wissen zu offenbaren. Bedauerlicherweise wurde der Vorschlag im zuständigen Ausschuss nicht weiterverfolgt. 2. Informationsfreiheitsgesetz Ich habe bereits das Informationsfreiheitsgesetz erwähnt. Deutschland war nicht unter den ersten Ländern in Europa, die ein solches Gesetz verabschiedet haben, und dies lag auch an einem anderen Verständnis vom Datenschutz. Es ist bei uns eben nicht vorstellbar, dass Steuerakten mit Informationen über
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private Einkommen öffentlich einsehbar sind, wie das beispielsweise in Schweden der Fall ist. Auch das neue Informationsfreiheitsgesetz des Bundes lässt Akteneinsicht in diesem Umfang natürlich nicht zu. In der erwähnten Arbeitsgruppe der OECD über Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr ist Deutschland „aufgefallen“, weil wir dort die einschlägigen Fälle nur in anonymisierter Form zur Diskussion stellen. Unsere Vorstellungen von Datenschutz lassen es nicht zu, dass dort Namen aus strafprozessualen Akten offen gelegt werden. Andere Staaten haben damit keine Probleme. Solche Staaten hatten deswegen auch weniger Probleme, den internationalen Standard in ihren Informationsfreiheitsgesetzen zu übernehmen. An unserem Informationsfreiheitsgesetz werden die vielen Ausnahmen kritisiert, darüber hinaus auch die zögernde Handhabung des Gesetzes in der Praxis. Auch dies kann zumindest teilweise mit unserer anderen Datenschutztradition erklärt werden.
3. Sponsoring Zum Schluss einige Bemerkungen zum „Sponsoring“. Jeder weiß, es hat wachsende Bedeutung. Das hängt mit dem zusammen, was wir öffentliche Armut nennen. Die Frage ist, ob es nicht allgemein die latente Gefahr von Machtmissbrauch und Korruption birgt – dem Satz entsprechend, dass wer bezahlt auch bestimmt. Ich denke, niemand will Sponsoring generell ablehnen. Oft geht es darum, gemeinnützige Projekte zu fördern. Auch muss Sponsoring nicht völlig uneigennützig sein. Normalerweise zieht der Sponsor aus seinem gemeinnützigen finanziellen Engagement einen Imagegewinn. Sponsoring ist für ihn Werbung. Der Imagegewinn steht dann in keinem Zusammenhang zur Dienstausübung eines Amtsträgers. Engagiert sich der Sponsor jedoch deswegen finanziell, um eine Baugenehmigung zu erhalten, handelt es sich um Bestechung. Für die Fälle, die dazwischen liegen, also wenn ein Zusammenhang des Sponsoring mit Diensthandlungen unklar ist, aber als möglich erscheint, ist eine gesetzliche Regelung erforderlich. Wesentliche Angelegenheiten muss der Gesetzgeber selbst entscheiden, und das Sponsoring ist eine wesentliche Angelegenheit, zumal es sich zu einer stetigen fließenden Finanzierungsquelle entwickelt. Wesentlich ist auch das in der beschriebenen Grauzone gefährdete Rechtsgut, nämlich das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Lauterkeit der Verwaltung. Ein Verwaltungsgesetz sollte daher festlegen, was akzeptiert werden kann, und was nicht. Überlässt man dieses Feld allein dem Strafrecht, so würde wohl die Justiz nur in besonders auffälligen Fällen eingreifen können. Erst im
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Nachhinein würde entschieden, wie sich die Amtsträger hätten verhalten sollen. Das ist für uns, für die Justiz, für die Staatsanwaltschaften und Gerichte problematisch, gegenüber dem Amtsträger unter Umständen aber auch nicht ganz fair und für die Öffentlichkeit unbefriedigend. Auf der Ebene der Gemeinden und Landkreise hat das Land RheinlandPfalz bereits eine gesetzliche Regelung für die Einwerbung und Annahme von Zuwendungen Privater zur Erfüllung kommunaler Aufgaben geschaffen. Durch das Anfang des Jahres 2008 in Kraft getretene Gesetz wurden in die Gemeinde- und in die Landkreisordnung Normen aufgenommen, die die Zulässigkeit des „Sponsoring“ bei Gewährleistung größtmöglicher Transparenz der Vorgänge unter strenge Verfahrensregelungen stellen. Ich denke, wir brauchen nicht nur auf der Ebene der Kommunen in Rheinland-Pfalz ein nach Möglichkeit gesetzlich geregeltes Verfahren für Sponsoring. In dem Gesetz sollten die materiellen Kriterien überschrieben sein, unter denen Sponsoring zulässig ist. Es sollten ferner Kontrollen vorgesehen sein. Vor allem müsste es eine Verpflichtung zur Veröffentlichung der Zahlungen und gewährten Vorteile geben. Anhalt könnte die Drittmittel-Einwerbungs-Entscheidung des Bundesgerichtshof geben (BGH, Urteil vom 23.05.2002, BGHSt 47, 295 ff.). Danach lassen sich drei notwendige Elemente einer gesetzlichen Sponsoring-Regelung feststellen: Ein transparentes Entscheidungsverfahren, die Überwachung durch ein Kontrollorgan und ein Mindestmaß an materiellen Entscheidungskriterien. Dazu gehören insbesondere die Förderungszwecke, aber auch Förderungsausschlussgründe.
V. Sechs Thesen zum Schluss 1. Korruption beschädigt Ansehen und Dignität unserer Ordnung. 2. Sie birgt die Gefahr der Vereinnahmung des politischen – und damit der Möglichkeit zur Bewahrung von Würde und Freiheit – durch private Interessen. 3. Deutschland sollte sich zu ihrer Bekämpfung den strengsten geltenden internationalen Standards unterwerfen. 4. In Teilen muss das Strafrecht verschärft werden. Kronzeugenregelung und Telefonüberwachung sind zur Korruptionsbekämpfung nützliche Mittel. 5. Das Sponsoring wie auch Korruptionsbekämpfung allgemein sollten gesetzlich geregelt werden. 6. Wichtig sind Transparenz, Bildung des Bewusstseins der vorhandenen Gefahr, Ermutigung zur Benennung der Täter und zur Aufdeckung der Taten.
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Wir müssen in der Öffentlichkeit die Vorstellung wach halten: Korruption ist für Demokratie und Rechtsstaat eine ständige schwere Gefahr. Korruptionsbekämpfung ist deshalb kein Krisengeschäft. Sie ist eine bleibende Herausforderung und eine immer währende Aufgabe von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Wir müssen, meine ich, bei der Bewältigung dieser Aufgabe wirksamer werden. Es hängt für uns alle viel davon ab.
Bericht über die Diskussion des Beitrags von Heinz Georg Bamberger Von Katrin Schoppa Dr. Gisela Rüß, Ministerialrätin und Antikorruptionsbeauftragte des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg, Potsdam, leitete die Diskussion. Sie dankte zunächst Herrn Bamberger. Sein Vortrag habe das gesamte Spektrum des Themas umfasst. Rüß fügte an, es gebe nicht nur in Niedersachsen und in Hamburg, sondern auch in Brandenburg das System eines zentralen Ansprechpartners für „Whistleblower“. Dr. Thomas Leif, Chefreporter des Südwestrundfunks, Mainz, eröffnete die Diskussion mit einer Bemerkung zum Informationsfreiheitsgesetz. Ein solches habe immer die Funktion, dass diejenigen, die potentiell korruptionsanfällig seien, eher aufpassten. Seine konkrete Frage sei daher: Wie stelle sich Bamberger das in seinem Bundesland vor, schließlich habe man da lange abgewartet? Seine zweite Frage sei, wie er als Justizminister zu den einschlägigen Urteilen der höchsten Gerichte stehe, die besagten, bestimmte Fälle von Korruption könnten wegen Personalmangels nicht verfolgt werden. Auch sagten führende Ermittler in Deutschland, dass sie aus Gründen der politischen Landschaftspflege geschwächt würden, weil wenig Korruptionsbekämpfung auch ein Standortvorteil sei. Horst Trieflinger, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Vereins gegen Rechtsmissbrauch e. V., Frankfurt a. M., fragte, ob er Bamberger richtig verstanden habe, dass der Bundesgerichtshof entschieden habe, kommunale Mandatsträger seien keine Amtsträger. Ihn interessiere zudem, ob dabei auf Richter Bezug genommen werde, die selber in Kommunalparlamenten und Kreistagen tätig seien. Dies sei eigentlich nicht zulässig. Bamberger bemerkte zu der Frage zum Informationsfreiheitsgesetz, dass er in seiner viermonatigen Amtszeit als Justizminister damit noch nicht befasst worden sei. Persönlich sei er dafür – er habe sich aus Anlass dieses Vortrages eine Meinung dazu gebildet. In der verfassungsrechtlich und datenschutzrechtlich möglichen Form sollte gehandelt werden, um auch auf die Einrichtungen, Träger und Organe in den Verwaltungen einzuwirken. Zum Thema des Personalmangels meinte Bamberger, dass er es für unerträglich hielte, wenn Korruption deshalb nicht verfolgt würde, weil der Staat die entsprechenden Beamten nicht zur Verfügung stellen könne. Er habe von einem sol-
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chen Personalmangel aus anderen Bundesländern und auch von Staatsanwälten gehört, die Anzeigenerstattern bedauernd mitteilten, sie könnten nicht tätig werden, weil ihre Abteilung personell nicht richtig ausgestattet sei. Er habe sich über die Verhältnisse in Rheinland-Pfalz erkundigt und ihm wurde mitgeteilt, dass es diese Defizite dort nicht gebe – was er auch nicht für hinnehmbar hielte. Zum dritten Punkt sagte Bamberger, der Bundesgerichtshof habe seiner Ansicht nach korrekt entschieden, dass kommunale Mandatsträger, also Abgeordnete von Kommunalparlamenten in Kreistagen und Stadträten, keine Amtsträger seien. Das sei jedoch zu unterscheiden von der Frage, ob Richter kommunale Mandatsträger sein könnten. Das könne er jetzt nicht beantworten. Er persönlich sei der Meinung, Richter sollten nicht Mitglieder kommunaler Parlamente sein, aber Fakt sei, dass der Bundesgerichtshof § 11 StGB so ausgelegt habe, und für ihn folge daraus, dass man sich bemühen müsse, diese Lücke, die in der Tat bestehe, zu füllen. Er wisse, dass es in der Arbeitsgruppe „Recht“ der SPD-Bundestagsfraktion auch Bestrebungen gebe, das zu tun. Siegfried Lessing-Wenzel, Renewable Energy Systems Architektur-Kybernetik, Sonneberg, merkte an, dass die vier großen Konzerne im Bereich der Energieversorgung, an denen die öffentliche Hand überwiegend beteiligt sei, die deutsche Öffentlichkeit und den deutschen Staat erpressten, indem sie sagten, sie würden in anderen Ländern investieren, obwohl sie mittlerweile 1,8 Billionen Euro Fördermittel erhalten hätten. Er fragte, wie Bamberger in diesem Zusammenhang die Tatsache sehe, dass Bürgermeister, Verwaltungsbeiräte und öffentliche Bedienstete jedes Jahr ca. 3.000 bis 10.000 Euro an Zuwendungen erhielten. Prof. Dr. Peter Schönhöfer, Herausgeber des arznei-telegramms, Berlin, sagte, er habe mit Interesse gehört, dass Bamberger die Auffassung vertrete, selbstregulatorische Maßnahmen seien geeigneter als das Strafrecht, um korruptive Einflüsse zu bekämpfen. In der Medizin gebe es das Korruptionsphänomen, dass die potenten Financiers sich die jeweiligen Gruppen, die sie für ihr Marketing bräuchten, durch Vorteilsgewährung schlichtweg kauften. Dies habe verheerende Folgen. Von den ca. 30 Studien, die in der „Welt“ im Jahr publiziert würden, seien mindestens 40 % manipuliert. Es gebe keine Institution, die diese Manipulationen sanktionieren könnte. Die Selbstreinigung der Wissenschaft versage vollständig, weil Berufsverbände wie auch die Wissenschaftseinrichtungen selbst von den Financiers so abhängig geworden seien, dass sie sich nicht mehr wehren könnten. Es stelle sich die Frage, wie man in Zukunft verhindern wolle, dass der Wissenschaftsprozess durch finanzierende Kräfte so verformt werde, dass im Gesundheitssystem beispielsweise eine optimale Versorgung nicht mehr gewährleistet sei. Das sei die Realität, der
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man sich stellen müsse, und deshalb sei er etwas skeptisch, ob Bambergers Appell an die Selbstreinigung etwas bringen würde. Bisher habe das nicht funktioniert. Anton Kilger, München, tätig in den Bezirksausschüssen, bemerkte zum Sponsoring, es dürfe nicht sein, dass Kultur und Soziales immer mehr von der Wirtschaft abhängig würden. Dafür zahle der Bürger schließlich Steuern. Wie wolle man denn auch Korruption vom Sponsoring abgrenzen? Er sei der Ansicht, dass man das Sponsoring vollständig unterbinden sollte. Weiterhin habe er sich darüber gewundert, dass das Ermittlungsverfahren gegen die in den Skandal um den Intendanten des Südwestrundfunks verwickelten Journalisten eingestellt wurde, dieser jedoch immer noch in Amt und Würden sei. Bamberger antwortete auf die Frage von Lessing-Wenzel, hinsichtlich der Offenlegungspflicht betreffend Zuwendungen an Kommunalbedienstete gebe es möglicherweise Gesetzeslücken. Er kenne die Problematik zwar nur aus der Zeitungslektüre, finde sie aber sehr bedenklich. Auch sei eine Ausdehnung der Offenlegungspflicht für Nebeneinkünfte von Abgeordneten in Betracht zu ziehen. Gegen den Einfluss der Industrie im Medizin- und Wissenschaftsbereich wisse er auch kein Mittel. Die Drittmittelproblematik, die bei einer Verflechtung von Wissenschaft und interessierter Wirtschaft entstehe, kenne man, und hier würde nur helfen, dass Gegenkräfte auf die Folgen hinwiesen. Er habe Vertrauen in die Pressefreiheit, dass diese Kräfte auch zu Wort kämen und Manipulationen bekannt würden. Im Übrigen müssten Forschungsfinanzierungen transparent gemacht und kontrolliert werden. Das Strafrecht sei kein Allheilmittel. Man habe bereits relativ strenge Vorschriften, die im Korruptionsbereich nur teilweise zum Tragen kämen, weil die Vorgänge so geschickt im Dunkeln gehalten würden, dass die Strafverfolgungsbehörden nichts ausrichten könnten. Er glaube, die Veröffentlichung von Korruptionsfällen sei mindestens genau so wichtig wie das Strafrecht. Zum Sponsoring sagte Bamberger, auch ihm wäre lieber, wenn alles, wozu der Staat die Kommunen verpflichtet, mit Steuergeldern zu bewältigen wäre. Aber das sei völlig irreal in der heutigen Zeit. Sponsoring sei nach seinem Dafürhalten an sich schlecht, aber es gebe andere Länder, wie die Vereinigten Staaten, in denen das Mäzenatentum eine große Tradition habe. Da komme es sicherlich auch zu Verflechtungen. Hier helfe nur Kontrolle. Durch die Presse gebe es immerhin auch erhebliche Aufklärungsquoten von Korruptionsfällen. Lessing-Wenzel sagte, er glaube nicht, dass den Menschen bewusst sei, dass durch die von ihm genannte Form der Korruption im Energiebereich Technologiekonzeptionen verhindert würden, weil Monopole dominierten. Dr. Till Müller-Heidelberg, Rechtsanwalt, Bingen, fragte, warum Bamberger keine Rechtsvorschriften anrege, die sämtliche Nebenverdienste von Bür-
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germeistern und Landräten verbieten würden, wenn er als zeitungslesender Staatsbürger solche Nebenverdienste unerträglich fände. Trieflinger verlas ein kurzes Zitat von Karl Jaspers aus dem Jahr 1958 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels: „Wir dürfen nicht behaupten, dass die sogenannte freie Welt heute wirklich frei ist. Sie hat vor der totalen Herrschaft nur den Vorzug dieser Chance, frei zu werden. Die Idee der Demokratie droht verloren zu gehen in einer formal werdenden Demokratie, die zu einem Mittel von Manipulation von Politikern und Wirtschaftsinteressen entartet“. Raimund Borrmann, Mitglied des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin, befragte Bamberger zur Unabhängigkeit der Judikative in seinem Land. Ihm stelle sich die Frage, ob die Unabhängigkeit der Judikative angesichts sogenannter Netzwerkkorruption erhalten bleibe. Immerhin ermittelten Gerichte nicht selbst, und Staatsanwaltschaften seien politisch weisungsgebunden. Er frage sich außerdem, wie Staatsanwaltschaften Korruption und insbesondere Autokorruption bei Spitzenpolitikern bekämpfen könnten, wenn sie weisungsgebunden seien. Was unternehme Bamberger, um die Weisungsfreiheit der Staatsanwaltschaften herstellen? Bamberger bemerkte zum Einfluss der großen Energieunternehmen, dass er nicht wisse, ob die Landesregierung eine detaillierte Position dazu habe. Andererseits sei das, was Lessing-Wenzel gesagt habe, durchaus im Bewusstsein der Menschen. Wer die Presse verfolge und politisch interessiert sei, kenne den benannten Sachverhalt. Zu Müller-Heidelbergs Vorschlag fügte er an, dass eine solche Initiative überlegt werde, und bot ihm ein detailliertes Gespräch an. Dem von Trieflinger verlesenen Jaspers-Zitat stimmte Bamberger zu. Bamberger führte sodann aus, die Judikative in Rheinland-Pfalz sei so unabhängig, wie das Grundgesetz es verlange. Eine vollkommene, ideale Unabhängigkeit eines jeden Menschen in einem bestimmten System gebe es nicht. Aber die richterliche Unabhängigkeit sei unangetastet. Was die Staatsanwälte anginge, bestehe in der Tat ein Weisungsrecht aus der Justizverwaltung und intern in der Hierarchie. Diese Problematik sei in den letzten 30 Jahren umfangreich diskutiert worden, und man sei dabei geblieben. Bestimmte Dinge seien aber geändert worden; in Rheinland-Pfalz zum Beispiel seien die Generalstaatsanwälte bis vor einigen Jahren politische Beamte gewesen. Das habe man abgeschafft, um die Unabhängigkeit der Staatsanwälte besser zu garantieren. Faktisch werde von dem Weisungsrecht kein Gebrauch gemacht.
Gemeinden: Nährboden der Korruption (Thesen) Von Thomas Leif (1) Die Besichtigung der Korruptionslandschaft auf der kommunalen Ebene ist von den gleichen Faktoren gekennzeichnet, wie das Feld der Korruption insgesamt. • • •
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Das heißt: es gibt eine hohe Dunkelziffer der Taten und Vorgänge, es gibt kein ernsthaftes Interesse der politischen Klasse dieses Tabu-Thema zum öffentlichen Thema zu machen, die Strafverfolgungs-Behörden und die Justiz sind überfordert und räumen der kommunalen Ebene auf Grund der „kleineren Delikte“ eine geringere Aufmerksamkeit ein, eine intensive Korruptionsbekämpfung gilt auch auf kommunaler Ebene als „Standortnachteil“ und „Investitionshemmnis“; zumindest als Faktor, der das Investitionsklima negativ beeinflusst.
(2) Zusätzlich kommen noch ergänzende Sonderfaktoren hinzu, die die Grauzone der Korruption auf der kommunalen Ebene ausweiten. Im Zuge der Auszehrung der politischen Klasse, dem gravierenden Mitgliederschwund der Parteien und der Passivität der Bürgerschaft fehlt in der kommunalen Sphäre die „kritische Masse“, die sich überhaupt für die Gefahren und Schäden der „Korruption“ interessiert. (3) Noch stärker als auf den anderen politischen Ebenen ist der kommunale Politikmarkt von der Macht der weitgehend unkontrollierten Verwaltung abhängig. Bürgermeister oder kommunale Spitzen, die sich offensiv mit der Verwaltung – und ihrem Eigenleben – anlegen, müssen mit Fallen und Fallstricken der „überlegenen“ Verwaltung rechnen. Sie „arrangieren“ sich deshalb mit der Verwaltungsmacht, die ihre Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit weit ausnutzt. (4) Der größte Feind der Korruption ist eine funktionierende Öffentlichkeit. Diese ist gerade auf kommunaler Ebene stark gefährdet, da die Monopolbildung der Lokalpresse in den vergangenen Jahren mit rasantem Tempo
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zugenommen hat. Lokalmedien und ihre Spitzen verstehen sich – in der Regel – als Partner der kommunalen Eliten und als verlängerter Arm der jeweils amtierenden Spitzen. Zusätzlich pflegen sie oft ein politisches Eigenleben. Sie verstehen sich selbst als eigenständiger „player“ in den Regionen. Ein Grund: ohne den Informationsfluss von oben würde die Zeitung nicht kostengünstig produziert werden können. Diese Bequemlichkeit verbunden mit dem selbstgewählten „Generalanzeiger-Ansatz“ der Lokalpresse führt zu einem Funktionswandel der kommunalen Öffentlichkeit. Service, Prominenzbegleitung und affirmative Darstellung der kommunalen Vorgänge gehen vor kritischer Beobachtung und der klassischen „watchdog-Funktion“ der Medien. Die präventive und die kontrollierende Funktion der Medien ist auf der kommunalen Ebene weitgehend abgeschliffen. (5) Die Nicht-Kontrolle auf allen Ebenen führt zu einer oft selbstverständlichen Korruption auf kommunaler Ebene; die Sensibilität für zweifelhafte Verfahren ist gerade im Kommunalen gering ausgeprägt. Beispiele: • Fast überall werden Lizenzverträge mit Gastronomen für kommunale Einrichtungen pauschal und monopolartig vergeben. Wettbewerb wird ausgeschaltet. • Die Controlling-Abteilungen sind mit wirklichen Kontrollen bei der Auftragsvergabe überfordert. • Private public partnership erhöht die Korruptionsanfälligkeit. • Auf Grund knapper Kassen und hohe Überschuldung werden Beziehungen zur Wirtschaft und damit verbundene „kick back Geschäfte“ weniger kritisch gesehen. • Dies trifft auch auf Sponsoren zu, die gern gesehen und in Folge ihrer Dienstleistung auch gerne unterstützt werden. • Spenden an Amtsträger, deren Vereine und Vereinigungen werden insgesamt „unkritisch“ gesehen, weil das „positive Ziel“ etwa der Vereinsförderung potenzielle Gefahrenanalysen überlagert (vgl. Gesetz BW – zweckgebundene Spenden). • Stadtnahe Gesellschaften und Produktionsbetriebe arbeiten weitgehend unkontrolliert und sind ein Biotop für korruptes Management. (6) Fazit: Alle bekannten Faktoren, die Korruption begünstigten, bekommen durch die spezifische Art der Politik-Produktion auf kommunaler Ebene Auftrieb und Schutz.
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Alle Faktoren, die Korruption dämpfen könnten, sind auf der kommunalen Ebene unterentwickelt. Anlage Papier Korruption Thesen Lokaljournalismus und lokale Öffentlichkeit
• Zu diesem zentralen Thema liegt ein separates Thesenpapier vor, das diese Frage noch vertieft. Lokaljournalismus – kein Gegengift zur Korruption in Kommunen (Ergänzung zu den Thesen) (1) Obgleich die meisten Journalisten in Deutschland und der Löwenanteil der freien Mitarbeiter in den Lokalredaktionen arbeitet, fristet dieses wichtige Ressort ein Schatten-Dasein. Weitgehend unbeachtet, oft unterbesetzt und nicht selten instrumentalisiert, öffnet sich hier eine große Lücke zwischen dem vorliegenden Interesse der Leserinnen und Leser und der schwachen Ressourcen-Ausstattung der Lokalseiten. (2) Der Lokaljournalismus ist das Stiefkind der Medien, obwohl sich hier für die Gestaltung der Kommunalpolitik eine relevante Macht zusammenballt. Die Kommunikationsforschung, die in Deutschland ohnehin eine Entwicklungs-Disziplin ist, ignoriert den Lokaljournalismus weitgehend. Die ernsthaften Studien liegen lange zurück und erlebten einen einmaligen Auftrieb im Zuge der Gründung von Lokalradios. In der Medienberichterstattung und der Reflexion der Fachpresse, bei der Ausstattung mit Preisen und Ehrungen, erleben wir den Lokaljournalismus ebenfalls an der Randzone der öffentlichen Beachtung. Schaut man in die Nachrichtenagenturen des vergangenen Jahres findet sich kein einziger Beitrag in der Suchmaske unter Lokales und Journalismus. (3) Auch im Lokaljournalismus gibt es wie überall Licht und Schatten. Allerdings wesentlich weniger Licht und zu viel Schatten. Wenn man durch Deutschland reist, fallen immer wieder exzellent gemachte Lokalseiten auf; in manchen Städten investieren die Verleger beachtliche Summen, um solide und hintergründig das kommunale Geschehen zu begleiten. Aber generell, in den großen Linien muss man von einer „örtlichen Betäubung“ ausgehen, wenn man den konventionellen Lokaljournalismus besichtigt. Für die Misere gibt es Gründe. (4) Lokal-Redaktionen sind noch mehr als andere Ressorts im ökonomischen Schraubstock eingezwängt. Sie sollen viele Seiten mit wenig Personal
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produzieren; darunter leiden besonders freie Mitarbeiter mit geringem Zeilengeld. Wer voll für eine Lokalzeitung arbeitet, kommt nur knapp über das Hartz-4-Niveau, versichern Betroffene. Dieser Sparkurs wird sich meines Erachtens in Zukunft noch verschärfen. Der Trend geht in eine Richtung: noch mehr Übernahmen, noch mehr PRBeiträge, noch mehr Geschichten „kalt gemacht“ – vom Schreibtisch (vgl. Rhein-Zeitung, Jahrbuch BPB). (5) Lokal-Redaktionen im Spardiktat sind die Vorboten für Entwicklungen im klassischen Zeitungsjournalismus. Das hier erprobte „desk-Prinzip“ wird bald alle Ressorts beherrschen. Das heißt: ganz wenige, steuernde Redakteure dirigieren freie Mitarbeiter von ihrem „Tisch“ aus und konfektionieren die Ware gleich. Selbstverständlich auch für die Online-Angebote des Verlages. (6) Der konventionelle Lokal-Journalismus ist ein verkümmerter Journalismus, ein Passiv-Journalismus, der re-agiert und nicht agiert, der ein Telefonat mit einem Tipp-Geber mit Journalismus verwechselt und der nach der Devise agiert: Zeit ist Geld. Die meisten Geschichten werden nicht mehr vor Ort gemacht, beobachtet und recherchiert, sondern „kalt“ am Schreibtisch. (7) Die größte Gefahr im Lokalen ist der Trend zur Verschwisterung mit den kommunalen Eliten. Der Kernsatz eines populären Landrates einen Steinwurf von Bonn entfernt lautet: „Die schreiben, was ich will. Und sie schreiben auch das nicht, was ich nicht will.“ Selten drücken sich die kommunalen Politiker so klar aus. Die publizistische Macht der Verwaltungsspitze, der Kurdirektoren, der wichtigen Geschäftsleute und anderer „führenden Persönlichkeiten“ ist schier unbegrenzt. Sie sind die Stoff-Lieferanten, die man nicht verprellen darf, sie haben die Zugänge. Dieser Prozess macht im kommunalen Prozess starke Interessen stark und gleichzeitig schwache Bürger-Interessen noch schwächer. (8) Lokal-Journalismus bietet oft den redaktionellen Rahmen für die wirksame Entfaltung von werblichen Botschaften, sei es in Form von Anzeigen oder kaum verdeckter PR. Lokalzeitungen treten als Event-Veranstalter auf und berichten anschließend über die kommerziellen Angebote im eigenen Blatt. Die Nähe zur regionalen Wirtschaft und zur führenden Politik untergräbt nicht selten die Unabhängigkeit der Macher.
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Dieser Trend hat sich so stark entwickelt, dass sich kaum jemand mehr darüber aufregt. Abbestellungen sind die Folgen und die Auswanderung der Leser ins Internet. (9) Der Lokaljournalismus hat sich in den vergangenen Jahren boulevardisiert. Ein Macher sagt: wir arbeiten heute so, wie die Bild-Zeitung vor 15 Jahren. Sanfter Boulevard, mehr Aggression, mehr Service, mehr Optik. Die Titelgeschichten der Regionalblätter belegen diesen Trend. Der ökonomische Druck hat publizistische Bremsspuren hinterlassen. (10) Das Lokale ist abgestimmt auf einen Käufermarkt und leidet unter mangelnder publizistischer Konkurrenz. Der Markt ist aufgeteilt, nur noch selten konkurrieren zwei Verlage auf einem Markt. An den Orten wo sich neue Konkurrenz auftut, werden sogar neue Produkte geschaffen, wie etwa kostenlose Anzeigenblätter, die der Anzeigenkonkurrenz die Luft abschnüren sollen. Fazit: Die örtliche Betäubung hat gravierende Auswirkungen auf das Leben der Bürger in ihrem Nahbereich. Die Kommerzialisierung wird weiter fortschreiten, der klassische Journalismus wird in einer noch engeren Nische enden und das „langweilige“ Generalanzeiger-Prinzip mit obrigkeitshöriger Attitüde wird auch nicht aufzuhalten sein. Lösungsansätze (1) Ausweitung der Forschung in Verbindung mit den Auswirkungen auf die demokratische Öffentlichkeit und das Engagement der Bürger. (2) Aufwertung des Lokaljournalismus, Politisierung des Themas und Unterstützung aller Aktivitäten, die Verbesserung bewirken könnten. (3) Förderung von kleinen und größeren Gegengewichten in der kommunalen Publizistik. (Jenseits der Stadtmagazine, die ihren Höhepunkt hinter sich haben und heute eher zu Veranstaltungsblättern geworden sind.) (4) Förderung von Gegenöffentlichkeit durch die Präsentation von Protokollen, Berichten und Informationen aus dem kommunalen Alltag auf einer eigenen Website im Internet. Dies würde den Wettbewerb in der kommunalen Öffentlichkeit indirekt beflügeln.
Bericht über die Diskussion des Beitrags von Thomas Leif Von Sven Barnekow Diskussionsleiter Prof. Dr. Hans-Joachim Bauschke, Fachhochschule des Bundes, Mannheim, eröffnete mit einer Kritik am Korruptionsbegriff des Referenten Thomas Leif. Gerade im Zusammenhang mit den im Vortrag genannten Beispielen sei dessen Verwendung aufgrund der naheliegenden strafrechtlichen Konnotation problematisch. Zwar wiesen die erwähnten Handlungsprogramme der Bundesagentur für Arbeit (BA) teilweise Defizite auf, diese seien jedoch nicht mit Korruption in Verbindung zu bringen. Journalisten seien, so Bauschke, für die Auswirkungen ihrer Berichterstattung verantwortlich, daher plädiere er in diesem Fall für präzisere Begriffsdefinitionen durch den Referenten. Leif erwiderte mit Bezug auf die Handlungsprogramme der BA, dass der Vorwurf der Korruption dort durchaus gerechtfertigt sei: Die beiden Unternehmensberatungen Roland Berger und McKinsey hätten als Mitglieder der Hartz-Kommission die Handlungsprogramme mitgestaltet, in deren Rahmen sie später selbst als Auftragnehmer aufgetreten wären. Die Handlungsprogramme seien rechtswidrig, was auch der Bundesrechungshof mit deren Beurteilung als sozialpflichtverletzend bestätigt habe. Leif führte weiter aus, dass der Bundesrechnungshof auch ausgeführt habe, dass diese Verfahren nicht mit dem deutschen Vergaberecht vereinbar seien, nach dem die Auftragskonzeption und deren Ausführung getrennt werden sollten. Bauschke widersprach daraufhin, dass die von Leif konstatierten Rechtswidrigkeiten noch nicht den Tatbestand der Korruption erfüllten. Volkmar Gabcke, Leiter der Innenrevision der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, forderte den Referenten auf, Namen von Gebern und Nehmern öffentlich zu machen, damit die Innenrevision der BA tätig werden könne. Generell widersprach er jedoch der Aussage des Referenten, dass die Entwicklung und Durchführung der Handlungsprogramme durch dieselben Personen erfolgt sei. Gabckes Kenntnis nach seien diese von Mitarbeitern der BA entwickelt worden, wobei er eine Beteiligung der genannten Unternehmensberatungen jedoch nicht ausschließen mochte. Generell könne aber nicht von einer Entwicklung durch diese Firmen gesprochen werden. Leif bekräftigte darauf hin, dass das Vorgehen in den Bereichen Entwicklung und Umsetzung
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trotzdem problematisch sei. Dies zeige sich gerade in der Aktivierung mehrerer Kontrollgremien, die die Verfahren näher untersuchten. Harald Burkhart, Verwaltungsdirektor beim Gemeindetag Baden-Württemberg, Stuttgart, nahm die Aussagen Leifs zur Dunkelziffer im Bereich der Korruption auf und forderte vom Referenten konkrete Zahlen zu deren Höhe, damit sich ihre Erwähnung rechtfertigen lasse. Dies würde häufig bei der pauschalen Erwähnung von Dunkelziffern vernachlässigt. Wolfgang Zacher, Regierungsrat im bayerischen Staatsministerium des Innern, München, widersprach dem Referenten in seiner Einschätzung der Rechtswidrigkeit der diskutierten Beispiele. Wenn demnach ein Unternehmen heute gleichzeitig in beratender Funktion bei der Auftragsgestaltung und als Auftragnehmer tätig sei, so sei der Vorwurf der Rechtswidrigkeit durch aktuelle EuGH-Rechtssprechung sowie durch die Änderung der Vergabeverordnung obsolet. Gleichzeitig zweifelte er in seinen Ausführungen die These Leifs an, dass sich die Kommunalpolitik der Verwaltung unterordne. Gespräche mit bayerischen Gemeindebediensteten im Rahmen von Vergabeseminaren hätten Zacher eher das Gegenteil bestätigt. Demnach würden sich Gemeindemitarbeiter mit Blick auf mögliche Sanktionen, insbesondere mit Blick auf ihre Beförderungsmöglichkeiten, nicht trauen, unangreifbare Vergabeverfahren ohne weitere Beeinflussbarkeit durch Gemeinde oder Bürgermeister durchzuführen. Man könne daher eher von einem starken Einfluss der Politik auf Beförderungsmöglichkeiten sprechen, der sich gerade in Vergabeverfahren zeige. Hans-Albert Kwasny, Städtischer Oberverwaltungsrat, Herne, leitete aus den Aussagen des Referenten ab, dass dessen Einschätzung zufolge die gesamte Kommunalverwaltung korrupt sei. Er zweifle insbesondere die Aussagen des Referenten zur Ausschaltung von Wettbewerb bei Ausschreibungsverfahren an. VOL und VOB machten sehr konkrete Vorgaben bei Ausschreibungen. Mit Bezug auf den Beitrag Zachers merkte er an, dass die Einhaltung dieser Vorgaben in Nordrhein-Westfalen dem Rechnungsprüfungsamt obliege und nicht wie in Bayern von der Entscheidung des Bürgermeisters abhängig sei. Trotzdem seien jedoch gerade im EU-Vergaberecht Probleme offensichtlich. Kwasny gab in diesem Zusammenhang das Beispiel einer Ausschreibung von Schulbüchern, die im Ergebnis aufgrund von spezifischen Mengenrabatten bei allen Bietern zu kaum unterscheidbaren Ergebnissen führen würden. Dr. Wolfgang Hetzer, Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), Brüssel, gab zu bedenken, dass der vom Referenten eingeführte Begriff des „Verlustes der kritischen Masse“ bei der Beobachtung und Beurteilung der Leistungen der Politik als Euphemismus zu bezeichnen sei. So seien mittlerweile 75 % der Bevölkerung der Auffassung, die Politik
Bericht über die Diskussion des Beitrags von Thomas Leif
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könne keine Probleme mehr lösen. Die Frage sei nun, welche politischen Konsequenzen aus dieser Aushöhlung der demokratischen Substanz zu ziehen seien. Darüber hinaus pflichtete Hetzer den Aussagen des Referenten zur mangelnden Elitenrekrutierung, Suggestion von funktionierenden Kontrollinstanzen und der Existenz von Honoratioren-Systemen bei. Nach einer kritischen Bemerkung zu den Aussagen des Referenten bezüglich des Qualifizierungsniveaus von Politikern äußerte sich Hans Georg Junginger, Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg, Stuttgart, zum Fallbeispiel der Vorgänge im Ortenau-Kreis. Leif habe suggeriert, hier würde niemand etwas dagegen unternehmen. In Baden-Württemberg seien aber Gesetzesentwürfe mehrerer Fraktionen erarbeitet worden, die sich der Problematik annähmen und das Ziel verfolgten, Transparenz zu schaffen. Man habe sich laut Junginger im Landesparlament nun auf einen Entwurf geeinigt, nach dem als Vorteilsnahme zu bewertende Handlungen ohne Genehmigungen des Gemeinderates zukünftig nicht mehr möglich seien. Leif nahm bei der Beantwortung der Beiträge zunächst auf Burkhart Bezug. Eine pauschale Kritik an den Begriffen Dunkelziffer bzw. Dunkelfeld sei nicht angebracht, auch Strafverfolgungsbehörden würden mit dieser Begrifflichkeit arbeiten. Mit Blick auf die Bemerkung Zachers, seine Aussagen zur Rechtswidrigkeit der Beteiligung von Unternehmensberatungen bei Auftragsgestaltung und -ausführung seien durch Gesetzesänderungen und die jüngste Rechtsprechung obsolet, verwies Leif auf die Prüfungsergebnisse des Bundesrechungshofes und mehrerer Ausschüsse. Diese seien zu anderen Ergebnissen gekommen. Außerdem gebe es verschiedene Auffassungen von Recht. Für seine Einschätzung des Falls spreche zudem die interne Bewertung einer Unternehmensberatung, die das einschlägige Kapitel in seinem Buch als „heikelste Passage“ bezeichnet habe. Leif bemerkte zum Machtverhältnis von Politik und Verwaltung weiterhin an, dass es grundsätzlich einen politischen Primat gebe, die Tendenz zugunsten der Verwaltung jedoch eindeutig sichtbar und auch empirisch belegt sei. Generell sei die konkrete Macht der Ministerialbürokratie aber ein schwer zu erforschender Gegenstand. Die Aussage Kwasnys, Leif halte offenbar die gesamte Kommunalpolitik für korrupt, wies dieser deutlich zurück. Er habe vielmehr Tendenzen additiv aufgelistet, um einen kritischen Impuls zu setzen. Auch könne er nicht erkennen, dass Vergabeverfahren überall optimal funktionierten, dies würden negative Beispiele aus Wuppertal und Köln belegen. Ein Gutachten des Bundesrechnungshofes habe gezeigt, dass in den Ländern z. B. bei der Vergabe von Gutachten und Studien häufig noch über 90 % freihändig vergeben würden. Die Verwaltung wisse demnach häufig nicht, was sie genau wolle und lasse Willkür bei der Auftragsvergabe walten. Zum ersten Punkt des Beitrags von
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Junginger äußerte Leif, dass es unübersehbare Probleme bei der Rekrutierung von Politikern gebe. Man könne hier von einer Zwei-Klassen-Szenerie sprechen: Es gebe zum einen profilierte Fachpolitiker, zum anderen die richtigen Politiker für das Gewinnen von Wahlkreisen. Anton Kilger, München, bestätigte die Aussagen Leifs zur Dominanz der Verwaltung über die Politik. Die Politik sei auf kommunaler Ebene nicht in der Lage, alle Anträge nach den Vorgaben der Verwaltung abzuarbeiten. Kilger nannte für die kommunale Ebene das Beispiel der Antragsbearbeitung in Unterausschüssen, die z. B. im Bereich Bauen und Planen nicht über ausreichendes Fachwissen verfügen könnten. Die Stadträte und damit die Kommunalpolitik seien dadurch gegenüber dem Verwaltungshandeln machtlos. Bauschke stellte die Frage, wann und nach welchen Kriterien der Journalismus das Thema Korruption aufgreife. Leif antwortete, dass die journalistische Arbeit in diesem Bereich auf den Kontakt und die gute Kooperation mit Staatsanwälten und Revisionsabteilungen angewiesen sei, die ein demokratisches Bewusstsein besäßen. Als Beispiel nannte er den Fall eines Sparkassendirektors aus Rheinland-Pfalz, der widerrechtlich hohe Überziehungskredite der Sparkasse für Immobiliengeschäfte genutzt habe. Dieser sei jedoch bisher durch den Sparkassendachverband geschützt worden, um nicht die Frage in der Öffentlichkeit aufzuwerfen, warum die Kontrollgremien nicht funktionierten. Darüber hinaus behindere die Angst um kollegialen Druck die Aufdeckung von Korruption. Nach Leif sei es ein Spezifikum der Korruptionsberichterstattung, dass ohne Ankläger journalistische Arbeit kaum möglich sei. In der Tendenz seien leider auch immer weniger Menschen bereit, die Risiken des Whistleblowers zu tragen, da der genannte Druck offenbar gestiegen sei. Mit Bezug zur Diskussion des Beitrags von Hans Herbert von Arnim bemerkte Stefan Kuhn, Referent für Rechtspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Berlin, die begriffliche Definition der Korruption sei schon als Teil einer Verschleierung zu sehen, die das soziale Phänomen durch die Betonung der engen strafrechtlichen Begrifflichkeit zu verwischen suche. Leif nahm diese Äußerung zum Anlass, nochmals auf Bauschkes Kritik an seiner Korruptionsdefinition einzugehen. Als Publizist reduziere er Korruption begrifflich nicht auf strafrechtliche Aspekte. Er verstehe unter dem Begriff vielmehr problematisches Verhalten, das in der Folge zur Erfüllung strafrechtlicher Tatbestände führen könnte. Leif betonte abschließend die Bedeutung eines politischen Korruptionsbegriffes; das Aufzeigen problematischer Tendenzen habe auch präventive Wirkung.
Korruption im Arzneimittelmarkt Von Peter S. Schönhöfer I. Einleitung Die pharmazeutische Industrie hat weltweit unter der neoliberalen Wirtschaftsideologie einen strukturellen Wandel durchgemacht, der zu gravierenden Qualitäts- und Innovationsdefiziten geführt hat und der sich als Folge gravierender struktureller Fehlentscheidungen des Pharma-Managements dokumentiert. Deutschland ist von den Veränderungen in der Pharmaindustrie besonders betroffen. Weltfirmen wie HOECHST, BEHRINGWERKE, BOEHRINGER MANNHEIM, KNOLL als Pharmasparte der BASF verschwanden, ebenso viele bekannte mittelständige Unternehmen wie KLINGE PHARMA, ADENYLCHEMIE, GÖDECKE, MACK und PHARMACIA. BAYER geriet infolge des selbst verschuldeten Lipobay-Skandals in Existenznöte. Dies alles geschah nicht infolge von staatlich zu verantwortender Standortnachteile, denn in den 80er und 90er Jahren war Helmut Kohl Bundeskanzler, dessen politischer Aufstieg eng mit der Pharmaindustrie vor Ort, vor allem mit der BASF verknüpft war. II. Ursachen der Innovationsschwäche der Pharmaindustrie Strukturelle Veränderungen in der Pharmaindustrie, die auf Managemententscheidungen beruhen, führen in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einem Austausch der Wissenschaftler auf der Führungsebene (CEO) durch Wirtschaftler und Marketingvertreter. Damit geht auf der Leitungsebene ein Verlust an Kompetenz für Innovationen und Forschungsprobleme einher. Kurzfristige Rendite und Prämien bestimmen das Handeln der CEO, langfristige innovative Forschungsprojekte werden nicht mehr aufgegriffen, weil die Erfolge wegen der kurzfristigen CEO-Verträge nur noch dem Nachfolger nutzen könnten. Das führt zu einem drastischen Einbruch der innovativen Qualität. In den 80er Jahren wird diese Entwicklung verstärkt durch die Einsparung der eigenen Grundlagenforschung aus Kostengründen. Die Dramatik dieser Entwicklung wird am Beispiel der HOECHST AG deutlich: 1984 ist die Firma noch der weltweit größte Arzneimittelhersteller. Nach Abschaffung der eigenen Grundlagenforschung zur Steigerung des „Shareholder Value“ sind schon 5 Jahre später die „Pipelines“ leer, also keine neuen
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Produkte mehr vorhanden, und 10 Jahre später gibt es auch keine Firma HOECHST mehr. Auch die in den 80er Jahren durchgeführte Verlagerung der eigenen Forschung und Entwicklung (FuE) bei HOECHST und BAYER von dem angeblich so schlechten Forschungsstandort Deutschland in die mutmaßlich so innovativen USA bleibt ohne Erfolg, und 5 Jahre später werden deshalb diese Dependancen still und leise wieder aufgegeben. Von dieser kostenträchtigen Verlagerung bleibt als Folge ein massiver Verlust an Wissenschafts- und Forschungskompetenz an den deutschen Standorten, der sich in teuren und ineffektiven scheininnovativen Entwicklungen manifestiert und durch zur Kompensation angemietete Beratungsfirmen (Contract Research Organisations, CRO) nur verschlimmbessert wird. Fazit 1: Faktisch wurde seit den 80er Jahren durch Abbau der eigenen Forschung der FuE-Etat der „forschenden“ Unternehmen auf jetzt etwa 10 % des Umsatzes herunter gefahren, während der Marketingetat auf 40 % stieg.
III. Scheininnovationen als Ausdruck der strukturellen Innovationsdefizite Die Produktentwicklung wird auf Krankheiten bei Menschen in den Industrieländern eingeengt, weil nur diese die geforderten Arzneimittelpreise zahlen können. Nicht mehr neue Behandlungsstrategien gegen Krankheiten, sondern Umsatz bei möglichst vielen Menschen sind das Ziel. Man beobachtet die Konkurrenz. Falls die ein erfolgreiches Produkt hat, wird schnell und billig ein ähnliches „Me-too“ kreiert, um Umsatzanteile abjagen zu können. Insgesamt richtet sich die Produktentwicklung aus Kostengründen fast nur noch auf den Nachbau bekannter Wirkprinzipien, also auf Scheininnovationen, gleichgültig ob es sich um klassische Wirkstoffe oder preiswert am Syntheseautomaten zusammengebastelte Biologicals handelt. Das Ausmaß der Innovationsschwäche der Pharmaindustrie weltweit lässt sich an folgenden Zahlen abschätzen: • Seit 1990 wurden von der Pharmaindustrie bis heute etwa 450 neue Wirkstoffe (NME) in den Markt gebracht. • Davon sind nur 7 echte Innovationen, die die Lebenserwartung vieler Kranker verbessern, und zwar 4 innovative Wirkstoffe gegen Arteriosklerose, HIV-Infektionen, Erbrechen durch Chemotherapie und bestimmte Blutkrebsformen und 3 innovative Behandlungsstrategien mit bekannten Wirkstoffen, also neue Anwendungsgebiete, zwei zur Behandlung von Herzversagen (ACE-Hemmer und Betablocker) und eine zur Ausheilung von Magen-Darmgeschwüren (Protonenpumpenhemmer plus Antibiotika).
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• Etwa 25 Wirkstoffe sind Schrittinnovationen, die eine limitierte Verbesserung der Therapie in der Klinik oder bei kleinen Patientengruppen bewirken. • Mehr als 90 % aller neuen Wirkstoffe beinhalten keine relevante Verbesserung der Therapiechancen. Sie verteuern aber als Scheinneuheiten die Therapie oft um das 3- bis 10-fache. Nur deshalb werden sie entwickelt und in den Markt gedrückt. Fazit 2: Das Leistungsniveau der Pharmaindustrie hat sich auch 2005 nicht verbessert. Von den 21 neuen Wirkstoffen ist bestenfalls einer eine fragliche Schrittinnovation, der Rest sind Scheininnovationen ohne therapeutischen Vorteil, auch wenn 10 dieser Produkte formal als Neuheiten mit therapeutischer Relevanz beschrieben werden.1 IV. Scheininnovationen als Einfallstore der Korruption im Arzneimittelmarkt Scheininnovationen können sich im Qualitätswettbewerb mit Konkurrenzprodukten nicht durchsetzen, weil sie keine therapeutischen Vorteile besitzen. Das Marketing kann deshalb angebliche Vorteile nur mittels Korrumpierung der Fachkreise, also mittels Bestechung, Kickbacks oder anderer Vorteilsgewährung verbreiten. Dazu dienen: 1. Manipulationen oder Fälschungen von Studiendaten und -ergebnissen Studien werden durch Manipulationen des Designs oder durch nachträglich durchgeführte Datenselektion so verfälscht, dass ein Vorteil vorgetäuscht wird. Für solche scheinbaren Vorteile wird auch der Tod von Studienpatienten in Kauf genommen: • Als Beispiel kann die PROactive-Studie gelten, mit der bewiesen werden sollte, dass der neue Wirkstoff Pioglitazon (Actos) Diabetiker vor den typischen Diabetes-Risiken Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod besser schützt als die bisherige Behandlung.2 Der Nachweis gelang nicht, also wurden unzulässigerweise nachträglich Patientengruppen so ausgewählt, dass noch 1 Schwabe, U. / Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2006. Springer Medizin Verlag Heidelberg 2007, S. 47. 2 Dormandy, J. et al.: Secondary prevention of macrovascular events in patients with type 2 diabetes in the PROactive study: a randomised controlled trial. Lancet 2005; 366: 1279–89.
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ein angeblicher Vorteil resultierte.3 Außerdem wurde verschleiert, dass zudem noch unter der Behandlung mit Pioglitazon 3 % der Patienten ein Herzversagen erlitten. Trotzdem werben der Hersteller und die von der Firma bezahlten Experten mit der Behauptung, Pioglitazon schütze Diabetiker vor Herz-Kreislauferkrankungen. • Auch bei der Zulassung werden Studien manipuliert. AVENTIS / SANOFI verschweigt in der Publikation einer Zulassungsstudie für Insulin glargin (Lantus) die Beobachtung von vermehrten Netzhautschädigungen und -blutungen,4 so dass dieses erhöhte Risiko in der offiziellen Information zur Zulassung (EPAR) unerwähnt bleibt. • Besonders bedenklich sind die Manipulationen in der Comet-Studie, mit denen die Firma ROCHE die angebliche Überlegenheit ihres Betablockers Carvedilol (Dilatrend) gegenüber dem Marktführer Metoprolol (Beloc) bei Herzversagen belegen wollte.5 Um ihr Produkt zu begünstigen, wird diese Behandlungsgruppe mit der Maximaldosis von Carvedilol behandelt, die Vergleichsgruppe mit Metoprolol aber nur mit der halbmaximalen Dosis von Metoprolol.6 Während die Comet-Studie läuft, wird eine Vergleichsstudie mit der halbmaximalen und maximalen Dosierung von Metoprolol deshalb abgebrochen, weil sich zeigt, dass in ersterer Gruppe mehr Patienten versterben.7 Auch als die Daten der MERIT-HF veröffentlicht werden, brechen ROCHE und die von ROCHE finanzierten Studienärzte die Comet-Studie nicht ab – wie es die Deklaration von Helsinki in solchen Fällen bindend vorschreibt – und das kostet in der Metoprololgruppe bis zu 88 Patienten zusätzlich das Leben, weil das ROCHE-Marketing angebliche Vorteile von Dilatrend beweisen will. Dieses skandalöse Verhalten, das den Tod von Patienten für die Profilierung des eigenen Produkts in Kauf nimmt, wird nicht sanktioniert, weder von der zuständigen Ethikkommission der Universität Freiburg noch von der zuständigen Landesbehörde in Baden-Württemberg oder der zuständigen Staatsanwaltschaft.
3 NN: PROactive-Studie: Klinischer Nutzen von Pioglitazon (Actos) belegt? Verdacht auf Datenmanipulation. arznei-telegramm 2005; 36: 95–6. 4 NN: Verschlechterung von Retinopathien unter Insulin glargin (LANTUS). arznei-telegramm 2004; 35: 123. 5 Poole-Wilson, P. A. et al.: Comparison of carvedilol and metoprolol on clinical outcomes in patients with chronic heart failure in the Carvedilol Or Metoprolol European Trail (COMET) randomised controlled trial. Lancet 2003; 362: 7–13. 6 NN: COMET für das Marketing: Carvedilol vs. Metoprolol bei Herzinsuffizienz. arznei-telegramm 2003; 34: 74–5. 7 NN: Effect of metoprolol CR / XL in chronic heart failure: Metoprolol CR / XL Randomised Intervention Trial in congestive Heart Failure (MERIT-HF). Lancet 1999; 353: 2001–7.
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Fazit 3: Ausmaß und Art der Manipulationen und Fälschungen von klinischen Studien nehmen rasant zu, da sowohl die Selbstkontrollmechanismen in der Medizin und der Wissenschaft wie auch die staatliche Aufsicht versagen und selbst die geschilderten kriminellen Aktivitäten ungehindert bleiben. Es erscheint zwingend erforderlich, dass Staatsanwaltschaften und Gesetzgeber auch auf diesem Gebiet den Schutz der Patienten nicht nur vor korruptiven, sondern auch vor kriminellen Aktivitäten des Pharma-Marketings umsetzen. 2. Krankheitserfindung (Disease Mongering) Da Gesunde den höchsten Anteil der Bevölkerung bilden, werden sie zunehmend Marketingziel. Mittels üblicher Laborwerte, die von angemieteten Experten und Fachgesellschaften als krankhaft umdefiniert werden, werden Gesunde zu Kranken gemacht (Disease Mongering), um diese dann mit speziell dafür konstruierten Produkten „behandeln“ zu können (z. B. vegetative Dystonie, Hormonersatzbehandlung in den Wechseljahren, Osteoporose-Diagnosen mittels Knochendichtemessung, Diagnose einer angeblichen mit Viagra behandlungspflichtigen sexuellen Dysfunktion bei Frauen, kurzwirksame Insulinanaloga u. a.).8 Fazit 4: Für die Gewinnung von Umsatz mittels erfundener Krankheiten werden mit dem Geld des Pharma-Marketings der Wissenschaftsprozess in der Medizin, in Fachgesellschaften und in Berufsverbänden qualitativ korrumpiert. 3. Desinformation der Fachkreise Die Strategien des Pharma-Marketings zur gezielten Desinformation der Fachkreise mittels angemieteter und korrumpierter Experten, Meinungsbildner oder Berufverbandsfunktionäre lassen sich beispielhaft anhand der Vorgänge zur Hormonersatztherapie bei Frauen nach den Wechseljahren verdeutlichen. Sie werden aber auch gegenüber hochrangigen Entscheidungsgremien wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) eingesetzt, wie die öffentlichen Kampagnen zugunsten der kurzwirksamen Insulinanaloga gezeigt haben. • Im Juni 2002 wurde die WHI-Studie nach 5 Jahren abgebrochen, weil sich bei postmenopausalen Frauen unter der Hormonersatztherapie (HRT) eine 30 %ige Zunahme von Brustkrebs, Herzinfarkten und Schlaganfällen zeig8 NN: Sickness sells: Pharmamarketing setzt auf veränderte Wahrnehmung von Krankheiten. arznei-telegramm 2002; 33: 71–2.
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te.9 Im Juli erhielten mehr als 11.000 Frauenärzte in Deutschland einen Brief von Prof. Teichmann, Funktionär des Berufsverbandes der Frauenärzte, in dem die Brustkrebsgefahr geleugnet und der 30 %ige Anstieg der Herzinfarkte mit der Aussage „eine Senkung der Herzinfarkte findet nicht statt“ verfälscht wurde.10 Im September musste Teichmann unter öffentlichem Druck zugeben, dass nicht er, sondern das Marketing der Firma SCHERING den Brief verfasst und versandt habe. Wie ethisch defizitär und skrupellos das SCHERING-Management mit möglichen Gesundheitsrisiken für Frauen durch seine Produkte zur Hormonersatztherapie umgeht, dokumentiert sich auch in der Tatsache, dass die Firma noch zu einem Zeitpunkt ein derartiges Produkt neu in den Markt drückt, als diese weltweit wegen der Brustkrebs erzeugenden Wirkung verlassen wird, und zudem noch mit einer Hochdosis, die die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA nicht mehr akzeptierte.11 Fazit 5: Die Vorgänge um die Hormonersatztherapie sind typisch sowohl für skrupellose Aktionen und Falschaussagen des Pharma-Marketings wie auch für die distanzlose Unterstützung derartiger Machenschaften der Firmen seitens angemieteter oder korrumpierter Experten oder Professoren. Ärzte und Patienten, die sich auf Aussagen von Firmen oder firmennaher Experten verlassen, werden dabei skrupellos getäuscht und missbraucht. 4. Beeinflussung von Leitlinien und Beratungsgremien Die Korrumpierung von Autoren für Therapie-Leitlinien und von Experten in behördlichen Beratungsgremien ist ein wesentliches Ziel des Pharma-Marketings, da durch die Nennung eigener Produkte in entsprechenden TherapieLeitlinien der Umsatz garantiert und durch Fürsprache von offiziellen Beratern umsatzschädliche Maßnahmen von Behörden oft unterdrückt werden können: • Im Jahre 2002 wurden 200 kanadische Autoren von 44 Leitlinien für unterschiedliche Behandlungen zu Kontakten zur Pharmaindustrie befragt.12 87 % hatten Beziehungen zu den Herstellern, 58 % gaben die Annahme von 9 Writing Group for the Women’s Health Initiative Investigators: Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: Principal results from the Women’s Health Initiative randomised trial. JAMA 2002; 288: 321–33. 10 NN: Frauenarztverbände in der Hormondiskussion: Leider keine Satire. arzneitelegramm 2002; 33: 97–8. 11 NN: ANGELIQ zur Hormonsubstitution: „Niedrig dosierte“ Hochdosiskombination. arznei-telegramm 2004; 35: 101–2. 12 Choudary, N. K. et al.: Relationships between authors of clinical practice guidelines and the pharmaceutical industry. JAMA 2002; 287: 612–7.
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Forschungsgeldern an, 38 % hatten Honorar- oder Beraterverträge. Zahlreiche Experten hatten Beziehungen zu mehr als 10 Firmen. Bei TherapieLeitlinien mit hohem Anteil an Arzneimitteln, etwa Diabetes, fand sich kein Autor ohne Beziehungen zur Pharmaindustrie. Diese Angaben wurden unlängst aus den USA bestätigt.13 Vor dem Hintergrund solcher Interessenkonflikte durch Sponsoring wird auch das Agieren der Deutschen Diabetesgesellschaft oder des Deutschen Diabetikerbundes in der Diskussion über die kurzwirksamen Insulinanaloga verständlich. • Im Februar 2005 stimmte die 32-köpfige Beraterkommission der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA für rheumatische Erkrankungen darüber ab, ob die 3 neuen Schmerzmittel Celebrex, Bextra und Vioxx trotz der Hinweise auf verstärkte herzschädigende Wirkungen auf dem Markt bleiben können. Für alle Produkte war das Votum positiv, auch für die besonders bedenklichen Mittel Bextra und Vioxx. Kurz darauf berichtete die Presse, dass 10 der 32 Mitglieder vorher nicht bekannte finanzielle Verflechtungen mit den Herstellern der Produkte hatten.14 Wären sie wegen der Interessenskonflikte von der Abstimmung ausgeschlossen worden, hätte für Bextra und Vioxx das Votum nicht gereicht. Nachdem die Debatte öffentlich geworden war, forderte auch die FDA die Hersteller beider Produkte auf, diese vom Markt zu nehmen. Fazit 6: Die Beispiele zeigen, dass es der Pharmaindustrie erschreckend weit gelungen ist, sowohl wissenschaftliche wie auch administrative Kontrollinstitutionen mit willigen Helfershelfern zu infiltrieren und zu korrumpieren, zum Schaden der Qualität der medizinischen Versorgung und zum Nutzen für ihre Profite. 5. Anwendungsbeobachtungen: Kauf von Verordnung bei niedergelassenen Ärzten Etwa 600 bis 700 Anwendungsbeobachtungen (AWB) mit einem finanziellen Aufwand von bis zu einer Milliarde € werden jährlich von Pharmavertretern in Arztpraxen und Kliniken gestreut, um Ärzte gegen Geld zur Verordnung von teuren Produkten zu veranlassen.15 AWB sind ohne jeden wissenschaftlichen Wert bei Produkten, die bereits 5 oder 10 Jahre auf dem Markt sind. Ihre Ergebnisse werden in der Regel weder systematisch ausgewertet 13
NN: Leitlinien im Interessenskonflikt. arznei-telegramm 2005; 36: 101. NN: Kardiotoxizität von Cox-2-Hemmern: Erneut Daten unterdrückt, Klasseneffekt bestätigt. arznei-telegramm 2005; 36: 25–6. 15 NN: Bis zu eine Milliarden Euro jährlich für Anwendungsbeobachtungen? arznei-telegramm 2006; 37: 93–4. 14
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noch veröffentlicht. Sie sind ein Marketing-Instrument zur Umsatzsteigerung: • Das Mittel gegen Magen-Darmgeschwüre Esomeprazol (Nexium) ist mit 3.9 Mio Verordnungen im Werte von 269 Mio € unter den 5 in Deutschland am häufigsten verordneten Arzneimitteln. Trotzdem führt der Hersteller ASTRAZENECA im Jahre 2005 mit dem 5 Jahre alten Produkt noch AWB bei mehr als 22.000 Ärzten durch. Für etwa 200.000 neue Verordnungen erhalten die Ärzte etwa 20 Mio €, während die Firma durch die neuen Verordnungen im Jahr etwa 60 Mio €, also das Dreifache einnimmt. Für den Patienten bzw. die Versichertengemeinschaft verteuert sich die Behandlung bei Umstellung von Omeprazol (Ome TAD) auf Esomeprazol (Nexium) von 240 € auf 320 €, ohne Zugewinn an therapeutischem Nutzen. • Die Firma MSD meldet 2005 für ihr 4 Jahre altes Ezetimib in der Kombination Inegy monatlich AWB bei etwa 7.300 Ärzten an. Für die etwa 70.000 Neuverordnungen erhalten die Ärzte etwa 7 Mio €. Die Firma nimmt dafür pro Jahr etwa 50 Mio € ein, also das 7-fache. Für den Patienten bzw. die Versichertengemeinschaft verteuert sich die Behandlung bei Umstellung von Simvastatin (Simvadura) auf Inegy von 220 € auf 720 €, also um mehr als das Dreifache, ohne fassbaren Zugewinn an therapeutischem Nutzen. Fazit 7: Anwendungsbeobachtungen dienen dem Kauf von Verordnungen. Sie sind für die Warenanbieter hoch profitabel. Die Einnahmen übertreffen die Aufwendungen für die Schmiergeldzahlung um ein Vielfaches. AWB als Instrument für die Bestechung von Ärzten sind zu verbieten.
6. Rabatte: Kauf von Bestellungen bei Apothekern Seit der Aufhebung des „aut idem“ Verbots sind Apotheker für die Warenanbieter interessant, weil sie die Produktauswahl beeinflussen können. Entsprechend nehmen die Strategien der Vorteilsgewährung zu, um Apotheker als Unterstützer der Firmen zu gewinnen. Das Beispiel RATIOPHARM legt die dabei verwendeten Strategien der Gewährung von Kickbacks offen, etwa mittels Naturalrabatten und anderen Wohltaten.16 Fazit 8: Bei der Anhörung des Deutschen Bundestages zum AVWG wurde mitgeteilt, dass die Vorteilsgewährungen an Apotheker und andere Beteiligte in der Vertriebskette ebenfalls die Größenordnung von einer Milliarde Euro erreichen.
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Grill, M.: Ratiopharm: Der Pharma-Skandal. Stern 46 / 2005, S. 228–42.
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7. Nutzung von Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen als Verkaufsagenten Vorteilsgewährungen an Patientenorganisationen dienen nicht nur dazu, diese als „Pressure“-Gruppen gegenüber der Politik, der Justiz und den Krankenkassen für die Übernahme von Arzneimittelkosten streiten zu lassen, sondern auch dazu, Patienten den Off-label-Gebrauch von Produkten anzuraten, für den die Hersteller selbst nicht werben dürfen.17 Funktionäre der Selbsthilfegruppen und eingeschleuste Firmenmitarbeiter werden als Marketing-Agenten eingesetzt. Sie dienen auch dazu, vor Sozialgerichten für „Betroffene“ Urteile zu Off-label-Gebrauch zu erstreiten, die bei Urteilen zur Kostenübernahme durch die Kassen überwiegend dem finanziellen Interesse des Herstellers nützen. Ein Nutzen in Form eines Überlebensvorteils für die Patienten steht dabei meist gar nicht zur Debatte, wie das Beispiel Trastuzumab (Herceptin) zeigt.18 Fazit 9: Durch das Geld der Pharmaindustrie werden zahlreiche Selbsthilfeorganisationen zu distanzlosen Marketing-Agenten der Pharmaindustrie umfunktioniert. V. Materieller Umfang der Vorteilsgewährung Die pharmazeutische Industrie wendet für die innovative Forschung nicht mehr als 10 % des Umsatzes auf, aber 40 % für das Marketing. Hinzu kommen noch etwa 20 % bis 25 % als Profitmarge dieser Industrie, so dass einem Aufwand von 60 % bis 65 % für Marketing und Share-holder Value eine Investition nur von 10 % für Forschung gegenüber steht. Forschungskosten sind also entgegen der Behauptungen der Pharmaindustrie ein nur nachrangiger Kostenfaktor. Im Jahre 2001 nahm die Pharmaindustrie aus dem deutschen Markt der ärztlich verordneten Arzneimittel etwa 13 Milliarden € ein. Der Anteil des Marketings betrug etwa 5.5 Mrd. €. Davon entfielen auf Pharmareferenten etwa 2 Mrd. €, auf die Finanzierung und damit Beeinflussung ärztlicher Fortbildung (Kongresse, Tagungen, Veranstaltungen) etwa 1.5 Mrd. €, auf Anwendungsbeobachtungen etwa 1 Mrd. €, auf Entgelte für Meinungsbildner und für Journalisten bzw. Advertorials je 0.5 Mrd. €.
17 Keller, M.: Geben und einnehmen. DIE ZEIT (Dossier) 21 / 2005 vom 19.05.2005. 18 NN: Trastuzumab (Herceptin) in der adjuvanten Brustkrebstherapie. arznei-telegramm 2005; 36: 96–8.
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Fazit 10: Die Pharmaindustrie wendete 2001 in der Größenordnung von mindestens 3 Mrd. Euro auf, um durch Vorteilsgewährung die Auswahlprozesse für Arzneimittelverordnungen zu Gunsten von teuren Scheininnovationen zu beeinflussen, die sich bei qualitätsorientierter Auswahl nicht hätten durchsetzen können. Das Pharmamarketing korrumpiert somit gezielt die optimale Arzneimittelversorgung und schädigt die Gesundheitsversorgung. VI. Mögliche Gegenmaßnahmen Gegenmaßnahmen sind auf vielen Ebenen erforderlich, insbesondere • die Einführung von Verhaltenskodizes für Experten, Berater, Funktionäre der Selbstverwaltungen etc., • die Offenlegung finanzieller Beziehungen und Verträge, • die Offenlegung von Interessenskonflikten bei allen fachlichen Aussagen, • die Schaffung von externen Korruptionsbeauftragten mit staatsanwaltlichen Befugnissen. Öffentlichkeit, Politik und Gesetzgeber sind gefordert für die Durchsetzung von transparenten Strukturen durch • Schaffung eines einheitlichen, öffentlich zugänglichen Registers aller klinischen Studien, • Schaffung einer schwarzen Liste korrumpierender Unternehmen, • Schaffung einer schwarzen Liste korrumpierter Experten, Meinungsbildner etc., • Gleichsetzung von Verbandsfunktionären und Privatpersonen mit Amtsträgern bei Vorteilsnahme und Bestechung. VII. Zusammenfassung Solange das Pharma-Marketing und seine wohl alimentierten wissenschaftlichen Helfershelfer weiterhin ungestraft und ungehemmt klinische Studien und Sicherheitsdaten manipulieren und fälschen, Desinformationen verbreiten, Fachgremien korrumpieren, Verordnungen mittels scheinwissenschaftlicher Studien oder Rabatten kaufen sowie Selbsthilfeorganisationen mittels Sponsoring als Marketing-Agenten missbrauchen können und dürfen, wird sich an den korruptiven Praktiken der Firmen nichts ändern, auch wenn dadurch nicht nur die Kosten, sondern auch die gesundheitlichen Gefahren für Patienten steigen.
Bericht über die Diskussion des Beitrags von Peter S. Schönhöfer Von Carolin Tegeler Nachdem Christoph J. Schmidt-Rose, Ministerialrat im Thüringer Innenministerium, Erfurt, als Diskussionsleiter im Anschluss an den Vortrag von Herrn Schönhöfer die Diskussion eröffnet hatte, meldete sich Siegfried Lessing-Wenzel, Renewable Energy Systems, Sonneberg, zu Wort. Er gab an, das Engagement des Referenten, den er als eine Inkarnation des vervollständigten Wissens über das Korruptionssystem der Pharmaindustrie würdigte, schon seit Jahren zu verfolgen. Er warf mit Blick auf die umfangreiche Straßenverkehrsordnung die Frage auf, aus welchem Grund es keine „Verkehrsordnung“ für die Pharmaindustrie gebe, für einen Bereich also, in dem direkt mit Menschenleben gespielt werde. Schönhöfer berichtete hierauf von seiner Tätigkeit als früherer Leiter des Bereichs Risikoabwehr im Bundesgesundheitsamt, dem Vorläufer der heutigen Aufsichtsbehörde. Damals sei von der Möglichkeit, gefährliche Arzneimittel vom Markt zu nehmen und zu verbieten, noch tatsächlich Gebrauch gemacht worden, was in der Pharmaindustrie für großen Aufstand gesorgt habe. Heute gebe es diese Marktrücknahmen nicht mehr. Als Grund gab er den fehlenden Rückhalt durch die politischen und fachlichen Organe an, die den Druck der Pharmaindustrie auf die Behörden nicht abfangen würden. Das Gesetz zur Errichtung einer Deutschen Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur (DAMA) beschrieb er als die formelle Selbstauflösung der Aufsichtsbehörden, die eigentlich nach Polizeirecht zum Eingreifen verpflichtet wären. Die Aufsicht solle jetzt von einer durch die Pharmaindustrie finanzierten Agentur wahrgenommen werden, der er die Fähigkeit absprach, mit ihren Entscheidungen den Verbraucherschutz zu fördern. Generell kritisierte Schönhöfer diese Form der Entwicklung in der Administration, die zu Lasten der Sicherheit gehe, gleichgültig, ob es sich um die Flugaufsicht oder die Arzneimittelaufsicht gehe. Ironisch entwarf er die Idee, die Polizei zwecks Finanzierbarkeit umzuwandeln in eine Agentur für Gauner. Dr. Till Müller-Heidelberg, Rechtsanwalt, Bingen, bezog sich auf die gefälschten Studien zur Wirksamkeit oder sogar Schädlichkeit von Arzneimitteln, über die Schönhöfer berichtet hatte. Diese Studien müssten dem jeweiligen Bundesgesundheitsminister und den Mitgliedern des Bundestagsgesund-
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heitsausschusses doch bekannt sein. Der Ausschuss könne auch nicht ausschließlich mit Lobbyisten der Pharmabranche besetzt sein. Für ihn sei es unerklärlich, dass das Bundesgesundheitsministerium trotz seiner Kenntnis nicht gegen diese Praktiken einschreite. Schönhöfer bestätigte, dass den Zuständigen in Ministerium und Bundestag diese Vorgänge bekannt seien. Es handele sich hierbei nicht um Geheimwissenschaften, sondern um Veröffentlichungen etwa im Arzneimittel-Telegramm. Von hier erhalte er jedoch nur zur Antwort, dass keine gesetzliche Grundlage für ein Eingreifen bestehe. Dies unterstellt, sei der Minister jedoch aus seiner Sicht nicht daran gehindert, Warnungen oder Empfehlungen an die Ärzte auszusprechen. Wieso dies nicht geschehe, sei für ihn nicht nachvollziehbar. Auf die Veröffentlichungen im Arzneimittel-Telegramm hin seien er und sein Team nicht einmal verklagt worden. Offensichtlich habe die Pharmaindustrie keine guten Argumente gegen die Darstellungen. Traurig und wütend mache ihn jedoch, dass diese Untätigkeit auf Kosten der Patienten gehe. Dr. Heinz Ulrich Brinkmann, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, merkte an, er habe den Eindruck, die Auflösung des Bundesgesundheitsamtes werde zu Unrecht mit der Verbindung des damaligen Leiters zur Pharmaindustrie begründet. Dieser sei schließlich politisch eingesetzt worden, so dass seine Nähe zur Pharmaindustrie von der entsprechenden politischen Instanz entweder bewusst hingenommen oder jedenfalls nicht verhindert worden sei. Die Zerschlagung des Amtes in drei Institute führe jedoch eher dazu, dass diese dem Druck der Pharmakonzerne viel stärker ausgesetzt seien als eine – nicht parteipolitisch besetzte – Leitungsebene eines Bundesgesundheitsamtes. Diese Neuaufteilung sei demnach eindeutig als Verschlechterung für die Patienten zu bewerten. Auch sei die Struktur des neuen Gesundheitssystems insgesamt ineffizienter und kostenintensiver als sogar das alte DDR-System. Der Patient und Steuerzahler werde im Grunde zweifach mit Kosten belastet: zum einen mit den Beiträgen zu den gesetzlichen Krankenkassen und nun auch noch mit den Kosten für das neue System. Als persönliche Anmerkung zum Vortrag von Schönhöfer führte er an, er habe das von dem Referenten als Negativbeispiel ausgewählte Medikament Vioxx selbst eingenommen. Die Gefahren des Medikaments seien bekannt gewesen, die Magenverträglichkeit sei jedoch gegenüber ähnlichen Medikamenten besser gewesen. Schönhöfer stellte zunächst richtig, dass die Auflösung des Bundesgesundheitsamtes im Zusammenhang stand mit der Aids-Katastrophe. Hier war öffentlich geworden, dass Berichte über Aidsinfektionen dem damaligen Minister Seehofer vorenthalten worden waren. Dies habe dazu geführt, dass Seehofer sich in der Öffentlichkeit in einer Weise geäußert habe, die er nicht gewählt hätte, wenn ihm die vorliegenden Informationen bekannt gewesen wären. Der damalige Präsident des Bundesgesundheitsamtes Überla sei „gegangen“ worden, weil er Geld angenommen habe. Dies sei jedoch ein kom-
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plexes Problem, bei dem er alle Hintergründe auch nicht kenne. Zu dem Antirheumatikum Vioxx wies Schönhöfer nochmals darauf hin, dass in statistisch gut geplanten Studien ein Vorteil der besseren Magenverträglichkeit gegenüber klassischen Mitteln nicht habe nachgewiesen werden können. Hans Herbert von Arnim bezog sich auf das Phänomen, dass die Pharmaindustrie nicht gegen die Veröffentlichungen im Arzneimittel-Telegramm gerichtlich vorgehe. Die Pharmakonzerne gingen wohl davon aus, dass es sich um eine Öffentlichkeitsnische handele, und hofften, dass die Veröffentlichungen keine zu weiten Kreise zögen. Er fasste im Folgenden das von Schönhöfer skizzierte System zusammen. Die Innovationsschwäche der Pharmaindustrie führe dazu, dass Produkte, die keine Innovationen und zum Teil sogar schlechter als die klassischen Mittel seien, massenweise in den Markt eingeführt würden. Dies könne nur funktionieren, indem man Ärzte, Apotheker, Wissenschaftler und Krankenhausleiter besteche oder jedenfalls stark beeinflusse. Aus seiner Sicht sei dies ein hervorragendes Thema für eine Titelgeschichte etwa im „Stern“ oder „Fokus“. Vielleicht sei dies ja auch schon erfolgt, aber habe sich wieder verlaufen. Dies werfe die Frage auf, ob die öffentliche Kontrolle hier versage. Die Aufbereitung durch den Referenten bringe trotz aller komplizierten Verflechtungen und Zusammenhänge ein ganzes Korruptionssystem zum Vorschein. Desweiteren gab von Arnim zu bedenken, welche Interessen die Gesundheitsministerin und auch die Landesgesundheitsministerien leiten würden, dass sie gegen diese Praktiken nicht einschritten. In Frage stehen könnte hier die Sicherung von Arbeitsplätzen in der Pharmaindustrie mit mehreren hunderttausend Beschäftigten oder der Standortnachteil, der möglicherweise bei einem Vorgehen gegen die Pharmaindustrie zu befürchten sei. Die Politiker müssten eigentlich ein großes Interesse an einer Aufklärung haben, da nach den Ausführungen Schönhöfers der deutsche Gesundheitssektor einerseits besonders teuer, andererseits nur unterdurchschnittlich leistungsfähig sei. Schließlich wies von Arnim darauf hin, dass der Gesundheitssektor und auch die meisten Ärzte im Grunde staatlich finanziert seien über die gesetzlichen Krankenkassen. Durch eine gesetzgeberische Ausdehnung des strafrechtlichen Amtsträgerbegriffs könnte man diese Beschäftigten zu Amtsträgern machen mit der Folge, dass dann auch die Staatsanwälte einschreiten und alle anderen Ermittlungsmöglichkeiten angewandt werden könnten. Schönhöfer führte hierzu aus, die Staatsanwaltschaft habe dieses Problem bereits realisiert, da sie immer wieder in die Falle liefe, dass sie zwar den angestellten oder verbeamteten Arzt im öffentlichen Dienst belangen könnte, den Kollegen in der privaten Klinik jedoch nicht. Hier würden große Bemühungen unternommen. Die Frage nach dem möglichen Standortnachteil für Deutschland wies Schönhöfer unter Hinweis auf den Zusammenbruch der deutschen Pharmaindustrie zurück. Viele Konzerne seien einfach verschwun-
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den. Andere, die selbst kaum überlebensfähig seien, hätten sich zusammengeschlossen, jedoch ohne wirkliche Chancen, da ihnen die innovative Kraft fehle. Dieser Absturz Deutschlands, einst die „Apotheke der Welt“, sei nicht auf Standortnachteile zurückzuführen, denn dieser sei zur Zeit der Kohl-Regierung erfolgt, welche die Pharmaindustrie sehr unterstützt habe. Bei der Firma Hoechst etwa beruhe der Zusammenbruch auf gravierenden Managementfehlern, die viele Menschen den Arbeitsplatz gekostet hätten. Zur Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gab er seinen persönlichen Eindruck wieder, die Ministerin handele nur dann, wenn es um ihren eigenen Machterhalt gehe. Bei generellen Fragen habe er nur sehr selten eine qualifizierte Antwort erhalten und erst recht keine Tätigkeiten gesehen. Er habe zumindest im Gesundheitsbereich aufgrund der zahlreichen Verflechtungen die Hoffnung aufgegeben, mit dieser Politik eine Veränderung zu bewirken. Zu den Medien hingegen habe er gute Verbindungen und erhalte auch viel Unterstützung und Rückhalt. Bei strukturellen Fragen habe er jedoch bisher keine richtige Handhabe gefunden, dass die Medien, insbesondere das Fernsehen, hier einspringen würden. Georg Weishar, Oberregierungsrat der Regierung von Oberfranken, Bayreuth, wies darauf hin, dass der „Stern“ im Winter 2005 in mehreren Beiträgen über die Vertriebsmethoden von ratiopharm berichtet habe. Hier müsse sogar ein juristischer Anfangsverdacht vorgelegen haben, da es zu Hausdurchsuchungen gekommen sei. In letzter Zeit sei es jedoch bis auf die Nachricht von der Übergabe an den Sohn und die Ankündigung einer grundlegenden Änderung der Werbestrategie ruhig geworden um die Angelegenheit. Schönhöfer bekräftigte, dass er den Artikel im „Stern“ für eine der besten Leistungen der Presse in diesem Bereich halte, die tatsächlich auch etwas bewirkt habe. Die Pharmaindustrie gebe jährlich eine Milliarde aus, um Ärzte zu bestechen mit Anwendungsbeobachtungen, und eine weitere Milliarde an Apotheker, um die Bestellungen abzusichern. Von einem Gesamtumsatzmarkt von 25 Milliarden gingen also fast 10 % in illegale Verkaufsstrategien. Dass dies so deutlich geworden sei, gehe direkt auf den „Stern“-Artikel zurück. So sei es auch zu dem Verbot der Naturalrabbate im Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) gekommen. Dieses Verbot greife jedoch schon bei einem Zusammenschluss mehrerer Apotheker zu einer Einkaufsgemeinschaft nicht mehr. Hier sei – wie so oft – ein schlechtes Gesetze gemacht worden, das die Verkaufsstrategen dazu einlade, Wege zu seiner Umgehung zu finden. Monika Morche, Ministerialrätin im Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, Magdeburg, gab ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck, dass es in der deutschen Gesellschaft keine Regulierungsmechanismen gebe, die verhinderten, dass Krankheit und Tod von Menschen in Kauf genommen würden. Von
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dieser Tagung solle eine Botschaft ausgehen, dass es trotzdem noch Menschen gebe, die sich der Ehrlichkeit verschrieben hätten und Courage zeigten. Peter Marx, Geschäftsführer der NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin, forderte parallel zum Werbeverbot für Tabak ein Werbeverbot für Arzneimittel. Wenn man die massive Werbung für Arzneimittel durch Inserate auch in Zeitschriften wie dem „Stern“ oder dem „Spiegel“ betrachte, könne man sich ausrechnen, dass die Bereitschaft, einen solchen Missstand anzugehen, davon abhängig sei, wie viele Werbeaufträge die Marketingabteilungen dieser Zeitschriften erhalten hätten. Ein Werbeverbot könne gleichzeitig helfen, die enormen Marketingkosten für Arzneimittel zu senken. Schönhöfer führte hierzu ergänzend aus, dass Deutschland das einzige Land weltweit sei, in dem der Staat keinen Einfluss auf die Arzneimittelpreise nehme, weshalb die Preise hierzulande auch mit die höchsten seien. Allein die USA und die Schweiz würden ebenfalls wenig in dieser Richtung unternehmen. Der Spielraum, den man dem Marketing hier einräume, schlage negativ auf das deutsche System zurück. Im Prinzip habe Deutschland jedoch mit dem Arzneimittelgesetz gute Regelungen. Mit dem gleichen Gesetz habe er schließlich zwischen 1978 und 1982 Arzneimittel verboten. Das Gesetz habe sich nicht verschlechtert, aber es werde nicht mehr vollzogen aufgrund einer Degeneration des Selbstverständnisses der Aufsichtsbeamten. Das eigentliche Problem sei also ein Vollzugsdefizit. von Arnim kam nochmals auf den Punkt zurück, dass die Pharmaindustrie sich gegen die erhobenen Anschuldigungen nicht zur Wehr setze. Man könne davon ausgehen, dass sie sich – bei aller wirtschaftlich und juristisch erkaufter Potenz – wehren würde, wenn die Darstellungen eines umfassend korrupten Systems angreifbar wären. Ihn fasziniere nach wie vor, dass abgesehen von einzelnen Artikeln ohne nachhaltige Wirkung hier nichts geschehe. von Arnim stellte die Vermutung auf, dass Wirtschaft, Politik und Medien nicht massiv gegen die Missstände vorgingen, weil sie alle mehr oder weniger mit in diese Korruption eingebunden und für die Entwicklungen mitverantwortlich seien. Also werde stillgehalten, weil man ohnehin nichts verändern könne und sich nur selbst exponieren und schaden würde. Diejenigen, für die dieses System tatsächlich noch Neuigkeitswert habe, könnten sich dagegen nicht durchsetzen. Schönhöfer verwies hierzu auf eine Geschichte aus seiner persönlichen Erfahrung. 1985 habe er einen Bericht über Alival, ein Arzneimittel der Firma Hoechst, gebracht, das möglicherweise zu Leberschäden und einer Veränderung des Blutbildes führen konnte. Er sei daraufhin von einem Arzt angerufen worden, der ihm das Krankheitsbild einer kürzlich verstorbenen Patientin beschrieb. Ob dies auf das Medikament Alival zurückzuführen war, ließ sich jedoch zunächst nicht klären. Bald darauf tauchte ein zweiter Fall nach glei-
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chem Muster auf, der den Verdacht gegen Alival verhärtete. Trotz einer entsprechenden Meldung an das Bundesgesundheitsamt geschah jedoch nichts. Eine Publikation in Deutschland wäre von der Pharmaindustrie von vorneherein verhindert worden. Auf eine Veröffentlichung in einer internationalen Zeitschrift reagierte die Firma Hoechst mit einer einstweiligen Verfügung. Schönhöfer habe sich daraufhin an die Schwesterzeitschrift in England gewandt. Die englische Gesundheitsbehörde habe nach kurzer Prüfung die Veröffentlichung gestattet mit der Folge, dass am 21. Januar 1986 Alival weltweit verboten worden sei. Für Hoechst habe dies immerhin einen Umsatzverlust von 660 Millionen DM im Jahr ausgemacht. Entscheidend jedoch sei, dass die englische Behörde geprüft und reagiert habe, während die deutsche Behörde völlig untätig geblieben sei. Lobend erwähnte Schönhöfer in diesem Zusammenhang auch die Unterstützung durch die Medien. Der Film „Gesucht wird: Eine Todesursache“, der sich 1986 dieser Angelegenheit angenommen habe, sei sogar mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Abschließend merkte er an, dass durchaus etwas erreicht werden könne, wenn man bereit sei, auch Umwege zu gehen.
Dinnerspeech
Politische Korruption in Deutschland – ein verschwiegenes Fundamentalproblem? Politische Korruption – ein verschwiegenes Fundamentalproblem? Von Bernhard G. Suttner I. Einleitung Wer sich das Thema „Politische Korruption in Deutschland“ vornimmt, muss zu allererst seine Motive prüfen. Es müssen therapeutische Motive sein. Das Engagement für die grundgesetzliche Ordnung, für den sozialen Bundesund Rechtsstaat, für unser wertvolles demokratisches Gemeinwesen – dieses Engagement muss das Motiv für unser Reden über politische Korruption sein. Das Thema „Politische Korruption in Deutschland“ kann nämlich auch mit destruktiven Motiven vorgetragen werden. Das Thema kann als Abrissbirne missbraucht werden. Als Pauschalurteil „Sie sind doch alle gleich, nämlich alle gleich korrupt.“ „Die Politik ist gekauft.“ „Der kleine Mann, die kleine Frau hat nichts zu sagen.“ „Das Geld regiert.“ So vorgetragen kann das Thema als Rechtfertigung für die zu beobachtenden staatsfeindlichen Privatisierungstendenzen in allen Schichten des Volkes ebenso missbraucht werden wie als Deckmantel für verfassungsfeindliche Destruktion der grundgesetzlichen Ordnung, wie sie antidemokratische Gruppierungen und Parteien betreiben. Wer das destruktive Motiv hat, wird sich auch einer entsprechend destruktiven Sprache befleißigen. Wer das therapeutische Motiv hat, wird seine Sprache zügeln müssen. Die Form hat gerade bei diesem Thema mit dem Inhalt zu tun und sie beeinflusst die Wirkung. Jedenfalls ist mein Motiv und das Motiv der Veranstalter dieser Tagung natürlich ein therapeutisches. Ich fühle als Verfassungspatriot. Die Kritik und die Eindämmung der politischen Korruption ist eine Daueraufgabe. Sie ist niemals ein für alle mal getan. So wie an jedem Arbeitsplatz routinemäßig kontrolliert, gereinigt und repariert werden muss, so muss auch am Arbeitsplatz Politik routinemäßig kontrolliert, gereinigt und repariert werden. Der Arbeitsplatz Politik unterliegt – zu Recht – einer besonders intensiven Beobachtung. Dass hier nicht alles in Ordnung ist, rechtfertigt nicht die Abwesenheit oder den Rückzug.
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II. Was ist politische Korruption im engen Sinn? Die Legislative gilt in der Dreifaltigkeit der demokratischen Gewalten ja doch wohl immer noch als prima inter pares. Wie harmlos wirkt bei genauerer Betrachtung die interessensgeleitete, gemeinwohlwidrige Übertretung eines Gesetzes im Einzelfall gegen die interessensgeleitete, gemeinwohlwidrige Gestaltung eines für alle gültigen Gesetzes! Die „Eignung zur allgemeine Norm“ ist für Kant bekanntlich das Kriterium zur Beurteilung der sittlichen Richtigkeit des individuellen Verhaltens. Dem korrupten Amtsträger ist wohl in aller Regel bewusst, dass sich sein Verhalten nicht als „allgemeine Norm“ eignet. Er weiß um die gemeinwohlfördernde Wirkung der Beachtung der Norm und umgeht sie, des eigenen Vorteils willen. Die Formulierung der allgemeinen Norm ist der Arbeitsgegenstand der gesetzgebenden Gewalt im demokratischen Staat. Wenn die Formulierung der allgemeinen Norm durch Korruption beeinflusst wird, dann erleben wir die schwerste Form der Korruption, nämlich die politische Korruption. Die Folgen können verheerend sein: Was ist schon die Einzelfall-Sünde gegen die Struktur-Sünde? Und so mancher Amtsträger, der sich von einem richtigen und wichtigen strafrechtlichen Gehege zur Korruptionsabwehr umgeben sieht, könnte sich an Brechts revolutionären Zynismus „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank!“ erinnern und denken: „Was ist schon die korrupte Missachtung eines Gesetzes im Einzelfall gegen die korrupte Gestaltung ganzer Gesetzespakete!“ Wichtige strukturelle Fundamente der Demokratie sind durch politische Korruption gefährdet: 1. Gefährdet ist die emotionale Mindest-Zustimmung zum demokratischen Gemeinwesen Es ist nichts weniger gefährdet als die in einer sich individualisierenden Gesellschaft ohnehin schwach ausgeprägte emotionale Mindest-Zustimmung zur Verfassungsordnung. Ohne eine solche Mindest-Zustimmung kann auf die Dauer keine Demokratie stabil bleiben. Diese Zustimmung kommt ohne vertrauenswürdiges politisches Personal nicht aus. Man kann beklagen, dass sich die Bürgerschaft mehr an den repräsentativen Personen und ihrem Verhalten orientiert als an Verfassungsartikeln, politischen Programmen und den Inhalten der legislativen Alltagsarbeit; man wird dieses jedoch als Realität zur Kenntnis nehmen müssen: de facto hängt das Ansehen der Demokratie vom Verhalten der führenden, öffentlich bekannten Personen ab. Wenn die repräsentativen Personen als korrupt gelten, wird auf die Dauer die Legitimationsvoraussetzung, die emotionale Zustimmung zur demokratischen Grundthese „wir leben in einer guten Ordnung, die es wert ist verteidigt und gerechtfertigt zu werden“ verloren gehen.
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2. Gefährdet ist die Macht des demokratischen Souveräns Die Demokratie lebt davon, dass die Gesetzgebungsorgane und ihre Arbeit durch Wahlen und durch das freie Gewissen der Gewählten bestimmt werden. Politische Korruption greift diese Voraussetzungen an, indem sie den Leuten unmissverständlich zeigt, dass die im Sozialkundeunterricht erlernten Sätze romantische, märchenhafte Verfälschungen oder doch nur Idealvorstellungen ohne Realitätsbezug sind. Politische Korruption zeigt den Bürgern, dass es wirksamere Mittel gibt, den Gang der Dinge zu beeinflussen – wirksamere Mittel als es die anstrengend-regelmäßige Beteiligung an der Meinungsbildung im Diskurs und die sporadische Beteiligung an Wahlen sind. Korruption greift diese Lebensvoraussetzung des demokratischen Systems, die Ahnung von der Volkssouveränität, im Zentrum an: Das begründete Wissen um politische Korruption, die vielfach nachgewiesene Beeinflussung legislativer Akte durch landschaftspflegende Geldzuwendungen, Möglichkeiten zu Nebentätigkeiten und / oder Chancen auf lukrative Positionen nach der politischen Laufbahn wird von den Bürgern als Verlust eigener Gestaltungsmacht interpretiert: Der Geld- und Chancenzufluss an Parteien und Politiker entwertet die Stimme des Bürgers bei der Wahl und die Stimme des Bürgers im meinungsbildenden Diskurs. 3. Gefährdet ist die Chancengleichheit der Interessensgruppen Wenn mit Geld und Chancengewährung Gesetzgebung beeinflusst werden kann, wird natürlich auch die Gleichheit der Chancen im Interessensstreit zerstört: Die in ihrer Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit für die moderne demokratische Gesellschaft unbestrittenen Organisationen zur Interessensbündelung und Interessensartikulation werden sozusagen in zwei große Gruppen eingeteilt: In die Gruppe der zur Korruption materiell fähigen, welche Geldmittel und lukrative Positionen zur Verfügung haben und in die Gruppe derjenigen, die über diese Möglichkeiten nicht verfügen. Letztere haben womöglich die edleren Ziele, vielleicht sogar die besseren Argumente; da sie aber finanzschwache und schwer zu organisierende Interessensträger vertreten, fehlen ihnen die materiellen Mittel und die Möglichkeiten lukrative Posten anzubieten. Ich denke an Organisationen der Menschenrechtsverteidigung und der ökologischen Zukunftsvorsorge, aber auch an Familienverbände und Jugendorganisationen. Es eint sie allesamt ihre relative Mittellosigkeit und damit ihre weitgehende Unfähigkeit, Entscheidungsträgern echte Vorteile gewähren zu können. Ich möchte nicht behaupten, dass die materiell starken Verbände immer die falschen Vorschläge für die Lösung politischer Probleme machen und dass
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die schwachen Gruppen immer Recht haben. Das nicht. Aber es wäre mir lieber, die Legislative würde z. B. über die Neuorganisation des Gesundheitssystems, über den Nichtraucherschutz am öffentlichen Ort, über ein Tempolimit, über die Haftpflicht für Atomanlagen oder über die Steinkohlesubventionen und erst Recht über das gewaltige Problem des Klimaschutzes debattieren und entscheiden, ohne dass sich Parteien und Parlamentsmitglieder ständig an Großspenden aus der Versicherungswirtschaft, der Pharmaindustrie, der Automobilwirtschaft und der Zigarettenhersteller erinnern müssten und ohne dass von den jeweiligen Hauptbetroffenen bezahlte Nebenberufler als Mandatsträger die Entscheidungen mit vorbereiten. III. Was ist zu tun? Es sind deutliche Eingriffe und Änderungen nötig. Die Bundesrepublik Deutschland steuert – davon bin ich überzeugt – in eine kaum noch zu verleugnende Zustimmungs-Krise hinsichtlich ihrer demokratischen Strukturen hinein. Ein notwendiger Beitrag (einer von mehreren notwendigen) zur Wiederherstellung besserer Akzeptanz ist der radikale Abbruch von Strukturen, die Korruption ermöglichen. Die leicht zu formulierende aber schwer zu verwirklichende Grundforderung lautet für mich folgendermaßen: Was für die rechtsprechende und die vollziehende Gewalt gilt, muss prinzipiell auch für die gesetzgebende Gewalt gelten. Also: Die gesetzlichen Regelungen zur Korruptionsabwehr bei den Amtsträgern der Exekutive und der Judikative müssen Schritt für Schritt auf die Mandatsträger in der Legislative ausgeweitet werden. Niemand würde vertrauensvoll zu Polizei, Schulamt oder zum Gericht gehen, wäre es den dortigen Akteuren erlaubt, von privaten Firmen, Verbänden oder Einzelpersonen Vergünstigungen aller Art, insbesondere Großspenden, anzunehmen. Was uns bei Exekutive und Judikative ganz selbstverständlich gruselig und abwegig vorkommt, ist in der Legislative ebenso selbstverständlich geübte Praxis. Was bei Exekutive und Judikative im entdeckten Einzelfall – weil absolut verwerflich – in nahezu allen Fällen zur Entfernung aus dem Amt führt, fördert in der Legislative die Erfolgs- und Durchsetzungschancen von Personen und Parteien. Völlig unvorstellbar ist in Bezug auf Exekutive und Judikative, was in der Legislative als sinnvoll und nützlich gilt: Interessenverbände versuchen ganz gezielt eigenes Personal in die Doppelfunktion als Interessenvertreter und Parlamentarier zu bringen. Politische Parteien preisen sich glücklich, solche Fachleute in ihren Reihen zu haben. Gerne greifen sie auch auf ausgearbeitete Gesetzentwürfe zurück, die ihnen von Interessensgruppen geliefert werden; diese Übung ist allerdings nicht auf die parlamentarische Seite der Ge-
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setzgebung beschränkt: Auch die Ministerien nutzen gerne und umfassend den „Fachverstand“ von Firmen und Firmenverbänden (wie etwa der forschenden Pharmaindustrie, der Energiewirtschaft oder der Versicherungswirtschaft). Aber auch gesellschaftliche Interessensorganisationen sind als Fachberater in der Frühphase der Gesetzgebung herzlich willkommen, angeblich sogar unentbehrlich. Wir haben uns daran gewöhnt, davon auszugehen, dass die politischen Apparate in Parlamenten und Regierungen nicht in der Lage sind, die Probleme der Welt ausreichend erkennen und gedanklich durchdringen zu können. Wir haben uns daran gewöhnt, die Zulieferung von Analysen und Problemlösungsvorschlägen aus Kreisen wohlorganisierter Partikular-Interessen für selbstverständlich und unverzichtbar zu halten. Um die Fragwürdigkeit dieser eingeübten und eingeschliffenen Realität wieder zu erkennen muss man die Vergleiche mit den beiden anderen Gewalten ziehen: Würden wir es tolerieren, dass Interessensverbände versuchen, „ihre“ Leute in die Senate der Landes- und Bundesgerichte, in die Staatsanwaltschaften oder auch nur in das Bauamt der Stadt Speyer oder meines Heimatlandkreises Straubing-Bogen zu bringen? Würden wir es tolerieren, dass ein Firmenverband routinemäßig Entscheidungsvorschläge an Gerichte und Verwaltungen liefert und von dort Dank und Anerkennung erhält? Würden wir es tolerieren, dass Exekutive und Judikative regelmäßig mit Spenden aus Firmen und Verbandskassen bedacht werden und dabei lediglich auf die ordentliche Veröffentlichung und Verbuchung geachtet werden muss? Natürlich nicht. Muss man sagen: Noch nicht? Breitet sich das SpendenWesen nicht mehr und mehr in die Bereiche der öffentlichen Einrichtungen aus? Mancher Bereich der Drittmittel-Forschung an öffentlichen Universitäten, aber auch der Ankauf moderner Lernsystem oder die Einrichtungen der Tagesbetreuung an allgemeinbildenden Schulen mit freundlicher Hilfe der Firma Soundso oder auch die Public-Private-Partnership im Bereich der Kultur- und Sozialförderung signalisiert genaugenommen das Vordringen der „Landschaftspflege“ in die Bereiche der Exekutive. Der Gleichsetzung von Legislative, Exekutive und Judikative in dieser Fragestellung wird allerdings entgegen gehalten, dass die Personen der Legislative in besonderer Weise mit der Gesellschaft verknüpft sein müssen und deshalb deren (auch strafrechtliche) Abschottung gegen Partikularinteressen nur um den Preis der Weltferne zu erreichen sei. So wurde mir und meiner Partei gegenüber argumentiert, als wir seinerzeit erfolgreich mit den Mitteln von Volksbegehren und Volksentscheid die direkte Beteiligung von einigen exklusiven Interessengruppen an der Gesetzgebung aus der Verfassung des Freistaates streichen konnten: Die so genannte „Zweite Kammer“ des Parlaments, der Bayerische Senat, war ja nichts anderes, als eine nicht vom Volk
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gewählte Schimäre von Ständestaat und modernem Lobbyismus mit Verfassungsrang. Die gleichen Argumente wurden uns entgegengebracht, als wir – leider weniger erfolgreich – versuchten, den bayerischen Landtagsabgeordneten nicht nur ihre ebenso kostenlose wie stattliche Altersversorgung zu nehmen sondern auch alle Nebentätigkeiten für Verbände und Firmen zu verbieten. Wer Unabhängigkeit als Weltferne denunziert und nur dem vielfach oder auch nur einfach gebundenen und verbundenen Parlamentarier die Erkenntnis der gesellschaftlichen Realitäten zutraut, der behauptet doch indirekt auch, dass der Richter und Beamte, dem finanzielle Verbindungen zu Firmen und Verbänden in aller Regel streng verboten sind, weltferne und damit schädliche Entscheidungen treffen wird. Ich bleibe deshalb dabei: Der Wegweiser ist für die Legislative aufgestellt und er muss in die Richtung mindestens jener Korruptionsabwehr-Regeln deuten, die für Exekutive und Judikative gelten. Im Detail dürfte es um folgenden Maßnahmenkatalog gehen: a) Geldzuwendungen an einzelne Mitglieder legislativer Organe und an Fraktionen sind generell zu verbieten. Geldzuwendungen an Parteien sind in der Höhe streng zu begrenzen und außerdem nur durch natürliche Personen, die das aktive und passive Wahlrecht haben, zu erlauben. Es ist für mich nicht einzusehen, warum Kapitalgesellschaften oder Vereine und Verbände, die als juristische Personen ja auch nicht Mitglieder von Parteien sein können geschweige denn an allgemeinen Wahlen teilnehmen dürfen, dennoch einen derart großen Einfluss auf politische Parteien haben sollen! b) Die Nebentätigkeiten von Abgeordneten sind in der Tendenz zu verbieten, auf jedem Fall aber einem strengen Reglement (Begrenzung der Anzahl, Veröffentlichung der aufgewendeten Arbeitszeiten und Einkünfte) zu unterziehen. Ich plädiere übrigens auch für ein derart strenges Reglement bei den allseits beliebten und verbreiteten ehrenamtlichen Nebentätigkeiten von Politikern für gemeinnützige Verbände. Die großen Wohlfahrtsverbände z. B. sind in vielfältiger Weise von gesetzlichen Regelungen und Haushaltsansätzen betroffen. Es ist kein Zufall, dass sich alle derartigen Organisationen bemühen, Parlamentarier und Regierungsmitglieder in ihre Vorstände einzubinden. Hier wuchert ein symbiotisches Geflecht. Der Politiker profitiert von seinem öffentlich darstellbaren Engagement für edle Zwecke, der Verband hat den kurzen Draht zur Gesetzgebung und kann frühzeitig und wirksam z. B. eine drohende Verschärfung der legislativen Vorgaben für den Betrieb von Altenpflegeheimen beeinflussen. Gefährdet ist die Unabhängigkeit der Gesetzgeber ebenso wie die Chancengleichheit der Interessensträger: Schließlich werden
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niemals alle relevanten Verbände gleichgewichtig „eigene Leute“ in den Parlamenten haben. c) Der unmittelbare Wechsel aus dem Mandat in die Dienste von großen Verbänden und Wirtschaftsunternehmen ist zu verbieten. Die Einführung von ausreichend langen Karenzzeiten für ausscheidende Politiker muss notfalls mit einer Verlängerung der Übergangszahlungen nach dem Mandatsverlust einhergehen, wenn es die wirtschaftliche Lage des Betroffenen erfordert. Kritische Öffentlichkeit und direkte Demokratie sehe ich als Instrumente gegen politische Korruption, die aber nur in Kombination das Problem wirksam bekämpfen können. Da für die Abwehr politischer Korruption, also der Beeinflussung der Gesetzgebung durch Zuwendungen und Chancengewährung, letztlich nur die Legislative selbst sorgen kann, deren personelle und organisatorische Träger aber die gegenwärtigen Verhältnisse nicht für problematisch und veränderungsbedürftig halten, muss zur repräsentativen Form der Gesetzgebung unbedingt auch auf der Bundesebene die Möglichkeit für direktdemokratische Gesetzesinitiativen und Volksabstimmungen geschaffen werden. Freilich – hier beißt sich das schwarze Schaf der Gesetzgebung in den Schwanz. Ich stimme der These nicht zu, wonach (nur) von einer kritischen (medialen) Öffentlichkeit das Heilmittel gegen die „Auto-Korruption“ der Legislative erwartet werden kann. Die Aufdeckung von Korruptionsfällen im Umfeld der Gesetzgebung setzt stets am Einzelfall an. Es gelingt der medialen Öffentlichkeit zwar immer wieder, den Politiker X und seine Verknüpfungen mit dem Konzern Y oder dem Verband Z vorzuführen. Womöglich stürzt X sogar über den berichteten Skandal. Allerdings gelingt es in aller Regel nicht, das Problem strukturell zu heilen, weil mediale Öffentlichkeit kurzfristig ist und oft schon in der nächsten Woche anderes als berichtenswerter gilt. X wird womöglich als „schwarzes Schaf“ oder gar als „armes Opfer“ fallen gelassen. Der nicht entdeckte „Rest“ macht weiter wie bisher. Vor allem an den Strukturen ändert sich nichts. Als äußerst fataler Kollateralschaden bleibt zurück, was ich eingangs als gefährliche Wirkung einer „falschen“ Rede über politische Korruption bezeichnet habe: Feinde der Demokratie sind durch den aufwendig berichteten skandalösen aktuellen Fall neu munitioniert; Menschen auf dem Weg in die apolitische Privatheit haben einen weiteren Rechtfertigungsgrund für den Ausstieg aus der bürgerschaftlichen Verantwortung gesammelt: „Man sieht es ja – alle sind sie korrupt. Mich bringt niemand mehr zur aktiven Teilhabe an diesem System!“ Diesem Elend kann nur die Aufdeckung der Einzelfälle plus Änderung der Strukturen abhelfen. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen für die Angehö-
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rigen der Legislative ist bei diesen nicht in den besten Händen. Sie kann deshalb nur über direktdemokratische Gesetzgebung geschehen. Deshalb ist die Forderung nach der Schaffung direktdemokratischer Möglichkeiten auf Bundesebene eine wichtige, meiner Ansicht nach unverzichtbare Forderung zur besseren Abwehr politischer Korruption. Direkte Demokratie in ihren unterschiedlichen Formen – von der bürgerschaftlichen Planungszelle über die Volks-Initiative bis hin zu Volksbegehren und Volksentscheid – hat auch noch eine andere Wirkung gegen politische Korruption: Die Bestechung und Vorteilsgewährung durch einzelne Interessensträger wird angesichts der Vielzahl und der Anonymität der Entscheider bei der direktdemokratischen Gesetzgebung wesentlich erschwert, praktisch unmöglich. Die Einwände gegen die plebiszitäre Demokratie sind mir wohl bewusst und ich wische sie nicht leichtfertig vom Tisch. Allerdings glaube ich, dass die Praxis der direkten Demokratie in den Bundesländern und Kommunen Deutschlands ebenso geeignet ist diese Einwände zu entkräften wie die Erfahrungen in einer Vielzahl von parlamentarischen Demokratien (ganz zu schweigen von der Schweiz!). IV. Eine ökologische Erinnerung zum Schluss Ich kann mich gut daran erinnern, dass seinerzeit in der Debatte um die Einführung des Autokatalysators seitens der Industrie folgendermaßen argumentiert wurde: Der Katalysator verlangt bleifreies Benzin. Blei ist wichtig für die Schmierung der Ventile hochwertiger Motoren. Deshalb ist Blei unverzichtbar. Folglich kann es für deutsche Autos keinen Katalysator geben. Wenn die Forderung dennoch durchgesetzt wird, bricht alles zusammen. Die Befürworter von Katalysator und Bleiverzicht wiesen vor allem auch darauf hin, dass sich das Schmiermittel Blei nach getaner Arbeit im Motor via Abgas auf die Landschaft legt und sich nach Einatmung vorrangig im Gehirn des Menschen anreichert und dort Schaden anrichtet. Ich bringe das Beispiel nicht um daran zu erinnern, dass es der einflussreichen Autolobby lange gelungen ist, entsprechende gesetzliche Regelungen zu verhindern, dass aber endlich doch die Vernunft gesiegt hat. Nein ich möchte die folgende Parallele ziehen: „Ohne Parteispenden und Nebentätigkeiten funktioniert keine moderne Demokratie“ höre ich von maßgeblichen Leuten. Allerdings bringt niemand die Ehrlichkeit auf, wie weiland die Autoleute über die Wirkung von Blei im Motor zu sagen, dass Parteispenden und Nebentätigkeiten als Schmiermittel für moderne Hochleistungsgesetzgebung unverzichtbar sind.
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Ich bin davon überzeugt, dass eine moderne Legislative sehr gut ohne das Schwermetall-Konglomerat „Spende und Nebentätigkeit“ auskommen kann, dass der Motor der Gesetzgebung ohne diese Zutat nicht zusammenbricht. Ich erwarte im Gegenteil sehr positive Wirkungen von einer Ausweitung der strafrechtlichen Korruptionsabwehr auch auf die Mandatsträger: Eine frische Brise in der politischen Landschaft und weniger Schadstoffe mit Langzeitwirkung. Auf andere Weise aber ähnlich wie Blei lagert sich auch das Schmiermittel Geld im Gehirn ab und blockiert dort jene Areale, die für die Demokratie unverzichtbare Steuerleistungen erbringen: Lust an der eigenen Unabhängigkeit, die Freude ein freier Geist zu sein und einen solchen zu haben, die Würde der eigenen Verantwortung. V. Zehn Thesen zur politischen Korruption 1. Wer über politische Korruption in einem demokratischen Gemeinwesen spricht muss sich über seine Motive und über die (sprachliche) Form der Analyse und der Kritik Rechenschaft geben. Das Thema eignet sich nämlich auch zur Destruktion bzw. als Selbst-Rechtfertigung für privatistische Tendenzen. Das Motiv der korruptionskritischen Rede und Aktion muss ein therapeutisches sein. 2. Ich fasse den Begriff der „politischen“ Korruption sehr eng und benenne damit nur die unzulässige Einflussnahme auf die Subjekte der Legislative, also auf Mandatsträger, Parteien und Fraktionen. Allerdings halte ich auch manche „gängige“ Praxis für „unzulässig“: Die Parteispende durch juristische Personen, die Geldzuwendung an Mandatsträger, die mehr oder weniger unkontrollierten Nebentätigkeiten, der übergangslose Wechsel aus dem Mandat in eine Branche, deren Rahmenbedingungen im politischen Mandat mitgestaltet wurden. 3. Politische Korruption ist deshalb besonders verwerflich, weil sie nicht auf den Einzelfall einer gemeinwohlwidrigen Umgehung gesetzlicher Regeln zielt sondern auf die gemeinwohlwidrige Gestaltung der Gesetze selbst. 4. Die politische Korruption gefährdet wesentliche Güter und greift grundlegende Strukturen der Demokratie an: • Die für ein demokratisches Gemeinwesen unverzichtbare emotionale Mindest-Zustimmung der Bürgerschaft zum Staat. • Die Macht des demokratischen Souveräns. • Die Chancengleichheit der Interessengruppen.
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5. Die Bundesrepublik Deutschland steuert in eine echte und gefährliche Legitimationskrise. Diese Gefahr wird vor allem von den politischen Funktionsträgern nicht genügend ernst genommen, ja weitgehend verdrängt. Eine der wichtigsten erforderlichen Gegenmaßnahmen wäre die entschiedene Bekämpfung der politischen Korruption. Es geht dabei vor allem darum, die Regelungen zur Korruptionsabwehr, welche für die Amtsträger in Exekutive und Judikative (und seit einiger Zeit im Ansatz auch für ausländische Parlamentarier und EU-Abgeordnete) gelten, auch auf die Mandatsträger des Bundestages und der Landtage auszuweiten. 6. Es ist lohnend, sich zum Zwecke der deutlicheren Erkenntnis des Problems, die in der Legislative übliche Praxis einmal in Anwendung auf Amtsträger aller Art vorzustellen: Geldzuwendungen von privater Seite an Richter, Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes. Sponsoring von Gerichten und Behörden durch Großfirmen. Unkontrollierte und unbegrenzte Möglichkeiten zu Nebentätigkeiten auch in für die Amtsausübung sensiblen Bereichen. Einschleusen von „eigenen Leuten“ in Ämter und Gerichte sowie arbeitserleichternde Zuarbeit seitens großer Interessenverbände. 7. Das Abwehrargument, wonach das Personal der Legislative eine besondere Nähe zu Unternehmen und Verbänden benötigt, um nicht lebens- oder weltfremd zu entscheiden, überzeugt nicht: Die Wahrnehmung der Lebenswelt kann erwiesenermaßen auch ohne Geldzuwendungen und Nebentätigkeiten gelingen. Das Argumentieren der Interessensgruppen würde ja durch die Ausweitung der Korruptionsregeln auf die Personen der Legislative nicht unterbunden; es wäre lediglich verboten, die Argumente mittels Zuwendungen oder Vorteilsgewährung zu verstärken. 8. Der Katalog der oft debattierten, nötigen Einzelmaßnahmen – vom Verbot der Parteispende bis zu einem strengen Nebentätigkeiten-Regime – legt die Ahnung nahe, dass Abhilfe in der nötigen Form nicht von den Parlamentariern und Parteien selbst zu erwarten ist. Die Hoffnung, dass eine kritische, mediale Öffentlichkeit durch stetige Aufklärung und Anklage die Verhältnisse bessern werde, trügt: Vielmehr bleibt die Berichterstattung über Skandale politischer Korruption in der Regel auf den aktuellen Einzelfall beschränkt. Sie ändert nicht die Strukturen, weil die Betroffenen auf den raschen Wechsel der medialen Themenaktualität hoffen können. Mit großer Wahrscheinlichkeit munitioniert jedoch die (folgenlose) Berichterstattung über KorruptionsSkandale eine destruktiv bzw. privatistisch motivierte „Systemkritik“. 9. Diesem Elend kann nur die journalistische Aufdeckung der Einzelfälle plus Änderung der Strukturen abhelfen. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen für die Angehörigen der Legislative ist bekanntermaßen bei diesen nicht in den besten Händen. Die nötige Korrektur, also die Ausweitung der Korruptionsabwehrsysteme auch auf die Mandatsträger, kann deshalb nur über di-
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rektdemokratische Gesetzgebung geschehen. Deshalb ist die Forderung nach der Schaffung direktdemokratischer Möglichkeiten auch auf Bundesebene (mindestens der Möglichkeit zur Gesetzesinitiative mit einem realitätsnahen Unterschriftenquorum) eine unverzichtbare Forderung zur besseren Abwehr politischer Korruption. 10. Schwermetall verklebt das Gehirn.
The European Union: An Eldorado of Corruption?* By Siim Kallas I. Introduction You had suggested that I speak to the conference on “The EU an Eldorado of corruption?” Initially, I thought of this title as somewhat provocative since I am convinced that corruption at the EU level is not a big problem. I am happy however to take the opportunity to examine why the EU may be perceived as such, why it has this reputation. When I was designated as Commissioner responsible for Administration, Audit and the fight against fraud, I discovered for myself how great was the suspicion surrounding the activities of European institutions, especially the handling of finances in Commission. I was genuinely surprised by this. A Eurobarometer poll published earlier this year shows that almost three fourths of EU citizens agree that corruption is a major problem in their country, 75 % believe that corruption plagues local and regional authorities, and a smaller, but still very disturbing, 71 % of respondents consider that corruption is present in the European Union institutions. This opinion poll contrasts with the expert view of the European anti-fraud body OLAF. On the basis of its independent investigations, this considers that there is no reason to believe corruption to be more widespread in the EU institutions than anywhere else. We have reliable statistics on irregularities for the two biggest spending blocks, namely agriculture and regional aid. I should stress that irregularities mean all sorts of administrative failures ranging from late payments or missing forms, through to fraud with a criminal intention. The figures show that only 13–15 % percent of irregularities notified are cases of suspected fraud. This corresponds to 0.05 % of agricultural spending and 0.5 % of the total budget available for regional policies. In 2005 the Commission wrote off 90mio € or around 0.09 % of its budget, as badly or fraudulently spent and irrecoverable.
* Der Vortrag wurde Oktober 2006 gehalten; daher entsprechen alle Angaben und Zahlen diesem Stand.
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II. Reasons for Mistrust and Suspicion I see four origins for the suspicious perception, including the view that the EU is an Eldorado for corruption: 1. The Events of the Past The reporting of events such as the end of the Santer Commission in 1999 has helped to build or reinforce the view that there is corruption in the EU institutions. The Commission under President Santer was refused the budget clearance from the European Parliament after it became known that there were cases of alleged nepotism at the highest level involving the then French Commissioner Edith Cresson. In particular, she appeared to have insisted that a personal advisor be employed on a high level scientific contract, while performing (at most) normal administrative duties in house. Before 1999 from the very top downwards in the Commission there was too little awareness for financial rules and codes of conducts. The Commission was a policy and legislation making body, whose budget and list of tasks had grown rapidly and without the matching expertise and resources. 2. The so Called DAS Issue The external auditor of the EU budget, the European Court of Auditors, is requested by the treaty to deliver a declaration of assurance on legality and regularity of the transactions, called “DAS” under its French acronym. Ever since this requirement entered into force, that is for the last 12 years, the Court has declared that the accounts are reliable. But it has also said that it is not in a position to vouch positively for the entire number of individual payments to beneficiaries. This is often wrongly reported as a negative opinion by the Court of Auditors on the accounts and the financial management as such. Repeated failure to win the auditors’ seal of approval has damaged the EU’s standing and given eurosceptical politicians and media ammunition to depict the institution as corrupt and spendthrift. 3. The Unique Governance Structure and Complexity of the EU Let me enumerate a few difficulties specific to the European level, which distinguish the situation of the European budget and the European institutions from national ones. In large part the complexity of our management is
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intrinsically linked to the structure of the European budget and its implementation: • The EU-budget is composed almost entirely of subsidies, and subsidies are more prone to fraud than other types of expenditures. By comparison, much of a national budget is paying directly for public services. • European rules and legislation is complex. • The most vulnerable areas for irregularities, which in some cases can also be cases of corruption, are public procurement, award of subsidies and intervention in the area of external aid. We intervene in high risk areas such as humanitarian catastrophes. The EU is the biggest international aid donor, often operating under very difficult conditions. This area is the most difficult, since we must often allocate large sums of money in high risk areas, often under time pressure for humanitarian reasons. The World Bank recently decided on some occasions to stop cooperation because of corruption problems. These are difficult decisions for a donor. So far the EU has continued to provide highly needed help knowing that there are risks. • Only around 20 % of EU budget is managed directly by the Commission, the rest by Member States. This makes our control framework more complicated and there is often not sufficient ‘ownership’ for money from Brussels. • Because of this distance between spending responsibility and beneficiaries and an insufficient link by citizens to Brussels, EU money is often not perceived as taxpayers money, so fraud might be considered more lightly as a minor form of delinquency. • This remoteness is compounded by the fact that the Commission depends essentially on Member States authorities for sanctions. It is a typical EU dilemma: The Commission has great interest in effective fight and deterrence, but lacks the required competences. The Member States have the competences, but often do not have a sufficient interest in a particular case. There are also governance and decision making issues across European institutions, which, though not corrupt, do not help further the image of Brussels as acting without self interest. For instance: • The European Parliament commutes at great costs between Brussels and Strasbourg, the Parliament’s rules for reimbursements of travel allowances are not based on actual costs incurred, but on often higher fixed rates, Similarly, Members of the European Parliament do not have to declare secondary activities. • There have been cases in the Council, where our Member States are represented at Ministers level, that shed a bad light on European decision mak-
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ing. Here complex and highly technical legislation is combined with national and hidden interests that influence politicians. There have been examples of dirty deals done between heads of state and ministers, where very unrelated topics were agreed as a package. We have also suffered from the disrespect given to the stability pact, which all gave the impression that breaking the rules is quite normal in Brussels. • In addition, we face the anti-EU rhetoric of politicians blaming Brussels for decisions and lawmaking when they have themselves been sitting at the table and voted in favour. This undermines the credibility of the EU for the sake of short term gains. • There have been hefty cases of lobbying for vested interests, such as when dock workers threw stones at the European Parliament demonstrating against the liberalisation of port services. The Commission itself possesses many economically interesting secrets (in the area of competition or trade negotiations). Brussels features the highest number of lobbyist after Washington, around 15 000. And although we welcome the valuable information added to the decision making by professional lobbyists, there is not enough transparency. The reputation of Brussels is often corrupted by special interests groups. Speaking to experts, I don’t need to draw your attention to the fact that even though all the factors I have enumerated are of course highly damaging and may nurture a strong suspicion of shady behaviour in Brussels, they are not strictly speaking corruption in the criminal sense of the word. 4. Corruption is Still a Global and Widespread Problem Public administrations are under particular scrutiny, as concerns corruption and this is good. The Commission is probably subject to even greater scrutiny than most bodies. Corruption has negative effects on resources allocation, economic growth and it quickly undermines public confidence in the authority. The World Bank especially, but also the OECD have done extensive studies on the impact of corruption on a country’s economic development. Organisations such as the World Bank have stated that, on a global scale, corruption has not weakened. Some argue that despite decades of efforts to fight corruption, very little has been accomplished. It is estimated that the global cost of corruption adds up to approximately 5 % of the world economy’s productive capacity. It discourages investment and disrupts international markets and international trade. It undermines trust in the administration and the states’ institutions, especially if they fail to get to grips with fraud and corruption, threatening both democracy and the rule of law.
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Corruption is not only a problem for developing countries. The OECD recently claimed that from the G7, Britain, Italy and Japan were below standards among the signatories of the OECD anti-bribery convention to fight corporate graft. Corruption is not only a problem in politics, sports, and business, etc … Recent examples include the investigation of the ousted Thaksin government in Thailand, the Italian football organisations this summer and recent admissions from Daimler Chrysler about their business practices and convictions of Lahmeyer, of Germany, Schneider Electric of France and an Italian company for a project in Lesotho, uncovered with the help of the European anti-fraud body OLAF. III. Changes Since 1999 Following the dramatic events of 1999 the Commission embarked on a reform to modernise its administration and change the structure of its control systems and also its culture. It has reformed itself the hard way, under outside pressure, but it has done so profoundly and this should be recognised. The effects of the Commission’s reform in the financial area go far beyond the institution and have improved the financial management across the EU. The fight against corruption and fraud within the EU institutions and bodies is an absolute priority for the EU. We are practising a zero tolerance policy. The Commission has introduced a new accounting system, which gives a better and modern picture of our financial activities. We have an independent internal audit service, a disciplinary office, tough rules on awarding of contracts and subsidies. We have whistleblower rules and an anti-fraud service that is operationally independent and in charge not only of investigating fraud with EU money, but also any wrongdoing or professional misconduct in the EU institutions. All Commissioners publish their economic interests upon appointment. But in the history of an institution, these reforms are recent, and the bad image is still sticking. Now, we need to further develop our efforts to create trust in the EU institutions and their financial management. Since I took office in late 2004 in the portfolio of administration, audit and antifraud, and as interface with the European Parliament’s powerful budgetary control committee, I have been striving to explain better how the EU uses its funds. More generally, I want to increase trust in European financial management. The European administration may not be perfect – but we have nothing to hide from our citizens. As I already mentioned, the European Commission embarked on a wide ranging reform since 2000. It is time now to change perception and image, by efforts in communication and public awareness. We should not be afraid of having the general debate on corruption out in the open.
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We have been engaging in efforts at various levels concerning our own budget and administration. One of the most effective ways of preventing corruption and fraud is by ensuring the greatest possible transparency in public decision-taking processes and the allocation of funds. This is one of the reasons why the Commission launched the European Transparency Initiative (ETI) last year. The initiative requires the institutions and the Member States: to publish all details of final beneficiaries of EU funds; to introduce clear rules on consultancy and lobbying in EU institutions; to improve the rules on access to documents and information held by EU institutions. Transparency can bring the double benefit of public control anti-fraud deterrence. There has been good progress on this initiative. Better cooperation and prosecution of misdoings by national Courts. Our anti-fraud office is in the unenviable situation of not having the powers itself to carry a case to the end. When OLAF finishes its work, the file is handed over to national justice, and it may take years to have an end result. At a very minimum we are now requesting national competent authorities to systematically give feed-back on follow-up, administrative or judicial, given to OLAF files. Effective sanction is a powerful means of deterrence and should not be underestimated. We have launched an action plan for an integrated control framework and have asked Member States to sign management assurance declarations for the EU funds they implement. Both these elements should ultimately contribute to allow the European Court of Auditors to give a positive declaration on the regularity and legality of the transactions underlying our budget implementation. The Commission is also undertaking various efforts to fight corruption worldwide. The European Commission is a member of the UN (Merida) convention against corruption. The European Commission is represented by its anti-fraud office OLAF at conferences all over the world where it exchanges information on practices and methods of combating corruption. The International Investigator Conference (UN), the Inter Agency Group for Anti-Corruption (UNODOC) and the Interpol Group of Experts on Corruption are just some of the conferences it has attended. This worldwide net is seen as a key factor in the fight against the crime of corruption. The Commission is insisting on standards of good governance when acting as an international donor. Take the enlargement to Romania and Bulgaria for instance. The Commission scrutinised the state of preparedness for accession and particularly flagged the areas of justice, corruption and money laundering. The Commission supports governments in their anti-corruption efforts, provides support and has insisted on the successful model of AFCOs, anti-fraud coordinators as a single contact point within a central government department.
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IV. What Else can be Done to Help Build Trust in the EU-Administration? I believe we should not be defensive and shy away from open discussion. To advance further, we need to engage in a wide debate and engage the support of our partners, such as national authorities, the media and the academic world. I have a list of 5 areas where progress could be achieved: • First, better availability and comparability of data on fraud and corruption. We lack figures and hard evidence to counter suspicion. “Corruption” includes bribery, favouritism and nepotism, misappropriation of public goods and illegal party or election campaign funding. The different concepts and legal systems mean that there are differences in laws on bribery of Members of Parliament, party funding and a distinction between corruption in the private and public sectors, as well as punishments that differ in both type and severity. There is not enough empirical information available on the real extent of criminal corruption in Europe or how the European institutions compare with other administrations or international bodies. • Second, better cooperation across Europe: It is the European member states that have the police and judicial powers to actually pursue any wrongdoing. The Commission is convinced that police and judicial cooperation in the EU has already been improved by the establishment of Eurojust, the EU Justice cooperation Unit, and by extending Europol’s role. Public prosecutors, judges and police officers from the Member States working there facilitate liaison and make it possible to deal with transnational cases. Eurojust’s actual powers broadly correspond to the mandate set out in the Europol Convention and cover areas such as fraud, corruption, money laundering and membership of a criminal conspiracy. • Third, we must improve exchanges of information about unreliable economic operators, including notification of court proceedings, and we must work on a system to establish, consult and feed black-lists or databases of excluded operators; • Fourth, we must continue to develop professional and ethical rules for holders of public office such as Commissioners and MEPs and for EU officials. Some national parliaments, for instance in Estonia, have set up a special committee of experts to examine cases and lay down guidelines on questions of ethics for all institutions; • Fifth, Member states and European citizens must develop more sense of ownership for EU money. Fraud with EU funds is not only a problem for the Commission. It is taxpayers money. We encourage the Member States and Courts of Auditors to gain assurance for the management of EU funds at all levels.
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We have to get away from the idea that corruption is a victimless crime and that the misuse of EU money is a lesser crime. We also have to convey to partner institutions and citizens alike that EU funds are European taxpayers’ money. We have to succeed in fighting fraud and improve responsibility, and we have to talk about it. We have to raise awareness and change long standing perceptions. The success and credibility of further European integration will crucially depend on whether we can succeed in increasing understanding of the need for a European area of freedom, security and justice and trust in the way the European Union institution work.
Bericht über die Diskussion des Beitrags von Siim Kallas Von Stephanie Schiedermair Diskussionsleiter Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, dankte Herrn Kallas und wies auf das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Europäischen Union und die daraus folgende besondere Bedeutung der Korruptionsbekämpfung in der EU hin. Sommermann erinnerte an den Bericht unabhängiger Experten zum Problem der Korruption in der Europäischen Union aus dem Jahr 1999, der für viele Bürger, die Europa grundsätzlich positiv gegenüber gestanden hätten, eine negative Überraschung bedeutet habe, verwies aber auch darauf, dass seither zahlreiche Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung ergriffen worden seien. Hans Herbert von Arnim erkundigte sich bei dem Referenten, wann es – etwa über das Internet – möglich sei zu erfahren, welche Firmen und Personen in Deutschland welche Zahlungen der Europäischen Union erhielten. Kallas berichtete, er habe zu diesem Problem vor zwei Wochen im Deutschen Bundestag vorgetragen, und die deutsche Regierung werde eine Initiative zur Veröffentlichung der entsprechenden Daten unterstützen. Der Europäische Rat habe beschlossen, dass alle Mitgliedstaaten diese Informationen zukünftig veröffentlichen müssen und zwar nicht nur im Agrarbereich, sondern etwa auch im Bereich der Strukturfondsdaten. Eine schwierige Diskussion werde derzeit noch um den Finanzsektor geführt. Die endgültige Entscheidung des Rates erwarte man für Dezember. Eine Webseite der Kommission, wo die jeweiligen Informationen über die einzelnen Mitgliedstaaten abgerufen werden könnten, werde wohl frühestens 2008 zur Verfügung stehen. Die Mitgliedstaaten hätten jedoch bereits jetzt die erforderlichen Informationen und könnten diese auch sofort veröffentlichen. Ein Tätigwerden der Mitgliedstaaten sei somit die schnellste Möglichkeit, die Daten zu veröffentlichen. Sommermann knüpfte an die Bemerkung des Referenten zum Lobbyismus an und sprach von ca. 15.000 in Brüssel aktiven Lobbyisten. Er erläuterte, dass im Prozess der Schaffung des EU-Verfassungsvertrages Experten und Repräsentanten von Vereinigungen bewusst als ein positives Element zur Stärkung der Demokratie in Europa eingebunden worden seien. Allerdings
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sei es auf europäischer wie auf nationaler Ebene manchmal unklar, welche Lobbyisten Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess nähmen und nach welchen Kriterien die betreffenden Lobbyisten ausgewählt würden. Sommermann fragte daher den Referenten, ob und wenn ja welche Beratungsregeln es für die in Brüssel tätigen Lobbyisten gebe. Kallas führte aus, dass der Lobbyismus vor allem im Europäischen Parlament eine bedeutende Rolle spiele, weniger bei der Europäischen Kommission. Jedoch bestünde auf europäischer Ebene Einigkeit, dass die Legitimität der betreffenden Lobbyisten kontrolliert werden müsse. Es müsse sichergestellt werden, dass die Konsultationsprozesse mit den faktisch wichtigen und seriösen Vertretern erfolgten und dass transparent sei, welche Interessen hinter den einzelnen Gruppen stünden. Kallas schilderte, dass sich etwa im Gesetzgebungsprozess zum neuen EU-Chemikalienrecht (REACH) herausgestellt habe, dass hinter einer im Vorfeld besonders aktiven Gruppe, die sich für bestimmte Aspekte eingesetzt hatte, eine einzige Person gestanden habe. Auch für die offiziellen Stellen sei es wichtig, die Hintergründe der Interessengruppen, etwa auch deren Finanzierungsquellen, zu kennen. Man habe daher die Idee einer Registrierung der verschiedenen Hauptinteressengruppen entwickelt, wobei noch diskutiert werde, ob diese Registrierung verpflichtend oder freiwillig sein solle. Während die dauerhaft aktiven Nichtregierungsorganisationen für eine verpflichtende Registrierung plädierten, sprächen sich losere Zusammenschlüsse dagegen aus. Bis Ende 2006 wolle die Kommission jedoch das weitere Vorgehen beschließen. Dr. Sebastian Wolf, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer, sprach die Mitteilung der Kommission von 2003 über eine umfassende EU-Politik zur Bekämpfung der Korruption an, in der zahlreichen Mitgliedstaaten vorgehalten wurde, das EU-Bestechungsübereinkommen, das Zweite Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und das Strafrechtsübereinkommen des Europarates über Korruption nicht zu ratifizieren und umzusetzen. Ihn interessiere, welche Macht die Kommission habe, säumige Mitgliedstaaten zur Ratifizierung dieser Abkommen zu bewegen. Kallas bezeichnete die Macht der Kommission in diesem Bereich als reine Überzeugungsmacht. Allerdings müssten die Mitgliedstaaten im Zuge der Gesetzgebung, die das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) betreffe, bestimmte Maßnahmen ergreifen, um eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und OLAF herbeizuführen. Dr. Wolfgang Hetzer, OLAF-Abteilungsleiter, Brüssel, bekräftigte den Standpunkt von Kallas, die Mitgliedstaaten seien unabhängig; man könne lediglich versuchen, sie von der Wichtigkeit der Umsetzung der betreffenden Regelungen ins nationale Recht zu überzeugen. Insbesondere das Zweite Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der
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finanziellen Interessen der EG harre noch der Umsetzung. Die Kommission versuche jedoch auf die Umsetzung hinzuwirken. In der Zwischenzeit bildeten die zahlreichen Übereinkommen mit nationalen Autoritäten und mit europäischen Agenturen, etwa mit EUROPOL, eine gute Arbeitsbasis. Diese Basis sei für die momentane praktische Wirksamkeit der Regelungen wichtiger als die Schaffung von nationalem Recht, welches nicht effektiv umgesetzt werde. Kallas illustrierte daraufhin die damit einhergehenden Probleme an einem Beispiel. Innerhalb der letzten zwei Jahre sei er im Europäischen Parlament fünfmal zu einem Fall, der das Unternehmen Italburro betreffe, befragt worden. Italburro vertreibe Butter in ganz Europa, viele Unternehmen und Supermarktketten in der Europäischen Union seien daher von dem Fall betroffen. OLAF und die italienische Guardia di Finanza hätten Verfahren gegen Italburro angestrengt. Der Fall sei über ganz Europa verteilt. In den großen Mitgliedstaaten erwiesen sich die betreffenden Fälle als für den jeweiligen Mitgliedstaat weniger bedeutsame Fälle, so dass sie angesichts der hohen Belastung der Justiz in den einzelnen Mitgliedstaaten hintangestellt würden. In der Folge passiere nichts, was die Guardia di Finanza und die Kommission als sehr unbefriedigend empfinden würden. Regina Preiß, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer, brachte die Idee eines europäischen Staatsanwaltes in die Diskussion ein und fragte, ob zu diesem Projekt, das viel Opposition erhalten habe, Zukunftspläne der Kommission bestünden. Kallas unterstrich daraufhin, dass sowohl OLAF als auch die Kommission großes Interesse an der Schaffung eines europäischen Staatsanwalts hätten. Die Kommission habe versucht, diese Idee bei den Verhandlungen zum Verfassungsvertrag einzubringen, wobei auch über eine abgeschwächte Form dieses Elements diskutiert worden sei. Der Widerstand der Mitgliedstaaten sei jedoch groß, so dass die Idee unter der jetzigen Kommission nicht weiterentwickelt werde. Hetzer wies ergänzend auf die seit Jahren geführten heftigen Diskussionen über die Vereinheitlichung des Strafrechts in Europa hin. Das Strafrecht werde von den Mitgliedstaaten als Heiligtum nationaler Souveränität betrachtet. Die Idee eines europäischen Staatsanwaltes sei aber mithilfe einiger Mitglieder des Konvents in den Entwurf des Verfassungsvertrages eingebracht worden. Die betreffenden Regelungen im Verfassungsvertrag seien grundsätzlich vielversprechend. Jedoch müsse Einigkeit unter den Mitgliedstaaten erzielt werden, damit das Institut eines europäischen Staatsanwaltes tatsächlich geschaffen werden könnte. Hier müsse die politische Diskussion um das Schicksal des Verfassungsvertrages abgewartet werden. Ein effektiv arbeitender europäischer Staatsanwalt sei aber sinnvoll, um die finanziellen Interessen der Europäischen Union zu schützen.
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Sommermann stellte daraufhin die Frage, ob OLAF effektiven Zugang zu allen für eine erfolgreiche Untersuchung erforderlichen Informationen in den Mitgliedstaaten und in den europäischen Institutionen besitze. Kallas bekräftigte, dass es sich bei OLAF um eine vollkommen unabhängige Institution handele, die auch in ihren Untersuchungen keiner Einflussnahme durch die Kommission unterliege. Seiner Kenntnis nach bestünden in einigen Bereichen wie etwa Steuerbetrug und Produkt-Piraterie gute Netzwerke für den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten. Die Kommission unterstütze diese Netzwerke, besitze aber selbst keinen Zugang zu den Informationen und verlange einen solchen auch nicht, um keinerlei Einfluss auf OLAF auszuüben. Hetzer berichtete, OLAF besitze Zugang zu vielen Daten. Er selbst sei bei OLAF damit betraut gewesen, das betreffende Datenmaterial zu sammeln, die Daten auszuwerten und eine Rückmeldung an die Mitgliedstaaten zu veranlassen, damit deren Verfahren verbessert werden könnten. Dabei gehe es stets darum, die finanziellen Interessen der Europäischen Union zu schützen, die auch die eigenen Interessen der Mitgliedstaaten seien, da das Geld letztlich vom europäischen Steuerzahler stamme. Die Mitgliedstaaten seien zudem verpflichtet, über Unregelmäßigkeiten zu informieren. Die Anforderung von Daten führe manchmal zu heftigen Diskussionen über Datenschutz und die Zweckbindung von Daten, wobei der Zugang zu Strukturdaten leichter sei als zu persönlichen Daten. Ein Frühwarnsystem, das Informationen über Begünstigte enthalte, trage dazu bei, dass Geld nicht an Begünstigte fließe, die mit diesem Geld nicht ordnungsgemäß umgingen. Hetzer gab ferner zu bedenken, dass OLAF keine Institution zur Durchsetzung von Recht sei. Die Untersuchung durch OLAF besitze vielmehr Verwaltungscharakter und sei daher auch anderen Regeln bezüglich des Zugangs und der Nutzung von Daten unterworfen. De facto bekäme OLAF aber viele Daten, etwa von den Mitgliedstaaten in den Bereichen Landwirtschaft und Strukturfonds. OLAF arbeite an der Verbesserung der Qualität des Datenmaterials und der Evaluierung des Systems. von Arnim warf das Problem der doppelten Tätigkeit von Parlamentsabgeordneten auf und verwies auf die Lage in Deutschland, wo einige Bundestagsabgeordnete – beispielsweise Reinhard Göhner – zugleich hochbezahlte Positionen bei bestimmten Interessenverbänden einnähmen. Ihn interessiere, ob auf europäischer Ebene eine parallele Diskussion, etwa über den für Bertelsmann tätigen Parlamentarier Elmar Brok, geführt werde. Kallas führte daraufhin den dritten Punkt der Transparenz-Initiative der Kommission an, der „persönliche Integrität“ verlange. Die Kommission bereite ein Arbeitspapier zu diesem Punkt vor, das ethische Verhaltensregeln für alle europäischen Institutionen enthalten solle. In der Kommission bestünden bereits jetzt sehr
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genaue Verhaltensregeln, aber keine überwachende Institution, wobei auch im Europäischen Parlament Einigkeit herrsche, dass eine derartige Institution geschaffen werden müsse. Ferner sei es notwendig, den Begriff der „ökonomischen Interessen“ genau zu definieren. Die Parlamentarier müssten zudem ihre Aktivitäten offen legen, damit ihre ökonomische Interessen bekannt seien und verhindert werden könne, dass diese bei Sachverhalten, die ihren eigenen ökonomischen Interessen dienten, mitentscheiden würden. Eine vollkommene Formulierung der Verhaltensregeln, die jedes mögliche Fehlverhalten bereits berücksichtige, sei unmöglich, so dass sich die Schaffung einer unabhängigen Kontrollinstanz als der wichtigste Schritt auf diesem Wege erweise. Georg Weishar, Oberregierungsrat der Regierung von Oberfranken, Bayreuth, berichtete aus seiner Berufspraxis bei der Verteilung von Geldern im Agrarbereich, dass auf der unteren Ebene der Verwaltung kein Bewusstsein für das Problem der Korruption bestehe. Es gelte vielmehr, dass man, da man so viel an die Europäische Union zahle, auch versuche, so viel Geld wie möglich zurückzubekommen. Er richtete deshalb die Frage an Kallas, warum die Europäische Union sich angesichts dieser Tatsache nicht an die untere Verwaltung wende. Kallas verwies zunächst auf die Debatten über die finanzielle Perspektivplanung der EU, bei denen insbesondere die großen Mitgliedstaaten eine Nettoobergrenze der Finanzen festlegen wollten. Der dänische Premierminister habe zurecht darauf hingewiesen, dass man die Finanzierung bestimmter Politikfelder beschlossen habe. Man könne daher darüber diskutieren, ob man diese Bereiche nicht mehr finanzieren wolle, das Begehren nach einer Haushaltsobergrenze müsse aber aufhören. Zum zweiten führte Kallas aus, dass die Mitgliedstaaten die europäische Bürokratie nicht gerne auf lokaler und regionaler Verwaltungsebene agieren sähen. Ein Vorteil zentraler Verwaltung sei die Gleichheit der Regeln für alle. Er favorisiere jedoch dezentrale Entscheidungen auf regionaler und vor allem auf nationaler Ebene. Kallas erwähnte schließlich einen Vorschlag der Briten, ein europäisches Konto auf der Ebene der Mitgliedstaaten anzulegen, um eine integrierte Behandlung des EU-Geldes zu garantieren. Nationale Rechnungsprüfungsinstitutionen hätten an dieser Idee bereits Interesse angemeldet. Preiß merkte an, dass OLAF im Gegensatz zur vorherigen EU-Stelle für die Koordinierung der Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung (UCLAF) auch interne Untersuchungen durchführen könne. Manche Europaparlamentarier hätten befürchtet, dass ihre Rechte hierdurch verletzt würden. Sie frage daher, wie die Kooperation mit anderen internen Stellen, etwa mit dem Untersuchungs- und Disziplinaramt IDOC, funktioniere. Kallas bezeichnete die Kooperation zwischen OLAF und IDOC als gut. Ein Verbesserungsvorschlag der Kommission ziele darauf ab, OLAF das Recht zu gewähren, Untersu-
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chungen zu beenden. Kallas illustrierte die Problematik an dem Beispiel eines Missbrauchsfalles in Höhe von 44 Euro. OLAF sei verpflichtet, diesen Fall an die nationalen Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten, was nur schädlich sei. Eine engere Zusammenarbeit mit den betreffenden Disziplinarbehörden, die diese kleineren Fälle lösen könnten, würde sich hingegen als sinnvoll erweisen. Zu Beginn sei OLAF eingerichtet worden, um insbesondere Missbrauchsfälle in der Kommission zu untersuchen. Heute wirke OLAF interinstitutionell und untersuche alle Missbrauchsfälle. Sommermann erinnerte an die Gemeinschaftsgesetzgebung von 2001 zur Informationsfreiheit, durch die für den Bürger das Recht auf Zugang zu Informationen der EU-Organe geschaffen worden sei und die in den europäischen Mitgliedstaaten, in denen es dieses Recht noch nicht gab, viele Reformen ausgelöst habe. So sei etwa in Deutschland daraufhin ein Gesetz zur Informationsfreiheit verabschiedet worden. Sommermann fragte nach den Erfahrungen in der Kommission mit diesem Recht auf Informationszugang, den damit möglicherweise verbundenen Datenschutzproblemen und den Reaktionen der Bürger. Kallas berichtete, es gebe keine Probleme in der Kommission mit diesem Recht. Die Kommission arbeite mit dem europäischen Datenschutzbeauftragten gut zusammen, vor allem bei persönlichen Informationen, da der Datenschutz auf diesem Gebiet sehr restriktiv sei. Auf anderen Gebieten entstünden überhaupt keine Probleme. Es existierten nur wenige sehr vertrauliche Bereiche, etwa die Handelsvereinbarungen, wo hartnäckige Versuche einiger Nichtregierungsorganisationen, Informationen über Verhandlungspositionen zu erhalten, strikt zurückgewiesen werden müssten. Ansonsten sei es aber das Ziel der Kommission, so viele Informationen so schnell wie möglich herauszugeben.
Ökonomisierung von Staat und Verwaltung – Vorschub für Korruption? Von Christoph Reichard I. Ausgangspunkte der Problemanalyse1 In den vergangenen Jahren hat es einige Entwicklungen in Staat und Verwaltung gegeben, die zusammen genommen dazu geführt haben, dass sich die ethischen Maßstäbe im öffentlichen Sektor verschoben haben und die Risiken für Korruption angestiegen sind. Folgende Ausgangspunkte sind für eine Problemanalyse im Kontext von Ethik und Korruption von besonderer Relevanz: 1. Modernisierung der öffentlichen Verwaltung Seit etwa 15 Jahren hat es in Deutschland wie in den meisten anderen Industriestaaten erhebliche Anstrengungen zur Modernisierung von Staat und Verwaltung gegeben, die unter der Bezeichnung „New Public Management“ – bzw. in Deutschland „Neues Steuerungsmodell“ – weithin bekannt geworden sind (vgl. Reichard 2003). Diese Reformen haben sich vor allem auf der deutschen Kommunalebene ausgewirkt, in abgeschwächter Form auch in einigen Bundesländern und in begrenztem Maße auf Bundesebene. Kernanliegen der Reformen war es, die Verantwortung auf die einzelnen Facheinheiten zu dezentralisieren, stärker über Ergebnisse und Wirkungen zu steuern sowie Aufgaben stärker auf Private auszulagern. Durch diese Reformmaßnahmen sind Verwaltungen – zumindest teilweise – marktorientierter, kostenbewusster und kundenbezogener geworden, wie neue Evaluierungen zeigen (vgl. Bogumil et al. 2007).
1 Die nachfolgenden Überlegungen stützen sich in besonderem Maße auf die Arbeiten von Patrick von Maravic, der am Lehrstuhl für Public Management der Universität Potsdam tätig war und 2006 über den Zusammenhang von Verwaltungsmodernisierung und Korruption promoviert hat (vgl. i. e. Maravic 2007).
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2. Verselbständigungsprozesse im Staat Ungefähr im gleichen Zeitraum und weitgehend parallel zur vorgenannten Entwicklung hat es in Deutschland – wiederum wie auch in zahlreichen anderen Staaten – einen weitgreifenden Prozess der Verselbständigung und Ausgliederung von öffentlichen Einrichtungen gegeben. Auf allen Ebenen sind vormalige Einheiten der Kernverwaltung in (teil-)verselbständigte Einrichtungen in unterschiedlichen Rechtsformen umgewandelt worden. Zugleich sind bereits vorhandene teilselbständige Einheiten – etwa kommunale Eigenbetriebe – noch stärker in Selbständigkeit überführt worden, indem man sie z. B. in private Rechtsformen wie GmbH oder AG transformiert hat. Auf diese Weise gibt es heute bspw. hunderte von Agenturen oder anderen teilselbständigen Einrichtungen auf Bundes- und Landesebene sowie mehrere tausend Unternehmen auf Landes- und Kommunalebene (vgl. zur Lage in der Kommunalverwaltung Killian et al. 2006). In den deutschen Städten sind bspw. im Schnitt bereits 50 % der Beschäftigten in den zahlreichen selbständigen Einheiten tätig, von denen 75 % als GmbH organisiert sind (vgl. Edeling et al. 2006). Hinzu kommt, dass an zahlreichen kommunalen Unternehmen (40 %) bereits privates Kapital beteiligt ist und insofern die Grenzen zwischen Staat und Markt bereits recht verschwommen sind. Im Ergebnis haben wir es heute mit einem stark fragmentierten und „ausgefransten“ öffentlichen Sektor zu tun, der politisch schwer zu steuern und zu kontrollieren ist. 3. Marktliberalisierung Ein weiterer Einfluss geht von der seit etlichen Jahren in der EU voran getriebenen Deregulierung und Liberalisierung der Märkte sowie der Schaffung eines gemeinsamen EU-Binnenmarktes aus. Dies hat dazu geführt, dass die öffentlichen Unternehmen, die Dienstleistungen im allgemeinen Interesse anbieten – etwa im Ver- und Entsorgungssektor – stärker unter Wettbewerbsdruck gestellt sind und sich am Markt gegen eine zunehmende in- und ausländische Konkurrenz aus dem Privatsektor behaupten müssen. Dies hat wiederum zu einem Mentalitäts- und Kulturwandel in den öffentlichen Unternehmen geführt. Öffentliche Unternehmen müssen kostengünstig arbeiten und sich marktgerecht verhalten, um überleben zu können. 4. Konvergenz der Personalsysteme Auch im öffentlichen Dienst vollzieht sich ein schleichender Anpassungsprozess. Das öffentliche und das private Personalsystem nähern sich einander an, es gibt klare Konvergenztendenzen (Bsp: Bezahlung). In einigen anderen
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europäischen Ländern ist diese Tendenz zwar sichtbarer als bei uns, aber auch in Deutschland gibt es Konvergenzanzeichen. In der Folge findet ein langsamer Wandel der Werthaltungen und Kulturprägungen statt: klassische „Beamtentugenden“ nehmen ab, unternehmerisches Denken und ökonomische Prägungen nehmen an Bedeutung zu. Besonders deutlich wird dies in den öffentlichen Unternehmen, bei deren leitendem Personal sich ein Wandel der Führungskultur in Richtung Privatwirtschaft beobachten lässt (vgl. Edeling 2003). 5. Anhaltende Finanzkrise Auch die seit langem bestehende Finanzkrise des Staates hat Einfluss auf den Wandel der Kontextbedingungen. Verwaltungen wie öffentliche Unternehmen stehen unter dauerndem Spardruck und müssen alle möglichen Chancen nutzen, um zusätzliche Einnahmen zu generieren. Auch dadurch stellt sich ein Ökonomisierungsdruck mit entsprechenden Auswirkungen auf Verhalten und Zielsetzungen der Akteure ein. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich im genannten Zeitraum der Zeitgeist gewandelt hat und sich entsprechend die ordnungspolitischen Leitvorstellungen verschoben haben: Der Wohlfahrtsstaat ist in die Krise geraten und neoliberale Orientierungen haben zur Debatte um den „Gewährleistungsstaat“ geführt. In der Folge hat in Staat und Verwaltung ein Prozess der „Ökonomisierung“ stattgefunden, der eine stärkere Ausrichtung staatlichen Handelns an ökonomischen Kategorien, Werten und Prinzipien bewirkt hat. Marktdaten, Erlöse, Kosten, Leistungsanreize spielen nun eine größere Rolle als zuvor. Zudem zieht sich der Staat immer mehr aus der öffentlichen Leistungserstellung zurück (vgl. zum Ökonomisierungstrend insgesamt: Harms / Reichard 2003). II. Nichtintendierte Effekte der Verwaltungsmodernisierung Die geschilderten Entwicklungen und vor allem die Modernisierungsmaßnahmen haben in der deutschen Verwaltung zweifellos eine Reihe positiver Effekte gehabt: die Verwaltung – so zeigen manche Befunde – arbeitet kostenbewusster und bürgerfreundlicher, die öffentlichen Unternehmen haben sich den marktlichen Anforderungen angepasst. Allerdings zeigen Evaluierungen auch, dass es eine Reihe nicht intendierter Folgewirkungen gegeben hat: manchen Verwaltungen und Betrieben ist ihr Gemeinwohlbezug abhanden gekommen, es ist zu Fragmentierungen und Steuerungsverlusten gekommen, die politisch-demokratische Kontrolle ist eher erschwert worden und die Ethikprobleme haben zugenommen. Auch die ohnehin – z. B. auf der
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Kommunalebene – nicht gerade starke demokratische Steuerung und Kontrolle der Verwaltung durch die Politik ist durch die erwähnten Trends eher geschwächt worden: Die verselbständigten Einrichtungen haben sich der direkten Kontrolle entzogen und das Gewicht der Exekutive ist infolge verbesserter Informationen und Steuerungsansätze vergleichsweise gestiegen. Vor allem die Auswirkungen der Verselbständigungsprozesse sind als kritisch zu bewerten. Wie erwähnt, haben wir es heute mit einem stark zergliederten und fragmentierten öffentlichen Sektor zu tun, dessen Grenzlinien zum Privatsektor mehr und mehr verschwimmen. Die zahlreichen Einheiten entwickeln beachtliche zentrifugale Kräfte und treiben auseinander; vielfach gelingt es der Verwaltungsleitung nicht mehr, die Einrichtungen zusammenzuhalten und auf einen gemeinsamen Kurs einzuschwören. Die dazu erforderlichen Steuerungskonzepte und -instrumente sind großenteils nicht vorhanden resp. werden nicht genutzt. Es findet eine „Pluralisierung“ des öffentlichen Sektors statt, das Prinzip der „Einheit der Verwaltung“, das lange Zeit in Deutschland zumindest als juristische Norm Bedeutung hatte, spielt heute keine Rolle mehr. Dies alles wirkt sich verständlicherweise auch auf die ethisch-moralischen Werthaltungen und Standards der Beschäftigten aus. Die Mitglieder des öffentlichen Dienstes, aber auch Politiker, Parteimitglieder und andere Beteiligte haben sich den geschilderten Veränderungen angepasst (vgl. Behnke 2004). Sie verhalten sich nunmehr kostenbewusster, ökonomisch rationaler, sind stärker am individuellen Vorteil interessiert. Zudem haben sie viel mehr Kontakte mit Wirtschaftspartnern als zuvor, da ja etliche Aufgaben ganz oder teilweise auf Private ausgelagert worden sind. Klassische Werte des „Staatsdieners“ spielen nur noch eine geringe Rolle, eher werden sie belächelt. Da das gesamte System des öffentlichen Dienstes mit seinen „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ in Misskredit geraten ist, hat auch die verhaltenssteuernde Wirkung ethischer Normen nachgelassen. Außerdem gibt es eben „den öffentlichen Dienst“ gar nicht mehr, sondern ein vielgestaltiges Bündel unterschiedlicher und teilweise hybrider Institutionen, die nicht mehr allzu viel miteinander zu tun haben. Dies alles hat auch zu einer Verunsicherung der öffentlichen Beschäftigten über die maßgeblichen Werte und Standards geführt, was ebenfalls ethisch bedenkliche Praktiken befördern kann. Damit sind wir beim Kernthema der Korruption angelangt: Welche Auswirkungen haben die geschilderten Trends auf Korruption in der öffentlichen Verwaltung? Es gibt einige Anzeichen dafür, dass die Korruptionsrisiken in jüngerer Zeit angestiegen sind und dass dazu die Trends der Verwaltungsmodernisierung, der Verselbständigung, der Liberalisierung und des Kulturwandels beigetragen haben. Eine besonders interessante und provokante Frage ist die, ob und inwiefern die jüngere Verwaltungsmodernisierung eine Steige-
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rung der Korruptionsrisiken bewirkt hat (vgl. dazu ausführlich Maravic 2007). Dies wird derzeit kontrovers diskutiert: Strikte Befürworter von Verwaltungsmodernisierung verweisen auf risikomindernde Faktoren von NPM und sind eher optimistisch. Kritische Beobachter der aktuellen Reformen neigen indes eher dazu, einen Risikoanstieg nicht auszuschließen. Modernisierer argumentieren, dass das neue Verwaltungsmanagement Korruption erschwere, weil es nun mehr Transparenz gäbe, die Zuständigkeiten klarer geregelt seien, die Ziele eindeutiger seien und besser gemessen werden könnten und auch weil die Beschäftigten höher motiviert seien. Im Übrigen – so wird von dieser Seite betont – seien vordere Plätze im Korruptionsindex (CPI) von Transparency International (TI) für modernisierungsstarke Staaten wie Finnland oder Neuseeland ein Beleg dafür, dass die Korruptionsrisiken nach Modernisierung nicht ansteigen würden. Auf der anderen Seite ist nicht von der Hand zu weisen, dass der höhere Grad an Ökonomisierung und teilweise auch Kommerzialisierung sowie die neuen „unternehmerischen“ Werte bei einigen Akteuren mehr Motivation und Möglichkeiten zu korruptiven Praktiken schaffen und dass die starke Zergliederung des öffentlichen Sektors eine hinreichende Kontrolle erschweren kann. Im neuen öffentlichen Sektor verteilen sich die Korruptionsrisiken auf eine größere Zahl an Akteuren: Es macht Sinn, zwischen dem Leistungskäufer (Verwaltung), dem Leistungsfinanzierer (z. B. Parlament, Gemeinderat) und dem Leistungserbringer (öffentliche Einrichtung resp. privater Anbieter) zu unterscheiden. Alle drei Gruppen verfolgen eigene Interessen und bieten Ansatzpunkte für korruptive Praktiken. III. Zur aktuellen Lage von Korruptionsproblemen in der Verwaltung Eine klare Antwort auf die Frage, ob sich die Korruptionsgefahren aufgrund von Staatsmodernisierung und Ausgliederung / Auslagerung erhöhen oder nicht, kann gegenwärtig nicht gegeben werden, da es bislang an empirischer Fundierung fehlt. Es sprechen jedoch einige Argumente und Belege dafür, dass man das Risiko erhöhter Korruption ernst nehmen sollte. Zum einen zeigen polizeiliche Daten eine Zunahme von Korruptionsproblemen im öffentlichen Sektor, zum anderen belegen Einschätzungen von Rechnungsprüfern einen entsprechenden Trend. Erfahrungen in anderen Ländern deuten in die gleiche Richtung. Gewisse Hinweise geben die Daten der Kriminalstatistik. Gemäß BKA (2002,4) haben sich die Korruptionsfälle in Deutschland zwischen 1995 und 2002 immerhin versechsfacht. Besonders gefährdet sind dabei die Baubehör-
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den und die verschiedenen kommunalen Ver- und Entsorgungsbetriebe. Korruptionsrisiken entstehen aber auch generell überall dort, wo wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden und mit Geld umgegangen wird, vor allem in den Beschaffungsabteilungen, bei Zuwendungsgebern und Genehmigungsbehörden. Dabei weisen BKA und Rechnungshöfe immer wieder daraufhin, dass die ausgegliederten Einrichtungen sowie die zahlreichen PPPs besonders riskant seien, weil sie den traditionellen Kontrollmechanismen (z. B. der internen Rechnungsprüfung) entzogen seien. Eine Umfrage unter Vertretern kommunaler Rechnungsprüfungsämter (RPA) bestätigt diese Tendenzaussagen (vgl. i. e. Maravic 2007). Danach schätzen die RPA-Vertreter das Korruptionsrisiko in den verselbständigten Einrichtungen als ebenso hoch ein wie das in der Kernverwaltung. Wesentliche Ursachen dafür sehen sie vor allem in Identifikationsproblemen, in mangelndem Vorbildverhalten der Vorgesetzten sowie im gestiegenen Effizienzdruck. Für die RPA-Vertreter steigen die Korruptionsrisiken mit zunehmender Autonomie der Einrichtung an: während sie die Risiken in der Kernverwaltung noch als begrenzt einschätzen, weil dort die traditionellen Mechanismen (Kontrollen des RPA usw.) noch funktionieren, werden sie in privatrechtlichen Formen als deutlicher höher eingestuft. Hier greifen die Prüfrechte der RPAs nicht mehr voll, teilweise haben sich Leerräume ohne angemessene Kontrollmöglichkeiten herausgebildet. Auch eine europaweite Umfrage geht in eine ähnliche Richtung. In der Mehrzahl der EU-Staaten rechnen die jeweiligen Experten des öffentlichen Dienstes mit einer Zunahme von Risiken unethischen Verhaltens infolge durchgeführter Verwaltungsreformen (vgl. Demmke 2005, 134): Während 13 Länder eine Zunahme erwarten, rechnen nur 5 Länder mit einer Abnahme solcher Risiken. Damit bestätigen sich trotz aller bestehenden Empiriedefizite die Vermutungen, dass die Verantwortungsdelegation des NSM und die Ausgliederungen zu einer Erweiterung der Korruptionsrisiken geführt haben und dass wir es nunmehr auch mit einer neuen Variante von Korruption zu tun haben: der dezentralen Korruption. IV. Gründe eines gesteigerten Korruptionsrisikos Gemäß den Analysen von Maravic lassen sich drei Argumentationsdimensionen unterscheiden, weshalb Korruptionsrisiken als Folge von Verwaltungsmodernisierung steigen können (Maravic 2007): • Werteverschiebungen in Richtung einer höheren Motivation zu korruptivem Handeln (u. a. aufgrund von Ökonomisierung und Managerialisierung),
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• neue „Verführungen“ und Handlungsermächtigungen aufgrund dezentraler Strukturen, verstärkter Gründung selbständiger Einrichtungen sowie vermehrter Auftragsvergabe, • Missverhältnis zwischen neuer Autonomie und wirksamen Interventionsresp. Kontrollmöglichkeiten: alte, formale Kontrollmechanismen erweisen sich als ineffektiv, neue, wirksamere Konzepte und Instrumente stehen (noch) nicht hinreichend zur Verfügung resp. werden unzureichend genutzt; zudem mangelt es an Prophylaxe. Im ersten Fall, den man auch als die Dimension des „Wollens“ bezeichnen kann, haben wir es also mit veränderten Wert- und Motivationsstrukturen der Beschäftigten zu tun. Wie schon erwähnt, identifizieren sich die Mitarbeiter immer weniger mit den Werten des Gemeinwesens und der Verwaltung; der „Staatsdienst“ ist für sie ein Job wie jeder andere. In vielen Fällen ist eine Abnahme der Gemeinwohlorientierung zu beobachten, während die Partialinteressen an der einzelnen Einrichtung oder Abteilung zunehmen. Es mangelt an Vorbildern und verbindlichen Wert-Hierarchien. Das Dienstrecht kann diese Orientierungen nur noch begrenzt vermitteln, es wird kaum noch als verhaltensrelevant wahrgenommen. Besonders auffällig erscheint dieser Wertewandel in öffentlichen Unternehmen, die sich durch Marktzwänge und Wettbewerbsdruck veranlasst sehen, sich analog zu privaten Unternehmen zu verhalten. Fallstudien zu Stadtwerkemanagern belegen deren Neigung, sich wie private Manager zu verhalten und sich möglichst strikt von der eigenen Muttergebietskörperschaft abzukoppeln (vgl. Edeling 2003). Hier ist vom alten Staatsethos und von Bedarfswirtschaftlichkeit als Handlungsmaxime nicht mehr viel übrig geblieben. Im zweiten Fall – der Dimension des „Könnens“ resp. der „Möglichkeiten“ – geht es um die erweiterten Verführungen, denen öffentliche Beschäftigte im Kontext des fragmentierten Staates ausgesetzt sind. Korruption entsteht an den Nahtstellen des Staates zum Marktsektor – und da es nun ungleich mehr solcher Nahtstellen gibt, sind auch die Korruptionsrisiken entsprechend höher. Fünf verschiedene Ansätze der Dezentralisierung und Ausgliederung seien genannt, die korruptionsförderlich sind: • Verwaltungsintern ist es infolge von NSM zur Delegation von Verantwortung auf zahlreiche einzelne Einheiten gekommen, die nun oft ein eigenes Budget haben und in gewissem Rahmen eigenständig wirtschaften können. • Zugleich hat man im Zuge von NSM häufig interne Märkte eingeführt, bei denen interne Dienstleister wie Gebäudemanagement, Fuhrpark oder Rechenzentrum mit ihren internen Abnehmern Leistungsvereinbarungen abschließen und entsprechende Verrechnungen durchführen.
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• Wie mehrfach erwähnt, hat es umfangreiche Ausgliederungen und Verselbständigungen gegeben, insbesondere in GmbH-Form, die sich zumindest partiell der tradierten Überwachung entziehen und häufig schwer zu steuern sind. • Ferner hat in den letzten Jahren aus Kostengründen die Vergabe von öffentlichen Leistungen an private Anbieter erheblich zugenommen (ContractingOut), und zwar sowohl an private Unternehmen wie an Nonprofit-Organisationen. • Schließlich hat die Modewelle „PPP“ auch die deutsche Verwaltung erfasst: sowohl die Organisations-PPPs (= gemischtwirtschaftliche Unternehmen) wie auch die Vertrags-PPPs haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. In beiden Fällen ist eine stärkere ökonomische Ausrichtung zu vermuten. Die fünf Fälle von erweiterten Möglichkeiten zur Korruption zeigen, dass sich heutzutage dem öffentlichen Beschäftigten viel mehr Chancen und Optionen eröffnen, sich bestechen zu lassen als das in den traditionellen Strukturen der Fall war. Die dritte Dimension – die des „Dürfens“ – betrifft die gegebenen Potenziale der Steuerung und Kontrolle des Verwaltungshandelns. Die empirischen Befunde lassen vermuten, dass die tradierten Mechanismen nicht mehr hinreichend funktionieren und dass man bislang keine neuen wirksameren Konzepte hat entwickeln können. Die Befunde aus der NSM-Evaluierung zeigen, dass in den meisten öffentlichen Einrichtungen der Aufbau zentraler Steuerungsdienste nicht mit der erfolgten Dezentralisierung Schritt gehalten hat (vgl. Bogumil et al. 2007). Insofern hat sich in den dezentralen Strukturen häufig ein Kontrollvakuum herausgebildet. Dies machen bspw. die bereits berichteten Befunde der RPA-Vertreter deutlich: Während sie in der Kernverwaltung weiterhin umfassende Kontrollrechte besitzen, gilt dies für verselbständigte Einrichtungen – vor allem mit privatrechtlichem Status – nur eingeschränkt. Dort könnten zwar dann externe Wirtschaftsprüfer oder separate Revisoren diese Aufgabe übernehmen, das scheint aber in der Praxis bisher nicht recht zu funktionieren. Ein erhebliches Problem stellen wohl auch die Politiker dar, die als Vertreter der Gemeinderäte in die Aufsichtsräte kommunaler Unternehmen gewählt worden sind. Sie sollen eigentlich die Interessen der Eigentümer-Gemeinde vertreten, stellen sich aber meist auf die Seite des Unternehmens und üben ihre Kontrollfunktionen – wie man zahlreichen Klagen aus der kommunalen Welt entnehmen kann – nur unzureichend aus. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass es generell an einer geeigneten Corporate Governance für öffentliche Unternehmen mangelt – die bestehenden gesellschaftsrechtlichen
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Regelungen scheinen für die Wahrnehmung der öffentlichen Eigentümer- und Auftraggeberfunktionen nicht sonderlich geeignet zu sein. Per Saldo lässt sich also feststellen, dass Korruptionsrisiken erstens aufgrund gewandelter Wertstrukturen und Motivationslagen der Beschäftigten steigen können, dass sie zweitens aufgrund der erweiterten Möglichkeiten zur Korruption als erhöht einzustufen sind und dass drittens die Kontrollansätze als für diese neuen Optionen und Verführungen nicht angemessen bezeichnet werden müssen. Das Korruptionsrisiko wird also durch die Ausprägungen der genannten drei Dimensionen bestimmt: Ist nur eine der drei Dimensionen (z. B. Wollen) kritisch, so dürfte sich das Risiko noch in Grenzen halten. Sind jedoch alle drei Dimensionen gleichermaßen korruptionsförderlich ausgeprägt, dann besteht akute Korruptionsgefahr. Insgesamt bedeutet dies, dass man davon ausgehen muss, dass sich das Korruptionsrisiko in der deutschen Verwaltung aufgrund der gewandelten Kontextbedingungen deutlich erhöht hat. V. Ansätze zu Gegenmaßnahmen Gegenmaßnahmen sollten angesichts dieser Diagnose grundsätzlich bei den genannten drei Dimensionen ansetzen. Ein schwierig zu beeinflussendes Feld sind Maßnahmen zu Wertewandel und Motivation. Zwar kann durch Ethik-Training eine gewisse Sensibilisierung erreicht werden, aber es dürfte unrealistisch sein, gegen den aktuellen Zeitgeist und Ideologietrend klassische Beamtenwerte und Gemeinwohlprinzipien wiederzubeleben. Die verschiedentlich heute auftauchenden „Codes of Conduct“ können in begrenztem Umfang risikomindernd wirken, sofern sie in entsprechenden Veranstaltungen mit den Beschäftigten gemeinsam erarbeitet werden und sofern sie dann auch beobachtbar in den betreffenden Organisationen „gelebt“ und deutlich im Sozialisationsprozess der Mitarbeiter verankert werden. Der Bereich des „Könnens“ kann grundsätzlich durch rechtliche und organisatorische Restriktionen eingegrenzt werden. Bspw. kann eine wirksamere Gesamtsteuerung des „Konzerns Stadt“ angestrebt werden, es können klare Vergaberichtlinien aufgestellt werden usw. Insgesamt dürfte es empfehlenswert sein, den gesamten Vorgang der Dezentralisierung und Auslagerung weniger euphorisch zu sehen und den angestiegenen Steuerungs- und Kontrollproblemen Rechnung zu tragen. Im Fall des „Dürfens“ erscheinen einerseits Gesetzesreformen geboten. Bspw. erscheint eine Ausweitung und Verdeutlichung der Straftatbestände dringend geboten (vgl. v. Arnim et al. 2006). Das strafrechtliche Korruptionsverständnis (§ 11, Abs. 1, Nr. 2 StGB) erscheint heute nicht mehr zeitgemäß, da es zu eng auf Amt und öffentliches Handeln zugeschnitten ist und der Plu-
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ralität heutiger Erbringungsformen öffentlicher Leistungen nicht mehr Rechnung trägt (vgl. Klein / Maravic 2007). Es spricht hier viel für eine Vereinheitlichung der bislang getrennten Straftatbestände für Beamte (Straftat im Amt) und Private (Bestechlichkeit im Geschäftsverkehr), da wie erwähnt Staat und Markt stärker verflochten sind und da heutzutage beide Sachverhalte im Zusammenhang mit öffentlichen Leistungen auftreten können. Andererseits könnten erweiterte Kontrollspielräume (etwa für Rechnungsprüfungsämter, Rechnungshöfe, Ombudspersonen usw.) und die Nutzung neuer Techniken (etwa Vergabe-Datenbanken, Kontroll-Software) eine Hilfe sein. Insgesamt kommt bei wirksamen Maßnahmen gegen Korruption ein breites Spektrum von Instrumenten in Betracht (vgl. Demmke 2005): einerseits ist auf einen Mix von Ge- und Verboten zu achten und es kommt auf funktionierende Kontrollmechanismen an, andererseits können weichere Formen wie Kodizes, Leitbilder und Ethiktrainings unterstützend wirken. Außerdem ist ein angemessenes Gewicht auf Prophylaxe zu legen: Überzeugungsarbeit, Schaffung geeigneter Strukturen, Beratungsdienste usw. Bei alldem dürfte die jeweilige Situation entscheidend sein. Das „Vier-Säulen-Modell“ für ein kommunales Integritätssystem von Transparency International kann hierbei eine gute Orientierung geben (vgl. TI Deutschland 2006). VI. Fazit Insgesamt müssen Verwaltungsreformer zur Kenntnis nehmen, dass die aktuellen Modernisierungsprojekte nicht ausschließlich positive und beabsichtigte Wirkungen zeitigen, sondern dass man stets auch mit nicht-intendierten Effekten rechnen muss, zu denen gesteigerte Korruptionsrisiken gehören. Wie ausgeführt wurde, kann Verwaltungsmodernisierung zu vermehrter Korruption führen, weil sich die Werte gewandelt haben, weil es mehr „Verführungen“ gibt und weil es keine angemessen wirksamen Kontrollmechanismen gibt. Dementsprechend gilt es, konkrete und wirksame Gegenmaßnahmen zur Risikobegrenzung einzuleiten. Hierzu kann sowohl der Gesetzgeber beitragen wie auch jeder Behördenchef oder Politiker. Erster Schritt dazu ist die Analyse des konkreten Korruptionsrisikos, das im Hinblick auf eine öffentliche Einrichtung besteht. Hierzu will dieser Beitrag einige Anregungen geben.
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Literatur Arnim, H. H. v. et al.: Korruption. FÖV Discussion Paper 33, Speyer 2006. Behnke, N.: Ethik in Politik und Verwaltung. Baden-Baden 2004. Bogumil, J. et al.: 10 Jahre Neues Steuerungsmodell – eine Bilanz kommunaler Verwaltungsmodernisierung. Berlin 2007 (im Druck). Claussen, H. / Ostendorf, H. (Hg.): Korruption im öffentlichen Dienst. Ein Überblick. Köln 2002. Demmke, C.: Öffentliche Meinung, Ethik und die Reform der öffentlichen Dienste in Europa. In: Maravic, P. v. / Reichard, C. (Hg.): Ethik, Integrität und Korruption – neue Herausforderungen im sich wandelnden öffentlichen Sektor? Potsdam 2005, S. 89–148. Edeling, Th.: Rollenverständnis des Managements im kommunalen Unternehmen. In: Harms, J., C. Reichard (Hg.): Die Ökonomisierung des öffentlichen Sektors: Instrumente und Trends. GÖW-Schriftenreihe Heft 50. Baden-Baden 2003, S. 235–254. Edeling, Th. / Richter, P. / Reichard, C.: Kommunale Betriebe in größeren Städten. Ergebnisse einer empirischen Analyse der Beteiligungen deutscher Städte über 50.000 Einwohner. In: Killian, W. / Richter, P. / Trapp, J. (Hg.): Ausgliederung und Privatisierung in Kommunen. Empirische Befunde zur Struktur kommunaler Aufgabenwahrnehmung. Berlin 2006, S. 55–84. Harms, J. / Reichard, C. (Hg.): Die Ökonomisierung des öffentlichen Sektors: Instrumente und Trends. Baden-Baden 2003. Killian, W. / Richter, P. / Trapp, J. (Hg.): Ausgliederung und Privatisierung in Kommunen. Empirische Befunde zur Struktur kommunaler Aufgabenwahrnehmung. Berlin 2006. Klein, B. / Maravic, P. v.: Dezentrale Korruption, PPPs und die strafrechtliche Behandlung der „neuen Amtsträger“. In: Maravic, P. von / Priddat, B. P. (Hg.): Öffentlich / Privat: Verwaltung als Schnittstellenmanagement? Beiträge zur Reorganisation des Staates I. 2007 (in Vorbereitung). Maravic, P. v.: Verwaltungsmodernisierung und dezentrale Korruption. Lernen aus unbeabsichtigten Konsequenzen. Bern 2007. Maravic, P. v. / Reichard, C. (Hg.): Ethik, Integrität und Korruption – neue Herausforderungen im sich wandelnden öffentlichen Sektor? Potsdam 2005. Reichard, C.: Verwaltung als öffentliches Management. In: K. König (Hg.), Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert. Baden-Baden 2002, S. 255–277. TI Deutschland: Das „Vier-Säulen-Modell“ für ein kommunales Integritätssystem von Transparency International, AG Kommunen, Berlin August 2006.
Bericht über die Diskussion des Beitrags von Christoph Reichard Von Stefan Ittner Im Anschluss an den Vortrag wies Diskussionsleiter Günter Kunz, Vizepräsident des Rechnungshofs Baden-Württemberg, Karlsruhe, auf die gestiegene Bedeutung der Ökonomisierung des öffentlichen Sektors sowohl in der Praxis als auch in der wissenschaftlichen Debatte hin. Zudem beklagte er, dass bei der Diskussion häufig die Frage zu kurz komme, wie sich die Ökonomisierung der Verwaltung mit der Rechtsstaatlichkeit vereinbaren lasse. Dankenswerterweise habe sich Reichard mit dieser Frage besonders im Hinblick auf die Korruptionsanfälligkeit beschäftigt und auch Möglichkeiten zum Gegensteuern aufgezeigt. Anton Kilger, München, wies auf weitere Nachteile der Ökonomisierung und besonders der Privatisierung des öffentlichen Sektors hin, die bisher nicht erwähnt worden seien, nämlich Personalabbau, ein Mangel an Ausbildungsplätzen, unsicherere Arbeitsverhältnisse und das „Verscherbeln“ von Grundstücken und Gebäuden. Esther Hochlenert, Stadt Mannheim, sprach die Einführung des neuen Tarifvertrags im öffentlichen Dienst (TVöD) an. Ihrer Meinung nach fördere dieser die Loslösung der Angestellten im öffentlichen Dienst vom Beamtentum und gehe dadurch auch mit einem Wertewandel einher. Sie frage den Referenten daher, ob er durch diese Entwicklung eine Gefahr für ethische Werte im öffentlichen Dienst befürchte, und wie der TVöD nachgebessert werden könnte. Reichard bezweifelte, dass der TVöD in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung sei, da er nur Angestellte und nicht Beamte betreffe. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der TVöD zu einem Wertewandel in Richtung weniger Staatsorientierung führen könne, da immer mehr Wert auf leistungsorientierte Bezahlung gelegt werde. Eine Nachbesserung des TVöD in diese Richtung sei aber nicht das geeignete Mittel. Vielmehr sei eine Entwicklung von gemeinsamen ethischen Grundsätzen für das heutige Verwaltungshandeln erforderlich, unabhängig davon, ob die Handlungen von Beamten, Arbeitern oder Angestellten ausgeführt würden. Dr. Till Müller-Heidelberg, Rechtsanwalt, Bingen, stimmte der Grundthese Reichards zu, dass eine Ökonomisierung der Verwaltung und sämtlicher Gesellschaftsbereiche zu einem Rückgang an Gemeinwohldenken führe. Zu zwei Teilbereichen des Vortrags melde er aber Widerspruch an. So sei es
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nicht richtig, dass die Rechnungsprüfungsinstanzen keinen direkten Zugriff mehr auf ausgegliederte Bereiche hätten. Ihm sei aus eigener Erfahrung nicht ein Fall bekannt, in dem bei neugegründeten Gesellschaften die Rechnungsprüfungsämter der Kommunen beziehungsweise der Landesrechnungshof keine vollen Prüfungsrechte hätten. Dies sei auch im Haushaltsgrundsätzegesetz so vorgeschrieben, solange die öffentliche Hand bei einem Unternehmen mehrheitlich beteiligt sei. Aus dieser Richtung dürfte es also nicht zu einer Schwächung der Korruptionsbekämpfung kommen. Was die Frage nach Vergaberichtlinien (VOB /A) für neugegründete Einheiten betreffe, so seien diese grundsätzlich immer anzuwenden, wenn die Kommune mehrheitlich an der Gesellschaft beteiligt sei. Es sei davon abgesehen aber zweifelhaft, ob durch die Vergaberichtlinien in der jetzigen Form Korruption überhaupt wirksam bekämpft werden könne. Kunz stellte hinsichtlich der Prüfungsrechte der Rechnungshöfe klar, dass sie bei Gesellschaften nur das gesetzliche Recht der Betätigungsprüfung hätten. Ein darüber hinausgehendes Prüfungsrecht sei nicht gesetzlich vorgeschrieben, auch nicht bei hundertprozentigen Landes- oder kommunalen Gesellschaften. Reichard wies darauf hin, dass seinen Ausführungen nur die Wahrnehmung der von ihm befragten 40 Rechnungsprüfungsämter zugrunde liege. Bei stärker verselbständigten Einrichtungen hätten sich danach die Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten insgesamt verringert. Was die Vergaberichtlinien betreffe, so seien ihm viele Fälle von Kommunen bekannt, die GmbHs ausgegliedert hätten, nur um das Vergaberecht zu umgehen. Kunz merkte zum Thema Privatisierung von öffentlichen Aufgaben an, dass aus seiner langjährigen Erfahrung im Rechnungshof bei der Prüfung von Landesgesellschaften Privatisierungen meist dann erfolgreich seien, wenn sie in einen funktionierenden Markt entlassen würden. Dort sei dann auch die Kontrolle durch Rechnungshöfe von untergeordneter Bedeutung. Als Beispiel nannte er eine Brauerei, deren Eigentümer das Land Baden-Württemberg sei. Der Rechnungshof habe dort noch nie die Haushalts- und Wirtschaftsführung geprüft, weil der Betrieb auch so problemlos gelaufen sei. Anders sei es, wo Aufgaben privatisiert würden, für die nach wie vor eine Monopolstellung bestehe. Eine Umwandlung eines solchen Betriebes in eine GmbH führe seiner Erfahrung nach häufig zu steigenden Personalkosten. Die größere Freiheit bei der Haushalts- und Wirtschaftsführung könne bei solchen Monopolen auch zu Problemen führen, weshalb sich die Landesregierungen eine Privatisierung besser gut überlegen sollten. Raimund Borrmann, Mitglied des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin, verglich die Zunahme an ausgegliederten Gesellschaften und die damit einhergehenden „zentrifugalen Kräfte“ mit dem mittelalterlichen Partikularismus, bei dem die Handlungsfähigkeit durch die Zersplitte-
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rung gefährdet gewesen sei. Genauso habe heute ein Bürgermeister Schwierigkeiten, die Holding-Struktur zu kontrollieren. Er wies darauf hin, dass Privatisierung vielleicht ein zu undifferenzierter Begriff sei, da durch die Privatisierung staatlicher Aufgaben, verstärkt durch die Finanzkrise, eine Parallelstruktur von oft transnationalen, nicht hoheitlichen Gesellschaften und hoheitlichen Rumpfeinheiten entstände. Zweitens gab Borrmann zu bedenken, ob man aufgrund der fortschreitenden Privatisierung von hoheitlichen Aufgaben wie Gefängnissen überhaupt noch von einer Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz sprechen könne. Zudem befürchte er, dass mit der Relativierung des Rechts auch eine Relativierung der Korruptionstatbestände verbunden sei. So könne es zu einer Herausbildung von legitimen Privilegien kommen, die mit dem Begriff der „Korruption“ gar nicht mehr sinnvoll erfasst werden könnten. Bernhard G. Suttner, Landesvorsitzender der ödp in Bayern, Passau, schlug vor, das GmbH-Gesetz zu ändern und es so zu ermöglichen, die Geheimhaltungspflicht für Aufsichtsräte bei öffentlichen GmbHs einzuschränken. Es sei den Kommunen zwar bisher schon erlaubt, die Mitglieder der Aufsichtsgremien von den weitreichenden Geheimhaltungspflichten zu entbinden. Allerdings sei dies eine Einzelfallentscheidung und werde nicht von allen Kommunen so gehandhabt. Ein Bürgerbegehren in Passau, das darauf abzielte, eine städtische GmbH transparenter zu gestalten, sei etwa vom Rat für nicht zulässig erklärt worden. Allerdings sei diese Entscheidung durch die bayerischen Verwaltungsgerichte – mittlerweile in zweiter Instanz – wieder aufgehoben worden. Im Sinne einer einheitlichen Regelung sei es somit wünschenswert, wenn das GmbH-Gesetz diese Möglichkeit zur Lockerung der Geheimhaltungspflicht für kommunale Gesellschaften grundsätzlich vorsehen würde, damit nicht jede Kommune einzeln darüber entscheiden müsse. Kunz merkte hierzu an, dass die Geheimhaltungspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern bei GmbHs und AGs auf die private Rechtsform zugeschnitten seien. Ausnahmeregelungen für öffentliche Körperschaften halte er deshalb für problematisch. An dieser Problematik zeige sich zudem, dass diese Rechtsformen nur in den seltensten Fällen für öffentliche Aktivitäten geeignet seien. Reichard lehnte eine Änderung des GmbH-Gesetzes ebenfalls ab und schlug stattdessen vor, eine neue Rechtsform zu schaffen, die insbesondere die Kontrollbedürfnisse hinsichtlich öffentlicher Unternehmen berücksichtigen sollte. Hans-Albert Kwasny, Städtischer Oberverwaltungsrat, Herne, stimmte den Ausführungen Reichards zu, dass durch Ausgliederungen die Korruptionsgefahr tendenziell erhöht worden sei. Seiner Erfahrung nach habe das neue Steuerungsmodell zu einer Erhöhung des Verwaltungsaufwands geführt, mit der Folge einer Finanzkrise in vielen Kommunen. Reichard merkte hierzu
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abschließend an, dass die Konzentration auf die Dezentralisierung der Ressourcenverantwortung in vielen Kommunen sehr einseitig verlaufen sei. Es sei in vielen Fällen versäumt worden, gleichzeitig entsprechende zentrale Gegensteuerungsmaßnahmen zu entwickeln.
Korruption in der Energiewirtschaft: Wie die Stromkonzerne mit der Politik kungeln (Thesen) Von Cerstin Gammelin 1. Energieunternehmen und die öffentliche Hand arbeiten seit der Erfindung der elektrischen Glühbirne eng zusammen. 2. Lobbyisten großer Energiekonzerne und aus deren Verbänden beeinflussen im politischen Alltag das Regierungs- und Verwaltungshandeln sehr intensiv. Internen Konzernaussagen zufolge wird die „inhaltliche Führung“ von Gesetzesvorhaben angestrebt. Das gelang zuletzt unter den Wirtschaftsministern Werner Müller und Wolfgang Clement. 3. Die inhaltliche Führung der Konzerne bei Gesetzesvorhaben führt zu einer Erosion der Demokratie. Normalerweise sollen sich Betroffene bei Anhörungen zu Referentenentwürfen zu Wort melden. Inzwischen werden Gesetze schon im Vorfeld so weit ausverhandelt, dass im parlamentarischen Prozess kaum noch Änderungen möglich sind. Teilweise werden so viele Interessen berücksichtigt, dass die Gesetze zu ausufernden Paragrafenwerken geraten. Jüngstes Beispiel ist die Gesundheitsreform. In der formal durchgeführten Anhörung hätte jeder der geladenen Verbände etwa eine Minute Redezeit gehabt – eine demokratische Farce. Nicht zuletzt werden auch die Abgeordneten entwürdigt – um nicht zu sagen entmündigt, wenn ihr Einfluss auf Gesetzesvorhaben sich auf die reine Stimmenabgabe beschränkt. 4. Eine Mischung aus Hassliebe, gefühlter Abhängigkeit und Ahnungslosigkeit prägt das Verhältnis zwischen Regierung und Stromwirtschaft. Einerseits attackieren viele Politiker verbal die Konzerne; andererseits versammelt Bundeskanzlerin Angela Merkel wie ihre Vorgänger die Chefs der größten Stromunternehmen als Berater in feinen Energiegipfel-Runden. Einerseits will die Regierung per Gesetz den Wettbewerb fördern; andererseits lässt sie ganze Passagen desselben von deren Lobbyisten schreiben. Einerseits pocht die Regierung auf Investitionszusagen der marktdominierenden Konzerne E.on, RWE, Vattenfall Europe und EnBW in neue Kraftwerke; andererseits gibt es politische Absichtsbekundungen, wonach die vier Marktführer Erzeugungskapazitäten an Wettbewerber abgeben sollen.
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5. Nach acht Jahren besteht politischer Konsens darüber, dass die Liberalisierung des Strommarktes gescheitert ist. Kein freies Spiel zwischen Angebot und Nachfrage. Die Energiekonzerne dominieren mehr als vier Fünftel der Erzeugung und die Transportnetze. Obwohl Kartellamt, Netzagentur und Preiskontrolleure der Bundesländer die Konzerne beaufsichtigen, können diese weitgehend schalten und walten – dank ihrer direkten Verbindung in die Politik. 6. Statt den Markt zu reanimieren, drängt das Wirtschaftsministerium auf noch mehr Kontrolle (Preisaufsicht für die Strom-Großhandelspreise und für CO2-Emissionszertifikate). Das bedeutet: noch weniger Markt. Dass der Strompreis unter dem Verdacht steht, überhöht zu sein, hat gerade mit dem Wenig an Markt zu tun: Nach wie vor verfügen die Erzeuger über das natürliche Monopol des Stromnetzes und die meisten Kraftwerke. Beides reizt zum Missbrauch. Bisher haben die Lobbyisten diese Pfründe erfolgreich verteidigt. –
7. Am Wirken der Lobbyisten hat sich nichts geändert, seit in Berlin die Große Koalition regiert. Allerdings müssen die Interessenvertreter jetzt mehr Politiker überzeugen als noch unter Rotgrün: die Regierungsfraktionen, die Volksparteien und die Ministerpräsidenten. 8. Die SPD hat dem Drängen der Kohlelobby weitgehend nachgegeben, das ist am Verteilungsplan für die Emissionszertifikate der zweiten Handelsperiode zu besichtigen. Interessant ist, dass das unionsgeführte Hessen jetzt auf mehr Wettbewerb – und sogar auf den anteiligen Verkauf von Kraftwerken drängt. Insgesamt deutet sich in Berlin eine interessante energiepolitische Konstellation an. Union, Linkspartei und Grüne fordern mehr Markt, mehr Wettbewerb. Die SPD verharrt in ihren bisherigen Stellungen, plädiert weiter für nationale Champions, sieht keinen Handlungsbedarf für mehr Wettbewerb. 9. Die Kommunikationsstrategie stellt die „Versorgung“ der Bürger mit Energie in das Zentrum. Von einem mündigen Bürger, der den Strom einkauft, statt mit diesem versorgt zu werden, ist noch immer keine Rede.
Resümee Schwachstellen der Korruptionsbekämpfung und der Korruptionsforschung in Deutschland Von Hans Herbert von Arnim Mindestens acht Themen haben uns auf dieser Tagung beschäftigt: • Was ist Korruption? Die Frage also nach einem sinnvollen Begriff der „Korruption“. • Leistet die Ökonomisierung von Staat und Verwaltung der Korruption Vorschub? Weiterhin und vor allem: Gibt es bestimmte Bereiche im politischadministrativen System, wo die Versuchung zu Korruption besonders groß und gleichzeitig die Kontrolle besonders gering ist, als da sind: – die Politik, – der kommunale Bereich, – die Wirtschaft, exemplifiziert am Beispiel Pharma, speziell Arzneimitteln, – die Europäische Union. • Gleichzeitig haben wir gefragt, ob die wissenschaftliche Erforschung der für Korruption besonders anfälligen Bereichen defizitär ist. • Schließlich ergaben sich im Laufe der beiden Tage eine Reihe von zentralen Querschnittserkenntnissen. 1. Zunächst zum ersten Punkt, dem Begriff. Dazu habe ich in meinem Referat einige Grundsätze aufgestellt. Ich habe Korruption zunächst als „Missbrauch anvertraute Macht zur Erlangung privater Vorteile“ definiert. Herr Bamberger verwendete denselben Begriff. Darüber hinaus habe ich versucht, den Begriff auch auf bestimmte korruptionsnahe Bereiche zu erstrecken. Der Begriffvorschlag stieß teilweise auf Widerspruch. Die „Uferlosigkeit“ wurde gerügt, z. B. von Herrn Theobald. Herr Müller-Heidelberg wollte den Korruptionsbegriff auf gesetzliche Verbote begrenzt wissen. Dabei hatte ich gerade im Sinn gehabt, einen Maßstab zu gewinnen, der es erlaubt, auch mangelhafte Gesetze zu beurteilen und – bei eindeutigem Missbrauch – als Korruption zu brandmarken. Auch von anderer Seite wurde der gesetzesunabhängige Korruptionsbegriff begrüßt.
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Ob jeweils auch die Ausrichtung von Politikern an Wählerstimmen einen Missbrauch darstellen könne, wurde u. a. am Fall zu vieler Feuerwehren in kleinen Gemeinden erörtert. Das Ergebnis war schließlich allerdings eindeutig: kein Missbrauch. 2. Zum zweiten Punkt, ob die Ökonomisierung die Rechtsstaatlichkeit gefährdet, gab Herr Reichard eine differenzierende Antwort, wusste dann aber doch die dreifache These, die Ökonomisierung von Staat und Verwaltung sei geeignet, das Risiko von Korruption zu erhöhen, weil die Beschäftigten aufgrund von Wertverschiebungen Korruption eher „wollen“, weil sie aufgrund größeren Korruptionspotentials Korruption eher begehen „können“ und weil sie mangels wirksamer Kontrollen sich auf Korruption eher einlassen „dürfen“. In der Diskussion wurde weiter darauf hingewiesen, Ökonomisierung führt zur Fragmentierung. Das schaffe größere Möglichkeiten der Korruption und bewirke eventuell auch eine gewisse ethischen Erosion. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, den Amtsträgerbegriff auf Angestellte formal privatisierter Unternehmen in öffentlicher Hand zu erweitern. Eine weitere Dimension der Ökonomisierung von Staat und Verwaltung kam in fast jeder Diskussionsrunde zur Sprache: das zunehmende Sponsoring in der Verwaltung, in Universitäten, in Politik und eigentlich fast überall. Der Grund: die Ebbe in den öffentlichen Kassen. (Eigentlich hatte ich vorgehabt, auch das zum Thema eines eigenen Referats zu machen, doch die Tagung sollte nicht mit zu vielen Referenten überladen werden). Es bestand Einigkeit über die Gefahren, die von exzessivem Sponsoring ausgehen können (Bamberger: „latente Gefahr von Korruption“). Dem Sponsor sollte es lediglich um Werbung, um Imagegewinn gehen dürfen. Soll dadurch aber z. B. die Erlangung einer Baugenehmigung erleichtert werden, werde das leicht zur Korruption. Herr Kieninger sprach sich grundsätzlich gegen die Zulässigkeit des Sponsoring aus, weil die Grenze zwischen Sponsoring und Korruption praktisch kaum scharf zu ziehen sei. Herr Bamberger forderte zumindest eine gesetzliche Regelung, die Klarheit schafft. Bisher gebe es nur die Rechtsprechung. Die aber sei unübersichtlich und wenig bekannt. 3. Zur Frage der politischen Korruption bejahte Herr Suttner in seiner Dinner Speech einerseits das Kontrolldefizit und hob die besondere Gefahr hervor, die von Korruption ausgehe, die sich auf die Gesetzgebung bezieht, „weil sie nicht auf den Einzelfall einer gemeinwohlwidrigen Umgehung gesetzlicher Regeln zielt, sondern auf die gemeinwohlwidrige Gestaltung der Gesetze selbst“. Er hob also auf die breite und tiefe Ausstrahlung von Legalkorruption ab. Andererseits sah er sich einem Dilemma gegenüber: Da Abhilfe kaum von der Politik selbst zu erwarten ist, die hier in eigener Sache entscheide, werde Abhilfe und Kontrolle gemeinhin von der Öffentlichkeit, also von den Medien erwartet. Das klingt ja auch in der berühmten Formulierung
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des Diäten-Urteils von 1975 an: Wenn das Parlament in eigener Sache entscheidet, sei „Öffentlichkeit die einzige wirksame Kontrolle.“ Die Medien konzentrierten sich aber – so Suttner – regelmäßig auf den aktuellen Einzelfall, trügen dagegen nichts zur Änderung der Strukturen bei, die die eigentliche Ursache der erhöhten Korruptionsgefahr darstellten. Dadurch trügen die Medien letztlich zu einem immer größeren Verlust des Vertrauens in die Politik bei, ohne an den Ursachen etwas zu ändern. Wie aber können die Strukturen geändert werden? Die Antwort von Herrn Suttner lautet: praktisch nur durch direkt demokratische Gesetzgebung. Vielleicht schwebt Herrn Suttner eine Konstellation wie in der Schweiz vor: keine Altersversorgung für Abgeordnete; Milizparlament. Das Problem geht aber weit über die Politikfinanzierung hinaus: Auch Wahlrecht, Föderalismus und andere Regeln des Machterwerbs und der Machtausübung sind von der Politik im eigenen Interesse pervertiert. Auch hier handelt es sich um Entscheidungen in eigener Sache und im eigenen Interesse. (Siehe dazu Discussion Paper Nr. 35 des Deutschen Forschungsinstituts für Öffentliche Verwaltung.) Direkte Demokratie verspricht wohl allem Abhilfe. Im Übrigen wurde eine Fülle von konkreten Vorschlägen zur Eindämmung politischer Korruption gemacht: • Herr Bamberger schlug vor, durch Gesetzesänderung auch die Mitglieder von kommunalen Vertretungen in den strafrechtlichen Amtsträgerbegriff einzubeziehen. • § 108e StGB müsse erweitert werden. Das war allgemeine Meinung, auch Herr Bamberger trat dafür ein. • Im Zusammenhang mit politischer Korruption wurde auch die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft in Deutschland wiederholt angesprochen. Herr Bamberger hatte darauf hingewiesen, vom Weisungsrecht würde eigentlich nie Gebrauch gemacht. Dem hatte Frau Bannenberg entgegengehalten, Einflussnahmen erfolgten in der Praxis nicht durch formelle Weisungen, sondern auf viel subtilere Weise. In diesem Zusammenhang wurde auf Winfried Maiers fulminante Dinner Speech „Wie unabhängig sind Staatsanwälte in Deutschland?“ auf der 6. Speyerer Demokratietagung, veröffentlicht im Knaur-Taschenbuch Verlag (von Arnim [Hrsg.], Korruption, 2003, S. 121–131) hingewiesen. • Herr Suttner nannte im Übrigen eine Fülle von Rezepten, um die Gefahr politischer Korruption einzuschränken: vom Verbot von Parteispenden juristischer Personen bis zum Verbot von Nebentätigkeit von Abgeordneten für – an der Gesetzgebung interessierte – Unternehmen oder Verbände. 4. Die Frage, ob Kommunen einen „Nährboden der Korruption“ darstellen, bejahte Thomas Leif nachdrücklich: In den Kommunen seien Faktoren
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gegeben, die das Feld der Korruption auch sonst bestimmten. Zusätzlich kämen aber noch ergänzende Sonderfaktoren hinzu, die die Korruptionsgefahr auf kommunaler Ebene erweiterten. Sein hartes Fazit lautet: „Alle bekannten Faktoren, die Korruption begünstigen, bekommen durch die spezifische Art der Politik-Produktion auf kommunaler Ebene Auftrieb und Schutz. Alle Faktoren, die Korruption dämpfen könnten, sind auf der kommunalen Ebene unterentwickelt.“
Dabei spielen Mängel der lokalen Presse eine zentrale Rolle. Herr Leif nannte Beispiele. Die Presse sei eben im Wesentlichen in die lokale Politik eingebunden. Wiederholt wurde auch massive Kritik daran geäußert, dass Mitglieder von Kommunalvertretungen gleichzeitig Richter und sogar Verwaltungsrichter sein können. Auch Herr Bamberger war dagegen. 5.1. Zur Thematik „Korruption in der Wirtschaft“ untersuchte Herr Schönhöfer als Professor der Pharmakologie den Arzneimittelmarkt. Sein erschütterndes und gleichzeitig provozierendes Ergebnis lautet: Die pharmazeutische Industrie sei durch eine gewaltige Innovationsschwäche gekennzeichnet. Sie versuche stattdessen Scheininnovationen in den Markt zu pumpen. Das aber sei nur möglich durch • die Manipulation von Ergebnissen klinischer Studien, • Desinformation der Fachkreise mittels angemieteter Meinungsbildner und • die schleichende Bestechung von Ärzten und Apothekern. Das Ergebnis sei nicht nur eine allgemeine Verderbnis der Sitten im ganzen Pharmabereich, sondern auch eine riesige öffentliche Verschwendung, die Herr Schönhöfer auch mit Zahlen belegt sowie die Inkaufnahme von Gefahren für die Gesundheit. Die kompakte Darstellung drängte den Eindruck auf, der ganze Arzneimittelmarkt sei ein richtiggehend durchkorrumpierter Bereich, ein Korruptionssystem. Herr Schönhöfer machte eine ganze Reihe von Vorschlägen für Gegenmaßnahmen: von der Einführung von Verhaltenskodices, der Offenlegung finanzieller Beziehungen und Verträge, der Schaffung eines einheitlichen, öffentlich zugänglichen Registers aller klinischen Studien bis zur Erstreckung der strafrechtlichen Amtsträgereigenschaft auch auf ärztliche Verbandsfunktionäre und Ärzte. Die Frage blieb allerdings offen, wie Derartiges praktisch durchgesetzt werden solle gegen die dominanten Kräfte, die das derzeitige System errichtet haben und weiter betreiben. Hier stellte sich die „Münchhausen-Frage“ mit aller Macht. 5.2. Frau Gammelin, die wegen Krankheit hatte absagen müssen, hätte das Thema „Korruption in der Wirtschaft“ am Beispiel der Energiebranche behandeln sollen. Aus ihren Thesen können wir zumindest Folgendes entnehmen: Die vier großen Stromkonzerne beherrschen den Markt: RWE, E.on, EnBW und Vattenfall: Regionale Aufteilung des Marktes, Inhaber der Netze,
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überaus hohe Strompreise in Deutschland. Stromkonzerne hätten gewaltigen Einfluss auch auf die Politik. Die personelle und inhaltliche Verzahnung sei so stupend, dass legitimer Lobbyismus drohe, in eine illegitime Grauzone von Korruption überzugehen. Die angestrebte Liberalisierung des Strommarktes sei gescheitert. Nur mehr Wettbewerb könne wirksame Abhilfe schaffen. Auch Herr Kunz wies auf den Zusammenhang zwischen mangelndem Wettbewerb und zunehmender Ineffizienz und Kungelei hin. Aber gegen mehr Wettbewerb sträubten sich die markt- und politikbeherrschende Unternehmen mit aller Kraft. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass der Einfluss der Energiekonzerne auf die Politik sich an vielen Beispielen zeige. Die Konzerne seien an vielen Skandalen beteiligt: a) Arbeitslose Zahlungen an Josef-Hermann Arentz und Laurenz Meyer. b) Überwechseln von Alfred Tacke und B. Müller aus der Spitze des Wirtschaftsministeriums an die Spitze von Energiekonzernen. c) Mitglieder von Kommunalvertretungen in Beiräten von RWE. d) Lustreisen von Kommunalvertretern auf Kosten der Konzerne. Alles sei nur die Spitze eines Eisbergs. e) Auch beim problematischen Lagerwechsel von Schröder hat die Stromwirtschaft ihre Hände im Spiel. RWE zusammen mit BASF. Im Übrigen haben die Fälle Arentz und Meyer RWE zu einer auch grundsätzlichen Reaktion veranlasst: Das Unternehmen hat seine diesbezüglichen Richtlinien verschärft. 6. Was die Europäische Union angeht, war vom Vizepräsidenten der Kommission, Herrn Siim Kallas, natürlich kein Bekenntnis zu erwarten, sie sei ein Dorado der Korruption. Er schilderte stattdessen seinen beeindruckenden Kampf für mehr Transparenz. Die Empfänger von Subventionen würden veröffentlicht, wenn auch in Deutschland erst im Jahr 2008 oder 2009. 7. Defizite in der Korruptionsbekämpfung gehen nach meiner Erfahrung auch Hand in Hand mit Defiziten in der Korruptionsforschung. Es handelt sich um heikle Bereiche, die auch Wissenschaftler eher meiden. Frau Bannenberg führte dazu aus, es fehle vor allem an der Evaluation von Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen, sei es des Gesetzgebers, sei es der Verwaltung. Es mangle an Gesetzesfolgenabschätzung. Im Übrigen erschwere der Umstand, dass Korruption im Verborgenen blüht, auch den Zugriff der Wissenschaft auf harte empirische Daten. 8. An allgemeinen Erkenntnissen scheint mir folgendes besonders wichtig: • Korruptionsbekämpfung schützt, worauf Frau Bannenberg hingewiesen hat, öffentliche Güter (Vertrauen in die Verwaltung, in die Wirtschaft,
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Wachstum, Verhinderung von Ressourcenverschwendung etc.), also allgemeine Interessen. Solche allgemeine Belange zu schützen, ist aber in der pluralistischen Demokratie besonders schwierig (siehe meine Habilarbeit „Gemeinwohl und Gruppeninteressen“, 1977). Dagegen könnte vielleicht eine – wiederholt angemahnte – Renaissance der Moral etwas ausrichten. Herr Reichardt: Ethik-Training, Besinnung auf Staats-Ethik. Das allgemeine Bewusstsein, dass Korruption überaus schädlich für Staat und Gesellschaft ist, könnte durchaus etwas bewirken. Bloß, wie soll Derartiges erreicht werden. Appelle sind wohlfeil. Fortbildung – in USA offenbar ganz stark. Die eine oder andere Veranstaltung in Speyer oder anderswo reicht dafür mit Sicherheit nicht aus. Gleichwohl dürfen wir nicht müde werden, über die Folgen der Korruption für die Allgemeinheit aufzuklären. Das Internet könnte zu einem Instrument werden, um – an gewissen Schwächen der etablierten Medien vorbei – zu einer Aktivierung beizutragen (wie Herr Leif das angedeutet hat) und die Entstehung einer „kritische Masse“ in der Zivilgesellschaft zu fördern. • Das größte Hindernis bei der Bekämpfung von Korruption ist der Korpsgeist, der in Unternehmen, in Behörden und in anderen Organisationen herrscht. Sie fürchten, die Aufdeckung von Korruptionsfällen schlage auf die ganze Organisation zurück und schade dieser letztlich. Deshalb scheinen sie öffentliche Aufklärung von Korruptionsfällen mehr zu scheuen als die Korruption selbst. Hinweisgeber, also sog. whistleblower, werden als Denunzianten verunglimpft und intern gemobbt. Auch hier sieht man nicht, dass energische Korruptionsbekämpfung allen Vorteile bringt, sondern blickt nur auf den individuellen Nachteil, der durch das Bekanntwerden von eigenen Korruptionsfällen entstehen kann. Hier liegt eine typische Falle vor, in der die Gemeinschaft sich immer dann befindet, wenn individuelle Rationalität und kollektive Rationalität auseinanderfallen. Stimmt es also doch, dass die Rhetorik der Korruptionsbekämpfung nur eine Art window dressing ist oder, dass Korruptionsbekämpfung geradezu die „Lebenslüge der politischen Klasse“ (wie Herr Leif zugespitzt formulierte) und, wie man zufügen müsste, auch der wirtschaftlichen Klasse sei? Auch Herr Hetzer (OLAF) stimmte dem zu. Um die kollektive Rationalität zu stärken, müssen jedenfalls diejenigen, die ihr dienen, wie whistleblower, auch in ihrer rechtlichen Stellung massiv gestärkt werden. Das erscheint als ganz zentraler Gesichtspunkt. • Und natürlich muss den Kräften, zu deren Aufgabe es gehört, Korruption zu bekämpfen, wie Staatsanwaltschaften, Gerichten, Rechnungshöfen, Rechnungsprüfungsämtern etc. stärkeres Gewicht gegeben werden. Das kam in den Referaten und der Aussprache vielleicht etwas zu kurz, weil es sich sozusagen von selbst versteht. Aber Herr Reichard: Kompetenzen der Rechnungsprüfungsämter ausweiten.
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• Ein zentrales Problem liegt auch in der Janusköpfigkeit der öffentlichen Kritik durch Medien: Sie skandalisieren regelmäßig nur Einzelfälle, ohne die Strukturen, auf denen die Fälle beruhen, mit in den Blick zunehmen und auf ihre Verbesserung hinzuwirken. Daher rührt dann der von Herrn Suttner beschriebene Effekt, dass die Politikverdrossenheit durch die veröffentlichten Skandale eher wächst, die Strukturen, die die Sumpfblüten nähren, aber fortbestehen. Das ist ein weiteres Beispiel für eine Falle, aus der die Gesellschaft nur schwer herausfindet. • Was allenfalls helfen kann, ist eine unermüdliche Aufklärung über die überaus schädlichen Folgen der Korruption für das gesamte Gemeinwesen, notfalls auch eine Politisierung der Menschen, d. h. ihre Aufrüttelung durch Spektakulär-Emotionales. Die kritische Masse, deren Fehler gerügt wurde, muss erreicht werden. Das verlangen auch Personen, die sich der Korruptionsbekämpfung verschreiben, wie es eine Teilnehmerin ausdrückte. Anders formuliert: wir brauchen mehr Schönhöfers, nicht nur im Pharmabereich, sondern auch anderwärts. Oder muss es erst noch viel schlimmer kommen?
Verzeichnis der Autoren1 Arnim, Hans Herbert von, Prof. Dr., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Bamberger, Heinz Georg, Dr., Justizminister des Landes Rheinland-Pfalz Barnekow, Sven, Forschungsreferent, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer Gammelin, Cerstin, Journalistin, Die Zeit Ittner, Stefan, Forschungsreferent, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer Kallas, Siim, Vizepräsident der Europäischen Kommission, Kommissar für Verwaltung, Audit und Betrugsbekämpfung Leif, Thomas, Prof. Dr., Chefreporter Fernsehen SWR Mainz, Vorsitzender netzwerk recherche (nr) Reichard, Christoph, Prof. Dr., Universität Potsdam Schiedermair, Stephanie, Dr., Wissenschaftliche Assistentin, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Schönhöfer, Peter S., Prof. Dr., Herausgeber des arznei-telegramms, Berlin Schoppa, Katrin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Suttner, Bernhard G., Landesvorsitzender der ödp in Bayern Tegeler, Carolin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Wolf, Sebastian, Dr., Forschungsreferent, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer
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Stand Oktober 2006.